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Full text of "Münchener medizinische Wochenschrift"

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THE  UNIVERSITY 


OF  ILLINOIS 


/ 


MÜNCHENER 


ORGAN  FÜR  AMTLICHE  UND  PRAKTISCHE  ÄRZTE. 


HERAUSGEGEBEft 

VON 

O.  v.  Angerer,  Ch.  Bäumler,  A.  Bier,  M.  v.  Gruber,  H.  Helferich,  M.  Hofmeier,  L.  v.  Krehl 

München.  Freiburg  i.  B.  Berlin.  München.  Eisenach.  Würzburg.  Heidelberg. 

Fr.  Lange,  W.  v.  Leube,  G.  v.  Merkel,  Fr.  Moritz,  Fr.  v.  Müller,  F.  Penzoldt,  B.  Spatz,  R.  Stintzing 

München.  Stuttgart.  Nürnberg.  Köln  München.  Erlangen.  München.  )ena. 


REDIGIER! 


HOFRAT  DR  BERNHARD  SPATZ 

PRAKT.  ARZT. 


LXI.  JAHRGANG. 

IT.  Hälfte  (Juli— Dezember). 


MÜNCHEN 

VERLAG  VON  J.  F.  LEHMANN 


1914. 


Digitized  by  the  Internet  Archive 
in  2019  with  funding  from 
University  of  Illinois  Urbana-Champaign 


https://archive.org/details/munchenermedizin612unse 


r'/TS  I? 

Münchener  Me 


Die  Mönchen»  Medizinische  Wochenschrift  erscheint  wöchentlich 
im  Umfang  von  durchschnittlich  7  Bogen.  •  Preis  der  einzelnen 
Nummer  80  -f.  *  Bezugspreis  in  Deutschland  vierteljährlich 
M  b. — .  ♦  Übrige  Bezugsbedingungen  siehe  auf  dein  Umschlag. 


II 


MÜNCHENER 


Zusendungen  sind  zu  adressieren: 

Furdie  Redaktion  Arnulfstr.26.  Bürozeit  der  Redaktion  81',— 1  Jhr. 
Für  Abonnement  an  |.  F.  Lehmann’s  Verlag,  Paul  Heysestrasse  2  j. 
Für  Inserate  und  Beilagen  an  Rudolf  Mosse,  Theatmerstrasse  i. 


Medizinische  Wochenschrift. 

ORGAN  FÜR  AMTLICHE  UND  PRAKTISCHE  ÄRZTE. 


Nr.  27.  7.  Juli  1914. 


Redaktion:  Dr.  B.  Spatz,  Arnulfstrasse  26. 
Verlag:  J.  F.  Lehmann,  Paul  Heysestrasse  26. 


61.  Jahrgang. 


Der  Verlag  behält  sich  das  ausschliessliche  Recht  der  Vervielfältigung  und  Verbreitung  der  in  dieser  Zeitschrift  zum  Abdruck  gelangenden  Originalbeiträge  vor. 


Originalien. 

Aus  der  Universitäts-Augenklinik  in  München. 

Neue  Versuche  über  Lichtreaktionen  bei  Tieren  und 

Pflanzen  *). 

Von  C.  Hess. 

M.  H.!  Erlauben  Sie  mir,  zunächst,  gewissermassen  vor 
der  Tagesordnung,  kurz  über  einen  Befund  zu  berichten,  der 
zwar  zu  unserem  Thema  nur  in  lockerer  Beziehung  steht,  aber 
von  allgemeinerem  Interesse  sein  dürfte.  Es  handelt  sich  um 
die  Akkommodation  der  Alciopiden. 

Die  Alciopiden  sind,  wie  Sie  wissen,  fast  ganz  durch¬ 
sichtige,  ca.  3 — 8  cm  lange,  räuberische  marine  Würmer,  deren 
verhältnismässig  hoch  entwickelte  Augen  wiederholt  Gegen¬ 
stand  histologischer  Untersuchungen  waren;  man  glaubte  ana¬ 
tomisch  muskulöse  Elemente  in  ihnen  nachweisen  zu  können, 
und  gründete  darauf  (Hesse,  D  e  m  o  1 1)  Theorien  über  einen 
Akkommodationsvorgang  in  denselben;  da  diese,  wie  das 
folgende  zeigt,  leicht  als  irrig  dargetan  werden  können,  gehe 
ich  nicht  näher  auf  sie  ein. 

Wegen  der  Kleinheit  der  Augen  —  die  grössten,  die  ich 
untersuchen  konnte,  hatten  einen  Durchmesser  von  kaum 
1  mm  —  galt  es  bisher  als  unmöglich,  die  Frage  nach  akkom¬ 
modativen  Aenderungen  an  ihnen  experimentell  in  Angriff  zu 
nehmen.  Ich  konnte  nun,  indem  ich  die  überlebenden  und 
sorgfältig  isolierten  Augen  unter  Seewasser  auf  passende  Elek¬ 
troden  legte  und  bei  sehr  starkem  auffallendem  Lichte  mit  der 
Binokularlupe  beobachtete,  die  bei  elektrischer  Reizung  an  den¬ 
selben  eintretenden  Aenderungen  verfolgen  und  damit  einen 
höchst  merkwürdigen,  in  der  Tierwelt  einzig  dastehenden 
Akkommodationsvorgang  aufdecken.  Ich  berichte  darüber  an 
anderer  Stelle  ausführlicher  und  beschränke  mich  hier  auf  das 
Wesentlichste. 

Betrachtet  man  ein  frisches  Alciopidenauge  von  vorn,  so 
sieht  man  die  Vorderfläche  der  Augenhülle  in  der  Umgebung 
der  Linse  von  zahlreichen  feinen,  silberglänzenden  Streifen 
überzogen,  die  bisher  irrigerweise  als  Muskeln  gedeutet 
wurden  (Hess  e).  Tatsächlich  handelt  es  sich  um  Gebilde, 
die  einerseits,  nach  Art  einer  Iris,  den  Eintritt  diffusen  Lichtes 
in  das  Auge  erschweren,  andererseits  die  nach  vorn  unten  ge¬ 
richteten  Augen  für  einen  von  unten  kommenden  Feind  mög¬ 
lichst  unsichtbar  machen;  sie  wirken  also  in  ähnlicher  Weise, 
wie  ich  es  früher  für  den  Silberglanz  der  Fische  nachgewiesen 
habe. 

Bei  Reizung  sieht  man  an  der  gerade  nach  unten  von  der 
Linse  gelegenen  Stelle  der  sehr  weichen  Augenhülle  eine  Zu¬ 
sammenziehung  der  letzteren;  alle  übrigen  Teile  der  Augen¬ 
wandung  bleiben  in  Ruhe.  Die  Linse  tritt  bei  Rei¬ 
zung  beträchtlich  nach  vorn,  sie  nähert  sich  der 
Hornhaut,  wie  man  insbesondere  bei  Betrachtung  im  Profil 
leicht  wahmehmen  kann.  Damit  ist  nachgewiesen,  dass  die 
Alciopiden  eine  aktive  Nahakkommodation  be¬ 
sitzen,  indem  durch  die  eben  erwähnte  Kontraktion  die  in 
ihrer  Form  unveränderte  Linse  von  der  Netzhaut  entfernt 
wird.  Die  Art,  wie  diese  Ortsveränderung  der  Linse  erfolgt, 
ist  von  grösstem  Interesse:  die  Alciopiden  unterscheiden  sich 
von  allen  anderen  Tieren  mit  sonst  ähnlichem  Augenbau  da¬ 
durch,  dass  bei  ihnen  ein  „doppelter  Glaskörper“  gefunden 
wird;  dicht  hinter  der  Linse  findet  man  eine  zähflüssige  Masse, 

*)  Vortrag,  gehalten  in  der  Münchener  Gesellschaft  für  Morpho¬ 
logie  und  Physiologie  am  19.  V.  1914. 

Nr.  27. 


die  von  dem  hinteren  Glaskörperraum  scharf  gesondert  und 
mit  den  Augenhüllen  allseitig  innig  verbunden  ist.  An  der 
nach  unten  gerichteten  Stelle  der  letzteren  zeigt  nun  dieser 
vordere  Glaskörper  eine  merkwürdige  ampullenförmige  Aus¬ 
stülpung,  die  mit  dem  Glaskörperraum  durch  einen  Kanal  in 
Verbindung  steht  und  von-  Zoologen  früher  als  Gehörbläschen 
gedeutet  wurde,  heute  als  eine  der  Sekretion  von  Glaskörper¬ 
masse  dienende  „Glaskörperdrüse“  aufgefasst  wird.  Meine 
Versuche  decken  die  wirkliche  Bedeutung  dieser  Ausstülpung 
auf;  letztere  findet  sich  eben  an  der  Stelle  der  Augenwand,  wo 
allein  kontraktile  Elemente  vorhanden  sind;  bei  Zusammen¬ 
ziehung  dieser  Muskeln  wird  die  Ausstülpung  ähnlich  wie  ein 
mit  Flüssigkeit  gefüllter  Gummiballon  zusammengedrückt,  da¬ 
durch  etwas  von  ihrem  Inhalte  in  das  Auge  gepresst  und  in¬ 
folge  hiervon  die  Linse,  die  auf  einer  napfartigen  Vertiefung 
der  vorderen  Glaskörperfläche  ruht,  etwas  nach  vorn  gehoben. 

Wir  lernen  damit  zum  zweiten  Male  bei  wirbellosen 
Tieren  einen  Akkommodationsvorgang  kennen;  der  Mechanis¬ 
mus  ist  von  jenem,  den  ich  früher  bei  Cephalopoden  nach¬ 
weisen  konnte,,  wesentlich  verschieden.  Unsere  Beob¬ 
achtungen  lehren  aufs  neue,  wie  sehr  uns  das  physiologische 
Experiment  auch  bei  der  Deutung  histologischer  Befunde 
fördern  kann. 


Unter  den  von  mir  neu  gefundenen  Lichtreaktionen 
bei  Echinodermen,  über  die  ich  heute  nur  kurz  berichte, 
beanspruchen  jene  bei  Seesternen  schon  deshalb  ein  gewisses 
Interesse,  weil  man  über  die  Lichtempfindungen  bei  diesen 
bisher  so  gut  wie  nichts  wusste;  auf  Grund  anatomischer  Be¬ 
funde  nahm  man  an,  die  bekannten  roten  Punkte  an  den  Enden 
der  5  Arme  seien  optische  Empfangsapparate.  Versuche,  die 
Frage  experimentell  zu  lösen,  führten  zu  widersprechenden 
Ergebnissen;  manche  Autoren  geben  an,  Seesterne,  die  eine 
gewisse  Neigung  haben,  sich  zum  Lichte  zu  bewegen,  zeigten 
diese  nicht  mehr,  wenn  die  Armspitzen  mit  jenen  „Augen“ 
abgeschnitten  werden,  während  nach  an-deren  auch  so  ver¬ 
stümmelte  Tiere  noch  zum  Lichte  kriechen  sollen. 

Im  Verlaufe  systematischer  Untersuchungen  fand  ich  die 
überraschende  Tatsache,  dass  bei  den  Astropectiniden  die 
Füsschen  hochgradig  lichtempfindlich  sind: 
Bei  Belichtung  werden  die  im  Dunkeln  ausgestreckten  Füss¬ 
chen  lebhaft  eingezogen  und  die  vorher  weitgeöffnete  Ambula- 
kralrinne  schliesst  sich  in  der  ganzen  Ausdehnung,  in  der  sie 
belichtet  wird,  indem  die  sie  flankierenden  weissen  Stacheln 
über  den  eingezogenen  Füsschen  zusammenklappen.  Die 
überraschende  Erscheinung,  die  ich  in  einer  Reihe  von  Mo¬ 
mentaufnahmen  festhalten  konnte,  liess  auch  die  Prüfung  der 
Wirkung  verschieden  farbiger  Lichter  zu.  Es  ergab  sich  hier 
wie  bei  allen  bisher  genauer  untersuchten  Wirbellosen,  dass 
die  farbigen  Lichter  für  unsere  Seesterne  ähnliche  oder 
gleiche  relative  Reizwerte  haben,  wie  für  das  total  farbenblinde 
Menschenauge;  rote  Lichter  sind  selbst  bei  sehr  grosser  Licht¬ 
stärke  fast  oder  ganz  ohne  Wirkung,  während  grüne  und  blaue 
Lichter  sehr  viel  stärker  wirken  als  die  roten,  auch  dann,  wenn 
sie  unserem  normalen  Auge  viel  weniger  hell  erscheinen  usw. 
Auch  adaptative  Aenderungen  konnte  ich  bei  diesen  See¬ 
sternen  nachweisen  und  messend  verfolgen. 

Auch  bei  Seeigeln  gelang  es  mir,  neue,  höchst  merk¬ 
würdige  Lichtreaktionen  aufzudecken.  Man  wusste  bisher  aus 
Untersuchungen  von  Sarasin  und  v.  U  e  x  k  ii  1 1  nur,  dass 
manche  Seeigel  bei  Beschattung  ihre  Stacheln  etwas  aufstellen; 
genauere  Untersuchungen  über  ihre  Sehqualitäten  hat  man 

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MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


nicht  vorgenommen.  Ich  fand  bei  Centrostephanus  longispinus 
folgende  interessante  Erscheinung:  Die  Tiere  haben  in  der 
Umgebung  ihres  aboralen  Poles  20 — 30  wundervoll  hellvio¬ 
lette,  ca.  3  mm  lange,  kölbchenartige  Gebilde,  von  welchen  man 
bisher  nur  wusste,  dass  sie  zeitweise  rotierende  Bewegungen 
ausführen,  zu  anderen  Zeiten  in  Ruhe  sind;  ich  fand  nun,  dass, 
wenn  man  ein  Tier  mit  ruhenden  Kölbchen  leicht  beschattet, 
z.  B.  nur  einmal  rasch  die  Hand  zwischen  Fenster  und  Be¬ 
hälter  vorüberführt,  jene  Kölbchen  äusserst  lebhaft  zu  rotieren 
anfangen.  Die  weitere  Untersuchung  ergab,  dass,  um  solche 
Bewegungen  hervorzurufen,  schon  äusserst  geringe  Licht¬ 
stärkenverminderungen  genügen;  wenn  z.  B.  vorwiegend  nur 
Licht  von  einem  passend  gehaltenen  grauen  Karton  zu  dem 
Tier  gelangt  und  ich  ersetze  diesen  Karton  durch  einen  nur 
wenig  dunkleren,  so  fangen  die  Kölbchen  lebhaft  an  zu  ro¬ 
tieren.  Schon  auf  diesem  Wege  waren  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  messende  Bestimmungen  möglich,  und  ich  konnte,  in¬ 
dem  ich  weiterhin  auch  verschiedenfarbige  Kartons  zur  Be¬ 
lichtung  benützte,  wieder  eindringlich  zeigen,  dass  auch  diese 
Tiere  sich  so  verhalten,  wie  unter  entsprechende  Bedingungen 
gebrachte  total  farbenblinde  Menschen  sich  verhalten  würden. 
Noch  feinere,  überraschend  genaue  Messungen  konnte  ich  mit 
der  im  folgenden  Abschnitte  geschilderten  Methode  anstellen. 


Man  hat  geglaubt,  einen  Einwand  gegen  meine  bisherigen 
Untersuchungen  über  die  Sehqualitäten  der  Tiere  daraus  ab¬ 
leiten  zu  können,  dass  ich  die  „objektiven  Lichtreaktionen“  bei 
den  Tieren  zu  den  „subjektiven  Helligkeitsempfindungen“  beim 
Menschen  in  Beziehung  bringe;  für  den  mit  der  wissenschaft¬ 
lichen  Farbenlehre  Vertrauten  erledigt  sich  ein  solcher  Ein¬ 
wand  leicht.  Aber  es  musste  nach  verschiedenen  Richtungen 
förderlich  erscheinen,  zu  zeigen,  dass  man  die  Aufgabe  noch 
von  einer  ganz  anderen  Seite  in  Angriff  nehmen  kann.  Ich 
habe  daher  bei  neuen  grösseren  Untersuchungsreihen  jene 
Lichtreaktionen  bei  Tieren  nicht  mehr  zu  unseren  Helligkeits¬ 
empfindungen,  sondern  zu  „objektiven  Lichtreaktionen“  am 
Menschenauge  und  zwar  zu  den  durch  das  Licht  hervor¬ 
gerufenen  Aenderungen  der  Pupillen  weite  in  Be¬ 
ziehung  gebracht.  Dies  gelang  mir  nach  langwierigen,  ziem¬ 
lich  mühsamen  Vorarbeiten  auf  folgendem  Wege. 

Wir  wissen  aus  früheren  Untersuchungen  von  M.  Sachs 
(1893),  dass  der  Grad  der  durch  farbige  Lichter  hervorge¬ 
rufenen  Verengerung  der  Pupille,  der  „motorische  Reizwert“ 
eines  farbigen  Lichtes,  von  der  Helligkeit  abhängt,  in  der 
dieses  Licht  gesehen  wird.  Es  fehlte  bisher  eine  zu  ver¬ 
gleichender  Untersuchung  des  Pupillenspiels  beim  Menschen 
und  der  verschiedenen  Lichtreaktionen  bei  den  Tieren  verwert¬ 
bare  Methode.  Sie  sehen  hier  den  von  mir  zu  diesem  Zwecke 
hergestellten  Apparat  ‘),  der  mir  auch  bei  Untersuchungen  über 
die  Physiologie  und  Pathologie  des  Pupillenspiels  beim 
Menschen  vielfach  gute  Dienste  leistet,  worüber  an  anderer 
Stelle  eingehender  zu  berichten  ist.  Hier  soll  er  nur  so  weit 
besprochen  werden,  als  er  zur  Lösung  der  uns  beschäftigenden 
vergleichend-physiologischen  Fragen  beitragen  kann.  Von 
einer  Nernstlampe  wird  mit  Hilfe  eines  geeigneten  Linsen¬ 
systems  in  passendem  Abstande  ein  kreisförmiges  Feld  sehr 
stark  und  gleiehmässig  belichtet.  Vor  der  Frontlinse  des  Appa¬ 
rates  befindet  sich  ein  beweglicher  Doppelrahmen,  der  mittels 
einer  einfachen  Hebelbewegung  ermöglicht,  das  Feld  einmal 
mit  einem  physikalisch  genau  bestimmten  farbigen  Glaslichte 
und  unmittelbar  danach,  ohne  Zwischenbelichtung,  mit  einem 
(angenähert  farblos  grauen)  messbar  variablen  Ver¬ 
gleichslichte  zu  bestrahlen.  Die  Veränderung  der  Lichtstärke 
des  Grau  erfolgt  durch  gegenläufige  Verschiebung  zweier 
spitzwinkliger  Prismen  aus  grauem  Glase.  Für  jede  Stellung 
der  letzteren  ist  die  Menge  des  von  ihnen  durchgelassenen 
Lichtes  der  Nernstlampe  bestimmt;  sie  wird  im  folgenden  stets 
in  Prozenten  der  Lichtstärke  der  Nernstlampe  ausgedrückt. 
Mit  diesem  vielfach  verwendbaren  Apparat  habe  ich  eine 
grosse  Reihe  von  Messungen  ausgeführt;  wenn  ich  darüber 
heute  nur  kurz  berichte,  bitte  ich  nicht  auf  entsprechend  kurze 
Beschäftigung  mit  dem  Gegenstände  zu  schliessen;  allein  die 


*)  Derselbe  wird  von  C.  Z  e  i  s  s  unter  der  Bezeichnung  „Diffe- 
rentialpupiiloskop“  hergestellt. 


Nr.  27. 


untenstehende  Tabelle  ist  das  Ergebnis  von  weit  über  10U0 
Einzelmessungen. 


Motorische  Reizwerte  der  farbigen  Glaslichter. 


Normaler 

Mensch 

1 

Relativ  Blau¬ 

sichtiger 

Rotgrünbl 

1  1 

Total- 

Farben¬ 

blinder 

Taube 

Nachtvogel  1 

Sepia 

Bienen 

JI 

£■§. 

N  £ 

</> 

Psamtnobia 

Rot 

9—11 

1 ,5-2,2 

<  0,6 

7, 3-9, 3 

0, 9-1,1  <  0,6 

<  0,6 

<  0,8 

<  1,0 

Blau 

1,5-2, 5 

2-3 

9,9—11,8 

0,8-0, 9 

7,4 -8,8  9,3—11,1 

8,3-11,1 

11,1-14,8 

8,3-14,8 

Die  Zahlen  geben  die  zu  den  motorischen  Gleichungen  erforderlichen  Mengen  des  von 
den  Graukeilen  durchgelassenen  Vergleichslichtes  in  Prozenten  des  anfallenden  Lichtes. 

Ich  begann  mit  Messungen  am  normalen  Menschenauge 
zur  Bestimmung  des  durchschnittlichen  pupillomotorischen 
Reizwertes  der  verschiedenen  farbigen  Lichter.  Weitere 
Messungen  an  mehreren  relativ  blausichtigen  Rotgrünblinden 
(sogen.  „Rotblinden“)  ergaben,  wie  die  Tabelle  zeigt,  als  für 
diese  Farbensinnstörung  charakteristisch  einen  sehr  geringen 
Reizwert  des  Rot,  während  die  Reizwerte  des  Blau  von  jenen 
für  die  Pupille  des  Normalen  nicht  nennenswert  verschieden 
sind  (ich  beschränke  mich  im  folgenden  der  Kürze  halber  auf 
Besprechung  der  für  uns  hier  in  erster  Linie  wichtigen  Rot- 
und  Blauwerte).  Bei  zwei  öfter  von  mir  untersuchten  total 
Farbenblinden  ergab  sich  für  Rot  ein  äusserst  geringer  moto¬ 
rischer  Reizwert  (<  0,6),  für  Blau  der  verhältnismässig  sehr 
hohe  Reizwert  von  0,9 — 11,8  Proz.  (gegenüber  1,5 — 2,5  Proz. 
beim  Normalen).  Dies  sind  also  die  drei  hauptsächlichen  Arten 
von  Pupillenreaktion,  die  bei  normalen  und  bei  farbenblinden 
Menschen  Vorkommen  und  mit  welchen  wir  nun  die  bei  den 
verschiedenen  Tieren  gefundenen  motorischen  Reizwerte  zu 
vergleichen  haben. 

Beim  T  a  g  v  o  g  e  1  sind  die  Werte  für  Rot  jenen  für  unser 
Auge  ähnlich,  entsprechend  der  früher  von  mir  auf  anderem 
Wege  gefundenen  Tatsache,  dass  die  Tagvögel  vorwiegend 
rote  Lichter  ähnlich  oder  ganz  so  sehen  wie  wir.  Die  ver¬ 
hältnismässig  sehr  geringen  Reizwerte  für  Blau  —  sie  sind  die 
kleinsten,  welchen  ich  bisher  in  der  Tierreihe  überhaupt  be¬ 
gegnete  —  entsprechen  der  von  mir  gefundenen  Tatsache, 
dass  die  Tagvögel  infolge  Vorlagerung  rot-  und  gelbgefärbter 
Oelkugeln  vor  den  optischen  Empfangsapparat  relativ  blau¬ 
blind  sind. 

Mit  Hilfe  des  Apparates  ist  es  mir  u.  a.  möglich  gewesen,  die 
folgende,  früher  von  mir  aufgeworfene  Frage  zu  beantworten.  Das 
schöne  Blau  des  Gefieders  mancher  Vögel  fassen  die  Zoologen  fast 
allgemein  als  Schmuckfarbe  zur  Anlockung  des  anderen  Geschlechtes 
auf:  Diese  Auffassung  setzt  voraus,  dass  von  jenen  Vögeln  das  Blau 
ähnlich  wie  von  uns  wahrgenommen  werde,  in  ihrer  Netzhaut  also 
keine  farbigen  Oelkugeln  vorhanden  seien.  Denn  wenn  solche  sich 
dort  in  ähnlicher  Weise  wie  bei  Huhn  und  Taube  finden,  muss  auch  ein 
für  uns  leuchtendes  Blau  jenen  Vögeln  nur  blaugrau  oder  farblos 
grau  erscheinen.  Zur  Untersuchung  solcher  blauer  Vögel  mit  den 
früher  von  mir  beschriebenen  Methoden  am  Spektrum  hatte  ich  noch 
nicht  Gelegenheit:  wohl  aber  konnte  ich  kürzlich  das  Pupillenspiel 
des  Schmetterlingsfinken  (Mariposa  phoenicotis)  mit  dem  neuen 
Apparate  prüfen;  die  motorischen  Reizwerte  sind  hier  die  gleichen  wie 
für  Huhn  und  Taube,  und  damit  ist  erwiesen,  dass  das  schöne  Blau 
an  Brust,  Bauch  und  Schwanz  dieser  Vögel  keine  Schmuckfarbe  sein 
kann. 

Bei  den  Nachtvögeln  fand  ich  die  motorischen  Reiz¬ 
werte  jenen  beim  total  farbenblinden  Menschen  ähnlich,  was 
dem  Vorwiegen  der  Stäbchen  gegenüber  den  Zapfen  in  der 
Netzhaut  dieser  Vögel  entspricht.  Die  relativ  kleinen  Unter¬ 
schiede  erklären  sich  genügend  aus  der  Tatsache,  dass  in  der 
Nachtvogelnetzhaut  die  Zapfen  nicht,  wie  vielfach  ange¬ 
nommen  wird,  völlig  fehlen;  konnte  ich  doch  in  solchen  wieder¬ 
holt  1 — 2  Millionen  Zapfen  mit  schwach  gefärbten  Oelkugeln 
nachweisen. 

Unter  den  Wirbellosen  ergab  die  Prüfung  des  zur 
messenden  Untersuchung  besonders  geeigneten  Pupillen- 
Untersuchung  besonders  geeigneten  zu  messenden  Pupillcn- 
spieles  bei  Cephalopoden  mit  dem  neuen  Apparate,  wie  Sie 
sehen,  weitgehende  Uebereinstimmung  mit  den  Reizwerten  für 
den  total  farbenblinden  Menschen;  auch  mit  anderen  Me¬ 
thoden,  auf  die  hier  nicht  einzugehen  ist,  konnte  ich  erneut 
zeigen,  dass  auch  diese  Wirbellosen  total  farbenblind  sind. 

Ein  Blick  auf  die  Tabelle  zeigt  Ihnen  weiter,  dass  auch 
bei  Bienen,  bei  Muscheln  (Psamtnobia)  und  Seeigeln  (Centro- 


7.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1491 


Stephanus)  die  motorischen  Reizwerte  der  farbigen  Lichter  mit 
jenen  beim  total  farbenblinden  Menschen  weitgehende  Ueber- 
einstimmung  zeigen,  dagegen  von  jenen  bei  normalen  und 
bei  „rotblinden“  Menschen  in  charakteristischer  Weise  ver¬ 
schieden  sind.  Auf  das  Verhalten  der  Bienen  brauche  ich 
nicht  erneut  einzugehen,  da  sich  hier  wie  bei  Fischen  und 
Krebsen  ja  auch  mit  anderen  von  mir  entwickelten  Me¬ 
thoden  leicht  nachweisen  lässt,  dass  sie  total  farbenblind  sind. 

Die  von  einigen  Zoologen  immer  wiederholten  fehlerhaften 
Angaben,  aus  welchen  man  auf  Farbensinn  bei  diesen  Tieren 
schliessen  zu  können  glaubt,  bdeürfen  nach  unseren  neuen 
Messungen  für  den  mit  der  Sache  einigermassen  Vertrauten 
keiner  erneuten  Widerlegung. 

Die  Vorteile  der  hier  kurz  angedeuteten  neuen  Unter¬ 
suchungsmethode  bestehen  wesentlich  in  folgendem:  Alle  bis¬ 
her  von  mir  genauer  untersuchten  Lichtreaktionen  bei  Tieren, 
das  Pupillenspiel  der  Vögel  und  Wirbellosen,  das  Schwimmen 
der  Fische  und  Krebse  zum  Licht,  das  Fliegen  der  Bienen  zum 
Hellen,  die  Retraktionserscheinungen  bei  Serpula  und  Psam- 
mobia,  das  Rotieren  der  Kölbchen  bei  Centrostephanus  usw. 

alle  diese  so  mannigfach  verschiedenen,  durch  Belichtung 
oder  Beschattung  auszulösenden  Bewegungen  können  wir  an 
unserem  Apparate  mit  den  gleichen,  physikalisch  genau  be¬ 
stimmten,  farbigen  Lichtern  prüfen  und  deren  motorische  Reiz¬ 
werte  durch  ein  und  dasselbe  messbar  variable  Vergleichs¬ 
licht  ausdrücken.  Weiter  sind  wir  nunmehr  in  der  Lage,  alle 
diese  Reaktionen  bei  Tieren  zu  den  motorischen  Reizwerten 
in  Beziehung  zu  bringen,  die  die  gleichen  farbigen  Lichter 
für  die  Pupille  des  normalen,  des  „rotblinden“  und  des  total 
farbenblinden  Menschen  haben. 

Dass  es  mit  dem  neuen  Verfahren  möglich  sein  würde, 
s  o  genaue  Messungen  vorzunehmen,  konnte  ich  selbst  zu  Be¬ 
ginn  dieser  Untersuchungen  nicht  voraussehen;  dass  die  auf 
diesem  Wege  erhaltenen  Ergebnisse  bis  ins  Einzelne  mit  den 
früher  von  mir  auf  ganz  anderen  Wegen  erhaltenen  überein¬ 
stimmen,  bietet  eine  erfreuliche  Gewähr  für  die  Zuverlässigkeit 
dessen,  was  ich  bisher  über  die  Sehqualitäten  der  Tiere  habe 
mitteilen  können. 


Die  altbekannte  Tatsache,  dass  für  die  Pflanzen  rote 
Lichter  verhältnismässig  geringe,  blaue  dagegen  starke  helio- 
tropische  Wirkung  haben,  dass  also  in  dieser  Hinsicht  eine 
gewisse  Aehnlichkeit  in  der  Wirkung  farbiger  Lichter  auf 
Pflanzen  und  auf  Tiere  besteht,  veranlasste  J.  L  o  e  b  zur  An¬ 
nahme  einer  „Identität  des  tierischen  und  pflanzlichen  Helio¬ 
tropismus“.  Ich  habe  früher  unter  Hinweis  auf  ältere  Unter¬ 
suchungen  von  W  i  e  s  n  er  und  neuere  von  B  1  a  a  u  w  Be¬ 
denken  gegen  eine  solche  Auffassung  erhoben;  da  trotzdem  die 
Loebsche  Schule  neuerdings  die  Annahme  einer  Identität 
beider  Tropismen  abermals  nachdrücklich  vertritt,  schien  es 
mir  erforderlich,  die  interessante  Frage  mit  neuen  Methoden 
in  Angriff  zu  nehmen.  Zu  ihrer  Entscheidung  war,  um  jedem 
möglichen  Einwande  zu  begegnen,  erforderlich,  beide  Reak¬ 
tionen  unter  genau  gleichen  äusseren  Bedingungen  mit  den 
gleichen  farbigen  Lichtern  zu  untersuchen  und  insbesondere 
bei  messenden  Untersuchungen  beide  Male  zur  Messung  das 
gleiche  Messlicht  zu  benützen. 

Diesen  Anforderungen  wurde  ich  durch  folgende  Ver¬ 
suchsanordnung  gerecht.  Ich  setzte  etiolierte  Keimlinge  ver¬ 
schiedener  Pflanzenarten  in  langen,  schmalen  Gefässen  von 
einer  Seite  den  Strahlen  eines  passenden  Nernstlichtspektrums 
und  gleichzeitig  von  der  anderen  Seite  einem  messbar 
variablen  Vergleichslichte  aus;  als  solches  diente  mir  eine  in 
einem  geeigneten  Tunnel  aufgestellte  Glühlampe,  deren  Licht¬ 
stärke  ich  teils  durch  Aenderung  ihres  Abstandes,  teils  mittels 
Episkotisters  nach  Bedürfnis  variierte.  Das  Verfahren  schliesst 
sich  an  das  früher  von  mir  für  Artemia  und  andere  lichtscheue 
Tierarten  ausgearbeitete  an.  Gehen  wir  von  einem  gewissen, 
durch  Versuche  gefundenen  mittleren  Abstande  der  Glüh¬ 
lampe  aus,  so  finden  wir  bei  einem  solchen  die  Pflanzen  nach 
wenigen  Stunden  im  Rot,  Gelb  und  Grün  stark  nach  dem 
Messlichte  gekrümmt,  die  im  Grünblau  und  einem  Teile  des 
Violett  nach  dem  Spektrum,  jene  im  äussersten  Violett  und 
Ultraviolett  wieder  nach  dem  Messlichte  gekrümmt.  Wir  er¬ 
mitteln  also  mit  einem  jeden  solchen  Versuche  zwei  Lichter 


im  Spektrum,  deren  heliotropische  Wirkung  jener  des  Misch¬ 
lichtes  gleich  ist.  Der  Umstand,  dass  die  Pflanzen  sich  zu 
beiden  Seiten  jener  Stellen  nach  entgegengesetzten  Richtungen 
krümmen,  ermöglicht  eine  verhältnismässig  sehr  genaue  spek¬ 
troskopische  Bestimmung  der  betreffenden  Wellenlängen.  In¬ 
dem  ich  nun  solche  Versuche  bei  mehreren  verschiedenen 
Abständen  der  Lampe  wiederhole,  erhielt  ich  mit  jedem  neuen 
Versuche  2  weitere  zur  Konstruktion  von  Kurven  verwertbare 
Punkte.  Sie  sehen  hier  die  Kurve  der  motorischen  Reizwerte 
der  verschiedenen  Lichter  des  Spektrums  für  die  von  mir 
untersuchten  Wirbellosen,  daneben  jene  für  einzelne  von  mir 
untersuchte  Pflanzen  (Brassica  napus),  und  Sie  erkennen  schon 
hieraus,  dass  von  einer  „Identität“  beider  Vorgänge  keine  Rede 
sein  kann:  die  Kurve  für  die  Tiere  hat  ihr  Maximum  im  Gelb¬ 
grün  bei  einer  Wellenlänge  von  etwa  526  IW,  jene  für  Brassica 
napus  hat  ihr  Maximum  im  Blau  bzw.  Anfang  des  Violett, 
bei  ca.  475  in<\  Im  gelblichen  Grün,  wo  wir  für  die  Tiere  das 
Maximum  finden,  ist  die  heliotropische  Wirkung  für  unsere 
Pflanzen  schon  fast  ein  Minimum. 

Noch  eine  zweite  neue  Methode  arbeitete  ich  zur  Unter¬ 
suchung  der  mich  beschäftigenden  Fragen  aus;  ich  zeigte 
früher,  dass  man  z.  B.  bei  Bienen,  Fischen,  Krebsen  sehr 
schöne  und  eindringliche  Ergebnisse  erhalten  kann,  wenn  man 
ihre  Behälter  gleichzeitig  von  zwei  einander  gegenüber  liegen¬ 
den  Seiten  her  in  passender  Weise  mit  farbigen  Papierflächen 
bestrahlt  und  durch  geeignete  Schirme  vor  dem  direkt  vom 
Fenster  einfallenden  Lichte  schützt.  Die  zum  Hellen  gehenden 
Tiere  eilen  dann  stets  nach  der  Seite,  die  für  den  total  farben¬ 
blinden  Menschen  die  hellere  ist,  einerlei  wie  die  Farbe  vom 
normalen  Menschen  gesehen  wird.  Die  heliotropischen  Be¬ 
wegungen  der  Pflanzen  hat  man  bisher  nur  am  Spektrum 
und  hinter  farbigen  Gläsern  verfolgt;  es  wurde  nie  versucht, 
zu  ermitteln,  ob  auch  schon  bei  Bestrahlung  mit  dem  von 
solchen  Papierflächen  zurückgeworfenen  Lichte  heliotropische 
Bewegungen  auftreten.  Nachdem  ich  in  einigen  Vorversuchen 
gefunden  hatte,  dass  solches  in  der  Tat,  sogar  in  überraschen¬ 
der  Weise,  der  Fall  ist,  bediente  ich  mich  dieses  auch  von 
Laien  unschwer  zu  handhabenden  Verfahrens  zur  Prüfung  der 
in  Rede  stehenden  Fragen.  Sind  die  beiden  Tropismen  identisch, 
so  müssen  die  zwischen  zwei  farbige  Papiere  gebrachten 
Pflanzen  diesen  gegenüber  stets  das  gleiche  Verhalten 
zeigen,  wie  die  unter  entsprechende  Bedingungen  gebrachten 
Tiere.  Ist  aber  der  Heliotropismus  der  Pflanzen  von  den  Licht¬ 
reaktionen  der  Tiere  so  verschieden,  wie  es  die  Kurve  angibt, 
so  müssen  z.  B.  zwischen  einer  passend  gewählten  grünen  und 
blauen  Fläche  die  Tiere  nach  dem  Grün  gehen,  die  Pflanzen 
aber  nach  dem  Blau  wachsen,  also  gerade  entgegengesetztes 
Verhalten  zeigen,  wie  jene.  Letzteres  ist,  wie  Sie  an  den  hier 
aufgestellten  Beispielen  sehen,  in  sehr  ausgesprochener  Weise 
der  Fall;  oft  sind  die  Pflanzen  schon  1 — 2  Stunden,  nachdem 
man  sie  aufgestellt  hat,  stark  nach  der  blauen  Seite  geneigt. 

Ich  habe  mir  erlaubt,  Ihnen  zwei  neue  Methoden  zur 
Untersuchung  des  Heliotropismus  der  Pflanzen  kurz  vor¬ 
zuführen,  weil  ich  glaube,  dass  dieselben  in  der  Botanik  auch 
sonst  zur  Untersuchung  und  insbesondere  zur  messenden  Ver¬ 
folgung  hierhergehöriger  Fragen  gute  Dienste  leisten  können 
und  weil  insbesondere  die  zweite  Methode  auch  vom  Laien 
leicht  zu  handhaben  ist,  zudem  sehr  eindringliche  Ergebnisse 
liefert  und  sich  auch  zu  Vorlesungsversuchen  eignet.  Auf  die 
einschlägigen  wissenschaftlichen  Aufgaben  gehe  ich  aber  heute 
nur  soweit  ein,  als  zur  endgültigen  Widerlegung  der  immer 
wiederholten  L  o  e  b  sehen  Behauptung  von  der  Identität  des 
tierischen  und  pflanzlichen  Heliotropismus  erforderlich  ist. 


Zum  Schlüsse  noch  ein  Wort  zu  meinen  Befunden  über  die 
Sehqualitäten  der  Fische  und  Wirbellosen.  Es  ist  mir  wieder¬ 
holt  von  Zoologen  wie  von  Botanikern  erklärt  worden,  man 
könne  meine  „Theorien“  (wie  man  sich  ausdrückte)  unmöglich 
anerkennen,  weil  sie  in  zu  schroffem  Widerspruch  zu  den 
herrschenden  Lehren  stünden.  Ich  lege  demgegenüber  Wert 
auf  die  Feststellung,  dass  ich  niemals  eine  Theorie  aufgestellt, 
sondern  lediglich  Tatsachen  mitgeteilt  habe,  die  jeder  ge¬ 
wissenhafte  Beobachter  leicht  nachprüfen  und  bestätigen  kann. 
Theorie  war  das,  was  seit  Sprengel  (1793)  über  die  Be¬ 
ziehungen  zwischen  Blütenfarben  und  Insektenbesuch  gelehrt 

r 


149 2  MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  Nr.  27. 


wurde.  Diese  Theorie  ist  aber  endgültig  erledigt  durch  die 
Tatsache,  dass  sie  sich  auf  nachweislich  falschen  Voraus¬ 
setzungen  über  die  Sehqualitäten  der  Bienen  aufbaut.  Der 
blütenbiologischen  Forschung,  die  mehr  als  100  Jahre  im 
Banne  dieser  selbst  von  D  a  r  w  i  n  für  richtig  gehaltenen  Lehre 
gestanden  hatte,  erwächst  aus  den  neuen  Befunden  die  wich¬ 
tige  Aufgabe,  nunmehr  die  wahre  Bedeutung  der  Farben¬ 
pracht  der  Blüten  aufzudecken. 


Zur  Röntgenuntersuchung  des  Wurmfortsatzes, 
besonders  bei  Appendizitis. 

Von  Prof.  H.  Rieder. 

Anatomisches:  Wie  seitens  der  Anatomen  festgestellt 
wurde,  geht  der  Wurmfortsatz  entwicklungsgeschichtlich 
von  der  konischen  Spitze  des  Zoekums  aus,  indem  dieselbe  vom 
3.  Monat  der  embryonalen  Entwicklung  an  hinter  dem  übrigen  Zoekum 
im  Wachstum  zurückbleibt  und  sich  allmählich  zum  Wurmfortsätze 
verjüngt.  Er  rückt  mehr  und  mehr  in  die  Nähe  des  lleozoekalwinkels, 
da  der  laterale  Teil  des  Zoekums  stärker  wächst  als  der  mediale. 
Beim  Erwachsenen  findet  sich  deshalb  die  trichterförmige  Mün¬ 
dung  der  Appendix  an  der  medialen  Seite  des  Blinddarmes  und 
zwar  etwa  2—3  cm  unterhalb  der  Ileozoekalklappe.  Die  Zoekum- 
mündung  wird  von  einer  Art  Klappe  (von  G  e  r  1  a  c  h  schon  im 
Jahre  1847  beschrieben)  überlagert,  die  zweifellos  in  Beziehung  steht 
zu  den  Eigenbewegungen  des  Wurmfortsatzes  und  nach  Struthers 
sowohl  ein  Hindernis  für  den  Eintritt  als  auch  für  den  Austritt  von 
Darminhalt  abgeben  kann.  Die  Klappenwirkung  wird  noch  verstärkt 
dadurch,  dass  der  Wurmfortsatz  oft  schief  in  das  Zoekum  einmündet, 
ähnlich  wie  der  Ureter  in  die  Blase. 

Die  Appendix  ist  gleich  anderen  rudimentären  Organen  in  bezug 
auf  Grösse  und  Form  ausserordentlich  verschieden  ausgebildet. 
Sie  kann  einen  kleinen,  etwa  millimeterlangen  Konus  bilden  und 
andererseits  eine  Länge  bis  zu  23  cm  erreichen.  Im  Durchschnitt 
beträgt  ihre  Länge  allerdings  nur  6  cm.  Sie  ist  gestreckt  oder 
schlangenförmig,  spiralig  gewunden  oder  zusammengerollt. 

Die  Lage  des  Wurmfortsatzes  in  der  Bauchhöhle 
ist  bestimmt  durch  die  Lage  des  Zoekums,  von  dem  er  seinen  Ursprung 
nimmt.  Am  Ende  des  Fötallebens,  wenn  das  Zoekum  nach  abwärts 
gestiegen  ist,  befindet  er  sich  in  der  Fossa  iliaca  dextra,  wo  er  von 
Dünndarmschlingen  und  Netz  bedeckt,  auf  dem  Musculus  iliacus  oder 
auf  dem  Musculus  psoas  oder  zwischen  beiden  liegt  und  öfters  über 
den  Rand  des  kleinen  Beckens  herabhängt.  Von  dieser  Normallage 
des  Wurmfortsatzes  gibt  es  mancherlei  Abweichungen.  W  a  1  d  e  y  e  r 
unterscheidet  3  Hauptlagen  des  Wurmfortsatzes: 

1.  Derselbe  liegt  der  normalen  embryonalen  Entwicklung  ent¬ 
sprechend  in  der  Fossa  iliaca  dextra  und  verläuft  nach  dem  kleinen 
Becken  zu  (Positio  pelvinea).  Aus  dieser  Lage  lassen  sich  die  beiden 
anderen  ableiten. 

2.  Es  erfolgt  eine  Wendung  des  Wurmfortsatzes  nach  oben  und 
hinten  unter  die  Ileumeinmündung,  so  dass  er  medialwärts  vom 
Blinddarm  liegt  (Positio  ileocoecalis). 

3.  Es  erfolgt  eine  Umbiegung  des  Wurmfortsatzes  nach  oben  und 
lateralwärts  (Positio  laterocoecalis). 

Im  Gegensatz  zur  Leichenuntersuchung  und  zur  Unter¬ 
suchung  bei  operativen  Eingriffen  können  wir  die  Appendix  ver¬ 
mittels  des  R ö n t g e n v e r f a h r e n s  bei  intakten 
Bauchdecken  untersuchen  und  somit  die  natürlichen  Ver¬ 
hältnisse  viel  besser  studieren.  Schon  aus  diesem  Grunde 
kommt  der  Röntgenuntersuchung  wahrscheinlich  doch  eine 
grössere  praktische  Bedeutung  zu  als  man  zurzeit  annimmt, 
insofern  sie  uns  bei  krankhaften  Veränderungen  des  Wurm¬ 
fortsatzes  möglicherweise  wichtige  diagnostische  Aufschlüsse 
zu  geben  vermag. 

Der  röntgenologische  Nachweis  des  Wurm¬ 
fortsatzes  gelingt  sowohl  nach  Darreichung  einer  Kon¬ 
tra  s  t  m  a  h  1  z  e  i  t  als  auch  nach  Verabreichung  eines  Kon¬ 
trasteinlaufes. 

In  technischer  Beziehung  ist  hiezu  folgendes  zu  be¬ 
merken  :  Die  Leuchtschirm  Untersuchung  in  Ver¬ 
bindung  mit  Palpation  ist  am  empfehlenswertesten. 
Ich  habe  stets  den  Wurmfortsatz  zuerst  vermittels  kleiner 
Blende  bei  aufrechter  Stellung  des  Patienten  nachgewiesen 
und  erst  dann  auf  der  photographischen  Platte  zur  Darstellung 
gebracht.  C  a  s  e  hingegen  bevorzugt  zum  Aufsuchen  des 
Wurmfortsatzes  die  Rückenlage. 

Kurzzeitige  bzw.  Momentaufnahmen  sind  emp¬ 
fehlenswert  mit  Rücksicht  auf  die  Eigenbewegung  des  Wurm¬ 
fortsatzes.  G  r  o  e  d  e  1  hält  zur  röntgenologischen  Feststellung 
die  gelegentliche  Verwendung  einer  Kompressions¬ 


blende  für  angezeigt,  um  den  Wurmfortsatz  auch  dann, 
wenn  er  dem  Zoekum  an-  oder  aufliegt,  darstellen  zu  können. 
Endlich  ist  die  Vornahme  stereoskopischer  Aufnahmen 
von  Gase  warm  empfohlen  worden. 

a)  Einlauf:  Der  Wurmfortsatz  wird  aufgesucht  nach 
Ausführung  eines  Bariumeinlaufes  sowie  nach  Entleerung  bzw. 
Ausstossung  desselben.  Dabei  ist  es  nicht  gleichgültig,  in 
welcher  Weise  bzw.  unter  welchem  Drucke  derselbe  ver¬ 
abreicht  wird.  Es  ist  angezeigt  —  nach  Darreichung  eines 
Reinigungsklystieres  —  den  Einlauf  unter  niederem  Druck 
(höchstens  50  cm  nach  D  i  e  1 1  e  n)  einfliessen  zu  lassen  und 
das  Vordringen  der  Flüssigkeit  lediglich  durch  tiefe  Atemzüge 
seitens  des  Patienten  zu  begünstigen  und  endlich  die  Prozedur 
nur  solange  fortzusetzen,  bis  das  Zoekum  gefüllt  ist.  200  bis 
300  g  Bariumsulfat  werden  mit  der  doppelten  Portion 
Mehlbrei,  wie  er  zu  Kontrastmahlzeiten  verwendet  wird,  also 
etwa  700  g  Brei,  und  mit  lauem  Wasser  bis  zur  dickflüssigen 
Konsistenz  vermengt,  so  dass  das  Gesamtvolumen  1200  bis 
1500  ccm  beträgt.  Diese  Einlaufflüssigkeit,  welche  sich  mir  bis 
jetzt  am  besten  bewährt  hat,  soll  Körpertemperatur  besitzen. 

An  die  Untersuchung  bei  wagerechter  Stellung  des 
Patienten  schliesst  sich  eine  solche  bei  aufrechter  Stellung 
desselben  an. 

Wir  haben  im  Gegensatz  zu  anderen  Untersuchern,  z.  B. 
Singer  und  Holzknecht,  welche  in  5  von  14  Fällen  nach 
Klysmadarreichung  den  Wurm  darstellen  konnten,  denselben 
nach  Einläufen  nur  höchst  selten  gesehen.  Es  ist  nicht  wahr¬ 
scheinlich,  dass  in  dieser  Beziehung  die  Anwendung  verschie¬ 
den  hohen  Druckes  bei  den  Einläufen  massgebend  ist;  wahr¬ 
scheinlicher  ist,  dass  von  verschiedenen  Untersuchern  ein  ver¬ 
schieden  grosser  Zeitraum  zwischen  Verabreichung  des  Ein¬ 
laufes  und  Röntgenaufnahme  gewählt  wurde. 

b)  Kontrastmahlzeit:  Derselben  ist  hier  entschieden 
der  Vorzug  vor  dem  Einlaufe  zu  geben.  Nach  Darreichung 
einer  solchen  —  ich  bediene  mich  am  liebsten  eines  mit  Bis¬ 
mutum  carbonicum  versetzten  Zwiebackbreies  —  soll  sich  die 
Untersuchung  erstrecken  nicht  bloss  auf  die  Zeit  der  Zoekum- 
f  ü  1 1  u  n  g,  also  4 — 6  Stunden  nach  Einnahme  der  Wismutmahl¬ 
zeit,  sondern  auch  auf  die  Zeit  der  Zoekum  entleerung, 
damit  der  Wurmfortsatz  der  Beobachtung  nicht  entgeht.  Er 
entzieht  sich  trotzdem  oftmals  unseren  Blicken,  besonders 
wenn  er  hinter  dem  Zoekum  gelagert  oder  um  dasselbe  herum¬ 
geschlungen  ist.  Man  hilft  sich  dadurch,  dass  man  die  Unter¬ 
suchung  bis  zur  Defäkation  und  darüber  hinaus  in  grösseren 
Zwischenräumen  fortsetzt. 

Am  häufigsten  gelingt  der  Appendix-Nachweis  7  bis 
8  Stunden  post  coenam,  also  erst  mehrere  Stunden 
nach  derZoekumfüllung,  wenn  die  antiperistaltischen 
bzw.  rückläufigen  Bewegungen  in  vollem  Gange  sind,  doch  ist 
auch  schon  1 — 2  Tage  und  später  nach  der  Nahrungsaufnahme, 
wenn  also  der  übrige  Darm  schon  leer  war,  noch  Inhalt  im 
Appendix  von  Schwarz,  Cohn,  Case  u.  a.  konstatiert 
worden.  Die  Entleerung  der  Appendix  geht  mitunter  so  lang¬ 
sam  von  statten,  dass  sie  in  je  einem  von  Cohn  und  Case 
registrierten  Falle  erst  5  bzw.  10  Tage  post  coenam  erfolgte. 

Bei  derartigen  Untersuchungen  kommt  uns  die  Benutzung 
harter,  metallgefilterter  Strahlen  sehr  zu  statten,  mit  Hilfe 
deren  die  Leuchtschirmuntersuchungen  nicht  bloss  länger  fort¬ 
gesetzt,  sondern  auch  öfters  wiederholt  werden  können. 

Die  Darstellung  von  Lage  und  Form  der  Appendix  nach 
oraler  Zufuhr  eines  Kontrastmittels  ist  nicht  so  selten  er¬ 
möglicht,  als  man  früher  annahm.  (Eventuell  sind  beide  Ver¬ 
fahren,  d.  h.  die  Darreichung  einer  Kontrastmahlzeit  und  nach 
vollständiger  Darmpassage  derselben  die  Verabreichung  eines 
Einlaufes  zum  Zwecke  des  Appendixnachweises  anzuwenden.) 

Der  Wurmfortsatz,  welcher  sich  offenbar  erst  später 
als  das  Zoekum  füllt,  zeigt,  wie  man  nach  Darreichung  einer 
Kontrastmahlzeit  auf  dem  Leuchtschirme  sehen  kann,  deutlich 
ausgesprochene  Eigenbewegung,  d.  h.  aktive  Kontrak¬ 
tion  mit  Lageveränderung,  weshalb  durch  fortlaufende  Auf¬ 
nahmen  (Serien-  oder  Kinoaufnahmen)  die  einzelnen  Phasen 
seines  Bewegungsablaufes  sich  zweifellos  darstellen  Hessen. 
So  lassen  auch  die  beiden  im  Verlaufe  einer  Viertelstunde  her¬ 
gestellten  Aufnahmen  (Fig.  1  und  2)  auffallende  Abweichungen 
in  bezug  auf  Lage  und  Form  des  Wurmfortsatzes  erkennen. 


7.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1493 


Mitunter  sieht  man  auch  Eigenbewegungen  desselben,  d.  h. 
tiefe  Einschnürungen,  die  der  Segmentation  anderer  Darm¬ 
abschnitte  ähnlich  sind.  Jordan  will  sogar  direkt  beob¬ 
achtet  haben,  wie  der  Wurmfortsatz  sich  entleerte,  während 
das  Zoekum  gefüllt  war. 

Wie  beim  Zoekum  spielen  sich  offenbar  auch  am  Wurm-, 
fortsatz  reguläre  und  rückläufige  Bewegungen  ab,  d.  h.  seine 
Füllung  erfolgt  im  Anschluss  an  rückläufige  Kolonbewegungen, 
seine  Entleerung  durch  peristaltische  Bewegungen. 

In  Uebereinstimmung  mit  dieser  Auffassung  steht  die  Be¬ 
obachtung  von  Cohn,  dass  in  einem  Falle,  in  dem  eine  Zoekal- 
fistel  bestand,  dieselbe  sich  erst  entleerte,  nachdem  das  Trans- 
versum  etwa  bis  zur  Hälfte  gefüllt  war. 

Die  Frage,  ob  der  Wurmfortsatz  unter  normalen  oder 
pathologischen  Verhältnissen  leichter  festzustellen  ist,  und  ob 
aus  seiner  röntgenologischen  Darstellbarkeit  auf  normale  oder 
pathologische  Vorgänge  zu  schliessen  ist,  harrt  noch  der 
Entscheidung. 

Von  englischer,  französischer,  russischer,  amerikanischer 
und  deutscher  Seite  wurde  bis  jetzt  über  Röntgenunter¬ 
suchungen  des  Wurmfortsatzes  berichtet,  ln  der  letzten  Zeit 
haben  sich  besonders  Amerikaner  auf  das  röntgenologische 
Studium  des  Wurmfortsatzes  geworfen,  wie  denn  auch  ameri¬ 
kanische  Aerzte  die  ersten  waren,  welche  die  Amputation  des 
erkrankten  Wurmfortsatzes  ausgeführt  haben. 

Zunächst  einige  Bemerkungen  über  den  Nachweis  des 
Wurmfortsatzes  unter  normalen  Verhältnissen 

Hierüber  liegen  Mitteilungen  vor  von  M.  Cohn,. 
Schwarz,  Singer  und  Holzknecht,  Belot,  Case, 
Desternes  und  Bando-n,  Qrigorieff,  Jordan. 


i  ; 


Fig.  1.  Fig.  2. 


Dadurch,  dass  sich  die  Appendix  unter  Umständen  gleich 
den  übrigen  Dickdarmabschnitten  mit  Wismutbrei  füllt,  ist  ihre 
Lage  und  Form  genau  zu  bestimmen.  Dies  muss  insofern 
überraschen,  als  der  Wurmfortsatz  sowohl  bei  Operationen  als 
auch,  wie  besonders  Oberndorfer  betont,  bei  Leichen  fast 
nie  mit  Kot  gefüllt  gefunden  wird,  sondern  fast  stets  mit 
Schleimhautsekret. 

Nebenbei  sei  bemerkt,  dass  bei  der  Röntgenuntersuchung 
gefüllte  Dünndarmpartien  zu  Täuschungen  Veranlassung  geben 
können  und  oft  schon  fälschlicherweise  als  „Wurmfortsatz“ 
gedeutet  wurden. 

M.  Cohn  ist  es  nach  dem  Vorgänge  von  Qrigorieff, 
der  eine  Massage  des  Zoekums  zum  Nachweis  der  Appendix 
empfohlen  hat,  in  jüngster  Zeit  gelungen,  dieselbe  systematisch 
darzustellen  0. 

Manchmal  besteht  der  Wurm,  d.  h.  wenn  er  in  Eigen¬ 
bewegung  begriffen  ist  (Fig.  3),  aus  mehreren  Abschnitten 
(nach  Art  der  Haustrenbildung  des  Darmes),  manchmal  ist  er 
langgestreckt,  gewunden  (Fig.  4)  oder  spiralig  zusammen¬ 
gerollt,  hirtenstabförmig,  S-  oder  U-förmig.  Inwieweit  diese 
verschiedenen  Formen  noch  als  normal  angesehen  werden 


')  Genauere,  höchst  instruktive,  mit  Demonstrationen  belegte 
diesbezügliche  Mitteilungen  hat  Cohn  auf  dem  letzten  Röntgen¬ 
kongresse  (1914)  gemacht. 


können,  entzieht  sich  vorläufig  noch  unserer  Kenntnis.  Bei 
normalen  Menschen  zeigt  er  meistens  die  Form  eines  in  Be¬ 
wegung  begriffenen  Schwänzchens  (Fig.  1  und  2). 

Zur  Zeit  der  rückläufigen  Kolonbewegung  ist  der  Wurm¬ 
fortsatz  häufig  in  gefülltem  Zustande  darzustellen.  Bei  rascher 
Füllung  und  prompter  Entleerung  desselben  kann  man  (nach 
F  r  ä  n  k  e  1)  annehmen,  dass  der  Wurmfortsatz  gesund  ist. 

Während  meistens  vom  Zoekum  ein  ausgebildeter  Wurm¬ 
fortsatz  abzweigt,  lässt  sich  vereinzelt  bei  der  Röntgenunter¬ 
suchung  Erwachsener  mit  infantilem  Habitus  statt  eines  Wurm¬ 
fortsatzes  eine  konisch  geformte,  verjüngte  Spitze  des  Zoe¬ 
kums  nachweisen,  welche  palpatorisch  ausdehnungsfähig  ist. 
Dieser  Befund  steht  im  Einklang  mit  den  oben  erwähnten  ent¬ 
wicklungsgeschichtlichen  Verhältnissen  der  Appendix. 

In  pathologischen  Fällen  wurde  die  Appendix 
bis  jetzt  nachgewiesen  von  M.  Cohn,  F.  Qroedel,  Jor¬ 
dan,  Case,  George  und  Gerber. 

Die  Appendix  kann  sich  natürlich  nur  füllen,  wenn  ihr 
Lumen  nicht  verlegt  ist  oder  wenn  sie  nicht  durch  benachbarte 
(perikolitische  oder  ileozoekale)  Adhäsionen  gezerrt  ist.  Trotz¬ 
dem  ist  es  nach  unserer  bisherigen  Auffassung  nicht  statthaft, 
eine  Obliteration  des  Wurmfortsatzes  anzunehmen,  wenn  der¬ 
selbe  sich  röntgenologisch  nicht  darstellen  lässt. 

Allerdings  Grigorieff  behauptet,  dass  der  Wurmfort¬ 
satz  stets  sich  füllt,  wenn  sein  Lumen  frei  bzw.  seine  Ver¬ 
bindung  mit  dem  Zoekum  offen  ist.  Bestätigt  sich  diese  An¬ 
nahme,  so  dürfen  wir  in  der  Röntgenuntersuchung  ein  wich¬ 
tiges  Hilfsmittel  für  die  diagnostische  Untersuchung  des  Wurm¬ 
fortsatzes  erblicken,  während  es  bisher  nur  als  „interessanter 
Zufall“  betrachtet  wurde,  wenn  seine  röntgenologische  Dar¬ 
stellung  gelang. 


Fig.  3.  Fig.  4. 


G  r  o  e  d  e  1  hat  einmal  trotz  des  Bestehens  einer  Appen¬ 
dizitis  die  kotgefüllte  Appendix  nachgewiesen  und  zwar 
24  Stunden  post  coenam.  Im  Einklang  mit  diesem  Befunde 
steht  die  Auffassung  der  meisten  Pathologen  und  Chirurgen, 
welche  ein  krankhaftes  Verhalten  des  Wurmfortsatzes  an- 
nehmen,  wenn  Kotinhalt  in  demselben  stagniert. 

Konstante  Verkrümmung  sowie  mangelhafte  passive  Be¬ 
weglichkeit  und  verschwommene  unscharfe  Konturen  des 
Wurmfortsatzes  lassen  das  Bestehen  adhäsiver  Prozesse  ver¬ 
muten. 

Nachdem  die  Diagnose  der  Magen-Darmkrankheiten  eine 
so  grosse  Förderung  durch  die  Röntgenuntersuchung  erfahren 
hat,  muss  man  sich  fast  wundern,  dass  die  meist  schwer¬ 
wiegende  Diagnose  „Appendizitis“  bis  jetzt  nicht  gründ¬ 
licher  mit  Hilfe  der  Röntgenstrahlen  erforscht  wurde.  Nur  von 
wenigen,  so  namentlich  von  M.  Cohn,  Singer  und  Holz- 
knecht,  Case,  George  und  Gerber  sowie  von  Jor¬ 
dan  ist  die  Röntgenuntersuchung  zur  Diagnose  der  chroni¬ 
schen  Appendizitis  herangezogen  worden. 

Folgende  Befunde  können  bei  der  Röntgenunter¬ 
suchung  an  Appendizitiskranken  erhoben 
werden : 

a)  Der  direkte  Nachweis  des  Wurmfortsatzes, 
welcher  verschiedentlich,  so  auch  von  G  r  o  e  d  e  1  und  Cohn, 


1494 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  27. 


bei  Appendizitis  erbracht  wurde.  Hierbei  hat  man  öfters 
anormale  Lage  und  Form  der  Appendix,  so  z.  B.  eine  ver¬ 
schlungene,  von  Adhäsionen  umschlossene  Appendix,  kon¬ 
statiert.  Eine  solche  ist  in  Fig.  4  ersichtlich.  Nach  Cohn  ist 
der  Wurmfortsatz  bei  Vorhandensein  von  Appendizitis  nach 
oben  geschlagen,  geknickt  und  oft  auch  adhärent.  Allerdings 
die  von  G  r  i  g  o  r  i  e  f  f  vorgeschlagene  Massage  des  Zoekums 
behufs  Füllung  und  Entleerung  des  Wurmfortsatzes  dürfte  hier, 
um  den  Patienten  nicht  zu  schädigen,  nur  mit  grosser  Vorsicht 
angewendet  werden,  da  durch  ein  derartiges  Verfahren 
entzündliche  Erscheinungen  oder  Kotsteinbildung  hervor¬ 
gerufen  werden  könnten.  Auch  das  Studium  der  Ap¬ 
pendixbewegungen  könnte  für  den  Nachweis  von  Ver¬ 
wachsungen  verwendet  werden,  wobei  durch  vorsichtige  Pal¬ 
pation  seine  Beziehung  zum  Zoekum  festgestellt  werden 
könnte.  Im  allgemeinen  aber  spielt  die  röntgenologische  Dar¬ 
stellung  der  Appendix  bis  jetzt  noch  keine  grössere  Rolle  in 
der  Diagnostik.  Den  entgegengesetzten,  wohl  zu  beherzigen¬ 
den  Standpunkt  vertreten  allerdings  Cohn,  Case  sowie 
Desternes  und  B  e  1  o  t.  Dieselben  sind  der  Ansicht,  dass 
bei  chronischer  Appendizitis  die  Röntgenuntersuchung  der 
Appendix  bzw.  ihr  Lagewechsel  wichtige  Aufklärung  gibt  be¬ 
treffs  des  Vorhandenseins  oder  Fehlens  von  Adhäsionen. 
Case,  der  wohl  über  die  grössten  Erfahrungen  in  der  Appen¬ 
dixuntersuchung  verfügt,  hält  mangelhafte  Drainage  und  Re¬ 
tention  von  Kot  im  Wurmfortsatz  sogar  für  die  wichtigste 
Ursache  der  Appendizitis.  Er  hat  50  Fälle  von  röntgenologisch 
sichtbarer  Appendix  beobachtet  und  stets  bei  der  Operation 
an  ihr  chronisch  entzündliche  Veränderungen  gesehen.  Auch 
Cohn  vertritt  die  Ansicht,  dass  Störungen  in  der  Antiperi¬ 
staltik  des  Kolons  und  der  Eigenbewegung  des  Wurmfortsatzes 
zu  krankhaften  Zuständen  des  letzteren  Veranlassung  geben. 

b)  Stagnation  von  Darminhalt  in  der  Ileo- 
zoekalgegend  und  im  Wurmfortsatz.  Während  in  der  Norm 
7 — 8  Stunden  nach  Darreichung  einer  Wismutmahlzeit  alles 
Wismut  den  Dünndarm  verlassen  hat,  haben  George  und 
Gerber  (Boston)  bei  Appendizitis  das  Wismut  in  den  Ileum- 
schlungen  24  Stunden  und  länger  nachweisen  können.  In 
diagnostischer  Beziehung  wichtiger  ist  eine  Stagnation  im 
Wurmfortsatz  selbst.  Nach  George  und  Gerber  weist 
dieselbe  mit  Sicherheit  auf  Appendizitis  hin,  besonders  wenn 
das  Wismut  48  Stunden  und  länger  im  Wurmfortsatz  bleibt, 
während  dasselbe  die  umgebenden  Darmpartien  schon  ver¬ 
lassen  hat.  Auch  Case  sieht  deshalb  in  der  eventuell  auf 
mehrere  Tage  sich  erstreckenden  Zurückhaltung  wismut¬ 
haltigen  Inhaltes  in  der  Appendix,  nachdem  das  Kolon  seinen 
wismuthaltigen  Inhalt  bereits  abgegeben  hat,  ein  wohl  zu  be¬ 
achtendes  gefahrdrohendes  Symptom. 

c)  Ein  streng  auf  die  Appendixgegend  lokali¬ 
sierter  Druckschmerz.  Der  auf  Druck  hervor¬ 
zurufende  Ileozökalschmerz,  der  gewöhnlich  am  MacBur- 
ney  sehen  Punkt  lokalisiert  ist,  zuweilen  aber  auf  das  ganze 
Zoekum  bis  zur  Einmündungsstelle  des  Ileums  sich  erstreckt, 
gilt  klinisch  als  das  konstanteste  Symptom  der  Appendizitis. 
Die  Leuchtschirmuntersuchung  in  Verbindung  mit  der  Pal¬ 
pation  gibt  verlässigen  Aufschluss,  ob  ein  Druckpunkt  in  der 
Ileozoekalgegend  mit  dem  MacBurney  sehen  Punkt  zu¬ 
sammentrifft,  bzw.  welchem  Organ  derselbe  angehört.  Auch 
der  negative  Befund,  d.  h.  die  Feststellung  nach  Dar¬ 
reichung  einer  Kontrastmahlzeit,  dass  ein  schmerzhafter  Punkt 
nicht  dem  Zoekum  angehört,  sondern  ausserhalb  desselben  liegt 
und  demnach  auf  die  Erkrankung  benachbarter  Organe  (des 
Urogenitalapparates)  hinweist,  ist  von  praktischer  Bedeutung. 
Die  Lokalisation  des  Druckpunktes  ist  gerade  durch  das  Rönt¬ 
genverfahren  erheblich  gefördert  worden.  Dabei  ist  allerdings 
zu  berücksichtigen,  dass  bei  einfacher  Colitis  catarrhalis 
neben  anderen  Stellen  auch  der  MacBurney  sehe 
Punkt  schmerzhaft  sein  kann  und  dass  derselbe  nicht  immer 
dem  Ursprung  des  Wurmes,  sondern  häufig  der  Gegend  der 
Ileozoekalklappe  entspricht. 

d)  Insuffizienz  der  Bauhinschen  Klappe, 
welche  D  i  e  1 1  e  n  als  ein  wichtiges  Zeichen  der  chronischen 
Perityphlitis  bezeichnet.  Hiebei  ist  nur  zu  berücksichtigen,  dass 
auch  schwere  anatomische  Läsionen,  wie  sie  bei  Ileozoekal- 
tuherkulose  und  Tumoren  Vorkommen,  sowie  starke  Dehnung 


des  Zoekums  (bei  Darmeinläufen)  eine  derartige  Insuffizienz 
bedingen  können.  Auch  nach  Exstirpation  des  Wurmfortsatzes 
wurde  dieselbe  von  Cohn  beobachtet. 

e)  Als  Ueberbleibsel  alter  Entzündungen, 
manchmal  auch  nach  stattgehabter  Appendektomie,  lässt  sich 
am  fixierten  Zoekum  und  terminalen  Ileum  bei  passiven,  unter 
Kontrolle  des  Leuchtschirmes  ausgeführten  Bewegungen  Zer¬ 
rungsschmerz  feststellen,  der  durch  Adhäsionen  be¬ 
dingt  ist. 

Auch  verminderte  palpatorische  Beweg¬ 
lichkeit  des  Zoekums  infolge  von  Verwachsungen  bei 
chronischer  Appendizitis  sowie  nach  Appendektomie  lässt  sich 
durch  die  Röntgenoskopie  nachweisen.  Endlich  trifft  man  bei 
Appendektomierten  oft  lange  Zeit  (Monate  oder  Jahre)  nach 
der  Operation  noch  Druckempfindlichkeit  in  der  Gegend  des 
MacBurney  sehen  Punktes,  sowie  spasmodische 
Erscheinungen  im  Gebiete  des  Dickdarmes. 

Der  Nachweis  von  meist  harmlosen  anorganischen 
K  o  t  s  t  e  i  n  e  n  (Enterolithen)  im  Processus  vermiformis  ist 
trotz  ihrer  Kleinheit  schon  manchmal  geglückt,  so  F  i  1 1  i  g. 
Weisflog,  Matth  es,  Hürter.  Derartige  Konkremente 
können,  wie  Albers-Schönberg  hervorhebt,  unter  Um¬ 
ständen  zu  diagnostischen  Irrtiimern  Veranlassung  geben,  d.  h. 
mit  Phlebolithen,  Verkalkungen  der  Gefässe  und  Mesenterial¬ 
drüsen  sowie  Uretersteinen  verwechselt  werden.  Hier  kann 
die  Füllung  der  ileozökalen  Region  mit  Wismutbrei  ent¬ 
scheidende  diagnostische  Aufklärung  geben.  In  jüngster  Zeit 
ist  es  Cohn  auch  gelungen,  die  gewöhnlichen  organischen, 
so  häufig  zu  Appendizitis  führenden  Kotsteine  im  erkrankten 
Wurmfortsatz  nachzuweisen,  indem  sich  dieselben  deutlich 
von  der  Kontrastfüllung  desselben  unterscheiden  Hessen.  — 

Bei  Verdacht  auf  latente  Appendizitis  und  chronisch  ver¬ 
laufende  Krankheitserscheinungen  des  Darmes  sollte  ärzt¬ 
licherseits  viel  häufiger  von  der  Röntgenuntersuchung  bzw. 
der  Darreichung  einer  Kontrastmahlzeit  Gebrauch  gemacht 
werden  als  bisher,  da  die  oben  aufgeführten  röntgenologischen 
Kennzeichen  einer  Appendizitis  von  nicht  zu  unterschätzendem 
Werte  sind.  Aber  auch  manch  unnötiger  operativer  Eingriff 
könnte  auf  diese  Weise  vermieden  werden.  Ist  doch  schon 
längst  von  chirurgischer  Seite  darauf  hingewiesen  worden, 
dass  als  ursächliches  Moment  angeblicher  Wurmfortsatzent¬ 
zündung  häufig  das  Fehlen  jeglicher  anatomischer  Verände¬ 
rungen  des  Wurmfortsatzes  und  lediglich  das  Vorhandensein 
einer  Kolitis  bei  der  Operation  konstatiert  werden  konnte. 

Literatur. 

J.  T.  Case:  Paper  read  before  the  American  Roentgen  Ray 
Society.  Annual  Meeting,  11. — 14.  Sept.  1912,  Niagara  Falls,  New- 
Ycrk.  —  M.  Cohn:  D.m.W.  1913  Nr.  13  und  M.m.W.  1913  Nr.  7 
u.  Nr.  19.  —  Desternes:  Ref.  in  La  Presse  medicale  1913  Nr.  4L  — 
H.  Die  t  len:  Fortschr.  d.  Röntgenstr.  21.  S.  23.  —  W.  George 
und  J.  Gerber:  Read  before  the  Surgical  Section,  Massachusetts 
State  Medical  Society,  10.  Juni  1913.  —  Frz.  Groedel:  M.m.W.  1913 
Nr.  14.  —  Gr  i  gor  i  eff:  Russischer  Internistenkongress  in  Moskau 
1911.  —  Jordan:  Proceed.  of  the  Royal  Soc.  of  Med.  1911,  Vol.  V. 

R.  Liertz:  Ueber  die  Lage  des  Wurmfortsatzes.  (Springer, 
Berlin  1914.)  —  Matth  es:  Verhandl.  d.  internen  Kongresses  zu 
Wiesbaden  1912,  Diskussion.  —  S.  Oberndorfer:  M.  KI.  1911 
Nr.  53.  —  G.  Schwarz:  Klinische  Röntgendiagnostik  des  Dick- 
darmes.  (Springer,  Berlin  1914.)  —  Singer  und  Holzknecht: 
M.m.W.  1913  Nr.  48. 


Die  deformierende  Gelenkentzündung  (Arthritis  deformans) 
im  Lichte  neuerer  Forschungen'). 

Nach  den  mikroskopischen  Befunden  von  Prof.  G.  Pommer* 2). 

Von  L.  v.  Stubenrauch. 

Die  Veränderungen  der  Arthritis  deformans  sind  seit 
langer  Zeit  bekannt  und  nach  dem  Anfänge  des  19.  Jahr¬ 
hunderts  ausser  von  Cruveilhier  besonders  von  englischen 
Chirurgen  und  Anatomen,  so  von  Bell,  T  o  d  d,  Smith, 

*)  Referat,  erstattet  in  der  Sitzung  des  ärztlichen  Vereins  Mün¬ 
chen  vom  20.  Mai  1914. 

2)  Prof.  G.  Pommer:  Mikroskopische  Befunde  bei  Arthritis  de¬ 
formans.  Mitteilungen  aus  dem  Path.  Institute  der  k.  k.  Universität 
Innsbruck.  Denkschriften  der  k.  k.  Akademie  der  Wissenschaften 
zu  Wien.  LXXX1V.  Bd.  S.  65 — 316,  mit  17  Tafeln  und  22  Textfiguren. 


7.  Juli  1914. 


1 495 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  W OCH ENSCEI RIET. 


A  d  a  m  s  und  C  o  1 1  e  s  studiert  worden.  Später  beschäftigten 
sich  in  Frankreich  Bro  ca,  in  Deutschland  Chirurgen  und 
Pathologen  wie  Wernher,  Roser,  Ecker,  Roki¬ 
tansky,  H.  Meyer,  S  c  h  o  e  m  a  n,  Zeis,  Nuescheler, 
Förster,  C.  O.  Weber,  R.  Hein  und  Volkmann  mit 
der  Frage.  Im  Jahre  1877  veröffentlichte  dann  A.  Weich- 
selbaum  seine  grundlegenden  mikroskopischen  Gelenk¬ 
studien,  in  welchen  der  Gelenkknörpel  ganz  besondere  Be¬ 
rücksichtigung  fand.  Während  frühere  Autoren  wie  Ecker, 
Roser,  F  o  e  r  s  t  e  r,  C.  O.  W  e  b  e  r,  R.  H  e  i  n,  Volk- 
mann  und  Weichselbaum  bei  ihren  anatomischen  Studien 
ihr  besonderes  Interesse  den  Knorpelveränderungen  zu¬ 
wandten,  verlegten  die  ebenfalls  1877  veröffentlichten  mikro¬ 
skopischen  Untersuchungen  E.  Zieglers,  welcher  sein 
Hauptaugenmerk  auf  die  subchondralen  Knochengebiete 
richtete  und  den  hier  aufgenommenen  Befunden  eine  regressive 
und  metaplastische  Bedeutung  zuschrieb,  ebenso  wie  spätere 
Untersuchungen  aus  der  Ziegler  sehen  Schule  (Steuern- 
tiial  und  K  i  m  u  r  a)  den  Ursprung  und  den  Hauptsitz  des 
Krankheitsprozesses  in  den  Knochen  selbst  und  zwar  in  atro¬ 
phische  und  regressive  Veränderungen  und  in  daneben  einher¬ 
gehende  entzündliche  Zustände  der  subchondralen  Knochen¬ 
region  der  Gelenkenden.  So  fasste  Kimura  die  Randwülste 
als  Resultate  einer  durch  Knocheneinbrüche  bedingten  Gelenk¬ 
körperdeformation  auf,  deren  Grundursache  in  der  atrophi¬ 
schen  und  regressiven  Knochenbeschaffenheit  zu  suchen  sei. 
Ziegler  modifizierte  übrigens  später  seine  Anschauungen, 
indem  er  nebenher  doch  auch  die  ältere  Vorstellung  eines  vom 
Gelenkknorpel  aus  direkt  auf  den  Knochen  übergreifenden  Pro¬ 
zesses  akzeptierte.  In  den  neueren  Arbeiten  über  Arthritis 
deformans  trat  dann,  entsprechend  der  zunehmenden  Beteili¬ 
gung  der  Praktiker  an  diesen  Untersuchungen  das  Streben 
hervor,  auf  Grund  ätiologischer  Momente  und  statistischer 
Feststellungen  (R  i  m  a  n,  Heckmann,  auch  N  i  c  h  o  1  s  und 
Richardson)  die  A.  d.  zu  studieren.  Auch  der  Weg 
des  Tierexperimentes  wurde  gewählt  (W  o  1 1  e  n  b  e  r  g),  um 
das  Wesen  der  Krankheit  zu  erforschen.  Indes  haben  diese 
Bestrebungen  keine  entscheidenden  Fortschritte  in  der  Frage 
gebracht.  Weder  der  Versuch  der  genannten  Autoren,  die 
humorale  oder  vaskuläre  Theorie  zu  begründen,  noch  auch  der 
Versuch  Axhausens,  in  der  Annahme  einer  primären 
Knorpel-  (und  Knochen-)  nekrose  die  Erklärung  der  A.  d.-Ver- 
änderungen  zu  gewinnen,  kann  nach  den  von  mehreren  patho¬ 
logischen  Anatomen  der  neueren  Zeit  vorliegenden  Befunden 
als  annehmbar  bezeichnet  werden.  Als  derartige  aus  der 
neuesten  Zeit  stammende  Untersuchungen  sind,  abgesehen 
von  den  bereits  1897  publizierten  B  e  n  e  k  e  s,  die  von  Walk- 
hoff,  Beitzke  und  Pommer  anzuführen.  Aufgabe  der 
folgenden  Zeiten  soll  es  sein,  die  Ergebnisse  der  modernen 
mikroskopisch-anatomischen  Studien  zusammenzufassen  unter 
besonderer  Berücksichtigung  des  erschöpfenden  Werkes 
G.  Pommers3),  dessen  auf  16  mikroskopisch  untersuchte 
verschiedengradige  Fälle  von  A.  d.  des  Hüft-,  Knie-  und 
Schultergelenkes  sich  beziehende  Befunde  als  grundlegend  für 
die  Erkennung,  Art  und  Entstehung  der  Knorpel-  und  Knochen¬ 
veränderungen  bei  Arthritis  deformans  zu  bezeichnen  sind. 
Die  Ergebnisse  des  genannten  Autors  wie  die  Schlüsse,  die  er 
selbst  aus  seinen  Ergebnissen  zieht,  umfassen  die  nunmehr 
folgenden  wichtigen  Tatsachen: 

Für  die  mikroskopische  Diagnose  der  Ar¬ 
thritis  deformans  sind  von  entscheidender  Bedeutung 
nur  die  mehr  minder  ausgeprägten  und  zur  Knochenbildung 


s)  Pommer  hat  in  seine  „Mikroskopische  Befunde“  die  ana¬ 
tomische  Beschreibung  und  das  methodische  Kapitel  der  theresiatii- 
schen  Preisarbeit  seines  Schülers  Dr.  P  e  g  g  e  r  („Ueber  die  regres¬ 
siven  Knochenveränderungen  bei  Arthritis  deformans“)  aufgenommen, 
nachdem  er  dessen  Untersuchungen  selbst  in  grösserem  Umfange  und 
nach  erweiterten  Gesichtspunkten  fortgeführt  hatte.  Um  die  Herstellung 
der  einschlägigen  Präparate  und  Bilder  hat  sich  der  Präparator  des 
Innsbrucker  pathol.  Institutes,  Herr  N.  Bock,  sehr  verdient  gemacht. 
Es  muss  auch  weiter  darauf  hingewiesen  werden,  dass  die  in  Dr.  Peg- 
g  e  r  s  Preisarbeit  erörterte  und  empfohlene  Methodik  der  histologi¬ 
schen  Untersuchung,  welche  im  wesentlichen  auf  die  bereits  früher  von 
Pommer  ausgearbeiteten  erfolgreichen  Methoden  zurückgreift,  ein¬ 
gehendst  in  dem  Werke  besprochen  wird,  wie  auch  die  gesamte  ein¬ 
schlägige  Literatur,  so  dass  bezüglich  dieser  auf  die  Arbeit  Pom¬ 
mers  zu  verweisen  ist. 


führenden  Anläufe  zur  Vaskularisation  des  Gelenkknorpels 
über  seine  Verkalkungsregion  hinaus  und  zwar  dann,  wenn  der 
Gelenkknorpel  zugleich  in  den  betreffenden  Gebieten  von  der 
Oberfläche  aus  Veränderungen  zeigt,  welche  auf  eine  Beein¬ 
trächtigung  seiner  Elastizität  hinweisen.  Durch  diese  diagno¬ 
stischen  Merkmale,  die  ein  Hauptergebnis  der  Befunde 
Pommers  darstellen,  ist  die  Möglichkeit  geschaffen,  gering¬ 
gradige  beginnende  oder  in  Stillstand  geratene  Fälle  von  Ar¬ 
thritis  zu  diagnostizieren  sowie  die  Diagnose  nur  zu  örtlich 
beschränkter  Ausbildung  gelangter  Fälle  unabhängig  von  dem 
Nachweise  ausgeprägter  Randwulstbildungen  zu  stellen. 

Durch  die  Vaskularisations-  und  Ossifikationsvorgänge 
werden  von  den  tiefen  Knorpelanteilen  oberflächliche  Schichten 
abgespalten,  welch  letztere  den  knorpeligen  Ueberzug  der  auf 
Kosten  des  Gelenkknorpels  entstehenden  Randwülste  bilden. 
Bei  besonders  mächtig  entwickelten  Randwülsten  kommt  für 
die  Fortsetzung  des  knorpeligen  Randwulstüberzuges  sowohl 
interstitielle  Substanzneubildung  als  auch  Anbildung  faser¬ 
knorpeligen  Gewebes  von  seiten  des  Synovialgewebes  in  Be¬ 
tracht.  Bezüglich  der  knotigen  Erhebungen  im  Bereiche  der 
Gelenkknorpelflächen,  die  von  einzelnen  älteren  Autoren  (ins¬ 
besondere  von  H.  Meyer)  beschrieben  werden,  gibt  der 
prägnante  Befund  eines  Falles  Aufschluss,  in  welchem  der 
Nachweis  gelang,  dass  es  sich  um  ein  ossifiziertes  Gelenk¬ 
knorpelgebiet  handelte,  das  als  Grundteil  eines  Knorpelhöckers 
teils  noch  von  Resten  des  Gelenkknorpels  bedeckt,  teils  in 
seinen  Oberflächenteilen  der  Abscheuerung  und  narbigen  Ver¬ 
änderungen  verfallen  war. 

Was  die  Entstehung  der  Randwulstbil¬ 
dungen  betrifft,  so  ist  zu  betonen,  dass  weder  die  Annahme 
V  o  1  k  m  a  n  n  s,  welcher  darin  verknöcherte  Knorpelwuche¬ 
rungen  erblickte,  noch  die  Anschauungen  von  N  i  c  h  o  1  s  und 
Richardson,  nach  welchen  der  Knorpelüberzug  der  Rand¬ 
wülste  im  ganzen  als  neugebildet,  das  Perichondrium  des  Ge¬ 
lenkknorpels  als  die  Matrix  von  verknöchernden  Knorpel¬ 
wucherungen  zu  betrachten  ist,  zutreffen  und  befriedigende 
Erklärungen  bieten;  denn  an  der  dem  Gelenkkopf  zugewen¬ 
deten  Innenfläche  des  Randwulstteiles  konnte  kein  Knorpel¬ 
gewebe  nachgewiesen  werden. 

Zu  nachweisbarer  Dickenzunahme  des  Gelenkknorpels  kommt  es 
überhaupt  nur  im  Bereiche  der  die  Randwulstbildungen  von  der  Kopf¬ 
region  trennenden  Grenzrinne  und  es  sind  die  Knorpelanschwel¬ 
lungen  strenge  an  diese  Oertlichkeit  gebunden.  Sonst  treten  am  Ge¬ 
lenkknorpel  die  Erscheinungen  der  Hyperplasie  gegenüber  mehr 
minder  tiefgreifender  Auflockerung.  Quellung  und  Zerfaserung 
zurück. 

Auch  die  in  letzter  Zeit  vielfach  vertretene  Auffassung  der  Rand¬ 
wülste  als  periostaler  Osteophyten  entspricht  ebensowenig  wie  die 
Annahme,  dass  sie  aus  hyperplastischen  Knorpelwucherungen  oder 
perichondralen  Bildungen  hervorgehen,  den- Tatsachen,  was  jetzt  auch 
W  a  1  k  h  o  f  f  in  seinem  Referate  über  Pommers  Befunde  (Zbl.  f. 
allg.  Path  .1914  Nr.  1)  zugibt.  Nach  Pommers  mikroskopischen  Be¬ 
funden  handelt  es  sich  bei  den  an  Femurköpfen  untersuchten  Rand¬ 
wülsten  der  Kopfhalsgrenze  sowie  bei  jenen  des  Fovearandes  und 
bei  jenen  des  untersuchten  Femurknorrenendes  um  analoge  Bildungen, 
die  überhaupt  nicht  im  Bereiche  der  mit  Periost  bekleideten  Gebiete 
der  Gelenkenden  zur  Entstehung  kommen,  sondern  im  Bereich  der 
Randgebiete  der  mit  Knorpelüberzügen  ausgestatteten  Gelenkenden 
selbst.  Unter  allen  Umständen  besteht  schon  bei  ganz  geringer  wie 
bei  hochgradiger  Entwicklung  der  Randwülste  das  Gebälk  derselben 
aus  mit  der  übrigen  Spongiosa  der  Gelenkenden  einheitlich  gebauten 
Lamellensystemen  und  zeigt  keineswegs  den  Bau  von  Osteophyten- 
gewebe. 

Die  Ausbildung  der  Randwülste  bei  Arthritis  deformans 
erfolgt  von  vornherein  von  den  subchondralen  Markräumen 
aus  unter  Vaskularisierung  und  Verknöcherung  der  anstossen- 
den  Gelenkknorpelrandgebiete,  so  dass  also  in  dieser  Be¬ 
ziehung  die  alten  makroskopischen  Befunde  Wernhers 
durch  Pommer  Bestätigung  finden;  die  Randwülste  sind 
demnach  keine  von  aussen  aufgelagerten  osteophytären  Pro¬ 
dukte,  sondern  intrakartilaginöse  Knochenbildungen. 

Nur  an  gewissen  Punkten  und  besonders  unter  den  örtlichen 
Verhältnissen  ausgebreiteter  A.  d.  lässt  sich  der  Nachweis  führen, 
dass  örtlich  auch  periostale  Appositionsvorgänge  und  zwar  besonders 
von  Bänderansatzstellen  aus  und  andererseits  auch  chondrogene  Kno¬ 
chenbildungen  von  ossifizierenden  Proliferationsfeldern  des  Knorpel¬ 
überzuges  aus  bei  Entstehung  bzw.  Vergrösserung  von  Randwulst¬ 
bildungen  eine  Rolle  spielen  können.  Für  die  mikroskopische  Dia¬ 
gnostik  der  A.  d.  ist  dabei  jedenfalls  der  Hinweis  wichtig,  dass  im 
Bereich  der  Eintrittsstellen  grosser  Vasa  nutritia  gleich  wie  an 


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MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  27. 


Bänderansatzstellen  periostale  Appositionsvorgänge  beobachtet  wer¬ 
den  können,  die  dabei  aber  ausserhalb  des  Gebietes  der  Randwulst¬ 
bildungen  und  auch  ohne  dieselben  Vorkommen. 

Durch  Zusammenhangsstörungen  kommt  es  bei  hoch¬ 
gradigen  wie  auch  leichten  Fällen  von  A.  d.  zu  L  o  s  1  ö  s  u  n  g 
von  Gelenkknorpelteilchen  und  Substanz¬ 
verlusten  des  Gelenkknorpels.  Häufig  und  aus¬ 
gebreitet  finden  der  Oberfläche  parallele  Auffaserungen  und 
Loslösungen  von  fadenförmigen  Oberflächenanteilen  des  Ge¬ 
lenkknorpels  statt;  vielfach  kann  derselbe  auch  senkrecht  zur 
Oberfläche  zerfasert  und  zerklüftet  gefunden  werden.  Zellen¬ 
gehalt  und  Zustand  der  Zellen  ist  in  den  veränderten  und  ab¬ 
gelösten  Knorpelteilen  recht  verschieden.  Es  finden  sich  viel¬ 
fach  die  bekannten  Bilder  der  Proliferation  zu  Brutkapselent¬ 
wicklung  und  anderseits  im  Bereich  von  Druckwirkungen  jene 
der  Zellen  atrophie,  nicht  jedoch  der  Zellen  n  e  k  r  o  s  e, 
ausser  im  Läsionsbereiche  der  Abscheuerungs-  und  Schliff¬ 
flächen.  Die  Knorpelsubstanzverluste  zeigen  nach 
Tiefe  und  Begrenzung  Verschiedenheiten  und  auch  nach  den 
in  ihrem  Bereich  vorkommenden  Veränderungen.  Es  können 
die  regressiven  Veränderungen  überwiegen  oder  mit  solchen 
der  Proliferation  vergemeinschaftet  sich  finden.  In  anderen 
Fällen  ist  die  Proliferation  vorherrschend.  Zeichen  von  Ab¬ 
scheuerung,  Abrollung  durch  Gelenkbewegungen,  auch  auf¬ 
fällige  Resorptionsvorgänge  können  im  Bereich  besonderer 
Druckwirkungen  (örtlich)  in  der  Nachbarschaft  von  vorgreifen¬ 
den  Vaskularisationsbezirken  auftreten. 

Gewisse  Bezirke  des  Gelenkknorpels  sind  —  wofür  auf  Weich¬ 
selbaums  umfassende  Untersuchungen  zu  verweisen  ist  —  durch 
die  Eigentümlichkeit  ihrer  Textur  in  höherem  Masse  zu  regressiven 
Veränderungen  und  Abnutzung  infolge  besonderer  funktioneller  Be¬ 
anspruchung  veranlagt.  Alle  untersuchten  Knorpelusurstellen  er¬ 
brachten  den  Nachweis  des  Vordringens  von  Gefäss-  und  Mark¬ 
räumen  aus  der  subchondralen  Region  in  die  kalklosen  Knorpelteile. 
Gelegentliche  örtlich  beschränkte  Nebenbefunde  bieten  Einbruchstellen 
an  der  Knorpelknochengrenze  oder  Zertrümmerungen  und  Verlage¬ 
rungen  dar.  Nur  in  einem  Falle  Pommers  konnte  der  Knorpel¬ 
substanzverlust  nicht  auf  die  Vorgänge  der  Arthritis  deformans  selbst, 
sondern  auf  traumatische  Einwirkung  bezogen  werden.  Der  Mangel 
der  beschriebenen  primär-regressiven  Veränderungen  des  Gelenk¬ 
knorpels  in  der  Umgebung  des  Substanzverlustes  wie  auch  der  Mangel 
vorgreifender  Vaskularisation  belegen  dies.  Anderseits  beweisen  die 
Befunde  direkt  eine  mit  örtlicher  Abhebung  und  basaler  Zerklüftung 
des  kalklosen  Gelenkknorpels  kombinierte,  die  Entwicklung  von  Kal¬ 
lusgewebe  veranlassende  traumatische  Zertrümmerung  def  verkalkten 
Knorpelregion  eine  subchondrale  Zerklüftung  der  Knochenkortikalis 
selbst.  Es  handelt  sich  aber  in  diesem  Falle  um  das  Anfangsstadium 
einer  auf  Traumawirkung  hin  sekundär  entstehenden  örtlichen 
Arthritis-deformans-Veränderung,  was  durch  eine  örtlich  beschränkte 
Ossifikationsanbildung  in  der  Nachbarschaft  der  Usurstelle  und  durch 
eine  Knorpelknötchenbildung  darunter  belegt  wird  In  einem  Falle 
Pommers  muss  eine  rein  arthritische  Usur  ohne  traumatische  Kom¬ 
plikation  bei  hochgradiger  Knochenatrophie,  in  zwei  anderen  eine 
primär  arthritische  mit  traumatischen  Veränderungen  komplizierte 
Usur  angenommen  werden. 

Für  die  Beurteilung  der  bei  veralteten  Luxa¬ 
tionen  entstehenden  A.  d.-V  eränderungen  ist 
der  Untersuchungsbefund  eines  Fixierten  Oberarmkopfes  von 
Bedeutung,  welcher  zur  Annahme  führt,  dass  es  sich  dabei  um 
eine  durch  Druckusurveränderung  und  Abscheuerung  des  Ge¬ 
lenkknorpels  eingeleitete,  unter  Kombination  mit  Druck  und 
Inaktivitätsatrophie  sich  ausbildende  sekundäre  örtliche  A.  d. 
handelt. 

Was  die  Zusammenhangsstörungen  anlangt, 
welche  bei  A.  d.  die  Bezirke  der  Knorpel¬ 
knochengrenze  betreffen,  so  werden  dieselben  nach 
der  Art  der  Entstehung  unterschieden,  erstens  in  solche, 
welche  auf  die  im  Prozesse  der  A.  d.  gegebenen,  örtlich  ge¬ 
steigerten  Resorptionsverhältnisse  vaskulärer  und  lakunärer 
Art  zurückzuführen  sind,  zweitens  in  diejenigen,  welche  sich 
auf  die  infolge  von  Knochenatrophie  bei  A.  d.  vorkommenden 
Knochenlücken  der  subchondralen  bzw.  subperiostalen 
Knochenrinde  beziehen,  und  drittens  in  solche,  die  mechanisch 
oder  traumatisch  bedingt  sind. 

Die  zur  erstgenannten  Gruppe  gehörigen  gesteigerten  Resorp¬ 
tionsverhältnisse  sind  besonders  bemerkbar,  wenn  unter  besonderen 
atrophischen  Verhältnissen  die  appositionelle  Ersatzbildung  für  die 
Substanzverluste  mangelhaft  bleibt  oder  wenn  bei  tiefgreifenden 
Knorpelusuren  eine  mehr  weniger  fortschreitende  Entblössung  der 
Knorpelknochengrenze  stattfindet.  Im  Grunde  solcher  Knorpelusur¬ 
stellen  kann  es  zu  fortschreitender  Entwicklung  von  kallösem  Knochen- 


und  Knorpelgewebe  kommen,  aber  auch  zum  narbigen  Ersatz  der 
hyalinen  Knorpelgrundsubstanz  durch  lockeres  faseriges,  gefäss- 
reiches  Bindegewebe  (Glätte  und  blutrote  Färbung  der  Usurstellen). 

Die  auf  mechanische  oder  traumatische  Einwirkungen  zu 
beziehenden  Zusammenhangsstörungen  gelangen  in  den  Be¬ 
funden  Pommers  zum  Nachweis,  während  man  sie  bisher, 
so  auch  K  i  m  u  r  a,  nur  vermutete.  Pommer  fand  sie  in 
Form  von  Sprüngen  und  Fissuren,  die  teils  senkrecht  zur  Ober¬ 
fläche,  teils  parallel  dieser  verlaufen.  In  der  subchondralen 
Region  findet  eine  mehr  weniger  ausgedehnte  Zersplitterung 
statt.  Zertrümmerungsbrocken  verkalkten  Knorpels,  welche 
wiederum  in  Kallusbildungen  eingeschlossen  sind,  deuten  nicht 
allein  auf  Druck,  sondern  auch  auf  Stosswirkung  hin.  Auch 
mit  Lageveränderungen  einhergehende  Einknickungen  und 
Zertrümmerungen  im  Bereich  der  Knorpelknochengrenze 
waren  nachzuweisen:  Ausbrechungen  von  Stücken  der 
Knochenrinde,  die  in  verschiedene  Gebiete  der  Nachbarschaft 
eingekeilt  sich  finden  können.  Als  Folgeveränderungen  dieser 
traumatischen  und  mechanischen  Zusammenhangsstörungen 
zeigen  sich  die  verschiedensten  Reaktionen:  Blutungen,  Zellen¬ 
proliferation,  Riesenzellenbildungen,  Resorptions-  und  Appo¬ 
sitionsvorgänge,  Entwicklung  in  die  Markräume  der  Spon¬ 
giosa  hineindringender  Knorpelwucherungen,  mehr  weniger 
ausgebreitete  Kallusgewebswucherungen  teils  knorpeligen, 
teils  knöchernen  aber  auch  bindegewebigen  und  schleim- 
gewebigen  Baues,  welche  Bruchstücke  des  ursprünglichen  Zer¬ 
trümmerungsherdes  in  sich  eingeschlossen  halten.  Solche 
Vorgänge  sind  aber  keineswegs  im  Prozess  der  A.  d.  be¬ 
gründet,  sondern  in  mit  der  A.  d.  kombinierten  traumatischen 
Einwirkungen.  Die  bei  A.  d.  vorkommenden,  von  E.  Zieg¬ 
ler  als  Enchondrome  beschriebenen  und  auf  Rekartilagines- 
zenz  des  Knochens  bezogenen  Knorpelknötchen  treten 
nach  den  Ermittlungen  Pommers  nur  unter  besonderen  Be¬ 
dingungen  auf.  Zu  ihren  Entstehungsbedingungen  gehören  vor 
allem  Absprengungen  und  Verlagerungen  von  entwicklungs¬ 
fähigen  Zellen  und  Zellkomplexen  der  kalklosen  Tiefen¬ 
schichten  des  Gelenkknorpels  bei  Eröffnung  der  subchondralen 
Markräume  durch  Zerklüftung  der  Verkalkungsregion  des 
Knorpels  und  der  subchondralen  Knochenrinde  unter  den  Ver¬ 
hältnissen  einer  zu  der  embolischen  Verschleppung  der  ver¬ 
lagerten  Knorpelzellen  hinreichenden  Versorgung  der  Mark¬ 
räume  mit  Lymph-  und  Blutbahnen. 

Wie  Pommers  Befunde  ergaben,  erfolgt  ebensowohl  auf  dem 
Wege  der  perimyelären  Lymphräume  bzw.  der  perivaskulären  Räume 
der  Haversschen  Kanäle,  als  auch  innerhalb  der  perivaskulären 
Lymphbahnen  der  Markgefässe  und  innerhalb  dieser  selbst  die  Ver¬ 
schleppung  abgelöster  Knorpelzellen  und  dort,  wo  sie  haften  bleiben, 
durch  ihre  Proliferation  dann  die  Ausbildung  von  Knorpelknötchen. 
Stellenweise  lassen  die  Knorpelknötchen  sich  mitten  zwischen  den 
Fettzellen  der  Markräume  nachweisen.  Ausschliesslich  in  den  benach¬ 
barten  Spongiosagebieten  der  subchondralen  Einbruchstellen  auftretend, 
kann  ihre  Aussaat  eine  verschieden  reichliche  sein.  Sekundäre  regres¬ 
sive  Veränderungen  (schleimige  Verflüssigung  der  Interzellularsubstanz, 
die  dadurch  zu  Zystenbildung  führt)  kommen  in  ihnen  vor,  sind  jedoch 
keine  gerade  häufigen  oder  regelmässigen  Ausgänge  der  Knorpel¬ 
knötchenbildung,  ebensowenig  die  Verkalkung.  Der  Mangel  auffälliger 
eben  sich  abspielender  Appositionsvorgänge  im  Bereiche  der  Knorpel¬ 
knötchen  spricht  dafür,  dass  diese  sich  langsam  und  unter  beschränkter 
Einflussnahme  auf  ihre  Umgebung  entwickeln. 

Ihre  relativ  geringe  Ausbildungsgrösse  wie  auch  die  ge¬ 
ringen  Einwirkungen,  welche  sie  auf  die  Gewebe  der  Nach¬ 
barschaft  ausüben,  deuten  darauf  hin,  dass  ihnen  nur  eine  be¬ 
schränkte  Entwicklungsfähigkeit,  aber  keineswegs  progres¬ 
sives  Wachstum  zukommt.  Man  kann  sie  deshalb  nicht  wie 
Z  i  e  g  1  e  r  als  „Enchondrome“  bezeichnen.  Eine  metaplastische 
„Rekartilagineszenz“  des  Knochens  im  Sinne  von  Ziegler 
u.  a.  spielt  bei  ihrer  Entstehung  keine  Rolle.  Sie  haben  durch 
Pommers  Untersuchungen  ihre  Erklärung  auf  dem  Boden 
der  gesetzmässigen  Vorgänge  des  Zell-  und  Gewebslebens  ge¬ 
funden,  hindern  nicht  mehr  seine  einheitliche  Auffassung  unter 
physiologischen  und  pathologischen  Verhältnissen.  Dasselbe 
gilt  auch  von  den  die  metaplastischen  Annahmen  Zieglers 
widerlegenden  Befunden,  zu  denen  die  Untersuchung  der  ver¬ 
schiedenen  Zystenbildungen  Gelegenheit  gab,  bei  wel¬ 
chen  es  sich  ebenfalls  nicht  um  regressive  metaplastische,  son¬ 
dern  vielmehr  um  progressive  Abkapselungsvorgänge  handelt. 

Die  Knochenschlifflächen  findet  man  besonders 
in  den  von  mächtigen  Randwülsten  umgebenen  Gebieten  des 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


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7.  Juli  1914. 


Gelenkkopfes  und  an  den  angrenzenden  Bezirken  der  Randwülste 
selbst.  Umgestaltungen  der  Gelenkflächen,  dadurch  bedingte 
Aendcrung  der  Gelenkfunktionen  (Einschränkung  derselben  mit 
örtlicher  Steigerung  abscherender  Einwirkungen)  kommen  für 
ihre  Entstehung  in  Betracht.  Knorpelusurstellen  begünstigen 
die  Ausbildung  derselben. 

Auch  knotige  Erhebungen  der  Gelenkflächen,  deren  schon  Erwäh¬ 
nung  geschah,  sind  fiir  die  Erklärung  der  Knochcnschliffbildung  von 
Bedeutung.  Der  Verschiedenheit  der  Eolgewirkungen,  zu  denen  es  im 
Laufe  der  Zeit  kommt,  entspricht  die  Mannigfaltigkeit  der  Befunde. 
Im  Bereiche  der  Schliffflächen  kommt  es  unter  gewöhnlichen  Verhält¬ 
nissen  zu  reaktiver  Knochengewebsbildung  (Eburneation  früherer 
Autoren,  sklerosierte  Schliffflächen  W  a  1  k  h  o  f  f  s).  Unter  dem  Ein¬ 
fluss  allgemein  oder  örtlich  bestehender  Atrophieverhältnisse  erfolgt 
diese  entweder  gar  nicht  oder  nur  unvollkommen. 

Nicht  allein  das  Gebälk  der  eigentlichen  Gelenkflächen¬ 
gebiete,  sondern  auch  jenes  der  Randwulstbezirke  kann  der 
Abschleifung  unterliegen.  Mögen  die  Abscherungsvorgänge 
bei  ihrem  Tiefergreifen  das  eigentliche  Knochengebälk  des  Kopf¬ 
gebietes  oder  das  der  Randwulstbildungen  durchsetzen  oder 
nur  die  Knorpelknochengrenze  wie  deren  subchondrale  Mark¬ 
räume  treffen,  immer  muss  es  zur  Eröffnung  von  Markräumen 
kommen,  was  örtliche  Blutaustritte  und  die  Entstehung  ver¬ 
schiedener  Kallusbildungen  zur  Folge  hat.  Von  der  Schliffläche 
herstammender  Detritus  verkalkten  Knorpels  und  Knochens 
wird  mit  Gewebsstückchen,  die  sich  von  den  sekundär  in  er- 
öffneten  Markräumen  gebildeten  Weichgeweben  ablösen,  in 
die  Tiefe  gerissen  und  dorthin  verlagert.  Dort  können  je  nach 
Grösse  und  Tiefenlage  der  Einlagerungsherde  und  je  nach  den 
sich  um  sie  abspielenden  reaktiven  Veränderungen  verschie 
dene  Bilder  angetroffen  werden  (Fremdkörperriesenzellen, 
zystische  Abkapselungen,  fibröse  und  schleimgewebige  Herde). 
Dagegen  kommt  es  im  Bereich  der  Knochenschlifflächen  nie 
zur  Bildung  von  Knorpelknötchen,  wahrscheinlich  nicht  allein 
deshalb,  weil  etwa  die  im  Gebiete  der  Schlifflächen  zur  Los¬ 
lösung  gelangenden  Knorpelzellen  samt  und  sonders  ihre  Be¬ 
fähigung  zu  wachsen  verloren  haben,  sondern  wohl  auch  des¬ 
halb,  weil  mit  allenfalls  noch  lebensfähigen  Knorpelzellen  die 
verschiedensten  infolge  der  Abscheuerung  nekrotisierten  Ge- 
websteile  zur  Verpfropfung  gelangen,  wodurch  Abkapselungs¬ 
vorgänge  eingeleitet  werden,  welche  einer  weiteren  Ver¬ 
schleppung  der  Knorpelzellen  ebenso  hinderlich  sind,  wie  die 
sichtlich  gleichzeitig  bestehenden  ungünstigen  Zirkulationsver¬ 
hältnisse  innerhalb  der  mit  Kallus-  und  Fasergewebe  erfüllten 
Markräume  dieser  Gebiete. 

Die  zystischen  Bildungen  entstehen  in  erster 
Linie  durch  Abkapselung  der  früher  besprochenen  Ein¬ 
lagerungen  im  Bereich  der  Knochenschlifflächen,  dann  sub¬ 
chondral  in  Markräumen  atrophischer  Randwulstbildungen  bei 
Einbrüchen  ihrer  Rindenteile,  aber  auch  subperiostal  und  sub¬ 
synovial  innerhalb  der  Markräume  der  atrophischen  Knochen¬ 
rinde  nicht  überknorpelter  Gelenkgebiete,  wenn  es  zur  Ein¬ 
stülpung  von  Periost-  oder  Synovialmembranteilen  durch  die 
Einpfropfung  von  Knorpelgeröllklümpchen  kommt;  auch  letz¬ 
teres  konnte,  aber  nur  in  einem  Falle,  von  Pommer  nach¬ 
gewiesen  werden.  Wichtig  erscheint  dabei  ausserdem  auch 
die  Trennung  zwischen  echten  Abkapselungszysten 
und  zystenähnlichen  Bildungen,  welch  letztere  der 
Absperrung  von  Synovialmembranteilen  und  andererseits  auch 
der  schon  erwähnten  Verflüssigung  der  Knorpelsubstanz  inner¬ 
halb  der  Knorpelknötchen  ihre  Entstehung  verdanken.  Nach 
Inhalt  und  Wandbeschaffenheit  der  Abkapselungszysten  lassen 
sich  unterscheiden:  Erstens  abgekapselte  Blutungszysten,  wie 
auch  W  a  1  k  h  o  f  f  bereits  erkannte.  Eine  zweite  Form  neben 
den  Blutungszysten  bilden  die  Detritus  und 
Trümmerzysten;  bei  diesen  handelt  es  sich  um  von  den 
Schlifflächen  abgescheuerte  Detrituspartikelchen  oder  ver¬ 
lagerte  Fragmente,  welche  von  der  Einbruchstelle  der  Knorpel¬ 
knochengrenze  stammen.  In  einer  dritten  Form  wurden  von 
Pommer  abgerundete  Klümpchen  abgelöster  Knorpelsub¬ 
stanz  (Knorpelzellterritorien)  allein  oder  mit  Detritus  ver¬ 
mischt,  als  Zysteninhalt  gefunden.  Solche  „Knorpel- 
geröllzysten“  können,  wie  schon  oben  angeführt,  augen¬ 
scheinlich  unter  Einwirkung  des  Gelenkdruckes  gelegentlich 
auch  innerhalb  von  Einstülpungen  der  Synovialmembran,  durch 
Einpressen  der  Knorpelgeröllkörperchen  in  unter  Atrophiever¬ 
hältnissen  subperiostal  freigelegtcn  Markräumen  entstehen, 

Nr.  27. 


und  es  ist  daher  keineswegs  richtig,  dass  nur  freie  Gelenk¬ 
körper,  die  eine  zur  mechanischen  Obstruktion  des  Gelenkes 
hinreichende  Grösse  besitzen,  eine  Bedeutung  haben.  Als 
Folgezustände  werden  in  der  Umgebung  der  zystischen  Bil¬ 
dungen  die  verschiedenen  Wirkungen  der  reaktiven  Vorgänge 
gesteigerter  osteoklastischer  lakunärer  Resorption  und  osteo- 
blastischer  Apposition  nachgewiesen. 

Unter  derartigen  Vorgängen  können  sich  die  Abkapselungszysten 
auch  bis  zu  ansehnlicher  Grösse  (Kirschkern-,  Haselnussgrösse)  ent¬ 
wickeln.  Die  an  mazerierten  Gelenkenden  nachweisbaren  Poren  und 
Löcher  lassen  sich  auf  durch  Knochenzysten  verursachte  Substanz¬ 
verluste  zurückführen,  können  aber  auch  auf  vorhanden  gewesene 
Knorpeleinsenkungen  bezogen  werden,  die  sich  im  Bereiche  der  ab¬ 
geschliffenen  Knochenstrecken  innerhalb  des  blossgelegten  Markge¬ 
webes  nebst  sonstigen  Kallusgewebswucherungen  gebildet  hatten. 
Bezüglich  der  reaktiven  Folgezustände  der  bei  A.  d.  auftretenden  Ab¬ 
kapselungszysten  ist  besonders  bemerkenswert  der  Fall  eines  59  Jahre 
alten  Mannes,  bei  welchem  es  nach  subchondraler  Entstehung  einer 
Blutungszyste  im  Foveabereich  zu  einer  Wachstumssteigerung  des 
Gelenkkopfes  kam.  Der  angeführte,  noch  von  Weiland  Prof.  v.  H  i  b  - 
1  e  r  obduzierte  und  aufbewahrte  Fall  lässt  annehmen,  dass  die  Ent¬ 
stehung  der  Veränderung  auf  ein  in  der  Jugendzeit  erfolgtes  Trauma 
zurückzuführen  ist,  örtlich  auf  das  Foveagebiet  beschränkt  blieb  und 
dann  unter  dabei  ausgebildetem  Verluste  des  Lig.  teres  nach  Ab¬ 
schluss  des  Wachstums  zum  Stillstand  kam. 

Die  Vorgänge  der  Resorption  und  Appo¬ 
sition  zeigen  bei  der  A.  d.  hinsichtlich  der  Oertlichkeit  und 
des  Grades  ihrer  Ausbildung  eine  ausgesprochene  Abhängig¬ 
keit  von  den  Einwirkungen,  unter  denen  das  Knochenmark 
ebensowohl  im  Bereich  von  Usurstellen  als  von  Schliff¬ 
flächen,  traumatischen  Störungen  und  Verlagerungen  steht. 
Bei  den  von  den  Markräumen  ausgehenden  inneren,  aber 
auch  bei  den  äusseren  vom  Periost  eingeleiteten  Resorptions¬ 
vorgängen  handelt  es  sich  um  teils  mehr  minder  tief  ein¬ 
greifende,  unter  atrophischen  Verhältnissen  aber  um  flach¬ 
lakunäre  osteoklastische  Resorption,  teils  um  Vorgänge  vasku¬ 
lärer  Resorption.  Grössere  Mannigfaltigkeit  zeigt  sich  bei  den 
Befunden  appositioneller  Anbildungen.  Die  hieher  zu  rech¬ 
nenden  verschiedenartigen,  bei  A.  d.  erhobenen  Befunde  pro¬ 
gressiver  und  reaktiver  Natur  bieten,  wie  schon  erwähnt,  eine 
befriedigende  Erklärung  für  die  bisher  so  gerne  auf  regressive 
Veränderungen  und  metaplastische  Vorgänge  bezogenen  Bilder 
und  erfordern  auch  nicht  die  Annahme  einer  Halisterese.  Es  muss 
mit  Pommer  betont  werden,  dass  die  Anbildung  von  Knochen¬ 
gewebe  unter  allen  Umständen  kalklos  erfolgt  und  dass  das¬ 
selbe  erst  nachträglich  den  Kalk  aufnimmt.  So  sind,  wie  unter 
sonstigen  Umständen  und  bei  Rachitis  und  Osteomalazie,  auch 
die  stellenweise  bei  A.  d.  kalklos  und  unvollständig  verkalkt 
anzutreffenden  Knochensäume  und  -strecken  zu  deuten.  Auch 
für  ihre  Beurteilung  ist  der  von  Pommer  seit  langem  ver¬ 
tretene  Grundsatz  massgebend,  dass  kalklose  Knochenanteile 
nicht  auf  Kalkberaubung  zu  beziehen  sind,  bevor  nicht  ihre 
etwaigen  Eigentümlichkeiten  unmöglich  machen,  sie  als  kalk¬ 
los  geblieben  anzusehen.  Für  die  Annahme  einer  Kombination 
der  A.  d.  mit  Osteomalazie  bot  sich  überhaupt  in  keinem  der 
bisher  untersuchten  Fälle  Anlass  dar.  Es  lassen  sich  auch 
keineswegs  Knochenatrophieveränderungen  und  deren  Folge¬ 
wirkungen  im  Sinne  Kimuras  als  Vorbedingungen  für  die 
Entstehung  der  A.  d.  ansehen,  da  die  Untersuchungen  durchaus 
nicht  den  für  diese  Annahme  anzufordernden  Parallelismus 
ihrer  Befunde  ergaben.  Wohl  aber  können  immerhin  gelegent¬ 
lich  atrophische  Veränderungen  die  Entstehung  von  Ein¬ 
knickungen  und  Frakturen  im  Bereich  der  Knorpelknochen¬ 
grenze  und  damit  die  Ausbildung  der  verschiedenen  Verände¬ 
rungen  hochgradiger  A.  d. -Fälle  begünstigen. 

Andere  regressive  Vorgänge  als  die  angeführten,  der 
lakunären  und  vaskulären  Resorption  zugehörigen,  können  bei 
der  A.  d.  im  Bereiche  der  Knochengebiete  nicht  nachgewiesen 
werden. 

Die  regressiven  Veränderungen  des  Ge¬ 
lenkknorpels  sind  diejenigen,  welche  man  in  allen  Unter¬ 
suchungsbefunden  antrifft,  sie  sind  schon  darum  als  primär  auf¬ 
zufassen,  aber  auch  ihre  grosse  Verbreitung  spricht  dafür.  Von 
besonderer  Bedeutung  erscheint  die  von  Weichselbaum 
bereits  betonte  Annahme, .dass  bestimmte  örtliche  Knorpelver¬ 
hältnisse  und  senile  Veränderungen  des  Gelenkknorpels  die 
Vorbedingung  und  den  Ausgangspunkt  der  A.  d. -Verände¬ 
rungen  abgeben,  wie  die  Anschauung  B  e  n  e  k  e  s,  welcher  die 

2 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


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Knorpeldegeneration  und  die  damit  gegebene  Störung  der 
Knorpelelastizität  als  Urgrund  der  genannten  Veränderungen 
bezeichnet.  Unter  den  mannigfaltigen  regressiven  Knorpel- 
veränderungen  konnten  nirgends  Anzeichen  von  Nekrose  kon¬ 
statiert  werden,  so  dass  nach  den  Befunden  Pommers  die 
Annahme  Axhausens  abgelehnt  werden  muss,  nach 
welcher  nekrotische  Knorpel-  bzw.  Knochenveränderungen  der 
A.  d.  zugrunde  liegen  sollen.  Diese  Ansicht  ist  ebenso  wie  die 
vaskuläre  Theorie  Wollenbergs  auf  Grund  der  mikro¬ 
skopischen  Befunde  P  o  m  mers  unhaltbar,  da  sie  für  den  von 
Wollenberg  angenommenen  Kausalnexus  zwischen  Ge- 
fässsklerose  und  A.  d.  durchaus  keine  Belege  liefern;  im  übri¬ 
gen  ist  die  Hypothese  Wollenbergs  auch  bereits  vor 
einiger  Zeit  von  Axha  u  s  e  n  und  in  jüngster  Zeit  von  Walk- 
hoff,  Ewald  und  Pr  e  i  s  e  r  namentlich  in  ihrer  experimen¬ 
tellen  Begründung  widerlegt  worden.  (Schluss  folgt.) 


Aus  der  II.  med.  Universitätsklinik  der  Kgl.  Charitee  in  Berlin 
(Geh.  Rat  Prof.  Dr.  Fr.  Kraus). 

Untersuchungen  über  die  Funktion  der  Niere*). 

Von  Dr.  Erich  Leschke. 

M.  H.l  Unsere  Kenntnisse  von  dem  Mechanismus  der 
Harnabsonderung  in  der  Niere  und  die  Möglichkeit  einer  funk¬ 
tionellen  und  topischen  Nierendiagnostik  beruhen  vornehmlich 
auf  dem  Studium  der  Ausscheidung  chemisch  nachweisbarer 
Substanzen  durch  die  Niere.  Aber  trotz  aller  hierauf  ge¬ 
richteter  Untersuchungen  stehen  sich  auch  heute  noch  ver¬ 
schiedene  Ansichten  über  den  Mechanismus  der  Nierenfunktion 
schroff  gegenüber. 

Die  erste  Theorie  verdanken  wir  W.  B  o  w  m  a  n,  der  in 
den  üefässknäueln  der  Glomeruli  den  Ort  der  Wasseraus¬ 
scheidung  erblickte,  in  den  Epithelzellen  der  Harnkanälchen 
dagegen  das  Organ  der  Salz-  und  Harnstoffausscheidung. 
Dieser  im  Jahre  1842  ausgesprochenen  Ansicht  stellte  Carl 
Ludwig  2  Jahre  später  eine  andere  entgegen,  nach  welcher 
die  Glomeruli  bereits  den  gesamten  Harn  mit  all  seinen  Be¬ 
standteilen  als  Filtrat  der  Blutflüssigkeit  durch  rein  physi¬ 
kalische  Kräfte  hindurchtreten  lassen,  während  die  Harn¬ 
kanälchen  durch  Rückresorption  von  Wasser  den  Urin  ein- 
dicken. 

Den  ersten  Versuch  einer  experimentellen  Analyse  der 
Nierenfunktion  auf  histochemischem  Wege  unternahm  R. 
Heidenhain,  der  im  Jahre  1874  in  Gemeinschaft  mit 
phönizinsauren  und  harnsauren  Salzen  untersuchte  und  fand,  | 
dass  die  genannten  Substanzen  lediglich  in  den  Harnkanälchen 
nachweisbar  waren,  während  die  Glomeruli  nur  Wasser  ab¬ 
sonderten.  Dieses  Ergebnis  bedeutete  also  eine  Bestätigung 
der  B  o  w  m  a  n  sehen  Theorie.  Heidenhain  erkannte 
auch,  dass  die  Sekretion  der  Harnbestandteile  keine  rein 
physikalische  Filtration  sei,  sondern  auf  einer  vitalen  Tätig¬ 
keit  der  Epithelzellen  beruhe. 

Die  Ergebnisse  der  Heidenhainschen  Versuche  blieben 
in  der  Folgezeit  jedoch  nicht  unbestritten;  so  sahen  Pan- 
t  i  n  s  k  y  und  H  e  u  s  c  h  e  n  auch  gelegentliche  Ausscheidung 
des  indigschwefelsauren  Natriums  in  den  Glomerulis,  und 
v.  W  i  1 1  i  c  h  fand  das  gleiche  bei  der  Ausscheidung  des  Indig- 
karmins;  während  Grützner  und  Adolf  Schmidt  die 
gegenteiligen  Befunde  der  genannten  Autoren  auf  die  Injektion 
zu  grosser  Mengen  der  Farbstoffe  und  auf  das  Vorhandensein 
suspendierter  ungelöster  Farbstoffkörnchen  bezogen,  die  sich 
in  den  Gefässschlingen  der  Glomeruli  festsetzen  und  eine 
Sekretion  Vortäuschen. 

Eine  ganz  neue  und  höchst  ingeniöse  Methode  zur  Diffe¬ 
renzierung  der  Funktionen  von  Glomerulis  und  Tubulis  wandte 
Moritz  Nussbaum  in  seinen  Untersuchungen  über  die  Se¬ 
kretion  der  Niere  aus  dem  Jahre  1878  an;  indem  er  versuchte, 
am  lebenden  Tiere  aus  der  sonst  intakten  Zirkulation  die 
Glomeruli  auszuschalten.  Diese  werden  nämlich  bei  Fröschen 
und  Tritonen  von  der  Arteria  renalis  gespeist,  während  die 
Kapillaren  der  Harnkanälchen  aus  dpr  Vena  portarum  renum 


*)  Vortrag  und  Demonstration,  gehalten  auf  Einladung  des  ärzt¬ 
lichen  Vereins  in  Hamburg  am  12.  Mai  1914. 


stammen.  Nach  Ausschaltung  der  Glomeruli  durch  Unter¬ 
bindung  der  Nierenarterie  sistierte  die  Wasserausscheidung, 
während  Harnstoff  und  indigschwefelsaures  Natrium  weiter 
sezerniert  wurden.  Leider  erfuhren  diese  grundlegenden 
Feststellungen  Nussbaums  dadurch  eine  gewisse  Ein¬ 
schränkung,  dass  A  d  a  m  i  Anastomosen  zwischen  dem 
System  der  Nierenpfortader  und  der  Nierenarterie  nachwies. 
Gur  witsch  bestätigte  die  Angaben  Nussbaums,  hielt 
es  aber  für  wahrscheinlich,  dass  auch  die  Glomeruli  alle  Farb¬ 
stoffe  in  einer  bestimmten  Konzentration  ausscheiden.  welche 
dem  Prozentgehalte  im  Blute  gleichkommt.  Auch  weitere 
Untersuchungen  von  v.  Sobieranski,  Biberfeld,  Bas¬ 
ler,  R  i  b  b  e  r  t,  Schlecht,  Höher  und  Königsberg, 
A  s  c  h  o  f  f  und  Suzuki  haben  die  Frage  nach  der  Farbstoff¬ 
ausscheidung  in  der  Niere  nicht  eindeutig  beantworten  können. 
Namentlich  liegt  eine  grosse  Schwierigkeit  darin,  dass  —  wie 
Suzuki  in  seinen  überaus  gründlichen  Untersuchungen 
unter  A  s  c  h  o  f  f  s  Leitung  gezeigt  hat  —  die  Farbstoffe  in  der 
Niere  nicht  nur  ausgeschieden,  sondern  auch  gespeichert 
werden,  und  dass  vieles,  was  man  bisher  auf  Ausscheidung 
des  Farbstoffes  durch  die  Zellen  der  Harnkanälchen  bezogen 
hat,  lediglich  auf  einer  Speicherung  desselben  in  diesen  Zellen 
beruht. 

Alle  diese  Untersuchungen  über  die  Ausscheidung  von 
körperfremden  Substanzen  (namentlich  von  Farb¬ 
stoffen),  haben  das  Problem  der  Nierenfunktion  nicht  zu  lösen 
vermocht.  Selbst  wenn  wir  ihren  Ausscheidungsmechanismus 
genau  kennten,  erführen  wir  damit  doch  noch  nichts  über  die 
Ausscheidung  der  normalen  Harnbestandteile.  Darum 
habe  ich  auf  einem  anderen  Wege,  mit  Hilfe  eigener  histo- 
chemischer  Methoden,  versucht,  die  normalen  Harn¬ 
bestandteile,  wie  das  Kochsalz,  den  Harnstoff, 
die  Phosphate,  die  Harnsäure  und  Purinkörper 
in  der  Niere  nachzuweisen. 

Der  Nachweis  des  Kochsalzes  geschieht  durch  Einlegen 
dünner  Schnitte  von  frisch  exstirpierten  Nieren  von  Menschen  oder 
Tieren  in  salpetersaure  Silbernitratlösung,  die  nur  die  Chloride  fällt, 
die  Phosphate  dagegen  in  Lösung  hält,  und  Reduzieren  des  Silber¬ 
chloridniederschlages  mit  einem  Hydrochinonentwickler. 

Der  Harnstoff  wird  mit  einer  salpetersauren  Lösung  von 
Quecksilberoxydnitrat  gefällt,  und  der  Niederschlag  in  den  Paraffin¬ 
schnitten  durch  Schwefelwasserstoffwasser  in  braunschwarzes  Queck¬ 
silbersulfid  verwandelt. 

Die  Harnsäure  und  die  Purinkörper  werden  durch 
ammoniakalische  Silbernitratlösung  gefällt,  wobei  die  Chloride  und 
Phosphate  in  Lösung  bleiben.  Die  Reduktion  geschieht  auch  hier 
nach  Auswaschen  der  Silbernitratlösung  durch  einen  Hydrochinon¬ 
entwickler. 

Die  Phosphate  lassen  sich  entweder  mit  neutraler  Silber¬ 
nitratlösung  zusammen  mit  den  Chloriden  fällen,  oder  aber  dadurch 
isoliert  darstellen,  dass  man  die  Nierenscheiben  in  verdünnter  Uran¬ 
nitratlösung  einlegt  und  den  weissgelben  Niederschlag  von  Uran¬ 
phosphat  durch  Behandeln  der  Paraffinschnitte  mit  salzsaurer  Lösung 
von  Ferrozyannatrium  in  rotbraunes  Uraniferrozyannatrium  überführt. 

Dafür,  dass  die  mit  Hilfe  dieser  histochemischen  Methoden 
erhaltenen  Niederschläge  in  den  Harnkanälchen  wirklich  die 
normalen  Harnbestandteile  darstellen  und  nicht  auf 
einer  Imbibition  der  Zellen  mit  den  Reagentien  beruhen,  können 
folgende  Beweise  angeführt  werden:  1.  Die  histochemischen 
Methoden  ermöglichen  nur  den  Nachweis  grösserer  Mengen 
von  Salzen  und  Harnstoff.  Organe,  welche  dieselben 
nurindernormalen,  ph  ysiologischenKonzen- 
tration  enthalten  (Lunge,  Milz  etc.)  geben  keine 
oder  nur  eine  sehr  geringe  h  i  s  t  o  c  h  e  m  i  s  c  h  e 
Reaktion.  2.  Durch  Auswaschen  kann  man  die  Salze 
und  den  Harnstoff  aus  der  Niere  und  Leber  entfernen,  ohne  die 
Vitalität  der  Zellen  zu  zerstören.  In  solchen  ausgewaschenen 
Organen  lässt  sich  niemals  histochemisch  etwas  nachweisen. 
3.  Wären  die  histochemischen  Niederschläge  unspezifisch,  so 
müssten  sie  sich  in  allen  Zellen  der  betr.  Organe  finden. 
Man  sieht  sie  aber  in  den  Nieren,  niemals  in  den  Zellen  der 
Sammelröhrchen  oder  Glomeruli,  sondern  ausschliesslich  in 
den  Tubulis.  Auch  in  anderen  Organen  tritt  dieser  Unterschied 
klar  hervor:  so  geben  z.  B.  im  Magen  nur  die  salz¬ 
säureausscheidenden  Belegzellen  eine  histo- 
chemische  Chlorreaktion,  nicht  aber  die  Haupt¬ 
zellen.  4.  Die  Menge  der  histochemisch  nachweisbaren  Harn¬ 
bestandteile  in  den  Zellen  der  Harnkanälchen  geht  ganz 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


1499 


7.  Juli  1914. 

parallel  mit  ihrer  Konzentration  im  Urin.  Bei 
hungernden  Tieren  mit  guter  Diurese  und  stark  verdünntem 
Urin  findet  man  kaum  etwas,  bei  Injektion  von  Salzen  oder  von 
Harnstoff  eine  mit  steigender  Injektionsmenge  parallel  stei¬ 
gende  und  wieder  abklingende  histochemische  Reaktion  in  den 
Zellen  der  Harnkanälchen.  Auch  der  Einwand,  dass  es  sich 
um  eine  Resorption  oder  Speicherung  der  Salze  in  den  Zellen 
handle,  lässt  sich  auf  diesem  Wege  widerlegen.  Diese  4  Be¬ 
weise  zeigen,  dass  die  histochemischen  Methoden  in  der  Tat 
den  Nachweis  des  normalen  Harnbestandteiles  in  den  Nieren- 
zcllen  und  die  Lokalisation  ihrer  Ausscheidung  ermöglichen. 

Ich  habe  Ihnen  eine  Reihe  histochemischer  Präparate  der 
Ausscheidung  von  Kochsalz,  Harnstoff,  Harnsäure,  Phosphaten, 
Jod,  Eisen  und  Ferrozyan  aufgestellt  und  zeige  Ihnen  jetzt 
Abbildungen  hiervon  (Demonstration). 

Sie  sehen  auf  allen  Bildern  das  gleiche  Verhalten:  die 
Glomeruli  enthalten  entweder  gar  nichts  von 
diesen  Salzen,  oder  so  minimale  Spuren,  wie 
sie  höchstens  der  Konzentration  einer  phy¬ 
siologischen  Salzlösung  entsprechen.  Die 
E p  i  t  h e 1 z e  1 1  e n  der  Harnkanälchen  dagegen 
und  die  Kanälchen  selbst  sind  geradezu  voll¬ 
gepfropft  mit  den  histochemisch  sichtbar  ge¬ 
machten  Harnbestandteilen.  Die  Hauptaus¬ 
scheidung  geschieht  in  den  gewundenen  Ka¬ 
nälchen,  aber  auch  die  Ueberg  angsteile  zu 
den  geraden  Kanälchen  zeigen  noch  eine 
deutliche  Sekretion. 

Ferner  zeige  ich  Ihnen  auch  Bilder  von  der  Ausscheidung 
körperfremder  Substanzen  durch  die  Niere.  Zunächst  ein 
Bild  der  Ausscheidung  von  Jodnatrium,  das  wir  seit 
Schlayers  grundlegenden  Untersuchungen  ja  als  ein 
schätzbares  Hilfsmittel  zur  funktionellen  topischen  Nieren¬ 
diagnostik  verwenden.  Auch  dieses  Salz  wird  eben¬ 
so  wie  die  körpereigenen  nur  durch  die  Harn¬ 
kanälchen  ausgeschieden. 

Das  gleiche  gilt  für  das  Ferrozyan,  das  sich  mit  Ferri- 
salzen  als  Berliner  Blau  leicht  histochemisch  nachweisen  lässt. 
Die  Versuche  über  die  Ausscheidung  des  Ferrozyans,  die  für 
mich  den  Anlass  bildeten,  mich  mit  histochemischen  Nieren¬ 
untersuchungen  zu  beschäftigen,  habe  ich  bereits  vor  2  Jahren 
auf  Veranlassung  von  Herrn  Prof.  Bunge  in  Bonn  als  sein 
Assistent  gemeinschaftlich  mit  ihm  ausgeführt,  um  damit  eine 
experimentell  gesicherte  Grundlage  für  eine  Funktionsprüfung 
des  tubulären  Apparates  der  Niere  mit  Ferrozyan  zu  schaffen. 
Ueber  die  klinischen  Ergebnisse  dieser  Methode  zur  Nieren¬ 
funktionsprüfung  werden  Herr  Prof.  Bunge,  auf  Grund  seiner 
bereits  zweijährigen  Erfahrung,  und  ich,  demnächst  eingehen¬ 
der  berichten.  Im  Rahmen  dieses  Vortrages  will  ich  nur  auf 
die  Bunge  sehe  Methode  aufmerksam  machen  und  Ihnen 
auch  am  Beispiel  des  Ferrozyans  wieder  zeigen,  dass  d  i  e 
Ausscheidung  selbst  enorm  grosser  Salz¬ 
mengen  in  der  Niere  allein  durch  die  Harn¬ 
kanälchen  erfolgt,  während  die  Glomeruli  nur 
das  Wasser  (natürlich  nicht  als  destilliertes 
Wasser,  sondern  in  Form  einer  physiologi¬ 
schen  Salzlösung)  aussc  beiden. 

Interessant  sind  auch  die  Befunde  der  Salzaus¬ 
scheidung  bei  kranken  Nieren;  man  sieht  hier  an 
den  Stellen,  wo  die  Harnkanälchen  schwer  geschädigt  sind 
lind  nicht  mehr  funktionieren,  dass  die  Salze  in  der  die 
Kanälchen  umgebenden  Lymphe  liegen 
bleiben.  Nur  an  den  Stellen,  wo  die  Epithelzellen  der  Harn¬ 
kanälchen  noch  soweit  erhalten  sind,  dass  sie  ihre  Funktion 
nicht  völlig  eingebüsst  haben,  findet  man  die  Salze  auch  in 
den  Zellen  selbst.  Weitere  Untersuchungen  namentlich  zur 
Beantwortung  der  Frage  nach  den  Partialfunktionen  der 
Harnkanälchen  sind  im  Gange. 

M.  H.!  Bei  unseren  heutigen  Bestrebungen,  die  Nieren¬ 
erkrankungen  nicht  allein  pathogenetisch  und  anatomisch  zu 
differenzieren,  sondern  auch  im  einzelnen  Falle  über  die 
Schwere  der  vorliegenden  F  u  n  k  t  i  o  n  s  beeinträchtigung  und 
damit  über  die  Prognose  ein  Urteil  zu  gewinnen,  besitzen  die 
Ihnen  vorgetragenen  Untersuchungen  neben  einem  theoretisch¬ 
physiologischen,  auch  ein  praktisch-klinisches  Inter¬ 


esse.  Denn  wir  werden  aus  Ergebnissen  von  Prüfungen  der 
Partialfunktionen  der  Niere  nur  dann  richtige  und  klinisch 
brauchbare  Schlüsse  ziehen  können,  wenn  unsere  Anschau¬ 
ungen  über  den  normalen  Mechanismus  der  Harnabsonderung, 
die  die  notwendige  Voraussetzung  zu  solchen  Schlüssen  bilden, 
experimentell  begründete  und  richtige  sind. 


Aus  der  med.  Klinik  Tübingen  und  der  I.  med.  Klinik  München 
(Direktor:  Prof.  Dr.  E.  v.  Romberg). 

Azidose  des  Blutes  bei  Urämie. 

Von  H.  Straub,  Assistenzarzt  der  Klinik. 

Zusammen  mit  Schlayer  [l]  habe  ich  1912  die  Beob¬ 
achtung  mitgeteilt,  dass  bei  Urämischen  mit  urämischer 
Dyspnoe  die  Kohlensäurespannung  der  Alveolarluft,  nach  der 
Methode  Haldaues  bestimmt,  unter  die  Norm  erniedrigt  ist. 
Entsprechend  den  Resultaten  H  a  1  d  a  n  e  s  hatten  wir  diese 
Veränderung  darauf  bezogen,  dass  bei  Urämie  im  Blute  saure 
Substanzen  auftreten,  die  einen  abnormen  Reiz  für  das  Atem¬ 
zentrum  bedingen  und  dadurch  zur  Herabsetzung  der  Kohlen¬ 
säurespannung  in  den  Alveolen  und  im  arteriellen  Blute  führen. 
Bei  einigen  der  damals  von  uns  beobachteten  Fälle  hatte  ich 
versucht,  diese  auf  indirektem  Wege  erschlossene  Verände¬ 
rung  des  Blutes  direkt  nachzuweisen  durch  Bestimmung  der 
Dissoziationskurve  des  Blutes,  welche  die  prozentuelle  Sätti¬ 
gung  des  Blutes  mit  Sauerstoff  bei  Aendcrung  des  Sauerstoff- 
partiardruckes  anzeigt.  Die  Dissoziationskurve  des  Blutes,  die 
eine  leicht  S-förmige  Linie  darstellt  (cf.  Fig.  1  und  2)  wird  er- 


Fig.  1  Dissoziationskurve  des  Blutes  von 
Fall  1  bei  Kohlensäurespannung  31  mm. 
Ordinate  =  prozentuelle  Sättigung  mit 
Sauerstoff,  Abszisse  =  Sauerstoffparliar- 
druck  in  mm  Hg.  x  tatsächlich  bestimmte 
Punkte.  Normale  (mesektische)  Dissozia¬ 
tionskurven  fallen  innerhalb  der  schwarzen 
Fläche  (nach  Barcroft).  Die  Kurve  ist  stark 
meionektisch. 


Fig.  2.  Dissoziationskurve  des  Blutes  von 
Fall  2.  x  bei  Kohlensäurespannung  27  mm 
Hg.  (x)  bei  Kohlensäurespannung  40  mm 
Hg.  x  und  (x)  tatsächliche  Bestimmungen 
Erklärung  wie  Fig.  1. 


mittelt,  indem  man  Blut  mit  Gasmischungen  von  bekanntem 
Sauerstoffgehalt  in  Berührung  bringt  und  nach  Eintritt  des 
Gleichgewichtes  bestimmt,  zu  wieviel  Prozent  der  maximalen 
Sättigung  das  Blut  bei  dem  bekannten  Sauerstoffpartiardruck 
der  Gasmischung  mit  Sauerstoff  gesättigt  ist.  Der  Sauerstoff- 
partiardruck  wird  als  Abszisse,  die  zugehörige  prozentuelle 
Sättigung  als  Ordinate  aufgetragen.  Die  tatsächlich  be¬ 
stimmten  Punkte  werden  durch  eine  Kurve  verbunden.  Diese 
heisst  die  Dissoziationskurve  des  Blutes.  Ich  hatte  Gelegen¬ 
heit  gehabt,  die  von  J.  Barcroft  erdachte  Methode  während 
meiner  Tätigkeit  in  Cambridge  kennen  zu  lernen.  Bei  der  Aus¬ 
führung  der  Untersuchungen  hielt  ich  mich  genau  an  die  Vor¬ 
schriften  B  a  r  c  r  o  f  t  s. 

Meine  Untersuchungen  ergaben  ein  völlig  eindeutiges  Re¬ 
sultat,  mussten  aber  aus  äusseren  Gründen  abgebrochen 
werden,  ehe  eine  genügende  Anzahl  von  Fällen  untersucht 
war.  Auch  schienen  mir  einige  der  theoretischen  Voraus¬ 
setzungen  für  die  Verwendbarkeit  der  Methode  damals  noch 
nicht  genügend  gesichert.  Diese  Voraussetzungen  sind  in¬ 
zwischen  von  Barcroft  geklärt  worden.  Seine  Resultate 
hat  er  vor  kurzem  in  Buchform  veröffentlicht  [2j. 

Barcroft  konnte  nachweisen,  dass  die  Dissoziationskurve  des 
Blutes  für  jedes  gesunde  Individuum  einen  bestimmten  Verlauf  hat, 
den  sie  unter  den  wechselndsten  Bedingungen  festhält.  Die  Dissozia¬ 
tionskurven  verschiedener  Personen  unterscheiden  sich  voneinander, 
fallen  aber  bei  Gesunden  innerhalb  bestimmter  Grenzen,  die  in  Fig.  1 

2* 


1500 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  27. 


und  2  als  schwarze  Flächen  ausgezeichnet  sind.  Kurven,  die  innerhalb 
dieser  schwarzen  Flächen  verlaufen,  werden  als  mesektisch  be¬ 
zeichnet,  weil  sie  eine  normale  Affinität  zu  Sauerstoff  anzeigen.  Fällt 
die  Kurve  nach  links  von  der  schwarzen  Fläche,  so  heisst  sie 
pleonektisch,  fällt  sie  nach  rechts,  meionektisch,  entsprechend  der 
erhöhten  oder  verminderten  Affinität  zu  Sauerstoff.  B  a  r  c  r  o  f  t 
konnte  zeigen,  dass  von  allen  bisher  untersuchten  Bedingungen  nur 
eine  die  Dissoziationskurve  meionektisch  macht,  nämlich  eine  Azidose 
des  Blutes.  Unter  Azidose  des  Blutes  versteht  Bar  er  oft  überein¬ 
stimmend  mit  der  von  mir  [3l  S.  224  vertretenen  Auffassung  das 
Auftreten  abnormer  Mengen  von  nicht  flüchtigen  Säuren  im  Blute,  die 
eine  Verdrängung  der  Kohlensäure  bewirken.  Die  Dissociationskurve 
des  Blutes  ist  ein  sehr  empfindlicher  Indikator  etwaiger  Azidose  des 
Blutes. 

Die  von  uns  [  1 1  gestellte  Frage:  „Die  Urämie  eine  Säure- 
vergiftung?“,  gab  Barcroft  [4]  und  seinen  früheren  Mit¬ 
arbeitern  Foul  ton  und  Ryffel  [5]  Veranlassung,  bei 
Urämie  die  Dissoziationskurve  des  Blutes  auch  ihrerseits  zu 
bestimmen.  Die  Resultate  stimmen  vollkommen  mit  den  von 
mir  erhaltenen  überein  und  rechtfertigen  die  nachträgliche  Mit¬ 
teilung  meiner  Untersuchungen,  um  so  mehr,  als  es  von  Inter¬ 
esse  sein  dürfte,  wie  sich  die  Dinge  bei  den  Fällen  verhielten, 
die  den  Ausgangspunkt  der  ganzen  Erörterungen  bilden. 

Die  Antwort  auf  unsere  Frage  wird  durch  die  überein¬ 
stimmenden  Resultate  der  beiden  unabhängig  durchgeführten 
Untersuchungsreihen  dahin  gegeben,  dass  bei  Urämie  eine 
Veränderung  der  Dissoziationskurve  des 
Blutes  gefunden  wird,  wie  sie  durch  Säure¬ 
zusatz  zum  Blute  erzielt  werden  kann.  So  weit 
bekannt,  kann  diese  Veränderung  auf  keine  andere 
Weise  erzielt  werden.  Harnstoffzusatz  zum  Blut  be¬ 
dingt  keine  solche  Veränderung.  Die  Aenderung  ist  nicht  be¬ 
dingt  durch  eine  Zunahme  der  Kohlensäure,  sondern  durch 
eine  Zunahme  anderer  Säuren.  In  diesem  Sinne  findet 
sich  bei  Urämie  eine  Azidose  (Barcroft  [2], 
S.  283). 

Die  Beobachtungen  können  in  Kurvenform  aufgezeichnet 
werden.  Dies  ist  in  Fig.  1  und  2  geschehen.  Aber  auch 
zahlenmässig  lässt  sich  die  Veränderung  des  Blutes  aus- 
drücken.  Der  Verlauf  der  Dissoziationskurve  ist  nämlich  be¬ 
stimmt  durch  Hills  Formel 


wobei  y  die  prozentuelle  Sättigung  des  Blutes  mit  Sauerstoff 
bezeichnet  (Ordinate  der  Kurve),  x  den  Sauerstoffdruck  (Ab¬ 
szisse  der  Kurve)  und  n  die  Aggregation  der  Hämoglobin¬ 
moleküle.  Praktisch  kann  n  =  2,5  gesetzt  werden.  Dann  be¬ 
stimmt  als  einzige  Variable  die  Dissoziationskonstante  K  den 
Verlauf  der  Dissoziationskurve.  Sie  definiert  den  Grad  der 
prozentuellen  Sättigung  des  Blutes  mit  Sauerstoff  bei  jedem 
Sauerstoffpartiardruck.  Bei  mesektischen  Kurven,  die  inner¬ 
halb  der  schwarzen  Flächen  fallen,  liegt  K  zwischen  2,4  X  10-4 
und  3,4  X  10  •  Niederere  Werte  von  K  ergeben  meionektische, 

höhere  pleonektische  Kurven. 

Und  nun  die  Resultate  meiner  Untersuchungen: 

Fall  1.  Schm,  (in  unserer  früheren  Veröffentlichung  fll  als 
Fall  2  aufgeführt,  siehe  dort  die  klinischen  Daten).  14.  XII.  1911 
Kohlensäurespannung  der  Alveolarluft  31,7  mm.  Hg.,  Aderlass.  Das 
aus  der  Vene  entnommene  Blut  ergab  die  in  Fig.  1  dargestellte 
Dissoziationskurve.  5  Punkte  der  Kurve  wurden  in  Doppelbestim¬ 
mungen  ermittelt,  die  unter  sich  gut  übereinstimmen  und  innerhalb 
der  Fehlergrenzen  auf  die  eingezeichnete  Kurve  fallen.  Die  Kurve 
wurde  bei  31mm  CO2  gewonnen.  Mit  Ausnahme  eines  Punktes  fallen 
alle  nach  rechts  von  der  schwarzen  Fläche,  die  Kurve  ist  ausge¬ 
sprochen  meionektisch.  Die  Dissoziationskonstante  K  berechnet  sich 
aus  den  unteren  5  ermittelten  Punkten,  die  zuverlässige  Berechnung 
ermöglichen,  zu  1,6;  1,4;  1,5;  1,4;  1,3  X  10  4 »  ist  also  deutlich 
herabgesetzt.  Obgleich  das  Blut  unter  abnorm  niedrigem  Kohlen¬ 
säuredrucke  steht  (31  mm  statt  normal  mindestens  35)  also  abnorm 
wenig  CO2  enthält,  verhält  es  sich  abnorm  sauer. 

F  a  1 1  2.  H.  (Fall  7  der  früheren  Veröffentlichung).  11.  XII.  1911- 
Kohlensäurespannung  in  der  Alveolarluft  26,3  mm  Hg.,  Aderlass.  Die 
Dissoziationskurve  gibt  Fig.  2.  Bei  Kohlensäurespannung  27  mm  wur¬ 
den  3  Punkte  der  Kurve  bestimmt.  Sie  fallen  innerhalb  der  schwarzen 
Fläche.  Die  Kurve  ist  mesektisch.  Die  Dissoziationskonstante  be¬ 
rechnet  sich  für  die  3  Punkte  zu  3,2;  2,9;  2,9  X  10^4-  Die  3  Werte 
stimmen  gut  überein  und  fallen  innerhalb  der  normalen  Grenzen. 
Dieses  Resultat  wird  aber  erzielt  bei  der  diesem  Fall  zukommenden 
abnorm  niedrigen  Kohlensäurespannung.  Die  Kurve  ist  mesektisch. 


weil  Kohlensäure  durch  andere,  nicht  flüchtige  Säuren  ersetzt  wird. 
Wie  sich  die  Kurve  bei  normaler  Kohlensäurespannung,  normalem 
Kohlensäuregehalt  verhalten  würde,  wurde  in  diesem  Falle  speziell 
untersucht.  Die  Kurve  in  Fig.  2  wurde  von  demselben  Blute  bei 
einer  Kohlensäurespannung  von  40  mm  Hg  gewonnen.  Sie  ist  ausser¬ 
ordentlich  stark  meionektisch,  K.  beträgt  6,3  X  10  5  .  ist  also  sehr 
stark  herabgesetzt. 

Die  beiden  Fälle  stimmen  mit  denen  Barcrofts  überein, 
bei  beiden  findet  sich  beträchtliche  Azidose  des  Blutes  in  dem 
oben  definierten  Sinne,  bei  beiden  herabgesetzte  Kohlensäure¬ 
spannung  in  der  Alveolarluft.  Fall  1  ist  meionektisch  trotz 
des  verminderten  Kohlensäuregehaltes  des  Blutes.  Fall  2 
unterscheidet  sich  von  den  bisher  bekannten  Fällen  dadurch, 
dass  er  bei  der  Kohlensäurespannung  der  Alveolarluft  mesek¬ 
tisch  ist.  Bei  normaler  Kohlensäurespannung  würde  auch 
diesem  Blute  starke  Meionexie  zukommen.  Der  Unterschied 
dürfte  auf  verschiedener  Erregbarkeit  des  Atemzentrums  be¬ 
ruhen.  Der  Fall  erlaubt  die  Vermutung,  dass  eine  korrekte 
elektrometrische  Reaktionsbestimmung  des  Blutes  bei  der 
Kohlensäurespannung  der  Alveolarluft  keine  Aenderung  der 
Wasserstoffionenkonzentration  ergeben  würde,  obgleich 
zweifellos  Azidose  in  dem  oben  definierten  Sinne  besteht.  Der 
Fall  bestätigt  also  die  von  mir  ([3]  S.  266)  geäusserte  Ver¬ 
mutung,  dass  die  Gaskettenmethode  nur  mit  Vorsicht  zu 
Azidosebestimmungen  gebraucht  werden  kann. 

Literatur. 

1.  H.  Straub  und  Schlayer:  M.m.W.  1912  Nr.  11.  — 
2.  J.  Barcroft:  The  respiratory  function  of  the  blooU.  Cambridge 
University  Press.  1914.  —  3.  H.  Straub:  D.  Arch.  f.  klin.  Med. 
109  1913.  S.  223.  —  4.  Th.  Lewis,  J.  H.  Ryffel,  C.  G.  L.  Wolf, 
T.  Cotton  und  J.  Barcroft:  Heart..  5.  1913.  S.  45.  —  5.  E.  P. 
Poulton  und  .1.  H.  Ryffel:  Journ.  of  Physiol.  46.  1913.  S.  47. 


Aus  dem  med.-klin.  Institut  der  Universität  München 
(Vorstand:  Prof.  v.  Müller). 

Ueber  Abbau  von  Kasein  durch  Blutserum. 

(Ein  Vorschlag  zur  Bestimmung  des  „proteolytisejien  Index“.) 

Von  L.  F  I  a  1 0  w. 

Gegenüber  den  Untersuchungen  von  H  e  i  1  n  e  r  und 
Petri,  welche  das  Entstehen  unspezifischer 
'Fermente  im  Schwangerenserum  behaupteten  —  gegenüber 
meinen  Untersuchungen,  die  bewiesen,  dass  in  jedem  Serum 
derartige  unspezifische  Fermente  vorhanden  sind,  die  bei 
Schwangerschaft  und  Krankheitszuständen  unspezifisch  ge¬ 
steigert  sein  können,  —  überhaupt  gegenüber  den  Arbeiten 
aller  Verneiner  der  „Abwehrfermente“  pflegten  Abder¬ 
halden  und  seine  Anhänger  den  hypothetischen  Ein¬ 
wand  zu  erheben:  „Wahrscheinlich  seien  die  verwendeten  Or¬ 
gane  nicht  blutfrei  gewesen“. 

Obgleich  die  Publikationen  über  den  Einfluss  des  Blut¬ 
gehaltes  der  Organe  auf  den  Reaktionsausfall  zu  den  kritik- 
bediirftigsten  Erzeugnissen  der  einschlägigenLiteratur  gehören, 
ist  dieser  „hypothetische“  Einwand  trotzdem  geeignet,  in  den 
Kreisen  jener,  die  über  eigene  Erfahrung  nicht  verfügen,  Miss¬ 
trauen  gegen  die  Technik  der  verneinenden  Untersucher  zu 
erwecken.  —  Insbesondere  auch  deshalb,  weil  immer  wieder 
hervorgehoben  wird,  dass  auch  die  „optische  Methode“  unab¬ 
hängig  vom  Dialysierverfahren  für  strenge  Spezifität  der 
„Abwehrfermente“  spräche.  —  Die  Ergebnisse  der  optischen 
Methode  sind  nun  auch  Gegenstand  strenger,  objektiver  Kritik 
von  seiten  Kjaergaards  geworden.  Man  wird  wohl  in 
nächster  Zeit  mehr  Stimmen  über  sie  hören;  die  Verzögerung 
kritischer  Arbeiten  auf  diesem  Gebiete  ist  wohl  nur  dem 
Mangel  an  den  geeigneten  teuren  Polarisationsapparaten  in 
den  meisten  Instituten  zuzuschreiben. 

Um  nun  die  Frage  nach  dem  spezifischen  Abbau  unab¬ 
hängig  von  dem  hypothetischen  Versuchsfehler  des 
Blutgehaltes  zu  gestalten,  entschloss  ich  mich,  eine  Kasein¬ 
lösung  als  Substrat  zu  wählen. 

Kasein  ist  ein  chemisch  definierter  reiner  Eiweisskörper. 
Seine  Lösung  kann  nicht  bluthaltig  sein,  sie  enthält  keine  Be¬ 
standteile  ubiquitären  Gewebes  („Bindegewebsfehler“),  sie  ist 
genau  abmessbar  und  homogen  mit  dem  proteolysierenden  Se¬ 
rum  mischbar. 


7.  Juli  191*4. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1501 


Die  Reaktion  führte  zu  dem  folgenden  in  etwa  20  Fällen 
übereinstimmenden  Resultat : 

Es  bauten  sowohl  die  Sera  von  normalen  wie  von  graviden 
Personen  Kaseinlösung  stark  ab,  Gravidensera  im  Durchschnitt 
stärker  und  schon  nach  kürzerer  Dialysedauer.  Vielleicht  ge¬ 
lingt  es,  durch  die  Wahl  einer  optimalen  Dialysezeit  oder 
durch  Verdünnung  von  Serum  oder  Dialysat  Bedingungen 
zu  schaffen,  welche  eine  Wahrscheinlichkeitsdiagnose  der 
Schwangerschaft  ermöglichen.  Eine  sichere  Diagnose  zu 
stellen,  wird  mit  Hilfe  dieser  Methode  ebensowenig  möglich 
sein,  wie  mit  derjenigen  Abderhaldens. 

Das  nämlich  hat  Kjaergaards  Arbeit  bewiesen. 
Kjaergaard  hat,  an  Stelle  des  wohlwollenden  Herumpro¬ 
bierens  mancher  Autoren,  mit  abgewogenen  Plazentamengen, 
einheitlichen  Serummengen  und  einheitlicher  Dialysezeit  ge¬ 
arbeitet.  Er  findet  bei  Untersuchung  vieler  hundert  Fälle  von 
Graviditäten  oder  Zuständen,  die  mit  Gravidität  verwechselt 
werden  können,  in  über  'A  aller  Fälle  Fehldiagnosen,  wenn  er 
die  optimale  Dialysedauer  von  16  Stunden  wählte.  Bei  Aus¬ 
dehnung  der  Dialyse  auf  22  Stunden  fielen  alle  Reaktionen 
positiv  aus.  Er  kommt  also,  zu  der  gleichen  Schlussfolgerung 
wie  ich,  dass  jedes  Serum  proteolytisches  Ferment  besitzt 
und  er  ist  unabhängig  von  mir  (M.m.W.  Nr.  21)  zu  der  gleichen 
Anschauung  gelangt,  dass  Variieren  von  Plazentamenge, 
Serummenge  oder  Dialysezeit  nach  Belieben  des  Experi¬ 
mentators  zu  positiven  oder  negativen  Resultaten  führen  kann. 

Aus  dem  von  mir  beobachteten  regelmässigen  Abbau  von 
Kasein  durch  Serum  Normaler  und  dem  meist  verstärkten  Ab¬ 
hau  durch  Gravidenserum  ergibt  sich  erneut  die  Unspezifität 
des  Serumfermentes,  denn  Kasein  ist  für  Männer  ein  völlig 
körperfremdes  Organeiweiss,  das  nach  Abderhaldens 
Vorstellungen  überhaupt  von  diesen  niemals  abgebaut  werden 
dürfte.  Der  erhöhte  Abbau  des  Kaseins  durch  Gravidenserum 
steht  in  völliger  Parallele  zu  der  Abbausteigerung,  die  alle 
gekochte  Organe  durch  Gravidenserum  erfahren  (H  e  i  1  n  e  r 
und  Petri,  F  1  a  t  o  w). 

Im  Interesse  einer  exakten,  vergleichbaren  Messung  der 
proteolytischen  Wirkung  eines  Serums  halte  ich  es  für  er¬ 
wünscht,  mit  Hilfe  des  Kaseinabbaues  den  neuen  Begriff  des 
„proteolytischen  Index“  eines  Serums  zu  normieren.  Es 
scheint  ja  die  vermehrte  proteolytische  Wirkung  eines 
Serums  diagnostisch  in  mancher  Hinsicht  einen  Fingerzeig 
geben  zu  können.  Das  haben  die  zahlreichen  Untersuchungen 
der  letzten  2  Jahre  gezeigt  —  wenn  auch  fälschlich  die  beob¬ 
achteten  Fermentsteigerungen  als  spezifisch  gedeutet  wurden. 

Deshalb  schlage  ich  vor,  als  „proteolytischen  Index“  den 
prozentuellen  Stickstoffzuwachs  zu  bezeichnen,  den  gegenüber 
der  Kontrolle  „Serum  allein“  nach  15  ständiger  Dialyse  das 
Dialysat  von  „Serum  +  Kaseinlösung“  aufweist. 

Dabei  sei  angenommen,  dass  als  Kontrolle  1.5  ccm  Serum,  als 
Hauptversuch  1,5  ccm  Serum  +  0,2  ccm  Kaseinlösung  Verwendung 
fanden  und  dass  gegen  20  ccm  Wasser  dialysiert  wurde.  Die  Kasein¬ 
lösung  sei  folgendermassen  hergestellt:  1,0  g  Kasein  nach  Hammar¬ 
sten  wird  mit  3,5  ccm  Vio  n  Natriumbikarbonatlösung  zur  Quellung 
gebracht,  dann  werden  16,5  ccm  Wasser  hinzugefügt  und  es  wird 
nach  Zugabe  von  Toluol  die  in  Stunden  erfolgende  Lösung  ab¬ 
gewartet.  Unter  Toluol  aufbewahrt,  scheint  mir  die  Lösung  lange 
Zeit  haltbar  zu  sein.  5  ccm  von  ihr  gaben  innerhalb  24  Stunden  keine 
nachweisbaren  Mengen  stickstoffhaltiger  Substanzen  im  Dialysever¬ 
such  an  die  Aussenflüssigkeit  ab.  Die  Verwendung  von  mehr  als 
0,2  ccm  dieser  Lösung  bewirkt  Schwächung  des  Reaktionsausfalles, 
da  in  diesem  Falle  die  Kaseinlösung  als  Verdünnungsflüssigkeit  wirkt. 
Ebenso  ist  die  konstante  Alkalinität  selbstverständlich  für  den  Grad 
des  Abbaus  von  Bedeutung  *). 

Mittels  der  Mikrokjeldahlmethode  nach  P  r  e  g  1,  über 
deren  Einfachheit  und  Exaktheit  ich  stets  von  neuem  erfreut 
war,  kann  der  N-Gehalt  der  Dialysate  mühelos  ermittelt 
werden. 


*)  Die  hier  vorgeschlagene  Kaseinlösung  reagiert  noch  schwach 
sauer.  Alkalisiert  man  sie  bis  zur  neutralen  oder  schwach  alkalischen 
Reaktion,  so  lässt  die  Intensität  der  Ninhydrinreaktion  im  Abbauver¬ 
such  nach.  Gleichzeitig  werden  die  Farbtöne  schmutzig.  —  Durch 
die  Mikrokjeldahlbestimmung  kann  man  sich  aber  überzeugen,  dass 
nicht  etwa  unter  diesen  Bedingungen  die  Proteolyse  gehemmt  wird. 
Der  Abbau  ist  nur  wenig  abhängig  von  der  Ionenkonzentration  — 
sehr  abhängig  davon  ist  die  Ninhydrinreaktion  bei  Gegenwart  von 
mir  wenig  Eiweissspaltprodukten. 


Vielleicht  lässt  sich  auch  die  Ruhe  m  a  n  n  sehe  Nin¬ 
hydrinreaktion  quantitativ  kolorimetrisch  verwenden,  wie 
E.  H  e  r  z  f  e  1  d  dieses  bereits  inauguriert  hat. 

Jedenfalls  dürfte  der  zahlenmässig  bestimmbare  „proteo¬ 
lytische  Index“  theoretisches  Interesse  beanspruchen,  da  die 
Vermutung  nahe  liegt,  dass  er  als  F  e  r  m  e  n  t  titer  zu  dem 
gleichfalls  quantitativ  bestimmbaren  Antiferment  titer 
eines  Serums  in  Korrelation  steht.  Diese  Vermutung  stützt 
sich  darauf,  dass  bei  Tumoren,  Gravidität  und  sonstigen  Zu¬ 
ständen  durch  Untersuchungen  von  Joch  m  a  n  n,  B  r  i  e  g  e  r, 
r  r  e  b  i  n  g,  Rosenthäl  u.  a.  bereits  eine  Erhöhung 
der  früher  gleichfalls  für  spezifisch  gehaltenen  Antifermente 
festgestellt  wurde.  Es  gründete  sich  sogar  auf  diese  Tat¬ 
sache  bereits  vor  Abderhaldens  Dialysierverfahren  die 
„R  o  s  e  n  t  h  a  1  sehe  Schwangerschaftsdiagnose“.  Sie  wurde 
wenig  propagiert  und  führte  ein  ephemeres  Dasein. 

Nur  anhangsweise  sei  in  gebührender  Kürze  noch  be¬ 
richtet,  dass  ich  den  Abbau  von  Plazenta  durch  Graviden-  und 
Nichtgravidenserum  mittels  des  Dialysierverfahrens  und  des 
Mikrokjeldahls  einer  quantitativen  Prüfung  unterzog;  etwas 
variiert  gegenüber  Abderhalden  und  F  o  d  o  r.  Dabei  fand 
ich  zwar  bei  5  Graviden  erheblichen  Stickstoffzuwachs  im 
Dialysate  des  Verdauungsversuches. 


Gravida  ca.  8  Wochen 
Gravida  ca.  10  Wochen 
Gravida  ca.  10  Wochen 
Lues  -h  Gravida  M.  VI. 
Gravida  M.  VI. 


89.6  Proz. 
90,0  Proz. 
46,0  Proz. 
73,3  Proz. 

68.7  Proz. 


N-Zuwachs 


Aber  auch  bei  allen  5  Nichtgraviden,  nämlich  bei 


Hodensarkom 
Iritis  tuberculosa 
Neurasthenie 

einem  gesunden  Kollegen 
einer  nichtgraviden  Frau 


32.5  Proz. 

34.6  Proz. 
36,0  Proz. 
37,0  Proz. 
48,0  Proz. 


N-Zuwachs 


Die  Versuchsanordnung  war  folgende:  Es  wurde  in  Doppel¬ 
gläsern  für  je  2  Hülsen  gearbeitet**).  Der  Hauptversuch  enthielt:  Hülse  I 
0,6  g  trocken  gepresste  Plazenta  +  2,5  ccm  Serum.  Hülse  II  2,5  ccm 
physiologische  Kochsalzlösung.  Die  Kontrolle,  enthielt:  Hülse  I  0,6  g 
Plazenta  +  2,5  ccm  physiologische  Kochsalzlösung.  Hülse  II  2,5  ccm 
Serum.  —  Dialyse  16  Stunden.  —  Sulfosalizylsäureprüfung  der  Dia¬ 
lysate.  Mikrokjeldahl  je  10  ccm. 

In  vollem  Umfange  kann  ich  Griesbachs  Beobachtung  be¬ 
stätigen.  dass  ältere  Pergamenthülsen  (der  Firma  Schleicher  und 
S  c  h  ü  1 1)  sich  nach  längerem  Gebrauch  —  bei  Vermeidung  des  Aus¬ 
kochens  —  völlig  gleichdurchlässig  für  Pepton  erweisen.  Eine  bei 
uns  vor  kurzem  eingetroffene  Sendung  von  Hülsen  der  Firma 
Schöps- Halle  a.  S.  „geprüft  nach  Prof.  Abderhaldens  Ver¬ 
fahren“  erwies  sich  als  recht  wenig  befriedigend. 

Die  Hülsen  waren  schlecht  pergamentiert,  sahen  opak,  fast  wie 
Filterpapier,  aus  und  gleich  bei  den  ersten  Versuchen  erwiesen  sich 
einige  Exemplare  für  Eiweiss  derart  durchlässig,  dass  die  Dialysate 
dichte  Trübungen  mit  Suifosalizylsäure  ergaben.  —  Sic  wurden  nicht 
weiter  zu  Versuchen  verwendet. 


Zusammenfassung. 

1.  Kasein  wird  von  jedem  Normalserum  deutlich,  von 
Gravidenserum  meist  verstärkt  abgebaut.  Damit  ist  ein 
weiterer  Beweis  für  die  Unspezifität  der  Serumfermente 
geliefert. 

2.  Kaseinlösung  dürfte  zur  Bestimmung  des  „proteo¬ 
lytischen  Index“  eines  Serums  geeignet  sein. 

i 

Literatur. 

H  e  i  1  n  e  r  und  Petri:  M  m.W.  1913  Nr.  28.  —  K  j  a  e  r  g  a  a  r  d: 
Zschr.  f.  Immun.Forsch.  22.  1914.  H.  1.  —  Abderhalden  und 
F  o  d  o  r:  M.m.W.  1914  Nr  14.  —  G  r  i  e  s  b  a  c  h :  M.m.W.  1914  Nr.  18. 
—  E.  H  e  r  z  f  e  1  d :  Biochem.  Zschr.  59.  1914.  —  L.  F  1  a  t  o  w :  M.m.W. 
Nr.  9,  11  u.  21.  —  Rosen  thal:  Serumdiagnose  der  Schwanger¬ 
schaft.  Zschr.  f.  klin.  Med.  72. 


**)  Derartige  Additionskontrollen  müssen  auch  bei  den  „Kom¬ 
plementierungsversuchen“  (Stephan  u.  a.)  gefordert  werden. 
Z.  B.  Kontrolle:  Hülse  I.  Meerschweinchensermn  +  Substrat. 
Hülse  II.  Patientenserum  +  Substrat.  Hauptversuch:  Meerschwein¬ 
chenserum  +  Substrat  T-  Patientenserum.  Die  bisherigen  Kontrollen 
sind  nicht  umfassend. 


1502 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  27. 


Intradermale  und  konjunktivale  Schwangerschafts- 

reaktion. 

Von  Prof.  Dr.  D.  A.  de  Jong  in  Leiden. 

Wäre  die  Mitteilung  von  Engelhorn  und  W  i  n  t  z  über 
„eine  neue  Hautreaktion  in  der  Schwangerschaft“ ')  nicht  er¬ 
schienen,  so  hätte  ich  vielleicht  die  von  mir  in  dieser  Richtung 
angestellten  Untersuchungen  nicht  veröffentlicht,  weil  die  Re¬ 
sultate  zu  wenig  deutlich  waren.  Jetzt  kann  es  jedoch  von 
Nutzen  sein,  sie  zu  erwähnen. 

Nach  den  in  meinem  Laboratorium  über  die  Abd  er- 
h  a  1  d  e  n  sehe  Schwangerschaftsdiagnose  angestellten  Unter¬ 
suchungen  von  Dr.  J.  R  o  o  s  *),  welche  etwa  in  derselben  Zeit 
stattfanden,  wie  die  von  Dr.  J.  W.  B  y  1  e  v  c  1  d  in  der  geburts¬ 
hilflichen  Klinik  von  Prof.  vanderHoeven  ausgeführten * *  3). 
hatte  ich  mir  vorgenommen,  die  Reaktion  intrakutan  nach 
Mantoux  und  Moussu  zu  versuchen,  eben,  weil  diese 
Methode  mir  bei  früheren  Untersuchungen  über  „die  Intra¬ 
dermoreaktion  bei  Serumanaphylaxie“4)  ziemlich  gute  Resul¬ 
tate  gegeben  hatte. 

I  )ass  also  die  Abderhalden  sehen  Eiweissabbaureak¬ 
tionen  und  die  allergischen  Immunitätsreaktionen  auch  von  mir 
in  enger  Beziehung  stehend  gedacht  wurden,  ist  ohne  weiteres 
klar.  Inwieweit  solches  richtig  ist,  steht  jetzt  nicht  zur  Be¬ 
sprechung. 

Zur  Ausführung  der  betreffenden  Versuche  standen  einige 
trächtige  und  nichtträchtige  Rinder  zur  Verfügung.  Die  erste 
Frage  war  jedoch,  in  welcher  Weise  das  Antigen  zu  be¬ 
reiten  war. 

In  den  ersten  Versuchen  fand  ein  getrocknetes,  pulveri¬ 
siertes,  aus  fötaler  Rinderplazenta  bereitetes  Antigen  An¬ 
wendung.  Von  einer  frischen  Rinderplazenta  wurde  der  fötale 
Teil  sorgfältig  von  dem  maternalen  getrennt,  in  möglichst 
kleine  Stückchen  geschnitten  und  auf  Glasplatten  bei  37°  C 
unter  Luftströmung  getrocknet,  solange,  dass  sie  sich  in  einem 
Mörser  fein  zerreiben  Hessen. 

In  derselben  Weise  wurde  ein  Pulver  aus  Rinder¬ 
muskelgewebe  bereitet,  welches  zur  Kontrolle  dienen 
sollte. 

Von  beiden  Pulvern  wurde  mit  destilliertem  Wasser  eine 
lOproz.  Suspension  angefertigt,  wovon  je  Vio  ccm  eingespritzt 
wurde.  Als  Ort  der  Einspritzung  wurde  nach  Moussu  die ' 
Schwanzfalte  gewählt,  in  der  Weise,  dass  die  Plazenta¬ 
suspension  in  die  rechte,  die  Muskelsuspension  in  die  linke 
Falte  gespritzt  wurde. 

Im  ganzen  standen  22  Tiere,  worunter  10  trächtige  und 
1 1  nichtträchtige  Kühe,  sowie  ein  Ochse,  zur  Verfügung,  welche 
ganz  genau  beobachtet  wurden,  was  Entstehung  und  Grösse 
der  event.  auftretenden  Reaktionen  betrifft. 

Das  Ergebnis  war,  dass  alle  konstatierten  Anschwellungen 
zwischen  3  und  5  Stunden  nach  der  Injektion  auftraten  und 
später  schnell  verschwanden,  so  dass  in  dieser  Hinsicht  keine 
Uebereinstimtnung  mit  der  intrakutanen  Tuberkulinreaktion 
bestand,  während  auch  die  Schwellungen  viel  geringer  waren 
und  schneller  verschwanden  als  bei  der  früher  von  mir  be¬ 
schriebenen  intrakutanen  Reaktion  bei  Serumanaphylaxie. 

Nimmt  man  als  Massstab  für  eine  event.  praktische 
Bedeutung  der  Reaktion  an,  dass,  verglichen  mit  der  Wirkung 
der  Muskelgewebesuspension,  die  der  Placenta  foetalis  bei 
schwangeren  Tieren  eine  ausgesprochene  stärkere  Reaktion 
hätte  zeigen  müssen,  und  eine  gleiche  bei  nichtschwangeren, 
so  war  in  unserem  Fall  das  Resultat,  dass  in  11  Fällen  richtiger 
und  in  1 1  anderen  falscher  Ausschlag  der  Reaktion  erhalten 
wurde,  d.  h.  dass  die  Reaktion  keine  praktische 
Bedeutung  hatte. 

Mit  denselben  Antigenen  in  gleich  starker  Suspension, 
jedoch  vom  5.  Dezember  ab  geschüttelt,  wurde  am  19.  De¬ 
zember  1913  bei  denselben  Tieren  die  Ophthalmoreaktion  ver¬ 
sucht  durch  Einträufeln  der  Flüssigkeit  in  den  Konjunktival- 

G  Ueber  eine  neue  Hautreaktion  in  der  Schwangerschaft. 
M.m.W.  1914  Nr.  13. 

8)  De  reactie  van  Abderhalden,  toegepast  bij  runderen. 
Tijdschrift  voor  Veeartsenijkunde,  15.  Dezember  1913. 

3)  J.  W.  Byleveld:  De  zwangerschapsreactie  van  Abder¬ 

halden.  Probeschrift,  Leiden,  1913. 

*)  Tijdschrift  voor  Veeartsenijkunde,  15.  September  1912. 


sack,  rechts  die  Plazentasuspension,  links  die  Muskelsuspen¬ 
sion.  Reaktionen  hatten  sich  in  diesem  Fall  als  Rötung  und 
entzündliche  Sekretion  der  Konjunktiva  zu  manifestieren. 
Deutliche  Reaktionen  traten  aber  nicht  auf. 

Wünscht  man  jedoch  bei  der  Beurteilung  auch  auf  äusserst 
geringe,  fast  unmerkbare  Differenzen  in  der  Rötung  der  Kon¬ 
junktiva  zu  achten,  und  eine  etwas  stärkere  Rötung  rechts  als 
links  als  positiven  Ausschlag  anzunehmen,  dann  waren  bei  den 
22  Rindern  13  positive  und  9  negative  Reaktionen  zu  beob¬ 
achten.  Aber  gerade  bei  den  10  trächtigen  Rindern  war  der 
Ausschlag  nicht  weniger  als  8  mal  unrichtig.  Das  heisst 
also,  dass  die  Methode  keinen  Wert  hat. 

Um  in  dieser  Hinsicht  sicher  zu  sein,  wurden  andere 
Antigene  versucht,  und  nicht  Muskelgewebe  neben  fötaler 
Plazenta  gewählt,  sondern  Placenta  materna.  Nach  den  Unter¬ 
suchungen  von  R  o  o  s  5)  verringert  sich  die  Unrichtigkeit  im 
Ausschlag  der  Reaktion  bei  Seris  von  nichtträchtigen  Rindern, 
wenn  man  auf  Placenta  foetalis  und  auch  auf  Placenta  materna 
einwirken  lässt.  Diese  Sera  bauen  meistens  nicht  beide 
Plazenta  ab,  das  Serum  trächtiger  Kühe  wohl. 

Ueberdies  wurden  die  Plazenten  in  anderer  Weise  präpariert. 
Frisch  genommen  wurden  sic  sorgfältig  getrennt  und  jede  für  sicli 
zerkleinert  und  mit  steriler  physiologischer  Kochsalzlösung  in  gleicher 
Gewichtsmenge  geschüttelt  und  nachher  während  einer  Woche  in  den 
Eisschrank  zum  mazerieren  gesetzt.  Dann  wurden  sie  durch  sterile 
Gaze  filtriert  und  in  dieser  Weise  am  5.  Januar  1914  zur  konjunkti- 
valen  und  intrakutanen  Reaktion  verwendet  in  der  Weise,  dass  rechte 
Schwanzfalte  und  rechtes  Auge  Placenta  foetalis,  linke  Falte  und 
linkes  Auge  Placenta  materna  erhielten.  Die  verwendete  Flüssigkeit 
war  trübe,  ohne  grössere  Stückchen  und  von  frischem  Geruch,  also 
nicht  faul.  Natürlich  bildeten  die  Zahl  der  nicht  trächtigen  Rinder 
eine  genügende  Menge  Kontroiltiere.  Was  die  Geburtszeit  bzw.  die 
stattgefundene  Geburt  betrifft,  wurde  damit  gerechnet,  dass  nach  dem 
Versuch  vom  19.  Dezember  jetzt  17  Tage  verstrichen  waren. 

Zuerst  darf  bemerkt  werden,  dass,  wie  die  Versuche 
zeigten,  wenn  in  der  Tat  ein  spezifischer  Abbau  stattgefunden 
hatte,  die  Placenta  materna  mehr  angegriffen  wurde  wie  die 
fötale.  Alle  Reaktionen  der  linken  Schwanzfalte  waren 
stärker  als  die  der  rechten. 

Weiter  zeigte  sich,  dass  auch  bei  nichtträchtigen  Tieren 
Schwellungen  auftreten  können,  so  dass  der  Unterschied 
zwischen  spezifischer  und  nichtspezifischer  Schwellung  schwer 
zu  finden  war. 

Nimmt  man  behufs  der  Beurteilung  an,  dass  trächtige 
Rinder  beide  Antigene  abbauen  sollen,  also  beiderseitige 
Schwellungen  zeigen,  dass  nichtträchtige  Rinder  nicht  ab¬ 
bauen  sollen,  also  weder  rechts  noch  links  Schwellung  zu 
zeigen  haben,  dann  sind  beiderseitige  Schwellungen  bei  träch¬ 
tigen  Tieren  als  positiv,  bei  nichtträchtigen  als  negativ  zu  ver¬ 
zeichnen.  Umgekehrt  ist  dann  bei  nichtträchtigen  Tieren  das 
beiderseitige  Ausbleiben  der  Schwellungen  als  positiv,  das 
beiderseitige  Auftreten  als  negativ  zu  verzeichnen.  Einseitige 
Reaktionen  sind  bei  trächtigen  sowohl  wie  bei  nichtträchtigen 
als  zweifelhaft  zu  betrachten.  Aus  den  erhaltenen  Resultaten 
war  dann  zu  folgern,  dass  in  13  Fällen  gute,  in  7  Fällen 
fehlerhafte  und  in  2  Fällen  zweifelhafte  Ausschläge  erzielt 
wurden.  Das  ist  also  ein  besseres  Resultat  als  bei  dem  ersten 
Versuch,  aber  bei  genauerer  Betrachtung  zeigte  sich,  dass  die 
spätere  Methode  keine  Besserung  der  Fehlresultate  der  ersten 
bedeutete.  Die  besseren  Resultate  erschienen  als  zufällige, 
und  von  praktischem  Wert  waren  sie  keinesfalls. 

Dass  in  dem  letzten  Versuch  auch  nicht  eine  Bestätigung 
der  in  dem  zweiten  Versuch  durch  die  Konjunktivalreak- 
tion  erhaltenen  Resultate  zu  sehen  war,  war  ebenfalls  klar, 
obwohl  auch  dann  13  mal  richtiger  Ausschlag  erhalten  wurde. 
Dort  waren  aber  bei  10  trächtigen  Rindern  8  unrichtige  Aus¬ 
schläge  gefunden  worden.  Bei  dem  letzten  Versuch  war  das 
Resultat  in  dieser  Hinsicht  viel  günstiger.  Von  den  10  träch¬ 
tigen  Tieren  hatten  7  positiv,  2  zweifelhaft  und  1  negativ 
reagiert. 

Alle  Schwellungen  waren  nach  7  Stunden  in  der  Abnahme 
begriffen. 

Bei  dem  letzten  Versuch  wurde,  wie  bereits  gesagt,  auch 
die  Konjunktivalreaktion  erprobt.  Das  Resultat  war  besonders 
deutlich  insofern,  als  kein  einziges  Tier  eine  Reaktion 
gezeigt  hat. 

!l)  Loc.  cit. 


7.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIET. 


1 504 


Im  Ranzen  ist  das  Resultat  des  dritten  Versuches  wieder 
so,  dass  die  Methoden  keinen  praktischen  Wert 
h  a  b  c  n. 

Es  ist  bekannt,  dass  die  lokalen  Immunitätsreaktionen  bei 
unseren  Rrössercn  Haustieren,  besonders  Pferd  und  Rind,  für 
einzelne  Krankheiten  als  besonders  wertvoll  für  die  Diagnose 
zu  betrachten  sind.  Namentlich  bei  Rotz  und  bei  der  Tuber¬ 
kulose  geben  die  Augen-  und  die  Hautreaktionen  öfters  sehr 
genaue  Resultate. 

Auch  die  Intrakutanreaktion  nach  Moussu  und  Man¬ 
toux  gibt  tatsächlich  bei  Tuberkulose  des  Rindes  sehr  er¬ 
mutigende  Resultate. 

Die  zwecks  der  Diagnose  der  Serumhypersensibilität  von 
mir  an  Rindern  angestellten  Versuche  hatten  auch  (1.  c.)  einen 
ziemlich  guten  Erfolg  gezeigt.  Behufs  der  Schwangerschafts¬ 
diagnose  haben  Intrakutan-  und  Konjunktivalreaktion  jedoch 
im  Stich  gelassen,  und  ich  wollte  nicht  verfehlen,  dies  zu  er¬ 
wähnen,  wenn  auch  die  Mitteilung  von  Engelhorn  und 
W  i  n  t  z  von  anderen  Resultaten  mit  der  Kutireaktion  beim 
Menschen  Zeugnis  ablegt. 


Aus  dem  chemischen  Laboratorium  der  medizinischen  Uni¬ 
versitätsklinik  Zürich  (Direktor:  Prof.  Dr.  H.  Eichhorst). 

Ueber  eine  kolorimetrische  Bestimmungsmethode  der 
mit  Triketohydrindenhydrat  reagierenden  Verbindungen. 

Von  Dr.  E.  H  e  r  z  f  e  1  d. 

Im  Anschluss  an  die  vom  Verfasser  (Biochem.  Zschr.  1914 
B.  59,  H.  3  u.  4)  empfohlene  modifizierte  Ninhydrinreaktion 
und  die  daraus  ausgearbeitete  spektrophotometrische  Methode 
zur  Bestimmung  der  dialysierbaren,  mit  Ninhydrin  reagieren¬ 
den  Stoffen,  versuchte  Verfasser  dieselbe  auch  für  kolori¬ 
metrische  Bestimmungen  brauchbar  zu  machen.  Es  ergab  sich 
bei  diesen  Versuchen,  dass  man  mit  Hilfe  eines  Kolorimeters 
die  Menge  der  abgebauten  Stoffe  durch  Vergleich  mit  einer, 
in  geeigneter  Weise  hergestellten  Glykokollösung  schnell  und 
gut  bestimmen  kann. 

Zunächst  wurde  versucht,  ob  man  durch  geeignete  Me¬ 
thoden  die  Dialysierhülsen  ersetzen  könnte.  Hierbei  zeigte 
es  sich  aber,  dass  man  auf  diese  Weise  keine  einheitliche  Re¬ 
sultate  erhielt  und  besonders  trat  auch  die  proteolytische  Wir¬ 
kung  nicht  so  deutlich  auf,  wie  bei  den  parallel  angesetzten 
Hülsenversuchen;  vielleicht  deshalb,  weil  die  schon  vorhan¬ 
denen  Abbauprodukte  hemmend  wirken.  Aus  diesem 
Grunde  scheint  das  Dialysierverfahren  zur 
Trennung  der  Eiweissabbauprodukte  vom  Eiweiss  uner¬ 
setzlich  zu  sein. 

Um  die  von  der  Ungleichmässigkeit  der  Hülsen  stammen¬ 
den  Fehlerquellen  zu  beseitigen,  hat  Verfasser  folgende  quanti¬ 
tative  Methode  ausgearbeitet. 

Man  setzt  10 — 15  solcher  Hülsen  an,  bei  denen  man  sich  nach 
dem  bekannten  Verfahren  von  der  Eiweissundurchlässigkeit  über¬ 
zeugt  hat.  In  jede  Hülse  gibt  man  0,5  ccm  (0,5  mg)  einer  0,1  proz. 
Glykokollösung  und  dialysiert,  unter  Einhaltung  der  üblichen  Be¬ 
dingungen  12 — 16  Stunden  im  Brutschrank.  Hierauf  wird  das  ganze 
Dialysat  in  einer  Porzellanschale  zur  Trockne  verdampft.  Sobald 
der  Schaleninhalt  eingetrocknet  ist,  digeriert  man  ihn  mit  je  10  ccm 
90  proz.  Alkohol,  so  lange,  bis  auch  beim  Reiben  mit  einem  Glas¬ 
stabe  der  Alkohol  sich  nicht  mehr  färbt.  Man  vereinigt  die  blau¬ 
violetten,  alkoholischen  Extrakte,  füllt  mit  Alkohol  bis  50  ccm  auf  und 
giesst  die  Lösung  in  die  eine  Küvette  des  Kolorimeters.  Im  anderen 
üefässe  befindet  sich  die  Vergleichslösung  von  bekanntem  Glykokoll- 
gehalt.  Zur  Herstellung  dieser  Lösung  dampft  man  in  einer  Por- 
zellanschalc  auf  dem  Wasserbade  0,5  ccm  (0,5  mg)  einer  0,1  proz. 
Glykokollösung  mit  0,5  ccm  1  proz.  Ninhydrinlösung  zur  Trockne  ein, 
löst  den  Rückstand  portionweise  in  90  proz.  Alkohol  und  füllt  bis 
50  ccm  auf.  Diese  blauviolette  Lösung  hält  sich  (besonders  im  dunklen 
Orte)  mehrere  Tage  lang  unverändert.  Es  empfiehlt  sich  nach  je 
8 — 10  Tagen  eine  frische  Lösung  herzustellen.  Die  Nuancen  der 
erhaltenen  Farblösungen  waren  fast  stets  gleich,  so  dass  der  Ver¬ 
gleich  im  Kolorimeter  sehr  leicht  ausführbar  war.  Sollte  man 
etwas  rötliche  Nuancen  erhalten,  so  kann  man  für  beide 
Lösungen  das  Minimum  einstellen,  d.  h.  die  Schichtdicke  so 
lange  verringern  bis  noch  eben  eine  Farbe  merkbar  ist.  Wenn  .,a" 
die  Höhe  (Schichtdicke)  der  Vergleichslösung,  „b“  die  der  zu  prüfen¬ 
den  Lösung  ist,  so  verhalten  sich  a  :  b  wie  0,5  mg  Glykokoll  zu 
„X“  mg,  vorausgesetzt,  dass  die  zu  prüfende  Lösung  auch  bis  50  ccm 
aufgefüllt  ist. 


Bei  einer  derartigen  Prüfung  der  Hülsen  konnten  solche 
von  25 — 90  Proz.  Durchlässigkeit  gefunden  werden.  Als 
brauchbar  wurden  auch  diejenigen  Hülsen  angesehen,  welche 
zwar  nicht  sehr  gut,  aber  untereinander  gleich  durchlässig 
waren,  da  bei  derselben  Versuchsserie  diese  Fehler  sich  auf¬ 
hoben.  Die  so  geprüften  und  gruppenweise  je  nach  ihrer 
Durchlässigkeit  eingeteilten  Hülsen  erwiesen  sich  als  ziemlich 
haltbar  und  konnten  zu  zahlreichen  Versuchen  angewandt 
werden.  Es  soll  besonders  hervorgehoben  werden,  dass  die 
Hülsen  niemals  gekocht  wurden,  dagegen  nach  der  Reinigung 
einige  Stunden  gewässert. 

Um  die  abbauende  Fähigkeit  gewisser  Blutsera  zu  prüfen, 
wurde  ebenfalls  die  oben  beschriebene  kolorimetrische  Me¬ 
thode  angewandt.  Man  setzt  in  geprüften  Hülsen  zunächst 
0,5  ccm  Serum  allein,  dann  0,1  g  Organeiweiss  in  1  ccm 
Wasser  und  endlich  0,5  ccm  Serum  4-  0,1  g  Organeiweiss; 
ausserdem  ähnliche  Proben  mit  dem  Kontrollserum.  Auch  hier 
wird  das  ganze  Dialysat  mit  0,5  ccm  1  proz.  Ninhydrinlösung 
in  einer  Porzellanschale  eingedampft,  der  Trockenrückstand 
portionsweise  in  50  ccm  90  proz.  Alkohol  gelöst  und  im  Kolori¬ 
meter  untersucht.  Es  ist  zweckmässig,  sowohl  mit 
dem  Kontrollserum,  wie  auch  mit  dem  zu  prü¬ 
fenden  Serum  möglichst  mehrere  Organe, 
event.  andere  Eiweisskörper  anzusetzen. 

Nach  der  geschilderten  Methode  sind  die  Versuche  in 
vollem  Gange;  über  die  erhaltenen  Resultate  wird  nach  Ab¬ 
schluss  derselben  berichtet  werden. 


Aus  der  med.  Universitätsklinik  zu  Strassburg  i.  Eis. 

(Direktor:  Prof.  Wenckebach). 

Zur  Technik  der  Indikanprobe  nach  Jaffe. 

Von  Dr.  M.  R  h  e  i  n. 

Bei  der  Anstellung  der  Indikanprobe  nach  J  a  f  f  e  stellt  die 
geringe  Haltbarkeit  der  vorgeschriebenen  Chlorkalklösung 
einen  Uebelstand  dar.  Natriumhypochlorit  und  Chlorwasser, 
die  man  an  Stelle  des  Chlorkalks  empfohlen  hat,  sind  ebenso 
wenig  beständig.  Dagegen  besitzen  wir  in  dem  zur  An¬ 
reicherung  der  Tuberkelbazillen  vielfach  gebrauchten  und  in 
den  meisten  Laboratorien  vorrätigen  Antiformin  eine  infolge 
Alkalizusatzes  sehr  haltbare  Lösung  von  Natriumhypochlorit. 
(Uhlenhuth  und  Xylander:  Arb.  a.  d.  Kais.  Ges.A.  32  S.  161.) 
Antiformin  enthält  7,5  Proz.  Natriumhydroxyd  und  5,6  Proz. 
Natriumhypochlorit.  Beim  Einträufeln  von  Antiformin  in  den 
zu  gleichen  Teilen  mit  konzentrierter  Salzsäure  gemischten 
Harn  wird  das  Natriumhydroxyd  sofort  neutralisiert  und  aus 
dem  Natriumhypochlorit  das  Chlor  ausgetrieben,  so  dass  die 
Reaktion  sich  genau  so  gestaltet,  wie  wenn  man  Chlorwasser 
zugesetzt  hätte.  Zur  Anstellung  der  Reaktion  beginnt  man  mit 
1  Tropfen  konz.  Antiformin  und  fügt  dieses  dann  weiterhin  tropfen¬ 
weise  bis  zum  optimalen  Ausfall  der  Reaktion  hinzu.  Bei  Kon- 
trollproben  mit  frisch  bereiteter  gesättigter  Chlorkalklösung 
stellte  sich  heraus,  dass  meist  einige  Tropfen  Antiformin  mehr 
nötig  waren  als  Chlorkalkwasser.  Mithin  ist  die  Gefahr  einer 
Ueberoxydierung  geringer  als  bei  Anwendung  der  Chlorkalk¬ 
lösung.  Zur  guten  Konservierung  des  Antiformins  empfiehlt  es 
sich,  dasselbe  in  braunen  Flaschen  mit  Stopfen  aus  Gummi  oder 
Glas  (leicht  mit  Paraffinöl  eingefettet)  aufzubewahren. 


Die  Abstammung  der  Keratoblasten  bei  der  Regeneration 
der  Hornhaut.  Zugleich  eine  Erwiderung  an  Bonnefon 

und  Lacoste*). 

Von  Prof.  Dr.  Salzer  in  München. 

M.  H.l  Gestatten  Sie  mir  im  folgenden  nochmals  eine 
Frage  aufzurollen,  die  ich  an  anderer  Stelle  *)  schon  kurz 
berührt  habe,  nämlich  die  Entstehung  der  Keratoblasten  bei 
der  Regeneration  der  Hornhaut,  und  Ihnen  bei  dieser  Ge¬ 
legenheit  einen  Ueberblick  über  das  gesamte  Material  ein¬ 
schliesslich  der  Originalpräparate  zu  geben.  Insbesondere 
liegt  mir  daran,  auf  eine  Veröffentlichung  von  Bonnefon 


*)  Vortrag,  gehalten  am  5.  Mai  1914. 
x)  Int.  Med.  Kongr.  London  1913. 


1504 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  27. 


und  Lacoste2)  einzugehen,  die  geeignet  ist,  eines  meiner 
Resultate  für  den  nicht  Eingeweihten  als  irrtümlich  erscheinen 
zu  lassen,  durch  Einwendungen,  welche  sehr  leicht  zu  ent¬ 
kräften  sind  und  mit  den  tatsächlichen  Befunden  im  Wider¬ 
spruch  stehen. 

Meine  Untersuchungen  wurden  ursprünglich  veranlasst 
durch  Arbeiten  über  Keratoplastik.  Es  erschien  wünschens¬ 
wert,  über  die  Natur  der  Zellen  ins  klare  zu  kommen,  die  einen 
Defekt  in  der  Hornhaut  ausfüllen,  auch  wenn  kein  Lappen  an¬ 
wesend  ist.  Die  beim  Kaninchen  erhaltenen  Resultate  sind 
bereits  in  extenso  veröffentlicht3).  Ich  konnte  nachweisen, 
dass  es  in  der  Tat  eine  echte  Regeneration  der  Hornhaut  gibt, 
indem  eine  Trepanlücke  von  einigen  Millimetern  Durchmesser 
sich  mit  durchsichtiger  Hornhautsubstanz  ausfüllt.  Natürlich 
ist  die  Durchsichtigkeit  keine  vollständige,  aber  in  günstigen 
Fällen  doch  so,  dass  man  durch  die  regenerierte  Stelle  hin¬ 
durch  die  Papille  spiegeln  kann.  Das  histologische  Resultat 
war  ein  vollständig  unerwartetes:  Die  hornhautbildenden 
Zellen,  die  ich  Keratoblasten  genannt  habe,  werden  nach¬ 
weislich  nicht  von  den  fixen  Hornhautzellen  geliefert,  wie  dies 
jetzt  fast  allgemein  angenommen  wird.  Diese  verhalten 
sich  vielmehr  vollständig  passiv  und  gehen  in  der  nächsten 
Umgebung  der  Wunde  sogar  dauernd  zugrunde.  Die  von 
Ran  vier4)  an  Qoldpräparaten  geschilderte  Bildung  von 
Fortsätzen  an  diesen  Zellen,  die  sich  in  die  Wunde  hinein  er¬ 
strecken,  beruht  auf  einer  irrtümlichen  Deutung  der  mikro¬ 
skopischen  Bilder:  man  kann  diese  in  ganz  ähnlicher  Weise 
auch  an  postmortal  angelegten,  sofort  ver¬ 
goldeten  Hornhautschnittflächen  nachweisen.  Auch  das 
Endothel  der  Hornhaut  liefert  die  Keratoblasten  nicht;  aus  ihm 
gehen  lediglich  flächenhafte  Wucherungen  hervor,  welche  die 
Neubildung  der  Descemet  sehen  Membran  besorgen.  Vom 
Blutgefässsystem  können  die  Keratoblasten  nicht  abgeleitet 
werden,  da  der  Prozess  in  reinen  Fällen  ohne  jede  Vaskulari¬ 
sation  verläuft.  Auch  etwa  vom  Randschlingennetz  ein¬ 
wandernde,  weisse  Blutzellen  kommen  nicht  in  Betracht,  da 
sich  mit  voller  Deutlichkeit  nachweisen  lässt,  dass  eine  solche 
Einwanderung  nicht  stattfindet. 

Somit  führt  schon  allein  die  Ausschliessung  aller  anderen 
Möglichkeiten  zu  der  Auffassung,  dass  die  Keratoblasten 
aus  dem  Epithel  hervorgehen.  Und  in  der  Tat 
sprechen  alle  diese  Bilder  direkt  zugunsten  dieser  Auffassung. 
Ueberall  finden  sich  die  Keratoblasten  bei  ihrem  ersten  Auf¬ 
treten  entweder  noch  im  Verbände  des  Epithels,  als  spindel¬ 
förmig  gewordene  Epithelzellen  in  der  Basaltzellenschicht,  oder 
sie  liegen  in  unmittelbarer  Nachbarschaft  der  Epithelpolster 
und  Sprossen,  sie  scheinen  aus  dem  Epithel  herausgewandert  zu 
sein.  Das  Verfolgen  einer  dieser  Serien  klärt  über  diesen 
Punkt  besser  auf  als  eine  ausführliche  Beschreibung,  die  gleich¬ 
wohl  an  anderer  Stelle  gegeben  werden  soll. 

Bonnefon  und  Lacoste  (1.  c.)  haben  nun  diesen 
Feststellungen  gegenüber  trotzdem  die  Keratoblasten  von  den 
Blutgefässen  ableiten  wollen;  zwar  können  auch  sie  nicht 
leugnen,  dass  bei  dem  Prozess  keine  eigentlichen  Qefässe 
in  der  Hornhaut  gebildet  werden.  Sie  konstatierten  aber  bei 
einem  12  Stunden  alten  Präparate,  bei  dem  eine  oberflächliche 
Hornhautwunde  bis  nahe  an  den  Limbus  reichte, 
kleinste  Hohlräume  ohne  Wand,  die  rote  Blutkörperchen  in 
verschiedener  Zahl  enthielten,  ebenso  nach  24  Stunden;  von 
da  an  sind  diese  Hohlräume  nicht  mehr  nachzuweisen.  Von 
diesen  „embryonalen  Gefässen“  sollen  die  Keratoblasten  ge¬ 
liefert  werden.  Diese  Auffassung  Bonnefons  und  La¬ 
costes  ist  leicht  zu  widerlegen. 

1.  Wenn  man  die  Keratoblasten  von  weissen  Blutkörperchen  ab¬ 
leiten  will,  so  braucht  man  dazu  keine  Gefässe  in  der  Hornhaut  selbst, 
denn  sie  können  bekanntlich  leicht  vom  Randschlingennetz  einwan¬ 
dern.  Eine  solche  Einwanderung  kann  aber  nicht  unsichtbar  ver¬ 
laufen,  und  wenn  sie  nachweislich  vollständig  fehlt,  so  ist  diese  Auf¬ 
fassung  hinfällig. 

2.  Wenn  die  Keratoblasten  von  den  Wandzellen  der  Gefässe  ab¬ 
stammende  Fibroblasten  wären,  so  müssten  die  neugebildeten  Gefässe 
eben  doch  eine  Wand  haben,  was  B  o  n  n  e  f  o  n  und  Lacoste  selbst 
ausdrücklich  verneinen. 


s)  Arch.  d’Ophth.  T.  31,  p.  210. 

3)  Arch.  f.  Aughlk.  1911  u.  1912. 

’)  Arch.  d’anatom.  microscop.  1898,  2. 


3.  Der  Befund  einzelner  roter  Blutkörperchen  bei  einer  bis  nahe 
an  den  Limbus  reichenden  grossen  Hornhautwunde  ist  leicht  zu  er¬ 
klären,  wenn  man  bedenkt,  dass  bei  der  Operation  die  Nickhaut  ver¬ 
letzt  wurde;  ausserdem  können  rote  Blutkörperchen  durch  Diapedese 
vom  Randschlingennetz  her  geliefert  werden,  wenn  die  Wunde  bis 
nahe  an  den  Rand  reicht,  wie  es  hier  der  Fall  war. 

Im  übrigen  sei  die  Tatsache  hervorgehoben,  dass  ihre  objektiven 
Befunde  in  allen  anderen  Punkten  mit  den  meinigen  übereinstimmen, 
und  dass,  wie  die  Autoren  ausdrücklich  hervorheben,  die  Bilder  sehr 
zugunsten  der  epithelialen  Abstammung  der  Keratoblasten  zu  sprechen 
scheinen.  Ihre  Untersuchungen  beschränken  sich  aber  auf  nicht- 
perforierende  Defekte,  bei  denen  die  fraglichen  Bilder  weit  weniger 
augenfällig  sind,  als  bei  den  perforierenden,  wie  ich  dies  genau  dar¬ 
gestellt  habe.  Solange  also  keine  anderen  Gegengründe  beigebracht 
werden  können,  als  der  Befund  vereinzelter  roter  Blutkörperchen  in 
wandungslosen  Spalten,  muss  ich  durchaus  bei  meiner  Auffassung,  die 
vielfach  begründet  ist,  stehen  bleiben. 

Da  nach  der  jetzt  herrschenden  Ansicht  die  Hornhaut  ein 
mesodermal  entstehendes  Gewebe  ist,  würde  dieses  Resultat 
gegen  die  Spezifität  der  Keimblätter  sprechen.  Allerdings 
wurde  in  einer  älteren,  sehr  sorgfältigen  Arbeit  von  Kess¬ 
ler5)  das  Hornhautstroma  als  epitheliale  Bildung  aufgefasst, 
während  die  fixen  Zellen  dem  Mesoderm  entstammen  sollen. 
Die  Frage  darf  zurzeit  wohl  noch  als  offen  bezeichnet  werden. 

Deswegen  und  weil  auch  sonst  das  ganze  Problem  hohes 
biologisches  und  natürlich  auch  praktisches  Interesse  bietet, 
wurde  die  Regeneration  der  Hornhaut  noch  einmal  ver¬ 
gleichend  anatomisch  an  Meerschweinchen,  Huhn, 
Taube,  Forelle,  Frosch  und  Triton  nachgeprüft.  Auch  diese 
Untersuchungen  konnte  ich  durch  das  dankenswerte  Entgegen¬ 
kommen  des  Herrn  Prof.  R  ü  c  k  e  r  t  wieder  im  anatomischen 
Institut  in  München  durchführen.  Das  Resultat  war, 
dass  in  allen  prinzipiell  wichtigen  Punkten 
eine  vollständige  U  e  b  e  r  e  i  n  s  t  i  m  m  u  n  g  be¬ 
steht.  (Demonstration  einer  grossen  Anzahl  von  Zeich¬ 
nungen,  Diapositiven  und  Originalpräparaten.)  Insbesondere 
ist  nirgends  etwas  von  einer  Beteiligung  von  Gefässen  zu 
sehen. 

Ueberblickt  man  die  zahlreichen  Einzelbefunde,  so  sieht 
man  bei  Meerschweinchen,  Huhn  und  Taube  eine  weit¬ 
gehende  Uebereinstimmung  mit  den  Befunden  beim  Kaninchen, 
nur  dass,  namentlich  beim  Huhn,  vieles  noch  wesentlich  deut¬ 
licher  und  prägnanter  hervortritt,  so  dass  ich  für  eine  etwaige 
Nachprüfung  besonders  das  Huhn  empfehle. 

Bei  den  Kaltblütern  fällt  vor  allem  die  ausserordentliche 
Verlangsamung  des  Prozesses  auf.  Hier  übernimmt  offenbar 
der  Epithelzapfen  als  solcher  gemeinsam  mit  dem  Gerinnsel 
lange  Zeit  hindurch  den  Wundverschluss.  Noch  nach  zwei 
Monaten  fanden  sich  beim  Salamander  Bilder,  wie  sie  bei 
Warmblütern  scheinbar  schon  in  den  ersten  Tagen  bestehen. 

Das  gesamte  Material,  das  manche  interessante  Einzel¬ 
heiten  bietet,  wird  noch  in  einer  ausführlichen  Veröffentlichung 
mitgeteilt  werden. 

Auf  eine  Anregung  von  Gustav  W  o  1  f  f  hin  habe  ich  ver¬ 
sucht,  der  Frage  noch  auf  anderem  Wege  beizukommen.  Es 
wurden  Defekte  an  der  Hinterfläche  der  Hornhaut  angelegt 
und  die  Heilung  derselben  beobachtet.  Selbstverständlich 
kann  in  diesem  Falle  die  Regeneration  nicht  in  derselben  Weise 
erfolgen,  wie  bei  oberflächlichen  oder  perforierenden  Wunden. 
Ueber  das  Resultat  dieser  Versuche,  die  technisch  recht 
schwierig  sind,  kann  ich  bisher  nur  mitteilen,  dass  das  Epithel 
anscheinend  vollständig  passiv  bleibt,  dass  aber  auch  von  einer 
Ansammlung  von  Spindelzellen  in  dem  Defekt  keine  Rede  ist. 
Das  Endothel  wuchert  über  die  verletzte  Stelle  hinüber  und 
es  scheint,  dass  es  allein  durch  Bildung  der  bekannten  flächen¬ 
haften  Wucherungen  die  Ausfüllung  des  Defektes  übernimmt. 
Ob  ausserdem  eine  wirkliche  Neubildung  von  Hornhautgrund¬ 
substanz  erfolgt,  konnte  ich  bisher  auch  an  Stadien  von  6  und 
7  Wochen  Alter  nicht  entscheiden.  Es  ist  indessen  zu  be¬ 
denken,  dass  ein  Defekt  an  der  Hinterfläche  der  Hornhaut 
keine  akute  Gefahr  für  das  Auge  bedeutet  und  deswegen  noch 
mehr,  wie  bei  den  oberflächlichen  nicht  perforierenden  Ver¬ 
letzungen  vielleicht  der  nötige  Anreiz  für  den  Organismus  fehlt, 
neue  Grundsubstanz  schnell  zu  bilden.  Wenn  sich  hie  und  da 
in  den  gequollenen  Wundrändern  Spindelzellen  finden,  so  ist 


5)  Untersuchungen  über  die  Entwicklung  des  Auges.  Inaug.-Diss. 
Dorpat  1871. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


1505 


7.  Juli  1914. 


hier  die  Möglichkeit  nicht  auszuschalten,  dass  sie  von  der  hei 
dem  Eingriff  mit  dem  Instrument  gestreiften  Iris  abstammen, 
oder  von  der  Wundgegend  am  Limbus  her  eingewandert  sind. 
Endlich  ist  auch  sehr  wohl  möglich,  dass,  wenn  überhaupt  hier 
neue  Grundsubstanz  gebildet  wird,  diese  auf  einem  anderen 
Wege  entsteht,  als  bei  den  gewöhnlichen  Verletzungen  von 
vorne  her.  Die  Frage  erfordert  eine  eigens  auf  diesen  Funkt 
gerichtete  Untersuchung. 

Es  bleibt  noch  ein  anderer  Weg  einzuschlagen:  Beob¬ 
achtung  der  Wundheilung  an  einem  nach  Garrel  explan- 
tierten  Hornhautstück. 

Derartige  Versuche  sind  bereits  von  v.  Szily0)  ange¬ 
stellt  worden.  Er  fand  in  den  oberflächlichen  Parenchymlagen 
im  Bereiche  der  Defektstelle  zahlreiche  Bindegewebszellen, 
deren  Protoplasma  von  typischen  eosinophilen  Granulis  voll¬ 
gestopft  erschien;  über  die  Abstammung  dieser  Zellen  äussert 
sich  Verfasser  nicht. 

Busse')  zeigte  jüngst  ebensolche  Präparate,  in  denen 
langgestreckte  Spindelzellen  zu  sehen  waren,  die  er  von  den 
fixen  Hornhautzellen  ableitet. 

Da  bei  diesen  Versuchen  jede  Einwanderung  vom  Rande 
her  ausgeschlossen  ist,  können  in  der  Tat  nur  die  fixen  Horn¬ 
hautzellen  oder,  nach  meinen  Resultaten  wahrscheinlicher,  das 
Epithel  in  Frage  kommen.  Von  diesen  beiden  Möglichkeiten 
muss  die  eine  leicht  auszuschliessen  sein,  wenn  man  ver¬ 
gleichsweise  ein  von  Epithel  entblösstes  Hornhautstück 
explantiert. 

Ich  hoffe,  über  das  Resultat  dieser  Versuche  bald  be¬ 
richten  zu  können. 


Aus  der  Universitäts-Augenklinik  Leipzig  (Direktor:  Geh.  Rat 
Prof.  Dr.  H.  Sattle  r). 

Die  Chemotherapie  der  Pneumokokkenerkrankungen  des 
Auges,  insbesondere  des  Ulcus  serpens  durch  Optochin- 
salbe  (Aethylhydrocuprein)* *). 

Von  Dr.  M.  Goldschmidt,  Assistent  der  Klinik. 

Eine  der  häufigsten  und  folgenschwersten  Augenerkran¬ 
kungen,  die  der  praktische  Arzt,  hauptsächlich  auf  dem  Lande, 
zur  Behandlung  bekommt,  ist  das  Ulcus  serpens.  Zahlreiche 
einseitige  oder  doppelseitige  Sehstörungen  sind  auf  die  Folgen 
des  Ulcus  serpens  zurückzuführen,  und  gross  ist  die.  Belastung 
der  Berufsgenossenschaften  durch  die  dadurch  notwendigen 
Rentenentschädigungen.  Es  ist  deshalb  leicht  erklärlich,  dass 
diesem  Augenleiden  von  jeher  von  spezialistischer  Seite  ein 
grosses  Interesse  entgegengebracht  wurde,  was  auch  in  der 
beträchtlichen  Anzahl  der  vorhandenen  therapeutischen  Mass¬ 
nahmen  zum  Ausdruck  kommt.  Zahlreich  sind  die  Salben  und 
Streupulver,  deren  wichtigsten  Bestandteil  eine  allgemein  des¬ 
infizierende  Substanz  bildet.  Sehr  alt  ist  die  Kauterisation  des 
progredienten  Randes  mittels  Glühhitze,  neuesten  Datums  die 
von  Wessely  angegebene  Dampfkauterisation.  Entsprechend 
den  Fortschritten  der  Allgemeinmedizin  suchte  man  sich  auch 
deren  Ergebnisse  zur  Behandlung  des  Ulcus  serpens  zunutze 
zu  machen.  So  entstanden  die  serotherapeutischen  Bestre¬ 
bungen  von  Deutschmann  und  Römer. 

Wenn  man  auch  den  Wert  und  die  Erfolge  der  bisherigen 
Therapie  des  Ulcus  serpens  sicherlich  nicht  in  Abrede  stellen 
darf,  so  wird  man  doch,  genau  wie  beispielsweise  bei  der  Be¬ 
handlung  der  Spirillosen,  auch  bei  der  Behandlung  des  Ulcus 
serpens  dahin  streben,  den  Krankheitserreger  spezifisch  zu 
treffen.  Mit  anderen  Worten :  Dierationelle  Therapie 
des  Ulcus  serpens  muss  eine  Chemotherapie 
sein. 

Wir  besitzen  nun  in  dem  Chininderivat  Optochinum  hydro- 
chloricum  (Aethylhydrocuprein.  hydrochloricum)  ein  Präparat, 
das  in  ausgezeichneter  Weise  alle  Anforderungen,  die  man  an 
ein  chemotherapeutisches  Mittel  stellen  kann,  erfüllt.  Aber 
ebenso  wie  bei  der  Chemotherapie  der  Lues  durch  Salvarsan 
die  Art  der  Anwendung  von  höchster  Wichtigkeit  für  den  Er¬ 
folg  ist,  ebenso  verhält  es  sich  auch  bei  der  Optochintherapie 

“)  Soc.  belg.  d’Ophth.  1913. 

7)  Pathologenkongress  München  1914. 

*)  Vgl.  Goldschmidt:  Klin.  Mbl.  f.  Aughlk.  1913. 

N’r.  27. 


des  Ulcus  serpens.  Nur  bei  strikter  Befolgung  gewisser  Leit¬ 
sätze,  die  sich  auf  Grund  der  wissenschaftlichen  Arbeiten  von 
Morgenroth  und  seinen  Mitarbeitern  sowie  eigener  experi¬ 
menteller  und  klinischer  Untersuchungen  ergeben  haben,  kann 
das  Optochin  seine  optimalen  Wirkungen  entfalten. 

Die  erste  dieser  Forderungen,  von  der  nie  abgesehen 
werden  darf,  ist  die  bakteriologische  Untersuchung  des  Er¬ 
regers  des  betreffenden  Ulcus.  Zu  diesem  Zweck  genügt  es 
vollständig,  wenn  nach  vorausgegangener  Kokainisierung 
(3  Proz.)  ein  leichter  Abstrich  vom  progredienten  Rand  des 
Ulcus  als  Ausstrichpräparat  nach  G  r  a  m  gefärbt  und  unter¬ 
sucht  wird.  Nur  wenn  Pneumokokken  nachgewiesen  werden 
können,  darf  das  Optochin  angewandt  werden.  Stellt  es  sich 
jedoch  heraus,  dass  das  Ulcus  serpens  durch  Diplobazillen  ver¬ 
ursacht  ist,  so  muss  unbedingt  von  der  Optochintherapie  ab¬ 
gesehen  werden,  will  man  nicht  irreparable  Verschlimme¬ 
rungen  hervorrufen. 

Nachdem  Pneumokokken  festgestellt  sind,  beginnt  die 
eigentliche  Behandlung.  Als  Leitsatz  gilt  hierbei,  d  i  e 
Behandlung  von  Anfang  an  möglichst  inten¬ 
siv  und  zeitlich  zusammengedrängt  zu  ge¬ 
stalten.  Diese  Forderung  muss  deshalb  erfüllt  werden, 
weil  es  sich  auf  Grund  experimenteller  Versuche  ge¬ 
zeigt  hat,  dass  bei  verschleppter  oder  ungenügend  konzen¬ 
trierter  Behandlung  eine  Giftfestigkeit  der  Pneumokokken 
gegen  das  Optochin  entsteht,  mit  anderen  Worten,  dass  die 
Pneumokokken  dem  Optochin  gegenüber  refraktär  werden. 
Um  das  Entstehen  dieser  Giftfestigkeit  zu  vermeiden,  ist  es 
daher  notwendig,  diejenige  Konzentration  zu  wählen,  die  eben 
noch  anstandslos  vom  Auge  vertragen  wird.  Am  geeignetsten 

erwies  sich  uns  eine  1  proz.  Salbe  folgender  Zusammensetzung: 

Rc.  Optochin.  hydrochlor.  0,1 

Atr.  sulf.  0,2 

Amyl.  trit.  2,0 

Vas.  flav.  am.  Cheseborough  ad  10,0 
S.  Augensalbe.  Nur  4  Tage  lang  benützbar.1) 

Diese  Salbe  muss  pro  die  5 — 6  mal  in  regelmässigen  zeit¬ 
lichen  Abständen  in  den  Konjunktivalsack  eingestrichen  und 
unter  leichter  Hornhautmassage  verteilt  werden.  Sodann  wird 
ein  Heftpflasterverband  angelegt,  um  ein  möglichst  langes  Ver¬ 
bleiben  der  Salbe  im  Bindehautsack  zu  gewährleisten.  Die 
erste  Applikation  der  Salbe  ist  meist  ziemlich  schmerzhaft, 
daher  ist  es  ratsam,  zuvor  durch  3  proz.  Kokain  zu  anästhe¬ 
sieren.  Da  das  Optochin  selbst  anästhesierend  wirkt,  sind  die 
späteren  Einstreichungen  schmerzlos.  Die  manchmal  auf¬ 
tretende  geringe  Schwellung  der  Augapfelbindehaut  (Chemo¬ 
sis)  ist  ohne  Bedeutung. 

Eine  weitere  wichtige  Forderung,  die  sich  gleichfalls  aus 
der  unliebsamen  Möglichkeit  der  Entstehung  einer  Giftfestig¬ 
keit  heraus  entwickelt  hat,  ist  die  Optochintherapie 
nur  dann  zu  beginnen,  wenn  die  5—6  malige 
tägliche  Applikation  auch  wirklich  durch¬ 
geführt  werden  kann.  Daher  soll  mit  der  Optochin¬ 
therapie  nie  abends  angefangen  werden.  Wir  beginnen  selbst¬ 
in  schweren  Fällen  die  Therapie  nur  früh  morgens,  nie  am 
Tage  der  Einlieferung  selbst,  sondern  begnügen  uns  an  diesem 
Tage  mit  der  Verabreichung  einer  5  proz.  Noviform-Atropin- 
salbe. 

Unter  Beobachtung  dieser  Kautelen  wird  die  Optochin- 
behandlung  in  der  angegebenen  Weise  solange  fortgesetzt,  bis 
das  Ulcus  total  gereinigt  ist,  wozu  gewöhnlich  1—3  Tage  er¬ 
forderlich  sind.  Nach  Aussetzen  der  spezifischen  Behandlung 
wird  5  proz.  Noviformsalbe  mit  Atropin  täglich  2  mal  in  den 
Konjunktivalsack  eingestrichen.  Verband  bleibt  weg. 

Bei  der  so  geübten  Anwendungsart  ändert  sich  der 
Charakter  des  Ulcus  serpens  und  der  damit  verbundenen  Er¬ 
scheinungen  an  der  Konjunktiva  sehr  schnell.  Die  anfangs 
eitrige  Sekretion  geht  rasch  zurück,  die  Schmerzen  hören  so¬ 
fort  auf  (Anästhesie  des  Kokains  und  des  Optochins),  der  Pro¬ 
gressionsrand  verliert  in  sehr  kurzer  Zeit  alle  Anzeichen  der 
Progression:  der  vorher  aufgeworfene  gelbe  Wall  wird  flach 
und  grau,  die  Ulcusfläche  selbst,  soweit  sie  noch  nicht  gereinigt 


*)  Die  Optochinsalbe  verliert  nach  ca.  4  Tagen  ihre  Wirksamkeit, 
was  am  augenfälligsten  an  der  Abnahme  der  anästhesierenden  Kom¬ 
ponente  zu  erkennen  ist. 


3 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1506 


war,  wird  spiegelnd.  Die  totale  Reinigung  des  Ulcus  serpens 
wird  so  in  ca.  12 — 36  Stunden,  je  nach  dem  Stadium,  in  dem 
das  Ulcus  zur  Behandlung  kam,  erzielt. 

Nie  haben  wir  bei  der  so  durchgeführten  Behandlung  in 
sehr  zahlreichen  Fällen  (ca.  100)  ein  anderes  Verhalten  be¬ 
obachten  können,  wie  eine  Progression,  nie  eine  Reinfektion. 

Anders  im  klinischen  Verlauf  verhalten  sich  die  Pneumo- 
kokkenulcera,  die  mit  mehr  oder  weniger  tiefen  Hornhaut¬ 
infiltraten  kompliziert  sind.  Es  ist  ohne  weiteres  einzusehen, 
dass  in  diesen  Fällen,  wo  die  Pneumokokken  zu  einem  grossen 
Teil  in  den  tiefen  Qewebsschichten  der  Hornhaut  verborgen 
liegen,  die  Wirkung  des  Optochins  keine  so  rasche  sein  kann, 
wie  in  den  Fällen,  wo  die  Erreger  direkt  an  der  Oberfläche 
oder  dicht  darunter  sich  befinden  und  unmittelbar  mit  dem 
Optochin  in  Berührung  kommen.  Aber  auch  die  Ausbreitung 
der  tiefen  Infiltrate  sistiert  nach  kurzer  Zeit  unter  der  Op- 
tochinbehandlung.  Die  Resorption  der  bereits  vorhandenen 
infiltrierenden  Massen  ist  dagegen  dem  chemotherapeutischen 
Einfluss  nicht  zugänglich  und  muss  den  biologischen  Faktoren 
überlassen  werden.  Hierbei  fällt  es  auf,  dass  sowohl  der  Vor¬ 
gang  der  Resorption  wie  auch  der  Reparation  bei  der  Op- 
tochintherapie  langsamer  zu  verlaufen  scheint,  als  bei  den 
früher  bei  uns  üblichen  Behandlungsweisen.  Es  hängt  dies  mit 
grosser  Wahrscheinlichkeit  mit  einer  allgemeinen  Chinin¬ 
wirkung  des  Optochins,  der  Verlangsamung  enzymatischer 
Prozesse,  zusammen. 

In  diesen  mit  tiefen  Infiltraten  komplizierten  Fällen  ist  die 
Dauer  der  Optochinbehandlung  natürlich  eine  längere.  Auch 
wenn  der  Progressionsrand  verschwunden  ist,  auch  wenn 
Pneumokokken  im  Konjunktivalsack  nicht  mehr  nachgewiesen 
werden  können,  darf  das  Optochin  noch  nicht  ausgesetzt 
werden,  da  sonst  eine  neuerliche  Ausbreitung  der  tiefen  In¬ 
filtrate  eintreten  kann.  Wir  behandeln  deshalb  so  lange,  bis 
eine  leichte  beginnende  Trübung  und  Trockenheit  und  ein 
leicht  bläulicher  Schimmer  der  Hornhautoberfläche  eintritt, 
Symptome,  die  bei  der  folgenden  Noviformsalbenbehandlung 
stets  spurlos  zurückgehen. 

Dass  es  bei  Infiltraten,  die  die  ganze  Hornhaut  durch¬ 
setzen,  oder  bei  totaler  Einschmelzung  bis  zur  Descemet  trotz 
Anwendung  des  Optochins  zur  Perforation  kommen  kann,  be¬ 
darf  keiner  weiteren  Erläuterung. 

Von  besonderer  Wichtigkeit  ist  der  Umstand,  dass  Tränen¬ 
sackerkrankungen,  die  bei  der  früher  geübten  Behandlung  so 
ungünstig  auf  den  Verlauf  des  Ulcus  serpens  einwirkten,  bei 
der  Optochintherapie  ohne  jeden  verschlimmernden  Einfluss 
sind.  Es  findet  durch  das  Optochin  eine  ständige  Abtötung  der 
aus  dem  Tränensack  in  den  Konjunktivalsack  einwandernden 
Pneumokokken  statt.  Ausdrücken  des  Tränensackes  ist  wegen 
der  Ueberschwemmung  des  Konjunktivalsackes  mit  Pneumo¬ 
kokken  zu  unterlassen. 

Auch  die  übrigen  durch  Pneumokokken  hervorgerufenen 
Affektionen  werden  gemäss  der  spezifischen  chemotherapeuti¬ 
schen  Wirkung  des  Optochins  in  günstigem  Sinne  beeinflusst. 
So  die  akute  Dakryozystophlegmone  und  die  Conjunctivitis 
catarrh.  pneumococc.  Wir  verwenden  dabei  ebenfalls  die  oben 
angegebene  1  proz.  Salbe,  jedoch  ohne  Atropin.  Im  allge¬ 
meinen  genügt  eine  24  ständige  Behandlung  bei  dreimaliger 
Applikation.  Nur  die  chronische  Dakryozystitis  ergab  weniger 
günstige  Erfolge;  wir  konnten  bisher  eine  Sterilisierung  des 
Konjunktivalsackes  infolge  der  anatomischen  Verhältnisse  des 
Tränennasenganges  nicht  erreichen. 

Ein  weiteres  überaus  wichtiges  Gebiet  für  die  Anwendung 
des  Optochins  bietet  die  Prophylaxe  des  Ulcus  serpens. 
Bei  Pneumokokkenträgern  oder  bei  Vorhandensein  einer  chro¬ 
nischen  Dakryozystoblennorrhöe  und  Hinzutreten  einer  trauma¬ 
tischen  Erosio  corneae  wird  durch  5 — 6  malige  Applikation 
der  1  proz.  Salbe  pro  die  das  Entstehen  eines  Ulcus  serpens 
mit  Sicherheit  vermieden. 

Auch  in  der  Prophylaxe  vor  Operationen  ist 
das  Optochin  von  grosser  Bedeutung.  Wir  behandeln  in  der 
Klinik  jeden  Pneumokokkenträger  vor  einer  auszuführenden 
Operation  mit  der  1  proz.  Optochinsalbe  bis  zur  vollständigen 
Sterilisierung  des  Konjunktivalsackes,  wozu  in  der  Regel 
12  Stunden  mit  3 — 4  maliger  Applikation  erforderlich  sind. 


Nr.  27. 


Dank  dem  Optochin  beherrschen  wir  das  durch  Infiltrat 
nicht  komplizierte  Ulcus  serpens  mit  solcher  Sicherheit,  dass 
auch  die  ambulante  Behandlung  möglich  ist.  Voraus¬ 
setzung  dazu  ist,  dass  sie  in  striktester  Weise  durchgeführt 
werden  kann.  Sie  ist  also  nur  bei  intelligenten  und  gewissen¬ 
haften  Patienten  in  dieser  Form  anwendbar,  da  allerdings  mit 
bestem  Erfolg.  Die  mit  Infiltraten  komplizierten  Fälle  bleiben 
am  besten  wie  bisher  der  klinischen  Behandlung  Vorbehalten. 

Das  Optochinum  hydrochloricum  stellt  somit  ein  chemo¬ 
therapeutisches  Mittel  dar,  das  in  streng  spezifischer  Weise 
den  Pneumokokkus,  den  Erreger  des  Ulcus  serpens  und 
anderer  wichtiger  Augenaffektionen  abzutöten  imstande  ist. 
Die  Spezifität  geht  so  weit,  dass  man  bei  Versagen  der  Thera¬ 
pie  an  einen  anderen  Erreger  des  Ulcus  oder  an  eine  Misch¬ 
infektion  denken  muss.  Nur  in  ganz  vereinzelten  Fällen  scheint 
eine  angeborene  Giftfestigkeit  des  betr.  Pneumokokken¬ 
stammes  vorliegen.  Ich  selbst  habe  unter  ca.  100  Fällen 
nur  2  derartige  erlebt. 

In  ihrer  Eigenschaft  als  Chemotherapie  besitzt  die  Opto¬ 
chintherapie  noch  einige  weitere  Vorzüge:  Nur  die  Pneumo¬ 
kokken  werden  zerstört,  das  Gewebe  selbst  erleidet  bei  An¬ 
wendung  der  angegebenen  Konzentration  keine  bleibende 
Schädigung.  Es  wird  daher  kein  weiterer  Defekt  gesetzt,  als 
der  zu  Beginn  der  Behandlung  bereits  vorhandene,  die  Narbe 
wird  daher  so  klein  als  überhaupt  möglich.  Da  überdies  die 
Narbenbildung  eine  zarte  ist,  bleibt'  meist  ein  relativ  guter 
Visus  erhalten.  Endlich  ist  die  Anwendung  einfach  und  die 
Kosten  der  Behandlung  gering. 

Literatur. 

Morgenroth  und  Halberstädter:  Sitzungsber.  d.  Kgl. 
Preuss.  Akad.  d.  Wiss.,  Math.-phys.  Klasse,  v.  21.  Juli  1910.  —  Die¬ 
selben:  Ebenda,  12.  Jan.  1911.  —  Dieselben:  B.kl.W.  1911.  — 
Morgenroth  und  Rieh.  Levy:  Ebenda  1911,  I.  u.  II.  Mitt.  — 
Morgenroth  u.  Kaufmann:  Zschr.  f.  Immun. Forsch.  1912.  — 
Gutmann:  Ebenda  1912.  —  Morgenroth  u.  Ginsberg: 
B.kl.W.  1912.  —  Wright:  Lancet,  14.  und  21.  Dez.  1912.  — 
Morgenroth  u.  Kaufmann:  Zschr.  f.  Immun.Forsch.  1913.  — 
Morgenroth  u.  Ginsberg:  B.kl.W.  1913.  —  Ginsberg  u. 
Kaufmann:  Klin.  Mbl.  f.  Aughlk.  LI.  1.  1913.  S.  804.  — 

Boehncke:  M.m.W.  1913.  —  Tugendreich  u.  Russo:  Zschr. 
f.  Immun.Forsch.  1913.  —  A.  Leber:  39.  Vers.  d.  Ophth.  Ges.  Hei¬ 
delberg  1913.  —  M  Goldschmidt:  Klin  Mbl.  f.  Aughlk.  1913 
S.  449.  —  M.  Schur:  Klin.  Mbl.  f.  Aughlk.  1913  S.  469  u.  ff.  — 
Morgenroth  u.  Bumke:  D.m.W.  1914  H.  11  S.  538.  —  Schie¬ 
mann  u.  Ishiwara:  Zsch.  f.  Hyg.  77.  1914.  H.  1.  —  E.  Kraupa: 
Bact.  Prophylaxe  d.  operat.  Inf.  Kl.  Mbl.  f.  Aughlk.  1914  S.  185  u. 
186.  —  Kuhnt:  Niederrh.  Ges  f.  Natur-  u.  Heilk.,  Med.  Abt.,  Sitzung 
v.  19.  1.  1914.  —  A.  Darier:  La  clinique  opth.  20.  1914.  p.  17.  — 
N  a  t  a  n  s  o  n  -  Charkow:  1.  Vers.  russ.  Augenärzte,  zit.  n.  Klin.  Mbl. 
f.  Aughlk.  1914  S.  553.  —  S  o  1  o  w  j  e  f  f :  Russki  Wratsch  1914  Bd.  13; 
zit.  n.  Zbi.  f.  d.  ges.  Ophth.  S  138. 


Aus  der  dermatologischen  Universitätsklinik  zu  Freiburg  i.  Br. 

(Direktor:  Prof.  Dr.  E.  J  a  c  o  b  i). 

Ueber  die  Anwendung  kleiner  Salvarsandosen  bei 
sekundären  Anämien  und  Ernährungsstörungen. 

Von  Dr.  Kurt  Kall,  Assistenzarzt. 

Jeder,  der  Salvarsaninjektionen  in  grosser  Zahl  gemacht 
hat,  wird  beobachtet  haben,  dass  in  den  meisten  Fällen  der 
Ernährungszustand  sich  während  der  Behandlung  bessert  und 
die  Blutentnahmen  meist  schwieriger  sind  als  vor  der  Sal- 
varsanbehandlung,  da  ein  festes,  kerniges  Fettpolster  die 
Venen  nicht  mehr  so  deutlich  hervortreten  lässt.  Hierbei  war 
es  in  einer  Reihe  von  Fällen  Herrn  Prof.  J  a  c  o  b  i  aufgefallen, 
dass  das  entnommene  venöse  Blut  öfters  eine  hellrote,  fast 
arterielle  Färbung  hatte,  eine  Beobachtung,  die  auch  von 
anderer  Seite  gemacht  und  genauer  studiert  wurde  (Weil  und 
G  u  e  n  o  t).  Eine  Gewichtszunahme,  zumal  bei  reiner  Sal- 
varsanbehandlung  ohne  Hg,  ist  eine  fast  regelmässige  Erschei¬ 
nung,  wie  auch  eine  Hebung  des  Allgemein-  und  Wohlbefindens 
und  eine  Besserung  des  Appetits  von  Patienten  nach  Salvarsan 
oft  spontan  angegeben  wird. 

Wenn  man  das  Salvarsan  lediglich  als  Arsenpräparat  be¬ 
trachtet,  so  werden  die  letzteren  Erscheinungen  nicht  über¬ 
raschen.  Das  Arsen  wurde  ja  schon  immer  zur  Erzielung  eines 
guten  Fettpolsters  benützt  und  ist  seit  langer  Zeit  unser  bestes 


7.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Heilmittel  bei  Bluterkrankungen,  zumal  bei  sekundären  An¬ 
ämien. 

Der  Einfluss  des  Arseniks  auf  das  Blut  und  Knochenmark 
ist  unter  anderen  von  Bettmann  experimentell  am  Kanin¬ 
chen  erforscht  worden.  B  e  1 1  m  a  n  n  fand,  dass  der  Arsenik 
die  zirkulierenden  Blutkörperchen  zwar  schädigt,  aber  gleich¬ 
zeitig  einen  Reiz  auf  das  Knochenmark  ausübt,  und  so  neue 
Elemente  der  Blutbahn  zuführt. 

Die  schon  erwähnten  Erscheinungen,  wie  Besserung  der 
Ernährung  und  des  Allgemeinbefindens,  und  die  Gewichts¬ 
zunahmen  legten  es  nahe,  das  Salvarsan  auch  bei  nicht  lueti¬ 
schen  Anämien  zu  versuchen.  Besitzen  wir  doch  in  dem  Sal¬ 
varsan  ein,  bei  seinem  hohen  Arsengehalt,  wenig  toxisches 
Präparat,  das  allen  anderen  Arsenpräparaten  gegenüber  nur 
eine  geringe  Neurotropie  zeigt.  Dabei  war  selbstverständlich 
neben  dem  Allgemeinbefinden  und  dem  Gewicht  auch  das  Blut¬ 
bild  besonders  zu  berücksichtigen,  worauf  wir  schon  durch  die 
bereits  erwähnte  hellere  Farbe  des  Venenblutes  aufmerksam 
geworden  waren. 

Die  Einwirkung  des  Salvarsans  auf  die  zelligen  Elemente  des 
Blutes  ist  von  Schwa  er  geprüft  worden.  Derselbe  fand  nur  ge¬ 
ringe  Schwankungen  in  der  Blutbildzusammensetzung.  Bei  verschie¬ 
densten  Anämien  versuchte  er  auch  ganz  kleine  Dosen  (0,05  S.), 
ohne  dass  das  Blutbild  wesentlich  beeinflusst  wurde. 

H  o  e  s  s  1  i  n  behandelte  Anämien  mit  Acid.-arsenic.-Pillen  und 
zum  Vergleich  2  Fälle  mit  Salvarsan.  Er  fand  eine  Zunahme  der 
roten  Blutkörperchen  und  des  Hämoglobins.  Ueber  bedeutende 
Hebung  des  Hämoglobins  und  der  Zahl  der  roten  Blutkörperchen 
bei  B  a  n  t  i  scher  Krankheit  und  perniziöser  Anämie  berichten 
W.  Schmidt,  Perussia,  Vallardi  und  B  r  a  m  w  e  1 1. 

Weil  und  Guenot  berichten,  dass  nach  Salvarsaninjektionen 
bei  Lues  das  venöse  Blut  häufig  ein  fast  arterielles  Aussehen  hat, 
besonders  oft  in  den  ersten  Monaten,  jedoch  noch  vereinzelt  bis 
1  Jahr  später.  Ob  dieses  wirklich  durch  die  Hyperglobulie  verur¬ 
sacht  ist,  wie  die  beiden  Autoren  behaupten,  erscheint  uns  zweifel¬ 
haft.  Ausser  der  Vermehrung  der  roten  Blutkörperchen  stellten  sie 
eine  vermehrte  Widerstandskraft  gegen  hypotonische  Lösungen 
fest  und  sprechen  direkt  von  einer  „renovation  sanguine“.  Auch 
Thevenot  und  B  r  i  s  s  a  u  d  fanden  bei  Lues  eine  Vermehrung  der' 
roten  Blutkörperchen. 

Ich  wurde  im  Herbst  1913  durch  Herrn  Prof.  J  a  c  o  b  i  an¬ 
geregt,  die  Wirkung  kleiner  Salvarsandosen  bei  sekundären 
Anämien,  Unterernährung  u.  dergl.  zu  erproben.  Versuche 
bei  Lues  im  Anschluss  hieran  sind  noch  im  Gange  und  die 
Möglichkeit  der  Heilung  scheint  uns  nicht  ausgeschlossen. 

Ausser  dem  Material  unserer  Klinik  wurde  uns  durch  das 
liebenswürdige  Entgegenkommen  von  Herrn  Prof,  de  1  a 
Camp,  Direktor  der  medizinischen  Klinik,  noch  eine  Reihe 
schwerer  und  schwerster  Tuberkulosen  und  Anämien  zur  Be¬ 
handlung  zur  Verfügung  gestellt,  wofür  ich  an  dieser  Stelle 
meinen  besten  Dank  ausspreche. 

Die  Blutuntersuchungen  wurden  in  diesen  Fällen  in  der  medi¬ 
zinischen  Klinik  selbst  vorgenommen  (Sahli  und  Thoma-Zeiss- 
sche  Zählkammer).  Wir  selbst  benützten  zur  Hämoglobinbestim¬ 
mung  Heiliges  Kolorimeter  (nach  Authenrieth  und  Königs¬ 
berger  konstruiert),  das  nach  unseren  Erfahrungen  zuverlässiger 
ist  und  kleinere  Fehlerquellen  gibt  als  die  sonst  üblichen  Hämo¬ 
globinometer.  Zur  Zählung  der  roten  Blutkörperchen  benutzten  wir 
die  Bürkersche  Zählkammer,  jedoch  wurde  die  Zählung  der 
Erythrozyten  von  uns  nur  in  einem  Teil  der  Fälle  vorgenommen, 
da  wir  hierin  keine  grossen  Aenderungen  erwarteten. 

Unser  Ziel  war,  durch  ganz  kleine  Salvarsangaben  jede 
toxische  Arsenwirkung  zu  vermeiden  und  nur  den  blutbilden¬ 
den  Reiz  auszuüben,  um  so  bessere  Ernährung  und  Gewichts¬ 
zunahme,  sowie  Hebung  des  Allgemeinbefindens  zu  erzielen, 
und  zwar  in  zuverlässigerer  und  schonenderer  Weise,  als  dies 
bei  den  sonst  üblichen  Methoden  der  Arsenbehandlung,  denen 
allen  grössere  oder  kleinere  Mängel  anhaften,  der  Fall  ist. 
Durch  die  intravenöse  Zufuhr  des  Arsens  hofften  wir  eine 
rasche  Wirkung  und  sichere  Resorption  zu  erzielen,  und 
gleichzeitig  den  Darm  zu  schonen. 

Bei  der  Zufuhr  des  Arsens  per  os  in  der  Form  der  Solutio 
Fowleri  und  der  Arsenwässer  sind  ja  Verdauungsbeschwerden 
recht  häufig,  auch  wissen  wir  nicht,  wieviel  davon  resorbiert 
wird.  Beim  Gebrauch  der  arsenigen  Säure  scheint  mit  der  Zeit 
die  Resorption  durch  einen  Selbstschutz  des  Epithels  immer  ge¬ 
ringer  zu  werden  (Arsenesser).  Intravenöse  Injektionen  von 
Atoxyl  sind  wegen  der  Gefahr  der  Neuritis  optica  wohl  ganz 
verlassen.  Von  den  subkutanen  Injektionen  haben  die  ver¬ 


1507 


schiedenen  Kakodylate  den  Nachteil,  einen  unerträglichen 
Knoblauchgeschmack  hervorzurufen,  ausserdem  ist  die  Wir¬ 
kung  sehr  unsicher  und  zu  schwach.  Acid.  arsenic.,  Solut. 
Fowleri  und  die  Ziemssensche  Lösung  verursachen  bei 
subkutanen  Injektionen  oft  solche  Schmerzen,  dass  die 
Patienten  diese  Behandlung  nicht  zu  Ende  führen  lassen.  Auch 
wissen  wir  bei  subkutaner  Behandlung,  wobei  sich  Depots 
bilden,  nicht,  wieviel  von  dem  Arsen,  und  wann  dasselbe  re¬ 
sorbiert  wird.  Es  erscheint  uns  daher  die  intravenöse  Me¬ 
thode  als  die  sicherste. 

Wir  gaben  anfangs  Altsalvarsan  und  zwar  meist  nur  0,05 
in  10  ccm  physiologischer  Kochsalzlösung  neutralisiert  mit  der 
Rekordspritze  in  die  Armvene,  bei  Kindern  und  schwächlichen 
Personen  die  Hälfte.  Später  der  Einfachheit  halber  Neo- 
salvarsan  0,075  l)  (=  0,05  S.)  in  1  ccm  physiologischer  Koch¬ 
salzlösung.  Einen  Unterschied  in  der  Wirkung  zwischen  Alt- 
und  Neosalvarsan  sahen  wir  bei  unseren  Versuchen  nicht. 
Statt  Kochsalzlösung  benutzten  wir  beim  Neosalvarsan  auch 
gut  abgekochtes  Leitungswasser,  da  bei  diesen  kleinen  Flüssig¬ 
keitsmengen  der  Wasserfehler  keine  wesentliche  Rolle  mehr 
spielt.  Wo  kein  einwandfreies  Wasser  zur  Verfügung  steht, 
empfiehlt  es  sich,  die  von  Herrn  Dr.  T  a  e  g  e  angegebene 
Methode 2)  zur  raschen  synthetischen  Herstellung  einer  ge¬ 
brauchsfertigen,  absolut  sterilen  physiologischen  Kochsalz¬ 
lösung  anzuwenden. 

Der  ganze  Apparat  unserer  Injektionen  besteht  aus  einer 
1  ccm-Rekordspritze  und  einer  kleinen  Schale  zum  Lösen  des 
Neosalvarsans.  Beides  liegt  bei  uns  dauernd  in  Alkohol  und 
braucht  daher  vor  der  Injektion  nicht  erst  ausgekocht  zu 
werden.  Die  Lösung  des  Neosalvarsans  kann  auch  in  der 
Glasampulle  der  Packung  vorgenommen  werden.  Die  Technik 
wird  daher  niemand  Schwierigkeiten  bereiten,  und  die  Injek¬ 
tion  lässt  sich  ohne  Assistenz,  auch  von  Ungeübten,  innerhalb 
weniger  Minuten  ausführen. 

Der  Patient  hält  die  Stauungsbinde  selbst.  Durch  Aspi¬ 
ration  von  Blut  in  die  nicht  ganz  gefüllte  Rekordspritze  stellen 
wir  fest,  ob  wir  auch  wirklich  in  der  Vene  sind,  und  nachdem 
der  Patient  selbst  die  Binde  vorsichtig  losgelassen,  injizieren 
wir  langsam. 

Wir  gaben  Neosalvarsan  meist  intravenös;  in  diesen 
kleinen  Dosen  kann  es  jedoch  ohne  besondere  Beschwerden 
auch  subkutan  in  der  Glutäal-  oder  Subskapulargegend  ge¬ 
geben  werden,  am  besten  in  Vi  ccm  physiologischer  Koch¬ 
salzlösung.  Wenn  es  uns  dabei  gelingt,  nach  Wechsel¬ 
mann,  auf  die  Faszie  zu  injizieren,  so  sind  diese  Injektionen 
fast  völlig  schmerzfrei,  immerhin  aber  hat  die  intravenöse 
Methode  sich  uns  am  besten  bewährt.  Die  Injektionen  wurden 
gewöhnlich  2  mal  wöchentlich  vorgenommen,  können  aber 
auch  jeden  zweiten  Tag  wiederholt  werden. 

Irgendwelche  lokale  Beschwerden  an  der  Injektionsstelle 
oder  toxische  Erscheinungen,  Fieber  und  sonstige  Be¬ 
schwerden  sahen  wir  selbst  bei  den  schweren  Tuberkulose¬ 
fällen  und  bei  ambulanten  Patienten  nie.  Auch  bei  einer  An¬ 
zahl  von  Luesfällen,  die  wir  versuchsweise  mit  unseren  kleinen 
Dosen  behandelten,  wurden  Neurorezidive,  die  ja  gerade  nach 
kleinen  Salvarsangaben  Vorkommen  sollen,  nicht  beobachtet. 
Die  Besserung  des  subjektiven  Befindens  und  des  Aussehens 
war  in  manchen  Fällen  überraschend. 

Wir  behandelten  bis  jetzt  55  Fälle  mit  kleinen  Salvarsan¬ 
dosen.  Von  diesen  entzogen  sich  16  vor  Beendigung  der  Be¬ 
handlung  der  Weiterbeobachtung  meist  aus  äusseren  Gründen 
nach  Entlassung  aus  dem  Hospital. 

In  einer  Anzahl  von  sehr  schweren  Tuberkulosen  (6)  sahen 
wir  schrittweise  ein  Heruntergehen  des  Hämoglobins  und  der 
roten  Blutkörperchen  und  hatten  den  Eindruck,  als  werde  dies 
durch  die  Salvarsantherapie  beschleunigt.  Doch  hob  sich  auch 
in  diesen  Fällen  das  Körpergewicht  oder  ging  zum  mindesten 
nicht  herunter.  Es  scheint  eben  in  diesen  schweren  Fällen  von 
Tuberkulose  das  Knochenmark  nicht  mehr  auf  den  Arsenreiz 
zu  reagieren  und  so  nur  die  toxische  Wirkung  zur  Geltung  zu 
kommen.  Wir  möchten  daher  in  Fällen  von  vorgeschrittener 
und  fieberhafter  Lungentuberkulose  vor  Anwendung  des  Sal- 


J)  Packungen  von  Salvarsan  0,05  und  Neosalvarsan  0,075  sind 
jetzt  im  Handel  zu  haben. 

2)  M.m.W.  1914  Nr.  24. 


3* 


1508 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  27. 


varsans  warnen,  da  selbst  eine  Hebung  des  Gewichts  durch 
die  Verschlechterung  des  Blutbildes  nicht  erkauft  werden 
darf :1).  Auch  einige  Fälle  von  schwerer  Psoriasis  behandelten 
wir  mit  kleinen  Salvarsandosen  ohne  lokale  Therapie  und 
sahen  ein  Zurückgehen  und  Abblassen  der  Infiltrate  und  Ver¬ 
schwinden  der  Schuppung  bis  auf  wenige  hartnäckige  Herde. 
Allerdings  gelang  es  uns  in  einem  alten,  aussergewöhnlich 
schweren  Falle  selbst  durch  eine  Reihe  von  32  Injektionen 
(2  mal  wöchentlich  ä  0,075  Neosalvarsan)  nicht,  eine  völlige 
Heilung  zu  erzielen.  In  einem  Fall  von  Dermatitis  herpeti- 
formis  sahen  wir  schon  nach  6  Injektionen  ä  0,075  Neo¬ 
salvarsan  seit  2  Monaten  keine  neuen  Schübe  mehr  auftreten. 
Derselbe  hatte  vorher  Solut.  Fowleri  erfolglos  genommen  und 
wegen  der  Magenbeschwerden  aufgeben  müssen. 

Mit  sehr  gutem  Erfolg  behandelten  wir  7  Fälle  von  An¬ 
ämien  mit  leichter  und  mittelschwerer  Tuberkulose,  17  Fälle 
sekundärer  Anämien  bei  Lupus  und  anderen  Hautkrankheiten 
und  9  Luesfälle. 

Die  Veranlassung,  auch  bei  Tuberkulose  mit  sekundärer 
Anämie  kleine  Salvarsandosen  in  grösserem  Massstabe  zu 
versuchen,  gab  uns  der  glänzende  Erfolg  bei 

Fall  1.  20  Jahre,  Dienstmann,  ausgedehnter  Lupus,  lupöse 

Elephantiasis  und  leichte  Spitzentuberkulose,  hatte  vom  7.  IX.  bis 
25.  XI.  hier  im  Krankenhaus  ständig  und  zwar  von  54,5 — 51  kg  abge¬ 
nommen.  Ab  Ende  November  18  Injektionen  von  0,05  AS.  i.  v.  in 
3 — 4  tägigen  Pausen.  Das  Gewicht  hob  sich  seitdem  ständig  und  be¬ 
trägt  seit  März  bis  heute  57  kg.  Der  Hämoglobingehalt  stieg  von 
62  auf  76  Proz. 


Tabelle  1.  Leichte  und  mittelschwere  Tuberkulosen  mit  sekundären 

Anämien. 


c 

z 

U 

u 

Diagnose 

Therapie 

Hämogl. 

Proz. 

Rote  Blutk. 
in  Millionen 

Gewicht 

kg 

< 

vor 

nach 

vor 

nach 

vor 

nach 

Ui 

der  Behandlung 

2 

19 

m. 

Lnpus  u.  Spitzen¬ 
tuberkulose 

10  ä  0,05  AS. 

85 

91 

53,5 

55,2 

3‘) 

41 

w. 

Spitzentuberk. 

14  ä  0,025  NS. 

G8 

05 

4,05 

4,50 

47,5 

50,5 

4 

21 

w. 

do 

14  ä  0,075  NS. 

30 

4t 

3,50 

4,47 

46 

47,5 

5 

44 

w. 

do. 

12  ä  0,075  NS. 

55 

65 

4,00 

5,60 

47 

47,5 

c 

23 

w. 

Chloroanämie  mit 
leichter  Titberk. 

14  ä  0,075  NS. 

15 

34 

2,60 

3,90 

52 

57 

7 

22 

m. 

Tuberk.  Uleus  d. 
Nase,  alte  Tuber¬ 
kulose  d.  Lungen 

12  a  0,15  NS. 

60 

71 

4,51 

4,82 

54 

55,5 

Tabelle  2.  Sekundäre  Anämien  bei  Lupus  und  anderen  Hautkrank-' 

heiten  etc. 


8 

26 

w. 

Lupus  fac. 

14  ä  0,075  NS. 

84 

88 

47,5 

48,5 

D 

47 

111. 

Lup.  vulg.  u. 

14  ä  0,075  NS. 

87 

87 

82 

86 

elephantiasis 

10 

9 

m. 

Lup.  vulg. 

15  ä  0,02  AS. 

79 

78 

, 

29 

31,2 

11 

12 

w. 

do. 

14  ä  0,025  NS. 

77 

83 

36 

37,5 

12 

23 

w. 

do 

14  ä  0,075  NS. 

79 

80 

58,5 

69 

13 

43 

w. 

do. 

12  ä  0,075  NS. 

66 

73 

53,3 

54,2 

14 

65 

m 

Psoriasis,  Furunk. 

8  a  0,075  NS 

74 

80 

62,5 

65 

15 

32 

m. 

Psoriasis 

32  ä  0,075  NS. 

79 

80 

66,5 

69 

16 

20 

in. 

do.  • 

20  ä  0,075  NS 

61,5 

64,5 

17 

17 

w. 

Arthritis  gon. 

14  ä  0,075  NS. 

79 

81 

48,5 

51,8 

18 

19 

in. 

Gonorrh  a.  et  p. 

14  ä  0,05  AS. 

84 

90 

62 

65 

19 

81 

m. 

do. 

10  ä  0,05  AS. 

76 

84 

71,5 

71,5 

20 

16 

w. 

Ekzem 

7  ä  0,05  AS. 

75 

77 

56,5 

58,5 

21 

20 

m. 

do. 

6  ä  0,05  AS. 

86 

90 

76 

78 

22=) 

48 

in. 

Psoriasis 

6  ä  0,075  NS. 

67 

78 

65 

68,5 

23 

20 

w. 

Dermatitis  herpet. 

8  ä  0,075  NS. 

81 

93 

68,5 

71 

24 

43 

w. 

Perniziöse  Anämie 

14  ä  0,075  NS. 

20 

23 

0,90 

1,25 

46 

49,5 

•)  Hatte  auch  auf  Natr.  arsenic.  vorher  schon  gut  reagiert. 
Hatte  hier  in  der  Klinik  vorher  1%  kg  abgenommen. 


Bei  Fall  24  war  allerdings  schon  einen  Monat  nach  Abschluss 
der  Behandlung  der  Hämoglobingehalt  auf  16  Proz.,  die  Anzahl  der 
roten  Blutkörperchen  auf  0,90  Millionen  gefallen,  während  das  Ge¬ 
wicht  sich  auf  49,5  kg  hielt.  Pat.  kam  2  Monate  später  nach  einer 
Milzexstirpation  ad  exitum. 

Betonen  möchten  wir  noch,  dass  unsere  Lupuspatienten 
sämtlich  gleichzeitig  angreifenden  Pyrogalolkuren  und  der  Be¬ 
handlung  mit  Diathermie  unterzogen  wurden.  Die  Gonor- 
rhoiker  bekamen  gleichzeitig  intravenös  Arthigon  bis  zu  hohen 
Dosen. 

Eine  ganze  Reihe  von  Patienten  war  schon  erfolglos  mit 
anderen  Arsenpräparaten  behandelt  worden. 

3)  Auf  dem  diesjährigen  südwestdeutschen  Neurologentag  zu 
Baden-Baden  hat  Herr  Dr.  Erlen  m  eye  r,  Assistent  der  medi¬ 
zinischen  Klinik,  wie  er  uns  nachträglich  mitteilte,  in  der 
Diskussion  diese  Tatsache  erwähnt.  Herr  Dr.  Erlenmeyer,  der 
uns  5  dieser  ungünstig  reagierenden  Fälle  zur  Verfügung  gestellt 
hatte,  kannte  die  übrigen  Ergebnisse  unserer  Versuche  nicht,  Es 
scheint  uns  nicht  angängig,  aus  den  negativen  Resultaten  bei  diesen 
schwerkaehektischen  Tuberkulosen  verallgemeinernde  Schlüsse  über 
die  Arsenwirkung  des  Salvarsans  zu  machen. 


Tabelle  3.  Luesfälle. 


U 

D 

•  u 

Diagnose 

Therapie 

Hämogl. 

Proz. 

Rote  Blutk. 
in  Millionen 

Gewicht 

kg 

< 

3  ~ 

vor 

nach 

vor 

nach 

vor 

nach 

</) 

der  Behandlung 

25 

32 

in. 

Lues  lat. 

7  ä  0,05  AS 

86 

86 

46 

52,5 

26 

45 

w. 

Spätlues  cerebro¬ 
spinalis 

14  ä  0,075  NS. 

GG 

72 

5,17 

4,00 

62 

57 

27 

36 

in. 

Lues  III 

10  ä  0,3  NS 
epifa,c. 

74 

81 

4,22 

5,20 

85 

85 

28 

32 

w. 

Lues  II 

12  ä  0,3  NS 
epifasc. 

74 

80 

4,76 

4,85 

56 

59 

29 

31 

m. 

do. 

9  ä  0,3  NS. 
epifasc 

86 

88 

4,94 

5,12 

68,5 

71 

30 

20 

w. 

Lues  I 

14  ä  0,1  NS. 
intravenös 

52 

57 

4,76 

4,59 

50,6 

50 

31 

25 

w. 

Lues  III  cong. 

9  ä  0,3  NS. 
epifasc. 

53 

57 

4,45 

4,93 

55 

59 

32 

23 

w. 

Lues  II 

12  ä  0,075  NS. 

74 

79 

5,57 

4,36 

59,7 

62 

33 

21 

in. 

do. 

10  ä  0,3  NS. 
epifasc. 

86 

86 

6,09 

6,35 

• 

66 

Ueber  die  Heilwirkung  unserer  kleinen  Salvarsandosen  bei  Lues 
werden  wir  später  noch  berichten. 

Auf  Grund  unserer  Erfahrungen  können 
wir  in  allen  Fällen  von  sekundären  Anämien 
jeder  Art  und  leichten  Tu  berkulosenSalvars  an 
resp.  Neosalvarsan  in  kleinen  Dosen  von  0,05 
r  e  s  p.  0,075  als  eine  einfache  und  gefahrlose 
A  r  s e n t h e  r  a  p  i  e  zur  Hebung  des  Körperge¬ 
wichtes,  des  Blutbildes  und  des  subjektiven 
Wohlbefindens  auch  dem  Praktiker  warm 
empfehlen.  Die  Gesamtzahl  der  nötigen  In¬ 
jektionen  beträgt  10 — 15;  event.  ist  nach  Pause 
von  einigen  Wochen  die  Kur  zu  wiederholen. 

Auch  mit  unseren  kleinen  Dosen  führen  wir  dem  Körper 
relativ  grosse  Mengen  Arsen  zu.  Es  scheint  nun,  dass  auf 
die  plötzliche  intravenöse  Einverleibung  solcher  Arsenmengen, 
besonders  in  der  Form  des  Salvarsans,  der  Organismus  und 
die  blutbildenden  Zellen  besser  reagieren  als  auf  innerliche  und 
subkutane  Einführung,  wobei  die  Resorption  nicht  nur  un¬ 
sicher,  sondern  auch  weit  langsamer  erfolgt. 

Als  hauptsächlichen  Vorteil  der  Methode  möchten  wir 
nochmals  die  leichte  Technik  —  auch  von  Ungeübten  ist  die 
Injektion  in  wenigen  Minuten  ausführbar  —  hervorheben.  Be¬ 
tonen  möchten  wir  noch  besonders  das  Ausbleiben  von  Stö¬ 
rungen  der  Verdauung,  wie  wir  sie  bei  längerer  interner  Dar¬ 
reichung  von  Arsenpräparaten  sehen  oder  von  Schmerzen 
nach  subkutaner  Injektion,  bei  zuverlässigster  Wirkung  unserer 
Methode. 

Literatur. 

1.  Bettmann:  Ueber  den  Einfluss  des  Arseniks  auf  das  Blut 
und  Knochenmark  des  Kaninchens.  Heidelberg.  —  2.  R.  Bilbault: 
De  la  resistance  globulaire  dans  les  etats  morbides  et  chez  les  mal. 
traites  par  le  „606.  These  de  Paris  1913.  —  3.  Bramwell:  2  Fälle 
mit  perniziöser  Anämie  mit  Salvarsan  behandelt.  Brit.  med.  Journ. 
1911.  —  4.  Guenot:  Contribution  ä  l’etude  de  l’Arsenobenzol  „606“. 
These  de  Paris  1912.  —  5.  Hoesslin:  Ueber  den  Einfluss  des 
Arseniks  auf  den  Ellutbefund.  Ther.  Mh.  1913.  —  6.  Perussia:  Ein 
Fall  von  Anaemia  splenica  der  Erwachsenen  mit  Salvarsan  be¬ 
handelt.  M.m.W.  1912.  —  7.  W.  Schmidt:  Ueber  B  a  n  t  i  sehe 
Krankheit  bei  hereditärer  Lues  und  ihre  Behandlung  mit  Salvarsan. 
M.m.W.  1912.  —  8.  Schwaer:  Ueber  die  Einwirkung  des  Salvarsans 
auf  die  zelligen  Elemente  des  Blutes.  M.m.W.  1912.  —  9.  Thevenot 
et  Brissaud:  Modifications  des  Globules  sanguins  apres  injection 
de  606  Congr.  frang.  de  med.  int.  Lyon  1911.  —  10.  Vallar  di: 
Spleno-anämische  Syndrome  und  Salvarsanbehandlung.  M.m.W.  1912. 

II.  Weil  et  Guenot:  De  la  renovation  sanguine  determ.  chez 
les  syph.  par  le  dioxydiamidoarsenobenzol.  Presse  medicale  1914. 


Aus  der  medizinischen  Poliklinik  der  Universität  Tübingen 
(Vorstand  Prof.  Dr.  N  a  e  g  e  1  i). 

Poliklinische  Erfahrungen  mit  Larosan. 

Von  Friedrich  Föhrenbach. 

Seit  zu  Beginn  des  vergangenen  Jahres  Stoeltzner  [  1 1 
die  ersten  Mitteilungen  über  das  auf  seine  Veranlassung  von 
der  Firma  Hoffmann-La  Roche  hergestellte  und  in  den  Handel 
gebrachte  Kasein-Kalzium  (Larosan)  als  Ersatz  für  die  Eiweiss¬ 
milch  gemacht  hat,  sind  schon  von  den  verschiedensten  Seiten 
Publikationen  über  Larosan  erschienen,  die  sich  auf  Grund 
eines  zum  Teil  ziemlich  umfangreichen  Materials,  fast  durch¬ 
weg  für  die  gute  Verwendbarkeit  des  Larosans  bei  der  Be¬ 
handlung  ernährungsgestörter  Säuglinge  und  junger  Kinder 


7.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1 509 


aussprechen.  Ich  erwähne  hier  nur  die  Arbeiten  von 
Forcart  [2],  von  W  e  h  n  e  r  [3],  von  B  e  r  1 1  i  c  h  [4]  aus  der 
S  t  o  e  1 1  z  n  e  r  sehen  Klinik  selbst,  die  jüngsten  Veröffent¬ 
lichungen  Wegners  [5],  die  Beobachtungen  Cursch- 
in  a  n  n  s  [6]  in  Mainz.  Im  Ausland  haben  sich  in  Russland 
Ostrowstzy  [7]  und  Stawsky  [8],  in  Italien 
G  u  i  d  e  [9]  mit  der  Erprobung  des  Larosans  beschäftigt. 

Unsere  Erfahrungen  mit  Larosan  in  der  poliklinischen 
Klientel  in  Tübingen  stehen  zwar  an  Zahl  der  behandelten 
Fälle  zum  Teil  erheblich  hinter  anderen  Veröffentlichungen  zu¬ 
rück,  aber  sie  scheinen  mir  doch  nicht  eines  gewissen  Inter¬ 
esses  zu  entbehren,  weil  es  mir  bei  meiner  Versuchsanordnung 
in  erster  Linie  darauf  ankam,  zu  erproben,  ob  und  inwieweit 
die  Larosanmilchernährung  geeignet  ist,  in  der  ganz  allge¬ 
meinen  Praxis  Verwendung  zu  finden,  und  ob  ihre  Einführung 
auch  bei  Kindern  der  sozial  und  hygienisch  am  schlechtesten 
gestellten  Bevölkerungsschichten  —  in  denen  sonst  bekannter- 
massen  eine  auch  nur  einigermassen  komplizierte  Therapie  dem 
Arzt  die  grössten  Schwierigkeiten  bereitet  —  mit  Vorteil  mög¬ 
lich  ist. 

Ich  kann  vorausgreifend  hier  schon  sagen,  dass  in  allen 
von  mir  beobachteten  Fällen  es  den  meist  in  sehr  ärmlichen 
Verhältnissen  lebenden  Müttern,  die  zudem  oft  einen  grossen 
Teil  des  Tages  von  zu  Hause  abwesend  waren,  gelang,  die 
für  ihre  Kinder  bestimmte  Larosanmilch  nach  einmaliger  An¬ 
weisung  so  einwandfrei  herzustellen,  dass  ein  therapeutischer 
Erfolg  erzielt  werden  konnte.  Wegen  der  Einfachheit  in  der 
Zubereitung  und  wegen  des  so  schnell  bemerkbar  werdenden 
Erfolges  wurde  das  Larosan  allenthalben  von  den  Müttern 
gern  und  daher  auch  mit  einer  gewissen  Sorgfalt  und,  wo  es 
nötig  erschien,  auch  mit  Ausdauer  gegeben,  alles  Umstände, 
die  den  Erfolg  wesentlich  förderten. 

In  der  Art  der  Zubereitung  hielten  wir  uns  im  wesent¬ 
lichen  an  die  von  Stoeltzner  gegebene  und  jeder  Larosati- 
packung  beigefügten  Vorschriften.  Ich  habe  allerdings  die  Er¬ 
fahrung  gemacht,  dass  es  zweckmässig  ist,  einmal  die  zum 
Anrühren  bestimmte  Milch  dem  Larsosan  langsam  unter 
ständigem  Rühren  zuzuführen  und  dass  man  zweitens  nicht 
länger  wie  2 — 3  Minuten  kochen  soll;  seiht  man  nun  durch, 
so  bleibt  so  gut  wie  kein  Rückstand  im  Sieb  zurück.  Die  so 
zubereitete  Larosanmilch  wurde  von  allen  damit  ernährten 
Kindern  anstandslos  und  gern  genommen;  Erbrechen  trat  nie 
ein,  im  Gegenteil,  wo  dasselbe  vorher  bestanden  hatte,  hörte 
es  jetzt  völlig  auf. 

Meine  Versuchsanordnung  war  im  allgemeinen  folgende: 

Die  Frauen,  die  ihre  erkrankten  Kinder  in  unsere  poli¬ 
klinische  Sprechstunde  brachten,  wurden  dort,  nach  Unter¬ 
suchung  der  Kinder,  beraten  und  erhielten  das  Larosanpräparat 
nebst  mündlicher  oder  schriftlicher  Anweisung  und  Er¬ 
nährungsvorschrift  mit  nach  Hause.  Im  Laufe  der  Behandlung 
wurden  die  Kinder  dann  von  mir  gewöhnlich  2 — 3  mal 
wöchentlich  besucht,  dabei  wurden  eventuell  erforderlich  ge¬ 
wordene  Vorschriften  oder  Abänderungen  in  der  Ernährung 
gegeben  und  die  notwendigen  Aufzeichnungen  über  das  Be¬ 
finden  der  Kinder  insbesondere  über  Art  und  Anzahl  der 
Stühle  gemacht;  die  Gewichtskontrolle  erfolgte  wöchentlich 
einmal  auf  der  Kinderwage  der  Poliklinik;  eine  tägliche  Wä¬ 
gung  war  leider  nicht  durchführbar. 

Auch  nach  dem  Aufhören  der  Larosantherapie  behielt  ich 
die  Kinder  nach  Möglichkeit  noch  länger  im  Auge,  um  mich 
von  der  Dauerhaftigkeit  des  erzielten  Erfolges  überzeugen  zu 
können.  Die  Auwahl  der  Kinder,  die  wir  für  den  Versuch  der 
Larosanmilchbehandlung  für  geeignet  erachteten,  traf  sowohl 
solche  mit  schon  länger  bestehender  Dekomposition,  mit 
Milchnährschaden,  exsudative  dyspeptische  Kinder  sowie  auch 
Kinder  mit  akuten  Dyspepsien. 

Ueber  die  Art  der  Behandlung  und  die  dabei  erzielten  Re¬ 
sultate,  werden  die  im  Folgenden  in  Kürze  wiedergegebenen 
Krankengeschichten  den  besten  Aufschluss  geben. 

Fallt  Bertha  B.,  Buchbinderskind,  geh.  30.  VII.  13,  8  Tage 
gestillt,  dann  „ging  es  nicht  mehr“  Ernährung  mit  14  Milch,  'A  Reis- 
inehlsuppe,  alle  2  Stunden  und  häufiger;  nachts  2 — 3  mal.  Durchfälle 
10—12  am  Tag  seit  Geburt;  viel  Erbrechen.  Poliklinische  Behand¬ 
lung  seit  30.  XI.  13. 

Status:  Aeusserst  reduzierter  Ernährungszustand,  schlaffe 


Muskulatur,  meteoristisches  Abdomen;  Kopfgrind,  Intertrigo  am  Ge- 
säss,  Gewicht  3640  g. 

Ordination:  Larosanmilch  +  Reisschleim  aä;  mit  8  Mahl¬ 
zeiten  am  Tage  beginnend  in  Gesamtmenge  von  ca.  800  g;  nachts  ein¬ 
mal  Thee  mit  Saccharin. 

31.  X.  5  dünne  Windeln. 

1. — 3.  XI.  Je  3  dünne  Windeln. 

Ab  4.  XI.  täglich  3 — 2  gute,  gelbe,  glatte  Windeln,  Gewicht  am 
6.  XI.  3750  g,  am  13.  XI.  3900  g  . 

Ab  13.  XI.  anstatt  Reisschleim  Kufekemehlabkochung;  Stühle 
bleiben  gut,  Gewicht  am  20.  XI.  4050  g. 

Ab  23.  XI.  Yi  Larosanmilch  +  14  Kufeke,  1000  g  pro  die;  Win¬ 
deln  bleiben  gut. 

27.  XI.  Gewicht  4150  g  . 

3  XII.  6  dünne  verspritzte  Windeln.  O  r  d.  Larosan  +  Reis¬ 
schleim  ää;  800  g  pro  die. 

Stühle  rasch  wieder  besser,  ab  10.  XII.  wieder  Kufeke.  Gewicht 
am  4.  XII.  4220  g,  am  18.  XII.  4440  g. 

Ab  23.  XII.  Larosan  weg.  Stühle  bleiben  gut.  30.  XII.  Gewicht 
5000  g. 


Geweht 


Ernährung 


5tuh! 

-  dunnerbtuh! 


fester  ge  - 

formteri/uN 


Fig.  1.  Fall  1.  Bertha  B. 


In  dem  vorliegenden  Falle  ist  bemerkenswert,  dass  hier  die 
hohe  Zahl  der  täglichen  durchfälligen  Entleerungen  sofort  mit 
Beginn  der  Larosanmilchernährung  herabgesetzt  wird,  und 
dass  vom  4.  Tage  an  die  Durchfälle  selbst  salbenartigen  und 
späterhin  geformten  guten  Stühlen  Platz  machen;  ebenso  be¬ 
merkenswert  ist,  dass  das  stets  vorher  aufgetretene  Erbrechen 
mit  dem  Beginn  der  Larosanernährung  sogleich  völlig  sistiert. 
Die  neue  Nahrung  wird  also  von  dem  zweifelos  sehr  ge¬ 
schwächten  Darm  gut  vertragen,  die  Gärungsvorgänge  hören 
sofort  auf  und  das  Kind  ist  imstande,  schon  nach  14  Tagen 
den  Uebergang  zur  kohlehydratreichen  Nahrung  ohne  Rück¬ 
schlag  zu  ertragen.  —  Als  auf  eine  zu  plötzliche  Reduktion 
der  Larosanmilch  von  5:5  Kufeke  auf  3:5  Kufeke  mit  wieder 
dünneren  Stühlen  reagiert  wird,  werden  diese  durch  die  Stei¬ 
gerung  des  Larosanmilchgehaltes  in  der  Nahrung  sofort  wieder 
zu  normalen  Stühlen  zurückgeführt.  Auch  eine  zweifellos  durch 
Zufüttern  von  seiten  der  Mutter  verursachte  akute  Dyspepsie 
wird  dadurch,  dass  an  Stelle  der  kohlehydratreichen  Ver¬ 
dünnungsflüssigkeit  eine  kohlehydratärmere  eingelegt  wird,  so¬ 
fort  zum  Stillstand  gebracht.  —  Die  Gewichtskurve  ist  mit 
Beginn  der  Larosanmilchernährung,  ohne  vorübergehendes 
Sinken,  sofort  angestiegen  und  geht  während  der  ganzen 
Dauer  des  Versuches  aufwärts;  in  der  Nachperiode  macht  das 
Kind  bei  gewöhnlicher  Milchernährung,  im  Gegensatz  zu  der 
Zeit  von  der  Larosanernährung  regelmässige  gute  Fort¬ 
schritte. 

Fall  2.  Erich  T.,  Bauernkind,  geb.  6.  V.  13.  Die  ersten  14  Tage 
Ueberernährung  mit  Muttermilch  —  dann  Muttermilch  nur  noch 
nachts,  tagsüber  2  stündlich  Kuhmilch,  daneben  3  mal  Mehlbrei.  Seit 
Anfang  Juli  viel  Erbrechen,  täglich  5 — 6  dünne  Windeln. 

Status:  Schwer  dekomponiertes  Kind.  Gewicht  3610g.  Poli¬ 
klinische  Behandlung  seit  15  Juli. 

Ord.:  15.  VII.  3  mal  0,003  Kalomel,  Theediät;  ab  6  Uhr  abends 
zweistündlich  Ammenmilch  in  kleinsten  Dosen. 

16.  VII.  Zweistündlich  3  Strich  Larosanmilch  mit  %  Liter 
Wasser,  mit  dünnem  Schleim  auf  14  Liter  aufgefüllt.  Kind  ruhiger, 
3  Windeln,  nicht  mehr  grün,  gelb  mit  grossem  Wasserhof. 

17.  bis  22.  VII.  3  mal  täglich  Ammenmilch,  sonst  dreistündlich 
3  Strich  Larosanmilch  (10:500).  Täglich  1  Windel,  salbenartig  gelb; 
in  den  letzten  Tagen  Bronchitis.  —  22.  VII.  Gewicht  3550  g. 


1510 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  27. 


23.  bis  29.  VII.  Steigerung  der  Larosanmahlzeit  von  jeweils 

1  aUl4b  4trVHI  ^  bis^.  IX.gkcine  Ammenmilch  mehr ;  3  stündlich  100  g 
Larosanmilch  Täglich  1-2  grauweissliche  feste  Stuhle.  Gewicht  am 
8  VIII  3900  g,  am  22.  VIII.  4120  g,  am  6.  IX.  4440  g. 

Ab  22.  IX.  Larosan  weg.  Stühlen  bleiben  weiter,  aiich  beim 

Uebergang  zur  gemischten  Kost,  gut.  Kind  hat  am  -  •  • 

Gewicht  von  6990  g,  macht  guten,  kräftigen,  gesunden  Eindruck. 

In  diesem  Fall  von  schwerer  Dekomposition  wollten  wir 
nicht  darauf  verzichten,  den  Darm  zunächst  moschst  sehnen 
zu  entleeren  und  der  Ernährungstherapie  eine  halbtägige  Thee- 
diät  vorangehen  zu  lassen.  Da  uns  Frauen-  (Amme  -) 
zur  Verfügung  stand,  so  gaben  wir  das  Larosan  zunächst 
8  Tage  lang  ohne  Kuhmilchverdünnung.  Der  Erfolg  war  auch 
hier  wieder  der,  dass  nach  Beginn  der  Larosanmilchernahrung 
die  durchfälligen  Stühle  am  3.  Tage  aufhorten  und  das  Er¬ 
brechen  sofort  sistierte.  Das  Umsetzen  von  Frauenmilch  auf 
Kuhmilch  erfolgt  ohne  jede  Störung  von  seiten  des  Darm¬ 
kanals.  Dass  hier  in  der  ersten  Zeit  keine  Gewichtszunahme, 
sondern  zunächst  ein  wenn  auch  nicht  sehr  bedeutender  G  - 
Wichtsrückgang  eintrat,  ist  wohl  mit  der  zu  Beginn  des _Ve  - 
suchs  aufgetretenen  Bronchitis  erklärt.  Wie  günstig  di 
Toleranz  des  Darmes  durch  die  Larosanernährung  beeinflusst 
war  zeigt  die  nach  Beendigung  des  Larosanversuches  stetig 
ansteigende  üewichtskurve,  die  auch  dann  noch  anhalt,  als  das 
Kind  eine  für  ein  so  schwer  dekomponiert  gewesenes  Kind 
sicher  nicht  zweckmässige  Nahrung  erhält. 

Fall  3.  Johannes  K.,  Taglöhnerskind,  geb.  11.  VII.  13.  8  Tage 
gestillt,  dann  Ueberernährung  durch  Vollmilch,  Mehlsuppen.  Täglich 
6 — 8  dünne  Windeln,  viel  Erbrechen.  ,  XT  ,  , 

Status:  Sehr  abgemagertes,  dekompomertes  Kind.  Nebenbe¬ 
fund  Bronchitis,  Gewicht  4240  g. 

Ord  •  Kalomel  und  Theediät.  .  ...  , 

17.  XL  Larosan  20  g:  250  Wasser  mit  250  Schleim  verdünnt, 

2  Windeln,  fast  gelbgrau. 


18  XI  20  g  Larosan,  %  Liter  Wasser  mit  134  Proz.  Hafer¬ 
schleim  auf  %  Liter  aufgefüllt;  3  stündlich  80  g.  2  feste,  geformte 

bUlhlie9  XI  Zusatz  von  Milch  anstatt  Wassers  zu  20  g  Larosan;  sonst 

wie  am  18.  XI.  1  fester  geformter  Stuhl  Schleim 

30.  XI.  20  g  Larosan  +  14  Liter  Lilch  +  34  Liter  bchleim. 

(3  stündl.  100  g.)  Stuhl  in  der  letzten  Zeit  einmal  täglich,  fest,  ge- 

f0rmt{.  xil.  Gewicht  4380  g.  Ernährung  bleibt  weiter  so. 

16.  XII.  Gewicht  4470  g. 

29.  XIL  Gewicht  4610  g.  ,  *- 

15  I  14  Gewicht  4700  g.  Von  heute  ab  Larosan  weg.  Er¬ 
nährung  mit  -U  Milch  34  Haferschleim,  3  stündlich  120  g.  Stuhle  gelb, 
nicht  mehr  so  fest  wie  in  der  letzten  Zeit.  , 

Kind  lebhaft,  Abdomen  nicht  mehr  hart;  Aussehen  sehr  ge¬ 
bessert. 

Im  vorliegenden  Fall,  in  dem  eine  entschiedene  Kohle- 
hvdratiiberfütterung  bei  gleichzeitiger  ausgiebiger  Milchdar- 
reichung  die  Ernährungsstörung  herbeigeführt  hatte,  bringt 
das  2  Tage  lang  gegebene  Larosan  ohne  Milch  nur  in  Schleim¬ 
verdünnung  die  Durchfälle  sofort  zum  Stehen  und  gestattet 
vom  3.  Tage  ab  die  Milchzulage  ohne  Rückschlag;  gleichzeitig 
findet,  trotz  einer  begleitenden  Bronchitis  von  Anfang  an  ein 
Ansteigen  der  Gewichtskurve  statt. 


Es  folgen  die  Krankengeschichten  zweier  etwas  älterer, 
ausgesprochen  exsudativer  Kinder  mit  dyspeptischen  Er¬ 
scheinungen. 

Fall  4.  Eugen  B.,  Dreherskind,  geb.  25.  XII.  12.  6  Wochen 

gestillt,  dann  Ernährung  mit  Milch  und  Haferschleim,  in  den  letzten 
4  Wochen  täglich  Erbrechen  und  6 — 7  dünne  Stuhle.  , 

Poliklinische  Behandlung  seit  25.  X.  Kleines  schwaches  Kind, 
Kopfgrind,  Lingua  geographica  Gewicht  6360  g.  .  , 

Ord.:  Larosanmilch  mit  Kufekeabkochung  jeweils  (80.80)  drei- 

StUndDieh' ersten  3  Tage  noch  3  gehakte  Windeln,  kein  Erbrechen 
mehr.  Vom  4.  Tag  an  täglich  2  glatte  Windeln. 

Gewicht  am  29.  X.  6400  g.  ,.  , 

Dieselbe  Ernährung  bis  26.  XL  (Gesamtmenge  1000  g  pro  die) 

Ab  27.  XL  2,5—5  Proz.  S  o  x  h  1  e  t  s  Nährzucker. 

Stühle  bleiben  sut.  .  ^  ytt  er 

Gewicht  am  12.  XI.  6400  g,  am  29.  XI.  6310  g,  am  2. XII  6320  g 
(vom  21.  bis  29.  XL  ausgedehnte  Bronchitis),  am  11.  XII.  64/0  g. 

Ab  14  XII.  Larosan  weg;  2/s  Milch,  34  Kufeke,  Breie,  Gemüse. 
Gewicht  am  19.  XIL  6500  g,  am  24.  XIL  6570  g.  Gutes  Allgemein¬ 
befinden. 

Fall  5.  Ernst  F.,  geb.  25.  I.  13,  Kellnerinnenkind.  8  Tage  ge¬ 
stillt;  dann  Ernährung  mit  Milch,  Brei  mit  Zuckerzusatz  und  Kamillen- 

t,iee’ln  der  letzten  Zeit  bedeutende  Gewichtsabnahme,  viel  Erbrechen, 
Stühle  grün,  dünn  und  schleimig,  5—7  am  Tage.  Poliklinische  Be¬ 
handlung  ab  30.  X.  13.  _  ...  ,ir.n 

Status:  Im  Ganzen  gut  gepflegtes  Kind.  Gewicht  6100  g. 

Auf  Larosanmilch  und  Kufeke  stehen  die  Durchfälle  am  3.  Tage. 
Gewichtsanstieg  am  6.  XI.  auf  6350  g.  In  der  Folgezeit  treten  bei 
der  Larosannahrung  keine  Durchfälle,  kein  Erbrechen  mehr  au  , 
trotzdem  das  Kind  am  15.  XL  an  Bronchitis  mit  Temperaturen  bis 
39  6  erkrankt.  Gewicht  am  20.  XL  6300  g.  Verlegung  m  die  medi¬ 
zinische  Klinik,  dort  ohne  Schädigung  auf  Milch  und  Beikost  um- 
gesetzt.  Am  31.  XII.  Exitus  un  Pneumonie. 

In  den  beiden  letzten  Fällen  4  und  5  erscheint  die  gute 
Wirkung  des  Larosans  besonders  bezüglich  des  Anstieges  der 
Gewichtskurven  weniger  auffällig.  Es  ist  aber  dabei  in  Be¬ 
tracht  zu  ziehen,  dass  es  sich  hier  um  ausgesprochene  exsu¬ 
dative  Kinder  handelte,  bei  denen  die  Neigung  zu  immer  wieder 
auftretenden  Affektionen  der  Respirationsorgane  und  wohl 
auch  der  Darmschleimhaut  ein  ununterbrochenes  Gedeihen 
hindert.  Jedenfalls  sehen  wir  aber  auch  hier,  dass  Larosan 
die  bestehenden  und  auftretenden  Durchfälle  schnell  zum 
Schwinden  bringt  und  dass  es  unzweifelhaft  die  Toleranz  für 
Kuhmilch  und  Kohlehydrate  erhöht. 

F  a  1 1  6.  Pauline  K.,  geb.  22.  II.  12,  Weingärtnerskind.  4  Monate 
gestillt;  mit  5  Monaten  Masern;  seitdem  krank  und  nicht  mehr  weiter 
gediehen,  steht  noch  auf  der  Stufe  eines  5  monatlichen  Kindes;  statische 
Funktionen  und  Sprache  fehlen  noch  vollständig,  leidet  an  immer 
wieder  auftretenden  Bronchitiden  und  Bronchopneumonien  Seit  Mo¬ 
naten  Gewichtsstillstand;  Gewicht  5250  g.  Stühle  meist  dyspeptisch, 

dünnflüssig,  grün,  5 — 6  am  Jage.  „  ,  ,,  F 

Kind  steht  schon  seit  5.  XIL  12  in  poliklinischer  Behandlung,  Er¬ 
nährung  mit  Milch  und  Kufeke,  mit  Keil  er  scher  Malzsuppe  und 
vorübergehend  mit  Eiweissmilch. 

Seit  11.  VI.  13  Larosan;  34  Haferschleim,  ,4  Larosanmilch,  800  g 
pro  die  in  5  Mahlzeiten;  Gewicht  am  11  VI.  5250  g;  ab  12.  VII.  Zu¬ 
lage  von  3  Proz.  Soxhlets  Nährzucker;  Stuhle  werden  mit  Larosan- 
beginn  zum  erstenmal  salbenartig,  dann  geformt;  Kind  selbst 
munterer.  Die  Stühle  bleiben  bei  dem  Kind  bis  zu  seinem  am  5.  XL 
an  Pertussis  erfolgten  Exitus,  fest,  glatt;  als  wahrend  dieser  Zeit 
2  mal  aus  äusseren  Gründen  die  Larosanernahrung  ausgesetzt  werden 
musste,  nahm  jedesmal  bald  die  Zahl  der  Stühle  wieder  zu,  Durch¬ 
fälle  traten  auf,  die  aber  mit  Beginn  der  Larosanernahrung  sogleich 
wieder  standen.  x 

In  diesem  Fall,  bei  dem  es  sich  um  ein  in  jeder  Hinsicht 
schwer  reduziertes  Kind  handelte,  war  sicher  die  Ernährung 
mit  Larosan  neben  der  mit  Eiweissmilch,  die  aber  aus  tech¬ 
nischen  Gründen  nicht  durchgeführt  werden  konnte,  die  ein¬ 
zige,  die  als  Heil-  und  zugleich  Dauernahrung  das  Kind 
einigermassen  vorwärts  brachte. 

Das  zweimal  unfreiwillig  angestellte  Experiment  der 
Unterbrechung  in  der  Larosanernährung  zeigt  jedesmal  mit 
Sicherheit,  dass  hier  in  diesem  so  schwer  geschädigten  Or¬ 
ganismus  die  Toleranz  für  eine  Kuhmilch-  und  Kohlehydrat¬ 
ernährung  nicht  lange  über  die  Kaseinkalziumdarreichung  hin¬ 
aus  anhält. 

Fall  7  Eugen  R.,  geb  18.  VII.  13,  Schutzmannskind  Bis  vor 
14  Tagen  Mutterbrust  2  stündlich;  dann  nur  noch  2  mal  täglich,  sonst 
Kuhmilch  und  Kufeke.  Von  Anfang  an  schlecht  gediehen,  viel  Durch¬ 
fälle. 


7.  Juli  1914 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1511 


Status:  Sehr  kleines,  welkes  Kind,  aufgetriebenes  Abdomen;  Ge¬ 
wicht  4220  g. 

Poliklinische  Behandlung  ab  17.  XI.  13.  Morgens  und  abends 
Mutterbrust,  3  mal  am  Tage  Larosan  +  Kufeke  aä. 

Durchfälle  stehen 
*wi//*5*  sofort,  täglich  1  guter 
soiotr.  Stuhl,  der  vom  3.  Tage 
an  sehr  fest  wird.  — 
Zusatz  von  allmählich  stei¬ 
gernd  1,5 — 7  Proz.  Milch¬ 
zucker  erzielt  eine  gute 
glatte  Windel  pro  die. 

Gewicht  am  24.  XI.  4400  g, 
am  1.  XII.  4450  g,  am  13.  XII. 
4720  g. 

Seit  4.  XII.  Larosan  weg; 
sehr  gute  weitere  Fort¬ 
schritte. 

Es  hat  sich  hier  fast 
sofort  mit  Beginn  der 
Larosanernährung  eine 
unerwünscht  feste  Kon¬ 
sistenz  der  Stühle^  ein¬ 
gestellt.  In  solchen  Fällen 
scheint  dann,  wie  sich 
mir  auch  an  einem 
zweiten  weiter  unten  an¬ 
geführten  Fall  gezeigt  hat,  die  Zulage  von  Milchzucker  gute 
Dienste  zu  leisten,  trotzdem  derselbe  in  den  dem  Larosan  bei 
gegebenen  Anweisungen  als  ganz  ungeeignet  bezeichnet  und 
auch  von  Stoeltzner  selbst  nicht  empfohlen  worden  ist. 

Fall  8.  Margarethe  L„  Maurerskind,  geb.  12.  VII.  13.  6  Wochen 
lang  gestillt,  ganz  unregelmässig,  oft  stündlich  am  Tage  und  1 — 2  mal 
nachts.  Seit  Anfang  des  3.  Monats  alle  2  Stunden  14  Haferschleim, 
Yi  Milch  (Tagesmenge  der  Milch  etwa  3A  Liter.)  Seit  10  Wochen 
täglich  5 — 6  Windeln,  grün  verspritzt. 

In  poliklinische  Sprechstunde  am  25.  XI.  13.  Im  Ernährungs¬ 
zustand  reduziertes,  gut  gepflegtes  Kind;  aufgetriebenes  Abdomen. 
—  Gewicht  5200  g. 

Ord.  am  25.  XL:  Hungerdiät;  ab  26.  XI.  3  Tage  lang  je  20  g  Laro¬ 
san  in  Yt  Milch  +  Yi  Haferschleim;  jeweils  120  g  alle  3  Stunden.  Am 
4.  Tag  wiederkommen. 

Am  29.  XI.  bringt  die  Frau  das  Kind  wieder  mit  der  Angabe,  dass 
dasselbe  am  25.  abends  und  26.  vormittags  noch  je  2  grüne  dünne  Win¬ 
deln  gehabt  habe;  von  da  ab  habe  der  Durchfall  aufgehört,  das  Kind 
habe  am  26.  nachmittags,  am  27.  und  28.  noch  je  2  geformte  Stühle 
gehabt. 

Die  mitgebrachte  letzte  Windel  ist  fest,  grau,  trocken,  alkalisch 
reagierend.  Gewicht  5230  g. 

In  diesem  Fall  8,  der  einen  überraschend  schnellen  und 
guten  Erfolg  der  Larosanmilchtherapie  zeigte,  war  mir  leider, 
da  das  Kind  von  auswärts  mit  der  Bahn  gebracht  wurde,  die 
persönliche  Beobachtung  und  Kontrolle  nicht  mehr  möglich, 
und  musste  ich  mich  mit  der  schriftlichen  Angabe  begnügen, 
dass  das  Kind,  für  das  noch  für  3  Tage  Larosan  mitgegeben 
war,  auch  nach  Aussetzen  der  Larosanernährung  nicht  mehr 
an  Durchfällen  leide  und  gut  gedeihe. 

Fall  9.  Anna  H.,  Taglöhnerskind,  geb.  9.  VII.  13.  6  Wochen 
gestillt,  wenig  zugenommen;  Ernährung  mit  54  Milch,  2U  Reismehl¬ 
schleim,  2)4  stündlich,  keine  Zunahme,  4 — 5  dünne  Windeln;  dann 
Milch  -f  Kufekemehl,  2 — 3  Windeln  am  Tage,  breiig,  schüttet  viel  aus. 

Poliklinische  Behandlung  seit  4.  XII. 

Status:  Kleines  schwaches  Kind,  gut  gepflegt.  Gewicht  4210  g. 

Ord.:  10  g  Larosan  auf  Yt  Liter  Milch  +  54  Liter  Wasser,  auf 
morgens  und  abends  in  2  Mahlzeiten  verteilt.  Ausserdem  3  mal  täg¬ 
lich  54  Milch  +  2U  Kufekemehlabkochung  . 

Windeln  ab  6.  XII.  2 — 3  am  Tage,  gut  geformt,  lehmfarbig. 

Gewicht  am  10.  XII.  4400  g. 

Vom  10.  XII.  ab  täglich  3  stündlich  80  g  Larosanmilch  +  80  g 
Kufekemehlabkochung. 

Gewicht:  17.  XII.  4500  g,  24.  XII.  4630  g,  31.  XII.  4900  g. 
Windeln  sind  in  der  ganzen  letzten  Zeit  gut;  kein  Erbrechen  mehr. 

Ab  1.  I.  14  Larosan  weg,  Ernährung  mit  Milch  und  Kufeke. 
Kind  gedeiht  bei  guten  Windeln  weiter  gut. 

In  diesem  Falle  standen  weniger  die  dyspeptischen  Stühle, 
als  der  geringe  Anwuchs  des  von  Geburt  an  schwächlichen 
Kindes  im  Vordergrund;  auch  hier  hat  die  Larosanernährung 
gute  Dienste  geleistet;  die  Stühle  werden  sofort  ganz  gut  und 
die  Gewichtszunahme  von  700  g  in  3'A  Wochen  hat  das  All¬ 
gemeinbefinden  ganz  erheblich  gebessert.  Das  Larosan  hat 
hier  gleichsam  als  Anstoss  zu  einer  rationellen  Ausnutzung  der 
zugeführten  Nahrung  gewirkt,  die  auch  nach  dem  Uebergang 
zur  gewöhnlichen  künstlichen  Ernährung  bestehen  bleibt.  Wie 


meine  Nachkontrolle  im  Februar  ergab,  gedeiht  das  Kind  jetzt 
ganz  normal  und  zufriedenstellend. 

Fall  10.  Fanny  K.,  geb.  24.  I.  13,  Fuhrmannskind.  6  Wochen 
gestillt,  dann  Milch  ~r  Zucker;  Kind  immer  schwach  gewesen.  —  Seit 
14  Tagen  viel  Erbrechen,  starke  Durchfälle,  4 — 5  am  Tage. 

Poliklinische  Behandlung  seit  31.  X. 

Status:  Kind  in  sehr  reduziertem  Ernährungs-  und  schwerem  All¬ 
gemeinzustand;  hochgradige  Dyspnoe;  ausgedehnte  bronchopneu- 
monische  Herde  über  beiden  Lungen;  Abdomen  meteoristisch  auf¬ 
getrieben.  Windeln  dünn,  grün.  Temp.  39,8.  Gewicht  5220  g. 

Ord.  für  die  Ernährung:  Larosan  +  Kufeke  zu  gleichen  Teilen 
ca.  800  g  in  öfteren  kleinen  Mahlzeiten. 

Vom  1.  Tag  ab  täglich  nur  1 — 2  gut  geformte  glatte  Windeln;  da 
dieselben  sehr  fest  werden  vom  7.  XI.  ab  Zulage  von  3  Proz.  Soxhlets 
Milchzucker;  die  tägliche  eine  Windel  wird  salbenartig 

9.  XI.  Gewicht  5240  g. 

Vom  12.  bis  18.  Kur  in  chirurgischer  Klinik  wegen  Empyem  — 
Larosanernährung  wird  beibehalten,  Stühle  bleiben  dauernd  gut. 

24.  XI.  Gewicht  5250  g. 

6.  XII.  13  Exitus. 

Klinische,  durch  die  Obduktion  bestätigte  Diagnose:  Chronische 
indurative  Pneumonie  des  rechten  Oberlappens;  akute  Bronchopneu¬ 
monie  des  linken  Oberlappens.  Keinerlei  anatomische  Veränderungen 
im  Verdauungstraktus. 

Während  der  ganzen  Dauer  der  Larosanernährung  befand 
sich  das  Kind  in  einem,  durch  die  Lungenprozesse  bedingten 
sehr  schweren  Allgemeinzustand  und  es  ist  wohl  mit  Sicher¬ 
heit  anzunehmen,  dass  das  Kind  dieser  Infektion  gleich  im  An¬ 
fang  erlegen  wäre,  wenn  die  damals  bestehende  Dyspepsie 
nicht  mit  Erfolg  durch  das  Larosan  beseitigt  worden  wäre. 

Der  Fall  ist  auch  einer  von  denen,  bei  denen  ich,  als  in¬ 
folge  der  Larosanernährung  der  vorher  dyspeptische  Stuhl 
bald  zu  fest  wurde,  bewusst  Milchzucker  zulegte  und  dabei, 
ohne  dass  erneut  Gärungserscheinungen  auftraten,  den  ge¬ 
wünschten  salbenartigen  glatten  Stuhl  bekam. 

Es  scheint  demnach  so,  als  ob  Larosan  sehr  schnell  auch 
die  Toleranz  für  Milchzucker  erhöht,  was  ja  eigentlich  auch 
zu  erwarten  ist.  F  i  n  k  e  1  s  t  e  i  n  betont  ja  schon,  dass  die 
durch  grosse  Eiweissmengen  entstehenden  Fäulnisprozesse 
den  Gärungen  antagonistisch  entgegenwirken,  in  erster  Linie 
das  Kasein.  Hierauf  beruht  ja  die  Ursache  des  schnellen 
Stehens  der  Durchfälle  nach  Larosanernährung  und  hierin  ist 
wohl  auch  die  Ungefährlichkeit  vorsichtiger  Milchzuckerzu¬ 
lagen  zu  suchen,  wenn  einmal  erst  die  Gärungsvorgänge  auf¬ 
gehoben  sind. 

Fall  11.  Magdalena  Oe.,  Bauernkind,  11  Monate  alt.  6  Wo¬ 
chen  gestillt,  jetzt  täglich  5 — 6  Flaschen  Vollmilch  (ca.  154  Liter  am 
Tage),  ausserdem  täglich  Nudeln  und  Spätzle.  Seit  8  Tagen  Durch¬ 
fälle  und  Erbrechen;  5 — 6  dünne  Windeln  am  Tage. 

Status  am  20.  XII.  beim  Besuch  der  poliklinischen  Sprechstunde: 
Pasteuses  fettes  Kind,  Gewicht  9,6  kg. 

Ord.:  1.  Tag:  Larosan  20  g  auf  1  Liter  Wasser.  2.  und  3.  Tag: 
Larosan  20  g  auf  54  Liter  Wasser,  54  Liter  Haferschleim. 

Mutter  bringt  am  4.  Tage  das  Kind  wieder  mit  der  Angabe,  dass 
dasselbe  seit  dem  letzten  Besuch  am  20.  XII  den  ersten  (festen)  Stuhl 
erst  wieder  in  der  Nacht  vom  21 .122.  gehabt  habe.  Am  22.  und  23.  XII. 
dann  je  eine  Windel;  die  mitgebrachte  Windel  ist  graugelb,  geformt 
und  reagiert  alkalisch.  Das  Kind  konnte,  da  von  auswärts  und  Mutter 
nicht  mehr  in  der  Sprechstunde  erschien,  nicht  weiter  beobachtet 
werden. 

Fall  12.  Marie  Sch.,  geb.  27.  IX.  12,  Taglöhnerskind.  Kind 
von  jeher  schwächlich.  Ernährung  mit  Milch  und  Schleim;  nicht  prä¬ 
zis  zu  erfahren.  Nicht  gestillt.  Seit  3  Wochen  nach  jeder  Mahlzeit 
Erbrechen;  dünne  grüne  Windeln. 

Status  am  6.  XII.  13:  Sehr  dürftiges,  schlecht  gepflegtes  Kind; 
Kopfgrind,  Intertrigo;  aufgetriebenes  Abdomen.  Gewicht  5580  g. 

Ord.:  Larosan  +  Reisschleim  zu  gleichen  Teilen. 

Am  7.  und  8.  XII.  nur  noch  je  2  breiige,  gelbe,  noch  etwas  schlei¬ 
mige  Windeln. 

■Vom  9.  XII.  ab  täglich  1  Stuhl,  zuerst  breiig,  dann  glatt,  geformt. 
Gewicht  am  13.  XII.  5700  g,  am  20.  XII.  6050  g. 

Das  Kind  akquiriert  am  18.  XII.  von  seinen  Geschwistern  Per¬ 
tussis;  trotzdem  in  der  Folgezeit  täglich  1  gute  Windel,  Allgemein¬ 
befinden  zufriedenstellend. 

Fall  13.  Heinrich  B.,  Dienerskind,  geb.  2.  V.  13.  6%  Monate 
ausschliesslich  Mutterbrust;  seit  4  Wochen  Zufütterung  von  Brei, 
Haferschleim  und  Vollmilch.  Morgens  und  abends  noch  Mutterbrust. 
Seit  ca.  8  Tagen  fast  täglich  Erbrechen;  die  Windeln  dünn,  grün, 
4 — 6  am  Tage. 

Status  am  13.  XII.  13:  Kräftiges  Kind  in  sehr  gutem  Ernährungs¬ 
und  Pflegezustand.  Abdomen  etwas  gespannt,  aufgetrieben.  Gewicht 
7640  g. 

Ord.  ab  13.  XII.  13  Larosanmilch  +  Haferschleim  zu  gleichen 
Teilen  (3  mal  120  g).  Mutterbrust  morgens  und  abends. 


1  t  3  *  3u.t 


Fig.  3.  Fall  7.  Eugen  R. 


1512 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  27. 


Durchfälle  stehen  am  1.  Tag.  Gewicht  am  22.  XII.  7800  g. 
Larosan  weg  —  dauernd  Wohlbefinden  bei  guten  Windeln. 

Endlich  möchte  ich  noch  kurz  einen  Fall  aus  der  eigenen 
Eamilie  anführen. 

Fall  14.  Heinolf  F„  geb.  26.  VI.  11.  Sehr  kräftiger  gesunder 
Junge,  erkrankt  im  September  1913  plötzlich  unter  hohem  Fieber  an 
einer  akuten  Enteritis,  wohl  infektiöser  Natur. 

Nach  energischer  Ausräumung  des  Darmes,  Hungerdiat  und  vor¬ 
sichtigem  Uebergang  zu  Haferschleim,  Mondaminbrei,  Wasserkakao 
bleiben  die  Entleerungen  (7 — 9  am  Tage)  die  nächsten  Tage  noch  sehr 
dünn,  schwarzgrün  und  schleimig.  Darauf  Zusatz  von  20  g  Larosan 
auf  XA  Liter  Wasserkakao;  die  Stühle  werden  am  folgenden  jage 
schon  seltener  (4)  und  sind  besonders  in  ihrer  Beschattenheit  breiiger, 
nicht  mehr  so  schleimhaltig  und  in  der  Farbe  besser.  Unter  Beibe¬ 
haltung  von  Larosan  kehren  die  Stühle  nach  weiteren  6  Tagen  ganz 

zur  Norm  zurück.  .  ...  .  .  , 

Ich  habe  diese  Fälle  im  wesentlichen  als  rem  poliklinische 

Beobachtungen  mitgeteilt,  ohne  auf  die  theoretischen  Folge¬ 
rungen,  die  vielleicht  aus  einem  oder  dem  anderen  zu  ziehen 

sind,  näher  einzugehen.  IT  ,  .. 

Ich  möchte  aber  nach  unseren  Versuchen  unser  Urteil 
über  die  Verwendbarkeit  des  Larosans  an  einem  entschieden 
ungünstigen  Materiale  dahin  zusammenfassen,  dass  wir  das¬ 
selbe  voll  und  ganz  für  geeignet  erachten,  in  der  allgemeinen 
Praxis  und  vor  allem  auch  in  der  ärmeren  Bauern-  und 
Arbeiterbevölkerung  als  einfachstes  Mittel  in  der  I  herapie  der 
Ernährungsstörungen  der  Säuglinge  und  jungen  Kinder  ver¬ 
wendet  zu  werden.  „  ,  t  ,  ..  , . 

Wo  wie  hier  in  so  vielen  Fällen  die  Rückkehr  zur  Mutter¬ 
brust,  weil  sie  entweder  gar  nicht  oder  nur  ganz  ungenügend 
lange  Zeit  gereicht  wurde,  unmöglich  ist,  hat  die  Anwendung 
der  Larosanmilchernährung,  mit  der  grossen  Sicherheit  des 
therapeutischen  Erfolges,  die  sie  auf  eine  Stufe  mit  der  Eiweiss- 
milch  stellt,  zugleich  den  Vorteil  der  grösstmöglichen  einfach- 
heit  in  der  Zubereitung  und  wird  allein  dadurch  schon  ausser¬ 
halb  der  Anstalten  der  Eiweissmilch  überlegen. 

Aber  es  kommen  auch  noch  andere  Vorteile  hinzu. 
Zweifellos  erfolgt  das  Auftreten  fester,  nicht  mehr  dyspep- 
tischer  Stühle  rascher  (vgl.  die  Fälle  7,  8,  10,  11,  1-)  als  bei 
jeder  anderen,  auch  der  Eiweissmilchernährung. 

Ueberall,  wo  nicht  anderweitige  Erkrankungen  die  Er¬ 
nährungsstörungen  begleiteten,  fand  ich  eine  sehr  schnell  auf¬ 
tretende  Gewichtszunahme,  der  kein  Gewichtsabsturz  voran¬ 
ging;  diese  Beobachtung  finde  ich  von  fast  allen  Autoren, 

bestätigt.  ,  .  ,  T  .  . 

Dass  das  Allgemeinbefinden  der  Kinder,  in  erster  Linie 
auch  der  am  schwersten  erkrankten,  ausserordentlich  rasch 
sich  besserte,  war  eine  Beobachtung,  die  fast  in  allen  Fällen 
von  den  Müttern  selbst  gemacht  und  geäussert  wurde;  sie  trug 
nicht  unwesentlich  zur  Beliebtheit  des  Präparates  mit  bei. 

Ich  möchte  als  einen  weiteren  grossen  Vorzug  des  Laro¬ 
sans  seine  Möglichkeit  einer  weitgehenden  Individualisierung 

betonen.  .  , , 

Bei  leichteren  Darmstörungen  genügte  in  einer  Anzahl  von 
Fällen,  die  hier  nicht  näher  aufgeführt  sind,  eine  leicht  modi¬ 
fizierte  Diät,  ohne  eingreifende  Verordnung,  mit  Larosanzu- 
lage,  um  die  normalen  Darmfunktionen  schnell  wieder  hei- 
zustellen. 

Was  die  Frage  des  Preises  des  Larosans  anbelangt,  so  ist 
derselbe  leider  doch  noch  immer  ein  nicht  unbeträchtlicher; 
es  werden  deshalb  wohl  noch  grosse  Schwierigkeiten  bis  zu 
seiner  Zulassung  zu  den  Krankenkassen  bestehen. 

Ich  glaube,  dem  könnte  einigermassen  abgeholfen  werden, 
wenn  sich  die  Firma  Hoffmann-La  Roche  dazu  entschlösse,  das 
Larosan  auch  in  kleinen  Packungen,  etwa  jeweils  4  mal  20  g 

in  einer  Packung  abzugeben. 

Wie  meine  Fälle  8,  11,  13  zeigen,  genügt  oft  schon,  be¬ 
sonders  in  Fällen  akuter  Dyspepsien,  die  Verordnung  von 
Larosan  wenige  Tage  hindurch,  einen  dauernden  Heilerfolg 

zu  erzielen.  .  __  ,  ,  ,  .  . 

Dann,  in  kleineren  Packungen  in  den  Handel  gebracht, 

wäre  die  Larosantherapie  auch  recht  billig. 

Literatur. 

]  Stoeltzner:  Ueber  Larosan,  einen  einfachen  Ersatz  der 
Fiweissmilch  M.m.W.  1913  Nr.  6  und  Ueber  Eiweissmilch-Ersatz- 
präparate.  Med.  Klin.  1913  Nr.  22.  —  2.  M.  R.  Forcart:  Larosan 
als  Ersatz  für  Eiweissmilch.  M.m.W.  1913  Nr.  22.  3.  Ph.  Meh¬ 


ner;  Neue  Anwendungsform  von  Larosan.  D.m.W.  1913  Nr.  44. 

4  Bert  lieh:  Poliklinische  Erfahrungen  mit  Larosan.  Zscnr.  i- 
Kinderhlk.  1913.  —  5.  Cur  sch  mann:  u,e,ber,.VarSIt1M^h‘  °!l 
trag  im  ärztlichen  Kreisverein  Mainz.  M.m.W.  1913  Nr.  51. 

6  W  W  egen  er:  Zur  Frage  der  Ernährung  kranker  Säuglinge  mit. 
Larosanmilch.  M.m.W.  1914  Nr.  7.  —  7.  Ostrowski:  Die  Be¬ 
deutung  der  Larosanmilch  in  der  Diätetik  der  Kinder  im  frühen 
Alter  Russki  Wratsch  1913  Nr.  29.  —  8.  S  t  a  w  s  k  y:  Die  Larosan¬ 
milch'  in  Verbindung  mit  Brusternährung.  TherapewUtscheskoje 
Obe sreniie  1913  Nr.  18.  —  9.  Guidi:  Ueber  diätetische  Behandlung 
mit  1  arosantnilch.  Gaz.  internaz.  di  Med.  Chirurg.  Igiene  1913  Nr.  45. 


Aus  dem  3  a  c  h  s  sehen  Kinderkrankenhause,  Stockholm 

(leitender  Arzt:  Privatdozent  Dr.  H.  Ernberg). 

Erfahrungen  mit  Eiweissmilch. 

Von  Dr.  A.  L  i  c  h  t  e  n  s  t  e  i  n. 

Da  aus  Schweden  noch  keine  Erfahrungen  mit  Eiweiss¬ 
milch  vorliegen,  so  scheint  mir  folgende  kurze  Mitteilung  be¬ 
rechtigt  i).  T,  ,  ,  ... 

Eiweissmilch  wird  in  unserem  Krankenhause  seit  etwa 

2XA  Jahren  in  geeigneten  Fällen  verwendet.  Die  Milch  wird 
in  unserer  Milchküche  nach  Finkeistein  und  Meyers 
Vorschriften  zubereitet;  nur  wird  anstatt  Buttermilch 
saure  Magermilch  (Fettgehalt  ca.  1  Proz.)  als  Zusatz 
verwendet,  eine  Modifikation,  welche  für  die  Wirkung  der  Ei- 
weissmilch  belanglos  sein  dürfte.  . 

Die  Dosierung  geschieht  nach  Finkeistein  und 
Meyers  späteren  Anweisungen  mit  sofortigem  Zusatz  von 
2—3  Proz.  Kohlehydrat  (Loeflunds  Nährmaltose)  später 
bis  5  (event.  auch  6—7  Proz.)  steigend;  Säuglinge  über  3  Mo¬ 
nate  erhalten  event.  1 — 2  Proz.  Mehl. 

Wir  geben  Eiweissmilch  fast  nur  in  schweren 
Fällen,  also  entweder  so  schwerkranken  Kindern,  dass  nur 
Brust-  oder  Eiweissmilch  überhaupt  in  Frage  kommt  odei 
auch  Kindern,  welche  im  Krankenhause  ohne  Erfolg  andere 
artifizielle  Nahrung,  Milchmischungen,  Keller,  Buttermilch  etc. 
bekommen  haben. 

Wir  haben  jetzt  etwa  70  Fälle  von  schweren  Ernährungs¬ 
störungen  mit  Eiweissmilch  behandelt.  Unsere  Resultate  sind 
gute  und  sind,  wie  ich  betonen  möchte,  allmählich  immer 
besser  geworden,  was  ich  teils  einer  gleichmässigen  Zu¬ 
bereitung,  teils  und  hauptsächlich  aber  unserer  steigenden  Er¬ 
fahrung  über  die  Wirkung  und  Dosierung  des  Mittels  zu- 
schreibe. 

Unser  wachsendes  Vertrauen  zu  der  Eiweissmilch  hat  auch 
bewirkt,  dass  zufällige,  gewöhnlich  durch  parenterale  In¬ 
fektionen  verursachte  Verschlimmerungen  uns  nicht  so  schnell 
zu  einem  Verlassen  der  Eiweissmilchtherapie  veranlasst 
haben;  damit  ist  auch  die  Anzahl  erfolgreich  behandelter  Fälle 
grösser  geworden. 

Unsere  Resultate  sind,  wie  gesagt,  gute  und  zwar 
sowohl  in  akuten  Fällen,  darunter  auch  Fälle  von 
Cholera  infantum  mit  schweren  Intoxikationssym¬ 
ptomen,  wie  auch  in  chronischen  Fäll  e  n,  darunter 
hochgradige  Atrophiker.  Auch  bei  Ernähr  u  n  g  s  - 
Störungen  infolge  parenteraler  Infektionen 
hat  sich  die  Eiweissmilch  gut  bewährt.  Das  Mittel  scheint  m 
der  Tat  „einen  heilsamen  Einfluss  auf  die  Intakterhaltung  der 
Ernährungsfunktionen“  zu  haben;  es  übertrifft  in  dieser  Hin¬ 
sicht  meines  Erachtens  andere  artefizielle  Ernährungs¬ 
methoden. 

Die  Immunität  der  Eiweissmilchkinder  scheint  im  all¬ 
gemeinen  gut  zu  sein,  ist  aber  der  Brustmilchimmunität  weit 
unterlegen.  Speziell  fehlt  den  Eiweissmilchkindern  die  Haut¬ 
farbe  der  Brustkinder;  auch  kommen  bei  ihnen  Intertrigo  und 
andere  Zeichen  herabgesetzter  Hautimmunität  öfters  vor. 

Die  Entwöhnung  nehmen  wir  nicht  selten  in  akuten 
Fällen  nach  2—3  Wochen  mit  Erfolg  vor;  in  schwereren  chro¬ 
nischen  Fällen  wurde  Eiweissmilch  2 — 3  Monate  gegeben. 
Irgendwelche  Nachteile  einer  so  lange  dauernden  Eiweiss¬ 
milchernährung  haben  wir  nicht  beobachtet  und  auch  keine  Ent¬ 
wöhnungsschwierigkeiten  erlebt. 

’)  Fine  ausführlichere  Arbeit  mit  Krankengeschichten  und  Kurven 
erscheint  in  der  schwedischen  Zeitschrift  Hygiea  1914. 


7.  Juli  1914. 


Entgegen  den  theoretischen  Bedenken  von  F  i  n  k  e  1  - 
stein  und  Meyer  hat  sich  Allaitement  mixte  mit 
Eiweissmilch  bei  uns  gut  bewährt,  und  zwar  auch  in 
schweren  Intoxikationsfällen.  Als  Beinahrung  zur  Brustmilch 
leistet  jedoch  Buttermilch  im  allgemeinen  mehr. 

Was  die  Theorie  der  Ei  weissmilch  betrifft,  so 
hat  sich  die  praktische  Anwendung  derselben  den  theo¬ 
retischen  Voraussetzungen  nicht  genau  angepasst.  Der 
Ausgangspunkt  ist  ja  der  Wunsch  gewesen,  in  Anbetracht  der 
grossen  pathogenetischen  Rolle,  die  der  abnormen  Kohle¬ 
hydratgärung  zugeteilt  wurde,  eine  kohlehydratarme 
und  eiweissreiche  Nahrung  herzustellen.  Die  klinische  Er¬ 
fahrung  zeigte  aber  bald  die  Gefahren  des  Kohlehydrathungers 
und  man  gab  deshalb  bald  die  Eiweissmilch  schon  von  Anfang 
an  mit  einem  immer  kühneren  Maltosezusatz.  Die  Eiweiss¬ 
milch  wurde  anstatt  einer  kohlehydratarmen  eine  relativ 
kohlehydratreiche  Nahrung  (1 V2  Proz.  Milchzucker 
+  3—5—7  Proz.  Maltose  +  1—2  Proz.  Mehl).  Hier  liegt 
meines  Erachtens  eine  Inkongruenz  zwischen  Theorie  und 
Praxis  vor,  zwischen  der  Theorie  von  der  grossen  patho¬ 
genetischen  Rolle  der  Kohlehydratgärung  bei  dyspeptischen 
Zuständen  einerseits  und  der  praktischen  Erfahrung,  dass  eine 
kohlehydratreiche  Eiweissmilch  gerade  in  solchen  Fällen  eine 
sehr  gute  Wirkung  entfaltet  andererseits.  Legt  man  hierzu  die 
alte,  von  niemand  bestrittene  Erfahrung,  dass  die  milch¬ 
zuckerreiche  und  eiweissarme  Brustmilch  die  ideale  Heil¬ 
nahrung  bei  allen  Ernährungsstörungen  der  Säuglinge  ist,  so 
scheinen  mir  diese  Umstände  nicht  gerade  für  die  über¬ 
wiegende  pathogenetische  Rolle  der  Kohlehydratgärung  zu 
sprechen. 

Die  vollständige  Erklärung  der  guten  Wirkung  der  Ei¬ 
weissmilch  bleibt  vorläufig  eine  offene  Frage.  So  viel  scheint 
sicher  zu  sein,  dass  die  Eiweissanreicherung  e  i  n  Faktor  von 
Bedeutung  ist;  doch  zeigen  Versuche  Eiweissmilch  durch 
kaseinangereicherte  Halbmilch  zu  ersetzen,  dass  andere  Fak¬ 
toren  mit  im  Spiele  sind.  Beachtung  verdient  Stoltes  An¬ 
sicht,  dass  eine  für  das  Entstehen  von  Fettseifenstühlen  gün¬ 
stige  Relation  zwischen  Fett  und  Kalksalzen  ausschlag¬ 
gebend  ist. 

Wie  alledem  auch  sei,  so  viel  steht  doch  fest,  dass  die 
Ei  weissmilch  sich  in  der  Praxis  ausserordentlich  gut 
bewährt  und  als  ein  grosser  therapeutisch-diäte¬ 
tischer  Fortschritt  betrachtet  werden  muss. 


Aus  der  Universitätsklinik  Heidelberg  (Abteilung  für  Haut-  und 
Geschlechtskrankheiten:  Prof.  Dr.  Bettmann). 

Ein  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Dermatosen  bei  Hysterie. 

Von  Dr.  Antoni,  Assistenten  der  Klinik. 

Hautaffektionen  bei  Hysterischen  können  unter  verschie¬ 
denen  Gesichtspunkten  praktisches  Interesse  beanspruchen. 
Sie  bieten  unter  Umständen  grosse  Schwierigkeiten  für  die 
Diagnose  dar,  werden  leicht  missdeutet,  und  sind  in  bezug  auf 
ihre  Voraussetzungen  umstritten,  daraus  ergeben  sich  auch 
Schwierigkeiten  für  die  Behandlung.  Aus  solchen  Zusammen¬ 
hängen  heraus  erscheint  mir  die  Mitteilung  des  folgenden 
Falles  gerechtfertigt. 

Am  21.  X.  13  kam  eine  21  jährige  Bergmannstochter  aus  E.  mit 
ausgedehnten  Ulzerationen  der  Bauchhaut  in  unsere  Klinik,  die  u.  a. 
als  Tuberkulose  und  Syphilis  aufgefasst,  trotz  langer  ärztlicher  Be¬ 
handlung  in-  und  ausserhalb  des  Krankenhauses  nicht  zur  Heilung 
kamen.  Jegliche  Art  von  Salbenbehandlung,  im  Aetherrausch  vor¬ 
genommene  Verschorfungen,  Transplantationen,  spezifische  Behand¬ 
lung  mit  Jod  und  Salvarsan  vermochten  keine  Heilung  zu  erzielen. 
Die  Untersuchung  ergibt  folgenden  Befund.  Die  mittelgrosse,  bleich 
aussehende  Pat.  bot  ein  Bild  des  Jammers  mit  ihrem  leidenden  Ge¬ 
sichtsausdruck,  ihrer  gebeugten  Haltung  und  dem  schwerfälligen 
Gang.  Das  Fettpolster  ist  gering,  die  Muskulatur  schwach  ausee- 
bildet.  Ein  starker  fötider  Geruch  breitet  sieh  im  Zimmer  aus.  Die 
ganze  Vorderseite  des  Rumpfes  unterhalb  der  Mammae  ist  in  eine 
geschwiirige,  stark  sezernierende  Wundfläche  verwandelt. 

Am  unteren  Rande  der  Mamma  zieht  sich  quer  über  den  Leib  eine 
zum  Teil  weisslich  vernarbte  Stelle  mit  nekrotisierter  Mitte  von 
bräunlicher  Farbe  und  unregelmässigen,  serpiginösen,  leicht  erhabenen 
weisslichen  Rändern,  dazwischen  sitzen  kleinere,  mit  reichlichem 
Eiter  bedeckte  Ulzera.  Die  Mitte  dieses  Geschwürs  deckt  eine 
lederartige  bräunliche  Borke.  Links  darunter  sitzt  ein  Geschwür  von 
Handtellergrösse  mit  zur  Seite  kriechenden,  schlanken,  unregel- 

Nr.  27 


1513 


massigen  Ausläufern.  Die  Ausläufer  zeigen  in  ihrem  Rand  eine 
schmale  braune  Pigmentierung.  Die  Mitte  dieses  Herdes  zeigt  grau- 
weissen,  festen  Belag;  dort  wo  er  fehlt,  sieht  man  rote  granu¬ 
lierende  Wundfläche.  Die  Ränder  des  Herdes  sind  ein  wenig  erhaben 
W  11  t"«en  deutlich  eine  nierenförmige  Anordnung  erkennen.  Der 
Wall  fällt  sanft  zur  Mitte  hin  ab.  An  einer  Stelle  ist  das  Geschwür 
zur  strahligen  Narbe  abgeheilt.  Zum  Nabel  hin  ziehen  sich  grössere 
und  kleinere,  zum  Teil  erhabene  Narben  von  schneeweisser  Farbe 
und  unregelmässiger  Anordnung.  Unterbrochen  werden  diese  Narben 
von  kleineren,  eben  zu  granulierenden  Geschwüren.  Mitten  auf  dem 
Abdomen  vom  Nabel  rechts  in  grossem  Bogen  zum  Schamberg  ver¬ 
lautend  zieht  sich  ein  Geschwür  mit  zackigen,  zerklüfteten,  wallartig 
ansteigenden  Rändern.  Die  Grundfläche  ist  jauchig  zerfetzt  und  mit 
speckigem  Belag  bedeckt.  Links  vom  Nabel  sitzt  noch  ein  grosser 
Herd  mit  tiefschwarzer  nekrotischer,  quadratischer  Mitte  und  Aus- 
laufern,  wie  sie  vorhin  beschrieben.  In  beiden  Leistenbeugen  sitzen 
nimmarkstückgrosse  Herde,  ganz  unregelmässig  angeordnet,  mit  z.  T. 
nierenförmigen  Rändern,  erhabenem  Wall,  stinkendem  Sekret.  Die 
Verbindung  zwischen  den  einzelnen  Geschwürsherden  bilden  teils 
gesunde  Hautfleckchen,  teils  strahlenförmige  Narben.  Ziemlich  weit 
links  in  Höhe  des  Hüftbeins  sitzt  ein  zehnpfennigstückgrosses  Ge¬ 
schwür,  kreisrund,  mit  scharfem,  wallartigem  Rand,  wie  mit  dem 
Locheisen  ausgeschlagen.  Die  bei  der  Aufnahme  der  Patientin  ins 
Krankenhaus  angefertigte  Photographie  gibt  ein  Bild  von  der  enormen 
Ausdehnung  der  Hautaffektion. 


Bei  diesem  Befund  war  mit  Rücksicht  auf  die  Konfiguration 
der  Geschwüre  wohl  an  Syphilis  zu  denken,  doch  ergaben 
sich,  abgesehen  von  der  Schwierigkeit,  alle  diese  Erschei¬ 
nungen  in  ein  bestimmtes  Stadium  der  Syphilis  zu  verlegen 
und  dem  negativen  Ausfall  der  WaR.  sofort  folgende  Einwände. 

Der  Herd  links  vom  Nabel  mit  seiner  geometrisch  be¬ 
grenzten  schwarzen,  nekrotischen  Mitte  passt  nicht  zum  lue¬ 
tischen  Krankheitsbild.  Dazu  kommt,  dass  sich  um  beide 
Oberarme  spangenartig  weissliche  Narben  von  ungefähr  1  cm 
Breite  ziehen  (cf.  Bild).  Die  Narbe  auf  dem  rechten  Oberarm 
ist  besonders  deutlich  ausgeprägt  und  tief,  während  die  auf 
dem  linken  Arm  aus  mehreren  kleineren  parallelen  Strichen 
besteht,  so  dass  man  unwillkürlich  an  einen  gewaltsamen  Ein¬ 
griff  (Strangulation  des  Armes)  denkt.  An  beiden  Armen  über 
den  Kubitalvenen  sitzen  2  pfenniggrosse  keloidartige  Narben, 
die  Spuren  ihrer  früheren  Salvarsanbehandlung.  Auf  der 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1514 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  \\  0CHENSCHR1F 1 . 


Nr.  27. 


Volarseite  des  rechten  Unterarmes  sitzt  1  pfennigstuckgrosser 
braunroter  Herd,  der  schon  völlig  vernarbt  ist,  der  Rand  ßt 
wie  auch  bei  einem  Teil  der  Geschwüre  der  Bauchhaut  starker 
pigmentiert  als  das  Zentrum.  Von  diesem  Herd  nun  ziehen 
sich  rundliche  braune  Pigmentierungen  in  einer  Ausdehnung 
von  1  cm  über  die  gesunde  Haut  hin,  die  aussehen,  w  le 
eine  aufgetropfte  ätzende  Flüssigkeit  herabgelaufen  wäre. 

Die  schwarzen  geometrischen  Schorfe  auf  einem  Teil  der  - 
schwüre,  die  braunrote  lederartige  Stelle  auf  dem  zuerst  be¬ 
schriebenen  Herd,  die  Schnürfurchen  an  den  Oberarmen  und 
vor  allen  Dingen  die  tropfenartige  Pigmentierung  bei  dem  Herd 
am  Unterarm,  das  alles  sind  Dinge,  die  wir  bei  der  Syphihs 
nicht  kennen,  und  die  den  dringenden  Verdacht  erwecken,  dass 
das  ganze  sonderbare  Krankheitsbild  auf  äussere  Einwirkung 
zurückzuführen  ist. 

Die  genauere  Verfolgung  der  Anamnese  förderte  nach  und 
nach  noch  folgende  Punkte  zutage: 

Die  Familienanamnese  ist  ohne  Besonderheiten.  Pah  litt  seit 
frühester  Kindheit  öfters  an  „Gesichtsrose  .  die  sich  alle  4 .  Wochen 
wiederholte,  mit  Fieber  einherging  und  ‘".spateren  Jahren  oft  ^ e 
Kr-inkenhausbehandlung  notwendig  machte.  Als  Ueberbleibsel  lnrer 
Gesichtsrose  deutet  sie  die  „och  leist  auf  ihrer  rechten  Wange  Sicht- 
bare  zehnpfennigstückgrosse  Narbe. 

Im  Jahre  1904,  dem  12.  Lebensjahre  der  Pat.,  entstand  spontan 
an  der  Daumenbeere  der  rechten  Hand  ein  eiterndes  Geschwür,  das 

von  selbst  zuheilte.  Kurze  Zeit  nach  Heilung  dieses U^Schlffen' 
deten  sich  auf  dem  Handrücken  zwei  neue,  von  gleicher  Beschauen 
heit,  die,  vom  Arzt  geschnitten,  bald  zur  Ausheilung  kamen. 

Im  Alter  von  14  Jahren  unterzog  sich  die  Pat.  wegen  einer 
Eiteransammlung  im  Unterleib  einer  Operation,  die  gut  verlief.  Die 
WunS  hShe reaktionslos.  Die  senkrechte  Narbe  links  vom  Nabel 
ist  noch  ietzt  sichtbar.  Im  Alter  von  20  Jahren  fiel  die  Pat.  von 
einer  Leiter  und  zog  sich  dadurch  eine  Wunde  am  Epibe  zu-  P>ese 
Wunde  wurde  vom  Arzt  genäht.  Die  Nähte  hielten  nicht,  die  Wunde 
Dlatzte  auf  und  fing  an  zu  eitern.  Zum  Abfluss  des  Liters  wur 
ein  ^Röhrchen  eingelegt,  und  die  Wunde  heilte  bis  auf  ein  kleines 

Loch  zu.  ...  ,  „  , 

Plötzlich  war  über  Nacht  an  d  1  e  s  "  ^  VV  u  n  d  r  a  n  d 
eine  geschwürige  Veränderung  der  Haut  entstän¬ 
de  n,  di  e  s  i  c  h  t  a  g  t  ä  g  1  i  c  h  v  e  r  g  r  ö  s  s  er  t  e.  Uie  ^schwur. gen 

Hautstellen  wurden  immer  grosser,  vernarbten  zum  Teil,  um  an 
anderer  Stelle  wieder  frisch  aufzubrechen.  Nach  einer  im  Aether- 
rausch  vorgenommenen  Verschorfung,  die  des  Abends  um  6  Uhr 
stattfand,  traten  in  der  Nacht  heftige  Schmerzen  auf  und  am  anderen 
Morgen  war  in  der  vorher  gesunden  Umgebung  wieder  eine  grosse 
neue8  Wundfläche  da.  Da  nun  alle  Behandlung  nichts  genutzt  hatte, 
suchte  sie  unsere  Klinik  auf,  um  sich  heilen  zu  lassen.  Die  Menses 
der  Pat  sind  erst  im  17.  Lebensjahre  eingetreten,  in  unregelmassigen 
Intervallen,  und  hielten  öfters  9  ja  sogar  12  Wochen  an. 

Das  Nervensystem  der  Pat.  zeigt  keine  schwerere  Storung. 
Pupillen  reagieren  auf  Licht  und  Konvergenz.  Bauchdeckenre  lex 
O  B  Patellarreflex  lebhaft.  Achillessehnenreflex  o.  B.  Fusssohlen- 
reflex  o.  B.  Vorderarmreflex  o.  B.  Keinerlei  Sensibilitätsstorung. 
Allerdings  handelt  es  sich  um  eine  leicht  erregbare  Person,  deren 
eigenartiges  psychisches  Verhalten  sich  aus  dem  Folgenden  ergeben 

Der  Leib  wurde  im  Okklusivverband  mit  H  e  b  r  a  scher  Salbe 
verbunden.  Unter  dieser  Behandlung  heilten  die  Wunden  rasch  Kein 
Auftreten  von  neuen  Eruptionen.  Ueberall  frische  Granulationen. 
Der  Fötor  ist  völlig  verschwunden.  Reichlichere  Nahrungsaufnahme 
und  wesentlich  heiterere  Stimmung  als  in  den  ersten  T  agen  der  Auf¬ 
nahme.  ^  starke  Schmerzen  in  der  Blasengegend.  Blase  ge¬ 
spannt.'  Katheterismus,  da  seit  2  Tagen  angeblich  kein 
Urin  abgegangen.  Befinden  besser. 

30  X  Starke  Obstipation.  Innerliche  Mittel  helfen  nicht,  nur 
täglicher  Einlauf.  Abendtemperatur  38,5  in  der  Axilla. 
Rektale  Nachmessung  ergibt  37,6  .  , 

5.  XI.  Die  Patientin  fühlt  sich  heiss  an  und  schwitzt  derart,  dass 

sie  tätlich  öfters  die  Wäsche  wechseln  muss.  .  , 

8.  XI.  Starke  Heilungstendenz  der  Wunden.  Fortbestehen  der 

Obstipation. 

11.  XI.  Befinden  leidlich  gut. 
zugehen. 

17.  XI.  Völlige  Heilung  der 
Wunsch  der  Pat.  nach  Entlassung. 

dreimal  täglich  Hemd  und  Jacke  - 

das  Fehlen  jeglichen  Schweissgeruches  der  Wasche. 

Atropin  bringen  keine  Besserung  des  Schwitzens. 

18  XI  Wiederum  sehr  starkes  Schwitzen.  Die  Jacke  der  Pat. 
ist  vollständig  nass.  Bei  genauerer  Untersuchung  durch  den  Arzt 
stellt  sich  heraus,  dass  der  Körper  der  Patientin  ziem¬ 
lichtrocken  ist,  ebenfalls  das  unter  der  nassen 
Nachtiacke  getragene  Hemd.  (Pat.  trinkt  sehr  viel  Wasser 
wahrscheinlich  ist,  dass  sie  sich  Wasser  über  ihre  Jacke  sprüht.) 


Pat.  äussert  den  Wunsch,  heim- 


Wunden  am  Leib.  Dringender 
Sie  schwitzt  so  stark,  dass  sie 
wechseln  muss.  Auffallend  ist 
Agarizin  und 


10  XI  Pat  erhält  in  jedes  Glas  Wasser  2  Tropfen  Jodtinktur, 
anseblic lf  nls  Aniihidrotikn.n,  zuslcich  n“  öTt"d  ^ 

§». T^rtÄTt.  VPÄ"  woVel,'  k,ae. 
iber  sehr  über  aufgetriebenen  Leib.  Auf  Einlauf  Stuhlgang. 

20.  XI.  Stärkere  Aufgetriebenheii  des  Leibes.  Tympame  ub 
dem  Abdomen  im  höchsten  Grade.  Umfangdes  Leibes 

62  CI2L  jXL Z  Leibesumfang  88  cm.  Bei  einem  hohen  Einlauf  geht 

viel  Luft  at  äussert  fortgesetzt  den  Wunsch  nach  Entlassung. 

Heute  Leü)esumfangU69 cm.  Klagen  über  heftige  Leibschmerzen.  Am 

A  b  C25.d  XI.1  °  Immer  noch'  der*  gleiche  Zustand.'  Die  Wunden  sind 
fast  sämtlich  ^geheilt.  Andauernd  Klagen  über  Leib¬ 

schmerzen.  '  Das  Abdomen  ist  wieder  stark  aufgetrieben  und  wölbt 
sich  rechts  besonders  vor,  während  links  in  der  Gegend  er  P 
t  ionsnarbe  eine  Retraktion  der  Bauchdecke  zu  bemerken  ist  Man 
hat  den  Eindruck,  als  wenn  im  Narbengebiet  Adhäsionen  bestanden. 

Obstipation.  ^dntgenau{najime  nach  einer  Wismutmahlzeit. 

SUindcm’beündet  sich  der  Wismutbrei  im  Zoekum  nach 

s  Äm  “Ä 

1  a T X l I)d CNachf  di es^e Untersuchung  soll  die  Pat.  entlassen  werden, 
lieber  Nacht  sind  neue  Affektionen  am  Ab  d  o  m  c 
aufgetreten  und  zwar  zum  ersten  Male  seit  ihrem 
Aufenthalt  im  Krankenhaus.  Sie  bestehen  aus  drei  Blasen 
und  zwei  mit  Schorf  bedeckten  Substanzverlusten.  Die  Blasen  sind 

hamo^rrhagischiagen  über  erhebliche  Schmerzen.  Die  Wunden  werden 
mit  Heb  rascher  Salbe  verbunden.  Wenn  sich  die  Kranke  nicht 
vom  Arzt  oder  der  Schwester  beobachtet  glaubt,  ist  sie  sehr  ausge¬ 
lassen  und  erheitert  die  ganze  Station.  ,  „  ,  „„„ 

7  XII  Auftreten  von  neuen  hämorrhagischen  Herden,  die  aus¬ 
sehen,'  als  wenn  sie  durch  mechanische  Reizung  hervorgerufen  waren. 

Verband  mit  Scharlachrotsalbe.  ,  {  .  ,  .. 

8.  XII.  Pat.  erzählt,  dass  sic  heute  Nacht  derart  heftige  Eem 

schmerzen  bekommen,  dass  sie  den  sp  an  n  c  n  en  r 
hätte  zurückklappen  müssen.  D  n 2  U  nt  ers  u  c  h  un  8 
ergibt  mehrere  ausgedehnte  neue  Bla  s  e  n  a  u  f  der 
Bauchhau  t,  die  teilweise  schon  aufgegangen  waren.  Da  der 
Kranken  keinerlei  Aetzflüssigkeit  zur  Verfügung  stand,  wird  heisses 

Wasser  als  Ursache  angesehem  j  «rhmerz- 

9.  XII.  Schwellung,  Rötung  und  starkes  chmerz 

haftigkeit  der  rechten  Wange.  Geringe  Blase 
bilduiuder  befallenen  Gesichtshälfte  und  s  arkes 
Tränen  des  rechten  Auges.  Das  Auge  ist  vo  g  - 

k  C  S  16h  xn.1  'üer  entzündliche  Zustand  der  rechten  Wange  hat  nach¬ 
gelassen  Es  besteht  eine  leicht  bräunliche  Verfärbung.  Unten  am 
Kinn  ein  neuer  fünfmarkstückgrosser  H  e  r  d  mit  ge¬ 
rötetem.  stark  nässendem  Rand,  und  einem  Zentrum  mit  vielen 
kleinen  Bläschen.  Der  Herd  sieht  aus  wie  eine  Verbrennung 

1 1 2^  XII.  Heute  Morgen  bietet  die  linke  Backe  dasselbe  Bild, 
wie  vorgestern  die  rechte.  Starkes  Oedem  des  linken  Auges,  Schwel¬ 
lung  und  Rötung  der  Wange  mit  oberflächlicher  Erosion.  A  m  Nach 
mittag  vorher  wurde  die  Patientin,  angeblich 
schlafend,  an  dem  heissen  Ofen  angelehnt  aii  ge¬ 
funden  Nach  gründlicher  Auseinandersetzung  mit  der  Kranken, 
wobei  ihr  gesagt  wurde,  dass  sie  selbst  sich  alle  diese  Verätzungen 
zugefügt  habe,  leugnet  sie  hartnäckig  und  bestreitet  alles.  Am 
nächsten  Morgen  verlässt  sie  fluchtartig  die  Klinik,  nachdem  sie  eine 
Zusammenkunft  ihres  sie  abholenden  Vaters  mit  den  Aerzten  ge¬ 
schickt  verhindert.  .  „  .  s  m  )4 

In  einem  an  eine  Mitpatientin  gerichteten  Briefe  vom  23  III.  14 
schreibt  die  Kranke,  dass  sie  dem  Doktor  sehr  dankbar  sei,  weil 
er  sie  geheilt  und  sie  nun  wieder  alle  Arbeit  verrichten  könne,  was 
seit  VA  Jahren  nicht  der  Fall  gewesen. 

Es  handelt  sich  also  hier  um  einen  einwandfreien  klas¬ 
sischen  Fall  von  Selbstbeschädigung  bei  einem  hysterischen 
Individuum.  Berechtigt  sind  wir  zu  dieser  Diagnose  aus  einer 
Fülle  von  Gründen  und  zwar  zunächst  aus  dem  Charakter  der 
Geschwüre.  Beim  Eintritt  der  Kranken  in  unsere  Behandlung 
machten  die  Geschwüre  zwar  einen  syphilisähnlichen  Ein¬ 
druck  doch  wiesen  sie  ganz  besondere  Begrenzungsfoi  men 
auf,  wie  die  geometrische  Anordnung  einzelner  Herde  und  vor 
allen  Dingen  die  Abtropfungsform  am  Arm.  Dann  waren  ein¬ 
zelne  Geschwüre  bedeckt  mit  einer  braunroten,  lederartigen 
Schicht.  Als  zweiten  Punkt  müssen  wir  den  Verlauf  der  Ge¬ 
schwüre  berücksichtigen.  Unter  Hebra  scher  Salbe  im 
Okklusivverband  kommen  sie  ohne  weiteres  zur  Heilung  und 
zwar  sehr  schnell.  Dann  finden  wir  ein  plötzliches  Neuaut- 


7.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1515 


treten  von  Geschwüren  unter  besonderen  psychischen  Be¬ 
dingungen,  z.  B.  dann,  als  die  Kranke  entlassen  werden  soll. 

Hinzu  kommt  der  wechselnde  Charakter  der  einzelnen 
Eruptionen.  Bald  Blasen,  bald  tiefe  Nekrosen,  dann  wieder 
akute  Dermatiden,  alles  in  gefälligem  Wechsel. 

Für  die  Hysterie  der  Patientin  haben  wir  auch  Beweis¬ 
mittel  genügend  zur  Hand.  Da  ist  zunächst  ein  grosser 
hysterischer  Anfall.  Dann  findet  die  Kranke  grossen  Gefallen 
daran,  sich  interessant  zu  machen,  bemitleidet  zu  werden  und 
den  Arzt  an  der  Nase  herumzuführen.  Mit  aller  Gewalt 
weigert  sich  die  Patientin  gegen  eine  Vorstellung  im  Hörsaal, 
dabei  hat  sie  aber  schon  vor  einer  Stunde  ein  besseres  Kleid 
für  diese  Vorstellung  angezogen  u.  dergl.  mehr. 

Nun  finden  wir  bei  der  Revision  der  Krankengeschichte 
noch  viele  Dinge,  die  ausserordentlich  charakteristisch  für 
hysterische  Dermatosen  sind. 

Die  Geschwüre  sind  im  Anschluss  an  eine  Operation  auf¬ 
getreten  und  zwar  ganz  plötzlich.  In  der  Nacht  hatte  die 
Kranke  heftige  Schmerzen,  am  anderen  Morgen  waren  die 
ulzerösen  Veränderungen  da.  Dann  sitzen  die  Ulcera  im 
Operationsfeld,  wie  unsere  Anamnese  deutlich  gezeigt  hat. 
Die  Wunde  am  Leibe  ist  nach  Drainage  bis  auf  ein  kleines 
Loch  zugeheilt,  als  plötzlich  der  Rand  dieses  Loches  anfängt 
zu  eitern  und  um  sich  zu  fressen.  In  unserer  Beweisführung 
bleibt  uns  nur  noch  eine  Lücke,  und  zwar  der  Nachweis  der 
Schädlichkeit,  mit  welcher  sich  die  Kranke  diese  Verletzungen 
zugefügt  hat.  Wir  können  uns  da  nur  auf  Vermutungen 
stützen,  zumal  die  Schädigungen  verschiedener  Natur  waren 
und  ein  Ertappen  auf  frischer  Tat  uns  nicht  gelang.  Für  die 
im  Krankenhaus  aufgetretenen  Schädigungen  glauben  wir  mit 
Ausschluss  von  Chemikalien,  die  der  Kranken  nicht  zur  Ver¬ 
fügung  standen,  die  ätiologischen  Gründe  einmal  in  Verbrühen 
mit  heissem  Wasser,  dann  durch  Anlehnen  an  den  glühenden 
Ofen  und  zuletzt  durch  rein  mechanische  Reizung  annehmen 
zu  dürfen. 

Jene  Lücke  lässt  einen  generellen  Einwand  gegen  die  ge¬ 
gebene  Annahme  zu  und  zwar  den  der  spontanen  Aeusserung. 
Früher  nannte  man  diese  Erkrankung  Spontangangrän  und  man 
hat  sich  lange  gestritten,  ob  es  nicht  eine  solche  gäbe.  In 
letzter  Zeit  ist  die  Grenze  der  in  direktem  Abhängigkeitsver¬ 
hältnis  zum  Nervensystem  stehenden  Krankheiten  wesentlich 
enger  gezogen  und  sie  beschränkt  sich  heutzutage  auf  eine 
kleine  Gruppe  von  Dermatosen,  z.  B.  die  Hautdefekte  bei 
Syringomyelie,  Herpes  zoster  bei  Erkrankung  der  Spioal- 
ganglien  usw.  Dass  wir  es  nicht  mit  einer  dieser  Erkran¬ 
kungen  zu  tun  haben,  ist  zur  Evidenz  erwiesen,  wie  denn  auch 
das  Nervensystem  unserer  Kranken  frei  ist  von  jeder  or¬ 
ganischen  Störung  schwerer  Natur. 

Bei  den  Artefakten  bleibt  uns  gleichwohl  die  Vermutung, 
dass  es  sich  um  eine  eigenartig  disponierte  Haut  handelt,  wo¬ 
für  denn  auch  mehrere  Dinge  sprechen.  Ich  erwähne  nur  die 
Keloidbildung  an  der  Einstichstelle  der  Kubitalvenen  und  die 
Armschnürung  in  ihrer  abnormen  Form,  wenn  man  auch  in 
Ausnahmefällen  ähnliches  bei  der  Syphilis  gesehen  hat. 

Jedenfalls  kommen  wir  vollständig  aus  ohne  Annahme 
irgend  welcher  Besonderheiten  und  wir  müssen  Nachdruck 
darauf  legen,  dass  es  sich  hier  sicher  um  Artefakte  handelt, 
und  nicht  um  spontan  auftretende  Dinge,  selbst  wenn  uns  der 
Nachweis  der  Schädigung  nicht  gelingt. 

Glücklicher  waren  wir  in  einem  anderen  Fall,  wo  es  sich 
um  eine  Wärterin  der  psychiatrischen  Klinik  handelte.  Es  war 
hier  unterhalb  des  linken  Ohres  eine  handtellergrosse  ent¬ 
zündliche  Veränderung  der  Haut  sichtbar,  die  auf  die  Ohr¬ 
läppchen  Übergriff.  Einzelne  linsengrosse  tiefe  Geschwüre  mit 
weissem  Rand  wechselten  mit  solchen,  die  mit  bräunlich  gelber 
Borke  bedeckt  waren.  Dazwischen  sassen  vereinzelte 
Nekrosen. 

Hier  Hess  sich  durch  Auflegen  von  feuchtem  Lackmus¬ 
papier  eine  starke  Säure  nachweisen,  die  sich  aus  dem 
Destillat  der  Borken  als  Essigsäure  entpuppte.  So  wurde  diese 
Patientin  sofort  entlarvt  und  die  Aufklärung  war  von  aus¬ 
gezeichneter  therapeutischer  Wirkung. 

Dies  gibt  uns  Veranlassung,  einige  therapeutische  Fragen 
zu  erörtern.  Es  muss  natürlich  unser  nächstes  Ziel  auf  die 
Heilung  der  Symptome  gerichtet  sein,  um  so  mehr  als,  sich 


selbst  überlassen,  diese  einen  höchst  bedenklichen  Charakter 
annehmen  können.  Wir  müssen  dies  Ziel  der  Heilung  zu  er¬ 
reichen  suchen,  ohne  bei  dem  Kranken  die  Meinung  zu 
fixieren,  dass  es  sich  bei  ihm  um  eine  merkwürdige  seltene 
Erkrankung  handelt.  Ist  dies  Ziel  glücklich  erreicht,  dann  ist 
die  Heilung  der  Hysterie  unsere  nächste  Aufgabe,  denn  darüber 
muss  Klarheit  herrschen,  dass  nach  Beseitigung  der  Symptome 
vikariierende  Dinge  schlimmerer  Art  und  schwererer  Natur 
eintreten  können,  als  die  vorher  dagewesenen.  Gegebenen¬ 
falls  werden  wir  die  Entlarvung  der  Patientin  vorzunehmen 
haben,  wobei  wir  besonders  Rücksicht  auf  die  Psychose  der 
Patientin  nehmen  müssen,  um  nicht  einen  schweren  Schock 
auszulösen. 

Zur  Anästhesierung  des  Uterus*). 

Von  Dr.  Emil  Kraus,  Frauenarzt  in  Brünn. 

Ein  Stiefkind  der  Lokalanästhesie  ist  die  Geburtshilfe 
und  Gynäkologie.  In  diesen  Disziplinen  hat  die  örtliche 
Schmerzbetäubung,  infolge  der  schweren  Zugänglichkeit  der 
in  Betracht  kommenden  Organe,  sowie  der  Nerven,  welche  die 
inneren  weiblichen  Genitalien  versorgen,  keinen  hohen  Grad 
der  technischen  Vollendung  erreicht. 

Deshalb  ist  auch  die  Literatur  über  diesen  Gegenstand 
eine  sehr  bescheidene. 

Heinrich  war  der  erste,  der  die  Lokalanästhesie  der 
inneren  Genitalien  durch  Injektionen  in  die  Portio  und  Para- 
metrium  ausführte.  Ihm  folgten  Wernitz  und  Kratz.  Die 
Leitungsanästhesie  fand  in  S  e  1 1  h  e  i  m  ihren  hervorragendsten 
Vertreter. 

Die  Veranlassung,  eine  Anästhesierung  der  inneren  weib¬ 
lichen  Genitalien  auf  einem  in  der  Gynäkologie  noch  unver¬ 
suchten  Wege  anzustreben,  ging  für  mich  von  einer  in  der 
Odontologie  erst  kurze  Zeit  geübten  Methode  der  Druck¬ 
anästhesie  aus. 

Sie  besteht  darin,  dass  man  in  eine  schmerzhafte  Zahn¬ 
kavität,  noch  bevor  man  den  Bohrer  ansetzt,  ein  mit  einer 
anästhesierenden  Flüssigkeit  getränktes  Wattebäuschchen  ein¬ 
hämmert,  worauf  nach  wenigen  Minuten  Schmerzlosigkeit  für 
die  entsprechenden  Eingriffe  erfolgt.  Allerdings  muss  man  die 
Einhämmerung  immer  vom  frischen  wiederholen. 

Dieses  Verfahren  der  Druckanästhesie  habe  ich  nun  ver¬ 
sucht,  auf  gynäkologische  Eingriffe  zu  übertragen  und  zwar  für 
die  Abrasio  mucosae  uteri  bei  Endometritis. 

Die  Dehnung  der  Zervix  ist  bekanntlich  das  Schmerzhafte 
an  dieser  Operation.  Ich  habe  mich  nun  in  analoger  Weise, 
wie  in  der  Zahnheilkunde,  bemüht,  die  anästhesierende  Sub¬ 
stanz  unter  Druck  an  die  Zervixwände  anzupressen.  Diese 
Einpresung  ist  zum  Vorteile  der  Methodik  zufällig  in  dem  bei 
der  Operation  vorgenommenen  Einführen  der  Hegarstifte  ge¬ 
geben,  welche  ja  stark  an  die  Zervixwände  gepresst  werden. 
Die  Wehentätigkeit  des  Uterus,  bedingt  durch  den  Reiz  der 
Stifte,  erzeugt  den  Gegendruck,  so  dass  zwischen  Stift  und 
Zervix  befindliche  Medikamente  nach  der  Seite  des  geringeren 
Widerstandes  der  Zervix  eingepresst  werden  müssen. 

Dieser  Forderung  zu  genügen,  war  nicht  leicht. 

Vor  allem  musste  das  Medikament  in  leicht  löslicher  Form, 
gut  verteilt  in  den  Uterus  gebracht  werden. 

Ich  hatte  mir  zu  diesem  Zwecke  Baeilli  aus  Kakaobutter 
mit  entsprechender  Menge  Novokain-Suprarenin  bereiten 
lassen.  Diese  schob  ich  in  den  Uterus  bis  an  den  Fundus  ein, 
Hess  das  Stäbchen  bis  zu  einem  Brei  zerschmelzen  und  führte 
nun  Hegarstifte  in  langen  Zwischenräumen  ein. 

Da  aber  die  Druckanästhesie  erfahrungsgemäss  nicht  lange 
in  ihrer  Wirkung  anhält,  so  hatte  ich  dieses  Verfahren  oft 
wiederholen  müssen.  Auch  liess  die  Aseptik  der  Baeilli  uterini 
viel  zu  wünschen  übrig. 

Deswegen  habe  ich  in  der  Folge  das  Verfahren  derart  ab¬ 
geändert,  dass  ich  vor  der  Operation  die  Hegarstifte  in  auf¬ 
gelöste  Kakaobutter,  der  Novokain-Suprarenin  zugesetzt  war. 
eintauchte  und  die  Kakaobutter  an  den  Stiften  erstarren  liess. 
Auf  diese  Weise  war  ich  in  der  Lage,  immer  frische  Mengen 
des  Anästhetikums  ganz  automatisch  in  den  Uterus  einzuführen. 


*)  Nach  einem  auf  dem  Deutschen  Naturforschertag  in  Wien 
(1913)  gehaltenen  Vortrage. 


4 


1516 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  NVOCHKNSCHRITU 


Nr.  27. 


Trotzdem  ich  schon  mit  diesen  Methoden  Eriolg  hatte, 
machte  mir  die  Resorbierbarkeit  des  in  Kakaobutter  SU|P^J}- 
dierten  Anästhetikums  Bedenken,  da  die  betreffenden  Sto  _ 
eben  nur  suspendiert  und  nicht  gelöst  waren  und  dadurch  die 
Resorption  nur  langsam  vor  sich  gehen  konnte. 

Darum  habe  ich  das  Verfahren  schliesslich  in  letzter  Zeit 
in  der  Weise  abgeändert,  dass  ich  die  betreffenden  Stoffe  m 
Syrupus  Simplex  löste,  den  Syrup  durch  Kochen,  wie  der  g 
bräuchliche  Ausdruck  lautet  zum  Spinnen  brachte  und  nun 
diese  Masse  an  die  einzelnen  Hegarstifte  anschmelzen  hess. 
Die  mit  der  Zuckerglasur  überzogenen  Stifte  müssen  natürlich 
vor  der  Operation  vorbereitet  sein  und  knapp  vor  dem  Ein¬ 
fuhren  noch  in  laues  Wasser  getaucht  werden. 

Die  Syruplösung  war  folgendermassen  dosiert:  aut  100  g 
Syrup  kommen  5  g  Novokain  und  0,15  g  Supraremn.  comp. 

H°LDie  Operation  hat  den  kaum  in  die  Wagschale  fallenden 
Nachteil,  dass  sie  lange  dauert,  weil  man  jeden  Stift  solange 
im  Zervix  belassen  muss,  bis  er  halbwegs  abschmilzt  und  die 
beabsichtigte  Anästhesie  eintritt.  Gewiss  ein  Nachteil,  der 
aber  durch  die  schmerzlose  Ausführung  der  Operation  weit 

aufgewogen  wird.  ,  .  ,  , 

Die  Aseptik  der  so  präparierten  Stifte  lasst  nichts  zu 

wünschen  übrig,  da  die  ausgekochten  Stifte  in  eme  durch 
Kochen  sterile  Syruplösung  getaucht  werden  und  überdies 
Zucker  selbst  als  Antiseptikum  bereits  verwendet  wird- 

Ich  habe  mit  diesem  Verfahren  24  Abrasiones  bei  Endo¬ 
metritis  gemacht,  und  ohne  Rücksicht  darauf,  ob  es  sich  um 
Nulliparae  oder  Multiparae  gehandelt  hat,  einen  zufrieden¬ 
stellenden  Erfolg  konstatieren  können. 

Es  wird  Aufgabe  der  Nachprüfung  an  einem  grosseren  kli¬ 
nischen  Materiale  sein,  die  Methode  noch  weiter  auszubilden 
und  event.  für  andere  Gebiete  der  Medizin  in  Anwendung  zu 
bringen.  So  stelle  ich  mir  vor,  dass  in  der  Urologie  zur 
Dehnung  der  Strikturen  die  gleiche  Art  der  Anästhesie  in  An¬ 
wendung  kommen  könnte,  wobei  die  Sonden  die  Rolle  der 
Hegarstifte  übernehmen  würden. 

Ueber  Ligaturen  an  schwer  zugänglichen  Stellen. 

Von  Dr.  H.  A.  v.  B  e  c  k  h  -  W  i  d  m  a  n  s  t  e  1 1  e  r. 

Dass  das  Anlegen  von  Ligaturen  in  der  Tiefe  des  Beckens,  be¬ 
sonders  bei  vaginalem  Operieren,  Schwierigkeiten  bereiten  kann,  er¬ 
hellt  schon  daraus,  dass  man  versucht  hat,  eme  Reihe  von 
strumenten  hiefür  anzugeben. 


*lcm* 


Nach  Ansicht  des  Verfassers  suchen  alle  diese  teilweise  leider 
recht  komplizierten  Geräte  die  Schwierigkeiten  am  fals^en  Punkte 
zu  überwinden.  Nicht  um  das  Anlegen,  sondern  um  das  Zuziehen  des 
Fadens  handelt  es  sich.  .Dafür  habe  ich  eine  2anz  einfache,  aus 
einem  einzigen  Stücke  bestehende  Führung  bei  der  Fii rm i  R.  K  u  U  U 
in  Wien  *)  herstellen  lassen,  die  an  der  I.  Universitäts-Frauenklinik 
von  Hofrat  Schauta  mit  Erfolg  erprobt  worden  ist.  S^e  besteht 
aus  zwei  nach  aussen  offenen  Oesen,  die  wie  die  Firn  zeigt,  ' urc 
einen  Sl-  förmigen  Bügel  verbunden  sind,  der  in  der  Mitte  an  der 
Stelle  S  an  einem  zur  Zeichenebene  senkrechten  langen  Stiel  be 

lL  ^Nachdem  der  Faden  mittels  Dechamps,  Umstechung  oder  S  cl hu- 
m  a  c  h  e  r  scher  Klemme  herangebracht  oder  einfach  an  einen  Pean 
angelegt  und  der  erste  Knoten  geschlungen  ist,  nimmt  der  Operateur 
die' beiden  Fadenenden  in  die  linke  Hand  und  schiebt  die  beiden  Oesen 
dazwischen.  Der  Knoten  ist  so  zwischen  die  Fusschen  des  * 
für'  das  Auge  infolge  der  seitlichen  Anbringung  des  Stieles  beobacht¬ 
bar  —  ausgespannt,  kann  mittels  des  Instrumentes  mit  der  rechten 

Hand  über  das  Ende  des  Abklemmungsinstrumentes  geschoben  und 

durch  Zug  der  linken  Hand  zugezogen  werden.  Der  in  der  Richtung 
des  Stieles  geführte  Zug  wird  durch  Gleiten  an  den  Oesen  in  einen 
dazu  senkrechten  in  de?  Ebene  der  Schlinze  übertefohrt  und  erfolg 
so  in  derselben  Richtung,  in  der  man  ihn  vornehmen  wurde,  wenn 
man  mit  beiden  Händen  bis  an  die  Unterbindungsstelle  reichen  konnte. 
Sitzt  der  Knoten,  so  wird  das  Instrument  ausgehangt,  worauf  der 
zweite  Knoten  meist  keine  Schwierigkeiten  mehr  bereitet. 


*)  Wien  IX,  Spitalgasse  7. 


Aus  der  Universitäts-Hautklinik  in  Bonn. 

Darf  bei  weichen  Schankergeschwüren  prophylaktisch 
Salvarsan  angewandt  werden? 

Von  Prof.  Erich  Hoffmann. 

In  einer  unter  dem  Titel  „Ulcus  molle  oder  Primäraffekt  eine 

therapeutische  Betrachtung“  erschienenen  Arbeit  )  d^weSen 
Müller  nachzuweisen,  dass  auf  Geschwüre  vom  Typus  des  weichen 
Schankers  ohne  sonstige  Zeichen  einer  syphilitischen  Infektion ■  doc 
nach  Jahren  Folgeerscheinungen  der  Syphilis  sich  einstellen  können. 
Zum  Beweis  dafür  führt  er  5  Krankengeschichten  aus  seiner  Praxis 
an,  in  denen  er  zunächst  typische  Ulcera  mollia  und  spater  Tabes, 
Paralvse  oder  andere  Symptome  von  Syphilis  folgen  sah  Dabe 
erwähnt  er  ausdrücklich,  dass  diese  Beobachtungen  aus  der  Zeit 
vor  der  Entdeckung  des  Syphiliserregers  und  der  W  a  ss  e  mann- 
sctien  Reaktion  stammen.  Aber  auch  heute  noch  scheint  ihm  trotz 
genauester  mikroskopischer  Untersuchung  die  Differentialdiagnose 
zwischen  weichem  Schanker  und  Primäraffekt  nicht  genügend  sicher 
zu  sein  und  er  schlägt  daher  vor,  in  jedem  Falle  von  Ulcus  molle 
einige  Salvarsaninjektionen  prophylaktisch  zu  geben,  weil  eme  gleich¬ 
zeitige  Syphilisinfektion  sich  unbemerkt  entwickeln  konnte  und  bei 
abwartendem  Verhalten  die  günstige  Chance  der  Abortivheilung  ver¬ 
loren  ginge.  Zur  Begründung  dieses  Vorschlages  beruft  er  sich  auch 
auf  A  N  e  i  s  s  e  r,  der  aber  nur  für  gewisse  Fälle  wahrscheinlichster 
syphilitischer  Ansteckung  (durch  Verkehr  mit  einer  an  infektiösen 
syphilitischen  Erscheinungen  leidenden  Person)  eine  frühzeitige  Be¬ 
handlung  angeraten  hat.  H.  M  ü  1 1  e  r  glaubt  ferner  auf  Grund  seines 
Mainzer  Krankenmateriales,  dass  Falle  von  reiner  ^  e y' rcrhD? 
weichem  Schanker  nicht  häufig  seien,  und  dass  daher  sein  „Vorschlag 
der  Salvarsanprophylaxe  bei  Ulcus  molle  praktisch  verhältnismässig 
selten  zur  Ausführung  kommen“  würde. 

Schon  mehrfach  habe  ich  betont,  dass  die  Behandlung  der  Sy¬ 
philis  wegen  der  besseren  Aussicht  auf  völlige  Heilung  mit  einer  Hg- 
Salvarsan-Kur  so  früh  wie  möglich  begonnen  werden  muss,  aber  nie¬ 
mals  bevor  die  Diagnose  absolut  sicher  ist,  und  habe  diesen  -  tand- 
punkt  auch  N  e  i  s  s  e  r  s  Vorschlag  gegenüber  in  Uebereinstimmung  mit 
den  meisten  Dermatologen  aufrecht  erhalten  Die  Tatsache, .  dass 
bei  Ulcus  molle  mit  gleichzeitiger  Syphilismfektion  dei  Spirochaten- 
nachweis  im  Geschwürsekret  schwierig  sein  kann,  ist  von  mir  stets 
anerkannt  worden,  und  ich  habe  gerade  für  s°lche  Falle  besondere 
Methoden  zum  Spirochätennachweis  empfohlen,  wie  wir  sie  in  der 
Punktion  des  Geschwürsgrundes  oder  der  regionären  Drusen  und 
der  Untersuchung  des  Gewebssaftes  kleiner  exzidierter  Stück¬ 
chen  vom  Schankerrande  besitzen.  Meine  weiteren  Erfahrungen 
haben  mich  gelehrt,  dass  es  hierdurch  fast  in  allen  Fallen  möglich 
ist  zu  einer  sicheren  Diagnose  zu  gelangen,  ohne  dass  dem  Kranken 
wesentlicher  Schaden  erwächst.  Darin  freilich  stimme  ich  Hugo 

Müller  zu,  dass  bei  allen  Kranken  mit  Ulcus  molle  an  die  Möglich¬ 
keit  einer  gleichzeitigen  syphilitischen  Infektion  gedacht  werden  muss 
und  eine  längere  Ueberwachung  notwendig  ist.  hur  diese  stehen 
uns  folgende  Methoden  zur  Verfügung:  1.  die  genaue  klinische 
Untersuchung,  welche  das  Verhalten  des  Gesell wursgrundes,  des 
dorsalen  Lymphstranges,  der  regionären  Drüsen  und  das  Auftreten 
etwaiger  Allgemeinerscheinungen  zu  beachten  hat,  _.  die  haut  g 
wiederholte  mikroskopische  Untersuchung  und 
3  die  mehrfach  in  regelmässigen  Abstanden  an  ge  st  eilte 
Wassermann  sehe  Reaktion.  Die  Untersuchung  im  Dunkel¬ 
feld  führt  nach  meiner  Erfahrung  so  gut  wie  regelmassig  zur  Ent¬ 
scheidung  der  Diagnose,  falls  genügende  Sorgfalt  angewandt  wird, 
wo  bei  Mischinfektion  oder  infolge  vorausgegangener  Aetzung  oder 
Kauterisation  die  Spirochäten  an  der  Oberfläche  nicht  nachweisbar 
sind,  muss  man,  wie  schon  oben  erwähnt,  das  Material  durch  P  u  n 
tion  des  Geschwürsgrundes  und  der  Drüsen  oder  Exzision  eines 
kleinen  Stückchens  vom  Rande  des  Schankers  entnehmen  und  hat 
dann  fast  stets  Erfolg1*).  Findet  man  ausnahmsweise  auch  auf  diese 
Weise  keine  einwandfreien  Syphilisspirochäten,  so  ist  die  regel- 
mässige  Prüfung  des  Blutserums  durchzuführen,  wobei  zwei  I  unkte 
wohl  zu  beachten  sind.  Wie  ich  schon  vor  Jahren  mit  Franz  Blu¬ 
me  n  t  h  a  1  gefunden  habe,  kann  auch  bei  reinem  Ulcus  molle  infolge 
der  Drüsenschwellung  selten  einmal  eine  vorübergehende  Hemmung 
der  Hämolyse  sich  einstellen,  die  aber  nur  geringfügig  zu  sein  pflegt, 
auf  eine  solche  darf  daher  kein  entscheidender  Wert  gelegt  werden. 
Andererseits  habe  ich  in  Fällen,  in  denen  Primäraffekte  unzweck¬ 
mässiger  Weise  mit  Kauterisation  etc.  behandelt  worden  waren,  eine 
Verzögerung  des  Auftretens  der  positiven  W  assermann  sehen 
Reaktion  beobachtet,  die  so  weit  ging,  dass  sie  erst  8  läge  und 
länger  nach  Auftreten  einer  Roseola  deutlich  wurde.  Aus  diesem 
Grunde  rate  ich  allen  Ulcus-moIle-Erkrankten  an,  sich  einige  (3—4) 
Monate  nach  der  Infektion  nochmals  gründlich  klinisch  und  sero¬ 
logisch  untersuchen  zu  lassen. 

Schliesslich  entsteht  nun  noch  die  Frage,  ob  die  Annahme  Mül¬ 
lers,  dass  ein  solch  abwartendes  Verhalten,  das  er  selbst  als  wissen¬ 
schaftlich  allein  begründet  anerkennt,  den  Kranken  erheblichen  Nach¬ 
teil  bringt.  Meiner  Erfahrung  nach  ist  das  nicht  der  Fall;  denn  die 

i)  M.m.W.  1914  Nr.  23.  ,  _  ..  ...  . 

1#)  Auch  die  Impfung  (P.-A.-Stückchen  oder  Drusensaft)  auf 
Kaninchenhoden  ziehe  ich  zuweilen  in  schwierigen  Fällen  heran. 


7.  Juli  1914. _ MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1517 


Guecksilber-Salvarsankur  führt,  wie  ich  erst  kürzlich s)  berichtet 
habe,  auch  bei  älterer  primärer  Syphilis  so  gut  wie  regelmässig  und 
selbst  bei  frischer  sekundärer  Erkrankung  in  der  grossen  Mehrzahl 
der  Fälle  zum  Ziele,  wenn  sie  nur  unter  Beobachtung  der  Kurve 
der  Wassermannreaktion  mit  genügender  Stärke  durchgeführt  wird; 
gerade  in  Fällen,  in  denen  die  WaR.  verspätet  auftritt  (s.  oben), 
pflegt  sie  auch  schnell  wieder  in  die  negative  Phase  umzuschlagen, 
so  dass  die  Kur  weit  über  diese  Umwandlung  hinaus  fortgesetzt 
werden  kann  und  sicherer  einen  Dauererfolg  verspricht.  Anderer¬ 
seits  sind  reine  Infektionen  mit  Ulcus  molle  besonders  in  den  Gress¬ 
städten  viel  häufiger,  als  H.  Müller  annimmt,  und  bei  dem  heutigen 
Stande  unseres  Wissens  ist  die  Anwendung  des  Salvarsans  doch 
noch  nicht  als  so  ungefährlich  anzusehen,  dass  sie  ohne  zwingenden 
Grund  eingeleitet  werden  sollte. 

Aehnliche  Betrachtungen  Hessen  sich  übrigens  auch  für  die  Go¬ 
norrhöe  aufstellen,  die  auch,  falls  sich  unbemerkt  eine  Induration  in 
der  Harnröhre  entwickelt,  spätere  Syphiliserscheinungen  nach  sich 
ziehen  kann.  Auf  diese  und  andere  genitale  Erkrankungen  (Balanitis, 
Herpes  etc.)  will  aber  Müller  seine  Prophylaxe  selbst  nicht  aus¬ 
gedehnt  wissen,  da  er  ein  solches  Vorgehen  für  unwissenschaftlich 
erklärt.  Hieraus  ergibt  sich  eigentlich  schon  von  selbst,  was  von  dem 
Vorschlag  H.  Müllers  überhaupt  zu  halten  ist,  und  es  könnte  über¬ 
flüssig  erscheinen,  ihn  so  eingehend  zu  widerlegen.  Aber  wer  in  der 
Praxis  steht,  weiss,  wie  sehr  der  Praktiker  leider  schon  jetzt  zur 
Behandlung  verdächtiger  Ulzerationen  mit  antisyphilitischen  Mitteln 
neigt  und  wie  oft  er  dadurch  die  Diagnose  für  lange  Zeit  unklar  oder 
unmöglich  macht,  und  die  Berufung  auf  Gelehrte,  wie  Kaposi  und 
N  e  i  s  s  e  r  macht  es  doppelt  notwendig,  hier  Klarheit  zu  schaffen  und 
vor  einem  durch  nichts  gerechtfertigten  Vorgehen  nachdrücklich  zu 
warnen.  Ehe  nicht  die  Diagnose  völlig  feststeht,  darf  eine  anti¬ 
syphilitische  Therapie  nicht  angewandt  werden;  auch  die  örtliche 
Behandlung  suspekter  Schanker  muss  so  geleitet  werden,  dass  da¬ 
durch  der  Spirochätennachweis  nicht  zu  sehr  erschwert  wird. 

Somit  komme  ich  zu  folgenden  Schlusssätzen: 

1.  Reine  Infektionen  mit  Ulcus  molle  sind  weit  häufiger  als 
H.  Müller  annimmt. 

2.  Durch  genaueste  klinische  Ueberwachung,  sorgsame  und 
wiederholte  mikroskopische  Untersuchung  (auch  des  Gewebs-  und 
Drüsensaftes)  sowie  regelmässige  Prüfung  der  Wassermann- 
schen  Reaktion  lässt  sich  eine  gleichzeitige  syphilitische  Infektion 
neben  weichem  Schanker  mit  genügender  Sicherheit  feststellen,  wobei 
zu  beachten  ist.  dass  leichte  Hemmungen  der  Hämolyse  auch  bei 
weichem  Schanker  mitunter  Vorkommen  können. 

3.  Der  Vorschlag,  bei  jedem  Ulcus  molle  sofort  Salvarsaninjek- 
tionen  prophylaktisch  anzuwenden,  ist  völlig  unbegründet  und  würde 
uns  auf  einen  Stand  unseres  Wissens  zurückführen,  den  wir  durch 
eine  Reihe  bedeutungsvoller  Entdeckungen  glücklich  überwunden 
haben. 

4.  Die  Verzögerung,  die  durch  die  völlige  Sicherung  der  Diagnose 
in  nur  wenigen  Fällen  entsteht,  erschwert  die  Abortivheilung  der 
Syphilis  nicht  erheblich  und  bedeutet  gegenüber  der  Verwirrung,  die 
durch  prophylaktische  Salvarsanbehandlung  aller  Ulcera  mollia  ent¬ 
stehen  würde,  keinen  wesentlichen  Nachteil. 


Bücheranzeigen  und  Referate. 

O.  Hammarsten:  Lehrbuch  der  physiologischen  Chemie. 
VIII.  völlig  umgearbeitete  Auflage.  Mit  einer  Spektraltafel.  Wies¬ 
baden  1914.  Verlag  von  J.  F.  B  e  r  g  m  a  n  n.  961  Seiten.  Preis 
24  Mark. 

Das  bekannte  Lehrbuch  des  schwedischen  Physiologen  erscheint 
in  dieser  neuen  Auflage  wieder  in  erheblich  geänderter  und  dem 
heutigen  Stande  unseres  Wissens  angepasster  Ausführung.  Wenn 
auch  Hammarsten  die  Bearbeitung  nicht  mehr  allein  durchgeführt 
hat,  sondern  sich  der  Unterstützung  seines  jüngeren  Kollegen  H  e  d  i  n 
erfreute,  ist  doch  das  Werk  in  Anlage  und  Charakter  durchaus  das 
alte  geblieben.  Das  Lehrbuch  ist  daher  auch  in  der  neuen  Auflage 
eines  grossen  Kreises  von  Freunden  sicher,  so  dass  es  einer  be¬ 
sonderen  Empfehlung  an  dieser  Stelle  nicht  bedarf.  Es  sei  nur 
hervorgehoben,  dass  der  Umfang  des  Buches  trotz  der  Einschiebung 
sehr  zahlreicher  neuer  Abschnitte,  namentlich  aus  dem  Gebiet  der 
physikalisch-chemischen  Physiologie,  infolge  geschickter  Kürzung  an 
anderen  Stellen  seine  bisherige  Grösse  nicht  überschritten  hat.  Für 
den  Studierenden  wie  für  den  praktischen  Arzt  dürfte  gerade  in 
der  hier  geübten  Beschränkung  ein  grosser  Gewinn  zu  verzeichnen 
sein.  Schade-Kiel. 

Die  Albuminurie.  Klinische  und  experimentelle  Beiträge  zur 
Frage  der  orthostatisch-lordotischen  und  der  nephritischen  Albumin¬ 
urie,  von  Dr.  Ludwig  Jehle-Wien.  Verlag  von  Jul.  Springer. 
109  Seiten.  Preis  4  M. 

Ein  Buch,  das  der  Kritik  formal  und  inhaltlich  sehr  viele  Angriffs¬ 
flächen  bietet.  Liest  man  das  Buch,  so  gewinnt  man  den  Eindruck, 
dass  Albumen  etwas  ist,  was  bei  sehr  vielen  Menschen  sehr  leicht  zu 
provozieren  ist,  und  das  dementsprechend  keinerlei  tiefere  Bedeutung 


J)  Der  Wert  des  Salvarsans  für  die  Abortivheilung  der  Syphilis. 

D.m.W.  1914  Nr.  23  S.  1168. 


zu  besitzen  braucht.  Je  hie  selber  macht  mit  Recht  auf  die 
Albuminurien  der  Sportsleute  etc.  aufmerksam.  Anstatt  aber  daraus 
die  therapeutischen  Konsequenzen  zu  ziehen  und  zum  mindesten  die 
Albuminurie  auch  bei  der  orthostatischen  resp.  lordotischen  Albumin¬ 
urie  nicht  als  das  Zentrum,  sondern  nur  als  ein  Symptom  zu  be¬ 
trachten,  ist  J  e  h  1  e  s  ganzes  Dichten  und  Trachten  darauf  eingestellt, 
die  Albuminurie  zu  beseitigen.  Ist  sie  beseitigt,  dann  ist  alles  gut. 
Beseitigt  muss  sie  um  jeden  Preis  werden,  selbst  um  einen  Preis, 
der  keineswegs  jedem  Arzt  einwandfrei  erscheint,  wie  das  Verordnen 
des  Mieders. 

Ir.  der  Bewertung  der  mechanischen  Momente  für  die  Genese 
der  Albuminurie  geht  J  e  h  1  e  entschieden  viel  zu  weit.  Es  ist  sein 
Verdienst,  auf  ihren  Einfluss  nachdrücklich  hingewiesen  zu  haben. 
Aber  der  Behauptung,  dass  die  Albuminurie  der  Säuglinge  durch  die 
Streckung  im  Steckkissen  hervorgerufen  sei  und  dass  bei  Soldaten 
lordotische  Albuminurie  eine  Berufskrankheit  sein  soll,  werden  sich 
wenige  anschliessen. 

Ob  wirklich  alles,  was  J  e  h  1  e  deshalb  für  orthotische  resp. 
lordotische  Albuminurie  hält,  weil  er  das  Albumen  beseitigen  konnte, 
eine  solche  war,  bleibt  zweifelhaft.  Die  Beseitigung  des  Albumen 
allein  beweist  das  sicher  nicht.  Sehen  wir  doch  oft  genug  inter¬ 
mittierende  resp.  provozierbare  Albuminurie  bei  Nephritikern.  Dass 
J  eh  1  e  von  diesem  Boden  aus  zu  der  Anschauung  kommen  konnte, 
lordotische  resp.  orthostatische  Albuminurie  könne  in  echte  Nephritis 
übergehen,  erscheint  erklärlich. 

Das  Buch  enthält  ausserdem  noch  eine  Anzahl  von  Tierver¬ 
suchen  ohne  inneren  Zusammenhang.  Mangelhafte  Funktion  der 
Nierenkapsel  soll  nach  diesen  Versuchen  die  Entstehung  der  Albumin¬ 
urie  bei  Orthotikern  begünstigen.  Anlage  und  Uebertragung  dieser 
Experimente  auf  menschliche  Verhältnisse  bedürfen  noch  sehr  kri¬ 
tischer  Ergänzung. 

Alles  in  allem  scheint  es  mir  bedauerlich,  den  Kern  dieser  wesent¬ 
lichen  Frage  lediglich  in  so  eng  umgrenzten  Fragestellungen  suchen 
zu  wollen.  Das  bringt  die  Gefahr  einer  Verflachung  der  Frage¬ 
stellung  mit  sich,  während  andererseits  eine  weitgreifende  grosszügige 
Behandlung,  die  auch  andere  Leistungen  und  Funktionsäusserungen 
des  Organs,  als  die  Albuminurie  und  ausserdem  den  gesamten  Orga¬ 
nismus  in  ihren  Bereich  zieht,  viel  Anregung  auch  für  andersartige 
Albuminurien  zu  bieten  vermöchte.  Schlayer  -  München. 

Jos.  W  e  1 1  e  r  e  r  -  Mannheim:  Handbuch  der  Röntgentherapie 
nebst  Anhang:  Die  radioaktiven  Substanzen  in  der  Therapie.  Ein 

Lehrbuch  für  Aerzte  und  Studierende.  2  Bände.  Zweite,  umge¬ 
arbeitete  und  erweiterte  Auflage.  991  Seiten,  340  Textfiguren, 
47  Tafeln.  Verlag  von  Otto  N  e  m  n  i  c  h,  Leipzig.  Preis  I.  Teil  20  M„ 
II.  Teil  26  M.  ■ 

Seit  die  Röntgentherapie  in  ungeahnter  Weise  sich  neben  die 
Diagnostik  gestellt  hat,  ist  ein  neues  grosses  Arbeitsgebiet  entstanden, 
das  nur  mit  gründlichen  Vorkenntnissen  betreten  werden  sollte.  Ge¬ 
rüstet  mit  den  Erfahrungen,  welche  von  anderen  durch  mühsame 
Studien  und  zahllose  klinische  Versuche  errungen  wurden,  muss  der 
Arzt  an  die  Strahlentherapie  herangehen.  Wetterers  Handbuch 
ist  ihm  ein  gründlicher  Lehrer  und  zuverlässiger  Berater.  Die 
2.  Auflage  ist  in  2  Teilen  erschienen:  der  erste  enthält  eine  ge¬ 
schichtliche  Einleitung,  die  Beschreibung  der  physikalisch-technischen 
Grundlagen,  mit  Röhren,  Dosimetrie  und  Schutzvorrichtungen,  dann 
mit  dankenswerter  Ausführlichkeit  die  biologischen  Strahlenwir¬ 
kungen,  ferner  die  Technik  der  Oberflächen-  und  Tiefenbestrahlung 
und  schliesslich  ein  von  Heinr.  Schröder  verfasstes  Kapitel  über 
die  rechtliche  Seite  der  Radiotherapie,  mit  der  sich  jeder  befassen 
sollte,  um  nicht  davon  erfasst  zu  werden.  Der  zweite  Band  bringt 
die  spezielle  Röntgentherapie,  nach  Krankheitsgruppen  geordnet,  mit 
einem  Anhang  über  Therapie  mit  radioaktiven  Substanzen.  Be¬ 
sonders  das  letztere  Kapitel,  das  im  Brennpunkt  des  Fortschrittes 
steht,  musste  ganz  wesentlich  erweitert  werden,  ferner  das  grosse 
Literaturverzeichnis,  das  freilich  durch  das  Gocht  sehe  Literatur¬ 
werk  zum  Teil  überflüssig  gemacht  wird.  In  den  übrigen  Kapiteln 
haben  zahlreiche,  vom  Fortschritt  der  letzten  5  Jahre  diktierte,  Er¬ 
gänzungen  und  Einschaltungen  Platz  gefunden.  Durch  engeren  Druck 
des  ganzen  Werkes  tritt  diese  innere  Ausarbeitung  äusserlich  wenig 
hervor.  Im  2.  Teil  sind  zahlreiche  neue  Abbildungen  („vor  und 
nach  Bestrahlung“)  eingefügt;  die  schwarzen  wirken  besser  als  die 
farbigen.  Ueber  Indikationen,  Technik  der  Bestrahlung  bei  be¬ 
stimmten  Formen  von  Dermatosen,  Tumoren  etc.  gibt  Verf.  auf 
Grund  seiner  grossen  Erfahrung  und  Belesenheit  präzise  und  zu¬ 
verlässige  Ratschläge,  so  dass  das  Buch  jedem  unentbehrlich  ist,  der 
sich  etwas  genauer  umsehen  und  unterrichten  will. 

Grashey  -  München. 

F.  Munk:  Grundriss  der  gesamten  Röntgendiagnostik  innerer 
Krankheiten.  Verlag  G.  T  h  i  e  m  e  -  Leipzig.  1914.  264  Seiten.  Geb. 
7.50  M. 

Das  Buch  ist  Fr.  Kraus  gewidmet,  in  dessen  Klinik  es  ent¬ 
stand.  War  doch  auch  Kraus  derjenige  unter  den  Klinikern,  der 
den  Wert  der  Röntgendiagnostik  für  die  innere  Medizin  zuerst  er¬ 
kannte.  Es  ist  nicht  für  die  Röntgenologen,  sondern  für  die  Aerzte 
bestimmt  gedacht,  „welche,  ohne  selbst  ein  Laboratorium  zu  be¬ 
sitzen  oder  in  einem  solchen  technisch  zu  arbeiten,  die  Ergebnisse 
der  Röntgendiagnostik  kennen  lernen  und  sich  dieser  diagnostischen 
Methode  zu  ihrem  eigenen  und  ihrer  Patienten  Nutzen  bedienen 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  27. 


1518 


wollen“.  Referent  glaubt,  dass  die  Auswahl  des  Stoffes,  die  An¬ 
ordnung  und  die  Art  der  Darstellung  dem  Verfasser  glücklich  ge- 
hingen  sind  und  der  Inhalt  noch  mehr  bietet,  als  es  dem  Vorwort 
nach  scheint.  Solcher  Bücher,  die  das  genannte  Gebiet  in  dieser 
bündigen  Weise  darstellen,  kann  es  gar  nicht  genug  geben  zu  der 
Zeit,  wo  es  um  die  Möglichkeit,  sich  mit  den  unentbehrlichsten 
röntgenologischen  Kenntnissen  zu  versehen,  auf  den  deutschen  Hoch¬ 
schulen  reichlich  ungenügend  bestellt  ist.  Was  das  Buch  in  eyster 
Linie  für  seine  Zwecke  vor  anderen  ähnlichen  Schriften  auszeichnet, 
sind  die  technisch  vollendeten,  trefflich  ausgewählten,  sehr  gut 
wiedergegebenen  Abbildungen,  die  auch  den  Fachmann  erfreuen,  zu¬ 
mal  man  leider  heute  noch  oft  Röntgenogramme  veröffentlicht  sieht, 
die  mit  der  Technik  von  1897/98  angefertigt  zu  sein  scheinen  und 
Schuld  daran  sind,  dass  die  Mehrzahl  der  praktischen  Aerzte  der 
Röntgendiagnostik  innerer  Leiden  noch  sehr  skeptisch  gegenübersteht. 

Der  Inhalt  des  Buches  zerfällt  in  folgende  grössere  Kapitel: 
Physikalische  Grundlagen  des  Röntgenverfahrens.  Technisches. 
Röntgenuntersuchung  des  Herzens,  der  Lunge,  Bronchien,  Pleura  und 
des  Mediastinums;  des  Oesophagus;  des  Magens;  des  Darmes;  der 
Leber:  des  Harnapparates;  pathologischer  Prozesse  am  Skelett.  Den 
Schluss  bildet  ein  kurzes  Literaturverzeichnis. 

Alban  Köhler-  Wiesbaden. 

Prof.  Dr.  G.  Anton:  Psychiatrische  Vorträge  für  Aerzte,  Er¬ 
zieher  und  Eltern.  S.  Karger.  Berlin  1914.  91  Seiten.  Preis 

M.  2.40.  .  J  ,  , 

Die  Themen  der  einzelnen  Arbeiten  sind:  1.  Gehirnbau  und 
Seelenkunde,  2.  Gefährliche  Menschentypen,  3.  Wiederersatz  der 
Funktion  bei  Erkrankungen  des  Gehirns  und  Rückenmarkes,  4.  Spre¬ 
chen  und  Denken,  5.  Geistige  Artung  und  Rechte  der  Frauen. 

Es  handelt  sich  um  kurze  Vorträge,  die  naturgemäss  ihr  Thema 
nicht  erschöpfen  können,  sondern  aus  dem  jeweiligen  Stoff  das  für  ein 
weiteres  Publikum  Interessante  und  Nützliche  mit  Geschick  heraus¬ 
heben.  In  bezug  auf  den  Wiederersatz  der  Funktionen  im  Gehirn 
sind  wir  wohl  nicht  ganz  so  weit  in  unserer  sicheren  Erkenntnis, 
wie  es  nach  Verf.  erscheinen  möchte;  v.  Monakow  z.  B.  kommt 
zu  einer  stark  abweichenden  Auffassung.  Auch  die  hereditäre  Be¬ 
deutung  solcher  Kompensationen  steht  noch  zur  Diskussion.  Die 
Darsteilung  ist  überall  eine  klare  und  einfache;  die  Bedeutung  der 
Affekte  in  der  Psychologie  des  einzelnen  wie  in  dem  Verhältnis 
von  Mensch  zu  Mensch  ist  besser  herausgehoben  als  von  den  meisten 
anderen  Autoren.  Ueberhaupt  wird  auch  der  eine  und  andere  Kollege, 
dir  von  diesen  Dingen  etwas  zu  wissen  glaubt,  im  einzelnen  manche 
unerwartete  treffende  Bemerkung  finden;  so  in  dem  besonders  hüb¬ 
schen  letzten  Vortrag  die  Konstatierung,  dass  die  Frau  nach  dem 
Klimakterium  in  gewisser  Beziehung  eine  „geistige  Spätblüte  er¬ 
leben  könne,  die  dem  Manne  meist  versagt  bleibt.  Diese  kurze,  aber 
ganz  treffende  Bemerkung  mag  geeignet  sein,  den  kritiklosen  tnthu- 
si  ismus  über  die  Möbius  sehe  Aufstellung  des  „physiologischen 
Schwachsinnes  des  Weibes“  auf  ein  richtiges  Mass  herunterzusetzen. 

Bleuler-  Burghölzlm 


A  Justschenko  -  Dorpat :  Das  Wesen  der  Geisteskrank¬ 
heiten  und  deren  biologisch-chemische  Untersuchungen.  Dresden  und 
Leipzig.  Th.  Steinkopf  1914.  132  Seiten.  Broschiert  4  M.,  geb. 

5  M 

In  10  für  Studierende  bestimmten  Vorlesungen  wird  dargestellt, 
was  die  verschiedenen  biologisch-chemischen  Untersuchungsmethoden 
für  die  Auffassung  des  Wesens  der  Geisteskrankheiten  geleistet 
haben,  und  insbesondere  was  von  ihrer  weiteren  und  ausgedehnteren 
Anwendung  für  die  psychiatrische  Forschung  zu  erwarten  ist. 

Behandelt  werden  die  Stoffwechseluntersuchungen  mit  be¬ 
sonderer  Berücksichtigung  der  Autointoxikationen,  die  Beziehungen 
der  Infektionen  zu  der  Entstehung  von  Psychosen  unter  Anführung 
der  verschiedenen  Immunitätsreaktionen,  die  Erforschung  der  Fer¬ 
mentationsprozesse  bei  Geisteskranken,  die  kolloid-chemischen  Pro¬ 
bleme  und  schliesslich  die  Bedeutung  der  Drüsen  mit  innerer  Se¬ 
kretion.  , .  x  .  ,  „. 

Die  beiden  ersten  Vorlesungen  bringen  eine  historische  Ein¬ 
leitung.  den  Schluss  bildet  eine  Erörterung  der  therapeutischen  Mög¬ 
lichkeiten.  Plaut-  München. 

Aerztliches  Recht.  Unter  besonderer  Berücksichtigung  deutschen, 
schweizerischen  und  französischen  Rechts.  Von  Dr.  J.  R,  Spinner- 
Zürich.  Berlin,  Verlag  von  Julius  Spri.nger,  1914.  556  Seiten. 

Preis  broch.  16  M„  geb.  18  M.  50  Pf. 

Seit  die  Aerzte  angefangen  haben,  sich  mehr  um  ihre  Standes- 
intcressen  zu  bekümmern,  erfahren  auch  die  die  allgemeine  und  per¬ 
sönlich  rechtliche  Stellung  der  Aerzte  berührenden  Fragen  literarische 
Behandlung;  eine  neuere  Erscheinung  auf  diesem  Gebiete  ist  das 
Werk  von  Dr.  Spinner,  das  diese  Probleme  unter  Beiziehung 
der  Gesetzgebung  aller  deutschsprechenden  Staaten  vergleichend  be¬ 
handelt  und  zum  Teil  auch  den  Stand  dieser  Probleme  in  anderen 

Kulturstaaten  beizieht.  ,  c  .  . 

Behandelt  werden  die  öffentlich-rechtliche  Stel¬ 
lung  des  Arztes,  die  Kurpfuscherei,  der  ärztliche  Eingriff  in  die 
körperliche  Integrität  des  Menschen  (Operationsrecht).  Eingriff  in 
die  Fortpflanzung  des  Menschen  und  das  ärztliche  Berufsgeheimnis. 
Im  Kapitel  „Kurpfuscherei"  wird  auch  über  die  „unlauteren  Elemente 
des  ärztlichen  Standes“  gehandelt. 


Den  einzelnen  Abschnitten  ist  ein  reichhaltiges  Literaturver¬ 
zeichnis  angefügt;  ein  ausführliches  Inhaltsverzeichnis  erleichtert 
die  Handhabung  des  Werkes,  das  dem  Arzt  über  die  verschiedensten 
Fragen,  die  für  ihn  von  Interesse  sind,  Aufschluss  zu  geben  ver¬ 
mag. 


Statistisches  zur  Wirkung  des  Reichsimpfgesetzes  vom 
8.  April  1874.  Aus  der  Medizinalabteilung  des  Kgl.  preussiscnen 
Ministeriums  des  Innern.  Berlin  1914.  Verlagsbuchhandlung  \on 

Richard  S  c  h  o  e  t  z.  SW.  48.  8  S.  , 

Vor  jetzt  40  Jahren  wurde  das  Deutsche  Impfgesetz  erlassen. 
Veranlassung  war  die  schwere  Pockenepidemie  von  1871  1  • 

Seitdem  sind  die  Pocken  aus  der  Zivilbevölkerung  verschwunden. 
Bei  der  Armee  wurde  die  Impfung  der  Rekruten  durch  die  Order  vom 
16.  Juni  1834  eingeführt  mit  dem  Erfolg,  dass  sie  von  1835  an  von 
den  Pocken  fast  ganz  verschont  blieb.  Die  freiwillige  Schutzpocken- 
impfung  wurde  in  Preussen  seit  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  vor- 
genommen.  Vor  der  obligatorischen  Einführung  —  8.  April  1874  — 
hatten  etwa  alle  10  Jahre  Epidemien  geherrscht  und  ein  ansehnlicher 
Bruchteil  der  Bevölkerung  starb  noch  immer  an  den  Pocken,  im 
Jahre  1834,  in  dem  die  Schutzpockenimpfung  im  Heere  eingefuhrt 
wurde,  starben  von  100  000  Mann  noch  28,1  (in  den  5  unmittelbar 
vorausgehenden  Jahren  resp.  75  Proz.  —  66,7  Proz.  —  75  Proz. 

22  1  Proz  _  27  Proz.).  In  den  5  Jahren,  die  auf  die  Einführung 

folgten,  starben  resp.  3,7  Proz.  -  6,9  Proz.  -  2,4  Proz  -  5,5  Proz 
—  15  Proz  ln  den  Jahren  1904—1912  (so  weit  reicht  vorliegende 
Statistik)  starben  0  Proz.  In  der  Zivilbevölkerung  hatten  die  Pocken 
früher  durchschnittlich  jährlich  60  000  Personen  dahingerafft,  seit  der 
Durchführung  des  Gesetzes  sind  sie  so  gut  wie  verschwunden  —  Die 
Behauptung  der  Impfgegner,  dass  die  Impfung  keinen  Zweck  habe, 
weil  die  geimpften  Personen  angeblich  ebenso  leicht,  ja  leichter  an 
den  Pocken  erkranken  und  sterben,  wie  Nichtgeimpfte,  wird  zahlen- 
mässig  widerlegt.  Von  den  Ungeimpften  starben  mehr  als  4  mal  so 
viel  als  von  den  Geimpften  und  mehr  als  6  mal  so  viel  als  von  den 
wiedergeimpften  Personen.  Aber  auch  bei  den  Personen,  welche 
nicht  starben,  war  der  Verlauf  der  Pocken  bei  den  Ungeimpften  viel 
schwerer  als  bei  den  Geimpften  und  den  Wiedergeimpften.  Die  Be¬ 
hauptung  der  Impfgegner,  dass  die  Wirkung  der  Schutzpockenimpfung 
nur  von  kurzer  Dauer  sei,  ist  falsch.  Ihre  Wirkung  dauert  bei  manchen 
Menschen  das  ganze  Leben  hindurch,  zumal  wenn  zu  ihr  noch  Wieder¬ 
impfung  im  12.  Lebensjahre  hinzukommt.  Auch  dies  wird  zahlen- 
mässig  bewiesen  (Tabellen).  Die  Schutzwirkung  macht  sich  bis  in 
die  höchsten  Altersklassen  hinein  geltend.  —  Die  absolute  Zahl  der 
erkrankten  Personen  im  jugendlichen  Alter  war  bei  den  Ungeimptten 
viel  grösser  als  bei  den  Geimpften  bzw.  Wiedergeimpften.  Aus  einer 
kleinen  Tabelle  geht  hervor,  wie  sehr  die  Pocken  die  jugendlichen 
Lebensalter  gefährden,  während  diese  unter  den  geimpften  Personen 
nur  in  ganz  geringem  Verhältnis  vertreten  waren. .  Die  Mehrzahl  dei 
Personen  aber,  welche  erkrankten,  trotzdem  sie  geimpft  worden 
waren,  befanden  sich  im  höheren  Lebensalter,  in  dem  die  Wirkung 
der  Schutzpockenimpfung  schon  nachzulassen  begann.  Daraus  geht 
hervor  dass  die  Schutzpockenimpfung  von  überaus  segensreichei 
Wirkung  ist.  —  Eine  letzte  Tabelle  verzeichnet  statistisch  die  Todes¬ 
fälle  an  Pocken  im  Deutschen  Reich,  in  England  und  Wales,  Oester¬ 
reich  und  der  Schweiz  vom  Jahre  1896 — 1913.  Bedingungsloser  Impf¬ 
zwang  besteht  nur  in  Deutschland.  Es  starben  1896—1913  zusammen 
572  Personen  an  den  Pocken  =  0,05  von  je  100  000  Lebenden.  Eng- 
land  und  Wales  (Gewissensklausel)  entsprechende  Zahl:  5408  =  1.56 
von  je  100  000  Lebenden.  Oesterreich  (kein  Impfzwang)  resp.  7458 
—  2.94.  Schweiz  (Impfzwang  in  den  einzelnen  Kantonen  verschieden, 
in  17  Kantonen  kein  Impfzwang)  resp.  171  =  0,45.  Russland  (kein 
Impfzwang)  jährlich  30  000—50  000  Todesfälle  an  Pocken.  Dasselbe 
ist  in  Britisch-Ostindien  der  Fall.  — •  Deutschland  hat  alle 
Veranlassung,  den  durch  das  Impfgesetz  vom 
8  Juni  1874  geschaffenen  ausgezeichneten  Impf¬ 
schutz  mit  Nachdruck  aufrecht  zu  erhalten.  —  „Die 
von  den  Impfgegnern  behaupteten  liupfschädigungen  lassen  sich  bei 
sorgfältiger  Prüfung  feist  stets  entweder  als  erfunden  oder  uls  über- 
trieben  oder  als  ganz  unabhängig  von  der  Impfung  nachweisen. 

Fritz  Loeb. 


Neueste  Journalliteratur. 

Beiträge  zur  klinischen  Chirurgie,  red.  von  P.  v.  Bruns. 
91.  Band,  3.  Heft.  Tübingen,  Laupp,  1914. 

Im  3.  Heft  des  91.  Bandes  gibt  Oberarzt  Reich  und  Professor 
B  e  r  e  s  n  e  g  o  w  s  k  i  -  Tomsk  aus  der  Tübinger  Klinik  Unter- 
suchungen  über  den  Adrenalingehalt  der  Nebennieren  bei  akuten  In¬ 
fektionen.  besonders  Peritonitis  und  teilt  diesbezügliche  Versuche  an 
Kaninchen  mit,  aus  denen  sich  schliessen  lässt,  dass  eine  akute  allge¬ 
meine  Infektion  durch  Bact.  coli  oder  Pneumokokken  beim  Kaninchen 
sehr  rasch  und  intensiv  die  Chromaffinreaktion  beeinflusst,  dass  aber 
bei  allzu  akuter  Sepsis  der  Tod  erfolgt,  bevor  ein  schwerer  Grad 
von  Chromaffinschwund  erreicht  ist  und  dass  die  Beeinflussung  der 
Chromaftinreaktion  bzw.  der  Extraktwirksamkeit  bei  Allgemein- 
infejitionen  im  wesentlichen  eine  primäre,  nicht  sekundäre  Infektions¬ 
wirkung  ist,  d.  h.  direkt  durch  die  Bakterien  bzw.  ihre  Toxine  be¬ 
dingt  sein  muss.  Die  anatomischen  Veränderungen  an  den  Neben¬ 
nieren  werden  besprochen  und  gelangen  die  Autoren  betr.  der  Be¬ 
deutung  des  Chromaffinschwundes  zu  der  Hypothese,  dass  die  in- 


7.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCH!:  WOCHENSCHRIFT. 


1519 


fektiöse  Blutdrucksenkung  in  erster  Linie  und  in  manchen  Fällen  viel¬ 
leicht  fast  ausschliesslich  auf  zentraler  Vasomotorenlähmung  beruht, 
in  anderen  Fällen  aber  eine  periphere  Hypotonie  der  Gefässe  durch 
Nebenniereninsuffizienz  hinzukommt  und  die  Gesamtwirkung  steigert. 

Durch  spezielle  Versuche  werden  die  Wirkung  des  Adrenalins 
auf  die  Chromaffinreaktion  normaler  Kaninchen  sowie  die  Chrom¬ 
reaktion  bei  peritonitiskranken  Kaninchen  und  bei  solchen  nach  Salz¬ 
wasserreaktion  studiert  und  Nebennierenuntersuchungen  am  Menschen 
angereiht.  Das  Ergebnis  der  Untersuchungen  wird  dahin  zusammen¬ 
gefasst,  dass  bei  akuter  Peritonitis  des  Menschen  sich  in  mehr  als 
der  Hälfte  der  Fälle  die  Nebennieren  in  einem  anatomischen  Zustande 
der  Chromaffinverarmung  befinden,  der  mit  einer  normalen  Adrenaliti- 
rcaktion  nicht  vereinbar  ist  und  dass  dementsprechend  in  einem  Teil 
der  Fälle  wahrscheinlich  eine  akute  Nebenniereninsuffizienz  an  der 
Erzeugung  der  Kreislaufschwäche  neben  zentraler  Vasomotoren¬ 
lähmung  ursächlich  beteiligt  ist. 

Max  Tiegel  berichtet  aus  dem  Luisenhospital  zu  Dortmund 
über  Behandlung  von  Handphlegtnonen.  Indem  er  auf  die  häufigen 
Misserfolge  der  häufig  geübten  Tamponbehandlung  (Gewebs¬ 
schädigung  beim  Verbandwechsel  etc.)  eingeht,  will  er  diese  ganz 
verbannen  und  empfiehlt  das  Einsetzen  von  kleinen  Spreizfedern  nach 
der  Inzision  und  Beschränkung  des  Fixationsverbandes  auf  das 
Mindestmass,  d.  h.  nur  den  betr.  Finger,  d.  h.  wenn  es  die  Verhältnisse 
irgendwie  gestatten,  soll  eine  Schiene  nur  dorsal  angelegt  und  das 
Fingerendglied  in  leichter  Beugestellung  durch  Heftpflaster  oder 
Bindcnschlinge  an  ihr  suspendiert  werden  (nur  soweit,  dass  die 
Volarfläche  ausser  Kontakt  mit  der  Unterlage  ist).  T.  empfiehlt  eine 
Schiene  von  der  Länge  des  Vorderarmes,  in  die  am  distalen  Ende 
Löcher  cingebohrt  sind,  in  die  Metallstäbchen  (für  die  Fingerfixation) 
eingesteckt  werden.  Die  Schiene  bleibt  beim  Verbandwechsel  liegen, 
nur  das  Fingerstäbchen  wird  herausgenommen  und  wieder  neu  ein¬ 
gelegt.  Die  Spreizfedern  bleiben  nach  der  Inzision  in  der  Regel 
24  Stunden  liegen,  werden  event.  wieder  eingelegt,  wenn  Eiter¬ 
verhaltung  eintreten  sollte,  die  blossliegende  Sehne  wird  bei  Sehnen¬ 
scheidenphlegmonen  in  der  Regel  rasch  von  Granulationen  bedeckt. 
Eine  Nekrose  der  Sehne  ist  seit  Verwendung  der  Spreizfedern  nicht 
mehr  beobachtet  worden,  die  Resultate  der  Behandlung  waren  recht 
gute.  T.  führt  kurz  die  Krankengeschichten  von  18  Fällen  an. 

B  a  g  g  e  r  d  gibt  aus  dem  städtischen  Krankenhause  zu  Posen 
eine  Arbeit:  zur  Kenntnis  der  Massenblutungen  ins  Nierenlager.  Er 
berichtet  anschliessend  an  eine  frühere  Mitteilung  eines  Falles  von 
E.  Koch  über  einen  neuen  Fall,  bei  dem  früher  hydronephrotische 
Beschwerden  vorangegangen  waren  und  bei  dem  wegen  bedrohlicher 
Erscheinungen  des  diagnostizierten  perirenalen  Hämatoms  die 
Nephrektomie  vorgenommen  wurde.  B.  bespricht  anschliessend 
Aetiologie,  Symptome  etc.  der  Erkrankung.  Die  Mortalität  derselben 
beträgt  40  Proz.  und  sind  alle  konservativ  behandelten  Fälle  ge¬ 
storben.  B.  hebt  hervor,  dass  sich  auch  in  desolaten  Fällen  mit  der 
Operation  (typischer  extraperitonealer  Schnitt)  nichts  verlieren, 
sondern  nur  gewinnen  lasse. 

Wladimir  Schmidt  berichtet  aus  der  chirurgischen  Klinik  des 
Scheremeteff  sehen  Hospitals  zu  Moskau  über  bogenförmige 
Osteotomie  bei  Winkelanchylosen  und  arthrogenen  Kontrakturen  des 
Knies  und  empfiehlt,  um  eine  volle  Korrektion  zu  erreichen  und  un¬ 
nötige  Verkürzung  wie  bei  Keilresektion  zu  vermeiden  und  den  noch 
bestehenden  Grad  von  Beweglichkeit  nicht  zu  beeinträchtigen,  von  2 
an  der  Längsachse  des  Oberschenkels  angelegten  Seitenschnitten 
(6 — 7  cm  lang)  von  der  Spitze  des  Kondyls  nach  oben  (nach  Aus¬ 
einanderschieben  der  Weichteile)  denKnochen  mit  schmaler  Bogensäge 
oder  Giglisäge  bogenförmig  zu  durchtrennen.  Schm,  teilt  4  Fälle 
(z.  T.  mit  Röntgenbild)  mit  und  empfiehlt  die  Methode  besonders  für 
knöcherne  und  fibröse  Winkelanchylosen  und  arthrogene  Kontrakturen 
nichttuberkulösen  Ursprungs,  selbst  bei  Kontrakturen  von  90°  gibt 
sie  gute  Resultate. 

Peuckert  gibt  aus  dem  Kgl.  Krankenstift  zu  Zwickau  eine 
Arbeit  über  die  Technik  ausgedehnter  Thoraxresektionen  bei  aus- 

I  gedehnten  Empyemen,  er  hält  die  Zerlegung  des  Eingriffs  auf  mehrere 
Sitzungen  für  zweckmässig  und  soll  die  operative  Behandlung  ver¬ 
alteter  Empyemhöhlen  in  4  Akte  zerlegt  werden,  von  denen  jeder 
einzelne  einen  meist  in  wenig  Minuten  zu  beendenden  Eingriff  dar¬ 
stellt.  Die  Reihenfolge  der  Akte  ist  von  wesentlicher  Bedeutung, 
nach  jedem  kann  die  Operation  unterbrochen  werden  ohne  das  End¬ 
ergebnis  zu  gefährden.  1.  breite  Eröffnung  des  Thorax  am  unteren 
Ende  der  Empyemhöhle,  Nachbehandlung  mit  Spülungen  und 
aseptischer  Tamponade  der  ganzen  Höhle;  2.  Durchschneidung  der 
Thoraxwand  am  hinteren  Rande  der  Empyemhöhle;  3.  Durch¬ 
schneidung  der  Thoraxwand  am  vorderen  Rande  der  Höhle;  4.  Ab¬ 
lösen  des  Sc  hed  eschen  Lappens  und  Entfernung  der  bereits  vorn 
und  hinten  durchschnittenen  Rippen  nebst  Pleuraschwarte  in  einem 
Stück,  gitterförmiges  Einschneiden  der  pulmonalen  Pleuraschwarte. 
Der  2.  und  3.  Akt.  zuweilen  auch  der  4.  können  bei  kleinen  Höhlen 
und  kräftigen  Patienten  zusammengefasst  werden  ohne  Aenderung 
der  Reihenfolge,  denn  2  und  3  bedingen  Blutleere  und  Anästhesie 
für  den  4.  Akt.  Wird  der  4.  Akt  nicht  gleich  angeschlossen,  so  muss 
die  beim  2.  und  3.  gesetzte  Hautwunde  wieder  vernäht  werden.  Bei 
Totalempyemen  warnt  P.  dringend  vor  einer  Zusammenfassung  ein¬ 
zelner  Akte. 

Prof.  Ad.  H  o  f  f  m  a  n  n  und  Prof.  Martin  Kochmann  geben  aus 
der  chirurgischen  Klinik  und  dem  pharmakologischen  Institut  zu  Greifs¬ 
wald  Untersuchungen  über  die  Kombination  der  Lokalanästhesie  mit 


Kaliumsulfat  nebst  Angabe  einer  einfachen  Wertbestimmungsmethode 
der  Lokalanästhetika;  sie  geben  in  graphischen  und  tabellarischen 
Zusammenstellungen  ihre  Ergebnisse  und  kommen  zu  dem  Schluss, 
dass  durch  Quaddelversuchc  am  Menschen  die  anästhetische  Kraft 
eine  Anzahl  von  Lokalanästhetika  vergleichsweise  in  der  Reihe  fest¬ 
gestellt  wurde:  Akoin,  Kokain,  Tropakokain,  Stovain,  /?-Eukain,  Novo¬ 
kain,  Alypin,  wobei  Akoin  die  stärkste  Wirkung  zeigt.  Kaliumsulfat 
ordnet  sich  zwischen  Novokain  und  Alypin  ein.  Bei  der  Kombination 
der  Lokalanästhetika  mit  Kaliumsulfat  ergibt  sich  eine  erhebliche 
Wirkungsverstärkung  über  das  arithmetische  Mittel  bei  Kokain  und 
Novokain,  in  geringem  Grade  bei  Tropakokain  und  /J-Eukain,  eint 
additioneile  Wirkung  bei  Akoin,  eine  Abschwächung  bei  Alypin  und 
Stovain.  Nach  der  letalen  Gabengrösse  am  Meerschweinchen  lässt 
sich  folgende  Reihe  aufstellen:  Kokain,  Holokain,  Alypin,  Akoin, 
Tropakokain,  Stovain,  /?-F.nkain.  Novokain,  Kaliumsulfat,  wobei 
Kokain  die  grösste  Toxizität  besitzt.  Aus  einem  Vergleich  der  Zahlen 
für  anästhetische  Kraft  mit  denen  für  die  letale  Dosis  lässt  sich  ein 

Wert  berechnen,  dem  die  Formel  W  =  ^  L  zugrunde  liegt  (wobei  K 

die  minimal  anästhesierende  Konzentration  in  Proz.  und  L  die  Dosis 
letalis  ist).  Nach  diesem  Wert  W  ordnen  sich  die  lokalen  Anästhetika 
in  folgender  Weise:  Alypin,  Kokain,  Holokain,  Novokain,  ß-Eukain. 
Stovain,  Akoin,  Tropakokain,  wobei  Alypin  den  niedrigsten  Wert  auf¬ 
weist,  Kaliumsulfat  steht  zwischen  Stovain  und  Akoin.  Durch 
Kaliumsulfat  verändert  sich  der  Wert  für  die  beiden  untersuchten 
Kombinationen  in  der  Weise,  dass  er  bei  Stovain  erniedrigt,  bei 
Novokain  auf  das  10 — 11  fache  erhöht  wird.  Daraus  ergibt  sich  von 
neuem  die  Berechtigung  dieser  Kombination.  Durch  die  Wert¬ 
bestimmung  werden  die  klinischen  Erfahrungen  bestätigt  und  vor 
allem  erklärt. 

Alfred  H  u  s  s  y  berichtet  aus  den  Krankenanstalten  zu  Leysin 
über  die  Erfolge  der  Heliotherapie  im  Hochgebirge  bei  Tuberkulosen 
der  Hand  und  teilt  die  R  o  1  1  i  e  r  sehen  Erfahrungen  an  diesem  Gebiet 
der  chirurgischen  Tuberkulose  an  der  Hand  betr.  Krankengeschichten 
(meist  mit  Abbildungen  vor  und  nach  der  Behandlung  und  Röntgeno¬ 
grammen)  mit.  Die  Ergebnisse  bei  den  vorwiegend  jugendlichen 
Patienten  sind  durchaus  vorzügliche.  H.  ist  der  Ansicht,  dass  die 
Sonnenbehandlung  stets  durch  einen  auch  orthopädisch  und  chirurgisch 
ausgebildeten  Arzt  geleitet  werden  soll,  er  plädiert  mehr  für  dies¬ 
bezügliche  Anstalten  in  mittlerer  Höhenlage,  da  in  den  über  1500  m 
gelegenen  Sanatorien  die  Kosten  für  Transport,  Verpflegung  etc.  zu 
teuer  werden  und  betont,  dass  die  chirurgischen  Tuberkulosen,  die 
ja  in  der  Mehrzahl  der  Ausdruck  einer  Allgemeinerkrankung  sind, 
nicht  in  dunkle  Krankenzimmer,  sondern  an  die  Luft  und  besonders 
die  Sonne  gehören. 

Das  Heft  gibt  dann  weiter  die  Verhandlungen  der  südost¬ 
deutschen  Chirurgenvereinigung  in  Breslau  XI  1913,  bringt  eine  Arbeit 
von  Part  sch  über  temporäre  Gaumenresektion,  von  Riegner  über 
Prothesenbehandlung  der  Gaumenspalte,  von  A.  T  i  e  t  z  e  über  Art 
und  Lokaldiagnose  des  Ileus  und  Fr.  Neugebauer  über  Pneu- 
matosis  intestini.  Carl  G  o  e  b  e  1  berichtet  über  Tumor  villosus  recti, 
Alfr.  P  e  i  s  e  r  zur  Frage  der  Pylorusversorgung  beim  Ulcus  duodeni, 
Technau  über  die  Behandlung  und  Prophylaxe  postoperativer 
Bronchitiden  und  Pneumonien  mit  Menthol,  Eukalyptolinjektionen, 
während  weiterhin  Fritsch  die  Karzinomreaktion  nach  Abder¬ 
halden  bespricht  und  K  ii  1 1  n  e  r  über  eine  14  fache  Perforation  des 
Magendarmkanals  durch  Nahschuss  mit  9  mm  Bleigeschoss  und 
Heilung  durch  Operation  referiert;  Borchard  schildert  Prinzipielles 
zur  Chirurgie  der  peripheren  Nerven,  G.  Dreh  mann  behandelt  die 
Osteoarthritis  deformans  juvenilis  (Perthes),  eine  typische  Be¬ 
lastungsdeformität,  C.  G  o  e  b  e  1  die  Arthritis  gonorrhoica  und 
K  o  1  e  p  k  e  bespricht  die  Spontanfrakturen  nach  Ueberanstrengungs- 
periostitis,  S.  Weil  gibt  experimentelle  Untersuchungen  zur  Frage 
der  Periostregeneration.  —  Rieh.  Levy  schildert  die  Plombierung 
von  Knochenhöhlen  durch  gestielte  Muskellappen,  Renner  die  Ver¬ 
wertbarkeit  der  Leitfähigkeitsbestimmung  des  Urins  in  der  Diagnostik 
der  Nierenkrankheiten,  K.  Wrobel  die  Phenolsulfophthaleinprobe 
bei  chirurgischen  Nierenerkrankungen,  Fritz  P  e  n  d  1  beschreibt  einen 
Gallertkrebs  einer  Urachuszyste,  C.  Ritter  schildert  die  Bedeutung 
der  Thymusdrüse  als  Atemhindernis,  Alfr.  P  e  i  s  e  r  gibt  einen  Beitrag 
zur  Kenntnis  der  Freund  sehen  Thoraxoperation  beim  starr  dik¬ 
tierten  Thorax  und  E.  Jäger  und  J.  L  e  1  a  n  d  schildern  aus  der 
K  ü  1 1  n  e  r  sehen  Klinik  eine  neue  Methode  zur  Vermeidung  post¬ 
operativer  Komplikationen  nach  grossen  endothorakalen  Operationen, 
des  weiteren  geben  dieselben  einen  Beitrag  zur  Nahttechnik  am 
Aortenbogen.  Entsprechende  Diskussionsbemerkungen  sind  jeweils 
dem  betreffenden  Vortrag  angereiht.  Sehr. 

Zentralblatt  für  Chirurgie,  Nr.  25,  1914 

P  a  y  r  -  Leipzig:  Zur  Indikationsstellung  der  operativen  Behand¬ 
lung  des  Ulcus  callosum  ventriculi. 

Verf.  legt  klar  seinen  Standpunkt  und  Auffassung  über  den  Be¬ 
griff  „Ulcus  callosum  und  Simplex“  dar.  Nach  ihm  ist  Ulcus  callosum 
„diejenige  Geschwürsform,  die  sich  durch  Bildung  einer  derben,  aus¬ 
gedehnten,  in  der  Magenwand  deutlich  fühlbaren,  durch  Verände¬ 
rungen  an  der  Magenoberfläche  auch  sichtbaren  Schwiele  kenn¬ 
zeichnet“;  hieher  sind  zu  rechnen  die  auf  die  Magen  wand  be¬ 
schränkten  Schwielenbildungen  und  die  infolge  Penetration  in  Nach¬ 
barorgane  adhäsionsfixierten  Ulzera;  der  Begriff  der  „Tumorbildung“ 


1520 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  27. 


deckt  sich  mit  keiner  der  beiden  eben  genannten  Qeschwürsiormen 
vollständig.  Alle  Formen  können  karzinomatos  sein.  Verf.  resez 
ein  Ulcus  callosum,  wenn  Lage  des  Falles  und  Allgemeinzustand 
des  Pat.  es  irgendwie  gestatten.  Das  Ulcus  Simplex  ohne  erhebliche 
und  ausgedehnte  Wandveränderung  behandelt  er  in  der  Regel  durch 

Anlegung  einer  Gastroenterostomie.  .. 

Arthur  W  a  g  n  e  r  -  Lübeck:  Zur  operativen  Behandlung  des 
Sanduhrmagens  infolge  Ulcus  der  kleinen  Kurvatur.  ... 

Für  die  Fälle  von  Sanduhrmagen,  bei  denen  eine  Querresektion, 
weil  zu  eingreifend,  nicht  mehr  möglich  ist  oder  eine  einfache  Gastro¬ 
enterostomie  häufig  nicht  mehr  genügt,  empfiehlt  Verf.  folgende  Me¬ 
thode:  der  obere  Magenrest  wird  mobilisiert  und  möglichst  weit 
heruntergezogen:  der  untere  Magenteil  mehrfach  gerafft  und  in  den 
Krater  des  Ulcus  eingestülpt;  so  bleibt  zuletzt  durch  wiederholte 
Raffung  statt  des  Sackes  ein  solides,  wulstiges  Gebilde  übrig,  das  an 
Leber  und  Ligam.  tcres  fixiert  wird;  eine  Gas,tro^nterof 
die  Operation.  So  wird  der  geschwürtragende  Magenteil  völlig  aus- 
gesclialtet  und  zugleich  eine  stärkere  Blutung  verhindert,  weil  der 
den  Krater  eingestülpte  Magenteil  wie  ein  lampon  wirkt,  es 


in  uen  ivraier  ein*;cMuiyi^  i» lakuuui  "  .  ,  i-  „ 

muss  nur  der  funktionelle  Ausfall  durch  die  totale  Ausschaltung  des 
pvlorischen  Sackes  bei  dieser  Methode  mit  in  Kauf  genommmen 
werden  (Mit  4  Skizzen.)  E.  H  e  i  m  -  Oberndorf  b.  Schweinfurt. 


Band  76. 


Zeitschrift  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie. 

Heft  1,  1914.  Stuttgart,  F.  E  n  k  e. 

Ph.  Kr  ei  ss- Dresden:  Tetanoide  Symptome  bei  Schwangeren 
und  Wöchnerinnen. 


w  ücniicriiiiicii.  ..  ,,  ~  ,  r  j 

Bei  Vs  aller  Wöchnerinnen  und  bei  3/s  aller  Schwangeren  fand 


Verf  ein  positives  C  li  v  o  s  t  e  k  sches  Symptom  und  eine  elektrische 
Uebererregbarkeit  des  N.  facialis.  Damit  ist  eine  Unterfunktion  der 
Epithelkörperchen  bewiesen,  wahrscheinlich  bedingt  durch  eine  be¬ 
sondere  Inanspruchnahme  des  Kalks  abseiten  des  Fötus.  Die  Wirk¬ 
samkeit  der  Kalktherapie  bei  Tetanie  der  Säuglinge  und  der  Wöch¬ 
nerinnen  steht  fest.  . 

Ph.  Kreiss-Dresden:  Der  Blutverlust  bei  gynäkologischen 

Operationen  und  seine  prognostische  Bedeutung. 

Genaue  Berechnung  des  Blutverlustes  ergab  interessante  Aus¬ 
kunft  über  die  sonst  wohl  nicht  richtig  geschätzte  Blutmenge.  Sie 
schwankt  nach  der  Schwere  des  operativen  Eingriffs,  ist  abhängig 
von  der  operativen  Technik,  vom  Zeitpunkt  der  Operation.  Prak¬ 
tischer  Erfolg  dieser  Berechnung  ist  der  Ersatz  des  verloren  ge¬ 
gangenen  Blutes  durch  etwa  die  doppelte  Menge  einer  subkutanen 
Traubenzuckerinfusion. 

Edwin  Reinhardt- Dresden:  Uebcr  Pemphigus  neonatorum 

Schilderung  einer  an  der  Dresdener  Frauenklinik  yorgekom- 
menen  6  Monate  lang  andauernden  Pemphigusepidemie,  die  23  Falle 
betraf  und  eine  22  Proz.  betragende  Mortalitätsziffer  aufwies.  Auch 
durch  genaueste  bakteriologische  und  zytologische  Untersuchung  liess 
sich  die  Ursache  der  Erkrankung  nicht  eruieren.  Auch  die  exakteste 
Desinfektion  und  Isolierung  genügte  nicht,  der  Weiterverbreitung  zu 
begegnen.  Therapeutisch  sind  Salvarsanversuche  bemerkenswert 
wahrscheinlich  ohne  spezifischen  Erfolg.  Trockenbehandlung  mit 
Dermatolstreupulver  und  Brandbinden  erwiesen  sich  als  das  beste. 

Otto  H  a  h  n  -  Strassburg  i.  E.:  Ein  Beitrag  zur  Kenntnis  des 

Oberflächenpapilloms  des  Ovariums.  ,  .  , 

Histologische  Bearbeitung  eines  Falles  mit  dem  Ergebnis,  dass 
neben  der  bisher  häufig  angenommenen  Durchbruchsatiologie  auch 
die  der  primären  Keimepithelwucherung  Beachtung  verdient 

Kinga  Kurihara  (Japan)-Göttingen:  Ueber  den  Keimgehalt 

des  Urins  Schwangerer.  .  ..  ,  .  .  .. 

Der  Harn  wurde  auf  die  verschiedenste  Weise  möglichst  steril 

gewonnen.  Die  Art  und  Weise  der  Urinentnahme  war  von  grossem 
Einfluss  auf  das  Resultat.  Doch  fanden  sich  selbst  bei  den  strengst 
aseptischen  Methoden  noch  nicht  allzu  selten  Bakterien. 

Erich  Landsberg- Halle  a.  S.:  Eiweiss-  und  Mineralstoff- 
wechseluntersuchungen  bei  der  schwangeren  Frau  nebst  lier- 
v ersuchen  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Funktion  endokriner 
Drüsen.  Ein  Versuch  einer  Darstellung  der  Stoffwcchselveränderungen 
in  der  Gravidität  auf  allgemein-biologischer  Basis. 

Sehr  interessante  Stoffwechscluntersuchungen  über  Eiweiss-, 
Phosphor-,  Kalzium-  und  Magnesium-Bilanz,  die  in  manches  Dunkle 
der  Schwangerschaftsphysiologie  Licht  gebracht  haben  Die  Ge¬ 
wichtszunahme,  die  Wirkung  der  innersekretorischen  Drusen,  die 
physiologischen  Unterschiede  der  „Schwangerschaftszelle  ,  der  in 
gewissem  Sinne  vorhandene  Parasitismus  des  Fötus  und  die  im 
Gegensatz  dazu  stehende  Assimilationssteigerung  durch  die  Gravidität 
sind  die  Hauptkapitel,  die  besprochen  werden.  Praktisch  nicht  un¬ 
wichtig  erscheint  das  Resultat,  dass  die  Prochown  i  c  k  sehe  Unter¬ 
ernährung  zur  Erzielung  kleiner  Kinder  und  damit  leichter  Geburten 
einer  experimentellen  Stoffwechselprüfung  nicht  stand  hält. 

Marcus  M  a  i  e  r  -  Freiburg  i.  B.:  Untersuchungen  über  Eisen¬ 
gehalt,  Hämoglobin  und  Blutkörperchenvolumen  bei  geburtshilflichen 
und  gynäkologischen  Patientinnen. 

Quantitative  Eisenbestimmungen  lagen  bisher  nicht  vor.  Verf. 
arbeitete  nach  einer  von  ihm  und  A  u  t  e  n  r  i  e  t  h  konstruierten  Me¬ 
thode  Eisengehalt.  Hämoglobin  und  Blutkörperchenvolumen  stehen 
immer  im  direkten  Verhältnis.  In  der  Schwangerschaft  nimmt  der 
Eisengehalt  ab;  das  Eisen  geht  in  den  Fötus  über.  Erhebliche  Eisen¬ 


verarmung  kann  möglicherweise  als  Ursache  für  den  Abortus  in 
Fi  ...e  komme  ^i ;  (japan)_Marburg;  Geber  das  Vorkommen  doppelt¬ 
brechender  Lipoide  in  menschlichen  Ovarien  und  Uterls,  nebst  einer 
Bemerkung  über  Fettablagerung  in  denselben  Organen. 

Verf  hat  systematisch  54  Fälle  histologisch  untersucht  und  be¬ 
richtet  eingehend  über  das  Verhalten  der  Fette  in  den  weiblichen 

i LJ.^  V  o  o  r  h  o  e  v  e  -  Amsterdam:  Erwiderung  und  einige  Bemer¬ 
kungen  zu  dem  Artikel  Lamers:  „Der  Kalkgehalt  des  mensch¬ 
lichen  Blutes,  besonders  beim  Weibe  usw.“ 

F.  A  li  1  f  e  1  d  -  Marburg:  Nachgeburtsbehandlung  und  manuelle 

P*aZejctaweniger  man  den  Uterus  nach  der  Ausstossung  des  Kindes 
betastet,  desto  eher  vollzieht  sich  die  Lösung  der  Plazenta  unte 
mässiger  Blutung  in  physiologischer  Weise.  Erst  nach  1  /a— 2  Stunden 
pflegt  der  Uterus  derart  verkleinert  und  in  den  Zustand  der  Dauer- 
kontraktion  gelangt  zu  sein,  dass  eine  Entfernung  der  t'ef  m  dtr 
Scheide  liegenden  Nachgeburt  durch  ausseren  Druck  zweckmassig 
erscheint  und  mit  wenigen  Ausnahmen  leicht  ausführbar  «st.  Unter 
Umständen  kann  man  infolge  schwerer  Erkrankung  der  frau  i 
gewisser  Abnormitäten  in  früheren  Geburten  und  im  jetzigen  Geburts¬ 
verlaufe  schon  vor  Beginn  der  Nachgeburtszeit  damit  rechnen,  dass 
man  die  dritte  Periode  abkürzen  oder  wenigstens  au*  stärkere 
Blutungen  gefasst  sein  muss.  Bei  Mehrgebarendcn  treten  diese  Falle 
häufiger  ein.  Ueberwachung  des  Uterus  und  abwartende  Methode 
sind  zu  empfehlen.  Kommt  ohne  vorausgegangene  an  Vorsicht 
mahnende  Symptome  plötzlich  eine  Blutung  erblicher  Art,  so  kann 
dies  auch  bei  Anwendung  der  abwartenden  Methode  dem  Arzt  und 
der  Hebamme  nicht  entgehen,  wenn  der  Forderung  genügt  wird,  alle 
5  Minuten  zwischen  die  Schenkel  zu  sehen  und  frisches  Leinen  unter¬ 
zulegen.  Das  dauernde  Auflegen  der  Hand  auf  den  Uterus  bietet  keine 
Garantie,  eine  äussere  Blutung  zu  erkennen.  Manuelle  1  lazentar- 
lösungen  werden  um  so  seltener  notwendig,  je  weniger  äussere 
Manipulationen  am  Uterus  vorgenommen  sind.  Sie  schliessen  sich 
dann  meist  an  pathologische  Vorkommnisse  an  und  hangen  ment  mit 
der  abwartenden  Methode,  nicht  mit  dem  Unterlassen  äusserer 
Manipulationen  zusammen. 

Einilio  S  a  n  t  i  -  Arezzo:  Ueber  den  Wert  der  Fixationsabszesse 
in  der  Behandlung  der  Puerperalinfektionen.  . 

S.  hat  bereits  1911  auf  seine  Behandlungsmethode  des  I  uerperal- 
fiebers  hingewiesen,  die  in  einer  Injektion  von  I  erpeirtinöl  unter  die 
Bauchhaut  besteht,  wodurch  ein  .Fixationsabszess  erzielt  wird 
Damals  hatte  er  unter  18  sehr  schweren  Fallen  6  Todesfälle.  In i  der 
vorliegenden  Arbeit  schildert  er  12  neue  schwere  und  schwerste  Falle 
mit  2  Todesfällen.  Die  Injektionen  in  Mengen  von  3—10  ccm  wurden 
unte.  Umständen  wiederholt.  Die  günstige  Wirkung  dieser  Methode 
zeigte  sich  auch  in  Fällen,  in  denen  jedes  andere  Heilverfahren  im 
Stiche  gelassen  hatte.  Die  Beobachtungen  lehren,  dass  die  frühzeitige 
Injektion  des  '1  erpentinöls  die  Krankheit  ganz  gewa  tig  abkurzt  dass 
auf  die  Injektion  eine  immer  mehr  zunehmende  Reaktion  erfolgt.  Da 
die  Methode  nie  schadet  und  bisweilen  selbst  in  verzweifelten  Fallen 
noch  hilft,  dürfte  sich  ihre  Anwendung  empfehlen. 

G.  L  inzenmeier  -  Kiel:  Der  Verschluss  des  Ductus  arteriosus 

Botalli  nach  der  Geburt  des  Kindes. 

Als  Hauptmoment  für  den  Duktusverschluss  gleich  nad’  d 
Geburt  hat  die  Drehknickung  des  Duktusrohres  infolge  der  Flerz- 
verlagerung  zu  gelten.  Diese  ist  eine  Folge  der  Lungenentfaltung 
und  Ausdehnung  durch  den  ersten  Atemzug.  Die  Knickung  wird  durch 
Zerrungen  seitens  des  Perikards  verstärkt.  Ein  weiteres  wichtiges 
Moment  ist  die  Zugwirkung  auf  den  Duktus  durch  die  1  ulmonalaste. 
die  sie  dadurch  ausüben,  dass  sie  bei  der  Ausdehnung  der  Lunge  eine 
starke  Krümmung  des  Teilungsendes  der  Art.  pulmonalis  und  des 
Ansatzpunktes  des  Duktus  nach  hinten  verursachen. 

Werner-  Hamburg. 


Zentralblatt  für  Gynäkologie.  Nr.  25.  1914. 

P.  Hüssy- Basel:  Eine  Vereinfachung  der  Schwangerschafts¬ 
diagnose  nach  Abderhalden. 

H  s  Versuche  beziehen  sich  auf  ein  neues  Praparat  der  Höchster 
Farbwerke,  Plazentareiweiss  siccum  Höchst,  von  dem 
Röhrchen  mit  0,5  und  0,25  g  in  den  Handel  kommen.  Die  Resultate 
an  23  Versuchen  waren  günstig  und  bedeuten  eine  wesentliche  Ver¬ 
einfachung  des  Verfahrens.  H.  hatte  nur  2  Fehlresultate,  einmal  bei 
einer  Extrauteringravidität  nach  der  früheren  Methode  mit  der  aus¬ 
gekochten  Plazenta,  einmal  in  einem  Falle  von  Myom  und  Gravidität 
mit  dem  Höchster  Präparat.  Mit  letzterem  wurde  auch  eine  simu¬ 
lierte  Gravidität  aufgedeckt.  „ 

A.  N.  R  a  c  h  m  a  n  o  w  -  Moskau :  30  Falle  von  klassischer  Sectio 

C3CS3rG3 

Kurzer  Bericht  über  30  Fälle,  von  denen  2  an  Sepsis  starben, 
die  übrigen  Mütter  und  alle  Kinder  am  Leben  blieben.  Darunter 
waren  11  Erstgebärende,  19  Mehrgebärende.  R.  halt  die  Sectio 
caesarea  für  eine  ideale  Operation,  der  die  Zukunft  gehört.  Sie  dart 
aber  nur  in  „reinen“  Fällen  ausgeführt  werden,  d.  h.  in  solchen,  in 
denen  das  Fruchtwasser  noch  nicht  abgegangen  ist.  Vernachlässigte, 
verschleppte  Fälle,  wie  sie  auch  in  der  Grossstadt  keine  Seltenheit 
sind,  erfordern  die  Perforation.  Zur  Ausführung  der  Sectio  caesarea 
bedarf  es  stets  der  Einwilligung  der  Frau. 


7.  Juli  1914. 


MUFNCHFNFR  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1521 


J.  Kocks- Bonn:  Hydrosalplnx,  prolabiert  durch  Zangenver- 

such. 

K.  beobachtete  dieses  seltene  Ereignis  bei  einer  jungen  l.-para, 
bei  der  ein  anderer  Arzt  den  Forzeps  angelegt  und  statt  des  Kopfes 
die  Hydrosalpinx  extrahiert  hatte.  Die  Rupturstelle  in  der  Vagina  lag 
links.  K.  logierte  den  Tumor  und  exstirpierte  ihn,  worauf  die  Ex¬ 
traktion  des  Kindes  leicht  gelang.  Wochenbett  normal. 

Einen  ähnlichen  Fall  hat  E.  Moritz  in  einer  Bonner  Disserta¬ 
tion  des  Jahres  1910  veröffentlicht.  K.s  Fall  stammt  übrigens  schon 
aus  dem  Jahre  1896.  .  .1  a  f  f  e  -  Hamburg. 

Archiv  für  Kinderheilkunde.  62.  Band,  5.  und  6.  Heft. 

S.  N.  R  o  s  a  n  o  f  f  -  Moskau:  Die  diagnostische  Bedeutung  der 
I.eukozyteneinschlüsse  von  Döhle  bei  Scharlach,  Masern,  Di¬ 
phtherie,  Angina-  und  Serumexanthemen. 

Die  nach  der  Methode  von  Pappen  hei  in  oder  Manson 
gefärbten  Einschlüsse  können  nicht  als  Scharlacherreger  gelten,  da 
sie  auch  bei  anderen  Krankheiten  Vorkommen.  Da  sie  sich 
bei  Scharlach  immer  in  den  ersten  Tagen  zeigen,  spricht  ihr 
Fehlen  in  dieser  Zeit  bestimmt  gegen  Scharlach  mit  Ausnahme  der 
Fälle  von  Scarlatina  fulminans.  Die  Stärke  der  Reaktion  kann  auf 
die  Schwere  der  Erkrankung  hinweisen.  Anginen,  bei  denen  sich 
Einschlüsse  finden,  sind  scharlachverdächtig. 

Albert  S  t  o  m  m  e  I  -  Frankfurt  a.  M. :  Erfahrungen  mit  Tuberkulin 
Rosenbach  bei  der  Behandlung  der  internen  Tuberkulose  der  Kinder. 

Bei  den  Fällen  von  Lungen-,  Bronchialdrüsen-  und  Bauchfell¬ 
tuberkulose  war  irgend  eine  besonders  günstige  Einwirkung  des 
R  o  s  e  n  b  a  c  h  sehen  Tuberkulins  nicht  zu  bemerken.  Heilungen 
wurden  nicht  beobachtet;  auch  die  eingetretenen  Besserungen  können 
nicht  unbedingt  als  Erfolge  der  Tuberkulinkur  angesehen  werden. 
Gleiche  Besserungen  wurden  auch  durch  einfache  hygienische  Mass¬ 
nahmen  erzielt.  Einige  Fälle  erholten  sich  unter  Tuberkulin  weniger 
gut  als  vorher.  In  zwei  Todesfällen  wurden  keinerlei  Ansätze  zu 
einer  Heilungstendenz  bemerkt.  So  kann  das  R  o  s  e  n  b  a  c  h  sehe 
Tuberkulin  zwar  als  ungefährlich,  aber  auch  als  therapeutisch  wenig 
wirksam  angesehen  werden.  Hecker-  München. 

Zeitschrift  für  Kinderheilkunde.  XI.  Band.  2.  Heft.  1914. 

0.  Heubner:  Eine  Diskussionsbemerkung  zur  Lehre  vom 
Kraftbedarf  des  Säuglings. 

H.  nimmt  Stellung  zu  der  Kritik,  die  S  a  m  e  1  s  o  n  kürzlich  an 
einigen  Hauptsätzen  der  Heubner  sehen  Lehre  vom  Energiebedarf 
des  Säuglings  geübt  hat.  Er  bleibt  darauf  bestehen,  dass  der  Energie¬ 
quotient  bei  künstlicher  Ernährung  nicht  unter  120  Kalorien  sinken 
darf,  wenn  anders  man  „normale  Wachstumsintensität“  bei  ihm  vor¬ 
aussetzt,  und  dass  der  minimale  Energiequotient  von  100  Kalorien 
beim  Brustkind  zu  Recht  besteht,  ebenso  wie  die  allerdings  nur 
approximative  Annahme  des  Kaloriengehaltes  der  Milch  zu  700  Ka¬ 
lorien  pro  1  Liter. 

S.  S  a  m  e  1  s  o  n  -  Strassburg:  Erwiderung. 

B.  S  a  1  g  e  -  Strassburg:  Blutuntersuchungen  bei  tuberkulösen 

Kindern. 

Das  Blutserum  tuberkulöser  Kinder  weist  einen  auffallend  hohen 
Brechungsindex  und  eine  in  manchen  Fällen  ausserordentlich  niedrige 
Leitfähigkeit  auf. 

Eberhard  N  a  s  t  -  Strassburg:  Ueber  den  Eiweissgehalt  des 
Blutes  im  Kindesalter  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Tuber¬ 
kulose. 

Refraktometrische  Bestimmungen  an  einem  Material  von  über 
200  Kindern  ergeben  Werte  für  den  Eiweissgehalt  des  Blutes,  die  mit 
den  bisher  angenommenen  gut  übereinstimmen  und  zeigen,  dass  etwa 
i:n  10.  Monat  der  Umschlag  vom  geringen  Eiweissgehalt  des  Säug¬ 
lingsblutes  zu  dem  des  Erwachsenen  eintritt,  sowie  dass  das  Blut 
tuberkulöser  Kinder  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  einen  abnorm  hohen 
Eiweissgehalt  aufweist. 

Hans  B  e  u  m  e  r  -  Halle :  Das  Dialysierverfahren  Abderhal¬ 
dens  bei  Rachitis  und  Tetanie. 

Das  Serum  Rachitischer  und  rachitischer  Tetaniker  baute  weder 
Epithelkörperchen  noch  andere  endokrine  Drüsen  ab,  nur  mit  Thymus¬ 
gewebe  erfolgte  mehrfach  positive  Reaktion,  die  der  Autor  indes  aus 
triftigen  Gründen  nicht  zu  Schlüssen  verwertet. 

Ernst  Mayerhofer  und  Franz  Roth- Wien:  Klinische  Be¬ 
obachtungen  über  die  kalorische  Betrachtungsweise  der  Säuglings¬ 
ernährung. 

Die  Verfasser  halten  die  Kalorienberechnung  nach  Heubner 
für  die  beste  Grundlage  der  Säuglingsernährung,  obwohl  sie  an 
iluem  Material  gefunden  haben,  dass  sich  eigentlich  nur  eine  kleine 
Gruppe  von  Säuglingen  mit  den  Heubner  sehen  Kalorienmengen  zu 
optimalem  Gewichtsanstieg  bringen  lässt,  während  vielmehr  nicht 
wenige  Kinder  (Frühgeborene,  Atrophiker)  weit  höhere,  andere 
Kinder  bedeutend  geringere  Kalorienmengen  zu  optimalem  Gedeihen 
notig  haben. 

Herbert  Koch  und  Walter  S  c  h  i  1 1  e  r  -  Chicago  und  Wien: 
Ueber  die  Reaktionsfähigkeit  tuberkulöser  Hautstellen  auf  Tuberkulin. 

Erzeugt  man  P  i  r  q  u  e  t  sehe  Tuberkulinreaktionen  auf  Haut¬ 
stellen.  die,  sei  es  natürlich  (Lupus,  Lichen),  sei  es  artefiziell  (voraus¬ 
gegangene  Tuberkulinreaktion)  tuberkulös  allergisch  sind,  so  fallen 
sie  um  so  intensiver  aus,  je  älter  die  primäre  Hautveränderung  ist, 
während  sie  ebenso  stark  wie  an  normalen  Hautstellen  dann  sind, 


wenn  die  spezifische  Entzündung  der  tuberkulösen  Hautstelle  noch 
frisch,  noch  nicht  abgeklungen  ist. 

Hans  Bahr  dt  und  Stafford  M  a  c  L  e  a  n  -  Charlottenburg: 
Untersuchungen  über  die  Pathogenese  der  Verdauungsstörungen  im 
Säuglingsalter.  VIII.  Mitteilung:  Ueber  die  flüchtigen  Fettsäuren  im 
Darm  gesunier  und  magendarmkranker  Säuglinge  und  ihre  Be¬ 
ziehungen  zu  den  Stoffwechselstörungen. 

In  Kuhmilchstühlen  gesunder  Säuglinge  fehlen  freie  flüchtige 
Fettsäuren,  in  Bruststühlen  sind  sie  vorhanden  (besonders  in  den  zer¬ 
fahrenen  Stühlen  gesunder  Brustkinder).  Bei  akuten  Verdauungs¬ 
störungen  sind  freie  flüchtige  Säuren  vermehrt,  offenbar  durch  die 
vermehrte  Darmgärung.  Aus  den  Untersuchungen  werden  ursäch¬ 
liche  Beziehungen  zwischen  Entstehung  der  flüchtigen  Fettsäuren  und 
der  akuten  Verdauungsstörungen  abgeleitet. 

F.  üoetzky  und  F.  Weihe-  Frankfurt:  Ueber  die  Bedeutung 
der  Epiphysenschatten  beim  Myxödem. 

Sehr  interessante  Röntgenbilder  eines  Falles  von  Hypothyreose, 
dessen  aufeinanderfolgende  Wachstumsstillstände  und  neue  Wachs¬ 
tumsschübe  sich  in  dunklen  Querschatten  an  der  Epiphysengrenzc 
und  diaphysenwärts  davon- — ähnlich  wie  Jahresringe  eines  Baumes  — 
manifestieren.  ,  G  ö  1 1. 

Deutsche  Zeitschrift  für  Nervenheilkunde.  51.  Bd.  3. — 6.  H. 

Festschrift,  dem  Allgemeinen  Krankenhause  Hamburg-Eppen¬ 
dorf  zur  Feier  seines  25  jährigen  Bestehens  überreicht  von 
früheren  und  jetzigen  Aerzten  des  Krankenhauses. 

Nonne-Hamburg:  Ueber  die  Bedeutung  der  Liquoruntersuchung 
für  die  Prognose  von  isolierten  syphilogenen  Pupillenstörungen. 

Verf.  ist  von  der  Frage  ausgegangen,  ob  die  isolierte  reflek¬ 
torische  und  totale  Pupillenstarre  nur  eine  „Narbe“,  d.  h.  einen  Rest¬ 
zustand  der  überstandenen  syphilogenen  Erkrankung  am  Nerven¬ 
system  darstellt,  oder  ob  sie  eine  Tabes,  Paralyse  oder  Lues  cerebro¬ 
spinalis  ankündigt.  Die  sorgfältigen,  jahrelang  durchgeführten  Beob¬ 
achtungen  an  23  Fällen  haben  ergeben,  dass  beides  der  Fall  sein 
kann;  die  Pupillenstörungen  können  einerseits  stets  isoliert  bleiben, 
andererseits  aber  auch  weitergehende  syphilogene  Nervenleiden  nach 
sich  ziehen.  Ob  letzteres  zu  befürchten  ist,  das  kann  auch  der 
Ausfall  der  Liquoruntersuchungen  nicht  entscheiden;  denn  auch  bei 
pathologisch  verändertem  Liquor  kann  die  Pupillenstarre  einziges 
Symptom  bleiben.  Ist  aber  die  Zerebrospinalflüssigkeit  bei  den  er¬ 
wähnten  Pupillenanomalien  normal,  so  spricht  dieser  Befund  dafür, 
dass  diese  nur  die  Reste  eines  ausgeheilten  oder  stets  rudimentär 
gewesenen  Prozesses  am  Zentralnervensystem  bilden. 

S  ä  n  g  e  r  -  Hamburg:  Ueber  Eunuchoidismus. 

In  einem  Jahre  kamen  auf  der  dem  Verf.  unterstellten  Ab¬ 
teilung  6  Fälle  von  Eunuchoidismus  zur  Beobachtung,  ein  Beweis, 
dass  die  Erkrankung  durchaus  nicht  so  selten  vorkommt. 

L  u  c  e  -  Hamburg:  Beitrag  zur  Klinik  der  Hodenneuralgie. 

Ein  56  jähriger  Mann  erkrankte  mit  sehr  heftigen  anhaltenden 
Schmerzen  in  den  Hoden,  die  auch  nach  deren  operativer  Entfernung 
keine  Besserung  erfuhren.  Ehe  die  vom  zugezogenen  Verf.  vermutete 
Diagnose  eines  Rückenmarktumors  klinisch  sichergestellt  werden 
konnte,  erlag  der  Kranke  einer  interkurrenten  Pneumonie.  Als  Ur¬ 
sache  dieser  zentral  bedingten  Neuralgie  deckte  die  Obduktion  eine 
Caries  superficialis  des  2.  bis  4.  Lendenwirbelkörpers  auf  mit  schwie¬ 
liger  Pachymeningitis,  die  zu  der  schmerzhaften  Wurzelneuritis  ge¬ 
führt  hatte. 

P  f  e  i  f  e  r  -  Nietleben:  Experimentelle  Untersuchungen  über  die 
Funktion  des  Thalamus  opticus. 

Nach  einem  auf  der  19.  Versammlung  der  Vereinigung  mittel¬ 
deutscher  Neurologen  und  Psychiater  in  Jena  gehaltenen  Vortrag. 
Vergl.  diese  Wschr.  1913  S.  2701. 

H  a  s  c  h  e  -  K  1  ü  n  d  e  r  -  Friedrichsberg:  Ein  Fall  von  degenera- 
tiver  Hysterie  in  engem  Zusammenhang  mit  dem  Geschlechtsleben 
und  vor  allem  mit  der  Menstruation. 

Verf.  teilt  die  Geschichte  einer  Kranken  mit,  die  im  Alter  von 
12  Jahren  von  monatlich  wiederkehrenden,  kurzdauernden  psychi¬ 
schen  Störungen  (Verwirrtheit,  Wandertrieb)  befallen  wurde.  Mit 
Einsetzen  der  Menstruation  verloren  sich  diese  Anfälle,  traten  aber 
bei  Beginn  des  Geschlechtsverkehrs  in  verstärktem  Masse  wieder 
auf  und  führten  schliesslich  zu  einer  völligen  ethischen  Depravation 
der  Patientin.  Das  periodische  Auftreten  der  Störungen  jedesmal 
zur  Zeit  der  Menstruation,  sowie  der  Beginn  des  Leidens  gleichzeitig 
mit  dem  Einsetzen  der  Geschlechtsreife  und  der  Rückfall  beim  An¬ 
fang  der  ersten  geschlechtlichen  Betätigung  zeigen  den  engen  Zu¬ 
sammenhang  der  Erkrankung  mit  dem  Geschlechtsleben  an.  Das  Lei¬ 
den  selbst  muss  als  eine  auf  degenerativer  Basis  entstandene  hyste¬ 
rische  Psychose  angesehen  werden 

S  t  e  r  t  z  -  Breslau:  Die  klinische  Stellung  der  amnestischen  und 
transkortikaien  motorischen  Aphasie  und  die  Bedeutung  dieser  For¬ 
men  für  die  Lokaldiagnose  besonders  von  Hirntumoren. 

Das  Ergebnis  seiner  Untersuchungen  fasst  der  Autor  in  folgen¬ 
den  Sätzen  zusammen: 

1.  Zwischen  der  Wortamnesie  als  Symptom  und  der  amnestischen 
Aphasie  besteht  kein  prinzipieller  Unterschied. 

2.  Allgemeine  Störungen  der  Hirnfunktion  (Benommenheit,  Merk- 
fähigkeits-  und  assoziative  Störungen)  vermögen  die  amnestische 
Aphasie  nicht  hervorzubringen.  Die  letztere  ist  vielmehr  als  unab¬ 
hängig  von  dergleichen  Störungen  anzusehen. 


1522 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


Nr.  27. 


a  Sie  hat  als  Lokalsymptom  einer  Läsion  des  Sprachgebietes  zu 

SÄSÄtSSBSK 

bte"s  Beide  sind  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  nicht  als  selbständige 
Aphasieformen anzusehen.  sondern  als  Vorlaufsstadien  von  motorisch- 

Diagnostik  und  Therapie  der 

Gehirntumoren.  ^  Hand  yon  43  selbstbeobachteten  Fällen 

- 

SsesÄ° pf“- "Ä 

SfNlliZg^'SrnSrSnÄeS;  Sdener.o£sc; 

antd^aSu  p^nPaimf-Fufibur^^DL^Dt^^ose^d^^frühluetiscben 

MC"'ÄsmveXsVerÄk«on  im  Liquor  .ist  auch  im  Seta- 

mmmßmm 

Rint  sondern  werden  im  Zentralnervensystem  selbst  gebildet.  Ais 
leichtester  Grad  der  luetischen  Meningealaffektion  ist  die  Eymph^- 

SSISSSSÄ1? 

^  "rilRa  v  e  n  -  Hamburg:  Serologische  und  klinische  Untersuchungen 
bCi  SDiehUmeer1rhMgen  des  Veri.  an  117  SyphiUtikerfamilien  er- 

ÄÄaiXÄÄÄS'Äah 

venleidenals  der  sekundär  infizierte,  «f  hurtige •  E-*™kun^«d*r. 

erfofgtc'meist'late8^' wenn "de^pHniär  infizierte  Gatte  syphilogen 
nervenkrank  war,  sonst  relativ  häufig  mit  manifesten  Symptomen, 
was  für  eine  Virulenzabnahme  der  Lues  bei  Passage  durch  das  Ne 
vensi“  em  sprechen  könnte.  Von  den  Ehehälften  de; ;  primär (  m, i  - 

ten  Gatten  wurden  46,15  Proz.  nervenkrank  2T6Pi blieben  Jesund 
tive  Wassermannreaktion  im  Blut,  nur  29,25  Proz.  blieben  gesuna. 

sssäSsä» 

SS”  In  einem  Fall  wurde  aber  noch  im  16.  Jahre  nach  statt- 
E?mgeaNUle,kmmteI1ein'nsyphilog™nes*fferveideideifrbefadea  Zeugung 

““’sffüfTc  KsfÄ 

cularis.  Leber  heilbare  und  abortive  Formen  von  Myelitis  fumeu- 

lariSVerf  teilt  mehrere  Fälle  von  Strangerkrankungen  mit,  die  teils 
hei  schweren  sekundären  Anämien,  teils  bei  Alkoholismus  beobachtet 
wurden  Die  theoretischen  Ausführungen,  die  der  Autor  hieran  an- 
,  hesaeen  dass  Myelitis  funicularis  als  eine  Erkrankung  sui 

™ s knzusehen  ist  Sie  kann  durch  exogene  ( Alkohol). und  endo- 
IZe  Toxine ^  hervorgerufen  werden.  Letztere  können  sich  infolge 
schwerer  Magendarmerkrankungen  oder  hochgradiger  sekundärer 
Anämien  bilden  Die  Strangerkrankungen  bei  perniziöser  Anämie 
find  nicht  wesensgleich  mit  denen,  die  im  Verlauf  sekundärer  Ana- 
onf+rptpn'  sie  werden  vielmehr  durch  das  gleiche  Gilt  ^er 
ur sacht  wie  die’ Bluterkrankung  selbst.  Die  bei  der  funikularen  Mye- 
|itis  niftretenden  Zerebralsymptome  müssen  als  toxische  Reizerschei- 
nungen  oder  als  Folgen  allgemeiner  Kachexie  aufgefasst  werden 
Differentialdiagnostische  Schwierigkeiten  kann,  wie  durch  einen  Fal 
illustriert*  wird,  die  Unterscheidung  von  multipler  Sklerose  bereiten. 
_  Es  kommen  auch  abortive  Fälle  vor.  -«■*»** 
abusus,  die  eine  günstige  Prognose  haben.  Oft  tritt  aber  nach  jahre 
langen  Remissionen  das  Leiden  wieder  zu  Tage. 

Har  ms- Hamburg:  Ueber  Hypophysengeschwulste. 

Kasuistischer  Beitrag. 


Meggendorfer  -  Hamburg:  Leber  Syphilis  in  der  Aszendens 
von  verf.  ist  Lues  bei  den  Eltern  von  an 

sSbsÄH 

handelte  es ' 'NaSommen” “o AÄ  oder  Paralytikerm 
Du  ge- Bonn:  Ein  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Psychosen  bei  der 

aolen  Es  scheibt  somit  eine  eigenartige  Demenz,  deren  Haupt¬ 
gewicht  in  der  Einschränkung  des  Erimicrungsvermögens  und  der  B 
einflussung  des  Ablaufs  der  Ideenassoziationen  liegt,  durchaus 
Symptom enkomplex  der  multiplen  Sklerose  zu  gehören 

HanHmnnn  -  Döbeln:  Ptosis  und  Cataracta  senilis. 

Die  3  mitgeteilten  Beobachtungen,  bei  denen  sich  trotz  lang- 
iähriger  Ptosis  ein  Altersstar  entwickelt  hatte,  sprechen  Segen  di 
Anschauung,  dass  der  Lichtwirkung  bei  der  Entstehung  der  Cataracta 
senilis  eine  wesentliche  Rolle  zukomme^  R  ß  n  n  e  r  .  Augsburg. 


Archiv  für  experimentelle  Pathologie  und  Pharmakologie. 

76.  Band,  3.  u.  4.  Heft 

K  P  Sevderhelm  und  R.  Sey  der  heim:  Die  Ursche 
der  perniziösen  Anämie  der  Pferde.  Ein  Beitrag  zum  Problem  des 

U,tia Ausgehend" von  der  Beobachtung,  dass  bei  allen  Sektionen  von 
Pferden  die  an  perniziöser  Anämie  eingegangen  waren, 

Magenwand  haftend  die  L  a  r  v  e  n  der  Pferd  e  b  r  e  m  s  e  (OestrusK 

m a t ische"1  U n t (Tr such u n  g e  n "i'iber"" dfe° W irks amk e i t  des  Extraktes  dieser 
Sven  anges, eit  und  kommen  zu  sehr  .bemerkenswerten  und  .nter- 
essanten  Resultaten.  Sie  konnten  mit  dem  wässerigen  Extr  kt,  d 

SÄ-'ii'Ä  atSh  ÄÄÄ  Ebenso  g 

ÄÄ&SÄÄS,:« 

m  !  F 47  Es  wird  vom  Magendarmkanal  resorbiert  und  findet  s  ch 

Sä  sÄiwa?*?  ■ 

gift  und  dass  es  ihnen  gelungen  ist,  durch  ein „^“sektloÄichte 
bekämpfen.  Die  zahlreichen  Versuchsprotokolle,  Sektionsbericnte, 

Fieberkurven  müssen  im  Original  nachgelesen  werden. 

P  Isenschmid  und  W.  Schnitzler:  Beitrag  zur  Lokali¬ 
sation  des  der  Wärmeregulation  vorstehenden  Zentralapparates  m 
ZwfSchenhlrn  (Med.  KHml j  Frankfurt  a.^  ^  Darstellung 

lntinn  ict  das  Tuber  cinererum,  von  dem  aus  weitzerstreute  raser 
im  kaudalen  Teil  des  Zwischenhirns  die  Impulse  fortleiten,  von  denen 
schon  ein  Teil  genügt,  die  Wärmeregulation  aufrecht  zu  erhalten. 

A  ehndorff:  Leber  die  Wirkung  des  Jods  auf  den  Kreislauf. 
Nebsf  einem  Anhang  über  die  Wirkung  der  Bromsalze  auf  den  Kreis- 

laUf'  I nt ra venöse" * ^ njekt  Urnen  isotonischer  Jodnatriumlösungen  bei 
Katzen  mgäblS  eine  Erhöhung  des  Schlagvolumens  de, l»«J 
woraus  Verf  die  günstige  Wirkung  des  Jods  auf  den  Kreislauf  un 
die  Resorption  von  Entzündungsherden  (bessere  Durchblutung)  er¬ 
wart  Die  gleichzeitige  Blutdrucksteigerung,  die  aber  durch  Gefass- 
erweitening  hintangehalten  werden .kann,  lässt :  das i  Jod  bei  hohem 
Rintrlrnrk  und  organischen  Veränderungen  besonders 
kontrabrdiziert  eSeinen.  Bromnalrium  in  dm  gleichen  Weise  ge- 
geben  blieb  ob«  Wirkung ^ ;  ^  E,nfluss  des  v  tallven  Nervc„. 

Cholin  Ver 

mehrung  der  Eosinophilen  und  Lymphozyten,  ebenso  ei"e.yer^  p^ 
der  letzteren  nach  Adrenalin,  eine  Verminderung  nach  Atropin.  Ein 
Antagonismus  "zwischen  sympathischem  und  parasympathischem 
Nervensystem,  wie  er  von  einigen  Pharmakologen  angenommen  wird, 

UeSSKSiCF  raofmdieeSr  z^VSlÄndedvate  als  Lokalanästhetika. 
Ein  Beitrag  zur  Differenzierung  der  lokalanästhetischen  Wm  ungs 
arten  und  zur  Frage  der  Beziehungen  zwischen  chemischer  Kon.ti 
tution  und  physiologischer  Wirkung.  (Pharmak.  Insbtut  Freiburg  i.  .) 

Es  wurde  eine  Gruppe  von  Substanzen  untersucht  die  sich  von 

einem  Derivat  des  Pbwylurethai.a (gSSS^itS.  °nd 
SSSS  Versuche  und 

prinzipiellen  Darlegungen  sei  auf  das  Original  «'™«"Würzburg 


7.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1523 


Berliner  klinische  Wochenschrift.  Nr.  26,  1914. 

Alexander  T  i  e  t  z  e  -  Breslau:  Die  Bedeutung  der  Latuinektomic 
bei  spondylitischen  Lähmungen. 

Oie  Resultate  des  Verf.  sind  eigentlich  recht  deprimierend,  trotz¬ 
dem  glaubt  er  jetzt  bei  verbesserter  Technik  und  mit  der  nötigen 
Eifahrung  ausgerüstet  dekompressive  Operationen  bei  tuberkulöser 
Spondylitis  nicht  ablehnen  zu  müssen. 

Georg  M  ü  1 1  e  r  -  Berlin:  Zur  Therapie  der  schnappenden  Hüfte. 
(Nach  einem  Referat,  gehalten  auf  dem  Deutschen  Orthopäden- 
kengress  am  14.  April  1914.) 

Cf.  Spezialreferat  der  M  m.W.  1914. 

A.  R  h  e  i  n  d  o  r  f  -  Berlin:  Hysteroneurasthenie  oder  chronische 
Appendizitis?  Zugleich  ein  Beitrag  zur  Appendizitisfrage  und  ihrer 
Beziehung  zur  Oxyuris. 

Schluss  folgt. 

Eduard  S  c  h  a  e  ff  e  r  -  Berlin:  Uebertragung  von  Lympho- 
granulomatosis  (Hodgkin  sehe  Krankheit)  auf  Meerschweinchen. 

Durch  Injektion  einer  lymphogranulomatösen  Drüse,  in  welcher 
weder  säurefeste  noch  M  u  c  h  sehe  granulierte  Stäbchen  nachzu¬ 
weisen  waren,  entstand  bei  einem  Meerschweinchen  ein  Granulations¬ 
gewebe  mit  Riesenzellen  vom  Sternberg-Paltauf sehen  Typus, 
welches  am  Injektionsort  als  hühnereigrosser  Tumor  auftrat. 
Granulomherde  fanden  sich  in  den  Lymphdrüsen,  der  Leber,  Milz  und 
Lunge;  in  letzterer  Hessen  sich  intrazelluläre  säurefeste  Stäbchen  in 
den  Granulomherden  nachweisen. 

Carl  Wienand  R  o  s  e  -  Strassburg  i.  E.:  Alkaloide  in  den  Drüsen 
mit  innerer  Sekretion  und  ihre  physiologische  Bedeutung.  Vorläufige 
Mitteilung. 

Durch  Tierversuche  fand  der  Verf.,  dass  die  physiologische 
Lebensäusserung  der  Organe  mit  innerer  Sekretion  zum  grossen  Teile 
in  den  Basen,  Alkaloiden  dieser  Organe  gelegen  ist.  Von  diesen 
Basen  sind  mehrere  flüchtige  und  nicht  flüchtige  von  verschiedener 
physiologischer  Wirkung  nebeneinander  in  den  Zellen  der  einzelnen 
Organe  vorhanden.  Durch  ein  besonderes  Verfahren  kann  man  nun 
diese  Basen  unverändert  in  grösserer  Menge  aus  den  einzelnen 
Organen  gewinnen  und  zu  therapeutischen  Zwecken  verwenden. 

Fr.  M  i  e  1  k  e  -  Göttingen:  Die  Spitzendämpfung  im  Kindesalter. 

Manche  muskelschwache  und  neuropathische  Kinder  zeigen  eine 
Pseudodämpfung,  die  sie  der  Tuberkulose  verdächtig  macht,  während 
es  sich  in  Wirklichkeit  nur  um  eine  Haltungsanomalie  handelt.  In 
korrigierter  Stellung  verschwindet  die  Spitzendämpfung  prompt. 

Hugo  Marx  und  E.  Pfleger:  Eine  interessante  Verletzung 
der  Carotis  interna. 

Kasuistischer  Beitrag. 

Hans  L  i  e  s  k  e  -  Leipzig:  Zur  Frage  der  Ablehnung  des  Schaden¬ 
ersatzes  wegen  Verweigerung  von  Operationen. 

Juristischer  Beitrag.  Dr.  G  r  a  s  s  m  a  n  n  -  München. 

Deutsche  medizinische  Wochenschrift.  Nr.  26,  1914. 

T  o  b  1  e  r  -  Breslau:  Die  Behandlung  des  akuten  Infektions¬ 
zustandes  im  Kindesalter. 

Klinischer  Vortrag. 

B.  M  ö  1 1  e  r  s  -  Strassburg:  Der  Typus  der  Tuberkelbazillen  bei 
der  Tuberkulose  der  Lungen  und  Bronchialdrüsen. 

Einschliesslich  der  Untersuchungen  des  Verf.  sind  von  36  ver¬ 
schiedenen  Autoren  zusammen  974  Fälle  von  Lungen-  und  Bronchial¬ 
drüsentuberkulose  untersucht  worden;  es  fand  sich  967  mal  der 
humane,  nur  5  mal  der  bovine  und  2  mal  gleichzeitig  der  humane 
und  bovine  Typus  des  Tuberkelbazillus. 

Arnold  G  a  1  a  m  b  o  s  -  Pest:  Ueber  den  renalen  Diabetes. 

Im  Anschluss  an  einen  genau  beobachteten  und  hier  beschrie¬ 
benen  Fall  von  renalem  Diabetes  werden  die  Besonderheiten  dieser 
Form  des  Diabetes  erörtert.  Wenn  sich  normale  oder  subnormale 
Blutzuckerwerte  finden  und  eine  alimentäre  Hyperglykämie  fehlt, 
wenn  der  Grad  der  Glykosurie  mehr  oder  weniger  unabhängig  vom 
Kohlehydrat-  oder  Eiweissgehalt  der  Nahrung  ist,  so  ist  die  Annahme 
eines  Diabetes  renalis  gerechtfertigt,  bei  dem  eine  Azidose  ebenso 
vorhanden  und  daher  die  Gefahr  eines  Koma  gegeben  sein  kann  wie 
beim  Diabetes  mellitus. 

A.  M  a  g  n  u  s  -  L  e  v  y  -  Berlin:  Ueber  ungewöhnliche  Verkalkung 
der  Arterien.  (Arterienverkalkung  ohne  primäre  Arteriosklerose?) 

Nach  einem  Vortrag  im  Verein  für  innere  Medizin  und  Kinder¬ 
heilkunde  in  Berlin  am  16.  März  1914  (vgl.  das  Referat  der  M.m.W.). 

Fritz  Lesser  und  Richard  K  1  a  g  e  s  -  Berlin:  Ueber  ein  eigen¬ 
artiges  Verhalten  syphilitischer  Neugeborener  gegenüber  der  WaR. 

Die  Anwesenheit  von  Reaginen  im  Nabelvenenblut  ist  abhängig 
von  dem  Vorhandensein  von  Spirochäten  im  Organismus  des  Neu¬ 
geborenen.  Systematische  Untersuchungen  des  Nabelvenenblutes 
haben  nun  ergeben,  dass  die  WaR.  öfters  positiv  ausfiel,  wenn  als 
Antigen  das  A  e  t  h  er  -  Herzextrakt  von  Lesser  benutzt  wurde, 
dass  jedoch  das  gleiche  Serum  negativ  reagierte,  wenn  alkoholi¬ 
scher  syphilitscher  Fötal-Leberextrakt  zur  Verwendung  kam.  Um¬ 
gekehrt  gab  alkoholisches  Herzextrakt  einen  negativen.  Aether-Leber- 
extrakt  einen  positiven  Ausfall  der  WaR.  Der  positive  Ausfall  sei 
immer  als  massgebend  anzusehen  . 

P.  W  i  c  h  m  a  n  n  -  Hamburg:  Die  Bewertung  der  Röntgenstrahlen 
in  der  Therapie  des  tiefgreifenden  Hautkrebses. 

Selbst  die  moderne  Steigerung  der  Härte  und  Homogenität 
der  Röntgenstrahlen  befähigt  diese  nicht  unter  allen  Umständen,  die 


Heilung  von  tiefgreifenden  Hautkrebsen  herbeizuführen.  Häufig  wer¬ 
den  daneben  radioaktive  Substanzen  zu  Hilfe  genommen  werden,  die 
allein  in  solchen  Fällen  in  Betracht  kommen,  bei  denen  Lokalisation 
und  besondere  lokale  Verhältnisse  im  Tumor  die  Röntgenbestrahlung 
unmöglich  machen. 

H  e  i  n  e  k  e  -  Leipzig:  Zur  Frage  der  Einwirkung  der  Röntgen- 
und  Radiumstrahlen  auf  innere  Organe,  insbesondere  auf  die  Milz. 

Bemerkungen  zu  der  Arbeit  von  Krönig,  Gauss,  Krinski, 
Lembcke,  Wätjen  und  Königsberger  in  Nr.  16  d.  W. 

Julius  V  i  g  y  ä  z  6  -  Pest:  Ein  Fall  von  Schussverletzung  der 
Gallenblase,  einhergehend  mit  Bradykardie. 

Der  Einschuss  war  durch  die  Leber  hindurch  erfolgt;  der  Aus¬ 
schuss  lag  auf  der  Rückseite  der  Gallenblase;  Cholezystektomie,  Hei¬ 
lung.  Trotz  der  vorhandenen  peritonealen  Reizerscheinungen  (Er¬ 
brechen,  Druckschmerz,  Bauchdeckenspannung,  Temp.  bis  38,8)  ging 
der  Puls  allmählich  auf  56  Schläge  herunter,  was  Verf.  mit  Fin¬ 
sterer  auf  Gallenresorption  zurückführt.  Nach  der  Operation  stieg 
der  Puls  wieder  zur  Norm  an. 

L.  Müll  er- Wien:  Durch  Operation  geheilte  Fälle  von  Netz¬ 
hautabhebung. 

Auf  Grund  seiner  teilweise  äusserst  günstigen  Erfahrungen  emp¬ 
fiehlt  der  Verf.  dringend,  mindestens  alle  1  Jahr  und  darüber  bestehen¬ 
den  Fälle  von  Netzhautabhebung,  bei  denen  also  die  Sehfähigkeit  bei 
zuwartender  Behandlung  als  verloren  angesehen  werden  muss,  der 
von  ihm  angegebenen  Operation  zu  unterwerfen.  Diese  solle  unter 
allen  Umständen  in  Narkose  vorgenommen  werden,  damit  Glaskörper¬ 
verluste,  Zerreissungen  der  Aderhaut  und  Blutungen  sicher  vermieden 
werden  können. 

E.  V  o  g  t  -  Dresden:  Erfahrungen  mit  Koagulen  (Kocher- 
Fon  i  o). 

Auch  in  der  operativ-gynäkologischen  Praxis  hat  sich  das  Koagu¬ 
len  in  10  proz.,  durch  2 — 3  Minuten  langes  Aufkochen  sterilisierter 
Lösung  mittels  Rekordspritze  auf  die  blutenden  Stellen  aufgespritzt, 
sehr  gut  bewährt. 

S.  S  a  1 1  y  k  o  w  -  St.  Gallen:  Vollständige  Entfernung  eines 
Uteruskarzinoms  mit  der  blossen  Hand. 

Bei  Gelegenheit  einer  operativen  Entbindung  wurde  lediglich  mit 
der  Hand  ein  polypenartiges  halbeigrosses  Gebilde  von  der  Portio 
entfernt,  das  sich  mikroskopisch  als  Plattenepithelkarzinom  erwies. 
Die  Patientin  ist  jetzt  2  Jahre  rezidivfrei;  gelegentlich  vorgenommene 
Probeexzisionen  aus  der  Portio  ergaben  normales  Gewebe. 

Fritz  Rosenfeld  -  Stuttgart:  Erfahrungen  über  F.  F.  Fried- 
m  a  n  n  s  Heil-  und  Schutzmittel. 

Das  Friedmann  sehe  Mittel  hat  in  den  meisten  Fällen  ver¬ 
sagt;  einige  leichtere  Spitzentuberkulosen  besserten  sich,  auffallende 
Besserung  wurde  in  2  Fällen  von  Drüsentuberkulose  gesehen. 

Paul  B  o  n  h  e  i  m  -  Hamburg:  Zur  Behandlung  der  Tuberkulose 
mit  Schildkrötentuberkelbazillen  nach  Piorkowski. 

10  Kranke  wurden  mit  35  Injektionen  behandelt;  trotz  der  regel¬ 
mässig  eintretenden,  gelegentlich  recht  heftigen  Reaktion  soll  das 
Piorkowski  sehe  Mittel  keine  gefährlichen  Nebenwirkungen 
haben.  Besserungen  waren  stellenweise  unverkennbar. 

H.  v.  H  e  r  1 1  e  i  n  -  Hamburg:  Ein  Fall  von  Akrodermatitis  chro¬ 
nica  atrophicans  Herxheimer. 

Kasuistischer  Beitrag. 

Adolf  S  c  h  n  e  e  -  Frankfurt  a.  M.:  Die  diagnostische  und  thera¬ 
peutische  Bedeutung  der  Kondensatorentladungen. 

Eignet  sich  nicht  für  ein  kurzes  Referat.  B  a  u  m  -  München. 

Korrespondenzblatt  für  Schweizer  Aerzte.  Nr.  24,  1914. 

A.  0  s  w  a  1  d  -  Zürich :  Zur  Behandlung  des  endemischen  Kreti¬ 
nismus. 

Beschreibung  von  2  Fällen,  die  mit  eklatantem  Erfolg  mit  dem 
chemisch  reinen  Sekret  der  Schilddrüse,  dem  vom  Verf.  dargestellten 
Jodthyreoglobulin  behandelt  wurden.  Man  soll  in  jedem  Fall  das 
Präparat  anwenden,  da  nur  der  Versuch  entscheidet,  ob  das  Leiden 
im  Einzelfall  beeinflussbar  ist.  Bei  Mongolismus  blieb  die  Wirkung 
aus.  Das  Mittel  ist  im  Handel  als  Tabletten  mit  bestimmtem  Jod¬ 
gehalt  unter  dem  Namen  Thyrakin  zu  haben,  ist  geschmack-  und 
geruchlos;  man  gibt  alle  2  Tage  0,1  g. 

0.  Stiner-Bern:  Zur  Aetiologie  und  Diagnose  der  Pyelo- 
zystitis  im  Kindesalter. 

Verf.  beschreibt  2  Fälle,  die  mit  Sicherheit  auf  Erkältung  zurück¬ 
zuführen  waren,  einen  mit  Appendicitis  acuta  komplizierten  und  einen 
vierten,  bei  dem  die  Differentialdiagnose  mit  Appendizitis  Schwierig¬ 
keiten  machte.  L.  Jacob-  Wiirzburg. 

Oesterreichische  Literatur. 

Wiener  klinische  Wochenschrift. 

Nr.  26.  R.  K  r  a  u  s  -  Buenos  Aires:  Ueber  neuere  Ergebnisse  in 
der  Erforschung  des  filtrierbaren  Virus. 

In  eigenen  Versuchen  hat  Verf.  mit  dem  Virus  der  Maul-  und 
Klauenseuche,  Hühnerpestvakzine,  Rabies  durch  peritoneale  Impfung 
beim  Kaninchen  und  Meerschweinchen  einen  Fiebertypus  hervor¬ 
gerufen,  ähnlich  dem  von  Thomas  und  Nicolle  beschriebenen; 
vielleicht  lässt  sich  auf  diese  Weise  auch  bei  Scharlach  und  Masern 
ein  Resultat  erzielen.  Die  von  F  o  r  n  e  t  angegebene  Züchtung  des 
Variolavirus  ist  Verf.  bisher  nicht  gelungen;  die  von  Noguchi  bei 


1  r24 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  OCEtENSCHRlFT^ 


Nr.  27. 


Lvssa  (Virus  fixe)  gL  denen  Gebilde  hat  auch  Verf.  nachgewiesen, 
dagegen  ist  die  Kultui  urch  Tierimpfung  nicht  gegluckt. 

G  Kelling-Dre.  ’en:  Blutserumuntersuchungen  bei  Kar- 
zlnoinatösen  mit  neuer  w.  besserter  Alethode.  ...  erhielt 

K.  beides  KarzinoÄe n  ^^'^^daumig^anah  ^8  mak  ^  i.^  in 

fn’ca°  3>ProzUnefn  positive^  Resultat"13^  Sicherheit  der  Diagnose 
ässf’ sich  beträchtlich  erhöhen,  wenn  ausserdem  eine  der  anderen 

Serumuntersuchungen  ausgeführt  wird,  wozu  sic  nositiven^usfall 
A  s  c  n  i ;  Sche  Meiostagminreaktion  eignet.  Bei  dem  pos  tiven  Ausian 
heide?  Reaktionen  wird  das  Vorhandensein  eines  Karzinoms  höchst 

wahrscheinlich.  Gut  ist  auch  die  Kombination  der 
mir  der  Untersuchung  der  Eazes  auf  okkulte  Blutungen,  nervur 
Tuheben  ist  der  diagnostische  Wert  der  Blutserumuntersuchungen 
gegenüber  der  von  den  Spezialärzten  fiir  Magen-  und  Darmkrank¬ 
heiten  mit  Unrecht  vielfach  allein  geübten  Rönt|enuntersuchung  s 
sind  namentlich  für  die  Frühdiagnose  wertvoller,  da  schon 

kleine,  nicht  palpable  Tumoren  positiv  reagieren  luctischen  Rc- 
W.  Spät-  Kladno:  Die  Frage  der  Herkunft  des  luetiscnen  ise 

at<  (innskörners  in  der  Zerebrospinalflüssigkeit.  . 

K  dem  Ergebnis  der  Untersuchungen  erscheint  die  von 
Wassermann  und  Lange  (B.kl.W.  1914  Nr.  11)  ausgesprochene 
Annahme,  dass  in  der  Zerebrospinaiflüssigkeit  - d, e  ^nphozyten  den 
Ursprungsort  für  den  luetischen  Reaktionskorper  bilden,  nicht  als  oe 
gründet  da  nicht  nur  die  Lymphozyten  von  positiv  reagierenden 
Zerebrospinalflüssigkeiten  den  Hemmungstiter .crh‘^ 
fir-ssio-k-eiten  steigern  konnten,  sondern  auch  andere  teilen  mci 
luetischer  Herkunft,  wie  u.  a.  Meerschweinchenleukozyten,  die  Zellet 
ymi  tuberkulöser  Meningitis  und  Erythrozyten.  . 

von  "jD^‘[Uc1JS,cr  -  Wien:  Zur  Kasuistik  des  Röntgenkarzmoms. 

Vier  Krankengeschichten  von  drei  sicheren  und  einem  uns^eren 
Fall  von  Röntgenkarzinom.  Einer  derselben  zahlte  erst  hr  . 

er  zur  Operation  gelangte,  und  war  im  9.  Lebensjahr  einer  Ko  rügen 
bclnndlung  wegen  Prurigo  Hebrae  und  Ekzem  der  Kopfhaut  unter- 
worlen  worden20  Sämtliche  Fälle  liefen  in  ihrer  Entstehung :  weit  zu- 
rück-  gegenwärtig  lassen  sich  bei  Beherrschung  der  1  ectiniK  unu 
Gewissenhaftigkeit  schwere  Röntgenschädigungen  und  damit  das 

KarZN°WofontTsmcehd-CWien:  Zur  Frage  der  menstruellen  Schild- 

diÜS< \vieSerrhoUeUMessungen  an  53  Frauen  in  der  Zeit  der  Men¬ 
struation.  Grössenschwankungen  der  Schilddrüse  werden  durch 
srhiedene  Momente  bedingt  und  werden  anscheinend  häufiger  bei 
krankhafter  Veränderung  der  Schilddrüse  gefunden.  Zahlenmassig 
nachweisbare  Schwankungen  zur  Zeit  der  Menstruation  wurden  nur 
in  geringer  Zahl  beobachtet,  wobei  es  nicht  smher.  sondern  nur  wahr¬ 
scheinlich  ist.  dass  die  Volumvergrösserung  wirklich  durch  die  Men¬ 
struation  bedingt  ist.  Die  bisherigen  gegenteiligen  Annahmen  sind 

nicht  «ml|cnd  bfr™"£e|dorf-HaCHnr.  Heber  eine,,  Fall  von  hy- 
S'CrlKSsS"DMi«;iln,,2.  B  e  r  *  e  a  t -  Manchen. 

Russische  Literatur. 

(Schluss.) 


W.  K  e  r  n  i  g  -  Petersburg:  Zur  Lehre  von  der  Lebersenkung 

(Descensus  hepatis).  (Russky  Wratsch  1914  Nr.  kommt 

Auf  Grund  seiner  ausgedehnten  klinischen  Erfahrungen  kommt 
der  Autor  zu  dem  Schluss,  dass  leichtere  und  mittlere  Grade  von 
Lei  ?  Senkung  häufiger  angetroffen  werden,  als  man  gemeinhin  an- 
7im  •;  men  nflegt.  Zu  ihrer  Diagnose  ist  neben  der  Palpation  des 
Leberandes  noch  der  Nachweis  des  Fehlens  der  Leberdampfung 
rechts  hinten  unten  am  Thorax  in  aufrechter  Stellung  des  Kranken 
erfc  cr]  n-lich  Die  Senkung  der  Leber,  die  fast  ausschliesslich  bei 
Frauen  und  sogar  bei  hochgradiger  Fettleibigkeit  beobachtet  wird 
hat  sehr  häufig  keinerlei  Beschwerden  zur  Folge,  mitunter  jeaoen 
»s  ht  sie  eine  chronische  Appendizitis  oder  schmerzhafte  Nieren- 
affeOi.-n  vor.  Auch  kann  dieser  Zustand  mit  einer  Vergrosserung  der 
Leber  oder  mit  einem  Tumor  derselben  verwechselt  werden. 

l>  w  o  j  n  o  w  -  Petersburg:  Die  Bedeutung  des  Nachweises  von 
Löffler  sehen  Bazillen  für  die  klinische  Diagnose  der  Diphtherie. 

(Russrt v f^jrc  fs^c^tzüfen  kommen  im  Rachen  auch  gesunder  Per¬ 
sonen'  oder  bei  nichtdiphtherischen  Erkrankungen  vor,  wahrend  sie 
hei  w  -ifelloser  Diphtherie  manchmal  fehlen  können.  Am  Kranken¬ 
bett  tat  skh daher  der  Arzt  vornehmlich  durch  das  gesamte  kli¬ 
nische  Bild  leiten  zu  lassen:  die  bakteriologische  Untersuchung  is 
nur  eines  der  Hilfsverfahren  zur  Sicherung  der  Diagnose  und  diese 
ganz  auf  den  Bazillenbefund  begründen  zu  wollen,  wäre  absolut  ver- 

feh\v  Kusnezow- Petersburg:  Ueber  die  Frühdiagnose  des 
Magenkrebses  mittels  der  Reaktion  von  Wolff  und  Junghans. 

(RUSDie  vontWhol9f14und  Jung  h  ans  für  die  Unterscheidung  der 

*■  ....  Arhvlie  von  der  bösartigen  empfohlene  Reaktion  mit  Phos- 
gutartigen  Achylie  \on i  aer  Dosarug  *  Verein  mit  anderen 

pliorwoKramsaure  iut  brauchbar  und  wmvig  jedoch  eine  be- 

™fe  von  Achylie  ohne  iedc  Blutbei- 


tiiqo  Prozess  schon  ziemlich  weit  fortgeschritten  ist.  der  1  umor  bc- 
S  exulzerle?!  und  infolge  des  Kernze, falls  Nukleoalbum.nc  Ire, 

geworden,  sind.  ,  .  (Dorpat):  Materialien  zur  Frage  nach  der 

organölropen  Wirkung1  des  Sa^arsans  Eine  experimentelle  Unter- 
suchimg.  10  Katzen  und 

7  Hunden  ausgefütirt.  denen  das  Salvarsan  in  1  proz. al“sc,her 
sung  meist  intravenös  injiziert  wurde.  Es  zeigte  sich,  dass  das  ^  a 
varsan  eine  merklich  organotrope  Wirkung  besitzt,  die  sich  auch  auf 
das  Nervensystem  erstreckt.  ^  k||nl8chc  Bedeutun(!  der  A  b  d  e  r  - 

"  3 '  hÄcÄ 

ÄÄÄÄtSÄÄ 

,  •(oiinrp  Totsache  dass  sie  bei  der  Gravidität  konstant  cm 

■"  4  Fräbpcr'iode,,  derselben,  was 

r^olÄPgrnachtl  SSÄÄ  Ergebnisse  SÄ  sc .ist 
sie  auch  für  die  gerichtlich-medizinische  Feststellung  stattgehabter 

Schwangerschaft  «.  We|  _  n  t  z  -  Moskau:  Die  ch.rnrg.sehe  Be- 

“if  de)  Ät  Ä  die  ^operative  Behandlung 

t-otz  temporären  Erfolges  in  vereinzelten  Fällen  jeglicher  Begrün- 
düng-  sie  ist  m?  ganz  ausnahmsweise  zulässig,  auf  das  kategorische 
Verlangen  zurechnungsfähiger  Kranker  und  ohne  ^Tälle  ,us- 

SJiiSSS  ^MS'pS^iÄ-nsf'gesundem 

SiS. ,SrS?  SffiTÄi'ÄÄ  "«Ä  SO 

muss  man  wohl  bei  echter  Riudenepdepsie  stets  operieren  abc> -  ohne 
Hfsn  Frfnlv  zu  verbürgen.  Ebensowenig  ist  das  Resultat  vorauszu 
sehen  mSÄ  Epilepsie:  in  diesen  Fällen  ist  ledoch  die 
Operation  indiziert  nicht  nur  dort  wo  eine  offenbare  Verletzung  d 
QotiäHpk  oder  des  Gehirns  vorliegt,  sondern  auch  dort,  wo  eine  soicue 
fehl?  Von  allen  für  die  Behandlung  der  Epilepsie  empfohlenen  chirur¬ 
gischen  EingdSen  ist  nur  die  Trepanation  einigermassen  gerecht- 

fert'RS  Dibailow-Pawlowsk:  Ueber  die  Infektiosität  der  fibri- 

nöse^^kruppösen)  Pneumonie.  (Pr^kticzesky  er^di  e^k V u  p- 

Ä  •Ä.Ä  " Se  f  i 

wurde.  Die  Lungenentzündung  ist  somit  e‘ne  uFb2raR  ar  p  “ 

ÄSM LSÄ  föiSlÄÄ 

AngWnHUolCmesfenn- Moskau:  Ueber  die  Verwendung  des  Jothions 
-  ^rrÄBor^BScÄ'an^r^^’beider 

ÄSsrteUoto  “nl1 

"‘"WXK  ffz  'ÄÄ  =—  £ 

spontanen  Gangrän  der  unteren  Extrem, tai len  mit  der  Sklerose 

mär^Obturatio^findeEgewöhnlk'l'^a'n'gapz  bestimmen Jprädncktions- 

Vorgänge  werden  in  den  weiter  unten  belegenen  Gefassen  ftewohn- 
Uch  diejenigen  speziellen  Gef  äss  wandveränderungen  beobachtet 
.  .  „n  .,is  Arteriitis  obliterans  bezeichnet  und  als  eine  Atiekt 

ÜÄ  ä  a 

HerZWS‘siavi  an  is- Moskau:  Ueber  Ervasin  und  Ervasinkalzlum. 

(PraDasZeEr vasin 'und'  sViif  Kaizfuinsalz  ist  eines  der  besten  Sali- 
zylpräpara^e  Indiziert  ist  es  bei  akutem  Gelenkrheumatismus,  be, 


7.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1525 


Exazerbationen  seiner  chronischen  Formen,  bei  Muskelrheumatismus, 
Neuralgien,  Influenza  und  überhaupt  dort,  wo  eine  milde  antipyre¬ 
tische  und  schmerzstillende  Wirkung  erforderlich  ist.  Liegen  Kom¬ 
plikationen  seitens  der  Kreislaufs-,  Verdauungs-  oder  Atmungsorgane 
vor,  so  verdient  das  Frvasinkalzium  den  Vorzug,  ebenso  auch  in  der 
Kinderpraxis. 

D.  P  a  p  i  t  o  w  -  Tomsk:  Die  Bestimmung  der  motorischen  Funk¬ 
tion  des  Magens  mittels  einer  Lösung  von  Traubenzucker.  (Medi¬ 
zinskoje  übosrenije  1914  Nr.  1.) 

Durch  Vorversuche  an  26  gesunden  Personen  wurde  festgestellt, 
dass  eine  halbe  Stunde  nach  Darreichung  von  400  ccm  Wasser  der 
allergrösste  1  eil  davon  in  den  Darm  übergegangen  und  nur  ein 
kleiner  Rest  von  40 — 80  ccm  im  Magen  noch  verblieben  ist.  Bleibt 
nach  Ablauf  von  30  Minuten  eine  grösseie  Wassermenge  im  Magen 
zurück,  so  spricht  dieser  Umstand  für  eine  Störung  der  Magen- 
motilität,  und  zwar  für  eine  umso  beträchtlichere,  je  mehr  Wasser  an 
dem  bezeichneten  Zeitpunkt  im  Magen  noch  nachweisbar  ist.  Das  an 
zahlreichen  Magenkranken  erprobte  Verfahren  besteht  nun  darin,  dass 
man  30  Minuten  nach  Darreichung  von  400  ccm  Wasser  noch  200  ccm 
einer  1  proz.  Traubenzuckerlösung  einführt,  einige  Zeit  abwartet,  bis 
sich  die  Zuckerlösung  mit  dem  etwaigen  Wasserrest  im  Magen  gut 
vermengt  hat,  sodann  mittels  der  Magensonde  20 — 30  ccm  aushebert, 
die  Flüssigkeit  filtriert  und  mit  Hilfe  von  Fehling  scher  Lösung  den 
Prozentgehalt  an  Zucker  in  der  ausgeheberten  Flüssigkeitsmenge  be¬ 
stimmt.  Auf  Grund  der  so  bestimmten  Zuckerkonzentration  ist  nun 
leicht  auszurechnen,  wieviel  Wasser  im  Magen  zurückgeblieben  ist. 
Die  klinischen  Erfahrungen  zeigten,  dass  diese  Methode  von  allen 
anderen  den  Vorzug  verdient,  da  sie  es  gestattet,  auf  einfache  Weise 
und  mit  fast  mathematischer  Sicherheit  die  motorische  Funktion  des 
Magens  zu  ermitteln. 

E.  G  o  1  d  e  n  w  e  i  s  e  r  -  Moskau:  Vomito  negro  appendicularis. 
(Medizinskoje  Obosrenije  1914  Nr.  1.) 

Bluterbrechen  bei  Appendizitis  wird  am  häufigsten  beobachtet  in 
schweren  Fällen  mit  Perforation  des  Wurmfortsatzes  und  konseku¬ 
tiver  eitriger  Peritonitis;  in  einigen  selteneren  Fällen  jedoch  kann 
diese  Komplikation  auch  bei  Colica  appendicularis  auftreten.  Für  die 
erstere  Krankenkategorie  ist  die  Prognose  eine  sehr  schlechte:  mit 
seltenen  Ausnahmen  gehen  solche  Patienten  zugrunde.  Für  die  letz¬ 
tere  Kategorie  ist  die  Vorhersage  bedeutend  besser:  eine  Genesung 
kommt  öfter  vor.  Die  Hämatemesis  bei  Blinddarmentzündung  stellt 
sich  stets  völlig  unerwartet  ein,  ohne  jegliche  Prodrome;  häufig  genug 
überrascht  sie  erst  nach  der  ä  chaud  ausgeführten  Operation.  Die 
Pathogenese  dieses  Symptoms  ist  noch  nicht  ganz  aufgehellt ;  in 
der  Mehrzahl  der  Fälle  scheint  es  sich  um  eine  Embolie  der  Magen¬ 
schleimhaut  zu  handeln. 

M.  Newiadomsky  -  Moskau:  Die  Anwendung  von  Serum  bei 
der  kruppösen  Pneumonie.  (Medizinskoje  Obosrenije  1914  Nr.  3.) 

Die  Anwendung  von  Pneumokokkenserum  in  10  Fällen  von 
fibrinöser  Lungenentzündung  lehrte,  dass  dieses  Serum  eine  streng 
spezifische  Wirkung  entfaltet,  indem  es  die  Diplokokkenpneumonie 
beeinflusst,  während  bei  der  F  r  i  e  d  1  ä  n  d  e  r  sehen  Pneumonie  jeg¬ 
licher  Effekt  ausbleibt.  Wird  das  Serum  in  den  ersten  drei  Krank¬ 
heitstagen  eingespritzt,  so  kupiert  es  unzweifelhaft  die  Krankheit: 
die  Temperatur  sinkt  früher  als  sonst,  und  die  fieberhafte  Periode 
wird  abgekürzt.  Später  injiziert  wirkt  es  nicht  so  sicher,  so 
dass  wiederholte  Einspritzungen  erforderlich  sind.  Die  Serumappli¬ 
kation  leitet  ganz  ohne  Zweifel  den  Beginn  der  Lösung  des  Lungen¬ 
prozesses  ein,  die  Dauer  des  Reinigungsstadiums  dagegen  wird  durch 
sie  wenig  beeinflusst.  Das  Allgemeinbefinden  bessert  sich  auffällig: 
die  Schmerzen  lassen  nach,  die  Delirien  und  die  Unruhe  schwinden; 
auch  die  Herztätigkeit  wird  gebessert,  der  Puls  wird  voller  und 
minder  frequent,  die  Diurese  steigt  an.  Durch  die  Serumeinwirkung 
erfährt  die  Leukozytose  eine  erhebliche  Steigerung.  Die  Dosis  be¬ 
trägt  mindestens  50,0  subkutan,  die  erforderlichenfalls  wiederholt 
wird.  Serumerscheinungen  kamen  nur  in  3  Fällen  von  10  zur  Beob¬ 
achtung. 

J.  M  a  i  s  e  1  -  Moskau:  Ueber  tuberkulöse  Perikarditis  bei  Kin¬ 
dern.  (Medizinskoje  Obosrenije  1914  Nr.  4.) 

Eine  tuberkulöse  Perikarditis  wird  bei  Kindern  in  3,3  Proz.  sämt¬ 
licher  Fälle  angetroffen,  in  denen  bei  der  Sektion  das  Vorhanden¬ 
sein  von  Tuberkulose  zu  erheben  ist.  Intra  vitam  ist  kein  einziges 
Symptom  als  für  dieses  Leiden  konstant  zu  betrachten.  In  manchen 
Fällen  vermag  die  tuberkulöse  Perikarditis  einen  Ausgang  in  Ge¬ 
nesung  zu  nehmen. 

A.  K  o  1 1  y  p  i  n  -  Moskau:  Ueber  die  Behandlung  der  Malaria 
mit  Salvarsan.  (Medizinskoje  Obosrenije  1914  Nr.  4.) 

Das  Salvarsan  ist  ein  spezifisches  Heilmittel  bei  der  Malaria, 
wenigstens  bei  der  Tertianaform.  Dennoch  ist  auf  eine  völlige  Sterili¬ 
sierung  des  Organismus  wohl  kaum  zu  rechnen,  insbesondere  bei  ein¬ 
maliger  Applikation  und  noch  weniger  bei  subkutaner  Anwendung 
Deshalb  muss  man  das  Mittel  mehrmals  einführen,  und  zwar  auf 
intravenösem  Wege,  sonst  dient  das  Salvarsan  nur  als  erster  Ictus 
therapcuticus,  dem  eine  länger  dauernde  Chininbehandlung  zu  folgen 
hat 

A.  S  s  o  k  o  1  o  w  -  Moskau:  Die  Serodiagnose  des  Krebses  nach 
Abderhalden.  (Medizinskoje  Obosrenije  1914  Nr.  6.) 

Von  17  Krebspatienten  reagierten  16  positiv  und  nur  einer 
nC8ativ:  bei  diesem  letzteren  war  jedoch  die  Karzinomdiagnose  nicht 
völlig  einwandfrei.  Mit  gutartigen  Geschwülsten  reagierte  Krebs¬ 
serum  in  100  Proz.  negativ.  In  zwei  Fällen  von  Drüsenkarzinom 


fiel  die  Reaktion  auch  mit  gesundem  Lymphdrüsengewebe  positiv  aus. 
Häufig  ergaben  kleine,  etwa  nussgrosse  Tumoren  eine  intensivere  Re¬ 
aktion  als  grosse.  Die  Abderhalden  sehe  Reaktion  vermag  so¬ 
mit  für  die  Diagnose  krebsiger  Neubildungen  wertvolle  Dienste  zu 
leisten.  Die  Ergebnisse  dieses  Verfahrens  sind  sicherer  und  exakter 
als  die  der  anderen  serologischen  Methoden,  und  die  Technik  ist 
nicht  schwerer  und  komplizierter  als  die  anderer  Serumreaktionen. 
Deshalb  gebührt  dem  Abderhalden  sehen  Dialysierverfahren  eine 
der  ersten  Stellen  in  der  Reihe  der  klinischen  Untersuchungsmethoden 
bei  Karzinom. 

Th.  A  1  e  x  a  n  d  r  o  w  -  Moskau:  Neue  Wege  in  der  Behandlung 
gynäkologischer  Erkrankungen.  (Medizinskoje  Obosrenije  1914  Nr.  6.) 

Der  Autor  verfügt  über  13  abgeschlossene  Fälle  gynäkologischer 
Erkrankungen,  die  mit  Röntgenstrahlen  behandelt  worden  sind.  Eine 
Amenorrhöe  wurde  erzielt  bei  5  Patientinnen  mit  Fibrom  und  be'. 
einer  Patientin  mit  Metroendometritis,  eine  Oligomenorrhoe  stellt, 
sich  bei  7  Patientinnen  ein.  Eine  vollständige  Atrophie  der  Ge 
schwulst  trat  bei  3  Kranken,  eine  hochgradige  Verkleinerung  bei  5 
und  eine  geringe  Grössenabnahme  be:  5  ein.  Die  Röntgenstrahlc-' 
entfalten  demnach  bei  Fibromyomen  des  Uterus  und  bei  Metropalhk  . 
eine  äusserst  günstige  Wirkung.  Solche  Tumoren,  in  denen  die  En: 
Wicklung  von  Muskelgewebe  prävaliert,  mit  starkem  Oedem  de 
Gewebe  und  der  Kapsel,  können  sogar  vollkommen  schwinden.  An¬ 
zuwenden  sind  mittlere  Dosen;  grosse  Strahlendosen  sind  nur  bei 
Blutungen  zu  gebrauchen,  da  sie  blutstillend  wirken. 

N.  L  e  s  h  n  e  w  -  Petersburg:  Die  Behandlung  der  Tuberkulose 
nach  F.  F.  Friedmann.  (Nowoje  w  Medizine  1914  Nr.  2.) 

Nach  dem  F  r  i  e  d  m  a  n  n  sehen  Verfahren  wurden  16  Patienten 
behandelt,  und  bei  6  von  ihnen  war  nicht  die  geringste  Wirkung 
zu  konstatieren.  Von  den  Fällen,  wo  eine  Besserung  eintrat,  hielt 
diese  nur  bei  zwei  Kranken  mehr  als  5  Wochen  an,  bei  den  übrigen 
hingegen  überdauerte  sie  nicht  den  Zeitraum  von  3  Wochen.  Die 
besten  Resultate  sind,  wie  es  scheint,  erst  von  der  wiederholten  Ein¬ 
führung  des  Präparates  zu  erwarten,  und  auch  dann  hauptsächlich  bei 
der  chirurgischen  Tuberkulose.  Jedenfalls  wurden  rasche  und  ..ver¬ 
blüffende“  Heilerfolge  kein  einzigesmal  beobachtet,  so  dass  unter 
den  gebräuchlichen  Tuberkulosemitteln  das  F  r  i  e  d  m  a  n  n  sehe  vohl 
Beachtung  verdient,  aber  keine  grösseren  Ansprüche  zu  erheben  be¬ 
rechtigt  ist. 

W.  B  o  1  d  y  r  e  w  -  Kasan:  Der  Einfluss  des  Schilddrüsenappa¬ 
rates  auf  die  Wärmeregulierung.  (Charkowsky  medizinsky  J<  arnal 
17.  1914.  H.  2.) 

Experimentelle  Untersuchungen  über  die  Hervorrufung  r.nd  Be¬ 
handlung  krankhafter  Zustände,  die  für  der  Schilddrüse  und  der 
Nebenschilddrüse  beraubte  Tiere  typisch  sind,  ergaben,  dass  eine 
vollständige  Thyreoidektomie  Warmblüter  (Hunde  und  Katzen)  zu 
Kaltblütern  degradiert  oder  dass,  mit  anderen  Worten,  der  Sch.'id- 
drüsenapparat  bei  der  Wärmeregulierung  eine  wichtige  Rolle  spiJt. 
Durch  Erwärmung  vermag  man  bei  thyreoidektomierten  Tieren  e-’oen 
typischen  Krampfanfall  auszulösen,  und  durch  Abkühlung  des  T:  .res 
werden  die  künstlich  hervorgerufenen  oder  spontan  entstanrenen 
Konvulsionen  beseitigt.  Wird  jedoch  das  Tier  noch  weiter  sta;k  ab¬ 
gekühlt,  so  folgt  auf  die  erste,  günstige  Phase  eine  zweite,  schäd¬ 
liche,  in  der  die  Ueberkiihlung  ernste  Störungen  oder  sogar  den 
Tod  nach  sich  zieht.  Diese  experimentellen  Ergebnisse  legen  eine 
ganze  Reihe  von  Fragen  nahe,  so  z.  B.,  ob  nicht  die  bei  manchen 
Tieren  und  Menschen  zu  beobachtende  Ueberempfindlichkeit  gegen¬ 
über  hohen  Temperaturen  von  einer  unzureichenden  Funktion  ihres 
Schilddrüsenapparates  abhänge,  ob  nicht  manche  Krankheitserschei¬ 
nungen,  die  bisweilen  bei  erhöhter  Temperatur  der  Umgebung  beim 
Menschen  zur  Beobachtung  kommen  (wie  Hitzschlag,  Ohnmachts¬ 
anfälle  im  heissen  Bade  u.  dgl.),  ebenfalls  mit  der  gestörten  Funk- 
Fon  dieses  Apparates  im  Zusammenhänge  stehen,  ob  nicht  der 
Eklampsie  der  Kinder  gleicherweise  irgend  eine  Unregelmässigkeit 
in  der  Entwicklung  und  der  Funktion  des  genannten  Apparates  zu¬ 
grunde  liege,  und  ob  nicht  schliesslich  die  Eklampsie  der  Kreissendc 
durch  dieselbe  Ursache  bedingt  sei.  Für  .'etztere  Vermutung  spn  ;nt 
der  Umstand,  dass  man  in  jüngster  Zeit  rr.'f  Erfolg  versucht  h-.i,  die 
Eklampsie  der  Frauen  mit  Schilddrüsenpräpora^en  ra  oehandeln. 
Auch  für  die  Hygiene  sind  die  angeführten  Versuchsergebnisse  von 
Bedeutung.  Denn  wenn  eine  hohe  Aussentemperatur  für  manche 
Personen  schädlich  und  sogar  verderblich  sein  kann,  so  ist  an  öffc 
liehen  Orten,  bei  grossen  Volksansammlungen,  bei  Manövern  jsw. 
nicht  nur  für  genügend  reine  Luft  zu  sorgen,  sondern  auch  «Jeber- 
hitzung  der  Räume  oder  der  versammelten  Personen  zu  verhindern. 

L.  Kandyba  und  D.  Natanson  -  Charkow :  Ueber  die 
Chemotherapie  bakterieller  Infektionen.  —  Aethylhydrokuprein  bei 
Ulcus  corneae  serpens.  (Charkowsky  medizinsky  Journal  17.  1914. 
H.  2.) 

Das  Aethylhydrokuprein  ist  allem  Anscheine  nach  ein  sicheres 
Mittel  zur  Bekämpfung  der  Pneumokokkenaffektionen  der  Hornhaut 
und  speziell  des  Ulcus  serpens.  Ebenso  ist  in  Fällen  von  Pneumo¬ 
kokkeninfektion  nach  Starextraktionen  neben  dem  Chinin  die  Anwen¬ 
dung  von  Aethylhydrokuprein  am  Platze.  Vor  Operationen  am  Aug¬ 
apfel,  insbesondere  vor  einer  Extraktion,  sollte  man  das  Sekret  des 
Konjunktivalsackes  auf  Pneumokokken  untersuchen  und  bei  posi¬ 
tivem  Befund  bis  zu  ihrem  Verschwinden  Aethylhydrokuprein  instil- 
lieren. 

A.  A  1  a  d  o  w  -  Charkow :  Ueber  die  Behandlung  des  Rekurrens 
mit  Salvarsan.  (Charkowsky  medizinsky  Journal  17.  1914.  H.  3.) 


1526 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  27. 


Behandelt  wurden  22  Patienten  Im  Alter ndvo0n5'Ve  lifS 
Die  Salvarsandosis  schwankte  zwischen  0.3  und  .. 
wurde  verhältnismässig  gut  ver  ragen,  ^  niemais  einen  bedroh- 
tionserscheinungen  sich  einstellten,  d  J  bei  2  Kranken 

liehen  Charakter  annahmen.  Ruckfa 1  e  vvuraen  n 

beobachtet,  und  zwar  ha  ten  ^f^eeruna  de?  Gabe  aul  0.4-0.5 

von  Die  JS 

äStSt'SÄÖS  des  Rekurrens  Ist 

somit,  sakyn-eChark0w :  Die  Ehrlich  sehe  ^  Dlmethyl- 

amidobenzaldehyd-Reaktion.  (Charkowsky  medizinsky  Journal  . 

1914’rne  Ehrliche  Dimethylamidobenzaldehydreaktion  bildet  eine 

notwendige  Ergänzung  zu  Bedeutung 

2  5äf  .7  ÜÄÄÄ ^ 

SStäs  ää  «* 

iiebers d  A  -  fS£sffiü£:  Ä5Ä 

Se“nZs!rr?  “o^lSskranklmlten  Iruss.)  27.  1914. 

H'  ''Die  Gonokokken  selbst  werden  .ff/^ar^mvh  das  Qünokokken- 

«viissSs« 

iÄÄÄÄZÄ. 

dldimls  rSer  abaunehmen.  Dagegen .wirkt™  a»'J"Re^ 

SSms 

KhÄGoÄkenWä 

Geschlechtsverkehr  mit  einer  gesunden  Person  mch  zu  gestatten. 

A.  Dworetzky  -  Moskau. 


alS°  WeJnZdTeSVedfninbdereEinleitung  sagen,  dass  der  Gebrauch  von 
Schiessbrillen  im  Felde  eine  mehr  untergeordnete  Rolle  spielt<  da 

§o!rbSk\?cÄ  im" ErnSe  b|PaSouu|n  die 

nach  vorwätrs  getan  wurde. 


Fortschritte  auf  dem  Gebiete  des  Militärsanitätswesens. 

Senate  der  Kaiser-Wilhelms-Akademie  von  Prof.  Kr  ucKmann, 
wYclüi'g  weil  der  Mann,  der  mit  einem  Refraktionsfehler  behaftet  ist, 

hellen  Arten  von  ■  .»deutender;  so  hat  das  Gardekorps  in  einem 
d?r  "ten  fata?  Sein  428  Schless'brillen  beschafft  da  keine  be¬ 
sondere  Vorschrift  oder  Anhaltspunkte  dafür  vorhanden  waren.  So 
•  f  t  aip  Sache  nun  für  manchen  bisher  zu  sein  schien,  so  kom- 
e!nf?cl  d‘e  ä cf!  Wir klich k  ei  t  Wurde  schon  bisher  immer  über¬ 

sehen  dass  der  Mann  beim  Zielen,  besonders  liegend  nicht  das  Zen¬ 
trum  des  korrigierenden  Glases  benutzen  kann,  sondern  stets  durch 
. i  ,.,  pan(]  desselben  sehen  muss,  wodurch  die  prismatische  Ablenkung 
5er  Strahlen  bei  Zylindergläsern  aber  noch  viel  verwickeltere 
der  btranien.  d  .  KCrade  Gegenteil  von  dem  bewirken, 

was  ^ie  "bewirken  sollen,  nämlich  sie  verursachen  eine  Verzerrung 


VOrwdlla  üciau  w 

Lagerungsvorrichtungen  für  Krankentra  gen 

sind  schon  eine  stattliche  Anzahl  erfunden  und  erprobt  worden 
Aii,,  vnben  aber  ihre  Fehler  und  Mängel:  bald  zu  geringe  Stabil  ‘  , 
b  ld  zu  grosses  Gewicht  oder  zu  bedeutende  Anschaffungskosten 

SHE  S2  « ,iS£i 

. . ,  „ic  nllf  Pritschenwagen  oder  Lastautornobilen,  als 

SLTrX  ISfÄ™  Wem  Falle  erfolgt  die  Ueber- 

<‘eCkÄE?rmtioäem  dTs"  Gerüst  grösstenteils  aus  Holk  besteht  wiegt 
es  doch  286  kg*)  und  bietet  Raum  —  wie  das  L'n*™fde~fy/o  Teiie 
für  8  Traeen  dazu  Sitzgelegenheit  für  8  Leichtverletzte.  Die  - 

ia  Hie  Breite  der  Güterwagen  durchweg  die  gleiche  ist.  uas  sysiem 
verträgt  also  entschieden  eine  Vereinfachung  und  gibt  dann  voraus¬ 
sichtlich  ein  brauchbares  ModeH  für  Herstellung  durch  lmPr0Vlsatl 
mit  Hilfe  von  Lattenstücken  und  Drahtstiften  invweilersvstems 

angefühTwird,  dLs"  die^SlSrn  di?  Stösse  während  der  Fahrt 

KSÄÄ  g 

die dKraniäesti gS°inSkurzen?Gütee,!-)UnWadgene  Sifz^beseitigen^gelingt 
nich^auch  nicht  durch  an  der  Wagenwand  angebrachte  Federn,  aber 
wesentlich  Äldert  können  sie  werden  dadurch,  dass  man  d  e 
Tragen  in  langen  Schlaufen  aufhängt.  Alle  hölzernen  Tragen  -  die 
dsemen  Feldfragen  tun  dies  nicht  -  federn  so »viel,  dass  die  senk¬ 
rechten  Stösse  grösstenteils  paralysiert  werden. 

Die  Firma  Manry  &  Co.  in  Offenbach  a.  M.  bringt  eine  z  e  r  1  e  g  - 

ÄÄ"  Ä31  Sanlfätskolonnen1  ÄH«!*  g 

S»  äs  SÄf ■<§ 

unhandlich,  weil  das  Sägeblatt  nicht  verschränkt  werden  kann,  Ab¬ 
hilfe  kann  hier  wohl  getroffen  werden.  p, 

in  jst SÄÄÄ« 

täUkolonn'en^1  uSd" 'bwühlt  ^it  Recht  die  Ausbildung  ver¬ 
schieden  alteriger  Mannschaften,  die  verschiedenen  Standen  ange¬ 
hören  und  verschiedene  Bildungsstufen  und  Auffa-^ungspbe  zeigen, 
so  darnach  seinen  Erfahrungen  am  Ende  eines  Dienstjahres  höch¬ 
stens  25  Proz  der  Freiwilligen  als  gut  ausgebildet  bezeichnet  werden 
können  wobei  nur  Nothilfe,  Transportdienst  und  einige  Kenntnis  n 
de?  HersTellung  von  Notbehelfen  berücksichtigt  ist.  Er  nimm  an. 
dass  an  diesem  Mangel  viel  weniger  die  Verschiedenheit  des  Alters 
der  Intelligenz  und  die  häufige  Abhaltung  von  der  Teilnahme  an  den 
Uehuneen  die  Schuld  tragen,  als  vielmehr  das  Fehlen  einer  für  ga  - 
Deutschland  einheitlichen  Organisation  des  Uebungsdienstes  mit 

strengster  Beschränkung  auf  die  Hauptaufgabe  und  Anpassung  des 
strengster  DescnraiiR  s  „  Durchschnitts  der  Frei- 

Un,l,err'C :htSsä"ndee  dies  n?cht  der  Fall  ist,  bleibt  das  Kolonnenwesen, 
»SM  b  nSe°J  Sgf,  ein  ordnunksloses,  mangelhalt  ausgcbildetes 
Massenaufgebot  ohne  besonderen  inneren  Wert,  worüber  Parader i  der 
Kolonnen  nicht  täuschen  können.  Allerdings  muss  noen  ningeiug 
werden!  dass  wohl  nicht  jeder  Kolonnenarzt  ein  guter  Lehrer  sein 

wird. 


*)  Linxweiler  764  kg. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1527 


7.  Juli  1914. 

Dass  übrigens  ftir  den  Ernstfall  Mangel  im  Mitgliederbestände 
der  freiwilligen  Sanitätskolonnen  vom  roten  Kreuz  herrschen  wird, 
da  ja  alle  Reservisten,  Landwehrleute  und  sogar  ein  Teil  der 
Landstrumpflichtigen  ausscheidet,  ergibt  sich  aus  einer  Zusammen¬ 
stellung  im  „roten  Kreuz“  Nr.  7/14,  wo  auch  der  Frage,  wie  diesem 
Mangel  abzuhelfen  ist,  nähergetreten  wird. 

Das  französische  rote  Kreuz  (gl.  Nummer)  besteht, 
nach  einer  Mitteilung  des  Generalarztes  Dr.  Körting,  seit  dem 
Jahre  1864,  wo  eine  Gesellschaft  zur  Unterstützung  der  im  Kriege 
verwundeten  und  erkrankten  Soldaten  sich  bildete,  wozu  im  Jahre 
1883  die  Verbindung  französischer  Damen  zur  Unterstützung  der 
Heeressanitätsdienstes  mit  30  000  Mitgliedern  trat  nebst  einem  Ver¬ 
mögen  im  Werte  von  7  000  000  Frs.  Es  beziffert  sich  alles  in  allem 
die  Mitgliederzahl  jetzt  auf  etwa  140  000  Personen  mit  über 
30  000  000  Frs.  Vermögen,  eine  Summe,  mit  der  wir  in  Deutschland 
wohl  noch  nicht  rechnen  können.  Nicht  uninteressant  ist  es  zu 
sehen,  dass  nach  dem  genannten  Aufsatze  ein  Mitglied  des  roten 
Kreuzes  kommt  in 

Oesterreich-Ungarn  auf  477  Einwohner 
Frankreich  .  260  „ 

Schweiz  »93  „ 

Deutschland  »75  » 

Japan  „  31  „ 

Plötzlrche  Todesfälle  beim  Baden  kommen  alljähr¬ 
lich  auch  bei  den  Truppen  vor.  Während  man  bisher  als  Ursache 
plötzlichen  Stillstand  des  Herzens  infolge  von  Muskeldegeneration 
oder  den  durch  den  gefüllten  Magen  gegen  das  Herz  ausgeübten 
Druck  oder  Erstickung  infolge  von  Aspiration  von  Speiseresten  an¬ 
sah,  die  aus  dem  Magen  regurgitieren,  oder  den  Tod  mit  dem  Ein- 
diingen  von  kaltem  Wasser  in  die  Respirationswege  und  reflek¬ 
torische  Herzlähmung  oder  mit  einem  Herzschock  in  Verbindung 
brachte,  stellt  A.  G  ü  1 1  i  c  h  in  der  Medizinischen  Klinik  13/13  die 
Behauptung  auf,  dass  Leute  mit  Trommelfellperforation,  wenn  sie 
plötzlich  tauchen  oder  ins  Wasser  springen,  und  dabei  Wasser  in  das 
Mittelohr  eindringt,  Schwindel  und  Brechreiz  bekommen  können 
durch  Reizung  der  Vorhofsnerven  besonders  dann,  wenn  die  Tem¬ 
peraturdifferenz  zwischen  Wasser  und  Vorhof  eine  grosse  ist.  Es 
ist  deshalb  zweifellos  die  schon  seit  Jahrhunderten  bestehende  An¬ 
sicht  berechtigt,  dass  man  nicht  mit  vollem  Magen  baden,  desgleichen, 
dass  man  sich  vor  dem  Bade  abkühlen  soll,  um  Erbrechen  und 
Aspiration  von  Speiseresten  zu  verhindern.  Dass  prädisponierte  Indi¬ 
viduen  —  Nervöse  —  ganz  besonders  hierauf  zu  achten  haben,  ist 
selbstverständlich.  Um  plötzliches  Eindringen  von  kaltem  Wasser 
ins  Mittelohr  zu  verhindern  oder  wenigstens  zu  verzögern,  haben 
Leute  mit  Trommelfellperforation  mit  Oel  vollgesogene  oder  sonst¬ 
wie  eingefettete  Wasserpfropfen  in  den  Gehörgang  zu  stecken.  Die 
Todesfälle  genannter  Art  werden  dann  sicher  seltener  werden. 

Reh. 

Inauguraldissertationen. 1) 

W.  K  ö  r  b  e  r  berichtet  über  die  Purpuraformen,  spe¬ 
ziell  Peliosis  rheumatica  und  ihre  Beziehung  zum 
akuten  Gelenkrheumatismus  nach  den  Kranken¬ 
geschichten  der  Leipziger  medizinischen  Klinik 
aus  den  Jahren  1889- — 1911.  Die  Blutungen  bei  den  Purpura¬ 
erkrankungen  sind  wahrscheinlich  auf  toxische  Momente  zurück¬ 
zuführen.  Es  bestehen  direkte  ätiologische  Zusammenhänge  zwischen 
dem  Gelenkrheumatismus  und  den  Purpuraerkrankungen,  speziell  der 
Peliosis  rheumatica.  (Leipzig  1913.  41  S.)  Fritz  L  o  e  b. 

Neuerschienene  Dissertationen. 

Universität  Leipzig.  Juni  1914. 

Anders  Gerhard:  Ueber  rhinogene  Meningitis  serosa  acuta  mit 
einem  kasuistischen  Beitrage. 

Krzyzagörski  Stefan:  Ueber  eine  ruhrartige  Grippeendemie. 
Rau  Johannes:  Aerztliche  Gutachten  und  Polizeivorschriften  über 
den  Branntwein  im  Mittelalter. 

Schlesinger  Bernard:  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Psychosen  im 
Kindes-  und  beginnenden  Pubertätsalter. 

Stiehl  er  Heinrich:  Ueber  „Kropffisteln“. 

Weinberg  Alfred:  Lieber  einen  Fall  von  partiellem  angeborenem 
Riesenwuchs  der  rechten  unteren  Extremität  mit  gleichzeitiger 
Hiiftgelenksluxation. 

W  i  t  k  o  w  s  k  i  Stanislaus:  Ueber  Temperatursteigerungen  bei  einigen 
Gehirnerkrankungen:  Apoplexie,  Epilepsie  und  Gehirntumoren. 
Baltzer  Paul:  Vaginale  Operationen  in  parametraner  Leitungs¬ 
anästhesie,  insonderheit  vaginale  Totalexstirpation  des  Uterus. 
Bernfeld  Isidor:  Ueber  die  Beziehungen  der  Urikämie  zur  Gicht. 
Euscher  Hermann:  Wachstums-  und  Phagozytoseversuche  an 
Protozoen. 

Heuer  Kurt:  Ueber  Oberkieferfrakturen. 

Markus  Max:  Scheidenplastik  aus  dem  Rektum  bei  angeborenem 
Scheidendefekt. 

Veclken  Joseph:  Ueber  Ergebnisse  des  A  b  d  e  r  h  a  1  d  e  n  sehen 
Dialysierverfahrens  bei  Lungentuberkulose. 


')  Zusendung  von  Dissertationen  an  die  Adresse  der  Redaktion: 
München,  Arnulfstrasse  26,  erbeten.  Besprechung  Vorbehalten. 


Vereins-  und  Kongressberichte. 

III.  Kongress  der  Internationalen  Gesellschaft  für  Urologie 

vom  2.  bis  5.  Juni  1914. 

(Eigener  Bericht.) 

Prof.  James  I  s  r  a  e  1  -  Berlin  eröffnete  als  1.  Vorsitzender  im 
Herrenhause  den  Kongress  in  Anwesenheit  einer  grossen  Zahl  von 
Aerzten  aus  aller  Herren  Länder.  In  einer  glänzenden  Rede  führte 
I.  aus,  dass  das  scheinbar  engumgrenzte  Gebiet  der  Urologie  auf  die 
Erkenntnis  und  Behandlung  der  Krankheiten  von  Organen  abzielt, 
mit  deren  intaktem  Funktionieren  die  Erhaltung  der  Gesundheit  für 
das  Leben  ganz  besonders  innig  verknüpft  sind,  weil  ihre  Störungen 
zuletzt  die  Nieren  bedrohen,  deren  Schädigung  alle  lebenswichtigen 
Organe  in  Mitleidenschaft  zieht.  Diese  vielgestaltigen,  teils  medi¬ 
zinischen,  teils  chirurgischen  Krankheitszustände  zusammenzufassen, 
ist  das  Ziel  der  modernen  Urologie. 

Das  meiner  Ansicht  interessanteste  Thema  des  Kongresses,  über 
das  deshalb  auch  etwas  breiter  berichtet  werden  soll,  war  „D  i  e 
Anästhesieinder  Urologi  e“.  Als  erster  Redner  über  diesen 
Gegenstand  sprach  A.  Bi  er- Berlin:  Die  urologischen  Operationen 
gehören  zu  den  Eingriffen,  die  oft  der  Lokalanästhesie  bedürfen,  weil 
sie  häufig  an  Nieren-  und  Herzkranken  und  häufig  an  alten  und 
schwachen  Leuten  ausgeführt  werden.  Alle  urologischen  Operationen 
lassen  sich  bis  auf  geringe  Ausnahmen  unter  Lokalanästhesie  aus¬ 
führen.  Allerdings  bleiben  besonders  bei  Nierenoperationen  einzelne 
Akte  (Auslösen  der  Niere,  Unterbindung  des  Nierenstiels)  meist 
I  schmerzhaft.  Es  genügt  aber  die  Zuhilfenahme  eines  kurzen  Aether- 
I  rausches,  um  auch  diese  Akte  unempfindlich  zu  machen.  Die  Zu¬ 
hilfenahme  anderer  narkotischer  Mittel  (Morphium,  Skopolamin  und 
anderer  Schlafmittel)  ist  zu  kompliziert  und  meist  überflüssig.  Für 
die  Lokalanästhesie  der  Nieren  gibt  es  zwei  Methoden:  a)  Die  primi¬ 
tive,  in  der  Chirurgie  ausserordentlich  viel  gebrauchte  Um-  und 
Durchspritzung,  die  hier  die  Bauchdecken  und  das  Nierenlager  be¬ 
trifft,  mit  Vi  proz.  Novokainlösung  +  Suprarenin:  b)  die  Leitungs¬ 
anästhesie  der  in  Betracht  kommenden  Dorsal-  und  Lumbalnerven 
durch  1  proz.  Novokainlösung  +  Suprarenin.  Beide  geben  gute  Re¬ 
sultate  und  lassen  kleine  Eingriffe,  z.  B.  Pyelotomie,  Annähen  der 
Wandernieren,  völlig  schmerzlos  ausführen.  Beim  Auslösen  der  Niere 
und  Unterbinden  des  Nierenstiels  oder  bei  einem  von  beiden  wurde  in 
den  Fällen  bei  der  erster  Methode  fast  immer,  bei  der  zweiten  immer 
Schmerz  empfunden.  Da  die  Leitungsanästhesie  komplizierter  und 
schwieriger  ist,  als  die  einfache  Um-  und  Durchspritzung,  dabei  aber 
keine  besseren  Resultate  liefert,  so  ist  das  letztere  Verfahren  für 
gewöhnlich  vorzuziehen.  Die  Leitungsanästhesie  eignet  sich  nur 
für  die  Exstirpation  sehr  grosser  und  verwachsener  Nieren,  die 
schwer  zu  umspritzen  sind.  Das  Auslösen  der  Niere  und  die  Unter¬ 
bindung  des  Nierenstieles  sind  zuweilen  bei  der  Lokalanästhesie  so 
wenig  empfindlich,  dass  man  die  Operation  ohne  weiteres  Hilfsmittel 
zu  Ende  führen  kann,  meist  ist  dagegen  die  Hinzufügung  eines  kurzen 
Aetherrausches  notwendig. 

Die  beste  und  ausgedehnteste  Lokalanästhesie  für  Blasen-,  Pro¬ 
stata-  und  Harnröhrenoperationen  gibt  Brauns  parasakrale  Lei¬ 
tungsanästhesie.  Sie  ist  das  wichtigste  Verfahren  für  diese  Opera¬ 
tionen  und  hat  die  früher  gebräuchlichen  Leitungsanästhesien  und  die 
Sakralanästhesie  weit  überholt  und  überflüssig  gemacht,  weil  sie  tech¬ 
nisch  viel  leichter,  ausgedehnter  und  vor  allem  weit  zuverlässiger  ist. 
Ferner  bietet  sie  den  grossen  Vorteil,  dass  sie  ein  einheitliches  Ver¬ 
fahren  für  alle  diese  Eingriffe  darstellt.  Beim  Eingehen  in  die  Blase 
von  oben  muss  man  den  betreffenden  Teil  der  Bauchdecken  und  den 
Prävesikalraum  mit  34  proz.  Novokainlösung  ausserdem  durchspritzen, 
weil  diese  Gegend  durch  die  parasakrale  Leitungsanästhesie  natürlich 
nicht  unempfindlich  wird.  Diese  Anästhesie  ist  leicht  und  sicher  her¬ 
zustellen.  Gewisse  Blasenoperationen,  z.  B.  Steinschnitte,  sind  auch 
sehr  gut  schmerzlos  zu  gestalten,  wenn  man  die  Bauchdecken  und 
den  Prävesikalraum  einfach  mit  dem  Anästhetikum  durchspritzt  und 
die  Blasenschleimhaut  nach  den  für  die  Schleimhaut  gültigen  Regeln 
anästhesiert.  Das  gleiche  gilt  für  die  Prostatektomien,  wenn  man  die 
Prostata  mit  der  anästhesierenden  Lösung  umspritzt.  Aber  auch  diese 
Verfahren  dürften  durch  die  einfache  und  zuverlässige  Parasakral¬ 
anästhesie  in  den  Hintergrund  gedrängt  werden.  Bei  den  Opera¬ 
tionen,  die  den  Hodensack  nebst  seinem  Inhalt  betreffen,  hat  sich 
die  Lokalanästhesie  längst  das  Bürgerrecht  erworben.  Für  die  Lo¬ 
kalanästhesie  des  Penis  ist  ein  einheitliches  Verfahren  noch  nicht 
anerkannt.  Es  dürfte  sich  aber  empfehlen,  auch  für  die  häufig  vor¬ 
kommenden  Operationen  an  der  Vorhaut  den  ganzen  Penis  nach  der 
Methode  von  Braun,  die  in  einer  Umspritzung  der  Peniswurzel  be¬ 
steht,  unempfindlich  zu  machen.  Denn  die  Einspritzung  des  Anästheti- 
kums  in  die  Vorhaut  führt  ein  lästiges,  das  exakte  Operieren  sehr  er¬ 
schwerendes  Oedem  herbei,  und  bei  ringförmiger  Umspritzung  der 
Vorhaut  hat  man  Gangrän  derselben  beobachtet.  Für  die  Anästhesie 
der  Schleimhaut  von  Blase  und  Harnröhre  scheint  das  Alypin  in 
3  proz.  Lösung  mit  Zusatz  von  einem  Tropfen  Suprarenin  auf  jeden 
Kubikzentimeter  der  Lösung  zurzeit  das  beste  Mittel  zu  sein.  Die 
Rückenmarksanästhesie,  die  früher  bei  urologischen  Operationen  viel 
gebraucht  wurde,  ist  in  neuerer  Zeit  durch  die  Ausbildung  der  Lokal¬ 
anästhesie  und  wegen  der  ihr  anhaftenden  Mängel  in  den  Hintergrund 
gedrängt  worden.  Sie  ist  aber  immer  noch  das  Verfahren,  abgesehen 
von  der  Allgemeinnarkose,  das  die  vollkommenste  Anästhesie  hervor- 


1528 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. - . 


Nr.  27, 


bringt,  und  ihre  weiter.  Ausbildung  ist  RückS- 

die  moderne  AusgesiahunK  der  Lokal. was  auszuführen  ge- 

marksanasthesie  fast  alle  urologiscnen  p  die  ai|gemejne 

Allgemeinnarkose  gegeben  ist ^er  ™  ^  kose  ist  zurzeit  die 
stbffabpara,  und  die Anslchten,  wle sie  in Amerika 

:XniT.Assodaaobn“0oderi  d“ch  Spinalanästhesie  wird  der  Schock 

VerrlrtonzÄeRtsTakorni'edien’  Spinalanästhesie  im  allgemeinen  die 
Anästhesie  der  Wahl  bei  urologischen  Operationen  unterhalb  des 
Nabels  an  Patienten  mit  Leiden  der  Niere,  Lungen  oder  des  Zirk  - 
i  ^  i.c ,  9  v-uiHpn  Ni  trooxv Kenias  und  Sauerstoff.  in  Veruin 

mrSmi,PCrf  'es  MetSode  der  .Sci-AssociatioiV  die  Anästhesie 
de?  Wahl  bei  Operaaonen  an  der  Niere  und  dem  Ureter,  ausser  in 
H-illen  von  Störungen  des  Zirkulationsapparates.  3  Sollte  Aether  L 
Onerationen  an  der  Niere  und  dem  Ureter  im  Falle  von  Erkrankung 
des ^  ZirkSionsapparates  anstatt  Nitrooxygengas  und  Sauerstoff  an- 

SCW  AK  die  Vertreter  Frankreichs  sprechen  über  diesen  Gegenstand 
Michon  und  Pasteau-Paris.  Aus  allen  bisherigen  Veröffentlichungen 
vreibt  sich  deutlich,  dass  Chloroform  und  Aether,  wenn  auch  in  ver¬ 
schiedenem  Sde,  eine  gewisse  Wirkung  auf  Leber  und  Nieren  aus¬ 
üben  welche  zu  multiplen  histologischen  Veränderungen  mit  schwerer 
Schädigung  oder  gar  Tod  der  zeitigen  Elemente  führen  kann.  Man 

eme'w'ederho'iung6 dcFEinorWe  die  Mbg^chkeif  deFvcJgiltimg  stei- 
eert  so  ertragen  schliesslich  die  meisten  Patienten  die  allgemeine 
Narkose  ganz  gut  Während  der  ersten  24-48  Stunden  nimmt  wohl 
die  H  irnmenge  etwas  ab,  es  tritt  auch  wohl  Albuminurie  und  Ikterus 
ein  aber  gewöhnlich  geht  dies  alles  wieder  rasch  und  dauernd  vor¬ 
über1  Es  ist  ratsam,  vor  der  Anästhesie  sich  von  dem  Zustand 
Nieren  und  der  Leber  ein  Bild  zu  verschaffen.  Die  besondere  Emp¬ 
findlichkeit  dieser  Organe  muss  vorausgesehen  werden.  Je  mehr  der 
Patient  vorgeschrittene  Veränderungen  an  Leber  oder  Niere  zeigt,  je 
mehr  er  Erscheinungen  von  Intoxikation,  Infektion,  Eiterung  aufweist, 
um  so  weniger  darf  man  die  Allgemeinnarkose  als  harmlos  auffassen, 
und  es  sollte  als  Grundsatz  gelten,  dass  die  Chloroform-  oder  Aether 
narkose  bei  jeder  Operation  zu  unterlassen  ist,  wo  sie  nicht  dringend 

indiziert  ist.  .  ,  ,  „ 

n;„  Qntmlanästhesie  hat  in  der  Urologie  nur  zwei  besondere 
Vorzüge-  sie  ist  zunächst  völlig  unschädlich  für  die  Nierenfunktion,  sie 
hat  ferner  die  Wirkung,  die  Kontraktionen  der  entzündeten  Blase  zu 
beruhigen  Wo  diese  Indikationen  vorliegen,  sollte  man  sich  ihrer 
bedienen  natürlich  mit  all  den  Massnahmen,  die  ihre  Gefahren  ver¬ 
ringern  Da  sie  aber  andererseits  wirklich  ernste  Gefahren  im  Ge- 
folee  haben  kann  so  haben  wir  vor  allem  die  Pflicht,  das  Gebiet  der 
regionären  oder^  lokalen  Anästhesie  nach  Möglichkeit  zu  erweitern. 
Die  regionäre  Anästhesie  bietet  wohl  grössere  technische  Schwierig¬ 
keiten-  aber  die  noch  neuen  Versuche  in  dieser  Richtung  verdienen 
verfolgt  zu  werden.  Was  die  Lokalanästhesie  angeht,  so  wird  un¬ 
zweifelhaft  ihre  immer  ausgedehntere  Anwendung  dazu  beitragen,  die 
Gefahren  der  Operation  bei  Harnkranken  mehr  und  mehr  zu  ver- 

Von  den  Diskussionsrednern,  die  hier  nicht  alle  im  einzelnen 
aufgezählt  werden  können,  empfiehlt  W  i  1  d  b  o  1  z- Bern  die  Par£E 
sakrale  Methode,  besonders  auch  bei  schwierigen  Kystoskopien  mit 
kli'incr  Blase  Allessandri  - Rom  tritt  für  die  lumbale  Anästhesie 
ein  während  R  avasi  n  i  -  Triest  die  üblen  Zufälle  bei  den  yer- 
schiedenen  Anästhesien  in  N  i  c  o  1  i  c  h  s  Klinik  Revue  passieren  lasst. 
Rovsing-  Kopenhagen  bleibt  dem  Aether  treu,  den  er  nach  einer 
Morphiuminjektion  einatmen  lässt  mit  dem  Höchstverbrauch  von 
75  ccm  Kümm  eil -Hamburg  tritt  ebenfalls  für  den  Aether  ein, 
event  für  die  intravenöse  Aethernarkose,  da  er  die  Schockwirkung 
der  Lokalanästhesie  fürchtet.  S  u  t  e  r  -  Basel  hat  gute  Erfolge  mit 
der  Nova  kaindurchspritzung  bei  der  F  r  e  y  e  r  sehen  Operation,  L 


Fr 

Wirkungen  gesehen. 


Ueber  das  Thema:  „Nephrektomie  b  e  i  E rkr  a  n k u n  g 

I3S  e“  Todesfäe  Ä 

in  Fällen  angegeben:  sie  war  5  mal  =  0,  6  mal  senr  gunsxig,  au 
nur  von  kurzer  Dauer;  13  mal  hielt  die  Besserung  an.  Bei  4  Kranken 

Ä’T&lfä'Äf'Ä'd™  iMbÄ’-Ä™» 

F"  ^Ctder  am'stärksten^erkrarilUe^Niere^at^elnenhglücklich'en  und 
femung  der  am  stärkste  ranK  Tuberkuiose  der  zurückgelassenen 

«f““1  «• sM  zwei  vcr- 

schiedenartige  Bedingungen  zu  unterscheiden.  R  teht 

a)  Der  Harnleiterkatheterismus  ist  ausgefuhrt  worden.  Beste 
zwischen  den  beiden  Seiten  eine  erhebliche  funktionel  e  Verschieden- 
i  a  wäiirpnd  beiderseits  Eiter  und  Bazillen  vorhanden  sind,  so  ist 
die  *  Nephrektomie  indizier^  weil  die  zurückgelassene  Niere  um  so 
leichter  ausheilen  kann,  je  eher  der  gegenüberliegende  Infektionsherd 
beselHgt  wird  IsV  abkr  auf  beiden  Seiten  die  funkt, on  nur  m,  tel- 
mässig,  so  tut  man  am  besten,  sich  jeden  Eingriffes  zu  enthalt  . 

b)  Der  Harnleiterkatheterismus  ist  nicht  ausgefuhrt.  Hier  fei 
die  Kontrolle  über  die  Anwesenheit  von  Fiter  und  Bazillen  m  der 
anderen  Seite-  wir  orientieren  uns  mittels  der  A mb  ard sehen  Kon¬ 
ifante  über  d!e  Nierenfunktion  im  ganzen  und  mittels  der  RaJ'ograph>e 
über  die  meisterkrankte  Seite.  Ist  die  Konstante  gut,  so  kann  ma 
allein  auf  dieses  Ergebnis  hin  die  kränkere  Niere  entfernen,  vielleicht 
S  auch  d?e  andere  Niere  tuberkulös,  aber  ihre  Funktion  reicht  hm, 
um  die  Existenz  aufrecht  zu  halten. 

Die  Nephrektomien  bei  verschiedenartiger  bilateraler 
Erkrankung  umfassen  alle  die  Fälle,  in  welchen  die  andere  Niere  an 
ehie^Nephritis  leidet,  die  zu  Urämie  oder  Hydrops  fuhren  kann 
Die  meisten  Nephrektomien  gehören  hierher,  selbst  diejenigen,  welche 
z  ,  Hei  ung  führen.  Die  andere  Niere  zeigt  stets  vorübergehende 
oder  dauernde  leichte  oder  ernstere  Funktionsstörungen.  Auch  hier 
sieht  man  die  interessantesten  Fälle  bei  der  Tuberkulose,  ferner  aber 
auch  in  hohem  Grade,  beim  Krebs  und  bei  der  Lithiasis.  Eine  erste 
Kategorie  betrifft  die  hämaturische  Nephritis,  die  unabhängig  von 
ipr  Tuberkulose  sein  und  schwere  Blutungen  auch  bei  Patienten  ver- 
Ursachen  kanrf,6  welche  die  Operation  lange  und  in  gutem  Zustande 
überleben  Bei  einer  zweiten  Kategorie,  die  noch  wichtiger  is  , 
kommt  es  zu  dem  Symptomenkomplex  der  Urämie  und  der  Hydropsie. 
MiZte?  erhält  man  vor  der  Operation  auf  der  gesunden  Seite  einen 
Sark  eiweisshaltigen  Harn.  Geringe  Mengen  Eiweiss  verschwinden 
nach  der  Operation,  grosse  aber  bleiben  zuruck  und  bald  stellen  sic 
andere  Zeichen  von  Nephritis  ein.  L  e  g  u  e  u  hat  bei  24  Kranken 
die  Entwicklung  dieser  Funktionsstörungen  der  gegenüberliegenden 
Niere  verfolgt;  alle  sind  geheilt,  aber  bei  dreien  haben  sich  nach 
langer  Zeit  ernste  Zustände,  wie  Oligurie  und  Oedeme,  als  Zeichen 
einer  wirklichen  Impermeabilität  der  Niere,  eingestellt.  An  sich 
kontraindizieren  diese  Nephritiden  die  Operation  nicht;  aber  sie  leg 
uns  doch  einige  Zurückhaltung  auf.  Die  Eiweissmenge  selbst  ergi 
keine  Kontraindikation.  Vielmehr  bedarf  es  in  solchen  Fallen  einer 
sehr  genauen  mehrfach  wiederholten  Untersuchung  der  Nierenfunk 
üon  mit  oder  ohne  bestimmte  Regime,  um  zu  einem  bindenden 
Schluss  zu  kommen.  Wenn  nun  die  Nephrektomie  bei  bilateraler 
Erkrankung  von  der  Funktion  der  anderen  ^ere  abhangt, ^ei  welchem 
Fraebnis  der  Funktionsprufung  ist  sie  noch  erlaubt.-'  weicnes  sna 
die  Grenzen  der  Nephrektomie?  Die  Frage  ist  nur  einer  relative 
Lösung  fähig.  Zur  Prüfung  der  Funktion  erscheint  es  mehr  und 
mehr  untunlich,  sich  auf  einen  einzigen  Faktor,  etwa  die  zufällig 
vorhandene  Konzentration  des  Urins,  zu  verlassen;  man  muss  stets 
alle  Ergebnisse  miteinander  vergleichen  und  durcheinander  kontro 
lieren  Wir  legen  den  Hauptwert  auf  1.  den  jedesmaligen  Gehalt  an 
Harnstoff  und  Chloriden;  2.  die  Harnstoff-  und  Chloridausscheidung  in 
2  Stunden;  3.  die  Wasserausscheidung,  geprüft  mittels  des  Verdun- 
nungsversuches;  4.  den  Stickstoffgehalt  des  Blutes;  5.  die  Konstante 
und  mitunter  6.  auf  die  Concentratio  maxima. 

I  C  a  s  p  e  r  -  Berlin  führt  zu  demselben  Thema  aus,  dass  erst 
der  Ürcterkatheterismus  uns  lehrte  zu  erkennen,  ob  beide 
bzw.  welche  von  beiden  krank  sei.  Krankheit  und  Funktion  der 
Niere  gehen  nicht  immer  parallel.  Für  die  Frage  der  Operabilität 
einer  Niere  kommt  es  nicht  sowohl  auf  Krankheit  oder  Gesundheit 
des  Schwesterorganes  wie  auf  dessen  ausreichende  Funktion  an. 


7.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1529 


Unsere  Funktionsprüfung  beruht  darauf,  dass  wir  die  Arbeit  beider 
Nieren  miteinander  vergleichen,  indem  v/ir  die  Summe  ihrer  gleich¬ 
zeitigen  Ausscheidungsprodukte  (körpereigene  [^,  J|  und  körper¬ 
fremde  Substanzen  |  Phloridzin.  Indigokarmin])  in  einem  gegebenen 
Zeitmass  miteinander  vergleichen  und  beobachten,  welche  Niere  diese 
Stoffe  schneller  und  in  grösserer  Menge  ausscheidet,  indem  wir  ferner 
die  Nieren  auf  ihre  Akkommodationsbreite.  Flüssigkeiten  oder  Diuretizis 
gegenüber  prüfen.  In  bezug  auf  die  Frage  der  Operabilität  sind 
nicht  nur  die  Nephrektomie,  sondern  auch  leichtere  Eingriffe,  wie 
Nephrotomie.  Pyelotomie  usw.  mit  in  Betracht  zu  ziehen.  Die  sich 
auf  unsere  Funktionsprüfung  gründende  Prognose  erwies  sich  als 
korrekt  in  322  einseitigen,  von  mir  operierten  Nierenfällen.  Niemals 
wurde  ein  hemmender  funktioneller  Einfluss  einer  kranken  Niere  auf 
das  gesunde  Schwesterorgan  beobachtet.  Wohl  aber  gibt  es  toxische 
Nephritiden,  welche  durch  die  Erkrankung  des  Schwesterorgans  be¬ 
dingt  werden  und  welche  nach  Entfernung  der  erkrankten  Niere  aus¬ 
heilen  können.  Von  9  Fällen  doppelseitiger  Erkrankung  mit  guter 
Prognose  bezüglich  der  zweiten  Niere  genasen  7,  einer  starb.  Am 
schwierigsten  zu  beurteilen  sind  Fälle  von  Nephritis  der  zweiten 
Niere,  jene  Orenzfälle,  in  denen  es  sich  fragt,  ob  die  Nierenerkran¬ 
kung  eine  reparable  toxische  oder  eine  progressive,  zum  Tode 
führende  Entzündung  ist.  Am  besten  hilft  hier  die  kritisch  vorge¬ 
nommene  Beurteilung  des  Ausfalls  der  Funktionsprüfung.  Im  allge¬ 
meinen  funktionieren  toxische,  heilbare  Nephritiden  in  dem  erörterten 
Sinne  gut,  während  die  progressiven  interstitiellen  Nephritiden  eine 
deutliche  Verminderung  oder  gar  ein  Aufgehobensein  der  Funktion 
erkennen  lassen.  Schwere  irreparable  parenchymatöse  Nephritiden 
und  Amyloid  verraten  sich  durch  den  grossen  Eiweissgehalt.  Von 
9  doppelseitigen  Erkrankungen  mit  schlechter  Prognose  bezüglich  der 
zweiten  Niere  starben  8  nach  der  Operation,  einer  blieb  unter  chro¬ 
nisch-urämischen  Erscheinungen  noch  zwei  Jahre  am  Leben.  Da¬ 
durch  ist  der  Schluss  berechtigt,  dass  in  allen  Fällen,  in  welchen 
die  von  uns  empfohlene  Funktionsprüfung  bei  gleichzeitiger  anatomi¬ 
sch61'  Affektion  eine  Niereninsuffizienz  der  zweiten  Niere  erkennen 
hisst,  die  Exstirpation  der  anderen  Niere  ein  grosses  Wagnis  ist. 
Eine  Reservekraft  der  Niere,  die  in  Erscheinung  tritt,  wenn  an  die 
Niere  grössere  Anforderungen  gestellt  werden,  haben  wir  niemals 
beobachten  können.  Insuffizient  in  dem  Sinne,  dass  Gefahr  besteht, 
dass  sie  postoperativ  eine  Urämie  ausbrechen  lässt,  nennen  wir  eine 
Niere,  wenn  einmal  in  dem  von  ihr  abgesonderten  Harn  die  Zucker¬ 
ausscheidung  nach  Phloridzin  gänzlich  ausbleibt,  Farbstoff  sehr  spät 
und  nur  bis  zum  Grünwerden  des  Harns  ausgeschieden  wird  und 
wenn  die  Nierenstarre  eine  ausgesprochene  ist.  Wir  haben  niemals 
beobachten  können,  dass  gesunde  Nieren  keinen  Phloridzinzucker 
ausscheiden.  Zucker  nach  Phloridzin  bei  gesunden  Nieren  kann  aus- 
bleibem  wenn  ein  Abflusshindernis  in  der  Niere  oder  unterhalb  der- 
selben  im  Ureter  besteht,  bei  Verwendung  schlechter  Präparate  oder 
nicht  völliger  Lösung  des  Pulvers,  bei  zu  geringen  Dosen  (unter 
0.01),  bei  sehr  starker  Polyurie,  bei  Anwesenheit  von  grösseren 
Eiweissmengen  und  im  Hungerzustande  des  Individuums.  Endlich 
können  symptomlose  Schrumpfnieren  und  Druckatrophien  der  Niere 
die  Zuckerausscheidung  vermissen  lassen. 

Als  Dritter  spricht  zu  diesem  Thema  F.  Voelcker  -  Heidel¬ 
berg:  Wenn  bei  einer  beabsichtigten  Nephrektomie  die  andere  Niere 
nicht  gesund  befunden  wird,  so  ist  die  Entscheidung  zu  treffen: 

ob  die  Erkrankung  der  zurückbleibenden  Niere  durch  die 
Erkrankung  der  zu  entfernenden  verursacht  ist  (toxische  Nephritis 
Amyloid), 

ob  es  sich  bei  beiden  Nieren  um  dieselbe  Erkrankung  handelt, 
ob  es  sich  um  von  einander  vollständig  unabhängige  Erkran¬ 
kungen  der  beiden  Nieren  handelt. 

Bei  allen  Nephrektomien  wegen  doppelseitiger  Erkrankungen  soll 
die  zurückbleibende  Niere  durch  funktionelle  Proben  auf  ihre  Reserve¬ 
kraft  untersucht  werden.  Dazu  eignet  sich  folgende  Kombination: 

Eine  Farbstoffprobe,  z.  B.  Indigkarmin.  Dieselbe  gibt  eine  unge¬ 
fähre  Vorstellung  davon,  ob  die  Niere  gegenüber  festen  Substanzen 
noch  über  einige  Reservekraft  verfügt. 

Der  Verdünnungsversuch.  Kontrolle,  ob  durch  reichliche  Wasser¬ 
gabe  der  Urin  entsprechend  verdünnt  ausgeschieden  wird.  Diese 
Probe  ist  besonders  in  jenen  Fällen  wichtig,  wo  unter  gewöhnlichen 
Bedingungen  ein  zu  konzentrierter  Urin  angetroffen  wird. 

Der  „Durstversuch“.  Kontrolle,  ob  durch  Entziehung  des  Trink¬ 
wassers  eine  entsprechende  Konzentration  des  Urins  zustande  kommt. 
Diese  Probe  ist  besonders  wichtig  in  jenen  Fällen,  bei  denen  man 
einen  reichlichen  und  zu  dünnen  Urin  antrifft. 

Die  toxische  Albuminurie  und  Nephritis  der  zurückbleibenden 
Niere  ist  —  genügende  Reservekraft  vorausgesetzt  —  kein  Gegen¬ 
grund  gegen  die  Nephrektomie  der  anderen  Seite.  Bei  gleichartiger 
Erkrankung  beider  Nieren,  z.  B.  bei  doppelseitiger  Tuberkulose  oder 
doppelseitigen  entzündlichen  Erkrankungen,  kann  eine  Nephrektomie 
nur  in  Frage  kommen,  wenn  der  Prozess  auf  der  einen  Seite  sehr 
vorgeschritten,  auf  der  anderen  Seite  nur  im  Beginn  ist,  und  wenn 
|  diese  Seite  sich  funktionell  als  genügend  ausweist.  Sie  kann  be¬ 
rechtigt  sein  aus  vitaler  Indikation,  wenn  durch  die  schwerer  er¬ 
krankte  Niere  das  Leben  unmittelbar  bedroht  wird.  Eine  relative 
Indikation  in  dem  Sinne,  dass  man  erwartet,  durch  Entfernung  der 
schwerer  erkrankten,  das  Leben  nicht  unmittelbar  gefährdenden 


Niere,  der  anderen  günstigere  Bedingungen  für  eine  spontan«  Aus¬ 
heilung  zu  schaffen,  darf  man  anerkennen:  es  ist  aber  zu  verlangen, 
dass  für  eine  solche  Spontanheilung  tatsächlich  günstige  Verhältnisse 
vorliegcn.  Bei  doppelseitigen  Erkrankungen,  die  von  einander  un¬ 
abhängig  sind,  lassen  sich  nur  sehr  schwer  allgemeine  Gesichts¬ 
punkte  geben,  hier  muss  die  Entscheidung  von  Fall  zu  Fall  getroffen 
werden.  Bei  doppelseitigen  Nierentumoren  und  bei  polyzystischer 
Degeneration  sind  Nephrektomien  zu  vermeiden. 

B  r  o  n  g  e  r  s  m  a  -  Amsterdam  legt  grossen  Wert  auf  die  klinische 
Beobachtung  von  Herz  und  Gefässsystem,  deren  Analyse  wenigstens 
ebenso  wichtig  ist,  wie  die  funktionelle  Untersuchung.  Rovsing- 
Kopenhagen  beachtet  hauptäschlich  positive  Resultate  bei  der  Nieren- 
funktion,  negative  Resultate  können  unberechtigter  Weise  zur  Un¬ 
tätigkeit  und  Unterlassung  der  Operation  veranlassen,  die  retten 
könnte.  Manchmal  arbeitet  die  eine  Niere  nicht,  weil  die  andere 
schwerer  krank  ist:  ist  das  kranke  Organ  entfernt,  so  wird  ihre 
Funktion  besser.  Die  Harnstoffprobe  ist  die  natürlichste  Probe,  der 
beiderseitige  Explorationsschnitt  empfehlenswert.  Kümmcll- 
Hamburg  ist  der  Blutkryoskopie  treu  geblieben,  besonders  bei  Un¬ 
möglichkeit  des  Ureterenkatheterismus.  G  ö  t  z  e  1  -  Prag  macht  auf 
die  Unregelmässigkeit  der  Farbstoffausscheidung  aufmerksam. 
Ho  g  ge  -  Lüttich  verlangt  zur  sorgsamen  wiederholten  Vornahme  der 
Nierenfunktionsprüfung  einen  längeren  Aufenthalt  in  der  Klinik.  M  i  - 
chon-Paris  rät  bei  bilateraler  Nierentuberkulose  gleicher  Intensität 
nicht  zu  operieren,  bei  einer  deutlich  kränkeren  Seite  diese  zu  operieren. 
H  e  i  t  z  :  B  o  y  e  r  -  Paris  erkennt  die  Notwendigkeit  der  Operation  bei 
Bazillurie  der  anderen  Seite  an;  bei  Steinen  jedoch  nie  Exstirpation 
sondern  nur  Nephrotomie.  I  s  r  a  e  I  -  Berlin  erhebt  Einspruch  gegen 
die  Auffassung,  dass  die  Beseitigung  der  schwerer  erkrankten  Niere 
eine  Besserung  des  leichter  erkrankten  Organs  bei  Tuberkulose 
herbeiführe;  dies  widerspreche  allen  Erfahrungen  und  wie  solle  die 
tuberkulöse  Zystitis  bei  kranker  Niere  heilen?  B  a  c  h  r  a  c  h  -  Wien; 
Die  Nephrektomie  bei  beiderseitiger  Nierentuberkulose  ist  nur  dann 
vorzunehmen,  wenn  der  Zustand  des  Pat.  es  dringend  (Fieber  oder 
Blutungen)  erfordert.  Beiderseitige  Zystennieren  können  wegen  Blu¬ 
tungen  oder  Steinen  Operation  erfordern,  aber  nur  bei  Notfällen. 

Das  dritte  Thema :  Bakteriurie,  behandeln  Suter- Basel 
und  B  i  e  d  I  -  Prag: 

Unter  Bakteriurie  versteht  S  u  t  e  r  -  Basel  eine  Infektion 
des  Harns  mit  Bakterien  ohne  Zeichen  entzündlicher  Reaktion  der 
Harnwege.  Er  unterscheidet  autochthone  und  Ausscheidungsbakteri- 
urien.  Die  ersteren  entstehen  primär  oder  sekundär  im  Anschluss 
an  einen  entzündlichen  Prozess  der  Harnwege.  Aus  der  Bakteriurie 
kann  sich  wieder  ein  entzündlicher  Prozess  entwickeln.  Die  gleichen 
Bakterien  machen  in  einem  Teil  der  Harnwege  Bakteriurie,  in  einem 
anderen  Entzündung.  Die  Bakterien  gelangen  in  die  Harnwege  von 
aussen  nach  innen,  z.  B.  durch  Instrumente  oder  von  innen  nach 
aussen,  z.  B.  durch  den  Blut-  oder  Lymohstrom.  Die  Bakteriurie  ist 
eine  vesikale,  oder  eine  vesikale  und  renale,  oder  stammt  aus 
einem  Herd  in  den  männlichen  Genitalien.  Kolibakterien,  andere 
Stabbakterien  und  Staphylokokken  sind  die.  bekanntesten  Erreger. 
Prognosis  quoad  vitam  bona,  quoad  sanationem  dubia.  Die  das  Haupt¬ 
interesse  in  Anspruch  nehmende  Tuberkelbazillurie  bedeutet  noch 
nicht  eine  Nierentuberkulose,  braucht  auch  nicht  zu  derselben  zu 
führen. 

B  i  e  d  1  -  Prag:  Die  Bakteriurie  entsteht  in  der  Mehrzahl  der 
Fälle  durch  eine  Einwanderung  von  Keimen  aus  der  Urethra  in  die 
Blase,  bei  Frauen  leichter  als  bei  Männern,  bei  letzteren  haupt¬ 
sächlich  experimentell  und  sekundär  aus  Bakterienherden  in  den  An¬ 
hangsorganen  der  männlichen  Harnröhre.  Eine  andere,  viel  seltener 
vorkommende  Genese  der  Bakteriurie  ist  die  intestinale,  die  Ein¬ 
wanderung  von  Keimen  aus  der  normalen  oder  pathologischen  Harn¬ 
flora  auf  dem  kurzen  Wege,  vielleicht  auch  durch  kommunizierende 
Lymphbahnen  in  die  Blase.  Störungen  der  Darmtätigkeit  sowie 
Harnstauung  begünstigen  diesen  Entstehungsmodus.  Am  seltensten 
wird  die  Bakteriurie  durch  Keime  bedingt,  welche  aus  zirkumskripten 
Bakterienherden  in  entfernten  Organen  in  die  Blutbahn  einbrechen 
oder  von  vornherein  im  Blute  zirkulieren  und  dann  durch  die  Niere 
zur  Ausscheidung  gebracht  werden,  wenn  es  auch  als  feststehend 
angesehen  werden  kann,  dass  im  Blute  kreisende  Mikroorganismen 
ohne  nachweisbare  Gewebsläsionen  der  Niere  durch  den  Harn  elimi¬ 
niert  werden  können.  Diese  renale  Form  der  Bakteriurie  ist  nur  in¬ 
sofern  von  praktischer  Bedeutung,  als  sie  eine  sekundäre  Infektion 
der  Harnwege  ermöglicht.  T  u  f  f  i  e  r  -  Paris  erzielte  bei  Bakteri- 
urien  hämatogenen  Ursprungs  mit  Autovakzinen  gute  Erfolge,  bei 
Bakteriurien  exogenen  Ursprungs  Hessen  dieselben  zu  wünschen 
übrig. 

T  u  f  f  i  e  r  -  Paris  unterscheidet  Bakteriurie  mit  und  ohne  Ver¬ 
änderung  des  Harnapparates.  In  den  Fällen  des  Ursprungs  der 
Krankheit  durch  Infektion  des  Blutes  konnte  er  mit  Vakzinebehand¬ 
lung  Heilungen  erzielen,  während  bei  Bakteriurien  exogenen  Ur¬ 
sprunges  die  Behandlung  mit  abgetöteten  Bakterienkulturen  ergebnis¬ 
los  blieb.  Ko  h  n  -  Königsberg  hält  die  Bakteriurie  für  kein  gut 
charakterisiertes  Krankheitsbild,  sondern  für  einen  Folgezustand  an¬ 
derer  Krankheiten;  die  Vakzinebehandlung  zeigte  keine  günstigen 
Resultate.  Zur  Frage  der  tuberkulösen  Bazillurie  nahmen 
Kielleuth  n  er-  München  und  C  a  s  p  e  r  -  Berlin  das  Wort.  Das 
Erscheinen  von  Tuberkelbazillen  im  Harn  muss  keineswegs  beweisend 


1530 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  27. 


sein  für  die  spezifische  Erkrankung  der  Niere  Ro^i ng- Kopen- 
unterscheidet  eine  medizinische  und  eine  chirurgiscne  Nieren 
Sdw  die  Sic  harmlose  ,,„d  andererseits  die  schwere  deletäre 
Ai  sihciduna  dcr  Tuberkelbazillcn  aus  der  Niere  erklären  sollen, 
n  l  Sh^hurie  ist  wegen  der  Beweglichkeit  des  Bakteriums  schwer 
[milbar  Jane, I  Paris halt  die  liakteriurie  für  eine  Infektion  nu, 
abgeschwächten  Bazillen. 

Ucber  das  letzte  Thema,  den  P  r  o  s  t  a  t  a  k  r  e  b  s,  referiert 

Wil  ms-  Heidelberg:  .  . _ _ 

20  Proz  aller  Vergrösserungen  der  Prostata  sind  Karzinome, 
deshalb  ist  zeitige  Operation  angezeigt.  Die  Diagnose  wird  gestellt 
durch  den  Schmerz,  den  Tcnesmus.  den  lokalen  Druckschmerz  der 
Drüse  und  der  Samenblasen,  der  Härte,  früher  Erkrankung,  höckerigen 
Beschaffenheit  und  häufig  zapfenartigen  Formung  der  Vcsiculae  semi- 
nales. 3  Die  radikal e  Operation  soll  perineal  nach  Y  o  u  n  g  ausgefuhrt 
werden  ev.  die  Steissbeinmethode.  Die  Aushüjsung  der  Druse  allein 
ist  ebenso  w-ie  die  Dauerdrainage  vom  Unterleib  aus  nur  eine  Hilfs-, 
keine  Heiloperation.  Radium  und  Röntgenstrahlen  sollen  nach  Ent¬ 
fernung  der  Geschwulst  zur  Nachbehandlung  verwandt  werden,  aber 
nicht  in  ungenügenden  Dosen,  die  zum  Wachstum  reizen  und  nicht  m 
zu  starken  Dosen,  die  verbrennen.  Allgemeinbehandlung  des  Organis¬ 
mus  ChenSherapie,  spezielle  Behandlung  mit  Zellextrakten  des 
Krebses  zur  Hervbrrufung  von  Antikörperbildung  lassen  einen  wei¬ 
teren  Fortschritt  der  Therapie  erhoffen. 

J  Verhoogen  - Brüssel  macht  auf  den  verschiedenartigen 
Verlauf  des  Prostatakrebses  aufmerksam;  manchmal  rasches  Wachs- 
tmn  mit  schnellem  Tod,  manchmal  jahrelanges  Bestehen  des  zweifel- 
osen  Krebses  mit  wenig  charakteristischen  Symptomen  und  deshalb 
zu  später  Diagnose  für  die  Operation;  dies  erklärt  das  immer  neue 
Suchen  nach  neuen  Operationsmethoden  und  die  unbefriedigende  Sta 
tistik  Möglichste  Frühdiagnose  und  Entfernung  der  Prostata  mit  d 
Kapsel  perineal  oder  parasakral:  ist  letztere  nach  hinten  durch¬ 
brochen  ist  die  Prognose  trüber.  Nur  Männer  in  gutem  Ernährungs¬ 
zustand  und  mit  guter  Nierenfunktion  sollen  operiert  werden.  Radium 
heilt'  zwar  nicht!  bessert  aber  manchmal  und  macht  inoperable  ru¬ 
moren  vielleicht  operabel.  Versagt  der  Katheter  zur  Blasenentleerung 
und  Schmerzlinderung,  so  muss  man  mit  Zystostomie  oder  Damrn- 
drain-ige  den  Abfluss  des  Harnes  sichern  Pasteau  -  Paris  betont, 
dass  die  Behandlung  von  der  frühzeitigen  Diagnose  abhangt,  aber 
über  die  Zeichen  des  frühen  Karzinoms  ist  man  noch  im  Streit,  wie 
i :  ,  Fr-,tre  der  Therapie  in  der  Evolution  begriffen  ist.  Noch  voi 
?? fahren  war  der  PrSStaicrebs  ein  Noli  me  tangere,  heute  wird 
die  frühzeitige  Operation  und  das  Radium  empfohlen  F .  berichtet 
über  einen  sek  4  Jahren  geheilten  Fall:  Radium  vermindert  die  Zahl 
del  Operationen.  Proust-Paris  verlangt  eine  Aenderung  der 
üblichen  perinealen  Technik  dahin,  dass  man  durch  Freilegung  der 
Samenblasen  und  Vasa  deferentia  die  hintere  Fläche  der  Prostata  frei- 
i‘  t  diese  Organe  in  die  Wunde  herunterklappt  und  so  Gelegenheit 
hat’  die  Ureteren  zu  sehen  und  zwischen  ihnen  im  Irigonum  die. 
Blase  zu  eröffnen  und  die  Operation  nach  Alb  ar  ran  zu  vollenden 
das  Verfahren  der  Freilegung  der  Ureteren  ist  schwierig,  aber  gib 
grössere  Sicherheit  für  den  Harnleiterschutz.  S  t  r  om  in  g  er -Bu¬ 
karest  empfiehlt  die  Sectio  alta,  weil  man  perineal  Knoten  zuruck¬ 
lassen  kann  und  ist  Freund  der  Rückenmarksanästhesie. 

W  i  1  d  b  o  1  z  -  Bern  schont  immer  den  Sphincter  internus  der 
Blase  und  öffnet  die  D  e  n  o  u  v  i  1 1  e  r  sehe  Kapsel ;  e  nach  dem  Be¬ 
fund  schält  er  bei  gutartigen  Geschwülsten  unter  dieser  Kaps 
Drüse  aus  bei  bösartigen  Tumoren,  die  an  der  Faszie  adharieren, 
nimmt  er  alles  fort  mit  den  Samenblasen  und  vereinigt  Blase  mit 
Stütze  der  Pars  prostatica  urethrae.  Das  Verfahren  ist  nicht  ganz 
radikal  schont  aber  den  Sphinkter,  hält  die  Patienten  kontinent  und 
Int  keine  schlechteren  Resultate  als  die  Radikaloperationen.  E.  D  es- 
ii  o  s  -  Paris  ist  trotz  leidlicher  Resultate  mit  Radium  bei  frühen  Fallen 

Freund  der  Operation.  .  „  ,  ,, 

L  c  tt  u  c  u  -  Paris  hat  erst  bessere  Resultate  seit  der  ßehantllum: 
mit  Radium,  und  zwar  mit  „rossen  Dosen  zu  Wiede rhoUen  Ma lern 
ondourethral  nach  der  Operation.  Marion-  Paris  hat  mit  Radium 
Mich  der  Zvstotomie  gute  Resultate  gesehen.  Er  unterscheidet 
Krebse  die  sich  in  einer  normalen  Prostata  entwickelt  haben  und 
solche  die  in  einer  hypertrophischen  Drüse  zur  Entwickln«;  sc- 
1 -inerten  In  den  primären  Fällen  operiert  er  perineal,  vernäht  aber 
nicht  Blase  mit  Harnröhre,  sondern  macht  zur  Ableitung  des  Harns 
!!•  Lmm  tlm  Freudenberg  - Berlin  hält  ebenso  wielsrael- 
BerHn  die  20'pfoz.  Krebs  aller  Hypertrophiefälle  für  übertrieben. 

Mit  dem  Kongress  war  eine  ausserordentlich  interessante  Aus¬ 
stellung  verbunden!  die  sich  auf  die  Geschichte  der  Urologie  mit 
Bildern,  Büchern,  alten  Instrumenten  und  Dokumenten  bezieht 

Dip  Generalversammlung  ernannte  den  wegen  hohen  Alters 
zurücktretenden  f^olcssor  Q  tfy  n  n  -  Paris  zum  Ehrenpräsidenten  und 

Ä  ffi’Ä'ISSS  des  Ä“  |  ä: 


XXI.  Tagung  des  Vereins  Deutscher  Laryngologen 

in  Kiel,  29.  und  30.  Mai  1914. 

Vorsitzender:  Herr  S  p  i  e  s  s  -  Frankfurt  a.  M. 
Schriftführer:  Herr  K  a  h  1  e  r  -  Freiburg  i.  Br. 

Bericht, 

erstattet  vom  Schriftführer  Prof.  Dr.  Otto  K  a  h  1  c  r  -  Freiburg  i.  Br. 


In  der  Geschäftssitzung  wurde  beschlossen,  im  nächsten 
Jahre  wegen  des  in  Hamburg  tagenden  internationalen  Lar>  g  - 
Rhinologenkongresses  keine  Versammlung  abzuhalten.  Für  > 

wurde  Köln  als  Tagungsort  bestimmt  Hoffmann- 

Zum  Vorsitzenden  für  1915  und  1916  wurde  Herr  »off  mann 
Dresden,  zu  dessen  Stellvertreter  Herr  Bo  enn  i  n  gh  au  s- Breslau, 
als  neues  Vorstandsmitglied  Herr  Chi  an-  Wien  gewählt. 

Ein  Antrag  T  h  o  s  t  s  -  Hamburg,  in  Hinkunft  auf  mternationalen 
Kongressen  und  auf  den  Naturforscherversammlungen  die  laryngo- 
So'SSte  Sektion  mi,  der  o,olo„ische„  zu  verelni„en.  wurde  m, 
grosser  Mehrheit  angenommen.  Herr  Chiari-Wien  mciae 
ton  15  Mitgliedern  unterschriebenes  Separatvoturn  an,  dab'^zidend. 
dass  die  beiden  Sektionen  voneinander  getrennt  bleiben,  dass  man 
aber  nach  Möglichkeit  dahin  wirken  solle,  dass  die  Mitglieder  beider 
Sektionen  allen  Vorträgen  folgen  können. 

Sektionen  allen  v onr  ^  er  b*  r  _KöniRsbers,  wurde  eine  Resolution 

angenommen,  dahin  lautend,  dass  die  rechtzeitige  Erkennung  und  Be¬ 
kämpfung  des  beginnenden  Gesichtslupus  in  erster  Reihe  Aufgabe  tcr 
Rhino  Larvngologie  sei,  da  diese  Krankheit  immer  ihren  Beginn  n 
der  inneren^  Nase  hat  Die  der  Aufklärung  des  Publikums  dienenden 
Merkblätter  der  Lupuskommission  sollen  dahin  geändert  werden,  dass 
der  Lupus  nicht  nur  als  eine  Hautkrankheit,  sondern  auch  als  eine 
innere  Nasen-  und  Halskrankheit  bezeichnet  wird. 

Wissenschaftliche  V  erhandlungcn. 

1  Herr  K  a  t  z  e  n  s  t  e  i  n  -  Berlin:  Demonstration  von  Instru- 

menla)U  Apparat  ^  starke  Erwärmung  des  Halses.  Er  besteht  aus 

einer  Halskrause,  in  deren  Asbestlage  Heizwiderstande  ähnlich  wie 
bei  den  elektrischen  Kochapparaten  eingebaut  sind  Es  lassen  sich 
Temperaturen  bis  120°,  die  an  einem  eingelegten  Thermometer  ab 

kshJb) Apparat'  zur  Durchleuchtung  des  Kehlkopfs  und  der  Luftröhre. 

Dpr  Anmrat  ist  ähnlich  dem  H  a  e  n  1  e  i  n  sehen  Instrument  für  L 
wlrimmg^  dis  Halses  gebaut,  aber  mit  dem  Unterschied  dass  sehr 
stark  leuchtende  Nitrallampen  zur  Verwendung  kommen.  Bei  Un  cr- 
suchung  des  Patienten  mit  Kehlkopfspiegel  und  Reflektor  erbhekt  man 
das  Innere  des  Kehlkopfs  und  der  Luftröhre  hei  erleuchtet.  Indivi¬ 
duen  jugendlichen  Alters  lassen  sich  ohne  Reflektor,  allein  mit  dem 
Kehlkopfspiegel  untersuchen.  Die  feinsten  Niveaudifferenzen  lassen 
sich  erkennen,  ganz  geringe  Infiltrationen  der  Stimmlippen  sind  als 

llUnkc)  Kwnpressorium'des  Kehlkopfs  in  seiner  fetzigen  .Gestalt.  An 

Stelle  der  Bandpelotten  sind  zwei  an  den  seitlichen  Gestängen  befm 
liehe  mit  Schrauben  bewegliche  Blechplatten  getreten,  die  auf  die 
Gegend  des  Schildknorpels  seitlich  nach  Bedarf  fest  aufgeschraubt 
werden.  Von  Wichtigkeit  ist,  dass  eine  Platte  locker  hegen  kann, 
während  die  andere  sehr  fest  angeschraubt  ist. 

2.  Herr  G  e  r  b  e  r  -  Königsberg  :  Demonstration  von  Instrumenten 

dUS  1erSpatneffürrMeso-Uunkd  Hypopharyngoskopie,  2‘ 
anastiematischer  Vorhofspiegel,  3.  Pharynxlupe,  4.  Wattctragcr, 

5.  Stimmbandfeilen,  6.  Nasensi chienen  7  Tonsillen ®xpr^ 
sillektomie,  8.  Elevatorium  für  Tonsillektomie,  9.  Apparat  zur  Nact 

behandltin^g  [» "“tllolo8lsch.hlstoi„glsche  Prä- 

parate  von  Tumoren  der  oberen  Luftwege. 

Diskussion:  Rcthi,  Winckler. 

3  Herr  Chiari-Wien:  Zur  Technik  der  Oesophagoskop.e. 

Statt  der  runden  Spatelrohre  werden  solche  von  beiläufig  ellip- 
tischem  Durohschhit,  empfohlen.  Diese  Fern, .des  Rohr« igHOte 
Einführung  in  den  Anfang  der  Speiseröhre  le'cnhter;^rerJne£kP  s™in 
nicht  so  weit  nach  vorne  verschoben  werden  Der  Einblick  ist  ein 
besserer  als  bei  den  runden  Rohren,  man  kann  leichter  die  Be 
wegungen  eines  Operationsinstrumentes  verfolgen. 

Diskussion:  v.  Eicken,  Siebenmann. 

4  Herr  v  E  i  c  k  e  n  -  Giessen :  Zur  Technik  der  Septumoperat.on. 
Vortragender  empfiehlt,  das  Blut,  welches  zwischen  den  Septum¬ 
schleimhautblättern  sich  ansammelt,  nicht  wegzutupfen,  sondern  mit 
einem  Röhrchen,  das  mit  einer  doppelten  Wasserstrahlluftpumpe  in 
Verbindung  steht,  wegzusaugen.  Das  Röhrchen  ist  neuerdings  so 
modifiziert  worden,  dass  es  zugleich  als  Raspatorium  dient.  S  ekun- 
däre  Abszessbildungen  zwischen  den  Schleimhautblättern  infolge  von 
sich  zersetzenden  Hämatomen  kommen  bei  dieser  Methode  so  gut 
wie  tE  mehr  vor.  Das  Saugröhrchen  hat  sich  ubniens  auch  vor- 
züglich  bei  Nebenhöhlenoperationen  bewahrt. 

Diskussion:  Winkler,  Stur  mann  und  Spiess. 

5  Herr  Br  ueggema  nn- Giessen:  Verbesserte  Bolzenkanule. 
lier  Bolzen  ist  durch  ein  Scharniergelenk  gegen  den  Bolzenteil 
beweglich3  gemacht,  wodurch  die  Einführung  wesentlich  erleichtert 


7.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


wird.  Demonstration  einer  Schutzplatte,  die  bei  der  Extraktion  des 
Holzenteils  durch  die  Tracheotomiewunde  die  Wcichtcile  auseinander¬ 
drängt  und  schützt.  Besondere  Bolzenkanüle  für  Kinder  von  1  bis 
2  Jahren  und  für  Ewachsene,  bei  denen  der  Bolzen  ausgehöhlt  und  für 
Luft  durchgängig  ist. 

Diskussion:  Herr  A  n  s  c  h  ü  t  z  -  Kiel  und  Herr  Thost- 
Hamburg  haben  mit  der  Brueggemann  sehen  Kanüle  gute  Erfolge 
erzielt.  Herr  W  i  e  b  e  -  Dresden  empfiehlt  seine  Schienenkanüle, 
durch  die  jede  Granulationsbildung  vermieden  wird. 

6.  Herr  S  i  e  b  e  n  in  a  u  n  -  Basel  demonstriert  einige  Instrumente 
resp.  Modifikationen  solcher  zur  galvanokaustischen  Behandlung  der 
Larynxtuberkulose  im  endoskopischen  Rohre  und  bei  Schwebe¬ 
laryngoskopie.  Bei  dieser  Gelegenheit  macht  der  Vortragende  auf 
Grund  von  diesbezüglichen  Erfahrungen  aufmerksam  auf  die  grossen 
Vorteile,  die  die  Schwcbelaryngoskopie  bietet  für  die  Erweiterung 
des  Oesophagusmundes  bei  der  Inzision  tiefliegender  Retropharyn¬ 
gealabszesse  und  die  Extraktion  von  Fremdkörpern  des  Hypopharynx 
und  Oesophagusmundes. 

7.  Herr  W.  A  1  b  r  e  c  h  t  -  Berlin:  Demonstration.  Die  Gegen¬ 
druckautoskopie  mit  Seitenstützen. 

Die  Gegendruckautoskopie  wurde  dadurch  verbessert,  dass  zu 
beiden  Seiten  des  Kehlkopfs  Stützplattcn  angebracht  wurden,  auf 
denen  der  Gegendrücker  ruht.  Die  Methode  wirkt  so  gleichzeitig  als 
Gegendruck  und  Schwebelaryngoskopie.  Der  Vorteil  vor  der  ein¬ 
fachen  Gegendruckautoskopie  ist  darin  zu  sehen,  dass  das  eingeführte 
Instrument  fest  fixiert  wird  und  sich  auch  bei  Kindern  verwenden 
lässt.  Das  Instrument  ist  ähnlich  dem  bei  der  Schwebelaryngoskopie 
gebräuchlichen  gestaltet. 

Diskussion:  Herr  C  h  i  a  r  i,  Herr  Burger. 

8.  Herr  Friedei  Pick -Prag:  Demonstration  zur  Kenntnis  der 
T  r  acheatstenose. 

P.  demonstriert  Röntgenaufnahmen  des  Kehlkopfs  eines  15  jähri¬ 
gen  Knaben,  der  zunächst  als  Diphtherie  tracheotomiert  wurde  und 
nach  monatelangem  Spitalsaufenthalt  ohne  Kanüle  entlassen,  wegen 
Stenoseerscheinungen  neuerdings  tracheotomiert  werden  musste.  P. 
begann  Dilatationsbehandlung,  worauf  dann  eines  Tages  ein  Stück 
eines  Röhrenknochens  ausgehustet  wurde,  der,  ganz  von  Bindegewebe 
umgeben,  4  cm  unter  der  Glottis  gelegen  war  und  auch  auf  der  Rönt¬ 
genplatte  zu  erkennen  ist.  Der  Junge  wusste  nichts  von  dem  Vor¬ 
handensein  des  Fremdkörpers  und  erinnert  sich  erst  nach  dem  Aus¬ 
husten,  vor  einem  halben  Jahr  einen  Knochen  geschluckt  zu  haben. 

Diskussion:  Herr  Chiari-Wien  hat  einen  ähnlichen  Fall 
beobachtet.  Herr  v.  Eicken  macht  darauf  aufmerksam,  dass  bei 
Verdacht  auf  Fremdkörper  des  Bronchus  der  negative  Ausfall  des 
Röntgenbildes  nicht  gegen  Fremdkörper  spricht. 

9.  Herr  T  h  o  st  -  Hamburg:  Die  Behandlung  inoperabler  Karzi¬ 
nome. 

Die  Karzinome  der  Stimmlippen  oder  der  Taschenbänder  geben 
für  die  Operation  bei  rechtzeitiger  Diagnose  Aussicht  auf  Erfolg. 
Prognostisch  schlecht  sind  die  Karzinome  des  Recessus  piriformis. 
Ist  der  Tumor  grösser,  so  ist  mit  dem  Spiegel  der  Ausgangspunkt 
nicht  mehr  festzustellen,  wohl  aber  durch  das  Röntgenbild,  das  die 
charäkteristischen  Veränderungen  am  Schildknorpel  zeigt.  Wegen 
der  frühzeitigen  Drüsenmetastasen  ist  die  Prognose  der  Operation 
bei  dieser  Art  von  Krebs  sehr  ungünstig.  Solche  inoperable  Fälle 
kann  man  nur  symptomatisch  behandeln.  Innere  Mittel  versagen. 
Das  Antimeristem  Schmidt  ist  wirkungslos,  auch  Kuprase  mit  Rönt¬ 
genbestrahlung  zeigt  keinen  Erfolg.  Die  Schluckschmerzen  ver¬ 
schwinden,  wenn  man  den  Tumor  partiell  entfernt  und  mit  dem 
Brenner  verschorft,  die  Tumormassen  mit  Pyoktanin  durchtränkt. 
Gute  Erfolge  hatte  Thost  mit  der  von  Spiess  empfohlenen  An¬ 
ästhesierung.  Sehr  wirksam  sind  Röntgenbestrahlungen,  wenn  gleich¬ 
zeitig  die  Anästhesierungstherapie  angewendet  wird. 

Demonstration  von  markanten  Röntgenbildern. 

10.  Herr  K  r  a  m  p  i  t  z  -  Breslau:  Indikation  für  die  Mesothorium¬ 
auwendung  in  den  oberen  Luftwegen  und  deren  bisherige  Ergebnisse. 

K.  erörtert  an  der  Hand  der  Literatur  und  eigener  Beobachtungen, 
welche  Krankheitsformen  der  oberen  Luftwege  sich  zur  Bestrahlungs¬ 
therapie  eignen.  Bezüglich  der  operablen  Karzinome  sei  Operation 
mit  nachfolgender  prophylaktischer  Bestrahlung  das  zweckmässigste. 
Allerdings  ist  gerade  bei  Geschwülsten  der  oberen  Luftwege  die 
Grenze  der  Operabilität  noch  recht  strittig  und  unsicher.  Ein  pri¬ 
märer  Bestrahlungsversuch  sei  ausser  bei  dem  Kankroid  der  Haut, 
der  Nase  und  des  Naseneingangs  am  ehesten  noch  bei  kleinen,  scharf 
begrenzten  Karzinomen  des  Larynx  zu  rechtfertigen,  event.  mit  Ex¬ 
zision  per  vias  naturales  zu  kombinieren.  Die  Bestrahlung  kann  An¬ 
wendung  finden  bei  operablen  Karzinomen,  wenn  diese  mit  schweren 
inneren  Komplikationen  vergesellschaftet  sind  oder  bei  ausgedehnter 
Metastasenbildung;  ferner  dort,  wo  die  Operation  verweigert  wird: 
ferner  bei  allen  inoperablen  Karzinomen.  Günstiger  reagieren  Rtmd- 
zellensarkome.  Ein  als  inoperabel  bezeichneter  Fall  von  Rundzellen¬ 
sarkom  des  Nasenrachenraumes  ist  seit  über  1  Jahr  klinisch  ge¬ 
heilt.  Auch  die  stark  blutenden  Angiofibrome  eignen  sich  zur  Be¬ 
strahlung.  Erfolgreich  erwies  sich  diese  Behandlung  auch  beim 
Sklerom.  Von  25  Fällen  von  Lupus  der  Nasenschleimhaut,  die  mit 
Mesothorium  behandelt  wurden,  sind  8  als  vorläufig  geheilt  aus  der 
Behandlung  entlassen  worden,  die  übrigen  sind  zum  Teil  gebessert, 
ein  Drittel  verhielt  sich  gegen  die  ausschliessliche  Bestrahlung 
refraktär. 


1531 


11.  Herr  M  a  r  s  c  h  1  k  -  Wien:  Erfahrungen  mit  der  Radiutnbe- 
handlnng  von  Erkrankungen  der  oberen  Luft-  und  Speisewege. 

An  der  Klinik  C  h  i  a  r  i  wurden  67  Fälle  mit  Radium  behandelt, 
darunter  eine  Tuberkulose  der  Zunge,  3  Angiofibrome  des  Nasen¬ 
rachenraumes,  2  Papillome  des  Kehlkopfes,  5  Sklcrome,  5  Sarkome 
und  51  Karzinome.  Keine  günstigen  Erfahrungen  wurden  bei  den 
Angiofibromen  und  Kehlkopfpapillomen  gemacht.  Aussichtsreich  ist 
die  Behandlung  des  Skleroms.  Bei  den  malignen  Tumoren  verspricht 
die  Behandlung  der  Sarkome  mehr  Erfolg.  Die  günstigsten  Chancen 
bieten  Fälle  mit  makroskopisch  radikaler  operativer  Entfernung  des 
Tumors  und  prophylaktischer  Bestrahlung  nach  der  Operation;  7  der¬ 
artige  Fälle  sind  bisher  geheilt  geblieben.  Bei  Bestrahlung  primärer 
Tumoren  erscheint  es  geboten,  die  Lymphdrüsen  der  befallenen  Seite 
oder  beiderseitig  radikal  auszuräumen.  Für  die  Bestrahlung  maligner 
rumoren,  besonders  der  Karzinome  ist  von  grösster  Wichtigkeit,  die 
spezifische  Natur  des  Tumors,  da  besonders  unter  den  Karzinomen 
grosse  Verschiedenheit  herrscht.  Verwendet  wurden  mittlere  Dosen 
mit  starker  Filterung.  Die  einzelnen  Bestrahlungen  sollen  bei 
stärkeren  Präparaten  nicht  über  24  Stunden  hinausgehen. 

12.  Herr  Denk  er- Halle  a.  S. :  Zur  Behandlung  der  malignen 
Tumoren  der  Luft-  und  Speise wege. 

Durch  die  Verwendung  der  Strahlcntherapie  kann  bei  bösartigen 
Tumoren  des  Oesophagus  wohl  eine  vorübergehende  bessere  Permea¬ 
bilität,  aber  keineswegs  Heilung  erzielt  werden. 

Sodann  werden  Mitteilungen  über  die  Verwendung  eines  von 
Abderhalden  vorgeschlagenen  Tumorenserums  bei  der  Behand¬ 
lung  von  Karzinomen  gemacht.  Abderhalden  gelang  es,  Ratten¬ 
sarkome  durch  Einspritzung  eines  fermenthaltigen  Serums  voll¬ 
kommen  zum  Schwinden  zu  bringen.  Dieses  fermcnthaltige  Serum 
wurde  dadurch  gewonnen,  dass  man  einem  Tiere  Presssaft  aus  einem 
Rattensarkome  parenteral  in  die  Blutbahn  bringt.  Dadurch  erhält 
das  Serum  Fermente,  welche  imstande  sind,  Tumorgewebe  abzu¬ 
bauen.  Auf  Grund  dieser  Beobachtungen  hat  D.  bei  inoperablen  Kar¬ 
zinomen  mit  einem  entsrechende  Abwehrfermente  enthaltenden 
Serum  Versuche  gemacht.  50—60  ccm  des  Serums  in  Dosen  von 
10 — 15  ccm  innerhalb  von  5 — 6  Tagen  injiziert,  werden  gut  vertragen. 
Man  sieht  nach  der  Injektion  deutliche  Reaktionserscheinungen  am 
Karzinomgewebe.  Eine,  an  einem  ausgedehnten  Kieferkarzinom 
leidende  Patientin,  bei  welcher  vor  den  Injektionen  eine  Palliativ¬ 
operation  vorgenommen  wurde,  hat  seit  dieser  Behandlung  an  Körper¬ 
gewicht  um  10  Pfund  zugenommen,  die  Schmerzen  sind  vollkommen 
verschwunden.  Es  dürfte  sich  empfehlen,  die  Radium-  resp.  Röntgen¬ 
bestrahlung  mit  der  Serumbehandlung  zu  kombinieren,  da  vielleicht 
das  Serum,  welches  genuine  Karzinomzellen  nicht  anzugreifen  ver¬ 
mag,  durch  die  Bestrahlung  bereits  veränderte  Zellen  in  ähnlicher 
Weise  wie  das  fermcnthaltige  Serum  das  ausgekochte  Karzinom¬ 
gewebe  angreift,  zu  zerstören  imstande  ist. 

Im  Anschlüsse  an  seinen  Vortrag  empfiehlt  D.  das  Pituitrin  als 
blutstillendes  Mittel.  Es  wurde  in  32  Fällen  von  spontanen  und  ope¬ 
rativen  Blutungen  angewendet  und  zwar  in  der  Dosis  von  1,0  g  bei 
erwachsenen  Männern,  in  der  Dosis  von  0,5  g  bei  Frauen  und  Kindern 
injiziert.  Schädliche  Wirkungen  wurden  nicht  beobachtet,  das  Pitui¬ 
trin  ist  als  sehr  wertvolles  styptisches  Mittel  anzusehen. 

13.  Herr  M  a  n  a  s  s  e  -  Strassburg:  Beitrag  zur  Lehre  von  den 
primären  malignen  Geschwülsten  des  Gaumens. 

M.  demonstriert  die  Präparate  von  4  malignen  Gaumenge¬ 
schwülsten.  1.  Solitäres  Kankroid  der  Uvula  bei  einem  50  jährigen 
Mann.  Durch  Amputation  der  Uvula  geheilt.  2.  Basalzellenkarzinom 
des  vorderen  Gaumenbogens,  durch  Operation  bis  jetzt  geheilt. 
3.  Endotheliom  des  harten  Gaumens  bei  einer  50  jährigen  Luetikerin, 
Salvarsan  ohne  Erfolg,  Operation,  die  in  Herausmeisselung  des  harten 
Gaumens  mit  dem  Tumor  bestand,  brachte  völlige  Heilung.  4.  Sarkom 
der  Mandel.  Nach  grosser  Probeexzision  mit  Salvarsan  behandelt 
und  völlig  geheilt  (Nichtluetiker  mit  negativem  Wassermann). 

14.  Herr  Anschütz  -  Kiel:  Demonstration  eines  mit  Radium  be¬ 
strahlten  Tonsillenkarzinoms. 

Ein  inoperables  Karzinom  der  Tonsille,  das  auf  Gaumen-  und 
Zungengrund  Übergriff,  wurde  durch  intratumorale  Bestrahlung  - 
100  mg  durch  23  Stunden  —  zum  Verschwinden  gebracht.  Histo¬ 
logisch  handelte  es  sich  um  Basalzellenkarzinom.  Vortr.  verwendet 
das  Radium  wenn  möglich  stets  intratumoral.  Bei  Recessus  piriformis- 
Karzinomen  wird  von  aussen  an  den  Tumor  herangegangen  und  durch 
die  Wunde  das  Radium  eingelegt.  Bei  Oesophaguskarzinomen  wurde 
durch  endoturnoralc  Einführung  des  Präoarates  schnell  eine  Besserung 
der  Schluckfähigkeit  erzielt.  A.  ist  der  Ansicht,  dass  offenbar  ein¬ 
zelne  Individuen  sehr  gut  auf  Radium  und  Mesothorium  reagieren, 
man  solle  aber  nicht  denken,  dass  jedes  Karzinom  mit  Radium  zum 
Schwinden  zu  bringen  ist. 

Diskussion  zu  den  Vorträgen  9 — 14:  Herr  Hinsberg- 
Bieslau  hat  bei  Radium-  und  Röntgenbestrahlung  keine  Dauer¬ 
heilungen  gesehen.  Man  sieht  kolossale  Rückbildungen,  es  kommt 
aber  wiederum  zu  Rezidiven,  andere  Fälle  wachsen  rapid  nach  der 
Bestrahlungstherapie. 

Herr  K  a  h  I  e  r  -  Freiburg:  Die  endotumorale  Behandlung  mit 
grossen  Dosen,  die  Bestrahlung  aus  geringer  Entfernung  auch  unter 
Anwendung  starker  Filterung  ist  gefährlich,  da  es  zu  sehr  beträcht¬ 
lichen  Nekrosen  kommen  kann.  Die  Freiburger  Schule  emfiehlt  jetzt 
Bestrahlung  mit  grossen  Dosen  unter  Wahrung  des  Fernabstandes. 
K.  beobachtete  sehr  rasche  Rückbildung  eines  Recessus  piriformis- 
Karzinoms  bei  dieser  Technik.  Bei  beginnenden  Kehlkopfkarzinomen 


1532 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  27. 


sollte,  wenn  genügende  Mengen  von  Radium  vorhanden  sind,  eine  Be¬ 
strahlung  versucht  werden,  man  kommt  mit  der  Operation  nicht 

lierr  W  i  n  c  k  1  c  r  -  Bremen  hat  mehrere  Fälle  von  Rezidiven 
nach  Pharynxresektion  und  Larynxresektion  beobachtet,  bei  denen 
durch  die  Strahlenbehandlung  absolut  kein  Erfolg  zu  erzielen  war. 

Herr  B  r  i  e  g  e  r  -  Breslau  cmfiehlt  die  Strahlenbehandlung  be¬ 
sonders  für  die  Nasenrachenraumtumoren.  . 

Herr  A  1  b  r  e  c  h  t  -  Berlin  sah  bei  Larynxkarzinomen  gar  keine 
Erfolge,  hingegen  sehr  günstige  Resultate  bei  der  Behandlung  von 
Lymphosarkomen  der  Tonsillen.  6  Fälle  wurden  geheilt. 

Herr  S  c  h  e  i  b  c  -  Erlangen  sah  in  Fällen  von  malignen  Nasen¬ 
tumoren  Besserungen,  jedoch  keine  Heilung. 

Herr  A  1  b  a  n  u  s  -  Hamburg  emfiehlt  Anämisierung  des  umgeben¬ 
den  Gewebes  und  Anwendung  grösserer  Dosen,  um  die  Reizdosis  zu 

\  ermeiden  ^  u  p  p  r  e  c  ^  t .  ßremen  macht  darauf  aufmerksam,  dass 
nicht  so  selten  auch  maligne  Tumoren  nach  palliativen  Operationen 
ausheilen.  Das  muss  man  bedenken,  wenn  man  die  Erfolge  des 
Radiums  und  Mesothoriums  beurteilt. 

Herr  v.  E  i  c  k  e  n  -  Giessen  hat  ein  Sarkom  der  Kieferhöhle  und 
ein  Karzinom  des  Nasenrachenraumes  mit  Erfolg  bestrahlen  lassen. 

Herr  S  p  i  e  s  s  -  Frankfurt  erinnert  daran,  dass  nach  seinen  Ver¬ 
suchen  mit  Anästhesierungsmethoden  Tumoren  beeinflusst  werden 
können.  Er  konnte  durch  Anästhesierung  eine  Reihe  von  Mause¬ 
tumoren  heilen  Die  empfindlichen  Infiltrate  bei  Zungenkarzinomen 
bilden  sich  durch  Injektion  eines  Anästhetikums  zurück,  die  Tumoren 
können  operabel  gemacht  werden.  ..  ... 

Schlusswort  die  Herren:  T  h  o  s  t,  Krampitz,  M  a  r  s  c  h  i  k, 

A  n  s  c  n  li  t  z«  • 

15.  Herr  W  a  1 1 1  c  z  e  k  -  Breslau:  Erfahrungen  mit  Fried¬ 
man  n  s  Tuberkulin  bei  Larynxtuberkulose. 

Von  den  21  mit  F  r  i  e  d  m  a  n  n  schein  Serum  geimpften  Fallen 
sind  5  gestorben,  7  verschlimmert,  5  unverändert,  3  gebessert  und 
von  2  ist  der  Zustand  unbekannt.  Heilung  ist  in  keinem  Fall  ein¬ 
getreten  Einfluss  des  Serums  auf  den  Kehlkopf  machte  sich  zunächst 
in  der  Weise  bemerkbar,  dass  allgemeine  Euphorie  eintrat.  Auch 
die  mitunter  recht  schmerzhaften  Schlingbeschwerden  verschwanden 
spontan,  aber  nicht  immer  dauernd.  Objektiv  trat  häufig  Abschwel¬ 
lung  des  Oedems,  Reinigung  der  Geschwüre  innerhalb  der  ersten 

3 _ 5  Wochen  auf.  Narbenbildung  und  Dauerheilung  ist  bisher  in 

keinem  Fall  erreicht  worden.  Das  Fr  i  e  dm  annsche  Serum  ist 
demnach  zur  Behandlung  der  Kehlkopftuberkulose  nicht  zu  empfehlen. 

16.  Herr  G  e  r  b  e  r  -  Königsberg:  Die  rechtzeitige  Lupusbe¬ 
kämpfung  ist  Aufgabe  der  Rhinologen. 

Die  häufigste  und  schwerste  Form  des  Lupus,  der  zentrale  Ge¬ 
sichtslupus,  entsteht  meist  auf  der  Nasenschleimhaut,  in  den  vor¬ 
geschrittenen  Fällen  für  den  geübten  Rhinoskopiker  leicht  zu  er¬ 
kennen,  in  den  Anfangsstadien  schwierig  zu  diagnostizieren.  Die 
Diagnose  kann  durch  die  histologische  Untersuchung  gesichert 
werden  Man  findet  fast  immer  Rund-  und  Epitheloidzellentuberkel  mit 
meist  reichlichen  Riesenzellen.  Diese  behalten  unbeschadet  ihres 
Vorkommens  bei  anderen  Prozessen  ihre  volle  Bedeutung  für  die 
Lupusdiagnose.  Besonders  hinzuweisen  ist  auf  die  Lupome,  die 
einem  allgemeinen  Lupus  vorausgehen,  sie  sind  teils  echt  tuber¬ 
kulöser,  teils  fibröser  oder  papillomatöser  Natur.  Auch  aas  rrla^r(J“ 
skopisch  gesunde  adenoide  Gewebe  der  Mandeln  und  bollikel  zeigt  ott 
charakteristisch  lupöse  Veränderungen.  Die  rechtzeitige  Erkennung 
und  Bekämpfung  des  beginnenden  Gesichtslupus  ist  in  erster  Reihe 
Aufgabe  der  Rhino-Laryngologie. 

17.  Herr  A  1  b  a  n  u  s  -  Hamburg:  Grenzfälle  des  Lupus  der  Nasen¬ 
schleimhaut.  .  .  .  „ 

Vortr.  erörtert  die  Schwierigkeiten  einer  Abgrenzung  zwischen 
dem  Lupus  der  Nasenschleimhaut  und  gewissen  Formen  der  Tuber¬ 
kulose  der  Nasenschleimhaut.  Weiterhin  werden  Grenzfalle  be¬ 
trachtet,  die  sich  bei  einem  gleichzeitigen  Vorhandensein  einer 
Lues  III  ergeben  können  und  die  auf  dem  Gebiete  des  skrofulösen 
Ekzems  der  Tuberkulide  und  des  Lupus  erythematodes  in  Erscheinung 

treten  können.  .  , 

18.  Herr  A.  Rethi-Pest:  Zur  Dysphagietherapie. 

Eine  sichere  Daueranästhesie  ist  nur  durch  die  Durchtrennung 
des  Nervus  laryngeus  superior  zu  erreichen.  Das  neue  Verfahren  des 
Verfassers  besteht  darin,  dass  die  Kontinuität  des  Nerven  aufgehoben 
wird  ohne  eine  Operation  machen  zu  müssen.  Mittels  eines  Distrak¬ 
tors 'wird  der  Recessus  piriformis  entfaltet,  dadurch  wird  der  Nerv 
in  der  Plica  nervi  laryngei  fest  angespannt  und  hebt  sich  plastisch 
empor.  Mittels  einer  Quetschzange  kann  nun  der  Nerv  gequetscht 
und  dadurch  eine  totale  Anästhesie  erreicht  werden.  Die  Leitungs¬ 
fähigkeit  des  Nerven  tritt  erst  nach  längerer  Zeit  wieder  ein. 

19.  Herr  S  p  I  e  s  s  -  Frankfurt  a.  M.:  Die  Chemotherapie  bei  Er¬ 
krankungen  der  oberen  Luftwege.  ... 

Nach  kurzen  einleitenden  Worten  über  die  Ziele  der  heutigen 
Chemotherapie,  wie  sie  von  Ehrlich  inauguriert  wurde,  kommt 
Vortr  auf  seine  neuen  Versuche  zur  Behandlung  der  Tuberkulose  mit 
Goldkantharidin  zu  sprechen.  Die  günstigen  Erfahrungen  bei  Kehl¬ 
kopftuberkulose,  die  er  in  der  ersten  Publikation  mitteilen  konnte,  hat 
er  auch  weiter  zu  verzeichnen.  Bei  einzelnen  refraktären  Fällen  ist 
auf  Vorschlag  von  Professor  .!  e  s  i  o  n  e  k  -  Giessen  die  Goldbehand¬ 
lung  mit  intensiver  Hautbestrahlung,  Quarzlampe,  Höhensonne  zwecks 
Pigmentierung  kombiniert  worden,  dies  scheint  sich  zu  bewähren. 


Demonstration  einiger  Farbenphotographien,  die  deutlich  die  Heil¬ 
wirkung  des  Präparates  auf  das  tuberkulös  infizierte  Kaninchenauge 
im  Vergleich  mit  dem  nie  behandelten  Kontrolltiere  erkennen  lassen. 

20.  Herr  Friedei  Pick-  Prag:  Ueber  die  Prognose  des  Skleroms. 

Das  früher  für  Deutschland  als  exotische  Kuriosität  angesehene 
Sklerom  ist  in  den  letzten  Jahren  in  Ostpreussen  als  enoemisch  nach¬ 
gewiesen  worden  und  der  von  P.  auch  für  das  Sklerom  in  Böhmen 
betonte  Zug  nach  dem  Westen  ist  auch  für  Preussen  durch  den  Nach¬ 
weis  eines  solchen  Falles  in  der  Nähe  von  Kiel  erwiesen.  Die  ärzt¬ 
lichen  Kreise  und  die  Behörden  wollen  von  prophylaktischen  Mass¬ 
nahmen  nichts  wissen,  wohl  weil  das  Sklerom  eine  langwierige,  aber 
das  Leben  nicht  wesentlich  bedrohende  Krankheit  ist.  Diese  Be¬ 
wertung  des  Skleroms  als  Krankheit  mit  quoad  vitam  günstiger  Pro¬ 
gnose  stammt  noch  von  Zeit  Hebras,  da  das  Sklerom  eine  Domäne 
der  Dermatologen  darstellte.  Auch  für  die  an  der  Schleimhaut  be¬ 
ginnenden  Sklcrome  ist  die  Prognose  meist  günstig.  P.  erwähnt 
mehiere  seit  mehr  als  20  Jahren  ärztlich  sichergestellte  derartige  Fal  e 
und  einen  schon  von  Türck  1866  veröffentlichten  Fall,  der  noch  als 
alter  Mann  lebt.  Doch  gibt  es  auch  nicht  so  selten  plötzliche  Iodes- 
fällc  bei  Skleromkranken,  die  wahrscheinlich  durch  das  Loslosen  von 
Borken  und  Verschluss  der  durch  die  Sklerominfütrate  verengten 
Larynx-  bzw.  Trachealpartie  durch  dieselben  ihre  Erklärung  finden. 
Demonstration  eines  derartigen  Präparates. 

21.  Herr  W.  A  1  b  r  e  c  h  t  -  Berlin:  Mischinfektion  von  Tuber¬ 
kulose  und  Lues  im  Kehlkopf.  .  . 

A.  demonstriert  in  Vertretung  von  Geheimrat  K  i  1 1 1  a  n  ein 
histologisches  Präparat  eines  Falles,  der  klinisch  das  Bild  der  Kehl¬ 
kopftuberkulose  bot.  In  den  Schnitten  lassen  sich  Tuberkelbazillen 
und  Spirochaeta  pailida  nachweisen. 

Diskussion  zu  den  Vorträgen  15— 21 : 

Herr  F  i  n  d  e  r  -  Berlin  hat  5  Fälle  mit  Piorkowski-Tuberkulin 
und  3  mit  dem  Friedmann  sehen  Mittel  behandelt,  und  hatte  nur 
ungünstige  Erfahrungen.  Er  empfiehlt  warm  das  von  Mandel  in 
Pest  angegebene  Ulsanin,  bei  flachen  Ulzerationen  hatte  er  mit 
diesem  Präparat  schöne  Erfolge.  Mit  den  Alkoholinjektionen  in  den 
Nervus  laryngeus  superior  gegen  Dysphagie  ist  F.  sehr  zufrieden. 

Herr  W  i  n  c  k  1  e  r  -  Bremen  berichtet  über  einen  Fall,  der  mit 
dem  Serum  von  Deycke  und  Much  behandelt  wurde.  Kein  gun- 

cpq  fr 

Herr  A  1  b  a  n  u  s  -  Hamburg  empfiehlt  die  Behandlung  der  tuber¬ 
kulösen  Geschwüre  mit  dem  Kaltkauter.  Auch  er  sah  nach  An¬ 
wendung  des  Friedmann  sehen  Mittels  rapide  Verschlechterung. 

Herr  P  o  1 1  a  t  s  c  h  e  k  -  Pest  und  Herr  B  1  u  m  e  n  f  e  1  d  -  Wies¬ 
baden  warnen  ebenfalls  vor  Anwendung  dieses  Mittels. 

Herr  B  r  i  e  g  e  r  -  Breslau  stimmt  Herrn  Gerber  bei,  dass  kein 
Lupus  ohne  primäre  Schleimhauttuberkulose  vorkommt.  Es  gibt  aber 
wohl  Schleimhauttuberkulosen  der  Nase,  die  nicht  von  Lupus  gefolgt 
sind:  der  Name  Lupom  für  diese  Erkrankung  sei  daher  abzulehnen. 

Herr  B  r  ü  g  g  e  m  a  n  n  -  Giessen  will  gleichfalls  den  Namen 
Lupom  fallen  lassen,  er  warnt  davor,  allein  auf  Grund  des  Befundes 
von  Riesenzellen  die  Diagnose  Tuberkulose  zu  stellen. 

Herr  Seyffarth  -  Hannover  berichtet  über  einen  Fall  von 
Sklerom,  den  er  in  Hannover  zu  beobachten  Gelegenheit  hatte.  Die 

Patientin  war  nie  in  einer  Skleromgegend.  ...  ,  , 

Herr  N  o  1 1  e  n  i  u  s  -  Bremen  sah  me  Nachteile  bei  der  Alkohol¬ 
injektion  in  den  oberen  Kehlkopfnerven.  r  .  ppthi 

Schlusswort  die  Herren:  W  a  1 1 1  c  z  e  k,  Gerber,  Rethi, 

S  p  i  e  s  s,  P  i  c  k.  _ .  <Schluss  folgU 


Die  Jahresversammlung  der  Deutschen  Gesellschaft  zur 
Bekämpfung  der  Geschlechtskrankheiten, 


welche  in  der  Zeit  vom  19. — 21.  Juni  1914  in  Leipzig  stattfand, 
hatte  zum  Gegenstand  der  öffentlichen  Vorträge  bestimmt  die *  Themen: 

Der  Einfluss  der  Geschlechtskrankheiten  auf  die  Gesundheit  und 
Fruchtbarkeit  der  Frau,  und:  Die  Behandlung  der  jugendlichen 

^  IJeber^die  erste  Frage  berichtete  Prof.  Dr.  E 1  es  c  h  -  Frank¬ 
furt  a.  M.  auf  Grund  seiner  reichen  praktischen  Erfahrung.  Nach 
einem  Hinweis  auf  die  Schwierigkeiten  der  Bekämpfung  der  Ge¬ 
schlechtskrankheiten  wegen  ihres  Zusammenhangs  mit  dem  über¬ 
mächtigen  Triebleben  und  auf  die  zerstörenden  Folgen  der  Syphilis 
befasste  sich  Dr.  Flesch  mit  den  schädlichen  Einwirkungen  der 
Gonorr  h  ö  e,  welche  ganz  mit  Unrecht  als  eine  Art  Kinderkrankheit 
des  jungen  Mannes  betrachtet  und  eingeschatzt  werde,  wahrend  sie 
in  Wirklichkeit  ein  schlimmer  Feind  der  Menschheit  sei,  weil  sic, 
für  den  Mann  nur  in  gewissem  Umfange  als  Beschränkung  seiner 
Erwerbstätigkeit  auftretend,  bei  der  Frauzur  Beschranku  g 
oder  Zer  st  örung  der  Fruchtbarkeit  führe.  Auch  wenn 
diese  vermeintliche  leichtere  Art  von  Geschlechtskrankheit  beim 
Manne  als  geheilt  erscheine,  wirke  sie  bei  der  durch  den  Ehemann 
angesteckten  Frau  verderblich  auf  die  Fruchtorgane  ein  und  fast 
alle  Frauenleiden,  das  Siechtum  vieler  Frauen  sei  auf  diese  An¬ 
steckung  zurückzuführen.  Nach  statistischen  Feststellungen  seien 
7  Proz  aller  Ehen  gänzlich  unfruchtbar  durch  vorangegangene 
Trippererkrankungen  des  Mannes,  weitere  10  Proz.  der  Ehen  seien 
aus  dem  gleichen  Grunde  sekundär  unfruchtbar;  es  sei  mit  Sicherheit 
anzunehmen,  dass  der  starke  G  e  b  u  r  t  e  n  r  ü  c  k  g  a  n  g  in  Frank¬ 
reich  veranlasst  sei  durch  das  Ueberhandnehmen  der  Geschlechts- 


7.  Juli  1914. 


MUENCHKNER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


*Ungen  Ici(fh1tercr  Art-  und  dass  auch  in  Deutschland  dieselben 

SS  welche  zu  einer  Häufung  der  Geschlechtskrankheiten 
gu  rt  haben,  auch  für  den  Geburtenrückgang  mitverursachend  ge- 
wesen  seien;  dieser  Geburtenrückgang  sei  aber  nicht  bloss  festzu- 
s  e  ien  bei  den  minderbemittelten  Bevölkerungsschichten,  sondern 
mehr  noch  bei  den  besitzenden  und  wohlhabenden  Klassen.  Die  vom 
JÄaLarom“  Massnahmen  gegen  das  Ueberhandnehmen 
der  Geschlechtskrankheiten  träfen  das  Wesen  der  Sache  nicht,  sondern 
seien  nur  geeignet,  das  Gegenteil  herbeizuführen. 

.  Bin  Anki?rnPfen  Segen  die  Zunahme  der  Geschlechtskrankheiten 
SC'  i,~w  •er'  insbesondere  könne  man  unter  den  heutigen  Lebens- 
verhaltnissen  von  einer  Enthaltung  von  der  Prostitution  nichts  er¬ 
warten;  mehr  Erfolg  verspreche  Aufklärung  und  Bekämpfung  durch 
un  neues,  den  ärztlichen  Forderungen  besser  angepasstes  Gesetz. 
Darum  mussten  auch  in  erster  Linie  die  Acrzte  mitarbeiten  als  die 
l  erutenen  Huter  der  Hygiene,  dann  aber  auch  die  Frauen,  die  Mütter 
durch  Aufklärung  und  Erziehung  insbesondere  der  heranwachsenden 
Sohne  zur  Verantwortlichkeit. 

Lieber  das  zweite  Thema  sprachen  vom  juristisch-erzieherischen 
polizeilich-vorbeugenden,  medizinisch-hygienischen  Standpunkt  aus 
Landgerichtsrat  Rupprecht,  Polizeipflegerin  S  t  e  m  m  1  e  r,  Polizei¬ 
arzt  Dr.  Bendi  g  und  Anstaltsleiterin  Schneidhuber.  Gemein- 
sam  war  allen  Berichten  die  Feststellung,  dass  die  geheime 
I  rostitution  besonders  von  jugendlichen  Mädchen  bestritten  wird 
und  dass  diese  Art  der  Prostitution  wegen  der  starken  Verseuchung 
da  jugendlichen  Dirnen  und  wegen  ihrer  Scheu  vor  heilender  Behand- 
hmg  für  die  Allgemeinheit,  und  zwar  nicht  bloss  der  mit  ihnen  ge¬ 
schlechtlich  verkehrenden,  besonders  gefährlich  ist;  gemeinsam  war 
diesen  Referaten,  welche  von  erfahrenen  Sachkennern  aus  dem 
Norden.  Süden  und  Westen  Deutschlands  erstattet  wurden,  die 
Ueberemstimmiing  in  der  Feststellung,  dass  die  jungen  Dirnen  ganz 
überwiegend  nicht  durch  die  wirtschaftliche  Not  und  das  Elend  der 
kapitalistischen  Arbeitsordnung,  sondern  infolge  ethischer  Defekte, 
mangelhafter  Erziehung,  psychopathischer  Veranlagung  und  Ver- 

SrhuLnUAiit  Bahun  du?  La,sters.  oft  schon  im  fortbildungsschul- 
pfhchtigen  Alter,  gebracht  und  erhalten  werden 

hr  °le  sicb  anschliessende  Besprechung  der  beiden  Referatsgruppen 

vorscMä  eCh  V'C  sachkundlge  Anregungen  und  wertvolle  Besserungs- 

Finstimmige  Annahme  fand  die  von  Geheimrat  Prof  N  e  i  s  s  e  r 
vorgeschlagene  Resolution : 

deUtS-che  Gesellschaft  zur  Bekämpfung  der  Geschlechts- 
SrhnlhphtnrHPm0ge  bLerren  Kultusminister  ersuchen,  sämtliche 
M  d  'hP  ml  Zll  beaabragfn’  alle  Knaben  und  insbesondere 
Mädchen,  die  schon  vvahrend  der  Schulzeit  durch  Liederlichkeit, 
Hu  umtreiben  sexuelle  Frühreife  und  Exzesse  sich  auffällig  bemerk¬ 
bar  machen,  den  zuständigen  Behörden,  Jugendpflege-  und  Jugend- 
ursorgeverein.gungen  spätestens  bei  der  Schulentlassung  zu  melden 
um  diese  in  den  Stand  zu  setzen,  diesen  besonders  gefährdeten  Per¬ 
sonen  ihre  besondere  Aufmerksamkeit  zu  schenken,  sie  zu  über¬ 
wachen  und  für  sie  zu  sorgen.“ 


Berliner  medizinische  Gesellschaft. 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzung  vom  1.  Juli  1914. 

Tagesordnung: 

Hör  m C/"r  Fel!.?  Hirschfeld:  Ueber  den  Nutzen  und  die  Nachteile 
der  Unterernährung  (Karellkur)  bei  Herzkranken. 

Iso?  ^  a/j.  \  !iat  zuerst  seine  bekannte  Kur  veröffentlicht  und  Vortr. 
.  92  auf  die  hierdurch  eintretende  Entlastung  bei  Kreislaufsstörungen 

äfilrbW''?3'1  g\bt  mT2,°  Proz'  des  Erhaltungsbedarfs.  Eine 
spezifische  Wirkung  der  Milch  ist  abzulehnen,  da  bei  Darreichung 
grosserer  Mengen  die  gewünschte  Wirkung  nicht  eintritt.  Die  Wir- 
5*  der  Unterernährung  beruht  z.  T.  darauf,  dass  reichliche  Er¬ 
nährung  zur  Verminderung  der  Diurese  führen  kann.  Seine  Vor- 

efntraf  'vcxden  bls  190^  abgeiebnt’  bis  Len  hart  z  für  die  Methode 
®  JL;  •  w-rcauss  utnl  WJ  d  a 1  wiesen  dann  darauf  hin,  dass  die 
giins  ge  Wirkung  auf  Nephritiden  auf  die  Chlorentziehung  bei  der 
Karellkur  zuruckzuftihren  ist.  Eine  milde  Kur  bietet  vielfache  Vor¬ 
teile.  Besonders  indiziert  ist  sie  bei  dem  Völlegefühl,  den  Kopf¬ 
schmerzen  etc.  bei  den  älteren  Bürobeamten. 

Sind  1—2  kg  Gewichtsverlust  erzielt,  wird  meist  die  Bauch- 

!n!!!rRsna?f?',  Daneben  werden  Abführmittel  für  Entlastung 
sorgen.  Sind  2—3  kg  Gewichtsverlust  erzielt,  wirkt  oft  Diuretin, 
aas  vorher  versagt  hat.  Dann  sind  Atemübungen  indiziert 
„  .  h-  m,Ider  Unterernährung  verschwinden  oft  leichte  Allnimin- 
unen,  die  er  zuerst  für  gichtisch  anzusehen  geneigt  war.  Es  ist  neuer- 

w o r d e nC r d  nrff 1  ? n b a d e r  Kur  ?in%  Wirkung  auf  Nephritis  zugeschrieben 
worden,  doch  ist  sie  auf  die  Entziehungsdiät  zurückzuführen. 

Bei  Greisen  ist  bei  Unterernährung  Ruhe  indiziert,  gleichzeitig 
Piat  zur.  Nierenschonung  zweckmässig.  Den  Ge- 
wich  sver  ust  darf  man  nicht  über  1—2  kg  ausdehnen. 

errvii  l  mit  Fettleibigkeit  sieht  er  von  leichter  Unter¬ 
bind  ^Ghpb|^  ^cr'n«er  Zuckerausscheidung  Erfolge,  doch 

h  'jd  dol  tf £-1  n.'cht  1°  hauflg’  wie  er  früher  Keglaubt  hatte.  Auch 
Ar  inctu  infolge  der  verbesserten  Diabetestherapie  häufigeren 
nuiosklerose  wird  man  leichte  Unterernährung  anwenden. 

rcten  I  ulsstörungen  etc.  bei  Unterernährung  auf,  so  ist  die 


_ 1533 

Entziehungskur  zu  unterbrechen.  Durch  die  Karelische  Unter- 
skleroVSpTrp?-16  Bll'tmcnge  vermindert  und  besonders  ein  artcrio- 
anzubassen  MfnyStC'n  ,'st  '"suffizient,  sich  der  Blutverminderung 
geringer  E  l  0  11 1 "  c  k  c  normalerweise  die  Nachturinmenge 
gekehrt  ’  d  gesmenge-  Bei  Artcriosklerotikcrn  ist  es  oft  um- 

hanEiTlä  "  Qallen?teinanfälle  bei  der  Karellkur,  ein  Zusammen¬ 
hang  ist  nicht  zu  erweisen 

,,iM.Sryn«  Karellkur  empfiehlt  er  nur  bei  schweren  Nephritiden 

Ä, he  seih«  SS  T1r2[TafCn,dcr,  Eochc  aurchgeführt.  kann  ohne 
Bettruhe  selbst  im  Berufe  durchgeführt  werden. 

sind  — 'ohneS*nhp0m  VHnrr  M().sler:  Bei  schwerer  Herzinsuffizienz 
,  d  f  °hne  schematisch  zu  sein  —  strengere  Beachtung  der  Karell- 
kur  erforderlich.  Doch  erleichtern  1-2  Eier  die  Durch  hrun£  der  Ku  . 
Herr  H  1  r  s  c  h  f  e  I  d  (Schlusswort). 

Milz  (Ki^r“  lentberKL  R,e  Röntgenphotographie  der  Leber  und 

/viilz.  (Kurzer  vortrag  mit  Demonstrationen.) 

Aszites1*  der  Le,bor  hat  er  nach  Ablassen  des 

Kongress.)  ff  eingeblasen‘  Bericht  auf  dem  Wiesbadener 

Jetzt  hat  Vortr.  gleiche  Versuche  an  Fällen  ohne  Aszites  an¬ 
gestellt  zu  dem  Zwecke,  die  Probelaparotomie  zu  umgehen  An  den 
demonstrierten  Platten  sieht  man  deutlich  Verwachsungen  der  Leber 
und  cier  Milz,  Metastasen  von  Tumoren,  szirrhotische  Prozesse  und 

aus  mögnch°erscheinte  d«  Verfahrens  dureh^ 

' '  u  1 1 1  •  c  i  s  n  c  r, 

Berliner  Gesellschaft  für  Chirurgie. 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzung  vom  22.  Juni  1914. 

„  U  Berr  Paul  R  o  s  e  n  s  t  e  i  n  sprach  über  die  Behandlung  der  fort¬ 
schreitenden  Thrombophlebitis  im  Femoralisgebiet.  ln  Analogie  zu 
dem  Vorgehen  bei  Sinusthrombose  und  bei  postpuerperaler  Becken¬ 
venenthrombose  rät  Müller-  Rostock  seit  1902  zu  operativen  Mass¬ 
ig/™6/1  bei  den  thrombosierten  Varikositäten  der  unteren  Extremi¬ 
st-  Im  Anfang  beschränkte  man  sich  auf  die  Unterbindung  der 
ähe,na  dl,cht  vor  der  Einmündung  in  die  Vena  femoralis,  und  legte, 
falls  die  Thrombosierung  sich  bis  in  die  Femoralis  hinein  erstreckte 
die  Ligatur  innerhalb  des  Thrombus  an  der  Saphena  an.  Dies  erwies 
sich  als  wirkungslos  und  Müller  schritt  in  diesen  Fällen  zur  Unter¬ 
bindung  der  Vena  femoralis.  Die  gefürchtete  Gangrän  trat  nicht  ein 

ychre^pnHperTheht  und  unterbindet  bei  schwerer  fort¬ 

schreitender  Thrombophlebitis  der  Vena  femoralis  die  Vena  iliaca  ex- 

terna  und  wenn  auch  diese  schon  von  dem  Prozess  ergriffen  ist  sogar 
d‘e„  I?“  “mmunls-  .Bericht  über  3  geheilte  Fälle  mit  Kranken™" 
SSf-K  Da?  °Peratlfve  Vorgehen  gestaltet  sich  so:  Senkrechter 
^chnitt  über  der  Vena  femoralis,  der  nach  oben  zu  etwa  handbreit  bis 
über  das  Ligamentum  inguinale  hinaufgeführt  wird.  Zurückschieben 
des  Peritoneums,  übersichtliche  Freilegung  der  V.  iliaca  externa  und 
commums.  Durch  sehr  vorsichtiges  Palpieren  stellt  man  die  obere 
Gitnze  des  Gerinnsels  fest  und  legt  oberhalb  davon  im  gesunden 
eine  Klemme  an.  Der  ganze  Thrombus  wird  nun  bis  in  die  Femoralis 
munter  exstirpiert.  Seidenligatur  des  gesunden  Gefässes  oberhalb 
der  Klemme.  Die  Gefahr  der  Gangrän  des  Beines  beim  Unterbinden 
der  Vena  iliaca  communis  besteht  nicht,  denn  es  haben  sich  während 
des  Thrombosierungsprozesses  bereits  genügend  Kollateralen  gebildet 
and  auAsgeschaItefe  Gefässbezirk  ist  ja  für  die  Zirkulation  sowieso 
wertlos..  Aber  auch  dann,  wenn  das  Lumen  nicht  ganz  vollständig 
veHegt  ist,  soll  man  zur  Unterbindung  schreiten,  weil  dabei  die  Ge- 
a  ir  der  Verschleppung  der  infektiösen  Massen  besonders  gross  ist. 
n  bedrohlichen  Fällen  bei  Beginn  von  Thromboembolien  kann  die 
Operation  noch  lebensrettend  wirken. 

r  <Jer  Diskuss[°n  berichtete  Herr  Körte  über  einen  Fall 
von  Beckenvenenthrombose,  den  er  vor  einigen  Jahren  operierte  und 
der  trotz  der  ausgedehnten  Unterbindung  zugrunde  ging. 

«  ftehrr  U  n  gef  wies  auf  die  Schwierigkeit  hin,  das  obere  Ende 
des  Thrombus  festzustellen.  Er  erinnerte  an  einen  Fall  von 
Fromme  der  bei  puerperäJer  Thrombose  die  Vena  cava  unter¬ 
bunden  hatte.  Der  Thrombosierungsprozess  griff  dann  von  der  kran¬ 
ken  Iliaca  communis  auf  die  gesunde  über,  gelangte  von  hier  aus 
durch  eine  Anastomose  zur  Nierenvene  und  führte  zum  Exitus. 

•  ;°i  seiin  jm  Schlusswort  bemerkte  Herr  Rosenstein,  dass  es 
meist  doch  durch  I  alpation  und  genaue  Besichtigung  der  Gefässwand 
gelingen  werde,  die  Ligatur  im  Gesunden  anzulegen.  Der  Fall 
Frommes  beweise  die  von  ihm  betonte  Notwendigkeit,  den  ganzen 
thrombosierten  Bezirk  zu  exstirpieren. 

ä.  He,rr  S.2°  n  n  e  "  b  11  r  K  sprach  über  seine  Eindrücke  vom  4.  Inter¬ 
nationa  en  Kongress  für  Chirurgie  und  dem  Kongress  der  American 
surgical  association. 

Herr.  Neumann  berichtete  über  zwei  von  ihm  operierte  Fälle 
von  Zystinsteinen  und  Zystinurie.  Ein  24  jähriges  Mädchen  litt  seit 
2  Monaten  an  Schmerzen  in  der  rechten  Bauchseite.  Fs  fand  sich  ein 
auf  die  Niere  bezogener  faustgrosser  Tumor  im  rechten  Hvpochon- 
drium.  Im  Urin  zahlreiche  sechseckige  Kristalle.  Auf  dem  Röntgen- 
bild  wär  näch  Ko nargolfiillung  ein  Steinschatten  in  der  Gegend  ' des 
rechten  Nierenbeclcens  sichtbar.  Die  Hautfarbe  war  auffallend  blass. 
Durch  Pyelötomie  wurde  ein  pflaumcngrosser  Zystinstein  entfernt. 
Das  Nierenparenchym  erwies  sich  als  eitrig  entzündet.  Nach  der 


1534 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


Nr.  27. 


Operation  Klanen  über  Mattigkeit  und  Schmerzen  in i  der  N‘eren^genJ 
,|„r  linken  Seite  Diese  wurden  auf  die  \v  eiterbestehencie  z,>stmurie 
zuriiekeeführt  Die  quantitative  chemische  Analyse  hot  wegen  der 
geringen  Menge  des  ausgeschiedenen  Zystins  Schwierigkeiten,  einen 
vmen  Schätzuneswer  ergab  die  Zählung  der  Zystinkristalle  m  einer 
Reihe  Gesichtsfeldern.  Milchdiät  brachte  die  Zystmmenge 

he  SSter  die  Beschwerde.,  nahmen  dabei  aber  zu.  Be,  massigen 
Vermehrung  des  Zystins,  dabei  aber  Nachlassen  der 
Beschwerden.  Zuführung  von'  Natron  bicarbonicum  wie  es 
(•.  Kl  em  per  er  vorgeschlagen  hat,  war  wirkungslos.  Der  2.  Fall 
betra  ei  en  3jährigen  Knaben,  dem  ein  Zystinstein  der  Blase  durch 
Sectio  a  ta  entfernt  wurde.  Nach  der  Operation  erhebliche  Gewichts¬ 
zunahme.  Die  Zystinsteine  kommen  auf  der  Röntgenplatte  ziemlich 

gUt  rd^DitkTssion  berichtete  Herr  Rosenstein  über  eine 
Patientin,  der  er  vor  8  Jahren  45  Zy^steim t  aus  der  Niere  entfernt 
tvittp  Die  Niere  bildete  einen  schlaffen  Sack,  ns  trat  nenung  ein. 
I j.lt  heiratete  2  mal  musste  wegen  Urämie  die  Schwangerschaft 
unterbrochen  werden,  ein  Kind  wurde  ausgetragen.  Auch  e,ne 

SC%«rKdrrS«iLte,"Ä“<ll.m  entfernten  Zystinstein  des 
Nierenbeckens,  der  auf  dem  Röntgenbild  deutlich  zu  sehen  gewesen 


war. 


Aerztlicher  Verein  in  Hamburg. 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzung  vom  23.  Juni  1914. 
Vorsitzender:  Herr  Rumpel. 


Herr  Sauer  berichtet  über  einen  interessanten  Ball  von 
totaler  Dickdarmausschaltung.  Die  18  jährige  Patientin  war mit.  Alter 
von  6  Jahren  operiert  (Krankengeschichte  nicht  mehr  erhaltl  ch)  Sm 
hatte  seither  an  ständigen  DurchfaUen  (bis  zu  12  pro  g)  g 
und  das  Bild  einer  chronischen  Nephritis  bis  zu  10  Prom.  Albumen, 
aber  ohne  Herz-  und  Blutdruckabnormitaten  geboten.  Bet  einer 
wegen  eines  Narbenbruchs  vorgenommenen  Laparötomte  wurde  die 
Totalausschaltung  des  Dickdarms  gefunden,  durch  eine  Kontrastein 
laufröntgenaufnahme  festgestellt,  dass  der  Dünndarm  direkt  mit  dem 
Enddarm  kommunizierte.  Das  ausgeschaltete  Darmstück  lag  wie  ein 
grosser  mit  Darmsekret  prall  gefüllter  Tumor  im  Abdomen,  es  wurde 
eröffnet  und  der  Inhalt  durch  eine  Fistel  abgelasse n  und  ausgt espult 
Dadurch  wurde  zwar  die  Albuminurie  verringert  (Nephrose  durch 
Toxinwirkung),  aber  nicht  die  Durchfälle.  Versuch  einer  Wiederem- 
schaltung  eines  grösseren  Abschnittes  des  Dickdarms  durch  Entero- 
anSomose  Die Schwächliche  Kranke  ging  2  Tage  hinterher  an  einer 

*  erltHe1rtrSDr: eihss  demonstriert  einen  nervösen  21  jähr.  Pat.  mit 
einen?  Hydrops  articul.  Intermittens.  Der  Gelenkerguss  tritt  _  seit 
2  Jahren  ohne  jede  äussere  Ursache  in  regelmässigem  13  tägigem 
Typus  auf  meist  im  rechten  Kniegelenk  das  ganz  enorm  ansehw  ,11t 
(12  cm  Differenz  des  Umfanges),  verschwindet  nach  2  3  Tag  . 
Vikariierend  tritt  bisweilen  em  grossflockiges  fluchtiges  Exanthem 
auf  Bemerkenswert  ist  die  Heredität  in  diesem  Falle  Die 
Mutter  litt  am  gleichen  Leiden,  gleichfalls  im  13  tägigen  Typus.  Erster 
Anfall  während  der  Gravidität  mit  diesem  Patienten.  DieubrK 
Kinder  gesund  und  kräftig.  Therapie  sehr  zweifelhaft.  Jodotorm 
glyzerininjektion  von  Erfolg,  aber  wahrscheinlich  als  rem  suggestiver 

Erf0lHe?rfBötStTger:  a)  Junges  Mädchen  mit  Myasthenia  gravis 
pseudoparalytica.  b)  Fall  von  subkortikaler  motorischer  Aphasie. 

Einem  Arbeiter  fiel  eine  Eisenplatte  auf  die  linke  Kopf  hälfte,  schadel 
fraktur,  Bewusstseinsverlust,  Parese  des  Faziahs,  des  Armes  und 
Aphasie  Freilegung  der  Dura,  Entfernung  der  Knochensplitter, 
rascher  Rückgang  der  Lähmungen.  Hirnphysiologisch  interessante 
Beobachtungen  der  Form  und  der  Art  des  Rückganges  der  bpracl  - 

storung-skussion  über  den  Vortrag  des  Herrn  Slmmonds: 
Ueber  Tuberkulose  des  männlichen  Genitalsystems. 

Herr  Kropeit  macht  Bemerkungen  über  die  eventuell  mög¬ 
liche  konservative  Behandlung  der  Samenblasen,  entweder  durc 
Ausspülungen  vom  Vas  deferens  aus  oder  durch  den  Katheterismus 
der  Ductus  ejaculatorii.  Auch  in  frühdiagnostischer  Beziehung  durfte 
in  manchen  Fällen  die  Urethroskopia  posterior  Aufschluss  geben 

Herr  Wiesinger:  Die  Kontrolle  der  Operierten,  speziell  der 
wegen  Genitaltuberkulose  Kastrierten  ist  von  ihm  an  seinem  Ma¬ 
terial  in  die  Wege  geleitet,  aber  noch  nicht  vollendet.  Die  operative 
Inangriffnahme  der  Samenblasen  unterblieb  bisher,  weil  der  Eingriff 
für  die  ohnehin  schwächlichen  Patienten  zu  schwer  erschien  und 
weil  andererseits  eine  Spontanvernarbung  durch  Bindegewebswuche¬ 
rung  allgemein  angenommen  wurde.  Nach  den  S  i  m  m  on  ds  sehen 
Befunden  ist  das  ja  nun  nicht  richtig  und  man  wird  sich  wohl  der 
Operation  zuwenden,  für  die  W.  den  ischiorektalen  Schnitt  ■ ' 

lösung  des  Mastdarmes  wählen  würde;  man  wird  aber  wohl  nicht  m 
Frühfällen  operieren,  sondern  sich  auf  Fälle  beschranken,  wo  die 
Samenblasen  in  tuberkulöse  Abszesse  umgewandelt  sind. 

Herr  Kümmell  ist  von  jeher  für  eine  Trennung  der  Genital¬ 
tuberkulose  von  der  Tuberkulose  des  uropoetischen  Systems  einge¬ 
treten.  Es  sind  2  ganz  getrennte  Krankheitsbilder,  die  sich  nur  in 
ganz  seltenen  Fällen  mal  beim  gleichen  Menschen  finden.  Eine 


Blasentuberkulose  Ist  Immer  die 

kulose.  die  im  Anfang  einseitig  ist  und  he*'bar  nach  Esst irpation  der 
erkrankten  Niere.  Die  Operationsstatistik  Kümmel  s  pezieni  sich 
auf  (>2  Fälle  von  Genitaltuberkulose  und  ergibt  pktehi'8^  Todes¬ 
resultate:  31  geheilt  entlassen,  21  gebessert,  i  mit  Fisteln.  > 
fäiie  an  Phthise  und  Miliartuberkulose,  lherapie:  vernünftiger  - 
servatismus  gepaart  mit  chirurgischen  Massnahmen,  also  zuerst  Ver- 
such  mit  Stauung  und  Röntgen,  dann  Kastration.  dass 

eine  SÄÄ  ÄÄ  «n  | 

Frühfälle  2  nicht  die  schweren,  aussichtslosen  Samenblasenerkran 

Ä  I 

kommen  und  dass  sowohl  ein  Aszendieren  auf  die  Nieren,  wie  ein 
liphersrreifen  der  Erkankung  vom  uropoetischen  auf  das  Genital 
f  vorkommt  Auch  die  Wahrscheinlichkeit  der  einseitigen 

SKSSÄ'’ JSr.  I 

vatismus  ist  nicht  gerechtfertigt,  wenn  man  such  das  anatomisc he  Bi  d 
der  Erkrankung  vorhält.  Tatsächlich  sind  auch  von  V  o  1  c  k  e  r 
6h  Fälle  von  Samenblasentuberkulose  operiert  mit  6  Todesfälle 
J  t  von  denen  keiner  der  Operation  als  solcher  zur  Last 

gerade  teÄtÄ5  geben  wollen,  die  üenitaltuber-  I 
kuios^intensiver  «r  neckiyplms. 

Mit  Demonstrationen.  ,  7  pxiiPt,  von  Fleck- 

Vortr  konnte  seine  Untersuchungen  an  1  r allen  von  riecN 

tvohus  vornehmen,  von  denen  4  in  Eppendorf  und  3  in  der  Türkei 
beobachtet  wurden.  Von  den  letzteren  kam  einer  zum  Exitus  und 
die  Haut  und  die  inneren  Organe  erhielt  Fr.  zur  Untersucnung 

geschickt.  Untersuchung  der  Roseolen  Den  Erreger 

konnte  er  nicht  Sn,  dafür  fand  er  aber  in  den  Roseolen  histo-  1 
Wische  Veränderungen  an  den  Arterien,  die  typisch  sind.  Sie  be¬ 
stehen  in  einer  an  den  tieferen  Arterien  der  Subkutis  nachweisbaren 
schweren  Schädigung  der  Gefässintima.  Auf  dem  Querschnitt  sieht 
man  die  Intima  pilzartig  in  das  Lumen  vorgebuchtet,  darüber  be¬ 
findet  sich  eine  hyaline  Thrombosierung  und  in  der  Umgebung  dieser 
Veränderung  eine  Anhäufung  von  anfangs  spindeligen,  dann  kugeligen 

zellcm  Diese  Schädigung  der  Oe- 
fä«wand  und  die  damit  einhergehenden  proliferativen  Prozesse 
finden  sich  auch  in  fast  allen  inneren  Organen,  insbesondere  sind 
sie  iS  den  Gefässen  der  Dura  mater  und  des  Gehirns  leicht  nach- 
weishar  Aber  auch  die  Bilder  vom  Herzfleisch,  Magen,  Leber,. 
Niere,  Hoden  lassen  ähnliche  Vorgänge  deutlich  erkennen  Das ^El|ck-  j 
fiphersrift  schädigt  also  das  Gefasssystem  und  macht  eine  Getass 
wanderkrankung,  die  der  Periarteriitis  nodosa  diffe- 

SKaÄ*^ 

r0SCt!\ 'ku  s  z!"ö'n:  eRefrX  s!  mm  ö  M5  Äinaliiü. 

SS  1 

anders  Aussehen .  Betreffs  des  Vergleiches  mit  der  Periarteriitis  , 
nodosa  möchte  er  darauf  aufmerksam  machen,  dass  hier  doch  d 
Drimär  an  der  Gef  ässinnen  wand  einsetzt. 

Herr  H  e  1e  r  kritisiert  die  v.  P  r  0  w  a  z  e  k  sehen  Erregerbe-  I 
funde  die  noch  recht  angreifbar  sind.  Auch  P.  hat  bei  Menschen 
und  bei  Affen,  die  durch  Läuse  infiziert  wurden,  im  Gehirn  pen- 
iHvpntitielle  Gefässveränderungen  nachweisen  können. 

Herr  Sannemann  spricht  über  die  sanitätspolizeiliche  Ueiei- 
wachunE  «gen  FlTcktyphus.  Für  Hamburg  kommen  3  Quellen  in 
Frage-  1  Die  Seeseite:  Einschleppung  durcli  den  Seeverkehr.  2.  Die 
•ms  Russland  und  Galizien  stammenden  Auswanderer  und  3.  die  zu 
den  grossen  modernen  Hafen-  und  Eisenbahnarbeiten  gedungenen 
auswlrtigen  Arbeiter.  Während  für  1.  und  2.  die  sanitäre  Kontrolle 
Seiir  streng  ist  könnte  unter  der  letzteren  Kategorie  doch  wohl  mal 
ein  Fall  dfe  Aufmerksamkeit  des  zugezogenen  Arztes  beanspruchen. 

Herr  F  r  a  e  n  k  e  1  betont  in  seinem  Schlusswort,  dass  die  E 
kennung  der  histologischen  Veränderungen  abhängig  ist  von  der 
vorsichtig«  Fixierungsart.  Die  Bezeichnung  Periarterntis  noüosa 
hat  er  nur  als  „ähnlich“  erwähnt.  _  Werner. 


Aus  den  Wiener  medizinischen  Gesellschaften. 

(Eigener  Bericht.) 

K.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte. 

Sitzung  vom  19.  Juni  1914. 

O  Chiari  zeigt  eine  kleine  Spitzkugel,  welche  er  aus  dem 
Recessus  pyriformis  dexter  eines  9  jährigen  Knaben  osophagoskopisch 
entfernt  hat. 


7.  Juli  1914. 


MUFNCHENFR  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


a  r  s  c  b  '  stellt  einen  69  Jalire  alten  Mann  aus  der  Klinik 
C  ii  i  a  r  i  s  vor,  der  mit  Karzinom  der  Trachea  und  vorgeschrittener 
Stenose  der  Trachea  und  des  Oesophagus  behaftet  war  und  durch 
eine  Radikaloperation  und  nachfolgende  Bestrahlung  mit  Radium 
geheilt  wurde.  Das  Karzinom  ging  von  der  Schilddrüse  aus,  führte 
beim  Durch  wuchern  der  Trachea  zu  Erstickungsanfällen  und  bei  der 
vorgeschrittenen  Oesophagusstenose  zu  starker  Abmagerung  des 
Kranken.  Bei  der  Operation  wurden  die  malign  entartete  Schilddrüse 
und  die  rechte  Hälfte  des  oberen  Trachealanteils  entfernt,  jedoch 
mussten  die  nach  abwärts  in  den  Brustraum  sowie  die  in  den  Oeso- 
phagus  eingewucherten  Karzinomreste  unberührt  gelassen  werden 
Durch  die  lange  fortgesetzte  Radiumbehandlung  sind  Atmung  und 
Nahrungsaufnahme  normal  geworden,  der  Mann  kann  auch  verständ¬ 
lich  sprechen.  Der  Vortr.  weist  auf  die  Notwendigkeit  hin,  Fälle 
dieser  Art  nach  operativer  Entfernung  des  Krankhaften  und  Radium¬ 
behandlung  trotz  scheinbarer  Heilung  durch  lange  Zeit  nach- 
zu  bestrahlen,  um  Rezidive  nach  Möglichkeit  zu  vermeiden. 

E.  1  r  ö  s  c  h  e  1  s  demonstriert  einen  Knaben,  der  auch  bei  iso- 
1  erte"  L,au‘en  stottert,  d.  h.  sehr  häufig  stecken  bleibt,  was  er  mit 
den  Methoden  der  experimentellen  Phonetik  nachweisen  kann.  Er 
schliesst  hieraus,  dass  die  Kussmaul-Gutzmann  sehe  Definition 
des  Stotterns  als  Schwäche  des  Silbenkoordinationsapparates  nicht 
mein  aufrecht  sei,  dass  das  Stottern  vielmehr,  wie  er  schon  in  früheren 
Arbeiten  nachgewiesen  hat,  psychologisch  zu  erklären  sei,  nämlich  zu 
Beginn  aus  mangelhaftem  Wortreichtum,  später  als  Folge  der 
Sprechfurcht. 

W.  Q  o  I  d  s  c  h  m  i  d  t  stellt  5  Patienten  aus  der  Klinik  v.  E  i  s  e  1  s- 
1  Ci.r  K,Y°r’  we,che  wegen  ihrer  chirurgischen  Tuberkulose  mit  „künst¬ 
licher  Hohensonne“  (Quarzlampe)  behandelt  wurden  und  bei  welchen 
darnach  alle  pathologischen  Erscheinungen  zurückgegangen  sind.  Die 
ralle  betrafen  einen  Sehnenscheidenfungus  mit  Fistel,  eine  Finger- 
karies,  eiternde  Lymphome  und  einen  kalten  Abszess,  von  einer  Rippe 
ausgehend.  Bisher  sind  an  genannter  Klinik  71  Fälle  chirurgischer 
.  uberkulose  in  dieser  Weise  mit  Erfolg  behandelt  worden  und 
reagierten  besonders  gut  die  beginnenden  Fälle,  bei  welchen  noch 
keine  Mischinfektion  bestand.  Die  Lymphome  reagierten  zuweilen 
prompt,  bald  aber  waren  sie  ausserordentlich  hartnäckig.  Bei  einem 
gi  ossen  tuberkulösen  Aszites  war  die  Flüssigkeitsansammlung  schon 
nach  3  Bestrahlungen  geschwunden,  doch  entzog  sich  die  Kranke  der 
weiteren  Behandlung  durch  Abreise  in  ihre  Heimat,  wo  nach  2  Mo¬ 
naten  ein  Rezidiv  beobachtet  worden  sein  soll. 

In  der  Diskussion  berichtete  R.  W  i  1 1  h  e  i  m  über  günstige 
trfahiungen  an  der  Abteilung  G.  Singers,  woselbst  nicht  nur 
tuberkulöse  Gelenksprozesse,  sondern  versuchsweise  auch  refraktäre 
Falle  von  gonorrhoischer  Arthritis,  akutem  Gelenksrheumatismus  etc. 
mit  der  künstlichen  Höhensonne  behandelt  wurden. 

E.  G.  O  s  e  r  stellt  aus  der  Klinik  v.  Eiseisberg  einen  Fall 
von  Aneurysma  racemosum  vor.  ln  der  linken  Submaxillargegend 
sieht  man  einen  ganseeigrossen,  pulsierenden  Tumor.  Das  Aneurysma 
ist  wohl  von  der  linken  Art.  maxillaris  ext.  ausgegangen  und  hat  schon 
auf  die  Carotis  ext.  übergegriffen. 

L.  Holfaaucr  zeigt  ein  9  jähriges  Mädchen,  das  seit  20  Monaten 
an  einem  Quälenden  Husten  leidet,  der  durch  einen  Fremdkörper  be¬ 
dingt  wird.  Der  Husten  tritt  anfallsweise  auf  und  hält  fast  ohne 
Steigerung  der  Expektoration  oft  mehrere  Stunden  lang  an.  Die 
Anamnese  ergab,  dass  das  Kind  ein  ca.  zweikronengrosses  Blech- 
stuck  verschluckt  hatte  und  die  Röntgendurchleuchtung  Hess  in  der 
Hohe  des  Jugulums,  im  untersten  Teile  des  Pharynx  oder  im  Be¬ 
ginn  des  Oesophagus,  einen  entsprechend  grossen  Metallschatten  er¬ 
kennen.  Schluckbeschwerden  machte  der  Fremdkörper  nicht. 

,  .  j  Arzt  und  W.  Kerl:  Weitere  Mitteilung  über  Spirochäten- 
befunde  beim  Kaninchen. 

Anknüpfend  an  eine  frühere  Mitteilung  berichtet  L.  Arzt  über 
die  Untersuchung  von  267  erwachsenen  Kaninchen,  unter  welchen 
72  gefunden  wurden,  welche  mit  einer  Genitalaffektion.  öfters  einer 
solchen  ulzeröser  Natur,  zuweilen  mit  regionären  Drüsenschwellungen 
einhergehend,  behaftet  waren.  Auch  wurden  bei  diesen  Tieren 
.pirochäten  nachgewiesen.  Ueberimpfungsversuche  auf  gesunde 
Kaninchen  und  auf  zwei  Affen  ergaben  einen  positiven  Erfolg,  insofern 
als  sich  bei  den  geimpften  Tieren  Erosionen  oder  papulöse  Efflores- 
zenzen  konstatieren  Hessen.  Die  bei  den  Kaninchen  gefundenen 
pirochäten  lassen  sich  vorläufig  nicht  von  der  Spirochaeta  pallida 
differenzieren.  Die  Versuche  werden  fortgesetzt. 

Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinderheilkunde. 

Sitzung  der  pädiatrischen  Sektion  vom  25.  Juni  1914. 

FL  M  o  n  t  i  demonstriert  einen  Fall  von  Gangrän  eines  Meckel- 
schen  Divertikels  infolge  Volvulus.  Ein  5  jähriger  Knabe  bekam  Ab- 
dominalsymptome,  welche  für  Appendizitis  sprachen.  Puls  154,  klein, 

I  emperatur  38,2°,  Erbrechen,  Abdomen  aufgetrieben,  überall  druck¬ 
empfindlich,  besonders  in  der  Ileozoekalgegend  sowie  zwischen  dem 

, ,  V.1. ,  ~?.r  Symphyse.  Bei  der  Laparotomie  fand  sich  in  der 
Bauchhöhle  Eiter,  die  Appendix  war  verdickt,  gerötet  und  an  der 
v  pitzc  mit  Membranen  belegt,  aber  nicht  perforiert.  Sie  wurde 
entfeint.  Ausserdem  fand  sich  ein  kindskopfgrosses  Konvolut  von 
Darmschlingen,  in  deren  Innerem,  in  Eiter  und  Darminhalt  eingebettet, 
ein  wurstförmiger  I  umor  mit  einer  Perforationsöffnung  lag;  dieser 
1  umor  war  ein  M  e  c  k  e  1  sches  Divertikel,  welches  am  Ileum  sass 
und  infolge  von  Volvulus  gangränös  geworden  war.  Der  Knabe  genas. 


G.  B  i  e  n  führt  ein  Mädchen  mit  Raynaud  schem  Symptomen- 
M  denLonstriert  ein  21  Monate  altes  Kind  mit  einem 

Sterna  defekt.  Vom  Sternum  ist  nur  der  Schwertfortsatz  erhalten, 
an  Melle  des  Korpus  und  des  Manubrium  ist  ein  dreieckiger,  mit  der 
abwäTts  sehender  Defekt,  welcher  nur  von  narbiger  Haut 
lber  kleidet  ist.  Die  Ränder  desselben  sind  von  einem  bindegewebigen 
v  trang  emgesamnt,  der  sich  in  der  Unterkiefergegend  ansetzt.  Beim 
Husten  wölbt  sich  die  Decke  des  Defektes  hernienartig  vor.  Die 
Rippen  sind  normal. 

Rcaeli  stellt  2  Kinder  vor,  bei  welchen  er  Papaverin  gegen 
T  itnnnISAmit  «"^wendet  hat.  Es  wurde  von  0,3  Papaverin 

A^fan  °  AqU'  stundbcJ?  ein  Kaffeelöffel  gegeben,  worauf  die  Zahl  der 
,  m|KnpUhKarwndidieS!  se,„st  Richter  wurden,  das  Erbrechen  hörte 
io Vani  f  m  Wwwcn  tr1at,HcilunK  ein.  Vortr.  hat  ausserdem  noch 
n  LhI  f  ,1’ese  behandelt-  er  konnte  sich  überzeugen,  dass 

Infnr?  6  "^Verabreichung  des  Papaverins  das  Erbrechen 

ofort  sistierte  und  die  Anfälle  kürzer  und  seltener  wurden. 

ln  der  D  iskussion  bestätigten  A.  G  o  1  d  r  e  i  c  h,  K.  H  o  c  h  - 
Währungen Und  E'  P  0  p  p  e  r  diese  Angaben  nach  ihren  eigenen  Er- 

.  HUIT1ehndo..rSf  demonstriert  mikroskopische  Präparate  von 
"  FiilVOn  M'kromyeloblasterileukämie.  Dieselben  stammen  von 
einem  Kinde,  welches  in  den  letzten  Monaten  immer  wieder  Attacken 
von  Gelenkaffektionen  erlitt,  dadurch  kachektisch  und  blass  wurde. 
p^e Undf  Rad'umtrjnkkur  führten  keine  Besserung  herbei. 
Pat-  be^am  herauf  Fieber,  das  Blut  wurde  fast  farblos,  hatte  einen 
Farbeindex  von  5  Proz.  nach  Sahli,  eine  Million  rote  und  4600  weisse 
Blutkörperchen  mit  überwiegenden  kleinen  Lymphozyten  Das  Blut- 
£  SvJ„wief  dasjenis.e  bei  lymphatischer  Leukämie  aus,  kernhaltige 
rote  Zellen  fanden  sich  nicht  vor;  im  Blute  waren  Streptokokken 
nachweisbar.  Das  Kind  starb.  Bei  der  Obduktion  fand  man  fettige 
Degeneration  der  parenchymatösen  Organe,  das  Knochenmark  war 
rot  wie  bei  akuter  Leukämie,  in  der  Milz  und  in  den  Lymphdrüsen 
war  das  lnterfollikulare  Gewebe  gewuchert.  Die  Mikromyeloblasten 
unterscheiden  sich  wenig  von  den  gewöhnlichen  Lymphozyten,  das 
Entscheidende  ist  die  Oxydasereaktion. 

E.  Nob  e  I  zeigt  ein  1%,  Jahre  altes  Kind  mit  akuter  lympha¬ 
tischer  Leukämie.  Es  hatte  eine  mässige  Rachitis,  eine  geringe 
Schwellung  der  Milz  und  der  Unterkieferdrüsen.  Am  harten  Gaumen 
sitzt  ein  kronenstuckgrosses  oberflächliches  Geschwür,  welches  mit 

Pr5!Men1S7enMm°rken  un*d  ^tZfn  bedeckt  ist  Die  Blutuntersuchung 
ei  gibt .  L7  Millionen  rote  Blutkörperchen,  25  Proz.  Hämoglobin,  6400 
weisse  Blutkörperchen,  unter  ihnen  46  Proz.  Lymphozyten,  33  Proz 

Fieber1""186  Lymphozyten’  18  Proz-  Neutrophile.  Das  Kind  hat 

E.  No  hei  stellte  den  Knaben  vor,  welchen  er  vor  einigen  Zeit 
mit  angeborenem  chronischen  acholurischen  Ikterus  demonstriert 
hat  Bei  dem  Knaben  ist  vor  10  Tagen  die  Splenektomie  aus- 
gefuhrt  worden.  Schon  24  Stunden  darnach  ist  der  Ikterus  zurück¬ 
gegangen,  jetzt  ist  er  ganz  geschwunden  und  das  Kind  sieht  blühend 
Bf^Namogfobingehalt  ist  von  46  auf  71  Proz.  angestiegen  und 
die  Zahl  der  roten  Blutkörperchen  hat  zugenommen. 

K.  Kassowltz  demonstrierte  ein  4Vs  Jahre  altes  Kind  mit 
der  vorläufigen  Diagnose:  akute  lymphatische  Leukämie.  Es  hat 
eine  leichte  Diphtherie  durchgemacht.  Die  Lymphdrüsen  im  Unter- 
kieJerwinkel  und  in  der  Achselhöhle  sind  stark  geschwollen,  Milz  und 
Leber  sind  hochgradig  vergrössert,  stellenweise  finden  sich  Haut¬ 
blutungen.  Die  Blutuntersuchung  ergab  das  Bild  der  akuten  lympha¬ 
tischen  Leukämie,  80  000  weisse  Blutkörperchen,  unter  ihnen  96  Proz 
grosse  Lymphozyten.  Unter  Benzoldarreichung,  U/s  g  pro  Tag  ist 
die  Zahl  der  weissen  Blutkörperchen  auf  14  000  zurückgegangen'  ist 
dann  aber  wieder  angestiegen. 


T,.  y-  Peyerer  zeigt  ein  2lA  Jahre  altes  Kind  mit  Mikromelie. 
Lue  Gesamtlänge  beträgt  66  cm,  von  welchen  24  auf  die  unteren 
Extremitäten  entfallen.  Besonders  verkürzt  sind  die  Oberschenkel, 
die  Epiphysen  sind  aufgetrieben,  die  Knochen  der  Extremitäten  sind 
plump;  die  Hände  zeigen  die  Dreizackform.  Das  Kind  bekam  vor 
einiger  Zeit  Fraisen.  Die  Augen  sind  tief  eingesunken,  weich,  aus 
der  Tiefe  der  Pupille  kommt  ein  grünlicher  Reflex,  es  besteht  Nystag¬ 
mus.  Die  Rippenenden  sind  rosenkranzförmig  aufgetrieben. 

W.  Knöpfelmacher  zeigt  ein  3 jähriges  Kind  mit  chroni¬ 
schem  Gelenkrheumatismus.  Beide  Handgelenke,  die  Ellbogengelenke 
die  Knie-  und  Sprunggelenke  sind  geschwollen,  die  Schwellung  ist 
elastisch  und  nicht  druckempfindlich.  Die  Krankheitsdauer  beträgt 
bereits  2  Jahre,  jetzt  kann  das  Kind  nicht  mehr  gehen.  Es  hat  chro¬ 
nisches  intermittierendes  Fieber,  die  Schwellungen  sind  aber  nicht 
tuberkulöser  Natur,  wie  sich  Vortr.  durch  Untersuchung  eines  ex- 
zidierten  Stückchens  überzeugen  konnte.  Behandlung  mit  Radium 
war  bisher  ohne  Erfolg. 

W.  Knöpfelmacher  demonstriert  ein  21  Monate  altes  Kind 
mit  hereditärer  Lues  und  Pleiozytose  der  Zerebrospinalflüssigkeit. 

Das  Kind  wurde  mit  Salvarsan  behandelt  und  es  hat  jetzt  ein  papu- 
löses  Exanthem.  Als  das  Kind  6J4  Monate  alt  war,  wurde  bei  ihm 
die  Lumbalpunktion  vorgenommen,  welche  Pleiozytose  der  Zerebro¬ 
spinalflüssigkeit  ergab.  Die  jetzt  vorgenommene  Lumbalpunktion 
ergab  eine  noch  stärkere  Pleiozytose.  Das  Kind  hat  Hydrozephalus 
und  eine  gringe  Intelligenzstörung.  Die  Wassermann  sehe  Re¬ 
aktion  ist  in  der  Zerebrospinalflüssigkeit  negativ,  im  Blute  positiv 
Bei  luetischen  Säuglingen  ist  die  Pleiozytose  ziemlich  häufig  bei 
alteren  ist  sie  selten;  sie  deutet  auf  ein  Befallensein  der  Meningen 


1536 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  27. 


oder  des  Zentralnervensystems  hin.  \  ortr.  hat  sie  bei  alteren  K  - 
dem  noch  in  2  Fällen  beobachtet,  und  zwar  bei  einem  Falle  von  labes 
und  von  Meningoenzephalitis. 

K.  Kassowitz  bespricht  die  .Massnahmen,  welche  er  anläss¬ 
lich  einer  Diphtherieepidemie  in  einem  Kindergarten  des  Vereins 
Settlement  zur  Verhütung  der  Ausbreitung  der  Seuche  ergriffen  hat 
Bei  der  ersten  Erkrankung  wurden  alle  52  Kinder  des  Kindergartens 
untersucht,  bei  8  fanden  sich  Bazillen  in  der  Kultur  aus  dem  Abstrich 
der  Tonsillen.  Die  Anstalt  wurde  desinfiziert  und  gesperrt.  Es 
kamen  dann  später  noch  4  Erkrankungen  vor,  die  Erkrankten  wurden 
isoliert  und  serologisch  behandelt,  die  Bazillenträger  wurden  gleich¬ 
falls  isoliert  und  wiederholt  untersucht.  Ebenso  wurden  alle  Per¬ 
sonen  untersucht  und  streng  beaufsichtigt,  welche  mit  den  kranken 
Kindern  oder  mit  den  Bazillenträgern  in  Berührung  kamen.  Die  Ba¬ 
zillenträger  wurden  prophylaktisch  mit  Serum  behandelt.  Nac  i 
Wiedereröffnung  der  Anstalt,  welche  vor  lVs  Monaten  erfolgte,  ist 
kein  neuer  Erkrankungsfall  mehr  vorgekommen. 


Aus  ärztlichen  Standesvereinen. 

40.  Deutscher  Aerztetag 

in  München  am  26.  und  27.  Juni  1914. 

(Eigener  Bericht.) 

II. 

Lebhafter  Beifall  folgte  der  Eröffnungsrede  des  Vorsitzenden, 
wie  dessen  Worten  zur  Begrüssung  des  Prinzen  Ludwig  Fer¬ 
dinand.  . 

Hierauf  ergreift  das  Wort  Ministerialrat  Prof.  Dr.  Dieudonne, 
um  im  Auftrag  des  Staatsministers  des  Innern  Frhrn.  v.  Soden  so¬ 
wie  zugleich  namens  der  preuss.  Med.-Verwaltung  den  Aerztetag  zu 
begrüssen.  Besondere  Freude  hat  es  erregt,  dass  München  als  Ort  der 
diesjährigen  Tagung  ausersehen  worden  ist.  Nach  langen  schweren 
Kämpfen  ist  es  gelungen,  die  Grundlagen  zur  Regelung  der  kassen¬ 
ärztlichen  Verhältnise  zu  finden  und  es  ist  zu  hoffen,  dass  nunnie  r 
die  Stetigkeit  erreicht  wird,  deren  der  ärztliche  Stand  zur  Erfüllung 
seiner  Aufgaben  bedarf.  An  einem  leistungsfähigen  und  arbeitsfreudi¬ 
gen  Aerztestande  hat  auch  der  Staat  das  allergrösste  Interesse. 
Unter  den  auf  der  Tagesordnung  stehenden  wichtigen  Fragen  sind 
insbesondere  die  Bestrebungen  zur  Bekämpfung  der  Kurpfuscherei 
zu  begrüssen. 

Oberbürgermeister  Dr.  v.  Borscht  begrüsst  den  Aerztetag 
namens  der  Münchener  Bürgerschaft  nicht  nur,  um  den  konventio¬ 
nellen  Dank  für  die  Ehre  des  Besuches  auszusprechen,  sondern  da 
wie  alle  deutschen  Städte  auch  München  in  den  engsten,  mannig¬ 
fachsten  und  für  beide  Teile  nutzbringendsten  Beziehungen  zu  den 
Vertretern  der  Heilkunde  steht;  einerseits  bilden  die  städtischen  Kran¬ 
kenhäuser  die  Stätte  der  Ausbildung  und  Fortbildung  der  jungen  ' 
Aerzte,  anderseits  ist  die  Stadt  in  den  wichtigsten  Fragen,  wie  Saug- 
lingsschutz,  Schulhygiene,  Wohnungsaufsicht  und  Armenpflege  aut 
die  Mitwirkung  des  ärztlichen  Standes  angewiesen.  Auf  das  dank¬ 
barste  muss  anerkannt  werden,  dass  die  Vereinigungen  der  deutschen 
ärztlichen  Organisation  stets  auf  diesen  Gebieten  die  uneigennützigste 
Unterstützung  gewährt  haben  und  dass  die  Erfolge  nur  durch  die  be¬ 
währte  Mitarbeit  dieser  Vereinigungen  zu  erzielen  sind.  Um  so  freudi¬ 
ger  können  die  deutschen  Städte,  ohne  in  den  Streit  der  Meinungen 
einzugreifen,  es  begrüssen,  dass  der  Deutsche  Aerztetag  in  peinlicher 
Gewissenhaftigkeit  über  dem  Ansehen  des  Standes  wacht  und  den 
Gefahren  zu  begegnen  sucht,  welche  die  bedauernswerte  Ueber- 
füllung  der  Akademischen  Stände  für  die  freien  Berufe  mit  sich  bringt. 
In  keinem  freien  Berufe  mehr  als  in  dem  ärztlichen  ist  es  tüchtigen 
Kräften  möglich,  zu  hervorragenden  Stellungen  zu  gelangen,  bei 
keinem  steht  einem  hohen  Mass  von  Leistungen  ein  so  hohes  Mass 
von  Erfolgen  und  innerer  Befriedigung  gegenüber. 

Selbst  Ehrendoktor  der  Medizin  wünscht  der  Redner  dem  Aerzte¬ 
tag  den  besten  Erfolg  in  der  Ueberzeugung,  dass  die  Verhandlungen 
nicht  nur  dem  Stande,  sondern  auch  der  Allgemeinheit  reichen  Nutzen 

bringen  werden.  ,  ^  ^ 

Der  Rektor  Magnificus  Unterstaatssekretar  a.  D.  Professor  Dr. 
v  Mayr  begrüsst  den  Aerztetag  namens  der  Universität, 

der  Dekan  Professor  Dr.  v.  T  a  p  p  e  i  n  e  r  namens  der  medizini¬ 
schen  Fakultät,  deren  Interesse  und  Sympathien  zum  Ausdruck 

bringend.  „  . 

Im  Namen  des  Ortsausschusses  für  alle  ärztlichen  Vereinigungen 
und  der  ganzen  Aerzteschaft  heisst  Hofrat  Dr.  U  h  1  die  deutschen 
Aerzte  in  München  willkommen. 

Der  Vorsitzende  erwidert  alle  liebenswürdigen  Be- 
grüssungen  mit  herzlichem  Dank;  Es  wird  auf  seiten  der  Aerzte 
dankbar  und  erhebend  empfunden,  dass  gerade  in  Bayern  die  Be¬ 
hörden  den  Verhältnissen  der  Aerzte  ein  warmes  Interesse  und  Wohl¬ 
wollen  erwiesen  haben.  (Beifall.) 

Der  Stadtgemeinde  München  danken  wir  für  den  schönen  Emp¬ 
fangsabend;  der  Teil  der  Liebe  zu  München,  der  durch  den  Magen 
geht,  hat  jedenfalls  gestern  eine  ungemessene  Steigerung  erfahren. 

Bei  unseren  Arbeiten  legen  wir  immer  grosses  Gewicht  auf  die 
Verbindung  mit  den  medizinischen  Fakultäten  und  hoffen  bei  diesen 
stets  gutes  Gehör  und  Verständnis  zu  finden. 


Der  Münchener  Aerzteschaft  wünschen  wir,  dass  die  gleich 
schöne  Harmonie,  die  uns  bei  dem  Konzert  des  Aerzteorchesters 
gestern  erfreute,  eine  dauernde  bleiben  möchte.  Zur  Gründung  der 
Landeszentrale  wünschen  wir  den  bayerischen  Aerztcn  D'uck  aber 
wir  müssen  auch  die  dringende  Bitte  aussprechen  dass  die  Landes- 
zentralc  sich  fest  an  die  Zentralorganisation  und  den  Leipziger  Ver¬ 
band  anschliesse,  nur  so  kann  sie  selbst  etwas  erreichen  und  das 
Wohl  der  ärztlichen  Gesamtheit  fordern!  (Beifall.; 

1.  Geschäftliches. 

a)  Kassenbericht  und  Erteilung  der  Entlastung. 

Die  Kassenführung  wurde  durch  die  Mitglieder  des  Geschaftsaus- 
Schusses  B  r  u  n  k  und  W  c  r  n  e  r  geprüft.  .  .  .  %  ±. 

Die  Entlastung  wird  ohne  Diskussion  erteil  . 

b)  Geschäftsbericht.  .  ...  „„„ 

Der  Geschäftsbericht  liegt  gedruckt  vor;  auf  seine  Verlesung 
wird  verzichtet;  aus  demselben  gibt  der  Generalsekretär 
Sanitätsrat  H  e  r  z  a  u  den  Stand  der  Verhandlungen,  die  auf  Beschluss 
des  Elberfelder  Aerztetages  mit  den  Berufsgenossenschaften  ein¬ 
geleitet  worden  sind,  bekannt:  .  . 

Die  Verhandlungen  mit  dem  Verbände  D  e,u 

rufsgenossen  sc  haften  wurden  vom  Generalsekretär  bereits 

am  25.  Juli  eingeleitet.  Der  Vorsitzende  Spieker  ant¬ 
wortete  am  4.  August:  „Ich  habe  mit  Freude  von  Ihrem  Schreiben 
Kenntnis  genommen,  am  12.  August  ist  Sitzung  des  geschäfts¬ 
führenden  Ausschusses,  dem  ich  Ihre  Anfrage  vorlegen  wer  . 

Am  15.  August  erfolgte  der  Bescheid:  „Der  Ausschuss  hat  im i  H 
blick  auf  die  schweren  und  verletzenden  Angriffe,  die  auf  dem  Elber¬ 
felder  Aerztetage  gegen  die  Berufsgenossenschaften  ge^ 
den  sind,  beschlossen,  seine  weitere  Stellungnahme  von  dem  Erg 
nisse  einer  Prüfung  des  von  Herrn  Dr.  Besselmann  nach  Veröffent¬ 
lichung  des  stenographischen  Berichts  zu  erbittenden  Materials,  das 
seinen  Beschuldigungen  zugrunde  liegt,  abhängig  zu  machen  Diese 
Prüfung  wird  mit  tunlichster  Beschleunigung  vorgenommen  werden 
Nach  einer  längeren  Korrespondenz  zwischen  B  e  ss  e  Im  a  m i. 

S  p  i  e  c  k  e  r  und  Generalsekretär  schlug  letzterer  die  Prüfung 
des  Besselmannschen  Materials,  soweit  es  diesem  nicht  als  absolut 
vertraulich  übermittelt  wäre,  durch  eine  paritätische  Komm  ssion  . 
Die  Berufsgenossenschaften  machten  nunmehr  (Schreiben 
vom  12.  November)  ihre  Zusage  zu  Verhandlungen  davon  abhängig, 
dass  der  Geschäftsausschuss  die  E  r  k  1  arun  gafb^ lb  ’ 
dass  er  sich  die  in  dem  Besselmannschen  Referate 
enthaltenen  Verallgemeinerungen  nicht  zu  eigen 
macht.“  In  einer  mündlichen  Besprechung,  welche  der  General¬ 
sekretär  am  15.  Dezember  in  Berlin  mit  dem  Vorsitzenden 
S  p  i  e  c  k  e  r  und  dem  Syndikus  der  Berufsgenossenschaften, 
Justizrat  Neisser-Breslau,  hatte,  erklärte  ersterer,  dass 
Besselmann  nicht  als  vom  Geschäftsausschuss  bestellter  Referent, 
sondern  im  Aufträge  des  Aerztevereins  Kempen  und  auf  eigene  Ver¬ 
antwortung  sein  Referat  erstattet  hat,  und  dass  der  Geschaftsaus- 
schuss,  abgesehen  von  der  Disposition,  von  dessen  Inhalte *  im  ein¬ 
zelnen  vor  dem  Aerztetage  keine  Kenntnis  hatte.  Gleichwohl  b 
standen  die  anderen  Herren  auf  der  geforderten  Erklärung  des  Ge¬ 
schäftsausschusses  mit  dem  Bemerken,  dass  diese  dem  Vorstande  des 
Berufsgenossenschaftsverbandes  in  seiner  nächsten  Sitzung  mitgeteut, 
ins  Protokoll  aufgenommen  und  dann  mit  diesem  in  ihre  Zeitschritt 
.Die  Berufsgenossenschaft“  aufgenommen  werden  solle.  Der  Ge¬ 
neralsekretär  wies  natürlich  diese  Forderung  als  eine  Demütigung  mi 
Entschiedenheit  zurück.  Am  20.  Dezember  wiederholte  der  V  o  r  - 
sitzende  Dippe  in  einem  Schreiben  an  S  pieck  er  obige  Er¬ 
klärung  des  Generalsekretärs  und  fügte  hinzu:  „Wir  vom  ue- 
schäftsausschuss  haben  dem  Vortrage  Bessel¬ 
mann  s  in  Elberfeld  gegenübergestanden  wie  jeder 
andere  Abgeordnete  auch,  und  haben  uns  weder 
damals  noch  hinterher  irgend  e* w as  dar  aus  zu 
eigen  gemacht.  Diese  Sachlage  erübrigt  doch  wohl 
eine  weitere  Erklärung  des  Geschäfts ausschuss es 
vollkommen.“  (Auch  das  Protokoll  des  Aerztetages  weist  auf 
Seite  43  rechts  oben  als  erste  Worte  des  Vorsitzenden  nach  Bes¬ 
se  1  m  a  n  n  s  Bericht  die  Worte  auf:  „Herr  Kollege  Bessel- 
mannn  hat  nicht  als  Referent  des  Geschaftsaus- 
schusses  gesproche  n.“  Gleichwohl  beharrte  Spiecke  r  auf 
seiner  Forderung  und  betonte  in  seinem  Briefe  vom  30  September, 
dass  der  Ausschuss  namentlich  durch  das  Verhalten  des  Vorsitzenden 
bei  der  Elberfelder  Tagung  veranlasst  worden  sei,  der  für  die  groben 
Beschimpfungen  Besselmanns  gegen  Abwesende  kein  Wort  der 
Zurückweisung  gefunden,  sondern  dem  Referenten  am  Schlüsse  noch 
in  aller  Namen  für  sein  Referat  gedankt  habe.  I  rotzdem  richtete 
der  Vorsitzende  Dippe  unterm  5.  Januar  wiederum  ein  versöhn¬ 
liches  Schreiben  an  Spiecker,  verbat  sich  aber  gleichzeitig  eine 
Kritik  seiner  Geschäftsführung  in  Elberfeld  mit  aller  Entschiedenheit. 
Die  Antwort  vom  16.  Januar  lautete  wieder  ablehnend. 

Dieses  unverständliche  Verhalten  in  Verbindung  mit  der  münd¬ 
lichen  Erklärung  der  Herren  Spiecker  und  Neisser  vom  15-  De¬ 
zember  dem  Generalsekretär  gegenüber,  sie  sahen  eigentlich 
gar  keinen  Grund  ein  für  die  vom  Aerztetag  verlangten  Verhand¬ 
lungen  sowohl  bei  der  Elektrizitätsberufsgenossenschaft  wie  bei  allen 
schlesischen  sei  alles  in  bester  Ordnung,  legt  doch  wohl  den  Schluss 
nahe  dass  die  Berufsgenossenschaften  die  Verhandlungen  nicht 
wollen.  Der  Grund  lässt  sich  leicht  erraten. 


7.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1537 


Es  ist  nun  Aufgabe  des  diesjährigen  Aerztetages,  weitere  Schritte 
zu  beschliessen. 

Der  Generalsekretär  bemerkt  dazu  weiter: 

In  den  letzten  Tagen  hat  in  Leipzig  eine  Tagung  der  Berufsge¬ 
nossenschaften  stattgefunden,  auf  welchen  die  Ausführungen  eines  der 
Vertreter,  Herrn  Schauseil,  zwar  an  Schärfe  gegen  Bessel- 
m  a  n  n  nichts  zu  wünschen  liessen,  aber  anscheinend  doch  zugestehen, 
dass  es  Punkte  gibt,  die  einer  Regelung  bedürfen.  Die  Kürze  der  Zeit 
erlaubte  noch  keine  Prüfung  der  Sache  durch  den  Geschäftsausschuss: 
eine  allgemeine  Diskussion  dürfte  sich  heute  kaum  empfehlen;  wir 
bitten  den  Aerztetag,  dem  Geschäftsausschuss  das  Vertrauen  zu 
schenken,  dass  er  für  die  ärztlichen  Forderungen  weiter  mit  Ent¬ 
schiedenheit  eintreten  wird. 

B  e  s  s  e  1  m  a  n  n  -  München-Gladbach:  Ich  will  nur  zeigen,  dass 
ich  nach  all  den  vernichtenden  Angriffen  auf  mich  noch  lebe  und 
verweise  nur  auf  meine  im  Vereinsblatte  veröffentlichte  Erklärung. 
Ich  bin  aber  auch  der  Ueberzeugung,  dass  es  zu  Verhandlungen  doch 
wird  kommen  müssen. 

H  a  k  e  r  -  Berlin:  Soweit  aus  den  Berichten  hervorgeht,  scheint 
Herr  S  c  h  a  u  s  e  i  1  in  sehr  gereizter  Stimmung  gewesen  zu  sein  und 
den  Bericht  Besselmanns  nicht  gelesen  zu  haben  oder  nur  ganz 
ungenügende  Kenntnis  von  demselben  zu  besitzen.  Der  Aerztetag 
sollte  aussprechen,  dass  er  auch  heute  noch  den  Ausführungen  Bes¬ 
selmanns  in  Elberfeld  zustimmt;  Kollege  Besselmann  hat 
dort  nicht  auf  die  Berufsgenossenschaften  geschimpft,  sondern  im 
Gegenteil  anerkannt,  dass  die  Aerzte  mit  einer  Anzahl  derselben 
sehr  gut  auskommen;  er  hat  auch  die  auf  ärztlicher  Seite  vorkommen¬ 
den  Fehler  nicht  verhehlt;  auch  gegen  die  Vertrauensärzte  der  Be¬ 
rufsgenossenschaften  hat  er  keine  Beschimpfungen  ausgesprochen. 
(Beifall.) 

Eine  weitere  Diskussion  findet  nicht  statt. 

II.  Die  Lage  nach  dem  Berliner  Abkommen. 

H  a  r  t  m  a  n  n  -  Leipzig:  Auf  der  vor  einiger  Zeit  stattgehabten 
Hauptversammlung  des  deutschen  Betriebskrankenkassenverbandes 
hat  Herr  Heinemann  -  Essen  (welcher  auch  Mitglied  des  Ber¬ 
liner  Zentralausschusses  ist)  einen  Vortrag  über  das  Berliner  Ab¬ 
kommen  gehalten,  der  nach  den  offiziellen  Berichten  mit  lebhaftem 
Beifall  aufgenommen  wurde.  In  diesem  Vortrag  hat  sich  Herr 
H  e  i  n  e  m  a  n  n  zu  einigen  sehr  gewagten  Behauptungen  verstiegen. 
Er  hat  als  Grund  für  das  Scheitern  der  Verhandlungen  des  Betriebs¬ 
krankenkassenverbandes  mit  den  Aerzten  im  Herbste  1913  folgende 
drei  Forderungen  der  Aerzteorganisation  bezeichnet:  1.  Zulassung 
aller  Aerzte  zur  Kassenpraxis,  welche  sich  den  von  der  Aerzte¬ 
organisation  aufgestellten  Bedingungen  unterwerfen  (sog.  organisierte 
freie  Arztwahl).  2.  Bezahlung  der  Einzelleistung  nach  den  von  der 
Aerzteorganisation  bestimmten  Sätzen.  3.  Kollektivverträge. 

Man  könnte  sich  über  diese  völlig  aus  der  Luft  gegriffenen 
Behauptungen  und  diese  Entstellung  der  Tatsachen  wundern,  wüsste 
man  nicht,  wie  wenig  orientiert  die  Teilnehmer  solcher  Versamm¬ 
lungen  sind  und  dass  in  gewissen  Verbänden  die  eigentlichen  Führer 
nur  das  wissen,  was  ihnen  von  den  Geschäftsführern  vorgelogen 
wird.  Daher  auch  die  tiefe  Kluft,  die  heute  noch  die  Aerzte  von 
dem  Betriebskrankenkassenverband  trennt.  Schon  gleich  nach  dem 
Berliner  Abkommen  vom  23.  Dezember  1913  hat  der  Verband  es 
in  seiner  und  in  der  politischen  Presse  so  dargestellt,  als  ob  der 
Leipziger  Verband  und  der  Aerztevereinsbund  durch  das  Abkommen 
eine  schwere  Niederlage  erlitten  und  auf  wichtige,  früher  feierlich 
erhobene  Forderungen  verzichtet  habe.  Ich  verkünde  feierlich:  Wir 
können  und  wollen  niemals  auf  die  Forderungen  verzichten,  die  wir 
seit  Königsberg  erhoben  haben  als  die  Elemente  der  Berufsfreiheit  der 
Aerzte  und  zugleich  im  Interesse  der  Versicherten  und  Kranken 
und  des  Gedeihens  der  Krankenkassen  selbst.  Wir  haben  nicht  ver¬ 
zichtet,  sondern  nur  nicht  alles  erreicht.  Wir  wollten  keinen  Sieg, 
sondern  nur  den  Frieden,  und  ich  wiederhole  auch  heute:  Die  deut¬ 
schen  Aerzte  sind  nicht  dazu  da,  ihre  besten  Kräfte  in  gewerkschaft¬ 
lichen  Kämpfen  zu  verzetteln.  Wir  sind  der  Meinung,  dass  wenn 
bei  den  Kassen  der  Hass  und  die  Voreingenommenheit  schwindet, 
sie  selbst  einsehen  werden,  dass  mit  der  Erfüllung  unserer  Wünsche 
auch  sie  am  besten  fahren  werden.  Hierzu  ist  das  Berliner  Ab¬ 
kommen,  wenn  richtig  angewendet,  wohl  geeignet.  Ich  habe  das 
Abkommen  in  einer  Broschüre  gewürdigt  und  bin  deshalb  sehr  scharf 
und  persönlich  durch  eine  förmliche  öffentliche  Kundgebung  der 
Krankenkassenverbände  angegriffen  worden;  demgegenüber  halte  ich 
jedes  meiner  Worte  ausdrücklich  aufrecht.  Schon  dadurch  habe  ich 
den  Zorn  erregt,  dass  ich  behaupte,  dass  künftig  nur  Kollektiv- 
Verträge  abgeschlossen  werden  und  damit  eine  unserer  Haupt¬ 
forderungen  erfüllt  ist.  Man  legt  dabei  das  Hauptgewicht  auf  das  Wort 
„abschliessen“;  tatsächlich  ist  im  Berliner  Abkommen  vorgeschrieben, 
dass  der  Wortlaut  desVertrages  von  einem  Ausschuss  festgesetzt  wird. 
Ein  Kollektivvertrag  ist  eben  ein  solcher,  der  von  einer  Vertretung 
der  Allgemeinheit,  sei  es  nun  für  die  Allgemeinheit  oder  eine  Mehr¬ 
zahl  oder  einzelne  Aerzte  abgeschlossen  wird.  Eventuell  trifft  das 
Schiedsamt  die  Entscheidung.  Diese  Bestimmung  ist  neu  und 
wird  von  vielen  Aerzten  beargwöhnt.  Wenn  kein  Kampf  sein  soll, 
muss  es  einen  solchen  Schiedsspruch  geben,  und  ich  bin  persönlich 
nicht  im  Zweifel,  dass  bereits  auch  auf  dem  Aerztetag  in  Königsberg 
diese  Einrichtung  schon  ins  Auge  gefasst  war,  wenngleich  die  genaue 
Formulierung  noch  fehlte.  Auch  der  bayerische  Vertrag  hat  sich 
diesem  Prinzip  angepasst,  der  badische  Vertrag  sieht  einen  obligatori¬ 


schen  Schiedsspruch  vor  und  der  württembergische  gleichfalls  einen 
solchen  auf  2  Jahre.  Somit  ist  eine  zweite  Forderung  der  Aerzte 
erreicht.  Nicht  erreicht  ist  die  dritte  Forderung,  die  allgemeine 
Anerkennung  der  freien  Arztwahl.  Im  württembergischen, 
badischen  und  bayerischen  Vertrag  sind,  teilweise  allerdings  in  etwas 
platonischer  Weise  Bestimmungen  zugunsten  der  freien  Arztwahl 
getroffen.  Ich  habe  nun  behauptet,  dass  im  Berliner  Abkommen 
wenigstens  für  neuzugründende  Kassen  grundsätzlich  die  freie  Arzt¬ 
wahl  verlangt  wird  und  stütze  mich  dabei  auf  eine  Bemerkung  des 
Staatssekretärs  v.  Delbrück  bei  den  Verhandlungen,  der  mir  auf 
eine  Interpellation  antwortete:  „Da  haben  Sie  ihre  freie  Arztwahl“! 
Das  wird  von  den  Krankenkassen  bestritten.  Wenn  nun  wirklich  die 
Krankenkassen  künftig  das  Recht  haben  sollten,  selbst  das  Kassen¬ 
arztsystem  zu  bestimmen,  dann  würde  ich  darin  eine  sehr  ernste  Ge¬ 
fährdung  des  Berliner  Abkommens  erblicken.  Was  war  der  Zweck 
des  ganzen  Streites,  wenn  das  alte  Elend  weitergehen  soll?  Dann 
wäre  das  Abkommen  nicht  den  Fetzen  Papier  wert,  worauf  es  ge¬ 
schrieben  ist!  Ein  kleiner  Fortschritt  besteht  darin,  dass  eine  Zahl 
von  Versicherten  vereinbart  wurde,  auf  die  mindestens  ein  Arzt 
treffen  muss.  Auch  hier  wollen  die  Krankenkassen  das  Zugestandene 
wieder  wegdisputieren.  Was  hätte  die  Bestimmung  für  einen  anderen 
Zweck,  als  die  Aufstellung  einer  grösseren  Zahl  von  Aerzten? 

Nicht  erreicht  haben  wir  auch  die  Garantie  für  eine  angemessene 
Honorierung.  Wir  wollten  aber  nicht,  wie  Herr  Heinemann  den 
Kassen  weismacht,  die  Festsetzung  der  Honorarbeträge  einseitig 
durch  die  Aerzte,  sondern  nur  die  Festsetzung  der  unteren  Honorar¬ 
grenze,  unter  die  niemals  heruntergegangen  werden  sollte.  Die 
Kassen  aber  kehren  den  Stiel  um  und  wollen  eine  Höchstgrenze,  die 
der  bisher  geübten  bekannten  Knauserei  entspricht. 

Der  Durchführung  des  Abkommens  stellen  sich  überall  ungeahnte 
Schwierigkeiten  entgegen,  so  dass  man  manchmal  an  der  Durch¬ 
führbarkeit  überhaupt  zweifeln  möchte.  Ich  habe  gestern  in  der 
Hauptversammlung  des  Leipziger  Verbandes  von  der  grossen  Ge¬ 
schäftslast  gesprochen,  welche  uns  das  Abkommen  bringt.  Die 
Schwierigkeiten  liegen  nicht  nur  in  der  Kompliziertheit  und  Unklar¬ 
heit  des  Abkommens  selbst,  sondern  oft  auch  fehlt  es  am  guten 
Willen  bei  allen  Beteiligten,  den  Kassen,  Behörden  und  auch  den 
Kollegen.  Sicher  erwächst  den  Behörden  eine  grosse  Last,  doch  hätte 
man  ein  schnelleres  Einarbeiten  derselben  oft  erwarten  können. 
Oft  habe  ich  herzhaft  die  ärztlichen  Organisationen  getadelt,  ich  habe 
ihnen  aber  recht  Abbitte  geleistet,  seit  ich  gesehen,  was  die  Ver¬ 
waltungsbeamten  alles  fertig  bringen  und  missverstehen.  Ein  Ver¬ 
sicherungsamt  teilt  das  Abkommen  in  zwei  Teile,  einen  obligatorischen 
(Ziffer  1—10),  der  für  die  Kassen  günstig  ist,  und  einen  fakultativen 
(Zifferll),  der  den5-Pfennigbeitrag  betrifft;  bei  diesem  wird  es  für  aus¬ 
sichtlos  erklärt,  auf  die  Kassen  einzuwirken.  —  Ein  anderes  Versiche- 
rungsamt  hat  alles  geregelt,  aber  diesen  5-Pfennigbeitrag  vergessen. 
„Eine  Aenderung  ist  nicht  mehr  möglich  und  deshalb  sollen  ihn  die 
Aerzte  übernehmen!“  —  Einem  Arzt,  der  den  von  dem  Versicherungs¬ 
amt  hergestellten  Vertrag  nicht  unterzeichnen  will,  wird  die  Strei¬ 
chung  als  Kassenarzt  angedroht.  —  Ein  Versicherungsamt  versagt  die 
freie  Arztwahl,  ein  anderes  legt  den  Aerzten  fertige  Verträge  zur 
Unterschrift  vor.  Da  ist  es  doch  fraglich,  ob  die  Versicherungsämter 
wissen,  was  sie  zu  tun  und  nicht  zu  tun  haben,  und  ob  die  Ver¬ 
sicherungsamtmänner  auf  diese  Weise  wirklich  unbefangen  im 
Schiedsamt  wirken  können. 

Bezüglich  der  Errichtung  der  Arztregister  und  der  Wahl  der 
Ausschüsse  herrscht  noch  ein  völliges  Chaos.  Dabei  fehlt  es  sicher 
oft  am  guten  Willen  und  spielen  Nebenabsichten  eine  Rolle.  So 
trägt  ein  Versicherungsamt  nur  die  „Nothelfer“  in  das  Arztregister 
ein,  ein  anderes  stellt  kein  Register  auf,  weil  die  Kassen  keines 
wünschen,  anderswo  wird  das  Register  nur  für  bestimmte  Kassen 
und  deren  festangestellte  Aerzte  eingerichtet.  Die  Einrichtung  ge¬ 
meinsamer  Register  für  mehrere  Bezirke  wurde  in  Preussen  bisher 
überhaupt  abgelehnt,  obgleich  in  manchen  Bezirken  so  wenige  Aerzte 
sind,  dass  sie  nicht  einmal  zur  Besetzung  der  Ausschüsse  hinreichen. 
Aehnlich  steht  es  mit  den  notwendigen  Wahlen.  In  manchen  Be¬ 
zirken  sind  bis  heute  noch  keine  Wahlen  angesetzt  worden.  Man 
kann  sagen:  in  ganz  Deutschland  gibt  es  noch  kaum  ein  Arzt¬ 
register  und  einen  Vertragsausschuss,  die  dem  Abkommen  wirklich 
entsprechen!  Man  hat  eben  den  Bau  mit  dem  Dach  begonnen,  nicht 
mit  dem  Fundament.  Vorerst  wäre  das  Wichtigste,  dass  endlich  die 
Verträge  zum  Abschluss  gebracht  werden,  erst  dann  lässt  sich  richtig 
weiter  arbeiten;  aber  der  alte  Hass  der  Kassen  gegen  den  LWV. 
macht  sie  blind.  Man  sollte  meinen,  nachdem  sie  einmal  doch  mit 
dem  LWV.  den  Vertrag  abgeschlossen  haben,  müssten  sie  froh  sein, 
wenn  dem  LWV.  möglichst  viele  Aerzte  angehören;  denn  umso 
leichter  wird  dann  die  Durchführung  des  Abkommens.  Aber  jetzt, 
nachdem  der  LWV.  den  Kassen  die  ärztliche  Versorgung  vermittelt 
hat,  pressiert  es  ihnen  mit  dem  Abschluss  der  Verträge  gar  nicht 
mehr.  Ende  1913  waren  sie  oft  geneigt  zum  Abschluss  unter  guten 
Bedingungen,  jetzt  aber  wollen  sie  überhaupt  nicht  mehr  verhandeln; 
denn  „die  Aerzte  müssen  ja  die  Kranken  behandeln“.  Dabei  werden 
alle  möglichen  Vorwände  gebraucht,  wie  z.  B„  dass  die  allgemeine 
Durchführung  des  Berliner  Abkommens  erst  gesichert  sein  müsse. 
Andere  Kassen  wollen  sich  nicht  den  Schiedsinstanzen  fügen,  andere 
versuchen  die  Abschaffung  der  freien  Arztwahl,  leider  öfters  mit 
Unterstützung  von  Aerzten.  Oft  werden  dabei  die  Kassen  von  den 
Oberversicherungsämtern  oder  von  dem  preussischen  Handelsmini¬ 
sterium  unterstützt.  Die  grösste  Schwierigkeit  macht  die  Leistung 


1538 


M U ENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


N..  27. 


des  5-Pfennigbeitrages  durch  die  Kassen.  Von  75U0  Kassen  Deutsch¬ 
lands  haben  auf  die  Aufforderung  nur  825  geantwortet  und  750 
zugestimmt.  Völlig  ablel  nend  verhalten  sich  die  Kassenyerbande  in 
Baden  Bayern  und  in  den  Reichslanden.  Man  benützt  die  Dehnba  - 
Weit  des  §11  des  Abkommens  oder  erklärt  nur  diejenigen  Kassen  ur 
gebunden  die  bei  den  Verhandlungen  über  das  Abkommen;  vertreten 
waren.  Der  Reichsverband  der  Landkrankenkassen  lehnt  die  Zah  K 
ab  verlangt  aber  doch  einen  Sitz  in  dem  durch  das  Abkommen  ge 

“‘'SÄÄ  noch  die  Regelung  der  Hono^tmd 

von 'M 1  C3.50b ün dC  f ür  Famüienbehandlung  IvT 4%0  einschliesslich  aller 

NCbCÄbCeSrtäuchnvon  den  Aerzten  wird  noch  viel  gesündigt.  Bei  gutem 
Willen  wären  unsere  Organisationen  dem  Abkommen  völlig  anzu- 
nassci!  Nicht  zu  billigen  ist,  wenn  sich  die  Aerzte  weigern  die 
Ausschüsse  zu  bilden,  wenn  sie  fordern,  dass  der  Vertrag  nur  durch 
die  Vereine  abgeschlossen  werden  soll  oder  wenn  sie  sich  weigern 
die  vorgeschriebenen,  von  den  Aerzten  Unterzeichneten  Einzelver- 
träge  nachzuliefern.  Zum  Teil  werden  die  Schwierigkeiten  gerade 
von  sotehen Aerztevereinen  gemacht,  die  Ende  1913  geneigt  waren 
ohne  Genehmigung  des  LWV  ihren  Frieden  mit  en '  as^.eij{  ch 
machen.  Auch  bei  der  Nothelferfrage  machen  die  Ae^te  vielfach 
Schwierigkeiten.  Nicht  genug  anzuerkennen  ist  es,  dass  die  Aerzte 
in  Baden,  Württemberg  und  Bayern  den  10-Pfennigbeitrag  leisten, 
obgleich  ihn  die  Kassen  ablehnen.  Die  schärfste  Verurteilung  verdient 
aberdie  Ablehnung  des  Beitrages.  z  B.  mit  der  l*B»nd“.*  da* 
das  Berliner  Abkommen  nicht  die  Versprechungen  erfüllt  und  die 

Aerzte  im  Stiche  gelassen  habe.  .  f  WPiciie  nie. 

Allerdings  legt  das  Berliner  Abkommen  Opfer  auf,  welche  ine 
ienieen  Aerzte  geniessen,  die  wir  nicht  gern  zu  uns  zahlen,  aber  es 
soll  auch  das  letzte  Opfer  sein.  Die  Ablehnung  dieses  Opfers  ladt 
d?e  graste  Verantwortung  auf.  Das  grösste  Opfer  bedeutet  für  die 
Aerzte  Elbing.  Die  dortigen  Zustande  widersprechen  den  feste 
Abmachungen  und  den  feierlichen  Zusicherungen  der  Regierung.  Ich 
spreche  es  laut  und  feierlich  aus:  Wir  Aerzte  fühlen  uns  hierin 
schwer  enttäuscht.  Der  Regierung  aber  sei  der  Name  Elbing  als 
pjn  Mene  Tekel  von  uns  an  die  Wand  geschrieben.  Das  Miliei 
in  Elbing  ist  ein  eigenartiges:  Der  Inhaber  der  Schichau  werft  ist  er 
grösste  ^Industrielle  und  Steuerzahler'  der  Provinz  Das  ist  a 
kein  Grund,  warum  das  Berliner  Abkommen  vor  Ha^  Sg®» 
sollte.  Das  dortige  Versicherungsamt  tragt  aber  nur  die  „Notheller 
ins  Verzteregister  ein  und  obwohl  es  durch  die  Anlage  des  Roos  , 
d  is  Berliner  Abkommen  eigentlich  anerkennt,  lasst  es  keine  Wahle 
in  die  Ausschüsse  vornehmen.  Sehr  wahrscheinlich  ist  es,  dass  cs  in 

seiner  Stellungnahme  von  dem  preußischen  Ve^sidi"^ 

unterstützt  wird.  Dem  Berliner  Abkommen  das  auf  1350  Versicherte 
einen  Kassenarzt  verlangt,  widerspricht  aber  auch,  dass  in  Elbing 
für  ?2  000  Versicherte  nur  8  Kassenärzte  aufgestellt  sind,  von  denen 
einer"  noch  auf  1  Jahr  für  Köln,  10  Jahre  für  Düsseldorf  ver-  _ 
pflichtet  ist.  Demgegenüber  berufen  un^e^d/rUC^le. 

auf  die  vom  Reichsamt  des  Innern  am  28  D  ^er  Nothetfer 
graphisch  gemachte  Zusage,  dass  die  Abgab 
■in  andere  Orte  als  durchaus  unzulässig  zu  gelten  habe.  uas 
eine"  können  wir  sagen:  Die  deutschen  Aerzte  geniert  Elbing  ga 
ausserordentlich!  Den  Elbinger  Aerzten  rufen  wir  zu.  narrt  mutig 

‘“'Xrmifhab’e  loh  gezeigt,  wie  weit  wir  zufrieden  seht  können  und 

manch  ^  Kollegen  stehe,  grollend  beiseite.  Sie  sollen  aber  bedenken 
dass  wir  nicht  den  Gegner  nicderzwingen  und  ein  Vae  victis  zürnten 

wollten  Jetzt  ist  aus  dem  Gegner  ein  Partner  zum 

wir  cs  ehrlich  halten  müssen  und  wollen.  Dann  wird  auch  er  Zl  , 
Verständnis  gelangen  und  der  Friede  erreicht  werden.  Unser  Ziel 
ist  das  alte,  unverrückbare:  Der  Kassenarzt  muss  unabhängig  und 
unbeeinflusst  seinen  Pflichten  nachgehen  können.  Das  Berliner  Ab 

kommen  bietet,  wenn  es  loyal  und  restlos  du£7K^uh' V  weni  der 
wohl  den  Weg  zu  unserem  und  der  Kassen  Nutzen  un  '  m  d  r 
Frioflp  erreicht  ist,  auch  zum  Nutzen  des  lieben  deutschen  yaitr 
1  an  des.  (Lebhafter  Beifall.)  Der  Geschäftsausschuss  schlagt  folgen 

ReS01  dS"  Anerkennung  der  von  der  deutschen  Aerzteschaft  seit 
langen  Jahren  immer  wieder  einmütig  erhobenen  Forderungen 
liegt  nicfF  bloss  im  Interesse  der  Unabhängigkeit  und  einer  sachge- 
Ssen  Berufsausübung  der  Kassenärzte,  sie  dient  ebenso  sehr  dem 
Wolile  der  Versicherten  und  dem  Gedeihen  der  Krankenkassen.  Wenn 
^ch  das  BerHner  Abkommen  vom  23.  Dezember  1913  wesentliche 
dieser  Forderungen  noch  unerfüllt  lässt,  so  ist  es  doch  geeignet,  den 
( ■■  ii  Rpfpiiip-ten  nötigen  Frieden  herbeizuführen.  Deshalb  macht  es 

der  n  Echln ve?sfmirelle  40.  Deutsche  Acrzictag  den  Bundes- 
der  in  iviuncr  ...  ,  Lokalorganisationen  und  den  Sek¬ 

tionen  ^und  Ortsgruppen  seiner  wirtschaftlichen  Abteilung,  des  Lem- 
tionen  una  urisg  vv  pfli  y.t  überall  für  die  Anerkennung  und  die 

Durchführung'des  Akolenstatkräf/ig  einzutreten  Er  erklärt  es 
aber  ausserdem  für  unerlässlich,  dass  auch  die  Reg.erungs-  und 
Versicherungsbehörden  und  die  Krankenkassenverbande  weit  mehr  a  s 
,  .  ,  neiste  das  Friedens  wirken,  und  dass  vor  allem  die 

Krankenkassen  selbst' die  sich  vielfach  im  Reiche  hinauszögernden 
V er trjfgs  a  b Schlüsse  fördern,  dabei  den,  durch  die  Ze.tverhaltn.sse  und 


die  von  der  Reichsversicherungsordnung  herbe  gefuhrte  V  trmmderung 
der  Privatpraxis,  begründeten  Flonoraranspruchen  der  Kassenarzte 
vmecht  werden/ und  den  für  die  Beseitigung  der  ärztlichen  Not¬ 
helfer  erforderlichen  5-Pfennigbeitrag  nicht  langer  verweigern.  Da  ei 
verhehlt  sich  der  Aerztetag  nicht,  dass  das  Vertrauen  der  Atr 
da*  Berliner  Abkommen  solange  .kein  grosses  sein  wird  und  kein 
grosses  sein  kann,  bis  nicht  alle  Vorbedingungen  für  sein  Zustande¬ 
kommen  restlos  erfüllt  sind.  Er  spricht  daher  die  bestimmte  Er¬ 
wartung  aus,  dass  nun  endlich  den  unerträglichen  Zustanden  bei  den 
Krankenkassen  in  Elbing  ein  Ende  gemacht  wird,  und  richtet  an  dm 
am  Berliner  Abkommen  beteiligten  Krankenkassenverbande  die  ein¬ 
dringliche  Mahnung,  dafür  zu  sorgen,  dass  die  Elbinger  Betriebs¬ 
und  Ortskrankenkassen  schleunigst  auf  den  Boden  des  Berliner  Ab¬ 
kommens  treten  und  die  zugezogenen  Nothelfer  entlassen.  Schliess¬ 
lich  Tedangt  er  von  der  Preussischen  Regierung,  dass  sie,  in  Er¬ 
füllung  eines  beim  Abschluss  des  Abkommens  feierlich  gegebenen 
Versprechens,  die  beiderseitigen  Kassen-  und  Aerzteverbande  bei 
seiner  Durchführung  unterstützt,  die  in  Betracht  kommenden  Ver 
Sicherungsbehörden  anweist,  ohne  Ansehen  der  Person  auch  für 
Elbing  im  Sinne  des  Berliner  Abkommens  tätig  zu  sein.  (Beifal  .) 

Der  Vorsitzende  spricht  dem  Berichterstatter  den  besten 
Dank  aus  und  die  Floffnung,  dass  nunmehr  eine  Beschleunigung  in 
der  Durchführung  des  Berliner  Abkommens  eintreten  werde. 

Es  liegt  ein  Antrag  Hecht-Munchen  vor. 


cs  liegt  ein  Antrag  1 1  c  v.  n  i  -  m  u  ».  w  ~  —  .  . 

Der  40  Aerztetag  ersucht  die  Reichsregierung  und  den  Reichstag, 
die  Bestimmungen  der  Reichsversicherungsordnung  mögen  dahin  ab¬ 
geändert  werden,  dass  die  Krankenkassenmitglieder  für  ärztliche 
Behandlung  und  Arzneien  einen  wenn  auch  nur  kleinen  prozentualen 

Beitrag  jeweils  selbst  bezahlen  müssen.  ...  .  .  .  .. 

Hecht- München:  In  dem  Bezirksverein  München  ist  dieser 
Antrag  eigentlich  für  die  diesjährige  Sitzung  der  bayerischen 
Aerztekammern  eingereicht  worden,  er  soll  nun  aber  bereits  den 
Aerztetag  vorgelegt  werden.  Wir  wollen  keine  grosse  Diskussion 
hervorrufen.  Wir  alle  kennen  die  Schäden,  die  der  Antrag  beseitigen 
will  Auch  wenn  der  Antrag  den  Regierungen  nicht  genehm  i  n 
zur  Zeit  als  zwecklos  erscheinen  mag,  wird  er  doch  vielleicht 
später  zum  Ziele  führen.  Sich  regen  bringt  Segen! 

E  i  s  f  e  1  d  -  Groningen  berichtet,  welche  Schwierigkeiten  im  Be¬ 
reich  des  Versicherungsamtes  Oschersleben  zu  überwinden  waren,  so 
dass  im  April  neuerdings  der  Ausbruch  des  vertragslosen  Zustandes 
drohte  Nach  telegraphischer  Anrufung  des  Oberversicherungsamtes 
kam  es  schliesslich  durch  dessen  Eingreifen  ohne  Mitwirkung  des 
Schiedsamtes  zu  einem  befriedigenden  Abschluss.  n  .. 

Stern-  Königsberg:  Bei  uns  ist  die  Beurteilung  des  Berlinu 
Abkommens  nicht  so  günstig,  wie  es  gestern  in  der  Versammlung 
des  LWV  und  bisher  heute  den  Anschein  hatte.  In  ganz  Ostpreusscn 
bedauert  man  heute  noch  das  Abkommen.  Wir  waren  viel  besser 
ohne  dasselbe  fertig  geworden.  Man  kann  einige  Lichtpunkte  11 
demselben  finden  und  anerkennen,  wie  das  Aufhören  des  Reichs¬ 
verbandes  und  den  diplomatischen  Erfolg,  dass  dieser  Verband  nicht 
zu  den  Verhandlungen  zugezogen  wurde;  ebenso  d,e  Ausschaltung  der 
Kurpfuscher  in  der  Kassenkrankenbehandlung,  schliesslich  auch  die 
Beseitigung  des  Nothelferwesens.  Damit  sind  aber  auch  die  Vorzüge 
zu  Ende  und  sie  wiegen  leicht  gegenüber  den  schweren  Schädi¬ 
gungen  die  das  Abkommen  dem  Aerztestand  gebracht  hat  Wir 
Ostpreussen  sind  „Dickschädel“,  bei  denen  es  lange  dauert,  is  u 
Gedanke  hineinkommt,  kommt  einer  aber  hinein,  so  bleibt  er  auch 
lange  darin  und  wir  vergessen  nicht  so  leicht,  was  geschehen  ist. 
Das  Schlimmste  ist  das  grosse  Vertrauen  in  die  Regierung  obwohl 
niemand  weiss,  wie  lange  eine  Regierung  besteht  und  obwohl  gerade 
im  Schosse  der  preussischen  Regierung  vielfach  eine  den  Aerzten 

ielndDehrevAo"fsf.“"lnbdef ermahnt  den  Redner  zur  Mässigung;  der 

AUSdDeCrk  R  e dnehr“  Uhr?  forTwir  Aerzte  sind  durch  das  Ab- 
kommen  einfach  der  Regierung  verschrieben,  insbesondere  durch  die 
obliKatorischen  Schledsämter.  Schon  in  den,  ersten  Entwürfe  waren 
^chicdsausschüsse  vorgesehen.  Da  war  es  M  u  g  d  a  n,  der  dem 
Entwurf  diese  Giftzähne  ausbrach  und  jetzt  sind  unter  seiner  Mit¬ 
wirkung  diese  Giftzähne  in  das  Abkommen  wieder  hineingekommen. 
Damit  können  wir  uns  nicht  befreunden  und  das  wollen  wir  nicht 
mitmachen  Weiter  in  der  Frage  des  Arztsystems  ist  die  Durch¬ 
setzung  der  alten  Forderungen  nicht  gelungen  und  die  AU  der 
Durchführung  der  Verhandlungen  bedeutet  eine  Schwächung  der  lokalen 
äi  ztlichen  Organisationen  die  nie  mehr  wettzumachen^sU  die  Or¬ 
ganisation  ist  gerade/u  lahmgelegt  worden.  Der  LWV.  hat  im 
grossen  und  ganzen  seine  Bedeutung  eingebusst,  er  hat  aufgehort 
Hip  entscheidende  Vertragszentrale  zu  sein.  Die  Stellung  des  ver 
b  indes  ist  verschoben  und  das  Gewicht  in  die  lokalen  Organisationen 
verlegt  worden;  ' damit  bereitet  sich  der  Zerfall  vor,  den  wir  be¬ 
dauern  müssen.  Wir  Ostpreussen  sind  aber  trotzdem  dem  LVvV. 
freu  Seblicben  und  wollen  an  der  Durchführung  des  Berliner  Ab¬ 
kommens  mifwirken,  aber  es  hat  uns  grosse  Ueberwindung  gekostet. 

(BC1  Staude  ^-Nürnberg:  Ich  beabsichtige  keine  Kritik  des  Berliner  Ab¬ 
kommens-  wir  bayerischen  Aerzte  denken  noch  feuchten  Auges  unseres 
bayeHschen  Abkommens,  das  wir  heute  noch  für  wesentlich  besser 
halten  als  das  Berliner,  aber  wir  erkennen  voll  an,  dass  die  Zentrale 
unserer  Organisation  das  menschenmögliche  geleistet  hat  und  wissen 
Sen  Filhrcn,  Dank  fiir  ihre  aufopfernde  Tätigkeit.  Jetzt  handelt  es 


7.  Juli  1914. 


MUKNCHKNKR  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


sich  nicht  mehr  um  die  Kritik,  sondern  um  das  Rinleben  in  die 
neuen  Verhältnisse.  Wichtig  ist  die  Frage  der  Vertragssammelstelle 
in  Leipzig.  Nach  Ziffer  4  des  Abkommens  ist  für  den  Vertrags¬ 
abschluss  eine  massgebende  Genehmigung  durch  die  Leipziger  Zen¬ 
trale  nicht  mehr  möglich,  aber  die  Sammelstelle  für  die  Verträge  hat 
ihre  grosse  Bedeutung  behalten  vor  allem  für  statistische  Zwecke  und 
spätere  Ereignisse;  gerade  jetzt  müssen  wir  bedauern,  keine  solche 
Materialsammlung  zu  besitzen.  Daher  ist  es  notwendig,  künftig  das 
Material  zu  sammeln  ,zu  sichten  und  zu  bearbeiten.  Zu  betonen  ist 
noch  gegenüber  Hartmanns  Ausführungen,  dass  in  Bayern  infolge 
des  wohlwollenden  Eingreifens  der  Regierung  die  Kassen  für  den 
5-Pfennigbeitrag  gewonnen  worden  sind.  Kassen  aller  Arten  haben 
den  Beitrag  wirklich  schon  geleistet. 

E  i  e  r  m  a  n  n  -  Frankfurt  a.  M.  spricht  zu  dem  Münchner  Antrag. 
Derselbe  hat  einen  ausgezeichneten  Kern  und  ist  schon  oft  zu  ver¬ 
wirklichen  versucht  worden,  am  erfolgreichsten  wohl  in  Württemberg, 
wo  in  der  Familienversicherung  ein  Beitrag  zu  den  Medikamenten- 
kosten  verlangt  wird.  Es  wäre  ein  Glück,  wenn  die  Petition  erfolg¬ 
reich  wäre,  allein  dazu  besteht  wenig  Hoffnung.  Man  muss  vielmehr 
gerade  im  jetzigen  Stadium  sehr  zur  Vorsicht  raten.  Der  Antrag  er¬ 
scheint  deshalb  nicht  ratsam,  weil  er  nur  zur  öffentlichen  Agitation  gegen 
die  Aerzte  ausgebeutet  werden  wird,  bei  der  durch  das  Berliner 
Abkommen  geschaffenen  Erregung.  Die  Krankenkassen  werden  uns 
„unsoziale“  Anschauungen  vorwerfen,  aus  politischen  Gründen,  ob¬ 
wohl  sie  selbst  vielfach  von  der  Berechtigung  des  Antrages  über¬ 
zeugt  sind.  Daher  wäre  es  vorzuziehen,  den  Antrag  auf  1 — 2  Jahre 
zu  vertagen  oder  ihn  der  Krankenkassenkommission  zu  einer  gründ¬ 
lichen  Prüfung  zu  überweisen,  die  immer  lange  Zeit  in  Anspruch 
nimmt. 

S  a  m  u  e  1  -  Stettin:  Auch  wir  hatten  im  Anfang  schwere  Be¬ 
denken  gegen  das  Berliner  Abkommen,  die  sich  aber  legten,  als  wir 
die  Stimmung  auf  Seiten  der  Kassen  erkennen  konnten.  Sie  waren 
so  erbittert,  dass  sie  erst  nach  langer  Zeit  für  Verhandlungen  zu 
haben  waren.  Dabei  haben  wir  durch  die  Regierung  eine  wesent¬ 
liche  Unterstützung  gefunden  und  jetzt  sind  die  Verträge  unter  Dach 
gebracht.  Mit  Ruhe  und  Geduld  haben  wir  noch  manches,  auch  eine 
Erhöhung  des  Pauschales  erreicht.  Jedenfalls  ist  es  unverständlich, 
wenn  man  sagt,  unsere  Organisation  sei  geschädigt  oder  gar  ver¬ 
nichtet  worden.  Erst  vor  kurzer  Zeit  haben  wir  durch  unsere  Or¬ 
ganisation  noch  schwankende  Kollegen  festgehalten. 

H  a  k  e  r  -  Berlin:  Es  erscheint  doch  wichtig,  den  Münchener  An¬ 
trag  anzunehmen  und  diesen  Gedanken  einmal  wieder  zu  betonen. 
Die  Agitation  gegen  ihn  brauchen  wir  nicht  zu  fürchten,  auch  viele 
Vertreter  der  Kassen  sind  für  denselben  und  es  wird  auch  die  im 
nächsten  Jahre  in  Paris  tagende  internationale  soziale  Konferenz  Ge¬ 
legenheit  bieten,  sich  mit  demselben  zu  befassen. 

Schlüter  -  Minden:  Bei  uns  bieten  die  Verhältnisse  ein  freund¬ 
licheres  Bild,  als  Stern  es  gegeben  hat.  Uns  allen  war  ein  Stein 
vom  Herzen,  als  in  ehrenvoller  Weise  der  Kampf  vermieden  war,  der 
für  die  Aerzte  und  die  Bevölkerung  ein  Unglück  gewesen  wäre.  Die 
erste  Enttäuschung  schwand  bei  genauerer  Prüfung  des  Abkommens. 
Notwendig  bleibt  eine  geschlossene  Aerzteorganisation,  vor  der  auch 
die  Regierung  Respekt  hat.  Wir  erkennen  dankbar  an,  in  wie  un¬ 
parteiischer  und  vorzüglicher  Weise  das  Versicherungsaint  Minden 
gewirkt  hat.  So  haben  wir  in  Frieden  die  grundsätzliche  Durch¬ 
führung  der  freien  Arztwahl  und  eine  Erhöhung  des  Honorars  erreicht. 

L  e  v  y  -  Graudenz:  S  t  a  u  d  e  r  hat  nicht  recht,  dass  wir  hier  das 
Abkommen  nicht  kritisieren  sollen;  denn  der  Aerztetag  ist  hierfür  das 
einzige  Forum;  aber  die  Kritik  muss  eine  positive,  nicht  nur  negative 
sein.  Es  kann  nur  einen  guten  Eindruck  machen,  wenn  man  sieht, 
dass  wir  nicht  nur  von  den  Führern  geleitet  werden,  sondern  ihnen 
mit  Ueberlegung  folgen.  Interessant  ist  eine  Würdigung  der  allge¬ 
meinen  gewerkschaftlichen  Bewegung.  Prof.  K  es  t  er- Jena  hat  auf 
die  Analogie  mit  der  grossen  Politik  hingewiesen:  Aus  kleinen  An¬ 
fängen  bilden  sich  grosse  Organisationen,  die  gewaltig  rüsten,  so  dass 
der  Kampf  unvermeidlich  erscheint,  dann  kommt  es  aber  im  letzten 
Moment  doch  meist  zum  Frieden.  So  haben  die  beiden  grossen 
Organisationen  im  Buchdruckgewerbe  schon  seit  vielen  Jahren  keinen 
Kampf  miteinander  gehabt,  weil  sie  gegenseitige  Gleichberechtigung 
errungen  haben.  Wir  müssen  uns  klar  sein,  unser  früheres  Fanfaren¬ 
geblase  war  ein  Mittel  für  einen  ganz  anderen  Zweck.  Die  Aerzte 
sind  psychologisch  nicht  für  den  Krieg  disponiert,  sondern  für  den 
Frieden.  Wir  haben  erreicht,  dass  die  Regierungen  nicht  mehr 
negierend  uns  gegenüberstehen,  sondern  als  gleichstehender  Faktor, 
der  die  Gleichberechtigung  aller  Vertragsteile  anerkennt.  Dem 
Friedensbcdürfnisse  der  Aerzte  ist  freie  Bahn  geschaffen  worden. 
Dass  H  a  r  t  m  a  n  n,  die  Kampfnatur,  das  gemacht  hat,  ist  seine  grösste 
moralische  Leistung! 

v.  Wild- Kassel:  Das  Berliner  Abkommen  ist  wie  ein  junger, 
erst  gepflanzter  Baum.  Elbing  ist  eine  faule  Frucht  an  demselben. 
Schuld  ist  das  mangelhafte  Verhalten  der  Regierung,  die  ihre  Pflicht 
vernachlässigt  hat.  Im  Uebrigen  zeigt  sich  in  dem  Auftreten  der 
Kegierungsbeamten  in  Preussen  doch  eine  grosse  Hochachtung  vor 
dem,  was  die  Aerzte  in  ehrenamtlicher  Tätigkeit,  die  nicht  auf  Orden 
und  I  itel  und  oft  nicht  einmal  auf  Dank  im  eigenen  Kreise  rechnen 
kann,  geleistet  haben;  es  besteht  auch  das  ernste  Streben,  tief  in 
die  Verhältnisse  einzudringen  und  ihnen  gerecht  zu  werden.  Wenn  die 
Frage  des  5-Pfennigbeitrages  Schwierigkeiten  macht,  sind  teilweise 
die  Aerzte  schuld.  Sie  sollten  eben  keine  Verträge  abschliesscn, 
bevor  dieser  Punkt  geregelt  ist. 


M  u  g  d  a  n  -  Berlin:  Es  wäre  zu  verwundern,  wenn  auf  dem 
ersten  Aerztetag  nach  dem  Abkommen  nur  Gutes  darüber  gesagt 
worden  wäre.  Da  die  Ostpreussen  die  Bundestreue  halten,  haben  sie 
cm  Recht  darauf,  dass  man  auf  ihre  Vorwürfe  eingeht.  Es  ist  unbe¬ 
rechtigt,  mir  meine  Haltung  in  Sachen  der  Schiedsämter  vorzu¬ 
werfen.  Im  ersten  Entwürfe  waren  zwei  verschiedene  Schiedsämter 
für  die  fixierten  Aerzte  und  für  freie  Arztwahl  vorgesehen,  diese 
doppelten  Instanzen  haben  wir  verworfen.  Ganz  anders  verhält  es 
sich  mit  den  gegenwärtigen.  Diese  haben  wir  doch  schon  seit 

Königsberg  gefordert  und  diese  müssen  eine  behördliche  Spitze _ sei 

es  einen  Beamten  aus  dem  Versicherungswesen  oder  einen  anderen 

erhalten,  am  besten  einen  mit  dem  Versicherungswesen  vertrauten. 
Die  Kritik  Hartmanns  an  der  Haltung  der  Versicherungsämter  ist 
berechtigt.  Aber  es  ist  zu  bedenken,  dass  die  Oberversicherungs- 
ainter  aus  den  Schiedsgerichten  für  Arbeiterversicherung  hervorge¬ 
gangen  sind,  und  ihnen  nun  auf  einmal  auch  das  Krankenversicherungs¬ 
wesen  zufiel.  Ein  Teil  der  Missgriffe  beruht  noch  auf  der  begreif¬ 
lichen  Unkenntnis,  nicht  auf  bösem  Willen.  Das  zeigt  sich  auch 
bereits  in  verschiedenen  für  uns  Aerzte  gewiss  günstigen  Entschei¬ 
dungen.  So  wurde  enstchieden,  dass  die  „Angemessenheit“  des  Ho¬ 
norars  objektiv  und  unabhängig  von  den  Finanzverhältnissen  der  ein¬ 
zelnen  Kasse  zu  beurteilen  ist  und  gegebenenfalls  eben  die  Finanzen 
der  Kasse  den  berechtigten  Forderungen  der  Aerzte  anzupassen  sind. 
Zwei  wichtige  Entscheidungen  hat  auch  das  Reichsversicherungsamt 
getroffen:  Die  eine  schliesst  die  Beschäftigung  von  Kurpfuschern  bei 
den  Krankenkassen  so  gut  wie  vollständig  aus,  die  andere  sagt,  dass 
dem  Berliner  Abkommen  auch  durch  den  Vertrag  mit  ärztlichen  Ver¬ 
einigungen  genügt  wird  und  nicht  nur  durch  den  Vertrag  mit  Einzel¬ 
ärzten.  Jedenfalls  lassen  die  Versicherungsbehörden  mit  sich  reden, 
wenn  auch  die  Kassenführer  nicht  einzusehen  scheinen,  dass  jetzt 
Frieden  sein  soll.  Wir  halten  die  Behörden  nicht  mehr  für  feindlich, 
aber  es  wird  unter  ihnen  verständnisvolle  und  verständnislose  geben. 
Wenn  die  Aerzte  und  die  Kassen  sich  einigen,  bedürfen  sie  der  Be¬ 
hörden  überhaupt  nicht.  Gerade  jetzt  ist  aber  eine  gute  Organisation 
der  Aerzte  nötig,  um  das  Abkommen  durchzuführen. 

W  e  i  s  s  -  Hamburg:  In  Hamburg,  das  bis  jetzt  immer  eine  Aus¬ 
nahmsstellung  hatte,  scheint  sich  erst  durch  das  Abkommen  ein  Fort¬ 
schritt  anzubahnen.  Der  Antrag  München  hat  einen  guten  Kern.  Wenn 
wir  uns  auch  missliebig  machen,  brauchen  wir  uns  nicht  zu  sehr 
fürchten,  die  Kassen  leiden  selbst  unter  den  gegenwärtigen  Miss¬ 
ständen  ohne  die  Möglichkeit  der  Abhilfe;  auch  die  Tätigkeit  der 
Kassenärzte  ist  erschwert.  Manche  Kassenmitglieder  haben  das  Ge¬ 
fühl,  dass  die  Honorare  nicht  genügen  und  zahlen  selbst  noch  einen 
Betrag  darauf,  andere  nehmen  sich  auf  eigene  Kosten  einen  Arzt,  weil 
sie  auf  das  persönliche  Verhältnis  zum  Arzte  Gewicht  legen. 

P  e  ys  e  r  -  Charlottenburg:  Das  Berliner  Abkommen  hat  immer¬ 
hin  das  Gute,  dass  noch  so  viel  zu  tun  ist;  denn  es  wäre  schade, 
wenn  die  Aerzte  in  Lethargie  verfallen  würden;  Kassen  und  Re¬ 
gierung  sorgen  wohl  noch  längere  Zeit,  dass  das  nicht  geschieht.  Nun 
könnte  man  fragen,  welche  Einrichtungen  der  Organisation  jetzt  ev. 
entbehrlich  geworden  sind.  Es  wird  bisweilen  gesagt,  die  Vertrags¬ 
kommissionen  der  Aerztekammern  seien  nnzweckmässig  oder  schäd¬ 
lich  geworden.  Gerade  hier  möchte  ich  vor  einer  Aenderung  warnen, 
schon  deshalb,  weil  viele  Kassen  von  dem  Berliner  Abkommen  gar 
nicht  getroffen  werden.  In  neuerer  Zeit  beschäftigen  ferner  auch  die 
Verträge  für  die  Polizei-,  Schul-  und  Armenärzte  die  Vertrags- 
kommjssionen.  Daher  müssen  diese  beibehalten  werden. 

Burk-  Heidenheim:  Der  Württembergische  Landesausschuss  hat 
schon  s.  Z.  bei  der  Vorbereitung  des  RVO.  eine  Bestimmung  im  Sinne 
des  jetzigen  Münchener  Antrages  gewünscht;  was  aus  dieser  An¬ 
regung  im  Bundesrat  geworden  ist,  wissen  wir  nicht.  Jedenfalls 
würde  auf  diesem  Weg  die  ganze  Misere  der  Kassenarztfrage  ihre 
Lösung  finden. 

Nunmehr  wird  die  Resolution  des  Geschäfts¬ 
ausschusses  und  der  Antrag  Hecht  angenommen. 

III.  Bericht  der  Kurpfuschereikornmission  mit  Antrag  des  Geschäfts¬ 
ausschusses  auf  Erhöhung  des  Bundesbeitrages  um  1  Mark. 

Franz-Schleiz:  In  Elberfeld  hat  der  Aerztetag  seine  Zustimmung 
dazu  erklärt,  dass  die  Bekämpfung  der  Kurpfuscherei  auf  eine  breitere 
Grundlage  gestellt,  unsere  Kommission  verstärkt  und  ein  Zusammen¬ 
gehen  mit  der  Deutschen  Gesellschaft  zur  Bekämpfung  der  Kur¬ 
pfuscherei  eingeleitet  werden  solle.  Notwendig  hierfür  sind  vor  allem 
grössere  Geldmittel,  mit  den  bisherigen  geringen  Aufwendungen  lässt 
sich  nichts  erreichen,  zumal  gegenüber  einem  Gegner,  der  über 
grosse  Geldmittel  verfügt.  Es  wurden  nun  Verhandlungen  mit  der 
Deutschen  Gesellschaft  zur  Bekämpfung  der  Kurpfuscherei  eingeleitet 
und  folgendes  in  Aussicht  genommen:  Errichtung  einer  Zentralstelle 
für  die  Sammlung  und  Bearbeitung  des  Materiales.  Dazu  dient  die 
Anstellung  eines  Geschäftsführers  und  von  Hilfskräften,  deren  Aufgabe 
auch  die  Auskunfterteilupg  an  jede  Behörde,  ärztliche  Vereine  usw. 
sein  wird.  Seit  dem  Scheitern  des  letzten  Gesetzentwurfes  hat 
das  Kurpfuschertum  sich  noch  weiter  ausgebreitet,  so  sind  in  Preussen 
jetzt  5081  Pfuscher  gezählt,  aber  sicher  noch  viel  mehr  vorhanden. 
Die  Zahl  der  Pfuscher  hat  um  8,  die  der  Aerzte  um  3  Proz.  zuge¬ 
nommen,  und  es  gibt  jetzt  in  Preussen  Bezirke,  wo  die  Zahl  der 
Ptuscher  halb  so  gross  ist  als  die  der  Aerzte.  Das  schädlichste  ist 
die  Reklame;  denn  sic  darf  noch  so  dumm  und  einfältig  sein  so 
finden  sich  bei  Hoch  und  Niedrig  Leute,  die  hereinfallen.  Hier  ist  eine 
eifrige  Aufklärungsarbeit  dringend  notwendig  und  zwar  auch  unter 


1540 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  27. 


den  Reichstagsabgeordneten,  damit  so  klägHche  grjchdnunj en  wie  in 

den  letzten  Jahren  sich  nicht  A'  r7|pvercinsbund  soll  in  derselben 
Dresden  ihren  Sitz  erhalten- A  ^  Mark  pr0  Mitglied  für  diesen 
vertreten  sein  und  ^nen  ^e.  r/»p  Hi  s  c)ic  durchzuführen  sein.  Sache 

Sä  fSSHt 

pluschereikommission  der  dieser  Kommission  waren 

EääähiS 

Vereine,  'e  s  m  B  «  .  -  er  A  r  . : .  m ,  t .  e .  k  om  m ,  s 

WWimsmm 

S*Jas‘ÄS  ÄÄ  ffi  ä 

mit  dem  Gedicht: 

Ich  freue  mich  ein  Elephant  zu  sein 
und  juble  deshalb  laut  . 

nicht  wegen  das  schöne  Elfenbein, 

Man  miüi^aus^verschtedenen8  Gründen  ®£J^e^ngiep?jLPorm 

SS,*;  säs^Svä:  »  - 

8  SHSachn)  eine?  Panse, "  in  «Me/  die'  Wahl "  d«  'oVsÄulf 
Schusses  stattfand,  gelangte 


IV.  der  Antrag  Leipzig-Land-Nürnberg 

zur  ?.erra  Deutsche  Aerztetag  fordert  die  deutschen  Aerzte  auf,  ärzt- 

mäSäE 

handelt  Der  lokalen  Standesvertretung  obliegt  die  Pruf™g  d,e 

f rS  ÄÄtte : 

trag  ^zur°  Bearbeitmfg  der  Frage  seitens  des 

slnd^in^ner  ^em^sehi^auslührH^heifTedruckten  Referat  beigelegten 
Tabelle  verwertet.)^  ärztljche  Berufstätigkeit  gibt,  ist  die  ärztliche 
Rehandlung  bezahlt  worden;  die  Bezahlung  bildet  den  Regelfall,  die 

SfeSSSrttsjSä^g 

Honnrai  au  fraäen  Auch  hat  es  bei  Behandluns  von  besonderen 
Bevölkernngssruppen  und  Bevölkerungsmassen  immer j  schon  als  Ans- 
nähme  die  Unentgeltlichkeit  gegeben.  Die  schone  resiscnrin 
Esc henburgs  zum  Lübecker  Aerztetag  zeigte  dass  eine  Frage 
Gemeinwohls,  die  Schutzpockenimpfung,  im  Jahre  1804  zum 
e\  , i  Hip  I  iihecker  Aerzte  zu  gemeinsamer  Beratung  zusammen- 

Gemeinwohl  isl  die  adtes.e 

Hp.tKrhP  Standesvereinigung  in  Lübeck  hervorgegangen.  Es  waren 
deutsche  btandesveremigung  Notwendigkeiten  des  all- 

l™5!nen  Wohles  hatten  uSd  dabei  nicht  an  Bezahlung  dachten.  Dar- 
ans  ist  fast  alles,  was  heute  als  vornehmste  Pflichtaufgaben  für  Staat 
und  Gemeinden  anerkannt  ist,  hervorgegangen,  aber  zugleich  auch 
SüiLn  tiph  hieraus  feste  Stellungen  entwickelt,  in  denen  viele  Aerzte 
habe  Rp,aW»nTi.rheiten  So  sind  u.  a.  auch  die  Seehospize,  die 
Fürsorgeeinrichtungen  für  Tuberkulose  ins  Leben  gerufen  worden, 
und  man  kann  auch  daran  erinnern,  dass  gerade  unter  den  die  Stan- 


r=Sten“"  Maler  1 ftl™ Bi  dhau”.  “effi  auf  dem  Gebiete  ihres 

ilsisssrresisi 

entspricht  die  Unentgeltlichkeit  der  Leistung  so  sehr  dem  Wesen  des 
BerUNnn  «hentif  dasffB.  für  ein  Krüppelheim  Mitglieder  anderer 

ÄÄÄÄÄÄ 

Senerdfe”  UrtereictaisS«” für  SeuchenSellimg  wie  die 

Btt  MASrtSLÄ 

Ä  fio  Ä  ÄSr  £ 

ÄÄSÄ./JÄA;; 

Sf^aflflhrÄgLtr^ 

stellen  veranlasst  und  damit  erhielten  die  bisher  unentgeltlich  tätig  g 
wesenen  und  andere  Aerzte  für  die  gleichen  Leistungen  nunmehr  e  n 
Fnteelt  Beispiele  ähnlicher  Entwicklung  gibt  es  mehrere,  wenn  m 
Einrichtungen  Solcher  Art,  trotz  der  Uebernahme  durch  die  Behörden 
SSfwSSstehen  wollen,  so  wird  das  nunmehr im  die 
Aerzte  kein  ausreichender  Grund  zur  weiteren  unentgeltlichen  Tat  g- 
keü  sein  können  Dagegen  sind  die  Ferienkolonien  von  jeher  E.n- 
?fchtungen  die  nicht  von  seiten  der  Behörden  sondern  durch  frei¬ 
willige  Leistungen  unterhalten  werden  und  zu  denen 
den  8  Nutznlesscfu  nur  sehr  .  wenig  dazu  beiges steuert  ^  wird, 

zäTaSen  "FeSkoloSn  ’fhre  berufliche  Tätigkeit  unent- 
gelflich  Gemeinnützig  sind  auch  die  Heilstätten  für  fgXh  "m 

tr  BÄS“-  'so’1 grossen  Aufwand!  d1?s  eife  «n- 
entgeltliche  Verpflegung  und  Behandlung  nicht  möglich  ist  und  Ver 
Xeunissätze  erhoben  werden  müssen.  Aus  diesen  werden  für  die 
Behandlung  ^uch  die  Gehälter  der  Aerzte  bestritten.  Hier  tritt  also 

dCr  tdnef’gibf  nBo ^Sre  Beispiele  dieser  Art,  welche  sich  auf 
die  Bedeutung  der  ärztlichen  Beratung.  Behandlung  und  den  Unter 
rieht  beziehen  Die  an  den  Vortr.  gelangten  Mitteilungen  aus  Aerzte- 

Aprrtpsehaft  zu  der  Frage  der  Bezahlung  und  der  UnentgeitncnKeu 
ärztlicher  Leistungen  für  gemeinnützige  Unternehmungen  zugegangen 
ist  Nur  das  eine,  den  Aussenstehenden  vielleicht  Unbequeme,  geht 
ph'pnfalls  aus  diesem  Material  hervor:  die  Aerzte  wollen  selb  er  be¬ 
stimmen,  wo  ihre  Pflicht  dem  Allgemeinwohl  gegenüber  beginnt  und 

^  °  ^an  verlangt  eine  Ausnahmsstellung  für  das  Rote  Kreuz  in  An¬ 
betracht  seiner  hervorragenden  vaterländis eben  Zwecke.  Anderseits 
nhpr  wird  vielfach  gefragt,  wie  es  möglich  sei,  dass  cne  unian- 
stationen  vom  Roten  Kreuz,  während  die  Armee  ^^  {m^;cbc. 
vipler  in  der  Verwundetenpflege  ausgebildeter  Aerzte  beüari,  sicn  g 
rädezu  bemühen  in  Friedenszeiten  die  Mehrzahl  der  Aerzte  von  der 
Verwundetenbehandlung  auszuschalten.  Kann  man  ^staaS 

dass  die  Aerzte  vaterländischer  sein  sollen,  als  die  hohen  Staats¬ 
beamten,  welche  die  Krankenkassen  und  die  Bervifsgenossenschatten 
dabei  unterstützen,  die  Aerzte  in  ihrer  Mehrzahl  aus  der  Behandlung 
von  Verletzten  auszuschalten;  und  vaterländischer  al* 
behörden,  welche  die  ärztliche  Tätigkeit  so  gering  emschatzen  dass 
sie  in  rein  ärztlichen  Berufsangelegenheiten  Kassenkontrolleure,  Ge 
meindevertreter,  Arbeitgeber,  Hebammen  u.  dgl.  als  hinreichend  zu¬ 
verlässig  und  sachkundig  erklären?  Die  Aerzte  müssen  patriotisch 
sein  und  trotz  allem  ihrer  vaterländischen  Pflicht  ^t|PrecJen,  und  d^ 
genannten  Staatsbeamten  sind  ja  auch  nicht  das  Vaterland,  penness 
fich  ?st  freilich  die  gesamte  ärztliche  Tätigkeit  ein  vaterländisches 


7.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1541 


Werk  und  darum  muss  auch  hier  die  Besonderheit  der  Leistung  aus¬ 
geschieden  werden.  Das  Rote  Kreuz  selbst  zahlt  ja  ohne  weiteres 
für  gewisse  Leistungen,  so  erhalten,  wie  bemerkt,  die  leitenden 
Aerzte  in  den  Heilstätten  für  tuberkulöse  Kinder  feste  Gehälter. 

Auch  in  dem  bekannten  noch  nicht  beendeten  Streit  des  lang¬ 
jährigen  Leiters  des  Roten  Kreuz-Krankenhauses  in  Eberswalde, 
Dr.  H  e  i  d  e  m  a  n  n,  handelt  es  sich  nicht  um  die  Frage  der  Bezahlung 
au  sich,  sondern  nur  um  Form  und  Höhe  derselben.  Man  muss  unter¬ 
scheiden  zwischen  der  Kriegs-  und  Friedenstätigkeit  des  Roten 
Kreuzes.  In  seiner  Friedenstätigkeit  enthalten  sind  gemeinnützige 
Unternehmungen,  die  wie  andere  solche  Unternehmungen  zu  beur¬ 
teilen  sind,  anders  verhält  es  sich  mit  der  Kriegstätigkeit.  Diese  steht 
im  Dienste  der  Armeen,  die  den  Boden  schützen,  auf  dem  wir  geboren 
sind,  und  uns  vor  Fremdherrschaft  bewahren.  Im  Ernstfälle  werden 
von  jedermann  neue  und  freiwillige  Opfer  gefordert,  also  auch  von 
den  Aerzten;  alle  Berichte  der  letzten  Zeit  beweisen,  dass  die  Armee- 
verwaltung  nicht  imstande  ist,  auf  dem  Dienstweg  das  notwendige 
Pflegepersonal  zu  stellen,  und  wie  verhängnisvoll  der  Mangel  an  ge¬ 
schultem  Personal  werden  kann;  wir  müssen  als  Glieder  des  Vater¬ 
landes,  nicht  nur  als  sachkundige  Aerzte  dankbar  sein,  wenn  zur 
rechten  Zeit  freiwillige  Pfleger  geschult  werden.  Wenn  wir  uns 
daran  beteiligen,  so  können  wir  eine  Bezahlung  nur  dann  als  not¬ 
wendig  bezeichnen,  wenn  die  Aerzte  die  Leistungen  nicht  unentgelt¬ 
lich  bieten  können,  d.  h.  wenn  sie  nicht  neben  der  ärztlichen  Er¬ 
werbsarbeit  geboten  werden  können.  Können  wir  die  vor¬ 
bereitende  Tätigkeit  im  Frieden  unentgeltlich  gewähren,  so  müssen 
wir  das  tun,  und  das  trifft  besonders  auf  die  Tätigkeit  bei  den  frei¬ 
willigen  Sanitätskolonnen  zu.  Die  Stellung  der  Aerzte  bei  diesen  ist 
gewöhnlich  so,  dass  sie  dem  Vorstand  angehören,  mehrfach  auch 
Führer  oder  Vorstände  der  Kolonnen  sind;  auch  als  Inspizienten  sind 
sie  vielfach  tätig.  Diese  Stellungen  werden  bis  auf  gewisse  Reise¬ 
entschädigungen  ehrenamtlich  und  unentgeltlich  versehen.  Sie 
dienen  der  k  r  i  e  g  s  mässigen  Ausbildung.  Neuerdings  aber  werden 
diese  Kriegseinrichtungen  auch  vielfach  für  Friedenszwecke  nutzbar 
gemacht,  z.  B.  zur  Ausbildung  der  Samariter  für  den  Betrieb  der 
Eisenbahnen  und  für  die  Berufsgenossenschaften  (Betriebshelferunter¬ 
richt)  und  grössere  Industrieunternehrnungen.  Solche  Inanspruch¬ 
nahmen  der  Kolonnenärzte,  die  für  Friedensverhältnisse  bestimmt  sind 
und  teilweise  mit  erheblichen  materiellen  Interessen  verknüpft  sind, 
bedingen  durchaus  eine  angemessene  Honorierung  der  Aerzte.  Im 
ganzen  wenig  begeistert  äussern  sich  die  Zuschriften  über  die  Aus¬ 
bildung  der  Helferinnen.  Trotz  mancher  Bedenken  muss  auch  hier 
neben  anderen  gemeinnützigen  Gesichtspunkten  der  Zweck  der  Aus¬ 
bildung  für  den  Kriegsfall  in  den  Vordergrund  gestellt  werden.  Wir 
müssen  nur  bestrebt  sein,  die  dieser  noch  jungen  Einrichtung  noch 
anhaftenden  Schlacken  möglichst  bald  abzuschleifen  und  zu  beseitigen. 
Alles  in  allem  ist  also  für  die  Friedenstätigkeit  des  Roten 
Kreuzes  der  gleiche  Massstab  wie  für  sonstige  gemeinnützige  Unter¬ 
nehmungen  anzulegen,  für  die  K  r  i  e  g  s  t  ä  t  i  g  k  e  i  t  ist  Entgelt  zu 
foidern  in  den  Fällen,  wo  Schwierigkeit  und  Umfang  der  Leistungen 
über  das  neben  der  beruflichen  Erwerbstätigkeit  mögliche  Mass 
hinausgeht.  Dagegen  ist  die  Unentgeltlichkeit  für  die  Ausbildung 
von  freiwilligen  Krankenpflegern,  Sanitätskolonnen  und  Helferinnen 
zuzugestehen. 

Es  entspricht  der  allgemeinen  Entwicklung,  dass  in  wichtigen, 
unsere  Berufstätigkeit  angehenden  Fragen  der  einzelne  Arzt  sich  dem 
Urteil  seiner  Organisation  fügen  muss,  wenn  auch  der  Verzicht  auf 
die  eigene  Entschliessung  nicht  leicht  fallen  kann;  es  werden  noch 
viele  solcher  Fragen  an  ihn  herantreten.  Je  mehr  aber  diese  Not¬ 
wendigkeit  sich  geltend  macht,  um  so  notwendiger  ist  es,  dass  die 
freie  Entschliessung  nicht  unnötig  weit  eingeengt  wird.  Daher  muss 
man  fiagen,  ob  eine  so  bedeutende  Angelegenheit  für  den  einzelnen 
und  den  Stand  vorliegt,  dass  die  Meinung  des  einzelnen  gegenüber 
der  Organisation  zurücktreten  muss.  Das  hat  der  Geschäftsausschuss 
einstimmig  bejahen  zu  müssen  geglaubt  und  war  nicht  der  Meinung, 
dass,  wie  Kollege  B  o  r  c  h  a  r  d  -  Posen  auf  der  Konferenz  der  Lan¬ 
desvereine  vom  Roten  Kreuz  aussprach,  hiermit  ein  freier  Stand  die 
Selbstbestimmung  des  einzelnen  knechte  und  das  einzelne  Individuum 
schlimmer  wie  in  den  schlimmsten  Zunftzeiten  behandelt  werde. 
Nun  wäre  noch  zu  entscheiden,  welchen  Stellen  die  Prüfung  der 
Frage  jeweils  übertragen  werden  soll.  Es  schien  geraten,  nicht  aus¬ 
schliesslich  die  örtliche  Organisation  damit  zu  betrauen,  sondern 
durch  eine  Berufungsinstanz  möglichst  alle  persönlichen  und  egoisti¬ 
schen  Momente  auszuschliessen.  Um  möglichst  eine  einheitliche  Be¬ 
urteilung  im  ganzen  Reich  zu  erzielen,  empfiehlt  sich  die  Schaffung 
einer  einzigen  solchen  Oberinstanz  für  das  Reich.  Keine  Stelle  er¬ 
schien  geeigneter,  als  der  Geschäftsausschuss  des  Aerztevereins- 
bundes;  er  braucht  aber  deshalb  noch  nicht  jeden  Fall  in  seinem 
Plenum  zu  beraten  und  zu  entscheiden.  Man  kann  es  ihm  über¬ 
lassen,  einen  besonderen  Ausschuss  einzusetzen  aus  Aerzten,  die 
durch  Erfahrung  besonders  zur  Beurteilung  der  Einzelfälle  geeignet 
erscheinen  und  die  möglichst  alle  an  einem  Orte  wohnen.  Die  Be¬ 
stimmung  der  örtlichen  Instanz  muss  den  Kollegen  an  Ort  und  Stelle 
überlassen  werden.  Die  Vereine  sind  vom  Aerztevereinsbund  zu 
ersuchen,  dies  in  die  Wege  zu  leiten.  Mit  der  Zeit  wird  wohl  die 
Oberinstanz  Entscheidungen,  die  allgemeines  Interesse  haben,  ver¬ 
öffentlichen  und  damit  den  örtlichen  Instanzen  eine  wertvolle  Grund¬ 
lage  für  ihre  Entscheidungen  geben. 

Die  vorstehenden  Ausführungen  sind  in  folgenden  Vorschlägen 
des  Geschäftsausschusses  zusammengefasst: 


1.  Die  unentgeltliche  charitative  ärztliche  Tätigkeit  bleibt  eine 
Ehrenpflicht  der  deutschen  Aerzteschaft,  sie  bedarf  aber  des 
Schutzes  vor  missbräuchlicher  Ausnützung. 

2.  Dass  eine  Unternehmung  als  „gemeinnützig“  bezeichnet  wird, 
bedingt  an  sich  nicht  Unentgeltlichkeit  der  ärztlichen  Tätigkeit. 

3.  Allgemeine  Vorbedingung  für  diese  ist,  dass  der  Zweck  der 
Unternehmung  nicht  in  den  Bereich  behördlicher  Leistungen 
fällt,  und  dass  die  Unternehmungen  ihre  Leistungen  ohne  oder 
gegen  nur  geringes  Entgelt  gewähren. 

4.  Im  Einzelfalle  ist  die  Unentgeltlichkeit  von  der  Besonderheit 
der  Unternehmung  und  der  Besonderheit  der  ärztlichen  Tätig¬ 
keit  abhängig  zu  machen. 

5.  Unentgeltlichkeit  begründende  Besonderheit  ist  als  vorhanden 
anzusehen  bei  der  Ausbildung  der  Genossenschaften  frei¬ 
williger  Krankenpfleger  im  Kriege,  Sanitätskolonnen  und  Helfe¬ 
rinnen  vom  Roten  Kreuz. 

6.  Wo  immer  Aerzte  unentgeltlich  eine  Ausbildungstätigkeit  aus¬ 
üben,  ist  eine  schriftliche  Verpflichtung  von  den  auftraggeben¬ 
den  Stellen  und  von  den  auszubildenden  Personen  einzuholen, 
dass  diese  keinerlei  ärztliche  Tätigkeit,  insbesondere  nicht  im 
Sinne  des  §  370  RVO.  ausüben  dürfen  oder  werden. 

7.  Im  Einzelfalle  ist  die  Frage,  ob  ärztliche  Tätigkeit  für  ein  ge¬ 
meinnütziges  Unternehmen  unentgeltlich  geleistet  werden  soll, 
der  örtlichen  Organisation  der  Aerzte  vorzulegen.  Gegen  deren 
Entscheidung  kann  eine  von  dem  Geschäftsausschuss  des 
Deutschen  Aerztevereinsbundes  einzurichtende  Instanz  an¬ 
gerufen  werden. 

Dazu  liegen  vor: 

Abänderungsanträge  Leipzig-Land: 

1.  Unentgeltliche  ärztliche  Tätigkeit  ist  nur  dann  im  Wesen  des 
ärztlichen  Berufes  begründet,  wenn  der  Hilfe  oder  Belehrung 
Suchende  unbemittelt  ist. 

2.  Die  Tatsache,  dass  eine  Unternehmung  als  „gemeinnützig“  be¬ 
zeichnet  wird,  beweist  noch  nicht,  dass  sie  mittellos  ist. 

3.  Allgemeine  Vorbedingung  für  die  Gewährung  unentgeltlicher 
ärztlicher  Hilfs-  oder  Lehrtätigkeit  an  solche  Unternehmungen 
ist,  dass  hierüber  nicht  der  einzelne  Arzt,  sondern  die  zustän¬ 
dige  Standesvertretung  auf  Antrag  des  um  solche  Leistungen 
gebetenen  Arztes  entscheidet. 

4.  Deshalb  ist  es  nicht  angezeigt,  dass  der  Aerztetag  bestimmte 
Arten  gemeinnütziger  Unternehmungen  als  solche  bezeichnet, 
denen  unentgeltliche  ärztliche  Leistungen  zu  gewähren  seien. 

5.  Ueber  Meinungsverschiedenheiten  zwischen  einzelnem  Arzte 
und  ärztlicher  Standesvertretung  hat  immer  nur  das  zuständige 
ärztliche  Ehrengericht,  nicht  der  Geschäftsausschuss  des 
Deutschen  Aerztevereinsbundes  zu  entscheiden. 

Der  40.  Deutsche  Aerztetag  fordert  deshalb  die  deutschen 
Aerzte  auf,  ärztlichen  Unterricht  oder  sonstige  ärztliche  Lei¬ 
stungen  für  gemeinnützige  Unternehmungen  unentgeltlich  nur  nach 
eingeholter  Zustimmung  der  ärztlichen  Standesvertretung  zu  ge¬ 
währen. 

Antrag  Meiningen: 

Der  Deutsche  Aerztetag  beschliesst:  Jeder  Arzt  hat,  bevor  er 
ärztliche  Tätigkeit  für  ein  gemeinnütziges  Unternehmen  über¬ 
nimmt,  der  örtlichen  Standesvertretung  Kenntnis  zu  geben.  Der 
Standesvertretung  obliegt  die  Prüfung  der  Frage,  ob  im  einzelnen 
Fall  Bezahlung  zu  fordern  ist  oder  nicht. 

Antrag  B  a  c  k  -  Düsseldorf :  Zusatz  zum  1.  Satz  des  Antrages 
Leipzig-Land:  „wenn  der  Hilfe  oder  Belehrung  Suchende  un¬ 
bemittelt  ist  und  nicht  die  Möglichkeit  hat,  sich  von 
anderer  Seite  bezahlte  Hilfe  oder  Belehrung  zu 
verschaffe  n“. 

G  o  e  t  z  -  Leipzig:  Was  Kollege  Lennhoff  vorgetragen  hat, 
ist  genau  dasselbe,  was  ich  im  vorigen  Jahr  zur  Begründung  des  An¬ 
trages  Leipzig-Land  gesagt  habe,  nur  ein  Unterschied  besteht,  es  soll 
für  das  Rote  Kreuz  eine  eigene  Wurst  gebraten  werden.  Das  woll¬ 
ten  wir  nicht,  weil  gerade  durch  diese  Rücksichtnahme  auf  das  Rote 
Kreuz  besonders  grosse  Misstände  entstanden  sind,  die  das  Ansehen 
der  Aerzte  gefährden  und  weil  das  Rote  Kreuz  die  Entscheidung 
darüber  in  Anspruch  nimmt,  ob  der  Arzt  seine  Tätigkeit  unentgeltlich 
leisten  soll  oder  nicht.  Wir  sind  deshalb  in  unerhörter  Weise  an¬ 
gegriffen  worden.  Der  einzelne  Arzt  ist,  weil  er  nicht  unabhängig 
genug  ist,  gleich  wie  in  der  Kassenfrage  vor  der  Gründung  des 
LWV.  nicht  stark  genug,  sich  selbst  zu  helfen,  deshalb  wollen  wir 
der  Schwachheit  des  Einzelnen  eine  Stütze  schaffen.  In  all  den  Be¬ 
strebungen  für  Säuglingsheime,  Kinderkrippen,  Sport  und  andere  Dinge 
sind  einflussreiche  Leute  tätig,  denen  der  angeblich  freie  Arzt  nicht 
gewachsen  ist,  er  leidet  und  wird  geschädigt  und  nur  die  Macht 
der  Organisation  kann  ihm  helfen.  Wir  Aerzte  brauchen  uns  gar 
nicht  zu  schämen,  wenn  wir  nicht  unentgeltlich  arbeiten  wollen.  Wir 
können  es  nicht  billigen,  dass  der  Geschäftsausschuss  gewissen  Kate¬ 
gorien,  z.  B.  dem  Roten  Kreuz,  Vorrechte  einräumen  will.  Durch 
diese  Leitsätze  wird  die  Sache  nur  noch  schlechter;  denn  dadurch 
würden  diejenigen,  die  bis  jetzt  noch  eine  Bezahlung  erhalten,  den 
Anspruch  darauf  verlieren.  Dazu  ist  der  Aerztetag  nicht  da.  Die 
„Freiheit“  des  Arztes,  unentgeltlich  tätig  zu  sein,  ist  nicht  viel 
besser  als  die  Freiheit  sich  tot  zu  schiessen;  auf  eine  solche  Freiheit, 
die  mir  nur  schadet,  pfeife  ich.  Von  Freiheit  spricht  man  doch  nur 


1542 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIE 1 ._ 


Nr.  27. 


bei  Dingen  die  dem  Menschen  zum  Vorteil  gereichen!  Mit  Ausnahme 
toBÄrn  Oes  Roten  Kreuzes,  die  diesem  soEar  Anspruch 
auf  unentgeltliche  Mitwirkung  der  Aerzte  gibt,  bin  leh  «  ■  n“‘ 

mit  den  Leitsätzen  Lennhotfs  einverstanden  Ich  bin  tur  die 
Prüfung  durch  die  Standesvertretung,  ev  auch  durch ^  Zentral 

instanz  die  der  Geschäftsausschuss  errichtet.  D  e  Lhrenpthctit  einer 
freiwilligen  unentgeltlichen  Tätigkeit  erkenne  ,c^  an^  wir  braudien 
sie  aber  nicht  noch  besonders  auszusprechen.  Nehmen  Me  unsere 
Leitsätze  an  und  zeigen  Sie,  dass  wir  Aerzte  etwas  gelernt  haben. 

ßfck- Düsseldorf:  Eine  Schwierigkeit  besteht  dann  dass  imme 
noch  nicht  genau  feststeht,  was  charitative  Tätigkeit  ist.  Aus  der 
sog  Stativen  Tätigkeit  sind  eine  Reihe  ungeheuerer  kapital¬ 
kräftiger  Institutionen  hervorgegangen.  Was  früher  eine  gemein¬ 
nützige  Tädgkeit  war.  ist  oft  später  direkt  ein  Schaden  für  die 
Aerzte  geworden.  Schon  die  Berechtigung  der  T  J ^es- 
schäftsausschusses  muss  man  bezweifeln  L  e  n  "ho  f  f  hat  bezugheh 
des  Roten  Kreuzes  mehr  an  die  Empfindung  appelliert,  als  einen 
logischen  Beweis  gegeben.  Wenn  das  Rote  Kreuz  eine  für  die  Allge- 
mdtthdt  SÄ  Hinrichtung  ist,  hu.  das  Vater and  dtc  Pfltch t. 
diese  Vorbereitungen  für  den  Krieg  zu  treffen  und  zu  bezahlen. 
Niemand  wird  Krupp  die  charitative  Lieferung  von  Kanonen  zu- 
muten  wollen!  Aber  wir  Aerzte  sind  noch  immer  zu  sehr  m  Ge¬ 
fühle  verstrickt,  die  wir  nicht  los  werden.  Die  ganze  Trage  wäre 
geregelt  durch  Annahme  der  I.  These  des  Antrages  Leipzig-Land  mi 
meinem  Zusatz.  Setzen  Sie  sich  nicht  in  Nesseln,  die  Sie  nach 

Ja’’1  Ho"/  man* Sonneberg:  Eine  Vermittlung  zwischen  dem  be¬ 
stehenden  extremen  Anschauungen  ist  schwer.  Im  allgemeinen  ist 
der  Standpunkt  des  Berichterstatters  wohl  der  richtige,  nur  durfte 
es  fraglich  sein,  ob  wir  uns  auf  die  Unentgeltlichkeit  der  Leistungen 
für  das  Rote  Kreuz  wirklich  festlegen  sollen. 

Dornberger-  München:  ln  der  Frage  der  Sauglingsfursorge 
hat  das  bayerische  Ministerium  vor  einiger  Zeit  den  Grundsatz  aus¬ 
gesprochen,  dass  die  ärztliche  Tätigkeit  nach  Möglichkeit  zu  ent¬ 
schädigen  sei.  Bezahlt  soll  vor  allem  die  1  atigkeit  für  die  Milc  - 
Küchen,  Säuglingsheime,  Kostkinder,  Hebammenkurse  werden.  An¬ 
deres  können  wir  noch  unentgeltlich  leisten.  Die  Untersuchungen  für 
die  Wehrkraftvereine  werden  hier  durch  eine  Pauschalsumme  hono¬ 
riert  Was  das  Rote  Kreuz  betrifft,  so  hat  sich  Prof.  Kimmle,  der 
an  massgebender  Stelle  desselben  tätig  ist,  vollständig  einverstanden 
erklärt  mit  den  Thesen  des  Geschäftsausschusses.  Unentgeltlich  soll 
der  Unterricht  an  die  Mitglieder  sein,  von  den  Kolonnenfuhrern.  In¬ 
spektoren  und  Kreisdirektoren  erhält  keiner  ein  Honorar.  Für  solche 
Stellen  sollen  wir  Aerzte  nichts  verlangen,  sondern  sie  als  ein  nobile 
officium  betrachten,  nicht  allein  m  Anbetracht  der  Vorbereitung :  für 
den  Krieg,  sondern  auch  der,  besonders  in  grossen  Städten,  ausser¬ 
ordentlich  wichtigen  ersten  Hilfeleistung  im  Frieden.  Andere  Dienste 

sollen  honoriert  werden.  ,  ,c  .  ,  .  .  ,. 

K  o  r  m  a  n  n  -  Leipzig:  Der  Vortrag  Lennhoffs  bedeutet  me 
giösste  Genugtuung  für  den  Kollegen  Goetz,  dessen  Antrag  s.  . 
überhaupt  keine  Unterstützung  erhielt,  während  heute  allgemeiner 
Beifall  vorhanden  ist.  Auch  L  e  n  n  h  o  f  f  ist  nicht  ganz  frei  von 
atavistischen  Anwandlungen;  die  These  5  ist  in  ihrer  allgemeinen 
Fassung  nicht  annehmbar  und  überzeugend.  Das  Rote  Kreuz  be¬ 
schränkte  sich  bis  in  die  Mitte  der  Neunziger  Jahre  auf  den  Kriegs¬ 
fall  seither  hat  es  immer  mehr  seine  Friedenstätigkeit  ausgebreitet, 
das  war  ganz  gut,  aber  es  wird  auch  von  den  Berufsgenossen¬ 
schaften,  Eisenbahnverwaltungen  usw.  für  ihre  Zwecke  ausgenutz  . 
Es  ist  gar  nicht  einzusehen,  warum  das  Rote  Kreuz  eine  Ausnahme¬ 
stellung  haben  soll.  Mit  dem  Appell  an  den  Patriotismus  kann  man 
freilich  alles  rechtfertigen,  der  haftet  bei  jedem  von  uns.  Ist  das 
Rote  Kreuz  für  den  Krieg  notwendig,  so  ist  es  Pflicht  des  .  taates, 
dafür  zu  sorgen;  bei  den  Milliarden,  die  für  die  Armee  aufgewendet 
werden,  wird  das  keine  Rolle  spielen.  .  , 

Petersen  -  Duisburg  beantragt  folgende  Aende- 
rungen  an  den  Leitsätzen  des  Geschaftsaus- 
schusses. 

a)  zu  5» 

Unentgeltlichkeit  begründende  Besonderheit  darf  nachPrü- 
f  u  n  g  angenommen  werden  bei  .... 

b )  zu  7 

’  In  allen  Fällen  ist  die  Frage,  ob  ärztliche  Tätigkeit  für 
ein  gemeinnütziges  Unternehmen  unentgeltlich  geleistet  werden 
soll,  der  örtlichen  Organisation  der  Aerzte  vorzulegen. 

Schiller-  Breslau  wünscht,  dass  in  allen  Fällen  die  Zu¬ 
stimmung  der  Organisation  einzuholen  ist  und  verweist  z.  B.  auf 
die  eigenmächtigen  Verfügungen,  welche  bei  der  Jahrhundertfeier  in 
Breslau  die  Leitung  des  Roten  Kreuzes  über  die  Köpfe  ihrer  Aerzte 
hinweg  getroffen  hat.  Richtig  ist,  dass  durch  den  Unterricht  kur¬ 
pfuscherische  Auswüchse  gezeitigt  werden  können,  das  zu  vermeiden 
ist  Sache  der  Kolonnenärzte. 

P  e  y  s  e  r  -  Charlottenburg:  Das  Material  Lenn  ho  f  f  s  hat  mich 
nicht  ganz  überzeugt,  indem  wichtige  Dinge  fehlen.  Ein  falsches  Bild 
ergibt  sich  z.  B.  bezüglich  der  Behandlung  der  Armen  durch  die 
Stadt-  man  könnte  meinen,  dieselbe  würde  überall  bezahlt,  das  ist 
aber  z  B  in  Berlin  bei  den  Spezialärzten  nicht  der  Fall.  Man  sollte 
unterscheiden  zwischen  der  Behandlung  von  Kranken  und  allen  an¬ 
deren  Tätigkeiten.  Eigentlich  ist  diese  letztere  Gruppe  alle  die 
Schwierigkeiten  nicht  wert,  die  wir  uns  damit  machen.  Ist  die  These  7 
überhaupt  durchführbar?  Wir  sind  als  Aerzte  absichtlich  in  einen 


fi  eien  Beruf  hineingegangen  und  wir  gehören  dem  L®ip.zIjf" 
und  Aerztevereinsbund  deshalb  an,  um  uns  frei  von  Unterdrückung 
zu  machen.  Und  nun  sollen  wir  uns  wegen  so  geringer  Dinge  eine 
reue  Unfreiheit  schaffen?  Was  lieist:  die  Standesorganisation  e  - 
scheidet?  Wie  ist  es  da,  wo  eine  anerkannte  Organisation  nicht 
besteht?  Da  wird  der,  dem  eine  Entscheidung  nicht  gefallt,  einfach 
aus  dem  Standesverein  ausscheiden.  Alle  die  Schwierigkeiten  ist  die 
Sache  nicht  wert.  Darum  wollen  wir  lieber  über  die  ganze  An¬ 
gelegenheit  zur  Tagesordnung  übergehen.  Vieles  ist  noch  gar  nicht 
geklärt  wie  die  Begriffe,  vaterländisch,  charitativ,  Organisation  usf. 
Die  Aussprache  an  sich  war  gewiss  nicht  ohne  Vorteil  gewesen,  aber 
die  vorgeschlagene  Regelung  halte  ich  für  unnötig  und  gefährlich. 

1  evv  -Dorn-  Berlin:  Ueber  das,  was  berechtigt  und  was  nicht 
berechtigt  ist,  bestehen  noch  die  schiefsten  Auffassungen.  Will  man 
sich  auf  Krupp  beziehen,  so  könnte  man  auch  sagen,  dass  ihm  doch 
gewiss  auch  niemand  die  charitative  Lieferung  von  Kanonen  für  die 
deutsche  Armee  würde  verbieten  wollen!  Wenn  wir  nicht  zur  ages- 
ordnung  übergehen  wollen,  sind  am  brauchbarsten  die  Thesen  des 

Geschäftsausschusses.  .  ,.  Dfl.  ,  .  . 

B  a  d  t  -  Friedenau:  Der  Aerztetag  hat  die  Pflicht,  in  das  Ko¬ 

lonnen  wesen  nicht  mit  rauher  Hand  einzugreifen,  es  wurde  damit 
grosse  Verwirrung  geschaffen  werden.  Viele  Aerzte  sind  zufällig 
zugleich  für  die  Kolonnen  und  das  ärztliche  Standeswesen  tätig.  Die 
Entscheidungen  der  lokalen  Organisationen  sind  nicht  abzusehen  und 
es  könnte  leicht  kommen,  dass  wegen  dieser  Lappalien  für  „utc 

Kollegen  unerwünschte  und  schwere  Situationen  entstehen.  Es  emp¬ 

fiehlt  sich  der  Uebergang  zur  Tagesordnung  oder  die  Annahme  der 

Thesen  des  Geschäftsausschusses.  ,  . 

P  e  y  s  e  r  -  Charlottcnburg  beantragt:  Nach  Kenntnis¬ 
nahme  des  Materiales,  dessen  Verwertung  wir  den 

Vereinen  empfehlen,  wird  der  Uebergang  zur 
gesordnung  beschlossen.  ,  .  r 

Winkelmannn  -  Barmen :  W  enn  G  ö  t  z  die  Thesen  des  Ge¬ 
schäftsausschusses  beanstandet,  weil  dadurch  Kollegen  geschädigt 
werden,  die  bis  jetzt  eine  Bezahlung  erhielten,  so  trifft  die  Schuld 
schliesslich  den  Verein  Leipzig-Land,  der  seit- 5  Jahren  diese  Ange¬ 
legenheit  betreibt.  Wenn  wir  die  erste  Niese  des  Antrages  Leipzig- 
Land  mit  dem  Zusatz  Back  annehmen,  kommen  wir  zu  dem  merk¬ 
würdigen  Resultat,  dass  die  Unentgeltlichkeit  der  Leistung  dem 
Wesen  des  ärztlichen  Berufes  entspricht,  wenn  der  andere  kein  Geld 
hat.  Einigkeit  scheint  darüber  zu  bestehen,  dass  die  örtlichen  Ei¬ 
stänzen  massgebend  sind  und  darüber,  dass  für  die  Kriegstatigkeit  des 
Roter.  Kreuzes  die  Unentgeltlichkeit  eintreten  kann,  fraglich  ist  nur, 
ob  sie  hier  in  allen  Fällen  eintreten  soll. 

G  o  e  t  z  -  Leipzig:  Wir  machen  uns  die  Sache  viel  zu  schwer. 
Ein  Uebergang  zur  Tagesordnung  wäre  jetzt  geradezu  eine  Feigheit, 
da  wir  den  Mut  nicht  hätten,  die  sog.  „Freiheit“  der  Aerzte  ein¬ 
zuschränken.  Wer  jetzt  noch  nicht  weiss,  was  unter  unserer  „Organi¬ 
sation“  zu  verstehen  ist,  muss  die  letzten  40  Jahre  geschlafen 
haben/  Wir  gehen  doch  nicht  auf  den  Aerztetag,  um  nur  zu  reden, 
sondern  um  etwas  Vernünftiges  zu  beschlossen  Fast  konnte  es 
aussehen,  als  wäre  ich  aus  Ostpreussen  und  ein  unbelehrbarer  Dick¬ 
schädel,  aber  ich  bitte  Sie,  lassen  Sie  sich  nicht  abhalten  durch 
Rücksichten  auf  Instanzen,  die  uns  sonst  nur  feindlich  gesinnt  sind. 

E  i  e  r  m  a  n  n  -  Frankfurt  a.  M.  empfiehlt  den  Zusatzantrag  Pe¬ 
tersen  als  den  zweckmässigsten  Ausgleich. 

Ein  Antrag  auf  Schluss  der  Debatte  wird  ange- 


"  "  'Wr/ii  h  o  f  f  -  Berlin:  Da  ich  den  Auftrag  des  üeschäftsaus- 
schusses  als  eine  grosse  Ehre  betrachtete,  habe  ich  mich  der  Arbeit 
nicht  entzogen.  Wenn  ich  angenommen  hätte,  dass  die  deutsche 
Aerzteschaft  unsere  1.  These  nicht  annehmen  würde  und  wenn  tioetz 
Recht  haben  sollte  mit  seiner  Auffassung,  dass  nur  das  Nuzten  hat, 
was  Geld  bringt,  dann  wäre  ich  nicht  hierhergekommen  Wer  in 
sich  nicht  in  höherem  Masse  als  andere  den  Beruf  der  Menschlich¬ 
keit  fühlt,  der  soll  nicht  Arzt  werden.  Es  geht  auch  nicht  an,  dass 
Korinann  es  für  die  Auffassung  von  Goetz  verwertet,  wenn  ich 
sage  dass  die  Bezahlung  der  ärztlichen  Leistung  immer  als  Regel 
gegolten  hat.  Ich  habe  als  Referent  jedes  Für  und  Wider  erörtert; 
meine  persönliche  Ansicht  steht  sehr  nahe  der  des  Kollegen  P  e  y  s  e  r. 
Die  unentgeltliche  Tätigkeit  ist  überwiegend  eine  Pionierarbeit,  aus 
der  fast  automatisch  späterhin  bezahlte  Stellungen  hervorgehen. 
Auch  ich  halte  die  Entscheidung  der  Frage  durch  die  Standesinstanzen 
nicht  für  ungefährlich.  Die  Leitsätze  stellen  ein  Kompromiss  zwischen 
meiner  Meinung  und  der  Stellungnahme,  wie  sie  auf  dem  letzten 
Aerztetage  war,  dar.  Wir  wollten  mehr  bieten,  präzise  Direktiven 
für  die  lokalen  Organisationen,  damit  sich  nicht  dort  Leute  den  Kopf 
zerbrechen  und  urteilen,  die  von  den  Dingen  kein  Verständnis  haben, 
und  damit  die  Ausscheidung  der  einzelnen  Fälle  nach  bestimmten 
Gesichtspunkten  erleichtert  wird.  .  . 

Goetz-Leipzig  verwahrt  sich  in  Kürze  gegen  einige  Punkte 
in  der  Argumentierung  des  Referenten. 

Die  Abstimmung  ergibt  die  Ablehnung  der  Anträge  Peyser, 
Back,  Meiningen  und  Leipzig-Land. 

Nach  Annahme  der  Zusätze  von  Petersen  wer¬ 
den  die  Leitsätze  des  G  e  s  c  h  ä  f  t  s  a  u  s  s  c  h  u  s  s  e  s  mit 
allen  gegen  9  Stimmen  angenommen. 

Schluss  5  Uhr. 


7.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Verschiedenes. 

Therapeutische  Notizen. 

E  '  n  e  n  Beitrag  zur  Behandlung  von  Tetanus  init 
M  a  g  n  e  s  i  u  m  sulfuricum  gibt  Friedrich  M  i  e  I  k  e  -  Göttingen. 
Nach  seinen  Erfahrungen  bei  einem  schweren  Tetanusfall,  der  ein 
5  jähriges  Mädchen  betraf,  kann  man  Magnesium  sulfuricum  in  20  proz. 
Lösung  ohne  Schaden  subkutan  verwenden.  M.  hat  bei  dem  Kinde 
täglich  3  g  Magnesium  sulfuricum  injiziert  und  hat  im  ganzen  24  In¬ 
jektionen  mit  61  g  Magnesium  sulfuricum  gemacht-  ohne  eine  Schä¬ 
digung  des  Unterhautzellgewebes  zu  beobachten.  (Ther.  Mh.  1914,  4  ) 

Kr.  ' 


Tagesgeschichtliche  Notizen. 

München,  den  6.  Juli  1914. 

—  Unter  den  Fragen  ,die  der  40.  Deutsche  A  e  r  z  t  e  t  a  g  in 
München  in  seinen  zweitägigen  Verhandlungen  erörtert  hat,  hat  das 
von  Hartmann  erstattete  Referat  über  die  Lage  nach  dem  Ber¬ 
liner  Abkommen  das  Interesse  der  Aerzte  am  stärksten  in  Anspruch 
genommen.  Die  Stimmung,  in  der  an  diese  Frage  herangetreten 
wurde,  war  auf  keiner  Seite  eine  rosige;  weder  der  Referent  ver¬ 
suchte  die  offenbaren  Mängel  des  Abkommens  zu  beschönigen,  noch 
hielten  die  Redner  mit  ihrer  Kritik  zurück.  Auf  allen  Seiten  zeigte 
sich  aber  doch  das  Bestreben,  das  Berliner  Abkommen,  dessen  guten 
Kern  alle  anerkannten,  als  etwas  gegebenes  hinzunehmen  und  sich 
unter  Aufrechterhaltung  der  bisherigen  bewährten  Organisation,  nach 
Möglichkeit  zum  Wohle  des  ärztlichen  Standes  mit  ihm  abzufinden. 
Das  seit  Jahren  bei  den  Aerzten  bestehende  tiefe  Friedensbedürfnis, 
die  Freude  darüber,  dass  endlich  Frieden  geworden,  siegte  über  alle 
gegen  das  Abkommen  bestehenden  Bedenken.  Von  den  sonstigen 
Beschlüssen  des  Aerztetages  war  besonders  erfreulich  derjenige,  der 
durch  Erhöhung  des  Bundesbeitrages  um  eine  Mark  Mittel  zu  einer 
energischeren  Bekämpfung  des  Kurpfuschertums  bereitstellt.  Dass 
uabei  auch  die  Arbeiten  der  Arzneimittelkommission  des  Deutschen 
Kongresses  für  innere  Medizin  Förderung  durch  einen  Zuschuss  er¬ 
fahren  sollen,  ist  besonders  begrüssenswert.  Auch  die  Art  und  Weise, 
wie  der  alte  Antrag  Leipzig-Land  durch  den  Aerztetag  jetzt  endlich 
erledigt  wurde,  gereicht  diesem  zur  Ehre.  Die  mit  geringen  Abände¬ 
rungen  angenommenen  Leitsätze  Lennhoffs  wahren  den  alten 
Ruhm  des  ärztlichen  Standes,  es  an  Gemeinsinn  und  Nächstenliebe 
allen  anderen  Ständen  zuvorzutun,  während  sie  ihn  vor  missbräuch¬ 
licher  Ausnutzung  seiner  charitativen  Tätigkeit  genügend  schützen. 
Auch  die  Tagesordnung  des  zweiten  Tages  (Ehrengerichte  für  Sani¬ 
tätsoffiziere  des  Beurlaubtenstandes,  Hebammenfrage  u.  a.)  bot  viel 
Interessantes;  wir  berichten  ausführlichst  darüber  in  dieser  und  in 
der  folgenden  Nummer. 

Das  Vergnii'gungsprogramm  des  Aerztetages  war  ein  sehr  reich¬ 
haltiges  und  es  hat  seinen  Zweck,  die  Kollegen  nach  den  ernsten 
Stunden  der  Arbeit  angenehm  zu  unterhalten,  vollauf  erfüllt.  Der  zur 
Begrüssung  des  LWV.  im  Künstlerhaus  veranstaltete  Empfang  (24.  VI.) 
bot  Gelegehneit,  die  Gäste  mit  einigen  literarischen  und  darstelle¬ 
rischen  Kräften  der  Münchener  Aerzteschaft  bekannt  zu  machen 
Dr.  Max  Nassauer  und  Dr.  N  o  d  e  r  (A.  de  Nora)  lasen  Proben 
ihrer  dichterischen  Erzeugnisse  vor;  Dr.  Men  ach  er  u.  a.  erfreuten 
durch  ihre  humoristischen  Vorträge.  Von  ganz  besonderer  Art  war 
der  von  der  Stadt  München  gegebene  Festabend  im  Hofbräuhaus 
(25.  VI.).  Neben  anderen  bodenständigen  Darbietungen  waren  es 
hier  die  Leistungen  des  Münchener  Aerzteorchesters  (unter  der 
famosen  Leitung  des  Kollegen  H  ö  r  r  m  a  n  n)  und  insbesondere  die 
Vorträge  des  berühmten  Wagnersängers,  Kollegen  de  B  a  r  y,  die 
stürmischen  Beifall  fanden.  Man  war  sich  darüber  einig,  dass  man 
diesen  gottbegnadeten  Sänger  nie  hinreissender  hat  singen  hören,  als 
an  diesem  Abend,  im  Kreise  seiner  Kollegen.  Das  am  Freitag  (26.  VI.) 
abgehaltene  Festmahl  zeichnete  sich  durch  die  ganz  ungewöhnlich 
grosse  Zahl  der  Teilnehmer  aus;  der  Saal  des  Deutschen  Theaters 
reichte  nicht  aus,  die  Tische  alle  zu  fassen.  Da  auch  die  Ränge 
durch  eine  grosse  Schar  Münchener  Aerzte  und  ihrer  Frauen  gefüllt 
waren,  die  gekommen  waren,  um  die  im  Anschluss  an  das  Festessen 
gespielte  Operette  „Die  Kinokönigin“  zu  hören,  so  ergab  sich  ein 
ebenso  buntes  wie  reizvolles  Bild.  Der  nächste  Tag  (27.  VI.)  brachte 
noch  eine  wohlgelungene  Aufführung  der  ..Zauberflöte“  im  Kgl.  Hof¬ 
theater,  zu  der  die  Herausgeber  unserer  Wochenschrift  eingeladen 
hatten.  Am  Sonntag  fanden,  vom  schönsten  Wetter  begünstigt,  Aus¬ 
flüge  nach  Bad  Reichenhall  und  nach  Starnberg  statt,  am  Montag 
rolgten  viele  den  Einladungen  der  Jodbad  A.-G.  nach  Bad  Tölz  und 
I  )r.  W  iggers,  des  Besitzers  des  bekannten  Sanatoriums,  nach 
I  artenkirchen.  So  folgte  sich  eine  Reihe  genussreicher  Feste,  an  die 
die  Besucher  des  Münchener  Aerztetages  gerne  zurückdenken 
werden.  Die  Männer,  die  in  mühevoller  Arbeit  das  gute  Gelingen  des 
,  Aerztetages  vorbereitet  und  gesichert  haben,  an  ihrer  Spitze  Hofrat 
!  Uhl,  haben  sich  den  Dank  des  Aerztetages  reichlich  verdient. 

Ende  des  Jahres  1913  sind  im  deutschen  Reichsgebiet 
34  136  Aerzte  festgestellt  worden,  das  ist  gegenüber  dem  Vorjahr 
ein  Mehr  von  600  Aerzten.  Die  Verteilung  der  Aerzte  auf  die  ein¬ 
zelnen  Bundesstaaten  regelt  sich  folgendermassen:  Preussen  stellt 
mit  20-66  Aerzten  60  v.  H.  der  Gesamtsumme,  Bayern  mit  3779 


1543 


Aerzten  II  v.  11,  Sachsen  mit  2425  K  v.  H.,  Württemberg  mit  1135 
3,3  v.  H. 


inreu  zahlreichen  Hilfsmitteln  zu  anschaulicher  Belehrung  hat 
die  Bayerische  Zentrale  für  Säuglingsfürsorge  nunmehr  das  modernste 
hinzugefügt,  indem  sie  mit  grossen  Mühen  und  Kosten  einen  400  m 
langen  Film:  „Bilder  aus  der  Säuglingsfürsorge“  her- 
stellen  liess.  __  Der  Film,  der  zum  ersten  Male  bei  der  diesjährigen 
I  agimg  der  Zentrale  in  Wiirzburg  durch  Prof.  Dr.  Hecker  vor¬ 
geführt  wurde,  zeigt  in  anschaulicher  Weise  den  Verlauf  einer  B  e  - 
rat  ungs  stunde  für  Mütter;  das  Leben  und  den  Betrieb  in  einem 
Säuglingsheim:  Morgenarbeit.  Baden,  Wickeln,  ärztliche  Visite. 
w1  u»  iUnc^  Gartcnbehandlung  der  Kinder,  Pflegerinnenschule, 
Waschküche;  den  Betrieb  einer  Milchküche;  das  Leben  in  einer 

p  p^..n  aT  s  1  a  '  t:  Aufnahme,  Reinigung  und  Einkleidung  der 
Kinder,  Säuglingssaal,  die  grösseren  Kinder  beim  Spielen  und  Schlafen- 
gehen  usw.  Der  Film  wird  noch  weiter  ergänzt  und  soll  dann  in  der 
Ucffentlichkeit  gezeigt  werden. 

?as  Wandermuseum  der  Bayerischen  Zen¬ 
trale  für  S  ä  u  g  1  i  n  g  s  f  ü  r  s  o  r  g  e,  das  gelegentlich  der  Tagung 
dei  Zentrale  in  Würzburg  verschiedentlich  ergänzt  worden  war,  so 
vor  allem  durch  je  ein  Kinderzimmer  „wie  es  sein  soll“  und  „wie  es 
nicht  sein  soll“,  ist  zurzeit  auf  besonderen  Wunsch  der  Stadt’ Köln 
im  dortigen  Stadthaus  ausgestellt.  Nach  der  Eröffnung  durch  den 
Bdgeordneten  Prof.  Dr.  Krautwig  hielt  auf  Einladung  der  Stadt 
Prot  Dr.  Hecker-  München  einen  Führungsvortrag  vor  zahlreichem 
geladenen  Publikum.  Das  Wandermuseum  wird  in  den  Monaten 
Julj  bis  Oktober  an  5  verschiedenen  Punkten  von  München  zur  Auf- 
Stellung  kommen  und  durch  Vorträge  von  Fachärzten,  praktische 
Führungen  und  Uebungen  im  Baden,  Wickeln,  Kleidung  der  Kinder 
und  Kochen  der  Säuglingsnahrung  seitens  der  Geschäftsführerin  des 
i jl ?.ii  ksverbandes  München,  Frl.  W  ö  r  n  e  r,  wertvoll  ergänzt  werden. 

Der  ärztliche  Direktor  der  Charitee,  Obergeneralarzt  Prof. 
Dr.  Scheibe,  wird  am  1.  August  aus  dieser  Stellung  ausscheiden 
und  als  Inspekteur  der  3.  Sanitätsinspektion  nach  Cassel  übersiedeln. 
Zu  seinem  Nachfolger  ist  Generalarzt  Dr.  S  c  h  m  i  d  t,  zurzeit  General¬ 
arzt  des  III.  Armeekorps,  ernannt. 

Herr  Dr.  Heinrich  Kantor  in  Warnsdorf,  der  verdiente 
Herausgeber  des  „Gesundheitslehrers“  und  erfolgreiche  Bekämpfer 
der  Kurpfuscherei  ist  zum  Medizinalrat  ernannt  worden. 

„  1  T“  Der  -Antrag  des  Bezirksvereins  Dresden-  Stadt  auf 
Schaffung  einer  besoldeten  ärztlichen  Stadtratsstelle 
wurde  von  Rat  und  Stadtverordneten  in  Dresden,  von  letzteren  nicht 
ohne  Widerspruch,  abgelehnt. 

“T  Die  Robert  - Koch-Stiftung  zur  Bekämpfung  der 
1  uberkulose  hat  eine  Preisaufgabe  „Die  Bedeutung  der  verschiedenen 
Strahlen  (Sonnen-,  Röntgen-,  Radium-,  Mesothorium-)  für  die  Dia¬ 
gnose  und  Behandlung  der  Tuberkulose“  ausgeschrieben.  Für  die 
beste  Arbeit  ist  ein  Preis  von  3000  M.  ausgesetzt.  Die  Arbeiten 
müssen  bis  zum  1.  Juli  1915  an  den  Schriftführer  der  Stiftung  Geh. 
San. -Rat  Prof.  Dr.  Schwalbe  abgeliefert  sein.  Das  Preisgericht 
besteht  aus  dem  Präsidenten  des  Reichsgesundheitsamts  Dr.  B  u  m  m, 
Prof.  Dr.  Gaffky,  Ministerialdirektor  Dr.  Kirchner  und  Prof 
Dr  Löffler. 

—  In  Oldenburg  i.  Gr.  hat  sich  ein  „Deutscher  Verein  für 
S  a  n  i  t  ä  t  s  h  u  n  d  e  E.V.“  gebildet,  dessen  Zweck  es  ist,  auf  die  Be¬ 
deutung  des  Hundes  für  die  Auffindung  der  Verwundeten 
nach  einer  Schlacht  aufmerksam  zu  machen  und  für  ein  geeignetes 
Hundematerial  zu  sorgen.  Die  bisherigen  Versuche  haben  ein  sehr 
günstiges  Resultat  ergeben  und  haben  insbesondere  gezeigt,  dass  die 
in  Deutschland  in  grosser  Zahl  zur  Verfügung  stehenden  Polizei¬ 
hunde  für  die  Aufgabe  brauchbar  sind. 

—  Die  nächste  Versammlung  der  Vereinigung  mittel¬ 
deutscher  Psychiater  und  Neurologen  findet  am 
25.  Oktober  d.  J.  in  Dresden  statt. 


~  Der  27.  französische  Chirurgen  kongress  findet 
am  5.  Oktober  d.  J.  in  Paris  statt.  Tagesordnung:  Geschlossene  Ver¬ 
letzungen  des  Handgelenkes;  blutige  Behandlung  des  Zungenkrebses- 
paranephritische  Tumoren. 

—  In  der  Zeit  vom  20.— 25.  Juli  soll  in  der  Erlanger  Ohren¬ 
klinik  ein  Fortbildungskurs  für  Spezialärzte  abgehalten 
werden.  Thema:  1.  Funktionsprüfung  der  Schnecke  und  des  Vesti¬ 
bulärapparates;  2.  Technik  der  mikroskopischen  Untersuchung  des 
menschlichen  Felsenbeines.  Nähere  Auskunft  durch  Privatdozent 
Dr.  Brock 

—  In  der  kantonalen  Krankenanstalt  Aarau  findet  vom  19  bis 
31.  Oktober  d.  .1.  ein  Kurs  für  Unfallmedizin  statt.  Eine 
Anzahl  Dozenten  der  Universitäten  ßasel,  ßern  und  Zürich  beteiligen 
sich  an  dem  Kurs,  zu  dem  auch  deutsche  Aerzte  Zutritt  haben. 
Anmeldungen  sind  zu  richten  an  Dr.  Eugen  B  i  r  c  h  e  r,  Kranken¬ 
anstalt  Aarau. 

—  Der  Hauptverband  deutscher  Ortskrankenkassen,  dem  die 
überwiegende  Mehrzahl  aller  Ortskrankenkassen  Deutschlands  ange¬ 
hört,  gibt  vom  1.  Juli  ab  im  Selbstverläge  unter  dem  Titel  „Orts¬ 
krankenkasse“  eine  zweimal  monatlich  erscheinende  Zeit¬ 
schrift  heraus.  Sie  wird  als  amtliches  Organ  des  Verbandes  alles 
bringen,  wa^  für  die  Ortskrankenkassen,  ihre  Vorstände,  Ausschuss¬ 
mitglieder,  Beamten  usw.  von  Interesse  ist,  darüber  hinaus  aber  auch 
allgemein  der  Krankenversicherung  und  dem  Krankenkassenwesen  ge- 
widmet  sein  und  eine  Zentralstelle  für  die  literarische  Betätigung  auf 
diesem  Gebiete  bilden.  Als  Herausgeber  zeichnen  Justizrat 


1544 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  27. 


Dr.  M  a  y  e  r  in  Frankenthal  und  Direktor  Koh  n  von  der  Allgemeinen 
Ortskrankenkasse  der  Stadt  Berlin.  Als  Schriftleiter  ist  Dr.  Baum, 
Rechtsanwalt  am  Kammergericht  zu  Berlin,  gewonnen  worden.  In 
eien  ersten  uns  vorliegenden  Nummern  der  Zeitschrift  sind  auch 
Aerzte  als  Mitarbeiter  stark  beteiligt,  so  Qeh.-R.  N  e  i  s  s  e  r  (mit 
einem  Artikel  Geschlechtskrankheiten  und  Krankenkassen),  Tugend¬ 
reich,  G  r  o  t  j  a  h  n,  Moll  etc.  An  der  Spitze  des  Blattes  findet 
sich  ein  beachtenswerter  Artikel:  „Krankenkassen  und  Nothelfer“  von 
Prof.  Oertmann  in  Erlangen.  Von  der  Polemik  gegen  die  Aerzte. 
die  man  sonst  in  Krankenkassenzeitungen  zu  finden  gewohnt  war,  ist 
nichts  zu  bemerken.  Wenn  die  Zeitschrift  in  diesem  Geiste  weiter¬ 
geführt  wird,  darf  man  sie  als  ein  erfreuliches  Symptom  des  besseren 
Verhältnisses  zwischen  Aerzten  und  Krankenkassen  begrüssen. 

—  Cholera.  Britisch  Ostindien.  In  Moulmein  vom  12.  April 
bis  16.  Mai  1  Todesfall. 

—  Pest  Deutsch  Ostafrika.  In  Daressalam  wurde  am  6.  und 
9.  Mai  je  1  tödlich  verlaufener  Pestfall  festgestellt.  —  Türkei.  Zufolge 
Mitteilung  vom  7.  Juni  ist  die  Pest  in  Chios  erloschen.  Laut  Mit¬ 
teilung  vom  10.  Juni  sind  in  Jaffa  seit  dem  am  2.  Juni  festgestellten 
Pestausbruch  im  ganzen  6  Erkrankungen,  davon  5  mit  tödlichem  Aus¬ 
gang,  vorgekommen.  Ein  pestverdächtiger  Fall  wurde  noch  am  9.  Juni 
gemeldet.  Die  Erkrankten  waren  sämtlich  Neger.  —  Britisch  Ost¬ 
indien.  Vom  17.  bis  23.  Mai  erkrankten  6331  und  starben  5485  Per¬ 
sonen.  —  China.  In  der  Stadt  Amoy  sind  vom  4.  bis  18.  Mai  17  Per¬ 
sonen  an  der  Pest  gestorben.  —  Peru.  Im  Lazarette  von  Trujillo  be¬ 
fanden  sich  am  18.  April  5  Pestkranke. 

—  In  der  24.  Jahreswoche,  vom  14.— 20.  Juni  1914,  hatten  von 
deutschen  Städten  über  40  000  Einwohner  die  grösste  Sterblichkeit 
Elbing  mit  29,9,  die  geringste  Recklinghausen-Land  mit  4,1  Todes¬ 
fällen  pro  Jahr  und  1000  Einwohner.  Mehr  als  ein  Zehntel  aller 
Gestorbenen  starb  an  Scharlach  in  Königshütte,  an  Masern  und 
Röteln  in  Bochum,  Buer,  Hamborn,  Ulm,  an  Diphtherie  und  Krupp  in 
Bottrop,  an  Keuchhusten  in  Gleiwitz.  Vöff.  Kais.  Ges.A. 

(Hochschulnachrichten.) 

Berlin.  Die  beiden  Direktoren  der  städtischen  Irrenanstalten 
Dalldorf  und  Herzberge,  Geh.  Med.-Rat  Dr.  W.  Sander  und  Geh. 
Med.-Rat  Prof.  Dr.  M  o  e  1  i  haben  zum  1.  Oktober  d.  J.  ihren  Ab¬ 
schied  erbeten. 

Bonn.  Prof.  Dr.  M  a  c  h  o  1,  Oberarzt  der  chirurgischen  Klinik 
ist  zum  Chefarzt  der  chirurgischen  Abteilung  des  städtischen  Kranken¬ 
hauses  in  Erfurt  gewählt  worden.  Er  wird  sein  neues  Amt  bereits 
Mitte  Juli  antreten. 

Breslau.  Die  Schlesische  Friedrich-Wilhelms-Universität 
weist  in  diesem  Semester  2813  immatrikulierte  Studierende,  gegen 
2740  im  Sommersemester  1913  und  2713  im  Wintersemester  1913/14 
auf.  (hk.)  . 

Göttingen.  Geheimrat  Prof.  Dr.  Arthur  v.  Hippel,  Direktor 
der  Augenklinik  der  Universität  Göttingen,  tritt  mit  Ablauf  dieses 
Sommersemesters  vom  Lehramte  zurück,  (hk.)  —  Die  Georg- 
August-Universität  zählt  in  diesem  Semester  2834  immatrikulierte 
Studierende,  davon  455  Mediziner. 

Halle  a.  S.  Der  Direktor  der  Augenklinik  Prof.  Eugen 
v.  Hippel  hat  eine  Berufung  nach  Göttingen  als  Nachfolger  des 
in  den  Ruhestand  tretenden  Prof.  Arthur  v.  Hippel  erhalten  und 
angenommen.  —  Die  vereinigte  Friedrichs-Universität  Halle- 
Wittenberg  zählt  in  diesem  Semester  2855  immatrikulierte 
Studierende  gegen  2635  im  Sommersemester  1913  und  2801  im  Winter¬ 
semester  1913/14.  Davon  sind  434  Mediziner,  darunter  22  Studierende 
der  Zahnheilkunde,  (hk.) 

Hamburg.  Die  Abteilungsvorsteher  am  Institut  für  Schiffs¬ 
und  Tropenkrankheiten  in  Hamburg  Dr  Stanislaus  v.  Prowazek 
und  Gustav  G  i  e  m  s  a,  sowie  der  wissenschaftliche  Assistent  am 
Hygienischen  Institut  daselbst  Dr.  Hermann  Noll  wurden  zu  Pro¬ 
fessoren  ernannt,  (hk.) 

Jena.  Geh.  Hofrat  Prof.  Dr.  Gärtner  legt  mit  Beginn  des 
Wintersemesters  sein  Amt  als  Direktor  des  hygienischen  Instituts  der 
Universität  Jena  nieder. 

Marburg.  Der  Direktor  der  Irrenheilanstalt,  Geh.  Medizinal¬ 
rat  Prof.  Dr.  Tuczek,  tritt  am  1.  Oktober  d.  J.  in  den  Ruhestand. 
Der  seitherige  Oberarzt,  Prof.  Dr.  J  a  h  r  m  ä  r  k  e  r,  wurde  mit  der 
einstweiligen  Leitung  der  genannten  Anstalt  betraut. 

Würzburg.  Die  Julius-Maximilians-Universität  zählt  in 
diesem  Semester  1605  immatrikulierte  Studierende,  davon  675  Me¬ 
diziner  und  86  Studierende  der  Zahnheilkunde,  (hk.) 

Graz.  Dem  Privatdozenten  für  Chirurgie  an  der  Universität 
in  Graz  und  städtischen  Primarärzte  in  Meran  Dr.  Max  H  o  f  m  a  n  n 
wurde  der  Titel  eines  a.  o.  Universitätsprofessors  verliehen. 

Kopenhagen.  Habilitationen:  Dr.  med.  Birte  Marie  K  r  o  y  h 
(Habilitationsschrift:  Die  Luftdiffusion  durch  die  Lungen  des  Menschen) 
und  Dr.  med.  Groes-Petersen  (Habilitationsschrift :  Zer¬ 
streuungsbilder). 

P  a  v  i  a.  Dr.  U.  Z  a  n  d  o  n  i  n  i  habilitierte  sich  als  Privatdozent 
für  externe  Pathologie.  —  Der  Professor  der  Pathologie,  Dr.  Camillo 
G  o  1  g  i,  feiert  am  7.  ds.  seinen  70.  Geburtstag.  Für  seine  hervor¬ 
ragenden  Untersuchungen  über  den  feineren  Bau  des  Gehirns  und 
seine  Studien  über  Pocken  und  Malaria  erhielt  G  o  1  g  i  im  Jahre  1903 
den  Nobelpreis,  (hk.)  , 

Prag.  Dem  a.  o.  Professor  für  Geschichte  der  Medizin  und 
Epidemiologie  an  der  tschechischen  Universität  Dr.  Andreas 

Verlag  von  J.  F.  Lehmann  in  München  S.W.  2,  Paul  Heysestr.  26. 


Schrutz  wurde  der  Titel  und  Charakter  eines  ordentlichen  Uni¬ 
versitätsprofessors  verliehen.  —  Der  a.  o.  Professor  Dr.  Kamillo 
L  h  o  t  ä  k  Ritter  v.  L  h  o  t  a  wurde  zum  ordentlichen  Professor  für 
Pharmakologie  und  Pharmakognosie  an  der  tschechischen  Universität 
ernannt  —  Der  a.  o.  Professor  der  internen  Medizin  an  der  deutschen 
Universität  Reg.-Rat  Dr.  Theodor  P  e  t  r  i  n  a  erhielt  anlässlich  seines 
Uebertritts  in  den  bleibenden  Ruhestand  den  Titel  eines  Hofrates. 

T  u  r  i  n.  Dr.  P.  E.  B  u  y  s  habilitierte  sich  als  Privatdozent  für 

Oto-Rhino-Laryngologie.  ,  „  , 

Wien.  Der  ordentliche  Professor  an  der  Universität  in  btrass- 
burg  i.  E.  Dr.  Friedrich  Wenckebach  wurde  zum  ordentlichen 
Professor  der  speziellen  medizinischen  Pathologie  und  Therapie  und 
Vorstand  der  I.  mediz.  Klinik  ernannt.  Damit  ist  die  durch  den  Ab¬ 
gang  Prof.  v.  Noordens  vakante  Lehrkanzel  besetzt.  —  Der  mit 
dem  Titel  eines  a.  o.  Professors  bekleidete  Privat-  und  Honorardozent 
an  der  tierärztlichen  Hochschule  in  Wien  Dr.  Josef  F  i  e  b  i  g  e  r  hat 
sich  als  Privatdozent  für  Parasitologie  an  der  mediz.  Fakultät 
habilitiert. 

(Todesfälle.) 

ln  Bremen  ist  am  23.  v.  Mts.  der  a.  o.  Professor  der  inneren 
Medizin  an  der  Universität  Halle  a.  S.,  früher  Direktor  der  medizi¬ 
nischen  Poliklinik,  Dr.  Eberhard  Neb  elthau  im  50.  Lebensjahre 
gestorben,  (hk.) 

In  London  starb  am  28.  Juni  im  44.  Lebensjahre  nach  schwerem 
Leiden  Dr.  Karl  Fürth.  Der  Verstorbene,  ein  früherer  Assistent 
von  B  ä  u  m  1  e  r  in  Freiburg  i.  B.,  war  Oberarzt  am  Deutschen  Hospital 
und  ein  sehr  beliebter  und  beschäftigter  Arzt  besonders  in  deutschen 
Kreisen  Londons. 

(Berichtigungen.)  In  Nr.  26  ist  in  dem  Bericht  des  Allgem. 
ärztlichen  Vereins  zu  Köln  die  zu  der  Demonstration  von  Luxem¬ 
burg,  Fall  von  Luxationsfraktur  des  4.  und  5.  Halswirbels,  gehörige 
Röntgenabbildung  irrtümlicherweise  zu  der  Demonstration  von 
Frangenheim,  Osteom  der  Stirnhöhle,  gesetzt. 

In  der  Arbeit  von  Sormani  „Wert  und  Methodik  der  Be¬ 
stimmung  des  luetischen  Index“  in  Nr.  2  d.  Wschr.  ist  auf  S.  70,  Sp.  1, 
Z.  30  v.  u.  statt  „in  den  4  Röhrchen“  zu  lesen:  „in  dem  4.  Röhrchen“. 
Dieser  Druckfehler  hat  zu  einer  missverständlichen  Auffassung  in  der 
Literatur  (M.  Stern,  Z.  f.  Immun.Forsch.  Bd.  22  H.  2)  geführt  und 
wird  daher  nachträglich  berichtigt. 


Korrespondenz. 

Nachtrag  zu  der  Mitteilung: 

Universal-Augen-  und  Kopfelektrode  für  Diathermie. 

(M.m.W.  1914  Nr.  20  S.  1120/21.) 

Von  Augenarzt  Dr.  Alexander  0  u  r  i  n  -  Wiesbaden. 

Auf  Anregung  von  Herrn  Dr.  H  i  r  s  c  h  1  a  n  d,  Ohrenarzt  in  Wies¬ 
baden,  wurde  für  die  Ohrendiathermie  ein  für  obigen  Elektroden¬ 
apparat  passender  Gehörgangthermometer  angefertigt.  Derselbe  wird 
auf  Wunsch  von  der  Firma  W  a  1  b  -  Heidelberg  mitgeliefert. 


Uebersicht  der  Sterbefälle  in  München 

während  der  24.  Jahreswoche  vom  14.  bis  20.  Juni  1914. 

Bevölkerungszahl  640  000. 

Todesursachen:  Angeborene  Lebensschwäche  einschl.  Bildungs¬ 
fehler  10  (71),  Altersschw.  (über  60  Jahre)  7  (9),  Kindbettfieber  1  (— ), 
and.  Folgen  der  Geburt  und  Schwangerschaft  —  (— ),  Scharlach  1  (— ), 
Masern  und  Röteln  3  (5),  Diphtherie  u.  Krupp  —  (— ),  Keuchhusten  2  (1), 
Typhus  (ausschl.  Paratyphus)  —  (— ),  akut.  Gelenkrheumatismus  —  (— ), 
übertragbare  Tierkrankh.,  d.  s.  Milzbrand,  Rotzkrankh.,  Hundswut, 
Trichinenkrankh.  —  (— ),  Rose  (Erysipel)  2(1),  Starrkrampf  1  (— ), 
Blutvergiftung  1  (1),  Tuberkul.  der  Lungen  17  (33),  Tuberkul.  and.Org. 
(auch  Skrofulöse)  6  (4),  akute  allgem.  Miliartuberkulose  —  (2),  Lungen- 
entzünd.,  kruppöse  wie  katarrhal,  usw.  7  (7),  Influenza  —  ( — ),  veneri¬ 
sche  Krankh.  2  (2),  and.  übertragbare  Krankh.:  Pocken,  Fleckfieber, 
Ruhr,  Genickstarre,  Strahlenpilzkrankh.,  Lepra,  asiat.  Cholera,  Wechsel¬ 
fieber  usw.  —  (— ),  Zuckerkrankh.  (ausschl.  Diab.insip.)  1(2),  Alkoholis¬ 
mus  _  Entzünd,  u.  Katarrhe  der  Atmungsorg.  1  (3),  sonst.  Krankh. 
d.  Atmungsorgane  6  (2),  organ.  Herzleiden  19  (16),  Herzschlag,  Herz¬ 
lähmung  (ohne  näh.  Angabe  d.  Grundleidens)  —  (5),  Arterienverkalkung 
6  (4),  sonstige  Herz-  u.  Blutgefässkrankh.  3  (6),  Gehirnschlag  5  (6), 
Geisteskrankh.  —  (1),  Krämpfe  d.  Kinder  5  (2),  sonst.  Krankh.  d.  Nerven¬ 
systems  4  (7),  Atrophie  der  Kinder  1  (4),  Brechdurchfall  —  (— ),  Magen¬ 
katarrh,  Darmkatarrh,  Durchfall,  Cholera  nostras  9  (14),  Blinddarm¬ 
entzünd.  2  (2),  Krankh.  der  Leber,  Gallenblase,  Bauchspeicheldrüse  u. 
Milz  2  (5),  sonst.  Krankh.  derVerdauungsorg.5(— ),  Nierenentzünd.  5  (5), 
sonst.  Krankh.  der  Harn-  u.  Geschlechtsorg.  2  (3),  Krebs  19  (22),  sonst. 
Neubildungen  5  (2),  Krankh.  der  äuss.  Bedeckungen  2  (— ),  Krankh.  der 
Bewegungsorgane  —  ( — ),  Selbstmord  4  (1),  Mord,  Totschlag,  auch 
Hinricht. —  (—),  Verunglückung  u.  andere  gewalts.  Einwirkungen  6  (6), 
andere  benannte  Todesursachen  3  (6),  Todesursache  nicht  (genau)  an¬ 
gegeben  (ausser  den  betr.  Fällen  gewaltsamen  Todes)  —  (— ). 

Gesamtzahl  der  Sterbefälle:  175  (196). 


1)  Die  eingeklammerten  Zahlen  bedeuten  die  Fälle  der  Vorwoche. 


—  Druck  von  E.  Mühlthaler’s  Buch-  und  Kunstdruckerei  A.G.,  München. 


Die  Münchener  Medizinische  Wochenschrift  erscheint  wöchentlich  ,,  2usendnngen  sind  zu  adressieren: 

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Nummer  SO  4.  *  Bezugspreis  in  Deutschland  vierteljährlich  Ul  ,  |U  I  H  P  N  H  K  Für  Abonnement  an  I.  F.  Lehinann’s  Verlag,  Paul  Heysestr 

-«  6.—.  •  Übrige  Bezugsbedingungen  siehe  auf  dem  Umschlag.  lll  U  11  VJH  LjIHjLV  Für  Inserate  und  Beilagen  an  Rudolf  Mosse,  Theatinerstrasse  S. 

Medizinische  Wochenschrift. 

ORGAN  FÜR  AMTLICHE  UND  PRAKTISCHE  ÄRZTE. 


Nr.  28.  14.  Juli  1914. 


Redaktion:  Dr.  B.  Spatz,  Arnulfstrasse  26. 
Verlag:  J.  F.  Lehmann,  Paul  Heysestrasse  26. 


61.  Jahrgang. 


Der  Verlag  behält  sich  das  ausschliessliche  Recht  der  Vervielfältigung  und  Verbreitung  der  in  dieser  Zeitschrift  zum  Abdruck  gelangenden  Originalbeiträge  vor. 


Originalien. 

Ueber  das  Verhältnis  der  Lymphogranulomatose  zur 

Tuberkulose*). 

Von  Professor  Dr.  P.  Baumgarten  in  Tübingen. 

Kaum  ein  anderes  Kapitel  der  speziellen  Pathologie  ist  von 
so  vielen  Schwierigkeiten  und  Zweifeln  umgeben,  wie  das  Ge¬ 
biet  der  primären  Lymphdriisenschwellungen,  der  Lymphome 
und  Lymphomatösen.  Allerdings  haben  eifrige  Forschungen 
der  neuesten  Zeit  den  Schleier  etwas  gelüftet,  aber  manche 
Fragen  blieben  trotz  intensivster  Arbeit  ungeklärt.  Hierher 
gehört  namentlich  die  Frage  nach  dem  Verhältnis  der  neuer¬ 
dings  fast  allgemein  als  Lymphogranulomatosis  bezeichneten 
Erkrankung  des  lymphatischen  Apparates  zur  Tuberkulose. 

Die  Tuberkulose  kann  am  lymphatischen  Apparat  unter 
vier  verschiedenen  Formen  auftreten,  die  auch  klinisch  meist 
verschiedene  Bilder  geben,  wenngleich  weder  anatomisch  noch 
klinisch  ganz  scharfe  Grenzen  zu  ziehen  sind,  vielmehr  Ueber- 
gangsformeti  Vorkommen. 

Die  erste  Form  ist  das  körnige  oder  granuläre  Lym¬ 
phom,  seinem  ersten  genauen  Beschreiber  zu  Ehren  auch  als 
S  c  h  ii  p  p  e  1  sches  Lymphom  bezeichnet;  die  Bezeichnung 
„granulär“  ist  hier  im  makroskopischen  Sinne  gemeint,  dass 
an  der  Schnittfläche  Körnchen,  Granula,  eben  die  Tuberkel, 
hervortreten.  Das  körnige  Lymphom  tritt  fast  immer  nur 
lokalisiert,  besonders  häufig  an  der  Halsregion  auf. 

Die  zweite  Form  ist  das  käsige  Lymphom,  früher  als 
das  charakteristische  Produkt  der  Skrofulöse  betrachtet;  es 
kann,  wie  das  körnige  Lymphom,  auf  einzelne  Drüsen  oder 
eine  Drüsengruppe,  z.  B.  Tracheobronchialdrüsen,  beschränkt 
sein,  ist  aber  häufig  über  mehrere  Drüsengruppen  verbreitet 
lind  kann  auch  als  allgemeine  Lymphdrüsentuberkulose,  kli¬ 
nisch  eine  Pseudoleukämie  vortäuschend,  verlaufen.  Ana¬ 
tomisch  ist  diese  Form  durch  die  ausgesprochene  Neigung  zur 
käsigen  Degeneration  mit  sekundärer  Erweichung  gekenn¬ 
zeichnet. 

Eine  dritte  Form  ist  das  indurierende  tuberku¬ 
löse  Lymphom,  welches  durch  die  Neigung  des  Tuberkel¬ 
gewebes  zur  fibrösen  Metamorphose,  zur  bindegewebigen 
Induration  unter  mehr  oder  weniger  vollständigem  Zurück¬ 
treten  der  Verkäsung  charakterisiert  ist.  Diese  Form  treffen 
wir  am  häufigsten  in  den  Bronchialdrüsen  bei  den  indurierenden 
Formen  der  chronischen  Lungentuberkulose  an;  doch  liegt  sie 
auch  manchen  der  geschwulstartig  auftretenden,  primär  mul¬ 
tiplen  harten  Lymphomen  der  Hals-  und  Brustregion  oder 
anderer  Körperstellen  zugrunde. 

Die  vierte  Form  ist  die  von  mir  sogen,  „pseudoleu¬ 
kämieähnliche“  Form  der  Lymphdrüsentuber¬ 
kulose.  Es  unterscheidet  sich  diese  Form  von  der  generali¬ 
sierten  käsigen  Form  der  Lymphdrüsentuberkulose  dadurch, 
dass  sie  nicht  bloss  klinisch,  sondern  auch  makroskopisch¬ 
anatomisch  unter  einem  pseudoleukämieähnlichen  Bilde  auftritt, 
so  dass  die  betreffenden  Fälle  auch  noch  bei  der  Sektion  für 
Pseudoleukämie  gehalten  werden  können,  was  bei  der  gene¬ 
ralisierten  käsigen  Form  ganz  ausgeschlossen  ist.  Es  beruht 
dieser  Unterschied  darauf,  dass  bei  der  pseudoleukämieähn¬ 
lichen  Form  statt  der  typischen  käsigen  Nekrose  eine  mehr 
hyaline  Nekrose  sich  einstellt,  welche  die  Schnittfläche 
mehr  grauwciss,  als  gelb  erscheinen  lässt,  und  nicht,  wie  jene, 

*)  Nach  einem  im  Medizinisch-naturwissenschaftlichen  Verein 
in  I  übinjjen  am  15.  Juni  d.  J.  gehaltenen  Vortrag 

Nr.  28. 


zur  Erweichung  und  Höhlenbildung  tendiert.  Ich  habe  daher 
diese  Form  der  Lymphdrüsentuberkulose  seit  der  Beobachtung 
des  ersten  einschlägigen,  von  M.  Askanazy  trefflich  be¬ 
schriebenen  Falles  im  Jahre  1888  als  eine  „eigentümliche,  un¬ 
gewöhnliche  Form  der  Tuberkulose“  betrachtet  und  bezeichnet. 

Zehn  Jahre  später  hat  dann  Sternberg  aus  dem 
P  a  1 1  a  u  f  sehen  Institut  unter  dem  Titel:  „Ueber  eine  eigen¬ 
artige,  unter  dem  Bilde  der  Pseudoleukämie  verlaufende  Tu¬ 
berkulose  des  lymphatischen  Apparates“  eine  grössere  Zahl 
von  Fällen  veröffentlicht  und  in  ausgezeichneter  Weise  be¬ 
schrieben,  welchen  ausser  der  Uebereinstimmung  des  klini¬ 
schen  Bildes  auch  noch  ein  eigenartiges  mikroskopisches 
Strukturbild  gemeinsam  war,  das  S  t  e  r  n  b  e  r  g  als  ein  modifi¬ 
ziertes  tuberkulöses  Gewebe  anzusehen  berechtigt  zu  sein 
glaubte,  obwohl  weder  Tuberkelknötchen,  noch  Langhans- 
sche  Riesenzellen,  noch  auch,  abgesehen  von  einem  Falle,  Tuber¬ 
kelbazillen  darin  von  ihm  nachgewiesen  werden  konnten.  Es 
handelt  sich  um  ein  polymorphzelliges,  gefässhaltiges  Gewebe, 
welches  sich  vom  gewöhnlichen  Granulationsgewebe  durch  die 
reichliche  Anwesenheit  von  protoplasmareichen,  ein-  und  mehr- 
bis  vielkernigen  Zellen,  den  später  sogen.  S  t  e  r  n  b  e  r  g  sehen 
Zellen,  unterscheidet.  Bestimmend  für  seine  Auffassung  dieses 
Gewebes  als  eines  eigenartigen  tuberkulösen  Gewebes 
war,  dass  in  zwei  Drittel  dieser  Fälle  neben  dem  erwähnten 
eigenartigen  Gewebe  in  denselben  Präparaten  typische  Tuber¬ 
kulose  nachzuweisen  war,  dass  es  ferner,  allerdings  nur  in 
einem  Falle,  ihm  gelang,  zahlreiche  Uebergänge  von  dem 
eigenartigen  Gewebe  in  typisch  tuberkulöses  Gewebe  auf¬ 
zufinden  und  dass  in  diesem  Falle  auch  das  erstere,  also  das 
nicht  typisch  tuberkulöse  Gewebe,  Tuberkelbazillen  enthielt. 

Während  nun  die  Sternberg  sehe  Beschreibung  bald 
von  allen  Seiten  bestätigt  und  das  von  ihm  charakterisierte 
histologische  Bild  als  der  Ausdruck  einer  eigenartigen 
Erkrankung  des  lymphatischen  Apparates  allgemein  anerkannt 
wurde,  begegnete  doch  seine  Auffassung  dieser  Erkrankung 
als  einer  eigenartigen  Tuberkulose  starken  Zweifeln. 
Sternberg  selbst  schränkte  sie  später  erheblich  ein  und 
Paltauf  gab  sie  ganz  auf,  indem  er  die  in  Rede  stehende 
Affektion  unter  der  Bezeichnung  „Lymphogranulomatosis“  als 
eine  Lymphomatosis  sui  generis,  wahrscheinlich  chronisch¬ 
infektiöser  Natur,  von  der  Lymphdrüsentuberkulose  abtrennte. 
Diese  Paltauf  sehe  Auffassung  fand  allgemeinen  Beifall  und 
blieb  längere  Zeit  die  herrschende.  In  den  letzten  Jahren  ist 
jedoch  wieder  ein  Umschwung  zugunsten  der  ursprüng¬ 
lichen  Paltau  f-Sternberg  sehen  Ansicht  eingetreten. 

Der  Anstoss  zu  dieser  Wendung  ging  aus  von  den  Mit¬ 
teilungen  von  Fraenkel  und  Much  über  das  regelmässige 
Vorkommen  Gram-positiver  granulierter  Stäbchen  und  Granula 
in  dem  Lymphogranulomgewebe,  Gebilde,  welche  morphologisch 
nicht  von  der  Much  sehen  sogen,  granulären  Form  des  Tu¬ 
berkulosevirus  zu  unterscheiden  waren.  Fraenkel  und 
Much  schliessen  aus  ihren  Befunden,  dass  die  Lympho¬ 
granulomatosis  eine  Infektionskrankheit  sei,  die  durch  ein  dem 
Tuberkulosevirus  zum  mindesten  sehr  nahestehendes  Virus 
hervorgerufen  werde.  Dieser  Schlussfolgerung  steht  das  Be¬ 
denken  gegenüber,  dass  die  Natur  und  Bedeutung  der  Much- 
schen  granulierten  Stäbchen  und  Granula  noch  nicht  genügend 
festgestellt  ist.  Als  legitimer  Repräsentant  des  tuberkulösen 
Virus  kann  bis  auf  weiteres  nur  der  säurefeste  Bazillus  mit  der 
Fähigkeit,  beim  Versuchstiere  die  Tuberkulose  zu  reprodu¬ 
zieren,  gelten,  welche  Fähigkeit  bisher  für  die  Much  sehe 
granuläre  Form  nicht  nachgewiesen  ist.  Den  legitimen  Ba- 

1 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


zillus  in  ganz  reinen  Fällen  von  Lyniphogranulom,  d.  h.  solchen, 
die  nicht  mit  der  typischen  Tuberkelstruktur  weder  in  den 
Lymphdrüsen,  noch  in  anderen  Organen,  kombiniert  waren,  zu 
finden,  war  bis  vor  kurzem  nicht  gelungen.  Die  neueste  Zeit 
hat  diese  Lücke  ausgefüllt:  es  sind  nicht  nur  eine  grössere  Zahl 
solcher  reiner  Fälle  mit  dem  mikroskopischen  Befund 
säurefester  Bazillen  in  dem  Lymphogranulomgewebe  be¬ 
obachtet  worden,  sondern  es  hat  auch  in  einigen  derartigen 
Fällen  die  Verimpfung  granulomatösen  Gewebes  auf  Meer¬ 
schweinchen  die  Entstehung  typischer  bazillär  tuberkulöser 
Veränderungen,  bei  den  Versuchstieren  zur  Folge  gehabt.  Dies 
beweist,  dass  iii  reinen  Fällen  von  Lymphogranulomatosis  viru¬ 
lente  Tuberkelbazillen  im  Granulomgewebe  vorhanden  sein 
können  und  macht  es  höchst  wahrscheinlich,  dass  diese  Ba¬ 
zillen  die  Erreger  der  Lymphogranulomatose  in  jenen  Fällen 
waren.  Weiterhin  gibt  ein  Autor,  Lichtenstein,  an,  durch 
Verimpfung  von  Teilchen  der  Milz  eines  Falles  von  Lympho¬ 
granulomatosis,  der  aber  mit  typischer  Tuberkulose  kombiniert 
war,  bei  Meerschweinchen  tuberkulöse  und  granulomatöse 
Veränderungen  nebeneinander  erzeugt  zu  haben,  die  beide 
Tuberkelbazillen  enthielten,  wonach  er  als  bewiesen  an¬ 
sieht,  dass  auch  die  granulomatösen  Gewebsveränderungen 
tuberkulöser  Natur  sind,  welcher  Schluss  aber  doch  nicht  ganz 
stringent  ist,  weil  nicht  ausgeschlossen  werden  kann,  dass  bei 
der  Impfung  ausser  dem  legitimen  Tuberkelbazillus  auch  noch 
das,  von  vielen  Autoren  angenommene  besondere  Virus  der 
Lymphogranulomatose  eingeführt  worden  sei.  Der  sichere 
Beweis  der  tuberkulösen  Aetiologie  unserer  Erkrankung  kann 
nur  gewonnen  werden  durch  Experimente  mit  r  e  i  n  kulti¬ 
vierten  Tuberkelbazillen,  die  nicht  aus  Lymphogranulom 
ge  webe  stammen,  wenn  deren  .Verimpfung  auf  Versuchstiere 
typische  Lymphogranulomatose  hervorzurufen  im¬ 
stande  wäre.  Diesen  Beweis  glaubt  nun  ebenfalls  Lichten- 
stein  erbracht  zu  haben,  indem  er  bei  mit  reinkultivierten 
menschlichen  Tuberkelbazillen  geimpften  Meerschweinchen  in 
den  erkrankten  Organen  teils  typisch  tuberkulöse,  teils  typisch 
granulomatöse  Gewebsveränderungen  und  Uebergänge  zwi¬ 
schen  beiden  vorgefunden  zu  haben  angibt.  Diese  Lichten- 
stein  sehen  Angaben  sind  von  verschiedenen  Forschern  in 
Zweifel  gezogen  worden,  d.  h.  es  wurde  die  Identität  der  ex¬ 
perimentell  erhaltenen  Gewebsproduktionen  mit  dem  Lympho¬ 
granulom  beanstandet.  Ich  aber  kann  das  Lichten¬ 
ste  i  n  s  c  h  e  Resultat  bestätigen.  Bei  Infektions¬ 
experimenten  an  Meerschweinchen  mit  fallenden  Mengen  von 
Tuberkelbazillen,  die  Herr  Dr.  S  a  s  a  k  i  aus  Japan  im  ver¬ 
gangenen  Wintersemester  im  hiesigen  pathologischen  Institut 
anstellte,  hat  sich  ergeben,  dass  die  mit  minimalen  Mengen 
von  Bazillen  eines  virulenten  Bazillenstammes  geimpften 
Meerschweinchen  an  einer  Tuberkulose  von  sehr  protrahiertem 
Verlaufe  erkrankten,  deren  Produkte  makro-  und  mikro¬ 
skopisch  eine  grosse,  an  Identität  grenzende  Aehnlichkeit  mit 
jenen  häufigen  Fällen  von  Lymphogranulomatose  darboten,  in 
welchen  die  Granulomstruktur  mit  der  typischen  Tuberkel¬ 
struktur  verbunden  ist.  Es  fanden  sich  in  den  Präparaten 
auch  viele  Uebergänge  zwischen  den  beiden  Strukturformen 
und  die  spezifischen  Bazillen  waren  in  der  einen  wie  in  der 
anderen  Gewebsform  enthalten.  Ich  hege  daher  jetzt  keinen 
Zweifel  mehr  an  der  Richtigkeit  der  ursprünglichen  P  a  1 1  a  u  f  - 
Sternberg  sehen  Ansicht,  dass  wir  es  bei  der  in  Rede 
stehenden  Erkrankung  des  lymphatischen  Apparates  mit  einer 
eigenartigen  Tuberkulose  desselben  zu  tun  haben.  (De¬ 
monstration  von  Präparaten  von  menschlicher  Lymphogranulo¬ 
matose  und  von  der  ihr  Bild  nachahmenden  Impftuberkulose 
des  Meerschweinchens.) 

Wenn  wir  uns  auf  den  Standpunkt  der  ätiologischen  Iden¬ 
tität  von  Lymphogranulomatose  und  Tuberkulose  stellen,  dann 
bleibt  vom  histologischen  Standpunkt  aus  noch  die 
Frage  zu  erörtern,  in  welchem  Verhältnis  die  Lymphogranulo¬ 
matose  zu  der  von  mir  sogen.„pseudoleukämieähnlichen“  Form 
der  Lymphdrüsentuberkulose  steht.  Letztere  mit  der  Lympho¬ 
granulomatose  schlechthin  zu  identifizieren,  geht  ebensowenig 
an,  als  sie  von  ihr  ganz  zu  trennen  und  der  typischen 
Lymphdrüsentuberkulose  zuzuweisen.  Vielmehr  nimmt  sie 
eine  Mittelstellung  zwischen  der  typischen  Lymphogranulo¬ 
matose  und  der  typischen  generalisierten  Lymphdrüsentube"- 
kulose  °in  und  dient  somit  als  weitere  Stütze  für  die 


Annahme  der  tuberkulösen  Natur  der  sogen.  Lymphogranulo¬ 
matose.  Die  letztere  Bezeichnung  wurde  gewählt,  um  die 
Affektion  von  der  Tuberkulose  abzugrenzen;  wir  können  die 
Bezeichnung  aber  trotz  der  Erkenntnis  des  tuberkulösen  Cha¬ 
rakters  der  Affektion  beibehalten,  wenn  wir  dem  Hauptwort: 
Lymphogranulomatosis  das  Adjektivum:  tuberculosa  hinzu¬ 
setzen.  Denn  Lymphogranulomatosis  bedeutet  nur  die  An¬ 
wesenheit  eines  granulierenden  Entzündungsprozesses  in  den 
Lymphdrüsen.  Granulierende  Prozesse  können  aber  durch  die 
verschiedensten  ätiologischen  Momente  hervorgerufen  werden. 
Tatsächlich  bewirken  ja  ausser  dem  Tuberkelbazillus  auch  die 
Erreger  der  Syphilis,  der  Lepra,  des  Rotzes  usw.  granulierende 
Entzündungen  der  Lymphdrüsen,  also  Lymphogranulomatosen. 
Man  muss  also  die  durch  den  Tuberkelbazillus  hervorgerufene 
Lymphogranulomatose  als  Lymphogranulomatosis  tuber¬ 
culosa  bezeichnen.  Für  die  von  mir  so  genannte  „pseudoleu¬ 
kämieähnliche“  Form  der  Lymphdrüsentuberkulose,  die,  wie 
gesagt,  histologisch  eine  Uebergangsform  zwischen  der 
typischen  käsigen  Form  und  der  granulomartigen  Form  dar¬ 
stellt,  wird  jetzt  eine  andere  Bezeichnung  zu  wählen  sein,  um 
sie  von  der  Lymphogranulomatosis  tuberculosa  abzugrenzen, 
die  ja  a  u  c  h,  wie  jene,  klinisch  und  makroskopisch-ana¬ 
tomisch  der  Pseudoleukämie  ähnlich  ist,  und  zwar  dürfte  sich 
auch  für  s  i  e,  wie  bei  den  anderen  Formen,  eine  rein  ana¬ 
tomische  Bezeichnung  empfehlen.  Ich  möchte  vorschlagen, 
sie  als  „fibrös-käsige  Form“  der  Lymphdrüsentuberkulose  zu 
benennen,  womit  zum  Ausdruck  gebracht  wird,  dass  hier  eine 
Tendenz  zu  fibröser  Metamorphose  des  Tuberkelgewebes  be¬ 
steht,  die  aber  nicht,  wie  bei  der  indurierenden  Form,  zu  defi¬ 
nitiver,  sondern  nur  zu  provisorischer  Bindegewebsbildung 
führt,  die  später  der  käsigen  Nekrose  verfällt.  Diese  liefert 
hier  nicht  die  gewöhnlichen  trüben,  feinkörnigen,  sondern  mehr 
glasige,  hyaline  Massen,  wie  wir  sie  auch  sonst  von  der  Ver¬ 
käsung  sogen,  „fibröser“  Tuberkel  (Langhans)  kennen. 

Somit  würden  wir  die  obige  Einteilung  der  Lymphdrüsen¬ 
tuberkulose  folgendermassen  zu  modifizieren  haben: 

1.  das  körnige  oder  S  c  h  ü  p  p  c  1  sehe  Lymphom, 

2.  das  käsige  Lymphom, 

3.  das  indurierende  tuberkulöse  Lymphom, 

4.  das  fibrös-käsige  Lymphom, 

5.  das  Lymphogranuloma  tuberculosum. 

Alle  5  Formen  können  sowohl  regionär  beschränkt  als  auch 
generalisiert  auftreten;  am  häufigsten  aber  ist  das  letztere  bei 
der  4.  und  5.  Form  und  den  Uebergangsformen  zwischen  beiden 
der  Fall.  Es  erscheint  mir  das  einfachste,  die  generalisierte 
Lymphdrüsentuberkulose  von  der  Form  1 — 4  als  Lympho- 
matosis  tuberculosa  und  die  generalisierte  Form  5  als  Lympho- 
granulo matosis  tuberculosa  zu  bezeichnen. 

Zusatz.  Nachträglich  erhalte  ich  Kenntnis  von  der  Publikation 
von  O.  Steiger:  Klinik  und  Pathologie  der  Lymphogranulomatosis 
(Zschr.  f.  klin.  Med.  79.  1914.  H.  5  u.  6).  Der  Autor  berichtet  über 
Impfversuche  mit  Lymphogranulomgewebe,  die  meistens  in  dem  Sinne 
positiv  ausfielen,  dass  die  Meerschweinchen  an  einer  akuten  Miliar¬ 
tuberkulose  erkrankten,  ln  3  Fällen  konnte  neben  dieser  Tuberkulose 
das  typische  S  t  e  r  n  b  e  r  g  sehe  Granulationsgewebe  nachgewiesen 
werden.  Subkutan  und  intraperitoneal  mit  Granulombrei  geimpfte 
Kaninchen  erkrankten  an  knotenförmiger  Tuberkulose  der  inneren 
Organe.  Nach  diesem  Ergebnis  der  Impfexperimente  und  weil  die 
bei  einem  menschlichen  Erkrankungsfall  ausgeführte  Impfung  mit 
Tier  tuberkulin  ein  sehr  stark  positives  Resultat  ergab,  während  die 
Proben  mit  menschlichem  Tuberkulin  bei  allen  Fällen  negativ 
ausfielen,  nimmt  der  Verf.  eine  bereits  von  Sticker  und  Löwen¬ 
stein  geäusserte,  aber  nicht  erwiesene  Ansicht  von  neuem  auf,  dass  I 
die  Lymphogranulomatose  durch  bovine  Tuberkelbazillen  hervor¬ 
gerufen  sei.  Diese  an  sich  höchst  unwahrscheinliche  Annahme,  da  ja  ] 
die  bovinen  Bazillen  für  den  Menschen,  insbesondere  den  erwach-  I 
senen,  eine  nur  geringe  Pathogenität  besitzen,  wird  durch  die 
Steiger  sehen  Experimente  nicht  entfernt  erwiesen.  Wie  ich  fest-  j 
gestellt  habe,  gibt  es  menschliche  Bazillenstämme,  welche  für  Ka¬ 
ninchen  sehr  virulent  sind  (ohne  rinderpathogen  zu  sein),  und  zwar 
sind  diese  Stämme  keineswegs  selten.  Es  ist  ferner  nicht  zutreffend, 
wenn  den  Perlknoten  der  Rinder  eine  grössere  mikroskopische  Ueber-  i 
einstimmung  mit  den  Granulomknoten  zugeschrieben  wird,  als  den  j 
menschlichen  Tuberkeln;  beide  sind  vielmehr,  wie  schon  Schüppel 
erwiesen  und  ich  nur  bestätigen  konnte,  histologisch  identisch. 

In  Betreff  der  sonstigen  Literatur  verweise  ich  auf  die  neueste 
vorzügliche  zusammenfassende  Darstellung  von  Herxheimer 
(Beitr.  z.  Klin.  d.  Infekt.-  u.  Imm.-Forschung,  Würzburg  1913),  die 
auch  wertvolle  eigene  Beiträge  bringt. 


14.  Juli  1914.  MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  154? 


Aus  dem  hygienischen  Institut  der  Universität  Leipzig 
(Direktor:  üeh.  Med.-Rat  Prof.  Dr.  Kruse). 

Die  Erreger  von  Husten  und  Schnupfen* *). 

Von  W.  Kruse. 

Ueber  die  Ursachen  des  Hustens  und  Schnupfens,  des  ge¬ 
wöhnlichen  Katarrhs  der  oberen  Luftwege,  wusste  man  bisher 
recht  wenig.  Seit  alters  her  wurde  er  zu  den  sogen.  Er¬ 
kältungskrankheiten  gerechnet,  aber  die  Ueberzeugung,  dass 
es  mit  der  Erkältung  allein,  wenigstens  in  allen  Lallen  nicht 
getan  ist,  sondern  dass  ein  infektiöses  Moment  dabei  eine 
grosse  Rolle  spielt,  hat  sich  allmählich  immer  mehr  Geltung 
verschafft.  Die  bakteriologische  Forschung  hatte  jedoch  bisher 
nur  wenig  sichere  Ergebnisse  geliefert.  Allerdings  macht  es 
manchmal  den  Eindruck,  als  ob  bestimmte  Bakterien,  wie 
Pneumokokken,  Micrococc.  catarrh.,  der  sog.  Influenzabazillus 
die  Erreger  wären,  weil  sie  in  grossen  Mengen  und  ausschliess¬ 
lich  im  katarrhalischen  Sekret  gefunden  werden.  Ich  selber 
habe  auch  Fälle  gesehen,  in  denen  mir  in  der  Tat  dieser  Zu¬ 
sammenhang  sehr  wahrscheinlich  schien.  So  kamen  noch 
jüngst  bei  Gelegenheit  von  Pneumokokkenversuchen,  die  in 
meinem  Institut  angestellt  wurden,  einige  Uebertragungen  von 
Pneumokokken  auf  die  Schleimhaut  der  Luftwege  vor.  Diese 
Anerkennung  einer  bestimmten  bakteriellen  Ursache  des 
Schnupfens  und  Hustens  für  einzelne  Fälle  und  vielleicht  für 
kleinere  Epidemien  schliesst  aber  nicht  aus,  dass  wir  für  die 
grosse  Mehrzahl  Bakterien  als  Erreger  ablehnen  müssen. 
Dazu  sind  die  Absonderungen  gewöhnlich  viel  zu  spärlich  mit 
Bakterien  durchsetzt  und  diese  wenigen  selbst  viel  zu  unbe¬ 
ständig.  Bei  dieser  Sachlage  beschloss  ich  im  Januar  d.  J. 
der  Ursache  unseres  Katarrhs  auf  anderem  Wege  nach¬ 
zugehen. 

In  den  letzten  20  Jahren  haben  wir  eine  ganze  Reihe  von 
Iniektionen  kennen  gelernt,  die  wir  nicht  auf  die  bekannten 
„Kleinwesen“,  Bakterien,  Pilze  und  einzellige  Tiere,  zurück¬ 
führen  können,  sondern  für  die  wir  noch  kleinere,  jenseits  der 
mikroskopischen  Beobachtung  liegende  Lebewesen,  „unsicht¬ 
bare“,  „ultramikroskopische“  Virus  daraus  erschlossen,  dass 
wir  mit  den  krankhaften  Absonderungen  auch  dann  noch  die 
Infektion  erzeugen  können,  wenn  sie  durch  Filtration  von  allen 
Bakterien  und  überhaupt  von  sichtbaren  Elementen  befreit 
sind.  Dazu  gehören  z.  B.  die  Mosaikkrankheit  des  Tabaks, 
die  Maul-  und  Klauenseuche,  die  Lungenseuche  des  Rindes,  die 
Hühnerpest,  die  Geflügelpocken,  die  Schafpocken,  die  Rinder¬ 
und  Schweinepest  und  von  menschlichen  Krankheiten  das 
Gelbfieber,  die  Hundswut,  die  Pocken  und  Kuhpocken,  der 
Scharlach  und  die  Masern,  das  Dengue-  und  Papatacifieber, 
das  Molluscum  contagiosum  und  die  Warzen,  das  Trachom,  die 
epidemische  Kinderlähmung  und  wahrscheinlich  auch  der 
Flecktyphus. 

Ein  Schnupfen,  der  meinen  Assistenten  Dr.  Hilgers  be¬ 
fallen  hatte,  gab  uns  das  Material  für  unsere  Versuche.  Das 
aus  der  Nase  ausgeblasene  Sekret  wurde  15  mal  mit  physio¬ 
logischer  Kochsalzlösung  verdünnt,  durch  ein  kleines  Berke- 
feldfilter  filtriert,  und  je  einige  Tropfen  davon  12  Mitgliedern 
des  Instituts  in  die  Nasenlöcher  eingeträufelt.  Die  Wirksamkeit 
der  Filtration  wurde  durch  Kulturen  festgestellt.  Das  Ergebnis 
dieses  ersten  Versuchs  bestand  darin,  dass  4,  d.  h.  33  Proz.  der 
geimpften  Personen  nach  Inkubation  von  1 — 3  Tagen  an 
Schnupfen  erkrankten. 

Dieser  immerhin  nicht  ungünstige  Ausfall  ermutigte  mich, 
einen  zweiten  grösseren  Versuch  zu  machen.  Am  15.  Juni 
wurde  das  von  einem  akuten  Schnupfen  (Hilgers)  stam¬ 
mende  Sekret  20  mal  verdünnt  und  filtriert  auf  36  Teilnehmer 
meines  bakteriologischen  Kursus  verimpft.  15,  d.  h.  42  Proz., 
von  ihnen  erkrankten  mit  den  bekannten  Erscheinungen  des 
Schnupfens,  dem  sich,  wie  sonst,  in  einzelnen  Fällen  auch 
Husten  zugesellte.  Die  Inkubation  betrug  1 — 4,  und  zwar  meist 
2  -  3  Tage.  Bemerkenswert  ist,  dass  von  29  Kursteilnehmern, 
die  sich  nicht  impfen  Hessen,  und  von  den  am  Kurs  beteiligten 
7  Mitgliedern  des  Instituts  zusammen  nur  ein  einziger,  mit  einer 
Inkubation  von  einem  Tage,  erkrankte.  Das  Filtrat  erwies 
sich  auch  diesmal  wieder  bakteriologisch  keimfrei. 


*)  Vorgetragen  in  der  Sitzung  der  Medizinischen  Gesellschaft  in 

Leipzig  vom  23.  Juni  1914. 


Auf  Grund  dieser  Ergebnisse  halte  ich  es  für  höchst  wahr¬ 
scheinlich,  dass  die  Erreger  mindestens  einer 
Form  des  Hustens  und  Schnupfens  zu  der 
Gruppe  der  unsichtbaren  oder  filtrierbaren 
Keime  gehören.  Vielleicht  ist  es  sogar  die  gewöhnlichste 
Form  dieser  Krankheit.  Natürlich  befinden  sich  unsere  Unter¬ 
suchungen  über  diese  Erreger  erst  im  Anfangsstadium.  Es 
bleiben  zahlreiche  Aufgaben  noch  zu  lösen.  Ich  veröffentliche 
aber  diese  ersten  durch  die  üpferwilligkeit  meiner  Mitarbeiter 
und  Zuhörer  ermöglichten  Erfahrungen  schon  jetzt,  damit  sich 
andere  Forscher  an  der  Arbeit  beteiligen  können.  Namentlich 
würde  es  sich  meines  Erachtens  auch  empfehlen,  in  ähnlicher 
Weise  andere  Schleimhauterkrankungen,  z.  B.  Anginen  und 
Influenza  zu  studieren.  Gerade  die  letztere  Krankheit  scheint 
mir  noch  keineswegs  genügend  aufgeklärt  zu  sein. 

Zum  Schluss  möchte  ich  noch  den  Vorschlag  machen,  dem 
mit  der  Zeit  doch  nicht  nur  zu  Jahren,  sondern  auch  zu  recht 
stattlicher  Entwicklung  gelangten  Kinde  nun  endlich  einen 
(naturhistorischen)  Namen  zu  geben.  Trotz  mancher  Unter¬ 
schiede  bilden  die  filtrierbaren  Virus  doch  unleugbar  eine 
natürliche  Gruppe.  Die  sogen.  Chlamydozoen  Prowazeks 
stellen  nur  einen  Teil  davon  dar.  Ich  empfehle  die  von  mir 
seit  Jahren  in  meinen  Kursen  gebrauchte  Bezeichnung  als 
Aphanozoen1)  für  die  ganze  Familie,  Aphanozoum  für  die 
Gattung  und  A.  c  o  r  y  z  a  e  für  die  Art. 


Eine  lebende  erwachsene  Doppelmissbildung  (Epigastrius 

parasiticus)*). 

Von  F.  Marchand. 

Jean  Jaques  Libbera  wurde  1884  von  italienischen  Eltern  in 
Buenos-Ayres  geboren.  Die  Mutter  hatte  angeblich  13  Kinder;  ein 
vor  jean  geoorenes  männliches  Zwillingspaar  soll  zusammen¬ 
gewachsen,  mit  2  Köpfen  und  einem  Beinpaar  versehen  gewesen, 
und  bei  der  Geburt  gestorben  sein.  Ein  Onkel  soll  anstelle  des 
einen  Oberschenkels  einen  mammaartigen  Stumpf  und  einen  kurzen 
missgebildeten  Arm  gehabt  haben1). 

Kaum  mittelgrosser,  grazil  gebauter,  brünetter  Mann.  In  der 
Gegend  des  Epigastriums  hängt  ein  unvollkommen  entwickelter, 
kleinerer  Körper  nach  abwärts,  an  dem  4  Extremitäten  ausgebildet 
sind.  Die  Ventralfläche  ist  der  Bauchfläche  des  Autositen  zugekehrt. 
Die  Verbindung  des  parasitischen  Körpers  mit  seinem  Träger  ist 
seitlich  zusammengedrückt;  die  obere  Grenze,  von  knochenharter  Be¬ 
schaffenheit,  am  Processus  ensiformis,  die  untere  Grenze  weich,  etwa 
4  cm  oberhalb  des  Nabels  des  Autositen;  die  Nabelgegend  ist  ver¬ 
strichen,  etwas  vorgewölbt.  Die  Haut  des  parasitischen  Körpers  geht 
ohne  Grenze  in  die  des  Trägers  über.  Bei  der  Ansicht  von  vorn 
sieht  man  zunächst  die  beiden  seitlich  herabhängenden  oberen  Ex¬ 
tremitäten,  die  nach  aufwärts  unter  einem  spitzen  Winkel  einander 
stark  genähert  und  hier  mit  einem  länglichen  knöchernen  Ge¬ 
bilde  fest  verbunden  sind,  welches  durch  eine  gelenkige  Verbindung 
mit  einem  etwa  3  cm  langen,  knöchernen,  schräg  nach  vorn  und 
abwärts  gerichteten  Zapfen  zusammenhängt,  der  die  Stelle  des  Pro¬ 
cessus  xiphoideus  einnimmt,  aber  stärker  ist  als  der  normale.  Die 
etwas  gekrümmten  Oberarme  sind  durch  ihre  wenig  umfangreichen 
Weichteile  miteinander  fast  bis  zur  Mitte  der  Länge  vereinigt,  ähn¬ 
lich  auch  durch  eine  flughautartige  Falte  mit  den  Vorderarmen.  Diese 
wie  die  Hände  sind  sehr  viel  schwächer,  namentlich  die  letzteren 
klein,  sehr  schmal,  stark  flektiert,  wenig  beweglich  und  mit  dünner, 
atrophischer  Haut  bedecxt.  Beiderseits  5  i  inger,  mit  kleinen  Nägeln,  die 
Daumen  sehr  klein.  Bewegungen  in  den  Ellenbogengelenken  sind  nicht 
ausführbar.  Beim  Aufheben  der  oberen  Extremitäten  kommt  dicht  unter¬ 
halb  der  Achselfalte  beiderseits  eine  kleine  Brustwarze  mit  Areola 
zum  Vorschein.  Die  Umgebung  ist  schwach  behaart.  Unterhalb  der 
oberen  Extremitäten  tritt  der  verhältnismässig  grosse,  halbkugelig 
gewölbte  untere  Ieil  des  Rumpfes  hervor,  der  weich  anzufühlen,  an¬ 
scheinend  sehr  fettreich  ist  und  keine  mediale  Einkerbung  zeigt. 
Daran  schliesst  sich  beiderseits  eine  untere  Extremität,  die  im  Knie 
spitzwinklig  flektiert  und  nicht  streckbar  ist.  Die  Oberschenkel  sind 
durch  eine  Hautfalte  bis  zur  Mitte  mit  den  Unterschenkeln  vereinigt 
Die  Unterschenkel  lang  und  dünn,  daran  die  beiden  schmalen,  platten, 
dorsal  flektierten  Ftisse  mit  spitz  hervortretenden  Fersen  und  je  fünf 
Zehen,  von  denen  die  grosse  und  die  zweite  auffallend  lang  sind, 
während  die  übrigen  stark  in  der  Grösse  abnehmen;  die  kleine  Zehe 
ist  beiderseits  sehr  klein,  mit  undeutlichem  Nagel.  An  der  Ventral- 


')  unsichtbar,  unscheinbar. 

*)  Vorgestellt  in  der  Sitzung  der  med.  Gesellschaft  zu  Leipzig 
am  12.  Mai  1914. 

')  Van  Duyse:  Un  Epigastrius  vivant  (Jean  Libbera).  Gand, 
Ad.  Hoste  1912.  Die  Angabe  von  van  Duyse,  dass  diese  Doppel¬ 
missbildung  nach  Jean  geboren  und  10  Jahre  alt  geworden  sei,  be¬ 
zeichnet  dieser  als  unrichtig. 


1* 


1548 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  28. 


seitc  findet  sich  am  unteren  Umfang  zwischen  den  Oberschenkeln 
eS  ziemlich  unnanacicl,«.  weich  sich  anfühlendes  i ikrotum  dessea 
linke  Hälfte  eine  stärkere  Schwellung  zeigt,  die  sich i  nach  Art  einer 
äusseren  Leistenhernie  nach  aufwärts  fortsetzt.  Lin  1  estikel  ist  links 
nicht  deutlich  fühlbar,  anscheinend  nicht  herabgetreten,  rechts  findet 
sich  ein  ziemlich  kugeliger  Hode  von  der  Grosse  einer  kleinen  Kirsche. 
L)cr  Umfang  der  hernienartigen  Anschwellung  scheint  zu  wechseln, 
bei  der  Vorstellung  am  12.  Mai  ist  er  erheblich  Sr0SJer-  als  einige 
Tage  vorher.  Der  Penis  ist  klein,  sonst  normal  beschaffen,  perforiert. 
Hei  stärkeren  Berührungen,  z.  B.  beim  Waschen,  soll  der  eins 
schwache  Erektion  zeigen,  was  bei  dem  Fehlen  eines  Rückenmarkes 
sehr  auffallend  sein  würde.  Die  ganze  Umgebung,  auch  die  unteren 
Extremitäten,  sind  mit  sehr  reichlichen  schwarzen  Haaren  bedeckt. 

" e  Der Cganze 'ifar asi'/är e  Körper  ist  ziemlich  beweglich,  nach  beiden 
Seiten  zu  verlagern  und  nach  aufwärts  zu  erheben  Line  W  irbelsaule 
ist  nicht  durchzufühlen,  ebensowenig  Rippen  oder  Rippenknorpel 
Aktive  Bewegungen  werden  nicht  ausgefuhrt.  Die  Sensibilität  ist 
X |edng Berührung,  besonders  an  einigen  Stellen  am  meisten  in 
der  Nähe  des  Ansatzes,  auch  an  den  Genitalien,  werden  vom  Auto 
siten  empfunden,  angeblich  aber  verlangsamt.  ,  , 

Die  Zirkulation  des  Parasiten  ist  augenscheinlich  sehr  stark 
herabgesetzt.  Die  Extremitäten  fühlen  sich  sehr  kühl  an,  wenn  s  e 
einige  Zeit  unbedeckt  waren.  Ein  Puls  ist  nur  stellenweise  sehr 
schwach  fühlbar.  Von  einem  Herzen  ist  augenscheinlich  nichts  vor¬ 
handen.  Die  Harnabsonderung,  tropfenweise  und  unregelmässig, 
soll  nach  van  Duyse  täglich  ca.  30 — 50  g  betragen  und  soll  nach 
der  Angabe  des  Libbera  besonders  in  der  Nacht  erfolgen,  ohne 
dass  der  Träger  es  merkt.  Mit  dem  Harn  wird  —  jedoch  nicht 
regelmässig  —  eine  schwach  gelbliche,  schleimige  oder  im  einge¬ 
dickten  Zustande,  in  dem  vorgelegten  Mull  breiahn  .che  Masse  ent¬ 
leert  die  L.  selbst  mit  dem  Säuglitigsstuhl  vergleicht.  (Line  deutlich 
gallige  Färbung  ist  daran  bei  Abendbeleuchtung  nicht  wahrzunehmen 
leider  war  eine  mikroskopische  Untersuchung  der  Entleerung  nicht 
möglich.)  L.  selbst  erklärt  diese  Entleerung  von  Darminhalt  durch 
das  Vorhandensein  einer  „Kloake“;  jedenfalls  ist  also  ein  Darm  u 
vorhanden,  der  nach  Art  einer  Atresia  am  urethralis  oder  vesicalis 

üb  der  Darm  des  Parasiten  mit  dem  des  Autositen  zusammen¬ 
hängt,  ist  ohne  genauere  Untersuchung  noch  nicht  sicher  zu  ent¬ 
scheiden,  aber  durchaus  unwahrscheinlich  bei  der _  Beschaffenheit  der 
Entleerung,  die  nur  aus  eingedicktem  Darmschleim  zu  bestehen 
scheint.  Darmgase  scheinen  nicht  vorhanden  zu  sem.  Auch  erfolgen 
die  Entleerungen  unabhängig  vom  Autositen.  Libbera  ^gibt  sogar 
an,  dass  sie  zeitweise  häufiger  auftreten  sollen,  wenn  „Er  (d.  h.  der 
parasitische  Bruder)  krank  ist,  was  mehrmals  der  Fall  gewesen  sein 
soll.  (Libbera  gibt  übrigens  an,  dass  die  Ausleerungen  bei  Ge 
legenheit  seines  Aufenthaltes  in  Berlin  im  Jahre  1905,  wo  er  sich  in 
Castans  Panoptikum  sehen  liess,  wiederholt  untersucht  worden  seien, 
doch  ist  mir  das  Ergebnis  nicht  bekannt  geworden.) 

Besonders  wichtig  ist  das  Verhalten  des  Skeletts. 

Nach  einer  von  vanDuysein  der  Kopie  mitgeteilten  Röntgen¬ 
aufnahme  2)  ist  der  knöcherne  Körper,  der  die  Verbindung  der  Ober¬ 
arme  mit  dem  Sternum  des  Autositen  vermittelt,  aus  mehreren  (an¬ 
geblich  5)  ungleichen  Segmenten  zusammengesetzt,  von  denen  -  oder 
3  verdickt  sind.  Die  Köpfe  der  verhältnismässig  grossen,  eicht  ge¬ 
krümmten  Humeri  verschwinden  in  der  e,rwabnten 
Knochenmasse,  die  vielleicht  jederseits  Teile  der  Skapuk  (Kolli  m, 
Akromion,  Proc.  coracoideus)  einschliesst.  Zwischen  die  Humerus¬ 
köpfe  ist  ein  schmales  Knochenstück  eingeschaltet,  das  sich  nach  oben 
und  unten  fortsetzt,  nach  van  Duyse  vielleicht  den  Scapulae  an- 
gehörend.  Zwischen  den  unteren  Extremitäten  be bildet  sich  im  Be¬ 
reich  des  Gesässes  eine  unvollkommene  Beckenbildung,  die  nicht 
deutlich  als  solche  erkenbar  ist.  Von  einer  Wirbelsäule  ist  auch  hier 
nichts  sichtbar,  ebensowenig  Teile  des  Kopfes.  .  . 

Die  Deutung  der  Teile  des  Schultergürtels  ist  sehr  schwierig;  die 
der  beiden  stumpf-konischen  Knochenmassen  als  Teile  der  Scapulae 
dürfte  wohl  zutreffen,  da  sie  ganz  mit  den  Humerusköpfen  verschmol- 

zen  sind.  a  a  a 

Herr  Privatdozent  Dr.  A  s  s  m  a  n  n,  Assistent  der  medizinischen 
Klinik  (G.-R.  v.  Strümpell)  hatte  die  Güte,  2  Radiogramme  des 
Libbera  aufzunehmen,  die  jedoch  infolge  der  Schwierigkeit  des 
Objektes  und  der  Kürze  der  zur  Verfügung  stehenden  Zeit  nicht  alle 
Teile  mit  hinreichender  Deutlichkeit  erkennen  Hessen3 *).  Die  Reste 
des  Schultergürtels  sind  nicht  vollständig  sichtbar.  Die  dünnen  Kno- 
chenbälkchen  der  konischen  Körper  scheinen  unmittelbar  mit  denen 
der  Humerusköpfc  zusammenzuhängen.  Zwischen  den  letzteren  ist  ein 
etwa  1  cm  breites  Knochenstück  sichtbar,  das  zwischen  beiden  Hu¬ 
meri  etwa  4  cm  nach  abwärts  reicht  und  sich  hier  bis  auf  2  cm  ver¬ 
breitert  aber  nur  sehr  schwach  sichtbar,  augenscheinlich  sehr  dünn 
ist  Der  Form  nach  entspricht  es  vollständig  einem  Proc.  ensiformis. 
Berücksichtigt  man  aber,  dass  man  die  Rückenfläche  des  Parasiten 
vor  sich  hat,  und  dass  dessen  vordere  Thoraxwand  nicht  geschlossen 
ist'  sondern  beiderseits  in  die  Bauchwand  des  Autositen  übergeht,  so 
ist’ das  Vorhandensein  eines  ausgebildeten  Processus  ensiformis  nicht 

2)  Dieselbe  wurde  von  Dr.  G  r  a  s  s  n  e  r  in  der  Chirurg.  Abteilung 
des  Kölner  Bürgerspitals  unter  Bardenheuer  aufgenommen. 

3)  Herrn  Kollegen  A  s  s  m  a  n  n  möchte  ich  auch  an  dieser  Stelle 

meinen  Dank  aussprechen. 


wahrscheinlich.  Es  kann  sich  also  wohl  um  eine  den  Schulterblättern 
ungehörige  Knochenplatte  handeln,  die  aber  nicht  von  der  Kante,  wie 
“  ®  D u y  s  e  meint,  sondern  von  der  Fläche  gesehen  ist.  Sämtliche 
Knochenteile  sind  sehr  atrophisch,  am  meisten  die  Bälkchen  oer  .  pon- 
giosa  in  den  Extremitäten.  Die  Beckenknochen  kommen  auf-  der 
neuen  Aufnahme  in  der  dicken  Masse  des  Gesässes  leider  nur  sehr 
undeutlich  zum  Vorschein. 


CE  Fig.  1.  Ansicht  des  J.  J.  Libbera  von  Fig.  2.  Ansicht  von  vorn  u.  links, 

a  rechts  u.  vorn,  der  parasitische  Körper 
in  der  natürlichen  Lage  herabhängend. 

Es  handelt  sich  in  unserem  Falle  um  die  von  G  e  o  f  f  r  o  y 
St.  H  i  1  a  i  r  e  dem  Aelteren  als  Heteradelphus  bezeich- 
riete  Doppelmissbildung,  die  von  Ahlfeld  Dipygus 
parasiticus,  besser  Epigastrius  parasiticus  be¬ 
nannt  wird.  Ueber  die  Entstehungsweise  dieser  eigentüm¬ 
lichen  Doppelmissbildung,  von  der  bereits  eine  grössere  Anzahl 
von  Fällen  im  fötalen  aber  auch  einige  im  erwachsenen  Zu¬ 
stande  beobachtet  worden  sind,  gehen  die  Ansichten  der 
Autoren  noch  auseinander;  während  die  einen  dieselbe  dem 
Thorakopagus  zurechnen,  glauben  andere,  z.  B.  Schwalbe 
und  mit  ihm  van  Duyse,  dass  es  sich  um  eine  von  vorn¬ 
herein  asymmetrische  Doppelmissbildung,  einen  A  k  a  i  d  i  u  s 
handelt,  d.  h.  um  eine  Implantation  einer  embryonalen  Anlage 
in  den  Körper  einer  zweiten.  Vergleicht  man  aber  die  ver¬ 
schiedenen  bisher  beobachteten  Fälle  dieser  Art  untereinander, 
so  kann  man  leicht  eine  zusammenhängende  Reihe  aufstellen, 
deren  am  meisten  ausgebildete  Formen  einen  erhaltenen  Kopf¬ 
teil  mit  dem  mehr  oder  weniger  mangelhaften  Rumpf  mit 
Extremitäten  erkennen  lassen.  Der  bekannteste  Repräsentant 
dieser  Art  ist  der  Genueser  Lazarus  Colloredo  (geh.  1617), 
der  bereits  von  Thomas  Bartholin- us  und  L  i  c  e  t  u  s  ) 
beschrieben  worden  ist.  Daran  würden  sich  mehrere  andere 
Fälle  anschliessen,  bei  denen  sich  Reste  des  Kopfes  ebenfalls 
nachweisen  Hessen,  jedoch  in  vollständiger  Verschmelzung  mit 
dem  des  Autositen.  Dahin  gehören  beispielsweise  die  Fälle 
von  R  o  s  e  n  s  t  i  e  1 5)  und  von  A  h  1  f  e  1  d  °),  bei  denen  4  Ohren 
an  dem  gemeinsamen  mangelhaft  ausgebildeten  Kopfteil  vor¬ 
handen  waren,  von  denen  2  dem  Autositen,  2  dem  Parasiten 
angehörten. 

Bei  den  meisten  übrigen  im  eigentlichen  Sinne  als  Epi¬ 
gastrius  (Heteradelphus)  bezeichneten  Fällen  fehlt  der  Kopf 
vollständig,  so  dass  es  aussieht,  als  sei  er  in  die  Brust  des 


4)  Fortunius  Licetus:  De  Monstris,  Ed.  novissiina,  Amstelo- 

dami  1645,  worin  noch  mehrere  ähnliche  Fälle  aus  dem  16.  Jahr¬ 
hundert  mitgeteilt  werden.  ...  V 

5)  Ad.  Rosen  stiel:  Monstri  duphcis  rarissimi  descriptio  ana- 

tumica.  Diss.  inaug.,  Berol.  1824. 

ß)  Missbildungen,  Tafel  XVII,  Fig.  3,  I  ext,  p.  94.  Zyklopischer 
Fötus  aus  der  Sammlung  der  Leipziger  Entbindungsanstalt. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1549 


14.  Juli  1914. 

Trägers  versenkt,  während  die  Extremitäten,  Teile  des 
Rumpfes,  mehr  oder  weniger  ausgebildet  sind.  Zu  diesen 
länger  am  Leben  gebliebenen  gehört,  abgesehen  von  einigen 
älteren  Fällen,  der  von  Rudolf  Virchow  im  Jahre  1891  be¬ 
schriebene  Indier  namens  Laloo  7)  und  ein  von  H  e  1 1  e  n  d  a  1 1 
untersuchter  Knabe  von  12  Jahren,  ebenfalls  indischer  Ab¬ 
kunft,  namens  Pirmall  Buddis8 *).  Dieser  ist  augenscheinlich 
identisch  mit  dem  von  C  h  i  a  r  i  in  der  Gesellschaft  deutscher 
Aerzte  in  Prag  am  11.  I.  01  vorgestellten  indischen  Knaben, 
dessen  Name  entstellt  und  dessen  Alter  auf  14  Jahre  an¬ 
gegeben  ist  “).  Strass  m  a  n  n  bildet  einen  angeblich  4  jähr. 
Heteradelphus  aus  der  Sammlung  des  Berliner  pathologischen 
Institutes  ab,  der  noch  nicht  genauer  beschrieben  zu  sein 
scheint. 

Von  besonderem  Interesse  sind  znm  Vergleich  mit  unserem  Falle 
die  Röntgenaufnahmen  von  H  e  1 1  e  n  d  a  1 1,  der  bei  Pirmall  zwi¬ 
schen  den  Humerusköpfen  eine  unregelmässige  zweiflügelige  Knochen¬ 
masse  darstellt,  die  er  als  Manubrium  (in  Verbindung  mit  Klavikula) 
deuten  möchte.  Es  kann  sich  jedoch  auch  hier  um  die  miteinander 
vereinigten  Gelenkpfannen  der  Scapulae  handeln,  die  hier  von  den 
Humeri  getrennt  sind.  In  dem  Strang,  der  die  Verbindung  mit  dem 
Proc.  xiphoideus  des  Knaben  herstellte,  fand  sich  ebenfalls  ein  Kno¬ 
chenstück,  das  vielleicht  dem  Sternum  angehört.  Bei  seinem  Fall  II 
(Fötus)  bildet  H.  ein  der  Furcula  der  Vögel  ähnliches  Knochenstück 
ab,  das  er  als  die  vereinigten  Schlüsselbeine  deutet  (?).  In  beiden 
Fällen  fanden  sich  ferner  je  2  miteinander  in  der  Mitte  vereinigte 
Darmbeine.  Bei  dem  von  Schwalbe10 *)  beschriebenen  und  ab- 
gcbildeten  Epigastrius,  welcher  durch  v.  Beck  im  Alter  von 
11  Wochen  operativ  von  dem  Autositen  getrennt  wurde,  zeigte  das 
Radiogramm  nur  sehr  undeutliche  Reste  des  Schultergürtels,  deut¬ 
lichere  des  Beckens. 

Sucht  man  die  Entwicklung  dieser  eigentümlichen  Miss¬ 
bildung  zu  erklären,  so  muss  man  davon  ausgehen,  dass 
2  Anlagen,  die  selbstverständlich  aus  einem  Ei  hervorgegangen 


Fig.  3,  Schematische  Darstellung  eines  Thoracopagus  parasiticus  in  frühem  Stadium, 
cf  =  Chorion  frondosum,  b  =  gemeinsamer  Bauchstiel,  d  =  gemeinsamer  Dottersack, 
n  =  Nabel,  k1  =  Kopfteil  des  Autositen,  k-  Kopfteil  des  Parasiten,  c=  gemeinschaftliche 
(ursprünglich  doppelte  Herzanlage),  a  =  Aorta  des  Autositen. 

sind,  frühzeitig  oder  von  ihrer  ersten  Bildung  an,  miteinander 
im  mittleren  Teile  bei  ziemlich  ventraler  Gegenüberstellung 
vereinigt  waren.  Die  Ausbildung  der  beiden  Anlagen  hat  in 
ungleicher  Weise  stattgefunden,  was  wohl  mit  einer  ver¬ 
schiedenen  Entwicklung  der  Herzanlage  zusammengehangen 
haben  mag.  Während  bei  den  symmetrischen  Thorakopagen 
das  Herz  gewöhnlich  ziemlich  gleichmässig  beiden  Körpern 
angehört,  resp.  verdoppelt  ist,  ist  hier  in  der  Regel  das  Herz 
des  Parasiten  in  der  Entwicklung  ganz  zurückgeblieben  und 
die  Zirkulation  wird  gewöhnlich  durch  ein  arterielles  Gefäss 
(einen  Ast  der  Arteria  mammaria  interna  oder  subclavia) 
übernommen.  Während  die  Entwicklung  des  Kopfes  ganz 
zuriickbleibt,  wird  der  Rumpf  mit  den  Extremitäten,  wie  in 
unserem  Falle,  in  der  Gegend  des  Sternum  fixiert,  was  leicht 
erklärlich  ist,  wenn  man  berücksichtigt,  dass  in  dem  frühen 
Stadium  die  Seitenplatten  sich  noch  nicht  geschlossen  haben. 
Beide  Anlagen  sind  von  vornherein  durch  einen  gemeinschaft- 

7)  Eine  Skizze  desselben  nach  einer  Photographie  findet  sich  be¬ 
reits  im  Jahre  1886  in  den  Verhandlungen  der- Berliner  Gesellschaft 
für  Anthropologie  etc.,  s.  Zschr.  f.  Ethnol.  S.  373.  Das  Alter  des 
Laloo  wurde  1891  auf  18 — 19  Jahre  geschätzt.  Nach  Angabe  des 
I-ibbera  ist  er  später  in  Mexiko  gestorben. 

*)  Fortschr.  d.  Röntgenstr.  6.  1902/3.  S.  59. 

"l  M.m.W.  1901  Nr.  13. 

,0)  Morphologie  der  Missbildungen,  II.  T.,  Doppelbildungen,  1907, 

S.  346.  - 


liehen  Haftstiel  an  dem  Chorion.  fixiert,  haben  einen  gemein¬ 
schaftlichen  Dottersack,  dementsprechend  auch  einen  ein¬ 
fachen  Nabel.  Der  Darmkanal  des  Autositen  kann  teilweise 
mit  dem  des  Parasiten  in  Verbindung  stehen;  Harn-  und 
Genitalorgane  können  sich  selbständig  ausbilden.  Das  Zentral¬ 
nervensystem  geht  frühzeitig  zugrunde.  Die  Innervation  geht 
vom  Autositen  aus.  Es  würde  demnach  die  Entwicklung  der 
eines  ursprünglich  symmetrisch  angelegten  Thorakopagus 
entsprechen,  den  man  demnach  nach  Foerster  als  Tho¬ 
racopagus  parasiticus  (oder  truncatus)  bezeichnen 
kann,  wie  das  auch  von  mir  in  dem  Artikel  Missbildungen  in  der 
E  u  1  e  n  b  u  r  g  sehen  Realenzyklopädie  3.  Aufl.  1897,  4.  Aufl. 
1904  gesehen  ist,  wo  auch  die  obenstehende  schematische 
Figur  sich  findet.  Derselben  ist  ein  frühes  Stadium  der  nor¬ 
malen  Eientwicklung  zugrunde  gelegt,  wie  es  z.  B.  in  dem 
Embryo  von  Graf  Spee  vorliegt  und  in  ähnlicher  Weise  von 
E  t  e  r  n  o  d  beschrieben  und  in  einem  schönen  Modell  dar¬ 
gestellt  ist.  In  der  Figur  sieht  man  die  beiden  ungleichen 
Embryonalkörper  mit  dem  gemeinschaftlichen  Dottersack  an 
dem  einfachen  Bauchstiel  fixiert  und  von  dem  ebenfalls  ein¬ 
fachen  Amnion  umgeben. 


Aus  der  Nervenklinik  der  medizinischen  Hochschule  für  Frauen 
zu  St.  Petersburg  (Direktor:  Prof.  v.  Bechterew). 

Ueber  den  Einfluss  der  Schutzimpfungen  gegen  Lyssa 
auf  den  Verlauf  der  Anfälle  bei  Epilepsie*). 

Von  Privatdozent  Dr.  med.  M.  N  i  k  i  t  i  n  in  St.  Petersburg. 

Zuerst  möchte  ich  die  Krankengeschichte  eines  Falles  an¬ 
führen,  den  ich  vor  ca.  l'A  Jahren  zu  beobachten  Gelegenheit 
hatte  und  der  zum  Ausgangspunkt  der  von  mir  angestellten 
Versuche  wurde. 

Fall  I.  Frl.  E.  N.  Tsch.,  43  Jahre  alt1).  Keine  Krämpfe  in  der  Fa¬ 
milie,  keine  anderweitigen  Hinweise  auf  das  Bestehen  einer  patho¬ 
logischen  Heredität.  3  Schwestern  und  1  Bruder  der  Kranken  sind 
im  frühesten  Kindesalter  gestorben.  3  andere  Schwestern  leben  und 
sind  gesund.  Die  Patientin  ist  das  jüngste  Kind  in  der  Familie.  So¬ 
wohl  die  Geburt  als  auch  die  Entwicklung  im  Kindesalter  verliefen 
normal.  Im  Kindesalter  hatte  die  Pat.  Masern,  mit  30  Jahren 
hatte  sie  Scharlach.  Die  erste  Menstruation  trat  auf  im  Alter 
von  16  Jahren  und  kam  regelmässig  wieder. 

Anamnesismorbi.  Im  1.  Lebensjahr  bekam  die  Pat.  einen 
Krampfanfall;  über  die  Art  desselben  kann  sie  nichts  Näheres  mit- 
teilen.  Bis  zum  10.  Lebensjahr  fehlten  irgendwelche  Krampferschei¬ 
nungen.  Im  10.  Lebensjahr  aber  traten  Anfälle  auf,  welche  sich  seit¬ 
her  gewöhnlich  unabhängig  von  jeden  äusseren  Eindrücken  oder  Ge¬ 
mütserschütterungen  wiederholten.  Meistens  ereigneten  sich  die  An¬ 
fälle  in  der  Nacht  im  Schlafe,  manchmal  aber  auch  am  Tage.  Trat 
der  Anfall  am  Tage  auf,  so  ging  demselben  während  einiger  Minuten 
oder  selbst  Sekunden  ein  eigenartiger  Aufregungszustand  („als  ob 
nach  einem  Schreck“)  voraus.  Bald  danach  verlor  Pat.  das  Bewusst¬ 
sein  und  sank  mit  einem  Schrei  zusammen,  wobei  sie  sich  gewöhnlich 
verletzte.  Die  während  der  Anfälle  aufgetretenen  allgemeinen 
Krämpfe  dauerten  jedesmal,  wie  es  der  Kranken  die  umgebenden  Per¬ 
sonen  mitteilten,  nicht  mehr  als  5  Minuten.  Während  der  Anfälle 
fanden  gewöhnlich  Zungenbiss  und  unwillkürlicher  Harnabgang  statt. 
Nach  dem  Anfall  fühlte  sich  die  Pat.  im  allgemeinen  abgeschlagen 
und  empfand  ausserdem  ein  Schweregefühl  im  Kopfe.  Ausser  den 
nächtlichen  -  Anfällen,  welche  von  der  Umgebung  der  Kranken  be¬ 
obachtet  und  von  der  Pat.  selbst  am  nächsten  Morgen  auf  Grund 
des  Gefühls  der  Abgeschlagenheit  festgestellt  wurden,  bestand  manch¬ 
mal  Enuresis  nocturna.  Zuerst  waren  die  Anfälle  selten,  traten  aber 
später  immer  öfter  und  öfter  auf.  Durch  eine  Brombehandlung  ge¬ 
lang  es,  die  Frequenz  der  Anfälle  herabzudrücken,  so  dass  im  Alter 
von  21  Jahren  dieselben  bei  einer  regelmässigen  Einnahme  von  Brom 
durchschnittlich  einmal  wöchentlich  auftraten.  Alle  Aerzte,  an  die 
sich  die  Eltern  der  Pat.  wandten,  hielten  die  Krankheit  des  Mädchens 
für  Epilepsie  (unter  diesen  Aerzten  waren  die  damals  hervorragend¬ 
sten  russischen  Spezialärzte  Eichwald,  Mergejewsky, 
Tschetschott).  So  verhielt  sich  der  Krankheitsverlauf  bis  zum 
Jahre  1891,  als  die  Pat.  21  Jahre  alt  wurde. 

Ungefähr  am  10.  August  des  genannten  Jahres  wurde  die  Kranke 
von  einem  Hunde  gebissen;  das  Zentralnervensystem  desselben  wurde 
im  Pasteurinstitut  zu  Samara  untersucht  und  es  ergab  sich,  dass  der 
Hund  an  Lyssa  litt.  Die  Kranke  machte  dann  eine  Behandlung  mit 
Schutzimpfungen  gegen  Lyssa  a'ri  diesem  Institut  durch.  In  der 


*)  Vortrag,  gehalten  in  der  Sitzung  der  psychiatrischen  Gesell¬ 
schaft  in  St.  Petersburg  am  22.  Februar  1914. 

1)  Dieser  Fall,  sowie  die  4  folgenden,  wurden  vom  Verfasser  in 
der  Sitzung  der  Petersburger  psychiatrischen  Gesellschaft  am  22.  Fe¬ 
bruar  1914  demonstriert. 


1550 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  28.. 


ersten  Zeit  wurden  die  Impfungen  2  mal  täglich,  später  1  mal  täglich  I 
vorgenommen.  Im  ganzen  dauerte  die  Behandlung  2  Wochen.  Wäh- 
rend  dieser  Zeit  wurden  18  Schutzimpfungen  gemacht.  Bis  zum 
8.  September,  d.  h.  fast  während  eines  ganzen  Monats,  nachdem  die 
Pat.  von  einem  tollen  Hunde  gebissen  wurde,  blieb  sie  anfallsfrei. 
Am  8.  September  trat  in  der  Nacht  ein  Anfall  ein,  der  den  gewöhn¬ 
lichen  Charakter  zeigte.  Dieser  Anfall  war  aber  der 
letzte.  Seither  ist  die  Pat.  bis  zum  gegenwärtigen 
Moment,  d.  h.  während  22  Jahren  von  den  Anfällen, 
an  welchen  sie  während  11  Jahren  litt,  vollstän¬ 
dig  frei.  Gleichzeitig  mit  den  Anfällen  schwand  auch  die  Enuresis 
nocturna. 

Fassen  wir  die  Ergebnisse  dieses  Falles  zusammen,  so 
haben  wir  folgendes:  Bei  einer  erblich  unbelasteten  Person 
entstehen  im  10.  Lebensjahre  ohne  jeden  äusseren  Anlass  An¬ 
fälle,  deren  Schilderung  keinen  Zweifel  an  der  epileptischen 
Natur  derselben  hinterlässt.  Diese  Anfälle  existieren  während 
11  Jahren;  zum  Schlüsse  dieses  Zeitraumes  erlangen  dieselben 
trotz  der  reduzierenden  Beeinflussung  durch  Bromeinnahmen 
eine  Frequenz  von  einmal  in  der  Woche;  die  Anfälle  führen 
allmählich  eine  Hemmung  der  geistigen  Entwicklung  herbei; 
im  Alter  von  21  Jahren  hören  die  Anfälle  plötzlich  auf,  nach¬ 
dem  die  Kranke  von  einem  tollen  Hunde  gebissen  wurde  und 
danach  eine  Behandlung  mit  Schutzimpfungen  gegen  Lyssa 
durchmachte;  während  der  darauffolgenden  22  Jahre  bleibt 
die  Patientin  bis  zum  gegenwärtigen  Moment  von  den  An¬ 
fällen,  an  welchen  sie  gelitten  hat,  frei. 

Der  geschilderte  Fall  ist  als  eine  ganz  besondere  Aus¬ 
nahme  zu  betrachten  und  veranlasst  notwendigerweise  die 
Frage  aufzuwerfen,  warum  die  bei  der  Kranken  während 
11  Jahren  existierenden  epileptischen  Anfälle  plötzlich  auf¬ 
hören,  nachdem  Pat.  einen  Biss  durch  einen  tollen  Hund  er¬ 
litten  und  eine  Behandlung  mit  Schutzimpfungen  gegen  Lyssa 
durchgemacht  hat. 

Bei  den  Versuchen  diese  Frage  zu  beantworten,  können 
verschiedene  Annahmen  gemacht  werden.  Erstens  könnte 
man  annehmen,  dass  das  Aufhören  der  Anfälle  bei  der 
Patientin  selbständig  und  unabhängig  vom  Hundebiss  und  von 
der  Behandlung  mit  Schutzimpfungen  vor  sich  ging  und  dass 
es  sich  nur  um  eine  zufällige  zeitliche  Koinzidenz  beider  Er¬ 
scheinungen  handelt.  Wäre  das  selbständige  Aufhören  von 
Anfällen  bei  Epilepsie  eine  gewöhnliche  Erscheinung,  so 
würden  wir  uns  vielleicht  an  diese  Annahme  halten;  wir 
wissen  aber  umgekehrt,  wie  selten  die  Fälle  von  Schwinden 
der  epileptischen  Anfälle  sind.  Infolgedessen  liegt  der  Ge¬ 
danke  nahe,  dass  der  Hundebiss  und  die  nachfolgende  Be¬ 
handlung  durch  Schutzimpfungen  eine  gewisse  Rolle  beim  Auf¬ 
hören  der  epileptischen  Anfälle  bei  unserer  Kranken  gespielt 
haben.  Es  ist  wohl  kaum  möglich,  sich  diese  Rolle  als 
psychische  Beeinflussung  in  der  Form  von  einem  Schreck  nach 
dem  Hundebiss  zu  denken,  denn  wir  wissen,  wie  wenig  die 
typischen  epileptischen  Anfälle  einer  psychischen  Beeinflus¬ 
sung  zugänglich  sind.  Viel  ungezwungener  ist  die  Annahme, 
dass  in  diesem  Falle  der  Stillstand  der  Anfälle  als  die  Folge 
einer  Beeinflussung  des  Organismus  der  Patientin  durch  irgend 
ein  physisches  Moment  zu  betrachten  sei;  dieses  Agens  müsste 
in  den  äusseren  Einwirkungen  enthalten  sein,  welchen  die 
Patientin  vor  ihrer  Genesung  unterworfen  war/  Es  waren 
dies  zweierlei  Einwirkungen;  1.  der  Eintritt  des  Lyssavirus  in 
den  Organismus  bei  den  Schutzimpfungen  und  vielleicht  beim 
Hundebiss  und  2.  die  Einführung  in  den  Organismus  von  einer 
Emulsion  des  Kaninchenrückenmarkes  bei  der  Impfbehandlung. 

Wenn  das  Aufhören  der  Anfälle  bei  unserer  Kranken  durch 
das  letzte  von  den  angeführten  Momenten  bedingt  wurde,  so 
handelte  es  sich  hier  um  einen  Fall  von  einer  ungewöhnlich 
erfolgreichen  Organotherapie,  welche  schon  vielfach  früher, 
freilich  ohne  besonderen  Erfolg,  bei  Epilepsie  angewandt 
wurde.  Wenn  hier  aber  dem  Lyssavirus  die  therapeutische 
Rolle  zukommt,  so  stehen  wir  vor  einer  ganz  eigenartigen  Er¬ 
scheinung  nud  es  sind  bezüglich  des  Mechanismus  derselben 
nur  mehr  oder  weniger  dunkle  Vermutungen  und  Annahmen 
möglich. 

Man  wird  sich  leicht  vorstellen,  wie  verlockend  der  Ver¬ 
such  erscheinen  musste,  die  angeführte  Beobachtung  zum 
Zwecke  der  Epilepsiebehandlung  auszunützen.  Die  in  dieser 
Richtung  vorgenommenen  Versuche  gingen  von  der  Annahme 
aus,  dass  das  Aufhören  der  Anfälle  bei  unserer  Patientin  als 


Folge  der  Beeinflussung  entweder  durch  das  Kaninchcnriicken- 
marksgewebe  oder  durch  das  Lyssavirus  zu  betrachten  sei. 

Die  erste  Versuchsreihe  bestand  in  Zufuhr  von  einer  aus 
dem  Rückenmark  eines  normalen  Kaninchens  zubereiteten 
Emulsion  an  Epileptiker.  Zu  diesem  Zwecke  wurden  zur  Er¬ 
leichterung  der  Beobachtung  8  Kranke  gewählt,  unter  denen 
die  meisten  an  frequenten  Anfällen  litten  (manche  hatten  die 
Anfälle  täglich)  und  es  wurden  diesen  Patienten  täglich  sub¬ 
kutane  Einspritzungen  von  einer  frisch  zubereiteten  1  proz. 
Rückenmarksemulsion  eines  eben  getöteten  Kaninchens  ge¬ 
macht.  Sowohl  während  dieser  16  Tage  als  auch  während 
der  der  Injektionszeit  nachfolgenden  Beobachtungszeit,  welche 
für  die  meisten  Kranken  zirka  anderthalb  Monate  umfasste* 
konnte  man  bei  keinem  einzigen  Patienten  irgend  eine  be¬ 
stimmte  Beeinflussung  im  Sinne  der  Herabsetzung  der  Fre¬ 
quenz  der  Anfälle  feststellen. 

Nachdem  sich  auf  diese  Weise  die  Erfolglosigkeit  dieser 
Injektionen  ergeben  hatte,  beschlossen  wir,  den  Kranken  das 
geschwächte  Lyssavirus  einzuführen  in  derselben  Form,  die 
gewöhnlich  in  den  Pasteurinstituten  angewandt  wird.  Dank 
dem  liebenswürdigen  Entgegenkommen  des  Direktors  der 
Impfabteilung  am  Institut  für  experimentelle  Medizin,  des  Herrn 
Dr  med.  W.  Krajuschkin  und  des  Vizedirektors  der  ge¬ 
nannten  Abteilung,  des  Herrn  Dr.  W.  U  s  c  h  a  k  o  f  f,  verfügte  ; 
ich  täglich  über  frisch  zubereitetes  Impfmaterial,  welches  in 
einem  sterilen  Reagenzglas  in  die  Klinik  zugestellt  wurde  und 
nicht  später  als  nach  \V%  Stunden  nach  Zubereitung  der  1 
Emulsion  den  Kranken  eingespritzt  wurde.  Der  Virulenzgrad 
der  Emulsion,  welche  zur  Injektion  benutzt  wurde,  entsprach 
dem  Virulenzgrad  eines  4,  3  und  in  vereinzelten  Fällen  2  Tage  j 
getrockneten  Kaninchenrückenmarks.  Einer  Gruppe  von 
Kranken  wurden  15  Injektionen  am  Ende  April  und  im  Anfang 
Mai  1913  gemacht.  Leider  verliess  die  Mehrzahl  dieser 
Kranken  sofort  nach  Beendigung  der  Injektionen  das  Kranken¬ 
haus,  da  die  Klinik  während  der  Sommerferien  geschlossen 
wurde.  Die  Kranken  suchten  ihre  Heimatsdörfer  auf  und  es  I 
liegen  keine  Auskünfte  über  ihr  Schicksal  vor.  Nur  einer  unter 
dieser  Kranken  blieb  während  des  ganzen  Sommers  bis  ! 
Mitte  September  im  Peter-Paul-Krankenhaus  und  besuchte  i 
später  regelmässig  die  Klinik,  so  dass  es  möglich  war,  seinen  : 
Zustand  zu  verfolgen.  Wir  wollen  hier  das  wichtigste,  was  den  j 
Fall  betrifft,  anführen. 

Fall  II.  A.  Art.,  19  Jahre  alt,  Tapezierer.  Wurde  am  23.  Sep-  I 
tember  1912  in  das  Peter-Paul-Krankenhaus  aufgenommen. 

In  der  Familie  sind  keine  Fälle  von  Nerven-  und  Geisteskrank¬ 
heiten  vorgekommen.  Der  Vater  des  Kranken  ist  ein  Alkoholiker.  : 
der  noch  vor  der  Heirat  zu  trinken  begonnen  hat.  Von  7  Kindern 
sind  3  im  Kindesalter  gestorben.  Pat.  ist  das  6.  Kind.  Die  Geburt  ' 
verlief  normal,  die  erste  Entwicklung  ging  regelmässig  vor  sich.  Im  ! 
Alter  von  9  Jahren  bekam  Patient  einen  Schlag  auf  den  Nacken  mit 
einem  Stocke,  wonach  keine  Bewusstlosigkeit  auftrat;  Pat.  fiel  auch 
nicht  um.  Die  Verletzung  am  Nacken  hinterliess  eine  kleine  Narbe.  \ 
Im  Alter  von  15  Jahren  bekam  Pat.  ein  Ulcus  induratum,  wonach  er  : 
in  einer  Klinik  eine  Einreibungskur  mit  Hg  durchmachte.  Schnaps! 
trank  der  Pat.  wenig  und  selten.  Im  Alter  von  12  Jahren  begann 
Pat.  zu  rauchen,  raucht  in  der  letzten  Zeit  ca.  15  Zigaretten  täglich. 

Im  Alter  von  16  Jahren  traten  bei  dem  Kranken  zeitweise« 
Schwindelanfälle  auf.  wobei  er  sich  an  irgend  einen  Gegenstand  an¬ 
lehnen  musste,  um  nicht  umzufallen.  Diese  Schwindelzustände  tra¬ 
ten  unabhängig  von  jedem  äusseren  Anlass  auf  und  dauerten  jedes¬ 
mal  nicht  mehr  als  5  Minuten.  Nach  einem  Monat  wurden  diese 
Schwindelanfälle  von  einem  Hinfallen  des  Pat.  begleitet,  wobei  der» 
Kranke  sich  nicht  selten  verletzte  und  Blutsugillationen  an  den  ver¬ 
letzten  Stellen  behielt.  Im  4.  Monat  nach  dem  Beginn  der  Erkran¬ 
kung  wurden  die  Anfälle  nicht  nur  vom  Hinstürzen  des  Kranken,  son¬ 
dern  auch  von  einer  vollständigen  Bewusstlosigkeit  begleitet.  Dem 
Beginn  jedes  Anfalls  ging  gewöhnlich  eine  starke  Rötung  des  Ge¬ 
sichts  voraus,  welche  einige  Minuten  anhielt.  Den  Mitteilungen  der 
Personen,  welche  die  Anfälle  zu  beobachten  Gelegenheit  hatten,; 
konnte  man  entnehmen,  dass  im  Beginn  des  Anfalls  gewöhnlich  vor¬ 
übergehende,  kurzdauernde  tonische  Krämpfe  auftraten,  welche 
manchmal  vom  rechten  Arme  und  von  der  rechten  Gesichtshälfte 
auszugehen  schienen  und  sich  im  weiteren  auf  den  ganzen  Körper 
ausbreiteten.  Nach  1—2  Minuten  lösten  allgemeine  klonische 
Krämpfe  die  tonischen  ab.  Die  gesamte  Dauer  der  Krämpfe  beider 
Art  übertraf  nie  die  Dauer  von  5—7  Minuten.  Unwillkürlicher  Harn¬ 
abgang  während  der  Anfälle  wurde  kein  einziges  Mal  beobachtet. 
Einmal  wurde  ein  Zungenbiss  während  eines  Anfalles  festgestellt. 
Vielfach  kam  während  der  Anfälle  Schaum  vor  den  Mund  und  man 
bekam  Laute  zu  hören,  die  an  Rasseln  erinnerten.  Nach  dem  Auf¬ 
hören  der  Krämpfe  wurde  gewöhnlich  eine  kurzdauernde  Bewusst- 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1551 


14.  Juli  1914. 


seinstrübung  beobachtet;  während  derselben  führte  der  Kranke 
manchmal  verschiedene  Handlungen  aus,  so  zupfte  er  z.  B.  an  seiner 
Decke  usw.  Danach  verfiel  der  Kranke  in  einen  tiefen  Schlaf,  der 
jedesmal  nicht  unter  2  Stunden  dauerte.  Nach  dem  Erwachen  emp¬ 
fand  der  Kranke  gewöhnlich  Kopfschmerzen  und  ein  allgemeines 
Schwächegefühl.  Anfälle  dieser  Art  traten  in  der  ersten  Zeit  2 — 3  mal 
in  der  Woche,  seltener  einmal  wöchentlich  ein. 

Seit  Ende  1911  wiederholten  sich  die  Anfälle  täglich,  meistens 
einigcmale  an  einem  Tag. 

Die  bei  der  Aufnahme  des  Patienten  in  die  Klinik  ausgeführte 
objektive  Untersuchung  seines  Nervensystems  ergab  keine  be¬ 
sonderen  Abweichungen  von  der  Norm,  ausser  eines  Nystagmus  bei 
Seitenbewegungen  des  Augapfels.  Wie  aus  der  Kurve  Nr.  1  zu  er¬ 


Reihe  von  Kranken  mit  Impfungen  behandelt.  Anfangs  No¬ 
vember  wurden  Impfungen  an  9  Patienten  vorgenommen. 
Diesmal  wurde  eine  dreiwöchentliche  Impfungskur  durch¬ 
gemacht.  Von  diesen  9  Kranken  verliessen  2  die  Klinik  nach 
dem  Schlüsse  der  Kur  und  es  fehlen  alle  Auskünfte  über  ihr 
Schicksal.  Von  den  übrigen  7  Kranken  bekommt  einer  seine 
Anfälle  nur  einmal  während  2 — 3  Monaten,  so  dass  man  bis 
jetzt  die  Wirkung  der  Behandlung  noch  nicht  beurteilen  kann. 
Was  das  Ergebnis  der  übrigen  6  Fälle  betrifft,  so  haben  wir 
folgendes  feststellen  können:  In  der  Hälfte  der  Fälle,  d.  h. 
bei  3  Kranken,  übten  die  Impfungen  eine  starke  Wirkung  im 


1912 


n 


1913 


ta 


17 


YI 


sehen  ist,  traten  die  geschilderten  Anfälle  während  des  Aufenthaltes 
des  Patienten  in  der  Klinik  meistens  täglich  2 — 3  mal  auf;  manchmal 
wurden  an  einem  Tage  4,  5,  ja  sogar  6  Anfälle  beobachtet.  Unter 
dem  Einfluss  einer  Brombehandlung  wurden  die  Anfälle  etwas  sel¬ 
tener  entsprechend  der  Menge  der  angewandten  Bromdosis.  Aber 
auch  bei  einer  intensiven  Brombehandlung  ging  die  Frequenz  der 
Anfälle  nicht  unter  4 — 6  wöchentlich  herunter. 

Im  Zeitraum  vom  20.  März  bis  zum  4.  April  1913  wurden  dem 
Kranken  16  Einspritzungen  einer  Rückenmarksemulsion  von  einem 
normalen  Kaninchen  gemacht.  Sowohl  während  der  Injektionszeit  als 
auch  während  der  darauffolgenden  3  Wochen  ging  die  Frequenz  der 
Anfälle  nicht  herunter.  Man  konnte  im  Gegenteil  während  der  letzten 
Woche  der  Injektionszeit  eine  Steigerung  der  Anfallsfrequenz  fest¬ 
stellen,  was  wahrscheinlich  im  Zusammenhang  mit  der  Unterbrechung 
der  Brombehandlung  beim  Beginn  der  Injektionen  stand.  Am  21.  Tage 
nach  der  Unterbrechung  der  Einspritzungen  der  Rückenmarksemulsion 
eines  normalen  Kaninchens  wurden  dem  Patienten  während  15  Tagen 
täglich  Einspritzungen  der  Rückenmarksemulsion  eines  mit  ge¬ 
schwächtem  Lyssavirus  infizierten  Kaninchens  gemacht,  so  wie  es 
gewöhnlich  bei  der  Behandlung  mit  Schutzimpfungen  nach  Pasteur 
geschieht.  Während  der  Behandlung  behielten  die  Anfälle  ungefähr 
dieselbe  Frequenz  wie  früher.  Während  der  ersten  Woche  nach  dem 
Schlüsse  der  Behandlung  wurde  eine  gewisse  Steigerung  der  Fre¬ 
quenz  der  Anfälle  beobachtet,  dann  blieben  die  Anfälle  während 
11  Tagen  vollständig  aus.  Nach  diesem  11  tägigen  Intervall  folgte 
eine  Woche,  wo  der  Kranke  7  Anfälle  hatte  (während  dieser  Zeit 
hatte  er  Zahnschmerzen).  Vom  9.  Juni  1913  ab  bis  heute, 
d.  h.  während  814  Monaten,  hatte  der  Patient  keinen 
einzigen  Anfall. 

Die  Kurve  1  erlaubt  uns  den  Einfluss  des  Broms  mit  demjenigen 
der  Impfungen  auf  den  Verlauf  der  Anfälle  bei  unserem  Kranken 
übersichtlich  zu  vergleichen.  Das  Brom  übte  zweifellos  eine  redu¬ 
zierende  Wirkung,  obwohl  im  sehr  beschränkten  Masse,  auf  die  An¬ 
fälle  aus.  Diese  Wirkung  trat  sofort,  d.  h.  am  selben  oder  am  folgen¬ 
den  Tage  ein  und  schwankte  sofort  in  der  einen  oder  der  anderen 
Richtung,  sobald  die  Bromdosis  geändert  wurde.  Ein  ganz  anderes 
Bild  beobachten  wir  bei  der  Anwendung  der  Impfungen.  Während 
der  15  Injektionstage  bleibt  die  Frequenz  der  Anfälle  fast  unge- 
ändert;  nach  dem  Schlüsse  der  Impfungen  beobachten  wir  eine 
vorübergehende  Zunahme  der  Anfallsfrequenz  (während 
8  Tagen),  dann  bleiben  die  Anfälle  für  10  Tage  vollständig 
aus,  —  jetzt  folgt  während  8  Tagen  ein  neuer  Ausbruch  der 
Anfälle,  wonach  dieselben  vollständig  schwinden. 

Die  Wirkung  der  Impfungen  war  also  von  der¬ 
jenigen  des  Broms  in  bezug  sowohl  auf  die  Quantität 
als  auch  auf  die  Qualität  verschieden.  Was  den  quali¬ 
tativen  Unterschied  betrifft,  so  liegt  hier  die  charakte¬ 
ristische  Eigentümlichkeit  vor,  dass  die  Wirkung  der 
Impfungen  sich  nicht  sofort  äussert.  Dieser  Aeusse- 
rung  der  Wirkung  gehen  folgende  Stadien  voraus: 

1.  eine  Latenzperiode,  während  welcher  man  keine 
Aenderung  der  Frequenz  der  Anfälle  feststellen  kann 
und  2.  eine  (sich  zweimal  wiederholende)  Periode 
einer  Steigerung  der  Anfällefrequenz.  Nur  nach  dieser  Häu¬ 
fung  der  Anfälle  schwinden  dieselben. 

Bei  Eröffnung  der  Klinik  im  Herbst  1913  wurde  eine  neue 


Sinne  einer  Abnahme  der  Fre¬ 
quenz  der  Anfälle  aus;  im  4.  Falle 
wurde  eine  solche  Wirkung  auch, 
aber  nur  vorübergehend  be¬ 
obachtet:  Die  Beobachtungszeit 
fiel  bei  dieser  Patientin  mit  dem 
Beginne  einer  Schwangerschaft 
zusammen,  die,  wie  bekannt,  die 
epileptischen  Anfälle  meistens  un¬ 
günstig  beeinflusst.  Schliesslich 
übten  die  Impfungen  in  den  2  übri¬ 
gen  Fällen  keinen  Einfluss  auf  den 
Verlauf  der  Anfälle  aus.  In  einem 
von  diesen  Fällen  existierten  die 
Anfälle  schon  während  13  Jahren, 
traten  meistens  täglich  auf  und  wurden  von  einer  aus¬ 
gesprochenen  Demenz  begleitet.  Der  zweite  Fall  gehört  zu 
denjenigen,  wo  die  Differentialdiagnose  zwischen  Epilepsie 
und  Hysterie  auf  ausserordentlche  Schwierigkeiten  stösst  und 
wo  deshalb  die  Möglichkeit  nicht  ausgeschlossen  ist,  dass  wir 
es  hier  mit  Hysterie  zu  tun  gehabt  haben. 

Wir  wollen  hier  die  Haupttatsachen  anführen,  welche  die 
3  Patienten  betreffen,  bei  denen  die  Frequenz  der  Anfälle  nach 
den  Impfungen  stark  abgenommen  hat. 

Fall  III.  Frau  E.  L„  27  Jahre  alt,  ist  5  Jahre  verheiratet.  Vor 
8  Jahren  traten  bei  der  Pat.,  die  bis  dahin  gesund  gewesen  war, 
Krampfanfälle  auf,  welche  von  Bewusstseinsverlust  nicht  begleitet 
wurden.  Nach  4  Jahren,  d.  h.  im  zweiten  Jahre  nach  der  Heirat, 
traten  Anfälle  auf,  die  sich  in  Bewusstlosigkeit,  Hinstürzen  mit  Schrei 
und  in  allgemeinen  Krämpfen  äusserten.  Beim  Hinstürzen  verletzte 


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Kurve  2. 


sich  die  Kranke  oft.  Während  der  Anfälle  wurde  gewöhnlich  un¬ 
willkürlicher  Harnabgang  und  selten  Zungenbiss  beobachtet.  Anfälle 
dieser  Art  traten  am  Tage  meistens  am  Morgen  auf  und  wieder¬ 
holten  sich  in  der  letzten  Zeit  zweimal  und  noch  öfter  an  einem 
Tage. 

Die  Kurve  Nr.  2  gibt -die  Häufigkeit  der  von  der  Patientin  täglich 
registrierten  Anfälle  während  April,  Mai  und  Juni  1913  wieder. 


j  Während  der  folgenden  Monate,  die  der  Behandlung  unmittelbar 
vorausgegangen  sind,  führte  die  Pat.  keine  systematische  Registration 
der  Anfälle,  behauptet  aber,  dass  die  Frequenz  der  Anfälle  ungefähr 
I  auf  demselben  Niveau  geblieben  ist. 


1913 


21 


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1919 


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Kurve  3. 


1552 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  28. 


1913 


Vom  12.  November  bis  zum  3.  Dezember  1913  wurden  der  Pa¬ 
tientin  22  Einspritzungen  des  geschwächten  Lyssavirus  gemacht.  Wie 
die  Kurve  Nr.  3  zeigt,  treten  die  Anfälle  bei  der  Kranken  wahrend 
der  ersten  13  Tage  täglich  auf,  wie  es  auch  in  der  der 
Behandlung  vorausgehenden  Zeit  der  Fall  gewesen  ist.  Vom 
14.  Tage  ab  blieben  die  Anfälle  während  11  Tagen  aus,  um 
dann  während  4  Tagen  wie  früher  aufzutreten,  dann  blieben 
dieselben  wieder  während  18  Tagen  aus.  Nach  diesem  Zeit¬ 
raum  folgten  wieder  3  Tage  mit  Anfällen;  dann  kam  ein 
28  tägiges  anfallfreies  Intervall,  das  wieder  von  einem 
neuen  Ausbruch  der  Anfälle  abgelöst  wurde,  wobei  letzterer  ^ 
wieder  3  Tage  dauerte.  Seither  bleiben  die  Anfälle  bis  |  * 
heute,  d.  h.  während  25  Tagen,  aus. 


trachtung  dieser  Kurve  beweist,  dass  die  Anfälle  jedesmal  gehäuft 
während  der  Menstruation  oder  kurz  vor  derselben  auftreten.  Vom 
12  XI  13  bis  zum  3.  XII.  13  wurde  eine  Impfkur  durchgefuhrt.  Zur 


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Fall  IV 


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vorzuheben,  dass  der  Patient  mit  3  Jahren  aus  dem 
zweiten  Stockwerk  heruntergestürzt  ist.  Keine  besonderen 
Krankheiten  in  der  Anamnese:  Pat.  weist  nur  darauf  hin, 
dass  er  manchmal  an  Kopfschmerzen  gelitten  hat.  Der  erste  Anfall 
ereignete  sich  im  Alter  von  12  Jahren.  Die  Anfälle  beginnen 
meistens  mit  einer  Schwindelempfindung,  während  welcher  es  dem 
Pat.  manchmal  gelingt,  das  Bett  zu  erreichen  und  sich  niederzulegen; 
manchmal  aber  ist  der  Schwindel  so  kurzdauernd,  dass  der  Kranke 
auf  den  Boden  fällt.  Gleichzeitig  mit  der  Bewusstlosigkeit  treten 
Krämpfe  ein,  die  nach  der  Schilderung  der  Verwandten  zuerst  einen 
tonischen  und  dann  einen  klonischen  Charakter  haben.  Die  Krämpfe 
dauern  einige  Minuten  und  werden  dann  von  einem  Schlafzustand 
gefolgt,  welcher  jedesmal  ca.  2  Stunden  dauert  (während  des  Auf¬ 
enthaltes  des  Kranken  in  der  Klinik  wurde  ein  Anfall  von  Frau 
Dr.  Drabkin  beobachtet;  der  Verlauf  des  Anfalles  entsprach  dem¬ 
jenigen  eines  typischen  epileptischen;  im  Speziellen  fehlte  die  Licht¬ 
reaktion  der  Pupillen).  In  der  ersten  Zeit  wiederholten  sich  die 
Anfälle  einmal  monatlich,  während  der  letzten  1)4—2  Jahre  treten 
dieselben  durchschnittlich  1—2  mal  wöchentlich  auf. 


Kurve  5. 


1913 


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Kurve  4. 


Zeit  der  Menstruation,  die  während  der  Behandlung  eintrat,  wurde 
bei  der  Kranken  der  gewöhnliche  Ausbruch  der  Anfälle  beobachtet. 
Während  der  nächsten  Menstruation,  die  nach  Beendigung  der  Impf¬ 
kur  eintrat  (vom  25.  bis  31.  XII.  13)  kam  wieder  ein  Ausbruch  der 
Anfälle,  dieselben  waren  sogar  häufiger  als  gewöhnlich.  Die  folgende 
Menstruation  aber  —  im  Januar  —  verlief  anfallfrei.  Die  Pat.  be¬ 
hauptet,  das  sei  zum  ersten  Male  während  der  7  Jahre,  wo  die  An-  I 
fälle  existieren,  zu  beobachten.  Auch  die  Menstruation  im  Februar  ; 
war  von  keinen  Anfällen  begleitet. 

So  gestalten  sich  die  Tatsachen,  auf  welche  ich  in  dieser  ; 
meiner  Mitteilung  aufmerksam  machen  wolllte.  Das  angeführte 
Beobachtungsmaterial  lässt  erkennen,  dass  es  sich  hier  um  j 
ein  therapeutisches  Agens  handelt,  welches  auf  den  Verlauf  : 
der  Anfälle  bei  Epileptikern  eine  sehr  starke  Wirkung  aus-  ; 
zuüben  imstande  ist.  Diese  Wirkung  wurde  in  mehr  als  in  der 
Hälfte  der  Fälle  beobachtet,  welche  bis  | 
jetzt  verfolgt  werden  konnten.  Auf  Grund 
der  Beobachtungen  kann  man  sagen,  dass 
dieses  Agens  eine  viel  mächtigere  Wir-; 
kung  als  die  Bromsalze,  welche  wir  ge-  i 
wohnlich  zur  Epilepsiebehandlung  anwen¬ 
den,  entfalten  kann.  Indem  sich  die  Imp¬ 
fungen  von  Brom  der  Kraft  ihrer  Wirkung : 
nach  unterscheiden,  haben  dieselben  auch 
eine  andere  Wirkungsart.  Die  Beein¬ 
flussung  tritt  nämlich  nicht  sofort  ein  — 


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Die  Kurve  4  lässt  den  Verlauf  der  Anfälle  beim  Kranken  wäh¬ 
rend  der  letzten  5  Monate,  die  der  Impfbehandlung  vorausgegangen 
sind,  verfolgen.  Es  ist  aus  der  Kurve  zu  ersehen,  dass  im  Juli  1913 
die  Zahl  der  Anfälle  8,  im  August  7,  im  September  11.  im  Oktober  6, 
im  November  8  betragen  hat.  Vom  8.  XII.  bis  zum  14.  XII.  wurden 
dem  Patienten  7  Impfungen  gemacht,  d.  h.  es  wurde  eine  dreimal 
kleinere  Virusmenge  als  den  übrigen  Kranken  derselben  Versuchsreihe 
eingeführt.  Am  5.  Tage  der  Kur  bekam  der  Kranke  3  Anfälle  und 
nach  der  Unterbrechung  der  Behandlung  einen  Anfall.  Vom  18.  XII  13 
bis  zum  25.  I.  14,  d.  h.  während  39  Tagen,  traten  keine  Anfälle 
auf.  Nach  dieser  Periode  folgte  ein  Ausbruch  von  2  Anfällen,  wel¬ 
cher  wieder  von  einem  21  tägigen  anfallfreien  Intervall  abgelöst 
wurde.  Vom  6.  bis  zum  20.  II.  14  wurden  dem  Pat.  noch  15  Impfungen 
gemacht.  Am  12.  Tage  dieser  zweiten  Kur  trat  beim  Pat.  wieder 
ein  Ausbruch  von  Anfällen  ein,  der  5  Tage  dauerte. 

Fall  V.  Frl.  E.  P.,  25  Jahre  alt.  Die  Eltern  der  Kranken  sind 
gestorben,  woran,  weiss  Pat.  nicht.  Nerven-  und  Geisteskrankheiten 
sowie  Alkoholismus  fehlen  in  der  Familie.  Von  17  Geschwistern 
sind  11  im  frühesten  Kindesalter  gestorben.  Die  lebenden  Geschwister 
der  Pat.  sind  gesund.  Pat.  ist  das  jüngste  Kind.  Sie  ist  ausgetragen 
geboren,  die  Geburt  verlief  normal;  die  Entwicklung  im  Kindesalter 
ging  regelmässig  vor  sich.  Mit  14  Jahren  überstand  Pat.  einen 
Typhus,  mit  20  eine  Lungenentzündung.  An  Anfällen  leidet  die  Kranke 
vom  17.  Jahre  ab.  Der  erste  Anfall  ereignete  sich  nach  einem 
Schreck;  im  weiteren  wiederholen  sich  die  Anfälle  ohne  besonderen 
äusseren  Anlass,  wobei  dieselben  immer  während  der  Menstruation 
eintreten;  während  der  ersten  Jahre  wurden  ausserdem  Anfälle 
auch  ausserhalb  dieses  Zeitraumes  beobachtet,  in  den  einigen  letzten 
Jahren  erscheinen  dieselben  ausschliesslich  während  der  Menstruation 
oder  kurz  vor  Ausbruch  derselben.  Früher  traten  die  Anfälle  am 
Tage  auf,  wobei  die  Kranke  gewöhnlich  das  Bewusstsein  verlor,  hin- 
stürzte  und  sich  meistens  verletzte.  Die  Anfälle  bestanden  aus  allge¬ 
meinen  Krämpfen;  während  derselben  wurde  nicht  selten  Zungenbiss 
und  unwillkürlicher  Harnabgang  beobachtet.  Ungefähr  vor  3  Jahren 
wurden  die  Anfälle  zu  nächtlichen,  wobei  dieselben,  wie  oben  er¬ 
wähnt,  sich  jedesmal  zur  Zeit  der  Menstruation  wiederholten.  Wäh¬ 
rend  jeder  Menstruation  ereignen  sich  einige  Anfälle  —  3  und 
darüber.  Nach  den  Angaben  der  Kranken  ging  während  der  7  Jahre, 
wo  sie  an  Anfällen  leidet,  keine  einzige  Menstruation  anfallsfrei 
vorbei.  Die  Kurve  Nr.  5  zeigt  den  Verlauf  der  Anfälle  bei  der  Kranken 
während  einiger,  der  Behandlung  vorausgehenden,  Monate.  Die  Be- 


es  wird  zuerst  eine  gewisse  Latenzperiode  beobachtet; 
dann  kommt  nach  Beendigung  der  Kur,  eine  vorüber¬ 
gehende  Zunahme  der  Frequenz  der  Anfälle  und  erst  da¬ 
nach  tritt  eine  Frequenzabnahme  resp.  ein  Ausbleiben  der  An¬ 
fälle  während  eines  mehr  oder  weniger  langen  Zeitraumes  ein. 
Ob  es  auf  diese  Weise  möglich  ist,  eine  vollständige  Heilung 
der  Epilepsie  zu  erreichen,  wie  es  bei  der  Patientin  der  Fall 
war,  deren  Krankengeschichte  zum  Ausgangspunkt  unserer 
Beobachtungen  wurde,  ist  vorderhand  nicht  zu  entscheiden. 
Der  erste  unter  den  von  uns  behandelten  Kranken  stützt  bis-l 
weilen  unsere  Hoffnungen  in  dieser  Hinsicht. 

Was  den  Mechanismus  der  Beeinflussung  betrifft,  welche 
die  Impfungen  auf  den  Verlauf  der  Anfälle  bei  Epilepsie  aus-l 
üben,  so  sind  in  bezug  darauf  einstweilen  selbstverständlich 
nur  mehr  oder  weniger  ungewisse  Annahmen  möglich. 

Als  Material  für  die  Entscheidung  dieser  Frage  könnten 
vielleicht  zwei  Umstände  von  Bedeutung  sein. 

Der  erste  Umstand  besteht  darin,  dass  während  der  letzten 
Zeit  sich  immer  mehr  und  mehr  Tatsachen  anhäufen,  welche 
auf  die  Existenz  einer  ganzen  Reihe  von  Veränderungen  im 
Stoffwechsel  bei  der  sogen,  genuinen  Epilepsie  hinweisen] 
Hierher  gehören  die  Beobachtungen  über  die  toxischen  Eigen-; 
schäften  des  Harns  bei  Epileptikern,  über  die  Anhäufung  vonj 
Toxinen  im  Blute  der  Epileptiker.  Untersuchungen  über  ver¬ 
mehrten  Gehalt  von  antiproteolytischen  Substanzen  im  Serum 
der  Epileptiker  usw. 

Der  zweite  Umstand,  dem  eine  gewisse  Bedeutung  zu] 
kommt,  ist  derjenige,  dass  wir  hier  mit  der  Wirkung  eine;! 
Agens  zu  tun  haben,  welches  den  Organismus  vor  der  Ent¬ 
stehung  von  Hydrophobie  schützt,  einer  Erkrankung,  welche 
meistens  den  Charakter  einer  Krampfform  hat  und  demzufolge 
eine  gewisse  klinische  Aehnlichkcit  mit  der  Epilepsie  aufweistj 


14.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1553 


Aus  der  inneren  Abteilung  des  Auguste  Viktoria-Krankenhauses 
vom  Roten  Kreuz  Berlin-Weissensee 
(Direktor:  Dr.  A.  v.  Domarus). 

Zur  Frage  der  Abwehrfermente. 

Von  A.  v.  Domarus  und  W.  B  a  r  s  i  e  c  k. 

Trotz  der  grossen  Zahl  von  Arbeiten,  die  das  Verhalten 
der  Abderhalden  sehen  Abwehrfermente  behandeln,  ist 
bis  in  die  letzte  Zeit  die  Frage,  die  den  Kernpunkt  der 
Abderhalden  sehen  Lehre  betrifft,  unentschieden  ge¬ 
blieben,  ob  nämlich  die  auf  die  parenterale  Einverleibung  von 
verschiedenen  Eiweisskörpern  reaktiv  auftretenden  Fermente 
tatsächlich  die  strenge  Spezifität  besitzen,  die  ihnen  Abder¬ 
halden  zuweist,  und  damit  praktisch  ein  neues  diagnostisches 
Hilfsmittel  von  ausserordentlicher  Feinheit  und  Sicherheit  ge¬ 
wonnen  ist,  oder  ob,  wie  die  gegnerische  Seite  behauptet,  die 
von  Abderhalden  vertretene  Spezifität  nicht  zu  Recht  be¬ 
stellt  und  die  aus  seiner  Lehre  abgeleiteten  praktischen 
Schlüsse  irreführend  sind. 

Auch  wir  haben  uns  seit  längerer  Zeit  mit  der  Frage  der 
Spezifität  der  Abwehrfermente  eingehend  beschäftigt.  Die 
Resultate  dieser  Untersuchungen  sollen,  soweit  sie  nicht  später 
zu  publizierende  Tierversuche  betreffen,  in  folgendem  wieder¬ 
gegeben  werden. 

Zunächst  seien  einige  Erläuterungen  über  die  von  uns  an¬ 
gewendete  Methodik  des  Fermentnachweises  mitgeteilt. 

Es  wurde  in  allen  Einzelheiten  der  von  Abderhalden  ange¬ 
gebenen  Originalmethode  wörtlich  gefolgt.  Wenn  im  weiteren  Ver¬ 
laufe  der  Untersuchungen  gewisse  noch  zu  besprechende  Modi¬ 
fikationen  und  Ergänzungen  in  der  Methodik  vorgenommen  wurden, 
so  geschah  das  nur,  um  die  von  Abderhalden  aufgestellten 
Fostulate  noch  strenger  durchzuführen. 

Was  zunächst  die  Organe  betrifft,  die  wir  für  die 
Untersuchung  benutzten,  so  handelte  es  sich,  von  einigen  Tumoren 
abgesehen,  stets  um  Fälle,  die  bei  uns  im  Krankenhaus  sorgfältig 
untersucht  worden  waren  und  uns  demnach  genau  bekannt  waren. 
Obduktionsmaterial  wurde  nur  unter  besonderen  Kautelen  verwendet, 
d.  h.  wenn  wir  in  der  Lage  waren,  die  entsprechenden  Organe  sofort 
nach  dem  Exitus  zu  entnehmen,  und  auch  hier  nur  dann,  wenn  es 
sich  um  Fälle  handelte,  die  nicht  intra  vitam  Krankheiten  darboten, 
die  wie  Sepsis  etc.  nach  Abderhalden  eine  Kontraindikation 
gegen  die  Verwendung  der  Organe  darstellten.  Eine  grosse  Reihe 
von  Organen,  die  von  uns  eingestellt  wurden,  waren  Operations¬ 
material. 

Was  die  Verwendung  der  Plazenten  anlangt,  von 
denen  15  bei  Versuchen  eingestellt  wurden,  so  handelte  es 
sich  ausschliesslich  um  solche  von  Frauen,  die  bei  uns  im  Kranken¬ 
haus  geboren  hatten.  Das  hatte  einmal  den  Vorteil,  dass  wir  die 
Plazenten  ganz  frisch  erhielten,  und  andererseits  konnten  wir  uns 
stets  davon  überzeugen,  dass  die  Mutter  gesund  war.  Ein  besonderes 
Augenmerk  richteten  wir  auf  etwaige  pathologische  Veränderungen 
der  Plazenten,  die  in  derartigen  Fällen  von  der  Verarbeitung  aus¬ 
geschlossen  wurden.  Wie  auch  C.  Lange  (Biochem.  Zschr.  61. 
H.  3  u.  4)  jüngst  betont,  dürfen  insbesondere  luetische  oder  mit 
Infarkten  versehene  Plazenten  nicht  verwendet  werden.  Wir  suchten 
uns  durch  Prüfung  der  eingebetteten  und  gefärbten  Stücke  aus  ver¬ 
schiedenen  Partien  auch  mikroskopisch  von  der  normalen  Beschaffen¬ 
heit  der  jeweilig  verwendeten  Plazenta  zu  überzeugen. 

Auch  bei  den  übrigen  als  Substrat  verwendeten  Organen  unter¬ 
lassen  wir  es  niemals,  eine  genaue  mikroskopische  Untersuchung  der 
Prüfung  auf  Abbau  vorauszuschicken.  In  letzter  Zeit  nahmen  wir 
auch  eine  mikroskopische  Untersuchung  der  gekochten  und  vom 
Serum  bebrüteten  Organe  vor,  die  in  Paraffin  eingebettet  und  ge¬ 
schnitten  wurden.  Es  sollte  dadurch  vor  allem  festgestellt  werden, 
ob  tatsächlich  das  entsprechende  Gewebe  und  nicht  etwa  nur  binde¬ 
gewebiges  Stroma  zur  Bebrütung  gekommen  war. 

Die  Organe  wurden  streng  nach  Vorschrift  blutfrei  gemacht.  Es 
muss  dabei  betont  werden,  dass  trotz  grösstmöglichster  Eile  und 
trotzdem  wir  mit  mehreren  Hilfskräften  zugleich  arbeiteten,  es  uns 
nicht  gelang,  eine  Plazenta  vor  Ablauf  von  2Va  Stunden  blutfrei  zu 
machen.  Bei  anderen  Organen  dauerte  es  entsprechend  länger.  Wir 
Pflegten  dabei  das  Organ  auf  das  Minutiöseste  in  kleine  Teile  zu  zer¬ 
zupfen,  wobei  wir  die  Stücke,  die  uns  nicht  völlig  einwandfrei  er¬ 
schienen,  selbstverständlich  aus  der  weiteren  Bearbeitung  aus¬ 
schlossen.  Wenn  diese  Methode  auch  zu  einer  relativ  geringen  Aus¬ 
beute  führte,  so  war  doch  wenigstens  das  resultierende  Material  in 
tadellosem  Zustand.  Das  Auswaschen  nahmen  wir,  wie  A.  vor¬ 
schreibt.  in  fliessendem  Leitungswasser  vor.  C.  Lange  (1.  c.)  gibt 
zwar  den  Rat,  statt  dessen  physiologische  Kochsalzlösung  zu  nehmen, 
da  bei  Anwendung  von  Leitungswasser  die  Gefahr  bestehe,  dass  durch 
dieses  aus  den  in  der  Plazenta  enthaltenen  Erythrozyten  nur  das 
Hämoglobin  ausgewaschen  werde,  während  die  Erythrozyten¬ 
stromata  Zurückbleiben  und  event.  beim  Abbau  der  Plazenta  fehler¬ 
hafte  Resultate  verursachen.  Dazu  können  wir  bemerken,  dass  bei 

Nr.  28. 


sorgfältiger  Hämatoxylin-Eosinfärbung,  die  derartige  Blutschatten 
sehr  wohl  wenn  auch  schwach  darzustellen  vermag,  auch  in 
Leitungswasserplazenten  zurückgebliebene  Blutschatten  nicht  nach¬ 
zuweisen  waren.  Wenn  Lange  andererseits  behauptet,  dass  es 
bedeutend  schwieriger  sei  und  längere  Zeit  erfordere,  mit  Kochsalz¬ 
lösung  ein  rein  weisses  Gewebe  zu  erhalten,  so  können  wir  dem  nicht 
beipflielitcn,  und  möchten  dabei  an  Schlimperts  Untersuchungen 
(M.m.W.  1913  Nr.  13)  erinnern,  der  die  Organe  mit  physiologischer 
Kochsalzlösung  wusch,  weil  es  mit  dem  Freiburger  Leitungswasser, 
das  mit  dem  Härtegrad  2  fast  destilliertem  Wasser  glich,  nicht 
gelang,  Plazenten  rein  weiss  zu  waschen. 

Die  fertigen  Substrate  wurden  vorschriftsmässig  gekocht  und 
hierauf  unter  Chloroform  und  grossen  Mengen  Toluol  im  Eisschrank 
aufbewahrt,  so  dass  bakterielle  Zersetzungen  auszuschliessen  waren. 

Vor  der  Verwendung  wurde  das  Organ  geprüft,  indem  eine 
grosse  Menge  desselben  in  destilliertem  Wasser  gegen  destilliertes 
Wasser  dialysiert  wurde.  Selbstverständlich  wurde  mit  jedem  bei 
einem  Versuche  zur  Verwendung  gelangenden  Organ  noch  unmittel¬ 
bar  vor  dem  Ansetzen  des  Versuchs  eine  letzte  Kochprobe  vor¬ 
genommen.  Es  hat  nun  weiter  Abderhalden  neuerdings  (Ab¬ 
wehrfermente  3.  Aufl.)  die  Forderung  aufgestellt,  man  dürfe  keine 
Plazenta  in  den  Versuch  einstellen,  die  vom  Serum  eines  Karzinom¬ 
trägers  abgebaut  werde.  Wir  haben  in  allen  unseren  Versuchen 
neben  anderen  Organen  regelmässig  auch  Plazenta  eingestellt,  und 
ein  grosser  Teil  unserer  Plazenten  wurde  von  einer  Reihe  von 
Karzinomseren  nicht  abgebaut.  Im  Prinzip  müssen  wir  aber  die  Be¬ 
rechtigung  dieser  Abderhalden  sehen  Forderung  ablehnen. 

Ausser  den  Organen  kommen  vor  allem  die  D  i  a  1  y  s  i  e  r  - 
h  ü  1  s  e  n  als  Quelle  von  Irrtümern  in  Betracht.  Bei  sorgfältiger 
Prüfung  der  Hülsen  ergab  sich,  dass  von  den  uns  von  der  Firma 
S  c  h  ö  p  s  in  Halle  gelieferten  Hülsen  ca.  25  Proz.  unbrauchbar  waren. 
Meist  waren  sie  für  Eiweiss  durchlässig.  Nachdem  wir  anfangs  als 
Eiweissreagens  nach  Abderhaldens  Angabe  die  Biuretreaktion 
angewandt  hatten,  gingen  wir  später  dazu  über,  die  sehr  viel  deut¬ 
lichere  Probe  mit  30  proz.  Sulfosalizylsäure  anzuwenden.  Auch  be¬ 
züglich  der  Prüfung  auf  Durchlässigkeit  für  Pepton  wichen  wir  von 
der  Abderhalden  sehen  Vorschrift  insofern  ab,  als  wir  statt  einer 
1  proz.  Seidenpeptonlösung  eine  0,2  proz.  Lösung  verwendeten.  Das 
hatte  den  Vorteil,  dass  die  Ninhydrinreaktion  bei  dieser  Konzentration 
eine  mattblaue  Farbe  zeigte,  die  in  ihren  Abstufungen  viel  leichter 
zu  vergleichen  war.  Es  wurden  nur  Hülsen  verwendet,  die  eine 
gleichmässige  Peptondurchlässigkeit  zeigten.  Hülsen,  die  Pepton 
auffallend  stark  dialysieren  Hessen,  wurden  verworfen.  Ein  be¬ 
sonderer  Wert  wurde  auf  eine  regelmässige  Kontrolle  der  Hülsen 
gelegt.  Wir  verwenden  zurzeit  etwa  100  Hülsen,  die  nach  4— 5  maliger 
Benutzung  von  neuem  geprüft  werden.  Jede  einzelne  ist  numeriert 
und  es  wird  bei  jeder  Untersuchung  die  Hülsennummer  ins  Protokoll 
eingetragen.  Bei  jedem  Resultate,  das  in  irgendeiner  Richtung  auf¬ 
fallend  war,  wurde  die  Hülse  sofort  geprüft,  um  im  Falle  eines  Hülsen¬ 
fehlers  das  Resultat  aus  dem  Protokoll  zu  streichen.  Uebrigens  kamen 
Hülsenfehler,  da  die  Hülsen  sehr  sorgfältig  geprüft  wurden,  nur  selten 
in  Betracht. 

Die  Ninhydrinprobe  wurde  genau  nach  Abderhaldens 
Vorschrift  angestellt.  Die  anfangs  von  uns  benutzten  hölzernen 
Siedestäbe  waren  wenig  geeignet,  da  sie  etwas  Farbstoff  abgaben 
und  dadurch  der  Ninhydrinprobe  eine  störende  Farbnuance  verliehen. 
Wir  versuchten  daher  als  Siedestäbe  Glasröhrchen,  die  an  beiden 
Enden  zugeschmolzen  waren.  Als  Nachteil  dieser  Aenderung  aber 
stellte  sich  bald  heraus,  dass  die  Reagenzgläser  beim  Kochen  fort¬ 
während  zersprangen,  so  dass  wir  später  wieder  zu  den  Holzstäbchen 
zurückkehrten  und  nur  darauf  achteten,  dass  wir  nur  rein  weisse  Stäbe 
verwendeten.  Um  eine  grössere  Serie  von  Ninhydrinproben  gut  mit¬ 
einander  vergleichen  zu  können,  konstruierten  wir  ein  Reagenzglas¬ 
gestell  für  8  Proben  mit  einem  weissen  Schirm  als  Hinterfläche 
(Ninhydrinprobenvergleicher,  Firma  Lauten  Schläger).  Die  bei 
auffallendem  Licht  betrachtete  Serie  lässt  bei  dieser  Anordnung  mit 
Sicherheit  noch  Unterschiede  in  der  Färbung  erkennen,  die  sonst  nur 
schwer  wahrnehmbar  sind. 

Auch  bei  der  Gewinnung  des  Serums  hielten  wir  uns  streng  an 
die  Vorschriften  Abderhaldens.  Das  Blut  wurde  stets  nur  in 
nüchternem  Zustand  entnommen,  blieb  bei  Zimmertemperatur  in 
sterilen  Gefässen  und  wurde  der  spontanen  Gerinnung  und  Serum- 
abscheidung  überlassen.  Es  wurde  vermieden,  den  Blutkuchen  zu 
umstechen.  Spektroskopisch  wurde  die  Abwesenheit  von  Blutfarb¬ 
stoff  festgestellt. 

Die  Versuchsanordnung  wurde  jedesmal  in  der  Weise 
durchgeführt,  dass  stets  mit  drei  Seren  auf  einmal  gearbeitet  wurde. 
Das  erste  Serum  stammte  von  einem  klinisch  gesunden  Fall,  das 
zweite  von  einer  sicheren  Gravidität  und  als  drittes  Serum  diente 
eines,  das  auf  Abbau  von  Karzinom,  Leber,  Niere  und  anderen  Organen 
geprüft  werden  sollte.  Der  ganze  Versuch  wurde  jedesmal  doppelt 
angesetzt,  eine  Vorsichtsmassregel,  die  wir  von  Anfang  an  durch¬ 
führten  und  die  von  0  eil  er  und  Stephan  mit  Recht  gefordert 
wird.  Sie  ist  vor  allem  deshalb  nicht  zu  entbehren,  weil  sie  vor 
Täuschungen  durch  Zufallsresultate,  besonders  Hülsenfehler  schützt. 
Eine  weitere  Kontrollmassnahme,  die  uns  auf  Grund  unserer  Er¬ 
fahrungen  unentbehrlich  dünkt,  ist  die  gleichzeitige  Durchführung  des 
Versuches  mit  inaktiviertem  Serum.  Dies  ist  unseres  Erachtens 
nicht  so  eine  Kontrolle  des  Serums  auf  den  Gehalt  an  proteolytischen 

2 


1554 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  2Ü 


Fermenten  als  vielmehr  eine  Prüfung  der  Organe,  ob  sie  mit  Nin- 

hydrin  reagierende  Stoffe  abgeben.  ,  ,  . 

Was  endlich  die  Kontrolle  des  Serums  betriftt,  so  wurde  bei 
jedem  Versuch  Serum  allein  angesetzt,  um  seine  einwandfreie  Be¬ 
schaffenheit  sicherzustellen.  Die  Inaktivierung  des  Serums  geschah 
in  den  hier  mitgeteilten  Versuchen  stets  durch  Erhitzen  im  Wasser¬ 
bade  auf  58°.  wobei  wir  die  Beobachtung  machten,  dass  die  Dauer 
der  Erwärmung  von  grosser  Bedeutung  ist.  \\  ährend  die  Zeit  von 
30  Minuten  nicht  immer  zur  völligen  Inaktivierung  ausreicht,  war 
die  Dauer  von  einer  Stunde  in  allen  Fällen  genügend.  Ueber  zahl¬ 
reiche  Versuche,  die  wir  anstellten,  um  auf  anderen  physikalischen 
Wegen  eine  Inaktivierung  des  Serums  herbeizuführen,  soll,  da  sie 
noch  nicht  abgeschlossen  sind,  später  berichtet  werden.  Um  Miss¬ 
verständnissen  vorzubeugen,  sei  noch  auf  folgenden  Punkt  ausdrück¬ 
lich  hingewiesen.  Wenn  in  einem  Versuch  die  Bebrütung  des  Or¬ 
ganes  mit  nativem  Serum  ein  positives  Resultat,  mit  inaktivem  Serum 
dagegen  ein  negatives  Resultat  ergibt,  so  ist  damit  noch  nicht  ohne 
weiteres  Organabbau  erwiesen.  Es  ist  nämlich  neben  dem  Unwirk¬ 
samwerden  der  Fermente  noch  eine  andere  Möglichkeit  in  Betracht 
zu  ziehen,  auf  die  auch  Abderhalden  hinweist.  Es  wäre  der 
Fall  denkbar,  dass  durch  eine  physikalische  Zustandsänderung  des 
Serums  infolge  der  Inaktivierung  Ninhydrinstoffe  vom  Serum  zurück¬ 
gehalten  werden.  Wenn  nun  z.  B.  ein  Organ  an  und  für  sich  schon 
mit  Ninhydrin  reagierende  Stoffe  abgibt,  aber  in  so  geringer  Menge, 
dass  mc  für  sich  allein  keine  positive  Reaktion  zu  erzeugen  vermögen 
und  nun  zu  diesem  Organ  ein  Serum  hinzukommt,  das  ebenfalls  in 
geringer  Menge  Ninhydrinstoffe  enthält,  so  könnte  durch  Summierung 
beider  eine  positive  Reaktion  entstehen,  ohne  dass  man  sie  auf  fer- 
mentative  Wirkungen  beziehen  darf.  Um  auch  dieser  Fehlerquelle 
aus  dem  Weg  zu  gehen,  wendeten  wir  in  der  letzten  Zeit  die  „Sum¬ 
mationskontrolle“  (Frank,  Rosenthal  und  B  i  b  e  r  s  t  e  i  n  in 
der  Weise  an,  dass  wir  zwei  Hülsen  in  einen  Becher  stellten, 
von  denen  die  eine  Serum,  die  andere  Substrat  +  physiologische 
Kochsalzlösung  enthielt,  ln  den  Fällen,  wo  genügend  Serum  zur 
Verfügung  stand,  wurden  die  Substrate  doppelt  angesetzt. 

Schliesslich  sei  noch  bemerkt,  dass  die  Untersuchungen  sämtlich 
in  einem  Raum  stattfanden,  der  ausschliesslich  serologischen  Arbeiten 
dient,  dass  ferner  bezüglich  aller  Utensilien,  wie  Pipetten  usw.  streng 
steril  gearbeitet  wurde,  ebenso  wie  wir  die  Hülsen  stets  nur  mit 
Pinzetten  anfassten. 


Das  von  uns  untersuchte  Material  umfasst  im  ganzen 
170  Fälle.  Davon  entfallen  66  auf  sichere  Graviditäten,  72  auf 
normale  bzw.  leichtkranke  Fälle  (nicht  gravide,  nicht  karzinom¬ 
kranke,  nicht  fiebernde)  und  23  auf  maligne  Tumoren.  Der 
Rest  betrifft  verschiedenartige  Erkrankungen. 

Was  die  G  r  a  v  i  d  i  t  ä  t  anlangt,  mit  der  wir  unsere  Unter¬ 
suchungen  begannen,  so  ist  zunächst  hervorzuheben,  dass  wir 
in  der  grossen  Mehrzahl  starken  Plazentaabbau  fanden.  In 
4  von  66  Fällen  fehlte  dagegen  der  Plazentaabbau  vollständig, 
auch  bei  mehrfacher  Untersuchung,  und  zwar  betraf  das  sichere 
Graviditäten,  einmal  im  3.  Monat  (Protok.  Nr.  107),  2  mal  im 
4  (Nr.  97  und  104)  und  einmal  im  5.  Monat  (Nr.  86).  In  5  Fällen 
war  der  Abbau  der  Plazenta  äusserst  schwach  [1  Fall  im 
3  Monat  (Nr.  113),  1  Fall  im  4.  Monat  (Nr,  83),  2  Fälle  im 
5!  Monat  (Nr.  77  und  Nr.  165)  und  1  Fall  im  7.  Monat  (Nr.  156)J. 
Der  Abbau  anderer  Organe  durch  Schwangerschaftserum  ver¬ 
hielt  sich  verschieden.  Oft  wurde  Leber  abgebaut,  ohne  das^ 
Zeichen  einer  Leberaffektion  bestanden,  ferner  Niere,  Magen¬ 
karzinom,  Mammakarzinom,  Schilddrüse,  Grosshirn  und  Pan¬ 
kreas.  Es  sei  noch  bemerkt,  dass  in  den  vier  genannten  Fällen 
von  Gravidität,  bei  denen  kein  Plazentaabbau  stattfand,  auch 
andere  Substrate  keine  positive  Reaktion  gaben, 

Bei  den  Tumoren  (23  Fälle)  war  der  Ausfall  der  Reaktion 
recht  verschieden  im  Hinblick  auf  die  Uebereinstimmung  zwi¬ 
schen  klinischem  Befund  und  Verhalten  der  Abwehrfermente. 
Zunächst  bestand  in  zahlreichen  Fällen  gleichzeitig  Abbau 
mehrerer  Organe,  darunter  oft  auch  von  Plazenta  und  zwar 
bei  Männern  sowohl  wie  bei  Frauen.  In  einer  Reihe  von 
Fällen  wurden  Organe  abgebaut,  die  wie  die  Autopsie  bzw. 
Operation  später  ergab,  weder  durch  Metastasen  noch  durch 
andere  Veränderungen  an  der  Krankheit  beteiligt  waren. 

Besonders  häufig  wurde  ausser  Plazenta  auch  Leber  von  den 
Tumorträgern  abgebaut.  Bei  mehreren  Fällen  von  Magenkarzinom 
wurde  letzteres  stark  abgebaut  (Protok.  Nr.  15,  18).  Andererseits 
wurde  in  einem  Fall,  bei  dem  es  sich  um  einen  Skirrhus  der  Brust- 
drüse  handelte  (Protok.  Nr.  45),  besonders  stark  Magenkarzinom, 
hingegen  Mammakarzinom  nur  schwach  abgeabut.  In  einem  anderen 
Fall  wo  der  Verdacht  auf  Magenkarzinom  mit  Lebermetastasen  be- 
stand  (Nr  55),  wurde  Abbau  von  Magenkarzinom,  Leber  und  Pan¬ 
kreas  beobachtet;  die  Laparotomie  ergab  das  Fehlen  eines  malignen 
Prozesses  und  das  Bestehen  eines  Gallenblasenhydrops  sowie  Leber¬ 
zirrhose  Eine  Frau  mit  Zervixkarzinom  (Nr.  37)  baute  stark  Magen¬ 
karzinom  und  Plazenta  ab.  Eine  Frau  mit  Uteruskarzinom  (Nr.  138) 
baute  ebenfalls  Magenkarzinom  und  Plazenta  ab. 


Auf  der  anderen  Seite  seien  folgende  Fälle  erwähnt: 

Eine  Frau  (Nr.  124)  zeigt  Verdacht  auf  Magenkarzinom;  die 
Operation  erweist  die  Diagnose  als  irrtümlich  und  ergibt  lediglich 
Adhäsionen  als  Ursache  der  Beschwerden;  hier  hatte  die  Abderhalden¬ 
reaktion  wiederholt  keinen  Abbau  von  Magenkarzinom  und  einen 
schwachen  Plazentaabbau  ergeben.  Aehnlich  verhielt  sich  ein  anderer 
Fall  bei  einem  Manne  (Nr.  89).  bei  dem  die  Fehldiagnose  Magen¬ 
karzinom  gestellt  wurde,  während  es  sich  um  eine  Gastritis  anacida 
handelte,  auch  dieser  hatte  bei  mehrfacher  Untersuchung  Magen¬ 
karzinom  nicht  abgebaut.  .  .  ^  Q  „  ollt 

Bei  den  Untersuchungen  anderer  Krankheiten  aut 
Abbau  verschiedener  Substrate  erhielten  wir  Resultate,  die  sich 
zum  Teil  recht  widerspruchsvoll  verhielten.  Es  seien  hier  nur 
einige  Beispiele  genannt. 

Ein  junges  Mädchen  rrfit  einem  Panaritium  (Nr.  10),  das  ohne 
Komplikation  ausheilte,  baut  Plazenta  und  Grosshirn  und  in  Keriase- 
r ein  Grade  Niere  und  Magenkarzinom  ab.  Ein  ball  von  Scharlach¬ 
nephritis  (Nr  39)  baut  Plazenta,  Grosshirn  und  Magenkarzinom 
ab  Eine  Frau  mit  Nephritis  und  Urämie  (Nr.  48)  zeigt  ausser 
Abbau  von  Niere  auch  Plazentaabbau  ohne  bestehende  Gravidität. 
Ein  Mann  mit  Schrumpfniere  (Nr.  92)  baut  zwar  Niere  ab,  111 
stärkerem  Masse  aber  auch  Plazenta.  Eine  mcht  gravide 
Patientin  mit  Gonorrhöe  (Nr.  95)  baut  sowohl  Plazenta  als  Leber 
ab  Eine  fiebernde  nicht  gravide  Parametritis  (Nr.  155  baut 
ebenfalls  Plazenta  ab.  Ein  Fall  mit  einem  verkalkten^  Ovarialkystom 
baut  als  einziges  Organ  Grosshirn  ab.  Ein  Mann  mit  Gastritis  anacida 
(Nr.  71)  baut  Pankreas  ab.  Ein  Patient  mit  chronischem  A  koholis- 
mus  (Nr.  79)  baut  neben  Leber  und  Niere  auch  Plazenta  ab.  Eine 
nicht  gravide  Frau  mit  Enteroptose  (Nr.  85)  baut  Plazenta,  Leber 
und  Magenkarzinom  ab. 

Demgegenüber  stehen  auf  der  anderen  Seite  Falle,  wo 
das  Verhalten  der  Abwehrfermente  mit  der  klinischen  Diagnose 
übereinstimmt.  Dies  mögen  folgende  Beispiele  zeigen. 

Zwei  Fälle  von  genuiner  Epilepsie,  von  denen  der  eine,  eine  Frau 
(Nr.  44),  ausschliesslich  Grosshirn,  der  andere,  ein  Mann  (Nr.  72), 
Grosshirn  (und  allerdings  auch  Plazenta)  abbaut.  Ein  Mann  mit 
Nephritis  und  Leberschwellung  (Nr.  109)  baut  ausschliesslich  Niere 
und  Leber  ab.  Ein  Alkoholiker  (Nr.  112)  mit  Säuferleber  baut  nur 
Leber  ab,  desgleichen  ein  anderer  Patient  (Nr.  123)  mit  Ikterus  (Lues). 
In  diesem  Zusammenhang  wären  noch  zwei  Gravide  zu  nennen, 
die  eine  starke  Aldehydreaktion  im  Harn  zeigten  und  ausser  Plazenta 
auch  Leber  stark  abbauten. 


iT^KarKünP  ühpr  rlip  hipr  wieder  gegebenen  Resultate 


lässt  folgendes  erkennen:  . 

Hält  man  sich  zunächst  an  die  rein  praktische  Frage, 
inwieweit  das  A  b  d  e  r  h  a  1  d  e  n  sehe  Verfahren  in  den  von 
uns  herangezogenen  Fällen  geeignet  war,  die  klinische  Dia¬ 
gnose  zu  bestätigen,  so  kann  man  nicht  der  Auffassung  bei¬ 
stimmen,  dass  eine  für  die  praktische  Diagnostik  auch  nur  ent¬ 
fernt  ausreichende  Uebereinstimmung  zwischen  der  Abder¬ 
halden  sehen  Reaktion  und  dem  objektiven  Befund  bei 
unseren  Untersuchungen  zu  konstatieren  war. 

Wenn  schon  die  Resultate  bei  vorhandener  Gravidität  mit 
starkem  Abbau  von  Plazenta  relativ  am  günstigsten  liegen, 
und  dennoch  bereits  auf  66  Fälle  4  Versager  fallen,  so  be¬ 
kommt  die  Bewertung  des  Abaues  der  Plazenta  ein  wesent¬ 
lich  ungünstigeres  Aussehen,  wenn  man  den  überaus  häufigen 
Abbau  dieses  Organs  bei  Tumoren  und  anderen  Affektionen 
berücksichtigt.  Wollte  man  in  diesen  zahlreichen  Fällen  aller 
möglichen  Erkrankungen  das  Verhalten  der  Abwehrfermente 
der  Diagnose  zugrunde  legen,  so  käme  ein  recht  bizzares  Bild 
zustande,  von  dem  Abbau  der  Plazenta  durch  männliches 
Serum  ganz  abgesehen. 

Als  Erklärung  für  die  widersprechenden  Ergebnisse 
unserer  Untersuchungen  lassen  sich  a  priori  zwei  Annahmen 
machen.  Einmal  könnte  es  sich  um  Fehler  in  der  angewandten 
Methode  handeln,  die  an  der  theoretischen  Richtigkeit  der 
Abderhalden  sehen  Hypothese  nichts  ändern  würden;  auf 
der  anderen  Seite  kommt  die  Möglichkeit  in  Betracht,  dass  die 
von  A  b  d  e  r  h  a  1  d  e  n  aufgestellte  Lehre  von  der  strengen  Spe-  > 
zifität  der  Abwehrfermente  nicht  oder  wenigstens  nicht  in  dem  ; 
Umfange,  wie  Abderhalden  behauptet,  zu  Recht  besteht. 

Was  zunächst  die  Methodik  betrifft,  die  wir  anwendeten,  >; 
so  haben  wir  in  dem  methodischen  Abschnitt  dieser  Arbeit  ge¬ 
zeigt,  dass  wir  nicht  nur  die  Abderhalden  sehen  Vor¬ 
schriften  auf  das  genaueste  befolgten,  sondern  noch  darüber 
hinaus  gewisse  Kautelen  durchzuführen  pflegten,  um  uns  gegen 
alle  nur  denkbaren  Fehlerquellen  zu  sichern.  Wir  sind  übrigens 
damit  beschäftigt,  mit  Hilfe  anderer  von  dem  Dialysierver- 
fahren  unabhängiger  Methoden  unsere  Untersuchungen  über 
das  Verhalten  der  Abwehrfermente  fortzuführen. 


14.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Es  war  nun  nach  unseren  Ergebnissen  naheliegend,  der 
Frage  nachzugehen,  ob  sich  nicht  auf  anderem  Wege  Beweise 
dafür  erbringen  lassen,  das  den  proteolytischen  Fermenten, 
die  man  unter  den  verschiedensten  Umständen  im  Serum 
findet,  nicht  d  i  e  strenge  Spezifität  innewohnt,  die  Abder¬ 
halden  in  allen  seinen  Arbeiten  mit  Nachdruck  betont. 

Die  Abwehrfermente  sollen  bekanntlich  nach  Abder¬ 
halden  Reaktionsprodukte  auf  das  Eindringen  plasmafremder 
Stoffe  ins  Blut  sein.  Mit  anderen  Worten,  damit  Abwehr¬ 
fermente  auftreten,  muss  eine  Einverleibung  blutfremder  Stoffe 
vorausgegangen  sein.  Ist  diese  Voraussetzung  richtig,  so 
dürfen  im  Blutserum  nicht  von  vornherein  Fermente  nachweis¬ 
bar  sein,  die  bereits  „bluteigene“  Körper  abzubauen  vermögen. 
Steht  man  also  auf  dem  Boden  der  Abderhalden  sehen 
Lehre,  so  muss  man  erwarten,  dass  das  Blutserum  art¬ 
eigene  Serumeiweisskörper  nicht  abzubauen  vermag,  wofern 
nicht  vorher  parenteral  dem  Organismus  Serum  einverleibt 
worden  ist.  Diese  Ueberlegung  bildet  bekanntlich  einen  der 
Grundpfeiler  der  Arbeiten  Abderhaldens  und  seiner 
Schüler. 

Wir  haben  uns  nun  die  Aufgabe  gestellt,  zu  untersuchen, 
ob  tatsächlich  niemals  ein  derartiger  Abbau  von  Serum  in 
Fällen  stattfindet,  wo  nicht  vorher  ein  parenterale  Zufuhr  von 
Plasma  stattgefunden  hat. 

Wir  koagulierten  menschliches  Serum  durch  langsames 
Erhitzen  zu  einer  gallertigen  Masse  und  setzten  davon  0,5  mit 
1,5  Serum  in  einer  Hülse  zur  Bebrütung  in  den  Brütschrank. 
Das  koagulierte  Serum  stammte  teils  von  demselben,  teils  von 
anderen  Fällen.  Die  Versuche  wurden  jedesmal  doppelt  und 
ferner  auch  mit  inaktiviertem  Serum  angesetzt.  In  der  letzten 
Zeit  unterwarfen  wir,  entsprechend  einem  jüngst  von  Abder¬ 
halden  gemachten  Vorschlag,  das  Serum,  das  wir  koagu¬ 
lierten,  einer  Vordialyse  gegen  physiologische  NaCl-Lösung  für 
4  Stunden,  um  etwaige  mit  Ninhydrin  reagierende  Stoffe  vorher 
zu  eliminieren. 

DasResultatdieserVersuchewar,  dasswir 
unter  66  Seren  25  mal  einen  deutlichen  Abbau 
von  Blutserum  erhielten,  wobei  die  parallel  ange¬ 
setzten  Versuche  gleichsinnig  ausfielen.  Von  den  25  positiven 
Fällen  entfallen  10  auf  Graviditäten,  11  auf  nichtgravide  Fälle 
und  4  auf  Karzinome.  Unter  den  nichtspaltenden  Fällen  be¬ 
fanden  sich  8  Graviditäten.  3  andere  Fälle,  die  ebenfalls  dazu 
dienen  sollten,  den  Abbau  von  Serum  zu  beweisen,  konnten 
wir  zur  Entscheidung  dieser  Frage  nicht  verwerten,  da  die 
Resultate  in  den  Doppelversuchen  widersprechend  ausfielen. 
Es  sei  noch  bemerkt,  dass  die  10  Fälle  von  Gravidität,  die 
Serumabbau  zeigten,  sämtlich  eine  positive  Abderhalden¬ 
reaktion  mit  Plazenta  aufwiesen.  Unter  den  übrigen  serum¬ 
abbauenden  Fällen  fanden  sich  die  verschiedensten  Affektionen 
mit  gleichzeitigem  Abbau  verschiedener  Organe,  daneben  auch 
eine  Reihe  völlig  normaler  Individuen.  Von  den  letzteren  Hess 
sich  nur  ein  Fall  finden,  bei  dem  ausschliesslich  Serum  ab¬ 
gebaut  wurde.  Bei  den  übrigen  normalen  und  pathologischen 
Fällen  mit  Serumabbau  wurde  daneben  stets  auch  noch  Abbau 
von  Plazenta,  zum  Teil  auch  von  anderen  Organen  beobachtet. 
Irgend  ein  Parallelismus  zwischen  dem  Vorhandensein  von 
Serumabbau  und  dem  sonstigen  Verhalten  der  Fälle  konnte 
bisher  nicht  festgestellt  werden. 

Die  theoretische  Bedeutung  dieser  Versuche  liegt  auf  der 
der  Hand.  Sie  beweisen  zur  Evidenz,  dass  es  in  diesen  Fällen 
nicht  erst  der  parenteralen  Zufuhr  von  Serum  bedarf,  um  das 
Auftreten  bestimmter,  auf  den  Abbau  von  Blutserum  einge¬ 
stellter  Fermente  hervorzurufen.  Es  geht  weiter  aus  ihnen  die 
Tatsache  hervor,  dass  in  einer  Reihe  von  Fällen  der  scheinbar 
spezifische  Charakter  der  proteolytischen  Wirkung  eines  Serums 
nicht  nur  dadurch  eine  Einschränkung  erfährt,  das  dieselbe 
sich  auf  mehrere  verschiedene  —  aber  doch  stets  plasmafremde 
—  Substrate  erstreckt,  sondern  dass  gleichzeitig  auch  plasma¬ 
eigne  Stoffe  in  den  Wirkungsbereich  der  „Abwehrfermente“ 
fallen. 

Dieser  Befund  hat  übrigens  unseres  Erachtens  noch  in 
einer  anderen  Richtung  Bedeutung.  Es  ist  in  letzter  Zeit 
darauf  hingewiesen  worden,  dass  Sera,  die  Abwehrfermente 
enthalten,  und  die  durch  Hitze  inaktiviert  worden  sind,  sich 
durch  Zusatz  von  Normalserum  reaktivieren  lassen.  Es  wurde 


daraus  der  Schluss  gezogen,  dass  die  Abwehrfermente  nach 
Art  eines  Ambozeptors  komplexen  Charakter  besitzen.  Uns 
selbst  fehlen  bisher  in  dieser  Hinsicht  persönliche  Erfahrungen, 
um  uns  zu  dieser  Auffassung,  die  zweifellos  viel  für  sich  hat, 
äussern  zu  können.  Immerhin  scheint  es  uns  für  die  Ver¬ 
folgung  dieser  Fragestellung  zur  Vermeidung  von  Fehl¬ 
schlüssen  von  grösster  Bedeutung,  dass  man  bei  derartigen 
Untersuchungen  der  Tatsache  Rechnung  trägt  (vor  allem  durch 
richtige  Wahl  der  Serummengen),  dass  ein  Abbau  von  Serum 
durch  arteigenes  Blutserum  unter  Bedingungen  möglich  ist, 
wo  eine  vorherige  parenterale  Zufuhr  von  Serumeiweiss  nicht 
in  Frage  kommt. 

Wenn  wir  am  Schluss  dieser  Ausführungen  unserer  Auf¬ 
fassung  darüber  Ausdruck  geben  sollen,  wie  wir  uns  auf  Grund 
unserer  eigenen  Untersuchungen  zur  Frage  der  Abwehrfermente 
stellen,  so  möchten  wir  in  allererster  Linie  betonen,  dass  wir 
es  für  verfrüht  halten,  schon  jetzt  die  Frage  der  prak¬ 
tischen  Brauchbarkeit  des  Verfahrens  zu  entscheiden,  ge¬ 
schweige  denn,  es  bereits  als  diagnostisches  Hilfsmittel  am 
Krankenbett  zu  benutzen.  Hierfür  bedarf  es  noch  eingehender 
Untersuchungen  nach  den  verschiedensten  Richtungen,  um  zu¬ 
nächst  einmal  eine  sichere  Grundlage  für  unsere  theoretischen 
Kenntnisse  über  die  Frage  zu  schaffen.  Ob  sich  dann  daraus 
eine  für  praktische  Zwecke  mit  genügender  Sicherheit  ar¬ 
beitende  Methode  ergibt,  muss  die  Zukunft  lehren. 

Unsere  eigene  theoretische  Auffassung,  zu  der  uns  unsere 
Untersuchungen  führten,  möchten  wir  kurz  folgendermassen 
formulieren.  Man  braucht  keineswegs  die  Spezifität  gewisser 
im  Blute  kreisender  Fermente,  die  auf  bestimmte  Substrate  ein¬ 
gestellt  sind,  prinzipiell  in  Abrede  zu  stellen  —  auch  wir  haben 
oben  über  einige  in  diesem  Sinne  sprechende  Beispiele  berichtet 
—  und  dennoch  wäre  die  Möglichkeit  denkbar,  dass  in  vielen 
Fällen  der  spezifische  Charakter  dieser  Fermente  nicht  zutage 
tritt,  weil  ihr  Vorhandensein  durch  die  gleichzeitige  Gegenwart 
anderer  weniger  spezifisch  eingestellter  Fermente  maskiert 
wird.  Dass  derartige  unspezifisch  wirkende  Fermente  neben 
den  spezifischen  gewissermassen  nebenher  laufen,  geht  be¬ 
sonders  deutlich  aus  unseren  Versuchen  über  den  Abbau  von 
Blutserum  hervor.  In  diesem  Zusammenhang  sei  übrigens 
auch  auf  die  jüngst  publizierten  Beobachtungen  von  S  a  x  1 
(B.kl.W.  1914  Nr.  18),  sowie  auf  das  von  uns  häufig  konstatierte 
Vorhandensein  peptidspaltender  Fermente  (Spaltung  von 
Glyzyltryptophan)  im  Serum  von  normalen  und  pathologischen 
Fällen  einschliesslich  der  Gravidität  hingewiesen.  Es  scheint 
uns  demnach  die  Annahme  am  meisten  für  sich  zu  sprechen, 
dass  wir  es  bei  den  mit  der  bisherigen  Methodik  gewonnenen 
Resultaten  mit  einer  Summe  verschiedenartiger  Ferment¬ 
wirkungen  zu  tun  haben,  deren  Komponenten  in  einer  Reihe 
von  Fällen  zum  Teil  spezifischen  Charakter  tragen.  Wenn 
nun  in  einem  bestimmten  Fall  diese  spezifischen  Komponenten 
dorhinieren,  so  fällt  das  Gesamtresultat  im  Abderhalden- 
schen  Sinne  aus,  während  in  anderen  Fällen  das  spezifische 
Resultat  latent  bleibt. 

Würde  diese  Annahme  den  Tatsachen  entsprechen,  so 
käme  es  darauf  an,  ein  Verfahren  ausfindig  zu  machen,  das  es 
ermöglicht,  die  unspezifischen  Fermente  auf  irgend  einem 
Wege  zu  eliminieren  bzw.  die  spezifischen  Elemente  aus  dem 
Fermentgemisch  zu  isolieren. 

Daneben  möchten  wir  allerdings  noch  einen  anderen 
Gesichtspunkt  zur  Erklärung  der  widersprechenden  Er¬ 
gebnisse  aufstellen.  Es  ist  uns  im  Verlauf  unserer  Unter¬ 
suchungen  aufgefallen,  dass  von  den  verschiedenen  von 
uns  in  die  Versuche  eingestellten  Organen  die  Pla¬ 
zenta  dasjenige  Substrat  war,  das  am  häufigsten  einen  Ab¬ 
bau  zeigte.  Diese  Tatsache  legt  die  Frage  nahe,  ob  diese 
Erscheinung  nicht  etwa  weniger  mit  dem  häufigen  Auftreten 
gewisser  auf  dies  Substrat  abgestimmter  Fermente  als  viel¬ 
mehr  mit  einer  eigenartigen  augenblicklich  noch  nicht  näher 
zu  definierenden  physikalisch-chemischen  Beschaffenheit  dieses 
Organs  im  Zusammenhang  steht,  so  dass  dasselbe  gegenüber 
verschiedenen  proteolytischen  Fermenten  leichter  angreifbar 
ist  und  gewissermassen,  um  den  vielgebrauchten  Vergleich  an¬ 
zuwenden,  nicht  so  komplizierter  Schlüssel  bedarf,  wie  z.  B, 
Schilddrüse,  Grosshirn  usw.,  um  aufgeschlossen  zu  werden. 


2 


1556 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  28. 


Aus  der  chirurgischen  Universitätsklinik  zu  Jena 
(Direktor:  Geheimrat  Lexer). 

Zur  Magnesiumbehandllung  des  Tetanus. 

Von  Dr.  Kurt  Stromeyer,  III.  Assistent  der  Klinik. 


Welch  grosses  Interesse  der  von  Meitzer  und  Auer 
in  Amerika  inaugurierten  und  von  Kocher  in  Europa  ein¬ 
geführten  Magnesiumbehandlung  des  Tetanus  entgegenge¬ 
bracht  wird,  geht  aus  den  zahlreichen,  in  letzter  Zeit  publi¬ 
zierten  Fällen  und  Sammelreferaten  hervor. 

Trotzdem  ist  die  Zahl  der  mit  Magnesium  behandelten 
Tetanusfälle,  die  bis  jetzt  mitgeteilt  worden  sind,  so  gering, 
dass  ein  Urteil  über  den  Wert  oder  den  Unwert  dieser  Therapie 

noch  nicht  gefällt  werden  kann.  ,  „ 

Jede  Mitteilung  über  Erfahrungen  mit  dieser  Behandlungs¬ 
methode  ist  deshalb  von  Wert;  das  veranlasst  uns,  schon  heute 
mit  unseren  Beobachtungen  hervorzutreten,  obgleich  wir  nur 
über  5  Fälle  verfügen. 

Zuerst  die  Krankengeschichten. 

Fall  1.  Handarbeiter  K.  H.,  41  Jahre.  N  , 

Am  2.  V.  13  Quetschung  des  5.  Fingers  der  linken  Hand.  Naht 

durch  den  behandelnden  Arzt. 

8.  V.  Trismus,  Nackensteifigkeit.  ^  _ 

5  VI.  Aufnahme  in  die  Klinik.  Befund:  Iotale  Starre  der  Ex¬ 
tremitäten-  und  Bauchmuskulatur,  Trismus,  Schluckbeschwerden, 
Atmung  35,  Puls  120,  Temperatur  37,5.  20—25  Krampfanfalle  pro 

Minute.  —  Wundversorgung.  ,  . 

6.  VI.,  9  Uhr  morgens:  Lumbalpunktion.  Auswaschung  des 
Subduralraumes  mit  physiologischer  Kochsalzlösung,  darauf  Injektion 
von  8  ccm  15proz.  Magnesiumsulfatlösung. 

9  Uhr  20  Min.  Tiefer  Schlaf,  aus  dem  Patient  durch  Anruf  zu 
wecken  ist.  Anästhesie  auf  Kneifen  mit  chirurgischer  Pinzette  bis 
zum  Nabel  herauf. 

9  Uhr  abends.  Temperatur  40,5.  Puls.  120,  Atmung  26. 

7  VI  morgens  9  Uhr.  Patient  spricht  spontan.  Allgemein¬ 
befinden  besser.  Keine  Krämpfe  mehr.  Muskelstarre  erheblich  zu¬ 
rückgeangen.  Trismus  unverändert.  Temperatur  38,  luls  HO, 
Atmung  26.  Anästhesie  bis  zur  Leiste  herauf.  Blauverfarbung  am 
Kreuzbein  und  an  den  Fersen.  Sofort  entsprechende  Therapie. 

Abends.  Patient  wird  unruhig.  Temperatur  40,5.  Puls  100, 

Atnumg'VL>  morgens.  Muskelstarre  wird  stärker.  Keine  Anästhesie 

mehr.  Katheterismus.  t  . 

9.  VI.,  morgens  9  Uhr.  Wegen  wieder  eingetretener  totaler 

Muskelstar’re  und  Schluckbeschwerden  zweite  Injektion  von  8  ccm 
25  proz.  MgSOi-Lösung  nach  vorhergegangener  Lumbalsackspulung. 
Temperatur  vor  der  Injektion  37,8.  Puls  100,  Atmung  25. 

12  Uhr  Temperatur  35,8.  Puls  86,  Atmung  15.  Muskelstarre 
erheblich  zurückgegangen.  Allgemeinbefinden  besser.  Patient  isst. 

9  Uhr  abends.  Patient  hat  den  ganzen  Tag  über  tief  geschlafen, 
ist  nur  auf  Anruf  zum  Essen  aufgewacht.  Keine  Schluckbeschwerden 
mehr  Anästhesie  unvollkommen  (nur  an  den  Unterschenkeln). 

10.  VI.  Muskelstarre  beinahe  vollständig  geschwunden,  nur 
Trismus  unverändert.  Atmung,  Temperatur,  Puls  normal.  Schlucken 
frei.  Der  Dekubitus  schreitet  unaufhaltsam  weiter  über  dem  Kreuz¬ 
bein,  an  den  Fersen  und  unter  den  Schulterblättern. 

12.  VI.  Wegen  wieder  beginnender  leichter  Muskelspannung  an 
den  unteren  Extremitäten  und  im  Rücken  abermals  Injektion  wie  oben. 

13.  VI.  Pneumonie  in  beiden  Unterlappen,  die  Patient  gut  uber- 

StCllt30.  VIII.  Entlassung.  Die  Entlassung  hatte  sich  verzögert,  weil 
die  ausgedehnten  Dekubiti  nur  langsam  heilten. 


18.  VIII.  Erhebliche  Besserung.  Schlucken  beinahe  beschwerde¬ 
frei.  Keine  Krämpfe  mehr. 

IQ  VI II.  Der  Puls  wird  schlecht.  .  .  , .  . 

20.  VIII.  Tod  an  Herzschwäche.  Die  Obduktion  ergab  akute 
Dilatation  des  Herzens  und  Hypostase  in  beiden  Lungen. 

Fall  4.  Landwirt  O.  B.,  45  Jahre. 

18  IX.  13.  Hufschlag  gegen  den  Malleolus  internus  des  rechten 

Fusses.  ^  Aufnahme.  Komplizierte  Luxationsfraktur  des  rechten 

Fu.sgeluik  Abends;  Schmerzen  in  den  Masseteren  und  in  der  Hals- 

Wirb25äIXe morgens:  Ausgeprägter  Trismus,  Facies  tetanica.  Opistho¬ 
tonus.  '  Atmung  25  in  der  Minute.  Temperatur  und  Puls  normal 
?5  IX.  12  Uhr  mittags:  Spülung  des  Lumbalsackes  und  Injektion 
von  8  ccm  15  proz.  Magnesiumsulfatlösung.  M. 

2  Uhr  mittags:  Patient  schläft  ruhig.  Atmung  15  in  der  Minute. 

ODisthotomis  etwas  geringer  ausgeprägt.  ,  „  . 

4  Uhr  mittags:  Patient  wird  unruhig.  Tieferlegung  des  Kopfes, 

worauf  wieder  ruhiger  Schlaf  eintritt. 

Abends:  Verschlechterung  des  Pulses. 

26.  IX.  Exitus  an  Herzschwäche.  Die  Obduktion  ergibt  be¬ 
ginnende  Pneumonie  in  beiden  Unterlappen  und  Lungenödem. 

Fall  5.  Kutscher  M.  K.,  29  Jahre.  .,  . 

27.  XI.  Ausgedehnte  Weichteilverletzung  am  Bauch  mit  Abriss 

von  Skrotal  und  Penishaut. 

8  XII.  12  abends:  Trismus,  Facies  tetanica. 

9  XII.  morgens  9  Uhr:  Muskelstarre.  Starker  Trismus.  Aus¬ 
geprägte  Facies  tetanica.  Krämpfe  in  den  Armen.  Injektion  von 
8  ccm  15  proz.  Magnesiumsulfatlösung  in  den  Lumbalsack  nach  vorlier- 

gLg.ingcner  Spülung. aus  ^  Patient  auf  Anruf  erwacht.  Anästhesie 
bis  zur  Leiste  herauf. 

12  Uhr:  Muskelstarre  erheblich  geringer.  Atemfrequenz  von 
30  auf  20  in  der  Minute  gesunken.  Keine  Krämpfe  mehr. 

Abends:  Temperatur  39,  Puls  120,  Atmung  30.  Extremitäten  und 
Bauch  vollständig  schlaff.  Beginnende  Pneumonie  beiderseits 

10  XII  abends:  Puls  150,  Temperatur  40,  Atmung  40.  Extremi¬ 
täten  und  Bauch  schlaff.  Anästhesie  bis  zu  den  Leisten. 

11.  XII.  morgens:  Exitus.  Obduktionsbefund:  Doppelseitige 

Pneumonie. 


Fall  2.  Dienstmädchen  P.  K.,  15  Jahre. 

Am  12.  VI.  leichte  Kopfverletzung. 

16.  VI.  Trismus. 

18.  VI.  Krämpfe,  Muskelstarre,  Trismus. 

^0  VI  Aufnahme  in  die  Klinik.  Ausgeprägter  Tetanus  mit 
starkem  Opisthotonus.  Die  leichteste  Berührung  löst  Krämpfe  aus. 
Pneumonie  des  rechten  Unterlappens.  .  , 

20  VI  nachmittags  5  Uhr.  Magnesiumsulfatinjektion  in  den 
Lumbalsack  nach  Auswaschung  (10  proz.  Lösung  4  ccm).  Nach  einer 
halbcn  Stunde  tritt  Schlaf  auf,  aus  dem  Patientin  durch  Anruf  geweckt 

w  erder^  cheyne-Stokes  scher  Atemtypus.  Nach  Hoch¬ 

lagerung  des  Kopfes  wird  die  Atmung  wieder  normal. 

10  Uhr  Exitus  an  Herzschwäche. 

Bei  der  Sektion  wurde  Lungenödem  und  akute  Dilatation  des 
Herzens  festgestellt,  ferner  eine  Unterlappenpneumonie. 


Fall  3.  A.  Q.,  Frau,  41  Jahre. 

Am  3  VIII.  13  Fall.  Verletzung  des  Oberschenkels. 

Am  13.  VIII.  Krampf  der  Kaumuskulatur,  Schluckbeschwerden. 
16  VIII.,  morgens  Aufnahme.  Zuckungen  in  Armen  und  Beinen. 
Trismus  und  Schluckbeschwerden.  Typische  Facies  tetanica.  Aus¬ 
waschen  des  Spinalsackes  und  Injektion  von  8  ccm  15  proz.  Ma¬ 
gnesiumsulfatlösung.  Abends  Temperatur  37,5.  Puls  100. 


Betrachten  wir  nun  kurz  die  einzelnen  Fälle: 

Die  Resultate  sind  schlecht.  —  80  Proz.  Mortalität.  Aller¬ 
dings  ist  dabei  in  Betracht  zu  ziehen,  dass  zwei  der  Ge¬ 
storbenen  mit  schweren  Pneumonien  in  die  Behandlung  traten, 
dass  wir  also  nicht  berechtigt  sind,  den  Exitus  auf  das  Konto 
des  Tetanus  zu  setzen. 

Sehr  interessant  sind  aber  jedenfalls  einige  Beobachtungen, 
die  wir  an  unseren  Kranken  machen  konnten. 

Hier  ist  in  erster  Linie  eine  weitgehende  Anästhesie  bei 
Fall  1  und  5  hervorzuheben. 

Warum  in  den  beiden  Fällen  Anästhesie  auftrat  und  in  den 
anderen,  die  mit  denselben  Dosen  behandelt  worden  sind,  nicht, 
warum  dieselbe  bei  Fall  1  nur  nach  der  ersten  und  zweiten 
Injektion  auftrat  und  sich  auf  die  folgende  Injektion  nicht 
wieder  einstellte,  ist  uns  unklar. 

Auch  auf  den  bei  Fall  1  beobachteten  Dekubitus  von  einer 
Ausdehnung  und  einer  Schwere,  wie  wir  ihn  sonst  nur  bei 
trophoneurotischen  Störungen  beobachten,  möchten  wir  be¬ 
sonders  hinweisen.  .  _  , 

Da  Fall  5  kurz  nach  der  Injektion  starb,  bevor  ein  Deku¬ 
bitus  sich  hätte  ausbilden  können,  so  muss  für  diesen  Fall  die 
Frage  offen  gelassen  werden,  ob  nicht  auch  hier  der  Dekubitus 
der  Begleiter  der  Anästhesie  geworden  wäre.  Jedenfalls  aber 
scheinen  uns  Anästhesie  und  Dekubitus  im  Zusammenhang 
zu  stehen. 

Als  konstante  Wirkungen  unserer  Behandlungsmethode 
konnten  wir  Schlaf,  Aufhören  der  Krämpfe,  Herabsetzung  des 
Muskeltonus  und  der  Reflexerregbarkeit  und  Verlangsamung 
der  Atmung  feststellen. 

Von  den  Gefahren  der  Therapie,  auf  die  Koche  r  sc 
dringlich  aufmerksam  machte,  bemerkten  wir  nichts.  Wi 
haben  nicht  einen  einzigen  Fall  mit  Atmungsstörungen  gesehen 
was  offenbar  auf  unsere  etwas  niedrigere  Dosierung  zurück 

zuführen  ist.  . 

Auf  die  Serumtherapie  haben  wir  verzichtet,  um  ein  klare 
Bild  von  den  Leistungen  der  Magnesiumbehandlung  zu  ge 
winnen.  Wir  hielten  uns  dazu  für  berechtigt,  da  wir  einei 
wesentlichen  Nutzen  dieser  Therapie  früher  nie  gesehen  haber 

Ein  Urteil  über  den  Wert  der  Therapie  kann  heute  noc! 
nicht  abgegeben  werden.  Jedenfalls  haben  wir  noch  bei  keine 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1557 


1-4.  Juli  1914. 


der  verschiedenen  Tetanustherapien  ein  derartig  promptes 
Abklingen  der  Symptome  und  eine  derartige  beinahe  momen¬ 
tan  einsetzende  Hebung  des  Allgemeinbefindens,  Besserung  der 
Atemfrequenz,  Ermöglichung  des  Schluckens  usf.  eintreten 

sehen. 

Unsere  4  Todesfälle  sind  zum  Teil  auf  den  ungünstigen 
Ausgang  interkurrenter  Erkrankungen  zurückzuführen.  Sicher¬ 
lich  waren  wir  aber  auch  mit  der  Dosierung  zu  vorsichtig, 
gewarnt  durch  die  Erfahrung  Kochers  mit  der  Einwirkung 
des  Magnesiums  auf  das  Atemzentrum. 

Unsere  nächsten  Fälle  werden  wir  mit  grösseren  Dosen 
behandeln  und  vielleicht  auf  die  subkutane  Therapie  zurück¬ 
greifen. 


Aus  den  inneren  Abteilungen  der  städt.  Krankenanstalten  zu 
Potsdam  (dirig.  Arzt:  Dr.  Max  Schmid). 

Erfahrungen  mit  Lipojodin-Ciba. 

Von  Dr.  med.  Max  Schmid. 

Da  das  Jod  zu  den  Medikamenten  gehört,  welche  hinsicht¬ 
lich  ihrer  therapeutischen  Anwendung  die  weitesten  Indi¬ 
kationskreise  umfassen,  so  ist  es  erklärlich,  dass  die  chemische 
Industrie  bestrebt  ist,  immer  vollkommenere  Jodverbindungen 
herzustellen,  welche  den  modernen  Wünschen  bei  der  internen 
Anwendung  des  Jods  hinsichtlich  ihrer  Resorptionsfähigkeit, 
Jodspeicherung  im  Organismus  und  Ausscheidungsdauer  am 
meisten  entgegenkommen,  und  damit  das  Jod  durch  Verhütung 
des  früher  so  häufigen  sogen.  Jodismus  zu  einem  für  den 
Patienten  harmlosen  Präparat  machen. 

Um  eine  volle  Wirksamkeit  des  Jods  zu  erzielen,  ist  es 
erwünscht,  dass  das  Jod  im  Organismus  nicht  nur  lange  und 
gleichmäsig  zirkuliert,  sondern  sich  auch  in  den  Geweben 
direkt  aufspeichert  und  so  eine  lokale  Wirkung  entfalten  kann. 
Dazu  ist  nötig,  dass  das  Präparat  nicht  zu  rasch  resorbiert 
wird,  dass  es  gewisse  organotrope  (speicherungsbegünsti¬ 
gende)  Eigenschaften  hat,  und  dass  seine  Ausscheidung  eine 
langsame  ist;  besonders  aber  auch,  dass  das  Präparat  eine 
einheitliche  chemische  Verbindung  mit  absolut  konstantem  Jod¬ 
gehalt  ist,  auf  dessen  geregelten  Abbau  man  bei  einigermassen 
normalen  Resorptionsverhältnissen  im  Magendarmtraktus 
rechnen  kann.  Erfüllt  ein  Präparat  obige  Bedingungen,  so 
wird  sich  der  unter  der  Bezeichnung  „Jodismus“  bekannte  Er¬ 
scheinungskomplex,  welcher  in  Reizerscheinungen  der  Nasen- 
und  Bronchialschleimhaut,  in  Kopfschmerzen,  Magenverstim¬ 
mungen,  Akne  und  mitunter  in  nicht  zu  unterschätzenden  Ge¬ 
fahren  bei  innersekretorischen  Anomalien  (Schilddrüse)  besteht, 
vermeiden  lassen.  Ist  doch  der  übliche  Jodismus,  abgesehen 
von  besonderen  Fällen  von  Jodidiosynkrasie,  meist  zurück¬ 
zuführen  auf  eine  zu  plötzliche  Ueberschwemmung  des  Or¬ 
ganismus  mit  Jodionen,  wie  sie  bei  Darreichung  der  so  leicht 
resorbierbaren  aber  ebenso  rasch  wieder  ausscheidenden  Jod¬ 
alkalien  so  häufig  ist.  Und  trotzdem  nahm  man  bislang  in 
vielen  Fällen  diesen  Jodismus  mit  in  Kauf,  wenn  es  sich  bei 
vielen  Krankheitserscheinungen,  speziell  den  spätluetischen, 
darum  handelte,  eine  möglichst  intensive  Jodumspiilung  der 
erkrankten  Organe  zu  erzielen.  Eine  solche  und  damit  eine 
zeitweise  Speicherung  von  Jod  im  Gewebe  war  jedoch  nur 
.iurch  eine  intensive  Ueberschwemmung  des  Organismus  mit 
Jodalkalien  technisch  möglich.  Besitzt  man  aber  nun  ein  Prä¬ 
parat,  welches  nicht  durch  ständige  Konzentration  des  Jods 
im  Organismus,  sondern  durch  Speicherung  des  organotropen 
Jodpräparats  im  erkrankten  Organ  dieselbe  therapeutisch  gün¬ 
stige  Wirkung  entfalten  kann,  so  kann  man  der  Alkaliver¬ 
bindung  des  Jodes,  die  ja  auch  infolge  der  gleichzeitigen  Ueber¬ 
schwemmung  des  Organismus  mit  Alkali  schon  längst  nicht 
mehr  besonders  wünschenswert  erschien,  entraten. 

Bei  der  Suche  nach  einem  solchen  Präparat  ergab  sich 
nun,  dass  bei  den  Untersuchungen  über  die  Wirkungen  von 
Jodfettsäurederivaten  auf  den  Organismus,  welche  die  Privat¬ 
dozenten  L  o  e  b  und  von  den  Velden  im  Göttinger 
pharmakologischen  Institut  und  in  der  Düsseldorfer  medizini¬ 
schen  Klinik  Vornahmen,  in  dem  Aethylester  einer  zweifach 
jodierten  ungesättigten  höheren  Fettsäure,  dem  Dijodbrassidin- 
säureäthylester,  welcher  41  Proz.  Jod  enthält  und  in  Tabletten¬ 


form  ä  0,3  g  unter  dem  Namen  „Lipojodin-Ciba“  von  der  Gesell¬ 
schaft  für  chemische  Industrie  in  Basel  in  den  Handel  gebracht 
wird,  eine  Verbindung  gefunden  ist,  welche  den  oben  er¬ 
wähnten  Anforderungen  an  ein  brauchbares  Jodpräparat  in 
denkbar  günstigster  Weise  entspricht. 

Die  Jodspaltung  ist  bei  diesem  Präparat  keine  zu  rasche, 
wie  wir  sie  bei  den  Jodalkalien  und  leider  auch  in  manchen 
Fällen  bei  den  Jodeiweissverbindungen  finden,  noch  anderer¬ 
seits  eine  zu  langsame,  wie  sie  bei  dem  jodierten  Sesamöl 
(Jodipin)  oder  bei  den  Jodseifen  (Sajodin)  öfter  beobachtet 
wurde. 

Das  Lipojodin  zeigt  ferner,  wie  die  Versuche  erwiesen, 
eine  überaus  stark  ausgeprägte  Lipotropie,  welche  die  der  bis¬ 
her  bekannten  Jodpräparate  um  ein  vielfaches  übertrifft; 
ausserdem  ist  das  Präparat  aber  auch  noch  entschieden  neuro- 
trop  und  somit  als  polytrop  anzusprechen.  Diese  Polytropie 
führt  zu  einer  Speicherung  des  Jodes  im  Organismus  und  zwar 
erfolgt  die  Speicherung  beim  Lipojodin  rascher  und  wesentlich 
intensiver  wie  bei  den  übrigen  Jodpräparaten,  andererseits  ist 
diese  Speicherung  des  Jods  keine  so  protrahierte,  wie  in  der 
Regel  bei  den  Jodseifen,  da,  wie  die  Untersuchungen  ergaben, 
die  Jodausscheidung  nach  Ablauf  von  4 — 4lA  Tagen  wieder 
völlig  beendet  ist  und  es  damit  möglich  ist,  eine  Ueberanreiche- 
rung  des  Gewebes  mit  Jod  auch  ohne  regelmässige  Ausschei¬ 
dungskontrolle  zu  vermeiden. 

Zu  diesen  therapeutisch  wichtigen  Eigenschaften  des  Lipo- 
jodins  kommt  nun  aber  noch,  dass  es  in  der  in  den  Handel  ge¬ 
brachten  Darreichungsform,  abgesehen  von  einem  leicht  süss- 
lichen  Geschmack  absolut  keinen  medikamentösen  Bei¬ 
geschmack  hat,  der  bislang  fast  allen  Jodpräparaten  in  mehr 
oder  weniger  ausgeprägtem  Masse  eigen  war,  und  daher  sen¬ 
siblen  Patienten  die  Jodkur  (speziell  bei  längerem  Gebrauch) 
aus  Geschmacksrücksichten  verleidete.  Auch  der  bei  ander¬ 
weitiger  Jodmedikation  so  oft  geklagte  ständige  salzig-bittere 
Geschmack  im  Munde  trat  während  des  Gebrauchs  von  Lipo¬ 
jodin  nie  in  Erscheinung.  Nie  habe  ich  auch  bei  dem  Gebrauch 
von  Lipojodin,  selbst  wenn  es  wochenlang  zu  3  Tabletten  täg¬ 
lich  genommen  wurde,  Jodismus  auftreten  sehen,  auch  nicht 
bei  Patienten,  die  sonst  auf  Jodalkalien  bei  Darreichung  von 
dreimal  täglich  1  Theelöffel  einer  5  proz.  Lösung  prompt  mit 
dem  üblichen  Jodschnupfen  reagiert  hatten. 

Auf  der  inneren  Abteilung  unserer  städtischen  Kranken¬ 
häuser,  sowie  auch  bei  meinen  Privatpatienten,  gebrauche  ich 
das  Lipojodin,  welches  ich  zwar  schon  seit  2  Jahren  in  seinen 
günstigen  therapeutischen  Eigenschaften  kennen  und  schätzen 
lernte,  seit  etwa  6  Monaten  fast  als  ausschliessliches  Jodmedi¬ 
kament  in  Form  der  üblichen  Tabletten  zu  0,3  g  und  es  hat 
uns  dabei  in  allen  Krankheitsfällen,  bei  denen  Jod  indiziert 
erschien,  in  seiner  Jodwirkung  nie  im  Stiche  gelassen. 

Am  häufigsten  erfolgte  die  Anwendung  bei  Fällen  von 
Arteriosklerose,  wo  wir  bei  selbst  wochenlangem  Gebrauch 
nie  ungünstige  Wirkung  sahen.  Die  Dosis  betrug  hier  1  bis 

2  Tabletten  täglich,  nur  in  Ausnahmefällen,  wenn  es  sich  um 
drohende  apoplektische  Zustände  handelte,  täglich  3  bis  4  Ta¬ 
bletten.  Der  therapeutische  Einfluss  äussert  sich  stets  in  einer 
Herabsetzung  des  Blutdruckes,  Kopfschmerzen  und  Schwindel¬ 
gefühl  Hessen  oft  schon  nach  wenigen  Tagen  nach. 

Sehr  gute  Erfahrungen  machten  wir  mit  Lipojodin  bei 
5  Fällen  von  Asthma  bronchiale,  bei  welchen  die  Anfälle,  aller¬ 
dings  unter  gleichzeitiger  Anwendung  von  Glühlichtbestrah¬ 
lungen  auffallend  rasch  schwanden.  In  2  Fällen  blieben  bei 
bisher  regelmässigem  Lipojodingebrauch  in  Intervallen  die 
Anfälle  seit  5  resp.  7  Monaten  ganz  aus.  Auch  bei  zahlreichen 
Fällen  von  chronischer  Bronchitis,  die  sich  den  zahlreichen 
anderen  Behandlungsmethoden  refraktär  verhielten,  wirkte 
Lipojodin  lösend  und  ausheilend. 

Als  sehr  günstiges  Indikationsgebiet  für  Lipojodin  erwiesen 
sich  uns  der  subakute  und  chronische  Gelenkrheumatismus.  In 

3  Fällen  von  akutem  Gelenkrheumatimus,  bei  welchem  trotz 
mehrwöchentlicher  Darreichung  von  Salizylpräparaten  Re¬ 
siduen  in  den  Gelenken  nicht  zum  Schwinden  gebracht  werden 
konnten  und  bei  denen  die  betreffenden  Patienten  durch  das 
ständige  Schwitzen  sehr  herabgekommen  und  empfindlich  ge¬ 
worden  waren,  wirkte  Lipojodin  ausgezeichnet;  anfangs  2, 


1558 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  28. 


später  3  Tabletten  täglich  brachten  die  entzündlichen  Produkte 
in  den  Gelenken  vollends  rasch  zur  Aufsaugung  und  das 
Schwinden  der  Empfindlichkeit  der  Patienten  mit  Wegfall 
der  Schweisse  erlaubte  zeitiges  Aufstehen.  Analog  den  be¬ 
kannten  Erfahrungen  mit  Jod  bei  chronischer  Arthritis  war 
auch  in  verschiedenen  Fällen  derartiger  chronischer  Gelenk- 
erkrankungen  der  Erfolg  mit  Lipojodin  ein  sehr  zufrieden¬ 
stellender. 

In  einem  Fall  von  Kopfschmerezn  auf  metasyphilitischer 
Basis  war  der  Erfolg  ebenfalls  ein  prompter;  ein  Fall  von 
Psoriasis,  der  auf  lokale  Behandlung  von  Chrysarobin-Trau- 
maticin  wenig  reagierte,  ging  nach  dreiwöchentlicher  Lipo- 
jodinbehandlung  (dreimal  täglich  eine  Tablette)  auffallend 
zurück. 

In  3  Fällen  von  Prostatahypertrophie  war  der  Erfolg  schon 
nach  8—10  tägiger  Darreichung  von  Lipojodin  (zweimal  täglich 
eine  Tablette)  ein  eklatanter;  die  Harnbeschwerden  und  das 
lästige  Druckgefühl  schwanden  wieder  völlig. 

Ausserdem  wandte  ich  Lipojodin  noch  in  ungezählten 
anderen  Fällen  an,  wo  ich  mir  vom  Jod  eine  günstige  Wirkung 
erhoffte,  wie  z.  B.  bei  Leberleiden,  sekundären  gonorrhoischen 
Erkrankungen,  organischen  Nervenkrankheiten  u.  a.  m..  Wenn 
hierbei  der  therapeutische  Effekt  auch  manchmal  kein  ekla¬ 
tanter,  resp.  bei  gleichzeitiger  Anwendung  anderer  thera¬ 
peutischer  Massnahmen  kein  eindeutiger  war,  so  machte  ich 
doch  in  allen  Fällen  die  Erfahrung,  dass  das  Lipojodin  ein 
Präparat  ist,  welches  bei  der  therapeutisch  völlig  ausreichen¬ 
den  Anwendungsform  von  3 — 4  mal  täglich  einer  1  ablette 
selbst  bei  wochenlangem  Gebrauch  keinen  einzigen  Fall  von 
Jodismus  brachte.  Es  wurde  von  allen  Patienten  auch  auf  die 
Dauer  gerne  genommen,  die  Tabletten  wurden  in  den  meisten 
Fällen  geschluckt  oder  gekaut,  nur  wo  dies  nicht  möglich  war, 
liess  ich  die  Tabletten  zerdrücken  und  gab  sie  eingerührt  in 
warme  Milch.  Als  Darreichungszeit  wählte  ich  mit  Vorliebe 
die  Zeit  nach  den  Hauptmahlzeiten,  da  zu  diesen  Zeiten  der 
Magendarmchemismus  die  günstigsten  Bedingungen  zum  Ab¬ 
bau  des  Jodfettsäurepräparates  bietet. 

Wie  ich  mich  durch  mehrfache  eigene  Kontrolle  über¬ 
zeugte,  liess  sich  Jod  nach  Darreichung  von  Lipojodin  erst 
nach  \lA  Stunden,  nach  Jodeiweissverbindungen  nach  ca. 
%  Stunden,  nach  Jodalkalien  schon  nach  5—10  Minuten  im 
Urin  nachweisen.  Die  Ausscheidung  nach  Jodalkalien  war 
nach  ca.  lÄ  Tagen  beendet,  nach  Jodeiweisspräparaten  nach 
2 _ 3  Tagen,  nach  Lipojodin  nach  4—4)4  Tagen.  Die  Jod¬ 

ausscheidung  erschien  in  diesem  Zeitraum  bei  Lipojodin  als 
eine  ziemlich  gleichmässige. 

Zusammenfassend  möchte  ich  nochmals  hervorheben,  Lipo¬ 
jodin  ist  ein  angenehm  zu  nehmendes  Jodpräparat,  welches 
trotz  seines  relativ  hohen  Jodgehaltes  (41  Pioz.),  bei  langsamer 
Resorption,  günstiger  Organspeicherung  infolge  seiner  poly¬ 
tropen  Eigenschaften  und  gleichmässigen  protrahierten  Aus¬ 
scheidung  in  den  zweckmässigen  therapeutischen  Dosen  nie 
die  Symptome  von  Jodismus  auftreten  lässt  und  als  voll¬ 
wertiger  Ersatz  der  bisher  immer  noch  häufig  angewandten 
Jodalkalien  gelten  kann. 


Ein  mit  Lecutyl  (Kupfer-Lezithin)  geheilter  Fall  von 
Blasentuberkulose. 


Von  Dr.  Hugo  W  e  i  s  s,  Assistent  von  Herrn  Dr.  Artur 
Strauss  in  Barmen. 


Das  Bestreben,  auf  chemisch-biologischem  Wege  im  Sinne 
E  h  r  1  i  c  h  s  eine  komplexe  Verbindung  eines  Metalles  oder  seiner 
Salze  gegen  die  Tuberkulose  ins  Feld  zu  führen,  brachte  Prof. 
Gräfin  v.  Linden-  Bonn  auf  den  Gedanken,  mit  dem  Kupfer  Ver¬ 
suche  zu  machen.  Die  von  ihr  am  Tierversuche  und  an  mit  Kupfer 
versetzten  Nährböden  gewonnenen  Erfahrungen  Hessen  unzweideutig 
die  ätiotrope  Wirkung  des  Kupfers  auf  den  Tuberkelbazillus 
erkennen.  Die  ersten  mit  Kupfer  von  Strauss  an  einer  grossen 
Reihe  von  Lupusfällen  durchgeführten  Behandlungen  und  deren 
Ergebnisse  bestätigten  in  überraschender  Weise  die  Resultate  der 
Gräfin  v.  L  i  n  d  e  n  und  Hessen  S  t  r  a  u  s  s  in  konsequenter  Verfolgung 
des  nun  einmal  Erreichten  die  Zusammensetzung  der  Mittel  und  die 
Methode  ihrer  Anwendung  weiter  ausbauen.  Um  den  Tuberkel¬ 
bazillus  und  seine  Lipoidhülle  besser  zu  treffen,  brachte  er  das  Metall 


in  Verbindung  mit  Lezithin.  In  dieser  Form  besitzt 
das  Lecutyl“  genannte  K  u  p  f  e  r  p  r  a  p  a  r  a  t  au  s  *J  * 
sprochene  b  a  k  t  e  r  i  o  t  r  o  p  e  E  i  g  e  n  s  c  h  a  f  t  e  n,  für  die  nicht 
sowohl  die  äusserliche  als  besonders  die  perkutane,  intramuskuläre 

und  intravenöse  Anwendung  spricht.  .  „  ..  . 

Es  haben  bereits  eine  ganze  Anzahl  von  Beobachtern  die  aut- 
fallenden  reaktiven  Fernwirkungen  bei  der  S  t  r  a  u  s  s  sehen  Kupfer¬ 
therapie  bestätigen  können,  und  zwar  ebenso  bei  vorgeschrittenen 
Erkrankungen  der  Lungen-  wie  bei  Haut-  und  chirurgischer  Tuber- 

kulose.^ss  auch  dje  Urogenitaltuberkulose  dem  Kupfer  als 
chemotherapeutischem  Heilmittel  zugänglich  ist,  dafiir  möge  folgender 
Fall,  dessen  Veröffentlichung  mir  Herr  Dr.  Strauss  freundhehst 
gestattet  hat,  als  Beispiel  dienen. 

In  der  Familie  des  jetzt  41  jährigen  Mannes  ist  Tuberkulose  nicht 
nachweisbar.  Er  ist  verheiratet  und  hat  3  gesunde  Kinder.  In  seinem 
12  .fahre  erkrankte  er  an  einer  linksseitigen  Gonitis  tuberculosa, 
welche  bis  zu  seinem  20.  Jahre  konservativ  vergeblich  behandelt 
worden  war.  Im  Krankenhaus  Lennep  i.  W.  wurde  er  dann  operiert; 
es  erfolgte  Eröffnung  des  Gelenks.  Exstirpation  der  Kniescheibe  und 
schliesslich  Heilung.  An  dem  seither  vollkommen  ankylotischen  und 
verdickten  Gelenk  sieht  man  fünf  4 — 5  cm  lange  Narben. 

Vor  7  Jahren  —  1907  —  traten  die  ersten  Erscheinungen  einer 
Zystitis  auf.  Es  bestanden  Harndrang,  terminale  Miktionsschmerzen 
und  temporäre  kleine  Blutungen;  der  Urin  war  trübe.  Die  Behand¬ 
lung  bestand  nach  den  Angaben  des  Patienten  in  den  erstell  Jahren 
in  Diuretizis,  hydropathischen  Massnahmen  und  Diät.  Die  Krankheit 
zeigte  keine  Besserung,  Patient  magerte  ab,  sah  blass  aus,  und  sein 
Allgemeinbefinden  verschlechterte  sich. 

Schon  im  Jahre  1909  trat  er  in  die  Behandlung  von  Strauss. 
Im  Urin,  welcher  trübe  war  und  viel  Eiter  enthielt,  fanden  sich  damals 
bei  wiederholter  Untersuchung  Tuberkelbazillen.  Es  wurden  A  Jahr 
lang  Sublimatinstillationen  vorgenommen  und  Urotropin  verabfolgt. 
Trotz  resorbierender  Diät  magerte  Patient  weiter  ab  und  der  Krank¬ 
heitsprozess  zeigte  keinerlei  Veränderungen.  Patient  verlor  die  Ge¬ 
duld  und  gab  jegliche  Behandlung  auf.  Erst  am  20.  Oktober  191  i 
suchte  er  Strauss  wieder  auf,  wo  er  noch  dieselben  subjektiven 
und  objektiven  Erscheinungen  wie  vor  4  Jahren  bot.  Die  Behandlung 
bestand  in  Darreichung  von  Hexal  und  Urotropin  und  Instillationen 
von  Kollargol,  die  3  Wochen  lang  ohne  Erfolg  vorgenommen 

"UI<Seit  dem  15.  November  1913  erhielt  Patient  nunmehr  Lecutyl 
(3  mal  täglich  2  Pillen)  und  machte  mit  Lecutylsalbe  bis  Ende  be- 
bruar  1914  eine  Schmierkur  analog  derjenigen  bei  Syphilis  durch, 
wobei  er  täglich  1—2  g  Lecutvlsalbe  unter  Nachreiben  von  Kampfer¬ 
spiritus  einrieb.  Als  deutliche  Reaktion  traten  gehäufte  kleinere 
Hämaturien  auf.  Die  am  3.  Januar  1914  vorgenommene  zystoskopische 
Untersuchung  ergab  den  Befund  einer  diffusen  Zystitis  und  einer 
typisch  tuberkulös  infiltrierten  Schleimhaut  des  Trigonum,  mit  mul¬ 
tiplen  kleinen,  flächenhaften  Ulzera  daselbst.  Es  erfolgte  nun  im 
Februar  unter  konsequenter  Lccutylbehandlung  eine  allmähliche  Auf¬ 
hellung  des  Urins,  und  das  Allgemeinbefinden  des  Patienten  besserte 
sich  zusehends.  Obwohl  inzwischen  der  Urin  vollständig  klar  ge¬ 
worden  und  die  Schmerzen  in  der  Blase  sowie  der  Harndrang  ver¬ 
schwunden  waren,  so  wurde  doch  am  28.  Februar  zur  Sicherung  des- 
bisher  Erreichten  eine  'einmalige  intravenöse  Injektion  von  Lecuty 
(0,05  ccm)  gemacht.  Die  Behandlung  wurde  hiermit  abgebrochet 
und  der  Erfolg  abgewartet.  I 

Erst  am  1.  Mai  d.  J.  stellte  sich  Patient  wieder  vor.  Er  sieh: 
gut  aus,  hat  keinerlei  Beschwerden  und  fühlt  sich  wohl.  Gewichts¬ 
zunahme  214  kg.  Der  Urin  ist  vollkommen  klar,  ohne  Blut,  ohm 
Eiweiss;  keine  Tuberkelbazillen. 

Was  den  klinischen  Verlauf  dieses  Krankheitsfalles  so  bemerkens 
wert  macht,  ist  der  Umstand,  dass  alle  Bemühungen,  die  Blasentuber 
kulose  mit  den  üblichen  Methoden  zu  heilen  oder  auch  nur  zu  bessern 
vergeblich  waren,  dass  erst  mit  dem  Einsetzen  der  Kupfertherapn 
eine  auffallende  Besserung  in  dem  fast  7  Jahre  bestehenden  Leidei 
wahrzunehmen  ist  und  dass  der  Patient  in  der  relativ  kurzen  Zei 
von  2%  Monaten  ausschliesslich  durch  das  Kupfer  geheilt  wird. 

Es  ist  dies  nicht  der  einzige  Fall  von  Urogenitaltuberkulose,  be 
welchem  wir  eine  günstige  Beeinflussung  durch  Lecutyl  sahen.  Abe 
gerade  in  diesem  Falle  war  für  uns  der  Erfolg  des  neuen  Heilmittel 
so  überzeugend,  dass  wir  seine  Veröffentlichung  für  angebrach 
hielten.  Inwieweit  eine  Resorption  des  Kupfers  vom  Magendarm 
katial  aus  in  Form  der  unserem  Kranken  gereichten  Pillen  zur  Heilun 
beigetragen  hat,  kann  erst  beantwortet  werden,  wenn  genügend 
weitere  Beobachtungen  auch  nach  dieser  Richtung  hin  angestel 
worden  sind.  So  viel  aber  steht  fest,  dass  —  was  nach  den  einwanc 
freien  Tierversuchergebnissen  der  Gräfin  v.  Linden  auch  für  de 
Menschen  von  vornherein  anzunehmen  war  —  das  Kupfer  auf  der 
Wege  des  Lvmphstromes  und  der  Blutbahn  an  den  tuberkulösen  Her 
gelangt  ist.  Denn  nur  so  lässt  sich  in  Uebereinstimmung  mit  de 
bisher  bei  Lupus,  Lungen-  und  chirurgischer  Tuberkulose  bcol 
achteten  Vorgängen  auch  in  diesem  besonderen  Falle  von  Urogenita 
tuberkulöse  der  auffallende  Heilerfolg  des  Lecutyls  erklären. 


14.  Juli  191*4. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1559 


Adalin  im  Hochgebirge  und  in  heissen  Ländern. 

Von  Arnold  Masarcy  in  München. 

Die  günstigen  Erfolge,  die  in  unseren  Zonen  mit  Adalin 
als  Sedativum  und  leichtem  Hypnotikum  erzielt  worden  sind, 
legen  es  nahe,  das  Mittel  in  grossem  Massstabe  auch  in  jenen 
Klimaten  zu  erproben,  iq  denen  erfahrungsgemäss  das  Wohl¬ 
befinden  des  Europäers  durch  allgemeine  nervöse  Unruhe  und 
Schlaflosigkeit  beeinträchtigt  wird. 

Die  Mitteilung  meiner  Erfahrungen,  die  ich  während  eines 
mehrmonatlichen  Sommeraufenthaltes  in  Aegypten  und  bei 
einer  darauffolgenden  Besteigung  der  spanischen  Sierra 
Nevada  mit  Adalin  gemacht  habe,  mögen  Anregung  zu  weiteren 
Versuchen  in  dieser  Richtung  geben. 

Die  Neigung  zu  nervöser  Gereiztheit  und  Schlaflosigkeit, 
die  sich  in  Aegypten  schon  während  der  kühleren  Winter¬ 
monate  bei  manchen  Reisenden  zeigt,  befällt  während  des 
Frühjahrs  und  Sommers  auch  viele  sonst  durchaus  robuste 
Naturen  sowohl  unter  den  frisch  Angekommenen  als  besonders 
auch  unter  den  Ansässigen,  die  seit  längerer  Zeit  keinen  Er¬ 
holungsurlaub  in  Europa  gemacht  haben. 

Schon  im  April,  kurz  nach  meiner  Ankunft  in  Heluan  litt  ich 
an  leichter,  aber  zunehmender  nächtlicher  Unruhe.  Adalin  in  der 
üblichen  Dosis  von  0,5  verschaffte  mir  wieder  gesunden  Schlaf,  der 
sich  schon  nach  dreimaliger,  hintereinander  folgender  Anwendung  des 
Mittels  in  den  Nächten  von  selbst  wieder  einstellte  und  auch  bis  zu 
meiner  Uebersiedelung  nach  Oberägypten  anhielt.  Dieselbe  Erfahrung 
machten  in  Heluan  auch  mehrere  Patienten  (meist  Nephritiker  und 
Leichttuberkulöse),  die  schon  seit  Monaten  in  Aegypten  weilten  und 
bei  der  täglich  zunehmenden  Hitze  über  Schlaflosigkeit  geklagt 
hatten.  In  Oberägypten,  besonders  in  Luxor,  war  es  mir  während 
einer  längere  Zeit  dauernden  Hitzeperiode  (das  Thermometer  stieg 
mehreremals  über  40°  C  und  sank  auch  nachts  in  meinem  Zimmer 
nicht  mehr  unter  30°  C)  von  neuem  unmöglich,  ohne  Adalin  Schlaf 
zu  finden. 

Geradezu  unentbehrlich  war  mir  das  Mittel  aber  in  der  Oase 
Eayum,  in  der  ich  mich  während  der  heissesten  Zeit  aufhielt.  Der 
nachts  verlorene  Schlaf  sollte  mittags  nachgeholt  werden,  doch 
machte  es  die  dumpfe  Hitze  und  die  heftig  stechenden  Sandfliegen, 
die  auch  durchs  feinste  Moskitonetz  eindringen  können,  ganz  unmög¬ 
lich,  einige  Ruhe  zu  finden.  Nur  Adalin  (allerdings  in  stärkerer  Dosis 
bis  zu  1,5)  schien  eine  gewisse  Unempfindlichkeit  gegen  die  brennen¬ 
den  Insektenstiche  zu  erzeugen  und  machte  es  auch  dadurch  leichter, 
etwas  Schlummer  zu  finden. 

Diese  wertvollen  Erfolge  lassen  es  angezeigt  erscheinen, 
den  vielen  Patienten,  die  alljährlich  zu  langem  Aufenthalt  nach 
Aegypten  ziehen,  und  überhaupt  allen  zur  Nervosität  veran¬ 
lagten  Reisenden  den  Gebrauch  des  Adalins  für  die  erste  Zeit 
der  Akklimatisation  in  der  Wüste  zu  empfehlen.  Irgendwelche 
üble  Folgen  oder  eine  Neigung  zur  Angewöhnung  haben  sich 
weder  an  mir  noch  an  meinen  Bekannten  gezeigt.  Der  nor¬ 
male  Schlaf  kam  stets  wieder  von  selbst,  sobald  Witterung  und 
Aufenthalt  in  günstigem  Sinne  wechselten. 

Ueber  Versuche  im  feuchten  Tropenklima  ist  bis  jetzt  noch 
nichts  bekannt  geworden,  doch  scheint  die  Frage  einer  aus¬ 
gebreiteten  Anwendung  des  Adalins  da  von  besonderer 
Wichtigkeit,  wo  ihm  günstigen  Falles  eine  Rolle  im  Kampf  gegen 
den  Alkoholmissbrauch  zuteil  werden  könnte.  Jeder  Arzt, 
der  tropische  Länder  bereist  hat,  weiss,  dass  sich  oft  gerade 
in  den  gesundheitlich  gefährdetsten  Orten  die  deutschen  An¬ 
siedler  Abend  für  Abend  mit  schlechtem  Bier  ihre  Bettschwere 
antrinken,  —  unter  der  ausdrücklichen  Begründung,  nur  so  den 
Schlaf  finden  zu  können.  —  Bei  aller  berechtigter  Zurück¬ 
haltung  vor  langdauernder,  gewohnheitsmässiger  Anwendung 
eines  Medikamentes  wird  man  mit  mir  darin  übereinstimmen, 
dass  es  zweifellos  besser  wäre,  an  Stelle  des  Alkohols  als 
Sedativum  ein  Mittel  zu  versuchen,  von  dem  bisher  so  wenige 
schädliche  Nebenwirkungen  bekannt  geworden  sind. 

Die  Wirkung  des  Adalins  auf  die  Schlaflosigkeit,  die 
Störungen  der  Atmung  und  des  Herzschlages,  wie  sie  bei 
raschem  Uebergang  vom  Tiefland  ins  Hochgebirge  vorüber¬ 
gehend  auftreten,  erprobte  ich  gelegentlich  einer  Expedition  in 
die  fast  4000  m  hohe  spanische  Sierra  Nevada,  auf  der  im 
Sommer  eine  ausserordentlich  trockene  Luft  herrscht.  Wohl 
infolge  des  zu  rasch  vollzogenen  Aufstieges  aus  den  im  August 
drückend  feuchten  Tälern  bei  Granada  nach  unserem  mehr 
als  3000  m  ii.  M.  gelegenen  Zeltlager,  machten  sich  die  genannten 
Symptome  bei  mir  und  zwei  Begleitern  anfänglich  stark  be¬ 
merkbar.  In  der  zweiten  Nacht,  nachdem  wir  die  erste  schlaf¬ 


los  verbracht  hatten,  erzielten  wir  mit  Adalin  einen  tiefen, 
ruhigen  Schlaf  und  fühlten  uns  auch  am  folgenden  Morgen 
allgemein  wohler.  Durch  den  eintägigen  Aufenthalt  in  der 
Höhe  hatte  allerdings  die  natürliche  klimatische  Eingewöhnung 
gewiss  schon  mitgewirkt.  Wenn  man  aber  die  bekannte  Tat¬ 
sache  berücksichtigt,  dass  Adalin  auch  nach  dem  Erwachen 
am  anderen  Morgen  als  angenehme  Beruhigung  und  Er¬ 
frischung  weiterwirkt,  so  ist  die  Wahrscheinlichkeit  einer  di¬ 
rekten  Beeinflussung  unseres  Zustandes  durch  das  Medikament 
gross  genug,  um  die  Anregung  zu  berechtigen,  Adalin  auch 
bei  drohender  Bergkrankheit  zu  versuchen. 

Wenn  es  sich  dabei  auch  bloss  um  eine  symptomatische 
Einwirkung  handelt,  so  könnte  es  vermutlich  doch  gelingen, 
durch  die  Unterdrückung  der  bei  Bergkrankheit  fast  regel¬ 
mässig  vorausgehenden  nervösen  Ueberreiztheit  und  Aengst- 
lichkeit  auch  den  eigentlichen  Ausbruch  zu  verzögern  oder 
ganz  zu  verhindern.  Bei  langdauerndem  Aufenthalt  in  ex¬ 
tremen  Höhen,  wie  er  weniger  in  unseren  Alpen  als  bei  Be¬ 
steigungen  in  aussereuropäischen  Gebirgen  vorkommt,  wäre 
für  Disponierte  direkt  an  eine  prophylaktische  Verabreichung 
zu  denken.  Von  grösserer  Wichtigkeit  wäre  aber  diese  Frage 
bei  den  Bahnfahrten  über  die  Kordilleren  Südamerikas, 
während  deren  es  regelmässig  bei  einigen  Passagieren  zu  den 
schwersten  Symptomen  von  Bergkrankheit  kommt. 

Auf  diese  bisher  noch  unversuchten  Wirkungsmöglich¬ 
keiten  des  Adalins  seien  hiemit  besonders  diejenigen  Kollegen 
hingewiesen,  welche  tropische  Länder  bereisen  oder  Hoch- 
gebirgstouren  unternehmen. 


Aus  dem  dermatologischen  Stadtkrankenhaus  II  in  Linden. 

Ueber  gonorrhoische  Granulationen. 

Von  Dr.  Gustav  S  t  ü  m  p  k  e,  dirigierendem  Arzt  des  Stadt¬ 
krankenhauses  II. 

Klingmüller  [l]  berichtet  im  Jahre  1910  über  Wuche¬ 
rungen  bei  Gonorrhöe,  die  sich  bei  dem  weiblichen  Geschlechte 
hauptsächlich  um  den  Anus  herum  oder  am  Damm  lokalisieren. 
Diese  Wucherungen  stellen  eigenartige  hahnenkammförmige 
Gebilde  von  blassrötlicher  bis  rötlicher  Farbe  dar  und  sind 
häufig  mit  Geschwüren  kombiniert.  Den  ätiologischen  Cha¬ 
rakter  dieser  Granulationsgeschwülste  glaubt  K  1  i  n  g  m  ü  1 1  e  r 
daraus  schliessen  zu  können,  dass  einmal  diese  Patientinnen 
gleichzeitig .  an  einer  anderweitigen  Gonorrhöe  litten,  Zervix 
resp.  Rektalgonorrhöe,  und  ferner,  dass  ihm  in  2  von  den 
4  publizierten  Fällen  der  mikroskopische  Nachweis  der  Gono¬ 
kokken  gelang;  kulturell  Hessen  sich  Anhaltspunkte  für  den 
Charakter  dieser  Granulationen  nicht  gewinnen. 

K  1  i  n  g  m  ü  1 1  e  r  hebt  hervor,  dass  diese  meistens  peria¬ 
nalen  Wucherungen  nicht  so  selten  sind,  dass  er  z.  B.  in 
einem  Jahre  in  seiner  Poliklinik  8  derartige  Fälle  beob¬ 
achtet  habe. 

Ich  habe  seit  ca.  %  Jahren,  seitdem  ich  auch  die  weib¬ 
liche  Abteilung  des  Krankenhauses  zu  leiten  habe,  auf  diese 
Dinge  mein  Augenmerk  gerichtet  und  dabei  vereinzelte  Be¬ 
obachtungen  gemacht,  die  mir  der  Veröffentlichung  wert  er¬ 
scheinen. 

Ich  möchte  mir  erlauben,  im  folgenden  zunächst  die 
Krankengeschichten  der  diesbezüglichen  Patientinnen  mitzu¬ 
teilen. 

1.  Frieda  D.,  20  Jahre,  Arbeiterin.  Aufgenommen  22.  V.  1913. 
Seit  einigen  Wochen  bemerkt  Patientin  Geschwüre  am  Eingang  der 
Vagina  und  am  After.  Seit  ca.  2  Monaten  hat  sie  Ausfluss. 

Status  praesens:  Am  Introitus  vaginae  finden  sich  einige 
flache  ca.  erbsengrosse  Ulzerationen;  rings  um  den  Anus  herum  eine 
Reihe  von  hahnenkammartigen  Wucherungen,  die  den  letzteren 
trichterförmig  umgeben  und  zentralwärts  eine  Geschwürsfläche  dar¬ 
stellen.  Diese  Geschwürsflächen  reichen  bis  zur  Schleimhaut  des 
Rektums  und  nehmen  hier  an  einer  Stelle  einen  rhagadiformen 
Charakter  an.  Die  Oberfläche  der  eigentlichen  Wucherungen  ist  glatt, 
die  Konsistenz  derselben  ziemlich  hart.  Die  Wucherungen  sitzen  der 
Unterlage  breit  auf.  Die  Breite  der  Granulationen  beträgt  etwa 
Vz  cm,  die  Höhe  ca.  1  cm.  Zwischen  den  einzelnen  Granulationen 
finden  sich  Einkerbungen  der  eigentlichen  Wucherungen.  Die  Ge¬ 
schwüre  selbst  sind  nicht  sehr  tief. 

Der  mikroskopische  Befund  ergibt:  Massenhaft  intrazelluläre, 
Gram-negative  Diplokokken  im  Sekret  der  Urethra  und  des  Zervix, 
im  oberflächlichen  Eiterbelag  des  Analgeschwüres  zerstreute,  meist 


1560 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT, 


extrazelluläre  Gonokokken,  mittels  der  Gramfärbung  als  solche  nach¬ 
gewiesen:  endlich  in  einem  kleinen  keilförmig  exzidierten  Gewebs-  l 
stücke  des  Geschwürsgrundes  gleichfalls  massig  zahlreiche  Gono¬ 
kokken  (Bericht  des  pathologi¬ 
schen  Instituts  des  städt.  Kran¬ 
kenhauses  I:  Prof.  Dr.  S  t  r  ö  b  e). 
Im  Rektalsekret  wurden  Gono¬ 
kokken  nicht  gefunde.n 

Nach  ca.  5  wöchentlichem 
Krankenhausaufenthalt  wird  Pa-  \ 
tientin,  deren  Zervikal-  resp. 
Urethralgonorrhöe  in  der  üb¬ 
lichen  Weise  behandelt  war  — 
Irrigationen  mit  Chlorzink  und 
Kalium  hypermanganicum,  Lokal¬ 
behandlung  der  Urethra  mit  He- 
gonon,  des  Zervikalkanals  mit 
Argent.  nitric.  —  als  gebessert 
entlassen.  Die  Geschwüre  in  der 
Analregion  sind  unter  anfäng¬ 
licher  Applikation  von  feuchten 
Kataplasmen,  später  Salben  — 

3  proz.  Borsalbe  K>  proz.  Argent.- 
nitric.-Salbe  —  nahezu  geheilt. 
An  Stelle  der  hahnenkammartigen 
Wucherung  finden  sich  noch  ge¬ 
ringgradige  Hypertrophien  des 
Gewebes.  NB.!  Die  am  Introitus 
vaginae  erwähnten  ca.  erbsen¬ 
grossen  flachen  Ulzerationen  er¬ 
gaben  seinerzeit  keinen  Gono¬ 
kokkenbefund,  hatten  auch  sonst  nicht  die  klinische  Eigentümlich¬ 
keit  der  Analgranulationen  und  sind  wohl  als  einfache  banale  Ge- 
websprozesse  aufzufassen. 

2.  Anna  R.,  26  Jahre  alte  Arbeiterfrau.  Aufgenommen  am 
6.  VI.  1913.  Seit  2  Monaten  bemerkt  Patientin  Geschwüre  am  Anus. 
Ausfluss  aus  der  Vagina  und  ebenfalls  aus  dem  Anus  will  Patientin 
schon  seit  längerer  Zeit  haben.  Rings  um  den  Anus  herum  finden 
sich  2  ca.  zehnpfennigstückgrosse,  sich  genau  gegenüber  liegende  Ge¬ 
schwüre,  die  peripher  erhaben  sind,  eine  Art  Wall  darstellen,  nach 
dem  Anus  zu  eine  schmierig  belegte,  ziemlich  oberflächliche  Ge¬ 
schwürsfläche  bilden.  Die  Form  jedes  der  beiden  Geschwüre  ist 
ungefähr  dreieckig. 

In  der  Urethra  sowohl  wie  im  Zervix-  als  auch  im  Rektalausfluss 
finden  sich  massenhaft  intrazelluläre  Gonokokken.  Ebenso  finden  sich 
in  dem  von  dem  Ulcus  mit  dem  scharfen  Löffel  abgekratzten  Gewebs- 
massen  vereinzelte  intrazelluläre  Gonokokken. 

3.  Henriette  Dr.,  23  Jahre  alt,  Arbeiterin.  Aufgenommen  am 
6.  VI.  1913.  Seit  5  Wochen  hat  Patientin  einen  ziemlich  starken 
Scheidenausfluss.  Seit  ca.  3  Wochen  bemerkt  sie  wunde  Stellen  am 
After  und  klagt  seit  dieser  Zeit  über  ziemlich  heftige  Schmerzen  beim 
Stuhlgang. 

Rings  um  den  Anus  herum  findet  sich  ein  zackig  geformtes,  stern¬ 
förmig  strahliges  Geschwür,  dessen  Rand  kammartig  erhaben  ist  und 
dessen  Geschwürsgrund  mit  ziemlich  massenhaftem  Sekret  bedeckt 
ist.  Der  Geschwürsrand  ist  nicht  gleichmässig  kreisförmig  gestaltet, 
sondern  lässt  5  vorspringende  Wülste  erkennen.  Die  Farbe  dieser 
Granulationen  ist  blaurötlich. 

Im  Urethralsekret  finden  sich  vereinzelte  intrazelluläre  Gono¬ 
kokken,  im  Zervixsekret  sehr  zahlreiche  intrazelluläre,  z.  T.  auch 
extrazelluläre.  Gleichzeitig  besteht  eine  Rektalgonorrhöe.  Im  ober¬ 
flächlichen  Eiterabstrich  des  Aftergeschwürs  sind  vereinzelte  intra¬ 
zelluläre  Gonokokken  zu  erkennen,  desgleichen  in  abgekratzten 
Detritusmassen  des  Geschwürsgrundes. 

Die  gonorrhoischen  Granulationen  kamen  in  ca.  2  Monaten  unter 
konservativen  Behandlungsmethoden  zur  Abheilung.  Eine  später  zum 
Ausbruch  gekommene  Lues  —  Ausbruch  eines  grossfleckigen  Exan¬ 
thems  und  Umschlagen  des  vorher  negativen  Wassermanns  —  machte 
eine  intensive  antiluetische  Behandlung  erforderlich,  so  dass  Patientin 
erst  am  7.  XI.  entlassen  werden  konnte. 

4.  Anna  Sehr.,  21  jährige  Arbeiterin.  Aufgenommen  20.  I.  1914. 
Seit  6  Wochen  Ausfluss,  seit  etwa  14  Tagen  Geschwüre  an  den 
Genitalien.  Zeitweise  hat  Patientin  Schmerzen  beim  Wasserlassen 
und  beim  Stuhlgang.  Sonst  will  sie  immer  gesund  gewesen  sein. 

Auf  der  rechten  grossen  Labie  ausgedehnte  spitze  Kondylome. 
An  der  hinteren  Kommissur  befindet  sich  ein  ca.  zweipfennigstück¬ 
grosses,  scharf  umgrenztes,  reines  Geschwür  mit  aufgeworfenen 
Rändern.  Dahinter  sieht  man  2  hahnenkammähnliche,  ca.  2  cm  lange, 
1  cm  hohe  Effloreszenzen,  die  in  einen  stumpfen  Winkel  gegeneinander 
stossen.  Das  Ulcus,  das  von  diesen  beiden  ziemlich  längs  ange¬ 
ordneten  Kämmen  begrenzt  ist,  liegt  nach  der  Mittellinie  zu.  Unter¬ 
halb  der  eben  beschriebenen  Granulationsmassen  befindet  sich  eine 
etwa  lVa  cm  lange,  Vs  cm  breite,  blaurot  verfärbte  Hämorrhoidal¬ 
geschwulst,  die  ungefähr  die  Fortsetzung  jener  darstellt.  Eine  Rektal¬ 
gonorrhöe  besteht  nicht,  dagegen  finden  sich  sowohl  im  Urethral- 
wie  im  Zervixsekret  massenhafte  intrazelluläre  Gonokokken.  Auch 
im  Sekret  des  Ulcus  sowohl  wie  in  den  Gewebspartien  desselben 
lassen  sich  trotz  wiederholter  Untersuchungen  Gonokokken  nicht 


nachweisen.  Es  muss  hier  nachgetragen  werden,  dass  die  Gonorrhoe 
dieser  Patientin  bereits  vor  ihrer  Aufnahme  in  das  Krankenhaus  be¬ 
handelt  wurde,  und  dass  speziell  auch  die  Geschwüre  therapeutisch 
in  Angriff  genommen  waren. 

5.  Helene  K.,  21  Jahre  alt,  Arbeiterin.  Wurde  vom  2.  IX.  13  bis 
13  X  13  wegen  Gonorrhöe  und  Lues  im  Krankenhaus  II  behandelt 
und  an  diesem  Tage  ohne  Krankheitserscheinungen  entlassen.  Am 
21  November  desselben  Jahres  wird  sie  wieder  aufgenommen.  Hat 
jetzt  seit  ca.  3  Wochen  wieder  Ausfluss  aus  der  Scheide  und  klagt 
ungefähr  seit  der  gleichen  Zeit  über  Schmerzen  beim  Stuhlgang  und 
über  spontane  Schmerzen  an  den  Genitalien. 

An  der  hinteren  Kommissur,  links  von  der  Medianebene,  befindet 
sich  eine  ca.  214  cm  lange  und  1  cm  hohe  Gewebswucherung  von 
hellrötlicher  Farbe,  die  an  ihrem  analen  Ende  an  eine  zweite  hahnen¬ 
kammartige  Gewebshypcrtrophie  stösst,  die  über  die  Mittellinie  hin¬ 
über  erst  quer,  dann  umbiegend  etwa  parallel  der  erstgenannten 
Wucherung,  zur  hinteren  Kommissur  zurückzieht.  Beide  Gewebs- 
granulationen  umgrenzen  ein  ziemlich  oberflächliches,  ca.  zehnpfennig¬ 
stückgrosses,  mit  hellrötlichen  Granulationen  ausgefiilltcs  Geschwür, 
das  mit  etwas  weisslichem  Schleim  besetzt  ist.  Das  Ulcus  reicht 
ungefähr  so  weit,  wie  die  es  umschliessenden  Granulationen.  Von 
dem  oben  erwähnten  Kreuzungspunkte  der  beiden  hahnenkammartigen 
Gebilde  zieht  nun  nach  dem  After  zu  eine  dritte  Effloreszenz,  klinisch 
genau  so  beschaffen  wie  die  oben  erwähnten,  auch  ungefähr  von  der¬ 
selben  Länge  und  Höhe.  Und  zwar  ist  der  Verlauf  dieser  Gewebs¬ 
neubildung  ringförmig  parallel  zur  Analöffnung.  Eine  Ulkusbildung 
hat  hier  nicht  stattgefunden.  _ 

Im  Sekret  der  gonorrhoisch  erkrankten  Urethra  und  Zervix 
finden  sich  intra-  und  extrazelluläre  Gonokokken  in  mässiger  Menge. 
Aus  dem  Geschwürsgrunde  lassen  sich  sowohl  bei  der  Untersuchung 
des  oberflächlichen  Geschwürssekretes,  als  auch  der  eigentlichen  Ge- 
websmassen  Gonokokken  nachweisen.  Eine  Rcktalgonorrhöe  be¬ 
steht  nicht.  ,  , 

Die  Granulationen  wurden  exzidiert  und  die  dann  zutage  treten¬ 
den  Wundflächen  mit  dem  Thermokauter  verschorft. 

Die  anderweitige  Gonorrhöe  wurde  gleichfalls  durch  die  übliche 
Irrigationstherapie  in  ca.  8  Wochen  so  wesentlich  gebessert,  dass  Aus¬ 
fluss  aus  Zervix  und  Urethra  kaum  noch  vorhanden  war,  und  die 
mikroskopischen  Befunde  sich  dauernd  gonokokkenfrei  erwiesen. 

6.  Ida  E.,  20  Jahre  alt,  Prostituierte.  Vom  Mai  bis  Juni  1913 
wegen  Syphiiis  im  Krankenhaus  II  behandelt.  Damals  geheilt  ent¬ 
lassen.  Am  18.  II.  14  wieder 
Aufnahme.  Starker  Scheidenaus¬ 
fluss  seit  6  Wochen.  Klagt  seit 
einigen  Tagen  über  Wundsein  an 
den  Genitalien. 

Schmächtiges,  anämisches 
Mädchen  in  etwas  reduziertem 
Ernährungszustände.  Innere  Or¬ 
gane  o.  B.  Urin  frei  von  Eiweiss 
und  Zucker.  An  der  rechten 
grossen  Labie  findet  sich  eine  ca. 

einpfennigstückgrosse,  kreis¬ 
runde,  nässende  Papel,  in  derem 
Reizserum  massenhaft  Exemplare 
der  Spirochaete  pallida  nachge¬ 
wiesen  werden.  Wassermann 
stark  positiv.  Im  Zervix  und 
Urethralsekret  finden  sich 
massenhaft  intra-  und  extrazellu¬ 
läre  Gonokokken.  Das  Rektum¬ 
sekret  ist  gonokokkenfrei. 

Pat.  wird  einer  antisyphi¬ 
litischen  Behandlung  unter¬ 
worfen,  unter  der  sich  die  Papel 
zurückbildet.  Gleichzeitig  wird 
natürlich  auch  die  Gonorrhöe 
therapeutisch  in  Angriff  ge¬ 
nommen.  . 

Am  10.  III.  finden  sich  im  Zervikalsekret  noch  spärliche  Gono¬ 
kokken,  im  Urethralsekret  nicht  mehr.  Das  Rektalsexret  ist  nach  wie 
vor  gonokokkenfrei.  Am  12.  III.  wird  am  After,  und  zwar  an  der 
Partie,  die  nach  dem  Damm  zu  liegt,  ein  haselnussgrosses  Geschwür 
bemerkt,  dass  sich  rhagadenartig  bis  zur  Schleimhaut  des  Rektums 
erstreckt,  an  seinen  Rändern  von  wallartigen,  ca.  Vs  cm  hohen  kamm¬ 
artigen  Gebilden  begrenzt  ist.  Die  Farbe  dieser  Granulation  ist  mehr 
blaurötlich  Das  Geschwür  selbst  ist  ziemlich  oberflächlich  und  sieht 
ziemlich  rein  aus.  In  den  mit  dem  scharfen  Löffel  abgekratzten  Ge- 
websmassen  lassen  sich  vereinzelte  intrazelluläre  Gonokokken 
nachweisen. 

Die  mikroskopische  Durchsicht  eines  Probeexzisionsstückes,  die 
Granulationen  wurden  am  2.  II.  sämtlich  exzidiert,  von  Fall  6  ergab 
folgenden  Befund: 

Das  gesamte  Bindegewebe  ist  von  einem  äusserst  zellenreichen 
Granulationsgewebe  ausgefüllt,  und  zwar  finden  sich  diese  Granu¬ 
lationsmassen  ziemlich  diffus  im  ganzen  Korium  angeordnet  und 
reichen  an  manchen  Stellen  unmittelbar  bis  an  die  Epidermis  heran. 
Das  Granulationsgewebe  ist  zum  Teil  mit  kleinen  Leukozytenherden 
durchsetzt,  Plasmazellen  dagegen  finden  sich  nur  ganz  vereinzelt. 


Fig.  2. 


14.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1561 


Auffallend  ist  eine  äusserst  starke  Gefässbildung  in  dem  neugebildcten 
Granulationsgewebe.  Dieselbe  ist  fast  ausnahmslos  in  den  Teilen 
direkt  unter  der  Epidermis  am  stärksten.  Es  zeigt  sich,  dass  gleich¬ 
zeitig  das  Granulationsgewebe  an  diesen  Stellen  ganz  besonders  dicht 
angeordnet  ist,  zuweilen  kann  man  erkennen,  dass  sich  die  frischen 
Bindcgewebszellen  um  die  Gefässe  herum  etwas  stärker  und  dichter 
ungeordnet  finden  als  sonst.  Weiter  ist  zu  bemerken,  dass  ein  grosser 
Teil  der  Gefässe  thrombosiert  ist,  und  zwar  in  manchen  vollkommen, 
in  manchen  nur  in  Form  von  wandständigen  Thromben.  Auffallend  ist 
der  kolossal  starke  Gehalt  dieser  neugebildeten  Gefässe  an  Leuko¬ 
zyten:  ln  einem  Teil  der  Gefässe  sind  diese  so  zahlreich 
zu  finden,  dass  die  roten  Blutkörperchen  fast  von  ihnen  ver¬ 
deckt  werden.  Zuweilen  hat  man  den  Eindruck,  dass  der 
Leukozytengehalt  dieser  Gefässe  ganz  besonders  dort  gross 
ist,  wo  die  Gefässe  unmittelbar  unter  der  Epidermis  liegen;  ferner 
wo  der  Entziindungszustand  des  Gewebes  ganz  besonders  stark  ist, 
und  endlich  in  kleineren  Gefässen  mehr  als  in  grösseren.  In  einigen, 
in  der  Längsrichtung  getroffenen  Gefässen  liess  sich  erkennen,  dass 
die  Leukozyten  sich  ganz  besonders  in  der  Randschicht  des  Gefässes, 
unmittelbar  dem  Endothel  anliegend,  zeigten.  Das  Epithel,  das  an 
manchen  Stellen  durch  den  geschwürigen  Prozess  zugrunde  gegangen 
war  und  hier  Exsudatmassen  und  massenhaft  Leukozyten  aufwies, 
zeigt  auch  an  anderen  Partien,  speziell  in  den  unteren  Schichten  des 
Stratum  Malpighi,  vielfach  eine  Durchsetzung  mit  Leukozyten.  Die 
Epidermis  ist  an  manchen  Stellen  gewuchert,  die  Papillen  an  manchen 
Stellen  vergrössert  und  verbreitert,  vielfach  an  solchen  Partien,  wo 
die  Entzündungsherde  und  die  Gefässneubildungen  den  erwähnten 
Teilen  besonders  nahe  kommen.  Gonokokken  wurden  in  dem  Gewebe 
selbst  nicht  gefunden. 

In  drei  von  den  6  beschriebenen  Fällen  wurde  versucht,  die 
Gonokokken  auch  kulturell  nachzuweisen.  Zweimal  wurden  Aus¬ 
striche  auf  Serumagar  04  Serum,  2/3  Agar),  einmal  auf  reinem  Serum 
gemacht.  In  allen  drei  Fällen  gingen  die  Kulturen  nicht  an. 

Resümierend  möchten  wir  darauf  hinweisen,  dass  die  be¬ 
schriebenen  Gewebswucherungen  bei  Gonorrhöe  auch  von 
uns  entsprechend  der  K  1  i  n  g  m  ü  1 1  e  r  sehen  Beobachtung  am 
Anus  und  Damm  gefunden  wurden,  und  zwar  am  Anus  häu¬ 
figer,  als  am  Damm  (4  : 2).  Die  Frauen,  die  an  diesen  Pro¬ 
zessen  litten,  hatten  sämtlich  eine  Gonorrhöe  der  Urethra 
sowohl  wie  des  Zervikalkanals;  eine  Rektalgonorrhöe,  bestand 
nur  in  2  Fällen.  In  5  Fällen  von  den  beschriebenen  6  wurde 
in  dem  Sekret  der  Ulzera  oder  in  den  oberflächlichen  Gewebs- 
partien  Gonokokken  nachgewiesen.  Es  geht  daher  wohl  aus 
diesen  Befunden  hervor,  dass  gewisse  Beziehungen  zwischen 
den  beschriebenen  Gewebsprozessen  und  der  Gonorrhöe  vor¬ 
handen  sind.  Auffallend  ist  ja,  dass  diese  Wucherungen  mit 
besonderer  Vorliebe  in  der  Rektalgegend  angetroffen  wurden, 
obwohl,  wie  hervorgehoben,  eine  eigentliche  Rektalgonorrhöe 
nur  zweimal  konstatiert  werden  konnte.  Immerhin  wäre  ja 
möglich,  dass  auch  in  diesen  Fällen  eine  Rektalgonorrhöe  vor¬ 
handen,  aber  inzwischen  zur  Abheilung  gekommen  war. 

Kulturen  konnten  von  uns  in  den  3  Fällen,  wo  wir  den 
Versuch  gemacht,  nicht  gewonnen  werden.  Wir  möchten  aber 
diesen  Negativbefund  nicht  allzu  hoch  in  Rechnung  stellen, 
zumal  bei  dem  verhältnismässigen  spärlichen  Gonokokken¬ 
gehalt  der  Geschwüre  die  Aussichten  von  vornherein  nicht 
günstig  waren.  Auch  K  1  i  n  g  m  ü  1 1  e  r  konnte  ja  aus  den 
eigentlichen  Geschwüren  Kulturen  nicht  gewinnen. 

Hervorzuheben  ist,  dass  die  Gewebsveränderungen,  die 
oben  beschrieben,  klinisch  sich  aus  zwei  verschiedenen  An¬ 
teilen  zusammensetzen:  Einmal  den  eigentlichen  Wuche¬ 
rungen,  jenen  mehrfach  beschriebenen,  hahnenkammartigen 
Gebilden,  deren  Farbe  teils  mehr  hellrötlich,  teils  blaurötlich 
erscheint,  und  den  Geschwüren,  die  häufig  von  jenen  um¬ 
schlossen  sind,  meistens  verhältnismässig  oberflächlich  ver¬ 
laufen  und  mit  mässigem  Sekret  bedeckt  sind.  Geschwüre 
allein  haben  wir  nie  beobachtet,  wohl  aber  die  hahnenkamm¬ 
artigen  Gebilde,  so  dass  man  versucht  sein  könnte,  anzu¬ 
nehmen,  dass  ursprünglich  lediglich  Wucherungsprozesse 
durch  die  Gonorrhöe  hervorgerufen  wurden,  die  erst  im 
späteren  Verlauf  zur  Ulzeration  gekommen  waren.  Die  Ent¬ 
stehung  der  Ulzera  wäre  ja  sowohl  durch  den  Fluor  vaginae 
für  die  Dammpartien,  wie  durch  den  Stuhlgang  für  die  Rektal¬ 
gegend  leicht  zu  erklären. 

Interessant  ist  die  Kombination  dieser  Granulationen  mit 
spitzen  Kondylomen  in  Fall  4,  wobei  doch  offenbar  dieselbe 
Enstehungsursache  geltend  gemacht  werden  kann.  In  dem¬ 
selben  Falle  waren  auch  noch  Hämorrhoiden  vorhanden  — 
siehe  Krankengeschichte  — ,  Hämorrhoiden,  die  ja  auch  von 
Klingmüller  differentialdiagnostisch  mit  in  Betracht  ge- 

Nr.  28. 


zogen  wurden.  Ich  kann  K  1  i  n  g  m  ü  1 1  e  r  beistimmen,  dass 
sich  die  erwähnten  gonorrhoischen  Gewebswucherungen  durch 
ihre  breite  Wurzel  und  das  Fehlen  stärkerer  Blutungen  leicht 
von  jenen  unterscheiden  lassen. 

Auch  die  Kombination  mit  Lues  (Fälle  3,  5,  6)  wurde  be¬ 
reits  in  den  Krankengeschichten  erwähnt,  doch  ist  die  Ver¬ 
wechslung  dieser  Granulationen  mit  luetischen  Effloreszenzen 
nicht  leicht,  da  die  breiten  Papeln,  die  ja  wohl  nur  in  Frage 
kämen,  zwar  auch  Wucherungen  darstellen,  indes  von  ganz 
anderem,  pilzartigen  Charakter;  auch  ist  die  Oberfläche  der 
gonorrhoischen  Granulationen  meistens  glatt,  im  Gegensatz  zu 
der  rauhen,  etwas  zerklüfteten  der  breiten  Kondylome. 

Subjektiv  werden  durch  die  gonorrhoischen  Geschwüre 
oft  Schmerzen  bedingt,  bei  Lokalisation  am  Rektum  speziell 
Schmerzen  beim  Stuhlgang.  Eigentliche  Blutungen  habe  ich 
nicht  gesehen. 

Der  Verlauf  ist  ein  ziemlich  hartnäckiger,  zweimal  führte 
die  chirurgische  Therapie  zum  Ziel,  in  den  anderen  wurden 
die  Geschwüre  mit  konservativen  Massnahmen  behandelt. 

Bezüglich  der  mikroskopischen  Details,  wie  sie  speziell  die 
Untersuchung  des  Falles  6  ergibt,  kann  ich  im  allgemeinen  die 
Befunde  von  K  1  i  n  g  m  ü  1 1  e  r  bestätigen.  Auch  ich  fand  ein 
diffuses,  zellreiches  Entzündungsgewebe,  mit  Leukozyten¬ 
herden  durchsetzt,  das  vielfach  bis  an  die  Epidermis  heran¬ 
reichte  und  die  letztere  an  manchen  Partien  zu  Wucherungen 
veranlasste,  ferner  einen  ausgeprägten  Gefässreichtum  der  der 
Epidermis  unmittelbar  angrenzenden  Gewebsschichten  des 
Koriums.  Auch  ich  konnte  konstatieren,  dass  viele  dieser  Ge¬ 
fässe  thrombosiert  waren,  und  manche,  vorzüglich  in  den 
obersten  Schichten,  äusserst  zahlreiche  Leukozyten  aufwiesen. 
Dagegen  habe  ich  Plasmazellen  nur  sehr  wenig  finden  können. 

Bezüglich  der  Literatur  ist  zu  erwähnen,  dass  schon 
K  1  i  n  g  m  ü  1 1  e  r  darauf  aufmerksam  macht,  dass  Angaben 
über  Wucherungen  bei  Gonorrhöe  nur  spärlich  zu  finden  sind, 
obschon  die  Granulationen  offenbar  gar  nicht  so  selten  Vor¬ 
kommen.  K  1  i  n  g  m  ü  1 1  e  r  teilt  den  Befund  von  J  u  1 1  i  e  n  [2] 
mit,  fragt  allerdings  mit  Recht,  ob  die  von  diesem  Autor  be¬ 
schriebenen  Bildungen  identisch  mit  seinen  Beobachtungen 
seien,  und  möchte  sie  mehr  für  einfach  ödematöse  Schleim¬ 
hautwulstungen  halten,  wie  sie  beispielsweise  bei  lange  be¬ 
stehendem  Analekzem  oder  Pruritus  sich  einstellen.  Thal¬ 
mann  [3]  erwähnt  dagegen  in  einem  Falle  von  Ulcus  serpi¬ 
ginosum  gonorrhoicum  die  Bildung  von  Flügelfalten  an  der 
Analöffnung,  in  einem  zweiten  Falle  das  Auftreten  von  Flügel- 
ulcera  am  Damm.  Ferner  beschreibt  Eichhorn  [4]  bei  auf 
Rektalgonorrhöe  untersuchten  Patientinnen  „hypertrophische, 
hahnenkammartige  Falten,  die  mit  zahlreichen  Ulcera  vom 
Typus  des  Ulcus  molle  besetzt  waren  und  mit  der  Erkrankung 
des  Darmes  an  sich  nichts  zu  tun  hatten“.  Endlich  spricht 
S  t  r  a  u  s  s  [5]  in  seinem  Buch  über  „Protosigmoskopie“  von 
lappen-  resp.  hahnenkammartigen  Effloreszenzen,  die  in  der 
Nachbarschaft  des  äusseren  Analrandes  im  Anschluss  an 
ulzerative  resp.  maligne  Prozesse  des  Rektums  anzutreffen 
sind. 

Nach  1910  sind  Beobachtungen  wie  die  Klingmüllers 
in  der  Literatur  nicht  festgelegt,  wenigstens  von  mir  nicht  ge¬ 
funden.  Mitteilungen  wie  die  von  Mesch  tschersky  [6] 
und  S  e  r  r  a  [7]  beziehen  sich  mehr  auf  einfache  gonorrhoische 
Ulcera  resp.  Abszesse,  es  fehlt  ihnen  aber  das  eigentümlich 
tumorartige  der  K  1  i  n  g  m  ü  1 1  e  r  sehen  Fälle. 

Literatur. 

1.  Klingmüller:  Ueber  Wucherungen  bei  Gonorrhöe.  D.m.W. 
1910  Nr.  28.  —  2.  Jullien:  Seltene  und  weniger  bekannte  Tripper¬ 
formen.  Uebersetzung  von  Merzbach.  Wien  und  Leipzig  1907, 
S.  18  und  19.  —  3.  Thalmann:  Arch.  f.  Derm.  u.  Syphilis  1904, 
Bd.  71.  —  4.  Eichhorn:  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Rektalgonorrhöe. 
Derm.  Zschr.  1909,  16.  S.  439.  —  5.  Strauss:  Die  Proktosigmo- 
skopie  und  ihre  Bedeutung  für  die  Diagnostik  und  Therapie  der 
Krankheiten  des  Rektum  und  der  Flexura  sigmoidea.  G.  Thieme. 
Leipzig  1910.  —  6.  Meschtschersky:  Ein  Fall  von  multiplen 
gonorrhoischen  Geschwüren  bei  einem  Manne.  Arch.  f.  Derm.  u. 
Syphilis  109.  S.  302.  —  7.  Alberto  Serra:  Beitrag  zum  Studium 
des  gonorrhoischen  Ulcus.  Annales  des  maladies  veneriennes.  März 
1912  Nr.  3.  ■' 


3 


1562 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Aus  der  med.  Universitäts-Poliklinik  München  (Prot.  May). 

Hirntumordiagnosen. 

Von  Priv.-Doz.  ür.  v.  Malaise. 

In  nachstehendem  möchte  ich  über  3  Fälle  von  Hirn¬ 
tumoren  berichten,  die  meines  Erachtens  eine  ausführlichere 
Mitteilung  verdienen. 

Fall  1  M.  L.,  12 jähriger  Knabe  aus  Wolfratshausen  (Ober¬ 
bayern).  Erste  Untersuchung  am  8.  Juli  1913.  Seit  mehreren  Mona¬ 
ten  fiel  den  Eltern  eine  starke  Wesensveränderung  an  dem  früher 
braven,  fleissigen  und  intelligenten  Kinde  auf:  Es  lernte  bedeutend 
schlechter,  war  unaufmerksam,  blieb  in  der  Schule  zurück.  Später 
wurde  es  unreinlich,  verschmierte  sich  und  den  Abort,  urinierte  auch 
einmal  in  die  Hose.  Spontan  sprach  der  Knabe  wenig  mehr,  oft  auch 
nichts,  und  antwortete  auf  Fragen  nur  mit  Ja  und  Nein.  Im  Frühjahr 
1911  stahl  er  den  Eltern  ein  Zwanzigmarkstück,  von  dem  er  6  M. 
zum  Kauf  von  Leckereien  verwandte,  während  er  den  Rest  im  Garten 
vergrub.  Auch  dem  älteren  Bruder  stahl  er  einmal  3  M. 

Dann  soll  sich  eine  Unsicherheit  des  Ganges  eingestellt  haben 
und  als  Patient  bei  der  Kommunion  in  der  Kirche  frei  knien  sollte,  fiel 
er  um.  Im  weiteren  Verlauf  Klagen  über  Kopfschmerzen,  Schwindel, 
soll  sogar  mehrfach  hingestürzt  sein  im  Schwindel,  kein  Erbrechen. 
Früher  immer  gesund,  auch  bei  den  Eltern  und  Geschwistern  keiner¬ 
lei  Krankheiten.  Im  Alter  von  5  Jahren  soll  er  aus  Zimmer'höhe 
herabgestürzt  sein;  über  diesen  Unfall  oder  seine  unmittelbaren  Fol¬ 
gen  konnte  nichts  erfahren  werden  lm  weiteren  Verlauf  besserte 
sich  der  Kopfschmerz  wieder  und  die  Mutter  machte  die  Angabe, 
der  Knabe  sei  „munter“,  spreche  zwar  spontan  fast  nichts,  sei  aber 
der  erste  der  lache,  wenn  die  anderen  Kinder  Unsinn  machten. 

Am  18.  September  findet  sich  verzeichnet,  dass  wieder  Kopf¬ 
schmerz  aufgetreten  sei,  einmal  auch  Erbrechen,  allerdings  nach  dem 
Genuss  schwer  verdaulicher  Speisen.  Der  Kopfschmerz  wird  in  die 
linke  Stirnseite  lokalisiert.  Weiterhin  findet  sich  vermerkt  „heiterer 
Gesichtsausdruck“.  Am  3.  Februar  d.  J.  wurde  das  Kind  der  Poli¬ 
klinik  wieder  zur  Untersuchung  gebracht.  Der  Vater  gab  dabei  an, 
dass  Gehen  und  Stehen  unmöglich  geworden  sei.  Die  Sehkraft  soll 
zeitweise  stark  herabgesetzt  sein.  Nüchtern  kein  Erbrechen,  da¬ 
gegen  bestehe  Neigung  zur  Ueberladung  des  Magens,  was  einigemale 
zu  Erbrechen  nach  der  Mahlzeit  geführt  habe.  Das  Wesen  sei  das¬ 
selbe  geblieben. 

Status  während  des  ersten  Aufenthaltes  in  der  K.  Poliklinik 
1913.  Aeusserst  kräftig  entwickeltes,  blühend  aussehendes  Kind. 
Gang  deutlich  zerebellar-ataktisch,  dabei  wird  der  Kopf  etwas  nach 
der  linken  Schulter  geneigt,  der  im  Ellbogengelenk  gebeugte  rechte 
Arm  wird  abduziert  gehalten.  Abweichen  von  der  Geraden  über¬ 
wiegend  nach  links.  Rumpfmuskulatur  ohne  Besonderheiten.  Vor- 
und  Rückwärtsbeugung  des  Rumpfes  auch  gegen  Widerstand  gut, 
einbeiniges  Stehen  links  schlecht,  rechts  unmöglich.  Keine  Be¬ 
wegungsataxie  in  den  Extremitäten,  keine  Atonie,  keine  Dysmetrie, 
Diadochokinese  rechts  und  links  ungefähr  gleich  gut.  Normale  Knie¬ 
beugung  bei  Rückwärtsneigung  des  Rumpfes.  Keine  kataleptischen 
Erscheinungen.  Reflexe:  Patcllarreflexe  beiderseits  erhöht,  r.  deutlich 
stärker,  r.  auch  leichter  Grad  von  Rigidität.  Der  Babinskische 
Reflex  ist  beiderseits  vorhanden,  links  auch  Oppenheim.  Armreflexe 
r.  u.  1.  gleich  stark,  o.  Bes.  Keinerlei  Störung  der  Sensibilität,  keine 
Astereognosie.  Beklopfen  des  Schädels  wird  über  der  r.  Stirngegend 
als  schmerzhaft  bezeichnet,  der  Perkussionsschall  scheint  r.  auch  ge¬ 
dämpfter  zu  sein,  indessen  ist  dies  unsicher.  Schädelumfang  53,3  cm. 
Kein  Nystagmus,  Hirnnerven  intakt,  keine  aphasischen  Störungen. 
Beiderseits  Stauungspapille  angedeutet.  Psychisches  Verhalten:  Pat. 
spricht  spontan  nichts,  auf  Fragen  antwortet  er  in  normaler  Weise. 
Rechnen  etwa  seinem  Alter  entsprechend.  Nacherzählen  leidlich. 
Leichte  Ermüdbarkeit,  keine  schwereren  Aufmerksamkeitsstörungen. 
Stimmung  eher  heiter.  Lässt  meist  unter  sich  gehen. 

Am  13.  VIII.  findet  sich  notiert:  Gang  zerebellar  ataktisch  und 
zugleich  etwas  spastisch,  Stehen  auf  einem  Bein  nicht  möglich,  keiner¬ 
lei  halbseitige  Zerebellarsymptome.  Die  spastischen  Erscheinungen 
an  den  Beinen  haben  sich  verstärkt,  überwiegen  aber  deutlich  auf  der 
r.  Seite,  Nystagmus  bei  seitlicher  Augenstellung.  In  r.  Seitenlage  bei 
Blick  nach  r.  kein  Nystagmus.  Bei  linker  und  dementsprechender 
Blickrichtung  besteht  er  fort.  Psychisch  erscheint  er  wieder  freier, 
lacht  leicht.  Visus  nach  Bericht  der  Kgl.  Augenklinik  unverändert. 

Status  vom  3.  Februar  1914:  Gehen  und  Stehen  ohne  Unter¬ 
stützung  unmöglich.  Auf  beiden  Seiten  gestützt,  lehnt  er  den  Rumpf 
stark  nach  hinten  über,  bei  Gehversuchen  höchster  Grad  von  Asyn- 
ergie  cerebelleuse,  Kopf  dauernd  nach  der  1.  Schulter  geneigt.  Ver¬ 
sucht  man  passiv  den  Kopf  aus  dieser  Haltung  zu  bringen,  so  stösst 
man  auf  einen  gewissen  Muskelwiderstand.  Die  linken  Halsmuskeln 
verharren  auch  in  der  Ruhe  in  einem  Kontraktionszustand. 

Beine:  beiderseits,  rechts  stärker  ausgesprochene  spastische 
Parese  mit  Spitzfussstellung,  r.  hoher  Grad  von  Rigidität.  Auch 
der  r.  Arm  ist  etwas  hypertonisch,  weniger  der  linke.  Dement¬ 
sprechend  verhält  sich  auch  die  Reflexsteigerung.  Weder  an  Armen 
noch  Beinen  halbseitige  Kleinhirnsymptome.  Keine  Bewegungs¬ 
ataxie.  keine  Dysmetrie  der  Bewegungen,  kein  pathologisches  Ver¬ 
halten  bei  der  Widerstandsreaktion.  Die  Diadochokinese  jetzt  beider¬ 


seits  deutlich  verlangsamt,  doch  ist  dies  zweifellos  auf  Kosten  der 
spastischen  Parese  zu  setzen.  Demgemäss  ist  sie  r.  starker  wie  1. 

Dagegen  findet  sich  in  der  1.  Hand  deutliche  Apraxie: 

Znitrpti  nach  dem  linken  Ohr:  r.  und  1.  gut. 


Rechts 

Links 

Zunge  zeigen : 

Drohen  : 

gut 

gut 

gut 

fährt  mit  gespreizten  Fingern 
vor  seinem  Gesicht  herum 

Winken : 

erst  etwas  unbeholfen,  dann 

ähnliche  Bewegungen  wie  bei 
„Drohen“  (Perseveration), 

dann  ganz  uncoordinierte  Be¬ 
wegungen,  auch  nachdem  er 
es  rechts  wiederholt  richtig 

aber  richtig  mit  gekrümmten 
Zeigefinger 

ausgeführt  hat,  ist  er  links  nicht 
dazu  imstand 

Militärischer  Oruss : 

richtig 

reibt  sich  zuerst  mit  der 
flachen  Hand  die  Stirne,  dann 

gut 

Fliegenfangen : 

schlägt  zuerst  nur  mit  der 
flachen  Hand  auf  die  Decke, 
dann  richtige  Fangbewegung 

ist  zu  letzterer  nicht  imstand 

Taklschlagen : 

gut 

unbeholfen 

Drehorgel : 

gut 

zuerst  ratlos,  dann  in  verkehrter 
Richtung 

Kaffeemahlen : 

desgleichen 

desgleichen 

An  Objekten  hantiert  er  richtig,  kämmt  sich  mit  der  linken  Hand, 
bürstet  die  Zähne  usw.  Auch  komplizierte  Handlungen  an  Objekten 
werden  einwandfrei  ausgeführt.  .. 

Rechter  Mundfazialis  leicht  paretisch,  Nystagmus  unverändert. 
Schädelumfang  hat  um  über  2  cm  zugenommen.  Die  Schädelnahte 
zeigen  sich  auf  dem  Röntgenbilde  klaffend. 


Zusammenfassung. 

Ein  lljähr.  Junge  zeigt  als  1.  auffallendes  Krankheits¬ 
symptom  schwere  Charakterveränderungen  und  Abnahme  der 
Intelligenz.  Das  früher  heitere,  lernbegierige  Kind  wird  ver¬ 
schlossen,  faul,  unaufmerksam.  Es  stiehlt  seinen  Eltern  Geld, 
vernascht  es  teilweise  und  vergräbt  den  Rest.  Diese  psychi¬ 
schen  Veränderungen  bestanden  mindestens  %  Jahre,  bevoi 
den  Eltern  die  Gleichgewichtsstörungen  an  dem  Kinde  auf¬ 
fielen,  und  dieses  über  Kopfschmerzen  zu  klagen  begann. 

Unsere  1.  Untersuchung  Juli  1913  ergibt:  Zerebellar-atak¬ 
tischer  Gang,  doppelseitiger  Babinski,  rechts  Zeichen  leichter 
spastischer  Parese.  Keinerlei  halbseitige  Kleinhirnsymptome. 
Keine  Bewegungsataxie,  keine  Rumpfmuskelschwäche.  Be¬ 
ginnende  Stauungspapille  beiderseits  bei  normalem  Visus, 
psychisch  macht  Pat.  zunächst  einen  stuporösen  Eindruck,  gibt 
aber  geordnete  Antworten.  Intelligenz  vermindert,  Neigung 
zu  Heiterkeit  und  Lachen. 

Im  Februar  findet  sich  absolute  Unfähigkeit  zum  Gehen 
und  Stehen.  Höchster  Grad  von  Asynergie  cerebelleuse  beim 
Gang  unter  doppelseitiger  Unterstützung.  Auch  jetzt  kein  ein¬ 
ziges  halbseitiges  Zerebellarsymptom.  Dagegen  hat  sich  die 
spastische  Paraparese  der  unteren  Extremität  verstärkt,  über¬ 
wiegt  aber  nach  wie  vor  rechts.  Auch  die  Arme  zeigen  leichte 
spastische  Parese  in  gleichem  Stärkeverhältnis  wie  die  Beine. 
Auf  der  rechten  Seite  ist  auch  der  Mundfazialis  in  das 
Bereich  der  Parese  mit  einbezogen.  Leichte  Zwangshaltung 
des  Kopfes,  bedingt  durch  Anspannung  der  linksseitigen  Hals¬ 
muskeln.  Beim  Sitzen  Neigung  nach  rechts  und  hinten  zu 
fallen.  Rechts  Stauungspapille  sehr  ausgeprägt,  links  be¬ 
ginnende  Atrophie  des  Sehnerven.  Zunahme  des  in  die  rechte 
Stirngegend  verlegten  Kopfschmerzes.  Erbrechen  nur  bei 
Ueberfiillung  des  Magens.  Psychisch  stärker  stuporös,  aber 
auch  jetzt  noch  leicht  heiter  zu  stimmen.  Auch  die  Mutter  gibt 
an,  „er  sei  der  erste,  der  lache,  wenn  es  etwas  zu  lachen  gibt, 
und  lache  mehr,  als  in  gesunden  Tagen“. 

Als  neues  Symptom  findet  sich  eine  ausgesprochene 
Apraxie  der  linken  Hand.  Die  kalorische  Reaktion  (Kgl. 
Ohrenklinik)  ergibt  Unerregbarkeit  von  beiden  Ohren  aus, 
selbst  bei  600  ccm  Eiswasser.  Auf  dem  Drehstuhl  erweist  sich 
dagegen,  dass  Pat.  beiderseits  erregbar  ist,  allerdings  ist  nur 
die  vestibuläre  Komponente  deutlich,  oder  doch  wesentlich 
deutlicher  als  die  zentrale. 

Die  Diagnose  schwankte  nun  zwischen  einem  Tumor 
des  Vermis  cerebelli  und  einer  im  Stirnhirn  gelegenen  Ge¬ 
schwulst.  An  letztere  war  zu  denken: 

1.  Wegen  der  frühzeitig  entstandenen  und  lange  Zeit  iso¬ 
liert  gebliebenen  schweren  psychischen  und  intellektuellen 
Veränderungen. 


14.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Dass  psychische  Störungen  auch  bei  jedem  anderen  Sitz 
eines  Tumors  Vorkommen  können,  ist  hinreichend  bekannt  ‘). 
Trotzdem  wird  man  sicli  vorerst  bei  dem  Vorhandensein 
starker  psychischer  Veränderungen  und  namentlich,  wenn 
solche  lange  Zeit  isoliert  bestehen,  doch  die  Frage  vorlegen 
müssen,  ob  dies  nicht  im  Sinn  eines  Stirnhirnsymptoms  zu 
deuten  ist. 

2.  Wegen  der  ausgeprägten  Apraxie-  nicht  als  Stirnhirn¬ 
symptom  (Hartmann),  sondern  als  Nachbarschaftssymptom 
des  Balkens. 

3.  Traten  die  allgemeinen  Hirndrucksymptome  erst  spät 
in  die  Erscheinung  und  das  Erbrechen  spielte  bis  zuletzt  eine 
sehr  untergeordnete  Rolle  im  Krankheitsbilde. 

4.  Fehlt  ausgesprochene  Nachbarschaftssymptome  eines 
Wurmtumors  vor  allem,  bilaterale  Augenmuskellähmungen. 
Die  doppelseitige,  rechts  wesentlich  stärkere  spastische  Hemi¬ 
parese  konnte  ja  als  Nachbarschaftssymptom  von  seiten  des 
Pons  resp.  der  Medulla  oblongata  aufgefasst  werden.  Indessen 
war  schliesslich  auf  Seite  der  stärkeren  Parese  (rechts)  auch 
der  Fazialis  und  zwar  ausschliesslich  der  Mundfazialis  mit  er¬ 
griffen,  während  man  als  Ponssymptom,  wenn  schon  einer  der 
Hirnnerven  mitergriffen  war,  eine  alternierende  Lähmung 
hätte  erwarten  müssen,  also  eine  Lähmung  des  Fazialis  auf  der 
linken  Seite  mit  Beteiligung  des  Stirnaugenastes. 

5.  Endlich  schien  der  Ausfall  der  Drehversuche  für  einen 
supranukleär  sitzenden  Tumor  zu  sprechen. 

Bei  dem  Versuch,  den  Tumor  ins  Stirnhirn  zu  lokalisieren, 
kam  man  ohne  die  Annahme  eines  sehr  grossen  Tumors  nicht 
aus.  Die  Geschwulst  musste  sich  in  diesem  Falle  vom  linken 
Stirnhirn  gegen  den  Lobus  paracentralis  vorschieben,  dabei 
die  motorische  Sprachregion  verschonen.  Frühzeitig  musste 
er  eine  Druckwirkung  auf  den  Lobus  paracentralis  der  rechten 
Seite  und  zuletzt  auch  auf  den  Balken  ausüben.  Die  links¬ 
seitige  Apraxie  schien  einen  sicheren  Anhaltspunkt  dafür  zu 
geben,  dass  irgendwelche  Beziehungen  der  Geschwulst  zum 
Balken  bestünden 2)- 

Andererseits  musste,  falls  es  sich  um  einen  Wurm¬ 
tumor  handelte,  mit  einem  intrazerbellarsitzenden  und  damit 
operativ  ungünstigen  Tumor  gerechnet  werden. 

Da  die  lange  Dauer  und  die  schon  dadurch  bedingte  An¬ 
nahme  eines  grossen  Tumors,  vor  allem  aber  die  beginnende 
Atrophie  des  Sehnerven  zur  Dekompression  drängte  und  die 
Eltern  jetzt  ihre  Einwilligung  gaben,  wird  in  der  Gegend  des 
1.  Stirnhirns  ein  Hautknochenlappen  angelegt  und  eine  Ven¬ 
trikelpunktion  angeschlossen.  Nach  diesem  Eingriff  blieb  der 
Puls  dauernd  über  140,  die  Temperatur  stieg  bis  39,  die  Atmung 
wurde  stertorös,  das  Bewusstsein  war  benommen  und  am 
3.  Tag  erfolgte  der  Exitus. 

Bei  der  Sektion  erschien  das  Gehirn  abnorm  gross.  Beide 
Grosshirnhemisphären  schwappten,  keine  Meningitis. 

Kleinhirn:  Erscheint  auffallend  gross.  Aus  dem  enorm  er¬ 
weiterten  Aquädukt  entleeren  sich  bei  leichtem  Druck  erweichte 
Tumormassen,  ln  der  Tiefe  des  Aquädukts  sieht  man  Tumormassen 
gegen  den  intakten  Ventrikelboden  herunterhängen.  Es  werden  nun 
durch  beide  Hemisphären  Sagittalschnitte  gelegt,  Auf  der  Schnitt¬ 
fläche  der  1.  Kleinhirnhemisphäre  zeigte  sich  ein  kleinwalnuss¬ 
grosser,  in  den  zentralen  Partien  erweichter  und  schwärzlich  ver¬ 
färbter  Tumor,  der  das  Mark  nach  der  Seite  gedrängt  hat.  Er  ist 
von  der  umgebenden  Kleinhirnsubstanz  nicht  scharf  abgegrenzt.  Auf 
der  korrespondierenden,  dem  Mittelstück  angehörenden  Schnittfläche 
ist  der  Tumor  total  zerfallen  und  verschont  gleichfalls  das  Mark  der 
Hemisphäre.  Auf  dem  Querschnitt  der  r.  Hemisphäre  ungefähr  das 
gleiche  Bild,  jedenfalls  ist  die  Lokalisation  eine  symmetrische.  Es 
wird  dann  etwa  1  cm  vor  dem  Uebergang  der  Medulla  oblongata 
in  den  Pons  ein  Frontalschnitt  durch  das  Mittelstück  gelegt.  Ober¬ 
halb  des  intakten  Ventrikelbodens  ist  nahezu  in  der  ganzen  Aus-( 
dehnung  des  Mittelstückes  der  stark  erweichte  Tumor  sichtbar.  Seit¬ 
lich  und  oberhalb  wird  der  Tumor  von  einer  an  den  Seiten  von 
einer  schmalen  Zone  gesunder  Kleinhirnsubstanz  umgeben. 

Das  Grosshirn  wird  in  Frontalschnitte  zerlegt.  Die  Hirnhöhlen 
erscheinen  enorm  erweitert,  der  linke  Seitenventrikel  eher  noch 
etwas  stärker  als  der  rechte,  der  dritte  Ventrikel  ist  blasig  ausge¬ 
stülpt.  Der  Balken  ist  überall  äusserst  verdünnt,  bis 
zu  1  mm. 


*)  Ich  sah  u.  a.  kürzlich  wieder  ausgesprochene  Witzelsucht  bei 
einem  durch  die  Operation  bestätigten  Kleinhirnbrückenwinkeltumor. 

a)  Der  Fall  Westphals  —  linksseitige  Apraxie  bei  linksseitig 
stärke-vm  Hydrocephalus  internus  als  einzigem  Befunde  —  (M.Klj 
1908  Nr.  9)  steht  m.  W.  vereinzelt  da. 


15'6'T 


Die  Geschwulst  erweist  sich  mikroskopisch  als  ein  äusserst  zell¬ 
reiches  Sarkom. 


Epikrise:  Worin  liegt  das  Eigenartige  dieses  Falles? 
Einmal  in  der  Summation  von  Symptomen,  die  die  Differcntial- 
diagnose  zwischen  Sitz  im  Klein-  oder  im  Stirnhirn  er¬ 
schwerten:  Die  lange  Monate  isoliert  bestehenden  Symptome 
psychischer  und  intellektueller  Veränderung  eingreifendster 
Natur;  das  späte  Einsetzen  der  allgemeinen  Hirndrucksym¬ 
ptome  und  die  wenig  charakteristischen,  teilweise  direkt  irre¬ 
führenden  Nachbarschaftssymptome,  besonders  statt  der  als 
Ponssymptome  zu  erwartenden  alternierenden  Hemiplegie 
eine  Hemiparese  inkl.  Fazialis,  von  dem  nur  der  Mundast  be¬ 
troffen  war.  Endlich  hatte  der  begleitende  Hydrozephalus  zu 
einer  so  abnormen  Verdünnung  des  Balkens  geführt,  dass  die 
von  der  linken  Hemisphäre  zum  rechtsseitigen  Armzentrum 
gehenden  Direktiven  so  unzureichend  wurden,  dass  eine  aus¬ 
gesprochene  linksseitige  Apraxie  resultierte.  Dieses  Symptom 
zog  die  Aufmerksamkeit  in  lokaldiagnostischer  Beziehung  vom 
Kleinhirn  weg  in  die  Umgebung  des  Balkens. 

Mit  der  Möglichkeit  des  Symptoms  einer  Balkenapraxie 
bei  mit  starkem  Hydrozephalus  einhergehendem  Kleinhirn¬ 
tumor  wird  in  Zukunft  zu  rechnen  sein,  ohne  dass  man  dadurch 
von  der  Annahme  eines  Kleinhirntumors  abzugehen  bräuchte. 
Das  Auftreten  dieses  Symptomes  wird  insbesondere  durch  eine 
lange  Dauer  des  Leidens  begünstigt  und  weiterhin  in  den 
Fällen  zu  erwarten  sein,  in  welchen  ein  vollkommen  intra¬ 
zerebellarer  Sitz  einer  weichen  Geschwulst  das  bei  anderen 
Tumoren  der  hinteren  Schädelgrube  gewohnte  frühzeitige  Her¬ 
vortreten  der  allgemeinen  Hirndruckerscheinungen  lange  Zeit 
hintanhält. 


Diagnostisch  klar  und  einfach  gelagert  war  der  folgende 
Fall  2,  der  in  anderer  Hinsicht  Interesse  erweckt. 

Es  handelt  sich  um  ein  15  jähr.  Mädchen  vom  Lande,  das  am 
5.  Februar  er.  von  seinem  Vater  in  die  Poliklinik  gebracht  wird. 
Letzterer  macht  dabei  folgende  Angaben:  Seit  14  Tagen  klage  das 
Kind  über  heftige  Kopfschmerzen,  die  zeitweise  exazerbierten.  In 
den  letzten  Tagen  sei  mehrfach  Erbrechen  aufgetreten,  einigemale 
nüchtern,  meist  aber  im  Anschluss  an  die  Nahrungsaufnahme,  so  dass 
Pat.  oft  tagelang  nichts  behalten  konnte.  Seit  dieser  Zeit  habe  ,sich 
der  Gang  ganz  erheblich  verschlechtert,  sei  schwankend  und  un¬ 
sicher  geworden.  Während  das  Kind  bis  in  die  letzte  Zeit  in  der 
Feiertagsschule  gute  Fortschritte  machte,  habe  es  in  den  letzten 
Wochen  im  Rechnen  stark  nachgelassen.  Vor  einiger  Zeit  habe  sie 
vorübergehend  über  Doppelsehen  geklagt. 

Bis  zu  dieser  Erkrankung  vor  14  Tagen  habe  Pat.  alle  landwirt¬ 
schaftlichen  Arbeiten  verrichtet.  Das  einzige,  was  den  Eltern  vor¬ 
her,  und  zwar  im  Herbst  1913,  aufgefallen  sein  soll,  war  ein  „Plumper¬ 
werden“  des  Ganges.  Wie  von  anderer  Seite  noch  angegeben  wird, 
sei  das  Kind  häufig  durch  Schläge  auf  den  Kopf  misshandelt  worden. 

Status:  Blasses  Kind  mit  allen  Anzeichen  heftiger  Kopf¬ 
schmerzen.  Es  besteht  sehr  ausgesprochene  doppelseitige  Stauungs¬ 
papille.  Linkseitige  Abduzenslähmung.  Nystagmus  horizontalis  und 
vertikalis.  Uebrige  Hirnnerven  intakt.  Die  Sprache  ist  auffallend 
langsam.  Kopf-  und  Gesichtsbewegungen  nicht  verlangsamt.  Gang 
stark  zerebellar-ataktisch,  ohne  Regelmässigkeit  in  der  Richtungs¬ 
abweichung.  Extremitäten:  In  Arm  und  Bein  der  linken  Seite  aus¬ 
gesprochene  Hypotonie,  die  Glieder  lassen  sich  übermässig  leicht 
in  die  verschiedensten  Stellungen  bringen.  Die  grobe  Kraft  links 
gegenüber  rechts  nur  wenig  herabgesetzt.  Widerstandsreaktion  in 
normaler  Weise.  Die  Sehnenreflexe  fehlen  an  den  unteren  Extremi¬ 
täten  beiderseits,  an  den  Armen  sind  sie  rechts  und  links  ungefähr 
gleich,  normal  stark  auslösbar.  Keinerlei  echt  spastische  Phänomene. 
Im  linken  Beine  ausgesprochene  zerebellare  Bewegungsataxie  und 
Dysmetrie  der  Bewegungen.  Diese  hinsichtlich  ihrer  Intensität  bei 
verschiedenen  Untersuchungen  wechselnd.  Im  linken  Arm  ausge¬ 
sprochene  Bewegungsataxie  von  zerebellarem  Typus  und  starke  Adia- 
dochokinesis. 

Vom  Tage  des  Eintritts  an  bestehen  5  Tage  lang  Temperaturen 
zwischen  38  und  39,2,  Leukozytose  15  600,  die  nach  Fieberabfall  auf 
ca.  5000  zurückgeht. 

Kalorische  Reaktion  (Kgl.  Ohrenpoliklinik):  Normaler  Nystagmus 
vom  linken  Ohre  aus  bei  Irrigation  mit  kaltem  Wasser.  Dagegen 
kein  Vorbeizeigen  links. 

Diagnose:  Tumor  der  Rinde  der  linken  Kleinhirnhemisphäre. 
Diese  Diagnose  findet  in  der  Untersuchung  nach  B  a  r  a  n  y  ihre  Be¬ 
stätigung. 

O  p  e  r  a  t  i  o  n  (Prof.  Klausner):  Freilegung  der  linken  Klein¬ 
hirnhemisphäre  nach  Anlegung  eines  breiten  Hautknochenlappens.  Nach 
Eröffnung  der  stark  gespannten  Dura  reichlicher  Liquorabfluss.  Kein 
Tumor  sichtbar  noch  palpabel.  Spaltung  der  linken  Kleinhirnhemi¬ 
sphäre,  ohne  dass  der  palpierende  Finger  auf  einen  Tumor  stösst. 

3* 


1564 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  28. 


Operation  wird  abgebrochen.  Nächster  lag:  unter  plötzlicher  Atem¬ 
lähmung  Exitus.  ,  -  , . 

Bei  der  Obduktion  fällt  nach  Herausnahme  des  Gehirns  ein 
gut  walnussgrosser  Tumor  aus  der  gespaltenen  Kleinhirnhcmisphare 
heraus  Erfühlt  sich  weich  an,  zerbröckelt  und  birgt  in  seinem 
Innern  eine  noch  ziemlich  frische,  sehr  ausgedehnte  Blutung.  Mas¬ 
siger  Hydrozephalus.  Die  linke  Kleinhirnhemisphare  erscheint  ein¬ 
gesunken  und  stark  verdünnt.  Nur  die  laterale  Partie  ist  annähernd 
vorTnormaler  Dicke  und  Konsistenz.  Auf  einen  Parallelschnitt  durch 
das  Kleinhirn  erscheint  die  linke  Hemisphäre  in  eine  Tasche  ver 
wandelt  mit,  in  der  Ausdehnung  des  Geschwulstbettes,  stark  ver¬ 
dünnten  Wandungen.  Das  anscheinend  intakte  Mark  ist  ganz  lateral- 
wärts  gedrängt.  Ein  ca.  mandelgrosser  Teil  des  Tumors  ist  in  der 
Medianlinie  zurückgeblieben.  Auf  dem  Durchschnitt  durch  den  Tumor 
erscheint  nahezu  die  ganze  hintere  Hälfte  von  einer  ziemlich  frischen 
Blutung  eingenommen.  Sie  erweist  sich  mikroskopisch  (Proi. 
Oberndorfer)  als  ein  gefässreiches,  äusserst  zellreiches  barkom. 

Epikrise:  Auffallend  war  in  diesem  Fall  zunächst  die 
Anamnese  insofern,  als  der  ganze  Symptomenkomplex,  sowohl 
die  allgemeinen  Hirndruckerscheinungen  als  die  Lokalsym¬ 
ptome  mit  Ausnahme  der  Qangveränderung  in  akuter  weise 
unter  Temperaturerhöhungen  2  Wochen  vor  der  Einheferung 
der  Kranken  in  die  Klinik  entstanden  waren.  Wenn  man  auch 
mit  einer  schlechten  und  wenig  sorgsamen  Beobachtung  seitens 
der  Eltern  rechnet,  so  bleibt  doch  die  auch  ärztlicherseits  be¬ 
stätigte  Tatsache  bestehen,  dass  das  Kind  bis  zu  diesem  Termin 
schwere  landwirtschaftliche  Arbeiten  verrichtete  und  dass 
seine  Leistungen  in  der  Feiertagsschule  erst  in  den  letzten 
Wochen  Anlass  zu  Klagen  gegeben  haben. 

Das  plötzliche  Auftreten  schwerer  Symptome  ist  durch  die 
Blutung  hinreichend  erklärt,  die  in  der  Geschwulst  gefunden 
wurde,  und  die  äusserst  weiche  Beschaffenheit  der  letzteren 
lässt  auch  die  Annahme  zu,  dass  der  durch  sie  ausgeubte  Druck 
auf  die  Kleinhirnsubstanz  sich  sozusagen  schonend  voLlzog,  und 
die  Druckwirkung  erst  spät  in  die  Erscheinung  treten  konnte. 
Dass  ein  Schädeltrauma  (Stockschläge)  bei  der  Entstehung  der 
Blutung  eine  Rolle  gespielt,  liegt  im  Bereichender  Möglichkeit 
Der  Gefässreichtum  des  Tumors  lässt  dies  einerseits  noch 
nähergerückt  erscheinen,  während  andererseits  die  bröckelige 
Beschaffenheit  des  Tumors  auch  zu  einer  spontanen  Blutung 
disponierte. 

Beachtenswert  ist  in  mancherlei  Beziehung  das  Fieber. 
Die  Höhe  der  Temperaturen  und  der  Umstand,  dass  es  sich 
um  Kontinua  handelte,  machten  einen  Abszess  zum  mindesten 
unwahrscheinlich.  Eher  hätte  an  Meningitis  serosa  gedacht 
werden  können,  aber  die  rein  halbseitigen,  auf  die  Rinde  des 
Kleinhirns  hinweisenden  Symptome  Hessen  auch  diese  aus- 
schliessen.  Da  für  die  Entstehung  des  Fiebers  an  den  übrigen 
Körperorganen  bei  der  Obduktion  keine  Ursache  zu  eruieren 
war,  muss  man  wohl  annehmen,  dass  die  Resorption  der  Blu- 
tung  bei  seiner  Entstehung  eine  wichtige  Rolle  gespielt  hat. 
In  der  Temperaturerhebung  ein  zentrales  Symptom  zu  er¬ 
blicken,  erscheint  mir  mit  Rücksicht  auf  das  allmähliche  Ab¬ 
fallen  des  Fiebers  und  weiterhin  deshalb  unwahrscheinlich, 
weil  man  bei  der  zentralen  Entstehung  meist  Hyperpyrexie 
verzeichnet  findet. 

Der  Fall  bestätigte  die  Richtigkeit  und  Zuverlässigkeit  der 
neueren  Kleinhirnlokalisation.  Der  Tumor  entwickelte  sich 
nahe  der  Mittellinie  und  verdrängte  den  Wurm  stark  nach  der 
anderen  Seite.  Daher  Beginnen  mit  zerebellarem  Gang;  er 
entwickelte  sich  weiterhin  ausschliesslich  auf  Kosten  der  Rinde 
unter  Verschonung  der  zerebellaren  Kerne,  daher  nur  Rinden- 
symptome;  endlich  war  die  Verdünnung  der  Hemisphäre  an 
der  vorderen  Fläche  entschieden  stärker  vorgeschritten  und 
demgemäss  waren  die  zerebellaren  Erscheinungen  —  Atonie, 
Dysmetrie,  Bewegungsataxie  —  im  Bein  stärker  als  im  Arm 
ausgesprochen.  Weiterhin  deckte  sich  das  Untersuchungs¬ 
ergebnis  nach  Barany  mit  der  Diagnose  auf  Grund  der 
übrigen  nervösen  Erscheinungen.  Bemerkenswert  endlich  ist 
für  die  intrazerebellare  Lokalisation  auch  in  diesem  Falle  das 
absolute  Fehlen  von  Nachbarschaftssymptomen  mit  Ausnahme 
der  leichten  Parese  des  bekanntlich  ausserordentlich  leicht 
lädierbaren  Abduzens. 

Zur  Publikation  des  dritten  Falles  bewog  mich  die 
schon  mehrfach  angestellte  Beobachtung,  dass  Linkshändigkeit 
die  Seitenlokalisation  eines  Grosshirntumors  temporär  erheb¬ 
lich  zu  erschweren  vermag,  solange  eben  nicht  ausgesprochene 


Nachbarschaftssymptome  über  diese  Schwierigkeit  hinweg- 

hÜ  ET  handelte  sich  um  eine  47  jähr  Dame  meiner  Privatklientek  die 
bei  meiner  ersten  Untersuchung  schon  seit  ca.  1)4  Jahren  an  tr 
scheinungen  von  Kopfschmerz,  Sprachbehinderung  im  Sinne  ei”e.r 
amnestischen  Aphasie,  Alexie  und  zeitweise  auftretende  Unsicherheit 
rs  Ganges  gelitten  hatte.  Vor  ca.  L  Jahr  war  von  ophthalmo- 
logischer  Seite  eine  rechtseitige,  später  doppelseitige  Neuritis  optica 
abgetreten  die  einen  sehr  hohen  Grad  erreichte  und  mit  zahl¬ 
reichen  Hämorrhagien  in  der  Umgebung  des 

ging  Auf  der  rechten  beite  habe  auch  die  Sehscharfeabnabme  er 
heblich  frühzeitiger  als  links  eingesetzt.  Hat  befand  sich i  schon i  seK 
über  Jahresfrist  im  Klimakterium  und  man  hatte  der  Ansicht  zig 
St,  dass  die  Sprachstörung,  die  hinsichtlich  ihrer  ln  ensdat  er- 
lieblichen  Schwankungen  unterworfen  gewesen  sei m  den 

Rückbildungsvorgängen  in  Zusammenhang  stunden.  Pat.  hat  ö  g 
sunde  Kinder  und  keine  spezifische  Infektion  durchgemacht.  Sie 
ist  von  kräftiger  Konstitution.  Pat.  ist  von  jeher  linkshändig  und 
verrichtet  ausser  dem  Schreiben  alle  feineren  Handhabungen  mit  der 
linken  Hand.  Linker  Arm  und  linke  Hand  sind  entsprechend  etwas 

kräftige^  ^t^.1<'Doppelseitige  hochgradige  Neuritis  optica  mit  zahl¬ 
reichen  Blutaustritten  in  der  Netzhaut.  Visus  rechts  erheblich  herab¬ 
gesetzt  links  weniger.  Es  besteht  ausgesprochene  amnestische 
Aphasie  —  Fehlen  der  Substantiva  und  Concreta,  Umschreibung  dieser 
nJt  Sätzen  etc.  —  Paraphasie  oft  bis  zum  ausgesprochenen  Kauder- 

w  rechtsseitige  Abduzens  ist  vollkommen  paretisch,  dement¬ 

sprechende  Doppelbilder.  Der  linke  Mundast  des  Fazialis  weist  eine 
sehr  geringe  Innervationsdifferenz  auf,  die  noch  am  deutlichsten  beim 
weiten  OeHnen  des  Mundes  in  die  Erscheinung  tritt  .  Arme .und 
Beine  ohne  Parese,  ohne  Ataxie,  keine  Astereognosis^  Kerne  Storung 
auf  dem  Gebiete  der  bewussten  Empfindung.  Am  rechten  russ 
Babinski,  der  sich  aber  bei  den  nachfolgenden  Untersuchungen 
nicht  immer  als  konstant  erweist.  Endlich  fand  ich  bei  der  ersten 
Untersuchung  Hemianopsia  bilateralis  homonyma  dextra. 

Die  Diagnose  lautete  auf  einen  Iumor,  wahrscheinlich  Gliom, 
im  oberen  Teile  des  Schläfenlappens,  nach  hinten  bis  in  den  Gyrus 
angularis  sich  erstreckend  —  in  Rücksicht  auf  die  schon  lange  b- 
stehende,  stark  ausgesprochene  Alexie.  Irotz  der  Linkshändigkeit 
musste  in  Rücksicht  auf  die  Hemianopsia  bilateralis  hom.  dextra  die 
Geschwulst  in  den  linken  Schläfenlappen  verlegt  werden  für  welche 
Auflassung  auch  —  mit  einiger  Reserve  wegen  seiner  Inkonstanz  — 
der  rechtseitige  Babinski  zu  verwenden  war.  In  Rücksicht  auf  die  in 
den  letzten  Wochen  rasch  abnehmende  Sehschärfe  wird  sofortige 

Operation  empfohlen.  ,  .  ,  .  j 

Die  Unsicherheit  in  der  Seitendiagnose  begann  erst,  als  bei  der 
Untersuchung  durch  den  Ophthalmologen  die  Hemianopsie  nicht  be¬ 
stätigt  wurde.  Denn  für  einen  Sitz  im  rechten  1  emporallappen 
schien  ausser  der  Linkshändigkeit  noch  die  rechtseitige  Abduzens¬ 
lähmung  und  der  Beginn  der  Neuritis  optica  und  der  Sehscharfe- 
abnahme  auf  dem  rechten  Auge  zu  sprechen,  wahrend  durch  Wegfall 
der  Hemianopsie  nur  noch  der  nicht  konstante  Babinski  am  rechten 
Fusse  und  ev  noch  die  recht  unsichere  Innervationsschwache  des 
rechten  Mundfazialis  für  einen  linksseitigen  Sitz  zu  verwerten  war. 

Schliesslich  erwies  sich  aber  doch  die  Hemianopsia  dextra  als 
zu  Recht  bestehend  und  die  Operation  (Prof.  v.  Stubenraue  ) 
wurde  zweizeitig  über  dem  linken  Schläfenlappen  ausgefuhrt.  s 
fand  sich  ein  grosses  Gliom,  das  nur  teilweise  entfernt  werden  konnte. 
Die  Pat  genas,  aber  die  Sehschärfe  nahm  rapid  ab  und  führte  zur 
Amaurose  infolge  Atrophie  des  Sehnerven.  Die  amnestische  Aphasie 
und  Paraphasie  hat  sich  nach  1  Jahr  nicht  wesentlich  gebessert,  was 
man  bei  der  ausgesprochenen  Linkshändigkeit  der  Pat.  durch  Ein¬ 
greifen  der  rechten  Hemisphäre  hätte  erwarten  können. 


Der  Fall  war  eine  weitere  Bestätigung  der  schon  früher 
gemachten  Erfahrung,  dass  selbst  bei  ausgesprochener  Links¬ 
händigkeit  die  Annahme  einer  Lokalisation  des  Sprachzentrums 
in  der  rechten  Hemisphäre  nur  mit  grosser  Vorsicht  zu 
machen  ist,  _____ _ 

Zur  Methodik  der  intravenösen  Injektion. 

Von  Professor  H.  S  t  r  a  u  s  s  in  Berlin. 

Da  in  der  letzten  Zeit  in  dieser  Wochenschrift  mehrfach,  so  von 
E  Schneider  (in  Nr.  16),  von  H.  Spitzy  (in  Nr.  19)  und  von 
J  W  a  1 1  e  r  (in  Nr.  26)  und  auch  an  anderen  Stellen,  so  z.  B.  in  der 
Med.  Klinik  von  E.  Rüdiger  (Nr.  14  ds.  Js.)  für  die  Venenstauung  zum 
Zweck  der  intravenösen  Injektion  das  Prinzip  der  Riva-Roccischen 
Umschnürung  des  Oberarms  unter  Zwischenschaltung  eines  T-Rohres 
oder  Dreiweghahns  empfohlen  wurde,  so  möchte  ich  bemerken,  dass 
ich  dieses  Prinzip  schon  1907  in  der  Deutschen  mediz.  Wochenschrift 
Nr  4  für  den  gleichen  Zweck  auf  Grund  einer  längeren  Benutzung 
empfohlen  habe.  Wenn  man  von  unwesentlichen  Einzelheiten  absieht, 
entspricht  die  an  der  genannten  Stelle  reproduzierte  Abbildung  den 
in  den  jüngst  erschienenen  Mitteilungen  wiedergegebenen  Skizzen 
völlig  und  es  hat  sich  mir  dieses  Vorgehen  auch  bis  in  die  neueste 
Zeit  bewährt.  Ferner  möchte  ich  mit  Rücksicht  auf  einige  neuere 


14.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1565 


Mitteilungen  über  die  Benutzung  knieförmig  gebogener  Kanülen  für 
intravenöse  Injektionen,  so  z.  B.  von  Chajes  (D.m.W.  1914  Nr.  5) 
hier  darauf  hinweisen,  dass  ich  auch  an  der  oben  genannten  Stelle 
schon  die  Verwendung  knieförmiger  Kanülen  für  intravenöse  In¬ 
jektionen  empfohlen  und  durch  Abbildung  der  von  mir  benutzten 
mit  einer  Liegeplatte  versehenen  Injektionskanüle  illustriert  habe. 


Zur  Technik  der  Anlegung  des  künstlichen  Pneumothorax. 

Bemerkungen  zu  der  Arbeit  von  W.  F  r  e  h  n  in  Nr.  25  d.  W. 
Von  Dr.  K.  Kaufmann  in  Schömberg,  OA.  Neuenbürg. 

Am  Schluss  seines  Aufsatzes  erwähnt  F  r  e  h  n  meine  Methode 
zur  Anlegung  des  künstlichen  Pneumothorax,  die  ich  Anfang  vorigen 
Jahres  im  6.  lieft  des  Intern.  Zbl.  f.  Tbc. Forsch,  angab  und  die  wir 
damals  schon  seit  3  Jahren  in  der  neuen  Heilanstalt  mit  gutem  Erfolg 
und  ohne  jeden  Zwischenfall  anwandten,  als  seiner  ähnlich.  Das  trifft 
insofern  durchaus  zu.  als  gerade  mehrere  Einzelheiten  vollkommen 
übercinstimmen:  das  Prinzip  der  von  Schmidt  angegebenen  Gleit¬ 
nadel,  das  Einstechen  auf  die  Rippe,  das  Abgleitenlassen  von  ihr  auf 
und  durch  die  Faszie  mit  der  Muskulatur  bei  einem  tiefen  Atemzug, 
die  Verwendung  der  S  a  1  o  m  o  n  sehen  Kanüle,  das  Einfliessenlassen 
von  Sauerstoff  (D  e  n  e  k  e)  und  hiefür  die  Modifikation  des  Brauer- 
schen  Instrumentariums. 

In  einem  möchte  ich  aber  doch  einen  wesentlichen  Unterschied 
hervorheben,  und  nach  der  Richtung  bedeutet  meiner  Ansicht  nach 
die  Methode  von  F  r  e  h  n  keine  Verbesserung  meines  Verfahrens. 
Ich  hütete  mich  sehr  vorzuschlagen,  mit  dem  scharfen  Instrument 
tiefer  als  bis  auf  die  Rippe,  die  einen  absoluten  Schutz  bildet,  vor¬ 
zudringen,  entferne  das  Stilett  des  von  mir  benutzten  Trokarts  hier 
und  gehe  nur  mit  der  stumpfen  Salomor  sehen  Kanüle  weiter,  um 
jede  Möglichkeit,  die  Pleura  scharf  zu  verletzen,  zu  vermeiden,  was 
bei  der  langen  Gleitnadel  von  Frehn  schon  allein  bei  einer  un¬ 
vorhergesehenen,  schnellen  Bewegung  des  Patienten  geschehen  kann 
—  bekanntlich  sind  gerade  dabei  öfter  Luftembolien  beobachtet 
worden  — ,  ganz  abgesehen  davon,  dass  man  nicht  leicht  beim  Durch¬ 
stechen  der  Faszie  und  Muskulatur  mit  der  scharfen  Nadel  im  rich¬ 
tigen  Augenblick  vor  der  dünnen  Pleura  Halt  machen  kann.  —  Den 
Trokart,  den  Frehn  als  Komplikation  meiner  Methode  ansieht,  ver¬ 
wende  ich  absichtlich.  Er  liegt  besser  in  der  Hand  und  ermöglicht 
ein  sichereres  Arbeiten,  hat  auch  vor  allem  den  Vorzug,  dass  sich 
das  Stilett  ganz  entfernen  lässt  und  damit  nur  die  stumpfe  Hülse  vor 
der  Pleura  bleibt.  Er  dürfte  ferner  eine  einfachere  Handhabung  ge¬ 
statten  und  aseptischer  sein  als  die  mit  3  Stellschrauben  ausgerüstete 
Gleitnadel  des  Frehn  sehen  Instrumentariums. 


Ueber  das  Auftreten  peptolytischer  Fermente  im  Blute. 

Eine  Richtigstellung  der  Bemerkungen  von  M.  Mandel¬ 
baum  in  Nr.  26  dieser  Wochenschrift. 

Von  Prof.  Dr.  Hermann  Pfeiffer. 

Gegenüber  den  Ausführungen  M.  Mandelbaums  weise  ich 
darauf  hin,  dass  ich  in  meinen  beiden  Publikationen  an  keiner  Stelle 
Prioritätsansprüche  gestellt  habe.  Ich  habe  vielmehr  deutlich  zum 
Ausdrucke  gebracht,  dass  meine  Untersuchungen  auf  dem  Gedanken 
Mandelbaums  fassten,  die  Reaktion  sei  durch  Zelltod  bedingt. 
Ebenso  habe  ich  hervorgehoben,  dass  ich  mich  seiner  Methodik  be¬ 
dient  habe.  Es  kam  mir  ausschliesslich  darauf  an,  zu  prüfen,  ob  bei 
den  von  mir  schon  mehrfach  studierten  Krankheitsbildern,  bei  denen 
ein  Partialtod  im  Organismus  zum  Teil  selbstverständlich,  zum  Teil 
nur  möglich  ist,  sich  auch  intravital  eine  hochgradige  Peptolyse  in 
Serum  und  Harn  nachweisen  lasse.  Und  dieser  Nachweis  ist  mir 
gelungen.  Damit  war  gleichzeitig  dargetan,  dass  es  nicht  nur  agonal 
oder  postmortal,  sondern  auch  intravital  bei  Zelluntergang  zu  hoch¬ 
gradigen  Titersteigerungen  kommen  kann. 


Die  deformierende  Gelenkentzündung  (Arthritis  deformans) 
im  Lichte  neuerer  Forschungen1). 

Nach  den  mikroskopischen  Befunden  von  Prof.  G.  Pommer2). 

Von  L.  v.  Stubenrauch. 

(Schluss.) 

Von  den  genannten  primären  Verände¬ 
rungen  des  Gelenkknorpels,  nicht  von  der 
Veränderung  an  der  Knorpelknochengrenze 
muss  man  ausgehen,  wenn  man  die  A.  d.  befrie¬ 

0  Referat,  erstattet  in  der  Sitzung  des  ärztlichen  Vereins  Mün¬ 
chen  vom  20.  Mai  1914. 

2)  Prof.  G.  Pommer:  Mikroskopische  Befunde  bei  Arthritis  de¬ 
formans.  Mitteilungen  aus  dem  pathologisch-anatomischen  Institut  der 
der  k.  k.  Universität  Innsbruck.  Denkschriften  der  k.  Akademie  der 
Wissenschaften  zu  Wien.  LXXXIX.  Bd,  1913,  S.  65 — 316,  mit 
17  Tafeln  und  22  Textfiguren. 


digend  erklären  will.  Das  Vorgreifen  von  Mark¬ 
räumen  und  Gefässkanälen  in  den  unverkalkten  Gclenkknorpel 
—  ein  zum  Wesen  der  A.  d.  gehöriger  Vorgang  —  mit  allen 
möglichen  Folgezuständen  geschieht  nicht  selbständig,  son¬ 
dern  nur  in  Kombination  mit  den  besagten  Knorpelverände¬ 
rungen.  Verschiedene  funktionelle  und  anatomische  Um¬ 
stände  kommen  für  die  Entstehung  der  subchondralen  Ver¬ 
änderungen  in  Betracht,  so  vor  allem  Gelenkknorpelverän¬ 
derungen,  welche  zu  Beeinträchtigung  der  Elastizität  führen, 
Art  und  Mass  der  mechanischen  und  funktionellen  Bean¬ 
spruchung.  So  erklärt  es  sich  auch,  dass  unter  den  Bedin¬ 
gungen  seniler  Ernährungsstörungen  des  Knorpels  und  seniler 
Knochenatrophie  vorwiegend  A.  d.-Befunde  anzutreffen  sind. 
Auch  die  Befunde  geringgradiger  Fälle  geben  Beweise  für  die 
Richtigkeit  der  Anschauung  B  e  n  e  k  e  s,  dass  die  zur  Beein¬ 
trächtigung  der  Elastizität  des  Gelenkknorpels  führenden  Ver¬ 
änderungen  desselben  die  Entstehung  der  A.  d.  und  zwar  auf 
indirekte  Weise  bedingen.  Durch  die  bei  der  A.  d.  bestehende 
Aufrechterhaltung  der  Gelenkbewegungen  kommt  es  auch 
später,  wenn  die  Markräume  mit  ihrem  gefässhaltigen  Gewebe 
blossgelegt  werden,  nicht  zu  ankylosierenden  Bindegewebs- 
oder  Knochenbildungen. 

Differentialdiagnostisch  ist  die  A.  d.  von  der  Arthritis 
ankylopoetica  sowohl  klinisch  wie  anatomisch  zu 
trennen.  Bei  letzterer  bilden  die  aus  den  Markräumen  vor¬ 
greifenden  Vaskularisations-  und  Ossifikationsvorgänge  den 
Abschluss  der  Veränderungen,  während  die  besagten  Vorgänge 
bei  der  A.  d.  frühzeitig  auftreten,  den  Prozess  von  Anfang  be¬ 
herrschen  und  dabei  über  die  Gelenkfläche  vorgreifende  syno¬ 
viale  Bildungen  gefässhaltigen  Bindegewebes  völlig  fehlen. 
Dieser  wesentliche  Unterschied,  den  schon  C.  H  u  e  t  e  r  er¬ 
kannte,  sichert  die  mikroskopische  Differentialdiagnose  beider 
Krankheitsprozesse.  Dagegen  kann  eine  Trennung  der  A.  d. 
in  eine  atrophische  (degenerative)  und  eine  hyper¬ 
trophische  (hyperplastische),  sowie  eine  Abscheidung  des 
sogen.  Malum  senile  von  der  A.  d.  nicht  anerkannt  werden. 

Geht  man  nunmehr  nach  Einsichtnahme  in  die  vorange¬ 
führten  Untersuchungsergebnisse  Pommers  und  unter 
Würdigung  der  bereits  über  den  gleichen  Gegenstand  vor¬ 
liegenden  vom  Autor  in  eingehendster  Weise  berücksichtigten 
Literatur  an  die  kritische  Betrachtung  der  wesentlichen  für  die 
Entstehung  der  A.  d.  in  Betracht  kommenden  Theorien,  so 
wäre  zunächst  zusammenfassend  zu  wiederholen: 

Die  Annahme,  von  welcher  Wollenbergs  vaskuläre  Theorie 
ausgeht,  dass  Gefässveränderungen  (Verdickung  der  Arterienwand, 
Verengerung  des  Gefässlumens),  welche  er  im  Knochenmark  fand, 
primär  für  die  Entstehung  der  A.-d.-Veränderungen  in  Betracht 
kommen,  während  der  Knorpel,  der  allerdings  meist  die  ersten  deut¬ 
lichen  Veränderungen  aufweist,  nicht  Sitz  der  primären  Läsion  sein 
kann,  ist  ebensowohl  nach  den  vorliegenden  Befunden  Pommers, 
als  auch  nach  den  schon  angeführten  Untersuchungen  Walkhoffs, 
Ewalds  und  P  r  e  i  s  e  r  s  unhaltbar. 

Die  gleichen  Einwendungen,  welche  aus  der  Erkenntnis  der  ört¬ 
lichen  Entstehungsbedingungen  und  des  Entstehungsmodus  der  A.-d.- 
Veränderungen  der  vaskulären  Theorie  Wollenbergs  gegenüber 
sich  ergeben,  gelten  auch  gegenüber  der  humoralen  Affassung  R  i  - 
m  a  n  s,  welcher  eine  atrophische  und  hypertrophische  Form  der  A.  d. 
unterscheidet  und  bei  denselben  für  die  Entstehung  des  Krankheits¬ 
prozesses  einerseits  die  durch  Tuberkulose  (auch  durch  Karzinom, 
Sepsis,  Syphilis),  andererseits  die  durch  Arteriosklerose  eintretende 
chemische  Alteration  der  Gewebssäfte  im  allgemeinen  und  der  Ge¬ 
lenkflüssigkeit  im  besonderen  verantwortlich  macht,  indem  er  auf 
sie  die  Degeneration  des  Gelenkknorpels  zurückführt,  welche  dann 
dem  physiologischen  Gelenkmechanismus  nicht  mehr  gewachsen  sei 
und  zugrunde  gehe. 

Nach  den  Voraussetzungen,  von  denen  diese  Anschauungen 
ausgehen,  müsste  die  A.  d.  unter  allen  Umständen  ein  mehr 
weniger  ausgebreiteter  Gelenkprozess  sein.  Dies  trifft  aber 
keineswegs  zu.  Die  von  Pommer  an  seinen  geringgradigen 
und  örtlich  beschränkten  Fällen  von  A.  d.  aufgenommenen  Be¬ 
funde  weisen  in  ihrer  Uebereinstimmung  mit  den  Befunden, 
die  sich  bei  ausgebreiteter  A.  d.  aufnehmen  Hessen,  deutlich 
darauf  hin,  dass  gleichwie  bezüglich  der  Diagnostik  so  auch 
bezüglich  der  Pathogenese  nur  Auffassungen  befriedigen 
können,  die  dem  einheitlichen  Charakter  jener  Veränderungen 
gerecht  werden,  die  der  ausgebreiteten  und  hochgradigen  A.  d. 
und  andererseits  auch  den  Fällen  von  beschränkter  gering¬ 
gradiger  und  beginnender  A.  d.  eigen  sind. 


1566 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  28.. 


Den  Anforderungen,  die  in  letzterer  Beziehung  an  eine  be¬ 
friedigende  Theorie  der  A.  d.  herantreten,  suchte  auch 
Q.  P  r  e  i  s  e  r  gerecht  zu  werden,  was  ihm  jedoch,  wie  Pom¬ 
mers  Erörterungen  darlegen,  keineswegs  einwandfrei  ge¬ 
lungen  ist,  trotzdem  Pr  e  i  s  e  r  von  funktionellen  Gesichts¬ 
punkten  ausging.  Nach  G.  P  r  e  i  s  e  r  soll  die  A.  d.  eine  sta¬ 
tische  Erkrankung  sein. 

Er  betont  zunächst  den  schädlichen  Einfluss  gewisser  Beinstel¬ 
lungen  (Aussenrotation,  Abduktion,  Valgität)  bei  bestimmten  gewerb¬ 
lichen  Berufen,  dann  die  Bedeutung  der  Veranlagung  gewisser  an¬ 
geborener  Gelenkanomalien  (Pfannenstellung).  Durch  solche  Um¬ 
stände  tritt  „Gelenkflächeninkongruenz“  mit  ihren  weiteren  Folgen 
auf:  Einzelne  Teile  der  Gelenkknorpeloberfläche  werden  ausser  Kon¬ 
takt  gesetzt,  es  kommt  zu  Atrophie  des  kontaktlosen  Knorpels,  zu 
Kapselveränderungen  und  Osteophytenbildungen,  deren  Auftreten  als 
ein  „Selbstheilungsvorgang“  „als  Anpassung  oder  Ausgleich  für  die 
statischen  Missverhältnisse“  zu  betrachten  sei.  Als  beweisend  hiefür 
werden  die  osteophytären  Auflagerungen  angegeben,  welche  am 
Pfannendache  auftreten  und  dem  „darunter  herausrollenden  Kopf  nach 
oben  statischen  Halt  geben“. 

Demgegenüber  muss  darauf  hingewiesen  werden,  dass 
gewisse  Annahmen,  von  welchen  die  statische  Theorie  aus¬ 
geht,  nicht  zutreffen.  Keineswegs  ist  der  Kontakt  des  Gelenk¬ 
knorpels  eine  notwendige  Bedingung  für  die  dauernde  Existenz 
des  Knorpels.  Durch  Anatomen,  wie  Henle  und  P.  Fick, 
ist  festgestellt,  und  besonders  von  Schulin  wieder  be¬ 
tont  worden,  dass  die  Ausdehnung  der  Gelenkflächen  bei 
gewissen  Gelenken  durchaus  nicht  immer  der  Ex¬ 
kursionsgrösse  der  Bewegungen  entspricht.  Auch  geht 
es  keineswegs  an,  die  Randwulstbildungen  als  osteo- 
phytäre  Produkte  im  gebräuchlichen  histologischen  Sinne 
zu  bezeichnen,  die  zu  dem  Zweck  gebildet  sein  sollen, 
einen  Ausgleich  der  statischen  Missverhältnisse  zu  schaffen. 
Pommers  Untersuchungen  haben  deutlich  nachgewiesen, 
dass  es  sich  bei  den  Randwulstbildungen  nur  in  ganz  ein¬ 
zelnen  Fällen  und  nur  unter  ganz  bestimmten  örtlichen  Ver¬ 
hältnissen  um  echtes  Osteophytengewebe  periostaler  Abkunft 
handelt.  Weder  die  so  häufig  die  Gelenkflächengrenze  um¬ 
greifenden  Randwulstbildungen,  noch  jene  auf  Knorpelusuren 
und  Schliffflächen  sich  beziehenden  Befunde,  die  man  bei  A.  d. 
ohne  Randwulstbildungen  im  inneren  Gelenkflächengebiete  vor¬ 
findet,  können  nach  der  statischen  Theorie  G.  Pr  eis  er  s  erklärt 
werden.  Diese  berücksichtigt  allzusehr  die  Gefahr  für  die 
druckentlasteten  Gelenkteile  gegenüber  der  Bedeutung 
der  an  den  statisch  und  mechanisch  über  beanspruchten  Ge¬ 
lenkteilen  eintretenden  Erschöpfung  der  Knorpelelastizität,  für 
deren  Würdigung  bereits  auf  physiologischem  Gebiet,  ausser 
den  Gebrüdern  Weber,  Henke,  Roux,  Lesshaft  und 
R.  F  i  c  k  eintraten.  Auch  die  experimentellen  Untersuchungen 
K  r  o  h  s,  deren  Ergebnisse  P  r  e  i  s  e  r  als  Beweise  für  die 
Richtigkeit  seiner  eigenen  Anschauungen  anführt,  sind  keines¬ 
wegs  Belege  für  die  statische  Theorie,  da  in  den  Versuchen 
K  r  o  h  s  niemals  der  Deformierungsprozess  auf  das  betreffende 
Gebiet  der  Druckentlastung  beschränkt  blieb.  Wenn  demnach 
die  bei  der  „Gelenkflächeninkongruenz“  Preisers  voraus¬ 
gesetzte  Druckentlastung  nicht  als  Ausgangspunkt  für  die  Er¬ 
klärung  der  A.  d. -Veränderungen  genommen  werden  soll, 
so  kann  man  die  betreffenden  Gelenkverhältnisse  immerhin  als 
disponierendes  Moment  von  nicht  zu  unterschätzender  Be¬ 
deutung  für  die  Entstehung  der  A.  d.  in  Betracht  ziehen,  da  es 
hiebei  ja  örtlich  zu  relativer  funktioneller  Ueberbeanspruchung 
des  Gelenkknorpels  kommen  muss.  In  einer  bedeutungsvollen 
Arbeit  über  Spondylitis  deformans  hat  E.  B  e  n  e  k  e  bereits 
1897  auf  den  Grundlagen,  die  ihm  im  Besonderen  die  Anschau¬ 
ungen  von  Roux  und  L  e  s  s  h  a  f  t  boten,  die  funktio¬ 
nelle  Theorie  der  Arthritis  deformans  geschaffen,  durch 
welche  eine  einheitliche  Erklärung  der  anatomischen  Befunde 
ermöglicht  ist.  Wie  es  die  primäre  Bandscheibendegeneration 
ist,  welche  bei  fortbestehender  mechanischer  Inanspruchnahme 
der  Wirbelsäule  durch  die  Abnahme  ihrer  Elastizität  bzw.  in¬ 
folge  des  Unvermögens,  die  Stosskräfte  gleichmässig  zu  ver¬ 
teilen,  die  Spondylitis  deformans  erzeugt,  so  sind  auch  für  die 
Arthritis  deformans  die  Knorpeldegeneration  der  wesentliche 
Urgrund  und  die  hierdurch  veränderten  statischen  Bedingungen 
die  weiteren  massgebenden  Momente.  Auch  die  Untersuchungen 
Walkhoffs  brachten  das  wichtige  Ergebnis,  dass  die  A.  d.  ent¬ 
gegen  der  Kimura  sehen  Anschauung  nicht  auf  Atrophie  des 


Knochens  beruht,  sondern  als  Ursache  eine  Degeneration  des 
Knorpels  hat,  welche  mannigfachen  Ursprung  haben  kann. 
Sowie  der  Knorpel  degeneriert  ist,  stellen  sich  durch  die  un¬ 
geschwächt  zur  Einwirkung  kommenden  statischen  und  dyna¬ 
mischen  Kräfte  in  den  subchondralen  Knochenpartien  die  aus¬ 
gedehnten  progressiven  Prozesse  ein,  in  den  nichtbeanspruch- 
ten  aber  Atrophie.  Die  Bedeutung  primärer  Knorpelverände- 
rungen,  die  sie  als  Fibrillation  bezeichnen  (dieselben  gingen  nur 
in  eine  m  ihrer  Fälle  mit  ausgebreitetem  Verlust  der  Kern¬ 
färbbarkeit  einher),  wie  funktionelle  Gesichtspunkte  betonen 
auch  Nichols  und  Richardson.  Besonders  wertvolle 
Belege  für  die  funktionelle  Theorie  finden  sich  aber  in  den  Er¬ 
gebnissen  und  Schlüssen  Pommers.  Die  Vorgänge  der  A.  d.. 
sind  nach  ihm  augenscheinlich  an  das  Zusammenwirken  mehr¬ 
facher  Momente  funktioneller  und  anatomischer  Natur  ge¬ 
bunden.  Auch  die  Erfahrungen,  welche  von  zahlreichen  Be¬ 
obachtern,  schon  von  Smith  und  Schoemann,  in  neuerer 
Zeit  besonders  von  P  r  e  i  s  e  r,  v.  Brunn,  König  sowie  von 
Nichols  und  Richardson  und  von  Stempel  auf  dem  Gebiete 
der  Aetiologie  und  Pathogenese  gewonnen  wurden,  erweisen 
die  Annahmen,  von  welchen  die  funktionelle  Theorie  ausgeht, 
als  zutreffend  und  stichhaltig.  Nach  allem  lehrt  die  Erfahrung, 
dass  eine  das  physiologisch  Mass  übersteigende  Bean¬ 
spruchung  der  Elastizität  des  Gelenkknorpels  (körperliche 
Ueberanstrengung,  schwere  Arbeit,  einseitige  Belastung  in  ge¬ 
bückter  Stellung,  langes  Stehen)  im  Verein  mit  disponierenden 
Momenten  für  die  Entstehung  der  A.  d  in  Frage  kommt.  Ge¬ 
wisse  Gelenke  (besonders  Knie-,  Hüft-  und  Schulter¬ 
gelenk)  sind  häufiger  befallen  und  durch  ihre  von 
Weichselbaum  erwiesenen  Eigentümlichkeiten,  auch 
gewisse  Stellen  des  Gelenkknorpels  besonders  dazu  ver¬ 
anlagt.  Besonders  bevorzugt  zeigt  sich  die  rechte  Seite.  ! 
Zu  den  disponierenden  Momenten  sind  ausser  den  mit 
dem  Senium  unter  Umständen  einhergehenden  Ernährungs¬ 
störungen  auch  die  durch  Luxationen  und  Frakturen  ver- 
anlassten  abnormen  Gelenkstellungen,  ferner  angeborene  Ge¬ 
lenkanomalien  und  die  Fälle  der  sogen.  „Gelenkflächeninkon¬ 
gruenz“  Preisers  zu  rechnen,  ohne  dass  damit  den  Vor¬ 
stellungen  Preisers  beigepflichtet  wird,  dass  unter  solchen 
Verhältnissen,  so  z.  B.  bei  Plattfussstellung,  eine  Entlastung  in 
gewissen  Knorpelgebieten  den  Anlass  zu  ihrer  Degeneration 
und  damit  zur  A.  d.  gebe.  Unter  den  pathogenetischen  Mo¬ 
menten  stehen  voran  die  Gelenkknorpelveränderungen.  Er¬ 
nährungsstörungen  und  Gewebsveränderungen,  welche  die 
Knorpelelastizität  beeinträchtigen,  geben  die  Vorbedingung  zur 
Entstehung  der  A.  d.  ab;  dafür  spricht  die  grosse  Verbreitung 
der  regressiven  Knorpelveränderungen  (W  eichseibau  m, 
Nichols  und  R  i  c  h  a  r  d  s  o  n,  B  e  i  t  z  k  e).  Andererseits  lässt 
sich,  wie  schon  angegeben,  die  Verknöcherung  des  Gelenk¬ 
knorpels,  die  bei  A.  d.  so  auffällig  bemerkbar  wird,  ebenso¬ 
wenig  durch  Druckentlastung  als  durch  Ruhestellung  der  Ge¬ 
lenke  erklären;  dagegen  sprechen  schon  die  von  Moll  u.  a. 
mit  andauernder  Immobilisation  ausgeführten  Versuche.  Nor¬ 
maler  Gelenkknorpel  verknöchert  weder  an  sich  durch  das 
Alter  physiologischerweise,  noch  infolge  Ruhestellung  und  Ent¬ 
lastung,  sondern  erst  dann,  wenn  seine  Elastizität  gestört  ist 
und  sich  der  Einfluss  übermässig  gesteigerter  und  ins  Patho¬ 
logische  abgeänderter  Funktion  durch  den  veränderten  Knorpel 
hindurch  auf  das  Zellenleben  und  Gefässleben  in  den  subchon¬ 
dralen  Markräumen  geltend  macht.  Die  indirekt  daraus  re¬ 
sultierenden  Veränderungen  der  subchondralen  Knochenteile 
verdanken  also,  wie  Pommer  auseinandersetzte,  ihre  Ent¬ 
stehung  nicht  einem  Mangel  an  Druckwirkungen,  sondern  einer 
mangelnden  Sicherung  vor  Druck,  Stoss  und  Abscherungs¬ 
wirkungen.  Vorwiegend  findet  man  A.  d.-Befunde  unter  den 
Bedingungen  seniler  Ernährungssstörungen  des  Knorpels 
unter  welchen  der  Krankheitsprozess  entweder  erst  entsteht 
oder,  wie  schon  Beneke  annahm,  auf  Basis  der  von  Jugend¬ 
zeit  her  bestehenden  Anfangsstadien  der  Veränderungen  noch 
zu  besonderer  weiterer  Ausbildung  gelangen  kann.  Begreif¬ 
licherweise  können  bestehende  atrophische  Knochenverhält¬ 
nisse  unter  den  Bedingungen  gestörter  Knorpelelastizität  das 
Vorgreifen  der  Resorption  von  den  Markräumen  aus  begün¬ 
stigen  und  auch  besondere  Gelegenheit  zu  Einbiegungen  und 
Einbrüchen  an  der  Knorpelknochengrenze  und  damit  Gelegen- 


14.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1567 


heit  zur  Komplikation  mit  hochgradigen  reaktiven  Verände¬ 
rungen  schaffen.  Sehr  wohl  vereinbar  mit  den  Annahmen  der 
funktionellen  Theorie  ist  die  Entstehung  der  im  inneren  Gelenk¬ 
flächenbezirke  anzutreffenden  Veränderungen  örtlich  be¬ 
schränkter  A.  d.;  ferner  auch  der  umgreifenden  Randwulst¬ 
bildungen  in  Fällen  ausgebreiteter  A.  d„  Befunde,  die,  wie 
schon  hervorgehoben  wurde,  auf  Grund  der  statischen  Theorie 
Dreisers  nicht  erklärt  werden  können.  Auch  die  Erklärung 
gewisser  subjektiver,  im  Verlaufe  der  Krankheit  auftretender 
Symptome  steht  mit  den  Annahmen  der  funktionellen  Theorie 
wohl  in  Einklang.  Die  Anpassung  der  Eorm  der  Randwiilste 
an  die  sie  bedeckenden  Kapselgebiete  gestattet  Schlüsse  auf 
bestimmte  Zustände  der  Kapselspannung.  Auf  schmerzhafte 
Kapselspannung  lassen  sich  die  schmerzhaften  bei  A.  d.  auf¬ 
tretenden  Empfindungen  beziehen,  welche  (was  das  Kniegelenk 
betrifft)  als  statische  Schmerzen  nach  P  r  e  i  s  e  r  beim  Gehen 
und  Stehen  beginnen,  ebenso  wie  jene,  welche  sich  nach 
Ueberanstrengungen  verschlimmern  und  die  nach  P  r  e  i  s  e  r 
als  Folgezustände  der  von  ihm  angenommenen  Inkongruenz 
bei  Valgität  auf  Zerrung  und  Verdrehung  der  Gelenkbänder 
zurückzuführen  sind.  Bei  den  Anfällen  plötzlich  einsetzender 
schmerzhafter  Funktionsstörungen  handelt  es  sich  augen¬ 
scheinlich  nicht  bloss  um  durch  traumatische  Einwirkungen  be-* 
dingte,  sondern  auch  um  unter  dem  Einflüsse  der  Gelenk¬ 
funktion  entstandene  mechanische  Störungen  und  daraufhin 
folgende  reaktive  Veränderungen,  wie  sich  solche  in  den  auf 
Einknickungen,  Verlagerungen,  Einpfropfungen  und  Verschlep¬ 
pungen  hin  entwickelten  verschiedenen  Kallusbildungen,  in  den 
Abkapselungszysten  und  Knorpelknötchenbildungen  aus¬ 
sprechen. 

So  hat  durch  die  Befunde  G.  Pommers  die  funktionelle 
Theorie  der  A.  d.  neue  und  äusserst  wichtige  Belege  erhalten; 
sie  wird  neuerdings  auch  insofern  durch  Beitzke  gestützt, 
als  er  ja  die  A.  d.  als  „Abnü  tzungserscheinung“  auf¬ 
fasst.  Die  auffällige  Beziehung  des  Krankheitsprozesses  zum 
Lebensalter  zeigt  dies  am  deutlichsten.  Es  kommen  dabei 
ausser  dem  Einfluss  der  Berufstätigkeit  auch  andere  mecha¬ 
nische  Faktoren,  z.  B  zu  enges  Schuhwerk,  für  die  Schädi¬ 
gung  des  Gelenkknorpels  in  Betracht,  wie  bereits  aus  den  Er¬ 
fahrungen  Weichselbaums,  Nichols  und  Richard- 
sons  hervorgeht. 

In  den  prinzipiellen  Punkten  der  Frage  befindet  sich  nach 
alledem  Beitzke  in  Uebereinstimmung  mit  Pommer:  So 
was  die  Unterscheidung  zwischen  primärer  Gelenkknorpel¬ 
degeneration  und  sekundären  reaktiven  Vorgängen  in  den  sub¬ 
chondralen  Schichten,  die  Befunde  von  Einbiegungen  und  Ein¬ 
knickungen  an  der  Knorpelknochengrenze,  die  einheitliche  Auf¬ 
faserung  des  Malum  senile  und  der  A.  d.  und  damit  die  An¬ 
erkennung  des  Vorkommens  einer  örtlich  beschränkten  A.  d. 
betrifft,  für  die  bereits  V  i  r  c  h  o  w  eintrat.  Nun  kann 
Beitzke  darin  nicht  beigepflichtet  werden,  dass  er  ähnlich 
wie  Ri  mann  humoralen  Auffassungen  huldigt,  während  er  hin¬ 
gegen  die  von  B  e  n  e  k  e  eröffneten  Gesichtspunkte  gänzlich 
ausser  acht  lässt. 

Es  erübrigt  noch  die  Prophylaxe  und  Therapie 
der  A.  d.  in  ihren  allgemeinsten  Punkten  zu  erörtern,  Fragen, 
deren  Beantwortung  zweifellos  auf  Grund  der  erhobenen  ana¬ 
tomischen  Befunde  und  der  Ergebnisse  statistischer  For¬ 

schungen  wesentlich  erleichtert  wird.  Was  zunächst  die  Pro- 
P  h  y  1  a  x  e  betrifft,  so  kommt  in  erster  Linie  die  Ausschaltung 
disponierender  Momente  in  Betracht,  die  Beseitigung  bzw. 
Kompensierung  ungünstiger  statischer  Verhältnisse,  die  Ver¬ 
meidung  einseitiger,  über  das  physiologische  Mass  hinaus¬ 
gehender  Belastung  der  Gelenke.  Am  wirksamsten  wird 

zweifellos  die  Prophylaxe  schon  zur  Zeit  der  Berufwahl  ein- 
greifen,  indem  diese  ganz  besonders  auf  die  statischen  Ver¬ 
hältnisse  und  damit  auf  die  für  spätere  Zeit  voraussehbare 

funktionelle  Tüchtigkeit  der  Gelenke  Bedacht  nehmen  muss. 
Dabei  bedarf  es  wohl  keines  besonderen  Hinweises  auf  die 
wichtige  Rolle,  welche  diese  Rücksichtnahme  gerade  während 
der  Pubertätszeit  und  der  dieser  unmittelbar  folgenden  Zeit¬ 
periode  spielt.  Man  denke  nur  an  den  mit  Valgität,  Pes 
planus  schon  behafteten  oder  dazu  disponierten  Jungen, 
welcher  den  Beruf  eines  Kellners,  Schlossers  oder  Bäckers  er¬ 
greifen  soll.  In  bezug  auf  diesen  wichtigen  Punkt  Hesse  die  I 


allgemeine  Einführung  von  Schulärzten  in  den  Fortbildungs¬ 
schulen  Erspriessliches  für  die  Prophylaxe  erhoffen.  Der  Ge¬ 
werbehygiene  fällt  die  Aufgabe  zu,  dafür  Sorge  zu  tragen, 
dass  Arbeiter  jener  Berufsarten,  deren  Ausübung  eine  beson¬ 
ders  anhaltende  einseitige  Belastung  gewisser  Gelenke  er¬ 
fordert,  in  zeitlich  genügenden  Pausen  Gelegenheit  zur  Aus¬ 
führung  allseitiger  Gelenkbewegungen  erhalten.  Da  wo  die 
Art  des  Arbeitsbetriebes  verschiedene  Arbeitstätigkeit  zuliesse, 
wäre  jedenfalls  die  Durchführung  von  Wechselschichten  im 
Sinne  der  Prophylaxe  sehr  erstrebenswert.  Leider  gestatten 
aber  in  der  Regel  die  betriebstechnischen  Verhältnisse  einen 
regulären  derartigen  Arbeitsmodus  nicht.  Als  besonders  aus¬ 
sichtsvoll  müssen  die  modernen  Bestrebungen  angesehen 
werden,  welche  auf  eine  ausgiebige  körperliche  Ausbildung 
der  Jugend  hinarbeiten  und  welche  auch  in  den  arbeitenden 
Volksschichten,  die  das  Hauptkontingent  der  A.  d.  stellen,  be¬ 
reits  grosses  Interesse  und  Nachahmung  gefunden  haben. 
Die  turnerische,  gymnastische  Betätigung  ist  zweifellos  ein 
wichtiger  Faktor  für  die  Erhöhung  und  Erhaltung  der  funtio- 
nellen  Leistungsfähigkeit  und  Widerstandskraft  der  Gelenke. 
Aus  diesem  Grunde  muss  die  Erziehung  von  frühester  Jugend 
an  die  Pflege  des  Turnens  ins  Auge  fassen  und  das  Haupt¬ 
gewicht  auf  den  obligatorischen  Turnunterricht  gelegt  werden, 
der  unter  wohlüberlegter  Leitung  Uebung  in  geschulten  ela¬ 
stischen  Körperbewegungen  bringt.  Ungeschulte  steife 
Sprünge  u.  dgl.  würden  mehr  und  mehr  vermieden  und  damit 
auch  deren  in  ihren  Folgen  ungünstigen  Einflüsse  auf  die 
Gelenkteile.  Welche  Bedeutung  solchen  Ereignissen  für 
die  Entstehung  von  Gelenkveränderungen  zukommt,  ist  aus 
früheren  Darlegungen  leicht  ersichtlich.  Der  Krankheits¬ 
prozess  der  A.  d.  verläuft  für  gewöhnlich  äusserst  chro¬ 
nisch;  aus  diesem  Grunde  gelangen  häufig  seine  Anfangs¬ 
stadien  nicht  zur  klinischen  Untersuchung  oder  sachgemässen 
Würdigung.  Es  ist  nun  ohne  weiteres  klar,  dass  nach 
eingetretener  arthritischer  Störung  bzw.  Feststellung  der¬ 
selben  ein  Wechsel  oder  eine  Beschränkung  der  beruf¬ 
lichen  Tätigkeit  einzutreten  hätte;  eine  Forderung,  deren 
Erfüllung  allerdings  gewöhnlich  ungünstige  wirtschaftliche 
Verhältnisse  im  Wege  stehen.  Dass  sie  aber  unter  Umständen 
—  theoretisch  gedacht  —  erfolgreich  die  Fortentwicklung  des 
Prozesses  bekämpfen  könnte,  lässt  der  Gegensatz  im  Auf¬ 
treten  der  Krankheit  bei  den  einzelnen  Berufsarten  vermuten, 
welcher  in  den  statischen  Erhebungen  B  e  i  t  z  k  e  s  zum  Aus¬ 
druck  kommt:  Denn  die  16  Arbeiter,  welche  die  Tab.  Nr.  4 
B  eitzkes  unter  den  von  ihm  untersuchten  200  Fällen  auf¬ 
weist,  boten  alle  bis  auf  einen  Gelenkveränderungen  dar, 
während  die  4  daraufhin  von  Beitzke  untersuchten  Leichen 
von  Näherinnen  und  Schneiderinnen  sämtlich  davon  verschont 
waren.  Es  besteht  auch  keineswegs  Berechtigung  für  die  An¬ 
nahme,  dass  der  Krankheitsprozess  der  A.  d.  unter  allen  Um¬ 
ständen  ein  progredienter  ist,  wie  verschiedene  von  Pommer 
gewonnene  histologische  Bilder  von  Anfangsstadien  erkennen 
lassen,  welche  auf  reparatorische  Ersatzbildungen  in  den  de¬ 
fekten  Gelenkregionen  hinweisen. 

Was  nun  die  frühzeitige  Erkennung  und  Be¬ 
handlung  der  A.  d.  anlangt,  so  gehören  die  Fortschritte 
auf  diesem  Gebiete  —  Verbesserung  der  technischen  Unter¬ 
suchungsmittel  wie  besonders  Berücksichtigung  der  subjek¬ 
tiven  und  objektiven  Krankheitssymptome,  Beziehung  der¬ 
selben  zu  Belastungsverhältnissen,  darauf  aufgebaute  Grund¬ 
sätze  der  Therapie  —  der  neueren  Zeit  an.  Um  die  Bewertung 
der  initialen  Krankheitserscheinungen,  besonders  der  im  Ge¬ 
biete  des  N.  ischiadicus  und  N.  cruralis  auftretenden  schmerz¬ 
haften  Empfindungen  und  die  Würdigung  der  entsprechenden 
röntgenographischen  Bilder  hat  sich  G.  P  r  e  i  s  e  r  dauernde 
Verdienste  erworben.  Der  therapeutische  Grundsatz 
Dreisers’):  „Bewegung  ist  alles  für  unsere  Patienten“, 
muss  auch  auf  Grund  der  vorliegenden  anatomischen  Befunde 
anerkannt  werden.  Die  Ausführungen,  welche  Pommer 
auf  (irund  seiner  Befunde  über  die  Differentialdiagnose 

’)  Bei  der  hier  folgenden  Besprechung  der  Therapie  sollen  ledig¬ 
lich  Gesichtspunkte  Berücksichtigung  finden,  welche  eine  kritische  Be¬ 
urteilung  der  üblichen  therapeutischen  Massregeln  nach  den  vorliegen¬ 
den  anatomischen  Befunden  zulassen,  ln  Bezug  auf  eine  ausführliche 
Darstellung  der  Therapie  ist  auf  die  interessante  Arbeit  P  r  e  i  s  e  r  s 
(Statische  Gelenkerkrankungen.  Stuttgart  1911.)  zu  verweisen. 


1568 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  28. 


zwischen  der  A.  d.  und  der  Arthritis  ankylopoetica  brachte, 
sind  ebenfalls  in  vorgenannter  therapeutischer  Richtung  zu 
verwerten.  Denn  andauernde  Benutzung  des  Gelenkes  ist  der 
Grund  für  das  Ausbleiben  ankylosierender  Vorgänge  bei  der 
A.  d.  So  wünschenswert  es  auch  vielleicht  erscheinen  mag, 
z.  B.  durch  entlastende  Schienenhülsenapparate  (Hoffa) 
brüske  Gelcnkbewegungen  zu  verhindern,  um  Einbrüchen  an 
der  Knorpelknochengrenze  vorzubeugen  oder  den  auf  den 
Schenkelkopf  wirkenden  Druck  zu  verringern,  so  begründet 
ist  auch  die  Vorstellung,  dass  mit  einer  ausgiebigen  Entlastung 
oder  Fixation  des  Gelenkes  derjenige  Faktor  beeinträchtigt 
oder  unwirksam  gemacht  wird,  der  nach  Freilegung  der  sub¬ 
chondralen  Markräume  die  Gewebe  der  letzteren  verhindert, 
zur  Ankylose  führende  Bildungen  zu  erzeugen.  Nach  den  vor¬ 
angehenden  Ueberlegungen  wird  der  für  die  Therapie  mass¬ 
gebende  Gesichtspunkt  die  Erhaltung  der  Gelenkfunktion  durch 
andauernde  allseitige  Gelenkbewegung  fordern  und  nur  zu  ge¬ 
wissen  Zeiten  schmerzhaftester  Empfindungen  eine  vorüber¬ 
gehende  Beschränkung  derselben  verlangen.  Daneben  muss 
aber  die  Therapie  natürlich  alle  Momente  berücksichtigen, 
welche  die  Statik  ungünstig  beeinflussen.  (Pes  valgus,  pes 
planus,  schlecht  gebautes  Schuhwert  etc.)  Die  Erfolge, 
welcher  in  dieser  Hinsicht  P  r  e  i  s  e  r  in  der  Behandlung  der 
subjektiven  Erscheinungen,  im  besonderen  auch  mit  der  Ver¬ 
ordnung  passender  Schuheinlagen  erzielte,  sind  allerseits  aner¬ 
kannt  und  beachtenswert  wie  auch  sein  Rat,  energisch  durch 
entsprechende  Aenderung  des  Ganges  die  Aussenrotation  zu 
bekämpfen,  da  diese  in  ungünstigster  Weise  die  Statik  beein¬ 
flusst.  Ausser  dieser  mehr  weniger  mechanisch  orthopädischen 
Behandlung  soll  auch  eine  ausgedehnte  Anwendung  solcher 
therapeutischer  Hilfsmittel  Pliatz  greifen,  welche  imstande 
sind,  das  Zelleben  in  den  erkrankten  Gelenkgebieten  anzu¬ 
regen  und  zu  fördern  wie  die  vielfach  bereits  empfohlene 
Applikation  von  feuchter  oder  trockener  Wärme  (Thermal¬ 
bäder,  Heissluftbäder  etc.).  In  weit  vorgeschrittenen  Fällen 
von  A.  d.  spielt  neben  häufig  bestehender  hochgradiger 
Schmerzhaftigkeit  ganz  besonders  die  Sorge  für  die  Ver¬ 
besserung  von  Kontrakturstellungen  eine  wichtige  Rolle,  inso¬ 
fern  diese  nicht  bloss  die  Gelenkfunktion  hochgradig  beein¬ 
trächtigen,  sondern  auch  neuerdings  als  Momente  zu  betrachten 
sind,  welche  eine  Ueberbelastung  bestimmter  Gelenkbezirke 
begünstigen. 

Die  moderne  Therapie  der  A.  d.  muss  dem  Gesagten  zu¬ 
folge  im  wesentlichen  eine  statisch-mechanisch-funktionelle 
sein;  ihre  Richtungspunkte  decken  sich  mit  den  Auffassungen, 
auf  Grund  welcher  sich  Beneke,  Walkhoff  und 
Pommer  als  Anhänger  der  funktionellen  Theorie  bekannt 
haben. 

- ■•.;asg.  - 

Dr.  Gaspar  Vianna  f. 

Am  14.  Juni  starb  in  Rio  de  Janeiro  an  den  Folgen  einer 
septischen  Infektion  an  der  Leiche  der  Privatdozent  an  der 
medizinischen  Fakultät  in  Rio  de  Janeiro  und  Assistent  am 
Instituto  „Oswaldo  Cruz“  Dr.  Gaspar  Vianna.  Dr.  Vi¬ 
anna  war  zweifellos  einer  der  tüchtigsten,  begabtesten  und 
erfolgreichsten  Mitarbeiter  des  berühmten  tropenmedizinischen 
Institutes  in  Brasilien,  ein  ausgezeichneter  Mikrobiologe,  der 
sich  in  den  letzten  Jahren  namentlich  durch  eine  Reihe  von 
glänzenden  Arbeiten  über  die  pathologische  Anatomie  von  bis 
dahin  wenig  bekannten  und  erforschten  Tropenkrankheiten 
hervorgetan  hatte.  So  ist  die  genauere  Erforschung  der  patho¬ 
logischen  Anatomie  und  Histopathologie  der  brasilianischen 
Schizotrypanose  (der  sogen.  Chagaskrankheit)  im  wesentlichen 
sein  Werk.  In  seinem  Vaterland  ist  er  besonders  bekannt 
geworden  durch  die  Entdeckung  einer  rationellen  Behand¬ 
lungsart  einer  bis  dahin  für  unheilbar  gehaltenen,  sehr  ver¬ 
breiteten  und  zu  furchtbaren  Zerstörungen  führenden  Erkran¬ 
kung  der  Haut  und  der  Schleimhäute,  der  Leishmaniosis. 
Die  von  ihm  eingeführte  intravenöse  Behandlung  mit  Brech¬ 
weinstein  hatte  fast  immer  eine  überraschend  schnelle  Heilung 
der  entsetzlichen  Krankheit  zur  Folge  und  wird  vielleicht  auch 
noch  bei  anderen  durch  Protozoen  hervorgerufenen  Krank¬ 
heiten  eine  wichtige  Rolle  spielen. 

Dr.  Vianna,  der  gleichzeitig  auch  Professor  an  der  Bra¬ 
silianischen  Landes-Ackerbauschule  war,  sollte  die  neuerrich¬ 


tete  pathologisch-anatomische  Abteilung  des  Instituto  Cruz 
übernehmen;  seine  bisherige  erfolggekrönte  Tätigkeit  berech¬ 
tigte  zu  den  allergrössten  Hoffnungen.  Die  Gründlichkeit  und 
Exaktheit  seines  Arbeitens,  die  sich  bei  ihm  mit  reichstem 
Wissen  und  mit  einer  glänzenden  Technik  verband,  ist  in  allen 
seinen  Publikationen  geradezu  vorbildlich. 

Persönlich  war  der  kaum  30  jährige  Gelehrte  ein  liebens¬ 
würdiger,  bescheidener  und  immer  hilfsbereiter  Mensch,  dem 
nicht  nur  seine  engeren  Landsleute  sondern  auch  die  vielen 
fremden  Aerzte,  die  in  den  letzten  Jahren  das  herrliche  In¬ 
stituto  Cruz  besucht  haben,  ein  treues  und  ehrenvolles  An¬ 
denken  bewahren  werden.  H.  D  ii  r  c  k  -  München. 


Leitsätze  der  Deutschen  Gesellschaft  für  Rassenhygiene 
zur  Geburtenfrage*). 

Mit  Bemerkungen  von  Dr.  Fritz  Lenz,  Redakteur  des 
Archivs  für  Rassen-  und  Gesellschaftsbiologie. 

A.  Die  Gefahr. 

1.  Die  Zukunft  des  deutschen  Volkes  ist  aufs  schwerste  bedroht. 
Das  Deutsche  Reich  kann  sein  Volkstum  und  die  Unabhängigkeit 
seiner  Entwicklung  auf  die  Dauer  nur  bewahren,  wenn  es  ohne 
Verzug  und  mit  der  grössten  Energie  daran  geht,  seine  innere  und 
äussere  Politik,  sowie  das  ganze  Leben  des  Volkes  in  rassenhygieni¬ 
schem  Sinne  zu  gestalten.  Am  dringendsten  sind  Massregeln  zur 
Förderung  der  Fortpflanzung  der  gesunden  und  tüchtigen  Familien. 

2.  Die  rasch  abnehmende  und  vielfach  schon  heute  zur  Erhaltung 
ungenügende  Fortpflanzung  der  gesunden  und  tüchtigen  Familien  muss 
schon  in  wenigen  Generationen  zum  kulturellen,  wirtschaftlichen  und 
politischen  Rückgänge  des  deutschen  Volkes  führen. 

3.  Die  ungenügende  Fortpflanzung  ist  zum  Teil  durch  Beein¬ 
trächtigung  der  Fortpflanzungsfähigkeit,  insbesondere  durch  die  Go¬ 
norrhöe,  die  Syphilis  und  den  Alkoholismus  verursacht. 

4.  Die  Hauptursache  des  gegenwärtigen  Geburtenrückganges  ist 
aber  die  zunehmende  willkürliche  Beschränkung  der 
Kinderzahl. 

5.  Die  wichtigsten  Beweggründe  für  die  Beschränkung  der  Kin¬ 
derzahl  sind: 

a)  die  Besorgnis  vor  der  Verschlechterung  der 
wirtschaftlichen  Lage  der  Familie,  der  Er¬ 
schwerung  einer  sorgfältigen  Pflege  und  Erziehung  der  Kin¬ 
der  bei  grösserer  Kinderzahl, 

b)  die  Rücksicht  auf  die  Erbteilung, 

c)  die  Unvereinbarkeit  der  ausserhäuslichen  Berufstätigkeit  der 
Frau  mit  der  Aufzucht  einer  grösseren  Zahl  von  Kindern, 

d)  die  Bedrängnis  durch  die  städtische  Wohnnot. 

6.  Der  Geburtenrückgang  wird  stark  beschleunigt  durch  die  mit 
skrupelloser  Reklame  und  rasch  wachsender  Kapitalskraft  betriebene 
Herstellung  und  den  organisierten  Handel  mit  Mitteln  zur  Empfängnis¬ 
verhütung  und  Abtreibung  und  durch  die  Propaganda  für  den  Neo¬ 
malthusianismus. 

B.  D  i'e  Bekämpfung. 

Die  Deutsche  Gesellschaft  für  Rassenhygiene  fordert  zur  Sicher¬ 
stellung  eines  nach  Zahl  und  Tüchtigkeit  ausreichenden  Nachwuchses: 

1.  Erhöhte  Förderung  der  inneren  Kolonisation 
mit  Regelung  des  Erbrechts  im  Sinne  der  Schaf¬ 
fung  kinderreicher  Familien. 

2.  Schaffung  von  Familienheimstätten  für  kinderreiche  städtische 
Familien  (Gartenstädtische  Siedelung,  gemeinnütziger  genossenschaft¬ 
licher  Bau  von  Kleinwohnungen  mit  Gärten,  Laubenkolonien  uam.). 

3.  Wirtschaftliche  Förderung  genügend  kinder¬ 
reicher  Familien  durch  Gewährung  von  wesent¬ 
lichen  Erziehungsbeiträgen  an  eheliche  Mütter  bzw.  über¬ 
lebende  Väter  und  Berücksichtigung  der  Kinderzahl  bei  der  Be¬ 
soldung  der  Beamten  und  Angestellten. 

4.  Beseitigung  der  für  viele  männliche  Berufe  (Offiziere,  Beamte) 
bestehenden  Erschwerung  der  Eheschliessung,  soweit  es  irgend  tun¬ 
lich  ist. 

5.  Erhöhung  der  Alkohol-,  Tabak-  und  Luxussteuern  sowie  Er¬ 
hebung  einer  Wehrpflichtersatzsteuer  für  die  in  Punkt  3  genannten 
Zwecke. 

6.  Gesetzliche  Regelung  des  Vorgehens  in  solchen  Fällen,  wo 
Unterbrechung  der  Schwangerschaft  oder  Unfruchtbarmachung  ärzt¬ 
lich  geboten  erscheint. 

7.  Bekämpfung  aller  die  Fortpflanzungsfähigkeit  bedrohenden 
Schädlichkeiten,  insbesondere  der  Gonorrhöe  und  der  Syphilis,  der 
Tuberkulose,  des  Alkoholismus,  der  gewerblichen  Vergiftungen  und 
der  Berufsschädlichkeiten  für  die  erwerbstätige  Frau. 

8.  Obligatorischer  Austausch  von  Gesundheitszeugnissen  vor  der 
Eheschliessung. 

9.  Aussetzen  grosser  Preise  für  ausgezeichnete  Kunstwerke  (Ro¬ 
mane,  Dramen,  bildende  Kunst),  in  denen  das  Mutterideal,  der  Fa¬ 
miliensinn  und  einfaches  Leben  verherrlicht  werden. 


*)  Angenommen  in  der  Delegiertenversammlung  zu  Jena  am 
6.  u.  7.  Juni  1914. 


14.  Juli  1014. 


muenchener  medizinische  Wochenschrift. 


1560 


.  10-  Erweckung  einer  opferbereiten  nationalen  Gesinnung  und  des 
Pflichtgefühls  gegenüber  den  kommenden  Geschlechtern,  kraftvolle 
Erziehung  der  Jugend  in  diesem  Sinne. 

Die  Deutsche  Gesellschaft  für  Rassenhygiene  richtet  an  alle,  die 
sich  von  der  Richtigkeit  der  vorstehenden  Leitsätze  überzeugt  haben, 
die  dringende  Bitte,  ausdauernd  und  tatkräftig  mit 
ihr  an  der  Gewinnung  immer  weiterer  Kreise  mit¬ 
zuarbeiten,  damit  die  gesetzliche  Einführung  und  Durchführung 
der  notwendigen  Massregeln  erreicht  werde,  bevor  cs  zu  spät  ist. 

Der  Sitz  der  Gesellschaft  ist  München,  Vorsitzender  ist  Geheim¬ 
rat  Prof.  v.  Gr  über;  Anmeldungen  sind  an  den  Schriftführer,  Ver- 
legrer  J.  F.  Lehmann,  München,  Paul  Heysc-Strasse  26  zu  richten. 

Die  in  Jena  angenommenen  Sätze  geben  nur  die  Richtlinien  für 
einen  I  eil  der  Rassenhygiene,  allerdings  einen  derart  zentralen  Teil 
dass  sie  fast  ebensogut  als  Leitsätze  der  Gesellschaft  für  Rassen¬ 
hygiene  überhaupt  dienen  könnten.  Sie  suchen  nur  das  Allerwesent¬ 
lichste  zusammenzufassen.  Begründungen  fehlen  fast  gänzlich.  Diese 
werden  jedoch  den  Lesern  dieser  Zeitschrift  noch  aus  der  Arbeit 
Gcheimrat  v.  Grub  er  s  über  „Ursachen  und  Bekämpfung  des  Ge¬ 
burtenrückganges“  gegenwärtig  sein.  Dort  sind  auch  die  Beziehungen 
der  Frage  zur  Moral  ziemlich  eingehend  erörtert  worden,  und  die 
ganze  Arbeit  ist  von  Wertgesichtspunkten  durchsetzt.  Die  Leitsätze 
aber  glaubten  sich  auf  die  Feststellung  der  als  Tatsachen  erfassbaren 
Zustände  was  moralische  Wertungen  nie  sein  können  —  und  auf 
konkrete  Forderungen,  vor  allem  solche  wirtschaftlicher  Natur,  be¬ 
schränken  zu  sollen.  In  den  ersten  drei  Leitsätzen  des  praktischen 
I  eiles  dürften  in  der  Tat  die  wesentlichsten  Reformen  einen  sehr 
glücklichen  Ausdruck  gefunden  haben.  Trotz  ihrer  Knappheit  stellen 
diese  Sätze  ein  grosszügiges  Programm  dar,  das  auf  alle  kleinlichen 
Mittelchen,  die  nur  die  Aufmerksamkeit  von  dem  Wesentlichen  ab¬ 
zulenken  geeignet  sind,  verzichtet.  Die  Delegierten  in  Jena  haben 
sich  natürlich  keinen  optimistischen  Illusionen  über  die  Kostenfrage 
hingegeben.  Man  rechnet  allein  für  Punkt  B.  3.  mit  einem  Aufwand 
von  mehr  als  einer  Milliarde  jährlich.  Aber  es  handelt  sich  um  die 
Lebensfrage  unseres  Volkes  und  der  organischen  Grundlage  unserer 
Kultur.  Satz  1  und  2  der  theoretischen  Sätze  malen  durchaus  nicht 
zu  schwarz.  Wen  die  Geldfrage  schreckt,  der  möge  übrigens  be¬ 
denken,  dass  keine  Ausgaben  für  n  e  u  e  Aufwendungen  gefordert  wer¬ 
den,  wie  es  etwa  bei  dem  Wehrbeitrag  der  Fall  war;  sondern  es 
handelt  sich  nur  um  eine  andere  Verteilung  der  Kosten  für  die  Auf¬ 
zucht  einer  Kinderzahl,  die  nicht  grösser  zu  sein  braucht  als  die 
heute  noch  vorhandene.  Aber  unbedingt  notwendig  ist  es,  einen 
weiteren  Rückgang  mit  den  wirksamsten  Mitteln  zu  verhindern;  sonst 
ist  unser  Volk  rettungslos  verloren.  Da  die  Kinderzahl  insgesamt 
künftig  nicht  grösser  zu  sein  braucht  als  sie  heute  noch  ist,  so 
braucht  auch  das  Volk  in  seiner  Gesamtheit  keine  neuen  Ausgaben 
dafür  aufzubringen.  Nur  müssen  auch  die  Kinderlosen  und  Kinder¬ 
armen  in  einem  solchen  Masse  dafür  herangezogen  werden,  dass  das 
Zwei-  und  Einkindersystem  auch  für  die  Einzelnen  ein  möglichst 
schlechtes  Geschäft  wird.  Es  müssen  also  die  Kosten  für  das  3.  und 
4.  Kind  möglichst  vollständig  der  Mutter  ersetzt  werden,  denn  dort 
liegt  die  Grenze  zwischen  dem  langsamen  Aussterben  und  der  Ver¬ 
mehrung  der  Familien.  Dort  würde  auch  eine  Hilfe  den  grössten 
Erfolg  haben;  hier  also  gilt  es,  einen  energischen  Schlag  zu  führen. 
Die  Kosten  auch  für  das  5.  und  weitere  Kind  zu  ersetzen,  empfiehlt 
sich  aus  folgenden  Gründen  nicht.  Einesteils  würde  dadurch  die 
Stosskraft  der  wirtschaftlichen  Aktion  zersplittert  werden,  weil  dann 
für  das  einzelne  Kind  weniger  Mittel  verfügbar  wären.  Sodann  aber 
muss  es  auch  verhindert  werden,  dass  etwa  gerade  minderwertige 
Familien  den  grössten  Vorteil  hätten.  Zwar  kann  keine  Rede  davon 
sein,  dass  die  5.  und  späteren  Kinder  als  Folge  ihrer  höheren  Ge¬ 
burtennummer  etwa  minderwertiger  seien,  wohl  aber  steht  es  heute 
leider  so,  dass  gerade  die  weniger  wertvollen  Familien  die  meisten 
Kinder  zu  haben  pflegen,  während  die  begabten  und  wirtschaftlich 
tüchtigen  den  meisten  Grund  zur  Beschränkung  unter  die  Erhaltungs¬ 
zahl  haben.  Diesen  also  gilt  es  über  den  kritischen  Punkt  hinweg¬ 
zuhelfen.  Durch  Kostenersatz  für  die  Kinder  von  höherer  Geburten¬ 
nummer  würde  man  gerade  jene  Familien  in  höherem  Masse  zur 
Vermehrung  veranlassen,  welche  infolge  erblicher  geringerer 
Leistungsfähigkeit  in  wirtschaftlich  ungünstiger  Lage  sind;  denn  bei 
gedrückter  wirtschaftlicher  Lage  wirken  Erziehungsbeiträge  natürlich 
am  stärksten.  Dass  diese  Familien  in  erster  Linie  die  Eltern  der 
kommenden  Generationen  sind,  ist  aber  keineswegs  erwünscht.  Daher 
müssen  die  Erziehungskosten  nach  der  sozialen  Stellung  der  Eltern 
abgestuft  sein.  Für  die  grosse  Masse  der  versicherungspflichtigen 
Bevölkerung  wären  die  Kinderrenten  in  den  Rahmen  der  sozialen 
Versicherung  einzufügen.  Für  den  Mittelstand  aber  müsste  *eine 
gesonderte  grosszügige  Fürsorge  getroffen  werden.  Selbstverständ¬ 
lich  müssen  die  Kinder  bei  der  Mutter  bleiben.  Erziehung 
in  Staatsanstalten  ist  zu  bekämpfen,  weil  man  dadurch  der 
Mutter  ihre  höchste  Lebensfreude  nehmen  und  folglich  wesent¬ 
lichste  gefühlsmässige  Antriebe  zur  Mutterschaft  untergraben 
würde.  Es  ist  zu  erstreben,  die  tüchtigen  Familien  bis  auf 

v\  enigstens  vier  Kinder  im  Durchschnitt  heraufzubringen,  und  die 
untüchtigen  ebensoweit  herunter.  Darum  sind  die  Kosten  für  das 
3.  und  4.  Kind  zu  ersetzen.  Wie  man  etwa  die  hochgradig  Minder¬ 
wertigen  ganz  von  der  Fortpflanzung  ausschalten  könne,  ist  eine 
Frage,  die  in  Leitsatz  B.  6  gestreift  ist.  Es  ist  aber  erfreulich,  dass 
man  darauf  keinen  sehr  grossen  Nachdruck  gelegt  hat,  denn  die 

Nr.  28. 


Rasse  kann  man  nicht  durch  Ausmerzung  Minderwertiger  retten,  son¬ 
dern  nur  durch  Erhaltung  und  Vermehrung  der  wirklich  tüchtigen  und 
gesunden  Familien.  Die  Leitsätze  der  Deutschen  Gesellschaft  für 
Rassenhygiene  unterscheiden  sich  darin  sehr  vorteilhaft  von  den  in 
Amerika  betriebenen  Massregeln.  Dort  treibt  man  negative  Rassen- 
hygiCne,  bei  uns  hat  man  sich  noch  rechtzeitig  auf  die  positive  Rassen¬ 
hygiene  besonnen  —  wenigstens  vorerst  theoretisch.  Persönlich 
scheint  mir  der  allergrösste  Nachdruck  auf  der  Ausgestaltung  der 
inneren  Kolonisation  mit  Regelung  des  Erbrechtes  zu  liegen.  Das 
ist  daher  mit  Recht  an  die  erste  Stelle  der  Bekämpfungsmassregeln 
gesetzt  worden.  Kleinbäuerliche  Siedelung  allein  genügt  nicht,  wie 
die  französischen  Bauern  beweisen,  welche  mit  dem  Zwei-  und  Ein- 
kindersystern  fast  als  erste  begonnen  haben.  Denn  leider  bedeutet 
nicht  einmal  mehr  im  Bauernstand  allgemein  eine  grössere  Kinder¬ 
zahl  zugleich  wirtschaftliche  Förderung.  Wenn  aber  die  Erblichkeit 
der  neuen  Siedelungen  z.  B.  von  dem  Vorhandensein  von  4  Kindern 
abhängig  gemacht  werden  würde,  so  würde  aus  den  Kindern 
ein  wesentlicher  Vorteil  erwachsen,  und  folglich  würden  diese  dann 
auch  erzeugt  werden. 

Durch  die  Erreichung  der  vorgeschlagenen  Reformen  würde  zu¬ 
gleich  ein  wirksamer  Schritt  zur  Lösung  der  Frauenfrage  getan  sein, 
welche  von  einschneidendster  Bedeutung  für  die  Rassenhygiene  ist  (cf. 
Satz  A.  5).  In  natürlichen  Verhältnissen  fand  die  Frau  volle  Betätigung 
in  Haus,  Garten  und  Wirtschaft,  und  diese  Tätigkeit  machte  sich  auch 
sehr  wohl  bezahlt,  wenngleich  meist  nicht  in  klingender  Münze.  Die 
moderne  Wirtschaftsentwicklung  hat  das  leider  untergraben.  Der 
Mutterberuf  ist  aber  dem  Kriegsdienst  oder  dem  Offiziersberuf  des 
Mannes  gleichzusetzen.  Die  Mutter  leistet  dadurch  ihre  Wehrpflicht 
dem  Staate,  dass  sie  die  Soldaten  der  kommenden  Generation  stellt. 
Sie  sollte  also  gerechterweise  dafür  besoldet  werden,  wie  das  durch 
die  Erstattung  der  Erziehungskosten  des  3.  und  4.  Kindes  geschehen 
würde.  Wollte  man  sagen,  der  Waffendienst  des  Mannes  habe  Ehren¬ 
dienst  zu  sein,  so  müsste  man  zum  Ausgleich  die  ledigen  und  kinder¬ 
losen  Frauen  zu  einem  staatlichen  Dienst  heranziehen,  schon  damit 
auf  diese  Weise  ein  wirksames  Motiv  zur  Ehe  geschaffen  werde. 
Wenn  nun  die  Mutter  wesentliche  Kinderrenten  erhält,  so  werden 
dadurch  zugleich  die  Eheschliessungen  gefördert,  weil  dann 
schon  ein  geringeres  Einkommen  des  Mannes  ausreicht,  und  weil 
der  Ausfall  an  Einkommen,  den  die  Frau  durch  Aufgabe  eines 
ausserhäuslichen  Berufes  erleidet,  dadurch  geringer  wird.  Zugleich 
wird  auf  diese  Weise  auch  den  erwerbstätigen  Frauen  geholfen,  denn 
nicht  dadurch,  dass  man  ihnen  neue  Konkurrentinnen  ausbildet,  son¬ 
dern  dadurch,  dass  man  deren  Zahl  vermindert,  wird  ihre  Stellung 
verbessert.  Weiter  würde  in  geringerem  Grade  auch  die  Konkurrenz 
des  Weibes  gegenüber  dem  Manne  nachlassen,  folglich  das  männliche 
Arbeitseinkommen  nicht  mehr  so  sehr  durch  weibliches  Angebot 
gedrückt  werden  und  damit  auch  auf  diesem  Wege  die  Ehe¬ 
schliessung  erleichtert.  Das  wieder  würde  von  grosser  Wichtigkeit 
für  die  Bekämpfung  der  Gonorrhöe  und  Syphilis  sein,  die  gerade  im 
weiblichen  Geschlecht  mit  der  Ausdehnung  der  ausserhäuslichen  Er¬ 
werbstätigkeit  entsetzlich  zugenommen  haben.  Auch  auf  diesem  Um¬ 
wege  würden  somit  wichtige  Ursachen  des  Geburtenausfalles  ver¬ 
ringert  werden  (cf.  Satz  A3  und  B  7).  Jedes  Glied  der  unheilvollen 
Kette,  die  das  Leben  unserer  Rasse  zu  erdrosseln  droht,  steht  in 
fester  Verbindung  mit  den  anderen.  Durch  Besoldung  des  Mutter¬ 
berufes  aber  könnte  man  den  verderblichen  Ring  zersprengen.  Nicht 
dadurch,  dass  man  primär  die  erwerbstätige  Frau  besser  stellt,  kann 
man  jemals  die  Frauenfrage  und  die  Existenzfrage  der  Rasse  gelöst 
werden,  sondern  einzig  und  allein  durch  Besserstellung  der  Mutter. 

Wenn  der  Mutterberuf  derart  anerkannt  ist  —  durch  Titel  und 
Ehrenzeichen  erreicht  man  nur  das  Gegenteil  —  dann  wird  die  Frau 
auch  nicht  mehr  die  intellektualistische  männliche  Tätigkeit  als  die 
höhere  einschätzen  und  erstreben,  sondern  ihren  höchsten  und  ein¬ 
zigen  Beruf  in  der  Mutterschaft  sehen.  Daher  sollten  auch  die 
Führerinnen  der  Frauenbewegung  alles  daran  setzen,  dass  die  Ziele 
der  Gesellschaft  für  Rassenhygiene  verwirklicht  werden.  Wie  im 
Bienenstaat  die  Königin  allein  Mutter  ist  und  alle  anderen  Weibchen 
nur  Arbeitstiere,  so  soll  im  wahrhaft  menschlichen  Staat  die  Mutter 
Königin  sein.  So  retten  wir  die  Frau;  so  retten  wir  unsere  Rasse. 


Fortbildungsvorträge  und 
Uebersichtsreferate. 

Ueber  die  Erfolge  der  operativen  Behandlung  des 
Morbus  Basedowii. 

Von  Dr.  Georg  Richter  in  Wölfeisgrund. 

Als  im  Jahre  1840  der  Merseburger  Arzt  Carl  Adolph  v.  Base¬ 
dow  in  Caspers  „Wochenschrift  für  die  gesamte  Heilkunde“  eine 
Arbeit  erscheinen  liess  unter  dem  Titel;  „Exophthalmus  durch  Hyper¬ 
trophie  des  Zellgewebes  in  der  Augenhöhle“  und  in  dieser  die  sogen. 
Merseburger  Trias  als  eine  besondere  Krankheit  kennzeichnete,  liess 
es  sich  wohl  kaum  voraussehen,  welch  interessantes  und  umfang¬ 
reiches  Kapitel  der  klinischen  Medizin  der  von  Basedow  be¬ 
schriebene  Symptomenkomplex  von  Exophthalmus,  Struma  und 
Tachykardie  bilden  würde,  ein  Kapitel,  das  jetzt  nach  jahrelanger 
Arbeit  noch  durchaus  nicht  als  abgeschlossen  betrachtet  werden  kann. 

4 


1570 


MUENCHeNER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  28. 


Man  darf  wohl  sagen,  dass  es  nicht  viele  Krankheitsbilder  gibt,  deren 
Bearbeitung  und  Erforschung  eine  so  ausserordentlich  umfangreiche 
Literatur  zur  Folge  hatten,  wie  gerade  der  Morbus  Basdowii.  Und 
das  ärztliche  Interesse  an  dieser  eigentümlichen  Krankheit  hat  durch¬ 
aus  nicht  nachgelassen,  sondern  immer  wieder  erscheinen  Publi¬ 
kationen,  die  zur  Aufklärung  des  Wesens  der  Krankheit  und  zu  ihrer 
Therapie  Bausteine  beitragen.  Freilich  muss  eine  Reihe  von  Theo¬ 
rien  als  abgetan  betrachtet  werden,  und  wenn  vielleicht  auch  noch 
nicht  das  letzte  Wort  über  die  Ursache  der  Basedow  sehen  Krank¬ 
heit  gesprochen  wurde,  so  scheinen  sich  doch  die  meisten  Forscher, 
nachdem  vor  allem  Moebius  das  Wesen  der  Krankheit  nicht  nur 
in  einer  Hyper-,  sondern  auch  in  einer  Dysfunktion  der  Schilddrüse 
erblickt  hatte,  darüber  einig  zu  sein,  dass  das  Wesen  der  Krankheit 
in  einer  Dysthyreosis  zu  suchen  ist.  Die  notwendigen  Unterlagen  für 
diese  Auffassung,  der  sich  u.  a.  auch  Rehn1),  der  als  erster  die 
Basedow  sehe  Krankheit  operativ  angriff,  und  Garre2)  an- 
schliessen,  hat  Klose 3)  in  einer  ungemein  eingehenden  Arbeit  in 
kritischer  Form  zusammengestellt.  Einiges  davon  wird  später  zu  er¬ 
wähnen  sein. 

Weniger  einheitlich  als  die  Ansichten  über  das  Wesen  der  Krank¬ 
heit  sind  heutzutage  noch  die  Meinungen  über  die  zweckmässigste 
Therapie.  Diese  Frage  ist  natürlich  für  den  in  der  Praxis  stehenden 
Arzt  die  wichtigere,  da  es  sich  doch  um  eine  immerhin  recht  schwere 
Erkrankung  handelt,  die  in  zahlreichen  Fällen  einem  schlechten  Aus¬ 
gange  zuneigt  und  darum  von  vornherein  mit  den  geeignetsten  Mitteln 
zu  bekämpfen  ist.  Alle  die  Wege  zu  verfolgen,  die  bei  der  Behand¬ 
lung  des  Morbus  Basedowii  eingeschlagen  worden  sind,  verbietet 
natürlich  der  knappe  Rahmen  dieser  Betrachtung,  die  der  modernsten 
Basedowtherapie,  der  chirurgischen,  gewidmet  ist.  Eine  kurze  Wür¬ 
digung  der  konservativen  Behandlungsmethoden  in  bezug  auf  ihre 
Heilungsresultate  lässt  sich  jedoch  nicht  umgehen,  weil  den  relativ 
dürftigen  Erfolgen  der  internen  Therapie,  der  noch  sehr  namhafte 
innere  Kliniker  im  Prinzip  das  Wort  reden,  während  sie  die  chirur¬ 
gische  Behandlung  nur  für  gewisse  Fälle  Vorbehalten  sehen  wollen, 
sehr  ermutigende  und  zum  Teil  glänzende  Erfolge  der  operativen 
Therapie  gegenüberstehen,  so  dass  ein  Chirurg  von  dem  Range 
Eiseisbergs4)  seine  Ansicht  dahin  ausspricht,  dass  die  innere 
Behandlung  hier  vollkommen  Fiasko  gemacht  habe. 

Eines  muss  von  vornherein  betont  werden:  es  gibt  Fälle  von 
Basedow  scher  Krankheit,  sogar  fortgeschrittenen  Grades,  die  bei 
innerer  Behandlung,  ja  fast  ohne  eine  solche,  anscheinend  vollständig 
ausheilen,  Fälle,  bei  denen  auch  in  späterer  Zeit  keinerlei  Symptome 
mehr  auftreten.  Das  ist  mehrfach  beobachtet  worden.  So  berichtet 
z.  B.  Grober6)  über  einen  spontan  geheilten  Fall  von  Basedow. 
Nach  vierjährigem  Bestehen  eines  sehr  deutlich  ausgeprägten  Krank¬ 
heitsbildes  verringerten  sich  unter  gleichzeitiger  Entwicklung  einer 
chronischen,  wahrscheinlich  phthisischen  Lungenerkrankung  die  Ba¬ 
sedowsymptome,  um  schliesslich  fast  ganz  zu  schwinden.  Damit  ist 
aber  für  den  Wert  einer  konservativen  Therapie  nicht  viel  gesagt. 
Es  gibt  ebenso  ganz  zweifellos  Fälle,  in  denen  eine  sicher  diagnosti¬ 
zierte  Lues  ohne  Behandlung  gänzlich  ausheilt;  ja,  Naunyn0)  hat 
sogar  gesagt,  dass  die  Lues  glücklicherweise  in  den  meisten  Fällen 
auch  ohne  Therapie  von  selbst  heile.  Deshalb  aber  wird  es  keinem 
Arzt  einfallen,  einen  Patienten,  der  sich  nachweislich  mit  Syphilis  in¬ 
fiziert  hat,  anders  als  mit  den  stärksten  zur  Verfügung  stehenden 
Mitteln  intensiv  zu  behandeln,  um  eine  möglichst  sichere  Gewähr  für 
eine  vollständige  Ausheilung  zu  haben.  In  gleicher  Weise  wird  man 
auch  bei  der  Basedow  sehen  Krankheit,  die  häufig  letal  verläuft, 
und  sehr  oft,  wenn  sie  nicht  energisch  genug  behandelt  wird,  lang¬ 
dauernde  oder  immerwährende  Beschränkung  der  Arbeitsfähigkeit, 
selbst  völlige  Arbeitsunfähigkeit  nach  sich  zieht,  die  Therapie  wählen 
müssen,  von  der  die  besten  Erfolge  zu  erwarten  sind. 

Es  ist  deshalb  schwierig,  sich  ein  zutreffendes  Bild  über  die 
Dauererfolge  der  internen  Therapie  zu  machen,  weil  eine  gewisse 
Anzahl  von’  Basedowfällen,  die  konservativ  behandelt  werden,  aus 
erklärlichen  Gründen  für  die  Statistik  verloren  geht.  Es  wird  weiter 
auch  in  der  Praxis  mancher  Fall  als  geheilt  betrachtet  und  aus  der 
Behandlung  entlassen  werden,  der  nur  augenblicklich  frei  von  auf¬ 
fälligen  Symptomen  ist,  sich  aber  in  einem  Latenzstadium  befindet, 
das  über  kurz  oder  lang  vielleicht  von  einem  neuen  Ausbruch  von 
Krankheitserscheinungen  abgelöst  wird.  Es  kann  aber  nur  eine  ge¬ 
nügend  lange  fortgesetzte  Beobachtung  über  den  wirklichen  Erfolg 
Klarheit  geben,  da  es  sich  eben  häufig  genug  nur  um  scheinbare  Hei¬ 
lungen  handelt. 

Eine  Uebersicht  über  die  Dauerresultate  der  inneren  Heilung  gibt 
Klose7):  ich  entnehme  seiner  Arbeit  folgende  Daten: 


‘)  83. 'Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte.  Ref. 
M.m.W.  1911  Nr.  4L 

2)  40.  Versammlung  der  Deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie. 
Ref.  ibidem  Nr.  18. 

3)  H.  Klose:  Die  Basedowsche  Krankheit.  Erg.  d.  Inn.  M. 
10.  1913. 

4)  40.  Versammlung  der  Deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie. 
Ref.  M.m.W.  1911  Nr.  4L 

5)  Grober:  Ueber  Selbstheilung  von  Basedow  scher  Krank¬ 
heit.  M.m.W.  1913  Nr.  1. 

°)  Zit.  nach  Plehn:  Die  praktische  Bedeutung  der  Wasser- 
m  a  n  n  sehen  Reaktion  etc.  Verhandlungen  der  Berliner  medizinischen 
Gesellschaft  1911.  7)  1.  c. 


B  u  s  c  h  a  n  berechnet  bei  interner  Behandlung  aus  900  Fällen 
11,6  Proz.  Mortalität,  Cheadle  9,6,  Thomson  10,  Graefe  12, 
Dusch  12,  Charcot,  Mackenzie  und  William  25  Proz. 
Sy  11  ab  a  sagt  von  der  internen  Therapie:  „Alles  hilft  und  alles  ver¬ 
sagt“.  Barucli8 9 10)  rechnet  aus,  dass  sich  die  operativen  Erfolge 
zu  den  konservativen  verhalten  wie  85:  10.  Wenn  ich  schliesslich 
die  Fälle  von  Basedow  mir  vor  Augen  führe,  die  ich  selbst  beobachtet 
habe,  und  die.z.  T.  ausserordentlich  lange  innerlich  behandelt  wur¬ 
den,  so  kann  ich  eigentlich  nicht  einen  anführen,  der  wirklich  geheilt 
wurde,  und  wo  merkliche  Besserungen  eintraten,  waren  sie  nicht 
von  Dauer.  Dagegen  habe  ich  einige  sehr  schwere  Fälle  gesehen, 
die  erst  konservativ  behandelt  wurden,  dann  aber  schliesslich  doch 
dem  Chirurgen  überwiesen  werden  mussten,  der  die  ersehnte  Hilfe 
brachte.  Ein  recht  schwerer  Fall  von  Basedow  scher  Krankheit, 
dem  dringend  die  Operation  angeraten  wurde,  liess  sich  nicht  ope¬ 
rieren.  ln  wenigen  Wochen  trat  der  Exitus  ein,  der  meiner  Ueber- 
zeugung  nach  sicher  hätte  vermieden  werden  können,  obwohl  schon 
eine  erhebliche  Schädigung  des  Herzens  bestand. 

Die  chirurgische  Behandlung  des  Morbus  Basedowii  ist  noch 
verhältnismässig  jungen  Datums.  Rehn  griff  als  erster  in  Deutsch¬ 
land  im  Jahre  1880  die  Krankheit  auf  operativem  Wege  durch  Ent¬ 
fernung  von  Schilddrüsensubstanz  an,  da  er  in  der  Thyreoidea  die 
Ursache  der  Krankheit  gefunden  zu  haben  glaubte,  ln  den  ausge¬ 
zeichneten  Erfolgen  der  Operation  erblickte  er  die  „Abhängigkeit  der 
Basedow  sehen  Krankheitssymptome  von  der  Struma,  für  die  Be¬ 
ziehungen  des  Morbus  Basedowii  oder  einzelner  seiner  Symptome  zu 
den  Anschwellungen  der  Schilddrüse“.  Konnte  nun  der  experimentelle 
Nachweis  erbracht  werden,  dass  tatsächlich  das  ganze  vielgestaltige 
Krankheitsbild  sich  auf  eine  falsch  funktionierende  Schilddrüse  zurück¬ 
führen  liess,  dann  war  natürlich  der  rationellste  Weg  zu  einer  end¬ 
gültigen  Beseitigung  der  Krankheit  die  Elimination  der  krankhaften 
Drüsenteile.  Als  das  geeignetste  Versuchsobjekt  zur  Erzeugung  des 
experimentellen  Basedow  hat  sich  der  degenerierte  Terrier  heraus¬ 
gestellt,  so  dass  Klose  diesen  Tiertypus  für  das  Basedowexperiment 
geradezu  als  das  „Tier  der  Wahl“  bezeichnet.  Durch  intravenöse 
Injektion  von  Presssäften  aus  Basedowstrumen  konnten  nun  auf  das 
sinnfälligste  die  Erscheinungen  des  akuten  Basedow  hervorgerufen 
werden,  nicht  aber  auf  Presssaftinjektion  von  normalen  und  einfach 
kropfigen  Schilddrüsen.  Die  Operationsmethode  bei  der  B  a  s  e  d  o  w  - 
sehen  Krankheit  besteht  daher  jetzt  fast  ausschliesslich  in  der  Exstir¬ 
pation  der  krankhaften  Schilddrüsenteile,  und  die  übrigen  chirurgi¬ 
schen  Behandlungsmethoden,  die  Operationen  am  Nervus  sym- 
pathicus,  die  Exothyreopexie,  die  alleinige  Unterbindung  der  zu¬ 
führenden  Arterien  sind  fast  allgemein  verlassen.  Von  namhaften 
Chirurgen  scheint  sich  nur  noch  de  Quervain11)  auf  Unterbindung 
der  Arteriae  thvreoideae  bei  Basedow  zu  beschränken.  Ueber  Ope¬ 
rationen  am  Halsteil  des  Sympathikus  habe  ich  aus  neuerer  Zeit  nur 
einen  Bericht  von  C  h  a  1  i  e  r  1U)  gefunden;  von  36  Fällen  hatten  29  die 
Operation  überstanden,  nur  3  wurden  völlig  geheilt,  also  ein  recht 
schlechter  Erfolg.  Ausser  der  Exstirpation  von  Schilddrüsensubstanz 
ist  in  einer  grösseren  Reihe  von  Fällen  bei  sog.  Status  thymicus  eine 
Entfernung  der  Thymus  mit  gutem  Erfolge  vorgenommen  worden, 
worüber  nachher  noch  zu  berichten  ist. 

Es  ist  zweckmässig,  vorausgesetzt,  dass  die  Schilddrüse  die 
alleinige  oder  doch  wenigstens  die  Hauptursache  der  Erkrankung  ist, 
sich  die  Frage  vorzulegen,  in  welchem  Sinne  eine  Entfernung  nur 
eines  Teiles  der  kranken  Dfüse  günstig  wirkt  und  wieviel  man  über¬ 
haupt  im  günstigsten  Falle  von  der  Operation  zu  erwarten  berechtigt 
ist.  Ich  gebe  über  die  Heilwirkung  der  Operation  wörtlich  die  An¬ 
gaben  Kloses11)  wieder,  die  alles  wesentliche  in  gedrängter  Form 
zusammenfassen:  „Die  Operation  der  Basedowschen  Krankheit 
wirkt  durch  zwei  Momente  heilend:  erstens  entfernt  sie  den  dysfunk¬ 
tionierenden  Schilddrüsenteil  und  coupiert  den  deletären  Einfluss  des 
„Basedowjodins“,  und  weiter  regt  sie  zu  mächtiger  Neubildung  normal 
funktionierender  Schilddrüsenteile  an.  Nach  Entfernung  des  kranken 
Teiles  kann  der  Jodweg  nur  über  den  noch  gesunden,  d.  h.  das  Jod 
richtig  maskierenden,  mithin  kompensierenden  Teil  der  Schilddrüse 
gehen“.  „Nach  den  histologischen  Untersuchungen  Kochers  ist 
zweifellos,  dass  die  Basedowschilddrüse  auf  den  Operationsreiz  mit 
einer  kräftigen  Neubildung  normalen  Gewebes  antwortet“.  Dieser 
Umstand  trägt  vielleicht  besonders  dazu  bei,  auch  in  Fällen,  wo  eine 
cinigermassen  vollständige  Entfernung  des  erkrankten  Gewebes  nicht 
angängig  ist,  die  Krankheitssymptome  dennoch  zum  Verschwinden  zu 
bringen. 

Ein  zutreffendes  Bild  von  den  Wirkungen  der  Operation  kann 
man  nur  bei  der  Betrachtung  grösserer  Statistiken  gewinnen.  Ich 
führe  zunächst  aus  der  K  1  o  s  e  sehen  Arbeit  eine  Tabelle  an,  die  über 
Resultate  chirurgischer  Basedowbehandlung  aus  den  Jahren  1896  bis 
1912  berichtet. 

Zur  Ergänzung  dieser  Tabelle  dienen  folgende  Angaben  über 
Operationserfolge  aus  den  letzten  Jahren,  die  teilweise  allerdings 
etwas  allgemein  gehalten  sind. 


8)  Baruch:  Ueber  die  Dauerresultate  operativer  und  konser¬ 
vativer  Therapie  bei  der  Basedow  sehen  Krankheit.  Beitr.  z.  klin. 
Chir.  75.  1911. 

9)  De  Quervain:  Zur  Technik  der  Kropfoperation.  D.  Zschr. 
f.  Chir.  116. 

10)  Bericht  auf  dem  25.  französischen  Chirurgenkongress.  Ref. 

M.m.W.  1912  Nr.  52.  “)  1.  c. 


14.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1571 


Jahr 


Namen  der  Autoren 


1896 

1898 

1900 

1909 

1903 

1904 

1905 

1906 

1907 


1908 


1909 

1911 


1913 


Schuir  ... 

Wolf . 

Helferich  . 

Reinbach  (Mal.  von  v.  Mi 
kulicz) 

Witmer  (Mat.  von  Krönlein) 

Th.  Kocher  . 

Curtis  .  .  ’ 

Mayo . 

Lessing  (Mat.  von  König) 
Hartley  . 

K.  Schulze  (Mat.  von  Riede 
A.  Kocher 

Itzina  (Mat.  von  Hildebrand 
Mayo  (nur  neuere  Fälle) 
Halsted  .  . 

Landström  . 

Moses  (Mat.  von  Oarre) 
Klemm 
Th  Kocher  . 

Mac  Cosh 
Haenel  .  .  . 

Sudeck  .  .  . 

Baruch  . 
v.  Eiseisberg 
Enderlen  .  . 

Klose  . 

Weispfennig 


Gesamt¬ 
zahl  der 
1  Fälle 

Hei¬ 

lungen 

1  Erhebt 
Bes- 

1  serung 

Geringe 

Bes¬ 

serung 

|  Miss- 
1  erfolge 

Tod 

Proz. 

Proz. 

Proz. 

Proz. 

Proz 

20 

90,0 

— 

_ 

5,0 

5.0 

9 

— 

66,5 

_ 

22,5 

6 

C6,6 

16,7 

— 

““ 

18 

66.5 

22,5 

_ 

5  5 

5,5 

23 

40,9 

86  2 

9,2 

9,2 

9,2 

59 

76,0 

14,0 

3,3 

6,7 

11 

60  0 

10,0 

_ 

_ 

30,0 

40 

67,5 

17,5 

— 

_ 

15|0 

8 

50,2 

— 

37,3 

_ 

12,5 

21 

87,5 

— 

— 

_ 

12,5 

50 

72,0 

12,0 

_ 

2,0 

14,0 

6,3 

167 

93,7 

_ 

_ 

7 

85,7 

— 

_ 

14,3 

136 

78,2 

19,6 

_ 

2,2 

90 

97,8 

— 

— 

_ 

2,2 

51 

50,2 

15,3 

— 

29,0 

5^5 

28 

16,9 

41,6 

24,9 

12,5 

4,1 

32 

93,2 

— 

3,4 

3,4 

153 

— 

98,7 

1,8 

22 

14,5 

72,7 

8,2 

4,6 

4,6 

21 

38,1 

42,8 

26 

84,6 

4,0 

_ 

_ 

4,0 

40  I 

72,5 

12,5 

— 

15,0 

15,8 

44 

61,4 

34,1 

_ 

4,0 

40  1 

70,0 

20,0 

_ 

2^2 

2,2 

61 

75,5 

9,8 

— 

1,6 

13,1 

30  | 

60,0 

6,6 

— 

23,3  | 

10,0 

1216 

61,8  | 

21,2 

3.1  1 

5,0  | 

7,6 

Erfolg 

=  86,1  Proz. 

nnPriPrtnR6,1^  bfrich,tet  ülLer  21  ^Ile  von  mit  gutem  Erfolge 
bfm  |r  Dnföafed°WT^-ran^en-  Davon  blieben  geheilt  oder  nahezu  ge- 
“  P  at'?nte£  Die  übrigen  wurden  gebessert,  oft  geradezu  ekla¬ 
tant  (ct.  obige  Iabelle). 

A„fi  A;  K  0  c  b  e  r  “)  ist  ein  Anhänger  der  Frühoperation.  Gerade  das 
Auttreten  von  Herzmuskeldegenerationen  berechtige  zu  diesem 
Standpunkte  Nach  seiner  Ansicht  hat  die  Schilddrüsenoperation  fast 
ohne  Ausnahme  eine  Besserung  und,  wenn  richtig  durchgeführt,  eine 
Heilung  zur  Folge.  „Die  Bedingung  zur  Vermeidung  von  Misserfolgen 
und  zur  Erzielung  möglichst  vieler  wirklicher  Heilungen  ist  die  Früh- 
Operation. 

,  .  Th  K  o  c  h  e  r  “)  berechnet  eine  Gesamtmortalität  von  3,4  Proz. 
ei  der  Operation  des  Basedow;  er  hält  es  auf  Grund  seiner  guten 
Erfolge  geradezu  für  einen  Kunstfehler,  wenn  diese  Krankheit  im  An- 
iang  anders  als  durch  Operation  behandelt  wird.  An  anderer  Stelle 
registriert  er  721  Operationen  an  535  Fällen;  er  verlor  17  Patienten, 
as  ergibt  eine  Mortalität  von  3,1  Proz.  Kocher  spricht  sich  auch 
hier  dahin  aus,  dass  die  Operation  im  Frühstadium  gefahrlos  und 
erfolgreich  sei,  ferner,  dass  die  Besserung  der  Menge  des  exzidierten 
Drusengewebes  entspreche;  Misserfolge  träten  nur  bei  zu  wenig 
ausgiebiger  Entfernung  ein. 

Garre  15)  hat  von  95  operierten  Basedowfällen  zwei  infolge  von 
hyperplastischer  Thymus  verloren. 

H  i  1  d  e  b  r  a  n  d  16)  operierte  100  Fälle,  von  denen  5  starben,  da- 
runter  2  an  Status  thymicus,  3  an  Herzschwäche. 

Die  Erfolge  von  Eiseisberg17)  erscheinen  auf  den  ersten 
Blick  weniger  ermutigend,  sind  aber  in  Hinsicht  auf  die  recht  schlechte 
Prognose  der  inneren  Behandlung  durchaus  nicht  ungünstig  zu  nennen 
Er  hatte  bei  71  Operierten  6  Todesfälle.  In  23  Fällen  trat  absolute 
Heilung  ein,  in  den  anderen  wesentliche  Besserung,  nur  2  blieben 
ungeheilt. 

Küttner18)  berichtet  von  85  Fällen  schwerer  Basedowerkran¬ 
kung  Die  nicht  operierten  21  blieben  ungeheilt;  in  desolatem  Zu¬ 
stande  gingen  11  zugrunde,  darunter  2  infolge  von  Status  thymicus, 
r  nehrnonie  und  7  an  Herzschwäche;  5  wurden  vollkommen  ge¬ 
heut,  8  wieder  erwerbsfähig,  2  blieben  ungeheilt.  Auch  diese  Erfolge 
bei  denen  es  sich  allerdings  um  schwere  Fälle  handelt,  die  meist  schon 
irreparable  Veränderungen  aufwiesen,  erscheinen  zunächst  nicht  viel 
zu  versprechen,  unterstützen  aber  nur  die  dringlichst  auszusprechende 
rorderung,  mit  der  Operation  nicht  zu  lange  zu  zögern. 
v  i  298.  7on  R  e  h  n  chirurgisch  behandelten  Fällen,  über  die 

jv  ose  )  berichtet,  sind  64  Proz.  geheilt  —  die  Nachuntersuchungen 
beziehen  sich  auf  den  Zeitraum  von  2  bis  18  Jahren  —  24  Proz.  ge¬ 
bessert,  3  Proz.  ungeheilt;  die  Zahl  der  Rezidive  beträgt  2  Proz 

H  c  i  n  I  e  i  n  20)  berichtet  über  einen  schweren  Fall  von  Basedow 
bei  einer  51  jährigen  abgemagerten  Patientin  mit  Oedem  der  Beine 

12)  Haenel;  Ueber  die  chirurgische  Behandlung  des  Morbus 
Basedow ii.  Gesellschaft  für  Natur-  und  Heilkunde  zu  Dresden. 

M.m.W.  1910  Nr.  2. 

13)  A.  K  o  c  h  e  r:  Die  Behandlung  der  Basedowschen  Krank¬ 
heit.  Ibidem  Nr.  13. 

")  Bericht  auf  der  78.  Jahresversammlung  der  „British  Medical 
Association“.  Ref.  M.m.W.  1910  Nr.  36. 

15)  I.  c. 

.  Bericht  auf  der  40.  Versammlung  der  deutschen  Gesellschaft 

für  Chirurgie. 

17)  Ibidem. 

,s)  Ibidem. 

18)  1.  c. 

r>  t  1!  Bericht  in  der  Nürnberger  med.  Gesellschaft  und  Poliklinik. 

Ref.  M.m.W.  1912  Nr.  29. 


Hydrothorax.  Nach  der  Operation  trat  rascher 
Kuckgang  der  Zirkulationsstörungen  ein  und  allmähliches  Verschwin- 
en  aller  Basedowsymptome  bis  auf  einen  mässigen  Exophthalmus. 
Die  Gewichtszunahme  nach  der  Operation  betrug  über  50  Pfd. 
ho,  We'sPfennig21)  schildert  aus  dem  allgemeinen  Kranken¬ 
haus  zu  Hamburg-Eppendorf  die  Dauerresultate  der  operativen  Be- 
SS"*  des  Morbus  Basedow».  Von  35  Fällen  wurden  43  Proz. 

8C  o0Z‘  vorh!uflK  Keheilt,  7  Proz.  gebessert,  20  Proz.  rezidi- 
vierten,  8  Proz.  starben.  Die  Misserfolge  sind  nach  Weispfen- 
i  g  darauf  zuruckzuführen,  dass  der  seinerzeit  exstirpierte  Schild- 
h^leiJtC1  h-‘C*  neu  Keh’ldet  hat  oder  dass  der  stehengebliebene  Teil 
R|Sh°P  rtf'  5  egj  grosses  Gewicht  auf  das  K  o  c  h  e  r  sehe 
Blutbild,  zumal  es  die  Indikationsstellung  für  die  dringend  empfohlene 
rruhoperationen  erleichtere  (cf.  obige  Tabelle) 

tu  D“,nIIVI1.22)  führt  auch  hei  Morbus  Basedow»  die  partielle 
Thyremdektomie  unter  Lokalanästhesie  aus.  Er  hat  230  Fälle  ope- 

4wdurch  de"  Tod  verloren.  Da  die  Operation  heute  noch 
vie  tach  als  u  timum  refugium  angesehen  werde,  so  gehe  viel  wert¬ 
volle  Zeit  verloren  Der  Exophthalmus  bildet  sich  nach  D  u  n  h  i  1 1  s 

als  aufUnderaUafndereneite  ^  exstirpierten  Lappens  prompter  zurück, 

Vnn  OTi'lairllält  si der  Operation  gegenüber  reservierter, 

m  H  oSeme"-  Lallen  wurden  10  chirurgisch  behandelt  (1  Ligatur 

haM  9rmPhrtHe  e  Xhyr?«ldeitorr|ien)-  Die  3  ersten  Kranken  starben 
bald  nach  dem  Eingnff.  Der  mit  Ligatur  behandelte  Fall  ist  jetzt, 
n (l  Ja/ire  nach  der  Operation,  zwar  gebessert,  jedoch  nicht  geheilt. 
Dann  kommen  2  Heilungen  und  4  gebesserte  Fälle.  Bei  leichteren 
Erkrankungen  rat  Murray  von  der  Operation  ab,  ebenso  bei  Herz- 

indlzier^hä»  W°  ^  operative  Eingriffe  für  sehr  gefährlich  und  kontra- 

HnhitXnrXl  k6  —in3*  |°.ra,le  oper!ert  und  formuliert  seine  Ansicht 
fidire'  daSS  ^ei  mi  den  Lruhformen  eine  Operation  immer  zur  Heilung 

o  p"  Geber  ausgezeichnete  Erfolge  der  operativen  Behandlung  in 
2  Fallen,  wo  protrahierte  Durchfälle  das  Hauptsymptom  des  Basedow 
ausmachten,  berichten  Kolb25)  und  Schmieden2«).  In  beiden 

Iung  ein Fat  naCh  dCr  0peration  eine  Prompte  und  dauernde  Hei- 

Forst  ige27)  berichtet  über  32  operierte  Fälle;  die  meisten 
erlangten  ihre  volle  Arbeitsfähigkeit  wieder;  40  Proz.  wurden  voll¬ 
kommen  geheilt,  32  Proz.  bedeutend  gebessert,  8  Proz.  gebessert, 
1  FtJ?z'  blieben  unbeeinflusst.  Die  Operationsmortalität  betrug 
12,5  Proz.,  war  also  noch  -eine  recht  hohe. 

Beschäftigen  wir  uns  nun  genauer  mit  dem  Rückgänge  der  ein- 
zelnen  Symptome  nach  dem  chirurgischen  Eingriff,  so  will  ich  zunächst 
des  Einflusses  auf  das  Blutbild  Erwähnung  tun.  Bekanntlich  weist 
aas  Blut  bei  allen  Basedowfällen  eine  ausgesprochene  Lymphozytose 
bei  meist  vorhandener  Leukopenie  auf.  Nebenbei  sei  bemerkt,  dass 
sich  ein  ymphozytäres  Blutbild  nach  H  a  t  i  e  g  a  n  28)  übrigens  in  der 
Häute  aller  Fälle  von  Struma  überhaupt  finde,  so  dass  die  dia¬ 
gnostische  Bedeutung  der  Lymphozytose  eine  begrenztere  wäre.  Die 
Beeinflussung  des  Blutbildes  nach  der  Operation  ist  nun  eine  ver¬ 
schiedene.  Unter  den  52  Fällen  von  B  a  r  u  c  h  29)  aus  der  K  ü  1 1  n  e  r  - 
sehen  Klinik  befindet  sich  nur  einer,  in  dem  das  Blutbild  wieder  nor- 
inal  wurde,  bei  den  anderen  Patienten  blieb  eine  mehr  oder  weniger 
ausgesprochene  Lymphozytose  zurück.  Auch  andere  Autoren  be¬ 
richten  über  ein  Persistieren  der  Lymphozytenvermehrung  bei  zwei¬ 
felloser  Heilung  der  Krankheit.  In  126  nachuntersuchten  Fällen,  deren 
Operation  längstens  29  Jahre  zurücklag,  konnte  nach  Klose  noch 
eine  Lymphozytose  zwischen  26,5  und  51,5  Proz.  konstatiert  werden. 
Klose  bemerkt  hierzu:  „Wir  müssen  aus  diesen  Tatsachen  die  Be- 
AA-  u^ung  ne,h£?ei!*  der  Schilddrüse  einen  direkten  Einfluss  auf  das 
Mischungsverhältnis  der  weissen  Blutkörperchen  abzusprechen  und 
anzunehmen,  dass  das  Basedowblutbild  indirekt  zustande  kommt 
d.  h.  über  ein  anderes  oder  mehrere  andere  Organe  hinweg,  die  unter 
dem  Einflüsse  der  dyssezernierenden  Schilddrüse  nach  einer  bestimm¬ 
ten  Richtung  hin  verändert  werden.“  Als  das  wesentlichste,  ver¬ 
mutlich  sogar  einzige  Organ  kommt  hier  der  Thymus  in  Frage  In 
den  8  Fallen,  in  denen  Klose30)  den  Thymus  reseziert  und  1  mal 
volkommen  entfernt  hat,  kehrte  das  Blutbild  zur  Norm  zurück 
Ebenso  hat  Garre31)  in  2  Fällen  mit  gutem  Erfolg  die  Thymektomie 
vorgenommen,  beide  Male  wurde  das  Blutbild  wieder  normal. 

•')  Weispf  ennig:  Die  Dauerresultate  der  operativen  Be¬ 
handlung  des  Morbus  Basedow».  Beitr.  z.  klin.  Chir.  79.  1912. 

22)  T.  P.  Dunhill:  Die  partielle  Thyreoidektomie  Unter  Lokal- 
anasthesie  bei  der  Basedowschen  Krankheit.  Lancet,  10.  II  1912 
Ref.  M.m.W.  1912  Nr.  35. 

23)  R.  Murray:  Die  Grundlagen  der  Behandlung  der  Base- 
dOW24Swn  Krankheit-  Lancet.  24.  II.  1912.  Ref.  M.m.W.  1912  Nr.  35. 

)  T  r  o  1 1  e  r:  Die  operative  Behandlung  der  Basedow  sehen 
Krankheit.  Lancet,  9.  III.  1912.  Ref.  M.m.W.  1912  Nr.  35. 

*5)  Kolb:  Ueber  Intestinalerscheinungen  bei  Basedowscher 
Krankheit  etc.  M.m.W.  1912  Nr  49 

20)  Zbl.  f.  Chir.  1912  Nr.  40. 

27)  Inauguraldissertation,  Heidelberg  1912. 

*8)  J.  Hatiegan:  Ueber  das  Blutbild  bei  Struma  und  Morbus 
Basedown.  W.kl.W.  1912  Nr.  39. 

29)  cf.  Klo  s  e,  1.  c. 

30)  1.  c.  31)  1.  c. 


4* 


1 57i 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  28. 


Von  den  mehr  imponierenden  Symptomen  des  Basedow,  der  Er¬ 
regbarkeit  des  Nervensystems,  den  kardiovaskulären  Erscheinungen, 
der  Veränderung  des  Stoffwechsels,  dem  Exophthalmus,  gehen  je 
nach  der  Dauer  und  Intensität  der  Erkrankung  die  meisten  mehr  oder 
weniger  vollkommen  zurück.  Ja,  selbst  die  nicht  so  ganz  seltenen 
Psychosen  werden  häufig  auf  das  günstigste  beeinflusst.  Klose 
berichtet  von  einer  Basedowpatientin,  die  im  „schwersten  Erkran¬ 
kungszustände  bei  ausgesprochener  Manie  operiert  wurde  .  Die 
Kranke  wurde  vollkommen  geheilt.  Desgleichen  berichtet  Schle¬ 
singer32)  über  eine  35  jährige  Frau,  deren  Basedow  mit  einer 
schweren  Psychose  paranoisch-maniakalischen  Charakters  einher¬ 
ging  und  als  ursächlich  zusammenhängend  mit  dem  Basedow  auf- 
gefasst  werden  musste.  Sofort  nach  der  Operation  wurde  die  Fa- 
tientin  vollkommen  ruhig,  und  auch  späterhin  hat  sich  nichts  mehr 
von  krankhaften  psychischen  Erscheinungen  gezeigt,  obwohl  die  Pa¬ 
tientin  nun  schon  2  Jahre  lang  beobachtet  wird. 

Am  ehesten  scheint  eine  gewisse  Vulnerabilität  des  Nerven¬ 
systems  zurückzubleiben,  selbst  nach  Operationen,  die  sonst  alle 
anderen  Symptome  restlos  beseitigt  haben.  Dieser  Ansicht  wird  von 
den  verschiedensten  Chirurgen  Ausdruck  gegeben;  besonders  n  1 1  - 
debrand33)  betont,  dass  ihm  dies  in  vielen  Fällen  —  er  hat  gegen 
200  Basedowkranke  operiert  —  aufgefallen  sei.  Auch  von  der 
Patientin,  die  vor  30  Jahren  als  erste  von  Rehn  operiert  wurde, 
berichtet  Klose1'),  dass  sie  nach  ihrer  eigenen  Angabe  sich  leichter 
errege  als  vor  ihrer  Krankheit,  während  „kein  Arzt  irgendwelche 
noch  so  leisen  Anklänge  an  ihre  frühere  schwere  Erkrankung  finden 
könne“.  Diese  leichtere  Erregbarkeit  des  Nervensystems  in  vielen 
Fällen  wird  man  aber  gern  mit  in  den  Kauf  nehmen,  wenn  die  Pa¬ 
tienten  im  übrigen  Widerstands-  und  leistungsfähig  werden.  Freilich 
ist  zu  bemerken,  dass  die  Erscheinungen  von  seiten  des  Herzens,  so- 
bald  schon  schwerere  Schädigungen  vorliegen,  unter  Umständen  noch 
recht  lange  Zurückbleiben,  vielleicht  gar  nicht  mehr  schwinden,  wenn 
die  Myodegeneratio  eben  schon  zu  weit  vorgeschritten  ist.  Aber  ich 
habe  selbst  Fälle  mit  ausserordentlich  schweren  Herzstörungen  be¬ 
obachtet,  wo  die  lange  Zeit  fortgesetzte  interne  Therapie  gar  keinen 
Nutzen  zeitigte  und  wo  dann  nach  der  Operation  schliesslich  doch, 
wenn  auch  nur  langsam,  auch  die  Herzerscheinungen  sich  aufs  deut¬ 
lichste  besserten.  Andererseits  beobachte  ich  jetzt  einen  Fall  - 
es  handelt  sich  um  eine  ältere  Dame,  bei  der  vor  etwa  3  Jahren  zum 
erstenmal  ein  Basedow  festgestellt  wurde  —  die  vor  einem  halben 
Jahre  operiert  wurde  und  bei  der  fast  dauernd  das  Herz  noch  der 
Unterstützung  durch  Digitalis  bedarf  und  trotzdem  noch  recht  un¬ 
regelmässig  arbeitet.  Offenbar  liegen  hier  schon  schwere  organische 
Veränderungen  vor.  Interesse  erfordern  die  Beobachtungen  Hilde¬ 
brands35)  an  den  Elektrokardiogrammen  von  Basedowkranken,  die 
gegenüber  der  Norm  schwere  Veränderungen  der  Vorhof-  und  der 
Initialzacke  zeigten.  Nach  der  Operation  wurde  jedesmal  das  Elek¬ 
trokardiogramm  desselben  Individuums  annähernd  normal. 

Der  Exophthalmus  wird  durch  die  Operation  nicht  immer  zum 
Schwinden  gebracht,  aber  doch  meistens  erheblich  verringert. 
Klose  hat  eine  solche  Besserung  niemals  vermisst;  in  einigen  Fällen 
sah  er  das  Symptom  sehr  schnell  zurückgehen.  Misserfolge  in  bezug 
auf  den  Rückgang  des  Exophthalmus  bei  länger  bestehender  Erkran¬ 
kung  führt  Rehn 36)  auf  schwere  Veränderungen  im  retroorbitalcn 
Fettgewebe  zurück.  D  u  n  h  i  1 1 3‘)  will  auf  Grund  seines  reichen  Ma¬ 
terials  beobachtet  haben,  dass  auf  der  Seite  des  exstirpierten  Schild¬ 
drüsenlappens  der  Exophthalmus  prompter  zurückgehe  als  auf  der 

anderen.  .  _ 

Es  gelingt  nun  öfters  nicht,  mit  einer  einmaligen  Operation 
Heilung  der  Basedow  sehen  Krankheit  zu  erzielen.  Es  treten  Re¬ 
zidive  auf,  die  noch  einen  zweiten  Eingriff  notwendig  machen.  Aber 
die  langjährige  Beobachtung  erfahrener  Chirurgen  hat  gezeigt,  dass, 
je  später  operiert  wird,  desto  eher  Rückfälle  sich  einstellen  und  dass 
oei  Frühoperationen  diese  mit  grosser  Sicherheit  sich  vermeiden 
]aSsen 

Nach  diesem  kurzen  Ueberblick  über  die  Erfolge  der  operativen 
Basedowbehandlung  ist  nun  die  Frage  aufzuwerfen,  ob  wir  berechtigt 
oder  gar  verpflichtet  sind,  den  Kranken  von  vornherein  zu  einem 
operativen  Eingriff  zu  raten.  Ich  habe  schon  eingangs  erwähnt,  dass 
sehr  namhafte  innere  Kliniker,  wie  Erb,  v.  Strümpell,  Eulen¬ 
burg  u.  a.  durchaus  zuerst  für  eine  innere  Behandlung  plädieren 
und  erst  bei  Versagen  dieser  ein  chirurgisches  Vorgehen  empfehlen; 
und  es  muss  nochmals  gesagt  werden,  dass  auch  ohne  Operation, 
allein  auf  dem  Wege  einer  konservativen  Therapie,  Erfolge  erzielt 
werden.  Es  bleibt  aber  doch,  wenn  wir  das  vorher  angeführte  chirur¬ 
gische  Material  Revue  passieren  lassen,  die  nüchterne  Tatsache  be¬ 
stehen,  dass  die  Resultate  der  operativen  Therapie  ungleich  glänzen¬ 
dere  sind  als  die  der  inneren,  und  aus  diesem  Faktum  heraus,  so 
meine  ich,  müssen  wir  die  Verpflichtung  herleiten,  unseren  Patienten, 
wenn  irgend  möglich,  einen  frühzeitigen  operativen  Eingriff  in  Vor- 

32)  S  c  h  1  e  s  i  n  g  c  r:  Zur  chirurgischen  Behandlung  des  Morbus 
Basedowii.  Verhandlungen  d.  Berliner  med.  Gesellschaft  1912. 

33)  Diskussion  zu  Schlesingers  Vortrag.  Verhandlungen  d. 
Berliner  med.  Gesellschaft  1912. 

34)  1.  c. 

35)  1.  c. 

38)  Bericht  auf  der  83.  Versammlung  deutscher  Naturforscher 
und  Aerzte.  Ref.  M.m.W.  1911  Nr.  41. 

37)  1.  c. 


schlag  zu  bringen.  Das  Urteil  des  inneren  Klinikers  Kraus38)  geht 
dahin,  „dass  die  Chirurgie  es  ist,  die  an  erster  Stelle  berufen  er¬ 
scheint,  die  Therapie  des  Morbus  Basedowii  zu  übernehmen  und 
mehr  und  mehr  zu  einer  operativen  zu  gestalten“.  K  ü  1 1  n  e  r  hat  auf 
dem  Chirurgenkongress  1911  sich  dahin  geäussert,  dass  der  Morbus 
Basedowii  eine  chirurgische  Krankheit  sei,  deren  Behandlung  in  der 
Frühoperation  bestehe,  die  Todesfälle  fast  ganz  vermeiden  lasse. 
Die  Mahnung  zur  Frühoperation  findet  man  fast  bei  allen  Chirurgen, 
denen  ein  groses  Material  durch  die  Hände  geganeen  ist,  vor  allem 
auch  bei  Th.  Kocher,  der  wohl  über  die  grösste  Erfahrung  auf 
diesem  Gebiete  verfügt.  Es  ist  doch  zu  bedenken,  dass  in  der  grossen 
Mehrzahl  der  Fälle  anfangs  nur  ein  Teil  der  Schilddrüse  erkrankt  ist, 
dessen  Entfernung  die  Krankheit  schnell  und  restlos  zur  Heilung  zu 
bringen  pflegt.  Bei  fortgeschrittenen  Fällen  wird  man  immer  einen 
Rest  krankhaften  Gewebes  zurücklassen  müssen,  so  dass  dann  der 
Erfolg  mehr  oder  weniger  in  Frage  gestellt  wird.  Könnte  man,  sagt 
Rehn™),  die  ganze  Schilddrüse  entfernen,  so  würden  alle  Falle  ge¬ 
heilt  werden.  „ 

Es  wird  für  einen  Patienten,  der  verhältnismässig  wenig  Be¬ 
schwerden  von  seiner  im  Anfangsstadium  befindlichen  Erkrankung 
hat  nicht  immer  leicht  sein,  sich  zu  einer  sofortigen  Operation  zu 
ent'schliessen.  Man  wird  daher  in  vielen  Fällen  zunächst  mit  einer 
inneren  Behandlung  anfangen  müssen,  dem  Kranken  aber  zweck¬ 
mässig  sagen,  dass  diese  nicht  zu  lange  ausgedehnt  werden  dürfe,  um 
das  Auftreten  irreparabler  Veränderungen  zu  vermeiden.  Tritt  nicht 
sehr  bald  ein  Erfolg  ein,  so  scheint  es  mir  doch  empfehlenswert,  auf 
eine  Operation  zu  dringen,  ganz  besonders  aber  in  Fällen,  wo  es  sich 
darum  handelt,  die  Patienten  möglichst  bald  wieder  arbeitsfähig  zu 
machen,  also  zunächst  bei  Angehörigen  der  arbeitenden  Klassen, 
dann  aber  auch  bei  allen  den  Kranken,  die  aus  materiellen  Gründen 
nicht  in  der  Lage  sind,  sich  eine  lange  Kur  leisten  zu  können.  Hier 
ist  besonders  im  Interesse  des  Patienten  die  Frühoperation  am  Platze. 

In  jedem  einzelnen  Falle  von  Basedowscher  Krankheit  sollte 
aber,  wie  Klose40)  fordert,  „der  Chirurg  von  vorneherein  bei  der 
Frage  der  Basedowtherapie“  hinzugezogen  werden.  Wie  andere 
Krankheiten,  die  früher  zunächst  hauptsächlich  die  Domäne  des  inne¬ 
ren  Klinikers  bildeten,  jetzt  von  Anfang  an  unter  die  Obhut  des 
Chirurgen  gestellt  werden  —  ich  denke  an  die  meisten  Formen  der 
Appendizitis,  an  zahlreiche  Lungenerkrankungen,  endlich  an  manche 
Krankheiten  des  Zentralnervensystems  — ,  so  muss  man  auch  heute  un¬ 
bedingt  den  Morbus  Basedowii  den  Krankheiten  zurechnen,  die  weit¬ 
aus  am  besten  beim  Chirurgen  aufgehoben  sind.  Die  innere  I  herapic 
ist  im  allgemeinen  zu  unsicher  und  braucht  auch  viel  zu  lange  Zeit  zu 
einem  meist  nur  vorübergehenden  Erfolge,  als  dass  wir  sie  den  Kran¬ 
ken,  die  möglichst  bald  wieder  hergestellt  sein  wollen,  empfehlen 

k°nriMit  Hinsicht  auf  die  wirklich  guten  Erfolge  der  chirurgischen 
Basedowtherapie  will  mir  die  Forderung  gerechtfertigt  erscheinen, 
dass  wir  in  der  Regel  die  F  r  ü  h  o  p  e  r  a  t  i  o  n  als  sicherste  Behand¬ 
lung  der  Basedow  sehen  Krankheit  unseren  Patienten  anzuraten 
verpflichtet  sind,  solange  wir  nicht  ein  Mittel  kennen,  das  auf  un¬ 
blutigem  Wege  die  causa  peccans  zu  entfernen  vermag. 


Bücheranzeigen  und  Referate. 

C.  Oppenheimer:  Die  Fermente  und  ihre  Wirkungen. 

IV.  völlig  neubearbeitete  Auflage.  Nebst  einem  Sonderkapitel:  Physi¬ 
kalische  Chemie  der  Fermente  und  Fermentwirkungen  von  Prof. 
R.  0.  H  e  r  z  o  g  in  Prag.  Leipzig  1913.  Verlag  von  F.  C.  W.  V  o  g  c  1. 
Bd.  II.  663  Seiten.  Mit  Bd.  I  zusammen  (1150  Seiten)  36  M.  S 
Das  Werk  ist  bereits  mit  Erscheinen  des  I.  Bandes  dieser  Auf¬ 
lage  an  dieser  Stelle  einer  ausführlichen,  sehr  günstigen  Kritik  unter¬ 
zogen.  Auch  der  II.  Band  der  neuen  Auflage  zeigt  die  gleiche  Gründ¬ 
lichkeit  in  der  Sammlung  und  Bearbeitung  des  Stoffes.  Trotz  der 
ganz  ausserordentlich  angewachsenen  Literatur  dieses  Gebietes  dürfte 
es  schwer  sein,  dem  Verfasser  eine  erheblichere  Lücke  im  Zitieren 
nachzuweisen.  Dieser  II.  Band  behandelt  zunächst  als  Fortsetzung 
des  Hauptteiles  2  die  folgenden  Hauptgruppen  der  Fermente:  Prote¬ 
asen,  Zvmasen,  Oxydasen  und  Katalasen. 

Der  3.  Hauptteil  des  Gesamtwerkes  gibt  wieder  aus  der  Feder 
von  R.  O.  Herzog  eine  ausführliche  physikalische  Chemie  der 
Fermente  und  ihrer  Wirkungen,  die  ebenfalls  gegenüber  der  früheren 
Abfassung  eine  ausgezeichnete  Weiterführung  erfahren  hat.  Eine 
Bibliographie  von  ca.  100  Seiten  macht  den  Beschluss  des  Buches. 
Für  alle,  die  auf  dem  Gebiete  der  Fermentforschung  Interessen  haben 
oder  selber  forschend  sich  betätigen  wollen,  muss  das  Buch  als  der 
zurzeit  beste,  vollständigste  und  zuverlässigste  Ratgeber  bezeichnet 
werden.  Schade-  Kiel. 

C.  Oppenheimer:  Grundriss  der  anorganischen  Chemie. 

VIII.  Auflage.  Leipzig.  Verlag  von  J.  T  h  i  e  m  e.  1914.  246  Seiten. 
Preis  gebunden  3.50  M. 

Schon  wieder  liegt  eine  neue  Auflage  dieses  bekannten  kurzge¬ 
fassten  Kompendiums  der  anorganischen  Chemie  vor.  Sie  hat  gegen- 


38)  Zit.  nach  Klose,  1.  c. 

39)  1.  c. 

40)  1.  c. 


14.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1573 


über  den  früheren  im  allgemeinen  Teil  eine  wesentliche  Erweiterung 
und  Verbesserung  erfahren.  Kurz  zusammengedrängt  (auf  93  Seiten) 
wird  eine  ganz  vorzügliche  erste  Orientierung  über  die  allgemeinen 
Gesetze  der  Chemie  (einschliesslich  der  physikalischen  Chemie)  ge¬ 
geben.  Im  speziellen  Teil  ist  wenig  geändert,  nur  ist  das  Kapitel 
über  radioaktive  Stoffe  erweitert  und  den  neueren  Forschungsergeb¬ 
nissen  angepasst.  Als  kurzes  Repetitorium  der  anorganischen  Chemie 
ist  das  Buch  den  Medizinern  durchaus  zu  empfehlen;  selbstverständ¬ 
lich  kann  und  will  es  das  ausführliche  Lehrbuch  nicht  ersetzen. 

Schade-  Kiel. 

Friedrich  Craemer:  Vorlesungen  über  Magen-  und  Darm- 

krankheiten.  6.  Heft.  Die  chronischen  katarrhalisch  entzündlichen 
Erkrankungen  des  Darmes.  München  1914.  J.  F.  Lehmanns 
Verlag.  220  Seiten.  Preis  4.50  M. 

Von  den  bisher  erschienenen  Heften  beschäftigt  sich  eines  mit 
allgemein  ätiologischen  Fragen,  der  Einwirkung  der  Genussmittel  auf 
den  Darm,  drei  mit  Magenerkrankungen,  Katarrh,  Erweiterung  und 
Geschwür,  und  nur  eines  mit  einer  Darmerkrankung,  der  Darmatonie. 
Das  neue,  6.  Heft  befasst  sich  wieder  mit  den  Darmerkrankungen  und 
zwar  mit  einem  der  schwierigsten  Kapitel.  Verfasser  sagt  selbst,  dass 
man  nicht  abgeschlossene  Schilderungen  von  ihm  erwarten  dürfe.  Das 
bekannte  tiefe  Dunkel,  das  im  Darm  und  im  kranken  Darm  herrscht, 
ist  noch  weit  entfernt  von  völliger  Aufhellung.  Um  so  mehr  muss 
man  dem  Verfasser  dankbar  sein,  dass  er  es  versucht,  auf  Grund 
eines  grossen,  sorgfältig  beobachteten  Krankenmaterials  zur  Klärung 
beizutragen.  Soweit  es  überhaupt  mit  rein  klinischen  Untersuchungs- 
methöden  möglich  ist,  so  ist  der  Versuch  vorzüglich  gelungen. 
Freilich  verkennt  der  Verfasser  wohl  selbst  am  wenigsten,  dass  die 
klinischen  Beobachtungen  nur  im  Verein  mit  mühevollen  anatomisch¬ 
histologischen  an  vom  Toten  und  vor  allem  vom  Lebenden  gewonnenen 
Material,  den  schwierigsten  chemischen  Forschungen  und  den  experi¬ 
mentellen  Methoden  imstande  sind,  eine  wirklich  klare  Einsicht  in 
die  Darmerkrankungen  zu  gewinnen  und  eine  scharfe  Charak¬ 
terisierung  der  Krankheitsbilder  durchzuführen.  Aber  gerade  für  den 
praktischen  Arzt  bietet  die  neue  Vorlesung  des  gereiften  Praktikers 
eine  solche  Fülle  von  Anregung  und  Belehrung,  dass  man  beim  Lesen 
gern  seine  Wünsche  für  eine  vollkommenere  Zukunft  zurückdrängt  und 
sich  an  den  reichen,  in  der  Gegenwart  gebotenen  Beobachtungs¬ 
ergebnissen  erfreut.  In  therapeutischer  Hinsicht  wäre  es  vielleicht 
zu  wünschen,  wenn  unter  den  so  zahlreich  gebotenen  Behandlungs¬ 
verfahren  und  den  vielen  erwähnten  abführenden,  stopfenden,  des¬ 
infizierenden  und  anderen  Arzneimitteln  eine  engere  kritische  Aus¬ 
wahl  auf  Grund  der  gewiss  in  dieser  Beziehung  ganz  besonders 
reichen  Erfahrung  des  Autors  geboten  würde.  Ein  Nachschlagebuch 
ist  das  vorliegende  nicht.  Es  sind  Vorlesungen,  die  man,  wenn  man 
sie  nicht  hören  kann,  im  Zusammenhang  lesen  muss.  Kein  Praktiker 
wird  das  Buch  aus  der  Hand  legen,  ohne  von  seiner  Lektüre  Nutzen 
und  Genuss  gehabt  zu  haben.  P  e  n  z  o  1  d  t. 

A.  Bier,  H.  Braun,  H.  Kümmell:  Chirurgische  Operations¬ 
lehre.  Band  I,  Lieferung  2.  Preis  des  ganzen  I.  Bandes  geb.  47  M. 

Mit  der  2.  Lieferung  liegt  der  ganze  I.  Band  und  damit  das  ge¬ 
samte  Werk  vollständig  vor.  Ein  leuchtendes  Wahrzeichen  des  hohen 
Standes  der  deutschen  Chirurgie. 

Die  Lieferung  enthält  die  Beschreibung  der  Operationen  am  Kopf 
und  an  der  Wirbelsäule. 

Otto  Tilmann-Köln  behandelt  die  Operationen  am 
Schädelteil  des  Kopfes.  Das  Kapitel  enthält  ausser  wert¬ 
vollen  Abschnitten  über  Hirnoperationen  und  Bestimmung  von  Fremd¬ 
körpern  im  wesentlichen  eine  vortreffliche  Beschreibung  der  Trepa¬ 
nationstechnik  aus  den  verschiedensten  Indikationen.  Die  grosse  per¬ 
sönliche  Erfahrung  des  Verfassers  kommt  der  Darstellung  aller  tech¬ 
nischen  Einzelheiten  sehr  zu  statten. 

Die  Operationen  am  Gesichtsteil  des  Kopfes  sind 
von  Fritz  K  ö  n  i  g  -  Marburg,  Erich  Lex  er- Jena  und  Ludwig 
W  rede- Jena  dargestellt.  Eine  besondere  Bereicherung  hat  dieser 
Abschnitt  dadurch  erfahren,  dass  Hermann  Braun  dazu  ein  eigenes 
Kapitel  über  Anästhesierungsverfahren  und  Punktion 
der  Trigeminusstämme  verfasst  hat. 

Von  L  e  x  e  r  stammt  das  Kapitel  über  die  plastischen 
Operationen  im  Gesicht  und  in  der  Mundhöhle.  Der  erfahrene 
Jenaer  Chirurg  hat  bekanntlich  auf  dem  Gebiete  der  plastischen  Ope¬ 
rationen  zahlreiche  neue  Verfahren  geschaffen  und  diesem  Teil  der 
Chirurgie  neue  Wege  gewiesen.  Die  zusammenfassende  Darstellung 
seiner  eigenen  Methoden  und  derjenigen,  die  schon  Gemeingut  der 
Chirurgie  waren,  ist  ein  besonderer  Vorzug  des  Werkes. 

Die  Operationen  am  Nervus  facialis  und  Nervus 
trige minus  sind  von  Wrede  behandelt.  Die  zum  Teil  neuen 
operativen  Methoden  haben  durch  W.  eine  in  jeder  Beziehung  vor¬ 
treffliche  Schilderung  erfahren.  Von  W.  stammen  auch  die  Abschnitte 
„Operationen  an  der  Orbita  und  an  der  Zunge  und  dem  Mund¬ 
bode  n“. 

Fritz  K  ö  n  i  g  -  Marburg  hat  den  Abschnitt  über  die  Ope¬ 
rationen  an  denKiefern  und  bei  Nasenrachentumoren 
verfasst.  Als  berufener  Autor,  der  selbst  an  der  Ausbildung  der 
Technik  vielfachen  hervorragenden  Anteil  genommen  hat,  berück¬ 
sichtigt  er  besonders  auch  den  Ersatz  der  durch  die  Eingriffe  gesetzten 
Defekte. 

Ein  Gebiet,  das  zum  grössten  Teil  eine  Errungenschaft  der  letzten 


Jahrzehnte  darstcllt,  sind  die  Operationen  an  der  Wirbelsäule 
und  am  R  ii  c  k  e  n  m  a  r  k.  Die  Darstellung  derselben  durch  Victor 
S  c  h  m  i  e  d  e  n  -  Halle  stellt  einen  besonders  wertvollen  Teil  des 
Handbuches  dar.  Die  grosse  Zahl  der  den  Gang  der  einzelnen  Ope¬ 
rationen  erläuternden  originellen  Abbildungen  (Laminektomie,  Ope¬ 
ration  der  Spina  bifida,  Förster  sehe  Operation)  muss  rühmend 
hervorgehoben  werden.  Kr  ecke. 

Oskar  Polano:  Geburtshilflich-gynäkologische  Propädeutik. 

Eine  theoretische  und  praktische  Einführung  in  die  Klinik  und  in  die 
Untersuchungskurse.  Mit  78  meist  farbigen  Abbildungen.  Würzburg 
1914.  Verlag  von  Curt  K  a  b  i  t  s  c  h.  144  S.  Preis  geb.  5  M. 

Die  vorliegende  Propädeutik  zerfällt  in  einen  theoretischen  und 
einen  praktischen  Teil.  In  dem  ersten  Teile  wird  die  Anatomie  der 
weiblichen  Genitalorgane  vom  Standpunkt  des  Klinikers  erörtert;  des¬ 
gleichen  wird  die  Biologie  der  Ovulation  und  Menstruation  und  der 
Einfluss  der  Schwangerschaft  auf  den  Genitalapparat  einerseits 
und  den  Gesamtorganismus  andererseits  abgehandelt.  Jeder  der  selbst 
lehrt,  wird  unumwunden  zugeben,  dass  diese  kurzen  und  doch  gründ¬ 
lichen  Erörterungen  über  das  „Normale“  dem  Studierenden  das  ver¬ 
ständnisvolle  Folgen  in  der  klinischen  Vorlesung  und  in  den  Unter¬ 
richtskursen  ausserordentlich  erleichtern  müssen.  Der  zweite  Teil 
handelt  von  den  geburtshilflichen  und  gynäkologischen  Untersuchungs¬ 
methoden.  Er  steht  in  keiner  Hinsicht  dem  ersten  Teile  an  Klarheit 
der  Diktion  und  Uebersichtlichkeit  der  Disposition  nach.  In  ausge¬ 
zeichneter  Weise  wird  die  Technik,  der  Zweck  und  die  Leistungs¬ 
fähigkeit  der  einzelnen  Methoden  gelehrt.  Unterstützt  wird  die  flotte 
Darstellungsweise  durch  zahlreiche  instruktive  Abbildungen,  so  dass 
man  als  Lehrer  dem  angehenden  Klinizisten  das  Studium  des  Buches 
wärmstens  empfehlen  kann.  P.  Esch-  Marburg. 

H.v.Tappeiner:  Anleitung  zu  chemisch-diagnostischen  Unter¬ 
suchungen  am  Krankenbett.  10.  umgearb.  Aufl.  mit  12  Figuren  im 
Text.  München  1914,  M.  Riegers  Buchhandlung.  146  S.  Preis 
geb.  2.20  M. 

Die  grosse  Zahl  der  Auflagen  zeigt,  dass  das  Büchlein  seinen 
Zweck  erfüllt.  Es  verdankt  seine  Beliebtheit  wohl  vor  allein  der 
kurzen,  übersichtlichen  und  leichtverständlichen  Darstellung  und  An¬ 
ordnung  des  grossen  Stoffes,  so  dass  es  auch  dem  Anfänger  rasch 
möglich  ist,  einen  Ueberblick  zu  gewinnen.  Freilich  ist  es  dann  sehr 
schwer,  wohl  unmöglich,  eine  Auswahl  des  Stoffes  und  der  Methoden 
zu  treffen,  die  alle  Benützer  befriedigt.  Jedoch  gehören  Methoden, 
die  in  der  Praxis  doch  nicht  ausgeführt  werden  können,  wie  die 
Wassermann  sehe  Reaktion  und  der  neue  Abderhalden  sehe 
Nachweis  der  Abwehrfermente  sicherlich  nicht  in  ein  derartiges  Buch; 
eine  kurze  Darstellung  nützt  dem  Leser  nichts  und  die  theoretische 
Begründung  wird  er  in  einer  kleinen  praktischen  Anleitung  mit  Recht 
nicht  suchen.  Dagegen  erscheint  dem  Ref.  die  Untersuchung  des 
Blutes  allzu  stiefmütterlich  behandelt  und  über  den  Liquor  cerebro¬ 
spinalis  finden  sich  nur  9  Zeilen.  Im  Kapitel  über  Chloride  wäre  wohl 
zweckmässig  die  quantitative  Kochsalzbestimmung  mit  dem  Koch¬ 
salzröhrchen  von  FI.  S  t  r  a  u  s  s  zu  erwähnen,  die  eine  klinisch  ge¬ 
nügende  Bestimmung  in  wenigen  Minuten  ermöglicht.  Dass  das 
spezifische  Gewicht  des  Harns  wesentlich  durch  den  Eiweissgehalt 
mitbeeinflusst  werde,  ist  nicht  richtig,  wenigstens  nicht  bei  den  Ei¬ 
weissmengen,  wie  sie  gewöhnlich  Vorkommen.  —  Dem  Praktiker,  der 
sich  nicht  auf  kompliziertere  Methoden  einlassen  kann  und  dem 
Studenten  als  erste  Einführung  in  das  Gebiet,  ist  das  Büchlein  zu 
empfehlen.  L.  Jacob-  Würzburg. 

Dr.  Carlo  Vallar  di:  II  fosforismo  cronico.  Mailand  1914. 
238  Seiten,  9  Tafeln. 

Es  werden,  nachdem  die  Streichholzindustrie,  die  allgemeine  Toxi¬ 
kologie  des  Phosphors  und  die  Geschichte  der  Phosphorvergiftung 
besprochen,  eingehend  die  Nekrose  und  die  weiteren  Aeusserungen 
der  chronischen  Phosphorvergiftung  behandelt  Daran  schliessen 
sich  die  Aufzählung  der  Schutzmassregeln  und  der  gesetzlichen  Vor¬ 
schriften  der  verschiedenen  Länder.  Den  Schluss  bildet  der  Bericht 
des  Verfassers  über  seine  Versuche  an  Hunden  und  Meerschweinchen 
und  das  Literaturverzeichnis.  D  a  1 1'  A  r  m  i  -  München. 

Rohleder:  Monographien  über  die  Zeugung  beim  Menschen. 
Bd.  IV:  Die  libidinösen  Funktionsstörungen  der  Zeugung  beim  Weibe. 

99  Seiten.  M.  2.80,  geb.  M.  3.60. 

Mit  dem  nunmehr  erschienenen  4.  Bande  ist  Rohleders 
einzigartiges  Werk  über  die  Zeugung  beim  Menschen  beendet:  es  ist 
nicht  zuviel  gesagt,  wenn  ich  behaupte,  dass  der  Verfasser  die  Auf¬ 
gabe,  die  er  sich  gestellt,  in  mustergültiger,  geradezu  glänzender 
Weise  gelöst,  der  Aerztewelt  ein  ideales  Lehr-  und  Nachschlagebuch 
geschenkt  hat.  Der  letzte  Band  behandelt  die  Störungen  der  Zeu¬ 
gung,  soweit  sie  in  der  Libido  des  Weibes  begründet  sind:  die  Frigidi¬ 
tät,  die  Dyspareunie,  die  Hysterie,  sowie  die  Differenzierungen  des 
Geschlechtstriebes  nach  der  sog.  krankhaften  Seite  hin,  Masochismus, 
Sadismus,  Fetischismus.  Auch  dieser  Band  behandelt  den  Stoff  rein 
vom  Standpunkte  des  Sexologen  aus  unter  Ausschluss  der  Gynäkologie, 
aber  unter  eingehender  Würdigung  aller  Beziehungen  zur  gericht¬ 
lichen  Sachverständigentätigkeit.  In  reichlichem  Masse  weist  der 
Verfasser  auch  auf  die  jeweils  zweckentsprechende  Therapie  hin, 
sowie  auf  die  allenfalls  vom  befragten  Arzte  zu  gebenden  Ratschläge, 
Eingehung  einer  Ehe  betreffend.  R  o  h  1  e  d  e  r  hat  uns  mit  seinem 


1574 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  28. 


Buche  das  erste  Werk  gebracht,  das  alles,  was  bei  der  menschlichen 
Zeugung  in  Betracht  kommt,  in  eingehender  Weise  nach  allen  Ge¬ 
sichtspunkten  berücksichtigt.  B 1  u  m  m  -  Bayreuth. 

W.  Hirt:  Das  Leben  der  organischen  Welt.  1914.  Verlag  von 

E.  Reinhardt  in  München.  150  Seiten. 

Der  Verfasser  hat  es  sich  zur  Aufgabe  gesetzt,  diejenigen  Vor¬ 
gänge  in  der  anorganischen  Welt  zusammenzustellen,  welche,  wenn 
auch  in  einfachster  Art,  an  die  spezifischen  Vorgänge  des  Lebens 
anklingen.  Es  wird  eine  fliessend  geschriebene  Uebersicht  über  die 
hier  vorliegenden  Beziehungen  gegeben.  Die  beigebrachten  Analogien 
erstrecken  sich  im  wesentlichen  auf  die  Prozesse,  in  welchen  eine 
Vorstufe  der  Atmung,  Ernährung,  Hautbildung,  Fortpflanzung  und 
Anpassung  gefunden  wird.  Auch  von  Krankheitserscheinungen  an¬ 
organischer  Stoffe,  so  z.  B.  der  sog.  Zinnpest  von  Münzen  und 
sonstigen  Metallgegenständen,  wird  eine  Analogie  zu  den  Infektions¬ 
krankheiten  behauptet.  Das  letzte  Kapitel  bringt  schliesslich  eine 
Vergleichung  einiger  seelischer  Vorgänge  mit  Vorgängen  der  an¬ 
organischen  Welt.  Der  Verfasser  glaubt  sich  auf  Grund  des  von  ihm 
zusammengestellten  Materials  zu  der  Anschauung  berechtigt,  dass 
auch  die  anorganische  Welt  lebt,  so  dass  ihm  das  Problem  der 
Urzeugung  in  relativ  einfacher  Weise  seine  Lösung  findet:  Leben 
braucht  nicht  erst  im  Moment  der  Urzeugung  zu  entstehen,  es  geht 
vielmehr  nur  eine  höher  organisierte,  kompliziertere  Materie  aus  der 
einfacheren,  aber  bereits  lebenden  anorganischen  hervor.  Wenn  auch 
dieser  letztere,  das  ganze  Buch  durchziehende  Grundgedanke  keine 
allgemeine  Annahme  erfahren  wird,  so  ist  doch  hervorzuheben,  dass 
die  Zusammenstellung  der  Erscheinungen,  durch  welche  die  belebte 
und  die  anorganische  Materie  verknüpft  sind,  in  diesem  Buche  eine 
im  wesentlichen  sachliche  und  von  Phantasterei  freigehaltene  Dar¬ 
stellung  erfahren  hat.  Schade-  Kiel. 

Neueste  Joumalliteratur. 

Zeitschrift  für  experimentelle  Pathologie  und  Therapie. 

16.  Band,  1.  Heft. 

W.  Koch:  Die  Orte  der  Reizbiidung  und  Reizleitung  im  mensch¬ 
lichen  Herzen.  (Aus  der  II.  med.  Klinik  in  Berlin.) 

Zu  einem  kurzen  Referat  nicht  geeignet. 

J.  T  r  e  b  i  n  g  -  Berlin:  Beitrag  zur  Eisenwirkung.  Ein  Versuch, 
die  Unterschiede  in  der  Wirkung  der  Eisenpräparate  zu  erklären. 

Der  Verfasser  stellte  Untersuchungen  über  die  Eisenausscheidung 
im  Harn  nach  verschiedenen  Eisenmedikationen  an,  wobei  das  Harn¬ 
eisen  nach  der  von  Sachs  und  Friedenthal  angegebenen  kolori- 
metrischen  Methode  bestimmt  wurde.  Die  Ergebnisse  der  Versuche 
sind:  Die  Wirkungsweise  anorganischer  Eisensalze  und  organischer 
Eisenpräparate  ist  verschieden.  Doch  stehen  manche  chemisch  or¬ 
ganische  Eisensalze,  z.  B.  Ferrum  oxydatum  saccharatum  —  vermut¬ 
lich  auch  Ferrum  citricum  —  in  ihrer  physiologischen  Wirkung  den 
anorganischen  Eisensalzen  gleich.  Eine  Klasse  für  sich  bildet  die 
künstlich  hergestellte  Eiseneiweissverbindung  Eisentropon.  Die  aus 
Blut  hergestellten  Präparate  haben  keine  andersartige  Wirkung  als 
eisenreiche  Nahrungsmittel  selbst.  Während  die  sonstigen  Eisen¬ 
präparate  entweder  nur  bei  Chlorose  oder  nur  bei  Anämie  nützen,  ist 
das  Eisentropon  in  beiden  Fällen  ein  energisch  wirksames  Heilmittel. 

R.  L  u  z  z  a  1 1  o:  Die  Glykosurie  bei  experimentellen  Nephritiden. 
(Aus  dem  pharmakol.  Institut  der  Universität  Camerino.) 

Der  Verfasser  erzeugte  bei  Kaninchen  durch  Kantharidin,  Uran¬ 
salze,  Chromate,  Sublimat,  Natriumtellurat  und  Aloin  Nephritis  und 
untersuchte,  durch  welches  von  diesen  Giften  gleichzeitig  Glykosurie 
verursacht  wurde.  Nach  Kantharidin  trat  nur  Glykosurie  auf,  wenn 
die  injizierte  Dosis  klein  war.  Wiederholte  kleine  Kantharidindosen 
bringen  die  Glykosurie  zum  Verschwinden,  während  die  Albuminurie 
zunimmt.  Wahrscheinlich  beruht  diese  Kantharidinglykosurie  zum 
grossen  Teil  auf  Veränderungen  der  Funktionsfähigkeit  und  Durch¬ 
lässigkeit  der  Nierenkapillaren.  Bei  Einspritzung  der  anderen  Gifte 
trat  die  Glykosurie  nicht  so  früh  ein,  erst  einen  oder  zwei  Tage  nach 
der  Einspritzung,  hielt  dafür  aber  länger  an,  häufig  bis  zum  Tod  des 
Tieres.  Diese  Glykosurie  ist  wahrscheinlich  mit  der  schweren  Läsion 
der  aktiv  funktionierenden  Epithelien  der  gewundenen  Kanälchen  in 
Beziehung  zu  bringen;  der  im  Harn  ausgeschiedene  Zucker  stellt 
nichts  anderes  als  von  den  Epithelien  nicht  verwendetes  Material  dar. 
Die  ausgeschiedene  Zuckermenge  ist  nie  gross,  höchstens  1  Proz., 
die  Glykosurie  tritt  auch  beim  Hunger  ein;  Hyperglykämie  wurde 
nie  beobachtet.  Vinylamin,  welches  eine  charakteristische  papilläre 
Nephritis  verursacht,  ruft  keine  Glykosurie  hervor. 

W.  G.  Korentschewsky:  Die  Beziehungen  zwischen  Schild- 
und  Keimdrüsen  in  Verbindung  mit  deren  Einfluss  auf  den  Stoff¬ 
wechsel.  (Aus  dem  Laboratorium  für  allgemeine  und  experimentelle 
Pathologie  an  der  k.  militär-medizinischen  Akademie  in  Petersburg.) 

Die  Versuche  an  Hunden  und  Kaninchen  ergaben,  dass  nach 
Kastration  die  Eiweisszersetzung  bedeutend  geringer  wird,  auch 
wenn  das  Tier  hungert;  während  ein  direkter  Einfluss  auf  die  Ver¬ 
brennung  stickstofffreien  Materials  (Fett)  vermisst  wird.  Injektion 
von  Keimdrüsenemulsion  erhöhte  bei  kastrierten  Tieren  die  Eiweiss¬ 
zersetzung,  bei  männlichen  Tieren  um  16,  bei  weiblichen  um  35,6  Proz., 
während  der  Gaswechsel  unverändert  blieb.  Thyreoidektomie  be¬ 
wirkte  Verminderung  der  Eiweisszersetzung  und  des  Gaswechsels. 
Der  Thyreoidektomie  nachfolgende  Kastration  hatte  keine  den  Ei¬ 


weissstoffwechsel  reduzierende  Wirkung  mehr.  Tritt  nach  Thyreoid¬ 
ektomie  eine  erhöhte  Eiweisszersetzung  ein,  entwickelt  sich  also  eine 
Cachexia  strnmipriva,  so  kann  die  Kastration  den  erhöhten  Eiweiss¬ 
verbrauch  nicht  mehr  herabsetzen.  Injektion  von  Testikel-  oder 
Ovärienemulsion  erhöhte  bei  thyreoidektomierten  Tieren  die  Eiweiss¬ 
zersetzung  und  den  Gasverbrauch. 

S.  Kobsarenko:  Die  Tätigkeit  des  peripheren  Gefässsystems 
und  ihre  Rolle  im  Blutkreislauf.  (Aus  der  inneren  Abteilung  des 
Militärhospitals  in  Kiew.) 

Zu  einem  kurzen  Referat  nicht  geeignet. 

Lippmann:  Studien  über  die  Steigerung  der  Resistenz  und  des 
Antikörpergehaltes  durch  Knochenmarksreizmittel,  Thorium  X,  Arseni¬ 
kalien  etc.  (Aus  der  II.  med.  Klinik  in  Berlin.) 

Das  Thorium  X  hat  wie  alle  anderen  Knochenmarkreize  die 
Fähigkeit,  ausser  der  Erythro-  und  der  Leukopoese  auch  die  Anti¬ 
körperproduktion  zu  steigern.  Thorium  X  vermag  die  Agglutinin¬ 
produktion,  die  im  Sinken  begriffen  ist,  ohne  neue  Antigenzufuhr 
energisch  zu  steigern.  Thorium  X  und  Salvarsan  vermögen  in  der 
Reizdosis  Mäuse  vor  einer  vielfach  tödlichen  Pneumokokkeninfektion 
zu  retten.  Einen  Einfluss  auf  die  Ambozeptorproduktion  haben  die 
Knochenmarksreize  nicht,  so  dass  für  diese  Antikörper  eine  ander¬ 
weitige  Entstehung  in  Frage  zu  ziehen  ist.  Eine  Provokation  der 
Wassermann  sehen  Reaktion  bei  negativ  reagierenden  Luetikern 
durch  Thorium  X  ist  nicht  möglich.  Die  Povokation  durch  Salvarsan 
ist  auf  die  Auflösung  von  Spirochäten  und  dadurch  erzielte  neue  An¬ 
tigenzufuhr  zurückzuführen.  Neben  den  spezifischen  Schutzstoffen 
vermag  auch  die  —  aktive  wie  passive  —  Steigerung  der  un¬ 
spezifischen  Schutzstoffe  Infektionen  wirksam  zu  bekämpfen. 

B.  Grünfelder:  Die  Beeinflussung  der  Magensaftsekretion 
durch  Infektion  und  deren  Folgen  auf  die  Magendarmstörungen  des 
Säuglings.  (Aus  dem  Waisenhaus  und  Kinderasyl  der  Stadt  Berlin.) 

Die  Untersuchung  an  nach  P  a  w  1  o  w  operierten  Hunden,  bei 
welchen  ein  in  der  Bauchwand  sich  öffnender  Blindsack  aus  einem 
Teil  des  Magens  gebildet  wurde,  ergaben  bei  experimenteller  Er¬ 
zeugung  von  Fieber  (durch  Abszesse  infolge  von  Terpentininjektionen 
oder  Injektion  von  Staphylokokkenaufschwemmung  bzw.  Kolibazillen 
oder  endlich  durch  Einblasen  eines  Gemenges  von  Nasensekret  eines 
an  Staupe  erkrankten  Hundes  mit  Zimmerkehricht  in  die  Nasenlöcher) 
Störungen  der  Magensaftsekretion.  Die  Störung  beruhte  jedoch 
nicht  in  Veränderung  der  Zusammensetzung  des  Drüsensekretes,  son¬ 
dern  nur  auf  einer  Verlangsamung  der  Sekretbildung,  welche  zu  einer 
verlangsamten  Strömungsgeschwindigkeit  des  Magensaftes  führte. 
Während  der  Höchsttemperaturen  zeigte  sich  eine  auffallende  Ver¬ 
minderung  des  Gehaltes  an  freier  HCl:  Da  bei  den  Versuchen  der 
Saft  nicht  direkt  aus  den  Labdrüsen  erhalten  wird,  sondern  erst 
nachdem  er  längs  der  von  alkalischem  Schleim  bedeckten  Magen¬ 
wandung  herabgeflossen  ist,  so  wird  dabei  immer  eine  teilweise  Neu¬ 
tralisierung  eintreten,  die  um  so  stärker  ist,  je  langsamer  der  Saft 
fliesst,  je  geringer  also  die  Absonderungsgeschwindigkeit  ist;  infolge 
dessen  ist  bei  verminderter  Sekretion  auch  die  Azidität  vermindert, 
während  die  Fermentproduktion  resistenter  ist.  Die  Uebertragung 
der  Ergebnisse  auf  die  kindliche  Pathologie  ergibt,  dass  jede  akute 
Infektion  eine  verlangsamte  und  verringerte  Magensaftsekretion  zur 
Folge  hat,  welche  bei  Säuglingen  um  so  mehr  ins  Gewicht  fällt,  als 
schon  normalerweise  Milch  sekretionshemmend  auf  die  Magendrüsen 
einwirkt.  Dazu  kommt  npeh  die  Verringerung  der  antiparasitären 
Wirkung  des  Saftes  infolge  des  geringeren  Gehaltes  an  freier  HCl. 

Lindemann  -  München. 

Zeitschrift  für  Tuberkulose.  Band  22,  Heft  3. 

H  a  u  p  t  -  Dresden:  Beitrag  zur  Schutz-  und  Heilimpfung  gegen 
die  Tuberkulose  bei  Meerschweinchen  und  Kaninchen. 

Fortsetzung  folgt. 

Ferd.  W  i  n  k  1  e  r  -  Wien:  Beiträge  zur  Therapie  der  Tuber¬ 
kulose  mittels  Endotin. 

Behandlung  mit  stark  verdünntem  Endotin  scheint  Knochen-  und 
Drüsenherde  günstig  zu  beeinflussen. 

Die  Heilstättenbeilage  enthält  einen  Bericht  über  Brehmers 
Heilanstalt  Görbersdorf  von  Dr.  Franz  W  e  h  m  e  r  zur  Feier  des 
60  jährigen  Bestehens  und  einen  Jahresbericht  der  M’GIadbacher  Ein¬ 
richtungen  zur  Bekämpfung  der  Tuberkulose. 

Liebe-  Waldhof  Elgershausen. 

Zeitschrift  für  orthopädische  Chirurgie.  Bd.  XXII. 

Murk  J  a  n  s  e  n  -  Leyden:  Das  Wesen  und  das  Werden  der 
Achondroplasie. 

Die  Achondroplasie  (Chondrodystrophie)  entsteht  durch  die  Enge 
des  Amnion.  Der  Amniondruck  ist  imstande,  mechanische  Form¬ 
störungen  des  Embryo  zu  machen.  Im  ersten  Embryonalstadium 
(erste  und  zweite  Woche)  verursacht  er  eine  Runzelung  der  Em¬ 
bryonalachse  und  Zerstörung  des  weichen  Gewebes.  Im  zweiten 
Stadium  (3. — 6.  Woche)  eine  Aufrollung  des  Embryo  durch  Druck  in 
den  Nacken  und  in  die  Kauda,  Wachstumshemmung  an  der  Schädel¬ 
basis,  am  Kreuzbein  und  an  den  Gliedmassen.  Im  dritten  Stadium 
sind  bereits  Knochen  gebildet  und  der  Amniondruck  hemmt  nur  mehr 
das  Wachstum  an  der  konkaven  Seite  der  Verkrümmungen.  Im 
ersten  Stadium  entstehen  Missbildungen  wie  die  Anenzephalie,  im 
zweiten  Stadium  die  Achondroplasie  und  im  dritten  Stadium  De¬ 
formitäten  wie  die  Klumpfiisse.  Es  ergibt  sich  somit  ein  einheit- 


14.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


liches  Bild  für  die  Genese  sehr  vieler  angeborener  Deformitäten.  Die 
tilge  des  Amnions  ist  eine  Krankheit,  an  der  manche  Familien  im 
Verborgenen  leiden.  Die  Lektüre  des  Originals  ist  sehr  zu  empfehlen. 

James  F  r  ä  n  k  e  1  -  Berlin :  Zur  Ätiologie  und  Therapie  des  an¬ 
geborenen  Kluinpfusses. 

Der  Klumpfuss  entsteht  aus  der  physiologischen  Supinationsstel¬ 
lung  der  fötalen  Füsse  durch  Raumbeengung.  Das  Ziel  der  Frän- 
k  e  l  sehen  1  herapie  ist:  Weichteil-  und  Knochenverletzungen  zu  ver¬ 
meiden,  Narkosen  und  1  enotoinie  einzuschränken.  In  einem  eigens 
konstruierten  Saugkasten  wird  der  Fuss  hyperämisiert  und  schonend 
redressiert. 

R.  Werndorf  f- Wien:  Die  Entstehung  der  Hüftgelenkskon¬ 
traktur  bei  Koxitis. 

Die  Adduktionskontraktur  ist  eine  Folge  der  Belastung  und  ent¬ 
steht  durch  die  beginnende  Destruktion  des  Gelenkes  und  durch  In¬ 
suffizienz  der  pelvitrochanteren  Muskeln. 

K.  V  o  g  e  1  -  Dortmund:  Heber  Coxa  vaiga. 

Mitteilung  eines  Falles  von  Coxa  vaiga  statica  mit  Literatur¬ 
übersicht. 

G.  M  o  1  i  n  ä  u  s  -  Düsseldorf :  Das  Genu  valgum  im  Röntgenbilde. 

Bei  113  röntgenologisch  untersuchten  Genua  vaiga  der  Mün¬ 
chener  orthopädischen  Poliklinik  ergab  sich  als  der  Hauptsitz  der 
\  erkrümmungen  im  Alter  von  1 — 5  Jahren  die  Tibiametaphyse  (in 
90  Proz.),  im  Alter  von  16 — 20  Jahren  die  Femurmetaphyse  (in 
90  Proz.). 

J.  E  1  s  n  e  r  -  Dresden:  Ueber  Lehrlingsskoliose. 

In  den  Pubertätsjahren  entwickelt  sich  bei  starker  körperlicher 
Beanspruchung  eine  schnell  fortschreitende  schwere  Skoliose.  Be¬ 
schreibung  von  29  solcher  Fälle. 

F.  B  ä  h  r  -  Hannover:  Die  Fussgeschwulst  und  ihre  Beziehungen 
zum  vorderen  Frontalgewölbe. 

Beim  Einsinken  des  frontalen  Fussgewölbes  kommt  es  leicht  zu 
Knickungen  des  2.  und  3.  Metatarsus. 

M.  Wi  1ms- Heidelberg:  Physiotherapie  der  Gelenkkrankheiten, 
insbesondere  der  Tuberkulose. 

Referat  1.  über  die  Behandlung  des  Gelenkrheumatismus  mit 
radioaktiven  Substanzen  und  mit  Röntgenstrahlen,  2.  über  die  Rönt¬ 
genbehandlung  der  Gelenktuberkulose,  deren  Wert  W  i  1  m  s  hoch  ein¬ 
schätzt. 

A.  R  o  1 1  i  e  r  -  Leysin:  lieber  die  Sonnenbehandlung  der  Knochen- 
und  Gelenktuberkulose. 

Genaue  Schilderung  der  Technik  der  Heliotherapie. 

V.  Menar  d-Berck:  Die  Behandlung  der  tuberkulösen  Kno¬ 
chen-  und  Gelenkentzündungen  in  der  Seestation  zu  Berck. 

Das  Seeklima  wirkt  hauptsächlich  auf  das  Allgemeinbefinden. 
Es  kürzt  den  Krankheitsverlauf  nicht  ab,  macht  ihn  aber  wesentlich 
leichter. 

E  1  m  s  1  i  e  -  London:  Die  physikalische  Behandlung  der  Gelenk¬ 
krankheiten,  im  besonderen  der  tuberkulösen  Gelenkkrankheiten. 

Philipp  E  r  1  a  c  h  e  r  -  Graz:  Aenderungen  der  Respiration  im 
Abbott  sehen  Verbände. 

Siehe  den  Bericht  über  den  XII.  Kongress  der  Deutschen  ortho¬ 
pädischen  Gesellschaft  Berlin. 

F.  Sehe  de- München:  Zur  pathologischen  Anatomie  der  kon¬ 
genitalen  Hüftverrenkung. 

v  Präparaten,  dem  Becken  eines  Neugeborenen  und  eines 

Zwanzigjährigen  mit  angeborener  Luxation,  wird  der  Entstehungs¬ 
mechanismus  und  die  Entwicklung  der  Deformität  erörtert. 

K.  Cr  am  er- Köln:  Zur  Anatomie  der  Spina  bifida  occulta. 

Siehe  den  Bericht  über  den  XII.  Kongress  der  Deutschen  ortho¬ 
pädischen  Gesellschaft. 

G.  A.  Wollenberg-Berlin:  Zur  Therapie  der  Arthritis  de- 
formans.  Prinzip  der  Therapie:  Bewegung  ohne  Belastung. 

Operative  Behandlung  nur  am  Kniegelenk  zu  empfehlen.  Ausser¬ 
dem  Jod  innerlich  und  Heissluft. 

S.  K  o  f  m  a  n  n  -  Odessa:  Freie  Luft-  und  Sonnenbehandlung  der 
Knochentuberkulose. 

Die  Besonnung  wird  ohne  Gewöhnung  eingeleitet,  so  dass  Ver¬ 
brennungen  auftreten. 

O.  V  u  I  p  i  u  s  -  Heidelberg:  Ueber  die  Lichtbehandlung  der 
chirurgischen  Tuberkulose. 

Referat  über  die  Anschauungen  von  der  Physiologie  der  Licht¬ 
wirkung. 

G.  Fr.  v.  Saar- Graz:  Beitrag  zur  Nervenplastik. 

Erfolgreiche  totale  periphere  Implantation  des  Radialis  in  den 
Medianus  nach  ausgedehnter  Resektion  des  ersteren  wegen  malignen 

Neurofibroms. 

R.  W.  L  o  w  e  1 1  -  Boston:  Ueber  die  Atrophie  von  Muskeln  und 
Gelenken  in  ihrer  Beziehung  zu  den  Gelenkverletzungen  und  -er- 
krankungen  und  deren  Fixation. 

Ausführlicher  Literaturbericht.  Die  Atrophie  der  Muskulatur  bei 
Gelenkserkrankungen  beruht  1.  auf  experimentell  nachgewiesenen  re¬ 
flektorischen  Vorgängen,  2.  auf  der  verminderten  Funktion  durch 
Ruhigstellung.  Das  Gelenk  bleibt  reizbar,  so  lange  die  Atrophie 
besteht.  Die  Knochenatrophie  begleitet  die  Muskelatrophie. 

A.  E.  S  t  e  i  n  -  Wiesbaden:  Zur  Technik  der  Diathermiebehand¬ 
lung  der  Gelenkkrankheiten. 

Einlagenförmigc  Elektroden  zur  Erwärmung  der  Fussgelenke. 

A.  Lorenz- Wien:  Ueber  die  unblutige  operative  Behandlung 
der  Pseudarthrosis  colli  femoris.  • 


1575 


Siehe  den  Bericht  über  den  XII.  Kongress  der  Deutschen  ortho¬ 
pädischen  Gesellschaft. 

G.  M  u  s  k  a  t  -  Berlin:  Die  Anwendung  der  Diathermie  zur  Be¬ 
handlung  des  fixierten  Plattfusses. 

Es  gelang  häufig  in  wenigen  Sitzungen  die  vorhandene  Fixierung 
zu  lösen. 

H.  F.  W  o  1  f  f  -  New  York :  Ueber  die  Frühbehandlung  der  ent¬ 
zündlichen  Erkrankungen  der  Gelenke. 

W.  empfiehlt  vorsichtige  Bewegungstherapie  von  Anfang  an.  Bei 
gonorrhoischen  Gelenken  auch  Massage  vom  8.  Tage  an. 

Schede-  München. 

Zentralblatt  für  Chirurgie.  1914.  Nr.  26. 

Manfred  Fraenkel  -  Charlottenburg:  Die  günstige  Einwirkung 
der  Röutgenstrahlenrcizdosen  bei  der  Heilung  von  Knochenbrüchen. 

Verf.  hat  bei  7  Knochenbrüchen  beobachtet,  wie  durch  Röntgen- 
sti  uhlenreizdosen  die  Kallusbildung  in  auffallender  Weise  beschleunigt 
wurde.  Diese  günstige  Einwirkung  der  Reizdosen  hat  Verf.  auch  als 
ausgezeichnetes  Agens  bei  der  Bekämpfung  der  Lymphdrüsentuber- 
k  ul  ose  gefunden:  diese  Reizdosen  beeinflussen  besonders  deutlich 
solche  Organe,  die  sich  bereits  in  einem  physiologischen  Reizzustand 
befinden  (granulierende  Wunden,  Fisteln).  Wie  die  Wirkung  der 
Röntgenstrahlen  hier  zu  erklären  ist,  müssen  weitere  Versuche  erst 
ergeben. 

Mysch  -  Tomsk:  Ein  neues  Verfahren  zur  Beseitigung  einer 
beiderseitigen  Ankylosis  ossea  des  Unterkiefergelenkes. 

Die  neue  Methode  des  Verf.  besteht  darin,  dass  er  zuerst  je  eine 
Anheftungsstelle  der  Kaumuskeln  mobilisiert;  die  doppelte  Osteotomie 
des  Arcus  zygomatic.  mobilisiert  den  M.  masseter,  die  Osteotomie 
der  Spitze  des  Process.  coronoid.  mandibul.  den  M.  temporalis;  dann 
wird  der  Arcus  zygom.  und  die  Spitze  des  Proc.  coronoid.  durch  eine 
Kreuznaht  zusammengebunden,  nachdem  eine  Resektion  des  anky- 
losierten  Gelenkkopfes  bzw.  eine  keilförmige  Osteotomie  des  Halses 
mit  Interposition  eines  Muskels-  oder  Aponeuroselappens  ausgeführt 
worden  ist.  Womöglich  werden  in  einer  Sitzung  beide  Seiten  so 
operiert.  Im  Notfall  kann  auch  noch  die  untere  Ansatzstelle  des 
M.  pterygoid.  int.  mobilisiert  werden.  Die  erste  Anwendung  dieser 
neuen  Methode  brachte  ein  vorzügliches  Resultat:  der  Mund  wird 
mit  grosser  Kraft  geschlossen,  eine  Deformität  des  Gesichtes  ist  nicht 
zurückgeblieben;  die  Funktion  der  Kaumuskeln  ist  nicht  gestört. 
Diese  Methode  macht  auch  eine  Nachbehandlung  überflüssig. 

Oskar  V  u  1  p  i  u  s  -  Heidelberg:  Knochenplastik  nach  Lamin- 
ektomie. 

Um  nachträglichen  Deformitäten  der  Wirbelsäule  durch  die 
Laminektomie  vorzubeugen,  deckt  Verf.  den  Defekt  der  Wirbelsäule 
durch  einen  Periostknochenlappen;  er  nimmt  aus  der  Tibia  eine 
Knochenspange,  so  weit  als  die  Lücke  im  Wirbelbogen  ist,  aber  etwas 
länger,  schiebt  sie  dann  unter  die  oben  und  unten  an  die  Lücke  an¬ 
grenzenden  Dornfortsätze,  die  vorher  so  weit  abgemeisselt  worden 
sind,  dass  sie  nach  oben  bzw.  unten  zurückgeklappt  werden  können; 
dabei  schaut  die  Periostfläche  des  Knochenspans  in  den  Wirbelkanal 
hinein.  Ist  die  Lücke  überbrückt,  dann  wird  die  implantierte  Knochen¬ 
spange  durch  einige  Nähte  unter  den  zurückgeklappten  Dornfortsätzen 
fixiert.  E.  H  e  i  m  -  Oberndorf  b.  Schweinfurt. 

Monatsschrift  für  Kinderheilkunde.  Bd.  XIII,  1914,  Nr.  1. 

G.  M  o  g  w  i  t  z:  Ueber  das  Verhalten  des  sympathischen  Nerven¬ 
systems  des  Säuglings  gegenüber  dem  Adrenalin.  (Aus  der  akad. 
Kinderklinik  in  Düsseldorf  —  Prof.  Schlossmann.) 

Die  Prüfung  des  Sympathikus  mittelst  subkutaner  Adrenalin¬ 
injektion  und  nachfolgender  serienweiser  Blutzuckerbestimmung 
liefert  bei  richtiger  Versuchsanordnung  ein  annäherndes  Bild  von  dem 
Tonus  und  der  Erregbarkeit  des  Nervensystems.  Bei  den  gesunden 
Säuglingen  verläuft  die  Reaktion  unabhängig  vom  Alter,  infolgedessen 
auch  unabhängig  von  dem  Entwicklungszustande  der  unfertigen 
Nebenniere,  individuell  sehr  verschieden.  Die  meisten  reagieren  auf 
eine  Adrenalinmenge  von  0,05—0,08  mg  pro  Kilo  Körpergewicht  durch 
eine  inässige  Hyperglykämie  bis  zum  Doppelten  des  Anfangswertes 
ohne  Glykosurie,  einige  wenige  reagieren  sehr  schwach,  andere 
wiederum  mit  starker  Hyperglykämie  und  Glykosurie  als  Ausdruck 
einer  konstitutionellen  Verschiedenheit  im  Sympathikusgebiet. 
Frühgeburten  reagieren  sämtlich  in  abnorm  starker  Weise  auf 
Adrenalin,  mit  starker  Hyperglykämie  und  Glykosurie.  Bei  einer 
Hyperglykämie  von  0,21—0,24  Proz.  infolge  Adrenalininjektion  tritt 
Glykosurie  auf.  Die  infolge  Adrenalininjektion  auftretende  Hyper¬ 
glykämie  wird  durch  Pilokarpin  und  Atropin  nach  keiner  Richtung 
hin  beeinflusst.  Als  Krankheitssymptom  tritt  eine  reizbare  Schwäche 
des  Sympathikus  bei  der  Tetanie  und  den  schweren  alimentären 
Ernährungsstörungen  auf,  wahrscheinlich  auch  bei  der  exsudativen 
Diathese. 

Erich  Nirrnheim  (Schleswig):  Der  normale  Blutdruck  im 
Kindesalter.  (Aus  der  Dresdener  Kinderheilanstalt.) 

Untersuchungen  mit  dem  Recklinghausen  sehen  Apparat 
an  gesunden  taubstummen  Kindern.  Die  gefundenen  Mittelwerte  sind 
in  5  Tabellen  wiedergegeben. 

Franz  Hamburger:  Ueber  Schlafstörungen  im  Kindesalter. 

Der  Verf.  bespricht  nur  die  chronischen  Schlafstörungen  und 
unterscheidet  hier  zwischen  Störungen  des  Einschlafens  und  Störungen 
des  kindlichen  Schlafes  selbst.  Er  nennt  von  den  letzteren  den  Pavor 


1576 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  28. 


nocturnus,  den  Somnambulismus,  die  Jactatio  capitis  nocturna,  die 
Enuresis  nocturna  bzw.  die  Incontinentia  alvi  nocturna,  das  nächt¬ 
liche  Zähneknirschen,  nächtliche  Krampfanfälle  und  endlich  seltenere 
Formen  von  Husten,  Bauchschmerzen,  Erbrechen,  die  er  als  Aequi- 
valente  des  Pavor  nocturnus  ansieht.  Er  beeinflusst  die  Enuresis 
nocturna  wie  den  Pavor  nocturnus  und  seine  Aequivalente,  die  er 
alle  als  psychogen  entstanden  (Schlafgewohnheiten)  ansieht,  mit 
bestem  Erfolg  durch  Wachsuggestion.  Die  interessanten 
Einzelheiten  des  Artikels  müssen  im  Original  nachgclesen  werden. 

Kurt  Blüh  dorn:  Das  klinische  Bild  der  bazillären  Ruhr  im 
Säuglings-  und  Kindesalter.  (Aus  der  Univ.-Kinderklinik  in  Göttingen  — 
Prof.  G  ö  p  p  e  r  t.) 

Rudolf  Schild:  Bakteriologische  Befunde  bei  Bazillenruhr  im 
Säuglings-  und  Kindesalter.  (Aus  dem  hygien.  Institut  der  Universität 
Göttingen  —  Prof.  R  e  i  c  h  e  n  b  a  c  h.) 

Berichte  über  die  Erkrankungen  in  der  Göttinger  Kinderklinik 
in  den  Jahren  1912  und  1913.  Im  letzten  Jahre  kam  es  sogar  zu  einer 
Endemie  in  der  Klinik  selbst  (15  Säuglinge  und  ältere  Kinder).  Zahl¬ 
reiche  Krankengeschichten.  Das  klinische  Bild  der  Erkrankung  im 
Säuglingsalter  kann  so  different  sein,  dass  vielfach  aus  ihm  allein  die 
Diagnose  nicht  gestellt  werden  kann.  Differentialdiagnostisch  gegen¬ 
über  der  alimentären  Intoxikation  ist  es  wichtig,  dass  im  Intoxikations¬ 
stadium  der  Ruhr  im  Urin  kein  Zucker  nachweisbar  war,  während 
allerdings  Azeton,  Azetessigsäure  und  Eiweiss  fast  regelmässig  vor¬ 
handen  waren.  Auch  im  späteren  Kindesalter  ist  anfangs  die  Diagnose 
keineswegs  immer  möglich  (Verdacht  auf  Pneumonie  oder  Scharlach). 
Therapie:  Zu  Beginn  mildes  Abführmittel  und  reichliche  Wasser¬ 
speisung  Gute  Erfolge  sah  man  von  der  Molketherapie;  bei  toxischen 
Fällen  kommt  es  selbst  bei  Brusternährung  öfters  zum  Exitus.  —  Die 
bakteriologische  Untersuchung  wies  Bazillen  nach,  die  zur  Gruppe 
der  giftarmen  Ruhrbazillen  (B.  Pseudodysenteriae)  gehörten.  Die 
sämtlichen  aus  der  Endemie  des  Jahres  1913  gezüchteten  Stämme 
konnten  (im  Gegensatz  zu  einem  Teil  der  in  der  vorausgehenden  Zeit 
isolierten  Stämme)  mit  irgendeiner  der  bekannten  Pseudoruhrrassen 
weder  durch  Agglutination  noch  durch  Komplementbindung  identifiziert 
werden. 

.1.  Peiser:  Zur  Kenntnis  der  Rumination  im  Säuglingsalter. 

Beschreibung  dreier  Fälle.  Die  Behandlung  deckt  sich  im  Grunde 
mit  der  des  habituellen  Erbrechens.  Den  sichersten  Erfolg  erlangt 
man  durch  zweckmässige  Ernährung.  Breikost  brachte  P.  nicht  in 
Anwendung;  einmal  erzielte  er  Erfolg  mit  Buttermilch,  zweimal  mit 
alkalisiertem  Kefir,  den  er  bei  Hypersensibilität  des  Magens  für  be¬ 
sonders  angezeigt  hält.  Einmal  schwand  die  Rumination  noch  während 
der  Behandlung,  in  den  beiden  anderen  Fällen  nicht;  die  Kinder  ge¬ 
diehen  aber,  während  sie  vorher  sich  in  sehr  schlechtem  Allgemein¬ 
zustand  befunden  hatten.  Albert  Uffenheimer  -  München. 

Archiv  für  experimentelle  Pathologie  und  Pharmakologie. 

76.  Band,  5.  u.  6.  Heft. 

H.  Freund  und  E.  Schlagintweit:  Ueber  Zuckerstich¬ 
wirkung  und  Wärmeregulation.  (Med.  Klinik  Heidelberg.) 

Es  sollte  die  Frage  beantwortet  werden,  ob  die  Eingriffe  am 
Nervensystem,  die  die  Wärmeregulation  verhindern,  auch  die  Wir¬ 
kung  des  Zuckerstiches  aufheben  und  umgekehrt,  ob  die  Operationen, 
nach  denen  der  Zuckerstich  unwirksam  bleibt,  auch  das  chemische 
Regulationsvermögen  ändern.  Die  Versuche  an  Kaninchen  zeigten, 
dass  bei  Durchschneidung  des  Brustmarkes  oberhalb  des  5.  Segmentes 
der  Zuckerstich  unwirksam  bleibt,  die  chemische  Wärmeregulation 
jedoch  intakt  ist,  so  dass  ein  prinzipieller  Gegensatz  zwischen  beiden 
Funktionen  anzunehmen  ist.  Die  Kältehyperglykämie  ist  quantitativ 
vom  Glykogengehalt  der  Leber  abhängig,  wie  besondere  Versuche 
zeigten,  und  beruht  auf  peripherer  (vielleicht  Sympathikus-)  Reizung. 

H.  Freund:  Welche  Bedeutung  hat  die  Durchschneidung  der 
Leberarterie  und  der  sie  begleitenden  Lebervenen  für  den  Zucker¬ 
stich?  (Med.  Klinik  Heidelberg.) 

Verf.  wollte  eine  möglichst  vollständige  Enervierung  der  Leber 
erzielen,  ohne  dabei  in  der  Nähe  der  Nebennieren  operieren  zu 
müssen  und  durchschnitt  die  Lebernerven  zugleich  mit  dem  Haupt¬ 
stamm  der  Arterie.  Die  Versuche  ergaben  kein  eindeutiges  Resultat, 
jedoch  schliesst  Verf.  aus  ihnen,  dass  die  Wirkung  des  Zuckerstiches 
durch  nervöse  Ausschaltung  der  Leber  verringert  oder  ganz  ver¬ 
hindert  wird. 

H.  Freund  und  F.  Marchand:  Ueber  die  Wirkungen  des 
Zuckerstichs  nach  Nebennierenexstirpation.  (Med.  Klinik  Heidelberg.) 

Der  Zuckerstich  äussert  sich  auch  nach  Exstirpation  der  Neben¬ 
nieren  in  der  Blutzuckerkurve  und  kann  sogar  hohe  Hyperglykämie 
zur  Folge  haben.  Er  greift  also  direkt  an  der  Leber  an,  seine  Wir¬ 
kung  geht  nicht  über  die  Nebennieren. 

0.  Gross  und  F.  Vorpahl:  Beitrag  zur  Lehre  von  der  Ver¬ 
fettung  parenchymatöser  Organe.  (Med.  Klinik  Heidelberg.) 

S.  Referat  d.  W.  1912  S.  1246. 

H.  Rettig:  Zur  Frage  des  toxogenen  Ei weisszerf alles  bei  der 
Phosphorvergiftung.  (Med.  Klinik  Heidelberg.) 

Die  Steigerung  des  Eiweissumsatzes,  die  bei  Phosphorvergiftung 
regelmässig  eintritt,  bleibt  fast  völlig  aus  bei  Zufuhr  sehr  reichlicher 
Kohlehydratmengen,  ebenso  entsteht  keine  Organverfettung.  Es 
handelt  sich  also  nicht  um  eine  primäre  toxische  Schädigung  der 
Zelle  durch  das  Gift,  sondern  der  Eiweisszerfall  ist  eine  Folge  des 
Kohlehydratmangels. 


M.  Hashimoto:  Zur  Frage  der  aus  dem  Verdauungstrakt 
darstellbaren  diuretlsch  wirkenden  Substanz.  (Pharmakol.  Institut 

Wien.) 

Leitungswasser  per  os  wirkt  diuretisch,  subkutan  oder  intra¬ 
venös  nicht;  durch  NaCl-Zusatz  wird  die  Diurese  nach  intravenöser 
und  subkutaner  Zufuhr  gesteigert.  Destilliertes  Wasser  wirkt  auch 
per  os  kaum  diuretisch.  Offenbar  ist  zum  Auftreten  der  Wasser¬ 
diurese  ein  gewisser  Salzgehalt  und  der  a  1 1  m  ä  h  1  i  c  h  e  Eintritt  der 
Hydrämie  des  Blutes  nötig  und  es  scheint  dafür  die  Mitbeteiligung 
des  Verdauungstraktus  und  der  Leber  von  Vorteil,  weil  die  Hydrämie 
verlangsamt  wird  und  vielleicht  auch  Salze  an  das  resorbierte  Wasser 
abgegeben  werden. 

H.  N  i  c  k:  Ein  Beitrag  zur  Frage  der  mechanischen  Beeinflussung 
der  Blutzirkulation  durch  die  Luftdruckerniedrigung  im  Höhenklima. 

(Pharmakol.  Institut  Tübingen.) 

C.  J  a  c  o  b  j :  Zur  näheren  Begründung  des  mechanischen  Ein¬ 
flusses  der  Luftdruckerniedrigung  im  Höhenklima  und  der  ans  dem¬ 
selben  sich  ergebenden  theoretischen  und  praktischen  Folgerungen. 

(Pharmakol.  Institut  Tübingen.)  L.  J  a  c  o  b  -  Wiirzburg. 

Berliner  klinische  Wochenschrift.  Nr.  27,  1914. 

E.  J  o  s  c  p  h  -  Berlin:  Die  Pyelographie  und  ihre  chirurgische 
Bedeutung.  (Referiert  S.  1091  der  M.m.W.  1914.) 

L.  C  a  s  p  c  r  -  Berlin:  Indikationen  und  Grenzen  der  Pyelo¬ 
graphie.  (Cfr.  Referat  S.  1148  der  M.m.W.  1914.) 

H.  E  d  e  1  b  e  r  g  -  München:  Röntgenstrahlen  und  Schwanger¬ 
schaft. 

Verf.  beschreibt  einen  Fall,  wo  eine  mit  Bestrahlungen  behandelte 
Frau  konzipierte  und  ein  völlig  gesundes  Kind  gebar.  Eine  Abkürzung 
der  Schwangerschaft  trat  nicht  ein. 

F.  Stern-Kiel:  Erfahrungen  mit  dem  neuen  Schlaf-  und  Be- 
ruhigungsmittel  Dial-Ciba. 

Dial  steht  dem  Veronal  nahe.  Die  Versuche  an  96  Patienten 
ergaben,  bei  Dosis  von  0,2— 0,4  g,  dass  es  ein  brauchbares  und  bei 
Kontrolle  ungefährliches  Medikament  ist.  Als  Schlafmittel  kann  cs  in 
der  Therapie  der  Psychosen  mit  Vorteil  verwendet  werden.  Eine 
spezifische  Wirkung  auf  Angstzustände  konnte  nicht  beobachtet 
werden. 

Peyton  R  o  u  s  -  New  York:  Histologische  Variationen  eines 
Hühnersarkoms,  mittels  filtrierbarem  Agens  erzeugt. 

Verf.  beschreibt  besondere  histologische  Einzelheiten  an  Ge¬ 
schwülsten,  welche  durch  Injektion  von  Berkefeldfiltraten  mit  aus- 
getrocknetem  und  glyzerinisiertem  Tumorbrei  erzeugt  worden  waren. 

Lange-  Barmen:  Beitrag  zur  Zeller  sehen  Pastenbehandlung. 

Die  Angaben  in  der  Literatur  und  die  Versuche  des  Verfassers 
zeigen  keine  elektiv  zerstörende  Wirkung  des  Arsens  auf  karzinoma- 
töses  Gewebe.  Die  Pastenbehandlung  kürzt  weder  ab,  noch  ist  sie 
schmerzloser.  Das  Heil  liegt  also  „einzig  und  allein“  im  Messer. 

L.  S.  F  r  i  d  e  r  i  c  i  a  -  Kopenhagen:  Eine  klinische  Methode  zur 
Bestimmung  der  CCL-Spannung  in  der  Lungenluft. 

Muss  im  Original  verglichen  werden. 

A.  R  h  e  i  n  d  o  r  f  -  Berlin:  Hysteroneurasthenie  oder  chronische 
Appendizitis? 

Auf  Grund  pathologisch-anatomischer  Befunde  betont  Rh.  die 
Bedeutung  der  Oxyuriasis  für  die  Entstehung  von  Appendizitis  und 
fordert  energische  Bekämpfung  dieser  Parasiten.  Durch  Oxyuren 
verursachte  Fälle  scheinen  dann  öfter  als  Neurasthenie  gedeutet  zu 
werden.  Die  Oxyuren  können  gewisse,  vom  Verf.  beschriebene  Ver¬ 
änderungen  in  der  Appendixschleimhaut  bewirken.  Kranken¬ 
geschichten  und  Präparate  stützen  diese  Ansicht. 

Dr.  Grassmann  -  München. 

Italienische  Literatur. 

B.  B  a  e  c  c  h  i  -  Parma:  Ueber  die  Unterscheidung  mütterlichen 
und  fötalen  Blutes  auf  gerichtsärztlichem  Gebiete.  (Arch.  di  Antropol. 
crim.,  Psichiatria  e  Medicina  legale  1914  Nr.  1.) 

Aus  seinen  Versuchen  zieht  Verf.  folgende  Schlussfolgerungen. 
Das  Verfahren  der  I  s  o  agglutination  ermöglicht  in  der  grossen  Mehr¬ 
zahl  der  Fälle  die  Unterscheidung  mütterlichen  Blutes  von  fötalem 
Blute,  indem  ersteres  die  menschlichen  Erythrozyten  meistens,  letz¬ 
teres  nie  agglutiniert.  Durch  das  Verfahren  der  Hetero  agglutina¬ 
tion  kann  man  stets  mit  Sicherheit  mütterliches  von  fötalem  Blute 
unterscheiden:  ersteres  agglutiniert  tierische  Erythrozyten  (Hunde, 
Kaninchen,  Meerschweinchen)  immer,  letzteres  nie.  Am  besten 
eignen  sich  zu  der  Probe  die  Kaninchenerythrozyten. 

Die  Technik  der  Probe  ist  folgende:  Aus  den  zu  untersuchen¬ 
den  Blutflecken  wird  ein  möglichst  konzentrierter  Extrakt  (Verf. 
schreibt  e  s  t  r  a  1 1  o)  in  0,9  proz.  Kochsalzlösung  hergestellt:  dieser 
durch  Hämoglobin  mehr  oder  minder  intensiv  gefärbter  Extrakt 
stellt  das  agglutinierende  Serum  dar.  Zur  Herstellung  der  Erythro¬ 
zyten  wird  ein  Tropfen  frisches  Blut  mit  1  ccm  physiologischer  Koch¬ 
salzlösung  in  ein  Zentrifugenröhrchen  getan  und  zentrifugiert,  dann 
abgegossen,  von  neuem  mit  1  ccm  Kochsalzlösung  gewaschen;  darauf 
folgt  eine  neue  Zentrifugation  und  Dekantation  und  schliesslich  wer¬ 
den  die  Blutkörperchen  in  1  ccm  Kochsalzlösung  aufgeschwemmt:  das 
gibt  eine  ca.  5  proz.  Aufschwemmung.  Zur  Agglutinationsprobe  bringt 
man  nun  vermittels  einer  Platinöse  2  Tropfen  des  Extraktes  und 
1  Tropfen  der  Erythrozytenaufschwennnung  auf  ein  Deckgläschen, 
mischt  sorgfältig,  ordnet  das  Gemisch  zu  einem  hängenden  Tropfen 


14.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1577 


unter  Abschluss  mit  Vaselin  an  und  liest  nach  1  Stunde  ab.  Verf.  unter¬ 
scheidet  5  Intensitätsgrade,  nämlich:  1.  Spuren  von  Agglutination; 
2.  leichte  Agglutination;  3.  mittelmässige  Agglutination;  4.  starke 
Agglutination;  5.  sehr  starke  Agglutination. 

G.  Bracco-  Iurin:  Lieber  erworbene  Lagerungs-  und  Be¬ 
st,  haifcuheitsanomalicn  der  Bauchorgane.  I.  Die  Eingeweide  Verlage¬ 
rungen  bei  Frauen.  (II  Morgagni  1914  Nr.  3—4.) 

Verf.  bezeichnet  mit  dem  Ausdruck  „Viziatura  addominale“  (Vi¬ 
tium  abdominis,  Bauchfehler)  jede  Abweichung  vom  normalen  Zu¬ 
stande  der  Statik,  der  Lage,  der  Beschaffenheit  und  der  Struktur 
sowohl  des  Bauches  in  seiner  Gesamtheit  wie  seiner  einzelnen  Or¬ 
gane,  als  auch  der  ganzen  Eingeweidemasse  und  der  Bauchwände 
(abnorme  anatomische  Verhältnisse),  und  ebenso  jede  Abweichung 
vom  normalen  Zustande  des  lokalen  Lymph-  und  Blutkreislaufes  mit 
den  entsprechenden  Folgezuständen  (abnorme  funktionelle  Verhält¬ 
nisse),  auch  wenn  die  Abweichung  auf  äusseren  Faktoren  (Korsett, 
Schnurbänder  usw.)  beruht.  Der  Begriff:  Bauchfehler  soll  also  nicht 
nur  die  Verlagerungen  umfassen,  die  bereits  eingetreten  sind  (Pro¬ 
laps.  Enteroptose)  und  ev.  schon  besondere  pathologische  Folgen 
(Uydronephrose,  Koliken  usw.)  gehabt  haben,  sondern  auch  die  Ver¬ 
lagerungen,  die  im  Begriff  sind,  zu  entstehen;  er  soll  ferner  die  Folgen 
der  Umwandlung  des  abdominellen  Blutkreislaufes,  die  derartige  Ver¬ 
lagerungen  begleitet  (Magen-  und  Darmstörungen,  Störungen  in  der 
Genitalsphäre,  Albuminurie  usw.),  die  Umwandlungen,  die  durch  von 
aussen  auf  den  abdominellen  Kreislauf  einwirkende  Momente  (Kor¬ 
sett  usw.)  herbeigeführt  werden  und  schliesslich  die  Modifizierungen 
der  Bauchwandungen  umfassen,  die  in  den  erwähnten  Fällen  ein- 
treten  (eingesunkener  Bauch,  hängender  Bauch,  Veränderungen  des 
Zustandes  des  Zwerchfells,  des  Dammes  usw.)  oder  die  in  den  Fällen 
zustande  kommen,  wo  besondere  Ursachen  nur  oder  fast  nur  auf  die 
Wandungen  selbst  einwirken  (natürliche  oder  postoperative  Hernien, 
Zystozcle  usw.). 

In  gegenwärtiger  Arbeit  beschäftigt  sich  Verf.  mit  den  Verlage¬ 
rungen  der  Eingeweide  bei  Frauen.  Zunächst  beschreibt  er  seine 
Beobachtungen  über  die  Senkung  der  Baucheingeweide  und  hebt  her¬ 
vor,  wie  die  Evolution  dieser  Verlagerung  parallel  mit  der  Evolution 
des  Körpers  der  Frau  (in  ihrem  Zyklus:  Vorbereitung  zur  Sexualität, 
Entwicklung  dieser,  Vorbereitung  zur  Maternität,  weitere  Entwicklung 
nach  eingetretener  oder  ausgebliebener  Maternität  bis  zum  Aufhören 
der  geschlechtlichen  Funktionen)  verläuft.  Danach  bespricht  er  die 
Beziehungen  zwischen  dem  sozialen  Leben  und  der  Evolution  der 
Verlagerungen  der  Baucheingeweide  und  hebt  besonders  den  un¬ 
günstigen  Einfluss  hervor,  den  das  Stadtleben  auf  die  Entwicklung  des 
adoleszierenden  Mädchens  ausübt,  und  den  Einfluss,  den  das  Korsett 
ausübt,  indem  es  die  Lungenventilation  und  die  Blutoxydierung  ein¬ 
schränkt  und  somit  zu  einer  progressiven  Abschwächung  der  Ge¬ 
webe  beiträgt;  eine  Aplasie  der  Brust-  und  Bauchmuskeln  infolge 
ausbleibender  Funktion  und  mangelhafter  Ernährung  der  zusammen¬ 
gepressten  Gewebe  herbeiführt;  eine  Veränderung  der  Form  des 
Thorax  hervorruft,  dessen  unterer  Abschnitt  konisch  wird,  so  dass 
die  grossen  Baucheingeweide  aus  ihrer  natürlichen  Lage  sozusagen 
herausgepresst  werden.  Dann  beschäftigt  sich  Verf.  mit  dem  Me¬ 
chanismus,  mit  welchem  die  grossen  Organe  von  ihrer  natürlichen 
I.ogie  auswandern,  mit  den  Zufällen,  die  diese  Wanderung  begleiten 
können  (Achsendrehungen,  Einklemmungen  usw.)  und  mit  dem  Me¬ 
chanismus,  mit  welchem  die  Darmmasse  in  die  obengenannten  frei¬ 
gewordenen  Logien  einwandern,  und  bespricht  die  Faktoren  des 
thorako-abdominellen  statischen  Gleichgewichtes  und  den  Me¬ 
chanismus,  mit  welchem  dieses  gebrochen  wird  (Eingeweideverlage¬ 
rung,  anatomischer  Bauchfehler).  Schliesslich  bespricht  er  das  funk¬ 
tionelle  Gleichgewicht  des  Bauchinhaltes,  die  Störungen  desselben 
(funktionelle  Bauchfehler)  während  des  Lebens  des  Weibes  und 
die  Beziehungen  zwischen  dem  funktionellen  und  dem  statischen 
Gleichgewicht,  und  hebt  die  wichtige  Rolle  hervor,  die  der  abdomi¬ 
nelle  Blut-  und  Lvmphkreislauf  mit  seinen  wechselnden  Zuständen  spielt. 

D.  C  e  s  a  -  B  i  a  n  c  h  i  -  Mailand :  Weitere  Untersuchungen  über 
die  Natur  der  in  den  wässerigen  Extrakten  aus  einigen  Organen 
enthaltenen  Gifte.  (Lo  Sperimentale  1914  Nr.  1.) 

Die  Toxizität  der  frischen  wässerigen  Extrakte  aus  einigen  Or¬ 
ganen  und  besonders  aus  der  Lunge  ist  von  komplexer  Art  und  hängt 
von  verschiedenen  Giften  ab.  Von  diesen  können  nur  zwei  als  genau 
nachgewiesen  betrachtet  werden,  und  zwar:  ein  thermolabiles, 
das  eine  koagulierende  Wirkung  entfaltet,  mit  dem  thromboplastischen 
Vermögen  der  Extrakte  in  Beziehung  steht,  besonders  beim  Kaninchen 
seine  Wirkung  äussert  und  unter  gewissen  Bedingungen  durch  Zu¬ 
satz  von  homologem,  frischem  Blutserum  neutralisiert  werden  kann; 
ein  thermostabiles,  toxisch  (in  engerem  Sinne)  wirkendes,  das 
mit  noch  nicht  identifizierten,  in  den  Extrakten  enthaltenen  Protein¬ 
stoffen  zusammenhängt,  besonders  auf  das  Nervensystem  einwirkt, 
am  deutlichsten  bei  Meerschweinchen  seine  Wirkung  entfaltet  und 
weder  durch  das  Blutserum  noch  durch  die  antikoagulierenden  Stoffe 
neutralisiert  wird. 

Was  die  beiden  übrigen  bisher  in  Betrachtung  gezogenen  Gifte 
anbelangt,  so  scheint  die  Existenz  des  einen,  nämlich  des  Kachexie 
herbeiführenden,  in  Abrede  zu  stellen  zu  sein,  während  diejenige 
des  anderen,  entzündungserregenden,  nur  örtlich  wirkenden,  nicht 
genügend  nachgewiesen  ist. 

L.  C  h  i  m  i  s  s  o  -  Neapel:  Ueber  die  Hautmanifestationen  bei  Ma¬ 
laria,  mit  besonderer  Berücksichtigung  einer  Form  von  Ektyma.  (Ri- 
forma  Medica  1914  Nr.  13—14.) 


Bei  Malariakranken  kommen  verschiedenartige  Hauteffloreszenzen 
und  -eruptionen  vor. 

Von  primären  Effloreszenzen  wurden  beobachtet:  Flecken 
(Strack,  Notaryan  ni,  Comparetti,  Puccinotti  u.  a.  ni.), 
Papeln  (T  o  r  t  i,  B  a  r  b  a  r  o  1 1  a,  Moscato),  Papulo-Vesikeln 
(B  r  o  c  q),  Knoten  oder  Tuberkula  (Puccinotti,  Obedenar  o, 
L  a  v  e  r  a  n,  M  a  s  u  c  c  i),  Pomphi,  Bläschen,  Blasen  (Dorotea, 
Döring),  Pusteln  (Dekker,  Haller,  Lanzoni,  Torti,  Bor¬ 
sieri-  Notaryanni,  Puccinotti,  Dorotea,  Barba¬ 
rotta);  von  sekundären  Effloreszenzen:  Schuppen  (Puccinotti), 
Geschwüre  (C  r  o  s  s). 

Von  Hauteruptionen  kommen  vor:  Herpes  (C  o  r  r  e,  Kelsch 
und  Kiene  r,  Marchiafava  und  Bignami,  Laverqn,  Mac- 
F  a  r  1  a  n  e,  V.  J.  E  n  g  m  a  n  n),  Urtikaria  (Werlhoff,  Borsieri, 
Puccinotti,  Barbarotta,  Corre,  Laveran,  Moscato, 
M  a  r  c  h  iafava  e  Bignami,  Engmann,  Todd  Charles, 
I  a  t  a  k  r  o  s  t  a,  W  e  1  s),  Petecchien  (Werlhoff,  Morandi,  Bor- 
s 1  e  r  i,  Notaryanni,  Puccinotti,  Barbarotta),  skarla- 
uniformes  Exanthem  (M  orton,  Borsieri,  Notaryanni, 
Puccinotti,  Barbarotta,  Moscato,  Bastianelli  e 
B  i  g  n  a  mi,  Bille  t,  Mosaki,  Tarasconi),  pustulöse  Exantheme 
(Iorti,  Dekker,  Aller,  Lanzoni,  Strack,  Notaryanni, 
Puccinotti,  Dorotea,  Barbarotta),  Miliaris  (Borsieri. 
i -n-r  a  r  T  aT  n  Puccinotti,  Barbarotta),  Exanthema  mor- 
bilhforme  (B  arbarotta,  Marchiafava  e  Bignami,  Ma- 
s  u  c  c  i),  Erythema  nodosum  (Puccinotti,  Obedenaro,’  Boi- 
cesco.  Moncorvo,  Laveran,  Moscato.  Masucci),  Pur¬ 
pura  (Werlhoff,  Puccinotti,  Corre,  Engmann),  Bash 
erythematosum  (Marchiafava  e  Bignami,  Paccari  Eng¬ 
mann),  Erythema  multiforme  (Engmann),  Pemphigus  (Doe- 
r  i  n  g). 

Besondere  Erwägung  verdient  eine  Form  von  Ektyma,  die  das 
Ectyma  syphiliticum  vortäuscht,  sich  aber  von  diesem  durch  einen 
schwärzlichen  Vorhof,  durch  das  Auftreten  und  Fortbestehen  während 
des-  Malariafiebers,  durch  die  gleichzeitige  melanodermatische  Pig- 
mentierung  der  Haut  des  Rumpfes  und  schliesslich  dadurch  unter¬ 
scheidet,  dass  es  durch  die  antimalarische  Therapie  beeinflusst  wird. 

Alle  erwähnten  Läsionen  stehen  in  direkter  Beziehung  zur  Ma¬ 
laria.  Die  wichtigste  Hauterscheinung  ist  die  Melanodermie;  die¬ 
selbe  heilt  aber,  im  Gegensatz  zu  den  übrigen,  nicht. 

M.  Chiö- Genua:  Der  Mechanismus  der  Gift  Wirkung  der  Blau¬ 
säure.  (Arch.  di  Antrop.  crim.,  Psich.  e  Med.  legale  1914  Nr.  1.) 

Die  Blausäure  entwickelt  im  Organismus  der  höheren  Tiere  eine 
Giftwirkung,  die  durch  die  chemischen  Reaktionen  zu  erklären  ist, 
die  die  Säure  in  dem  Körper  hervorruft,  in  den  sie  eingeführt  wird 

In  Gegenwart  von  Salzen  (alkalischen  und  alkalisch-erdigen)  und 
von  schwachen  Säuren  (Kohlensäure,  Phosphorsäure)  bilden  sich  zu¬ 
nächst  Zyanüre  und  aus  diesen,  durch  Hydrolyse,  Hydrate  und  KCN. 
Dieses  wird  somit  fortwährend  aus  seinen  Salzen  regeneriert.  In 
Gegenwart  von  grossen  Mengen  von  C02  wandeln  sich  die  Hydrate 
sofort  in  Karbonate  und  dann  in  Dikarbonate,  mit  einer  Neigung  zur 
Wiederherstellung  des  ursprünglichen  Gleichgewichtes.  Die  Ursachen 
der  Vergiftung  sind  in  einer  Störung  des  chemischen  Gleichgewichtes 
in  den  Körperflüssigkeiten  infolge  der  Entstehung  der  Zyanide  — 
Hydrate  —  Karbonate  zu  suchen.  Die  Vergiftung  ist  eine  besonders 
starke:  infolge  der  Komplexität  der  chemischen  Umwandlungen,  die 
im  Körper  bei  der  Bildung  der  verschiedenen  erwähnten  Salze  er¬ 
folgen;  infolge  der  Rapidität  mit  der  die  chemischen  Reaktionen  ein- 
treten;  infolge  der  Irr evertibilität  der  Reaktion,  die  sich  vollständig 
abspielt;  infolge  der  Entziehung  von  freien  Ionen,  infolge  der  Bildung 
wenig  lösbarer  Hydrate  und  Karbonate;  infolge  der  fortwährenden 
Regenerierung  des  giftigen  Agens;  infolge  der  raschen  Diffusion  des 
HCN-Gases;  infolge  der  besonderen  Verhältnisse  des  kolloidalen 
Milieus,  in  welchem  das  Gift  wirkt,  nämlich:  Bewegung  der  Flüssig¬ 
keit,  Anwesenheit  von  Diffusionsmembranen  und  von  halbdurch¬ 
gängigen  Häuten,  Ueberschuss  an  COs. 

E.  C  u  r  t  i  -  Brescia :  Die  Moritz-Weiss  sehe  Reaktion  bei 
mit  dem  F  o  r  1  a  n  i  n  i  sehen  Pneumothorax  behandelten  Tuberkulose¬ 
kranken.  (Gazzetta  internazionale  di  Medicina  e  Chirurgia  1914 
Nr.  18.) 

Bei  Patienten,  bei  denen  die  Pneumothoraxbehandlung  erst  seit 
wenigen  Monaten  eingeleitet  worden  war  und  der  Vernarbungspro- 
zess  noch  nicht  sehr  vorgeschritten  war,  bei  denen  also  noch  Husten 
und  Auswurf  bestand,  und  bei  Patienten,  bei  denen  trotzdem  die  Be¬ 
handlung  bereits  seit  längerer  Zeit  fortgeführt  wurde,  noch  keine  be¬ 
friedigenden  klinischen  Resultate  erzielt  waren,  fiel  die  Moritz- 
Weiss  sehe  Reaktion  positiv  aus.  Bei  den  Patienten  hingegen, 
bei  denen  die  Behandlung  seit  mehreren  Monaten  eingeleitet  worden 
war  und  sich  die  klinische  Heilung  näherte  (Verschwinden  des  Aus¬ 
wurfes,  des  Hustens  und  der  Rasselgeräusche,  subjektive  Euphorie), 
fiel  die  Reaktion  negativ  aus. 

Verf.  schreibt  der  Reaktion  einen  grossen  Wert  als  diagnosti¬ 
sches  Mittel  zur  Kontrolle  der  Resultate  der  Pneumothoraxbehand¬ 
lung  zu. 

U.  Daretti-Rom:  Ueber  das  Verhalten  der  Leukozyten  im 
Blute  der  vakzinierten  Typhuskranken.  (Rivista  ospedaliera  1914 
Nr.  4.) 

Untersuchungen  an  14  Patienten.  Es  zeigte  sich,  dass  die  Anti¬ 
typhusvakzine  gewöhnlich  eine  ziemlich  starke  Leukozytose  erzeugte, 
die  einige  Tage  dauerte;  in  den  Fällen,  wo  die  Vakzine  keine  thera- 


1578 


Nr.  28. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


peutische  Wirkung  entfaltete,  blieb  die  Leukozytose  aus.  Danach 
scheint  die  Leukozytose  als  ein  Zeichen  der  Wirksamkeit  der  Vak¬ 
zine  gelten  zu  können. 

E.  Fenoglietto  -  Turin :  Thorakozentese  ohne  Aspiration. 
(Rivista  critica  di  Clinica  Medica  1914  Nr.  9.) 

1901  hat  der  japanische  Arzt  Kawaflara  über  die  günstigen 
Resultate  berichtet,  die  er  bei  Pleuraergüssen  durch  Entleerung  der 
Flüssigkeit  ohne  Aspiration,  d.  h.  mit  freiem  Troikart,  so  dass  die 
entleerte  Flüssigkeit  durch  Luft  ersetzt  wurde,  erhalten  hat.  Die  Luft 
hat  er  zuerst  filtriert,  später  ohne  Filtrierung  einströmen  lassen.  Dieses 
Verfahren  soll  nicht  nur  keine  Uebelstände  hervorrufen,  sondern  so¬ 
gar  die  Uebelstände  beseitigen,  die  bei  der  Thorakozentese  mit  Aspi¬ 
ration  einzutreten  pflegen  (Schmerzen  [retrosternalel  in  der  Brust; 
hartnäckiger  Husten,  zuweilen  mit  blutigserösem  Auswurf;  starke 
Atemnot;  Aspirierung  von  Blut  usw.). 

Im  „Umberto  I“-Spital  in  Turin  wird  seit  6  Jahren  die  Entleerung 
der  Pleuritisflüssigkeit  nach  der  Kawaflara  sehen  Methode  aus¬ 
geführt;  die  Resultate  waren  sehr  günstige;  Fenoglietto  be¬ 
hauptet:  dass  der  Eintritt  von  Luft  in  die  Pleurahöhle  keine  üble 
Folgen  hat;  dass  die  japanische  Methode  wegen  ihrer  Einfachheit  der 
Aspirationsthorakozentese  vorzuziehen  ist;  dass  für  diese  Methode 
weder  im  Alter  des  Patienten,  noch  in  der  Qualität  der  Flüssigkeit, 
noch  in  der  Aetiologie  der  Krankheit  irgendwelche  Kontraindikation 
sich  findet;  dass  die  in  die  Pleurahöhle  eingedrungene  Luft  die  üblen 
Folgen  der  brüsken  Dekompression  hintanhält,  die  Entleerung  auf 
einem  Male  von  bedeutenden  Flüssigkeitsmengen  gestattet,  die  Re¬ 
sorption  von  Ergüssen  befördert  und  somit  den  Verlauf  der  akuten 
fieberhaften  Pleuritiden  bedeutend  verkürzt. 

R.  L  e  1 1  i  e  r  i  -  Neapel:  Ueber  die  Sterilisierung  der  Haut.  (Ri- 
forma  Medica  1914  Nr.  9.) 

Verf.  schlägt  die  Desinfektion  der  Haut  mit  Jodwasserstoff 
(Acidum  jodhydricum)  vor,  und  behauptet,  die  2—7  proz.  Lösung 
leiste  in  dieser  Beziehung  ausgezeichnete  Dienste.  Sie  soll  keine 
Reizwirkung  ausiiben,  tief  in  die  Haut  eindringen,  die  in  den  Haut¬ 
drüsen  und  Haarkanälchen  vorhandenen  Keime  töten  und  eine  ziem¬ 
liche  Dauerwirkung  besitzen. 

S.  M  a  g  g  i  o  r  e  -  Palermo:  Ueber  den  Blutbefund  in  den-  ver¬ 
schiedenen  Stadien  der  Kindertuberkulose.  (Gazzetta  internaz.  di 
Medicina  e  Chirurgia  1914  Nr.  18 — 19.) 

Schlussfolgerungen: 

Es  gibt  keine  für  die  Kindertuberkulose  im  allgemeinen  noch  für 
die  einzelnen  Formen  derselben  konstante  Blutformel;  es  bestehen 
Verschiedenheiten  zwischen  Fall  und  Fall 

Es  gibt  Fälle,  in  denen  der  Blutbefund  ein  normaler  ist:  es 
kann  eine  Verminderung  wechselnden  Grades  des  Hämoglobingehaltes 
und  der  Erythrozytenzahl  bestehen;  schliesslich  kann  diese  Ver¬ 
minderung  (besonders  bei  Milchkindern)  eine  äusserst  beträchtliche 
sein. 

Die  Leukozyten  sind  nur  ausnahmsweise  vermindert;  meistens 
schwankt  ihre  Zahl  zwischen  normalen  Grenzen  oder  sie  ist  vermehrt. 
Die  Hyperleukozytose  bildet  jedoch  auch  eine  Ausnahme.  Bei  Kin¬ 
dern  in  allen  Altern  bestand  stets  eine  Vermehrung  der  Uninukleierten 
und  der  Uebergangsformen;  diese  Vermehrung  erfolgt  auf  Kosten  der 
Lymphozyten  und  ausnahmsweise  auf  Kosten  der  Multinukleierten. 

Die  basophilen  Zellen  waren  vermindert  oder  in  normaler  Menge 
vorhanden;  die  eosinophilen  waren  meistens  vermindert  oder  nor- 
malzahlig,  selten  vermehrt. 

Abnorme  Formen  kommen  nur  selten  vor.  In  den  Fällen,  wo 
eine  starke  Verminderung  des  Hämoglobingehaltes  und  der  Erythro¬ 
zytenzahl  vorlag.  konnte  man  Polychromatopsie  und  Anisozytose  und 
ausnahmsweise  das  Auftreten  von  Myelozyten  beobachten. 

G.  M  a  1  a  n  -Turin:  Viskosimetrle  der  F.xsudate  und  Transsudate. 
(Gazzetta  degli  ospedali  e  delle  Cliniche  1914  Nr.  5.) 

Untersuchungen  an  ca.  100  Fällen  von  Pleuritis,  Hydrothorax, 
Aszites,  Hydrozele;  für  jede  Flüssigkeit  wurde  das  spezifische  Ge¬ 
wicht  bestimmt,  die  R  i  v  a  1 1  a  sehe  Probe  ausgeführt  und  mit  dem 
Hess  sehen  Apparat  viskosimetriert.  Manche  Autoren,  die  ein  un¬ 
günstiges  Urteil  über  diese  Untersuchungsniethoden  ausgesprochen 
haben,  haben  nicht  an  den  Umstand  gedacht,  dass  man  es  nicht  selten 
mit  Uebergangsformen  vom  Transsudat  zum  Exsudat  zu  tun  hat  (so 
z.  B.  in  Fällen  von  einem  alten  Hydrothorax,  bei  durch  wiederholte 
Punktionen  oder  durch  Traumen  irritierten  Hydrozelen). 

Bei  der  Diffcrentialdiagnose  liefert  die  viskosimetrische  Unter¬ 
suchung  die  besten,  das  spezifische  Gewicht  die  am  wenigstens  be¬ 
achtbaren  Resultate. 

P.  M  a  s  e  n  t  i  -  Turin:  Das  A  r  n  e  t  h  sehe  neutrophile  Leuko¬ 
zytenschema  bei  der  Lungentuberkulose.  (Riforma  Medica  1914 
Nr.  12.) 

Es  gibt  keine  für  die  Lungentuberkulose  charakteristische 
neutrophile  Leukozytenformel,  ebenso  keine  für  Tuberkulose  charak¬ 
teristische  Leukozytenformel  im  allgemeinen.  In  den  Anfangsstadien 
der  Lungenschwindsucht  erhält  man  für  die  Leukozyten  mehr  oder 
minder  normale  Befunde. 

E.  Mondolfo  -  Pisa :  Ueber  die  Anwesenheit  von  E  b  e  r  t  h  - 
sehen  Bazillen  im  Munde  Typhuskranker.  (Riforma  Medica  1914 
Nr.  16.) 

In  der  grossen  Mehrzahl  der  Fälle  sind  im  Munde  der  Typhus- 
kranken  E  b  er  t  h  sehe  Bazillen  nachweisbar,  und  zwar  schon  sehr 
frühzeitig,  d.  h.  bereits  in  der  ersten  Krankheitswoche.  Im  Munde 
sind  die  Bazillen  häufiger  als  im  Blute  nachweisbar.  Die  Unter¬ 


suchung  des  Mundes  auf  Typhusbazillen  stellt  ein  wertvolles  dia¬ 
gnostisches  Mittel,  besonders  während  der  Anfangsstadien  der  Krank¬ 
heit  dar. 

S.  G.  Pi  ntacu  da-  Palermo:  Ueber  die  Pathogenese  des  Hitz- 

schlages.  (Annali  di  Clinica  Medica  1914  Nr.  1.)  1 

Die  Erscheinungen  der  Insolation  sind  nicht  nur  auf  die  hohe 
Temperatur  des  Körpers,  sondern  auch  auf  die  Müdigkeitsgifte  und  auf 
Alterationen  des  Stoffwechsels  zurückzuführen. 

A.  Ross  i-  Parma:  Ueber  eine  Komplementablenkung  bei 
Fiebernden.  (Riforma  Medica  1914  Nr.  11.) 

Nachprüfungen  der  Beobachtungen  Dietrichs. 

Schlussfolgerungen:  1.  Bei  einem  grossen  Teil  der  Fiebernden 
kann  man  durch  Jodothyrin  die  Anwesenheit  von  Substanzen  nach- 
weisen,  die  die  Fähigkeit  besitzen,  das  Komplement  zu  binden:  dieser 
Nachweis  gelingt  jedoch  auch  bei  einem  Teil  der  normal  temperier¬ 
ten  Menschen.  2.  Diese  neue  Reaktion  hat  nichts  mit  der  Wasser¬ 
mann  sehen  Reaktion  zu  tun. 

B.  Santangelo  -  Rom :  Weitere  Untersuchungen  über  die 
P  o  g  g  i  sehen  Körperchen.  (Gazzetta  internaz.  di  Medicina  e  Chi¬ 
rurgia  1914  Nr.  11.) 

G.  Poggi  hat  bei  schweren  Anämien  im  Blute  eine  besondere 
Art  von  roten  Blutkörperchen  nachgewiesen,  die  sich  durch  Methylen¬ 
blau  frisch  färben  lassen.  Bei  Gesunden  sollen  sie  fehlen.  Sie  sollen 
ein  ganz  junges,  fast  embryonales,  im  wesentlichen  pathologisches 
Element  darstellen,  spezifisch  für  stark  anämisches,  in  vorgeschrit¬ 
tener  Mikrozytämie  und  Poichilozytose  begriffenes  Blut,  und  infolge 
einer  unvollständigen  abnormen  Blutbereitung  seitens  tief  veränder¬ 
ter,  erschöpfter  hämopoetischer  Organe  in  den  Kreislauf  übergehen. 

Verf.  hat  nun  untersucht,  wie  sich  die  Poggi  sehen  Körperchen 
bei  Kindern  unter  verschiedenartigen  Verhältnissen  (Alter,  Verdau-  j 
ung,  Ernährung,  sonstige  Blutbeschaffenheit)  verhalten.  Aus  den 
Ergebnissen  von  119  bei  87  Kindern  ausgeführten  Blutuntersuchungen 
zieht  er  folgende  Schlussfolgerungen: 

1.  Der  Befund  von  P.-Körperchen  im  Blute  der  Kinder  hat,  wenn 
nicht  das  Verhältnis  von  6  in  einem  mikroskopischen  Felde  übertroffen 
wird,  keine  klinische  Bedeutung;  findet  man  höhere  Zahlen,  voraus¬ 
gesetzt,  dass  es  sich  nicht  um  Kinder  im  Alter  zwischen  3  und 
14  Tagen  oder  um  Kinder  im  Hungerzustande  handelt,  so  deutet  das  | 
auf  einen  Krankheitszustand  hin.  2.  Es  genügt  nicht,  dass  sich  die 
blutbildenden  Organe  in  Uebertätigkeit  befinden,  um  das  Auftreten  der  | 
P.-Körperchen  zu  erklären.  Eher  ist  an  eine  Störung  des  Mecha-  ■ 
nismus  zu  denken,  mit  welchem  die  Blutzellen  aus  ihrer  Bildungs-  und 
Reifungsstätte  in  den  Kreislauf  übergehen. 

N.  Sforza-Rom:  Atypische  Beschaffenheit  der  Aszitesflüssig¬ 
keit  bei  einer  Leberzirrhose.  (Rivista  ospedaliera  1914  Nr.  4.) 

In  einem  Fall  von  sich  in  ganz  kurzer  Zeit  entwickelter  Aszites 
bot  die  Flüssigkeit  die  Charaktere  eines  Transsudates  dar  (niedriges 
spezifisches  Gewicht,  Anwesenheit  von  Lymphozyten),  aber  der  hohe 
Gehalt  an  Eiweiss  sprach  für  ein  Exsudat;  das  ganze  Bild  sprach  für  | 
einen  neoplastischen  Prozess.  Be:  der  Autopsie  stellte  sich  heraus 
dass  es  sich  um  eine  gewöhnliche  Zirrhose  handelte. 

T.  Soli- Turin:  Die  Skopomorphinanalgesie  in  der  Geburts¬ 
hilfe.  (Rassegna  di  Ostetricia  e  Ginecologia  1913  Nr.  11 — 12.) 

Verf.  arbeitete  mit  Skopomorphin  Riedel;  er  verfügt  über  176  ; 
Beobachtungen  (78  Primiparae,  98  Pluriparae);  die  eingeführte  Dosis  j 
schwankte  zwischen  1  und  2  ccm,  auf  einmal  verabreicht  oder  auf 
mehrere  Gaben  verteilt.  Verf.  kommt  zu  folgenden  Schlussfolge¬ 
rungen: 

In  keinem  Falle  wurden  Nebenerscheinungen  beobachtet,  aus  i 
denen  man  auf  eine  schädliche  Wirkung  der  angewandten  Dosen 
hätte  schliessen  können.  Das  Mittel  entfaltete  fast  stets  eine  mehr 
oder  minder  intensive  analgetische  Wirkung,  die  oft  in  direktem 
Verhältnis  zur  Höhe  der  Dosis  stand;  nur  in  seltenen  Fällen  blieb 
diese  Wirkung  aus.  Nur  selten  trat  ein  wirklicher  Dämmer¬ 
schlaf  ein;  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  beobachtete  man  hingegen  eine  i 
sehr  beträchtliche  Verminderung  der  Schmerzen,  während  die  Uterus¬ 
kontraktionen  in  bezug  auf  Dauer  und  Frequenz  normal  waren. 

Das  Mittel  bewirkte  weder  eine  Verlängerung  der  Gesamtdaucr 
der  Geburt,  noch  eine  Veränderung  der  Charaktere  der  normalen 
Uteruskontraktionen;  die  Expulsionsperiode  hatte  ebenfalls  einen  nor¬ 
malen  Verlauf.  In  keinem  Fall  war  eine  ungünstige  Wirkung  auf  die 
Nachgeburt,  das  Wochenbett  oder  die  Stillung  nachweisbar. 

Ein  schädlicher  Einfluss  auf  die  Neugeborenen  wurde  in  der 
Mehrzahl  der  Fälle  nicht  beobachtet;  nur  in  4  Proz.  der  Fälle  be¬ 
obachtete  man  einen  gewissen  Grad  von  Somnolenz  und  eine  leichte,  i 
rasch  vorübergehende  Adynamie. 

Das  Skopomorphin  bewirkte  auch  keine  Vermehrung  der  Zahl 
der  Fälle,  in  denen  operativ  eingegriffen  werden  musste.  Thera-  ; 
peutisch  brachte  das  Mittel  fast  stets  eine  angenehme  Linderung 
der  Schmerzen  herbei  und  in  den  Fällen  von  A-  oder  Hypodynamie 
des  Uterus  mit  irritativem  Zustande  äusserte  es  eine  beruhigende 
Wirkung  und  wirkte  ferner  insoweit  günstig,  als  die  Uteruskontrak-  j 
tionen  regelmässiger  wurden. 

M.  T  r  o  s  s  a  r  e  1 1  o  -  Turin:  Die  Intradermoreaktion  durch  Ex¬ 
trakt  aus  Kaninchen-Skrotumsyphilom  (Treponemina)  bei  Lues. 

(Gazzetta  degli  ospedali  e  delle  Cliniche  1914  Nr.  44.) 

Von  der  Tatsache  ausgehend,  dass  die  Spirochäten,  die  man  in 
den  Primärsklerosen  des  Kaninchens  findet,  virulenter  als  die  künst¬ 
lich  kultivierten  und  ebenso  virulent  wie  diejenigen  sind,  die  man  in 
den  menschlichen  luetischen  Läsionen  antrifft,  hat  Verf.  für  die  Intra- 


14.  Juli  1914. 


MUKNCHKNER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


dermoreaktion  bei  Syphilis  ein  Glyzerinextrakt  aus  skrotalen  Syphi- 
lomen  von  Kaninchen  hergestellt,  die  mit  Material  von  verschiedener 
Herstammung  inokuliert  waren,  und  hat  somit  verschiedene  Spiro¬ 
chätenstämme  zur  Verfügung  gehabt. 

Mit  diesem  Extrakt  hat  er  bisher  52  Patienten  geimpft,  von  denen 
ein  Teil  unzweifelhaft  nicht  syphilitisch  war.  Bei  Nichtluetikern 
fiel  die  Intradcrmoreaktion  stets  negativ  aus;  bei  Sekundärlues 
fiel  sie  in  40  Proz.,  bei  latenter  Lues  in  50  Proz.,  beiTertiärlues  und 
bei  Syphilis  maligna  in  100  Proz.  der  Fälle  positiv  aus.  Von  den 
14  bei  Tertiärlues  positiv  ausgefallenen  Reaktionen  waren  11  sehr 
intensiv,  darunter  3  pustulös. 

Verf.  glaubt  die  Spezifizität  seines  Extraktes,  das  er  Trepo- 
nemina  nennt,  behaupten  zu  können.  Dieser  Extrakt  ist  bequem 
und  leicht  herzustellen  und  bietet  angeblich  den  Vorteil,  dass  er, 
infolge  des  grossen  Gehaltes  der  Kaninchcnsyphilome  an  Spirochäten, 
wenigstens  ebenso  wirksam  wie  der  Extrakt  aus  Spirochätenkul¬ 
turen  ist.  K.  R  «hl-  Turin. 

Inauguraldissertationen. 

Universität  Giessen.  Mai  und  Juni  1914. 

Angstl  Andreas:  Die  Beeinflussung  der  Hauttemperatur  durch 

Hunger.*) 

Clement  Ernst:  Ueber  eine  neue  Methode  zur  Untersuchung  der 
Fortleitung  des  Erregungsvorganges  im  Herzen. 

Dabbert  Otto:  Ueber  Balantidiumkolitis. 

Dick  Laurenz:  Ueber  4  metallische  Fremdkörper  der  Bronchien  bei 

Kindern. 

Fechter  Fritz:  Untersuchungen  über  die  Haarentwicklung  an 
Pferdefeten.*) 

Kaulen  Karl:  Ueber  einen  Fall  von  Ovarialteratom.  Ein  Beitrag 
zur  Frage  der  Bösartigkeit  der  Teratome. 

Koestlbacher  Hermann:  Ueber  die  Wirkung  des  Sennatins  bei 

Haustieren.*) 

Röckelein  Franz:  Beiträge  über  den  Einfluss  der  S  hur  auf  die 
Hauttemperatur.*) 

Stommel  Albert:  Erfahrungen  mit  Tuberkulin  Rosenbach  bei  der 
Behandlung  der  internen  Tuberkulose  der  Kinder. 

Thurn  Otto:  Ueber  die  Lebensfähigkeit  an  Objektträgern  ange- 
trockneter  ungefärbter  und  gefärbter  Bakterien. 

Weigand  Karl:  Die  Behandlung  der  Nävi  mit  Kohlensäureschnee. 
Wolf  Albert:  Ueber  Ausscheidung  des  Jodes  im  Urin  nach  Eingabe 
von  Jodpräparaten  (Experimentaluntersuchung).  *) 

Zach  Anton:  Die  Geisteskranken  im  Verkehrsrecht  des  19.  Jahr¬ 
hunderts.**) 

Universität  Greifswald.  April— Juni  1914. 

Stange  Otto:  Ueber  die  Kombination  von  Morphin  mit  Chloroform 
bzw.  Aether  bei  der  Inhalationsnarkose  des  Kaninchens. 
Behncke  Wilhelm:  Ueber  Aufbau  und  Abbau  des  Bindegewebes. 
Dierke  Friedrich:  Ein  Fall  von  „Aneurysma  dissecans“. 

Koch  Louis:  Dermoide  des  Beckenbindegewebes. 

Wen  dt  Kurt:  Untersuchungen  über  die  R  i  n  g  e  r  sehe  Lösung  als 
Ersatzmittel  für  den  Fleischsaft  bei  der  Herstellung  von  festen 
Nährsubstraten,  und  insbesondere  über  die  antiseptische  Wirkung 
des  Malachitgrüns  auf  den  mit  der  Ringer  sehen  Lösung  her¬ 
gestellten  Nährböden. 

Universität  Heidelberg.  Mai  und  Juni  1914. 

Stahl  Hans:  Ueber  Uterusrnptur. 

Wied  hopf  Oskar:  Die  Splanchnoptose  und  ihre  Behandlung. 
Förderreuther  Max:  Ueber  H  e  a  d  sehe  Zonen  bei  Viszeral¬ 
erkrankungen. 

Gumpertz  Friedrich:  Erfahrungen  mit  dem  Abderhalden- 
schen  Dialysierverfahren  bei  der  Tuberkulose. 

Adler  Erich:  Die  Leukämie  der  Säuglinge. 

Väth  Oskar:  Die  Heilungsresultate  bei  den  in  der  Klinik  für  Nasen-, 
Ohren-  und  Kehlkopfkranke  in  Heidelberg  (Prof.  Kümmel)  vom 
1.  Mai  1906  bis  1.  Juli  1913  behandelten  Fällen  von  Kieferhöhlen¬ 
eiterung. 

üriinbaum  Franz:  Ueber  die  chirurgisch-pathologische  Bedeutung 
einiger  Darmparasiten. 

Seebohm  Hans:  Beiträge  zum  Prostatakarzinom. 

Universität  Kiel.  April  bis  Juni  1914. 

Allhof  Aloys:  Die  Prognose  der  Fersenbeinbrüche  nebst  Studien 
über  die  Struktur  und  Umgestaltung  der  Spongiosa  bei  veränderter 
Statik  und  Dynamik. 

Bange  Hugo  Franz:  Ueber  Embolie  der  Pulmonalarterie  und  ihre 
operative  Behandlung. 

Becker  Walther:  Zur  Symptomatologie  der  multiplen  Sklerose. 
Outemeyer  Hermann:  Zur  Lehre  von  den  epileptischen  Dämmer¬ 
zuständen. 

Feld  mann  Hans:  Zur  Frage  der  Entwicklung  unehelicher  Kinder 
nn  ersten  Lebensjahre  unter  Berücksichtigung  des  Säuglings¬ 
fürsorgesystems  in  Kiel. 


*)  Ist  veterinär-medizinische  Dissertation. 

**)  Juristische  Dissertation. 


1579 


Hansen  Carl:  Ein  Beitrag  zur  Lehre  von  den  sexuellen  Delikten 
im  Greisenalter  auf  der  Grundlage  arteriosklerotischen  Schwach¬ 
sinns. 

Heyter  Hubert:  Kasuistische  Beiträge  zur  Hämophilie. 

Kappen  Karl:  Kasuistischer  Beitrag  zur  Lehre  von  den  Zwangs¬ 
vorstellungen. 

Knoke  Adolf:  Nagelextension  bei  komplizierten  Knochenbrüchen. 

Koesling  Gustav:  Zur  Symptomatologie  der  Katatonie. 

Koltze  Ernst:  Die  Resistenz  der  roten  Blutkörperchen  unter  dem 
Einfluss  des  Nordseeklimas. 

Nit  sc  he  Hermann:  Zur  Lehre  von  der  traumatischen  Epilepsie. 

O  s  t  r  o  p  Egon:  Ueber  Psychosen  im  Verlaufe  von  Herz-  und  Nieren¬ 
leiden. 

Paul  mann  Otto:  Beitrag  zur  Frage  der  Abnabelung  und  der  Ver¬ 
sorgung  des  Nabelschnurrestes.  (Nach  dem  Material  der  Kieler 
Frauenklinik  aus  den  Jahren  1907—1910.) 

Reinberger  Otto:  Zur  Symptomatologie  der  Paranoia  chronica. 

Schleiern  Martin:  Beitrag  zur  Lehre  von  der  traumatischen  Tabes. 

Sc  breiter  Brigitte:  Ueber  die  Einwirkung  einiger  Kationen  auf 
das  Polarisationsbild  des  Nerven. 

Schultz  Erich:  Zur  Entstehung  der  Paranoia  chronica  im  Gefolge 
des  Alkoholismus  und  ihrer  forensischen  Bedeutung. 

Wer  lieh  Guido:  Ueber  Myocarditis  syphilitica  congenita. 

Universität  München.  Juni  1914. 

Hinkel  Adolf:  Die  Fälle  von  mechanischem  Ileus  an  der  Chirur¬ 
gischen  Klinik  in  München  in  den  Jahren  1900—1910. 

Hilbert  Georg:  Kasuistischer  Beitrag  zu  zwei  selteneren  Erkran¬ 
kungen  der  Macula  lutea.  (Coloboma  Maculae  luteae  und  Loch¬ 
bildung  der  Netzhautmitte.) 

Loewy  Erna  geb.  Hattendorf:  Beitrag  zur  pathologischen  Histologie 
der  unter  dem  Bilde  der  L  a  n  d  r  y  sehen  Paralyse  verlaufenden 
Fälle  von  Poliomyelitis  acuta  anterior. 

Glickmann  Echiel:  Ueber  Hernia  diaphragmatica  congenita  vera. 

Seeliger  Wolfgang  Hermann:  Die  Bedeutung  der  Hypernephrome 
für  die  unfallgerichtliche  Begutachtung.  Ein  Beitrag  zur  Frage 
der  Beziehungen  zwischen  Trauma  und  Geschwulstbildung. 

Kusnezoff  ,L:  Ueber  Osteogenesis  imperfecta. 

Winterfeld  Käthe:  Anatomische  Beiträge  zur  Hämophilie. 

Skibinski  Awrum:  Das  Körpergewicht  von  Münchener  Schul¬ 
kindern. 

Sauer  Willibald:  Ein  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Kleinhirnbahnen 
beim  Menschen.  (Mit  3  Abbildungen.) 

Aschmann  Aron:  Ueber  die  im  Jahre  1912  an  der  Kgl.  laryngo- 
logischen  Poliklinik  in  München  beobachteten  Krankheits¬ 
bewegungen  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Fremdkörper¬ 
fälle. 

S  ilb  e  r  h  o  1  z  M.:  Einfluss  der  Röntgen-,  Radium-  und  Mesothorium¬ 
strahlen  auf  die  Fortpflanzung  und  Fruchtbarkeit. 

Keins  Maximilian:  Ueber  neuere  Methoden  des  Tuberkulose¬ 
nachweises. 

Kaznelson  Refoil:  Klinische  Untersuchungen  über  Asymmetrie  des 
Schädels  bei  Neugeborenen. 

Universität  Rostock.  Juni  1914. 

Disque  Ludwig:  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Bestandteile  und  Wir¬ 
kungen  des  Rhizoms  von  Podophyllum. 

Schmidt  Peter:  Ueber  einseitigen  Nystagmus. 

Schomann  Hans  August:  Ueber  Veränderungen  des  Hornhaut¬ 
zentrums  bei  angeborenen  Hornhauttrübungen. 

Schrender  Albert:  Ueber  das  Verhalten  einiger  neutraler  Sa¬ 
poninsubstanzen  zu  isolierten  Körperzellen. 

Sommerfeld  Alfred:  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Wirkung  des 
Abrins. 

Oldenburg  Amandus:  Ueber  nichtspezifische  Hemmungen  bei  der 
Wassermann  sehen  Reaktion. 

Georgi  Paul:  Ein  Adamantinom  des  Unterkiefers. 

Fulde  Paul:  Ueber  eine  Missbildung  am  Kopfe  des  Schafes  (Hypo- 
gnathus). 

Le  nneu  schloss  Otto:  Ueber  das  Angioma  arteriale  racemosum 
des  Gehirns. 

Fieger  Joseph:  Ueber  die  Ausscheidung  von  Saponinen  im  Harn 
und  ihre  blutzersetzende  Wirkung  innerhalb  des  Organismus. 

Paulsen  Gustav:  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Pockenwurzel. 

Overhoff  Emil:  Beitrag  zur  pathologischen  Anatomie  und  Patho¬ 
logie  der  Irideremia  totalis  congenita. 

Universität  Strassburg.  Juni  1914. 

Poprawski  .1.:  Ueber  die  Förderung  der  Karzinomdiagnose  durch 
das  Röntgenbild. 

Merzbacher  J.:  Beiträge  zur  Lehre  von  der  Schwangerschafts¬ 
niere  und  der  Nephritis  in  der  Schwangerschaft. 

Herrenschneider  K. :  Ueber  die  Komplikationen  der  Schwanger¬ 
schaft  durch  Myome  und  Ovarialtumoren. 

Gordin  E.  S.:  Plethvsmographische  Untersuchungen  über  die  Wir¬ 
kung  thermischer  Einflüsse  auf  das  Gefässsvstem  des  Kindes. 

Scheidin  E.:  Ueber  die  praktische  Anwendung  der  Anaphylaxie 
mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Unterscheidung  von  Harnen 
verwandter  Tierarten. 

Weint  raub  S.:  Ueber  einen  Fall  von  Embolie  der  Aorta  abdomi¬ 
nalis. 


1580 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  28. 


Walther  F.:  Ueber  fieberhafte  Aborte  mit  spezieller  Berück¬ 
sichtigung  ihrer  Therapie. 

Eck  G.:  Ueber  einen  Fall  von  perforiertem  Oesophagusdivertikel. 
Meyer  M.  J.:  Geschichte  der  Hyperemesis  gravidarum  und  ihrer 

Theorien.  ,  .  , 

Nissenboy  m  B.:  Ueber  die  Wirkungsgrade  einiger  narkotisch 
wirkender  (!)  Verbindungen  auf  das  isolierte  Froschherz. 

Hahn  Otto:  Ein  Beitrag  zur  Kenntnis  des  Oberflächenpapilloms  des 
Ovariums. 

Müller  Rene:  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Vaginalmyome. 


Auswärtige  Briefe. 

Berliner  Briefe. 

(Eigener  Bericht.) 

Streit  zwischen  der  Ortskrankenkasse  für  den  Kreis  Nieder¬ 
barnim  und  ihren  Aerzten. 

Fast  um  dieselbe  Zeit,  wo  auf  dem  Aerztetage  über  die  Wir¬ 
kungen  des  Berliner  Abkommens  verhandelt  wurde,  ist  ein  Streit,  der 
durch  dieses  Abkommen  ein  vorläufiges  Ende  gefunden  hatte,  vor  den 
Toren  Berlins  und  teilweise  in  Berlin  selbst  wieder  in  ein  akutes 
Stadium  getreten.  Ende  1913  hatten  zwischen  dem  Versicherungs¬ 
amt  Niederbarnim  und  den  ärztlichen  Organisationen  Verhandlungen 
stattgefunden,  die  zu  keinem  Ergebnis  führten,  vielmehr  mehrere 
strittige  Fragen  offen  Hessen.  Nach  dem  Abkommen  im  Reichsamt 
des  Innern  wurde  zur  Sicherung  einer  geordneten  Krankenfürsorge 
ein  vorläufiger  Vertrag  geschlossen,  nach  dem  ein  vierteljährliches 
Pauschalhonorar  von  80  000  M.  an  die  Aerzte  gezahlt  werden  sollte, 
mit  der  Massgabe,  dass  der  endgültige  Vertrag  rückwirkende  Kraft 
vom  1.  Januar  an  haben  sollte.  Die  Kasse  machte  aber  gar  keine 
Anstalten,  einen  solchen  vorzubereiten,  wozu  im  Laufe  eines  halben 
Jahres  genügend  Zeit  gewesen  wäre,  sondern  lehnte  sogar  die  von 
den  Aerzten  angestrebten  Vertragsverhandlungen  unter  Anzweiflung 
ihrer  Vertragsfähigkeit  ab.  Um  nun  einen  Druck  auf  die  Kasse  zur 
Beschleunigung  der  Verhandlungen  auszuüben  —  ausgesprochener- 
massen  nur  aus  diesem  Grunde  — ,  stellte  die  kassenärztliche  Organi¬ 
sation  kurz  vor  Ablauf  des  Interimistikums  am  27.  Juni  ein  Ultimatum 
mit  dem  Anträge,  das  Pauschale  auf  120  000  M.  zu  erhöhen.  Der  An¬ 
trag  wurde  abgelehnt  und  zugleich  eine  Verlängerung  des  Interimisti¬ 
kums  um  ein  weiteres  Vierteljahr  angeboten.  Darin  sahen  die  Aerzte 
mit  Recht  nichts  weiter  als  einen  Verschleppungsversuch  und  er¬ 
klärten,  dass  sie  vom  6.  Juli  an  die  Kassenmitglieder  nur  noch  als 
Privatpatienten  behandeln  würden.  Diese  Entwicklung  der  Dinge  ist 
nicht  unerwartet  gekommen,  es  gärte  schon  lange,  und  früher  oder 
später  musste  es  zum  offenen  Ausbruch  der  Feindseligkeiten  kommen. 

Streitigkeiten  zwischen  Aerzten  und  Krankenkassen  sind  heute 
keine  internen  Angelegenheiten  mehr.  Die  Oeffentlichkeit  nimmt  an 
ihnen  teil,  und  jede  Partei  sucht  ihr  Verhalten  vor  der  Oeffentlichkeit 
zu  rechtfertigen,  das  ist  ihr  gutes  Recht.  Die  Aerzte  erklären  ein¬ 
fach,  sie  wollten  geordnete  Vertragsverhältnisse  erzielen;  da  sie  das 
nicht  erreichen  konnten,  haben  sie  das  bestehende  sehr  lockere  Ver¬ 
tragsverhältnis  nicht  verlängern  wollen.  Die  kranken  Kassenmitglieder 
sind  deshalb  nicht  ohne  Hilfe.  Die  Kasse  dagegen  erklärt,  sie  hätte 
gar  nicht  die  Möglichkeit  gehabt,  einen  endgültigen  Vertragsabschluss 
herbeizuführen,  denn  nach  den  Bedingungen  des  Berliner  Abkommens 
wäre  dazu  ein  Ausschuss  nötig,  der  von  den  im  Aerzteregister  ein¬ 
getragenen  Aerzten  und  von  Kassenvertretern  zu  bilden  sei, 
für  die  Konstituierung  dieses  Ausschusses  seien  die  Vorarbeiten  im 
Versicherungsamt  nahezu  beendet.  Diese  Erklärung  ist,  wie  der 
Eingeweihte  sofort  erkennt,  irreführend;  denn  einmal  sind  ja  bereits  bei 
anderen  Kassen  genügend  Verträge  auch  ohne  den  Ausschuss  abge¬ 
schlossen,  und  ausserdem  hat  der  Ausschuss  nur  die  Aufgabe,  den 
Vertrag  vorzubereiten,  wenn  ein  solcher  zwischen  der  Kasse  und  den 
Aerzten  nicht  zustande  kommt.  Das  ist  aber  von  der  Kasse  gar  nicht 
versucht  worden,  una  sie  kann  sich  daher  bei  ihrer  Ablehnung  jeg¬ 
licher  Verhandlungen  auf  das  Berliner  Abkommen  in  keiner  Weise 
stützen.  Dagegen  hat  es  sehr  verstimmt,  dass  die  Kasse  die  Be¬ 
stimmungen  dieses  Abkommens  durchbrochen  hat,  indem  sie  Nothelfer 
anzuwerben  versuchte,  was  ihr  bisher  allerdings  nicht  gelungen  ist. 
Der  Streit  wird  dadurch  noch  etwas  kompliziert,  dass  er  nicht  auf 
die  betreffenden  Vorortgemeinden  beschränkt  ist,  sondern  dass  seine 
Fäden  sich  nach  Berlin  hineinziehen.  Der  kassenärztlichen  Ver¬ 
einigung  gehören  etwa  100  Aerzte  an,  dazu  kommen  noch  280  Berliner 
Aerzte,  die  sich  aber  mit  den  Niederbarnimer  Kollegen  solidarisch  er¬ 
klärt  haben.  Nach  einer  besonderen  Klausel  dürfen  an  Berliner  Aerzte 
nur  solche  Versicherte  überwiesen  werden,  die  in  Berlin  ihren 
Wohnsitz  haben,  und  das  ist  eine  verhältnismässig  geringe  Zahl.  Für 
die  Kasse  besteht  also  vorläufig  die  Notwendigkeit,  ihren  erkrankten 
Mitgliedern  in  Krankheitsfällen  das  Honorar  für  private  Behandlung  zu 
ersetzen  und  unter  Umständen  auf  eine  sachverständige  Beurteilung 
der  Erwerbsunfähigkeit  zu  verzichten.  Auch  dieser  Streit  wird,  wie 
so  viele  vor  ihm,  geschlichtet  werden,  und  der  Zentralausschuss  soll 
bereits  die  einleitenden  Schritte  dazu  getan  haben;  es  wäre  nur  zu 
wünschen,  dass  der  Friede  recht  bald  wieder  hergestellt  wird,  ehe 
hüben  und  drüben  unnötige  Kriegskosten  entstehen.  M.  K. 

Der  Streit  ist  inzwischen  beigelegt  worden;  s.  unter  Tages- 
geschichtlichd  Notizen  Red. 


Vereins-  und  Kongressberichte. 

XXI.  Tagung  des  Vereins  Deutscher  Laryngologen 

in  Kiel,  29.  und  30.  Mai  1914. 

Vorsitzender:  Herr  S  p  i  e  s  s  -  Frankfurt  a.  M. 

Schriftführer:  Herr  K  a  h  1  e  r  -  Freiburg  i.  Br. 

Bericht, 

erstattet  vom  Schriftführer  Prof.  Dr.  Otto  Kahler-  Freiburg  i.  Br. 

(Schluss.) 

22.  Herr  Katzenstein  -  Berlin :  Ueber  eine  neue  Methode  der 
Massage  des  Halses,  besonders  bei  Stimmleiden. 

Durch  den  harten  Stimmansatz,  der  in  einer  Hyperkinese  der 
Kehlkopfmuskulatur  besteht,  wird  besonders  häufig  eine  schmerzhafte 
Affektion  der  Berufsredner  und  Berufssänger,  die  Neuritis  des  Rekur- 
rens  und  der  Laryngeus  superior  ausgelöst.  Die  Behandlung  dieser 
Affektion  besteht  hauptsächlich  in  hydrotherapeutischen  Massnahmen, 
äusserer  Massage,  Vibrationsmassage.  K.  wendet  seit  fünfviertel 
Jahren  mit  gutem  Erfolg  die  bimanuelle  Massage  an.  1—2  Finger 
kommen  in  den  Mund,  die  andere  Hand  macht  besonders  die  Be¬ 
wegungen  der  Effleurage,  gegen  die  im  Mund  befindlichen  kontrol- 
lierenden  Finger.  Massiert  werden  Mundboden,  Gaumentonsillen, 
Kehlkopf.  Schwierig  ist  nur  die  Massage  des  Kehlkopfs,  die  im 
Munde  befindlichen  2  Finger  werden  zunächst  auf  die  linke  innere 
Seite  des  Kehlkopfs  geführt,  die  linke  Hand  macht  von  der  rechten 
äusseren  Seite  des  Halses  die  Gegenbewegungen.  Hierauf  umge¬ 
kehrt.  Dauer  der  Massage  2 — 3  Minuten.  " 

23.  Herr  F  1  a  t  a  u  -  Berlin:  Plethorische  Stimmstörungen  und  ihre 
physiotherapeutische  Heilung. 

F.  beobachtete  die  Veränderungen  der  phonischen  Funktion  an 
normalen,  die  durch  mechanische,  insbesondere  elektrisch-vibra¬ 
torische  Einwirkung  auf  die  phonische  Atmung  hervorgebracht  wer¬ 
den.  Er  schildert  dann  die  Möglichkeit  und  den  Nutzen  der  Ein¬ 
gliederung  dieses  Verfahrens  in  die  Methoden  der  stimmgymnasti¬ 
schen  Behandlung.  Von  den  laryngealen  Hilfsmethoden  wird  die 
Heranziehung  der  Hochfrequenzströme  in  den  von  dem  Verf.  an¬ 
gegebenen  konstruktiven  Formen  empfohlen,  namentlich  die  von 
Siemens  &  Halske  ausgeführte  Konstruktion,  die  den  'I  onschwin- 
gungen  entsprechende  sinusförmige  Wechselströme  als  therapeuti¬ 
sches  Agens  einführt.  Die  neue  Apparatur  wirkt  auch  sehr  glücklich 
auf  abdominalplethorische  Zustände  und  auf  die  Erschlaffung  der 
muskulären  Bauchdecken. 

24.  Herr  G  u  t  z  m  a  n  n  -  Berlin:  Phonographische  und  grammo- 
phonische  Aufnahmeplatten  von  Stimm-  und  Sprachstörungen  als 
Lehrmittel  für  den  laryngologischen  Unterricht. 

G.  führt  eine  Anzahl  von  Platten  von  Stimm-  und  Sprachstö¬ 
rungen  vor,  an  denen  er  zeigt,  dass  nicht  nur  die  charakteristischen 
akustischen  Merkmale  der  betr.  Störungen,  sondern  auch  die  Wirkung 
der  Therapie  deutlich  wiedergegeben  werden.  Derartige  Aufnahmen 
sind  leicht  in  einer  grosen  Anzahl  von  Kopien  herzustellen  und  sind 
daher  billig  zu  verschaffen.  Besonders  für  die  durch  die  zurzeit  allzu¬ 
grosse  Bevorzugung  der  optischen  Untersuchungsmethode,  vielleicht 
etwas  vernachlässigte  Uebung  im  Unterscheiden  der  Stimmstörungen 
durch  das  Gehör,  können -sie  grosse  Dienste  leisten. 

Diskussion  zu  den  Vorträgen  22—24: 

Herr  Hopmann- Köln  betont  die  Wichtigkeit  der  Ausübung  und 
Ausbildung  des  Abtastens  für  die  Laryngologie  und  weist  auf  die 
Notwendigkeit  der  psychischen  Beeinflussung  der  Phonastheniker  hin, 
weil  diese  Leute  alle  etwas  neuropathisch  sind. 

Herr  G  o  1  d  m  a  n  n  -  Iglau  weist  darauf  hin,  dass  auch  die  chro¬ 
nische  Tonsillitis  bei  Stimmstörungen  in  Betracht  kommt.  Durch 
Tonsillektomie  hat  er  Sänger  und  Schauspieler  von  ihren  Leiden  be- 

Herr  Boenninghaus  erinnert  an  die  von  ihm  bei  Phon¬ 
asthenikern  gefundenen  Druckunkte  des  Nervus  laryngeus,  er  hatte 
mit  Massage  gute  Erfolge  und  lässt  die  Patienten  sich  selbst 
massieren. 

Schlusswort:  Herren  Katzenstein,  Flat  au,  Gutzmann. 

25.  Herr  W  i  n  c  k  1  e  r  -  Bremen:  Ueber  Tonsillenoperationen  im 
Kindesalter. 

Die  Tonsillotomie  genügt  nicht  in  allen  Fällen.  Ist  das  Mandel¬ 
gewebe  klinisch  krank,  sind  auf  die  kranken  Gaumentonsillen  All¬ 
gemeinstörungen  zurückzuführen,  dann  ist  die  Tonsillektomie  ebenso 
berechtigt,  wie  dies  bei  den  gleichen  Zuständen  beim  Erwachsenen 
bereits  allgemein  anerkannt  ist.  Die  physiologische  Leistung  der 
Gaumentonsillen  ist  noch  unklar.  Es  scheint,  dass  von  den  kranken 
Tonsillen  Eiweissverbindungen  in  den  Blutstrom  gelangen,  gegen  die 
das  Serum  spezifische  Fermente  bildet.  Für  die  Blutzusammen¬ 
setzung  spielen  die  Gaumentonsillen  keine  wesentliche  Rolle.  Der 
Hämoglobingehalt  ändert  sich  nach  Tonsillektomie  nicht.  Man  sieht 
nach  dieser  Operation  oft  eine  auffallende  Erholung  der  vorher  nicht 
recht  weiterkommenden  Kinder.  Bei  Kindern  mit  exsudativer  Dia- 
these  tritt  nach  Enukleation  der  Gaumentonsille  öfters  an  gewisser 
Stelle  eine  Hyperplasie  des  lymphoiden  Gewebes  ein.  Einen  Nach¬ 
teil  der  Operation  im  Kindesalter  sah  W.  niemals.  Er  beobachtete 
Patienten  10  und  mehr  Jahre  hindurch  nach  dem  Eingriff.  Die  grosse 
Schwierigkeiten  besteht  darin,  klinisch  die  chronische  Tonsillitis  zu  er¬ 
kennen,  was  bei  einer  Untersuchung  oft  unmöglich  ist. 


14.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1581 


26.  Herr  S  t  e  i  n  e  r  -  Prag:  Beitrag  zur  Pathologie  der  Rachen- 

maudeL 

Vortragender  hat  an  61  hyperplastischen  kindlichen  Mandeln  die 
feineren  histologischen  Veränderungen  studiert.  Für  die  Entstehung 
der  Hyperplasie  sind  nicht  immer  entzündliche  Prozesse  verantwort¬ 
lich  zu  machen,  da  solche  auch  in  nichthyperplastischen  Mandeln 
nachgewiesen  werden  konnten.  Gegen  die  Genese  der  Hyperplasie 
aus  bloss  entzündlichen  Veränderungen  spricht  nach  Steiner  auch 
das  klinische  Krankheitsbild  der  chronischen  Adenoiditis,  indem  bei 
einer  grossen  Anzahl  solcher  von  wiederholten  Entzündungen  der 
Rachenmandel  heimgesuchten  Kranken,  eine  als  Hyperplasie  zu  deu¬ 
tende  Volumenzunahme  der  Rachenmandel  fast  gar  nicht  zu  kon¬ 
statieren  war.  Für  die  Adenotomie  eignen  sich  daher  nicht  nur  die 
Fälle  von  reiner  Hyperplasie,  sondern  auch  die  Fälle  von  rezi- 
dixieiender  Adenoiditis,  die  zu  Verkleinerung  des  Organs  geführt 
haben. 

Diskussion  zu  Vortrag  25  und  26: 

Herr  A  m  e  r  s  b  a  c  h  -  Freiburg  spricht  zur  physiologischen  Be¬ 
deutung  der  Tonsillen.  Er  hat  auf  der  Kahl  er  sehen  Klinik  die 
Versuche  Henkes,  der  in  die  Nase  injizierten  Russ  in  den  Ton¬ 
sillen  nachwies  und  daher  die  Tonsillen  als  Exkretionsorgane  be¬ 
trachtet,  nachgeprüft,  ist  aber  nur  zu  negativen  Resultaten  gekommen. 

Herr  F  i  n  d  e  r  -  Berlin  stimmt  Herrn  Winckler  bei,  dass  bei 
Kindern  auch  kleine  erkrankte  Tonsillen  radikal  zu  entfernen  sind. 
So  findet  man  bei  den  sog.  orthostatischen  Individuen  durch  chro¬ 
nische  Tonsillenerkrankungen  im  Kindesalter  sehr  häufig  echte  chro¬ 
nische  Nephritis. 

Herr  Hopmann -Köln  spricht  sich  in  ähnlichem  Sinne  aus 

Herr  Halle-Berlin  ist  der  Ansicht,  dass  man  auch  bei  lympha¬ 
tischer  Diathese  operieren  soll,  hauptsächlich  wegen  der  Gefahr  des 
Hinzutretens  von  Ohrkomplikation. 

Herr  G  ü  1 1  i  c  h  -  Charlottenburg  meint,  man  soll  nicht  von  extra¬ 
kapsulärer  Ausschälung  sprechen,  die  Tonsille  habe  keine  Kapsel 

Herr  S  p  i  e  s  s  -  Frankfurt  ist  für  konservative  Behandlung,  so 
länge  nicht  bewiesen  ist,  däss  die  Tonsille  wirklich  überflüssig  ist 

Schlusswort:  Herr  Winckler,  Herr  Steiner. 

27.  Herr  v.  E  i  c  k  e  n  -  Giessen:  Ein  Fremdkörper  der  Speise¬ 
röhre  mit  tödlichem  Ausgang. 

Unter  18  zum  Teil  recht  schwierigen  Extraktionen  von  Fremd- 
korpern  aus  der  Speiseröhre  mittelst  Oesophagoskopie  hatte 
v.  Eicken  einen  Todesfall  zu  verzeichnen.  Ein  Kind  von  15  Mo¬ 
naten  mit  einem  seit  8  Tagen  im  obersten  Abschnitt  der  Speiseröhre 
steckenden  Zehnpfennigstück.  Die  Extraktion  gelang,  jedoch  Exitus 
nach  einem  Tag.  Sektion  ergab  dekubitale  Geschwüre  an  der  Stelle, 
v\  o  das  Geldstück  gelegen  und  einen  mit  dem  Geschwür  kommuni¬ 
zierenden  neben  der  Speiseröhre  gelegenen  Kanal,  in  den  offenbar 
das  Oesophagoskop  eingedrungen  sein  musste.  Von  hier  ausgehende 
diffuse  eitrige  Mediastinitis.  Eine  derartige  Verletzung  ist  zu  ver- 
hindern,  wenn  das  Kind  rechtzeitig  zur  Oesophagoskopie  kommt,  da 
dann  die  Speiseröhrenwand  noch  nicht  so  hochgradig  geschädigt  ist. 

Diskussion:  Herr  Möller-  Kopenhagen  und  Herr  Güt- 
t  ich- Charlottenburg  haben  ähnliche  Fälle  beobachtet. 

Herr  K  a  h  1  e  r  -  Freiburg  i.  Br.  betont  die  Wichtigkeit  der  Ver¬ 
öffentlichung  derartiger  unglücklicher  Zufälle,  die  Oesophagoskopie 
ist  entschieden  gefährlicher  als  die  Tracheoskopie,  weil  schon  eine 
kleine  Verletzung  zur  Mediastinitis  führen  kann. 

Herr  M  a  r  s  c  h  i  k  -  Wien  empfiehlt  bei  Verdacht  einer  beginnen¬ 
den  Mediastinitis,  sofort  die  Mediastinotomie  zu  machen 

Schlusswort:  Herr  v.  E  i  c  k  e  n  -  Giessen. 

28.  Herr  M  a  r  s  c  h  i  k  -  Wien:  Ueber  Gastroskopie  und  Gastro- 
photographie. 

Demonstration  des  an  der  Klinik  C  h  i  a  r  i  in  Verwendung  stehen¬ 
den  Gastroskops  nach  Foramitti,  sowie  eines  zystoskopähnlichen 
Instrumentes  zur  Gastroskopie  durch  die  Gastrostomiefistel.  Demon- 
stration  der  K  a  h  1  e  r  - L  e  i  t  e  r  sehen  photographischen  Kamera  für 
uas  I  haryngoskop,  mit  welcher  auch  Magenphotographien  gemacht 
werden  können,  sowie  Demonstration  einiger  derartiger  Bilder. 

29.  Herr  A.  Rethi-Pest:  Methode  der  indirekten  Untersuchung 
und  Operation  des  Larynx  (Distractio  laryngis). 

Mit  einem  Instrument,  Distraktor  genannt,  das  2  hintere  und  eine 
vordere  Branche  hat,  und  das  in  den  Larynx  eingeführt  wird,  wird  I 
der  Kehlkopf  phantomartig  unbeweglich  fixiert,  die  Glottis  ist  ad 
maximum  geöffnet,  die  Stimmbänder  sind  fixiert  und  angespannt, 
die  Epiglottis  wird  nach  vorne  gedrückt,  die  Commissura  anterior 
ist  vortrefflich  zu  sehen  und  es  ist  unnötig,  die  Zunge  zu  halten. 
Endolaryngeale  Operationen  werden  durch  das  Instrument  bedeutend 
erleichtert. 

30.  Herr  Pollatschek  - Pest:  Eine  Modifikation  der  radikalen 
Kieferhöhlenoperation. 

Durch  Abziehen  der  Wange  während  der  D  e  n  k  e  r  sehen  Ope¬ 
ration  entstehen  sehr  oft  sehr  starke  Schwellungen  und  Hämatome. 

B.  führt  daher  einen  der  Sturmann  sehen  Operation  ähnlichen 
Eingriff  in  der  Apertura  piriformis  aus,  wobei  die  ganze  Höhle  gut 
zu  betrachten  ist.  Ist  die  Schleimhaut  nicht  hochgradig  degeneriert, 
so  ist  die  Operation  so  zu  vollenden,  sonst  macht  er  nach  der  Voll¬ 
endung  der  naso-anthralen  Kommunikation  einen  bukkalen  Schnitt 
und  entfernt  die  vordere  Wand  der  Kieferhöhle.  Diese  letzte  Phase 
der  Operation  ist  in  3 — 4  Minuten  fertig  und  die  Zerrung  der  Weich¬ 
teile  daher  eine  minimale. 


31.  Herr  Brüggemann  -  Giessen:  Seltene  Befunde  bei  Neben- 
höhleneiterungen. 

1.  Demonstration  einer  Kieferhöhlen-  und  Stirnhöhlenschleimhaut 
bei  Empyem  mit  verkalkten  kapillaren  und  präkapillaren  Gefässen, 
2.  Bei  einem  Patienten  mit  chronischer  Nebenhöhleneiterung  ergab 
die  Punktion  eine  klare,  gelbliche,  mit  zahlreichen  Cholesterin- 
kristallen  durchsetzte  Flüssigkeit.  Kein  Anhaltspunkt  für  Schleim¬ 
haut-  oder  Zahnzyste.  Es  handelte  sich  vermutlich  primär  um  eine 
hämorrhagische  Entzündung  der  Schleimhaut.  3.  Osteoides  Gewebe 
in  einer  chronisch  entzündeten  Stirnhöhlenschleimhaut. 

32.  Herr  M  a  r  s  c  h  i  k  -  Wien:  Zur  Technik  der  Stirnhöhlen¬ 
radikaloperation. 

Die  K  i  1 1  i  a  n  sehe  und  R  i  e  d  1  sehe  Stirnhöhlenoperation  wird 
an  der  Klinik  C  h  i  a  r  i  jetzt  meist  in  Braun  scher  Lokalanästhesie 
bei  Generalanästhesie  mit  Kuhn  scher  Intubation  ausgeführt.  Sämt¬ 
liche  Weichteile,  mit  Ausnahme  der  Haut,  werden  an  der  Spange 
gelassen,  die  Trochlea  wird  prinzipiell  abgehebelt,  der  K  i  1 1  i  a  n  - 
sehe  Nasen-Schleimhautlappen  wird  erhalten;  stets  äussere  Drainage, 
um  Anschwellung  der  Nasenschleimhaut  zu  vermeiden.  Bei  Ostitis 
der  Hinterwand,  die  bei  Rezidiven  häufig  ist,  wird  die  Hinterwand  in 
grösserem  oder  geringerem  Umfange  entfernt.  Gut  bewährt  sich  die 
von  Kahler  empfohlene  Anwendung  der  G  r  ü  n  w  a  1  d  sehen  sep- 
talen  Operation  bei  der  K  i  1 1  i  a  n  sehen  Radikaloperation,  ferner  der 
von  M  a  r  s  c  h  i  k  eingeführte  „retrograde  Killian“,  welcher  den  Haut¬ 
schnitt  auf  der  anderen  Seite  erspart,  endlich  die  Anwendung  der 
K  r  ö  n  1  e  i  n  sehen  Trepanation  der  lateralen  Orbitalwand  bei  sehr 
tiefem  Recessus  supraorbitalis,  um  übermässigen  Druck  oder  Ver¬ 
letzung  des  Bulbus  oder  Optikus  zu  vermeiden.  Zur  Deckung  von 
Defekten  nach  Stirnhöhlenoperationen  wird  die  Plastik  mit  Rippen¬ 
knorpel  befürwortet. 

33.  Herr  H  a  1 1  e  -  Berlin:  Die  intranasalen  Operationen  bei 
eitrigen  Erkrankungen  der  Nebenhöhlen. 

H.  bevorzugt  für  die  Kieferhöhle  die  von  Stur  mann  und 
Canfield  angegebene  Methode,  da  bei  derselben  eine  Kommuni¬ 
kation  der  Höhle  mit  dem  Munde  vermieden  wird.  Für  die  Operation 
der  Stirnhöhle  hat  er  seine  1906  angegebene  intranasale  Methode 
wesentlich  verbessert  und  gefahrlos  gemacht.  Auf  der  lateralen 
Nasenwand  wird  ein  Schleimhautperiostlappen  gebildet  und  nach 
unten  geklappt.  Der  Ansatz  der  unteren  Muschel,  der  Agger  nasi 
und  die  davor  gelegenen  Teile  des  aufsteigenden  Kieferastes  werden 
nun  mit  einem  Meissei  abgetragen,  worauf  nicht  nur  die  vordersten 
Siebbeinzellen,  sondern  auch  der  Eingang  ih  die  Stirnhöhle  sofort  zu 
übersehen  ist.  Die  Stirnhöhlenöffnung  kann  nun  gefahrlos  mit  einer 
Fräse  erweitert  werden.  Der  Boden  wird  abgetragen,  kleinere  Stirn¬ 
höhlen  sind  völlig  zu  übersehen,  auch  grössere  können  mit  biegsamen 
Löffeln  ausgekratzt  werden.  Die  mittlere  Muschel  bleibt  erhalten. 
Auch  das  Siebbein  kann,  da  man  die  Umbiegungsstelle  der  Tabula 
interna  sieht,  gefahrloser  ausgeräumt  werden,  als  bei  der  externen 
Operation.  Für  die  Keilbeinhöhle  schlägt  H.  vor,  die  Schleimhaut  der 
vorderen  Wand  nach  einem  Kreuzschnitt  abzupräparieren  und  nach 
Entfernung  der  Wand  die  Lappen  in  die  Keilbeinhöhle  zu  klappen. 
Die  vorgeschlagenen  Operationen  wurden  an  69  Fällen  mit  bestem 
Erfolg  ausgeführt. 

34.  Herr  A.  R  e  t  h  i  -  Pest:  Methode  zur  intranasalen  Eröffnung  der 
Stirnhöhle. 

Vortragender  arbeitet  mit  einer  Fräse,  die  eine  Nebenverletzung 
ausschliesst.  Das  Instrument  ist  walzenförmig  und  passt  in  eine 
Hülse  hinein,  die  oben  in  einen  bogenförmig  gekrümmten  Schützer 
ausgeht.  Die  in  die  natürliche  Oeffnung  der  Stirnhöhle  eingeführte 
Fräse  kann  infolge  des  Schützers  nur  nach  vorne  arbeiten  und  muss 
in  die  Stirnhöhle  gelangen. 

35.  Herr  v.  E  i  c  k  e  n  -  Giessen:  Zur  Kosmetik  nach  Stirnhöhlen¬ 
operationen. 

Bei  einem  wegen  rechtsseitiger  Stirnhöhleneiterung  radikal  nach 
Riedl  operierten  Patienten  wurde  eine  Paraffineinspritzung  vorge¬ 
nommen,  die  von  Zeit  zu  Zeit  Abszessbildung  im  Gefolge  hatte,  wo¬ 
durch  entstellende  Narben  entstanden.  Bei  erneuter  Freilegung  des 
Operationsgebietes  wegen  einiger  bei  der  ersten  Operation  nicht  ent¬ 
fernten  Stirnhöhlenbuchten  wurde  das  ganze  erkrankte  Hautgebiet 
exzidiert  und  um  die  stark  entstellende  Einsenkung  zu  beseitigen, 

|  von  der  gesunden  Seite  ein  grosser,  aus  den  unter  der  Haut  gelegenen 
Weichteilen  und  Periost  bestehender  Lappen  mit  der  Basis  an  der 
Nasenwurzel  gebildet  und  herübergeklappt.  Darüber  eine  Haut¬ 
plastik,  Heilung  per  primam. 

36.  Herr  B  r  ü  g  g  e  m  a  n  n  -  Giessen:  Zur  Technik  der  Spülung 
von  Nebenhöhlen. 

Demonstration  eines  Kanülenhalters,  der  sich  an  den  gebräuch¬ 
lichsten  Kanülen  nach  Anbringung  einer  kleinen  Platte  leicht  befestigen 
lässt  und  verhütet,  dass  die  Spülflüssigkeit  über  die  Hand  des  Arztes 
fliesst. 

37.  Herr  R  i  c  h  t  e  r  -  Leipzig:  Zur  Operationstechnik  grosser 
Zahnzysten  im  Oberkiefer. 

Die  Zyste  wird  von  der  Fossa  canina  freigelegt,  die  mediale 
Zystenwand  abgetragen,  so  dass  der  Zystenraum  von  der  Ober¬ 
kieferhöhle  nicht  mehr  getrennt  ist.  Zwischen  letzterer  und  dem 
unteren  Nasengang  wird  eine  bohnengrosse  Daueröffnung  hergestellt, 
die  Wunde  in  der  Fossa  canina  wird  sogleich  vernäht.  Die  Opera¬ 
tionsmethode  ermöglicht  die  Beseitigung  der  Zyste  in  etwa  einer 
Woche,  während  sonst  monatelange  Tamponaden  erforderlich  waren. 


1582 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  28. 


3S.  Herr  West -Berlin:  Ueber  die  intranasale  Behandlung  der 
Dakryostenose. 

Nach  polemischen  Bemerkungen  gegen  P  o  1  y  a  k,  die  darin  aus- 
klingen,  dass  sich  die  Methode  des  Vortr.  wesentlich  von  der 
Polyaks  unterscheide  —  West  eröffnet  nur  den  Tränensack  — , 
während  Polyak  Tränensack  und  Duktus  eröffnet,  berichtet  Vortr. 
über  seine  Erfahrungen.  Er  hat  über  220  intranasale  derartige 
Operationen  ausgeführt.  Er  teilt  vorläufig  mit,  dass  er  bakterio¬ 
logische  Untersuchungen  nach  der  intranasalen  Eröffnung  des  Tränen¬ 
sackes  macht,  er  fand,  dass  die  pathogenen  Bakterien  gewöhnlich 
1  oder  2  Tage  nach  der  Operation  vollständig  geschwunden  waren. 
Vorteile  der  W  e  s  t  sehen  Operation  sind  folgende:  die  physiologische 
Funktion  des  Tränenwegs  wird  wiederhergestellt,  die  pathogenen 
Bakterien  verschwinden,  die  Tränendrüse  wird  geschont,  Sondenkur 
und  Hautschnitt  wird  vermieden. 

39.  Herr  Amersbach  -  Freiburg  i.  Br.:  Zur  Frage  der  diffusen 
Hyperosteosen  der  Gesichts-  und  Schädelknochen. 

Trotz  genauer  Untersuchung  des  gesamten  operativ  entfernten 
Materials  eines  von  A.  beobachteten  Falles  muss  die  Frage,  ob  eine 
echte  Tumorbildung  —  Osteoidfibrom  bzw.  Sarkom  —  oder  eine  ent¬ 
zündliche  Neubildung  —  Ostitis  fibrosa  deformans  —  vorliegt,  un¬ 
entschieden  bleiben.  Das  unklare  Krankheitsbild  sollte  durch  die 
Bekanntgabe  jedes  einzelnen  Falles  geklärt  werden.  Wichtig  ist 
nebst  klinischer  Beschreibung  die  röntgenologische  Untersuchung  des 
gesamten  Skelettsystems  und  die  histologische  Untersuchung,  be¬ 
sonders  der  Randpartien  der  Krankheitsherde. 

Diskussion  zu  den  Vorträgen  30 — 39: 

Herr  Ritter-  Berlin  möchte  die  Halle  sehe  Methode  nur  für 
wenige  Fälle  reserviert  wissen,  bei  den  meisten  Stirnhöhleneiterungen 
kommt  man  mit  den  einfacheren  konservativen  Methoden  aus,  bei 
hochgradigen  Schleimhautveränderungen  nur  mit  der  äusseren 
Operation. 

Herr  R  h  e  s  e  -  Königsberg  meint  auch,  dass  man  mit  einfachen 
Operationsmethoden  auskommt;  er  erhält  ebenfalls  bei  der  endo- 
nasalen  Siebbeinoperation  die  mittlere  Muschel.  Nach  der  West- 
schen  Operation  sah  er  in  50  Proz.  der  Fälle  Rezidive.  Er  empfiehlt 
mehr  die  T  o  t  i  sehe  Methode,  und  bildet  aus  der  medialen  Tränen¬ 
sackwand  einen  Lappen,  um  wieder  Verwachsungen  zu  verhüten. 

Herr  Gerber-  Königsberg  hält  die  äusseren  Stirnhöhlen¬ 
operationen  für  bei  weitem  ungefährlicher  als  die  intranasalen. 

Herr  0.  May  er- Wien  hat  26  Fälle  nach  West  operiert  und 
sah  auch  manchmal  Rezidive.  Er  betont  die  Wichtigkeit  der  Nach¬ 
behandlung. 

Herr  R  u  p  r  e  c  h  t  -  Bremen  und  Herr  S  e  y  f  f  a  r  t  h  -  Hannover 
machen  technische  Bemerkungen  zur  West  sehen  Operation. 

Herr  Kahler-  Freiburg  i.  Br.  empfiehlt  zur  Vermeidung  stär¬ 
kerer  Blutungen  während  der  West  sehen  Operation  auch  aussen 
an  dem  Proc.  naso-frontalis  Novokain-Adrenalin  zu  injizieren  und 
betont  die  Wichtigkeit  der  bakteriologischen  Untersuchung.  In  einem 
Fall  zeigten  sich  3  Wochen  nach  der  Operation  wieder  Pneumokokken. 

Herr  N  o  1 1  e  n  i  u  s  -  Bremen  spricht  gegen  die  in  letzter  Zeit 
von  so  vielen  Seiten  empfohlenen  komplizierten  Instrumente  für  die 
Stirnhöhlenoperation. 

Herr  Knick-  Leipzig  spricht  sich  gegen  die  S  t  u  r  m  a  n  n  sehe 
Operation  der  Kieferhöhleneiterung  aus. 

Herr  Halle-  Berlin  hat  81  Tränensäcke  nach  der  endonasalen 
Methode  operiert,  die  Erfolge  sind  glänzend. 

Herr  R  e  i  n  k  i  n  g  -  Hamburg  empfiehlt  auch  die  von  Richter 
mitgeteilte  Operation  der  Kieferzysten,  die  Methode  wurde  bereits 
vor  Jahren  von  Jacques  beschrieben. 

Schlusswort:  Herr  Halle,  Herr  v.  Eicken,  Herr  West. 

40.  Herr  C.  H  i  r  s  c  h  -  Stuttgart:  Aneurysma  der  Carotis  interna. 

ln  einem  Fall  von  chronischer  Mittelohreiferung  fand  sich  ein 
Aneurysma  der  linken  Carotis  interna,  das  nach  der  Paukenhöhle 
geplatzt  war.  Bei  der  zwecks  Aufsuchung  der  blutenden  Stelle  vor¬ 
genommenen  Radikaloperation  Exitus.  Der  Kehlkopfeingang  war 
durch  die  Blutung  in  die  seitlichen  Halsweichteile  hochgradig  verlegt. 
Die  Fälle  sollten  künftighin  weniger  vom  ohrenärztilchen  als  vom 
halsärztlichen  Standpunkt  betrachtet  werden.  H.  empfiehlt,  das  Ohr 
in  Ruhe  zu  lassen  und  die  Carotis  communis  in  Lokalanästhesie  zu 
unterbinden. 

4L  Herr  M  a  r  s  c  h  i  k  -  Wien:  Demonstrationen: 

1 .  Verbessertes  Salpingoskop  nach  Gatscher-Marschik- 
Leiter,  mit  dem  auch  die  hintere  Epipharynxwand  sichtbar  ist. 
Eine  aufgesetzte  Spülröhre  gestattet  Bougierung,  Durchblasung  und 
Durchspülung  der  Tube. 

2.  Beleuchtungsvorrichtung  an  den  Spatelhaken  zur  Schwebe¬ 
laryngoskopie.  _ _ _ 

Gesellschaft  für  Natur-  und  Heilkunde  zu  Dresden. 

(Offizielles  Protokoll.) 

XXI.  Sitzung  vom  7.  März  1914. 

Vorsitzender:  Herr  G  e  1  b  k  e. 

Vor  der  Tagesordnung: 

Herr  Max  Mann:  Demonstration. 

Vortr.  demonstriert  zwei  Leichenpräparate,  an  denen  die  Lage 
der  Hypophyse  zum  Keilbein  gut  zu  ersehen  war. 

Fall  1  ist  durch  Geh.-Rat  S  c  h  m  o  r  1  an  einem  normalen  Schädel 
gewonnen.  Bei  Fall  2  ist  von  Mann  die  Hirsch  sehe  Operation 
ausgeführt  worden. 


Freilegung  und  Abtragung  der  Keilbeinvorderwand  gelang  in 
Lokalanästhesie  am  sitzenden  Patienten  sehr  leicht.  Die  Operation 
an  der  nicht  wesentlich  vergrösserten  Hypophyse  wurde  auf  Spaltung 
der  Dura  und  Auslöfflung  beschränkt.  Es  fand  sich  dabei  nichts,  was 
auf  malignen  Tumor  oder  Zyste  hingewiesen  hätte. 

Der  Tod  erfolgte  am  12.  Tage  post  operationem  an  Meningitis. 
Nicht  ausgeschlossen  ist,  dass  diese  durch  Sekundärinfektion  von  der 
Nase  her  erfolgt  ist.  Autopsie:  normale  Hypophyse  —  auch  mikro¬ 
skopisch  (Geh.  Rat  Schmorl)  hochgradiger  chronischer  Hydro- 
cephalus  internus. 

Dieser  hatte  durch  die  vorhandene  Akromegalie  und  leichte 
bilaterale  temporale  Hemianopsie  die  Hypophysenerkrankung  vorge¬ 
täuscht;  auch  das  Röntgenbild  hatte  eine  Hypophysenerkrankung 
wahrscheinlich  gemacht. 

Tagesordnung: 

2.  Herr  Geipel:  Beitrag  zur  Pathologie  der  Lungen. 

G.  demonstriert  eine  grössere  Anzahl  lufttrocken  gemachter 
Lungen,  bei  deren  Herstellung  er  in  weitgehendem  Masse  von  Herrn 
Dr.  S  e  y  f  f  a  r  t  h  unterstützt  worden  ist.  Zur  Untersuchung  ge¬ 
langten  solche  Lungen,  welche  keine  oder  relativ  geringe  Pleuraver¬ 
wachsungen  aufwiesen,  welche  ferner  frei  von  Infiltraten  waren,  um 
entstellende  Schrumpfungen  beim  Aufblasen  zu  umgehen.  Hinsicht¬ 
lich  der  Pigmentverteilung  stimmen  die  Resultate  mit  den¬ 
jenigen  von  Orsos  überein.  Entsprechend  dem  Rippenverlauf  und 
zwai  besonders  dem  der  oberen  erscheint  die  Pleura  pigmentarm. 
entsprechend  den  Zwischenrippenräumen  pigmenthaltig.  Mit  zu¬ 
nehmendem  Alter  werden  die  ursprünglich  scharfen  Konturen  ver¬ 
waschen,  wenngleich  sich  immer  noch  die  Interkostalstreifen  und 
Rippenstreifen  erkennen  lassen.  Wo  Reibungen  und  Druck  auf  die 
Pleura  einwirken,  bleibt  dieselbe  pigmentarm  oder  wird  wieder 
pigmentfrei.  Hierbei  kommen  einmal  die  an  das  Lungengewebe  an- 
stossenden  üefässe,  der  knöcherne  Thorax,  das  Herz,  das  Zwerch¬ 
fell  in  der  von  Orsos  geschilderten  Form  in  Betracht.  Ausserdem 
wird  das  Freibleiben  der  Berührungsflächen  der  Lappen  her¬ 
vorgehoben,  so  der  Unterfläche  des  Oberlappens  und  der  korre¬ 
spondierenden  Fläche  des  anstossenden  Unterlappens  bzw.  Mittel¬ 
lappens.  Bei  der  Besprechung  der  Interkostalstreifen  werden  ver¬ 
schiedene  Varianten  angeführt,  eine  solche  mit  Pigmentierung  in 
ganzer  Länge,  eine  weitere  mit  Pigmentierung  am  hinteren  Umfang 
(Facies  angularis),  ferner  eine  Kombination  von  hinterer  und  vorderer 
Pigmentierung  mit  Freibleiben  eines  seitlichen  Mittelstückes.  Das 
erste  Auftreten  der  Pigmentierung  bei  jugendlichen  Individuen  ist 
kein  gleichmässiges,  da  die  vorderen  Abschnitte  wie  der  Mittellappen 
frühzeitig  vor  den  anderen  Lungenabschnitten  befallen  werden. 

Betreffs  der  Furchenbildung  auf  der  Lungenoberfläche 
lässt  sich  zeigen,  dass  dieselbe  bei  Neugeborenen,  Säuglingen,  sowie 
Kindern  beim  Aufblasen  nicht  verschwinden.  Am  deutlichsten  sind 
die  Furchen  im  Bereich  der  obersten  drei  Rippen  vorhanden,  be¬ 
sonders  im  paravertebralen  Bezirk,  während  im  übrigen  Verlauf  die 
Rippeneindrücke  seichter  werden  und  eigentlich  nur  bei  der  ersten, 
weniger  deutlich  bei  der  zweiten  zu  verfolgen  sind.  Die  Entwicklung 
der  Furchen  im  paravertebralen  Bereich  ist  zuweilen  eine  ungleiche, 
da  sie  am  rechten  Oberlappen  in  mehreren  Beobachtungen  deutlicher 
ausgeprägt  waren  wie  links.  Mitunter  kommt  es  direkt  zur  Ab¬ 
setzung  eines  kleinen  paravertebralen  Läppchens.  Im  kindlichen  Alter 
flachen  sich  die  Furchen  ab  und  werden  undeutlich.  Doch  können  sie 
sich  lange  erhalten  einmal  bis  zum  20.,  ein  andermal  bis  zum 
50.  Lebensjahr  in  einer  völlig  gesunden  Lunge.  Aus  dem  medialen 
paravertebralen  Bezirk  rückt  die  Furchenbildung  mit  zunehmendem 
Alter  in  den  Bereich  der  Facies  angularis. 

Bei  der  Schilderung  der  Furche  für  die  linke  Arteria  subclavia 
wird  die  scharfe,  meist  pigmentierte  Firstbildung,  in  welche  die  Ober¬ 
lappen  medial  auslaufen,  erwähnt.  Die  Aortenfurche  kann  bei  älteren 
Individuen  sehr  tief  werden:  2—2,5  cm..  Diese  Furchenbildung  kann 
ein  Hilfsmoment  für  die  Entstehung  von  Emphysem  abgeben, 
indem  über  die  Ränder  der  Furchen  das  Emphysem  sich  blasig  hin¬ 
wegschiebt,  ein  Emphysema  bullosum  sich  gleichsam  in  den  Furchen¬ 
rändern  entwickelt.  Eine  gleiche  Beobachtung  Hess  sich  an  einer 
linken  Lunge  zeigen,  bei  welcher  das  bullöse  Emphysem  eine  kurze 
Strecke  weit  über  die  durch  den  linken  Nervus  phrenicus  gebildete 
pigmentlose  Furche  sich  hinweglegt.  Für  Lokalisation  der  Tuber¬ 
kulose  kommt  speziell  diese  Furche  für  Aorta  und  Subklavia  nicht  in 
Betracht. 

Bei  älteren  Individuen  ist  bemerkenswert  der  Fettgehalt, 
jedenfalls  eine  Folge  degenerativer  Vorgänge  (Staubknoten  etc.). 
Neben  dieser»  mehr  diffusen  Verfettung  wird  mitunter  lokali¬ 
sierte  Fettge  websentwicklung  an  dem  freien  Rande  spe¬ 
ziell  der  Unterlappen  und  des  Mittellappens  beobachtet,  welche  Vz  bis 
%  cm  Breite  erreichen  kann. 

G.  bespricht  weiter  die  D  e  f  o  r  m  i  e  r  u  n  g  der  Lungen.  Dieselbe 
wird  hervorgerufen  durch  eine  Art  chronischer  defor¬ 
mierender  Entzündung  der  Pleura.  Die  Deformierung  kann 
sich  nur  entwickeln  bei  Ausbleiben  von  Verwachsungen  beider  Pleura¬ 
blätter.  Befallen  werden  besonders  der  rechte  Unterlappen  und 
Mittellappen,  dann  der  linke  Unterlappen  und  anstossender  Bezirk 
des  linken  Oberlappens.  Von  den  Unterlappen  ist  der  vordere  Ab¬ 
schnitt  am  stärksten  befallen,  während  der  hintere  frei  bleibt.  Durch 
die  Deformierung  entstehen  eigentümlich  zitzenartig  geformte  Ge¬ 
bilde  von  einer  verdickten  Pleura  überzogen. 

Anderweite  Difformitäten  werden  bei  Kyphoskoliose  beob¬ 
achtet  und  an  5  verschiedenen  Lungen  demonstriert.  Die  Anpassung 


14.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


1583 


der  Lunsen  an  die  Form  des  I  horax  ist  eine  derartig  vollkommene, 
dass  man  an  dem  1  roekenpräparat  die  entsprechenden  Krümmungen 
dei  Y\  irbelsaule,  sowie  der  Rippen  rekonstruieren  kann.  Als  Zeichen 
für  die  Kompression  der  Lungen  von  der  Spitze  nach  der  Basis  zu 
kommen  Knickungsfurchen  vor.  Line  solche  verläuft  an 
einem  Präparat  an  der  Aussenseite  der  linken  Lunge  in  einer  Länge 
von  10  cm  über  den  linken  überlappen  und  Mittellappen  hinweg  und 
dringt  1  2  cm  in  die  1  iefc.  Derselben  parallel  verläuft  eine  gleiche 
6  cm  lange  Furche  nahe  dem  freien  Rande  des  Unterlappens.  Die 
"  eitere  Lol  ge  ist  zuweilen  die  Bildung  eines  neuen  Lappens  und  die 
teilweise  Verschiebung  eines  tiefer  gelegenen  Abschnittes  der  Lunge 
über  einen  oberen.  Ein  häufiges  Vorkommen  ist  ferner  das  Ein- 
sch  lagen  des  Unterlappens  und  zwar  auf  der  verengten 
Seite,  so  bei  rechtsseitiger  Skoliose  des  rechten  Unterlappens.  Der 
Vorgang  ist  ein  derartiger,  dass  z.  B.  der  rechte  Unterlappen  in 
seinem  hinteren  Bezirk  vom  rechten  überlappen  abgedrängt  wird, 
der  abgedrängte  Ieil  zwerchfellwärts  eingeschlagen  wird  und  der 
frei  gewordene  Bezirk  des  Oberlappens  direkt  der  Wirbelsäule  an- 
IjeKt,  da  er  den  Kontakt  mit  dem  Unterlappen  verloren  hat.  Durch 
das  Einschlagen  werden  die  beiden  Hälften  einander  genähert,  können 
m-temander  verkleben  und  verwachsen,  so  dass  die  beiden  Zwerch- 
fellhalftcn  an  einander  stossen.  Bei  diesem  Einschlagen  kann  das 
Ligamentum  pulmonale  eine  Rolle  spielen.  Entsprechend  dem  ab¬ 
normen  Verlauf  der  Rippen,  der  Krümmung  der  Wirbelsäule  ist  der 
Verlauf  der  Rippen-  und  Interkostalstreifen  ein  anderer,  die  Furchen¬ 
bildung  eine  abweichende,  überhaupt  die  gesamte  Pigmentverteilung. 

Diskussion:  Herr  Georg  Schmorl:  Ich  stimme  der  An¬ 
gabe  des  Herrn  Vortragenden,  dass  die  pigmentreichen  Streifen  in 
der  Lunge  den  Interkostalräumen  entsprechen,  völlig  bei.  Hinsicht¬ 
lich  der  Entstehung  glaube  ich  an  eine  mehr  mechanische  Ursache- 
die  Pigmentierung  fehlt,  weil  an  den  betreffenden  Stellen  ein  stärkerer 
Druck  besteht  und  infolgedessen  daselbst  die  Lymphströmung  be¬ 
einträchtigt  wird.  Wenn  ausschliesslich  die  Respirationstätigkeit  ent¬ 
scheidend  wäre,  so  müssten  sich  die  Streifen  nicht  nur  an  der  Ober- 
tlactie  der  Lunge  finden,  sondern  auch  in  die  Tiefe  des  Lungen¬ 
gewebes  hineinreichen.  Ich  habe  allerdings  darüber  keine  ent¬ 
scheidenden  Untersuchungen  angestellt,  weil  sich  bei  dem  Heraus- 
nel.men  der  Lungen  aus  dem  Thorax  die  Lage  der  Lungenoberfläche 
zur  Kura  verschiebt.  Soviel  ich  bisher  gesehen  habe,  erfolgt  die 
Pigmentablagerung  in  der  erwähnten  streifigen  Form  nur  an  der 
Lungenoberfläche 

Die  Furchenbildung  an  der  Spitze  kommt  auch  bei  Kindern  vor. 
Ich  habe  früher  gesagt,  dass  diese  Furchen  sich  dadurch  von  den  zu 
luberkulose  disponierenden  Furchen  unterscheiden,  dass  sie  sich 
ausgleichen  lassen  Ich  hatte  damals  nicht  so  gut  konserviertes 
Material  zur  Verfügung  und  bin  jetzt  eines  Besseren  belehrt  worden. 
Ich  möchte  aber  doch  die  Vermutung  aussprechen,  ob  nicht  in  jenen 
hallen,  wo  die  Lungen  eine  Furchenbildung  aufweisen  und  eine 
Asymetrie  der  Spitzen  erkennen  lassen,  eine  Disposition  zur  Ver¬ 
engerung  der  oberen  Thoraxapertur  gegeben  ist.  Die  Furche,  auf 
die  ich  seinerzeit  die  Einschränkung  der  Entwickelung  des  Bronchial¬ 
baumes  zurückgeführt  habe,  ist  nicht  auf  die  Spitze  beschränkt 
sondern  umgreift  die  ganze  Spitze.  Uebrigens  habe  ich  darin  nur 
ein  Moment  für  die  Entstehung  der  Tuberkulose  gefunden,  nicht 
das  einzige,  wie  man  jetzt  oft  sagt.  Die  Umklappung  des  Lungen- 
nndes  bei  Kyphoskoliose  kann  ich  vollkommen  bestätigen,  möchte 
aber  darauf  hinweisen,  dass  man  sie  gelegentlich  auch  bei  Einwirkung 
anderer  raumbeschränkender  Momente  in  der  Thoraxhöhle  finden 
kann,  so  bei  pleuritischen  Ergüssen,  wenn  keine  Verwachsungen  vor¬ 
handen  und  die  unteren  Lungenlappen  völlig  atelektatisch  sind.  Die 
Umklappung  kann  so  weit  gehen,  dass  der  Rand  verwächst;  auch 
.  Knickung  kann  man  beobachten,  wenn  die  Lunge  irgendwo  ad- 
narent  ist. 

iieir  Geipel:  Auch  ich  messe  den  Lymphgefässen  eine  hohe 
Bedeutung  für  die  Pigmentablagerung  in  der  Lunge  bei.  Die  Pig¬ 
mentierung  der  Lungenoberfläche  setzt  sich  nicht  in  der  gleichen 
Mreifenform  in  die  Tiefe  hinein  fort,  sondern  sofort  unter  der  Über¬ 
lache  findet  man  das  Pigment  regellos  zerstreut;  die  tiefer  liegenden 
aitien  haben  mit  den  oberflächlichen  nichts  zu  tun. 

■  i  ^ac^  Erledigung  der  Tagesordnung  gelangt  noch  eine  persön- 
iche  Angelegenheit  eines  Mitgliedes,  betreffend  eine  in  der  vor- 
etzten  Sitzung  gefallene  Diskussionsbemerkung  und  deren  Aufnahme 
ns  I  rotokoll,  zur  Besprechung,  an  der  sich  die  Herren  Leibkind 
i  e  I  b  k  e  und  Seidel  beteiligen. 


Vissenschaftliche  Vereinigung  am  städt.  Krankenhaus 
zu  Frankfurt  a.  M. 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzung  vom  19.  Mai  1914. 

Vorsitzender:  Herr  N  e  i  s  s  e  r. 

Schriftführer:  Herr  Braun. 

Herr  VY  a  1 1  h  a  r  d:  Demonstrationen  von  Präparaten  eines 
Monate  alten  Dauerresultates  bei  einem  radiumbestrahlten  Karzinom. 

Vortr.  demonstriert  farbige  Mikrophotogramme  und  Skizzen, 
'.eiche  den  im  nachfolgenden  zu  beschreibenden  Verlauf  des  Kar- 
momrezidivs  nach  Radiumbestrahlung  illustrieren. 

Bei  der  62  jährigen  Patientin  E.  wurde  im  Jahre  1912  wegen  eines 


I  lattenepithelkarzinoms,  welches,  von  einem  Dermoid  des  linken 
(Hanums  ausgehend,  sowohl  den  Uterus,  als  die  Flexura  sigmoidca 
f ' 1  ,.n  “fjte,  der  Versuch  einer  Radikaloperation  gemacht,  und 
zwar  die  abdominale  erweiterte  Radikaloperation  und  transperitoneale 
M  und  breite  Resektion  der  Flexura  sigmoidea  auf  der  Höhe  des  Uterus. 

ucberall  wurde  makroskopisch  weit  im  Gesunden  operiert. _ Heilung 

per  primam.  Die  Patientin  konnte  mit  völlig  normaler  Darmfunktion 
15  läge  post  op.  scheinbar  geheilt  entlassen  werden. 

Im  Oktober  1913  ein  mächtiges  Rezidiv  im  subserösen  Raum 
gegen  die  Vagina  und  das  Lumen  des  Rektums  durchbrechend,  Bildung 
unei  Rektovaginalfistel.  Das  Rezidiv  war  so  gross,  dass  bequem 
nussgrosse  Stucke  mit  dem  Finger  abgeiöst  werden  konnten 
Nun  wurden  folgende  Eingriffe  gemacht: 

1.  Ein  künstlicher  After  am  oberen  Ende  der  Flexura  sigmoidea 

isn  mV  of!-  k  Karzinomrezidivs,  von  der  Vagina  her.  mit 

150  mg  Radiumbromid  wahrend  ca.  18  000  Milligrammstunden. 

1  er  heutige  Befund,  6  Monate  nach  der  Bestrahlung,  ist  folgender- 
Aeussere  Genitalien  ohne  Besonderheiten.  Die  Vagina  blassrosa 
Im  hinteren  Scheidengewölbe  eine  lineäre  Narbe.  Die  Rektovaginal- 

Knt.”/'inSeSCh  t°SSen'  u  V‘-ni  der  Vagina>  noch  vom  Rektum  keinerlei 
Kaizinomre.ste  nachweisbar.  Der  subseröse  Raum  verhält  sich  bei 

RadiTaloperation6  ”aCh  ^  gehei,ten  rezid>vfrcien  abdominalen 

Das  Allgemeinbefinden  der  Patientin  ist  derart,  dass  sie  allen 
häuslichen  Aufgaben  in  einem  grösseren  Betriebe  ungestört  nach- 
kommen  kann. 

Der  künstliche  After  funktioniert  gut.  Psychisch  ist  die  Patientin 
völlig  frisch  und  lebensfroh. 

Herr  Kjose:  Ueber  Kropfentstehung,  Kropftypen  und  Kropf¬ 
behandlung  (mit  Demonstrationen  und  besonderer  Berücksichtigung 
des  Frankfurter  Kropfes). 

(Der  Vortrag  wird  ausführlich  in  Bruns  Beitr.  z.  klin.  Chirurgie 
erscheinen.) 


Biologische  Abteilung  des  ärztlichen  Vereins  in  Hamburg. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  7.  April  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Plate. 

Schriftführer :  Herr  v.  Engelbrecht. 

Herr  Feigl:  Hämatinämie  bei  Vergiftung  mit  Kalium  chloratum. 

Elerr  Feigl  berichet  ausführlich  über  einen  Fall,  der 
suicidii  causa  50  g  Kalium  chloratum  eingenommen  hatte  Im 
Blut  wurde  Methämoglobin,  im  Urin  Hämatin  nachgewiesen.  Die 
spektroskopische  Untersuchung  des  Serums  ergab  ebenfalls  Hämatin 
Ferner  fanden  sich  im  Serum  Urobilinogen  und  Bilirubin.  Während 
das  Methämoglobin  im  Blut  langsam  zurückging,  blieb  der  Hämatin¬ 
gehalt  langer  bestehen.  Hämatin  im  Blut  wurde  bisher  bei  Kalium- 
chloratvergiftungen  nicht  beobachtet,  weil  immer  nur  das  Gesamtblut 
untersucht  wurde,  Hämatin  aber  nur  im  Serum  nachweisbar  ist. 
Vortr.  seht  näher  auf  die  7  echnik  der  Untersuchung  ein,  sowie  auf 
die  Schlussfolgerungen,  die  aus  diesem  Falle  zu  ziehen  sind. 

Diskussion:  Herr  O.  Schümm:  Herrn  Feigls  Be¬ 
obachtungen  über  das  Auftreten  von  Hämatin  im  Blutserum  bei  der 
Vei  giftung  mit  chlorsaurem  Kali  bilden  eine  wertvolle  Ergänzung  zu 
unseren  Eppendorfer  Untersuchungsergebnissen  und  zeigen,  dass  die 
älteren  Angaben  über  die  Einwirkung  sogen,  methämoglobinbilden- 
der  Gifte  auf  den  Blutfarbstoff  einer  Revision  bedürfen.  Ob  man 
in  derartigem  Blut  noch  weiterhin  zur  quantitativen  Bestimmung  des 
vermeintlichen  Methämoglobins  die  spektrophotometrische  Methode 
von  Vierordt-Hüfner  anwenden  kann,  erscheint  zweifelhaft. 

Betreffs  der  Untersuchung  von  Serum  auf  Hämatin  bemerke  ich, 
dass  ein  Zusatz  von  Fluornatrium  zum  Blut  nicht  zulässig  ist  Man 
fängt  das  Blut  zweckmässig  gleich  in  dem  Gefäss  auf.  in  dem  es 
zentrifugiert  wird. 

Im  Hinblick  auf  die  von  Herrn  S  c  h  o  1 1  m  ü  1 1  e  r  versuchte 
differentialdiagnostische  Verwertung  positiver  Hämatinbefunde  bei 
fraglicher  Extrauteringravidität  möchte  iqh  daran  erinnern,  dass 
H  e  g  1  e  r  und  ich  ausgesprochen  positive  Befunde  von  Hämatin 
bzw.  Methämoglobin  wiederholt  bei  schweren  Fällen  von  Infektion 
durch  den  Bacillus  emphysematosus  E.  Fraenkel  erhalten  haben: 
doch  haben  wir  auch  Fälle  beobachtet,  in  denen  Hämatin  bzw.  Met¬ 
hämoglobin  fehlten.  —  Bei  mehreren  Fällen  von  Extrauteringravidität 
habe  ich  gemeinsam  mit  Herrn  0  e  h  1  e  c  k  e  r  das  Serum  frei  von 
Hämatin  und  Methämoglobin  gefunden,  während  kürzlich  Herr  Schott 
müjler  über  positive  Befunde  bei  Extrauteringravidität  berichten 
konnte.  Diese  Frage  bedarf  noch  weiterer  Bearbeitung. 

Durch'  unsere  Untersuchungen  scheint  mir  die  Frage  nach  der 
Existenz  eines  Hämatinikterus  wesentlich  geklärt  zu  sein.  In 
zwei  Fällen  von  ikterischer  Verfärbung  haben  wir  trotz  sorgfältiger 
Untersuchung  weder  Bilirubin  noch  Urobilin,  sondern  in  einem  Falle 
nur  Hämatin  (in  beträchtlicher  Menge)  und  im  anderen  neben  Hämatin 
auch  Oxyhämoglobin  in  vermehrter  Menge  nachweisen  können.  Bei 
dem  Fehlen  von  Bilirubin  im  Serum  erscheint  es  gerechtfertigt,  sie 
als  Fälle  von  Hämatin  ikterus  aufzufassen.  In  anderen  Fällen 
haben  Herr  H  e  g  1  e  r  und  ich  im  Serum  Bilirubin  u  n  d  Hämatin  bzw 
Methämoglobin  und  Bilirubin  beobachtet. 

Herr  H  e  g  1  e  r  berichtet  über  einen  Fall,  der  wegen  Poly¬ 
arthritis  Maretin  erhielt,  das  einen  günstigen  Einfluss  auf  die  Be- 


1584 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  28. 


schwerden  hatte,  dann  aber  eine  schwere  Anämie  hervorrief,  die 
nach  Aussetzen  des  Mittels  zurückging.  Auch  in  diesem  Falle  wurde 
Hämatin  im  Serum  nachgewiesen.  Vortr.  geht  dann  auf  andere  Fälle 
ein,  bei  denen  Hämatin  im  Serum  nachgewiesen  worden  ist  (Ver- 
giftungen,  Malaria  —  besonders  wenn  Blut  im  Schüttelfrost  ent¬ 
nommen  wird,  Infektionen  durch  den  Bac.  emphys.  E.  F  r  a  e  n  k  e  1). 
Eingehen  auf  die  Frage  eines  Hämatinikterus. 

Herr  Fei  gl:  Schlusswort. 

Herr  Hannes:  lieber  die  Insuffizienz  der  Valvula  ileocoecalis. 

Tierversuche  an  Hunden  und  Katzen  mit  Fisteln  im  Duodenum 
und  im  unteren  Ileum.  Durch  Einläufe  per  rectum  kann  eine  Schliess- 
fähigkeit  bzw.  Schlussunfähigkeit  leicht  festgestellt  werden. 

Die  physikalischen  (Temperatur)  und  chemischen  Eigenschaften 
der  zu  den  Einläufen  benutzten  Flüssigkeiten  (Leitungswasser,  destil¬ 
liertes  Wasser,  physiologische  und  konzentrierte  Kochsalzlösungen, 
Zuckerlösungen  verschiedener  Konzentrationen)  sind  ohne  Einfluss. 

Dagegen  findet  sich  beim  hungernden  Tiere  immer  eine  Insuf¬ 
fizienz  und  beim  Tier,  das  gefressen  hat,  immer  eine  Schlussfähigkeit 
der  Klappe.  Dieser  Schluss  der  Klappe  wird,  wie  aus  den  Versuchen 
mit  Duodenalfisteltieren  hervorgeht,  nicht  durch  die  einfache  mechani¬ 
sche  Füllung  von  Magen  und  Dünndarm,  sondern  durch  die  Erregung 
der  psychischen  Motilität  beim  Fressen  mit  Appetit  hervorgerufen. 

Wichtigkeit  dieses  Mechanismus  vom  allgemein  physiologischen 
Standpunkte  aus  und  für  die  Frage  der  Nähreinläufe  und  des  Kon¬ 
trasteinlaufes  bei  der  Röntgenuntersuchung. 

Diskussion:  Herr  Lohfeld.;  Röntgenologische  Beobach¬ 
tungen  von  Insuffizienz  der  Valvula  ileocolica  sind  selten.  Druck¬ 
verhältnisse  spielen  keine  Rolle.  . 

Herr  Haenisch  hat  einige  Male  eine  Insuffizienz  der  Valvula 
beobachtet,  für  die  er  sich  keine  Erklärung  geben  konnte.  Bei  der 
Röntgendiagnose  kann  eine  Insuffizienz  sehr  störend  wirken,  da 
Einzelheiten  verdeckt  werden.  Er  will  die  interessanten  Ergebnisse 
des  Herrn  Hannes  nachprüfen.  ...... 

Herr  B  o  r  n  s  t  e  i  n  fragt  Herrn  Hannes,  ob  ihm  die  Arbeiten 
englischer  Autoren  über  die  Insuffizienz  der  Valvula  bekannt  sind. 

Herr  He  gl  er  fragt,  ob  Pharmaka  auf  die  Funktion  der  Valvula 

Einfluss  haben.  „  ,  .  .  , 

Herr  Katsch  beantwortet  diese  Frage,  indem  er  auf  seine  schon 
früher  publizierten  Resultate  über  den  Einfluss  von  Pharmaka  auf 
die  Schlussfähigkeit  der  Valvula  hinweist. 

Herr  Cohnheim  geht  auf  die  Verschiedenheit  der  Klappen- 
und  Innervationsverhältnisse  bei  Tier  und  Mensch  ein.  Die  Arbeiten 
englischer  Autoren  sind  ihm  bekannt,  sie  behandeln  aber  die  physio¬ 
logische  Schlussfähigkeit  der  Klappe  bei  von  oben  nach  unten 
sich  fortbewegendem  Darminhalt. 

Herr  B  o  r  n  s-t  e  1  n:  Kurze  Bemerkungen  üb«  die  antidiabetische 


Wirkung  des  Inulin.  , 

Nach  kurzen  Bemerkungen  über  die  Theorie  der  Wirkung 
des  Inulin  —  Pankreassekretion  wird  durch  dieses  Mittel  herab¬ 
gesetzt  so  dass  das  Pankreas  mehr  innersekretorisch  wirken 
kann  —  berichtet  B.  über  seine  Versuche.  Er  hat  Hunde 
durch  Hungern  und  hohe,  bis  dicht  an  die  letale  Dosis  gehende 
Strychnindosen  glykogenfrei  gemacht  und  dann  Innulin  verfüttert. 
In  der  Leber  fand  sich  dann  sehr  wenig  Glykogen,  in  der 
Muskulatur  relativ  mehr,  während  bei  Lävuloseverfütterung  grosse 
Mengen  Glykogen  in  der  Leber  gefunden  wurden.  Demonstration  von 
Tabellen. 

Diskussion:  Herr  C  o  h  n  h  e  i  m  fragt  nach  den  zeitlichen 
Verhältnissen  der  Verfütterung  vor  oder  nach  den  Krämpfen,  sowie 


über  die  Anordnung  des  Experimentes. 

Herr  Bornstein  geht  näher  auf  die  Versuchsanordnung  ein. 
Herr  C  o  h  n  h  e  i  m  erhebt  Bedenken  gegen  die  Anstellung  der 


Versuche. 

Herr  Bornstein  (Schlusswort):  Das  Wesentliche  scheint  ihm 
zu  sein,  dass  nach  Inulinverfütterung  so  wenig  Glykogen  gebildet 
wird. 


Medizinische  Gesellschaft  zu  Leipzig. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  26.  Mai  1914. 

Vorsitzender :  Herr  Marchand. 

Schriftführer:  Herr  R  i  e  c  k  e. 

Herr  Weicksel  demonstriert  zwei  angeborene  Herzfehler. 

1.  Es  handelt  sich  um  eine  34  jährige  Patientin,  die  als  Kind 
immer  schwächlich  gewesen  ist.  Eine  besondere  Kurzatmigkeit  hat 
ihres  Wissens  früher  nicht  bestanden.  Kinderkrankheiten  hat  sie 
nicht  durchgemacht.  Mit  17  Jahren  erkrankte  sie  an  Rippenfell¬ 
entzündung,  nach  V»  Jahre  an  Influenza  und  Blinddarmentzündung. 
Nach  diesen  Krankheiten  fühlte  sie  sich  sehr  schwach  und  war  die 
nächsten  Jahre  ganz  arbeitsunfähig.  Sie  bemerkte  seit  dieser  Zeit 
eine  allmählich  auftretende  Kurzatmigkeit.  Seit  dem  20.  Jahre  war 
Patientin  dann  mit  Unterbrechungen  als  Verkäuferin  tätig.  Vor 
2%  Jahren  suchte  sie  die  Poliklinik  auf,  da  in  letzter  Zeit  eine  merk¬ 
liche  Verschlimmerung  ihrer  Beschwerden  eingetreten  war.  Jede 
stärkere  Bewegung  verursachte  jetzt  Kurzatmigkeit.  In  letzter  Zeit 
waren  auch  öfters  Anfälle  von  Schwindel  und  Uebelkeit  mit  vorüber¬ 
gehender  Bewusstlosigkeit  aufgetreten.  Der  damalige  Status  lautete: 


Mittelgrosse,  massig  genährte  Patientin  mit  geringer  Zyanose  des 
Gesichtes.  Herz:  Grenzen  nach  rechts  =  %  Querfinger  rechts  vom 
rechten  Sternalrand,  Grenzen  nach  links  unten  =  9  cm  links  von 
der  Mitte  des  Sternums.  Auf  die  Herzdämpfung  links  setzt  sich  eine 
reichlich  fingerbreite  Dämpfung  auf,  die  bis  zur  II.  Rippe  reicht.  In 
diesem  Bereich  fühlt  man  nach  Bewegung  der  Patientin  ein  leises 
systolisches  Schwirren.  Der  Spitzenstoss  ist  im  I.  Interkostalraum 
nicht  hebend.  Die  Auskultation  ergibt  an  der  Herzspitze  leise,  aber 
reine  Töne.  Im  II.  Interkostalraum  links  ist  der  erste  Ton  gespalten, 
dem  ein  kurzes  systolisches  Geräusch  folgt.  Der  II.  Pulmonalton  ist 
stark  betont  im  Vergleiche  zum  II.  Aortenton.  Der  Puls  (100  Schlage) 
ist  gering  gefüllt  und  gespannt,  links  weniger  fühlbar  wie  rechts. 
Blutdruck  102.  Sonstige  Organe  o.  B.  —  Der  jetzige  Befund  hat  sich 
insofern  geändert,  als  die  Herzgrenzen  nach  rechts  und  links  noch 
um  je  1  cm  nach  aussen  gerückt  sind.  Die  Auskultation  ergibt  noch  i 
den  früheren  Befund.  Urin  frei  von  Eiweiss.  Die  Beschwerden  der 
Patientin  sind  jetzt  viel  stärker.  Besonders  hat  sie  viel  unter  der 

starken  Atemnot  zu  leiden.  .  .  „.  ,.  .. 

2.  Die  zweite  Patientin  ist  32  Jahre  alt.  Sie  hatte  in  der  Kindheit 
Schariach  und  Masern.  Sie  war  immer  sehr  schwächlich  und  be¬ 
merkte  schon  früher  beim  Turnen  zeitweise  Herzklopfen  und  Atemnot. 
Seit  4  Jahren  traten  allmählich  Schmerzen  iji  der  linken  Seite  auf, 
die  in  den  linken  Arm  ausstrahlten.  Die  Schmerzen  und  Atemnot 
wurden  stärker,  so  dass  Patientin  vor  P/a  Jahren  die  Poliklinik  auf¬ 
suchte.  Sie  klagte  jetzt  über  viel  Herzklopfen,  starke  Kurzatmigkeit, 
Schmerzen  im  linken  Arm,  die  oft  ohne  besondere  Anstrengung  auf¬ 
traten.  Der  damalige  Status  war  folgender: 

Kleine  Patientin,  mässig  genährt,  geringe  Zyanose  des  Gesichts. 
Herz-  Grenzen  nach  rechts  =  P/a  Querfinger  vom  rechten  Sternal¬ 
rand,  nach  links  =  11  cm  links  von  der  Mitte  des  Sternums.  Der 
Herzdämpfung  links  sitzt  auch  hier  eine  etwa  fingerbreite  band¬ 
förmige  Dämpfung  auf,  die  bis  zur  II.  Rippe  reicht.  Der  Spitzenstoss 
ist  im  V.  Interkostalraum  hebend,  deutliche  epigastrische  Pulsation. 
Die  Auskultation  ergibt:  An  der  Herzspitze  ein  dumpfes  systo  isches 
Geräusch;  über  der  Pulmonalis  ist  ein  deutliches  rauhes  systolisches  . 
Geräusch  hörbar,  das  auch  im  I.  Interkostalraum  noch  zu  hören  ist. 
Der  II  Pulmonalton  ist  betont.  Aortentöne  rein.  Kein  positiver 
Venenpuls;  Radialpuls  (100  Schläge)  schlecht  gefüllt  und  gespannt, 
links  etwas  weniger  fühlbar  als  rechts.  Blutdruck  104.  Kein  Eiweiss 

im  Urin.  —  .  ,  .  . ,  „  ..  . 

Die  Röntgenuntersuchung  bestätigt  nun  bei  beiden  Patienten 
die  Perkussion  der  Herzgrenzen,  vor  allem  die  Dämpfung  links  vom 
Sternum.  Die  sagittale  Durchleuchtung  zeigt  dem  Herzschatten  auf¬ 
sitzend  einen  auf  dem  Bilde  rechts  vom  Sternum  sichtbaren  systolisch- 
dilatatorisch  pulsierenden  Schatten.  Noch  deutlicher  wird  dieser 
Schatten,  wenn  man  die  Patienten  im  ersten  schrägen  Durchmesser 
durchleuchtet.  In  dieser  Position  330 0  bildet  normalerweise  der 
Herzschatten  ein  etwa  dreieckiges  Feld.  Die  im  Bilde  rechtsseitige 
Herzgrenze  entspricht  dem  Rande  des  linken  Ventrikels,  das  etwas 
schräg  aufsteigende  Schattenbild  entspricht  der  Aorta  ascendens. 
Während  nun  normalerweise  zwischen  dem  unteren  Rande  des 
Aortenbogens  und  dem  oberen  Herzrand  ein  heller  Raum  sichtbar  ist. 
wird  derselbe  beim  offenen  Ductus  Botalli  durch  einen  bogenförmig 
gekrümmten  Schattenstreifen  eingenommen,  der  der  erweiterten 
Pulmonalis  angehört.  —  Auffallend  ist,  dass  die  erste  Patientin  bis 
zu  ihrem  17.  Jahre  nie  besonders  über  Herzbeschwerden  zu  klagen 
hatte.  Man  könnte  vielleicht  daran  denken,  dass  bei  ihren  damaligen 
schweren  Erkrankungen  eine  Endokarditis  mitbestanden  hätte  und 
es  wären  dabei  vor  allem  die  Pulmonalklappen  befallen  worden,  da 
hier  infolge  der  verlangsamten  Stromgeschwindigkeit  des  Blutes  ein 
Locus  minoris  resistentiae  geschaffen  wäre;  als  Folge  einer  er¬ 
worbenen  Pulmonalstenose.  Dann  müsste  aber  das  Geräusch  über 
der  Pulmonalis  lauter  sein  und  es  müsste  auch  die  Hypertrophie  nach 
rechts  stärker  sein.  Wahrscheinlich  ist,  dass  das  Herz  durch  das 
schwere  Krankenlager  stark  geschwächt  worden  ist  und  nun  der 
offene  Ductus  Botalli  erst  in  Erscheinung  getreten  ist.  Das  Elektro¬ 
kardiogramm  spricht  mit  seiner  stark  negativen  Jp-Zacke  für  offenen 
Duktus.  Auch  bei  der  zweiten  Patientin  haben  wir  eine  negative 
Jp-Zacke.  Die  stärkere  Hypertrophie  des  rechten  und  linken  Ven¬ 
trikels  bei  dieser  Patientin  erklärt  sich  Verfasser  aus  einer  er¬ 
worbenen  Mitralinsuffizienz,  wodurch  auch  das  systolische  Geräusch 
an  der  Herzspitze  hervorgerufen  wird. 

Bei  beiden  Patienten  konnte  Verfasser  mit  Herzmitteln  nicht  viel 
bessern,  am  besten  wurde  noch  Strophanthus  mit  Valeriana  vertragen. 

Diese  angeborenen  Herzfehler  von  offenem  Duktus  werden  leicht 
übersehen.  In  zweifelhaften  Fällen  kann  einem  erst  die  Röntgen¬ 
durchleuchtung  die  Diagnose  sichern.  Unsere  Hauptaufgabe  bei 
diesen  Herzfehlern  ist  es,  die  Patienten  so  frühzeitig  wie  möglich  aul 
diese  Fehler  aufmerksam  zu  machen  und  sie  vor  jeder  körperlichen 
Ueberanstrengung  zu  warnen. 

Herr  Rille:  Demonstration:  1.  einer  papulösen  Syphilis  (Lichen 
syphiliticus);  2.  einer  kongenitalen  Syphilis. 

Herr  Zweifel:  Erfahrungen  über  Mesothoriumbehandluug. 

Nach  einleitenden  Bemerkungen  über  die  Entdeckung  dieses 
Metalls  und  der  verschiedenen  Strahlen,  die  es  aussendet,  wird  am 
das  neue  Prinzip  verwiesen,  welches  K  r  ö  n  i  g  zuerst  betonte,  dass 
man  bei  der  Bestrahlung  grosse  Mengen  des  Metalls  und  starke  Filter 
nehmen  müsse,  um  die  „weichen“  Strahlen  abzufangen  und  nur  die 
„harten“,  die  weiter  in  die  Tiefe  dringen,  therapeutisch  zu  verwenden. 
Besser  wäre  es  wohl,  statt  der  an  sich  nicht  verständlichen  Ausdrücke 


14.  Juli  1914. 


M  U  kN  CHKNFR  MEDIZINI S  C  H  E  WOCH  ENSCH  RI  FT. 


1585 


„weiche“  und  „harte“  Strahlen  zu  setzen  „matte“  und  „durch¬ 
dringende“. 

Das  Mesothorium  steht  uns  durch  das  dankenswerte  Entgegen¬ 
kommen  des  Kgl.  Kultusministeriums  seit  Anfang  Januar  zur  Ver¬ 
fügung.  Zum  i  iltrieren  wurden  Messingblechröhrclien  von  1  und 
1/-  mm  Dicke,  zum  Abfangen  der  Sekundärstrahlung  ziemlich  starke 
(jummihülsen  verwendet. 

Der  Bericht  wird  erstattet  durch  Vorzeigung  von  Lumiere- 
photographien,  die  augenscheinlich  eine  sehr  starke  Einwirkung  des 
Mesothorium  auf  die  Karzinomzellen  beweisen. 

Zur  Erprobung  war  ein  Vulvakarzinom  besonders  geeignet,  weil 
die  bestrahlte  Geschwulst  dem  Auge  zugänglich  war  und  hier  mit 
Leichtigkeit  einzelne  Teilchen  zur  mikroskopischen  Beobachtung 
exzidiert  werden  konnten. 

ln  den  davon  gewonnenen  Präparaten  sieht  man  bei  den  auf¬ 
einanderfolgenden  mikroskopischen  Lumierephotographien,  wie  die 
Karzinomzellen  untergegangen  und  allmählich  verschwunden  sind. 
Im  letzten  Präparat  ist  nur  noch  eine  einzige  Zelle  im  Schnitt  ge¬ 
troffen  und  ein  ganz  ähnliches  Bild  erhalten  worden,  wie  in  der 
Publikation  von  Latzko  und  Schüller,  Figur  5  (W  m  W  1913 
Nr.  39). 

Die  Wirkung  der  radioaktiven  Substanzen  ist  in  gewissem  Sinne 
elektiv,  denn  die  Karzinomzellen  gehen  leichter  unter  als  das  Stütz¬ 
gewebe,  wie  das  aus  der  Färbbarkeit  zu  schliessen  ist.  Doch  hat 
diese  „elektive“  Wirkung  ziemlich  enge  Grenzen,  was  durch  die 
Klagen  zweier  Kranken  über  fürchterliche  Tenes- 
m  e  n  im  Unterleib  mit  Abgehen  von  Gewebsfetzen  per  anum 
;  erwiesen  wurde.  Einmal  darauf  aufmerksam  gemacht,  wurden  auch 
die  anderen  Kranken  danach  gefragt  und  oft  Klagen  über  heftige  Leib¬ 
schmerzen  vernommen.  Das  sind  Beobach  tungen,  diesehr 
zur  Vorsicht  mahnen.  Es  ist  bis  jetzt  wenig  von  solchen 
'  schnürenden  Schmerzen  berichtet  worden,  wir  finden  nur  in  der 
letzten  Veröffentlichung  von  D  ö  d  e  r  1  e  i  n  eine  dahin  gehende  An¬ 
gabe. 

■  Ehe  ich  dazu  übergehe,  den  Eindruck  über  die  eigenen  Er- 
falu  ungen  abzugeben,  muss  ich  die  Anwendungsweise  in  unserer 
Klinik  präzisieren. 

Die  Strahlenbehandlung  ist  etwas  neues,  die  Operationen  da- 
dagegen  sind  seit  Jahrzehtnen  bewährt  und  haben  bei  der  letzten 
I  Zusammenstellung  von  A  u  1  h  o  r  n  für  die  Leipziger  Universitäts- 
Frauenklinik  eine  Dauerheilungsziffer  von  51  Proz.  der  von  der 
Operation  genesenen  Kranken  ergeben,  wobei  unter  Heilung  nur  ge¬ 
bucht  w  urde,  wo  die  Frauen  5  Jahre  und  länger  rezidivfrei  geblieben 
waren.  Selbst  wenn  man  so  rechnet  wie  D  ö  d  e  r  1  e  i  n  (Operative 
'  Gynäkologie.  3.  Aufl.,  S.  603,  1912),  der  nur  diejenigen,  welche  von 
einer  Operation  w'eg  nach  5  Jahren  noch  rezidivfrei  leben,  als  Er¬ 
folg  gelten  lässt,  hatten  wir  in  unserer  Klinik  noch  44,5  Proz.  Dauer¬ 
heilungen.  Es  wird  dabei  auch  die  primäre  Mortalität  auf  das  Ver¬ 
lustkonto  geschrieben. 

Aus  diesen  guten  Gründen  hielt  ich  es  für  geboten,  meinen 
Kranken  stets  das  sicherste  Mittel  anzuraten  und  habe  ich  daher  alle 
noch  operablen  Fälle,  bei  denen  die  Kranken  zustimmten  oder  keine 
andere  Kontraindikation  bestand,  operiert.  Der  Bestrahlung  wurden 
zunächst  die  inoperablen  Karzinome  unterzogen.  Es  gibt  jedoch  auch 
bei  dieser  Indikationsstellung  im  Lauf  der  Zeit  immer  noch  genug 
Aniuiigsstadien  des  Karzinoms,  bei  denen  aus  anderen  Gründen  eine 
Operation  kontraindiziert  ist,  so  z.  B.  die  Frau  mit  dem  Vulvakarzi- 
nom.  welches  wegen  hohen  Alters  und  grosser  Hinfälligkeit  nicht  mehr 
operiert  werden  konnte.  Weiter  haben  wir  noch  Anfangsstadien  zur 
Bestrahlung  in  der  Klinik  bei  einer  Frau,  welche  einen  inkompen- 
sieiten  Herzfehler  und  Diabetes  mellitus  hat,  eine  Gravida  im  8  Mo- 
nat  und  ein  junges  Mädchen  von  18  Jahren,  bei  dem  aus  anderen 
Gründen  die  Operation  unterbleibt. 

Niemand  kann  die  überraschend  gewaltige  Wirkung  der  Ra¬ 
dium-  und  Mesothoriumstrahlen  auf  die  Karzinome  leugnen;  aber 
andererseits  ist  es  noch  zu  gewagt,  bei  Karzinomen  innerer  Organe 
von  einer  Heilung  sprechen  zu  wollen;  denn  dazu  ist  die  Zeit  noch 
viel  zu  kurz.  Der  Ausdruck  „klinische  Heilung“  mag  von  Aerzten 
noch  richtig  eingeschätzt  werden  als  grossartige  Besserung,  welche 
I  bei  örtlich  auf  die  Portio  beschränkten  Karzinomen  ausnahmsweise 
ebenso  gut  eine  Heilung  erhoffen  lassen  kann,  wie  bei  Hautkarzi¬ 
nomen,  aber  er  erregt  bei  Laien  unfehlbar  zu  hoch  gespannte  Hoff¬ 
nungen.  die  bis  jetzt  bei  tiefer  sitzenden  Karzinomen  noch  in  keinem 
“alle  eingelöst  sind. 

Ir  u  ^  'r  haben  doch  auch  bei  den  operierten  Karzinomen  nach  dem 
ueberstehen  des  Eingriffes  nicht  von  Heilungen  vom  Karzinom  ge¬ 
sprochen,  ehe  nicht  die  Wartezeit  von  5  Jahren  ohne  Rezidiv  ver¬ 
laufen  v  ar  und  Heilung  nach  der  oder  von  der  Operation  ist  mit 
der  Mesothoriumbehandlung  nicht  in  Parallele  zu  setzen,  weil  die 
erstere  ein  schwerer  Eingriff,  die  letztere  ungefährlich  ist. 

wenn  rnan  solche  Bilder  sieht,  wie  das  letzte  demonstrierte, 
wo  in  dem  Präparat  des  Vulvakarzinoms  nur  noch  eine  einzige  Kar¬ 
zinomzeile  übriggeblieben  ist,  so  berechtigt  dies  zwar  zu  der  kühnen 
normung,  dass  auch  diese  noch  verschwinde.  Aber  nach  den  Er¬ 
fahrungen,  die  man  so  oft  nach  Operationen  machte,  wo  an  den  Rän- 
ern  des  Ausgeschnittenen  keine  Spur  von  Karzinom  mehr  nachzu- 
weiscn  war  und  doch  Rezidive  kamen,  oder  nach  den  Enttäuschungen 
aei  der  Lupusbehandlung  mit  dem  Tuberkulin  Koch,  wo  man  mikro¬ 
skopisch  überhaupt  nichts  mehr  von  krankem  Gewebe  finden  konnte 
Und  doch  alle  Fälle  wieder  rezidivierten,  muss  man  trotz  mikroskopi- 


a  J  L  H,d  ®uch,  de™  traben  Oedanken  Raum  geben,  dass  am  Ende 
küLt  I  nei"Ze[nen  Zcllcn  die  ganze  Krankheit  wieder  aufflackern 

11  ne.  Allein  beweisend  für  die  Dauerheilung  eines 

1h  m!imen1St  d  ,c  r  klinische  Verlauf  ii  b  e  r  5  Jahre 
n  "Daran  können  alle  glänzenden  Bilder  aus  mikro¬ 
skopischen  I  raparaten  nichts  ändern. 

x;.  ?u  dieser  kühleren  Auffassung  veranlassen  mich  die  vielen  Ent- 
Sn«  in2  baufe  dcr  Jahrc  cr|ebt  habe,  nicht  bloss  mit 

Fnön  ’  sanguimscb  empfohlenen  Mitteln,  mit  denen  sich  ausgezeichnete 
rachgenossen  schwer  geirrt  hatten,  sondern  auch  bei  eigenen  Er- 

lanlUnrlln.iim  Karzinomkranken.  Diese  Krankheit  nimmt  oft  einen 
tfnlf  repH°sen  Verlauf,  auch  ausnahmsweise  einmal  in  günstigem 
Sinne  aber  bis  jetzt  immer  nur  vorübergehend  gut  und 

mfeh  wPiIifrl-mFaifr  Schlecibt-  Besonders  eindrucksvoll  sind  für 
ei' „  Jh“‘gr;  £ai llc  *R£w£sen'  bei  denen  sich  um  ein  Carcinoma  uteri 
Frv i mh|  1  L  S! r  eL1°  k ok k  e  n e  ntzünd  u ii g  entwickelt  hatte.  Dass  durch 
Erj  sipelstreptokokken  Hautkarzinome  völlig  und  auf  die  Dauer  ge- 

nicftW.S2S"tvi0-0ft  peoba^htet  worden.  dass  man  diese  Tatsache 
cht  anfechten  kann.  Eine  bemerkenswerte  Erfahrung  machte  ich 

folgender11 v?  ei£er  Vorbehandlung  mit  dem  scharfen  Löffel  und  näch¬ 
st -fr,  hu;  Verfch°rfui?K  eine  riesige  Beckenzellgewebsentzündung  ent- 
fjte d’  d‘  .f!e,tzt  dem  Durchbruch  des  Eiters  heilte,  aber  den 
H|®rUn  n  d  chte”  biehwuelen  und  Schwarten  zurückliess,  so  dass  an 
eine  Operatmn  nicht  mehr  zu  denken  war.  Obschon  die  Frau  nach 
'  £n  Inssung  aus  der  Klinik  deutliche  Symptome  von  Urämie  zeigte, 
wurde  alles  besser  und  etwa  ein  Jahr  später  war  der  Uterus  so  ver- 

tÜL-ert’+dn^Wenu  m*1  nicht  die  Kranke  durch  fortlaufende  Beobachtung 
ha^e>  *cb  Niemandem  geglaubt  hätte,  dass  sie  an  einem  aus- 

a  Htlrl6  a,!i°r  i0k/rZTinu0mxgexlt.tel1  h,aben  konnte-  Es  ging  dann  über 
führtezum Ende  ^  trat  )edocb  das  Karzinom  wieder  auf  und 

Einen  zweiten  Fall  von  auffallender  Besserung  durch  eine 
otreptokokkenentzündung  beobachtete  ich  vor  1%  Jahren.  Da  wir 
bei  der  Behandlung  mit  radioaktiven  Metallen  eine  Verbrennung 
setzen  und  im  weiteren  Verlauf  mit  Naturnotwendigkeit  eine  Ent¬ 
zündung  folgt,  so  können  wir  die  Fälle  von  Streptokokkenentzün¬ 
dungen  einigermassen  vergleichen.  Es  gehen  bei  der  bakteriellen  und 
der  physikalischen  Erregung  der  Entzündung  die  Karzinomzellen  unter 
und  werden  resorbiert.  Da  ist  auch  der  Gedanke  schon  aufgestellt 
und  als  Hypothese  (La  hm- Dresden)  ausgesprochen  worden,  dass 
dann  die  Wirkung  vielleicht  zu  erklären  sei  wie  durch  die  Autolysate. 

ber  bis  jetzt  ist  durch  die  Streptokokkenentzündungen  noch  nie  ein 
Karzinom  des  Uterus  dauernd  geheilt  worden,  sondern  nur  Haut¬ 
karzinome.  Ob  die  Strahlenbehandlung  imstande  ist,  auch  in  der 
1(\‘c,  j  eg5nj  Karzinomnester  und  Drüsenmetastasen  zu  zerstören 
und  dadurch  die  Krankheit  völlig  und  auf  die  Dauer  zu  heilen,  wie 
das  durch  die  Operationen  in  einer  grossen  Prozentzahl  zu  erreichen 
ist,  müssen  erst  die  kommenden  Jahre  beweisen.  Doch  ist  die 
Strahlenbehandlung  des  Karzinoms  so  wichtig  und  selbst  bei  inope¬ 
rablen  Fallen  so  nützlich,  dass  sie  mit  der  grössten  Energie  überall 
versucht  werden  muss.  Um  durch  gemeinsame  Arbeit  möglichst  bald 
eine  Klärung  zu  erzielen,  ob  man  auch  von  ihr  Dauerheilungen  bei 
Karzinomen  tiefliegender  Organe  erhoffen  könne,  ist  es  dringend 
wünschenswert,  dass  über  alle  damit  behandelten  Kranken  in  Ab¬ 
standen  eines  Jahres  Bericht  erstattet  werde. 

Herr  Schweitzer:  Die  bisherigen  Erfolge  der  Mesothorium¬ 
behandlung  beim  Gebärmutter-  und  Scheidenkrebs. 

In  dei  Leipziger  Frauenklinik  wurden  bei  der  therapeutischen 
Beeinflussung  des  Uterus-  und  Vaginalkarzinoms  durch  Mesothorium 
vorwiegend  die  harten  y-Strahlen  verwendet.  Die  ^-Strahlen  wurden 
anfangs  durch  2  3  mm  dicke  Bleifilter,  späterhin  durch  1 — 1,5  mm 
Messing  abgefangen.  Um  die  Sekundärstrahlen  unschädlich  zu 
machen,  diente  ein  Ueberzug  dicken,  bleifreien  Gummis.  Stets  fand 
noch  eine  Umwicklung  mit  einfacher  steriler  Gaze  statt,  die  wiederum 
von  einem  Kondomgummi  umgeben  wurde.  So  armiert  wurde  das 
Mesothorium  in  die  Vagina  gelegt.  Wo  die  Möglichkeit  bestand,  das 
Mesothorium  in  das  Karzinom  selbst  hineinzubringen,  wurde  ab¬ 
wechselnd  von  iß-  +  y-  und  reiner  Strahlung  Gebrauch  gemacht.  Die 
benachbarten  Gewebe,  deren  Bestrahlung  nicht  erwünscht  erschien, 
wurden  durch  besondere  Hartgummi-,  Zelluloid-  oder  auch  Metall¬ 
abdeckungen,  ganz  nach  Lage  des  Falles,  geschützt. 

..  Bie  verwendete  Dosis  schwankte  zwischen  rund  50  und  150  mg 
Mesothorium.  Die  Menge  von  50  mg  und  darunter  wurde  nur  ungern 
gelegt  wegen  der  Befürchtung,  dass  durch  diese  geringe  Dosis  eher 
die  schädliche  Reizwirkung  hervorgerufen  würde. 

Die  Einwirkung  der .  genannten  Mesothoriummengen  wurde  nun 
je  nachdem  auf  8  bis  höchstens  24  Stunden  bemessen  und  zwar  zu 
wiederholtem  Male  unter  Einhalten  von  tagelangen  Pausen.  3  der- 

nlbge.ir  bzungen  bildeten  in  der  Regel  eine  Bestrahlungsserie,  deren 
Mesothoriumquantität  etwa  3—4000  mg-Stunden  betrug. 

,  Zur  Absolvierung  der  I.  Serie  bedurfte  es  eines  Aufenthaltes  in 
der  Klinik  von  durchschnittlich  8  Tagen.  Die  nächsten  3 — 4  Wochen 
b.ra^"(e  dm  Pat.  zu  Hause  zu,  um  danach  zur  II.  Serie  wiederum  in 
die  Klinik  aufgenommen  zu  werden.  In  dieser  Weise  absolvierte  nun 
jede  I  at.  3,  4  und  nach  Bedarf  auch  mehr  Serien. 

, ,  Bie,  Behandlung  ist  nicht  selten  anstrengend  für  die  Kranken, 
vvalirend  der  Bestrahlung  kann  das  Gefühl  angenehmer  Wärme  in 
schmerzen  Umschlagen.  Selten  tritt  Erbrechen,  Fieber  und  Puls¬ 
steigerung  auf.  Nach  der  Bestrahlung  klagen  die  Kranken  häufig 
über  allgemeine  Abgeschlagenheit  und  Appetitlosigkeit,  die  sich  auch 


1586 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  W0CHENSCHR1ET. 


Nr.  28. 


noch  tagelang  in  das  bestrahlungfreie  Intervall  hinziehen  kann.  In 
wenigen  Fällen  haben  Frauen  im  Intervall  unter  starken  Tenesmen 
mit  Abgang  von  schleimigen  Fetzen  aus  dem  Darm  zu  leiden  gehabt, 
eine  Erscheinung,  die  regelmässig  bald  wieder  verschwand. 

Die  Beeinflussung  des  Karzinoms  in  günstigem  Sinne  ist  augen¬ 
scheinlich.  So  verschwinden  die  Kardinalsymptome  des  inoperablen 
Uteruskarzinoms:  die  Jauchung  und  Blutung,  meist  schon  nach  der 
ersten  Serie,  die  Schmerzen  nach  einigen  Serien.  Dementsprechend 
ist  in  allen  Fällen  eine  zunehmende  Besserung  des  Allgemein¬ 
befindens  zu  konstatieren,  die  sich  objektiv  in  der  bisweilen  erheb¬ 
lichen  Gewichtszunahme  dokumentiert.  Fälle  von  ausgesprochener 
Kachexie  und  schwerer  Anämie  bedürfen  natürlich  einer  längeren 
Erholungszeit. 

Die  objektive  Untersuchung  kann  eine  sukzessive  Ver¬ 
kleinerung  der  Tumoren,  eine  Reinigung  und  Glättung  der  Knoten, 
ein  Zurückgehen  der  Infiltrationen  mit  gleichzeitiger  geringer 
Schrumpfung  der  der  Bestrahlung  ausgesetzten  Teile  konstatieren. 
Abgesehen  von  geringer  Schorfbildung  an  der  Vaginalschleimhaut  in 
der  Nachbarschaft  vom  Karzinom  wurden  Nebenschädigungen  nicht 
gesehen. 

Die  mikroskopische  Kontrolle  durch  möglichst  tiefgehende  Ex¬ 
zision  zeigt  ausnahmslos  ein  fortschreitendes  Zerfallen  der  Krebs¬ 
herde  bis  zum  Fehlen  der  Karzinomzcllen.  Dass  ein  Einblick  in  die 
tiefer  gelegenen  Karzinomherde  im  Einzelfalle  versagt  ist,  werden 
alle  mit  Mesothorium  Arbeitenden  bedauern:  so  behält  die  Exzision 
nur  -eine  sehr  bedingte  Bedeutung.  Die  Tiefenwirkung  zu  steigern 
und  sie  zu  kontrollieren,  ist  ein  sehr  berechtigtes  Streben.  Da  die 
Beurteilung  der  Erfolge  sich  in  der  Hauptsache  auf  die  fehlenden 
Symptome,  die  Untersuchung  (Palpation,  Inspektion  und  Exzision) 
gründet,  so  ist  dieselbe  nicht  leicht. 

Das  seit  Januar  dieses  Jahres  mit  Mesothorium  behandelte  Ma¬ 
terial  umfasst  zurzeit  31  Fälle  des  Uterus-  und  Scheidenkarzinoms. 

ln  2  Fällen,  wo  der  Uterus  nach  W  e  r  t  h  e  i  m  nicht  im  Ge¬ 
sunden  exstirpiert  werden  konnte,  wurden  die  zurückgelassenen 
Karzinomherde  bestrahlt.  2  Fälle  betrafen  Scheidenrezidive  nach 
Uterusexstirpation.  Die  bisher  genannten  Fälle  stehen  noch  in  Be¬ 
handlung.  ,  t 

1  begrenztes  primäres  Scheidenkarzinom  ist  unter  der  Behand¬ 
lung  verschwunden. 

ln  26  Fällen  handelte  es  sich  um  Uteruskarzinome  mit  oder  ohne 
Beteiligung  der  Scheide;  darunter  befanden  sich  9  Portiokarzinome, 

8  Zervixkarzinome  und  9  Kollumkarzinome  mit  Uebergreifen  auf  die 
Scheide. 

22  dieser  Fälle  waren  vollkommen  inoperabel  und  hatten  zum 
Teil  schon  seit  1  Jahr  Symptome  des  Karzinoms.  Auch  die  Mehrzahl 
dieser  Fälle  befindet  sich  noch  in  Behandlung,  so  dass  ein  ab¬ 
schliessendes  Urteil  über  die  primären  Erfolge  aller  dieser  Fälle  noch 
nicht  möglich  ist.  ,  .  .  . 

Die  I.  Serie  haben  hinter  sich  10  Fälle;  diese  sind  noch  nicht 

nachuntersucht. 

Die  II.  Serie  haben  hinter  sich  7  Fälle;  gebessert  sind  6,  1  Fall 
kam  an  Lungengangrän  ad  exitum.  Leider  musste  in  diesem  Fall  die 
Mcsothoriumbehandlung  frühzeitig  unterbrochen  werden,  so  dass 
das  durch  die  Sektion  (Prof.  Dr.  V  e  r  s  e)  gewonnene  Präparat  für  die 
Frage  der  zuverlässigen  Wirksamkeit  des  Mesothors  und  einer  mög¬ 
lichen  Dauerheilung  leider  nicht  verwertet  werden  kann. 

Die  III.  Serie  haben  hinter  sich  3  Frauen,  1  ist  gebessert;  2  sind 
soweit  günstig  beeinflusst,  dass  die  Behandlung  vorläufig  als  beendet 
betrachtet  werden  kann. 

Nach  der  IV.  Serie  befinden  sich  6  Frauen,  gebessert  ist  1;  bei 
5  Frauen  fehlen  jetzt  die  Symptome  des  Karzinoms  vollkommen;  die 
Untersuchung  lässt  von  Karzinom  nichts  mehr  feststellen,  nur  atrophi¬ 
sche  Genitalien  mit  teilweiser  Narbenbildung;  die  Exzision  ergibt 
oberflächlich  das  Fehlen  von  Karzinomzellen;  der  Allgemeinzustand 
ist  wesentlich  gebessert  (Gewichtszunahme). 

Durch  Gegenüberstellung  der  Skizzen  des  Befundes  über  die 
Ausdehnung  des  Karzinoms  vor  der  Behandlung  und  des  Befundes 
nach  derselben  lässt  sich  der  Bestrahlungseffekt  bei  den  7  Fällen, 
welche  mit  Vorbehalt  als  zu  Ende  behandelt  angesehen  werden 
dürfen,  veranschaulichen.  Erreicht  sind  diese  Resultate  durch  Meso¬ 
thorium  allein  und  zwar  mit  durchschnittlich  10  600  (bis  über  13  000) 
Milligrammstunden,  einem  durchschnittlichen  üesamtaufenthalt  in  der 
Klinik  von  28  Tagen  und  einer  Gesamtbehandlungsdauer  von  ca. 
4  Monaten. 

Wenn  man  bedenkt,  dass  es  sich  fast  ausschliesslich  um  voll¬ 
kommen  inoperable,  also  aufgegebene  Fälle  gehandelt  hat,  so  muss 
man  dieses  primäre  Resultat  der  weitgehenden  Besserung  als  einen 
Erfolg  einschätzen,  wie  wir  ihn  durch  ein  anderes  Mittel  beim  in¬ 
operablen  Uteruskarzinom  bisher  nicht  erreicht  haben.  Ob  diese 
günstige  Beeinflussung  anhält,  muss  die  Zukunft  lehren. 

Diskussion:  Herr  Payr  spricht  zur  Indikations¬ 
stellung  der  Strahlentherapie  für  die  Chirurgie. 
Er  begrüsst  mit  grosser  Sympathie  den  streng  kritisch  abwägenden, 
übereiltem  Enthusiasmus  abgeneigten  Standpunkt  Zweifels  in  der 
Frage  der  Radiotherapie  des  Krebses  mit  Beschränkung  ihrer  Ver¬ 
wendung  auf  inoperable  Fälle. 

Den  am  letzten  Chirurgenkongress  zum  Ausdruck,  gebrachten 
Ansichten  K  r  ö  n  i  g  s.  dass  die  Ergebnisse  der  Krebsoperationen  so¬ 
wohl  in  der  Gynäkologie,  als  in  der  Chirurgie  so  schlecht  seien, 
dass  man  verpflichtet  sei,  einmal  einen  anderen  Weg  der  Behandlung 


für  alle  Geschwülste  (also  auch  die  gut  operablen)  mit  der  für  das 
Fernresultat  notwendigen  Beharrlichkeit  zu  verfolgen,  kann  Payr 
kein  Verständnis  entgegenbringen. 

1.  sind  die  Resultate  der  gynäkologischen  Krebsoperationen  doch 
wohl  nicht  so  schlecht,  wie  K  r  ö  n  i  g  meint. 

Wenn  Zweifel  bei  seinem  grossen  Materiale  in  50  Pro  z.  der 
Fälle  eine  Dauerheilung  von  5  jähriger  Dauer  erzielen  konnte,  so 
ist  das  als  ein  schöner  und  grosser  Erfolg  zu  begrüssen.  Man  be¬ 
denke  nur,  dass  den  für  unsere  diagnostischen  Fähigkeiten  „ope¬ 
rablen“  Fällen  doch  schon  eine  grosse  Anzahl  tatsächlich  inoperabler 
zugesellt  sind. 

2.  Der  bei  der  gleichen  Gelegenheit  von  K  r  ö  n  i  g  der  chirur¬ 
gischen  Krebsoperation  gemachte  Vorwurf  ganz  schlechter 
Resultate  ist  nicht  zutreffend! 

Die  von  K  r  ö  n  i  g  als  Beleg  für  seine  Behauptung  angeführten 
spärlichen  Zahlen  sind  durch  ganz  andere  unserer  verlässlichsten 
Statistiken  widerlegt.  Es  sei  beispielsweise  nur  auf  den  Lippen-, 
den  Brust-,  den  Dickdarm-,  den  Mastdarmkrebs  verwiesen! 

Der  Brustkrebs  gibt  in  30,  ja  in  35  Proz.  bis  5  Jahre  über¬ 
schreitende  Dauerheilung.  H  a  1  s  t  e  d  u.  a.  verfügen  über  noch 
wesentlich  bessere  Resultate.  Die  Unterschiede  zwischen  der  3  und 
5  jährigen  Beobachtungsmethode  sind  mit  etwa  6 — 7  Proz.  gefunden 
worden.  (W.  Müller). 

Wenn  der  Brustkrebsknoten  zurzeit  der  Operation  kleiner  als 
pflaumengross,  noch  nicht  mit  der  Haut  verwachsen  und  die  Achsel- 
lymphdriisen  noch  nicht  deutlich  fühlbar  geschwollen  sind,  ergibt  die 
Operation  in  73  Proz.  Dauerheilungen,  wenn  der  Krebsknoten  über 
pflaumengross,  mit  der  Haut  verwachsen  und  die  Achseldrüsen  ge¬ 
schwollen  gefunden  werden,  in  24  Proz.  Soll  man  also  beispielsweise 
eine  Erkrankung,  die  bei  frühzeitiger  Diagnose  in  73  Proz.  durch 
Operation  dauernd  geheilt  werden  kann,  bloss  des  Prinzipes  wegen 
nach  einer  neuen  Methode,  deren  unmittelbare  Ergebnisse  noch  sehr 
umstritten  sind,  über  deren  fernere  Resultate  man  noch  gar  nichts 
weiss,  behandeln? 

v.  Eiseisberg  konnte  am  letzten  Chirurgenkongress  in  seinen 
Mitteilungen  über  eine  10  jährige  Beschäftigung  mit  der  Radium¬ 
therapie  über  keinen  einzigen  Fall  von  Dauerheilung  eines  nicht  rein 
kutanen  Karzinoms  berichten. 

Wenn  viele  Gynäkologen  für  ihr  Krebsmaterial  die  universelle 
Anwendung  der  Strahlentherapie  für  erlaubt  halten  und  verlangen, 
so  ist  das  schliesslich  ihre  Sache;  es  geht  aber  nicht  an,  dieselbe  For¬ 
derung  auch  für  die  zum  grössten  Teil  ganz  anders  gearteten 
chirurgischen  Krebse  zu  stellen.  Die  Krebse  des  Oeso¬ 
phagus,  der  Gallenblase,  der  Bauchspeicheldrüse,  des  Magens  und  des 
Darms  sind  nun  einmal  der  Strahlentherapie  nicht  in  derselben  Weise 
zugänglich.  Auch  erfordern  gerade  die  Organe  des  Magendarm¬ 
kanals  aus  zahlreichen  Gründen  (Perforation,  Stenose)  viel  grössere 
Vorsicht  in  der  Anwendung  des  Verfahrens. 

Die  offene  Verkündigung  des  Programmes  der  operationsloscn 
Behandlung  des  Krebses  auf  Kongressen  von  seiten  hervorragender 
Gynäkologen  hält  Payr  angesichts  der  Tatsache  der  nicht  hint¬ 
anzuhaltenden  Verbreitung  solcher  Nachrichten  in  das  Laienpublikuin 
für  bedenklich,  da  sie  bei  dem  naturgemäss  operationsscheucn 
Kranken  den  Entschluss  zu  einem  Eingriff  verzögern  oder  unter¬ 
drücken.  . 

Die  interessanten  Beobachtungen  Zweifels  über  protrahierten 
Verlauf  des  Uteruskrebsps  nach  Ablauf  entzündlich-plastischer  Pro¬ 
zesse  erinnern  Payr  an  den  wesentlich  gutartigeren  Verlauf  des 
innerhalb  einer  derben  Ulcusschwiele  des  Magens  entstandenen  Kar- 
zinomes. 

Der  Leipziger  chirurgischen  Klinik  stehen  nunmehr  für  die 
Strahlenbehandlung  für  den  Anfang  genügende  Mengen  von  Radium 
zur  Verfügung.  ' 

Herr  Payr  hält  es  für  seine  Pflicht,  dieselbe  bei  allen  nicht 
mehr  radikal  operablen  Fällen  in  Anwendung  zu  bringen, 
alle  bisher  mitgeteilten  Erfahrungen  zum  Wohle  der  Kranken  aus- 
zuniitzen  und  die  operierten  Fälle  prophylaktisch  zu  bestrahlen. 

Herr  Verse  demonstriert  aus  dem  pathologischen  Institut 
Präparate  von  zwei  Karzinomfällen,  in  denen  eine  ziemlich  er¬ 
giebige  Bestrahlung  mit  Mesothorium  intra  vitam  vorgenommen 
worden  war.  Beim  ersten  handelte  es  sich  um  ein  krater¬ 
förmig  ulzeriertes  Portiokarzinom,  das  nach  den  Angaben  des 
Herrn  Privatdozenten  Dr.  Schweitzer  in  der  Frauenklinik 
während  der  Monate  Januar  und  Februar  1914  in  2  Serien  mit  fast 
9000  Milligrammstunden  bestrahlt  worden  war.  Der  ursprünglich 
weite,  jauchende  Krebskrater  verkleinerte  sich  während  dieser  Zeit 
so,  dass  die  Patrone  schliesslich  nicht  mehr  bis  oben  hinauf  geschoben 
werden  konnte.  Die  Temperatur  der  anfangs  stets  fiebernden  40  jälir. 
Kranken  war  nach  dem  Abschluss  der  zweiten  Serienbehandlung 
18  Tage  lang  ganz  normal.  Dann  traten  aber  unter  erneutem  Fieber 
Lungenerscheinungen  auf,  die  eine  Verlegung  nach  der  medizinischen 
Klinik  erforderlich  machten,  wo  die  Patientin  1  Monat  später  am 
19.  IV.  starb.  Bei  der  Sektion  (L.-Nr.  640/14)  fand  sich  eine  totale 
Gangrän  des  linken  Unterlappens  mit  breiter  Einschmelzung  des 
Zwerchfells  und  kleiner  Perforation  des  subphrenischen  gangränösen 
Herdes  in  den  Magen.  In  den  Beckenvenen  sassen  blande  Thromben. 

An  dem  konservierten  Präparat  der  Beckenorgane  sieht  man 
den  Vaginalkanal  nach  oben  hin  sich  stark  verjüngen;  die  Schleim¬ 
haut  geht  oberhalb  der  Mitte  allmählich  über  in  eine  abgeglättete 
Ulzerationsfläche,  die  an  der  Spitze  des  engen  Trichters  in  den 


14.  Juli  1914. 


MUFNCHFNER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1587 


Zervikalkanal  hineinreicht.  Die  Portio  vaginalis  uteri  fehlt  voll¬ 
ständig.  Auf  einem  Sagittalschnitt  mitten  durch  den  Uterus  erscheinen 
in  der  Vorder-  und  Hinter  wand  der  Zervix  bis  walnussgrosse  Gc- 
schwulstknoten  mit  kleinen  zentralen  buchtigen  Zerfallshöhlen;  die 
1  umormassen  setzen  sich  nach  hinten  bis  in  das  rektouterinc  Zell¬ 
gewebe  fort.  Das  Corpus  uteri  ist  frei. 

Histologisch  ist  in  der  Vaginalwand  von  krebsigen  Wucherungen 
nichts  nachweisbar.  Die  glatte  Innenfläche  wird  in  der  oberen  Hälfte 
durch  eine  dicke,  spärlich  von  Leukozyten  durchsetzte  Fibrinschicht 
gebildet;  das  Gewebe  darunter  ist  hauptsächlich  von  Rundzellen 
streifig  infiltriert.  Besonders  auffallend  ist  hier  die  starke  binde¬ 
gewebige  Verdickung  und  partielle  hyaline  Umwandlung  der  Wand 
an  den  kleineren  Blutgefässen,  während  die  grösseren  weniger  ver¬ 
ändert  sind.  Das  Lumen  der  erstcrcn  ist  z.  T.  ganz  verschlossen. 
Von  unten  her  schiebt  sich  über  den  Rand  der  hier  gereinigten 
Ulzerationsfläche  ein  dünner  Epithclbelag.  Auch  der  Zervikalstumpf 
ist  an  seiner  der  Vagina  zugewandten  Oberfläche  mit  Fibrin  bedeckt; 
auch  hier  trifft  man  unter  dieser  Schicht  wieder  die  verdickten  Ge- 
fässwände,  aber  1 — 2  mm  tiefer  bereits  netzartig  angeordnete,  strang¬ 
förmige,  frische  Karzinomwucherungen.  Diese  durchziehen  das  ganze 
makroskopisch  bereits  deutlich  sich  abgrenzende  Gebiet  in  dichten 
Zügen;  das  Zwischengewebe  ist  stärker  entzündlich  infiltriert.  In 
den  zentralen  Zerfallshöhlen  wird  die  Oberfläche  teilweise  direkt  von 
einer  dickeren  Karzinomzellschicht  bekleidet,  also  quasi  epithelisiert; 
andere  Stellen  werden  von  Granulationsgewebe  gebildet.  In  der 
Nachbarschaft  tauchen  einzelne  kleine  Nekroseherdchen  hier  und  da 
auf.  Die  krebsigen  Wucherungen  selbst  erstrecken  sich  bis  in  das 
Zellgewebe  nach  dem  Rektum  hin.  Hier  findet  sich  ebenfalls  ein 
zum  Teil  noch  nicht  gereinigter,  eitriger  Zerfallsherd,  dessen  Um¬ 
gebung  auch  von  Karzinomzügen  durchsetzt  wird,  welche  in  den 
grösseren  Lymphbahnen  weit  Vordringen.  An  seinem  Rande  bemerkt 
man  stellenweise  reichliche  Blutpigmentablagerungen.  Die  an- 
stossendc  Rektalschleimhaut  erscheint  unverändert.  Die  Drüsen  pro¬ 
duzieren  reichlich  Schleim;  die  Solitärfollikel  sind  intakt. 

Die  Krebsmassen  bestehen  z.  T.  aus  schmalen,  oft  spindel¬ 
förmigen  plattenepithelähnlichen  Zellen;  z.  T.  sind  die  Zellen  auch 
etwas  grösser,  mehr  polygonal.  Eine  Verhornung  fehlt;  Mitosen  sind 
spärlich.  Sehr  auffallend  ist  das  ziemlich  reichliche  Vorkommen 
grosser  Zellen  häufig  mit  ganz  riesigen  verklumpten  Chromatinballen, 
Vakuolenbildungen  und  partiellen  hyalinen  Umwandlungen  im 
Protoplasmaleib. 

Vom  zweiten  Fall  stand  nur  ein  Ende  April  kurz  nach  dem  Tode 
durch  Herrn  Sanitätsrat  Dr.  B  e  n  e  c  k  e  entnommenes  Leberstück 
zur  Verfügung.  Es  stammte  von  einem  61  jähr.  Potator  strenuus,  bei 
dem  sich  auf  dem  Boden  einer  jahrelang  bestehenden  Leberzirrhose 
seit  1/4  Jahren  eine  auffallend  derbe  Knotenbildung  am  vorderen 
Leberrande  entwickelt  hatte,  die  zu  Faustgrösse  anwuchs  und  als 
Karzinom  angesprochen  wurde.  Eine  sich  immer  stärker  äussernde 
Schmerzhaftigkeit  gab  Januar  und  Februar  1914  Anlass  zu  einer  drei¬ 
maligen  Bestrahlung  mit  Mesothorium  von  6-  bzw.  4-  bzw.  3  ständiger 
Dauer.  Die  Folge  war  eine  gürtelförmige  Verbrennung  der  Haut  und 
eine  deutliche  Verkleinerung  und  Erweichung  des  Knotens.  Das  Be¬ 
finden  besserte  sich  erheblich,  so  dass  man  an  der  Richtigkeit  der 
vorher  gestellten  klinischen  Diagnose  Karzinom  zweifelte.  An 
Uebersichtsschnitten  von  der  post  mortem  exzidierten  grösseren 
Leberscheibe  aus  der  Gegend  dieses  Knotens  bemerkt  man  noch  am 
Rande  durch  breitere  Bindegewebsstreifen  abgetrennte  Knoten  aus 
normalen  Lebergewebszellen  und  in  ihnen  häufiger  einmal  zentrale 
gallige  Nekrosen,  das  andere  Mal  Zerstörungen  durch  ganz  ab¬ 
weichend  gebaute  epitheliale  Wucherungen.  Diese  beherrschen  im 
iibiigen  das  Bild;  sie  bestehen  zum  geringeren  Teil  aus  mehr  adeno¬ 
matösen,  zum  grösseren  aus  leberzellartig  gewucherten  polygonalen 
Elementen  von  sehr  verschiedener  Grösse,  die  besonders  in  den 
zentralen  Partien  auffallend  reichlich  zu  riesigen  Zellen  mit  mehreren 
Kernen  oder  enorm  grossen  Chromatinverklumpungen  anschwellen. 
In  den  jüngeren  Herden  kommen  mehrfach  Mitosen  vor.  Diese  so 
zusammengesetzten  Krebsnester  liegen  in  einem  breitbalkigen  Stroma, 
das  mehrfach  rundliche  nekrotische  Knoten  und  fibröse  inselartige 
Einlagerungen  umschliesst,  welch  letztere  offenbar  durch  Organisation 
solcher  Nekroseherde  entstanden  sind.  An  ihrem  Rande  sieht  man 
häufiger  Blutpigment,  dann  aber  auch  gelegentlich  noch  besser  er¬ 
haltene  Karzinomzellstreifen. 

In  beiden  Fällen  treten  also  die  auf  die  Mesothoriumeinwirkung 
zurückzuführenden  Tumorschädigungen  sehr  prägnant  hervor:  klinisch 
in  der  Rückbildung  und  Besserung  des  Allgemeinbefindens,  anatomisch 
in  den  Nekrosen  bzw.  in  den  aus  ihnen  hervorgegangenen  weiteren 
Veränderungen  (zystischer  Zerfall,  narbig  fibröse  Umwandlung). 
Auch  die  enorme  Reichhaltigkeit  des  Krebsgewebcs  an  riesigen  Zellen 
mit  grossen  unförmigen  Chromatinballen  an  Stelle  der  Kerne  und 
sonstigen  Degenerationszeichen  ist  sicherlich  auf  Rechnung  der 
Strahlenwirkung  zu  setzen.  Diese  Befunde  deuten  auf  schwere  intra¬ 
zelluläre  Stoffwechselstörungen  hin,  die  unter  Aussetzen  der  Teilung 
zu  einer  Hyperplasie  mit  weiterer  Degeneration  der  Zellen  führen, 
soweit  diese  nicht  direkt  mortifiziert  wurden,  und  es  ist  wohl  denkbar, 
dass  durch  Resorption  dieses  zerfallenden  Materials  dann  weiterhin 
eine  Autolysatwirkung  den  Bestrahlungseffekt  erheblich  steigern  kann. 
Allem  Anschein  nach  sind  auf  diese  Weise  oberflächlich  gewucherte 
und  für  die  Strahlen  leicht  erreichbare  Krebse  zu  beseitigen;  unsicher 
aber  ist  die  Wirkung  bei  tiefer  gelegenen  Knoten.  Im  crstcren  Falle 
ist  durch  eine  mittlere  Dosis,  welche  zur  klinischen  Heilung  kleinerer 


Karzinome  fast  ausreicht,  eine  wesentliche  Verkleinerung  des  Tumors 
erzielt  worden;  aber  bereits  6  Wochen  nach  Aussetzen  der  Bestrah¬ 
lung  ist  ein  lebhaftes  krebsiges  Wachstum  in  den  schwer  erreichbaren 
I  eilen  nachweisbar,  obwohl  sich  auch  hier  die  Zeichen  der  Strahlen¬ 
wirkung  finden.  Wenn  auch  die  Behandlung  zurzeit  des  Todes  noch 
nicht  abgeschlossen  war,  so  wäre  sic  weiterhin  doch  noch  erschwert 
worden  durch  die  straffe  narbige  Verengerung  des  oberen  Vaginal- 
absclmittes,  die  eine  tiefere  Einführung  der  Patrone  nicht  mehr  ge¬ 
stattete  Die  oberflächlichen  Vaginalveränderungen  sind  als  direkte 
Verbrennungsfolgen  aufzufassen.  Wie  weit  die  Lungengangrän  mit 
den  in  ihren  Resten  noch  aufzuzeigenden  eitrigen  Schmelzungen  in 
der  Tiefe  des  Karzinombezirks  in  Zusammenhang  zu  bringen  ist,  kann 
anatomisch  nicht  entschieden  werden. 

Ob  bei  den  von  Herrn  Schweitzer  demonstrierten,  klinisch 
als  geheilt  anzusprechenden  Fällen  wirklich  alles  Krebsgewebe  be¬ 
seitigt  ist,  muss  dahingestellt  bleiben.  Es  können  sich  Krebszellen  in 
dem  narbigen  Bindegewebe  über  ein  Jahrzehnt  erhalten,  um  dann 
erneut  wieder  zu  proliferieren.  Das  erhellt  eindeutig  aus  solchen 
Fällen,  wo  in  Lymphdriiscn  kleine  Metastasen  so  lange  latent  blieben, 
bis  sie  dann  bei  irgendeiner  Gelegenheitsursache  wieder  zu  wuchern 
anfingen 1).  Das  zeigen  auch  Fälle,  die  E  x  n  e  r  aus  der  Höchen- 
egg  sehen  Klinik  mitgeteilt  hat,  bei  denen  einmal  nach  9  Jahren  das 
Rezidiv  eines  durch  Radium  anscheinend  völlig  geheilten  Wangen¬ 
krebses,  das  andere  Mal  nach  7  Jahren  bei  einem  ebenfalls  als  dauernd 
geheilt  betrachteten  Oberlippenkarzinom  der  Rezidivtumor  auftrat. 
Die  bei  früher  erscheinenden  Rezidiven  gelegentlich  gemachte  Er¬ 
fahrung,  dass  sie  allen  Bestrahlungsversuchenf  besonders  bei  Rönt¬ 
genbehandlung)  trotzen,  ist  jedenfalls  auf  eine  besondere  Strahlen¬ 
festigkeit  dieser  quasi  durch  Auslese  übrig  gebliebenen  Zellen  zu 
beziehen,  eine  Resistenz,  deren  Grad  nur  dem  der  umgebenden  Ge¬ 
webe  annähernd  gleichzukommen  braucht. 


Aerztlicher  Kreisverein  Mainz. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  24.  März  1914. 

Herr  Hugo  Müller:  Kasuistische  Beiträge  zur  Salvarsan- 
therapie  bei  Lues  des  Zirkulationssystems,  Tabes  und  Paralyse. 

An  der  Hand  eigener  Beobachtungen  werden  zunächst  die  schon 
vor  der  Salvarsanzeit  oft  recht  erfolgreichen  Behandlungseffekte  der 
spezifischen  Myokarditiden  in  Erinnerung  gebracht.  Kombinierte  Hg 
+  Jodbehandlung  haben  oft  nur  versagt,  weil  die  Furcht  vor  Schä¬ 
digung  des  kranken  Gefässsystems  manchen  Therapeuten  sehr  zum 
Nachteile  des  Patienten  von  intensiver  Merkurialisierung  zurückhielt. 
Und  gerade  hier  hat  nur  Jahre  hindurch  auf  das  allerenergischste 
durchgeführte  Behandlung  Aussicht  auf  dauernden  Erfolg  versprochen 
und  auch  gehalten  in  vielen  Fällen  von  den  nicht  so  seltenen  früh¬ 
luetischen  wie  auch  bei  den  späten  Myokarditiden.  Eigene  Wasser¬ 
mannkontrollen  ergaben  auch  für  die  Frühfälle  zum  Unterschied  von 
den  „tertiären“  dauernd  erreichte  negative  Reaktion. 

Heute  kommt  bei  Herz-  und  Gefässlues  dazu  die  Anwendung  des 
Salvarsans.  Das  bei  Herzaffektion  schwerer  Form  vermehrte  Risiko 
wird  herabgesetzt  durch  vorsichtigste  Dosierung,  z.  B.  Altsalvarsan 
0,1—0,25,  durch  Anwendung  von  Neosalvarsan  und  Joha.  Um  das 
Gefässsystem  nicht  zu  belasten,  benutzt  Vortr.  prinzipiell  Altsalvarsan 
im  Verhältnis  von  0,4  zu  50  g  CINa-Lösung  schon  seit  einem  Jahre. 
Ein  weiteres  Herabgehen  bei  Altsalvarsan  wurde  vermieden, 
nachdem  sich  einige  Male  bei  sehr  weiten  Venen  ausgedehnte 
Thromben  entwickelt  hatten.  Natürlich  war  ein  unbedingter  Zu¬ 
sammenhang  nicht  nachweisbar. 

Trotz  dieser  Vorsichtsmassregeln  wurden  zwei  akute  Kollaps¬ 
fälle  verzeichnet.  Die  Salvarsantherapie  eines  schwer  Herzkranken 
erfordert  selbstverständlich  die  dauernde  ärztliche  Aufsicht;  und  wäre 
in  den  eigenen  Fällen  dieselbe  versäumt,  so  hätte  hier  vielleicht  ein 
sehr  unglücklicher  Ausgang  stattgehabt.  Das  Risiko  hat  sich  aber  bei 
den  zum  Teil  ganz  überraschenden  Erfolgen  gelohnt.  Nur  muss  den 
Angehörigen  unbedingt  die  volle  Tragweite  des  Eingriffs  mitgeteilt 
werden. 

Sämtliche  Salvarsancrfolge  bei  Aneurysma  demonstriert  Vortr. 
durch  Vorlegen  der  Röntgenaufnahmen.  Hier  sei  nur  hingewiesen 
auf  die  besonders  eklatanten  Fälle  Nr.  1,  2,  4. 

Fall  1:  Aortenaneurysma.  Schwerste  stenokardische  Anfälle. 
Nach  3  Altsalvarsaninfusionen  (Kollaps!)  bei  objektivem,  messbaren 
Rückgang  volles  Wohlbefinden.  —  Fall  2:  Aortenaneurysma, 
schwere  Insuffizienz,  Tachykardie,  Stauung  etc.,  Struma,  Akromegalie 
(ex  lue?).  Joha  5  X  0,1 — 0,4  (Dr.  Busch).  Herzdämpfung  normal, 
Atemnot  gebessert.  Tachykardie  (Basedow)  fortbestehend.  — 
Fall  4:  Schlecht  durchbluteter  Patient,  erscheint  viel  älter,  als  er 
ist.  Subnormale  Temperatur,  angeblich  seit  Jahren.  Aorten¬ 
aneurysma  incip.  Nach  erster  Salvarsaninfusion  Normal¬ 
temperatur. 

Auch  bei  hochgradiger  peripherer  Arteriosklerose  wurde  Sal- 
varsan  in  kleinen  Dosen  (höchstens  0,25)  infundiert,  unter  anderen  bei 
53  jähriger  Patientin  nach  vorhergegangener  Apoplexie  bei  zugleich 
bestehender  Herzaffektion.  Fühlbare  Gefässe  kalkhart.  Kinderhand¬ 
grosses  Ulcus  cruris  ohne  Varizen.  Spezifische  Anamnese.  Kom- 


*)  Vgl.  Verse:  Das  Problem  der  Geschwulstmalignität. 
G.  Fischer,  Jena  1914,  S.  34. 


1588 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  28. 


plettes  Versagen  der  alten  Methoden,  ein  Jahr  hindurch  angewendet, 
während  Salvarsan  die  Ueberhäutung  erwirkte. 

Vortr.  berichtet  dann  über  Ergebnisse  der  Serieninfusionen  bei 
Tabes  und  Paralyse.  Die  Frühtabes  ergab,  wie  bei  anderen 
Autoren,  ermutigende,  zum  Teil  überraschende  Resultate.  Bei  Para¬ 
lyse  trat  dagegen  gelegentlich  nach  scheinbarer  Besserung  bzw. 
langdauernder  Remission  ein  rapides  Fortschreiten  des  Leidens  ein. 
Doch  ist  hier  die  Beobachtungszeit  unzureichend  und  Vortr.  in  diesen 
neurologischen  Fragen  inkompetent. 

Herr  Rissom:  Zur  Frühdiagnose  der  syphilitischen  und  meta¬ 
syphilitischen  Erkrankungen  des  Zentralnervensystems.  (Selbst¬ 
bericht.) 

Bei  den  sog.  metasyphilitischen  Erkrankungen  des  Zentralnerven¬ 
systems,  insbesondere  Tabes  und  Paralyse,  handelt  es  sich  um  eine 
chronische  Spirochätose  des  Zentralnervensystems  (Demonstration 
eines  Noguchipräparats  der  Hirnrinde  mit  mässig-reichlichen  Syphilis- 
spirochäten  im  Parenchym).  Man  fasst  daher  die  Qesamtheit  der 
syphilitischen  Erkrankungen  des  Zentralnervensystems  am  besten  als 
syphilogene  Erkrankungen  zusammen.  Die  sog.  metasyphilitischen 
Erkrankungen  des  Zentralnervensystems  sind  das  Endstadium  einer 
diffusen  Infektion  dieses  Organs,  wahrscheinlich  ausgehend  von  den 
Meningen.  Das  Zentralnervensystem,  insbesondere  die  Meningen  sind 
ähnlich  wie  die  Haut  eine  Prädilektionsstelle  für  die  syphilitische 
Infektion.  Durch  systematische  Untersuchungen  ist  festgestellt,  dass 
bei  SO  Proz.  der  Syphilitiker  im  Sekundärstadium  Veränderungen  im 
Liquor  cerebrospinalis  nachweisbar  sind.  (Schilderung  der  Technik 
der  Liquoruntersuchung:  Lymphozytose,  Qlobulinreaktion,  Wasser¬ 
mann  sehe  Probe  verfeinert  durch  das  Auswertungsverfahren  nach 
Hauptmann) 

Bei  Verdacht  einer  syphilitischen  Erkrankung  des  Zentralnerven¬ 
systems  ist  neben  der  serologischen  Untersuchung  des  Blutes  daher 
stets  die  Lumbalflüssigkeit  zu  prüfen.  Die  4  Reaktionen  von  Nonne. 

Bericht  über  Liquoruntersuchung  bei  29  Fällen.  Darunter  18  mit 
klinischen  Erscheinungen  einer  syphilogenen  Erkrankung  des  Zentral¬ 
ervensystems,  11  mit  Verdacht  der  Erkrankung.  


WaR. 
im  Blut 

Lympho¬ 

zytose 

Globulin¬ 
reaktion 
Phase  I 

WaR. 
im  Liquor 
ausgewertet 

<u 

+ 

- 

+ 

— 

+ 

— 

+ 

- 

Frühes  Sekundärstadium 

Cephalalgia  syph . 

3 

1 

2 

3 

3 

1 

2 

Spätlatenz  (5—12  Jahre)  .  .  . 

11 

11 

— 

1 

10 

1 

10 

1 

10 

Lues  zerebrospinalis  . 

5 

1 

4 

5 

— 

5 

— 

5 

1 

Tabes  dorsalis  (initiale  Form) 

5 

2 

3 

5 

5 

— 

4 

Dementia  paralytica . 

5 

3 

2 

5 

5 

— 

5 

Die  Zahl  der  untersuchten  Frühfälle  ist  zu  gering,  um  verwendbar 
zu  sein;  auch  handelt  es  sich  um  Fälle,  bei  denen  der  Verdacht 
meningealer  Infektion  durch  klinische  Erscheinungen  erweckt  war. 
Gegenüber  den  von  zahlreichen  anderen  Autoren  festgestellten 
80  Proz.  Frühinfektionen  der  Meningen  bzw.  des  Zentralnerven¬ 
systems  fand  sich  bei  11  Spätluetikern  mit  positiver  WaR.  im  Blut, 
bei  denen  die  Lumbalpunktion  zur  etwaigen  Frühdiagnose  einer  zere¬ 
bralen  oder  spinalen  Infektion  gemacht  wurde,  nur  einmal  ein  posi¬ 
tiver  Liquorbefund.  In  diesem  Fall,  der  somatisch  frei  war,  erweckte 
ein  mässiger  Depressionszustand  mit  angedeutetem  Intelligenzdefekt 
den  Verdacht  inzipienter  syphilogener  Gehirnerkrankung.  Der  kura¬ 
tive  Effekt  einer  eingeleiteten  Salvarsankur  war  günstig.  Bei  4  Fällen 
von  Lues  cerebri,  3  Fällen  von  Tabes  incipiens,  2  Fällen  von  Para¬ 
lysis  progressiva  inc.  fand  sich  bei  negativer  WaR.  im  Blut,  posi¬ 
tive  WaR.  im  Liquor  nebst  Lymphozytose  und  positiver  Phase  I. 
Ein  Fall  von  Tabes  hatte  negative  WaR.  im  Blut  und  Liquor,  dagegen 
positive  Phase  I  und  mittlere  Lymphozytose. 

Es  ergibt  sich  daraus,  dass  bei  Syphilitikern  mit  normalem 
Krankheitsverlauf  trotz  positiver  WaR.  im  Blut  der  Liquor  meist 
spontan  in  der  Spätlatenz  zur  Norm  zurückkehrt.  Die  syphilitische 
Infektion  des  Zentralnervensystems,  die  fast  in  jedem  Fall  zu  Beginn 
des  Sekundärstadiums  eintritt,  heilt  also  trotz  unzureichender  Be¬ 
handlung  meist  spontan  wohl  durch  Bildung  von  autogenen  Abwehr¬ 
stoffen  Auffallend  ist,  dass  bei  beginnender  Tabes  und  Paralyse 
sowie  bei  einigen  Fällen  von  Lues  cerebri  das  Leiden  sich  bei  nega¬ 
tiver  WaR.  im  Blut  entwickeln  kann.  Vielleicht  ergibt  sich  hieraus 
ein  Fingerzeig  zur  Erklärung,  warum  in  den  einen  Fällen  die  Infektion 
des  Zentralnervensystems  zur  Ausheilung  kommt,  in  anderen  Fällen 
zur  chronischen  Erkrankung  führt.  Bekanntlich  schliessen  sich  Tabes 
und  Paralyse  fast  ausschliesslich  an  leicht  verlaufende  Luesfälle  an. 
Man  kann  annehmen,  dass  bei  diesen  blanden  Infektionen  der  Körper 
nicht  genügend  zur  Bildung  von  Immunkörpern  angereizt  wird,  so 
dass  die  in  die  als  Prädilektionsstelle  der  Luesinfektion  erkannten 
Meningen  gelangten  Spirochäten  ungehindert  sich  entwickeln  und 
ihren  Vormarsch  in  das  Hirnparenchym  bzw.  die  spinalen  Wurzel¬ 
ganglien  antreten  können.  Als  Ursache  des  Haftenbleibens  der  Spiro¬ 
chäten  im  Zentralnervensystem  würde  sich  demnach  eine  Verminde¬ 
rung  der  Spannung  zwischen  Infektion  und  Organismus  ergeben,  die 
einerseits  durch  eine  Abschwächung  des  Infektionsstoffes  (milde  In¬ 
fektion)  bedingt  sein  kann,  andererseits  durch  Vermehrung  der  natür¬ 
lichen  Schutzstoffe  im  Organismus  verursacht  sein  kann  (Disposition). 
Remission  und  Exazerbation  bei  Paralyse  und  Tabes  würden  sich  aus 
dem  Spiel  und  Widerspiel  zwischen  Spirochätenanreicherung  im 
Zentralnervensystem’  und  verspäteter  Antikörperbildung  erklären. 


Die  negative  Blutreaktion  bei  den  aufgeführten  Fällen  zeigt  an,  dass 
die  Neigung  zur  Bildung  von  Reaktionsstoffen  auf  die  Infektion  in 
diesen  Fällen  gering  ist.  Quelle  dieser  Reaktionsprodukte  ist  der 
Ort  der  Infektion.  Daher  das  Vorausgehen  der  positiven  WaR.  im 
Liquor. 

Wichtig  ist  die  Untersuchung  des  Liquor  ferner  zur  Beurteilung 
des  erzielten  Behandlungserfolges.  Die  aufgeführten  Fälle  mit  posi¬ 
tivem  Liquor  wurden  sämtlich  einer  energischen  Hg-Salvarsankur 
unterworfen.  ... 

3  SR.  negative,  L.  positive  Fälle  von  Tabes  wurden  im  Liquor 
negativ.  Die  somatischen  Ausfallserscheinungen  Argyll  Robertson, 
W  e  s  t  p  h  a  I  sclies  Phänomen  blieben  unbeeinflusst.  Die  subjektiven 
Beschwerden  verschwanden. 

3  SR.  negative,  L.  positive  Fälle  von  Lues  cerebri  wurden  klinisch 
geheilt  und  im  Liquor  negativ. 

3  SR.  negative,  L.  positive  Fälle  von  Paralyse  zeigten  eine  V  er- 
minderung  der  Reaktionsbreite  im  Liquor.  Einer  kam  inzwischen 
zum  Exitus. 

Es  muss  angestrebt  werden,  durch  grundsätzliche  Liquorunter¬ 
suchung  bei  jedem  Spätluetiker  eine  persistente  Infektion  des  Zentral¬ 
nervensystems  frühzeitig  zu  erkennen.  Negative  WaR.  im  Blut  bei 
positiver  Anamnese  begründet  keineswegs  eine  Unterlassung  dieser 
Untersuchung.  Die  Behandlung  früh  erkannter  Restinfektionen  des 
Zentralnervensystems  mit  Salvarsan  bietet  Aussicht  auf  Erfolg. 

Diskussion:  Herr  Herzog  berichtet  über  ausserordentlich 
günstige  Erfolge  bei  syphilitischen  Herz-  und  Gefäss- 
erkrankungen,  insbesondere  bei  Aortitis  und  Aneurysma.  An 
Röntgenbildern  wird  der  sichtbare  Erfolg  der  Salvarsantherapie  bei 
einem  Aneurysma  der  Aorta  ascendens  und  des  Arkus  gezeigt:  eine 
deutliche  beträchtliche  Verkleinerung  des  Aneurysmaschattens;  gleich¬ 
zeitig  Verschwinden  der  subjektiven  und  objektiven  kardialen 
Störungen.  ,  ..  ^ 

Herr  Curschmann  freut  sich,  dass  jetzt  auch  die  Dermato¬ 
logen  ganz  von  der  ambulanten  Salvarsanbehandlung  abgekommen 
sind.  Bei  vorsichtiger  Dosierung  hat  C.  niemals  Herzschädigungen 
nach  Salvarsan  gesehen,  auch  nicht  bei  erkranktem  Herz,  Aortitis, 
Nephritis  etc.  Dass  die  200  ccm  Flüssigkeit  (intravenös  zu¬ 
geführt)  an  sich  für  das  Herz  eine  schädigende  Mehrarbeit  bedeuten, 
ist  zu  verneinen;  dazu  ist  die  Menge  zu  gering.  Selbstverständlich 
bedürfen  grobe  Kompensationsstörungen  vor  der  Salvarsanbehand¬ 
lung  einer  Digitalis-  oder  Strophanthustherapie.  C.  bestätigt  die  ver¬ 
blüffend  günstigen  Erfolge  des  Salvarsans  bei  Aortitis  und  Aneurysma: 
es  gelingt  völlige  Beschwerdefreiheit  und  temporäre  komplette 
Arbeitsfähigkeit  zu  erreichen;  Bericht  über  einschlägige  Fälle.  Auch 
bei  peripherer  luetischer  Arteriitis  (intermittierendes  Hinken)  vor¬ 
zügliche  Erfolge. 

Bezüglich  der  Frage  der  Metalues  des  Nervensystems 
plädiert  C.  dringend  für  die  Beibehaltung  dieses  klinisch  und  ana¬ 
tomisch  wohlfundierten  Begriffs.  Die  Tabes  als  parenchymatöse 
Spirillose  des  Rückenmarks  etc.  zu  bezeichnen  (vergl.  Rissom)  ist 
ein  bedauerlicher  Verstoss  gegen  den  anatomischen  Begriff  der  Tabes. 
Bei  Ausführung  der  Liquoruntersuchungen  bittet  C.  die  Esbach  sehe 
Reaktion  ganz  fortzulassen  und  eventuell  durch  die  Phosphor¬ 
wolframsäurereaktion  (nach  Pfeiffer  u.  a.)  zu  ersetzen.  Auch  bei 
vorgeschrittener  Tabes  und  Paralyse  hat  C.  übrigens  stets  Lympho¬ 
zytose  (bisweilen  geringen  Grades)  gefunden.  Wenn  nun  auch  die 
Liquoruntersuchung  bei  inzipienten  oder  unklaren  Fällen  notwendig 
ist  und  auch  von  Metaluetikern  meist  gut  vertragen  wird,  so  sollte 
man  doch  die  Kranken  nicht  mit  einer  permanenten  „Liquorkontrolle“ 
quälen.  Es  wird  heutzutage  zweifellos  an  Luetikern  aus  Prinzipien¬ 
reiterei  viel  zu  viel  punktiert!  Was  die  Frage  einer  Tabes  non 
syphilitica  anbetrifft,  so  widerspricht  C.  entschieden:  es  gibt  nur 
tabes  ähnliche  Zustände  ohne  Lues,  niemals  anatomisch  echte 
Tabes;  die  F  o  u  r  n  i  e  r  -  E  r  b  sehe  Lehre  ist  heute  gesicherter,  als  je. 

Die  Behauptung,  dass  eine  Lues  gravis  (bezüglich  der  Haut¬ 
erkrankung,  Rezidive.  Gummata  etc.)  keine  Tabes  im  Gefolge  habe, 
ist  nicht  ganz  richtig-  C  berichtet  über  maligne  tertiäre  Lues  (Knochen, 
Leber  etc.)  mit  gleichzeitiger  Tabes.  Auch  bei  intestinaler  Lues  ins¬ 
besondere  der  Aorta  ist  oft  (inkomplette)  Tabes  sehr  häufig. 

Beim  Zustandekommen  der  Metalues  des  Nervensystems  möchte 
C.  dem  Vortr.  gegenüber  drei  Momente  stärker  betonen:  1.  das  endo¬ 
gene  Moment  der  Disposition  (Beispiele  von  Mitgliedern  derselben 
Familie  mit  akquirierter  Lues  verschiedener  Provenienz,  die  alle  Tabes 
oder  Paralyse  bekamen),  2  das  exogene  Moment  der  unterstützenden 
andersartigen  Schädigungen,  a)  des  Aufbrauches  (Paralyse  der  Ge¬ 
dächtnisarbeiter,  z.  B.  der  Schauspieler),  b)  der  toxischen,  klimatischen 
und  traumatischen  Einwirkungen  und  endlich  c)  die  Lehre  von  der 
Syphilis  ä  virus  nerveux  (Lues  und  Tabes  der  Ehegatten,  gehäufte 
Tabesfälle  bei  Masseninfektion  aus  derselben  Quelle,  z.  B.  Soldaten, 
Glasbläser).  Zum  Schluss  betont  C.  seine  Freude  darüber,  dass  das 
herostratische  Bemühen  eines  nicht  qualifizierten  Beurteilers  in  Berlin 
nur  zu  einem  energischen  Appell  f  ü  r  das  Salvarsan  bei  allen  Er¬ 
fahrenen  geführt  habe  und  bedauert  die  parteipolitische  Aus¬ 
schlachtung  der  Salvarsandiskussion  der  Tagespresse  (sowohl  pro  als 
contra). 

Herr  Busch  berichtet  über  einen  Späterfolg  der  Salvarsan¬ 
behandlung  bei  zerebraler  Syphilis:  50  jähriger  Flurschütze,  Lues  vor 
mehr  als  20  Jahren,  wiederholt  antiluetisch  behandelt,  trat  am  19.  Sep¬ 
tember  1913  in  Behandlung  wegen  Hemiparese  im  rechten  Bein. 
Blutwassermann  negativ.  Therapie  Hg-Schmierkur,  welche  alsbald 


14.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1589 


wegen  Stomatitis  unterbrochen  werden  musste,  Jod  und  Salvarsan 
intravenös  in  «tägigen  Abständen  0,3,  0,3,  0,4. 

Nach  4  Wochen  keinerlei  Anzeichen  von  Besserung,  so  dass 
Invalidisierung  vorgeschlagen  wurde.  Patient  begab  sich  auf  eigenen 
Wunsch  zur  Erholungs-  und  Badekur  in  den  Odenwald,  ohne  danach 
w  ieder  in  der  Sprechstunde  zu  erscheinen.  Eine  zufällige  Begegnung 
auf  der  Strasse  nach  3  Monaten  zeigt  Patienten  vollkommen  wieder¬ 
hergestellt  und  dienstfähig.  Der  Erfolg  wird  vom  Patienten  natürlich 
allein  den  Stahlbädern  zugeschrieben. 

Es  kann  sich  indessen  nur  um  einen  verzögerten  Salvarsanerfolg 
handeln,  wobei  die  relativ  geringen  Depots  zur  Heilung  genügten 
Referent  warnt  deshalb,  wie  Dreyfus  (M.m.W.  1914  Nr  10)  vor 
voreiliger  Entmutigung  bei  anfänglich  ausbleibender  Salvarsan- 
wirkung  in  solchen  Fällen. 


Aerztlicher  Verein  München. 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzung  vom  6.  Mai  1914. 

Herr  Klar:  Demonstrationen:  1.  Fall  von  beiderseitiger 
Arthropathia  deformans  coxae  juvenilis  ( Ar thrititis  deformans  juve¬ 
nilis  Perthes).  17  jähriger  Landwirtssohn  mit  infantilem  Körperbau 
und  kindlichen  Genitalien,  Schilddrüse  nicht  paipabel,  Aussehen  eines 
9— -10  jährigen,  klagt  seit  2  Jahren  über  zunehmende  Beschwerden 
beider  Hüftgelenke:  Bewegungsbehinderung,  watschelnder  Gang, 
leichte  Ermüdbarkeit,  zeitweise  Schmerzen,  besonders  rechts  nach 
körperlichen  Anstrengungen.  Es  besteht  ziemlich  starke  Lenden¬ 
lordose,  Behinderung  der  Abduktion  und  der  Adduktion  bei  freier 
Nexion.  Im  Durchleuchtungsbild  keine  Coxa  vara,  rechts  deut- 
liehe  Abflachung  der  oberen  Kappe  des  Kopfes  des  Oberschenkels, 
links  ausgedehnter  Knochenschwund  und  fast  vollständige  Zerstörung 
des  Kopfes  (herdweiser  Knochenschwund).  Die  Eröffnung  des  linken 
Hüftgelenks  vom  Hüter  sehen  Längsschnitt  aus  ergab,  dass  an  Stelle 
des  geschwundenen  Knochens  ausgedehnte  höckerige  Knorpel¬ 
wucherungen  getreten  sind,  die  zum  Teil  entfernt  wurden.  Beider¬ 
seits  ist  der  Trochanter  major,  an  dem  die  Epiphysenlinien  offen  sind, 
hypertrophisch.  Pirquet  und  Wassermann  negativ,  Trauma  ist  nicht 
erfolgt,  Intelligenz  stark  reduziert.  In  den  Handgelenken  fehlt  der 
Knochenkern  des  Os  pisiforme.  Da  offenbar  auf  myxödematischer 
Basis  das  Leiden  entstanden  ist,  wird  innerlich  Schilddrüse  gegeben 
und  ausserdem  mit  Heissluftbädern,  Massage  der  Glutäen  und  der 
Hüftgelenke  und  mit  Medikomechanik  behandelt,  mit  offensichtlicher 
Besserung  der  Beweglichkeit  und  des  Ganges,  nachdem  nach  der 
Operation  4  Wochen  lang  links  extendiert  worden  ist. 

2.  5  jähriger  Junge  mit  Ostitis  fibrosa  cystica  im  linken  Ober¬ 
arm.  Die  gut  pflaumengrosse  Zyste  wurde  entdeckt  bei  der  Durch¬ 
leuchtungsaufnahme  wegen  Oberarmbruchs,  den  sich  das  Kind  durch 
ganz  leichten  Fall  auf  die  linke  Schulter  zugezogen  hatte.  14  Tage 
Desault,  danach  zeigt  sich  im  Durchleuchtungsbild  deutliche  Kallus- 
bildung  rings  um  die  Zyste  herum;  um  den  Kallus  weiter  anzuregen, 
Weiterbehandlung  mit  Heissluft  und  kräftiger  Massage;  sollte  dies 
nicht  ausreichen,  so  wäre  nach  Auskratzung  der  Zyste  Implantation 
einer  Fibula  vorzunehmen.  Nachträglich  gibt  die  Mutter  an,  dass  der 

1  at.  etwa  2  Wochen  vor  dem  Unfall  über  Schmerzen  in  der  Schulter 
beim  Anziehen  der  Kleider  geklagt  habe. 

3.  Durchleuchtungsbild  des  rechten  Handgelenks  einer  30  jähr. 
Frau,  bei  der  nach  akutem  Gelenkrheumatismus  in  allen  Gelenken 
eine  Schwellung  des  rechten  Handgelenks  zurückgeblieben  war; 
dieses  wurde  von  anderer  Seite  mit  Einreibungen  und  Ruhigstellung 

2  Monate  lang  behandelt;  in  dieser  Zeit  trat  vollständige  Ankylose 
des  Gelenkes  in  extremer  Volarflexion  ein,  und  das  Durchleuchtungs- 
bild  zeigte  bei  dem  Eintritt  in  die  Behandlung  des  Vortragenden,  dass 
in  der  relativ  kurzen  Zeit  vollständige  Verschmelzung  sämtlicher 
Handwurzelknochen  untereinander  eingetreten  ist,  so  dass  es  un¬ 
möglich  ist,  die  einzelnen  Knochen  voneinander  zu  unterscheiden- 
die  Spongiosabälkchen  gehen  durch  sämtliche  Knochen  hindurch,  so 
dass  das  Konglomerat  der  Handwurzelknochen  als  ein  einziger 
Knochen  imponiert;  ausserdem  bestehen  mehrere  Knochenbrücken 
z.wischen  dem  Radius  und  der  Ulna  einerseits  und  der  Handwurzel 
andererseits;  die  Brücken  wurden  in  Narkose  durchbrochen,  und 
noch  am  Operationstage  begann  die  Nachbehandlung  mit  Heissluft¬ 
bädern,  Massage  und  passiv-aktiver  Gymnastik,  mit  der  nach  3  Mo¬ 
naten  so  viel  erreicht  wurde,  dass  die  Hand  jetzt  in  Strecksteilung 
steht,  die  Volarflexion  aktiv  vollkommen  frei  ist  und  die  Dorsalflexion 
passiv  um  etwa  20°,  aktiv  unter  Schmerzen  und  Knochenreibe¬ 
geräuschen  um  45  0  möglich  ist.  Pat.,  die  Falzerin  in  einer  Druckerei 
ist,  wird  in  dieser  Woche  noch  ihre  Arbeit  wieder  aufnehmen,  aber 
noch  weiterbehandelt  werden  müssen.  Der  Fall  lehrt,  dass  man  nicht 
jedes  „entzündete“  Gelenk  ruhigstellen  darf. 

Herr  Baum:  Diagnostische  Eigentümlichkeiten  des  Korpus¬ 
karzinoms  des  Magen.  (Erscheint  als  Originalartikel  in  dieser  Wo¬ 
chenschrift.) 

Sitzung  vom  20.  Mai  1914. 

Herr  v.  Stubenrauch:  Die  deformierende  Gelenkentzündung 
im  Lichte  neuerer  Forschungen.  (Erschienen  in  Nr.  27  u.  28  der  M.m.W.) 

Diskussion:  Herr  Fr.  v.  Müller  und  Herr  v.  Stuben¬ 
rauch 


Physikalisch-medizinische  Gesellschaft  zu  Würzburg. 

(Eigener  Bericht.) 


Sitzung  vom  25.  Juni  1914. 

Herr  Wessely:  Demonstrationen: 

a)  Befunde  bei  experimentellem  Katarakt. 

Auf  experimentellem  Wege,  und  zwar  durch  Injektion  geringer 
Mengen  gallensaurer  Salze  in  den  Glaskörper,  gelingt  es,  beim  Kanin¬ 
chen  eine  langsam  fortschreitende  Degeneration  der  Netzhaut  und 
Aderhaut  zu  erzeugen,  die  im  ophthalmoskopischen  Bilde  einschliess¬ 
lich  der  aufsteigenden  Sehnervenatrophie  den  beim  Menschen  zur  Be¬ 
obachtung  gelangenden  Chorioretinalatrophien  sehr  ähnelt.  So  wie 
dort  kam  es  auch  in  den  Versuchen  zu  einer  am  hinteren  Pol  der 
Linse  beginnenden  Kataraktbildung,  die  in  einer  Reihe  von  Fällen 
total  wurde.  Die  mikroskopischen  Präparate  ergaben  dabei  voll¬ 
ständige  Analogien  zu  den  beim  subkapsulären  Rindenstar  in  der  Linse 
auftretenden  Veränderungen. 

b)  Experimentelle  isolierte  lioruhautanästhesie. 

Einmaliges  Umfahren  des  Limbus  corneae  bei  Kaninchen  mit 
dem  Dampfkauter  schädigt  die  zutretenden  Trigeminusendigungen 
derart,  dass  eine  sich  über  2 — 4  Wochen  erstreckende  vollständige 
Hornhautanästhesie  entsteht.  Eine  Keratitis  neuroparalytica  tritt  da¬ 
bei  niemals  auf,  auch  wenn  die  Tränendrüse  gleichzeitig  exstirpiert 
wird.  Das  Experiment  bestätigt  also  von  neuem,  dass  zur  Entstehung 
der  neuroparalytischen  Entzündung  die  Schädigung  im  Nerven  weiter 
zentralwärts  sitzen  muss. 

c)  Physiologische  falsche  Lokalisation. 

Bei  abwechselnder  Belichtung  der  Augen  durch  die  geschlossenen 
Lidei  wird  der  Lichtschein  falsch,  nämlich  stets  temporalwärts,  lokali- 
smrt,  was  auf  den  monokularen  Anteil  des  diffus  belichteten  Auges 
nn  Gesichtsfeld  zurückzuführen  ist.  Aehnlich  wird  auch  an  geeigneten 
stereoskopischen  Vorrichtungen  die  Zunahme  der  Lichtstärke  eines 
von  der  Mehrzahl  der  Untersuchten  an  einer  temporalen 
crhellung  des  Gesichtsfeldes  des  zugehörigen  Auges  erkannt.  Dieser 
Unterscheidbarkeit  rechts-  und  linksäugiger  Eindrücke  ist  bei  einer 
Reihe  von  Simulationsproben  Rechnung  zu  tragen. 

d)  Form  der  Augenpulskurve. 

Bei  der  graphischen  Registrierung  des  Augendruckes  stellen  sich 
die  einzelnen  Pulse  für  gewöhnlich  als  einfache  wellenförmige  Er¬ 
hebungen  ohne  katakrote  Elevationen  dar.  Letztere  treten  indessen 
auch  am  Augenpulse  auf,  sobald  die  Karotispulse  stark  erhöht  wer¬ 
de”  (z  B.  durch  Adrenalininjektionen).  Auch  künstlich  erzeugte 
AJIorythmien  (Pulsus  bigeminus  und  trigeminus)  spiegeln  sich  in  der 
Augenpulskurve  wieder.  Obwohl  das  Auge  eine  plethysmographische 
Kurve  schreibt,  gibt  sich  also  unter  Umständen  sogar  in  der  Puls¬ 
form  eine  völlige  Uebereinstimmung  zwischen  Augen-  und  Blutdruck 
zu  erkennen.  Vortr.  erörtert  im  Anschluss  hieran  von  neuem  diese 
Beziehung  und  vor  allem  die  von  ihm  bereits  früher  dargelegte  Be¬ 
deutung  der  Blutverschiebung  im  Organismus  für  die  jeweilige  Höhe 
des  Augendruckes. 


**  V,  *  vr  v  UtUCl  UIC  uez.ieiiuilgerk  „  .ovuvil 

und  Blutdruckschwankungen  beim  Menschen. 

Vortragender  demonstriert  das  S  c  h  i  o  t  z  sehe  Tonometer  und 
beschreibt  dessen  Anwendung.  Sodann  berichtet  er  über  seine  Be- 
obachtungen  und  kommt  zu  dem  Ergebnis,  dass  der  Augendruck  zum 
Blutdruck  in  festem  Abhängigkeitsverhältnis  steht.  Zahlreiche  Ver¬ 
suche  wurden  angestellt  an  Frauen  vor  und  nach  dem  Gebären,  sowie 
an  Patienten,  bei  denen  eine  Schwitzkur  indiziert  war,  vor  und  nach 
dem  Schwitzen.  Nur  in  einzelnen  Fällen  ergaben  sich  geringe  Ab¬ 
weichungen  des  Augendruckes,  die  auf  vasomotorische  Veränderungen 
besonders  nach  der  Schwitzkur,  zurückzuführen  sind. 

Herr  E.  Seifert:  Serodiagnostik  von  Staphylokokkenerkran¬ 
kungen. 

Nach  eingehender  Schilderung  des  Prinzips  und  der  Anwendungs- 
weise  berichtet  Vortragender  über  seine  Versuche  mit  dem  Merck- 
sehen  Lysin.  ■  Von  110  Personen  hat  er  folgende  Resultate:  bei  40  Ge¬ 
sunden  oder  an  indifferenten  inneren  Leiden  (Asthma,  Herzfehler  etc) 
Erkrankten:  negativ;  bei  30  an  nichteitrigen  Erkrankungen  Operierten: 
negativ;  bei  16  nicht  durch  Staphylokokken  hervorgerufenen  Eite- 
rungen:  negativ;  bei  24  Staphylokokkeneiterungen:  positiv  Ferner 
fand  Vortragender  noch  einige  positive  Resultate  bei  schweren  Stö¬ 
rungen  nach  Schutzpockenimpfung,  wo  wahrscheinlich  durch  die 
Impfung  eine  Staphylokokkeninfektion  stattgefunden  hatte,  und  11  un¬ 
klare  Falle,  wo  weder  durch  Anamnese  noch  Befund  eine  Staphylo¬ 
kokkenerkrankung  sich  hat  nachweisen  lassen.  Knochenaffektionen 
alter  Leute  sind  oft  auf  Staphylokokken  zurückzuführen,  nicht  auf 
J  uberkulose.  Man  soll  auch  andere  Knochenerkrankungen,  wie  Ostitis 
fibrosa,  ferner  Hirnabszesse  etc.  einer  Serodiagnostik  auf  Staphylo¬ 
kokken  unterziehen  Knochenerkrankungen  geben  stärker  positive 
Resultate  als  Weichteilerkrankungen. 


Berliner  medizinische  Gesellschaft 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzung  vom  8  Juli  1914. 

Vor  der  Tagesordnung: 

^err  lr.a.-”,d  aJ“  demonstriert  ein  Präparat  von  Myomatosis  uteri 
von  einer  31  Jähr.  Pat.,  die  im  3.  Monat  schwanger  war;  die  Enuklea¬ 
tion  liess  sich  bei  der  Grösse  des  Tumors,  der  bis  ins  Hypochondrium 


1590 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  28. 


reichte,  nicht  ausführen.  Die  Prognose  ist  gut,  von  über  30  Fällen  ist 
Vortr.  keiner  zugrunde  gegangen.  Die  frühere  Ansicht,  dass  bei 
Myomen  Konzeption  nicht  eintritt,  ist  längst  als  unrichtig  erwiesen. 

Tagesordnung: 

Herr  Fuld:  Zur  Behandlung  der  Colitis  gravis  mittels  Spulungen 
von  der  Appendixfistel  aus. 

Demonstration  eines  geheilten  Falles  von  blutigem  Dickdarm¬ 
katarrh  und  eines  weitgehend  gebesserten  Falles  mit  noch  nicht  ab¬ 
geschlossener  Behandlung.  Die  Appendikostomie  ist  im  Gegensatz 
zu  den  chirurgischen  Behandlungsmethoden  ein  unbedeutender  Ein¬ 
griff,  der  einen  durchaus  haltbaren  Zustand  schafft  (im  Gegensatz 
zu  den  Kotfisteln)  und  kann  im  übrigen  leicht  verschlossen  werden. 
Der  Zweck  der  Fistel  ist,  eine  erfolgreiche  Spülbehandlung  zu  er¬ 
möglichen.  Als  Flüssigkeit  bewährte  sich  ein  Kupfersaccharatpräparat 
(Beniform).  Diese  Behandlungsweise  muss  mindestens  viele  Monate 
lang  durchgeführt  werden,  wenn  erforderlich  kombiniert  mit  rektalen 
Spülungen  und  Bougierung  bei  Neigung  zu  Stenosen.  Die  genannte 
Behandlungsweise  gewährt  im  Gegensatz  zu  der  üblichen  Art  der 
internen  Behandlung  eine  erhebliche  Sicherheit  gegen  das  Eintreten 
überraschender  Verschlimmerungen  mit  profusen  Abgängen,  Beteili¬ 
gung  der  tieferen  Schichten  und  Intoxikation,  die  oft  unaufhaltsam 
zum  Tode  führen  würden. 

Diskussion:  Herr  Albu:  Die  Diagnose  ist  nach  Anamnese 
und  dem  typischen  rektoskopischen  Befund  nicht  so  schwer  zu  stellen 
wie  der  Vortragende  erklärte.  Er  hat  nur  1  Fall  von  Appendikostomie 
gesehen,  der  nach  viermonatlicher  Durchspülung  gebessert  war,  dann 
die  Fistel  einging  und  nach  1  Jahr  rezidivierte.  Die  Durchspülung 
von  der  Fistel  könne  Schwierigkeiten  bereiten. 

Herr  Katzenstein  hat  die  Fälle  des  Vortragenden,  die 
äusserst  schwer  waren,  mitbeobachtet.  Die  Diagnose  lasse  sich 
nicht  allein  aus  der  Anamnese  stellen,  da  diese  grosse  Aehnlichkeit 
mit  der  des  Rektumkarzinoms  habe. 

Herr  Fuld  (Schlusswort):  Der  Fall  von  Herrn  Albu  sei  nicht 
lange  genug  behandelt;  der  von  ihm  vorgestellte  sei  jetzt  2  Jahre  her. 
Für  aussichtslose  Fälle  wolle  er  die  Methode  nicht  angewandt  wissen, 
da  dann  eben  jedes  Verfahren  versage. 

Herr  Eckstein:  lieber  unbekannte  Wirkungen  der  Röntgen¬ 
strahlen  und  ihre  therapeutische  Verwertung. 

Schon  seit  1896  ist  die  schmerzstillende  Wirkung  der  Röntgen¬ 
strahlen  bei  Tumoren,  dann  auch  bei  Neuralgien,  Rheumatismus  und 
juckenden  Hautleiden  bekannt.  Nach  Eckstein  tritt  diese  Eigen¬ 
schaft  auch  bei  Traumen,  Frakturen,  Luxationen,  Kontusionen  hervor. 
Die  Wirkung  tritt  augenblicklich  ein.  Oefters  kommt  es  zum 
völligen  Verschwinden  selbst  starker  Schmerzen.  Die  Wirkung  soll 
Stunden,  ja  Tage  und  Wochen  anhalten.  Es  wurden  harte  oder 
mittelharte  Röhren,  bei  0, 4—2,0  Milliampere,  in  15—30  cm  Fokus-Haut¬ 
distanz  mit  oder  ohne  Filter  3—7  Minuten  lang  betrieben. 

Auch  bei  spastischen  Zuständen,  erhöhter  Reflextätigkeit,  zeigte 
sich  eine  beruhigende  bzw.  schmerzstillende  Wirkung,  so  bei  gastri¬ 
scher  Krise,  bei  epileptischen  Anfällen. 

Diskussion:  Herr  E  r  1  e  r. 

Herr  F.  M.  Meier:  Es  gelte  bei  der  Röntgenbestrahlung  das 
physikalische  Gesetz,  dass  zwischen  Bestrahlung  und  Wirkung  eine 
Latenzzeit  bestehe.  Im  Gegensatz  dazu  hat  Vortragender  sofortige 
Wirkung.  Ferner  wünscht  er  genauere  technische  Auskunft. 

Herr  Eckstein:  Schlusswort.  W.-E. 


Verein  für  innere  Medizin  und  Kinderkeilkunde  zu  Berlin. 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzung  vom  6.  Juli  1914. 

Vor  der  Tagesordnung: 

Herr  Ewald  demonstriert  die  anatomischen  Präparate  eines 
47  jähr.  Mannes,  der  plötzlich  mit  Atembeschwerden  erkrankt  war, 
die  das  Schlucken  hinderten.  Die  Speiseröhre  liess  die  Magensonde 
glatt  passieren:  Es  fand  sich  klinisch  kein  Befund  und  der  Fall  ist 
dadurch  bemerkenswert,  dass  die  Diagnose  röntgenologisch  gestellt 
weiden  konnte.  Röntgenologisch  war  der  Aortenschatten  verbreitert, 
auch  im  schrägen  Durchmesser,  zeigte  jedoch  keine  Pulsation  und  es 
wurde  daher  ein  Mediastinaltumor  diagnostiziert.  Der  Tumor  war 
nur  faustgross  und  sass  gerade  zwischen  Luft-  und  Speiseröhre.  Er 
erwies  sich  mikroskopisch  als  Lymphosarkom. 

Diskussion:  Herr  Davidsohn:  Berichtet  über  die  Sektion 
eines  gleichen  Tumors;  jedoch  hatten  Lymphdrüsenmetastasen  be¬ 
standen,  bei  deren  Exstirpation  von  erster  Seite  Karzinom  diagnosti¬ 
ziert  worden  war  (Charitee),  während  es  sich  um  ein  Lymphosarkom 
handelte.  Die  Metastasen  zeigten  schliesslich  grosse  Ausdehnung  und 
drangen  ins  Knochenmark  vor.  Herr  Kraus  fragt  nach  der  Ur¬ 
sache  des  Todes,  die  bei  dem  kleinen  Tumor  nicht  ersichtlich  sei. 

Herr  Ewald  (Schlusswort):  Die  Todesurasche  sei  unbekannt. 
Der  Unterschied  gegenüber  dem  Davidsohn  sehen  Fall  liege  darin, 
dass  keinerlei  weitere  Veränderungen  auf  einen  Tumor  hinwiesen  und 
die  Diagnose  nur  durch  das  Röntgenverfahren  gestellt  werden  konnte. 

Tagesordnung: 

Herr  L  o  e  b  -  Göttingen  a.  G.:  Experimentaluntersuchungen  zur 
Stoffwechselgenese  der  Arteriosklerose. 

Der  Vortragende  macht  zu  seinen  Untersuchungen  zuerst  folgende 
Vorbemerkungen:  Das  Kaninchen  leidet  selten  an  spontan-arterio¬ 


sklerotischen  Erkrankungen.  Relativ  häufig  kommen  noch  Verände¬ 
rungen  in  der  Media  vor.  während  beim  Menschen  die  Haupt-  und 
ersten  Veränderungen  sich  in  der  Intima  abspielen;  auch  bei  anderen 
Haustieren  ist  Arteriosklerose  selten.  Nur  bei  Schafen  soll  sie  in 
Argentinien  epidemisch  Vorkommen.  . 

Man  hat  nun  neuerdings  vielfach  versucht,  Arteriosklerose  bei 
Tieren  experimentell  zu  erzeugen.  Bekannt  sind  die  Versuche 
j  o  s  u  e  s,  durch  Adrenalin  experimentelle  Arteriosklerose  zu  er¬ 
zeugen,  jedoch  ist  die  erzeugte  Veränderung  mit  der  menschlichen 
Arteriosklerose  mikroskopisch  nicht  identisch,  wie  dies  ja  schon 
a  priori  nicht  zu  erwarten  ist,  weil  die  Intima  des  Kaninchens  anders 
gebaut  ist.  Jedoch  lassen  sich  der  menschlichen  Arteriosklerose  sehr 
ähnliche  Veränderungen  beim  Kaninchen  durch  Alkohol  und  ver¬ 
änderte  Ernährung  mit  Fleisch  erzeugen.  Die  nahe  Verwandtschaft 
dieser  arteriosklerotischen  Prozesse  mit  denen  beim  Menschen  gehen 
auch  aus  der  Tatsache  hervor,  dass  die  gleichen  Einwirkungen  beim 
Kaninchen  Media-,  beim  Hunde  Intimaveränderungen  hervorbringen. 
Der  Vortr.  geht  nun  sehr  ausführlich  auf  die  bei  der  Anstellung  der 
Versuche  notwendigen  und  von  ihm  benutzten  Kontrollen  ein.  Um  In¬ 
fektionen  auszuschliessen,  wurden  die  Substanzen  nur  per  os  einver¬ 
leibt  und  immer  Parallelversuche  mit  Tieren  gleichen  Wurfes  ange¬ 
stellt.  Weiter  wurde  untersucht,  ob  bei  Hunden  Spontanarterio- 
sklerose  vorkommt.  Er  fand  dabei,  dass  bei  46  Hunden  im  Alter  von 
1 — 4  Jahren  nie  spontane  Arteriosklerose  vorhanden  war,  während 
sie  bei  Hunden  im  Alter  von  8 — 16  Jahren  oft  sich  fand.  Man  hat  in 
neuerer  Zeit  über  gelungene  Versuche  berichtet,  mit  Cholestearin 
experimentell  Arteriosklerose  zu  erzeugen.  Die  Richtigkeit  dieser 
Versuche  ist  neuerdings  angczweifelt  worden,  weil  zu  grosse  Dosen 
von  Cholestearin  verwendet  wurden  und  weil  die  Versuchsanordnung 
vor  dem  Auftreten  von  Gefässveränderungen  zirrhotische  Prozesse 
in  der  Leber  setzt.  Auch  Aschoff  schreibt  infolgedessen  dem 
Cholestearin  nur  eine  sekundäre  Bedeutung  beim  Zustandekommen 
der  Arterieosklerose  zu. 

Der  Vortr.  prüfte  dann  auf  Grund  einer  alten  Beobachtung  die 
Wirkung  der  aliphatischen  Aldehyde.  Bei  der  Verfütterung  dieser 
Stoffe  und  ihrer  Muttersubstanzen,  wie  z.  B.  der  Milchsäure,  wurden 
in  14  von  16  Fällen,  in  8—42  Tagen  beim  Kaninchen  arteriosklerotische 
Veränderungen  hervorgerufen.  Die  Versuchsanordnung  war  so,  dass 
z.  B.  0,5  g  milchsaures  Natrium  4  Wochen  lang  gefüttert  wurde, 
ferner  Brenztraubensäure  usw. 

Der  Autor  stellte  weiter  fest,  dass  die  Natriumsalze  der  Isobutter- 
säure  und  der  Isovaleriansäure  Arterienveränderungen  erzeugen,  aber 
nicht  die  Salze  der  Normalsäuren.  Essigsaures  Natrium  war  in  bezug 
auf  Erzeugung  der  Arteriosklerose  unwirksam,  freie  Essigsäure  kon¬ 
stant  wirksam,  Salzsäure  dagegen  wieder  unwirksam. 

Es  ergeben  sich  aus  den  Versuchen  gewisse  Schlussfolgerungen 
für  die  menschliche  Pathologie.  Die  Milchsäure  entsteht  bekanntlich 
bei  der  Muskelarbeit  und  bei  allen  möglichen  Vergiftungen,  so  dass 
ihr  auch  beim  Zustandekommen  der  menschlichen  Arteriosklerose 
eine  Rolle  zugeschrieben  werden  dürfte. 

Auf  Grund  einer  von  ihm  aufgestellten  Arbeitshypothese  ernährte 
er  Hunde  einweissarm  und  führte  dann  Milchsäure,  resp.  Kohlehydrate 
zu.  Bei  längerer  Durchführung  der  Versuche  erhielt  er  9  mal  posi¬ 
tive  Resultate  (experimentelle  Arteriosklerose).  Und  umgekehrt 
wirkte  bei  Kaninchen,  die  mit  milchsaurem  Natrium  behandelt  wurden, 
Zufuhr  von  20—30  g  Hühnereiweiss  oder  des  Ammoniumions  prophy¬ 
laktisch,  d.  h.  das  Zustandekommen  der  experimentellen  Arterio¬ 
sklerose  verhindernd. 

Der  Vortragende  fasst  die  Ergebnisse  seiner  Untersuchungen 
folgendermassen  zusammen: 

Es  ist  also  bei  zwei  Tierarten  nahezu  konstant  gelungen,  arterio¬ 
sklerotische  Veränderungen  zu  erzeugen,  die  beim  Hunde  der  mensch¬ 
lichen  Arteriosklerose  entsprechen.  Die  Milchsäure  ist  nur  ein  Proto¬ 
typ  einer  Reihe  von  wirksamen  Substanzen.  Vortr.  glaubt,  dass  die 
Milchsäure  für  das  Zustandekommen  der  menschlichen  Arteriosklerose 
ebenfalls  von  Wichtigkeit  ist. 

Diskussion:  Herr  Bendor  hebt  die  Bedeutung  der  Tat¬ 
sache  hervor,  dass  es  mit  so  einfachen  Mitteln  gelungen  sei,  eine  der 
menschlichen  Arteriosklerose  ähnliche  Erkrankung  zu  erzeugen,  wie 
die  aufgestellten  Präparate  ergeben,  die  tatsächlich  Intimaverände¬ 
rungen  aufweisen.  Gemeinsam  mit  G.  Klemperer  hat  er  eine 
Nachuntersuchung  im  Krankenhaus  Moabit  eingeleitet. 

Herr  David  sohn  weist  auf  die  Schwierigkeit  hin,  bei  Tieren, 
die  nicht  spontan  an  Arteriosklerose  erkranken,  solche  Veränderungen 
zu  erzeugen.  Bei  Vögeln,  speziell  Papageien,  sind  arteriosklerotische 
Veränderungen  häufig,  und  er  empfiehlt  diese  zur  Anstellung  solcher 
Versuche. 

Herr  R  o  t  h  m  a  n  fragt  an,  ob  an  den  Hirngefässen  arteriosklero¬ 
tische  Veränderungen  ebenfalls  vorhanden  waren  und  ob  Jod  die  ex¬ 
perimentelle  Arteriosklerose  verhinderte. 

Herr  Loeb  antwortet,  die  Gehirngefässe  seien  nicht  unter- 
I  sucht,  er  stelle  sie  aber  gern  zur  Verfügung  und  lässt  die  Frage  der 
l  Jodwirkung  offen. 

Herr  H  i  s  dankt  dem  Vortragenden  für  seine  ergebnisreichen 
Mitteilungen  und  hebt  die  Bedeutung  der  Befunde  hervor,  durch  wohl¬ 
charakterisierte  chemische  Stoffe  Arteriosklerose  zu  erzeugen. 

Wolff-Eisner. 


14.  Juli  1914 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1591 


Aus  ärztlichen  Standesvereinen. 

40.  Deutscher  Aerztetag 

in  München  am  26.  und  27.  Juni  1914. 

(Eigener  Bericht.) 

(Schluss.) 

II.  Sitzungstag,  27.  Juni,  Beginn  der  Sitzung  9'A  Uhr. 

1.  Antrag  des  Geschäftsausschusses: 

„Der  40.  Deutsche  Aerztetag  wolle  seinen  Geschäftsausschuss 
beauftragen,  durch  das  zuständige  Kriegsministerium  an  Aller¬ 
höchster  Stelle  vorstellig  zu  werden,  dass  die  Verordnungen  über 
die  Ehrengerichte  der  Sanitätsoffiziere  (für  das  Preussische  Heer 
d.  Ver.  v.  9.  IV,  01  und  deren  Neudruck  v.  15.  VII.  10  und  die 
entsprechenden  Verordnungen  für  Bayern,  Sachsen  und  Württem¬ 
berg)  dahin  abgeändert  werden,  dass  für  die  Sanitätsoffiziere  des 
Beurlaubtenstandes  besondere  Ehrengerichte  gebildet  werden,  wie 
solche  für  die  Offizierskorps  des  Beurlaubtcnstandes  und  die  Sa¬ 
nitätsoffiziere  der  Landwehrinspektion  Berlin  bereits  bestehen.“ 
\  o  g  e  1  -  Heppenheim:  Der  Antrag  ist  hervorgegangen  aus  dem 
Wunsche,  künftig  die  Stellung  der  Aerzte  des  Beurlaubtenstandes 
besser  zu  wahren,  um  ernste  Schädigungen  des  ärztlichen  Standes  und 
des  Heeres  zu  vermeiden.  In  kleineren  Kreisen  wurde  die  Ange¬ 
legenheit  schon  öfter  besprochen,  in  letzter  Zeit  gaben  bestimmte 
Vorgänge,  auf  die  wir  hier  nicht  näher  eingehen  wollen,  noch  be¬ 
sonderen  Anlass.  Zweck  und  Wesen  der  Ehrengerichte  sind  uns 
allen  bekannt.  Die  einschlägigen  militärischen  Bestimmungen  gehen 
aut  Wilhelm  I.  zurück,  sie  sind  dann  in  Preussen  und  entsprechend 
in  den  Bundesstaaten  noch  weiter  ergänzt  worden.  Für  die  aktiven 
Offiziere  bestehen  Ehrengerichte  bei  jedem  Regiment  und  selbstän¬ 
digen  I  ruppenteil,  für  die  Offiziere  des  Beurlaubtenstandes  ein  Ehren¬ 
gericht  bei  jedem  Bezirkskommando,  gebildet  aus  Offizieren  des  Be¬ 
urlaubtenstandes.  Für  die  aktiven  Sanitätsoffiziere  besteht  ein  Ehren¬ 
gericht  bei  jeder  Division,  und  diesem  unterstehen  auch  die  Sanitäts- 
oifizierc  des  Beurlaubtenstandes:  sie  besitzen  also  im  Gegensatz  zu 
den  Offizieren  des  Beurlaubtenstandes  kein  eigenes  Ehrengericht. 
Begründet  wird  dieses  Verhältnis  u.  a.  damit,  dass  die  Aerzte  des 
Beurlaubtenstandes  nicht  mehr  als  notwendig  ihren  Berufsarbeiten 
entzogen  werden  sollen,  dass  sie  unbedingtes  Vertrauen  in  die  Wah¬ 
rung  ihrer  Interessen  durch  die  aktiven  Kameraden  haben  können,  und 
dass  durch  die  gemeinsamen  Ehrengerichte  eine  immer  engere  Ver¬ 
bindung  der  aktiven  Sanitätsoffiziere  und  derjenigen  des  Beurlaubten¬ 
standes  erstrebt  werde.  Das  wäre  alles  recht,  wenn  die  Voraus¬ 
setzungen  so  glatt  wären.  Bei  Ehrensachen  schwerster  Art  kann 
allerdings  sicher  keine  verschiedene  Auffassung  bestehen.  Wenn  es 
heisst,  man  wolle  die  Aerzte  des  Beurlaubtenstandes  nicht  unnötig 
dem  Beruf  entziehen,  so  ist  zu  bemerken,  dass  wir  Aerzte  ja  an  sich 
schon  Ehrengerichte  haben  und  diese  von  den  Kollegen  reichlich  in 
Anspruch  genommen  werden;  an  erfahrenen  Aerzten  für  die  Ehren¬ 
gerichte  würde  es  auch  gewiss  nicht  fehlen.  Das  erwartete  Näher¬ 
treten  der  aktiven  und  beurlaubten  Militärärzte  ist  von  mässiger 
Bedeutung.  Die  aktiven  Militärärzte  haben  ganz  andere,  dienstliche 
Interessen,  so  dass  sich  beide  Kategorien  kaum  nähertreten,  nament¬ 
lich  nicht  in  grossen  Städten.  In  den  wirtschaftlichen  Kämpfen  haben 
die  aktiven  Herren  sich  teilweise  in  anerkennenswerter  Weise  auf 
unsere  Seite  gestellt,  manchmal  war  auch  das  Gegenteil  der  Fall, 
sicher  ist  in  letzter  Zeit  hierin  eine  Besserung  erfolgt.  Für  die 
aus  dem  Berufsleben  entstandenen  Streitfragen  haben  sich  unsere 
Standesgerichte  im  allgemeinen  bewährt;  da  haben  die  Aerzte  das 
Recht,  sich  diejenigen,  welche  das  richtige  Mass  von  Erfahrung  haben, 
selbst  zu  wählen.  Hier  ist  nun  ein  wichtiger  Punkt  für  die  Aerzte 
des  Beurlaubtenstandes  zu  bedenken:  Sie  unterstehen  dem  Ehrenrat 
uer  aktiven  Militärärzte;  wenn  dieser  zu  keinem  Ausgleich  gelangt, 
geht  die  Sache  an  das  Ehrengericht.  Viele  Streitigkeiten  entspringen 
dem  Berufsleben  und  z.  T.  den  wirtschaftlichen  Verhältnissen;  diese 
können  den  aktiven  Sanitätsoffizieren  nicht  geläufig  sein  und  die 
Sanitätsoffiziere  der  Reserve  haben  keinen  Einfluss  auf  die  Wahl 
der  Ehrengerichte.  Die  Sanitätsoffiziere  des  Beurlaubtenstandes  sind 
nieist  erheblich  ältere  Leute  als  die  in  den  Ehrengerichten  über  sie 
urteilenden  Herren  des  aktiven  Dienstes.  Das  ist  für  dieselben  kein 
erwünschter  Zustand.  Zudem  besteht  gerade  bei  den  Ehrengerichten 
d(jr  aktiven.  Offiziere  und  Sanitätsoffiziere  ein  grosser  Formalismus. 
vVeiter  ist  ein  Nachteil  die  Grösse  des  Divisionsbezirkes,  noch  schwie¬ 
riger  ist  die  Sache  für  die  Marineärzte  des  Beurlaubtenstandes,  für 
welche  überhaupt  nur  die  beiden  Ehrengerichte  in  Kiel  und  Wilhelms¬ 
haven  in  Betracht  kommen.  Wenn  auf  die  Vorschrift  verwiesen 
wird,  dass  jeweils  erst  die  Zivilehrengerichte  zu  hören  sind,  so  be¬ 
stehen  hier  erhebliche  Lücken,  indem  in  verschiedenen  Bundesstaaten 
staatliche  Ehrengerichte  für  die  Aerzte  fehlen  und  die  Amtsärzte  an 
sich  diesen  nicht  unterstehen.  Eine  andere  Bestimmung  sagt,  dass  in 
7?.?.  Ehrengericht  für  Militärärzte  des  Beurlaubtenstandes  auch  ein 
Militärarzt  des  Beurlaubtenstandes  zuzuziehen  ist,  das  gilt  aber  nur 
Jür  die  Spruchsitzung,  nicht  für  den  Ehrenrat  und  die  Vorverhand- 
ungen.  Das  wesentliche  ist  aber  gerade  der  Ehrenrat,  der  die  Mög¬ 
lichkeit  hat,  manchen  schweren  Folgen,  die  aus  kleinen  Sachen  ent- 
'telien,  vorzubeugen.  Schliesslich  kommt  noch  dazu,  dass  die  Sa¬ 
nitätsoffiziere  des  Beurlaubtenstandes  sehr  wenig  unterrichtet  werden 
über  den  Dienstgang  und  alle  anderen  militärische  Dinge,  und  daher 
-mpfinden  es  namentlich  ältere  Aerzte  peinlich,  wegen  einer  Kleinig¬ 


keit  vor  das  militärische  Ehrengericht  mit  allen  seinen  Formalitäten 
zu  kommen.  Die  Folge  ist,  dass  viele  ihren  Abschied  nehmen,  sobald 
es  geht,  und  dass  gerade  hierdurch  dem  Heere  viele  Sanitätsoffiziere 
entzogen  werden.  Aus  allen  diesen  Gründen  ergibt  sich  ohne  weiteres 
dass  eine  Verbesserung  nur  in  der  Errichtung  eines  eigenen  Ehren- 
rates  und  Ehrengerichtes  für  die  Sanitätsoffiziere  des  Beurlaubtcn¬ 
standes  bei  jeder  Division  bestehen  kann.  Für  die  Errichtung  eines 
•.-?ngr?ri?htes  bei  iedem  Bezirkskommando  wäre  die  Zahl  der  Sa¬ 
nitätsoffiziere  zu  klein.  Bei  der  Landwehrinspektion  in  Berlin  ist 
dies  schon  durchgeführt.  Nähere  Vorschläge  wollen  wir  nicht  machen. 
,.IC  pu  tlg  v\dre  cs>  von  einem  Mangel  an  erfahrenen  Aerzten  für 
oies.^..7' ”r^.nKerichte  zu  sprechen,  es  wird  sich  überall  ein  geeigneter 
Sanitätsoffizier  z.  D.  oder  a.  D.  (diese  gehören  ja  auch  zum  Be¬ 
urlaubtenstand  im  weiteren  Sinne)  finden  lassen.  Jedenfalls  sind 
unsere  Vorschläge  ein  Mittel,  um  den  vorzeitigen  Abgang  der  Sa¬ 
nitätsoffiziere  aus  der  Armee  zu  vermeiden. 

Der  Vorsitzende  dankt  dem  Berichterstatter  für  seine  Aus¬ 
führungen. 

D  B  art  en  st  e  in- Freiburg  i.  B.:  Bei  allen  Sanitätsoffizieren  des 
Beurlaubtenstandes  werden  die  Vorschläge  mit  Genugtuung  aufge¬ 
nommen  werden.  Es  fehlt  aber  die  wichtigste  Grundlage  für  die 
Verbesserung:  Während  die  Reserveoffiziere  durch  die  Reserve- 
offiziere  gewählt  werden,  geschieht  die  Wahl  zum  Reservesanitäts- 
ofnzier  durch  die  aktiven  Sanitätsoffiziere.  Daher  müsste  es  vor 
allem  durchgesetzt  werden,  dass  auch  die  Sanitätsoffiziere  des  Be- 
urlaubtenstandes  durch  ihre  Kollegen  des  Beurlaubtenstandes  gewählt 
werden. 

B  a  r  t  e  1  s  -  Hameln:  An  der  vorliegenden  Frage  haben  alle 
Aerzte  ein  Interesse,  denn  es  handelt  sich  um  die  Stellung  der 
Militärärzte  überhaupt.  Hier  ist  zwar  manches  gebessert  worden, 
aber  immer  noch  wird  ein  gewisser  Druck  auf  die  Militärärzte  ausge- 
L  iü  DuS  wiehtigste  ist,  dass  wir  die  eigene  Wahl  erreichen  und  des¬ 
halb  soll  der  Antrag  in  dieser  Richtung  erweitert  werden.  Ausser¬ 
dem  empfiehlt  sich  die  Errichtung  der  Ehrengerichte  bei  den  Bezirks¬ 
kommandos,  nicht  bei  den  Divisionen. 

D  a  v  i  d  s  o  h  n  -  Berlin:  Ich  kann  den  Antrag  nicht  ohne  Ein¬ 
wand  lassen,  da  ich  selbst  seit  Bestehen  der  Ehrengerichte  in 
I  reussen  Mitglied  eines  solchen  und  erst  seit  kurzem  aus  dem 
Militärverhältnis  ausgeschieden  bin.  Wir  haben  jetzt  in  Preussen 
4  Ehrengerichte:  1.  Das  bei  der  Aerztekammer,  2.  das  für  Amtsärzte, 
3.  das  für  Dozenten  und  4.  das  für  die  Sanitätsoffiziere.  Es  wird 
immerhin  schwer  sein,  für  die  Ehrengerichte  der  Sanitätsoffiziere  des 
Beurlaubtenstandes  die  geeigneten  Herren  zu  finden,  wenn  man  be¬ 
denkt,  welche  Konflikte  in  diesen  Stellungen  möglich  sind.  (Redner 
erinnert  u.  a.  daran,  dass  der  II.  Vorsitzende  des  Reichsverbandes 
zu  den  führenden  Sanitätsoffizieren  der  Beurlaubtenstandes  zählt.) 
Wichtig  ist  die  Bestimmung,  dass  wenn  eine  Anzeige  vorliegt,  zu¬ 
nächst  das  Ehrengericht  der  Aerztekammer  sein  Urteil  abgibt.  Der 
Vergleich  mit  den  Ehrengerichten  der  Offiziere  des  Beurlaubten¬ 
standes  ist  nicht  zutreffend,  da  unter  letzteren  eben  Angehörige  aller 
Berufe  vertreten  sind.  Würde  künftig  nicht  mehr  zuerst  das  Ehren¬ 
gericht  der  Aerztekammer  befragt  werden,  so  würden  wir  eines 
wichtigen  Schutzes  verlustig  gehen.  Die  Sanitätsoffiziere  haben  sich 
im  Kampfe  mit  den  Krankenkassen  vorzüglich  bewährt  und  sich  keine 
Streikbrecher  unter  ihnen  gefunden.  (Zurufe.)  Ganz  vereinzelte 
Fälle  können  dieses  Urteil  nicht  ändern.  Wir  haben  aber  auch  keine 
Gewähr  dafür,  dass  nicht  Sanitätsoffiziere  des  Beurlaubtenstandes  in 
den  Ehrengerichten  eine  übergrosse  Schneidigkeit  zeigen;  denn  gerade 
hier  begegnen  wir  oft  einer  schlecht  angebrachten  Schneidigkeit. 
Sorgen  Sie  vor  allem  dafür,  dass  wir  in  allen  Staaten  ärztliche  Ehren¬ 
gerichte  bekommen,  welchen  die  Sachen  zur  vorherigen  Entscheidung 
vorgelegt  werden. 

G  u  t  s  c  h  -  Karlsruhe  stimmt  den  Anträgen  des  Referenten  zu; 
denn  tatsächlich  scheidet  eine  Reihe  von  Sanitätsoffizieren  des  Be- 
urlaubtenstandes  deshalb  aus,  weil  sie  den  Ehrengerichten  der  aktiven 
Sanitätsoffiziere  mit  einem  Gefühl  der  Unbefriedigung  und  Unter¬ 
sicherheit  gegenüberstehen.  Wenn  wir  nicht  die  Wahl  durch  die 
Sanitätsoffiziere  des  Beurlaubtenstandes  erreichen,  empfiehlt  es  sich 
vielleicht,  die  Wahl  durch  die  aktiven  und  beurlaubten  Sanitätsoffiziere 
gemeinsam  vornehmen  zu  lassen,  also  wenigstens  nicht  mehr  allein 
durch  die  aktiven  Sanitätsoffiziere. 

v.  Wild-Kassel:  Gegenwärtig  scheiden  tatsächlich  viele  Aerzte 
des  Beurlaubtenstandes,  und  nicht  gerade  die  schlechtesten,  möglichst 
bald  aus  dem  Militärverhältnis  aus  wegen  der  schiefen  gesellschaft¬ 
lichen  Stellung;  darunter  sind  manche,  die  sich  im  Standesleben 
unter  den  Aerzten  eine  gewisse  Stellung  gemacht  haben.  Vielfach 
mögen  auch  Bedenken  bestehen,  die  Entscheidung  in  Berufsstreitig¬ 
keiten  in  die  Hände  des  militärischen  Ehrengerichtes  zu  legen.  Wenn 
wir  die  Sicherheit  haben,  dass  in  erster  Linie  unsere  ärztlichen 
Ehrengerichte  gehört  werden,  so  ist  das  von  grosser  Bedeutung.  Das 
Wichtigste  wäre  die  Wahl  zum  Sanitätsoffizier  durch  die  Sanitäts¬ 
offiziere  des  Beurlaubtenstandes  als  ein  Zeichen,  dass  unsere  Kom¬ 
petenzen  eine  Erweiterung  erfahren;  denn  bei  den  Offizieren  besteht 
noch  allzu  sehr  die  Neigung,  alles  das  hervorzukehren,  was  sie  vor 
den  Aerzten  voraushaben.  Im  allgemeinen  scheint  die  ganze  Frage 
doch  nicht  allzu  eilig  und  noch  nicht  spruchreif  zu  sein. 

W  e  i  s  s  -  Düsseldorf  macht  u.  a.  eine  Bemerkung  über  die  „Not¬ 
helfer“.  Früher  fand  die  Militärbehörde  nichts  besonderes  dahinter; 
das  hat  sich  erfreulich  geändert  und  es  ist  ein  höherer  Militärarzt, 
der  berufen  war,  im  Ehrengericht  ev.  über  Aerzte  des  Beurlaubten- 


1592 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  28. 


Standes  zu  urteilen,  später,  als  er  eine  Nothelferstelle  annahm,  mit 
schlichtem  Abschied  entlassen  worden. 

Haker-  Berlin  beantragt  den  Uebergang  zur  Tagesordnung. 
Da  der  Berichterstatter  darauf  verzichtet  hat,  Beispiele  vorzubringen, 
fehlt  es  dem  Antrag  an  der  notwendigen  Begründung.  Es  ist  über¬ 
haupt  ein  Fehler,  diese  einzelne  Frage  aus  dem  grossen  Kapitel  der 
Stellung  des  Arztes  des  Beurlaubtenstandes  herauszunehmen.  Da  die 
Meinungen  so  wenig  geklärt  sind,  sollte  der  Geschäftsausschuss  auf 
einem  kommenden  Aerztetag  das  ganze  Thema  zusammenfassend  be¬ 
handeln  lassen. 

Ein  Antrag  auf  Schluss  der  Debatte  wird  ange- 
n  omme  n. 

Vogel-  Heppenheim  widerspricht  dem  Antrag  Haker.  Wenn 
Davidsohn  auf  die  vorherige  Einvernahme  des  ärztlichen  Ehren¬ 
gerichtes  hinweist,  mit  der  man  bisher  gut  ausgekommen  sei,  so 
scheiden  hierbei  die  beamteten  Aerzte  aus.  Erst  kürzlich  spielte 
der  Fall  eines  Amtsarztes,  der,  trotzdem  das  Disziplinargericht  ein 
Einschreiten  abgelehnt  hatte,  vor  das  militärische  Ehrengericht  ge¬ 
bracht  wurde.  Auch  bei  einem  Dozenten  kam  es  vor,  dass  der  Spruch 
der  Fakultät  nichts  nützte,  und  gerade  die  Dozenten  sollten  der  Armee 
möglichst  lange  erhalten  werden.  Mit  einer  verkehrten  Schneidigkeit 
der  Ehrenrichter  muss  man  immer  rechnen;  die  Hauptsache  ist  immer 
der  Ehrenrat,  nicht  das  Ehrengericht.  Eine  geringere  Einschätzung 
der  Sanitätsoffiziere  des  Beurlaubtenstandes  bezüglich  ihrer  Eignung 
zum  Ehrenrichter  ist  nicht  am  Platze.  Das  Wichtigste  ist  die  Er¬ 
fahrung  in  kollegialen  Dingen  und  es  wird  von  aktiven  Oberstabs¬ 
und  Generalärzten  selbst  zugegeben,  dass  sie  in  Verlegenheit  kommen, 
wenn  sie  über  diese  Dinge  urteilen  sollen,  die  sie  nicht  verstehen. 
Gegen  die  Hereinziehung  der  Wahl  in  unsere  Beschlüsse  möchte  ich 
mich  aus  taktischen  Gründen  aussprechen;  ich  glaube,  dass  diese 
Sache  später  von  selbst  sich  regeln  wird. 

Die  Abstimmung  ergibt  die  Ablehnung  des  Antrages 
Haker  und  die  Annahme  des  Antrages  des  Geschäfts¬ 
ausschusses  mit  den  Abänderungen  von  Bartels; 

„Der  40.  Deutsche  Aerztetag  wolle  seinen  Geschäftsausschuss  be¬ 
auftragen,  .  .  .  vorstellig  zu  werden,  dass  die  Wahl  zum  Sanitätsoffizier 
des  Beurlaubtenstandes  in  Zukunft  nicht  mehr  allein  durch  die  aktiven 
Sanitätsoffiziere  der  betreffenden  Division,  sondern  auch  durch  die 
Sanitätsoffiziere  des  Beurlaubtenstandes  vollzogen  werden,  und  dass 
die  Verordnungen  über  die  Ehrengerichte  der  Sanitätsoffiziere  (....) 
dahin  abgeändert  werden,  dass  für  die  Sanitätsoffiziere  des  Be¬ 
urlaubtenstandes  besondere  Ehrengerichte  bei  den  einzelnen  Be¬ 
zirkskommandos  gebildet  werden,  wie  solche  für  die  Offizierskorps 
des  Beurlaubtenstandes  und  die  Sanitätsoffiziere  der  Landwehrinspek¬ 
tion  Berlin  bereits  bestehen.“ 

II.  Die  Wahl  des  Geschäftsausschusses  hatte  folgen¬ 
des  Ergebnis: 

Es  erhielten  Stimmen  (nach  dem  Aerztlichen  Vereinsblatt):  Hart- 
m  ann-  Leipzig  22  991,  Winkelmann  -  Barmen  22  554,  D  i  p  p  e  - 
Leipzig  22  463,  Mugdan-  Berlin  21  980,  Pfeiffer-  Weimar  21  868, 
Vogel-  Heppenheim  20  799,  Franz-  Schleiz  20  775,  Sardemann- 
Marburg  20  059,  Dörfler-  Weissenburg  19  996,  R  e  h  in  -  München 
18  688,  Werner-  Quittainen  8957,  Munter-  Berlin  8687. 

Diese  12  Herren  sind  daher  in  den  Geschäftsausschuss  g  e  - 
wählt. 

Weiter  haben  Stimmen  erhalten:  B  o  n  g  a  r  t  z  -  Karlsruhe  7944, 
B  o  k  -  Stuttgart  7567,  Dyhrenfurth  -  Breslau  7563,  Bessel- 
m  a  n  n  -  München-Gladbach  5964,  B  r  u  n  k  -  Bromberg  4214,  Hans- 
b  e  r  g  -  Dortmund  3267,  Schustehrus  -  Danzig  2700,  Richter- 
Zeitz  2283,  Fürbringer  -  Braunschweig  2242,  H  e  n  o  p  -  Altona 
1733,  O  p  p  e  n  h  e  i  m  e  r  -  Strassburg  1214,  K  o  p  p  e  n  -  Aachen  912. 
(Nach  dem  Aerztetag  wurden  in  den  Geschäftsausschuss  kooptiert, 
wie  bisher:  Bok,  Brunk,  Fürbringer,  Hansberg,  Henop 
und  Richter,  neu :  Bongart z,  Dyhrenfurth  und  Schu¬ 
stehrus.) 

Dem  wegen  beruflicher  Ueberlastung  ausgeschiedenen  Mitglied 
des  Geschäftsausschusses,  Geheimrat  Prof.  P  a  r  t  s  c  h  -  Breslau  wurde 
von  dem  Vorsitzenden  der  Dank  und  die  Anerkennung  für  seine  lang¬ 
jährige  Tätigkeit  ausgesprochen. 

Auf  dem  Aerztetage  sind  vertreten  341  Vereine 
durch  398  Delegierte  mit  25 862  Stimmen. 

III.  Die  Hebammenfrage. 

Der  Berichterstatter  R  i  s  s  m  a  n  n  -  Osnabrück  hat  folgende 
Leitsätze  aufgestellt: 

1.  Es  ist  für  Deutschland  auch  heute  noch  zweckmässig,  an  der 
bisherigen  Ausdehnung  der  Berufstätigkeit  der  Hebammen¬ 
schwestern  festzuhalten  und  nicht  etwa  Geburtshelferinnen 
auszubilden. 

2.  Unser  nächstes  Streben  muss  dahin  gehen,  baldigst  für  die 
Hebammenschwestern  in  jeder  Beziehung  das  zu  erreichen,  was 
Kranken-  oder  Säuglingsschwestern  heutzutage  schon  gewährt 
wird  (Vorbildung,  Ausbildung,  Einkommen,  Ruhegehalt  usw.). 

3.  Die  Hebammenschulen  stehen  am  besten  unter  staatlicher  Ver¬ 
waltung  und  bedürfen  eines  in  jeder  Beziehung  reichlichen  Ma¬ 
terials.  So  muss  mit  der  Hebammenschule  eine  Poliklinik 
(Mütter-  und  Säuglingsberatungsstelle)  und  eine  geburtshilf¬ 
liche  Poliklinik  verbunden  sein  und  ihr  ein  Mütterheim  ange¬ 
gliedert  sein.  Auf  die  Heranbildung  eines  tüchtigen  Hebammen¬ 


lehrerstandes  muss  viel  mehr  Gewicht  als  bisher  gelegt 
werden. 

4.  Wir  bedürfen  dringend  eines  deutschen  Reichsgesetzes  für  Heb¬ 
ammen  wie  einer  Mutterschaftsversicherung  in  Deutschland. 

5.  Die  Aerzte,  welche  Geburtshilfe  treiben,  müssen  das  Heb¬ 
ammenlehrbuch  kennen  und  zu  jeder  Geburt  und  Fehlgeburt 
eine  Hebammenschwester  zuziehen. 

6.  Es  muss  für  die  Praxis  —  in  ähnlicher  Weise  wie  in  Baden  oder 
Mecklenburg  —  ein  engerer  Zusammenhang  zwischen  Heb¬ 
ammenlehrer  und  praktischen  Aerzten  einerseits  und  den  Heb¬ 
ammenschwestern  andererseits  geschaffen  werden.  Die  Kreis- 
(Amts-)ärzte  können  allein  die  Kontrolle  der  Hebammen  in  der 
Praxis  nicht  ausführen. 

Der  Berichterstatter  führt  zu  deren  Begründung  etwa  fol¬ 
gendes  aus:  Im  allgemeinen  empfiehlt  es  sich  nicht,  die  im  Ausland,  wie 
Norwegen,  England,  Amerika,  bestehenden  Verhältnisse  nachzuahmen. 
Es  werden  am  besten  keine  vollen  „Geburtshelferinnen“  geschaffen, 
sondern  wir  wollen  wie  bisher  Hebammen  haben,  welche  selbständige 
Hilfe  nur  bei  normalen  Geburten  und  gewissen  Notfällen  leisten,  im  üb¬ 
rigen  aber  verständige  und  wohlausgebildete  Helferinnen  der  Aerzte 
sein  sollen.  Es  ergeben  sich  viele  Berührungspunkte  der  Hebammen 
mit  den  sog.  Säuglingsschwestern,  welche  letztere  geneigt  sind,  sich  über 
die  Hebammen  zu  erheben.  Deshalb  empfiehlt  sich  für  diese  ein  gleich¬ 
artiger  Titel:  die  „Hebammenschwester“.  Es  müssen  aber  auch  sonst 
möglichst  gleiche  Verhältnisse  geschaffen  werden.  Die  Ueberhebung 
der  Säuglingsschwester  ist  sachlich  keineswegs  berechtigt;  denn  die 
Hebammen  haben,  während  jene  nur  unter  Aufsicht  arbeiten,  in  vielen 
Fällen  die  Behandlung  allein  durchzuführen.  Hier  spielt  aber  die  Be¬ 
teiligung  des  Adels  an  dem  Schwesternwesen  mit,  andererseits  das 
noch  verbreitete  sittliche  Vorurteil  gegen  alle  Geburtsvorgänge. 

So  erklärt  sich  auch  auf  Seiten  der  jüngeren  Hebammen  die  Nei¬ 
gung,  zu  den  Säuglingsschwestern  überzugehen,  was  wiederum  für 
den  Hebammenberuf  eine  Verschlechterung  mit  sich  bringt  Als  Vor¬ 
bildung  für  die  Hebammen  wäre  die  Mittelschulbildung  zu  fordern; 
vorläufig  aber  wird  man  sich  noch  mit  einer  guten  Volksschulbildinig 
begnügen  müssen;  bei  den  Schwestern  wird  die  höhere  Töchterschul¬ 
bildung  verlangt.  Diese  Schulbefähigung  zu  prüfen  dürfte  aber  kaum 
Sache  des  Kreisarztes  sein.  Wenn  man  auf  dem  Standpunkt  jenes 
Juristen  steht,  der  von  der  höheren  Schulbildung  der  Hebammen 
nichts  wissen  will,  weil  sie  dann  auch  Anspruch  auf  höhere  Ent¬ 
lohnung  hätten,  dann  kommt  man  freilich  nicht  vorwärts.  Bei  den 
Schwestern  ist  jetzt  die  Ausbildung  eine  längere  und  bessere;  in 
Preussen  ist  eine  einjährige  Ausbildung  vorgeschrieben,  für  Röntgen¬ 
schwestern  werden  2,  für  die  Fürsorgeschwestern  3  Jahre  gefordert. 
Das  Volkswohl  und  die  Gerechtigkeit  verlangen  für  die  Hebammen 
die  gleiche  Vorbildung  und  Ausbildung,  aber  auch  gleiche  Gehalts¬ 
und  Pensionsverhältnisse.  Geradezu  traurig  ist  der  Vergleich  der  Ein¬ 
kommensverhältnisse.  In  Charlottenburg  erhält  eine  Fürsorge¬ 
schwester  1600  M.  Anfangsgehalt,  wobei  auch  für  ihre  Vertretung  ge¬ 
sorgt  wird,  in  Nürnberg  erhält  sie  1300 — 2000  M.  und  hat  feste  Be¬ 
amtenstellung.  Bei  den  Hebammen  dagegen  sind  viele  Jahresein¬ 
künfte  minimal;  bisweilen  treffen  auf  eine  Hebamme  auch  nicht  mehr 
als  7—8  Geburten  im  Jahr.  Seit  langem  ist  da  keine  Besserung  er¬ 
reicht  worden.  In  Preussen  ist  zwar,  nachdem  der  Entwurf  eines 
Hebammengesetz  auf  Verlangen  der  Konservativen  zurückgezogen 
wurde,  ein  Erlass  des  Ministeriums  erfolgt,  worin  den  Gemeinden 
nahegelegt  wird,  den  Hebammen  ein  Mindesteinkommen  zu  garan¬ 
tieren.  Von  seiten  der  Gemeinden  geschieht  das  aber  eben  nicht. 
Ohne  Gesetz  ist  nichts  zu  machen.  Wir  verlangen  nicht  sofort  feste 
Anstellung  der  Hebammen,  aber  doch  ein  Mindesteinkommen  und  die 
Bezahlung  nach  einer  Gebührenordnung. 

Bezüglich  der  Hebammenschulen  herrschen  noch  vielfach  un¬ 
klare  Zustände  durch  die  Zweiteilung  in  private  und  staatliche  An¬ 
stalten,  weiter  sind  die  Prüfungsverhältnisse,  die  staatliche  Kontrolle 
und  anderes  noch  sehr  der  Regelung  bedürftig.  Notwendig  sind 
grössere  Zuschüsse,  um  das  nötige  Unterrichtsmaterial  zu  schaffen, 
notwendig  ist,  das  fühle  ich  mich  trotz  der  bei  den  Aerzten  bestehen¬ 
den  Bedenken  verpflichtet  auszusprechen,  auch  die  Angliederung 
einer  Poliklinik.  Wenn  die  Poliklinik  richtig  geführt  und  nur  nach¬ 
weislich  Armen  (Ausschluss  der  Kassenmitglieder)  zugänglich  ge¬ 
macht  wird,  ist  sie  für  die  praktischen  Aerzte  viel  weniger  bedenk¬ 
lich,  als  manche  von  den  Damen  der  Gesellschaft  protegierte  Säug¬ 
lingsfürsorgestelle.  Um  aber  ja  keinen  Anstoss  zu  erregen,  empfiehlt 
es  sich  wohl,  diese  Frage  durch  Vereinbarungen  mit  dem  Geschäfts¬ 
ausschuss  des  Aerztevereinsbundes  zu  regeln.  Damit  die  Hebammen 
das  Säuglingswesen  kennen  lernen,  empfiehlt  sich  auch  im  hohen 
Grade  die  Angliederung  von  Mütterheimen,  die  ja  auch  für  die 
Mütter  und  Kinder  ungemein  segensreich  sind.  In  dieser  Richtung 
sind  uns  andere  Staaten,  wie  Ungarn,  weit  voraus. 

ln  längeren  Ausführungen  behandelt  Redner  auch  die  Frage  der 
Hebammenlehrer.  Hier  besteht  ein  grosser  Missstand  in  dem  man¬ 
gelnden  Nachwuchs,  der  dadurch  hervorgerufen  wird,  dass  dieser 
Beruf  keine  Zukunft  bietet.  Unzulänglich  ist  im  allgemeinen  der 
Unterricht  durch  praktische  Aerzte  und  durch  junge  Assistenten,  die 
selbst  noch  viel  zu  lernen  haben.  Für  die  Hebammenschulen  ist  eine 
selbständige  Stellung,  also  event.  die  Loslösung  von  den  Universitäts¬ 
kliniken  das  zweckmässigste.  Die  Vereinigung  der  Hebammenschule 
mit  einer  Frauenklinik  ist  nur  dann  möglich,  wenn  ein  sehr  grosses 
Material  vorhanden  ist,  das  für  die  Studenten  und  Hebammenschüler- 


14.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDI ZINISCHE  W O CH ENSC H R I FT. 


1593 


innen  ausreicht.  In  diesem  Falle  soll  eine  eigene  selbständige  Ab- 
tcilung  für  die  Hebammenschule  geschaffen  und  mit  reichem  eigenen 
Material,  I  crsonal  und  eigenen  Lehrmitteln  ausgestattet  werden.  Der 
gesamte  theoretische  und  praktische  Unterricht  muss  einem  Lehrer 
übertragen  werden,  der  der  Hebammenschule  vorstcht  und  dem  das 
Personal  untersteht. 

Schwierigkeiten  bereitet  auch  der  Umstand,  dass  die  Hebammen¬ 
approbation  nur  je  für  den  betr.  Bundesstaat  gilt,  also  die  Freizügig¬ 
keit  im  Reiche  fehlt.  Auch  bestehen  die  grössten  Verschiedenheiten 
bezüglich  der  Ausbildungsdauer  (15  Wochen,  6  Monate,  8  Monate); 
für  Hebammenschwestern  wäre  1  Jahr  notwendig.  Weiter  existiert 
e|r,e_  Krosse  Zahl  von  verschiedenen  Polizeiverordnungen,  wovon 
ein  Teil  gesetzlich  sogar  ungültig  ist.  Aus  allen  diesen  Gründen  be¬ 
dürfen  wir  ein  Reichshebammengesetz.  Von  dem  grössten  Wert  wäre 
die  Einführung  der  Mutterschaftsversicherung.  Infolge  des  Lohnaus- 
fallcs  der  mit  einer  Geburt  verbunden  ist  (ca.  45  M.)  fehlt  es  in  der 
Familie  oft  am  Notwendigsten,  damit  leidet  die  ganze  Tätigkeit  der 
Hebamme  und  ihre  Bezahlung. 

Wichtig  ist  ein  näherer  Zusammenhang  der  Hebammen  mit  den 
Aerzten.  Diese  sollten  mit  den  Verhältnissen  der  Hebammen  und 
den  in  dem  Hebammenlehrbuch  enthaltenen  Dienstvorschriften  viel 
besser  vertraut  sein,  event.  während  des  praktischen  Jahres  eine 
diesbezügliche  Ausbildung  erfahren.  Oft  haben  die  Hebammen  aus 
dieser  Unkenntnis  der  Aerzte  (Anzeigepflicht)  schweren  Nachteil. 
Das  Zusammenarbeiten  würde  ein  viel  besseres  werden. 

Schliesslich  wäre  auch  an  den  Nachprüfungen  manches  zu 
bessern,  namentlich  was  das  Zusammenarbeiten  der  Hebammenlehrer, 
Kreisärzte  und  praktischen  Aerzte  betrifft.  Sehr  gut  geordnet  sind 
die  V  erhältnisse  in  Baden,  wo  die  praktischen  Aerzte  des  Bezirks  unter 
Gewährung  von  Reise-  und  Tagegeldern  zu  den  Nachprüfungen  ein¬ 
geladen  werden  und  so  ein  nützlicher  Meinungsaustausch  über  Er¬ 
fahrungen  und  Beschwerden  herbeigeführt  wird. 

Sehr  zweckmässig  zur  Regelung  aller  Fragen  würde  es  er¬ 
scheinen,  wenn  eine  Vertretung  des  Deutschen  Aerztevereinsbundes 
n-  i  Vereinigung  zur  Förderung  des  Hebammenwesens  geschaffen 
w  urde.  Endlich  müssen  einmal  tatsächliche  Fortschritte  erreicht  werden. 
..Der  Mütter  Not  ist  der  Kinder  Verderben“,  daher  müssen  beide  ge¬ 
schützt  werden,  und  ein  Teil  der  Besserung  der  Sterblichkeit  von  Mut¬ 
ter  und  Kind  wird  auch  durch  die  Besserung  des  Hebammenwesens 
erreicht  werden.  (Beifall.) 

Der  V  orsitzende  dankt  dem  Redner  für  seine  sehr  be¬ 
lehrenden  Ausführungen. 

Dyhrenfurth  -  Breslau  äussert  Bedenken  gegen  die  „Muss“- 
form  in  dem  5.  Leitsatz.  Die  Zuziehung  einer  Hebamme  zu  jeder 
Geburt  und  Fehlgeburt  ist  zwar  wünschenswert,  aber  in  der  Praxis, 
zumal  auf  dem  Lande,  und  speziell  bei  Fehlgeburten  nicht  durch¬ 
führbar. 


Eranz-Schleiz:  Ich  habe  seit  langem  besonderes  Interesse  für 
die  hebannnenfrage  und  von  Grund  aus  ati  ihrer  Besserung  gearbeitet. 
Gegenwärtig  befindet  sich  tatsächlich  ein  Reichsgesetz  in  Vorberei¬ 
tung  und  da  fragt  es  sich,  was  hineinkommen  soll.  Es  ist,  wie  etwa 
in  den  vorgelegten  Thesen,  eine  gründliche  Aenderung  der  Vorbildung 
Fortbildung  usw.  geplant,  aber  alles  ist  umsonst,  wenn  nicht  die 
soziale  Stellung  der  Hebammen  aufgebessert  wird.  Eine  Frau,  die 
zugleich  laglöhnerarbeit  verrichten  muss,  kann  nicht  ihre  Hände  so 
halten,  wie  es  für  die  Hebamme  notwendig  ist.  Ich  habe  in  meinem 
Bezirk  die  Taxen  aufgebessert  nach  grossem  Widerstand  der  Heb¬ 
ammen  selbst,  w'eil  sie  sich  nicht  getrauten,  mehr  zu  verlangen  Ich 
habe  auch  durchgesetzt,  dass  sie  zur  Geburt  in  einem  weissen  Ge- 
wand  erscheinen,  was  gleich  einen  andern  Eindruck  macht.  Wenn 
eine  Hebamme,  oft  nur  wegen  irgend  einer  kleinen  Infektion,  aus- 
gesperrt  wird,  muss  sie  schadlos  gehalten  werden  und  ich  habe  da 
uir  sie  ein  Taggeld  von  3  M.  erreicht.  Ebenso  habe  ich  für  eine 
Kranken-  und  Altersversorgung  gesorgt.  Diese  Dinge  sollen  jetzt 
auch  von  Reichswegen  durchgeführt  werden.  In  der  5.  These  bin 
auch  ich  gegen  das  „Muss“,  halte  es  aber  wirklich  auch  nicht  für 
recht  und  anständig,  wenn  da  und  dort  die  Aerzte  selbst  20  Stunden  bei 
uei  I  rau  auf  die  Geburt  warten.  Für  die  Krankenschwestern  und  Für¬ 
sorgepersonen  geschieht  viel,  für  die  Hebammen  ist  nie  etwas  zu 
haben.  Die  Beziehungen  der  praktischen  Geburtshelfer  und  Amts¬ 
ärzte  zu  den  Hebammen  sind  sehr  wichtig,  ich  lade  die  praktischen 
•  erzte  zu  den  Nachprüfungen  ein.  Von  diesen  Besprechungen  haben 
alle  Beteiligten  grossen  Nutzen.  (Beifall.) 

Hirschberg-Lauenburg  (Pommern)  empfiehlt  bei  dem 
widerstand  der  Grossgrundbesitzer  und  Konservativen  ein  ener¬ 
gisches  Vorgehen.  Im  5.  Leitsatz  soll  wegbleiben:  „und  Fehlgeburt“ 

Be  sselmann-  München-Gladbach  begrüsst  das  Erscheinen 
eines  Reichsgesetzes  und  verlangt,  dass  die  Aerztekammern  zu  dem¬ 
selben  gehört  werden.  Die  Aufsicht  über  die  Hebammen  durch  die 
Kreisärzte  ist  gut,  wenn  sie  so  ausgezeichnet  gehandhabt  wird  wie 

'  Kollegen  Franz,  das  ist  aber  leider,  zumal  in  den  grossen 
Städten,  nicht  immer  der  Fall. 

?.? ?  ^ -Düsseldorf:  Die  Errichtung  von  Mütterheimen  wäre 
eine  höchst  dankenswerte  Sache  und  die  Mutterschaftsversicherung 
wurde  die  Krone  der  sozialen  Gesetzgebung  bilden:  sie  soll  durch- 
niitrbar  sein  mit  einer  Beitragserhöhung  von  1  Proz.  Es  müsste  aber 
durchaus  kein  Unterschied  zwischen  ehelichen  und  unehelichen  Müt- 
tern  gemacht  werden,  wie  es  oft  noch  geschieht.  Bezüglich  der  Poli¬ 
kliniken  empfiehlt  sich  der  Zusatz  „für  Personen,  welche  der  behörd- 
ichcn  Armenversorgung  unterstehen“.  Die  Beziehungen  der  Heb¬ 


ammen  zu  den  Aerzten  würden  zum  I  eil  gebessert  werden,  wenn 
mehr  der  Grundsatz  der  freien  Arztwahl  eingehalten  würde. 

M  ug  d  a  n  -  Berlin:  Die  Mühlen  der  Gesetzgebung  mahlen  in 
üiesen  Dingen  bekanntlich  sehr  langsam,  z.  B.  auch  in  der  Frage  des 
Krankenpfleger wesens.  Die  Leitsätze  sind  nur  zu  empfehlen  und  sie 
zeigen,  dass  wir  Aerzte  in  hygienischen  Fragen  eifrig  mitarbeiten.  Die 
Hebammenfrage  ist  davon  eine  der  wichtigsten.  Leider  ist  in  die 
RVO.  eine  Mutterschaftsversicherung  nicht  aufgenommen  worden, 
aber  es  werden  bei  vielen  Krankenkassen  bereits  jetzt  die  Heb¬ 
ammenkosten  auch  bei  normalen  Geburten  übernommen.  Die  Heb- 
ammennot  ist  in  manchen  Gebieten  Deutschlands  eine  grosse  und  so 
bleiben  z.  B.  in  Ostpreussen  immer  noch  Tausende  von  Frauen  ohne 
Hilfe  bei  der  Geburt. 

Eiermann  -  Frankfurt  beantragt,  der  Aerztetag  möge  seine 
Sympathie  für  die  Bestrebungen  zur  Hebung  des  Hebammenstandes 
erklären  und  auf  Grund  des  R  i  s  s  m  a  n  n  sehen  Referates  die  be¬ 
stimmte  Erwartung  aussprechen,  dass  der  Entwurf  eines  Reichs¬ 
hebammengesetzes  vor  seiner  Veröffentlichung  den  Aerzten  vor¬ 
gelegt  werde. 

Ein  Antrag  auf  Schluss  der  De  b  a  1 1  e  wird  angenommen. 

Rissmann  -  Osnabrück  ist  mit  den  vorgeschlagenen  Aetidc- 
rungen  der  These  5  einverstanden,  allerdings  richten  sich  viele  Aerzte 
nicht  nach  solchen  „Wünschen“.  Es  besteht  oft  der  Irrtum,  dass  die 
geprüften  Wochenbettpflegerinnen  etwas  von  dem  Geburtsverlauf 
verständen.  Wenn  bei  Fehlgeburten  jemand  zugezogen  wird  muss 
es  die  Hebamme,  nicht  eine  Schwester  sein.  Mit  dem  Hebammen¬ 
lehrbuch  soll  sich  jeder  Arzt  befassen,  der  mit  Hebammen  Zusammen¬ 
arbeiten  muss. 

Der  Vorsitzende  erklärt  sich  einverstanden  mit  den  An- 
i  egungen,  dass  der  Geschäftsausschuss  zur  Regelung  einzelner  Fra¬ 
gen  in  Fühlung  treten  solle  mit  der  Vereinigung  zur  Förderung-  des 
Hebammenwesens. 

Die  Leitsätze  1 — 4  und  6  werden  angenommen,  wobei  in  Satz  2 
noch  die  Ausfallsentschädigung  bei  der  Aussperrung  genannt  und  in 
Satz  3  entsprechend  dem  Vorschlag  Backs  eingefügt  werden  soll: 
eine  Poliklinik  „für  Personen,  die  der  behördlichen 
Armenversorgung  unterstehe  n“. 

Leitsatz  5  wird  in  folgender  Fassung  angenommen: 

Es  ist  dringend  wünschenswert,  dass  die  Aerzte,  welche  Ge¬ 
burtshilfe  treiben,  das  Hebammenlehrbuch  kennen  und  zu  jeder 
Geburt  eine  Hebammenschwester  zuziehen. 

Der  Antrag  Eiermann  wird  zurückgezogen,  von 
G  o  e  t  z  -  Leipzig  wieder  aufgenommen,  aber  schliesslich  a  b  - 
gelehnt. 

IV.  Anträge  Leipzig-Land: 

A  n  t  r  a  g  1 :  Der  Aerztetag  wolle  beschliessen,  dass  durch  den 
Geschäftsausschuss  bzw.  durch  den  Vorstand  des  LWV,  eine  Tax- 
kommission  zu  errichten  ist,  die  die  vorhandenen  ärztlichen  Ge¬ 
bührenordnungen  zu  überwachen,  auf  zeitgemässem  Stande  zu  er¬ 
halten  bzw.  durch  eine  gemeinsame  Taxe  zu  ersetzen  hat.  Die 
Kommission  soll  aus  3  möglichst  an  einem  Orte  wohnenden 
Aerzten  bestehen,  die  das  Re,cht  der  Zuwahl  haben;  jedes  Jahr  hat 
die  Kommission  dem  Aerztetag  über  ihre  Tätigkeit  Bericht  zu  er¬ 
statten. 

Antrag  2:  Der  Aerztetag  möge  beschliessen:  es  wird  eine 
Auskunftsstelle  für  Aerzte  in  Geld-  und  Bankangelegenheiten  ent¬ 
weder  durch  den  Geschäftsausschuss  oder  durch  den  Vorstand  des 
LWV.  errichtet,  durch  die  die  deutschen  Aerzte  in  allen  solchen 
Fragen  kostenlose  sachverständige  Auskunft  erhalten  können. 

G  o  e  t  z  -  Leipzig:  Im  Deutschen  Reich  haben  wir  zurzeit  18  ver¬ 
schiedene  Gebührenordnungen,  die  alle  schlecht  und  nicht  zeitgemäss 
sind.  Da  der  Antrag  auf  Schaffung  einer  einheitlichen  Taxe  im  Reich 
abgelehnt  und  auch  bei  den  einzelnen  Staaten  eine  Revision  nicht  er¬ 
reicht  worden  ist,  sind  heute  die  Taxen  noch  so  niedrig,  dass  oft  für 
den  Arzt  eine  Dienstmannsentlohnung  zustande  kommt.  Namentlich 
sollten  wir  uns  die  Bezahlung  des  2.  Besuches  mit  1  M.  nicht  ge¬ 
fallen  lassen,  1  M.  für  eine  Konsultation  mag  angehen.  Wir  müssen 
uns  selbst  helfen  und  selbst  eine  Gebührenordnung  aufstelien;  dass 
diese  nur  eine  „private  sein  wird,  schadet  nichts;  denn  auch  die 
jetzigen  Gebührenordnungen  sind  keineswegs  Normen  für  die 
Krankenkassen,  sondern  werden  nur  aus  Bequemlichkeit  dazu  benützt. 
Eine  bindende  gesetzliche  Gebührenordnung  kann  es,  da  das  Honorar 
der  freien  Vereinbarung  unterliegt,  nicht  geben:  die  Gebühren¬ 
ordnungen  sind  nur  für  Streitfälle  geschaffen.  Am  notwendigsten 
biduchen  wir  eine  einheitliche  Taxe  für  die  Verhandlungen  mit  den 
Kassen;  die  Einwände  dagegen  sind  nichts  anderes  als  Zeichen  eines 
schädlichen  Kryptopartikularismus.  Ich  habe  selbst  eine  solche  Auf- 
Stellung  der  Taxen  versucht,  sie  hat  Beifall  gefunden,  und  es  ist 
jetzt  eine  2.  Auflage  notwendig  geworden.  Auf  diese  Weise  kommen 
wir  vorwärts.  Der  Geschäftsausschuss  hat  leider  aus  unbekannten 
und  unbegreiflichen  Gründen  die  Herausgabe  abgelehnt,  doch  würde 
sicher  die  Autorität  des  Aerztevereinsbundes  allein  schon  unserer 
privaten  Taxordnung  einen  bedeutenden  Wert  geben,  zumal  wenn 
sie  wirklich  bei  den  Verhandlungen  mit  den  Kassen  zugrundegelegt 
wird.  Für  mich  persönlich  wäre  es  ja  am  leichtesten  und  ange¬ 
nehmsten,  die  Sache  allein  zu  machen;  ich  wdinsche  aber  Ihre 
Mithilfe. 

E  i  e  r  m  a  n  n  -  Frankfurt  a.  M.  beantragt  die  Streichung  der 
Worte  „m  öglichst  an  einem  Orte  wohnende  n“. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1594 


Wir  stimmen  der  Tendenz  des  Antrages  zu,  wegen  der  Lückenhaftig¬ 
keit  der  Taxen,  nicht  wegen  der  Niedrigkeit;  das  ewige  liinaufsetzen 
der  Mindestsätze  führt  eigentlich  doch  zu  nichts.  Es  ist  aber  nicht 
notwendig,  dass  die  Mitglieder  der  Kommission  an  einem  Orte  sind, 
denn  die  Arbeiten  haben  Zeit  und  können  schriftlich  gemacht  werden, 
es  ist  auch  schädlich,  weil  möglichst  die  Verhältnisse  im  ganzen 
Reiche  berücksichtigt  werden  müssen. 

Der  Antrag  1  wird  mit  der  von  Eiermann  bean¬ 
tragten  Streichung  angenommen. 

O  o  e  t  z  -  Leipzig:  Den  Antrag  2  ziehen  wir  zurück,  weil  die 
Sache  vielleicht  noch  nicht  ganz  spruchreif  ist.  Ich  habe  die  Frage 
neulich  in  einem  Artikel  im  Vereinsblatt  besprochen.  Durch  eine 
Stelle  desselben  haben  sich  einige  Bankiers  beleidigt  gefühlt.  Ich 
erkläre  gern,  dass  mir  nichts  ferner  gelegen  hat,  als  solide  Bankiers 
zu  beleidigen. 

V.  Bericht  über  die  Versicherungskasse  der  Aerzte  Deutschlands. 

M  u  n  t  e  r  -  Berlin  berichtet  Günstiges  über  die  Weiterentwick¬ 
lung  der  Kasse,  welche  trotz  der  wenig  günstigen  allgemeinen  Ver¬ 
hältnisse  im  letzten  Jahre  einen  Ucberschuss  von  74  000  M.  ver¬ 
zeichnen  kann.  Es  ist  zu  hoffen,  dass  die  sicheren  und  kulanten 
Grundlagen  dieser  Kasse  von  den  Aerzten  immer  mehr  anerkannt 
werden.  Dieselbe  ist  auch  zu  allen  Auskünften  über  sonstige  Ver¬ 
sicherungsmöglichkeiten  bereit. 

S  a  1  o  m  o  n  -  Charlottenburg  empfiehlt  u.  a.  den  Vereinen  die 
korporative  Versicherung  ihrer  Mitglieder  bei  der  Versicherungskasse. 

VI.  Bestätigung  der  Kommissionen. 

Der  Vorsitzende  empfiehlt  die  Bestätigung.  Die  Kom¬ 
mission  für  die  Unfallversicherung  soll  beauftragt  werden,  Verhand¬ 
lungen  wegen  einer  Erhöhung  der  Honorare  einzuleiten. 

Winkelmann  -  Barmen  wünscht  als  Vorsitzender  dieser 
Kommission  nähere  Direktiven. 

G  o  e  t  z  -  Leipzig  schlägt  für  das  erste  Zeugnis  10  M.,  für  das 
zweite  7.50  M.  vor  und  verweist-  dabei  auf  die  hohen  Sätze,  welche 
englische  Versicherungsgesellschaften  für  die  Zeugnisse  gewähren 
(21  M.). 

Winkelmann  -  Barmen  nimmt  die  Vorschläge  gerne  an.  ln 
England  sind  alle  Honorare  höher. 

Der  Vorsitzende;  Die  Tagesordnung  ist  erledigt.  Ich  glaube 
hoffe  und  wünsche,  dass  wir  eine  gute  Arbeit  geleistet  haben  und 
sDreche  den  Wunsch  aus,  dass  wir  auch  in  der  kommenden  Zeit  des 
Friedens  förderliche  gemeinsame  Arbeit  leisten  werden  können. 
Namens  des  Geschäftsausschusses  richte  ich  an  die  Kollegen  die 
dringende  Bitte  um  mehr  Unterstützung:  wir  vermissen  sehr  Ihre, 
seien  es  liebenswürdige,  seien  es  grobe  Anregungen. 

Wenn  wer  einen  recht  guten  Gedanken  hat.  möge  er  ihn  uns 
mitteilen,  dann  kann  er  auch  in  unseren  Zeitschriften  zur  Diskussion 
gestellt  werden. 

Zum  Schluss  habe  ich  allen  zu  danken,  denen  wir  die  schöne 
äussere  Form  dieses  Aerztetages  verdanken:  Dem  Verkehrsmini¬ 
sterium,  dem  Magistrat  München,  den  Herausgebern  und  dem  Re¬ 
dakteur  der  Münchener  medizinischen  Wochenschrift,  dem  Damen¬ 
komitee,  dem  Ortskomitee,  dem  Büro  und  der  Presse,  schliesslich 
allen  für  die  liebenswürdige  Ausdauer.  Auf  Wiedersehen! 

H  e  ti  i  u  s  -  Berlin  spricht  dem  Vorsitzenden  und  dem  Büro  für 
die  geschickte  Geschäftsleitung  den  Dank  durch  ein  dreimaliges  Hoch 
aus. 

Schluss  Uhr.  B  e  r  g  e  a  t. 


14.  Hauptversammlung  des  Verbandes  der  Aerzte  Deutsch¬ 
lands  zur  Wahrung  ihrer  wirtschaftlichen  Interessen 

in  München  am  25.  Juni  1914. 

(Eigener  Bericht.) 

Um  9'/i  Uhr  wird  die  Sitzung  durch  den  Vorsitzenden  des  Ver¬ 
bandes,  Dr.  Hartmann  -  Leipzig,  mit  folgender  Ansprache  eröffnet: 
Es  gereicht  dem  LWV.  zur  besonderen  und  höchsten  Ehre.  S.  K.  H. 
den  Prinzen  Dr.  LudwigFerinand  von  Bayern  als  Kollegen  und 
Verbandsmitglied  zu  begrüssen.  Der  Beruf  des  Arztes  erfordert  dem 
menschlichen  Elend  und  Unglück  mit  klarem  Blick  und  kühler  Ueber- 
lcgung,  aber  auch  mit  warmem  Herzen  entgegenzutreten.  Wenn  ein 
Mann  von  königlichem  Geblüt  es  nicht  für  gering  erachtet,  als  Arzt 
zu  wirken,  so  ist  dies  eine  besondere  Bestätigung  des  alten  Homer¬ 
ischen  Wortes  vom  hohen  Werte  des  Arztes.  Hier  im  LWV.  wahren 
wir  die  äusseren  Güter  und  die  Freiheit  des  ärztlichen  Berufes.  Dass 
Ew.  K.  Hoheit  nicht  nur  unser  Mitglied  geworden,  sondern  auch  selbst 
ei  schienen  sind,  um  an  unseren  Sorgen  teilzunehmen,  gereicht  uns  zur 
besonderen  Freude  und  Genugtuung.  Mit  tief  gefühltem  innigstem 
Dank  heisse  ich  Ew.  K.  Hoheit  herzlichst  willkommen.  (Grosser 
Beifall.) 

Ich  will  keine  programmatische  Rede  halten,  sondern  nur  ein 
kurzes  Geleitwort  unseren  Verhandlungen  geben.  Wie  zur  Zeit  der 
Pharaonen  magere  und  fette  Jahre  wechselten,  so  gibt  es  bei  uns 
Zeiten  der  Ruhe  und  des  Kampfes.  Noch  nie  aber  hat  eine  solche 
Erregung  unter  den  deutschen  Aerzten  geherrscht,  wie  seit  dem 
letzten  Aerztetag.  Erst  das  Berliner  Abkommen  hat  eine  Entspannung 
ausgelöst,  teilweise  aber  auch  eine  fast  katastrophale  Ernüchterung. 


Mancher  glaubte  die  Schicksalsstunde  des  Leipziger  Verbandes  ge¬ 
kommen.  Einzelheiten  über  die  Sache  werde  ich  morgen  auf  dem 
Aerztetag  zu  berichten  haben.  Sehr  viele  Kritiker  meinten,  w'ir  hätten 
viel  zu  wenig  erreicht  Ich  gebe  zu,  dass  wir  gehofft  hatten,  mehr 
zu  erreichen.  Wir  hatten  aber  auch  Grund  gehabt,  unsere  Position 
für  viel  stärker  zu  halten,  als  sic  wirklich  war.  Es  zeigten  sich  schon 
baid  bedenkliche  Zeichen  von  Disziplinlosigkeit  und  mancher  Verein 
drohte  aus  blasser  Furcht  umzufallen.  So  wurde  unsere  Phalanx 
durchlöchert.  Wenn  in  dieser  Weise  das  materielle  Moment  überwiegt, 
muss  iede  Bewegung  ihre  Stcsskraft  verlieren.  Noch  schlimmer. 
Wir  hatten  für  viele  Aerzte  Subventionen  zu  leisten,  um  ihre  Position 
zu  stärken.  Mindestens  die  Hälfte  davon  hat  uns  klar  gemacht, 
dass  sie  das  nur  als  ein  Geschenk  und  eine  Abschlagszahlung  be¬ 
trachten  könnten.  Unter  den  glänzenden  Versprechungen,  die  von 
den  Kassen  geboten  wurden,  wurden  uns  gemachte  feierliche  Zusagen 
nicht  mehr  gehalten.  Wir  waren  nach  unserer  Uebcrzeugung  zu 
einer  Aenderung  der  Taktik  und  Verständigung  mit  den  Kassen  ge¬ 
zwungen. 

Noch  viele  sind  jetzt  noch  nicht  damit  einverstanden  und  viele 
unserer  Führer  brauchen  starke  Nerven,  um  die  Kollegen  zusammen¬ 
zuhalten.  Eine  Organisation  aber,  die  nur  zum  Kämpfen  da  ist, 
hat  keine  Berechtigung.  Wir  bedürfen  der  inneren  Stärkung.  Ver¬ 
gleichen  wir  andere  Organisationen,  z.  B.  diejenige  des  Buchdrucker¬ 
gewerbes.  Seit  23  Jahren  hat  sie  keine  nennenswerte  Arbeitsein¬ 
stellung  mehr  gehabt  und  nunmehr  schon  18  Millionen  Mark  ange¬ 
sammelt.  Wer  an  der  Bedeutung  des  LWV.  zweifelt,  der  möge  doch 
auch  seiner  sonstigen  Aufgaben  und  Einrichtungen  gedenken.  Sind  nicht 
unsere  Tarifverträge  allein  die  Organisation  wert?  Dazu  die  Abkommen 
mit  der  Post,  den  kaufmännischen  Kassen,  den  Reedereien,  die  Stellen¬ 
vermittlung.  Sind  unsere  Aufgaben  erschöpft,  die  inneren  Verhält-  i 
nisse  des  Standes  geregelt?  Wie  steht  cs  z.  B.  mit  dem  Verhältnis  j 
der  praktischen  Aerzte  zu  den  Spezialisten?  Sind  wirklich  alle  Aerzte 
im  Geist  der  Organisation  erzogen?  Hat  nicht  kürzlich  erst  ein  ein¬ 
flussreicher  Arzt  im  Reichsversicherungsamt  es  abgelehnt,  mit  der 
ärztlichen  Organisation  zu  verhandeln?  Erfüllen  wir  die  Pflicht  der 
Versorgung  notleidender  Aerzte?  Unter  den  Nothelfern  sind  nicht 
wenige  Aerzte,  die  einen  Anspruch  auf  die  Standesfürsorge  hätten.  ; 
Ebenso  schlecht  steht  es  mit  der- Fürsorge  für  die  Hinterbliebenen. 
Wer  die  unter  ihnen  bestehende  Erwerbsnot  verfolgt,  muss  zugeben.  . 
dass  noch  sehr  viel  geschehen  muss.  Schon  drohen  der  Mittelstand 
und  die  Handwerker  sich  zum  Raubbau  an  der  ärztlichen  1  ätigkeit  zu 
organisieren,  ein  Wetterleuchten  neuer  Kämpfe.  Ist  unser  Verhältnis 
zu  den  Berufsgenossenschaften  und  dem  Reichsversicherungsamt  ein 
ideales  und  droht  uns  nicht  doch  vielleicht  auch  hier  der  Kampf?  ] 
Von  dem  Berliner  Abkommen  sind  die  Knappschafts-  und  Eisenbahn¬ 
krankenkassen  ausgenommen  worden.  Ein  Blick  auf  unsere  Kavete- 
tafeln  zeigt,  wie  sich  das  rächt  und  was  uns  da  noch  zu  tun  bleibt. 
Das  Berliner  Abkommen  ist  keineswegs  so  fest,  dass  wir  nicht  jeder¬ 
zeit  mit  der  Möglichkeit  einer  Kündigung  desselben  rechnen  müssten. 
Nur  dann  kann  es  durchgeführt  werden,  wenn  auf  ärztlicher  Seite 
ein  einheitlicher  fester  Wille  besteht.  Darum  vertrauen  wir  auf  den 
lieben  Gott  und  halten  unser  Pulver  trocken.  Somit  willkommen! 
(Starker  Beifall.) 

I.  Jahresbericht  des  Generalsekretärs. 

(Liegt  in  Druck  vor.) 

a)  M  i  t  g  1  i  e  d  e  r  b  e  w  e  g  u  n  g  und  Organisation. 

Generalsekretär  K  u  h  n  s  -  Leipzig:  Der  Umfang  der  Geschäfte 

geht  allein  schon  aus  der  Zahl  (fast  10  000)  der  ein-  und  auslaufenden 
Telegramme  und  Eilbriefe  hervor.  i 

Trotzdem  die  Mitgliederzahl  fast  26  000  erreicht  hat,  darf  die 
Werbetätigkeit  sich  nicht  vermindern.  Namentlich  die  Assistenten  und 
Praktikanten  müssen  mehr  herangezogen  werden,  durch  Errichten 
von  Assistentenortsgruppen  in  allen  grösseren  Städten.  Wichtig  ist 
die  Anpassung  der  Organisation  an  die  neuen  Verhältnisse;  die 
neuen  lokalen  kassenärztlichen  Vereinigungen  müssen  eine  Vertretung 
in  Leipzig  bekommen;  am  besten  werden  sie  sich  zu  grösseren 
Zweckverbänden  zusammenschliessen  und  diese  können  ja  vielfach 
durch  eine  Art  Personalunion  mit  den  Sektionen  des  LWV.  verbunden 
werden. 

Der  Vorsitzende:  Selbst  für  Lob  und  Tadel  unempfänglich, 
habe  ich  auch  nie  viel  Lob  ausgesprochen.  Wir  dürfen  aber  nicht 
vorübergehen  an  der  Statistik,  die  uns  den  gewaltigen  Umfang  der 
Geschäfte  zeigt,  welche  unsere  drei  Generalsekretäre  leisten.  Sic 
arbeiten  immer  mit  grosser  Hingabe,  im  letzten  Jahre  aber  haben  sie 
fast  Uebermenschliches  geleistet.  Ich  spreche  den  Generalsekretären, 
besonders  Dr.  Kuhns  unseren  herzlichsten  Dank  aus.  (Beifall.) 

b)  Stellenvermittlung. 

P  e  y  s  c  r  -  Charlottenburg:  Es  besteht  die  alte  Klage,  dass  es 
so  wenig  gelingt,  Aerzte  entsprechend  unterzubringen.  Es  ist  be¬ 
schämend,  dass  vielfach  das  Verhalten  der  Kollegen  draussen  schuld 
daran  ist;  viele  glauben  allein  auf  der  Welt  zu  sein  und  wollen 
von  dem  Zuzug  neuer  Aerzte  nichts  wissen.  So  gibt  es  z.  B.  in 
einer  Stadt  einen  Arzt,  der  ein  hohes  Einkommen  versteuert;  er  ist 
für  viele  Kranke  kaum  mehr  zu  sprechen,  es  wird  ein  zweiter  Arzt 
seit  Jahren  gewünscht;  es  ist  nicht  möglich,  einen  solchen  hinzu¬ 
bringen,  so  viele  Schwierigkeiten  werden  gemacht  und  jeder  neue 
Arzt  wird  abgeschreckt.  Solche  Herren  sitzen  im  Fett  und  wollen 
keinen  anderen  mitessen  lassen.  Ein  zweiter  Punkt  ist,  dass  die  Kol¬ 
legen,  welche  Auskunft  geben  sollen,  oft  persönlich  interessiert  sind. 


14.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1595 


Es  ist  daher  notwendig,  mehrere  Auskünfte,  ein  Referat  und  Kor¬ 
referat.  einzuholen.  Wir  brauchen  noch  viel  mehr  Selbstdisziplin 
und  Opferwilligkeit.  Ein  Kollege  weist  einen  günstigen  Vertrag  als 
Streikbrecher  zurück.  Kann  man  ihm  das  zumuten,  wenn  ihm  nachher 
jede  Bemühung  um  Erreichung  einer  anderen  Stellung  wegen 
des  Einspruches  der  Nachbarkollegen  misslingt.  Wohin  kommen  wir, 
wenn  wir  da  überall  nur  auf  Egoismus  stossen?  Eventuell  müssen 
s<  Ichc  Fälle  publiziert  werden. 

L  e  v  y  -  Oraudenz :  Nun  auch  die  Kehrseite  der  Medaille:  Es  gibt 
nicht  bloss  Leute,  die  keine  Konkurrenz  haben  wollen,  es  gibt  auch 
viele,  die  in  kleinere  Städte  überhaupt  nicht  gehen  wollen,  wenn  wir 
ihnen  nicht  von  vorneherein  ein  Einkommen  von  10  000  M.  garan¬ 
tieren.  Viele  wollen  nicht  die  Mühen  und  Entbehrungen  des  Arztes 
auf  sich  nehmen.  Für  ein  kleines  Städtchen  mit  bester  Praxis  war 
monatelang  kein  Arzt  zu  bekommen.  Ein  Kollege  verlangte  15  000  M 
wenn  er  in  ein  solches  „Nest“  gehen  solle.  Solche  Fälle  finden  sich 
auch  besonders  in  Westpreussen,  wo  teilweise  wirklich  eine  Aerztc- 
not  besteht.  Es  ist  an  der  Zeit,  mehr  auf  die  ethische  Seite  des 
Berufes  hinzuweisen,  damit  die  jungen  Aerzte  nicht  nur  lernen,  Geld 
zu  \ erlangen,  sondern  auch  der  Pflichten  des  Berufes  eingedenk  zu 
sein. 

v.  Wild-Kassel:  Wenn  die  ortsansässigen  Kollegen  solchen 
unberechtigten  Widerstand  leisten,  müsste  man  ihnen  mit  Gewalt  klar 
machen,  dass  auf  eine  freie  Stelle  jedenfalls  ein  Kollege  hinge¬ 
setzt  wird. 

Generalsekretär  Dr.  W  i  e  b  e  1  bestätigt  die  Erfahrungen 
L  e  v  y  s.  Aber  oft  sind  die  Stellen  nicht  so  glänzend,  wie  sie  von 
Laien  eingeschätzt  werden.  Auch  ist  es  nicht  jedermanns  Sache, 
wegen  der  Ostmarkenzulage  von  etwa  1400  M.  von  Pontius  zu 
Pilatus,  Bürgermeister,  Landrat  usw.  geschickt  zu  werden;  auch  nicht, 
sich  für  Jahre  zu  verschreiben  und  bei  einem  früheren  Wegzug  die 
ganzen  Zulagen  mit  Zinsen  zurückzahlen  zu  müssen.  Es  sollten  die 
Zulagen,  unabhängig  von  dem  Wohlwollen  der  Instanzen,  unbe¬ 
scholtenen  Aerzte  zustehen  und  es  sollte  im  ganzen  mehr  sachlich, 
weniger  bürokratisch  verfahren  werden.  Schwer  enttäuscht  wird 
mancher  Arzt,  der  glaubt,  als  ein  Pionier  des  Deutschtums  zu  wirken 
wenn  die  Deutschen  selbst  oft  nicht  ihn,  sondern  den  polnischen  Arzt 
autsuchen. 

c)  Buchhandlung. 

H  a  k  e  r  -  Berlin  wünscht,  dass  in  den  Aerztlichen  Mitteilungen 
nicht  so  sehr  der  1  ext  durch  die  eingestreuten  Annoncen  zerrisssen 

werde. 

Generalsekretär  Dr.  Kuhns:  Die  bestehenden  Verträge  erlauben 
zunächst  keine  Aenderung. 

a)  Tarifverträge. 

Generalsekretär  Dr.  W  i  e  b  e  1  bespricht  besonders  die  Diffe- 
renzen  wegen  des  Vertrages  mit  der  Reichspostverwaltung.  Letztere 
w  ill  die  Entfernungsgebühren  nicht  voll  bezahlen,  wenn  der  Arzt  bei 
einer  Fahrt  mehrere  Besuche  (auch  für  andere  Kranke)  macht  und 
will  bei  Benützung  der  Eisenbahn  nur  die  Sätze  der  preussischen 
Gebührenordnung  annehmen.  Beides  widerspricht  dem  Wortlaut  des 
Vertrages.  Teilweise  haben  sich  hier  die  Kollegen  sehr  töricht  be¬ 
nommen  und  der  Postverwaltung  geschrieben,  sie  schämten  sich 
selbst,  so  unbescheiden  zu  sein  und  1.90  M.  für  den  Kilometer  zu 
berechnen.  Solche  Herren  mäkeln  bei  uns  an  allem  möglichen  herum 
und  sind  nie  zufrieden;  wenn  sie  nun  vertragsmässig  eine  ent¬ 
sprechende  Bezahlung  erhalten,  sind  sie  von  einer  ganz  falschen  Be¬ 
scheidenheit;  viele  haben  eben  bereits  ganz  den  richtigen  Massstab 
verloren. 

S  c  h  e  n  k  e  -  Flensburg:  Wenn  die  Kilometergebühren  vielleicht 
etwas  hoch  sind,  so  sind  die  Gebühren  für  die  folgenden  Besuche 
zu  niedrig;  dabei  will  die  Post  überhaupt  keinen  Besuch  bei  einer 
neuen  Erkrankung  mehr  als  ersten  Besuch  anerkennen.  Auch  sonst 
bestehen  berechtigte  Beschwerden. 

M  u  n  t  e  r  -  Berlin:  Bei  der  Prüfung  der  kassenärztlichen  Liqui¬ 
dationen  müssen  wir  gerade  als  Anhänger  der  freien  Arztwahl  mit  Ge¬ 
wissenhaftigkeit  und  Strenge  Vorgehen.  Es  wird  von  einzelnen  Kol- 
legen  gerade  bei  der  Postkrankenkasse,  bei  der  Liquidation  geradezu 
>clnndluder  getrieben.  Bei  solchen  Missbräuchen  müsssen  strenge 
v  treichungen  gemacht  und  die  Schädlinge  eventuell  ausgeschaltet 
werden,  sonst  lässt  sich  die  freie  Arztwahl  nicht  durchführen. 

W  i  n  k  e  1  m  a  n  n  -  Barmen:  An  dem  Tarifvertrag  mit  der  Post 
kann  jeder  Arzt  Kritik  üben,  wenn  sich  aber  Aerzte  mit  dieser 
Kritik  statt  an  den  Vorstand  des  LWV.  an  die  Postverwaltung 
wenden,  dann  hört  jede  Organisation  auf. 

Schiller  -  Breslau  rügt,  dass  die  Postverwaltung  bisweilen  in 
'licht  loyaler  Weise  an  Orten,  wo  kein  Arzt  ist,  bei  fast  gleichen 
Entfernungen  allzu  rigoros  die  Kranken  nur  an  den  allernächsten 
Arzt  weist  und  zum  Verzicht  auf  spezialärztliche  Hilfe  zwingt. 

L  em  m  e  r  -  Alfelds  Die  Regelung  der  Kilometergebühren,  die  bei 
grosser  Entfernung  etwas  hoch  erscheinen,  und  an  denen  wir  ja  auch 
lieht  zu  verdienen  brauchen,  könnte  lokalen  Abmachungen  übertragen 
werden.  Dagegen  sind  die  Besuchstaxen  zu  niedrig  angesetzt.  Es 
•■ölten  mehr  die  Mindestgebühren  eingehalten  und  ev.  auch  über¬ 
schritten  werden;  denn  gesetzlich  gebunden  sind  wir  auch  bei  den 
vruukcnkassen  nicht  an  die  Mindestsätze  der  Gebührenordnung. 

M  a  g  e  n  -  Breslau:  Bei  den  nicht  mehr  entsprechenden  Sätzen 
Jer  Gebührenordnung  müssen  die  Kilometergelder  den  Landärzten 
■  inen  gewissen  Ausgleich  schaffen,  sonst  wird  das  Land  noch  mehr 
<on  Aerztcn  entblösst.  Wir  sollen  doch  nicht  so  töricht  sein,  darauf 


zu  verzichten,  wo  wir  von  allen  Berufen  allein  mit  unserem  Ein¬ 
kommen  auf  einer  Grundlage  arbeiten,  die  100  Jahre  alt  ist. 

G  o  e  t  z  -  Leipzig:  Es  ist  nicht  richtig,  dass  uns  die  Regierung 
die  laxen  vorschreibt,  sie  sind  nur  für  Streitfälle  vom  Richter  zu¬ 
grunde  zu  legen.  Die  Krankenkassen  sind  längst  keine  Proletarier¬ 
kassen  mehr.  Machen  wir  uns  selbst  bessere  Taxen!  Die  Kilomctcr- 
r*e u"u"t  von  1.90  ist  etwas  hoch,  ich  habe  sie  aber  auch  in  meine 
Gebührenordnung  aufgenommen  und  sie  dabei  auf  2  M.  aufgerundet. 
(Heiterkeit.)  Wenn  die  Postverwaltung  den  Vertrag  nicht  einhält, 
können  wir  sie  nur  auf  Einhaltung  des  Vertrages  gerichtlich  ver¬ 
klagen. 

Generalsekretär  Dr.  Wiebel:  Wir  würden  uns  viel  leichter 
tun,  wenn  die  Kollegen  uns  nicht  oft  ins  Unrecht  setzen  und  sich 
korrekter  verhalten  würden.  Ein  Abgehen  von  den  Vertragsbe¬ 
dingungen  können  wir  der  Reichspostverwaltung  jedenfalls  nicht  zu¬ 
gestehen. 

Dtr  Vorsitzende  stellt  das  Einverständnis  der  Versammlung 
mit  diesem  Standpunkte  fest. 

e)  Schutz-  und  Irutzbündnis,  Versicherungs¬ 
wesen. 

Generalsekretär  Dr.  Kuhns:  Der  weitere  Ausbau  des  Schutz- 
und  l  rmzbiindnisses,  den  die  Aerztevereine  vielfach  vernachlässigt 
haben,  ist  durchaus  notwendig,  ebenso  unerlässlich  ist  die  Sammlung 
aller  Verpflichtungsscheine  bei  unserer  Leipziger  Zentrale;  ihr  Nutzen 
geht  grösstenteils  verloren,  wenn  sie  in  den  Händen  der  lokalen  Or¬ 
ganisation  verbleiben. 

f)  Darlehen-  und  Sterbekasse. 

B  u  c  h  b  i  n.d  e  r  -  Leipzig:  Der  Zweck  der  Kasse  ist  vorwiegend 
ein  ethischer,  sie  soll  dem  Arzt  bei  augenblicklicher  Schwierigkeit 
eine  Hilfe  gewähren,  andererseits  bildet  sie  auch  eine  gute  Anlage 
überflüssigen  Geldes,  indem  sie  4  Proz.  Zinsen  und  ein  Anrecht  auf 
Sterbegeld  (100  M.  für  je  500  M.  Einlage)  bietet.  Für  die  Sicherheit 
werden  die  weitestgehenden  Vorkehrungen  bei  der  Gewährung  eines 
Darlehens  getroffen,  u.  a.  auch  durch  Vereinbarungen  mit  der  Lebens¬ 
versicherungsgesellschaft,  bei  welcher  der  Empfänger  des  Darlehens 
sich  versichert.  Welche  Bedeutung  gerade  auch  das  Sterbegeld  hat, 
beweist  eine  in  einem  kleineren  Bundesstaat  gemachte  Aufstellung, 
wonach  90  Proz.  der  Aerzte  nicht  oder  ungenügend  für  ihren  Sterbe¬ 
fall  vorgesorgt  haben.  Den  fortwährenden  Gesuchen  um  Darlehen 
können  wir  nur  dann  entsprechen,  wenn  wir  mehr  Geldmittel  er¬ 
halten.  Daher  ist  eine  eifrige  Propaganda  notwendig. 

D  a  v  i  d  s  o  h  n  -  Berlin:  Es  ist  verkehrt,  wenn  einzelne  Aerzte- 
kammern  für  ihren  Bezirk  kleine  Darlehen-  und  Sterbekassen  ein- 
nchten.  Solche  Kassen  können  nur  bei  grosser  Teilnehmerzahl 
gedeihen.  Bei  der  Sorglosigkeit  der  meisten  Aerzte  hat  sich  der 
LWV.  mit  Einrichtung  dieser  Kasse  ein  grosses  Verdienst  erworben. 
Das  Elend  in  den  Kreisen  der  Aerzte  ist  viel  grösser  als  man 
glaubt. 

Mül  ler -Hagen  bespricht  kurz  eine  von  Dr.  Ne  uh  aus  ge¬ 
plante  Zwangsversicherung.  Mit  5  Proz.  der  Kasseneinnahmen 
könnten  die  Witwen  und  Waisen  der  Aerzte  sichergestellt  werden 

Generalsekretär  Dr.  Kuhns  rät  zur  Vorsicht,  nach  einer 
Schätzung  des  Reichsversicherungsamtes  wären  9  Proz.  erforderlich. 
Vorerst  mögen  die  bestehenden  Einrichtungen  benützt  werden. 

L  e  v  i  -  L  e  d  e  g  a  n  k  -  Biedenkopf :  Eine  Erschwerung  bei  der 
Kasse  bildet  die  15  jährige  Unkündbarkeit  der  eingelegten  Beträge. 

H  i  r  s  c  h  f  e  1  d  -  Leipzig:  Diese  Bestimmung  muss  als  Sicherheit 
für  ausserordentliche  Verhältnisse  eingehalten  werden:  auch  jetzt 
würde  in  besonderen  Fällen  schon  eine  frühere  Rückzahlung  zuge¬ 
standen  werden. 

g)  Streitsachen:  Berliner  Abkommen  usw. 

Generalsekretär  Dr.  Kuhns:  Im  letzten  Jahre  ergaben  sich  452 

neue  Streitsachen,  z.  T.  in  ganzen  grösseren  Bezirken,  woran  über 
1000  Krankenkassen  beteiligt  waren.  Schuld  daran  war  auch  das 
^  cheitern  der  Verhandlungen  mit  dem  Betriebskrankenkassenverband 
sowie  die  Kampfvorbereitungen  der  Krankenkassen  überhaupt.  Be¬ 
sonders  wichtig  waren  Breslau,  wo  endlich  der  Frieden  erfolgte 
und  dabei  auf  ärztlicher  Seite  doch  Fortschritte  gemacht  wurden, 
und  Elbing.  (Die  einschlägigen  Verhältnisse  sind  im  wesentlichen 
aus  den  Verhandlungen  des  Aerztetages  bekannt.  Ref.) 

v.  Wild- Kassel:  Das  Wichtigste  sind  allerorten  die  Vertrags¬ 
verhandlungen;  allen  denen,  die  diese  ausserordentlich  aufreibenden 
Arbeiten  geleistet  haben,  sind  wir  den  grössten  Dank  schuldig.  Das 
Berliner  Abkommen  ist  keineswegs  wertlos,  da  wo  es  von  den 
Aerzten  richtig  gehandhabt  wird.  Die  Kassen  haben  eine  Heidenangst 
vor  ihm  und  versuchten  deshalb  bei  uns  ohne  dasselbe  zu  verhandeln. 
Der  Druck,  den  die  Regierung  zur  Durchführung  des  Abkommens 
ausübt,  genügt  aber  nicht,  obwohl  die  Regierung  sonst  wahrlich  nicht 
so  zaghaft  ist  und  ihren  Willen  wohl  durchzusetzen  weiss.  Das 
gilt  besonders  für  den  5-Pfennigbeitrag  der  Kassen.  Von  grossem 
\\  ert  wäre  es,  die  Erfahrungen  der  Vertragsverhandlungen  zu  ver¬ 
öffentlichen  und  für  die  noch  schwebenden  Abschlüsse  nutzbar  zu 
machen;  eine  einzige  schiedsamtliche  Entscheidung  kann  von  grösster 
Wichtigkeit  sein.  Es  sollte  daher  alles  Material  nach  Leipzig  ein- 
gesandt  werden. 

S  c  h  n  e  i  d  e  r  -  Potsdam:  Es  ist  eine  schwierige  Sache,  gegen¬ 
über  dem  Berliner  Abkommen  einen  anderen  Standpunkt  einnehmen 
zu  müssen,  als  er  bisher  _  vertreten  worden  ist;  cs  geschieht  dies 
aber  nicht  um  die  Unzufriedenheit  und  Verdrossenheit  zu  steigern, 
sondern  weil  Klarheit  notwendig  ist.  „Der  erste  Eindruck  ist  der 


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MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  28. 


richtige.“  Wir  haben  s.  Z.  mit  tiefer  Depression  Kenntnis  von  dem 
Abkommen  genommen,  und  dieses  Gefühl  ist  noch  nicht  erloschen. 
Wir  haben  die  Befürchtung,  in  eine  Hörigkeit  zur  Regierung  versetzt 
zu  sein,  wie  sie  nie  bestanden  hat;  wir  sind  uns  selbst  untreu  ge¬ 
worden.  die  Werbekraft  der  Organisation  muss  auf  diese  Weise  ab¬ 
nehmen.  .  , 

Es  ist  ein  Unterschied  in  der  Organisation  eingetreten  wie  zwi¬ 
schen  Tag  und  Nacht.  Den  jetzigen  losen  Vereinigungen  fehlt  der 
frühere  Nachdruck,  da  sie  keine  Beschlüsse  zu  fassen  und  dem  Macht¬ 
spruch  des  Schiedsamtes  zu  folgen  haben.  Ihr  einziges  Recht  ist  die 
Prüfung  der  Rechnungen.  Wir  werden  ja  die  weitere  Entwicklung 
sehen.  Ein  Abschluss  mit  der  Organisation  ist  nur  noch  möglich, 
wenn  die  Kassen  ihn  wünschen;  die  Kassen  werden  überhaupt  uns 
noch  alle  Errungenschaften  wegdisputieren  und  schliesslich  wird  die 
Auslegung  des  Zentralausschusses  auch  noch  gegen  uns  lauten.  Es 
ist  ein  geringer  Trost,  dass  der  LWV.  zwar  ausgeschaltet  ist  beim 
Vertragsabschluss,  aber  wenigstens  im  Zentralausschuss  vertreten  ist. 
Der  Zentralausschuss  hat  grossenteils  nur  dekorativen  Wert  und 
keinen  Einfluss  auf  die  Verträge.  In  Potsdam  hatten  wir  früher 
keine  Schwierigkeiten  bezüglich  der  Organisation,  der  freien  Arzt¬ 
wahl,  auch  nicht  bezüglich  der  Gruppenbildung  unter  den  Ver¬ 
sicherten.  Nach  dem  Berliner  Abkommen  wurde  der  Ton  bei  den 
Kassen  ein  ganz  anderer;  mit  Beschämung  mussten  wir  uns  sagen 
lassen:  „Eure  Organisation  ist  überflüssig“,  die  Frage  der  freien 
Arztwahl  begegnet  nunmehr  trotz  der  Einstimmigkeit  der  Aerzte  den 
grössten  Schwierigkeiten.  Es  ist  auch  die  Frage,  ob  Hartmanns 
Meinung  über  den  „wichtigen  Grund“  für  die  Aenderung  des  Arzt¬ 
systems  durchdringen  wird.  Es  ist  bei  der  Begünstigung,  welche 
die  Kassen  seitens  der  Behörden  erfahren,  sehr  zu  bezweifeln,  ob  die 
freie  Arztwahl  durchzusetzen  sein  wird.  Beim  Abschluss  der  Ver¬ 
träge  trat  eine  teilweise  Verschlechterung  ein,  auch  in  der  Honorar¬ 
frage  wurde  nichts  erreicht.  Dass  künftig  nicht  Verträge  mit  ein¬ 
zelnen  Aerzten  zu  schliessen  sind,  kann  einen  Fortschritt  bedeuten, 
ebenso  wie  die  Einrichtung  eines  Wahlausschusses.  Aber  in  der 
Hauptsache,  der  Honorarfrage,  herrschen  noch  geradezu  depri¬ 
mierende  Verhältnisse,  wie  wir  sie  noch  vor  kurzer  Zeit  aufs  schärfste 
verurteilt  haben.  Die  Tätigkeit  der  Schiedsämter  erfüllt  uns  mit 
grösster  Sorge.  Alle  unsere  Eingaben  an  das  Oberversicherungsamt 
wurden  abgelehnt  und  wir  haben  keinerlei  Gewähr  für  eine  un¬ 
parteiische  Handhabung  des  Abkommens. 

Wie  kam  mit  einem  Male  der  Umschlag  trotz  aller  unserer 
grossen  Siegeszuversicht?  Weil  unsere  Organisation  nicht  mit  der 
Zeit  fortgeschritten  ist.  Nirgends  waren  die  Kompetenzen  und  Funk¬ 
tionen  umschrieben.  Wohl  hat  unsere  Zentrale  in  Leipzig  Grosses 
geleistet,  dabei  war  aber  eine  Unsumme  überflüssiger  Arbeit,  eine 
Summe  von  Querelen,  welche  die  Zentrale  überhaupt  nicht  ent¬ 
scheiden  kann.  Es  muss  eine  Dezentralisation  eintreten; 
es  müssen  besoldete  Provinzialsekretariate  errichtet  werden,  da  die 
Vertrauensmänner  unmöglich  die  Arbeit  neben  ihrer  Praxis  leisten 
können.  Wenn  wir  Millionen  opfern  für  Leute,  die  uns  am  Mark 
gesaugt  haben,  so  lassen  Sie  uns  Stellen  schaffen,  die  so  besoldet 
sind,  dass  die  Sorge  ums  tägliche  Brot  wegfällt.  An  vielen  Orten 
haben  wir  keinen  Frieden,  vielleicht  hätten  wir  ihn,  wenn  wir  den 
Krieg  nicht  gescheut  hätten.  Die  Entwicklung  entspricht  nicht  dem 
Sinne  der  Aerzte.  Es  muss  Klarheit  geschaffen  werden,  wie  es 
weiter  werden  soll:  sonst  haben  wir  nicht  nur  eine  Schlacht  ver¬ 
loren,  sondern  das  Vertrauen  zum  Verband.  (Beifall  und  Zischen.) 

Den  Vorsitz  übernimmt  der  zweite  Vorsitzende  S  t  r  e  f  f  e  r  - 
Leipzig. 

Dyhrenfurth  -  Breslau  stellt  den  Antrag: 

Der  jetzige  Stand  der  Durchführung  des  Ber¬ 
liner  Abkommens  rechtfertigt  es,  die  bestehen¬ 
den  Schutz-  und  Trutzbündnisse  aufrecht  zu  er¬ 
halten  und  weiter  auszubauen. 

L  e  v  y  -  Graudenz  erinnert  an  die  siegesgewisse  Stimmung  im 
Oktober  1913  und  die  ziemlich  schlechte  Behandlung,  welche  Mül¬ 
ler-  Zittau  auf  der  Vertrauensmännerversammlung  wegen  seiner 
abweichenden  Haltung  erfuhr. 

Damals  waren  einige  derselben  Meinung,  aber  es  war  psycho¬ 
logisch  ein  Fehler,  sie  auszusprechen  Später  hat  sich  die  Situation 
geändert.  Der  Kampf,  gegen  die  Kassen  und  Regierung  mit  unzu¬ 
reichenden  Mitteln  geführt,  hätte  einen  unabsehbaren  Ausgang  ge¬ 
nommen.  Viele  Kollegen  sind  darauf  angewiesen,  täglich  das  einzu¬ 
nehmen,  was  sie  am  nächsten  Tage  ausgeben.  Jetzt  noch,  wo  die 
Verträge  nicht  abgeschlossen  sind,  werden  täglich  Vorschüsse  ver¬ 
langt.  Trotz  bester  Organisation  und  trotzdem  diese  Organisation 
bisher  alles  durchgesetzt  hatte,  schreckten  die  Kollegen  vor  einem, 
auch  nur  dreitägigen  Kampf  zurück.  Da  kann  man  nicht  mehr  sagen, 
wir  hätten  den  Kampf  durchhalten  können.  Wir  kennen  Hart¬ 
mann.  Von  allen  Sorten  von  Tabak  ist  ihm  sicher  keine  unsympathi¬ 
scher  als  die  Friedenspfeife!  Dass  er  trotzdem  das  Abkommen  ge¬ 
schlossen  hat,  ist  eine  Tat  des  von  höchstem  sittlichen  Verantwortlich¬ 
keitsgefühl  durchdrungenen  Gewerkschaftsführers.  Auch  wenn  das 
Berliner  Abkommen  voll  von  unzähligen  Fehlern  wäre,  war  es  doch 
das  einzig  mögliche. 

Ich  schwärme  nicht  für  die  preussische  Regierung;  die  preussi- 
schcn  Beamten  sind  manchmal  verbohrt,  aber  das  ist  sicher,  dass 
keiner  von  ihnen,  wenn  er  im  Schiedsamt  tätig  ist,  mit  kühler  Ueber- 


legung  den  Aerzten  Unrecht  geben  wird,  das  wird  ihnen  auch  der 
verbissenste  Preussenfeind  nicht  nachsagen.  Die  Aufgabe  des  LWV. 
wird  es  sein,  die  bis  dahin  falsch  unterrichteten  und  verhetzten  Be¬ 
amten  aufzuklären  und  von  der  Notwendigkeit  der  Mitarbeit  der 
lokalen  Aerztevertretungen  zu  überzeugen.  Es  muss  ihnen  klar  ge¬ 
macht  werden,  dass  die  Verträge  sinngemäss  zu  erfüllen  sind,  anders 
wie  cs  bisher  geschehen  ist.  Ich  kenne  einen  Landrat,  der  ist  so 
glatt,  dass  ein  Aal  gegen  ihn  wie  eine  Kette  von  Warzen  erscheint 
(grosse  Heiterkeit);  solche  Herren  müssen  einsehen  lernen,  dass  die 
Behörden  nicht  mehr  mit  den  Kassen  gegen  die  Aerzte  zu  kämpfen 
haben,  sondern  eine  der  drei  zusammenarbeitenden  Instanzen  zu 
bilden  haben.  Wir  wollen  deshalb  jetzt  auch  trotz  aller  Hartnäckig-  j 
keit  keine  Pfennigfuchser  und  nicht  habgierig  sein,  cs  handelt  sich  ; 
um  etwas  viel  Höheres,  um  unsere  Gleichberechtigung.  Dann  wer¬ 
den  die  Verhältnisse  besser  und  die  freie  Arztwahl  wird  von  selbst  ! 
durchdriugcn,  wenn  wir  die  Behauptungen  von  ihrer  Undurchführbar- 
keit  widerlegen.  Wir  müssen  die  Verträge  loyal  erfüllen.  Ist  denn 
nicht  die  Abschaffung  der  Nothelfer  allein  ein  Segen?  Kommt  nicht  | 
jetzt  dadurch  unser  moralisches  Reinlichkeitsbedürfnis  erst  wieder 
zur  Geltung?  Nun  wird  der  LWV.  seiner  eigentlichen  Bestimmung 
gerecht  werden  und  seine  Millionen  nicht  mehr  für  Halunken,  sondern 
für  Wohlfahrtseinrichtungen  verwenden  können.  Durch  das  Ber¬ 
liner  Abkommen  werden  wir  aus  Kämpfern  wieder  friedliebende  | 
Leute,  und  können  die  Berechtigung  unserer  Forderungen  nachweisen.  j 
Berechtigte  Forderungen  aber  werden  stets  erfüllt  werden. 

W  e  r  t  h  e  r  -  Breslau:  Das  Berliner  Abkommen  brachte  uns  diel 
schwere  Aufgabe,  die  Aerzte,  die  wir  mit  fliegenden  Fahnen  in  den 
Kampf  geführt  hatten,  zurückzurufen  und  Verhandlungen  einzuleiten. 
Trotzdem  eigentlich  das  bisherige  System  der  fixierten  Aerzte  beibe¬ 
halten  hätte  werden  müssen,  haben  wir  doch  fast  völlige  freie  Arzt¬ 
wahl  bekommen:  1  Arzt  auf  1000  Mitglieder,  freie  Arztwahl  für  die 
Spezialärzte.  Aber  die  52  Nothclfer  haben  wir  behalten.^  Erst  in 
letzter  Zeit  hat  das  Oberversicherungsamt  sich  in  dieser  Frage  auf  i 

unsere  Seite  gestellt.  T,  ... 

Hoffm  an  n- Braunschweig:  Ein  Teil  unserer  Kassen  wollte 
bei  uns  den  5-Pfennigbeitrag  verweigern,  die  Regierung  bestand 
aber  darauf  als  einer  der  Hauptbedingungen,  und  wir  Aerzte  werden 
die  Wahl  zum  Schiedsamt  ablehnen,  solange  nicht  alle  Kassen  den 
Beitrag  leisten.  Die  Aerzte  müssen  eben  den  festen  Willen  haben, 
die  Kassen  zur  Einhaltung  des  Abkommens  zu  zwingen. 

M  u  n  t  e  r  -  Berlin  verwahrt  sich  gegen  eine  Verallgemeinerung 
seiner  Bemerkungen  zur  freien  Arztwahl,  sonst  hätte  diese  nicht  in 
Berlin  volle  20  Jahre  bis  jetzt  bestehen  können.  Das  traurigste  ist 
Elbing.  Die  bekannte  Zigarrenfirma  Löser  &  Wolf  sollte  doch; 
bei  ihrem  ärztefeindlichen  Verhalten  bedenken,  dass  ihre  Zigarren- 
sorte  „Rara  avis“  auch  von  Aerzten  geraucht  wird. 

S  t  e  r  n  -  Elbing:  Nirgends  ist  alles  so  gegen  die  Aerzte  ver¬ 
bunden  wie  bei  uns:  das  Grosskapital  mit  uneingeschränkter  Macht 
und  seine  Begünstigung  durch  die  Regierung,  welche  8  Nothelfer  (bei. 
den  häufigen  Beurlaubungen  nur  7)  als  genügend  für  20  000  Kassen¬ 
mitglieder  gelten  lässt.  Auch  die  Errichtung  einer  Klinik  durch  die 
Kassen  wurde  trotz  hygienischer  Bedenken  so  sehr  begünstigt  und 
beschleunigt,  dass  bereits  nach  3  Tagen  die  behördliche  Konzession 
erteilt  wurde.  Dagegen  wurde  von  der  Errichtung  eines  Schieds¬ 
amtes  abgesehen,  da  Elbing  „ausserhalb  des  Berliner  Abkommens’ 
stehe.  In  Elbing  ist  vorerst  unsere  Organisation  machtlos,  wir  hotten 
aber,  dass  durch  die  Minderwertigkeit  der  zugezogenen  Aerzte  die 
Sache  von  selbst  zerfallen  wird.  Jedenfalls  wollen  wir  fest  bleiben. 

(Beifall.)  ,  ,  ,  ...... 

H  a  r  t  m  a  n  n  -  Leipzig:  Ausser  Schneider  haben  alle  Redner 
dem  Berliner  Abkommen  wenigstens  ein  gewisses  Wohlwollen  ge¬ 
zeigt.  Man  kann  ja  sehr  verschiedener  Meinung  sein,  und  ich  wi 
selbst  als  Vater  dieses  Kind  nicht  über  den  Schellkönig  loben.  Ich 
lehne  aber  entschieden  die  alleinige  Verantwortung  ab,  auch  Dippt 
und  Mugdan  haben  daran  mitgewirkt.  Wir  können  die  Verantwor¬ 
tung  auch  sehr  wohl  tragen.  Dass  wir  eine  Schlacht  verloren,  be 
streite  ich,  ebenso  aber  auch,  dass  der  LWV.  alles  Vertrauen  unc 
jeden  Kredit  verloren  habe.  Aber  wohl  hatten  wir  das  Vertrauen  n 
unsere  Gefolgschaft  verloren.  Wir  waren  Ende  Dezember  nicht  im 
stände,  alle  die  Deputationen  von  Vereinen  zu  empfangen,  welche  dii 
Beteiligung  an  einem  Kampfe  ablehnten.  Keine  dieser  Deputationei 
liess  sich  überzeugen,  dass  sic  Unrecht  habe.  Das  Berliner  Abi 
kommen  hat  als  ein  Kompromiss  nicht  alle  unsere  Ziele  erreicht,  abe 
auch  nach  einem  siegreichen  Kampf  hätten  wir  Konzessionen  machei 
müssen  und  den  Gegner  nicht  niederzwingen  dürfen. 

Aber  auch  bei  den  Kassen  ist  die  Beurteilung  des  Abkommen 
eine  sehr  verschiedene  und  auch  ihren  Führern  werden  Vorwürfe  ge 
macht.  Gegenüber  der  bekannten  Erklärung  der  4  Kassenvcrbänd 
—  welche  aber  nur  von  dem  Organ  des  Betriebskrankenkassenver 
bandes  gebracht  worden  ist  —  halte  ich  meine  Auffassung,  die  vo 
Mugdan  bestätigt  wird,  völlig  aufrecht  und  wir  werden  sie  scho 
durchzusetzen  wissen.  Eine  Bemerkung  Schneiders  ist  restlo 
richtig:  Warten  wir  ab!  Jedes  so  komplizierte  Werk  braucht  Zer 
alle  Bemängelungen  betreffen  nicht  die  Bestimmungen,  nur  die  Aus 
führung.  Die  Schiedsämter  werden  ihre  Entscheidungen  nicht  aus  de 
Luft  greifen,  sondern  werden  die  ärztlichen  Vorschläge  prüfen  müsset 
Die  neueren  Entscheidungen  sind  zugunsten  der  Aerzte  ausgefallci 
Schneiders  Beschwerden  kann  ich  wohl  verstehen,  denn  gerad 
in  seinem  Bezirk  bestehen  ausserordentliche  Schwierigkeiten.  Ein 
kolossale  Schwierigkeit  liegt  in  der  Haltung  des  preussischen  Har 


N-  l"1'  l9*T _ _ _ _  MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


delsministcrs.  Wir  werden  mit  diesem  Ministerium,  wie  es  scheint, 
noch  viel  zu  tun  bekommen. 

Was  das  Verbleiben  der  Nothelfer  in  Breslau  betrifft,  so  kann 
man  nicht  verlangen,  dass  die  Aerzte,  die  von  uns  erhalten  werden, 
irgendwo  anders  hin  versetzt  werden.  Einen  Teil  davon  müssen 
Sie  wenigstens  behalten.  In  Leipzig  waren  seinerzeit  98  Not- 
lielfcr  von  den  Leipziger  Aerzten  zu  unterhalten,  die  Breslauer 
werden  von  den  deutschen  Aerzten  bezahlt.  Die  Kassen  machen  die 
grössten  Schwierigkeiten  gegen  die  Entlassung  der  Nothelfer.  Darum 
müssen  wir  bei  den  Aerzten  Geduld  und  Opfersinn  erwarten. 

W  e  r  t  h  e  r  -  Breslau :  Wir  wollen  dem  LWV.  keinen  Vorwurf 
machen;  es  war  schwer  genug,  die  500  Breslauer  Aerzte  zusammen¬ 
zubringen.  Aber  es  wurde  uns  früher  zUgesichert,  dass  kein  Friede 
werden  sollte,  bevor  der  letzte  Nothelfer  den  Schauplatz  seiner 
Schande  verlassen  habe. 

S  t  e  r  n  b  e  r  g  -  Berlin :  Ich  gehöre  zu  der  Minorität,  die  dem 
Berliner  Abkommen  nicht  zustimmte,  und  bin  nicht  überzeugt,  dass 
Jas  Erreichte  im  Verhältnis  zu  den  aufgewendeten  Mühen  steht. 
Eine  grosse  Gefahr  ist  die  Vieldeutigkeit  des  Abkommens.  Es  gibt 
nun  schon  3  Kommentare  darüber,  die  in  wichtigen  Punkten  aus¬ 
einandergehen.  Das  kann  der  Verwaltungsbürokratie  nur  passen  und 
wir  werden  noch  überraschende  Auslegungen  erleben.  Jetzt  gilt  es 
nur  noch,  das  Beste  aus  dem  Abkommen  herauszuholen.  Einen  Fort¬ 
schritt  bedeutet,  wie  sich  das  jetzt  in  Berlin  zeigt,  der  Wahlausschuss, 
die  Solidarität  der  Aerzte  wird  im  Vertragsausschuss  zur  Geltung 
kommen.  Suchen  wir  möglichst  bei  den  Verhandlungen  die  Verwal- 
ungsbürokratie  auszuschalten  und  lieber  durch  Zurückstellen  einiger 
i-'orderungen  mit  den  Kassen  in  ein  gutes  Verhältnis  zu  kommen. 

Nachdem  ein  Antrag  auf  Schluss  der  Debatte  angenommen,  ge- 
angt  der  Antrag  D  y  h  r  e  n  f  u  r  t  h  zur  Annahme. 

II.  Bericht  des  Verbandskassiers  und  des  Aufsichtsrates. 

,  Hirsch  feld-Leipzig  macht  an  der  Hand  des  gedruckten 
<assenberichtes  einige  Bemerkungen,  wobei  er  die  Sektion  München 
tls  diejenige  rühmt,  welche  dem  LWV.  die  grösste  moralische  und 
uaterielle  Unterstützung  gewährt.  Im  ganzen  werden  die  finanziellen 
Verhältnisse  trotz  der  gegenwärtig  erforderlichen  starken  Leistungen 
ds  vorzüglich  bezeichnet.  Die  Darlehenskasse  hat  sich  als  eine  aus¬ 
gezeichnete  Einrichtung  bewährt. 

Mugdan  -  Berlin :  Der  Aufsichtsrat  (Mugdan,  Pfeiffer, 
'ran  z)  hat  die  Kassenverhältnisse  geprüft  und  alles  in  Ordnung 
»efunden;  er  beantragt  unter  dem  Ausdruck  der  Anerkennung  die 
■.ntlastung  des  Kassiers 

Die  Entlastung  wird  ohne  Diskussion  erteilt. 

III.  Der  Bericht  über  die  Witwengabe  liegt  im  Druck  vor. 

H  a  r  t  m  a  n  n  -  Leipzig:  Es  ist  bedauerlich,  dass  die  Einnahmen 
urückgegangen  sind,  während  die  Zahl  der  gut  begründeten  Gesuche 
mmer  steigt.  Der  Plan,  eine  zentrale  Auskunfts-  und  Fürsorgestelle 
iir  die  Hinterbliebenen  zu  errichten,  musste  zunächst  infolge  des 
ödes  Wentschers,  welcher  die  Vorarbeiten  übernommen  hatte, 
urückgestellt  werden.  In  ruhigeren  Zeiten  hoffen  wir  an  dieser  nicht 
infachen  Frage  weiterzuarbeiten. 

V.  Die  Aufbringung  der  Kosten  für  die  ärztlichen  Beisitzer  in  den 

Schiedsämtern. 

Generalsekretär  Dr.  Wi  eb  el;  Die  Kosten  dürften  zunächst  von 
cn  Aerztekammern,  dann  von  den  lokalen  Organisationen  aufzu- 
ringen  sein.  Der  Vorstand  schlägt  vor,  vorerst  da,  wo  es  nötig  ist, 
ir  die  Kosten  25  Proz.  des  Sektionsbeitrages  zur  Verfügung  zu 

teilen. 

Wird  angenommen. 

.  Die  Forderungen  der  Spezialisten  für  die  kassenärztlichen 

Verträge. 

Vorsitzender :  Der  als  Referent  bestellte  Prof.  Dr.  K  u  1 1  n  e  r  hat  nach 
ingeren  Vei  handlungen,  nachdem  er  zuerst  eine  Vertagung  der  Sache 
eantragt  hatte,  abgeschrieben,  da  er  sich  keinen  Erfolg  versprach 
’a  ein  Ersatz  fehlte,  die  Frage  aber  einer  Behandlung  bedarf,  schlägt 
er  Vorstand  vor,  die  Leitsätze  M  e  j  e  r  s  vom  Jahre  1913  zur  Grund¬ 
ige  zu  nehmen. 

M  agen-Breslau:  Die  Aufgabe  des  Referenten  ist  bei  der  Stimmung 
.er  I  eile  nicht  leicht  für  jeden,  der  kein  geriebener  Diplomat  ist. 
ie  Niesen  Mejers  scheinen  in  befriedigender  Weise  alles  zu 
-geln.  aber  in  einem  grossen  Teile  Deutschlands  ist  nach  dem  Ur- 
ule  der  Spezialisten  so  gut  wie  nichts  davon  verwirklicht.  Man 
Ui^t  darüber,  dass  das  Verständnis  für  die  Bedürfnisse  der  Spezial- 
rzte  bei  den  ärztlichen  Lokalorganisationen  kaum  grösser  sei,  als 
is  v  erständnis  der  Kassen  für  die  Aerzte,  und  dass  der  LWV.  zu 
enig  im  Sinne  jener  Thesen  auf  die  Lokalorganisationen  einwirke, 
as  Ueberweisungssystem  wird  oft  auch  da  von  den  Aerzten  ver- 
ngt,  wo  dies  die  Kassen  nicht  tun.  Die  Art  der  Uebcrweisung  ist 
erschieden,  in  manchen  Fällen  erträglich,  in  anderen  aber  mit  dem 
■  esen  der  freien  Arztwahl  nicht  vereinbar.  Der  Einwand,  dass  die 
ranken  selbst  nicht  urteilsfähig  seien,  trifft  hier  so  wenig  zu  wie  bei 
-r  Auswahl  der  Aerzte  überhaupt.  Eine  Vorschrift  z.  B„  dass  die 
ehci  Weisung  nur  für  eine  einmalige  Konsultation  gelten  soll,  ist  nicht 
chtig.  Als  Bezahlung  wäre  die  der  Einzelleitung  nach  den  Mindest- 
itzen  das  Ideale,  man  muss  aber  wohl  auch  das  Pauschale  gelten 
ssen  dort,  wo  für  die  Allgemeinheit  ein  solches  festgesetzt  ist,  es  muss 
mn  aber  entsprechend  sein,  nicht  ein  Almosen,  das  für  die  Spezial¬ 


ärzte  abfällt.  Deprimierend  ist  es,  wenn  z.  B.  bestimmt  wird,  dass 
nach  den  Mindestsätzen  zu  liquidieren  ist,  von  dem  Gesamtpauschale 
aber  höchstens  ein  Viertel  den  Spezialärzten  abgetreten  werden  soll, 
so  dass  unter  Umständen  nur  ein  Fünftel  der  Mindestgebühr  erreicht 
wird.  Wo  eine  Ueberweisung  nur  der  schweren  Fälle  besteht,  kann 
sicher  die  Bezahlung  der  Einzelleistung  nach  der  Mindestgebühr  er¬ 
wartet  werden;  denn  sicher  verlangen  die  Fälle  der  allgemeinen 
Praxis  keine  solchen  besonderen  Leistungen  als  diese  schweren  Fälle 
beim  Spezialisten. 

Für  den  Spezialarzt  ist  die  Krankenhausfrage  von  zunehmender, 
grösster  Bedeutung  um  so  mehr,  als  die  Behandlung  aller  Stände 
(Beispiel  des  Königs  von  Schweden)  in  Krankenhäusern  zunimmt.  Auf 
keinem  Gebiet  ist  die  Beurteilung  der  ärztlichen  Leistungen  eine  so 
perverse,  und  es  ist  ein  wirtschaftlicher  Wahnsinn,  wenn  in  Kranken¬ 
häusern  die  ärztliche  Behandlung  überhaupt  nicht  bewertet  wird.  - 
Vielfach  sind  bei  den  Vertragsabschlüssen  mit  den  Kassen  die  Inter¬ 
essen  der  Spezialärzte  überhaupt  nicht  beachtet  worden,  was  man  als 
eine  Pflichtverletzung  bezeichnen  muss.  Dabei  standen  die  Spezial¬ 
ärzte  in  allen  wirtschaftlichen  Kämpfen  keineswegs  an  zweiter  Stelle, 
sondern  sind  gerade  sie  die  eifrigsten  Organisatoren;  darum  soll  man 
sie  auch  nicht  sich  selbst  überlassen.  Die  Regelung  des  Polikliniken¬ 
unwesens  könnte  mit  der  Regelung  der  Spezialarztfrage  am  besten 
erreicht  werden.  Was  die  „Polypragmasie“  der  Spezialisten  angeht, 
so  dürfte  sie  kaum  grösser  sein,  als  bei  den  praktischen  Aerzten  und 
wäre  dann  eben  auch  durch  scharfe  Kontrolle  zu  bekämpfen  Die 
Vermehrung  der  Versicherten  durch  die  RVO.  betrifft  vielfach  ge¬ 
rade  Leute  der  Privatpraxis,  die  früher  den  Spezialarzt  gut  bezahlten. 
Sorgen  Sie  für  ein  entsprechendes  Einkommen  der  Spezialisten,  so  ver¬ 
mehren  Sie  das  eigene  Einkommen;  jedenfalls  haben  die  Aerzte  bei  an¬ 
ständiger  Bezahlung  der  Spezialärzte  nichts  für  ihre  allgemeine  Praxis 
zu  befürchten.  Für  alle  soll  das  gleiche  Recht  bestehen!  Es  ist 
Pflicht,  bei  den  noch  ausstehenden  Vertragsabschlüssen  der  Bedeutung 
der  Spezialarztfrage  ohne  Engherzigkeit  Rechnung  zu  tragen  und  die 
lokalen  Spezialarztvereinigungen  zu  hören. 

B  1  o  c  k  -  Hannover:  Unsere  spezialärztliche  Vereinigung  steht  in 
enger  Verbindung  mit  der  allgemeinen  kassenärztlichen  Organisation- 
beide  gehen  gemeinsam  vor.  Die  freie  Arztwahl  ohne  Ueberweisung 
mit  Bezahlung  der  Einzelleistung  wäre  schön,  aber  wir  bekommen  sie 
bei  den  Zwangskassen  nicht.  In  Wirklichkeit  besteht  freie  Arztwahl 
mit  Pauschale  oder  Ueberweisung  mit  Einzelleistung.  Unsere  Or¬ 
ganisation  beschloss,  die  Ueberweisung  anzunehmen,  das  Pauschale 
abzulehnen.  Es  ist  nicht  verständlich,  wie  man  die  Ueberweisung 
als  „Schmach  betrachten  kann,  wo  sie  doch  auch  in  der  Privatpraxis 
Gebrauch  ist.  Nur  soll  trotz  Ueberweisung  dem  Patienten  selbst  die 
Wahl  des  Spezialarztes  freigestellt  sein.  Das  erhofften  wir  in  Han¬ 
nover,  das  Berliner  Abkommen  hat  aber  die  Sache  gehemmt  und 
wir  haben  im  Vertragsausschuss  nichts  erreicht  und  hoffen  nun  auf 
das  Schiedsamt.  Nicht  wünschenswert  ist  die  Einbeziehung  der  Spe¬ 
zialärzte  in  das  allgemeine  Pauschale. 

Jess-Kiel  bespricht  die  Einschränkungen,  welche  die  all¬ 
gemeine  Praxis  durch  die  Unterfächer  der  inneren  Medizin,  vor  allem 
die  Kinderheilkunde  (auch  die  Tuberkulosefürsorge)  erleidet.  Die 
Kinderärzte  können  sich  in  den  Familien  fast  nicht  auf  ihr  Fach  be¬ 
schränken.  Das  einzige  Zweckmässige  wird  sein,  dass  die  prak¬ 
tischen  Aerzte,  allerdings  nur  bei  entsprechender  Ausbildung,  ihrem 
Titel  auch  die  Bezeichnung  „Kinderarzt“  anfügen. 

S  c  h  i  1 1  e  r  -  Breslau:  In  Breslau  besteht  eine  spezialärztliche 
Vereinigung,  die  mit  der  allgemeinen  Aerzteorganisation  zusammen 
arbeitete  und  kämpfte.  Wir  erreichten  freie  Snezialarztwahl  mit 
Ueberweisung;  da  aber  ein  Teil  der  praktischen  Aerzte  die  Kranken 
den  Polikliniken  zuweist,  streben  wir  die  völlig  freie  Arztwahl  an. 
In  der  Krankenhausfrage  hätte  die  Zentrale  mehr  tun  sollen.  Hier 
ist  vor  allem  zu  wünschen,  dass  die  Krankenhausärzte  sich  für  ihre 
Leistungen  zahlen  lassen  sollen,  viele  von  ihnen  arbeiten  Jahre  lang 
so  gut  wie  umsonst  und  die  Steuerzahler  tragen  die  Folgen  der  niedri¬ 
gen  Verpflegungssätze  in  den  Krankenhäusern.  Man  sollte  einmal  das 
einschlägige  beschämende  Material  zusammenstellen. 

Es  liegt  ein  Antrag  vor,  den  Gegenstand  von  der  Tagesord¬ 
nung  abzusetzen  und  der  nächsten  Vertrauensmännerversammlung 
vorzulegen. 

Schönheime  r-  Berlin  unterstützt  die  erste  Hälfte  dieses  An¬ 
trages.  Erst  sollten  sich  überhaupt  die  Spezialärzte  überall  unter  sich 
einigen. 

Ei  er  mann- Frankfurt  a.  M.  wünscht  keine  allzulange  Ver¬ 
schiebung  wegen  der  Vertragsabschlüsse,  die  Vertrauensmänner 
sollen  in  diesem  Herbst  die  Sache  beraten. 

Schück- Berlin  beantragt  Vertagung  auf  das  nächste  Jahr. 

P  e  y  s  e  r  -  Charlottenburg  empfiehlt  die  Behandlung  der  Frage 
auf  einem  Aerztetag  und  Ernennung  einer  vorbereitenden  Kom¬ 
mission. 

Angenommen  wird  der  Antrag  Schück:  Behand¬ 
lung  der  Sache  1915  auf  dem  Aerztetag  oder  im  LWV. 

VII.  Wahlen. 

Der  Vorstand  und  der  Aufsichtsrat  werden 
durch  Akklamation  wiedcrgewählt. 

VIII.  Stellungnahme  zu  den  neugegründeten  Gewerbe-  und  Hand¬ 
werkerkrankenkassen  und  verwandten  Kassenarten. 

S  t  r  e  f  f  e  r  -  Leipzig:  In  Halle  hat  Dippe  über  die  Mittel¬ 
standskassen  und  in  Stuttgart  Scholl  über  Schwindelkassen 


1598 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  28. 


gesprochen,  heute  wollen  wir  nur  kurz  das  1  licma  wieder 
diskul icren,  das  uns  sicher  noch  beschäftigen  wird,  wenn  wir  einiger- 
rnassen  wieder  Ruhe  haben.  Lieber  die  Schwindelkassen  liegt  beim 
LWV.  ein  grosses  Material  vor;  ihnen  gegenüber  ist  unser  Standpunkt 
unverrückbar,  irgendwelche  Betätigung  der  Aerzte  bei  diesen  ist 
ausgeschlossen.  Mit  dem  Verband  freier  Hilfskassen.  von  denen  viele 
in  Zuschusskassen  verwandelt  worden  sind,  haben  mancherlei  Verhand¬ 
lungen  stattgehabt  und  ist  z.  B.  für  Leipzig  auch  ein  Vertrag  zustande 
gekommen.  Neugegründet  wurden  die  Handwerker-  und  Gewerbe- 
krankcnkassen  und  sind  unter  verschiedenen  Namen  besonders  in 
Norddeutschland  und  Baden  solche  in  der  Bildung  begriffen.  Es  soll  ein 
Verband  für  das  Deutsche  Reich  entstehen  und  man  wollte  schon  für 
ganz  Sachsen  einen  Vertrag  mit  den  Aerzten  schliessen.  Wir  haben 
aber  jeden  Vertrag  abgewiesen,  da  die  betr.  Handwerker  für  sich 
selbst  einen  solchen  wollten;  dagegen  haben  wir  endlich  zugestanden, 
probeweise  auf  ein  Jahr  die  Untersuchungen  bezüglich  der  Aufnahme¬ 
fähigkeit  in  die  Kasse  zu  übernehmen  mit  voller  freier  Arztwahl  auf 
diesem  (iebiet  vertrauensärztlicher  Tätigkeit.  Das  Zeugnis  beant¬ 
wortet  auf  einem  Formular  die  Frage,  ob  für  die  Kasse  ein  Risiko 
besteht,  und  wird  mit  4  M.  honoriert,  wovon  der  Bewerber  und  die 
Kasse  die  Hälfte  trägt.  Nun  soll  auch  für  Beamtenkreise  Aehnliches 
geschaffen  werden.  Die  Beamten  wollen  sich  gegen  Krankheit  ver¬ 
sichern,  aber  nur  in  der  Weise,  dass  der  Kranke  einen  Geldbetrag 
erhält,  sonst  aber  nicht  in  das  Verhältnis  zum  Arzt  eingegriffen  wird. 
In  diesem  Sinne  können  w'ir  wohl  einverstanden  sein;  denn  die  Siche¬ 
rung  gegen  die  wirtschaftliche  Schädigung  durch  Krankheit  können 
wir  an  sich  anerkennen,  so  lange  die  Sicherung  nicht  auf  unsere 
Kosten  geschieht  und  nicht  unsere  freie  ärztliche  Praxis  eingeschränkt 
wird. 

Jeddeloh-  Lüneburg  berichtet  über  Versuche  von  Kassen,  un¬ 
entgeltliche  Krankheitsbescheinigungen  zu  erhalten.  Vielleicht  wären 
solche  zu  gewähren,  wenn  die  Bezahlung  der  Aerzterechnungen 
garantiert  wäre;  Antrag;  Die  reellen  Gewerbe-  und  Hand¬ 
werkerkassen  sind  als  Unterstützungskassen  zu  betrachten  und  ihre 
Mitglieder  als  Privatpatienten  zu  behandeln.  Krankheitsbescheini¬ 
gungen  dürfen  auf  einem  vorgedruckten  kurzen  Formular  unentgelt¬ 
lich  ausgefertigt  werden,  wenn  die  Kasse  sich  dem  LWV.  verpflichtet, 
die  statutarische  Krankenunterstützung  erst  nach  jedesmaliger  Vor¬ 
lage  der  bezahlten  Arztrechnung  anzuweisen. 

Generalsekretär  Dr.  W  i  eb  el  widerspricht  diesem  Antrag.  Wir 
haben  keinen  Anlass  zur  unentgeltlichen  Ausfertigung  von  Zeugnissen; 
dagegen  mag  es  jedem  Arzt  freistehen,  gegen  eine  Gebühr  von  2  M. 
in  freier  Form  Krankheitsbescheinigungen  abzugeben. 

Jcss-Kiel:  Wir  haben  in  Kiel  beschlossen,  selbst  Formulare 
aufzustellen  und  gegen  2  M.  auszufüllen. 

Sternberg  -  Berlin  beantragt:  Der  LWV.  .lehnt  den  Abschluss 
von  Verträgen  über  ärztliche  Behandlung  mit  Angehörigen  nichtver¬ 
sicherungspflichtiger  Mittelstands-,  Gewerbe-,  Handwerker-  u.  dgl. 
Kassen  im  Interesse  der  Bevölkerung  und  des  ärztlichen  Standes  ab. 

Dieser  Antrag  wird  angenommen;  der  Antrag 
Jeddeloh  wird  abgelehnt. 

IX,  Antrag  des  Landesverbandes  Württemberg  betr.  Regelung  von 

Grenzfragen. 

„Streitigkeiten  wegen  Abgrenzung  der  Kassenpraxis  zwi¬ 
schen  kassenärztlichen  Organisationen  benachbarter  Bundes¬ 
staaten  bzw.  Provinzen  sind  der  Zentrale  in  Leipzig  zur  Ent¬ 
scheidung  vorzulegen.  Die  Zentrale  gibt  ihren  Schiedsspruch  aui 
Anrufen  einer  Partei  nach  Kentnisnahme  der  Akten  ab.  Der 
Schiedsspruch  ist  bindend,  wenn  beide  Parteien  vorher  erklären, 
sich  ihm  unterwerfen  zu  wollen. 

Die  Entscheidung  kann  auch  durch  eine  von  der  Zentrale  ein¬ 
zusetzende  lokale  Kommission  mit  unparteiischem  Vorsitzenden 
erfolgen.1- 

Der  Antrag  wird  nach  kurzer  Begründung  durch  Dr.  Ros- 
ner  -  Stuttgart  ohne  Diskussion  angenommen. 

Mit  einem  Dankwort  des  Vorsitzenden  wird  die  Hauptver¬ 
sammlung  um  4V4  Uhr  geschlossen.  B  e  r  g  e  a  t. 


Verschiedenes. 

Zur  Frage  der  Verbreitung  der  Geschlechtskrankheiten  in  München. 

Das  Statistische  Amt  der  Stadt  München  veröffentlichte  soeben 
die  Ergebnisse,  welche  sich  bei  der  in  der  Zeit  vom  7.  Januar  bis 
einschliesslich  6.  Februar  1914  durchgeführten  Erhebung  über  die  in 
München  in  ärztlicher  Behandlung  befindlichen  geschlechtskranken 
Personen  gezeigt  haben,  ln  den  Kreisen  der  Aerzte  besteht  seit 
langer  Zeit  der  Wunsch,  eine  Vorstellung  von  dem  annähernden  Um¬ 
fang  zu  gewinnen,  welchen  die  Geschlechtskrankheiten  in  der  Be¬ 
völkerung  Münchens  besitzen.  Die  Entdeckung  der  Spirochäte,  der 
Ueberimpfbarkeit  der  Syphilis  auf  Tiere,  welche  die  experimentelle 
Durchforschung  der  Syphilis  ermöglichte,  die  Entdeckung  der  Sero¬ 
diagnostik,  die  Einführung  des  Salvarsans  in  die  Syphilisbehandlung 
haben  die  Erkenntnis  gebracht,  dass  die  Bedeutung  der  Syphilis  einen 
bisher  ungeahnten  Umfang  in  der  menschlichen  Pathologie  einnimmt. 
Es  ist  daher  zu  verstehen,  dass  auch  die  staatlichen  Behörden  wie 
die  Allgemeinheit  der  Therapie  venerischer  Krankheiten  immer  mehr 
Interesse  entgegenbringen.  Von  der  Erwägung  ausgehend,  dass  die 


Kenntnis  der  Verbreitung  der  Geschlechtskrankheiten  in  der  Be¬ 
völkerung  lebhaft  interessieren  müsse,  hat  die  Deutsche  Gesellschaft 
zur  Bekämpfung  der  Geschlechtskrankheiten  die  von  den  statistischen 
Aemtern  der  Grossstädte  des  Reiches  geleitete  Erhebung  unterstützt 
und  der  Aerzteschaft  die  Mitarbeit  bei  der  Statistik  wärmstens  ans 

Herz  gelegt.  ,  .  ....  .  ,  .. 

Die  Erhebung  wurde  in  der  Weise  durchgefuhrt,  dass  an  die 
sämtlichen  Aerzte  der  Stadt  ein  Fragebogen  versandt  wurde,  in  den 
sie  jeden  Krankheitsfall  während  der  einmonatlichen  Beobachtungs¬ 
zeit  einzutragen  hatten.  Die  Krankheitserscheinungen  waren  einge¬ 
teilt  in  Ulcus  molle,  Gonorrhöe,  Syphilis,  sowie  deren  Folgeerschei¬ 
nungen.  Alle  nicht  venerischen  Genitalaffektionen,  wie  spitze  Kon¬ 
dylome,  Urethritis  non  gonorrhoica,  Herpes  genitalis  usw.  waren  nicht 
aufzuführen.  Mit  Rücksicht  auf  die  ausserordentliche  Bedeutung  von 
Tabes  und  Paralyse  waren  für  diese  besondere  Spalten  als  Unter¬ 
gruppen  vorgesehen  mit  Unterscheidung  der  alten  Fälle  und  der  erst¬ 
malig  Erkrankten.  Im  Fragebogen  war  zugleich  das  Geschlecht,  der 
Familienstand,  der  Wohnort  der  Kranken,  sowie  der  Infektionsort  an¬ 
zugeben.  Die  in  den  öffentlichen  Krankenanstalten  behandelten  Fälle 
wurden  vom  Amte  direkt  erhoben. 

Es  ist  selbstverständlich,  dass  die  Angelegenheit  seitens  der 
Aerzte  wie  seitens  der  Behörde  streng  vertraulich  behandelt  werden 
musste.  Aus  diesem  Grunde  wurde  die  Namensnennung  der  Aerzte 
vermieden,  und  es  erfolgte  nur  eine  Numerierung  der  Erhebungs¬ 
bogen,  welche  einer  beim  Amte  geführten  Namenslistc  entsprach.  Die 
Namen  der  Kranken  konnten  überhaupt  nicht  erfahren  werden,  da 
die  Aerzte  die  einzelnen  Fälle  mittels  der  sog.  Strichelmethode  in  die 
Bogen  eintrugen.  Dadurch,  dass  die  im  Laufe  eines  Monats  die 
Sprechstunde  besuchenden.  Patienten  im  Erhebungsformulare  ver¬ 
merkt  wurden,  wobei  jeder  Patient  nur  einmal  eingetragen  werden 
durfte,  erhielt  man  die  zu  Beginn  der  Beobachtungszeit  in  ärztlicher 
Behandlung  befindlichen  Personen  zuzüglich  der  im  Laufe  der  vier 
Wochen  neu  hinzugekommenen. 

Wie  jeder  Arzt  und  jeder  Statistiker  weiss,  konnte  die  Er¬ 
hebung  natürlich  nicht  die  Gesamtzahl  der  Kranken  erfassen;  denn 
es  gibt  Geschlechtskranke,  die  sich  aus  Leichtsinn  oder  Unverstand 
der  ärztlichen  Behandlung  entziehen,  während  andere  sich  von  Kur¬ 
pfuschern  behandeln  lassen  und  daher  ebenfalls  nicht  in  der  Erhebung 
mitinbegriffen  sein  können.  Dazu  kommt,  dass  nicht  sämtliche  Aerzte 
der  Stadt  die  Berichte  einsandten.  Von  den  Spezialisten  für  Haut- 
und  Geschlechtskrankheiten  beteiligten  sich  mit  ganz  wenigen  Aus¬ 
nahmen  sämtliche  an  der  Erhebung,  von  der  Aerzteschaft  insgesamt 
waren  es  an  90  Proz.,  die  ihr  Material  dem  Statistischen  Amte  zur 
Verfügung  stellten. 

Mit  diesen  Mängeln  aber  war  bei  der  vorliegenden  Statistik  von 
vornherein  zu  rechnen.  Gleichwohl  dürften  die  gefundenen  Zahlen  auf 
die  Verbreitung  der  Geschlechtskrankheiten  in  München  schliessen 
lassen;  vor  allem  aber  gibt  die  Erhebung  interessante  Aufschlüsse 
über  die  Grössenordnungen,  über  die  verhältnismässige  Verbreitung 
der  einzelnen  Krankheiten. 

Es  hat  sich  ergeben,  dass  in  der  Zeit  vom  7.  Januar  bis  ein¬ 
schliesslich  6.  Februar  1914  in  München  3600  Personen  sich  wegen 
Geschlechtskrankheiten  von  Aerzten  behandeln  Hessen.  Bei  einer 
Bevölkerungsziffer  von  rund  640  000  kommen  auf  1000  Einwohner 
5,62  in  ärztlicher  Behandlung  gestandene  Geschlechtskranke.  Unter 
den  3600  Kranken  sind  aber  nachweislich  nur  3052  oder  «4,77  Proz.  in 
München  selbst  wohnhaft,  so  dass  auf  1000  Einwohner  4,77  in  München 
wohnhafte  Geschlechtskranke  treffen,  die  in  ärztlicher  Behandlung  ge¬ 
standen  haben.  Von  sämtlichen  Kranken  Hessen  sich  900  =  25  Proz. 
in  Anstalten  behandeln,  während  2700  =  75  Proz.  in  privatärztlicher 
Behandlung  standen.  2495  Kranke  sind  männlichen  Geschlechtes, 
ihnen  stehen  1105  weiblichen  Geschlechtes  gegenüber.  Im  ganzen 
sind  67,89  Proz.  aller  Kranken  ledig,  31,25  Proz.  verheiratet,  bei 
0,86  Proz.  war  der  Familienstand  nicht  zu  ermitteln.  Von  den  Män¬ 
nern  sind  69,85  Proz.  ledig,  29,13  Proz.  verheiratet,  bei  1,02  Proz. 
ist  der  Familienstand  unbekannt.  Für  die  Personen  weiblichen  Ge¬ 
schlechtes  lauten  die  entsprechenden  Zahlen:  63,66  Proz.,  36,02  Proz., 
0,32  Proz. 

Von  sämtlichen  Geschlechtskranken  Hessen  sich  1768  =  49,11 
Proz.  an  Tripper  und  dessen  Komplikationen  behandeln;  von  ihnen 
sind  73,06  Proz.  männlichen,  36.94  Proz.  weiblichen  Geschlechtes. 

An  weichem  Schanker  waren  50  Personen  oder  1,39  Proz.  er¬ 
krankt;  hievon  sind  82  Proz.  männlichen,  18  Proz.  weiblichen  Ge¬ 
schlechtes. 

An  Syphilis  aller  Art  waren  1782  Personen  oder  49,50  Proz.  er¬ 
krankt.  Hievon  sind  64,64  Proz.  männlichen,  35,36  Proz.  weiblichen 
Geschlechtes.  Fälle  mit  frischer  Syphilis  finden  sich  301,  mit  rezidi¬ 
vierender  Syphilis  1389,  mit  Erbsyphilis  92;  es  waren  also  unter  den; 
Luetikern  16,64  Proz.  an  frischer,  77,95  Proz.  an  rezidivierender  und 
5,16  Proz.  an  Erbsyphilis  erkrankt.  Hievon  waren  bei  frischer  Sy¬ 
philis  65,44  Proz.  männlichen,  36,56  Proz.  weiblichen,  bei  rezidivieren¬ 
der  Syphilis  65,51  Proz.  männlichen,  34,49  Proz.  weiblichen  und 
schliesslich  bei  Erbsyphilis  je  50  Proz.  männlichen  und  weiblichen  tie- 
schlechtes. 

Bei  Tripper,  weichem  Schanker,  frischer  Syphilis  und  Erbsyphilis 
machen  die  ledigen  Personen  weitaus  den  grössten  Prozentsatz  aus, 
bei  rezidivierender  Syphilis  dagegen  zeigt  sich  das  umgekehrte  Ver¬ 
hältnis.  Es  sind  unter  den  an  rezidivierender  Syphilis  erkrankten 
Personen  45,21  Proz.  ledig,  52,99  Proz.  verheiratet,  bei  1,80  Proz. 
ist  der  Familienstand  unbekannt. 


14.  Juli  1914. 


MUFNCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1599 


Auf  Eirund  dieser  Ziffern  kann  man  sich  ein  Bild  über  die  Ver¬ 
breitung  der  Geschlechtskrankheiten  in  München  verschaffen.  Von 
Interesse  wird  es  sein,  einen  Vergleich  zwischen  den  Ergebnissen 
Münchens  und  der  anderen  Grossstädte  anzustellen;  noch  liefen 
wenige  Ergebnisse  anderer  Städte  vor.  In  Nürnberg,  Fürth,  Königs¬ 
berg,  Breslau  und  Berlin,  deren  Ergebnisse  bereits  veröffentlicht  wur¬ 
den,  sind  die  Verhältniszahlen  ungefähr  die  gleichen  wie  in  München. 
I  )as  statistische  Amt  in  Frankfurt  a.  M.  wird  die  Ergebnisse  sämt¬ 
licher  (irossstadte  des  Reiches  zusammenstellen;  dann  wird  sich 
zeigen,  welchen  Umfang  die  Geschlechtskrankheiten  in  Deutschland 
gewonnen  haben.  Die  Kenntnis  der  Verbreitung  dieser  Krankheiten 
wird  erst  die  richtige  Handhabe  für  die  Bekämpfung  des  furchtbaren 
Feindes  bieten,  der  die  Gesundheit  des  Volkes  untergräbt  und  die 
Kraft  der  Nation  schwächt.  5CI, 

Therapeutische  Notizen. 

Unter  den  physiologischen  Gesichtspunkten,  die  bei  der  Be¬ 
handlung  des  Magengeschwürs  und  ähnlicher  Zu¬ 
stande  in  Betracht  kommen,  hält  H.  Januscfike  -  Wien  für 
einen  der  wichtigsten  die  Berücksichtigung  der  Entstehung  des  Ge¬ 
schwürs. 

Wenn  man  die  Entstehung  auf  die  durch  Spasmen  der  Muscularis 
mucosae  hervorgerufene  Ischämie  der  Magenschleimhaut  zurückführt, 
so  empfiehlt  es  sich  vor  allem  die  motorischen  Vagusendigungen  aus¬ 
zuschalten  und  so  den  krampferzeugenden  Reiz  von  der  Magen¬ 
muskulatur  fernzuhalten.  Das  wird  am  besten  erreicht  durch  Atropin. 
Jas  neben  der  Beseitigung  der  Spasmen  noch  eine  hemmende  Wirkung 
aut  die  Magensekretion  ausiibt.  —  Führt  eine  systematische  Atropin¬ 
kur  nicht  zum  Ziele,  so  handelt  es  sich  entweder  um  einen  Pyloro- 
spasmus.  der  durch  Atropindarreichung  per  Klysma  bekämpft  werden 
kann,  oder  aber  es  handelt  sich  um  eine  Kontraktion  des  Sphincter 
pylori,  der  vom  Sympathikus  aus  seine  Reize  bekommt.  Da  das 
Atropin  aber  auf  den  Sympathikus  keine  Einwirkung  besitzt,  so  ist 
n  diesen  Fällen  ein  Versuch  mit  Papaverinum  hydrochloricum  zu 
nachen,  das  die  Erregbarkeit  der  glatten  Muskulatur  abstumpft 

Diese  medikamentöse  Behandlung  des  Ulcus  ventriculi  ist  zu 
jntei  stützen  durch  diätetische,  physikalische  und  hygienische  Mass- 
lahmen.  eine  möglichst  reizlose  Kost,  in  kleinen  Mengen  verabreicht, 
ernhaltung  von  scharfen  Gewürzen  und  von  Alkohol,  Vermeidung 
dler  groben  Speisen  sind  von  grösster  Wichtigkeit. 

Bei  sehr  überempfindlicher  Magenschleimhaut  muss  man  zur 
\nasthesie  derselben  schreiten.  Unter  den  Anästhetika  empfiehlt  J. 
im  meisten  das  Anästhesin  und  das  Novokain.  (Ther.  Mh.  1914  4  j 

Kr.  ' 

I  9  r  e ;  y  f  u  s  und  Dr.  J.  Schürer  von  der  Med.  Klinik 

les  stadt  Krankenhauses  bzw.  dem  hygienischen  Institut  in  Frank- 
urt  a.  M.  haben  einen  Fall  von  postdiphtherischer  Poly- 
e  u  r  i  t  i  s  durch  Tonsillektomie  mit  vollkommenem  Erfolg  behandelt 
ausgehend  von  der  Anschauung,  dass  Rezidive  und  Verschlimme- 
ungen  einer  Neuritis  Monate  nach  einer  akuten  Diphtherie  nur  durch 
rneute  (jiftzufuhr  von  den  Tonsillen  aus  hervorgerufen  werden 
Jonnen,  hielten  sie  eine  kausale  Therapie  —  analog  dem  Wund- 
tarrkrampf  —  nur  in  einer  Entfernung  des  Infektionsherdes  ge- 
eben  3  Monate  nach  der  Infektion  fanden  sich  noch  virulente 
hphtheriebazillen  im  Rachenabstrich.  14  Tage  nach  Entfernung  der 
onsillen  war  der  Patient  völlig  beschwerdefrei.  Unmittelbar  nach 
er  Operation  wie  auch  später  waren  in  den  Rachenabstrichen  Diph- 
leriebazillen  nicht  mehr  nachweisbar.  Um  eine  lokale  Wunddiph- 
lerie  zu  vermeiden,  wurden  1  Stunde  vor  der  Operation  2000  I.-E. 
erum  intramuskulär  injiziert,  nachdem  zur  Erzeugung  einer  Anti- 
naphylaxie  24  Stunden  vor  dem  Eingriffe  300  I.-E.  subkutan  ge- 
eben  waren.  Verfasser  empfehlen,  auch  bei  postdiphtherischen 
ah  m  ungen  aufden  Zustand  der  Tonsillen  und  den  Bazillengehalt 
er  Abstriche  zu  achten  und  selbst  bei  negativem  Bazillenbefund 
ber  s°  ].r  Protrahiertem  Verlauf  die  Tonsillektomie  zu  erwägen 


Tagesgeschichtliche  Notizen. 

München,  den  13.  Juli  1914. 

.  — ■  Die  internationale  Gesellschaft  für  Chirur- 
i  e,  deren  4.  Kongress  im  April  d.  J.  in  New  York  stattfand,  hat  be- 
.nlossen,  den  5.  Kongress  im  Jahre  1917  in  Paris  abzuhalten.  Als 
egenstände  der  Tagesordnung  wurden  bestimmt:  1.  Chirurgie  des 
erzens  und  der  Gefässe,  einschliesslich  Thrombosen  und  Embolien; 
luttransfusion.  2.  Tumorenbehandlung  mit  Röntgenstrahlen  und  Ra- 
um.  3  Blutuntersuchungen  und  biologische  Reaktionen  bei  chirur- 
schen  Erkrankungen.  4.  Frakturen  des  Unterschenkels  und  Fuss- 
uenks.  Ferner:  Diagnose  und  Behandlung  des  Tetanus. 

Im  Jahre  1917  findet  bekanntlich  auch  der  Internationale 
edizinische  Kongress  in  München  statt.  Da  noch  die 
itionalen  chirurgischen  Kongresse,  wie  der  deutsche  und  frän¬ 
kische  Chirurgenkongress  dazukommen,  so  ergibt  sich  für  das 
1  ',r  oine .  Ueberproduktion  an  chirurgischen  Kongressen 

a  dadurch  eine  Zersplitterung,  die  der  Sache  nur  zum 
-haden  gereichen  kann.  Dies  um  so  mehr,  als  die  Tagcs- 


ordnung  des  int.  Chirurgenkongresses  Themata  aufweist,  die  ganz 
selbstverständlich  auch  auf  dem  int.  med.  Kongress  zur  Sprache 
kommen  müssen,  wie  die  Strahlenbehandlung  der  Tumoren,  die  bio- 
ogischen  Reaktionen  u.  a.;  ja  die  ganze  Tagesordnung  dieses  Kon- 
gresses  besteht  mit  Ausnahme  des  Punktes  4  aus  Fragen,  die  An¬ 
gehörige  nichtchirurgischer  Disziplinen  lebhaft  interessieren,  also  für 

Untpr  HiVcl  reH  c!,iru,rKischen  Kongress  besonders  geeignet  wären. 
Unter  diesen  Umstanden  wäre  es  sehr  zu  wünschen,  dass  der  int. 
Chirurgenkongress  um  ein  Jahr  verlegt  würde,  oder  dass  er,  was  viel¬ 
leicht  noch  zweckmassiger  wäre,  für  das  Jahr  1917  mit  dem  int.  med 

w?ir.r£eSSA  ,yfeaeinigtvi;und  al-  Se,ktiün  dieses  Kongresses  abgehalten 
JJSL  Auf  diese  Wei?e  vYare  die  Möglichkeit  zu  einer  umfassenden 
gemeinsamen  Aussprache  der  Chirurgie  mit  der  inneren  Medizin  und 

demsrhP,  S  "fien  gtfgeben’  AussPrachen,  wie  sie  sich  auf  unseren 
deutschen  Naturforscherversammlungen  schon  so  oft  als  fruchtbrin¬ 
gend  gezeigt  haben.  Da  die  internationalen  Chirurgenkongresse  alle 
ö  Jahre,  die  internationalen  medizinischen  Kongresse  alle  4  Jahre 

Da  wWSe0dafnn?P  3 r  •,ahre’1  dass  beidc  Zusammentreffen. 

rilt  ld  i,i°  (Ur-dei1  Chirurgenkongress  nicht  gross,  wenn  er 
„!  d “r.sEm  Jah.re  auf  eine  eigene  Tagung  verzichten  würde;  wohl 
aber  konnte  die  wissenschaftliche  Ausbeute  durch  die  gemeinschaft- 

h^eit  bfldf  K?ngresse  in  cinem  Jahre  erheblich  sein.  Uebri- 
gens  hat  auch  der  internationale  Anatomenkongress 
bereits  beschlossen,  seinen  Kongress  im  Jahre  1917  als  Sektion  des 
mt.  med.  Kongresses  abzuhalten. 

c-  !, Der  Aerztestreik  in  Niederbarnim  ist  durch  das 
Eingreifen  des  Handelsministers  rasch  beigelegt  worden.  Am  8  ds 
fand  im  Oberversicherungsamt  in  Berlin  eine  längere  Verhandlung 
statt,  in  der  der  Vorsitzende  der  Kasse,  der  Landrat  des  Kreises 
Niederbarmm,  sich  bereit  erklärte,  das  ärztliche  Honorar  vnn 
80  000  M  auf  100  000  M.  vierteljährlich  zu  erhöhen.  Die  bisher  ver¬ 
zögerten  Vertragsverhandlungeii  zwischen  Kasse  und  Aerzten  sollen 
unverzüglich  aufgenommen  werden.  (Vergl.  den  Berliner  Brief  in 
dieser  Nummer.)  m 

....  T  Auch  im  Kreise  Oberbarnim,  wo  Streit  zwischen  den  Aerzten 
und  den  Kassen  besteht,  ist  es  in  letzter  Stunde  noch  zu  einer 
vorläufigen  Einigung  gekommen.  Die  freie  Arztwahl  bleibt  bestehen. 
In  den  Kreisen  Angermiiiide  und  Templin  haben  die  Aerzte  ihre 
kassenarzthehe  Tätigkeit  eingestellt. 

—  Der  Polizeipräsident  von  Berlin  erlässt  folgende  Warnung 
vor  Entfettungsmitteln.  Seit  längerer  Zeit  werden  in  der 
resse  unter  der  Maske  redaktioneller  Besprechungen  allerlei  minder¬ 
wertige  Mittel,  besonders  Entfettungsmittel,  in  marktschreierischer 
Wtise  zum  Kaufe  angepiesen  unter  Phantasienamen  wie  Salrado 
Aj^y,  Onadal,  Resiablätter  und  Boraniumbeeren.  Den  Vertrieb  dieser 
Mittel  vor  deren  Ankauf  ich  hiermit  warne,  haben  die  Firmen  The 
Salrad0  Co.  in  Hamburg,  C.  F.  Asche  &  Co.  in  Hamburg  und  die 
Deaborngesellschaft  in  Berlin,  Poststr.  12,  übernommen. 

.  Ä  ^^3  der  bayerischen  Abgeordnetenkammer  hat  in  Beantwortung 
einer  Anfrage  der  Kriegsminister  die  Erklärung  abgegeben,  dass  der 
Zugang  der  jungen  Militärärzte  zum  aktiven  Dienst  in 
der  bayerischen  Armee  sich  in  diesem  Jahre  bedeutend  erhöht  hat. 
Bis  jetzt  sei  mehr  als  die  doppelte  Anzahl  von  Unterärzten  angestellt 
worden  als  im  Vorjahre  Hiernach  dürfe  wohl  erwartet  werden,  dass 
der  langbeklagte  Mangel  an  aktiven  Sanitätsoffizieren  in  absehbarer 
Zeit  behoben  sein  wird.  ICI 

—  Gemäss  §  7  Abs.  4  der  Satzungen  hat  sich  der  auf  der  Haupt¬ 
versammlung  am  25.  Juni  1914  in  München  gewählte  Vorstand  des 
Leipziger  Verbandes  konstitutiert.  Nach  Zuwahl  weiterer  4  Mit¬ 
glieder  gehören  ihm  an  die  Herren  DDr.  Hartmann  S  t  r  e  f  f  e  r 
Hirschfeld  M  e  j  e  r,  G  ö  h  1  e  r,  Prof.  Dr.  Schwarz,  DDr.’ 
Dumas,  Voller  t,  Klober  g,  Meischner. 

—  Dem  Arzt  Dr  Carl  Heinrich  S  t  r  a  t  z  im  Haag,  Holland,  ist 
woTden^^hk)  6n  Kultusm,nister  das  Prädikat  Professor  verliehen 

r.  T  ”P  i  ?  f  c  b  u  1  ®  d  e  r  Chemie.  Erste  Einführung  in  die 
Chcime  für  Jedermann  von  Wilhelm  Ostwald  ist  in  3.  Auflage 

PreTs  M  s  |  S  T  Friedr- V  ieweg&Sohnin  Braunschweig, 
Preis  M  5.50)  erschienen  O  s  t  w  a  1  d  ist  bekannt  nicht  nur  als 
Meister  der  Sprache,  sondern  auch  als  Meister  leichtverständlicher 
Darstellung;  man  lese  nur  seine  Geschichte  der  Elektrochemie.  Diese 
Eigenschaften  kommen  auch  in  seiner  „Schule  der  Chemie“  zur  vollen 
?v  erkl|ren  den.^ ausserordentlichen  Erfolg,  den  das  Buch 
gehabt  hat.  Dieser  Erfolg  wird  auch  der  neuen  Auflage  treu  bleiben 
zumal  diese  im  Preise  abermals  ermässigt  und  durch  ein  Sachregister 
vermehrt  wurde. 

~  P  ?  S Peu^scb  Ostafrika.  In  Daressalam  wurden  in  der  Zeit 
vom  .  bis  10.  Juni  4  neue  Pestfälle  festgestellt.  —  Russland.  Im 

oJ°i^ffAntraCSan  Sind  tem  0rte  Bulanai  vom  25.  Mai  bis  14.  Juni 
9  lestfalle,  dcirunter  7  Erkranl^ungen  an  Lungenpest,  festgestellt 
worden  —  Türkei.  In  Jaffa  wurde  am  26.  Juni  in  der  Umgebung 
der  früheren  Erkrankungen  ein  neuer  Pestfall  ermittelt.  In  Beirut  ist 
am  16.  Juni  ein  mchteingeschleppter  Pestfall  ermittelt  worden.  — 

Ple+n'  rc  ?en.  beiden  Wochen  vom  13.  bis  26.  Juni 

erkiankten  15  (und  starben  9)  Personen.  —  Britisch  Ost- 

'nd‘enö  Vom  24-  bis  30.  Mai  erkrankten  3783  und  starben 
3324  Personen  —  Mauritius.  Vom  10.  April  bis  7.  Mai  2  Erkran¬ 
kungen  und  1  I  odesfall.  —  Cuba.  In  Havana  ist  am  23.  und  24.  Mai 


1600 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  28. 


je  1  neuer  Todesfall  festgestellt  worden.  Im  Verlaufe  des  gegen¬ 
wärtigen  Pestausbruchs  seit  dem  22.  Februar  waren  20  Krankheits¬ 
fälle,  davon  3  mit  tödlichem  Ausgang  zu  verzeichnen.  Ausserdem 
ist  1  Pestfall  nach  dem  im  Innern  der  Insel  gelegenen  Orte  Artemisia 
verschleppt  worden.  —  Chile.  Im  Jahre  1913  sind  insgesamt  79  fcr- 
Kränkungen  und  33  Todesfälle  festgestellt  worden. 

—  In  der  25.  Jahreswoche,  vom  21.  bis  27.  Juni  1914,  hatten  von 
deutschen  Städten  über  40  000  Einwohner  die  grösste  Sterblichkeit 
Berlin-Lichterfelde  mit  26,9,  die  geringste  Rüstringen  mit  4,0  Todes¬ 
fällen  pro  Jahr  und  1000  Einwohner.  Mehr  als  ein  Zehntel  aller  Ge- 
storbenen  starb  an  Scharlach  in  Berlin-Pankow,  Berlin-Reinickendorf, 
Qleiwitz,  Königshütte,  Zabrze,  an  Masern  und  Röteln  in  Buer,  Ham¬ 
born,  Ulm,  an  Unterleibstyphus  in  Wiesbaden.  Vöff.  Kais.  Cies.A. 

(Hochschulnachrichten.) 

Berlin.  Der  Wirkl.  Geh.  Obermed.-Rat  Prof.  Dr.  Martin 
Kirchner,  Direktor  der  Medizinalabteilung  im  preussischen  Mini¬ 
sterium  des  Innern,  feierte  am  15.  Juli  seinen  60  Geburtstag. 

Frankfurt  a.  M.  Der  Ordinarius  der  Pharmakologie  und 
medizinischen  Chemie  Prof.  Dr.  med.  et  phil.  Alexander  E  1 1  i  n  g  e  r 
in  Königsberg  hat  einen  Ruf  an  die  Universität  Frankfurt  er¬ 
halten.  (hk.) 

Giessen.  Für  Psychiatrie  habilitierte  sich  Dr.  jur.  et  med. 
Matthias  Heinrich  G  ö  r  i  n  g,  Assistenzarzt  an  der  Klinik  für  psychi¬ 
sche  und  nervöse  Krankheiten  mit  einer  Probevorlesung  über  das 
Thema:  „Die  Sittlichkeitsdelikte  unter  besonderer  Berücksichtigung 
ihrer  Begehung  durch  Geisteskranke“,  (hk.) 

H  a  1 1  e  a.  S.  Für  die  Nachfolge  des  nach  Göttingen  berufenen 
Direktors  der  Augenklinik,  Prof.  v.  Hippel,  sind  vorgeschlagen: 

1.  S  c  h  i  e  c  k  -  Königsberg  und  Stock -Jena,  2.  Birch-Hirsch- 
f  e  l  d  -  Leipzig,  3.  I  g  e  r  s  h  e  i  m  e  r  -  Halle  und  v.  S  z  i  1  y  -  Freiburg. 

Heidelberg.  Der  Professor  der  Physiologie  Dr.  Albrecht 
Kossel  wurde  zum  Geheimen  Rat  II.  Klasse  ernannt,  der  Professor 
der  pathologischen  Anatomie  Dr.  Paul  Ernst  und  der  Professor  der 
Psychiatrie  Dr.  Franz  N  i  s  s  1  zu  Geh.  Hofräten.  —  Geh.  Rat  Prof. 
Dr.  Ludolf  K  r  e  h  1  erhielt  das  Kommandeurkreuz  1.  Klasse  vom 
Orden  Berthold  I.  —  Der  Professor  der  Zoologie  Geh.  Rat  Dr.  Büt- 
schli  erhielt  das  Kommandeurkreuz  II.  Klasse  des  Ordens  vom 
Zähringer  Löwen;  das  Ritterkreuz  I.  Klasse  desselben  Ordens  der 
Professor  der  Augenheilkunde  Geh.  Hofrat  Dr.  August  Wagen- 
m  a  n  n,  der  Professor  der  Hygiene  Dr.  Hermann  Kossel  und  der 
Professor  der  Chirurgie  Dr.  Max  W  i  1  m  s. 

Königsberg  i.  Pr.  Der  Privatdozent  für  Geburtshilfe  und 
Gynäkologie  Dr.  Max  F  e  t  z  e  r  ist  zum  Vorstand  und  ersten  Haupt¬ 
lehrer  an  der  Kgl.  Landeshebammenschule  in  Stuttgart  mit  dem  Titel 
eines  Direktors  ernannt  worden;  er  wird  hier  Nachfolger  des  Ober¬ 
medizinalrats  Dr.  G.  Walcher.  (hk.) 

Rostock  ln  der  medizinischen  Fakultät  der  Universität 
Rostock  habilitierte  sich  der  Arzt  und  Zahnarzt  Dr.  med.  et  phil. 
Hans  Moral,  Assistent  am  zahnärztlichen  Institut,  für  das  Fach  der 
Zahnheilkunde.  Habilitationsschrift:  „Ueber  die  Lage  des  Anästhesie¬ 
depots“.  Antrittsvorlesung:  „Ueber  Kieferschlauchbehandlung“. 

Tübingen.  Prof.  Dr.  Albrecht,  Oberarzt  der  laryngo- 
logischen  Universitätsklinik  zu  Berlin,  ist  als  Nachfolger  von  Prof. 
Wagenhäuser  auf  das  Extraordinariat  für  Ohrenheilkunde  be¬ 
rufen  worden. 

W  ü  r  z  b  u  r  g.  Der  Privatdozent  für  Physiologie,  Professor 
Dr.  Ackerma  n  n  hat  einen  Lehrauftrag  für  physiologische  Chemie 
erhalten. 

Klausenburg.  Der  a.  o.  Professor  und  Adjunkt  Dr.  Desider 
Vesspremi  wurde  zum  ordentlichen  Professor  der  pathologi¬ 
schen  Anatomie  und  pathologischen  Histologie  ernannt,  (hk.) 

Prag.  Dem  ausserordentlichen  Professor  für  Geschichte  der 
Medizin  und  Epidemiologie  an  der  böhmischen  Universität  in  Prag 
Dr.  Andreas  Schrutz  ist  der  Titel  und  Charakter  eines  ordentlichen 
Professors  verliehen  worden,  (hk.) 


(Todesfälle.) 

Dr.  Luigi  G  r  i  f  f  i  n  i,  Professor  der  allgemeinen  Pathologie  in 
Genua. 

Dr.  E.  Schumacher,  Privatdozent  für  Chirurgie  in  Zürich. 

Dr.  Joseph  F.  Hobson,  Professor  der  chirurgischen  Klinik  an 
der  Western  Reserve-Universität  zu  Cleveland. 

Dr.  Emil  G  r  u  e  n  i  n  g,  früher  Professor  der  Augenheilkunde  an 
New  York  Polyclinic  Medical  School  und  Hospital. 

Dr.  Brooks  F.  B  e  e  b  e,  früher  Professor  der  Geisteskrankheiten 
am  Medical  College  of  Ohio  zu  Cincinnati. 


Amtliches. 

(Bayern.) 

Nr.  5010  g  1. 

Kgl.  Staatsministerium  des  Innern, 
Bekanntmachung 

über  Reisebeihilfen  für  A  e  r  z  t  e  im  Jahre  1914. 
Gesuche  um  Verleihung  von  Reisebeihilfen  an  Aerzte  für  1914 
sind  bis  spätestens  15.  September  1914  bei  der  K-  Regierung, 
Kammer  des  Innern,  des  Wohnsitzes  einzureichen. 

ln  dem  Gesuche  sind  Ziel  und  Zweck  der  Reise  anzugeben.  Es 
muss  belegt  sein:  


1.  mit  dem  Approbationszeugnisse, 

2.  mit  einem  Zeugnis  über  die  Vermögensverhältmsse  des  Ge- 
suchstellers  und  seiner  Eltern, 

3.  mit  einem  Leumundszeugnisse.  J 

Die  K.  Regierungen  legen  die  Gesuche  am  16.  September  1914 

dem  K.  Staatsministerium  des  Innern  vor. 

Die  Reise  ist  vor  Ende  des  Jahres  1915  anzutreten.  Andernfalls 
wäre  die  Einziehung  des  bewilligten  Betrages  zu  gewärtigen. 

M  ü  nche  n,  4.  Juli  1914. 

1.  A.:  Ministerialdirektor  v.  Henle. 


Generalkrankenrapport  über  die  K.  Bayer.  Armee 

für  den  Monat  Mai  1914. 

Iststärke  des  Heeres: 

85451  Mann,  213  Kadetten,  189  Unteroffiziersvorschüler. 


1.  Bestand  waren 

am  30.  April  1914: 

Iim  Lazarett: 
im  Revier: 
in  Summa: 

lm  ganzen  sind  behandelt: 

°/oo  der  Iststärke: 


3.  Abgang: 


dienstfähig: 

°/oo  der  Erkrankten: 
gestorben : 

°/oo  der  Erkrankten: 
(  dienstunbrauchbar : 
ohneVersorgung: 
mit  „ 
anderweitig: 
in  Summa : 


4.  Bestand 
bleiben  am 
31.  Mai  1914: 


Mann 

Kadetten 

Unteroffiz. - 
Vorschüler 

1716 

1 

3 

1293 

13 

6 

1107 

— 

— 

2400 

13 

6 

41 16 

14 

9 

48,2 

65,7 

47,6 

2619 

12 

4 

636,3 

857,1 

444,4 

1  1 

2,7 

— 

— 

30 

— 

— 

23 

— 

— 

1.17 

— 

— 

2820 

12 

4 

1296 

2 

5 

15,2 

9,4 

26,5 

1055 

2 

5 

241 

— 

— 

in  Summa: 

°/oo  der  Iststärke: 
davon  im  Lazarett: 
davon  im  Revier: 

Von  den  in  Ziffer  3  aufgeführten  Gestorbenen  haben  gelitten  an: 
Tuberkulose  3  (davon  1  Lungen-,  1  Becken-  und  Lungen-,  1  Lungen- 
und  Hirnhauttuberkulose);  Lungenentzündung  2  (davon  1  doppelseitig 
nach  Kropfoperation);  schwerem  Brechdurchfall  1;  epidemischer 
Genickstarre  1;  Blutvergiftung  1;  Abszess  in  der  Nierenumgebung  1; 
eitriger  Hirnhautentzündung  nach  Zellgewebsentzündung  in  der  linken 
Augenhöhle  1;  Zerreissung  der  Beckenorgane  (Verunglückung)  1. 

Ausserdem  starben  ausserhalb  der  militärischen  Behandlung 
5  Mann  durch  Selbstmord  (4  durch  Erschiessen,  1  durch  Ertränken). 

Der  Gesamtverlust  der  Armee  durch  Tod  betrug  demnach  im 
M  ol  101a  • 


1  L  !\ l\  OM« 


Uebersicht  der  Sterbefälle  in  München 

während  der  25.  Jahreswoche  vom  21.— 27.  Juni  1914. 

Bevölkerungszahl  640  000. 

Todesursachen:  Angeborene  Lebensschwäche  einschl.  Bildungs¬ 
fehler  16  (101),  Altersschw.  (über  60  Jahre)  6  (7 ),  Kindbettfieber  1  (1), 
and  Folgen  der  Geburt  und  Schwangerschaft  1  (— ),  Scharlach  —  (1), 
Masern  u.  Röteln  3  (3),  Diphtherie  u.  Krupp  —  (— ),  Keuchhusten  —  (2), 
Tvphus  (ausschl.  Paratyphus)  —  (—),  akut.  Gelenkrheumatismus  —  (->, 
übertragbare  Tierkrankh.,  d.  s.  Milzbrand,  Rotzkrankh.,  Hundswut, 
Trichinenkrankh.  —  (— ),  Rose  (Erysipel)  —  (2),  Starrkrampf  1(1), 
Blutvergiftung  —  (L,  Tuberkul.  der  Lungen  l7  (17),  Tuberkul.  and.  Org. 
(auch  Skrofulöse)  6  (6),  akute  allgem.  Miliartuberkulose  1  (— ),  Lungen- 
entzünd.,  kruppöse  wie  katarrh.  usw.  6  (7),  Influenza  —  (— ),  veneri¬ 
sche  Krankh.  1  (2),  and.  übertragbare  Krankh.:  Pocken,  Fleckfieber, 
Ruhr,  Genickstarre,  Strahlenpilzkrankh.,  Lepra,  asiat.  Cholera,  Wechsel¬ 
fieber  usw.  —  (— ),  Zuckerkrankh.  (ausschl.  Diab.  insip.)  —  (I ),  Alkoholis¬ 
mus  _  (_)t  Entzünd,  u  Katarrhe  der  Atmungsorg.  4  (1),  sonst.  Krankh. 
d.  Atmungsorgane  2  (6),  organ.  Herzleiden  26  (19),  Herzschlag,  Herz¬ 
lähmung  (ohne  näh.  Angabe  d.  Grundleidens)  1  (— ),  Arterienverkalkung 
2  (6),  sonstige  Herz-  u.  Blutgefässkrankh.  6  (3),  Gehirnschlag  9  (5), 
Geisteskranke  1  (— ),  Krämpfe  d.  Kinder  1  (5),  sonst.  Krankh.  d. Nerven¬ 
systems  3  (4),  Atrophie  der  Kinder  1  (1),  Brechdurchfall  2  (—  \  Magen¬ 
katarrh,  Darmkatarrh,  Durchfall,  Cholera  nostras  10  (9),  Blinddarm¬ 
entzünd.  -  (2),  Krankh.  der  Leber,  Gallenblase,  Bauchspeicheldrüse  u. 
Milz  2  (2),  sonst.  Krankh.  der  Verdauungsorg.  4  (5),  Nierenentzünd.  7  (5), 
sonst.  Krankh.  der  Harn-  u.  Geschlechtsorg.  3  (2),  Krebs  14  (19),  sonst. 
Neubildungen  5  (5),  Krankh.  der  äuss.  Bedeckungen  —  (2),  Krankh,  der 
Bewegungsorgane  —  ( — ),  Selbstmord  1  (4),  Mord,  I  otschlag,  auch 
Hinricht.  —  (— ),  Verunglückung  u.  andere  gewalts.  Einwirkungen  5  (6\ 
andere  benannte  Todesursachen  3  (3),  Todesursache  nicht  (genau) 
angegeben  (ausser  den  betr.  Fällen  gewaltsamen  Todes)  —  (— ). 

Gesamtzahl  der  Sterbefälle:  171  (175). 


')  Die  eingeklammerten  Zahlen  bedeuten  die  Fälle  der  Vorwoche. 


Verlag  von  J.  F.  Lehmann  in  München  S.W.  2,  Paul  Heyscstr.  26. 


—  Druck  von  E.  Mühllhaler’s  Buch-  und  Kunsldruckerei  A.Q.,  München. 


Tie  Münchener  Medizinische  Wochenschrift  erschetnt  wöchentlich 
m  Umfang  von  durchschnittlich  7  Bogen.  •  Preis  der  einzelnen 
Nummer  80  -f.  *  Bezugspreis  in  Deutschland  vierteljährlich 
j*  6.—.  »  Übrige  Bezugsbedingungen  siehe  auf  dem  Umschlag 


•  ft 


MÜNCHENER 


Zusendnngen  sind  zu  adressieren: 
fördie  Redaktion  Amulfstr.26.  Bilrozeit  der  Redaktion  S'/,— t  Uhr 
Für  Abonnement  an  I.  F.  Lehmann’s  Verlag,  Paul  Heysestrasse  2>. 
Für  Inserate  und  Beilagen  an  Rudolf  Mosse,  Theatinerstra3se  t. 


Medizinische  Wochenschrift. 

ORGAN  FÜR  AMTLICHE  UND  PRAKTISCHE  ÄRZTE. 


Nr.  29.  21.  Juli  1914.  Redaktion:  Dr.  B.  Spatz,  Arnulfstrasse  26. 

Verlag:  J.  F.  Lehmann,  Paul  Heysestrasse  26. 


61.  Jahrgang. 


Der  Verlag  behält  sich  das  ausschliessliche  Recht  der  Vervielfältigung  und  Verbreitung  der  In  dieser  Zeitschrift  zum  Abdruck  gelangenden  Originalbeiträge  vor 


Originalien. 

Aus  der  kgl.  Universitäts-Frauenklinik  Berlin. 

Heilung  tiefliegender  Karzinome  durch  Röntgenbestrahlung 
von  der  Körperoberfläche  aus*). 

Von  E.  Bumm  und  K.  Warnekros. 

Unsere  Erfahrungen  über  die  Strahlenbehandlung  der 
Karzinome,  die  sich  nunmehr  über  2  Jahre  erstrecken,  haben 
ergeben,  dass  man  ohne  Schädigung  der  benachbarten  Gewebe 
mit  den  radioaktiven  Körpern  nicht  tiefer  als,  2  bis  höchstens 
3  cm  wirken  kann.  Handelt  es  sich  um  oberflächliche  Krebs- 
wucherungen,  so  werden  diese  prompt,  und  wie  es  scheint, 
auch  dauernd  zur  Ausheilung  gebracht.  Haben  sich  aber  in 
fortgeschritteneren  Fällen  bereits  Infiltrationen  in  der  Nach¬ 
barschaft  des  primären  Herdes  gebildet,  dann  kommt  es  wohl 
auch  zur  Heilung  der  oberflächlichen  Krebswucherungen;  unter 
der  schwieligen  Narbe,  in  der  Tiefe  der  Gewebe  wächst  aber 
das  Karzinom  weiter  und  wir  sehen  die  Kranken  nach 
einem  halben  oder  ganzen  Jahr  mit  geheiltem  Primärherd,  beim 
Kollumkarzinom  z.  B.  mit  verwachsenem  Scheidengrund, 
ohne  Ausfluss  und  Blutung,  aber  mit  neuen  Knoten  in  der  Tiefe 
wieder.  Bei  anderen  Karzinomen  (Rektum,  Zunge,  Kehlkopf) 
ist  es  ebenso. 

Der  Versuch,  durch  Verwendung  grösserer  Dosen  der 
radioaktiven  Substanzen  oder  durch  Verlängerung  der  Be¬ 
strahlungsdauer  eine  Einwirkung  auch  auf  die  tiefer  liegenden 
I  eile  der  Krebswucherung  zu  erzielen,  hat  —  uns  wenigstens  — 
keine  Erfolge  gebracht.  Bis  in  der  Tiefe  von  3 — 4  cm  und 
darüber  hinaus  eine  genügende  Einwirkung  erreicht  wird,  er¬ 
leiden  die  oberflächlichen  Gewebspartien,  welche  innerhalb 
der  intensiven  Strahlungszone  liegen,  trotz  aller  Filterung 
schwere  Schädigungen;  es  entstehen  weit  um  sich  greifende 
Nekrosen  und  die  Kranken  sind  zwar  von  ihrem  Krebs  geheilt, 
erliegen  aber  der  Mesothorium-  oder  Radiumverbrennung. 
Die  Strahlung  der  radioaktiven  Körper  wirkt  an  der  Eintritts¬ 
pforte  und  in  ihrer  nächsten  Nachbarschaft  zu  stark,  in  einiger 
Entfernung  aber  viel  zu  schwach. 

Diese  Nachteile  fallen  bei  der  Verwendung  der  Röntgen¬ 
strahlen  weg.  Da  die  Röntgenröhre  das  Vieltausendfache  des 
Strahlenquantums  der  verfügbaren  Mengen  von  radioaktiven 
Substanzen  liefert,  sind  wir  in  der  Lage,  weiteren  Abstand 
zu  nehmen,  die  oberflächlichen  Gewebsschichten  der  Zone 
der  intensiven  verbrennenden  Strahlung  zu  entrücken  und  ohne 
die  Gefahr  stärkerer  Gewebsschädigung  auch  an  den  tieferen 
Teilen  eine  genügende  Einwirkung  zu  erzielen. 

Um  Anhaltspunkte  für  die  Beurteilung  der  Strahlenmenge 
zu  gewinnen,  die  von  der  Röntgenröhre  und  den  radioaktiven 
Substanzen  in  der  gewöhnlich  verwendeten  Dosis  geliefert 
werden,  hat  Warnekros  eine  Reihe  vergleichender  Ver¬ 
suche  mit  Hilfe  photochemischcr  und  elektroskopischer  Re¬ 
aktionen  angestellt.  Ueber  Einzelheiten  dieser  Versuche  wird 
an  anderer  Stelle  ausführlicher  berichtet  werden.  Hier  sei  zur 
Darstellung  der  Unterschiede  nur  folgendes  hevorgehoben : 
Die  photochemische  Prüfung  ergab,  dass  Kienböckstreifen, 
welche  in  das  Scheidengewölbe  karzinomkranker  Frauen  ein¬ 
gelegt  und  von  der  vorderen  Bauchwand  aus  bestrahlt  wurden, 
Jurcli  die  Strahlung  unserer  Maximum-  und  Duraröntgenröhren 
hei  22  cm  Fokushautdistanz  schon  nach  10  Minuten  so  ge¬ 


*)  Nach  einem  Vortrag  in  der  H  u  f  e  1  a  n  d  ischen  Gesellschaft. 

Sitzung  vom  9  Juli  1914 

Nr.  29. 


bräunt  waren,  dass  10  X  abgelesen  werden  konnten,  während 
bei  einer  gleich  langen  Bestrahlung  mit  200  mg  Mesothorium, 
das  direkt  auf  die  Bauchhaut  gebracht  worden  war,  der  Fffekt 
am  Streifen  =  Null  war.  Ebenso  nach  einer  Bestrahlungsdauer 
von  1  Stunde.  Erst  nach  einer  Applikationsdauer  von 
11  Stunden,  wonach  die  Hautstelle  in  der  nächsten  Zeit  eine 
Verbrennung  2.  Grades  aufwies,  konnte  eine  gerade  noch  wahr¬ 
nehmbare  Verfärbung  des  Streifens  von  ca.  Ä  X  abgelesen 
werden.  Am  Phantom  lieferte  die  Röntgenröhre  bei  einer 
Eokusdistanz  von  22  cm  unter  3  mm  Aluminium  nach  10  Mi¬ 
nuten  100  X  an  der  Oberfläche  und  noch  in  einer  liefe  von 
30  cm  war  eine  Wirkung  nachweisbar.  200  mg  Mesothorium, 
ebenfalls  22  cm  von  der  Oberfläche  des  Phantoms  angebracht, 
ergaben  trotz  15  ständiger  Bestrahlungsdauer  selbst  an  dem 
obersten  Streifen,  keinen  überhaupt  messbaren  Effekt. 

Zu  ähnlichen  Ergebnissen  führten  die  Versuche,  die  mit 
Hilfe  des  Wulff  sehen  Elektroskops  und  des  Iontoquanti- 
meters  von  Szillard  vorgenommen  wurden,  die  beide  die 
Ionisation  zur  Bestimmung  der  Strahlenintensität  benützen. 
Bei  den  Messungen  mit  dem  Wulff  sehen  Elektroskop  ergab 
sich,  dass  die  Strahlung  einer  Maximumröhre,  gemessen  unter 
3  nun  Aluminium,  einem  Präparat  von  100  mg  Mesothorium 
um  das  5000  fache  an  Quantität  überlegen  ist,  d.  h.  also,  dass 
man  ein  Präparat  von  500  g  Mesothorium  zur  Verfügung  haben 
müsste,  um  in  dem  gleichen  Abstand  wie  bei  der  Röntgen¬ 
bestrahlung  den  gleichen  Effekt  an  der  Oberfläche  zu  er¬ 
zielen.  Messungen  mit  dem  Iontoquantimeter,  dessen  kleine 
Ionisierungskammer  in  die  Tiefe  der  Körperhöhlen  eingeführt 
werden  kann,  ergab  bei  Abstand  der  Röhren  =  22  cm,  der 
Mesothoriumkapsel  =  2  cm  von  der  Oberfläche  in  10  cm 
Gewebstiefe  ein  Verhältnis  der  Röntgen-  zur  Mesothorium¬ 
strahlung  wie  3,96  :  0,0043  oder  wie  921  :  1.  Es  wären  also 
921  X  100  mg  =  92  g  Mesothorium  nötig,  um  in  der  Tiefe 
von  10  cm  eine  gleiche  Strahlungsintensität  zu  erreichen  wie 
mit  der  Röhre. 

Diese  Messungen  werden  bestätigt  durch  eine  Reihe 
neuer  Untersuchungen,  welche  Priv.-Doz.  C  e  r  in  a  k  -  Giessen 
gemeinsam  mit  Warnekros  in  unserer  Röntgenabteilung 
mit  Hilfe  des  Blättchenelektrometers  nach  H.  W.  Schmidt 
vorgenommen  hat,  an.  dem  mit  Sicherheit  immer  bei  Sättigungs¬ 
strom  sowohl  die  starken  Wirkungen  der  Röhre  wie  die 
schwachen  des  Mesothoriumpräparates  gleich  genau  abgelesen 
werden  konnten.  Benutzt  wurde  auf  der  einen  Seite  ein 
Veifa-Reformapparat  für  besonders  durchdringungsfähige 
Strahlen  und  eine  harte  Maximumröhre  bei  einer  nach  Mög¬ 
lichkeit  immer  eingehaltenen  Belastung  von  4,5  MA„  auf  der 
anderen  Seite  100  mg  Mesothorium  in  1  mm  Messingkapsel, 
die  nur  eine  reine  y-Strahlung  durchlässt.  2  Ionisierungs- 
kammern  standen  zur  Verfügung  und  wurden  gleichzeitig  be¬ 
nützt,  alle  Zahlen  sind  Mittelwerte  aus  mindestens  3  Beob¬ 
achtungen.  Mesothorium  ergab  pro  Zentimeter  Fleisch  eine 
Absorption  an  Strahlung  von  9  Proz.  bis  5,5  Proz.,  die  Röntgen¬ 
röhre  von  12,8  Proz.  bis  8,35  Proz.  und  bei  50  cm  Abstand  und 
Filtration  mit  10  mm  Aluminium  sogar  nur  7,5  Proz.  Mit  dem 
neuen  Apparat  und  der  Maximumröhre  hatte  sich  also  die 
Durchdringungsfähigkeit  der  Röntgenstrahlen  jener  der 
y-Strahlung  des  Mesothoriums  stark  genähert.  Noch  günstiger 
gestalteten  sich  die  Verhältnisse  am  lebenden  Gewebe,  wo. 
mit  Hilfe  einer  in  die  Scheide  eingeführten  Ionenkammer 
gemessen,  in  einer  Gewebstiefe  von  12  cm  (bei  22  cm 
Hautabstand  der  Antikathode,  3  mm  Aluminium  und  4,5  MA- 
Belastung)  71,3  Proz.  der  Strahlung,  in  1  cm  also  nur 


1602 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  29. 


5,9-4  Proz.  absorbiert  wurden.  Die  Entladungszeiten  des 
Elektrometers  betrugen  bei  der  Röntgenstrahlung  in  der 
angegebenen  Anordnung  44,5  Sekunden,  bei  Mesothorium, 
das  äusserlich  direkt  auf  die  Haut  aufgelegt  wurde, 
3366  Sekunden.  Die  Intensitäten  der  beiden  Strahlungs- 
arten  verhalten  sich  also  wie  3366:44,5,  d.  h.  man  musste 
756mal  so  viel  Mesothorium,  also  75g  direkt  auflegen,  um  in  der 
Tiefe  von  12  cm  in  der  Zeiteinheit  dieselbe  Strahlungsintensität 
zu  erhalten  wie  bei  der  in  22  cm  Fokusabstand  befindlichen 
Röntgenröhre. 

Man  hat  zugunsten  von  Radium  und  Mesothorium  ange¬ 
nommen,  dass  zwischen  den  harten  Strahlen  der  Röntgenröhre 
und  der  radioaktiven  Substanzen  qualitative  Unterschiede  be¬ 
stehen  und  die  y-Strahlen  nicht  nur  durch  eine  grössere  Durch¬ 
dringungsfähigkeit  (Härte),  sondern  auch  durch  intensivere 
biologische  Beeinflussung  und  sogar  spezifisch  elektive  Wir¬ 
kung  auf  die  Karzinomzelle  ausgezeichnet  seien.  So  richtig  es 
ist,  dass  die  y-Strahlung  eine  grössere  Härte  besitzt,  den  oben 
gegebenen  Vergleichszahlen  deshalb  nur  eine  relative  Be¬ 
deutung  zukommt,  so  wenig  ist  jemals  bewiesen  worden,  dass 
die  Einwirkung  der  y-Strahlung  auf  das  Karzinomgewebe  eine 
intensivere  sei  als  die  der  harten  Röntgenstrahlung  *).  E  s 
kommt  bei  der  Krebsheilung  nur  auf  die  Menge 
der  Strahlen  an,  die  das  krankhafte  Gewebe 
treffen.  Die  Wirkung  geht  n  u  r  gerade  so  weit, 
als  eine  genügende  Strahlungsintensität  im 
Karzinomgewebe  erreicht  werden  kann.  Das 
zeigen  die  klinischen  Erfahrungen,  wenn  man  nicht  nach  dem 
Augenblickserfolg,  sondern  nach  dem  Befund  in  Jahresfrist 
urteilt,  immer  wieder. 

Es  bedarf  nach  unserer  Schätzung  bei  direkter  Röntgen¬ 
bestrahlung  offenliegender  Karzinome  einer  Menge  von  ca. 
3 — 5oo  X,  um  Krebswucherungen  von  2  cm  Dicke  zum  Zerfall 
und  zur  Ausheilung  zu  bringen.  Dieselbe  Strahlenmenge  von 
3 — 500  X  muss  in  der  Tiefe  der  Gewebe  zur  Einwirkung 
kommen,  wenn  dort  liegendes  Karzinomgewebe  zerstört 
werden  soll.  Die  praktisch  in  Frage  kommenden  Gewebs- 
tiefen  gehen  bis  zu  etwa  10  cm,  so  weit  wird  man  bei  ge¬ 
eigneter  Anordnung  stets  selbst  an  beträchtlich  von  der 
Oberfläche  abliegende  Karzinome  herankommen.  In  der 
Tiefe  von  10  cm  hat  sich  bei  unseren  Versuchen  sowohl  am 
Phantom  als  an  der  Lebenden,  wo  Kienböckstreifen  im 
Scheidengewölbe  von  der  Bauchhaut  aus  bestrahlt  wurden, 
eine  Abnahme  der  Strahlungsintensität  von  100  auf  15,  d.  h. 
auf  ca  1h  der  an  der  Oberfläche  gemessenen  Strahlenmenge 
ergeben.  Um  in  der  Tiefe  von  10  cm  500  X  zu  erreichen, 
müssen  also  an  der  Oberfläche  3500  X  gegeben  werden,  was 
ohne  schwere  Gewebsschädigung  natürlich  nur  mit  ausgesucht 
harter  Strahlung,  reichlichem  Abstand  von  der  Haut  nach 
dem  Prinzip  der  homogenen  Bestrahlung  von  E.  Dessauer 
und  durch  verschiedene  Einfallspforten  geschehen  kann, 
aber  wie  unsere  Erfahrungen  beweisen,  tatsächlich  mög¬ 
lich  ist  und  dann  genau  zu  denselben  Veränderungen  an 
dem  tiefliegenden  Karzinomgewebe  führt,  wie  wir  sie  bei 
direkter  Bestrahlung  oberflächlicher  Karzinome  stets  leicht  be¬ 
obachten  können. 

Es  ist  klar,  dass  die  früheren  Versuche,  Karzinome  mit 
Röntgenstrahlen  zu  heilen,  nur  zu  halben  Erfolgen  führen 
konnten,  so  lange  man  vorzugsweise  mit  weichen  Strahlen 


*)  Der  Angabe  von  Bayet  von  dem  refraktären  Verhalten  ein¬ 
zelner  Karzinome  gegenüber  Röntgenstrahlen,  insonderheit  des 
Lippenepithelioms,  sowie  der  Bemerkung  Wichmanns,  dass  eine 
Beeinflussung  des  Karzinoms  von  2  cm  Tiefe  schon  zu  den  grössten 
Leistungen  der  Röntgentherapie  gehöre,  müssen  wir  auf  Grund 
unserer  Erfahrungen  widersprechen.  Mit  unzulänglicher  Apparatur 
und  ungenügender  Dosierung  kann  man  natürlich  keine  Wirkungen 
erzielen.  W  i  r  haben  andere  Erfahrungen  als  die  genannten  Autoren 
gemacht  und  erst  jüngst  bei  einem  sehr  weit  ausgebreiteten  Lippen¬ 
epitheliom,  das  anfangs  unter  mangelhafter  Behandlung  und  unge¬ 
nügender  Dosierung  rapide  weiter  gewachsen  war,  bei  richtiger 
Dosierung  (400 — 500  X)  und  unter  Benutzung  harter  Strahlung  einen 
glatten  Erfolg  erzielt.  Ebenso  widerspricht  die  Behauptung  K  e  t  - 
m  a  n  n  s,  dass  Röntgenverbrennungen  viel  schwerer  heilen  als 
Radium-  und  Mesothoriumgeschwüre,  unserer  klinischen  Erfahrung. 
Gerade  das  Gegenteil  ist  richtig,  die  Mesothorium-  und  Radium- 
geschwüre  dauern  noch  an,  wenn  die  Röntgenexantheme  längst  ab- 
geheiP  sind. 


arbeitete,  und  sich  der  Verbrennungsgefahr  halber  auf  geringe 
Dosen  beschränken  musste.  Vor  2  Jahren  konnten  wir  über 
einen  Fall  berichten,  in  welchem  ein  inoperables  Uterus¬ 
karzinom  durch  die  für  die  damalige  Zeit  enorme  Menge  von 
800  X  in  einen  steinharten  Knoten  umgewandelt  war,  der  sich 
von  der  Umgebung  scharf  absetzte  und  ohne  Schwierigkeit 
operativ  entfernt  werden  konnte.  Die  Frau  wurde  geheilt  und 
lebt  in  voller  Gesundheit.  Es  sind  dann  von  Asch  off, 
K  r  o  e  n  i  g  und  ü  a  u  s  s  in  dieser  Wochenschrift  einige  Fälle 
beschrieben  worden,  in  denen  ebenfalls  die  Zerstörung  tief¬ 
liegenden  Karzinomgewebes  durch  Röntgenstrahlen,  allerdings 
auf  Kosten  schwerer  Verbrennungen,  erreicht  worden  war. 
Die  bequemer  zu  handhabenden  radioaktiven  Substanzen 
haben  dann  eine  Zeitlang  die  Röntgenbestrahlung  in  den 
Hintergrund  gedrängt,  wir  sind  aber  bald  wieder  —  veranlasst 
durch  die  sich  häufenden  Schädigungen  nach  Mesothorium  und 
die  viel  besseren  Dauerresultate  nach  Röntgen  —  zu  diesen 
Strahlen  zurückgekehrt  und  haben  in  ihnen  das  Mittel  kennen 
gelernt,  welches  bei  einigermassen  in  die  Tiefe  fortgeschrit¬ 
tenen  Karzinomen  allein  imstande  ist,  neue  Wucherungen  zu 
verhindern  und  damit  dauernde  Heilungen  herbeizuführen. 

Da  alles  auf  den  Nachweis  der  Tiefenwirkung  ankommt, 
soll  in  dem  folgenden  klinischen  Berichte  auf  die  Heilungen 
oberflächlicher  Karzinome  durch  direkte  Bestrahlung  (Vulva, 
Urethra,  Vagina,  Collum  uteri,  Lippe,  Mamma),  deren  Heilungs¬ 
dauer  z.  T.  schon  anderthalb  Jahre  zurückliegt  und  die  z.  T. 
an  anderer  Stelle  veröffentlicht  sind,  hier  nicht  näher  einge¬ 
gangen  und  nur  über  solche  Fälle  berichtet  werden,  wo  es  sich 
zweifellos  um  eine  Wirkung  in  der  Tiefe  handelte: 

I.  Uteruskarzinome. 

1.  Fr.  11.,  31  Jahre.  Evertierendes  Kollumkarzinom,  das  breit 
auf  die  vordere  Scheidenwand  übergegriffen  hat.  Portiodistanz  von 
der  Bauchhaut  durchschnittlich  9 — 14  cm.  Die  Patientin  erhält  in  20 
aufeinanderfolgenden  Tagen,  auf  16  Mautfelder  der  vorderen  und 
hinteren  Bauchwand  verteilt,  3700  X.  Die  bei  der  rein  perkutanen 
Bestrahlung  klinisch  festgestellten  Veränderungen  an  der  Portio 
waren  überraschend  gut;  schon  nach  wenigen  Tagen  hörte  die 
Blutung  und  Jauchung  auf;  im  weiteren  Verlauf  der  Behandlung 
reinigten  sich  die  Geschwüre,  die  Wucherungen  an  der  Portio  und  am 
vorderen  Scheidengewölbe  gingen  zurück  und  die  Wundflächen  über¬ 
häuteten  sich. 

In  den  während  der  perkutanen  Bestrahlung  mehrfach  ent¬ 
nommenen  Probeexzisionen  fand  man  in  einem  hyalin  degenerierten 
Bindegewebe  schwer  geschädigte  Karzinomzellen  mit  aufgequollenem 
Kern  und  Zelleib.  Da  wir  aus  Sorge  um  die  Maut  nicht  weiter  zu 
gehen  wagten,  in  einzelnen  Schnitten  aber  neben  den  Veränderungen 
am  Karzinom  doch  auch  noch  besser  erhaltene  Karzinomzellen  ge¬ 
funden  wurden,  wurde Jn  diesem  ersten  Falle  von  einer  weiteren 
indirekten  Bestrahlung  nur  durch  die  äussere  Haut  abgesehen,  zumal 
die  bisher  erzielte  Beeinflussung  einwandfrei  und  überzeugend  war. 
Die  Patientin  erhielt  in  den  folgenden  12  Tagen  noch  4000  X  vaginal, 
wonach  in  den  nächsten  Probeexzisionen  nur  noch  untergehende 
Krebszellen  und  schliesslich  überhaupt  kein  Karzinom  mehr  nach¬ 
gewiesen  werden  konnte. 

Die  Haut  der  Patientin  ist  nach  einem  rasch  vorübergehenden 
oberflächlichen  Erythem,  obwohl  einzelne  Hautfelder  350 — 400  X  er¬ 
halten  hatten,  vollkommen  ausgeheilt  und  hat  auch  im  weiteren  Ver¬ 
laufe  der  bis  jetzt  verstrichenen  10  Monate  in  keiner  Weise  in 
Form  einer  Spätschädigung  reagiert.  Ebenso  ist  der  klinische  Ver¬ 
lauf  ein  ausgezeichneter  geblieben.  Die  Patientin  hat  an  Gewicht 
zugenommen  und  fühlt  sich  vollkommen  gesund. 

So  beweisend  auch  hier  schon  die  Tiefenwirkung  der 
Röntgenstrahlen  auf  karzinomatöse  Neubildungen  festgestelit 
werden  konnte,  ist  dieser  Fall  doch  nicht  bis  zur  endgültiger 
Heilung  ausschliesslich  perkutan  bestrahlt  worden;  es  fehlt 
somit  der  lückenlose  Beweis  einer  genügenden  Beeinflussung 
tief  liegender  Karzinome  durch  die  konsequent  durchgeführte 
Bestrahlung  von  der  Körperoberfläche  aus. 

Inzwischen  hatten  wir  bei  der  Bestrahlung  von  Mamma¬ 
karzinomen  die  Erfahrung  gemacht,  dass  die  in  dem  ober 
beschriebenen  Fall  applizierte  Strahlenmenge  von  400  X  pro 
Hautfeld  und  Serie  noch  nicht  die  Höchstgrenze  darstellt,  die 
man  der  äusseren  Haut  zumuten  darf.  Bei  jauchenden  Rezidiv¬ 
knoten  inoperabler  Brustdrüsenkarzinome  und  ebenso  bei  der 
Bestrahlung  regionärer  Lymphdriisen  waren  wir  allmählich  bi" 
zu  der  doppelten  Dosis,  also  bis  zu  800  X  pro  Hautfeld,  und 
sogar  noch  mehr  in  die  Höhe  gegangen,  und  konnten  auch 
jetzt  eine  relative  Unschädlichkeit  dieser  enormen  Strahlen¬ 
quantität  für  die  äussere  Haut  feststellen. 


21.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1603 


Nach  diesen  Voruntersuchungen  über  die  Toleranz  der 
Haut  wählten  wir  6  ausgedehnte,  evertierend  gewachsene 
Kolluinkarzinome,  deren  leicht  blutende  Geschwürsflächen  fast 
das  ganze  Scheidengewölbe  ausfüllten,  und  bei  denen  in 
zwei  Fällen  die  Infiltrationen  im  Parametrium  bis  zum  Becken¬ 
knochen  reichten,  zu  einer  ausschliesslich  perkutan  durch¬ 
geführten  Bestrahlung  aus. 

2.  Fr.  K.,  37  Jahre.  Faustgrosse,  leicht  blutende  Geschwürs¬ 
bildung  an  der  Portio,  die  mit  bröckligen  Massen  bedeckt  ist.  Para- 
metriuin  frei.  Bei  der  ziemlich  gut  genährten  Frau  betrug  die  Haut- 
oberflächen-Portiodistanz  für  die  verschiedenen  Felder  10 — 15  cm. 
Bei  einer  durchschnittlichen  täglichen  Bestrahlungszeit  von  60 — 80  Mi¬ 
nuten,  wobei  die  einzelnen  Hautfelder  im  Verlauf  der  Serie  90  bis 
120  Minuten  bestrahlt  wurden,  wurde  in  3  Wochen  das  Karzinom 
vollkommen  zum  Verschwinden  gebracht.  Genauere  Messungen  der 
verbrauchten  Dosen  nach  Kienböck  wurden  unterlassen,  es  sind 
ca.  oOüü  a  gegeben  worden.  Fine  kli¬ 
nische  Besserung  konnte  bereits  nach  acht 
lagen  festgestellt  werden;  nach  14  Tagen 
war  die  Geschwulst  weit  über  die  Hälfte 
verkleinert  und  am  Ende  der  dritten 
Woche  hatte  sich  eine  fast  normale,  nur 
noch  etwas  plumpe  Portio  mit  leichten 
Erosionen  an  den  Muttermundslippen  zu¬ 
rückgebildet. 

Gleichzeitig  ergab  die  am  Ende  der 
dritten  Woche  vorgenommene  Probe¬ 
exzision  in  derb  sklerosiertem  und  hyalin 
degeneriertem  Bindegewebe  an  den  Kar- 
zinomzellen  schwerste  regressive  Verän¬ 
derungen.  Auf  Grund  dieses  günstigen 
mikroskopischen  Befundes  wird  die  Be¬ 
strahlung  unterbrochen  und  die  inzwi¬ 
schen  gerötete  und  zum  Teil  auch  schon 
blasig  abgehobene  Haut  mit  Salbenver¬ 
bänden  behandelt.  Die  Heilung  macht  auf¬ 
fallend  rasche  Fortschritte,  in  wenigen 
Wochen  hat  sich  die  Haut  vollkommen 
neu  epidermisiert.  Inzwischen  hatte  der 
weitere  Heilungsverlauf  an  der  Portio 
auch  nach  Aussetzung  der  Bestrahlung  zu 
einer  vollständigen  Restitution  des  pri¬ 
mären  Krankheitsherdes  geführt,  so  dass  in  der  5.  Woche,  gerechnet 
vom  Beginne  der  ersten  Bestrahlung,  ein  durchaus  normal  formiertes 
Collum  uteri  palpatorisch  und  makroskopisch  festgestellt  werden 
konnte.  Mikroskopisch  wurde  jetzt  nur  noch  eine  starke  Sklerose 
und  hyaline  Degeneration  des  Bindegewebes,  aber  überhaupt  kein 
Karzinom  oder  Reste  desselben  gefunden. 

3.  Frau  Gr.,  45  Jahre.  Gut  faustgrosser  Tumor,  der  von  der 
hinteren  Muttermundslippe  ausgeht  und  mit  leicht  blutenden  bröck¬ 
ligen  Massen  bedeckt  ist.  Sehr  fettreiche  Bauchdecken,  so  dass  die 
durchschnittliche  Entfernung  der  Portio  bis  zur  Hautoberfläche  15  cm 
unu  mehr  beträgt.  Die  Patientin  wird  mit  einer  Unterbrechung  von 
o  lagen,  die  durch  eine  Angina  bedingt  war,  5  Wochen  hintereinander 
bestrahlt  und  erhält  während  dieser  Zeit  insgesamt  eine  Bestrahlungs¬ 
dauer  von  1380  Zeit-Minuten  —  23  Stunden,  wobei  die  einzelnen 
beider  100 — 130  Minuten  belichtet  wurden.  Trotz  der  sehr  dicken 
Bauchdecken  und  des  starken  Fettpolsters  am  Gesäss  und  an  der 
Rückenhaut  ist  am  Ende  der  fünfwöchentlichen  Behandlung  die  Ge¬ 
schwulst  vollkommen  verschwunden;  in  der  Probeexzision  aus  der 
normal  formierten  hinteren  Muttermundslippe  werden  nur  noch  ver¬ 
einzelte  untergehende  Karzinomzellen  in  einem  hyalin  degenerierten 
Bindegewebe  und  Granulationsgewebe  gefunden. 

4.  Fr.  S.,  41  Jahre.  Portio  durch  ein  evertierend  wachsendes 
Karzinom  in  eine  kleinhandtellergrosse  Geschwürsfläche  umge¬ 
wandelt.  In  30  aufeinanderfolgenden  Tagen  erhält  die  Patientin,  eben¬ 
falls  auf  14  Hautfelder  verteilt,  zwanzig  Bestrahlungsstunden.  Im 
Verlauf  der  Behandlung  schrumpft  die  kolbige  Portio  zu  einer  nor¬ 
malen  Form  zusammen;  Blutung  und  Ausfluss  hören  aut. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  ergibt  eine  sehr  starke  hyaline 
und  sklerotische  Veränderung  des  Bindegewebes  und  fast  durchweg 
die  allerschwersten  Schädigungen  an  den  Karzinomzellen. 

5.  Fr.  K.,  41  Jahre.  Abgemagerte,  anämisch  aussehende  Frau. 
Portio  in  eine  handtellergrosse,  leicht  blutende,  jauchende  Ge¬ 
schwürsfläche  umgewandelt  mit  bröckeligen  Geschwürsmassen  be¬ 
deckt,  die  auf  das  vordere  und  hintere  Scheidengewölbe  übergreifen. 
Uterus  nach  rechts  verzogen  und  fixiert  durch  eine  steinharte  In¬ 
filtration  im  rechten  Parametrium,  die  bis  zum  Beckenknochen  reicht. 
Bei  der  rektalen  Untersuchung  fühlt  man  auch  die  Douglasfalten 
strangförmig  inältriert. 

Wegen  der  ausgedehnten  Infiltrationen  und  des  auch  am  Kollum 
weit  fortgeschrittenen  Karzinoms  wird  die  Bestrahlungsdauer  pro 
Hautfeld  verdoppelt,  so  dass  einzelne  Hautfelder  im  Verlauf  der  ersten 
vierwöchentlichen  Serie  insgesamt  200 — 240  Minuten  bestrahlt 

werden. 

Der  Tiefeneffekt  ist  ein  sehr  günstiger.  Am  Ende  der  zweiten 
Woche  hat  sich  die  Geschwürsfläche  der  Portio  vollkommen  ge¬ 


reinigt  und  um  die  Hälfte  verkleinert.  Bei  der  forzierten  Bestrahlung, 
die  zunächst  nur  von  der  Bauchseite  erfolgt,  findet  man  in  der 
vierten  Woche  eine  vollkommene  Ueberhäutung  der  fast  normal  for¬ 
mierten  Portio  und  einen  so  wesentlichen  Rückgang  der  para- 
metranen  Infiltrationen,  dass  der  vorher  fest  fixierte  Uterus  gut  be¬ 
weglich  geworden  ist.  In  der  letzten  Probeexzision  waren  alle  Kar¬ 
zinomzellen  schwer,  z.  T.  bis  zum  völligen  Kernschwund  geschädigt. 

6.  Fr.  E.,  29  Jahre.  Stark  anämische,  kachektisch  aussehende 
Frau,  die  in  einem  desolatem  Zustande  in  die  Behandlung  kam. 
Portio  und  Sch  eidengewölbe  sind  in  ein  grosses,  jauchen¬ 
des  Geschwür  mithereingezogen;  der  Zervikalkanal  führt  in  eine  tiefe, 
kraterförmige  Höhle,  die  mit  leicht  blutenden  und  stark  jauchenden 
Geschwulstmassen  bedeckt  ist.  Beide  Parametrien  breit  bis  zum 
Beckenknochen  infiltriert;  starre  Infiltration  der  Douglasfalten.  Uterus 
unbeweglich. 

Auch  hier  wird  von  vornherein  die  übliche  Bestrahlungszeit  pro 
Hautfeld  um  das  Doppelte  bis  Dreifache  erhöht,  so  dass  die  Patientin 


schon  innerhalb  der  ersten  10  Tage,  auf  6  abdominale  Hautfelder 
verteilt,  3900  X  erhält.  Die  besonders  zur  Bestrahlung  herange¬ 
zogenen  Felder  oberhalb  der  Symphyse  bekamen  in  dieser  Zeit 
je  1100  X,  nach  Kienböck  berechnet,  appliziert. 

In  der  Probeexzision  konnte  bereits  am  4.  Tage  nach  Beginn 
der  Röntgenbestrahlung  eine  Beeinflussung  der  Karzinomzellen  nach¬ 
gewiesen  werden.  Auch  der  klinische  Heilungsverlauf  machte  sehr 
gute  und  rasche  Fortschritte;  obgleich  die  erste  Bestrahlungsserie 
schon  am  10.  Tage  unterbrochen  werden  musste,  da  sich  die  Pa¬ 
tientin  sehr  elend  fühlte  und  über  starkes  Erbrechen  zu  klagen  hatte, 
war  bereits  am  Ende  der  zweiten  Woche  eine  vollkommene  Reinigung 
der  üeschwürsflächen  und  eine  Schrumpfung  der  karzinomatösen 
Wucherungen  an  der  Portio  und  am  Scheidengewölbe  bis  auf  ca. 
Zweimarkstückgrösse  eingetreten.  Der  Heilungsprozess  machte  auch 
nach  Aussetzen  der  Bestrahlung  weiterhin  so  gute  Fortschritte,  dass 
sich  bereits  am  Ende  der  dritten  Woche  eine  narbig  eingezogene 
Portio  formiert  und  die  blutende  üeschwürsfläche  vollkommen  über¬ 
häutet  hatte;  auch  war  der  anfangs  fest  zwischen  den  Infiltrationen 
verbackene  Uterus  bereits  etwas  beweglicher  geworden. 

Das  inzwischen  aufgetretene  Hauterythem  zeigte  trotz  der  er¬ 
höhten  Dosis  keinen  ungünstigeren  Verlauf  als  bei  den  übrigen  Fällen; 
nachdem  sich  die  Epidermis  blasig  abgehoben  hatte,  trat  eine  rasche 
Ueberhäutung  der  Erosionen  ein.  Keine  Ulcusbildung. 

Die  am  Ende  der  dritten  Woche  vorgenommene  Probeexzision 
ergab  in  einem  stark  sklerosierten  und  hyalin  degenerierten  Binde¬ 
gewebe  nur  noch  ganz  vereinzelte  schwer  geschädigte  Karzinom¬ 
zellen. 

Da  sich  inzwischen  auch  das  Allgemeinbefinden  der  Patientin 
wieder  gebessert,  der  Appetit  gehoben  und  auch  der  lästige  Brechreiz 
aufgehört  hatte,  wurde  nach  einer  vierwöchentlichen  Pause  die  Be¬ 
strahlung,  und  zwar  vom  Rücken  aus,  wieder  aufgenommen. 

Die  vaginale  Untersuchung  ergibt  jetzt  an  Portio  und  Scheiden¬ 
gewölbe  einen  normalen  Genitalbefund;  die  breiten  diffusen  Infiltra¬ 
tionen  sind  fast  ganz  verschwunden;  man  fühlt  im  Parametrium 
beiderseits  nur  schmale,  strangförmige  Narbenzüge. 

7.  Fr.  K.,  41  Jahre.  Portio  dick,  plump,  derb,  infiltriert,  beide 
Lippen  mit  leicht  blutenden  Geschwüren  bedeckt.  Der  Zervikalkanal 
führt  in  eine  tiefe,  jauchende  Kraterhöhle,  deren  Wandungen  mit 
bröckeligen  Geschwulstmassen  bedeckt  sind. 

Die  Patientin  erhält  in  36  Tagen  auf  12  abdominale  Hautfelder 
verteilt  21  Bestrahlungsstunden;  schon  im  Verlaufe  der  zweiten 
Woche  ist  ein  Aufhören  der  anfangs  sehr  starken  Blutung  und  ein 
Rückgang  der  Jauchung  zu  bemerken;  in  der  vierten  Woche  hat  sich 
eine  vollkommen  normale  Portio  zurückgebildet  und  der  Zervikalkanal 
zeigt  eine  glatte  Wandung.  Am  Ende  der  5.  Woche  findet  man  eine 


Abb.  1.  Mikrosp.  Befund  in  der  Probeexzision  vor  der  Abb.  2.  Mikroskop.  Befund  am  Ende  der  5  Woche 

Bestrahlung.  Kein  Karzinom  mehr. 


r 


1604 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  2$. 


geschrumpfte,  normal  formierte  Portio  mit  einem  geschlossenen 
Zervikalkanal  ohne  Blutung  und  Jauchung. 

In  diesem  Fall,  der  noch  in  Behandlung  steht,  entspricht 
aber  vorläufig  der  mikroskopische  Befund  noch  nicht  der 
klinisch  festgestellten  Besserung;  in  der  letzten  Probeexzision 
sind  noch  unbeeinflusste  Karzinomzellen  nachgewiesen 
worden.  Der  Fall  zeigt  uns,  dass  man  sich  zur  Beurteilung 
eines  Erfolges  nicht  allein  auf  die  klinische  Untersuchung  ver¬ 
lassen  soll;  wir  werden  auf  Grund  dieses  mikroskopischen 
Befundes  trotz  der  klinisch  einwandfrei  festgestellten  Beein¬ 
flussung  des  Karzinomherdes  an  d.er  Portio  die  Bestrahlung 
vom  Rücken  und  vom  Gesäss  aus  fortsetzen,  und  dann  aller 
Voraussicht  nach  auch  hier  den  Effekt  der  genügenden  Tiefen¬ 
wirkung  mikroskopisch  bestätigt  finden. 

II.  Mammakarzinome. 

Behandelt  wurden,  und  zwar  nur  mit  Röntgenstrahlen, 
14  Fälle,  bei  denen  es  sich  12  mal  um  Rezidive,  und  zwar  um 
sehr  ausgedehnte,  inoperable  Drüsenrezidive  handelte.  Zwei 
Fälle  waren  nicht  operiert  worden. 

Die  durchschnittliche  Strahlenmenge  betrug  pro  Hautfeld 
300 — 800  X;  mit  einer  einzigen  Ausnahme,  bei  der  es  unter 
der  Bestrahlung  zu  einer  miliaren  Aussaat  von  Krebsknoten 
über  die  ganze  äussere  Haut  und  schliesslich  zum  Exitus  kam, 
wurden  sämtliche  Fälle  geheilt,  d.  h.  die  Knoten  und  diffusen 
Infiltrationen  vollkommen  zum  Verschwinden  gebracht,  was 
um  so  mehr  besagen  will,  als  es  sich  ausschliesslich  um  in¬ 
operable,  also  um  unrettbar  verlorene  Fälle  handelte.  Ein 
zurzeit  noch  in  Behandlung  befindlicher  Fall  mit  einem  sehr 
weit  fortgeschrittenem,  zum  Teil  jauchig  zerfallenen  Karzinom 
beider  Brustdrüsen  zeigt  die  gleiche  Tendenz  zur  Aussaat,  die 
anscheinend  durch  die  Bestrahlung  beschleunigt  wird.  Es 
empfiehlt  sich,  in  solchen  Fällen  anfangs  den  primären  Herd 
nicht  zentral  zu  bestrahlen,  sondern  von  den  Rändern  her 
allmählich  gegen  die  Geschwulst  vorzugehen,  und  so  nach 
Möglichkeit  einer  Progredienz  durch  Verschleppung  von 
Karzinomzellen  in  die  Umgebung  vorzubeugen. 

Von  den  erwähnten  anscheinend  geheilten  Fällen,  bei  denen 
zum  Teil  die  Beobachtung  schon  über  1  Jahr  zurückliegt,  kann 
einer  ganz  besonders  als  Beispiel  einer  genügend  penetrativen 
Wirkung  der  Röntgenstrahlen  herangezogen  werden. 

Es  handelt  sich  um  eine  42  jährige  Frau,  die  uns  als  inoperabel 
von  einer  hiesigen  chirurgischen  Klinik  zur  Strahlenbehandlung  über¬ 
wiesen  wurde.  Die  Patientin  kam  in  einem  schwer  kachektischen 
Zustande  mit  einer  ausgesprochenen  Dyspnoe  zu  uns;  die  ganze  rechte 
Brusthälfte  war  derb  infiltriert  und  angeschwollen,  und  die  rechte 
Brustdrüse  durch  einen  kindskopfgrossen,  unregelmässig  höckerigen, 
harten  und  zum  Teil  jauchig  zerfallenen  Tumor  vorgewölbt.  Die 
Lymphdrüsen  in  der  Achselhöhle,  sowie  unter-  und  oberhalb  der 
Klavikula  waren  stark  angeschwollen  und  fest  mit  der  Unterlage  ver¬ 
wachsen. 

Die  Untersuchung  der  Lungen  ergab  rechts  unten  sowohl  vorn 
wie  hinten  eine  doppelhandbreite  Dämpfung,  und  die  Punktion  der 
Pleurahöhle  fiel  positiv  aus 

Bei  der  Patintin,  die  wegen  der  starken  Atemnot  anfangs  nur 
in  sitzender  Stellung  bestrahlt  werden  konnte,  wurde  die  ganze  rechte 
Brusthälfte  von  vorn,  hinten  und  von  der  Seite  in  der  intensivsten 
Weise  bis  zur  Blasenbildung  der  einzelnen  Hautfelder  bestrahlt. 

Der  Erfolg  war  subjektiv  und  objektiv  ein  überraschend  guter. 
Im  Verlauf  von  7  Wochen  waren  die  Geschwulst  der  Mamma,  die 
Lymphdrüsen  und  die  Infiltrationen  vollkommen  zum  Verschwinden 
gebracht;  die  Atemnot  der  Patientin  war  fast  gänzlich  behoben  und 
das  Allgemeinbefinden  ausgezeichnet. 

Als  Zeichen  einer  genügenden  Tiefenwirkung,  d.  h.  einer  Be¬ 
einflussung  der  zweifellos  bis  in  die  Pleurahöhle  vorgeschrittenen 
Neubildung  konnte  im  Verlauf  der  nächsten  Monate  eine  allmähliche 
Abnahme  der  Lungendämpfung  festgestellt  werden.  Der  Allgemein¬ 
zustand  ist  ein  guter  geblieben;  die  Patientin  hat  an  Gewicht  zuge¬ 
nommen  und  kommt  regelmässig  alle  2--3  Wochen  zur  weiteren  pro¬ 
phylaktischen  Bestrahlung. 

Auch  ein  sehr  weit  fortgeschrittenes  und  durch  seinen  Sitz  die 
Patientin  stark  belästigendes  Sarkomrezidiv  nach  doppelseitiger 
Mammaamputation  reagierte  prompt  auf  die  Röntgenbestrahlung.  Die 
Patientin  war  vor  einem  Jahr  in  Russland  wegen  einer  Geschwulst¬ 
bildung  in  beiden  Brüsten  operiert  worden  (Riesenzellensarkom). 
Schon  kurze  Zeit  danach  traten  Rezidive  in  den  Lymphdrüsen  der 
Achselhöhle  und  des  Halses  auf  und  im  Verlauf  der  nächsten  Monate 
bemerkte  die  Patientin  unter  allmählich  stärker  werdender  Atemnot 
eine  Vorwölbung  des  Brustbeins.  Als  die  Patientin  in  unsere  Be¬ 
handlung  kam,  waren  die  Lymphdrüsen  beider  Achselhöhlen  und  zu 
beiden  Seiten  des  Halses  in  sehr  grosser  Anzahl  bis  zu  Pflaumen¬ 


grösse  angeschwollen  und  das  Brustbein  in  Form  eines  fast  faust¬ 
grossen  Tumors  vorgewölbt.  Es  bestand  eine  sehr  starke  Atemnot, 
die  die  Patientin  zwang,  stets  eine  sitzende  Stellung  einzunehmen; 
beide  Arme  waren  ödematös  angeschwollen,  alle  Bewegungen  äusserst 

schmerzhaft.  . .  „ 

Schon  am  Ende  der  dritten  Woche,  nachdem  die  einzelnen  Haut¬ 
felder  durchschnittlich  im  ganzen  je  2  Stunden  lang  bestrahlt  worden 
waren,  konnte  eine  wesentliche  Verkleinerung  des  Mediastinaltumors 
und  ein  Zurückgehen  und  teilweises  Verschwinden  der  Lymphdrüsen 
beobachtet  werden.  Im  Verlauf  der  weiteren  vierwöchentlichen  Be¬ 
handlung  waren  sämtliche  Rezidivknoten  verschwunden.  Die  Atem¬ 
not  hatte  ganz  aufgehört,  die  Patientin  konnte  bequem  in  liegender 
Stellung  atmen;  auch  die  Arme  w'aren  wieder  abgeschwollen.  Nach 
dreimonatlichem  Aussetzen  der  Bestrahlung  kam  die  Patientin  wieder 
in  unsere  Behandlung;  die  bei  der  ersten  Serie  bestrahlten  Partien 
w'aren  rezidivfrei  geblieben;  jedoch  konnten  an  der  linken  Brustseite 
zwei  neue  ca.  zehnpfennigstückgrosse  Drüsen  festgestellt  werden,  die 
allerdings  auf  eine  einmalige  energische  Bestrahlung  verschwanden. 
Die  Patientin  wird  noch  längere  Zeit  in  Beobachtung  bleiben  müssen.- 

III.  Karzinommetastasen  und  Rezidive  in 
Lymphdrüsen. 

Wenngleich  es  sich  ja  auch  schon  bei  den  Rezidivfällen 
von  Mammakarzinomen  fast  ausschliesslich  um  Drüsenrezidive 
handelte,  so  soll  hier  noch  kurz  über  einige  Fälle  berichtet 
werden,  bei  denen  das  als  Metastase  oder  Rezidiv  aufge¬ 
tretene  Karzinom  der  Lymphdrüsen  bei  anderweitigem  Sitz 
des  primären  Krankheitsherdes  durch  Röntgenbestrahlung  zum 
Verschwinden  gebracht  werden  konnte. 

Die  bei  einer  sehr  fettreichen  Frau  nach  Urethrakarzinom  in 
beiden  Leistenbeugen  auftretenden,  über  daumendicken  Drüsenschwel- 
lungen  waren  nach  einer  2X>  stündigen  Bestrahlungsdauer,  die  über 
10  Tage  verteilt  wurde,  restlos  im  Laufe  der  nächsten  Wochen  ver¬ 
schwunden. 

Unverschieblich  mit  der  Umgebung  verwachsene  Drüsenpakete 
links  und  rechts  am  Unterkiefer  bei  Lippenkarzinom  wurden  durch 
eine  4  bzw.  2Vi  stündige  Bestrahlungszeit  innerhalb  von  3  Wochen 
vollkommen  eingeschmolzen,  ebenso  Lymphdrüsenrezidive  nach 
Zungen-  und  Tonsillarkarzinom. 

Ein  anscheinend  primäres  Achselhühlen-Drüsenkarzinom,  das  uns 
mit  dieser  Diagnose  von  chirurgischer  Seite  zugeschickt  wurde,  und 
bei  dem  in  der  linken  Axilla  2  harte,  über  pflaumengrosse  Drüsen 
mit  gleichzeitiger  Anschwellung  der  supraklavikulären  Drüsen  pal- 
pabel  waren,  wurde  durch  eine  insgesamt  8  Stunden  dauernde  Be¬ 
strahlungszeit,  die  entsprechend  dein  Krankheitsherd  auf  3  Haut¬ 
felder  verteilt  wurde,  in  5  Wochen  vollkommen  zum  Verschwinden 
gebracht. 

Den  gleichen  Erfolg  erzielten  wir  bei  einem  ca.  fünfmarkstück¬ 
grossen  Rezidiv  in  der  Bauchnarbe  nach  Magenkrebsoperation  durch 
eine  2 Vz  stündige  Bestrahlung,  die  in  fraktionierten  Dosen  im  Ver¬ 
lauf  von  3  Wochen  an  10  Bestrahlungstagen  gegeben  wurde. 

IV.  Lungenkarzinom. 

Eine  weitere  eklatante  Beeinflussung  einer  tiefliegenden 
Neubildung  durch  perkutane  Röntgenbestrahlung  konnte  an 
einem  Bronchialkarzinom  der  linken  Lunge  festgestellt  werden. 

Es  handelte  sich  in  diesem  Falle  um  einen  60  jährigen  Mann, 
der  schon  seit  längerer  Zeit  wegen  Lungenbluten,  Husten,  Auswurf 
und  allgemeiner  Mattigkeit  und  Kachexie  auf  Lungentuberkulose  ohne 
Erfolg  behandelt  wurde.  Die  Beschwerden  nahmen  allmählich  be¬ 
deutend  zu;  es  stellte  sich  eine  beängstigende  Atemnot  ein,  die 
Sprache  wurde  heiser  und  schliesslich  ganz  unverständlich.  Seit  An¬ 
fang  dieses  Jahres  bemerkte  der  Patient  eine  allmähliche  Anschwel¬ 
lung  der  ganzen  linken  Halsseite,  die  von  der  Klavikula  an  bis  zum 
Unterkiefer  reichte.  Da  bei  dem  raschen  Wachtum  dieser  Tumoren 
der  Verdacht  auf  eine  maligne  Neubildung  nahelag,  wurde  in  der  chirur¬ 
gischen  Klinik  der  Charitee  eine  Probeexzision  aus  der  Geschwulst¬ 
masse  am  Halse  gemacht  und  die  Diagnose  Karzinom  mikroskopisch 
bestätigt.  Die  Röntgenaufnahme  der  Brust  ergab  entsprechend  einer 
perkutorisch  nachgewiesenen  Dämpfung  einen  diffusen  Schatten  im 
Bereich  der  ganzen  linken  Lunge  (s.  Abb.  3). 

Da  auf  Grund  dieser  Befunde  ein  operativer  Eingriff  aussichtslos 
war,  wurde  uns  der  Patient  von  der  chirurgischen  Klinik  zur  Be¬ 
strahlung  überwiesen. 

Auch  hier  wurde  wiederum  unter  Benutzung  des  ganzen  zur 
Verfügung  stehenden  Strahlenkegels  die  linke  Rumpfhälfte  von  vorn, 
hinten  und  von  der  Seite  und  ebenso  die  Halsgegend  von  allen  Seiten 
intensiv  bis  zum  Erythem  und  darüber  hinaus  bis  zur  Blasenbildung 
der  Haut  bestrahlt. 

Der  Patient  erhielt  in  6  Wochen  24  Bestrahlungsstunden  mit 
einer  extrem  harten  Röhre  bei  möglichst  hoher  Belastung. 

Der  prompte,  bereits  in  der  zweiten  Woche  bemerkbare  Erfolg 
durch  Rückgang  der  Tumoren  am  Hals  und  durch  eine  wesentliche 
Behebung  der  Atemnot  Hess  dem  scheinbar  aussichtslosen  Fall  eine 
günstige  Prognose  stellen.  Zu  Beginn  der  3.  Woche  waren  die  faust¬ 
grossen  Geschwulstmassen  am  Halse  vollkommen  verschwunden,  die 


21.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Abb.  3. 


Anfälle  von  Atemnot  ganz  behoben  und  die  lispelnde,  kaum  ver¬ 
ständliche  Sprache  klarer  und  zeitweise  ganz  normal  geworden.  Die 
Besserung  im  Allgemeinbefinden  machte  mit  der  weiteren  Bestrah¬ 
lung  ersichtliche  Fortschritte;  am  Ende  der  6  Woche  fühlte  sich  der 
Patient  vollkommen  gesund,  und  es  wurde  jetzt  als  objektive  Kon¬ 
trolle  für  eine  genügende  Tiefenwirkung  eine  zweite  Durchleuchtung 


der  Lunge  vorgenommen.  Das  Bild  (s.  Abb.  4)  zeigt  einen  voll¬ 
kommen  normalen  Lungenbefund;  an  Stelle  der  diffusen  Schatten¬ 
bildung  der  ersten  Aufnahme  sieht  man  die  klare  Zeichnung  der 
Lungenfelder  und  der  Trachea  ohne  jeglichen  pathologischen  Befund; 
auch  die  Schatten  an  der  linken  Halsseite,  die  den  Drüsentumoren 
entsprachen,  sind  restlos  verschwunden. 


V.  Ovarialkarzinome. 

Die  Versuche,  inoperable  Ovarialkarzinome  durch  starke 
und  lange  fortgesetzte  Bestrahlung  zu  beeinflussen,  haben  bis 
jetzt  zu  keinem  Erfolg  geführt,  was  bei  der  Massenhaftigkeit 
des  Karzinomgewebes,  welches  gerade  in  den  malignen 
Ovarialtumoren  gebildet  wird,  uns  bei  der  gewöhnlich  reich¬ 
lichen  und  frühzeitigen  Metastasierung  nicht  überraschen 
kann.  Immerhin  sind  an  2  Fällen  von  Ovarialkarzinom,  in 
welchen  die  doppelseitigen  Tumoren  samt  dem  Uterus  exstir- 
piert,  aber  reichliche  metastasierende  Karzinomknoten  am 
Bauchfell,  Netz  und  Darm  zurückgelassen  werden  mussten, 
bemerkenswerte  Resultate  erzielt  worden. 

In  dem  einen  Fall  war  nach  der  Operation  die  Gegend  der  vor¬ 
deren  Bauchwand  bis  zur  Nabelhöhe  innerhalb  7  Monate  insgesamt 
792  Minuten  in  vielen  Feldern  bestrahlt  worden.  Es  entwickelte  sich 
dann  neuerdings  Aszites  und  bei  der  2.  Operation  fand  sich  bis  zur 
Nabelhöhe,  genau  entsprechend  der  schwarzen  Pigmentierung  der 
iusseren  Haut,  das  Peritoneum  und  die  inneren  Organe  glatt  und  ohne 
Metastasen,  oberhalb  der  genannten  Linie  waren  zahlreiche  Meta¬ 
stasen  im  Peritoneum  parietale,  im  Netz  und  am  Darm  zu  sehen. 

Die  sofort  eingeleitete  weitere  Bestrahlung  mit  sehr  massigen 
Josen  hatte  keinen  Erfolg  mehr,  es  trat  wieder  Aszites  ein  und  wurde 
m  Peritoneum  noch  lebensfrisches  Karzinomgewebe  gefunden.  Auf 
-ine  erneute  intensive  Bestrahlung  ist  zurzeit  wieder  Besserung  ein- 
:etreten. 

In  dem  2.  Falle,  der  im  September  v.  J.  zur  Operation  kam  und 
iei  dem  sowohl  am  Netz  wie  am  Peritoneum  und  Darm  sehr  reich- 
iche  Metastasen  zurückgelassen  worden  waren,  ist  bei  regelmässiger 
Bestrahlung  während  insgesamt  780  Minuten  im  Laufe  von  6  Mona- 
en  kein  Aszites  mehr  aufgetreten,  dann  zeigten  sich  Tumoren  in  der 
.eher  und  Magengegend,  die  auch  die  Applikation  intensiver  Dosen 
>is  zur  Erythembildung  (330  Minuten)  wieder  verschwanden.  Es  ist 
■ e i n  Aszites  eingetreten,  das  Allgemeinbefinden  wird  aber  bei  jedem 
»ersuch,  die  Bestrahlung  zu  widerholen,  auf  Tage  hinaus  so  ver- 
chlechtert,  dass  zurzeit  eine  regelmässige  weitere  Behandlung  un- 
nöglich  ist. 


1605 


Wir  glauben,  durch  die  geschilderten  Beobachtungen  die 
Möglichkeit  der  gefahrlosen  Beeinflussung  des  Karzinom¬ 
gewebes  durch  Röntgenbestrahlung  auf  die  Tiefe  von  10  cm 
bewiesen  zu  haben.  Damit  eröffnen  sich  Aussichten  zur  Behand¬ 
lung  der  Karzinome  der  inneren  Organe  (Darm,  Magen,  Oeso¬ 
phagus,  Larynx  etc.),  die  bis  jetzt  nur  durch  schwere  operative 
Eingriffe  oder  gar  nicht  heilbar  waren.  Betont  muss  jedoch 
dabei  immer  wieder  werden,  dass  Erfolge  nur  durch  intensive 
Bestrahlung,  welche  grosse  Mengen  harter  Strahlen  von  ver¬ 
schiedenen  Einfallpforten  auf  das  krankhafte  Gewebe  konzen¬ 
triert,  erreicht  werden  können,  und  diese  Art  der  Behandlung 
eine  nicht  nur  für  den  Arzt  zeitraubende  und  mühsame,  sondern 
auch  für  die  Kranken  anstrengende  und.  kostspielige  ist.  Richtig 
durchgeführt  ergibt  sie  bei  der  flächenhaften  Wirkung  der 
Röntgenstrahlung,  welche  in  dem  vollen  Umfang  des  Tubus  in 
den  Körper  eingeführt  werden  kann,  eine  gewisse  Gewähr 
dafür,  dass  mit  dem  zerstörten  Primärtumor  auch  alle  Meta¬ 
stasen,  welche  dem  Messer  leicht  entgehen,  von  den  Röntgen¬ 
strahlen  aber  notwendig  mitgetroffen  werden,  dem  Zerfall  an¬ 
heimfallen.  Wenn  bei  der  Bestrahlung  von  den  Bauchdecken 
her  das  Karzinomgewebe  der  Portio  vaginalis  zerstört  ist, 
müssen  schon  vorher  und  in  viel  schwererer  Weise  die  der 
Strahlenquelle  näherliegenden  und  deshalb  intensiver  ge¬ 
troffenen  Metastasen  in  den  breiten  Bändern  und  in  den 
Drüsen  beeinflusst  worden  sein. 

Die  heilende  Wirkung  der  Strahlen  auf  tief  sitzende  Kar¬ 
zinome  hat  natürlich  ihre  Grenzen.  Das  haben  wir  besonders 
bei  Ovarialkarzinomen  mit  ausgebreiteten  Metastasen  an  den 
Bauchorganen  und.  bei  den  disseminierend  wachsenden 
Mammakarzinomen  gesehen.  Man  kann  hier  wohl  einzelne 
Knoten  durch  die  Bestrahlung  zerstören,  in  der  Nachbarschaft 
treten  dafür  aber  wieder  neue  auf  und  die  Kranken  ertragen 
schliesslich  die  zur  Bewältigung  so  grosser  Karzinommassen 
nötigen  Strahlenmengen  nicht  mehr.  Die  Applikation  grösserer 
Strahlenmengen  in  der  Umgebung  des  Magens  kann  zu  an¬ 
dauerndem  Erbrechen,  am  Darm  zu  schweren  Diarrhöen,  in 
der  Nähe  des  Herzens  (bei  der  Behandlung  tiefsitzender  Meta¬ 
stasen  bei  Mammakarzinom)  zu  Arrhythmie  schwerer  Art 
führen  und  die  weitere  Bestrahlung  unmöglich  machen.  Es 
wird  Sache  der  Technik  sein,  die  Schwierigkeiten  durch  ge¬ 
eignete  Filter  und  Blenden  zu  überwinden. 

Viel  weniger  Bedeutung  haben  die  örtlichen  Schädigungen 
der  Haut,  welche  nach  der  Einführung  von  500  X  auftreten. 
Hat  man  ausschliesslich  harte  Strahlung  benutzt,  so  gelangt 
die  bis  zur  blasigen  Abhebung  der  Epidermis  vorgeschrittene 
Hautreizung  in  3 — 4  Wochen  wieder  zur  Abheilung  und  es 
kommt  nicht  zu  langwierigen  und  tiefgreifenden  Nekrosen¬ 
bildung,  wie  sie  bei  der  Verbrennung  mit  weichen  Röntgen¬ 
strahlen  früher  oft  beobachtet  worden  ist.  Durch  eine  vier¬ 
wöchentliche  lokale  Hautentzündung  ist  aber  eine  Krebsheilung 
nicht  zu  teuer  erkauft. 


Aus  der  Universitäts-Kinderklinik  in  Wien 

Graphische  Analyse  kutaner  Reaktionen. 

Von  Prof.  C.  v.  Pirquet. 

Um  entzündliche  Vorgänge  auf  der  Haut  in  vollständiger 
Weise  biologisch  verwerten  zu  können,  ist  es  notwendig,  sie 
nicht  nur  qualitativ,  sondern  in  ihrem  quantitativen  und  zeit¬ 
lichen  Ablaufe  zu  analysieren.  Zu  diesem  Zwecke  ist  eine 
kurvenmässige  Darstellung  am  meisten  geeignet,  welche  die 
Ausdehnung  der  Reaktion  in  Millimetern  als  Ordinate,  die  Zeit 
in  Stunden  als  Abszisse  verwendet.  Diese  Art  der  Darstellung 
habe  ich  zuerst  bei  der  Schutzpockenimpfung  angewendet  [l] 
und  vermochte  durch  eingehende  Analyse  der  Kurven  die  Früh- 
rcaktion  von  der  beschleunigten  und  der  normalzeitigen  Re¬ 
aktion  [l,  2,  6,  7],  sowie  die  dem  Bakterienwachstum  ent¬ 
sprechende  Papille  von  der  reaktiven  Area  [2]  zu  trennen. 

Es  ist  merkwürdig,  dass  eine  an  sich  so  leicht  verständ¬ 
liche  1  echnik  nicht  mehr  Nachahmung  und  Anwendung  ge¬ 
funden  hat.  Die  Schwierigkeit  liegt  einerseits  in  der  kon¬ 
stanten,  stundenweisen  Beobachtung  entzündlicher  Reaktionen, 
besonders  während  der  Nachtzeit,  andererseits  in  der  Zu¬ 
sammenstellung  der  einzelnen  gemessenen  Punkte  zu  verwert¬ 
baren  Kurven. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  29. 


1606 


20 


2  4  «  tülttH  17  21  2i 


Ein  besonders  günstiges  Objekt  zum  Studium  von  Haut¬ 
reaktionen  ist  die  kutane  Tuberkulinprobe.  Ich  will  hier  an 
einem  Beispiele  die  Technik  der  kurvenmässigen  Analyse 
geben. 

Heinrich  S..  4  Jahre  alt,  wegen  tuberkulöser  Erkrankung  des 
Felsenbeines  auf  der  Dachstation  der  Kinderklinik  in  Freiluftbehand¬ 
lung  Am  9  Mai  erste  kutane  Tuberkulinreaktion:  stark  positiv,  nach 
24  Stunden  Durchmesser  25:27  mm.  Am  12.  Mai  quantitativer  Ver¬ 
such  mit  Tuberkulin  und  Verdünnungen  von  Tuberkulin 
in  Bouillon,  am  15.  Mai  zweiter  quantitativer  Versuch; 
beidemale  wurden  gleichzeitig  3  andere  Kinder  unter¬ 
sucht.  Der  Versuch  Heinrich  S.  vom  15.  Mai  wurde  als 
Beispiel  ausgewählt,  weil  er  bei  der  Analyse  die  reinsten 
Resultate  ergab. 

Am  15.  Mai  um  8  Uhr  vormittags  wird  die  Tuber¬ 
kulinimpfung  am  linken  Oberarme  in  der  Weise  ausge¬ 
führt,  dass  zuerst  —  vom  distalen  Ende  beginnend  — 
ein  Tropfen  einer  konzentrierten  Nährbouillon  aufge¬ 
tragen  wird,  dann  Verdünnungen  1:1000,  1:100,  1:10 
von  Tuberkulin  in  konzentrierter  Nährbouillon,  schliess¬ 
lich  auf  der  Schulterhöhe  unverdünntes  Alttuberkulin. 

Hierauf  wird  mit  dem  Impfbohrer  in  derselben  + 
Reihenfolge  in  jedem  der  Tropfen  eine  Bohrung  ausge¬ 
führt.  Nach  10  Minuten  werden  die  Tropfen  sorgfältig 
mit  einem  Aethertupfer  abgetrocknet,  damit  das  Tuber¬ 
kulin  nicht  verkratzt  werden  kann. 

Um  10  Uhr  erfolgt  die  erste  Messung.  Mit 
einem  Millimetermass  wird  der  Durchmesser  der 
Rötung  bestimmt:  bei  runden  Effloreszenzen  wird 
nur  ein  Durchmesser  notiert,  bei  länglichen  der  Breiten-  und 
Längsdurchmesser  Ausserdem  wird  die  Schwellung  und  Rö¬ 
tung  in  empirischer  Skala  aufgezeichnet;  die  Schwellung  über  der 
Millimeterzahl  (als  ~  deutlich.  —  undeutlich,  —  nicht  tastbar),  die 
Rötung  unterhalb  der  Millimeterzahl  (als  ^  deutlich,  ~  undeutlich, 
—  nicht  gerötet,  v  bedeutet  einen  reaktionslosen  Kratzeffekt. 

Dieselbe  Art  der  Notierung  wird  um  12,  2,  4,  6,  8  und  10  Uhr 
gemacht,  also  alles  in  allem  2,  4,  6,  8,  10,  12  und  14  Stunden  nach 
der  Impfung.  Am  nächsten  Tage  wird  um  1  Uhr  nachts,  um  5  Uhr 
früh,  um  8  Uhr  vormittags  und  4  Uhr  nachmittags  gemessen  (17,  21. 
24,  32  Stunden  nach  der  Impfung),  am  3.  Tage  um  8  Uhr  vormittags 
und  4  Uhr  nachmittags  (48.  56  Stunden),  am  4.  Tage  um  8  Uhr  vor¬ 
mittags  (72  Stunden  nach  der  Impfung). 

Die  Resultate  der  Aufzeichnung  waren  folgende: 


nommen  werden  können.  Im  vorliegenden  Versuche  kann  die 
Höhe  der  Reaktion  verzehnfacht  werden,  10  mm  für  1  mm 
Durchmesser,  während  für  die  Zeit  8  cm  für  24  Stunden,  also 
1  cm  für  3  Stunden  gewählt  werden. 

Nun  soll  jede  einzelne  Reaktion  aufgezeichnet  werden. 
Man  nimmt  einen  Bogen  durchsichtigen  Schreibmaschinen¬ 
papiers,  legt  ihn  auf  die  Skala,  markiert  2  Punkte  (den  Winkel  0 


5*  Stunden 


Abb.  1.  Schema  zum  Einzeichnen  der  Befunde. 


Abb.  2.  Tuberkulinverdünnung  1  :  100. 
Eingezeichnete  Werte. 


und  die  Kreuzungsstelle  20  mm),  und  macht  sich  nun  daran,  mit 
Bleistift  die  Resultate  der  Messungen  einzutragen. 

Wir  wollen  dies  mit  der  dritten  Impfstelle  1 :  100  tun. 
(Abb.  2.)  Das  erste  Messungsresultat,  6,  ist  bei  der  Zeit 

2  Stunden,  in  der  Höhe  6  mm  einzusetzen.  Wie  aber  mit  dem 
Ausdrucke  der  Röte  und  Exsudation?  Sie  werden  durch 
Zahlen  ausgedrückt,  die  an  den  betreffenden  Punkten  ein¬ 
getragen  werden. 

Die  3  Grade  der  Rötung  und  Schwellung  lassen  9  Kombina¬ 
tionen  zu:  ...  1 2 * * 

eine  Reaktion  ohne  Rötung  und  Schwellung  ist  überhaupt  nicht 
sichtbar,  ist  negativ  und  wird  mit  0  bezeichnet. 


15.  V. 

Vormittag 

Nachmittag 

- ; — 

16.  V. 

17.  V. 

18.  V. 

Zeit  8 

10 

12 

2 

4 

V  6 

8 

10 

1 

5 

8 

4 

8 

4 

8 

Stunden  0 

2 

4 

6 

8 

10 

12 

14 

17 

21 

24 

32 

48 

56 

72 

23:  15 

/ _ ^ 

Tub.  1  : 1 

7 

V 

V 

776 

1578! 

■18X13 

19714 

207l3 

22713 

21 : 15 

- 

18712 

20:  16 

19712 * 

21  :  12 

1  : 10 

"6 

'"3 

7 

V 

7 

7 

372 

574 

1(76 

1(578 

J47l3 

v — ✓ 

!47l2 

137  8 * * * * 

978 

1 : 100 

7 

7 

7 

V 

I 

7 

7 

372 

7 

473 

977 

12j:7 

1076 
' — ✓ 

875 

1 : 1000 

374 

7 

7 

7 

V 

372 

372 

7 

473 

7 

7 

7 

7 

V 

Bouillon 

577 

7 

7 

V 

V 

473 

7 

7 

372 

7 

7 

V 

V 

V 

Auf  den  ersten  Blick  sind  die  Resultate  der  Tabelle  etwas 
verwirrend.  Wir  können  nur  so  viel  ersehen,  dass  an  allen  Impf¬ 
stellen  schon  nach  2  Stunden  eine  leichte  Reaktion  besteht, 
die  aber  dann  wieder  verschwindet,  dass  hierauf  eine  neue 
Reaktion  einsetzt,  die  beim  konzentrierten  Tuberkulin  nach 
32  Stunden  ihren  Höhepunkt  erreicht.  Die  Doppelzahlen  hier 
bedeuten,  dass  sich  in  der  Reaktion  zwei  Zonen  erkennen 
lassen;  eine  zentrale,  stark  erhabene,  aber  wenig  getötete  Pa¬ 
pille  18:  12,  die  von  einem  intensiv  geröteten,  aber  wenig  er¬ 
habenen  Hofe  23:15  umgeben  ist.  Die  Reaktion  1:10  hat 

gleichzeitig,  die  Reaktion  1:100  etwas  später  ihren  Höhepunkt. 
Bei  den  folgenden  beiden  Impfstellen  lässt  sich  aus  der  Tabelle 
ein  Höhepunkt  nicht  deutlich  erkennen. 

Um  nun  die  Analyse  auszuführen,  ist  es  notwendig,  das 
Bild  jeder  einzelnen  Reaktion  auf  einem  eigenen 
Blatte  aufzuzeichnen.  Das  geschieht  in  der  Weise,  dass  man 
das  Schema  von  millimetrischer  Ausdehnung  und  Zeit  auf 
einem  Bogen  mit  starken  Tintenstrichen  aufzeichnet: 

Die  Grösse  dieses  Schemas  ist  so  zu  wählen,  dass  die 
ganze  Länge  der  Beobachtungszeit  und  die  grösste  Höhe  der 
Reaktion  auf  einem  Bogen  Schreibmaschinenpapier  aufge-  i 


~  geringe  Rötung,  keine  Schwellung,  ist  das  erste  und  geringste 
Anzeichen  der  Reaktion,  wird  mit  1  bezeichnet. 

—  geringe  Schwellung  ohne  Rötung,  kommt  etwas  seltener  als  Be¬ 

ginn  der  Reaktion  vor  =  2. 

~  geringe  Schwellung  und  Rötung  ist  der  häufigste  Beginn  einer  Re¬ 
aktion  =  3;  häufig  kommen  schwache  Reaktionen  überhaupt 
nicht  über  dieses  Stadium  hinaus. 

^  starke  Rötung  ohne  jede  Schwellung  (=  4),  kommt  normalerweise 
bei  der  Tuberkulinreaktion  nicht  vor,  wir  finden  sie  vor  dem 
vollkommenen  Verschwinden  der  Reaktionsfähigkeit  im  Ver¬ 
laufe  der  Masern  und  der  Miliartuberkulose. 

—  starke  Schwellung  ohne  jede  Rötung  (=  5/,  ist  bei  der  Tuber¬ 

kulinreaktion  ebenfalls  pathologisch;  sie  findet  sich  gelegentlich 
bei  schwerer  Anämie,  dann  auch  im  Verlaufe  der  Miliartuber¬ 
kulose. 

er  geringe  Schwellung  mit  starker  Rötung  (=  6)  findet  sich,  nicht  sehr 
häufig,  im  Verlaufe  der  Entwicklung,  häufiger  beim  Verschwin¬ 
den  starker  Reaktionen,  ferner  bei  der  Area. 

ec  starke  Schwellung  mit  geringer  Rötung  (=  7  )ist  häufig  in  der 
Entwicklung,  oft  auch  als  Gipfelpunkt  der  Reaktion. 

C  deutliche  Schwellung  und  Rötung  (=  8)  ist  der  normale  Höhepunkt 
der  Reaktion. 

Hierzu  kommt  noch  die  Bezeichnung  9 

für  eine  starke  Schwellung,  die  aber  nicht  gerötet,  sondern  gelblich, 
bläschenförmig  ist;  sie  stellt  das  Maximum  der  Intensität 
der  Tuberkulinreaktion  dar. 


1607 


21.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Diese  Ziffern  (wo  Länge  und  Breite  verschieden  sind,  die 
Durchschnittsziffern)  werden  nun  an  der  Stelle  des  durch  die 
Zeit  und  die  Ausdehnung  bestimmten  Punktes  eingesetzt: 

In  derselben  Weise  wird  nun  jede  einzelne  Reaktion  durch¬ 
geführt.  Die  Notierungen  werden  zuerst  mit  Bleistift  gemacht, 
dann  kontrolliert,  hierauf  mit  Tinte  überschrieben.  Diese 
Massregel  hat  den  Zweck,  dass  man  bei  der  Kurvenzeichnung 
vorläufige,  unrichtige  Kurven  wieder  wegradieren  kann,  ohne 
die  fixen  Daten  zu  verwischen. 

Nun  kommt  die  Kurvenzeichnung.  Zuerst  werden  in  alle 
Einzelblätter  provisorische  Kurven  eingezeichnet.  Bei  Fig.  2 
z.  B.  kann  man  eine  Kurve  legen,  die  sich  schlangenförmig 
durch  alle  Zahlen  windet;  der  Erfahrene  wird  nur  den  letzten 
Teil  in  eine  Kurve  einbeziehen,  weil  die  ersten  9  Messungen 
komplizierte  Verhältnise  erwarten  lassen,  die  erst  durch 
aridere  Bilder  aufzuklären  sind. 


fehlt  sie  fast,  bei  anderen  erreicht  sie  eine  Höhe  bis  zu 
10  mm  und  dauert  bis  zu  24  Stunden  an.  Im  vorliegenden 
Fall  ist  sie,  wie  an  der  Messungstabelle  ersichtlich,  bei  einer 
Bohrung  nach  4  Stunden,  bei  drei  Bohrungen  nach  8,  bei  einer 
nach  10  Stunden  verschwunden. 

An  der  Bouillonstelle  (Fig.  3)  setzt  nach  12  Stunden  eine 
neue  Rötung  ein,  die  nach  14  und  17  Stunden  auch  Exsudation 
zeigt  und  ihren  Höhepunkt  von  4  mm  Durchmesser  erreicht. 
Dann  verschwindet  sie  allmählich;  nach  48  Stunden  ist  nichts 
mehr  davon  wahrzunehmen. 

Das  Bild  der  Tuberkulinverdünnung  1  :  1000  (Fig.  4)  zeigt 
nun  ausser  diesen  2  Erhebungen  noch  einen  dritten  Buckel: 
nach  48  und  56  Stunden  ist  eine  kleine  Reaktion  vorhanden, 
die  nach  72  Stunden  nicht  mehr  wahrnehmbar  ist.  Wir 
können  sie  als  die  minimale  Wirkung  des  tausendfach  ver¬ 
dünnten  Tuberkulins  deuten. 


Abb.  3.  Bouillon  ohne  Tuberkulin. 


Abb.  4.  Tuberkitinverdünnung  1:1000. 


Abb.  5.  Tuberkulinverd  innun  '  1  :  100. 


Um  diesen  Schritt  zu  machen,  werden  nunmehr  alle  pro¬ 
visorischen  Kurven  auf  dasselbe  Blatt  geworfen.  Man  nimmt 
einen  neuen  Schreibmaschinenbogen,  fixiert  die  beiden  Orien¬ 
tierungspunkte  (0  und  20  mm),  legt  hierauf  das  Blatt  auf  eine 
Kurve  nach  der  anderen  genau  auf  die  Orientierungspunkte 
und  zeichnet  mit  Bleistift  die  Kurven  durch.  Dadurch  lernt 
man  die  Linien  unterscheiden,  welche  allen  Reaktionen  ge¬ 
meinsam  sind,  und  jene,  welche  von  dem  typischen  Verhält¬ 
nisse  der  einzelnen  Reaktion  (z.  B.  der  Tuberkulinverdünnung) 
abhängig  sind. 

Man  nimmt  nun  das  Gruppenbild,  legt  jede  einzelne  Kurve 
darüber,  und  vergleicht  sie  mit  der  Gesamtheit,  wobei  man 
häufig  die  provisorischen  Kurven  zu  korrigieren  hat. 


In  der  Verdünnung  1  :  100  sehen  wir  diese  Tuberkulin¬ 
reaktion  schon  viel  deutlicher  ausgesprochen.  Der  Vergleich 
mit  den  anderen  Kurven  hat  ergeben,  dass  die  definitive  Kurve 
nicht  wie  die  provisorische  als  eine  Schlangenlinie  zu  zeichnen 
war,  sondern  es  haben  sich  die  ersten  Messungen  als  Folgen 
von  traumatischer  und  Bouillonreaktion  ergeben.  Den  Fuss- 
Punkt  der  Tuberkulinreaktion  können  wir  in  der  Verlänge¬ 
rung  der  Mesungszahlen  von  24  auf  32  Stunden  bei 
20  Stunden  ansetzen,  der  Höhepunkt  ist  10  mm  bei 
40  Stunden;  der  Endpunkt  fällt  ausserhalb  der  Beob¬ 
achtungszeit  und  dürfte  ungefähr  bei  4%  Tagen  liegen. 

Die  Verdünnung  1 :  10  ist  gleichfalls  nur  durch  die  Analyse 
der  Bouillonkontrolle  verständlich:  die  Werte  von  10  bis 


Abb.  6.  Tuberkulinverdünming  1 : 10.  Abb.  7.  Unverdünntes  Tuberkulin.  Abb.  8.  Zusammenfassung  der  Kurven 


Nach  dieser  Korrektur  werden  die  Kurven  wieder  zu 
.•inem  neuen,  definitiven  Gesamtbilde  vereinigt. 

Nehmen  wir  nun  die  definitiven  Kurven  des  vorliegenden 
'alles,  indem  wir  von  der  Bouillonstelle  beginnen,  die  kein 
Tuberkulin  enthält. 

Wir  sehen  hier  2  Erhebungen:  die  erste  erreicht  ihren 
löhepunkt  schon  nach  2  Stunden,  ist  nach  8  Stunden  ver¬ 
schwunden.  Auf  Grundlage  früherer  Versuche  können  wir  sie 
tls  traumatische  Reaktion  ansprechen,  als  die  Rötung,  welche 
mf  jede  Verletzung  der  Epidermis  folgt,  und  hier  durch  die  eir¬ 
ache  Bohrung  mit  dem  meisseiförmigen  Impfbohrer  bedingt 
st.  Sie  ist  individuell  sehr  verschieden:  bei  manchen  Kindern 


14  Stunden  gehören  noch  nicht  zur  Tuberkulinreaktion;  diese 
setzt  mit  einem  Fusspunkte  von  ca.  13  Stunden  ein,  erreicht 
ihren  Höhepunkt  von  14  mm  nach  ca.  36  Stunden,  der  End¬ 
punkt  liegt  ungefähr  bei  5  Tagen. 

Das  unverdünnte  Tuberkulin  endlich  gibt  eine  einheitliche 
Kurve:  die  Bouillonreaktion  ist  nämlich  völlig  verdeckt  durch 
die  Tuberkulinreaktion,  die  schon  bei  7  Stunden  ihren  Fuss- 
punkt  hat,  sehr  rasch  aufsteigt,  und  mit  ungefähr  48  Stunden 
ihren  Höhepunkt  erreicht.  Dann  erfogt  eine  sehr  langsame  In¬ 
volution,  die  erst  nach  8  Tagen  ihren  Endpunkt  finden  dürfte. 
Bpi  so  starken  Reaktionen  ist  übrigens  der  Endpunkt  kaum  zu 
bestimmen,  weil  die  aktive  Hyperämie  und  Exsudation  sich 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  29. 


1608 


nicht  konzentrisch  verkleinern  wie  bei  leichten  Reaktionen,  son¬ 
dern  eine  Pigmentierung  hinterlassen,  die  lange  Zeit  bestehen 
bleibt  und  von  den  aktiven  entzündlichen  Vorgängen  zu  unter¬ 
scheiden  ist. 

Das  Gruppenbild  (Fig.  8)  zeigt  die  gewonnenen  definitiven 
Resultate:  traumatische  und  Bouillonreaktion,  sowie  die  vier 
Linien  der  Tuberkulinverdünnungen.  Sie  entsprechen  den 
schon  früher  (S.  170—173)  formulierten  Gesetzen.  Der  Anstieg 
erfolgt  um  so  rascher,  je  konzentrierter  das  Tuberkulin  ist:  die 
maximale  Ausdehnung  steht  in  einem  quantitativen  Verhältnisse 
zur  Konzentration.  Der  Endpunkt  wird  um  so  früher  erreicht, 
je  weniger  Tuberkulin  bei  der  Reaktion  tätig  war. 

Zusammenfassung. 

Die  bereits  in  früheren  Publikationen  (1 — 7)  verwendete 
Analyse  kutaner  Reaktionen  wird  in  ihrer  allmählich  vervoll- 
kommneten  Technik  an  einem  Beispiele  von  kutaner  Tuber- 
kulinreaktion  eingehend  geschildert. 

Die  Methode  besteht  in  einer  durch  mehrere  Tage  hindurch 
ausgeführten  Registrierung  der  kutanen  Effekte  in  bezug  auf 
Flächenausdehnung,  Hyperämie  und  Exsudation,  der  Darstel¬ 
lung  in  Kurvenblättern  auf  Grund  eines  unterlegten  Schemas 
der  zuerst  provisorischen,  dann  definitiven  Zusammenfassung 
in  Kurvenbildern. 

Neu  ist  bei  der  vorliegenden  Darstellung  die  Ziffern¬ 
bezeichnung  von  Exsudation  und  Hyperämie,  die  Bestimmung 
der  Begriffe  Fusspunkt,  Höhepunkt  und  Endpunkt  der  Re¬ 
aktion. 

Lieber  die  hier  gestreifte  Frage  der  traumatischen  Reaktion 
und  der  Bouillonreaktion  werden  weitere  Mitteilungen  folgen. 

Literatur. 

1.  Die  frühzeitige  Reaktion  bei  der  Schutzpockenimpfung.  W.kl.W. 
1906  Nr.  28.  —  2.  Klinische  Studien  über  Vakzination  und  vakzinale 
Allergie.  Wien,  Deutike  1907.  —  3.  Allergie.  Erg.  d.  Inn.  Med. 
1.  1908.  —  4.  Quantitative  Experiments  with  the  cutaneous  Tuber- 
culin  reaction.  Journal  of  Pharmacology  and  experimental  thera- 
peutics  1909.  —  5.  Allergie.  Berlin,  Springer  1910.  —  6.  Die 
Doppelreaktion  bei  der  Kuhpockenimpfung.  M.m.W.  1911  Nr.  18.  — 
7.  Ueber  die  verschiedenen  Formen  der  allergischen  Reaktion  bei  der 
Revakzination.  Zschr.  f.  Immun.Forsch.  10.  1911. 


Klinische  und  experimentelle  Erfahrungen  bei  Salvarsan- 
injektionen  in  das  Zentralnervensystem. 

Von  W.  Weygand  t,  A.  Jakob  und  V.  K  a  f  k  a  in  Hamburg- 

Friedrichsberg. 

Schon  bald  nach  Einführung  des  Salvarsans  und  dem  Er¬ 
satz  der  subkutanen  durch  die  intravenöse  Injektion  wurde 
angesichts  der  Misserfolge  bei  Metasyphilis  die  Idee  nahe¬ 
gelegt.  das  Mittel  näher  an  das  Zentralnervensystem  heran¬ 
zubringen,  durch  subdurale,  intrazerebrale  oder  endolumbale 
Injektion.  Letztere  Methode  wurde  zuerst  von  Wechsel¬ 
in  a  n  n  und  von  Marinesco  angewandt;  ersterer  berichtete 
über  gelegentliche  Besserung,  letzterer  kam  zu  wenig  gün¬ 
stigen,  teilweise  bedenklichen  Resultaten.  Swift  und  Ellis 
haben  salvarsanisiertes  Serum  angewandt  mit  günstigen  Be¬ 
einflussungen  des  Liquors;  mehrfach  gingen  Pleozytose  und 
Globulinreaktion  schneller  zurück  als  Wassermann'.  Nach  Ver¬ 
suchen  mit  dieser  Methode  ging  Gennerich  Herbst  1913 
zur  endolumbalen  Injektion  von  Neosalvarsan  4 — 6  ccm  einer 
Lösung  von  0,15:200  Kochsalzlösung  über,  späterhin  zu 
4 — 8  ccm  einer  Lösung  von  0,15:300  Kochsalzlösung.  Seine 
Erfolge  bei  beginnender  Lues  cerebri  sind  unverkennbar, 
während  er  bei  Paralyse  nur  vereinzelt  zur  Anwendung  der 
Methode  gelangte. 

Um  so  wichtiger  erscheint  jede  Vorsicht  zwecks  Ver¬ 
meidung  von  ungünstigen  Wirkungen,  als  ja  irgendwelche  mit 
einem  bestimmten  Verfahren  erzielten  Misserfolge  erfahrungs- 
gemäss  von  Fernstehenden  vielfach  dem  Präparat  als  solchem 
zur  Last  gelegt  werden.  So  wurden  auch  bei  dem  Vorkommnis 
in  Los  Angeles  Bedenken  gegen  das  Präparat  selbst  geäussert, 
während  nach  der  ganzen  Sachlage  hiervon  keine  Rede  sein 
kann.  Aus  den  uns  von  Exz.  E  h  r  1  i  c  h  freundlichst  vorgelegten 
Materialien,  insbesondere  aus  den  offiziellen  Berichten  des 
Arztes  Dr.  C  h  a  r  1 1  o  n  und  des  Direktors  W  h  i  t  m  a  n  n, 


sowie  aus  dem  an  den  obersten  Bezirksrichter  erstatteten  Be¬ 
richt  der  Grand  Jury  geht  hervor,  dass  es  sich  um  8  an  Lues 
in  vorgeschrittenem  Stadium  oder  an  Lues  des  Zentralnerven¬ 
systems  leidende  Patienten  handelte,  denen  am  7.  III.  1914 
salvarsanisiertes  Serum  nach  einer  Methode  gegeben  wurde, 
die  eine  Kombination  der  - Methode  von  Swift  und  der  von 
Lorenz  darstellen  sollte.  Am  Tage  vorher  sind  jedem  15  ccm 
Blut  aus  der  Armvene  entzogen  worden;  je  5  ccm  Serum 
wurden  gemischt  mit  1—3  mg  Neosalvarsan,  das  in  steriler 
Kochsalzlösung  frisch  gelöst  war.  Die  derart  hergestellten 
Präparate  wurden  XA  Stunde  in  ein  Wasserbad  von 
54 °C  und  darauf  20  Stunden  in  den  Kühlschrank 
gebracht.  Sodann  wurden  3 — 7  ccm  Liquor  entnommen  und 
nun  durch  dieselbe  Nadel  das  wie  erwähnt  vorbehandelte 
salvarsanisierte  Serum  jedem  Patienten,  von  dem  es  her¬ 
rührte,  cingeflösst.  Binnen  einiger  Stunden  starben  7  Patienten. 
Die  Aerzte  versicherten,  dass  alle  Kautelen  der  Aseptik  an¬ 
gewandt  waren.  Sie  mögen  gewiss  bona  fide  vorgegangen 
sein,  aber  ihre  Ansicht,  dass  man  an  einen  Sprung  in  der  Sal- 
varsanampulle  denken  könne,  erscheint  in  keiner  Weise  be¬ 
gründet,  vielmehr  wird  man,  wenn  man  selbst  mit  Salvarsan 
und  Neosalvarsan  gearbeitet  hat  und  die  Literatur  überblickt, 
Bedenken  haben,  das  Präparat  auf  54°  zu  erhitzen  und  dann 
noch  20  Stunden  aufzubewahren.  Swift  hat  ebenfalls  auf 
diesen  Punkt  hingewiesen,  geht  aber  doch  wohl  zu  weit,  wenn 
er  warnt,  zwecks  endolumbaler  Anwendung  das  Salvarsan 
ausserhalb  des  Körpers  zu  mischen  *). 

Angesichts  dessen,  dass  die  schwere  Form  der  Nerven- 
syphilis  in  Form  der  Paralyse  ganz  besondere  Vorsicht  bei 
Anwendung  neuer  Methoden  bedurfte,  haben  wir  unsere  Ver¬ 
suche  erst  nach  Berücksichtigung  einer  Reihe  von  Kautelen 
aufgenommen.  Zunächst  haben  wir  Herrn  Oberstabsarzt 
Dr.  Gennerich  um  die  Freundlichkeit  ersucht,  uns  seine 
Methode  zu  demonstrieren,  worauf  er  in  liebenswürdiger  und 
instruktiver  Weise  einging.  Weiterhin  haben  wir  am  Tierver¬ 
such  geprüft,  in  welcher  Weise  Salvarsan  in  grosser  oder  ge¬ 
ringer  Dosis  auf  das  Zentralnervensystem  einwirkt,  indem  ich 
mit  Kollegen  Jakob  bei  Affen  und  Kaninchen  endolumbale 
und  intrazerebrale  Injektionen  von  Salvarsan  in  verschiedener 
Konzentration  vornahm,  worüber  später  Jakob  referieren 
wird.  Schliesslich  wandten  wir  die  Methode  zunächst  nur  bei 
vorgeschrittenen  Fällen  von  Paralyse  an,  bei  denen  eine 
etwaige  ungünstige  Beeinflussung  immerhin  anders  zu  be¬ 
urteilen  wäre,  als  bei  initialen  Fällen;  weiterhin  aber  lag  hier 
auch  die  Fehlerquelle  der  spontanen  Remission  weniger  nahe. 

Wir  haben  bisher  25  Fälle  behandelt,  mit  einer  Ausnahme 
Männer,  im  Alter  von  30—58  Jahren,  durchweg  ganz  aus¬ 
geprägte  Paralysen,  die  sich  monatelang,  manche  bereits  jahre¬ 
lang,  in  voll  entwickeltem  Stadium  befanden.  Das  Vorläufcr- 
stadium  reichte  bereits  eine  Reihe  von  Jahren  zurück.  Es 
waren  die  verschiedensten  Formen  vertreten,  auch  solche  mit 
zahlreichen  Anfällen  und  initialen  Lähmungserscheinungen. 
Bei  zweien  ging  Krankenhausbehandlung  wegen  „Lues  cerebri“ 
mit  Entlassung  als  „geheilt“  kurz  voraus. 

Wir  haben  uns  streng  an  die  methodischen  Vorschriften 
Gennerichs  gehalten.  Obwohl  die  von  v.  Schubert 
neuerdings  angewandte  Lösung  in  Liquor  sehr  viel  für  sich 
hat  und  die  erwünschte  Ausschliessung  der  Wasserfehler  er¬ 
möglicht,  haben  wir  zunächst  eine  Serie  mit  der  Original¬ 
methode  durchführen  wollen.  Besonders  streng  wurde  darauf 
gesehen,  dass  der  Patient  sich  hinterher  in  horizontaler  Körper¬ 
lage  hielt.  Im  ganzen  sind  bisher  57  Injektionen  vorgenommen 
worden.  In  9  Fällen  wurden  je  3  Injektionen  gegeben  mit 
Zwischenpausen  von  2 — 4  Wochen. 

Welche  Schädigungen  kommen  in  Frage? 

Bei  3  Patienten  ist  Erbrechen  aufgetreten,  bei  einigen  (3 — 4) 
Kopfweh,  auch  nach  wiederholter  Injektion,  meist  nur  für  wenige 
Tage.  Bei  einem  Patienten  traten  zwischen  der  1.  und  2.  Injektion 
Anfälle  auf.  Ein  Fall  zeigte  solche  zwischen  der  2.  und  3.,  ein 
anderer  hatte  2  Tage  nach  der  2.  Injektion  2  Anfälle.  Ein  Patient,  der 
früher  häufig  Anfälle  hatte,  erlitt  114  Wochen  nach  der  3.  Injektion 
wieder  mehrere  paralytische  Anfälle,  was  nach  der  ganzen  Sachlage 
schwerlich  auf  Rechnung  der  Injektion  gesetzt  werden  kann.  Ein 


l)  Vergl.  auch  Edward  H.  Marsh:  The  dangers  accruing  from 
1  drugs  purchased  from  peddlers.  Medical  Times,  April  1914. 


21.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1609 


anderer,  der  anfänglich  gebessert  schien,  bot  einige  Wochen  nach 
den  Injektionen  Anfälle  und  zeigte  sich  darauf  verschlechtert. 

Ein  Fall  hatte,  kurz  bevor  er  injiziert  werden  sollte,  mehrere 
Anfälle;  nach  der  ersten  Injektion  traten  keine  auf,  wohl  aber  wieder 

nach  der  zweiten. 

Bei  einem  hatte  die  vorher  schon  vorhandene  Ataxie  nach  der 
2.  Injektion  zugenommen,  später  wurde  sie  aber  deutlich  besser. 

Ein  Patient  zeigte  seit  der  1.  Injektion  ausgesprochene  Nacken¬ 
steifigkeit,  die  aber  später  wieder  vollständig  verschwand.  Bei  einem 
anderen  traten  am  läge  nach  der  Injektion  Magenbesch’wcrden  auf 
Einmal  wurde  die  Inkontinenz  deutlicher.  Ein  Fall  zeigte  nach  der 
2.  Injektion  fibrilläre  Zuckungen  und  eine  noch  mehr  verwaschene 
Sprache  als  vorher. 

Teinperaturstörungen  kamen  häufiger  vor,  meist  nicht  sofort 
auf  die  Injektion  hin,  sondern  erst  am  folgenden  Tage.  In  der  Regel 
erhoben  sich  die  Temperaturen  nicht  viel  über  37—37,5.  ln  5  Fällen 
blieb  bei  je  2  Injektionen  die  Temperatursteigerung  aus.  In  weiteren 
5  Fällen  war  wohl  etwas  höhere  Temperatur  nach  der  1.,  nicht  aber 
nach  der  2.  Injektion;  2 mal  nach  den  beiden  ersten  Injektionen,  aber 
nicht  nach  der  3.;  aber  es  kam  auch  2  mal  vor,  dass  die  2  ersten 
Injektionen  fieberfrei  blieben,  während  die  3.  von  Temperatursteige¬ 
rung  gefolgt  war;  oder  nur  die  1.  blieb  frei,  die  2.  und  3.  waren  von 
Fieber  gefolgt,  ln  2  Fällen  hatte  jede  der  3  Injektionen  Fieber  zur 
Folge. 

Als  fieberhafte  Temperatur  kamen  meist  einige  Zehntelgrad  über 
38  in  Betracht.  In  3  Fällen  wurden  39 u  überschritten,  1  mal  wurden 
40,5  erreicht,  am  19.  Tage  nach  einer  3.  Injektion,  während  tags  darauf 
die  höchste  Temperatur  nur  37,3  betrug.  Üelegentlich  kamen  noch 
nach  einigen  lagen  normale  oder  subfebrile  Temperaturanstiege  vor, 
so  wurden  nach  einer  Injektion  zunächst  etwas  über  37°  erreicht! 
am  19.  Tag  38,2,  an  den  beiden  folgenden  Tagen  39,2,  tags  darauf  38,  L 
am  27.  Tage  nur  37,6,  am  28.  und  29.  wieder  38,2  und  am  38  Tage 
wieder  38,3.  ' 

:  ^  Ein  Fall  hatte  nach  der  1.  Injektion  37,8,  nach  der  2.  die  gleiche 
!  emperatur,  die  dann  noch  herabging.  Am  5.  Tag  trat  Status  para- 
lyticus  auf  und  am  6.  Tag  erfolgte  der  Exitus.  Die  Sektion  ergab 
Bronchopneumonie,  Myodegeneratio  cordis,  paralytische  Hirn- 
atrophie,  Gewicht  1280  g.  Der  Vater  des  Mannes  hatte  ebenfalls 
an  Paralyse  gelitten. 

Auf  den  ohne  klinische  Symptome  eingetretenen  Liquorbefund 
im  Sinne  einer  H  e  r  x  h  e  i  m  e  r  sehen  Reaktion  wird  weiter  unten 

eingegangen  werden. 

Weiterhin  ist  zu  bemerken,  dass  bei  mehreren  Fällen  (3)  die 
wiederholte  Lumbalpunktion  selbst  mehr  Schwierigkeiten  machte  als 
vorher.  Obwohl  unsere  Patienten  auch  sonst  nicht  selten  mehrmals 
bunktiert  werden,  ist  diese  Erscheinung  doch  besonders  aufgefallen; 
-S  machte  den  Eindruck,  als  hätten  sich  infolge  des  Salvarsanreizes 
uu  das  Bindegewebe  irgendwelche  Verwachsungen  gebildet,  die  bei 
Jer  ersten  Punktion  nicht  vorhanden  waren. 

Hinsichtlich  einer  klinischen  Besserung  waren  die  Er  wur¬ 
migen  nicht  sehr  hoch  geschraubt,  da  es  eben  meist  schon  vorge¬ 
schrittene  Fälle  waren. 

3  mal  wurde  die  Sprachstörung  besser,  bei  einem  dieser  Fälle 
mch  die  Fazialisparese.  Gelegentlich  erschien  das  Romberg  sehe 
.wmptom  schwächer. 

In  mehreren  Fällen  waren  die  Angehörigen  vom  Erfolg  entzückt; 
mmerhin  bestanden  in  einem  dieser  Fälle  noch  Sinnestäuschungen 
ind  Grössenideen  sowie  Orientierungsmangel. 

Einer  erholte  sich  soweit,  dass  er  wieder  im  Garten  spazieren 

:ehen  konnte. 

Ein  anderer  erschien  weniger  gehemmt  und  wurde  lehbafter 
Wieder  ein  anderer  konnte  sich  klarer  äussern.  6  Fälle  zeigten  spä- 
Cr  e*ne  Beruhigung,  darunter  auch  einer,  der  zunächst  bald 

iach  der  Injektion  statusartige  Erscheinungen  dargeboten  hatte.  Bei 
|inem  weiteren  Fall  war  die  Besserung  so  weitgehend,  dass  er  aus 
,1er  Anstalt  beurlaubt  werden  konnte.  2  mal  war  eine  Gewichts- 
unahme  von  4  bis  6  Pfund  in  2  bis  3  Wochen  zu  beobachten.  Bei 
■nein  konnte  bald  nach  der  ersten  Injektion  von  der  Sondenfütterung 
mstand  genommen  werden. 

'  Einer  konnte  aufstehen,  Datum  nennen  und  das  Datum  von 
fingst en  berechnen,  was  er  vorher  nicht  mehr  gekonnt  hatte.  Kör- 
erhclie  und  geistige  Erholung  war  bei  einem  Patienten  zu  beobach- 
en,  der  vorher  dauernd  bettlägerig  war  und  nach  der  Behandlung 
aglich  wieder  aufstehen  konnte.  Einer  erschien  nach  der  1.  In- 
-ktion  seinen  Angehörigen  frischer  und  gesprächiger,  während  er 
ach  der  2.  hinfälliger  wurde. 

1  Keinerlei  Veränderungen  waren  bei  8  von  unseren  Fällen  zu  ver- 

eichnen. 

L  In  einem  privat  beobachteten  Initialfall  trat  eine  so  glänzende 
emisston  ein,  dass  Wiederaufnahme  der  akademischen  Berufstätig¬ 
st  erfolgen  konnte. 

.  wäre  durchaus  verfrüht,  wollte  man  jene  kleinen 
Schwankungen  klinischer  Art  als  beträchtliche  Erfolge  be¬ 
zeichnen;  spontane  Besserungen  sind  ja  bei  Paralyse  nichts 
eltenes.  Ebenso  wäre  es  ungerecht,  wollte  man  die  er¬ 
mähnten  Verschlechterungen  auch  ohne  weiteres  als  Folge  der 
uethode  bezeichnen,  denn  bei  den  vorgeschrittenen  Fällen  ist 

Nr.  29. 


eine  fortschreitende  Verschlechterung  an  sich  ja  der  Natur 
gemäss.  Wenn  man  gerade  den  Entwicklungsstand  der  Fälle 
berücksichtigt  und  sich  auch  vergegenwärtigt,  dass  schon  im 
allgemeinen  doch  für  gewöhnlich  nur  ein  Teil  Besserung,  die 
Mehrheit  der  Paralytiker  jedoch  eine  stets  fortschreitende 
Tendenz  zur  Verschlimmerung  aufweist,  so  ist  es  immerhin 
kein  schlechtes  Oesamtresultat,  dass  3U  unserer  25  Fälle  doch 
nach  irgend  einer  Richtung  eine  symptomatische  Besserung 
erkennen  lassen. 

Besondere  Sorgfalt  wurde  der  durch  Kafka  ausgeführten 
Untersuchung  des  Blutes  und  der  Spinalflüssigkeit  der  Be¬ 
handelten  geschenkt,  so  wurde  die  WaR.  in  beiden  Flüssig¬ 
keiten  nach  unten  austitriert  und  gewisse  in  unserem  Labo¬ 
ratorium  übliche  Verfeinerungen  der  Reaktion  vorgenommen, 
ferner  wurde  die  hämolytische  Fähigkeit  des  Blutserums  und 
Liquors  bestimmt  und  der  Globulin-  und  Gesamteiweissgehalt 
der  Spinalflüssigkeit  unter  Anwendung  der  neuesten  Methoden 
untersucht.  In  der  geschilderten  Art  konnten  64  Spinal¬ 
flüssigkeiten  und  70  Sera  bearbeitet  werden;  von  einem  be¬ 
handelten  Fall  liegen  bereits  4,  von  8  Fällen  3,  von  9  Fällen 
2  Untersuchungen  vor,  in  Summa  16  von  18  Fällen.  In 
9  von  diesen  Fällen  zeigte  sich  eine  Besserung  der  WaR.  im 
Blute,  in  8  Fällen  eine  solche  im  Liquor,  und  zwar  war  sie 
im  Blute  5  mal,  im  Liquor  6  mal  nach  der  1.  Salvarsan- 
injektion  deutlich  und  blieb  dann  gleich,  sonst  trat  sie  erst 
nach  den  späteren  Injektionen  auf;  eine  Verschlechte¬ 
rung  des  WaR.  -  Befundes  war  nur  einmal  im  Blute 
nachweisbar.  In  3  Fällen  war  die  Besserung  der 
WaR.  imLiquorso  weitgehend,  dass  bei  0,2  negative 
Reaktion  vorhanden  war,  im  Blutserum  war  dies  nur  einmal 
der  Fall  (wobei  die  Verfeinerungen  wie  Stern  oder  Jacobs¬ 
thals  Kältemethode  positiv  blieben);  im  allgemeinen  schienen 
die  Besserungen  der  WaR.  im  Blute  jener  im  Liquor  zu  folgen. 
Gegenüber  diesen  Veränderungen  waren  die  der  anderen 
Reaktionen  geringfügiger;  in  6  Fällen  nahm  die  Zellmenge 
im  Kubikmillimeter  ab,  in  2  Fällen  der  Gesamteiweissgehalt, 
in  3  Fällen  der  Globulingehalt. 

In  einem  Fall  trat  nach  der  2.  Salvarsaninjektion  eine 
Globulinvermehrung  parallel  mit  einer  Zellvermehrung  auf,  in 
einem  anderen  Falle  waren  Zellmenge  und  Gesamteiweiss¬ 
gehalt  nach  der  1.  Injektion  vermindert,  nach  der  2.  vermehrt. 
Dies  führt  uns  über  zu  Fällen,  in  denen  eine  Herxhei  m  er¬ 
sehe  Reaktion  in  Frage  kommt:  einmal  stiegen  nach  der  I.  In¬ 
jektion  Zellmenge,  Globulingehalt  und  Gesamteiweiss  ziemlich 
bedeutend  an,  um  nach  der  2.  Injektion  wieder  zurückzugehen, 
in  einem  anderen  Fall  wies  der  Liquor,  der  vorher  den  ge¬ 
wöhnlichen  paralytischen  Befund  geboten  hatte,  nach  der 
1.  Salvarsaninjektion  den  einer  akuten  Meningitis  auf  (Provo¬ 
kationserscheinung),  ohne  dass  besondere  klinische  Symptome 
Vorlagen  oder  die  WaR.  sich  verschlechtert  hätte.  Ein  deut¬ 
liches  Parallelgehen  sämtlicher  Liquorreaktionen  im  Sinne 
einer  Besserung  liess  sich  nur  in  3  Fällen  (einer  davon  mit 
negativer  WaR.  in  Liquor  und  Blut)  feststellen.  DieLuetin- 
reaktion  war  während  der  Behandlung  nie  stärker  aus¬ 
gesprochen  wir  früher. 

Es  wäre  verfrüht,  heute  schon  Folgerungen  irgend  welcher 
Art  aus  den  Befunden  zu  ziehen,  wenn  auch  die  Häufigkeit 
des  Besserwerdens  der  WaR.,  wie  man  sic  sonst  bei 
der  Behandlung  der  Paralyse  nie  sah,  sehrauffallend  ist; 
jedenfalls  muntern  uns  die  serologischen  Befunde  zu  einem 
weiteren  Fortschreiten  in  der  gleichen  Richtung  der  Therapie 
auf,  zumal  wir  auch  erwarten  dürfen,  dass  die  Herx- 
hefm  ersehe  Reaktion  jenes  zweiten  Falles  gleich  der  des 
anderen  nach  der  2.  Salvarsaninjektion  zurückgehen  wird. 
Es  scheinen  auch  Liquor-  und  Blutuntersuchungen  für  die  Be¬ 
stimmung  der  Grösse  des  Intervalls  und  event.  auch  der  Do¬ 
sierung  nicht  ohne  Bedeutung  zu  sein. 

Unsere  experimentelle  Versuchsanordnung 
hat  den  Zweck,  die  therapeutischen  Massnahmen 
auf  eine  sichere  experimentelle  Basis  zu 
steilen  namentlich  mit  Rücksicht  auf  die  Frage,  welche 
Schädigungsmöglichkeiten  unsere  thera¬ 
peutischen  Bestrebungen  mit  sich  führen 
können,  und  nach  welcher  Richtung  hin  sich 

die  event.  Gewebsschädigungen  entwickeln. 

* 

2 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1610 


Nr.  29. 


Achnliche  Untersuchungen  über  die  Einwirkuns  von  Salvarsan 
und  Neosalvarsan  bei  direkter  Einführung  in  das  Zentralnervensystem 
sind  in  letzter  Zeit  bereits  von  verschiedenen  Seiten  angestellt  wor¬ 
den  und  haben  zu  ganz  verschiedenen  Resultaten  geführt:  Camus 
(Paris  mddical  1910)  beobachtete  bei  Hunden  und  Kaninchen  selbst 
nach  Injektion  kleiner  Mengen  von  Salvarsan  (0,0005  pro  Kilogramm 
Kaninchen)  in  den  Rückenmarkskanal  regelmässig  den  baldigen  Tod 
der  Versuchstiere.  Demgegenüber  hat  Castelli  (D.m.W.  1911) 
Mengen  von  1 — 2  ccm  verschiedener  Neosalvarsanlösungen  1:  100  bis 
1 : 300  Kaninchen  intraspinal  injiziert  und  dabei  keine  nennenswerten 
klinischen  Folgeerscheinungen  gesehen.  Wechselmann  (D.m.W. 
1913)  injizierte  Hunden  und  Kaninchen  verschieden  konzentrierte  Sal- 
varsanlösungen  (in  Mengen  von  0,5  ccm  bei  Kaninchen  und  1,0  ccm 
bei  Hunden)  direkt  ins  Gehirn;  Lösungen  von  0,1:50  und  0,1:100 
hatten  den  Tod  der  Tiere  nach  wenigen  Tagen  zur  Folge,  während 
die  Tiere  bei  einer  Konzentration  der  Lösung  von  0,1:200  und  0,1:400 
symptomlos  blieben.  Wechselmann  fand  anatomisch  bei  den  ge¬ 
storbenen  Versuchstieren  ausser  starker  Blutfüllung  der  pialen  Ge- 
fässe  keine  Veränderungen.  Swift  und  E  1 1  i  s  (Ref.  Neurol.  Zbl. 
1913)  erzielten  bei  einem  Affen  durch  intraspinale  Injektion  einer  Dosis 
von  0,003  Salvarsan  eine  monatelange  Parese  der  hinteren  Extremi¬ 
täten,  und  auch  wesentlich  kleinere  Mengen  bewirkten  noch  starke 
Liquor-Zellvermehrungen,  die  erst  bei  Dosen  von  0,0001  geringer 
wurden.  Bei  Neosalvarsan  waren  die  Zellvermehrungen  in  der  Spi¬ 
nalflüssigkeit  weniger  ausgesprochen. 

Während  all  diese  Experimentatoren  den  Hauptwert  auf  die 
Beobachtung  der  klinischen  Folgezustände  legten  und  die  histo¬ 
logischen  Veränderungen  nur  wenig  oder  gar  nicht  berücksichtigten, 
hat  Berger  (Zschr.  f.  d.  ges.  Neurol.  23.  1914.  2/3)  erst  kürzlich 
ausgedehnte  anatomische  Untersuchungen  an  Hunden  veröffent¬ 
licht,  bei  denen  er  Neosalvarsanlösungen  in  verschiedenen  Konzen¬ 
trationen  und  Mengen  in  den  Subduralraum  des  Gehirns  einbrachte; 
dabei  hat  sich  ergeben,  d.ass  Dosen  bis  herab  zu  0.001  sich  als  tödlich 
erwiesen  und  dass  noch  Dosen  von  0,0005  deutliche  lokale  Verände¬ 
rungen  (Blutungen  an  der  Injektionsstelle  und  umschriebene  Infiltrate 
der  Meningen)  hervorriefen,  die  erst  bei  einer  Dosis  von  0,0001  N-Sal- 
varsan  in  einer  Verdünnung  von  1:  10  000  sicher  ausblieben.  Mikro¬ 
skopisch  fand  Berger  gewöhnlich  weitverbreitete  miliare  Blu¬ 
tungen,  auch  entfernt  von  der  Injektionsstelle,  Gewebsnekrosen  und 
Infiltrate  der  Meningen,  während  primäre  Gefässwandveränderungen 
und  Ganglienzelldegenerationen  vermisst  wurden.  Ferner  zeigte  sich, 
dass  ausser  der  Gesamtmenge  des  eingeführten  Neosalvarsans  die 
Konzentration  eine  wesentliche.  Rolle  spielt,  und  dass  bei  gleicher 
Gesamtmenge  der  stärkeren  Konzentration  schwerere  lokale  Reiz¬ 
erscheinungen  entsprechen. 

Bei  unseren  Experimenten  kam  es  uns  vor  allem  darauf 
an,  die  beim  Menschen  zunächst  einzuschlagenden  Wege  mög¬ 
lichst  getreu  nachzuahmen;  wir  wählten  daher  Affen  als 
Versuchstiere  und  bevorzugten  die  intraspinale  Injek¬ 
tion  von  Neosalvarsan,  und  zwar  gingen  wir  dabei 
von  Mengen  aus,  die  den  beim  Menschen  namentlich  von 
Gennerich  empfohlenen  entsprechen,  ohne  sie  dem  Ge¬ 
wicht  des  Tieres  proportional  zu  reduzieren.  Denn  es  lag  uns 
ja  hauptsächlich  daran,  zu  untersuchen,  in  welcher  Art 
das  eingebrachte  Medikament  das  Nerven¬ 
gewebe  schädigend  affizieren  kann.  So  kamen 
wir  zu  folgenden  Versuchsanordnungen: 

Wir  lösten  0,15  Neosalvarsan  in  100  ccm  0,4  p  r  o  z. 
steriler  Kochsalzlösung  bei  22°  C  und  injizierten 
von  dieser  frisch  bereiteten  Lösung  (3  mal  konzentrierter  als 
die  von  uns  beim  Menschen  angewandte)  einem  Affen  durch 
Lumbalpunktion  unter  ganz  geringem  Druck  3  ccm,  zwei 
anderen  2  ccm,  einem  vierten  1  ccm,  einem  weiteren  0,4  ccm 
und  einem  letzten  0,2  ccm  in  den  Lumbalsack,  nachdem 
wir  vorher  die  entsprechende  Menge  Liquor  abgelassen  hatten. 

Klinisch  war  folgendes  bemerkenswerte  Resultat  fest¬ 
zustellen 

Der  Affe  (I)  mit  der  höchsten  Dose  (3  ccm)  bleibt  ohne 
jegliche  Symptome;  ebenso  der  eine  Affe  (II)  mit  2  ccm.  Affe  I 
wird  nach  13  Tagen,  Affe  II  nach  10  Tagen  getötet.  Der  andere  Affe 

(III)  mit  2  ccm  stirbt  noch  in  der  darauffolgenden  Nacht.  Das  Tier 

(IV)  mit  1  ccm  ist  am  nächsten  Tag  in  den  hinteren  Extremitäten 
etwas  schwächer  und  ataktisch,  am  2.  Tag  besteht  eine  aus¬ 
gesprochene  Lähmung  der  hinteren  und  Schwäche  der  vorderen  Ex¬ 
tremitäten.  Die  Reflexe  sind  an  den  hinteren  Extremitäten  lebhafter, 
deutliche  Sensibilitätsstörungen  sind  nicht  festzustellen;  auch  Blasen¬ 
störungen  bestehen  nicht.  In  diesem  Zustand  bleibt  das  Tier  auch 
in  den  nächsten  Tagen;  die  hinteren  Extremitäten  sind  völlig  ge¬ 
brauchsunfähig  und  befinden  sich  in  deutlicher  Spannung  (Textfig.  1). 
Das  Tier  nimmt  allmählich  weniger  Nahrung  zu  sich  und  wird  7  Tage 
nach  der  endolumbalen  Injektion  getötet. 

Der  Affe  (V)  mit  0,4  ccm  bekommt  nach  2  Tagen  eine  voll¬ 
kommene  Parese  aller  Extremitäten  und  stirbt  nach  3  Tagen,  des¬ 
gleichen  tritt  bei  dem  Affen  (VI)  mit  0,2  ccm  nach  leichten  Be¬ 
wegungsstörungen  am  3.  Tage  der  Exitus  ein. 


Textfig.  1.  Atfe  IV.  1  ccm  N.-S.  Sol.  0,15/100  endolumbal  mit  nachfolgender  Paraparese, 
namentlich  der  hinteren  Extremitäten  (cfr.  auch  Textfig.  7,  8,  9,  10). 


Der  postmortal  oder  vor  dem  Tode  entnommene  Liquor,  der 
bei  den  meisten  Tieren  leichte  Blutbeimengungen  zeigt,  bietet  deut¬ 
liche  Zellvermehrung  (K  a  f  k  a).  Die  Sektion  ergibt  bei  allen  Tieren 
keinen  Befund,  ausser  bei  dem  Affen  mit  0,4  ccm,  wo  eine  leichte  blu¬ 
tige  Verfärbung  der  lumbosakralen  Pia  auffällt.  Auch  die  Körper¬ 
organe  sind  makro-  und  mikroskopisch  ohne  Veränderungen. 

Bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  des 
Zentralnervensystems  dieser  Tiere  ergibt  sich,  dass 
sich  bei  allen  Affen,  auch  bei  denen,  die  klinisch  keine 
Erscheinungen  geboten  haben,  histologische  Verände¬ 
rungen  finden,  die  in  ihrer  charakteristischen  Eigenart  immer 
wiederkehren  und  sich  nur  nach  In-  und  Extensität  in  den  ver¬ 
schiedenen  Fällen  unterscheiden: 


Weisse 

Sub¬ 

stanz 

des 

Rücken¬ 

marks 


Dura 


Neu¬ 
gebildete 
Mem¬ 
bran, 
aus  ge¬ 
wucher¬ 
tem  En¬ 
dothel  u. 
Fibro¬ 
blasten 
be¬ 
stehend 


Textfig.  2.  Dura-Endothelwucherung  bei  Affe  II.  2  ccm  N.-S.  Sol.  0,15/100  endolumbal. 
Klinisch  o.  B  Getötet  nach  10  Tagen.  Lutnbalmark. 


Textfig.  3.  Epineurale  Wucherung  bei  Affe  II  (cfr.  Textfig  2)  in  den  abgehenden  Nerven¬ 
bündeln  des  Lumbo-sakralmarkes. 

1  =  Dura.  2  =  Nervenbündel  3  =  Dura-Endothelwucherung.  4  =  Wucherung  des 
Epineuriums.  5  =  Nervenbündel. 


4 


In  allen  Fällen  zeigt  die  Dura  in  den  untersten  Teilen  des 
Rückenmarks  proliferative  Erscheinungen  an  ihrem  inneren  Endo¬ 
thel,  das  stellenweise  stark  gewuchert  erscheint  (cf.  Textfig.  2,  3  u.  4) 
und  neugebildete  Membranen,  aus  Schichten  von  Fibroblasten  be¬ 
stehend,  erkennen  lässt  (Textfig.  2).  Häufig  sind  die  gleichen  Wuche- 


Juli  1914. 


MIJENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


21. 


1611 


rungsvorgängc  auch  am  Epineurium  der  abKehenden  Nerven- 
bündcl  zu  erkennen  (Textfig.  3).  Derartige  Veränderungen  sind  bei 
Affe  I,  II  und  IV.  auch  noch  im  Brustmark  nachzuweisen,  während  sie 
bei  den  übrigen  Tieren  auf  die  kaudalen  Partien  des  Rückenmarks 

beschränkt  bleiben. 

Das  Parenchym  der  austretenden  Spinalnerven  zeigt 
ebenfalls  stellenweise  hochgradige  Degeneration,  und  zwar  nehmen 
die  geschädigten  Partien  zumeist  die  Randzonen  der  ein¬ 
zelnen  Nervenbündel  ein,  während  das  Zentrum  normal  er- 


Textfrg.  4.  Nervenbündel  der  Candaequina  mit  degenerierten  Randpartien  (a).  Affe  I 
3  ccm  N  -S  Sol.  0,15/100  endolumbal.  Klinisch  o.  B.  Getötet  nach  13  Tagen. 

1  =  Zentralkanal.  2  =  Dura-Endothelwucherung.  3  =  Gewuchertes  Endothel  der  Dura. 

scheint.  Textfig.  4  gibt  diese  Erscheinungen  bei  Affe  I  mikrophoto¬ 
graphisch  wieder;  die  dunkler  gefärbten  Partien  bei  a  entsprechen 
den  affizierten  und  degenerierten  Stellen.  Textfig.  5  zeigt  eine  solche 


.  ’ii?  )-  , 

/ei 

t  IN 


Textfig.  5.  Affe  I  (cfr.  Textfig.  4). 

1  =  degenerierte  Nervenpartie  im  austretenden  Lumbalmarknerven,  g  =  Gefässe  mit 
gewucherten  Endothelien.  n  =  normale  Nervenstelle. 

veränderte  Nervenstelle  aus  einem  Nervenbündel  des  Lumbalmarkes 
(Affe  I)  bei  stärkerer  Vergrösserung;  die  Nervenfasern  sind  hier 
grösstenteils  zerfallen,  die  Schwann  sehen  Zellen  sind  stark  ge¬ 
wuchert,  und  die  Entwicklung  von  Abräumzellen  hat  bereits  be- 


Textfig.  6. 


Akute  Ganglienzelldegeneration 
im  Sakralmark  von  Affe  VI: 
0,2  ccm  N.-S.  Sol.  0,15/100 
endolumbal. 

Nach  2  Tagen  Exitus. 


■fonnen.  Die  Endothelien  der  Gefässe  (g)  sind  deutlich  vergrössert. 
iei  verschiedenen  Tieren,  namentlich  bei  denen,  die  mehr  als  3  Tage 
gelebt  haben,  sind  auch  in  den  peripheren  Nervi  isciiiadici  degenera- 
ivve  Vorgänge  geringeren  Grades  festzustellen. 

Bei  2  Affen  (Affe  II  und  V)  finden  sich  auch  kleine  piale  und 
'Ubdurale  Blutaustritte;  im  übrigen  zeigt  die  Pia  nur  sehr  geringe 


W  ucherungserscheinungen.  Die  Spinalganglien  sind  mikroskopisch 
normal. 

Zudem  finden  sich  bei  Affe  III,  IV,  V  und  VI  deutliche  Paren- 
c  li  yra  Veränderungen  in  der  Rückenmarks  Substanz 
selbst.  Sie  bestehen  vornehmlich  in  akuten  Ganglienzelldegenera¬ 
tionen  (Iextfigur  6,  7),  Wucherung  der  Gefässendothelien  und  proli- 


Textfig.  7.  Akut  degenerierte  Ganglienzellen  (ga)  und  gewucherte  Gliazellen  (gl)  im 
Vorderhorn  des  Brustmarks.  Affe  IV:  1  ccm  N.-S.  Sol.  0,15/100  endolumbal  mit  Parese. 

Getötet  nach  7  Tagen. 

ferativen  Gliaveränderungen.  Diese  Erscheinungen  sind  bei  den 
meisten  Tieren  nicht  sehr  hochgradig  ausgebildet  und  nur  in  den 
untersten  Partien -des  Spinalmarks  nachzuweisen.  Nur  bei  Affe  IV, 
der  nach  endolumbaler  Injektion  von  1  ccm  der  Neosalvarsanlösung 
0,15/100  die  schwersten  Störungen  längere  Zeit  bot,  zeigen  sie  sich 


Textfig.  8.  Degenerierte  und  gequollene  Nervenfasern  in  der  Randzone  des  Brustmarks. 

Affe  IV  (cfr  Textfig.  7). 

n  =  normale  Nervenfasern,  d  =  degenerierte  und  gequollene  Nervenfasern. 


auch  in  den  verschiedensten  Höhen  des  Rückenmarks  und  sind  auch 
noch  in  der  Medulla  oblongata  und  selbst  im  Gehirn  zu  beobachten. 
In  Textfigur  7  sehen  wir  eine  Stelle  aus  dem  Vorderhorn  des  Brust- 
tnarks  mit  akut  veränderten  Ganglienzellen  (ga)  und  gewucherten 


Textfig.  9. 

Herdförmiger 
Prozess  im  Nucleus 
gracilis  bei  Affe  IV 
(cfr.  Textfig.  7). 


Gliazellen  (gl).  Weiterhin  sind  bei  diesem  Tiere  die  Randpartien 
der  weissen  Rückenmarksubstanz  im  Brustmark  von  gequollenen  und 
degenerierten  Nervenfasern  besetzt  (Textfigur  8)  und  schliesslich 
finden  sich  noch  herdförmig  begrenzte  Stellen  in  der  grauen  Substanz 
aller  Rückenmarkshöhen,  die  durch  starke  Gefässendothelwucherung 

2* 


1612 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  29. 


und  -sprossung,  Qliaproliferationen  und  Ganglienzelldegenerationen 
auffallen.  Besonders  schwere  herdförmige  Prozesse  solcher  Art  finden 
sich  in  beiden  Nuclei  graciles  zu  beiden  Seiten  der  Raphe  im  obersten 
Halsmark  (Texfigur  9).  Es  sei  noch  betont,  dass  nirgends  Blutreste 
nachweisbar  sind,  wie  sich  auch  sonst  keine  hämorrhagischen  Pro¬ 
zesse  im  Zentralnervensystem  selbst  feststcllen  lassen.  In  Textfigur  10 


Textfig.  10. 

Die  in  Textfig.  9 
bezeichnete  Stelle  bei 
stärkerer  Vergrösserung. 

g  =  Gefäss  mit  Endothel¬ 
wucherung  u.  Sprossung, 
gl'  =  gewucherte 
Gliazellen. 
ga  =  degenerierte 
Ganglienzelle. 


erkennen  wir  die  Endothel  Wucherungen  und  Sprossungsvorgänge  an 
den  Gefässen  (g)  und  die  hochgradigen  Gliaproliferationen  in  einem 
Herde  des  obersten  Halsmarkes,  den  Textfigur  9  in  der  Gesamtüber- 
sicht  wiedergibt. 

Aus  dieser  gedrängten  Schilderung  der 
klinischen  und  anatomischen  Ergebnisse  bei 
endolumbaler  Einführung  verschiedener 
Mengen  einer  höher  konzentrierten  Neo- 
salvarsanlösung  bei  Affen  ist  zu  erkennen, 
dass  derartig  konzentrierte  Neosalvarsan- 
lösungen  (0,15:1 00)  sowohl  in  höheren  Mengen 
(3,2  u  n  d  1  ccm)  als  auch  in  geringen  Quantitäten 
(0,4  und  0,2  ccm)  stark  reizend  auf  das  Dura- 
endothel,  die  austretenden  Nervenbündel  und 
die  Endothelien  der  Qefässe  und  unter  Um¬ 
ständen  auch  auf  das  nervöse  Parenchym  des 
Zentralnervensystems  selbst  einwirken  und 
hier  zu  ausgesprochenen  degenerativen  und  proliferativen  Vor¬ 
gängen  und  herdförmigen  Prozessen  Veranlassung  geben  können, 
bei  denen  die  Gefässwandverän  der  ungen  am 
meisten  in  die  Augen  fallen.  Die  anatomischen  Veränderungen 
sind  gewöhnlich  am  hochgradigsten  in  der  Umgebung  der 
Injektionshöhe  entwickelt,  sind  aber  auch  in  höher  gelegenen 
Partien  zu  erkennen  und  finden  sich  bei  einem  Tiere  besonders 
ausgesprochen  im  obersten  Halsmark,  im  verlängerten  Mark 
und  im  Gehirn.  Als  bemerkenswert  mag  betont  sein,  dass  die 
Affen,  denen  3  und  2  ccm  der  Neosalvarsanlösung  endolumbal 
injiziert  worden  waren,  zum  Teil  gar  keine  klinischen  und 
weniger  hochgradige  anatomische  Veränderungen  aufwiesen 
als  jene  Tiere,  denen  von  dergleichen  Lösung  wesentlich 
geringere  Mengen  eingeführt  wurden.  Dies  scheint  darauf 
hinzudeuten,  dass  auch  hier  individuelle  Ausschei¬ 
dungsverhältnisse  eine  Rolle  spielen. 

Zum  Vergleiche  mit  den  bei  endolumbaler  Einführung  des 
Neosalvarsans  gewonnenen  Resultaten  haben  wir  bei  2  Affen 
die  gleiche  Neosalvarsanlösung  (0,15  :  100)  in  Mengen  von  je 
2  ccm  subdural  und  intrazerebral  (rechtes  Stirn¬ 
hirn)  injiziert: 

Der  eine  dieser  Affen  (VII)  wurde  nach  3  Tagen  schwächer 
und  starb  an  diesem  Tage,  ohne  wesentliche  Lähmungserscheinungen 
gezeigt  zu  haben.  Bei  der  Sektion  sah  man  im  rechten  Frontalhirn 
eine  kleine  Einstichstelle,  sonst  war  makroskopisch  kein  Befund  zu 
erheben.  Der  andere  (VIII)  bekam  am  nächsten  Tage  eine  linkseitige 
Hemiparese  und  am  darauffolgenden  Tage  schwere  epileptische  An¬ 
fälle,  die  mit  Krämpfen  in  den  linken  Extremitäten  und  im  linken 
Fazialis  einsetzten  und  schliesslich  zu  allgemeinen  Konvulsionen  wur¬ 
den  mit  völligem  Bewusstseinsverlust,  Speichelfluss  und  Pupillen¬ 
starre.  Die  Anfälle  wurden  in  den  nächsten  Tagen  heftiger  und 
häufiger;  sie  kamen  schliesslich  alle  10  Minuten  und  dauerten  un¬ 
gefähr  2 — 3  Minuten.  Auch  kurzdauernde  Absenzen  ohne  Krämpfe 
konnten  deutlich  beobachtet  werden.  Zu  der  linken  Parese  ge¬ 
sellte  sich  noch  am  5.  Tage  eine  Lähmung  des  rechten  oberen  Augen¬ 
lides;  die  linke  Pupille  war  dauernd  grösser  als  die  rechte.  614  Tage 
nach  der  Injektion  starb  das  Tier. 

Bei  der  Sektion  ist  die  Dura  zart,  stark  gespannt,  die  Pia  überall 
zart  und  durchscheinend.  Die  Gehirnwindungen  sind  deutlich  abge¬ 
plattet.  Eine  Einstichstelle  ist  nicht  zu  sehen;  auch  auf  Frontal¬ 


schnitten  bemerkt  man  nichts  Besonderes.  Die  übrigen  Körperorgane 
sind  normal. 

Mikroskopisch  findet  sich  im  hinteren  Teil  der  rechten 
Frontalhirnrinde  eine  Injektionsstcllc  mit  Hämorrhagien  in  der 
nächsten  Nachbarschaft  und  den  entsprechenden  reaktiven  Erschei¬ 
nungen.  In  der  Umgebung  dieser  Stelle  ist  die  Pia  hyperplastisch 
verdickt,  mit  Makrophagen  und  Körnchenzellen  besetzt  (Textfigur  1, 
Pia);  die  Rinde  ist  von  Abräumzellen  aller  Art,  von  gewucherten 
Gliazellen  und  von  zahlreichen  Gefässen  (g)  und  neugebildeten  Kapil- 


Textfig.  11. 

Pia 

Rinden  Veränderung 
in  der  Umgebung  der 
Injektionsstelle 
bei  Affe  VIII. 

2  ccm  N.-S.  Sol.  0, 15/ICO 
subdural  und  intrazerc- 
bral.  Krämpfe.  Tod 
nach  6V»  Tagen. 

(Mit  g  sind  einige  der 
zahlreichen  Gefässe 
bezeichnet.) 


In 


laren  mit  stark  gewucherten  Endothelien  eingenommen  (Textfigur  11), 
während  die  Ganglienzellen  aufs  schwerste  degeneriert  sind.  Aber 
auch  noch  in  weiterer  Entfernung  von  der  Injektionsstelle,  fast  überall 
im  Frontal-  und  Zentralhirn, -auch  auf  der  linken  Seite,  zeigt  die 
Rinde  schwere  Veränderungen,  die  im  wesentlichen  nur  die  Win¬ 
dungsoberfläche  und  hier  nur  die  beiden  äussersten,  der  Pia 
benachbarten  Rindenzonen  befallen  haben  (Textfigur  12). 

Linkes  Fr.-Hirn  Rechtes  Fr. -Hirn 


Textfig.  12.  Rindenveränderungen  (Gefässwucherung  und  Gliaproliferationen)  in  den 
äussersten  Zonen  entfernt  von  der  Injektionsstelle.  Affe  VIU  (cfr.  Textfig.  11). 

Die  Rindenveränderungen  (Textfigur  12)  bestehen  in  hochgra¬ 
digen  Wucherungsvorgängen  an  den  Gefässwandzellen,  die  zu  zahl¬ 
reichen  Gefässneubildungen  führen,  und  starken  Gliaproliferationen; 


Textfig.  13. 

Gefässwucherung  und 
Gliaproliferation  in  den 
äussersten  Rindenzonen 
im  1.  Temporalhirn. 
Rindenarchitektonik  ist 
erhalten.  Affe  VIII. 


die  Pia  ist  ödematös.  Nirgends  sind  Blutungen  oder  Reste  von  älteren 
Hämorrhagien  nachzuweisen.  Die  Rindenarchitektonik  selbst  ist  ge¬ 
wahrt.  Gegen  das  Temporalhirn  zu  lassen  die  Veränderungen  nach, 


21.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


sind  aber  auch  hier  noch  ganz  charakteristisch  entwickelt  (Textfig.  13). 
Auf  1  extfigur  13  erkennt  man  gut,  wie  die  Veränderungen  gegen  das 
Innere  der  Rinde  zu  immer  mehr  und  gleichmässig  abnehmen.  Ausser 
diesen  Rindenoberflächenveränderungen,  die  sich  gradatim  gegen 
das  Okziput -sowohl  wie  jeweils  gegen  das  Marklager  zu  vermindern, 
finden  sich  weiterhin  im  ganzen  übrigen  Gehirn  ausserordentlich 
schwere  Ganglienzelldegenerationen  akuter  Natur  (Textfigur  14)  und 
noch  in  die  Augen  springender,  Wucherungsvorgänge  an  der  Glia  die 
die  ganze  Rinde  mit  zahlreichen  hellen,  sternförmig  gewucherten 


Textfig.  14. 


Gliawucherung  (gl) 
und  Ganglienzell¬ 
degeneration  (dunkle 
Py-Zellen)  im  Parietal¬ 
hirn.  Affe  VIII. 


plasmatischen  Gliazellen  (Textfigur  14  [gl])  übersät,  Veränderungen, 
die  wir  als  sekundär  durch  die  epileptischen  Anfälle  bedingt,  ansehen 
möchten.  Auch  im  Rückenmark  finden  sich  ähnliche  Erscheinungen, 
wenn  auch  weniger  ausgeprägt,  desgleichen  sind  hier  Gefässendothel- 
wucherungen  deutlich.  Vereinzelt  kann  man  eine  amöboide  Glia- 
umwandlung  im  Rückenmark  erkennen. 

Beim  anderen,  subdural  und  intrazerebral  injizierten  Affen  sind 
im  ganzen  ähnliche  histologische  Erscheinungen  festzustelien,  nur 
enger  in  die  Umgebung  der  Injektionsstelle  lokalisiert  und  bei  weitem 
nicht  so  hochgradig  entwickelt. 

Wir  sehen  also  auch  aus  diesen  Versuchen,  namentlich  aus 
den  Befunden  bei  Affe  VIII,  dass  höher  konzentrierte 
Neosalvarsanlösungen,  subdural  und  intra¬ 
zerebral  eingeführt,  das  Nervengewebe 
schwer  affizieren  und  auch  hier  wie  bei  den 
Rückenmarksversuchen  vornehmlich  auf  die 
Getässwandzellen  und  Gliaelemente  reizend 
ein  wirken;  herdförmige  Prozesse  im  Sinne 
miliarer  Blutungen  scheinen  dabei  keine 
wesentliche  Rolle  zu  spielen.  Diese  Tatsache  ver¬ 
dient  hervorgehoben  zu  werden,  einmal  gegenüber  den  von 
Berger  mitgeteilten  Versuchsergebnissen  (s.  o.),  dann  aber 
auch  im  Hinblick  auf  die  Gehirnveränderungen  bei  den  so  viel 
diskutierten  Todesfällen  nach  intravenöser  Salvarsaneinver- 
leibung,  wo  gerade  die  miliaren  Hämorrhagien  im  Vorder¬ 
gründe  stehen.  In  unseren  Versuchen  spiegelt  sich  die  reine 
Salvarsanwirkung  auf  das  normale  Zentralnerven¬ 
system  wieder,  und  da  sie  sich  in  wesentlich  anderer  Art 
zeigt  wie  dort,  scheint  uns  auch  hiermit  ein  neuer  Beweis  ge¬ 
geben  für  die  Richtigkeit  der  klinisch  postulierten  und  auch 
anatomisch  begründeten  Auffassung,  dass-  es  sich  bei 
den  Salvarsantodesfällen  um  komplizierte 
Wechselwirkungen  zwischen  Salvarsan  und 
den  zerebralen  Spirochätenherden  bzw.  den 
durch  sie  gesetzten  Gewebsveränderungen 
handelt.  (Cfr.  auch  Jakob:  Ueber  Salvarsantodesfälle.  Zschr. 
f.  d.  ges.  Neur.  19.  2.  1913.) 

Schliesslich  haben  wir  noch  von  einer  nieder  kon¬ 
zentrierten  (0,15  ;  300)  Neosalvarsanlösung  einem 
Affen  0,6  ccm  subdural  und  intrazerebral  und  einem  anderen 
(|,4  ccm  endolumbal  injiziert.  Die  Tiere  blieben  vollkommen 
nhne  klinische  Symptome;  sie  wurden  nach  24  resp.  7  Tagen 
getötet.  Auch  mikroskopisch  lassen  sich  bei 
diesen  Iieren  nicht  die  geringsten  Verände¬ 
rungen  n  a  c  h  w  e  i  s  e  n,  abgesehen  von  den  reaktiven 
Erscheinungen  des  zerebralen  Einstichkanals,  die  in  ähnlicher 
W  eise  entwickelt  sind  wie  beim  Vergleichsaffen,  dem  wir  1  ccm 
physiologischer  Kochsalzlösung  ins  Gehirn  einspritzten. 

Aus  diesen  negativen  Befunden  bei  intrazerebraler  und 
endolumbaler  Einverleibung  relativ  nieder  konzen¬ 
trierter  Neosalvarsanlösungen in  geringeren  I 


Mengen  ist  zu  schliessen,  dass  unter  solchen  Voraus¬ 
setzungen  das  Neosalvarsan  nicht  schädigend 
auf  das  Nervensystem  und  seine  bindege¬ 
webigen  Hüllen  e  i  n  w  i  r  k  t. 

Wir  haben  davon  abgesehen,  in  noch  weiteren  Aus¬ 
wertungsversuchen  eine  genaue  Toleranz  des  Zentralnerven¬ 
systems  der  Affen  gegenüber  dem  Neosalvarsan  nach  Kon¬ 
zentration  und  Mengen  empirisch  festzustellen,  da  die  Be¬ 
dingungen  beim  Affen  doch  nicht  direkt  auf  die  menschlichen 
Verhältnisse  übertragen  werden  können.  Immerhin  ergeben 
sich  aus  den  obigen  experimentellen  Untersuchungen,  die  sich 
nach  ihren  anatomischen  wie  klinischen  Folgen  in  gewissen 
Extremen  bewegen,  prinzipiell  wichtige  Tatsachen,  die  bei 
unseren  therapeutischen  Bestrebungen  in  der  mensch¬ 
lichen  Klinik  Berücksichtigung  verdienen,  hier  einerseits 
zur  grössten  Vorsicht  mahnen,  andererseits  zu  einem  hoft- 
nungsfrohen  Optimismus  berechtigen.  Es  hat  sich  einmal 
gezeigt,  dass  Neosalvarsanlösungen,  direkt 
in  das  Zentralnervensystem  in  höherer  Kon¬ 
zen  1 1  a  t  i  o  n  eingeführt,  stark  reizend  und 
schädigend  auf  das  Endothel  der  Dura  und  der 
Gefässe  und  unter  U  umständen  auch  auf  das 
nei  \  öse  Parenchym  selbst  ein  wirken  können. 
Dabei  ist  zu  betonen,  dass  wir  bei  unseren  Hauptversuchs¬ 
anordnungen  mit  relativ  grossen  Mengen  und  konzentrierten 
Salvarsandosen  arbeiteten;  die  Lösung  0,15:100  ist  dreifach 
konzentrierter  als  die  beim  Menschen  gewöhnlich  angewandte, 
und  wenn  wir  hiervon,  wie  bei  Affe  I  3  ccm  endolumbal  in¬ 
jizierten,  so  haben  wir  beim  Tiere  an  absoluter  Salvarsan- 
menge  um  die  Hälfte  mehr  einverleibt,  als  es  üennerich 
beim  Menschen  empfiehlt  (6  ccm  einer  Lösung  0,15  :  300).  Pro¬ 
portional  dem  Körpergewicht  hat  das  Tier  also  30  mal  so  viel 
Salvarsan  erhalten  wie  unsere  Patienten.  Dennoch  bleibt  jener 
Affe  klinisch  gesund,  zeigt  aber  histologische  Veränderungen 
in  beschränkter  Lokalisation  und  in  geringer  Schwere.  Es  liegt 
hier  also  eine  anatomische  Schädigung  vor,  die  klinisch  ver¬ 
deckt  blieb;  diese  Beobachtung  zeigt,  wie  peinlich  genau  man 
bei  der  klinischen  Untersuchung  der  endolumbal  behandelten 
Kranken  vorgehen  muss,  wie  man  namentlich  stets  auf  et¬ 
waige  Reiz  -  oder  Ausfallserscheinungen  von 
seiten  des  Lumbosakralmarkes  zu  achten  hat. 

Auf  der  anderen  Seite  lassen  aber  die  Versuche  die  Mög¬ 
lichkeit  erkennen,  Neosalvarsanlösungen  bei 
genügenderAbstufungderKonzentrationund 

Mengen  ohne  nachweisbare  Schädigung  in 
das  Zentralnervensystem,  namentlich  in  den  Lum¬ 
balsack,  einzuführen;  damit  sind  vorsichtige  endolumbale  Be¬ 
handlungsversuche  beim  Menschen  gerechtfertigt.  Zudem 
zeigte  uns  auch  die  anatomische  Ausbreitung  der  Neosalvarsan- 
schädigung  —  bei  Rückenmarkstieren  in  den  verschiedensten 
Spinalhöhlen  sogar  in  der  Medulla  oblongata  und  im  Gehirn 
und  auch  bei  Grosshirntieren  im  Rückenmark  — ,  dass  für  das 
Neosalvarsan  günstige  Zirkulationsbedingungen 
im  Zentralnervensystem  und  seinen  Lymphbahnen  gegeben 
sind,  was  zu  einem  gewissen  Optimismus  bei  diesem  neuen 
Behandlungsversuch  der  Paralyse  und  Tabes  berechtigen 
kann.  Wünschen  wir,  das  die  menschliche  Pathologie  unsere 
Hoffnungen  nicht  enttäusche! 


Aus  der  chirurgischen  Universitätsklinik  in  Heidelberg 
(Direktor:  Prof.  Dr.  W  i  1  m  s). 

Die  Behandlung  chirurgischer  Tuberkulosen  mit  Enzyto! 

(Borcholin). 

Von  Privatdozent  Dr.  B.  B  a  i  s  c  h. 

Die  Behandlung  der  chirurgischen  Tuberkulose  hat  in  dem 
letzten  Jahrzehnt  bedeutende  Wandlungen  durchgemacht.  Von 
der  Erkenntnis  ausgehend,  dass  die  lokale  Entfernung  eines 
tuberkulösen  Herdes  nicht  genüge,  um  den  Körper  gesund  zu 
machen,  sondern  dass  der  Organismus  im  ganzen  widerstands¬ 
fähig  gemacht  werden  müsse,  um  die  Krankheit  zu  überwinden, 
ist  man  von  extrem  operativem  Vorgehen  zu  konservativen 
Methoden  übergegangen.  Ich  kann  die  vielerlei  Hilfsmittel,  die 
zur  Behandlung  der  chirurgischen  Tuberkulose  angegeben 
wurden,  nicht  alle  aufführen,  möchte  hier  nur  die  in  ihren 


1614 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  29. ! 


Erfolgen  bisher  einzig  dastehende  Heliotherapie  erwähnen '). 
Da  ihre  wirksame  Durchführung  immer  noch  an  einzelne 
klimatisch  begünstigte  Orte  gebunden  ist,  die  für  die  grosse 
Masse  unserer  Patienten  nicht  zugänglich  sind,  so  müssen 
wir  nach  Wegen  suchen,  durch  die  wir  sie  in  unserem  Klima 
unterstützen  und  teilweise  ersetzen  können.  Als  ein  wertvolles 
Unterstützungsmittel  in  dieser  Richtung  hat  sich  uns  die 
Röntgenbestrahlung  erwiesen,  die  wir  seit  nunmehr  5  Jahren 
in  Anwendung  bringen.  Ueber  die  Erfolge  damit  konnte  ich 
an  verschiedenen  Orten  berichten 2).  Da  die  Hilfsmittel  und 
die  Technik  der  Röntgentherapie  noch  in  dauernder  Wandlung 
sind,  werden  wir  auch  bei  der  Tuberkulosebehandlung  noch 
Fortschritte  erzielen.  Bis  jetzt  ist  sie  allein  noch  nicht  im¬ 
stande.  in  allen  Fällen  Heilung  zu  bringen.  Das  liegt  einmal 
an  der  noch  nicht  genügenden  Tiefenwirkung  bei  den  Erkran¬ 
kungen  der  grossen  Gelenke,  2.  aber  daran,  dass  wir  die  Be¬ 
strahlungen  nicht  beliebig  lang  fortsetzen  können,  da  wir  über 
eine  gewisse  Strahlenmenge  an  einer  Körperstelle  nicht  hinaus¬ 
gehen  dürfen.  Es  lag  daher  nahe,  auch  für  die  Tuberkulose 
eine  Verstärkung  der  Strahlenwirkung  durch  chemische  Imi¬ 
tation  derselben  anzustreben,  wie  es  nach  Versuchen  von 
Werner3)  bei  den  Tumoren  mit  Erfolg  ausgeführt  wird. 
Die  experimentellen  Untersuchungen  Werners  hatten  er¬ 
geben,  dass  mit  den  durch  Röntgenbestrahlung  frei  werdenden 
Spaltungsprodukten  des  Lezithins  die  gleichen  Wirkungen  er¬ 
zielt  werden  konnten,  wie  mit  der  Bestrahlung  selbst,  dass  es 
ferner  für  den  Erfolg  gleichgültig  war,  ob  diese  Spaltungs¬ 
produkte  durch  die  Bestrahlung  hervorgerufen  oder  auf  che¬ 
mischen  Wege  hergestellt  waren.  Als  der  wirksame  Bestandteil 
der  Spaltungsprodukte  des  Lezithins  hatte  sich  dann  das  Cholin 
erwiesen,  das  aber  in  seiner  reinen  Form  für  eine  allgemeinere 
Anwendung  zu  giftig  war.  Erst  als  es  gelang,  das  sehr  giftige 
basische  Cholin  durch  andere  Salze  zu  ersetzen,  wurde  es  all¬ 
gemeinerem  Gebrauch  zugänglich.  Als  ein  genügend  ungiftiges 
Salz-  hat  sich  darnach  das  borsaure  Cholin,  das  unter  dem 
Namen  E  n  z  y  t  o  1 4)  in  den  Handel  kommt,  erwiesen. 

Es  liegen  bereits  eine  Reihe  von  experimentellen  Arbeiten 
vor,  die  den  Nachweis  geliefert  haben,  dass  das  Enzytol  tat¬ 
sächlich  die  gleichen  biologischen  Veränderungen  hervor¬ 
zurufen  imstande  ist,  wie  die  Röntgenstrahlen.  In  einer 
weiteren  Anzahl  von  Publikationen  ist  über  die  erfolgreiche 
Anwendung  des  Enzytols  in  Kombination  mit  anderen  Me¬ 
thoden  bei  malignen  Tumoren  berichtet.  Zur  Behandlung  der 
Tuberkulose  musste  das  Cholin  auch  noch  aus  einem  weiteren 
Grunde  als  ein  geeignetes  Mittel  angesehen  werden.  Deycke 
und  Much 5)  hatten  schon  1909  nachweisen  können,  dass 
Cholin  und  Neurin  imstande  seien,  Tuberkelbazillen  sowohl  in 
vitro  wie  in  vivo  aufzulösen.  Eine  Therapie  auf  diesem  Wege 
konnte  aber  erst  das  ungiftige  Cholinum  boricum  aussichtsreich 
erscheinen  lassen.  Ueber  die  ersten  Versuche  von  Enzytol  zur 
Behandlung  der  Tuberkulose  wurde  von  M  e  h  1  e  r  und 
Ascher8)  berichtet. 

Bezüglich  der  Technik  der  Einspritzung  hielten  wir  uns  an  die 
Vorschriften,  wie  sie  in  Publikationen  aus  dem  Samariterhaus  be¬ 
kannt  geworden  sind 7).  Wir  wandten  von  vornherein  nur  intra¬ 
venöse  Injektionen  in  die  Armvene  an  und  verzichteten  auf  subkutane 
oder  intramuskuläre  Einspritzungen,  weil  es  nachgewiesen  ist,  dass 
bei  grösseren  Mengen  starke  Entzündungen  und  Ulzerationen  ent¬ 
stehen  können,  die  mit  den  Röntgenverbrennungen  grösste  Aehnlich- 
keit  haben.  Wir  konnten  selbst  feststellen,  dass  jede  subkutane  In¬ 
jektion,  sobald  die  Vene  nicht  gut  getroffen  war,  schmerzhaft  wurde 
und  event.  kleine  Infiltrate  hinterliess.  In  solchen  Fällen  haben  wir 
dann  sofort  die  Injektion  abgebrochen  oder  an  anderer  Stelle  wieder¬ 
holt.  Als  sehr  brauchbar  zur  Injektion  erwies  sich  uns  die  für  Sal- 
varsaninjektionen  angegebene  stumpfwinklig  abgebogene  Nadel  mit 
einer  kleinen  Platte  zum  Auflegen  auf  den  Arm  in  Verbindung  mit 
einer  Rekordspritze  von  20  ccm  Inhalt.  2  sterile  Schalen  dienen  zur 


')  Rolli  er:  Die  Heliotherapie  der  chirurgischen  Tuberkulose. 
Erg.  d.  Chir.  u.  Orthop.  7.  S.  1.  (Literatur!) 

*’)  B.  Bai  sch:  Röntgentherapie  der  chirurgischen  Tuberkulose. 
Erg.  d.  Chir.  u.  Orthop.  7.  S.  110. 

;;)  Werner:  Zschr.  f.  Chir.  1904  Nr.  43;  Bruns  Beitr.  z.  klin. 
Chr.  52.  H.  1;  M.  Kl.  1912  Nr.  28;  B.kl.W.  1913  Nr.  10;  Zschr.  f. 
Chernother.  1.  1913;  Strahlenther.  1.  H.  4. 

A)  Vereinigte  Chem.  Werke  A.G.  Charlottenburg  haben  die 
Fabrikation  übernommen. 

'")  Deycke  und  Much:  M.m.W.  1909  S.  1985. 

“)  Mehl  er  und  Ascher:  M.m.W.  1913  Nr.  14. 

7)  Rapp:  M.m.W.  1914  Nr.  20. 


Aufnahme  des  Enzytols  und  der  physiologischen  Kochsalzlösung.  Es 
wird  nun  von  dem  in  10  proz.  Stammlösung  in  den  Handel  kommenden 
Enzytol  die  gewünschte  Menge  aufgezogen  und  dann  mit  der  NaCl- 
Lösung  bis  auf  20  ccm  verdünnt.  Diese  Mischung  wird  dem  Patienten 
unter  aseptischen  Kautelen  sehr  langsam,  event.  mit  kleinen  Pausen 
injiziert.  Wir  beginnen  mit  einer  Mischung  von  1  ccm  der  10  proz. 
Lösung  gleich  0,1  g  Borcholin  auf  20  g  NaCl  und  steigen  dann  langsam 
bis  auf  4  ccm  Lösung.  In  der  ersten  Zeit  stiegen  wir  noch  höher 
bis  zu  8  und  10  ccm  Lösung  unter  entsprechend  grösserer  Verdünnung,  [. 
fanden  aber,  dass  durch  diese  grösseren  Dosen  das  Allgemeinbefinden  j 
der  Patienten  gestört  wurde  und  Appetitlosigkeit  und  ähnliches  auf-  t 
trat,  und  sind  deswegen  in  der  letzten  Zeit  nicht  über  4  ccm  Lösung  j 
hinausgegangen 

Was  nun  die  direkten  Nebenerscheinungen,  die  während 
der  Injektion  auftreten,  betrifft,  so  konnten  wir  diese  in  der  I 
gleichen  Weise,  wie  sie  von  allen  bisherigen  Untersuchern 
beobachtet  wurden,  feststellen.  Schon  nach  wenigen  Kubik-  1 
Zentimeter  der  Einspritzung  tritt  eine  deutliche  Hyperämie  der  j 
peripheren  Gefässe  auf  (Rötung  des  Gesichtes,  sichtbare  Pul¬ 
sation  der  Arterien  am  Arm),  Hitzegefühl,  Salivation  und  stär¬ 
kere  Sekretion  der  Tränen-  und  Schweissdriisen,  vertiefte,  I 
eventuell  etwas  angestrengte  Atmung  und  etwas  Schwindel. 
Nach  wenigen  Minuten  gehen  diese  Erscheinungen  zurück  und  j 
haben  sich  bei  uns  nur  vereinzelt  bei  erregbaren,  ängstlichen  j 
und  geschwächten  Patienten  bis  zu  stärkerem  Schwindel  mit  I 
rasch  vorübergehenden  Kollapserscheinungen  gesteigert.  Diese 
primäre  Reaktion  ist  der  pharmakologische  Ausdruck  einer  [ 
Reizung  des  Zentrums  der  Vasodilatatoren  durch  das  Cholin 
und  hängt  daher  von  der  Konzentration  und  der  Geschwindig¬ 
keit  der  Injektion  ab,  weswegen  sich  die  angeführte  langsame,  I 
schrittweise  mit  Pausen  vorgenommene  Injektion  empfiehlt. 
Auf  diese  Weise  wurden  bis  jetzt  26  an  verschiedenen  tuber¬ 
kulösen  Erkrankungen  leidende  Patienten  mit  Enzytolinjektion 
behandelt.  Eine  schädigende  Wirkung  wurde  nicht  beobachtet, 
ausgenommen  bei  2  Patienten,  über  die  später  noch  berichtet  j 
wird.  Von  diesen  26  Fällen  haben  8  durch  den  vorzeitigen  I 
Austritt  aus  der  Klinik  zu  wenig  Injektionen  erhalten,  bei  2 
wurde  die  Behandlung  erst  vor  zu  kurzer  Zeit  begonnen,  um 
einen  Enderfolg  feststellen  zu  können.  Von  den  übrigen 
16  Fällen  ist  bei  7  die  Behandlung  beendet,  6  davon  wurden 
geheilt,  einer  wesentlich  gebessert.  Bei  4  wurde  die  Behand¬ 
lung  abgebrochen,  da  die  zurzeit  fortgeschrittene  Erkrankung 
einen  Erfolg  nicht  mehr  erwarten  liess.  5  stehen  zurzeit  noch  1 
in  Behandlung  und  weisen  deutliche  Besserung  auf. 

Bei  den  meisten  Patienten  war  gleichzeitig  oder  vor  der 
Enzytolbehandlung  die  Röntgenbestrahlung  durchgeführt 
worden.  Bei  der  Kombination  dieser  beiden  Methoden  handelt 
es  sich  um  Anwendung  zweier  therapeutischer  Hilfsmittel  mit 
analoger  Wirkungsweise,  d.  h.  also  nicht  um  eine  wahre  Sensi¬ 
bilisierung  des  Gewebes  durch  Cholin  für  die  Bestrahlung,  wie 
das  öfters  angeführt  wird.  Trotzdem  ist  es  leicht  erklärlich, 
dass  bei  gleichzeitiger  Anwendung  beider  Mittel  die 
Empfindlichkeit  des  Gewebes  und  besonders  der  Haut  für  die 
Bestrahlung  erhöht  wird.  Die  stärkere  Durchblutung  des 
Krankheitsherdes  und  seiner  Umgebung  als  Reaktion  auf  die 
Injektion  bedingt  die  Erhöhung  der  Empfindlichkeit,  und  zwar 
haben  die  Untersuchungen  von  Werner8)  und  Ritter  und 
Allmann9)  gleichmässig  ergeben,  dass  die  Erythemgrenze 
nahezu  auf  die  Hälfte  herabgesetzt  wird.  Es  entspricht  das 
also  dem  Resultat,  das  wir  erhalten  würden,  wenn  wir  zwei  i 
Röntgenbestrahlungen  zu  rasch  aufeinander  folgen  liessen,  ohne  i 
die  Reaktionspause  von  ca.  3  Wochen  abzuwarten.  Für  das 
Enzytol  kennen  wir  diese  Reaktionszeit  noch  nicht,  es  emp¬ 
fiehlt  sich  daher  bei  der  gleichzeitigen  Anwendung  von  Enzytol 
und  Bestrahlung  dieser  erhöhten  Empfindlichkeit  besondere  ! 
Aufmerksamkeit  zu  schenken.  Hier  möchte  ich  aus  unseren 
Fällen  folgende  anführen: 

K.  A  .  52  jähr.  Bildhauer.  Nach  einer  Handverstauchung  vor 
Yi  Jahre  war  dauernde  Handschwellung  geblieben.  Röntgenbild  ergab 
kariösen  Herd  im  Metakarp.  III  und  IV.  Röntgenbestrahlungen  ain 
4.  X.,  29.  XII.  13  und  28.  I.  14  jeweils  von  2  Seiten,  Filtration  durch 
2  mm  Alum.  5  H.  Operation  am  18.  XII.  13  hatte  Tuberkulose  er-  ; 
geben.  19.  I  14  Beginn  mit  Enzytolinjcktionen  von  2,0  ccm  steigend 
bis  10,0  ccm,  nach  der  7.  Injektion  Summe  =  54  ccm  Enzytol,  und 
10  Tage  nach  der  letzten  Bestrahlung  starke  Anschwellung  und  ent¬ 
zündliche  Rötung  der  ganzen  Hand,  aber  keine  typische  Röntgen- 


0  Werner:  I.  c. 

!')  Ritter  und  All  mann:  Strahlenther.  4.  H.  1. 


21.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


dcrmatitis,  sondern  mehr  phlegmonös,  wodurch  mehrere  Inzisionen 
notwendig  wurden. 

Ich  möchte  daher  die  gleichzeitige  Anwendung  von  En¬ 
zytol  und  Bestrahlung  nur  da  empfehlen,  wo  es  sich  um  so  tief 
liegende  Herde  handelt,  dass  die  Herdreaktion  durch  das 
Cholin  nicht  gleichzeitig  Haut-  und  Unterhautgewebe  mit 
einbezieht.  Das  sind  die  grossen  Gelenke  (Knie,  Hüfte  und 
Schulter)  und  die  Wirbelsäule,  bei  denen  auch  gewöhnlich  die 
Tiefenwirkung  der  Röntgenstrahlen  allein  unvollkommen  ist. 
Dagegen  sehe  ich  einen  weiteren  Vorteil  der  Kombination 
beider  Mittel  darin,  dass  wir  durch  die  Cholininjektionen  die 
Strahlenwirkung  fortsetzen  können,  wenn  wir  durch  die 
Röntgenbestrahlung  den  vollen  Erfolg  noch  nicht  erzielt  haben, 
die  Anzahl  der  Bestrahlungsserien  aber  schon  die  Grenze  er¬ 
reicht  hat,  die  wir  der  Haut  ohne  dauernde  Schädigung  zu  ver¬ 
ursachen,  zumuten  dürfen.  Als  Beweis  führe  ich  folgenden 
Fall  an: 

A.  W.,  46  Jahre,  Milchhändler.  Seit  Juli  1913  mit  Schwellung 
des  linken  Fusses  erkrankt.  Seit  Oktober  1913  in  der  Klinik  in  Be¬ 
handlung.  I  ypische  Fusstuberkulose  des  oberen  Sprunggelenkes, 
zahlreiche  Fisteln,  die  reichlich  sezernieren.  Vom  15.  X.  13  bis 
26.  II.  14  7  Bestrahlungsserien  mit  je  3—4  Einfallspforten.  25.  III.  14 
Haut  zeigt  bereits  teleangiektatische  Veränderungen.  Fisteln  ge¬ 
bessert,  aber  noch  nicht  geschlossen.  Da  der  Haut  weitere  Be¬ 
strahlungen  nicht  zugernutet  werden  dürfen,  Enzytol  einspritzungen. 
Bis  6.  IV.  14  9  Injektionen.  Fisteln  geschlossen.  Allgemeinbefinden 
sehr  gebessert.  Seit  Oktober  1913  im  ganzen  16  Pfund  Gewichts¬ 
zunahme. 

Für  einen  ebenso  grossen  Vorteil  halte  ich  es,  dass  wir 
während  der  Enzytolinjektionen  ruhig  eine  Sonnenbestrahlung 
des  Krankheitsherdes  durchführen  können,  während  die  Be¬ 
sonnung  einer  röntgenbestrahlten  Stelle  gefährlich  ist,  weil  da¬ 
durch  leicht  Verbrennungen  entstehen. 

Wir  kommen  nun  zur  Wirkung  der  Enzytoleinspritzungen 
selbst.  Nach  dem  raschen  Abklingen  der  primären  Reaktion 
hinterlässt  die  Injektion  keinerlei  Störungen.  Insbesondere 
sahen  wir  nie  ähnliche  Erscheinungen,  wie  sie  als  „Röntgen¬ 
kater“  nach  intensiven  Bestrahlungen  mit  Uebelkeit,  Er¬ 
brechen  und  Mattigkeit  aufzutreten  pflegen.  Das  Allgemein¬ 
befinden  wurde  im  Gegenteil  meist  bald  nach  den  ersten  Ein¬ 
spritzungen  gehoben,  was  sich  in  Zunahme  des  Appetits,  Besse¬ 
rung  des  subjektiven  Befindens  und  des  Aussehens  und  in  Ge¬ 
wichtszunahme  deutlich  erkennbar  machte.  Aehnliche  Er¬ 
scheinungen  sind  auch  für  die  Röntgenbestrahlung  bei  Tuber¬ 
kulösen  beobachtet  und  von  I  s  e  1  i  n  10)  als  Entgiftung  des 
tuberkulösen  Herdes  aufgefasst  worden.  In  einzelnen  Fällen 
sann  man  ein  richtiges  Aufblühen  des  Patienten  beobachten. 

Neben  dieser  Allgemeinreaktion  geht  die  lokale  oder  Herd¬ 
reaktion  einher.  Gleich  nach  den  ersten  Injektionen  macht 
-ich  eine  leichte  Zunahme  und  Sukkulenz  der  Schwellung  be- 
nerkbar,  bei  vorhandenen  Wunden  oder  Fisteln  eine  deutliche 
Vermehrung  der  Sekretion,  die  dünnflüssiger  und  weniger 
üterig  wird.  Im  weiteren  Verlauf  macht  die  Reaktion  dann 
Jen  allmählich  einsetzenden  Heilungsvorgängen  Platz.  Fun- 
töse  Schwellungen  werden  kleiner,  die  Schmerzhaftigkeit  bei 
Jirektem  und  indirektem  Druck  nimmt  ab.  Durch  die  zu- 
tehmende  Straffheit  des  Gewebes  werden  die  Gelenke  fester 
ind  besser  beweglich.  In  einigen  Fällen  sahen  wir  bei  tuber¬ 
kulösen  Geschwüren  eine  richtige  Nekrotisierung  und  Schorf- 
üldung  eintreten,  wie  man  es  sonst  nicht  bei  tuberkulösen 
Jlzerationen  gewöhnt  ist.  Nach  Abstossung  der  Schorfe 
üldeten  sich  dann  rasch  gute  Granulationen,  die  die  Wund¬ 
heiten  und  Fisteln  zur  Heilung  brachten.  Als  Beweis  hierfür 
•ei  folgender  Fall  angeführt: 

K.  Gr.,  16  jähr.  Fabrikarbeiter.  Schon  vor  4  Jahren  wegen  Fuss- 
ubcrkulose  operiert,  noch  2  malige  Wiederholung  in  den  folgenden 
ähren.  Jetzt  wieder  starke  Schwellung  des  Fussgelenkes.  Zahl- 
cichc  Fisteln  um  das  Gelenk  herum.  Aufnahme  21.  V.  13  bis 
5.  XII.  13  8  Bestrahlungsserien  mit  3 — 4  Einfallstellen.  Fisteln  ge- 
essert.  nicht  geheilt.  Ab  27.  X.  13  Enzytolinjektionen.  Bis  26.  XI. 

>’  Injektionen  mit  zusammen  70  ccm  Enzytol.  9.  I.  14  Entlassung  mit 
äst  völlig  geheilten  Fisteln.  Juni  1914  Fisteln  völlig  geheilt.  Patient 
ann  wieder  auftreten,  keine  Schwellung,  keine  Schmerzen  mehr. 

Eine  Einwirkung  auf  andere  Organe  sahen  wir  nicht,  nur 
n  einem  Fall  trat  nach  der  6.  Injektion  (40  ccm  Enzytol)  eine 
lämorrhagische  Nephritis  bei  einem  Patienten  mit  multipler 
mochen-  und  Lungentuberkulose  auf  und  mussten  daher  die 


1615 


Injektionen  abgebrochen  werden.  Ob  der  Urin  vorher  eiweiss¬ 
frei  war,  ist  nicht  sicher.  Von  anderen  Autoren  ist  eine  Wir¬ 
kung  auf  die  Nieren  nicht  beobachtet  worden  und  wir  selbst 
haben  keinen  weiteren  Fall  gesehen,  obgleich  daraufhin  genaue 
Urinuntersuchungen  stattfanden.  Weiterhin  sahen  wir  bei 
einem  sehr  elenden  Patienten  mit  ausgedehnter  Rippenkaries, 
Pleuritis  und  Lungentuberkulose  nach  den  Injektionen  starke 
Fiebersteigerungen  auftreten,  die  uns  zwangen,  die  Injektionen 
aufzugeben.  Wir  möchten  daher  bei  zu  ausgedehnten  Pro¬ 
zessen  eine  Anwendung  des  Enzytols  nicht  empfehlen. 

Einer  besonderen  Besprechung  bedarf  noch  die  Einwirkung 
des  Enzytols  auf  das  Blut.  Die  experimentellen  Untersuchungs¬ 
ergebnisse  von  Werner  und  Lichtenberg11)  über  die 
Einwirkung  des  Cholins  auf  das  Blut  von  Kaninchen  bestätigte 
sich  für  das  Enzytol  beim  Menschen  vollkommen.  Wir  haben 
bei  allen  unseren  Patienten  wiederholte  Blutuntersuchungen 
gemacht  und  fanden  die  bei  den  Tuberkulösen  meist  bestehende 
massige  Leukozytose  (von  10 — 13000  Leukozyten)  in  den  ersten 
Stunden  nach  der  Injektion  gesteigert,  häufig  um  mehrere 
Tausend.  Dieser  Anstieg  wird  auch  von  Ritter  und  All¬ 
mann  angegeben.  Darnach  setzt  eine  Abnahme  der  Leuko¬ 
zytenzahl  ein,  die  sich  allmählich  bis  zur  Norm  und  unter  die¬ 
selbe  fortsetzen  kann.  Nur  bei  stark  eiternden  Formen  sahen 
wir  die  Abnahme  ausbleiben.  Im  Blutbilde  stellte  sich  die  Zu¬ 
nahme  der  Leukozytenzahl  als  eine  Vermehrung  der  poly¬ 
nukleären  Elemente  dar  und  ebenso  war  die  Abnahme  von 
einer  Verminderung  der  relativen  Werte  derselben  begleitet, 
so  dass  wir  also  von  einer  relativen  Lymphozytose  sprechen 
können.  Das  normale  Verhältnis  von  70—75  Proz.  poly¬ 
nukleärer  Leukozyten  und  20  Proz.  mononukleärer  Lympho¬ 
zyten  änderte  sich  im  Werte  von  55  Proz.  polynukleärer 
Leukozyten  und  35 — 40  Proz.  Lymphozyten.  In  einigen  Fällen 
sahen  wir  eine  deutliche  Zunahme  der  eosinophilen  Zellen  auf¬ 
treten.  Die  Zahl  der  roten  Blutkörperchen  änderte  sich  nicht 
wesentlich  und  nicht  konstant.  Hämoglobinbestimmungen  sind 
von  Ritter  und  A  1 1  m  a  n  n  vorgenommen  worden  und  hatten 
keine  wesentliche  Verschiebung  der  Werte  ergeben.  Unter¬ 
suchungen,  die  an  unserer  Klinik  gemacht  wurden,  ob  das 
Enzytol  auf  die  Blutgerinnung  einen  verzögernden  Einfluss 
habe,  brachten  kein  Resultat.  An  diesen  Blutveränderungen 
ist  das  Interessante  die  völlige  Uebereinstimmung  mit  den  Be¬ 
funden  bei  Röntgen-  und  Sonnenbestrahlung.  Auch  nach  jeder 
Röntgenbestrahlung  sehen  wir  ebenso  eine  primäre  Leuko¬ 
zytose  mit  nachfolgender  Leukopenie  und  Lymphozytose  auf¬ 
treten,  die  sich  längere  Zeit  erhält,  nach  etwa  3  Wochen  aber 
zur  Norm  zurückkehrt.  Bei  wiederholten  Bestrahlungen  ist  die 
Dauer  dieser  Veränderungen  eine  längere. 

In  ganz  ähnlicher  Weise  wird  von  Stäub  li  und  Rol¬ 
ler12)  die  Veränderung  des  Blutbildes  bei  der  Sonnen¬ 
bestrahlung  angegeben.  Auch  hier  ist  die  Verminderung  der 
polynukleären  Leukozyten  und  Vermehrung  der  Lymphozyten 
unter  allgemeiner  Reduktion  der  Zahl  der  weissen  Blutkörper¬ 
chen  stets  vorhanden. 

Stoffwechseluntersuchungen,  die  von  Ritter  und  A  1 1  - 
mann  vorgenommen  wurden,  ergaben,  dass  eine  direkte  Ein¬ 
wirkung  des  Borcholins  nicht  vorhanden  ist.  Im  weiteren  Ver¬ 
lauf  wird  allerdings  durch  die  Beeinflussung  des  tuberkulösen 
Prozesses  auch  eine  Veränderung  und  Erhöhung  des  Stoff¬ 
wechsels  eintreten,  doch  ist  darin  nicht  die  primäre  Wirkung 
des  Cholins  zu  erblicken. 

Zusammenfassung:  Das  Borcholin  erscheint  durch 
die  chemische  Imitation  der  Strahlenwirkung  und  durch  eine 
mögliche  direkte  Wirkung  auf  die  Tuberkelbazillen  zur  Be¬ 
handlung  der  Tuberkulose  geeignet. 

Bei  gleichzeitiger  Anwendung  von  Bestrahlung  und  En¬ 
zytol  ist  auf  die  grössere  Empfindlichkeit  der  Haut  durch  die 
Injektion  Rücksicht  zu  nehmen. 

Der  grössere  Vorteil  besteht  in  der  ergänzenden  Hilfe  der 
Einspritzung  da,  wo  der  Wirkung  der  Bestrahlung  ein  Ziel 
gesetzt  ist. 

Die  bisherigen  Erfolge  ermutigen  zu  weiteren  Versuchen 
in  dieser  Richtung. 


a)  Werner  und  Lichtenberg:  D.m.W.  1906  Nr.  1. 
12)  R  o  1 1  i  e  r:  1.  c. 


,u)  I  sei  in:  D.m.W.  1913  Nr.  7. 


MUENC11ENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


Nr.  29. 


1616 

Aus  der  chirurgischen  Abteilung  des  evang.  Diakonissenhauses 

Freiburg  i.  B. 

Lieber  Daueranästhesie*). 

Von  Prof.  Q.  Hotz. 

Die  Selbstkritik  des  Chirurgen  steht  oft  vor  der  Frage, 
warum  ist  nach  einer  eingreifenden  Operation  der  Kranke  zu¬ 
grunde  gegangen,  ohne  dass  die  Sektion  einen  technischen 
Fehler  erwiesen  hat?  Ich  möchte  absehen  von  den  Fällen, 
wo  der  Tod  auf  Narkoseschädigung,  Blutverlust,  Wundinfek¬ 
tion.  Herzdegeneration  oder  primäre  Lungenerkrankung  zu  be¬ 
ziehen  ist,  und  hinweisen  auf  die  Fälle,  welche  ohne  be¬ 
sondere  Erscheinungen  nicht  mehr  völlig  aus  der  Narkose  er¬ 
wachen  und  auf  solche  Operierte;  welche  in  den  Tagen  nach 
dem  Eingriff  immer  mehr  nachgeben,  leidensüberdrüssig  ge¬ 
worden  sind  und  schliesslich  durch  eine  akzidentelle  Pneu¬ 
monie  erlöst  werden.  Es  sind  die  Todesfälle,  bei  welchen  wir 
uns  mit  der  generellen  Erklärung  einer  Schockwirkung  ab- 
finden  müssen.  Der  Schock  verdirbt  so  oft  den  Erfolg  und 
zieht  immer  wieder  die  engen  Grenzen,  welche  der  Erfahrene 
in  der  Indikation  sorgfältig  innehält,  je  nach  seinem  Tempera¬ 
ment  und  seiner  Lebensauffassung,  und  trotz  aller  Vorsicht 
wird  er  immer  wieder  davon  überrascht. 

Halten  wir  uns  in  Erwartung  einer  exakteren  Erklärung 
über  die  Wirkung  des  Schock  an  die  alte  Theorie  einer  reflek¬ 
torischen  Lähmung  des  Atem-  und  Vasomotorenzentrums,  wie 
sie  durch  den  Golzschen  Klopfversuch  illustriert  wird,  oder 
folgen  wir  der  neueren  Anschauung  der  englisch-amerikani¬ 
schen  Schule,  welche  durch  C  r  i  1  e  dahin  ausgclegt  wird,  dass 
die  Schockwirkung  eine  potentielle  Umwandlung  in  den  Zellen 
des  zentralen  Nervensystems  erzeugt,  welche  sich  mikro¬ 
skopisch  in  Degenerationsformen  der  Nervenzellen  zu  erkennen 
gibt,  so  ist  in  praxi  jedenfalls  festzuhalten,  dass  die  Schock¬ 
wirkung  vom  peripheren  Orte  der  Läsion  ausgeht,  und  durch 
die  Nervenstämme  dem  zentralen  Organe  zugeleitet  wird. 
Wenn  wir  diese  Leitung  und  damit  die  Schockwirkung  unter¬ 
brechen  wollen,  so  kann  es  theoretisch  an  drei  Stellen  ge¬ 
schehen  : 

1 .  Im  Gehirn.  Nach  der  Ansicht  C  r  i  1  e  s  ist  die  allge¬ 
meine  Narkose  mit  Chloroformäther  nicht  imstande,  die  schäd¬ 
liche  Wirkung  ganz  aufzuheben.  Zum  Beweis  führt  er  an,  dass 
schmerzhafte  oder  heftige  Eingriffe  während  einer  Narkose 
stets  Störungen  in  der  Herz-  und  Atemtätigkeit  hervorrufen. 
Auch  konnte  er  regelmässig  Zellveränderungen  im  Gehirn 
nachweisen.  Das  Stickstoffoxydul  sei  dem  Chloroformäther 
jedoch  wesentlich  überlegen. 

2.  ln  den  grossen  Leitungsbahnen,  Rücken¬ 
mark  und  Nervenstämmen.  Wie  weit  hier  die  Medullar- 
anästhesie  eingreifen  kann,  ist  noch  nicht  sicher  festgestellt, 
weil  vielfach  die  psychische  Erregung  mitspielt. 

3.  Im  peripheren  Endorgan  bzw.  in  den  ersten 
Nervenfasern  (Lokalanästhesie). 

Dem  eigentlichen  Wundschock  ist  an  die  Seite  zu  stellen 
die  psychische  Erschütterung  durch  Aufregung  und  Angst. 
Diese  Quelle  des  Schocks  lässt  sich  am  besten  vermindern 
durch  die  kombinierte  Skopolamin-Morphin-Vorbereitung,  wie 
sie  hauptsächlich  von  der  K  r  o  e  n  i  g  sehen  Schule  eingeführt 
wurde. 

Zur  Vermeidung  der  von  der  Operationsstelle  aus¬ 
gehenden  Schockwirkung  ist  es  zweifellos  wich¬ 
tig,  dass  man  bei  der  Operation  selbst  die  not¬ 
wendigen  Schädigungen  möglichst'  ein¬ 
schränkt  (kleine  Schnitte  bei  typischen  Operationen).  Aus 
diesem  Grunde  auch  bevorzugen  wir  die  mediane  Laparotomie. 
In  der  Linea  alba  sind  die  Verhältnisse  zur  Eröffnung,  zur 
Naht-  und  Wundheilung  wesentlich  günstiger  als  bei  Durch¬ 
trennung  der  einzelnen  seitlichen  Bauchwandschichten.  I  n 
der  Lokalanästhesie  haben  wir  das  geeignete 
Mittel,  um  am  Orte  der  Entstehung  durch  Blo- 
kade  der  sensiblen  Nerven  die  Schockwir¬ 
kung  zu  kupieren,  ausserdem  den  Vorteil,  eine  Inhala¬ 
tionsnarkose  vermeiden  zu  können.  Wenn  die  Anästhesierung 
völlig  gelungen  ist,  fehlt  neben  dem  Schmerz  auch  jede  Beein- 

*)  Vortrag,  gehalten  in  der  Freiburger  mediz.  Gesellschaft  am 
19.  VI.  14. 


flussung  der  Atem-  und  Pulsqualität.  Der  Reflex  nach  dem 
nervösen  Zentralorgan  ist  also  unterbrochen.  Zur  Aus¬ 
schaltung  des  Schocks  ist  es  nun  wesentlich, 
dass  nicht  nur  die  Operation  im  anästhesier¬ 
ten  Gebiete  ausgeführt  werde,  sondern  wir 
müssen  auch  versuchen,  den  späteren  Wund- 
sch  m  e  r  z  dauernd  fernzuhalten.  C  r  i  1  e  ')  erwähnt 
eine  Methode,  um  Daueranästhesie  zu  erzeugen,  indem  er  eine 
wässerige  Lösung  von  Aproz.  salzsaurem  Harnstoff  mit  Chinin 
schichtenweise  in  die  Gewebe  injiziert. 

Das  Verfahren  einer  zweimaligen  Gewebsinjektion  (erst 
Novokain,  dann  Harnstoffchinin)  ist  etwas  umständlicher  und 
für  die  spätere  Heilung  wohl  auch  nicht  ganz  nebensächlich. 
Ausserdem  erscheint  es  nicht  ganz  zweckmässig,  das  Dauer- 
anästhetikum  in  einer- wässerigen  Lösung  zu  applizieren,  weil 
die  Resorption  zu  rasch  eintritt.  Es  liess  sich  jedoch 
erwarten,  dass  auch  durch  Einstreuen  eines 
pulverförmigen  Anästhetikums  eine  Dauer¬ 
anästhesie  erzeugt  werden  könne.  Die  Vor¬ 
aussetzung  eines  geeigneten  Präparates  ist 
U  n  sc  hädlichkeitim  Gewebe,  langsame  Lösung 
und  Diffusion,  wirksame  Daueranästhesie  und 
Sterilität. 

Durch  freundliche  Unterstützung  von  Herrn  Prof.  Straub 
und  durch  das  Entgegenkommen  der  Höchster  Farb¬ 
werke  bekamen  wir  Gelegenheit,  drei  Präparate  zu  unseren 
Versuchen  zu  verwenden  1 .  Orthoform,  2.  Novokain- 
t  a  n  n  a  t,  3.  A  n  ä  s  t  h  e  s  i  n. 

Das  Orthoform  zeigt  wohl  eine  länger  anhaltende  An¬ 
ästhesie,  andererseits  aber  auch  in  der  Wunde  die  bekannten 
zerstörenden  Wirkungen  auf  den  Blutfarbstoff,  wohl  infolge 
seiner  reduzierenden  Eigenschaft.  Die  Wunde  sah  aus,  wie 
mit  Tinte  übergossen  und  heilte  unter  den  Erscheinungen  einer 
Fettgewebsnekrose. 

Das  für  unsere  Zwecke  besonders  hergestellte  Novo¬ 
cain.  tannat.  führte  in  drei  Fällen  zu  einer  aseptischen  Ge- 
websnekrose,  wahrscheinlich  bedingt  durch  die  Gerbsäure¬ 
komponente  und  konnte  deshalb  nicht  weiter  in  Verwendung 
kommen.  Zudem  ist  seine  Wirkung  nicht  deutlich  anästhe¬ 
sierend.  die  Löslichkeit  vielleicht  zu  gering. 

Gute  Erfolge  erzielten  wir  dann  mit  An¬ 
äs  t  h  e  s  i  n.  Das  weisse  Pulver  ist  in  Wasser  fast  unlöslich; 
in  Alkohol  und  Fett  kann  es  gelöst  werden.  Darauf  beruht 
wohl  auch  die  Möglichkeit,  die  Nervenfasern  zu  beeinflussen. 
Das  Anästhesin  wird  in  der  Menge  von  ca.  A, — 1  g  aus  einer 
einfachen  sterilisierten  Streubüchse  auf  die  offene  Wunde  auf- 
gepudert,  bevor  wir  die  Naht  anlegen. 

Ueber  die  Wirkung  des  Anästhesins  in  primär  geschlos¬ 
senen  Wunden  konnte  ich  keine  Angabe  finden;  über  seine  An¬ 
wendung  bei  Erysipel,  Ulcus  cruris  und  hauptsächlich  im  Ge¬ 
biet  der  Laryngologie  verweise  ich  auf  die  im  Braun  sehen 
Hand  b  u  c  h  der  Lokalanästhesie  zitierte  Literatur. 

Wir  basieren  unsere  Erfahrungen  auf  folgende  Vergleichs¬ 
versuche. 

Bei  10  doppelseitigen,  nach  Bassin  i  operierten  Leisten¬ 
hernien  wurde  zum  Teil  nach  allgemeiner  Narkose,  zum  Teil 
nach  Lokalanästhesie  die  offene  Wunde  der  einen  Seite  mit 
Anästhesin  bestreut  und  dann  in  typischer  Weise  vernäht, 
ebenso  wie  vorher  die  anästhesinfreie  Hernienwunde.  Es 
zeigt  sich  nun,  das  die  mit  Anästhesin  versehene 
Operationsstelle  nach  der  Operation  auf¬ 
fallend  wenig  schmerzhaft  ist,  sowohl  spon¬ 
tan,  als  bei  Druck  von  aussen,  und  beim  Husten 
und  Pressen.  Die  starke  Herabsetzung  der  natürlichen 
Schmerzhaftigkeit  dauert  2—3,  oft  auch  mehrere  Tage  an, 
und  verwischt  sich  dann,  weil  auch  die  andere  Seite  inzwischen 
weniger  empfindlich  geworden  ist.  Infektion  oder  Nekrose 
haben  wir  nicht  beobachtet.  Die  Wundheilung  ver¬ 
lief  ungestört  und  fieberfrei.  In  keinem  Falle 
wurden  sekundär  die  Zwirnnähte  und  Ligaturen  ausgestossen. 
Wir  halten  die  Daueranästhesie  bei  gewöhnlichen  Hernien 
keineswegs  für  notwendig,  aber  in  der  Anwendung  des  An¬ 
ästhesins  bei  Doppelhernien  glaubten  wir  ein  einwandfreies 
Vergleichsmaterial  zu  finden,  welches  vollauf  die  gute  Wirkung 


!)  Revue  de  Chirurgie  1914  S.  1. 


21.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


des  Anästhesins  erwiesen  hat.  Auf  Grund  dieser  Erfahrung 
benutzten  wir  dann  das  Anästhesin  bei  grösseren  Eingriffen, 
welche  die  Patienten  stärker  anzugreifen  pflegen,  bei  Magen¬ 
resektionen,  Gallenblasenoperationen  und  Strumektomien. 

In  viel  höherem  Grade  als  bei  der  einfachen  Bruch¬ 
operation  zeigte  sich  nun  bei  diesen  Eingriffen  die  für  den 
Kranken  wohltätige  Wirkung  der  Daueranästhesie.  Nach 
der  Operation  fehlt  der  vom  verletzten 
Bauchfell  ausgehende  Schmerz  und  Brech¬ 
reiz.  Die  genähte  Wunde  ist  auf  Druck  fast  unempfindlich. 
Durch  diese  Schmerzlosigkeit  sind  die  Kranken  in  der  Lage, 
sich  im  Bett  zu  bewegen,  aufzurichten,  zu  pressen  und  Urin 
zu  lassen  und  vor  allem  wird  die  Atmung  nicht  beeinträchtigt. 
Die  Patienten  können  sich  nach  einer  Magenresektion  am 
2.  Tage  ohne  fremde  Hilfe  aufrichten. 

Als  Vorteile  der  Methode  führen  wir  an: 

1.  Starke  Minderung  der  postoperativen 
Schmerzen. 

2.  Freie  Beweglichkeit,  Erleichterung  der 

Atmung. 

Daraus  resultiert  nicht  nur  eine  Annehmlichkeit  für  den 
Kranken,  sondern  auch  ein  objektiver  Nutzen  insofern,  als  die 
psychische  .und  körperliche  Widerstands¬ 
fähigkeit  in  geringerem  Masse  in  Anspruch 
genommen  wird.  Dies  trat  besonders  deutlich  in 
Erscheinung  b  e  i  einer  Thorakoplastik,  bei  welcher  wir 
6  Rippen  in  einer  Gesamtlänge  von  125  cm  entfernten.  Der 
Kranke,  welcher  bereits  anderorts  in  ähnlicher  Weise  operiert 
worden  war  und  die  bekannten  Qualen  einer  mehrfachen 
Rippenresektion  noch  in  lebhaftester  Erinnerung  hatte,  konnte 
nach  der  mit  Anästhesin  gemilderten  Plastik  ohne  Mühe  atmen 
und  expektorieren  und  das  Bett  verlassen. 

Wenn  wirderakutenEntstehungdesSchocks 
durch  die  Operation  eine  protrahierte  oder  chroni¬ 
sche  Form  gegenüberstellen  dürfen,  welche 
hauptsächlich  durch  die  postoperativen  Be¬ 
schwerden  bedingt  wird,  so  ist  die  Dauer¬ 
anästhesie  vorzugsweise  geeignet,  diese 
chronische  Schädigung  zu  bekämpfen  und  er¬ 
laubt  im  postoperativen  Stadium  von  grossen  Morphiumdosen 
abzusehen.  Dadurch  werden  wiederum  die  Atmung  und  die 
Darmtätigkeit  entlastet. 

Für  die  Anwendung  des  Anästhesins  z.  B.  bei  einer  La¬ 
parotomie  mögen  noch  einige  Angaben  gestattet  sein.  Das 
Pulver  wird  nach  genauer  Blutstillung  vor  Schluss  der  Wunde 
in  geringer  Menge  auf  die  vorliegende  viszerale  Serosa  ge¬ 
bracht.  Das  Abdomen  wird  mit  Haken  weit  offen  gehalten. 
Man  orientiert  sich  nochmals  genau  über  die  Lage  von  Peri¬ 
tonealrand  und  Faszien  und  streue  dann  das  Pulver  so  ein, 
dass  die  ganze  Wunde  wie  mit  einer  dünnen  Zuckerschichte 
bedeckt  wird.  Das  Peritoneum  ist  gut  einzupudern.  Darnach 
kann  die  Wunde  auch  mit  weitergreifenden  Nähten  ohne  Drain 
geschlossen  werden. 

Die  Verschleierung  der  Wundränder  durch  das  weisse 
Pulver  ist  der  einzige  wesentliche  Nachteil  des  Verfahrens. 
Eine  geringe  Blutfarbstoffzersetzung,  welche  sich  in  leichten 
Suffusionen  einige  Tage  nach  der  Operation  geltend  macht, 
ist  praktisch  ohne  Belang.  Ein  Sterilisieren  des  Präparates 
durch  Hitze  ist  nicht  möglich,  da  der  Schmelzpunkt  bei  90 0 
liegt.  Die  Herstellung  des  Anästhesins  erfolgt  durch  Um¬ 
kristallisieren  aus  Alkohol  und  Benzol,  wodurch  eine  primäre 
Keimfreiheit  wahrscheinlich  ist.  Inwieweit  das  Anästhesin  ent¬ 
zündungshemmend  wirkt,  konnten  wir  nicht  feststellen.  Eine 
Wundeiterung  ist  bei  über  30  Fällen  nicht 
beobachtet  worden.  Spiess2)  spricht  allerdings  im 
iegensatz  zur  C  o  h  n  h  e  i  m  sehen  Lehre  von  der  Entzündung 
Jcm  Schmerz  bei  Infektionsprozessen  eine  grosse  Bedeutung 
hu.  Ubi  irritatio,  ibi  affluxus.  Der  Schmerz  bedingt  reflek- 
orisch  Sekretion  und  Exsudation.  Der  entzündungshemmende 
I  “influss  anästhesierender  Präparate  soll  darin  bestehen,  dass 
[  he  die  von  dem  Krankheitsherd  ausgehenden  zentripetalen 
^eize  herabsetzen  und  damit  auch  die  lokale  entzündliche  oder 
raumatische  Reaktion  zurückhalten.  Inwieweit  diese  laryngo- 
ogischen  Anschauungen  sich  auch  auf  geschlossene  Wunden 

')  M.m.  W.  1906  S.  346. 

Nr.  29. 


1617 


übertragen  lassen,  bedarf  noch  genauerer  Untersuchung. 
Vielleicht  bietet  uns  auch  die  experimentelle  Pharmakologie 
die  Hand  zur  Gewinnung  weiterer  Präparate,  welche  eine 
vollkommenere  Lösung  des  Problems  einer  lokalen  Dauer¬ 
anästhesie  ermöglichen. 


Aus  der  inneren  Abteilung  des  Elisabethkrankenhauses  zu 
Halle  a.  S.  [Prof.  Dr.  W  i  n  t  e  r  n  i  t  z  *)]. 

Bewertung  des  Abd erhal denschen  Dialysierverfahrens 
zur  Diagnose  und  Differenzialdiagnose  maligner  Ge¬ 
schwülste. 

Von  Max  Weinberg. 

Gegenüber  der  Fülle  von  Arbeiten  über  die  Anwendung 
des  Dialysierverfahrens  bei  Gravidität  und  Geisteskrankheiten 
u.  a.  m.  liegen  vorläufig  nur  wenige  Arbeiten  vor,  die  sich  mit 
der  Brauchbarkeit  der  Abderhalden  sehen  Methode  für 
die  Diagnose  und  Differentialdiagnose  maligner  Geschwülste 
beschäftigen.  Zum  Teil  liegt  dies  vielleicht  daran,  dass  es 
schwieriger  ist,  das  geeignete  klinische  Material  zu  erhalten 
-  Karzinomträger  z.  B.  verteilen  sich,  während  Schwangere 
lind  Geisteskranke  sich  in  Spezialanstalten  zusammenfinden. 
Andererseits  ist  die  Frage  der  Spezifität  hier  weitaus  kompli¬ 
zierter,  wie  ich  später  zeigen  werde,  da  sie  sich  bis  in  histo¬ 
logische  Einzelheiten  erstreckt  —  die  Beschaffung  des  taug¬ 
lichen  Materials  weitaus  schwieriger  —  die  Methodik  womög¬ 
lich  noch  subtiler. 

Die  ersten  Untersuchungen  über  Karzinomsera  teilte  Ab  der- 
li  a  1  d  e  n  selbst  mit.  Er  fand,  dass  auch  für  das  Karzinom  die  Ab¬ 
wehrfermente  streng  spezifisch  sind  —  d.  h.  das  Serum  von  Karzinom- 
kranken  baute  nur  Karzinomeiweiss  ab,  niemals  gleichzeitig  auch 
Plazenta;  umgekehrt  baute  Gravidenserum  nur  Plazenta  ab.  In  den 
späteren  Arbeiten  tritt  dann  eben  diese  Frage  mit  in  den  Vorder¬ 
grund,  ob  es  möglich  ist,  Karzinom  und  Gravidität  durch  die  bio¬ 
logische  Methode  zu  unterscheiden. 

Marcus  hatte  in  5  Fällen  von  Karzinom  jedesmal  auch  Abbau 
von  Plazenta.  In  einer  zweiten  Reihe  von  11  Karzinomsera  wurde 
7  mal  Plazenta  nicht  angegriffen,  4  mal  nur  ganz  schwach.  Von  8 
anderen  Karzinomsera  bauten  nur  5  Karzinomsubstrat  ab,  3  zeigten 
sich  refraktär,  alle  3  Karzinome  des  Magendarmkanals.  5  Graviden¬ 
sera  bauten  Karzinomeiweiss  nicht  ab,  2  nur  sehr  schwach.  In  allen 
Versuchen  wurde  als  Substrat  Uteruskarzinom  verwendet. 

Frank  und  Heimann  hatten  bei  6  Karzinomfällen  nur  einmal 
positiven  Ausfall  der  Reaktion  —  allerdings  wurde  Karzinom  und 
Plazenta  abgebaut.  30  Uteruskarzinome  ergaben  alle  ein  positives 
Ergebnis,  doch  wurde  in  allen  Fällen  neben  Karzinom  auch  Plazenta 
angegriffen,  diese  zuweilen  sogar  noch  stärker.  16  Fälle  von  Kar¬ 
zinom-  bzw.  Sarkomsera  anderer  Organe  reagierten  auf  beide  Ei¬ 
weissarten,  sowie  Plazenta  positiv.  In  14  Untersuchungen  von  Nor¬ 
malsera  fand  sich  ebenfalls  in  einem  Fall  Karzinomabbau,  ohne  dass 
ein  Anhaltspunkt  dafür  vorhanden  gewesen  wäre.  In  späteren  Unter¬ 
suchungen  nach  der  verschärften  Methode  von  Abderhalden- 
fanden  die  Verfasser,  dass  15  Karzinomsera  einzig  und  allein  Kar¬ 
zinomeiweiss  abbauten  —  immerhin  doch  auch  bei  10  Graviden-  und 
9  Karzinomsera  ein  positives  Ergebnis  für  beide  Eiweissarten.  Zu¬ 
sammenfassend  sprechen  sie  sich  dahin  aus,  dass  die  biologische 
Methode  der  Unterscheidung  von  Gravidität  und  Karzinom  nicht 
spezifisch  für  beide  Zustände  sei. 

Jonas  hatte  bei  3  Gravidensera  Karzinomabbau,  ähnliche  Re¬ 
sultate  hatte  Engelhardt. 

Deutsch  und  Köhler  hatten  bei  10  Fällen  von  Karzinom 
Karzinomabbau,  in  4  Fällen  gleichzeitig  aber  auch  mit  Plazenta  posi¬ 
tive  Reaktion.  Von  11  Schwangerensera  bauten  5  Plazenta  ab. 
Ueber  ähnliche  Resultate  berichten  v.  Winiwarter  und  Hiess 
und  Lederer. 

H  a  1  p  e  r  n,  der  zusammen  mit  Gumpertz  Untersuchungen 
anstellte,  fand  bei  102  Karzinomsera  nur  in  30  Fällen  Karzinomabbau, 
bei  19  Sarkomsera  nur  in  5  Fällen  Sarkomabbau.  —  Bei  75  Sera  von 
nicht  Karzinomträgern  in  9  Fällen  Sarkomabbau.  Ich  möchte  gleich 
hier  einen  Hinweis  einfiigen,  wie  derartige  Fehldiagnosen,  die  in  der 
Literatur  gewöhnlich  der  Methode  zur  Last  gelegt  werden,  oft  sich 
erklären  lassen.  Um  nur  einen  Fall  herauszugreifen:  Halpern  teilt 
mit,  dass  ein  Patient  mit  Phlegmone  Drüsenkarzinom  abbaute. 
Drüsenkarzinom  ist  aber  nie  frei  von  Teilen  normaler  Drüse;  hin¬ 
wiederum  sind  bei  Phlegmone  zumindest  die  regionären  Drüsen  be¬ 
teiligt.  Der  positive  Abbau  könnte  also  auf  Drüsenabbau  zurück¬ 
geführt  werden.  Wiederholung  der  Untersuchung  mit  neutralem 
Karzinomsubstrat  hätte  vielleicht  Aufklärung  gebracht.  Ich  werde  später 
auf  diese  Verhältnisse  noch  zurückkommen.  Nach  Halpern  wurde 


U  Für  Ueberlassung  des  chirurgischen  Materials  bin  ich  Herrn 
Sanitätsrat  Dr.  A  1  d  e  h  o  f  f  zu  Dank  verpflichtet.  —  Die  histologischen 
Diagnosen  verdanke  ich  Herrn  Dr.  Kretschmer. 


3 


1618 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  29. 


auch  von  Karzinomseris  Sarkom  angegriffen  und  umgekehrt  von 
5  Sarkomseris  Karzinom  abgebaut.  In  der  Verwendung  anderer 
Organkarzinome,  als  in  dem  betreffenden  Fall  vorlag,  ergab  sich 
kein  Unterschied  im  Ausfall  der  Reaktion. 

v.  Gambaroff  weist  darauf  hin,  dass  maligne  Tumoren  nur 
das  spezifische  Tumorsubstrat  abbauen.  Nur  ein  Fall  von  Lues  II 
baute  Karzinom  ab.  Eine  Wiederholung  des  Versuchs  mit  Nachweis, 
dass  die  Technik  in  jeder  Hinsicht  dabei  sorgfältig  nachgeprüft  war, 
fehlt.  Die  Kontrollfälle  waren  stets  negativ.  Gambaroff  betont, 
dass  Karzinomserum  stets  nur  Karzinom,  niemals  aber  Sarkomeiweiss 
angriff  und  umgekehrt. 

Franz  und  J  a  r  i  s  c  h  hatten  bei  Fällen  von  Karzinom  der  ver¬ 
schiedensten  Organe  nie  Plazentaabbau,  bis  auf  einen  Fall.  Es  han¬ 
delte  sich  um  das  Serum  einer  Patientin  mit  Carcinoma  colli  uteri, 
das  Plazenta  in  dreimaliger  Wiederholung  abbaute. 

Epstein  hatte  bei  22  Graviden-  und  11  Normalsera  niemals 
Karzinomabbau.  37  Karzinome  zeigten  mit  Karzinomsubstrat  positive 
Reaktion,  34  davon,  gleichzeitig  mit  Plazenta  angesetzt,  griffen  diese 
nicht  an.  » 

Brockmann  fand  in  25  Fällen  von  Karzinom  stets  Karzinom¬ 
abbau.  Ein  Fall  von  Larynxkarzinom  (durch  Sektion  bestätigt)  gab 
keinen  Abbau.  20  Sera  von  Patienten,  die  sicher  nicht  für  einen 
malignen  Tumor  in  Betracht  kamen,  griffen  Karzinom  nicht  an. 

Ball  hatte  bei  7  klinisch  sicheren  Karzinomfällen  jedesmal  Kar¬ 
zinomabbau.  In  28  zweifelhaften  Fällen  war  die  Reaktion  mit  Kar¬ 
zinom  in  20  positiv,  der  Ausfall  der  Reaktion  wurde  in  jedem  Falle 
durch  die  Operation  bzw.  den  Verlauf  bestätigt.  Allerdings  bauten 
bei  16  Fällen  von  sicher  nicht  malignen  Tumoren  4  Sera  Karzinom 
ab,  in  jedem  Falle  handelte  es  sich  um  Serum  von  Graviden,  das 
Uteruskarzinom  angriff. 

Die  bis  jetzt  vorliegenden  Untersuchungen  widersprechen 
sich.  Zum  Teil  auf  der  einen  Seite  Befunde,  welche  die  bio¬ 
logische  Karzinomdiagnose  durchaus  in  Frage  stellen,  anderer¬ 
seits  wieder  ausserordentlich  günstige  Resultate.  Ich  arbeitete 
daher  mit  zahlreichen  Kontrollen,  um  etwa  unbekannten 
Fehlerquellen  auf  die  Spur  zu  kommen,  und  benutzte  das  Ver¬ 
fahren  vor  allem  im  Zusammenhang  mit  der  Klinik  und  ihren 
Untersuchungsergebnissen. 

Die  Fragestellung  war  folgende: 

1.  Wie  verhält  sich  Serum  maligner  Tumoren  zu  ent¬ 
sprechendem  Tumorsubstrat  und  andersartigem,  z.  B.  Kar¬ 
zinomserum  zu  Karzinomeiweiss  bzw.  Sarkomeiweiss? 

2.  Greift  das  Serum  maligner  Tumoren  Plazentaeiweiss 
an  oder  verhält  es  sich  ihm  gegenüber  refraktär? 

3.  Ist  bei  Anstellung  der  Reaktion  der  histologische  Aufbau 
des  Tumors  bei  der  Wahl  des  Substrates  zu  berücksichtigen? 

4.  Lassen  sich  der  Ausfall  der  Reaktion  und  die  klinische 
Diagnose  in  Einklang  bringen  —  was  leistet  die  Methode  bei 
der  Differentialdiagnose,  und  gewinnt  sie  für  die  Prognose  Be¬ 
deutung? 

Bevor  ich  meine  Versuche  selbst  mitteile,  will  ich  auf  die 
Punkte  hinweisen,  die  bei  allen  Untersuchungen  mit  dem 
Dialysierverfahren  unbedingt  berücksichtigt  werden  müssen, 
vor  allen  Dingen  aber  bei  denen,  die  sich  mit  der  Diagnose 
befassen,  Punkte,  die  m.  E.  die  einzige  Grundlage  für  eine 
objektive  kritische  Würdigung  aller  Arbeiten  dieser  Art  bilden. 
Aus  einer  einfachen  zahlenmässigen  Mitteilung  der  Ergebnisse 
ist  nichts  zu  schliessen.  Eine  Mitteilung,  die  besagt,  dass 
nur  25  Proz.  der  Karzinomsera  spezifisch  abbauten,  die  da¬ 
gegen  keinerlei  Angaben  über  das  in  jedem  Fall  verwendete 
Substrat  und  vieles  andere  mehr  macht,  kann  in  ihrem  End¬ 
ergebnis  nicht  beurteilt  werden. 

Stellte  sich  bei  den  Untersuchungen  zwischen  klinischem  Befund 
und  Ausfall  der  Reaktion  eine  Differenz  heraus,  so  machte  ich  zunächst 
nicht  die  Methode,  sondern  meine  Technik  verantwortlich,  deren 
Nachprüfung  in  den  2  von  3  fraglichen  Fällen  eine  Erklärung  gab. 

Als  Dialysiermembranen  wurden  die  Diffusionshülsen  Nr.  579  a 
von  Schleicher  und  Schüll  in  Düren  verwendet.  Nach  Ge¬ 
brauch  wurden  die  Hülsen,  die  selbstverständlich  sorgfältig  geprüft 
waren,  sorgsam  gereinigt  und  über  Nacht  in  fliessendem  Wasser  be¬ 
lassen,  darauf  15  Sekunden  in  kochendes  Wasser  gehalten 2).  Spätestens 
alle  4  Wochen  wurden  die  Hülsen  nachgeprüft.  Tauchte  nur  ein 
Zweifel  an  der  Zuverlässigkeit  einer  Hülse  auf,  so  wurde  sie  aus- 
gcschaltet.  Ich  hatte  stets  2  Reihen  Hülsen,  die  eine  war  im  Ver¬ 
such,  die  andere  wurde  frisch  geprüft  aufbewahrt.  Je  nach  3  bis 
4  Wochen  wurden  die  Reihen  ausgetauscht.  Ergab  sich  nun  ein 
zweifelhaftes  Resultat,  so  konnte  ich  den  Versuch  sofort  ln  sicher 
geprüften  Hülsen  wiederholen. 

Das  Serum  wurde  mit  trockensterilisierter  Punktionsnadel  aus 
der  gestauten  Vena  mediana  cubiti  entnommen,  stets  am  Morgen  bei 


;)  In  der  letzten  Zeit  wurde  dies  vermieden,  um  die  Durchlässig¬ 
keit  für  Peptone  nicht  zu  verändern.  * 


nüchternem  Magen.  In  ca.  6 — 8  Stunden  hatte  sich  durch  Spontan¬ 
gerinnung  bei  Zimmertemperatur  genügend  Serum  abgesetzt.  Be¬ 
währt  haben  sich  mir  neben  Spitzgläschen  vor  allem  die  Kristallisier¬ 
schälchen  mit  4  mm  Durchmesser.  Die  Glasgefässe 3),  wie  überhaupt 
alles,  was  bei  der  Untersuchung  zur  Verwendung  kam,  war  trocken 
sterilisiert.  Das  Serum  wurde  solange  zentrifugiert,  bis  kein  Boden¬ 
satz  sich  zeigte.  In  vielen  Fällen  wurde  darnach  die  Bodenflüssigkeit 
noch  mikroskopiert.  Die  geringste  Spur  von  Hämolyse  muss  zur 
Verwerfung  des  Serums  führen.  Die  strengste  Kritik  ist  dabei  un¬ 
bedingt  notwendig.  Dies  mag  folgender  Fall  zeigen: 

Patient  mit  Verdacht  auf  Carcinoma  ventriculi  überwiesen. 
Klinisch  sicher  abzulehnen.  Serum  tiefgelb,  klar,  anscheinend  ohne 
Hämolyse.  Nur  fällt  auf,  dass  der  obere  Konus  leicht  rötlich  schimmert. 

II.  Versuch.  Serum  (aus  25  ccm 
I  Versuch  Blut)  hellgelb,  klar,  ohne  die  ge- 

(Kontrol'le  Frl.  Bleich.)  rinSste  SP“r  (Kontrolle 

Dr.  Ewald.) 


Hülse 

Serum 

Organ 

R. 

Frl 

Bl. 

Hülse 

Serum 

Organ 

R. 

Dr. 

E 

1 

1  ccm 

_ 

(- 

b) 

<j 

1 

1  ccm 

_ 

_ 

2 

1 

Adenocarc.ventr. 

2 

1  » 

Adenocarc.ventr. 

_ 

_ 

3 

1  ,, 

Plazenta 

(- 

-) 

3 

1  „ 

Plazenta 

— 

4 

1  „ 

Spindelz. -Sark. 

<1 

-) 

4 

1  „ 

Spindelz.-Sark, 

— 

5 

1 

Niere  normal 

5 

1  >. 

Niere  normal 

— 

Die  grösste  Sorgfalt  wurde  auf  die  Zubereitung  und  Prüfung  der 
Substrate  verwendet.  Jedes  Substrat,  das  verwendet  worden,  war 
histologisch  untersucht.  Das  Material  rührte  von  Operationen  her, 
ein  Substrat  (Lebermetastasen  eines  Magenkai  zinoms)  wurde  sofort 
post  mortem  entnommen.  Benutzt  wurde  Plattenepithelkarzinom  der 
Haut,  Plattenepithelcarcinom  portionis  uteri,  Adenokarzinom  des 
Magens  und  der  Mamma.  Lebermetastasen  eines  Adenocarcinomes 
ventriculi,  Carcinoma  adenomatosum  scirrhosum  ventriculi.  Von 
Sarkom  Fibrosarkom  (Spindelzellentypus)  und  Rundzellensarkom.  Ich 
hebe  hervor,  dass  jedes  Substrat  vor  Verwendung  in  den  Versuchen 
eingestellt  war,  d.  h.  Karzinom  z.  B.  wurde  mir  tauglich  gefunden, 
wenn  es  mit  Karzinomserum  positiv  reagierte,  gegen  ein  Schwan¬ 
geren-,  Sarkom-  und  Normalserum  sich  aber  refraktär  verhielt. 
Ferner  musste  es  sich  in  mehreren  Versuchen  mit  sicher  nicht  Kar¬ 
zinomsera  bewähren. 

Ich  füge  meinem  Versuch  einen  kurzen  Abriss  der  klini¬ 
schen  Untersuchungen  4)  bei,  wo  vorhanden  auch  den  Opera- 
tions-  bzw.  Sektionsbefund  und  die  histologische  Diagnose. 

Für  die  Schlussfolgerung  meiner  Untersuchungen  möchte 
ich  ausdrücklich  darauf  hinweisen.  dass  die  mit  *  bezeichneten 
Fälle  unabhängig  von  mir  gleichzeitig  von  Fräulein  Bleich 
untersucht  wurden,  und  dass  unsere  Ergebnisse  in  keinem 
Fall  von  einander  abwichen. 

Das  Ergebnis  der  Untersuchung  lag  gleichzeitig  oder  vor 
der  Operation  vor,  stets  aber  vor  der  histologischen  Diagnose. 


Carcinoma  ventriculi. 


I.  Fälle,  deren  Diagnose  von  vornherein  oder  im  Verlauf  der  klinischen 
Untersuchung  eindeutig  war. 

L  Herr  G.,  49  Jahre,  (Empyema  pleurae  dextr.),  Carcinoma 
ventriculi. 

Vor  4  Wochen  fieberhaft  erkrankt,  heftige  Schmerzen  in  der 
rechten  Seite. 

Reduzierter  Ernährungszustand.  Fieber.  Rechts  hinten  unten 
grosse  Dämpfung.  Leber  2  Finger  unterhalb  Rippenbogen,  glatt,  hart. 
Lebergegend  empfindlich.  9000  Leukozyten.  Urin:  Eiweiss  negativ. 
Zucker  negativ.  Pirquet  negativ.  Wassermann  negativ.  Röntgen¬ 
bild:  freibewegliches  Diaphragma,  darüber  kein  Schatten.  Verdacht 
auf  subphrenischen  Abszess. 


Versuch  I. 
29.  XI.  13. 


Hülse 

Serum  | 

Organ 

R. 

Frl.  Bl. 

1 

1  ccm 

_ 

_ 

2 

1  ,, 

Leber 

— 

_ 

3 

1  1 

Plazenta 

— 

Punktion  im  11.  Interkostalraum.  Bröcklig-eitrige  Massen.  Aus¬ 
sehen  wird  fahler,  Druckgefühl  im  Leibe.  Leber  etwas  vergrössert. 


Versuch  II. 
11.  XII.  13. 


Hülse 

Serum 

Organ 

R. 

1 

1  ccm 

_ 

_ 

2 

1  „ 

Leber 

_ 

3 

1  ,, 

Plazenta 

_ 

4 

1 

Adenocarc.  ventr. 

++ 

5 

1 

Spindelzellensarkom 

Im  Verlauf  lässt  sich  nun  auch  die  klinische  Diagnose  auf  Kar¬ 
zinom  sicher  stellen. 

Sektion:  Adenocarcinoma  ventriculi.  Lebermetastasen  in  aus¬ 
gedehntester  Weise,  so  dass  nur  noch  Inseln  normalen  Lebergewebes. 


3)  Die  Reagenzgläser  waren  aus  Jenaer  Glas. 

4)  Die  Diagnose  in  Klammern  bedeutet  die  Diagnose,  mit  welcher 
die  Patienten  dem  Krankenhause  überwiesen  wurden. 


21.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT*. 


1619 


2.  Frau  M.,  63  Jahre,  Carcinoma  ventriculi. 

Lange  magenleidend.  Zunahme  der  Beschwerden  seit  Oktober 
1913.  50  Pfund  abgenommen. 

Ziemliche  Kachexie.  Nach  Pylorus  zu  Tumor  deutlich  fühlbar. 
Nicht  verschieblich.  Röntgenbild  positiv.  Keine  Retention.  Anazi¬ 
dität,  Milchsäure  negativ.  Stuhl:  Sanguis  positiv 


Hülse 

Serum 

Organ 

R. 

FrL  Bl. 

1 

1  ccm 

_ 

2 

1  ,, 

Rundzellensarkom 

_ 

3 

1  „ 

Zylinderz.-Carc.  ventr. 

-|- 

+ 

4 

1  „ 

Plazenta 

5 

1  ,, 

Gehirn 

— 

3.  Herr  0.,  61  Jahre,  Carcinoma  ventriculi. 

Seit  Wochen  heftige  Magenbeschwerden,  appetitlos,  Erbrechen. 
Gewichtsverlust. 

Starke  Kachexie.  Oberhalb  Nabel  grosser  unverschieblicher 
harter  Tumor,  etwas  empfindlich.  Röntgenbild  positiv.  Keine  Re¬ 
tention.  Anazidität,  Milchsäure  negativ.  Stuhl:  Sanguis  einmal 
positiv.  _ 


Hülse 

Serum 

Organ 

R. 

1 

1  ccm 

_ 

2 

1  „ 

Plazenta 

_ 

3 

1 

Adenocarc.  ventr. 

+ 

4  . 

1  „ 

Adenocarc.  mammae 

+ 

5 

1  ,, 

Spindelzellensarkom 

4.  Herr  E.,  37  Jahre,  (Ulcus),  Carcinoma  ventriculi. 

Seit  6  Wochen  Magenbeschwerden,  selten  Erbrechen.  Appetitlos. 
Starke  Gewichtsabnahme. 

Hochgradige  Kachexie.  Grosser  Tumor  nach  Pylorus,  hart,  un¬ 
empfindlich,  wenig  verschieblich.  Starke  Retention.  Anazidität 
Milchsäure  positiv.  Röntgenbild  positiv. 


Hülse 

Serum 

Organ 

R. 

Frl.  Bl. 

1 

1  ccm 

_ 

2 

1  ,, 

Plazenta 

_ 

3 

1  „ 

Adenocarc.  ventr. 

_ 

4 

1  „ 

Lebermetastasen 

_ 

_ 

5 

1  „ 

Spindelzellensarkom 

— 

Trotzdem  Wiederholung  der  Reaktion5)  keinen  Karzinomabbau 
ergibt,  Festhalten  an  der  Diagnose. 

Operation  wegen  hochgradiger  Pylorusstenose.  Resectio  pylori. 
Makroskopisch  Karzinom.  Mikroskopisch  Zylinderzellenkarzinom  des 
Magens  von  besonders  reiner  und  hochdifferenzierter  Form  und 
einer  ungewöhnlichen  Proliferationsintensität. 

5.  Herr  B.,  47  Jahre,  Carcinoma  ventriculi. 

Seit  einem  Jahre  magenleidend.  Zuletzt  Erbrechen.  Starke  Ab¬ 
nahme. 

Leichte  Kachexie.  Tumor  nach  Pylorus  zu.  Unverschieblich 
Starke  Retention.  Anazidität.  Milchsäure  positiv. 


Hülse 

Serum 

Organ 

R. 

Frl.  Bl. 

1 

1,5  ccm 

_ 

(+) 

3 

1,5  „ 

Plazenta 

+) 

3 

1.5  „ 

Lebermetast.  Adenocarc. 

•Pf 

+ 

4 

1.5  „ 

Rundzellensarkom 

5 

1,5  „ 

Thyreoidea 

T 

Operation:  Makroskopisch  Karzinom  des  Magens.  Karzinomatöse 
Drüsen.  Gastroenteroanastomose. 


6.  Frau  Sch.,  67  Jahre,  Carcinoma  ventriculi. 

Mehrere  Jahre  Magenleiden.  Oft  erbrochen.  Einmal  schwarze 
Massen.  Starke  Abnahme. 

Hochgradige  Kachexie.  Retention.  Anazidität.  Milchsäure 
positiv,  ln  der  Mittellinie  grosser  harter  Tumor.  Nicht  verschieblich. 
Empfindlich. 

I.  II. 


Hülse 

Serum 

Organsubstr. 

R. 

1 

1,5  ccm 

_ 

(- 

b) 

2 

1.5  „ 

Plazenta 

- 

- 

3 

1,5  „ 

Spindelzellensarkom 

- 

- 

4 

1,5  „ 

Lebermet.  Adenoc. 

++ 

5 

1,5  „ 

Niere 

+  ? 

Hülse  Serum 

Organsubstr. 

R. 

Frl.  Bl. 

1 

1  ccm 

_ 

_ 

_ 

2 

1  ,, 

Plazenta 

_ 

3 

1  ,, 

Spindelz. -Sark. 

— 

4 

1  ., 

Lebermetast. 

+ 

+ 

5 

1 

Niere 

7.  Herr  Br.,  64  Jahre,  Carcinoma  ventriculi,  Lues! 

Seit  ca.  10  Jahren  Magenbeschwerden.  Vor  einem  Jahre  plötz¬ 
lich  Ikterus.  Appetitlos.  Gewichtsabnahme. 

Mässiger  Ernährungszustand.  Gelbliche  Verfärbung  der  Haut. 
Grosser  I  umor  der  Leber.  Hart,  einzelne  Knoten  erkennbar.  Anazi¬ 
dität.  Retention.  Milchsäure  positiv. 


Hülse 

Serum 

1 

1  ccm 

2 

1  ,, 

3 

1  „ 

4 

1  ,, 

5 

1  „ 

Organsubstr. 

R. 

Plazenta 

Spindelzellensarkom 

— 

Lebermetast.  Adenocarc. 

+ 

Pankreas 

)  Eine  erneute  Untersuchung  in  letzter  Zeit  ergab  wieder  nega¬ 
tiven  Ausfall  der  Reaktion. 


21.  IV.  14.  Patient  kommt  in  hochgradiger  Kachexie  zur  Auf¬ 
nahme.  Lebertumor,  Knoten  sehr  deutlich. 

12.  V.  14.  Sektion:  Lues  III.  Hepar  lobatun. 

Die  Ab  der  ha.ldensche  Reaktion  zeigte  Abbau  von  Leber- 
metastasen  Da  klinisch  ein  Karzinom  anzunehmen  war,  wurde  der 
Abbau  bedenkenlos  auf  Karzinom  bezogen.  Die  Sektion  ergab 
Lues  II I»  Lues  hepatis.  Im  ersten  Augenblick  wäre  ein  Versagen  der 
Reaktion  anzunehmen  und  doch  lässt  es  sich  einwandfrei  erklären. 
Der  Ausfall  der  Reaktion  war  wohl  spezifisch,  nur  war  er  falsch  ge¬ 
deutet  worden.  Abderhalden  weist  darauf  hin,  dass  man  zur 
Diagnose  eines  Magenkarzinoms  Lebermetastasen  verwenden  soll, 
um  zu  vermeiden,  dass  eventuell  der  Abbau  von  Magenschleimhaut,’ 
die  wohl  stets  in  einem  Substrat  von  Magenkarzinom  noch  vorhanden 
ist,  ein  falsches  Resultat  vortäuschte,  wenn  es  sich  z.  B.  um  ein 
Ulcus  handelt.  Er  hat  selbst  in  dieser  Richtung  hin  Versuche  an¬ 
gestellt.  Da  in  diesem  Falle  starker  Ikterus  und  wie  die  Sektion 
ergab,  vorwiegend  die  Leber  erkrankt  war,  so  ist  der  Abbau 
wohl  auf  Abbau  von  Leberzellen  zurückzuführen  und  nicht 
aut  das  Karzinom.  Es  ergibt  sich  daraus,  dass  man  zur  Diagnose 
womöglich  neben  einem  Substrat  des  betreffenden  Organes,  in  dem 
der  I  umor  vermutet  wird,  ein  neutrales  Substrat  verwendet,  d  h 
von  einem  Organe  herrührend,  von  dem  klinisch  keine  Erscheinungen 
zu  beobachten  sind.  (Vgl.  den  Fall  von  H  a  1  p  e  r  n  und  die  Fälle  von 
Marcus.) 

8.  Frau  D.,  59  Jahre,  Carcinoma  ventriculi. 

2  Jahre  magenleidend,  oft  erbrochen.  Appetitlos.  Starker  Ge¬ 
wichtsverlust 

Hochgradige  Kachexie.  Grosser  unverschieblicher  Tumor. 
Anazidität.  Starke  Retention.  Milchsäure  positiv.  Röntgenbild 
positiv. 


Hülse 

Serum 

O  rgan 

R. 

Frl.  Bl 

1 

1  ccm 

_ 

2 

1  „ 

Plazenta 

_ 

3 

4 

1  „ 

1  „ 

Plattenepith.-Karz. 
Adenocarc.  ventr. 

+ 

5 

I  „ 

Lebermet.  Adenoc. 

+ 

6 

1  „ 

Spindelzellensarkom 

9.  Frau  W.,  72  Jahre,  mehrere  Jahre  magenleidend,  starker  Ge¬ 
wichtsverlust,  oft  erbrochen. 

Starke  Kachexie,  grosser  unverschieblicher  Tumor,  starke  Re¬ 
tention.  Anazidität,  Milchsäure  positiv.  Stuhl:  Sanguis  negativ 
Röntgenbild  positiv. 


Hülse 

Serum 

Organ 

R. 

Frl.  Bl. 

1 

1,5  ccm 

_ 

2 

1.5  „ 

Plazenta 

_ 

3 

1,5  „ 

Plattenepithelkarzinom 

_ 

4 

1,5  „ 

Adenocarc.  ventr. 

-H- 

5 

1,5  „ 

Lebermetast.  (Zylind.) 

++ 

6 

1,5  „ 

Spindelzellensarkom 

10.  Frau  Sch.,  61  Jahre,  Carcinoma  ventriculi. 

In  letzter  Zeit  leichte  Magenbeschwerden,  appetitlos.  Hat  etwas 
abgenommen 

Blasses  Aussehen,  ziemlich  guter  Ernährungszustand.  Im  Epi- 
gastrium  anscheinend  walzenförmiger  Tumor.  In  den  letzten  2  Tagen 
hochgradige  Pylorusstenose,  Retention.  Milchsäure,  Anazidität 


Hülsa 

Serum 

Organ 

R. 

1 

1  ccm 

_ 

2 

1  „ 

Plazenta 

_ 

3 

1  „ 

Lebermetast  (Adenoc.) 

_ 

4 

1  „ 

Scirrh.  adenom,  ventr. 

+ 

■  5 

1  ,, 

Sarkom  Spindelzellen 

6 

1  „ 

Thyreoidea 

— 

Operation:  Resectio  pylori.  Histologische  Diagnose:  Carcinoma 
adenomat.  scirrhos.  ventr. 

H  ^err  St;,  54  Jahre,  (Neurasthenie,  zur  Stellung  der  Diagnose 
für  einen  Tag  überwiesen),  Carcinoma  ventriculi. 

Ausser  nervösen  Beschwerden  nur  Appetitlosigkeit,  sehr  schnell 
hinfällig  geworden. 

Blasser  Mann  von  neurasthenischem  Habitus.  Sehr  hinfällig. 
Magenuntersuchung  und  Röntgenaufnahme  bei  der  gesteigerten  ner- 
vösen  Reizbarkeit  nicht  möglich,  nur  Durchleuchtung  macht  Tumor 
wahrscheinlich,  der  anscheinend  unterhalb  des  rechten  Rippenbogens 
fühlbar. 


Hülse 

Serum 

Organ 

R. 

1 

1,5  ccm 

_ 

2 

1,5  „ 

Plazenta 

_ 

3 

1,5  „ 

Lebermetast.  (Adenoc.) 

+ 

4 

1,5  „ 

Adenocarc.  mammae 

5 

1,5  „ 

Rundzellensarkom 

12.  Herr  B.,  59  Jahre,  Carcinoma  ventriculi,  Lebermetastaseil. 

Seit  2  Jahren  geringe  Magenbeschwerden,  heftig  erst  seit 
14  Tagen.  Magengegend  angeschwollen,  viel  Erbrechen,  kann  nur 
noch  Flüssigkeit  aufnehmen. 

Hohe  Kachexie,  fahl-ikterischcs  Aussehen,  grosser  Tumor  im 
Epigastrium,  hart,  glatt,  unverschieblich,  sehr  empfindlich.  Magen- 
Lebergrenze  nicht  abtastbar.  Magenuntersuchung  unmöglich,  da  bei 
40  cm  Hindernis;  desgleichen  Röntgenaufnahme.  Wassermann  negativ. 

3* 


1620 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  29. 


Hülse 

Serum 

Organ 

R. 

1 

1  ccm 

_ 

— 

2 

1  ,, 

Plazenta 

— 

3 

1  .. 

Leber 

++ 

4 

1  „ 

Lebermetastase 

4+F 

5 

1 

Adenocarc.  tnammae 

++ 

Sektion:  Diffuse  Carcinose  hepatis.  Primäres  Leberkarzinom. 

13.  Frau  D.,  64  Jahre,  seit  einigen  Jahren  magenleidend,  oft  er¬ 
brochen,  starke  Gewichtsabnahme. 

Geringe  Retention,  Anazidität,  Milchsäure  positiv,  Milchsäure¬ 
stäbchen.  Grosser  Tumor  unterhalb  des  linken  Rippenbogens  fühlbar, 
derb,  unregelmässig,  verschieblich. _ 


Hülse 

Serum 

Organ 

R 

1 

1,5  ccm 

— 

(+) 

2 

1,5  „ 

Plazenta 

<+) 

3 

1,5  ,, 

Lebermetastase 

++ 

4 

1,5  „ 

Scirrh.  adenom. 

(+ ) 

5  1 

1,5  „ 

Fibrosarkom 

(4- 

14.  Frau  R.,  53  Jahre,  lange  Jahre  magenleidend,  starker  Ge¬ 
wichtsverlust,  Erbrechen. 

Starke  Kachexie.  Ausgedehnter  Aszites.  Typischer  Magen¬ 
befund.  _ _ 


Hülse 

Serum 

Organ 

R 

1 

1  ccm 

_ 

— 

2 

Plazenta 

— 

3 

Lebermetastase 

+ 

4 

Zylinderz.-Carc.  ventr. 

+ 

5 

*  n 

Pankreas 

— 

(Schluss  folgt.) 


Ueber  „passive“  Uebertragung  der  Fermente  von 
Geisteskranken  auf  Kaninchen. 

Von  Dr.  A.  Fauser  in  Stuttgart. 

Die  Arbeiten  von  Lampe  „Ueber  passive  Uebertragung 
der  sogen.  Abwehrfermente“  (D.m.W.  1914  Nr.  24)  und  die  von 
Abderhalden  und  Qrigorescu,  die  Lampe  in  einem 
Nachtrag  erwähnt  (M.K1.  1914  Nr.  17),  haben  mich  angeregt, 
frühere  Qedankengänge,  die  zu  keinem  sicher  beweisenden 
Ergebnis  geführt  hatten,  wieder  aufzunehmen  und  die  ent¬ 
sprechenden  Verhältnisse  bei  Geisteskranken  zu  prüfen. 
Ich  gebe  in  folgendem  unser  Versuchsprotokoll  —  zunächst 
ohne  Kommentar  —  wieder.  Selbstverständlich  ist  die  Zahl 
meiner  Versuche  bis  jetzt  viel  zu  klein,  um  die  Frage  in  posi¬ 
tivem  Sinn  zu  entscheiden;  immerhin  mögen  sie  zur  Nach¬ 
prüfung  anregen.  Auch  einige  andere  Desiderate  —  so  z.  B. 
die  Forderung,  das  Serum  der  betreffenden  Kaninchen  v  o  r 
der  Injektion  von  fermenthaltigem  Geisteskrankenserum  und 
nach  der  Injektion  von  nichtferment haltigem  Serum 
zu  prüfen,  vielleicht  auch  manche  versuchstechnische  An¬ 
forderungen  —  lassen  sich  ja  nachholen.  Einige  Schluss¬ 
folgerungen,  falls  die  Versuchsergebnisse  bestätigt  werden 
können,  hat  Lampe  in  seiner  genannten  wichtigen  Arbeit 
bereits  angedeutet;  vielleicht  kann  ich  später  auf  dies  und 
arideres  noch  näher  eingehen.  Für  heute  möchte  ich  bloss 
noch  auf  eine  besonders  für  das  klinische  Arbeiten  wich¬ 
tige  Konsequenz  hinweisen.  Wir  Kliniker  empfinden  es  häufig 
als  eine  Hemmung,  dass  wir  bei  unseren  Kranken  die  Unter¬ 
suchung  auf  Fermente  nicht  so  nach  allen  Richtungen  hin  aus¬ 
dehnen  können,  wie  wir  es  gerne  möchten,  weil  selbstver¬ 
ständliche  Rücksichten  auf  unsere  Kranken  (d.  h.  Gründe  der 
Blutökonomie)  uns  sehr  früh  eine  Schranke  setzen;  sollte  es 
gelingen,  mit  einer  kleinen  Menge  Menschenserum  alle  vor¬ 
handenen  spezifischen  Fermente  auf  Tiere  zu  übertragen  und 
sie  dann  im  Blut  dieser  Tiere  jiachzuweisen,  so  wären  uns  in 
der  Menge  des  disponiblen  Blutes  auf  einmal  keine  engen 
Grenzen  mehr  gesteckt  und  wir  könnten  das  Blut  der  vorbe¬ 
handelten  Tiere  und  damit  indirekt  auch  das  des  blutspenden¬ 
den  Menschen  auf  seinen  Gehalt  an  spezifischen  Abwehrfer¬ 
menten  gegenüber  zahlreichen  Organen  prüfen. 

Unser  Versuchsprotokoll  lautet: 

Versuchsprotokoll. 

Versuch  1.  Weibliches  Kaninchen  erhält  am  17.  Juni 
1914,  12  Uhr  mittags  eine  subkutane  Einspritzung  von  1,5  ccm  Serum 
einer  weiblichen  Dementia-praecox-Kranken,  das  bei  wieder¬ 
holten  Untersuchungen  konstant  Ferment  gegen  Ovarien  ergeben 


hatte.  Von  4  Uhr  nachmittags  bis  12  Uhr  mittags  des  darauffolgen¬ 
den  Tages  Karenzzeit.  Dann  Tötung  durch  Entbluten. 


Eingestelltes  Organ 

Serum 

1  ccm 

Reaktion  mit  0,2  ccm 

Ninhydrin 

aktiv  allein 

negativ 

0,5  g  Kuhovarien  .  . 

inaktiv 

negativ 

0,5  g  Kuhovarien  ...  . 

aktiv 

positiv 

nochmals  0, 5  g  Kuhovarien 

II 

positiv 

0,07  g  Kaninchenovarien  . 

II 

schwach  positiv 

0,5  g  Menschentestikel 

»* 

negativ 

0.5  g  Stiertestikel 

1 * 

negativ 

0,5  g  Kaninchenniere 

negativ 

C,5  g  Kaninchenleber  .  . 

0,5  g  Menschengehirn  .  . 

negativ 

II 

negativ 

Versuch  2.  Männliches  Kaninchen  erhält  am  22.  Juni 
1914,  12  Uhr  mittags  eine  subkutane  Einspritzung  von  2  ccm  Serum 
eines  männlichen  Dementia-praecox-Kranken,  das  bei  der  sero¬ 
logischen  Untersuchung  Ferment  gegen  Testikel  gezeigt  hatte. 

Bei  Versuch  2,  wie  bei  den  folgenden  Versuchen  (3,  4  und  5) 
wurden  immer  0,5  g  Organ  angesetzt, 


Eingestelltes  Organ 

Serum 

1  ccm 

Reaktion  mit  0,2  ccm 
Ninhydrin 

Stiertestikel . 

aktiv  allein 
inaktiv 

negativ 

negativ 

Stiertestikel  .  .... 

aktiv 

positiv 

Kaninchen  testikel  .  .  . 

p  o  s  i  1 1  v 

Menschentestikel  .  .  . 

11 

positiv 

Kuhovarien . 

negativ 

Kaninchenleber  .  .  .  . 

positiv  (!) 

Kaninchenniere  .  ... 

1 1 

minimal  positiv 

Menschennebenniere*) 

negativ 

Menschengehirn  .... 

II 

negativ 

')  Ein  gleichzeitig  angesetzter  Versuch  mit  dem  Serum  eines  Addisonkranken  ergab 
(wie  bei  einer  5  Tage  vorher  gemachten  Untersuchung)  positive  Reaktion  mit  Nebenniere. 


Versuch  3.  Weibliches  Kaninchen  mit  2  ccm  Serum  des¬ 
selben  männlichen  Dementia-praecox-Kranken  injiziert  wie  bei 
Versuch  2,  bei  gleicher  Behandlung. 


Eingestelltes  Organ 

Serum 

1  ccm 

Reaktion  mit  0,2  ccm 
Ninhydrin 

aktiv  allein 

negativ 

Kuhovarien  . 

inaktiv 

negativ 

Kuhovarien  ...  . 

aktiv 

negativ 

Kaninchentestikel  .  . 

II 

negativ 

Stiertestikel  .  ... 

negativ 

Menschentestikel  .  . 

negativ 

Kaninchenniere . 

negativ 

Menschenschilddrüse . 

negaiiv 

Menschengehirn . 

negativ 

Menschennebenniere  . 

II 

negativ 

Versuch  4.  Weibliches  Kaninchen  mit  1,5  ccm  Serum 
eines  männlichen  Dementia-praecox-Kranken  injiziert,  wie  bei 
den  vorangehenden  Versuchen.  Auch  in  diesem  Falle  hatte  die  sero¬ 
logische  Untersuchung  Ferment  gegen  Testikel  gezeigt. 


Eingestelltes  Organ 

Serum 

1  ccm 

Reaktion  mit  0,2  ccm 
Ninhydrin 

aktiv  allein 

negativ 

Kaninchenovarien 

aktiv 

negativ 

Kuhovarien  . . 

negativ 

Stiertestikel 

negativ 

Menschentestikel  ^  .  . 

negativ 

Kaninchenniere . 

minimal  positiv  (!) 

Menschengehirn . 

II 

negativ 

i  r  ,, .v. 

desselben  männlichen  Dementia-praecox-Kranken  wie  Versuch  4 
injiziert.  (Das  Serum  dieses  Kaninchens  war  etwas  hämolytisch!) 


Eingestelltes  Organ 

Serum 

1  ccm 

Reaktion  mit  0,2  ccm 
Ninhydrin 

Kuhovarien.  ... 

aktiv  allein 
aktiv 

negativ 

negativ 

Stiertestikel  .  . 

positiv 

Menschentestikel  . 

positiv 

Kaninchenleber . 

negativ 

Kaninchenniere  .  . 

negativ 

Menschenschilddrüse 

minimal  positiv  (!) 

Menschennebenniere  . 

II 

negativ 

Nachtrag  bei  der  Korrektur: 

Wir  haben  in  der  Zwischenzeit  noch  weitere  5  Kaninchen  in¬ 
jiziert: 

a)  2  weibliche  mit  dem  gegen  Ovar,  positiv  reagierenden  Serum 
zweier  (verschiedener)  weiblicher  Dem.-praec.-Kranker.  Reaktion 
mit  Kuh-  und  Kaninchenovar,  positiv,  mit  Stier-  und  Menschentest., 
fernerhin  mit  einer  ganzen  Reihe  anderer  Organe  (von  Menschen  und 
Kaninchen)  negativ. 

b)  1  männliches  Kaninchen  mit  dem  gegen  Ovar,  positiv  rea¬ 
gierendem  Serum  einer  weiblichen  Dem.-praec.-Kranken.  Reaktion 
sowohl  mit  Stier-  und  Kaninchentest.,  wie  mit  Kuhovar.,  wie  mit 
verschiedenen  anderen  Organen  negativ. 

c)  1  männliches  und  1  weibliches  Kaninchen  je  mit  einem  kein 
nachweisbares  Ferment  enthaltenden  Geisteskrankenserum.  Reaktion 
in  beiden  Fällen  mit  männlichen  und  weiblichen  Keimdrüsen  und  den 
anderen  daraufhin  untersuchten  Organen  negativ. 

Es  wurde  also  in  diesen  sämtlichen  Fällen  sowohl  die  Organ-  wie 
die  Geschlechtsspezifität  vollständig  gewahrt;  Injektion  von  nicht- 


21.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1621 


fcrmenthaltigem  Serum  führte  zu  keiner  positiven  Reaktion.  Aus¬ 
führliches  Untersuchungsprotokoll  und  weitere  Erörterungen  (nament¬ 
lich  bezüglich  Herkunft  der  Fermente)  ev.  später! 


Aus  der  Universitäts-Frauenklinik  Tübingen 
(Direktor:  Professor  S  e  1 1  h  e  i  m). 

Die  Dauerirrigation  der  Harnblase  und  des  Nierenbeckens. 

Von  Prof.  Dr.  Ernst  Holzbach.  Assistenzarzt  der  Klinik. 

Dass  wir  um  einen  gewissen  Prozentsatz  von  postope¬ 
rativen  Zystitiden  nicht  herumkommen,  hat  in  der  eigenartigen 
Störung  der  Blasenfunktion  nach  operativen  Eingriffen  seinen 
guten  Grund.  Eine  spontane  Miktion  lässt  sich  trotz  aller  Hilfs¬ 
mittel,  auch  der  modernen  wie  etwa  der  Glyzerininjektion  in 
die  Blase  oder  von  Pituitrineinspritzungen,  in  vielen  Fällen  ein¬ 
fach  nicht  erzwingen.  Und  katheterisieren  wir  erst,  dann  bringen 
wir  Keime  in  die  in  ihrer  Blutversorgung  beeinträchtigte,  oft 
ganz  aus  ihren  Lagern  herausgelöste  Blase.  Damit  ist  die 
Zystitis,  selbst  wenn  man  dem  Katheterismus  prophylaktisch 
Spülungen  anschliesst.  meist  in  wenigen  Tagen  fertig. 

Auch  ohne  Katheterismus  kommt  es,  durch  Spontanaszen- 
sion  von  Spaltpilzen  aus  der  Harnröhre  in  die  Blase,  zur  Zystitis 
in  allen  den  Fällen,  bei  denen  eine  Urinentleerung  zwar  von 
reibst  und  auch  häufig,  aber  nie  vollständig  erfolgt.  B  a  i  s  c  h 
hat  in  seiner  Arbeit  über  Zystitis  (Hegars  Beitr.  1904  Bd.  8) 
auf  diese  Fälle  ganz  speziell  hingewiesen.  Den  Mechanismus 
des  Zustandekommens  der  Störung  habe  ich  gelegentlich 
spezieller  Untersuchungen  über  die  Funktion  des  Harnappa¬ 
rates  nach  Operationen  (Zschr.  f.  gyn.  Urol.  1909  Bd.  1)  be¬ 
schrieben. 

Diese  „Stagnationszystitiden“  sind  nach  unserer  Erfahrung 
oft  die  allerhartnäckigsten;  besonders  wenn  erst  einmal  die 
Blase  durch  Nichtbeachtung  der  Retention  überdehnt  ist.  Und 
gerade  bei  ihnen  droht  nach  unserer  Erfahrung  aufsteigendc 
Infektion,  Pyelitis,  Paraureteritis  etc.  Aber  gleichgültig, 
welcher  Provenienz  der  Blasenkatarrh  ist,  eine  höchst  unan¬ 
genehme  Zugabe  ist  er  für  Patientin  und  Arzt  unter  allen 
Umständen.  Leider  nicht  zuletzt  deswegen,  weil  die  Therapie 
so  viel  zu  wünschen  übrig  lässt. 

Ist  die  Entzündung  erst  über  das  akute  Stadium  hinaus, 
und  kommen  wir  mit  konservativen  Massnahmen  —  Ruhe, 
Wärme,  viel  Flüssigkeit,  Urotropin  etc.  —  nicht  zum  Ziele, 
dann  tritt  die  Lokalbehandlung  in  ihr  Recht.  Die-  souveräne 
Form  derselben  ist  die  Blasenspülung.  Es  erübrigt  sich,  auf 
das  Wann  und  Wie  hier  ausführlicher  einzugehen.  Nur  die 
Fälle  sind  mir  wichtig,  bei  denen  eine  prompte  Wirkung  der 
Blasenwaschungen  ausbleibt,  und  bei  denen  es  zu  dem  überaus 
lästigen  Bild  der  sich  über  Monate  hinziehenden  chronischen 
Form  u.  a.  mit  sekundärer  Infektion  der  oberen  Harnwege 
kommt. 

Die  mehrmals  täglich  auszuführende  Blasenspülung  ist  für 
die  Patientin  eine  Qual,  für  den  Arzt,  der  die  Vornahme  der 
eine  gewisse  Kritik  voraussetzenden  Manipulation  nicht  dem 
Pflegepersonal  überlassen  will,  eine  Quelle  von  Unannehm¬ 
lichkeiten.  Man  ist  nicht  immer  in  der  Lage,  derartige  Fälle 
einer  septischen  Abteilung  zuzuführen,  auf  die  sie  gehören. 
Oft  zögert  man  auch,  in  der  Hoffnung,  der  Sache  doch  bald 
Herr  zu  werden.  Und  so  belasten  sie  dann  wochenlang  den 
Betrieb  einer  operativen  Station. 

Solchen  Unzuträglichkeiten  beugt  eine  Methode  vor,  die 
ich  im  letzten  Winter  ausprobiert  habe,  und  die  den  Vorzug 
hat,  wesentlich  mehr  in  der  Heilung  des  Prozesses  zu  leisten 
als  unsere  sämtlichen  bisher  gebräuchlichen  Verfahren. 

Ich  kombiniere  die  Vorteile  des  Dauer¬ 
katheterismus,  also  der  absoluten  Ruhig¬ 
stellung  der  Blase,  mit  denen  einer  über 
viele  Stunden  ausgedehnten  Irrigation  des 
kranken  Organs. 

Der  doppelläufige  Dauerkatheter,  den  mir  die  Firma  R  ii  s  c  h  in 
Rommelshausen  (Württemberg)  herstellt,  und  der  durch  alle  Spezial¬ 
geschäfte  zu  beziehen  ist,  wird  in  die  Blase  cingefiihrt.  Das  Zu- 
f  1  u  s  s  r  o  h  r  des  Katheters  ist  doppelt  so  weit  als  das  ab¬ 
führende.  Es  wird  mit  einem  gegen  Wärmeabgabe  isolierten 
Irrigator  verbunden,  der  am  Bett  selbst  aufgehängt  ist.  Höher¬ 
und  I  ieferhängen  des  Irrigators  reguliert  den  Druck,  mit  dem  die 


Spülflüssigkeit,  meist  2  proz.  Borlösung,  eiufliesst.  Das  enge  Aus¬ 
flussrohr,  das  durch  dünnen  Gummischlauch  bis  in  ein  unter  dem 
Bett  stehendes  Becken  verlängert  wird,  lässt  dieSpülfliissig- 
keit  nicht  in  dem  Tempo  abfliessen,  in  dem  sie  in 
die  Blase  e  i  n  s  t  r  ö  m  t.  Dadurch  füllt  sich  die  Blase.  Ihre 
Wände  entfalten  sich;  alle  Winkel  und  Buchten  werden  ausgiebig  be¬ 
rieselt  und  gesäubert.  Sobald  die  Patientin  Druckgefühl  wahrnimmt, 
die  Blase  also  ganz  gefüllt  ist, 
wird  der  Irrigator  etwas  tiefer 
gehängt.  Der  Zufluss  stellt  sich 
dementsprechend  ein,  und  einer 
Ueberdehnung  wird  vorgebeugt. 

Sind  auf  diese  Weise  etwa  2  bis 
2'lt  Liter  der  Desinfektionsflüssig¬ 
keit  im  Laufe  einer  Stunde  durch 
die  Blase  durchgeflossen,  dann  stellt 
man  den  Zufluss  ab.  DanrU  wird 
wieder  gespült  und  so  entsprechend 
den  Anforderungen  des  Falles  mit 
Dauerirrigation  und  Ruhigstellung 
beliebig  oft  abgewechselt.  Der 
Katheter  bleibt  10 — 14  Tage  liegen.  ^ 

Ihn  durch  einen  neuen  zu  ersetzen,  rr? 

ist  meist  nicht  mehr  notwendig. 

Ob  man  Gummi-  oder  Glaskatheter  verwendet,  scheint  mir  in 
praxi  ziemlich  gleichgültig  zu  sein.  Kapriziert  sich  einer  auf  Glas, 
so  wird  es  keinem  Glasbläser  Schwierigkeiten  machen,  den  Skene- 
schen  Pferdefuss  entsprechend  zu  modifizieren 

Von  dem  primitiven  Versuch  einer  Dauerirrigation  der 
Blase  berichtet  Stoeckel  in  Veits  Handbuch.  Zwei  an¬ 
einandergenähte  Gummischläuche  fungieren  dabei  als  Einfluss- 
und  Abflussrohr.  Ein  12  Liter  (!)  fassender  Irrigator  enthält 
die  Spülflüssigkeit.  Stoeckel  schreibt,  dass  zwei  Bedenken 
gegen  die  Methode  sprechen:  1.  lässt  sich  die  Irrigations¬ 
flüssigkeit  schwer  auf  gleichmässiger  Temperatur  halten  und 
2.  fliesst  sie  sofort  wieder  ab,  ohne  mit  dem  grössten  Teil  der 
Blasenwand  in  Kontakt  gekommen  zu  sein. 

Beide  Fehler  sind  hier  vermieden.  Die  Entfaltung  der 
Blase  ist  ausgiebig  und  kann  ganz  nach  Wunsch  gesteigert 
oder  herabgesetzt  werden.  Man  braucht  nur  den  Abfluss  — 
durch  Abstellhahn,  Schlauchklemme  o.  ä.  —  entsprechend  zu 
drosseln.  Und  jede  2  Liter-Thermosflasche  mit  doppelt  durch¬ 
bohrtem  Stöpsel  und  Luftrohr,  umgekehrt  aufgehängt,  gibt  den 
gewünschten  Dauerirrigator,  der  die  Flüssigkeit  stundenlang 
auf  gleicher  Temperatur  hält.  Teuere  Apparate,  wie  ich 
sie  zu  ähnlichen  Zwecken  einmal  in  der  M.m.W.  1911,  Nr.  21 
beschrieben  habe,  sind  dazu  gar  nicht  notwendig. 

Die  Handhabung  ist  ausserordentlich  sauber  und  einfach. 
Die  Krankenschwester  füllt  zu  bestimmten  Stunden  Spülflüssig¬ 
keit  ein  und  stellt  den  Zufluss  nach  Bedarf  ab.  Der  Arzt 
braucht  lediglich  bei  der  Visite  das  richtige  Funktionieren  der 
Vorrichtung  zu  kontrollieren. 

Die  Heilungsschancen  sind  die  denkbar  günstigsten.  Die 
Vorteile  der  Methode  liegen  auf  der  Hand. 

Das  Prinzip  dieser  Behandlungsart  habe  ich  mir  auch  zur 
Therapie  hartnäckiger  Pyelitiden  nutzbar  gemacht.  Die 
Vorzüge  der  von  Stoeckel  inaugurierten  Nierenbecken¬ 
spülungen  sind  ja  bekannt.  Doch  gibt  es  auch  hier,  speziell 
unter  den  Schwangerschaftspyelitiden,  Fälle,  die  nur  zögernd 
reagieren.  In  solchen  Fällen  liess  ich  einen  bis  ins  Nieren¬ 
becken  vorgeschobenen  doppelläufigen  Ureterkatheter 
-  gleichfalls  von  der  Firma  R  ü  s  c  h  hergestellt  —  36  Stunden 
liegen  und  2  mal  12  Stunden  lang  eine  Dauerberieselung  des 
Eiterreservoirs  ausführen.  Das  Abflussrohr  darf  hierbei  kein 
kleineres  Lumen  haben  als  das  zuführende,  da  sonst  Tenesmen 
auftreten.  Aus  dem  gleichen  Grunde  verbieten  sich  prolon¬ 
gierte  Spülungen  mit  dem  einläufigen  Ureterkatheter:  der  Ab¬ 
fluss  neben  dem  Rohr,  also  durch  den  Ureter,  ist  nicht  gewähr¬ 
leistet,  und  es  kommt  meist  prompt  zu  heftigen  Schmerz¬ 
äusserungen. 

Mit  der  Bekanntgabe  dieses  Verfahrens  einer  dauernden 
Berieselung  des  Nierenbeckens  möchte  ich  zunächst  nur  zu 
Versuchen  auffordern.  Dagegen  kann  ich  die  Z  y  s  t  i  t  i  s  b  e  - 
handlung  durch  Dauerirrigation  der  Blase 
mit  dem  doppelläufigen  Verweilkatheter 
heute  schon  bestens  empfehlen. 


1 622 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  29. 


Aus  dem  Sanatorium  Dr.  S  c  h  ü  t  z  -  Wiesbaden. 

Chronische  Magen- Darmdyspepsie,  Colitis  gravis  und 

Leberzirrhose*). 

Von  Dr.  R.  Schütz. 

M.  H.!  Ich  habe  bereits  vor  6  Jahren  darauf  hin¬ 
gewiesen  [1],  dass  die  chronische  Magen-Darmdyspepsie  und 
die  chronischen  dyspeptischen  Diarrhöen  eine  gewisse  ätio¬ 
logische  Bedeutung  besitzen  für  die  Entzündung  des  Darms. 
Bei  keinem  unter  zahlreichen  Patienten  fehlte  die  Schleim¬ 
sekretion  auf  die  Dauer  ganz,  wenn  sie  auch  bei  der  Mehrzahl 
im  allgemeinen  massig  war,  ja  zeitweise  aussetzte.  Diese 
wenig  ausgedehnten,  anscheinend  harmlosen  Katarrhe  er¬ 
schienen  jedoch  dadurch  bemerkenswert,  dass  im  Schleim 
recht  häufig  Erythro-  und  Leukozyten,  besonders 
letztere,  in  grosser  Zahl  sich  fanden  *).  Sie  zeigen  also  Nei¬ 
gung  zu  tiefergehender  Entzündung,  selbst  Geschwürsbildung, 
und  wenn  sie,  wie  es  scheint,  trotzdem  meist  ausheilen,  so 
können  sie  doch  in  anderen  Fällen  zu  ernsteren  Folgezuständen 
führen.  Deren  konnte  ich  schon  damals  einige  mitteilen:  zwei 
Fälle  schwerer  eitriger  Kolitis,  ein  dritter  mit  hämorrhagischer 
Entzündung  der  Rektumschleimhaut.  Ein  weiterer  Fall  betrifft 
eines  der  drei  Geschwister,  die  ich  seit  jetzt  10  Jahren  be¬ 
obachte  [l,  2];  dieses  Mädchen  erlitt  mehrere  Jahre  nach 
dem  Krankheitsbeginn  eine  erhebliche  Darmblutung  —  an¬ 
scheinend  Dünndarmgeschwür  —  und  machte  vor  nunmehr 
3  Jahren,  d.  h.  7  Jahre,  nachdem  die  Dyspesie  zuerst  fest¬ 
gestellt  war,  im  Laufe  weniger  Monate  3  mal  eine  fieberhafte 
Wanderkrankung  des  Kolon  durch  [Colon  transversum  und 
descendens] 2). 

Abgesehen  von  einem  im  gleichen  Jahre  (1908)  durch 
Rosenheim  [3]  mitgeteilten  Falle,  den  A.  Schmidt  nach 
Rosenheims  Angabe  als  gastrogen  auffasste,  scheint  der 
Zusammenhang  zwischen  Dyspepsie  und  Colitis  gravis  kaum 
beachtet  zu  sein;  Schmidt  selbst  spricht  in  seinem  Lehrbuch 
vom  vorigen  Jahre  [4]  bei  der  Colitis  gravis  nur  von  einer 
ausserordentlichen  Empfindlichkeit  der  Dickdarmschleimhaut 
gegen  die  gewöhnlichen  katarrherregenden  Schädlichkeiten. 

Ich  kann  heute  über  vier  Fälle  berichten,  in 
denen  schwere  und  schwerste  Entzündung 
der  Darm  wand  als  direkte  Komplikation 
kam. 

Mit  einigen  Worten  möchte  ich  vorher  auf  einen  zweiten  der 
von  Rosenheim  damals  mitgeteilten  Fälle  von  Colitis  gravis  [3] 
eingehen,  den  eines  13  Jahre  alten  Mädchens.  Ich  habe  dieses  Kind 
bU  Jahre  vor  Rosenheim  einige  Male  in  der  Sprechstunde  ge¬ 
sehen,  zu  einer  Zeit,  da  noch  keine  Colitis  gravis,  dagegen  seit  3  Mo¬ 
naten  dyspeptische  Diarrhöen  bestanden.  Der  von  uns  in  jener  ersten 
Zeit  der  Krankheit  wiederholt  gemachte  Befund  ausgesprochen  dys- 
peptischer  Fäzes  spricht  dafür,  dass  die  Kolitis  auf  dem  Boden 
einer  Magen-Dünndarmstörung  entstanden  ist,  deren  Prognose  mir 
von  vorneherein  zweifelhaft  erschien,  weil  schon  damals  sich 
eiterhaltiger  Schleim  fand. 

Betreffs  der  Krankengeschichten  beschränke  ich  mich  auf 
einige  wenige  Bemerkungen  (siehe  Schluss  der  Arbeit!). 

Es  handelt  sich  um  2  Frauen  von  26  resp.  36  Jahren,  einen 
28  jährigen  Studenten  und  ein  Kind  von  1  Jahr.  Die  Frauen  habe  ich 
je  3  Monate  klinisch  behandelt,  der  junge  Mann  ist  von  Anfang  August 
vorigen  Jahres  bis  heute  (Juni  1914)  in  meiner  Anstalt.  Alle  litten 
seit  Monaten  resp.  seit  Jahren  an  Diarrhöen  und 
boten  bei  ihrer  Aufnahme  einen  ausgesprochen  dyspep¬ 
tischen  Fäzesbefund  (Muskelgewebe  und  Fett,  2  zugleich 
Stärke,  und  zwar  trat  bald  mehr  die  eine,  bald  mehr  die  andere 
Störung  hervor).  Bei  den  beiden  Frauen  war  die  Insuffizienz  be¬ 
sonders  hochgradig  und  anhaltend,  bei  dem  jungen  Mann  verläuft 
sie  unregelmässiger,  ist  aber  häufig  gleichfalls  sehr  bedeutend 
(Ausscheidung  grosser  makroskopischer  Fleischreste,  Gärungs- 


*)  Vortrag,  gehalten  auf  der  ersten  Tagung  über  Verdauungs¬ 
und  Stoffwechselkrankheiten,  Homburg  v.  d.  H„  April  1914. 

*)  So  habe  ich  bei  einigen  Kindern  innerhalb  kurzer  Zeit  15  bis 
20  mal  Eiter  in  einzelnen  Schleimflöckchen  gefunden,  die  erst  bei 
sorgfältigem  Durchsieben  des  ganzen  Stuhles  sichtbar  wurden. 

2)  Auch  dafür,  dass  die  chronischen  dyspeptischen  Diarrhöen  auf 
dem  Wege  einer  Infektion  vom  Darm  aus  weitere  schwere  Erkran¬ 
kungen,  selbst  Sepsis  herbeiführen  können,  habe  ich  schon  damals 
Beispiele  erbracht  und  will  hier  nur  bemerken,  dass  ich  vor  einigen 
Jahren  ein  Kind  behandelt  habe,  das  nach  mehrjähriger  schwerer 
Magendarmdyspepsie  an  einer  Koliinfekticn  der  Harnwege  zugrunde 
ging. 


Stühle).  Die  eine  Kranke  schied  14  Tage  nach  Beginn  un¬ 
serer  Behandlung,  während  die  Temperatur  rasch  über  39  anstieg, 
einige  Tage  Blut  und  Eiter  in  den  Stühlen  aus,  ebenso  6  Wochen 
später.  Bei  der  zweiten  entwickelte  sich  unter  unseren  Augen  eine 
Kolitis  mit  hochgradiger  Druckempfindlichkeit  und  Schwellung  des 
Darmrohrs,  oberflächlichen  Ulzerationen  der  Schleimhaut,  Abgängen 
von  Blut  und  Eiter,  Thrombose  beider  Femoralvenen,  starkem  Kräfte¬ 
verfall.  Fieber  bestand  niemals.  Unter  Diät,  Magenausspülungen  etc. 
heilte  die  Kolitis  im  Verlauf  vieler  Wochen  ab,  während  die  Insuffi¬ 
zienz  nach  %  Jahr  fortbestand. 

In  den  Stühlen  des  Studenten  fand  sich  4  Wochen  nach  der  Auf¬ 
nahme  zum  ersten  Male  etwas  Blut,  bald  darauf  Anhäufungen  weisser 
Blutkörperchen,  sowohl  in  kleinen  Schleimflocken,  als  in  der  Fäzes¬ 
masse  selbst.  Nach  einem  weiteren  Monat  setzte  plötzlich  unregel¬ 
mässiges,  zum  Teil  stark  remittierendes  Fieber  ein,  das  mit  kurzen 
Pausen  bis  heute  besteht.  Mit  den  Fieberanfällen  wurde  der  Eiter 
reichlicher,  zeitweise  zeigte  das  Fäzesbild  überhaupt  nichts  ausser 
Eiterzellen.  Der  Leib  ist  die  ganze  Zeit  über  mässig  aufgetrieben, 
das  Kolon  niemals  ausgesprochen  druckempfindlich. 

Zeitweilig  geringe  Leber-  und  deutliche  Milzschwellung,  im  Urin 
oft  Gallenfarbstoff  und  viel  Indikan. 

Romanoskopischer  Befund  September  und  November  v.  .1.  nega¬ 
tiv,  Mitte  April  Rektumschleimhaut  geschwollen  und  leicht  blutend, 
keine  grösseren  Geschwüre. 

Der  letzte  Fall,  über  den  Ihnen  zu  berichten  mir  das 
liebenswürdige  Entgegenkommen  der  Herren  Weintrau  d, 
W.  Koch  und  Herxheimer  ermöglicht,  betrifft  ein  ein¬ 
jähriges  Kind  und  ist  auch  insofern  von  besonderem  Inter¬ 
esse,  als  er  durch  eine  Leberzirrhose  kompliziert  wurde. 

In  der  Familie  nichts  von  Tuberkulose  und  Lues,  Eltern  und 

5  ältere  Geschwister  gesund,  Wassermann  und  Pirquet  (wiederholt) 
bei  dem  kranken  Knaben  negativ.  Dieser,  zur  richtigen  Zeit  geboren, 
entwickelte  sich  während  der  ersten  5  Monate  (Muttermilch)  gut  und 
hatte  niemals  eine  Darmstörung,  dann  wurde  er  wegen  schlechten 
Befindens  der  Mutter  abgesetzt  und  mit  Kuhmilch.  Haferschleim, 
Zwiebacken  ernährt. 

Bald  darauf  zunehmende  Blässe,  Gewichtsabnahme,  Erbrechen, 
Durchfälle,  Temperatursteigerungen.  Mit  7M>  Monaten  Aufnahme  in 
das  hiesige  städtische  Krankenhaus  (Prof.  Weintraud);  Gewicht 
5760  g,  starke  Anämie,  geringe  Rachitis,  grosse  Schwäche.  Leber 
ca.  3  Ouerfinger  unterhalb  des  Rippenbogens  fühlbar,  Milz  eben  pal- 
pabel;  in  den  Stühlen  zeitweise  Schleim  und  etwas  Blut. 

Nach  der  Entlassung  aus  dem  Krankenhause  bald  wieder  Diar¬ 
rhöen  und  Erbrechen,  Fieber  und  Gewichtsabnahme  Deshalb 

6  Wochen  später  ins  hiesige  Paulinenstift  aufgenommen  (Dr.  W. 
Koch),  Dort  entwickelten  sich  unter  anfänglich  geringen,  später 
höheren  (über  39°),  unregelmässigen  Temperaturen  ausgedehnte 
bronchopneumonische  Prozesse;  die  Leber,  anfangs  in  der  Mammillar- 
linie  2Vi  Ouerfinger  unter  dem  Rippenbogen  palpabel,  schwoll  rasch 
erheblich  an,  so  dass  sie  schon  nach  2'A  Wochen  den  Rippenbogen 
um  7K  bis  8  cm  überragte  —  dazu  starke  Milzschwellung,  Aszites, 
Oedeme  etc.,  Exitus. 

Die  Sektion  (Prof.  Herxheimer)  ergab:  Leberzirrhose,  Le¬ 
ber  in  allen  Teilen  stark  vergrössert,  an  der  Oberfläche  grob  granu¬ 
liert;  sehr  blutreicher  Milztumor;  Duodenal-  und  Dünndarmschleim¬ 
haut  blass  und  geschwollen,  viel  Schleim,  Dickdarmschleimhaut 
hyperämisch,  zeigt  zahlreiche  dysenterieartige  Geschwüre.  Im 
Dünn-  und  Dickdarm  Rundzelleninfiltration.  Sehr  stark  vergrösserte 
und  entzündlich  veränderte  Mesenterial-  und  retrogastrale  Drüsen.  In 
Darmwand  und  Lymphdrüsen  keine  Bakterien. 

Es  handelt  sich  also  bei  diesen  vier  Patienten  um 
schwere  Darmentzündung,  wie  die  Entleerung  von 
Eiter  und  Blut  per  rectum  beweist.  Bei  der  einen  der  Frauen, 
bei  der  Blut  und  Eiter  nur  ganz  vorübergehend  auftraten, 
wurde  romanoskopisch  nicht  untersucht,  dagegen  liegt  betreffs 
des  Kindes  das  Sektionsergebnis  vor,  bei  dem  jungen  Manne 
und  der  zweiten  Frau  der  romanoskopische  Befund,  bei  letz¬ 
terer  war  ausserdem  durch  die  äusserliche  Palpation  eine 
Wandentzündung  des  ganzen  Colon  descendens  nachweisbar. 

Differentialdiagnostisch  wurde  auf  Tuberkulose  untersucht 
(2.,  3.,  4.  Fall),  auch  im  Tierversuch  (3.,  4.  Fall);  es  wurde  auf 
Typhus,  Paratyphus,  Dysenterie  agglutiniert  (3.,  4.  Fall)  —  alles 
mit  negativem  Ergebnis,  ebenso  Wassermann  negativ  (2., 
3.  Fall).  Zeichen  einer  Peritonitis  bestanden  bei  keinem  der 
Kranken,  ebensowenig  war  ein  ausserhalb  des  Darms  ge¬ 
legener  Krankheitsherd  nachweisbar. 

Gemeinsam  ist  den  vier  Fällen  das  Be¬ 
stehen  einer  ausgesprochenen  Dünndarm¬ 
dyspepsie.  Bei  dem  Kinde,  das  ich  selbst  nicht  behandelt 
habe,  wurden  allerdings  keine  genauen  Stuhluntersuchungen 
gemacht,  jedoch  hat  nach  der  Anamnese  fraglos  eine  Dyspepsie 
Vorgelegen,  ein  Nährschaden  im  Säuglingsalter,  an  dem  ebenso¬ 
wohl  die  Kuhmilch,  als  die  Stärkenahrung  beteiligt  war. 


21.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


Und  so  ist  dieser  Fall  besonders  eindrucksvoll:  die  Ueber- 
lastunff  der  y  erdauungsorgane  durch  unzweckmässige  Nahrung 
und  ic  ans  jener  folgende  funktionelle  Schädigung  des  Magen- 
Darmkanales  fuhrt  bei  einem  bis  dahin  gesunden  Säugling  un¬ 
mittelbar  zu  einer  schweren  Wanderkrankung  des  Darms  und 
zu  Hepatitis. 

FäMnVS<$  S1Cier’  d-ass  die  Dyspepsie  in  allen 
Fallen  das  Primäre  war  und  der  Darment¬ 
zündung  um  W  o  c  h  en  (bei  dem  Kinde),  ja  um  Mo¬ 
nate  und  langer  (bei  den  übigen  Kranken)  vor¬ 
an  s  g  1  n  g,  ebenso,  dass  sie  bei  den  beiden 

F.r  a  a  ?.n  üaC  Ld  em  Aufhören  der  schweren  ent¬ 
zündlichen  Erscheinungen  fortbestand. 

Gerade  diese  Beobachtungen  sind  für 
unsere  Auffassung  ausschlaggebend.  Denn  der 

gleichzeitige  Befund  einer  Dünndarminsuffizienz  und  einer  Co¬ 
litis  gravis  beweist  nicht  ohne  weiteres  den  angenommenen 
Zusammenhang.  Wie  Sie  in  der  Krankengeschichte  des  jungen 
Mannes  sehen  werden,  wurde  mit  der  Entwicklung  der  Dick- 
darmentzundung  die  Dünndarminsuffizienz  noch  deutlicher,  und 
man  kann  die  Möglichkeit  nicht  von  vornherein  abweisen,  dass 
die  durch  das  schwere  Dickdarmleiden  bedingte  Anämie  und 
Entkräftung  ihrerseits  die  Dünndarminsuffizienz  noch  gesteigert 
habe.  (Möglicherweise  gehören  die  von  A.  Schmidt  und 
Baumstark  [4]  beobachteten  Fälle  zu  dieser  Kategorie.) 

In  der  Sicherstellung  der  Aufeinander’- 

u/  ^UndP-d,‘,eSes  ZusammenhanSes  darf  der 
Wert  der  Falle  gesehen  werden. 

Bemerkenswert  ist  die  bei  zwei  Patienten  erwiesene 

rCk-Ui!!SS  -u  d  e.  nz;  sie  stimrnt  mit  der  oben  erwähnten 
eobachtung  überein,  dass  mehr  oder  weniger  häufig  Eiter 
sich  im  Schleim  mancher  Dyspepsiekranken  findet,  die  niemals 
“-er  Darmentzündung  erkranken.  Derartige  leichtere 
Kolitisfalle  entgehen  möglicherweise  öfter  der  Beobachtung. 

Wie  kommt  es  nun,  dass  in  manchen  Fällen  die  Dyspepsie 
\on  so  schweren  Erkrankungen  der  Schleimhaut  und  Darm- 
wand  gefolgt  wird,  während  so  viele  Dyspeptiker  ihre  Magen- 
Dunndarmmsuffizienz  und  selbst  starke  Diarrhöen  viele  Jahre 
ja  Jahrzehnte  ohne  erhebliche  Beeinträchtigung  ihres  Allge- 

KatarrhStkommt?rtragen’  ^  °hne’  daSS  6S  ZU  einem  stationären 

wrcD,le  Erklärung  ist  wohl  in  der  Annahme  zu  finden,  dass  bei 

h,  Inn  l'edeneu  Pe^S0nen  eine  verschieden  grosse,  bei  manchen 
besonders  hochgradige  Empfindlichkeit  der 

kehen^esteht6  '  m  h  3  U  t  gegenüber  den  pichen  Schädlich- 

Diese  Schädlichkeiten  müssen  in  der  abnormen  Be- 
sctiatfenheit  und  Zusammensetzung  des  Ma- 
gendärminhaltes  liegen,  und  zwar  abnorm  hinsichtlich 
seines  mechanischen,  noch  mehr  seines  chemischen  Zustandes 
abnorm  infolge  einer  pathologischen  Verdauungs- 
i  eit,  vor  allem  infolge  des  Eingreifens  einer  patho¬ 
logischen  Darmflora. 

Ich  habe  zuerst  darauf  hingewiesen,  dass  die  Dyspeptiker 
-nie  gegen  die  Norm  veränderte  Darmflora  besitzen  [5]  und 
iahe  zugleich  betont,  dass  diese  zunächst  sich  nur  deshalb 
-ntwickelt,  weiI.ein  abnormer  Nährboden  wilde  Keime  auf- 
vommen  lässt,  die  normalerweise  zugrunde  gehen. 

ndes  ist  zu  erwarten,  dass  die  Bakterien,  die  auf  dem 
Joden  einer  primären  Verdauungsinsuffizienz  wachsen,  ihrer- 
'Oi  ts  gewisse  Wirkungen  entfalten  können. 

Diese  betreffen  zunächst  den  Verdauungsvorgang 
-  abnorme  Fäulnis  und  Gärung  (durch  deren  Produkte 
ie dingte  Reizung  der  Darmschleimhaut,  anderer¬ 
em  1  ntoxikationsvorgänge,  enterogene  Tetanie  etc.) 

7. abe,r  auch  Entwicklung  virulenter  Arten,  oder 
virulent  wer  den  des  eigenen  B.  coli,  schwerere 
mtzundungen. 

Die  bakteriziden  Eigenschaften  des  Dünn- 
larms  die  nach  meinen  Versuchen  [6]  als  eine  Funktion  der 
>chleimhautepithelien  erscheinen,  regulieren  normalerweise 
ias  Bakterienwachstum  im  Darm.  Sie  können  bei  Dyspepti- 
.ern  völlig  versagen,  wie  der  von  mir  mitgeteilte  Fall  chroni- 
chen  massenhaften  Bakterienwachstums  beweist  [7],  und  sind 


_ _ _ 1623 

herabgesetzt*56  3,160  diesen  FalIen  mehr  oder  weniger 

Der  Dünndarm  geniesst  auch  unter  diesen  Verhält¬ 
nissen  einen  gewissen  Schutz  durch  seine  lebhafte  Peristaltik 
die  ihn  immer  wieder  entleert.  Und  so  wird  in  erster  Linie 
der  Dickdarm  betroffen,  die  Hauptsiedelungsstätte  der  Darm¬ 
bakterien. 

Na  ch  alledem  käme  den  Dyspepsien  als 
modifizierendem  Moment  des  Darminhaltes 

und  spezie  llder  Darmfl°rafürdieEntstehung 

der  Dickdarmentzündungen  möglicherweise 
eine  allgemeinere  Bedeutung  zu. 

Von  besonderem  Interesse  ist  die  bei  dem  K  i  n  d  e  im 
ersten  Lebensjahr  beobachtete  Leberzirrhose. 
7  ie  wissen,  dass  man  heute  die  Alkoholwirkung  in  der  Aetio- 
logie  dieser  Krankheit  anders  zu  bewerten  geneigt  ist  als 
früher,  dass  man  im  Alkohol  nicht  mehr  die  direkte,  sondern 
eine  indirekte  Ursache  derselben  sieht:  er  soll  die  Bildung  ge¬ 
wisser  Zersetzungsprodukte  im  Magen  und  Darm  begünstigen, 
die  ihrerseits  schädigend  auf  die  Leber  wirken. 

Gerade  bei  der  Leberzirrhose  kleiner  Kinder  spielt  der 
Alkohol  meist  eine  besonders  grosse  Rolle.  In  unserem  Fall 
ist  aber  hiervon  keine  Rede,  und  so  erscheint  er  in  hohem 

MalSf  rffeignet’  die  von  Efoppe-Seyler,  Poggen- 
P  o  n 1  |8J  und  auch  von  anatomischer  Seite  (Herx- 
neimer  19J)  betonte  enterogene  Entstehung  der 
Leb  er  Zirrhose  zu  erweisen. 

M  H.!  Die  chronischen  Dyspepsien  haben  eine  nicht  zu 
unterschätzende  Bedeutung  durch  ihre  grosse  Häufigkeit,  durch 
die  erhebliche  Ernährungsstörung  und  Beschränkung  der 
Arbeitsfähigkeit  und  des  Lebensgenusses,  die  sie  vielfach  ver¬ 
ursachen,  durch  die  Entwicklungshemmung,  die  sie  bei  Beginn 
im  Kindesalter  bedingen  können. 

Meine  heutigen  Mitteilungen  beweisen,  dass  diese  funktio¬ 
nellen  Verdauungsstörungen,  die  der  Ausdruck  einer  krank¬ 
haften  Magen-,  Pankreas-  etc.  arbeit  sind,  zu  ernsten  Folge¬ 
krankheiten  des  Dickdarms  führen  können,  und  eine  systema¬ 
tische  Stuhluntersuchung  (Funktionsprüfung)  wird  ergeben,  ob 
der  in  den  beobachteten  Fällen  erwiesene  Zusammenhang 
häufiger  besteht. 

Krankengeschichten. 

n  Ff.?,?  26  Jahre.  Seit  3  Jahren  bei  der  Periode  fast  stets 

Durchfalle,  seit  einem  Jahre  ständig.  Seit  4  Monaten  Sanatoriums¬ 
behandlung  nur  vorübergehend  geringe  Besserung;  während  dieser 
Zeit  einmal  14  Tage  Blut  im  Stuhl,  täglich  1—3  breiige  bis  flüssige 
Stuhle.  Abnahme  5 — 6  kg. 

„ri  ^b™age,runsr .  ^-Frühst.  HCl  +  26,  Q.-A.  65.  Pr.-Mitt. 

*  t  i  ’  V;.  desgleichen:  nach  7  Stunden  Magen  leer.  Stühle- 

starke  Insuffizienz  für  Muskelgewebe,  Fett,  Stärke,  Störungen  wech¬ 
seln  vielfach  miteinander.  Bindegewebsverdauung  gut,  Kernprobe 
negativ;  i.  a.  wenig  oder  kein  Schleim. 

14  Tage  nach  Eintritt  in  unsere  Anstalt  2  Tage  39,3-39,6,  wei- 
ter.e  E?  Tage  bis  37,6  (Bettruhe),  Stühle  enthalten  einige  Tage  Blut 
und  Eiter,  ebenso  in  geringerem  Masse  6  Wochen  später  (kein 
E‘eber>-  Keine  romanoskopische  Untersuchung.  Behandlungsdauer 
3  Monate :  Insuffizienz  der  Dünndarmverdauung  und 
Diarrhoen  bestehen  weiter. 

Erl.  W.,  36  Jahre.  Vor  2V4  Jahren  Darmbeschwerden,  Appen¬ 
dektomie,  Appendix  ohne  erhebliche  Veränderungen,  nur  geringe 
Besserung  Nach  1  Jahr  wieder  starke  Durchfälle  monatelang,  dann 
Heilung  auf  Magenausspülungen  und  Diät.  Seit  4  Monaten  wieder 
Durchfalle. 

Anämie  Colon  descendens  empfindlich,  sonst  nicht  verändert. 
Pr. -Frühst  HCl  +  92,  Q.-A.  124.  Starke  Insuffizienz  für  Muskel- 
gewebe  und  Fett,  anfangs  nur  geringe  Schleimsekretion. 

Vom  Anfang  der  3.  Woche  ab  stärkere  Diarrhöen,  starke  Leib¬ 
schmerzen,  massige  Auftreibung  und  Spannung  des  Leibes,  Colon  des¬ 
cendens  und  S  romanum  werden  äusserst  druckempfindlich,  Darm¬ 
rohr  stark  verdickt  und  hart,  Schleimhaut  des  Rektum  und  S  roma- 
num  stark  gerötet,  aufgelockert,  blutet  leicht,  kleine  oberflächliche 
dzerationen  Stühle  zeigen  jetzt  kleine  Blutbeimengungen,  z  T 
reichhch  ScMeim  mit  zahlreichen  Eiterzellen  und  roten  Blutkörper¬ 
chen.  Häufig  Magenbeschwerden,  öfter  Erbrechen;  Thrombose  bei- 
cer  Femoralvenen,  hochgradige  Kräftereduktion,  kein  Fieber.  Unter¬ 
suchung  der  Fäzes  auf  1  uberkelbazillen  (Tierversuch)  negativ,  ebenso 
Agglutination  auf  Typhus,  Paratyphus,  Dysenterie, 
m  *  Langsame  Besserung  (Diät,  Magen-,  Dickdarmausspülungen  etc.), 
Blut-  und  titerbeimengungen  verschwinden,  Kolon  schwillt  ab,  wird 
wieder  weich  und  unempfindlich,  Thrombosen  heilen  ab.  Diarrhöen 
bessern  sich,  \  erdauung  des  Muskelgewebes  und  Fetts 
bleibt  mangelhaft. 


1624 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Stud.  M..  28  Jahre.  Nie  sehr  kräftig,  ass  von  jeher  hastig,  oft 
unregelmässig,  keinerlei  Exzesse,  keine  Infektion.  Seit  4  Monaten 
Diarrhöen  (ohne  bekannte  Ursache),  7—8  kg  abgenommen. 

Starke  Anämie,  Leib  weich,  nichts  Besonderes,  Sahli  70  Proz. 
Pr.-Friihst.  HCl  +  38,  G.-A.  66.  Pr.-Mitt.  HCl  —  18,  Ci.-A.  132,  des¬ 
gleichen:  nach  7  Stunden  Magen  leer.  Insuffizienz  für  Muskelgewebe, 
Fett,  Stärke  (wechselnde  Befunde!),  Schleim  siehe  unten. 

Im  2.  Monat  der  Behandlung  allmählich  Besserung.  8—10  Jage 
täglich  1—2  gebundene  Stühle.  Anfangs  des  3.  Monats  plötzlich 
Fieber,  unregelmässige  J'emperaturen  mässiger  Höhe.  z.  T.  mit  Re¬ 
missionen  über  2%°.  Von  da  an  bis  jetzt  (11.  Behandlungsmonat), 
anfangs  mit  nur  kurzen  Unterbrechungen,  später  seltener  erhöhte 
Temperatur  resp.  Fieber,  meist  mässig,  z.  T.  aber  über  39  °. 

Mit  der  ersten  Fieberattacke  geringe  Leber-  und  deutliche  Milz¬ 
schwellung,  erstere  vorübergehend,  letztere  viele  Wochen,  auch  spä¬ 
ter  zeitweise  nachweisbar.  Im  Urin  oft  Gallenfarbstoff  und  Indikan 
(Fieberperioden!). 

Romanoskopischer  Befund  im  2.  Behandlungsmonat  (30  cm 
Länge)  völlig  negativ,  ebenso  im  4.  Monat  (13  cm  in  Seitenlage); 
9.  Monat  (10  cm,  Seitenlage):  mässige  Schwellung  und  Rötung  der 
Schleimhaut,  blutet  etwas,  keine  sicheren  Ulzera. 

Seit  dem  Einsetzen  des  Fiebers  weiterer  Kräfterückgang,  im 
5.  Behandlungsmonat  Abnahme  (seit  Beginn  der  Krankheit),  im  gan¬ 
zen  22  kg,  im  folgenden  Vierteljahr  aber  trotz  leichter  Temperaturen 
10,5  kg  +  und  besserer  Kräftezustand. 

Stühle:  seit  Beginn  des  Fiebers  fast  stets  diarrhoisch,  dick¬ 
breiig  bis  wässerig,  meist  3  mal  täglich;  die  Verdauung  zeigt  starke 
Schwankungen,  die  bald  mehr  Muskelgewebe,  bald  Fett  und  KH  be¬ 
treffen,  ausserdem  wechseln  Zeiten  besserer  und  schlechterer  Ver¬ 
dauung  (zeitweilig  erhebliche  Zunahme!),  zeitweise  ausgesprochene 
Gärungsstühle,  zeitweise  beim  Versuch  unhachiertes  Fleisch  zu  geben, 
zahlreiche  makroskopische  Fleischstückchen  ausgeschieden. 

Schleim  war  während  vieler  Wochen  anfangs  nicht  zu  finden, 
danach  nur  gelegentlich  in  Form  kleiner,  z.  T.  aus  dem  Dünndarm 
stammender  Flöckchen;  grössere,  aber  nie  sehr  reichliche  Mengen 
stets  feinen  Schleims  traten  erst  nach  Beginn  des  Fiebers  zeitweise 
auf.  Einen  Monat  nach  der  Aufnahme  und  ebenso  lange  vor  Ein¬ 
setzen  des  Fiebers  enthielten  die  Stühle  zum  ersten  Male  Spuren 
frischen  Bluts  (ebenso  später,  aber  im  ganzen  selten  und  nie 
in  erheblicher  Menge),  bald  darauf  auch  Anhäufungen 
weisser  Blutkörperchen,  sowohl  in  kleinen  Schleimflocken, 
als  in  der  Fäzesmasse  selbst  —  ein  Befund,  der  uns  die  Proermse 
von  vorneherein  vorsichtig  stellen  liess.  Mit  den  Fieberanfällen 
wurde  der  Eiter  reichlicher,  sowohl  im  Schleim,  wie  als  freie,  mit 
blossem  Auge  kenntliche  Beimengung  der  Fäzes,  in  den  letzten 
6  Wochen  dagegen  hörte  die  Ausscheidung  fast  ganz  auf. 

Wassermann  negativ,  ebenso  Untersuchung  der  Fäzes  auf 
Tuberkelbazillen  (Tierversuch,  mehrere  Serien),  sowie  Agglutina¬ 
tionsversuche  auf  Typhus,  Paratyphus,  Dysenterie. 

Die  Operation  wurde  namentlich  in  Rücksicht  auf  die  Beteiligung 
des  Dünndarms  von  uns,  ebenso  von  Krehl,  Weintraud  und 
A.  Schmidt  abgelehnt,  der  sich  völlig  meiner  Auffas¬ 
sung  des  ganzen  Falles  anschloss. 

Literatur. 

1.  R.  Schütz:  D.  Arch.  f.  klin.  M.  94.  1908.  R.  Schütz: 
Ther.  Mtshfte.  1909  H.  7.  —  2.  R.  S  c  h  ü  t  z:  Jb.  f.  Kindhlk.  62  1905.  — 
3.  Rosenheim:  D.m.W.  1908  Nr.  7.  —  4.  A.  S  c  h  m  i  d  t:  Lehrbuch 
der  Darmkrankheiten.  Wiesbaden  1913.  —  5.  R.  Schütz:  Volkmanns 
Sml.  klin.  Vortr.  1901  Nr.  318.  —  6.  R.  S  c  h  ü  t  z:  B.kl.W.  1900;  Arch.  f. 
Verdauungskr.  1901  Nr.  1.  R.  Schütz:  26.  Kongr.  f.  inn.  M.  1909.  — 
7.  R.  Schütz:  D.  Arch.  f.  klin.  M.  53.  1904.  —  8.  Vergl.:  Ewald, 
Die  Leberkrankheiten,  Leipzig  1913.  —  9.  Schmauss-Herx- 
heimer:  Lehrbuch  der  pathologischen  Anatomie,  Wiesbaden. 


Aus  der  chirurgischen  Universitäts-Kinderklinik  München 
(Professor  Dr.  W.  Herzog). 

Die  Gaumenspalte  und  deren  operative  Behandlung. 

Von  Dr.  med.  Richard  Drachter,  Assistent  der  Klinik, 
Spezialarzt  für  Chirurgie. 

Die  Frage  der  operativen  Behandlung  der  Gaumenspalte 
ist  im  Laufe  der  letzten  Jahre  wieder  viel  diskutiert  worden. 
Einerseits  war  es  das  immer  mehr  sich  geltend  machende  Be¬ 
streben  erfahrener  Chirurgen,  die  Gaumenspalte  in  frühem 
Alter,  ja  schon  innerhalb  der  ersten  Lebenswochen  auf  ope¬ 
rativem  Wege  (v.  Langenbeck  sehe  Operation)  zu  be¬ 
seitigen,  welches  Anlass  gab  zu  weiteren  Erörterungen  dieses 
Themas,  andererseits  kam  die  Frage  wieder  in  Fluss,  be¬ 
sonders  durch  den  Brophy  sehen  Vorschlag,  der  dahin  geht, 
den  Verschluss  der  Gaumenspalte  zu  bewerkstelligen  durch 
gegenseitige  Annäherung  der  beiden  Oberkieferhälften  oder, 
besser  gesagt,  deren  Alveolarfortsätze. 

Die  überaus  mannigfachen,  bisher  gebrauchten  Methoden 
der  operativen  Beseitigung  der  Gaumenspalte  lassen  sich 


Nr.  29. 


unter  drei  verschiedene  Operationsprinzipien  einordnen:  in 
das  Prinzip  der  Spaltüberbrückung,  das  Prin¬ 
zip  der  Spaltausfüllung  und  in  das  Prinzip  des 
Aneinanderrückens  der  Spaltränder. 

Bis  zum  heutigen  Tage  ist  das  Prinzip  der  Spaltüber¬ 
brückung  —  das  übrigens  schon  dem  ersten  Versuche  einer 
operativen  Beseitigung  der  Gaumenspalte  (Krimmer  1824) 
zugrunde  lag  —  in  der  Form  des  v.  Langenbeck  sehen 
Verfahrens  die  souveräne  Methode  geblieben. 

Die  Spaltausfüllungsmethoden,  deren  typisches  Beispiel 
das  Einheilen  des  kleinen  Fingers  in  den  Spalt  nach  v.  E  i  s  e  1  s- 
b  e  r  g  darstellt,  sind  nur  noch  in  Ausnahmefällen  geübt. 

Dagegen  haben  sich  namentlich  in  jüngster  Zeit  viele 
Chirurgen  mit  dem  Prinzip  des  Aneinanderrückens  der  Spalt¬ 
ränder  beschäftigt.  So  haben  neben  Brophy  besonders 
Schömaker,  Helbing,  Codivilla,  Murray,  Owen, 
S  e  b  i  1  e  a  u.  Kärger  und  Neumann  nach  diesem  Prinzip 
operiert.  In  den  Händen  der  genannten  Autoren  ist  das  ur¬ 
sprüngliche  Br  o  p  h  y  sehe  Vorgehen  verschiedentlich  abge¬ 
ändert  und  modifiziert  worden. 

Wenn  die  Tatsache,  dass  bei  Gaumenspalten  der  Ober¬ 
kiefer  abnorm  breit  ist,  auch  schon  älteren  Autoren  bekannt 
war,  so  wurde  dem  Prinzip  des  Aneinanderrückens  der  Spalt¬ 
ränder  doch  zugrunde  gelegt  der  Brophy  sehe  Satz:  „Dass 
bei  Gaumenspalten  der  Oberkiefer  ausein¬ 
andergewichen  und  um  die  Spaltbreite  zu 
breit  s  e  i“. 

Wollen  wir  uns  näher  mit  den  Breiteverhältnissen  des 
Oberkiefers  bei  Gaumenspalte  beschäftigen,  so  ist  es  zweck¬ 
mässig,  die  durchgehende  Form  der  Gaumenspalte  von  der 
nicht  durchgehenden  zu  unterscheiden.  Durchgehend  heisst 
der  eine  Teil  der  Missbildung  deshalb,  weil  in  diesen  Fällen  der 
Spalt  nicht  nur  durch  das  Zäpfchen,  den  ganzen  weichen  und 
harten  Gaumen,  sondern  auch  noch  durch  den  Alveolarfort¬ 
satz  durchgeht.  Gerade  durch  das  Vorhandensein  der  Spalte 
im  Alveolarfortsatz  sind  die  Fälle  durchgehender  Spalte  weit 
in  den  Vordergrund  unseres  Interesses  gerückt.  Von  diesen 
Fällen  durchgehender  Spalte  ist  die  weitaus  häufigste  Form  die 
einseitig  durchgehende  Gaumenspalte,  diese  soll  deshalb  im 
folgenden  in  erster  Linie  berücksichtigt  werden. 

Zwecks  genaueren  Studiums  der  anatomischen  Verhält¬ 
nisse  der  Spaltbildung  habe  ich  zahlreiche  Oberkiefermes¬ 
sungen  vorgenommen.  Diese  wurden  ausnahmslos  an  Kiefer¬ 
gipsabdrücken  von  Kindern  mit  angeborener  Gaumenspalte 
vorgenommen.  Ich  betone,  dass  zu  solchen  Messungen  nur 
Kinder  herangezogen  wurden,  bei  denen  noch  keinerlei  Ein¬ 
griffe  im  Bereich  der  Spaltbildung  vorgenommen  worden 
waren,  dass  insbesondere  die  Operation  der  Hasenscharte 
noch  nicht  ausgeführt  worden  sein  durfte. 

In  erster  Linie  wurden  bei  diesen  Messungen  berück¬ 
sichtigt:  Grösster  Abstand  der  Alveolarfort¬ 
sätze  voneinander,  Breite  der  Gaumenplatten, 
Neigungswinkel  derselben,  Spaltbreite  und 
Spaltform,  sowie  Verhalten  von  Vomer  und 
Zwischenkiefer. 

Unter  dem  „Neigungswinkel“  der  Gaumenplatten  wurde 
der  Winkel  verstanden,  den  die  Gaumenplatte  mit  einer  durch 
den  Alveolarfortsatz  derselben  Seite  gedachten  vertikalen 
Ebene  bildet.  Dieser  Winkel  lässt  sich  am  Gipsmodell  direkt 
mit  Hilfe  eines  Winkelmessers  ablesen.  Von  ganz  beson¬ 
derem  Interesse  war  auch  das  Studium  der 
Form  der  Gesamt  spalte,  gerade  ihm  verdanken  wir 
sowohl  theoretisch  als  auch  praktisch  wichtige  Ergebnisse. 

Um  die  Resultate  dieser  Messungen  verwerten  zu  können, 
mussten  zuerst  die  entsprechenden  Normalmasse  gesunder 
Oberkiefer  festgestellt  werden.  Ich  habe  zu  diesem  Zweck 
an  ca.  150  Gipsabdrücken  normaler  Säuglingskiefer  die  uns 
hauptsächlich  interessierenden  Grössenverhältnisse  festgestellt, 
und  zum  Vergleich  mit  den  aus  den  Messungen  an  Gaumen¬ 
spaltenkindern  erhaltenen  Resultaten  herangezogen. 

Hinsichtlich  der  grössten  gegenseitigen  Entfernung  der 
Alveolarfortsätze  ergab  sich,  dass  deren  Distanz  bei  im 
ersten  Lebensjahre  stehenden  Kindern  mit  einseitig  durch¬ 
gehender  Gaumenspalte  grösser  ist,  als  bei  gleichalterigen 
Kindern  mit  normalem  Oberkiefer.  Der  Distanzunter- 


21.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


schied  ist  ein  ziemlich  bedeutender,  und  bc- 
trägt  bei  einer  als  Normaldistanz  der  Alveo¬ 
larfortsätze  im  ersten  Lebensjahre  anzu¬ 
sehen  d  e  n  I)  u  r  c  h  s  c  h  n  i  t  t  s  e  n  t  f  e  r  n  u  n  g  v  o  n  3,13  cm 

0,8  cm. 

Die  Gaumenplatten  dagegen  erwiesen  sich 
als  n  o  r  in  a  1  breit;  sie  sind  also  —  wenigstens  hinsichtlich 
ihrer  Breite  —  an  dem  Zustandekommen  der  Spalte  ursächlich 
nicht  beteiligt.  Bestätigen  aber  konnte  ich  durch  meine 
Messungen,  dass  die  Gaumenplatten  bei  einseitig  durchgehen¬ 
der  Spalte  (dasselbe  gilt  für  die  doppelseitig  durchgehende 
Spalte)  steiler  stehen,  als  die  Gaumenplatten  eines  normalen 
Kiefers.  Der  Neigungswinkel  der  Gaumenplatte  der  Spaltseite 
ist  —  auf  die  vertikale  Ebene  bezogen  —  gewöhnlich  etwas 
kleiner,  als  der  der  nicht  gespaltenen  Seite,  die  Platte  der 
Spaltseite  steht  also  etwas  steiler.  Bekanntlich  schwankt  die 
Winkelstellung  der  Platten  auch  bei  normalen  Kiefern  inner¬ 
halb  ziemlich  weiter  Grenzen.  Meine  Messungen  haben  als 
Schwankungsbreite  des  Neigungswinkels  der  Gaumenplatten 
bei  Säuglingen  einen  Winkel  von  durchschnittlich  20  0  ergeben. 
Innerhalb  derselben  Grenze  bewegen  sich 
dieSchwankungen  beiSpaltbildung  desOber- 
kiefers,  aber  die  Schwankungen  bewegen  sich 
bei  dieser  innerhalb  höherer  Breiten.  Wir  können  etwa 
sagen :  „D  er  Neigungswinkel  der  Gaumen¬ 
platten  bei  Säuglingen  mit  normalem  Ober¬ 
kiefer  schwankt  zwischen  45  und  65°,  bei 
gleichalterigen  Kindern  mit  durchgehender 
Gaumenspalte  zwischen  35  und  55  °“. 

Bevor  ich  auf  die  Ergebnisse  der  Messungen  hinsichtlich 
der  „Spaltbreite“  eingehe,  ist  es  notwendig,  den  Begriff 
„Spalte  etwas  näher  zu  definieren.  Der  im  Gaumen  vor¬ 
handene  eigentliche  „Spalt“  deckt  sich  bei  einseitig  durch¬ 
gehender  Gaumenspalte  keineswegs  mit  der  „Entfernung  der 
Gaumenspaltränder  von  einander“;  denn  gewöhnlich  hat  sich 
in  diesen  Fällen  der  verbreiterte,  horizontale  Vomer  dem 
Gaumenplattenrand  der  einen  Seite  angelegt,  und  geht  un¬ 
mittelbar  in  die  Gaumenplatte  selbst  über;  der  Vomer  ist  also 
in  diesen  Fällen  wesentlich  mitbeteiligt  an  der  Bildung  des 
Gaumendaches.  Auf  der  anderen  Seite  dagegen  ist  die  Ver¬ 
einigung  des  Vomer  mit  dem  Gaumenplattenrand  dieser  Seite 
nicht  zustande  gekommen;  es  besteht  ein  meist  ziemlich 
schmaler  Spalt  zwischen  Vomer  und  Gaumenplattenrand. 
Letzteren  Spalt  bezeichne  ich  als  „relative  Spalt- 
b  reite“;  die  Entfernung  der  Gaumenplattenränder  vonein¬ 
ander  dagegen  als  „absolute  Spaltbreit  e“. 

Nur  die  absolute  Spalte  ist  von  praktischer  Bedeutung, 
und  nur  sie  ist  geeignet,  uns  ein  wahres  Bild  von  der  Be¬ 
deutung  der  Missbildung  im  einzelnen  Falle  zu  geben. 

Die  Breite  der  absoluten  Spalte  schwankt  in  den  Fällen 
einseitig  durchgehender  Gaumenspalte  zwischen  1,0  und 
1,7  cm.  Die  absolute  Spaltbreite  ist  durch¬ 
schnittlich  grösser,  als  die  Vermehrung  der 
Alveolardistanz.  Die  aus  dem  Satz  Brophy  s:  „Bei 
Gaumenspalten  ist  der  Oberkiefer  auseinandergewichen  und 
um  die  Spaltbreite  zu  breit“  —  sich  hinsichtlich  der  Behand¬ 
lung  der  Gaumenspalte  ergebende,  theoretische  Schluss¬ 
folgerung  müsste  eine  parallele  gegenseitige  Annäherung  bei¬ 
der  Oberkieferhälften  bis  zur  Berührung  der  Gaumenplatten- 
ränder  fordern,  somit  eine  pathologische  Ver¬ 
schmälerung  des  Oberkiefers  herbeiführen. 

Von  der  grössten  Bedeutung  für  die  Kenntnis  der  Ana¬ 
tomie  der  Gaumenspalte  ist  das  Studium  der  Form 
der  absoluten  Spalte.  An  dieser  Stelle  sei  nur  hervor¬ 
gehoben,  dass  die  „normale  Form“  der  absoluten 
Spalte  die  mit  parallelen  Spalträndern  ist. 
Parallele  Spaltränder  im  Bereich  des  harten  wie  des  weichen 
Gaumens  zeigt  sowohl  die  ursprüngliche  Gaumenspalte,  als  auch 
die  Gaumenspalte  nach  vielen  Jahren,  vorausgesetzt,  dass  keiner¬ 
lei  Massnahmen  getroffen  worden  sind,  die  geeignet  gewesen 
wären,  die  Spaltform  in  irgend  einer  Weise  zu  beeinflussen. 
Mit  derselben,  ja  mit  noch  grösserer  Regelmässigkeit,  mit  der 
ein  paralleler  Verlauf  der  Spaltränder  beobachtet  wird,  sehen 
wir,  dass  die  Enden  des  gespaltenen  Zäpfchens 
nach  der  Spaltmitte  gekehrt  sind,  und  sich 

Nr.  29. 


162$ 


häufig  —  auch  bei  weiten  Spalten  —  in  der 
Medianlinie  berühren. 

Die  Stellung  des  Zwischenkiefers  ist  bei  einseitig  durch¬ 
gehender  Spalte  ebenfalls  eine  typische.  Der  Zwischenkiefer, 
der  mit  dem  Alveolarfortsatz  der  nicht  gespaltenen  Seite  ver¬ 
einigt  ist,  ist  stets  mehr  oder  weniger  nach  aussen  und  vorne, 
also  vom  Alveolarfortsatz  der  anderen  Seite  weggedreht. 
Allein  schon  diese  typische,  abnorme  Stellung  des  Zwischen¬ 
kiefers  muss  uns  davon  abhalten,  eine  vollkommene  An¬ 
näherung  der  Spaltränder  —  vor  der  Korrektur  dieser  ab¬ 
normen  Zwischenkieferstellung  —  durchzuführen. 

In  engstem  Zusammenhang  mit  der  Spalte  im  Alveolar¬ 
fortsatz  und  Gaumen  steht  die  Spaltung  der  Oberlippe.  Diese 
soll  hier  in  erster  Linie  vom  praktisch  therapeutischen  Stand¬ 
punkt  aus  betrachtet  werden. 

Wie  eben  erwähnt,  steht  der  Zwischenkiefer  bei  einseitig 
durchgehender  Spalte  regelmässig  nach  aussen  und  vorne  ge¬ 
dieht.  Von  dem  Grade  dieser  abnormen  Stellung  des 
Zwischenkiefers  hängt  die  Breite  der  Spalte  im  Bereich  des 
Alveolai  foi  tsatzes  in  erster  Linie  ab.  Es  wird  also  unsere 
nächste  Aufgabe  in  der  Behandlung  der  Gaumenspalte  sein, 
den  Zwischenkiefer  in  die  richtige  Stellung  zu  bringen,  und 
den  Spalt  im  Alveolarfortsatz  zu  schliessen.  Gelingt  uns 
dies,  so  haben  wir  die  durchgehende  Gaumenspalte  in  eine 
einfache,  nicht  durchgehende  verwandelt,  und  haben  zugleich 
die  Hauptschwierigkeit  in  der  Korrektur  der  ganzen  Miss¬ 
bildung  überwunden. 

Von  den  verschiedenen  Arten,  auf  welche  ein  Redresse¬ 
ment  des  Zwischenkiefers  erreicht  werden  kann,  erwähne  ich 
beispielsweise  das  Vorgehen  K  ä  r  g  e  r  s,  der  den  Zwischen¬ 
kiefer  auf  unblutige  Weise  redressieren,  ihn  dem  Alveolarfort¬ 
satz  der  anderen  Seite  nähern  und  ihn  in  seiner  neuen  Lage 
mittels  durch  die  Alveolarfortsätze  gelegter  Drähte  erhalten 
konnte.  Eine  andere  Methode,  bei  der  vor  allem  eine  Schädi¬ 
gung  der  Zahnkeime  vermieden  werden  kann,  habe  ich  kürz¬ 
lich  beschrieben  ‘);  die  genannte  Methode  besteht  darin,  dass 
man  aus  dem  harten  Gaumen  und  dem  anschliessenden  Teile 
des  Vomer  der  nicht  gespaltenen  Seite  ein  mit  der  Basis  am 
Spalt  gelegenes  Dreieck  ausschneidet  und  darnach  den 
Zwischenkiefer  in  die  gewünschte  Stellung  bringt. 

Kein  anderes  Mittel  aber  ist  so  einfach,  so 
schonend  und  im  Erfolg  so  sicher  in  bezug 
auf  das  Redressement  des  Zwischenkiefers, 
wie  die  einfache  Operation  der  Hasenscharte. 
Unter  dem  Einfluss  der  vereinigten  Oberlippe  rückt  der  Zwi¬ 
schenkiefer  ganz  regelmässig  im  die  normale  Lage,  der  Alveolar¬ 
bogen  rundet  sich,  zugleich  wird  die  Alveolarspalte  ge¬ 
schlossen.  Damit  wird  die  durchgehende  Gau¬ 
menspalte  in  eine  nichtdurgehende  verwan¬ 
delt.  Der  Einfluss  der  vereinigten  Oberlippe  auf  die  Spalte 
im  Alveolarfortsatz  lässt  sich  in  schöner  und  exakter  Weise 
an  Kiefergipsmodellen  demonstrieren,  die  vor  und  einige  Zeit 
nach  der  Hasenschartenoperation  von  Kindern  mit  durch¬ 
gehender  Spaltbildung  des  Oberkiefers  genommen  wurden 2). 

Wie  die  Messungen  an  den  xA—%  Jahre  nach  der  Ver¬ 
einigung  der  Lippenspalte  genommenen  Gipsabdrücken  er¬ 
geben,  findet  unter  dem  Einfluss  der  vereinigten  Oberlippe 
auch  eine  Annäherung  der  Alveolarfortsätze  und  eine  Ver¬ 
schmälerung  der  Spalte,  besonders  im  vorderen  Teil  des  harten 
Gaumens  statt.  Die  ursprüngliche  Form  der 
Spalte  mit  parallelen  Spalträndern  erfährt 
somit  unter  dem  Einfluss  der  vereinigten 
Oberlippe  eine  charakteristische  Verände¬ 
rung.  Die  Alveolarspalte  ist  geschlossen,  der  Spalt  im  vor¬ 
deren  Teil  des  harten  Gaumens  erheblich  verengert;  weiter 
nach  hinten  entfernen  sich  die  Spaltränder  des  harten  Gau¬ 
mens  etwas  von  einander.  Die  Spalte  des  harten  Gaumens 
hat  also  jetzt  die  Form  eines  Dreieckes,  dessen  Spitze  dem 
Alveolarfortsatz,  dessen  Basis  der  Entfernung  der  hinteren 
Enden  des  harten  Gaumens  entspricht.  Von  Wichtigkeit  ist, 
dass  die  Form  der  Spalte  im  Bereich  des 


)  Zbl.  f.  Chir.  1914  Nr.  12.  Zur  Frage  des  Verschlusses  der 
Kieferspalte  bei  „einseitig  durchgehender  Gaumenspalte“. 

*)  D.  Zschr.  f.  Chir.  1914.  Die  Gaumenspalte  und  deren  operative 
Behandlung  von  Dr.  D  r  a  c  h  t  e  r. 


4 


iOZfi 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


weichen  Gaumens  zunächst  noch  nicht  be¬ 
einflusst  wird:  d.  h.  die  Spaltränder  des  weichen  Gau¬ 
mens  verlaufen  einander  noch  parallel,  die  Zäpfchen  stehen 
nach  innen  gerichtet  und  berühren  sich  gewöhnlich  mit  ihren 
Enden. 

Ein  völlig  verändertes  Bild  bietet  uns  die  Spaltbildung 
nach  einigen  Jahren.  Die  Form  der  Spalte,  die  wir  jetzt  be¬ 
obachten,  ist  charakterisiert  durch  die  grosse  Breite  der 
Spalte,  besonders  in  deren  rückwärtigem  Teil  bei  geschlosse¬ 
nem  Alveolarbogen. 

Der  Typus  dieses  „Stadiums  der  Spalt¬ 
bildung“  ist:  die  Dreiecksform  der  Gesamt¬ 
spalte. 

Beide  Alveolarhälften  liegen  einander  völlig  an,  oder  sind 
organisch  miteinander  verwachsen;  die  Spaltbreite  wird  nach 
hinten  um  so  grösser,  je  weiter  wir  uns  von  dem  Alveolar¬ 
bogen  entfernen,  und  erreicht  ihre  grösste  Breite  zwischen 
den  hintersten  Enden  des  gespaltenen  Zäpfchens.  Diese  sind 
jetzt  nicht  mehr  einander  zugekehrt,  sondern  bilden  die  Fort¬ 
setzung  der  nach  hinten  immer  mehr  auseinanderweichenden 
Ränder  der  Spalte  des  harten  und  des  weichen  Gaumens. 
Schon  bei  oberflächlicher  Betrachtung  dieses  Stadiums  der 
Spaltbildung  gewinnt  man  den  Eindruck,  als  ob  die  hintersten 
Partien  beider  Oberkieferhälften  um  den  geschlossenen  Al¬ 
veolarfortsatz  als  punctum  fixum  nach  aussen  und  von  einander 
gezogen  worden  wären. 

Diese  drei  beschriebenen  Formen  der  Spaltbildung  sind 
überaus  charakteristisch  und  mit  grösster  Regelmässigkeit  zu 
beobachten. 

Fig.  1  zeigt  das  I.  S  t  a  d  i  u  m  der  Spaltbildung, 
oder  das  „Stadium  der  unberührten  Gaumen¬ 
spalt  e“.  Die  Spaltränder  sowohl  des  harten  als  des  weichen 
Gaumens  verlaufen  einander  parallel;  die  beiden  Hälften  des 

Zäpfchens  sind  einander  zuge¬ 
kehrt.  Die  Spaltbreite  ist  in 
allen  frontalen  Ebenen  unge¬ 
fähr  dieselbe. 

Fig.  2  zeigt  das  II.  Sta¬ 
dium,  ode.r  das  „Stadium 
der  optimalen  Spalt¬ 
breite“.  DielAlveolarspalte 
ist  geschlossen;  im  Bereich 
des  harten  Gaumens  zeigt  die 
Spalte  Dreiecksform;  im  Be¬ 
reich  des  weichen  Gaumens  verlaufen  die  Spaltränder  einander 
parallel;  die  beiden  Hälften  des  Zäpfchens  sind  einander  zu¬ 
gekehrt.  Grösste  Spaltbreite  am  Uebergang  vom  harten  zum 
weichen  Gaumen. 

Fig.  3  zeigt  das  III.  oder  das  „definitive  Sta¬ 
dium“  der  Spaltbildung.  Es  ist  gekennzeichnet  durch 
die  grosse  Breite  der  Spalte  besonders  in  deren  rückwärtigem 
Teil  bei  geschlossenem  Alveorlarbogen.  Typisch  für 
dieses  Stadium  ist  die  jetzt  bestehende  Drei¬ 
ecksform  der  Gesamtspalte.  Die  grösste  Breite  der 
Spalte  ist  zwischen  den  hintersten  Enden  des  gespaltenen 
Zäpfchens.  Diese  sind  nicht  mehr  einander  zugekehrt,  son¬ 
dern  verlaufen  in  der  Richtung  der  Spaltränder  des  harten 
und  weichen  Gaumens. 

Das  Stadium  der  optimalen  Spaltbreite  ist 
dann  erreicht,  wenn  beide  Kieferspaltränder 
einander  berühren;  während  dieses  Zeitpunktes  be¬ 
steht  auch  die  geringste  Breite  der  Spalte  des  harten  und 
des  weichen  Gaumens.  Vom  Schluss  der  Alveolar¬ 
spalte  ab  beginnt  die  Erweiterung  der  Spalte 
besonders  in  deren  rückwärtigem  Teil.  Wann 
der  Verschluss  der  Alveolarspalte  im  einzelnen  Falle  erreicht 
wird,  hängt  in  erster  Linie  von  dem  Zeitpunkte  der  Vornahme 
der  Hasenschartenoperation  ab.  Wird  diese  innerhalb  der 
ersten  drei  Lebensmonate  vorgenommen,  so  fällt  das  Stadium 
der  optimalen  Spaltbreite  gewöhnlich  in  die  letzten  Monate 
des  ersten,  oder  in  die  ersten  Monate  des  zweiten  Lebens¬ 
jahres. 

Versuchen  wir  unter  Berücksichtigung  der  bisherigen  Er¬ 
gebnisse  eine  kritische  Stellungnahme  zu  den 
verschiedenen  Operationsprinzipien,  so  schei¬ 


Nr.  29. 


nen  eine  gewisse,  gegenseitige  Annäherung  beider  Oberkiefer¬ 
hälften  und  ein  horizontaleres  Einstellen  des  Gaumendaches 
diejenigen  Massnahmen  zu  sein,  von  denen  ein  anatomisch  wie 
funktionell  den  normalen  Verhältnissen  sich  möglichst  nähern¬ 
des  Resultat  zu  erhoffen  ist. 

Eine  parallele  gegenseitige  Annäherung  beider  Oberkiefer¬ 
hälften  kann  auf  blutige  oder  unblutige  Weise  erreicht  werden. 
Von  den  unblutigen  Methoden,  die  zu  diesem  Zwecke  ange¬ 
wandt  wurden,  verdienen  am  meisten  Beachtung  die  Versuche 
der  alten  (vor  v.  Langenbeck)  Chirurgen,  durch  perma¬ 
nenten  Druck  von  aussen  auf  die  Processus  zygomatici  diese 
gegenseitige  Annäherung  der  Oberkieferhälften  herbeizuführen. 
In  neuerer  Zeit  hat  K  r  e  d  e  1  ähnliche  Versuche  unternommen. 
In  praxi  mit  Hilfe  dieser  Methode  erreichte  Resultate  sind 
jedoch  bisher  nicht  bekannt  geworden. 

Die  Anwendung  orthodontischer  Apparate  kann  nur  in 
Ausnahmefällen  in  Betracht  kommen.  Denn  einmal  kann  bei 
Anwendung  dieser  die  Korrektur  der  Missbildung  nicht  früh¬ 
zeitig  genug  in  Angriff  genommen  werden,  würde  viel- 
mehr  stets  in  das  III.  Stadium  der  Spaltbildung 
fallen,  in  welchem  die  Plastik  eines  genügend 
langen  weichen  Gaumens  sehr  erschwert, 
nicht  selten  sogar  unmöglich  ist;  dann  aber 
kommt  bei  dieser  Methode  eine  Umbiegung  der  Alveolar¬ 
fortsätze  nach  innen  zustande,  verbunden  mit  einer  ver¬ 
mehrten  Steilstellung  der  Gaumenplatten,  während  die  ab¬ 
solute  Spalte  selbst  nicht,  oder  wenigstens  nicht  in  ent¬ 
sprechendem  Masse  beeinflusst  wird. 

Unter  den  Methoden  der  blutigen  gegenseitigen  Annähe¬ 
rung  der  Spaltränder  ist  die  älteste  die  D  i  e  f  f  e  n  b  a  c  h  sehe. 
Dieffenbach  durchmeisselte  die  Gaumenplatten  nahe  dem 
Alveolarfortsatz  und  zog  sie  mittels  Silberdrahtes  in  der  Mitte 
zusammen.  Wie  Lex  er  berichtet,  soll  diese  Methode  be¬ 
sonders  in  Frankreich  Anhänger  gefunden  haben. 

Unter  den  neueren,  hierhergehörigen  Verfahren  steht  im  Vorder¬ 
gründe  die  B  r  o  p  h  y  sehe  Methode.  B  r  o  p  h  y  sucht  —  ebenso 
wie  die  anderen  neueren  Autoren  —  nicht  nur  die  Gaumenplatten, 
sondern  Alveolarfortsätze  mitsamt  den  Gaumenplatten  einander  zu 
nähern.  Das  Verfahren  soll  am  besten  innerhalb  der  ersten  Lebens- 
Xvochen  ausgeführt  werden.  Es  besteht  darin,  dass  man  die  unteren 
Oberkieferfortsätze  einander  gewaltsam,  d.  h.  mittels  Daumen-  oder 
Zangendruck  einander  soweit  nähert,  bis  die  Spaltränder  aneinander 
gebracht  werden  können.  Aus  den  B  r  o  p  h  y  sehen  Mitteilungen 
wird  allerdings  nicht  klar  ersichtlich,  ob  damit  die  Ränder  der  abso¬ 
luten,  oder  nur  die  der  relativen  Spalte  aneinander  gebracht  werden. 
Wir  haben  aber  Grund  zu  der  Annahme,  dass  höchstens  der  Schluss 
der  relativen  Spalte  in  der  genannten  Weise  bewerkstelligt  werden 
kann.  Gelingt  der  Spaltschluss  auf  diese  Weise  nicht,  so  müssen  die 
Alveolarfortsätze  möglichst  submukös  durchschnitten  oder  durch- 
meisselt  und  dadurch  vom  Oberkiefer  mehr  oder  weniger  losgetrennt 
und  so  beweglich  gemacht  werden.  Konnten  die  abgemeisselten  Teile 
darnach  nach  der  Mitte  hin  verschoben  und  die  Spaltränder  aneinander 
gebracht  werden,  so  werden  sie  jetzt  mit  Hilfe  von  Silberdrähten,  die 
durch  die  Alveolarfortsätze  hindurchgehen,  in  ihrer  neuen  Lage  er¬ 
halten.  Etwa  iVs  Jahre  später  erfolgt  die  Naht  des  weichen  Gaumens. 

ln  ähnlicher  Weise  wie  B  r  o  p  h  y  ist  K  ä  r  g  e  r  vorgegangen,  der 
nach  Schluss  der  Kieferspalte  durch  manuellen  Druck  die  Annäherung 
der  Oberkieferhälften  anstrebt  und  das  so  erreichte  Resultat  eben¬ 
falls  mit  Hilfe  von  durch  die  Alveolarfortsätze  gehenden  Drähten  zu 
fixieren  sucht.  Eine  blutige  Mobilisation  der  unteren  Oberkiefer¬ 
fortsätze  nimmt  Kärger  jedoch  prinzipiell  nicht  vor;  auch  legt 
er  auf  eine  Annäherung  beider  Seiten  bis  zum  völligen  „Spaltvcr- 
schluss“  keinen  Wert,  begnügt  sich  vielmehr  —  soweit  ich  der 
K  ä  r  g  e  rschen  Arbeit  entnehme  —  gewöhnlich  mit  einer  gewisssen 
Verschmälerung  der  Spalte.  Erst  später  wird  dann  der  noch  be¬ 
stehende  Spalt  mit  Hilfe  des  \.  L  a  n  g  e  n  b  e  c  k  sehen  Verfahrens 
geschlossen. 

Auf  zwei  andere,  von  Helbing  und  Codivilla  ge¬ 
übte  Methoden  will  ich  hier  nicht  näher  eingehen,  da  die 
beiden  Autoren  ihr  Verfahren  nicht  zu  einer  Normalmethode 
in  der  operativen  Behandlung  der  Gaumenspalte  erhoben 
haben. 

Dagegen  muss  an  dieser  Stelle  noch  kurz  auf  das  von 
Schoemaker  angegebene  Verfahren  eingegangen  werden. 

Für  Schoemaker  waren  hauptsächlich  Misserfolge  mit  der 
Br  ophy  sehen  Methode  die  Veranlassung,  den  Verschluss  der  Spalte 
auf  eine  etwas  andere  Art  und  Weise  als  Br  ophy  es  tat,  zu  ver¬ 
suchen.  Besonders  war  es  Schoemaker,  der  die  Schwächen  der 
B  r  o  p  h  y  sehen  Methode  sehr  wohl  erkannte,  darum  zu  tun,  die 
Umbiegung  der  Alveolarfortsätze  nach  innen  und  die  mit  dieser 
zusammenhängende  Vermehrung  der  Steilstellung  der  Gaumenplatten 


21.  Juli  1914. 


JVjUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


fr,“  WerSldeknommen.h  ^  VOn  13  r  0  p  h  V  verwendeten  Drähte  sollten 

Schoemaker  King  so  vor,  dass  er  Alveolarfortsätze  samt 
( ja mnenplatten  vom  Nasenloch  aus  mittels  Meisseis  mobilisierte  und 
unter  hebelnden,  dehnenden  und  drehenden  Bewegungen  allmählich 
aneinander  brachte.  Dabei  sollten  die  Alveolarfortsätze  eher  etwas 
nach  aussen  umge legt  werden,  so  dass  die  Gaumenplatten  dadurch  in 
eine  mehr  horizontale  Stellung  kamen.  Nach  Anfrischung  der  Spalt- 

SÄ?  ausgeführt.16  Nah‘'  P'as,ik  des  «**«  Q»™»  wird 

Soweit  die  B  r  o  p  h  y  sehe  Methode  die  gegenseitige  An- 
nahrung  der  „Oberkieferhälften“  auf  unblutige  Weise  herbei- 
zuführen  sucht,  kann  diese  Annäherung  —  was  auch  H  e  1  - 
hing  zugibt  —  nur  dadurch  geschehen,  dass  sich  die  Alveolar- 
i  fortsatze  zugleich  nach  innen  umlegen.  Dadurch  wird  aber 
die  Deformität  entschieden  vermehrt,  die  Gaumenplatten 
stellen  .mch  steiler,  die  Annäherung  der  Gaumenplattenränder, 
V  1'-,dlC  ^  C1  en&erung  der  Spalte  bleibt  weit  zurück  hinter  der 
Annäherung  der  Alveolarfortsätze.  Eine  vollkommene  gegen¬ 
seitige  Annäherung  der  Gaumenplattenränder  wird  nach 
unseren  Erfahrungen  auf  unblutige  Weise  überhaupt  nicht  er¬ 
reicht. 

Kärger,  der  im  Sinne  der  unblutigen  B  r  o  p  h  y  sehen 
Methode  vorgegangen  ist,  verzichtet  deshalb  auch  auf  ein  voll¬ 
kommenes  Aneinanderbringen  der  Spaltränder  und  lässt  es  bei 
einer  gewissen  Annäherung  derselben  bewenden.  Der  Ver¬ 
schluss  der  Spalte  wird  später,  wie  erwähnt,  nach  dem  Ver¬ 
fahren  von  v.  Langenbeck  ausgeführt. 

W  ird  aber  eine  blutige  Mobilisation  der 
Al  veolarf  ortsätze  vor  ge  nommen,  wie  es  Bro- 
phy  für  einen  Teil  der  Fälle  empfiehlt  und  wie  es  bei  der 
schoemaker  sehen  Methode  geschieht,  so  gibt  allein 
schon  d  er  Eingriff  als  solcher  zu  den  schwer- 
.stenBedenken  Anlass.  Insbesondere  ist  die  Gefahr 
ler  Blutung  eine  sehr  grosse.  Aber  auch  die  Gefahr  der  In- 
ektion  der  durch  die  Operation  geschaffenen  Wundflächen 
st  bei  der  Nachbarschaft  der  Bakterienflora  der  Mundhöhle 
keineswegs  zu  unterschätzen.  Abgesehen  davon  ist  die  Zahl 
ler  Misserfolge  bei  diesen  Methoden  eine  sehr  grosse,  und  be- 
auft  sich  bei  der  S  c  h  o  e  m  a  k  e  r  sehen  Methode  in  der  Hand 
,es  Autors  selbst  auf  33  Proz.  Ausserdem  aber  würde  im 
alle  des  Gelingens  der  Operation  —  wenigstens  der  Bro- 
.  y  scben  -  eine  pathologische  Verschmälerung  des  Ober- 
:efers  erfolgen.  Ein  weiterer,  schwer  wiegender  Nachteil 
Beser  beiden  Methoden  besteht  aber  in  der  unvermeidlichen 
erstörung  von  Zahnkeimen.  Dieser  Umstand  allein 
lüsste  schon  genügen,  uns  von  der  Anwen- 
u  n  g  der  genannten  Methoden  abzuhalten. 

Das  Prinzip  der  Spaltausfüllung  kann  auf 
irund  der  durch  meine  Messungen  festgestellten  Resultate 
icht  empfohlen  werden,  insoferne  es  die  abnorme 
erbreiterung  des  gespaltenen  Oberkiefers 
nbeeinflusst  lässt  und  die  falsche  Stellung 
es  Zwischenkiefers  (bei  einseitig  durchgehender 
palte)  nicht  oder  nicht  gebührend  berück- 
ICv,  Praktisch  kommt  dem  genannten  Prinzip  auch 

.  .  mir  wenig  Bedeutung  zu.  weil  die  meisten  auf  diesem 

rmzip  ^hissenden  Methoden  keinen  knöchernen  „harten 
aumen“  herstellen,  und  somit  anatomisch  wie  funktionell  ein 
inderwertiges  Resultat  ergeben  müssen. 

Unter  den  Ueberbrückungsverfahren  ist  das 
teste  die  Methode  von  Krimmer.  Sie  besteht  in  der  Ab- 
sung  der  Gaumenplattenüberzüge  an  den  Alveolarrändern 
id  dem  Umklappen  derselben  um  die  Spaltränder  als  Lappen¬ 
isis.  Dieses  Verfahren  gibt  unzulängliche  Resultate  und  ge- 
esst  nur  noch  historisches  Interesse. 

Dagegen  findet  die  L  a  n  e  sehe  Methode  der  Spaltüber- 
uckung  noch  Anwendung.  L  a  n  e  operiert  innerhalb  des 
;sten  oder  doch  der  ersten  Lebenstage.  Er  überbriiekt  den 
•>alt  mit  grossen  Lappen,  welche  die  ganze  Bekleidung  des 
'Veolarfortsatzes  und  event.  sogar  Teile  der  Wangenschleim- 
u  umfassen,  und  legt  diese  ebenfalls  um  die  Spaltränder  als 
iisis  um  180°  gedrehten  Lappen  in  eine  künstliche  Tasche, 
tlche  im  Bereich  des  harten  Gaumen  zwischen  Schleimhaut- 
Iriostbekleidung  und  knöcherner  Gaumenplatte,  im  Bereich 
[s  weichen  Gaumens  zwischen  nasaler  und  bukkaler  Schleim- 
tut  gelegen  ist. 


_ 1627 

erscheint?,n!raiti0n  a,m..erstJen  Lebenstage  oder  kurz  darnach 
t  scneint  uns  als  zu  früh  und  als  ein  zu  grosser  Eingriff  für  den 

h»  ,Stunder].a'te1n  Säugling.  Technisch  ist  die  L  a  n  e  - 
sehe  Methode  ziemlich  kompliziert.  Sie  hat,  wie  Helbing 
hei  vorhebt,  überdies  den  grossen  Nachteil,  dass  im  Falle  des 
M.sshngens  der  Operation  „kein  anderes  Verfahren  noch  Aus- 

fedenfn  f  den  ,Verscbhlss  ^  Spalte  bietet“.  Wir  erblicken 
jedenfalls  in  dem  von  L  a  n  g  e  n  b  e  c  k  sehen  Verfahren  ein 

SiCherhei‘  ZUnl  ZielC  führe"des 

Unzweifelhaft  ist  unter  den  Ueber- 

spHp  vU0 f sPeth oden  das  von  Langenbeck- 
s  c  h  e  Verfahren  die  Methode  der  Wahl.  Das  An¬ 
wendungsgebiet  dieser  Methode  ist  bei  sachgemässem  Vor- 
f,fnh.e,n  en  oahefU  unbeschränktes.  Das  anatomische  wie 
friedigendes  ReSU  at  m  der  Hand  d;es  Qeübten  ist  ein  sehr  be- 

w„A^n  aUCn  die  L  a  ngenbeck  sehe  Methode  kann  das, 
was  man  sich  von  ihr  verspricht,  nur  halten,  wenn  sie  im 
richtigen  Zeitpunkt  ausgeführt  wird,  d.  h.  wenn  sie  nicht  erst 
im  dritten  Stadium  der  Spaltbildung  Anwendung  findet.  Der 
gegebene  Zeitpunkt  für  die  Operation  der 
Gaumenspalte  nach  v.  Langenbeck  ist  das 
Stadium  der  optimalen  Spaltbreite. 

Wird  im  Stadium  der  optimalen  Spalt- 
o  reite  nach  v.  Langenbeck  operiert,  so  stellt 
sich  unser  Vorgehen  dar  als  eine  Kombination 
von  Spaltannaherung  und  Spaltüberbrückung 
mit  gle1  ch  zeitigem  horizontalerem  Ein¬ 
stellen  der  Gaumenplatten. 


Aus  dem  dermatolog.  Stadtkrankenhause  II  Hannover-Linden. 

Linden. 

Thigan, 

ein  neues  äusserliches  Antigonorrhoikum. 

Von  Dr.  med.  Gustav  Stümpke,  Oberarzt. 

Thigan,  ein  neues  äusserliches  Antigonorrhoikum,  das 
seit  kurzem  von  Dr.  G.  H  e  n  n  i  g  -  Berlin  in  den  Handel  ge¬ 
hl  acht  wird,  ist  eine  chemische  Verbindung  von  Thigenol  und 

S:,,1™  Laufe  V0Tn  ca-  ll/>  Jahren  wurden  annähernd 
4nn  Falle  in  unserem  Krankenhause  mit  ihm  behandelt  Von 
einer  Veröffentlichung  der  Krankengeschichten  sehe  ich  ab,  da 
damit  die  Publikation  über  den  Rahmen  der  beabsichtigten 
kurzen  Mitteilung  hinausgehen  würde. 

Der  Hauptvorzug  des  Thigans  ist  der,  dass  es  in  der 
Konzentration,  in  der  es  bei  uns  gegeben  wurde  —  1  mg  Silber 
m  1  ccm  —  sehr  wenig  Reizerscheinungen  macht.  Es  wurde 
dnhei  nicht  nur  überhaupt  bei  akuten  Gonorrhöen  gern  und  mit 
.rfolg  angewandt,  sondern  bewährte  sich  speziell  überall  da, 
wo  der  Verlauf  der  Gonorrhöe  an  sich  schwer  (schmerzhafte 
Sensationen  bei  foudroyant  verlaufender  Anteriorgonorrhöe) 
oder  wo  Komplikationen  des  Trippers,  wie  Epididymitis,  Pro¬ 
statitis  Zystitis,  Spermatozystitis  Vorlagen,  die  eine  möglichst 
weitgehende  Schonung  des  Urogenitaltraktus  erforderten 
.  n,es^  .  *ute  Verträglichkeit  des  Thigans  beruht  auf 
seinem  gleichzeitigen  Gehalt  an  Thigenol,  das,  wie  aus  seinem 
rebrauch  in  der  Dermatologie  und  Gynäkologie  bekannt  ist, 
eine  antiphlogistische  und  leicht  resorbierende  Wirksamkeit 
entfaltet. 

Dass  unter  dieser  antiphlogistischen  Wirkung  die  bakteri¬ 
zide,  gegen  die  Gonokokken  gerichtete  nicht  leidet,  bewiesen 
uns  die  mikroskopischen  Präparate,  die  bei  der  Mehrzahl  der 
Kranken,  wie  sonst  auch,  w  ö  c  h  e  n  1 1  i  c  h  e  i  n  m  al,  bei  einer 
Reihe  besonders  ausgewählter  Fälle  täglich,  durchgesehen 
wurden.  Da  zeigte  sich,  dass  beispielsweise  in  einem  Falle 
nut  intrazellulären  Gonokokken  im  Uretralschleim  schon  am 
4.  I  age  nach  Beginn  der  Injektionen  keine  Gonokokken  mehr 
gefunden  wurden.  Im  allgemeinen  dauerte  es  8  Tage  bis 
•  ochen  bis  ein  Durchschnittsfall  regelmässig  sich 
wiederholende  negative  Gonokokken befun de 
aufwies. 

Voraussetzung  für  diese  Befunde  war  allerdings,  dass  die 
Behandlung  absolut  streng  durchgeführt  wurde:  5  mal  täglich 


1628 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  29. 


Injektionen  in  die  Harnröhre,  Verweildauer  in  der  Harnröhre 
mindestens  10  Minuten,  Bettruhe  und  zweckmässige  Diät  des 
Kranken. 

Ambulant  behandelte  Fälle  erforderten  natur- 
gemäss  et  was  längere  Zeit,  um  das  gleiche  günstige  Re¬ 
sultat  erkennen  zu  lassen.  Doch  waren  auch  liier  die  Erfolge 
im  allgemeinen  erfreulich.  Die  bakteriziden  Eigenschaften  des 
Thigans  in  vitro  sind  nach  der  üblichen  Methodik  von  bak¬ 
teriologischer  Seite  und  zwar  von  Hern  Prof.  Frey-  Zürich  ) 
festgestellt  worden,  worüber  an  anderer  Stelle  veröffentlicht 
werden  soll. 

Hervorgehoben  muss  werden,  dass  das  T  h  i  g  a  n  von  den 
Patienten  fast  durchweg  als  milde  empfunden 
und  daher  anderen,  mehr  reizenden  Medikamenten  vorgezogen 
wurde. 

Er  scheint  in  der  Tat,  dass  die  Kombination  der  adstrin¬ 
gierenden  mit  der  bakteriziden  Komponente,  wie  sie  im  1  h  i  - 
g  a  n  (Thigenolsilber)  vorliegt,  sich  als  zweckmässig  erweisen 
dürfte. 

Man  kann  aus  diesem  Grund  das  T  h  i  g  a  n  auch  i  m  k  a  - 
tarrhalischen  Stadium  der  Gonorrhöe,  aller¬ 
dings  in  etwas  geringerer  Konzentration,  mit  Erfolg  zur  An¬ 
wendung  bringen. 

Selbstverständlich  ist,  dass  natürlich  auch  Fälle  beobachtet 
wurden,  in  denen  die  Wirkung  des  Thigans  hinter  der  anderer 
bekannter  Antigonorrhoica,  also  z.  B.  des  P  r  o  t  a  r  g  o  1  s,  des 
Hegonons,  offenbar  zurückblieb.  Denen  standen  solche 
gegenüber,  wo  das  vorliegende  Silbersalz  bei  Misserfolgen 
anderer  erfolgreich  in  die  Bresche  springen  konnte.  Man  wird 
eben  auch  bei  dem  Thigan  sich  nicht  auf  ein  Medikament  für 
alle  Fälle  festlegen  können,  sondern  im  gegebenen  Falle  kom¬ 
binieren  müssen.  (Verschiedenheit  der  üonokokkenstännne 
und  ihre  verschiedene  Reaktion  auf  Silbersalze.)  Ueber  die 
Behandlung  der  Frauengonorrhöe  mit  Thigan  stehen 
mir  grössere  Erfahrungen  nicht  zur  Verfügung,  da  mir  seiner¬ 
zeit  die  diesbezügliche  Abteilung  des  Krankenhauses  noch  nicht 
unterstellt  war. 

Um  den  Bedürfnissen  der  Praxis  entgegenzukommen,  gibt 
die  Firma  Dr.  G.  Hennig,  Berlin,  das  Thigan  in  zwei 
Packungen  heraus.  Der  Packung  I,  die  ebenso  wie  II  200  ccm 
des  Medikamentes  enthält,  ist  eine  Tripperspritze  beigegeben, 
ebenso  ein  Messgefäss.  Damit  die  unsaubere  Spritze  nicht 
mit  dem  Inhalt  der  Thiganflasche  in  Berührung  kommt,  wird 
das  Thigan  nicht  aus  der  Flasche  aufgezogen,  sondern  erst 
in  der  gewünschten  Menge  in  das  Messgefäss  umgegossen  und 
von  dort  aus  aspiriert  und  injiziert. 

Meine  Erfahrungen  möchte  ich  dahin  zusammenfassen, 
dass  ich  das  Thigan  für  ein  gutes  äusserliches 
Antigonorrhoicum  halte,  glaube,  dass  es  in  seiner 
Kombination  von  adstringierenden  und  bak¬ 
teriziden  Eigenschaften  eine  Bereicherung 
der  Gonorrhöetherapie  d  a  r  s  t  e  1 1 1,  und  möchte  es 
den  Herren  Kollegen  angelegentlichst  zur  Nachprüfung  emp¬ 
fehlen.  _ 

Ueber  eine  neue  Vorrichtung  zur  Vereisung  kleinerer 
zirkumskripter  Hautbezirke  mit  Aethylchlorid. 

Von  Dr.  Oswald  Berneker  in  Berlin. 

Der  Kohlensäureschnee  hat,  namentlich  in  der  Kosmetik,  eine 
grosse  Bedeutung  gewonnen.  Teils  wird  er,  in  Stifte  geformt,  durch 
kürzeres  oder  länger  dauerndes  Aufpressen  zur  Beseitigung  von 
kleinen  Neubildungen  als  alleiniges  Mittel  gebraucht,  teils  dient  er, 
bei  ganz  flüchtigem  Aufpressen,  in  dieser  Form  zur  Anästhesierung 
für  eine  Encheirese  anderer  Art,  so  z.  B.  für  das  Kromayer  sehe 
Stanzverfahren.  Jedoch  erfordert  die  Herstellung  von  Kohlensäure¬ 
stiften  immerhin  eine  gewisse  Anzahl  von  Apparaten,  die  wohl  der 
Dermatologe  in  sein  Instrumentarium  aufnehmen  kann,  mit  der  sich 
aber  der  allgemeine  Praktiker,  wenn  er  nicht  zufällig  viel  mit  Kos¬ 
metik  zu  tun  hat,  wohl  nicht  gern  belastet. 

Nun  hat  bekanntlich  der  Aethylchloridsoray  (ebenso  Methyl- 
Aethylchlorid  usw.)  auch  die  Eigenschaft,  eine  oberflächliche  Ver¬ 
eisung  der  Haut  und  damit  eine  Anästhesie  hervorzubringen.  Die 
Wirkung  muss  zwar  eine  andere  sein:  Die  Kälte  entsteht  als  Ver¬ 
dunstungskälte,  es  wird  also  nicht  die  tiefe  Temperatur  erreicht,  wie 
beim  Kohlensäureschnee,  auch  fehlt  die  mit  dem  Kohlensäurestift 


mögliche  mehr  oder  minder  starke  Kompression.  Auf  der  anderen 
Seite  ist  wohl  durch  das  Chlor  eine  chemische  Komponente  der  Wir¬ 
kung  mit  leicht  destruierender  Tendenz  gegeben.  Jedenfalls  wurden 
auch  vom  Aethylchloridspray  manche  Resultate  berichtet,  die  an  die 
Wirkungen  des  Kohlensäureschnees  erinnern.  Ich  erwähne  nur  die 
Entfernung  von  Warzen  nach  vorheriger  Abtragung  im  Hautniveau 
und  die  Beseitigung  von  spitzen  Kondylomen  durch  alleiniges  Ver¬ 
eisen  mit  Aethylchlorid. 

Der  Aethylchloridspray  ist  an  und  für  sich  wohl  handlicher  und 
praktikabler  als  die  Kohiensäurevereisung.  Wo  es  aber  auf  An¬ 
wendung  an  ganz  zirkumskripten  Hautstellen  ankommt,  wie  in  der 
Kosmetik,  da  zeigt  sich  eine  Schwierigkeit,  nämlich  den  Strahl  und 
damit  die  Kältewirkung  auf  eine  gewünschte  Hautstelle  zu  dirigieren. 
Besonders  im  Gesicht,  in  der  Nähe  der  Augen,  macht  sich  dieser 
Uebelstand  unangenehm  bemerkbar. 

Vor  Jahren  schon  kam  ich  auf  den  Gedanken,  hier  Abhilfe  zu 
schaffen,  indem  ich  das  Zielen  dadurch  erleichtern  wollte,  dass  ich 
den  Strahl  mit  einem  Glastrichter  abfing,  dessen  kleine  Oeffnung  auf 
die  zu  behandelnde  Hautpartie  aufgepresst  wurde,  und  um  die  durch 
den  Luftabschluss  verminderte  Verdunstung  zu  beschleunigen,  liess 
ich  an  diesem  Trichter  eine  Glasröhre  anbringen,  durch  die  mittels 
eines  Gummigebläses  ein  Luftstrom  auf  den  Boden  des  Trichters  ge¬ 
leitet  wurde.  Aber  diese  Vorrichtung  bewährte  sich  nicht.  Es  gelang 
erst  der  Firma  Louis  &  H.  Loewenstein,  Berlin  N.,  an  die  ich  mich 
wandte,  eine  Anordnung  zu  schaffen,  die  jetzt  allen  Anforderungen 
entspricht. 

Der  kleine  handliche  Apparat  besteht  nunmehr  aus  einem 
metallenen  Trichter,  der  zum  Schutz  der  haltenden  Finger  gegen  die 
Kälte  mit  wärmeisolierendem  Material  umgeben  ist.  Durch  eine  am 
Boden  des  Trichters  mündende  Röhre  wird  durch  ein  Gebläse  ein 
Luftstrom  zugeführt,  der  aus  einer  etwas  darüber  gelegenen  spalt¬ 
förmigen  Oeffnung  entweichen  kann.  Um  das  Herausspritzen  und 
Rcgurgilieren  des  Aethylchlorids  zu  verhindern,  ist  über  der  Trichter¬ 
öffnung  eine  etwa  halbmondförmige  Glasplatte  angebracht.  Endlich 
ist  am  oberen  Rande  ein  Halter  für  die  Aethylchloridtubc  befestigt, 
so  dass  der  Arzt  ohne  Assistenz  mit  beiden  Händen  das  kleine  In¬ 
strumentarium  zur  Anwendung  bringen  kann. 

Herrn  Dr.  Winkler,  der  den  Apparat  in  der  Hautabteilung  des 
Ostkrankenhauses  in  Berlin  erprobt  hat,  sage  ich  an  dieser  Stelle 
meinen  besten  Dank  _ __ 

Eine  Büchse  für  sterile  Gaze. 

Von  Dr.  0.  Michael  in  Leipzig. 

Das  Modell,  dessen  einfache  Einrichtung  durch  beigegebene  Ab¬ 
bildung  erläutert  wird,  ist  zur  Sterilisierung,  Aufbewahrung  und  zum 
Transport  streifenförmiger  Gaze 
bestimmt.  Es  soll,  ohne  in  den 
einzelnen  Teilen  originelles  zu 
enthalten,  diejenigen  Eigen¬ 
schaften  kombinieren,  deren 
Fehlen  das  Arbeiten  mit  steriler 
Gaze  besonders  in  der  chirur¬ 
gischen  und  geburtshilflichen 
Aussenpraxis  erschwert:  Gute 
Ausnutzung  des  Raumes  so¬ 
wohl  in  der  Büchse,  als  auch 
in  der  Verbandtasche,  in  welcher 
diese  getragen  wird,  infolge 
ihres  rechteckigen  Querschnit¬ 
tes;  die  flach  übereinander- 
gelegte  Gaze  lässt  sich  leicht 
durch  den  Schlitz  des  Charnier- 
deckels  herausziehen.  Der  nicht 
verwendete  Teil  des  angerisse¬ 
nen  Streifens  bleibt  unberührt, 
steril,  verwendungsbereit.  Die 
Büchse  wird  in  verschiedenen 
Grössen  vom  Leipziger  Medizi¬ 
nischen  Warenhaus  angefertigt, 
das  auch  Gazepackungen  mit 
verschiedener  Imprägnierung 
liefert. 


Aus  der  Privat-Frauenklinik  von  L.  und  Th.  Landau  in 

Zur  operationslosen  Behandlung  des  Scheiden-  undj 
Gebärmuttervorfalles.  U*s 

Von  Dr.  Hans  Schindler,  Leiter  der  Poliklinik. 

Im  Anschluss  an  die  Arbeit  von  Doldi  in  Nr.  *18  d.  Wschu 
möchte  ich  darauf  hinweisen,  dass  das  dort  angegebene  Verfahren 
der  Rrolapsbehandlung  durch  Gummibälle  bereits  im  Jahre  1898  voll 
dem  damaligen  Assistenten  der  Landau  sehen  Frauenklinik,  den* 
leider  zu  früh  verstorbenen  Dr.  Freudenberg,  ausführlich  publw 
ziert  worden  ist1). 


)  Leiter  des  vet.-path.  Instituts  der  Universität. 


J)  Die  ärztliche  Praxis  1898  Nr.  19. 


iALERIE  HERVORRAGENDER  ÄRZTE  UND  NATURFORSCHER. 


- 


U  GO 


RONECKER. 


Beilage  zur  Münchener  medizinischen  Wochenschrift.  Blatt  342,  1414. 
Verlag  von  J.  F.  LEHMANN  in  München. 


21.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1629 


Wie  Frendenberg  schon  angab,  geht  das  Prinzip  unserer 
Behandlung  auf  die  Methode  von  B  r  e  i  s  k  y  zurück,  der  eiförmige 
Pessare  aus  Hartgummi  zur  Retention  von  Prolapsen  verwandte. 
Biese  B  r  e  i  s  k  y  sehen  Pessare  wiederum  sind  auch  nur  eine  Modi¬ 
fikation  der  von  (iaricl  angegebenen  Kondompessare. 

Angesichts  der  Tatsache,  dass  die  oben  erwähnte  Publikation 
in  einer  wenig  verbreiteten  Zeitschrift  erschienen  ist,  ist  es  nicht 
verwunderlich,  dass  die  Arbeit  den  Fachkollcgen  entgangen  ist.  Um 
so  erfreulicher  ist  es,  dass  nunmehr  wieder  die  Aufmerksamkeit 
weiter  ärztlicher  Kreise  auf  dieses  Verfahren  gelenkt  wird,  das  uns 
in  der  Tat  bei  der  Prolapsbehandlung  ausserordentliche  Dienste 
leistet,  und  dessen  Wert  seit  mehr  als  20  Jahren  in  der  Landau- 
sclien  Poliklinik  von  Behandelten  und  Behandelnden  gleichmässig  an¬ 
erkannt  wird. 

Was  die  Indikation  zur  Anwendung  dieser  Methode  betrifft,  so 
ist  zu  berücksichtigen,  dass  wir  das  Mittel  lediglich  als  Surrogat  der 
Operation  betrachten  und  es  demgemäss  nur  in  den  Fällen  anwenden, 
in  denen  die  Operation  verweigert  wird  oder  mit  Rücksicht  auf  den 
Allgemeinzustand  (Marasmus,  Herz-  und  Lungenerkrankungen  etc.) 
untunlich  erscheint.  Ferner  wenden  wir  den  Ball  in  der  Regel  nur 
bei  Frauen  in  der  Klimax  an. 

Hinzufügen  möchte  ich,  dass  ich  unter  den  zahlreichen  Fällen,  die 
ich,  z.  T.  viele  Jahre,  zu  beobachten  Gelegenheit  hatte,  nur  einige 
wenige  gesehen  habe,  in  denen  der  Ball  in  der  Scheide  keinen  ge¬ 
nügenden  Halt  hatte  oder  der  Patientin  Beschwerden  verursachte. 
Besonders  die  Fälle  von  Riesenprolaps  sind  unserer  Behandlung  stets 
zugänglich  gewesn,  so  dass  ich  noch  nie  in  die  Lage  kam,  einen 
Hysterophor  zu  verwenden.  Ulzerationen  der  Scheide  oder  sonstige 
Schädigungen,  abgesehen  von  leichtem  Fluor,  habe  ich  nie  gesehen, 
auch  dann  nicht,  wenn  die  Frauen  jahrelang  ihren  Ball  trugen,  der 
natürlich  in  angemessenen  Zwischenräumen  gewechselt  werden  muss. 

Die  von  D  o  1  d  i  angegebene  Zange  erscheint  zweckent¬ 
sprechend  und  praktisch.  Doch  kommt  für  uns  die  Anwendung  eines 
derartigen  Instrumentes  nur  selten  in  Frage.  Wir  sind  vielmehr 
gewohnt,  einen  Ball,  der  6 — 8  Wochen  getragen  wurde,  mit  der 
Kugelzange  zu  entfernen,  um  einige  Tage  später  einen  neuen  Ball 
einzuführen,  und  zwar  deshalb,  weil  der  Weichgummi,  auch  der 
vulkanisierte,  rote,  sich  bei  längerem  Liegen  in  der  Scheide  zersetzt 
und  für  die  Luft  durchlässig  wird,  so  dass  der  Ball  zusammen¬ 
klappt  und  seinen  Zw'eck  nicht  mehr  erfüllen  kann. 


Ueber  die  Moro-Doganoffsche  Reaktion  und? über 
eine  neue  Tropfenpflasterreaktion. 

Zur  Bemerkung  von  Dozent  Dr.  N.  Blumenau  - St.  Peters¬ 
burg  (d.  Wschr.  Nr.  26  S.  1488)  von  Moro  in  Heidelberg. 

% 

Die  kurze  Bemerkung  des  Herrn  Blumenau  gegenüber  einem 
Referat  von  Liebe  enthält  2  Irrtümer,  die  hiermit  aufgeklärt  wer¬ 
den  sollen: 

1.  Die  perkutane  Salbenreaktion  ist  nicht  von  Doganoff  und 
m  i  r  vorgeschlagen  worden,  sondern  stammt  ausschliesslich  von  mir. 
Die  Bezeichnung  Moro-Doganoffsche  Reaktion  ist  daher  unzu¬ 
treffend.  Der  gleiche  Irrtum  findet  sich  im  Schlossmann  sehen 
Artikel  über  Tuberkulose  im  Handbuch  von  Pfaundler-Schloss¬ 
mann  und  ist  vielleicht  aus  dieser  Quelle  in  die  Literatur  über¬ 
gegangen.  Zu  diesen  Missverständnissen  kann  nur  der  Umstand  ge¬ 
führt  haben,  dass  ich  die  erste  Mitteilung  über  die  Reaktion  im  Nach¬ 
trag  zur  Korrektur  eines  mit  Doganoff  gemeinsam  publizierten  Ar¬ 
tikels  „Zur  Pathogenese  gewisser  Integumentveränderungen  bei  Skro¬ 
fulöse“  (W.kl.W.  1907  Nr.  31)  — allerdings  ausdrücklich  nur  in  meinem 
Namen  —  veröffentlicht  habe. 

Da  die  Reaktion  in  der  Literatur  sonst  meist  nur  meinen  Namen 
führt,  so  liegt  es  mir  daran,  diesen  Sachverhalt  festzustellen,  damit 
es  nicht  den  Anschein  erweckt,  als  hätte  ich  eine  Autorschaft,  die 
von  rechtswegen  geteilt  werden  sollte,  stillschweigend  allein  über¬ 
nommen. 

2.  Die  „Tropfenpflasterreaktion“  ist  im  Prinzip  nicht  neu.  Ich 
habe  bereits  1909  in  Brauers  Beiträgen  über  eigene  Erfahrungen  mit 
Tuberkulinpflasterreaktionen  berichtet,  verzichtete  jedoch  schon  da¬ 
mals  auf  die  Fortführung  dieser  meiner  Versuche,  da  sich  die  Re¬ 
aktionen  wegen  des  bei  einzelnen  Kindern  in  unspezifischer  Weise 
hervortretenden  Pflasterreizes  als  unzuverlässig  erwiesen  haben. 

- #•£==£••• - 

Hugo  Kronecker  f. 

Von  Prof.  Paul  Heger  in  Brüssel. 

Die  Nachricht  von  dem  Tode  Hugo  Kronecker  s,  der 
auf  der  Rückreise  von  der  Tagung  der  Deutschen  Gesellschaft 
für  Physiologie  am  6.  Juni  einem  Schlaganfall  erlag,  hat  seine 
zahlreichen  Freunde  mit  tiefer  Trauer  erfüllt,  wenn  sie  auch 
auf  ein  plötzliches  Ende  des  rastlos  Tätigen  gefasst  sein  muss¬ 
ten.  Wohl  hatte  Kronecker  eine  aussergewöhnliche 
Frische  sich  bewahrt  und  hielt  trotz  seiner  75  Jahre  noch 
regelmässig  seine  Vorlesungen  an  der  Universität  Bern.  Für 


seine  unverminderte  Produktivität  zeugten  bis  zuletzt  die  Ar¬ 
beiten  seines  Laboratoriums  sowie  die  zahlreichen  Mittei¬ 
lungen,  in  denen  er  den  wissenschaftlichen  Gesellschaften  der 
Schweiz  und  des  Auslandes  über  ihre  Resultate  berichtete. 

Aber  obgleich  Kronecker  so  bis  an  sein  Ende  über  die 
ganze  Lebhaftigkeit  seines  Geistes  und  seinen  durchdringend 
kritischen  und  scharfen  Verstand  verfügte  und  seine  be¬ 
wundernswürdige  Arbeitskraft  behalten  hatte,  so  war  doch, 
wie  sein  Berner  Freund  und  Kollege  Prof.  Sahli  in  einem 
Nekrolog  unter  dem  unmittelbaren  Eindruck  des  Todes  sagte, 
die  unaufhaltsame  lebenvernichtende  Arbeit  der  Natur  unter 
der  wenig  veränderten  Oberfläche  schon  so  weit  fortgeschrit¬ 
ten,  dass  der  leiseste  Windhauch  seinem  Dasein  ein  Ziel 
setzen  konnte. 

Kronecker  war  am  27.  Januar  1839  in  Liegnitz  ge¬ 
boren.  Seine  Gymnasialstudien  vollendete  er  in  seiner  Vater¬ 
stadt  und  zeigte  schon  in  diesen  Jahren  Vorliebe  für  Mathe¬ 
matik  und  Naturwissenschaft.  Durch  seinen  viel  älteren  Bru¬ 
der,  den  grossen  Mathematiker  Leopold  Kronecker  und 
durch  dessen  medizinische  Freunde  empfing  er  in  dieser  Rich¬ 
tung  entscheidende  Jugendeindrücke.  Er  wandte  sich  dem 
Studium  der  Medizin  in  Berlin,  Heidelberg  und  Pisa  zu.  Durch 
diesen  längeren  Aufenthalt  an  der  Universität  Pisa  wurde  er 
schon  in  jungen  Jahren  in  Italien  heimisch,  1863  erwarb 
er  den  Doktorgrad  an  der  Universität  Berlin  und  erhielt  1865 
seine  Approbation  als  Arzt.  Aber  schon  in  seiner  Studenten¬ 
zeit  hatte  sich  die  Liebe  zur  Physik  und  Physiologie  als  die 
richtunggebende  Kraft  seines  Lebens  erwiesen.  Schon  in 
jungen  Semestern  hatte  er  dem  seiner  Familie  befreundeten 
Kliniker  Traube  bei  seinen  physiologischen  Experimenten 
assistiert;  in  Heidelberg  wurde  er  durch  H  e  1  m  h  o  1 1  z  für  die 
Physiologie  begeistert  und  auf  Anregung  von  H  e  1  m  h  o  1 1  z 
und  unter  Leitung  von  dessen  damaligem  Assistenten  Wundt 
begann  er  schon  als  Heidelberger  Student  auf  dem  Gebiete  der 
Muskelphysiologie  selbständig  zu  arbeiten.  Dennoch  widmete 
er  sich  nach  der  Absolvierung  seiner  medizinischen  Studien 
nicht  unmittelbar  der  Physiologie,  sondern  wurde  zunächst 
Privatassistent  in  der  Klinik  T  raube  s.  Bekanntlich  war 
dieser  grosse  Kliniker  einer  der  überzeugtesten  Anhänger  der 
Zusammenarbeit  von  Physiologie  und  praktischer  Medizin, 
und  seine  „Gesammelten  Beiträge  zur  Pathologie  und 
Physiologie“  sind  ein  Markstein  dieser  wissenschaftlichen  Rich¬ 
tung.  Kronecker  bewahrte  aus  dieser  Zusammenarbeit 
Verständnis  und  Interesse  an  klinischen  Fragestellungen. 
Bald  aber  verliess  er  das  Gebiet  der  praktischen  Medizin, 
nachdem  er  in  dem  Physiologen  Kühne  einen  Führer  und 
Freund  gefunden  hatte,  durch  dessen  täglichen  Einfluss  er  in 
Kühnes  Laboratorium  für  immer  der  Physiologie  gewonnen 
wurde.  Es  war  die  Zeit,  in  der  K  ü  h  ne  durch  seine  hervor¬ 
ragenden  Arbeiten  über  die  Verdauung  und  über  die  Chemie 
des  Eiweisses  auf  dem  Gebiete  der  physiologischen  Chemie 
bahnbrechend  wirkte. 

1868  ging  Kronecker  nach  Leipzig,  woselbst  Ludwig 
seit  2  Jahren  als  Lehrer  der  Physiologie  tätig  war.  187! 
wurde  er  L  u  d  w  ig  s  Assistent.  Der  Meister  erkannte  die 
glänzenden  Fähigkeiten  Kronecker  s,  die  Zuverlässigkeit 
seines  Charakters  und  seine  Arbeitskraft.  Aber  auch  alle,  die 
in  jener  Zeit  das  berühmte  Laboratorium  Karl  Ludwigs 
in  der  „Waisenhausstrasse“  besuchten,  sahen  in  Kronecker 
die  Seele  dieser  Arbeitsgemeinschaft.  Wir  haben  hier  nicht 
von  den  grossen  Verdiensten  des  Meisters  zu  sprechen,  an  den 
sich  Kronecker  angeschlossen  hatte;  aber  so  viel  lässt 
sich  sagen;  wenn  die  Schule  Karl  Ludwigs  einen  so  raschen 
Aufschwung  nahm,  so  verdankte  sie  dies  zum  Teil  auch 
Kronecker. 

Um  1870  und  in  den  folgenden  Jahren  war  das  Leipziger 
Laboratorium  ein  internationales  Zentrum  der  aufstrebenden 
Physiologie.  Kronecker  kam  dahin  vorbereitet  durch 
seine  vorangegangene  Ausbildung  unter  H  e  1  m  h  o  1 1  z, 
Wund  t,  unter  B  u  n  s  e  n  und  Kirchhoff  und  war  so 
recht  geeignet,  die  weit  ausschauenden  und  vielseitigen  Arbeits¬ 
pläne  zu  fördern,  die  Ludwig  anregte.  Dazu  kam.  dass 
Kronecker  französisch,  englisch  und  italienisch  mit  der 
gleichen  Leichtigkeit  sprach,  wie  seine  Muttersprache  und  sich 
in  dem  internationalen  Kreise  der  Physiologen  völlig  heimisch 


1630 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  29. 


fühlte,  die  aus  allen  Teilen  der  Welt  nach  Leipzig  gekommen 
waren,  um  unter  Ludwigs  Leitung  zu  arbeiten.  Damals 
knüpften  sich  die  Beziehungen  Kroneckerszu  auswärtigen 
Fachgenossen,  die  das  Leben  unseres  Freundes  verschönt  haben 
und  denen  er  stets  treu  geblieben  ist.  Eine  Art  von  wissen¬ 
schaftlicher  Brüderschaft  entstand  in  der  Zusammenarbeit  des 
Leipziger  Laboratoriums.  Um  nur  einige  Namen  derer  zu 
nennen,  die  Schüler  Ludwigs  und  gleichzeitig  Freunde 
Kroneckers  wurden,  seien  von  seinen  Arbeitsgenossen 
erwähnt:  Braune,  Schwalbe,  Hüfner,  Gaule, 

v.  Kries,  B  o  w  d  i  t  c  h  und  M  i  n  o  t  aus  Boston,  L  u  c  i  a  n  i 
und  M  o  s  s  o  aus  Italien,  H  e  g  e  r  aus  Brüssel,  E.  v.  F 1  e  i  s  c  h  1 
und  S.  Basch  aus  Wien,  H  o  1  m  g  r  e  n  aus  Upsala,  Lauder 
B  r  u  n  t  o  n  und  Y  e  o  aus  London,  G  a  s  k  e  1 1  aus  Cambridge, 
L  c  p  i  n  e  aus  Lyon,  Tigersted  t,  Schäfer,  Stirling, 
Meitzer,  Fano,  Sticnon;  aber  die  Liste  wäre  weit 
länger,  wenn  man  sie  vervollständigen  wollte.  Manche  sind 
Kroneck^r  schon  im  Tode  vorangegangen.  Es  war  keiner 
unter  diesen  Physiologen,  der  nicht  einen  Teil  der  herzlichen 
Verehrung  für  Karl  Ludwig  auch  auf  Kronecker  über¬ 
trug.  Und  Kronecker  war  es,  durch  dessen  Einfluss  die 
verschiedenen  Glieder  dieser  Physiologenfamilie  trotz  der 
weiten  Entfernungen  untereinander  verbunden  blieben.  Nach 
dem  Tode  des  Meisters  hat  Kronecker  die  experimentelle 
Tradition  dieser  Schule  fortgesetzt,  der  die  moderne  Physio¬ 
logie  so  grosse  Fortschritte  verdankt. 

Nachdem  sich  Kronecker  1872  mit  einer  Schrift  „Ueber 
die  Ermüdung  und  Erholung  quergestreifter  Muskeln“  in 
Leipzig  habilitiert  hatte,  wurde  er  1875  ausserordentlicher 
Professor  in  Leipzig.  1878  wurde  er  als  Abteilungsvorsteher  am 
physiologischen  Institut  der  Universität  nach  Berlin  berufen, 
um  dort  in  naher  Beziehung  zu  du  Bois  Reymond  seine 
Lehrtätigkeit  fortzusetzen.  1884  übernahm  Kronecker  den 
Lehrstuhl  der  Physiologie  in  Bern,  der  vorher  Valentin,  dann 
Luchsinger  und  vorübergehend  Grützner  anvertraut 
war.  Kronecker  fasste  bald  den  Plan,  den  Unterricht  durch 
den  Neubau  eines  Instituts  zu  vervollkommnen,  das  allen  Be¬ 
dürfnissen  der  modernen  Wissenschaft  genügen  sollte.  Er 
widmete  sich  völlig  dieser  Aufgabe  und  das  Verständnis  der 
Berner  Behörden  für  die  Bestrebungen  der  Wissenschaft  er- 
möglichste  die  Durchführung  seines  liebevoll  durchdachten 
Bauplanes.  Auf  Wunsch  Kroneckers  erhielt  das  neue  In¬ 
stitut  den  Namen  „Hallerianum“  zur  Erinnerung  an  den  grossen 
Gelehrten  Albrecht  v.  Haller,  dessen  Denkmal  heute  vor 
dem  Berner  Universitätsgebäude  steht. 

Es  mag  Kronecker  nicht  leicht  geworden  sein,  seine 
Heimat  zu  verlassen,  die  er  als  guter  Deutscher  liebte,  und  der 
er  auch  als  freiwilliger  Arzt  in  den  Feldzügen  1866  und  1870 
gedient  hatte;  aber  das  Bewusstsein  von  der  grossen  wissen¬ 
schaftlichen  Aufgabe,  die  er  in  Bern  zu  erfüllen  hatte,  fesselte 
ihn  an  die  Schweiz,  und  von  ganzem  Herzen  hat  er  auch  dem 
neuen  Vaterlande  gedient.  Kroneckers  Stellung  in  Bern 
war  aber  besonders  dazu  geeignet,  die  internationalen  Auf¬ 
gaben  der  Physiologie  zu  fördern.  Es  konnte  keinen  bes¬ 
seren  Vertreter  solcher  Bestrebungen  internationalen  Zu¬ 
sammenschlusses  geben  als  Kronecker,  dessen  persönliche 
Liebenswürdigkeit  seine  wissenschaftlichen  Beziehungen  aus 
der  internationalsten  Physiologenschule  zu  eben  so  vielen 
Freundschaften  gestaltet  hatte.  Nach  10  Jahren  seiner  Tätig¬ 
keit  in  Bern  vereinigte  Kronecker  im  August  1895  dort  die 
Physiologen  auf  dem  internationalen  Physiologenkongress,  den 
er  selbst  mitbegründet  hat:  denn  im  Hause  von  Professor 
Kronecker  in  Bern  entschied  sich  im  September  1888  in 
einem  kleinen  Freundeskreise  die  Begründung  dieses  inter¬ 
nationalen  Kongresses,  der  seine  erste  Tagung  in  Basel  unter 
dem  Vorsitz  von  H  o  1  m  g  r  e  n  im  Institute  Professors 
Mieschers  im  September  1889  abhielt.  Mit  Michael 
F  o  s  t  e  r  zusammen  setzte  es  Kronecker  durch,  dass  diese 
Kongresse  im  wesentlichen  den  Demonstrationen  neuer  Experi¬ 
mente  und  weniger  nur  mündlichen  Vorträgen  dienen. 

Noch  eine  zweite  internationale  Institution  verdankt  ihre 
Entstehung  der  Initiative  des  Berner  Professors.  Mit  dem 
Physiologen  M  a  r  e  y.  der  die  graphischen  Methoden  der 
Physiologie  vielfach  verbessert  und  die  Kinematographie  zu¬ 
erst  auf  das  Studium  der  Bewegungsvorgänge  angewandt  hat, 


war  Kronecker  durch  die  gleichen  wissenschaftlichen 
Interessen  und  durch  langjährige  Freundschaft  verbunden. 
So  kam  es,  dass  sich  Kronecker  sehr  lebhaft  an  der  Be¬ 
gründung  des  „Institut  Marey“  in  Paris  beteilgte,  das  der 
Fortbildung  und  Kontrolle  physiologischer  Instrumente  und 
Methoden  gewidmet  ist.  1906  wurde  Kronecker  zum  Prä¬ 
sidenten  des  Institut  Marey  gewählt.  Mit  seinem  italienischen 
Freunde  M  o  s  s  o  zusammen  war  Kronecker  ferner  an  der 
Schöpfung  der  internationalen  Arbeitsstation  auf  dem  Monte 
Rosa  beteilgt,  wo  er  auch  die  Bergkrankheit  speziell  studierte. 

So  hat  Kronecker  wie  kein  zweiter  in  der  Physiologie 
den  internationalen  Zusammenhang  in  der  Wissenschaft  ver¬ 
körpert  —  in  der  Wissenschaft,  die  keine  Grenzen  kennt  und  die 
in  unseren  Augen  als  der  höchste  Ausdruck  jenes  Zusammen¬ 
gehörigkeitsgefühls  aller  Gebildeten  erscheint,  das  in  der  Welt 
immer  mehr  an  Geltung  gewinnt. 

Unter  Kroneckers  Direktion  wurde  auch  das  Hal¬ 
lerianum  wie  einst  das  Laboratorium  Ludwigs  in  Leipzig 
ein  internationales  Zentrum  der  Arbeit,  das  von  Physiologen 
aller  Länder  gerne  aufgesucht  wurde.  Sie  waren  sicher,  bei 
Kronecker  die  freundlichste  Aufnahme  und  zugleich  über¬ 
aus  fruchtbare  Anregungen  zu  finden.  Das  wissenschaftliche 
Arbeitsgebiet  Kroneckers  und  seiner  zahlreichen  Schüler 
umfasst  fast  alle  Gebiete  der  Physiologie.  Dies  zeigt  am  besten 
die  Liste  seiner  und  seiner  Schüler  Publikationen,  die  gegen 
250  Nummern  aufweist. 

Die  zuletzt  datierte  Publikation  Kroneckers  trägt  den 
Titel:  „Considerations  sur  la  cause  du  mal  de  montagne“. 
Sie  wurde  in  der  Academie  Royal  de  Medicine  de  Bruxelles  in 
ihrer  Sitzung  vom  25.  April  1914  mitgeteilt.  Sie  verfolgt  einen 
Gedankengang  der  1892  mit  den  Studien  Kroneckers  über 
die  Bergkrankheit  begonnen  hatte.  Damals  war  der  Berner 
Professor  von  der  Eidgenössischen  Regierung  vor  der  Er¬ 
teilung  der  Baukonzession  an  die  Jungfraubahn  mit  einem  Gut¬ 
achten  darüber  betraut  worden,  ob  durch  die  rasche  Be¬ 
förderung  auf  die  Höhe  von  4000  m  Gefahren  für  die  Gesund¬ 
heit  des  Menschen  entstehen  könnten.  Sein  Gutachten  fiel 
bekanntlich  günstig  aus,  und  die  Zukunft  hat  Kronecker 
recht  gegeben.  Aber  gleichzeitig  mit  der  Entscheidung  der 
Frage  vom  praktischen  Standpunkt  aus  fasste  er  sie  vom 
Standpunkte  der  Pathogenese  der  in  bedeutenden  Höhen  ein¬ 
tretenden  Störungen  ins  Auge  und  vertiefte  sie  wissenschaft¬ 
lich.  Seine  Studien  führten  Kronecker  zu  der  Auffassung, 
dass  die  Bergkrankheit  ein  Syndrom  wesentlich  mechanischen 
Ursprungs  sei,  da  die  Lüftverdünnung  in  der  Höhe  zur  Stauung 
in  den  Lungengefässen,  zu  Ueberfüllung  der  Lungenvenen  und 
zu  Lungenödem  führen  könne.  Kronecker  erlebte  nicht 
die  Befriedigung,  diese  Theorie  allgemein  anerkannt  zu  sehen, 
denn  die  Mehrzahl  der  Autoren  stellte  sich  mehr  auf  die  Seite 
der  von  Jourdanel  und  von  Paul  Bert  vertretenen  An¬ 
schauung,  welche  die  Bergkrankheit  auf  die  Verminderung  der 
Sauerstoffspannung  in  bedeutender  Höhe  zurückführt.  Den¬ 
noch  haben  die  von  Kronecker  herangezogenen  Argumente 
ihre  Beweiskraft  voll  behalten,  und  man  kann  sagen,  dass  die 
Frage  noch  heute  unentschieden  ist:  adhuc  sub  judice  lis  est. 
Es  war  eine  der  letzten  Freuden,  die  Kronecker  erlebte, 
von  neuen  Tatsachen  zu  erfahren,  welche  insbesondere  durch 
S  t  r  o  h  1  -  Zürich,  durch  Heger  und  durch  Dr.  Adolf 
Rempen  - Biel  als  experimentelle  Stützen  für  seine  Theorie 
beigebracht  wurden.  Kronecker  betrachtete  die  Berg¬ 
krankheit  im  wesentlichen  als  „kardiale  Dyspnoe“  durch  Ueber¬ 
füllung  des  Lungenkreislaufes.  Wir  teilen  diese  Ansicht  völlig 
und  zweifeln  nicht  daran,  dass  ihre  experimentelle  Begründung, 
die  Kronecker  durch  seine  Studien  inauguriert  hat,  im 
Laufe  der  Zeit  die  Theorie  bestätigen  wird,  die  er  vor  20  Jahren 
aufgestellt  hat. 

Aber  es  kommt  nicht  darauf  an,  wer  recht  hat  und  wer 
unrecht  in  solchen  wissenschaftlichen  Diskussionen:  die  Mei¬ 
nungsverschiedenheiten  sind  nicht  das  wesentliche,  das  wesent¬ 
liche  ist  die  experimentelle  Ergriindung  der  Tatsachen!  Und 
Kronecker  hat  nicht  einen  Tag  seines  langen  Gelehrten¬ 
lebens  geruht,  auf  dem  steinigen  Wege  der  experimentellen 
Forschung  methodisch  weiterzuschreiten.  Wenn  er  auf  diesem 
Wege  Gestrüpp  fand,  und  wenn  der  Weg  auch  manchmal 
dornenvoll  war,  er  hat  sich  niemals  darum  bekümmert!  Auch 


21.  Juli  1914. 


1631 


MUENCHENER  MEDIZINISCH!:  WOCHENSCHRIFT. 


in  wissenschaftlichen  Polemiken,  die  er  ausfechten  musste, 
behielt  er  seine  natürliche  wohlwollende  Art  und  er  hat  immer 
nur  die  Sache  und  niemals  die  Person  bekämpft.  So  kann  man 
von  Kronecker  in  Wahrheit  sagen,  dass  er  nur  Freunde 

gehabt  hat. 

Es  ist  nicht  möglich,  das  Lebenswerk  Kroneckers  in 
diesem  Augenblicke  näher  zu  analysieren.  Wir  werden  leichter 
dazu  imstande  sein,  wenn  wir  erst  in  der  Zeiten  Lauf  den 
Abstand  gewonnen  haben,  um  die  Höhe  seiner  Leistungen 
richtig  einschätzen  zu  können.  Ein  in  jeder  Hinsicht  bedeut¬ 
sames  Gelehrtenleben  ist  abgeschlossen.  Die  Schule  Karl 
Ludwigs  hat  in  Kronecker  einen  ihrer  hervorragend¬ 
sten  Vertreter  verloren. 

Freunde  Kroneckers,  welche  das  Andenken  des  Berner 
Professors  festhalten  wollen,  haben  die  Frage  aufgeworfen,  wie 
dies  am  besten  zu  geschehen  habe.  Wir  möchten  ihnen  ant¬ 
worten:  Es  erscheint  gerecht  und  wünschenswert,  dass  in 
dem  Hallerianum  zu  Bern,  der  Schöpfung  Kroneckers  sein 
Denkmal  aufgestellt  werde,  denn  er  hat  nicht  bloss  den’  Bau 
dieses  Instituts  geleitet,  sondern  auch  geistig  den  guten  Namen 
und  den  Ruhm  dieser  Anstalt  begründet.  Der  Tribut  unserer 
Dankbarkeit  gebührt  ihm  als  einem  Nachfolger  Hallers 
Wir  wünschen  deshalb,  dass  Kroneckers  Büste  den  Vor¬ 
raum  des  Instituts  oder  seinen  Hörsaal  schmücke.  Sie  ist  von 
ausgezeichneter  Künstlerhand  geschaffen  und  gibt  seine  geist¬ 
vollen  und  gütigen  Züge  in  1  reue  wieder.  Wie  in  dieser  Form 
das  Andenken  Kroneckers  in  Marmor  verkörpert  bleiben 
wird,  so  wird  es  verklärt  in  der  Erinnerung  aller  derer  fort¬ 
leben,  die  ihn  gekannt  haben1). 


Fortbildungsvorträge  und 
Uebersichtsreferate. 

Die  Ernährung  als  Krankheitsursache  und  Heilfaktor1). 

Von  Prof.  Dr.  Schittenhelm  in  Königsberg  i.  Pr. 

Die  ausserordentlichen  Fortschritte,  welche  in  unserer  Zeit  auf 
allen  Gebieten  der  Naturwissenschaften  und  der  Medizin  zu  ver¬ 
zeichnen  sind,  haben  auch  auf  dem  Gebiete  der  Ernährung  zu  neuen 
Tatsachen  und  Erkenntnissen  geführt.  Physiologie  und  Hygiene  be¬ 
ll111;.1.^,  sich,  die  Fragen  der  rationellen  Volksernährung  zu  klären,  ein 
Bedürfnis,  das  um  so  dringender  wird,  je  einschneidender  volkswirt¬ 
schaftliche  Aenderungen  in  die  sozialen  Verhältnisse  der  grossen 
Massen  eingreifen.  Die  eminente  praktische  Bedeutung  dieser  Fragen 
liegt  klar  auf  der  Hand.  Auch  der  Praktiker  muss  sich  mit  ihnen  ein¬ 
gehend  befassen,  nicht  nur  weil  er  berufen  ist,  die  Lehren  der  Er- 
nahrungsphysiologie  am  Kranken  durchzuführen  und  im  Einzelfall  in 
zweckmässiger  Weise  zu  modifizieren,  sondern  weil  er  durch  seine 
enge  Berührung  mit  den  breiten  Volksmassen  auch  verpflichtet  ist, 
trnahrungsschäden  nachzugehen,  wo  es  fehlt  zu  reformieren  und  mit 
seinem  Rate  die  richtigen  Bahnen  erkennen  zu  lernen.  Wir  haben 
daher  allen  Grund,  uns  aufs  eingehendste  mit  den  Streitfragen  der 
Ernährungslehre  zu  befassen  und  uns  zu  überlegen,  welche  Rück¬ 
wirkungen  neue  Tatsachen  und  Ansichten  auf  unser  spezielles 
Arbeitsgebiet  haben  werden. 

Keine  Stätte  ist  geeigneter,  derartigen  Ueberlegungen  nachzu¬ 
gehen,  wie  gerade  München.  Hier  steht  die  Wiege  der  modernen 
Ernährungslehre.  Hier  wurde  sie  durch  Liebig,  Pettenkofer 
und  Voit  zur  Wissenschaft  erhoben. 

Carl  v.  Voit  hat  bekanntlich  auf  Grund  von  eingehenden 
statistischen  Erhebungen  und  exakten  Stoffwechseluntersuchungen, 
die  die  Ernährung  mehr  nach  stofflichen  Gesichtspunkten  studierten, 
Normen  geschaffen,  nach  denen  die  allgemeine  Ernährung  sich  zu 
regeln  hat.  Er  stellte  für  die  Zusammensetzung  der  Kost  eines  mitt¬ 
leren  Arbeiters  118  g  E  i  w  e  i  s  s,  56  g  Fett  und  500  g  Kohle- 
•  'i?  * e  a^s  Mittelmass  auf.  Ein  Nichtarbeitender  braucht  weniger, 

ein  Schwerarbeitender  mehr,  wobei  neben  den  stickstofffreien  Kom¬ 
ponenten  auch  das  Eiweiss  nach  oben  und  unten  etwas  schwankt. 

Die  Voit  sehen  Angaben  brachten  zum  erstenmal  einen  zahlen- 
massigen  Ausdruck  dafür,  wie  die  Zusammensetzung  einer  Kost  be¬ 
scharten  sein^  muss,  die  allen  Anforderungen  entspricht.  Sie  gaben 
daium  die  Grundlage  ab  für  die  Aufstellung  der  Speisezettel  für 
Massen  küchen  (Soldatenküchen  etc). 

Die  V  o  i  t  sehen  Feststellungen  wurden  erweitert  durch  die 
glanzenden  Untersuchungen  R  u  b  n  e  r  s,  der  die  energetische 
Betrachtung  einführte  und  in  zahlreichen  mühevollen  Unter¬ 
suchungen  die  Rolle  der  Nahrungsmittel  als  Wärme- 

D  Mr.  le  Professeur  G  o  1 1 1  i  e  b,  de  Heidelberg,  a  eu  l’obligeance 
de  traduire  l’article  qui  precede  et  il  Ta  complete  en  plus  d’un  point. 
Je  Ie  remercie  de  cette  amicale  collaboration.  P.  H. 

’)  Nach  einem  am  20.  VI.  14  in  München  gehaltenem  Vortrag. 


quelle  und  Energiespender  verfolgte.  Er  deckte  wichtige 
Gesetze  auf.  Das  Gesetz  der  Isodynamie  lehrt  uns,  wie  sich 
die  einzelnen  Nahrungsstoffe  nach  ihrem  Kaloriengehalt  vertreten 
können,  wobei  dem  Eiweiss  eine  Ausnahmestellung  zukommt,  die 
übrigens  auch  Voit  längst  bekannt  war,  aber  nur  in  qualitativer 
nicht  in  quantitativer  Hinsicht.  Er  zeigte  uns  ferner,  dass  nahe 
Beziehungen  bestehen  zwischen  der  Grösse  der 
Körperoberfläche  und  der  Grösse  des  Nahrungs¬ 
bedarfes  und  konstatierte  die  relative  Unabhängigkeit  desselben 
vom  Körpergewichte. 

Die  Feststellungen  von  Voit  und  Rubner  haben  unseren  An¬ 
sichten  über  die  Ernährung  feste  wissenschaftliche  Grundlagen  ge¬ 
geben  und  wir  sind  heute  gewöhnt,  die  Zusammensetzung  der  Nahrung 
nach  stofflichen  und  energetischen  Gesichtspunkten  zu 
diktieren.  Die  Kenntnisse  des  physiologischen  Stoffwechsels  wurden 
dann  auf  die  Pathologie  übertragen,  wo  sie  äusserst  fruchtbringend 
wirkten.  Man  ist  jetzt  noch  dauernd  bemüht,  die  Beziehungen 
zwischen  Ernährung  und  gewissen  Krankheits¬ 
zuständen  zu  klären,  Es  wäre  unmöglich,  im  Rahmen  eines 
kurzen  Vortrages  das  ganze  Gebiet  erschöpfend  zu  behandeln.  Ich 
muss  mich  daher  auf  die  Erörterung  einiger  besonders  wichtiger  und 
neuerdings  viel  diskutierter  Punkte  beschränken. 

Im  Mittelpunkt  zahlreicher  Erörterungen  der  letzten  Zeit  steht 
die  Frage,  welche  Rolle  spielt  das  Eiweiss  in  unserer 
Ernährung?  Der  Grundsatz,  dass  das  Eiweiss  unter  den  orga¬ 
nischen  Nahrungsstoffen  eine  Ausnahmestellung  einnimmt,  indem  es 
stofflich  durch  keinen  anderen  Nahrungsstoff  ersetzt  werden  kann, 
steht  absolut  fest.  Um  so  eifriger  wird  aber  die  Frage  umstritten, 
wie  hoch  der  tägliche  absolute  Eiweissbedarf  des 
Menschen  sich  stellt.  Man  hat  mit  Recht  darauf  hingewiesen, 
dass  zahlreiche  Menschen  viel  zu  grosse  Mengen 
ei  weisshaltiger  Nahrungsmittel,  vor  allem  Fleisch, 
dauernd  aufnehmen  und  dass  diese  Bevorzugung  mancherlei  Ge¬ 
fahren  für  die  Gesundheit  mit  sich  bringt.  Dadurch  wurde  die 
Reaktion  ausgelöst.  Es  wird  nunmehr  von  beachtenswerten  Seiten 
eine  starke  Einschränkung  empfohlen,  die  zu  wesentlich 
niedereren  täglichen  Eiweisswerten  führt,  als  die  allgemein  anerkannten 
Voit  sehen  und  Rubner  sehen  Normen.  Eine  Kardinalfrage 
ist  bei  dem  ganzen  Streit,  ob  es  rationell  ist,  die  seitherigen 
Normen  für  das  Nahrungseiweiss  erheblich  herab¬ 
zusetzen  und  sie  mehr  der  Grenze  der  lebenswichtigen  Eiweiss¬ 
zufuhr,  dem  physiologischen  Eiweissminimum,  anzu¬ 
nähern. 

Schon  Voit  war  es  bekannt,  dass  es  zahlreiche  Personen  gibt, 
welche  mit  einer  weit  geringeren  Eiweisszufuhr  als  118  g  auskommen 
können.  Er  führt  Beobachtungen  von  Flügge  an,  nach  denen 
arbeitende  Menschen  mit  50 — 70  g  täglicher  Eiweisszufuhr  sich 
dauernd  erhalten  haben. 

Seither  wurden  von  den  verschiedensten  Seiten  derartige  Ver¬ 
suche  angestellt  und  Stickstoffgleichgewicht  mit  Eiweissmengen  er¬ 
reicht,  die  zwischen  30  und  70  g  schwankten. 

Neuere  Untersuchungen  gehen  direkt  darauf  aus,  die  aufge¬ 
stellten  Normen  ganz  allgemein  herabzusetzen. 

Viel  diskutiert  wurden  die  Versuche  von  C  h  i  1 1  e  n  d  e  n,  der 
eine  Reihe  von  Versuchspersonen  in  viele  Monate  dauernden  Unter¬ 
suchungen  mit  einer  täglichen  Eiweissration  von  50  g  bis  60  g  voll¬ 
kommen  auskommen  sah,  wobei  die  Gesamtkalorienmengen  eher  zu 
niedrig  als  zu  hoch  gehalten  waren. 

In  jüngster  Zeit  ist  die  Frage  mit  besonderer  Energie  von  dem 
dänischen  Arzte  H  i  n  d  h  e  d  e  aufgenommen  worden  und  seine  Lehren 
haben  in  seinem  Vaterlande  solches  Aufsehen  erregt,  dass  ihm  von 
der  Regierung  ein  eigenes  Institut  zur  weiteren  Erforschung 
der  Ernährungsfragen  eingerichtet  wurde.  Bekanntlich  hat  Hind'- 
hede  mit  grösster  Konsequenz  viele  Jahre  hindurch  sich  und 
seine  Familie  mit  einer  Kost  ernährt,  die  sich  namentlich  aus 
Grütze,  Milch,  Kartoffeln,  Gemüse,  Brot  mit  Mar¬ 
garine,  Zucker  und  Obst  zusammensetzt  und  ca.  die  Hälfte 
der  als  normal  angesehenen  Eiweissmenge,  etwa  50  g,  enthält.  Dabei 
hat  er  selbst  sich  völlig  wohl  und  äusserst  leistungsfähig  gefühlt  und 
seine  Kinder  haben  sich  auf  das  beste  entwickelt.  Er  ist  nun  weiter 
dazu  übergegangen,  das  Eiweissminimum  in  langen  Perioden 
an  geeigneten  Versuchspersonen  zu  untersuchen,  und  hat  gefunden, 
dass  das  Minimum  bei  fast  ausschliesslicher  Er- 
n  ä  hrung  mit  Kartoffeln  oder  Brot  ungefähr  bei  demselben 
Punkt  in  der  Nähe  von  20  g  verdaulichen  Eiweisses  für  3000  Kalorien 
liegt.  Das  Minimum  für  die  Stickstoffausscheidung  im  Urin  liegt  in 
seinen  Versuchen  bei  3—3,5  g,  „einer  Zahl,  die  sehr  wohl  mit  den 
Minimumzahlen  übereinstimmt,  die  andere  Autoren  für  die  Stickstoff¬ 
ausscheidung  bei  stickstofffreier  Kost  und  bei  Fleischkost  gefunden 
haben.  Mit  anderen  Worten :  Kartoffel  -  und  Broteiweiss 
scheinen  denselben  Wert  zu  haben  wie  Fleisch- 
eiweiss,  und  die  Körpereiweisse  Gramm  für  Gramm 
erstatten  zu  könne n“. 

Die  zweifellos  interessanten  und  wichtigen  Untersuchungen 
Hindhedes  haben  in  weiten  Kreisen  grosses  Aufsehen  erregt,  weil 
sie  zu  beweisen  scheinen,  dass  unsere  seitherigen  Anschauungen  über 
den  Eiweissbedarf  des  Körpers  von  Grund  aus  zu  reformieren  sind. 
Bindhede  selbst  zieht  diesen  Schluss  und  meint,  dass  das  Kapitel 
Ernährung  in  ungefähr  allen  Lehr-  und  Handbüchern  von  Anfang  bis 
zu.  Ende  neu  geschrjeben  werden  müsse.  In  Dänemark  haben  sich 


1 632 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  29. 


Hindhedeküchen  aufgetan,  die  auf  Grund  seiner  Lehren  ihre  Speise- 
zettel  aufbauen.  Auch  bei  uns  erheben  sich  Stimmen,  welche  für  die 
starke  Verminderung  der  Eiweissnahrung  eintreten.  So  hat  unlängst 
Decker  für  den  körperlich  nicht  arbeitenden  Menschen  eine  Herab¬ 
setzung  des  Eiweissgehaltes  der  Kost  ganz  allgemein  auf  60  g  vor- 
geschlagen  und  die  nötige  Kalorienmenge  pro  Kilo  Körpergewicht 
auf  20 — 25  berechnet. 

Ist  es  nun  richtig,  diese  weitgehenden  prak¬ 
tischen  Konsequenzen  aus  den  vorliegenden  Tat- 
sachenzuziehen? 

R  u  b  n  e  r  hat  sich  energisch  dagegen-  gewandt.  Er  verschliesst 
sich  keineswegs  der  Tatsache,  die  er  auch  voll  anerkennt,  dass  sich 
der  Mensch  nicht  nur  mit  den  sattsam  bekannten  118  g  Eiweiss 
_  Rubner  fordert  übrigens  nur  110g  — ,  sondern  auch  mit  ge¬ 
ringeren  Eiweissmengen,  die  den  sonstigen  Eiweissumsatz  im  Hunger 
nicht  überschreiten,  ernähren  kann.  Das  Problem  der  Massener- 
nährung  darf  sich  aber  seiner  Ansicht  nach  auf  die  niedrigeren 
Eiweissmengen  nicht  festlegen,  vielmehr  soll  man  hiefür  bei  den 
bisherigen  Normen  verharren.  Er  betont  aber,  dass  er  sich  stets 
gegen  einen  übermässigen  Konsum  von  Eiweiss  und  Fleisch,  auch  in 
jüngster  Zeit,  ausgesprochen  habe,  da  jede  einseitige  Ernährung  in 
unserer  Kost  vermieden  werden  soll.  Rubner  versteht  darunter 
einen  Konsum,  der  über  120  g  noch  erheblich  hinausgeht. 

Man  muss  Rubner  durchaus  recht  geben,  wenn  er  immer 
wieder  darauf  hinweist,  dass  in  der  Ernährung  auf  einem 
Stickstoffminimum  eine  eminente  Gefahr  liege,  indem 
jede  zu  geringe  Zufuhr  einen  relativ  enormen  Zerfall  an  Körpereiweiss 
zur  Folge  hat. 

Bei  der  von  H  i  n  d  h  e  d  e  verfochtenen  eiweissarmen  Kostordnung 
soll  die  geringe  Eiweissmenge  im  wesentlichen  in  Vegetabilien  zuge¬ 
führt  werden.  Es  ist  bekannt  und  H  i  n  d  h  e  d  e  selbst  gibt  dafür  in 
seinen  Versuchen  typische  Beispiele,  dass  der  Stickstoffgehalt 
vegetabilischer  Nahrungsmittel  je  nach  dem  Jahrgang 
und  der  Gegend  ausserordentlich  schwanken  kann.  So 
schwankt  der  Eiweissgehalt  der  Kartoffeln  nach  König  zwi¬ 
schen  0,69—3,67  Proz.  und  Rubner  führt  für  Weizen  an,  dass 
er  in  südlichen  Gegenden  proteinreicher  ist  wie  in  nördlichen  und 
sein  Eiweissgehalt  auf  Trockensubstanz  berechnet  zwischen  11,73 
und  19,33  Proz.  variiert.  Dazu  kommt,  dass  die  Ausnutzungswerte 
gerade  dieser  Nahrungsstoffe  nach  der  Zubereitung  und  der  Art  des 
Essens,  sowie  dem  Zustand  des  Magendarmkanals  sehr  verschieden 
sind.  Auch  müsste,  da  an  Ruhe-  und  Arbeitstagen  zwar  die  gleiche 
Eiweissmenge,  aber  eine  verschiedene  Kalorienmenge  benötigt  wer¬ 
den,  die  Kost  eine  verschiedene  Zusammensetzung  haben.  Es  müssen 
also,  wenn  man  sich  an  der  unteren  Grenze  des  Eiweissbedarfes 
hält,  bei  Zusammenstellung  der  Kost  jeweils  eine  Reihe  von  Ueber- 
legungen  getroffen  werden,  welche  nicht  allgemein  verlangt  werden 
können.  Dass  H  i  n  d  h  e  d  e  und  die  von  ihm  angeführten  Personen 
mit  geringeren  Eiweissmengen  auskommen,  ist  ohne  weiteres  ver¬ 
ständlich  und  durchaus  richtig.  Er  ist  in  der  Lage,  sorgsame  Küche 
zu  führen,  die  nötige  Zeit  zum  Essen  sich  zu  nehmen  und  in  der 
Nahrungszusammenstellung  stets  richtige  Grenzen  einzuhalten.  Alle 
diese  Forderungen  können  sicherlich  von  einer  grösseren  Gruppe 
anderer  Leute  gleichfalls  erfüllt  werden.  So  konnte  Wiener  in 
meiner  Klinik  eine  Frau  nach  H  i  n  d  h  e  d  e  sehen  Prinzipien  vornehm¬ 
lich  durch  Kartoffelfütterung  mehrere  Wochen  bei  einer  Stick¬ 
stoffzufuhr  von  ca.  3,4  g  =  21,25  g  Eiweiss,  bei  2800  Kalorien 
in  positiver  Stickstoffbilanz  ohne  Herabsetzung  des  Körpergewichtes 
halten.  Die  H  i  n  d  h  e  d  e  sehen  Ford-erungen  sind  aber  sicherlich  von 
der  breiten  Volksmasse,  speziell  den  niederen  Volksschichten,  nicht 
mit  genügender  Sicherheit  zu  erfüllen.  Als  allgemeine  Norm  für  die 
Volksernährung  muss  daher  eine  Eiweissmenge  gewählt  werden, 
welche  beträchtlich  über  der  Minimumgrenze  liegt 
und  eine  Kostzusammensetzung,  die  garantiert,  dass  unter  keinen 
Umständen  ein  Eiweissdefizit  eintritt.  Wir  werden 
gut  tun,  für  die  Ernährung  des  gesunden  erwachsenen  Menschen  vor¬ 
erst  uns  nicht  weit  von  den  alten  erprobten  Normen 
abwärts  zu  bewegen  und  etwa  100  g  Eiweiss  pro 
Tagzufordern. 

Für  diese  Forderung  sind  noch  andere  Gründe  ins  Feld  zu  fuhren. 
Es  kommt  nämlich  nicht  nur  auf  die  Quantität,  sondern  auch  auf 
die  Qualität  des  gebotenen  Eiweisses  an.  Es  gibt 
zweifellos  Eiweissstoffe,  welche  zum  Ersatz  für  Körpereiweiss  min¬ 
derwertig  sind.  Das  bekannteste  Beispiel  ist  der  Lei  m,  der 
zwar  eiweisssparend  wirkt,  das  Eiweiss  aber  nicht  zu  ersetzen  ver¬ 
mag.  Tiere,  denen  Leim  als  einziges  Nahrungseiweiss  gereicht  wird, 
gehen  an  Eiweisshungcr  zugrunde.  Man  weiss  heute,  dass  diese 
Minderwertigkeit  mit  dem  Mangel  an  Iryptophan  und  T  y  r  o  - 
sin  zusammenhängt,  und  Abderhalden  konnte  zeigen,  dass, 
wenn  man  diese  Aminosäuren  zugibt,  auch  mit  dem  Leim  das  Eiweiss 
der  Nahrung  ersetzt  werden  kann.  Die  Analyse  zahlreicher  tierischer 
und  pflanzlicher  Eiweisskörper  hat  ergeben,  dass  deren  Zusammen¬ 
setzung  eine  ganz  verschiedene  ist. 

Man  stellte  sich  vor,  dass  ein  Eiweissstoff,  dessen  Zu¬ 
sammensetzung  dem  Körpereiweiss,  namentlich  dem 
Bluteiweiss,  nahe  kommt,  besser  zum  Eiweissersatz  taugt,  wie  Ei¬ 
weisskörper  völlig  anderer  Zusammensetzungen. 

M  i  c  h  a  u  d  suchte  dafür  in  einer  interessanten  Arbeit  den  Be¬ 
weis  zu  erbringen;  er  fand,  dass  sich  Stickstoffgleichgewicht  aus 
dem  Hungerminimum  regelmässig  dann  erzielen  liess,  wenn  zur 


Nahrung  arteigenes  Eiweiss  (beim  Hunde  Hundemuskulatur,  Hunde¬ 
blutserum,  am  besten  Breigemisch  aus  Hundeorganen)  verwendet 
wurde,  dass  man  sich  jedoch  vom  Stickstoffgleichgewicht  um  so 
mehr  entfernt,  ie  artverschiedener  das  Nahrungseiweiss  ist  (Pferde¬ 
fleisch,  Kasein):  es  gelang  ihm  nie,  Stickstoffgleichgewicht  herzu¬ 
stellen  wen  als  Nahrungsstoff  körperfremde  pflanzliche  Eiweissstoffe 
(Gliadin.  Edestin)  in  Mengen  gleich  dem  Hungerminimum  verfuttert 
wurden  Ein  gemischter  Kanibalismus  wurde  dem¬ 
nach  also  die  rationellste  Kostform  bedeuten. 

In  Versuchen,  die  ich  in  Erlangen  zusammen  mit  Franz  Frank 
an  Tier  und  Mensch  anstellte,  konnte  ich  zeigen,  dass  eine  der¬ 
artige  Auffassung  nicht  richtig  ist.  Die  Arteigenheit 
der  Ei  weisskörper  spielt  keine  besondere  Rolle.  Es  kommt  alles 
darauf  an,  dass  das  zum  Ersatz  des  Kör  per  eiweis¬ 
ses  zu  geführte  Nahrungseiweiss  von  den  Verdau- 
ungsf  er  ment  en  leicht  aufspaltbarist  und  in  dem  (je- 
misch  der  Verdauungsprodukte,  die  auch  bereits  vor¬ 
verdaut  gereicht  werden  können,  sämtliche  wichtigen  Bau¬ 
steine  der  Eiweisse  in  geeigneten  Mengenverhältnissen  vorhan¬ 
den  sind.  ,  ,,  .  ,  .  „  . . 

Der  normale  Organismus  ist  zweifellos  imstande,  eine  Reihe 
von  Aminosäuren  synthetisch  zu  bilden  Wie  intensiv 
sich  eine  derartige  Bildung  im  Einzelfalle  gestalten  kann,  ist  noch 
nicht  zu  übersehen.  Versuche,  welche  neuerdings  darauf  hinaus¬ 
gingen,  zu  beweisen,  dass  der  tierische  Organismus  Eiweiss,  wie  die 
Pflanze,  unter  Verwendung  von  Ammoniak  und  Nitraten  syn¬ 
thetisieren  kann,  haben  eine  solche  Annahme  als  irrig  erwiesen.  Eine 
wiederholt  beobachtete  günstige  Beeinflussung  der  Stickstoffbilanz 
liess  sich  im  Sinne  einer  Verlangsamung  des  Stickstoffwechsels  der 
Körperzellen  deuten,  welche  vielleicht  als  schädigende  Wirkung  der 
zugeführten  Stickstoffverbindung  aufzufassen  ist  (Abderhalden). 

Wir  müssen  also  damit  rechnen,  dass  der  Organismus  gewisse 
lebenswichtige  Körper  vor  allem  einzelne  Amino¬ 
säuren,  wie  z.  B.  das  T  ryptophan,  wahrscheinlich  auch  yro- 
sin  und  Phenylalanin  nicht  synthetisieren  kann.  Es  mag 
sein,  dass  dieser  Ausfall  in  Krankheitszuständen  noch  vermehrt  be¬ 
steht  und  es  scheint  darum  durchaus  plausibel,  dass  es  für  d  e  n 
Ersatz  des  Körpcreiweisses  nicht  ganz  gleich¬ 
gültig  ist,  welcher  Eiweisskörper  verfüttert  wird.  Versuche  von 
Tho  m a  s,  welche  die  Minderwertigkeit  des  Broteiweisses 
gegenüber  dem  Kartoffel-  und  Fleisch  eiweiss  erweisen, 
sind  vielleicht  zu  kurzfristig  angelegt.  Immerhin  kann  man  die  Re¬ 
sultate  vorerst  nicht  ohne  weiteres  umgehen,  wenn  auch  andere 
Autoren  zu  anderen  Folgerungen  kamen.  Man  muss  damit  rechnen, 
dass  allerhand  Unterschiede  bestehen.  Das  scheint  mir  nach  meiner 
eigenen  Stoffwechselerfahrung  sicher  zu  sein.  Das  geht  aber  auch 
aus  den  Differenzen  der  verschiedenen  Untersucher  hervor. 

Die  Verhältnisse  werden  natürlich  viel  komplizierter  in 
Krankheitszuständen. 

Ich  sehe  von  den  Erkrankungen  des  I  n  t  e  s  t  i  n  a  1 1  r  a  k  t  u  s 
völlig  ab,  in  denen  die  Kost  dem  Zustand  desselben  und  seiner  Ver¬ 
dauungsfähigkeit  angepasst  sein  muss.  Ich  kann  mich  hier  nie  h  t 
ausführlicher  auf  die  spezielle  Diätetik  einlassen,  ich  will^nur 


Lftiä  ti  rr 


dem  Fieber,  erwähnen.  .  ,.  _  ,  ... 

Wir  wissen,  dass  im  Fieber,  wie  auch  bei  malignen  Geschwül¬ 
sten  und  anderen  Krankheiten,  eine  recht  erhebliche  Eiweiss- 
einschmelzung  stattfindet.  Es  besteht  immer  noch  Uneinigkeit 
darüber,  ob  dabei  ein  toxischer  Eiweisszerfall,  also  eine 
direkte  Schädigung  des  Protoplasmas  durc  h  d  i  e 
Krank h.eitsgifte  eine  Rolle  spielt,  oder  ob  der  ganze  Mehr¬ 
verbrauch  an  Eiweiss  nur  ein  weiterer  Ausdruck  der  sattsam  be¬ 
kannten  gesteigerten  Wärmebildung  (und  der  verminderten  Nahrungs¬ 
aufnahme)  also  als  rein  kalorisch  bedingt  aufzufassen  ist.  In  letz¬ 
terem  Fall  müsste  man,  wie  Fr.  Müller  mit  Recht  hervorhebt,  er¬ 
warten,  dass  es  beim  hochfiebernden  Menschen  g  c  - 
länge,  durch  die  gleiche  Kohlehydratzufuhr  den 
Eiweissumsatz  ebenso  tief  herabzusetzen,  wie 
beim  Gesunden. 

In  einer  jüngst  aus  der  Müller  sehen  Klinik  erschienenen  Ar¬ 
beit  konnte  Kocher  zeigen,  dass  diese  Forderung  in  der  Tat  zumeist 
nicht  gelingt,  dass  man  also  mit  einem  toxischen  E 1  - 
weisszerfall  nach  wie  vor  rechnen  muss.  Eine  Reihe 
anderer  Autoren  leugnen  dagegen  völlig  auf  Grund  ihrer  Versuche 
den  toxischen  Eiweisszerfall.  Ich  glaube,  dass  man  nicht  generell 
bei  jedem  Fieber  und  bei  jeder  Infektion  mit  einem  toxischen  Eiweiss¬ 
zerfall  rechnen  muss,  vielmehr  nehme  ich  an,  dass  verschiedene 
toxische  Substanzen  und  Bakterien  wie  die  Zellen  selbst,  so  auch 
den  Stoffwechsel  verschiedenartig  beeinflussen  (wofür  man  übrigens 
schon  heute  einzelne  Beweise  anführen  könnte).  Darum  scheint  es 
mir  keineswegs  gerechtfertigt,  das  Bestehen  eines  toxischen  Ei¬ 
weisszerfalls  völlig  ablehnen  zu  w'ollen.  Ich  komme  zu  dieser  An¬ 
sicht  nicht  nur  durch  theoretische  Ueberlegungen,  sondern  aus  meinen 
Beobachtungen  am  Krankenbett  heraus  und  auf  Grund  von  zahlreichen 
Versuchen,  die  ich  gemeinsam  mit  Weichardt  über  den  Ein¬ 
fluss  der  Anaphylaxie  und  über  die  Wirkung  parenteral  zugeführter 
Bakterien  und  ihrer  Toxine  auf  den  Stickstoffhaushalt  des  Hundes  an¬ 
stellte.  Es  zeigte  sich,  dass  die  Störungen  im  Eiweissstoffwechsel 
unabhängig  von  der  Temperatur  sind,  und  dass  einer  relativ  niederen 
und  kurzen  Temperatursteigerung  ein  lang  anhaltender  Zerfall  von 


21.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1633 


Eiweiss  entsprechen  kann.  Es  bestehen  in  den  einzelnen  Versuchen 
Krosse  Schwankungen,  man  muss  daher  zur  Entscheidung  solcher 
Fragen  immer  Reihenversuche  anstellen. 

Der  Umstand,  dass  unter  solchen  Verhältnissen  der  Eiweiss¬ 
verbrauch  ein  gesteigerter  ist,  verlangt  unbedingt  auch  ein  grösse¬ 
res  Angebot  von  Eiweiss  in  der  Nahrung  und  man  wird 
also,  wie  man  es  ja  auch  heute  schon  macht,  in  einer  möglichst 
kalorienreichen,  die  Verdauungsorgane  wenig  beanspruchenden  Kost 
relativ  reichlich  Eiweiss  in  leicht  verdaulicher  und  gut  ausnutzbarer 
Form  verabreichen.  Dabei  werden  wir  das  Fleisch  meist  nicht  ent¬ 
behren  können,  weil  es  diese  Forderung  besonders  leicht  erfüllt  und 
auch  eine  grössere  Variation  des  Speisezettels  gestattet,  was  wieder 
zur  Hebung  des  Appetits  beiträgt. 

Eine  wichtige  Frage  scheint  mir  noch  wenig  Berücksichtigung 
gefunden  zu  haben,  nämlich  die  nach  dem  Werte  der  Eiweiss- 
speicherung.  Wir  können  hier  zunächst  wiederum  R  u  b  n  e  r 
folgen.  Nach  ihm  entspricht  die  Abnutzungsquote  dem  zur 
Erhaltung  des  Lebens  unbedingt  nötigen  Minimum,  das  noch  niedriger 
ist  als  das  Hungerminimum.  Er  spricht  von  Meliorations¬ 
ei  w  e  i  s  s,  das  im  Wachstumsalter  als  lebendes  Protoplama  an¬ 
gesetzt  wird,  das  bei  Erwachsenen  nach  grösseren  Eiweissverlusten 
sich  rekonstruiert  und  den  Wiederersatz  des  verlorenen  Protoplasma- 
eiweisses  bildet.  Diese  Rekonstruktion,  die  unter  dem  regulierenden 
Einfluss  eines  uns  bis  jetzt  nicht  näher  bekannten  Zellbestandteils, 
vielleicht  des  Kernes,  steht,  macht,  nachdem  ein  Optimum  der  Er¬ 
nährung  eingetreten  ist,  halt,  ist  aber  nur  durch  richtige  Arbeits¬ 
leistung  auf  den  optimalen  Wert  zu  bringen.  Weiter  gibt  es  Re¬ 
serve  e  i  w  e  i  s  s,  einmal  das  Uebergangseiweiss,  welches 
sich  ablagert,  wenn  die  Nahrung  mehr  Eiweiss  enthält,  als  dem  Stick¬ 
stoffminimum  entspricht  und  das  sofort  zu  Verlust  geht,  sobald  die 
Eiweisszufuhr  auf  ein  niedereres  Niveau  eingestellt  wird.  Daneben 
unterscheidet  R  u  b  n  e  r  noch  das  Vorratsei  weiss  (das  zirku¬ 
lierende  Eiweiss  V  o  i  t  s).  Dieses  stellt  eine  Durchgangsstufe  des 
Nahrungseiweisses  dar,  von  dem  ein  Teil  soweit  angesammelt  wird, 
dass  es  als  selbständige,  einige  Zeit  zurückgehaltene  Masse  erscheint'. 
Es  mus  vorhanden  ein,  um  bei  der  zyklischen  Nahrungsaufnahme  als 
AusKleichsfond  zu  wirken  und  in  Perioden,  wo  der  Eiweissstrom 
abschwillt,  den  Ausgleich  zu  vermitteln.  Im  Eiweisshunger  geht  er 
schnell  zu  Verlust. 

Dass  wir  mit  einem  solchen  Vorratsei  weiss  rechnen 
müssen,  geht  auch  aus  den  neuesten  Feststellungen  von  Berg  her¬ 
vor,  der  zeigen  konnte,  dass  sich  in  den  L  e  b  e  r  z  e  1 1  e  n  gut  ge¬ 
nährter  Tiere  in  reichlicher  Menge  Tropfen  finden,  die  bei  Hun- 
gertieren  vollkommen  fehlen,  die  durch  Eiweissfütterung,  nicht 
aber  durch  Kohlehydrat-  und  Fettfütterung  hervorzurufen  sind.  Diese 
Tropfen  sind  Eiweiss,  das  sich  aber  von  demjenigen  des  Protoplasmas 
durch  sein  morphologisches  Verhalten  unterscheidet.  Es  handelt  sich 
also  hier  um  eine  im  Anschluss  an  Eiweissfütterung  auftretende  Ei- 
weissspeicherung  in  der  Leber,  um  Zelleinschlusseiweis  s. 

Damit  ist  ein  weiterer  Beweis  erbracht,  dass  man  mit  einem 
gewissen  Eiweissvorrat  des  Körpers  rechnen 
muss,  der  zweifellos  zweckmässig  ist  und  dem  Ersatz 
dient,  namentlich  in  Zeiten,  wo  der  Eiweissbestand  des  Körpers  ge¬ 
fährdet  ist.  Es  wäre  zweifellos  wichtig,  die  Rolle  dieses  Vorrats¬ 
ei  weisses  beim  Fieber  und  anderen  eiweisszehrenden  Krankheits¬ 
zuständen  vor  allem  auch  im  Hinbick  auf  die  Frage  des  „toxischen 
Eiweisszerfalls“  zu  kennen.  Man  muss  doch  annehmen,  dass  die  ver¬ 
schiedene  Menge  von  Vorratseiweiss  bei  den  einzelnen  Individuen 
gegebenenfalls  den  Eiweissverbrauch  resp.  die  Stickstoffausfuhr  ver¬ 
schieden  gestalten  kann,  namentlich  in  den  ersten  Perioden  des  Ei¬ 
weisszerfalls.  Jedenfalls  weisen  alle  diese  Ueberlegungen  und  Er¬ 
fahrungen  immer  wieder  darauf  hin,  dass  es  sicherlich  richtig  ist, 
wenn  man  sich  in  der  Eiweissernährung  nicht  auf  das  äusserste  Mass 
beschränkt,  solange  nicht  besondere  Indikationen  hierfür  vorliegen. 

Dass  eine  abundante  Eiweisskost  unzweckmässig  ist, 
brauche  ich  nicht  weiter  auszuführen.  Darüber  ist  man  sich  wohl  all¬ 
gemein  klar,  dass  eine  einseitige  Betonung  falsch  ist  und  Schäden 
nach  sich  ziehen  kann.  Eine  gemischte  Kost  mit  reichlich  Vege- 
tabilien  und  massigem  Eiweissgehalt,  der  sich  etwa  zu  V3  aus  ani¬ 
malischem,  zu  -Ix  aus  vegetabilischem  Eiweiss  deckt,  ist  sicher  die 
rationellste.  Dabei  kommt  man,  wie  schon  R  u  b  n  e  r  und  jüngst 
K  i  s  s  k  a  1 1  betonten,  auf  relativ  geringe  Fleischmengen.  Wenn 
man  ca.  100  g  Eiweiss  täglich  zuführt,  werden  kaum  200  g  Fleisch 
täglich  zu  gemessen  sein. 

Worin  die  zuweilen  zweifellos  schädliche 
Wirkung  des  Eiweisses  in  den  einzelnen  Fällen 
besteht,  lässt  sich  heute  noch  nicht  immer  sicher 
erkennen.  Beim  Fleisch  kommt  nicht  nur  der  Eiweissgehalt  in 
Frage,  sondern  sein  Gehalt  an  Extraktivstoffen,  Purinkörpern  und 
balzen. 

Beim  Säugling  hat  sich  die  Annahme  eines  Eiweissschadens  nicht 
aufrecht  erhalten  lassen.  Man  weiss  vielmehr,  dass  die  Nährschäden 
wohl  zum  grössten  Teil  auf  die  Ueberernährung  mit  Fett  und  Kohle¬ 
hydraten  zurückzuführen  sind. 

f  9as,  ^*we'ss.  an  s*cli  steigert  zweifellos  durch  seine  spezi- 
isch  dynamische  Wirkung  die  Verbrennungsprozesse  und 
damit  den  Stoffumsatz.  Die  dadurch  hervorgerufene  Steigerung 
v''  'J°"wecllsels'  die  starke  Inanspruchnahme  der  Fermente, 
üie  Häufung  der  Zwischen-  und  Endprodukte  mag  auf  die  Dauer 
bei  manchen  schädlich  wirken.  Vielleicht  leidet  die  Umsetzung 


gewisser  Stoffwechselschlacken,  wie  z.  B.  der  Purine,  bei  Ueber- 
ernahrung  besonders  mit  Eiweiss.  Aus  an  meiner  Klinik  vor- 
genommenen  Versuchen  von  Wiener  scheint  hervorzugehen,  dass 
eine  stickstoffarm  ernährte  Person  nach  Zufuhr  von  Nukleinsäure 
weniger  Harnsäure  ausscheidet  und  auch  weniger  Harnsäure  im 
Blut  hat.  Es  kommt  entweder  zu  einer  vollkommeneren  Zerstörung 
oder  zu  einer  aufbauenden  Verwertung  der  Purine  im  Stoffwechsel. 
Das  wäre  ein  Vorteil.  Denn  es  darf  heute  als  sicher  angenommen 
werden,  dass  bei  der  Gicht  die  Erhöhung  des  Blutharnsäurespiegels 
der  schädliche  Faktor  ist.  Man  muss  aber  alles  tun,  um  diesen 
herabzusetzen.  Die  wirksamste  Massnahme  ist  zweifellos  die  dau¬ 
ernde  Durchführung  einer  purinfreien  eiweiss¬ 
armen  Kost.  Lässt  diese  sich  nicht  durchhalten,  so  dringt  man 
wenigstens  auf  Fleischarmut  der  Kost  und  legt  von  Zeit  zu  Zeit  Purin¬ 
fasttage  ein. 


,  D'e  Indikation  zu  einer  ähnlichen  Kost  besteht,  wenn  auch  ge- 
müdert,  bei  Leuten  mit  Arteriosklerose,  Praesklerose 
und  bei  hypertonischen  Zuständen  überhaupt.  Hier  sind  die  Be¬ 
ziehungen  zwischen  Eiweissüberernährung  und  Krankheit  schon  viel 
dunkler  Wenn  man  sich  aber  vor  Augen  hält,  dass  aus  den  Amino¬ 
säuren  des  Eiweisses  äusserst  intensiv  wirkende  Substanzen,  die 
Amine  entstehen,  zu  denen  z.  B.  auch  das  blutdrucksteigernde  A  d  - 
r  e  n  a  1  i  n  Beziehungen  hat,  so  kann  man  vielleicht  neben  den  all¬ 
gemeinen  Wirkungen  des  gesteigerten  Stoffwechsels  auch  noch  spe- 
ziellere  intermediär  sich  abspielende  Störungen  vermuten.  Selbst¬ 
verständlich  kommen  gerade  bei  diesen  Zuständen  häufig  auch  noch 
Nierenfunktionsstörungen  vor,  die  zu  einer  schädlichen  Retention  von 
Eiweissabkömmlingen  führen. 

Dass  im  Darm  solche  Amine  unter  dem  Einfluss  der  Fäul- 
n  i  s  entstehen,  ist  seit  B  r  i  e  g  e  r  s  Untersuchungen  bekannt, 
v.  Noorden  hat  auf  die  Resorption  von  Eiweissfäulnisprodukten 
Erscheinungen  neuritischer  Art  zurückgeführt,  die  man  zuweilen  bei 
Ubstipierten  findet.  Manche  schwere  Anämien  finden  vielleicht 
lwe*ssgi  te  i^re  Erklärung.  Dass  Urtikaria  und  andere  Haut- 
attektionen,  wie  das  zirkumskripte  Quincke  sehe  Oedem,  hart¬ 
näckige  Ekzeme  und  Aehnliches  auf  die  Wirkung  proteinogener  Stoffe 
zuruckgeführt  werden  können,  ist  bekannt.  Durch  Untersuchungen 
von  Stahelin,  Magnus-Alsleben,  Eppinger  kennen  wir 
einige  experimentelle  Details.  Ich  selbst  habe  in  ähnlicher  Richtung 
gearbeitet.  Es  lässt  sich  hier  noch  vieles  theoretisieren,  namentlich 
im  Hinblick  auf  die  gastro-intestinalen  Autoin  toxi- 
ka  >onen.  Aber  die  Grundlagen  sind  noch  unsicher  und  der  tat¬ 
sächliche  Beweis  für  viele  Hypothesen  ist  erst  noch  zu  erbringen 

ln  Fallen  von  Idiosynkrasie  gegen  bestimmte  Eiweiss- 
ar  i-’  ji-  ry  Eiereiweiss,  hat  roan  mit  dem  Bestehen  einer  Ueber- 
empfindlichkeit  zu  rechnen.  Man  nimmt  an,  dass  Teile  dieses  Nah¬ 
rungseiweisses  mehr  oder  weniger  unzersetzt  den  Darm  passieren 
und  so  den  überempfindlichen  Organismus  schädigen.  Vielleicht 
kommt  man  in  geeigneten  Fällen  durch  Heranziehung  der 
Abderhaldenschen  Reaktion  weiter,  von  deren 
vorzüglicher  Brauchbarkeit  und  richtiger  Grund- 
'a,?e.jc.humich  durch  viele  Erfahrungen  an  meiner 
Klinik  uberzeugt  habe. 

Die  Schädlichkeit  grösserer  Eiweisszufuhr  bei  manchen  Dia¬ 
betikern  durch  die  Zuckerbildung  aus  Eiweiss  kann  ich  als  längst 
bekannt  voraussetzen. 


Aues  in  anem  Kann  es  nicht  zweifelhaft  sein,  dass  man  bei 
zahlreichen  Krankheitszuständen  mit  der  Zufuhr 
von  Eiweiss  zurückhaltend  sein  muss,  und  durch  inten¬ 
sive  Beschränkung,  die  wenigstens  vorübergehend  bis  zur  Eiweiss- 
minimumgrenze  herabgehen  kann  (Einlegung  von  Eiweissfast¬ 
tagen),  gute  Heilerfolge  erzielt.  Man  muss  aber  seiner 
Indikation  sicher  sein,  um  nicht  in  grobe  Fehler 
zu  verfallen.  So  kommt  es  mir  z.  B.  nicht  selten  vor. 
aass  arthri  tische  Frauen,  die  an  jener  Form  des  chronischen 
Gelenkrheumatismus  leiden,  welcher  in  der  Regel  mit  allgemeineren 
tr  op  hi  sehen  Storungen  Hand  in  Hand  geht,  fälschlicherweise,  weil  sic 
als  Gicht  aufgefasst  werden,  auf  purinfreie  eiweissarme  Kost  gesetzt 
sind.  Hier  ist  sie  sicher  ganz  verfehlt  und  richtet  entschieden  durch 
Vermehrung  der  schon  bestehenden  Unterernährung  Schaden  an. 

Durch  zahlreiche  neuere  Untersuchungen  haben  die  Beziehungen 
zwischen  Gallensteinleiden  und  Ernährung  eine  weit¬ 
gehende  Erklärung  erfahren.  Aschoff  und  Bacmeistcr  kamen 
auf  Grund  eingehender  Studien  zu  der  Ansicht,  dass  eine  vermehrte 
Cholesterindiathese  die  Gallensteinbildung  befördern  müsse.  Es  hat 
of" 1  nun  ergeben,  dass  bei  Fleischfressern  der  Cholesteringehalt  im 
Blute  hoher  ist  als  bei  Herbivoren  (Grigaut):  damit  stehen  im 
besten  Einklang  die  Untersuchungsresultate  von  Goodmann  und 

a°"  r?u3iC  e.‘  S  *5  V  die  beim  Tier  reSD-  Mensch  eine  Abhängigkeit 
des  Cholesteringehaltes  der  Galle  von  der  Ernährung,  einen  Anstieg 
m  eiw.e|ssreicher  Kost,  ein  Absinken  bei  Kohlehvdratzufuhr  ergaben 
Man  wmd  also  in  der  Prophylaxe  und  Therapie  bei  Gallensteinleiden 
auf  die  Ernährung  in  bestimmtem  Sinne  (Herabsetzung  des  Chole¬ 
steringehaltes  von  Blut  und  Galle)  Rücksicht  nehmen. 

Kurz  erwähnt  müssen  die  Beziehungen  zwischen  Ernährung 
und  Geschwülsten  werden.  In  einer  kürzlich  erschienenen 
Abhandlung  über  das  Problem  der  Geschwulstmalignität  berührt 
Verse  diese  Frage,  und  hebt  die  Tatsache  besonders  hervor,  dass 
der  Darmkrebs  bei  reichlich  genährten  Leuten  häufiger  sei  und  dass 
die  Ueberernährung  besonders  die  Krebsbildung  im  Digestionstraktus 


1634 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  29. 


begünstige;  er  führt  die  Metzger  als  Beispiel  an.  P.  Cohnheim 
stellt  die  Ansicht  auf,  dass  der  Magendarmkrebs  (vom  Ulcuskarzinom 
abgesehen),  meist  kerngesunde  Leute  von  breitem  Habitus  befalle, 
die  vorher  Steine  hätten  vertragen  können  und  daher  auch  ihrem 
Verdauungskanal  besonders  viel  zugemutet  hätten,  während  schmale 
Leute  und  Enteroptotische  2— 3  mal  weniger  Magendarmkarzinome 
zwischen  dem  40.  und  60.  Lebensjahr  zeigen,  indem  sie  wegen  der 
sich  bei  ihnen  leicht  einstellenden  dyspeptischen  Beschwerden  Diät¬ 
fehler  sorgfältiger  vermeiden.  Die  breiten  Individuen  überwinden  also 
die  zur  Krebsbildung  disponierenden  Schädigungen  (Ueberernährung 
etc.)  leichter  und  vermehren  sie  andererseits  dadurch  unverhältnis¬ 
mässig.  Man  wird  hier  an  die  im  Ehrlich  sehen  Institut  von 
Morcschi  erhobenen  interessanten  experimentellen  Feststellungen 
denken  müssen,  nach  denen  das  Wachstum  der  Neubildung  bei 
Hungernden  und  unterernährten  Tieren  ein  geringeres  ist  resp.  zum 
Stillstand  kommt.  Die  Resultate  bilden  einen  Beweis  für  die  Vor¬ 
stellungen  E  h  r  1  i  c  h  s  von  der  Bedeutung  athreptischer 
Funktionen  für  das  Tumorwachstum  überhaupt.  Man 
könnte  daran  denken,  dass  unter  dem  Einfluss  des  Hungerns  die 
Avidität  der  Körperzellen  zu  den  Nährstoffen  vor  allem  dem  Eiweiss 
erheblich  steigt  und  stärker  wird  (wenigstens  vorübergehend),  wie 
die  Avidität  der  Tumorzellen  zu  diesen.  Die  Körperzellen  reissen 
also  alle  Nährstoffe  an  sich,  den  Tumorzellen  bleiben  keine  mehr  übrig 
und  der  Tumor  kann  daher  nicht  mehr  wachsen.  Später  kann  sich 
die  Avidität  ändern  und  es  können  dann  die  Tumorzellen  wieder  das 
Uebergewicht  bekommen.  Ehrlich  und  Moreschi  legen  aber 
das  Hauptgewicht  auf  eine  Verarmung  an  spezifischen  Stoffen, 
die  in  keiner  quantitativen  Beziehung  zu  den  allgemeinen  Nahrungs¬ 
stoffen  stehen,  aber  für  das  Leben  des  Organismus  grundlegende 
Bedeutung  haben.  Die  Tiere  gehen  zugrunde,  wenn  der  wahsende 
Tumor  so  viel  von  diesen  Stoffen  an  sich  reisst,  dass  dem  Organismus 
ungenügende  Mengen  zur  Verfügung  bleiben.  Es  handelt  sich  hier 
um  Vorstellungen,  wie  wir  sie  bei  den  Vitaminen  wiederfinden  werden. 

Endlich  wurde  noch  die  Empfänglichkeit  für  Infek¬ 
tionen  speziell  für  Tuberkulose  in  ihrer  Abhängigkeit  zum 
Eiweisshaushalt  untersucht.  Hornemann  und  Thomas  fanden, 
dass  eiweissreich  ernährte  Tiere  bei  weitem  weniger  empfänglich  für 
Tuberkulose  sind  wie  eiweissarme  ernährte.  Auch  die  Giftempfind¬ 
lichkeit  ganz  allgemein  scheint  von  der  Ernährungsweise  abhängig 
«u  sein  (R  e  i  d  Hunt,  R  e  a  c  h.). 

Es  liegen  also  auf  diesen  Gebieten  zahlreiche  Probleme,  welche 
vor.  einschneidender  Bedeutung  für  die  Lebenshaltung  sind,  aber  in 
ihren  Einzelheiten  noch  der  weiteren  Erforschung  harren. 

Ich  übergehe  die  Zustände,  wo  eine  Einschränkung  der  Kohle¬ 
hydrate  und  Fettzufuhr  indiziert  ist,  weil  ich  sie  als  bekannt  voraus¬ 
setzen  kann.  Hier  ist  nicht  viel  Neues  zuzufügen. 

Eine  grosse  Bedeutung  hat  zweifellos  der  Salzstoffwech- 
s  e  1.  Wir  sind  hier  erst  im  Beginn  der  Erkenntnis,  was  für  Störungen 
durch  dieses  oder  jenes  Salz  hervorgerufen  werden  können.  Wir 
kennen  gewisse  antagonistische  Wirkungen  der  einzelnen 
Salze  durch  die  Untersuchungen  von  Loeb,  Melzer  und  Auer, 
Hofmann,  Höber  u.  a.  und  haben  aus  ihnen  bereits  wichtige 
therapeutische  Gesichtspunkte  gelernt.  Ich  brauche  nur  z.  B.  die 
neuerdings  wieder  stark  in  Aufschwung  gekommene  und  gut  fun¬ 
dierte  Kalzium  medikation  bei  gewissen  nervösen  Störungen,  wie 
Asthma  bronchiale,  Tetanie,  zu  erinnern  an  die  Magnesiumsul¬ 
fattherapie  beim  Tetanus  und  an  die  Bemühungen  H  i  r  t  h  s, 
durch  Zufuhr  des  Natriumions  den  Hitzschag  zu  vermeiden. 
In  den  Beziehungen  der  Salze  zu  den  Lebensvor¬ 
gängen  und  ihren  Störungen  liegt  noch  ein  grosses 
Gebiet  zu  erforschen  vor.  Inwieweit  fehlerhafte  Ernährung 
und  andere  Vorgänge  als  auslösende  Krankheitsursache  eine  Rolle 
spielen,  wissen  wir  im  Einzelfall  nicht  genau. 

Wir  waren  gewohnt,  als  lebenswichtige  Stoffe  Eiweiss,  Fett 
und  Kohlehydrate,  Wasser  und  Salze  anzusehen,  und  hielten  die 
Reihe  damit  für  geschlossen.  Es  hat  daher  berechtigtes  Aufsehen  er¬ 
regt,  als  es  sich  herauszustellen  schien,  dass  es  ausserdem  noch 
Substanzen  von  lebenswichtiger  Bedeutung  gibt, 
deren  Existenz  wir  noch  nicht  kannten  und  deren  Fehlen  in  der  Nah¬ 
rung  zu  Krankheit  und  Tod  führen  soll. 

Ausgangspunkt  für  diese  Untersuchungen  war  die  in  Ostasien 
häufig  vorkommende  Beriberi.  Eijkman  wies  bereits  vor  län¬ 
gerer  Zeit  nach,  dass  bestimmte  Vogelarten,  z.  B.  Hühner,  bei 
ausschliesslicher  Ernährung  mit  geschältem,  poliertem,  von  seiner 
Silberhaut  sorgfältig  befreitem  Reis  nach  wenigen  Tagen  appetitlos 
werden  und  unter  starker  Abmagerung  und  einem  eigenartigen  Sym- 
ptomenkomplex,  den  er  als  P  o  1  y  n  e  u  r  i  t  i  s  G  a  1 1  i  n  a  r  u  m  be- 
zeichnete,  zugrunde  gehen.  Er  wies  schon  darauf  hin,  dass  diese  Er¬ 
krankung  der  Hühner  sehr  an  die  menschliche  Berberi  erinnere.  In 
jüngster  Zeit  sind  diese  Versuche  namentlich  von  Funk  und  von 
Suzuki  und  seinen  Schülern  wieder  aufgenommen  worden.  Es 
hat  sich  gezeigt,  dass  die  Erkrankung  ausbleibt,  wenn  man  das  Sil¬ 
berhäutchen  des  Reises  oder  Reiskleie  mit  verfüttert  und  dass  man 
auf  dieselbe  Weise  bereits  erkrankte  Tiere  heilen  kann. 

Funk  hat  die  Stoffe,  die  dem  geschälten  Reis  fehlen  und  deren 
Zugabe  lebensrettend  wirkt,  Vitamine  genannt  und  die  Krank¬ 
heiten,  die  auf  das  Fehlen  von  Vitaminen  zurückzuführen  sind,  als 
Avitaminosen  bezeichnet.  Zu  ihnen  gehören  ausser  Beriberi, 
der  Skorbut,  die  Möller-Barlowsche  Krankheit  der 
Kinder,  vielleicht  auch  die  P  e  1 1  a  g  r  a.  Funk  spricht  von  aller¬ 


hand  Beziehungen  zu  anderen  Krankheiten,  wie  der  Rachitis  und 
den  Nährschaden  der  Kinder.  Auch  die  Wirkung  der 
Noordcnschen  Haferkur  führt  er  auf  Vitamine  zurück.  Er 
stellt  schliesslich  die  Annahme  eines  Wachstumsvitamins  auf, 
und  findet  Bemühungen  zum  Karzinom.  Es  schliesst  sich  bei  letz¬ 
terem  direkt  an  die  athreptische  Theorie  E  h  r  1  i  c  h  s  an. 

Ueber  die  Natur  des  Vitamins  weiss  man  nichts  Sicheres. 
Funk  vermutet,  dass  sie  den  Purinbasen  resp.  den  Pyrimidinen 
nahestehen.  Ich  muss  hierzu  bemerken,  dass  mir  diese  Zuteilung 
der  Körper  zur  Puringruppe  nicht  plausibel  erscheint,  da  alles  dafür 
spricht,  dass  der  tierische  Organismus  sehr  wohl  imstande  ist,  die 
Synthese  der  Purine  durchzuführen.  Von  den  japanischen  Forschern 
wurde  die  N  i  k  o  t  i  n  s  ä  u  r  e  in  der  Reiskleie  aufgefunden.  Man 
wird  erst  weitere  Untersuchungen  abwarten  müssen. 

Die  Vitamine  lassen  sich  aus  zahlreichen  Nahrungsmitteln  durch 
Alkoholextraktion  gewinnen.  Führt  man  diese  Extraktion 
bis  zur  vollkommenen  Erschöpfung  aus,  so  werden  die  Nahrungsstoffe 
völlig  entwertet.  Zugabe  des  Extraktes  macht  sie 
wieder  vollwertig.  So  kann  man  z.  B.  mit  Brot,  Kar¬ 
toffeln,  Trockenmilch  und  anderen  Nahrungsstoffen,  die  in 
dieser  Weise  mit  Alkohol  extrahiert  sind,  Tiere  nicht  mehr  am  Leben 
erhalten.  Stepp,  der  zahlreiche  Versuche  nach  dieser  Richtung  aus¬ 
führte,  kam  zu  ähnlichen  Resultaten,  wie  Funk  und  die  anderen. 
Allerdings  führt  er  die  Entwertung  z.  T.  auf  die  Wegnahme  von  Li¬ 
poiden  zurück.  Meines  Erachtens  sind  die  Lipoide  kein  notwendi¬ 
ger  Nahrungsbestandteil,  weil  sie  der  Organismus  offenbar  syn¬ 
thetisch  zu  bilden  vermag.  Man  kann  die  Nahrungsmittel  auch  durch 
langes  Kochen  mit  Wasser  und  durch  anhaltendes 
Sterilisieren  entwerten,  indem  die  Vitamine  relativ  leicht  zer¬ 
störbar  sind. 

Wie  man  sich  die  Wirkung  der  fraglichen  Körper  vorzustellen 
hat.  ist  noch  völlig  unklar.  Man  wird  zunächst  entschieden  an  die 
bereits  erwähnten  Beobachtungen  erinnert,  dass  gewisse  Amino¬ 
säuren,  vom  Körper  nicht  synthetisch  gebildet  werden  können  und 
dass  daher  Proteine,  denen  diese  fehlen  oder  genommen  sind,  zum 
Eiweissersatz  untauglich  sind.  Man  könnte  sich  mit  Abderhalden 
und  Lampe  vorstellen,  dass  durch  die  energische  Vorbehandlung 
mit  Alkohol  und  ähnlichem  notwendige  Bestandteile  der  Nahrungs¬ 
mittel  zerstört  und  diese  so  entwertet  werden.  Auch  bei  den  Vita¬ 
minen  handelt  es  sich  offenbar  um  Substanzen,  deren  Synthese  dem 
Organismus  nicht  gelingt  und  die  daher  von  aussen  zugeführt  werden 
müssen. 

Man  könnte  sich  vorstellen,  dass  unter  Umständen  die  Wirkung 
derartiger  Substanzen  trotz  ihrer  Zufuhr  pathologischerweise  gestört 
ist.  Man  könnte  ferner  annehmen,  dass  bei  ihrem  Ausfall  in  Krank¬ 
heitszuständen  die  synthetische  Tätigkeit  des  Organismus  irgend¬ 
welche  Störung  erleidet,  und  dass  dadurch  Ernährungsstörungen  be¬ 
stimmter  Art  Platz  greifen.  Vielleicht  ist  bei  der  Infektion,  beim  Kar¬ 
zinom  und  ähnlichen  Zuständen  auch  mit  derartigen  Vorgängen  zu 
rechnen,  die  dann  zur  sogen,  toxogenen  Stickstoffmehrausfuhr  bei¬ 
tragen  könnten.  Jedenfalls  ist  man  hier  neuen  Erscheinungen  auf  der 
Spur,  die  eine  Menge  Perspektiven  geben  und  manches  Rätsel  lösen 
können,  das  uns  heute  noch  beschäftigt.  Ob  es  freilich  nötig  ist,  in 
den  Vitaminen  neue  lebenswichtige  Nahrungsbestandteile  voraus¬ 
zusetzen,  scheint  mir  zunächst  noch  nicht  sicher  bewiesen. 

Ich  habe  Ihnen  nur  einen  kurzen  Abriss  geben  können,  nur  Streif¬ 
lichter  auf  neue  wichtige  Anschauungen  und  Befunde.  Es  Hesse  sich 
noch  vieles  anreihen;  es  ist  zweifellos  verwunderlich,  dass  man  auf 
dem  alltäglichen  Gebiete  der  Ernährung  immer  noch  so  vieles  Neue 
findet.  Wir  Aerzte  müssen  uns  mit  diesen  Dingen  vertraut  machen. 

Denn  nichts  ist  wichtiger,  als  eben  die  alltägliche  Ernährung.  Es 
gilt  hier  voll  und  ganz  der  Spruch,  den  Leyden  einst  seinem  be¬ 
rühmten  Handbuch  der  Ernährungstherapie  auf  den  Weg  gab:  Qui 
bene  nutrit,  bene  curat! 


Bücheranzeigen  und  Referate. 

L.  Brauer,  G.  S  c  h  r  o  e  d  e  r,  F.  Blumenfeld:  Handbuch 
der  Tuberkulose.  In  5  Bänden.  Unter  Mitwirkung  von  45  Mitarbei¬ 
tern.  Erster  Band.  Mit  88  Abbildungen,  10  Kurven  und  9  farbigen, 
1  Stereoskop-  und  8  schwarzen  Tafeln.  Leipzig,  Joh.  Ambr.  Barth, 
1914.  792  Seiten.  Preis  35  M 

In  der  Vorrede  sagen  die  Verfasser,  das  Handbuch  stelle  die 
2.  Auflage  des  von  Schroeder  und  Blumenfeld  1904  heraus¬ 
gegebenen  Handbuchs  der  Therapie  der  chronischen  Lungenschwind¬ 
sucht  dar.  Zu  den  Kritikern,  die  von  der  1.  Auflage  sagten,  das  Buch 
sei  mehr,  als  sein  Titel  verspreche,  hat  auch  der  Unterzeichnete  ge¬ 
hört.  Es  war  ein  Handbuch  der  Pathologie  vom  therapeutischen 
Standpunkte  aus.  ..Der  Stoff  sei  den  Autoren  unter  den  Händen  ge¬ 
wachsen“,  sagen  die  Herausgeber.  Die  vorliegende  Ausgabe  ist  von 
vorneherein  auf  einer  sehr  breiten  Basis  angelegt,  sie  soll  die  ganze 
Lehre  von  der  Tuberkulose  umfassen.  Gewiss  ist  es  ein  eigenartiges 
Unternehmen,  wenn  sich  fast  ein  halbes  Hundert  von  Autoren  in  das 
Gebiet  eines  einzigen,  wenn  auch  eines  enorm  wichtigen  Krankheits¬ 
prozesses  teilt.  Es  zeugt  von  der  spezialisierenden  Richtung  unserer 
Zeit.  Zunächst  liegt  in  dem  1.  Bande  eine  Reihe  von  Aufsätzen  und 
Monographien,  teils  allgemeiner  teils  sich  speziell  auf  die  Lungen¬ 
tuberkulose  beziehender  Natur  vor.  Predoehl  gibt  die  Ge- 


21.  Juli  1914. 


MUHNCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1635 


schichte  der  Tuberkulose  in  einer  relativ  kurzen  Uebersicht 
wieder.  Diese  weise  Beschränkung  ist  bei  dem  ungeheueren  Umfang 
des  historischen  Materials  sehr  anzuerkennen.  Die  patho¬ 
logische  Anatomie  der  Tuberkulose  stammt  aus  der  Feder 
des  durch  seine  Studien  über  die  Ursachen  der  Lungenkrankheiten 
rühmlich  bekannten  holländischen  Pathologen  Tendeloo,  der  in 
überaus  gründlicher  und  doch  nicht  zu  ausführlicher  Weise  die  viel¬ 
gestaltigen  Formen  der  1  uberkulose  in  allen  Organen  schildert  In 
seiner  originellen  Weise  gibt  H.  Much  ein  klares  Bild  der  Morpho- 
logie  und  Biologie  des  Erregers  der  Tuberkulose,  in  das  er  leb¬ 
hafte  Diskussionen  mit  den  Gegnern  seiner  Entdeckungen  und  Auf- 
fassungen  einflicht.  Das  Gleiche  gilt  von  dem  Kapitel  desselben 
Autors  über  Immunität.  Die  Ansteckungswege  der  Tuber¬ 
kulose  werden  von  dem  bekannten  Schüler  v.  Behrings,  Paul 
H.  R  ö  m  e  r,  dargestellt,  dem  wir  schon  viele  erfolgreiche  Arbeit  auf 
Jem  Gebiete  der  I  uberkulose  verdanken.  Die  Fragen  der  Disposition 
und  individuellen  Prophylaxe  hätten  wohl  keinem  Besseren  anver- 
traut  werden  können,  als  F.  M  a  r  t  i  u  s,  dem  vorzüglichen  Bearbeiter 
Jer.  yererbungsprobleme  in  der  Medizin.  Unter  dem  Titel  „Epidemio- 
behandelt  G  o  1 1  s  t  e  i  n  die  geographische  Verbreitung  und  die 
■'tatistik  der  I  uberkulose.  Die  trotz  aller  gegenteiligen  Behaup¬ 
te!1  auch  für  die  menschliche  Prophylaxe  bedeutungsvolle  Be- 
tampfung  der  1  iertuberkulose  verdanken  wir  Dammann  in  Han- 
lover  Eine  eindrucksvolle  Darstellung  der  Tuberkulose  in  sozialer 
Jeziehung  hat  Ministerialdirektor  Kirchner  geliefert.  Im  spe- 
nellen  Teile,  der  sich  zunächst  mit  der  Lungentuberkulose 
gefasst,  ßibt  B  r  e  c  k  e  eine  sehr  ausführliche  Beschreibung  der 
Diagnose,  die  vielleicht  durch  eine  schärfere  und  kritischere  Hervor- 
lebung  des  Wichtigen  noch  gewinnen  könnte.  Dass  die  klinische 
Bedeutung  der  Tuberkulinreaktionen  einem  besonderen  Autor  zuge- 
eilt  ist,  lässt  sich  zur  Not  im  allgemeinen  rechtfertigen  und  wird 
iurch  die  Art,  wie  J.  Ritter  seine  Aufgabe  gelöst  hat,  im  Spe- 
lellen  gerechtfertigt.  Ueberflüssig  erscheint  es  aber  nach  der  Mei- 
~fs  Unterzeichneten.  dass  der  klinisch  noch  so  wenig  erprobten 
uethode  der  I  horakoskopie  und  Laparoskopie  ein  besonderes  Ka¬ 
utel  in  der  Bearbeitung  seitens  ihres  Erfinders  Jacobaeus  zuge- 
v  lesen  worden  ist.  Die  reich  illustrierte  Schilderung  der  Ergebnisse 
es  Rontgenverfahrens  bei  der  Lungentuberkulose  ist  ein  wertvoller 
ibschmtt  des  Buches.  Schliesslich  ist  der  Versuch  M  e  i  s  s  e  n  s,  die 
limschen  Formen  der  Lungentuberkulose  abzugrenzen,  sehr  be- 
chtenswert.  So  stellen  sich  in  Kürze  die  einzelnen  Beiträge  zum 
rsten  Bande  des  Handbuches  dar.  Wie  sich  aus  diesen  und  den 
eiteren,  die  angekündigt  werden,  ein  wirklich  homogenes  Ganzes 
Drmen  wird,  das  müssen  die  folgenden  Bände  zeigen.  Jedenfalls 
erechtigt  der  vorliegende  Band,  an  dem  die  geradezu  glänzende 
.usstattung  und  die  zum  Teil  vorzüglichen  Abbildungen  noch  be- 
anders  hervorgehoben  werden  müssen,  zu  der  Hoffnung,  dass  das 
e.?a™*e  Werk  in  der  Tat  ein  vollständiges  Bild  unseres  gegen- 
artigen  Wissens  und  Könnens  auf  dem  Gebiete  der  Tuberkulose 
eben  wird  Wenn  sich  die  Herausgeber  mit  der  Hoffnung  tragen, 
uch  dem  allgemeinen  Praktiker  das  Material  an  die  Hand  zu  geben 
as  die  Arbeit  eines  Jahrhunderts  geschaffen  hat,  so  beschleicht  den 
eferenten  ein  leiser  Zweifel,  ob  sich  viele,  beschäftigte  Aerzte  in 
*s  ‘  H,!lim  ,eines  so  umfangreichen  Werkes  zu  versenken  imstande 
nd.  W  ünschen  wollen  wir  dem  Buch  von  Herzen  die  weiteste  Ver- 
'eitung-  P  e  n  z  o  1  d  t. 

H.  H  e  r  z  -  Breslau:  Die  Störungen  des  Verdauungsapparates  als 
tilge  anderer  Erkrankungen.  2.  umgearbeitete  und  vermehrte  Auf- 
ge.  III.  I eil:  „Die  chronischen  Infektionskrankheiten  in  ihren  Be- 
ehungen  zum  Verdauungsapparat“.  Berlin  1914.  Verlag S.Kareer 
reis  9  M. 

•  ^\as  bereits  bei  der  Besprechung  der  akuten  Infektionskrank- 
iten  in  ihren  Beziehungen  zum  Verdauungsapparat  rühmend  hervor- 
thoben  wurde  (Nr  17,  Jahrg.  1914,  S.  375  d.  Wschr.),  gilt  in  gleichem 
asse  von  vorliegendem  3.  Abschnitt,  der  sich  mit  den  chronischen 
tektionskrankheiten  in  ihren  Beziehungen  zum  Verdauungsapparat 
dasst.  Hier  sind  es  vor  allem  die  gewaltigen  Kapitel  der  Tuber- 
Hose  und  der  Syphilis,  die  uns  fast  auf  jeder  Seite  auf  Grund  der 
uesten  Forschungen  eine  Ergänzung  und  Bereicherung  unserer  bis- 
rigen  Kenntnisse  vermitteln,  doch  auch  die  Kapitel  der  Aktino- 
s  kose,  Lepra  und  des  Rhinoskleroms  haben  eine  Neubearbeitung 
d  damit  zusammenhängend  zum  Teil  wenigstens  eine  nicht  un- 
esenthehe  Vermehrung  erfahren,  so  dass  wir  auf  Grund  des  mit 
uirem  Bienenfleiss  aus  der  einschlägigen  Literatur  zusammen- 
J tragenen  Materials  uns  jederzeit  ein  deutliches  Bild  über  den  gegen- 
irtigen  Stand  der  hier  berührten  Fragen  zu  schaffen  vermögen, 
»durch  sich  vorliegendes  Buch  in  gleicher  Weise  wertvoll  erweist 
•i  Ti  rachkollegen  sowohl,  wie  auch  als  Nachschlagewerk  für 
l  len  Praktiker.  A.  J  o  r  d  a  n  -  München. 

E.  Haitz:  Tafeln  zur  binokularen  Untersuchung  des  Gesichts- 
dzentrunis  vermittelst  des  Stereoskops.  Zweite  Auflage.  Berg- 
3  r-H’c  ^  iesbaden  1914.  Preis  2  M.  (Untersuchungsgegenstände 
i  t.  S  y  d  o  w,  Berlin.) 

Zum  Nachweis  zentraler  einseitiger  Skotome  zwischen  0  und  10° 
3en  Sich  die  1905  in  die  Untersiichungsmetho.den  eingeführten  Tafeln 
■  wahrt.  Binokularer  Sehakt  ist  erforderlich.  Die  Abweichung  von 
r  normalen  Atigenstellung,  die  dem  Untersucher  das  Stereoskop 


verbirgt,  macht  sich  dem  Patienten  selbst  durch  Verdoppelung  der 
gemeinsamen  Konturen  bcmerklich. 

Die  zweite  Auflage  der  Tafeln  gleicht  ganz  der  ersten,  die  Ob¬ 
jekte  wurden  verbessert.  Gilbert. 

R.  Kolk  witz:  Pflanzenphysiologie.  Versuche  und  Beobach- 
tungen  an  höheren  und  niederen  Pflanzen  einschliesslich  Bakteriologie 
un“  ,  ,yd  ,ogie  mit  Planktonkunde.  Mit  12  z.  T.  farbigen  Tafeln 

c  6  Abladungen  im  Text.  Jena  1914.  Verlag  von  .1.  F  i  s  c  h  e  r. 
258  Seifen.  Preis  9  Mark,  geb.  11  Mark. 

Der  Verfasser  hat  es  sich  zur  Aufgabe  gesetzt,  aus  dem  Gebiet 
aer  pflanzenbiologischen  Experimente  eine  solche  Auswahl  von 
Uebungsbeispielen  herauszustellen,  dass  durch  sie  eine  möglichst 
instruktive  Vorführung  der  wichtigsten  pflanzenphysiologischen  Er¬ 
kenntnisdaten  gewährt  wird,  um  so  womöglich  eine  durch  Phvsio- 
!r°S1w  *e  Systematik  der  Pflanzen  entstehen  zu  lassen.  Wie  weit 
der  Verfasser  dieses  Ziel  erreicht,  vermag  der  Referent  als  Mediziner 
nicht  ausreichend  zu  beurteilen.  Eins  aber  ist  sicher.  In  dem  Buche 
sind  eine  ausserordentlich  grosse  Zahl  verhältnismässig  einfacher 
Versuche  beschrieben,  die  einen  tiefen  Einblick  in  die  Physiologie 
des  pflanzlichen  Geschehens  gewähren  und  zweifellos  auch  dem  Arzte 
der  die  Botanik  lieb  behalten  hat,  durch  die  Sicherheit  ihres  Ge- 
mgens  und  durch  die  überraschende  Fülle  der  Ergebnisse  manche 
Freude  werden  bereiten  können.  Die  hier  dargebotene  Einsicht  in 
die  Grundlagen  der  pflanzlichen  Vorgänge  ist  sicher  geeignet,  auch 
für  den  Arzt  den  Blick  für  die  Zusammengehörigkeit  aller  Lebens¬ 
erscheinungen  zu  weiten.  Schade-  Kiel. 

Neueste  Journalliteratur. 

Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie.  127.  Bd.,  5.-6.  Heft. 

.  .  ?  °J.  c  t1  a.r,d:  Akute  progrediente  Enzephalitis,  akute  zirkum- 
skripte  Meningitis  und  Meningoenzephalitis.  (Aus  der  chir.  Abteilung 
des  Diakonissenhauses  zu  Posen.) 

Wie  die  allerdings  erst  spärliche  Literatur  zeigt,  gibt  es  Fälle 
MISnebeneu Entzündungen  im  Gehirn,  die  akute  Enzephalitis,  die 
Meningoenzephalitis,  die  Meningitis  circumscripta  acuta,  die  durch  ziel¬ 
bewusste  Trepanation  und  Ausschaltung  des  Erkrankungsherdes  zur 
Heilung  gebracht  werden  köneen.  Fälle  akuter  traumatischer  Enzepha¬ 
litis  von  Hahn,  v  Bergmann,  Friedrich  etc.;  diese  hat  sowohl 
irut  als  auch  ohne  Infektion  die  Tendenz,  fortzuschreiten,  die  Operation 
kann  Heilung  bringen.  Für  die  Meningitis  serosa  acuta  circumscripta 
kommen  ätiologische  Trauma  oder  Infektion  oder  beide  in  Frage  im 
akuten  Stadium  liegt  immer  eine  Enzephalitis  der  Rinde  mit  vor  — 
also  eine  Meningoenzephalitis.  Das  nach  einem  gewissen  Zeitpunkt 
—  48  Stunden  —  einsetzende  Auftreten  oder  die  Zunahme  der  allge¬ 
meinen  Drucksymptome  und  der  Herderscheinungen  und  die 
Anamnese  (Trauma,  Intoxikation,  Infektion)  lässt  die  Diagnose  akute 
Enzephalitis,  Meningitis,  Meningoenzephalitis  stellen  und  zwingt  bei 
rogredienz  zum  therapeutischen  Handeln.  Bei  allgemeinen  Hirn¬ 
drucksymptomen  mag  die  Lumbalpunktion  versagt  werden.  Speziell 
bei  progredienten  Herdsymptomen  ist  die  Trepanation  über  dem 
Herde  der  beste  Eingriff.  Eigener  Fall:  35  jähriger  Mann,  vor 
9  Wochen  Schlag  über  dem  Kopf,  eine  offene  Wunde  heilte  gut,  seit 
2  l  agen  Lahmungserscheinungen  im  linken  Arm  und  Bein,  Muskel¬ 
zuckung,  Kopfschmerzen;  Trepanation  unter  der  Diagnose:  Pro- 
grediente  Enzephalitis  über  der  rechten  motorischen  Region;  es  findet 
sich  hier  ein  fünfmarkstückgrosser  meningoenzephalitischer  Herd; 

I  amponade,  Heilung.  Des  weiteren  teilt  B  o  r  c  h  a  r  d  einen  bereits 
auf  dem  Chirurgenkongress  1912  kurz  erwähnten  Fall  mit,  in  dem  sich 
Jahre  nach  einem  Trauma  über  dem  linken  Stirnhirn  eine  Menin- 
gitis  serosa  circumscripta  chronica  entwickelte  bei  einem  Patienten 
rmt  lues-verdächtiger  Anamnese;  Trepanation,  Spaltung  der  Dura 
nach  Abfluss  der  reichlichen  Flüssigkeit  Naht  der  Dura,  Heilung. 

.  V  S  u  b  b  o  t  i  t  s  c  h:  Kriegschirurgische  Erfahrungen  über  trau¬ 
matische  Aneurysmen.  (Aus  dem  serbisch-türkischen  und  dem  ser¬ 
bisch-bulgarischen  Kriege  1912 — 1913.) 

An  den  Operationen  beteiligten  sich  24  Chirurgen  aus  verschie- 
denen  Landern;  es  wurden  legiert:  78  Arterien  und  11  Venen,  partiell 
genaht  15  Arterien  und  11  Venen,  zirkulär  genäht  15  Arterien  und 
5  Venen  Die  Art.  femoralis  wurde  28  mal  ligiert  und  14  mal  genäht 
Beginn  des  Aneurysma  gewöhnlich  erst  nach  einigen  Tagen  oder 
Wochen.  Vollkommen  quere  Gefässdurchtrennungen  sind  bei  un¬ 
komplizierten  Gefässverletzungen  selten.  Das  Schwirren  (Thrill) 
des  Aneurysma  ist  zuweilen  weit  zentral  von  der  Verletzungsstelle 
wahrzunehmen  und  erschwert  die  Orientierung  über  die  Stelle  der 
Ver  etzung  Beim  Aneurysma  arterio-venosum  fand  sich  zuweilen 
stärkere  Dilatation  der  zentralen  Gefässabschnitte.  Am  besten  Operation 
in  Lokalanästhesie  ohne  Esmarch  (besonders  wegen  der  Kontrolle 
des  Kollateralkreislaufes).  Blutet  es  nach  Abklemmung  des  zentralen 
( jefassstumpfes  aus  der  Arterie  genügend,  so  kann  man  ruhig  die 
Ligatur  ausfuhren.  Wichtig  ist,  das  umgebende  Hämatom  aus- 
zuiaumen.  uefässnaht  kann  nur  bei  nicht  infizierter  Wunde  gemacht 
werden;  sie  ist  nicht  ohne  Gefahr.  Thrombose,  Embolie,  Nachblutung, 
bei  gut  funktionierendem  Kollateralkreislauf  ist  die  Ligatur  in  der 
Kriegschirurgie  das  einfachste  Verfahren.  Auffallend  ist  die  Zahl 
von  Gangrän  des  Fusses  und  des  Unterschenkels  nach  Ligatur  der 
Femoralis  unter  (4),  der  Poplitea  (2)  und  der  Tibialis  post.  (2).  Aus 
der  Kasuistik  sei  erwähnt,  dass  von  2  Verletzungen  der  Art.  verte- 
bialis  der  eine  Patient  ungeheilt  entlassen  wurde,  der  andere  an  Ver- 


1636 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


blutung  starb.  Lecco  schlägt  auf  Grund  dieser  Erfahrungen  vor, 
wenn  bei  Verletzung  der  Vertebralis  und  Unterbindung  des  zentralen 
Endes  die  Blutung  nicht  steht,  auch  die  andere  Vertebralis  in  der 
Supraklavikulargrube  zu  unterbinden,  um  dadurch  den  arteriellen 
Zirkulus  zu  unterbrechen,  der  zu  der  Blutung  aus  dem  peripheren, 
meistens  sich  retrahierenden  Stumpfes  der  verletzten  Seite  führt. 

Eduard  Melchior:  Zur  Kenntnis  der  Fremdkörper  des  Duo¬ 
denums.  (Aus  der  Breslauer  chirurgischen  Klinik.) 

Eine  24  jährige  Krankenpflegerin  verschluckte  vor  5  Jahren 
9  Nähnadeln  in  einem  Nadelbrief;  seit  einem  Monat  in  der  Lenden¬ 
wirbelsäule  Schmerzen,  und  seit  14  Tagen  ununterbrochen  in  der 
rechten  Bauchseite.  Röntgenaufnahme  zeigt  etwas  rechts  von  der 
Wirbelsäule  entsprechend  der  druckempfindlichen  Stelle  rechts  vom 
Nabel  in  der  Höhe  des  3. — 2.  Lendenwirbels  3  fast  senkrecht  stehende 
Nadeln.  Bei  der  Operation  fanden  sich  nach  Mobilisierung  des  Duo¬ 
denums  und  der  Flexura  coli  dextra  2  Nadeln  in  der  Pars  descendens 
duodeni  und  konnten  nach  Längsinzision  entfernt  werden.  2  weitere 
Nadeln  in  der  Pars  superior  duodeni  können  durchgespiesst  werden. 
Uebernähung  der  kleinen  Oeffnung,  entlastende  retrokolische  Gastro- 
jejunostomie,  Heilung.  Eine  Orientierung  in  der  Literatur  zeigte  dem 
Verfasser,  dass  in  23  Fällen  Fremdkörper  im  Duodenum  operativ 
entfernt  wurden.  Demnach  stellt  das  Duodenum  —  im  Gegensatz 
zu  den  früheren  Anschauungen  —  eine  ausgesprochene  Prädilektions¬ 
stelle  für  die  Arretierung  verschluckter  Fremdkörper  dar.  Das  Haupt¬ 
hindernis  für  die  Fremdkörperpassage  stellt  der  Angulus  inferior  dar. 
Perforationen  und  andere  Schädigungen  sind  wiederholt  beschrieben. 
Klinisch  sind  mehrfach  Schmerzen  rechts  vom  Nabel  mit  Ausstrahlung 
in  Rücken  und  Schulter  beschrieben.  Obstruktionserscheinungen 
wurden  nur  ganz  ausnahmsweise  beschrieben.  Fremdkörper  im 
Röntgenbild,  die  an  der  rechten  Aussenseite  des  2.  oder  3.  oder  auch 
noch  des  3. — 4.  Lendenwirbels  gelegen  sind,  sind  mit  grösster  Wahr¬ 
scheinlichkeit  auf  das  Duodenum  und  zwar  die  Pars  descendens  zu 
beziehen.  Da  von  17  operierten,  meist  komplizierten  Fällen  6  starben, 
ist  die  frühzeitige  Operation,  die  je  nach  dem  Sitz  modifiziert  wird, 
erforderlich. 

Hans  And  ree:  Die  Plica  diaphragmatica  ovarii  als  Ursache 
einer  Darminkarzeration.  (Aus  der  chirurgischen  Abteilung  des 
Vereinskrankenhauses  zum  Roten  Kreuz  in  Bremen.) 

Bei  der  Operation  und  der  späteren  Autopsie  eines  unter  den 
Erscheinungen  einer  Appendicitis  perforativa  erkrankten  13  jährigen 
Mädchens  fand  sich  eine  Darniinkarzeration  durch  eine  aussergewöhn- 
liche,  sichelförmige  Peritonealfalte,  die  von  der  Radix  mesenteria  zu 
den  rechten  Adnexen  verläuft.  Die  Bauchfellduplikation  wird  als  die 
stehen  gebliebene  Plica  diaphragmatica  ovarii  gedeutet,  ein  Analogon 
der  Plica  diaphragmatica  testis  (in  den  letzten  80  Jahren  6  Fälle  in 
der  Literatur).  Ein  gleichzeitig  aufgefundener  Dünndarmpolyp  wird 
als  hyperplastisch-papillomatöses  Granulom  des  Ductus  omphalo- 
mesentericus  bezeichnet. 

Arthur  W.  Meyer  und  R.  Kohlschütter:  Ueber  echte  Er¬ 
frierungsgangränen  im  bulgarisch-türkischen  Kriege.  (Aus  dem  Kriegs¬ 
lazarett  der  deutschen  Aerzte  in  Dedeagatsch.) 

Nicht  die  von  W  i  e  t  i  n  g  und  D  r  e  y  e  r  „als  Unterkühlungsgan¬ 
gränen“,  von  Welker  als  „Cholera-  und  Typhusgangränen“  be- 
zeichneten  Schädigungen,  sondern  echte  Erfrierungen,  wie  sie  in  den 
Schützengräben  von  Adrianopel,  Tschataldscha  und  Galipoli  bei  ca. 
10°  vorkamen,  sind  Gegenstand  der  Arbeit.  Etwa  150  derartige 
Kranke  wurden  von  dem  Verfasser  behandelt.  Weitaus  die  Mehrzahl 
der  Kranken  zeigte  Nekrosen  der  Kutis,  der  Subkutis,  der  Sehnen, 
Faszien,  Muskeln  und  Knochen:  Erfrierungen  1.  und  2.  Grades  wurden 
nur  ganz  wenige  beobachtet.  Ging  an  der  unteren  Extremität  die 
Hautnekrose  bis  in  die  Nähe  des  Chopart  sehen  Gelenkes  bei  ne¬ 
krotischen  Metatarsalknochen,  so  zeigte  sich,  dass  auch  alle  Tarsal¬ 
knochen  mit  Ausnahme  des  Talus  und  eines  Teiles  des  Kalkaneus  ne¬ 
krotisch  waren.  Nur  was  bei  Einschnitten  in  das  Gewebe  selbst 
blutete,  erhielt  sich.  Wichtigkeit  tiefer  Inzision  vor  der  Amputation. 
An  den  Füssen  überwog  die  feuchte  Gangrän,  die  häufig  zu  ausge¬ 
dehnten  Phlegmonen  führte,  in  einem  Fall  Tetanus.  Die  feucht  gan¬ 
gränösen  Teile  sollen  bei  deutlich  werdender  Markierung  entfernt 
werden.  Phlegmonen  werden  breit  geöffnet:  trockene  gangränöse 
Partien  werden  in  der  Demarkationslinie  abgekniffen,  nach  Abstossen 
der  Hautnekrosen  wurde  in  Chloroformrausch  die  Nachtoilette  der 
Wunde  gemacht.  Auch  die  grössten  Wunden  an  Fusssohle  und  Ferse 
zeigten  eine  fabelhafte  Granulations-  und  Epithelisierungstendenz 
und  ermöglichten  dabei  ein  beschwerdefreies  Gehen,  so  dass  aus¬ 
gedehnt  konservativ  behandelt  werden  konnte.  Bei  Sepsisgefahr 
(Nekrose  des  ganzen  Fusses)  Amputation  an  der  Exartikulation  des 
Fusses,  ohne  primäre  Naht  und  mit  Eröffnung  und  Tamponade  der 
Sehnenscheiden.  Ob  der  Gewebstod  in  den  beobachteten  Fällen 
durch  direkte  Erfrierung  zustande  kommen  oder  ob  es  sich  um 
ischämische  Gangrän  (March  and)  handelte,  lässt  sich  nicht  ent¬ 
scheiden.  Von  der  Art  der  Fussbekleidung  waren  die  Erfrierungen 
ganz  unabhängig. 

Vorschütz:  Die  Darreichung  von  Alkalien  in  der  Behandlung 
septischer  Prozesse.  (Aus  der  Kölner  Akademie  für  praktische  Me¬ 
dizin,  chirurgischen  Klinik  Lindenburg.) 

Im  Tierexperiment  konnte  V.  nachweisen.  dass  rizinvergiftete 
Kaninchen,  denen  gleichzeitig  Normalsäurelösung  eingespritzt  war, 
am  Leben  erhalten  blieben,  wenn  die  Säure  durch  ein  Alkali  neu¬ 
tralisiert  wurde.  Pemnach  muss  die  herabgesetzte  Alkaleszenz  dafür 


verantwortlich  gemacht  werden,  dass  der  septische  Organismus  nicht 
dieselbe  Menge  Gift  binden  kann,  wie  der  normale.  Es  wurden  nur. 
mit  bestem  Erfolge  Patienten  mit  septischen  Prozessen  mit  Rücksicht 
auf  die  Herabsetzung  der  Blutalkaleszenz  bei  fieberhaften  Krank¬ 
heiten  NaHCOa  verabreicht.  Im  ganzen  wurden  36  Fälle  länger^  Zeit 
mit  Alkalien  behandelt,  mit  5  Todesfällen.  Die  günstige  Wirkung  der 
Alkalien  schreibt  Vorschütz  1.  der  Katalyse,  2.  der  Wasser¬ 
retention,  3.  der  starken  Urinausscheidung  und  der  Blutdruckerhöhung, 
4  der  Besserung  des  Appetits  zu.  Verfasser  empfiehlt  die  Alkali- 
verabrcichung  möglichst  schon  im  Beginn  der  septischen  Erkrankung, 
ferner  bei  chronischen  Eiterungen  und  bei  der  sogen,  toxischen 
Nephritis  (vgl.  Aerzte-  und  Naturforscherversammlung  1912). 

Rudolf  G  ö  b  e  1 1  und  August  Poggemann:  Ein  Beitrag  zur 
direkten  Bluttransfusion.  (Aus  dem  Anscharkrankenhaus  und  der 
chirurgischen  Universitätspoliklinik  in  Kiel.) 

Verfasser  wandte  die  direkte  Bluttransfusion  in  10  Fällen  an. 
E^  wurde  womöglich  die  arteriovenöse  Anastomose  durch  Gefässnaht 
nach  Carrel-Stich,  nach  dem  Vorgänge  von  Enderlen,  H  o  t  z 
und  F 1  ö  r  c  k  e  n  ausgeführt,  einmal  bei  einer  Sepsis  wurde  ein  Stück 
Kaninchenaorta  zum  Zweck  der  Vermeidung  der  Infektion  des 
Spenders  zwischengeschaltet:  für  in  der  Gefässnaht  weniger  Geübte 
konstruierte  Göbell  eine  praktische  Prothese,  die  den  wichtigen 
Konnex  zwischen  der  Intima  der  Gefässe  herstellt.  Die  über¬ 
geflossene  Blutmenge  wird  aus  der  Zahl  der  durch  die  Pulswelle  aus- 
getriebenen  Blutstropfen  auf  872  ccm  bei  einer  Transfusionsdauer  von 
40  Minuten  berechnet.  Auch  Göbell  betont  die  ausgezeichnete 
Wirkung  bei  sekundärer  Anämie,  die  styptische  Wirkung  bei  hämor¬ 
rhagischer  Diathese;  auch  er  fordert  womöglich  eine  Vorprüfung  vom 
Blut  und  Serum  des  Spenders  und  Empfängers  auf  Isolysine  und 
Agglutinine.  In  5  Fällen  war  das  Resultat  ein  sehr  günstiges,  z.  T. 
die  Wirkung  direkt  lebensrettend. 

Theodor  Kocher-Bern:  Ein  Fall  von  Magenvolvulus. 

Bei  der  53  jährigen  Patientin,  bei  der  wegen  typischer  Ulcus- 
beschwerden  eine  Gastroenterostomie  in  Aussicht  genommen  war, 
entwickelte  sich  in  der  Klinik  ein  Ileus,  so  dass  unter  der  Diagnose 
Volvulus  der  Flexura  sigmoidea  operiert  wurde.  Die  Operation 
zeigte,  dass  der  Magen  um  270  0  im  Sinne  des  Uhrzeigers  gedreht 
war,  dass  also  ein  Magenvolvulus  vorlag  Nach  Retrotorsion  zeigte 
sich,  dass  ein  exquisiter  Sanduhrmagen  vorlag  (5  cm  lange  Ulcus- 
stenose  unterhalb  des  kardialen  Teiles),  der  pylorische  Teil  war  ge¬ 
waltig  dilatiert  und  ptotisch,  die  Pars  sup.  duodeni  so  verzogen,  dass 
sie  nach  links  aufstieg,  dabei  waren  die  Dünndärme  über  dem  Stiel 
nach  der  linken  Seite  verlagert.  Die  Möglichkeit  des  Volvulus  erklärt 
sich  einmal  durch  den  Sanduhrmagen,  ferner  durch  die  Senkung  und 
Verschiebung  des  Pylorus  nach  abwärts.  Da  wiederum  Störungen 
auftraten:  nach  5  Wochen  2.  Operation.  Hierbei  zeigte  sich,  dass 
wahrscheinlich  infolge  von  mit  dem  Ulcus  zusammenhängenden 
Schrutnpfungsvorgängen  die  grosse  Kurvatur  sich  der  kleinen  Kur¬ 
vatur  sehr  stark  genähert  hatte,  so  dass  die  Dilatation  in  Wirklichkeit 
nur  die  vordere  Magenwand  betraf,  dabei  war  das  ganz  verkümmerte 
grosse  Netz  nicht  mit  dem  Colon  transversum  in  Verbindung.  An¬ 
legung  einer  vorderen  Gastroenterostomie  am  tiefsten  Punkt  des 
Pylorusmagens.  Später  neuerdings  Störungen,  daher  wurde  noch  in 
einer  3.  Sitzung  eine  Gastroplastik  im  Sinne  von  Heinke-Miku- 
liez  zwischen  Pylorus  und  Kardiamagen  angelegt.  Heilung.  Der 
Fall  ist  der  28.  reine  Magenvolvulus,  der  18.  operierte  in  der  Literatur, 
zugleich  der  7.  Sanduhrmagen.  Es  disponieren  zum  Magenvolvulus: 
Ptosis  des  Magens,  Dilatation,  momentane  Ueberfiillung  bei  schlaffen 
Bauchdecken  mit  Dehnung  der  Fixationspunkte  nebst  querer  An¬ 
näherung  ihrer  Ränder,  hoher  Ansatz  des  Colon  transversum,  am 
Magen  freies  Netz. 

Als  Gelegenheitsursachen  zur  Einleitung  des  Magenvolvulus 
spielen-  eine  Rolle:  der  Brechakt,  rasche  Kontraktion  der  vorderen 
Bauchwand,  Stoss  auf  den  Bauch,  der  Mitwirkung  rein  passiver 
mechanischer  Momente  misst  Kocher  eine  grosse  Bedeutung  bei 
Einteilung  der  Fälle  von  Magenvolvulus  mit  v.  Hab  er  er  in  1.  balle 
von  mesenterioaxialem  Volvulus,  2.  Fälle  von  oragnoaxialem  Vol¬ 
vulus  mit  verschiedenen  Unterabteilungen.  Heftige  anfallsweise 
Schmerzen  mit  rasch  auftretender  Auftreibung  in  der  Magengegend 
und  erheblichem  Schock  ohne  intensiver  Druckempfindlichkeit,  dabei 
Unmöglichkeit  des  Schluckens,  fruchtlose  Würgebewegungen  event. 
(abgesehen  vom  Sanduhrmagen!)  keine  Entleerung  bei  Sondenunter¬ 
suchung.  Nach  Retrotorsion  sollen  die  abnormen  Zustände,  die  zum 
Volvulus  führten,  möglichst  bald  beseitigt  werden,  als  Methode  der 
Gastroenterostomie  bei  Volvulus  wird  die  Roux  sehe  Methode 
empfohlen. 

Vorschütz:  Geheilter  Fall  von  Schussverletzung  des  rechten 
Ventrikels.  (Aus  der  Kölner  Akademie  für  praktische  Medizin, 
chirurgische  Klinik  Undenburg.) 

Revolvcrschussverletzung  des  rechten  Ventrikels,  7Vz  Stunden 
nach  der  Verletzung  Einlieferung  ins  Krankenhaus,  klinisches  Bild 
der  Herztamponade.  Nach  Rippenresektion  und  Pleuraeröffnung  stellt 
sich  der  straff  vollgeblutete  Herzbeutel  ein,  Spaltung  des  Perikards- 
Naht  der  Einschussöffnung  auf  der  Vorderfläche,  der  Ausschuss¬ 
öffnung  auf  der  Hinteriläche  des  rechten  Ventrikels,  Lungenblntung 
mit  Ueberdruck,  luftdichtes  Einnähen  des  Hautmuskellappens,  Heilung 
Bericht  über  3  neuere  Fälle  in  der  Literatur. 

H.  Flörcken  -  Paderborn. 


21.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1637 


Zentralblatt  für  Chirurgie.  19N.  Nr.  27. 

Molfelder  -  Wernigerode  a.  H.:  Heftpflaster  verband  bei  Hasen- 

schartenoperationen. 

uuch  der  Hasenschartenoperation  2  fünfmarkstück- 
grossc  Heftprlasterstreifen  auf  jede  Backe;  durch  diese  Heftpflaster 
rührt  ei  mit  einer  runden  Nadel  einen  dicken  Ramizwirnfaden,  der 
ii  der  Hohe  des  Mundwinkels  quer  durch  den  Mund  verläuft  und  so 
est  ungezogen  wird,  dass  die  Oberlippe  dauernd  entspannt  bleibt, 
heser  \  erband  ist  leicht  anzulegen  und  gar  nicht  hinderlich  bei  der 
Nahrungsaufnahme. 

A.  N  a  r  a  t  h  -  Heidelberg:  Eine  zweckmässige  Modifikation  des 
ieftpflaster verbaudes  bei  Hasenschartenoperationen 

Die  Entspannung  der  Oberlippe,  die  Hagemann  (Nr.  21)  etwas 
inbco.uem  durch  den  durch  die  Mundspalte  gehenden  Heftpflaster- 
areiien  erreichen  will,  erzielt  Verf.  durch  seinen  „Kreuzverband“  * 
•r  klebt  einen  2—3  cm  breiten  Leukoplaststreifen  an  die  rechte  Wange 
iahe  dem  Unterkieferrande  fest,  zieht  ihn  nach  oben  und  links  über 
he  Nasenwurzel  und  in  gleicher  Richtung  über  die  linke  Stirn  und 
.isst  ihn  am  linken  Scheitelbein  enden;  der  2.  Streifen  wird  symme- 
iisch  dazu  angelegt;  die  beiden  Streifen  kreuzen  sich  also  ent- 
prechend  der  Nasenwurzel.  Die  beiden  „Kreuzstreifen“  heben  die 
iberhppe  und  entspannen  die  unbedeckte  Nahtlinie  .  Damit  das  Kind 
■eim  Schreien  den  Mund  nicht  zu  weit  öffnet,  legt  Verf.  noch  einen 
'  "  j n  kreisförmig  an  nach  Art  einer  Funda  maxillae.  Die  Arme 
es  Kindes,  die  die  Wunde  nicht  berühren  dürfen,  bindet  Verf  nicht 
;ie  Hagemann  am  Rumpfe  fest,  sondern  steckt  sie  in  Röhren  aus 
„arton,  welche  den  Armen  eine  gewisse  Bewegungsfreiheit  lassen, 
ber  das  Berühren  der  Oberlippe  unmöglich  machen.  Der  Verband 
'J  etu,as  kornPl*z'erter  als  der  von  H  a  g  e  m  a  n  n,  lässt  aber 

ie  Mundspalte  frei  und  braucht  nicht  gewechselt  zu  werden. 

Eugen  J  o  s  e  p  h  -  Berlin :  Zur  Technik  der  Pyelographie. 

Da  der  W  ert  der  Pyelographie  sehr  verschieden  von  den  deut- 
~ Choren  beurteilt  wird  und  die  mangelhafte  Technik  schwere 
chauigungen  der  Niere  und  sogar  2  Todesfälle  zur  Folge  gehabt  hat 
eschreibt  Verf.  eingehend  seine  Technik  der  Pyelographie,  mit  der 
r  in  ca.  100  Fällen  keine  Nachteile  beobachtet  hat.  Um  die  Haupt- 
ichen  herauszugreifen,  betont  Verf.  die  Wichtigkeit  dünner,  den 
retur  nicht  ganz  ausfüllende  Katheter  (Nr.  5)  und  empfiehlt  kleine 
Lengen  (6—8  cm)  frischer  lOproz.  Kollargollösung  durch  den  Ure- 
renkatheter  in  das  Nierenbecken  zu  injizieren;  nach  der  Einspritzung 
■iolgt  sofort  die  Röntgenmomentaufnahme;  alsdann  wird  sogleich 
-r  Katheter  entfernt  und  der  Patient  darf  aufstehen.  Die  Pyelo- 
aphie  soll  nur  dann  ausgeführt  werden,  wenn  der  Ureterenkatheter 
ch  muhelos  ms  Nierenbecken  vorschieben  lässt.  Nähere  Details 
nd  in  der  anschaulichen  Arbeit  selbst  nachzulesen. 

E.  Heim-  Oberndorf-Schweinfurt. 

Zeitschrift  für  orthopädische  Chirurgie.  Bd.  XXXIII. 

Murck  J  a  n  s  e  n  -  Leyden:  Die  physiologische  Skoliose  und  ihre 
rsache. 

Nur  7  Proz.  der  Wirbelsäulen  sind  nach  J.  ganz  frei  von  seit- 
hen  Ausbiegungen.  Die  physiologische  Skoliose  besteht  in  einer 
ikskonvexen  Krümmung  der  lumbodorsalen  Grenze,  einer  rechts- 
•nvexen  der  mittleren  Brustwirbelsäule  und  einer  linkskonvexen 
urnrnung  der  zervikodorsalen  Partie.  Die  physiologische  Skoliose 

charakterisiert  1.  durch  die  Konstanz  ihrer  Stelle  und  Richtung 
durch  das  primäre  Auftreten  der  untersten  Krümmung  und  3.  durch 
i.  hohe  Frequenz  ihrer  Nebenkrümmungen.  Bei  herabgesetzter 
iderstandsfähigkeit  der  Gewebe  entsteht  daraus  die  pathologische 
•  oliose.  Die  Ursache  der  physiologischen  Skoliose  liegt  in  der 
Mragen  Insertion  des  linken  inneren  Zwerchfellschenkels.  Die 
i:htskonvexe  Krümmung  der  mittleren  Brustwirbelsäule  beruht  auf 
jier  grosseren  Längsspannung  in  der  linken  Lunge.  Die  grössere 
aft  des  linken  Zwerchfellschenkels  ist  die  Folge  der  geringeren 
hnbarkeit  des  linken  Thoraxinhaltes,  welche  wiederum  durch  die 
lkslagerung  des  Herzens  bedingt  ist,  und  diese  Verlagerung  des 
trzens  endlich  ist  eine  Folge  des  aufrechten  Ganges.  Die  Arbeit 
(•halt  einen  ausserordentlich  interessanten  Ueberblick  über  die  Ent¬ 
fernung  der  Skoliosenforschung. 

H.  R  ö  d  e  r  -  Elberfeld:  Lieber  Gelenksversteifungen  durch 
l  mphkreislaufstörung  und  deren  Behandlung. 

Verf.  glaubt,  dass  der  lymphatische  Rachenring  eine  Austritts- 
Urte  für  den  Lymphkreislauf  darstellt  und  dass  hier  in  der  Lymphe 
ehaltene  Keime  ausgeschieden  werden.  Er  hat  schöne  Erfolge  bei 
'rsteif ungen  rheumatischer  Gelenke  durch  Massage  und  Saug- 
n  landlung  der  Tonsillen.  (Siehe  M.m.W.  1913  Nr.  26.) 

f'Kofmann  -  Odessa:  Muskelverlagerung  als  Methode  der  Be¬ 
rgung  der  paralytischen  Deformität. 

Der  Tibialis  anticus  wird  z.  B.  medialwärts  verlagert,  ohne  von 
? 'jln  Ansatz  abgeschnitten  zu  werden,  und  in  einer  Knochenrinnc 
ii  Malleolus  internus  befestigt.  Nach  gleichem  Prinzip  wird  der 

w1Uw°^er  ^  ensor  fasciae  zum  Ersatz  des  Quadrizeps  verlagert. 

H.H  o  e  ft  m  a  n  n  -  Königsberg:  Wiederherstellung  der  Arbeits- 
«igkeit  durch  Prothesen  mit  kinematographischen  Demonstrationen. 

Das  Prinzip  der  Prothesen  ist  eine  einfache  Lederkappe  mit 
-  -r  Düse,  in  die  verschiedene  Ansätze  für  Werkzeuge  gesteckt  wer- 
J  können. 

E.  P  u  n  c  k  e  r  -  Köln:  Der  Klauenhohlfuss  und  verwandte  pro- 
Issive  Deformitäten  als  Folgeerscheinungen  von  Spina  bifida 
}  ults*  (myelodysplastische  Deformitäten). 


I  rogressive  neurogene  Fussdeformitäten,  deren  klinischer  Be¬ 
fund  an  Poliomyelitis  erinnert,  Klauenhohlfiisse  und  Krallenzehenfüssc 
mit  und  ohne  Störungen  des  Nervensystems  zeigen  häufig  den  Rönt¬ 
genbefund  einer  Spina  bifida  occulta,  in  welcher  Duncker  die  Ur¬ 
sache  der  Deformität  sieht.  Die  Arbeit  ist  der  erste  Teil  einer 
grösseren  Veröffentlichung. 

A.  Lorenz- Wien:  Die  zweiarmige  Hebellehne. 

Die  Lehne  ist  in  ihrer  Mitte  um  eine  frontale  Achse  drehbar.  Sie 
k  :  pen  ..\orte*l>  dass  die  Lendenwirbelsäule  unterstützt  bleibt,  wenn 
bei  Ermüdung  der  Oberkörper  nach  hinten  sinkt  und  das  üesäss  nach 
vorne  rutscht. 

W  Böcker  - Berlin:  Die  Resultate  der  blutigen  Behandlung 
der  tuberkulösen  Hüft-  und  Kniegelenksdeformitäten. 

Eine  Reihe  von  Fällen,  bei  denen  die  nach  der  Ausheilung  be¬ 
stellenden  Deformitäten  durch  parartikuläre  Osteotomie  beseitigt 
wurden. 

P.  B  a  d  e  -  Hannover:  Ueber  die  Beziehungen  der  Arthritis  de- 
iormans  juvenilis  zum  eingerenkten  kongenitalen  luxierten  Hüft¬ 

gelenk. 

....  Siehe  Bericht  über  den  XII.  Kongress  der  Deutschen  ortho¬ 

pädischen  Gesellschaft. 

M  i  1  a  t  z  -  Rotterdam:  Technische  Mitteilungen,  Messinstru¬ 
mente. 

G.  A  x  h  a  u  s  e  n  -  Berlin:  Ueber  das  Wesen  der  Arthritis  de- 
forreans. 

...  S!ehe  Bericht  über  den  XII.  Kongress  der  Deutschen  ortho¬ 

pädischen  Gesellschaft. 

E.  B  i  ber  g  e  i  1  -  Berlin:  Die  Beziehungen  der  Spina  bifida 
occulta  zum  Klauenhohlfuss. 

Siehe  Bericht  über  den  XII.  Kongress  der  Deutschen  ortho¬ 

pädischen  Gesellschaft. 

Nachtragend  bemerkt  B.,  dass  er  den  ursächlichen  Zusammen¬ 
hang  beider  Symptome  für  erwiesen  hält. 

May  et  und  Delapchier  -  Paris:  Skoliose  und  Appendicitis 
chronica. 

Unter  112  Skoliosen  fand  sich  bei  42  eine  chronische  Appendi¬ 
zitis.  Die  Behandlung  der  Skoliose  war  erst  nach  der  Appendektomie 
erfolgreich. 

Julius  Hass- Wien:  Die  Röntgenbehandlung  der  Gelenktuber¬ 
kulose. 

Bestrahlungen  mit  Desensibilisierung  durch  Anämie  und  mit 
--mm-Aluminiumfilter.  Am  günstigsten  reagierten  die  synovialen,  am 
wenigsten  die  ossären  Formen. 

M.  Labe -Paris:  Die  Behandlung  der  Fettleibigkeit  mittels 
elektrischer  Gymnastik. 

Die  elektrische  Massage  nach  B  e  r  g  o  n  i  e  führt  zu  einem  Mehr¬ 
verbrauch  an  Energie,  wie  die  aktive  Gymnastik  ohne  jede  An¬ 
strengung  des  Herzens. 

Nachrufe  auf  Georg  P  r  e  i  s  e  r  t  und  Bernhard  Barden¬ 
heuer. 

F.  Brandenberg- Winterthur:  Drei  seltene  Missbildungen. 

1.  Spaltbildung  beider  Hände  und  Füsse,  2.  Defekt  des  Ober¬ 
armes,  3.  doppelseitige  Klumphand  mit  Defekt  des  Radius  Theorie 
der  Entstehung  vererbter  Missbildungen.  B.  glaubt  an  fehlerhafte 
Keimanlage. 

S.  Peltesohn  -  Berlin :  Transplantation  bei  Ulnadefekt. 

Siehe  Bericht  über  den  XII.  Kongress  der  Deutschen  ortho¬ 
pädischen  Gesellschaft. 

E.  B  i  b  e  rg  e  i  1  -  Berlin :  Funktioneller  Schiefhals  bei  horizon¬ 
talem  Nystagmus. 

Beschreibung  eines  Patienten,  der  infolge  von  erworbenem  Ny¬ 
stagmus  einen  Schiefhals  bekommen  hatte.  Als  Ursache  des  Nystag¬ 
mus  erwies  sich  gesteigerter  Hirndruck.  Auf  Grund  der  günstigen 
Erfahrungen  Heines  schlägt  B.  bei  solchen  Fällen  wiederholte 
Lumbalpunktion  vor. 

G.  P  r  e  i  s  e  r  -  Hamburg:  Die  orthopädische  Behandlung  der 
chronischen  Arthritiden  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Statik 

Siehe  Bericht  über  den  XII.  Kongress  der  Deutschen  ortho¬ 
pädischen  Gesellschaft. 

Karl  H  i  r  s  c  h  -  Berlin:  Ueber  angeborenen  Schulterblatthoch¬ 
stand  und  Thoraxdefekt. 

K.  Henschen-  Zürich:  Die  zentrale  oder  intrapelvine  Pfannen- 
wanderung  der  Hüfte  auf  koxitisch  arthropatischer  Grundlage. 

Siehe  Bericht  über  den  XII.  Kongress  der  Deutschen  ortho¬ 
pädischen  Gesellschaft. 

G  u  t  z  e  i  t  -  Neidenburg:  Ein  Fall  von  angeborener  lateraler 
Deviation  der  Grosszehenendphalanx. 

M.  Böhm -Berlin:  Beiträge  zur  forcierten  Korrektur  der  Sko¬ 
liose. 

Bericht  über  den  XII.  Kongress  der  Deutschen  ortho¬ 
pädischen  Gesellschaft. 

Paul  E  w  a  I  d  -  Hamburg-Altona:  Hüftpfannenbruch  und  intra¬ 
pelvine  Vorwölbung  des  Pfannenbodens. 

von  ^  Fähen.  Auch  Coxa  vara  rachitica  kann  zur 
allmählichen  Pfannenvorwölbung  führen.  Ebenso  der  primäre  chro- 
nische  progressive  Gelenkrheumatismus. 

August  B  r  ü  n  i  n  g  -  Giessen :  Untersuchungen  über  Rückgratver¬ 
krümmungen  bei  der  Schuljugend  in  Oberhessen. 

Siehe  Bericht  über  den  XII.  Kongress  der  Deutschen  ortho¬ 
pädischen  Gesellschaft. 


1638  MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  _ _  Nr.  29. 


E.  Q.  Abbott-  Portland:  Ueber  die  Skoliose. 

Siehe  Bericht  über  den  XII.  Kongress  der  Deutschen  ortho¬ 

pädischen  Gesellschaft. 

S.  P  e  1 1  e  s  o  h  n  -  Berlin:  Zur  Kenntnis  der  respiratorischen 
Thorax-  und  Wirbelsäulendeformitäten. 

P  e  1 1  e  s  o  h  n  führt  eine  tiefsitzende  Dorsalkyphose  bei  einem 
Asthmatiker  auf  die  übermässige  Funktion  der  Inspirations-  und  Ex¬ 
spirationsmuskeln  bei  dauernder  Erschwerung  der  Atmung  zurück. 

Karl  Springer  -  Prag:  Zur  Operation  der  Madelungdeformität: 
Korrektur  der  Gabelhand  durch  Osteotomie  und  Supination. 

Siehe  Bericht  über  den  XII.  Kongress  der  Deutschen  ortho¬ 

pädischen  Gesellschaft. 

A.  S  t  o  f  f  e  1  -  Mannheim:  Neue  Gesichtspunkte  auf  dem  Gebiete 
der  Sehnenverpflanzung. 

Siehe  Bericht  über  den  XII.  Kongress  der  Deutschen  ortho¬ 

pädischen  Gesellschaft. 

Eugen  B  i  b  e  r  g  e  i  1  -  Berlin:  Chondromatosis  des  Handgelenkes. 

Bildung  von  freien  Knorpelkörpern  im  Handgelenk  mit  Aus¬ 

stülpungen  der  Gelenkkapsel.  Nach  Entfernung  der  Körper  normale 
Funktion  . 

M.  B  r  a  n  d  e  s  -  Kiel:  Die  Heilung  grösster  Tibiadefekte  durch 
Transplantation. 

Siehe  Bericht  über  den  XII.  Kongress  der  Deutschen  ortho¬ 

pädischen  Gesellschaft. 

E  w  a  1  d  -  Altona:  Ueber  Osteopsathyrosis  idiopathica. 

Beschreibung  eines  22  jährigen  Mannes  und  eines  10  jährigen 
Mädchens  mit  Knochenbrüchigkeit  und  hochgradigen  Verkrümmungen, 
infolge  sehr  zahlreicher  Frakturen.  Der  erste  Fall  wurde  mit  Osteo¬ 
tomien  zum  Gehen  gebracht. 

Poncet-Lyon:  Aetiologische  Formen  der  chronischen  Gelenk¬ 
entzündungen,  tuberkulöser  Rheumatismus  und  seine  Behandlung. 

Siehe  Bericht  über  den  XII.  Kongress  der  Deutschen  ortho¬ 
pädischen  Gesellschaft.  Dr.  S  c  h  e  d  e  -  München. 

Zentralblatt  für  Gynäkologie.  Nr.  26  u.  27.  1914. 

A.  H  i  r  s  c  h  b  e  r  g  -  Berlin:  Ueber  die  vikariierende  bzw.  kom¬ 
plementäre  Menstruation. 

Neben  der  vikariierenden  Menstruation,  bei  der  an  Stelle 
der  genitalen  eine  extragenitale  Blutung  stattfindet,  kommen  auch 
sogen,  komplementäre  Menstruationen  vor,  bei  denen  beide  Formen 
der  Blutung  stattfinden.  Einen  solchen  Fall  beschreibt  H.  bei  einer 
27  jährigen  Frau,  die  10  Jahre  lang  neben  der  normalen  genitalen 
Menstruation  mammale  Blutungen  hatte.  Letztere  dauerten  vom  17. 
bis  zum  27.  Lebensjahre,  um  dann  nach  der  letzten  Gravidität  plötz¬ 
lich  zu  verschwinden.  In  der  Literatur  fand  H.  nur  2  analoge  Fälle 
von  Ziegenspeck  beschrieben. 

M.  F  r  a  e  n  k  e  1  -  Charlottenburg:  Die  Reizwirkungen  der  Rönt¬ 
genstrahlen  und  ihre  therapeutische  Verwendung.  I.  Bei  Chlorose. 

F.  hat  junge  Mädchen  mit  Chlorose  und  dysmenorrhoischen  Be¬ 
schwerden  durch  Röntgenstrahlen  günstig  beeinflusst.  In  5  Fällen 
stieg  nach  wenigen  Reizbestrahlungen  von  8  Sitzungen  zu  Vs  EO.  der 
Hämoglobingehalt  des  Blutes  von  48  auf  78 — 80 — 85  Proz. 

F.  S  c  h  a  u  t  a  -  Wien:  Ueber  Radiumbehandlung  bei  Gebär¬ 
mutterkrebs. 

Sch.  berichtet  über  seine  Fälle,  die  er  in  3  Gruppen  trennt.  Die 

1.  Gruppe  wurde  ununterbrochen  mit  Radium  bestrahlt.  Von  11  Fällen 
entzogen  sich  3  der  Behandlung,  die  übrigen  8  starben  alle,  aber  kein 
einziger  Fall  zeigte  bei  der  Sektion  mehr  lokales  Karzinom.  Die 

2.  und  3.  Gruppe  wurde  intermittierend  bestrahlt.  Von  der  2.  er¬ 
schienen  4  (unter  11)  als  geheilt,  von  der  3.  7  von  11.  Alle  diese 
Fälle  waren  von  Haus  aus  inoperabel.  Von  22  Pat.  konnten  also 
11  =  50  Proz.  durch  die  Radiumbehandlung  als  primär  geheilt  be¬ 
zeichnet  werden. 

E.  Schwarzenbach  -  Zürich :  Der  diagnostische  Hinter¬ 
dammsriff.  * 

Um  zu  entscheiden,  ob  der  Kopf  mit  seinem  grössten  Umfang  den 
Beckeneingang  bereits  passiert  hat,  also  zangengerecht  steht,  empfiehlt 
S.  folgenden  Handgriff.  Die  Kreissende  liegt  auf  der  linken  Seite, 
der  Geburtshelfer  steht  hinter  ihr.  Dann  legt  er  die  rechte  Hand¬ 
fläche  so  auf  den  untersten  Teil  des  Kreuzbeins,  dass  die  Finger¬ 
spitzen  zwischen  Steissbein  und  After  zu  liegen  kommen.  Drückt 
man  in  der  Wehenpause  dann  langsam  in  die  Tiefe  nach  oben  zu,  so 
fühlt  man  mit  einem  kurzen,  raschen  Druck  deutlich  den  harten  Kopf, 
wenn  er  in  der  Beckenhöhle  oder  im  Ausgang  steht. 

J  a  f  f  e  -  Hamburg. 

Gynäkologische  Rundschau.  Jahrg.  VIII,  Heft  9. 

Hermann  Freund-  Strassburg:  Konsultationen  von  Gynä¬ 
kologen  und  Internisten  bei  Schwangeren  mit  Tuberkulose  und  mit 
Herzstörungen. 

Anlehnend  an  zwei  selbstbeobachtete  Fälle  erörtert  der  Verf.  die 
Frage,  ob  bei  der  Indikationsstellung  des  künstlichen  Abortes  bei 
Tuberkulose  und  Herzfehler  der  Gynäkologe  oder  der  Internist  das 
entscheidende  Wort  zu  sprechen  habe.  Die  Anschauungen,  welche 
darüber  auf  dem  Kongress  der  Deutschen  Gesellschaft  für  Gynä¬ 
kologie  in  München  (1911)  geäussert  wurden,  waren  geteilt,  der  Verf. 
steht  auf  dem  Standpunkte,  dass  beide  gemeinsam  den  Fall  beob¬ 
achten  und  behandeln  sollen,  der  Geburtshelfer,  welcher  sich  nur  auf 
das  Urteil  des  Internisten  verlässt,  macht  sich  selbst  zur  „ausführen¬ 
den  Hand“. 


Mitteilung  von  zwei  scheinbar  ganz  einfach  zu  entscheidenden 
Fällen,  bei  denen  die  Mithilfe  des  Internisten  dem  Verf.  sehr  wertvoll 
gewesen  ist.  Im  ersten  Falle  trat  eine  frische  Endokarditis  in  der 
dritten  Schwangerschaft  ein,  die  Patientin  kam  bei  spontaner  Früh¬ 
geburt  ad  exitum;  im  zweiten  Falle  ist  das  bestehende  Vitium  ver¬ 
schlimmert  und  die  Kompensation  nach  der  Mitte  der  Gravidi¬ 
tät  gestört  worden;  exspektative  Behandlung.  Zum  Schluss  Polemik 
gegen  Fromme  und  Fellner,  deren  Statistik  Verf.  für  unhaltbar 
erklärt;  solange  die  letztere  nicht  durch  eine  einwandfreie  ersetzt 
ist,  muss  die  Komplikation  von  Schwangerschaft  und  Herzfehler  für 
ernst  angesehen  werden. 

Paul  Hüssy- Basel:  Ueber  die  therapeutische  Verwendung  von 
Papaverin  in  der  Gynäkologie.  (Aus  dem  Frauenspital  Basel.) 

Bericht  über  19  Fälle.  Verf.  hält  das  Hydrastopon  (eine 
Kombination  von  Hydrastinin  und  Papaverin)  für  eine  wertvolle  Be¬ 
reicherung  unsere  Arzneischatzes.  Zu  beachten  ist  eine  in  ver¬ 
einzelten  Fällen  auftretende  Herabsetzung  des  Blutdruckes.  Es  ist 
ein  Spezifikum  gegen  Schmerzen,  die  auf  krampfartigen  Zuständen 
der  glatten  Uterusmuskulatur  beruhen,  z.  B.  Dysmenorrhöe,  Uterin¬ 
koliken  bei  Endometritis,  Mittelschmerz. 

A.  Rieländer  -  Marburg. 

Archiv  für  Kinderheilkunde.  63.  Band,  1.  u.  2.  Heft. 

Hugo  Z  a  g  e  -  Immigrath:  Kritische  Studie  über  das  mit  Azeton- 
ämie  einhergehende  periodische  (zyklische,  rekurrierende)  Erbrechen 
im  Kindesalter.  Versuch  einer  ätiologischen  Erklärung  der  Krankheit. 

5  Ys  jähriger  Knabe,  der  einen  schweren  typischen  Anfall  von 
periodischem  Erbrechen  durchmachte.  Der  Fall  gibt  dem  Autor  den 
Anlass  zu  einer  Zusammenstellung  und  kritischen  Würdigung  der  ein¬ 
schlägigen  Literatur,  besonders  der  verschiedenen  Deutungsweisen 
der  Krankheit.  Seine  eigene  Ansicht  ist  die:  Ein  —  vermutlich 
psychogener  —  Reiz  kann  nur  an  einem  im  Sinne  von  Fliess 
„periodischen“  Tage  plötzlich  destruierend  wirken  auf  den  Kohle¬ 
hydratstoffwechsel  des  kindlichen  Körpers,  wobei  er  gleichzeitig  durch 
Erregung  des  Brechzentrums  die  Brechattacke  auslöst. 

Bruno  L  e  i  c  h  t  e  n  t  r  i  1 1  Erfahrungen  über  die  nach  dem  Ver¬ 
fahren  von  Engel  hergestellte  Eiweissmilch.  (Mit  10  Kurven.) 

Um  die  Nachteile  der  Eiweissmilch  —  höherer  Preis,  schwierige 
Darstellung,  schlechter  Geschmack  —  zu  beseitigen  und  doch  ihre 
Vorzüge  zu  erhalten,  konstruierte  Engel  eine  Milch,  bei  der  das 
Kasein  durch  Lab  zur  Gerinnung  gebracht  und  ein  Teil  der  Molke 
entfernt  wird.  Das  Rezept  ist  im  Original  nachzusehen. 

Die  Vorzüge  der  Milch  liegen  darin,  dass  man  die  Molke  aus 
der  Milch  entfernen  kann,  ohne  auf  den  nötigen  Kaseinfettgehalt  erst 
durch  nachträglichen  Zusatz  wieder  zu  kommen.  Gleichzeitig  wird 
eine  so  feinflockige  Gerinnung  erzeugt,  wie  sie  sonst  durch  me¬ 
chanische  Zerkleinerung  kaum  zu  erreichen  ist  Die  Milch  hat  unge¬ 
fähr  den  Geschmack  der  unveränderten  Milch.  Sie  wird  gut  ge¬ 
nommen  und  ihre  Erfolge  sind  besonders  bei  der  Dyspepsie  ausge¬ 
zeichnet,  wo  mit  einem  Schlage  die  Stühle  sich  konsolidieren  und 
das  Fieber  schwindet.  Die  Milch  eignet  sich  ausserordenlich  gut  zum 
Abstillen. 

Leonhard  V  o  i  g  t  -  Hamburg:  Bericht  über  die  im  Jahre  1913/14 
erschienenen  Schriften  über  die  Schutzpockenimpfung. 

Hecker-  München. 

Monatsschrift  für  Kinderheilkunde.  Bd.  XIII,  1914.  Nr.  2. 

Walter  Kaupe-Bonn:  Thymushypertrophie  und  Röntgenbe¬ 
strahlung. 

K.  warnt  vor  Röntgenbestrahlung  bei  dem  durch  Thymushyper¬ 
trophie  hervorgerufenen  Stridor  congenitus,  einerseits  wegen  der 
grossen  Empfindlichkeit  der  normalen  Gewebe  der  Neugeborenen 
gegenüber  den  Röntgenstrahlen  und  der  raschen  Regeneration  der 
nach  Bestrahlung  involvierten  Thymusmasse,  anderseits  weil  die 
meisten  Fälle  von  Stridor  congenitus  ohne  ärztliche  Intervention  aus¬ 
heilen. 

Bernheim-Karrer:  Zur  Behandlung  der  Spasmophilie  im 
Säuglingsalter. 

Nachtrag  zur  gleichnamigen  Arbeit.  Auseinandersetzung  mit 
Lust. 

Alex  Schackwitz:  Wasserstoffionenkonzentrationen  im  Aus¬ 
geheberten  des  Säuglingsmagens.  (Aus  der  Kgl.  Universitäts-Kinder¬ 
klinik  und  dem  Kgl.  Physiologischen  Institut  der  Universität  zu  Kiel.) 

Mit  der  Gaskettenmethode  wurden  die  H-lonenkonzentrationen 
von  137  Magenausheberungen  von  60  Säuglingen  bestimmt.  40  Magen¬ 
ausheberungen  von  20  gesunden  Säuglingen,  die  Frauenmilch  er¬ 
hielten,  zeigten  1—2  Stunden  nach  der  Nahrungsaufnahme  Werte,  die 
zwischen  pH  2,46  und  pH  6,55  schwankten.  48  Magenausheberungen 
von  20  gesunden  Säuglingen,  die  künstlich  ernährt  wurden,  zeigten 
1—2  Stunden  nach  der  Nahrungsaufnahme  Werte,  die  zwischen 
pH  1,82  und  6,72  schwankten.  49  Ausheberungen  von  19  erkrankten 
Säuglingen,  die  verschiedene  Nahrung  erhielten,  zeigten  1 — 4  Stunden 
nach  der  Nahrungsaufnahme  Werte,  die  zwischen  pH  1,62  und  pH  5,40 
schwankten.  Es  konnten  also  die  Ergebnisse  der  früheren  Unter¬ 
sucher,  die  konstant  Werte  um  10~”5  gefunden  haben,  nicht  bestätigt 
werden. 

M.  Masslow:  Ueber  Veränderungen  der  Atmungskurven  bei 
Kindern  mit  spasmophilen  Symptomen  unter  dem  Einfluss  von  aus- 


21.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


seren  Reizen  und  die  Bedeutung  dieser  Veränderungen  für  die  Dia¬ 
gnose  der  latenten  Tetanie.  (Aus  der  Kinderklinik  der  Militär.-Mediz 
Akademie  zu  St.  Petersburg.  Prof.  A.  Schkarin.) 

Auf  Grund  seiner  experimentellen  Untersuchungen  nimmt  M.  an, 
dass  es  eine  sehr  charakteristische  Reaktion  seitens  der  Atmung 
aut  einen  peripheren  Reiz  bei  Kindern  mit  Neigung  zu  Krampfzu- 
standen  gebe.  Die  Reaktion  besteht  darin,  dass  bei  der  Reizung 
Krampfe  der  Atmungsmuskeln  auftreten;  diese  Krämpfe  finden  auf 
der  Atmungskurve  ihren  Ausdruck  in  Gestalt  deutlich  ausgeprägter 
Pausen,  der  Apnoe  in  der  Periode  der  Inspiration  oder  Exspiration, 
weldie  nianclimal  in  Weinen  und  darauf  in  regelmässiges  Atmen  iiber- 
ge.ten.  Nach  der  Dauer  der  Apnöe  können  wir  ungefähr  einen  Begriff 
über  den  Grad  der  Nervenübererregbarkeit  beim  Kinde  bekommen 
und  anderseits  aus  der  Verkürzung  oder  aus  dem  Schwinden  dieser 
Erscheinung  können  wir  auf  Besserung  des  Ncrvenzustandes  schlies- 
sen  Dieses  Respirationssymptom  ist  beständig  und  sehr  empfindlich. 
Im  Zusammenhang  mit  dem  Symptom  von  Erb  und  anderen  Sym- 
ptomen  der  Spasmophilie  kommt  diesem  eine  grosse  Bedeutung  für 
die  Diagnose  der  sog.  latenten  Tetanie  zu. 

Albert  Uffenheimer  -  München. 


1639 


Virchows  Archiv.  Bd.  215,  Heft  1. 

Todes^  Mühlmann:  Beiträge  zur  Frage  nach  der  Ursache  des 

Verf.  hat  in  früheren  Untersuchungen  darzulegen  versucht,  dass 
df.  T.od  aus  Altersschwäche  vor  allem  durch  Veränderungen  am 
^enti  a  nerv  ensystem  bedingt  sei.  Insbesondere  kommt  seiner  Meinung 
™ch,  das  Vaguszentrum  in  Betracht.  In  den  vorliegenden  Arbeiten 
werden  diese  Untersuchungen  bei  Krankheiten  weitergeführt,  die  sich 
ausser  auf  den  Vaguskern  und  die  Vagusfasern  auch  auf  andere 
erstrecken  und  hauptsächlich  die  Veränderungen  der 
lpoiden  ^  ubstanzen  berücksichtigen.  Die  Einzelheiten  lassen  sich  in 
einem  kurzen  Referat  nicht  wiedergeben. 

i  h‘-/ervatf  £und  de  Nesreiros-Rinaldi:  Ueber  die 
lymphoiden  Vorstufen  der  hämoglobinhaltigen  Normoblasten  und 
Mega  lob  lasten  beim  Embryo  und  beim  Erwachsenen  in  normalem  und 
pathologischem  Zustand. 

Die  Untersuchungen  sind  an  Ausstrichpräparaten  gemacht.  Auf 
hr£r  G™.ndlage  behandeln  die  Verfasser  die  im  Titel  angegebenen 
^genetischen  fragen  und  stellen  als  Vorstufen  der  primären  wie 
ier  definitiven  Erythrozyten  den  basophilen  Hämozytoblasten  auf 
lus  dem  auf  der  einen  Seite  der  Promegaloblast,  auf  der  anderen 
?eite  der  Proerythroblast  hervorgeht. 

r,.hAeLde:nbe.rgi r  Seitz:  Ueber  das  Vorkommen  von 
I  ubei  kelbazillen  im  Herzblut  bei  chronischer  lokalisierter  und  latenter 
Tuberkulose.  (Pathol.  Institut  in  Düsseldorf) 

.  .  JXä?renm  bei,  chronischer  lokalisierter  Tuberkulose  sich  ziem- 
ii«  ■  uiaUw  Tuberkelbazillen  im  Herzblute  nachweisen  Hessen,  war 
wn  ei  *a|en^ei!  Tuberkulose  viel  seltener.  Von  einem  regelmässigen 
iazillenbefund  im  Blute  Tuberkulöser  kann  nicht  die  Rede  sein  Für 

uziehen  dCr  Untersuchungen  ist  vor  allem  der  Tierversuch  heran- 

N.  blak  am  u  r  a:  Ueber  die  Gefässveränderung  beim  Ulcus 
hroincum  recti.  (Pathol.  Institut  in  Moabit.) 

Es  wurden  10  Fälle  von  chronischem  Ulcus  und  3  von  Dysenterie 
ntersucht.  Insbesondere  wird  in  der  Arbeit  festgestellt,  dass  weder 
i  den  V  enen  noch  in  den  Arterien  Gefässveränderungen  syphilitischer 
«atur  gefunden  werden  konnten. 

,J^Bra,!cbe:  ,Die  Lungenmetastasen  bei  malignem  Chorion- 
pitheliom  mit  besonderer  Berücksichtigung  eines  eigenartigen  Falles, 
l  athol.  Institut  in  Braunschweig.) 

In  dem  untersuchten  Falle  wurden  zahlreiche  Geschwulstemboli 
i  mittleren  Arterien  festgestellt,  die  teils  regressiv  verändert  waren, 
als  durch  W  anddurchbruch  zur  Hämorrhagie  ins  umgebende  Lungen- 
ewebe  führten. 

il  Spieth:  Beitrag  zur  Askaridenerkrankung  mit  besonderer 
erueksichtigung  der  Frage  der  Gift  Wirkung.  (Pathol.  Institut  in 
remen.) 

Im  ersten  Falle  war  bei  einer  64  jähr.  Frau  der  Dünndarm  über 
zusammengeballten  Würmern  kontrahiert.  Durch  Operation  und 
nticrnunj?  der  Askariden  wurden  die  Ileuserscheinungen  beseitigt 
n  2  Falle,  5  jähr.  Mädchen,  fanden  sich  von  der  Mitte  des  Jejunum 
l  stellenweise  grosse  Würmerkonvolute.  Ferner  war  das  ganze 
oekum  und  der  Anfangsteil  des  Colon  ascendens  mit  Würmern  er¬ 
litt.  Ein  Wurm  steckte  im  Wurmfortsatz.  Die  Schleimhaut  des 
armes  war  stark  gerötet  Nach  der  Ansicht  des  Verf.  kann  der  Tod 

Askariden  hervorgerufen  werden  durch  Ileus,  Perforations- 
.‘ntomtis  und  Intoxikation. 

N  No  wick  i:  Ueber  Harnblasenemphysem.  (Pathol.  Institut 
Lemberg.) 

•  *1'  bl-  Schmidt:  Zur  Kenntnis  der  physiologischen  und  patho- 
gischen  Duraverkalkung.  (Pathol.  Institut  in  Bonn.) 

ile  i  ntersuchungen  ergaben,  dass  man  schon  normalerweise 
jm  17  Lebensjahre  ab  regelmässig  Kalk  in  der  Dura  antrifft.  Die 
uren  von  Männern  enthalten  mehr  Kalk  als  die  von  Frauen  des 
eichen  Alters.  Der  Kalk  liegt  zuerst  in  den  Zellen  der  Dura,  später 
k  n  -u  de?.  ,Pa,  n  des  Bindegewebes.  Die  weiteren  Einzelheiten, 

•  cn  über  die  Kalkablagerungen  bei  Hirntumoren,  müssen  in  der  Ver- 
lentlichung  nachgelesen  werden. 


,  .?•  Guadri:  Splenomegalia  haemolytica  mit  interkurrentem 
acholischen  Ikterus. 

Fortsetzung  im  nächsten  Hefte.  S  c  h  r  i  d  d  e  -  Dortmund. 

Berliner  klinische  Wochenschrift.  Nr.  28,  1914. 

.G  °*d  *  c  beider-  Berlin:  Ueber  atypische  Gicht  und  ver¬ 
wandte  Stoffwechselstorungen.  (Vortrag,  gehalten  in  der  Berk  ined 
Lies,  am  17.  Juni  1914.) 

Schluss  folgt. 

r.  Brn,sKt.  B  t  e  i  n  i  t  z  -  Berlin:  Blutuntersuchungen  bei  atypischer 
t’icht.  (Nach  einem  Vortrag  in  der  Berl.  med.  Ges.  am  17.  Juni  1914.) 
Cf.  pag.  1418  der  M.m.W.  1914. 

C.  Hart:  Thymus  und  Rachitis. 

c  ,  ..erJ'  'st  der  Ansicht,  dass  es  sich  bei  der  Rachitis  um  eine  mit 
lc  'w„ a£”u"g  def  Organismus  verbundene  Stoffwechselstörung  handelt, 
üeien  Effekt  mit  abhangt  von  anderen,  verschieden  zusammenwirken- 
oen  Faktoren,  wie  beispielsweise  und  nicht  zuletzt  von  der  indi- 
VKluellen  Disposition.  Durch  die  Thymusexstirpation  lässt  sich  auch 
bei  Deren  ein  der  menschlichen  Rachitis  ähnliches  Knochenleiden 
erzeugen,  wie  es  die  Folge  anderer  Stoffwechselstörungen  und  Schä¬ 
digungen  des  Organismus  sein  kann. 

Hermann  M  a  1 1  i  -  Bern:  Die  Beziehungen  des  Thymus  zum  Mor- 
ous  nasedowii. 

Sammelreferat.  Schluss  folgt. 

Franz  Blumenthal- Berlin:  Zur  Frage  der  Verschärfung  der 
W  ass  e  r  man  n  sehen  Reaktion.  (Nach  einem  am  5.  März  1914  in 
der  Ges.  d.  Chariteeärzte  gehaltenen  Vortrage.) 

,  .  N?.cll,de!1  Ausführungen  des  Verfassers  besitzen  wir  zurzeit  noch 
keine  Methode  um  die  Serumdiagnostik  der  Syphilis  zu  verschärfen. 

S  c  h  r  o  e  d  e  r  -  Kortau:  Einige  technische  Neuerungen  in  der 
»ialysiermethode  und  die  Anwendung  derselben  in  der  Psychiatrie. 
ii  Ger  ”U^ser|fehIer  kann  durch  Prüfung  der  Dialysierhülsen  mit 
,5proz.  Seidenpeptonlösung  auf  ein  Minimum  beschränkt  werden 

Die  Zubereitung  der  Organe  lässt  sich  durch  ein  in  besonderer 
Art  konstruiertes  Sieb,  sowie  durch  eine  Organzerkleinerungsmaschine 
gleichmassiger  und  schneller  erreichen. 

Die  Methode,  die  Organstückchen  nach  erfolgter  Spülung  vor  dem 
Kochen  mit  der  nach  Abderhalden  verdünnten  Eisessiglösung 
auszuschütteln,  ergab  gute  und  richtige  Resultate 
*  ••  Die  Schwankungen  im  Ausfall  der  Reaktionen  sind  noch  so  be¬ 
trächtlich,  dass  eine  ganz  sichere  Beantwortung  psychiatrischer  Frage- 
stellung  bisher  nicht  erreicht  werden  konnte.  Immerhin  bildet  die 
Methode  zur  Vervollkommnung  und  Stützung  der  klinischen  Diagnose 
auch  jetzt  schon  ein  recht  brauchbares  Hilfsmittel. 

.  Dele  T  r  e  y  s  t  a  d  1 1  -  Pest:  Röntgenbild  der  Keilbeinhöhle  vom 
ppipharynx  aus»  (Nach  einer  Demonstration  in  der  laryngo-rhino- 
logischen  Sektion  der  K.  Aerztegesellschaft  in  Pest  am  25.  Novem¬ 
ber  1913.) 

Verf.  beschreibt  eine  Aufnahmemethode  der  Keilbeinhöhlen  vom 
Epipharynx  aus,  die  bezüglich  der  Diagnosenstellung  der  Keilbein- 
hohlenerkrankungen  mehr  zu  leisten  vermag  als  die  bisher  üblichen 
Der  Röntgenfilm  wird  mittels  eines  besonderen  Filmhalters  in  den 
Nasenrachenraum  bis  zur  Rachenwölbung  eingeführt.  Die  Strahlen 
sendet  man  vom  Schädeldache  vor  dem  Vertex  durch  den  Schädel. 

(J.  Heinemann  -  Berlin:  Ein  bemerkenswerter  Fall  von  extra- 
gemtaler  Syphilisinfektion. 

Die  Infektion  erfolgte  durch  einen  fremden  Bleistift,  den  die 
Intizierte  in  den  Mund  genommen  hatte. 

Dr.  Grassmann  -  München. 

Deutsche  medizinische  Wochenschrift.  Nr.  27,  1914. 

Ph.  J  ung- Göttingen:  Die  Behandlung  bedrohlicher  Blutungen 
nach  der  Geburt. 

Klinischer  Vortrag. 

H.  R  i  t  z  -  Frankfurt  a.  M. :  Ueber  Rezidive  bei  experimenteller 
Tryyanosomiasis. 

Mäuse,  welche  auf  die  Möglichkeit  von  Rezidiven  untersucht 
wuraen,  bilden  bei  den  verwendeten  Trypanosomenstämmen  spontan 
keine  Rezidive;  das  Verschwinden  der  Parasiten  und  damit  das  Auf- 
treten  von  Antikörpern  muss  künstlich  (mit  Neosalvarsan)  herbei- 
gefuhrt  werden.  Bei  diesen  Versuchen  stellte  sich  heraus,  dass  ein 
im  Blute  auftretender  Rezidivstamm  nicht  nur  gegen  den  eigenen, 
sondern  auch  gegen  andere  Stämme  immunisierend  wirken  kann;  er 
kann  ferner  nach  Aufhören  der  Medikamentwirkung  unverändert  im 
Blute  wieder  erscheinen.  Ein  Rezidivstamm  kann  aus  mehreren 
immunisatorisch  verschiedenen  Trypanosomentypen  zusammengesetzt 
f.f'1}-  Im  Verlaufe  mehrerer  Passagen  verdrängt  der  widerstands¬ 
fähigste  Stamm  mit  der  Zeit  alle  anderen. 

F.  H  i  i  s  c  h  f  e  I  d  -  Berlin:  Die  Erhöhung  des  Blutzuckers  bei 
greisen  Zuckerkranken. 

Vortrag  im  Verein  für  innere  Medizin  und  Kinderheilkunde  in 
Berlin  am  16.  Marz  1914  (vgl.  das  Referat  der  M.m.W.) 

G.  L  epe  h  n  e  -  Freiburg  i.  Br.:  Experimentelle  Untersuchungen 
über  das  „Milzgewebe“  in  der  Leber.  Ein  Beitrag  zum  Hämoglobin- 
und  Eisenstoffwechsel. 

Unter  dem  „Milzgewebe“  in  der  Leber  sind  die  K  u  p  f  f  e  r  sehen 
Sternzellen  zu  verstehen,  welche  nach  N  a  u  n  y  n  und  Minkowski 
m  f ebr  näher  Verwandschaft  zu  den  Sinusendothelien,  den  Retikulum- 
und  Pulpazellen  der  Milz  stehen.  In  diesen  Milzzellen  ist  bei  normalen 


1640 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  29. 


Ratten,  deren  Milz  Vioo  des  Körpergewichts  beträgt,  mehr  oder 
weniger  Eisen  mikrochemisch  nachweisbar.  Wurde  Ratten  die  Milz 
operativ  entfernt,  so  fand  sich  Eisen  in  den  K  u  p  f  f  e  r  sehen  Stern¬ 
zellen,  was  vorher  nicht  der  Fall  ist;  ausserdem  zeigen  diese  Zellen 
dann  auch  Phagozytose  gegenüber  den  Erythrozyten,  aber  erst 
später,  als  das  Eisen  auf  tritt;  dieses  kann  also  nicht  aus  zerstörten 
roten  Blutkörperchen  stammen.  Diese  Erythrophagozytose  ist  als 
eine  Folgeerscheinung  einer  nach  der  Milzexstirpation  sich  einstellen¬ 
den  Hämoglobinämie  anzusehen. 

S  e  y  f  a  r  t  h  -  Hannover :  lieber  direkte  Laryngoskopie  und 
T  racheobronchoskopie. 

An  der  Hand  mehrerer  Krankengeschichten  wird  der  grosse 
Wert  gezeigt,  den  die  direkte  endoskopische  Untersuchung  des 
.Larynx,  der  Trachea  und  der  Bronchien  gewonnen  hat;  bei  der 
letzteren  ist  die  obere  und  untere  Bronchoskopie  zu  unterscheiden,  je 
nachdem  der  Tubus  durch  den  Larynx  oder  die  Tracheotomiewunde 
eingeführt  wird.  Zumal  bei  Kindern  ist  nach  der  Bronchoskopie  das 
Auftreten  eines  subglottischen  Oedems  zu  befürchten;  solche  Kinder 
müssen  daher  mindestens  in  den  ersten  36  Stunden  unter  ständiger 
Aufsicht  bleiben. 

A.  Bisgaard  und  A.  Korsbjerg  -  Kopenhagen :  Kritische 
Bemerkungen  zu  Abderhaldens  Dialysierverfahren. 

Auf  Grund  ihrer  Untersuchungen  sind  die  Verff.  zu  dem  Ergebnis 
gelangt,  dass  verschiedene  Ninhydrinportionen  nur  bisweilen  in  der 
gleichen  Weise  reagieren;  sie  nehmen  daher  an,  dass  unkontrollier¬ 
bare  Zufälligkeiten,  Staubteilchen,  Unebenheiten  u.  a.  m.  auf  die 
Grösse  oder  Art  der  molekularen  Partikel,  welche  die  Ninhydrinver- 
bindung  ausmachen,  Einfluss  haben  und  somit  die  verschiedene 
Strahlenabsorption  bedingen  können.  Von  einem  Falle  abgesehen, 
konnte  mit  Hirn  keine  positive  Reaktion  erzielt  werden;  Fälle  von 
manisch-depressivem  Irresein  reagierten  ebenso  kräftig  mit  Genital¬ 
drüsen,  wie  die  Fälle  von  Dementia  praecox;  es  fanden  sich  also  die 
F  a  u  s  e  r  sehen  Resultate  nicht  bestätigt. 

0.  M  e  1  i  k  j  a  n  z  -  Arosa:  Ueber  die  Anstellung  des  Ab  der - 
haldenschen  Dialysierverfahrens  mit  der  Koch- 
schen  T uberkulln-Bazillenemulsion, 

Es  scheint,  dass  im  Serum  sowohl  von  leicht  als  von  schwer 
Tuberkulösen  Abwehrfermente  vorhanden  sind,  welche  imstande  sind, 
die  Bazillenemulsion  abzubauen. 

W.  Peters-Bonn;  Ueber  Zwerchfellbrüche. 

Kasuistischer  Beitrag  mit  7  Abbildungen. 

Schuttes-  Grabowsee:  Erfahrungen  mit  dem  Friedmann- 
schen  Tuberkulosemittel. 

Absolut  ungünstiges  Urteil  über  das  Friedmann  sehe  Mittel 
bei  Behandlung  der  Lungentuberkulose. 

Ernst  M  e  i  n  i  c  k  e  -  Hellersen :  Ueber  das  Friedmann  sehe 
Tuberkulosemittel. 

Auch  dieser  Verf.  kommt  zu  dem  Schluss:  „Das  Friedmann- 
sche  Mittel  hat  in  meinen  Fällen  durchaus  versagt,  und  ich  muss  vor 
seiner  Anwendung  um  so  mehr  warnen,  als  ihm  auch  direkte  Schädi¬ 
gungen  einzelner  Kranker  zur  Last  zu  legen  sind.  Das  Fried- 
m  ann  sehe  Mittel  ist  nach  meinen  Erfahrungen  ein  recht  gefährliches 
Mittel.“ 

Franz- Berlin:  Eine  Transportschiene  für  Hüftgelenksver¬ 
letzungen  und  Oberschenkelfrakturen. 

Diese  besonders  für  den  Transport  im  Kriege  Verwundeter  sehr 
geeigneter  Schiene  besteht  aus  verzinntem  Blech  oder  lackierter 
Pappe  mit  dorsalem  Blechstreifen;  sie  ist  vollkommen  starr  und  reicht 
von  der  Supramalleolargegend  bis  etwa  zum  Rippenbogen,  so  dass 
sie,  vorn  (dorsal)  mit  einigen  Binden  genügend  fixiert,  Knie-  und  Hüft¬ 
gelenk  völlig  ruhig  stellt.  Ihre  Hauptvorteile  sind  Ersparnis  an  Zeit, 
Assistenz,  Verbandmaterial.  Unabhängigkeit  vom  Wasser,  Haltbarkeit 
auch  bei  feuchter  Witterung  und  die  Möglichkeit  sofortigen  Ab¬ 
transportes. 

C.  H  e  u  s  e  r- Buenos  Aires;  Entfernung  einer  Nadel  aus  der 
Trachea. 

Schwierige  Extraktion  durch  das  Bronchoskop  nach  Trache- 
otomia  inferior.  Baum-  München. 

Oesterreichische  Literatur. 

Wiener  klinische  Wochenschrift. 

No.  27.  J.  Kyrie  und  K.  J.  S  c  h  o  p  p  e  r  -  Wien:  Ueber  auf¬ 
fällige  Befunde  bei  experimentellen  Studien  am  Nebenhoden. 

Versuche  an  Hunden.  Prinzipiell  wichtig  ist,  dass  durch  Unter¬ 
bindung  des  Samenstranges  der  Hoden  nicht  atrophisch  wird.  Trotz 
Unterbindung  oder  Resektion  eines  Vas  deferens  findet  sich  reichlich 
Sperma  im  Hoden  und  Nebenhoden,  allerdings  nur,  wenn  bei  dem 
Eingriff  die  Gefässe  sorgfältig  geschont  wurden.  Dasselbe  scheint  bei 
der  partiellen  Resektion  des  Nebenhodens  der  Fall  zu  sein;  denn  auch 
hier  kann  die  Funktion  des  Hodens  erhalten  bleiben.  In  diesem  Falle 
fand  sich  der  Nebenhoden  prall  mit  Sperma  gefüllt,  welches  nicht  nur 
in  den  Kanälchen,  sondern  auch  nach  Art  von  Infiltration  ausserhalb 
derselben  im  Bindegewebe  angehäuft  war.  Es  ist  möglich,  dass  im 
Bereich  der  Coni  vasculosi  eine  Auswanderung  des  Spermas  statt¬ 
findet;  in  einem  Fall  schien  auch  ein  Uebertritt  des  Spermas  in  die 
Arterien  und  Venen  des  Nebenhodens  erfolgt  zu  sein. 

O.  W  e  1 1  m  a  n  n  -  Wien;  Ueber  Fettintoxikation. 

Bei  weissen  Ratten,  welche  einer  forcierten  Oelfütterung  (Oliven¬ 
öl,  geschmolzene  Butter)  unterzogen  wurden,  stellte  sich  ein  deut¬ 


licher  mehrtägiger  Vergiftungszustand  (Koma,  beschleunigte  Atmung, 
Diarrhöen)  ein.  Das  wichtigste  war  das  Auftreten  einer  eigentüm¬ 
lichen  Anämie  und  hämolytischer  Erscheinungen.  Das  Blutbild  zeigt 
starke  Abnahme  der  Erythrozyten,  und  parallelgehend  Abnahme  des 
Hämoglobingehaltes,  Auftreten  von  Erythroblasten,  Anisozytose  und 
Polychromasie.  Der  Färbeindex  beträgt  1  oder  etwas  mehr.  Bei 
Darreichung  grösserer  Mengen  von  Oelsäure  war  die  Wirkung  eine 
analoge,  doch  fehlte  stets  eine  deutliche  Hämolyse. 

J.  Novak-Wien:  Ueber  künstliche  Tumoren  der  Zirbeldrüsen¬ 
gegend.  ,  „  .  , 

N.  ist  es  an  zwei  Hunden  gelungen,  mit  der  von  K  a  r  p  I  u  s  und 
Kreidl  (Zschr.  f.  biol.  Techn.  u.  Meth.  2,  1  S.  14)  angegebenen 
Methode  den  Hinterhauptslappen  herauszulegen  und  dadurch  die 
Gegend  des  Balkens  und  der  Epiphyse  zugänglich  zu  machen,  so  dass 
eine  Paraffininjektion  (Schmelzpunkt  38°)  gemacht  werden  konnte. 
Bei  einem  Tier  fand  sich  bei  der  Sektion  nach  2  Monaten  das  Paraffin 
noch  an  der  beabsichtigten  Stelle.  Somit  erscheint  die  Möglichkeit 
exakten  Experimentierens  mit  künstlichen  Tumoren  in  dieser  Gegend 
als  gegeben.  „  „  „ 

R.  Steiner- Wien:  4  Fälle  von  sogen,  „weisser  Galle  . 

4  Krankengeschichten.  Zusammenstellung:  Die  Bedingungen  für 
die  Entstehung  der  „weissen  Galle“,  besser  gesagt  des  Hydrops  des 
gesamten  Gallensystems  sind  folgende:  Der  Choledochusverschluss 
entweder  durch  Geschwulst  oder  Konkrement  muss  ein  absoluter  und 
ausreichend  langer  sein. 

Der  Druck  im  Gallenwegsystem  muss  erhöht  sein.  Die  Sekretion 
der  Gallenwegschleimhaut  kann  normal,  vermehrt  oder  auch  ver¬ 
mindert  sein.  In  der  Gallenblase  müssen  hochvirulente  Bakterien 
fehlen;  denn  sonst  bildet  sich  ein  Empyem. 

Kor  encan- Wien:  Operative  Verlagerung  der  kongenitalen 
dystonen  Niere. 

Krankengeschichten  zweier  Fälle;  Erörterung  der  Pathologie 
auf  Grund  der  bisher  vorliegenden  6  operierten  Fälle.  Die  Frage, 
ob  die  Beschwerden  bei  sonst  gesunden  dystopischen  Nieren  durch 
die  an  sich  geringe  operative  Verlagerung  behoben  werden  können, 
bejaht  Verf.  auf  Grund  seiner  beiden,  nun  seit  5  bzw.  10  Jahren 
beschwerdefreien  Fälle.  Die  Verlagerung  ist  technisch  weniger  ge¬ 
fährlich  und  in  ihrer  physiologisch-funktionellen  Wirkung  jedenfalls 
der  Exstirpation  vorzuziehen,  selbst  wenn  die  Möglichkeit  besteht, 
dass  bei  unvollständigem  Erfolg  später  doch  noch  zur  Exstirpation 
gegriffen  werden  muss. 

F.  Fi  sch  1- Wien:  Ueber  den  Cholesteringehalt  des  Serums  bei 
Dermatosen. 

Untersuchungen  an  über  100  Fällen.  Es  sei  kurz  hervorgehoben, 
dass  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  von  Urtikaria,  Pemphigus,  chronischem 
Ekzem,  Dermatitis  herpetiformis,  Pruritus  senilis  und  Mykosis  fun- 
goides  der  Cholesteringehalt  des  Serums  auffallend  hoch  war;  niedrig 
war  er  bei  Erysipel,  ulzerierenden  Karzinomen,  Erythema  multiforme, 
Herpes  zoster,  Tuberkuliden,  Verbrennungen. 

E.  Wiener:  Das  Sanitätswesen  in  Aegypten. 

M.  P  a  p  p  e  n  h  e  i  m  -  Wien:  Zur  Frage  der  Herkunft  des 
luetischen  Reaktionskörpers  in  der  Zerebrospinalflüssigkeit. 

Bemerkung  zur  Arbeit  von  Spät:  Prioritätsangelegenheit. 

Nr.  28.  O.  W  e  1 1  m  a  n  n  -  Wien:  Untersuchungen  über  die 
klinische  Verwertbarkeit  der  Hämokonien. 

Die  Untersuchungen  erstreckten  sich  auf  über  100  Kranke  ver¬ 
schiedener  Art,  bei  denen  die  Zahl,  die  Zeit  des  Auftretens  und  die 
Verweildauer  der  Hämokonien  in  der  Blutbahn  nach  Darreichung 
einer  Fettmahlzeit  (25  g  Butter)  geprüft  wurde.  Bei  der  überwiegen¬ 
den  Zahl  der  Fälle  war  2  Stunden  nach  der  Buttermahlzeit  eine  reich¬ 
liche  Zahl  von  Hämokonien  im  Blut  vorhanden.  Aoweichend  davon 
fehlten  bei  gewissen  Fällen  die  Hämokonien  ganz,  bei  anderen  war 
ihre  Zunahme  eine  zu  geringe,  bei  anderen  war  ihr  Auftreten  ver¬ 
zögert.  Schliesslich  war  bei  manchen  Fällen  auch  die  Verweildauer 
im  Blute  verlängert.  Als  brauchbares  Schlussergebnis  lässt  sich  an¬ 
nehmen,  dass  die  Verzögerung  der  Hämokonienausscheidung  auf  eine 
Störung  der  Leberfunktion  hinweist.  Die  mangelhafte  oder  fehlende 
Hätnokonienbildung  spricht  in  erster  Linie  für  ein  Hindernis  im  Ab¬ 
fluss  der  Galle.  Ihr  völliges  Ausbleiben  nach  Fettnahrung  ist  ein  dem 
fehlenden  Sterkobilin  gleichwertiges  Zeichen  für  kompletten  Gallen- 
verschluss. 

G.  C.  B  o  1 1  e  n  -  im  Haag:  Ueber  Wesen  und  Behandlung  der 
sogen,  „genuinen“  Epilepsie. 

Zusammenfassung:  Von  den  als  genuine  Epilepsie  betrachteten 
Fällen  gehören  sehr  viele,  da  sie  auf  primären  Gehirnprozessen  ver¬ 
schiedener  Art  beruhen,  zu  der  zerebralen  (sekundären  oder  sym¬ 
ptomatischen)  Epilepsie,  nur  die  kleinere  Zahl  (ca.  35  Proz.)  zur 
genuinen  (idiopathischen  oder  essentiellen)  Epilepsie.  Die  genuine 
Epilepsie  ist  rein  klinisch  oft  nicht  sicher  festzustellen.  Sie  ist  eine 
chronische  Autointoxikation  durch  Hypofermentation  des  Intestinal- 
traktus  und  des  intermediären  Stoffwechsels  infolge  Hypofunktion  der 
Schilddrüse  und  der  Epithelkörperchen  oder  deren  nervöser  Elemente 
(Nervus  sympathicus).  Durch  rektale  Eingabe  des  frischen  Press¬ 
saftes  der  insuffizienten  Organe  (Schilddrüse  und  Nebenschilddrüse), 
ist  die  genuine  Epilepsie  heilbar  oder  vielmehr  die  Erscheinungen  der¬ 
selben  lassen  sich  beseitigen. 

H.  Neugebauer  -  Kassa:  Beitrag  zur  Klinik  der  Vagotonie. 

Vortr.  behandelt  einige  Symptome  eingehender,  vor  allem  den 
Wechsel  der  Pulszahl,  so  die  Bradykardie  (im  Liegen,  beim  Vor- 


21.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHR1F' 


1641 


wärtsbeuEen,  Druck  auf  den  Bulbus),  den  Pulsus  irregularis  respi- 
ratorius,  das  Vorkommen  von  Extrasystolen. 

Beschreibung  eines  Falles  von  vagotonischem  Kardiospasmus, 
dei  nach  Injektion  von  0,0005  g  Atropin  vorübergehend  und  nach  einer 
Atropmkur  dauernd  schwand.  Andere  Bemerkungen  betreffen  das 
Erbrechen  und  die  Obstipation  verbunden  mit  Leibschmerzen,  bis¬ 
weilen  abwechselnd  mit  Diarrhöen.  Bisweilen  ist  das  einzige  Zeichen 
der  Vago  ome  die  Dysmenorrhöe,  das  verfrühte  Einsetzen  der  mit 
starker  Blutung  und  starken  Schmerzen  verbundenen  Menstruation 
Hier  wie  in  den  vorigen  Fällen  bildet  Atropin  die  wirksame  Therapie. 

des  Magens  111  g  reSdCn:  *aslso,ldc  die  Röntgenuntersuchung 

Beschreibung  des  Instrumentes,  welches  gestattet,  unter  dem 
Röntgenschirme  jede  Stelle  des  Magens  auf  Bärte,  Unebenheit  und 

Ulzeration  zu  untersuchen. 

w.  Gold  Schmidt  -Wien:  Zur  Behandlung  der  Gasphleg¬ 
monen. 

10  Fälle  von  Gasphlegmonen  (Balkankrieg),  worunter  4  schwere 
kamen  unter  folgender  Behandlung  zur  Heilung:  Breite,  beim  gc- 
rmgsten  Verdacht  des  Fortschreitens  erneute  Inzisionen;  Suspension 
lind  Ruhigstellung  der  Extremität,  wiederholt  am  Tage  Spülungen  mit 
*  ;  u[nna.c,  ka”n  aucb  Fir  den  Kriegsschauplatz  als  Regel  und 
An  angsbehatidlung  dieses  konservative  Verfahren  empfohlen  werden. 

n.  1  au  1  -  Innsbruck:  Kurze  Mitteilung  zur  Kasuistik  der  Fremd¬ 
körper  in  den  Luftwegen. 

Extraktion  „der  Stimme“  eines  Zinnpfeifchens  aus  dem  Bronchus 
,  1  cl??n]  la,b.re  alten  Kind  durch  Bronchoscopia  inferior.  Ausser 
dem  Rontgenbild  wurde  die  Diagnose  durch  das  eigentümliche  inspi¬ 
ratorische  Pfeifen  erleichtert. 

H.  P  a  c  h  -  Pest :  Gewerbepathologisches  aus  Ungarn. 

Aus  den  Jahresberichten  der  Gewerbeinspektoren  für  1910 _ 1912. 

Wiener  medizinische  Wochenschrift. 

Nr.  17.  L.  Fing  er- Wien:  Zur  Vakzinationstherapie  des 
gonorrhoischen  Prozesses. 

Geber  bl  ick  Bei  flächenhaften  gonorrhoischen  Erkrankungen  ist 
die  \  akzinetherapie  unwirksam,  die  Wirkung  findet  nur  dort  statt 
wo  die  Gonokokken  mehr  oder  weniger  abgcsackt  sind.  Es  ist  noch 
nnJn  aufgeklart,  warum  viele  Fälle  auf  Vakzination  eine  fieberhafte 
Allgemeinreaktion  aufweisen,  aber  nur  ein  Teil  von  ihnen  einen  Heil- 
crtolg  Am  besten  lassen  sich  beeinflussen  die  Epididymitis,  Arthritis 
und  Adnexerkrankungen. 

i  a  JSr'  .J.  C  z  e  m  a  c  h  -  Wien:  Noviform,  ein  brauchbares 

Jodoformersatzmittel. 

m  V,erf'  ,!<?bt  die  gute  Verwendbarkeit  des  Noviforms  bei  Hals-  und 
Nasenkrankheiten. 

...  ^r"  \7'  B.  L  i  n  d  e  n  f  e  I  d  -  Wien :  Kliiiische  Erfahrungen  mit 
Adigan,  einem  neuen  Digitalispräparat. 

Das  Adigan,  namentlich  in  Verbindung  mit  Theobromin.  purum 
wirkte  ohne  störende  Nebenerscheinungen  in  mehreren  Fällen  von 
schwerem  Hydrops  günstig,  wo  andere  Digitalispräparate  versagten. 

iNr.  18.  E.  Violin:  Bemerkungen  zur  Debatte  über 
Bcrgonies  Verfahren. 

V,Kvrer^idigt  Bergonies  Verfahren  gegen  die  Kritik  Gärt¬ 
lers  (Nr.  16)  hauptsächlich  mit  Zitierungen  aus  den  Arbeiten  von 
u  u  r  i  g  und  R  o  e  m  h  e  1  d. 

a  i'u '  bS;  C  z  e  r  w  e  n  k  a  -  Wien:  Kombination  von  Mamma- 
und  Uteruskarzinom. 

Krankengeschichte  eines  dieser  seltenen  (bisher  7)  Fälle.  Medul- 
ares  Karzinom  der  Mamma.  Operation  bei  Freisein  der  regionären 
Mf  mP1,  rusen.  19  Monate  später  wurde  ein  seit  kurzem  bestehendes 
üttruskarzinom  (Zylinderzellenkrebs)  entfernt,  das  nach  allen  Kri- 
.enen  gleichfalls  als  ein.  primär  entstandenes  zu  bezeichnen  ist. 

Nr  j  V  Fein- Wien:  Die  Paraffineinspritzungen  bei  Sattel- 

iasen  und  bei  Ozaena. 

r.  ,  F:.  Feuchtet  über  gute  Dauererfolge  infolge  der  verbesserten 
lechink  Das  Paraffin  wird  kalt  durch  eine  mit  Zahnradübersetzung 
.^ersehene,  mit  einer  Hand  zu  bedienende  Spritze  eingebracht.  Die 
Linspntzung  erfolgte  unterhalb  oder  oberhalb  (nicht  seitlich)  der 
ersten  Stelle  der  Sattelnase,  während  die  linke  Hand  durch  Druck  auf 
ie  naut  das  seitliche  Ausweichen  des  injizierten  Paraffins  verhindert, 
ic  itig  ist  die  richtige  Auswahl  der  Fälle.  Nicht  geeignet  sind  meist 
ne  durch  Geschwüre  und  Traumen  verursachten  Difformitäten 
Asymmetrie,  Fehlen  einer  regelmässigen  Knochenunterlage,  Narben- 
erwachsungen)  Günstig  sind  in  der  Regel  Sattelnasen,  die  ange- 
icn  oder  durch  Ozaena  oder  hereditäre  Lues  entstanden  sind. 

,  Ad  bet  Ozaena  würde  durch  die  Paraffininjektion  oft  eine 
losse  Besserung  erzielt,  indem  das  Sekret  geringer,  sowie  weniger 
,  l‘nd  klfbng  wird  »nd  sich  leichter  entfernen  lässt.  Allerdings 
'etc  nur  die  Minderzahl  der  Fälle  diese  gute  Aussicht,  weil  in  der 
.cgel  die  Dünne  und  Zerreisslichkeit  der  Nasenschleimhaut  die 
a.  affine, nspntzung  nicht  zulässt.  Manchmal  gelingt  es  durch  die 
oi behandlung  mit  den  gebräuchlichen  Mitteln  die  Schleimhaut  für 
'e  runspritzurig  geeignet  zu  machen. 

. r*  K.  Friedjung  -  Wien:  Kritische  Beiträge  zur  Lehre 

on  der  \lasernerkrankung. 

ln  der  Frage  der  Masern  i  m  m  u  n  i  t  ä  t  ist  anzunehmen,  dass  in 
cn.eP  .Fullen  wahrscheinlich  eine  wirkliche  Immunität  vorhanden 
.  Mel  öfter  handelt  es  sich  um  eine  temporäre  Immunität,  so  dass 
d.  eine  I  erson  bei  der  ersten  Infektionsgelegenheit  gesund  bleibt. 


bei  der  zweiten  dann  erkrankt.  Dabei  dürfte  oft  auch  das  Maseru¬ 
virus  rem  quantitativ  zu  einer  wirksamen  Infektion  nicht  ausrciclien. 

ic  regelmässige  Inkubationszeit  von  13 — 14  Tagen  (von  du 
Injektion  bis  zum  Ausbruch  des  Exanthems)  dehnt  sich  nicht  allzu 
selten  auf  längere  Zeit,  bis  zu  21  Tagen  aus.  Nach  eingehender  Kritik 
der  Literatur  kommt  F.  zu  dem  Schluss,  dass  wiederholte  Masern- 
erKrankung  und  Masernrezidiv  noch  nicht  zweifelsfrei  festgestcllt  sind 
und  wenn  überhaupt  nur  ausserordentlich  selten  Vorkommen. 

i  u  j  [9-  Lorenz- Wien:  Zur  operativen  Behandlung  der 
Leberzirrhose. 

Krankengeschichten  eines  Falles  von  erfolgreicher  Operation 
nach  Lanz  und  eines  Falles  von  vorläufig  erfolgreicher  Operation 
nach  Kumaris. 

Nr.  19.  L.  Mül  ler- Wien:  Ueber  die  Behandlung  des  Ulcus 
corneae  serpens. 

.,.  empfiehlt  aufs  wärmste  das  ..Peruöl“  (Bals.  Peruv.  1  0  Ol 
Klein  2,0  misc.  exactissime,  adde  Ol.  oliv.  10—20,0;  vor  dem’ Ge¬ 
brauch  gut  umzuschütteln). 

i  ■  iP^s..Ajge  w/rd  sehr  gut  kokainisiert  und  Adrenalin  eingetropft, 
ici  .ntzundung  der  Iris  wird  zwischen  Kokain  Atropin  eingetropft; 
Dann  wird  das  Peruöl  mit  Wattetupfer  2  Minuten  lang  an  die  Horn¬ 
haut  gebracht.  Bei  der  Ophthalmoblenorrhöe  der  Neugeborenen  wird 
das  Kokain  weggelassen  und  nach  dem  Tuschieren  das  Oel  in  den 
Bindehautsack  gegossen.  Sehr  gut  waren  die  Erfolge  bei  Ulcus 
corneae  serpens,  bei  septischen  traumatischen  Geschwüren,  bei 
jveratitis  dendritica  und  vor  allem  auch  bei  den  ekzematösen  Horn- 
bautgeschwuren,  und  bei  der  Ophthalmoblenorrhöe. 
yi  ,.  Ge*  20  H.  Mautner-  Wien:  Eine  bisher  nicht  beobachtete 
Molimaart  bei  chronischer  Bronchitis. 

Chronische  Bronchitis  bei  10  jährigem  Mädchen.  Im  Sputum  ein 
den  Soorarten  verwandter  Pilz,  den  Verf.  als  Parendomvces  pulmo- 
nahs  Plaut  bezeichnet. 

Nr.  20  R.  T  r  e  n  k  1  e  r  -  Laibach:  Ueber  einen  Fall  vollkom¬ 
mener  angeborener  Penisspaltung  (Doppelpenis). 

Beschreibung  mit  Abbildungen.  B  e  r  g  e  a  t  -  München. 


Englische  Literatur. 


(B. 


Eine  Familie  mit  zerebellarer  Ataxie. 


C.  A.  Sprawson: 

M.  J.,  3.  I.  14.) 

.  Stammbaum  einer  eurasischen  Familie  mit  5  kranken  Mitgliedern 
0  Frau).  Auch  bei  dieser  Familie  zeigte  sich  das  Phänomen  der 
sogen.  Antizipation,  d.  h.  der  Vater  erkrankte  mit  50,  das  1.  Kind  mit 
43,  das  2.  mit  40,  das  3.  mit  32  und  das  4.  mit  28  Jahren.  Die  zweite 
(leneration  ist  jung  und  vorderhand  noch  gesund. 

Sir  Alfred  Pearce  Go  ul  d:  Radium  und  Krebs.  (Fig.)  (Ibidem.) 

Interessante  Arbeit  über  eine  Reihe  anscheinend  geheilter  Fälle 
Adenokarzinom  der  Bauchdecken,  Periostalsarkom,  Hodenkrebs, 
Krebs  des  Nasopharynx),  deren  Einzelheiten  im  Original  nachzulesen 
sind.  Radium  muss  infolge  seiner  selektiven  Wirkung  auf  Karzinom- 
zellen  als  ein  wirkliches  Krebsheilmittel  bezeichnet  werden.  Es 
gibt  allerdings  wichtige  Einschränkungen,  da  Radium  nicht  bei  allen 
Fallen  wirksam  oder  anwendbar  und  nicht  ungefährlich  ist  Verf 
verspricht  sich  jedoch  von  weiteren  theoretischen  Forschungen  über 
Krebs  und  Radium  eine  vermehrte  und  erfolgreichere  Anwendung  als 
bisher. 

C  H.  Browning:  Die  Syphilis  und  ihr  Einfluss  auf  die  Volks¬ 
gesundheit.  (B.  M.  J„  10.  I.  14.) 

Mehr  als  3000  Fälle  (Patienten  und  deren  Angehörige)  wurden 
klinisch  und  serologisch  untersucht.  H  e  r  e  d  o  s  y  p  h  i  1  i  s:  331  ambu¬ 
lante  Kinder,  darunter  14  Proz.  positiv.  Geistes  defekte  und 
Epilepsie:  204,  59  Proz.  positiv.  Herzkrankheiten  bei 
Kindern:  25,  18  positiv  (auch  die  Mütter):  von  den  7  negativen 
hatten  alle  Mutter  während  der  Gravidität  an  akutem  Rheuma- 
tismus  gelitten.  Taubheit:  82.  13  positiv.  Ozäna:  52  10 

(30  Proz.)  positiv.  Aortenfehler  und  Aneurysmen:  46 
64  Proz.  positiv.  Nervenkrankheiten:  122,  41  Proz  positiv 
Augen  kranke:  Interstitielle  Keratitis:  37,  35  positiv;  Iritis:  22, 
12  positiv:  Choroiditis  20,  5  positiv;  primäre  Optikusatrophie-  5' 
alle  Positiv.  Paroxysmale  Hämoglobinurie:  6.  alle  posh 
aV’j  ^e)r*^*s  und  Metrorrhagien:  37,  59  Proz.  positiv 
Andere  gynäkologische  Affektionen:  38,  46  Proz.  posi-' 
t‘v-  Prostituierte:  104,  alle  positiv.  Landstreicher: 
18  Familien,  alle  positiv.  (Das  Material  des  Verf.  stammt  aus  Glas¬ 
gow,  seine  erschreckend  hohen  positiven  Resultate  dürften  Erstaunen 
erwecken.  Ref.) 

C.  MacLawrin:  Die  Therapie  der  Leberhydatiden.  (Ibidem.) 

Nach  Ansicht  des  Verf.  ist  die  sogen.  Marsupialisation  (Annähen 
der  Zyste  an  die  Bauchwunde  und  Tamponade)  das  einfachste  und 
sicherste  Verfahren,  während  die  völlige  Ausschälung  der  Zysten  und 
Lebernaht,  wie  sie  von  Buckley  empfohlen  werden,  einen  technisch 
schwierigeren  und  gefährlicheren  Eingriff  darstellen  und  nur  aus¬ 
nahmsweise  bei  kleinen,  oberflächlichen  Zysten  anwendbar  sind.  Verf 
hat  von  zahlreichen  mit  Marsupialisation  behandelten  unkomplizier¬ 
ten  Fallen  keinen  einzigen  verloren. 

P-  G-R  u  d  o  1  f:  Die  epidemische  Zervikaladenitis.  (Ibidem.) 

„  2  FMIc  dieser  Krankheit,  die  wahrscheinlich  mit  dem  von 

E.  Pfeiffer  beschriebenen  Driisenficber  identisch  ist.  aus  Ontario. 
Canada.  Bei  einem  Fall  fanden  sich  Streptokokken  im  Drüsenabszess. 
(Siehe  spatere  Referate.) 


1642 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  29. 


A.  Philp  Mitchell:  Lieber  die  kindliche  Infektion  mit  Tuberkel¬ 
bazillen  des  bovinen  Typus.  (B.  M.  J.,  17.  1.  14.) 

Bakteriologische  Untersuchung  bei  7 2  Lyinphdrüsentubcrkulosen 
aus  Edinburg,  wobei  65  mal  der  Typus  bov.  und  7  mal  der  Typus 
hum.  gefunden  wurden.  Es  entstehen  somit  90  Proz.  durch  Genuss 
tuberkulöser  Kuhmilch.  Die  Verhältnisse  sind  in  Schottland  besonders 
ungünstig  wegen  des  Mangels  moderner  Milchgesetze,  der  Häufig¬ 
keit  der  Rindertuberkulose  und  der  Gewohnheit  des  Volkes,  die  Milch 
nicht  zu  sterilisieren.  Die  wichtigste  Einbruchspforte  sind  die  Ton¬ 
sillen,  in  welchen  die  Bazillen  nachweisbar  sind. 

R.  C  o  n  n  e  11 :  Der  Wert  der  Ionisationstherapie  bei  gewissen 
venerischen  Krankheiten.  (Ibidem.) 

Verf.  erzielte  bei  Primäraffekten,  Sekundär-  und  Tertiärerschei¬ 
nungen  mit  Hg-  resp.  J-lonen  gute  Lokalerfolgc.  Weniger  bewährte 
sich  die  Methode  beim  Ulcus  molle,  Bubo  und  gonorrhoischem  Rheu¬ 
matismus.  Technik  siehe  im  Original. 

Robert  Jardine:  Die  schnelle  Entbindung  bei  der  Eklampsie. 
(Ibidem.) 

Verf.  ist  für  eine  abwartende  Behandlung  und  entleert  den  Uterus 
nur  dann  künstlich,  wenn  die  Geburt  bereits  begonnen  hat.  Zur 
Herabsetzung  des  Blutdruckes  und  der  Pulszahl  verwendet  er  Vera- 
trone  (Parke,  Davis  &  Co.)  mit  gutem  Erfolg. 

George  Adami:  Die  chronische  Intestinalstase  etc. 

Seton  S.  Pringle:  dto. 

H.  M.  W.  Gray:  dto. 

Harold  Chapple:  Einiges  über  den  Einfluss  der  chronischen 
Darmstase  auf  die  weiblichen  Geschlechtsorgane.  (B.  M.  J.,  24.  I.  14.) 

Diese  Reihe  längerer  Vorträge  über  die  L  an  eschen  Theorien 
eignen  sich  nicht  zu  kurzen  Referaten,  sollen  aber  für  Interessenten 
erwähnt  werden.  Siehe  mehrere  frühere  Referate. 

Sir  John  Bland  Sutton:  Die  Linitis  plastica  oder  der  „Leather- 
bottle“-Magen.  (Fig.)  (B.  M.  J.,  31.  I.  14.) 

1  Fall  dieses  seltenen  Prozesses  bei  einer  42  jährigen  Frau. 
Das  Organ  war  hochgradig  geschrumpft  und  die  Wand  äusserst  hart 
und  verdickt.  Netz  und  Teile  des  Querdarms  waren  mitergriffen, 
während  der  Prozess  am  Duodenum  und  der  Kardia  scharflinig  auf¬ 
hörte.  Mikroskopisch  lag  ein  diffuses  Karzinom  vor.  Es  gibt  aber 
ähnliche  Fälle  von  rein  entzündlicher  Natur.  Die  pathologischen 
Befunde  bei  dieser  Krankheit  sind  übrigens  häufig  unklar. 

J.  0.  Wakeliti  Barratt  und  Warrington  Yorke:  Die  Ent¬ 
stehungsweise  allgemeiner  Symptome  bei  der  Hämoglobinämie.  (Fig.) 
(Ibidem.) 

Tierexperimente.  Injektion  von  stromatalosem  Hb.  wurde  gut 
vertragen,  während  Hb-freie  Stromata  schon  in  geringen  Dosen  töd¬ 
liche  Vergiftungen  verursachten.  Die  Ursache  der  Symptome  scheint 
teils  eine  intravaskuläre  Ausscheidung  von  Fibrin,  teils  eine  Ver¬ 
stopfung  der  kleinen  Gefässe  durch  die  injizierten  Stromamassen  zu 
sein  Der  mechanischen  steht  die  toxische  Hypothese  gegenüber,  sie 
ist  aber  mit  den  experimentellen  Tatsachen  kaum  vereinbar. 

H.  D  M  o  1  1  e  s  t  o  n:  Ein  Fall  von  eosinophilem  Aszites.  (Ibidem.) 

Bei  dem  an  Ikterus  und  Aszites  erkrankten  Patienten  enthielt  das 
Transsudat  20  und  das  Blut  12  Proz.  Eosinophile.  Vor  dem  Tode  ging 
ihre  Zahl  infolge  Peritonitis  auf  0,5  Proz.  zurück.  Sektion  ergab  an¬ 
statt  der  vermuteten  Hytatideninfektion  ein  Darmkarzinom.  Eosino¬ 
philie  des  Blutes  wurde  bei  Karzinom  bereits  mehrfach  beschrieben, 
im  Aszites  gehört  sie  aber  zu  den  grössten  Seltenheiten. 

George  F.  Aldons:  Der  Wert  der  Leukozytenzahl  bei  zweifel¬ 
haften  Appendixfällen.  (Ibidem.) 

Die  Leukozytose  ist  der  beste  Gradmesser  der  Gefahren  bei 
Fällen  mit  maskierten  klinischen  Symptomen.  Werte  von  15 — 30  000 
fordern  zum  sofortigen  Eingreifen  auf.  Krankengeschichten. 

Hamilton  Drummond:  Ueber  die  Funktionen  des  Kolon  und 
die  Bewegungen  der  Darmeinläufe.  (Ibidem.) 

Röntgenbeobachtungen  zeigten,  dass  grosse  Einläufe  (1  Liter) 
das  Zoekum  erreichen  und  bei  Darmlähmung  die  Ileozoekalklappe 
sogar  überschreiten  können.  Antiperistaltische  Bewegungen  konnten 
nicht  festgestcllt  werden,  die  Füllung  kommt  also  ausschliesslich  durch 
den  hydrostatischen  Druck  zustande.  Auch  kleine  Einläufe  ver¬ 
mögen  innerhalb  mehrerer  Stunden  im  Dickdarm  von  selbst  empor¬ 
zusteigen.  was  nach  Bond  nicht  durch  Muskelkontraktionen,  sondern 
durch  eine  umgekehrte  Sekretströmung  verursacht  wird. 

.1.  Dodds  P  r  i  c  e  und  Leonard  Rogers:  Der  absolute  Erfolg  der 
Segregationsmassnahmen  zur  Ausrottung  des  Kala-azar  in  den  Assam- 
Theegärten.  (B.  M.  J.,  7.  II.  14.) 

Die  Verlegung  der  Wohnstätten,  gewöhnlich  nur  um  ein  paar 
hundert  Meter,  führt,  falls  keine  erkrankten  Personen  mitgenommen 
werden,  immer  und  überall  zum  kompletten  Aufhören  dieser  schreck¬ 
lichen  Erkrankung.  Das  Virus  haftet  daher  den  Häusern  und  dem 
Boden  an  und  wird  vielleicht  durch  Bettwanzen  übertragen.  Spon¬ 
tanheilungen  dieser  häufig  für  unheilbar  gehaltenen  Krankheit  kommen 
sicher,  aber  selten  vor. 

H.  Lyndhurst  Duke:  Wilde  Tiere  als  Reservoir  der  mensch¬ 
lichen  Trypanosomen.  (Ibidem.) 

Die  im  Antilopenblut  und  in  wilden  Fliegen  gefundenen  Trypano¬ 
somen  sind  miteinander  identisch  und  stellen  modifizierte  Ab¬ 
kömmlinge  des  Tr.  gambiense  dar,  welches  die  letzte  grosse  Epidemie 
unter  der  Bevölkerung  am  Victoria  Nyanza  verursacht  hat.  Ob  die 
Antilopentrypanosomen  für  den  Menschen  noch  pathogen  sind,  ist 
vorderhand  zweifelhaft,  da  Experimente  am  Menschen  nicht  gemacht 
werden  können. 


George  Pseutice:  Die  Schlafkrankheit,  die  Tsetsefliege  und 
wilde  Tiere.  (Ibidem.) 

Die  wilden  Tiere,  die  infolge  der  verfehlten  Wildschutzgesetze 
in  den  Protektoraten  ganz  enorm  zugenommen  haben,  sind  der  Ruin 
der  Menschen  und  Haustiere  geworden.  Ausrottung  der  wilden  Tiere 
in  der  Nachbarschaft  menschlicher  Siedelungen  würde  die  Seuche 
zum  Verschwinden  bringen. 

R.  G.  Archibald:  Die  intestinale  Schistosomiasis  im  Sudan. 

(Kurven.)  (Ibidem.) 

Die  intestinale  Form  macht  häufig  diagnostische  Schwierigkeiten, 
da  der  Nachweis  der  Eier  des  Schistosomum  mansonii  in  den  Fäzes 
nicht  immer  gelingt.  Symptome  sind:  Fieber,  Anämie,  Milz-,  Leber¬ 
schwellung,  Leuko-  und  Lymphozytose.  Eosinophilie  fehlt.  Darm- 
symptome  variieren  und  sind  nicht  charakteristisch.  Das  Fieber  ent¬ 
steht  wahrscheinlich  durch  die  Absorption  der  Toxine  der  Helminthen 
und  Darmbakterien.  Verf.  behandelte  daher  2  Fälle  mit  auto¬ 
genen  Vakzinen  und  erzielte  Besserung. 

J.  J.  Arnold:  Die  Aetiologie  der  Beriberi.  (Ibidem.) 

Nach  Erfahrungen  des  Verf.  auf  St.  Helena  ist  die  Reistheorie, 
ganz  besonders  beim  Schiffsberiberi,  nicht  haltbar.  Alles  weist  auf 
einen  infektiösen  Ursprung  hin. 

J.  A.  Night  in  gale:  Zeismus  oder  Pellagra?  (Ibidem.) 

Verf.  hat  1912  in  einem  Gefängnis  in  Rhodesia  zum  ersten  Male 
eine  neue  Krankheit  gesehen  und  Zeismus  genannt.  Die  Ursache  ist 
perikarplose  Maisnahrung,  während  die  in  Handmühlen  ver¬ 
arbeitete  Nahrung  (rapoko)  prophylaktische  und  heilende  Kraft  be¬ 
sitzt.  Die  Prognose  ist  immer  gut.  Zwischen  Zeismus  und  Pellagra 
bestehen  grosse  klinische  Differenzen.  Aehnlich  sind  n  u  r  die  In¬ 
testinalerscheinungen,  während  die  Hautveränderungen  ganz  ver¬ 
schieden  sind  und  das  Nervensystem  beim  Z.  nie  befallen  wird.  Der 
Annahme  Sambons  entgegen  hat  Zeismus  nichts  mit  der  gewöhn¬ 
lichen  Pellagra  zu  tun. 

W.  J.  Peu  f  old  und  H.  Violle:  Eine  Alcthode  zur  Erzielung 
rascher  und  letaler  Intoxikationen  mit  Bakterienprodukten.  (B.  M.  J. 

14.  II.  14.) 

Durch  intravenöse  Injektion  destillierten  Wassers  gelingt  es,  mit 
subletalen  Dosen  von  B.  typhosus,  V.  chol.,  Prot,  vulgaris, 
B.  pyocyaneus,  B.  dysenteriae  Shiga,  B.  prodigiosus  und  Tuberkulin 
rasch  tödliche  Vergiftungen  zu  erzielen.  Das  Gleiche  gilt  von  Cholera¬ 
toxinen,  nicht  aber  von  anderen  giftigen  Substanzen,  wie  Zyankali 
oder  Strychnin.  Hypertonische  Salzlösungen  gewähren  keinen  Schutz. 
Die  Ursache  ist  die  Lysis  der  roten  Blutkörperchen,  da  die  gleich¬ 
zeitige  Einspritzung  von  subletalen  Choleradosen  und  geringen  Men¬ 
gen  lysierten  Blutes  zum  sofortigen  Tode  führt. 

H.  M.  W.  G  r  a  y  und  Alex.  Mitchell:  Eine  Serie  von  Appendi¬ 
zitisfällen  bei  Kindern.  (B.  M.  J.,  21.  II.  14.) 

Gesamtzahl  der  Fälle:  200  (126  akute  und  74  chronische).  Von 
ersteren  starben  19  (15  Proz.),  von  letzteren  keiner.  Die  sofortige  Ent¬ 
fernung  des  Wurmes  wurde  nur  bei  mit  der  vorderen  Bauchwand  ver¬ 
wachsenen  Abszessen  unterlassen.  Die  Symptome  der  letzten  60  Fälle 
wurden  eingehender  studiert.  Nur  10  hatten  bereits  vorher  Attacken 
durchgemacht.  Die  klassischen  Erscheinungen  fehlten  fast  nie,  nach 
dem  ersten  Sturm  kam  es  aber  häufig  zu  trügerischen  Besserungen, 
die  zunehmende  Pulsfrequenz  schützte  jedoch  vor  Irrtiimcrn.  Ein 
wertvolles  Zeichen  war  im  Zweifel  die  Aufhebung  der  Bauchatmung. 
Auch  die  Lage  peritonitischer  Kinder  mit  unter  den  Kopf  ge¬ 
schlagenen  Händen  scheint  typisch  zu  sein.  Dieselbe  erleich¬ 
tert  die  Fixation  der  Bauchmuskeln  und  die  Thoraxatmung.  Bei 
6  Fällen  bestand  Diarrhöe:  alle  litten  an  diffuser,  sehr  virulenter 
Peritonitis  und  4  starben  (Verwechslung  mit  einfacher  Enteritis). 
4  Kranke  klagten  über  schmerzhaften  Harndrang,  was  auf  Lokalisation 
im  Becken  (Rektaluntersuchung)  hinwies.  Zahl  der  Todesfälle:  9 
(durchschnittliche  Krankheitsdauer  bis  zur  Operation:  6  Tage).  Opera¬ 
tionen  am  1.  oder  2.  Krankheitstage  waren  immer  erfolgreich.  Im 
Widerspruch  mit  den  Angaben  der  Lehrbücher  waren  frühzeitige 
Gangrän  des  Wurmes  und  diffuse  Peritonitis  bei  dieser  Serie  gerade¬ 
zu  viel  häufiger  als  bei  Erwachsenen.  Lokalisation  durch  Netz¬ 
adhärenzen  war  dementsprechend  selten.  Im  allgemeinen  waren  die 
Operationsbefunde  viel  schwerer,  als  die  klinischen  Symptome  er¬ 
warten  Hessen.  Dies  mahnt  zur  sorgfältigen  Beobachtung  und  zu¬ 
rückhaltenden  Prognose  bei  allen  zweifelhaften  Bauchfällen.  Opiate 
oder  Abführmittel  sind  zu  vermeiden.  Die  Kranken  werden  am 
besten  in  halbsitzender  Lage  gehalten,  damit  das  Exsudat  sich  aufs 
Becken  beschränkt.  Bei  gemachter  Diagnose  oder  auch  nur  dringen¬ 
dem  Verdacht  ist  sofort  zu  operieren. 

James  Cantlie:  Die  Stimmgabel  und  das  Stethoskop  zur  Ab¬ 
grenzung  der  Brust-  und  Baucheingeweide.  (Bilder.)  (Ibidem.) 

Man  setzt  beide  Instrumente  gleichzeitig  auf  das  zu  unter¬ 
suchende  Organ  (Leber,  Magen,  Milz,  Herz  etc.)  und  bewegt  dann 
die  Stimmgabel  langsam  nach  der  Peripherie  hin.  Im  Moment  des 
Grenzüberschreitens  werden  die  Schwingungen  plötzlich  schwächer 
oder  ganz  unhörbar.  Die  Methode  ist  auch  zur  Feststellung  von 
Knochenbrüchen  geeignet. 

S.  T.  Pruen:  Die  epidemische  Zervikaladenitis  mit  Herzkompli¬ 
kationen.  (Fig.)  (Ibidem.) 

Verf.  sah  im  Winter  1912/13  eine  Epidemie  dieser  Affektion. 
welche  zuerst  von  K  i  r  k  I  a  n  d  als  Infektionskrankheit  sui  generis 
beschrieben  wurde.  Charakteristisch  sind:  Tonsillitis,  schmerzhafte 
Zervikaldrüsenschwellungen,  Fieber,  grosse  Prostration  und  ein 


Juli  191*4. 


MUKNCHENFR  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


16*43 


äusserst  protrahierter  Verlauf.  Die  Krankheit  bevorzugt  Erwachsene 
und  fuhrt  häufig  (unter  60  Fallen  14  mal)  zu  einer  schleichend  cin- 
setzendcn  Endokarditis.  Achnlichc  Epidemien  sind  in  letzter  Zeit 
in  vielen  Städten  Englands,  des  Kontinents  und  in  Amerika  beobachtet 
worden.  Die  Inkubation  scheint  3—4  Tage  zu  dauern. 

Robert  Kirkland:  Die  epidemische  Zervikaiadenitis  mit  Herz¬ 
komplikationen.  (Ibidem.) 

10  Proz.  der  Fälle  —  ganz  besonders  diejenigen  mit  weniger 
ausgesprochenen  Drüsenschwellungen  —  entwickelten  Merzkompli¬ 
kationen.  Bakteriologisch  fanden  sich  in  den  Rachenmembranen  und 
im  Blut  Streptokokken,  nie  Diphtheriebazillen.  Es  handelt  sich  wahr¬ 
scheinlich  um  eine  neue  Infektionskrankheit. 

Arthur  Keitli:  Anthropologische  Studien  der  Porträts  Shake¬ 
speares  und  Büros.  (Bilder.)  (B.  M.  J„  28.  II.  14.) 

Interessante  Schädelrekonstruktionen.  Shakespeare  und  Burns 
sind  die  Repräsentanten  verschiedener  europäischer  Rassen.  Shake'- 
spearc  gehört  zu  den  echten  Kelten,  einem  rund  köpfigen  Volks¬ 
stamme,  der  im  Bronzezeitalter  nach  England  gekommen ‘ist.  Burns 
der  grosse  schottische  Dichter,  wird  fälschlicherweise  zu  den  Kelten 
gerechnet,  stammt  aber  von  einer  langköpfigen  Rasse  ab,  die  in 
England  bereits  vor  dem  Bronzezeitalter  und  wahrscheinlich  vor  der 
neohthischen  Periode  ansässig  war. 

.  Ivuiavr t  1  arant:  Die  pathologischen  Befunde  der  Thyreoidea 
bei  Krankheiten.  (Bilder.)  (Ibidem.) 

Verf.  teilt  die  verschiedenen  Infektionen  und  Krankheiten  in 
3  Gruppen  ein:  1.  in  Toxämien  ohne  Wirkung  auf  die  Thyreoidea: 
2.  solche  mit  kolloider  oder  chronischer  Hyperplasie  und  3.  solche  mit 
totaler  oder  akuter  Hyperplasie,  Einzelheiten  müssen  im  Original 
nachgelesen  werden. 

Harry.  Campbell:  Die  Behandlung  der  Syphilis  des  Nerven¬ 
systems  mit  intrathekalen  Injektionen.  (B.  M.  .1.,  14.  III.  14.) 

Die  Ursache  der  therapeutischen  Misserfolge  bei  der  parenchy¬ 
matösen  Eorm  (Parasyphilis)  ist  die  Undurchlässigkeit  der  Kapillaren 
des  Nervensystems  für  Antisyphilitika  und  spirillozide  Substanzen, 
man  versucht  daher  in  letzter  Zeit  die  direkte  Einbringung  derselben 
in  den  Subarachnoidealraum.  Nach  dem  Verfahren  des  Verf.  erhält 
Pahent  zunächst  2  intravenöse  Neosalvarsaninjektionen  (0,9)  und  Hg 
Kunden  nach  der  2.  Injektion  werden  4  Unzen  Blut  entnommen, 
das  Serum  durch  12  Stunden  stehen  lassen,  abgesondert  und  letzteres 
durch  Lumbalpunktion  eingespritzt.  Bei  10  Fällen  besserten  sich  die 
nervösen  und  allgemeinen  Beschwerden  und  die  Reaktionsbefunde 
m,i  er  eJe,brosp.inalf!üsslgkeit  (Krankengeschichten).  Das  ratio¬ 
nellere  \  erfahren  ist  die  direkte  Einbringung  in  den  Subarachnoidal¬ 
raum  des  Gehirns  durch  Trepanation.  Dies  wurde  in  allerletzter 
.it  bei2  Kranken  ohne  Zwischenfall  gemacht,  über  die  therapeu¬ 
tischen  Resultate  kann  aber  vorderhand  wegen  Kürze  der  Zeit  nichts 
gesagt  werden. 

I.  Johnston  Abraham:  Die  Arsenotherapie  der  Syphilis  mit 
besonderer  Rücksicht  auf  das  „Galyl“.  (Ibidem.) 

n  ”QW  (Tetroxy-diphosphamino-diarsenobenzen,  35,3  Proz.  As) 
soll  nach  Mouneyrat  nicht  gefässerweiternd  wirken  und  weniger 
neurotrop  sein  als  Salvarsan.  Es  werden  3  wöchentliche  intravenöse 
Injektionen  (0,5  in  150,0)  gegeben,  worauf  der  Wassermann  innerhalb 
eines  Monats  negativ  werden  soll.  Verf.  hat  eine  kleine  Versuchs- 
menge  bei  mehreren  Fällen  (Krankengeschichten)  aufgebracht  und 
fand,  dass  das  Mittel  gut  vertragen  wird  und  klinisch  ebenso  schnell 
Jv  *  wie  Salvarsan.  Ob  es  diesem  überlegen  ist,  bleibt  abzuwarten, 
he  Arsenotherapie  der  Syphilis  ist  immer  mit  Hg  zu  kombinieren. 

,  n  L,r>,  ‘  Vbi'de:  Der  Krebs,  die  öffentlichen  Behörden  und 

Jas  Publikum.  (B.  M.  J„  21.  III.  14.) 

Es  ist  die  Pflicht  der  Behörden,  das  Publikum  über  die  ersten 
Anzeichen  dieser  heimtückischen  Krankheit  aufzuklären,  um  so  die 
rrosse  Zahl  der  inoperablen  Fälle  zu  reduzieren.  Zu  diesem  Zweck 
iat  die  Stadtvertretung  in  Portsmouth  folgende  Massregeln  ge- 
lehmigt:  1.  öffentliche  Vorträge,  2.  kostenlose  mikroskopische  Unter- 
ucliung  von  Probeexzisionen  und  3.  die  monatliche  Veröffentlichung 
Hier  kurzen  Notiz  in  der  lokalen  Presse,  die  in  volkstümlicher  Weise 
'hiie  prüde  Hinterhältigkeit  alles  Wissenswerte  über  die  ersten  Sym- 
»tome  und  Prädilektionsstellen  des  Krebses  enthält. 

•  A.  MacWilliam  und  Q.  Spencer  M  e  1  v  i  n :  Die  Be- 
timmung  des  systolischen  und  diastolischen  Blutdruckes  mit  Hilfe 
ler  auskultatorischen  Methode.  (Fig.)  B.  M.  J„  28.  III.  14.) 

.  ^as  Instrumentarium  ist  ähnlich  wie  beim  Riva-Rocci.  Anstatt 
mes  gewöhnlichen  binauralen  Hörrohres  wird  ein  Phonendoskop  über 
er  Kubitalis  befestigt,  wodurch  die  Hände  des  Beobachters  frei  blci- 
i  fUn^cI]st  wird  bis  zum  Verschwinden  des  Radialispulses  auf- 
eiilaht  und  dann  so  viel  Luft  ausgelassen,  bis  ein  deutliches  Geräusch 
urbar  wird  (systolischer  Druck).  Bei  weiterem  Entweichen  der 
.utt  wird  das  Geräusch  plötzlich  schwächer  und  undeutlicher 
diastolischer  Druck).  Die  Resultate  sind  nach  Angabe  der  Verff  be- 
)H  inal  Renauer’  a,s  bei  kompIizierteren  Methoden.  Details  siehe  im 

L  R.  Murray:  Der  systolische  und  diastolische  Blutdruck  bei 

er  Aorteninsuffizienz.  (Ibidem.) 

Der  Blutdruck  ist  bei  der  Aorteninsuffizienz  zum  Unterschiede 
n  gesunden  Individuen  in  der  unteren  Extremität  bedeutend  höher 
s  in  der  oberen  und  nimmt  in  beiden  Extremitäten  gegen  die  Peri- 
hene  hm  zu.  Näheres  siehe  im  Original. 

.fdines  A.  Raeburn:  Subkutane  Emetininjektionen  bei  der 
ungentuberkuiose.  (Ibidem.) 


Die  prompteste  Wirkung  entfaltet  das  Emetin  (0,04  cg)  bei 
Lungenblutungen.  Auch  Verminderung  des  Sputum  hat  Verf.  bei 
Bronchitis  und  Tuberkulose  erzielt,  allerdings  ist  dabei  das  Präparat 
mcht  absolut  verlässlich.  Herzschwäche  ist  eine  Kontraindikation. 

tu  »i  ,  W  c  1 1  a  n  I  und  Marshall  Philip:  Die  Pest  auf  Ceylon. 
(B.  M.  .1.,  4.  IV.  14.) 

Die  Insel  galt  bisher  als  immun,  zu  Beginn  1914  ist  jedoch  in 
Colombo  eine  wahrscheinlich  aus  Indien  eingeschleppte  Epidemie  aus- 
gebrochen.  Alle  48  Fälle  waren  mit  Ausnahme  von  2  bubonischen 
r allen  septikamischer  Natur  und  verliefen  innerhalb  48  Stunden  töd- 
uch.  Die  pneumonische  Form  wurde  nicht  beobachtet.  Ratten  er¬ 
krankten  erst  während  der  Epidemie.  Auch  bei  ihnen  verlief  die 
Krankheit  durchweg8  septikämisch.  Eine  Mehrung  der  bubonischen 
ralle  durfte  mit  der  allmählichen  Abschwächung  des  Ceylon-Virus 
zu  erwarten  sein. 

.  .  ^,r  ^t.Cläir  I  homson:  Dreijährige  Sanatoriumserfalirungen 
bei  der  Kehlkopftuberkulose.  (B.  M.  J.,  11.  IV.  14.) 

Unter  693  Lungenkranken  fanden  sich  25,6’  Proz.  Larynxtuberku- 
osen  (Männer  24,  Frauen  28,3  Proz.).  Verteilung  auf  die  Turban-Ger- 
hardt-Stadmn:  I  13,7,  II  27,1  und  III  40,8  Proz.  Frühfälle  verlaufen 
häufig  beschwerdefrei  und  werden  erst  bei  der  Routineuntersuchung 
des  Larynx  entdeckt.  Zum  Stillstand  resp.  zur  Ausheilung  kamen 
im  Sanatorium  -0,7  Proz.  Bei  der  Lokalbehandlung  bewährte  sich 
am  besten  der  Galvanokauter;  es  kamen  41,6  Proz.  der  kauterisierten 
ralle  zur  Heilung,  ein  Resultat,  das  ausserhalb  der  Sanatorien  nicht 
erzielt  wird  Die  Sanatoriumsbehandlung  ist  somit  derzeit  die  erste 
und  wertvollste  Methode  bei  der  Kehlkopftuberkulose. 

,.  ii  am  ?atjac,  Y1  ilkinson:  Die  T.R. -Behandlung,  als  die  essen- 
V,®1.1®  Merode  bei  der  Durchführung  des  sogen.  „Sanatorium-Benefit“. 
(Ibidem.) 

Wie  Verf.  an  seinem  Material  nachzuweisen  versucht,  sind  die 
Anschuldigungen,  die  gegen  die  T.R.-Ambulatorien  erhoben  werden 
tedsch.  Ls  kommen  fast  n  u  r  schwerere  und  aktive  Tuberkulosen 
zui  Behandlung  und  nicht,  wie  die  Gegner  behaupten,  die  leichtesten 
oder  sogar  zweifelhafte  Fälle,  die  auch  ohne  sonderliche  Behandlung 
wieder  gesund  geworden  wären.  Bei  der  Diagnose  schützt  die  T.R!- 
Keaktion,  und  zwar  auch  die  negative,  vor  Irrtümern.  Neben  der 
1  uberkulmisierung  kommen  bei  der  Therapie  nur  reichlichere  Nahrung 
und  die  allereinfachsten  hygienischen  Massregeln  zur  Anwendung 
Die  Resultate  sind  trotzdem  äusserst  gute;  selbst  von  den  Bazillen- 
spuckern  werden  alle  gebessert  und  fast  50  Proz.  bazillenfrei,  was 
tur  die  Umgebung  dieser  Kranken  von  enormer  Bedeutung  ist  Der 
V  erruf  des  T.R.  in  England  beruht  nach  Ansicht  des  Verf.  auf  der  Vor¬ 
eingenommenheit  der  medizinischen  Autoritäten  und  auf  den  viel  zu 
kleinen  Dosen.  Den  Sanatorien  haben  die  Ambulatorien  vieles 
voraus,  darunter  die  Billigkeit  und  die  nachhaltenderen  Er- 
,° ge*  Vor  der  Staat  neue  Sanatorien  baut,  sollte  man  die  Resultate 
beider  Methoden  gründlich  und  objektiv  vergleichen.  Dass  die  Am- 
bulatorien,  wenigstens  für  die  Mehrzahl  der  Fälle,  das  bessere  Mittel 
sind,  steht  für  den  Verf.  fest. 

.1.  Mill  Reu  ton:  Ueber  die  Nierentuberkulose.  (Ibidem.) 

5  Krankengeschichten.  Die  Abwesenheit  eines  Tumors  oder  von 
Schmerzen  in  der  Nierengegend  darf  nie  als  Beweis  gegen  das  Vor- 
handensein  einer  Nierenerkrankung  angesehen  werden.  Alle  hart¬ 
näckigen  Fälle  von  Tenesmus  und  Pyurie  müssen  zystoskopisch 
untersucht  werden.  Die  Veränderungen  der  Uretcreneinmündung 
sind  ziemlich  typisch  und  für  die  erkrankte  Seite  beweisend;  in 
manchen  Fällen  liegen  allerdings  die  beiden  Prozesse  auf  entgegen¬ 
gesetzten  Seiten.  Ein  zweites,  sehr  verlässliches  Zeichen  sind  Ver¬ 
dickungen  des  Harnleiters  per  rect.  od.  vag.  Verf.  katheterisiert 
b  e  l  d  e  Ureteren  nur,  wenn  die  Seite  der  Erkrankung  zweifelhaft  ist 
sonst  aber  nur  den  gesunden.  Der  Urin  der  kranken  Niere  ist  häufig 
von  sehr  geringem  spezifischem  Gewichte.  Bei  der  Nephrektomie 
reseziert  Verf.  nur  2—3  Zoll  des  Ureter  und  injiziert  in  den  Stunmf 
Acid.  carbol.  liqu. 

.  George  Jessel:  Die  Chancen  der  Heimbehandlung  der  Phthise. 

(Ibidem.) 

Verf.  beschreibt  einen  einfachen  Plan  zur  domiziliären  Behänd- 
ung  der  staatlich  versicherten  Kranken.  Der  Erfolg  hängt  weit  mehr 
von  der  peinlichen  Durchführung  hygienischer  Details,  als  von  Medi¬ 
kamenten  ab.  Ein  6  wöchentlicher  Sanatoriumsaufenthalt  erleichtert 
wegen  der  erzieherischen  Wirkung  die  Arneit  des  Arztes. 

E.  Russell  und  G.  Parker:  Letaler  Fall  von  Veronal ver- 
giftnng. 

(B  M  7'  Ls  "iVj"'  VerRiftung  mit  8g  Veronal;  Heilung.  (Bilder.) 

..  .  bl?  ersten  Fall  (Dose  ca.  3,25  g)  liess  sich  das  Medikament  im 
Urin,  im  Gehirn  und  den  Därmen  mit  Hilfe  des  W  i  1 1  c  o  x  sehen 
Verfahrens  nachweisen.  Der  zweite  Fall  ist  wegen  der  grossen  Dose 
beachtenswert.  Die  Kranke  war  3  lA  Tage  bewusstlos.  Am  2.  Tage 
trät  Lieber  auf.  Die  Behandlung  bestand  in  periodischen  NaCl-Ein- 
laufen,  Katheterisieren,  Sauerstoffinhalationen  und  Strychnininjek- 
tionen.  Im  Urin  war  das  Veronal  in  kristallinischer  Form  nachweisbar 
(Glas verfahren).  Kleine  Quantitäten  sind  mit  Hilfe  des  „gemischten 
bchmelzpunktverfahrens“  identifizierbar. 

William  Bi  Iling  ton:  Die  Resultate  der  Nephropexie.  (Ibidem.) 
n  o  r»  er  *  ba^  .blsber  515  Kranke  mit  einer  Operationsmortalität  von 
0,8  Proz.  operiert  und  etwa  800  Nieren  fixiert.  Die  Resultate  waren 
ausgezeichnet.  Bei  92  Fällen,  die  erst  in  jüngster  Zeit  nachunter¬ 
sucht  wurden,  ist  die  Niere  an  normaler  Stelle  fixiert  geblieben;  nur 


1644 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  29. 


7  Kranke  klagen  noch  über  subjektive  Beschwerden,  alle  übrigen  sind 
völlig  gesund  und  arbeitsfähig. 

H.  Morison  Üavies:  Der  therapeutische  Wert  der  in  die 
Pleuralhöhle  eingebrachten  Gase  etc.  (Kurven  und  Bilder.)  (B.  M.  J., 
25.  IV.  14.) 

Verf.  empfiehlt  frühzeitigere  Verwendung  dieses  wert¬ 
vollen  Verfahrens.  Am  geeignetsten  sind:  vorwiegend  einseitige  Er¬ 
krankungen,  Fälle  mit  persistierenden  Temperatursteigerungen,  pro¬ 
fusen  Hämorrhagien  und  Höhlenbildungen  in  einer  Lunge.  Röntgen¬ 
untersuchungen  sind  von  grosser  Bedeutung.  Komplikationen: 
1.  Pleurareflex  und  Gasembolien  (häufig  tödlich).  Zur  Vermeidung 
dienen:  Morphium  vor  der  Injektion,  Novokaininiiltration  der  Brust¬ 
wand,  Beobachtung  regelmässiger  Manometeroszillationen  vor  dem 
Einlassen  des  Gases,  Einblasen  von  O  v  o  r  N  und  sofortiges  Auf¬ 
hören,  wenn  der  Druck  +10  mm  Hg  beträgt.  2.  Pleuraexsudate 
(30  Proz.)  und  3.  Temperatur-  und  Pulssteigerungen  infolge  Auto¬ 
inokulation.  Der  Pneumothorax  soll  durchschnittlich  18  Monate  lang 
erhalten  werden  und  erfordert  anfänglich  häufigere  Erneuerung  als 
später.  Die  Resultate  sind  auch  bei  Kombination  mit  T.R.,  Sana¬ 
toriumaufenthalt  und  graduierter  Arbeit  gute.  Auch  bei  Bronchi- 
e  k  t  a  s  i  e  n  und  der  putriden  Bronchitis  wurden  Besse¬ 
rungen  erzielt.  —  Bei  der  Aspiration  von  Pleuraexsudaten  verwendet 
Verf.  gleichzeitige  Einblasungen  von  O.  Es  gelingt  dadurch,  das  Ex¬ 
sudat  vollständig  und  schmerzlos  zu  entfernen;  der  O  wird 
leicht  resorbiert  und  fördert  dadurch  die  allmähliche  und  gefahrlose 
Entfaltung  der  kollabierten  Lunge.  . 

P.  A.  Hendley:  Pituitrin  bei  der  Geburt.  (Ibidem.) 

60  Fälle.  Verf.  gibt,  wenn  der  Muttermund  für  1 — 2  Finger 
offen  ist,  0,75 — 1  ccm  intraglutäal  und  wiederholt  die  Injektion,  wenn 
sich  die  Geburt  des  Kindes  über  50  Minuten  hinaus  verzögert.  Er 
hält  das  Mittel  für  wertvoll  auch  bei  Schock  und  Kollaps,  bei  ner¬ 
vösen  Patienten  zur  Vermeidung  von  post-partum-Blutungen  und  von 
Urinretention  im  Wochenbett  etc.  Eine  Kontraindikation  sind  Ob¬ 
struktionen  der  Geburtswege. 

B.  Blacklock:  Ueber  die  Vermehrung  und  Infektiosität  des 
Tr.  cruzi  in  Cimex  lectularius.  (Ibidem.) 

Die  Parasiten  vermehren  sich  in  der  Bettwanze  und  bleiben 
während  einer  langen  Periode  (21  Stunden  bis  77  Tage)  lebens-  und 
infektionsfähig.  Infektion  gesunder  Mäuse  und  Meerschweinchen  ge¬ 
lingt  gewöhnlich  nur  durch  Inokulation  mit  dem  der  Wanze  ent¬ 
nommenen  Material  und  nicht  durch  den  Stich  der  infizierten  Insekten. 
Eine  hereditäre  Transmission  von  Tr.  cruzi  in  Cimex  konnte  nicht 
festgestellt  werden.  (Schluss  folgt.) 

Laryngo-Rhinologie. 

Ove  Strandberg:  Bemerkungen  über  die  Differentialdiagnose 
zwischen  Tuberkulose  und  Syphilis  der  Schleimhäute  der  oberen  Luft¬ 
wege.  (Aus  Fi  nsens  medicinske  Lysinstitut  in  Kopenhagen  (Klinik 
für  Hautkrankheiten!.)  (Zeitschrift  für  Laryngologie,  Rhinologie  und 
ihre  Grenzgebiete  7.  H.  1.) 

An  der  Hand  eigener  Fälle  und  der  Literatur  versucht  St.  zu 
zeigen,  wie  schwierig,  ja  häufig  irreführend  die  erwähnte  Diagnose 
sein  könne  und  wie  wenig  man  sich  im  Grunde  genommen  auf  die 
verschiedenen  Reaktionen  und  supplierenden  Untersuchungen  und 
zwar  besonders  auf  die  histologische  verlassen  könne,  die  ihm  wegen 
des  Vertrauens,  dessen  sie  sich  jedenfalls  in  einzelnen  Kreisen  erfreut, 
eine  Gefahr  zu  bergen  scheint.  Aber  auch  die  sonstigen  Aufklärungs¬ 
mittel  sind  oft  ungenügend;  die  Anamnese  lässt  meistens  im  Stich, 
das  klinische  Bild  ist  sehr  wechselnd  und  oft  gar  nicht  sicher  nach 
einer  Richtung  zu  deuten.  Die  Wassermann  sehe  Probe  ist  bei 
negativem  Ausfall  nicht  zu  werten,  bei  positivem  allerdings  behebt  sie 
sofort  jeden  Zweifel  (nach  Ref.s  Ansicht  auch  nicht  unbedingt,  da  sie 
nur  einen  syphilitischen  Zustand  des  Organismus  anzeigt,  aber  nicht 
den  ausschliesslich  syphilitischen  Charakter  des  bestehenden  Lokal¬ 
prozesses,  z.  B.  Mischinfektionen  oder  andere  akquirierte  Leiden 
bei  alter  Lues!).  Die  bakteriologische  Untersuchung  bietet  keine 
Sicherheit,  von  gewöhnlichen  Ausstrichpräparaten  der  Ulzerationen 
dürfte  man  betreffs  der  Schleimhäute  ganz  absehen,  und  der  Nach¬ 
weis  den  Tuberkelbazillen  in  Schnitten  nach  Ziehl-Nielsen  er¬ 
fordert  Schnittserien  und  die  nachweisbare  Bazillenmenge  ist  so  ge¬ 
ring,  dass  man  nur  durch  Zufall  solche  findet.  Ueber  die  Antiformin¬ 
methode  hat  St.  keine  Erfahrungen.  Die  Much  sehe  Farbenmethode 
lässt  sich  wegen  zahlreicher  anderer  Bakterienarten  bei  Schleim¬ 
hautpräparaten  nicht  verwenden,  und  eben  deswegen  sterben  ge¬ 
impfte  Meerschweinchen  an  Mischinfektion.  Die  Tuberkulinreaktion 
ist  sehr  umständlich,  aber  St.  hat  über  sie  keine  Erfahrung.  Bei 
richtiger  Durchführung  bietet'  die  Diagnose  ex  juvantibus  immer  noch 
am  ehesten  Gewähr. 

Oswald  Levinstein-  Berlin'  Die  „Entenschnabelnase“  als 
Folge  der  subniukösen  Septumresektion.  (Ebenda.) 

Zu  den  bekannten  Verunstaltungen  der  Nase  —  meist  patho¬ 
logischer  Natur  —  wie  „Sattelnase“,  „Lorgnettennase“,  ..Bulldoggen¬ 
nase“,  neuerdings  auch  „Pincenez-  oder  Kneifernase“,  fügt  L.  eine 
weitere,  von  ihm  zuerst  beobachtete,  traumatischer  Art  zu.  Wie  der 
Titel  schon  sagt,  handelt  es  sich  um  eine  Veränderung  der  Nasen¬ 
form,  die  nach  zu  ausgedehnter  submuköser  Septumresektion  sich 
gebildet  hatte.  Wider  Erwarten  war  nämlich  an  den  Operations- 
Stellen  das  Septum  nicht  durchweg  knorpelig,  sondern  verknöchert, 
so  dass  beim  Loshebeln  mit  der  Zange  nicht  das  vorgesehene  be¬ 


grenzte  Stück,  sondern  ein  erheblich  ausgedehnteres  sich  löste.  Das 
Skelett  der  Nase  verlor  dadurch  seinen  natürlichen  Halt  und  gegen¬ 
seitige  Stützung,  und  der  Nasenrücken  sank  in  seiner  unteren  Hälfte 
ein,  wobei  oberhalb  der  Nasenspitze  eine  deutliche,  den  untersten 
Teil  der  Nase  in  seiner  Mitte  in  der  Längsrichtung  durchlaufende 
Delle  zu  sehen  ist  und  die  seitlichen  Partien  der  Nasenspitze  im 
Vergleich  zu  deren  Mitte  etwas  vorstehen.  Nicht  nur,  dass  diese 
Entstellung  —  noch  dazu  bei  einem  24  jährigen  jungen  Mädchen  — 
höchst  unschön  wirkte,  verursachte  sie  auch  bei  Berührung  und  be¬ 
sonders  beim  Schneuzen  empfindlichen  Schmerz.  Dieser  sowohl,  wie 
die  Art  der  Veränderung,  erklären  sich  ohne  weiteres  aus  der 
Anatomie  des  Nasenskelettes.  Die  Kolleginnen  der  Patientin  hatten 
die  Veränderung  als  „Entenschnabelnase“  bezeichnet  und  dieser  Name 
kann  wegen  der  treffenden  Charakterisierung  beibehalten  werden. 
Also  Vorsicht  bei  der  submukösen  Septumresektion  und  bei  irgend¬ 
welchen  Widerständen  kein  gewaltsames  Vorgehen,  sondern  scho¬ 
nendes  Arbeiten  mit  scharfen  Instrumenten. 

A.  Solowiejczyk  und  Br.  K  a  r  b  o  w  s  k  i :  Zur  Kasuistik  der 
Stirnhöhleneiterungen  mit  intrakraniellen  Komplikationen  (latente 
Stirnhöhleneiterung,  epiduraler  Abszess,  Osteomyelitis  des  ganzen 
Schädeldaches).  (Ebenda.) 

Es  handelte  sich  bei  einer  21  jährigen  Patientin  um  eine  Stirn¬ 
höhleneiterung  —  wahrscheinlich  chronischer  Art  — ,  die  ihren  Eiter 
infolge  einer  starken  Verdickung  der  Schleimhaut  nach  der  Nase  nicht 
entleeren  konnte.  Durch  die  erkrankte  Hinterwand  kam  eine  intra¬ 
kranielle  Komplikation  zustande  in  der  Form  eines  aussergewöhnlich 
grossen  epiduralen  Abszesses.  Der  Eiter  verdrängte  stark  die  Stirn- 
iappen  und  füllte  die  Hälfte  der  vorderen  Schädelgrube  aus.  Psy¬ 
chische  Unruhe,  heftige  Kopfschmerzen,  vollständige  Schlaflosigkeit, 
pyämische  Temperatur  waren  die  Symptome  der  intrakraniellen  Eitcr- 
ansammlung.  Ungefähr  drei  Wochen  nach  dem  ersten  operativen  Ein¬ 
griff  wurde  eine  eitrige  Erkrankung  der  Diploe  festgestellt,  die  in 
einigen  Monaten  auf  das  ganze  Schädeldach  sich  verbreitete  und 
endlich  zu  einer  tödlichen  Gehirnkomplikation  führte.  Die  Sektion 
wurde  nicht  gestattet,  bakteriologisch  wurden  Streptokokken  festge¬ 
stellt.  Die  Diploeerkrankung  war  nicht  etwa  postoperativ  entstanden, 
sondern  erwies  sich  als  Komplikation  der  Stirnhöhleneiterung.  Psy¬ 
chische  Erscheinungen  zeigten  sich  auch  bei  einem  anderen  Fall  von 
Epiduralabszess.  Im  allgemeinen  sind  heutzutage  schon  die  intra¬ 
kraniellen  Komplikationen  nach  nasalen  Nebenhöhleneiterungen  bzw. 
ihre  Möglichkeit  zur  Genüge  bekannt  und  gewürdigt,  immerhin  lohnt 
sich  eine  Veröffentlichung  eines  Falles,  wie  der  obige,  wegen  der 
nicht  gerade  alltäglichen  Grösse  und  Schwere  der  Gehirnerkrankung. 

Eugen  Poliak-Graz:  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Amyloid- 
lumoren  der  Luftwege  und  der  Mundrachenhöhle.  (Ebenda.) 

Als  Merkmale,  die  relativ  häufig  den  amyloiden  Tumoren  der 
Luftwege  zukommen,  hebt  P.  folgende  hervor:  Multiplizität  der  er¬ 
krankten  Organe;  Multiplizität  der  amyloiden  Intumeszenzen  inner¬ 
halb  der  einzelnen  Organe,  besonders  des  Kehlkopfes;  gelbe  Färbung, 
Transparenz  und  wachsartiger  Glanz  der  Oberfläche;  Fehlen  von 
Ulzeration,  von  Drüsenschwellung  und  von  Schmerz.  Mitunter  kann  Ver¬ 
wechselung  mit  beginnendem  Karzinom  möglich  sein,  wenn  ein  einziger 
lokalisierter  Amyloidtumor  vorhanden  ist,  vornehmlich  im  Kehlkopf: 
jedoch  ist  das  Karzinom  fast  stets  auf  den  Stimmlippen  und  zwar  in 
der  vorderen  Hälfte  ansässig,  das  Amyloid  dagegen  nicht.  Noch 
schwieriger  kann  die  Unterscheidung  von  Sarkom  sein,  hierbei  kann 
mit  Sicherheit  nur  die  mikroskopische  Untersuchung  Aufschluss  geben. 
Die  Prognose  ist  quoad  vitam  besonders  von  dem  Sitze  und  der 
Grössenentwicklung  der  Intumeszenzen  abhängig;  die  Lebensgefähr¬ 
dung  erfolgt  durch  höhergradige  Stenosierung,  besonders  der  tieferen 
Atemwege.  Solange  die  Affektion  den  Kehlkopf  und  die  Trachea  er¬ 
greift,  lässt  sich  durch  die  Tracheotomie  eine  genügende  Luftzufuhr 
erzielen  und  der  Erstickungstod  vermeiden.  Die  Behandlung  ist  meist 
chirurgisch,  indem  die  Tumoren  mit  Doppelkürette,  Schlinge,  scharfem 
Löffel  oder  Kauter  entfernt  wurden,  teils  per  vias  naturales,  teils 
mittelst  Laryngofissur  oder  Krikotracheotomie.  Auch  durch  Rönt¬ 
genbestrahlung  sind  Erfolge  erzielt  worden.  Schliesslich  käme  bei 
tiefersitzenden  Tumoren  der  Luftwege  auch  die  instrumentelle  Ent¬ 
fernung  mit  Hilfe  der  Bronchoskopie  in  Betracht.  m 

Irene  Markbreiter:  Weitere  Untersuchungen  über  die  bei 
Nasen-  und  Nasennebenhöhlenkrankheiten  vorkommenden  Gesichts¬ 
feldveränderungen.  (Aus  der  Kgl.  ungarischen  Universitätsklinik  für 
Nasen-  und  Kehlkopfkrankheiten  in  Pest.  Direktor  Prof.  O  n  o  d  i.) 
(Mschr.  f.  Ohrhlk.  48.  H.  2  )  1 

Ihre  früheren  Untersuchungen  über  dieses  Thema  führt  Verf. 
fort  und  kommt  zu  dem  Ergebnis,  dass  das  häufigste  Augensymptom 
bei  Nebenhöhleneiterung  die  Vergrösserung  des  blinden  Fleckes  bildet, 
ohne  differentialdiagnostische  Bedeutung  für  die  Entscheidung  zwi¬ 
schen  vorderen  und  hinteren  Nebenhöhlen,  es  kann  aber  das  Sym¬ 
ptom  in  zweifelhaften  Fällen  und  bei  latenten  Eiterherden  neben 
dem  klinischen  und  dem  Röntgenbefund  verwertet  werden.  In 
52  Fällen  von  Vergrösserung  des  blinden  Fleckes  ist  die  Beteiligung 
der  einzelnen  Nebenhöhlen  folgende:  10  Fälle  von  Eiterung  des  Sinus 
frontalis,  4  von  Eiterung  sämtlicher  Nebenhöhlen,  4  von  solcher  des 
Sinus  sphenoidalis,  3  mal  Sinus  Highmori  +  Cellulae  ethmoidales 
anter.,  2  mal  Sinus  frontalis  +  Cellulae  ethmoid.  anter.,  7  mal  die 
vorderen  Nebenhlilcn.  3  mal  Cellulae  ethmoidales  posterior,  3  mal 
Celluloe  ethmoidales  anter..  16  mal  Sinus  maxillaris.  In  einigen  Fällen 
beiderseitiger  Nebenhöhleneiterung  war  auch  nur  einseitige  Ver¬ 
grösserung  des  blinden  Fleckes  vorhanden.  Bei  nichteitrigen  Nasen- 


21.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1645 


erkrankungcn  waren  in  einem  Drittel  der  Fälle  Augenveränderungen 
verbanden  und  zwar  Gesichtsfeldeinseliränkung  und  Vergrösserung 
des  blinden  Fleckes,  sowie  beides  allein. 

Klemer  v  I  ö  v  d  1  g  y  i  -  Pest:  Die  therapeutische  Wirkung  des 
Bacterium  coli  commune  bei  Kehlkopftuberkulose.  (Ebenda  Heft  2 

und  3J 

I .  pinselt  Bouillonkulturen  vom  Bacterium  coli  commune  auf  die 
tuberkulös  erkrankten  Stellen  des  Pharynx.  Larynx,  Gesichtes  (bei 
Lupus)  etc.  und  behauptet  erhebliche  Besserungen,  sogar  Heilungen 
erzielt  zu  haben,  wie  sie  bei  anderen  Methoden  nie  so  rasch  ein- 
treten.  Er  legt  VN  ert  daraut,  dass  die  Bouillonkulturen  frisch  bereitet 

r'"driZ!?\r  aKUMfr,aCh  sezüchtetem  Bacterium  coli;  vorzuziehen  sei 
ue  dicht  sich  bildende,  viel  Indol  entwickelnde  Form.  Die  Milch- 
Kultur  des  Bacterium  coli  ist  nicht  so  vorteilhaft  wie  die  Bouillon- 
fuiltur.  Um  mögliche  hinwurfe  vorweg  zu  nehmen,  betont  Verf  dass 
spontane  Besserungen  und  Stillstände  seine  Erfolge  keineswegs  vor¬ 
getauscht  haben  können,  vielmehr  die  meisten  Patienten  in  einem 
.  tadium  ihrer  Krankheit  standen,  in  welchem  die  spontane  Heilung 
eme  derart  seltene  ist,  dass  dieser  Fall  gar  nicht  in  Betracht  kommen 
'a  i]'.  (Erinnert  sehr  an  Friedmanns  Heilmittel  mit  seinen  An¬ 
kündigungen  und  Misserfolgen.  Ref.) 

.  Karj  Kofi  er:  Die  Noviformgaze  in  der  Rhinologie.  (Aus  der 
k  biuyersitatsklinik  für  Kehlkopf-  und  Nasenkrankheiten  in  Wien. 
Vorstand  Hofrat  Prof.  Dr.  6.  C  h  i  a  r  i.)  (Ebenda  Heft  3.) 

,  Die  Noviformgaze  eignet  sich  sehr  gut  zur  Nasentamponade,  sie 
'*S;Ch  •  mcbj  d®r  Nase,  wirkt  stark  sekretionsbeschränkend 
md  adstringierend  infolge  ihres  Wismutgehaltes,  ist  sterilisierbar, 
ceruch-  und  geschmacklos,  sogar  desodorierend  und  wird  vom  Pa- 
lenten  besser  vertragen  als  Jodoformgazc.  Noviform  ist  eine  che- 
msche  Verbindung  von  Wismut  und  Tetrabrombrenzkatechin.  In  der 
Ja7x's,  ''Crwand' te  K.  stets  das  Noviform  immer  nur  als  lOproz. 
jaze  zu  I amponaden  der  Nase;  er  liess  sie  bis  zu  8  Tagen  liegen 
mLnHS.Sie,dey  geringsten  Fäulnisgeruch  bekam,  sie  wirkte  stärker 
ntiseptisch  als  Jodoformgaze,  liess  sich  immer  viel  leichter  heraus- 

Wei  s*e.initHder  Wunde  und  Schleimhaut  nicht  so 
erklebt  war,  sie  war  beim  Herausnehmen  jedesmal  mit  schönem 
e‘n,em’  ^la^gem  Schleim  überzogen  und  entfaltete  eine  gute  styp- 
sche  Wirkung  bei  blutenden  Wunden;  eine  schleimhautschädigende 

bachteTwordennanSenehme  Nebenwirkung  ist  von  K-  niemals  be- 

•berkfefers.  C(Zschr.  (“o'hdilk.  l0""“"äre  1,65 

,  JlhriZyStenJm  Oberkiefer  sind  nicht  gerade  häufig,  sie  zerfallen 
i  fo  11  kulare  und  penodontale  Die  follikulären  Zysten  entstehen  im 
"Schluss  an  Storungen,  welche  den  Zahnfollikel' betreffen  ln  der 
‘egei v  entweder  retinierte,  im  Gebiss  fehlende  Zähne 
oder  kümmerlich  entwickelt  oder  zerstreut  liegende  plättchen- 
>rrmge  Zahnrudimente,  deren  Zahl  wechselt.  Diesen  follikulären 
^tenr ‘m*  CnPuen  ^.nne’  bei  denen  der  betroffene  Zahn  in  der  Zahn- 
i hlfaieh7’ , steh,en  die  gleicher  Art  gegenüber,  die  aus- einer  iiber- 
ihligen  Zahnanlage  entstehen.  Die  periodontalen  Zysten  entwickeln 
^  ',m  4nSch  uSS  an  chronisch-entzündliche  Zustände  der  Zahn- 
urzetn  hie  gehen  aus  einer  Periodontitis  an  der  Wurze'snitze  eines 
isgebildeten,  aber  erkrankten  Zahnes  hervor.  Diese  periodontalen 
ler  Wurzelzysten  kommen  viel  öfter  vor  als  die  follikulären.  C  gibt 
e  Krankengeschichten  seiner  Fälle  von  follikulären  Zysten  bekannt 
einem  Falle  zeigten  sich  in  der  Nase  Vorwölbungen  am  Nasen- 
)den,  in  anderen  Fallen  war  die  Nase  ohne  Abweichungen  Die 
peration  wurde  in  Lokalanästhesie  gemacht,  einmal  mit  Halbnar- 

mer  in1  tot?  gelang  AuSSchälung  de/  Zystenwand,  was  aber  nicht 

■hpnh-  hi E  r  c  y  s  t  a  d  t :  Der  Weber  sehe  Stimmgabelversuch  bei 

skh.  n  M  PVemen  ?CJ  u?,se'-  (Aus  dcr  Kg'-  ungarischen  Universi- 
tsklmik  für  Nasen-  und  Kehlkopfkrankheiten  in  Pest  [Direktor;  Prof 

UnodiJ.)  (Ebenda.) 

I  * J 1  a,?  bat  im  Jabre  1911  ein  neues  diagnostisches  Hilfsmittel  zur 
Gpyemdiagnose  angegeben,  das  von  Fr.  nunmehr  bestätigt  wird 
OimmPbel  ^lrd  in  der  Medianlinie  ein  wenig  über  der  Nasen- 
jr  aufgesetzt;  normaler  Ohrenbefund  vorausgesetzt,  wird  die 
i  inrngabel  nach  derjenigen  Seite  lateralisiert,  wo  die  kranke  Neben- 
r  Lrrhudenc‘S  '  ,Bei  beiderseitigen  Empyemen  wird  sie  zur 
b^rkQrankten ,  Sf lte  lateralisiert  Der  Praktiker  kann  auf  Grund 

.nvpmc  T.fabelVAerP,ches  ,die  Wahrscheinlichkeitsdiagnose  eines 
tipyems  stellen.  Auf  diese  Weise  lassen  sich  z.  B.  Neuralgien  von 

;frünUra<gl  u  P  Schmerzen  einhergehenden  Nebenhöhlenentzün- 

l  egrsnrh?mJSCheiKen;  „Fur  .d?n  Rhinologen  können  die  Stimmgabel- 
.ebe".faI's  wichtig  sein,  so  wenn  kein  Eiter  in  der 
b'h  o,U  h-u"  lst’  dl,e  Stimmgabel  aber  nach  einer  Seite  lateralisiert 
J-LL  uer1,  wo  der, Einblick  in  das  Naseninncre  durch  Septum- 
ia t  on  oder  sonstige  Veränderungen  erschwert  ist.  Ausserdem  ist 
i  ml  a  a  1  versuch  in  prognostischer  Hinsicht  von  Wert,  insofern 
i  ,|pnn,A  v*derUn  -  des  Stimmgabelhörens  vor  und  nach  einer  Kiefer- 
frH  nliP  günstigere  Aussichten  eröffnet  als  das  Gleichbleiben, 
i  der  AncJtP  Eiterentleerung  die  Stimmgabel  im  ganzen  Kopf  oder 
SüP.mhP  *  fte  e  alie,n  gebort,  so  weist  das  auf  mehr  oberflächliche 
t'  traUcte'terunghin’  wird  sie  vor-  und  nachher  nur  auf  der  cr- 
r  ge.h°rt’  so  lässt  das  auf  tiefe  Schleimhautänderung 

Indizierung  grosserer  Massnahmen  schliessen. 


n,  E  Mygind:  Hacmatoma  laryngis  traumaticum.  (Aus  der 
uni en-  und  Hillsklinik  des  Kommunehospitals  zu  Kopenhagen  [Chef¬ 
arzt:  I  rof.  L)r.  Holger  M  y  g  i  n  dj.)  (Ebenda.) 

Das  in  Betracht  kommende  Trauma  besteht  meistens  darin,  dass 
üer  Patient  mit  der  Gurgel  direkt  auf  eine  scharfe  Kante  fällt,  z  B 
üie  eines  I  isches  oder  eines  Kastens  —  zuweilen  im  Rausch  oder  beim 
epileptischen  Anfall.  Seltener  hat  es  sich  um  einen  direkten  Stock- 
ouer  Faustschlag,  einen  Stoss  oder  einen  Erwürgungsversuch  ge- 
nandelt.  Die  Symptome  waren  in  den  leichtesten  Fällen  nur  etwas 
Heiserkeit,  in  den  schwereren  gleichzeitig  Schmerzen  beim  Sprechen 
und  Schlucken,  leichtere  Grade  von  Dyspnoe,  zuweilen  auch  Blut- 
auswurt.  I  rotz  zeitweilig  recht  drohenden  Aussehens  war  die 
lracheotomie  nie  notwendig.  Charakteristisch  ist,  dass  die  Svm- 

nf(0tün Jf-Pm  ewisset. Zfn  z"  ibrcr  Entwicklung  brauchen,  so  dass  sie 
oft  unmittelbar  nach  dem  Trauma  ganz  fehlen.  Von  aussen  ist  am 
Halse  mir  wenig  zu  finden,  einige  Sugillationen,  etwas  Anschwellung 
und  Druckschmerz.  Bei  der  Laryngoskopie  ist  auch  keine  Solutio 
continui  zu  sehen.  Das  Iaryngoskopische  Bild  ist  sehr  verschieden  je 
nach  der  Grosse  und  Lokalisation  des  vorhandenen  Phänomens; 
dieses  kann  sich  auf  kleine  rotbraune,  zuweilen  multiple  Flecke  auf 
n  i  licae  ventriculares,  Labia  vocalis  und  in  den  Sinus  piriformes 
beschranken  oder  es  können  sich  grosse  Ausfüllungen  bilden,  die  von 
der  ganzen  einen  Seite  des  Larynx  weit  in  die  andere  Seite  hinüber¬ 
ragen.  Auch  das  Iaryngoskopische  Bild  erfordert  eine  gewisse  Zeit 
für  seine  Entwicklung  und  verändert  sich  beständig,  unmittelbar  nach 
dem  Trauma  kann  der  Larynx  ganz  normal  aussehen.  Die  Beliand- 

innLbSnrC^  Ahini^U^ h,lgstcl  1  -  Eis,  Kokain  und  Adrenalin  aussen  und 
flüssig ZUF  Abscbwe  ung’  Skarifikationen  scheinen  nutzlos  und  iiber- 

A,  G.  r  a  p  i  a  -  Madrid:  Die  Ainvendung  der  Lokalanästhesie  bei 
der  Laryngektomie  nach  der  Methode  von  Gluck.  (Annales  des 
Maladies  de  lOreille,  du  Larynx,  du  Nez  et  du  Pharynx  1914  Nr  2) 
i  SP0{Bot®^-Barce*0"a:  Drei  Eälle  von  Totalexstirpation 
(Ebenda  Nr°^4S)  mit  Met  lode  von  0  1  u  c  k  und  Lokalanästhesie. 

Beide  Arbeiten  stammen  aus  Spanien  und  zeigen,  wie  auch  in 
diesem  Lande  die  Fortschritte  der  modernen  Laryngologie  Fuss 
assen  Beide  Autoren  geben  ihre  günstigen  Erfahrungen  bekannt. 

Die  Ergebnisse  der  I  otaloperation  —  bei  Karzinom  natürlich  _ _ 

waren  m  jeder  Hinsicht  durchaus  gute,  besonders  wird  lobend  her- 
yorgehoben,  dass  die  Patienten  sich  später  trotz  fehlenden  Kehl¬ 
kopfs  in  genügender  Weise  ihrer  Umgebung  durch  Sprache  verständ- 
hch  machen  konnten  und  ohne  jede  Beschwerde  ein  unbeeinträchtigtes 
Dasein  führten.  Ebenso  werden  die  bekannten  Vorzüge  der  Lokal- 
anasthesie  betont,  die  Ungefährlichkeit,  die  leichtere  Anwendung  und 
die  Möglichkeit  ungehinderten  Operierens  wegen  Wegbleiben  des 
Narkotiseurs  und  seiner  beengenden  Handgriffe. 

Eugene  F  e  1  i  x  - Bukarest:  Todesfälle  nach  iutranasalen  Ein- 
r hinofogi e  löH^r  1]njernationales  de  laryngologie,  d’otologie  et  de 

NVenn  auch  im  allgemeinen  die  intranasalen  Eingriffe  gefahrlos 
verlaufen,  so  kommen  doch  gelegentlich  Todesfälle  als  ihre  Folgen 

Nähp  V‘e  cenaaltHl-eu,atUr-WJeist  BeisP>ele  auf-  Es  kommen  hierbei  die 
Nahe  der  Schadelhohle  mit  den  Meningen  und  die  reichen  und  grossen 

Lymphwege  der  Nase  in  Betracht,  zumal  auch  die  Siebbeingegend 
besonders  gefährdet  ist  und  daselbst  oft  blind  operiert  werden  muss, 
ist  sie  doch  der  Sitz  der  so  häufig  vorkommenden  Schleimpolvpen. 

rUrUt  iTanmeidenn^lrA  man,  T.od®sfällf  oder  sonstige  Komplikationen 
icht  können.  Die  A-  und  Antisepsis  im  Naseninneren  ist  unvoll¬ 
kommen,  die  Enge  und  ungenügende  Drainage  der  höheren  Nasen- 
regionen  ist  sehr  störend.  Bei  der  Tamponade  (die  Ref.  ganz  ver- 
wirft)  sind  besondere  Vorsichtsmassregeln  nötig,  sie  soll  nie  zu  fest 
und  me  langer  als  24  Stunden,  höchstens  12—15  Stunden  ausgedehnt 
werden.  Nach  infektiösen  Krankheiten,  wie  Influenza,  Eruptions- 
fitbcrn,  sind  in  der  Nasenhöhle  sehr  viel,  stark  infektiöse  Bakterien 
anwesend,  man  hüte  sich,  unmittelbar  nach  solchen  Krankheiten  intra¬ 
nasal  zu  operieren.  Max  S  e  n  a  t  o  r  -  Berlin. 

Inauguraldissertationen. 

Universität  Berlin.  Juni  1914. 

M  Vehandlung^111"6™ :  D'e  Ergebnisse  der  modernen  Syphilis- 

V  en  g  e  r  Gertrud:  Versuche  über  Aufmerksamkeitsstörungen  bei 
Lhorea  minor. 

L  6 der1  K«kuIIarfslähmunge^etl0l0Sie’  SymPt0matoloele  “nd 
M 1  des  N,ere"- 

S  e  g  e  1  m  a  n in  Abraham :  Ueber  die  Beeinflussung  der  Wasser- 
handlung  Cn  Keaktl0n  durch  die  kombinierte  Hg-Salvarsanbe- 

Ll  Hm  rnr^.rcn^2:-Ef"*IS11*v^n  primarem  Papillären  Adenokarzinom 
des  Corpus  utcri  nnt  Metastasen  am  Ovarium. 

K  Peritoneums."  Bcitrag  zur  Frage  der  Resorptionsfähigkeit  des 

M  u  l  1  e  r  Karl :  Ueber  einen  Fall  von  Hydroa  vaccinlforme  (Bazi  n) 

SalI°mna°"  f1“*:  Ein  Fall  von  Luxatio  capituli  radii  ant  conien! 
mit  pathologischen  Cubitus  valgus. 


1646 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  29. 


Zimmer  mann  Hirsch:  Zur  Kenntnis  der  Aetiologie  und  Therapie 
der  Vereiterung  der  Kornea  bei  und  nach  Masern. 

Ostrowski  Siegfried:  Beobachtungen  an  Fällen  von  Exstirpation 
des  (ianglion  Qasseri  und  der  Okzipitalnerven. 

Universitäts  Bonn.  April  bis  Mai  1914. 

Norpoth  Adolf:  Zur  Diagnose  des  Ulcus  duodeni  mit  besonderer 
Berücksichtigung  des  Oclprobefrtihstücks. 

Schwarz  Friedrich:  Ueber  Spontanrupturen  des  Uterus  in  der 
Gravidität. 

Schreiber  Hans  G.:  F.in  Beitrag  zur  Frage  des  Zusammenhanges 
zwischen  progressiver  Paralyse  und  Unfall. 

Liebelt  Paul:  Zur  Frage  der  Beziehungen  der  Hysterie  zu  den 
funktionellen  Psychosen. 

Connenberg  Heinrich:  Ein  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Hemiatrophia 
faciei  progressiva. 

Stöcker  Fritz:  Ueber  Spätfolgen  nach  operativen  Geburten  mit 
besonderer  Rücksicht  der  sozialen  Verhältnisse. 

Dotzel  Edward:  Fünf  merkwürdige  Fälle  von  Paralyse. 

Hochgürtel  Jos.  Mich.:  Die  Röntgentherapie  der  Pseudoleukämie. 

Leichtentritt  Bruno:  Erfahrungen  über  die  nach  dem  Verfahren 
von  Engel  hergestelite  Eiweissmilch. 

Port  mann  Erich:  Tuberkulose  und  Wohnung. 

Thier  Adolf:  Ein  kasuistischer  Beitrag  zur  Frage  des  primären 
Appendixkarzinoms. 

Rehr  Carl:  Beiträge  zum  Schicksal  des  Zervixstumpfes  nach  supra¬ 
vaginaler  Amputation  wegen  Myom. 

Rody  Carl:  Ueber  die  Inversio  uteri  post  partum  und  ihre  operative 
Behandlung. 

Juni  bis  Juli  1914. 

Weidemann  Otto:  Kollateralkreislauf  bei  Leberzirrhose  und  Pfort¬ 
aderthrombose. 

Qu  ante  Josef:  Ueber  die  Resorption  von  abgebautem  Eiweiss  vom 
Rektum  aus. 

Kleine  Ewald:  Bau  und  Funktion  der  Flughaut  von  Draco  volans 
Linne. 

D  e  p  e  n  t  h  a  1  Heinrich:  Die  traumatischen  Erkrankungen  des  Lungen- 
und  Rippenfells  und  ihre  Unfallbegutachtung  an  der  Bonner  medi- 
zischen  Klinik. 

Jansen  Egid:  Ueber  typische  Veränderungen  im  Darm  bei  akuter 
Leukämie. 

Scheven  Richard  v.:  Ein  Beitrag  zur  Frage  der  Erblichkeit  der 
Tuberkulose. 

Hui  s  gen  Edmund:  Ueber  die  Anwendung  der  Hypophysenextrakte 
in  der  Geburtshilfe  unter  besonderer  Berücksichtigung  des  Pito- 
glandol  (Roche). 

Peters  Wilhelm:  Ueber  syphilitische  Erkrankungen  des  Herzens 
und  der  Aorta. 

Thalmann  Valentin :  Ein  Fall  von  Sklerodermie  mit  Raynaud- 
schem  und  Addison  schem  Symptomenkomplex;  Empfindlich¬ 
keit  gegen  Fibrolysin. 

Schute  Richard:  Nabelschnurbruch  bei  Neugeborenen. 

Universität  Freiburg  i.  Br.  Juni  1914. 

Dyckerhoff  K.  H.:  Ueber  eigenartige  Zystenbildungen  in  der 
Niere. 

E  r  n  w  e  i  n  Louisa:  Beitrag  zur  Frage  der  Dauerresultate  bei  klinisch 
behandelten  Säuglingen. 

Hävers  Karl:  Experimentelle  Untersuchungen  über  Physiologie  und 
Pathologie  des  Cholesterinstoffwechsels  mit  besonderer  Berück¬ 
sichtigung  der  Schwangerschaft. 

Hermel  Hans:  Beobachtungen  über  vasokoristringierende  und  dik¬ 
tierende  Substanzen. 

Offermann  Walter:  Sind  die  Oxydasenfermente  durch  Röntgen - 
und  Mesothoriumbestrahlung  beeinflussbar? 

Schmitt  Julius:  Klinischer  Beitrag  zur  Operation  der  Hypophysen¬ 
tumoren. 

Stadtmüller  Franz:  Ein  Beitrag  zur  Kenntnis  des  Vorkommens 
und  der  Bedeutung  hyalinknorpeliger  Elemente  in  der  Sklera  der 
Urodelen. 

Stein  Georg:  Zur  Frage  des  Cholesteringehaltes  des  Blutes  mit  be¬ 
sonderer  Berücksichtigung  der  Syphilis. 

Tuczek  Karl:  Ueber  die  Beziehungen  der  Nebennierenpigmentation 
zur  Hautfarbe. 

W  olff  Gerhard:  Entwicklung  der  Technik  sowie  eigene  Erfahrungen 
über  die  Abderhalden  sehe  Schwangerschaftsreaktion  mittels 
des  Dialysierverfahrens. 

Universität  Halle  a.  S.  Juni  1914. 

Biinger  Julius:  Zur  Lehre  des  sogen.  Plasmazytoms. 

üi  ekler  Hans:  Latente  Herdsymptome  in  ihrer  Bedeutung  für  die 
Epilepsie. 

J  a  e  g  e  r  Emil :  Ueber  Pseudomyxoma  peritönei. 

Riedel  Gustav:  Bakteriologischer  und  pathologisch-anatomischer 
Befund  bei  Peritonitis. 

Wiegand  Alfred:  Ueber  Pneumonie  im  Kindesalter. 


Auswärtige  Briefe. 

Wiener  Briefe. 

(Eigener  Bericht.) 

Schulen  für  die  berufsmässige  Krankenpflege.  —  Einführung 
der  freien  Arztwahl  bei  den  Familienangehörigen  der  Arbeiter  der 
k.  k.  Tabakregie.  —  Freie  Arztwahl  mit  Honorierung  der  Einzel¬ 
leistungen  des  Arztes.  —  Gegen  die  ärztliche  Praxis  im  Umherziehen 
von  Ort  zu  Ort. 

Eine  Verordnung  des  Ministers  des  Innern  vom  25.  Juni  1914 
betrifft  die  Organisation  von  Schulen  fürdie  berufsmässige 
Krankenpflege  im  Anschlüsse  an  geeignete  Krankenanstalten. 
Ueber  die  Errichtung  der  ersten  „Krankenpflegeschule  des  k.  k.  Kran¬ 
kenanstaltenfonds"  im  allgemeinen  Krankenhause  haben  wir  schon 
seinerzeit  berichtet.  Eine  zweite  Schule,  die  der  Oesterr.  Gesell¬ 
schaft  vom  Roten  Kreuze,  wurde  mit  dem  Krankenhause  Wieden 
verbunden  und  weitere  Krankenpflegeschulen  werden  im  Herbste 
mit  staatlicher  Subvention  in  mehreren  Landeshauptstädten  aktiviert 
werden.  Die  besagte  Ministerialverordnung  umfasst  die  Bestim¬ 
mungen  über  die  Ausbildung  (Aufnahmsbedingungen,  Lchrgegen- 
stände,  e  i  n  Lehrjahr,  ein  Probejahr  in  Kranken-  und  sonstigen  Für- 
sorgeanstalten,  staatliche  Diplomprüfung  etc.),  sodann  —  als  neue 
Bestimmung  —  die  Verleihung  einer  „Ehrendekoration  für  diplo¬ 
mierte  Krankenpflegerinnen“,  die  sich  im  Kriege  und  in  sonstigen 
gefahrvollen  Zeiten  (Epidemien)  der  Pflege  von  Kranken  und  Ver¬ 
wundeten  für  eine  bestimmte  Zeit  zu  widmen  verpflichten.  Die 
diplomierte  Krankenpflegerin  muss  der  Behörde  schriftlich  ein  „Ge¬ 
löbnis  zur  Leistung  der  Krankenpflege  im  Kriege  und  bei  Epidemien“ 
unterbreiten.  Die  „Ehrendekoration“  besteht  aus  einer  ovalen  ver¬ 
goldeten  Bronzeplaque  mit  kaiserlichem  Doppeladler  und  wird  ohne 
Band  an  der  rechten  Brustseite  getragen. 

Bei  der  Auswahl  der  Lehrgegenstände  —  heisst  es^  im  offiziellen 
Communique  —  fanden  nicht  nur  die  Bedürfnisse  des  Spitalsdienstes 
sowie  der  Privatkrankenpflege  Berücksichtigung,  sondern  es  wurde 
auch  dafür  Sorge  getragen,  dass  die  Schülerinnen  für  die  Mitwirkung 
in  der  sozialen  Fürsorge  (insbesondere  auf  dem  Gebiete  des 
Säuglingsschutzes),  ferner  für  die  Verwendung  im  admini¬ 
strativen  Spitalsbetriebe  und  bei  Bekämpfung  von  In¬ 
fektionskrankheiten  besonders  ausgebildet  werden.  Hie¬ 
durch  erweitern  die  Krankenpflegeschulen,  welche  Personen  weib¬ 
lichen  und  männlichen  Geschlechtes  zugänglich,  jedoch  in  erster 
Linie  von  Frauen  besucht  sein  werden,  das  Gebiet  beruflicher  Be¬ 
tätigung  der  Frau.  Für  das  ärztliche  Hilfspersonal  männlichen 
Geschlechtes,  das  in  Oesterreich  —  ausser  in  der  Irrenpflege  —  vor¬ 
wiegend  auf  dem  Gebiete  der  physikalischen  Heilmetho¬ 
den  (namentlich  Massage  und  Wasserbehandlung)  verwendet  wird, 
sind  bei  den  Krankenpflegeschulen  eigene  mehrmonatige  Sonder¬ 
kurse  zur  Ausbildung  in  diesem  Teilgebiet  in  Aussicht  genommen. 

Die  Wirkung  der  Krankenpflegeschulen  auf  die  im  Interesse  der 
Kranken  und  des  Pflegepersonales  notwendige  Verbesserung  der  fach¬ 
lichen  Ausbildung,  ferner  auch  auf  den  erhöhten  Zufluss  zum  Pflege¬ 
beruf,  kann  sich  erst  nach  einigen  Jahren  geltend  machen;  inzwischen 
sollen  Anfängerinnen  einige  Monate  lang  in  sogen.  Einführungs¬ 
kursen  zu  Pflegerinnen  herangebildet  werden  (niedere  Fachschule), 
auch  sind  Uebergangsbestimmungen  für  Krankenpflegepersonen  ge¬ 
troffen  worden,  welche  sich  dieser  staatlichen  Diplomprüfung  frei¬ 
willig  unterziehen  wollen. 

Die  k.  k.  Tabakregie  hat  sich  entschlossen,  nachdem  die  bisher 
ohnehin  schlecht  bezahlten  Tabakfabrikärzte  sich  fast  einstimmig 
weigerten  und  durch  Revers  verpflichteten,  die  ihnen 
seitens  des  Staates  gegen  eine  kleine  Gehaltserhöhung  angetragene 
pauschalierte  Behandlung  der  Familienangehörigen  der 
Tabakfabrikarbeiter  zu  übernehmen,  diese  Behandlung  der  Gesamt¬ 
ärzteschaft  Oesterreichs  (in  freier  Arztwahl)  anzutragen.  Sie  hat 
sich  zu  diesem  Zwecke  an  den  Geschäftsausschuss  der  österreichi¬ 
schen  Aerztekammern  und  an  den  Reichsverband  österreichischer 
Aerzteorganisationen  gewendet  und  den  genannten  Körperschaften 
folgende  Proposition  gemacht:  In  den  Fabriken  der  k.  k.  Tabak¬ 
regie  sind  insgesamt  rund  35  468  Arbeiter  beschäftigt,  denen 
40  240  Familienmitglieder  entsprechen.  Die  Arbeiter  rekrutieren  sich 
zu  vier  Fünftel  aus  Weibern,  ein  grosser  Teil  der  Familienangehörigen 
sind  Kinder,  welche  nur  bis  zum  vollendeten  16.  Lebensjahre  in 
das  Uebereinkommen  fallen  sollen.  Die  30  Tabakfabriken  verteilen 
sich,  mit  Ausnahme  der  Bukowina,  auf  sämtliche  Kronländer,  die 
meisten  Fabriken  liegen  in  Böhmen  und  Mähren.  Die  k.  k.  Tabak¬ 
regie  würde  für  die  Beistellung  der  ärztlichen  Hilfe  einen  Betrag 
von  jährlich  150  000  Kronen  gewähren,  der  zum  Teil  von  den 
Arbeitern  durch  Beitragsleistung  hercingebracht  werden  soll.  Wei¬ 
ters  würde  ein  jährlicher  Regiebeitrag  von  10  000  Kronen  und  ein¬ 
maliger  Gründungskostenbeitrag  von  5000  Kronen  geleistet  werden. 
Geltung  soll  das  Uebereinkommen  für  alle  jene  Betriebe  haben,  die 
sich  damit  einverstanden  erklären,  und  zwar  soll  es  vorläufig  auf 
3  Jahre  abgeschlossen  werden. 

Diese  Anträge  der  k.  k.  Tabakregie  wurden  in  einer  seitens 
der  Aerztekammern  und  ärztlichen  Organisationen  Oesterreichs  be¬ 
schickten  Delegiertenversammlung  eingehend  beraten. 
Den  Vorsitz  führte  der  Präsident  des  üeschäftsausschusses  der 
österreichischen  Aerztekammern,  Herr  Prof.  E.  Finger.  Man 


2t.  Juli  1914. 


MUFNCHFNFR  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


V"ISvtrflchf  "aü"  lcbhafter  Diskussion  vorerst  einstimmig  dahin,  dass 
d)e  X  ertreter  der  Aerzteschaft  im  Prinzipe  für  die  Einführung  der 
organisierten  freien  Arztwahl  bei  der  Familienangehörigenbehandlung 

Tnh^rP^  crTS?llaChtißln  A>:beiter  b>  den  Betrieben  der  k.  k 
I  nHi  M fit  Sl,ld'  Sodann  beschloss  man  unter  Hinweis,  dass  bei  der 
Landbevölkerung  die  Kinder  schon  mit  14  Jahren  (häufig  sogar  noch 

die  Altersgrenze  der  Kinder  als  Familien¬ 
angehörige  nicht  mit  16,  sondern  mit  14  Jahren  festzulegen.  Die 
Aerztekammern  und  Organisationen  werden  die  Direktiven  für  die 
Verhandlungen  mit  der  k.  k.  I  abakregie  schriftlich  formulieren  und 

ward  (der  hnPerhlfSfCchUSSCgin  kÜ,rZester  Zcit  bekannt  geben,  sodann 
wird  der  üeschaftsausschuss  der  österreichischen  Aerztekammern 

dvL^eiHhSV?rbundv  Pstlerre|chischer  Aerzteorganisationen  und  der  Prä- 
f ür 6 m f ^ a'p  tS^heghifnn  ärztlichen  Organisationen  autorisiert  sein, 
ur  die  Aerzteschaft  Oesterreichs  mit  der  Tabakregie  in  Verhand- 

Vm.C h pZcUf Jh e 4 n"  U'v  ein  bezügliches  Uebereinkommen  abzuschliessen 
Dem  bestehenden  Vereine  für  freie  Arztwahl  in  Wien  wurde  sodann 

Reh?n%nnUhrUngFUndiVerrechuUng  des  arztI>chen  Dienstes  für  diese 
m5nfncC!!n!!gnVOr\;^a^ni  iei?anjSehbT^isen  der  Tabakarbeiter  übertragen, 
doch  solle  der  Verein  mit  den  Kammern  und  Organisationen  in  den 
einzelnen  Kronländern  in  Verbindung  treten. 

.D'e  Vorzü«e  des  Systems  der  freien  Arztwahl  sowohl  für  die 
nnph'CfherTgSPfl ^1?btlg®n  Arbeiter  und  :hre  Familienangehörigen  als 
auch  für  die  praktischen  Aerzte  selbst  sind  in  dieser  Wochenschrift 
sJion  so  oft  gewürdigt  worden,  dass  wir  es  für  unnötig  halten, 
hierüber  auch  nur  ein  weiteres  Wort  zu  verlieren.  Selbstverständlich 
wird  die  Einführung  der  freien  Arztwahl  bei  den  Angehörigen  einer 

seh?Sv?el  zu?"  PnnO  9fsterrei<-h  verbreiteten  Arbeiterkrankenkasse 
sehr  viel  zur  Popularisierung  der  Institution  beitragen.  Der  intelli- 

bestehtArdassererWh-sdh  Sehr  bald  den  Bnterschied  merken,  der  darin 
besteht,  dass  er  bisher  von  einem  überbürdeten,  schlecht  bezahlten 

nd  zuweilen  auch  noch  recht  entfernt  wohnenden  Aerzte  —  ärztliche 
y''f  frbltten  musste,  künftighin  aber  von  einem  selbstgewählten 
Vertrauensärzte  zu  welchem  er  mehr  in  persönliche  Beziehung  treten 
kann  und  wird.  Der  Vertrag  zwischen  der  k.  k.  Tabakregie  und 
der  Aerzteschaft  Oesterreichs  wird  vorerst  nur  für  3  Jahre  abge- 

wSlmkdtrtreentennd  S°"’  ^  verIautet’  bereits  am  L  Januar  ^15  in 

ß.  D!e  deutsch-tirolische  Aerztekammer  in  Innsbruck  veröffentlicht 
eben  das  zwischen  ihr  und  der  Landesvertretung  deutsch  geleiteter 
Bezirkskrankenkassen  in  Tirol  und  Vorarlberg  abgeschlossene  Ueber 
emkommen.  Auch  hier  soll  die  ärztliche  Hilfe  auf  Grundlage  der 
Arztwahl  durch  die  sich  hiezu  bereit  erklärenden  Aerzte  ge¬ 
leistet  werden.  Es  ist  aber  die  freie  Arztwahl  unter  Honor  i  e- 
ung  der  Einzelleitungen  des  Arztes  nach  eiüembe- 

Ddprilven-tM  °  rM  V  a  r  'l  geplant  So  sollen  bezahlt  werden:  Für 
L  def  ^ lslte  In^b  Untersuchung  am  Standorte  des  Arztes  150  Kr 
Ent  ermmgsgebuhren  je  nach  den  örtlichen  Verhältnissen  im  Einver¬ 
nehmen  beider  Parteien  extra  geregelt.  Für  eine  Konsiliarvilite 
zjy-  Konsiliarius  und  Ordinarius  je  3  Kr.  Von  jeder  Konsiliar visite 
st  che  Kasse  zu  verständigen.  Für  jede  Ordination  mit  Untersuchung 
7  nh"  'uf!,N.apbj?rdInatl0nen  und  Nachtvisiten  von  8  Uhr  abends  bis 
vpVhrnf[US-IStAdie+dPPpeIte  Taxe  zu  bezahlen.  Von  diesen  Ansätzen 
J,p  AhJ  flu  Aerztekammer  jenen  Bezirkskrankenkassen,  bei  denen 
ic  Aerztekosten  exklusive  Kontrolle  nach  dem  durchschnittlichen 
Wrsicherungsstocke  pro  Mitglied  und  Jahr  4.50  Kr.  überschreiten 

i?«0pfw-ne  idltS  f  SatZ,  nlcht  unter  20  Proz-  der  Gesamteinnahmen  - 
lusschhesshch  Ersatzkosten  zurücksteht)  und  denen  es  trotz  geord- 

leten  Gebahrens  und  trotz  der  gesetzlich  höchstzulässigen  Beitrags- 
vutUnSuniCht  gpIlpgen  konnte,  den  für  den  Ausgleich  der  jährlichen 
Schwankung  unbedingt  notwendigen  Reservefond  anzusammeln  einen 

ilC£.aSSf  bl\Zü  20  Pr0Z'  der  Aerztekosten.  Spezialleistungen 

)er  v!l?o?er/nbuhrenuTdf- v°n  drr  Urmässigung  ausgeschlossen. 
Jer  Vertrag  soll  zunächst  für  die  Jahre  1914  und  1915  gelten  er 
autt  aber  immer  ein  Jahr  weiter,  wenn  er  nicht  drei  Monate  'vor 
i  TT  K  Ver  ragsjahres  gekündigt  wird.  Weitere  Bestimmungen 
ueses  Uebereinkommens  beziehen  sich  auf  die  Zulassung  der  Aerzte 
d,‘e  vorübergehende  oder  dauernde  Ausschliessung  eines  Arztes’ 
ut  die  Rechnungslegung,  das  Schiedsgericht  etc. 
n  .o  freie  Arztwahl  und  fixe  Tarife  für  Einzelleistungen!  Jeden- 
a!!s  ein  Novum  Die  deutsch-tirolische  Aerztekammer  und  die  Tiroler 
krap; kenkässen  werden  wohl  bald  sehen,  ob  sich  dieser  Modus 
ahrt  oder  nicht.  Man  müsste  ein  besserer  Kenner  der  dortigen 
erhaltnisse  sein,  um  an  diesem  Uebereinkommen  Kritik  üben  zu 
onnen.  Warten  wir  also  lieber  den  Erfolsr  ah 


1647 


onnen.  Warten  wir  also  lieber  den  Erfolg  ab 

Anlässlich  eines  speziellen  Falles,  in  welchem  ein  in  einer  Stadt 
nsassiger  Zahnarzt  versuchte,  gleichzeitig  in  mehreren  politischen 
ff  ieilMZV^eier-  Verwaltungsgebiete  zahnärztliche  Praxis  auszuüben, 
at  das  Ministerium  des  Innern  nachstehende  Entscheidung  getroffen: 
ein  Rekurse  (des  Zahnarztes)  wird  keine  Folge  gegeben.  Hiefiir 
4  nachsteheniJe  Erwägung  massgebend.  Der  Rekurrent  betreibt  die 
rzt hche  Praxis  im  Umherziehen  von  Ort  zu  Ort  unter  Anbieten  der 
rzuicnen  Dienste  ohne  vorangegangene  Berufung  durch  die  Partei 
zw.  unter  Verwendung  von  Agenten  behufs  Erlangung  von  Bestel- 
i  Fn‘  .  .  !e?e  Art  der  Praxis  widerspricht  den  Bestimmungen  der 
lotkanzleuieltrete  vom  3.  November  1808  und  vom  24.  April  1827, 
eiche  die  Ausübung  der  ärztlichen  Praxis  ausdrücklich  an  die  Nie- 
rfi  t-  \S  S  Ut»n  u -aj  ^  Urund  erfolgter  Anmeldung  bei  der  betreffenden 
l  isc  len  Behörde  und  an  die  vorausgegangene  Berufung  des  Arztes 
'nden.  Hievon  wird  die  k.  k.  Statthalterei  (Landesregierung)  zur 


secEeBÄr p0?*  Un<!  Z*r  entspr^chcnden  Verständigung  der  politi- 
senen  Behörde  erster  Instanz  in  Kenntnis  gesetzt. 

.  .  *  Ministerium  beruft  sich,  wie  man  sieht,  auf  Hofkanzlei- 

noch  n’  KrMfVc[,  J00pind  mehr  Jahren  erlassen  wurden  und  seither 
oei  m  Kraft  sind.  Es  ist  höchste  Zeit,  dass  die  den  obersten  Be- 
orden  und  gesetzgebenden  Körperschaften  vorliegende,  seinerzeit, 
gebil'liete  AprVtp11  V?"  3  Cn  Aerztekammern  durchberatene  und 
regelt  Gesetzeskr-iff0  r  ^  11  u  n  g:  welche  alle  diese  Vorkommnisse 
55ti,n«rÜ|.oi2 eskraf  , er,ange-  Jahrhundert  alte  Hofdekrete,  die  noch 
S2(.  be\Tfei1  man,  sie  nicht  ausdrücklich  aufgehoben  hat 
S  S  geänderten  Anforderungen  und  Neugestaltungen 

unseres  Standes  keineswegs  mehr  genügen.  Der  nächste  Aerzte 

öfter^  i‘ß  *oIItc  d|c  Forderung  nach  gesetzlicher  Festlegung  einer 
anrh  Aerzteordnung  ganz  energisch  betonen,  dann  wären 

auch  solche  Mimsterialerlässe  überflüssig. 


Vereins-  und  Kongressberichte. 

Wissenschaftliche  Vereinigung  am  städt.  Krankenhaus 

zu  Frankfurt  a.  M. 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzung  vom  9.  Juni  1914. 

Vorsitzender:  Herr  N  e  i  s  s  e  r. 

Schriftführer:  Herr  Braun. 

«oxi,,hSdu,?/d\!;chnLN|Sc),aMShC  ZUr  toptotaiel,,‘' 

Die  insbesondere  von  Friedberger  vertretene  Theorie  der 
Anaphytae  „tam,  an,  d  a  s  s  d  i  e  A  „  t  i  k  ö  r  p  e  r  a  I  s  n  r  o  u  o 
'  '  Fermente  fungieren,  dass  sie  aber  In  und 
m  f  f  C  b  n  V  e  1  n  e  g  e  w  i  s  s  e  r  m  a  s  s  e  n  inaktive  F  e  r 
mentform  d  a  r  s  t  e  1 1  e  n,  zu  deren  Aktivierung  die 
Mitwirkung  von  Komplementen  erforderlich  ist 
Das  anaphylaktische  Gift  entsteht  nach  Sie  ef 
uffassung  als  Folge  einer  spezifischen  Ferment¬ 
wirkung,  ausgeübt  durch  den  Ambozeptorkomnle 
m  ent  k  o  m  p  I  e  x  a  u  f  d  a  s  A  n  t  i  g  e  n  "n  d  bt  fd  e  t  also]  In 
e  r  1  \  a  t  des  injizierten  Ei  we  iss  es.  Man  bezeichnet 
diese  Auffassung  der  Anaphylaxie  auch  als  die  Theorie  des 
Parenteralen  chemischen  Eiweissabbaues 
p  i  pt  konsequenter  Durchführung  dieser  Auffassung  gelang  es 

rr>Fi,e  d  ]b  k  r  K  C  !"  n£un  nacb  voraufgogangenen,  allerdings  nicht  hin¬ 
reichend  beweiskräftigen  Versuchen  von  Friedemann  durch  Zu 
sammenwirken  der  drei  bei  der  aktiven  Anaphylaxie  beteiligfen 
Komponenten,  des  Eiweissantigens,  des  Antieiweisskörpers  und  des 
Komplements  das  anaphylaktische  G  i  f  t,  das  sogen 
-MnaphyUtoxin“  auch  in  vitro  darzustellen.  Ein  in  gleicher 
Weise  wirkendes  Gift  konnte  Friedberger  auch  durch  Digestion 
der  verschiedensten  Bakterien,  pathogener,  sowie  apathogener.  sowie 
on  Serumei weiss  mit  frischem  Meerschweinchenserum  erhalten. 

nnlwTii6  d‘e  1,atsache  verwunderlich  erscheinen,  dass  es 
ganz  wahllos  gelang,  aus  allen  möglichen  Bak 

e-fn,arten+  u.nd  Serumpräzipitaten  etc.  durch  Be¬ 
handeln  mit  Meerschweinchenserum  das  gleich- 
w.’  r  kfe.n  d  e  Anaphylatox  in  zu  erhalten.  Es  wurden  daher 
schon  frühzeitig  auf  Grund  solcher  Ueberlegungen,  z.  B.  von  Friede 

a  Bedenken  dagegen  geäussert  ob  wirklich 
du  Bakterien  oder  die  anderen  benutzten  Antigene  die  Matrix  des 
Giftes  darstellten.  Bei  der  Gleichartigkeit  der  Erscheinungen  lag  es 
vielmehr  nahe  die  Muttersubstanz  des  Änfphyla- 
toxins  in  der  bei  allen  Anaphylatoxinbildungs- 
versucien  gleichbleibenden  Komponente,  eben 
dem  Meerschweinchenserum  selbst,  zu  suchen  Um 
diese  Vorstellung  verständlich  zu  machen,  dass  das  Meersclnveinchen- 
ts-l™durcb  dei?  einfachen  Kontakt  mit  Bakterien,  Präzipitaten  usw. 
toxisch  wird,  haben  Ritz  und  Sachs  vor  ca.  3  Jahren  eine  Theorie 
entwickelt,  die  seither  als  physikalische  der  chemischen 
l  fn  n16  h  deS  P^g'^er.3161,1 .  Eiweissabbaues  gegenübersteht.  Man 
kann  darnach  nämlich  annehmen,  dass  das  Serum 
für  die  eigene  Tierart  dann  giftig  wird,  wenn  ge¬ 
wiss  e  R  e  g  u  1  a  ti  on  s  m  e  ch  a  n  i  s  m  e  n  wegfallen.  Dabei 
sind  vviederum  zwei  Möglichkeiten  zu  unterscheiden;  der  einfachere 
ruft Pn.Ilzip  ist  Präformiert,  der  kompliziertere  Fall:  das 

F  nset7PntenntnfCF  d|?r  Ebmmierung  antagonistischer  Faktoren  durch 
Einsetzen  autolytischer  Prozesse  im  Serum.  Der  Kern  dieser 

An  a^nkai'fSCh-en  Theorie  liegt  also  darin,  dass  das 

THfft  PrU»yn  Vh°  X  •  n  a  u  s  d  e  m  S  e  r  11  m  selbst  entsteht. 

lnfft  diese  Jheorie  zu,  so  erscheint  die  Anaphylaxie  als  eine  Auto- 

-‘  a  i°n  engs,ten  Sinne.  Trotzdem  eine  Reihe  von  Einzel- 
tatsachen  im  Sinne  der  Theorie  von  Sachs  und  Ritz  sprachen 
so  war  es  doch  schwer,  das  Experimentum  crucis  für  die  Richtigkeit 

tnv;ni,hmne  zu .erbringen,  denn  augenscheinlich  gehört  zur  Anaphvla- 
toxinbildung  eine  besondere  Beschaffenheit  des  mit  dem  Meer- 
schweinchenserum  zu  digerierenden  Materials,  wie  sie  an  erster  Stelle 
die  Bakterien  besitzen.  Denn  Versuche  mit  anorganischen  stickstoff- 

AhnCnFUMCnSltkr: wie  B'  mit  Kaolin,  Serum  giftig  zu  machen,  sind 
ohne  Erfolg  geblieben.  Erst  in  neuerer  Zeit  gelang  es,  durch  Ver- 


1648 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Wendung  von  Kohlehydratpräparaten  unter  weitgehendem  Ausschluss 
von  Eiweissstoffen  Anaphylatoxin  zu  erzeugen. 

Zunächst  zeigte  Bordet,  dass  es  gelingt,  durch 
DigestionvonAgarmitaktivemMeerschweinchen- 
serum  Anaphylatoxin  zu  erhalten.  W enn  Vortragen¬ 
der  auch  die  Resultate  B  o  r  d  e  t  s  vollkommen  bestätigen  konnte, 
so  wurde  doch  die  Beweiskraft  dieser  Versuche  durch  den  relativ 
erheblichen  Stickstoffgehalt  des  Agars  beeinträchtigt. 

Bei  den  Versuchen  des  Vortr.  kam  es  nun  darauf  an,  Stoffe  auf¬ 
zufinden,  welche  sich  ohne  erhebliche  Eingriffe  in  einen  differenten 
physikalischen  Zustand  bringen  Hessen.  Die  für  diesen  Zweck 
geeignetsten  Präparate  fand  V  o  r  t  r.  in  der  Stärke  und  dem 
Inulin. 

Vortr.  konnte  zunächst  zeigen,  dass  es  gelingt, 
durch  Digerieren  von  Stärke  mit  aktivem  Meer- 
schweinchenserum  ein  akut  wirkendes  Anaphyla¬ 
toxin  zu  erhalten.  Allerdings  enthielten  auch  die  benutzten 
Stärkepräparate  nachweisbare  Mengen  von  Stickstoffsubstanz,  jedoch 
nur  in  sehr  geringen  Mengen,  nämlich  etwas  weniger  als  0,2  Proz. 
Legt  man  diesen  Wert  der  Berechnung  zugrunde,  so  ergeben  sich  als 
geringste  Ei  weissmengen,  die  zur  Bildung  einer  tödlichen 
üiftdosis  ausreichten,  Vio  Millionstel  Gramm  Ei¬ 
weis  s.  Es  müsste  also  durch  den  Abbau  dieser  Eiweissspuren  nach 
der  chemischen  Theorie  noch  eine  tödliche  Giftmenge  entstehen. 

Bei  den  Anaphylatoxinbildungsversuchen  mit  Stärke  hatte  es 
sich  nun  weiterhin  gezeigt,  dass  die  Stärke  in  Kl  ei  st  er  form  ein 
erheblich  besserer  Anaphylatoxinbildner  ist  als  in  Suspension; 
doch  konnte  man  hierfür  zunächst  eine  bessere  Aufschliessung  von 
Eiweissbeimengungen  bei  der  Verkleisterung  verantwortlich  machen. 

Es  schien  daher  angebracht,  bei  weiteren  Versuchen  weniger 
Gewicht  auf  die  völlige  Stickstofffreiheit  der  zur  Anaphylatoxinbildung 
verwandten  Präparate  zu  legen,  als  vielmehr  noch  andere  Substanzen 
heranzuziehen,  die  sich  analog  der  Stärkesuspension  und  dem  Stärke¬ 
kleister  in  einen  differenten  physikalischen  Zustand,  sei  es  als  Sus¬ 
pension  oder  Gallerte,  sei  es  als  Lösung  bringen  Hessen.  Zu  diesen 
Versuchen  hat  Vortr.  das  Inulin  benutzt,  das  in  kaltem  Wasser 
fast  vollständig  unlöslich  ist  und  sich  daher  zu  einer  homogenen  sehr 
feinen  Suspension  aufschwemmen  lässt,  sich  beim  Erwärmen  auf  70° 
dagegen  ohne  Verkleisterung  vollkommen  löst.  Das  Inulin  er¬ 
füllt  also  das  Postulat,  sich  ohne  besondere  ther¬ 
mische  oder  chemische  Eingriffe  in  einen  diffe¬ 
renten  physikalischen  Zustand  bringen  zu  lassen, 
in  befriedigender  Weise,  ln  bezug  auf  Eiweissfreiheit  bedeutet  es 
allerdings  keinen  Fortschritt,  denn  das  hauptsächlich  benutzte  Inulin- 
präparat  Kahlbaum  besass  einen  Gehalt  von  0,6644  Proz.  Stick¬ 
stoffsubstanz. 

Bei  den  mit  Inulin  als  Suspension  und  Lösung 
parallel  ausgeführten  Anaphylatoxinbildungs¬ 
versuchen  konnte  Vortr.  nun  zeigen,  dass  nur  die 
Suspension,  nicht  aber  die  Lösung  befähigt  war,  das  zur 
Digestion  benutzte  Meerschweinchenserum  giftig 
z  u  m  ache  n.  Diese  Tatsache  erscheint  mit  der  chemischen  Theorie 
kaum  vereinbar.  Vom  Standpunkt  der  physikalischen  Theorie  aus 
sind  aber  die  Versuche  einer  einwandfreien  Deutung  zugängig,  da  die 
Suspension  weit  besser  als  die  Lösung  befähigt  ist,  als  Adsorbens  zu 
wiikcn.  Es  dokumentiert  sich  also  bei  diesen  Versuchen  die 
Anaphylatoxinbildung  als  eine  Funktion  des 
p  hysikalischen  Zu  Standes,  in  demsichdasSubstrat 
befindet. 

Die  Inulinversuche  lassen  nun  ausserdem  die  von  dem  Vortr. 
schon  bei  der  Anaphylatoxinbildung  durch  Stärke  aufgefundenen 
Differenzen  zwischen  der  Suspensions-  und  der  Kleisterform  in  ge¬ 
steigerter  Beweiskraft  erscheinen.  Denn  wenn  dem  physi¬ 
kalischen  Zustand  eine  so  markante  Bedeutung  zukommt,  wie  sie 
die  Inulinversuche  zeigen,  so  kann  man  annehmen,  dass  der  Sus¬ 
pensionszustand  nicht  die  optimalen  Bedingungen  für  die  Anaphyla- 
toxinentstehung  darstellt,  sondern  wird  annehmen  dürfen,  dass  bei 
der  kolloidalen  Lösung,  wie  sie  der  Stärkekleister  darstellt,  mit  der 
Vergrösserung  der  Oberflächen  auch  die  physikalischen  Kräfte,  welche 
hier  eine  Rolle  spielen,  zunehmen,  und  so  erklärt  es  sich  wohl  zwang¬ 
los,  dass  von  der  Stärke  in  Kleisterform  erheblich  geringere  Mengen 
zur  Giftbildung  ausreichen  als  von  der  Stärkesuspension.  Beim  Inulin 
fehlt  aber  der  gelatinöse  Zustand,  hier  Hess  sich  nur  eine  Suspension 
und  eine  reine  Lösung  benutzen.  Es  dürften  also  Inulinlösungen 
einerseits,  Stärkekleister  andererseits  als  Extreme  erscheinen,  von 
denen  das  eine  die  ungünstigsten,  das  andere  die  besten  Bedingungen 
für  die  Anaphylatoxinentstehung  gewährt. 

Vortr  fasst  zum  Schluss  seine  Versuche  mit  Stärke  und  Inulin 
kurz  dahin  zusammen,  dass  sie  die  Abhängigkeit  der 
Anaphylatoxinbildung  von  physikalischen  Momenten  i m 
Sinne  der  physikalischen  Theorie  von  Sachs  und 
Ritz  in  eklatanter  Weise  zeigen. 

Diskussion:  Herr  Sachs:  Die  Versuche,  über  die  Herr 
Nathan  berichtet  hat,  dürften  in  der  Tat  die  Bedeutung  des  physi¬ 
kalischen  Zustandes  für  die  Anaphylatoxinbildung  in  sehr  eklatanter 
Weise  dartun.  Eine  physikalische  Theorie  der  Anaphylaxie  steht 
nun  keineswegs  mit  der  Antikörpertheorie  in  Widerspruch.  Die 
essentielle  Rolle  der  Antikörper  bei  der  aktiven  und  passiven 
Anaphylaxie  ist  ja  ausser  Zweifel.  Die  physikalische  Theorie  nimmt 
nur  an,  dass  in  letzter  Instanz  physikalische  Einflüsse  für  die 


Nr.  29. 


Anaphylatoxinbildung  erforderlich  sind.  Die  geeigneten  physikalischen 
Zustandsänderungen  können  aber  primär  vorhanden  sein,  wie  das  bei 
den  Reagenzglasversuchen  mit  Stärke  und  Inulin  der  Fall  ist,  oder 
erst  sekundär  durch  Antikörperwirkung  entstehen,  wie  es  bei  der 
typischen  durch  Immunisierungsvorgänge  erworbenen  Anaphylaxie 
die  Regel  ist.  Unsere  Auffassung  unterscheidet  sich  also  von  der¬ 
jenigen  Friedbergers  hauptsächlich  darin,  dass  wir  dem  Anti¬ 
körper  nicht  die  funktionelle  Rolle  eines  das  Antigen  abbauenden 
proteolytischen  Ferments  zusprechen,  dass  wir  vielmehr  in  dem  Anti¬ 
körper  nur  das  Werkzeug  sehen,  dessen  Gebrauch  schliesslich  zu 
einer  physikalischen  Zustandsänderung  führen  kann.  Unsere  Auf¬ 
fassung  lässt  daher  die  Möglichkeit  offen,  dass  auch  auf  anderer  Weise 
als  durch  Antikörperwirkung  derartige  physikalische  Alterationen  in 
vivo  entstehen  Sie  betrachtet  die  immunisatorisch  erzeugte 
Anaphylaxie,  wenn  ich  so  sagen  darf,  als  die  Folge  einer  Neben¬ 
wirkung  der  Antikörperreaktion,  nicht  aber  als  den  eigentlichen  Aus¬ 
druck  der  Antikörperwirkung.  Die  physikalische  Theorie  scheidet 
daher  Immunität  und  Anaphylaxie,  obwohl  beide  Erscheinungsformen 
in  den  Antikörperreaktionen  primär  die  gleiche  Ursache  haben  können. 

Herr  N  e  i  s  s  e  r  weist  auf  seine  Diskussionsbemerkungen  auf  der 
Kür.igsbcrger  Naturforscherversammlung  hin  und  betont  die  Wichtig¬ 
keit  der  Nathan  sehen  Versuche. 

Herr  Schürer:  Ueber  Messung  und  Bedeutung  des  Diphtherie¬ 
antitoxins  im  menschlichen  Blute. 

(Der  Vortrag  wird  in  der  Zschr.  f.  Hyg.  ausführlich  erscheinen  ) 

Diskussion:  Herr  N  e  i  s  s  e  r. 


Verein  Freiburger  Aerzte. 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzung  vom  15.  Mai  1914. 

Herr  Rominger:  Das  A  b  d  e  r  h  a  1  d  e  n  sehe  Dialysierver- 
faliren. 

Dem  Ab  d  er  h  al  d  e  n sehen  Dialysier verfahren  liegt  die  Vor¬ 
stellung  zugrunde,  dass  der  tierische  Organismus  bei  einer  Invasion 
von  körper-,  blutplasma-  oder  zellfremden  Stoffen  Fermente  bildet, 
die  eigens  auf  die  betr.  Stoffe  eingestellt,  also  spezifisch  sind  und  diese 
durch  Abbau  beiseite  schaffen.  Abderhalden  nennt  diese  Fer- 
mente  deshalb  Abwehrfermente.  Es  gelang  ihm  zu  zeigen,  dass 
während  der  ganzen  Schwangerschaft  Abwehrfermente  kreisen,  die 
imstande  sind,  Plazentaeiweiss  abzubauen  und  er  schuf  so  eine  Sero¬ 
diagnostik  der  Schwangerschaft.  Aufbauend  auf  dieser  Grundlage 
nimmt  nun  Abderhalen  an,  dass  bei  Störung  der  Tätigkeit  irgend 
eines  Organs  von  diesem  Stoffe  aus  den  Zellen  entlassen  werden,  die 
noch  nicht  genügend  „plasmaeigen“  gemacht  worden  sind  und  noch 
Züge  erkennen  lassen,  die  für  die  betr.  Zellarten  charakteristisch  sind. 
Analog  den  Verhältnissen  bei  der  Schwangerschaft  werden  nun  nach 
Abderhaldens  Ansicht  wie  gegen  das  Plazentaeiweiss  gegen 
diese  ja  ebenfalls  „plasmafremden  Stoffe  spezifische  Abwehrfermente 
mobil  gemacht.  Es  handelt  sich  nun  darum,  diese  Abwehrfermente 
im  Serum  nachzuweisen.  Man  legt  hiezu  dem  betr.  Serum  —  ge- 
wissermassen  anfragend  —  verschiedene  Organsubstrate  vor.  Aus 
dem  Abbau  eines  dieser  Organe  kann  man  direkt  auf  das  Vor¬ 
handensein  von  gegen  das  betr.  Organeiweiss  gerichteten  Abwehr¬ 
fermente  und  indirekt  auf  eine  irgendwie  nicht  normale  Tätigkeit 
der  Zellen  dieses  Organs,  also  auf  eine  Dysfunktion,  schliessen.  So 
modifiziert  dient  das  Dialysierverfahren  zur  Serodiagnostik  der  Organ¬ 
funktionen. 

Demonstrationen:  1.  Hülsenprüfung.  2.  Herstellung  und  Auf¬ 
bewahrung  der  Organsubstrate.  3.  Ninhydrinreaktion.  4.  Versuchs¬ 
protokolle. 

Schluss:  Hinweis  auf  die  zahlreichen  Fehlerquellen  bei  Aus¬ 
führung  der  Versuche. 

Diskussion:  Herr  Noeggerath,  Herr  H  a  h  n,  Schluss¬ 
wort  des  Vortr 


Naturhistorisch-medizinischer  Verein  zu  Heidelberg 

(Medizinische  Sektion.) 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  19.  Mai  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Hermann  K  o  s  s  e  1. 

Schriftführer:  Herr  Carl  Franke. 

Herr  Antoni:  Demonstration  eines  Falles  von  Pemphigus 

vegetans  bei  einer  21  jährigen  Kranken. 

Im  Sommer  1913  zeigten  sich  plötzlich  auf  Brust  und  Armen 
der  Patientin  rote  erhobene  linscngrosse  Flecke.  Aus  diesen  ent¬ 
standen  Blasen-  und  Eiterpusteln,  die  heftig  schmerzten.  Ende  August 
1913  öfters  blutiger  Stuhl.  Oktober  1913  reichliche  Blasenbildung  Im 
Mund.  Gleichzeitig  stärkere  Blasenbildung  mit  trübwässerigem  In¬ 
halt  an  beiden  Beinen.  Spontane  Eröffnung  der  Blasen  mit  anschlies¬ 
sender  Geschwürsbildung.  Stellenweise  kam  es  zur  Abheilung  der 
Blasen.  Das  Allgemeinbefinden  besserte  sich,  so  dass  die  Kranke 
Mitte  Januar  1914  wieder  aufstehen  konnte. 

Februar  1914.  Plötzliche  Verschlechterung  des  Allgemeinbe¬ 
findens.  Geschwüre  an  den  Beinen  und  am  After,  die  stark  sezer- 
nierten  und  heftig  schmerzten.  Reichlich  blutiger  Stuhl.  Aufnahme 
in  die  Klinik. 


21.  Juli  1914. 


MUENCH  ENER  MEDIZINISCHE  WQC  MENSCH  KM  ET. 


IP ^ Aus  dem  Aufnahmestatus:  Sehr  blasses  anämisches 
Mädchen.  Starker  Milztumor.  Blut:  Hämoglobin  45  Proz 

Leukozyten  11000.  Eosinophile  5  Proz. 

Stuhl  dünnflüssig,  fötid,  viel  Blut  und  Schleim. 

Auf  der  Schleimhaut  der  Lippen  und  Wangen  zahlreiche  unregel¬ 
mässige  \\  eisse  Narben.  Am  linken  Unterschenkel  3  handtellergrosse 
Herde  vom  typischen  Charakter  eines  Pemphigus  vegetans.  Ein 
gleicher  Herd  am  rechten  Unterschenkel  von  20  cm  Länge  und  10  cm 
Breite.  Am  After  2  gleiche  Herde  von  Handtellergrössc,  ebenso  auf 
dem  Rücken  in  der  Eossa  rhomboidea  ein  Eiinfinarkstcükgrosser  Herd. 
Alle  Herde  haben  den  typischen  Charakter  des  Pemphigus  vegetans 
mit  wucherndem  Grunde  und  starkem  Eötor.  Am  Oberschenkel  sieht 
man  vereinzelt  die  Reste  von  Blasen. 

Ausstriche  aus  den  Geschwüren  ergaben  Gram-  +,  Gram 
T~  tabch en,  Staphylokokken  und  einen  besonders  dicken  Gram 
+  Diplokokkus. 

Auf  eine  intravenöse  Seruminfusion  von  20  ccm  trat  sofortige 
Besserung  ein  mit  Nachlassen  der  Schmerzen  und  Eintrocknen  der 
Wunden.  Lokal  wurden  Kochsalz-  und  Wasserstoffsuperoxyd- 
umschlage  angewandt,  ausserdem  Einpinselungen  mit  Arg  nitric 

3  weitere  Seruminfusionen  im  Verlauf  von  35  Tagen  führten 
w  eitergehcnde  Besserung  herbei.  Die  Wunden  granulierten  und 
kamen  zur  Ausheilung.  Keine  Schmerzen  mehr.  Allgemeinbefinden 
gut.  Gewichtszunahme. 

14.  IV.  Alle  Wunden,  bis  auf  das  grosse  Geschwür  am  rechten 
Bein,  sind  vollständig  vernarbt. 

Am  17.  IV.  plötzliche  Verschlechterung  des  Allgemeinbefindens 
unter  1  emperaturanstieg.  In  den  schon  zugeheilten  Geschwüren  sind 
neue  wuchernde  Ulzerationen  aufgetreten,  die  heftig  schmerzen. 
Gleichzeitig  wieder  starker  Fötor.  Erneute  Seruminfusion.  Keine 
wesenhehe  Besserung  der  Wunden,  wohl  des  Allgemeinbefindens, 
ln  den  Blutausstrichen,  die  zur  Zeit  des  neuen  Schubs  untersucht 
riU*u?”a  fandeP  s'cb  eigenartige  Gebilde,  die  sich  nicht  restlos  als 
Blutblattchen  deuten  lassen  (Protozoen?).  Die  Ulzerationen  wurden 
trotz  der  Serumeinspritzung  grösser.  Uebergang  zur  Salvarsan- 
therapie. 

Grosser  Effekt.  Eintrocknen  der  Wunden.  Nachlassen  der 
Schmerzen.  Nach  2  weitere  Salvarsaneinspritzungen  kamen  die 
Wunden  völlig  zur  Heilung.  Patientin  zurzeit  symptomfrei. 

Herr  W  i  e  d  h  o  p  f:  Anatomische  Demonstration  eines  Falles  von 
Hirssch  sprungscher  Krankheit.  (Erscheint  unter  den  Ori- 
ginalien  dieser  Wochenschrift.) 

Herr  Dresel:  Zur  Aetiologie  und  klinischen  Diagnose  der 
xktmomykose. 

1.  Die  Aktinomykose  des  Menschen  und  des  Rindes  beruht  auf 
nfektion  mit  einem  anaeroben  Trichomyzeten  (Aktinomyzes  Wolff- 
Israel). 

2.  In  manchen  Fällen  besteht  eine  Mischinfektion  mit  einer 
lerogenen  Streptothrixart  („Aktinomyzesgruppe  Boström“). 

3.  Ausser  der  echten  Aktinomykose  gibt  es  klinisch  der  Aktino- 
nikose  ähnlich  verlaufende  Erkrankungen,  bei  denen  im  sezernierten 
piter  ausschliesslich  aerobe  Streptotricheen  gefunden  werden.  In 
liesen  Fällen  können  drusenähnliche,  makroskopisch  sichtbare  Körn¬ 
dien  Vorkommen,  die  aus  Knäueln  verfilzter  Streptothrixfäden  be¬ 
gehen. 

4  Andrerseits  können  in  frischen  Fällen  von  echter  Aktinomykose, 
lescnders  bei  frühzeitiger  eitriger  Einschmelzung  des  Gewebes 
irusen  im  sezernierten  Eiter  völlig  fehlen. 

5.  Die  Frage,  ob  es  sich  in  einem  gegebenen  Falle  um  echte 
Vktinomykose,  um  Streptothrichose  oder  um  eine  Mischinfektion 
’Cider  handelt,  kann  nur  durch  die  bakteriologische  Untersuchung  und 
erobes  Kulturverfahren  mit  Sicherheit  entschieden  werden. 

An  der  Hand  von  Lichtbildern  wurde  dann  eingehend  die  Mor- 
'hologie  des  anaeroben  Aktinomyzes  Wol  ff- Israel  und  der 
lUfoau  der  Drusen  beschrieben. 

Herr  Pol:  Die  verschiedenen  Formen  der  Brachyphalangie, 
lypo-  und  Hyperphalangie  und  ihre  Deutung  *). 

Wie  die  Hypophalangie  des  Daumens  als  ein  „Zeugnis  für  seine 
ergangenheit“,  seiner  Dreigliedrigkeit  in  der  Phylogenese  aufgefasst 
ird,  so  ist  ebenfalls  nach  P  f  i  t  z  n  e  r  eine  Hypophalangie  der  kleinen 
enc  als  ein  Hinweis  auf  die  künftige  Stammesentwicklung  zu  be- 
achten.  Der  Vorläufer  dieser  schliesslich  resultierenden  Hypo- 
halangie  ist  die  Brachyphalangie  und  zwar  die  der  Mittelphalanx: 

Ie.  "  rachymesophalangi  e.  Die  bei  vielen  Menschen  deut- 
che  I  endenz  zur  Bildung  eines  plumpen  Typus  der  Zehenmittel- 
naianx  zeigt  in  ganz  gesetzmässiger  Weise  eine  graduelle  Abnahme 
on  der  fibularen  nach  der  tibialen  Seite  hin;  sie  findet  bei  jedem 
cnschen  bereits  ihren  Ausdruck  in  einer  vom  Typus  der  anderen 
'■a langen  ebenfalls  in  parallel  abgestufter  Weise  abweichenden  Art 
er  Gssifikation  der  knorpeligen  Epiphysen.  Das  reduzierte  Bildungs- 
aterial  der  Mittelphalanx  geht  schliesslich  unter  gleichzeitiger  Um- 
'imung  in  dem  der  Endphalanx  auf:  an  Stelle  von  zwei  distalen 
egmenten  wird  bereits  in  der  chondrogenen  Periode  nur  eines  an- 

)  Die  hier  wiedergegebenen  Ausführungen  sind  die  Schluss- 
l gerungen  aus  vergleichenden  Untersuchungen  der  in  der  Literatur 
edergelegten  klinischen  und  anatomischen  Befunde  und  Skiagramme 
nerseits,  eigener  Beobachtungen  in  der  Heidelberger  chirurgischen 
mik  und  Frauenklinik  andererseits.  Ihre  Wiedergabe  in  extenso  er- 
Igt  spater. 


gelegt  es  liegt  die  Assimilationshypophalangie  vor. 
Assimilationshypophalangie  und  Brachymesophalangie  sind  nur  ver- 
sc  nedene  Grade  bzw.  Stadien  desselben  Reduktionsvorganges.  An 
acr  kleinen  Zehe  kommt  die  Biphalangie  bei  38  Proz.  der  Menschen 
vor,  sie  ist  eine  prospektive  Varietät,  der  Typus  der  Kleinzehe  in  der 
/.womit.  Wir  können  daher  von  einer  phylogenetischen 
Hypophalangie  sprechen. 

Die  innerhalb  unserer  Spezies  weit  verbreitete  Brachy-  und 
Hypophalangie  der  Zehen  kann  in  höherem  Grade  gleichzeitig  zu¬ 
sammen  mit  analogen  beidseitigen  und  symmetrischen  Form- 
bildungen  an  den  Nngern  innerhalb  bestimmter  Familien  Vor¬ 
kommen  Die  damit  als  Missbildungen  auftretenden  Abweichungen 
vom  I  ypus  werden  nach  der  Mendel  sehen  Prävalenzregel  vererbt, 
eine  zweite  Gesetzmässigkeit  bei  dieser  familiären  Brachy- 

m  S  U  1J,^i  A  -s  s  *  m  '  *  a  *  *  0  n  s  b  y  P  0  P  b  a  I  a  n  K  '  e  spricht  sich  in 
hier  Morphologie  aus:  Auch  an  der  Hand  zeigt  sich:  1.  der  Reduk- 
lonspiozess  in  den  zwei  eben  in  der  Bezeichnung  genannten  Graden, 
in  jedem  in  verschiedenen  Abstufungen,  2.  eine  ganz  gesetzmässige 
U  spositionsskala  der  einzelnen  Strahlen  für  diese  Missbildung;  sie 
lautet  in  der  Reihenfolge  vom  Maximum  zum  Minimum:  V,  II  IV  IIP 
diese  Skala  gibt  auch  hier  zugleich  die  Grade  wieder,  in  der’  das 
Verhalten  der  Epiphyse  von  der  Norm  abweicht.  Auch  ohne  dass 
erbliche  Beziehungen  nachgewiesen  wurden,  fand  sich  diese  Bracliy- 
und  Hypophalangie  an  der  Hand  und  zwar  meist  auch  beidseitig  und 
symmetrisch,  ein  oder  zwei  oder  mehr  Finger  betreffend. 

,  .  HDasHzeit'IC,hei  All.ftreten  der  Verknöcherung  —  in  der  Norm  wie 
bei  der  Brachydaktylie  —  ist  abhängig  von  dem  Grade  der  Knorpel¬ 
wucherung  der  betr.  Segmente.  Aus  dem  ersteren  lässt  sich  auf  letz¬ 
tere  schliessen.  Physiologisch  zeigt  sich  in  den  verschiedenen  Fingern 
und  Zehen  ein  zeitlich  verschiedener  Beginn  der  Ossifikation 
SPemVierSoiednn,e  D^PosUion  der  Segmente  zur  Brachyphalangie 
st,eht  v  ,Para!le*e:  L  bei  den  Segmenten  innerhalb  eines  Finger- 
oder  Zehenstrahles  End-,  Mittel-  und  Grundphalanx)  zu  dem 
verschiedenen  _  Auftreten  der  ersten  (Dipahysen-)  Ossifikation, 
2.  innerhalb  jeder  Reihe  homologer  Segmente  der  verschiedenen 
Stiahlen  (z.  B.  Mittelphalangen  des  2.,  3.  Fingers  usw.)  zu  der  Ver¬ 
schiedenheit  des  Zeitpunktes  der  Epiphysenknöcherung.  Je  später 
die  normale  Ossifikation  bei  einem  Segment  erfolgt,  um  so  grösser 
ist  seine  Disposition  zur  Brachyphalangie.  Eine  allgemeine  Hem¬ 
mung  der  Knorpel  Wucherung  muss  die  physiologisch  bestehende  Diffe¬ 
renz  unter  den  Fingern  und  ihren  Segmenten  ins  Pathologische 

ot  tigern. 


,,  5auS  e'ae  solche  Hemmung  der  Knorpelwucherung  ihren  tieferen 
Grund  bereits  in  einer  abnormen  Anlage  hat,  geht  daraus  her- 
vorg,dass  bei  der  Assimilationshypophalangie  nur  ein  Segment 
an  Stelle  von  zwei  typischen  angelegt  wird.  Diese  formale  Genese 
wie  die  Erblichkeitsverhältnisse  lassen  die  familiäre  Brachy-  und 
Assimilationshypophalangie  als  endogen  erkennen,  auf  eine  erb¬ 
liche  Keimesvariation  zurückführen.  Die  scheinbar  oder  wirklich 
autogen  auftretenden  formal  analogen  Brachytaktylien  sind  gerade 
wegen  dieser  Analogie  ebenfalls  auf  Keimesvariation  zurückzuführen- 
sie  wird  um  so  atypischer  sein,  je  weniger  eine  Fixierung  durch 
Heredität  in  Betracht  kommt. 

brl  Gegensatz  zu  diesen  fast  ausschliesslich  beiderseitigen 
Brachydaktylien  kommt  diese  einseitig  zusammen  mit  Syn- 
d  a  k  t  y  1  i  e  vor,  wobei  in  einem  grossen  Prozentsatz  der  Fälle  gleich¬ 
zeitig  ein  Brustmuskel-,  auch  ein  Rippendefekt  der 
gleichen  Seite  festgestellt  wurde.  Die  Syndaktylie  betrifft 
mger  II  1V-—V,  fibularwärts  an  Ausdehnung  in  proximo-distaler 
Richtung  abnehmend,  seltener  ist  auch  der  Daumen  in  die  Syndaktylie 
mit  einbezogen.  Bei  einfacher  geringer  Schwimmhautbildung,  wobei 
die  Finger  in  transversaler  Richtung  noch  frei  beweglich  sind,  scheint 
nur  Brachymesophalangie  vorzukommen,  bei  hochgradiger  Syndak- 
tv ■  ,enS^e!s  Assimilätionshypophalängie  neben  Brachymesophalangie. 
Die  Brachydaktylie  folgt  dabei  nicht  der  Dispositionsskala  der  fami¬ 
liären,  vielmehr  sind  Daumen  und  Kleinfinger  (!)  am  wenigsten  be- 
am  starkstei?  die  drci  Finger  dazwischen,  meist  Zeige-  und 
Mittelfinger.  Dass  die  am  schnellsten  wachsenden,  damit  die  längsten 
Finger  am  meisten  beteiligt  sind,  dass  die  Affektion  einseitig  und  zu¬ 
sammen  mit  gleichseitiger  Brustwandmissbildung  auftritt,  dass  Erb- 
Iichkeit  in  keinem  Fall  nachgewiesen  werden  konnte,  lässt  hier  an 
eine  äussere  mechanische  Entstehungsursache 
denken,  insbesondere  da  ein  Druck  der  unteren  Gesichtshälfte  auf 
Brust  und  gleichzeitig  obere  Extremität  bei  engem  Amnion  die 
sy  n  gen  e  t  i  sc  h  e  n  Missbildungen  hier  einheitlich  erklären 
wurde.  Auf  der  anderen  Seite  ist  hervorzuheben,  dass  auch  hier  ein 
ganz  typisches  Bild  vorliegt,  dass  dabei  Anomalien  auftreten  können, 
die  sicher  endogener  Natur  sind :  abnorme  akzessorische 
fc  p  i  p  h  ysen  Ossifikationen  am  Metakarpus  und  an 
den  G  run  dphalangen.  Wenn  also  auch  äussere  Ursachen  eine 
,.°  H,  spielen  sollten,  so  erklären  sie  doch  wohl  nicht  ausschliesslich 
die  Befunde. 

Die  eben  erwähnte  Paradoxie,  dass  bei  der  Brachydaktylie  auf 
der  einen  peite  Ossifikationshemmungen  an  den  Epiphysen  charak¬ 
teristisch  sind,  auf  der  anderen  Seite  die  Epiphysenossifikation  eine 
Zunahme  event.  erfährt,  erreicht  ihren  Gipfel  in  der  mit  Brachymeso- 
p hat angie  kombinierten,  am  2.  oder  am  3.  Finger  lokalisierten  Hyper- 
phalangie.  Im  Gegensatz  zur  ab  und  zu  erscheinenden  palin- 
genetischen  Hyperphalangie  des  Daumens  und  der  transitorischen  bei 
jedem  Menschen  in  der  Fetalperiodc  auftretenden  Hyperphalangie  des 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  29. 


1650 


2. — 4.  Fingers,  wo  stets  an  Stelle  der  End  phalanx  zwei  Segmente 
auftreten,  beruht  hier  die  Hyperphalangie  auf  einem  Selbständig-  und 
Qrösserwerden  der  proximalen  Epiphyse  der  G  r  u  n  d  phalanx,  auf 
einer  sekundären  Phalangenbildung,  an  die  sich  eine 
sekundäre  Epiphysenbildung  anschliessen  kann,  Verhältnisse,  wie  wir 
sie  in  ausgedehnterem  Masse  bei  den  Zetazeen  in  der  Norm  finden. 
Die  vergleichende  Anatomie  der  Wassersäuger  überhaupt  ergibt  eben¬ 
so  wie  die  Befunde  bei  der  menschlichen  Brachydaktylie,  dass  doppelte 
Epiphysen  am  Metakarpus,  an  den  Grundphalangen  und  sekundäre 
Phalangenbildung  Stadien  desselben  Prozesses  sind.  Obgleich  wir 
diese  Hyperphalangie  bei  niederen  Säugetieren  finden,  dürfen  wir  sie 
nicht  als  atavistische,  als  palingenetische  bezeichnen:  denn  diese  Bil¬ 
dungen  sind  bei  ihnen  mit  dem  Uebergang  zum  Wasserleben  ver¬ 
bundene  sekundäre  Erwerbungen,  mit  der  sie  sich  von  der  Haupt¬ 
richtung  der  Stammesentwicklung  entfernt  haben.  Da  die  über¬ 
zähligen  Segmente  keine  echten  Phalangen  sind,  sprechen  wir  daher 
von  einer  Pseudohyperphalangie.  Eine  latente  Pseudo- 
hyperphalangie  ist  am  Zeigefinger  durch  einen  radialen  Vorsprung 
der  Basis  der  Grundphalanx  charakterisiert,  Uebergänge  (rudimentäre 
H.)  führen  von  hier  zur  manifesten.  Mit  der  proximalen  Mehrbildung 
können  sich  stärkere  Reduktionserscheinungen  durch  Verschmelzung 
der  verkürzten  Mittelphalanx  mit  der  primären  Grundphalanxdiaphyse 
geltend  machen,  so  dass  die  Tetraphalangie  larviert  wird;  diese  Tri- 
phalangie  unterscheidet  sich  natürlich  wesentlich  von  der  normalen. 
Trotz  der  Verschiedenheit  der  Lokalisation  gegenüber  der  familiären 
Brachy-  und  Hypophalangie  spricht  die  Beidseitigkeit  neben  der  üb¬ 
rigen  Morphologie  und  die  Vererbung  auch  hier  für  eine  Entstehung 
aus  inneren  Ursachen. 

Von  der  Assimilationshypophalangie  unterscheidet  sich  eine 
andere  Form  der  Hypophalangie  vor  allem  dadurch,  dass  der  Nagel 
fehlt,  der  bei  jener  immer  vorhanden,  dass  das  distale  Segment  in 
einem  Teil  der  Fälle  ohne  Verbreiterung  analog  einer  Tuberositas 
unguicularis  und  an  der  Haut  mit  einer  grubigen  Einziehung  endet. 
Die  Annahme  einer  amniogenen  Missbildung  läge  hier  sehr  nahe,  wenn 
nicht  auch  diese  eigentliche  Hypophalangie  symme¬ 
trisch  und  hereditär  und  in  Verbindung  mit  Assimilationshypo- 
phalangic  vorkäme.  Andere  beidseitige  Phalangendcfektc  an  beiden 
Händen  erweisen  durch  eine  mehr  oder  weniger  grosse  Atypie 
und  die  Kombination  mit  Schniirringen  am  Unterschenkel  sicher  ihre 
amniogene  Natur.  Endlich  kommen  Synostosen  von  Phalangen 
vor,  ohne  dass  die  Länge  und  Form  so  verändert  wird,  wie  bei  der 
Assimilation,  sie  bevorzugen  das  proximale  Interphalangealgelenk, 
wir  bezeichnen  sie  als  Symphalangien.  Auch  sie  kommen  ausge¬ 
sprochen  familiär  vor.  Endlich  ist  die  Kombination  ganz  verschie¬ 
dener  Formen  von  Phalangenverkürzung  und  -Verschmelzung  an  der¬ 
selben  Hand  und  eine  verschiedene  Kombination  derselben  bei  ver¬ 
schiedenen  Gliedern  einer  Familie  hervorzuheben.  Gerade  daraus 
kann  für  die  einzelnen  Komponenten  auf  eine  Entstehung  aus  inneren 
Ursachen  geschlossen  werden. 

Die  Brachydaktylie,  die  im  wesentlichen  durch  Verkürzung 
einzelner  oder  mehrerer  Strahlen  im  Metakarpus  oder  Meta¬ 
tarsus  bedingt  ist,  zeigt  ebenfalls  zum  Teil  symmetrische  und  zum 
Teil  auch  typische  Lokalisation;  charakteristisch  ist  eine  Brachymeta- 
karpic  I  mit  Pseudohyperphalangie  II,  III  kombiniert.  Die  Brachy- 
metakarpie  —  z.  B.  die  häufigste  am  4.  Strahl  lokalisierte  —  kann 
bei  gestreckter  Hand  übersehen  werden;  wird  die  Hand  zur  Faust 
geballt,  so  erscheint  eine  Lücke  in  der  Linie  der  Kapitula  des  Meta¬ 
karpus.  Das  charakteristische  Fehlen  einer  Epiphysenfuge  bedeutet 
höchst  wahrscheinlich  keine  prämature  Synostose  einer  echten  Epi¬ 
physe  mit  der  Diaphyse,  sondern  eine  primär  abnorme  Verknöcherung 
der  Epiphyse  in  Form  einer  Pseudoepiphyse,  d.  h.  einer  von  der  Dia¬ 
physe  ausgehenden  Ossifikation.  Auch  für  die  Brachyphalangia  meta- 
carpi  et  metatarsi  gilt  hinsichtlich  formaler  und  kausaler  Genese  das 
für  die  Brachyphalangie  im  engeren  Sinne  gesagte;  auch  sie  setzt 
höchst  wahrscheinlich  im  intrauterinen  Leben  ein,  sie  wird  allerdings 
erst  deutlich  mit  zunehmendem  Wachstum. 


Medizinische  Gesellschaft  zu  Kiel. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  11.  Juni  1914. 

Herr  Berneaud:  Sympathische  Ophthalmie  und  Pseudotuber¬ 
kulose. 

Nach  einem  kurzen  Ueberblick  über  die  Entstehungsweise,  das 
klinische  Bild,  die  pathologische  Anatomie  und  die  E  1  s  c  h  n  i  g  sehe 
Theorie  der  sympathischen  Ophthalmie  stellt  Vortr.  einen  Fall  von 
sympathischer  Ophthalmie  vor,  wo  es  4  Monate  nach  einer  Exentera¬ 
tion  trotzdem  zum  Ausbruch  einer  einwandfreien  sympathischen  Oph¬ 
thalmie  gekommen  war.  Der  Stumpf  des  exenterierten  Auges,  der 
sofort  nach  der  Aufnahme  entfernt  wurde,  zeigte  diffuse  Infiltration, 
besonders  um  die  Gefässe  herum.  In  der  Sklera  und  im  Optikus 
waren  zahlreiche  grössere  Infiltrate.  In  dem  Skleralstumpf  war 
Pigmentanhäufung  in  flächenhafter  Ausbreitung,  das  wahrscheinlich 
aus  Teilen  der  Uvea  entstammte. 

An  der  Hand  eines  Falles,  wo  das  klinische  Bild  an  Tuberkulose 
erinnerte,  bespricht  Berneaud  die  Diagnosenstellung  der  sym¬ 
pathischen  Ophthalmie.  Vor  allen  Dingen  muss  eine  genaue  und 


sorgfältige  Körperuntersuchung  jedes  andere  ätiologische  Moment 
ausschliessen.  besonders  Tuberkulose  und  Lues. 

Die  Therapie  ist  in  den  meisten  Fällen  machtlos,  empfohlen  wird 
eine  Inunktionskur,  doch  ist  bei  den  Fällen,  die  in  den  letzten 
7  Jahren  an  der  Kieler  Kgl.  Augenklinik  beobachtet  wurden,  ein  Erfolg 
nicht  zu  verzeichnen  gewesen.  Auch  Salizyl  in  hohen  Dosen  hatte 
auf  den  Krankheitsprozess  keine  günstige  Wirkung,  im  Gegenteil 
konnte  bei  einem  Falle,  wo  zweifellos  Idiosynkrasie  vorlag.  eine 
schwere  Nephritis  beobachtet  werden.  Tuberkulin  und  Salvarsan 
hatten  nur  dann  einen  Erfolg,  wenn  gleichzeitig  eine  Temperatur¬ 
erhöhung  auftrat. 

Demonstration  von  Irisbildern  (sympathische  Ophthalmie,  Tuber¬ 
kulose). 

Herr  Behr:  Zur  Frühdiagnose  der  tabischen  Sehnervenatrophie. 

Die  Dunkeladaptation  des  Auges  wird  nach  der  v.  Kries- 
schen  Theorie  als  eine  isolierte  Funktion  des  Stäbchenapparates  der 
Netzhaut  und  insbesondere  des  in  seinen  Endgliedern  enthaltenen 
Sehpurpurs  angesprochen.  Durch  physiologische  Untersuchungen 
konnte  Behr  es  bereits  vor  längerer  Zeit  wahrscheinlich  machen, 
dass  die  Produktion  und  Regeneration  des  Sehpurpurs  nach  Art  einer 
Drüsenstätigkeit  unter  dem  regulierenden  Einfluss  eines  höheren,  in 
den  primären  optischen  Ganglien  gelegenen  Zentrums  erfolgt.  In 
der  basalen  optischen  Bahn  verlaufen  also  neben  den  zentripetalen 
visuellen  (Zapfen-  und  Stäbchenfasern)  und  pupillomotorischen  auch 
zentrifugale  sekretorische  Bahnen.  Diese  verschiedenen  Faser¬ 
systeme  besitzen  nun  eine  verschiedene  Widerstandsfähigkeit  gegen 
Schädlichkeiten,  die  auf  den  Optikusstamm  bzw.  die  basale  optische 
Leitungsbahn  einwirken,  je  nach  der  Art  derselben.  Die  der 
Dunkeladaptation  dienenden  Fasern  werden  viel  leichter  durch  ent- 
ziindlich-degenerative  Prozesse  in  ihrer  Leitung  beeinträchtigt,  als 
die  beiden  anderen,  umgekehrt  zeigen  die  letzteren  eine  geringere 
Widerstandsfähigkeit  gegen  rein  mechanische  Schädigungen  als  die 
Stäbchenfasern.  So  kann  die  Sehschärfe  im  atrophischen  Stadium 
einer  Stauungspapille  oder  bei  einer  traumatisch  bedingten  deszen¬ 
dierenden  Atrophie  hochgradig  herabgesetzt  sein  und  auch  im  Ge¬ 
sichtsfeld  grössere  Defekte  bestehen,  ohne  dass  die  Dunkeladaptation 
eine  stärkere  Schädigung  aufweist,  ia  diese  kann  sogar  völlig  normal 
sein.  Das  umgekehrte  Verhalten,  dass  die  Dunkeladaptation  elektiv 
geschädigt  ist,  findet  sich  im  Frühstadium  der  tabischen  Sehnerven¬ 
atrophie.  Und  zwar  handelt  es  sich  hier  um  einen  durchaus  typischen 
und  regelmässigen  Befund,  der  bereits  zu  einer  Zeit  zu  erheben  ist, 
in  welcher  Gesichtsfeld  und  zentrale  Sehschärfe  keine  Spur  einer 
Störung  darbieten  und  nur  eine  leichte  atrophische  Verfärbung  der 
Sehnervenpapille  auf  das  beginnende  Leiden  hinweist.  An  drei  Fällen 
konnte  Behr  nun  auch  eine  derartige,  in  ihrer  Art  wohl  charakteri¬ 
sierte  Adaptationsstörung  bereits  vor  der  Ausbildung  einer  ophthal¬ 
moskopisch  erkennbaren  atrophischen  Papillenvprfärbung  als  aller¬ 
erstes  Zeichen  eines  sich  im  Sehnerven  entwickelnden  degenera- 
tiven  Prozesses  beobachten.  In  allen  drei  Fällen  bildete  sich  im 
Verlauf  von  einigen  Monaten  bis  zu  2  Jahren  langsam  eine  deutliche 
Atrophie  an  der  Papille  aus,  wodurch  der  Zusammenhang  zwischen 
der  Adaptationsstörung  und  dem  spezifisch  tabischen  Prozess  im 
Nervenstamm  bewiesen  wurde.  Bei  einem  der  3  Patienten  hat  sich 
inzwischen  auf  dem  einen  Auge  auch  eine  unregelmässig  konzen¬ 
trische  Gesichtsfeldeinengung  und  eine  leichte  Herabsetzung  der  zen¬ 
tralen  Sehschärfe  herausgebildet.  Diese  Beobachtungen  lehren,  dass 
die  Störung  der  Dunkeladaptation  nicht  nur  ein  konstantes  Svmptom 
der  tabischen  Sehnervenatrophie  ist,  vielmehr  stellt  diese  das 
erste,  leicht  nachweisbare  Symptom  dieses  Leidens  dar.  das 
den  übrigen  objektiven  und  subjektiven  Symptomen  u.  U.  um  Jahre 
vorausgehen  kann. 

Herr  Heine  berichtet  unter  Vorstellung  von  6  Patienten  über 
die  diagnostische  Bedeutung  einseitiger  Neuritis  optici  bzw.  Optikus¬ 
atrophie. 

Von  46  im  Laufe  von  7  Jahren  unter  50  000  Augenkranken  beob¬ 
achteten  Fällen  erklärten  sich  mit  Sicherheit  oder  Wahrscheinlichkeit 
durch  multiple  Sklerose  15  =  35  Proz.,  ätiologisch  dunkel  blieben  12 
=  25  Proz.,  Lues  6  =  12  Proz.,  „Rheuma“  4  =  8  Proz.,  Tuber¬ 
kulose  4  =  8  Proz.,  Nebenhöhlenerkrankungep  und  orbitale  Pro¬ 
zesse  3  =  6  Proz.  .Trauma  ?  2  =  4  Proz. 

Auch  wenn  man  alle  ätiologisch  dunklen  Fälle  zur  multiplen 
Sklerose  hinzurechnet,  würden  sich  doch  erst  60  Proz.  für  diese 
ergeben,  was  gegenüber  den  Fleischer  sehen  Zahlen  erheblich 
zurückbleibt.  Gewiss  ist  es  berechtigt,  möglichst  lange  Beobach¬ 
tungszeiten  zu  verlangen,  sah  doch  Fleischer  noch  14  Jahre  nach 
dem  Auftreten  der  okularen  Symptome  die  multiple  Sklerose  mani¬ 
fest  werden.  Auch  Heine  sah  einen  Fall,  in  dem  sich  die  multiple 
Sklerose  10  Jahre  nach  einer  (doppelseitigen)  Neuritis  optici  intra- 
okularis  herausstellte.  Je  länger  man  die  Patienten  mit  Neuritis 
optici  retrobulbaris  oder  intraokularis  (besonders  einseitiger)  im 
Auge  behält,  je  sicherer  die  anderen  genannten  Ursachen  auszu- 
schliessen  sind,  je  sorgfältiger  man  neurologisch  untersucht,  um  so 
höher  steigt  die  Prozentzahl  der  multiplen  Sklerose;  bis  zu  welcher 
Höhe  ist  vorläufig  noch  diskutabel,  vermutlich  jedenfalls  über  50. 
Auch  von  den  doppelseitigen  Sehnervenentzündungen  erklärt  sich  ein 
gewisser  Prozentsatz  durch  multiple  Sklerose,  doch  stehen  hier 
wesentlich  andere  Momente  ätiologisch  im  Vordergründe:  in  erster 
Linie  Intoxikationen  (besonders  Tabak  und  Alkohol),  Heredität 
(Leber-  und  Behr  sehe  Formen),  Lues,  Diabetes  u.  a. 

Diskussion:  Herren  Lubarsch,  Heine,  Lüthje. 


21.  Juli  1914. 


Herr  Hescheler:  Katarakt  und  Tetanie. 

Im  Anschluss  an  das  Vorgehen  von  Trieb  enstein  und  F  i  - 
scher  in  Rostock  untersuchte  H.  50  Fälle  von  seniler  und  prä¬ 
seniler  Katarakt  auf  das  Vorhandensein  von  Tetanie.  Während 
rriebenstein  und  Fischer  in  88,2  Proz.  ihrer  Fälle  sichere 
Erscheinungen  der  latenten  Tetanie  fanden,  konnte  er  in  nur  2  Proz. 
Tetanie  konstatieren. 

Bei  seinen  Untersuchungen  befolgte  H.  genau  die  Vorschriften, 
\\  ie  sie  früher  von  Hesse  und  P  hl  e  p  s  in  Graz  angegeben  und  von 
l'riebenstein  und  Fischer  ergänzt  worden  sind. 

Herr  Wittlg:  Fall  von  Ophthalmoplegie. 

Herr  W  i  1 1  i  g  stellt  einen  Fall  von  Ophthalmoplegie  vor, 
bei  dem  am  6.  Mai  folgender  Befund  bestand:  rechts  Paralyse  des 
Okulomotorius  (äussere  Augenmuskeln),  des  Abduzens,  des  ersten 
Trigeminusastes,  der  Sympathikusfasern  des  Dilatator  und  Parese  des 
Trochlearis  (Iejchte  Raddrehung  möglich,  Stellung  des  Bulbus  genau 
geradeaus)  S  —  6/ßo,  sichelförmiger  Ausfall  des  Gesichtsfeldes  unten. 
Miosis,  Pupille  starr  für  Licht  und  Konvergenz,  Pupillenunruhe  an¬ 
gedeutet.  Reaktion  auf  Atropin,  Eserin,  Adrenalin  +,  auf  Kokain  — . 

Die  mit  Adrenalin  erweiterte  Pupille  reagierte  schwach  auf  Kon¬ 
vergenz.  Leichter  Schatten  im  Röntgenbild  im  Bereiche  der  oberen 
Begrenzung  der  Fissura  orbitalis  superior.  Wassermann  — .  Neben¬ 
höhlen  und  Lumbalpunktion  ohne  Besonderheiten.  Fundus:  geringe 
venöse  Stase. 

Linkes  Auge  o.  B. 

Heutiger  Befund:  Gesichtsfeld  normal,  Sehschärfe  e/s.  Sensibilität 
im  ersten  Trigeminusast  wieder  gering  vorhanden.  Okulomotorius 
(äussere  Augenmuskeln)  nicht  mehr  völlig  gelähmt.  Lichtreaktion 
angedeutet:  sonst  wie  oben. 

W-  demonstriert  den  Fall  wegen  des  Zusammentreffens  von 
Miosis  und  Licht-  und  Konvergenzstarre  bei  Lähmung  des  Sym¬ 
pathikus.  Er  hält  die  Miosis  für  bedingt  durch  einen  vom  Trigeminus 
aus  ausgelösten  Reflexkrampf  des  Sphinkter,  im  Sinne  des  West- 
p  h  a  1  -  P  i  1 1  z  sehen  Phänomens,  ausgelöst  durch  dieselbe  Schä- 
Jigung,  die  zentrifugal  den  ersten  Trigeminusast  lähmte.  Die  Fazialis- 
■componente  des  Reflexes  war  infolge  der  veränderten  Augenmuskel¬ 
verhältnisse  nicht  deutlich,  jedoch  sprach  der  rechte  Fazialis  leichter 
auf  den  elektrischen  Strom  an,  als  der  linke.  Dass  der  Sphinkter 
'O  energisch  auf  die  Trigeminusreizung  reagierte,  erklärt  W.  daraus, 
lass  die  Sphinkterkontraktion  als  Mitbewegung  mit  der  Orbikularis- 
\ontraktion  nach  W  e  s  t  p  h  a  I  und  Piltz  aufzufassen  ist  und  dass 
lach  Ab  eis  dort  (Med.  Klin.  1908  Nr.  9  S.  4)  die  Kontraktion 
häretischer  Muskeln  am  leichtesten  durch  Mitbewegung  ausgelöst 
•vird.  Dieser  Reflexkrampf  des  Sphinkter  hat  die  Licht-  und  Kon- 
/ergenzreaktion  latent,  innerhalb  der  Pupillenunruhe  liegend,  gemacht. 
9ie  Richtigkeit  dieser  Annahme  wird  dadurch  wahrscheinlich  ge¬ 
nacht,  dass  etwa  gleichzeitig  mit  der  wiederkehrenden  Empfindung 
m  ersten  Trigeminusast  die  Konvergenz-  und  Lichtreaktion  sich 
:um  ersten  Male  wieder  spurweise  zeigte.  Vorbehaltlich  des  mög- 
ichen  Uebersehens  eines  Falles  in  der  Literatur  glaubt  W„  dass 
leshalb  noch  nicht  auf  die  Möglichkeit  des  Kaschierens  der  Licht-  und 
<onvergenzreaktion  durch  einen  vom  Trigeminus  aus  ausgelösten 
;phinkterkrampf  hingewiesen  worden  ist,  weil  ein  solch  elektives 
Zusammentreffen  von  Paralyse  des  Sympathikus,  Parese  des  Okulo- 
notorius  in  entsprechendem  Grade  und  Trigeminusschädigung  selten 
ind  deshalb  der  Demonstration  wert  ist. 

Herr  Wychgram  demonstriert  Gullstrands  reflexloses 
)phthalmoskop  und  die  neuen  optischen  Korrektionssysteme. 


Aerztlicher  Kreisverein  Mainz. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  31.  März  1914. 

Herr  F.  Krayer:  Ueber  die  eitrigen  Erkrankungen  der  Harn- 
vege  im  Säuglings-  und  Kindesalter. 

Kinder  werden  von  eitrigen  Infektionen  der  Harnwege  zehnmal 
o  oft  befallen  als  Erwachsene.  Die  höchste  Ziffer  stellt  das  erste 
.ebensjahr  im  II.  und  III.  Quartal,  viermal  so  oft  erkranken  Mädchen 
ls  Knaben,  die  rechte  Seite  wird  bevorzugt. 

Sitz  der  Erkrankung  kann  sein  Blase,  Nierenbecken  und  Niere, 
'eist  kommen  fliessende  Uebergänge  vor  mit  Vorherrschen  des  einen 
der  anderen  Abschnittes,  woraus  sich  dann  die  Schwere  der  Krank- 
eit  ergibt. 

Der  gelegentliche  Sektionsbefund  bietet  sehr  wenig,  Rötung  und 
•chwellung  der  Schleimhaut,  auch  Blutungen  und  kleine  Geschwür- 
hen,  selten  grosse  Geschwüre  und  Beläge;  an  der  erkrankten  Niere 
ahlreiche  kleine  Abszesschen  in  der  Rinde,  von  denen  aus  weisse 
tieiten  die  Rinde  durchziehen. 

Erreger  ist  in  der  weitaus  überwiegenden  Mehrzahl  das  Bac- 

-num  coli. 

Prädisponierend  sind  Ernährungsstörungen,  die  Kräfteverfall  und 
urch  das  Darniederliegen  der  Harnabsonderung  Stauung  in  den  Harn- 
egen  bringen,  dann  konstitutionelle  Schwäche.  Natürliche  Er- 
ährung  bietet  keinen  besonderen  Schutz,  Obstipation  begünstigt  die 
ntstehung  der  Erkrankung,  ebenso  Unsauberkeit. 

Von  den  Infektionswegen  dürfte  die  direkte  Ueberwanderung  am 
emgsten  Vorkommen,  für  die  urogene,  hämatogene  und  lymphogene 
ntstehung  sprechen  gewichtige  Gründe  und  experimentelle  Nach¬ 
weise. 


1651 


Im  klinischen  Bild  treten  die  Symptome  von  seiten  des  Harn¬ 
apparates  beim  ganz  jungen  Kind  in  den  Hintergrund.  Die  Allgemein¬ 
erscheinungen  können  im  Symptomenkomplex  der  bestehender, 
Krankheit  untergehen,  herrschen  auch  bei  primärer  Erkrankung  vor. 
Das  Kind  erkrankt  mit  hohem  Fieber,  Erregung,  Erbrechen  event. 
Krämpfen,  die  Atmung  ist  beschleunigt,  das  Gesicht  lebhaft  gerötet, 
nach  einigen  Tagen  gelblichblass  bekommt  es  einen  ängstlichen  Aus¬ 
druck,  dazu  gesellt  sich  eine  allgemeine  Empfindlichkeit.  Das  Bild 
gleicht  einer  Meningitis  epidemica  oder  Pneumonie.  In  der  zweiten 
Woche  starker  Kräfteverfall,  trockene  Schleimhäute,  Heiserkeit, 
Wimmern,  dabei  hartnäckige  Verweigerung  der  Nahrungs-  und 
Flüssigkeitsaufnahme,  Fieber  remittierend,  das  Bild  des  toxischen 
Sommerkatarrhs  im  Endstadium  oder  der  tuberkulösen  Meningitis. 
Darmstörungen  finden  sich  während  der  ganzen  Erkrankungsdauer. 

Aeltere  Kinder  erkranken  nicht  wesentlich  anders,  ihre  grössere 
Widerstandskraft  lässt  die  Symptome  milder  erscheinen,  hier  kommen 
auch  Blasenbeschwerden  vor. 

Von  vornherein  chronisch  verlaufende  Fälle  sind  nicht  selten,  es 
wird  über  Müdigkeit,  Mattigkeit  und  Kreuzschmerzen  geklagt,  die 
Ursache  bleibt  lange  verborgen. 

Spontanheilungen  zählen  zu  den  Ausnahmen,  Säuglinge  erliegen 
leicht,  Mortalität  ca.  20  Proz.  Eine  rechtzeitig  und  gut  eingeleitete 
Therapie  ist  aussichtsreich.  Eine  Erkrankung  der  unteren  Harnwege 
heilt  in  ca.  3  Wochen  aus,  bei  vorwiegender  Erkrankung  des  Nieren¬ 
beckens  ist  der  Verlauf  langwieriger,  auf  Rezidive  muss  man  sich 
gefasst  machen,  pyelitische  Attacken,  deren  Entstehung  sich  durch 
blindsackartige  Erweiterung  des  Nierenbeckens  und  Stauung  erklären 
lassen.  Eine  Beteiligung  der  Nieren  verschlechtert  die  Prognose 
wesentlich,  wiewohl  Reparationsvorgänge  nachgewiesen  sind. 

Die  Diagnose  steht  und  fällt  mit  dem  Nachweis  von  Eiter  im 
Urin.  Die  Harnuntersuchung  soll  stets  stattfinden,  wo  Befund  einer 
Krankheit  in  schwerem  Missverhältnis  zum  Verlauf  und  den  Allge¬ 
meinsymptomen  stehen.  Der  eiterhaltige  Urin  ist  meist  sauer,  enthält 
wenig  Eiweiss,  zersetzt  sich  rasch.  Sediment  ist  weisslich,  massig, 
enthält  Eiterkörperchen  in  Ballen  und  Schollen  zusammenliegend,  da¬ 
zwischen  kurze,  lebhaft  bewegliche  Stäbchen,  Zylinder  und  ver¬ 
mehrtes  Eiweiss  sprechen  für  Mitbeteiligung  der  Niere. 

Die  grösste  Schwierigkeit  in  der  Therapie  macht  die  Ernährung 
der  Kinder,  die  event.  unter  Zwang  mit  der  Schlundsonde  oder  rektal 
zu  erfolgen  hat.  Innerlich  ist  das  souveräne  Mittel  Urotropin  und  die 
verwandten  Präparate  Borovertin,  Helmitol,  Hippol,  ferner  Salol,  alle 
in  nicht  zu  kleinen  Dosen  (im  ersten  Lebensjahr  bis  zu  1,5  g). 
Wechseln  ist  notwendig,  die  Lokaltherapie,  Blasenspülung,  Ureteren- 
katheterismus  (nicht  vor  Ablauf  des  dritten  Lebensjahres  ausführbar), 
Operation  bei  sicherer  einseitiger  Erkrankung  tritt  zurück.  Von  Er¬ 
folgen  der  Vakzination  ist  noch  wenig  berichtet. 


Aerztlicher  Verein  in  Nürnberg. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  5.  März  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Müller. 

Schriftführer :  Herr  Scheidemandel. 

Herr  Regensburger:  Ueber  Milzbrand. 

Patientin,  Arbeiterin  in  einer  Pinselfabrik,  erkrankte  unter 
typischen  Erscheinungen.  Karbunkel  an  der  Stirne.  In  dessen  Um¬ 
gebung  auf  gerötetem,  infiltriertem  Grund  zahlreiche  kleine  Bläschen. 
In  deren  serösen  Inhalt  zahlreiche  Ketten  von  Milzbrandbazillen 
sichtbar.  Die  Züchtung  der  Milzbrandbazillcn  gelang  weder  auf 
künstlichen  Nährböden  (Agar,  Gelatine,  Bouillon)  noch  im  Tier¬ 
versuch.  und  zwar  weder  aus  Pustelinhalt  noch  aus  dem  Venenblut 
der  Patientin.  Es  war  also  lokal  eine  Abtötung  der  eingedrungenen 
Erreger  erfolgt  und  der  Körper  hatte  rasch  genug  Schutzstoffe  gegen 
die  Allgemeininfektion  bilden  können,  die  sich  ausser  dem  Fieber 
lediglich  in  einem  Milztumor  äusserte.  Die  Therapie  derartiger  Fälle 
ist  am  zweckmässigsten  eine  absolut  konservative,  da  chirurgisches 
Vorgehen  durch  Eröffnung  zahlreicher  Blut-  und  Lymphbahnen  zu 
einer  Weiterverbreitung  des  Erregers,  zu  einer  Ueberschwemmung 
des  Organismus  mit  Milzbrandbazillen  führen  kann.  In  unserem  Falle 
wurde  der  Karbunkel  lediglich  mit  einer  schützenden  trockenen 
Kompresse  bedeckt.  Die  Heilung  erfolgte  nach  dem  Ueberstehen 
einer  dazugekommenen  Angina  follicularis  sehr  rasch.  Für  Fälle  mit 
allgemeiner,  schwerer  Infektion  (Lungenmilzbrand)  empfiehlt  sich  ein 
Versuch  mit  den  von  Sobernheim  und  Sclavo  angegebenen 
Seris. 

Herr  Epstein:  Ueber  eosinophile  Zellen  im  Gonorrhöeeiter. 

(Mit  Demonstration.) 

Sitzung  vom  19.  März  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Müller. 

Schriftführer:  Herr  F  ii  r  t  e  r. 

Herr  1  h  o  r  cl  :  Pathologisch-anatomische  Demonstrationen. 

Herr  Port  berichtet  über  einen  Fall  von  Osteom  des  Schulter¬ 
blattes. 

Das  Mädchen  von  16  Jahren  kam  wegen  einer  Skoliose  in  Be¬ 
handlung.  Es  bestand  eine  geringe  Ausbiegung  des  Dorsalteiles  der 
Wirbelsäule  nach  links,  eine  entsprechende  Lendenkrümmung  fehlte. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1652 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  29. 


Die  rechte  Schulter  war  beträchtlich  breiter  als  links,  die  Muskulatur 
aber  deutlich  atrophisch.  In  Vorbeugehaltung  zeigte  sich  rechts  eine 
tiefe  seitliche  Einsenkung  der  Rippen.  Erst  beim  Betasten  des 
Schulterblattes  fand  sich  ein  undeutlich  abgrenzbarer  Tumor  in  der 
Achselhöhle  von  ungefähr  Apfelgrösse.  Er  sass  zwischen  der  Unter¬ 
fläche  der  Skapula  und  der  Rippen  und  war  äusserlich  nicht  sichtbar. 
Bewegungen  des  Armes  zeigten,  dass  er  der  Unterfläche  der  Skapula 
angehörte.  Das  Mädchen  hatte  noch  2  weitere  Osteome,  eines  an 
der  rechten  Klavikula  und  eines  an  einer  Rippe  der  anderen  Seite. 
Diese  beiden  Tumoren  hatte  sie  von  Kindheit  an,  das  Osteom  in  der 
Achselhöhle  wurde  erst  bei  der  Untersuchung  entdeckt.  Der  Vater 
leidet  gleichfalls  an  multiplen  Osteomen,  Mutter  und  Bruder  sind 
gesund. 

Die  Operation  geschah  von  der  Achselhöhle  aus.  Nach  Frei¬ 
legung  des  Schulterblattrandes  und  Beiseiteziehen  des  M.  latissimus 
dorsi  wurde  Periost  und  Musculus  subscapularis  abgehoben.  Die 
Geschwulst  sass  an  einem  nur  2  cm  dicken  Stiel  und  konnte  leicht 
mit  dem  Meissei  abgetragen  werden.  Der  zum  Latissimus  führende 
Nervenast  kam  zu  Gesicht,  konnte  aber  geschont  werden.  Die 
Operation  war  fast  unblutig,  es  war  nicht  eine  einzige  Unterbindung 
notwendig.  Nach  der  Operation  war  die  Haltung  wesentlich  besser, 
die  Beweglichkeit  des  rechten  Armes  viel  freier. 

Herr  Alexander:  Gliom  der  Netzhaut. 

5  Wochen  altes  Kind;  bisher  stets  gesund.  Seit  8  Tagen  wird 
ein  gelber  Reflex  aus  dem  rechten  Auge  wahrgenommen.  Das  linke 
Auge  ist  normal.  Vortr.  bespricht  die  Differentialdiagnose  zwischen 
Gliom  der  Netzhaut  und  dem  sog.  Pseudogliom.  Der 
Fall  soll  noch  weiter  beobachtet  werden. 


Nürnberger  medizinische  Gesellschaft  und  Poliklinik. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  14.  Mai  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Kraus. 

Schriftführer:  Herr  Wilhelm  V  o  i  t. 

Herr  Kraft  demonstriert  einen  Patienten  mit  Heterochromie 
und  gibt  ein  kurzes  Referat  über  diesen  Zustand 

Herr  Burkhardt: 

I.  Ueber  Melanom. 

Kritisches  Referat  über  den  gegenwärtigen  Stand  der  Melanom¬ 
frage. 

II.  Ueber  Meckel  sches  Divertikel. 

Besprechung  der  Entwicklungsgeschichte,  pathologischen  Ana¬ 
tomie  und  klinischen  Erscheinungen  des  Meckel  sehen  Divertikels. 
Sodann  Bericht  über  8  in  den  letzten  Jahren  an  der  chirurgischen 
Abteilung  des  Nürnberger  Krankenhauses  zur  Operation  gekommene 
Fälle  von  Meckelschem  Divertikel. 

1.  M.,  30  J.  Eingeklemmter  Leistenbruch.  Bruchinhalt:  Abge¬ 
schnürtes  Meckel  sches  Divertikel.  Abtragung.  Heilung. 

2.  M.,  46  J.  Ileus.  Operation:  Karzinose  des  Peritoneums  und  ein 
den  Darm  abschnürendes,  7  cm  langes  Meckel  sches  Divertikel. 
Resektion  des  Divertikels.  Heilung.  Später  Tod  an  Karzinose. 

3.  M.,  36  J.  Jauchige  Peritonitis.  Operation:  Ein  25  cm  langes 
M  e  c  k  e  1  sches  Divertikel  umschnürt  eine  ca.  VA  m  lange  Dünndarm¬ 
schlinge  ringförmig  am  Mesenterium.  Darm  total  gangränös.  Resek¬ 
tion  des  Darmes  und  Divertikels.  Tod  nach  24  Stunden  an  Peritonitis. 

4.  W.,  15  J.  Perforationsperitonitis.  Operation.  Eine  60  cm 
lange  Dünndarmschlinge  an  der  Basis  von  einem  strangartig  oblite- 
rierten  Meckel  sehen  Divertikel  fest  umschnürt.  Darm  gangränös. 
Jauchiges  Exsudat.  Resektion  des  Darmes  und  Divertikels.  Heilung. 

5.  M.,  23  J.  Diverticulitis  gangraenosa.  Operation:  In  der 
Bauchhöhle  jauchiges  Exsudat.  Ein  ca.  6  cm  langes  Meckel  sches 
Divertikel  total  gangränös.  Tod  an  Peritonitis. 

6.  M.,  16  J.  Ileus  und  Peritonitis.  Operation:  Ca.  50  cm  lange, 
blaurot  verfärbte  Ileumschlinge  von  einem  gangränösen  Meckel-, 
sehen  Divertikel  umschnürt.  Diffuses  trübseröses  Exsudat;  fibrinöse 
Beläge.  Exstirpation  des  Divertikels.  Heilung. 

7.  M.,  36  J.  Ileus,  Peritonitis.  Operation:  In  der  Bauchhöhle 
stinkendes  sanguinolentes  Exsudat.  Umschnürung  der  untersten,  ca. 
1  m  langen  Dünndarmschlinge  durch  3 — 4  cm  dicken  Strang,  der  sich 
als  Meckel  sches  Divertikel  erweist.  Dann  total  gangränös  und 
perforiert.  Resektion  des  Darmes  und  Divertikels.  Tod  am  9.  Tage 
an  Pneumonie. 

8.  W.,  24  J.  Chronischer  Ileus.  Operation:  Bauchfelltuberkulose. 
Haupthcrd  an  der  Ursprungsstelle  eines  M  e  c  k  e  1  sehen  Divertikels, 
den  Darm  stenosierend.  Resektion.  Heilung.  Später  Tod  an  allge¬ 
meiner  Tuberkulose. 

In  keinem  der  8  Fälle  war  die  Diagnose  des  Meckel  sehen 
Divertikels  als  Krankheitsursache  von  der  Operation  gestellt  worden. 

Herr  Wilhelm  Voit:  Ueber  Entfettung  mittels  elektrischer 
Ströme  (Bergonieapoarat). 

V.  geht  zuerst  auf  die  Konstruktion  des  Apparates  ein.  Bei  An¬ 
wendung  des  Apparates  ist  eine  genaue  Auswahl  unter  den  zu  be¬ 
handelnden  Menschen  zu  treffen;  die  von  einzelnen  Autoren  gemelde¬ 
ten  Misserfolge  sind  wohl  zum  grössten  Teil  auf  ungenügende  Aus¬ 
wahl  zurückzuführen.  Nur  fette  Menschen  sind  wirklich  geeignet. 
Menschen,  die  nur  deshalb  dick  erscheinen,  weil  sie  in  ihrem  Körper¬ 
bau  plump  sind,  aber  doch  nicht  viel  Fett  haben,  müssen  natürlich 


schlechte  Resultate  abgeben ;  viel  kommt  auch  auf  die  richtige  Be¬ 
dienung  des  Apparates  an,  die  einige  Uebung  erfordert.  V.  hat  bei 
richtig  fettsüchtigen  Patienten  sehr  gute  Resultate  erreicht,  die  durch 
die  Diät  allein  nicht  erreicht  worden  wären.  Besonders  bewährt  hat 
sich  V.  der  Apparat  bei  der  Behandlung  solcher  Pat.,  denen  ihr  Fett 
fast  jede  körperliche  Bewegung  unmöglich  machte.  Mehrfach  wur¬ 
den  Patienten  behandelt,  die  zu  Beginn  der  Kur  nur  ganz  kleine 
Strecken  und  diese  nur  mit  starken  Atembeschwerden  zurücklegen 
konnten.  Nach  wenig  Wochen  war  die  Atemnot  verschwunden, 
1 — lJ4stündige  Spaziergänge  waren  ohne  Beschwerden  möglich.  Ein 
besonderer  Vorteil  ist  die  günstige  Beeinflussung  der  Blutzirkulation 
und  die  Kräftigung  der  gesamten  Muskulatur. 


Berliner  Gesellschaft  für  Chirurgie. 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzung  vom  13.  Juli  1914. 

Herr  S  c  h  1  i  e  p  demonstrierte  einen  durch  Operation  geheilten 
Fall  von  Blasenspalte.  Die  alte  Lappcnplastik  aus  der  Bauchhaut  hat 
man  völlig  aufgeben  müssen,  es  entstanden  stets  Fisteln  und  Kon¬ 
kremente  in  der  Blase.  Bei  der  direkten  Vereinigung  der  Spaltränder 
entsteht  ein  sehr  enges  Blasenkavum,  fast  stets  treten  Nahtinsuffi¬ 
zienzen  auf,  Kontinenz  wird  meist  nicht  erreicht.  Auch  wenn  man 
nach  Trendelenburg  den  Symphyscnspalt  schliesst,  werden  die 
Erfolge  nicht  viel  besser.  Das  Sonnenburg  sehe  Verfahren  der 
Exstirpation  der  ektopischen  Blase  mit  Einpflanzen  der  Ureteren  in 
den  oberen  Teil  des  Urethraspaltes  verzichtete  zwar  von  vornherein 
auf  Kontinenz,  es  wurde  aber  dadurch  möglich,  auf  bequeme  Art  ein 
Urinal  zu  befestigen.  Das  Einnähen  des  Trigonumteiles  der  Blase 
mitsamt  den  Uretermündungen  in  das  Rektum  zeigt  hohe  Mortalität 
wegen  des  komplizierten  Eingriffs,  immer  besteht  die  grosse  Gefahr 
der  aszendierenden  Pyelonephritis.  Vortr.  demonstriert  ein 
1)4  jähriges  Kind,  dem  er  vor  einem  Jahre  eine  Blasenspalte  operativ 
geschlossen  hatte.  Es  bestand  eine  etwa  zehnpfennigstückgrosse 
Oeffnung,  trichterförmig,  die  Ureterenmtindungen  waren  nicht  sicht¬ 
bar,  Symphyse  und  Sphinkter  waren  gespalten,  beiderseits  Leisten¬ 
hernie.  Die  Spaltränder  wurden  Umschnitten,  wobei  oberhalb  der 
Blasenschleimhaut  zur  besseren  Uebersicht  ein  Stück  der  Rektus- 
scheide  durchtrennt  wurde,  es  folgte  die  Einstülpungsnaht  der  Blase 
und  die  Vereinigung  der  Rektusscheide.  Im  unteren  Wundwinkel 
bildete  sich  eine  kleine  Fistel,  die  sich  bald  spontan  schloss.  Der 
Dauererfolg  war  auffallend  gut.  Die  Blase  hält  völlig  dicht,  fasst 
ca.  50  ccm.  Konkremente  haben  sich  nicht  gebildet,  wie  die  zysto- 
skopische  Untersuchung  ergab. 

Herr  Holländer  sprach  an  der  Hand  einer  reichhaltigen 
Sammlung  von  Modellen  über  die  Geschichte  der  chirurgischen  Säge. 

Herr  A.  Israel  berichtete  über  seine  gemeinsam  mit  Herrn 
A.  Herzberg  angestellten  Versuche  zur  Blutgerinnung  in  Körper¬ 
höhlen,  insbesondere  in  Gelenken.  Die  Flüssigkeit,  die  man  bei  der 
Punktion  des  Hämarthros  genu  erhält,  gerinnt  auch  im  Reagenzglas 
nicht,  sie  erweist  sich  bei  chemischer  Untersuchung  als  Serum. 
Dieses  Serum  bildet  sich  durch  den  gewöhnlichen  Gerinnungsvorgang, 
nur  kann  es  sich  nicht  so  klar  wie  sonst  abscheiden,  weil  das  Blut 
im  Gelenk  hin  und  her  bewegt  wird.  Wenn  man  im  Tierversuch  in 
einem  mit  Blut  gefüllten  Gelenk  durch  Hirudin  die  Gerinnung  ver¬ 
hindert,  so  erfolgt  eine  äusserst  schnelle  Resorption.  Dies  würde 
wohl  auch  beim  Menschen  der  Fall  sein,  wenn  nicht  Gerinnung 
einträte. 

ln  der  Diskussion  bestätigte  Herr  Katzenstein  die  Fest¬ 
stellungen  des  Vortr.  In  Gelenkhöhlen  tritt  sehr  wohl  eine  Gerinnung 
ein,  er  hat  mehrfach  in  operativ  eröffneten  Blutgelenken  Koagula 
gefunden.  Bei  serösen  Ergüssen,  die  keine  Neigung  zur  Resorption 
zeigten,  fanden  sich  die  Wand  des  Hohlraums  und  die  Kapillaren  in 
der  Umgebung  mit  Fibringerinnseln  erfüllt.  Dies  gibt  einen  Hinweis 
darauf,  dass  Gerinnungsvorgänge  die  Aufsaugung  von  Ergüssen  ver¬ 
zögern.  Auch  müsse  man  in  diesem  Sinne  die  alte  Beobachtung 
deuten,  dass  Peritonitiden  ohne  Fibrinausscheidung  eine  so  schlechte 
Prognose  bieten.  Bei  diesen  findet  eben  die  Toxinresorption  sehr 
rasch  statt  Grabowski. 


Wissenschaftl.  Gesellschaft  deutscher  Aerzte  in  Böhmen. 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzung  vom  22.  Mai  1914. 

Herr  Schl  off  er:  Demonstrationen. 

Herr  Friedei  Pick:  Zur  Kenntnis  der  Trachealstenosen. 

P.  bespricht  zunächst  die  Bougierungsmethoden  und  grossen 
Schwierigkeiten,  die  sich  oft  einer  definitiven  Dekanülierung  der  Fälle 
mit  Kehlkopf-  und  Trachealstenose  entgegenstellen,  bespricht  sodann 
einen  Fall  von  Stenose  durch  Perichondritis  nach  Knochenschlucken, 
bei  welchem  durch  Bougierung  und  Fibrolysin  beträchtliche  Erweite¬ 
rung  des  stark  verengten  Larynx  erzielt  wurde,  so  dass  Pat.  ent¬ 
lassen  und  ihm  eine  grosse  S  c  h  r  ö  1 1  e  r  sehe  Bougie  mitgegeben 
wurde.  Als  er  jetzt,  nach  2  Jahren  wiederkam,  war  die  Stenose 
eher  wieder  enger  und  es  stellte  sich  heraus,  dass  der  Mann  zuhause 
immer  nur  den  Oesophagus  bougiert  hatte.  Deswegen  wird  für  diesen 
Fall  die  Laryngostomie  ins  Auge  gefasst.  P.  betont,  dass  die  Stenosen 
nach  Fremdkörperverletzungen  noch  bessere  Prognose  geben  als  die 


21.  Juli  1914. 


MUENCHE NER  ME I ) I Z I NISCHE  Wo CHENSCHRIFT. 


1652 


;ius  anderer  Ursache  und  bespricht  Fälle  von  Postikuslähmung  ohne 
erkennbare  Ursache,  bei  welchen  dauernd  die  Kanüle  getragen  werden 
muss.  Demonstration  zweier  weiterer  Fälle  von  interessanten  Tra¬ 
chealstenosen. 

Herr  D  e  d  e  k  I  n  d:  Demonstration.  R  o  t  k  y  -  Prag. 

Sitzung  vom  5.  Juni  1914. 

Herr  Grosser  demonstriert  Abgüsse  prähistorischer  Schädel. 

Herr  Elschnig  bespricht  2  Fälle  von  totaler  Keratoplastik. 

Im  ersten  Falle  handelte  es  sicli  um  eine  Horn  haut  narbe 
mit  Iris  ein  heilung  und  F'istelbildung.  Implantation  eines 
durchgreifenden  Hornhautscheibchens  von  einem  wegen .  Verletzung 
enukleierten  Auge.  Der  eingepflanztc  Lappen  wurde  trübe,  beginnt 
aber  in  den  Randpartien  sich  wieder  aufzuhellen.  Der  Zweck  der 
Operation  ist  vollständig  erfüllt. 

Zweiter  Fall :  I  otale  Keratoplastik  bei  dichter  Nar¬ 
benbildung  durch  Keratitis  parenchymatös  a.  Trotz 
monatelanger  Behandlung  dichte  Hornhauttrübung  mit  Finger  auf  1  m 
U.-  51- l3  Keratoplastik  wie  im  vorhergehenden  Fall.  Es  bestand  eine 
ilächenförmige  vordere  Synechie  der  Iris,  welche  bei  der  Trepanation 

Narbe  gelöst  wurde.  Der  implantierte  Lappen  heilte  ein,  das 
Sehvermögen  besserte  sich  langsam  und  beträgt  jetzt,  obwohl  ein 
kleiner  zentraler  Kapselstar  besteht,  die  Hälfte  der  normalen  Sch- 
schärfe.  Da  seit  der  Operation  fast  7  Monate  vergangen  sind  und 
der  implantierte  Lappen  vollständig  normale  Sensibilität  besitzt, 
kann  das  Resultat  als  dauernd  angesehen  werden.  Es  ist  dies  unter 
11  Fällen,  in  denen  E  1  s  c  h  n  i  g  totale  Keratoplastik  ausgeführt,  der 
einzige  Fall  von  Dauerheilung  und  überhaupt  in  der  Lite¬ 
ratur  der  zweite  Fall  einer  gelungenen  totalen 
<eratoplastik. 

Seit  2  Jahren  lässt  E.  das  gegenseitige  Verhalten  des  Blutes  der 
meiden  zur  Operation  verwendeten  Fälle  im  Sinne  von  A  g  g  1  u  t  i  - 
lation  und  Hämolyse  untersuchen.  In  dem  vorgestellten  Falle 
lestand  gegenseitig  keine  Agglutination. 

Herr  Elschnig:  Refraktometrische  Untersuchungen  über  sym- 
)athische  Reizübertragung. 

E.  hat  gemeinsam  mit  Löwenstein  die  noch  offene  Frage  der 
sympathischen  Reizübertragung  in  der  Weise  studiert,  dass  er  an 
vamnehen,  Affen  und  Hunden  nach  akuter  oder  chronischer  Reizung 
les  einen  Auges  innerhalb  von  1  Stunde  bis  14  Tagen  das  Kammer- 
vasser  des  zweiten  Auges  mit  dem  P  u  1  f  r  i  c  h  sehen  Refraktometer 
intersucht  hat.  Die  Versuche  haben  gezeigt,  dass  weder  sofort  noch 
•Päter  eine  Veränderung  des  im  normalen  Auge  vollkommen  konstan- 
en  Brechungsindex  des  zweiten  Kammerwassers,  welche  durch  jede 
eränderung  der  chemischen  Zusammensetzung  desselben  zufolge  einer 
ceizwirkung  eintreten  müsste,  sich  eingestellt  hat.  Auch  die  Resti- 
ution  des  „zweiten“  Kammerwassers  ist  bei  Reizung  des  einen  Auges 
m  zweiten  nicht  verzögert.  Es  existiert  also  eine  sympathische 
(eizübertragung  nicht. 

Herr  Löwenstein:  a)  Die  Beeinflussung  des  Kammerwassers 

on  der  Blutbahn. 

i  V.  bespricht  seine  gemeinsam  mit  Dr.  K  u  b  i  k  vorgenommenen 
etraktometrischen  Untersuchungen.  Normales  Kaninchen-  oder  Men- 
chenserum  intravenös  gegeben,  wirkt  nicht  auf  den  Brechungsindex 
es  Kaninchenkammerwassers  ein.  Auch  bei  intravenöser  Applikation 
on  Diabetiker  und  Komaserum  zeigte  das  Kammerwasser  in  Serien- 
ntersuchungen  normalen  Brechungsindex.  Bei  den  letztgenannten 
^ersuchen  kam  es  zu  auffallenden  subkonjunktivalen  punktförmigen 
lämorrhagien.  Nach  Vorderkammerpunktion  füllte  sich  die  Vorder¬ 
ammer  mit  flüssigem  hellroten  Blut  ohne  Irisverletzung.  Auch  bei 
itravenöser  Injektion  von  20  ccm  10  proz.  Dextroselösung  ergab  die 
efraktometrische  Untersuchung  des  Kammerwassers  normalen  Be¬ 
rnd.  Hingegen  fand  sich  nach  intravenöser  Applikation  von  NaCl 
ine  ausgesprochene  Steigerung  des  Brechungsindex,  die  im  ersten 
alle  höhergradig  war  als  im  zweiten;  der  Verlauf  der  Kurve  ist  im 
anzen  ähnlich.  Zum  Schlüsse  werden  die  Erklärungsmöglichkeiten 
leser  Erscheinungen  besprochen  und  die  Bedeutung  des  Salzstoff- 
echsels  des  Blutes  für  den  Flüssigkeitsaustausch  des  Auges  erwähnt 

b)  Ohrknorpelplastik  nach  Büchinger-Müller. 

Besprechung  von  5  Fällen,  von  denen  bei  zweien  die  volle  Dicke 

es  Helix  verwendet  wurde,  um  sowohl  Haut  als  Bindehautseite  des 
euen  Lides  zu  bilden.  Vorzüglicher  kosmetischer  Effekt,  volle 
chlusssuffizienz. 

c)  Dakryozystorhinostoniie  nach  Toti.  Bericht  über  35  neue, 

ich  I  oti  operierte  Fälle,  in  denen  in  61  Proz.  spontane  Tränen- 
ifuhr  vorhanden  war.  In  keinem  Falle  bestand  nach  der  Operation 
piphora,  alle  waren  von  den  Tränenröhrchen  glatt  durchspiilbar. 
s  wurde  vom  Verf.  ein  zu  diesem  Zwecke  angefertigter  Kron- 
epan  verwendet,  der  die  Operation  sehr  erleichtert.  Die  von  VV  c  t 
id  Poliak  empfohlene  intranasale  Resektion  des  Tränenbeins  und 
-r  nasalen  Wand  des  Tränensackes  hat  mit  Ausnahme  der  unsicht- 
iren  Narbe  keine  Vorzüge.  Bei  exakter  Naht  ist  aber  eine  solche 
mm  aufzufinden.  Demgegenüber  steht  als  Nachteil  der  schwierige 
ugang  zum  Operationsfeld  und  die  damit  in  Zusammenhang  stehende 
otwendigkeit  eingreifender  Voroperationen.  Unmöglichkeit  der  weit- 
is  schonenderen  I  repananwendung  zur  Knochenresektion.  Der 
auptnachteil  aber  liegt  darin,  dass  wir  hier  nicht  wie  bei  der  T  o  t  i  - 
hen  die  Siebbeinzellen  freigelegt  haben,  deren  Erkrankung  häufig 
e  Ursache  der  Tränensackaffektionen  ist.  R  o  t  k  y  -  Prag. 


Aus  den  französischen  medizinischen  Gesellschaften. 

Acaderaie  des  Sciences. 

Sitzungen  vom  30.  März  und  6.  April  1914. 

Wirkung  der  Höhenlagen  auf  den  Gehalt  des  Blutes  an  Sauerstoff 

und  Kohlensäure. 

.  R-o«»  ^  a  y  e  11  x  und  Paul  C  h  e  v  a  1 1  i  e  r  haben  zuerst  in  Paris, 

c  M ■  m..  u  morunix  in  dem  von  V  a  1 1  o  t  erbauten  Laboratorium  und 
'  c  i  lesslich  auf  dem  Montblanc  im  Observatorium  von  M  o  s  s  o 
an  sich  selbst  und  an  Kaninchen  Stoffwechseluntersuchungen  von 
längerer  Dauer  angestellt  und  kamen  zu  folgenden  Resultaten:  Die 
Höhenlage  bewirkt,  dass  sowohl  Sauerstoff-  wie  Kohlensäuregehalt 
des  Blutes  zunimmt  und  zwar  letzterer  in  höherem  Grade.  Nach  den 
speziell  im  Zustande  der  Bergkrankheit  ausgeführten  Dosierungen 
scheint  dieselbe  nicht  in  beträchtlichem  Masse  den  Kohlensäuregehalt 
zu  verändern,  sondern  dieser  Krankheitszustand  ist  von  einer  be¬ 
deutenden  Abnahme  des  Sauerstoffs  im  venösen  Blute  begleitet, 
lissot  und  Hallion  hatten  übrigens  schon  gelegentlich  eines 
Baiionaufstieges  beim  Hunde  festgestellt,  dass  Sauerstoff-  und  Kohlen- 
sauremengen  mit  der  Höhe  zunehmen. 

Zur  Uebertragung  des  Typhus  exanthematicus  durch  Flöhe,  Läuse  usw. 

Edm.  S  e  r  g  e  n  t,  H.  F  o  I  e  y  und  Ch.  V  i  a  1  a  1 1  e  haben  in  Algier 
diesbezügliche  Versuche  an  sich  selbst  und  solchen,  die  sich  frei- 
willig  dazu  erb°ten,  ferner  an  Affen  vorgenommen  und  kamen  zu 
ähnlichen  Ergebnissen,  wie  früher  N  i  c  o  1 1  e,  C.  Comte  und 
,  :.  0  n  s  e  >  1-  Demnach  kann  der  einfache  Stich  von  ausgewachsenen 
Lausen  auf  den  Menschen  den  Typhus  exanthematicus  übertragen 
Lause,  die  von  einem  auf  diese  Weise  infizierten  Menschen  ent¬ 
nommen  sind,  übertragen  wiederum  die  Krankheit  auf  den  Affen  ent- 
\\  oder  auf  subkutanem  oder  peritonealem  Wege;  den  Uebergang  auf 
einen  anderen  Affen  kann  man  durch  Impfung  von  dem  erstinfizierten 
Afien  aus  bewerkstelligen.  Die  Infektion  ist  bei  der  Laus  eine  here¬ 
ditäre:  die  Nissen  (Lauseier),  welche  von  infizierten  Läusen  stammen, 
können  die  Krankheit  übertragen. 


Academie  de  medecine. 

Sitzungen  vom  7.  und  14.  April  1914. 

Zur  Behandlung  des  Asthmas  mittelst  intra-tracheo-bronchialer 

Injektionen. 

Bourgeois  versuchte  zu  diesen  Injektionen  das  Gomenolöl. 
eine  wässerige  Lösung  von  Adrenalin-Kokain,  von  Novokain- 
Adrenalin  usw.,  und  es  bewährte  sich  letztere  am  besten  —  Die 
ohgen  Injektionen  wirken  reizend  und  heftige  Krämpfe  hervorrufend, 
die  Injektionen  von  Kokain  können  wegen  der  Giftigkeit  des  Medi- 
Raments  gefährlich  sein.  Wenn  die  Injektion  der  wässerigen  Novo- 
kain-Adrenalin-Lösung  im  Augenblick  eines  akuten  Anfalles  ausge- 
tuhrt  wird,  so  zeigt  sich  die  Besserung  bereits  nach  10—15  Minuten, 
der  Kranke  legt  sich  nieder  und  schläft  dann  meist  vor  Ermüdung  ein 
Der  reichliche  Auswurf,  der  zuweilen  der  Injektion  folgt,  bildet  wahr¬ 
scheinlich  eines  der  Hauptsymptome  der  Erleichterung.  Die  Injektion 
ist  zugleich  anästhesierend  und  anämisierend,  vermag  daher  einer- 
seits  Husten  und  Krampf  zu  stillen,  andererseits  Schwellung  der 
Schleimhaut  und  Kongestion  zu  beseitigen  und  dadurch  die  Ex¬ 
pektoration  zu  begünstigen.  Welches  auch  die  Art  der  Wirkung  sei, 
so  bildet  die  Novokain-Adrenalin-Injektion  ein  sehr  gutes,  vielleicht 
das  beste  Mittel  gegen  die  Asthmaanfälle,  wie  B.  an  3  Kranken 
ei  fahren  hat,  welche  ohne  Erfolg  wiederholte  Morphiuminjektionen 
erhalten  hatten. 

Netter  berichtet  über  einen  Fall  akuter  diffuser  Mye¬ 
litis,  der  durch  intralumbale  Injektionen  von 
Serum  eines  mit  Kinderlähmung  behaftet  ge¬ 
wesenen  Individuums  geheilt  wurde.  Die  Menge  des 
wahrend  9  Tage  injizierten  Serums  betrug  65  ccm,  die  Heilung  er¬ 
folgte  rasch  und  blieb  in  vollständigem  Grade  bestehen. 

L  e  t  u  1 1  e,  B  e  r  g  e  r  o  n  und  A.  L  e  p  i  n  e  führten  dieWasser- 
m  a  n  n  sehe  Reaktion  bei  346  Tuberkulösen  aus  und  fanden 
sie  64  mal  positiv,  8  mal  zweifelhaft.  Von  diesen  64  Fällen  ergaben 
nur  10  genaue  Anhaltspunkte  und  sichere  Zeichen  früherer  Syphilis. 
Bei  den  tuberkulösen  Syphilitikern  scheinen  die  bazillären  Verände¬ 
rungen  etwas  mehr  generalisiert  zu  esin.  Die  Prognose  der  Tuber¬ 
kulose  wird  durch  eine  vorhergehende  Syphilis  verschlimmert. 

Societe  medicale  des  hopitaux. 

Sitzung  vom  1.  Mai  1914. 

Behandlung  der  Vulvovaginitis  kleiner  Kinder  mit  Antigonokokken¬ 
lymphe. 

Comby  und  Frl.  Condat  haben  mit  der  Lymphe  von 
Nicolle  15  Mädchen,  die  mit  akuter  gonorrhoischer  Vulvovaginitis 
behaftet  waren,  ausserdem  1  Fall  von  gonorrhoischer  Peritonitis, 

1  von  purulenter  Augenentzündung  und  1  von  Urethritis  bei  einem 
kleinen  Knaben  erfolgreich  behandelt.  Nach  5—10,  im  Durchschnitt 

2  3  mal  wöchentlich  wiederholten  Injektionen  (von  1 — 1,5  ccm  in 
2  ccm  künstlichen  Serums  gelöster  Lymphe)  wurde  Heilung  der  Vulvo¬ 
vaginitis  beobachtet.  Die  Injektion  wird  in  die  Gefässmuskulatur  ge¬ 
macht,  sehr  gut  vertragen  und  ruft  keinen  oder  nur  geringen,  lokalen 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1654 

Schmerz,  zuweilen  leichte  fieberhafte  Reaktion,  vorübergehend  oder 
ausnahmsweise  24  Stunden  anhaltend,  hervor.  Die  Ungeiährlichkeit 
der  Methode  kann  jedenfalls  nur  zur  Fortsetzung  der  Versuche  er¬ 
mutigen. 

Chantemesse  hat  die  Antigonokokkenlymphe  versucht  und 
war  sehr  befriedigt  über  ihre  gute  W  irkung.  besonders  beim  blennor- 
rhagischen  Rheumatismus. 

Siredey  hat  zwar  ebenfalls  gute  Resultate,  aber  nicht  regel¬ 
mässig  gehabt" und  mochte  sich  bezüglich  der  Wirkung  beim  Ausfluss 
etwas  reserviert  aussprechen. 

Sitzung  vom  14.  Mai  1914. 

G  u  i  s  e  z  berichtet  über  3  neue  Fälle  von  Lungengangrän, 
welche  mit  intrabronchialen  Injektionen  behandelt 
worden  sind.  Er  verfügt  nun  zusammen  mit  Richez  über  11  Fälle, 
wovon  4  doppelseitige,  bei  welchen  durch  diese  Methode  vollständige 
Heilung  eingetreten  ist.  Es  handelt  sich  also,  wie  es  scheint,  um  eine 
wirklich  spezifische  Behandlungsart,  welche  bis  jetzt  einen,  stets 
schweren,  chirurgischen  Eingriff  erheischte. 


Aus  ärztlichen  Standesvereinen. 

Münchener  Aerzteverein  für  freie  Arztwahl. 

Ausserordentliche  Mitgliederversammlung  vom 

9?  J  uli  1914. 

Die  Sitzung  ist  im  wesentlichen  der  Ratifikation  der  zwischen 
dem  Verein  unü  den  Kassen  geschlossenen  Verträge  gewidmet,  ln 
Erledigung  des  Einlaufs  wird  Dr.  v.  Wilmann  in  Planegg  mit  Be¬ 
jahung  der  Bedürtnisfrage  die  Karenzzeit  erlassen,  seinem  nacn  Mün¬ 
chen  verzogenen  Vorgänger  Dr.  Getto  die  in  Planegg  verbrachte 
Zeit  auf  die  Karenzzeit  angerechnet.  —  Auf  Anfrage  eines  Mitglieds 
teilt  der  Geschäftsführer  mit,  dass  der  Verein  dem  Rentamt  keine 
Angaben  über  die  Kasseneinkommen  der  Aerzte  macht;  doch  stellt 
sich  in  der  Diskussion  heraus,  dass  das  Rentamt  wahrscheinlich  aurch 
die  Kassenverwaltungen  genaue  Aufstellungen  hierüber  erhält.  —  Den 
Ismia-Zählerwerken,  die  ihre  Angestellten  bei  der  ÜKrK.  versichert, 
trotzdem  aber  einen  eigenen  Vertrauensarzt  angestellt  haben,  so  dass 
die  Kranken  von  2  Vertrauensärzten  kontrolliert  werden,  wird  die 
Unzulässigkeit  dieser  Einrichtung  mitgeteilt  werden. 

Herr  Schneider  berichtet  über  den  Vertragsabschluss  mit 
den  Krankenkassen.  Wesentliche  Verbesserungen  gegenüber  den  im 
Dezember  gemachten  Vorschlägen  konnten  gemäss  der  Lage  nach 
dem  Berliner  Abkommen  beim  Vertragsabschluss  nicht  erzielt  wer¬ 
den.  8  Betriebs-  und  Innungskrankenkassen  bezahlen  die  Minimal¬ 
sätze  der  bayer.  üeb.-O.,  25  die  Sätze  der  Geb.-O.  des  Vereins 
und  1  M.  für  die  Konsultation,  1.50  M.  für  den  Besuch.  Nur  mit 
der  Betriebskrankenkasse  der  inneren  Staatsbauverwaltung  bestehen 
heute  noch  Vertragsschwierigkeiten.  Der  Sanitätsverband  hat  erst  im 
März  in  die  geforderte  Festsetzung  der  Einkommensgrenze  auf 
2400  M.  eingewilligt. 

Einige  kleine  Verbesserungen  konnten  auch  im  Vertrage  mit  der 
OKrK.  erzielt  werden:  Die  Regelung  der  Privatbehandlung  von 
Kassenpatienten  durch  Verbot  von  Aufzahlungen  und  ausnahmsweiser 
Zulassung  der  Privatbehandlung  nach  Unterzeichnung  eines  verein¬ 
barten  Reverses  seitens  der  Kranken;  die  Einführung  eines  Ausweises 
der  Kranken  über  ihre  Kassenzugehörigkeit;  die  Festsetzung  des 
Verpflegungssatzes  von  3  M.  für  die  Privatheilanstalten;  die  Be¬ 
seitigung  des  Koalitionszwanges  der  Aerzte,  die  Einführung  von  Ord¬ 
nungsstrafen  als  Mittelding  zwischen  Verweis  und  Suspension,  die 
Uebernahme  der  Kosten  für  pathologische  und  bakteriologische  Unter¬ 
suchungen  durch  die  Kassen. 

Der  reiche  Beifall  bezeugte  das  dankbare  Einverständnis  der  Mit¬ 
gliedschaft  mit  diesen  Erfolgen. 

Die  durch  die  neuen  Verträge  nötigen  Satzungsände¬ 
rungen  werden  einstimmig  genehmigt.  Sie  betreffen  den  Einigungs¬ 
ausschuss,  der  alle  gemeinsamen  Angelegenheiten  auf  Wunsch  einer 
der  beiden  Vertragsparteien  zu  besprechen,  Beschwerden  aller  Art, 
von  Aerzten  gegen  Kassenmitglieder  —  oder  Verwaltung,  sowie  von 
diesen  gegen  Aerzte  erhobenen,  zu  erledigen  und  eine  gütliche  Bei¬ 
legung  .solcher  Streitigkeiten  herbeizuführen  hat.  Ferner  betreffen 
sie  den  Schiedsausschuss,  der  unter  dem  Vorsitz  eines  Juristen  end¬ 
gültig  über  nicht  im  Einigungsausschuss  erledigte  Streitigkeiten  ent¬ 
scheidet  und  schliesslich  die  Kontrollkommissionen,  die  z.  T.  ver¬ 
stärkt  werden. 

Ueber  die  Poliklinikenfrage,  die  durch  ein  Schreiben  der 
OKrK.  wieder  zur  Diskussion  kommt,  berichtet  Herr  Arthur  M  u  e  1  - 
ler.  Der  Verein  befindet  sich  nach  den  neuen  Verträgen  in  einer 
sehr  günstigen  Lage,  da  ohne  seine  Genehmigung  die  Kassen  keine 
Sonderverträge  mit  Polikliniken  abschliessen  dürfen.  Er  empfiehlt, 
der  Kasse  zu  erlauben,  geringe  Leistungen  für  Aufwand  von  Ma¬ 
terialien,  wie  es  die  Regierung  wünscht,  den  Polikliniken  zur  Ver¬ 
fügung  zu  stellen.  Dieser  massvolle  Vorschlag  findet  nach  einer 
Debatte,  an  der  sich  die  Herren  Strähuber,  Lukas,  Hecht 
beteiligen,  die  Zustimmung  der  Anwesenden.  Doch  soll  er  entspre¬ 
chend  einem  Anträge  des  Herrn  Hecht  vor  der  endgültigen  Er¬ 
ledigung  auf  die  Tagesordnung  der  nächsten  Sitzung  gesetzt  werden. 


Schliesslich  wird  noch  folgender  Antrag  Hecht  dem  Sinne 
nach  einstimmig  angenommen: 

Die  Versammlung  beauftragt  die  Vorstandschaft  des  Aerzte- 
vereins  für  freie  Arztwahl,  zunächst  bei  der  Ortskrankenkasse  dahin 
vorstellig  zu  werden,  dass  bei  arbeitsfähigen  Kranken,  die  kein  Kran¬ 
kengeld  beziehen.  ein  Arztwechsel  —  sowohl  für  häusliche,  wie  für 
Sprechstundenbehandlung  —  bei  der  gleichen  Krankheit  ebenso,  wie 
cs  bisher  schon  bei  erwerbsunfähigen  Patienten  Gepflogenheit  war, 
nur  nach  vorher  eingeholter  Zustimmung  der  Kasse  statthaft  ist.“ 

Die  Diskussion,  an  der  sich  die  Herren  Schneider,  Lukas. 
D  o  1 1  m  a  n  n,  H  ö  f  1  nt  a  y  r,  A.  M  u  e  1 1  e  r  beteiligen,  führt  eine  Fülle 
grotesker  Beispiele  über  die  Ausbeutung  der  Kassen  und  der  Aerzte 
durch  Patienten,  die  in  der  gleichen  Krankheit  einen  Arzt  nach  dein 
andern  konsultieren,  ebenso  aber  auch  die  organisatorischen  Schwie¬ 
rigkeiten  der  vorgeschlagenen  Regelung  zutage. 

Koebner  -  München. 

Einigungsausschuss. 

§  31. 

1.  Der  Einigungsausschuss  hat  den  Zweck: 

a)  alle  gemeinsamen  Angelegenheiten  auf  Wunsch  einer  der 
beiden  Vertragsparteien  zu  besprechen; 

b)  Beschwerden  aber  Art,  die  von  Aerzten  gegen  Kassenmu- 
glieder  oder  die  Verwaltung  der  Krankenkassen  oder  von 
diesen  gegen  Aerzte  erhoben  werden,  zu  erledigen; 

c)  eine  gütliche  Beilegung  von  Streitigkeiten,  die  aus  dem  \  er- 
tragsverhältnis  entstehen,  herbeizuführen. 

2.  Der  Einigungsausschuss  setzt  sich  zusammen  aus  3  Mitglieder! 
des  Münchener  Aerztevereins  für  freie  Arztwahl  und  3  Vertretern  der 
betr.  Krankenkasse  und  den  Geschäftsführern  beider  Teile.  Die  Mit¬ 
glieder  des  Ausschusses  werden  alljährlich  von  der  Mitgliederver¬ 
sammlung  gewählt;  in  gleicher  Zahl  sind  Ersatzleute  zu  wählen. 

Den  Vorsitz  in  den  Ausschusssitzungen  führt  abwechselnd  von 
Fall  zu  Fall  ein  Arzt  oder  ein  Vertreter  der  Kasse.  Das  erstemal  ent¬ 
scheidet  das  Los. 

3.  Dem  Einigungsausschuss  steht  das  Recht  zu,  Ordnungsstrafe 
von  10—500  M.  zu  verhängen.  Verweis  auszusprechen  und  auf  Sus¬ 
pension  auf  die  Dauer  von  3  Monaten  bis  zu  einem  Jahr,  ferner  auf 
Ausschluss  zu  erkennen. 

4.  Der  Einigungsausschuss  ist  nur  beschlussfähig,  wenn  er  voll¬ 
zählig  ist.  Die  Beschlüsse  werden  mit  einfacher  Stimmenmehrheit 
gefasst.  Dem  Vorsitzenden  kommt  ein  Stichentscheid  nicht  zu.  Be; 
Stimmengleichheit  ist  die  Beschwerde  von  dem  Schiedsausschuss  zu 
erledigen.  Die  Geschäftsführer  beider  Teile  sind  nicht  stimm¬ 
berechtigt. 

5.  Das  Protokoll  ist  doppelt  auszufertigen  und  von  den  sämt¬ 
lichen  Beteiligten  zu  unterzeichnen. 

Schriftliche  Kundgebungen  des  Ausschusses  (Briefe)  sind  von 
einem  dazu  bevollmächtigten  Mitgliede  des  Vereins  und  der  betr. 
Kasse  zu  unterzeichnen. 

b.  Gegen  den  Beschluss  des  Einigungsausschusses  ist  binnen 
14  Tagen  vom  Tage  der  Zustellung  des  Beschlusses  ab  gerechnet 
Berufung  zum  Schiedsausschuss  zulässig. 

Die  Berufung  ist  schriftlich  beim  Vorsitzenden  des  Schiedsaus- 

schusses  einzureichen. 

Von  aer  Berufung  ist  beiden  Parteien  Mitteilung  zu  machen. 

Schiedsausschuss. 

§  32. 

1.  Kommt  eine  gütliche  Einigung  nicht  zustande,  so  bildet  der 

Einigungsausschuss  den  Schiedsausschuss.  y, 

2.  Der  Vorsitz  in  diesem  Schiedsausschuss  ist  einem  mit  der  Be¬ 
fähigung  zum  Richteramte  oder  zum  höheren  Verwaltungsdienste  aus¬ 
gestatteten  Juristen  zu  übertragen,  der  auch  stimmberechtigt  ist. 
Einigen  sich  die  Parteien  nicht  auf  den  Vorsitzenden,  so  ist  das 
städtische  Versicherungsamt  zu  ersuchen,  einen  solchen  zu  ernennen 
Der  Schiedsausschuss  entscheidet  mit  Stimmenmehrheit  endgült  - 
unter  Ausschluss  des  Rechtsweges.  Die  Geschäftsführer  beider  Teile 
sind  nicht  stimmberechtigt. 

3.  Die  Grundlagen  zur  Entscheidung  beschafft  sich  der  Vor¬ 
sitzende  bzw.  der  Schiedsausschuss  nach  freiem  Ermessen. 

4.  Die  etwaigen  Kosten  w  erden  von  beiden  Parteien  zu  gleiche: 

Teilen  getragen.  #• 

5.  Ueber  die  Verhandlungen  des  Schiedsausschusses  ist  ein  Proto¬ 
koll  aufzunehmen,  das  besonders  die  Entscheidungsgründe  genauester^ 
wiedergibt  und  vom  Vorsitzenden  zu  unterzeichnen  ist.  Das  Proto¬ 
koll  muss  den  beiden  Parteien  baldmöglichst  zugeleitet  werden. 

1.  Honorarkontrollkommission. 

§  35. 

Die  Honorarkontrollkommission  besteht  aus  24  Mitgliedern,  und 
zwrnr  aus  12  praktischen  Aerzten  und  12  Spezialärzten  (ein  Internist- 
ein  Chirurg,  ein  Gynäkologe,  ein  Augenarzt,  ein  Vertreter  de: 
Laryngologie,  ein  Otologe,  ein  Magendarmspezialarzt,  ein  Dermau- 
loge,  ein  Nervenarzt,  ein  Orthopäde  und  zwei  Röntgenologen). 

4.  Arzneimittelkommission  betr.: 


21.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1655 


2.  Arzneimittelko  mm  issio  n. 

§  36. 

Abs.  1.  Die  Arzneimittelkommission  besteht  aus  15  Mitgliedern: 
einem  1.  und  2.  Vorsitzenden,  einem  1.  und  2.  Schriftführer  und  11  Bei¬ 
sitzern.  Der  Vorsitzende  wird  von  der  Mitgliederversammlung  ge¬ 
wühlt  auf  Vorschlag  der  Kommission. 

Abs.  3.  Die  Arzneimittelkommission  wählt  jährlich  5  Aerzte  aus 
ihrer  Mitte,  welche  die  von  den  Apothekern  den  Kassen  vorgelegten 
Verordnungen  prüfen  und  den  einzelnen  Kollegen  mitteilen,  inwiefern 
ökonomischer  verordnet  werden  kann. 

5.  Krankenkontrollkommission  betr.: 

3.  Krankenkontrollkommission. 

§  37. 

Abs.  3.  Der  behandelnde  Arzt  erhält  Mitteilung  über  die  Ent¬ 
scheidung  der  Krankenkontrollkommission. 


Verschiedenes. 

Therapeutische  Notizen. 

Das  Lrystyptikum  „Roche“  stellt  eine  Kombination  von 
nydrastinum  syntheticum,  Hydrastisextrakt  und  Sekakornin  dar. 
Max  F  e  I  d  m  a  n  n  -  Charlottenburg  hat  damit  sehr  gute  Erfahrungen 
bei  Blutungen  aller  Art  gemacht  Er  empfiehlt  es  als  ein  durchaus 
zuverlässiges  Mittel,  das  sich  gegenüber  dem  Hydrastisextrakt  noch 
durch  seine  Billigkeit  auszeichnet.  (Ther.  Mh.  1914,  4.)  Kr. 

Die  gute  Wirkung  des  C  o  d  e  o  n  a  1  K  n  o  1 1  bei  gastrischen 
Krisen  der  Tabiker  veranlasst  mich,  kurz  auf  dieses  Präparat  hin- 
zuw  eisen,  weil  wir  gegen  die  sehr  heftigen  Schmerzen  ausser  Mor- 
P  .F^^^ktionen  nicht  viel  wirksame  Medikamente  besitzen.  In 
auflallender  Weise  haben  Dosen  von  1—2  mal  täglich  je  3  Stück  von 
den  tertigen  labletten  ä  0,17  die  Schmerzen  sehr  bald  beseitigt,  so 
dass  man  dann  weit  seltener  zum  Morphium  zu  greifen  braucht. 

Uodeonal  ist  ein  sog.  Kombinationspräparat  ä  la  Biirgi  von 
Codein  und  Natr.  Diäthylbarbitur.  Die  Komponenten  sollen  eine 
potenzierte  W  irkung  besitzen,  weil  die  kombinierten  Narkotika  zu 
chemisch  nicht  verwandten  Gruppen  gehören.  Diese  vermehrt  be¬ 
ruhigende  Wirkung  habe  ich  auch  festgestellt  bei  Potatoren  mit 
grosser  Unruhe,  denen  ich  wie  oben  auch  2  mal  täglich  je  3  Tabletten 
verordnet.  Ferner  habe  ich  noch  bei  hartnäckiger  Schlaflosigkeit, 
bei  welcher  andere  Schlafmittel  nicht  mehr  reagierten,  von  dem 
immerhin  als  harmlos  bezeichneten  Codeonal  günstige  Erfolge  erzielt, 
wenn  1  mal  am  Abend  3  Tabletten  eingenommen  wurden.  Eine  weit 
höhere  Dosis  von  Natr.  Diäthylbarbitur.,  als  die  in  dem  Codeonal 
enthaltene,  hatte  vorher  keine  Wirkung.  Das  Mittel  wird  gut  ver¬ 
tragen  und  besitzt  keine  störenden  Neben-  und  Nachwirkungen. 

Dr.  U  m  b  r  e  i  t  -  Charlottenburg. 

Für  eine  konstitutionell  individualisierende 
abestherapie  tritt  Richard  Stern-  Wien  ein.  Nach  seinen 
Beobachtungen  weisen  85  Proz.  aller  Tabiker  eine  abnorme  und 
krankhafte  Konstitution  auf,  und  zwar  fand  er  in  50  Proz.  der 
Fälle  einen  asthenischen  Habitus,  und  in  35  Proz.  der  Fälle  wiesen 
die  Patienten  einen  abnormen  Breitwuchs  und  beträchtlichen  Adi¬ 
positas  auf.  Nur  der  Rest  —  15  Proz.  —  der  untersuchten  Tabesfälle 
trugen  nichts  von  Asthenikertum  oder  Breitwuchs  an  sich.  Stern 
kommt  daher  zu  dem  Schluss,  dass  konstitutionelle  Krankheiten  im 
allgemeinen  einen  fast  unerlässlichen  Bestandteil  der  tabischen  Er¬ 
krankung  bilden  und  definiert  die  Tabes  als  spinale  Lues  bei 
Konstitutionskrankheit,  vor  allem  bei  asthenischer  Kon¬ 
stitution. 

Für  die  Therapie  der  Tabes  wünscht  er  eine  möglichste  Be¬ 
rücksichtigung  der  Konstitution  des  Kranken.  Er  warnt  vor  einer  zu 
energischen  Jodtherapie  bei  asthenischen  Tabikern,  da  bei  jedem 
Astheniker  mit  der  Möglichkeit  eines  wenn  auch  latenten  Thyreoi- 
hsmus  gerechnet  werden  muss,  und  das  Jod  in  diesen  Fällen  grossen 
schaden  anrichten  kann.  (Ther.  Mh.  1914  H.  6.)  Kr. 

Die  Punktion  eines  grossen  Herzbeutelergusses 
Rücken  aus,  wie  es  H.  Curschmann  bereits  im  Jahre 
90/  für  geeignete  Fälle  empfohlen  hat,  beschreibt  0.  M  o  o  g  -  Frank- 
urt.  Bei  den  grossen  perikardialen  Ergüssen  sammelt  sich  die 
lauptmenge  der  Flüssigkeit  im  hinteren  linken  Perikardialraum  an 
.  oennt  sich  nach  der  hinteren  Thoraxwand  zu  aus.  Dadurch 
vird  die  Lunge  teils  komprimiert,  teils  nach  oben  und  medianwärts 
erdrangt,  so  dass  der  Herzbeutel  der  hinteren  Brustwand  direkt  an- 
,  jegt.  Bei  Vornahme  dieses  Verfahrens  ist  nur  immer  zu  bedenken, 
ass  man  unter  Umständen  einen  Pneumothorax  setzen  kann.  (Ther. 
>lh.  1914  H.  6.)  j<r 

Galerie  hervorragender  Aerzte  und  Naturforscher. 
er  heutigen  Nummer  liegt  das  342.  Blatt  der  Galerie  bei:  Hugo 
J  on  eck  er.  (Siehe  den  Nekrolog  hiezu  auf  S.  1629  d.  Nr.) 


Tagesgeschichtliche  Notizen. 


München,  den  20.  Juli  1914. 

Wie  uns  mitgeteilt  wird,  soll  die  Sitzung  der  bayer.  Aerzte- 
vmmnern  vom  Herbst  1914  ausfallen.  Es  ist  beabsichtigt  im  Frühjahr 
1915  eine  gesetzliche  Standes-  und  Ehrengerichtsordnung  von  den 
Kammern  beraten  zu  lassen,  und  zwar  wahrscheinlich  in  einer  ge- 
m  einsamen  Sitzung  der  sämtlichen  8  Kammern.  Vorher  sollen  die 
Bezirksvereine  und  ständigen  Ausschüsse  Zeit  haben,  den  fertig¬ 
gestellten  Entwurf  zu  beraten. 

~  Man  schreibt  uns  aus  Wien:  Das  Unterrichtsministerium  hat 
im  Einvernehmen  mit  der  Wiener  medizinischen  Fakultät  eine  Be- 
schrankung  der  Zahl  der  in  den  ersten  Jahrgang  neu  aufzunehmenden 
Mediziner  eintreten  lassen.  Für  das  Studienjahr  1914/15  wurde  die 
.l1*  ~;®r  zur  Immatrikulation  zuzulassenden  Studierenden  der  Medizin 
mit  400  festgesetzt.  Von  den  zur  Inskription  sich  meldenden  Medi¬ 
zinern  werden  jene  aus  Niederösterreich  und  aus  denjenigen  Kron- 
landern,  in  welchen  eine  Universität  mit  einer  medizinischen  Fakultät 
ment  besteht,  sowie  die  aus  Bosnien  und  der  Herzegowina  in  erster 
Linie  inskribiert.  Studierende  aus  den  übrigen  Kronländern,  dann 
Ausländer  können  erst  nach  den  Vorgenannten,  bis  die  genannte  üe- 
sammtzahl  von  400  erreicht  ist,  aufgenommen  werden.  Studierende 
anderer  Fakultäten  können  sich  für  die  Uebungen  im  Seziersaale  nicht 
inskribieren  Die  Verfügung  gilt  vorläufig  nur  für  das  nächste  Stu¬ 
dienjahr  Der  massenhafte  Andrang  von  Medizinern  (in  Wien  wurden 
im  Vorjahre  630  ordentliche  Hörer  der  Medizin  neu  immatrikuliert,  in 
allen  5  Jahrgangen  gab  es  2818  Mediziner,  darunter  184  Frauen),  dann 
der  Umstand,  dass  es  trotz  des  Neubaues  von  2  Seziersälen  sowohl  in 
der  Anatoime  als  insbesonders  in  der  Histologie  an  Räumlichkeiten 
fehlte  da  die  Sezierübungen  gleichzeitig  von  den  Hörern  des  I.  und 
I.  Jahrganges  besucht  werden  und  das  neue  histologische  Institut  im 
Bau  begriffen  ist,  endlich  deshalb,  weil  es  Leichenmangel  gab  (im 
Vorjahr  wurden  der  Anatomie  nur  114  Leichen  zur  Verfügung  ge¬ 
stellt  aus  diesen  Gründen  erschien  dem  Professorenkollegium  und 
dem  Unterrichtsministerium  die  zeitweilige  Einführung  eines  Numerus 
clausus  angezeigt.  Das  Wiener  medizinische  Professorenkollegium 
hatte  gleichzeitig  eine  Verteuerung  des  Studiums  in  Vorschlag  ge¬ 
bracht;  davon  ist  aber  bisher  noch  nichts  verlautbart  worden  Hin¬ 
gegen  melden  die  politischen  Blätter  vom  selben  Tage,  dass  das 
Marinemimsterium  vier  neue  Dreadnoughts  bauen  lässt,  welche  in 
den  nächsten  Jahren  fertiggestellt  werden.  Ein  Kommentar  erscheint 
uns  überflüssig! 


«j  a  n 


ton  um  für  unbemittelte  weibliche  Lungen¬ 
kranke  in  Unterfranken  eröffnet.  Die  Anstalt  liegt  am 
Rande  des  Spessart,  ist  modern  eingerichtet  und  bietet 
6)  Kianken  I  latz;  neben  den  grösseren  Abteilungen  sind  8  ein¬ 
bettige  und  6  zweibettige  Zimmer  vorhanden.  Leitender  Arzt  ist 
m  *  ^n-  V  n\  fruI?erer  Assistenzarzt  der  Heilstätte  Hohwald  bei 
Neustadt  l.  S.  Aus  Anlass  der  Eröffnung  der  Anstalt  wurde  dem  Geh. 
Kommerzienrat  H.  S  t  ü  r  t  z,  Universitätsbuchdruckereibesitzer,  die 
Wurde  eines  Ehrendoktors  der  medizinischen  Fakultät  verliehen 
n  T  D,er  £Jeubau  der  Deutschen  Heilstätte  in  Davos,  „das 
Deutsche  Haus  in  Agra“  wird  am  1.  September  d.  J.  dem 
Betrieb  ubergeben.  Die  neue  Anstalt  wird  weiteren  hundert  minder¬ 
bemittelten  und  bedürftigen  deutschen  Lungenkranken  Aufnahme  ge¬ 
wahren  können.  Leider  reichen  die  hier  und  die  138  in  Davos  zur 
Vei fugung  stehenden  Betten  fiir  den  Bedarf  bei  weitem  nicht  aus; 
das  Jahr  1913  brachte  1065  Anfragen  von  minderbemittelten  deutschen 
Lungenkranken  der  gebildeten  Stände!  Die  Anstalten  sind  voll¬ 
ständig  aus  freiwilligen  Beiträgen  errichtet  und  auf  die  Hilfsbereit¬ 
schaft  der  deutschen  Landsleute  angewiesen. 

—  Nach  einer  Entscheidung  des  Kgl.  Kammergerichtes  in  Berlin 
ist  die  Bezeichnung  „Emser  Karamellen“,  „E  m  s  e  r 
Pastillen“  eine  Herkunftsbezeichnung  und  darf  nur  für  solche 
Produkte  gebraucht  werden,  die  aus  den  Königlichen  Betrieben  zu 
Bad  Ems  herstammen. 

,  —  Zu.  der  tagesgeschichtlichen  Notiz  über  den  40.  Deutschen 

Aerztetag  in  München  in  Nr.  27  d.  Wschr.  ist  zu  ergänzen,  dass  die 
an  dem  Sanatorium  „Dr.  Wiggers  Kur  heim“  in  Partenkirchen 
tätigen  Aerzte  Dr.  E  i  o  h  1  e  r,  Dr.  L  y  d  t  i  n,  Dr.  Meyer  und 
Dr.  S  e  i  g  e  Mitbesitzer  der  Anstalt  sind. 

—  ■ Die  Kgl-  medizinische  Akademie  in  Turin  hat  soeben  den 
Wettbewerb  für  die  13.  Preisverteilung  „Riberi“ 
über  20  000  L.  eröffnet,  für  wissenschaftliche  Arbeiten  auf  dem  Gebiete 
der  medizinischen  Disziplinen  im  allgemeinen.  Interessenten  wollen 
sich  bis  zum  31.  Dezember  1916  melden.  Wegen  der  Wettbewerbs- 
bedingungen  wolle  man  sich  an  das  „Sekretariat  der  Akademie  der 
Medizin,  18,  via  Po,  Turin“  wenden. 

—  Der  Jahresbericht  des  deutschen  Kranken¬ 
hauses  in  Neapel  für  das  Verwaltungsjahr  1913/14  zeigt  eine 
2?»™®  dfr  Besi,chsziffer  der  Anstalt,  die  von  281  Kranken  mit 
5443  Pflegetagen  auf  356  mit  6501  Pflegetagen  stieg.  Die  Einnahmen 
stiegen  nicht  m  gleichem  Masse,  da  11  Proz.  der  Kranken  gratis, 
52  Proz.  in  der  III.  Klasse  verpflegt  wurden.  60  Proz.  der  Pa¬ 
tienten  waren  Deutsche.  In  der  Poliklinik  wurden  1131  Gratiskonsul¬ 
tationen  erteilt,  229  mehr  als  im  Vorjahre. 

~  Bine  Zeitschrift  „D  i  a“  wird  den  Aerzten  mit  der  Zumutung 
ins  naus  geschickt,  sie  in  ihrem  Wartezimmer  aufzulegen,  ,  da  sie 
ganz  den  Anforderungen  des  Leipziger  wirtschaftlichen  Verbandes 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  >9. 


1 656 


entspreche“.  Wir  sprechen  von  einer  Zumutung,  da  nicht  nur  davon 
die  Rede  ist.  „dass  die  Zeitschrift  eine  Menge  von  Ratschlägen  bringe, 
die  über  das  ärztliche  Gebiet  hinausgehen“,  sondern  sogar  Ankündi¬ 
gungen  der  Frau  Dr.  Fischer-Dückelmann  (die  zu  ihren 
übrigen  Qualitäten  auch  noch  Förderin  des  Zentralverbandes  für  Pari¬ 
tät  der  Heilmethoden  ist),  des  Diabetes-Bauer  usw.  bringt. 
Dieser  Hinweis  wird  genügen,  um  dem  Geschäftsunternehmen  die 
richtige  Würdigung  bei  den  Aerzten  zu  verschaffen! 

—  Die  zweite  internationale  Konferenz  für  Schul- 
u  n  d  Volksbäder  findet  vom  7.— 10.  August  d.  J.  in  Brüssel  statt. 

—  Die  Retroflexionsoperationen  werden  den  im  Sep¬ 
tember  1915  in  New  York  tagenden  VII.  Internationalen 
Kongress  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie  beschäf¬ 
tigen.  Ein  Bericht  über  die  Spätresultate  der  verschiedenen  Opera¬ 
tionsmethoden  (Ref. :  van  de  V  e  1  d  e  -  Haarlem)  wird  die  Grund¬ 
lage  für  die  Diskussion  bilden.  Zur  Erhaltung  eines  grossen  statisti¬ 
schen  Materiales  ist  die  Mitarbeit  vieler  Operateure  durchaus  not¬ 
wendig.  Eine  Kommission,  bestehend  aus  den  Herren:  A.  Martin- 
Berlin,  E.  Schauta-  Wien,  J.LFaure-  Paris,  L.  Pcstalozza- 
Rom,  Dm.  de  Ott-St.  Petersburg,  J.  Riddle  G  o  f  f  e  -  NewYork, 
H.  Spencer-  London,  Th.  H.  van  de  Velde-  Haarlem,  vom 
VI.  Kongress  (Berlin  1912)  ernannt,  hat  die  Eachkollegen  aller  Länder 
um  diese  Mitwirkung  nachgesucht  und  schon  zahlreiche  Zusagen  er¬ 
halten.  Die  Kommission  bittet  diejenigen  Operateure,  die  sich  noch 
nicht  zur  Teilnahme  an  der  Untersuchung  gemeldet  haben,  aufs  Dring¬ 
lichste,  sich  noch  zur  Mitarbeit  zu  entschlossen,  und  dieses  dem  Re¬ 
ferenten  (Adresse:  Vrouwenkliniek  Haarlem)  mitzuteilen,  der  zu  jeder 
gewünschten  Auskunft  gerne  bereit  ist. 

Der  erste  Internationale  Kongress  für  Se¬ 
xualforschung  findet  in  Berlin  vom  31.  Oktober  bis  zum  4.  No¬ 
vember  d.  .1.  statt.  Weit  über  1(30  Vorträge  sind  schon  jetzt  ange¬ 
meldet.  Fast  alle  Kulturländer  werden  durch  ihre  ersten  Sexual¬ 
forscher  vertreten  sein.  Von  Vortragenden  seien  folgende  genannt: 
August  v.  Wassermann,  Stanley  H  a  1 1  -  Worcester,  Julius 
Wolf;  S  t  e  i  n  a  c  h  -  Wien  wird  seine  Forschungen  über  die  Be¬ 
einflussung  der  Geschlechtscharaktere  durch  Austausch  der  Pubertäts¬ 
drüsen  mitteilen  und  durch  Demonstrationen  erläutern.  Es  seien 
fei  ner  genannt  :Straussv.  Tomen,  Seeberg,  Min  gazzini- 
Rom,  D  e s  s  o  i  r,  M  i  c  h  e  1  s -  Basel,  G  o  1  d s c  h  e  i  d  -  Wien,  Mit- 
terinaier  -  Giessen,  Rene  Worms-  Paris,  Edward  Carpenter- 
England,  Finger-  Halle,  v.  Liebermann  -  Pest,  Klumker- 
Frankfurt,  Leppmann,  S  t  e  1 1  h  e  i  m  -  Tübingen,  R  u  h  1  a  n  d  - 
Würzburg,  V  e  i  t  -  Halle,  M  e  n  g  e  -  Heidelberg,  Ziemann,  Bro- 
man  -  Lund,  Havelock  E  1 1  i  s  -  London,  Flournoy  -  Genf,  U  r  s  i  n  - 
Finnland,  S  e  r  g  i  -  Rom,  G  i  n  i  -  Padua,  R  o  b  e  r  t  y  -  Petersburg, 
T  a  1  m  e  y  -  New  York.  Teilnehmerkarten  zum  Preise  von  10  M.  sind 
für  Nichtmitglieder  der  Internationalen  Gesellschaft  für  Sexual¬ 
forschung  Wochentags  von  8 — 1  Uhr  im  Kongressbureau  (Sanitätsrat 
Dr.  Mol  1,  Kurfürstendamm  45)  zu  erhalten.  Hier  werden  auch  alle 
sonstigen  Anfragen  mündlich  oder  schriftlich  erledigt. 

—  Der  nächste  psychiatrische  Fortbildungskurs  an 
der  psychiatrischen  Klinik  in  München  findet  vom  15.  Februar  bis 
6.  März  1915  statt.  Näheres  siehe  Umschlag  dieser  Nummer  S.  7. 

—  Cholera.  Straits  Settlements.  In  Singapore  vom  26.  April 
bis  30.  Mai  112  Erkrankungen  und  72  Todesfälle.  —  Hongkong.  Vom 
17.  Mai  bis  6.  Juni  1  Erkrankung  und  1  Todesfall. 

—  Pest.  Deutsch  Ostafrika.  In  Muansa  sind,  zufolge  nachträg¬ 
licher  Mitteilung,  in  der  Zeit  vom  21.  bis  26.  Februar  3  Polizeiaskaris 
an  der  Pest  gestorben.  Vom  11.  bis  27.  März  wurden  unter  den  dort 
ansässigen  Indern  3  Pestfälle  festgestellt,  davon  2  mit  tödlichem 
Ausgang;  ferner  ist  am  18.  März  eine  mit  der  Rattenvertilgung  be¬ 
schäftigt  gewesene  Person  der  Pest  erlegen.  —  Russland.  Im  Gouv. 
Astrachan  starben  in  der  Siedelung  Arschanskoje  Tebe  (Kalmücken- 
Steppe)  vom  31.  Mai  bis  5.  Juni  5  Personen.  In  dem  Orte  Bulanai 
sind  seit  Ende  Mai  im  ganzen  10  pestverdächtige  Erkrankungen  mit 
9  Todesfällen  festgestellt  worden.  —  Britisch  Ostindien.  Vom  31.  Mai 
bis  6.  Juni  erkrankten  3586  und  starben  2271  Personen.  —  Nieder¬ 
ländisch  Indien.  Vom  3.  bis  16.  Juni  wurden  620  Erkrankungen  (und 
555  Todesfälle  gemeldet.  —  Hongkong.  Vom  17.  Mai  bis  6.  Juni 
422  Erkrankungen  (davon  251  in  der  Stadt  Viktoria)  und  361  Todes¬ 
fälle.  —  Senegal.  Laut  Mitteilung  vom  15.  Mai  sind  in  Dakar  unter 
den  Eingeborenen  12  Pestfälle  festgestellt  worden.  —  Venezuela.  In 
Miranda  laut  nachträglicher  Meldung  am  16.  April  1  Todesfall.  — 
Ecuador,  ln  Guayaquil  vom  1.  bis  30.  April  2  Erkrankungen.  — 
Havaii.  In  Honakaa  am  11.  Juni  1  Erkrankung  und  1  Todesfall. 

—  In  der  26.  Jahreswoche,  vom  28.  Juni  bis  4.  Juli  1914,  hatten 
von  deutschen  Städten  über  40  000  Eimvohner  die  grösste  Sterblich¬ 
keit  Jena  mit  29,1,  die  geringste  Berlin-Friedenau  mit  3,3  Todesfällen 
pro  Jahr  und  1000  Einwohner.  Mehr  als  ein  Zehntel  aller  Gestorbenen 
starb  an  Scharlach  in  Königshütte,  an  Masern  und  Röteln  in  Ulm,  an 
Unterleibstyphus  in  Wiesbaden.  Vöff.  Kais.  Ges.A. 

(Hochschulnachrichten.) 

Frankfurt  a.  M.  Nach  einer  Zusammenstellung  der  Strass¬ 
burger  Post  werden  an  der  neuen  Universität  folgende  Lehrkräfte 
wirken:  Innere  Medizin:  Schwenkenbecher;  Chirurgie: 
Rehn;  Frauenkrankheiten:  Walthard;  Dermatologie:  Herx- 
heimer;  Ohrenkrankheiten:  Voss;  Kinderkrankheiten:  v.  Met¬ 
ten  heim  er;  Augenkrankheiten:  Schnaudigel;  Kehlkopfleiden: 
Spiess;  physikalische  Therapie:  Strassburger;  Pharmako¬ 
logie;  Ehrlich;  Pathologie:  Fischer;  Psychiatrie:  Sioli  und 


als  Extraordinarius ;  R  a  e  c  k  e ;  Neurologie :  E  d  i  n  g  e  r ;  physi¬ 
kalische  Physiologie:  Bet  he  (bisher  Kiel);  chemische  Physiologie: 
Ein  b  den;  normale  Anatomie:  Göppert  (bisher  Marburg); 
Hygiene:  Neisser:  klinische  Neurologie:  Knoblauch;  experi¬ 
mentelle  Therapie:  Sachs;  epxperimentelle  Pathologie:  Apolant; 
Orthopädie:  Lu  dl  off  (bisher  Breslau).  Ausserdem  sind  noch  zwei 
Extraordinariate  für  gerichtliche  Medizin  und  Pharmakologie  und 
zwei  Lehraufträge  für  Zahnheilkunde  vorgesehen.  Die  soziale  Medi¬ 
zin  wird  bereits  durch  einen  Privatdozenten  (Ewald)  gelehrt. 

Halle  a.  S.  Die  medizinische  Fakultät  hat  dem  Direktor  der 
Universitätsohrenklinik  in  Jena,  Prof.  Dr.  Wittmaak,  die  goldene 
Schwartzemedaille  verliehen.  Die  Medaille  wird  alle  5  Jahre 
an  den  Verfasser  der  hervorragendsten  in  diesen  fünf  Jahren  er¬ 
schienenen  Arbeit  auf  dem  Gebiete  der  Ohrenheilkunde  vergeben.  — 
Als  Nachfolger  für  den  nach  Güttingen  berufenen  Direktor  der  Augen¬ 
klinik  Prof.  Dr.  Eugen  v.  Hippel  werden  die  Professoren  Wolfgang 
Stock  in  Jena  und  Franz  Schirek  in  Königsberg  von  der  Fakul¬ 
tät  vorgeschlagcn. 

.1  e  n  a.  Als  Nachfolger  Prof.  Gärtners  auf  dem  Lehrstuhl 
der  Hygiene  ist  unico  loco  der  Geh.  Obermedizinalrat  Dr.  Abel, 
Vortragender  Rat  in  der  Medizinalabteilung  des  Ministeriums  des  In¬ 
nern  in  Berlin  vorgeschlagen. 

Strassburg.  Im  Hörsaal  des  pathologisch-anatomischen  In¬ 
stitutes  wurde  die  Büste  Friedrich  von  Recklinghausens  ent¬ 
hüllt. 

Tübingen.  Privatdozent  Prof.  Dr.  Walter  Alb  recht  in 
Berlin  wurde  zum  ausserordentlichen  Professor  und  Direktor  der 
Klinik  für  Nasen-,  Ohren-  und  Kehlkopfkrankheiten  als  Nachfolger 
Prof.  Wagen  häusers  berufen. 

Graz.  Die  Privatdozenten  DDr.  R.  Hesse  (Augenheilkunde) 
und  R.  P  o  1 1  a  n  d  (Dermatologie  und  Syphiligraphie)  erhielten  den 
Professortitel. 

Grenada.  Dr.  A.  Lecha-Marzo  wurde  zum  Professor 
der  gerichtlichen  Medizin  ernannt. 

Innsbruck.  Zum  Rektor  der  Universität  für  das  Studien¬ 
jahr  1914/15  wurde  der  Professor  der  Anatomie,  Dr.  Rudolf  Fick, 
gewählt. 

Kopenhagen.  Dr.  A.  V.  Lendorf  wurde  zum  a.  o.  Pro¬ 
fessor  der  Chirurgie  ernannt. 

R  o  in.  Als  Privatdozenten  habilitierten  sich  Dr.  O.  O  d  d  i  für 
externe  Pathologie,  Dr.  Massei  V  i  1 1  o  (Oto-Rhino-Laryngologie). 

(Todesfälle.) 

In  Berlin  starb  im  72.  Lebensjahre  der  ausserordentliche  Pro¬ 
fessor  der  Geburtshilfe  und  Gynäkologie,  Geh.  Medizinalrat  Dr.  Hein¬ 
rich  Fasbender. 

In  Halle  a.  S.  starb  im  Alter  von  82  Jahren  der  Marine-General¬ 
arzt  a.  D.  Dr.  Edmund  Metzner,  früher  Leibarzt  Kaiser  Friedrichs. 

(Berichtigung.)  In  dem  Bericht  über  die  Sitzung  der 
pädiatrischen  Sektion  der  Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinder¬ 
heilkunde  vom  25.  Juni  1914  in  Nr.  27,  S.  1535  d.  Wschr.  ist 
als  Vortragender  über  „Papaverin  gegen  Pertussis“  irr¬ 
tümlich  Dr.  F.  R  e  a  c  h  statt  Dr.  S.  Beer  genannt.  B.  gab  nicht 
Papaverin,  hydrochlor.  Roche  0,3:  1000,0,  sondern  0,3:  100,0  Aqua. 


Uebersicht  der  Sterbefälle  in  München 

während  der  26.  Jahreswoche  vom  28.  Juni  bis  4.  Juli  1914. 

Bevölkerungszahl  640000. 

Todesursachen:  Angeborene  Lebensschwäche  einschl.  Bildungs¬ 
fehler  14  (16 ‘),  Altersschw.  (über  60  Jahre)  4  (6),  Kindbettfieber  2(1), 
and.  Folgen  der  Geburt  und  Schwangerschaft  —  (1),  Scharlach  —  (— ), 
Masern  u.  Röteln  2  (3),  Diphtherie  u.  Krupp  —  ( — ),  Keuchhusten  —  (— ), 
Typhus  (ausschl.  Paratyphus)  —  ( — ),  akut.  Gelenkrheumatismus  —  (— \ 
übertragbare  Tierkrankh.,  d.  s.  Milzbrand,  Rotzkrankh.,  Hundswut, 
Trichinenkrankh.  —  (— ),  Rose  (Erysipel)  2  ( — ),  Starrkrampf  —  (1), 
Blutvergiftung  2  ( — ),  Tuberkul.  der  Lungen  19  (17),  Tuberkul.  and.  Org. 
(auch  Skrofulöse)  4  (6),  akute  allgem.  Miliartuberkulose  —  (1),  Lungen- 
entzünd.,  kruppöse  wie  katarrh.  usw.  7  (6),  Influenza  —  ( — ),  veneri¬ 
sche  Krankh.  1  (1),  and.  übertragbare  Krankh. :  Pocken,  Fleckfieber, 
Ruhr,  Genickstarre,  Strahlenpiizkrankh.,  Lepra,  asiat.  Cholera,  Wechsel¬ 
fieber  usw.  —  ( — ),  Zuckerkrankh.  (ausschl.  Diab.  insip.)  3  (— ),  Alkoholis¬ 
mus  —  (— ),  Entzünd,  u.  Katarrhe  der  Atmungsorg.  2  (4),  sonst.  Krankh. 
d.  Atmungsorgane  9  (2),  organ.  Herzleiden  19  (26),  Herzschlag,  Herz- 
lähinung  (ohne  näh.  Angabe  d.  Grundleidens)  4  (1),  Arterienverkalkung 
5  (2),  sonstige  Herz-  u.  Blutgefässkrankh.  2  (6),  Gehirnschlag  5  (9), 
Geisteskrank!).  1  (1),  Krämpfe  d.  Kinder  2  (1),  sonst.  Krankh.  d.  Nerven¬ 
systems  2  (3),  Atrophie  der  Kinder  4  (1),  Brechdurchfall  2  (2),  Magen¬ 
katarrh,  Darmkatarrh,  Durchfall,  Cholera  nostras  8  (10),  Blinddarm- 
entzünd.  4  ( — ),  Krankh.  der  Leber,  Gallenblase,  Bauchspeicheldrüse  u. 
Milz  3  (2),  sonst.  Krankh.  der  Verdauungsorg.  6  (4),  Nierenentzünd.  2  (7). 
sonst.  Krankh.  der  Harn-  u.  Geschlechtsorg.  2  (3),  Krebs  16  (14),  sonst. 
Neubildungen  4  (5),  Krankh.  der  äuss.  Bedeckungen  2  (— ),  Krankh.  der 
Bewegungsorgane  2  (— ),  Selbstmord  1  (1),  Mord,  Totschlag,  auch 
Hinricht.  —  ( — ),  Verunglückung  u.  andere  gewalts.  Einwirkungen  4  (5), 
andere  benannte  Todesursachen  3  (3),  Todesursache  nicht  (genau) 
angegeben  (ausser  den  betr.  Fällen  gewaltsamen  Todes)  —  (— ). 

Gesamtzahl  der  Sterbefälle:  174  (171). 

J)  Die  eingeklammerten  Zahlen  bedeuten  die  Fälle  der  Vorwoche. 


Verlag  von  ].  P  Lehmann  in  München  S.W.  2.  Paul  Heysestr.  26.  —  Druck  von  E.  Mühlthaler's  Buch-  und  Kunstdruckerei  A.G.,  München. 


Die  Münchener  Medizinische  Wochenschrift  erscheint  wöchentlich 
im  Umfang  von  durchschnittlich  7  Bogen.  .  Preis  ' 

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FOrdie  Redaktion  Amulfstr.26.  Bürozeit  der  Redaktion  SV,  -1  Uhr 
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Medizinische  Wochenschrift. 


ORGAN  FÜR  AMTLICHE  UND  PRAKTISCHE  ÄRZTE. 


Nr.  30.  28.  Juli  1914. 


Originalien. 


Aus  der  Universitäts-Frauenklinik  Erlangen  (Vorstand:  Prof. 

L.  S  e  i  t  z). 

Ueber  die  biologische  Funktion  des  Corpus  luteum,  seine 
chemischen  Bestandteile  und  deren  therapeutische  Ver¬ 
wendung  bei  Unregelmässigkeiten  der  Menstruation. 

Von  L.  Seitz,  H.  Wintz  und  L.  Fingerhut. 

Das  Corpus  luteum,  vor  nicht  allzulanger  Zeit  noch  als 
eine  besonders  geartete  Narbe  ohne  jede  biologische  Be¬ 
deutung  angesehen,  ist  in  neuerer  Zeit  als  ein  hochwichtiges 
rgan  erkannt  worden.  Es  ist  vor  allem  das  Verdienst  von 

Auf  L  doSen  Forlschritt  herbeigeführt  zu  haben. 

Auf  dem  (jedanken  Borns  fussend  versuchte  er  durch  Tier¬ 
experimente  und  klinische  Beobachtungen  die  Lehre  zu  be¬ 
gründen,  dass  das  Corpus  luteum  es  ist,  das  beim  Weibe  die 
Menstruation  auslost.  Genaue  histologische  Studien  der  ver¬ 
schiedenen  Phasen  der  Corpus-luteum-Entwicklung  durch 

?°Mer  ■  T,  Und  C  Ru^2)-  R-  Schröder3)  und 

J.  Miller  )  haben  so  gut  wie  sichergestellt,  dass  nicht,  wie 
™an  f'uh.f.[  meinte,  die  Menstruation  mit  dem  Platzen  des 
reifen  Follikels  einsetzt,  also  Ovulation  und  Menstruation  zeit¬ 
lich  zusammenfallen,  sondern  dass  die  Ovulation  im  Intervall 

stattflnript  H^gefahrn  1°  Tage  ,X0r  Eintritt  der  Menstruation 
stattfindet,  dass  sich  dann  ein  Corpus  luteum  bildet  und  dass 

W6nn  d^  gulbe  Körper  se'ne  volle  Reife  und  sein 
Blutestad.um  erremht  hat,  durch  das  vom  Corpus  luteum  ab- 
gesonderte  Hormon  die  Menstruation  ausgelöst  wird. 

.  M)t  dieser  Lehre  ist  die  bisher  überragende  Bedeutung 
^er  E‘r^l  upg’  der  Ovulation,  zwar  nicht  ganz  beseitigt,  aber 
Joch  bedeutend  in  den  Hintergrund  getreten  und  an  seine  Stelle 
st  das  Corpus  luteum  in  den  Mittelpunkt  der  zyklischen  Vor¬ 
gänge  an  den  Genitalien  gerückt.  Der  frühere  Satz-  Ohne 
Jvulation  keine  Menstruation,  muss  jetzt  heissen:  Ohne  Ovu- 

feine  MSrnSS‘,UteUm_Bild“"g  U"d  °hne  Corp,,s  Iuteum 
Wenn  die  bisher  vorgebrachten  Anschauungen  nunmehr 
!'s  wissenschaftlich  hinreichend  gesichert  angesehen  werden 
mnnen,  stossen  wir  aber  sofort  auf  Schwierigkeiten,  wenn  wir 
Pimn  derMFrage  beschäftigen,  wie  denn,  durch 
'CfenvMe(Chanismus-  durch  welche  che- 
n  senen  Kratte  sich  dieser  merkwürdige,  4  wöchentlich 
ich  wiederholende,  zyklische  Vorgang  vollzieht.  Es  hat  nicht 
i?ninaicSnChe£  gefehIt’  durch  chemische  Untersuchungen  und 

arefin  FinmX  nenm^ente  daS,Dunkel  zu  lüften  und  einen 
>•  h  i  Fn\lck  ia  die  verwickelten  Verhältnisse  zu  erhalten. 

S  d  1]tedoch  noch  nicht  gelungen,  brauchbare  und  ein¬ 
stige  Resultate  zu  erzielen. 

Die  Schwierigkeit  liegt  in  den  bisherigen  Arbeitsmethoden. 

•mhlPn°rnn’  nC  Sldl  b,fher  mit  dem  biologisch-chemischen 
roh  lern  der  Ovanalfunkt.on  und  Menstruation  beschäftigt 

olilm  laFei!  mJ!  Pr.esssaften  oder  mit  wässerigen  oder  alko- 
ohschen  Extrakten  des  gesamten  Eierstockes  oder  des  Corpus 

TT  u  7  gearbeFet.  Am  schwierigsten  zu  beurteilen 
.t  die  Wirkung  der  Presssäfte.  Wir  wissen  nicht,  was  sie 
nthahen,  sie  sind  ein  Mixtum  compositum  unbekannter 


yn.  V^n^s  f  1591 "  68'  I9°3'  S‘  438:  91‘  19ia  S-  705  und  Zbl-  f- 

•)  toh.SQGy„.1Im.%-.f:sArfh-  ''  °yn'  ,0°-  s-  1  ,,n<l  20' 

n  Arch.  f.  Oyn.  101.  1914.  S.  568. 

Nr  30. 


Körper;  von  einer  exakten,  für  die  Beurteilung  der  Wirkungs¬ 
weise  unentbehrlichen  Dosierung  kann  keine  Rede  sein;  wir 
müssen  mit  der  Möglichkeit  anaphylaktischer  Erscheinungen 
»  autolytische  Vorgänge  in  den  eiweisshaltigen  Säften 
r  d  Fau.ch  bei  vorsichtigster  Handhabung  nicht  zu  vermeiden. 
S^ahnusse  der  A'itolyse  und  der  parenteralen  Eiweissver- 
g,!  '  gr  haften  auch  den  wässerigen  Extrakten  an.  Die 
alkoholischen  Extrakte  verursachen  bei  der  Einspritzung 
-dunerzen  und  führen  leicht  zu  Abszessbildung.  Neben  der 
Verschiedenheit  der  Extrakt-  und  Presssäftewirkung  komm! 
noch  eine  weitere  Verschiedenheit  hinzu.  Der  eine  Autor  hat 

™  ;^p  X  akt  de,s  ganzen  0vars’  ein  anderer  mit  dem 
cxtiakt  des  Corpus  luteum,  ein  dritter  mit  dem  Extrakt  nur 
der  Lierstocksubstanz  ohne  Corpus  luteum  gearbeitet.  Bei 
dieser  Verschiedenheit  der  Versuchsanordnung  und  bei  der 
Verschiedenheit  des  verwendeten  Materials  ist  es  nicht  ver¬ 
wunderlich,  dass  die  Resultate  der  Autoren  vielfach  vonein¬ 
ander  abweichen  und  sich  teilweise  direkt  widersprechen. 

• *  *  Uas ^einzige  positive  Resultat  der  mannigfaltigen  Versuche 
ist  däs,  dass  es  teils  durch  Verfütterung  von  Ovarialpräparaten, 
teils  durch  Einspritzung  von  Extrakten  gelungen  ist,  im  Tier¬ 
experiment  eine  Hyperämie  und  Vergrösserung  des  Uterus 
edwejse  auch  Blutungsaustritte  an  den  Genitalien  zu  erzeugen 
,  A  d  1  e  l  Uschner  undG  r  igoresc  u'J),S  c  h  i  c  k  e  1  e7) 
scovesco  Asciiner*)].  Adler  und  Schickele 
konnten  auch  beim  Menschen  in  2  bzw.  in  einem  Falle  von 
Amenorrhoe  durch  Verabreichung  von  Eierstocksubstanz  und 
Corpus  luteum  eine  Menstruation  auslösen.  In  der  Mehrzahl 
der  Kranken  freilich  konnte  Adler  trotz  reichlicher  Gaben 
von  Ovarin  keine  Blutung  herbeiführen. 

Das  sind  Befunde,  die  alle  Beachtung  verdienen  und  die 
kaum  anders  zu  deuten  sind,  als  dass  im  Ovar  Substanzen  ent- 
halten  sind,  die  einen  besonderen  Einfluss  auf  den  Blutfüllungs¬ 
und  Ernährungszustand  des  Uterus  ausüben.  Mehr  lässt  sich 
bisher  nicht  sagen.  Wir  wissen  nicht,  ob  die  Substanzen  aus 
dem  Ovar  oder  aus  dem  Corpus  luteum  oder  aus  dem  Uterus 

“ -  T^11  ^Cht’  weIcher  Art  die  wirksamen 

Korpei  sind  Ja  bei  den  Presssäften  ist  nicht  einmal  auszu- 
schliessen,  dass  es  sich  um  die  Wirkung  des  eingespritzten 
aitfiemden  Eiweisses  handelt. 

Nur  H  e  r  r  m  a  n  n  D  hat  es  bisher  versucht,  den  wirk¬ 
samen  Körper  chemisch  schärfer  zu  fassen.  Er  hat  auf  dem 
Gynakologenkongress  in  Halle  (1913)  berichtet,  dass  es  ihm 
(ohne  nähere  Angabe  über  die  Herstellung)  gelungen  ist,  aus 
dem  Corpus  luteum  einen  Körper  zu  isolieren,  „ein  ungesättigtes 
azetonloshches  Pentaminphosphatid  (N .  b  :  P .  *),  ein  Phos- 
phatid,  wie  es  bisher  in  keinem  Organ  und  bei  keiner  Tier 
sPez>es  nachgewiesen  worden  ist“.  Im  Tierexperiment  er¬ 
zeugte  der  Körper  eine  bedeutende  Schwellung,  Hyperämie 
und  Vergrösserung  der  Uterushörner.  Ueber  Erfahrungen  am 
Menschen  hat  der  Autor  bisher  nicht  berichtet.  In  einem  Vor- 
f"der  W.i.ener  Naturforscherversammlung  [September 
pfe,r  llber  weitere  Tierversuche  berichtet,  die  die 
früheren  Erfahrungen  im  allgemeinen  bestätigen,  aber  doch 
auch  vielfach  negative  Resultate  ergaben.  Ueber  die  Sub- 

5)  Arch.  f.  Qyn.  95.  1911.  S.  391. 

_)  Arch.  f.  Gyn.  94.  H.  3. 

'  Arch.  f.  Gyn.  97.  1912.  S.  408. 

)  Arch.  f.  Qyn.  99.  1913.  S.  534. 

1913.  II  S  Iss!11”86”  dCr  Deutschen  Gesellschaft  für  Gynäkologie  15. 
f.  Gyn  IN9ai3UNnS42CS  1563  Aerzteversammlung  zu  Wien  1913.  Zbl. 


1 


1658 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  30. 


stanz  selbst  und  über  Erfahrungen  beim  Menschen  hat  der 
Autor  auch  in  diesem  Vortrage  nichts  mitgeteilt. 

Als  wir  uns  vor  SU  Jahren  an  die  Bearbeitung  der  Frage 
machten,  war  uns  nach  dem  vorher  Ausgeführten  klar,  dass 
die  treibenden  Kräfte  der  menstruellen  Vorgänge  im  Corpus 
luteum  selbst  zu  suchen  sind  und  dass  die  Ovarialsub- 
stanz  entweder  gar  nicht  oder  höchstens  nebensächlich  in  Be¬ 
tracht  kommt. 

Schon  die  mikroskopische  Betrachtung  des  Corpus  luteum 
zeigt,  dass  seine  Zellen  eine  grosse  Menge  fettähnlicher  Sub¬ 
stanzen  enthalten,  die  bei  Osmiumanwendung  und  auch 
bei  den  gewöhnlichen  Färbemethoden  durch  den  gelben  Farb¬ 
stoff,  das  Lutein,  leicht  erkenntlich  sind.  Dieser  gelbliche  fett¬ 
ähnliche  Stoff  ist  wenigstens  in  dieser  Form  dem  Corpus 
luteum  eigentümlich  und  muss  für  seine  Funktion  eine  Be¬ 
deutung  haben.  Denn  es  wäre  absurd,  anzunehmen,  dass  der 
Organismus  eine  solche  Menge  so  typisch  aussehender  Lipoide 
ohne  bestimmten  Zweck  produziert. 

Bei  der  Suche  nach  diesen  Stoffen  legten  wir  das  Haupt¬ 
gewicht  darauf,  in  erster  Linie  alle  vorerwähnten  Fehler¬ 
quellen  auszuSchalten  und  möglichst  mit  von  unnötigen  und 
schädlichen  Beimengungen  befreiten  Stoffen  zu  arbeiten.  In 
2.  Linie  kam  es  uns  auf  eine  exakte  und  gleichmässige 
Dosierung  an.  Denn  nur  so  lassen  sich  in  ihrer  biologischen 
Wirkungsweise  bisher  unbekannte  Stoffe  am  lebenden  Objekt 
einwandfrei  prüfen.  Als  letzte  Forderung  musste  das  Präparat 
zur  Injektion  geeignet,  reizlos  an  der  Injektionsstelle  und  halt¬ 
bar  sein.  Die  Injektion  bevorzugen  wir  deshalb  vor  der 
oralen  Verabreichung,  weil  nur  unter  Umgehung  des  Magen¬ 
darmkanals  solch  labile  Stoffe  möglichst  rein  in  die  Blutbahn 
kommen. 

Das  geeignete  Rohmaterial  bildet  das  Kuhovar.  Hier  ist 
das  Corpus  luteum  durch  eine  feste  bindegewebige  Schicht 
gegen  das  übrige  Ovarium  abgegrenzt  und  lässt  sich  ohne 
Mühe  als  ganzes  ausschälen.  Um  jegliche  Zersetzung  des  Roh¬ 
materials  zu  vermeiden,  wurde  das  Corpus  luteum  sofort  nach 
der  Schlachtung  der  Tiere  von  einem  angelernten  Schlacht¬ 
hofaufseher  in  bereitgestellten  Alkohol  in  dunklen  Flaschen 
aufgehoben11).  Wenn  eine  genügende  Menge  Corpora  lutea 
gesammelt  war,  wurden  sie  maschinell  zerkleinert  und  durch 
Extraktion  mit  Alkohol,  Chloroform,  Aether  und  Azeton  die 
Lipoide  des  Corpus  luteum  fraktioniert  dargestellt.  Nach 
Abdampfung  der  Extraktionsflüssigkeit  wurden  die  Restrück¬ 
stände  der  einzelnen  Lipoidgruppen  auf  ihre  charakteristische 
Lösungsmöglichkeit  untersucht.  Es  wurden  die  alkohol-, 
Chloroform-  und  azetonlöslichen  bzw.  unlöslichen  Bestandteile 
getrennt,  ebenso  auch  das  Cholesterin  für  sich  nach  Wind¬ 
aus  bestimmt;  schliesslich,  um  ein  injektionsfertiges  Präparat 
zu  gewinnen,  wurde  als  Lösungsmittel  fettes  Oel  benützt.  Die 
einzelnen  Lipoidgruppen  wurden  experimentell  in  ihrer  öligen 
Lösung  untersucht  und  schliesslich  fanden  wir  nach  mehrfacher 
Reinigung  als  wirksamste  Komponente  ein  Lipoid,  das  in 
Alkohol  unlöslich  ist,  in  Aether  und  Azeton  löslich  und  kein 
Choelsterin  mehr  enthält  und  das  wir  als  L  u  t  e  o  1  i  p  o  i  d  be¬ 
zeichnen. 

Wir  studierten  zuerst  die  biologischen  Eigenschaften  des 
Luteolipoids  in  ihrer  Einwirkung  auf  den  Tierkörper  und 
konnten  feststellen,  wie  wir  bereits  an  anderer  Stelle 12)  be¬ 
richteten,  dass  beim  Kaninchen  durch  Einspritzung  von  Luteo- 
lipoid  eine  Verkürzung  der  Gerinnungszeit  des  Blutes  eintritt, 
also  das  Blut  rascher  als  sonst  gerinnt.  Spritzt  man  das  Luteo- 
lipoid  beim  nichtkastrierten  Tiere  ein,  so  findet  eine  Beschleuni¬ 
gung  der  Blutgerinnung  weit  über  die  Norm  hinaus  statt;  bei 
kastrierten  Tieren,  bei  denen  infolge  des  Verlustes  des  Eier¬ 
stocks  die  Gerinnungszeit,  wie  auch  L.  Adler  gefunden  hat, 
verlangsamt  ist,  stellt  sich  nach  der  Einspritzung  des  Luteo¬ 
lipoids  wieder  normale  Gerinnungszeit  ein.  Wir  sind  also  auf 
chemisch-biologischem  Wege  im  Experiment  imstande,  die 
Veränderung  in  der  Blutgerinnung,  die  durch  den  Verlust  des 
Ovars  eingetreten  ist,  künstlich  durch  subkutane  Einverleibung 


11)  Wir  sind  der  Schlachthausdirektion  in  Nürnberg  und  nament¬ 
lich  Herrn  Bezirkstierarzt  Dr.  Karl  in  Bamberg  für  ihr  liebens¬ 
würdiges  Entgegenkommen  zu  grösstem  Danke  verpflichtet. 

12)  Sitzung  der  Bayerischen  Gesellschaft  für  Gynäkologie,  Ja¬ 
nuar  1914. 


des  Luteolipoids  aufzuheben.  Da  dieser  Stoff  ein  regelmässiger 
Bestandteil  des  Corpus  luteum  ist,  liegt  es  nahe,  anzunehmen, 
dass  das  Corpus  luteum  im  wesentlichen  auch  beim  Weibe 
die  Veränderung  in  der  Blutgerinnung,  die  zwichen  kastrierten 
und  nicht  kastrierten  Frauen  besteht,  bewirkt.  Im  Blutbild 
tritt  nie  eine  Veränderung,  weder  Leukozytose,  noch  Leuko¬ 
penie  ein.  An  den  Genitalien  konnten  wir  bei  langdauernder 
Injektion  eine  Hyperämie  mässigen  Grades  ohne  Vergrösse- 
rung  des  Uterus  erzielen,  die  jedoch  lange  nicht  die  Stärke 
erreichte,  wie  sie  frühere  Autoren  bei  ihren  Extrakten  und 
Presssäften  beobachteten.  Wohl  aber  gelang  es  uns,  mit  einem 
zweiten  von  uns  aus  dem  Corpus  luteum  isolierten  Stoff,  von 
dem  wir  später  noch  sprechen  werden,  diese  Erscheinungen 
der  Hyperämie  und  Vergrösserung  des  Uterus  in  einem  viel 
ausgesprochenerem  Masse  und  mit  stets  gleicher  Regelmässig¬ 
keit  hervorzurufen. 

Als  wir  uns  von  der  völligen  Ungefährlichkeit  des  Mittels 
hinreichend  überzeugt  hatten,  wendeten  wir  es  nach  voraus¬ 
gegangener  Injektion  am  eigenen  Körper  in  ausgedehntem 
Masse  bei  Frauen  an.  Wir  haben  das  Präparat  nunmehr  in 
über  200  Fällen  angewendet,  davon  haben  wir  50  seit 
%  Jahren  dauernd  in  Beobachtung  und  Kontrolle.  Eine  Ver¬ 
änderung  in  der  Blutgerinnung  Hess  sich  beim  Menschen  in 
den  von  uns  angewendeten  Dosen,  die  nur  einen  geringen  Teil 
der  im  Tierexperiment  verabreichten  Mengen  umfassten,  nicht 
nachweisen.  Erst  nach  dreiwöchentlichem  Gebrauch  sahen 
wir  in  einem  Falle  von  Kastration,  bei  der  sowohl  eine  Ver¬ 
langsamung  der  Blutgerinnungszeit  als  auch  ein  erhöhter  Blut¬ 
druck  bestand,  die  Blutgerinnung  und  den  Blutdruck  zur  Norm 
zurückkehren.  Das  Blutbild  erfuhr  niemals  eine  Veränderung. 

Dagegen  fiel  eine  Wirkung  des  subkutan  eingespritzten 
Luteolipoids  gleich  bei  den  ersten  Anwendungen  bei  men¬ 
struierenden  Frauen  deutlich  auf,  das  ist  die  blutungs- 
he  mm  ende  Wirkung  des  eingespritzten  Prä¬ 
parats  während  der  Menstruation.  Es  zeigte  sich 
aber  alsbald,  dass  nicht  alle  menstruierenden  Frauen  in  gleicher 
Weise  prompt  auf  das  Präparat  reagierten  und  wir  waren  vor 
die  Aufgabe  gestellt,  festzustellen,  bei  welchen  die  Einspritzung 
Erfolg  hat  und  bei  welchen  sie  versagt. 

Wir  möchten  zuerst  diejenige  Gruppe  von  Frauen  nennen, 
bei  denen  das  Lipoid  in  seiner  Wirkung  versagt.  Hierher  ge¬ 
hören  alle  Kranke,  die  Blutungen  haben,  die  mit  der 
Menstruation  nichts  zu  tun  haben.  Also  Schwan¬ 
gerschaftsblutungen,  Karzinomblutungen,  Blutungen  aus  Po¬ 
lypen  etc.  Die  Wirkungslosigkeit  des  Extraktes  bei  diesen 
Blutungen  ist  ohne  weiteres  verständlich,  da  es  sich  um  etwas 
prinzipiell  von  der  Menstruation  Verschiedenes  handelt. 

Eine  2.  Gruppe,  in  der  das  Lipoid  versagt,  sind  Frauen 
mit  entzündlich  enVorgängen  im  Beckenperitoneum 
mit  Erkrankung  der  Adnexe,  namentlich  Pyosalpingen.  Vor 
allem  gilt  dies,  solange  die  Entzündungen  noch  akuten  oder 
subakuten  Charakter  tragen.  Dagegen  haben  wir  bei  entzünd¬ 
lichen  Erscheinungen,  die  völlig  zur  Ruhe  gekommen  sind, 
eine  deutliche  Einwirkung  beobachten  können. 

Im  Gegensatz  zu  diesen  negativen  Fällen  ist  das  Luteo- 
lipoid  nach  unseren  Erfahrungen  stets  dann  wirksam, 
wenn  Menorrhagien  ohne  organische  Ver¬ 
änderungen  vorhanden  sind,  also  alle  jene  Fälle, 
die  man  bisher  unter  die  funktionellen  Störungen 
zu  rubrizieren  pflegte.  Bei  der  gynäkologischen  Untersuchung 
findet  man  normales  Genitale  oder  leicht  hypoplastische 
Zustände. 

Die  Hauptdomäne  der  Luteolipoidtherapie  sind  die 
Pubertätsblutungen,  die  nicht  selten  durch  ihre  Un- 
stillbarkeit  Arzt  und  Patientin  zur  Verzweiflung  bringen  und 
sogar  gelegentlich  die  Exstirpation  des  Uterus  notwendig 
machen.  Nach  unseren  bisherigen  Erfahrungen  ist  zu  hoffen, 
dass  es  mit  dem  Luteolipoid  gelingt,  die  jugendlichen 
Patientinnen  vor  diesem  verstümmelnden  Eingriff  in  Zukunft 
zu  bewahren  12*). 


Im  Maiheftc  der  Therap.  Monatshefte  (191j^S.  347)  berichtet 
Landsberg  aus  der  Veit  sehen  Klinik,  dasF  er  bei  7  Fällen 
von  Pubertätsblutungen  und  bei  1  klimakterischen  Blutung  mit  einem 
aus  dem  Corp.  lut.  verum  von  Hoffmann-L.  a  Roche  her¬ 
gestellten  Präparat,  Veroglandol  genannt,  gute  Erfolge  erzielt  hat. 


?8.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


1659 


Wir  haben  bisher  10  solch  jugendliche  Kranke  behandelt, 
iei  denen  früher  durch  Ausschabung  und  durch  andere  Mass- 
lahmen  vergeblich  die  Blutung  zu  stillen  versucht  wurde.  Der 
ausführliche  Bericht  über  die  Einzelheiten  der  Fälle  soll  ebenso 
.vie  alle  übrigen  Belege  demnächst  im  Arch.  f.  Gyn.  gebracht 
erden.  Hier  seien  nur  ein  paar  typische  Krankengeschichten 
uit  Blutungskurven  als  Beweis  angeführt  (Fall  1—3). 

'abeUe)  *  *  ^  ’  ^  Jahre  (s.  auch  Kurve  1  der  beiliegenden 

Menarche  mit  13 Vi  Jahren,  Menses  unregelmässig,  alle  3  bis 
‘  oc  ! ,n.’..  r?  der  letzten  Zeit  stärkere  Blutungen,  im  Februar  eine 
tarke  ^tägige  Blutung;  schwächliche  Konstitution,  leicht  ver- 
rosserte  Schilddrüse,  Hb  88  Proz.,  Polymorphe  55  Proz.,  Lympho- 
vten  35  Proz^  Mononukleare  4  Proz.,  Uebergangszellen  2  Proz., 
lastzellen  1  I  roz.,  Eosinophile  3  Proz.,  Uterus  anteflektiert,,  gut 
ntwickelt,  Adnexe  frei. 

Am  17.  März  ganz  starke  Blutung  mit  Abgang  von  Koageln 
ommt  mit  den  Litern  in  die  Klinik,  es  wird  eine  Ausschabung  zur 
h.11““*  ^er  bedrohlichen  Blutung  vorgeschlagen,  jedoch  strikte  ab- 
elehnt,  daher  Injektion  von  2  mal  4  ccm  Luteolipoid  im  Laufe  des 
ages,  abends  Blutung  bis  auf  geringe  Spuren  verschwunden 
vurvej,  reist  wieder  nach  Hause,  dort  besteht  noch  2  Tage  lang 
Blutabgang,  dann  völliges  Sistieren.  In  der  Zwischenzeit 
erkt  Patientin  von  Zeit  zu  Zeit  am  Hemde  Spuren  von  Blut. 

Nach  5  Wochen  erneute  starke  Blutung,  kommt  am  Ende  des 
I  ages  in  die  Klinik  und  lässt  sich  aufnehmen.  Nach  Injektion  von 
c<=m  ' wird  die  Blutung  gering,  dauert  in  verminderter  Form  (Kurve) 
,ch  3...jage  |n  weshalb  auch  an  diesen  Tagen  und  am  Tage  nach 
■m  völligen  Sistieren  Luteolipoid  eingespritzt  wird.  Die  Einspritz¬ 
igen  über  die  Periode  hinaus  werden  in  der  Absicht  fortgesetzt 
n  auch  die  kleinen  intermenstruellen  Blutabgänge  zu  beseitigen' 
as  auch  gelang.  s  ’ 

Fall  2.  J.-Nr.  424.  Frl.  G„  14  Jahre  alt. 

Regel:  Patientin  leidet  alle  14  Tage  an  sehr  starken  Blutungen. 
e  Blutungen  bestehen  nunmehr  seit  einem  Jahr,  kehren  genau  alle 
Tage  wieder  und  dauern  8  Tage.  Patientin  war  mehrfach  in  Be- 
n  ung  '  typticin  und  Styptol,  sowie  Sekalepräparate  per  os  und 
r  inject,  hatten  keinen  Erfolg. 

Befund.  Portio  sieht  nach  hinten,  Corp.  ut.  anteflektiert,  nicht 
rgrossert,  auch  nicht  zu  klein. 

Regel:  9  IV  Beginn  einer  mässig  starken  Blutung 

10.  IV.  Starke  Blutung. 

11.  IV.  Sehr  starke  Blutung. 

12.  IV.  Starke  Blutung. 

13.  IV.  Etwas  geringer  werdende  Blutung. 

14.  IV.  Mässig  starke  Blutung. 

-  15-  IV.  Geringer  werdende  Blutung,  hört  im  Laufe  des 
ges  auf. 

Regel  28.  IV.  Mässig  starke  Blutung.  6  Uhr  abends  1  Amp 

Lteolipoad. 

r.  29-  Geringer  werdende  Blutung.  8  Uhr  morgens  1  Amp. 

1  teolipoid.  6  Uhr  abends:  Blutung  wird  im  Laufe  des  Tages  ge- 

£>cr. 

39-  !.Y-  8  Vhr  m°rgens  1  Amp.  Luteolipoid.  12  Uhr  1  Amp 

-  eolipoid  6  Uhr  abends  1  Amp.  Luteolipoid.  Die  Blutung  wird  im 

-  lfe  des  Iages  immer  geringer. 

\  8  Hhr  1  ^mP-  Luteolipoid.  Die  Blutung  hört  ganz  auf 
18  V.  Massig  starke  Blutung.  12  Uhr  1  Amp.  Luteolipoid. 

'  ihr  1  Amp.  Luteolipoid. 

o  y.'  9,efit!ge.r  Awerdende  Blutung.  8  Uhr  morgens  1  Amp. 

.  eobpoid.  12  Uhr  1  Amp.  Luteolipoid.  6  Uhr  abends  1  Amp.  Luteo- 

Geringe  Blutung.  8  Uhr  morgens  1  Amp.  Luteolipoid. 

•  Jhr  1  Amp.  Luteolipoid.  2  Uhr  mittags:  die  Blutung  hört  ganz  auf. 

Fall  3.  J.-Nr.  866.  Frl.  Gr.  H.,  16  Jahre  alt. 
i  a  :uMe^arche  12  Jahren.  Anfänglich  immer  regelmässig, 

4  Wochen,  8— 10  Tage  dauernd.  Seit  einem  Jahre  wiederholt  sich 
Regel  alle  14  Jage,  dauert  7 — 8  Tage,  an  den  ersten  2  Tagen  be- 
eders  grosse  Schmerzen. 

Befund:  Nullipara  deflorata.  Mm.  virginell.  Corp.  uteri  ante- 
<  iert,  nicht  vergrössert,  beweglich,  Adnexe  vollkommen  frei. 
Rege!:  I  X.  Beginn  einer  ziemlich  starken  Blutung. 

2.  x.  Sehr  starke  Blutung,  starke  Schmerzen. 

3.  X.  Blutung  nimmt  noch  zu. 

4.  X.  Sehr  starke  Blutung. 

5.  X.  Blutung  wird  etwas  geringer. 

6.  X.  Blutung  nimmt  weiter  ab. 

7.  X.  Blutung  hört  gegen  Abend  auf. 

Rege!:  24  X.  Beginn  einer  mässig  starken  Blutung 

25.  X.  Sehr  starke  Blutung. 

26.  X.  Sehr  starke  Blutung. 

27.  X.  Blutung  hält  weiter  an. 

28.  X.  Starke  Blutung. 

29.  X.  Blutung  wird  etwas  geringer, 
fcehör*'  Blutung  Iässt  weiter  nach  und  hat  am  Abend  vollständig 

Regel:  10.  XI.  Beginn  einer  mässig  starken  Blutung. 


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MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


Nr.  30. 


1660 


11.  XI.  Massig  starke  Blutung. 

12  XI  8  Uhr  morgens  1  Amp.  Luteohpoid.  12  Uhr  1  Amp. 
Luteolipoid.  Die  Blutung  wird  bedeutend  geringer  und  die  Schmer¬ 
zen  haben  vollständig  nachgelassen. 

13  XI.  Blutung  hat  gegen  Morgen  ganz  aulgehort. 

Regel:  1.  XII.  Beginn  einer  geringen  Blutung. 

2.  XII.  Die  Blutung  steigt  noch  etwas  an. 

3.  XII.  Am  Morgen  massig  starke  Blutung.  8  Uhr  1  Amp  Luteo¬ 
lipoid.  12  Uhr  1  Amp.  Luteolipoid.  Nach  den  Injektionen  ist  die  Blu¬ 
tung  geringer  geworden,  es  sind  keine  Schmerzen  vorhanden. 

4.  XII.  8  Uhr  morgens  1  Amp.  Luteolipoid.  Geringe  Blutung. 
4  Uhr  1  Amp.  Luteolipoid.  Am  Abend  ist  die  Blutung  vorüber. 

Regel:  17.  XII.  Es  beginnt  eine  geringe  Blutung. 

18.  XII.  Die  Blutung  wird  kleiner  und  hört  am 

19.  XII.  morgens  ganz  auf. 

Der  Zwischenraum  der  letzten  3  Perioden  ist  entschieden  grosser 
geworden,  die  Stärke  der  Blutung  hat  sich  vermindert,  die  Schmer¬ 
zen  sind  vollständig  verschwunden. 

Regel:  2.  I.  Geringe  Blutung,  keine  Schmerzen. 

3.  I.  Die  Blutung  steigt  noch  etwas. 

4.  1.  Mässig  starke  Blutung,  die  sich  im  Laufe  des  Tages  ver¬ 
mindert  und  am  Morgen  des 

5.  I.  gänzlich  aufgehört  hat. 

Regel:  24.  1.  Es  tritt  eine  mässige  Blutung  ein. 

25.  I.  Die  Blutung  nimmt  zu.  Mittags  starke  Blutung. 

26.  I.  Morgens  starke  Blutung.  8  Uhr  1  Amp.  Luteolipoid. 
12  Uhr  1  Amp.  Luteolipoid.  Die  Blutung  lässt  nach. 

27  I.  Morgens  geringe  Blutung  10  Uhr  1  Amp.  Luteolipoid. 
4  Uhr  1  Amp.  Luteolipoid.  Gegen  Abend  ganz  geringe  Blutung. 

28  I.  Morgens:  die  Blutung  klingt  langsam  aus. 

Es  wird  6  Tage  vor  der  nächsten  Regel  mit  Injektion  von  Luteo¬ 
lipoid  begonnen,  und  zwar  an  2  I  agen,  einmal  3  und  einmal  2  Amp., 
um  zu  sehen,  ob  die  kommende  Periode  dadurch  zu  beeinflussen  sei, 
in  bezug  auf  Dauer  und  Stärke. 

21.  II.  Tritt  eine  geringe  Blutung  ein. 

22.  II.  Blutung  nimmt  zu. 

23  II.  Mässig  starke  Blutung.  5  Uhr  abends  1  Amp.  Luteo¬ 
lipoid.  7  Uhr  abends  1  Amp.  Luteolipoid.  Die  Blutung  nimmt  lang¬ 
sam  ab. 

24.  II.  Geringe  Blutung. 

25.  II.  Die  Blutung  nimmt  weiter  ab. 

26.  II.  Morgens  hat  die  Blutung  gänzlich  aufgehört. 

14.  III.  3  Amp.  Luteolipoid. 

20.  III.  Eintritt  einer  mässig  starken  Blutung. 

21.  III.  Mässige  Blutung. 

23.  III.  Die  Blutung  nimmt  ab.  10  Uhr,  12  Uhr,  4  Uhr  je  1  Amp. 


Luteolipoid. 

24.  III.  Morgens  hört  die  Blutung  gänzlich  auf. 

Regel:  24.  IV.  Geringe  Blutung. 

25.  IV.  Mässige  Blutung. 

26.  IV.  Etaws  stärker  werdende  Blutung. 

27.  IV.  Ziemlich  starke  Blutung.  8  Uhr  1  Amp.  Luteolipoid. 
10  Uhr  1  Amp.  Luteolipoid.  12  Uhr  1  Amp.  Luteolipoid.  Im  Laufe  des 
Nachmittags  und  Abends  nimmt  die  Blutung  bedeutend  ab. 

28.  IV.  Früh  mässig  starke  Blutung.  12  Uhr  1  Amp.  Luteolipoid. 
4  Uhr  1  Amp.  Luteolipoid.  Die  Blutung  lässt  weiter  nach. 

PO  tv  nie  Blutung  versiegt  im  Laufe  des  Tages  vollständig. 

Verstärkte  Blutungen  ohne  nachweisbare 
organische  Erkrankungen  (bisher  26  Beobachtungen) 
kommen  ausser  der  Entwicklungszeit  auch  noch  im  spä¬ 
teren  Leben  vor.  Manchmal  kann  man  klein-zystisch  ver- 
grösserte  Ovarien  nachweisen.  Häufiger  ist  gar  nichts  an  den 
Genitalien  zu  finden.  Auch  hier  haben  wir  mit  den  Luteolipoid- 
einspritzungen  recht  günstige  Erfolge  erzielt  und  zum  Belege 
seien  folgende  Krankengeschichten  angeführt  (Fall  4 — 8). 

Fall  4.  J.-Nr.  307.  Frau  Fr.,  Il.-para.  Uterus  von  gewöhn¬ 
licher  Grösse,  Psychasthenie,  kräftiger  Körperbau,  Hb.  90  Proz. 
Periode  alle  4  Wochen,  früher  5  Tage  dauernd,  nunmehr  7  Tage, 
sehr  stark,  Abgang  von  Klumpen,  ärztlich  beobachtet,  hat  nach  der 
letzten  Periode  5 K>  Pfund  abgenommen.  Eine  bewegliche  Retroflexio 
uteri  wurde  von  anderer  Seite  durch  Alexander-Adams  kor¬ 
rigiert,  ohne  jeden  Erfolg. 

Am  9.  11.  Einspritzung  von  4  ccm  Luteolipoid  am  1.  Tage  der 
starken  Menstruation  (Kurve)  in  der  Klinik,  darauf  beträchtliche  Ver¬ 
minderung  der  Blutung,  die  unter  Fortsetzung  der  Einspritzungen, 
am  2.  Tage  4,  am  3.  Tage  2  ccm.  bereits  am  3.  Tage  völlig  verschwin¬ 
det.  Auch  die  unangenehmen  Rückenschmerzen  während  und  nament¬ 
lich  nach  der  Periode  blieben  aus.  Pat.  ist  entzückt. 

Am  7.  III.  Eintritt  der  Menses,  alsbald  wenige  Stunden  nach  Ein¬ 
setzen  der  Blutung  ambulatorisch  Einspritzung  von  4  ccm  mit  dem 
Erfolg,  dass  die  Blutung  nur  mehr  gering  vorhanden  war  und  am 
3.  Tage  ganz  verschwand. 

Bei  den  nächsten  Menses  (6.  IV.)  keine  Einspritzung,  die  Blutung 
ist  geringer  als  früher,  verschwindet  mit  3  Tagen,  Rückenschmerzen 
nach  den  Menses.  Die  verminderte  Blutung  ist  auf  Grund  mehrerer 
ähnlicher  Erfahrungen  noch  als  eine  Folge  der  früheren  Luteolipoid- 
verabreichung  aufzufassen.  Bei  den  nächsten  2  Perioden  (4.  V.  und 
26.  V.)  werden  ambulatorisch  wieder  4  ccm  gleich  wenige  Stunden 


nach  Einsetzen  der  Blutung  mit  gleichem  Erfolg  auf  die  Blutung 
gegeben. 

Fall  5.  J.-Nr.  107.  Frl.  PL,  31  Jahre  alt. 

Regel-  Menarche  mit  14  Jahren,  immer  regelmassig.  7—8  läge 
dauernd,  die  ersten  4-5  Tage  sehr  stark.  Starke  Kreuzschmerzen. 
Befund:  1  Partus,  Mm.  quergespalten,  Corp.  uteri  anteflektiert. 

nicht  vergrössert.  .  _. 

Regel-  13.  1.  Starke  Schmerzen,  massige  Blutung. 

14.  I.  Sehr  starke  Blutung,  starke  Schmerzen. 

15.  I.  Sehr  starke  Blutung. 

16.  I.  Sehr  starke  Blutung. 

17.  I.  Mässig  starke  Blutung. 

18.  I.  Mässig  starke  Blutung. 

19.  I.  Aufhören  der  Blutung. 

?2  II  Starke  Schmerzen.  1  Amp.  Luteolipoid.  (versuch,  ob 
durch  Injektion  des  Präparates  vor  der  Periode  diese  beeinflusst 

wird.)  ,  T  ., 

23.  II.  Starke  Schmerzen.  1  Amp.  Luteolipoid. 

24.  11.  Keine  Schmerzen  mehr. 

25  11.  Keine  Schmerzen  mehr. 

26.  II.  2  Uhr  mittags  mässige  Blutung,  keine  Schmerzen. 

27.  11.  Starke  Blutung,  keine  Schmerzen. 

28.  II.  Sehr  starke  Blutung. 

1.  111.  Mässig  starke  Blutung. 

2.  111.  Geringer  werdende  Blutung. 

3.  111.  Die  Blutung  hört  auf.  ..... 

Durch  die  Einspritzung  von  2  Ampullen  Luteolipoid  bereits 

3  Tage  vor  der  Menstruation  wurden  also  sowohl  die  Stärke  und 
Dauer  der  Blutung  als  auch  die  Schmerzen  günstig  beeinflusst. 

Fall  6.  J.-Nr.  982.  Frl.  G.,  24  Jahre  alt. 

Regel:  1.  Regel  mit  16  Jahren,  seit  dem  22.  Jahre  alle  3  Wochen, 
8  Tage  dauernd,  sehr  starker  Blutverlust,  blutet  bei  der  Aufnahme 
seit  3  Monaten  ununterbrochen,  in  den  letzten 
14  Tagen  sehr  stark. 

Befund:  Nullipara  deflorata,  Uterus  anteflektiert,  nicht  ver¬ 
grössert,  beweglich.  Adnexe  anscheinend  frei. 

10.  XII.  Mittelstarke  Blutung. 

11.  XII.  Starke  Blutung. 

12.  XII.  Morgens  starke  Blutung.  8  Uhr  1  Amp.  Luteolipoid.  Die 
Blutung  lässt  im  Laufe  des  Tages  nach.  8  Uhr  abends  1  Amp.  Luteo¬ 
lipoid. 

13.  XII.  Morgens  keine  Blutung  mehr. 

1.  I.  Einsetzen  einer  mittelstarken  Blutung  mit  nach  unten 
ziehenden  Kreuzschmerzen. 

2.  I.  6  Uhr  starke  Blutung.  8  Uhr  1  Amp.  Luteolipoid.  Die 
Kreuzschmerzen  hören  auf.  Versiegen  der  Blutung  im  Laufe  des 
Tages.  Abends  mässige  Blutung. 

3.  I.  6  Uhr  geringe  Blutung.  8  Uhr  1  Amp.  Luteolipoid.  hast 
gänzliches  Aufhören  der  Blutung  im  Laufe  des  Tages. 

4.  I.  Ganz  geringe  Blutung. 

5.  I.  Morgens  keine  Blutung  mehr. 

6.  I.  Morgens  einstündige  Blutung. 

18.  I.  Mässig  starke  Blutung  mit  starken  Kreuzschmerzen. 

19.  I.  Blutung  etwas  stärker,  Schmerzen  bestehen  fort. 

20.  I.  Starke  Blutung.  10  Uhr  1  Amp.  Luteolipoid.  Blutung 
lässt  nach  2  Stunden  nach,  Schmerzen  hören  auf. 

21.  I.  8  Uhr  1  Amp.  Luteolipoid.  Blutung  hört  auf. 

24.  I.  Einstündige  Blutung.  1  Amp.  Luteolipoid. 

25.  I.  Geringe  Blutung. 

26.  I.  Morgens  stärkere  Blutung.  10  Uhr  1  Amp.  L.uteolipoid. 
Abends  mässige  Blutung. 

27.  I.  Mässige  Blutung  im  Lauf  des  ganzen  Tages.  10  Uhr 

1  Amp.  Luteolipoid.  4  Uhr  1  Amp.  Luteolipoid. 

28.  I.  Geringe  Blutung. 

29.  I.  Aufhören  der  Blutung. 

18  II.  Einsetzen  einer  mässig  starken  Blutung  mit  geringen 
Kreuzschmerzen 

19.  II.  Morgens  etwas  stärkere  Blutung.  10  Uhr  1  Amp.  Luteo¬ 
lipoid.  Mässige  Blutung  im  Laufe  des  Tages. 

20.  II.  Geringe  Blutung.  10  Uhr  morgens  1  Amp.  Luteolipoid. 
6  Uhr  morgens  1  Amp.  Luteolipoid. 

21.  II.  Aufhören  im  Laufe  des  Tages. 

Fall  7.  J.-Nr.  855.  Frau  Fi.,  27  Jahre  alt. 

Regel:  1.  Regel  mit  16  Jahren,  regelmässig  alle  4  Wochen. 
4  Tage  dauernd;  seit  %  Jahr  nicht  mehr  regelmässig,  10 — 20  Tage 
dauernd,  manchmal  nur  mit  8  oder  14  Tagen  Zwischenraum. 

2  Abrasionen  brachten  keine  Aenderung. 

Befund:  Multipara,  Uterus  anteflektiert,  beweglich,  nicht  ver¬ 
grössert,  Adnexe  sicher  vollständig  frei  und  auch  nicht  druckemp¬ 
findlich. 

Regel:  14.  X.  Beginn  einer  mässig  starken  Blutung. 

15.  X.  Starke  Blutung. 

16.  X.  Sehr  starke  Blutung. 

17.  X.  Sehr  starke  Blutung. 

18.  X.  Sehr  starke  Blutung. 

19.  X.  Starke  Blutung. 

20.  X.  Mässig  starke  Blutung. 

21.  X.  Starke  Blutung. 


28.  Juli  1914 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCH ENSCH R I ET. 


22.  X.  Starke  Blutung. 

23.  X.  Starke  Blutung. 

24.  X.  Starke  Blutung. 

25.  X.  Massig  starke  Blutung.  12  Uhr  1  Arnp.  Luteolipoid, 
i  Uhr  I  Amp.  Luteolipoid.  Die  Blutung  nimmt  langsam  ab. 

26.  X.  Die  Blutung  nimmt  weiter  ab. 

26.  X.  Nachts  hat  die  Blutung  gänzlich  aufgehört. 

Regel.  21.  XI.  Massig  starke  Blutung,  ziehende  Schmerzen. 

22.  XI.  Zunehmende  Blutung,  3  Amp.  Lipamin  versuchsweise. 

23.  XI.  Starke  Blutung,  die  Schmerzen  sind  aber  vollständig 
erschwunden.  1  Amp.  Luteolipoid. 

24.  XI.  Früh  geringe  Blutung.  12  Uhr  1  Amp.  Luteolipoid.  Die 
Hutung  hat  am  Abend  ganz  aufgehört. 

25.  XI.  Gegen  Mittag  mässige  Blutung.  2  Uhr  1  Amp  Luteo- 
ipoid.  Sofortiges  Abfallen  der  Blutung. 

26.  XI.  Geringe  Blutung. 

27.  XI.  8  Uhr  früh  1  Amp.  Luteolipoid. 

27.  XI.  Versiegen  der  Blutung. 

Regel:  1  rotzdem  die  Frau  ihrer  Beschäftigung  nachgeht,  tritt 
icht  mehr  wie  früher  eine  vorzeitige  Blutung  auf,  sondern  die  Re<*el 
teilt  sich  nach  28  I  agen  ein,  und  zwar  schmerzlos. 

17.  XII.  Mittelstarke  Blutung. 

18.  XII.  Starke  Blutung.  12  Uhr  1  Amp.  Luteolipoid.  2  Uhr 
Amp.  Luteolipoid.  Abends:  Geringerwerden  der  Blutung 

19.  XII.  Mässige  Blutung. 

20.  XII.  Vormittags  2  Amp.  Luteolipoid.  Versiegen  der  Blutung. 
Fall  8.  J.-Nr.  89.  Frau  Str.,  28  Jahre  alt. 

Regel:  1.  Regel  mit  13  Jahren,  regelmässig  alle  Wochen,  in  den 
tzten  Jahren  8 — 10  Tage  dauernd  und  anfangs  sehr  stark  —  dabei 
Junerzen  im  Kreuz  und  in  den  Seiten  nach  unten  ziehend 
Regel  vom  20.  XII.  bis  30.  I. 

Uterus  nicht  vergrössert,  beweglich,  geringe  Inflammation  der 
igamenta  sacro-uterina. 

21.  I.  Regel,  gegen  Abend  starke  Blutung.  12  Uhr  versuchs¬ 
eise  1  Ampulle  Lipamin.  4  Uhr  1  Ampulle  Lipamin.  6  Uhr  1  Am- 
ille  Lipamin.  8  Uhr  die  Schmerzen  haben  ziemlich  nachgelassen 

tarke  Blutung). 

22.  I.  6  Uhr  morgens  starke  Blutung.  8  Uhr  1  Ampulle  Luteo- 
ioid.  12  Uhr  1  Ampulle  Luteolipoid.  4  Uhr  es  besteht  nur  noch 
ringe  Blutung. 

23.  I.  Geringe  Blutung. 

24.  I.  morgens:  keine  Blutung  mehr. 

Nach  unseren  Erfahrungen  bei  den  Pubertätsblutungen 
ld  Menorrhagien  ohne  organische  Veränderungen  erstreckt 
-h  in  vielen  Fällen  die  W  irkung  über  die  jeweilige 
e  r  i  o  d  e  hinaus.  Es  ist  uns  wiederholt  vorgekommen,  dass 
mentlich  bei  öfters  wiederholten  Einspritzungen  die  früher 
starken  Menses  ohne  spätere  Einspritzung  die  gewöhnliche 
ärke  annahmen  und  die  früher  zu  häufigen  Blutungen  wieder 
s  regelmässige  Intervall  von  4  Wochen  einhielten  (z.  B. 
irve  7).  Man  muss  daraus  schliessen,  dass  das  Luteolipoid 

•  tweder  einen  den  Eierstock  tonisierenden  Einfluss  hat,  so 
iss  dieser  seine  Funktion  besser  erfüllen  kann,  oder  dass  die 
loffe  länger  im  Organismus  zurückgehalten  werden  und 
'  rksam  bleiben;  Analogien  für  letztere  Annahme  hat  man  in 
(r  Tatsache,  dass  die  Ausfallserscheinungen  meist  erst  4  bis 
(Wochen  nach  der  Kastration  eintreten  und  in  der  längeren 

1  chwirkung  von  Oophorintabletten  bei  Ausfallserscheinungen 
r  ch  Kastration. 

Etwas  anders  verhalten  sich  die  klimakterischen 
:  “tungen  (15  Beobachtungen).  Sie  reagieren  auf  die  sub- 
'tane  Einspritzung  des  Luteolipoids  öfters  nicht  und  wir 
•issten  dann  die  bisher  gebräuchliche  Therapie  durchführen, 
'ch  unseren  bisherigen  Erfahrungen  verhalten  sich  die  Fälle 
it  verkürzter  Blutgerinnungszeit  refraktär,  dagegen  reagieren 
nacn  mit  verlangsamter  Blutgerinnungszeit  meist  prompt 
i  die  Einspritzung. 

Will  man  bei  nicht  organisch  bedingten  Menorrhagien  Er- 

•  ■te  mit  dem  Luteolipoid  erzielen,  so  muss  man  eine  he¬ 
mmte  Anwendungsweise  beobachten.  Am  wirksamsten  ist 
L  Luteolipoid  dann,  wenn  man  es  bereits  vor  Ein- 
itt  der  Periode  möglichst  1 — 2  Tage  vorher 
n  s  p  r  it  z  t  (s.  a.  Kurve  5).  Die  Stoffe  verrhögen  hier 
mbar  noch  am  besten  ihre  blutungshemmende  Wirkung  zu 
talten.  Auch  am  ersten  Tage  der  Blutung  ist  die  Wirkung 
s  gute,  am  zweiten  und  in  den  späteren  Tagen  schwächt 
i  die  Wirkung  entschieden  schon  ab  und  man  muss  grössere 

'ngen  verabreichen,  um  zum  Ziele  zu  kommen.  Die  ge¬ 
ldliche  Dosis,  die  wir  eingespritzt  haben,  ist  2  ccm  in  der 
he  und  die  gleiche  Menge  abends.  Manchmal  haben  wir 

•  h  die  doppelte  Dosis  injiziert.  Diese  Dosen  sind  in  den 
* hstfolgenden  lagen  bis  zur  Wirkung  zu  wiederholen. 


1661 


Bei  der  Injektion  sind  einige,  für  den  Erfolg  wichtige  Momente 
zu  beachten:  Es  ist  zweckmässig,  die  Ampulle  vor  der  Einspritzung  in 
warmes  Wasser  zu  legen,  um  die  Lipoide  auf  Körperwärme  zu 
bringen.  Zum  Einziehen  braucht  man  eine  weitkalibrige  Kanüle,  weil 
sich  sonst  die  ölige  Flüssigkeit  nicht  einziehen  lässt.  Die  Spritze 
uart  nicht  in  Alkohol  aufbewahrt  und  desinfiziert  sein,  weil  sonst  eine 
rallung  der  aktiven  Substanzen  cintritt.  Man  gebraucht  am  besten 
eine  trocken  sterilisierte  Spritze  oder  spritzt  die  im  Alkohol  gelegene 
spntze  vor  dem  Gebrauch  noch  mit  Aether,  in  dem  der  Stoff  löslich 
ist,  gründlich  durch.  Die  Injektionen  werden  in  die  Glutäalgegend 
gemacht,  man  kann  jedoch  aber  auch  jede  andere  Körperstelle  wählen, 
da  die  Injektionen  völlig  schmerzlos  sind  und  Infiltrationen  ausbleiben. 
Lue  Losung  hält  sich  nach  unseren  Erfahrungen  dauernd. 

Wenn  man  sich  fragt,  wodurch  die  blutstillende  Wirkung 
des  Luteolipoids  zustande  kommt,  so  ist  es  naheliegend,  eine 
Wirkung  ähnlich  dem  des  Sekale  oder  des  Hydrastis  durch 
Einwirkung  auf  die  glatte  Muskulatur  der  Gebärmutter  anzu¬ 
nehmen.  Diese  Art  der  Wirkung  können  wir  auf  Grund 
unserer  klinischen  und  tierexperimentellen  Erfahrungen  aus- 
schliessen.  Am  durch  Laparotomie  freigelegten  Tieruterus 
sahen  wir  nach  der  Injektion  nie  Kontraktionen  auftreten. 
Auch  am  feinsten  Reagens  auf  dergleichen  Stoffe,  am  kreissen¬ 
den  Uterus,  fielen  die  Injektionsversuche  völlig  negativ  aus, 
die  Wehen  wurden  nicht  verstärkt.  Einen  ganz  klaren  Ein¬ 
blick  in  die  Art  der  Wirkung  des  Luteolipoids  konnten  wir 
bisher  nicht  bekommen.  Die  blutgerinnungsbeschleunigende 
Wirkung  des  Luteolipoids  spielt  sicherlich  keine  wesentliche 
Rolle.  Wir  möchten  das  gegenüber  jenen  Autoren  besonders 
betonen,  die  auf  Veränderungen  in  der  Blutgerinnung  und  im 
Blutdruck  bei  den  Injektionsversuchen  so  grossen  Wert  legen. 
Wir  konnten  bei  den  beim  Menschen  angewendeten  gewöhn¬ 
lichen  Dosen  keine  Veränderung  in  der  Blutgerinnungszeit  fest¬ 
stellen  und  mit  den  gewöhnlichen  Messmethoden  keine  Schwan¬ 
kungen  im  Blutdruck  beobachten.  Wir  vermuten,  dass  es  sich 
um  eine  beschleunigte  Rückbildung  der  kleinen  Uterusgefässe, 
parallelgehend  der  verlangsamten  physiologischen,  handelt. 

Fall  9.  J.-Nr.  414.  Frau  Tr.,  40  Jahre  alt.  Myome. 

Regel:  1.  Regel  mit  15  Jahren,  regelmässig  alle  4  Wochen,  Dauer 
o — 4  Tage. 

Befund:  Portio  normal,  Uterus  anteflektiert,  beweglich.  Uterus 
zeigt  an  der  Vorderfläche  2  walnussgrosse  Prominenzen. 

Regel:  3.  V.  Geringe  Blutung. 

4.  V.  Mässig  starke  Blutung. 

5.  V.  Mässig  starke  Blutung. 

6.  V.  Mässig  starke  Blutung. 

7.  V.  Mässig  starke  Blutung. 

8.  V.  7  Uhr  morgens  2  ccm  Luteolipoid.  Blutung  wird  be¬ 
deutend  stärker.  12  Uhr  2  ccm  Luteolipoid.  Blutung  wird  bedeutend 
stärker. 

9.  V.  Mässig  starke  Blutung.  10  Uhr  2  ccm  Luteolipoid.  Blu¬ 
tung  wird  wiederum  stärker. 

10.  V.  Mässig  starke  Blutung.  8  Uhr  2  ccm  Luteolipoid.  Blu¬ 
tung  wird  stärker. 

11.  V.  Mässig  starke  Blutung. 

12.  V.  Die  Blutung  wird  geringer. 

13.  V.  Blutung  hört  im  Laufe  des  Tages  auf. 

(Schluss  folgt.) 


Aus  dem  Laboratorium  der  medizin.  Klinik  zu  Freiburg  i.  Br. 

(Prof.  Dr.  d  e  1  a  C  a  m  p). 

lieber  Fettsäuren  und  Blutgerinnung, 

zugleich  eine  chemische  Erklärung  des  Gerinnungsvorganges. 

Von  Privatdozent  Dr.  B.  Stüber  und  Medizinalpraktikant 

R.  Hei  m. 

Schon  in  einer  früheren  Arbeit,  die  den  Einfluss  der  Lipoide 
auf  die  Phagozytose  zum  Gegenstand  hatte,  wurde  von  dem 
einen  von  uns  (Stüber)  auf  die  gerinnungsbeschleunigende 
Wirkung  der  Cholesterinester  hingewiesen.  Kurz  vorher 
waren  die  Arbeiten  von  Zack  erschienen,  die  die  Bedeutung 
der  Phosphatide  für  den  Ablauf  des  Gerinnungsprozesses  klar 
erkennen  Hessen.  Zack  zeigte  weiter,  dass  das  Cholesterin 
selbst  unwirksam  ist.  Es  war  im  Hinblick  auf  diese  Unter¬ 
suchungen  eigentlich  zwingend,  die  Brücke  zwischen  diffe- 
i enter  chemischer  Konstitution  und  gleicher  biologischer  Wir¬ 
kung,  zwischen  Cholesterinestern  und  Phosphatiden  in  dem 
beiden  gemeinsamen  Fettsäureradikal  zu  erblicken. 

Nachdem  diesbezügliche  Voruntersuchungen  zu  einem 
positiven  Ergebnis  geführt  hatten,  hat  in  meinem  Aufträge 


1662 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  30. 


Heim  diese  Frage  ausführlich  bearbeitet.  Wir  werden  bald 
an  anderer  Stelle  auf  die  Resultate  dieser  Arbeit  unter  Zu¬ 
grundlage  unserer  sämtlichen  Protokolle  in  extenso  ein- 
gehen,  ebenso  auf  die  Untersuchungen  meiner  weiteren  Mit¬ 
arbeiter  Winter,  Partsch  und  Schilling,  die  am 
lipoidfreien  Plasma,  am  Hirudin-  und  Peptonblut  ausgeführt 
wurden.  Unsere  heutigen  Mitteilungen  sollen  nur  ganz  kurz 
im  Sinne  einer  vorläufigen  Mitteilung  einen  Ueberblick  über 
unsere  Ergebnisse  liefern,  da  die  Zusammenstellung  unserer 
gesamten  Versuche  in  ihren  Details  noch  einige  Zeit  bean¬ 
spruchen  dürfte. 


Der  Einfluss  der  höheren  Fettsäuren  und  der 
Lipase  auf  die  Blutgerinnung. 

Wir  verwandten  die  Oelsäure,  Palmitinsäure  und  Stearin¬ 
säure,  rcsp.  die  entsprechenden  Triglyzeride  in  1  proz.  Emul¬ 
sionen.  Auf  die  keineswegs  leichte  Darstellung  der  erwähnten 
Emulsionen  gehen  wir  an  anderer  Stelle  genauer  ein.  Als 
lipolytisches  Ferment  gebrauchten  wir  die  Steapsinsolution 
Grübler.  Die  Versuche  wurden  am  Pferdeoxalatplasma 
ausgeführt.  Die  Fettsäui;eemulsionen  wurden  in  steigenden 
Mengen  von  0,05—1,0  ccm  zu  je  2  ccm  Plasma  zugefügt, 
ausserdem  je  3—5  Tropfen  einer  5  proz.  Kalziumchloridlösung. 
Bei  den  Fermentversuchen  wurden  3,  resp.  10  Tropfen, 
Steapsinsolution  verwandt.  Als  Vergleichskontrolle  diente  uns 
eine  nach  den  Angaben  von  Morawitz  dargestellte  Pferde- 
leberthrombokinase. 

Wir  können  hier  der  Kürze  halber  nicht  näher  auf  unsere 
zahlreichen  Versuche  eingehen.  Wir  geben  deshalb  im  folgen¬ 
den  nur  ein  Beispiel  einer  solchen  Versuchsreihe  und  möchten 
bemerken,  dass  auch  die  übrigen  Versuche  genau  dieselben 
Resultate  lieferten. 

Tabelle  1. 


- - 

1  Gerinnsel- 

Klumpig- 

vollständige 

Oxalatplasma  2,0  ccm 

|  bildung 

werden 

Gerinnung 

0,5  ccm  Thrombokinase  . 

„  ,,  inaktiviert . 

„  „  neutralisiert . 

„  ,,  neutral  und  inaktiviert  . 

„  Tristearin . 

,,  „  neutral  .  .  . 

,,  NaCl-Kontrolle  ....  . 

Steapsin  3  Tropfen  . 

,,  neutral  3  Tropfen . 

,,  inaktiviert  3  Tropfen  . 

überall  3  Tropfen  5  proz.  CaCU. 


2’ 


3’ 

8’ 

4’ 

14’ 

3'/,’ 

5Va’ 

150’ 

1’ 

r 

150’ 


Es  erhellt  aus  dieser  Tabelle  ohne  weiteres  der  starke, 
gerinnungsbeschleunigende  Einfluss  der  aktiven  Thrombo¬ 
kinase,  der  beinahe  ebenso  starke  des  Tristearins  und  der  weit 
stärkere  des  Steapsins.  Wir  möchten  hier  gleich  bemerken, 
gerade  im  Hinblick  auf  die  Z  a  c  k  sehen  Versuche,  dass  beim 
Steapsin  die  Wirkung  von  der  Menge  desselben  abhängig  ist. 
Durch  vermehrten  Zusatz  kann  sein  beschleunigender  Einfluss 
aufgehoben  werden.  Auf  die  aus  Tabelle  I  ersichtlichen  Ver¬ 
suchseinzelheiten  werden  wir  in  unserer  ausführlichen  Publi¬ 
kation  näher  eingehen,  hier  würde  es  uns  zu  weit  führen  und 
es  dürfte  genügen,  noch  darauf  hinzuweisen,  dass  auch  die 
Versuche  mit  freien  Fettsäuren  in  derselben  Weise  verliefen. 


Der  Einfluss  verschiedener  Fermente  auf  die 

Blutgerinnung. 

Es  war  naheliegend,  nach  dem  positiven  Ausfall  der 
Steapsinversuche  noch  weitere  Fermente  in  den  Bereich 
unserer  Untersuchungen  zu  ziehen.  Um  quantitative  Ver¬ 
gleiche  zu  erhalten,  gingen  wir  dabei  von  Organtrockenprä¬ 
paraten  aus.  Anstelle  der  Steapsinsolution  verwandten  wir 
das  Steapsinum  siccum  Grübler.  Als  Thrombokinase  ge¬ 
brauchten  wir  feingepulverte  Pferdeleber.  Weiterhin  prüften 
wir  die  Wirkung  von  Trypsin  (Merck)  und  Pepsinum  puriss. 
solubile  (Witte).  Von  sämtlichen  Präparaten  stellten  wir  uns 
1  proz.  Lösungen  resp.  Emulsionen  in  physiologischer  Koch¬ 
salzlösung  dar.  Die  Versuchsresultate  ergeben  sich  aus  Ta¬ 
belle  2. 

Um  fernerhin  den  Einfluss  der  in  den  Fermentpräparaten 
oft  in  beträchtlicher  Menge  enthaltenen  Fette  festzustellen, 
wurden  erstere  einer  36stündigen  Aetherextraktion  unterzogen 
und  Rückstand  und  Extrakt  getrennt  geprüft.  Der  Anteil  des 
aktiven  Fermentes  wurde  durch  Vergleich  mit  der  Wirkung 


des  inaktiven  festgestellt.  Der  Säurewert  der  einzelnen  Lö¬ 
sungen  wurde  durch  Titration  mit  ^  NaOH  eruiert  und  ferner 
mit  entsprechend  neutralisierten  Lösungen  weitere  Versuche 
angestellt.  Die  Resultate  einer  solchen  Versuchsreihe  finden 
sich  ebenfalls  in  Tabelle  2. 


Tabelle  2. 


Pferdeoxalatplasma  2,0  ccm 

1  Tag  alt 

2  Tage  alt 

3  Tage  alt 

Bemerkungen 

Steapsin  1  Proz . 

Trypsin  1  „  . 

Pepsin  1  ,,  . 

Thrombokinase  .  .  . 

++ 

Minuten 

18 

13 

10 

6 

H — 1- 

Minuten 

15 

33 

11 

11 

++ 

Minuten 

30 

23 

10 

6 

wenig  gelöst 
mässig  gelöst 
völlig  gelöst 
mässig  gelöst 

Steapsin  1  Proz . 

Trypsin  1  „  ...... 

Pepsin  1  ,,  . 

Thrombokinase  . 

Steapsinsolution  . 

— 

C* 

.  o; 

M— 

c 

CJ 

30 

25 

15 

22 

15 

11 

15 

33 

26 

16 

22 

1 

Trypsfn'  }  zuKe'1°r‘Ses  +  Lipoid  .... 

Pepsin  1  in  zehnfacher  Verdünnung 

Thrombokinase  I  mit  NaCl 

15 

30 

7 

11 

Fettgeh.  ln  lg 
0,06  g 

0,16  g 

0,08  g 

0,30  g 

Steapsinlipoid 

Trypsinlipoid 

Pepsinlipoid 

Thrombokinaselip. 

in  1  Prom . 

11 

11 

11 

11 

nach  7 

Min.  klumpig 

Steapsin 

JryP?in  inaktiviert . 

Pepsin 

Thrombokinase  ) 

Steapsinsolution .  . 

30 

28 

19 

29 

55 

Fettspaltungs¬ 

vermögen 

1 

3 

0 

4 

11 

|-  =  vollständige  Gerinnung. 


Von  den  Ausgangslösungen  zeigte  sich  das  Steapsin,  da 
in  der  physiologischen  Kochsalzlösung  nahezu  ungelöst,  wenig, 
oder  besser  gar  nicht  wirksam,  wie  a  priori  zu  erwarten  war. 
Dasselbe  gilt  von  dem  ebenfalls  nur  wenig  gelösten  Trypsin. 
Die  Thrombokinase  dagegen  zeigte  auch  in  der  wenig  gelösten 
Form  einen  ausgesprochenen  Einfluss,  was  zweifelsohne  auf 
den  hohen  Gehalt  derselben  an  Fettsäuren  resp.  Triglyzeriden 
bezogen  werden  muss.  Das  völlig  gelöste  Pepsin  wirkt  ent¬ 
weder  wie  einfacher  Kochsalzzusatz  oder  gering  beschleuni¬ 
gend.  Wir  konnten  feststellen,  dass  letztere  Wirkung  nur  auf 
der  in  dem  Präparat  enthaltenen  Salzsäure  beruht.  Das  zum 
Vergleich  herangezogene  Tristearin  wirkte  ebenso  rasch  wie 
Thrombokinase,  das  gelöste  Steapsin,  Steapsinsolution  (Grüb¬ 
ler).  sogar  in  dreifach  geringerer  Menge  viel  rascher.  Dass 
diese  intensive  Wirkung  des  in  - Glyzerin  gelösten  Steapsins 
nicht  auf  ersteres  zu  beziehen  ist,  zeigten  uns  Kontrollversuche 
mit  reinem  Glyzerin,  in  denen  die  Gerinnung  sogar  verzögert 
wurde.  Es  handelt  sich  also  um  eine  alleinige  Wirkung  des 
fettspaltenden  Fermentes,  wie  auch  die  negativen  Versuche 
mit  inaktiviertem  Ferment  weiterhin  beweisen. 

Entzog  man  den  genannten  Organpulvern  ihren  Fettgehalt 
durch  36  stiindige  Aetherextraktion,  so  verzögerte  sich  überall 
der  Eintritt  der  Gerinnung,  am  auffallendsten  bei  der  Thrombo¬ 
kinase,  gar  nicht  beim  gelösten  Steapsin,  das  auch  keine  äther¬ 
löslichen  Bestandteile  enthielt.  Bei  erneutem  Zusatz  dieses 
Aetherextraktes  zu  den  Lösungen  der  entfetteten  Organpulver 
stellte  sich  die  alte  Wirksamkeit  wieder  her,  ja,  die  aktiven 
Fermentlösungen  konnten,  wie  aus  anderen  Versuchen  hervor¬ 
ging,  durch  ihren  Aetherextrakt  völlig  ersetzt  werden. 

Untersucht  man  nicht  nur  die  Quantität,  sondern  auch  die 
qualitative  Wirksamkeit  der  Aetherextrakte  der  einzelnen 
Organpulver,  so  zeigten  sie  sich  alle  gleich  stark  wirksam, 
ausgenommen  die  Thrombokinase,  die  sich  nicht  nur  durch  die 
absolute  Menge  ihres  Fettgehaltes,  sondern  auch  durch  den 
spezifischen  Einfluss  ihres  Fettes  auf  die  Gerinnung  den  an¬ 
deren  überlegen  zeigte,  und  das  Plasma  schon  nach  7  Minuten 
zum  klumpigwerden  brachte,  während  die  anderen  noch  keine 
Wirkung  erkennen  Hessen. 

Was  die  fermentative  Kraft  der  einzelnen  Ferment¬ 
lösungen  anlangt,  so  interessierte  natürlich  vor  allem  das  Feti- 
spaltungsvermögen,  das  wir  nach  Volhard-Stade  und 
mittelst  des  stalagmometrischen  Verfahrens  prüften.  Die  Re¬ 
sultate  waren  folgende:  das  Pepsin  zeigte  keinerlei  Fähigkeit 
Fett  zu  spalten,  dagegen  erwies  sich  die  Lipase  des  ver¬ 
wendeten  Plasmas  als  intensiv  wirksam,  was  die  Wirkung  des 


28.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


rristearinzusatzes  in  unseren  Versuchen  gut  erklärt.  Die 
1  rypsin-Steapsin-  und  I  hrombokinaselösungen  zeigten  sich 
:  ebenfalls  stark  wirksam.  Auf  die  genaueren  Resultate  wollen 
wir  hier  nicht  näher  eingehen.  Wir  können  sie  kurz  dahin 

formulieren: 

Es  besteht  eine  direkte  Proportionalität 
zwischen  lipolytischem  Vermögen  und  Ge¬ 
rinnungsbeschleunigung. 

Am  auffendsten  ist  diese  Proportionalität  bei  der  Thrombo- 
kinase  und  der  Steapsinsolution. 

Eine  Neutralisierung  der  Fermentlösung  mit  £  NaOH 

hatte  mit  Ausnahme  des  Steapsins  eine  Verzögerung  der  Ge¬ 
rinnung  zur  Folge. 

Diese  Versuche  drängten  uns  zur  Prüfung  der  ganz  all¬ 
gemeinen  Fragestellung: 

Wie  wirkt  der  Säuregrad  überhaupt  auf  den  Ablauf  des 
Gerinnungsprozesses? 

Zu  diesem  Zwecke  wählten  wir  die  schwächste,  für  den 
Organismus  aber  wichtigste  Säure,  die  Kohlensäure.  Wir 
I gingen  in  der  Weise  vor,  dass  wir  das  Gerinnungssubstrat, 
aas  Vollblut  oder  Plasma,  mit  bekannten  Konzentrationen  von 
.^P2  sättigten.  Der  tatsächliche  CO*-Gehalt  war  aus  der 
Dissoziationskurve  leicht  berechenbar.  Diese  Versuchsreihe 
2 [gab-  abgesehen  von  dem  auffallenden  Einfluss  der  Säure  im 
ulgemeinen,  der  weiter  unten  erörtert  werden  soll,  die  Tat- 
-ache,  dass  die  Fermentwirkung  durch  eine  CO=-Konzentration 
he  der  physiologischen  naheliegt,  also  ca.  10  Proz.  (venöses 
lut),  eine  Begünstigung  erfährt,  'was  besonders  bei  der 
Thrombokinase  ersichtlich  war.  Es  zeigte  sich  weiter,  dass 
une  extreme  Konzentration,  ca.  34  Proz.  CO*,  die  Wirkung 
ler  Fermente  enorm  verzögern  kann,  bei  der  Thrombokinase 
elativ  am  wenigsten,  dagegen  ist  die  Trypsin-  und  Steapsin- 
virkung  am  stärksten  beeinträchtigt.  Der  ganze  Prozess  ist 
eversibel,  denn  nach  dem  Abdunsten  der  CO*  im  Verlauf 
nehrerer  Stunden  ging  die  Gerinnung  überall  vor  sich 
vahrend  ein  Zusatz  von  Mineralsäure,  der  dem  Säuregrad 
iner  34  proz  CO*  entspricht,  eine  völlige  Einbusse  der  Ge- 
mnungsfahigkeit  des  Blutes  durch  Hämolyse  hervorrief.  Was 
en  Einfluss  der  CO*  im  allgemeinen  angeht,  so  erscheint  das 
rgebms  des  obigen  Versuches  als  einfache  Folge  der  Wirkung 
on  Saure  auf  den  physikalisch-chemischen  Zustand  des  Ei- 
eisses.  Ist  die  Säure  in  Ueberschuss  vorhanden  (34  Proz. 
O*),  so  erfährt  das  Eiweiss  eine  mächtige  Erhöhung  seiner 
ekt rischen  Ladung  und  wird  ungerinnbar.  Kommt  man  aber 
urch  Zufugen  einer  geringen  Zahl  von  H-Ionen,  wie  dies  z  B 
urch  Sättigung  mit  ca.  10  Proz.  CO*  des  alkalisch  reagieren- 
en  Blutes  möglich  ist,  in  die  Nähe  des  iso-elektrischen 
unktes,  so  wird  das  Plasma  sich  einem  instabilen  Zustande 
rhern,  d.  h.  es  wird  schliesslich  koagulieren. 

Der  überraschende  Einfluss,  den  einerseits  die  fettspalten- 
.n  Fermente,  die  Fettsäuren  resp.  Triglyzeride  und  anderer¬ 
es  die  CO*  auf  die  Gerinnung  des  Plasmas  und  des  Blutes 
:sassen,  veranlasste  uns,  die  Wirkung  der  Fettsäuren  im 
eitesten  Sinne  auf  die  Blutgerinnung  systematisch  zu  ver- 
Igen. 

ie  Wirkung  der  einzelnen  Glieder  der  homo¬ 
genen  Fettsäurereihe  auf  Plasma  und  Ery¬ 
throzyten. 

Mir  stellten  zu  diesem  Zweck  1  proz.  Lösungen  und  Emui¬ 
onen  der  verschiedensten  Fettsäuren  in  physiologischer 
Dcnsalzlösung  dar  und  setzten  sie  in  der  gleichen  Weise  wie 
"her  dem  Oxalatplasma  oder  einer  5  proz.  Blutkörperchen- 
•  tschwemmung  zu. 

1.  Fettsäuren  und  Plasma. 

Beim  Vergleich  der  Gerinnungszeiten  beim  Zusatz  der 
Eizeinen  Säuren  liess  sich  eine  ausgesprochene  Gesetz- 
r issigkeit  erkennen,  indem  die  gerinnungsbeschleu- 
rgende  Wirkung  der  Fettsäuren  mit  der 
»engenden  Kohlenstoffatomzahl  im  Molekül 
I  r  ^  ä  u  r  e  zunimmt,  also  entsprechend  einer  homo- 
’.enen  Reihe,  wie  sie  F  ü  h  n  e  r  für  die  Hämolyse  durch 
eohol,  Vandevelde  für  Plasmolyse  und  J.  Loeb  für 
Entwicklung  von  Seeigeleiern  nachgewiesen  haben. 


1663 


Bei  den  untersten  Gliedern  unserer  homologen  Reihe 
rnhP1  W'r  ,ein..  Ausbleiben  der  Gerinnung,  es  sind  dies  die 
relativ  stark  dissoziierten  Säuren,  Ameisensäure  und  Essig- 

£i/e'MStie/erLeihLn  dem  Plasma  eine  dauernde  Ungerinnbar- 
Rcit  Mit  der  abnehmenden  Dissoziation  der  Fettsäuren  in  der 
aufsteigenden  Reihe  stellt  sich  eine  gerinnungsbeschleunigende 
Wirkung  ein  die  in  der  Palmitin-  und  Stearinsäure  ihren  Höhe¬ 
punkt  erreicht. 

Nach  den  Arbeiten  von  P  a  u  1  i,  M  i  c  h  a  e  1  i  s  und  deren 
Mitarbeiter  durfte  die  Deutung  dieser  Befunde  nicht  schwierig 
sein  Die  niederen,  stark  dissoziierten  Fettsäuren  stempeln 
durch  ihren  Ueberschuss  an  H-Ionen  das  Plasma,  dessen  Reak¬ 
tion  m  der  Norm  nach  der  alkalischen  Seite  neigt,  zum  Säure- 
eiweiss,  das  als  solches  elektrisch  geladen  und  damit  ungerinn- 
our  ist  Die  hochmolekularen  Fettsäuren  aber,  z.  B.  Stearin¬ 
saure,  können  infolge  ihrer  geringen  Dissoziation  nur  wenig 
-Ionen  zur  Verfügung  stellen,  doch  nach  dem  Massenwir- 
umgsgesetz  können  sie  dieselben  aus  dem  undissoziierten 
Molekül  immer  wieder  abspalten,  bis  alle  Aminogruppen  des 
Eiweisses  abgesättigt,  d.  h.  bis  der  iso-elektrische  Punkt  er¬ 
reicht  ist  und  die  Koagulation  eintritt. 

Aber  selbst  von  diesen  minimal  dissoziierten  hochmole¬ 
kularen  Sauren  genügt  ein  geringer  Ueberschuss,  um  die  Er¬ 
reichung  des  iso-elektrischen  Punktes  zu  erschweren,  wie  wir 
m  zahlreichen  Versuchen  gefunden  haben. 

Dass  gerade  diese  hochmolekularen  Fettsäuren  infolge 
dieser  Eigenschäften  eine  ausgesprochene  Neigung  zur  Bildung 
elektrisch-neutraler  Komplexe  haben,  wissen  wir  durch  die 
Untersuchungen  von  Pauli.  Ebenso  ist  es  bekannt,  dass 
Kalziumverbindungen  dieselbe  Eigenschaft  besitzen.  Somit 
wird  bei  dem  Zusammenbringen  von  hochmolekularen  Fett¬ 
säuren  Eiweiss  und  Kalk,  welch  letzterer  ja  eine  ausge¬ 
sprochene  Affinität  zu  Fettsäuren  besitzt,  sich  leicht  ein  Opti¬ 
mum  einstellen  zur  Bildung  neutraler  Komplexe,  d.  h.  zur 
Koagulation,  in  unserem  Falle  zur  Blutgerinnung.  Tatsächlich 
gelang  es  uns  auch,  durch  die  Kombination  von  Fibrinogen 
oder  Albumin  mit  Fettsäuren  und  Kalksalzen  eine  Koagulation 
selbst  aus  verdünnten  Eiweisslösungen  zu  erzeugen,  worüber 
spater  berichtet  werden  soll. 

Tabelle  3. 


Pferdeoxalatplasma 
2,0  ccm 


Oerinnungszeit 
in  Minuten 


Eintritt  der 
Hämolyse 
in  Minuten 


Rinderblutkörperchen 
5 proz.  Aufschwemmung 
2,0  ccm 


Orad  der  Hämolyse 


Ameisensäure 

Essigsäure  . 
Propionsäure 
Isobuttersäure  . 
Isovaleriansäure 
Kapronsäure  .  . 
Oelsäure  .... 


Palmitinsäure 
Stearinsäure  . 
Milchsäure 

-Oxybuttersäure 

-Aminoessigsäure 

Tyrosin . 

Leucin . 

Cholin . 

Blausäure  .  ... 


_ 

1 

— 

25 

35 

25 

20 

60 

10 

60 

10 

(3)  25 

4 

1 

i 

45 

8 

10 

60 

10 

_ 

25 

_ 

45 

— 

•  — 

_ 

10 

60 

e  |  10 

120  | 

Methämoglobinbildung 


Keine  Sedimentierung, 
Methämoglobinbildung 

^-+ ^Methämoglobinbildung 


rubinrot,  komplett 


2.  Fettsäuren  und  Hämolyse. 

Dieselben  Säuren  Hessen  wir  zum  Vergleich  auf  isolierte 
a  ^ [  i  o r p e r c h e n  (5  proz.  Kochsalzaufschwemmung)  einwirken. 
Auch  hier  offenbarte  sich  wieder  eine  gesetzmässige  Abhängig¬ 
keit  der  Wirkung  der  Säure  von  ihrer  Konstitution  und  ihrem 
Platz  in  der  homologen  Reihe.  Ebenso  zeigte  sich  hier  deut¬ 
lich  jener  doppelte  Effekt  im  Ablauf  der  Hämolyse,  wie  ihn 
A  [  r  h  ®  a  *  u  s  ^r  verschiedene  Konzentrationen  einer  und  der¬ 
selben  Säure  gefunden  hat.  Bei  den  niedrigsten  Gliedern  der 
Reihe,  den  stärksten  Säuren,  z.  B.  Ameisensäure,  überwiegt 
die  agglutinierende  Wirkung  über  die  hämolytische,  bis  die 
letztere  in  der  aufsteigenden  Säurereihe  mit  abnehmender 
Säurestärke  ihren  Höhepunkt  erreicht,  und  eine  vollkommene 
Hämolyse  in  schöner  rubinroter  Farbe  herbeiführt,  ln  unserer 
Reihe  liegt  dieser  Säuregrad  bei  ca.  0,03  ccm  rjJ  H*SOi  und 

entspricht  dem  der  Oelsäure,  der  Blausäure  und  der  kolloidalen 
Kieselsäure.  Unterhalb  dieses  Säuregrades  tritt  in  Ueberein- 


1664 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  30. 


Stimmung  mit  den  Befunden  von  Arrhenius  auch  die  hämo¬ 
lytische  Wiksamkeit  der  Fettsäuren  zurück,  d.  h.  sie  ver¬ 
schwindet  bei  den  am  stärksten  die  Blutgerinnung  beschleu¬ 
nigenden  Säuren,  der  Palmitin-  und  Stearinsäure. 

Zum  Schlüsse  möchten  wir  kurz  unsere  Resultate  dahin 


Tabelle  I  a. 


-I— 

Dialyse 

Dialyse 

iZ 

2 

Diagnose 

Optik 

Io 

O; 

CO 

Serum 

+ 

Plazenta 

iZ 

z 

Diagnose 

Serum 

1,0 

Serum 

T 

Plazenta 

zusammenfassen: 

1.  Den  stärksten  Einfluss  auf  die  Blutgerinnung  hat  das¬ 
jenige  Ferment,  das  das  stärkste  Fettspaltungsvermögen  be¬ 
sitzt.  In  unserem  Falle  die  Steapsinsolution. 

2.  Die  Wirksamkeit  des  Lebersaftes  oder  der  Thrombo- 
kinase  entfällt  zum  grössten  Teil  auf  die  beigemengten  äther- 
extrahierbaren  Substanzen.  Letztere  entfalten  allein  die 
gleiche  Wirkung  auf  die  Blutgerinnung  wie  der  volle 
Organsaft. 

3.  Chemisch  reines  Tristearin  und  Stearinsäure  sind  im¬ 
stande,  nahezu  die  gleiche  Wirkung  wie  Thrombokinase  her¬ 
vorzurufen. 

4.  Die  Wirksamkeit  der  Fettsäuren  auf  die  Blutgerinnung 
lässt  sich  in  eine  homologe  Reihe  einfügen,  in  der  sie  mit  stei¬ 
gender  Kohlenstoffatomzahl  im  Molekül  zunimmt. 

Wir  wrerden  in  unserer  ausführlichen  Arbeit  ferner  dartun, 
dass  die  Ungerinnbarkeit  des  Hirudin  und  Peptonblutes  auf 
Grund  unserer  Versuche  wohl  erklärbar  ist.  Wir  werden 
ferner  genau  darlegen,  dass  lipolytisches  Ferment 
und  Fettsäuren  gleichbedeutend  sind  der 
Morawitzschen  Thrombokinase  resp.  dem 
Thrombogen,  so  dass  die  erste  Phase  des  Gerinnungspro¬ 
zesses  einer  Kalkfettseifenbildung,  die  zweite  Phase 
dem  Komplex  Kalkfettseifefibrinogen  entspräche, 
wobei  als  Katalysator  das  lipolytische  Ferment  zu 
d  e  n  k  en  wäre.  Wir  werden  ferner  zeigen  können,  dass 
letzteres  (Blutlipase)  unter  dem  Einfluss  ganz  bestimmter 
Drüsen  mit  innerer  Sekretion  steht  und  wir  hoffen  ausserdem 
durch  genaue  Fibrinanalysen,  mit  denen  wir  zur  Zeit  beginnen, 
eine  weitere  Stütze  für  unsere  Anschauung  bringen  zu  können. 


Aus  der  Frauenklinik  der  Kgl.  Charitee  (Geheimrat  Franz) 
und  dem  tierphysiologischen  Institut  der  landwirtschaftlichen 
Hochschule  (Geheimrat  Z  u  n  t  z)  zu  Berlin. 

Weitere  Erfahrungen  mit  der  Abderhaldenschen 
Reaktion  allein  und  im  Vergleich  mit  der  Antitrypsin¬ 
methode. 

Von  Prof.  Dr.  R.  Freu  n  d  und  Dr.  C.  Brah  m. 

Im  vergangenen  Jahre  ')  haben  wir  über  unsere  Resultate 
berichtet,  die  wir  bei  Schwangeren  und  Nichtschwangeren  mit 
beiden  von  Abderhalden  vorgeschlagenen  Methoden 
(Optik  und  Dialyse)  erhielten  Es  deckte  sich  der  klinische  Be¬ 
fund  mit  dem  optischen  Untersuchungsergebnis  unter  134  Fällen 
97  mal  =  72,4  Proz.,  und  mit  dem  Ergebnis  der  99  mal  ange¬ 
wendeten  Dialyse  66  mal  =  66,7  Proz.  Bei  der  gleichzeitigen 
Ausführung  beider  Verfahren  zeigten  31  Fälle  keine  Ueber- 
einstimmung.  Auch  in  unseren  weiteren  Arbeiten  2)  liess  sich 
für  die  Optik  ein  besseres  Resultat  als  75  Proz.  und  für  die 
Dialyse  71  Proz.3)  Uebereinstimtnung  bei  233  Fällen  nicht  er¬ 
zielen. 

Da  in  der  Folgezeit  dasDialysierverfahren  immer 
mehr  als  die  für  die  Praxis  geeignetere  Methode  empfohlen 
wurde,  haben  wir  bei  unseren  letzten  Untersuchungen  vorzugs¬ 
weise  diese  Methode  angewandt,  um  so  mehr,  als  ihre  mittler¬ 
weile  bekannt  gegebenen  Verschärfungen  ein  günstigeres  Er¬ 
gebnis  erwarten  liessen.  Diese  Untersuchungen  beziehen  sich 
auf  150  Fällu,  darunter  114  Fälle  von  normaler  und  patho¬ 
logischer  Gravidität  aus  verschiedenen  Monaten  und  36  nor¬ 
male  und  pathologische  Fälle  von  Nichtgraviden  und  Männern. 
Drei  mit  der  optischen  Methode  allein  untersuchte  nichtgravide 
Fälle  abgerechnet,  gestaltet  sich  das  Ergebnis  der  übrig¬ 
bleibenden  147  mittels  des  Dialysierverfahrens  untersuchten 
Fälle  folgendermassen : 


‘)  M.m.W.  1913  Nr.  13  S.  685. 

-’)  Verhandlg.  d.  D.  Ges.  f.  Gyn.  15.  S.  273.- 
3)  B.kl.W.  1913  Nr.  43  (Sitz.-Ber.  d.  Berl.  med.  Ges.  v.  23.  Juli 
1913). 


1 

Adnextumor  . 

2 

Eklamsie  MX.. 

3 

Schwang.-Dermat.M.VIIl 

4  | 

Adnexiumor  (Fieber) 

5 

Zervixkarzinom  (Fieber) 

6 

Adnextumor  (Fieber) 

7 

Peritonitisgon.  (Fieber) 

8 

Adnextumor  (Fieber) 

9 

Pneumonie  (Fieber)  . 

10 

Cystitis  (Fieber)  .  .  . 

11 

12 

Pneumonie  (Fieber)  . 

13 

Magenkarzinom  (Fieber) 

14 

Oastr.  Fieber  .  . 

15 

Malaria  -|-  Lues  männl. 

16 

Oravid.  ... 

17 

Dement,  praecox  männl. 

18 

Katatonie  männl.  . 

19 

Oravid. 

20 

Dement  praecox  männl. 

21 

Oravid.  M  I  ... 

22 

Paranoia  männl. 

23 

Dement,  praecox  männl. 

24 

Puerpera  v.  6  Wochen 

25 

26 

Oravid.  .  .  .  .  . 

27 

Carcin.  periton.  .  .  • 

28 

Orav.  extrauterin.? 

29 

Oravid  ?  .  . 

30 

Eklampsie  M  VIII  .  . 

31 

„  „  x 

32 

Kreissende  M.  X. 

33 

Oravid.  M.  X 

34 

„  VU  . 

35 

„  „  II  .  .  . 

36 

„  X  .  .  .  . 

37 

„  X 

38 

Eklampsie  M.  X  .  .  .  . 

39 

Oravid.  M.  VIII  .  . 

40 

„  „  VIII  .  .  . 

41 

„  „  X  .  .  .  . 

42 

„  x .  .  . 

43 

„  „  X  .  .  . 

+ 


-  I 


(+) 

1+) 


(+) 

(+) 

(+) 


++ 

++ 

“I“ 

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4- 

+ 

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(+> 

«+) 


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s 

+ 

+ 

+++ 

+ 


44 

45 

46 

47 

48 

49 

50 

51 

62 

53 

54 

55 

56 

57 

58 
58 
60 
61 
62 
68 

64 

65 

66 

67 

68 

69 

70 

71 

72 

73 

74 

75 

76 

77 

78 

79 

80 
Hl 
82 

83 

84 

85 

86 


Eklampsie  M.  IX  .  . 

„  M.  X  retropl.  Blut 
„  „  X  Armvene 
,,  „  X  Fetus  männl. 
Oravid.  M.  X 
Eklampsie  M.  X 
Oravid.  M.  X 

”  ”  ix 

>>  ».  • 

»*  i,  ^  • 

Eklampsie  M.  X 
„  „  VIII 

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Oravid.  M.  X  . 

„  „  VIII(Lues) 

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Eklampsie  M.  X  . 


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(+) 

| 

(+) 

(+> 

ft. 

t 

(+> 

* 

++ 

++ 


+ 

++ 

+ 

+4* 

++ 


Tabelle  I  b. 


87 

88 

89 

90 

91 

92 

93 

94 

95 

96 

97 

98 

99 
100 
101 
102 

103 

104 

105 

106 

107 

108 

109 

110 
111 
112 

113 

114 

115 

116 

117 

118 


Diagnose 


Dialyse  I  _■ 


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Diagnose 


Dialyse 
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Gravid.  M.  III 
Normal  weibl.  . 

Oravid.  ? 

„  M.  VI 

„  „  H  • 

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„  „  iv 

Normal  männl. 

Oravid.  M  II 
Adnextumor  ?  . 

Myom 

Lues  männl.  . 

Oravid.  M.  I  ? 
Parametrilis  chron 
Oravid.  ?  . 

„  M.  IV 
Lupus  vulvae 
Eklampsie  M.  X 
Gravid.  ?  .  . 

„  M.  II  . 

..  " 

„  „  III 

,,  II  • 

Gonorrhoe  weibl. 
Oravid.  M.  II 

II 

Dermatose  3  Mon.  postp 
Oravid.  M.  II  . 

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0,6 

0,6 

0,7 

0,5 


119  Oravid.  M.  III 

120  Adnextumor 

121  Eklampsie  M.  X 

122  Oravid.  M.  II  . 

123  „  „  II  (Tbc.) 

124  Endometritis  .  . 

125  Adnextumor  .  .  . 

126  Oravid.  M.  II 

127  „  „  IV  .  . 

128  Eklampsie  M.  X 

129  „  „  VIII 

130  „  „  X 

131  Nephrit,  gravid.  M.  X 

132  Eklampsie  M  X 

133  Oravid.  M.  II  .  .  . 

134  Oravida  ? . 

135  „  ?  .... 

136  Gonorrhoe  weibl.  .  . 

137  Gravida  ? 

138  Eklampsie  M.  VII 

139  Puerpera  vom  6.  Tag 

140 

141  Oravida  ?  ... 

142  Eklampsie  M.  X  .  .  . 

143  „  „  VIII  . 

144  Oravid  M.  II  .  . 

145  Oravida  ? . 

146  Eklampsie  M.  VIII 

147  Adnextumor  .... 

148  Eklampsie  M  X 

149  „  „  X  . 

150,  Drohende  Eklamps  M.X 


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0,5 

0,8 

Oft 

0,5 

0,6 

0,9 

0.6 

0,8 


Bei  den  114  Fällen  von  Gravidität  versagte  die 
Methode  20  mal;  bringen  wir  11  diagnostisch  nicht  sicher¬ 
gestellte  Fälle  in  Abzug,  so  bleiben  103  Fälle  mit  19  =  18,4  Proz. 
Versager.  Weit  ungünstiger  ist  das  Resultat  bei  den 
33  Nichtgraviden  (darunter  10  Männer);  hier  liess  uns  die  Me¬ 
thode  18  mal  im  Stich;  bei  Abzug  eines  diagnostisch  nicht 
sichergestellten  Falles,  also  unter  32  Fällen  17  =  53,1  Proz. 
Versager  (vgl.  Tabelle  1  a  und  Ib).  Es  deckte  sich  dem¬ 
nach  der  klinische  Befund  mit  dem  Ausfall  der 
Reaktion  unter  135  Fällen  99  m  a  1  =  73,3  Proz. 
0=  26,7  Proz.  Versager).  Eine  nennenswerte  Ver¬ 
besserung  konnten  wir  mithin  auch  nach 
durchgehender  Innehaltung  der  versqhärf- 
ten  Vorschriften  hinsichtlich  des  Dialysier¬ 
verfahrens  nicht  verzeichnen. 


38-  Juli  1914. _  MUENCttENER 


Mit  dieser,  unsere  jüngsten  Resultate 
wiedergebenden  dritten  Publikation  beab¬ 
sichtigen  wir,  lediglich  auf  die  Unzuver¬ 
lässigkeit  und  die  daraus  zu  folgernde  dia¬ 
gnostische  Untauglichkeit  der  Dialysier- 
ni  e  t  h  o  d  e  in  ihrer  jetzigen  Form  h  i  n  w  e  i s  e  n.  Es 
liegt  nahe,  damit  gleichzeitig  die  Frage  der  Spezifität  abzu- . 
lehnen,  wie  es  tatsächlich  eine  grosse  Reihe  von  Autoren  be¬ 
reits  getan  haben.  Uns  erscheint  es  verfrüht,  schon  heute 
darüber  zu  diskutieren  oder  gar  ein  abschliessendes  Urteil  ab¬ 
zugeben  im  Hinblick  auf  die  Unzulänglichkeit  der  Methodik 
(Hülsen,  Ungleichheit  der  Substrate),  wie  besonders  auf  die 
noch  ganz  ungenügende  Kenntnis  der  Reaktion  bei  den  ver¬ 
schiedenen  physiologischen  und  pathologischen  Prozessen. 
Solange  die  Methode  nach  diesen  beiden  Gesichtspunkten 
hin  krankt,  ist  es  klar,  dass  eindeutige  Resultate  nicht  zu  er¬ 
warten  sind.  So  erklären  sich  unsere  auch  mit  den  ver¬ 
schärften  Vorschriften  erzielten  73,3  Proz.,  ein  Resultat,  das, 
wie  A  b  d  e  r  h  a  1  d  e  n  uns  schreibt,  darum  besonders  wertvoll 
für  ihn  sein  würde,  weil  wir  am  längsten  mit  seinen  Methoden 
arbeiteten. 

Es  mag  der  Enthusiasmus  der  Anfangsperiode  als  Ent¬ 
schuldigungsgrund  dienen,  dass  zahlreiche  Autoren  bald  nach 
Bekanntwerden  der  Methode,  als  noch  mit  Kondoms,  Biuret 
und  unsauberen  Fingern  hantiert  wurde,  als  man  von  50  Proz. 
Hülsendefekten  und  verschärfter  Organkontrolle  nichts  wusste, 
auf  Grund  ihrer  wenigen,  aber  desto  glänzenderen  Resultate 
die  sichere  serologische  Schwangerschaftsdiagnose  bereits  als 
erwiesen  erachteten.  Es  mag  ferner  für  diesen  Enthusiasmus 
als  bezeichnend  angeführt  werden,  wenn  ein  Redakteur  sich 
für  die  Aufnahme  eines  die  Methode  ablehnenden  Aufsatzes  in 
einei  langen  Fussnotenerklärung  entschuldigen  zu  müssen 
glaubte4).  Wenn  aber  noch  die  jüngste  Zeit  nach  Abflauen 
des  Begeisterungsturmes  eine  so  grosse  Divergenz  der  Unter¬ 
suchungsergebnisse  hervorbringt,  so  kann  man  diese  Erschei¬ 
nung  nur  dadurch  erklären,  dass  viele  Forscher  nach  wie  vor 
ihre  Versager  lieber  ohne  weiteres  wenn  auch  noch  so  uner¬ 
klärlichen  Fehlern  der  Technik  als  der  Methode  selbst  zur 
Last  legen  ").  Nach  ihnen  bleibt  die  Statistik  durch  diese 
Versager  unbeeinflusst,  um  so  mehr,  wenn  die  wiederholte  Prü¬ 
fung  den  Ausfall  der  Reaktion  bei  dem  einen  oder  anderen 
nicht  stimmenden  Versuch  ändert;  eine  Nachkontrolle  der 
primär  stimmenden  Versuche  unterbleibt,  obschon  auch  diese 
crfahrungsgemäss  bisweilen  gegenteilig  ausfällt.  Diese  be¬ 
queme  Art  der  Forschung  fördert  wenig;  andere  Erklärungs- 
möghchkeiten,  wie  z.  B.  zeitlich  verschiedener  Fermentgehalt 
des  Serums  bleiben  dabei  unberücksichtigt.  An  Belegen  hierfür 
rehlt  es  in  der  einschlägigen  Literatur  —  und  die  will  gelesen 
sein!  —  nicht. 

So  glaubt  Freymuth0)  in  allen  seinen  klinisch  nicht 
nit  der  Reaktion  übereinstimmenden  Fällen  entweder  einen 
echnischen  Fehler  oder  eine  unbekannte  Organstörung  an- 
lehmen  zu  dürfen.  Stresemann  und  Heimann7)  haben 
leuerdings  auch  mit  verschärfter  Methodik,  die  sie  „streng  und 
tewissenhaft“  befolgten,  Plazentarabbau  bei  sicher  Nicht- 
craviden  gesehen,  trösten  sich  aber  mit  dem  Gedanken,  dass 
’Olche  Versager,  „eben  wegen  der  so  subtilen  Technik“  immer 
orkommen  können  und  „auf  Versuchsfehler  zurückgeführt 
verden  müssen“.  D  e  c  i  o 8)  vermisste  besonders  bei  patho- 
ogischer,  aber  auch  einmal  bei  normaler  Gravidität  Abbau  von 
äazentargewebe;  das  Serum  Gravider  verdaute  ferner  nicht 
mr  Plazentareiweiss,  sondern  auch  fötale  Gewebe  (Nieren, 
duskel,  Leber),  während  andererseits  das  Serum  normaler 
'der  kranker  Frauen,  wenn  auch  selten,  mit  Plazenta  positiv 
e^?.'er^e  Befunde,  die  den  Autor  nicht  abhalten,  von  Spe- 
ifität  der  Seroreaktion  zu  reden.  Gelegentlich  einer  Aeusse- 
ung  über  die  Unzuverlässigkeit  der  Hülsen  bezeichnet 
v  b  d  e  r  h  a  1  d  e  n  ")  selbst  seine  Methode  als  kein  ideales  Ver- 

)  D.m.W.  1914  Nr.  7  S.  316  (Michaelis  und  v.  Lager- 

larck). 

hiezu  auch  L-  Eränkel:  Mschr.  f.  Geb.  u.  Gyn.  39. 

'14.  o.  686. 

B)  M.m.W.  1914  Nr.  17  S.  916 
7)  Mschr.  f.  Geb.  u.  Gyn.  39.  1914.  S.  685—89. 

)  Gyn.  Rdsch.  1913  12.  S.  436. 

*)  M.m.W.  1914  S.  233  und  237. 

Nr.  30. 


i  WOCHENSCHRIFT. 


fahren;  er  sagt  jedoch  in  der  gleichen  Arbeit  gegenüber 
O  e  1 1  e  r  und  Stephan:  „Das  Dialysierverfahrcn,  welches  im 
Prinzip  so  primitiv  und  einfach  als  nur  möglich  ist,  hat  keine 
Fehler.  Die  Fehlerquellen  liegen  in  der  Technik.“  Schliesslich 
sei  noch  auf  die  Arbeit  von  Meyer-Betz,  Ryhiner  und 
Schweissheimer lü)  hingewiesen,  in  der  sie  auf  Grund 
beträchtlicher  Fehldiagnosen  bei  der  Graviditäts-  wie  Karzi¬ 
nomreaktion  auf  der  einen  Seite  zugeben,  dass  diese  Versager 
den  Wert  der  Methode  einschränken  und  gegen  eine  strenge 
Spezifität  sprechen,  auf  der  anderen  Seite  wiederum  die  Dia¬ 
lyse  für  klinisch  brauchbar  halten. 

Diese  Beispiele  zeigen  zur  Genüge,  dass 
Versager  keinem  Untersucher  erspart  blei¬ 
ben,  dass  die  geschilderte  Differenz  der 
Untersuchungsergebnisse  also  lediglich  auf 
einer  verschiedenartigen  Auslegung  dieser 
Fehldiagnosen  beruht. 

Auch  in  den  meisten  Anworten  auf  die  jüngst  an  die 
deutschen  Frauenkliniken  ergangene  Rundfrage11)  kommt  das 
Zugeständnis  von  Versagern  in  verschiedener  Form  zum  Aus¬ 
druck.  Krömer  erwähnt  2  Proz.  Versager  und  schreibt:  „In 
dei  Regel  stimmt  die  Diagnose.“  Auch  bei  Opitz  heisst  es: 
„Ergebnisse  fast  regelmässig  den  klinischen  Tatsachen  ent¬ 
sprechend.“  v.  Herff-Hüssy  berichten:  Versager  hatten 
wir  kaum  einige.“  Veit,  der  früher  in  der  Abderhalden- 
schen  Reaktion  das  beste  differentialdiagnostische  Mittel  zur 
Entscheidung  zwischen  Extrauterinschwangerschaft  und  Adnex¬ 
tumor  begrüsste,  spricht  jetzt  vom  „guten  Willen“,  über  den 
der  geübte  Untersucher  verfügen  müsse,  um  „so  gut  wie  regel¬ 
mässig  gute  Ergebnisse“  zu  erzielen;  bei  Nichtgraviden  sah  er 
(A  sehn  er)  5  Proz.  Fehldiagnosen,  bei  Graviden  reagierte 
ein  Fall  negativ.  M  e  n  g  e  hat  7  Proz.  Versager  bei  130  Fällen; 
er  erachtet  den  positiven  Ausfall  der  Reaktion  als  keinen 
sicheren  Beweis  für  bestehende  Gravidität,  während  um¬ 
gekehrt  G  u  g  g  i  s  b  e  r  g,  den  die  Methode  bei  Extrauterin¬ 
gravidität  im  Stiche  liess,  den  negativen  Ausfall  für  nicht  be¬ 
weisend  gegen  eine  ektopische  Schwangerschaft  hält.  Seil- 
heim-Mayer  haben  4  Proz.  Versager  bei  sicher  Graviden 
und  19,7  Proz.  bei  Nichtgraviden.  Stöckel-Behne  er¬ 
hielten  mit  der  verbesserten  Technik  ebensowenig  eindeutige 
Resultate  wie  bei  der  zuerst  geübten;  unter  den  letzten 
60  Fällen  35  Proz.  Versager.  Die  Erfahrungen  der  Bumm- 
schen  Klinik  (Schäfer),  die  auf  Grund  ihrer  28  Versager  bei 
Gravidität  und  48  Proz.  Plazentarabbau  bei  Nichtgraviden 
(also  insgesamt  25,5  Proz.  Versager)  den  differentialdiagnosti¬ 
schen  Wert  der  Methode  und  ihre  Spezifität  bezweifelt, 
stimmen  demnach  mit  den  unserigen  (insgesamt  26,7  Proz.  Ver¬ 
sager)  überein.  Sieht  man  von  den  Polanoschen  Angaben  ab, 
die  leider  zu  unbestimmt  sind,  um  verwertet  werden  zu  können, 
so  bleiben  nur  5  Kliniken  (Leipzig,  Königsberg,  Marburg,  Jena 
und  Pest)  mit  vollkommen  eindeutigen  Ergebnissen  übrig. 

Unter  den  Leipziger  Fällen  [Lichtenstein  12)]  befinden 
sich  allerdings  unserer  Meinung  nach  zunächst  zwei  Versager: 
Ein  Fall  von  Abort  ergab  negativen,  ein  zweiter  von  Myom 
nebst  Korpuspolyp  positiven  Ausfall  der  Dialyse.  Die  Begrün¬ 
dung  dieser  Dissonanz  zwischen  Klinik  und  Reaktion  führt  L. 
im  ersten  Falle  darauf  zurück,  dass  das  Ei  dem  Aussehen  nach 
3—4  Wochen  keinen  Stoffwechsel  mehr  unterhalten  hätte, 
während  im  zweiten  der  Polyp,  der  wegen  seiner  mikro¬ 
skopisch  gefundenen  Deziduazellen  als  Plazentarpolyp  ange¬ 
sprochen  wurde,  noch  nach  3  Monaten  im  Stoffaustausch  mit 
dem  mütterlichen  Blute  gestanden  hätte.  Da  mikroskopisch 
keine  Zotten  nachgewiesen,  ist  die  Diagnose  „Plazentarpolyp“ 
anfechtbar,^  ausserdem  nicht  einzusehen,  warum  im  ersten 
Falle  der  Stoffwechsel  bei  der  mikroskopisch  völlig  intakten 
Plazenta  trotz  des  etwas  ramponierten  Fötus  nach  3 — 4  Wochen 
erloschen  sein  soll,  bei  dem  sogen.  Plazentarpolyp  jedoch  nach 
3  Monaten  noch  nicht.  Schliesslich  dürfte  auch  der  von 
Zweifel13)  angeführte  Fall  einer  negativen  Reaktion  bei 
einem  klinisch  sehr  zweifelhaften  Tumor  als  Versager  gelten, 
denn  das  einzige  Symptom,  der  Wachstumsstillstand  der  Ge- 


lü)  M.m.W.  1914  Nr.  22  S.  1211. 
")  Med.  Klin.  1914  Nr.  11  u.  12. 
'-)  M.m.W.  1913  Nr.  26  S.  1427. 
13)  Med.  Klin.  1914  Nr.  11  S.  453. 


2 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  30. 

- -  - 


schwulst  während  3  Monaten  spricht  noch  lange  nicht  gegen 
das  Bestehen  einer  Extrauteringravidität.  Was  schliesslich  die 
Jenenser  Klinik  anlangt,  so  muss  es  auffallen  dass  ihre  Re¬ 
sultate,  die  noch  vor  Jahresfrist  so  fehlerhaft  waren,  dass  sie 
von  Abderhalden”)  selbst  als  durchweg  untauglich  hin¬ 
gestellt  wurden  [vgl.  die  Tragikkomödie  H  e  n  k  e  1 ,J)  -  L  i  n  - 
d  i  g ,B)  -  A  b  d  e  r  h  a  1  d  e  n  17),  jetzt  ausnahmslos  vollkommen 
eindeutig  ausfallen  (Tschudnowsky  ls),  Henkel 1B).  Es 
ist  anzunehmen,  dass  mit  zunehmender  Erfahrungen  auch  diese 
wenigen  Anstalten  zu  Versagern  gelangen  werden. 

Es  genügt  wohl,  neben  den  bisher  angeführten  Arbeiten, 
die  mit  wenigen  Ausnahmen  die  Verlässlichkeit  der  Methode 
mehr  oder  weniger  beanstanden,  auf  die  grosse  Anzahl  der¬ 
jenigen  hinzuweisen,  die  bekanntermassen  in  viel  ausge¬ 
sprochener  Form  gegen  Theorie  und  Praxis  der  Methode 
Stellung  nehmen  (H  e  i  1  n  e  r  und  Petri,  O  e  1 1  e  r  und  Ste¬ 
phan,  Singer,  D  e  e  t  j  e  n  und  Fränkel,  Kämmerer- 
Clauss-Dietrich,  Elatow,  Lichtenstein  und 
Hage,  Fränkel,  Lange,  Czepai,  Ebeler,  Deutsch 
und  Köhler,  Parssamow,  Michaelis,  Werner  und 
von  Winiwarter  u.  a. 

Abderhalden20)  verlangt,  eine  absolut  eindeutige 
Graviditätsdiagnose  als  Befähigungsnachweis  für  die  Beherr¬ 
schung  der  Technik,  ohne  die  eine  Ausdehnung  der  Methode 
auf  die  weit  schwierigeren  pathologischen  Gebiete  vollkommen 
fruchtlos  wäre.  Die  in  der  Literatur  bisher  niedergelegten,  nichts 
weniger  als  eindeutigen  Erfahrungen  mit  der  serologischen 
Graviditätsdiagnose  lehren  aber,  dass  wir  von  diesem  Ziel  noch 
recht  weit  entfernt  sind.  Es  muss  deshalb  die  erst  kürzlich 
wieder  aufgestellte  Behauptung,  „wer  keine  zuverlässigen  Re¬ 
sultate  mit  den  Methoden  von  Abderhalden  bekommt  — 
beherrscht  die  Technik  derselben  unvollkommen 21)“,  Be¬ 
fremden  erregen.  Wir  hätten  nicht  übel  Lust,  den  Sinn  dieses 
Satzes  ebenso  übertrieben  ins  Gegenteil  umzukehren.  Denn 
je  länger  man  mit  der  Methode  arbeitet,  um  so  mehr  muss 
man  zu  der  Ueberzeugung  kommen,  dass  die  Unsicherheit  der 
Methode  weniger  durch  eine  fehlerhafte  Technik  als  vielmehr 
durch  andere  wohl  vermutete,  aber  bisher  noch  nicht  aufge¬ 
klärte  Faktoren21*)  bedingt  wird. 

In  der  Absicht,  zunächst  durch  weitere  Verbesserungen 
die  Resultate  eindeutiger  zu  gestalten,  sind  eine  Reihe  von 
Massnahmen  empfohlen  und  bereits  ausgeführt  worden.  So 
z.  B.  das  Kontrollverfahren  durch  Doppelbestimmungen  von 
O  e  1 1  e  r  und  Stephan,  der  Paraffinkochapparat  für  Serien¬ 
untersuchungen  von  denselben  Autoren  und  seine  Modifikation 
von  Abderhalden,  das  Enteiweissungsverfahren  von 
Michaelis  und  das  von  F  1  a  t  o  w  zwecks  Eliminierung  der 
Hülsen,  die  Vordialyse  von  Schlimpert-Issel,  die  Mikro¬ 
stickstoffbestimmung,  ferner  die  Verbesserungen  in  der  Organ¬ 
herstellung  und  Hülsenprüfung  von  Lange,  die  Grützner- 
sche  Karminfärbungsmethode  der  Substrate,  die  Ultrafiltration 
u.  a.  m. 

Hiervon  sind  von  uns  die  Vordialyse  in  12  Fällen, 
ferner  das  Enteiweissungsverfahren  nach  Mi¬ 
chaelis  in  8  Fällen  angewendet  worden  22). 

Die  Vordialyse  stellt  bekanntlich  ein  Verfahren  dar, 
welches  darauf  hinausläuft,  den  Gehalt  des  Serums  an  nin- 
hydrinreagierenden  Stoffen  derartig  herabzusetzen,  dass  die 
Kontrolle  damit  negativ  ausfällt.  Wir  gingen  dabei  so  vor, 
dass  wir  den  Versuch  in  der  üblichen  Weise  ansetzten  und 
nach  16,  spätestens  24  Stunden  die  aussen  wieder  gründlich 
abgespülten  Hülsen  in  neue  mit  20  ccm  Wasser  gefüllte  Kölb¬ 
chen  brachten,  in  denen  sich  dann  die  Hauptreaktion  vollzog. 


«)  M.m.W.  1913  Nr  8  S.  411. 

15)  Arch.  f.  Gyn.  99.  H.  1  und  M.m.W.  1913  Nr.  8  S.  413. 

■6)  M.m.W.  1913  Nr.  6  S.  288  u.  Nr.  13  S.  702. 

17)  M.m.W.  1913  Nr.  8  S.  411  s.  auch  Freund  und  Br  ahm: 
M.m.W.  1913  Nr.  13  S.  689. 

18)  M.m.W.  1913  Nr.  41  S.  2283  (Tschudnowsky). 

,9)  M.K1.  1914  Nr.  12. 

20)  M.m.W.  1913  Nr.  50  S.  2774. 

21 )  M.m.W.  1913  S.  2283. 

21*)  vgl.  hiezu  die  sehr  lesenswerte  Arbeit  von  C.  Lange: 
Biochem.  Zschr.  1914  61.  S.  193. 

22)  Vergleichende  Versuche  zwischen  Ninhydrinprobe  und  Mikro- 
kjeldal  sowie  dem  F 1  a  t  o  w  sehen  Enteiweissungsverfahren  sind  im 
Gange  und  soll  darüber  später  von  uns  berichtet  werden. 


Mit  dem  ersten  wie  mit  dem  zweiten  Dialysat  wurde  die  Nin- 
hydrinreaktion  ausgeführt,  über  deren  Ausfall  'Tabelle  II 


orientiert. 


Tabelle  11. 


Nr. 


Diagnose 


Nichtvord  alysiertes 


„  ,  „  Serum  -t- 

Serum  1,0  P|a2enla 


Vordialysiertes 


Serum  1,0 


Serum 

Plazenta 


Eklampsie  M.  X  .  . 
Gravid.  M.  11  .  .  . 

”  ”  IS ; 

”  ’!  ii  !  .  . 
”  ’’  ii  .  .  . 

»i  i»  *  ■  * 

Eklampsie  M.  X  .  . 
Endometritis  .  .  . 
Adnextumor  .  .  . 

Gravid.  M.  I — 11  .  . 
Eklampsie  MX.. 
Nephr.  gravid.  M.  X 


Stä 


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ti)  ■ 
(+> 


Die  Veränderungen  des  Reaktionsausfalles  zugunsten  der 
klinischen  Diagnose  in  den  Fällen  1,  4,  7,  8,  9  ist  bemerkens¬ 
wert,  wohingegen  in  Fall  2  und  3  die  Methode  nach  wie  vor 
versagte.  Die  übrigen  von  vornherein  stimmenden  Fälle  5,  6, 
10,  11,  12  sind  nur  angeführt,  um  die  fast  durchweg  deutlich 
die  Reaktionsintensität  abschwächende  Wirkung  der  Vor¬ 
dialyse  zu  demonstrieren.  Danach  halten  wir  die 
Vordialyse  besonders  in  solchen  Fällen  für 
angezeigt,  in  denen  das  Serum  allein  mit  nin- 
hydrinreagierenden  Stoffen  stark  angerei¬ 
chert  ist,  wie  z.  B.  häufig  bei  Eklampsie,  ferner  auch  bei 
kachektischen  Zuständen  im  Gefolge  von  Phthise  und  Karzinom. 
Neuerdings  empfiehlt  auch  Abderhalden23)  warm  die 
Vordialyse.  Eine  Durchsicht  seiner  Resultate  zeigt  ebenfalls 
den  Nutzen  dieses  Verfahrens,  das  indessen  auch  ihm  in 
einigen  Fällen  (vgl.  Fall  23  und  26)  Misserfolge  brachte. 
Danach  entspricht  seine  Behauptung24),  „wendet  man  die  Vor¬ 
dialyse  an,  dann  entfällt  jede  Möglichkeit  einer  Täuschung“, 
nicht  den  Tatsachen. 

Gute  Resultate  lieferte  uns  auch  das  Michaelissche 
Enteiweissungsverfahren,  wenn  auch  meistens  die 
Reaktion  an  Stärke  einbüsste.  Die  Behauptung,  dass 
ein  Teil  der  Abbaustufen  durch  das  Koagu¬ 
lationsverfahren  mit  niedergerissen  wird 
und  sich  so  der  Reaktion  entzieht,  konnten 
wir  an  der  Hand  von  Kontrollversuchen  be¬ 
stätigen.  Fügt  man  nämlich  zu  dem  Serum  bestimmte 
Peptonmengen  hinzu,  so  ergibt  sich  bei  gleichzeitiger  Prüfung 
durch  Dialyse  und  Enteiweissung  ein  deutlicher  Unterschied 
der  Reaktionsstärke.  Noch  deutlicher  tritt  diese  Tatsache  in 
Erscheinung,  wenn  der  Versuch  folgendermassen  angestellt 
wird:  Man  bereitet  sich  aus  1  ccm  einer  1  proz.  Peptonlösung 
und  20  ccm  HaO  eine  Standardfärbung  mit  Ninhydrin.  Setzt 
man  jetzt  die  gleiche  Menge  Pepton  zu  1  ccm  Serum  hinzu  und 
enteiweisst  dann,  so  müsste  man  bei  der  Ninhydrinprobe  zum 
mindesten  dieselbe  Farbenintensität  wie  die  Standardfärbung 
erhalten.  Dahinzielende  Untersuchungen  ergaben  jedoch  viel¬ 
fach  eine  deutliche  Verminderung  des  Farbentones. 

Schliesslich  wurden  die  Versuche  Plauts25)  einer  Nach¬ 
prüfung  unterzogen,  in  denen  er  zeigen  konnte,  dass  derselbe 
Reaktionseffokt  bei  der  Dialyse  auch  unter  ausschliesslicher 
Anwendung  anorganischer  Substrate  (Kieselgur, 
Baryumsulfat,  Talkum,  Kaolin)  ausgelöst  werden  konnte. 
Plaut  glaubt,  diese  Erscheinung  auf  Adsorptionsvorgänge 
zurückführen  zu  dürfen,  wodurch  eine  Vermehrung  der  nin- 
hydrinreagierenden  Stoffe  im  Dialysat  verursacht  wird.  Der¬ 
selbe  Vorgang  soll  sich  auch  bei  der  Dialyse  mit  organischen 
Substanzen  abspielen,  so  dass  seiner  Meinung  nach  die  An¬ 
nahme  eines  Fermentabbaues  überflüssig  wird.  Berner29) 
ist  dieser  Behauptung  auf  Grund  von  23  Fällen,  in  denen  er 
mit  anorganischen  Substanzen  stets  negative  Resultate  er¬ 
zielte,  entgegengetreten,  und  vermutet,  dass  die  positiven 
Reaktionen  Plauts  durch  fehlerhafte  Hülsen  bedingt  wurden. 
DemgegenüberkonntenwirbeiunserenUnter- 
suchungen,  in  denen  wir  die  von  Plaut  angegebene 


23)  M.m.W.  1914  Nr.  16  S.  862. 

21)  Abwehrfermente  4.  Aufl.  1914  S.  152. 

25)  M.m.W.  1914  Nf.  5  S.  238. 

20)  M.m.W.  1914  Nr.  15  S.  825. 

'  e  -Vf  MO* 


28.  Juli  1014. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


Technik  befolgten,  unter  58  Fällen  40  mal  die  Plaut- 
schen  Befunde  bestätigen.  Aus  den  beigefügten 
Protokollen  (s.  Tab.  III)  ist  der  Ausfall  der  einzelnen  Reak- 
tionen  ersichtlich;  als  Versager  gelten  hier,  wie  stets,  auch 
solche  Falle,  in  denen  die  Kontrolle  mit  Serum  allein  stärker 
oder  nur  ebenso  stark  wie  der  Hauptversuch  reagierte. 


166? 


Tabelle  III. 


2 


Diagnose 


Serum  1,0 


Serum  1,0  Serum  1,0  Serum  1,0 
„  +  +  Kiesel-  -|-liaryum- 

Kaolin  0,05  [  gur  0,05  I  sulfat0,05 


1  I 

i  | 

3  I 

4 

5 

6 

7 

8 


Eklampsie  M.  VIII  . 

„  „  „  X  . 

Phthis.  pulm.  männl. 


Serum  1,0 
-f-  Talkum 
0.05 


m 

W-) 


(+) 


Oravid.  M.  X  .  ’!  . 

„  X  ...  . 
Trächtige  Kuh  . 
Oravid.  M.  VII  ..  . 
„  II  .  . 

„  X  .  .  . 

..  »X  ... 
Eklampsie  MX.. 
Oravid.  M.  X  .... 
„  „  X  .  .  . 

„  „X 
..  »  VII 

Eklampsie  M.  X  Fetus 
Oravid.  M.  III  .  . 

Eklampsie  M.  X  .  .  . 
Oravid.  M.  X  ... 
Eklampsie  M.  X  .  . 
Oravid.  M.  X  . 

,,  „  X  .  .  .  . 

„  X  .  . 

„  X  .  .  . 

X  .  .  .  . 

Eklampsie  M.  X  .  . 

„  VIII  . 

„  ..  X  . 

Oravid.  M.  X 

..  „  VIII  .  .  , 

„  „  X  .  .  .  . 

X 


5 

tt 

X 

6 

tt 

X  . 

7 

III 

8 

9 

Eklampsie  M.  X 
Oravid.  M.  III 

•  • 

3 

it 

X  . 

I 

tt 

X  .  . 

i 

tt 

X  . 

1 

tt 

IV  . 

1 

tt 

IX  . 

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tt 

III  . 

J 

VIII  . 

f 

tt 

IX  . 

I 

tt 

X  . 

) 

tt 

IX 

) 

tt 

IX  . 

VI  . 

tt 

III  . 

1 

tt 

IX 

n 

IX  . 

»> 

VII  . 

tt 

VI 

IV 

Eklampsie  M.  X  . 

. 

tt 


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¥ 

+ 

(+) 


+ 


(4-) 

(+) 


<+> 


Trotz  dieser  Untersuchungsergebnisse,  die  auf  den  ersten 
indruck  die  Ablehnung  einer  spezifischen  Reaktion  berechtigt 
rscheinen  lassen,  halten  wir  es,  wie  eingangs  erwähnt,  für 
erfrüht,  schon  heute  in  die  Diskussion  dieser  Frage  einzu- 
eten;  um  so  mehr,  als  erst  in  letzter  Zeit  dahingehende 
ntersuchungen  speziellerer  Natur  (Verdeckung  spezifischer 
irch  unspezifische  Fermente  von  Frank-Rosenthal¬ 
iber  s  t  e  i  n  “),  andererseits  die  Dialysatiiberimpfungen  von 
bderhalden  und  Grigorescu28)  in  Angriff  genommen 
orden  sind. 

Ganz  anders  steht  es  mit  der  praktischen  Seite 
er  Frage.  Wenn  Abderhalden  kürzlich  zu  der  immer 
hwieriger  sich  gestaltenden  Methodik  neben  der  Ninhydrin- 
obe  auch  die  Mikrostickstoffbestimmung  des  Dialysates 
rdert,  da  „nur  die  Uebereinstimmung  der  Ergebnisse  beider 
ethoden  zurzeit  ein  bestimmtes  Urteil  gestattet“29),  so  ver- 
1  rt  das  Verfahren  durch  solche  Komplizierungen  begreiflicher¬ 
weise  mehr  und  mehr  an  praktischem  Wert.  Es  ist  unter 
lesen  Umständen  .erklärlich,  wenn  man  in  dem  Bestreben, 
M  serologische  Forschung  der  Praxis  nutzbar  zu  machen, 
‘-Ser  Methode  zunächst  den  Rücken  kehrt  und  sich  neuer- 
ngs  eifriger  als  bisher  einem  anderen  serologischen  Ver- 
firen,  der  Antitrypsin  methode,  zuwendet. 


27)  M.m.W.  1913  Nr.  29  S.  1594 
“)  M.m.W.  1914  Nr.  14  S.  767. 


u. 


M.m.W.  1914  Nr.  14  S.  766. 


1914  Nr 

V 


:iflr 

16 


864. 


Diese  durch  die  Arbeiten  E.  R  o  s  e  n  t  h  a  1  s  30)  speziell  für 
das  jehiet  der  Geburtshilfe  und  Gynäkologie  ausgearbeitete 
von  r  u  Id-Gross  angegebene  Methode  hat  sich  schon  auf 
verschiedenen  Gebieten  der  Medizin  in  zahlreichen  Unter¬ 
suchungen  bewährt  und  gipfelt  in  dem  Nachweis  des  anti- 
tryptischen  Serumtiters,  der  bekanntlich  bei  Gravidität  und  in 
alien  übrigen  mit  Eiweisszerfall  einhergehenden  Zuständen 
.  lieber,  Karzinom,  Tuberkulose,  Nephritis,  Basedow  und 
einige  gyn.  Erkrankungen)  gegen  die  Norm  erhöht  ist. 

1 1  ^upeurt  Franz  31),  der  erst  jüngst  an  der  Hand  von  223 
Untersuchungen  normaler  und  kranker  Schwangeren  die  Anti- 
i  psil?met^ocIe  erneut  einer  Prüfung  unterzogen  hat,  kommt 
deshalb  zu  dem  Schluss,  dass  ein  positiver  Ausfall  der  Reak¬ 
tion  lediglich  einen  gesteigerten  Eiweissumsatz  anzeigt,  der  als 
Schwangerschaftsdiagnostikum  verwertet  werden  kann,  wenn 
sich  klinisch  andere  Quellen  des  Eiweisszerfalles  ausschliessen 
lassen.  Eine  negative  Reaktion  beweise  dagegen  stets  gegen 
Schwangerschaft. 

„  Zum  Vergleich  der  beiden  Methoden  ist  in  letzter  Zeit  die 
F  u  1  d  -  R  ose  n  t  h  a  1  sehe  Methode  gleichzeitig  mit  der  Dia- 
lyse  von  FI  e  imann-Chotzen32)  angewendet  worden. 
Unter  50  Fällen  von  Schwangerschaft  hatten  sie  drei  Ver¬ 
sager,  bei  66  Nichtgraviden  kein  Fehlresultat,  wenn  diejenigen 
Anomalien,  die  mit  Erhöhung  des  antitryptischen  Titers  einher¬ 
gehen,  ausgeschaltet  werden  konnten. 

Wir  haben  gemeinsam  mit  A  d  a  c  h  i  die  Antitrypsin¬ 
methode  und  Dialyse  in  64  Fällen  vergleichs- 
weise  ausgeführt.  Hinsichtlich  der  Technik  verweisen  wir 
auf  die  Arbeiten  von  Adachi33)  bzw.  R  o  s  e  n  t  h  a  1 3Q.  Zur 
Feststellung  des  Resultats  bemerken  wir,  dass  nach  Üeber- 
einkunft  mit  E.  Rosenthal  die  Reaktion  als  positiv  anzu¬ 
sprechen  ist,  wenn  die  Hemmungswirkung  des  fraglichen  Serums 
mindestens  um  0,5  ccm  Trypsin  über  der  komplett  lösenden 
Irypsindosis  liegt.  Beträgt  also,  wie  in  der  Regel,  die  kom¬ 
plett  lösende  Trypsindosis  0,4  ccm,  so  gilt  erst  eine  Hemmung 
von  0,9  ccm  Trypsin  (d.  h.  0,4  4-  0,5)  als  positiv.  In 
diesem  Falle  spricht  man  von  einem  Serum¬ 
titer  von  0,5  ccm  T  r  y  p  s  i  n. 

Unter  unseren  64  Fällen  —  48  Gravide  und  16  Nicht- 
gra viele  —  konnten  wir  feststellen,  dass  unter  den  ersteren 
die  Dialyse  8  mal,  die  Antitrypsinmethode  3  mal  oder  nach 
Eliminierung  von  9  klinisch  unsicheren  und  nicht  nachunter¬ 
suchten  Fällen  die  Dialyse  7  mal,  die  andere  Methode  nur  ein¬ 
mal  versagte.  Bei  den  16  nichtgraviden  Fällen  gab  die 
Dialyse  10  mal,  die  Antitrypsinmethode  7  mal  unrichtigen  Be¬ 
scheid  (vgl.  Tab.  I  b). 

Das  Resultat  ist  demnach  hüben  wie  drüben  nicht  glän¬ 
zend.  Immerhin  ist  das  Ueberwiegen  der  besseren  Re- 

sultateaufSeitederantitryptischenMethode 

auch  angesichts  der  beschränkten  Anzahl  der  Fälle  beachtens¬ 
wert  und  fordert  zu  weiteren  vergleichenden  Prüfungen  auf. 
Die  Antitrypsinmethode,  welche  keinen  Anspruch  auf  Spezi¬ 
fität  erhebt,  hat  gegenüber  den  A  b  d  e  r  h  a  1  d  e  n  sehen  Ver¬ 
fahren  den  Vorzug  der  technisch  weitaus  bequemeren  Hand- 
habung,  der  kürzeren  Zeitdauer,  der  Billigkeit  und  leichteren 
Resultatpr iifung.  Dass  auch  andere  Prozesse  mit  Eiweisszer¬ 
fall  erhöhte  Hemmung  zeigen,  kann  nicht  als  Nachteil  gelten, 
da  gerade  die  Kenntnis  des  Reaktionsausfalles  bei  den  ver¬ 
schiedenen  Anomalien  der  Beurteilung  des  serologischen  Re¬ 
sultates  zugute  kommt,  ein  Vorteil,  der  mangels  systematischer 
Bearbeitung  den  Abderhalden  sehen  Methoden  noch 
abgeht. 

In  Anbetracht  dieser  unverkennbaren  Vorzüge  wird  im 
Verhältnis  zur  aufgewendeten  Mühe  und  Zeit  derjenige,  der 
sich  durchaus  serologisch  betätigen  zu  müssen  glaubt,  bei  der 
Arbeit  mit  dem  Antitrypsinverfahren  grössere  Befriedigung 
finden  als  mit  den  Abderhalden  sehen  Methoden. 


30)  Zschr.  f.  klin.  Med.  72.  1911.  S.  505. 

31)  Arch.  f.  Qyn.  102.  S.  579. 

3S)  Mschr.  f.  Qeb.  u.  Gyn.  39.  1914.  S.  768. 

•  ^  u-  Gyn.  76.  H.  2.  —  Adachi  hat  die  Anti¬ 

trypsinmethode  alleiii  im  ganzen  in  103  Fällen  nachgeprüft 
34)  1.  c. 


2* 


1668 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  30. 


Aus  der  Universitäts-Frauenklinik  Giessen  (Direktor:  Professor 

Dr.  E.  O  p  i  t  z). 

Zur  Substratfrage  bei  der  Anwendung  des  Abder- 
hal  den  sehen  Dialysierverfahrens. 

Von  Dr.  Paul  L  i  n  d  i  g,  Assistent  der  Klinik. 

In  einer  früheren  Veröffentlichung  habe  ich  auf  die  Schwie¬ 
rigkeiten  hingewiesen,  die  bei  der  Darstellung  der  dem  Abbau 
zu  unterwerfenden  Substrate  sich  in  den  Weg  stellten.  Trotz 
Berücksichtigung  aller  für  die  Zubereitung  der  Organe  damals 
gültigen  Vorschriften  gelang  es  mir  nicht,  ein  dauernd  halt¬ 
bares  Abbaumaterial  herzustellen.  Wir  wissen  heute,  dass 
neben  anderen  Momenten  (Kalk-  und  Eisengehalt  des 
Wassers  etc.)  der  durch  die  Herstellungsweise  bedingte  Blut¬ 
gehalt  der  Organe  vor  allem  Schuld  an  diesem  Mangel  war. 
Ob  alle  Erklärungsmöglichkeiten  für  die  wechselnde  Haltbar¬ 
keit  aus  diesen  eben  angeführten  Gründen  herzuleiten  sind, 
werde  ich  in  anderem  Zusammenhang  noch  erörtern. 

Jedenfalls  hat  die  ganze  Art  der  Zubereitung  des  koagu¬ 
lierten  Eiweisses  manche  Wandlung  erfahren,  ein  Ausdruck 
für  die  Verbesserungsfähigkeit  der  früher  üblichen  Methode. 
Eine  vergleichende  Gegenüberstellung  der  früheren  Arbeiten 
Abderhaldens  und  der  Vorschrift,  die  er  in  der  4.  Auflage 
seiner  Abwehrfermente  für  die  Organbereitung  gibt,  dürfte  das 
klar  veranschaulichen.  Die  Art  und  Dauer  des  Auswaschens, 
mit  einem  Wort  die  Blutfreimachung  des  Gewebes,  die 
Trennung  der  für  den  Abbau  erwünschten  und  unerwünschten 
Gewebsarten,  die  Form  der  Aufbewahrung  haben  sich  wesent¬ 
lich  geändert.  Verwandte  man  z.  B.  früher  grosse  Organ¬ 
würfel,  die  erst  vor  dem  Versuch  selbst  zerkleinert  wurden, 
so  ist  es  jetzt  eine  streng  zu  befolgende  Forderung,  das  Sub¬ 
strat  in  der  Beschaffenheit  aufzubewahren,  wie  man  es  der 
Dialyse  unterwirft.  So  haben  Erfolge  und  Misserfolge,  gute 
und  schlechte  Erfahrungen  sowohl  Abderhaldens  selbst 
wie  einer  grossen  Anzahl  derer,  die  sich  mit  diesen  Fragen 
beschäftigten,  im  Laufe  der  letzten  1K>  Jahre  und  vor  allem  in 
der  neuesten  Zeit  bis  in  die  feinsten  Einzelheiten  den  Begriff 
des  einwandfreien  Abbaumaterials  festgelegt.  Den  Begriff 
haben  wir  also;  dass  seine  Verwirklichung  noch  nicht  völlig 
gelungen  ist,  hängt  mit  der  anatomischen  Struktur  des  Eiweiss¬ 
materials  zusammen.  Aber  auch  innerhalb  dieser  Grenzen,  die 
durch  die  nur  bedingte  histologische  Isolierfähigkeit  gezogen 
sind,  stösst  die  Darstellung  eines  fehlerlosen  Substrates  noch 
auf  manche  Schwierigkeiten.  Ich  verweise  dabei  auf  be¬ 
merkenswerte  Versuche,  die  Lahm  [7]  zum  Nachweis  des 
Blutgehaltes  in  den  Organen  anstellte. 

Es  fragt  sich  nun  weiter,  ob  ein  unter  Berücksichtigung 
aller  Vorschriften  zubereitetes  Substrat  auch  dauernd  haltbar 
ist,  oder  ob  es  noch  andere  Gründe  für  die  nicht  seltene  Un¬ 
beständigkeit  des  unter  Toluol  aufbewahrten  Materials  gibt. 
Ich  glaube  letzteres  bejahen  zu  dürfen.  Ein  Organ,  das  wir 
Abderhalden  zur  Prüfung  vorlegten  und  von  ihm  als  ein¬ 
wandfrei  bezeichnet  wurde,  gab  8  Tage  später  bei  regelrechter 
Aufbewahrung  in  seinem  Kochwasser  eine  positive  Ninhydrin- 
reaktion.  Für  diese  Erscheinung  finden  sich  in  der  neueren 
Literatur  zahlreiche  Belege.  0  e  1 1  e  r  und  Stephan  [l]  be¬ 
zeichnen  die  Haltbarkeit  der  Organe  schwieriger  als  ihre  Her¬ 
stellung.  Nach  ihren  Erfahrungen  können  dialysable  Eiweiss¬ 
körper  selbst  bei  gut  behandelten  Organen  ins  Kochwasser 
übergehen.  Nur  durch  eine  grosse  Reihe  von  Kontrollen  ver¬ 
mögen  sie  die  mehr  oder  weniger  grosse  Unzuverlässigkeit 
des  bei  der  Dialyse  verwandten  Materials  zu  überwinden. 
Wenn  übrigens  diese  Autoren  den  vor  Juni  1913  erschienenen 
Arbeiten  nur  historisches  Interesse  zuschreiben,  so  erscheint 
das  trotz  der  erfreulichen  Kritik,  die  ihre  Arbeiten  in  grossem 
Masse  auszeichnet,  etwas  zu  weit  gegangen.  Erkennen  sie 
doch  selbst  an,  dass  sie  nur  durch  grosse  Vergleichsreihen  die 
auf  das  unsichere  Verhalten  des  Materials  beruhenden  Fehler¬ 
quellen  zu  umgehen  suchen.  Mit  unzuverlässigen  Mitteln  als 
solchen  haben  wir  auch  heute  noch  zu  kämpfen.  Sie  allein 
können  also  nicht  das  Kriterium  für  die  Wertlosigkeit  der  vor 
dem  genannten  Termin  mitgeteilten  Versuche  bilden.  Die  Not¬ 
wendigkeit,  die  nicht  sichere  Verlässlichkeit  der  Substrate 
durch  ausreichende  Kontrollen  zu  paralysieren,  erkenne  ich  in 
vollem  Umfange  an.  Ich  habe  in  der  eingangs  zitierten  Arbeit 


auch  darauf  hingewiesen,  dass  ich  fast  durchweg  durch  Kon¬ 
trollen  mit  inaktiviertem  Serum  mir  darüber  Klarheit  zu  ver¬ 
schaffen  suchte,  ob  positive  Resultate  entweder  auf  Ferment¬ 
wirkung  zu  beziehen  seien  oder  aber  auf  Summationserschei¬ 
nungen  bzw.  auf  Vorgänge,  die  in  der  Veränderlichkeit  des 
Substrates  während  der  Bebrütung  mit  Serum  ihre  Ursache 
haben  könnten. 

Weiter  haben  auch  M.  F  r  ä  n  k  e  1  [2],  K  ä  m  m  erer  |3J 
und  D  e  t  j  e  n  und  F  r  ä  n  k  e  1  [4]  beobachtet,  dass  die  Organe 
nach  längerer  Aufbewahrung  Stoffe  an  das  Kochwasser  ab¬ 
geben.  Lange  [5]  sieht  in  der  Abgabe  von  nicht  kolloidalen 
Eiweisskörpern  an  das  Kochwasser  eine  nachteilige  Wirkung 
des  vielen  Auskochens. 

Es  scheint  nach  alledem  sehr  viel  dafür  zu  sprechen,  dass 
die  Form  der  Aufbewahrung  als  solche,  d.  h.  die  Suspension  in 
einem  flüssigen  Medium,  einen  Einfluss  auf  die  Veränderlich¬ 
keit  des  Organs  ausübt.  Ich  bin  aber  weit  davon  entfernt  zu 
behaupten,  dass  es  bei  der  heutigen  Methode  der  Substrat¬ 
bereitung  überhaupt  unmöglich  ist,  ein  haltbares  Organ  zu  be¬ 
kommen.  Im  Gegensatz  zu  der  vorhin  erwähnten  Beob¬ 
achtung,  die  ein  an  und  für  sich  durchaus  einwandfreies  und 
im  Versuch  sehr  brauchbares  Organpräparat  betraf,  hatten  wir 
sogar  sehr  häufig  Gelegenheit,  mit  Material  zu  arbeiten,  das 
nach  wochenlangem  Aufbewahren  weder  im  darüberstehenden 
Wasser  noch  nach  der  Entnahme  aus  dem  Standgefäss  im 
ersten  Kochwasser  eine  positive  Ninhydrinreaktion  zeigte.  Es 
ist  jedoch  hervorzuheben,  dass  wir  für  ein  derartiges  Verhalten 
keine  Garantien  besitzen,  solange  die  Gewebsstücke  unter 
Wasser  aufgehoben  werden.  Ich  halte  daher  bei  dem  jetzt 
gebräuchlichen  Substrat  vor  allen  Dingen  den  Umstand,  dass 
es  feucht  aufbewahrt  wird,  für  verbesserungsbedürftig  und 
auch  verbesserungsfähig.  Ein  unbestreitbarer  Nachteil  liegt 
ferner  darin,  dass  das  Material  infolge  seines  Feuchtigkeits¬ 
gehaltes  nicht  genau  wägbar  ist,  und  selbst  wenn  das  möglich 
wäre,  in  gleichen  Gewichtsteilen  nicht  dieselbe  Menge  abbau¬ 
fähigen  Eiweisses  enthält.  So  ist  ein  Arbeiten  mit  kongruenten 
Komponenten  von  vornherein  verhindert.  Auf  die  einzelnen 
Punkte  komme  ich  später  noch  zu  sprechen. 

Ich  will  zuerst  die  Modifikation  in  der  Organdarstellung 
beschreiben,  die  meines  Erachtens  einen  Fortschritt  in  der 
beschriebenen  Richtung  bedeutet.  Als  ich  seiner  Zeit 
über  Versuche  mit  Trockenplazenta  berich¬ 
tete,  die  die  eben  erwähnten  Nachteile  des 
feuchten  Organeiweisses  vermeiden  sollte, 
erwiderte  Abderhalden  [6],  dass  er  es  für  aus¬ 
geschlossenhielt,  derartige  Organe  einwand¬ 
frei  aufzubewahren.  Sie  müssten  ja  Bak¬ 
terien  beherbergen  und  wären  gewiss  schwer 
abbaubar.  Wenn  damals  das  Präparat  einer  verschärften 
Prüfung  nicht  standhielt,  so  lag  das  sicherlich  an  der  früher 
üblichen  Vorbereitung,  die  keine  Gewähr  bot  für  ausreichende 
Blutfreiheit.  Diesen  Mangel  konnte  erst  die  Anwendung  der 
nachträglich  eingeführten,  genaueren  Prüfungsvorschriften 
aufdecken.  Dass  man  wirklich  bei  entsprechen¬ 
der  Zubereitung  und  Aufbewahrung  in  der 
Trockenplazenta  ein  brauchbares  Material 
bekommen  kann,  hat  jetzt  Abderhalden  in  der 
4.  Auflage  seiner  Abwehrfermente  selbst  an¬ 
erkannt.  Er  schreibt  dort:  „Wir  haben  auch  Versuche  an¬ 
gestellt,  um  die  Darstellung  der  Organe  zu  vereinfachen  und 
vor  allem  abzukürzen.  Studien  mit  unter  beson¬ 
deren  Kautelen  bei  37°  getrockneten  und  ge¬ 
pulverten  Organen  ergaben  gute  Resultate, 
doch  besteht  die  Gefahr,  dass  sie  leicht  infi¬ 
ziert  werden.  Auf  jeden  Fall  müssen  so  vorbereitete 
Organe  auch  vor  dem  Gebrauch  geprüft  werden.  Das  Aus¬ 
kochen  hat  zudem  den  Vorteil,  dass  das  Gewebe  aufgelockert 
und  dadurch  der  Fermentwirkung  zugänglicher  gemacht  wird." 
Mittlerweile  habe  auch  ich  Gelegenheit  ge¬ 
habt,  die  Brauchbarkeit  der  Trockenplazenta 
von  neuem  zu  prüfen.  Die  Darstellung  ist  folgende: 

Die  Plazenta  wird  von  der  Vene  aus  durchspült.  Als  Spülflüssig¬ 
keit  verwendet  man  am  besten  abwechselnd  Kochsalzlösung  und 
Wasser.  Bei  der  weiteren  Bearbeitung  folgen  wir  dann  genau  den 
Vorschriften,  die  Abderhalden  gegeben,  bis  wir  ein  einwand¬ 
freies  Organ  in  feinster  Verteilung  haben,  dessen  Kochwasser  mit 


28.  Juli  191-4. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1669 


der  üblichen  Ninhydrinprobe  negativ  reagiert.  Nach  unserer  Er¬ 
fahrung  lassen  sich  die  bindegewebigen  Bestandteile  am  besten  da- 
durch  entfernen,  dass  man  die  durchspiilten  Organe  in  kleine  Stücke 
zerteilt  und  mit  einem  I  istill  durch  ein  Sieb  drückt.  Dann  werden  die 
zelligen  Bestandteile  durchgedrückt,  die  Bindegewebsfetzen  und  Ge¬ 
bisse  bleiben  zurück.  Man  kann  diese  Isolation  auch  durch  Abschaben 
jfr  Ko!'  ,edonen  erreichen,  wie  F  1  a  t  o  w  [8]  es  beschreibt.  Nur  ist 
dieses  Verfahren  etwas  mühsamer.  Bevor  mit  dem  Kochen  begonnen 
vvlrw-?m  iu-  SIC^.  ^'9  spektroskopische  Prüfung  des  Waschwassers 
aut  Hämoglobin.  Die  Art  der  1  rockcnbereitung  des  Organs  gestaltet 
sidi  tolgendermassen:  Die  schon  in  feiner  Verteilung  befindliche  Sub¬ 
stratmasse  wird  im  Wärmschrank  bei  85°  24  Stunden  lang  gedörrt 
Dann  werden  die  nunmehr  vollständig  ausgetrockneten  harten  Klümp¬ 
chen  in  einem  sterilen  Mörser  zu  feinstem  Pulver  verrieben.  Dieses 
wird  zur  \  or sicht  nochmals  5  Minuten  gekocht,  und  das  Kochwasser 
wie  üblich  geprüft.  Nach  Abfiltrieren  des  Koch wassers  wird  der  auf 
deni  Filter  befindliche  Organrückstand  wiederum  im  Wärmeschrank 
ei  85  getrocknet,  darauf  füllt  man  das  Pulver  sofort  in  sterilisierte 
Flaschen  und  versehliesst  sie  mit  einem  in  Toluol  getauchten  Stöpsel. 

-  o  zubereitetes  Pulver  hat  sich  bei  uns  innerhalb  der  Zeit,  in  der 
es  gebraucht  wurde,  nicht  verändert.  Eine  4  Wochen  nach  der  Zu¬ 
bereitung  vorgenommene  Ninhydrinprobe  des  Kochwassers  ergab  eine 
negative  Reaktion  Anstatt  der  Aufbewahrung  in  einem  mit  Toluol¬ 
dampfen  erfu  Iten  Fläschchen  kann  man  auch  so  verfahren,  dass  man 
das_  (  irganpulver  m  einem  Exsikkator  unverschlossen  neben  einem 
Gefass  mit  Toluol  aufbewahrt. 


Einen  Vorzug  dieses  Substrates  erblicke  ich  in  der 
Unveränderlichkeit  des  Pulvers.  Die  Anschauung 
Abderhaldens,  dass  die  Infektionsgefahr  bei 
Trockenpräparaten  besonders  gross  sei, 
steht  mit  der  Erfahrungstatsache  im  Wider- 
, Spruch,  dass  trockene  Nährböden  die  ungün¬ 
stigsten  Bedingungen  für  das  Wachstum  von 
Bakterien  bieten.  Darum  spielen  bei  geeigneter  Auf¬ 
bewahrung  auch  während  der  Versuchsdauer  autolytische  und 
bakterielle  Einflüsse  keine  Rolle,  da  das  Material,  in  keiner 
Richtung  erschlossen,  dem  Versuch  unterworfen  wird.  Wie 
wir  uns  überhaupt  gegen  derartige  Beeinflussung  des  End¬ 
resultates  schützen  können,  soll  noch  bei  Erwähnung  der  in¬ 
aktiven  Kontrollen  aus  Trockenorgan  gezeigt  werden.  Wir 
brauchen  daher  eine  Abgabe  nicht  kolloider  Stoffe  während 
des  Versuches  an  das  Serum  nicht  so  sehr  zu  fürchten;  denn 
lässt  sich  auch  bei  der  jetzt  gebräuchlichen  Darstellungs¬ 
methode  das  gleiche  unter  Umständen  erreichen,  so  sind  doch 
aus  den  eben  erwähnten  Gründen  die  Aussichten  für  die  Un¬ 
veränderlichkeit  der  Trockenorgane  während  der  Versuchs¬ 
dauer  sicherlich  grösser.  Auch  das  Arbeiten  mit  diesen  Sub- 
straten  ist  viel  einfacher,  sowohl  was  die  Entnahme  aus  der 
Masche  als  das  Einfüllen  in  die  Dialysierhiilsen  angeht. 

!  Von  nicht  zu  unterschätzendem  Wert  scheint  mir  auch  die 
Homogenität  und  Wägbarkeit  des  Pulvers  zu  sein.  Das  immer 
mehr  hervortretende  Verlangen,  auch  bei  der  Dialysier- 
methode  mit  messbaren  Grössen  zu  arbeiten,  ist  zweifellos 
berechtigt.  Da  man  neben  dem  angenommenen  spezifischen 
Abbau  auch  noch  mit  anderen  Fermentwirkungen  zu  rechnen 
nat,  sind  diese  Punkte  besonders  zu  unterstreichen.  Ich  kann 
mich  daher  der  Forderung  Flatows  [8]  vollkommen  an- 
schliessen,  genau  gemessene  Substratmengen  zu  verwenden. 
-S  ist  aber  klar,  dass  das  Abwiegen  einer  feuchten  Masse 
(einen  Anspruch  auf  Genauigkeit  erheben  kann.  Die  Möglich¬ 
keit,  mit  genauen  Substratmengen  zu  arbeiten,  bietet  nur  ein 
rockenes  Organpulver.  Denn  selbst,  wenn  es  gelänge,  ein 
euchtes  Material  in  quantitativ  annähernd  gleiche  Teile  zu 
i ringen,  ist  damit  noch  lange  nicht  gesagt,  dass  diese  Mengen 
listologisch  sich  gleichen.  Auch  das  ist  nur  bei  einem  Pulver 
n  feinster  Zerkleinerung  möglich,  das  die  Unterlage  für  ein 
vollständiges  Durcheinandermischen  dieser  kleinsten  Par¬ 
ikelchen  bietet.  Nur  so  kann  man  die  Gewissheit  haben,  dass 
n  gemessenen  gleichen  Teilen  auch  gleiche  Mengen  abbau- 
ähigen  Substrates  vorhanden  sind.  Es  wächst  auch  die  Zu¬ 
verlässigkeit  der  Kontrolle  bei  Verwendung  von  trockenen 
Jrganen.  Geht  nämlich  unser  Bestreben  dahin,  bei  der  Kon- 
1  olle  mit  inaktiviertem  Serum  die  gleichen  Bedingungen  zu 
aben  wie  im  Versuch:  aktives  Serum  +  Organ,  so  müssten 
uch  sämtliche  Faktoren  gleich  und  nur  in  dem  einen  Fall  die 
ermentwirkung  ausgeschaltet  sein.  Nur  dann  dürfen  wir  an- 
ehmen,  dass  Differenzen  in  der  Reaktion  auf  Ausschaltung 
-rmentativer  Vorgänge  beruhen.  Das  lässt  sich  auf  Grund 
er  vorangegangenen  Darlegung  mit  feuchter  Plazenta  nicht 


erreichen.  Wir  kommen  so  der  Aussicht  immer  näher,  dass 
man  durch  das  Arbeiten  mit  quantitativen  Werten  sichere 
Schlüsse  aus  dem  Reaktionsunterschied  bzw.  der  Reaktions¬ 
stärke  ziehen  kann. 

Beim  Serum  ist  die  Verwendung  gleicher  Mengen  ja  von 
jener  gefordert.  Die  neuerdings  zur  Geltung  kommende  An¬ 
schauung,  dass  die  im  Serum  enthaltenen  abbauenden  Körper 
jii  ll.rem  Aufbau  ein  Analogon  zu  dem  uns  aus  der  Immunitäts- 
lelire  bekannten  Begriff  der  Ambozeptoren-Komplementverbin- 
[ nng  nieten,  ermöglicht  es  auch,  dieses  fermentative  Gebilde 
bis  zu  einem  Punkte  quantitativ  zu  fassen,  in  dem  man  nach 
vorausgegangener  Inaktivierung  das  reaktivierende  Serum  in 
gleichen  Mengen  zusetzt.  Diese  Modifikation  betont  Haupt- 
m  a  n  n  L9J  in  einer  jüngst  erschienenen  Arbeit  in  eingehender 
Weise.  Der  wunde  Punkt  der  Methode  bliebe  dann  noch  die 
nicht  wegzuleugnende  Veränderlichkeit  der  Dialysierschläuche 
n  der  Hinsicht  scheinen  Versuche  mit  Schilfschläuchen  ange¬ 
bracht,  die  nach  K  o  n  r  a  d  i  [ID]  undurchlässig  für  Eiweiss  sein 
sollen.  Es  fragt  sich  nur,  ob  ihre  Durchlässigkeit  für  die  Ab¬ 
bauprodukte  gleichmässig  ist.  Es  ist  möglich,  dass  das  Her¬ 
stellungsverfahren  und  die  Art  der  Aufbewahrung  von  Trocken- 
organen  noch  vervollkommnet  werden  kann.  Allerdings 
durften  sich  diese  Verbesserungen  auf  technische  Faktoren  be¬ 
ziehen,  denn  im  methodischen  Sinne  einwandfrei  ist  das  von 
mir  hergestellte  Präparat.  Vor  allem  hat  die  Abbaufähigkeit 
bei  dem  Trocknungsprozess  nicht  gelitten.  Ich  habe  ein  fabrik- 
massig  dai  gestelltes  Präparat  in  einigen  Versuchen  mitlaufen 
assen.  Irgend  welche  Vorzüge  gegenüber  den  von  mir  zu- 
bereiteten  trockenen  Organen,  wie  sie  sich  jeder  selbst  her¬ 
steilen  kann,  habe  ich  nicht  gesehen,  dagegen  wurde  es  durch¬ 
weg  schwächer  abgebaut.  In  der  Handhabung  einfacher 
konnte  man  sich  ja  z.  B.  ein  Organ  denken,  das,  in  ab¬ 
gewogenen  Mengen  sterilisiert,  in  luftdichten  Phiolen  aufbe¬ 
wahrt  wird,  die  erst  vor  dem  Versuch  geöffnet  werden.  Bei 
Herstellung  der  Trockenpräparate  in  grösserem  Umfange 
event.  unter  Verwendung  von  Tierorganen,  besteht  die  Mög¬ 
lichkeit,  dass  eine  Reihe  von  Untersuchern  mit  dem  gleichen 
bubstiat  arbeiten  können.  Ich  habe  dann  weiter  darüber  Ver¬ 
gleichsversuche  angestellt,  welches  Quantum  als  Optimum 
bezüglich  der  Abbaufähigkeit  anzusehen  ist.  Dabei  stellte  sich 
heraus,  dass  dieser  Wert  zwischen  0,1  und  0,2  g  liegt.  Es  er¬ 
gab  sich  ferner,  dass  bei  fallenden  Dosen  bis  0,01  g  auch  diese 
Mengen  noch  deutlich  abgebaut  wurden,  allerdings,  wie  zu  er- 
\v arten,  bedeutend  schwächer  als  0,1  g.  Dagegen  war  zuerst 
auffallend,  dass  bei  ansteigenden  Dosen  über  0,5  g  die  Reak¬ 
tionsstärke  wieder  abnahm.  Sieht  man  aber,  wie  bei  Zugabe 
des  Serums  zu  1  g  Organpulver  das  Serum  in  die  Sqbstrat- 
masse  hineingesogen  wird,  so  findet  man  ohne  weiteres  die 
Erklärung  für  diese  Erscheinung.  Es  handelt  sich  also  nur  um 
eine  rem  mechanische  Hemmung.  Mit  einer  Diffusion  von 
stickstoffhaltigen  Produkten  in  das  wasserhaltige  Organ, 
worauf  A  b  d  e  r  h  a  1  d  e  n  [11]  aufmerksam  macht,  braucht  man 
beim  Arbeiten  mit  Organpulver  nicht  zu  rechnen.  Bei  einer 
Serumsubstratemulsion  im  Verhältnis  1  :  1  wird  ein  Teil  des 
Substratpulvers  von  dem  Serum  überhaupt  nicht  durchtränkt. 
Es  empfiehlt  sich,  mit  Rücksicht  auf  die  Reaktionsstärke  so¬ 
wohl  wie  auf  das  eben  skizzierte  Verhältnis  vom  Abbau¬ 
material  die  Menge  0,1  g  zu  verwenden. 


H...  bequem  ist  die  Einfüllung  des  Organpulvers  in  die 
Hülsen,  ein  Prozess,  der  sich  bei  Anwendung  von  feuchtem 
Material  immer  etwas  umständlich  und  zeitraubend  gestaltet 
Ich  schütte  die  unter  Einhaltung  aseptischer  Kautelen  ab¬ 
gewogenen  Pulvermengen  in  einen  sterilisierten  Trichter, 
durch  dessen  Rohr  sie  auf  den  Boden  der  Hülse  fallen.  Es  ist 
so  unmöglich,  dass  an  der  Wand  der  Hülse  Partikelchen  haften 
bleiben,  ein  Umstand,  der  die  Zuverlässigkeit  der  Methode 
z\y  eifellos  erhöht.  Aus  diesem  Grunde  ist  auch  der  von 
Melikjanz  112]  verwandte,  pilzförmige  Aufsatz  auf  das 
...U1  .  ier.  lbchen  zu  empfehlen,  der  gleichzeitig  die  Aussen- 
£e&en  den  Brutschrankraum  abschliesst.  Ist  diese 
Abdichtung  auch  keine  vollkommene,  so  verhindert  sie  doch 
m  Kombination  mit  dem  I  richterdeckeichen  eine  nennenswerte 
Eindichtung  der  Flüssigkeitsmengen.  Eine  Verunreinigung  der 
Hülsenwände  würde  noch  besser  vermieden  werden,  wenn 
dabei  der  konische  Ansatz  mehr  spitz  zuliefe.  Denn  durch  die 


1670 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  30. 


alleinige  Entfaltung  des  oberen  Teiles  der  Hülsen  lässt  es  sich 
nicht  umgehen,  dass  Wandteile  der  unteren  Hälfte  in  das 
Hülsenlumen  hineinragen.  Bei  Verwendung  von  T  rockensub¬ 
stanz  hat  sich  jedoch  ein  einfacher  1  richter,  der  bei  Einfüllung 
desselben  Organs  beliebig  oft  verwendet  werden  kann,  sehr 
gut  bewährt,  vorausgesetzt,  dass  das  Serum  erst  nachher  ein¬ 
gegeben  wird.  Verschliesst  man  dann  die  Kölbchen  mit  einer 
Glasplatte,  so  erreicht  man  das  Gewollte  vollständig,  nur  mit 
noch  einfacheren  Mitteln. 

Manche  in  jüngster  Zeit  geübte  Verfahren,  die  eiweiss¬ 
spaltende  Fermentwirkung  auf  anderem  Wege  festzustellen, 
erhalten  durch  Anwendung  von  gepulvertem  Material  eine  ge¬ 
sicherte  Grundlage.  So  weist  Abderhalden  in  seinen 
Abwehrfermenten,  S.  360,  selbst  auf  den  Wert  von  einheit¬ 
lichem  Substrat  bei  der  von  Papendieck  [13]  angewandten 
Beobachtung  des  Abbaues  mittels  der  Dunkelfeldbeleuchtung 
hin.  Er  betont  än  gleicher  Stelle,  wie  man  das  Nephelometer 
als  Abbauindikator  heranziehen  kann,  wenn  mit  derartigem, 
fein  verteilten  Substrat  gearbeitet  wird.  Und  noch  in  einem 
Punkt  scheint  mir  eine  Anwendungsmöglichkeit  des  Organ¬ 
pulvers  gegeben.  Genau  so,  wie  es  möglich  ist,  sich  durch 
Vergleichanalyse  des  Stickstoffgehaltes  im  Dialysat  einen  Ein¬ 
blick  in  die  Abbauvorgänge  zu  verschaffen,  könnte  man  dies 
durch  Nachweis  des  Stickstoffverlustes  im  Organ  erreichen. 
Unter  der  Voraussetzung,  dass  eine  vollständige  physikalische 
Trennung  zwischen  Serum  und  Organpulver  nach  ausreichen¬ 
der  Bebrütung  gelingt,  dürfte  dieses  Verfahren  aus  nahe¬ 
liegenden  Gründen  (Ausschaltung  der  Hülsenfehler  etc.)  noch 
eindeutiger  sein.  Finden  wir  eine  Abnahme  im  Stickstoff¬ 
gehalt  des  Substrates,  so  wissen  wir,  dass  ein  Abbau  statt¬ 
gefunden  hat.  Die  Homogenität  des  Organpulvers  lässt  der¬ 
artige  Messungen  zu.  Die  dem  Abbau  zu  unterwerfende 
Menge  kann  zur  Stickstoffbestimmung  vor  dem  Versuch  nicht 
gebraucht  werden.  Da  aber  in  einer  bestimmten  Menge  des 
in  feinster  Verteilung  befindlichen  Substrates  der  N-Gehalt 
überall  gleich  sein  muss,  kann  man  die  Bestimmung  desselben 
vor  und  nach  dem  Versuch  an  verschiedenen  Substrat¬ 
portionen  ausführen.  Sie  brauchen  nur  das  gleiche  Gewicht 
zu  haben.  Vergleichsversuche  mit  Normalserum  und  Substrat 
sind  selbstverständlich  dabei  erforderlich.  Dann  ist  zu  er¬ 
warten,  dass  der  Stickstoffwert  des  ,dem  fermenthaltigen 
Serum  (z.  B.  Gravidenserum)  ausgesetzten  Substrates  ver¬ 
mindert  ist,  im  Vergleich  zu  dem  Stickstoffgehalt  der  gleichen, 
unbeeinflussten  Substratmenge  und  dem  N-Gehalt,  der  im 
Organpulver  nach  Einwirkung  von  normalem  Serum  nachzu¬ 
weisen  ist.  Allerdings  ist  dies  eine  theoretische  Ueberlegung, 
deren  Durchführbarkeit  von  Momenten  abhängig  ist,  deren 
Einfluss  erst  durch  Versuchsreihen  festgestellt  werden  kann. 

Dass  ich  derartige  Möglichkeiten  überhaupt  erwähne, 
hängt  mit  dem  immer  stärker  hervortretenden  Streben  nach 
Vereinfachung  des  Verfahrens  durch  Beseitigung  der  Hülsen 
zusammen.  Liegt  nämlich  die  Qualität  des  Organs,  dessen 
Brauchbarkeit  fast  durchweg  von  der  Darstellungsweise  und 
der  Art  der  Aufbewahrung  abhängt,  durchaus  im  Macht¬ 
bereiche  des  Untersuchers,  so  ist  und  bleibt  die  ganz  unbe¬ 
einflussbare,  wechselnde  Beschaffenheit  der  Hülsen  ein  Mangel, 
dessen  Beseitigung  auf  jeden  Fall  wünschenswert  ist.  Darauf 
hat  unter  anderen  Röhmann  [14]  in  sehr  zutreffenden 
Aeusserungen  hingewiesen.  Man  wird  also  nie  bei  Beginn 
eines  Versuches  mit  Bestimmtheit  sagen  können,  die  Hülsen 
sind  zuverlässig  und  kommen  als  Fehlerquellen  nicht  in 
Betracht. 

Es  werden  sich  aber  nur  die  Fehlerquellen,  die  einiger- 
massen  konstant  sind  und  deren  Wirkung  uns  bekannt  ist, 
durch  subtiles  Arbeiten  umgehen  resp.  bei  Beurteilung  der  Re¬ 
sultate  in  Rechnung  bringen  lassen.  Aus  dieser  Erkenntnis 
heraus  habe  ich  einzelne  Punkte,  die  angeblich  zur  Ninhydrin- 
reaktion  führen  könnten  und  damit  positive  Resultate  Vor¬ 
täuschen  sollten,  geprüft  und  mich  überzeugt,  dass  sie  diese 
Einwirkung  nicht  haben.  Wäscht  man  die  Hände  in  wenig 
sterilem,  destillierten  Wasser  und  kocht  diese  Flüssigkeit,  so 
wird  die  Reaktion  ebenso  negativ  bleiben,  als  wenn  wir  in  eip 
Reagenzglas  mit  3  ccm  Wasser  etwas  Speichel  hineinfliessen 
lassen  und  dann  mit  Ninhydrin  prüfen.  Es  ist  deshalb  nicht 
statthaft,  Resultate,  die  sich  nicht  in  Einklang  bringen  lassen, 


auf  derartige  Einflüsse  zurückzuführen.  Diese  Forderung  ist 
besonders  beachtenswert,  weil  die  Ansicht  Rohm  an  ns  [14] 
sicher  zu  Recht  besteht,  dass  manche  Untersucher  mit  den 
Resultaten  sich  begnügten,  wenn  sie  nach  ihren  Erwartungen 
ausfielen,  aber  nach  methodischen  Fehlern  suchten  und  diese 
auch  fanden,  wenn  es  nicht  der  Fall  war. 

Auf  eine  Frage  möchte  ich  hier  noch  zurückkommen,  die 
ich  bereits  in  meiner  früheren  Publikation  eingehend  erwähnt 
und  zu  erklären  versucht  habe.  Es  wird  nämlich  manchem 
Untersucher  schon  aufgefallen  sein,  dass  das  Dialysat:  inakti¬ 
viertes  Serum  +  Organ  negativ,  das  Dialysat:  Serum  für  sich 
aber  schwach  positiv  reagiert.  Ich  habe  damals  aus  Ver¬ 
suchen,  die  ich  zur  Klärung  dieser  Erscheinung  anstellte,  den 
Schluss  gezogen,  dass  im  fermenthaltigen  Serum  schon  allein 
ein  Abbau  von  im  Serum  vorhandenen  Eiweisskörpern  statt¬ 
finden  kann.  Abderhalden  [15]  hat  bei  gleicher  Versuchs¬ 
anordnung  mit  der  optischen  Methode  eine  Aenderung  des 
Drehungswinkels  im  aktiven  Serum  nicht  beobachten  können, 
er  schliesst  infolgedessen  derartige  Einflüsse  aus.  Findet  man 
nun  aber,  dass  bei  Dialyse  z.  B.  eines  Schwangerenserums  im 
Brutschrank  das  Dialysat  häufig  positiv  reagiert,  während  die 
Blaufärbung  ausbleibt,  wenn  bei  dem  gleichen  Versuch  das¬ 
selbe  Serum  in  inaktivem  Zustand  verwandt  wird;  sieht  man 
ferner,  dass  das  gleiche  vorgekühlte  Serum  bei  Aufenthalt  im 
Eisschrank  ein  negatives  reagierendes  Dialysat  ergibt,  dann 
ist  zweifellos  die  Deutung  berechtigt,  dass  die  Ausschaltung 
der  Fermentwirkung  als  solcher  zu  diesen  ungleichen  Resul¬ 
taten  führt.  Ich  habe  dieses  Verhalten  wieder  und  wieder 
beobachten  können  und  finde  auch  in  der  neueren  Literatur  die 
von  mir  dafür  gegebene  Erklärung  häufig  wiederkehren.  Hin¬ 
weise  auf  derartige  Deutungsmöglichkeiten  enthält  die  Arbeit 
von  Plaut  [16].  Bei  Tumorträgern  fiel  Oeller  und 
S  t  e  p  h  a  n  [17]  dasselbe  auf.  Ihre  Versuche  Hessen  in  vielen 
Fällen  auf  einen  Abbau  von  im  Serum  kreisenden  arteigenen, 
aber  blutfremden  Eiweisskörpern  schliessen.  Hauptmanr. 
[18]  hat  sich  der  dankenswerten  Aufgabe  unterzogen,  an 
ca.  100  Seris  der  Ursache  für  den  positiven  Ausfall  der  Serum¬ 
kontrolle  nachzuspüren.  Seine  Ansicht  deckt  sich  mit  der 
meinigen  und  führt  zur  konsequenten  Forderung,  inaktiviertes 
-f-  reaktivierendes  Serum  als  weitere  Kontrolle  anzusetzen. 

Ein  weiteres  Eingehen  auf  diese  interessanten  Fragen  fällt 
nicht  mehr  in  den  Rahmen  dieser  Abhandlung.  Meine  Absicht 
war  es  vor  allem,  die  Vorzüge  des  gepulverten  Trocken- 
materials  gegenüber  den  feuchten  Organen  an  einigen  Bei¬ 
spielen  zu  erläutern  und  damit  zur  Nachprüfung  und  ausge¬ 
dehnteren  Anwendung  dieses  Abbausubstrates  anzuregen. 

Literatur. 

1.  H.  Oeller  und  R.  Stephan:  Klinische  Studien  mit  dem 
Dialysierverfahren  nach  Abderhalden.  M.m.W.  1914  H.  1.  — 
2.  M.  Frankel:  Sitzungsbericht  der  biologischen  Abteilung  des 
ärztlichen  Vereins  in  Hamburg  vom  16.  Dez.  1913.  —  3.  H.  Käm¬ 
merer,  M.  Clausz  und  K.  Dieterich:  Ueber  das  A  b  d  e  r  - 
haldensche  Dialysierverfahren.  M.m.W.  1914  H.  11.  — 

4.  H.  D  e  e  t  j  e  n  und  E.  F  r  ä  n  k  e  1:  Untersuchung  über  die  Ninhydrin- 
reaktion  des  Glukosamins  und  über  Fehlerquellen  bei  der  Ausführung 
von  Abderhaldens  Dialysierverfahren.  M.m.W.  1914  H.  9.  — 

5.  C.  Lange:  Untersuchung  über  das  A  b  d  e  r  h  a  1  d  e  n  sehe  Dia- 
lysierverfahreu.  B.kl.W.  1914  Nr.  17.  —  6.  E.  Abderhalden: 
Serumfermentwirkung.  M.m.W.  1914  H.  8.  —  7.  W.  Lahm:  Zur 
Frage  der  A  b  d  e  r  h  a  1  d  e  n  sehen  Fermentreaktion.  M.m.W.  1914 
H.  23.  —  8.  L.  Flatow:  Zur  Frage  der  sogen.  Abwehrfermente. 
M.m.W.  1914  H.  21.  —  9.  A.  Hauptmann:  Das  Wesen  der  Abwehr¬ 
fermente  bei  der  Abderhalden  sehen  Reaktion.  M.m.W.  1914 
H.  21.  —  10.  Conradi:  Sitzungsbericht  der  Gesellschaft  für  Natur- 
und  Heilkunde  zu  Dresden  vom  7.  Februar  1914.  —  11.  E.  Abder¬ 
halden  und  A.  Fodor:  Weitere  Untersuchungen  über  das  Auf¬ 
treten  blutfremder  proteolytischer  Fermente  im  Blute  Schwangerer. 
Untersuchung  des  Dialysates  mittels  Ninhydrin  und  gleichzeitiger 
Feststellung  eines  Stickstoffgehaltes  mittels  Mikroanalyse.  M.m.W. 
1914  H.  14.  —  12.  O.  Melikjanz:  Beitrag  zur  Technik  des  Ab¬ 
derhalden  sehen  Dialysierverfahrens.  M.m.W.  1914  H.  23.  — 
13.  Papendieck,  zitiert  nach  Abderhalden,  Abwehrfermente. 
4.  Auflage,  S.  359.  —  14.  Röhmann:  Sitzungsbericht  der  Gynäko¬ 
logischen  Gesellschaft  zu  Breslau  vom  17.  Februar  1914.  —  15.  E.  Ab¬ 
derhalden:  Weitere  Beobachtungen  über  die  spezifische  Wirkung 
der  sogen.  Abwehrfermente.  M.m.W.  1914  H.  8.  —  16.  F.  Plaut: 
Ueber  Adsorptionserscheinungen  bei  dem  Abderhalden  sehen 
Dialysierverfahren.  M.m.W.  1914  H.  5.  —  17.  H.  Oeller  und 
R.  Stephan:  Klinische  Studien  mit  dem  Dialysierverfahren  nach 
Abderhalden.  M.m.W.  1914  H.  11.  —  18.  A.  Hauptmann: 


28.  Juli  1914. 


MULNCHENER  MEDIZINISCHE  WQCHENS CHRIFT 


W,!fVÄ"rr  bCl  d'r  Abderha.de  „sehen 

Nachtrag. 

Ausgehend  von  anderen  Fragestellungen  und  im  Hinblick 
aut  das  noch  nicht  geklärte  spezifische  oder  nichtspezifische 
V  erhalten  der  Serumfermente  habe  ich  in  letzter  Zeit  Kasein  als 
Abbausubstrat  gewählt.  Ich  sehe  mich  schon  jetzt  veranlasst, 
über  meme  Versuchsergebnisse  kurz  zu  berichten,  da  augen¬ 
blicklich  gerade  Flato w  (M.m.W.  1914  Nr.  27)  seine  Abbau¬ 
versuche  mit  Kasein  mitteilt.  Ich  kann  bestätigen,  dass  sowohl 
Graviden-  wie  Wochnerinnenserum  Kasein  in  wechselnder 
Weise  abbaut.  Auch  Nabelschnurserum  verhält  sich  nicht  an- 
der?>-  Icnh,  verwandte  abweichend  von  der  Flato  w sehen 
Methode  ,1g  Kasein  in  Substanz.  Für  Vergleichsbestim- 
nnmgen  halte  ich  aber  schon  infolge  der  durch  die  Dialysier- 
schlauche  gegebenen  Ungenauigkeit  das  polarimetrische  Ver¬ 
fahren  für  geeigneter  als  die  Dialyse.  Dafür  spricht  ausserdem 
noch  ein  anderer  Grund:  denn  die  fermentative  Energie  eines 
Serums  ist  ein  Wert,  der  sich  neben  der  Quantität  und  Qualität 
der  resultierenden  Abbauprodukte  auch  in  der  Schnelligkeit  und 
dem  W  echsel  der  Wirkung  ausdrückt.  Man  bekommt  dann  an¬ 
statt  eines  proteolytischen  Index  eine  proteo- 
!  >  t !  s  c  h  e  K  u  r  v  e.  Auf  Einzelheiten  und  Begründung  dieser 
eben  skizzierten  Punkte  werde  ich  an  anderer  Stelle  weiter 
eingehen. 

Mitteilung  aus  dem  medizinisch-chemischen  Universitäts¬ 
laboratorium  zu  Freiburg  i.  Br. 

Jeher  kolorimetrische  Bestimmungsmethoden:  Die  Be¬ 
stimmung  des  Zuckers  im  Blute. 

Von  W.  A  u  t  e  n  r  i  e  t  h  und  W  i  1  h  e  1  m  M  o  n  t  i  g  n  y. 

[9.  Mitteilung  *).] 

•i  ^UCD?r  bndet  sich  bekanntlich  als  physiologischer  Bestand- 
eü  im  Blute  des  Menschen  vor,  und  zwar  ist  dieser  Zucker 
lach  den  Untersuchungsergebnissen  verschiedener  Forscher 
, r  a  u  b  e  n  z  u  c  k  e  r  -).  Der  Gehalt  des  Menschenblutes  an 
.ucker  soll  als  Mittel  1  Prom.  betragen.  Wenn  der  Zucker- 
.ehak  des  Blutes  mehr  als  3  Prom.  beträgt,  soll  Zucker  in 
en  Harn  ubergehen  und  demnach  eine  Glykosurie  auftreten 

.  Bernard  )].  Nach  L.  Mohr4)  soll  dies  zwar  meist 
utreffen,  aber  nicht  regelmässig  der  Fall  sein.  Der  Zucker- 
ehalt  des  Blutes  ist  in  erster  Linie  von  der  Beschaffenheit 
er  Nahrung  abhängig  und  zwar  in  dem  Sinne,  dass  nach  Auf¬ 
ahme  grosserer  Mengen  von  Zucker  oder  Dextrin  der  Gehalt 
es  Blutes  an  Zucker  mehr  oder  weniger  stark  vermehrt  wird. 

,. er.  bei  allen  Tierarten  sind  die  Verhältnisse  in  dieser 
Ansicht  die  gleichen,  denn  während  z.  B.  beim  Kaninchen  der 
uckergehalt  des  Blutes  innerhalb  recht  weiter  Grenzen 
.hwankt  scheint  er  bei  Hunden,  selbst  unter  verschiedenen 
ebensbedmgungen,  ziemlich  konstant  zu  sein  [O  p  p  1  e  r  und 
,°na  )J.  Ueber  die  Abhängigkeit  des  Zuckergehaltes  des 
lenschenblutes  von  der  Ernährungsweise  des  betreffenden 
idividuums  liegt  eine  ganze  Reihe  von  Angaben  vor,  die  sich 
ier  zum  Teil  widersprechen.  Diese  Widersprüche  sind  wohl 
im  grossen  Teil  darauf  zurückzuführen,  dass  die  verschie- 
men  Experimentatoren  nach  verschiedenen  Methoden  ge¬ 
beitete  haben  und  zwar  auch  nach  solchen,  die  eine  hin- 
lchend  genaue  quantitative  Bestimmung  kleinster  Mengen 
in  1  raubenzucker  nicht  immer  ermöglichen.  Wie  wir  schon 
lederholt  darauf  hingewiesen  haben,  eignen  sich  für  die  quan- 
auve  Bestimmung  solch  kleinster  Substanzmengen  in  erster 
nie  die  kolorimetrischen  Bestimmungsmethoden. 

W  .  A  u  t  e  n  r  i  e  t  h  und  A.  I  esdorpf6)  haben  vor  einiger 
it  eine  solche  Methode  für  die  Bestimmung  des  Harnzuckers 

)  Ueber  die  Einwirkung  des  Serums  Nichtgravider  besitze  ich 
-n  keine  ausreichenden  Erfahrungen. 

\r  l  Mitteilung  über  kolorimetrische  Bestimmungsmethoden 

.  Autenrieth  und  A.  Funk).  M.m.W.  1914  Nr.  9  S.  457. 

1  \  ergl.  v.  Mering:  Arch.  f.  Physiol.  1877. 

1  Lecons  sur  le  diabete. 

)  Zschr.  f.,  exper.  Path  u.  Ther,  4 


‘)  Biocherm  Zschr,  13. 

)  M.m.W.  1910  Nr.  3  u.  4  und  1911  Nr.  17 


_ 1671 

beschrieben;  diese  Methode  besteht  im  wesentlichen  darin,  dass 
die  nach  dem  Kochen  mit  dem  betreffenden  verdünnten  Zucker- 
harn  noch  vorhandene  Farbstärke  einer  blauen  Bangschen 
osung  auf  kolorimetrischem  Wege  ermittelt  wird;  die  Ab- 
tahme  der  barbstärke  der  Bangschen  Lösung  ist  nämlich 
Zacker2ehalt  ein^f  Lösung  proportional.  Mit  Hilfe  dieser 
iiothndfokann  eine  Menge  von  O’01-0’04  g  Traubenzucker, 
inetrkr  e‘?eS  veJdünnten  Harns  enthalten  ist,  kolon- 

metrisch  bestimmt  werden.  Diese,  für  den  Zuckerharn  aus¬ 
gearbeitete  Methode  konnte  nicht  ohne  weiteres  auf  das  Blut 

quanSvoWRrdfn’  da  6S  S‘uh  ia  bei  diesem  um  die  exakte 
?  erheblich  kleinerer  Zuckermengen 

fr  h  'r  ^  haben  daher  unsere  kolorimetrische  Methode 
1  n  cn  immU?g  soIcb  kleinster  Zuckermengen  umarbeiten 
y,,fufn’  S°  dass.  der  ia  2~5  g  Menschenblut  sich  vorfindende 
ucker  noch  mit  genügender  Genauigkeit  kolorimetrisch  be- 

T,  Mothnd  RanJ‘  dCr  VOtl  UnS  fÜr  BIllt  m0difi- 

zierten  Methode  und  unter  Anwendung  der  Authenrieth- 

ivonigsberger  sehen  Kolorimeters  können  wir  jetzt  Zucker- 

ZTr?  T  +°’.5~4’5  mg  Traubenzucker  bestimmen.  Wenn 
man  das  B luteiweiss  mittels  V«»  n-Essigsäure  in  der  Siede¬ 
hitze  ausfallt,  genügen  für  eine  einzelne  Zuckerbestimmung  in 
der  Regel  schon  2,5  g  Blut.  Bei  einem  zuckerreicheren  Blute 
wie  bei  DiabetiTerblut  kommt  man  mit  noch  kleineren  Blut- 
mengen  aus.  Forschbach  und  Severin7)  haben  die 
Autenrieth-T  esdorpf  sehe  Methode  der  Harnzucker¬ 
bestimmung  schon  früher  für  die  Bestimmung  des  Blutzuckers 
umgearbeitet  und  dieselbe  ihrer  Versuchsanordnung  angepasst. 
In  einigen  wesentlichen  Punkten  haben  wir  anders  gearbeitet" 
eine  andere  Enteiweissungsmethode  angewandt  und  die  Zucker¬ 
bestimmungen  ausschliesslich  mit  dem  oben  erwähnten  Kolori¬ 
meter  ausgeführt. 

Die  Enteiweissung  des  Blutes  muss  vor  der  kalori- 
rifSln  6n  Bes.t™mung  des  Zuckers  und  zwar  mit  der  grössten 
borgfalt  ausgefuhrt  werden,  wenn  richtige  Zuckerwerte  er- 
halten  werden  sollen.  Wir  haben  verschiedene  von  den  Me¬ 
thoden,  die  zur  Ausfällung  des  Bluteiweisses  empfohlen  werden 
vergleichsweise  ausprobiert.  —  Die  sonst  elegante  Methode  der 
Ausfällung  des  Bluteiweisses  mittels  Monokalium- 
phosphat  (KHsPOQ  können  wir  nicht  empfehlen,  weil 
wii  nach  derselben  stets  zu  niedrige  Zuckerwerte  erhalten 
haben;  insbesondere  ergibt  sie  weniger  Zucker  als  die  von 
uns  angewandte  „Essigsäuremethode“;  es  wurde  immer  ein 
zu  niedriger  Druckwert  erhalten,  gleichgültig,  o-b  das  Blut 
direkt  oder  nach  vorausgegangener  Hämolyse  mit  Wasser, 
der  kochend  heissen  Monokaliumphosphatlösung  zugesetzt  und 
das  entstandene  Eiweiss-Hämatinkoagulum  gründlich  mit 
heissem  Wasser  ausgewaschen  wurde.  Bei  einem  derartigen 
Versuche  wurden  in  3  g  einer  Blutprobe,  nach  Ausfällung  des 
Eiweisses  rmt  Monokaliumphosphat,  0,82  mg  Zucker  gefunden 
und  nach  Zusatz  von  3  mg  reinen  Traubenzuckers  zu  3  g  des 
gleichen  Blutes  1,68  mg;  statt  der  zugesetzten  3  mg  wurden 
somit  nur  L68-— 0,82  =  0,86  mg  Traubenzucker  wieder  ge¬ 
funden.  —  Obgleich  bei  der  Ausfällung  des  Blutes  mit  Mono- 
kaliumphosphat  ein  tadellos  klares,  eiweissfreies  Filtrat  er¬ 
halten  wird  kann  diese  Methode  für  die  Bestimmung  des 
Zuckers  im  Blute  nicht  in  Betracht  kommen. 

Auch  eine  vollständige  Ausfällung  des  ‘  Eiweisses  und 
Hamatins  durch  Eingiessen  des  Blutes  in  siedendem 
Alkohol,  mit  oder  ohne  Zusatz  von  Essigsäure,  eine  Me¬ 
thode,  wie  sie  von  verschiedenen  Seiten  empfohlen  wurde,  ge¬ 
lingt  nach  unseren  Versuchsergebnissen  meist  nicht  denn 
fast  immer  wurde  ein  durch  Hämatin  stark  braun  gefärbtes 
Fdtiat  erhalten.  Es  ist  auch  schon  längst  bekannt,  dass 

Harbn  m  AIkoho1’  der  eine  Spur  Säure  oder  Alkalikarbonat 
enthalt,  in  nicht  unwesentlicher  Menge  löslich  ist. 

Auch  die  Enteiweissungsmethode  des  Blutes  mittelst 
dialysierten  Eisenoxydhydrats  —  Ferrum  oxy- 
datum  dialysatum  Merck  —  nach  L.  Michaelis  und  P. 
v  o  n  a  )  nach  der  Forschbach  und  Severin  (1.  c.)  ge¬ 
rn  beitet  haben,  dürfte  im  Vergleiche  mit  der  Essigsäuremethode 
keinerlei  Vorteile  bieten;  sie  ist  im  Gegenteil  recht  zeitraubend, 

1911  NrZb16  f‘  d'  SeS'  PhysioL  u-  Path‘  T  Stoffwechsels.  N.  F.  Vf. 

8)  Biochem.  Zschr.  7.  329;  8.  356  (1908). 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  30. 


1672 


indem  das  Absaugen  von  selbst  nur  der  Hälfte  (25  ccm)  des 
ausserordentlich  voluminösen,  gallertigen  Blut-Eisenoxj  d- 
gemisches  (50  ccm)  eine  halbe  Stunde  und  mehr  Zeit  bean¬ 
sprucht.  Das  hierbei  erhaltene  abgesaugte  Filtrat  ist  zudem 
für  die  kolorimetrische  Bestimmung  des  Zuckers  nicht  direkt 
zu  gebrauchen,  da  es  beim  Kochen  mit  der  blauen  Bang  sehen 
Lösung  ein  grün  gefärbtes  Gemisch  liefert,  wodurch  die  Ein-  ; 
Stellung  desselben  im  Kolorimeter  auf  gleiche  Farbstärke  sehr 
erschwert,  wenn  überhaupt  möglich  ist. 

Endlich  hat  diese  Methode  im  Vergleiche  zu  der  von  uns 
angewandten  Methode  den  Nachteil,  dass  der  Zucker,  selbst 
wenn  das  Absaugen  des  halben  Blut-Eisenoxydgemisches  ge¬ 
lingen  sollte,  immer  nur  von  der  Hälfte  des  in  Arbeit 
genommenen  Blutes  bestimmt  wird.  Bei  einem  zucker- 
ärmeren  Blute  oder  in  den  Fällen,  in  welchen  2  oder  höchstens 
3  ccm  Blut  zur  Verfügung  stehen,  wie  dies  bei  Säuglingsblut 
wohl  immer  der  Fall  sein  dürfte,  ist  es  aber  durchaus  wün¬ 
schenswert,  dass  der  Zucker  von  der  ganzen^  in  Arbeit  ge¬ 
nommenen  Blutprobe  bestimmt  wird.  —  Die  Enteiweissungs- 
methode  nach  R  o  n  a  und  Michaelis  hat  uns  übt igens  die 
gleichen  Zuckerwerte  geliefert  wie  die  Essigsäuremethode. 

Gly kose  im  Blute.  In  dem  frisch  gelassenen  Blute 
nimmt  der  Zuckergehalt,  wie  schon  CI.  Bernard  gezeigt  hat, 
mehr  oder  weniger  rasch  ab,  und  zwar  soll  diese,  Glykolyse 
genannte  Blutzuckerabnahme,  auch  bei  vollständiger  Abwesen¬ 
heit  von  Mikroorganismen  stattfinden,  somit  durch  ein  lösliches, 
glykolytisch  wirkendes  Enzym  bedingt  sein.  Hieraus  folgt, 
dass  eine  Zuckerbestimmung  sofort  nach  der  B  1  u .  t  e  n  t  - 
nah  m  e  ausgeführt  werden  muss,  wenn  man  einen  richtigen 
Zuckerwert  erhalten  will.  Falls  eine  sofortige  Untersuchung 
nicht  möglich  ist,  stelle  man  die  Blutprobe  in  den  Eisschrank, 
um  die  Glykolyse  des  Zuckers  zu  verhindern. 

Ausführung  der  Zuckerbestimmung  im 

Blute. 

a)  Die  Enteiweissung  des  Blutes.  Man  bringt 
25  ccm  annähernd  1/ioo  normale  Essigsäure9)  in  einen  250  ccm 
fassenden  Erlenmeyerkolben  aus  Jenaerglas,  erhitzt  zum 
Sieden,  lässt  2,5  g  der  betreffenden  Blutprobe  allmählich  zu- 
fliesseu,  spült  das  Gefäss,  in  welchem  das  Blut  abgewogen 
wurde.  2— -3  mal  jeweils  mit  kleinen  Mengen  ‘/wo  n-Essigsäure 
gut  aus,  bringt  auch  diese  Spülflüssigkeit  in  den  „Erlenmeyer  , 
erhitzt  nochmals  unter  vorsichtigem  Umschwenken  gerade  bis 
zum  Aufkochen  und  filtriert  das  noch  heisse  Gemisch  sofort 
durch  ein  flaches  Filter  in  eine  Porzellanschale  ab.  Das  Ei- 
weiss-Hämatinkoagulum  spült  man  2 — 3  mal  mit  je  10  20  ccm 
heissem  Wasser  aus  und  lässt  auch  dieses  Filtrat  in  die  Por¬ 
zellanschale  abfliessen.  Sollte  das  Filtrat  durch  kolloidal  ge¬ 
löste  Stoffe  trübe  sein,  wie  dies  nur  zu  oft  der  Fall  ist,  so 
giesse  man  es  in  den  „Erlenmeyer“  zurück,  füge  A  1  K 
Chlornatrium  hinzu,  koche  nochmals  unter  Umschütteln  auf 
und  filtriere  kochend  heiss  ab.  Die  jetzt  ablaufende  Flüssigkeit 
ist  fast  immer  klar  und  farblos.  Man  kann  auch  in 
der  Weise  arbeiten,  dass  man  die  Vioo  n-Essigsäure,  die  zum 
Ausfällen  des  Blutes  dient,  von  vornherein  mit  etwa  A  S 
Chlornatrium  versetzt.  —  Man  verdampft  schliesslich  das  er¬ 
haltene  Filtrat  samt  dem  Waschwasser  auf  einem  Wasser¬ 
bade  zur  Trockene,  indem  man  gegen  Ende  der  Verdampfung 
nochmals  5  ccm  der  Vioo  n-Essigsäure  hinzufügt,  durchrührt 
den  trockenen  Rückstand  zur  Entfernung  von  stets  noch  vor¬ 
handenem  Eiweiss,  Hämatin  und  anderer  Stoffe  wie  Harn¬ 
säur  e,  welche  die  Bang  sehe  Lösung  ebenfalls  redu¬ 
ziert,  mit  ca.  10  ccm  kochendem  reinen  Alkohol,  giesst 
auch  diesen  Auszug  durch  das  gleiche  Filter  und  dampft 
das  gesammelte  alkoholische  Filtrat  auf  einem  Wasser¬ 
bade  zur  Trockene  ein.  Bei  richtigem  Arbeiten  er¬ 
hält  man  ein  klares,  farbloses  alkoholisches  Filtrat, 
das  beim  Eindampfen  einen  nahezu  weissen  Rück¬ 

stand  mit  einem  gelblich  oder  bräunlich  gefärbten  Saume 
liefert;  dieser  Rückstand  enthält  den  sämtlichen,  in  der  Blut¬ 
probe  enthalten  gewesenen  Traubenzucker;  er  eignet  sich  vor- 


9)  Eine  Essigsäure,  die  im  Liter  0,6  g  C2H1O2  enthält.  Man  ver¬ 

dünne  10  ccm  ’/i  n-Essigsäure  (mit  60  g  C2H4O2  im  Liter)  mit  'Wasser 
auf  1  Liter  =  Vioo  n-Essigsäure. 


ziiglich  für  die  kolorimetrische  Bestimmung  dieses  Zuckers  mit 
Hilfe  der  B  a  n  g  sehen  Lösung  10). 

b)  Die  kolorimetrische  Bestimmung  des 
Blutzuckers.  Man  misst  20  ccm  Wasser  ab,  löst  den  er¬ 
haltenen  Trockenrückstand,  der  den  Traubenzucker  enthält,  all¬ 
mählich,  also  unter  Nachspülen  der  Porzellanschale,  in  dieser 
Menge  Wassers  auf  und  bringt  diese  Lösung  sowie  5  ccm 
Bangsche  Lösung,  2  g  reinstes  Kaliumrhodamd  und 
2,5  g  reinstes  Kaliumkarbonat  in  einen  150  ccm  fassenden 
Erlenmeyerkolben  aus  Jenaer  Glas,  so  dass  also  das  Gesamt¬ 
gemisch  etwas  mehr  als  25  ccm  beträgt.  Nun  erhitzt  man. 
diese  Lösung  auf  einem  Drahtnetze  zum  lebhaften  Sieden, 

kocht  es  3 _ 4  Minuten  (aber  nicht  länger),  kühlt  alsdann  unter 

der  Wasserleitung  rasch  ab,  giesst  die  noch  mehr  oder  weniger 
blau  gefärbte  Lösung  unter  Nachspülen  mit  Rhodankalium¬ 
lösung  in  ein  25  ccm  Messkölbchen  ab  und  verdünnt  schliess¬ 
lich  mit  Rhodankaliumlösung  bis  zur  Marke.  Nach  dem  Um¬ 
schütteln  bringt  man  eine  Probe  der  blauen  Lösung  in  den 
Glastrog  des  Kolorimeters,  stellt  in  der  üblichen  Weise  durch 
Verschieben  des  geeichten  Glaskeils  auf  gleiche  Faibstärke  ein  I 
und  liest  den  zugehörigen  Skalenteil  am  Kolorimeter  ab.  Die 
Menge  Traubenzucker,  welche  diesem,  bei  gleicher  Farbstärke 
abgelesenen  Skalenteile  entspricht,  erfährt  man  aus  der  Eich¬ 
ungskurve  des  Vergleichskeils.  Sollte  die  blaue  Lösung,  die  . 
kolorimetrisch  untersucht  werden  soll,  nicht  vollkommen  klar 
sein,  wie  es  manchmal  vorkommt,  so  schüttele  man  sie  mit  j 
Filtrierpapierschnitzel  und  filtriere  sie  durch  ein  trockenes  3 
Filterchen  ab.  In  allen  derartigen  Fällen  haben  wir  auf  diese 
Weise  eine  völlige  Klärung  der  blauen  Lösung  erreicht,  so 
dass  mit  grosser  Sicherheit  auf  gleiche  Farbstärke  eingestellt 
werden  konnte.  Bei  einiger  Uebung  beansprucht  eine  einzelne 
Bestimmung  des  Zuckers  im  Blute  etwa  VA  Stunden,  ein¬ 
schliesslich  des  Eindampfens  der  in  Frage  kommenden  Filtrate. 
Falls  es  die  vorhandene  Blutmenge  gestattet,  empfiehlt  es 
sich  immer,  zwei  Blutproben  gleichzeitig  anzusetzen,  so  dass 
eine  Kontrollbestimmung  ausgeführt  werden  kann. 

B.ereitung  der  Bangsche  n  Lösung.  Die  blaue  B  a  n  g- 
sche  Lösung  muss  mit  der  grössten  Sorgfalt  nach  der  folgenden,  mi 
Wesentlichen  von  Bang  gegebenen  Vorschrift  hergestellt  werden, 
nur  unter  genauer  Berücksichtigung  der  gegebenen  Losungs¬ 
und  Temperaturangaben  wird  eine  Lösung  von  gleichem  Wirkungs¬ 
wert  erhalten.  Wir  geben  die  Vorschrift  für  die  Herstellung  von 
2  Liter  unverdünnter  Bang  scher  Lösung,  wie  sie  auch  für  die 
Bestimmung  des  Harnzuckers  gebraucht  wird.  Man  löst  in  einem 
Zweilitermesskolben  100  g  fein  zerriebenes  Kaliumbikarbonat  in 
1200  ccm  Wasser,  fügt  400  g  reinstes  Kaliumrhodamd  und  50U  g 
reinstes  Kaliumkarbonat  hinzu  und  erwärmt  das  ganze  auf  ein c rn 
Wasserbade  auf  höchstens  40°.  falls  das  Erwärmen  zur  voll¬ 
ständigen  Lösung  der  Salze  überhaupt  nötig  sein  sollte.  Dann  kunlt 
man  auf  30°  ab  und  lässt  eine  in  der  Wärme  zwar  bereitete,  aber 
auf  15°  wieder  abgekühlte  Lösung  von  25  g  reinem  kristalli¬ 
siertem  Kupfersulfat  (CuSO«  +  5H20)  in  150  ccm  Wasser  unter  Um¬ 
schwenken  und  ganz  allmählich  zufliessen.  so  dass  eine  stärkere 
Kohlensäureentwicklung  nicht  eintritt.  Schliesslich  füllt  man  mit 
kaltem  Wasser  bis  zur  Marke  (2  Liter)  auf.  Nach  2  tägigem 
Stehen  wird  von  dem  geringen  Niederschlag,  der  sich  wohl  immer 
bildet,  abfiltriert.  Die  so  bereitete  Bang  sehe  Lösung  zeigt  eine 
ziemlich  konstant  bleibende  Selbstreduktion  und  ist  längere  Zeit, 
wenigstens  1  Jahr  lang,  unverändert  haltbar,  wie  Herr  Funk  die 
Freundlichkeit  hatte,  uns  mitzuteilen. 

Die  Eichung  des  Vergleichskeils  und  die  Kon¬ 
struktion  der  Blutzuckerkurve. 

Der  für  die  quantitativen  Blutzuckerbestimmungen  mit  Hilfe  des 
Autenrieth-Koenigsberger  sehen  Kolorimeters  notwendige 
Vergleichskeil  ist  mit  einer  künstlichen  Farblösung  gefüllt,  die  mit 
der  verdünnten  B  a  n  g  sehen  Lösung  durchaus  optisch  gleichwertig 
und  zudem  haltbar  und  lichtbeständig  ist.  Dieser  Vergleichskeil  wird 
mit  einer  0,05  proz.  wässerigen  Lösung  von  reinem  Traubenzucker, 
der  vor  dem  Abwägen  bei  110—115°  auszutrocknen  ist,  in  der 
üblichen  Weise  geeicht.  Eine  solch  verdünnte  Traubenzuckerlösunt 
muss  immer  frisch  bereitet  werden,  da  sie  nicht  längere  Zeit 
haltbar  ist,  worauf  auch  Forsch  baqh  und  Severin  hinge¬ 
wiesen  haben.  Beim  Aufbewahren  in  einer  wohl  verschlossener 
Flasche  im  Eisschranke  verändert  sie  ihren  Traubenzuckergehalt  im 
Verlaufe  einiger  Tage  so  gut  wie  nicht.  —  Man  verwende 
ferner  eine  Bangsche  Lösung,  die  mindestens  8  Tage  lang  ge¬ 
standen  hatte,  weil  nur  eine  derartige  Lösung  bei  3  Minuten  langem 


1C)  Ueber  die  Bereitung  dieser  Lösung  vergl.  die  späteren  An¬ 
gaben. 


28.  Juli  1914. 


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«KtÄr»2ÄS: 

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wechselnde,  aber  genau  abzumessende  Mengen  der  0  05  nroz 
Traubenzuckerlosung,  nämlich  1—  oc™  a„c  In«  o-  proz< 
fliessen  und  jedesmal  noch  soviel  Wasser  dass  die  TVaifh^n**6!,2“’ 
lösuns  auf  »ccm  verdünn,  ist.  Nun  fo«  ma“  2  e  r elnätes  Zdan' 
kal.um  und  25  g  reinstes  Kaüumkarbonat  hinzu,  die  beide  au  einer 
Handwage  abgewogen  werden,  erhitzt  dann  auf  enem  Draht 
netze  zum  lebhaften  Kochen  und  hält  3,  höchstens  4  Minuten 
fang  im  Sieden.  Man  kühlt  jetzt  unter  der  WaSeitune  sofort 
rasch  auf  Zimmertemperatur  ab  brinet  Hie  nnoh  ^  S  so.ort 

blau  gefärbte  Lösung,  unter  wiederholtem  Nacispülerl  teV ErflT 

KhV„k  ^ 

Se'Ä 

sSärenr“m1;;,ae'il,:enZ“Ckerk0nZen,ra',<-"“  die 

0,05 proz.  Traubenzuckerlösung:  2  4=; 

Zugesetztes  Wasser:  is’  ifi’  ,c’ 

Gehalt  an  Traubenzucker:  l’  2  2  5 

Gleiche  Farbenstärke  b.  Skalenteil:  23,’  36,’  42,’ 


muenchener  medizinische  Wochenschrift. 


6,  8,  9  ccm. 

14,  12,  11  ccm. 

4,  4,5  mg. 


3,  .  ... 

48,  62,  69. 


Durch  Einträgen  der  in  Arbeit  genommenen  Trauben- 

gShomFngKnt‘nLMllligrammen  auf  die  A^isse  und  der  für 
gleiche  Farbstarke  ermittelten  Skalenteile  auf  die  Ordinate 

•  eines  Koordinatensystems  lässt  sich  dann  die  unten  aufge¬ 
nommene  Traubenzuckerkurve  für  Blut,  sie  sei  kurz  Blut¬ 
zuckerkurve  genannt,  in  der  üblichen  Weise  kon 
struieren.  vvcise  Kon- 


Unser  Vergleichskeil  umfasst  somit  ein  Messbereich  für 

ir  riif.S  ah  mg  raubenzucker  und  zwar  liegt  das  Optimum 
r  die  Ablesung  zwischen  den  Skalenteilen  25  bis  35,  was 
ner  Zuckermenge  von  1 — 4,5  mg  entspricht. 

f  V1  * g  k  e  ‘ 1  Um  die  Genauigkeit  und  auch  Zuver- 
ssigke.t  der  von  uns  befolgten  Methode  kennen  zu  lernen 
_be"  ' wir,vo5  Schlachthaus-  und  von  Menschenblut  zunächst 
e  normale  Zuckermenge  wiederholt  bestimmt,  alsdann  vor 
1W,e'SSUngJkleine  Mengen  von  Traubenzucker  zu- 
St,u"d.von.  d‘esen  Blutproben  wiederum  den  Zucker- 
-halt  kolorimetnsch  ermittelt.  Bei  unseren  ersten  Unter- 
Schlachthausblut  haben  wir  für  eine  einzelne 
Jckerbestimmung  jeweils  10  g  Blut  verarbeitet,  die  erhaltene 
ickerlosung  mit  10  ccm  Bangscher  Lösung  unter  Zu- 

■  Ag  KallumrBodanid  und  5  g  Kaliumkarbonat  ge- 

'  L°cSang  schliesslich  nicht  auf  25,  sondern  auf 

•  ccm  aufgefullt.  Selbstverständlich  mussten  wir  den  für  diese 
Stimmungen  von  uns  benutzten  Keil  in  gleicher  Weise  eichen, 
I’°  .  die  Ermittelung  eines  jeden  Punktes  in  der  Eichungs- 

jrve  jeweds  10  ccm  Bang  sehe  Lösung  abmessen,  die 

p  ^eichte  Kaile  mit  der  Blutzuckerkurve  können  von 

■  »i  U  -  Cie”  hreiburg  bezogen  werden. 

iofehlen  k°nnen  Büretten  mit  s  c  h  e  1 1  b  a  c  h  schem  Streifen 

Nr.  30. 


oben  angegebene  Menge  der  beiden  Kaliumsalze 
und  schliesslich  auf  50  ccm  verdünnen. 


1673 


zusetzen 


do. 

do. 

do. 

do. 

Schlachthausblut  II 

do. 

do. 

Kaninchenblut 

do. 

b; 


Verarbeitetes  Blut 

Ge¬ 

wicht 

Zusatz 

von 

Trauben¬ 

zucker 

Gleiche 

Farbstarke 

bei 

Gefundener 

Blutzucker 

in 

Fehler 

Skalenteil 

m  I  Oewichts- 
1  Prozenten 

10  g 
10  g 
10  g 
10  g 
10  g 
10  g 
10  g 
10  g 
10  g 
10  g 


2,4  mg 
2,0  mg 
2,8  mg 


2,4  mg 


utentweissung 


23 

22 

36 
35 

37 

47.5 

48.5 
61 

25.5 
25,5 


1.9 
1,8 

4.1 

3.9 

4.2 

5.8 

5.9 

7.9 

2.5 

2.5 


0,019 

0,018 

0,041 

0,039 

0,042 

0,058 

0,059 

0,079 

0,025 

0,025 


—  0,1  mg 

—  0,1  mg 

—  0,4  mg 


—  0,4  mg 


Schlachthausblut  11 
do. 
do. 
do. 


8  g 
5,6  g 
5,6  g 
5  g 


mit  dialysiertem 
h  y  d  r  a  t 1S). 


Eisenoxyd- 


5,6  mg 
5,6  mg 


43,5 

65 

64 

49 


5,2 

8,5 

8,4 

2,97 


0,060 

0,152 

0,150 

0,0594 


—  0,2  mg 

—  0,3  mg 


n  h  n  h  Enteiwei,ssunS  des  Blutes  mitMonokalium- 
P  h  o  s  p  h  a  t  zu  n  !  e  ei  r  i  g  e  Zuckerwerte  liefert  zeigen  die 
folgenden  Versuche,  bei  welchen  die  drei  Enteiweissunvf 

derselben  BlubtDnrohander  ^  ,'mmer  gleichzeit'g  bei  ein  und 
q  er  seinen  Blutprobe  angewandt  werden.  Bei  der  Ausfüllung 

des  Blutes  mit  d  i  a  I  y  s  i  e  r  t  e  m  E  i  s  e  n  o  x y d  h y  dra 

Wasse0rbad^^rST  lagU1,geSaUJgte  Filtrat  auf  dem 

wasserbade  zur  Trockene  verdampft  und  alsdann  der  Rück¬ 
stand  in  der  für  die  Essigsäuremethode  angegebenen  Weise 

“sr  "urdfeit  ist  meist  ■**  ^ 

Die  im  Folgenden  aufgenommenen  vergleichenden  Ver 
Stiche  wurden  jeweils  mit  5  g  frischem  Schlachthausblut  aus 

SÜSÄ-Ä4"  erhitzt  “nd  dÄ 


E  n  t  e  i  w  e  i  s  s  u  n  g  mit 

Gleiclie  Farbstarke 

T  ,  bei  Skalenteil: 

I.  Versuch  36 

II.  Versuch  37 

III.  Versuch  36 


1/ioo 


Enteiweissung 
I.  Versuch 
II.  Versuch 


m  i  t 


n-E  ssigsäure. 

Blutzucker,  gefunden: 

„mK  Gewichtsprozente 

2,0 5  0,041 

2,08  0,042 

2,U5  0,041 

dialysiertem  Eisenoxyhydrat. 
^  _  2-08  0,042 

37,5  2,20  0,044 

I  VerluclT  6  *  S  S  U  "  S  £  L*  M  °  n  0  k  a  1  ‘  u  m  p  h  0  s  P  h  a  t. 
i.  versuch  23,5  1,05  0  021 

IL  VerSUch  23  LOl  0,0202 

•  Bn,  e,iner  weiteren  Versuchsreihe  wurde  der  Zuckergehalt 
eines  Blutes  sowohl  vor  als  nach  Zusatz  einer  geringen  Menge 
aubenzucker  kolorimetnsch  bestimmt.  Auch  bei  diesen  Ver¬ 
suchen  wurde  unter  Anwendung  von  Monokaliumphosphat  als 
Enteiweissungsm.ttel  erheblich  weniger  Zucker  ge 
fanden  als  der  betreffenden  Blutprobe  zugesetzt  wurde 

a)  Vor  dem  Zusatze  von  Traubenzucker 

=  Skalenteil  29 

ten  21  Sfclüe^ 

b)  Nach  Zusatz  von  4mg  Traubenzucker. 

-  4E9mg1Sina3U1rreRflutMUnS:t  51?ich?  Earbstäl  ke  bei  Skalenteil  73 
wiedwgefunnden^aU  ^mg^Fehferr— ^5  mg  ^jj|®Q^rau^enzuc^er 

teil  50^  S  in°  3  \  ^uV; Ä  Ä 
w.ederge fanden  statt  der  zugesetzten  4  mg  Fehler:  -  l!« i  Ä 
W eichen  Einfluss  eine  zuckerreichere  Nahrung 
wie  Honig  —  auf  den  Zuckergehalt  des  Blutes  ausübt,  zeigen 
die  folgenden  Versuchsergebnisse:  ’  gen 

.  .  ^  Die  Ergebnisse  dieser  Versuche  zeigen  öä««  nio  Fm, 

eiweissung  des  Blutes  mit  Ferrum  oxydatum  dialysaturri  dieglei" 

mcetnhodeCkerWerte  liCfert  wie  die  Essig^äure- 


3 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1674 


1.  Eine  Stunde  nach  dem  üblichen  Frühstück  wurde  der 
Zuckergehalt  des  Blutes  von  Herrn  Ek.  zu  0,05  Proz.  be¬ 
stimmt;  als  Herr  Ek.  mit  dem  Frühstück  noch  100  g  Honig 
aufgenommen  hatte,  stieg  der  Zuckergehalt  des  Blutes  aut 

0,066  Proz.  ,  . 

2.  Umgekehrt  wurde  der  Zuckergehalt  des  Blutes  des 
Herrn  Dr.  E.,  nach  Aufnahme  von  100  g  Honig  etwa  1  Stunde 
vor  der  Blutentnahme,  zu  0,079  Proz.  ermittelt  und  der  Zucker¬ 
gehalt  fiel  auf  0,0568  Proz..  als  der  Honig  bei  der  sonst  gleichen 
Ernährungsweise  weggelassen  wurde. 

Herrn  Dr.  med.  Erne  gebührt  unser  Dank  für  die  Vor¬ 
nahme  der  Entnahme  des  Blutes,  das  für  die  Bestimmungen 
erforderlich  war. 

Blut  des  Herrn  M.,  nicht  zuckerkrank  26  Jahre  alt.  Ab¬ 
gewogen;  2,5  g  Blut.  Gleiche  Farbstärke  bei  Skalenteil  29  —  1,5  mg 
oder  0,06  Proz.  Zucker. 

Blut  einer  zuckerkranken  Frau.  Herrn  Dr.  med. 
W  i  n  g  1  e  r  -  Freiburg  sind  wir  zu  grossem  Danke  verpflichtet,  dass  er 
uns  das  Blut  einer  zuckerkranken  Patientin,  mit  6,2  Proz.  Zucker  im 
Harn,  für  eine  Zuckerbestimmung  überlassen  hat.  Eine  kolori- 
metrische  Bestimmung  dieses  Blutes  hat  einen  Zuckergehalt  von 
0,2  Proz.  (genau  0,190  Proz.)  ergeben.  Eine  Kontrollbestimmung  mit 
der  gleichen  Blutmenge  von  2,5  g  lieferte  den  gleichen  Zuckerwert. 

Säuglingsblut.  Von  vier  verschiedenen  Proben  Säuglings¬ 
blut  haben  wir  nach  unserer  kolorimetrischen  Methode  den  Zucker¬ 
gehalt  bestimmt.  Für  die  gütige  Zusendung  dieser  vier  Blutproben 
danken  wir  Fräulein  Dr.  med.  Lief  mann  (Säuglingsheim  Dresden) 
auch  an  dieser  Stelle  recht  herzlich.  Für  jede  einzelne  Zuckerbestim¬ 
mung  wurden  2,5  g  Blut  abgewogen  und  jeweils  eine  Kontrollbe¬ 
stimmung  angesetzt.  Es  wurden  die  folgenden  Werte  erhalten: 

I.  Blutprobe:  a)  0,036,  bt  0,038  Proz.  Zucker, 

II.  „  a)  0,033,  b)  0,032 

III.  „  a)  0,029,  bi  0,028  „ 

IV.  „  a)  0,039,  b)  0,038  „ 

Nach  diesen  Befunden  scheint  der  Zuckergehalt  des  Säuglings¬ 
blutes  nicht  allzugrossen  Schwankungen  unterworfen  zu  sein;  ferner 
dürfte  der  Zuckergehalt  desselben,  prozentual  ausgedrückt,  etwa  um 
die  Hälfte  geringer  sein  als  im  Blute  des  erwachsenen  Menschen 

Zusammenfassung: 

1.  Mit  Hilfe  einer  verdünnten  Bang  sehen  Lösung  und 
unter  Anwendung  des  Autenrieth-Koenigsberger- 
schen  Kolorimeters  lässt  sich  der  Zucker  schon  von  2,5  g 
Menschenblut  mit  hinreichender  Genauigkeit  kolorimetrisch 
bestimmen.  Falls  die  zur  Verfügung  stehende  Blutmenge  aus¬ 
reicht,  setze  man  gleichzeitig  eine  Kontrollbestimmung  an.  Bei 
richtigem  Arbeiten  beträgt  die  Differenz  in  den  Zuckerwerten, 
die  bei  den  einzelnen  Bestimmungen  von  ein  und  derselben 
Blutprobe  erhalten  werden,  0,2,  höchstens  0,3  mg  Trauben¬ 
zucker.  Man  verarbeite  das  frisch  aufgesammelte  Blut  sofort, 
da  der  Zuckergehalt  des  Blutes  beim  Aufbewahren  mehr  oder 
weniger  rasch  abnimmt.  Glykolyse  im  Blute. 

2.  Die  Enteiweissung  des  Blutes  geschieht  am 
zweckmässigsten  durch  Eingiessen  desselben  in  eine  kochend 
heisse  annähernd  1/ioo  normale  Essigsäure;  häufig  ist  ein  Zu¬ 
satz  von  Chlornatrium  erforderlich,  um  der  Bildung  kolloidaler 
Lösungen  vorzubeugen,  denn  nur  dann  wird  ein  klares  Filtrat 
erhalten. 

Die  Ausfällung  des  Blutes  mit  Monokaliumphosphat  können 
wir  nicht  empfehlen,  wenn  es  sich  um  die  Bestimmung  des 
Zuckers  im  Blute  handelt. 

3.  Den  Zuckergehalt  des  Blutes  vom  erwachsenen  ge¬ 
sunden  Menschen  haben  wir  zu  0,05  bis  0,07  Proz.  gefunden. 

4.  Das  Blut  eines  Diabetikers  mit  6,2  Proz.  Zucker  im 
Harn  hat  0,2  Proz.  Zucker  enthalten. 

5.  Zuckerreichere  Nahrung  wie  Honig  erhöht  den 
Zuckergehalt  des  Blutes  nicht  unwesentlich. 

6.  Im  Blute  des  gesunden  und  gut  genährten  Säuglings 
scheint  der  Zuckergehalt  ziemlich  konstant  zu  sein,  denn  bei 
4  verschiedenen  Proben  schwankte  der  Gehalt  nur  zwischen 
0,029  bis  0,036  Proz.  Zucker. 

7.  Um  besser  vergleichbare  Blutzucker¬ 
werte  zu  erhalten,  wird  es  sich  empfehlen,  das  Blut  nach 
einer  bestimmten  Anzahl  von  Stunden  nach  Einnahme  einer 
Probemahlzeit  von  bestimmter  Zusammensetzung  zu  ent¬ 
nehmen  und  dessen  Zuckergehalt  sofort  zu  bestimmen. 


Zur  Stimmgabel-Stethoskop-Methode  *). 

Von  Priv.-Doz.  Olpp  in  Tübingen. 

In  der  neuesten  Auflage  der  Realenzyklopädie  der  ge¬ 
samten  Heilkunde  (erschienen  1911)  sagt  Herr  Sticker  in 
der  Abhandlung  über  Perkussion  unter  anderem:  „Die  bisher 
gebräuchlichen  Mittel  und  Methoden  der  mittelbaren  und  un¬ 
mittelbaren  Perkussion  haben  in  den  letzten  Jahren  neue  Er¬ 
gebnisse  nicht  geliefert  .  .  .  Fragt  man  sich,  ob  neue  Ergeb¬ 
nisse  überhaupt  noch  zu  erwarten  sind,  so  wird  ein  Arzt,  der 
nicht  in  eine  Ueberspannung  seiner  Methoden  und  nicht  in 
einseitigen  Gebrauch  seiner  diagnostischen  Mittel  verfällt, 
kaum  viel  zu  wünschen  übrig  haben“. 

Es  ist  auffallend,  wie  lange  die  Forschung  in  den  letzten 
Jahrzehnten  brauchte,  um  wieder  einen  positiven  Schritt  nach 
dieser  Richtung  hin  vorwärts  zu  tun.  Die  Stäbchenplessimeter¬ 
perkussion  von  H  e  u  b  n  e  r  und  Leichtenstern  hat  sich 
zwar  für  manche  Zwecke  für  brauchbar  erwiesen,  aber  die 
Friktionsmethode  nach  B  i  a  n  c  h  i  und  B  a  z  z  i,  ausgeübt  mit 
Zeigefinger  und  Phonendoskop,  der  Borstenpinsel  von  Shmith, 
das  Wasserleitungsgeräusch  von  Pal,  das  geriefte,  runde 
Stäbchen  von  Reichmann  usw.  haben  es  stets  mit  Ge¬ 
räuschen  oder  Nebengeräuschen,  nie  mit  Tönen  in  akustischem 
Sinn  zu  tun.  Es  ist  merkwürdig,  dass  die  „Ueberschwenglich- 
keit  des  Erfindungsgeistes“  bei  einem  Konglomerat  von 
Klängen,  d.  h.  Geräuschen  stecken  geblieben  ist  und  den  reinen 
Ton  nicht  in  Verbindung  mit  der  Auskultation  zur  Abgrenzung 
der  Körperorgane  in  Anwendung  gebracht  hat.  Um  einen 
bakteriologischen  Vergleich  heranzuziehen,  hat  man  stets  mit 
Bakteriengemischen,  nicht  mit  Reinkulturen  gearbeitet.  Aller¬ 
dings  hat  H.  Baas  bei  seiner  Phonometrie  die  gewöhnliche 
Orchesterstimmgabel  angewandt  und  angegeben,  dass  ihr  Ton. 
wo  lufthaltige  Teile  beim  Aufsetzen  nahe  sind,  lauter 
wird,  wo  luftleere  darunter  liegen,  dagegen  in  rascher 
Weise  verklingt.  Er  hat  aber  nicht  das  Stethoskop  zu  Hilfe 
genommen.  Uns  liegt  daran,  2  aneinander  grenzende,  aber 
luftleere  Organe  mit  Hilfe  der  Stimmgabel  voneinander 
abzugrenzen.  Das  Verdienst,  die  Stimmgabel  auskultatorisch 
zur  Bestimmung  der  Organgrenzen  in  der  Praxis  zu  ver¬ 
werten,  gebührt  dem  englischen  Tropenforscher  Cantlie1). 
Es  handelt  sich  dabei  um  einen  ganz  anderen  Gedankengang, 
als  bei  der  Phonometrie  von  Baas.  Als  ich  Cant  lies 
Stimmgabel-Stethoskop-Methode  auf  der  Tagung  der  Deut¬ 
schen  Tropenmedizinischen  Gesellschaft  in  Berlin  (7. — 9.  April 
1914)  demonstrierte,  überzeugte  sich  auch  der  oben  angeführte 
Herr  Sticker  von  der  Brauchbarkeit  des  Phänomens  und 
bemerkte  in  der  Diskussion:  „Wenn  die  Methode  die  Organ¬ 
grenzen  allseitig  so  deutlich  zur  Wahrnehmung  bringt,  wie  ich 
mich  eben  bei  der  Lungen-Leber-Grenze  überzeugt  habe,  so  ist 
sie  als  eine  wirkliche  Bereicherung  unserer  Kenntnisse  zu 
bezeichnen“. 

Cantlie  demonstrierte  die  von  ihm  seit  mehreren  Jahren 
geübte  Methode  im  August  1913  einigen  Tropenärzten  bei  Ge¬ 
legenheit  des  XVII.  Internationalen  Medizinischen  Kongresses 
und  veröffentlichte  sie  im  Januar  dieses  Jahres.  Deutschen 
Klinikern  ist  die  Entdeckung  daher  noch  nicht  genügend 
bekannt. 

Das  Prinzip  der  Methode  beruht  darauf,  dass  ein  Körper¬ 
organ,  auf  das  eine  schwingende  Stimmgabel  aufgesetzt  wird, 
mitschwingt  und  die  Stärke  des  Tones  durch  das  gleichzeitig 
auf  dasselbe  Organ  aufgesetzte  Stethoskop  wahrgenommen 
werden  kann.  Sobald  die  Stimmgabel  die  Grenzen  des  Or¬ 
gans  überschreitet,  klingt  der  Ton  wie  aus  weiter  Ferne 
kommend  oder  er  verschwindet  ganz,  kehrt  aber  sofort  zurück, 
wenn  man  die  immer  noch  schwingende  Stimmgabel  auf  das 
betreffende  Organ  zurückführt.  Cantlie  fand  Gis  (410)  der 
Stimmgabel  als  die  geeignetste  Tonhöhe.  Die  Basis  der 
Stimmgabel  sollte  nicht  abgeplattet,  eher  etwas  pointiert  sein. 


*)  Vortrag,  gehalten  am  11.  Mai  1914  im  Medizinisch-Natur¬ 
wissenschaftlichen  Verein  Tübingen. 

0  Cantlie:  The  use  of  the  tunning-fork  in  diagnosing  tue 
outlines  of  solid  and  hollow  viseera  of  the  ehest  and  abdomen 
and  of  certain  pathological  conditions.  The  Journal  of  Tropical  Me- 
dicine  and  Hygiene,  1914,  Nr.  2,  S.  17 — 20. 


28.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCH R I FT. 


Ich  habe  mir  nun  die  von  C  a  n  1 1  i  e  angegebene  Stimmgabel  ■) 
kommen  lassen,  finde  sie  aber  in  der  Praxis  für  etwas  zu 
unhandlich  und  ziehe  die  kleinere  Stimmgabel  mit  zweige¬ 
strichenem  L  (L  ),  also  eine  1  erz  höher,  auch  aus  dem  Grunde 
vor.  veil  man  dann  gleichzeitig  mit  der  Stimmgabel  den  Blau¬ 
stift  zur  Markierung  der  Organgrenzen  in  der  Hand  halten  und 
so  Zeit  sparen  kann,  während  C  a  n  1 1  i  e  immer  erst  die 
schwere  Stimmgabel  aus  der  Hand  legt  und  dann  mit  dem 
Blaustift  den  Punkt  aufzeichnet,  den  er  mit  dem  Zeigefinger 
der  dcis  Stethoskop  haltenden  Hand  vorher  festhielt 

Der  an  die  Stimmgabel  anmontierte  Hammer  ist  unnötig; 
denn  man  kann  die  Stimmgabel  an  irgendeinem  Gegenstand 

anschlagen,  wenn  nichts 
anderes  vorhanden  ist, 
am  Stiefelabsatz.  Man 
setzt  sie  dann  leicht, 
aber  fest,  auf  die  Haut. 
Sehr  treffend  und  gut 
beobachtet  ist  nun  die 
Beobachtung  von 
C  a  n  1 1  i  e,  dass  die 
Töne,  welche  beim 
Aufsetzen  des  Stetho- 

Fi£.  1  Stimmgabel  und  Stethoskop  auf  der  Leber  Skops  auf  die  Haut 
Die  Abbildungen  sindj« Onglnalarbeit  Cantli es  über  irgend  einem  der 

genannten  Organe  ge¬ 
hört  werden,  von  der  Basis  der  Stimmgabel  auszugehen 
scheinen,  wenn  diese  auf  dem  gleichen  Organ  sich  befindet. 
Wenn  aber  die  Stimmgabel  die  Grenzen  des  Organs  über¬ 
schreitet,  auf  dem  das  Stethoskop  steht,  wird  der  Ton  nicht 
nur  leiser,  sondern  er  scheint  von  dem  freien  Ende  der  Stimm¬ 
gabel  her  zu  ertönen,  nicht  von  der  Basis.  Bei  einiger  Uebung 
macht  sich  diese  Eigentümlichkeit  dem  Untersucher  mehr  be¬ 
merkbar  und  ist  ein  ausgezeichnetes  Hilfsmittel  für  die  dia¬ 
gnostische  Verwertung  des  an  und  für  sich  recht  relafiven  Be¬ 
griffes  einer  laut  oder  leise  schwingenden  Stimmgabel. 

Die  praktische  Anwendung  dieser  Stimmgabel-Stethoskop- 
Methode  geschieht  z.  B.  auf  der  Leber  auf  folgende  Weise: 
Das  doppelte  Stethoskop  wird  etwa  1  Zoll  hinter  der  rechten 
Mamillarlinie  auf  den  Rippenknorbel  der  7.  oder  8.  Rippe  auf¬ 
gesetzt.  Die  angeschlagene  Stimmgabel  wird  nun  in  der  Para¬ 
sternallinie  von  der  3.  Rippe  beginnend  abwärts  geführt,  indem 


1675 


.  2.  S  =  Stethoskop. 

Kieme  Ringe  bedeuten  leisen  Ton 
Punkte  „  lauten  „ 


Fig.  3. 


sie  immer  wieder  von  der  Haut  abgehoben  und  in  kurzer  Ent- 
ernung  davon  wieder  aufgesetzt,  also  nicht  auf  der  Haut 
weiter  geschleift  wird.  Wenn  man  von  der  Lunge  her  anfängt, 
Jie  Stimmgabel  aufzusetzen,  so  ist  der  Ton,  den  man  hört, 
»venn  die  Stimmgabel  sich  noch  auf  der  Lunge  selbst  befindet, 
:art  und  wie  von  ferne  klingend;  in  dem  Augenblick  aber,  wo 
he  Stimmgabel  die  Leber  erreicht,  hört  man  den  Ton  laut  und 
:r  bleibt  auch  laut,  solange  die  Stimmgabel  bei  ihrer  Abwärts- 

Bei  Messrs.  Mayer  and  Meitzers,  75  Great  Portland 

treet,  London  W. 


|  Wanderung  sich  über  der  Leber  befindet.  Sobald  man  aber 
|  den  unteren  Leberrand  mit  der  Stimmgabel  überschreitet  also 
andere  Abdominalorgane  unter  ihr  sich  befinden,  verklingt  der 
I  on  plötzlich  zu  einem  Summen  aus  weiter  Ferne. 

Der  Grad  des  angewandten  Druckes  ist  für  verschiedene 
diagnostische  Zwecke  verschieden.  Auf  der  Brust  braucht  die 
Stimmgabel  nur  zart  auf  die  Haut  aufgesetzt  zu  werden.  Wenn 
es  sich  aber  wie  bei  korpulenten  Patienten  oder  bei  der  Aus¬ 
dehnung  der  Bauchhöhle  durch  Darmgase  oder  durch  Flüssig¬ 
keiten  darum  handelt,  die  untere  Lebergrenze  genau  festzu- 


Fig.  4. 


Fig.  5. 


stellen,  so  muss  die  Stimmgabel  zeitweise  ziemlich  tief  einge¬ 
druckt  werden,  damit  die  Baucheingeweide  oder  die  Flüssig¬ 
keiten,  die  sich  zwischen  Abdominalwand  und  Leber  befinden 
beiseite  gedrückt  werden  können. 

Der  obere  und  untere  Leberrand  kann  schnell  und  genau 
kontrolliert  werden,  wenn  man  die  Stimmgabel  im  Zickzack 
über  die  vorher  markierte  Lebergrenze  führt.  Auch  die  rela¬ 
tive  Grösse  der  beiden  Leberlappen  kommt  auf  diese  Weise 
gut  zur  Anschauung. 

••  jy^nchmal  ist  es  durch  Palpation  und  Perkussion  nicht 
möglich,  die  linke  Lebergrenze  festzustellen,  z.  B.  wenn  die 


Lunge 

Pleura¬ 

exsudat 


Fig.  6. 


Fig.  7. 


Milz  gleichzeitig  so  vergrössert  ist,  dass  sie  die  Leber  berührt. 
I  )ie  Stimmgabel-Stethoskop-Methode  klärt  diese  Verhältnisse 
sofort  auf;  denn  wenn  das  Stethoskop  auf  der  Leber  steht  und 
die  Stimmgabel  auf  der  Milz,  so  ist  ihr  Ton  völlig  unhörbar 
und  umgekehrt. 

Ebenso  kann  ein  Pleuraexsudat  mit  der  Stimmgabel- 
Stethoskop-Methode  sofort  nach  der  Leber  hin  abgegrenzt 
werden.  Man  hört  die  Stimmgabel  nur  über  der  Leber,  wenn 
das  Stethoskop  gleichzeitig  über  ihr  steht.  Wenn  die  Stimm¬ 
gabel  dagegen  auf  dem  Exsudat  oder  der  Lunge  und  das 
Stethoskop  auf  der  Leber  steht,  hört  man  den  Ton  entweder 
nur  ganz  schwach  oder  gar  nicht.  Das  ist  von  grosser  Wicli- 

3* 


1676 


Nr.  30. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


tigkeit  für  die  klinische  Diagnose;  denn  man  kann  weder  durch 
Perkussion,  noch  durch  Palpation  oder  durch  Auskultation 
feststellen,  ob  die  Dämpfung  bzw.  Abschwächung  des  At¬ 
mungsgeräusches  durch  einen  pleuritischen  Erguss,  einen 
Leberabszess  oder  durch  eine  durch  Abdominaltumoren  nach 
oben  verdrängte  Leber  bedingt  ist. 

Die  Methode  findet  nach  C  a  n  1 1  i  e  auch  ihre  Anwendung 
bei  Hohlorganen,  wie  Magen  und  Blinddarm.  Die  Schwierig¬ 
keiten.  die  sich  manchmal  einstellen,  wenn  man  entscheiden 
will,  ob  das  augenblicklich  gefühlte,  volle  und  bewegliche 
Zoekum  oder  Kolon  nicht  vielleicht  eine  herabgesunkene 
Wanderniere  ist,  können  mit  dieser  Methode  sofort  behoben 
werden.  Ebenso  kann  der  Verlauf  des  Dickdarms  vom 
Zoekum  bis  zur  Medianlinie  noch  verfolgt  werden. 

Die  Ausdehnung  eines  graviden  Uterus,  einer  Ovarial- 
zyste,  eines  Uterusfibroms,  einer  ausgedehnten  Gallenblase 
kann  durch  die  Stimmgabel-Stethoskop-Methode  festgestellt 
werden.  Ebenso  ist  die  Methode  anwendbar  bei  Frakturen, 
wenn  man  die  Knochen  der  gesunden  Seite  mit  den  fraktu- 
rierten  vergleicht.  Besonders  angenehm  ist  dies  bei  Rippen¬ 
frakturen.  Bei  diesen  muss  man  das  Stethoskop  möglichst 
nahe  an  der  Wirbelsäule  auf  die  Rippen  aufsetzen  und  die 
Stimmgabel  möglichst  weit  vorn  auf  der  Brustseite. 

Weniger  günstig  scheinen  mir  die  Resultate  bei  der  Be¬ 
stimmung  der  Herzgrenzen  zu  sein,  da  meines  Erachtens 
Sternum  und  Rippen  zu  stark  mitschwingen.  Es  gelang  mir 
nur,  nach  oben  und  unten  die  absolute  Herzdämpfung  abzu¬ 
grenzen.  Cantlie  will  aber  auch  beim  Herzen  cito  et  tuto 
günstige  Resultate  erzielt  haben. 

Ebenso  will  er  die  Tonhöhe  bei  Fettleber  von  der  Tonhöhe 
einer  zirrhotischen  Leber  gut  unterscheiden  können.  Dieser 
Gedanke  berührt  sich  wieder  mit  der  Phonometrie  von  Baas. 
Mir  fehlen  darüber  noch  weitere  Erfahrungen;  auch  Cantlie 
hat  noch  nicht  genügend  Material  gesammelt,  um  die  für  be¬ 
stimmte  Organerkrankungen  spezifischen  Tonstärken  schon  in 
ein  wissenschaftlich  einwandfreies  Schema  bringen  zu  können. 

Zur  Vermeidung  von  Fehlerquellen,  die  durch  die  Respi¬ 
ration  und  die  durch  sie  bedingte  Organverschiebung  ent¬ 
stehen  könnten,  pflege  ich  die  Untersuchung  bei  stillstehender 
Atmung,  am  besten  in  der  verlängerten  Atempause  nach  der 
Exspiration  vorzunehmen. 

Bemerken  möchte  ich  noch,  dass  Cantlie  seine  Methode 
mit  Röntgenstrahlen  kontrolliert  und  bestätigt  gefunden 
haben  will. 

Fragen  wir  nun  nach  der  wissenschaftlichen  Erklärung 
des  Phänomens,  so  ist  zunächst  zu  sagen,  dass  die  Schwin¬ 
gungen  der  angeschlagenen  Stimmgabel  sich  auf  das  von  ihr 
berührte  Körperorgan  in  derselben  Tonhöhe  fortpflanzen,  wie 
ich  mich  von  dem  hiesigen  Physiker  habe  belehren  lassen. 
Dieselben  Schwingungen  werden  durch  das  auf  das  Organ  auf¬ 
gesetzte  Stethoskop  laut  und  deutlich  gehört,  weil  das  Organ 
wie  ein  Resonanzboden  wirkt.  Ueberschreitet  aber  die  Stimm¬ 
gabel  die  Grenzen  dieses  Organs,  so  werden  die  Schwingungen 
tatsächlich  von  dem  freien  Ende  der  Stimmgabel  direkt  durch 
die  Luft  an  das  Ohr  getragen,  also  ohne  einen  verstärkenden 
Resonanzboden.  Obwohl  sie  also  einen  näheren  Weg  zurück¬ 
legen,  klingen  sie  aus  diesem  Grunde  tatsächlich  wie  aus  weiter 
Ferne  kommend.  Man  kann  das  an  zwei  nebeneinander  ge¬ 
legten  Schweinsblasen  studieren,  die  mit  einem  weichen  Leder 
überdeckt  sind.  (Demonstration  des  Versuchs.)  Die  Organe 
schwingen  nur  insoweit  mit,  als  sie  der  Bauch-  bzw.  Brustwand 
anliegen  oder  an  dieselbe  angedrückt  werden. 

Es  wäre  interessant,  die  Schwingungen  des  im  Stethoskop 
fortgeleiteten  Stimmgabeltones  durch  die  empfindliche  Gas¬ 
flamme  aufzuzeichnen  und  mit  den  Schwingungen  der  Stimm¬ 
gabel  zu  vergleichen,  ein  Gegenstand,  der  einer  Doktorarbeit 
wert  wäre. 

Um  einen  Vergleich  von  S  t  i  c  k  e  r  zu  gebrauchen  und 
auf  unseren  Fall  anzuwenden,  so  wird  das  Klavier,  das  mir 
aus  einem  verschlossenen  Raum  her  leise  tönt,  lauter,  wenn 
ich  die  Türe  öffne  und  ebenso  wenn  der  Spieler  stärker  an¬ 
schlägt.  Ich  unterscheide  aber  ganz  deutlich,  ob  das  eine  oder 
das  andere  geschieht.  Bei  der  Stimmgabel-Stethoskop-Methode 
wird  das  Instrument  von  dem  Untersucher  gleichlaut  ange¬ 
schlagen,  einerlei,  ob  er  es  dann  erst  auf  das  auskultierte 


Organ  oder  erst  auf  ein  Nachbarorgan  aufsetzen  will.  Das 
Aufsetzen  der  Stimmgabel  auf  das  auskultierte  Organ  wirkt 
wie  das  Oeffnen  der  Türe  des  Klavierzimmers.  Der  Ton  wird 
sogar  auch  dann  deutlicher  gehört,  wenn  die  Stimmgabel  erst 
auf  ein  Nachbarorgan  und  dann  auf  das  auskultierte  Organ  ge¬ 
setzt  wird,  d.  h.  wenn  die  Stimmgabel  schon  einige  Zeit  ge¬ 
klungen  hat  oder,  um  in  unserem  Bilde  zu  bleiben,  wenn  der 
Klavierspieler  leiser  angeschlagen  hat. 

Man  könnte  nun  einwenden,  dass  die  anatomische  Struktur 
des  Brustkorbes  den  Schall  beeinflusst.  In  der  Tat  klingt  der 
Ton  der  Stimmgabel  auf  den  Rippen  etwas  stärker,  als  wenn 
sie  auf  den  Interkostalraum  aufgesetzt  wird.  Die  Brustwand 
als  ganzes  ist  aber  nicht  ausschlaggebend,  da  die  physikali¬ 
schen  Eigenschaften  des  Schalles  massgebend  sind. 

Interessant  wäre  es,  wenn  ausser  den  inneren  Medizinern 
und  Chirurgen  auch  die  Gynäkologen  die  Methode  nachprüfen 
wollten.  Ich  könnte  mir  denken,  dass  ein  Uterustumor  von 
einem  Beckentumor  mit  Hilfe  der  Stimmgabel  auch  dann  noch 
gut  abgegrenzt  werden  kann,  wenn  andere  Methoden  ver¬ 
sagen.  Einen  weiteren  Vorteil  bietet  die  Stimmgabel  bei  der 
Auskultation  der  eigenen  Körperorgane,  wovon  sich  jeder 
Kenner  überzeugen  kann,  der  ein  doppeltes  Stethoskop  be¬ 
nutzt.  Sie  hat  ausserdem  den  Vorzug  der  Billigkeit,  denn  eine 
C2-Stimmgabel  ist  für  1  M.  und  ein  binaurikuläres  Stethoskop 
für  3.50  M.  zu  erhalten. 


Versuche  mit  dem  Ni  coli  eschen  Gonokokkenvakzin 

(Dmegon). 

Von  Dr.  Hugo  Müller  in  Mainz  und  Dr.  Ernst  Bender 

in  Wiesbaden. 

Nach  der  Entdeckung  des  Gonokokkus  hat  N  e  i  s  s  e  r  eine 
zielbewusste  Gonorrhöetherapie  auf  die  örtliche  Anwendung 
der  Silbersalze  begründet.  Von  anorganischen  zu  den  ver¬ 
schiedensten  organischen  Verbindungen  übergehend,  hat  diese 
Behandlungsart  in  ihren  verschiedensten  Anwendungsformen 
Erfolge  gezeitigt,  mit  denen  der  Praktiker  bis  zu  einem  ge¬ 
wissen  Grade  zufrieden  sein  könnte.  Der  Prozentsatz  unge- 
heilter  oder  scheinbar  unheilbarer  Fälle  sank  von  Jahr  zu  Jahr. 
Doch  blieb  eine  bestimmte  Zahl  immer  rezidivierender  Gonor¬ 
rhöen,  die  weder  durch  neuere  und  neueste  Silbersalze,  noch 
durch  Adstringentien,  weder  mit  Hilfe  der  verschiedensten 
Balsamika,  durch  mechanische  Behandlung,  noch  durch  Ruhe 
oder  öfteren  Wechsel  der  Therapie  zur  Heilung  zu  bringen  war. 

—  Wir  wissen,  dass  die  Misserfolge  darauf  zurückzuführen 
sind,  dass  unsere  Heilmittel  nicht  an  die  Stellen  gelangen,  wo 
sich  Gonokokken  abgekapselt  festsetzen,  und  so  jeder  Zeit  neue 
Rückfälle  oder  scheinbare  Neuinfektionen  verursachen  können. 
Die  häufigsten  Schlupfwinkel  für  die  Gonokokken  sind  die 
Prostata,  die  Nebenhoden  und  die  verschiedenen  Infiltrate  i  n, 
u  m  und  neben  der  Harnröhre.  Für  diese  Krankheitsformen 
bedeutet  die  im  Jahre  1909  inaugurierte  aktive  Immuni¬ 
sierung  bei  gonorrhoischen  Prozessen  einen  ungeheuren 
Fortschritt.  Das  Ideal  dieser  Therapie,  für  jeden  Fall  seine 
Autovakzine  herzustellen,  ist  dem  Praktiker  unmöglich,  aber 
auch  für  die  Kliniker  nur  in  vereinzelten  Fällen  erreichbar. 
Die  seither  meist  verwandten  polyvalenten  Vakzinen  —  wie 
das  Arthigon  und  Gonargin  (über  andere  fehlt  uns  die  persön¬ 
liche  Erfahrung)  —  leisten  in  der  Tat  bei  vielen  Fällen  von 
Komplikationen  und  Metastasen  der  Gonorrhöe  recht  Er- 
spriessliches.  Leider  aber  bleiben  uns  immer  noch  eine  Zahl 
solcher  Erkrankungen,  wo  uns  diese  Vakzinen  auch  bei  lan« 
fortgesetzter  und  intravenöser  Anwendung  im  Stiche  lassen. 

—  Wir  haben  deshalb  das  Nicollesche  „a  toxische 
Gonokokkenvakzin“  Dmegon  in  Fällen,  wo  Arthigon 
und  Gonargin  versagt  hatte,  und  in  anderen,  in  denen  wir  die 
gerühmte  „Ungiftigkeit“  prüfen  wollten,  versucht.  —  Wenn 
das  Resultat  auch  nicht  ein  solches  ist,  dass  wir  in  dem  neuen 
Präparat  nunmehr  das  Mittel  der  Wahl  zu  haben  glauben,  so 
ist  es  doch  angezeigt,  unsere  Resultate  zu  veröffentlichen,  um 
eine  Nachprüfung  an  grösserem  Materiale  und  vor  einem 
grösseren  Forum  zu  veranlassen.  —  Es  wurden  im  ganzen 
18  Gonorrhöekranke  und  eine  Arthritis  non  gonorrhoica  mit 
Dmegon  behandelt.  Jene  umfassen:  5  Versuche,  akute 


28.  Juli  19I-L 


MUENCHENER  MEI )IZ1N1SC  1J E  WOCH ENSCH R I ET. 


11 11  k  o  m  p  I  i  z  i  e  r  t  e  erste  Gonorrhöen  zu  heilen  oder 
zu  beeinflussen. 

Dünn  folgende  Komplikationen  bzw.  Metastasen: 

6  Fälle  gonorrhoischer  Prostatitis  bzw.  Prostataabszess 
2  halle  gonorrhoischer  Epididymitis. 

2  Fälle  echter  gonorrhoischer  Arthritiden. 

1  Fall  Gonorrhöe  mit  Beteiligung  der  Pars  posterior  (ohne 
Erkrankung  der  Prostata). 

I  Fall  von  Spermatozystitis  +  Pyelitis  (?) 

I  Fall  gonorrhoischer  Pyelitis  +  Nephritis. 

■  ,  G,',e  ,lctzten  Fälle  bieten  besonderes  Interesse  und  seien 
deshalb  kurz  geschildert: 

Fall  1.  Landwirt,  27  Jahre. 

Subakute  Gonorrhoe  ant.  posterior  +  Gk.,  Prostataabszess 
i  r  Gk..  ausserdem  Gram-positive  Kokken. 

M  Scit  7  Monaten  in  spezialistischer  Behandlung,  Spülungen, 
assage,  I  mthermie.  Zwei  Serien  von  Arthigoninjektionen  ä  4  g. 
]!L  breLfYon*  Gonargininjektionen,  dabei  5  mal  250  Millionen 

Keime.  ,  tets  starke  allgemeine  und  lokale  Reaktion  —  ohne  jede 
Wirkung.  Vom  3.— 9.  März  4  Dmegon  intramuskulär.  Lokal  keine 
2™cfTerdfn’,  kem,e,  .  Temperatursteigerung.  Nach  2.  Injektion 
Irostuta  stark  verkleinert,  Ek.— Gk.;  Sekretion  hat  aufgehört,  in 

"IT  nk'iTGk'  S5it  9  März  ständig  überwacht,  trotz 
provokatorischer  Dehnung  und  Prostatamassage  rezidivfreie  Heilung 

Fall  2.  Offizier,  32  Jahre. 

Gonorrhoische  Prostatitis  seit  7  Jahren.  ' 

Letztes  Jahr  konsequent  spezialistisch  behandelt,  darunter 
eArthigonimekt'onen  erfolglos.  28.  II.  Massiges  Urethralsekret  Ek , 
Ep.-Gk„  Strictura  urethrae,  Prostata  +  Gk.,  Ek.  Urin  I.  II.  III.  trübe. 

Ilierapie:  Spulungen  mit  Permanganat.  Massage.  Vom  2  III _ 16  III 

6  Dmegonmjelitionen.  Nach  dritter,  Sekret  sehr  spärlich;  Prostata 
dann.  dauernd  gonokokkenfrei;  Strikturbehandlung.  Seit 
23.  III  Therapie  ausgesetzt,  fortgesetzt  kontrolliert.  Besonders  zu 
bemerken  dass  die  ursprünglich  höckerige  Prostata  jetzt  eine  gleich- 
mässige  Konsistenz  und  keine  Knoten  mehr  zeigt. 

Fall  3.  Kaufmann,  39  Jahre. 

Gonorrhoea  subacuta;  Prostatitis  (+  Gk.),  Epididymitis  seit 
6  Monaten  bestehend.  8  Arthigoninjektionen  erzielen  einen  Erfolg  auf 
I  iostata  und  Epididymitis.  Dagegen  Urethralsekret  +  Gk.  Urin 
trübe  I.  II.  III  trotz  Ruhe  und  Spülungen.  Vom  9.  III.— 23.  III. 
ail  >Fle1Äon*njeIU1Rr,®51  mit  der  Wirkung  völliger  Heilung.  Trotz 
Gk  und  Ek6'  Kohabltationen  und  Redens  dauernd  seither  frei  von 

Fall  4.  32 jähriger  Zahntechniker. 

Tmi!l0n°TTh0e  -Urd..Pr?statAtis  ^  Gk>)  bestehen  seit  über  2  Jahren. 

1  rotz  aller  speziahstischen  Vorbehandlung  Gonokokken  immer  wieder 
er.  chienen,  aus  Prostata  stammend.  Zuletzt  6  Arthigon-  (wovon  2  intra¬ 
venös)  und  4  Gonargininjektionen  erfolglos.  Vom  14.— 22.  III  5  Dmegon 
bei  gleichzeitigen  Argentaminspülungen.  Seit  18.  III.  andauernd  frei 
von  Gonokokken,  bei  ständiger  Ueberwachung  trotz  Provokationen. 
Fall  5.  28 jähriger  Reisender. 

i/  GonoHrrb?e  P°st-  +>  Prostatitis  acuta.  Infektion  vor 

4  Jahr.  Heftige  Strangurie.  Urin  I.  II.  III.  trübe.  Vor  den  Injektionen 
'  läge  Bettruhe  ohne  wesentliche  subjektive  oder  objektive  Besse- 
,  nieKöninjektionen.  Nach  2  Injektionen  Strangurie  ver- 
ichwunden,  Urin  in  III.  Portion  klarer,  nach  3.  Injektion  dauernd  klar, 
m  Hrostatasekret  lassen  sich  nunmehr  keine  Gonokokken  mehr  nach 


1677 


klar;  3  Dmegon  abends  38,2°.  20.  III.  kein  Sekret,  Fäden  Ek -Gk  • 

schicclencr  Provokationen.  ‘3leibt  °hne  öel,andlun£  ces“"d-  <"><*  ™  : 
Fall  9.  24  jähriger  Offizier. 

weisbar4  erklank?"  an!‘  V0\L  +  Gk':  Prostata  nicht  nach- 

eisnar  erkrankt.  Seit  3  Monaten  Arthritis  gonorrhoica  genu  et 

Urethra^nlrhf36'  "V  1  Dmte>n:  d“bei  lokale  BeEdtaTde 

sch  veliur  vo  an‘erbrochfn-  20-  '•!.  2.  Dmegon.  21.  III.  Celenk- 
scinvellungen  sehr  zuruckgegangen.  22.  III.  und  24  III  je  eine 

therapie  mit  mL  Jele"k-e  schmerzlos  beweglich,  so  dass  eine  Uebungs- 
geheift  aher  Ä*?*  %n^et  werden  kann.  Gonorrhöe  noch  nicht 
,v’  nl,  In'etzter  Zeit  Gk.  nicht  mehr  gefunden.  (Nachtrag:  seit 
12 '  V'  Gonorrhoe  auch  anscheinend  geheilt,  noch  in  Beobachtung.) 
Fall  10.  40jährige  Patientin. 

ArthHHr°rrh0e\U!'et,irae  an«eblich  seit  6  Wochen.  Seit  4  Wochen 
A?9  VI  T°nh0’Ca  manus  dextr.  (Ankylose).  Ohne  Behandlung, 
o™  f'i-M  U  Gmegon  (Dr.  P  u  p  p  e  1  -  Mainz).  Am  folgenden  Tag 
Beweglichkeit  sehr  gebessert.  14.,  17.  und  20.  IV.  je  eine  DmevoS 
Fip]die  9Intaalmuskulatur.  Minimale  örtliche  Beschwerden  kein 

Flexi6orn0<unrdS°Fxtfms'AIlg^me'nerSCk?iniinsen'  Der  VergIeich  zwischen 
r(u£‘°n  and  Extension  des  gesunden  linken  und  seither  kranken 

ifnhoteS  Handgelenks  ergibt  am  20.  IV.:  Flexion  links  120°  rechts 
130  »,  Extension  links  100»,  rechts  143».  Die  Bewegung  is(  also  nur 
noch  in  geringem  Masse  beschränkt.  (Gez.  Dr.  Puppe  1.) 

Fall  11.  27  jähriger  Koch. 

Subakute  Gonorrhoea  ant.  +,  posterior  +.  Urin  I  II  III  trübe 
”'CS  -achwaisbar  krank.  Lokale  Therap  e  ausge  2, 
Re  T;  •  D™egg\  b  Stunden  später,  während  Patient  zu 

Ordination  eRlei  F!,eber  b-IS  39\2  ’’  schmerzen  im  linken  Nebenhoden, 
urüination.  Bleiwasserpriessmtz;  Ruhe.  16.  IV.  Schwellung  nicht  zn 

beL0ertmSchJS7eratUr  38’2  i  abends*  ,7‘  IV-  Allgemeinbefinden  ge-' 

befseH;.  Schwellung  unverändert.  2.  Dmegon.  18.  IV  Schwellung 
wesentlich  geringer,  fast  nicht  mehr  empfindlich.  Urin  in  beiden 

Keh!L°n  cf  v  a+-’  Sekrel~  Qk'  19-  W.  3.  Dmegon.  21.  IV.  4.  Dmegon 
ne'H  Sekretlon  mehr’  in  Filamenten  andauernd  nur  Ek  —  Gk 

didymUfühXaf"2  geri"ReS  CtWa  erbsengrosses  Infiltrat  in  der  Epi-' 

E  a  1 1_  12.  23  jähriger  Techniker. 

Vor  5  Monaten  erste  Gonorrhöe  begonnen,  letzt  anterior  nnrl 
posterior  und  leichte  Prostatitis.  17.  III.  ernstliches  Krankheitsgefühl 

^bn-eruenrbeiderSe-tS  m  Nierengegend.  Urin  I.  II.  III.  trübe.  Mikro¬ 
skopisch  Gram-positive  und  negative  Kokken.  Im  Zentrifugat- 

probe" 6  Ansfai?r'  Der  fl,ltriarte  Urin  ergibt  reichlich  Eiweiss  bei  Koch- 
?  naC1  Essigsäure  und  Ferrocyankali  sehr  stark. 

deflKw ffAPl!SvaUTeH  Gründen  Verlegung  nach  der  Hautabteilung 
gesc  üchte  kt  Krankenhauses.  Der  folgende  Auszug  der  Kranken- 
geschichte  st  von  dem  dirigierenden  Arzt  Herrn  Dr.  Epstein 
gutigst  uberlassen:  23.  III.  2.  Dmegon,  abends  37,6°.  25.  III.  3.  Dme¬ 
gon,  abends  3J,8  27.  III.  4.  Dmegon  abends  36,8°.  30.  III  5  Dme¬ 
gon  abends  36,5  “  Vom  26.  III.  bis  1.  IV.  werden  Protargolinjektionen 

menJ6  Pi ÜeV0rgemf] ht  In  de"  ersten  Tagen  Sekret  und  Urinsedi¬ 
ment  Ek.  +  Gk.;  dann  nur  Ek.  — Gk.  Urin  anfangs  in  beiden 
Porfonen  trübe,  am  25.  III.  2.  klarer;  27.  III.  ganz  klar.  Kein  Eiweiss 
mehr  im  Urm.  Prostata  normal.  (Gez.  Dr.  E  p  s  t  e  i  n.)  Seitdem  bis 
15.  IV.  dauernd  kontrolliert  und  gesund  geblieben. 


.ve,sen  Ueberraschend  schnelle  Resorption  der  Prostataschwellung 
sämtliche  Urmportionen  verbleiben  klar.  Sekret  der  Ant.  leicht 
>chleimig,  aber  !  Gk.,  so  dass  Lokalbehandlung  notwendig  wird. 

F  a  1 1  6.  42  jähriger  Kaufmann. 

Seit  ca.  12  Jahren  Gonorrhöe.  Epididymitis  dpi.  vor  10  Jahren, 
zoosperm le,  Urethralstriktur  vor  5  Jahren  konstatiert.  Wegen 
ikuten  Prostatarezidivs  vor  7  Monaten  (Ek.  +  Gk.)  8  Arthigon- 
uckuonen  ?>bne  Erfolg.  Vom  5. — 15.  III.  5  Dmegoninjektionen  kom- 
miert  mit  I  ermanganatspülungen,  Dilatationen  und  Massagen  Gk 
n  l  rostatasekret  verschwunden;  nach  vorausgegangener  Dilatation 
ber  wieder  im  Anteriorsekret  aufgetreten.  Seit  ca.  3  Wochen  Ek.— Gk 
ach  Spülungen  mit  Argentamin. 

Fall  7.  26 jähriger  Lehrer. 

~uta  iS0?  HnfmS  MrZ'  1L  *U\Ant-  +  Qk>;  ’S-  HI.  Epididymitis 
"a  UrT  E  U.  III.  trübe.  1.  Dmegon,  abends  40,1°,  enorme  Pro- 
t  ahon  (tlurch  Fieber?);  21.  III.  kein  Sekret  mehr,  Urin  klar: 
.hmerzfren  Schwellung  im  Rückgang.  2.  Dmegon,  abends  39,7°; 
x  H!  Qeschwulst  im  Rückgang,  Urin  I.  II.  III.  klar,  Ek.-Gk.  3.  Dme- 

’  anen^s  38,8  Seit  17.  III.  lokale  Behandlung;  unter  ständiger 
entrolle  dauernd  geheilt. 

Falls.  32  jähriger  Kaufmann. 

\or  9  Jahren  erste  Gonorrhöe;  jetzige  seit  7  Wochen;  —  Gk., 
aKe*nL  EbM’dvmitis  sinistra  aufgetreten.  Ruhe,  Bleiwasser- 
icssnitz.  Abendtemperatur  39°.  Ausstrahlende  Schmerzen.  14.  III. 
Dmegon;  Abendtemperatur  38,5°  (6  Stunden  post  injectionem) 

'•  V.V  AllKcmembefinden  gebessert,  keine  Schmerzen,  abends  37,7°. 

•  II.  -.  Dmegon,  Schwellung  bis  auf  geringes  Infiltrat  zurück- 
langen,  abends  37,8°.  18.  III.  beschwerdefrei,  Gk.  ??,  Urin  I.  u.  II. 


F  a  1 1  13.  42  jähriger  Kaufmann. 

T  „miStiarrei  Pupi!Ien-  minime  Patellarreflexe,  WaR.  Blut  negativ, 
Lumbalpunktion  verweigert.  Vor  2  Jahren  akute  Nephritis. 

Seit  1900  Ehegonorrhöe.  Aus  Angst  vor  der  Behand- 
lung  nie  längere  Therapie.  Jede  Untersuchung  ergab  +  Gk  in 
Prostata  und  m  Samenbläschen.  Am  26.  III.  14  Ant.-Sckret  +  Gk 
H-nnTIj'  Ik  1  •,tr!lbne:  Prostatitis,  Spermatozystitis  Ek.  ++  Gk.  Vom 
/6.  111— 2.  IV  4  Dmegoninjektionen,  Urin  etwas  klarer.  Am  2.  IV. 
erste  Lokalbehandlung,  forcierte  Janetspülung  mit  Argentum  0,1 -400  0 

£evf4nH  Vt?|ark-te  lTU^.g  L  IL  IIf  :  k]?-gt  über  Schmerzen  in  Nieren- 
Urfn  entleerT^ ^eise  Retention,  mit  Katheter  50  ccm  trüber,  neutraler 
Urin  entleert.  Ek.  +  Gk.;  ausserdem  Bakterien  von  Kolitypus 
Rechtes  Samenblaschen  starker  geschwollen.  Stuhlverhaltung,  keine 
Shangurie.  Ordination:  2  mal  täglich  Diday  und  Urotropin  5  g  p.  d. 
L'n  wl  10ch  i9,meK011-,  Wahrend  der  letzten  Injektionen  Trübung 

ÄftWihe  la6ha  M"rU?geganKen’  IL  und  IIL  Portionen  nur  noch 
leicht  trübe  Samenblaschen  weniger  geschwollen,  Befinden  sehr  ge¬ 
bessert.  Ab  7  IV.  keine  Lokalbehandlung.  Es  bedurfte  bis  zur  völligen 
k,arungdes  Urins  10  Dmegoninjektionen.  In  Summa  erfolgte  12 malige 
Vakzination.  Aus  p.  post.,  Prostata,  Samenblase  gelingt  cs  keine  Gk 
mehr  zu  entdecken.  In  Anterior  noch  am  26.  IV.  +  Gk.  Kom¬ 
plikationen  sind  sämtlich  verschwunden  entsprechend  palpatorischem 

Reaktion  zu?  Folg“)  '"W'1"*™  allgemeine,  starke 

F'all  14.  19 jähriger  Fahnenjunker. 

Gonorrhoea  subacuta  anterior  posterior. 

folsr.Midp^  NpSn|h  BcbandlunK’  da  nach  einem  Typhus  mit  nach¬ 
folgender  Nephritis  jetzt  noch  gelegentlich  Albuminurie  auftritt.  Um 
I  oieranz  von  Niere  auf  Dmegon  zu  prüfen,  am  12.  III.  eine  Injektion 
Dmegon.  Höchsttemperatur  38,8°;  grosse  Prostration,  geringe 

*)  Anmerkung  bei  der  Korrektur.  Wenige  Argen¬ 
tumspulungen  erzielten  nunmehr  volle  Heilung. 


Nr.  30. 


Schmerzen  im  Bein.  Da  Urin  II.  und  III.  klar  war  so  ist  Ejweissprobe 

leicht  vorzunehmen.  Es  erfolgt  24  ständige  leichte- RetÄ 
Foi  meiemente.  Da  diese  Symptome  wahrend  dauernder  Bettruhe 
auftraten,  schien  es  bei  der  Disposition  des  Patienten  ratsam,  von 
weiterem  Dmegon  Abstand  zu  nehmen.  Hier  sei  erinnert  an  Fall  13, 
wo  vorjährige  akute  Nephritis  bestanden  hatte  und  Dmegon  kein 
Albumen  auslöste;  ferner  an  Fall  12,  wo  eine  spezifische  Nieren- 
Schädigung  unter  Dmegon  prompt  heilte.  ...  ... 

Im  Anschluss  sei  über  einen  Fall  nicht  gonorrhoischer  Arthritis 

mit  Dmegoninjektionen  berichtet. 


Fall  15.  33  jähriger  Offizier. .  ,  ...  „ 

Vor  8  Jahren  erste  Gonorrhöe  +  Epididymitis.  Ein  Jahr  spater 
zweite  Infektion  (?)  Manöver,  Gonarthritis.  Vor  o  Jahren  nach 
Erkältung  (Uebungsritt)  Monarthritis  (grosse  Zehe),  Prostatamassage 
ohne  Schädigung  ertragen.  Vor  3  Jahren  Erkaltung  nach  Uebungs¬ 
ritt  einmalige  Prostatamassage.  Vorher  Urin  I.  II.  klar,  Filamente  Ek., 
Ep.,  Diplokokkenstäbchen.  Danach  schwere,  mehrere  Monate  dauernde 
Polyarthritis.  Seit  einem  Jahre  Ischias,  hnkcs  Fussgelenk  erkrankt 
und  Muskelrheumatismus.  Urin  I.  II.  klar,  in  Faden  Ek.,  Ep.,  D  p 
kokken  und  Stäbchen.  Ein  Versuch  mit  3  Dmegoninjektionen  hatte 

keinerlei  Effekt. 


Wir  haben  dann  weitere  4  Fälle  akuter  Gonorrhoe  und 
zwar  vorher  unbehandelte  1.  Infektionen  mit  Dmegon  injiziert. 
Anfangs  schien  es,  als  ob  das  makroskopische  Aussehen  und 
die  Menge  der  Sekretion  beeinflusst  würde.  Auf  die  Dauer 
wurde  aber  weder  eine  Beseitigung  der  Gonokokken,  noch 
eine  Abkürzung  des  Verlaufes  erzielt,  es  wurden  hier  pro  Fall 
nicht  mehr  als  6  Dosen  injiziert. 

Betrachten  wir  unsere  18  Fälle  kritisch,  so  hat  das  Dmegon 
mit  den  bisher  bekannten  Gonokokkenvakzinen  gemeinsam, 
zunächst  das  auffällige  Versagen  bei  der  ohne  Komplikation 
verlaufenden  Gonorrhöe  des  Mannes.  Dann  hat  es  im  Fall  ll 
(subakute  Posteriorgonorrhöe)  das  Auftreten  einer  Epididymitis 
nicht  zu  hindern  vermocht,  vielleicht  sogar  diese  provoziert 
—  allerdings  auch  deren  ungewöhnlich  rasche  Heilung  be¬ 
wirkt.  Auch  diese  unerfreuliche  Nebenwirkung  ist  von  an¬ 
deren  Vakzinen  bekannt. 

Dem  stehen  jedoch  unleugbare  Vorzüge  gegenüber:  1.  Wir 
haben  in  vielen  Fällen  mit  4—6  Injektionen  Komplikationen  und 
Metastasen  geheilt,  in  denen  jegliche  Therapie,  meist  auch  die 
seither  üblichen  Vakzinen  vollkommen  versagt  hatten.  -.  ln 
den  meisten  Fällen  wurden  diese  erfreulichen  Resultate  er¬ 
zielt  ohne  so  hohe  Temperaturen,  örtliche,  und  Allgemein¬ 
beschwerden  mit  hinnehmen  zu  müssen,  wie  wir  es  seither 
gewohnt  waren. 

Wie  erklären  sich  diese  Differenzen?  Für  die  erste  Frage 
schiene  es  am  naheliegendsten  anzunehmen,  dass  zufällig  im 
Dmegon  im  Gegensatz  zu  den  vorher  angewendeten  Vakzinen 
für  den  betreffenden  Fall  die  identischen  Gonokokkenstamme 
vorhanden  gewesen  sind.  Das  ist  durchaus  möglich,  aber  ein¬ 
facher,  und  gleichzeitig  die  zweite  Frage  erklärend,  erscheinen 
die  Erwägungen,  welche  für  N  i  c  o  1 1  e  bei  Herstellung  seiner 
Vakzine  massgebend  waren.  Das  Dmegon  ist  nach  ganz 
anderen  Prinzipien  als  unsere  üblichen  Vakzinen  hergestellt 
bzw.  zusammengesetzt.  Daher  können  auch  andere  Resultate 
erwartet  werden. 

Nicol  1  es  Augenmerk  war  darauf  gerichtet,  eine  mög¬ 
lichst  „atoxische“  und  doch  wirksame  Vakzine  zu  gewinnen. 
Nachdem  er  sich  von  der  Undurchführbarkeit  der  Besredka- 
methode  gegenüber  der  Gonorrhöe  überzeugt  hatte,  schlug  er 
folgenden  Weg  ein 


Um  die  Gonokokken  morphologisch  möglichst  unverändert  zu 
erhalten  und  sie  vor  Autolyse  zu  bewahren,  wurden  sie  in  Fluor¬ 
kaliumlösungen  (7,0:1000,0)  emulgiert.  —  Lebende  Gonokokken  oder 
solche,  die  durch  Aether  oder  Hitze  abgetötet  waren,  verursachten 
eine  heftige  Reaktion.  Diese  Giftwirkung  konnte  N  i  c  o  1 1  e  dadurch 
mildern,  dass  er  die  Gonokokken  auf  Nährböden  züchtete,  denen  er 
langsam  Pepton  und  Serum  entzog.  Dann  wandte  Nicolle  seine 
Aufmerksamkeit  dem  bekannten  Gram-positiven,  dem  Gonokokkus 
morphologisch  und  oft  auch  in  der  Lagerung  gleichen  Diplokokkus  zu. 
Dieser  wächst  zum  Unterschied  vom  Gonokokkus  auch  auf  serum¬ 
freiem  Nährboden  unter  Bildung  eines  Orangefarbstoffes.  Auf  den 
Menschen  übertragen  verursacht  er  keinerlei  Reaktion.  Sein  Vakzin 
aber  soll  nach  N  i  c  o  1 1  e  die  gleiche  Heilwirkung  auf  Gonorrhöe 
haben,  wie  die  echte  Gonokokkenvakzine.  Damit  wurde  trotz  seiner 
tinktoriellen  Verschiedenheit  eine  Verwandtschaft  mit  dem  Gono- 
kokkus  gemutmasst.  Diese  Erwägungen  brachten  N  i  c  o  1 1  e  auf  den 
Gedanken,  der  Vakzine  den  Gram-positiven  Kokkus  hinzuzufugen. 
Dieser  Kokkus,  den  er  Synokokkus  nennt,  soll  das  Vakzin 
atoxisch  gestalten. 


Ueber  die  Herstellungstechnik  gibt  er  folgendes  an:  Auf  einen 
Nährboden  von  100  Bouillon  0,4  Harnstoff,  2,0  Glykose ,  0,05  Phosphor- 
saU rcn  Ammoniak,  1,0  Kochsalz,  1,5  Agar  fügt  man  (und  zwar  au 
ie  5  ccm  dieses  Nährbodens)  Va  ccm  Kaninchenserum,  und  dies  impft 
man  mit  e  Sem  echten  Gonokokkenstamm,  der  auf  eineni  allmählich 
Smärm?"  gemachten  Nährboden  gezüchtet  . st  Der  Synokokkus 
wird  auf  demselben,  aber  serumfreien,  Nährboden  gezüchtet,  Naui 
24  Stunden  werden  die  Kulturen  in  der  früher  erwähnten  Fluor¬ 
kaliumlösung  emulgiert,  gewaschen,  ,zer!^lf^giehrk  ^  ^Syno- 
isoliert  zu  erhalten.  Dann  werden  sie  im  Verhältnis  von  y  syno 
kekken  auf  1  Gonokokkus  gemischt  und  titriert  auf  500  Millionen 
Kokken  Sro  Kubikzentimeter.  -  48  Stunden  Eisschrank  genügen,  um 
die  Vitalität  der  Kokken  zu  zerstören. 

Ohne  die  Einzelheiten  der  N  i  c  o  1 1  e  sehen  Ausführungen 
nachprüfen  zu  können,  fanden  wir  bei  wiederholter  Prüfung 
des  Präparates  stets  färbbare  Gram-positive  und  Gram¬ 
negative  Kokken.  Auch  fiel  es  uns  bei  einzelnen  Kranken  aut, 
dass  sich  im  Sekret  neben  echten  Gonokokken  auch  Gram¬ 
positive  in  aussergewöhnlicher  Menge  fanden.  Gerade  die^e 
Fälle  aber  waren  es  auch,  die  besonders  überraschend  gute 

Resultate  boten  (Fall  1,  Fall  12).  , 

Für  eine  spezifische  Vakzinwirkung  und  die  Notwendigkeit 
direkter  Einstellung  auf  den  jeweiligen  Krankheitserreger 
spricht  auch  Fall  13.  Hier  hatte  Urotropin  völlig  versagt. 
Dmegon-Impfung  führte  Besserung  herbei.  Komplette  Klärung 
erfolgte  aber  erst  bei  Kombination  weiterer  Dmegon-Ein- 
spritzungen  mit  Urotropin.  Mikroskopie  zeigte  hier  neben 

Gonokokken  Bakterien  vom  Kolitypus.  .. 

Ergäben  unsere  Resultate  keine  besonderen  Vorzüge  vor 
den  bisher  üblichen  Gonokokkenvakzinen,  dann  wurde  der  für 
deutsche  Verhältnisse  relativ  hohe  Preis  (5  M.  pro  dosi)  als 
erschwerend  für  die  Einführung  anzusehen  sein  ).  Aber 
Patienten,  die  von  der  allgemeinen  und  örtlichen  Reaktion 
nach  Arthigon  und  Gonargin  (allerdings  in  höheren  Dosen) 
schwer  mitgenommen  waren,  ertrugen  das  Dmegon  ungleich 
besser  Das  Präparat  kommt  in  einer  gleichbleibenden  Do¬ 
sierung  zur  Anwendung.  (Prof.  Nicolle  warnte  in  brief¬ 
licher  Form  vor  Steigerung  der  Dosis.) 

Dennoch  kann  diese  Vakzine  im  strengen  Sinne  des  Wortes 
nicht  als  atoxisch  gelten.  Der  Autor  will  zweifellos  nur 
diese  Bezeichnung  im  Vergleich  zu  den  übrigen  Vakzinen  an¬ 
gewendet  wissen.  Wirklich  hoheTemperaturen  zeigten 
nur  die  Epididymitiden.  Hier  aber  ergab  sich  auch  der  er¬ 
freuliche  Erfolg  sofort  in  anschliessender  Ausheilung  der  Ure¬ 
thralgonorrhöe  ohne  örtliche  Behandlung. 

Allgemein  reaktion  wurde,  wie  aus  den  Kranken¬ 
geschichten  hervorgeht,  bei  mehreren  Patienten,  im  Einzelfall 
zum  Teil  wiederholt,  festgestellt. 

OertlicheDruckempfindlichkeitan  Stelle  der 
Einspritzung,  wie  auch  das  bekannte  „Lahmheitsgefühl  im 
Bein  zeigte  sich  mehrfach,  aber  ganz  entschieden  weniger 
ausgesprochen,  als  bei  früheren  Präparaten. 

Herdreaktionen  waren  öfter  festzustellen  —  Bren¬ 
nen,  leichte  Schmerzhaftigkeit  —  vielleicht  gehört  hierher  die 
nach  der  Injektion  beobachtete  Epididymitis. 

Fassen  wir  unsere  Beobachtungen  zusammen,  so  kann 
Dmegon  dringend  empfohlen  werden: 

1.  Bei  Komplikationen  und  Metastasen  der  Gonorrhoe,  in 
denen  unsere  anderen  Vakzinen  versagt  haben;  ganz  besonders, 

2.  wenn  neben  echten  Gonokokken  Gram-positive  Diplo¬ 
kokken  von  gleichem  Typus  auftreten. 

3.  Bei  Fällen,  in  welchen  starke  allgemeine  und  örtliche 
Reaktionen  sich  verbieten.  Doch  gewährt  Dmegon  hier  keine 
absolute  Sicherheit. 

Soweit  reichen  unsere  bisherigen  Beobachtungen.  Eine 
volle  Bewertung  der  Nicolle  sehen  Vakzine  wird  sich  erst 
an  Hand  eines  grösseren  Materiales  ergeben. 


Anmerkung  bei  der  Korrektur.  Seit  Abschluss  der 
Arbeit  wurden  noch  15  Fälle  gonorrhoischer  Komplikationen  bzw. 
Metastasen  behandelt.  Diese  wurden  in  fast  allen  Fällen  günstig  be¬ 
einflusst.  Jedoch  erschien  die  Wirkung  auf  die  Gonokokken  der 
Urethra  noch  unverlässiger  als  in  den  oben  ausführlich  besprochenen 
Fällen.  Eingehende  Würdigung  dieser  Beobachtungen  behalten  wir 
uns  bis  zur  Sammlung  weiterer  Erfahrungen  vor. 


*)  Die  ersten  50  Injektionsdosen  stellte  in  dankenswerter  Weise 
die  Fabrik  Poulenc  freres,  Paris,  kostenlos  zur  Verfügung 


28.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Aus  dem  städtischen  Krankenhaus  Augsburg. 

Zur  operativen  Behandlung  der  Herzschüsse. 

Von  Dr.  Theodor  Müller,  Sekundärarzt. 

In  den  nunmehr  bald  20  Jahren,  die  es  eine  Chirurgie  des 
Herzens  gibt,  ist  erst  ungefähr  ein  halbes  Hundert  von  opera¬ 
tiv  angegriffenen.  Schussverletzungen  des  Herzens  bekannt 
geworden;  es  darf  daher  als  gerechtfertigt  erscheinen,  jeden 
einzelnen  neuen  Fall  ausführlich  zu  betrachten.  Die  Kranken¬ 
geschichte  eines  jungen  Mannes,  den  ich  im  August  vorigen 
Jahres  zu  operieren  Gelegenheit  hatte,  ist  folgende: 

Am  10.  August  1913,  nachmittags  kurz  vor  5  Uhr,  wurde  der 
15  Jahre  alte  Kaufmannslehrling  Hubert  K.  in  das  Augsburger  Kran¬ 
kenhaus  verbracht.  Fr  hatte  sich  ungefähr  %  Stunden  vorher  mit 
einem  kleinen  1  erzerol  einen  Schuss  in  die  Herzgegend  beigebracht. 
Nach  der  lat  begab  er  sich  noch  eine  Treppe  höher  und  erzählte  dort, 
dass  er  sich  geschossen  habe;  bald  darauf  wurde  ihm  schwindelig 
und  man  brachte  ihn  sogleich  ins  Krankenhaus.  Der  mittelgrosse, 
kräftig  gebaute  junge  Mann  war  sehr  blass,  Lippen  und  Wangen  leicht 
zyanotisch.  Die  Haut  war  kühl,  mit  kaltem  Schweiss  bedeckt.  Ra¬ 
dialpuls  war  nicht  zu  fühlen,  an  den  Karotiden  fühlte  man  einen  sehr 
beschleunigten,  regelmässigen,  schwachen  Puls.  Ueber  dem  Herzen 
hörte  man  nichts,  keine  Töne,  kein  Geräusch,  die  Herzdämpfung  war 
sehr  deutlich  ausgeprägt,  Schenkelschall  darbietend,  aber  nicht  ver- 
grössert.  Am  linken  Sternalrand,  dicht  am  Ansatz  des  5.  Rippen¬ 
knorpels  war  die  5  mm  im  Durchmesser  haltende,  kreisrunde  Ein¬ 
schussöffnung  zu  sehen,  aus  der  es  augenblicklich  nicht  blutete.  Da 
eine  Verletzung  des  Herzens  nahezu  sicher  war,  wurde  sofort  zur 
Operation  geschritten. 

Vorsichtige  Aethertropfnarkose,  Jodtinkturdesinfektion.  Senk¬ 
rechter  Schnitt  am  linken  Sternalrand  vom  3.  bis  5.  Rippenknorpel. 
Stumpfwinkelig  am  unteren  Ende  dieses  Schnittes  wird  ein  finger¬ 
langer  Schnitt  auf  der  5.  Rippe  geführt  und  diese  2J4  cm  lateral  von 
deren  Sternalrand  durchgekniffen.  Schnitt  im  Interkostalraum  und 
Aufklappen  dieses  nach  Kocher  umschnittenen  Lappens,  Ligatur  der 
Mammaria  interna.  Ablösung  des  M.  triangularis  am  Sternum  und 
stumpfes  Abschieben  der  unverletzten  Pleura  nach  lateral.  Es  zeigt 
sich,  dass  der  Schuss  hart  am  linken  Sternalrand  das  Brustbein  am 
Ansatz  des  5.  Rippenknorpels  durchbohrt  hat;  deshalb  wird  der  Rip¬ 
penknorpel  aus  dem  Sternalgelenk  ausgelöst.  Nunmehr  liegt  der  prall 
gefüllte,  dunkelschwarz  durchschimmernde  Perikardialsack  vor;  dicht 
am  Sternalrand  ist  ein  Loch  im  Perikard,  aus  dem  nun  ein  dünner 
Strahl  schwarzen  Blutes  springt.  Eröffnung  des  Perikards  und  Aus¬ 
räumung  der  Blutkoagula.  Das  Herz  schlägt  unregelmässig.  Die  Re¬ 
vision  der  Vorderwand  ergibt  im  rechten  Ventrikel,  je  1  cm  von  der 
inken  Kammer  resp.  dem  rechten  Vorhof  entfernt,  die  Einschuss- 
iffnung,  die  augenblicklich  nicht  blutet  und  mit  einem  Gerinnsel  be¬ 
leckt  ist.  An  der  Rückwand  des  emporgehobenen  Herzens  ist  keine 
Verletzung  zu  finden.  Naht  mit  3  Katgut-Knopfnähten,  die  Schlag- 
tolge  des  Herzens  ändert  sich  während  der  Naht  nicht  wesentlich, 
;s  zuckt  ebenso  unregelmässig  wie  vorher.  Bei  Anlegen  der  2.  Naht 
olutet  es  aus  dem  Einstich  ziemlich  heftig,  die  Blutung  steht  durch 
-ine  senkrecht  darauf  geführte  Umstechungsnaht.  Während  der  Ab¬ 
buchung  des  Herzens  und  dem  starken  Seitwärtsziehen  der  Pleura  ist 
liese  eingerissen.  Die  linke  Lunge  sinkt  zurück,  ist  nicht  verletzt, 
ler  Pleuraraum  leer.  Die  Lunge  wird  mit  3  Katgutnähten  an  die 
larietale  Pleura  angeheftet,  das  Perikard  und  der  Pleuraschlitz  mit 
(atguteinzelnähten  geschlossen  und  der  Lappen  zurückgeklappt, 
lautnaht  ohne  jede  Drainage. 

Infusion  subkutan  500  ccm  Kochsalz.  Nach  dem  Eingriff  guter, 
cräftiger  Puls,  auch  an  den  Radiales  zu  fühlen. 

Am  nächsten  Tag  leidliches  Wohlbefinden;  mässige  Atrnungs- 
lehinderung  durch  den  Pneumothorax.  Puls  120,  kräftig  und  regel- 
nässig,  Temp.  38,5.  Keine  Zyanose. 

Die  ersten  10  Tage  blieb  das  Befinden  bei  wechselnder  Tempera- 
ur  stets  gutem,  massig  beschleunigtem  Puls  gut.  Einmal  wurde  am 
lerzen  ein  synchron  mit  der  Diastole  hörbares,  schabendes  Geräusch 
lemcrkt,  das  am  nächsten  Tage  verschwunden  war;  der  Pneumo- 
horax  bildete  sich  verhältnismässig  rasch  zurück. 

Am  25.  VIII.  trat  hohes  Fieber  ein,  am  Herzen  wurden  die  Töne 
ut  gehört,  kein  perikardiales  Reiben,  keine  Veränderung  der  Herz- 
ampfung  kam,  die  linke  Lunge  zeigte  vesikuläres  Atmen  über  den 
beren  Partien,  ein  Erguss  war  nicht  nachzuweisen.  Dieser  Befund 
'3x  am  nächsten  Tag  auch  aufzunehmen;  an  der  Stelle  des  Ein- 
chusses  war  die  Haut  ein  wenig  gerötet  und  druckempfindlich. 

Am  27.  VIII.  stieg  das  Fieber  bis  40°,  aus  der  ehemaligen  Schuss- 
■  unde,  die  schon  verklebt  erschien,  entleerte  sich  missfarbenes,  trübes 
■ekret,  dessen  Menge  bei  leichtem  Druck  auf  die  Umgebung  zunahm, 
hese  sezernierende  Fistel  wurde  gespalten,  desgleichen  einige  Gänge, 

Ie  von  ihr  aus  in  das  umgebende  Gewebe  liefen,  so  dass  eine  stern- 
Kmige  Wunde  entstand.  Im  Zentrum  dieser  Wunde  war  in  der 
icfe  eine  Oeffnung  zu  sehen,  in  der  der  vorsichtig  sondierende  Klein- 
nger  die  Pulsation  des  Herzens  fühlte.  Ein  Gummidrain  wurde  ein- 
elegt  und  die  Inzisionswunde  locker  tamponiert. 

..  Die  Temperatur  fiel  auf  diesen  Eingriff  hin  und  blieb  bei  gutem 
'ohlbefinden  des  Patienten  ein  paar  Tage  in  normalen  Grenzen. 


Am  31.  VIII.  nachmittags  trat  heftiges  Stechen  rechts  hinten 
unten  ein,  Schüttelfrost  und  Fieber,  in  -den  nächsten  Tagen  entwickelte 
sich  eine  Pneumonie  im  rechten  Unterlappen.  Die  Wunde  an  der  Ein¬ 
schussöffnung  sezernierte  mässig  während  der  ganzen  Zeit,  Beschwer¬ 
den  seitens  des  Herzens  traten  nicht  ein. 

In  der  ersten  Hälfte  des  September  fiel  die  Temperatur  lytisch 
ab,  vom  15.  IX.  an  war  der  Patient  fieberfrei,  ab  20.  IX.  konnte  auch 
die  Drainage  an  der  Wunde  in  der  Brustwand  weggelassen  werden, 
der  Patient  konnte  aufstehen. 

In  der  Folgezeit  kam  es  noch  am  lateralen  Ende  des  unteren 
Lappenschnittes  zu  einem  Fadenabszess,  eine  Katgutligatur  stiess 
sich  ab,  Mitte  Oktober  bekam  dann  der.  Patient  noch  eine  follikuläre 
Angina,  die  er  rasch  überstand  und  am  25.  X.  konnte  er  endlich  ge¬ 
heilt  entlassen  werden. 

Das  kleine  Projektil  konnte  man  am  Röntgenschirm  nur  im  schrä¬ 
gen  Durchmesser  bei  einer  bestimmten  Stellung  des  Patienten  sehen, 
ca.  2  Finger  oberhalb  des  Zwerchfellschattens. 

Eine  Nachuntersuchung  an  Weihnachten  ergab,  dass  der  Patient 
sich  dauernd  wohl  und  beschwerdefrei  fühlte,  kein  Herzklopfen,  keine 
Herzbeklemmung  wurde  beobachtet.  Die  linke  Lunge  atmete  allent¬ 
halben  gut  vesikulär,  die  Herzdämpfung  war  nicht  verbreitert,  aber 
in  toto  um  1  Querfinger  nach  rechts  gerückt.  Auch  jetzt  noch,  ein 
halbes  Jahr  nach  der  Entlassung,  geht  der  junge  Mann  in  vollem 
Wohlbefinden  seinem  Berufe  nach,  der  ihm  allerdings  —  er  ist  Kauf¬ 
mann  —  schwere  körperliche  Arbeit  nicht  bringt. 

B  i  r  c  h  e  r  hat  kürzlich  in  Langenbecks  Archiv  die 
Frage  aufgeworfen,  ob  die  Herzchirurgie  eine  radikale  oder 
konservative  sein  müsse.  Er  teilt  2  Fälle  mit,  bei  denen  durch 
konservatives  Verfahren  Heilung  einer  unzweifelhaften  Herz¬ 
verletzung  eintrat.  Er  warnt  vor  der  aktiven  Therapie  für  alle 
Herzverletzungen  und  verlangt  Indikationsstellung  für  jeden 
einzelnen  Fall.  Es  ist  eine  bekannte  Tatsache,  dass  das  klein- 
kalibrige  Geschoss,  das  seine  Wunde  ohne  Sprengwirkung 
setzt,  nicht  unbedingt  tödlich  wirken  muss;  Man  teuf  f  eis 
Beobachtungen  im  mandschurischen  Krieg  beweisen  das  zur 
Genüge.  Man  kann  sich,  wie  B  i  r  c  h  e  r  auseinandersetzt,  gut 
vorstellen,  dass  ein  derartiges  Geschoss,  auf  den  eben  in 
Systole  befindlichen  Herzmuskel  auftreffend,  einen  so  feinen 
Kanal  bildet  und  so  geringe  Läsion  setzt,  dass  es  nicht  zu  dem 
gefährlichsten  Folgezustand  einer  nicht  sofort  tödlichen  Herz¬ 
wunde,  der  Herztamponade,  kommt.  Andererseits  weiss  man, 
dass  Spontanheilung  jedoch  gerade  bei  Schusswunden  selten 
ist  und  dass  überdies  Spontanheilungen  oft  nur  Scheinheilungen 
sind,  wie  Ewalds  Fall,  der  4  Wochen  nach  einer  solchen 
Heilung  plötzlich  an  Herzdruck  und  innerer  Blutung  starb, 
beweist;  Simon  berichtet  sogar  über  einen  Spättod  nach 
einer  4  Jahre  zurückliegenden  Herzverletzung.  Ausserdem 
können  bekanntlich  schwere  Verletzungen  nahezu  symptomlos 
verlaufen.  Beispiele  sind  wiederum  in  Simons  Arbeit ‘zu 
finden,  und  wir  werden  später  von  einer  solchen  Beobachtung 
berichten.  Aktives  Vorgehen  ist  daher  bis  auf  wenige  Aus¬ 
nahmen  wohl  als  Regel  zu  betrachten  auch  bei  Verletzten, 
die  nicht  sofort  mit  schweren  alarmierenden  Symptomen  in 
unsere  Behandlung  kommen.  In  der  Indikation  zu  schleunigem 
Eingriff  bei  Zeichen  der  Herztamponade  herrscht  allgemeine 
Uebereinstimmung.  Die  Erscheinungen  dieses  Herzdruckes 
müssen  nicht  immer  vollzählig  sein:  kleiner  Puls,  präkardiale 
Angst,  Abschwächung  oder  sonstige  Veränderung  der  Herz¬ 
töne,  Schweissausbruch  werden  fast  stets  gefunden,  nicht  kon¬ 
stant  dagegen  ist  Verbreiterung  der  Herzdämpfung.  In  den 
Fällen  mit  Durchbohrung  des  Herzbeutels  und  Eröffnung  der 
Pleura  ist  dies  ja  sehr  einfach  mit  dem  Abfluss  des  vom  Herzen 
strömenden  Blutes  durch  die  Kommunikationsöffnung  zwischen 
Perikard  und  Pleura  zu  erklären;  die  zweite  Abflussmöglich¬ 
keit  des  angesammelten  Blutes  gibt  die  Einschussöffnung  selbst. 
In  diesen  beiden  Fällen  droht  dann  die  andere  grosse  Gefahr: 
die  Verblutung  in  den  Pleuraraum  oder  nach  aussen. 

In  unserem  Fall  gaben  die  Erscheinungen  der  Herztampo¬ 
nade  den  Anlass  zur  Operation1,  die  Blutung  nach  aussen  war 
gering  und  stand  bei  der  Einlieferung  ins  Krankenhaus  ganz. 
Verbreiterung  der  Herzdämpfung  fehlte  zwar,  doch  war  die 
Dämpfung  außergewöhnlich  intensiv,  Herztöne  waren  über¬ 
haupt  nicht  zu  hören,  der  Puls  klein,  nur  an  den  Karotiden 
fühlbar,  kalter  Schweiss  stand  auf  dem  ängstlichen  Antlitz  und 
bedeckte  den  ganzen  Körper.  Eine  entlastende  Eröffnung  des 
Perikards  war  also  dringend  nötig.  Dass  das  Herz  selbst  ver¬ 
wundet  war,  war  sehr  zu  vermuten;  der  Einschuss  an  dem 
Knorpelansatz  der  V.  Rippe  musste,  genügende  Durchschlags¬ 
kraft  vorausgesetzt,  den  rechten  Ventrikel  getroffen  haben.  In 


1680 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  30. 


dem  Schema  von  I  s  e  1  i  n  deckt  dieser  Punkt  des  Thorax¬ 
skelettes  genau  den  rechten  Ventrikel. 

Die  Nähe  des  Einschusses  am  linken  Sternalrand  und  die 
Tatsache,  dass  eine  Schussverletzung  vorlag,  hat  uns  veran¬ 
lasst,  die  benachbarten  Rippenknorpel  zu  durchschneiden  und 
die  Lappenmethode  zu  wählen.  In  den  neueren  Veröffent¬ 
lichungen  wird  für  die  meisten  Fälle  der  einfache  Zwischen¬ 
rippenschnitt,  eine  ausgiebige  Erweiterung  der  primären  Wunde 
nach  der  Quere,  empfohlen.  Zeidler,  der  über  eine  Reihe 
von  31  Herzoperationen  verfügt,  verwirft  alle  osteoplastischen 
und  Lappenmethoden  als  unmotiviert,  besonders  in  Fällen,  in 
denen  die  Verletzung  des  Herzens  selbst  nicht  einmal  absolut 
sicher  feststeht.  Er  gibt  jedoch  die  Anlegung  eines  Hilfs¬ 
schnittes  am  linken  Sternalrand  zu,  eventuell  mit  Rippen¬ 
resektion.  Er  scheut  sich  nicht  2 — 3,  im  Notfälle  auch  4  Rippen 
zu  resezieren,  um  eine  weite  Wunde  zu  bekommen.  Er  hält 
es  sogar  nicht  für  ausgeschlossen,  dass  das  Erhalten  der 
knöchernen  Brustwand  gar  nicht  von  Vorteil  ist  und  dass 
schon  deshalb  die  Resektion  einiger  Rippen  wünschenswert 
sein  kann;  die  Herztätigkeit,  die  schon  durch  perikardiale  Ver¬ 
wachsungen  gestört  wäre,  könne  durch  die  Starrheit  der  Brust¬ 
wand  noch  weiter  geschädigt  werden.  Die  Bildung  eines 
Lappens  ist  ja  ohne  Zweifel  zeitraubender;  wenn  das  Blut 
in  dickem  Strahl  aus  der  Brustwunde  spritzt,  ist  sicher  ein 
rasch  geführter  Interkostalschnitt  mit  Auseinanderziehen  der 
Wunde  am  geeignetsten,  um  sich  rasch  Zugang  zu  verschaffen; 
steht  jedoch  die  Blutung  bei  Beginn  der  Operation,  wie  bei 
unserem  Fall,  und  fehlen  jegliche  Zeichen  einer  Lungen-  und 
Pleuraverletzung,  ist  eine  Freilegung  des  Herzens  mit  einer 
der  Lappenmethoden,  die  mehr  wie  der  Interkostalsch.nitt  auf 
die  Pleura  Rücksicht  nehmen,  wohl  erlaubt.  Die  Uebersicht 
über,  das  Operationsgebiet  und  die  Beherrschung  der  Blutung 
ist  nach  Iselins und  Simons  Erfahrung  von  dem  W  ilms- 
schen  Interkostalschnitt  aus  ausgezeichnet.  Mehr  und  mehr 
wird  in  der  neueren  Zeit  der  Herzchirurgie  das  Sternum  mit¬ 
angegriffen  zur  Freilegung  des  Herzens.  W  i  1  m  s  gebraucht 
dessen  einfache  quere  Durchtrennung  bei  Verletzung  der  Herz¬ 
basis  und  des  rechten  Ventrikels,  Friedrich  eröffnet  das 
Mediastinum  von  einer  „Sternothorakotomia  transversa”  aus. 
Schon  bei  einigen  der  zahlreichen  älteren  Methoden  war  die 
Durchschneidung  des  Sternums  verlangt,  so  bei  Ry  di  gier, 
Pagen  Stecher,  W  ehr  und  Marion,  doch  war  hier  bei 
all  diesen  Verfahren  die  Durchschneidung  des  Brustbeins  nur 
ein  Teil  der  Bildung  eines  Lappens.  Seit  Wilms  Vorgehen 
scheint  die  Lappenmethode  allmähiig  verlassen  zu  werden  und 
ein  einfacher  Querschnitt,  je  nach  Bedarf  nach  links  bis  zur 
Axillarlinie,  nach  rechts  quer  durch  das  Sternum  geführt  als 
Zugang  zum  Operationsgebiet  benützt  zu  werden. 

Wieder  einen  anderen  Weg  zeigt  neuerdings  Rehn;  er 
macht  einen  Schnitt  parallel  dem  Rippenbogen,  sucht  die 
Hinterfläche  des  Sternums  zu  erreichen,  spaltet  dieses  der 
Länge  nach,  unter  Beiseiteschieben  beider  Pleurasäcke,  so 
hoch  hinauf  als  nötig;  eventuell  wird  am  oberen  Ende  dieses 
Längsschnittes  ein  einkerbender  Querschnitt  aufgesetzt.  R  e  h  n 
rühmt  die  ausgezeichnete  Uebersicht  durch  diese  Schnitt¬ 
führung.  Erst  kürzlich  wurden  auf  seiner  Abteilung  3  Fälle 
von  penetrierender  Herzverletzung  in  dieser  Weise  operiert, 
darunter  2  Herzschussverletzungen  (rechter  Ventrikel)  mit 
glücklichem  Ausgang. 

Die  Herznaht  bei  unseren  Patienten  wurde  mit  Katgut  ge¬ 
macht.  Es  geht  aus  der  Literatur  hervor,  dass  zwar  die  An¬ 
wendung  der  Seidennaht  etwas  überwiegt,  gutes  Katgut  jedoch 
auch  ohne  jeden  Nachteil  verwendet  wird. 

Auch  die  Frage,  ob  Herzbeutel  und  gegebenenfalls  Pleura 
drainiert  werden  soll,  ist  nicht  einstimmig  gelöst.  Borchard, 
der  eine  der  ersten  grösseren  Statistiken  veröffentlichte,  plä¬ 
diert  1906  für  Naht  und  für  Anwendung  der  Drainage  nur  bei 
infektionsverdächtigen  Fällen.  Zwei  Jahre  später  trat  S  a  1  o  - 
moni  ebenfalls  in  grösserer  Statistik  für  Drainage  (Zigaretten¬ 
drain)  ein.  Rehn  schlägt  vor,  Perikard  und  Pleura  zu 
schliessen;  ihm  folgten  die  meisten  neuen  Autoren,  von  denen 
Zeidler,  Simon  und  I  s  e  1  i  n  in  ausführlichen  Berichten 
den  Schluss  der  Wunde  empfehlen;  zu  den  Anhängern  der 
Drainage  zählt  B  i  r  c  h  e  r,  der  durch  Einlegen  eines  Drains  bei 
der  Wundversorgung  rechtzeitig  genug  auf  eine  gefährliche 


Nachblutung  aufmerksam  gemacht  wurde.  Er  betont  ausser 
dieser  Gefahr  auch  die  grosse  Infektionsmoghchkeit  bei  der 
Verletzung,  die  dann  Drainage  nötig  mache;  allerdings  gelte 
dies  mehr  für  Stich-  und  Schnittverletzungen.  Wir  hatten,  da 
die  Blutung  momentan  stand,  genügend  Zeit  zu  aseptischer 
Vorbereitung  der  Operation  und  trugen  kein  Bedenken,  die 
Wunden  zu  schliessen.  Ohne  Infektion  ging  es  aber  trotz¬ 
dem  nicht  ab;  es  war  nur  ein  Glück,  dass  diese  sich  nicht  im 
Perikard,  sondern  in  den  bedeckenden  Weichteilen  entlang  dem 
Schusskanal  etablierte.  Es  kam  so  nur  zu  einer  wenig  aus¬ 
gedehnten  phlegmonösen  Entzündung  in  dessen  Umgebung,  die 
durch  kleine,  sternförmige  Inzisionen  bekämpft  werden  konnte. 
Die  eröffnet  gewesene  Pleura  blieb  frei;  der  Pneumothorax 

resorbierte  sich  auffallend  rasch. 

Doch  blieb  unserem  Kranken  das  Schicksal  der  meisten 
Herzverletzten  nicht  erspart;  glatte  Heilung  ohne  Komplikation 
ist  sehr  selten;  Simon  berechnet  in  seiner  Sammelstatistik  | 
der  Herzschusswunden  nur  2  innerhalb  14  Jagen  glatt  geheilte 
Fälle  von  41  Beobachtungen!  Alle  anderen  zeigten  Komplika-  , 
tionen  seitens  der  Pleura,  des  Perikards  und  der  Lungen. 
In  unserem  Falle  trat  die  Lungenentzündung  sehr  spät,  erst 
3  Wochen  nach  der  Verletzung  auf  und  zwar  auf  der  gesunden 
rechten  Seite.  Bei  Ausbruch  der  Erkrankung  mit  Fieber  und 
Schüttelfrost  und  in  den  ersten  folgenden  Tagen  bestand  ziem¬ 
liche  Atemnot;  das  ist  sehr  erklärlich,  denn  der  pneumonische 
rechte  Unterlappen  war  von  der  Atmung  ausgeschaltet  und  die 
linke  Lunge  entfaltete  sich  infolge  des  Pneumothorax  doch 
noch  nicht  ganz  in  normaler  Weise. 

Die  Prognose  operierter  Herzschüsse  ist  im  allgemeinen 
nicht  schlecht;  man  findet  meist  Zahlen  wie  45—55  Proz.  Todes¬ 
fälle.  Seit  Simons  Arbeit  (1912),  welche  alle  bis  dahin  be¬ 
kannt  gewordenen  Operationen  bei  Herzschüssen,  41  mitl 
18  Heilungen,  umfasst,  konnte  ich  ausser  unserer  Be¬ 
obachtung  bis  heute  noch  9  Fälle  mit  8  Heilungen  finden 
(S  jöra  11,  Schlöffe  r,  Tedesco,  Lucas,  Häcker  ITI. 
Burkhard,  Ach,  Betke  [2  Fälle]).  Von  diesen  51  mir  bekannt 
gewordenen  Fällen  sind  27,  also  53  Proz.,  geheilt.  Diese  in  An¬ 
betracht  der  schweren  Verletzung  günstige  Zahl  mag  z.  T. 
dadurch  bedingt  sein,  dass,  wie  Zeidler  betont,  vorzugs¬ 
weise  geheilte  Fälle  veröffentlicht  werden;  man  wird  jedoch 
sagen  dürfen,  dass  nach  der  heutigen  Erfahrung  von  den  Herz¬ 
schussverletzten,  die  noch  rechtzeitig  zur  Operation  kommen 
die  Hälfte  gerettet  werden  kann. 

Anschliessend  sei  noch  ganz  kurz  über  eine  zweite  Herz¬ 
verletzung  referiert,  die  4  Wochen  vor  der  anderen  im  Kranken¬ 
haus  hier  zur  Beobachtung  kam  und  sowohl  als  gute  lllustra 
tion  zur  anfänglichen  scheinbaren  Gutartigkeit  einer  schwerer 
Herzverletzung  dient,  als  auch  wegen  der  Seltenheit  der  Aetio 
logie  interessant  ist. 

Ein  10  jähriges  Mädchen  wollte  ein  Glasdach  überspringen 
sprang  zu  kurz,  brach  durch  und  stürzte  noch  ca.  1  Stockwerk  tie 
hinab.  Es  trug  durch  die  Glasplatten  einige  kleine  Schnittwundet 
am  Kinn,  am  Gesäss,  am  rechten  Unterarm  und  in  der  Herzgegen' 
davon.  Es  begab  sich  noch  selbst  hinauf  ins  Haus  und  sprach  de 
sehr  erschrockenen  Mutter  noch  Trost  zu,  es  sei  ihr  gar  nicht 
Schlimmes  passiert.  Eine  Stunde  später  fühlte  es  sich  nicht  gan 
wohl,  der  kurzen,  nur  'A  cm  langen  Ritzwunde  in  der  Gegend  des  c 
linken  Interkostalraums  wurde  keine  Bedeutung  beigelegt.  Erst  wei 
tere  2  Stunden  später  kam  das  Kind  wegen  zunehmender  Verschhm 
merung  in  das  Krankenhaus.  Man  fand  bei  dem  hochgradig  anänu 
sehen  Kind  eine  kleine,  ziemlich  heftig  blutende  Stichwunde  ir. 
3.  linken  Interkostalraum,  die  Herzdämpfung  war  verschwunden,  di 
föne  gut  zu  hören,  der  Puls  unfühlbar;  der  Herzschlag  sehr  beschlei 
nigt,  140  Schläge.  Links  hinten  unten  war  Dämpfung  bis  zum  Skapi 
larwinkel  herauf.  ' 

Das  Kind  wurde  rasch  somnolent,  ohne  Narkose  wurde  durch  di 
Wunde  ein  Interkostalschnitt  geführt  und  senkrecht  darauf  am  lii 
ken  Brustbeinrand  ein  zweiter;  der  Ansatz  der  3.  und  4.  Rippe  wuri 
vom  Sternum  abgelöst.  Die  linke  Pleura  war  eröffnet,  die  Lun? 
kollabiert,  im  Pleuraraum  reichlich  Blut.  Der  Herzbeutel  zeigte  eil 
2  cm  lange,  quere  Schnittwunde;  er  wurde  eröffnet  und  nun  zeig 
sich,  dass  ein  spitzer  Glassplitter  den  linken  Ventrikel  durch  eil 
1  cm  lange  Wunde  eröffnet  hatte.  Das  Herz  schlug  nur  noch  schwac 
Die  Ventrikelwunde  wurde  durch  Seidennaht  unter  fortwährende 
heftigster  Blutung  verschlossen;  die  Blutung  stand.  Das  Herz  begai 
nach  der  Naht  wieder  stärker  zu  schlagen.  Die  Perikardialwunc 
wurde  vernäht;  die  Lunge  mit  ein  paar  Katgutnähten  entfaltet,  d 
Pleura  auch  verschlossen;  es  folgte  Naht  der  Hautwunde.  Kochsal 
infusionen  800  ccm.  Der  Puls  des  ausgebluteten  Kindes  war  nie 
:  mehr  fühlbar  geworden,  2 Yt  Stunden  nach  der  Operation  starb  d 


28.  Juli  1914. 


muenchener  medizinische  wochenschrif 


Kind.  Die  Sektion  zeigte  Anämie  aller  Organe.  In  der  Wand  des 
linken  Ventrikels,  nahe  dem 'Sulcus  coronarius,  zwischen  Scheide¬ 
wand  und  Seitenkante  sitzt  die  gut  verschlossene  Stichwunde  Sic 
führt  schräg  nach  rechts  innen  unten  durch  die  Herzwand,  die  Wunde 
im  Endokard  sitzt  zwischen  der  Wand  und  dem  Papillarmuskel  an 
dessen  Basis.  Die  3.  Rippe  zeigt  an  ihrer  unteren  Kante  eine  Schnitt¬ 
wunde,  der  (ilassplitter  hatte  sie  angeschnitten,  war  abgeglitten  und 
ins  Herz  gedrungen. 

Verletzung  des  Herzens  durch  einen  Glassplitter  habe  ich 
noch  einmal  in  der  Literatur  gefunden :  Wennerström  hat 
eine  Kranke  mit  Erfolg  operiert,  die  sich  in  selbstmörderischer 
Absicht  einen  scharfen  Glassplitter  in  den  linken  III.  Interkostal- 
raum  stiess  und  die  linke  Herzkammer  traf. 

Fälle,  wie  die  vorgetragenen,  dürften  geeignet  sein,  zu 
aktivem  Vorgehen  möglichst  bald  nach  der  Verletzung  zu  ver¬ 
anlassen,  auch  bei  zunächst  harmlos  aussehenden  Wunden  in 
der  Herzgegend. 

Literatur. 

Ein  Verzeichnis  der  einschlägigen  Literatur  bis  1912  ist  der 
Arbeit  Simons  „Schussverletzungen  des  Herzens“,  D.  Zsch.  f.  Chir. 
115.  H.  3.  u.  4,  angereiht.  Von  neueren  Veröffentlichungen  kamen 
in  Betracht:  Zeidler:  Zur  Frage  der  traumatischen  Herzchirurgie. 
Bruns  Beitr.  89.  2.  u.  3.  H.  —  Sjörall:  Schussverletzungen  des 
Herzens.  Hygiea  1911  Nr.  9.  —  Schlöffe  r:  Schusswunden  des 
Herzens.  Ref.  D.m.W.  12.  Nr.  32.  —  Tedesco:  Geheilte  Schuss¬ 
verletzung  des  Herzens.  W.kl.W.  1912  Nr.  49.  —  L  u  c  a  s:  Zur  Herz¬ 
chirurgie.  D.m.W.  13.  Nr.  4.  —  Häcker:  Herzverletzungen.  Bruns’ 
Beitr.  86.  1  H.  —  Burkhard:  Herzverletzung.  Demonstration,  Ref. 
B.  kl.W.  1913  Nr.  23.  —  Ach:  Schussverletzung  des  Herzens.  De¬ 
monstration,  Ref.  B.kl.W.  1914  Nr.  7.  —  B  e  t  k  e:  2  Herzschussver¬ 
letzungen.  Demonstration,  Ref.  M.m.W.  1914  Nr.  16. 


Zwei  Auroplastiken. 

Von  Dr.  Ernst  Eitner  in  Wien. 

Der  Ersatz  grösserer  Anteile  des  Ohres  gehört  bekanntlich 
zu  den  schwierigeren  Problemen  der  plastischen  Chirurgie. 
Wenn  auch  die  neu  zu  schaffenden  Gebilde  nicht  sehr  umfang¬ 
reich  sind,  so  ist  doch  einerseits  diese  Partie  des  Schädels 
keine  sehr  geeignete  Gegend  für  Plastiken,  andererseits  sind 
die  zu  bildenden  Formen  recht  kompliziert,  wenn  das  Resultat 
halbwegs  befriedigen  soll.  Was  die  Technik  dieser  Operationen 
anbelangt,  finden  wir  fast  bei  jedem  Autor  andere  Methoden, 
die  sich  untereinander  ganz  wesentlich  unterscheiden,  ein  Be¬ 
weis,  dass  es  eine  allgemein  befriedigende  Lösung  dieses  Pro- 
blemes  bis  heute  noch  nicht  gibt.  Es  empfiehlt  sich  daher,  die  Er¬ 
fahrungen  an  den  einzelnen  Fällen  zu  publizieren,  damit  sie  in 
anderen  Fällen  wieder  von  Nutzen  sein  können.  Aus  diesem 
Grunde  mögen  die  beiden  folgenden  Berichte  der  Veröffent¬ 
lichung  übergeben  werden. 


Fig.  1. 

Patient  H.  F.,  ein  29  jähriger  Hilfsbeamter,  fand  sich  im  Sommer 
nu  e'n-  8  Jahre  vorher  war  ihm  durch  einen  Pferdebiss  die  ganze 
Ohrmuschel  des  linken  Ohres  verloren  gegangen.  Wie  aus  der  Ab¬ 
bildung  ersichtlich  ist,  fehlten  ihm  das  ganze  äussere  Ohr  der  linken 

Nr.  30. 


Seite  bis  auf  einen  Teil  des  Läppchens  und  den  Tragus.  Der  Patient, 
aer  durch  Jahre  hindurch  seinen  Defekt  mit  einer  Prothese  zu  decken 

Sr,!V'”te  die  Plastische  Bildung  eines  wenigstens  halbwegs 
ohrahnhehen  Gebildes. 

i  Zunächst  wurde  am  23.  VIII.  13  eine  Voroperation  vorgenommen, 
in  Narkose  wurde  ein  bogenförmiger  Schnitt  ungefähr  entsprechend 
uer  Kontur  einer  Ohrmuschel  um  die  offene  Mündung  des  Gehörganges 
herum  angelegt,  ein  zweiter  zentraler,  kleinerer  Schnitt  umgrenzt 
ein  sichelförmiges  Hautstück,  welches  entfernt  wird.  Die  untere 
pitze  dieser  Sichel  trifft  mit  dem  Ende  des  äusseren  Randes  des 
noch  vorhandenen  Läppchens  zusammen.  Nun  wurde  aus  der  Rück- 
serte  des  anderen  Ohres  ein  ebenfalls  sichelförmiger  Hautknorpel- 
streifen  herausgeschnitten,  ähnlich  wie  man  dies  beim  Anlegen  ab¬ 
stehender  Ohren  exzidiert.  Dieser  Streifen  kann  in  ziemlich  umfang¬ 
reichen  Dimensionen  gehalten  werden,  ohne  dass  die  Gestalt  oder 
Grosse  des  Ohres  verändert  wird.  Es  braucht  bloss  eine  ca.  1  cm 
"E,  ,?•  Pfucke  am  oberen  und  unteren  Rand  belassen  werden,  ebenso 
soll  die  Haut  der  Vorderfläche  des  Ohres  nicht  verletzt  werden,  was 
bei  einiger  Geschicklichkeit  beim  Abziehen  des  Knorpels  leicht  zu 
flachen  ist.  Dieses  Stück  wurde  nun  auf  den  sichelförmigen  Aus- 
d,er  anderen  Seite  transplantiert.  Innerhalb  3  Wochen  erfolgte 
vollständige  Einholung.  Der  Zweck  dieser  Uebertragung  war,  ein 
"  Pd^ater.al  für  die  zu  bildende  Ohrmuschel  zu  schaffen. 

...  Nächster  Eingriff  am  2.  X.  13.  Das  transplantierte  Hautknorpel¬ 
stuck  wird  von  seinem  oberen  Rand  her  abgelöst  und  bleibt  nur  an 

Sfineäh»,rn£er®n  Ro,d  mit  ?‘n,em  schmalen  Saum  hängen,  so  dass  es 
nun  ähnlich  einer  Ohrmuschel  vom  Schädel  absteht.  Dann  wurde  an 
der  Halsnackengrenze  ein  ca.  4%.  cm  breiter  und  12  cm  langer  verti¬ 
kaler,  gestielter  Lappen  aus  der  Haut  präpariert,  dessen  Stiel  etwas 
hinter  und  unter  dem  erhaltenen  Läppchen  inserierte.  Der  Hautlappen 
wurde  hinaufgeschlagen  und  die  Rückseite  des  Hautknorpelstückes 
damit  gedeckt,  wobei  der  äussere  Lappenrand  derart  umgeschlagen 
wurde,  dass  er  einen  die  neue  Ohrmuschel  erheblich  vergrössernden 
Wulst  bildete.  Es  wurde  ferner  versucht,  durch  einige  Nähte  den 
Lappen  derart  einzustülpen,  dass  er  sich  sowohl  an  die  letztere,  als 
auch  an  die  Schadelwand  anlegte.  Der  Defekt  am  Hals  wurde  durch 
Zusammenziehen  der  Haut  geschlossen. 

.Überx?.f!a"Zt,e  LaPPen  Bt  von  gutem  Aussehen. 
Nur  die  letzterwähnten  Nahte  haben  sich  infolge  Schwellung  der 
Haut  durchgeschmtten  und  dadurch  ihren  Zweck  nur  unvollkommen 
erfüllt.  Es  wird  ebenfalls  in  Narkose  der  Lappen  von  seinem  Stiel 
getrennt  und  in  einer  den  durchgeschnittenen  Ligaturen  entsprechen- 
den  Langslm16  in  zwei  Hälften  geschnitten,  von  denen  nun  die  mediale 
mit  der  Exzisionswunde  an  der  Seitenwand  des  Schädels,  die  laterale 
mit  der  Rückseite  der  neuen  Ohrmuschel  zu  exakter  Deckung  ge- 
bracht  wird.  Der  untere  Teil  der  letzteren  wird  zusammengefaltet 
und  mit  dem  angefrischten  Rand  des  erhaltenen  Ohrläppchens  in  Ver¬ 
bindung  gebracht.  Die  Wunde  unter  dem  Lappenstiel  wird  ebenfalls 
durch  Zusammenziehen  geschlossen. 

..  ^ie  definitive  Anheilung  beider  Lappenteile  erfolgte  glatt  in 
weiteren  14  Tagen.  Ebenso  verheilt  die  Exzisionswunde  an  der  Ur¬ 
sprungsstelle  des  Lappens  ohne  Störung. 

Ein  Anlass  zu  einer  Nachkorrektur  am  6.  XII.  13  ergab  sich  aus 
folgenden  Umstanden:  1.  Hatte  sich  die  Verbindung  zwischen  dem 
Ohrläppchen  und  der  neuen  Ohrmuschel  nicht  in  der  gewünschten 
Weise  hergestellt,  sondern  es  war  dort  eine  Einziehung  entstanden. 
Beide  I  eile  wurden  noch  einmal  getrennt  und  frisch  vereinigt.  2.  Der 

zweite  Schnitt  der  ersten  Operation  war 
in  seinem  obersten  Anteil  etwas  zu  hoch 
geraten,  so  dass  er  die  Haargrenze  um 
etwa  2  mm  überschritt.  Die  Folge  davon 
war,  dass  nun  an  der  Innenfläche  der 
Ohrmuschel  ein  dünner  Streifen  Haar¬ 
wuchs  zum  Vorschein  kam.  Die  ent¬ 
sprechende  Hautstelle  musste  exzidiert 
werden. 

Das  Resultat  dieser  plastischen  Ope¬ 
ration  muss  als  ein  recht  gutes  bezeichnet 
werden,  da  es  gelungen  ist,  ein  aus  Haut, 
Knorpel  und  Haut  bestehendes  Gebilde 
herzustellen,  das  einer  natürlichen  Ohr¬ 
muschel  genügend  ähnlich  sieht,  um  seinen 
Zweck  zu  erfüllen.  Allerdings  würde  ich 
in  einem  nächsten  Fall  einige  Details  an 
der  Technik  ändern,  wodurch  sich  der  kos¬ 
metische  Effekt  einer  solchen  Operation 
noch  besser  gestalten  dürfte.  Zunächst 
würde  ich  die  Spitze  des  zuerst  exzi- 
dierten  sichelförmigen  Streifen  tiefer,  nahe 
vor  die  Gehörgangöffnung,  legen,  dann 
würde  es  sich  empfehlen,  das  Mittelstück 
der  Sichel  bedeutend  stärker  zu  krümmen. 

In  diesem  Fall  wird  es  auch  leichter  sein, 
mit  dem  unteren  Rand  derselben  ausser¬ 
halb  der  Haargrenze  zu  bleiben,  was  von 
n  .  .  .  Wichtigkeit  ist,  denn  die  später  am  un- 

rechten  Ort  spriessenden  Haarbüschel  wirken,  wie  im  vorliegenden 
rall,  ungemein  störend  und  zwingen  event.  zu  Nachkorrekturen,  die 
den  schon  erreichten  kosmetischen  Effekt  wieder  beeinträchtigen. 
Ausserdem  würde  ich  in  Voraussicht  der  zu  erwartenden  Schrumpfung 

4 


Fig.  2. 


Nr.  30. 


1682 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


des  neu  geschaffenen  Gebildes  dasselbe  im  ganzen  noch  etwas  grosser 
anlegen.  Der  aus  dem  gesunden  Ohr  exzidierte  Hautknorpelstreifen 
hätte  noch  grösser,  oder  wenigstens  breiter  sein  können,  ohne  dass 
die  äussere  Gestalt  und  Grösse  des  gesunden  Ohres  dadurch  irgend\\  ic 
beeinträchtigt  worden  wäre.  Besonders  zu  empfehlen  wäre  es  aber, 
den  den  Helix  ersetzenden  Hautwulst  möglichst  breit  zu  machen,  da  er 
verhältnismässig  am  meisten  der  Schrumpfung  unterliegt.  Man  er¬ 
hält  dadurch  zwar  ein  momentan  zu  grosses 
Ohr,  das  sich  aber  mit  der  Zeit  auf  die 
richtigen  Dimensionen  einstellen  dürfte. 

Andere  Methoden,  die  sich  auch  der 
Uebertragung  von  Teilen  aus  dem  anderen 
Ohr  zur  Bildung  eines  Stützgerüstes  be¬ 
dienen,  wurden  von  verschiedenen  Seiten 
angegeben  (Körte,  L  e  x  e  r  etc.),  doch 
wurde  überall  ein  Stück  aus  der  ganzen 
Dicke  des  gesunden  Ohres  exzidiert,  was 
immer  eine  Deformierung  oder  mindestens 
sehr  merkliche  Verkleinerung  desselben  zur 
Folge  hat.  Bei  der  Entnahme  eines  Haut¬ 
knorpelstückes  aus  der  Rückseite  des  Ohres 
bleibt  seine  Gestalt  und  Grösse  vollständig 
unverändert,  es  wird  nur  eine  engere  An¬ 
legung  an  den  Schädel  bewirkt,  die  absolut 
nicht  stört.  Das  Transplantat,  das  auf  diese 
Weise  gewonnen  werden  kann,  ist  jeden¬ 
falls  grösser  als  bei  den  anderen  Methoden. 

Auch  die  Verwendung  von  Halshaut  für  die 
weitere  Bildung  der  Plastik  erscheint  mir 
dankbarer  als  die  der  benachbarten  Schä¬ 
del-  oder  Wangenhaut,  denn  dort  lässt  sich 
leichter  reichliches  Material  gewinnen,  der 
Defekt  kann  ohne  weiteres  durch  Zu¬ 
sammenziehen  geschlossen  werden,  seine 
Lage  macht  die  Narbe  verhältnismässig  un¬ 
auffällig,  und  schliesslich  trägt  der  Lappen 
keine  Haare.  Das  neugebildete  Ohr  steht 
fast  im  selben  Umfang  vom  Schädel  ab,  wie  ein  normales;  im 
vorliegenden  Fall  wurde  es  durch  die  nachträgliche  Exzision  des 
behaarten  Hautstückes  sogar  etwas  zu  stark  abgezogen.  Eine  merk¬ 
liche  Beeinträchtigung  des  Resultates  durch  Schrumpfung  ist  bis 
jetzt,  obwohl  nun  schon  über  6  Monate  seit  der  Operation  ver¬ 
flossen  sind,  nicht  eingetreten. 


muschelstiitzknorpel  vorhanden  war.  Die  Komplikation  lag  hier  nur 
in  der  starren  Narbenhaut,  die  das  Ohr  teilweise  überzog  und  weit 
im  Umkreis  umgab.  Läppchenplastiken  stossen  nn  allgemeinen  auf 
keine  Schwierigkeiten.  Das  Material  ist  leicht  aus  der  näheren  Um- 
gebung  zu  beziehen.  Sie  sollen  aber  infolge  der  allzugrossen  Neigung 
dieser  Lappen  zur  Schrumpfung  keine  grosse  Beständigkeit  haben. 
Ich  habe  meinen  Fall,  da  die  Patientin  nicht  aus  Wien  stammt,  nur 


Fig  3. 


Fig.  4. 

ca.  4  Wochen  nach  der  Operation  beobachten  können,  habe  aber  vor 
kurzem  die  schriftliche  Nachricht  erhalten,  dass  sich  das  Resultat  bis¬ 
her  nicht  verändert  hat.  Ich  glaube  auch,  dass  die  Prognose  für 
diesen  Fall  günstiger  zu  stellen  ist,  da  der  Lappen  nicht  aus  normaler 
Haut,  sondern  aus  einer  ziemlich  dicken,  ohnehin  bereits  ge¬ 
schrumpften  Narbenhaut  besteht. 


Der  2.  Fall  betrifft  eine  26  jährige  Frau,  die  3  Jahre  früher  durch 
ein  Vitriolattentat  ausgebreitete  Verätzungen  der  linken  Gesiphts- 
hälfte,  des  Halses,  der  Brust  etc.  erlitten  hatte.  Sie  kam  im  Sep¬ 
tember  13  zur  Operation.  Gewünscht  wurde  die  möglichste  Ver¬ 
kleinerung  der  Aetznarben  im  Gesicht  und  am  Hals  und  vor  allem 
eine  plastische  Korrektur  des  stark  verstümmelten  Ohres. 

Wir  fanden  bei  der  Patientin  die  Haut  einer  ungefähr  hand¬ 
breiten,  von  der  Schläfenhaargrenze  über  das  Ohr,  die  Karotis-  und 
Submaxillargegend  bis  unter  das  Kinn  hinziehenden  Zone  in  eine 
derbe,  von  zahlreichen  Strahlen  durchzogene  Narbe  verwandelt,  die 
sowohl  durch  ihre  blasse  Färbung  als  auch  durch  ihre  unregel¬ 
mässige  Oberfläche  recht  entstellend  wirkte.  Die  stärkste  Ver¬ 
änderung  zeigte  aber  das  Ohr  selbst,  das  nicht  nur  sein  Läppchen 
vollständig  verloren  hatte,  sondern  auch  durch  Narbenschrumpfung 
stark  verkleinert  und  bis  zu  nahezu  rechtwinkeligen  Abstehen  nach 
vorne  verzogen  schien.  Die  Innenfläche  der  Ohrmuschel  war  ganz 
verschrumpft,  der  Helix  übermässig  stark  eingerollt,  die  übrigen 
Falten  ganz  verstrichen,  dagegen  war  die  Haut  der  Rückseite  fast 
unversehrt. 

Beim  ersten  Eingriff  am  14.  IX.  13  wurde  zunächst  in  Nar¬ 
kose  ein  drei  Finger  breiter,  nach  unten  spitz  zulaufender 
Streifen,  der  die  stärksten  Einziehungen  und  Stränge  enthielt,  von  der 
Gegend  des  Gehörganges  bis  gegen  das  Kinn  mit  Ausnahme  seines 
oberen  Ansatzes  exzidiert.  Der  oberste  Anteil  desselben  wurde  zur 
Bildung  eines  neuen  Läppchens  verwendet,  das  übrige  abgetragen. 
Die  Exzissionswunde  liess  sich  gerade  noch  durch  Zusammenziehen 
schliessen. 

Zweiter  Eingriff  am  28.  IX.  unter  Lokalanästhesie.  Zu¬ 
nächst  an  der  Rückseite  des  Ohres  vom  oberen  Ansatz  bis  zum 
Beginn  des  neugebildeten  Läppchens,  um  die  Insertionslinie  des  Ohres 
ein  spindelförmiges  Hautstück  ebenso  wie  beim  Anlegen  abstehender 
Ohren  exzidiert.  Dann  wird  der  Knorpel  in  der  Insertionslinie  bis 
auf  die  Haut  der  Vorderfläche  durchtrennt.  Das  Ohr  liess  sich  nun 
leicht  wieder  bis  fast  auf  die  normale  Grösse  entfalten.  Schliesslich 
wurde  noch  ein  neuer  Antihelix  dadurch  gebildet,  dass  nach  Ablösung 
der  Haut  an  der  Rückseite  ein  zum  Helix  paralleler  Schnitt  in  ent¬ 
sprechender  Länge  und  Entfernung  durch  den  Knorpel  ohne  Ver¬ 
letzung  der  Vorderflächenhaut  angelegt  wird.  Durch  Aufstellen  der 
Schnittränder  nach  vorne  und  Fixieren  in  dieser  Stellung  entstand 
die  gewünschte  Vorwölbung.  Durch  Hoch-  und  Rückwärtsziehen  und 
Anheften  an  den  Schädel  wurde  die  Ohrmuschel  wieder  in  normaler 
Grösse  und  Form  erhalten.  Die  Heilung  erfolgte  ohne  Störung. 

Das  Endresultat  war  ein  Ohr,  das  sich  von  einem  normalen  nur 
durch  sein  stärkeres  Anliegen  am  Schädel,  was  bekanntlich  nicht  im 
geringsten  stört,  unterscheidet.  Im  ganzen  war  diese  Plastik  wesent¬ 
lich  einfacher,  als  im  vorigen  Fall,  da  ja  hier  das  Wichtigste,  der  Ohr- 


Aus  der  akademischen  Kinderklinik  zu  Köln  (Geh.  Med. -Rat 
Prof.  Dr.  S  i  e  g  e  r  t). 

Erfahrungen  mit  Tricalcolmilch  beim  kranken  Säugling. 

Von  Dr.  W  e  i  h,  Assistent  an  der  Klinik. 

Einer  der  wichtigsten  Fortschritte  der  letzten  Zeit  auf  dem 
Gebiet  der  Behandlung  ernährungsgestörter  Säuglinge  stellt 
wohl  ohne  Zweifel  die  von  Finkeistein  angegebene  Ei¬ 
weissmilch  dar,  deren  wesentliches  Merkmal  der  sehr  hohe 
Gehalt  an  Eiweiss  und  an  Kalk,  im  Gegensatz  zu  einem  relativ 
geringen  Fettgehalt  bei  fast  fehlendem  Milchzucker  ist. 

Bald  zeigte  es  sich,  wie  zuerst  Aschenheim  darlegte, 
dass  es  möglich  sei,  diese  Eiweissmilch  durch  Milchmischungen 
zu  ersetzen,  denen  ein  Kalziumsalz  beigefügt  wird.  Zuerst  war 
es  S  t  ö  1  z  n  e  r,  der  sein  Larosan,  ein  Kaseinkalzium  mit  einem 
Kalkgehalt  von  2,5  Proz.  Kalk,  welches  der  Milchwasser¬ 
mischung  nach  bestimmten  Vorschriften  zugesetzt  wird,  auf 
Grund  dieser  Erwägung  empfahl. 

Betrachten  wir  die  Zusammensetzung  eines  1  Eiweiss¬ 
milch  und  eines  1  Larosanmilch,  in  der  von  S  t  ö  1  z  n  e  r  ange¬ 
gebenen  Mischung,  so  ergibt  sich: 


Larosanmilch 

(yt  1  Vollmilch  -j- 
20  g  Larosan) 

Eiweissmilch 

Eiweiss  .  . 

.  |  34,5 

30 

Fett 

17,5 

25 

Zucker  .  .  .  . 

22,5 

15 

p,o6  ... 

.  .  1,32 

1,35 

Cao 

1,36 

1,44 

Kalorien  .  .  .  . 

386 

405 

Es  liegen  über  die  Wirkung  des  Larosans  seitens  der  ver¬ 
schiedensten  Autoren  derartige  Berichte  vor,  dass  an  seiner 
Brauchbarkeit  nicht  zu  zweifeln  ist. 

Die  chemische  Fabrik  Dr.  W.  Wolff  &  Co.,  Elberfeld, 
bringt  nun  unter  dem  Namen:  Tricalcol-Eiweissmilch  ein  Prä¬ 
parat  in  den  Handel,  welches  es  ermöglicht,  auf  einfachste 
Weise  eine  im  übrigen  der  F  i  n  k  e  1  s  t  e  i  n  sehen  Eiweissmilch 
ähnliche  Milchmischung  herzustellen,  welche  jedoch  einen 
doppelt  so  hohen  Kalk-  und  Phosphorsäuregehalt  besitzt. 


28.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1683 


Das  I  ricalcol  ist  ein  weisses,  amorphes,  fast  indifferentes 
Pulver,  das  etwa  20  Proz.  Trikalziumphosphat  und  10,5  Proz. 
Stickstoff  enthält. 

Wie  die  Untersuchungen  von  Zuckmeyer  (Bonn- 
Poppelsdorf)  gezeigt  haben,  wurde  das  kolloidalen  Charakter 
tragende  1  rikalziumphosphateiweiss  in  abgebundenen  Darm¬ 
schlingen  von  Kaninchen  gut  resorbiert,  während  das  gewöhn¬ 
liche  Kalkphosphat  nicht  aufgenommen  wurde.  Auch  Ver¬ 
suche  an  einem  Hunde  mit  Vellafistel  ergaben  für  die  Resor¬ 
ption  des  I  ricalcols  günstige  Resultate  im  Gegensatz  zu  dem 
gewöhnlichen  Kalkphosphat.  Wie  Zuckmeyer  nachwies, 
ergaben  verdünnte  Lösungen  höhere  Resorptionswerte  als 
konzentrierte. 

Ebenso  zeigte  sich  bei  vergleichenden  Resorptionsver¬ 
suchen  mit  Milch  und  milchähnlich  gemachter  Lösung  des 
kolloidalen  Kalkpräparates,  dass  Milchkalk  weniger  gut  vom 
Darm  resorbiert  wird  als  der  Kalk  des  Präparates.  Der  an- 
gestellte  Stoffwechselversuch  ergab  eine  Aufnahme  von  69  bis 
76  Proz.  des  im  Tricalcol  vorhandenen  Kalkphosphates.  Die 
in  kalkfreien  Perioden  negative  Kalkbilanz  wurde  während  der 
Darreichung  des  Tricalcols  positiv. 

Die  Herstellung  der  Tricalcoleiweissmilch  erfolgt,  ähnlich 
wie  die  der  Larosanmilch,  mit  Milchwassermischung.  Setzt 
man  I  Liter  Halbmilch  30  g  Tricalcol  hinzu,  so  erhält  man,  mit 
der  Eiweiss-  und  Larosanmilch  verglichen,  folgende  Ver¬ 
gleichstabelle: 


Tricalcolmilch 
(14  I  Vollmilch 

30  g  Tricalcol) 

Larosanmilch 
(V,  1  Vollmilch  -f- 
20  g  Larosan) 

Eiweissmilch 

Eiweiss . 

36,0 

34,5 

30 

Fett  .... 

17,5 

17,5 

25 

Zucker  .  .  . 

22,5 

22,5 

15 

p.o5 . 

3,92 

1,32 

1,35 

Cäo 

4,16 

1,36 

1,44 

Kalorien  ....... 

392 

386 

405 

Die  Indikationen  des  Tricalcols  beruhen  neben  der  Be¬ 
handlung  ernährungsgestörter  Säuglinge,  gemäss  seinem  hohen 
Kalk-  und  Phosphorgehalt,  auf  dessen  hohe  Bedeutung  auch 
v.  O  y,  in  der  B.kl.W.  1914  Nr.  1  besonders  hinweist,  in  der 
Behandlung  der  Rachitis  und  Spasmophilie. 

Obgleich  man  bei  Rachitis  die  Kalktherapie  teilweise  ver¬ 
lassen  hat,  da  man  das  Kalkdefizit  des  Organismus  nicht  auf 
ungenügende  Kalkzufuhr,  sondern  auf  die  mangelhafte  Fähig¬ 
keit  der  leimgebenden  Substanzen,  Kalksalze  zu  inkorporieren 
(v.  Pfaundler,  Heubner)  zurückführte,  so  zeigen  doch 
die  neueren  Untersuchungen  von  Schabad  die  Wichtigkeit 
der  Zulage  von  Kalksalzen,  da  dann,  allerdings  bei  gleich¬ 
zeitiger  Verabreichung  von  Phosphorlebertran,  der  Kalkansatz 
besonders  gross  ist,  während  bei  rachitischen  Kindern  Kalk  in 
gegen  die  Norm  verminderter  Menge  retiniert,  oder  solcher  gar 
vom  Organismus  abgegeben  wird. 

Wie  Schabad  zeigte,  besteht  bei  florider  Rachitis  er¬ 
höhte  Phosphorsäureausscheidung  neben  erhöhter  Kalkaus¬ 
scheidung.  Während  nun  bei  Darreichung  der  verschiedenen 
Kalziumsalze  (Calcium  lacticum,  Calcium  aceticum,  Calcium 
chloratum)  dem  Organismus  ein  grosser  Teil  der  für  den  Auf¬ 
bau  so  notwendigen  Phosphorsäure  entzogen  wird,  findet  bei 
der  Darreichung  des  Tricalcols,  gemäss  den  physiologischen 
Untersuchungen,  eine  Assimilation  der  Phosphorsäure  statt,  so 
dass  also  der  hohe  Phosphorsäuregehalt  des  obengenannten 
Präparates  als  entschieden  günstig  anzusehen  ist,  wie  auch 
v.  O  y  darlegt. 

Nachprüfungen  durch  Schloss  ergaben  die  Richtigkeit 
dieser  Beobachtung,  so  dass  er  den  Ausspruch  tut:  eine  den 
Ansatz  des  Kalkes  und  der  Phosphorsäure  in  gleicher  Weise 
begünstigende  Wirkung  wird  erst  durch  Phosphorlebertran  mit 
einer  Phosphor  kalk  medikation  erzielt,  und  zwar  sicher 
durch  eine  organische  Verbindung, "besonders  durch  ein  kalk¬ 
haltiges  Eiweisspräparat. 

Auch  auf  dem  Gebiete  der  Spasmophilie  hat  man  sich 
bemüht,  da  es  bisher  nicht  gelungen  war,  am  Nervensystem 
charakteristische  Veränderungen  zu  finden,  durch  das  Studium 
des  Stoffwechsels  tiefer  in  das  Wesen  des  Leidens  einzu¬ 
dringen,  und  in  der  Tat  hat  man  auch  Anomalien  im  Kalkstoff¬ 
wechsel  aufgedeckt.  Quest  hat  gezeigt,  dass  das  Hirn  spas- 
mophiler  Kinder  kalkärmer  ist  als  das  normaler  Säuglinge,  und 


im  Stoffwechselversuch  zeigen  spasmophile  Kinder  eine  nega¬ 
tive  Kalkbilanz  (v.  C  z  y  b  u  1  s  k  i,  S  c  h  a  b  a  d).  So  wird  denn 
auch  übereinstimmend  über  die  günstige  Einwirkung  der  Kalk¬ 
salze  bei  Spasmophilie  berichtet,  besonders  hat  das  Calcium 
bromatum  in  der  letzten  Zeit  Eingang  gefunden. 

Ueber  die  Einwirkung  des  Tricalcols  im  Bereich  dieser 
Indikationen  liegen  schon  günstige  Berichte  vor.  So  be¬ 
richtet  v.  Oy  in  der  B.kl.W.  über  Versuche,  die  er  an  19 
rachitischen  Kindern  und  bei  2  mit  konstitutionellem  Ekzem  be¬ 
hafteten  mit  1  ricalcol  gemacht  hat.  Er  berichtet  günstige  Er¬ 
folge,  sowohl  bei  den  Rachitikern,  als  in  Bezug  auf  die  Ab¬ 
heilung  des  Ekzems. 

Auch  in  der  hiesigen  Klinik  wurden  mit  Tricalcol  Versuche 
in  sehr  grosser  Anzahl  angestellt,  und  zwar  gemäss  den  schon 
vorher  erwähnten  Indikationen,  bei  ernährungsgestörten, 
rachitischen  und  spasmophilen  Kindern.  Es  handelt  sich  stets 
um  Kinder  im  ersten  Lebensjahr,  teilweise  in  den  ersten 
Lebensmonaten. 

Bei  ernährungsgestörten  Kindern  geschah  die  Darreichung 
in  einer  der  Eiweissmilch  analogen  Weise.  Nach  Verabfolgung 
von  Oleum  Ricini  und  einer  6-,  höchstens  12stündigen  Thee- 
diät,  begannen  wir  mit  2 — 300  Tricalcolmilch  mit  einem  2  proz. 
Soxhletzusatz.  Im  Laufe  von  7 — 10  Tagen  stiegen  wir,  bei 
etwa  2  tägiger  Steigerung,  bis  150—200  g  pro  Kilo  bei  ent¬ 
sprechender  Erhöhung  des  Soxhletszuckergehaltes,  event. 
unter  Beifügung  eines  2.  Kohlehydrates  in  Gestalt  von  Gries 
oder  Mehl. 

Die  Erfolge  waren  zweifellos  günstig  bei  Kindern,  welche 
mit  akuter  Dyspepsie  zur  Behandlung  gelangten.  Die  vorher 
sauren  Stühle  wurden  nach  2—3  Tagen  alkalisch,  es  traten 
Seifenstühle  und  sodann  normale  Stühle  auf.  Bei  entsprechen¬ 
der  Kaloriendarreichung  zeigte  sich  etwa  nach  einer  Woche 
Zunahme  des  Gewichtes.  Die  Darreichung  geschah  etwa  5 
bis  6  Wochen,  dann  wurden  die  Kinder  mit  einem  Male  auf  die 
ihrem  Alter  entsprechende  Nahrung  abgesetzt  bei  unge¬ 
störtem  gutem  Fortgang.  Dieser  Verlauf  erfolgte  sowohl  bei 
Säuglingen  in  den  ersten  Lebensmonaten  als  auch  bei  Kindern 
im  zweiten  Lebenshalbjahre. 

Weniger  gut  waren  die  Erfolge  zu  nennen  bei  schwerer 
gestörten  Kindern,  im  Zustande  der  Dekomposition  nach 
Finkeistein.  Hier  zeigte  sich  in  einem  Falle  ein  völliges 
Versagen  der  Tricalcolmilch.  Das  Kind  kam  am  4.  Tage  zum 
Exitus.  Das  Tricalcol  wurde  teilweise  erbrochen,  die  Stühle 
blieben  dyspeptisch.  Auch  in  einigen  anderen  Fällen  trat  eine 
derartige  Verschlechterung  des  Zustandes  ein,  dass  wir  uns 
genötigt  sahen,  zu  der  Verabreichung  von  Frauenmilch  über¬ 
zugehen.  Es  handelte  sich  allerdings  stets  um  sehr  schwer 
geschädigte  Kinder  in  den  ersten  4  Lebensmonaten. 

Günstig  waren  die  Erfolge  bei  Spasmophilie.  Auch  hier 
begannen  wir  bei  entsprechender  Theediät  mit  kleinen  Dosen 
der  Tricalcolmilch,  da  wir  bei  sofortiger  Darreichung  grösserer 
Mengen  öfters  Erbrechen  oder  doch  Speien  auftreten  sahen. 

Früher  bestehende  Krämpfe  wiederholten  sich  nicht,  das 
vorher  stark  positive  Fazialisphänomen  wurde  schon  nach 
einigen  Tagen  negativ.  Der  Laryngospasmus  verlor  sich  bald. 
Bei  derartigen  Kindern  wurde  allerdings  nebenbei  auch  Phos¬ 
phorlebertran  gegeben.  Leider  konnten  wir  über  die  ent¬ 
lassenen  Kinder  später  nichts  erfahren,  so  dass  uns  über  die 
Dauer  der  Heilung  und  etwaige  Rezidive  nichts  bekannt  ist. 

Vergesellschaftet  waren  die  spasmophilen  Erscheinungen 
stets  mit  schwerer  Rachitis:  Epiphysenauftreibung,  Rosen¬ 
kranz,  Kraniotabes,  starken  profusen  Schweissen. 

Auch  ich  kann  mich  dem  günstigen  Urteil  v.  OyS  an- 
schliessen,  indem  ich  stets  bei  Krainotabes  eine  wohl  schnellere 
Konsolidierung  der  Hinterhauptknochen  sah  als  sie  sonst  statt¬ 
findet.  Auch  die  profusen  Schweissausbrüche  Hessen  nach, 
der  allgemeine  Zustand  hob  sich.  Inwieweit  dem  Tricalcol 
eine  spezifische  Wirkung  zuzuschreiben  ist,  mit  Sicherheit 
festzustellen,  unterliegt  naturgemäss  den  grössten  Schwierig¬ 
keiten,  da  auch  die  übrigen  Heilfaktoren,  Phosphorlebertran, 
Verabfolgung  von  Gemüse  und  Obst  etc.  in  Tätigkeit  traten. 

Ebenso  sah  ich  einen  Fall  von  trockenem  disseminiertem 
Ekzem,  das  hartnäckig  jeder  Behandlung  trotzte  und  auch  bei 
knapper  Darreichung  von  Frauenmilch  unverändert  blieb, 

4* 


1684 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


völlig  abheilen  bei  ausschliesslicher  Darreichung  von  1  ricalcol- 
milch.  ein  Erfolg,  der  sich  an  sich  jedoch  nicht  unterschied  von  , 
solchen,  wie  wir  sie  in  ähnlichen  Fällen  bei  \  erabfolgung  von 
Eiweiss-  und  Larosanmilch  sahen. 

Von  einem  günstigen  Erfolge  des  1  ricalcols  möchte  ich 
noch  berichten  bei  einem  schweren  Mehlnährschaden.  Das 
Kind  zeigte  bei  Darreichung  von  Frauenmilch  stets  schlechte 
zerfahrene  Stühle.  Gewichtszunahme  war  nach  der  Reparation 
trotz  Beigabe  von  Buttermilch  nur  mit  Remissionen  zu  er¬ 
zielen.  Bei  alleiniger  Verabfolgung  von  Tricalcolmilch  nahm 
das  Kind  innerhalb  von  5  Wochen  1  kg  zu.  Es  konnte  ohne 
jede  Schwierigkeit  abgestillt  werden  bei  ungestörter  Zu¬ 
nahme.  „ 

So  ergibt  sich:  die  Tricalcolmilch  leistet  zweifellos  gün¬ 
stiges  bei  der  Behandlung  der  Spasmophilie,  Rachitis,  der  Mit¬ 
behandlung  lymphatischer  Ekzeme,  sowie  bei  akuten  Er¬ 
nährungsstörungen  und  ist  wohl  mit  dem  Larosan  oder  Ei¬ 
weissmilch  auf  eine  Stufe  zu  stellen.  Bei  der  Behandlung 
schwer  geschädigter  Kinder,  besonders  in  den  ersten  Lebens- 
monaten,  versagt  es  teilweise,  wie  ja  jene  auch,  und  kann  die 
eigentliche  Heilnahrung  des  Säuglings,  die  Frauenmilch,  nicht 
ersetzen. 

Hinderlich  bei  Anwendung  in  grösseren  Anstalten  ist  der 
relativ  hohe  Preis,  der  das  doppelte  des  Larosans  beträgt  und 
denjenigen  der,  wie  das  ja  in  grösseren  Betrieben  üblich  ist, 
selbst  hergestellten  Eiweissmilch  bei  weitem  übertrifft. 

Literatur. 

v.  Oy:  B.kl.W.  1914  Nr.  1.  —  Heubner:  Aerztl.  Fortb.  1912 
S  197.  —  Sch  ab  ad:  Jb.  f.  Kindhlk.  Bd.  74,  H.  5.  —  Schloss: 
D.m.W.  1913  Nr.  31.  —  Zuck  m  ay  er:  Arch.  f.  d.  ges.  Phys.  1912,  148. 


Erythema  infectiosum. 

Von  Dr.  August  H  e  i  s  1  e  r,  Höhen-Luftkurort  Königsfeld 

(bad.  Schwarzwald). 

Da  das  Erythema  infectiosum  als  selbständige  Krankheit 
neben  Scharlach,  Masern.  Röteln  und  der  Dukes  sehen  oder 
vierten  Krankheit  in  der  Praxis  noch  recht  wenig  bekannt  ist, 
und  es  doch  bisweilen  zur  Verwechslung  mit  einer  anderen 
Erkrankung  Veranlassung  geben  kann,  so  ist  es  wohl  erlaubt, 
kurz  über  eine  kleine  Epidemie  von  25  Fällen  zu  berichten,  die 
ich  dieses  Frühjahr  hier  zu  beobachten  Gelegenheit  hatte. 
Selbst  grosse  Handbücher  der  inneren  Medizin  erwähnen  die 
Krankheit  überhaupt  noch  nicht. 

Meist  ganz  ohne  Vorboten  und  ohne  nennenswerte  Störung 
des  Allgemeinbefindens  tritt  als  erstes  Krankheitszeichen  im 
Gesicht  auf  beiden  Wangen  ein  makulo-papulöses  Erythem 
auf,  das  gerade  hier  sehr  zur  Konfluenz  neigt  und  dem  Gesichte 
ein  eigenartig  geschwollenes,  gedunsenes  Aussehen  gibt.  Die 
Farbe  ist  bläulich-rötlich,  livide,  die  geschwollene  Partie  fühlt 
sich  leicht  infiltriert  an.  Von  da  wandert  meist  schon  am 
ersten  Tage  der  Ausschlag  auf  die  Streckseiten  der  Oberarme 
sowie  auf  Nacken  und  Schulterblätter  fort,  doch  war  dort  der 
Ausschlag  meist  viel  kleinfleckiger,  mehr  spitz  erhalten,  nicht 
zur  Konfluenz  neigend.  Eine  eigentliche  Ringbildung  nach 
Art  des  Erythema  annulare,  gyratum,  marginatum,  figuratum, 
wie  sie  von  anderer  Seite  beobachtet  wurde,  war  in  meinen 
sämtlichen  Fällen  nur  angedeutet.  Am  2.-3.  Tage  folgten  dann 
wieder  als  stärker  befallene  Stellen  die  Gesässgegend,  sowie 
die  Aussenseite  der  Oberschenkel.  In  mehreren  Fällen  war 
der  ganze  Ausschlag  jedoch  so  flüchtig,  dass  er  bereits  ab¬ 
blasste,  bevor  es  zu  dem  zweiten  Schub  an  der  unteren  Extre¬ 
mität  kam.  Der  Ausschlag  ist  enorm  flüchtig  und  kann  einem 
unter  den  Augen  verschwinden,  um  kurze  Zeit  nachher  wieder 
in  der  alten  Stärke  zu  erscheinen.  Reibt  man  eine  von  dem 
Ausschlag  befallene  Hautpartie,  so  wird  die  Stelle  für  mehrere 
Minuten  ganz  blass,  ohne  Erythem,  während  sich  um  dieselbe 
ein  breiter  Hof  bildet,  in  welchem  das  Erythem  besonders  leb¬ 
haft  auftritt,  aber  auch  jetzt  keine  Konfluenz  zeigt,  sondern 
jedes  Fleckchen  gesondert  nachweisbar  bleibt. 

Ein  Zusammenhang  des  Erythema  infectiosum  mit  einer 
anderen  Infektionskrankheit  war  in  unserem  Falle  auszu- 
schliessen,  da  seit  Monaten  kein  derartiger  Erkrankungsfall 
vorlag  und  die  kleine  Epidemie  zuerst  in  einem  Internat 


(Knabenerziehungsanstalt)  mitten  im  Semester  zum  Ausbruch 
kam.  Die  Inkubationsdauer  wird  zwischen  5—14  1  agen 
angegeben.  In  mehreren  unserer  Fälle  können  wir  eine  In¬ 
kubation  von  genau  7  Tagen  beobachten.  Mein  jüngster  I 
Patient  war  ein  halbjähriges  Kind,  der  älteste  ein  16  jähriger 
Junge. 

Der  Verlauf  der  Epidemie  zeigte  sehr  schön  den 
Weg  der  Ansteckung  von  Kind  zu  Kind.  Auf  den  ersten  Fall 
folgte  ein  Junge,  der  mit  dem  ersten  in  der  gleichen  Schul¬ 
klasse  zusammen  war,  dann  der  Nachbar  zu  diesem  im  Schlaf¬ 
saal  und  schliesslich  ein  Junge,  der  auf  der  Krankenstube  mit 
dem  dritten  zusammen  war.  Obgleich  später  die  Erkrankung 

_  wohl  durch  den  Konfirmandenunterricht  —  auch  auf  das 

Mädchenpensionat  Übergriff,  war  die  Zahl  der  erkrankten 
Mädchen  viel  geringer  als  die  der  Jungen.  Auch  die  Ueber- 
tragung  in  den  Ort  selbst  war  klar  zu  verfolgen,  indem  die 
Erkrankungen  hier  fast  3  Wochen  später  auftraten  und  aus¬ 
schliesslich  in  Familien,  die  ihre  Kinder  zum  täglichen  Schul¬ 
unterricht  in  die  Internate  sandten. 

Dass  im  ganzen  nur  relativ  wenig  Kinder  erkrankten,  ob¬ 
gleich  wir  am  Schlüsse  keine  Vorsichtsmassregeln  mehr  trafen, 
spricht  doch  für  eine  nicht  sehr  grosse  Infektiosität. 
Auffallend  war  ausserdem,  dass  die  ersten  Fälle  weitaus  die 
heftigsten  Erscheinungen  boten  und  dass  ein  deutliches  Ab¬ 
flauen  zu  beobachten  war,  indem  die  letzten  Erkrankungsfälle 
oft  nur  ein  eintägiges  Erythem  aufwiesen. 

Prodrome,  die  auf  eine  Störung  des  Allgemeinbefindens 
hinweisen,  werden  nur  selten  beobachtet,  dagegen  wurde  ich 
mehrmals  zu  Kindern  gerufen,  wegen  plötzlich  einsetzender, 
ziemlich  starker  Drüsenschwellungen  am  Kiefer-  I 
Winkel,  unter  dem  Ohr,  sowie  im  Nacken  bis  zum  Hinterkopf. 

Bei  all  diesen  Patienten  trat  dann  1—2  Tage  später  das  Ery¬ 
them  auf.  Die  oft  bis  zu  Mandelgrösse  geschwollenen  Drüsen 
—  der  Hals  blieb  meist  frei  —  waren  schmerzhaft  und  ziemlich 
derb,  bildeten  sich  aber  im  Verlauf  weniger  Tage  wieder 
vollkommen  zurück. 

Fieber  bestand  fast  bei  allen  meinen  Patienten,  doch 
meist  nicht  über  37,8,  nur  beim  ersten  Patienten  betrug  die 
Temperatur  gleich  zu  Beginn  38,6,  dazu  bestand  eine  deutliche 
Rötung  der  Mandeln,  sowie  ein  grobfleckiges,  tief  dunkelrotes 
Exanthem  des  harten  Gaumens,  so  dass  ich  zuerst  an 
Scharlach  dachte.  Bei  mehreren  Patienten  sah  ich  später¬ 
hin  noch  Exantheme,  die  zum  Teil  zu  Blutaustritten  in  die 
Schleimhaut  führten,  bisweilen  war  der  harte  Gaumen  deutlich 
marmoriert. 

Besonders  die  geschwollenen  Partien  im  Gesicht  zeigten 
mehrmals  deutliche  Schuppung,  am  Körper  dagegen  fehlte 
eine  solche  vollkommen.  Vereinzelte  Fälle  zeigten  nach  der 
Abheilung  des  Ausschlages  eine  deutliche  Pigmentierung. 

Der  Urin  enthielt  etwa  in  der  Hälfte  der  Fälle  I  n  d  i  k  a  n, 
doch  konnte  ich  keinen  Zusammenhang  feststellen,  dass  gerade 
Patienten  mit  starkem  Erythem  Indikan,  besonders  aufge¬ 
wiesen  hätten.  Sonst  war  der  Urin  stets  ganz  normal. 

Bei  einem  Patienten  trat  im  Anschluss  an  das  Erythema 
infectiosum  eine  leichte  Stimmbandparese  auf,  die  bis 
heute  (8  Wochen  später!)  noch  nicht  ganz  behoben  ist. 
Milzschwellung  habe  ich  nie  beobachtet. 

Zusammenfassung:  Um  sich  vor  unliebsamen  Fehl¬ 
diagnosen  —  die  bei  stürmischem  Auftreten  des  Erythems  mit 
Fieber,  Exanthem,  sowie  Drüsenschwellung  durchaus  möglich 
sinc]  —  Zu  schützen,  muss  der  Praktiker  das  Krankheitsbild 
wenigstens  kennen.  Hat  man  das  Krankheitsbild  erst  einmal 
gesehen,  so  ist  der  Ausdruck  des  gedunsenen  Gesichtes  sowie 
das  häufige  Uebergreifen  der  erhabenen,  roten  Flecken  auf 
Lippen  und  Kinn,  wenn  auch  hier  meist  in  Form  kleiner,  nicht 
zur  Konfluenz  neigender  Effloreszenzen  so  typisch,  das  man 
nicht  leicht  fehlgehen  wird.  Auch  die  Flüchtigkeit  des  Aus¬ 
schlages  sowie  die  Drüsenschwellung  nach  dem  Okziput  zu 
—  ein  ganz  regelmässiges  Frühsymptom  —  werden  differential¬ 
diagnostisch  weiterhelfen.  Das  Auftreten  von  Indikan  ist  zu 
wechselnd,  um  als  diagnostisches  Hilfsmittel  wesentlich  in  Be¬ 
tracht  zu  kommen. 


28.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


Pflasterverband  zur  schnellen  Epithelisierung  granu¬ 
lierender  Flächen. 

Von  M.  Borchardt  in  Berlin. 

i  u  der  M.m.W.  1914  empfiehlt  Vogel  zur  schnellen 

UenerliaiUuiiK  granulierender  Flächen  die  Anwendung  eines  Pflaster- 
yerbandes,  wie  er  ihn  bei  Schede  anwenden  sah.  Es  scheint 
in  ut.r  lat,  dass  dieses  ausgezeichnete  Mittel  wenig  bekannt  ist.  Ich 
selbst  verwende  es  seit  mehr  als  1U  Jahren  und  habe  es  seinerzeit  bei 
Ernst  v.  Hergmann  kennen  und  schätzen  gelernt:  es  ist  auch 
nach  meinen  Erfahrungen  —  darin  stimme  ich  Vogel  vollkommen 
bpj  ~ -  *n  geeigneten  Eällen  allen  anderen  Mitteln  weit  überlegen:  tor- 
?|d®  Ulcera  cruris  z.  B.,  die  trotz  Anwendung  der  verschiedensten 
Mittel  und  Verbände  in  monatelanger  Behandlung  nicht  zur  Heilung 
zu  bringen  sind,  überhäuten  sich  bisweilen  unter  Pflasterverbänden 
In  erstaunlich  kurzer  Zeit.  Dem  aseptisch  geschulten  Chirurgen  ist 
es  vielleicht  zunächst  ein  peinliches  Gefühl,  das  Pflaster  direkt  auf  die 
unde  zu  kleben  und  ich  selbst  habe  mich  erst  schwer  zu  diesem 
Verfahren  entschhessen  können,  aber  ich  bereue  es  nicht.  Wir  kle- 
pen  etwa  2— 3  cm  breite  Pflasterstreifen  dachziegelförmig  unter  ziem- 
hch  beträchtlichem  Zug  quer  über  die  Granulationsfläche,  so  dass 
die  streifen  die  Wundränder  beiderseits  um  einige  Zentimeter  über¬ 
ragen.  ho  wird  die  ganze  Fläche  von  oben  bis  unten  bedeckt,  über 
das  ganze  ein  aseptischer  Verband  gelegt  und  das  Bein  von  unten 
bis  oben  unter  gleichmässigem  Druck  mit  einer  Schlauchbinde  ein¬ 
gewickelt.  Selbst  diese  Einwicklung  ist  nicht  immer  notwendig.  Wir 
iahen  in  letzter  Zeit  das  Pflaster  vorher  sterilisiert  und  auch  einige 
Maie  mit  gleich  gutem  Erfolg  das  perforierte  Beiersdorf  sehe 
Pflaster  angewendet.  Auf  die  Art  des  Pflasters  kommt  es,  wie  V  o  - 
gel  richtig  bemerkt,  nicht  an,  es  muss  nur  reizlos  sein;  die  Streifen 
müssen  glatt  und  unter  genügendem  Druck  angelegt  werden  Wir  lassen 
den  Verband,  wenn  irgend  möglich,  8  Tage  liegen,  nehmen  ihn  sehr 

m  .S1Cm  •  ujld  ,erneuern  ihn*  wenn  nötig,  ein  zweites  und  drittes 
Ma!  Man  wird  über  den  Erfolg  häufig  erstaunt  sein.  Ich  habe  mir 

drl!ri^rknngL.im,merr>S0  XorgesteIIt’  dass  durch  den  gleichmässigen 
starken  Druck  die  Granulationen  glatt  komprimiert  werden  und  so 

Jem  prohferierenden  Epithel  gewissermassen  der  Weg  geebnet  wird 
Jb  noch  andere  Momente  daneben  eine  Rolle  spielen,  wie  Vogel' 
nemt,  vermag  ich  nicht  zu  entscheiden.  Nach  meiner  Erfahrung  hat 
Vogel  Recht,  wenn  er  die  Pflasterverbände  weit  über  die  zahl¬ 
eichen  in  letzter  Zeit  empfohlenen  epithelbefördernden  Mittel  auch 
iber  die  Scharlachsalbe  stellt. 


Aus  der 


zu 


inneren  Abteilung  des  Elisabethkrankenhauses 
Halle'a.  S.  (Prof.  Dr.  Winternitz). 

Jewertung  des  Abderhalden  sehen  Dialysierverfahrens 
ur  Diagnose  und  DifFerenzialdiagnose  maligner  Ge¬ 
schwülste. 

Von  Max  Weinberg. 

(Schluss.) 

1.  Fälle,  die  klinisch  zweifelhaft,  nach  dem  Ausfall  der  Reaktion  sich 
nicht  als  Karzinom  erweisen. 

15.  Herr  A.,  54  Jahre,  (Ulcus  ventriculi),  Cholelithiasis. 

,  .  LanP>e  Jahre  magenleidend.  Aufstossen,  selten  Erbrechen.  Im 
tum  soll  Blut  gewesen  sein.  Seit  August  20  Pfund  abgenommen, 
'eprumerter  Gemütszustand 

»  r  i?.mIiu,h  gUJer  Ernährungzustand.  Kein  Tumor  fühlbar,  Gegend 
tr  Gallenblase  leicht  empfindlich.  Bei  Aufblähung  des  Magens  kein 
inner.  Motorische  Funktion  gut;  nach  Probefrühstück  Anazidität, 
ereinzeUe  Milchsaurestäbchen,  keine  Milchsäure.  Nach  Probe- 
ahlzeit  freie  Salzsäure. 

I.  Versuch. 


ilse 

Serum 

Organsubstr. 

R. 

1 

1  ccm 

(  ) 

2  1 

»• 

Plazenta 

3 

1  ,, 

Leber 

(+) 

4 

i  „ 

Lebermetastase 

+  ? 

s  1 

1  i» 

Zylinderz.-Carc. 

ventr. 

<+) 

II.  Versuch  nach  3  Tagen. 


Hülse  Serum  Organsubstr.  R. 


1  ccm 
1 

1  .. 

1  „ 

1  .. 


Plazenta 

Leber 

Lebermetast. 

Zylinderz.- 

Carc. 


Frl.  Bl. 


Probelaparotomie  unterbleibt.  Bis  heute  völliges  Wohlbefinden, 
"ere^  *^err  ^  Jahre.  (Carcinoma  pylori),  Stenosis  pylori  ex 

Seit  10  Jahren  magenleidend.  Magenblutung.  Viel  Erbrechen, 
rlust  6  3  tCr  Mahlzeiten’  nie  schwarze  Massen.  Starker  Gewichts- 

Kachexie.  Bei  Palpation  Magensteifung.  Am  Pylorus  grosser 
mor,  etwas  verschieblich.  Hochgradige  Retention.'  Freie  Salz- 
ure  positiv,  Milchsäure  negativ. 

Operation :  Entzündlicher  Ulcustumor,  nirgends  Drüsen,  üastro- 

teroanastomose. 

Glatte  Heilung,  Patient  nimmt  in  3  Wochen  14  Pfund  zu. 


1 6(85 


Hülse 

Serum 

Organsubstr. 

R. 

Frl.  Bl. 

1 

1  ccm 

. _ 

2 

Plazenta 

3 

»> 

Lebermetastase 

+ 

4 

1  , 

Adenocarc.  mammae 

5 

'  „ 

Pankreas 

jj-  Herr  M.,  62  Jahre,  Carcinoma  intestini? 

Magen  kein  I  umor  fühlbar,  keine  Retention,  freie  Salzsäure 
positiv.  Stuhl:  Blut  positiv.  Urin:  Eiweiss  und  Zucker  negativ, 
Indikan  stark  positiv.  Blutbild:  Sekundäre  Anämie. 


Hülse 

Serum 

Organsubstrat 

R. 

1 

1  ccm 

_ 

2  1 

1  „ 

Plazenta 

_ 

3 

1  „ 

Lebermetastase 

_ 

4 

' 

Adenocarc.  ventr. 

_ 

5 

1  „ 

Spindelzellensarkom 

— 

j  i  uiz.u„in  i  .xpiorativiaparotomie.  Die  Abtastung  des  gi 
Abdomens  ergibt  keinen  Befund.  Glatter  Heilungsverlauf, 
befinden. 


Wohl- 


ulcerlf  Fr3U  N’’  59  Ja,,re’  (Carcil,oma  ventriculi),  Stenosis  pylori  ex 

Mit  28  Jahren  Blutbrechen,  seit  4 — 5  Jahren  wieder  Magen¬ 
beschwerden.  Erbrechen,  starke  Gewichtsabnahme 

Schlechter  Ernährungszustand.  Links  supraklavikulär  einzelne 
harte  Drusen.  Im  Epigastrium  starker,  kaum  verschieblicher  Tumor 

^b.ni  Retent)on-  TIFreie  Salzsäure  positiv.  Keine  Milchsäure. 
Stuhl.  Blut  positiv.  Urin:  Eiweiss  und  Zucker  und  Indikan  negativ 

I-  II. 


Serum 

Organsubstrat 

R.  Hülse 

Serum 

Organsubstrat  1  R. 

1  ccm 

1  „ 

1 

1 

1  „ 

1  „ 

Plazenta 

Adenocarc.  ventr. 
Adenocarc.  mammae 
Spindelzellensarkom 
Pankreas 

—  1 

2 

—  3 

4 

~ 

1  ccm 

1  „ 

1  „ 

1  ,, 

Plazenta 

Adenocarc.  ventr. 
Scirrh.  adenom. 

II  1  1 

1 

2 

3 

4 

5 

6 

Operation:  Resectio  pylori.  Gastroenteroanastomose. 

Mikroskopisch:  2  Stellen,  die  den  ganzen  Tumor  betreffen:  Ulcus 
chronicum  ventriculi,  keinerlei  Anhaltspunkte  für  primäre  oder  sekun- 
clare  Karzinomentwicklung. 

19  Herr  Sch.,  55  Jahre,  (Carcinoma  ventriculi),  Gastritis  chronica 

Lange  Jahre  magenleidend.  Selten  Erbrechen.  Gewichtsverlust 

Massiger  Ernährungszustand.  Epigastrium  empfindlich,  kein 
I  umor.  Keine  Retention.  Keine  Milchsäure.  Freie  Salzsäure  positiv 
Rontgenbild  negtiv. 

I-  II. 


Hülse 

Serum 

j  Organsubstrat 

R. 

Hülse 

Serum 

Organsubstrat 

R. 

Frl.  Bl. 

1 

1  ccm 

— 

— 

1 

1  ccm 

2 

1  „ 

Plazenta 

(+) 

2a 

1  » 

Plazenta 

3 

1 

Adenocarc.  ventr. 

(+) 

3a 

1  „ 

Adenoc  mamm. 

_ 

4 

1  >> 

Leber 

— 

4 

•  .. 

Adenoc.  ventr. 

5 

1 

Rundzellen 

(+) 

’  5 

I  „ 

Rundzellensark. 

- 

20.  Herr  Bl.,  61  Jahre,  sekundäre  Karzinomentwicklung  (?),  Ulcus 
chronicum  ventriculi. 

V°r  6  Jahren  Gastroenteroanastomose  wegen  Magengeschwür. 
Damals  einige  Drüsen  im  kleinen  Netz.  In  den  letzten  2  Jahren 
heftige  Magenbeschwerden.  Erbrechen.  Gewichtsverlust.  Geringe 
Retention.  Freie  Salzsäure  positiv.  Keine  Milchsäure 

I-  II. 


Hülse  |Serum|  Organsubstrat  j  R.  | Frl.  Bl 


1  ccm  —  — 

1  ,,  Plazenta  — 

I  „  Adenoc.  ventr.  (-)-) 
1  „  j  Adenoc.  mamm,  — 

1  ,,  [  Lebermetastase  I  — 


| Frl.  Bl.  Hülse 

Serum 

Organsubstrat 

R. 

—  1 

1  ccm 

_ 

2 

1  „ 

Adenocarc.  ventr. 

(+) 

3 

1 

Adenocarc.  mamm 

Herr  V.,, 64  Jahre’  (Carcinoma  ventriculi).  Gastritis  chronica. 
Seit  8  Wochen  Magenbeschwerden.  Erbrechen.  Wenig  abce- 
nommen. 

Guter  Ernährungszustand.  Kein  Tumor.  Freie  Salzsäure  positiv 
Keine  Retention.  Röntgenbild  negativ. 

I-  II. 


Hülse 

Serum 

Organsubstrat  R.  (ir)- 

r>l. 

Hülse 

Serum 

Organsubslrat 

R. 

Dr. 

Ewald 

1 

1  ccm 

.  !  (T)  (T) 

1 

1  ccm 

2 

1  » 

Plazenta  +? 

2 

>  ,, 

3 

I  .. 

Adenoc.  ventr.  (-)-t  -(-? 

3a 

1  ,  i 

Adenoc.  mamm. 

4 

1 

Lebermetastase  -f  ?  | 

4 

1  „ 

Lebermetastase 

5 

1  » 

Niere  |  (^-)  | 

5 

1  .. 

Niere 

— 

22  Frau  B.,  49  Jahre,  (Carcinoma  ventriculi),  Cholelithiasis. 
ncttige  Magenbeschwerden.  Appetitlos.  Erbrechen. 

i  u  Ke‘n  ,norG .  Ffeie  Salzsäure  herabgesetzt.  Keine  Retention. 

Lebergegend  empfindlich. 


1686 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT^ 


Nr.  30. 


Hülse 

Serum 

Organsubstrat 

R.  Frl  Bl. 

1 

1  ccm 

— 

2 

1  „ 

Plazenta 

3 

1  ” 

Leber 

-  - 

4 

1  ” 

Lebermetastasen 

— 

5 

i 

Adenocarc.  ventr.  | 

rroDeiaparoiuimc  umwuiwüi. 

Schmerzen  in  der  Gallenblasengegend. 

23.  Herr  R.,  61  Jahre,  (Carcinoma  hepatis),  Leberabszess. 

Seit  längerer  Zeit  Schmerzen  in  der  Lebergegend.  Appetit 
schlecht.  Hat  abgenommen.  Nie  Ikterus. 

Reduzierter  Ernährungszustand.  Leber  vergrossert.  Empfind¬ 
lich.  Konsistenz  derb.  Oberfläche  glatt. _ _ 


29  Herr  M.,  54  Jahre,  Carcinoma  vesicae. 

Seit  einiger  Zeit  Blut  im  Urin.  Schmerzen  in  der  Blasengegend. 

Qer" Uri „?TSowt”enhmErythrozyten,  Tumorzellen  (histoloe.  an- 
scheinend  von  «utartiEem  Tumor). 


Hülse 

Serum 

Organsubstrat 

R. 

Frl.  Bl. 

1 

1  ccm 

— 

— 

— 

2 

3 

1  » 

1  ,, 

Plazenta 

Adenocarc.  ventr. 

+ 

4 

1  „ 

Lebermetastase 

+ 

5 

1 

Rundzellensarkom 

Hülse 


Serum 


Organsubstrat 


R. 


Frl.  Bl. 


1  ccm 
1  ,, 

1  ,, 

1  ,, 

1 


Plazenta 

Leber 

Lebermetastasen 
Adenoc.  mammae 


Nach  3  Monaten  Eröffnung  eines  Leberabszesses. 
Wohlbefinden. 

Carcinoma  mammae. 


Heilung  und 


Zylinderzellenkrebs  der  Harnblase. 


Exstirpation  des  Tumors. 

Histologische  Diagnose: 

Malignes  Papillom. 

30  Herr  E.,  71  Jahre,  Carcinoma  vesicae.  ...  , 

Seit  kurzem  Blut  im  Urin.  Leukozyten,  Erythrozyten,  Alb.  +. 
Zystoskopie:  Breitbasiger  ulzerierender  Tumor. 


Hülse  Serum 


Organsubstrat 


R. 


Frl.  Bl. 


Hülse  Serum 

Organsubstrat 

R. 

Frl.  Bl. 

1  1  ccm 

2  1  ,, 

3  1  „ 

4  1  „ 

5  1  „ 

Plazenta 

Adenoc.  mammae 
Adenocarc.  ventr. 
Spindelzellensarkom 

I++1  1 

+ 

I.  Vor  der 
Operation: 


Radikaloperation  mit  Entfernung  der  Achseldrüsen. 

Mikroskop.:  Adenocarcinoma  mammae. _ _ 

II.  5  Wochen  nach 
der  Operation : 


Hülse 


Serum  Organsubstrat  *  R. 


1  ccm 
1  „ 

1  .. 


Plazenta 

Adenoc.  mammae 


+ 


Nach  10  Wochen  Hautmetastasen.  ,  u  A  .. 

Sektion  am  10.  V.  14:  Ausgedehnte  Metastasen  der  Haut.  Meta¬ 
stasen  der  Mamma  rechts,  sowie  in  der  Pleura  und  Leber. 

25.  Frau  L.,  61  Jahre,  lokales  Rezidiv  nach  Mammaamputation. 
Vor  7  Jahren  operiert.  Von  Zeit  zu  Zeit  kleine  lokale  Rezidive, 


Hülse 

Serum 

Organsubstrat 

R. 

Frl.  Bl. 

1 

1  ccm 

— 

— 

- 

2 

1  t, 

Plazenta 

— 

+ 

4 

i 

i  .. 

Adenocarc.  mammae 
Lebermetastasen 

t 

5 

i  .. 

Spindelzellensarkom 

— 

1  ccm 
1  „ 

1  ,. 

1  .. 

1  „ 


Plazenta 
Lebermetastase 
Niere 

Spindelzellensarkom 


+ 


4- 


Operation:  Exstirpation. 

Histolog.:  Carcinoma  solidum  vesicae. 

Carcinoma  recti. 

31.  Frau  B.,  52  Jahre,  Rezidiv  eines  Rektumkarzinoms. 

Vor  2  Jahren  wegen  Rektumkarzinom  operiert.  Elender  Zustand. 

Durchfälle. 


Hübe 

Serum 

Organsubstrat 

R. 

1 

1  ccm 

— 

— 

1  ,, 

Plazenta 

— 

3 

1  » 

Adenocarc.  ventr. 

+ 

1  „ 

Gehirn 

— 

5 

1  >. 

Adenocarc.  recti 

+ 

32  Herr  E.,  59  Jahre,  Carcinoma  recti  (Darmkatarrh). 

Seit  Vk  Jahren  wegen  Stuhlbeschwerden  beim  Arzt.  In  den 
letzten  Wochen  heftige  Schmerzen,  Drängen  nach  unten  ohne  Stuhl¬ 
abgang-  Ocfters  Blut.  Digital  harter  Tumor  fühlbar.  Rektoskopie. 


26.  Frau  Pf.,  47  Jahre,  Carcinoma  mammae. 
Operation:  Amputatio  mammae,  Drüsenausräumung. 


Hülse 

Serum 

Substrat 

R. 

1 

1  ccm 

— 

— 

2 

1  ,, 

Plazenta 

— 

3 

1 

Adenocarc.  mammae 

+ 

4 

1 

Plattenep.-Ca.  der  Haut 

— 

5 

1 

Rundzellensarkom 

— 

Hülse 

Serum 

Organsubstrat 

R. 

1 

1  ccm 

— 

— 

2 

1  ,, 

Plazenta 

— 

3 

1  „ 

Leber 

— 

4 

i 

Lebermetast.  (Zylind.) 

+ 

27.  Frau  B.,  53  Jahre,  Carcinoma  mammae. 
Operation:  Amputatio  mammae,  Drüsenausräumung. 
Mikrosk.:  Adenocarcinoma  mammae. 


Hülse 

Serum 

Substrat 

R. 

1 

1  ccm 

— 

— 

2 

1 

Plazenta 

— 

3 

1 

Adenocarc.  mammae 

+ 

Carcinoma  vesicae. 

28.  Frau  H.,  61  Jahre. 

In  den  letzten  2  Jahren  Gewichtsabnahme.  Seit  Sommer  1913 
Schmerzen  im  linken  Bein. 

Kachexie.  Auftreibung  der  linken  Tibia,  die  sehr  schmerzhaft. 


Operation:  Exstirpation  des  Tumors.  Histolog.:  Adenocarc.  recti. 

Carcinoma  oesophagei. 

33  Herr  D.  (Magenleiden,  Neurasthenie),  Carcinoma  oesoph. 
Seit  kurzer  Zeit  Magenbeschwerden.  Gibt  nebensächlich  an, 
dass  er  oft  nach  oben  aufsteigendes  Brennen  habe,  besonders  hinter 
dem  Brustbein.  Tumor  nicht  fühlbar.  Magenuntersuchung:  Normale 

Funktion. _ _ _ _ _ 


Hülse 


Serum 


Organsubstrat 


R. 


1  ccm 
1 

1  .. 

1 
1 


Plazenta 

Plattenepit.Carc.port.ut.  +T 
Lebermetast.  (Adenoc.)  (+) 

Spindelzellensarkom  — 

Während  des  Krankenhausaufenthaltes  rasch  zunehmende  Ste¬ 
nose  der  Speiseröhre.  Im  Röntgenbild  Tumor  nachweisbar. 

34.  Herr  G.,  67  Jahre,  Carcinoma  oesophag.? 

Schmerzen  beim  Schlucken  fester  Speisen.  Gefühl,  als  ob  etwas 


Hülse 

Serum 

Organsubstrat 

R. 

Frl.  Bl. 

1 

1  ccm 

— 

— 

— 

2 

1  „ 

Plazenta 

— 

3 

1  ,, 

Rundzellensarkom 

— 

4 

1  „ 

|  Spindelzellensarkom 

— 

— 

5 

1  ,, 

Adenocarc.  ventr. 

++ 

+ 

Auskratzung  des  Knochenherdes.  Histololog. :  Endotheliom 
des  Knochens.  Keine  histogenetischen  Beziehungen  zu  den  Knochen¬ 
elementen.  Ausgang  von  den  Endothelien  der  Lymphbahn.  Meta¬ 
statische  Neubildung.  Unterdes  ergibt  die  Urinuntersuchung  Blut, 
Eiter  und  Tumorzellen. 

Zystoskopie:  Breitbasiger  ulzerierender  Tumor. 

#)  Die  Wiederholung  nach  3  Monaten  ergibt  wiederum  negativen 
Ausfall. 


Hülse 

Serum 

Organsubstrat 

R. 

Frl.  Bl 

1 

1  ccm 

— 

— 

2 

1  „ 

Plazenta 

— 

3 

l 

Plattenepithelkarzinom 

— 

— 

4 

1 

|  Lebermetast.  Adenoc. 

LJ  IC  . . . ” 

Bis  heute  Wohlbefinden. 

Karzinom  der  Haut. 

35.  Herr  N.,  60  Jahre,  ulzerierendes  Kankroid  des  linker.  Hand¬ 
rückens. 


Hülse 

Serum 

Organsubstrat 

R. 

1 

1  ccm 

— 

— 

2 

1  „ 

Plattenep.  der  Haut 

+ 

3 

1  .. 

Zylinderzellenkarzinom 

— 

Exstirpation.  Histolog.:  Plattenepithelkarzinom  der  Haut. 


28.  Juli  1914. 


MUFNCHFNFR  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIF’ 


1687 


Carcinoma  uteri. 

•y.  Frau  M..  38  Jahre.  Rezidiv  eines  Uteruskarzinoms. 

•  ,  V  u,  Totalexstirpation  wegen  Uteruskarzinom.  Jetzt 
\v'äliS!^hWord.!n:  J"] ,  BnteB?ib’  Druckgefühl.  Schmerzen  beim 


Hülse 

Serum 

Organsubstrat 

R. 

Frl.  Bl 

1 

1  ccm 

2 

1 

Plazenta 

3 

1  „ 

Adenoc.  ventr. 

J- 

+ 

4 

1  „ 

Adenoc.  mammae 

t 

5 

I  „ 

Thyroidea 

6 

1  „ 

Spindelzelleukarzinom 

— 

Mi  u7.  J?hre  (Carcinoma  uteri),  Endometritis  chronica. 
Sekretion  Wochen  unregelmässige  Blutungen.  Leichte  fötide 


Hülse 

Serum 

Organsubstrat 

R. 

1 

1  ccm 

2 

1 

Plazenta 

3 

1  » 

Adenoc.  Lebermet.ast. 

4 

1 

Adenoc.  uteri 

— 

m  i  Aucnoc.  uteri  _ 

Kürette:  Histologisch:  chronische  Endometritisveränderungen. 
38.  Frau  H.,  46  Jahre. 


Hülse  | 

Serum 

Organsubstrat 

R. 

1 

1  ccm 

2  1 

1  „ 

Plazenta 

3 

j .. 

Adenocarc.  mammae 

4 

Adenoc.  uieri 

— 

Kürette:  Histolog.:  chronische  endometritische  Veränderung 


Struma  maligna. 

39.  Frau  T.,  53  Jahre. 

ÄSE  ,d‘e  d“>  verwachsen 


Hülse 

Serum 

Organsubstrat 

R. 

Frl.  Bl. 

1 

1  ccm 

_ 

2 

1  „ 

Plazenta 

3 

1  ,, 

Thyreoidea 

+-H- 

4 

1  ft 

Adenoc.  vent. 

UV 

4- 

5 

1  „ 

Rundzellensarkom 

6 

1 

Spindelzellensarkom 

— 

neduliare  solidum).  UdUgnd  oarcinomatosa  Ware. 

Teratom. 

JnterVhSg  aos7seJraTumoQre‘l“ühhLa!S  °b  ^  ^  ^  WaChse'  bel 
leich£enderEnt”itu™St0l°g-  Tera'°m  mit  n,ali*l,er-  dem  Karzinom 


Hülse 

Serum 

Organsubstrat 

R. 

Frl.  Bl. 

1 

1  ccm 

_ 

2 

1 

Plazenta 

3 

1  „ 

Ovarium 

4 

1 

Adenoc.  mammae 

■t 

5 

1 

Lebermetastase 

+ 

Sarkome. 

\wHiei/r  iMn  37  iahf.e>  Sarkom  der  Inguinaldrüsen.  Rezidive, 
»kales  Rezidiv^"  Exstirpatlon  von  Inguinaldrüsensarkom.  Zurzeit 


Hülse 

Serum 

Organsubstrat 

R.  |  Frl.  Bl. 

1 

1  ccm 

2 

1  „ 

Plazenta 

3 

1 

Zylinderzellenkarzinom 

4 

•1 

Rundzellensarkom 

-|~f-  + 

5 

1 

Spindelzellensarkom 

+  ?  1 

r  lokales  Rezidiv,  das  operiert  wird.  Die  Re- 


finn  KiaiUf  '  IVCZ.IU1V,  uas  operiert  wir« 

■non  bleibt  vor  und  nach  jeder  Operation  stets  positiv 
^ektion.  Allgemeine  Sarkomatose. 

42.;)  Fräulein  H„  17  Jahre. 

^epnx  einP  Geschwulst  seitlich  des  Kniegelenkes 


Hülse 

Serum 

Organsubstrat 

R. 

1 

1  ccm 

1  „ 

Plazenta 

3 

1  „ 

Rundzellensarkom 

+ 

4 

1 

Spindelzellensarkom 

5 

1  ,, 

Niere 

— 

Histolog.  Diagnose: 
ndzellensarkom. 


In  der  einen  Wand  Sarkomentwicklung. 


)  Patientin  wurde  6  und  12  Wochen  nach  der  Operation  unter- 

L  '  n:>.eine  Anz®lcben  e>nes  Rezidivs  oder  Metastasenbildung, 
me  Drusen.  A.-R.  beide  Male  negativ. 


43.  Herr  P.,  42  Jahre. 

Hi«  l>atient_  wird  an  einer  kleinen  Geschwulst  in  der  Lebergegend 

KwSse™i!t%peS.beS,eh'  “nd  'n  de”  le,Z,en  *»»«»'  «w« 


Hülse 

Serum 

Organsubstrat  j  R. 

1 

1  ccm 

2 

1  „ 

Plazenta  — 

3 

1 

Zylinderzellenkarzinom  — 

4 

1 

Spindelzellensarkom  -j- 

5 

1  „ 

Rundzellensarkom 

Exstirpation:  Histolog.  kirschgrosse  Geschwulst:  Leiomyosarkom. 
44.  Herr  W.,  56  Jahre. 

„rnSc«e^«aru  1913.  aa.  der  Radialseite  des  linken  Ellenbogen  nuss- 
grosse  Geschwulst,  die  seit  Januar  gewachsen  ist.  Auf  Unterlage 

Drüsen6^'65  ICh'  Röntgenbild;  Knochen  ohne  Veränderung.  Keine 

zellen  XStlrPatl°n:  HistoIog-  Fibrosarkom  des  Oberarmes.  Spindel- 
November  1913  Rezidiv. 


Hülse  ] 

Serum 

Organsubstrat 

R. 

Frl.  Bl. 

1 

1  ccm 

__ 

2 

1  „ 

Plazenta 

3 

1 

Zylinderzellenkarzinom 

_ 

4 

Fibrosarkom  Spindelz. 

++ 

+ 

1  » 

Pankreas 

6 

1 

Rundzellensarkom 

— 

Hohe 


Malignst Pati°n:  Sp‘ndelzelIensarkom.  Starke  Anaplasie. 

Rea^ffS^oJ^nn?^  tf0tZ  BestrahlunS-  Amputatio  humeri. 
i\  e  a  k  t  i  o  n  noch  positiv. 

Histolog.:  Kein  Uebergreifen  auf  den  Knochen, 
anuar  1914:  die  Reaktion  bleibt  positiv.  April  1914 - 
Lungenmetastasen.  Exitus.  pni  iy14' 

12.  XII.  1913. 


Hülse 

Serum 

Organsubstrat 

R. 

Frl.  Bl. 

1 

1  ccm 

Plazenta 

2 

3 

1  „ 

1  „ 

Spindelzellens. 

+ 

+ 

21.  I.  1914. 


Hülse  Serum 

Organsubstrat 

R. 

1  1  ccm 

_ 

J  }  ” 

Spindelzellensarkom 

+ 

Plazenta 

45.  Frau  I.,  64  Jahre,  Sarcoma  colli. 

,  ,.rosse  Geschwulst  an  linker  Halsseite.  Im  letzten  halben  Jahre 
schnell  gewachsen.  Sehr  hart.  Haut  verschieblich,  mit  der  Unter- 

mastoIdeusaChSen'  ReiCht  V°m  M'  sternocIeidomast.  bis  zum  Proc. 


Hülse 

Serum 

Organsubstrat 

R. 

Frl.  Bl. 

1 

1  ccm 

- 

2 

1  ,, 

Plazenta 

3 

4 

1 

1  „ 

Rundzellensarkom 
Fibrosarkom  Spindelz. 

+  ? 

5 

1 

Lebermetast.-Karzinom 

^Asurpauon.  mstoiog.  Diagnose:  Zell-  und  bindegewebsreiches 
Rundzellensarkom.  Die  fragliche  Reaktion  bei  Hülse  4  ist  vielleicht 
auf  Bindegewebsabbau  zurückzuführen. 

46.  Herr  R„  45  Jahre,  Sarcoma  testis. 
operim-t26^'^  V°r  e'nem  dabre  wegen  Geschwulst  an  der  Schläfe 


Hülse 

Serum 

Organsubstrat 

R. 

1 

1  ccm 

2 

X  „ 

Plazenta 

3 

1  ,, 

Rundzellensarkom 

+ 

4 

1  „ 

Zylinderzellenkarzinom 

5 

1  „ 

Hoden 

— 

Exstirpatio  testis.  Histolog.:  Rundzellensarcoma  testis 

I  )1P  k’pak'tmti  A  \A/ n  ^ 


Hülse  1 

Serum 

Grgansubstrat 

R. 

i  | 

1  ccm 

_ 

2 

1  „ 

Rundzellensarkom 

+ 

3  1 

1  .. 

Plazenta 

Sektion:  Sarcomatose  intestini  et  peritonei. 


47.  Frau  P.,  63  Jahre,  Tumor  orbitae. 

Im  nasalen  Winkel  des  rechten  Auges  rundliche  Geschwulst,  mit 
wfrl  a‘w  v^rvvachsen.  Besteht  etwas  länger  als  ein  Jahr.  In  den 
letzten  Y\  ochen  kaum  merklich  gewachsen. 


Hülse 

Serum 

Organsubstrat 

R. 

1 

1  ccm 

2 

1  ,, 

Plazenta 

3 

1  „ 

Rundzellensarkom 

4 

1  „ 

Spindelzellensarkom 

5 

1  ,, 

Zylinderzellenkarzinom 

— 

SarkonHiarakte' '  Bls^°*og'D|aSnose:  Hamartom  ohne  ausgesprochenen 


1688 


M1JENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  30. 


ÄÄ  ftÄ"  1-  W-  haibcn 

Jahre  etwas  gewachsen. 


Hülse  |  Serum 


Organsubstrat 


R. 


Frl.  Bl. 


1  ccm 
1 
1 


Rundzellensarkom  !  — 

3  j  Spindelzellensarkom  |  —  I 

befinden.  _ _ — 


28  Falten  •)  vanKa^inom  hatte  Id,  also  in  26  Abbau  von 

L; nta rsuchung6' Karzinomei weiss  verschiedener  Herkunlt  nicht 
u  ps  handelte  sich  um  ein  reines  Zylinderzellenkarzinom  d 

bnaen  -  Oder  sofern"  sich  solche  bildeten,  wurden  s.< =  so fort 
Absorbiert.  Vielleicht  auch,  dass  der  Körper  überhaupt  mch 
*  V,  io  „rar  Fermente  zu  bilden,  wodurch  sich  erklären 
IS  e  dass  dei  TumSr  s  ch  in  kurzer  Zei,  zu  ausserordentlicher 
Orfsse  entwickeln  konnte.  Die  vorgeschrittene  Kachele  ,st 

■-?"-*«! 1  ^  Xechnlk'also^o^lT^ücht'berücksiclitigt  werden 

können,  die  aber  nach  ihrer  Erforschung  für  die  Anschauung 
des  Tumorwachstums  und  der  Metastasenbildung  von^gioss 
Bedeutung  werden  können.  Dass  ein  Fal 
KarZinomabbau  zeigte,  habe  ich  bereits  zu  erklären  versucht. 
Für  die  Technik  der  Methode  ergibt  sich  gerade  aus  diesem 
Falle  wie  auch  Fall  12  und  39  zeigen,  die  Notwendigkeit, 
ausser  dem  Geschwulstsubstrat  des  ergriffenen  Organs  da 
Tumorsubstrat  eines  Organes  zu  verwenden,  das  sicher  nicht 
beteiligt  ist  gewissermassen  em  neutrales  Sub.  tra 
•mch  Fall  7  12,  20).  Andernfalls  wäre  bei  diagnostischen 

Untersuchungen  z.  B.  eines  Magenkarzinoms  notwendig,  neben 
Karzinomsubstrat  des  Magens  noch  Magenschleimhaut  z 
fverp-l  Fall  5  9).  Ich  verfahre  prinzipiell  bei  allen 
diagnostischen  Untersuchungen  auf  Grund  meiner  Erfahrungen 
derar?  dass  ich  neben  Tumorsubstrat  des  beteiligten  und 
eines  neutralen  Organes  stets  die  normalen  Organe  mitprufe. 

In  12  zweifelhaften  Fällen  blieb  die  Reaktion  mit  Karzmom- 
eiwetes  negativ,  die  Operation  bzw.  Sektion  oder  der  Verlauf 

bestätigte  den  Ausfall  der  Reaktion.  Qarknmeiweiss 

ln  6  Sarkomfällen  zeigte  das  Serum  mit  Sarkomeiweiss 

Dositiven  Ausfall  —  2  Fälle,  in  denen  die  Reaktion  negativ  war, 
würfen  durch  .die  histologische  Untersuchung  nicht  als 

Sarkome.  sjcl|er  nicht  f0r  maligne  Tumoren  in  Be 

tracht  kamen,  wurde  niemals  Karzinom-  oder  Sarkomabbau 
beobachtet  —  3  Gravidensera  darunter  bauten  nur  Plazenta  ab. 

Entgegen  anderen  Mitteilungen  fand  sich,  dass  Karzinom- 
bzw.  Sarkomserum  nur  entsprechendes  Tumor  Substrat  ab- 
baut'e  also  Karzinomserum  nur  Karzinomeiweiss  und  nie 
Sarkomeiweiss  und  umgekehrt.  Es  zeigte  sich  dabei,  dass  es 
für  den  Ausfall  der  Reaktion  weniger  in  Betracht  kommt,  von 
welchem  Organ  der  Tumor  stammt,  wenn  nur  die  Art  des 
histologischen  Aufbaues  übereinstimmt.  Die  Spezifität  ist  für 
die  einzelne  Tumorart  eine  sehr  weitgehende,  sogar  m  histo¬ 
logische  Einzelheiten  derart,  dass,  wie  ich  beobachten  konnte, 
das  Serum  eines  Plattenepithelkarzmoms  nicht  mit  Zyhnder- 
zeflenkarzinom  reagiert  und  umgekehrt  und 
scheint  es  sich  für  das  Sarkom  zu  verhalten,  n  2  Fallen  rea¬ 
gierte  Spindelzellensarkom  nicht  auf  Rundzellensarkom  und 
auch  umgekehrt.  Doch  sind  meine  Fälle  noch  zu  wenig  an  der 
Zahl  um  diese  Frage  bestimmt  zu  entscheiden.  Um  auf  ein 
Karzinom  zu  prüfen,  wäre  also  zunächst  notwendig,  Karzinom¬ 
substrat  verschiedener  Zellart  zu  verwenden,  um  Fehldia¬ 
gnosen  auszuschliessen  und  ebenso  beim  Sarkom. 

Sicher  ist  wie  ich  in  meinen  Untersuchungen  fand,  dass 
Karzinom  und  Gravidität  durch  die  biologische  Methode  sich 

'  m  Pin7  Reihe  weiterer  Untersuchungen,  deren  Ergebnisse  mit 
den  obigen  gut  übereinstimmen,  soll  später  noch  veröffentlicht  werden. 


trennen  lassen.  In  keinem  Fall  griff  Karzinom-  bzw  Sarkom- 
Serum  Plazenta  an,  hinwiederum  reagierten  die  3  Qraviden- 
scra.  die  zu  untersuchen  mir  möglich  war,  mit  Karzinom  vie 
Sarkom  negativ  (und  zwar  mit  Adenokarzinom  des  Magens  I 

"nd  ich  versuchte,  da  ich  chirurgisches  Material  zur  Verfügung 
hatte  naehzuprüfen,  wie  die  Reaktion  nach  Operation  bzw. 
nach' Radikaloperation  sich  verhielt  ln  den  wentgen  Falle* 
die  ich  bis  jetzt  nachprüfen  konnte  (Fall  -4,  -.5,  31,  3b,  41, ,44 
sowie  Fall  46)  blieb  die  Reaktion  stets  positiv  — -  in  jedem  Fall 
wurde  die  Reaktion  durch  das  Auftreten  von  Metastasen  be¬ 
stätigt  oder  zeigte  bereits  bestehende  Metastasen  an  (vergl. 

Es  erübrigt  sicli  noch,  die  klinische  Verwertbarkeit  des 
Dialysierverfahrens  zu  betrachten.  In  den  klinisch  sicheren 
Fällen  stimmte  der  Ausfall  der  Reaktion  bis  auf  2  über  ein.  ln 
den  zweifelhaften  Fällen  trug  sie  dazu  bei,  die  Differential- 
diagnose  zu  entscheiden.  Dringend  möchte  ich  aber  darauf 
h  n weisen,  dass  niemals  der  Ausfall  der  Reaktion  als  solcher 
die  Diagnose  —  über  die  klinischen  Erscheinungen  hinweg  - 
bedingen  darf.  Es  werden  wohl  immer  wieder  Falle  auftreten, 
wo  die  Reaktion  noch  im  Stiche  lässt  oder  falsch  gedeutet 
wird  (Fall  4  und  Fall  7).  Andererseits  wieder  vermag  die 
Reaktion  in  manchen  Fällen  den  Weg :  zu  s tagen .  wo  klinisch 
eine  Diagnose  noch  nicht  eindeutig  möglich  ist  (ball  1).  ALo 
nur  im  Verein  mit  den  klinischen  Erscheinungen,  zusammen  mit 
der  klinischen  Untersuchung  am  Krankenbett  wird  die  A  b  de  r- 
h  a  1  d  e  n  sehe  Reaktion  -  in  sorgfältigster  Abwägung  des  Für 
und  Wider  —  ein  wertvoller  Faktor  sein.  Vorausgesetzt  ein¬ 
wandfreie  Substrate  und  sorgsamste  Technik  —  dre  strengste 
Selbstkritik  der  eigenen  Untersuchung  als  Bedingung 
die  Methode  einwandfreie  Resultate  liefern.  In  diesem  Sinne 
benutzt  und  ausgebaut,  wird  die  Reaktion  der  Klinik :  voraus¬ 
sichtlich  den  grössten  Dienst  zu  leisten  vermögen.  Die  Früh¬ 
diagnose  maligner  Geschwülste. 


Literatur. 

1  Abderhalden:  Die  optische  Methode  und  das  Dialysier- 
verfahmi  Handb.  d.  biol.  Krebsmeth  5.  -  2.  Ders:  Ab wehr- 
fpi  mente  des  tierischen  Organismus.  III.  Aufl.  Vgl.  dort  Literatur. 
il'Ters.:  MmW.  1912  Nr.  36  -  4  Br oc :k«. "n:  Lance 

iQio  c  i  _  5  Deutsch  und  Köhler.  W.Kl.vv. 

V«H  E  p  sU:  r  Fr  an* 

jadrisch:mW.kl.W.  1912  Nr.  39  9  v.  0  a.m  b  a  r  : 

1012  Nr  30 _ 10.  Halpern:  Mitt.  Grenzgeb.  27.  1913.  H.  . 

1  Hless  und  Lederer:  M.m.W.  1913  Nr.  41.  -  12  J  o  n  as. 
nrnW  1913  Nr  23.  —  13.  Markus:  B.kl.W.  1913  Nr.  1L 
14  Weiss:  D.m.W.  1914  Nr.  2  —  15.  v.  w.  ‘  n*  ^  aJ  t  e  r: 

1913  Nr.  41  S.  2306.  —  16.  Wolfsohn:  Arch.  f.  klm.  Chir.  102. 

1913.  H.  7. 


Der  Nachteil  der  dauernd  steigenden  Anlage-  und 
Betriebskosten  von  Sanatorien  *). 

Von  Sanitätsrat  Dr.  Carl  Schütze  in  Bad  Kosen. 
Meine  Aufgabe  war,  einen  Bericht  zu  geben  über  die  über¬ 
triebenen  Heileinrichtungen  in  Sanatorien.  Es  sind  nun  2  Jahre, 

H.  mich  mit  dieser  Angelegenheit  beschäftige.  In  dieser  Zeit  hat  scj 

mir  soviel  Material  aufgedrängt  dass  ich  bei  ^■d|e"aJJSe!bea5Se- 
der  Aufschrift  nicht  stehen  bleiben  konnte,  sondern  üieseioe  unu 
dfngt  erweitern  musste,  wenn  Jas  Referat  einen  nutzbnngenden  Wert 
lr, hen  sollte  Die  Aufschrift  lautet  nunmehr.  „Der  Nacht  ^  i 
dauernd  steigenden  Anlage-  und  Betriebskosten  von  Sanätonen  .  | 

Nach  dem  Bericht  von  Behl  a  in  den  medizinisch-statistischen^ 
Nachrichten  vom  Jahre  1912  befinden  sich  in  Preussen  al'ein Ain, 
stalten  im  Besitz  von  Privatpersonen.  Unter  3120  he 

allgemeinen  sind  das  mithin  28  Proz.,  sicherlich  eine  ganz :  erheb!  c 
Anzahl  Wir  brauchen  nur  die  Annoncen  unserer  Fachblatter 
auch  der  politischen  Blätter,  der  Wochen-  und  Monatsschnft« 
yiisehen  um  die  stets  wachsende  Zunahme  der  nrricmung 
Sanatorien  und  Privatheilanstalten  festzustellen.  Bei  der  ungeheur 
Vermehrung  der  Bevölkerung  würde  eine  solche  Zahl  von  Sanator 
und  das  Anwachsen  derselben  nicht  so  sehr  ins  Gewicht  fallt  ü 
man  nicht  andererseits  bemerken  müsste,  dass  auch  eine  n|cht  g 
Anzahl  von  Sanatorien  und  Privatheilanstalten  wieder  zum  V  (I 

*)  Nach  einem  Vortrage,  gehalten  auf  der  Jahresversammlum 
des  Verbandes  deutscher  ärztlicher  Heilanstaltsbesitzer  und  4 
Hamburg  im  März  1914. 


28.  Juli  1914. 


MUKNCHFNFR  MEDIZINISCHE  W0CHENSCHRIF1 


1689 


ausgeboten  werden,  oder  sonst  eingehen  aus  irgendwelchen  Gründen 
oder  gar  durch  Zahlungsunfähigkeit  in  Konkurs  geraten.  Da  es  mir 
sehr  daran  lag,  etwas  genaueres  über  Verkauf,  Eingehen  und  Konkurs 
von  ..  anatoricn  zu  erfahren,  habe  ich  mich  an  das  Kgl.  preussische 
statistische  Amt  zu  Berlin  gewandt,  konnte  aber  hier  leider  nichts 
erfahren,  da  dieses  Amt  darüber  keine  Register  führt. 

Es  ist  verwunderlich,  dass  neben  dem  Auftauchen  zahlreicher 
neuer  Privatheilanstalten  doch  eine  grosse  Anzahl  derselben  wieder 
eingehen  und  verschwinden.  Wir  können  an  dieser  Tatsache  nicht 
gleichgültig  vorübergehen,  da  sie  nicht  nur  in  die  Verhältnisse  der 
einzelnen  Besitzer  tief  einschneidet,  sondern  auch  eine  nicht  zu  unter¬ 
schätzende  national-ökonomische  Bedeutung  hat. 

In  den  letzten  Jahren  ist  auf  allen  Gebieten  Mandel,  Gewerbe, 
Industrie  ein  gewisser  Stillstand  oder  sagen  wir,  verlangsamter  Fort- 
schritt  eingetreten,  deren  Gründe  wohl  zumeist  in  politischen  Ver- 
h.iltnissen  zu  suchen  sind.  Grosse  und  kleine  Kurorte  empfinden  diese 
Verhältnisse  in  gleicher  Weise.  Wenn  auch  die  Heilbestrebungen  des 
kurarzthehen  Standes  im  allgemeinen  der  ideellen  Seite  noch  nicht 
entbehren,  so  müssen  wir  uns  doch  klar  machen,  dass  kostspielige 
Einrichtungen  sich  auch  rentieren  sollen,  d.  h.,  dass  Privatanstalten 
verdienen  wollen  und  mit  materiellem  Ueberschuss  arbeiten  müssen. 
In  dieser  Zwangslage  ist  denn  nun  auch  ein  gewisser  Konkurrenz¬ 
kampf  entstanden,  der  sich  schon  in  der  Art  der  Ankündigungen  doku¬ 
mentiert.  Wir  finden  Redewendungen  wie:  ..neuzeitliche  und  muster- 
gultige  Einrichtungen  für  Kur  und  Unterkunft“;  —  und  „in  herrlicher 
\\  2  Id  gegen  d  gelegene,  mit  allem  Komfort  der  Neuzeit  eingerichtete 
und  klinisch  geleitete  Kuranstalt“.  Andere  Sanatorien  zählen  ihre 
Heileinrichtungen  noch  namentlich  auf.  Warum  geschieht  das?  Die 
Besitzer  müssen  ringen  und  kämpfen,  um  ihre  kostspieligen  Institute 
rentabel  zu  machen! 

Fragen  wir  uns  nach  den  Gründen  der  teuren  Anlagen,  so  er¬ 
fahren  wir  zunächst,  dass  der  Bauplatz  schon  eine  erhebliche  Summe 
verschlungen  hat.  Nach  §  2  der  preussischen  Vorschriften  verlangt 
die  Behörde  mindestens  100  qm  für  das  Krankenbett.  Diese  Forderung 
kann  im  Einzelfalle  vielleicht  schon  zu  Schwierigkeiten  führen,  vor 
allen  Dingen  dadurch,  dass  ein  genügend  grosser  Bauplatz  an  einer 
in  jeder  Hinsicht  geeigneten  Stelle  zu  finden  ist.  Der  Staat  verlangt 
eine  solche  Fläche  nach  unseren  modernen  Anschauungen  der  Hygiene 
unserer  Krankenanstalten,  namentlich  hinsichtlich  der  freien  und 
ruhigen  Lage  derselben  und  der  Möglichkeit  reichlichster  Licht-  und 
Luftzufuhrung.  Weiter  verlangt  der  Staat  Anlage  von  2  Treppen  für 
jedes  mehr  als  30  Betten  umfassende  Stockwerk.  Die  Mindestbreite 
der  Muren  und  Gänge  soll  1,8  m  und  die  der  Haupttreppen  1,3  m  be¬ 
tragen.  Gänge,  an  denen  Krankenräume  liegen,  sind  einseitig  anzu¬ 
legen  und  an  der  gegenüberliegenden  Seite  dürfen  sich  nur  Neben- 
raume  (Anrichteküche,  Bade-,  Aborträume  usw.)  bis  zur  Hälfte  des 
Ganges  befinden.  Für  das  Bett  verlangt  der  Staat  40  cbm  bei  10  qm 
Bodenflache.  Jedes  Geschoss  soll  einen  sog.  Tagesraum  besitzen 
von  mindestens  2  qm  Bodenfläche  für  jeden  Kranken,  und  dann  soll 
das  Institut  auch  noch  Absonderungsräume  haben  für  Patienten  die  an 
ansteckenden  Krankheiten  leiden.  Nebenbei  sollen  Privatkranken- 
anst alten  und  Sanatorien  auch  noch  einen  Leichenraum  und  einen  Des- 
infektionsraum  besitzen.  Gewiss  sind  alle  diese  Bestimmungen  vom 
>Kienischen  Standpunkte  aus  durchaus  berechtigt,  aber  sie  gehen 
doch  zum  Teil  zu  weit  und  verursachen  beim  Bau  ganz  erhebliche 
Mehrkosten.  Was  sollen  unsere  Sanatorien  mit  Leichenhallen  und 
Desinfektionsraumen  anfangen?  Diese  kämen  doch  nur  da  in  Frage. 
w°i.dle,~uana,torien  völlig  frei  und  weit  entfernt  von  menschlichen 
Wohnstätten  liegen.  Heutzutage  hat  jede  Stadt  und  jedes  Dorf  seine 
Leichenhalle  auf  dem  Friedhof,  und  der  Desinfektionsraum  würde  nur 
i  r  solche  Anstalten  in  Betracht  kommen,  die  Patienten  mit  anstecken¬ 
den  Krankheiten  aufnehmen. 

Diese  staatlichen  Forderungen  sind  sicherlich  häufig  unbequem 
und  verursachen  wohl  auch  ganz  erhebliche  Mehrkosten,  zumal  nach 
Jen  Bestimmungen  von  1911  nicht  mehr  wie  bei  denen  von  1895  Dis¬ 
pense  erteilt  werden  können.  Aber  sie  sind  durchaus  keine  hervor- 
agende  Ursache  der  Verteuerung  unserer  Sanatorien,  und  ich  glaube 
ucht.  dass  wir  einen-  scharfen  Kampf  zu  führen  haben  gegenüber 
i  -T  ,Wu.e  BlirKe.rmei'ster  T  h  o  d  e  -  Stettin  sich  ausdrückt  —  „über 
Jas  Ziel  hinausschiessenden  Anforderungen  des  Staates“.  Der  Grund 
ler  Verteuerung  liegt  zunächst  in  der  Aeusserlichkeit,  in  der  Ar- 
mitektur  des  Baues.  Es  ist  ein  verständliches  Streben,  dem  Hause 
tussen  und  innen  ein  gefälliges  Ansehen  zu  verleihen,  damit  der  aus 
.einer  oft  weitgelegenen  Heimat  eilende,  sehnsüchtig  Genesung 
uchende  Kranke  sofort  bei  seinem  Betreten  des  Grundstückes  einen 
vmpathischen  Eindruck  empfange.  Die  grossen  Fortschritte  unserer 
Jaukunst  und  der  hocherfreuliche  Aufschwung  unserer  deutschen 
vrchitektur,  der  seit  20  Jahren  namentlich  auch  in  unseren  öffentlichen 
\f  Teü~Und  In  der  volllg  veränderten  Ausführung  unserer  modernen 
o  n  lauser  seinen  Ausdruck  findet,  sind  naturgemäss  an  unseren 
'anaiorien  nicht  spurlos  vorübergegangen  und  haben  dazu  geführt, 

.  ^  5U  e  *?ei  der  Errichtung  fast  jedes  Sanatoriums  das  natürliche 
nnHpr  Cn  dlcrvortritt,  nicht  nur  etwas  wirklich  Zweckmässiges, 

•  ,n  auc  1  eBvas  wal'rhaft  Schönes,  das  der  Umgebung  zur  Zierde 
ie/5JVu,  schaffen.  Gewiss  ist  es  ein  löbliches  Bestreben,  dem 
cnonneitsideal  grossere  Summen  zu  opfern,  aber  der  Bauher  soll 
ie  vergasen,  dass,  selbst  wenn  ihm  unerschöpfliche  Geldquellen  zur 
lr3un*  s*e"en\.e,r  do?h  hinterher  den  Wunsch  hat,  das  hinein- 
,  ,e  Kapital  möchte  sich  gut  verzinsen.  Ich  kenne  eine  grössere 
am  Sanatorien,  die  inmitten  herrlicher  Naturschönheiten  liegen 


und  dabei  noch  den  Eindruck  von  Palästen  machen;  und  fragt  man 
nach  der  Verzinsung,  dann  zuckt  der  Besitzer  die  Achseln  und  er¬ 
widert  mit  vertrauensseligem  Lächeln:  „Die  nächsten  Jahre  wird  sich 
alles  noch  gut  entwickeln.“  Aber  die  nächsten  Jahre  entwickelt  sich 
gar  nichts  weiter,  als  dass  ein  solcher  Palast  aus  einer  Hand  in  die 
andere  geht,  bis  er  schliesslich  unter  den  Händen  einer  G.  m.  b.  H. 
ausgeschlachtet  wird.  Meist  beschuldigt  der  Bauherr  den  Archi¬ 
tekten,  er  habe  ihm  zu  kostspielige  Vorschläge  gemacht,  oder  er  habe 
seinen  Kostenanschlag  nicht  innegehalten,  aber  diese  Entschuldigungen 
smd  nicht  stichhaltig:  der  Bauherr  muss  selbst  kalkulieren  oder  un¬ 
parteiische  Sachverständige  zu  Rate  ziehen.  Er  muss  wissen,  wie 
noch  sich  die  Bausumme  belaufen  darf,  damit  er  bei  mässiger  Ver¬ 
zinsung  sein  Unternehmen  halten  kann.  Die  vornehmste  und  schönste 
Architektur,  sowohl  innen  als  aussen,  bleibt  :mmer  die  einfache.  Und 
nachher  muss  man  einsehen,  dass  viele  Tausende  hätten  hier  zweck¬ 
massig  gespart  werden  können. 

Was  die  Architektur,  der  gesamte  Bau  noch  nicht  verschlungen 
hat,  wird  nun  verbraucht  bei  der  Einrichtung  der  Wohn-  und  Wirt- 
schattsraume.  Es  herrscht  auch  hier  überall  das  Bestreben,  die  denk¬ 
bar  schönste  Eleganz  hervorzukehren  mit  allem  nur  möglichen  Raf- 
Seidene  Vorhänge,  kostbare  Möbel,  die  elegantesten  Betten, 
™le'!de  reppiche  usw.  Ich  brauche  all  das  Bekannte  nicht  in 
eingehender  Weise  auszuführen;  aber  vergessen  denn  unsere  Sana- 
orien,  dass  sie  Heilanstalten  sein  sollen?  Ich  bin  weit  davon  ent¬ 
fernt,  zu  verlangen,  dass  wir  in  den  Urzustand  eines  Priessnitz 
oder  eines  Kneipp  zurückkehren  sollen;  aber  dieses  Ueberbieten, 
dieses  Streben  nach  unnötigem  Luxus  ist  ungesund.  Hier  wäre  das 
verlangen  nach  Abrüstung  unbedingt  gerechtfertigt,  denn  bei  diesem 
Konkurrenzkampf  geht  der  einzelne  wirtschaftlich  zugrunde 

Auch  auf  die  therapeutischen  Einrichtungen  erstreckt  sich  dieses 
verlangen  nach  grösstem  Luxus;  und  doch  werden  auch  diese  Ein¬ 
leitungen  meistenteils  als  Reklame  benutzt.  Wir  wissen  ganz  genau 
dass  unsere  Behandlungsmethoden  immer  höher  und  höher  geschraubt 
sind,  so  dass  sie  fast  schon  den  Eindruck  einer  theatralischen  De¬ 
koration  machen.  Alle  die  glänzend  aussehenden  Apparate  für  elek¬ 
trische  Behandlung,  für  Massage  usw.  stechen  dem  Patienten  in  die 
Augen,  sie  imponieren  ihm.  Aber  helfen  sie  ihm  auch?  Es  vergeht 
kaum  ein  Jahr,  wo  nicht  neue  Apparate  konstruiert  werden,  und  die 
alten  sehr  teuren  Einrichtungen  sind  dadurch  wertlos  geworden.  Ueber- 
assen  wir  doch  den  staatlichen  Kliniken,  teure  und  kostspielige  Appa¬ 
rate  auszuprobieren.  Der  Staat  mag  sie  kaufen,  kann  sie  kaufen  und 
soll  sie  kaufen.  Erst  wenn  die  Kliniken  den  unzweifelhaft  hohen 
therapeutischen  Wert  erkannt  haben,  dann  mögen  sich  die  Sanatorien, 
die  dazu  imstande  sind,  dieselben  anschaffen.  Bis  heute  kennen  wir 
noch  nicht  die  physiologische  Wirkung  der  Diathermie.  Wir  haben 
durchaus  noch  keine  Kenntnis  von  der  physiologischen  Wirkung  der 

^lMqRUenzströme;  und  nun  gar  erst  noch  der  Bergoniesche 
Btuhl!  Ls  smd  eine  ganze  Anzahl  Sanatorien,  die  sich  ihres  kost¬ 
spieligen  Besitzes  rühmen;  und  wie  geteilt  sind  heute  noch  die  An¬ 
sichten  über  seine  erfolgreiche  Wirkung.  Wiederholt  können  wir  in 
der  Literatur  finden,  dass  er  nicht  mehr  leistet  als  früher  die  diäte- 
t'schen  Entfettungskuren.  Die  Sanatorien  haben  wahrlich  zunächst 
nicht  die  Verpflichtung  unsere  Technik  und  Industrie  auf  die  Strümpfe 
zu  bringen.  Ihr  Bestreben  soll  dahin  gehen,  den  sich  ihr  anvertrauen¬ 
den  Kranken  Heilung  von  ihrem  Leiden  zu  schaffen  und  dazu  bedarf 
es  nicht  eines  Museums  glänzender  Prachtapparate,  dazu  bedarf  es 
eines  richtigen  Arztes,  einer  Persönlichkeit,  die  es  versteht,  mit  dem 
menschlichen  Organismus  und  seinen  Imponderabilien  zu  rechnen 
Der  Arzt  repräsentiert  drei  Viertel  seiner  Einrichtung,  für  die  dann 
nur  das  bescheidene  Mass  von  einem  Viertel  übrig  bleibt.  Das  eine 
Viertel  soll  dann  immer  noch  einen  freundlichen,  gefälligen  Eindruck 
machen,  so  dass  auch  hier  der  Patient  sehen  muss,  dass  die  vortreff- 
hche  Persönlichkeit  des  Arztes  auch  eine  zweckmässige  Einrichtung 
sein  Eigen  nennt.  Wie  viel  Tausende  könnten  da  wieder  gespart 
weraen! 

Ganz  anders  denke  ich  über  die  diagnostischen  Hilfsmittel.  Unser 
alter  Kollege  Celsus  sagt:  „Qui  bene  diagnoscit,  bene  medebitur  “ 
Nach  diesem  Grpndsatz  müssen  auch  wir  handeln.  Bewährte  Appa¬ 
rate  zur  Feststellung  des  Krankheitszustandes  brauchen  wir  not¬ 
wendig.  Mögen  diese  uns  zur  Reklame  nützen,  sie  werden  uns  sicher 
auch  beistehen  unseren  Kranken  zu  helfen.  Ein  Röntgenapoarat, 
em  Elektrokardiograph,  Blutdruckmesser,  Pulsmesser,  vortreffliche 
Mikroskope  meinetwegen  auch  Brutschränke  u.  dgl.  m..  alles  was 
zur  Feststellung  einer  Diagnose  dient,  mag  ein  gutes  Sanatorium  be¬ 
sitzen.  Dann  werden  wir  schon  von  selbst  einsehen,  dass  die  kost- 
spiehgen  therapeutischen  Einrichtungen  auf  ein  geringes  Mass  zuriiek- 
gefuhrt  werden  können. 

,  Za  de"  Beile'nrichtungen  gehört  ganz  besonders  auch  die  Küche, 
ci.  n.  die  Diät.  Auch  hierin  wird  ein  Luxus  getrieben,  der  nach 
meinen  eigenen  Erfahrungen  weit  über  die  Grenze  des  Zweckmässi¬ 
gen  hinausgeht.  Unsere  Sanatorien  sind  keine  Grands  Hotels,  die  in 
der  ausgesuchtesten  Weise  ihren  Gästen  die  denkbar  exotischen 
Leckerbjssen  vorsetzen  sollen;  und  meines  Erachtens  ist  es  für  den 
ärztlichen  Leiter  eines  Sanatoriums  kein  besonders  hervorragendes 
Bob-  We£-  uein,e  Patienten  itin  einen  vorzüglichen  Hotelwirt  nennen. 

An  der  Küche  kann  und  soll  gespart  werden,  ohne  dass  der  Patient 
das  zu  bemerken  braucht.  Einfache,  gute  und  kräftige  Mahlzeiten 
fordern  die  Gesundheit  mehr  und  besser,  als  eine  Anzahl  von  Gängen, 
nach  deren  Einnahme  sich  der  Patient  meist  fühlt  wie  ein  geprellter 
Frosch  und  kaum  Lust  hat,  seine  Bewegungskuren  zu  unternehmen. 


1690 


MtJENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT^ 


Nr.  30. 


ict  ia  nicht  zu  leugnen,  dass  die  Krankendiät  sehr  verteuert  wor¬ 
den  ist  durch  die  Verteuerung  der  Lebensmittel  im  allgemeinen.  Aber 
wie  dem  auch  sei,  eine  erhebliche  Sparsamkeit  kann  in  zweckmassiger 
Form  auf  diesem  Gebiete  eintreten.  ... 

Die  Verteuerung  unserer  Sanatorien  und  die  Ursache  ihrer  man¬ 
gelhaften  Rentabilität  ist  demnach  begründet  -  wenn  wir  die  hygie¬ 
nischen  Forderungen  des  Staates  ausser  acht  lassen  —  in  aen  Nosxen 
des  S«Ä‘.  Her  Architektur  und  Ausschmuckunü  des  Qe- 
u:;„Hf*s  Baumaterial  innere  Ausstattung,  in  der  Zahl  una  aus 
Ä  der  Krankenräume  und  Nebengelasse,  in  der  übertriebenen 
kostspieligen  Einrichtung  mit  Heilapparaten  und  schliesslich  auch  m 
der  unzweckmässigen  und  kostspieligen  Verpflegung.  Im  allgemeinen 

fa,  sich  niemand*,,, n  diese  Angelegenheiten  in  “IVfselne 
Besitzer  selbst  Wenn  er  pekuniär  zugrunde  geht,  so  ist  das  seine 
und  nicht  unsere  Sache;  das  ist  wohl  richtig.  Aber  eine  Frage  von 
tief  einschneidender  sozialer-  Bedeutung,  resultiert  dennoch  aus  den 
vorstehenden  Darlegungen.  Kostspielige  Sanatorien  erfordern  eine 
kostspielige  Verwaltung.  Wer  tragt  diese  Kosten?  Der  Kranke, 
def  oft  sein  Letztes  ausgibt,  um  Hilfe  in  seinem  Elend  zu  finden. 
Wir  müssen  abrüsten,  damit  die  Forderungen 

steigen  wir  müssen  abrüsten,  damit  wir  auch  der  grossen  Masse 
des  Mittelstandes  es  ermöglichen,  mit  geringeren  Kosten  und  ohne 
Angst  und  Sorgen  um  die  Zukunft  ihre  Gesundheit  wieder  zu  er¬ 
langen  Die  Errichtung  von  Mittelstandssanatorien  ist  eine  soziale 
Notwendigkeit,  denn  wir  können  es  nicht  verlangen,  dass  Beamte 
und  wissenschaftlich  gebildete  Leute  längere zu- 
Wünsche  und  Anschauungen  auf  ganz  anderem  Boden  stehen,  zu 

sammenwohnen.  Es  handelt  sich  bei  diesem  Gedanken ^He^beff ühren 
uni  gesellschaftlichen  Hochmut,  sondern  nur  um  da^^YnbT1e'*“hrlleant 
eines  gewissen  sozialen  Ausgleiches.  Der  Minister  des  Innern  hat 
unter  dem  20  November  vorigen  Jahres  einen  Erlass  herausgegeben, 
hl  den!  e?  besonders  von  den  Gemeinden  wünscht,  dass  sie  nicht  wie 
bisher  danach  streben,  möglichst  kostspielige  Krankenhäuser  anzu¬ 
legen,  sondern  dass  sie  mehr  Wert  legen  sollen  auf  zweckmässige 
und  praktische  Einrichtungen,  die  dem  Kranken  nützlicher  sind  a  s 
alle  glänzenden  Aeusserlichkeiten.  Dieser  Erlass  ebenso  wie  di 
dazugehörige  Schrift  des  Geheimrat  K  r  o  h  n  e  sollten  den  Besitzern 
und  Leitern  von  Sanatorien  dringend  ans  Herz  gelegt  werden  Der 
Arzt  soll  mit  seiner  Persönlichkeit  und  mit  seiner  Tüchtigkeit  der 
erste  therapeutische  Faktor  sein  und  nicht  die  zwecklos  blendende 
Umgebung.  Denn  nur  so  werden  wir  der  grossen  Masse  unseres 
deutschen  Volkes,  nämlich  dem  Mittelstände,  den  grössten  Nutzen 
bringen;  für  die  arbeitende  Klasse  wird  schon  in  ausreichendem 
Masse  gesorgt! _ 

Bücheranzeigen  und  Referate. 

I  F  Henderson:  Die  Umwelt  des  Lebens.  Eine  physi¬ 
kalisch-chemische  Untersuchung  über  die  Eignung  des  Anorganischen 
für  die  Bedürfnisse  des  Organischen  Aus  dem  Englischen  übersetzt 
von  R.  Bernstein.  Wiesbaden.  Verlag  von  J.  F.  Bergmann. 
1914.  170  Seiten.  Prei  5  Mark 


Bekanntlich  ist  das  organische  Leben  vor  allem  an  die  .  toffe 
Wasser  und  Kohlensäure  gebunden.  Der  Verfasser  sucht  nun  die 
Frage  zu  beantworten:  War  es  Zufall,  dass  gerade  diese  Stoffe  zu 
Trägern  des  Lebens  geworden  sind,  oder  sind  es  ganz  besondere 
für  das  Leben  günstige  Eigenschaften  durch  die  sich  diese  Stoffe 
aus  dem  Kreise  aller  anderen  herausheben.  Zur  Beantwortung  dieser 
Frage  werden  zunächst  aus  dem  Begriff  des  Lebens  die  allgemeinsten 
und  wichtigsten  Eigentümlichkeiten  herausgestellt: 

1.  die  Kompliziertheit,  .. 

2.  eine  auf  Regulation  beruhende  weitgehende  Beständigkeit, 

3.  die  Befähigung  zum  Stoffwechsel,  d.  h.  zum  Austausch  \on 

Materie  und  Energie  mit  der  Aussenwelt.  .  ,  , 

Der  Verfasser  bringt  nun  auf  der  Grundlage  eines  reichen  che¬ 
mischen  und  physikochemischen  Materials  den  Nachweis,  dass  unter 
allen  aus  der  Chemie  bekannten  Elementen  und  Verbindungen  das 
Wasser  und  die  Kohlensäure  zur  Ermöglichung  der  obengenannten 
Haupteigenschaften  des  Lebens  die  bei  weitem  günstigsten  sind. 
Nur  einige  Beispiele  zur  Charakterisierung  der  Gedankenrichtung  des 
Verfassers  seien  hier  genannt.  Die  Gleichmässigkeit  der  Temperatur 
ist  ein  wichtiger  Faktor  für  die  Erhaltung  des  Lebens.  Die  Tem¬ 
peratur  wird  nun  umso  gleichmässiger  sein,  je  hoher  die  spezifische 
Wärme  desjenigen  Stoffes  ist,  der  durch  seine  Masse  die  Erdober¬ 
fläche  beherrscht.  Die  spezifische  Wärme  des  Wassers  aber  stellt 
unter  allen  spezifischen  Wärmen  bekannter  Stoffe  nahezu  ein  Maxi¬ 
mum  dar,  so  dass  auch  die  Eignung  des  Wassers  in  dieser  Beziehung 
für  das  Leben  nahezu  maximal  ist,  Für  den  Stoffwechsel  ist  eine 
hohe  und  möglichst  vielartige  Lösefähigkeit  der  Körpersafte  sowie 
bei  Wassertieren  auch  des  umspülenden  Wassers  für  die  Erhaltung 
des  Lebens  günstig.  Unter  allen  bekannten  Flüssigkeiten  ist  das 
Wasser  das  beste  Lösungsmittel,  so  dass  auch  nach  dieser  Richtung 
die  Eignung  des  Wassers  maximal  ist.  Ferner  ist  die  Verbrennungs- 
wärme  des  Wasserstoffs  höher  als  die  aller  anderen  Substanzen, 
so  dass  dem  Körper  beim  Abbau  von  Wasserstoffverbindungen  eine 
maximale  Menge  von  Energie  zufliesst.  Solche  und  ähnliche  Ge¬ 
danken  finden  sich  in  grosser  Zahl  in  streng  wissenschaftlicher  Dar¬ 
stellung  vor  Es  wird  der  Nachweis  geliefert,  dass  durch  die  Kom¬ 


bination  der  verschiedensten  Eigenschaften  des  Wassers,  der  Kohlen¬ 
säure  und  der  Kohlenstoffverbindungen  ein  Milieu  geschaffen  ist,  welches 
lin  eiSeartiees  Ganzes  darstellt,  wie  es  aus  sonst  bekannten  Stoffen 
e  n  einzigartiges  u«u  Kombination  sich  nachbilden 

!’.!ch  —  Kombination  von  Wasser  und  Kohlensäure  mit 

cferS  E  r  de**  ebenso*  ab  er  auch  'sonst  auf  den  Körpern  des  Weltalls  beim 
Entstehen  gemässigter  Temperaturen  überall  die  vorherrschende  ist, 
so  ergibt  sich  dw  Schluss,  dass  schon  in  der  anorganischen  Natur 
des  Weltalls  eine  Auswahl  bezüglich  Art  und  Mengenverhältnis  der 
Materie  gegeben  ist,  welche  der  Entstehung  und  Erhaltung  des 
tVhPnl  nrnimal  günstig  ist,  dass  daher  der  gesamte  Entwicklungs¬ 
prozess  des  Weltalls  in  seinem  innersten  Wesen  „biozentrische  An¬ 
lagen  aufweist.  Der  Aufbau  dieses  Gedankens  ist  in  grosser  Partei 
i  M  i  v  i  /  QpihQtkritik  in  strenger  Weise  gehandhabt.  So  ist 

SÄ  denen  die  oben  entwickelten 
Grundgedanken  des  Verfassers  Interesse  zu  erwecken  vermögen,  aufs 
Aneelegenste  zur  Lektüre  und  zum  Studium  empfohlen  sei  Den 
U?eJ  wirf  eine recke  Ernte  neuer  und  auch  d«|t,sch  wer, voller 

Ideen  belohnen- 

fi  Büchner:  Angewandte  lonenlehre  für  Studierende,  Che- 
mlker?  Biologen?  Aerzte  u.  a.  München  1912.  Verlag  von  J.  F.  L  e  h  - 

m  a  rchofilheMat  an'dteer  Stelle  Ober  die  medizinisch^  Be- 
tätieunedes  Herausgebers  der  Jugend“.  O.H  i  r  t  h.  berichtet,  der  seine 
ÄnsSSnnngen  in  etaem  Buche:  „Der  elektro-chem Ische  Betrieb  der 
Organismen  die  Salzlösung  als  Elektrogenet  und  der  elektrolytische 
Kreislauf  eine  Programmschrift  für  Naturforscher  und  Aerzte  - 
sammengefasst  hat.  Hier  handelt  es  sich  um  die  Arbeit  eines  Berufs- 
Se  s  der  es  sich  zur  Aufgabe  gesetzt  hat,  die  in  dem  Hirth- 
sehen  Buche  angezogenen  physikochemischen  Prozesse  vom  „  an  - 
nSP  des  Chemikers  aus  näher  entwickeln  und  in  ihren  Grund¬ 
tatsachen  zu  beschreiben.  Was  das  Buch  an  rein  Physikochemischem 

enthält,  darf  als  eine  nicht  ungeschickte  Zusammenste  lung  gelten. 

Soweit  aber  der  Verfasser  unter  dem  Einfluss  der  H  i  r  t  li  senen  Ar 
beiten  ins  Gebiet  der  Biologie  und  Medizin  übergreift,  muss .für  die 
Ausführungen  ein  gleiches  Urteil  platzgreifen  wie  über  die  G.  Hir  t  h- 
fche  SchHft  selber.  Es  sind  Ideen  eines  Dilettanten,  die  nicht  An¬ 
spruch  erheben  können,  von  dem  wissenschaftlich  denkenden  Arz 
ernst  genommen  zu  werden.  ° 

Ueber  die  Beziehung  der  Röntgenbilder  des  menschlichen  Magens 
zu  seinem  anatomischen  Bau.  Beiträge  zur  Anatomie  und  Physiologie 
des  Magens  von  Gösta  F  o  r  s  s  e  11,  Vorstand  dg  Röntgenabteilung 
des  Kgl.  Karolinischen  Instituts  in  Stockholm.  Mit  125 Figuren  im 
Text  und  102  Abbildungen  auf  17  Tafeln.  Erganzungsband  d 
FortÄe  »«I  dem  Gebiete  Her  Röntgenstrahlen  Herauegeben 
Prof.  Dr.  Albers-Schonberg.  Verlag.  Lukas  Orale  <x 

S  '  *  *Das  Buchb  entsprang  der  von  F  o  r  s  s  e  1 1  empfundenen  Not¬ 
wendigkeit,  die  anatomischen  Beschreibungen  des  menschlichen 
Magens  mit  Rücksicht  auf  die  am  Lebenden  erhobenen  rontgen- 
anatomischen  Magenbefunde  einer  kritischen  Neubearbeitung  z 

un t er wejf engsten  Abteilung  des  Werkes  wird  die  Literatur  über  die 
anatomische  Magengestalt  besprochen  und  eine  Übersicht  der 
Forschungsresultate  über  die  Beziehung  der  Rontgenbilder  des 
Magens  zum  anatomischen  Magenbau  gegeben.  n  ,  • 

Der  zweite  Teil  des  Werkes  beschäftigt  sich  mit  der  anatomi¬ 
schen  und  röntgenologischen  Magennomenklatur.  Zürn  Ausgleich  be¬ 
stehender  Gegensätze  in  der  Bezeichnung  der  verschiedenen  Magen¬ 
teile  schlägt  der  Verfasser  neue  Bezeichnungen  vor. 

Der  dritte  Teil  des  Buches  bringt  eigene  Untersuchungen  des 
Verfassers  über  die  anatomische  Architektur  des  menschlichen  Mage 
und  über  die  Beziehung  der  anatomischen  und  röntgenologischen 
Magenformen  zum  Bau  der  Magenwand.  Muskelpraparate  von  Tier- 
und  Leichenmägen  —  schlaffen,  künstlich  zur  Kontraktion  gebrachten 
und  in  situ  gehärteten  — ,  Röntgenuntersuchungen  an  12  magen- 
gesunden  Perfonen  und  röntgenkinematographische  Arbeiten  anderer 
ergaben  dem  Verfasser  die  tatsächlichen  Grundlagen  seiner  Aus- 

f uhr ungen eiche  Textfiguren  und  gute  Tafelbilder  erläutern  das  Vor- 

SCtraF  oTs  s  e  1 1  s  Arbeit  ist  gründlich;  enthält  Belehrendes  und  An¬ 
regendes  in  Menge,  allerdings  auch  —  wie  gute  Bücher  von  Eigenar 
meist  —  zum  Widerspruch  Reizendes.  Von  den  Reform  vor  schlagen 
Forssells  zur  Nomenklatur  möchte  ich  als  wenig  glücklich  kriti¬ 
sieren  die  Bezeichnung:  „Canalis  egestorius“  für  den  pylorusnahen 
1  früher  Antrum  bezeichneten  -  Magenteil.  Das  Bild  der  regio 
pvlorica  des  Magens  als  „Kanal“  ist  ein  komponiertes  Zustandsbild, 

gewonnen  aus  den  rite  übereinandergepausten  Einzelphasen- 
bildern  eines  Magenkinematogramms.  In  Wirklichkeit  ersehe 
dieser  Magenteil  in  keiner  Phase  seiner  Tätigkeit  als  Kanal,  abgesehen 
etwa  von  einem  sehr  kurzen,  an  Ringmuskulatur  besonders  starke* 
pvlorusnächsten  Anteil.  Dieser  kleine  Magenteil  ist  aber  mit  der 
Bezeichnung  Ausführungskanal  von  F  o  r  s  s  e  1 1  nicht  gemeint,  l 
mit  dem  alten  Antrum  pylori  nicht  identisch  und  kann  als  solcnes 
auch  für  die  alte  Nomenklatur  nicht  gerettet  werden. 

Funktionell  dient  die  regio  pylorica  nicht  nur  der  Speisenausiunr. 
sondern  auch  der  Speisenmischung. 


28.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1691 


...  n  *  atsache  des  Nichtbestehens  eines  „Sphincter  antri“  im 
früheren  Sinne  sind  Röntgenphysiologie  und  Röntgen-  und  deskriptive 
Anatomie  einig.  E  o  r  s  s  c  1 1  sieht  im  Sphinkter  also  mit  Recht  nur 
eine  pyloruswärts  ablaufende  Ringwelle. 

Für  jeden  Forscher,  der  sich  auf  dem  Gebiete  der  Magen- 
anotomie  und  Magenbewegung  betätigt,  wird  der  Weg  zu  weiteren 
Fortschritten  über  F  o  r  s  s  e  1 1  s  Werk  führen. 

K  a  e  s  1 1  e  -  München. 

Dr.  Gunnard  Nilson:  Sjökrigets  Kirurgie  — -  Die  Chirurgie  des 

Seekrieges.  Karlskrona  1913.  45b  S.  Preis  Kr.  7.50.  (Schwedisch.) 

Die  Disziplin  der  Seekriegschirurgie  ist  verhältnissmässig  jung, 
da  moderne  Panzerflotten  nicht  früher  als  im  japanisch-chinesischen 
Kriege  1894  95  sich  mit  einander  massen.  Von  diesem  Kriege  an, 
von  dem  spanisch-amerikanischen  und  vor  allem  vom  letzten  russisch- 
japanischen  liegen  indessen  reichliche  Erfahrungen,  hauptsächlich  von 
japanischer  Seite  vor,  die  mit  der  navalen  Zeitschriftenliteratur  und 
ähnlichen  l  nfallverletzungen  im  Frieden  oder  im  Landkriege  zu¬ 
sammengestellt  eine  zusammenfassende  Arbeit  über  die  Chirurgie  des 
Seekrieges  ermöglichen. 

Eine  solche  liegt  in  Ni  Iso  ns  obenerwähntem  Buche  vor, 
welches  auf  Kosten  der  schwedischen  Regierung  gedruckt,  die  vom 
Veriasser  beim  letzten  marineärztlichen  Fortbildungskursus  in  Stock¬ 
holm  gehaltenen  chirurgischen  Vorlesungen  enthält.  Das  Thema  ist 
in  drei  Teilen  behandelt. 

1.  Die  Verhältnisse  an  Bord  während  des  Krieges  und  während 
eines  Seegefechtes. 

2.  Die  allgemeine  Chirurgie  des  Seekrieges,  mit  Darstellung  des 
allgemeinen  Charakters  der  verschiedenen  Verwundungen  und  Ka- 
pitein  über  Erfrieren  und  Ertrinken,  Anwendung  des  aseptischen  Prin- 
zipes  bei  der  Wundbehandlung  sowie  seekriegschirurgische  Statistik. 

3.  Die  spezielle  Chirurgie  des  Seekrieges,  nach  den  verschiedenen 
Körperregionen  wie  üblich  aufgestellt. 

Da  die  sehr  gründliche  und  wohl  geschriebene  Arbeit  N  i  1  s  o  n  s 
eine  Lücke  der  bisherigen  Literatur  ausfüllt,  wäre  zu  wünschen,  dass 
bald  eine  deutsche  Auflage  des  Buches  veranstaltet  würde. 

H.  C.  Jacobaeus. 

K  i  s  s  k  a  1 1  und  Hartmann:  Praktikum  der  Bakteriologie  und 
Protozoologie.  Erster  Teil,  Bakteriologie  von  K.  K  i  s  s  k  a  1 1,  o.  ö. 
Professor  der  Hygiene  an  der  Universität  Königsberg.  3.  Auflage 
112  Seiten.  G.  Fischer,  Jena.  Geb.  3  M. 

Ein  Praktikum,  das  innerhalb  kurzer  Zeit  seine  3.  Auflage  er¬ 
fährt,  beweist  damit  am  besten,  dass  es  den  Bedürfnissen  des  bak¬ 
teriologischen  Praktikanten  entspricht.  Der  Autor  hat  daher  mit 
vollem  Recht  an  der  bisherigen  Einrichtung  des  Lehrganges  fest¬ 
gehalten.  Die  einzelnen  Kapitel  wurden  den  Fortschritten  der  Wissen¬ 
schaft  entsprechend  umgearbeitet  und  zur  praktischen  Uebung  ge¬ 
eignete  Gebiete,  besonders  aus  der  Immunitätslehre  (z.  ß/ Ana¬ 
phylaxie  und  Präzipitine)  neu  aufgenommen.  Es  muss  besonders 
hervorgehoben  werden,  dass  es  der  Verfasser  dank  seinen  Er- 
tahrungen  auf  dem  Gebiete  des  bakteriologisch-serologischen  Unter- 
richts  vorzüglich  verstanden  hat,  nur  solche  Uebungen  aufzunehmen, 
die  ein  Anfänger  bei  dem  nötigen  Eifer  mit  Sicherheit  bewältigen 
kann  und  dass  das  Arbeitspensum  auf  die  einzelnen  Tage  so  verteilt 
und  so  genau  vorgeschrieben  ist,  dass  jede  abstossende  Ueberlastung, 
aber  auch  jeder  Mangel  an  Arbeitsmaterial  vermieden  wird. 

Küster-  Lichterfelde. 

L.  Hermann  und  O.  W  e  i  s  s  -  Königsberg  i.  Pr.:  Jahres¬ 
bericht  über  die  Fortschritte  der  animalischen  Physiologie.  XXI.  Band- 
Bericht  über  das  Jahr  1912.  263  Seiten.  Verlag  von  F.  E  n  k  e,  Stutt¬ 
gart  1913.  Preis  13  M. 

Wie  schon  angekündigt,  erscheint  der  Hermann-Weiss  sehe 
lahresbericht  über  die  Fortschritte  der  Physiologie  mit  diesem  Bande 
verkürzt  als  Jahresbericht  nur  über  die  Fortschritte  der  animalischen 
hysiologie.  Alles,  was  schon  in  dem  „Jahresbericht  über  die  Fort¬ 
schritte  der  Tierchemie  oder  physiologischen  und  pathologischen 
-hemie,  begründet  von  R.  M  a  1  y,  herausgegeben  von  R.  A  n  - 
Ireasch  und  K.  Spiro“  Berücksichtigung  findet,  wird  nicht  mehr 
eferiert,  wodurch  Umfang  und  Preis  des  Berichtes  um  die  Hälfte 
lerabgesetzt  werden  konnten. 

Referenten  über  einzelne  Kapitel  sind  ausser  den  Herausgebern 
he  Herren  M.  G  i  1  d  e  m  e  i  s  t  e  r  -  Strassburg  i.  E„  A.  Leonto- 
vi  tsch- Moskau,  E.  M  a  n  g  o  1  d  -  Freiburg  i.  B.,  A.  Sch  wart  z- 
itrassburg  i.  E.  und  F.  Verzär  -  Pest. 

Der  Jahresbericht,  der  an  dieser  Stelle  schon  öfter  als  Weg- 
veiser  in  die  physiologische  Literatur  warm  empfohlen  werden 
vonnte,  tritt  mit  diesem  Bande  in  sein  fünftes  Jahrzehnt  ein;  ein 
jeneralregister  über  die  letzten  10  Bände  wird  in  Aussicht  gestellt. 

K.  B  ü  r  k  e  r  -  Tübingen. 

Gewerbehygienische  Uebersicht. 

Von  Dr.  Frz.  K  o  e  1  s  c  h,  Kgl.  Landesgewerbearzt  in  München. 

.der  umfassendsten  sozialhygienischen  Erhebungen,  die  in 
stzter  Zeit  von  amtlicher  Seite  aus  in  Angriff  genommen  wurde,  ist 
ue  Untersuchung  über  die  Frauen  -  und  Kinderarbeit  in 
e,n  „.reinigten  Staaten  von  Nordamerika.  Die  in 
‘Ger  Hinsicht  sehr  interessanten  Ergebnisse,  von  denen  bisher 


|  19  Bande  vorliegen,  hat  W.  Abelsdorff  im  Arch.  f.  soz.  Hyg.  9. 
ylf,2.:  zusammengefasst.  Interessenten  seien  auf  diese  Arbeit 

nachdrücklich  verwiesen,  nachdem  der  umfangreiche  Stoff  eine  Be- 
sprechung  an  dieser  Stelle  nicht  zulässt. 

•lin  Zbl-J-  Qewerbehyg.  5.  1914  veröffentlicht  Rambousek 
weitere  Erfahrungen  über  Gewerbekrankheiten 
1  n  lj  0  u  m  e  n-  Das  Material  bezieht  sich  auf  rund  1  Million  Kranken¬ 
kassenmitglieder,  von  denen  im  Jahre  1911  53,09  Proz.  erkrankt 
waren;  die  Mortalität  betrug  0,8  Proz.  Ca.  200  Erkrankungen  waren 
als  spezifische  Gewerbekrankheiten  zu  bezeichnen,  darunter  109  Blei¬ 
vergiftungen,  21  Vergiftungen  durch  Kohlenoxyd,  17  durch  Schwefel- 
t  2  durch  Schwefelwasserstoff.  Phosphornekrose  kam  in 

4  Fallen  vor.  Sonstige  Vergiftungen  waren  auf  nitrose  Gase,  Am¬ 
moniak,  Fluorwasserstoff,  Anilin,  Benzin  zurückzuführen.  Von  Milz¬ 
brandinfektionen  kamen  3  zur  Kenntnis  in  der  Bürstenindustrie,  von 
Gsteomyelitis  der  Perlmutterdrechsler  2  Fälle.  —  Verf.  bespricht  so¬ 
dann  kurz  einige  interessante  Fabrikationsmethoden,  so  die  Her¬ 
stellung  von  Zyanalkalien,  das  Imprägnieren  von  Holz  mit  Sublimat, 
das  Beizen  von  Möbeln  mit  Quecksilberbijodat. 

Der  §  547  RVO.,  welcher  die  Möglichkeit  gibt,  bestimmte  Be- 
i  utskrankheiten  den  Unfällen  gleichzustellen,  hat  eine  ziemlich  aus¬ 
gedehnte  Diskussion  ausgelöst.  Vgl.  hiezu  F.  Curschmann: 
Aerzt  liehe  Unterscheidungsmerkmale  zwischen 
Unfall  und  Berufskrankheit  in  der  Vrtljschr.  f.  gerichtl.  M 
a.  Folge,  47.  Suppl.  (ref.  in  Nr.  18  S.  1007  d.  Wschr.).  —  E.  Frank- 
Die  Einbeziehung  bestimmter  gewerblicher  Be¬ 
rufskrankheiten  in  die  staatliche  Unfallversiche- 
intü  xr  S  «i11  ä  s  ®  §  547  RVO.  in  der  Aerztl.  Sachverständigenztg. 
1914  Nr.  27.  —  Dr.  jur.  Osten:  Die  geplante  Ausdehnung 
der  Unfallversicherung  auf  gewerbliche  Berufs¬ 
krankheiten.  Hannover  1914.  Im  Wesentlichen  kommen  alle 
drei  genannten  Autoren  zu  dem  Schlüsse,  dass  eine  Anerkennung  be¬ 
stimmter  Berufskrankheiten  als  Unfall  zunächst  sehr  grosse  dia¬ 
gnostische  Schwierigkeiten  bietet,  welche  in  Hinblick  auf  die  im  Aus- 
and  nach  dieser  Richtung  gemachten  Erfahrungen  eher  zur  Ab¬ 
lehnung  des  §  547  drängen,  jedenfalls  aber  ein  sehr  langsames  Vor¬ 
gehen  erfordern.  Eine  strikte  Ablehnung  fordert  Osten  unter  dem 
Gesichtspunkte  des  Arbeitgebers  aus  finanziellen,  sozialethischen  und 
politischen  Motiven.  Demgegenüber  bemerkt  Frank  nach  Erörte- 
rung  der  einschlägigen  Auslandsgesetzgebung,  dass  für  Deutschland 
vorläufig  zwar  eine  Dringlichkeit  nicht  vorliegt,  dass  es  vielmehr 
hauptsächlich  medizinische  Schwierigkeiten  sind,  die  augenblicklich 
noch  der  erfolgreichen  Durchführung  des  §  547  im  Wege  stehen; 
diese  Schwierigkeiten  sind  zunächst  in  der  mangelhaften  gewerbe¬ 
hygienischen  Schulung  begründet;  weiterhin  ist  erforderlich  die  ver¬ 
mehrte  Einstellung  hauptamtlicher  Gewerbeärzte,  die  Durchführung 
der  Anzeigepflicht  für  bestimmte  Gewerbekrankheiten,  schliesslich  die 
Vertiefung  der  gewerbehygienischen  Forschung. 

Zum  Kapitel  Luftdruckschädigung  liegen  2  Veröffent¬ 
lichungen  vor;  zunächst  sei  auf  den  sehr  instruktiven  Aufsatz  von 
A.  Bornstein  verwiesen:  Physiologie  und  Pathologie 
des  Lebens  in  verdichteter  Luft,  B.kl.W.  1914,  ref.  in 
Nr.  22  S.  1241  dieser  Wschr.  —  Die  Einflüsse  der  verdünnten  Luft 
erörtern  A.  I.oewy  und  J.  Placzek  in  der  B.kl.W.  Nr.  22:  Die 
Wirkung  der  Höhe  auf  das  Seelenleben  des  Luft¬ 
fahrers,  ref.  in  Nr.  23  S.  1299  dieser  Wschr. 

Das  Kapitel  Lichtkrankheiten  und  Lichtschutz  der 
Augen  wird  von  Gross  in  der  D.  militärärztl.  Zschr.  1914  H.  4 
erörtert.  Neben  den  bekannten  BlendungserscheinungeH  durch  die 
natürlichen  Lichtquellen  finden  wir  besonders  bei  den  modernen 
künstlichen  Beleuchtungsarten  akute  und  chronische  Augen¬ 
reizungen.  Die  ersteren  Formen  treten  hauptsächlich  bei  den  Ar- 
heitern  der  Elektrizitätsbranche  auf  und  sind  vorzugsweise  im  vor- 
deren  Augenabschnitt  lokalisiert;  ihre  Prognose  ist  günstig.  Bedenk¬ 
licher  sind  die  chronischen  Formen,  die  sowohl  durch  leuchtende  als 
besonders  durch  nichtleuchtende  (ultraviolette)  Strahlen  hervor¬ 
gerufen  werden;  letztere  erzeugen  Entzündungen  des  äusseren  Auges, 
Farbensinnstörungen,  Verminderung  der  Dunkeladaption,  die  leuchten¬ 
den  Strahlen  vermögen  u.  U.  schwere  Symptome  (Sehnervenentzün¬ 
dung,  Chorioretinitis  u.  a.)  zu  veranlassen.  Den  besten  Schutz  ge¬ 
währen  solche  Schutzgläser,  welche  die  schädlichen  Strahlen  mög¬ 
lichst  absorbieren;  als  sehr  wirksam  hat  sich  das  Euphosglas 
bewährt. 

Zur  Frage  der  beruflichen  Gehörschädigungen  liegen  drei  neuere 
Arbeiten  vor:  F.  Rohrer:  Ueber  professionelle  Schwer¬ 
hörigkeit  der  Eisenbahner,  Mschr.  f.  Ohrhlk.  1913  S.  1075. 

E.  Müller:  Ueber  Schwerhörigkeit  beim  Bahn- 
p  e  rso  n  a  I,  Wiirtt.  Med.  Korr.Bl.  84.  S.  1—4.  —  O.  Mauthner: 
Gehörorgan  und  Beruf.  Würzburger  Abhandlungen  14.  8.  1914. 

Von  den  infektiösen  Gerwerbekrankheiten  wäre  zunächst 
wiederum  des  Milzbrands  zu  gedenken.  Nach  den  amtlichen  Mel- 
düngen  wurden  im  Jahre  1913  in  England  70  Fälle  (mit  7  Todes¬ 
fällen)  beobachtet,  die  höchste  Zahl  seit  einer  längeren  Reihe  von 
Jahren.  Sie  verteilten  sich  auf  Bearbeitung  von  Wolle  mit  43,  von 
Rosshaaren  mit  5,  Fellen,  Häuten  und  Pelzen  mit  19,  verschiedene 
andere  Beschäftigungen  mit  3  Fällen.  Die  relativ  hohe  Erkrankungs¬ 
ziffer  erklärt  sich  daraus,  dass  vorwiegend  ausländisches  Material 
verarbeitet  wird.  —  Vgl.  hiezu  die  in  der  letzten  Uebersicht  (Nr.  20) 
gegebene  Deutsche  Milzbrandstatistik!  —  Die  Uebertragung  kann 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


gegebenenfalls  auch  durch  Fliegen  und  Stechmücken  erfolgen:  vgl. 
hiezu  die  Arbeiten  von  Heyn  in  der  Zsch.  f.  Medizinalbeamte  1914 
Nr.  11:  Fliegen  als  Krankheitsüberträger —  und  von 
A.  Sch  u  borg  und  W.  Böing  in  den  Arb.  Kais.  Ges.A.  47.  1914. 
ref.  in  Nr.  25  S.  1412  dieser  Wschr.:  Ueber  die  U  eher  t  Ta¬ 
gung  von  Krankheiten  durch  einheimische  ste¬ 
chende  Insekten.  —  Bezüglich  der  Pathologie  des  inne¬ 
ren  Milzbrands  vgl.  das  Ref.  in  Nr.  15  S.  844  dieser  Wschr. 
betr.  Demonstration  von  E.  R  eye -Hamburg  —  bezügl.  der  Thera¬ 
pie  den  Aufsatz  von  L.  Buberl:  Zur  Salvarsanbehand- 
lung  des  Milzbrandkarbunkels  in  Nr.  24  S.  1340  dieser 
Wschr. 

Neue  Arbeiten  liegen  wiederum  zur  Frage  der  Milzbrand  - 
Prophylaxe  in  der  Gerberei  vor.  G.  A  b  t  veröffentlicht  in  den 
Annales  de  l’Institut  Pasteur  28.  1914  S.  149  seine  Untersuch¬ 
ungen  über  die  Sterilisation  von  Milzbrandsporen. 

Er  überprüfte  zunächst  die  verschiedenen  Methoden  der  Häute-  und 
Felldesinfektion.  Die  Schattenfroh-Gegenbauer-Rei- 
c  hei  sehe  Methode  erwies  sich  besonders  günstig  bei  Verwendung 
einer  2  proz.  Salzsäure  bei  15—20°  C  innerhalb  48  Stunden  oder  einer 
1  proz.  Salzsäure  bei  40°  C  für  6  Stunden,  je  mit  10  Proz.  Kochsalz¬ 
zusatz.  Jedoch  stellt  Verf.  die  Brauchbarkeit  der  so  behandelten 
Felle  in  Frage.  Mittels  Chlor  lassen  sich  Meerschweinchenhäute 
wohl  sterilisieren,  fraglich  bleibt  diese  Methode  jedoch  für  derbere 
Häute.  Das  Verfahren  nach  Seymour- Jones  ist  mit  Verwen¬ 
dung  von  Ameisensäure  2/1000  und  Sublimat  nicht  über  1:  5000  be¬ 
friedigend;  allerdings  muss  man  sich  hierbei  damit  begnügen,  die 
Sporen  nicht  abzutöten,  sondern  nur  abzuschwächen.  Voraussetzung 
ist  hierbei  ferner,  dass  durch  Behandlung  der  Häute  mit  Schwefel¬ 
präparaten  keine  Neutralisation  des  Sublimats  herbeigeführt  wird.  - — 
Vgl.  hiezu  die  umfassenden  Untersuchungen  von  E.  Hailer:  Die 
Abtötung  von  Milzbrandsooren  an  Häuten  und 
Fellen  durch  Salzsäure-Kochsalzlösungen.  Arb. 
Kais.  Ges.A.  47.  1914.  S.  69.  Ref.  in  Nr.  22  S.  1239  der  M.m.W.  - 
sowie  die  Versuche  von  L.  Lange  über  die  Wirkung  einer 
lproz.  Cyllinlösung  auf  die  Milzbrandsporen  in  den 
Arb.  Kais.  Ges.A.  45.  1913.  H.  1.  Letzterer  Autor  stellte  fest,  dass 
das  in  England  von  den  Behörden  zugelassene  1  proz.  Cyllin  (r=  Hoch¬ 
ofenteerprodukt)  keine  Abtötung,  sondern  lediglich  eine  Entwicklungs¬ 
hemmung  der  Milzbrandsooren  bedingt,  daher  nicht  als  Ersatz  der 
Dampfdesinfektion  gelten  kann. 

Auch  von  S  e  v  c  i  k  wurden  die  verschiedenen  Desinfektions¬ 
methoden  nachgeprüft :  Experimentelle  Beiträge  zur 
Frage  der  Desinfektion  m  i  1  z  b  r  a  n  d  s  p  o  r  e  n  h  a  1 1  i  g  e  r 
Häute  und  Felle.  Zschr.  f.  Infekt.Krkh.  d.  Haustiere  13.  S.  322 
u.  439.  Verf.  gelangt  zu  nachstehenden  Schlussfolgerungen:  1.  Das 
Seymour-Jones  sehe  Sterilisierungsverfahren  (0,02  proz.  Subli¬ 
mat  mit  1  Proz.  einer  90  proz.  Ameisensäurelösung)  ist  in  der  emp¬ 
fohlenen  Konzentration  von  0,02  Proz.  Sublimat  keine  verlässliche 
Methode  zur  Desinfektion  von  getrockneten,  milzbrandsnorenhaltigen 
Schaffellen  und  Grosstierhäuten:  jedoch  vermag  sie  bei  lOfacher 
Konzentrationserhöhung  des  Sublimats  und  48  stündiger  Einwirkung 
die  meisten  Häute  und  Felle  zu  desinfizieren:  allerdings  ist  sie  bei  be¬ 
sonders  dicken  Rindshäuten  selbst  in  dieser  Konzentration  noch  nicht 
absolut  sicher.  2.  Das  S  c  h  a  1 1  e  n  f  r  o  h  sehe  Verfahren  (2  Proz 
HCl  und  10  Proz.  NaCl)  vermag  wohl  dünne  Felle  (Kaninchen  etc) 
zu  sterilisieren,  ist  jedoch  nicht  imstande,  Rinderhäute  und  nicht  ent¬ 
fettete  Schaffelle  verlässlich  zu  desinfizieren.  Im  allgemeinen  würde 
die  letztere  Methode  wegen  ihrer  Billigkeit  und  Ungefährlichkeit 
wohl  den  Vorzug  verdienen. 

Holtzmann:  Bleichung  und  Desinfektion  v  o  n 
Haaren  und  Borsten.  Zbl.  f.  Gew.Hyg.  1914  H.  7.  machte  die 
Beobachtung,  dass  die  durch  die  deutschen  Schutzverordnungen  vor¬ 
geschriebenen  Desinfektionsmethoden  (%  ständiges  Kochen  mit  2  nroz. 
Kaliumpermanganat  und  folgendes  Bleichen  mit  3 — 4  proz.  schwefliger 
Säure)  in  der  Praxis  fast  nie  streng  durchgeführt  werden,  dass  viel¬ 
mehr  weit  schwächere  Lösungen,  niedrigere  Temperaturen,  dagegen 
längeres  Verweilen  in  den  Lösungen  üblich  ist.  Seine  Nachunter¬ 
suchungen  ergaben,  dass  die  Methoden  der  Praxis  tatsächlich  die 
Milzbrandsporen  abtöten,  dass  daher  die  Aufsichtsorgane  vom  Stand¬ 
punkte  des  Arbeiterschutzes  aus  gegen  die  in  der  Praxis  üblichen, 
allerdings  den  Vorschriften  nicht  wörtlich  entsprechenden  Desinfek¬ 
tionsmethoden  nicht  einzuschreiten  brauchen. 

Ueber  die  Häufigkeit  der  wichtigeren  gewerblichen  Ver¬ 
giftungen  liegen  neuere  Zahlen  (für  1913)  aus  England  vor.  Dort 
kamen  auf  Grund  der  bestehenden  ärztlichen  Anzeigepflicht  zur  amt¬ 
lichen  Kenntnis:  Bleivergiftungen  in  Fabriken  etc.  535,  im  Hand¬ 
werk  291  mit  insges.  27  Todesfällen;  Vergiftungen  durch  Queck¬ 
silber  14,  durch  Arsen  6,  durch  Phosphor  0.  Die  Gesamt¬ 
zahl  dieser  Vergiftungen  betrug  demnach  846  Fälle  gegen  864  im 
Vorjahre.  —  Vgl.  hiezu  die  deutschen  Zahlen  in  der  letzten  Ueber- 
sicht  (in  Nr.  20  dieser  Wschr.). 

Zur  Frage  der  gewerblichen  Bleivergiftung  liegt  eine  neue  Arbeit 
aus  dem  K.  k.  arbeitsstatistischen  Amt  des  Oesterreichischen  Arbeits¬ 
ministeriums  vor,  welche  die  Erhebungen  in  der  kera¬ 
mischen  Glas-  und  Emailindustrie  umfasst.  Wien,  Alfr. 
Holder,  1913.  Die  Untersuchungen  erstreckten  sich  auf  insgesamt 
143  Betriebe  mit  ca.  18  500  Arbeitern.  In  der  keramischen 
Industrie  werden  bekanntlich  den  Glasuren  Bleiglätte,  Mennige 


oder  Bleiweiss  als  Flussmittel  zugegeben  (bis  zu  70  Proz.); 
wirklich  bleifreie  Glasuren  sind  äusserst  selten.  Für  die  Ver- 
giftungsgefahr  ist  es  wichtig,  ob  das  Blei  nur  einfach  beige¬ 
mengt  (ungefrittet)  oder  ob  es  vor  der  Verwendung  mit  den  übri¬ 
gen  Glasurbestandteilen,  d.  i.  Silikaten,  zusammengeschmolzen,  „ge- 
f rittet“,  ist:  im  letzteren  Falle  löst  es  sich  im  Magensafte  viel  schwerer 
und  kann  als  relativ  ungefährlicher  gelten.  Gefährdet  sind  hiebei 
die  mit  Herstellung  und  Verwendung  der  Glasur  und  Einträgen  der 
rohglasierten  Waren  beschäftigten  Arbeiter.  In  der  Glasindustrie 
werden  Bleiverbindungen,  meist  Minium,  ebenfalls  als  Flussmittel, 
dann  zur  Erhöhung  des  Glanzes,  der  Weichheit  und  Schleifbarkeit 
dem  Glasversatz  beigemengt.  Hiebei  sind  besonders  die  sogen. 
Schmelzer,  welche  die  Rohmaterialien  zusammenmischen,  gefährdet. 
Natürlich  sind  bei  der  Veredelung  von  Kcramprodukten  auch  die 
Maler  infolge  Verwendung  bleihaltiger  Farben  gefährdet.  hn 
1.  Abschnitte  der  vorliegenden  Erhebungen  finden  wir  die  blei¬ 
gefährlichen  Arbeitsverrichtungen  in  den  einzelnen  Industrie¬ 
gruppen,  die  hygienischen  Massnahmen  im  allgemeinen  so¬ 
wie  die  Ergebnisse  der  ärztlichen  Untersuchung.  Hierbei 
fanden  sich  in  den  sogen.  Kerambetrieben  bei  30—50  Proz.  der  ge¬ 
fährdeten  Arbeiter  Bleisymptome  vor,  in  den  Glasurfabriken 
70,5  Proz.,  in  den  Porzellanmalereien  2,8  Proz.  In  Glashütten  wurden 
bei  Glasmachern  43,8  Proz.,  bei  Glasmalern  53.8  Proz.  Bleisymptome 
festgestellt:  die  Emailindustrie  verwandte  fast  nur  bleifreie  Emaile. 
Die  Ergebnisse  der  Lokalerhebungen,  die  im  2.  Abschnitte  wieder¬ 
gegeben  werden,  zeigen  besonders  bei  den  Klein-  und  Mittelbetrieben 
noch  ausserordentlich  primitive  Arbeitsräume  und  Betriebseinrich¬ 
tungen,  mangelhafte  Waschgelegenheit  (etwa  bei  der  Hälfte  gar 
keine):  die  Grossbetriebe  sind  wohl  etwas  besser  eingerichtet,  ent¬ 
sprechen  aber  auch  nicht  in  jeder  Beziehung.  Aerztliche  Unter¬ 
suchungen  sind  nur  in  ganz  vereinzelten  Betrieben  eingeführt:  häufi¬ 
ger  findet  ein  Arbeitswechsel  statt,  indem  periodisch  die  gefährdeten 
Arbeiter  mit  bleifreien  Arbeiten  beschäftigt  werden.  Zahlreiche  Ab¬ 
bildungen  zeigen  die  Vorgefundenen  Verhältnisse.  Der  3.  Teil  ent¬ 
hält  die  bisher  zur  Bekämpfung  der  Bleigefahr  im  Auslande  erlassenen 
Verordnungen  sowie  die  internationalen  Bestrebungen  auf  diesem 
Gebiete.  —  Vgl.  hiezu  auch  die  Leitsätze  zur  Verhütung 
der  Bleivergiftung  in  der  keramischen  Industrie 
von  K.  H  a  u  c  k,  Zschr.  f.  Gew.Hyg.  1914  H.  3  u.  4  S.  31. 

Bekanntlich  bildet  neben  dem  Bleiweiss  auch  die  Blei¬ 
mennige  eine  häufige  Vergiftungsgelegenheit,  meist  bei  Verwen¬ 
dung  als  Rostschutzanstrich  bei  Eisenkonstruktionen  aller  Art, 
Brücken,  Waggons,  Lokomotiven,  Schiffen  u.  dgl.  Das  Blei  hat  eben 
die  Eigenschaft,  mehr  als  andere  Substanzen,  wie  Zinkweiss,  Eisen¬ 
mennige  etc.,  mit  dem  Leinöl  zu  verseifen  und  einen  gegen  Witte¬ 
rungseinflüsse  sehr  widerstandsfähigen  Schutz  zu  bilden.  Wie  Hans 
T  a  u  s  s  in  einem  Aufsatz  des  Zbl.  f.  Gew.Hyg.  1914  H.  3:  Die  Ver¬ 
wendung  von  bleifreien  Rostschutzmitteln  in 
Oesterreich  mitteilt,  beträgt  der  österreichische  Konsum  an  Men¬ 
nige  jährlich  etwa  3  500  000  kg,  wovon  die  Hälfte  auf  die  Glashütten, 
etwa  800  000  auf  Anstrich  entfallen  dürfte.  Meist  erhalten  die  Eisen¬ 
konstruktionen  bis  zu  4  Anstriche,  davon  2  sicher  mit  Mennige.  Als 
Ersatzmittel  kommen  Eisenoxvd,  dann  Zink-.  Manganoxyde  u.  dgl. 
in  Betracht.  Neuerdings  haben  sich  diese  Ersatzfarben  in  Oester¬ 
reich  ziemlich  gut  eingebürgert,  nur  für  den  Grundanstrich  von  Eisen¬ 
konstruktionen  im  Freien  wird  noch  regelmässige  Mennige  verwendet, 
da  die  Ersatzmittel  im  allgemeinen  bzgl.  Deckkraft  und  Haltbarkeit 
zurückstehen.  —  Eine  eigenartige  Quelle  der  gewerblichen  Bleiintoxi¬ 
kation  schildern  Holtzmann  und  E.  v.  Skramlik  aus  der 
Pforzheimer  Bijouterieindustrie:  Tul  aarbeit  und  Bileiver- 
giftung.  Vgl.  das  Ref.  in  Nr.  22  (S.  1242)  d.  Wschr.  —  Eine 
weitere  einschlägige  Studie  veröffentlicht  S  c  h  u  1  t  z  e  in  der  D. 
Vrtlischr.  f.  Gsdhtspfl.  46.  J.  1914  H.  2:  Zur  Kenntnis  und  Sta¬ 
tistik  der  Erkrankungen  in  den  Bleihütten  in  den 
letzten  10  Jahren. 

Zur  Frage  der  ärztlichen  Ueberwachung  und  Be¬ 
gutachtung  der  Arbeiter  in  Bleibetrieben  veröffent¬ 
licht  Rambo  u  sek  im  Zbl.  f.  Gew.Hyg.  1914  H.  3  eine  Abhandlung, 
die  sich  vorwiegend  auf  die  Bleiweiss-  und  Bleifarbenfabriken  er¬ 
strecken  soll.  Eine  Frühdiagnose  kann  bei  der  Bleivergiftung 
nur  auf  Grund  von  Erfahrung  und  zusammenfassender  Betrachtung 
eines  Symptomenkomplexes  erfolgen  zumal  eindeutige  spe¬ 
zifische  Symptome  nicht  vorhanden  sind.  Die  ärztliche  Ueberwachung 
hat  sich  auf  nachstehende  Punkte  zu  erstrecken:  1.  Fernhaltung  von 
Untauglichen,  für  die  Vergiftung  Disponierten,  insbesondere  auch  der 
weiblichen  und  jugendlichen  Arbeiter;  2.  regelmässige  ärztliche  Unter¬ 
suchungen;  3.  einem  völligen  Arbeitsausschluss  der  sog.  Bleiträger, 
d.  h.  derjenigen  Arbeiter,  bei  denen  der  Ausbruch  von  Krankheits¬ 
erscheinungen  in  Kürze  zu  erwarten  steht,  kann  Verf.  aus  rechtlichen 
und  wirtschaftlichen  Bedenken  nicht  zustimmen.  Hingegen  fordert 
Verf.  die  sofortige  Krankmeldung  auch  nur  leicht  erkrankter  Arbeiter 
durch  den  Ueberwachungsarzt.  Ev.  soll  ein  Bleiträger  innerhalb  des 
Betriebes  mit  bleifreien  Arbeiten  bei  vollem  Lohn  bis  zum  Ablauf  uer 
Gefahr  weiterbeschäftigt  werden.  Mit  der  ärztlichen  Ueberwachung 
sollen  am  zweckmässigsten  solche  Aerzte  betraut  werden,  welche  die 
Arbeitsbedingungen  und  die  Arbeiter  selbst  genau  kennen,  also  für 
grössere  Betriebe  sog.  Fabrikärzte,  da  fernstehende  Aerzte  und  Amts¬ 
ärzte  die  einzelnen  lokalen  und  technischen  Verhältnisse  zu  wenig 
kennen  bzw.  mit  anderen  Arbieten  zu  sehr  belastet  sind.  —  Vcrgl. 
hiezu  die  Entgegnung  in  Nr.  6  genannter  Zschr.  von  Teleky, 


28.  Juli  19M. 


MüF-NCHFNFR  MEDIZINISCHE  WOCH ENSCHR1FT 


welcher  gegen  wesentliche  Funkte  der  R  a  in  b  o  u  s  e  k  sehen  Publi¬ 
kation  energisch  und  mit  Recht  Stellung  nimmt. 

Die  Symptomatologie  bzw.  vielfach  schwierige  Diagnostik  des 
chronischen  Saturnismus  behandelt  weiterhin  0.  Nägel  P  Be  - 
trage  zur  Kenntnis  der  Bleivergiftung  mit  beson- 

d  L  ce.r  B  e  r  u  c  k  s  1  c  h  1 1  g  u  n  g  d  e  S  W  e  r  t  e  s  d  e  r  S  y  m  p  t  o  m  e“ 

im  Schweiz.  Korr  Bl.  43.  1913.  Nr.  46.  Oft  genügt  bei  disponierten 
I  ci  soiien  eine  unglaublich  geringe  Menge  und  eine  äusserst  kurze  Zeit, 
um  eine  Intoxikation  zu  erzeugen,  während  bei  anderen  jahrelange  inten- 
sive  Berührung  keine  Vergiftung  erzeugt.  Es  kann  jedoch  dadurch  zu 
einer  Aufspeicherung  des  Bleis  kommen,  so  dass  geringfügige  Schä¬ 
digungen  die  Vergiftungserscheinungen  auslösen,  selbst  dann,  wenn 
sicher  jede  Berührung  mit  Blei  längere  Zeit  ausgeschlossen  war 
Auf  Grund  von  200  beobachteten  Fällen  kommt  Vcrf.  zur  nachstehen- 
den  urdigung  der  Einzelsymptome:  Verstopfung  ist  am  häufigsten 
vorhanden  (90  Proz.)  sie  fehlt  nur  bei  den  Spätformen  (metasatmnine 
Intoxikationen,  wie  chronische  Nephritis,  Arteriosklerose  etc.);  ebenso 
häutig  sind  Ko  iken.  Zu  den  wichtigsten  Befunden  gehört  der  Blei- 
'St  auch  deur,  feinschlägige  Fingertremor,  während 
Blutdrucksteigerung  und  Blei  im  Urin  inkonstant  sind.  Der  Blut¬ 
befund  —  basophile  Granula  —  fehlt  gelegentlich,  hat  aber  u.  U  als 
einziges  objektives  Symptom  grosse  Bedeutung.  Sehr  häufig  ist  näm¬ 
lich  nicht  die  bekannte  Trias  Saum,  Tremor,  Blutbefund  vorhanden 
dief r  Symptome;  von  140  leichteren  Fällen  zeigten 
schweren  nur  X  y!nP  9mhi  gIeiphzeitig’  von  36  schweren  und  mittel- 

rgsss^Ä wen,ger  als  50  'eich,eren  Fäiim  war 

Das  gleiche  Thema  erörtert  auch  J.  S  c  h  ö  n  f  e  I  d  in  der  Zschr 
angw.  Chern.  Jahrg.  27  Nr.  24:  W  e  r  t  u  n  d  Bedeutung  der 
u"  ersuchung  b  ei  Bl  ei  v  e  r  gi  f  t  u  n  g  für  die  deut- 
sche  Bleiindustrie.  An  Hand  von  ungefähr  1000  Unter¬ 
suchungenkommt  Verf  zu  dem  Schlüsse,  dass  die  Blutuntersuchung 
auf  basophile  (iranula  die  Diagnose  „Bleivergiftung“  mit  einer  an 
Sicherheit  grenzenden  Wahrscheinlichkeit  ermöglicht,  während  die 
anderen  Symptome,  das  Bleikolorit  und  die  Hämatoporphyrinurie  hie- 
moht  genügen.  Besonderes  Augenmerk  schenkt  Verf.  den  sog.  ge- 
sunden  Bleitragern,  bei  denen  ausser  Granulationen  und  Herab- 
setzung  des  Hamoglobingehaltes  andere  Beschwerden  nicht  bestehen 
Jedenfalls  sind  periodische  ärztliche  Untersuchungen  durch  einen  un- 

hip-LanKI<geJ!i Arzi  erforderlich;  letzterem  muss  es  überlassen 
bleiben,  gutachtlich  ev.  den  Arbeitsausschluss  eines  Bleiarbeiters  zu 
beantragen  Tatsächlich  Bleikranke  mit  komplizierenden  Erkran- 
fwhnRfp°-  Cn  -ten  Beruf  .wechseln,  ev.  mit  staatlicher  Subvention. 

‘fn  ua-,ld  Gewordene  sollen  als  Unfallkranke  ent- 
whadigt  werden  Verf.  halt  schliesslich  die  Blutuntersuchung  für  sehr 
zum  Entlarven  der  Bleisimulanten  und  Bleineurastheniker, 
Jie  erfahrungsgemass  die  Krankenkassen  nicht  selten  belasten 

Zur  Frage  der  Chromatschädigungen  vgl.  die  Arbeit'  von 
i  W^ser  im  Arch.  f.  Hyg.  82.  1914.  H.  3  u.  4:  Experimen- 
eile  u  n  d  kritische  Untersuchungen  über  die  chro- 

w  3  i3  ,  ni'5  KTn  D  ä,m  pfe  der  Chromatfabriken.  Ref.  in 
VI  mW.  1914  Nr.  25  S.  1411.  U  e  b  e  r  Vergiftung  durch  s  a  1  - 

V/-1  h«  aM Sa-  oe  berichtet  E.  Harnack  in  der  V.Schr 
914  Nr  22  S  1240  °'  19H  H'  2;  VgL  d3S  kurze  Ref’  in  ^ 

Die  Frage  einer  Spät  -  und  Nachwirkung  nach  einer 
om  1 1 n  v  e  r  gif  ‘  u  ji  g  wurde  von  Flor  et  im  Zbl.  f.  Gew.Hyg 
91,4’ •  5a  f UMCht  ICh  uerörtert  Ein  Arbeiter  erkrankte  plötzlich  an 
nd  Rpnn  ’  Magentschmerzen  und  Erbrechen,  Zyanose,  Herzschwäche 
. d  wohl  mfolge  Einatmung  von  Anilindämpfen.  Pat. 

\  3/  i  u  b  14  ,rag(:n  anscheinend  wieder  völlig  hergestellt.  Nach 
chwtbi h£nnerkrankute.  derseIbe  mit  Magendarmstörungen,  Herz- 
nSdph  fKollapserscheinungen).  Es  handelte  sich  nun,  zu  ent- 

atini  in  7,«  dlCSe  ZnWeite  ,?rbranl5™g  mit  der  früheren  Anilinintoxi- 
ation  in  Zusammenhang  stunde.  Nach  Ansicht  des  Verfassers  ist  ein 

unactlger-  ursaohbcher  Zusammenhang  nicht  anzunehmen.  Erfah- 
ungsgemass  erfolgt  die  Heilung  einer  akuten  Anilinvergiftung  stets 
ach  wenigen  Stunden  oder  Tagen,  längstens  nach  2—3  Wochen 

r/r  d'I !/ kR  n  S  a"  S‘nd  bisher  n°ch  nie  beobachtet 
orden.  Besonders  im  vorliegenden  Falle  war  eine  solche  nicht 
nzuerkennen,  da  die  Vergiftung  leicht  war  und  Pat.  sich  fast  X  Jahre1 
-  abgesehen  von  2  kleinen  Unpässlichkeiten  —  völlig  wohl  fühlte 

eh°rndanrfS  Ah  arbeit.sfähiS  war.  Die  zweite  Erkrankung  dürfte  viel¬ 
ehr  auf  Altersabnutzung  (50  Jahre  alt),  Arteriosklerose,  Alkoholis- 

Sehen  abgewteen.  R  dem"ach  mit  seinen  R™te"a"- 

Neuartige  Vergiftungen  wurden  in  der  Flugzeug- 
d  u  s  tr  le  beobächtet  infolge  Verwendung  eines  tetrachlor- 
,hLn"aP'  lge»?  „LMCkes  zum  Imprägnieren  von  Flugzeugtrag- 
19u‘  sEmeJ.  M,tteilung  von  Jungfer  im  Zbl.  f.  Gew.Hyg. 

.  ,  ;  •  ---  1S1  zu  entnehmen,  dass  von  den  damit  beschäftigten 

Arbeitern  4  erkrankten,  1  starb.  Die  Erkrankungen  begannen  mit 
mherZ’  Appetitlosigkeit,  Magenbeschwerden,  Gelbsucht.  Die 
S  ei;Kab  ei"en  Gehalt  von  60  Proz.  Tetrachloräthan. 

•rwPdnH^td,  sphweren  Gase  abgesaugt  und  nur  luftige  Arbeitsräume 
Trnfmio  *  wurden,  auch  der  Zusatz  von  Tetrachloräthan  auf  40  Proz. 
ipHPr  !i  WU*rdeü  er^ankLten  weiterhin  noch  10  Arbeiter,  von  denen 
,  .  iner  s  arb-  Als  charakteristischer  Befund  ergab  sich  leichte 

?e,und  Druckempfindlichkeit  der  Leber  und  der  Milz, 
matogener  Ikterus,  verminderter  Hämoglobingehalt  (70).  Daraufhin 


_ _ _ 1693 

GewerhS,fS{!)Vendung  deraurtiger  Imprägnierungsmittel  seitens  der 
Gtvv  erbeaufsichtsorganc  verboten  werden,  zumal  in  anderen  Be¬ 
trieben  weniger  giftige  Lacke  mit  Erfolg  verwendet  werden.  —  Ueber 
A  A  e ,  t  m  i?  er  ^  ,a  r  k  0  s  f.z  u  ,s  t  ä  n  d  e  nach  gewerblicher 
1914b  Nr  1?  s  ^79 1  0  r  m  e  t  h  y  1  berichtet  H.  ü  e  r  b  i  s  in  M.m.W. 

c„.t  Pnige  ,leu.ere  Arbeiten  betreffen  wiederum  die  Phytonoseir  so 
Med ^i^^  ?!e  Veröffentlichungen  von  L.  Rost  in’der 
re  W  VpnH'  3-5:  Ueb  er  Er  krankungen  durch  haut- 
vi'pcc«  9  I  ^nz  e  n  und  die  Entgegnung  darauf  von  F.  Kann- 
g  1  e  s  s  e  r  m  der  Oesterr.  Aerzte-Ztg.  1914  Nr.  5.  UeberPhyto- 
iiosen,  ferner  auf  die  Arbeit  von  Rost:  Zur  Kenntnis  der 
lautreizenden  Wirkung  der  Becherprimel  (Primula 

1914C°Nr.'C2a2  S.“  U39.  ^  ^  ^  47‘  ls  ü/m  m  W 

1  p  k  V 7Shi  d®r  G  e  W  e  r  b  1  i  c  h  e  n  Ar  g  y  r  i  e  wurde  von  L.  T  e  - 
Ieky  im  Zbl.  f  Gew.Hyg.  1914  Nr.  4  behandelt.  Die  Ursache 

ÄrasSbeF  fn'A"  von  salpetersaurem  oder  von  rnefaU 

samt 1  S  „  1  t  l  .  'b  ,,"“r  (jegend  sollen  gegenwärlig  Inge- 

samt  noch  ca.  10  Arbeiter  mit  gewerblicher  totaler  Silberimpräg- 

nierung  leben,  von  denen  Verfasser  selbst  5  beobachtete  Dort  im 

schäftig‘trSe tlhWa  f°°  Arbeiter  in  der  Glasperlindustrie  ’ be- 
®  '  Silberperlen  werden  durch  Einsaugen  einer  1  proz 

eefäht  wTrH°MnH’  3US  dvi  durC1h  Mnchzuckerzusatz  das  Silber  aus¬ 
gefallt  wird,  in  die  sog.  Klautsche,  d.  h.  Stäbe  von  noch  aneinander 
hangenden  Perlen,  hergeslellt.  Dieses  EinsLgen  wurde  frXr  bei 
anchen  Perlarten  auch  jetzt  noch,  mit  dem  Munde  vorgenommen 

veSluckt  wir'd  Sf  u1nve,rmeidlich,  dass  gelegentlich  Silberlösung 
verschluckt  wird,  die  Folge  hievon  ist  die  mehr  oder  minder  intensive 

Graufarbung  des  ganzen  Körpers,  besonders  der  oberen  Körperhälfte 
wahrend  unterhalb  des  Nabels  nur  mehr  eine  minimale  Verfärbung 
sichtbär  ist.  Bei  Kälte  und  Aerger  wird  das  Kolorit  dunkler  bei  ev 

findennkUFüreidieeÄhIi'a  VÖlUg  normales  Allgemeinbe¬ 

finden.  Für  die  Ablagerung  des  Silbers  in  der  Haut  ist  die  Licht- 

wnkung  von  Bedeutung;  für  die  starke  Verfärbung  der  Mundschleim¬ 
haut  durfte  auch  die  direkte  Imbibition  anzusprechen  sein.  Die  Gin¬ 
giva  zeigt  hiebei  keinen  charakteristischen  Saum.  —  Eine  Art  von 
lokaler  gewerblicher  Argyrie  beobachtete  Verf.  ausse-dem  bei  Ar 
bei  er„  emes  Qo'd-  und  Silberscheideanstalt,-  dort  “efgten  einige  Ar-' 

h!!  rS  Äe,  °rad  Veua[bllng  der  Augenbindehaut  infolge  Einlagerung- 
bzw.  Imbibition  durch  feinste  Höllensteinstaubteilchen.  —  Vgl.  hiezu 
auch  den  Aufsatz  desselben  Autors  über  einen  Fall  von  hoch- 

N^Js's  ei773SeWerbliCher  Argyriie  in  der  W.kl.W.  1913 

Ur  sachen  der  Hauterkrankungen  im 
J,“,  d  F  üaC  k  7  6  u  C  l  sprechen  sich  Z  e  1 1  n  e  r,  H  e  i  n  r  i  c  h  und 
Wolf  in  der  Zschr.  f.  Hyg.  75.  S.  69  aus  wie  folgt:  Als  Ursache 
wurde  das  Ausspulen  der  Formen  ermittelt,  wozu  Terpentin  und 
dessen  Ersatzmittel,  Benzin,  Laugen,  Petroleum,  Kienöl  u  a  ver- 

Wardun;  °ie  hieduph  erzeugten  Hauterkrankungen  an  den 
Händen  und  Unterarmen  stellen  sich  als  Rötung  und  Schwellung  der 
Haut  mit  Blasenbildung,  Abschilferungen,  Rissen  u.  dgl.  dar  Nach 
den  Versuchen  der  Verf.  dürfte  das  Paraffinöl  das  beste  Waschmittel 
sein,  ihm  reihen  sich  Petroleum  und  Terpentinöl  an;  vor  der  Ver¬ 
wendung  von  Benzin  und  Kienöl  ist  zu  warnen.  Laugen  sollen  nur 
sowe.t  verwendet  werden,  als  sie  zur  Reinigung  der  Formen  wirk¬ 
lich  unentbehrlich  sind. 

Ueber  dif  Krankheiten  der  Petroleumarbeiter  ver¬ 
breitet  sich  W.  Hanauer  in  der  Zschr.  f.  Versichergsm.  1914  H.  4. 

!p  verschiedenen  Destillationsprodukte  des  Rohöls  durch  Behandlung 
Sauren  oder.  Laugen,  Waschen  und  Entwässern,  ev.  wiederholte 
Destillätion  gereinigt  Bei  diesen  Vorrichtungen  können  Schädigungen 
durch  giftige  Gase,  Verätzungen  u.  dgl.  erfolgen.  Die  flüchtigen  Kohlen¬ 
wasserstoffe  erzeugen  eingeatmet  einen  rauschähnlichen  Zustand:  die 
Arbeiter  schreien,  taumeln  und  verfallen  in  einen  tiefen  Schlaf  ohne 
Erinnerung  an  das  Vorhergegangene.  In  schweren  Fällen  tritt  Be¬ 
wusstlosigkeit  mit  Blaufärbung  des  Gesichtes,  Pupillenverengerung, 
stär rem  Blick  ein.  Pneumonien  sind  als  Nachkrankheiten  nicht  selten. 
Die  hochsiedenden  Oele  rufen  Hautentzündung  hervor,  besonders 
Kpc  n-f*BÜSOndAeru  s^er  werden  die  mit  den  Petroleumrückständen 
beschäftigten  Arbeiter  befallen.  Die  Petroleumtanks  dürfen  keines¬ 
wegs  eher  bestiegen  werden,  als  bis  sie  durch  Einleiten  von  Press¬ 
luft,  Dampf  bzw.  Sauerstoff  vollständig  durchlüftet  sind.  Besondere 
Beachtung  verdient  die  persönliche  Reinlichkeit.  Die  Behandlung  mit 
Sauren  und  Laugen  darf  nur  in  abgedichteten  Gefässen  erfolgen  In 
Deutschland  scheinen  die  Gesundheitsverhältnisse  der  Petroleum¬ 
arbeiter  relat*v  günstig  zu  sein;  nach  (früheren)  amtlichen  Erhebungen 
waren  von  1380  Arbeitern  nur  9  an  Vergiftung,  34  an  Akne  erkrankt 
Neuerdings  wurden  auch  krebsartige  Geschwülste  bei  den  Raffinierern 
beobachtet,  die  an  den  verschiedensten  Körperstellen  lokalisiert  sind, 
me  beginnen  mit  einer  kleinen  warzigen  Wucherung,  die  später  in  der 
Mitte  eine  harte  hornige  Erhebung  von  etwa  Stecknadelkopfgrösse 

7prgfl,i|indAf1CThr  allmahhch  verbreitert.  Meist  folgt  bald  geschwüriger 
Zerfall.  Als  Ursache  werden  sowohl  mechanische  und  thermische  als 
auch  insbesondere  chemische  Reize  durch  die  scharfen,  mit  Säuren 
und  Laugen  vermischten  Rückstände  angesprochen.  Die  Verhütung 
besteht  in  peinlichster  Reinlichkeit. 

pcc  ^chliesslich  sei  auch  an  dieser  Stelle  auf  die  äusserst  inter- 
essanten  Ausführungen  von  A.  Dworetzky  in  Nr.  23  S.  1306  dieser 
Wschr. .  Rätselhafte  Massenvergiftungen  in  russi- 


1694 


MUENÜHENER  MEDIZINISCHE  WOÜHENSCHRlf  1. 


Nr.  30. 


srhen  Fabriken,  verwiesen,  welche  einen  Einblick  in  die  Ar¬ 
beiterpsyche  gewähren  und  zur  Wertung  ähnlicher,  auch  bei  unseren 
deutschen  AHteitern  gelegentlich  auftretender  Massensuggestionen 
wertvolle  Fingerzeige  geben. 


Neueste  Journalliteratur. 


Deutsches  Archiv  für  klinische  Medizin.  115.  Bd.,  H.  3  u.  4. 

H  Herrn  ei:  Beobachtungen  über  vasokonstringierende  und 
dilatierende  Substanzen.  (Versuche  an  isolierten  Organen.)  (Aus  der 
med  Poliklinik  in  Freiburg  i.  Br.)  (Mit  12  Kurven  und  1  Figur.) 

Hirundinblut,  das  schon  mehrfach  ein  Gefässsystem  passierte, 
wirkt  bei  Durchblutung  einer  ruhenden  Extremität  vasodilatierend, 
frisches  Hirundinblut  vasokonstringierend.  Am  *chll|e "^*5 

Herzen  beobachtet  man  ein  entgegengesetztes  Verhalten.  Es  lasst 
sich  zeigen,  dass  dieses  differente  Verhalten  weder  mit  dem  Adre- 
nalin  noch  mit  dem  Sauerstoffgehalt  des  Blutes  in  Zusammenhang 
steht.  Der  isolierte  tätige  Herzmuskel  bildet  wahrscheinlich  Sub¬ 
stanzen  die  den  Gefässtonus  der  Kranzarterien  steigern  und  die 
Herztätigkeit  schädigen.  Zufuhr  frischen  Blutes  wirkt  vasodilatierend. 

P.  v.  Monakow:  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Nephropathien. 

II  Teil  7  Fälle  mit  Kochsalzretention  (Hypochlorurische  Nephro¬ 
pathien).  "(Aus  der  II.  med.  Klinik  zu  München.) 

In  9  Fällen,  die  ein  mehr  oder  weniger  starkes  Oedem  zeigten, 
fand  sich  eine  schlechte  NaCl-Ausscheidung  und  eine  gute  N-Elimi- 
nation.  Auf  NaCl-Zulage  nahm  die  Unnmenge  erheblich  ab,  das 
Körpergewicht  stieg  an  und  der  Eiweissgehalt  des  Urins  nahm  zu, 
ein  Zeichen,  dass  eben  NaCl  zurückgehalten  wurde,  und  dass  dei 
Körper  zur  Erhaltung  der  Isotonie  auch  Wasser  zuruckhalt.  Die 
Oedembildung  ist  jedoch  nicht  ausschliesslich  Folge  der  NaCl- 
Retention,  sondern  es  ist  hier  auch  eine  Mitwirkung  extrarenaler 
Faktoren  im  Spiele,  eine  Störung  peripherer  Gefässe,  wenigstens  bei 
schweren,  sichtbaren  Oedemen.  Fehlt  eine  periphere  Gefassstorung, 
so  tritt  an  die  Stelle  der  interzellulären  NaU-Retention  eine  intra¬ 
zelluläre  Retention,  die  Oedeme  können  schwinden,  trotzdem  bleibt 

das  retinierte  NaCl  im  Körper.  , 

Die  Ausscheidung  von  Jod  oder  Milchzucker  war  in  den  ein¬ 
zelnen  Fällen  gestört,  doch  in  bezug  auf  die  Dauer  sehr  verschieden, 
ebenso  reagierten  die  einzelnen  Fälle  auf  Theocin  sehr  verschieden, 
ohne  dass  hiefür  ein  Grund  angegeben  werden  kann.  In  manchen 
Fällen  von  hydropathäscher  Nephropathie,  wenn  alle  Diuretika  ver¬ 
sagen,  ist  ein  Versuch  mit  innerlicher  Darreichung  von  Harnstoff 
empfehlenswert.  . 

K  Hävers:  Experimentelle  Untersuchungen  über  die  Ihysio- 
logie  und  Pathologie  des  Cholesterinstoffwechsels  mit  besonderer 
Berücksichtigung  der  Schwangerschaft.  (Aus  der  med.  Universitäts¬ 
klinik  Freiburg  i.  Br.)  (Mit  4  Kurven.)  . 

Auf  starke  Nahrungszufuhr,  Eiweissdiät  und  Fettkost  erfolgt  eine 
Anreicherung  der  Galle  mit  Cholesterin.  Bei  beschrankter  Nahrungs¬ 
aufnahme,  im  Fieberzustand  und  in  der  Gravidität  tritt  eine  Chole¬ 
sterinverarmung  der  Galle  ein.  Nach  beendigter  Gravidität  wird 
kurz  nach  dem  Wurfe  (Hund)  die  Galle  rapid  mit  Cholesterin  über¬ 
schüttet,  die  Hauptrolle  spielt  dabei  das  freie  Cholesterin.  Dieses 
steigt  in  der  Galle  besonders  beträchtlich  bei  Eiweissdiat  und  nach 
beendigter  Gravidität  infolge  des  Wurfs  verringert  sich  aber  ziem¬ 
lich  stark  beim  Fieber.  Während  der  Gravidität  vollzieht  sich  eine 
mit  dieser  fortschreitende  Aufspeicherung  von  Cholesterin  im  Blute, 
die  am  Ende  der  Gravidität  ihren  Höhepunkt  erreicht,  entsprechend 
veiarmt  die  Galle  an  dieser  Substanz.  Die  Hypercholesterinamie  in 
der  Gravidität  ist  ein  Retentionsvorgang,  der  zu  einer  Speicherung 
des  Cholesterins  in  verschiedenen  Depots  im  Körper  fuhrt,  damit  der 
mütterliche  Organismus  seinen  mit  der  zunehmenden  Gravidität  immer 
mehr  sich  steigernden  Aufgaben  entsprechen  kann. 

E  Edens  und  W.  v.  Förster:  Zur  Diagnose  der  Herzbeutel¬ 
verwachsungen.  (Aus  der  II.  med.  Klinik  in  München.)  (Mit 

allgemein  gültiges  Zeichen  für  die  Erkennung  von  Herzbeutel¬ 
verwachsungen  gibt  es  nicht,  da  die  verschiedene  Lokalisation  der 
Verwachsungen  zu  verschiedenen  Erscheinungen  fuhren  muss..  Auen 
eine  ausgedehnte  Obliteratio  pericardii  braucht  keinen  sicheren 
Röntgenbefund,  keinen  negativen  Herzstoss,  keine  Veränderung  des 
lugularispulses  und  Oesophagokardiogrammes,  auch  keinen  Pulsus 
paradoxus  zu  geben.  Zum  Schlüsse  werden  einige,  auf  Herzbeute  - 
Verwachsung  verdächtige,  aber  nicht  obligate  Zeichen  angeführt  (auf¬ 
fallende  Kleinheit  des  Jugularispulses  und  des  Oesophagokardio- 
erumms  Fehlen  des  Vorhofspulses  im  Oesophagus  etc.). 

K.  Emden  und  J.  Rotschild:  Ueber  das  Chlorom  und  seine 
Beziehungen  zur  Myeloblastenleukämie.  (Aus  dem  Sencken- 
b  er  gischen  pathologisch-anatomischen  Institut  zu  Frankfurt  a.  M.) 

Bei  einem  5  jährigen  Knaben  führte  ein  Chlorom  unter  dem  kli¬ 
nischen  Bilde  fortschreitender  Lähmungen  und  dem  Blutbilde  einer 
Myeloblastenleukämie  binnen  J2  Wochen  zum  Tode.  Das  anatomische 
Bild  entsprach  dem  eines  diffus  infiltrierenden  malignen  Tumors,  ohne 
dass  sich  ein  primärer  Herd  fand.  Die  Tumoren  bestanden  fast  aus¬ 
schliesslich  aus  Myeloblasten,  weshalb  das  Chlorom  als  Myeloblasten¬ 
tumor  zu  bezeichnen  ist. 

I  Löwy  Ueber  refraktrometrische  Bestimmungen  von  Blut¬ 
seren  und  Transsudaten.  (Aus  der  med.  Universitätsklinik  R. 
v.  J  a  k  s  c  h,  Prag.) 


Die  Refraktometrie  ist  eine  einfache  und  sichere  Methode,  um 
Veränderungen  dS  Blutserums  unter  dem  Einflüsse  verschiedener 
l'i  iten  und  vielleicht  auch  von  Medikamenten  festzustellen.  So  ubt 
/  B  vegetarische  Kost  wahrscheinlich  durch  Beeintlussung  der  Diu¬ 
rese  und  durch  ihre  Eiweissarmut  einen  Einfluss  auf  die  Refraktion 
des  Blutserums  aus.  Bei  Aszites  resp.  Hydrothoraxflussigkeit  sowie 
bei  Oedemen  ist  die  optische  Dichte  gleich  der  optischen  Dichte  des 

enteiMeiL?nndau:S  Zur  Morphologie  der  Sekretion  und  Resorption  in 

den  Nieren.  (Aus  dem  pathol.  Institut  der  Universität  Freiburg  l.  Br.) 

<M%eT“r“ntoT5W<l«V  Harnkanälchen  dienen  der  Sekretion 
die  übrigen  Abschnitte  des  Tubuluslabyrinthes  der  Resorption.  Bei 
akuter,  gelber  Leberatrophie  bestellt  die  Möglichkeit  einer  differenten 
färberi'schen  Darstellung  der  beiden  Harnkanälchensysteme,  indem 
die  Epithelien  des  sezernierenden  Teiles  vorwiegend  Neutralfette, 
die  Zellen  der  resorbierenden  Abschnitte  neben  anderen  Lipoiden 
auch  Fettsäuren  enthalten.  Neben  der  degenerat.v^n  Nierenve  feüung 
muss  auch  die  Möglichkeit  ins  Auge  gefasst  werden,  dass  die  - 
Speicherung  der  morphologische  Ausdruck  einer  bei  gewissen  Zu¬ 
ständen  auftretenden  Fettausscheidung  durch  die  Nieren  ist 

A  J  a  r  i  s  ch:  Zur  pathologischen  Anatomie  des  Pulsus  irregu 
laris  perpetuus.  (Aus  dem  Laboratorium  der  II.  med.  Klinik  in  Berlin.)  . 

<M  t  De^Verf'  bespricht  zunächst  die  Krankengeschichte  sowie  den 
Herzautopsiebefund  von  8  eigenen  Beobachtungen  stellt  dann  die  in 
der  Gesamtliteratur  niedergelegten  weiteren  45  Falle  zusammen  und 
kSnmtl? dem  Schluss,  dass  der  anatomische  Befund  keine  für  den 
Pulsus  irregularis  perpetuus  charakteristische  Veränderung  aufweist. 
Gemeinsam  sind  diesen  Herzen  lediglich  Zeichen,  welche  auf  eine  Er¬ 
schwerung  der  Funktion  der  Vorhöfe,  speziell  des  rechten  schliessen 
lassen  Die  verschiedenen  Theorien  zur  Erklärung  des  Pulsus  lrre- 
gulaiis  lassen  sich  nicht  in  befriedigender  Weise  mit  dem  anatomi¬ 
schen  Befunde  in  Einklang  bringen,  eine  einheitliche  Aetiologie  ^ 
den  Pulsus  irregularis  perpetuus  gibt  es  nich^  wenn  auch  wohl  e 
Ursache  in  einer  sukzessiven  Erschöpfung  des  Sinusknotens  zu  er 

blicken  ^Long  und  H  G.  Wells:  Ueber  die  Purinenzyme  der 
pneumonischen  Lunge.  (Aus  dem  pathol.  Laboratorium  der  Um- 

VerS  Di'e  'pneumonische  Lunee,,  kann  ihre  Nukleinsäure  abbauen  unä 
sie  völlig  zu  Xanthin  und  Hypoxanthin  desamidisieren,  aber  sie  kann 
diese  Purine  auch  unter  günstigen  Versuchsbedingungen  nicht  zu  I 

Harnsäure  oxydieren.  ^  ^  Harnsä„regcll  „  des  Blutes  als 

Krankheitssymptom.  (Aus  der  II.  tned.  Universitätsklinik .zu  Manche»! 

Erhöhter  Harnsäurewert  findet  sich  im  Blute  bei  schwere 
Nierenschädigungen,  verbunden  mit  Hypertonie,  bei  denen  ausser  an¬ 
deren  Harnbestandteilen  auch  die  Harnsäure  retmiert  wird  bei 
Urämie  Hessen  sich  die  höchsten  Harnsaurewerte  im  Blute  nacli- 
weisen  Bei  Gichtkranken  liegt  eine  eigentlich  krankheitsspezifische 
Vermehrung  vor,  auch  bei  allen  Zuständen,  die  mit  vermehrtem  Zeh- 
iSm  einhergelien.  (z.  B.  Leukämie  Pneumome  Kamnom.  Fteber) 
finden  sich  erhöhte  Harnsäurewerte  des  Blutes.  Ein  erhöhter  Harn 
säurewert  des  Blutes  lässt  chronische  Arthritiden  n'cht gichtischer 
Natur,  sowie  die  Arthropathie  deformans  von  gichtischen  Gelenktr- 
krankungen  trennen,  manchmal  auch  eine  Gichtniere  von  einer  e  n- 

faüicn  Nephrit^  r  d  t;  Bemerkungen  zur  Arbeit  von  H  e  d  i  n  g  er  und 

Schleyer:  Ueber  die  Prüfung  der  Nierentät.gkeit  dufch  Pob- 

mahlzeit,  dieses  Archiv  Bd.  114.  S.  120.  (Aus  der  med.  Klinik  zu 

KonLsb  ^^kiiläre  Hyposthenurie  ist  ein  Zeichen  leichterer  Tubulus- 
erkrankung  und  nicht,  wie  S  c  h  1  e  y  e  r  meint,  ein  Symptom  vasku¬ 
lärer  Nierenschädigung. 

Besprechungen.  Bamberger-K 


Beiträge  zur  Klinik  der  Infektionskrankheiten  und  zur 

Immunitätsforschung.  (Brauer,  Schottmuller,  Much. 
Festschrift,  dem  Eppendorfer  Krankenhaus  zur  Feier  seines 
25  jährigen  L3estehens  gewidmet. 

Much- Adam-Eppendorf:  Ueber  Beziehungen  zwischen  Ei- 
weiss  und  Lipoidantikörpern  und  über  humerale  und  zellulare  Ke 

aktionswmse.^,  spezi{ische  Lipoidantikörper  zu  erzeugen,  verliefet 
negativ,  wenn  die  Lipoidextrakte  unrein  waren,  d.  h.  noch  wasser 
lösliche’ Endprodukte  vom  Eiweiss  enthielten.  Zellen,  denen  derarüK 
as s im i h erb a re  Substanzen  angeboten  werden,  verhalten  sich  normal 
Dagegen  verursacht  dasjenige  Substrat  die  meisten  Antikörper,  ü 
noch  am  meisten  gespalten  werden  muss.  Reine  Lipoidextrak 
konnten  nur  aus  Eiereiweiss  dargestellt  werden. 

E.  L  e  s  c  h  k  e  -  Berlin:  Ueberempfindlichkeit,  Fieber  und  Stoti 

Wechsel.  •  " 

Bericht  über  Versuche  zum  Studium  der  aktiv  und  passiv  ai. 
aphvlaktischen  Temperaturveränderungen  und  über  das  AnapHWi 
toxinfieber.  Erörterung  der  Frage  über  die  Einheitlichkeit  des  anaph 
laktischen  Giftes;  ob  Pepton,  Histamin,  ob  Endotoxin?  Dfs  hiebt 
bei  Infektionskrankheiten  ist  im  wesentlichen  als  anaphylaktiscne 
Symptom  anzusehen.  Die  Beeinflussung  des  Stoffwechsels  durc 


28.  Juli  1914. 


parenterale  Eiweisszufuhr;  artfremdes  Eivveiss  wird  parenteral  abge- 
baut,  arteigenes  nicht.  Der  Eiweissstoffwechsel  bei  der  Ueberemp- 
findlichkeit;  das  anaphylaktische  Gift  scheint  primär  den  Eiweissstoff¬ 
wechsel,  ebenso  wie  den  gesamten  Stoffumsatz  einzuschränken.  Die 
Bedeutung  anaphylaktischer  Vorgänge  für  das  Infektionsfieber  beim 
Menschen. 

S.  Starke-  Breslau:  Plasmastudien  I. 

Studie  über  die  verschiedenartige  Wirkung  der  humoralen  und 
leukozytaren  Bakteriozidine  (Plattenverfahren  —  Opsoninreaktion) 
über  die  Absättigung  der  bakteriziden  Plasmastoffe.  Ueber  die  Ver¬ 
änderungen  des  Blutplasmas  durch  Chloroform. 

B.  Mann  es- Eppendorf:  Plasmastudien  il. 

\  ersuche  über  die  Eigenschaften  des  Fibrinogen  bzw.  des  Fi¬ 
brinogenplasmas  vom  Pferde-  und  Menschenplasma  gegenüber 
Streptokokken  und  Typhusbazillen. 

M.  F  r  a  e  n  k  e  1  -  Eppendorf:  Dialysierverfahren  und  Wasser¬ 
marinreaktion. 

Experimentelle  Prüfung  der  Beziehungen  der  Gewebszerfalls¬ 
produkte,  wie  sie  bei  dem  Abderhalden  sehen  Dialysierverfahren 
entstehen  zur  \\  assermann  sehen  Reaktion.  Bestätigung  der  An¬ 
nahme,  dass  die  WaR.  Ausdruck  eines  Gewebszerfalles  ist. 

A.  A  d  a  m  -  Eppendorf :  Versuche  zur  Umstimmung  eines  Körpers 
als  Mittel  zur  Behandlung  von  Bazillenträgern. 

Bei  Meerschweinchen  gelingt  es  durch  vorherige  Injektion  von 
Bacillus-mesentericus-ähnlichen  (giftfreien)  Stäbchen  relative  Immuni¬ 
sierung  gegen  verschiedene  pathogene  Keime  zu  erreichen. 

M  a  h  1  o  -  Eppendorf :  Eiweissabbauprodukte  und  Wasser¬ 
mann  sehe  Reaktion. 

Versuche  über  Veränderungen  des  negativen  Serums  durch  Zu¬ 
satz  von  Eiweissabbauprodukten;  auffallende  Uebereinstimmung  von 
positiver  WaR.  und  positiver  Ninhydrinreaktion  (79  Proz.). 

0.  H  a  u  s  -  Eppendorf :  Ueber  die  Wirkung  alkohol-  und  äther¬ 
löslicher  Pflanzenauszüge  auf  Bakterien. 

Versuche  über  die  Einwirkung  von  Stachelbeer-,  Zwiebel-  und 
Knoblauchzwiebelextrakten  auf  die  verschiedenen  pathogenen  Keime. 

Embden  und  M  u  c  h  -  Eppendorf :  Untersuchungen  über  Ver¬ 
bindungen  der  Wassermann  sehen  Reaktion. 

Zusammenfassung  der  Aufsätze  von  Adam  und  M  a  h  1  o  und 
\  r  a,n  k  e  '•  Die  Erhöhung  des  Aminosäurespiegels  im  Blute  ist  ein 
durch  die  WaR.  nachzuweisendes  Symptom  einer  syphilogenen  Stoff¬ 
wechselstörung. 

K.  H  a  r  a  -  Eppendorf:  Untersuchungen  über  das  Wesen  der  Kom¬ 
plementbindungsreaktion  des  Serums  von  Tumorkranken. 

Erweiterte  Nachprüfung  der  Versuche  Romingers;  die  ver¬ 
schiedenen  Komplementbindungsreaktionen  können  imitiert  werden, 
wenn  man  Normalserum  mit  gewissen  Substanzen  versetzt  (Maltose- 
Phenophthalein). 

Ii.  P  a  g  e  n  s  t  e  c  h  e  r  -  Wiesbaden :  Ueber  Kataraktoperationen 
mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Prophylaxe  der  postoperativen 
infektiösen  Entzündung. 

Kritischer  Bericht  über  1282  Starextraktionen  mit  besonderer  Be¬ 
rücksichtigung  der  postoperativen  Infektionen.  Prophylaktisch  sehr 
wichtig  sind  gründliche  Desinfektion  des  Konjunktivalsackes,  nament¬ 
lich  der  oberen  Uebergangsfalte,  Durchspritzen  des  Tränenkanals. 
Bildung  eines  Konjunktivallappens  beim  Schnitt. 

E.  H  a  r  m  s  e  n  -  Hamburg:  Akute  Blutungen  infolge  von  Schar¬ 
lachnekrosen  u.  a.  tödliche  Blutung  aus  dem  Ohr. 

2  Fälle  von  tödlicher  hämorrhagischer  Diathese;  2  Fälle  von 
Arrosion  der  Karotis;  1  Fall  von  Arrosion  des  Bulbus  der  Vena 
jugularis  vom  Mittelohr  aus. 

Noretsch-Hamburg:  Welche  Rolle  spielt  die  Schule  bei  der 
Entstehung  von  Scharlachepidemien  und  welche  Massregeln  ergeben 
sich  daraus  für  die  öffentliche  Gesundheitspflege? 

Zusammenstellung  von  Beobachtungen  über  obige  Frage.  Hy¬ 
gienische  Vorschläge  zur  Verhütung. 

W.  Meinshausen:  Die  Abstossung  der  Diphtheriemembranen. 

vergleichende  kritische  Studie  über  die  Abstossung  der  Diph¬ 
theriemembranen,  an  grossem  Material  beobachtet.  Das  Heilserum 
hat  auf  die  Lösung  dieser  Membranen  keinen  Einfluss. 

L.  B  r  a  u  e  r  -  Eppendorf:  Klinische  Beobachtungen  bei  Typhus 
exanthematicus. 

Eingehendster  klinischer  Bericht  über  5  Fälle;  bakteriologisch, 
serologisch,  Farbenphotographien. 

E.  W  i  1  b  r  a  n  d  -  Eppendorf :  Ein  Fall  von  reiner  Strongyloides- 
stercoralis-Infektion  mit  tödlichem  Ausgang. 

Klinische  und  mikroskopisch-anatomische  Schilderung;  Mikro- 
Photogramme. 

G.  G  e  i  g  e  r  -  Karlsruhe:  Die  Phenol-Serumbehandlung  pyogener 
t  rozesse  in  der  Gynäkologie  und  ihre  experimentelle  Grundlage. 

I  Taktischer  Versuch  an  5  Fällen  mit  günstigem  Erfolg;  experi- 
■nentelle  Beantwortung  der  Fragen:  Ist  das  nicht  vorbehandelte 
•'crum  das  wirksame  Prinzip,  wirkt  das  zugesetzte  Phenol  schon  auf 
ne  Keime,  sind  in  dem  nicht  vorbehandelten  Serum  Fermente? 

H.  S  c  h  o  1 1  m  ü  1 1  e  r  -  Eppendorf :  Zur  Bedeutung  der  bakterio- 
ogischen  Blutuntersuchung  bei  otogener  Sepsis. 

In  Anschluss  an  die  klinische  Schilderung  zweier  Fälle  wird  dar- 
ietan,  dass  systematisch  ausgeführte  bakteriologische  Blutunter- 
'uchungen  (Anaerobier)  bei  otogener  Sepsis  die  klinische  Beobach- 
ung  wertvoll  unterstützen. 


1695 

H.  Schottmüller-Eppendorf:  Beitrag  zur  Pathologie  und 
Diagnose  der  Pylephlebitis. 

Klinischer  Bericht  zweier  Fälle  im  Anschluss  an  Appendizitis. 
Wichtig  sind  die  bakteriologischen  Blutuntersuchungen;  hohe  Leuko¬ 
zytenzahl,  Ikterus,  dekubitale  Hautveränderungen. 

H.  Schottmüller  und  W.  B  a  r  f  u  r  t  h :  Die  Bakterizidle  des 
Menschenblutes  Streptokokken  gegenüber  als  Gradmesser  ihrer  Viru¬ 
lenz. 

Prüfung  dieser  Frage  an  110  Fällen;  der  Reagenzglasversuch,  der 
im  allgemeinen  mit  der  Pathogenität  übereinstimmt,  darf  jedoch  nur 
relativ  bewertet  werden;  Ursachen  der  Bakterizidie  (Leukozyten-, 
Erythrozyten,  Sauerstoffgehalt,  Wassergehalt  des  Blutes). 

E.  P  o  e  n  s  g  e  n  -  Eppendorf :  Die  Behandlung  schwerer  Schar¬ 
lachfälle  mit  Salvarsan  bzw.  Neosalvarsan. 

,  .  i5  Eälle;  teilweise  Besserungi  teilweise  ohne  Einfluss,  Salvarsan 
kein  Spezifikum  gegen  Scharlach. 

W.  Barfurth  -  Hamburg:  Ueber  den  Keimgehalt  von  Föten  bei 
Abort  und  Frühgeburt. 

Bakteriologische  Prüfung  an  100  Fällen.  —  Nachweis  der  wich¬ 
tigen  Rolle  der  Plazenta. 

P.  I  h  e  o  d  o  r  -  Eppendorf :  Bakteriologische  Blutuntersuchungen 
nach  Curettagen. 

Bei  der  Curettage  fieberhafter  Aborte  (60  Fälle)  in  15  Proz.  Bak- 
^riäniie;  bei  digitaler  Ausräumung  in  77  Proz.;  Salpingitis  nur  in 
lo,3  Pr°z.  der  Falle;  Parametritis  oder  Sepsis  nicht  beobachtet. 

S  c  h  o  1 1  m  ü  1 1  e  r  -  Eppendorf :  Staphylomykose  der  Luftwege 
und  Lunge  im  Kiiidesalter. 

Eingehender  klinischer  und  anatomischer  Bericht  über  4  Fälle- 
bakteriologische  Untersuchung.  Bei  entstehendem  Lungenabszess 
bzw.  Empyem  (1  Fall  mit  doppelseitigem  Empyem)  hat  sich  das  P  e  r  - 
t  h  e  s  sehe  Aspirationsverfahren  glänzend  bewährt. 

K.  B  i  n  g  o  1  d  -  Eppendorf :  Das  klinische  Bild  der  Puerperal- 
infektionen  durch  Bacillus  phlegmones  emphysematosae  (E.  F  r  ä  n  - 
k  e  1). 

130  Fälle,  genau  klinisch-bakteriologisch  dargestellt.  Lokale  In¬ 
fektion  des  Uterus,  Uebertritt  in  die  Lymphbahnen  oder  in  Venen- 
“jroi?b<rn:  Entstehung  von  spezifischer  Peritonitis.  Die  eigenartige 
Missfärbung  der  Haut  bei  Gasbazilleninfektion  durch  sekundäre 
Nierenschädigung.  Blutbild.  Hans  v.  B  o  m  h  a  r  d  -  München. 

Archiv  für  klinische  Chirurgie.  Band  101.  Heft  3.  1913. 

A.  Salomon:  Beiträge  zur  Pathologie  und  Klinik  der  Mamma¬ 
karzinome.  (Kgl.  Chirurg.  Universitätsklinik  in  Berlin  —  Geh  Rat 
Prof.  Dr.  B  i  e  r.) 

Für  die  Statistik  wurden  200  Fälle  der  B  i  e  r  sehen  Klinik  ver¬ 
wertet.  218  Mammaamputationen  dieser  Klinik  ergaben  nur  eine 
Mortalität  von  0,92  Proz.  Das  Wachstum  des  Brustdrüsenkrebses 
erfolgt  entsprechend  den  Anschauungen  R  i  b  b  e  r  t  s  aus  eigenen 
Mitteln  nicht  durch  Umwandlung  der  angrenzenden  normalen  Drüsen- 
}..  e\  praktisch  wichtig  ist  die  Unterscheidung  zwischen  knoten¬ 
förmig  infiltrierendem,  diffus  infiltrierendem  oder  mehr  oder  weniger 
appositionellem  Wachstum  unter  Bildung  einer  Art  Kapsel.  Unter 
den  knotenförmig  infiltrierenden  Krebsen  unterscheidet  Verf.  das 
Carcinoma  solidum,  medulläre,  cysticum,  adenomatosum,  gelatinosum 
und  den  Pagetkrebs,  unter  den  diffus  infiltrierenden  das  Carcinoma 
solidum  diffusum  und  das  Carcinoma  medulläre.  Hinzu  kommt  dann 
die  3.  Gruppe  der  mehr  oder  weniger  abgekapselten,  in  der  Brustdrüse 
verschieblichen  Krebse.  Neben  der  Ausbreitung  in  den  Binde¬ 
gewebs-  und  Lymphspalten  findet  sich  bei  den  soliden  Krebsen  etwa 
m  der  Hälfte  der  Fälle  Einbruch  und  Wachstum  in  die  Milchgänge 
Bei  den  grossalveolaren  weichen  Krebsen  erfolgt  das  Wachstum  fast 
ausschliesslich  innerhalb  der  Milchgänge  und  des  Drüsenparenchyms 
Auci.1  d,ei n.  infiltrierenden  Krebsen  kommt  nicht  selten  Einbruch 

in  die  Milchgänge  vor.  Röntgenphotographien  exzidierter  Mamma- 
praparate  gaben  dem  Verf.  demonstrable  Uebersichtsbilder  über  Aus¬ 
breitung  und  Form  der  Krebse.  Durch  diese  Bilder  im  Verein  mit 
histologischer  Untersuchung  der  verdächtigen  Randpartien  ergibt  sich 
die  Notwendigkeit,  mindestens  drei  Fingerbreiten  entfernt  von  der 
peripher  fühlbaren  Grenze  des  Tumors  zu  exzidieren.  Während  die 
grossalveolären  Krebse  in  etwa  40  Proz.  Heilung  geben,  können  die 
klemalveolären  weichen  Formen  durch  die  Operation  nicht  geheilt 
werden.  Dagegen  geben  die  Adenokarzinome,  die  etwa  9  Proz.  der 
Ki  ebse  ausmachen,  eine  sehr  günstige  Prognose.  Sehr  ungünstig  ist 
die  Prognose  der  infiltrierenden  Krebse.  Isolierte  Krebszysten 
kommen  in  3  Proz.  der  Fälle  meist  bei  jugendlichen  Personen  vor. 
Meist  ist  bei  ihnen  blutig-seröser  Ausfluss  aus  der  Warze  vorhanden. 

10  15  Proz.  der  zur  Beobachtung  kommenden  Krebse  sind  in  der 
Brustdrüse  noch  zu  verschieben.  Diese  Beweglichkeit  kann  bei 
Fehlen  von  Achseldrüsen  in  fast  der  Hälfte  der  Fälle  so  gross  sein, 
dass  klinisch  die  Differentialdiagnose,  ob  Fibroadenom,  Mastitis 
chronica  oder  Karzinom  vorliegt,  klinisch  nicht  zu  stellen  ist.  Durch 
die  Radikaloperation  wurden  33,5  Proz.  Heilungen  unter  Zugrunde¬ 
legung  dreijähriger  Rezidivfreiheit  erzielt. 

H.  v.  Haber  er:  Zur  Radikaloperation  des  Ulcus  pepticuni 
jejuni  postoperativum.  (Chirurg.  Klinik  in  Innsbruck.) 

Mitteilung  dreier  vom  Verf.  operierter  Fälle,  wo  das  Ulcus  nach 
der  hinteren  Gastroenterostomie  aufgetreten  und  in  der  abführenden 
Schlinge  genau  gegenüber  der  Gastroenterostomie  hart  am  Mesen- 
terialansatze  gefunden  wurde.  Grosser  Wert  wird  auf  die  Nach- 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE:  WOCHENSCHRIFT. 


1696 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT^ 


Nr.  30 


behandlung  gelegt.  Vom  ersten  Tag  nach  der  Operation  wurde  nach 
der  Nahrungsaufnahme  Natrium  bicarbonicum  gegeben, 
jektiven  Erscheinungen  der  Uebersäuerung  wngen  so  vollständig 
zurück  Da  die  Patienten,  die  ein  postoperatives  Ulcus  pepticum 
jejuni  bekommen,  meist  eine  lange  Ulcusanamnese  haben,  disponiert 
vielleicht  ein  lange  bestehendes  Magenulcus  zur  Entstehung  eines 
späteren  postoperativen  Ulcus  pepticum  jejuni.  Möglicherweise  ge¬ 
lingt  es  also  durch  frühe  Radikaloperation  des  Ulcus  ventncuh  den 
Prozentsatz  dieser  postoperativen  Komplikation  herabzudrucken. 

V.  Schmieden:  Zur  operativen  Behandlung  der  schweren 
Obstipation.  (Chirurg.  Klinik  in  Berlin  —  Geh.  Rat  Bier.) 

Bei  einem  39  jährigen  früh  gealterten  Manne,  der  seit  der  Jugend 
an  starker  Obstipation  litt,  wurde  durch  den  Röntgenschirm  eine  sehr 
lange  Flexura  sigmoidea  nachgewiesen  und  dadurch  eine  wesentliche 
Besserung  der  Darmentleerung  erzielt,  dass  je  eine  Anastomose 
zwischen  Flexurscheitel  und  Querkolon  und  zwischen  den  beiden 
Fusspunktcn  der  Flexurschenkel  her  gestellt  wurde. 

N.  W.  K  o  p  y  1  o  w  -  Saratow:  Ueber  Splenektomie  bei  Malaria- 

affektion  der  Milz.  , 

Bericht  über  13  Splenektomien  der  Malariamilz  aus  der  Gegend 
von  Baku  am  russischen  Kaukasus.  3  Patienten  starben.  Die  Exstir¬ 
pation  der  Milz  ist  bei  Malaria  indiziert  bei  Milzruptur  und  Stiel¬ 
torsion.  bei  vergrösserter  beweglicher  Milz  (Wandermilz)  und  bei 
vergrösserter  schmerzhafter  unbeweglicher  Milz,  wo  die  medikamen¬ 
töse  Behandlung  keine  merklichen  Resultate  gibt.  Kontramdiziert  ist 
die  Operation  bei  starker  Kachexie  mit  Hydrämie  und  bedeutender 
Herabsetzung  des  Hämoglobingehaltes  (unter  40  Proz.),  bei  starker 
atrophischer  Zirrhose,  bei  schlechtem  Allgemeinbetinden  mit  Erkran¬ 
kungen  der  Verdauungs-  und  Urogenitalorgane  sowie  bei  sehr  umfang¬ 
reichen  Verwachsungen  besonders  mit  dem  Magen  und  dem  Dia¬ 
phragma.  Die  Mortalität  der  Allgemeinstatistik  betragt  23  Proz. 

G  o  1  d  m  a  n  n  -  Freiburg  i.  B. :  Experimentelle  Untersuchungen 
über  die  Funktion  des  Plex.  chorioid.  und  der  Hirnhäute. 

Bei  der  Untersuchung  des  fötalen  Nervensystems  ergab  sich, 
dass  die  Plexuszelle  (Plex.  chorioid.)  die  einzige  im  Nervensystem 
ist  in  der  intrazellulär  Glykogen  nachweisbar  ist.  Von  hier  aus  wird 
das  Glykogen  in  Gestalt  von  Tropien  und  Kugeln  in  die  \  entrike - 
tlüssigkeit  sezerniert  und  gelangt  von  hier  aus  in  die  ^  ubarachnoidal- 
räume  und  allgemein  ins  Nervensystem.  Die  Plexuszelle  versieht 
also  eine  sekretorische  Funktion.  Bei  intravenöser  Zuführung  von 
Trvpanblaulösung  treten  bei  Kaninchen  keine  Vergittungserschei- 
nungen  auf,  dagegen  färbten  sich  die  Plexuszellen  lebhaft  blau,  bei 
intralumbaler  Einspritzung  einer  viel  kleineren  Dosis  gingen  die  1  lere 
rasch  unter  Konvulsionen  zugrunde,  da  sich  das  Gift  rasch  bis  zur 
Hirnbasis  ausbreitet.  Weitere  Versuche  ergaben,  dass  direkte 
anatomische  Verbindungen  zwischen  dem  Subarachnoidalraum  und 
den  Ganglienzellen  bestehen.  Ferner  schliesst  Verf.  aus  seinen  »  er¬ 
suchen  dass  ein  Teil  der  Zerebrospinalflüssigkeit  durch  die  tiefen 
Lymphgefässe  des  Halses  abströmt.  In  den  Hirnhäuten,  besonders 
in  den  l.eptomeningen,  konnte  er  ferner  Zellen  nachweisen,  die  vitalen 
Farbstoff  in  ihren  Protoplasmagranulis  ablagern  (Pyrrolzellen). 
Bei  experimentell  im  Gehirn  erzeugten  Blutungen,  Entzündungsherden 
und  Wunden  fanden  sich  diese  Zellen  in  ausserordentlich  grossen 
Mengen,  zum  Teil  mit  den  Zerfallsprodukten  der  degenerierten 
Hirnmasse  beladen,  an  dem  artifiziell  erzeugten  Läsionsherd. 

R.  Mühsam- Berlin:  Die  Gehirn-,  Rückenmark-  und  Nerven¬ 
verletzungen  im  Deutschen  roten  Kreuzlazarett  in  Belgrad. 

U.  a.  Mitteilung  von  zwei  Fällen  von  Schussverletzung  des 
Rückenmarkes,  wo  dieses  nur  gestreift,  bzw.  wo  eine  Blutung  ein¬ 
getreten  ist  (Rückenmarkskontusion  bzw.  Hämatomyelie).  Bei  den 
meisten  Nervenverletzungen  wurde  ein  Rückgang  der  Erscheinungen 
beobachtet;  wahrscheinlich  hat  es  sich  in  diesen  Fällen  um  partielle 
Durchspiessungen  oder  um  Kontusionen  gehandelt.  Bei  derartigen 
Veiletzungen  ist  daher  für  die  ersten  Wochen  ein  konservatives  Ver¬ 
fahren  angezeigt.  .  ^  A  . 

E  Streissler  -  Graz:  Ueber  bogenförmige  Osteotomie. 

Verf.  hat  diese  Operation  mit  gutem  Erfolg  am  Pankreas  bei 
Madelung  scher  Deformität,  am  Oberschenkelhals  bei  einer  Coxa 
vara  rachitica  und  am  Femur  bei  einem  hochgradigen  Genu  valgum 
staticum  ausgeführt.  Der  Bogenschnitt  empfiehlt  sich,  weil  er  unter 
möglichst  geringer  Verkürzung  Knochen  spart,  w'eil  der  Kontakt  der 
Knochenflächen  erhalten  bleibt,  weil  sich  durch  den  elastischen  Zug 
der  Weichteile  die  Knochenflächen  in  der  richtigen  Stellung  auto¬ 
matisch  fixieren  und  weil  endlich  die  bajonettförmige  Stellung  der 
lineären  Osteotomie  vermieden  wird. 

Ri  edel- Jena:  Ueber  angeborene  Harnröhrenverengerungen. 

Von  19  angeborenen  Harnröhrenstrikturen  lagen  5  vorne  am 
Orificium  externum  und  gleichzeitig  am  Damme,  7  nur  hinten  in  der 
Pars  bulbosa;  5  begannen  vor  dem  Skrotum,  w'aren  dort  ganz  zirkum¬ 
skript  oder  setzten  sich  als  lang  gestreckte  enge  Striktur  bis  zum 
Damm  fort.  2  mal  war  die  ganze  Harnröhre  bis  zur  Pars  mem- 
branacea  hin  verengt.  8  mal  war  die  Urethra  vor  oder  hinter  der 
Striktur  zerstört.  Die  vordere  Zerstörung  war  vielleicht  auf  die 
Sondierung,  die  hintere  auf  stagnierende  Sekrete  zurückzuführen. 
Meist  wird  das  Leiden  erst  in  späteren  Lebensjahren  bemerkbar,  wenn 
die  angeborenen  Strikturen  durch  Schrumpfungsprozesse  enger  ge¬ 
worden  sind.  Die  Prognose  des  Leidens  ist  ungünstig,  weil  chirur¬ 
gische  Hilfe  oft  erst  spät  nachgesucht  wird. 

G  P  e  r  t  h  e  s  -  Tübingen:  Ueber  Osteochondritis  deformans 

juvenilis. 


Die  Erkrankung  beginnt  im  Alfer  zwischen  5  und  10  J^W 
mi  ist  nur  in  einer  Hüfte.  Charakteristisch  ist  »lei  hinkende  "au*, 
positives  Trendelenburg  sches  Phänomen.  Herv  or  treten  des 
Trochanters  der  erkrankten  Seite,  starke  heschrankimg  der  Ab- 
duktion  bei  völlig  freier  Flexion.  Im  Röntgenbild  findet  steh  eint 
Abfachung  der  oberen  Femurepiphyse  und  eine  Deformation  ce> 
Koofes.  ni  Beginn  der  Erkrankung  sind  im  Innern  der  tp.plnse  eins 
herdweise  .Auflockerung  oder  völlige  Defekte  der  Knochensubstanz 
nachweisbar.  Die  hauptsächlichste  Rolle  bet  der  1 [un>*NJj 
Abduktionshemmung  spielt  ein  bpasmus  der  Add ukt  ru  . 
einigen  Monaten,  manchmal  auch  erst  nach  1-  -  Jahren  wird  die  Be¬ 
weglichkeit  wieder  freier  Auch  der  Gang  wird  besser.  Das  Tr  er  ¬ 
de len  b  u  r  g  sehe  Phänomen  schwindet.  Der  Prozess  kommt  nact 
jahrelangem  Bestehen  mit  einer  beträchtlichen  Deformation  des  Femur¬ 
kopfes,  iedcch  ohne  nennenswerte  Verkürzung  der  Extremität  zur 
Ausheilung.  Eine  geringe  Abduktionshemmung  bleibt  dauernd  Er¬ 
flehen.  Ein  autoptischer  Befund  ergab  im  Femurkopf  die  Anwesen¬ 
heit  grosser  mit  dem  Gelenkknorpel  durch  schmale  Brucken  zu¬ 
sammenhängenden  Knorpelinseln  und  eine  \  erbretterung  des  mit  Fen- 
mark  gefüllten  Markinnern  der  Spongiosa  auf  Kosten  der  Knochrn- 
bälkchen.  Der  Gelenkknorpel  bleibt  bei  der  Erkrankung  intakt.  Mn 
der  eigentlichen  Arthritis  deformans  oder  Tuberkulose  im  Femurhab 
hat  die  Erkrankung  nichts  zu  tun.  Für  die  Therapie  hat  sich  d» 
Korrektur  der  Adduktionsstellung  durch  allmähliche  Extension  oot 

Redressement  in  Narkose  bewährt.  L  Ti. . 

A.  Wittek-Graz:  Zur  operativen  Behandlung  der  Tibia- 

pseudarthrose.  knapp  unter  dem  Kniegelenk  gelegenen  Tibiapseud- 
arthrose  wurde  Heilung  dadurch  erzielt,  dass  ein  im  Uuerschnm 
rhomboedrisch  gestalteter  10  cm  langer  Tibiaspahn  ins  obere  Fr--- 
ment  eingebolzt  und  unten  in  eine  besonders  gemeisselte  Stufe  seitl  c, 

eingeke^ibw.urde.her  Zürich:  Beiträge  zur  operativen  Behandlunt 

dCr  wfitfdhang^von  4  ohne  Erfolg  operierten  Fällen.  Die  Differentia- 
diagnose  zwischen  Lungenembolie  und  einigen  anderen  mit  plötzlichen 
Kollaps  einhergehenden  Affektionen  kann  sehr  schwierig  se.r 
Namentlich  ist  bei  Herzkranken  die  Diagnose  Lungenembolie  nur  mn 
grösster  Vorsicht,  nur  wenn  alles,  auch  die  äusseren  Umstande  dazu 
stimmen,  zu  stellen.  Verf.  unterscheidet  3  Todesarten  der  Lungen¬ 
embolie.  die  häufigste  durch  Herzinsuffizienz,  eine  zweite  dura 
rascheste  Unterbrechung  des  ganzen  kleinen  Kreislaufes  nebs: 
akutester  Ueberdehnung  des  rechten  Herzens  und  schwerster  Er- 
nähi  ungsstörung  des  Herzmuskels  und  eine  dritte  seltene  dur« 
Schockw  irkung  (Reizung  zentripetaler  Fasern  des  vegetativen  Nerven¬ 
systems).  Bei  den  rapid  verlaufenden  Fällen  ist  man  zu  der  l  ren- 
d  e  1  e  n  b  u  r  g  sehen  Operation  verpflichtet,  bei  den  protrahiert' 
dazu  berechtigt. 

L.  Wrede-Jena:  Ueber  direkte  Herzmassage. 

Empfehlung  der  direkten  Herzmassage. 

M  M  Krjukow:  Zur  Technik  der  Nahtanlegung  bei  Gastro¬ 
stomie  nach  Witzei.  (Üouvernements-Landschaftskrankenhaus  m 

Die  Uebernähung  des  auf  dem  Magen  liegenden  Drainrohres  so^ 
mit  Knopfnähten  geschehen,  die  gleichzeitig  Aponeurose,  Peritoneum 
und  Magenwand  fassen.  L  ä  w  e  n  -  Leipzig. 

Zentralblatt  für  Chirurgie.  1914.  Nr.  28. 

Lothar  D  r  e  y  e  r  -  Breslau:  Zur  Freilegung  des  Brustabschnittes 

der  Speiseröhre.  ,  .  .  . 

Verf.  kommt  auf  Grund  von  Tierexperimenten  zu  der  Ansiv^- 
dass  ®/io  vom  Brustabschnitt  der  Speiseröhre  besser  von  rechts  zur 
von  links  zugänglich  sind;  beim  Eingehen  von  der  rechten  bene 
aus  liegt  die  Speiseröhre  fast  völig  frei  vor,  nur  zieht  als  einziges 
Gefäss  von  Bedeutung  die  Vena  azygos  über  sie  hinweg,  doch  lai». 
sich  dieses  Gefäss  leicht  vom  Oesophagus  isolieren.  Allerdings  sine 
zur  genügenden  Freilegung  des  Oesophagus  ausgedehnte  Rippenrest;- 
tionen  nötig,  die  zu  Atemstörungen  auf  der  operierten  Seite  führe- 
können.  Um  dieser  Gefahr  vorzubeugen,  stellt  Verf.  die  Kontinuiu' 
einiger  in  der  Mitte  liegender  Rippen  durch  Platten  aus  Aluminiur 
her,  die  über  der  klaffenden  Stelle  der  Rippen  durch  Naht  fixier: 
werden.  2  Skizzen  veranschaulichen  die  anatomischen  Verhältnis« 
und  die  Lage  der  Aluminiumplatten. 

Ernst  Jeger,  Helmut  Joseph  und  Friedrich  Schober- 
Breslau:  Das  endgültige  Resultat  einer  Aortenplastik  aus  der  Karom 

desselben  Tieres.  .  , 

Den  3  Verff.  ist  es  geglückt,  ein  Stück  der  Aorta  abdominalis 
durch  ein  neugebildetes  Blutgefäss  zu  ersetzen,  das  durch  eine  Pla¬ 
stische  Operation  aus  der  Karotis  des  gleichen  I  ieres  gewonnen  war- 
dieses  wurde  dann  an  Stelle  des  resezierten  Stückes  der  Aorta  ab- 
domin.  durch  beiderseitige  End-zu-End-Naht  implantiert.  Das  end¬ 
gültige  Resultat  bei  einem  so  operierten  Hund  ist  ausführlich  be¬ 
schrieben,  vor  allem  ist  der  mikroskopische  Befund  in  extenso  mn- 
geteilt.  Besonders  sei  hervorgehoben,  dass  nirgends  sich  die  ge¬ 
ringste  Spur  eines  rezenten  Thrombus  findet;  alle  Nahtstellen  sm- 
zwar  noch  erkennbar,  aber  von  normalem  Endothel  überzogen  u bq 
zeigen  mikroskopisch  die  typische  trichterförmige  Einziehung,  die 
Ausfüllung  dieses  Trichters  durch  einen  kernarmen  Gefüsskallus  tu* 
die  Verdickung  der  Intima.  Nähere  Einzelheiten  sind  durch  Selb«- 


28.  Juli  1914. 


MUENCHKNER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Ntudium  der  interessanten  Arbeit  am  besten  zu  erfahren.  (Mit  1  Ab¬ 
bildung.) 

Arthur  W  a  g  n  c  r  -  Lübeck :  Zum  Nachweis  okkulter  Blutungen  in 

len  Fäzes. 

Verf.  führt  den  Nachweis  von  Blut  in  den  Fäzes  mittels  der  von 
hm  ausgearbeiteten  Objektträgerbenzidinmethode:  Er  bringt  eine 
Messerspitze  Benzidin  in  ein  Reagenzglas,  giesst  2  ccm  Eisessig 
arüber  und  fügt  zuletzt  20  I  ropfen  einer  3  proz.  Wasserstoffsuper- 
xydlösung  dazu.  Dann  streicht  er  mit  einem  Holzstab  etwas  Fäzes 
uf  emen  Objektträger  und  gibt  dazu  die  Benzidineisessigwasserstoff- 
jperoxydlösung:  sofort  entsteht  bei  Anwesenheit  von  Blut  schöne 
ilaufärbung.  Diese  Methode  ist  leicht  und  rasch  auszuführen:  die 
le-rstellung  eines  Aetherextraktes  oder  einer  Massenaufschwemmung 
illt  weg;  dabei  ist  sie  sehr  empfindlich  und  lässt  s!ch  sauber  aus- 
ihren,  selbst  sofort  in  der  Sprechstunde. 

E.  Heim-  Oberndorf  b.  Schweinfurt. 

Archiv  für  Orthopädie.  Mechanotherapie  und  Unfall- 
hirurgie.  Band  XIII,  2.  Heft. 

Bruno  K  ü  n  n  e  -  Berlin:  Paralytische  und  spastische  Hüit- 

uxationen. 

V  erf.  kommt  auf  Grund  seiner  Untersuchungen  an  dem  gerade  an 
chweren  Fällen  reichen  Material  des  Berliner  Krüppelheims  zu  dem 
'chlusse,  dass  Hiiftveränderungen  im  Sinne  der  Luxation  bei  stärkerer 
.ähmung  der  Hüftmuskulatur  viel  häufiger  als  früher  angenommen 
eien.  Lnter  48  Fällen  schwerer  Lähmungen  der  verschiedensten 
vrt  waren  32  mit  Veränderungen  des  Hüftgelenks.  Bei  der  Entstehung 
'estimmt  weniger  die  Zugwirkung  der  erhaltenen  resp.  spastisch 
ontrahierten  Muskulatur  die  Art  der  Verrenkung  als  mechanische 
Momente  (Lagerung,  Schwere  etc.).  Die  Beckenveränderungen 
onr.en  bei  längerem  Bestehen  sehr  denen  bei  angeborener  Hüft- 
uxation  ähnlich  werden. 

rr.  D  u  n  c  k  e  r  -  Köln:  Lungenhernie  bei  Spondylitis  tuberculosa. 

Beschreibung  eines  Falles  von  Lungenhernie,  die  durch  eine 
rippenlücke  infolge  Karies  prolabiert  war.  Da  eine  derartige  Er- 
cheinung  mit  einem  Senkungsabszess  verwechselt  werden  könnte, 
t  der  Fall  differentialdiagnostisch  von  Wichtigkeit. 

Scholder-W  e  i  t  h  -  Lausanne:  Eine  Untersuchung  über  lor- 
otische  Albuminurie  in  den  Schulen  Lausannes. 

Die  beiden  Verfasser  haben  1254  Schulkinder  (1068  Knaben  und 
'8  Mädchen)  im  Alter  von  11  bis  14  Jahren  unter  allen  Kautelen 
versucht.  51  schieden  davon  aus,  da  sie  bereits  bei  der  Vorunter- 
ichung  Eiweissausscheidung  im  Urin  zeigten.  Bei  den  übrigen  fand 
ch  in  17,37  Proz.  (bei  Knaben  in  15.66,  bei  Mädchen  in  22.43  Proz.) 
Ibumen  im  Urin,  wenn  sie  zu  einer  Haltung  veranlasst  wurden,  die 
i  einer  Lordose  der  Lendenwirbelsäule  führte.  Die  grössere  Pro- 
-ntzahl  der  Mädchen  führen  die  Verff.  auf  die  beweglichere  Wirbel- 
:u!e  des  weiblichen  Geschlechts  und  auf  ihre  grössere  Genauigkeit 
ei  der  Anstellung  der  Versuche  zurück.  Meist  war  nur  eine  Spur 

Eiweiss  nachzuweisen,  der  Gehalt  an  Albumen  verlor  sich  in 
'len  Fällen  wieder  vollständig.  Dass  die  Lordose  und  nicht  die 
frechte  Haltung  die  Eiweissausscheidung  bewirkt,  geht  daraus  her- 
>r.  dass  die  Erscheinung  auch  beim  Liegen  in  lordotischer  Haltung 
lftritt  Es  ist  deshalb  der  Ausdruck  lordotische  Albuminurie  und 
cht  orthostatische  die  richtige  Bezeichnung.  An  der  Leiche  konnten 
e  V  erf.  feststellen,  dass  durch  die  Lordose  eine  Kompression  der 
ena  cava  inf.  zustande  kommt,  so  dass  eine  Stauung  in  der  Niere 
intritt. 

Karl  C  r  a  m  e  r  -  Köln:  Beitrag  zur  Verbiegung  der  Wirbelsäule 
i  Syringomyelie  im  kindlichen  Alter. 

Beschreibung  dreier  Fälle  von  Syringomylie  bei  jugendlichen 
dividuen  mit  starker  Kyphoskoliose.  An  den  Wirbeln  waren  keine 
nochenwucherungen  nachzuweisen,  es  handelt  sich  mehr  um  eine 
arenzierung  der  Knochensubstanz,  wie  sich  in  einem  Falle  auch 

-i  der  Sektion  nachweisen  Hess. 

Fritz  H  e  i  1  i  g  t  a  g  -  Hamburg:  Zur  Frage  der  Rissiraktur  des 

tlkaneus. 

H  sah  in  einem  Falle  eine  Absprengung  des  oberen  Teiles  des 
-Tsenbeinkörpers,  die  er  aber  nicht  als  Rissfraktur,  sondern  als 
aetschungsbruch  auffasst.  Ein  Versuch,  die  Fragmente  blutig  zu  ] 
reinigen,  misslang.  Erst  die  Exstirpation  des  oberen  Fragmentes  ' 
gab  einen  guten  funktionellen  Erfolg. 

Ottendorff  -  Hamburg-Altona. 

Zentralblatt  für  Gynäkologie.  Nr.  28,  1914 

Herrn.  F  r  e  u  n  d  -  Strassburg:  Eine  neue  .Methode  der  Ovario- 

nie. 

Fr.s  Bestreben  geht  dahin,  auch  bei  grösseren  Neubildungen 
'te  normalen  ovulierenden  Stromas  vom  Ovarium  rasch  aufzu- 
cen  und  zu  erhalten.  Er  erreicht  dies  durch  mediane  Tumorspal- 
g  und  sorgfältige  Durchmusterung  der  Wandung  nach  gesundem 
ariaistroma.  das  zurückgelassen  wird.  Vorbedingungen  sind  Ge- 
:echtsreiie  der  Frau  und  Gutartigkeit  der  Tumoren.  Bei  den 
tuen,  wo  sich  die  Methode  durchführen  liess.  blieb  die  Menstrua- 
n  erhalten  und  die  Ausfallserscheinungen  fielen  fort.  Rezidive 
ten  nicht  häufiger  auf.  als  nach  Ovariotomien  überhaupt. 

W.  K  o  I  d  e  -  Magdeburg:  Leber  Chorea  gravidarum. 

Bericht  über  einen  Fall  von  Chorea  gravidarum  bei  einer 
•ihrigen  Il.-para  am  Ende  der  Schwangerschaft,  der  durch  Einleiten 


1697 


der  künstlichen  Frühgeburt  zur  Heilung  kam.  Nach  4  Tagen  waren 
die  Zuckungen  verschwenden.  Mutter  und  Kind  blieben  gesund. 

P.  P  e  r  a  z  z  i  -  Vercelli:  Zur  Unterscheidung  der  mütterlichen 
und  fötalen  Blutflecken. 

K  hat  mit  der  Neu  mann  sehen  Reaktion  günstige  Erfahrungen 
gemacht.  Noch  bei  40  Tage  alten  Flecken  Hessen  sich  die  Unter¬ 
schiede  zwischen  Mutter-  und  Kinderblut  genau  nachweisen.  P. 
empfiehlt,  zuerst  das  Reingewicht  des  auf  der  Leinwand  getrockneten 
Blutes  festzustellen  und  dann  erst  die  Reaktion  vo. 'zunehmen. 

J  a  f  f  e  -  Hamburg. 

Gynäkologische  Rundschau,  Jahrgang  VIII,  Heft  10. 

VV  ladislaus  F  a  1  g  o  w  s  k  i  -  Posen:  Ueber  die  konservative  Ten¬ 
denz  bei  der  Operation  des  Uterusmyoms.  (Aus  der  F  a  1  g  o  w  s  k  i  ■ 
sehen  Frauenklinik  zu  Posen.) 

Verf.  hebt  die  Vorzüge  der  operativen  Therapie  der  Ul.rus- 
myome  gegenüber  der  Röntgentherapie  hervor.  Bericht  über  78 
selbst  operierte  Fälle,  von  denen  kein  einziger  gestorben  ist;  41  mal 
wurde  laparotomiert,  37  mal  vaginal  operiert.  Verf.  tritt  für  ein  mög- 
hchst  konservatives  Operieren  ein,  bestehend  in  der  Entfernung  ledig¬ 
lich  der  Myomknoten  unter  Erhaltung  von  möglichst  viel  normalem 
Uterusgewebe.  Für  eine  sehr  gute  Methode  hält  der  Verf.  die 
t  o  t  a  1  e  k  e  i  1  f  ö  r  m  i  g  e  M  y  o  m  e  k  t  o  m  i  e.  Ist  es  nicht  möglich, 
einen  grösseren  Teil  des  Corpus  uteri  zu  erhalten,  so  kommt  die 
„mtrakorporeale  Amputation“,  welche  Verf.  in  9  Fällen, 
zum  Teil  mit  Erhaltung  der  menstruellen  Funktion,  ausführte,  in 
Frage.  Die  Sorge,  dass  in  dem  zurückgebliebenen  Uterusstumpfe  sich 
später  ein  Karzinom  ausbilden  kann,  ist  nach  Ansicht  des  Verf.  wegen 
der  Seltenheit  des  Vorkommnisses  unbegründet.  Verf.  vermag  nicht 
einzusehen,  warum  die  Operationsfähigkeit  der  Myome  zugunsten  der 
stets  so  überaus  radikal  wirkenden  Röntgenbehandlung  eine  Ein¬ 
schränkung  erfahren  sollte. 

Franz  Anton  Simon-Köln  a.  Rh.:  Eventration  in  Kombination 
mit  verschiedenen  anderen  Missbildungen.  (Aus  der  Prov.-Heb- 
ammen-Lehranstalt  zu  Köln-Lindenthal.)  (Mit  3  Figuren.) 

Beschreibung  eines  selbstbeobachteten  Falles:  die  Missbildung 
stammt  von  einer  19  jährigen  I.-para,  wurde  in  Steisslage  tot  ge- 
boren,  weiblich,  44  cm.  2560  g.  Die  Frucht  zeigt  ausser  einer  voll¬ 
ständigen  Eventration  die  mannigfaltigsten  Missbildungen,  so  links¬ 
seitigen  Spaltfuss  mit  2  Zehen,  Fehlen  des  rechten  Beines,  Skoliose 
der  Wirbelsäule,  Fehlen  einer  Nabelarterie,  rechtsseitige  Hvdro- 
nephrose  mit  Ureterverschluss,  Fehlen  der  rechten  Adnexe,  Spina 
bifida. 

Besprechung  der  verschiedenen  über  die  Genese  der  Eventration 
aufgestellten  Theorien:  bisher  ist  in  der  Literatur  noch  keine  er¬ 
schöpfende  und  befriedigende  Erklärung  für  die  Entstehung  der  Bauch¬ 
spalte  gegeben  worden.  A.  Rieländer  -  Marburg. 

Vir  c  ho  ws  Archiv.  Band  215,  Heft  2. 

G.  Quadri:  Splenomegalia  haemolytica  mit  interkurrentem 
acholischen  Ikterus. 

Klinische  Beschreibung  eines  Falles. 

M.  Kusunoki:  Zur  Aetiologie  der  Lymphomatosis  granulo¬ 
matosa.  (Pathol.  Institut  in  Göttingen.) 

In  den  untersuchten  16  Fällen  gelang  es  stets,  nicht  säurefeste 
Gram-positive,  granulierte  Stäbchen  nachzuweisen.  Die  Stäbchen 
scheinen  mit  dem  Tuberkelbazillus  nicht  identisch  zu  sein. 

P.  Prym:  Ueber  das  Endotheliom  der  Dura.  (Pathol.  Institut 
in  Bonn.) 

Durch  die  Mallorvfärbung  kann  man  auch  in  Wucherungen  von 
Duraendotheliomen,  die  karzinomähnlich  sind,  zwischen  den  einzelnen 
Zellen  feine  Fäserchen  nachweisen.  Damit  ist  bewiesen,  dass  die 
Zellen  keine  Epithelien.  sondern  bindegewebiger  Natur  sind. 

B.  Hada:  Zur  Kenntnis  der  Melanome.  (Pathol.  Institut  in 
Berlin.) 

24  jähr.  Mann.  Melanosarkom  am  Hinterkopf  mit  zahlreichen 
Metastasen  in  Haut.  Knochen  und  inneren  Organen.  Betrachtungen 
über  die  Pigmentbildung. 

H.  Kovvitz:  Intrakranielle  Blutungen  und  Pachymeningitis 
haemorrhagica  chronica  interna  bei  Neugeborenen  und  Säuglingen. 

Bei  3,9  Proz..  aller  Kinder  im  Alter  von  8  Tagen  bis  2  Jahren 
findet  sich  eine  hämorrhagische  Pachymeningitis.  die  aus  subduralen 
Blutungen  bei  der  Geburt  hervorgeht.  Diese  Kinder  erliegen  im 
Kindesalter  teils  der  Pachymeningitis.  teils  anderen  Erkrankungen, 
denen  solche  Kinder  nur  geringere  Widerstandskraft  entgegenzusetzen 
vermögen.  Die  im  höheren  Alter  auftretende  Pachymeningitis  hat  mit 
der  kindlichen  nichts  zu  tun. 

Th.  Fahr:  Diabetesstudien. 

Den  Inseln  im  Pankreas  kommt  eine  Selbständigkeit  im  Sinne 
der  Inseltheorie  nicht  zu.  Sie  können  sich  aus  dem  Drüsenparenchym 
neubilden.  Aus  seinen  Versuchen  an  Hunden,  bei  denen  die  Ver¬ 
kleinerung  des  Pankreas  nach  und  nach  vorgenommen,  und  die  Aus¬ 
führungsgänge  nie  unterbunden  wurden,  schliesst  F..  dass  die  Inseln 
mit  der  Regulierung  des  Zuckerstoffwechsels  in  irgendeiner  Be¬ 
ziehung  stehen,  und  dass  der  Körper  Störungen  irn  Zuckerstoffwechsel 
durch  Neubildung  von  Inseln  zu  kompensieren  suche.  Ausser  den 
Versuchsergebnissen  werden  weiter  die  Untersuchungen  von  26 
Diabetesfällen  mitgeteilt,  aus  denen  sich  ergibt,  dass  Parenchym  und 
Inseln  bei  der  Regulierung  des  Zuckerstoffwechsels  in  Frage  kommen. 


1698 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  30. 


J.  Homo  w  ski:  Zwei  Todesfälle  infolge  von  Nebennieren¬ 
insuffizienz.  (Pathol.  Institut  in  Lemberg.) 

.1  Hornowski:  Untersuchungen  über  Atherosklerosls. 

Die  Arbeit  enthält  Untersuchungsergebnisse  über  die  Athero¬ 
sklerose  der  Arteria  pulmonalis,  über  Atherosklerose  beim  Pferde  und 
beim  Rinde,  Veränderungen  in  Arterien  von  Kaninchen,  hervorgerufen 
durch  Transplantation  von  Nebennieren. 

J.  Kyrie  und  K.  Schopper:  Untersuchungen  über  den  tin- 
fluss  des  Alkohols  auf  Leber  und  Hoden  des  Kaninchens.  (I  athol. 

Institut  in  Wien.)  _  ,  .  ,  ,  „  .  , 

Fortsetzung  im  nächsten  Hefte.  Schridde  -  Dortmund. 

Berliner  klinische  Wochenschrift.  Nr.  29,  1914. 

P.  R  o  h  m  e  r  -  Marburg:  Ueber  die  Diphtherieschutzimpfung 

von  Säuglingen  nach  v.  Behring. 

Der  Verf.  konnte  durch  seine  Untersuchungen  den  Nachweis 
führen,  dass  es  auch  beim  Säugling  möglich  ist.  eine  wirksame 
Diphtherieschutzimpfung  mit  dem  v.  Behring  sehen  Mittel  vor¬ 
zunehmen.  .  . 

S.  J.  M  e  1 1  z  e  r  -  New  York:  Ueber  eine  Methode  zur  experi¬ 
mentellen  Erzeugung  von  Pneumonie  und  über  einige  mit  dieser 
Methode  erzielte  Ergebnisse.  . 

Die  blosse  Anwesenheit  von  Mikroorganismen  auf  einer  Uber¬ 
fläche  des  Körpers,  gleichviel  ob  im  Innern  oder  auf  dem  Aeusseren 
desselben,  genügt  meist  nicht  eine  Infektion  hervorzurufen.  Erst 
wenn  sie  allseitig  von  Geweben  umgeben  oder  in  einen  Kanal  oder 
Sack  eingeschlossen  sind,  fangen  sie  an,  sich  zu  vermehren  und  die 
Umgebung  zu  invadieren.  Hierauf  basierend  hat  der  Verf.  bei  seinen 
Tierversuchen  eine  Reihe  von  Bronchien  total  verstopft  und  in  ge¬ 
schlossene  Kanäle  verwandelt  und  es  gelang  ihm  hierdurch  prompt, 
experimentelle  Pneumonie  zu  erzeugen. 

Th.  G  ü  m  b  e  1  -  Bernau  (Mark):  Zur  Behandlung  der  spastischen 
Lähmungen  mit  der  Foerster  sehen  Operation.  (V  ortrag,  ge¬ 
halten  in  der  Berl.  orthopäd.  Ges.  am  5.  Januar  1914.) 

Die  Resektion  der  hinteren  Rückenmarkswurzeln  hat  die  auf  sie 
gesetzten  Erwartungen  nicht  erfüllt  Schienen  die  Früherfolge  schon 
günstig,  so  war  doch  das  endgültige  Resultat  nicht  gut.  Mit  der 
bisher  geübten  orthopädischen  Behandlung  werden  unter  Umständen 
befriedigendere  Erfolge  erzielt.  Als  unbedingte  Gegenanzeigen  gegen 
die  Ausführung  der  Wurzelresektion  sind  heute  folgende  Krankheits¬ 
zustände  zu  bezeichnen:  Idiotie,  Athetose,  Epilepsie,  Luxatio  coxae 
und  stärkere  Spasmen  der  Arme. 

Faulhab  er- Wiirzburg:  Zur  Frage  des  Sechsstundenrestes 
bei  pylorusfernem  Ulcus  ventriculi. 

Der  Haudek  sehe  Satz  vom  pylorospastischen  Sechsstunden¬ 
rest  bei  pylorusfernem  Ulcus  ist  heute  nicht  mehr  aufrecht  zu  er- 

halten.  ,  I7,  ,.  i 

Die  normale  Motilität  ist  bei  pylorusfernem  Ulcus  die  Regel, 
und  es  bedarf  also,  um  die  Häufigkeit  einer  normalen  Entleerung  bei 
pankreaspenetrierendem  Ulcus  zu  erklären,  der  Glässner- 
Kreuzfuchs  sehen  Hypothese  nicht. 

Diese  letztere  Auffassung,  soweit  sie  die  normale  Entleerung  bei 
pankreaspenetrierendem  Ulcus  aus  einer  Schädigung  des  Pankreas¬ 
gewebes  mit  konsekutiver  Hypersekretion  desselben  und  Herab¬ 
setzung  des  Pylorusschlussreflexes  erklärt,  ist  überdies  mit  den  Tat¬ 
sachen  nicht  vereinbar. 

W.  Scheff  er- Berlin:  Einige  Gesichtspunkte  für  die  Be¬ 
urteilung  von  Kohlensäurebädern. 

Die  beschriebenen  Untersuchungen  zeigen  die  Grundlagen  für 
die  Methodik  des  Vergleichs  gewisser  Eigenschaften  der  moussieren¬ 
den  Bäder.  Die  Zucker  sehen  Bäder  weisen  eine  besonders  zweck¬ 
mässige  Art  der  COu-Entwicklung  auf. 

Goldscheider  -  Berlin :  Ueber  atypische  Gicht  und  ver¬ 
wandte  Stoff wechselstörungen.  (Vortrag,  gehalten  in  der  Berl.  med. 
Ges.  am  17.  Juni  1914.)  (Schluss.) 

Cf.  pag.  1418  der  M.m.W.  1914. 

Hermann  Matti-Bern:  Die  Beziehungen  des  Thymus  zum 
Morbus  Basedowii.  (Schluss.) 

Sammelreferat.  Dr.  G  r  a  s  s  m  a  n  n  -  München. 

Deutsche  medizinische  Wochenschrift.  Nr.  28,  1914. 

Hugo  Ribbert-Bonn:  Ueber  den  Bau  der  in  die  Pulmonal- 
artcrie  embolisierten  Thromben. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  von  Thromben,  welche  durch 
Embolie  in  die  Lungenarterie  verschleppt  wurden,  hat  ergeben,  dass 
diese  Art  Thromben  im  wesentlichen  aus  einem  Fibringerüst,  bis¬ 
weilen  aus  einem  förmlichen  Fibrinmantel  besteht,  in  welche  Ery¬ 
throzyten  in  mehr  oder  weniger  grosser  Masse  eingeschlossen  sind, 
während  die  Beteiligung  der  Blutplättchen  vollkommen  in  den  Hinter¬ 
grund  getreten  ist.  Dadurch  unterscheiden  sich  also  die  grossen,  zur 
tödlichen  Embolie  Veranlassung  gebenden  Thromben  scharf  von  den 
häufigen,  nur  an  ganz  umschriebener  Stelle  der  Gefässwand  sich  ab¬ 
scheidenden  kleinen  Thromben.  Wohl  findet  primär  stets  die  Bildung 
eines  Plättchenthrombus  statt,  aber  bei  den  rasch  sich  vergrössernden 
Thromben  kommt  es  sekundär  zu  einer  reichlichen  Fibrinausscheidung, 
die  auf  eine  fehlerhafte  Zusammensetzung  des  Blutes  zurückgeführt 
werden  muss.  Mittel,  welche  diese  zu  beseitigen  vermögen,  werden 
darum  auch  die  Gefahr  der  Embolie  verringern,  wenn  nicht  aufheben. 


Ed.  Mosbach  er  und  Fr.  P  o  r  t  -  Göttingen:  Beitrag  zur  An¬ 
wendbarkeit  des  Abderhalden  sehen  Dlalyslerverfahrens. 

Unter  sorgfältiger  Beobachtung  der  notwendigen  Kautelen  haben 
die  Verfasser  bei  Plazentaabbauversuchen  folgende  Erfahrungen  ge¬ 
macht-  Von  50  Graviden  war  die  Reaktion  in  70  Proz.  ~r,  m 
20  Proz  -  in  10  Proz.  +;  von  25  Nichtgraviden  war  das  Ergebnis 
in  28  Proz  ’+  in  28  Proz7-,  in  44  Proz.  ±;  bei  25  Männern  war  der 
Ausfall  in  56  Proz.  +,  in  36  Proz.  in  8  Proz.  ±.  Diese  auffallenden 
ganz  und  gar  nicht  spezifischen  Ergebnisse  werden  auf  die  Unzuver¬ 
lässigkeit  der  Dialysierhülsen  sowie  auf  die  Unmöglichkeit  zuruck- 
geführt  eine  Plazenta  zu  bekommen,  die  nur  vom  Schwangerenserum, 
nicht  aber  auch  vom  Normalserum  abgebaut  wird. 

B.  Issatschenko-St.  Petersburg :  Ueber  die  Spezih/itat 
der  gegen  Pflanzenehveiss  gerichteten  proteolytischen  Fermente. 

Auch  die  parenterale  Einverleibung  von  Pflanzeneiweissen 
(Flachs-  Weizen-,  Nuss-  und  Hafereiweiss)  vermag  im  tierischen 
Organismus  die  Bildung  spezifischer  Abwehrfermente  hervorzurufen. 
Auf  dieser  Grundlage  ist  also  auch  eine  serodiagnostische  Diffe- 
renzierung  von  Pflanzeneiweissen  denkbar. 

Johannessohn  und  Schaechtl  -  Berlin-Oberschoneweide. 

Klinischer  Beitrag  zur  Strophanthusfrage.  c. 

Das  aus  dem  Gratussamen  hergestellte  kristallisierte  g-btro- 
phanthin,  welches  neuerdings  unter  dem  Namen  Purostrophan 
in  Form  von  Tabletten  zu  Vz— 1  mg  oder  in  Ampullen  (1  mg  in  physio¬ 
logischer  NaCl-Lösung)  käuflich  ist,  kommt  in  seiner  Wirkung  auf  das 
Herz  der  Digitalis  gleich;  dieser  ist  es  noch  überlegen,  da  es  den 
Blutdruck  nicht  erheblich  steigert,  stark  diuretisch  wirkt  und  der 
Kumulation  fast  gänzlich  entbehrt;  in  bezug  auf  letztere  ist  Vorsicht 
nur  bei  vorheriger  längerer  Digitaliskur  notwendig. 

Albert  P  1  e  h  n  -  Berlin:  Ein  Beitrag  zur  Kenntnis  der  akut  hämo¬ 
lytischen  Malaria  (Schwarzwasserfieber).  . 

Vortrag  im  Verein  für  innere  Medizin  und  Kinderheilkunde  in 
Berlin  am  4.  Mai  1914,  vgl.  das  Referat  der  M.m.W. 

P.  W.  S  i  e  g  e  1  -  Freiburg  i.  Br.:  Die  paravertebrale  Leitungs- 

anästhesie. 

Als  neue  Begründung  zur  Ausführung  der  lokalen  und  ins¬ 
besondere  auch  der  Leitungsanästhesie  darf  die  C  r  i  1  e  sehe  Beob¬ 
achtung  gelten,  nach  welcher  jeder  Schmerz,  auch  wenn  er,  weil  in 
Narkose  ausgelöst,  dem  Individuum  nicht  zum  Bewusstsein  kommt, 
morphologische  Veränderungen  in  den  Hirnzellen  hervorzurufen  im¬ 
stande  ist.  Diese  Wirkung  fällt  bei  Unterbrechung  der  sensiblen 
Leitung  fort.  Da  sich  nach  Crile  aber  morphologische  Hirn¬ 
zellenveränderungen  auch  als  Aeusserungen  einer  psychischen  Schock¬ 
wirkung  (Angst,  Schreck  u.  ä.)  einstellen,  so  erscheint  es  zweck¬ 
mässig,  die  einfache  Lokal-  und  Leitungsanästhesie  mit  dem  Dämmer¬ 
schlaf  zu  verbinden.  Verf.  hat  150  chirurgische  und  gynäkologische 
Operationen  in  paravertebraler  bzw.  parasakraler  Leitungsanästhesie 
oder  mit  einer  Kombination  beider  Verfahren  durchgeführt,  wobei  er 
nur  selten  und  dann  in  sehr  geringem  Masse  genötigt  war,  ein 
Inhalationsanästhetikum  darauf  zu  geben;  er  verwendete  Novokain 
grundsätzlich  nur  in  %  proz.  Lösung.  Kontraindikationen  wurden  bis¬ 
lang  noch  nicht  herausgefunden;  postoperative  Pneumonien  fanden 
sich  in  1,4  Proz. 

Ed.  Kahn  und  Osw.  Seemann-  Bonn:  Schlechte  Erfahrungen 
bei  chirurgischer  Tuberkulose  mit  dem  Friedmann  sehen  Mittel. 

„Bei  den  meisten  Kranken  wurde  das  Krankheitsbild  nach  den 
Einspritzungen  verschlechtert,  ob  post  hoc  oder  propter  hoc,  ",ar 
nicht  immer  klar.  Es  kann  keine  Rede  davon  sein,  dass  das  r  r  l  ed- 
m  an  n  sehe  Mittel  die  Tuberkulose  heilt.“ 

Richard  D  r  a  c  h  t  e  r  -  München :  Erfahrungen  mit  dem  Fried- 
mann  sehen  Heilmittel  bei  chirurgischer  Tuberkulose. 

Vortrag,  gehalten  in  der  Münch.  Ges.  für  Kinderheilkunde  am 
19.  Juni  1914,  vgl.  das  Referat  der  M.m.W. 

Alfred  G  i  r  a  r  d  e  t  -  Essen  (Ruhr):  Doppelte  Perforation  eines 
Tuberkelknotens  in  die  Aorta  und  die  Bifurkation  der  Trachea. 

Ein  am  Perikard  zwischen  Aorta  und  Pulmonalis  gelegener  er¬ 
weichter  Tuberkelknoten  hatte  zunächst  die  Aorta  ascendens  pet^ 
federt  und  eine  miliare  Aussaat  von  Tuberkelbazillen  herbeigefuhrt. 
Das  auf  diese  Weise  entstandene  Aneurysma  spurium  (extramurales 
Hämatom,  B  e  n  d  a)  seinerseits  war  in  die  Trachea  unmittelbar  über 
der  Bifurkation  perforiert,  was  die  Veranlassung  zu  einer  tödlichen 

Blutung  war.  ....  a 

T  r  a  1 1  e  r  o  -  Berlin:  Zur  Frühdiagnose  des  Magenkrebses  und 
zur  Differentialdiagnose  der  Achylien  mit  besonderer  Berücksichtigung 
der  quantitativen  Eiweissbestimmung  und  der  Fermentabscheidungen 
im  Mageninhalt.  ,  „ 

Es  wurde  eine  grössere  Reihe  sicherer  Fälle  von  Magenkarzinom. 
Gastritis  anacida,  Gastritis  atrophicans,  nervöser  Achylie  und  Hetero- 
chylie  (im  achylischen  Stadium)  untersucht,  mit  dem  Ergebnis,  dass 
einerseits  selbst  hohe  Eiweiss-  und  Salzsäuredefizitwerke  für  die 
Frühdiagnose  des  Magenkarzinoms  keine  Bedeutung  besitzen,  dass 
andererseits  niedrige,  normale  Eiweisswerte  nicht  gegen  Karzinom 
sprechen.  Differentialdiagnostisch  für  maligne  Achylie  sind  hohe  Ei- 
weisswerte  bei  niedrigen  Pepsin-  und  Labwerten  anwendbar.  Ner¬ 
vöse  Achylien  sind  vornehmlich  durch  eine  grosse  Inkonstanz  in  der 
Fertnentabscheidung  ausgezeichnet.  „ 

H  u  i  s  m  a  n  s  -  Köln:  Eine  einfache  Methode,  die  „Herzspitze 
für  die  Messung  des  Längsdurchmessers  des  Herzens  sichtbar  jifi 
machen. 


28.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIF 


1699 


Um  im  Rontgenbildc  die  Herzspitze,  die  häufig  mit  dem  Magen- 
schatten  zusanimenfällt,  deutlich  abgrenzen  zu  können,  wird  emp- 
johlen,  die  zur  Untersuchung  bestimmte  Person  zuvor  5  Stunden 
fasten  zu  lassen,  nötigenfalls  ihr  auch  den  Magen  auszuspülen. 

K.  K  aufmann- Schömberg:  Zur  Virulenz  des  Fricdmann- 
sehen  luberkulosemittels. 

E'.n  Meerschweinchen  wurde  mit  0,2  ccm  einer  frischen  Ampulle  1 
des  rriedmann-Mittels  geimpft;  I  od  nach  20  Tagen  an  makroskopisch 
wie  mikroskopisch  sicherer  I  uberkulose.  Mit  dem  Milzbrei  dieses 
ieres  wurde  ein  weiteres  infiziert;  Sektion  nach  36  Tagen:  schwere 
I  uberkulose  des  Bauchfells,  der  Leber,  Milz,  Lunge  und  der  Drüsen 
3  Meerschweinchen,  mit  Organbrei  des  zweiten  Tieres  infiziert,  ver¬ 
enden  ebenfalls  an  schwerer  Tuberkulose. 

Robert  C  o  h  n  -  Berlin-Wilmersdorf:  Pituglandol  bei  Placenta 
praevia. 

Auf  Grund  eines  glücklich  verlaufenen  Falles  empfiehlt  Vcrf. 
bei  nicht  unmittelbar  lebensgefährlichen  Blutungen  wegen  Placenta 
praevia  auch  in  der  Eröffnungsperiode  zu  versuchen,  durch  Injektion 
unes  Hypophysenextraktes  vermöge  der  kräftigeren  Wehentätigkeit 
em  schnelles  Tietertreten  des  Kopfes  und  damit  eine  Tamponade  der 
blutenden  Stellen  zu  erzielen. 

W.  Münch-Frankfurt  a.  M.:  Heilung  eines  Falles  von  Chorioi- 
uitis  disseminata  durch  intravenöse  Tuberkuproseeinspritzungen. 

Das  hier  mit  gutem  Erfolge  verwendete  Mittel  ist  eine  1  prorn 
wässerige  Lösung  von  Cuprum  formicicum  mit  einem  Zusatz  von 
einigen  ropfen  Acidum  formicicum  pur.,  die  in  sterilisierten  Am¬ 
pullen  zu  1,1  ccm  verkauft  wird.  Die  Einspritzungen  werden  in 
Zwischenräumen  von  3 — 5  Tagen  intravenös  gemacht;  die  Dosis  ist 
ccm  allmählich  steigend  bis  zu  10  ccm.  Bei  nahezu  2000  Injektionen 
konnte  bisher  keinerlei  schädigende  Nebenwirkung  festgestellt  werden 
Doch  treten  meist  Temperatursteigerungen  ein.  B  a  u  m  -  München. 

Oesterreichische  Literatur. 

Wiener  klinische  Wochenschrift. 

Nrc  ?9'  .L.\  A.r?4  und  W-  Kerl- Wien:  Weitere  Mitteilungen 
über  Spirochätenbefunde  bei  Kaninchen.  (Vorgetragen  in  der 
k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte.  Siehe  Bericht  S.  1535.) 

P.  S  z  e  1  -  Wien:  Ueber  alimentäre  Galaktosurie  bei  Morbus 
Hasedowii. 

7  DV  erf-  iaiJd  unter  23  Fällen  Basedow  scher  Krankheit  bei  20  = 

V  ,P™Z-  Galaktosurie  und  davon  bei  18  =  78  Proz.  nach  30  g 
lalaktose  eine  Ausscheidung  von  über  0,4  g  oft  bis  zu  sehr  beträcht- 
ichen  Werten  (Maximum  3  g).  Dagegen  fand  sich  nur  in  54,5  Proz. 
extrosurie.  Die  Galaktosurie  und  Dextrosurie  kommen  demnach 
lauhg  zugleich  bei  einem  Falle  vor,  es  besteht  aber  auch  häufig 
lalaktosurie  allein,  Dextrosurie  ohne  Galaktosurie  wurde  dagegen 
n  keinem  der  halle  beobachtet.  Bezüglich  der  Ursache  der  alimen- 
aren  Galaktosurie  spricht  eine  ziemliche  Wahrscheinlichkeit  für  die 
leteiligung  der  Leber. 

J.  S  a  p  h  i  e  r  -  Wien:  Ueber  Abortivbehandlung  der  Lues. 

S.  konnte  von  208  abortiv  behandelten  Fällen  46  nachuntersuchen 
35  davon  stammen  aus  den  Jahren  1913  und  1914).  Von  35  einmal 
sehandelten  zeigen  30,  von  11  mehrmals  Behandelten  8  keine  klini- 
chen  Erscheinungen  und  negative  W  a  s  s  e  r  m  a  n  n  sehe  Reaktion, 
on  den  11  aus  den  Jahren  1910/12  stammenden  Fällen  besteht  bei  9 
leser  gute  Erfolg.  Die  Kur  bestand  durchschnittlich  in  3—4  Neo- 
alvarsaninjektionen  (Gesamtdosis  2,5  g)  und  Quecksilbereinreibungen 
der  Injektionen  von  Hydrarg.  salicyl.  Von  9  Patienten,  wo  die 
klerose  exzidiert  wurde,  sind  8  frei  von  Erscheinungen. 

I  h.  Barsony  -  Pest:  Beiträge  zur  Diagnose  des  postoperativen 
;junalen  und  Anastomosenulcus. 

Die  diagnostischen  Erörterungen  lassen  sich  hier  nicht  in  Kürze 
uedergeben.  An  der  Hand  von  4  Fällen  von  postoperativem  jeju- 
aiem  und  2  Fallen  von  Anastomosengeschwür  betont  B.  vor  allem 
ie  Gleichartigkeit  der  Anamnese  des  Jejunalgeschwürs  mit  der  des 
.  pischen  Duodenalgeschwüres  und  die  Analogie  zwischen  dem 
nastomosengeschwiir  und  Pylorusgeschwür. 

WelemVnsky“0  e  r  "  Wien:  Schwere  Phthisen  unter  Tuberkulomuzin 

Krankengeschichte  eines  scheinbar  aussichtslos  malignen  pro- 
edienten  Falles,  bei  welchem  eine  objektiv  und  subjektiv  voll- 

MCSSerUug  er/ieIt  wurde-  Neberi  allgemeinen  thera- 
-utiscl en  Massnahmen  (u.  a.  Sonnenbäder,  auch  einige  Röntgen- 
-strahlungen)  wurden  innerhalb  33  Tagen  10  Injektionen  von  Tuber- 

Hiol,Z,ri7ai^eisend  von  bis  0,024  gegeben.  Gewichtszunahme 
dieser  Zeit  von  47,6  auf  55  kg. 

^  f  i  a,n  z  *  Sülzhayn:  Vergleiche  zwischen  den  Resul- 
n  des  A  b  d  e  r  h  a  1  d  e  n  sehen  Dialysier Verfahrens  mit  Tier-  und 
fciischenlunge. 

KrZ?  das,  dahin,  dass  durch  Menschenserum 

:irio.r  ,i  Sk  C!5  Gerinngen  (Kaninchen,  Ziege,  Meerschweinchen) 
«l„cä\U  yUurd<in  ,als  die  Menschenlunge.  Weiter  fand  sich, 
iss  menschliche  tuberkulöse  Lungen  fast  ausnahmslos  vom  Serum 
r  ‘  .  ungentuberkulose  Erkrankten  abgebaut  wurden,  von  den 

E  aUüSen  Jed0(ih  nur  etwa  70  Proz-  Der  Abbau  der  tuber- 
,0A\etnandder  n.°.rVia,Ien  funge  wurde  auch  durch  das  Serum  eines 
Asthma  bronchiale  Leidenden  bewirkt. 

ilästina  und'sjrien  RelSebrief  ei"eS  Schiffsarztes  aus  Aegypten, 


Wiener  medizinische  Wochenschrift. 

Nr.  21.  W.  F  a  1 1  a  und  S  t  e  i  n  b  e  r  g:  Ueber  eine  neue  Kohle¬ 
hydratkur  (gemischte  Amylazeenkur)  bei  Diabetes  mellitus. 

Ueberblick  über  die  Theorie,  Technik  und  Erfahrungen  bei  der 
v.  IN  o  °  r  d  e  n  sehen  Haferkur  und  bei  der  von  Blum  angegebenen 
Weizenmehlkur.  Die  Versuche  der  Verfasser  zeigen,  dass  solche 
Kohlehydratkuren  nicht  nur  mit  einer  Kohlehydratart  wirksam 
aurchzufuhren  sind,  sondern  eine  ebenso  günstige  Wirkung  auf  die 
uiykosurie  und  Ketonurie  auch  bei  gleichzeitiger  Verwendung  ver¬ 
schiedener  Amylazeen  erreicht  werden  kann.  (Tabellen.)  Man  kann 
diese  ausschliesslich  in  Suppenform  oder  auch  in  Back-  und  Teig- 
waren  venibreichen,  auch  Gemüse  kann  beigefügt  werden,  nur  muss 
animalisches  Eiweiss  völlig  ausgeschlossen  werden.  Die  Technik  ist 
uti  allgemeinen  dieselbe  wie  bei  der  Hafermehlkur.  Wie  bei  dieser 
sind  jucht  alle  Formen  des  Diabetes  zur  Behandlung  geeignet.  Die 
grösste  Empfindlichkeit  gegen  (animalisches)  Eiweiss  pflegen  die 
jugendlichen  Fälle  zu  haben. 

Nr.  22.  G.  Singer- Wien:  Aetiologisches  in  der  Rheuinatis- 
musfrage. 

,  a  maC^  £inerrL  Geberblick  über  die  einschlägigen  pathologischen 
und  klinischen  Erscheinungen  formuliert  S.  neuerdings  seine  Auf¬ 
lassung  dahin,  dass  die  akute  Polyarthritis  auf  einer  Infektion  mit 
den  verschiedensten  Erregern  beruht;  der  Haupttypus,  der  akute 
Gelenkrheumatismus  wird  durch  eine  Infektion  mit  pyogenen  Kokken, 
besonders  Streptokokken  hervorgerufen  und  ist  der  grossen  Krank¬ 
heitsgruppe  der  Pyämie  zuzurechnen. 

.,  •  Eiseisberg  -  Wien:  Die  Behandlung  chronischer 

eitriger  Mittelohrentzündungen  mit  Acidum  lacticum. 

D  ,  Wie  durcb  mehrere  Krankengeschichten  gezeigt  wird,  ist  die 
Behandlung  mittels  einer  mit  gleichen  Teilen  Wassers  verdünnten 
Milchsäurelösung  imstande,  in  zahlreichen  Fällen  von 
Mittelohreiterung  die  Heilung  beträchtlich  abzukürzen.  Insbesondere 
ist  das  Verfahren  ein  guter  Notbehelf  bei  polypösen  Wucherungen 
wo  ein  radikalerer  Eingriff  nicht  angezeigt  erscheint. 

B  e  r  g  e  a  t  -  München. 

Englische  Literatur. 


(Schluss.) 

Sir  A  1  m  r  o  t  h,  E.  Wright  u.  a.:  Die  prophylaktischen  In¬ 
okulationen  gegen  Pneumokokkeninfektionen  und  ihre  Resultate 
(Lancet  3.  und  10.  I.  14.) 

Lange  Arbeit  über  die  unter  den  eingeborenen  Arbeitern  der 
airikanischen  Strandminen  herrschende  Pneumonie.  Schlusssätze- 
Das  Blut  der  Eingeborenen  unterscheidet  sich  von  demjenigen  der 
Europäer  durch  seine  geringere  phagozytische  und  bakterizide  Kraft 
gegen  Pneumokokken  und  durch  die  schwächere  Immunitätsreaktion. 
Diese  Rasseneigentümlichkeit  und  das  enge  Zusammenleben  in  den 
Lagern  erklären  die  Häufigkeit  der  Pneumonie.  Andere  Momente, 
wie  z.  B.  Lokalität,  spielen  keine  Rolle.  Gegenmassregeln:  1.  Früh¬ 
en  ag  n  o  s  e,  I  s  o  1  i  e  r  u  n  g,  Desinfektion  etc.  —  alle  prak¬ 
tisch  nur  schwer  oder  gar  nicht  ausführbar.  2.  Ausschaltung 
der  Einflüsse,  welche  die  natürliche  Resistenz¬ 
kraft  herabsetzen,  ein  Punkt  von  untergeordneter  Be¬ 
deutung  und  zum  Teil  überhaupt  unmöglich,  da  es  sich  doch  um 
permanente  Rasseneigentümlichkeit  handelt.  3.  Künstliche 
,  f,eig  e  J. u  n  g  der  R  e  s  i  s  t  e  n  z  k  r  a  f  t.  Die  Verfasser  emp- 
Sn»r,ieDProph,yIntische  Inokulation  aller  Rekruten  mit 
10  u  Ml1  •  Pneumokokken  und  Wiederholung  der  gleichen  Dose 
nach  4  Monaten.  Therapeutische  Inokulationen  in  grossem  Stile 
sind  vorderhand  nicht  ratsam,  die  immerhin  ermutigenden  Resultate 

der  berecht'sen  aber  zu  weiteren  Versuchen  mit  Dosen 

von  500  Millionen. 

Marcel  Lab  b  e  und  Ambroise  Bonchage:  Die  Glykosurie  bei 
Affektionen  der  Leber  und  der  hepatische  Diabetes.  (Lancet,  3.  I.  14.) 

Verf.  unterscheiden:  1.  Die  Glykosurie  bei  Zirrhose,  Leberstau- 
ung,  -krebs;  2.  bei  Leberanschoppung  bei  übermässigem  Fleisch- 
genuss ;  3.  den  „Diabete  sans  denutrition“  und  4.  die  hepato-pankrea- 
tische  Zirrhose  mit  schwerem  Diabetes.  Es  finden  sich  somit  alle 
Uebergange  von  der  alimentären  Glykosurie  bis  zum  Diabetes.  Die 
Prognose  des  hepatischen  Diabetes  ist  keine  ungünstige.  Die  Therapie 
besteht  in  laktovegetarischer  Diät  und  einer  Vichy-,  Brides-  oder 
Karlsbader  Kur. 

Nathan  Raw:  Der  tuberkulöse  Rheumatismus.  (Ibidem.) 

Akuter  polyartikulärer  Rheumatismus  der  Hand-  und  Finger- 
gelenke  bei  19  jähriger  Patientin  mit  Halsdrüsentuberkulose.  Aspira- 
tionsflussigkeit  und  Drüseneiter  ergaben  im  Tierexperiment  Perlsucht- 
bazillen.  T.-R.-Behandlung  führte  zur  Besserung.  Es  handelt  sich 
bei  diesen  seltenen  Fällen  fast  immer  um  Infektionen  mit  dem  Tvdus 
bovinus. 

A.  Dingwall  Fordyce  und  E.  W.  Scott  Carmichael- 
Nasopharynx-  und  Drüsentuberkulose  bei  Kindern.  (Ibidem.) 

Im  ersten  Lebensjahr  erkranken»  und  zwar  ausschliesslich 
bei  künstlich  ernährten  Kindern,  der  Nasopharynx,  die 
lube  und  das  Mittelohr.  Später  wird  eine  Drüsengruppe  am  hinteren 
Biventerbauch,  die  ihre  Lymphe  vom  Nasopharynx  her  bezieht  be- 
vorzugt.  Die  Einbruchspforte  sind  die  Tonsillen,  die  bei  diesen  Fällen 
häufig  chronisch-tuberkulöse  Veränderungen  aufweisen.  Der  Prozess 
fuhrt  zur  Schrumpfung  und  geht  nie  in  Verkäsung  oder  Ulzeration 
über.  Anfalle  von  akuten  Peritonsillitiden  sind  häufig  und  geben  zur 


1700 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  30. 


Verwechslung  mit  septischen  Entzündungen  Anlass.  Die  Invasion  der 
Halsdrüsen  erfolgt  schubweise.  Später  kommt  es  zu  akuten  Pert- 
adenitiden  und  Abszessen.  Die  Prophylaxe  ist  eine  Frage  der  Er¬ 
nährung  (Muttermilch,  Sterilisation  der  Kuhmilch,  spater  mehr  ani¬ 
malische  Nahrung,  Mundpflege).  Der  Behandlungsplan  der  Verfasser 
ist  folgender:  bei  akuter  Periadenitis  Ruhe  und  Umschläge  Nachher 
Entfernung  der  Tonsillen  und  Adenoide.  Zweimonatlicher  Land-Oder 
Seeaufenthalt.  T.R.  nur  dann,  wenn  Klimawechsel  nicht  durchführbar 
ist.  Bei  Neigung  zu  Ausbreitung  der  Infektion  und  wiederholten 
°eriadenitisattacken  ist  die  Operation  indiziert.  „ 

Leighton  Davies:  Die  moderne  Behandlung  der  Tranengangs- 

obstruktion.  (Ibidem.)  ,  . 

Verf.  empfiehlt  die  T  o  t  i  sehe  Operation  (Herstellung  einer 

direkten  Kommunikation  zwischen  Tränensack  und  Nase)  als  die 
beste  Methode  zur  Behandlung  dieser  hartnäckigen  Aftektion. 

10  Fälle 

Henry  Frascrund  A.  T.  S  t  a  n  t  o  n:  Unpolierter  Reis  und  die 
Verhütung  des  Beriberi.  (Fig.)  (Lancet,  10.  I.  14.) 

Verfasser  fordern  die  Herstellung  einer  Reissorte,  bei  der  Hülse 
und  Perikarp,  nicht  aber  die  subperika  r  p  a  1  e  Sch  i  c  h  t, 
entfernt  sind,  und  die  ein  Minimum  von  0,4  Proz.  P-’Or,  enthalt.  Vor¬ 
derhand  ist  dieselbe  wegen  Mangels  an  Nachfrage  schwer  erhältlich; 
es  wäre  daher  Aufgabe  der  Regierung,  diesen  Industriezweig  durch 
ausschliessliche  Verwendung  dieser  Sorte  in  Gefängnissen  etc.  anzu- 
jaornen.  Eine  Art  von  unpoliertem  Reis  (parboiled  rice)  ist  zwar 
vom  sanitären  Standpunkte  aus  einwandfrei,  aber  so  unappetitlich  und 
schlechtschmeckend,  dass  sie  von  der  Bevölkerung  gemieden  wird. 

Casimir  Funk:  Wachstumsstadien:  Der  Einfluss  der  Diät  aut 
normales  Wachstum  und  maligne  Geschwülste.  (Fig.)  (Ibidem  1 

Hühner,  die  mit  rotem,  unpoliertem  Reis  gefüttert  wurden,  blieben 
im  Wachstum  beträchtlich  zurück,  ohne  an  Beriberi  zu  erkranken. 
Inokulation  mit  einem  sehr  virulenten  Hühnersarkom  ergab  bei  den¬ 
selben  kleinere  und  langsamer  wachsende  Tumoren,  als  bei  den  Kon- 
trolltieren,  auch  fehlten  die  sonst  so  häufigen  Metastasen.  Es  is 
somit  die  Möglichkeit  geboten,  durch  eine  vitaminhaltige  und  des¬ 
wegen  ungefährliche  Nahrung  das  Wachstum  normaler  Organe  und 
maligner  Tumoren  zu  beeinflussen. 

Edred  M.  Corner:  Eine  einfache  und  erfolgreiche  Methode  zum 
Verschluss  perforierter  Magen-  und  Duodenalgeschwüre.  (big.) 

(Ibidenü  yerfa)lren>  das  ejnfacher  und  schneller  ausführbar  ist,  als 
die  Naht,  besteht  in  der  Tamponade  der  Perforation  durch  ein  mit 
Gaze  umwickeltes  Gummirohr,  das  zur  Bauchwunde  herausragt. 

Fistelbildung  ist  nicht  zu  befürchten. 

William  Gordon:  Der  Wert  der  Herzsymptome  beim  Krebs. 

(Lancet  IT.  I.  14.)  .  . 

Die  Verkleinerung  der  Herzdämpfung  in  Rückenlage  ist  im 
Zweifel  von  grossem  Werte.  Unter  50  Fällen  hat  Verf.  nur  3  oder 
6  Proz.  Fehldiagnosen  erlebt.  Siehe  auch  frühere  Ref.  . 

R  J  Willi  an:  Der  Wismuth-Ureterenkatheter,  Kollargol- 
lösungen  und  Bariumsulfatsuspensionen  bei  der  Diagnose  von  Krank- 
heilen  des  Harnapparates.  (Bilder  and  1  Tafel.)  (Lancet,  24  I.  14.) 

Zur  sterilen  Einführung  des  Katheters  verwendet  Verf.  eine 
Hülse,  die  auf  das  Zystoskop  aufgeschraubt  wird.  Er  hat  bisher  zahl¬ 
reiche  Kollargolfüllungen  gemacht  und  nie  irgendwelche  Schädigungen 
der  Niere  erlebt.  Die  Gefahr  einer  Ueberfüllung  und  sogar  Ruptur 
des  Nierenbeckens  besteht  eigentlich  nur  bei  der  Narkose.  \  ert. 
operiert  daher,  wenn  möglich,  immer  ohne  eine  solche,  weil  der 
Kranke  selbst  am  besten  beurteilen  kann,  wenn  genug  injiziert  ist. 
Zu  Radiogrammen  der  Blase  verwendet  er,  weil  Kollargol  zu  teuer 
ist.  eine  Emulsion  von  2  Teilen  Bariumsulfat  in  10  Teilen  Ol.  amygd. 
dulc.  Die  Einführung  von  Silberdraht  oder  wismuth-impragnierten 
Bougies  in  den  Ureter  steht  weit  hinter  der  Kollargolmethode  zuruck. 

Gustav  Mann:  Der  Proteinstoffwechsel  während  des  Hungerns 
und  nach  Darreichung  von  Milchproteinen.  (Bilder.)  (Ibidem.) 

Das  praktische  Resultat  dieser  theoretischen  Arbeit  ist,  dass  zur 
schnellen  Wiederherstellung  des  Zellprotoplasmas  nach  Hunger¬ 
perioden  oder  zehrenden  Krankheiten  ein  purinloses,  leicht  verdau¬ 
liches  Albumin  nötig  ist.  Die  idealste  Nahrung  ist  in  dieser  Hinsicht 
Hip  Milch 

W.  D’Este  Emery:  Die  Pathologie  der  Syphilis  mit  beson¬ 
derer  Hinsicht  auf  ihre  Behandlung.  (Ibidem.) 

Interessante  zusammenfassende  Arbeit.  Verf.  glaubt,  dass  die 
bisherige  Ansicht  von  der  Unheilbarkeit  der  Parasyphilis  nicht  mehr 
haltbar  ist.  Er  hat  3  Fälle  von  Paralyse  resp.  Tabes  nach  Switt- 
E  1 1  i  s  behandelt  und  ganz  überraschende  Besserungen  erzielt.  Dass 
das  Salvarsanserum  infolge  seines  Antikörpergehaltes  wirkt  durtte 
unrichtig  sein,  wahrscheinlich  enthält  es  Spuren  von  Salvarsan. 

Uebriges  im  Original  nachzulesen. 

Thomas  Hördes:  Die  Vakzinotherapie  vom  Standpunkt  des 

Internisten  aus.  (Lancet,  31.  I.  14.) 

Trotz  der  zahlreichen  Misserfolge  ist  der  grosse  Wert  der  Me¬ 
thode  nicht  in  Abrede  zu  stellen.  Leider  ist  sie  bei  Aerzten  und  auch 
Patienten  zur  Modesache  geworden  und  wird  daher  aufs  Geratewohl 
bei  allen  möglichen  und  unmöglichen  Affektionen  angewendet.  Vor¬ 
bedingung  ist  aber  das  Zusammenarbeiten  des  Klinikers  und  Bakterio¬ 
logen!  Es  genügt  nicht,  einen  Mikroorganismus  zu  isolieren  und 
dann  den  Kranken  damit  zu  behandlen,  es  muss  vorerst  bewiesen 
werden  dass  der  betreffende  Keim  auch  wirklich  der  pathogene  Er¬ 
reger  der  vorliegenden  Läsion  ist.  Andere  Fehler  sind:  nachlässige 


Fntnahme  des  Materials  für  die  bakteriologische  Untersuchung,  falsche 
Dosierung  ungünstiges  Verhalten  des  Kranken  unmittelbar  nach  der 
Einspritzung  (Mangel  an  Ruhe,  Erkältungen  Menstruation)  und  Ver¬ 
nachlässigung  anderer  Heilmethoden.  Zur  objektiven  Beurteilung  der 
Methode  sind  eigentlich  nur  die  autogenen  Vakzinen  verwertbar;  bei 
Stockvakzinen  sind  die  Fehlerquellen  naturgemäss  viel  zahlreicher, 
während  die  Phylakogene  keinen  Anspruch  auf  eine  wissenschaftliche 

Basis  machen  können.  ,  .  /%1  , 

A  J.  Bruce  Leckie:  Die  perkutane  T.-R.-Reaktion  (M  o  r  o): 

400  Q^cle,^eg{^tate  ginc]  höchst  unverlässlich.  Von  96  Tuberkulosen 
reagierten  nur  33,  von  304  nichttuberkulösen  Kranken  3«  und  von 
9  zweifelhaften  Fällen  4  positiv.  Am  schlechtesten  verhielten  sich 
Lungentuberkulosen;  von  43  Fällen  versagten  nicht  weniger  als  34. 
Die  v.  Pirquet  sehe  Probe  gab  zwar  zahlreichere  positive  Re¬ 
sultate  bei  tuberkulösen  Kranken,  dafür  aber  auch  zahlreichere  falsche 
bei  gesunden  Individuen.  Beide  Reaktionen  stehen  somit  der  Oph¬ 
thalmoreaktion  an  Verlässlichkeit  sehr  nach. 

Hugh  Lett:  Die  gegenwärtige  Stellung  der  akuten  Appendizitis 

und  ihrer  Komplikationen.  (Ibidem.) 

2  Serien  von  je  1000  Fällen  werden  verglichen:  I.  S.  1900—1904, 

II  S  1912 _ 1913.  Die  Gesamtmortalität  ist  infolge  der  Frühopera¬ 

tionen  von  17,2  auf  3,2  Proz.,  diejenige  der  akuten  Fälle  von  26,4  auf 
4,3  Proz.  zurückgegangen.  Am  besten  war  die  Operationsprognose 
am  1.  Tage  und  wurde  dann  immer  schlechter.  Von  den  am  10.  läge 
und  später  operierten  Kranken  starben  nur  wenige,  weil  sich  der 
Prozess  bis  dahin  bei  den  meisten  lokalisiert  hatte.  Diesen  Um¬ 
stand  zugunsten  prinzipieller  Spätoperationen  ins  Feld  zu  fuhren, 
wäre  natürlich  falsch.  Auch  die  Zahl  der  Komplikationen  ist  zuruck- 
gegangen  und  zwar  von  22,9  auf  11,9  Proz.  Nur  die  -  ekundar- 
abszesse  waren  bei  der  zweiten  Serie  sogar  häufiger  als  früher,  weil 
neuerdings  wenig  oder  gar  nicht  drainiert  wird.  Andere  Komplika¬ 
tionen  waren:  Subphrenische  Eiterungen,  Darmfisteln,  Femoralyetien- 
thrombosen.  Lungenkomplikationen,  Darmverschluss,  Pyelophlebitis, 
Melaena,  Parotitis  und  Hämaturie.  J  ,  . 

H.  D.  Roll  es  ton:  Die  Vakzinen  vom  Standpunkte  des  Inter¬ 
nisten  aus.  (Lancet,  7.  II.  14.)  .  .  . 

Verf  verhält  sich  abwartend.  Die  Resultate  sind  bisher  infolge 
mangelhafter  Technik  und  laxer  Indikationsstellung  _won  seite  der 
Optimisten  sehr  unsicher  gewesen;  Vakzinen  sind  nur  in  Lallen  ange¬ 
zeigt  wo  andere  Methoden  nicht  existieren  oder  nicht  geholfen  haben. 

Bishop  Har  man:  Eine  Operation  zur  Verbesserung  des  kos¬ 
metischen  Effektes  künstlicher  Augen.  (Bilder.)  (Ibidem.) 

Der  kosmetische  Erfolg  hängt  hauptsächlich  von  der  Grosse  utW 
Form  der  Lidspalte  ab  und  ist  bei  „kleinäugigen“  Individuen  besser 
als  bei  „grossäugigen“.  Verf.  verkleinert  daher  bei  letzteren  die 
Lidspalte  durch  eine  Tarsorrhaphie,  die  im  Original  genau  beschrieben 

VirdSir  John  Bland-Sutton:  Die  Behandlung  der  Frakturen  des 

Malleolus  externus.  (Bilder.)  (Ibidem.)  .  , 

Die  Erfolge  der  konservativen  Therapie  sind  unbefriedigend, 
weil  das  Gelenk  impliziert  ist,  daher  der  Kallus  störend  wirkt  und 
ausserdem  das  Fragment  nur  schwer  in  guter  Stellung  gehalten  wer¬ 
den  kann.  Verf.  hat  daher  den  Malleolus  mehrfach  mit  gutem  Erfolge 
exzidiert.  Aehnlich  verfährt  er  auch  bei  anderen  Gelenkfrakturen,  m 
der  Operation  muss  5 — 7  Tage  gewartet  werden,  bis  die  Blutung  aus 

dem  Knochen  steht.  ,  .  .  „ 

Charles  Russ:  Eine  neue  Methode  zur  Behandlung  der  ciiro- 
nischen  Kolizystitis  und  anderer  Infektionen.  (Fig.)  (Lancet,  14  II.  W 
Verf.  hat  früher  die  experimentelle  Beobachtung  gemacht,  dass 
pathogene  Bakterien  bei  Elektrolyse  in  NaCl  sich  am  positiven  Pol 
ansammeln  und  getötet  werden.  Er  hat  nun  diese  Tatsache  thera¬ 
peutisch  bei  Ulcus  cruris,  Koliinfektionen  und  Gonorrhöe  mit  gün¬ 
stigem  Erfolge  angewendet.  Technik  siehe  im  Original. 

G.  W.  Spencer:  Der  Ductus  thyreoglossus.  (Lancet,  21.  11.  hj 
Zungenthyreoiden  dürfen,  weil  sie  sehr  häufig  kompensatorischer 
Natur  sind,  rieht  operativ  entfernt  werden.  Zysten  des  D.  thyreo¬ 
glossus,  die  bis  zum  Foramen  caecum  hinaufreichen,  können  nur  nach 
Resektion  eines  Teiles  des  Zungenbeines  radikal  exzidiert  werden. 
Inkomplete  Operationen  hinterlassen  äusserst  hartnäckige  bistei- 

gänge.  .  ,  „ 

Theodore  Shennan:  Die  pathologische  Anatomie  der  mensen- 

lichen  Tuberkulose.  (Lancet,  28.  II.  und  7.  III.  14.)  X] 

Schlusssätze:  Die  Maximummortalität  fällt  in  Schottland  zwiscye, 
das  25.  und  35.,  in  England  zwischen  das  35.  und  45.  Lebensjahr.  Dm 
Einteilung  aller  Todesfälle  ohne  Rücksicht  auf  ihre  Ursache  nach 
Geschlecht  und  Altersklasse  ergibt  bei  Frauen  die  höchste  I  uber- 
kulosesterblichkeit  im  Alter  von  15—20  Jahren  (52.69  Proz.)  und  bei 
Männern  im  Alter  von  20—25  Jahren  (Schottland).  Die  Bevölkerungs¬ 
zahl  und  Densität  der  Städte  scheint  keine  Rolle  zu  spielen.  HyPer_ 
sensitivität  auf  Grund  einer  primären  Infektion  ist  häufig  die  Ursache 
für  das  Haften  einer  späteren  Infektion,  die  entweder  von  einem 
alten  Herd  im  Körper  oder  von  aussen  herstammt.  Die  Infektion  der 
Lungen  und  regionären  Drüsen  ist  meistens  eine  aerogene.  _  ran 
direktes  Uebergreifen  des  Prozesses  von  den  Halsdrüsen  aut  die 
Lunge  kommt  nicht  vor.  Die  rechte  Lunge  erkrankt  öfter  als  die 
linke.  Bei  Kindern  ist  Lungentuberkulose  am  häufigsten  die  Lome 
einer  Bronchialdrüsenerkrankung.  Die  Ursachen  für  die  Lokalisation 
der  Krankheit  innerhalb  der  Lunge  sind  unbekannt.  In  keinem  Lande 
der  Welt  ist  der  Typ.  bovin,  bei  Kindern  so  häufig,  wie  in  Schott- 


28.  Juli  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  W0CHENSCHR1E' 


170 


land.  Ucberhaupt  wechselt  das  Verhältnis  der  zwei  Typen  zueinander 
von  Land  zu  Land. 

11  P.  I  airlic:  Lin  Vergleich  der  Wirkungen  des  Chloroform 
und  Aether  auf  den  Blutdruck.  (Lancet,  28.  11.  14.) 

.  .  Chloroform  führt  zum  Sinken  des  Blutdruckes  (Minimumverlust 
bei  tiefer  Narkose  10  mm  Hg).  Schock  veranlasst  ein  weiteres  Ab¬ 
fallen,  der  Druck  erreicht  aber  nach  Aufhören  der  beiden  Faktoren 
.seine  normalen  Werte  sehr  rasch  wieder.  Die  Wirkung  des 
t-m  ■ r  iIS*i  g5rin*  und  unregelmässig,  beim  Hinzutreten  von  Schock 
lallt  jedoch  der  Druck  schnell  und  beträchtlich  und  erholt  sich  nach 
der  Narkose  n  ur  sehr  langsa  m.  Der  Umstand,  dass  sich  der 
Druck  in  der  k  ritischenZeit  beim  Chloroform  schneller  wieder¬ 
herstellt  als  beim  Aether,  gibt  dem  erstcren  den  Vorzug  bei  langen 
Operationen  mit  schwerer  Schockwirkung.  Bei  kurzen  Eingriffen  mit 
wenig  Schock  ist  dagegen  Aether  besser. 

Carl  H.  Browning:  Die  Technik  der  Wassermannreaktion  etc. 
(Lancet,  14.  III.  14.) 

Verf.  verwendet  ein  Lezithinantigen,  dem  Cholesterin  zugesetzt 
lsb  Ec :z teres  erhöht  den  Antigenwert  des  Lezithins  und  führt  nicht, 
wie  Flu  eie  und  Embleton  dies  behaupten  (siehe  anderes  Re¬ 
terat),  zu  falschen  Resultaten. 

P.  W.  B  a  s  s  e  t  -  S  m  i  t  h :  Die  Agglutination  von  M.  melitensis 

iurch  normale  Kuhmilch.  (Ibidem.) 

.  VeA  b?,statigt  zwar  die  Beobachtung  Kennedys,  dass  Lon- 
Joner  Kuhmilch  manchmal  imstande  ist,  den  M.  melitensis  zu  agglu- 
tmieren,  findet  aber,  dass  die  Reaktion  pichtspezifischer  Natur  ,  und 
Jurch  einfache  Vorsichtsmassregeln  leicht  vermeidbar  ist. 

A.  Rendle  Short:  Die  Blutveränderungen  bei  der  Entstehung 
ies  chirurgischen  Schocks.  (Ibidem.) 

Obgleich  ein  Absinken  des  Blutdruckes  zu  den  häufigsten  Svm- 
Jtomen  gehört,  ist  es  falsch,  die  Ursache  des  Schocks  in  einer 
)  ri  m  a  r  e  n  Erschöpfung  des  Vasomotorzentrums  zu  suchen.  Schock 
.xistiert  oft  bei  guter  Herzkraft  und  kontrahierten  peripheren  Ar¬ 
enen.  Nach  Ansicht  des  Verf.  ist  der  Vorgang  folgender:  Die  nozi- 
'.eptiven  Impulse  erreichen  das  Gehirn  und  inhibieren  gewisse  Kerne 
n  der  Nahe  des  4  Ventrikels  und  im  Kleinhirn,  welche  kontinuierliche 
mpulse  zur  Erhaltung  des  Muskeltonus  nach  der  Peripherie  senden 
)ie  unmittelbare  Folge  ist  eine  Erschlaffung  der  Muskulatur  und  ein 
allen  des  Blutdruckes.  Der  Tod  wird  verursacht  durch  Akkumu- 
ation  des  Blutes  in  den  grossen  Venen  und  ungenügende  Füllung  des 
lerzens.  \  om  Gesichtspunkte  dieser  Theorie  aus  müssen  die  mo- 
lerne  Diagnose  und  Therapie  des  Schocks  als  unzulänglich  bezeichnet 
'  erden.  Am  meisten  Aussicht  auf  Erfolg  haben  Umwicklungen  der 
Jvtremitaten  und  des  Körpers  mit  elastischen  Binden  und  Füllung  der 
lauchhohle  mit  NaCl-Lösung.  C  r  i  1  e  s  Anoziassoziation  bedeutet 
inen  grosen  Fortschritt  in  prophylaktischer  Richtung. 

1  in  14  )A  d  a  m  s  0  n:  Die  Natur  des  Ulcus  rodens.  (Fig.)  (Lancet, 

Das  U  r.  muss  vom  wahren  Hautkrebs  streng  unterschieden  wer- 
en  und  gehört  in  bezug  auf  Lokalisation  und  Bau  zu  den  gutartigen 
aevoiden  Geschwülsten,  wie  das  Adenoma  sebaceum  und  das  Epi- 
lelioma  adenoides  cysticum  (B  r  o  o  k  e).  Es  entsteht  durch  Prolifera- 
lon  von  embryonalen  Zellresten  in  der  Basalschicht  der  Epidermis 
nd  stellt  einen  verspäteten  und  vergeblichen  Versuch  des  Organis- 
ius  dar,  neue  Haarfollikel  und  Talgdrüsen  zu  bilden. 

Robert  McCarrison:  Die  Aetiologie  des  endemischen  Kreti- 
ismus,  kongenitalen  Kropfes  und  der  kongenitalen  Parathyreoid- 

rkrankung.  (Fig.)  (Ibidem.) 

Auf  Grund  früherer  Untersuchungen  kam  Verf.  zum  Schlüsse, 
ass  die  Ursache  der  Erkrankung  im  Intestinaltrakte  zu  suchen  sei 
urch  Lutterung  von  Ratten  mit  den  Fäkalien  oder  Darmbakterien- 
ulturen  kropfkranker  Menschen  gelang  ihm  die  experimentelle  Er- 
eugung  von  Kröpfen.  Von  der  Nachkommenschaft  dieser  Tiere  wur- 
en  4,i  Proz  als  Kretins,  63  Proz.  mit  kongenitalen  Strumen  und 
'  .  Parathyreoidveränderungen  geboren.  Es  ist  somit  nach 

nsicht  des  Verf.  erwiesen,  dass  Kretinismus  etc.  durch  den  Ueber- 
itt  von  Toxinen  aus  dem  Darm  der  Mutter  auf  dem  Embryo  entsteht. 

C.  Mansell  Moullin:  Die  Biologie  der  Tumoren.  (Ibidem.) 

Der  Hypothese  des  Verf.  zufolge  beruht  die  Tumorbildung  auf 
3r  in  allen  Zellen  des  Körpers  noch  schlummernden  Fähigkeit  zur 
sexuellen  Fortpflanzung.  Solange  die  für  die  normalen  Funktionen 
)tigen  chemischen  Reaktionen  ungestört  ablaufen,  bleibt  diese  Kraft 
tent  und  wird  erst  dann  frei,  wenn  ein  störendes  Element  (Arsen- 
ebs,  Blasenkrebs  bei  Anilinarbeitern,  Lungengeschwülste  in  Kobalt- 
.‘rgwerken,  Paraffinkrebs  etc.)  hinzu  oder  ein  normalerweise  nötiges 
Fortfall  kommt. 

.  )V-  Crofton:  Einige  Ursachen  der  Misserfolge  bei  der 
akzinetherapie.  (Lancet,  4.  IV.  14.) 

*  VRer/-,ist  v®m  Wert  der  Methode  überzeugt  und  zitiert  ausgezeich- 
■te  Erfolge  bei  chronischen  Staphylokokken-  und  Streptokokken- 
tektionen,  Pyorrhoea  alveolaris,  Puerperalfieber,  Typhus  etc.  Ur- 
ichen  des  Misslingens  sind :  1.  Mangelhafte  Reaktion  von 
- 1 1  e  n  des  Kranken  bei  fulminanten  Infektionen,  hohem  Alter, 
labetes,  Nephritis,  Kachexie  etc.  erfordert  eine  vorsichtige  Do- 
"  , n?;  Inkorrekte  bakteriologische  Diagnose 
nd  Verwendung  von  Stockvakzinen.  Bei  Mischinfek- 
JP?n1!st  es  besser,  die  Vakzine  von  der  Originalplatte  und  nicht  von 
iDkulturen  herzustellen;  es  bleibt  dadurch  die  Toxizität  der  Mikro- 
•n  ungeschwächt  erhalten  und  ihr  numerisches  Verhalten  zueinander 


ungestört.  3.  Schwierigkeiten  bei  der  Dosierung.  Es 
werden  häufig  zu  kleine  Dosen  gegeben.  Verf.  fängt  zwar  mit  kleinen 
P°oen  u-n’  crhoht  aber  selbc  allmählich,  besonders  bei  chronischen 
Lallen  bis  zu  6000,  8000  oder  sogar  30 000  Millionen.  4.  Schlechte 
i  n  t  e  r  v  a  1 1  i  e  r  u  n  g.  Eine  neue  Injektion  darf  erst  nach  Abklingen 
per  Reaktion  folgen.  Zu  lange  Intervalle  sind  besser  als  zu  kurze; 
je  grosser  die  Dose,  desto  länger  muss  gewartet  werden.  Zur  Ab- 
schwachung  starker  Reaktionserscheinungen  erhalten  die  Kranken 
a!n  Iage  •iaJch  der  Vakzination  1  ccm  der  S  z  e  n  d  e f  f  y  sehen  Jod- 
Menthol-Radiummixtur. 

.  .  9„J,ordan:  Geber  die  Röntgendiagnose  der  Lungentuber¬ 
kulose.  (Ibidem.) 

Eine  Röntgendiagnose  kann  am  frühesten  erst  im  Stadium  der 
penbronchialen  Infiltration  gestellt  werden.  Typisch 
Slad  verwaschene  Streifen  („mottling“),  die  vom  vergrösserten  Wur¬ 
zelschatten  in  radiärer  Richtung  ausstrahlen.  Die  Lungenspitze  wird 
erst  spater  ergriffen.  Das  peribronchitische  Stadium  macht  keine 
typischen  physikalischen  Symptome,  die  Frühdiagnose  ist  daher  nur 
dur?..  Röntgenuntersuchungen  möglich.  Andere,  wenn  auch  weniger 
verlasshche  Zeichen  sind  Verminderung  der  Zwerchfellsexkursionen 
und  Kleinheit  des  Herzschattens. 

i  •  E™~st  E-  1  y  u  m>  Armstrong  Rees,  Mildred  P  o  w  e  1 1  und 
Lissant  Uox:  Verbesserte  Methoden  zur  Standardisierung  von  Bak¬ 
terienvakzinen  in  Blutzählkammern.  (Bilder.)  (Ibidem  ) 

Nötig  sind  eine  Zählkammer  von  0,02  mm  Tiefe,  0,18  mm  dicke 
Deckgläser  (Carl  Zeiss)  und  zur  Färbung  und  Verdünnung  eine 
schwache  Karbol-Thioninlösung.  Die  Methode  ist  einfacher  und  viel 
genauer  als  die  W  r  i  g  h  t  sehe. 

Francis  LI.  Thiele  und  Dennis  Embleton:  Eine  Methode,  um 
die  Genauigkeit  und  Empfindlichkeit  der  Wassermannreaktion  zu  er¬ 
höhen.  (Ibidem.) 

Verfasser  verwenden  ein  durch  Autolyse  und  Extraktion  aus 
lierorganen  gewonnenes  cholesterinfreies  Phosphatid,  bei  wel¬ 
chem  der  an  ti  komplementäre  und  hämolytische 
Faktor  ganz  ausgeschaltet  sind,  und  grosse  Mengen 
Serums.  Der  Antigenwert  syphilitischer  Lebern  hängt  nicht  vom 
Spirochatengehalt  ab,  sondern  vom  Grad  der  Autolyse,  welchen  das 
ürgan  durchgemacht  hat.  Cholesterin  ist  ungeeignet,  da  es  auch  bei 
normalen  Sera  positive  Resultate  geben  kann.  Details  der  Me¬ 
thode  siehe  im  Original. 

(Ibidem3/011  Howard:  Der  theraPeutische  Wert  der  Kartoffel. 

.Verf-  verwendet  das  flüssige  Extrakt  äusserlich  bei  Synovitis, 
Gicht,  Rheumatismus  etc.  und  rühmt  seine  hervorragend  schmerz¬ 
stillende  und  aufsaugende  Wirkung. 

Ed.  Mapother  und  Th.  B  e  a  t  o  n :  Die  intraspinale  Behandlung 
der  Dementia  paralytica  nach  S  w  i  f  t  -  E  1 1  i  s.  (Lancet,  18  IV  14  ) 

4  Falle,  mit  Salvarsanserum  behandelt  und  5  Monate  lang  be¬ 
obachtet.  Es  wurden  nur  geringfügige  Besserungen,  wie  sie  ja  auch 
sonst  Vorkommen,  konstatiert.  Gegen  den  Erfolg  der  Behandlung 
spricht  jedenfalls  die  unveränderte  Intensität  der  Wassermannreaktion 
in  Blut  und  Liquor.  Auch  die  anderwätrs  veröffentlichten  Fälle 
sprechen  für  den  Misserfolg  des  Verfahrens. 

D.  Chalmers  Watson:  Die  Darmtoxämie  etc.  (Röntgentafel.) 
(Lancet,  25.  IV.  14.) 

o  ..Verf.  unterscheidet  3  Formen:  1.  die  neurasthenische  Gruppe, 
2.  die  Arthritis  deformans  und  3.  die  dyspeptische  Gruppe.  Die  Kot- 
Stauung  kann  im  unteren  Ileuin,  Zoekum  und  Colon  asc.  oder  Rektum 
gelegen  sein.  Auch  das  Duodenum  beteiligt  sich  sekundär.  Die  innere 
Behandlung  ist  nur  im  Frühstadium  aussichtsvoll,  bei  ihrem  Versagen 
geben  die  von  L  a  n  e  empfohlenen  Operationen  (Kurzschluss,  partielle 
und  totale  Kolektomie)  in  geübten  Händen  und  nach  gründlicher  Rönt¬ 
genuntersuchung  gute  Resultate.  Ihr  bleibender  Wert  steht  aber 
gegenwärtig  noch  auf  der  Probe. 

(IbidemS)Ph  E  Adams:  Das  Drainrohr  in  der  Bauchchirurgie. 

Das  Drainieren  der  n  i  c  h  t  infizierten  Bauchhöhle  ist  illusorisch, 
a  sich  das  Rohr  rasch  mit  Fibrin  überzieht  und  undurchgängig  wird. 
Dagegen  ist  Drainage  der  Bauchdecken  häufiger  nötig,  da  diese  weni¬ 
ger  bakterienwiderstandsfähig  sind,  als  das  Bauchfell.  Versuche 
zeigten,  dass  ein  bei  Peritonitis  eingelegtes  Rohr  zur  Bakterienaus¬ 
wanderung  aus  dem  Darm  und  Sekundärinfektion  führen  kann. 

Andrew  Bai f o ur:  Wilde  Affen  als  Reservoir  des  Virus  des  gel¬ 
ben  Fiebers.  (Ibidem.) 

Unter  den  Eingeborenen  West-Indiens  ist  der  Glaube  verbreitet, 
dass  einer  Epidemie  regelmässig  das  Absterben  zahlreicher  Affen  in 
den  Urwäldern  voraufgehe  Verf.  ist  daher  auf  den  Gedanken  ge- 
kommen,  dass  diese  Tiere  (red  howler  monkeys)  möglicherweise  das 
Reservoir  des  Virus  bilden  und  fordert  zum  Studium  dieser  Frage  auf. 

John  Ireeman:  Die  Vakzination  gegen  Heufieber.  (Ibidem) 

84  Kranke  wurden  in  den  letzten  3  Jahren  mit  Phleum-pratensc- 
Pr°Phylaktisch  geimpft,  und  zwar  die  überwiegende  Mehrzahl 
mit  völligem  Erfolg.  Die  aktive  Immunität  iiberdauernt  die  Behand- 
lung  um  mindestens  1  Jahr.  Kranke  mit  hereditärer  Tendenz  und 
schweren  konstitutionellen  Symptomen  und  Asthma  reagieren  besser 
als  solche  ohne  diese. 

MN  ciL  Akute  Todesfälle  bei  Säuglingen  und  Kindern 
mit  Status  lymphaticus.  (Tafeln.)  (Ed.  Med.  J„  Januar  1914  ) 

Die  Untersuchung  einer  Reihe  von  2-4  monatlichen,  anscheinend 


1702 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  3Ö. 


gesunden  Kindern,  die  plötzlich  tot  im  Bett  aufgefunden  worden  waren, 
ergab  mit  grosser  Regelmässigkeit  akute  Bronchopneumonien  und 
Hyperplasie  des  thymo-lymphatischen  Systems  und  d®r  ^remdea 
Die  Todesursache  war  somit  eine  fulminante  Bronchitis  und 
Bronchopneumonie  bei  Status  lymphaticus.  Völlig  identisch  waren 
die  Befunde  bei  der  in  englischen  Industrieschule 
demien  fulminanter  Lungenentzündungen  bei  lö—ibjahrigen  Knaben 
Auch  andere  Infektionen  (Scharlach,  Diphtherie)  scheinen  bei  Status 
lymphaticus  einen  rapiden  Verlauf  zu  nehmen.  Es  muss  somit  ein 
ursächlicher  Zusammenhang  vorliegen. 

Claude  Ker:  Die  Isolations-  und  Quarantäneperiode  bei  einigen 

kontagiösen  Krankheiten.  (Ibidem.)  Apr  «a„t 

Verf  stellt  beim  Scharlach  die  Infektiosität  der  Haut 
schuppen  in  Abrede.  Die  Kontagiosität  ist  nämlich  bereits  vor  Beginn 
der  Abschuppung  vorhanden  und  kann  diese  lang  überdauern,^ 
kninzidiert  gewöhnlich  mit  den  Veränderungen  der  Nasen-,  Rachen 
und  Ohrschleimhäute.  Die  übliche  Zeit  von  6  Wochen  kann  daher  bei 
unkomplizierten  Fällen  sehr  abgekürzt  werden  Als  Quarantäne  für 
Kontakte  genügen  5 — 6  Tage  (Maximum  der  Inkubationszeit).  Bei 
Diphtherie  kranken  ist  der  bakteriologische  Befund  ausschlag¬ 
gebend.  Kontakte  sind,  wenn  2  bakteriologische  Untersuchungen 
negativ  ausfielen,  zu  entlassen  (3 — 4  Tage).  Die  Kontagiositat .  der 
M  a  sern  ist  sehr  kurzlebig,  14  tägige  Isolierung  genügt  Ouarantane- 
periode :  15  Tage.  Der  Keuchhusten  ist  n  u  r  im  katarrhalischen 
Prodromalstadium  kontagiös,  eine  strikte  Isolierung  auf  der  Hohe 

der  ffil  BefaTe^kf'luberkunn.  das  Ra,,ona,e  seiner  An- 

Wendung  eto  M^J.^  Lid  den  L  vivo  entstehenden  Tuberkulo- 

toxinen  bestehen  wichtige  physikalisch-chemische 
die  Basis  der  T.R.-Therapie  zu  gelten  haben.  Die  2  Hauptbedingungen 
geringere  Giftigkeit  und  leichtere  Zerstörbarkeit  des  Moleküls 
durch  die  Zellen  -  sind  beim  Präparat  des  Verf.  erfüllt.  Versuche 
mit  Meerschweinchen  bewiesen,  dass  es  tatsächlich  imstande  ist,  die 

antituberkulösen  diastatischen  Funktionen  der ,  tlcnnders 

zuregen.  Beim  Menschen  wirkt  es  entfiebernd,  fuhrt  ganz  besonders 
bei  Knochenprozessen  und  intrafokaler  Anwendung  zur  Vernarbu  g 
und  ist  somit  tatsächlich  ein  spezifisches  Heilmittel.  Die  Misserfolge 
der  T.R.-Therapie  sind  nach  Ansicht  des  Verf.  darauf  zuruckzufuhren, 
dass  man  durch  grosse  und  häufige  Dosen  eine  aktive  Immunität  er¬ 
zeugen  will,  was  unmöglich  und  schädlich  ist.  Das  T.R.  muss  viel 
mehr  als  ein  Heilmittel  sens.  strict  betrachtet  werden.  Notig 
sind:  ausserordentlich  kleine  Dosen  (Optimumdosen),  vorsichtiges 
Steigen  und  Vermeidung  von  Reaktionen.  Je  früher  die  I.K.- 
Behandlung  beginnt,  desto  grössere  Aussicht  hat  sie.  Kontraindika¬ 
tionen  bilden  akute  Tuberkulosen  und  Fälle  mit  erschöpfter  Resistenz- 

lrlftWilliam  Robertson:  Die  Isolierung  beim  Scharlach.  (Ed. 

M  ^Unkomplizierte  Fälle  bleiben  durchschnittlich  nur  30—35  Tage 
im  Krankenhaus.  Eine  Vermehrung  der  neuen  Fälle  („return-cases  ) 
ist  nicht  eingetreten.  Fälle  mit  Nasen-,  Rachen-  und  Ohrkomplika¬ 
tionen  verbleiben  natürlich  länger.  Das  Mil  ne  sehe  Verfahren 
(Rachenpinselungen  mit  Acid.  carbol.  und  Einreibung  der  Haut  mit 
Ol  Eucalypt.),  durch  welches  Komplikationen  und  Neuansteckungen 
vermieden  und  die  Dauer  der  Isolierung  abgekürzt  werden  sollen, 
erwies  sich  bei  der  H  e  i  m  b  e  h  a  n  d  1  u  n  g  einer  grossen  Zahl  von 
Scharlachfällen  in  Leith  als  äusserst  wertvoll. 

A.  Philp  Mitchell:  Die  Milchfrage  in  Edinburg.  (Ed.  M.  J., 

AP”  Die  Milchproben  aus  201  Läden  der  Stadt  enthielten  41  mal 
(20  Proz )  Tuberkelbazillen.  Die  grosse  Häufigkeit  boviner  Infek¬ 
tionen  bei  Kindern  kann  daher  kaum  wundernehmen.  Die  bisherige 
tierärztliche  Inspektion  ist  unzulänglich,  zumal  bei  der  rein  klinischen 
Untersuchung  der  Kühe  viele  Fälle  übersehen  werden.  Zum  Ziele 
kann  nur  die  gründliche  bakteriologische  Untersuchung  der  Milch 
durch  das  Tierexperirnent  führen,  die  für  das  ganze  Königreich  gesetz¬ 
lich  vorgeschrieben  werden  sollte.  Ein  weiterer  Umstand,  der,  ob- 
gleich  von  untergeordneter  Bedeutung,  unter  den  heutigen  Verhält¬ 
nissen  doch  schwer  ins  Gewicht  fällt,  ist  das  Vorurteil  der  Bevöl¬ 
kerung  Schottlands  gegen  das  Sterilisieren  der  Milch. 

Charles  M’N  e  i  1:  Die  Skrofulöse  oder  die  Hypersensitivitat  gegen 
die  Infektion  mit  Tuberkulose:  ihre  Beziehungen  zum  Status  lym¬ 
phaticus.  (Ibidem.)  ,  ,  .  .  ,  ... 

Schlussfolgerungen:  Es  handelt  sich  bei  der  Skrofulöse  nicht 
bloss  um  eine  Abart  der  Tuberkulose,  sondern  um  eine  abnorme 
Konstitution  oder  Diathese  des  Körpers,  welche  zu  einer  Hypersensi- 
tivität  gegen  verschiedene  Infektionserreger,  am  häufigsten 
Tuberkelbazillen,  führt.  Diese  Diathese  ist  mit  dem  Status  lymphati¬ 
cus  identisch.  P- 

Inauguraldissertationen. 

Universität  Jena.  Juni  1914. 

Axt  Georg:  Statistische  Zusammenstellung  über  die  Häufigkeit  des 
Astigmatismus. 

Bergmann  Ernst:  Dauerresultate  nach  der  Alexander-1 
Adams  sehen  Operation.  a 

Krünitz  K.  H.  W.:  Entzündliche  Adnexerkrankungen  und  ihre  Be¬ 
handlung  in  511  Fällen. 


Kötter  Karl:  Untersuchungen  über  die  Ausscheidung  des  Salvarsans 
im  Urin  bei  verschiedenen  Arten  intravenöser  Injektion. 

Behrend  Alfred:  Ein  Fall  von  Prolaps  des  kreissenden  Uterus 
durch  eine  Bauchdeckenhcrnie  nebst  Aulzählung  ähnlicher  Falle. 

Kor  tu  in  Wilhelm:  Die  Bedeutung  der  Schwangerschaft  und  der 
Geburt  für  die  Entstehung  und  den  Verlauf  der  multiplen  ^  klerose. 

Universität  Würzburg.  Juni  1914. 

Ga  reis  Fritz:  Ueber  multiple  schmerzhafte  Lipome  mit  besonderer 
Rrriirksichtieung  etwaiger  Beziehung  zur  Iuberkulose. 

Jaenicke  Bernhard:  Ueber  Veränderungen  des  Blutes  nach  intra- 
‘  venösen  und  intramuskulären  Salvarsamnjektionen. 

Neumann  Jacques:  Venenpuls  und  Trikuspidalinsuffizienz. 


Auswärtige  Briefe. 

Brief  aus  Strassburg. 

(Eigener  Bericht.) 

Neubau  der  Krankenanstalten.  —  Säugllngsfürsorge. 

Im  Monat  Mai  d.  J.  sind  im  Bürgerspital  dahier  die  Arbeiten 
der  zweiten  Bauperiode  erledigt  und  die  nichtklinische  medizinische 
und  chirurgische  Abteilung  sowie  die  für  Hydrotherapie,  Heilgymnastik 
und  die  Röntgenabteilung  ihrer  Bestimmung  ubergeben  worden  D  e 
Gesamtkosten  einschliesslich  aller  Nebenanlagen  belaufen  sich i  auf 
etwa  3  Millionen  Mark,  die  chirurgische  hat  Raum  für  240,  die  med  - 
zinische  für  200  Betten.  Die  Abteilungen  sind  Korridorbauten  mit 
einem  Pavillon  für  die  chirurgische  Abteilung  als  Ergänzung  für  an¬ 
steckende  Krankheiten.  Die  Geschlechter  sind  flugeiweise  getrennt 
Untersuchungs-  und  Aufnahmeräume  sowie  die  Laboratorien  sind  als 
neutrale  Gruppen  dazwischengeschoben.  Für  die  Kranken  sind  aus¬ 
gedehnte  Liegehallen  direkt  an  die  Gänge  angeschlossen  und  ausser¬ 
dem  noch  besondere  frei  in  die  Gärten  gestellte  Liegeplätze  ur 
Sonnen-  und  Luftbehandlung  zur  Verfügung  gestellt.  Für  die  medi¬ 
zinische  Abteilung  ist  eine  eigene  Diätküche  eingenchtet,  die  einen 
Teil  der  Kranken  mit  Speisen  versorgen  soll  Die  Operationssale 
können  ganz  unter  Dampf  gesetzt  und  so  auf  das  gründlichste  des¬ 
infiziert  werden.  Ausserdem  ist  ein  besonderer  Unterdruckraum  von 
Interesse,  der  es  ermöglicht,  bei  Brustkorboperationen  in  der  einen 
Hälfte  einen  leichten  Unterdrück  zu  erzielen  trotz  fortgesetzter  Zu¬ 
führung  frischer  Luft.  In  der  Abteilung  für  physikalische  Therapie 
enthält  das  Badehaus  im  Erdgeschoss  einen  grossen  Badesaal  mi 
den  verschiedensten  Apparaten  für  therapeutische  Behandlung  und 
den  sonstigen  zu  verabreichenden  Bädern,  im  Obergeschoss  befinden 
sich  die  Inhalationsräume  sowie  die  für  Heissluftbehandlung,  im 
Erdgeschoss  des  Röntgenhauses  befinden  sich  Wohnungen  für  Arzt 
und  Hausmeister,  im  Obergeschoss  die  Räume  für  Untersuchung  un 
Behandlung,  die  auch  ein  Radiuminhalatorium  in  sich  begreifen,  nacn- 
dem  von  Staat  und  Gemeinde  ein  gewisser  Vorrat  von  Radium  er¬ 
worben  worden  ist,  welcher  den  Kranken  nutzbar  gemacht  werden 
soll  Ueber  beiden  Häusern  sind  grosse  Sonnenbadterrassen  ange¬ 
legt  Als  Chefärzte  der  neuen  Abteilungen  wirken  für  die  medi¬ 
zinische  Prof.  Dr.  Cahn,  für  die  chirurgische  Professor  Dr.  Stolz, 
nachdem  der  seitherige  Dirigent  Dr.  B  ö  c  k  e  1  zurückgetreten  ist 
und  für  Bade-  und  Röntgenabteilung  Privatdozent  Dr.  Die  1 1  e in. 
Zu  erbauen  sind  jetzt  noch  die  Gebäude  für  die  Ohren-  und  die 
für  die  Hautklinik,  deren  Pläne  fertiggestellt  sind.  Zahlenmässig  wird 
nach  seiner  Vollendung  das  neue  Spital  mit  den  alten  Gebäuden  zu¬ 
sammen  voraussichtlich  alle  deutschen  allgemeinen  Krankenhäuser 
übertreffen  und  in  seinen  Einrichtungen  den  besten  gleichkommen. 

Zu  gleicher  Zeit  wurde  die  neue  Säuglingsheilstatt  emit 
dem  Mütter  heim  eingeweiht.  Diese  liegt  auf  dem  ehemaligen 
Festungsgelände  vor  dem  Spitaltor  in  nächster  Nähe  bei  den  neuen 
Spitalbauten  auf  einem  von  der  Stadt  zur  Verfügung  gestellten  Bau¬ 
platz.  An  einen  dreistöckigen  Hauptbau  sind  zwei  niedrigere  Seiten¬ 
flügel  angeschlossen.  Im  Nordflügel  befindet  sich  ein  grosser  Warte- 
und  Vortragssaal  für  die  städtische  Ziehkinderfürsorge.  Die  Raume 
liegen  alle  so,  dass  die  Ambulanz  ein  abgeschlossenes  Ganzes  bildet. 
Im  Hauptgebäude  und  dem  Südflügel  liegen  zu  ebener  Erde  Aerzte- 
zimmer,  Geschäftszimmer,  Speisesaal  nebst  dem  Aufnahmebad  und 
der  Beobachtungsstation.  Im  ersten  Stocke  befindet  sich  das  Mutter¬ 
heim  und  die  eigentliche  Heilstätte  mit  der  Abteilung  für  kranke 
Kinder  und  dem  Raum  für  die  Frühgeborenen  und  einer  breiten,  nach 
Süden  offenen  Terrasse.  Der  zweite  Stock  dient  dem  Kinderheim, 
d.  h.  den  Rekonvaleszenten  und  Pflegekindern,  während  im  Dach¬ 
geschoss  die  Schwesternzimmer  und  die  für  das  Dienstpersonal  so¬ 
wie  die  Wäschereianlagen  untergebracht  sind.  Im  Keller  befinden 
sich  die  Kochküche,  Vorratsräume  sowie  die  Milchküchenanlage 
Zur  Heizung  dient  eine  Warmwasserheizung,  die  im  Frühge- 
borenenraum  und  im  Operationszimmer  durch  eine  Dampfheizung 
für  kalte  Tage  im  Sommer  ergänzt  wird.  Als  Lichtquelle  dient  der 
elektrische  Strom.  Die  Kinderzimmer,  mit  Ausnahme  von  4  Einzel¬ 
zimmern,  sind  durch  Glaswände  von  den  Korridoren  getrennt,  m 
der  Anstalt,  deren  Baukosten  sich  auf  etwa  230  000  Mark  belaufen, 
können  60  Kinder  und  12  Mütter  Aufnahme  finden. 

Fragt  man  nun  überhaupt  nach  den  seitherigen  Erfolgen  der 
Säuglings-  und  Mütterfürsorge,  die  in  Strassburg  im  Jahre  1900  ein¬ 
gesetzt  hat,  so  muss  in  erster  Linie  hervorgehoben-  werden,  dass 


28.  Juli  1914. 


Strassburgs  Säuglingssterblichkeit  1900-1913  bei  den  ehelichen  Kin- 
dtrn  von  22,9  I  roz.  auf  12  I  roz.,  bei  den  unehelichen  von  30,5  Proz. 
aut  12,5  Proz.  gesunken  ist.  Man  darf  wohl  als  ziemlich  sicher 
annehmen,  dass  für  diese  auffallend  günstigen  Zahlen  auch  noch 
andere  nunde  mit  im  Spiele  sind  als  die  seitherigen  Fürsorgemass¬ 
nahmen;  in  erster  Lime  wohl  die  soziale  Hebung  der  Arbeiterschaft 
insgesamt  und  nicht  zu  heisse  Sommermonate  in  den  meisten  Jahren 
der  Beobachtungsperiode.  Prof.  Dr.  Würt  z.  der  Leiter  der  seit- 
herigen  und  der  neuen  Heilstätte  vertritt  die  Ansicht,  dass  in  erster 
Reihe  die  ärztliche  Kontrolle  der  Ziehkinder  noch  früher  einsetzen 
müsse,  um  das  S  .Ilgeschaft  zu  beaufsichtigen  und  die  regelmässige 
Fürsorge  auch  auf  die  Kinder  verheirateter  Eltern  auszudehnen,  ins¬ 
besondere  auf  die  Kinder  derjenigen  Arbeiter,  deren  soziale  Lage 

6io  "°i!*  ^'fS  soII.u/n  so  leichter  sich  erreichen  lassen,  nach¬ 

dem  durch  die  Reichsversicherungsordnung  das  „Stillgeld“  eingeführt 
ist.  Line  weitere  Forderung  würde  darin  bestehen,  die  Säuglings- 

,nH  Se,len5  ' Vf*6«  fÜr  Kindcr  auszubauen,  welche  den  Eltern 
M ärztliche  Berater  bis  zum  Beginn  des  Schulbesuches 
\  erschafft.  Mit  dem  Letzteren  setzt  dann  die  schulärztliche  Tätigkeit 
ein  und  so  wurde  unsere  heranwachsende  Jugend  bis  zur  Schul¬ 
entlassung  ärztlich  überwacht  werden.  Es  sind  dies  Vorschläge,  die 
im  ersten  Augenblicke  etwas  weitgehend  erscheinen,  aber  doch  eine 
eingehendere  Würdigung  verdienen  angesichts  der  ganzen  Jugend¬ 
bewegung,  wie  sie  die  neueste  Zeit  hervorgerufen  hat. 

A  „ch^r,!ieJr  ,Stras?h"T* ,  ir!s  Auge  zu  fassen  ein  weiterer 

Ausbau  der  Milchkuche  mit  Rücksicht  darauf,  dass  die  Milchver¬ 
haltnisse  in  der  Stadt  namentlich  für  Kinder  und  Leidende  mancherlei 
zu  wünschen  übrig  lassen  und  ihre  Verbesserung  Hindernissen  be 
segnet,  die  zu  beseitigen  schwer  fallen  wird,  auf  die  aber  nicht 
naher  eingegangen  werden  soll.  Eine  Verbesserung  wird  wohl  da-  I 

Stint  F-reiiCht  w.erde,n,  können,  dass  man  in  verschiedenen  Teilen  der 
^tadt  Filialen  einrichtet,  welche  eine  einwandfreie  Kindermilch  zu 
massigen  Preisen  verabfolgt.  Schliesslich  hat  die  Anstalt  ™en  Zu¬ 
sammenschluss  aller  in  anderen  Städten  des  Reichslandes  bestehenden 
Bestrebungen  für  Sauglingsfürsorge  ins  Auge  gefasst  und  will  eine 

2.rf?n"1Sa  !?n  fur  das  ga.nze  Land  schaffen  und  dadurch  die  Hoffnungen 
erfüllen,  die  man  von  ihrer  bisherigen  Tätigkeit  erwartet.  W. 


MUFNCHFNFR  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


_ _ _ 1703 

orh-ian™  ain "  z.weifelt  an  dem  praktischen  Wert  der  vor- 

finsätS  ist  M  Arhle't  uS‘e  ei,n-fitis’  da  das  Probefrühstück  zu 
einseitig  ist.  „Arbeitskurven  erhalt  man  damit  nicht. 

nnrhctE  Ehrmann  empfiehlt  das  Alkoholprobefrühstück.  Auch 

veree/ellsdiXf.  i$‘  Mypersekre«°"  nlpht  mit  Hyper- 

Herr  Mosse  bestätigt  das  letztere. 

Herr  Skalier:  Schlusswort.  \ys 


Vereins-  und  Kongressberichte. 

Berliner  medizinische  Gesellschaft. 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzung  vom  22.  Juli  1914. 

•iente>I,0rn1i1eLTfgeS?!'dnun.g  demonstriert  Herr  Frank  einen  Pa- 

Äfiw Äzle' d,e  slch  lm  Anschlnss  an  e,n 

Tagesordnung: 

■vinkHger  Ky^ho^el  '  C  *  °  W '  SitUS  der  Thoraxeingeweide  bei  spitz- 

)arie?ten0ThnraIi0n  -ein%mit  Eormalin-Alkohol  gehärteten  und  prä- 
n  iS!  aTh?  d  nes  Menschen  mit  fast  spitzwinkliger  Kyphose 
n  Hohe  des  7.  Brustwirbels.  Man  sieht  besonders,  wie  die  Lungen 
hre  Konfiguration  der  Thoraxform  anpassen,  und  wie  dte  fast 
ei  n?hh  ,iiehgende  linkeEunge  mit  ihrer  Spitze  in  die  Konkavitä 

ch  £' dtelÄKfr  °BaS  1er?  1*  '»■»«trophisch  und  krümmt 
cS  der  •• *  des  Brastbeins  hinein.  Das  Rückenmark  passt 

lenrap  ^ochen.krummung  ohne  wesentliche  Störung  an.  Die  Sinus 

H5he  erhal,en'' s,e  werdM  "ich* 

:ÄÄÄr*  El"  ne“r  Apparat 

'hneller  WH^SSrte^FParaL  ^  d?zu  geeignet,  in  einfacher  und 
orS  t  lZUh  e“eü'  °b  überhauPt  eme  Refraktionsanomalie 
chXnHprn  i  d as  besonders  wertvoll  bei  der  Untersuchung  von 
,  ldern,  eine  Tatsache,  welche  Borchard  an  praktischen 
ntersuchungen  erhärten  konnte.  P  en 

ekretiorIskurtean!ler:  ^  Untersuchung  des  Magens  mittels 

Ät"  undUhteihf  1Sa°ind  v  mÜ  Tantalkapsel  wird  in  den  Magen  ein- 
aienUfr  ocb-  -b  *a  s  7e-weiIsonde  Iiegen-  Alle  5  Minuten  wird 
r  Sänrl^I  UF-d,  tltnert'  Durch  fortlaufendes  Registrieren 

^krotinn  iF  gCn  ,erhaIt  man  Kurven,  welche  den  Ablauf  der 

inne*  FlüssiSSf”  iaSS?n-’  kA'S  Problrfrühstück  dient  eine  homogene 
"  ®  Massigkeit.  5  g  Liebigs  Extrakt  in  200  g  Wasser  Die  Be- 

Ä^^agenm°tilität  wird  durch  Titration  nach  Zusatz  von 
thaieinlösung  ermöglicht.  Auch  über  die  Menge  der  fort- 
ufenden  Schleimproduktion  erhält  man  ein  gutes  Urteil  Demon- 
ssf  e?nlanreicheru  ”S.ekretionskurven“,  aus  denen  u.  a.  hervorgeht, 
Md zu  »hmbnucht  düTChaUS  nicht  mit  »yperaztdität  Hand  in 

H?rrt/,uld  we!st  darauf  hin,  dass  es,  schon 
ageninhalt  7,,  <fpdpn  Luftblasen,  schwer  sein  dürfte,  homogenen 

Ssslus^  demWDanrS‘  Wird  d,e  Beurteilung  auch  durch 

f  GninH^cifna  G !  -üterstreicht  die  Bedeutung  der  Sekretionskurven 
urund  seiner  früher  gewonnenen  experimentellen  Stützen. 


Verein  für  innere  Medizin  und  Kinderkeilkunde  zu  Berlin. 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzung  vom  13.  Juli  1914. 

Vorsitzender:  Herr  A.  B  a  g  i  n  s  k  y. 

Vor  der  Tagesordnung: 

Herr  Paderstein:  Dermoidzyste  der  Konjunktiva. 

Winkel  slt  ri?  PpS  recbten  Auges  nabe  dem  äderen 
S1tzt  ein  Gebilde,  das  wie  eine  Duplikatur  der 

Stzen  aber^äuüve  Dermoide  df  Conjunktiva  sind  nicht  selten, 
ptzen  aber  häufiger  im  inneren  Augenwinkel.  Der  Tumor  enthält 
t  und  hat  eine  kutisartige  Kapsel.  Er  ist  gutartig,  wächst  langsam 
aber  nicht  über  die  Hornhaut  und  bedingt  keine  Sehstörung  *  Ent¬ 
fernung  geschieht  nur  aus  kosmetischen  Rücksichten. 

Tagesordnung: 

hyppphe;iäreneSymp:tomDee„m0"S'ra,i0"  V°n  »^roKPhalusfällen  ml. 

in  i?ezuvHymThyF^!°rSCJUngu  hat  Ueindeutige  Resultate  ergeben 
in  bezug  auf  Fettwuchs  bei  hypophysenlosen  Tieren  und 

wergwuchs.  Freilich  sind  verschiedene  Krankheitsbilder  be¬ 
schrieben  worden,  z  B.  die  hypophysäre  Adipositas  bei  Tumor  der 
hinteren  Schadelgrube  und  der  Vierhügelgegend,  bei  Hydrocephalus 

an^dfp  (^fningltls  s^rosa)-  Umber  hat  die  allgemeine  Fettsucht 
aiUJ  Erkrankung  der  Hypophyse  bezogen;  weniger  häufig  wurde 
-ie  bei  chronischem  Hydrozephalus  beschrieben. 

Ein  kleiner  Knabe  mit  L  i  1 1 1  e  scher  Starre  ist  eine  Zangen¬ 
geburt,  er  hat  Hydrozephalus  von  Jugend  auf;  das  Leiden  ver 

sch  Ser  nidh  S  wurde  grösser,  Kopfschmerzen  und  Gang 
c  hl  echt  er.  Deutliche  Spasmen  der  Adduktoren  und  der  Beine 

de?  SeUaSlca  Fettsucht  PöntSenbild  zeigt  Vergrösserung 

mii  ?eirpweite^u^e  !?at  einen  Scbädelumfang  von  59  cm.  Er  kann 
f™1,  3  Jabr?n  nicbt  laufen,  spricht  und  hat  deutliche  Fettsucht,  die 
früher  starker  war.  Der  Balkenstich  war  erfolglos.  Hier  ist  die 
Sella  turcica  nicht  verändert. 

i3Hi»Her  ap,Pu  der  Hypophyse  gilt  in  solchen  Fällen  als 

Ä,  Streit  besteht,  ob  der  Hinterlappen  oder  die  Pars  intermedia 
das  Sekret  liefert,  welches  den  Zucker  verbrennt  oder  der  Fettsucht 
dFlSHwaiibeitet'  Man  kann  auch  vermuten,  dass  die  Schädigung 
ebi  ReknieiaPPnLS  J°r  d  °h  ?eht;  gerade  Hydrozephalus  bfete^ 

l  "°neis.p'  ,  fD  h-?  ikret  deI  Pars  mtermedia  zieht  durch  den  Hinter- 
lappen  ms  Infundibulum  und  von  da  in  den  Liquor  cerebrospinalis- 
durch  den  Hydrozephalus  wird  das  Infundibulum  abgeknickt  und  die 
Massen  gelangen  nicht  in  den  Liquor  oder  bei  Verschluss  des  Foramen 
Magendie  nicht  in  den  Körper.  Hier  braucht  die  Sella  turcica  nicht 
vergrößert,  die  Hypophyse  nicht  deutlich  geschädigt  zu  sein.  Der 
Bmstg1^appen  scheinf  durch  die  anatomische  Lage  sehr  geschützt 

Ein  Zwerg  hatte  hypophysäre  Symptome,  Fettsucht,  wenig  Be- 

RpV.rUr!n’  erbobt^.n  Bruck  des  Liquors.  Wassermann  positiv;  nach 

de?  SfhR  ^Urdl  dnr  Zustand  beAs„ser-  Für  Hydrozephalus  spricht 
der  erhöhte  Druck,  dagegen  die  Möglichkeit  einer  gummösen  Er- 

kränkung  der  Hypophyse.  Kongenitale  Lues  führt  leicht  zu  Hydro¬ 
zephalus.  Der  Blutzuckergehalt  betrug  auch  hier  0  12 

4‘  iTst,ein  9  jähriger  Knabe;  er  erkrankte  nach  Fall  auf  den 
Kopf  vor  3  Jahren.  Erhebliche  Ataxie;  breitbeiniger  Gang  Schwan¬ 
ken  beim  Umdrehen,  deutliche  Fazialisschwäche,  Nystagmus,  Abdu- 
zens-  und  Okulomotoriusparese,  Sehnervenatrophie,  spastische  Er 
scheinungen  an  den  Beinen,  besonders  links.  Fussklonus,  Babinski 
Achillesreflexe  gesteigert.  Wassermann  negativ,  Pirquet  positiv 
Das  Kind  ist  klein  rhachitisch,  mässiger  Fettbauch.  Zu  denken  St  an 
r  i  e  d  r  e  i  c  h  sehe  Krankheit.  Hier  kann  Gross-  und  Kleinhirn  er- 

ty30^  h -an‘r  Dagegen  spricht  der  Zwergwuchs,  auch  die  Fettsucht 
D  e  Schadeiimpressionen  sind  sehr  stark,  die  Nähte  offen.  Gegen 

rT°aren  MCr  S,chade  böhle  spricht  die  3  jährige  Dauer  des  Leidens 
und  der  Mangel  an  Kopfschmerzen.  Stauungserscheinungen  fehlen 

trrUkTäSendere^enSUdeneHenHd  ^h^i  aucbdi^  hypophysären  Symptome 
erklären,  ebenso  den  Hydrozephalus.  Vielleicht  besteht  ein  kleiner 

rumor,  der  den  Aquaduktus  komprimiert  und  Hydrozephalus  bedingt. 

„  ,  Za  betonen  ist  die  Häufigkeit  der  Exazerbationen  des  chronischen 

^yhtrShalUS;K  °er ,.Balkenstich  bringt  keinen  Vorteil.  Die  Wirkung 
geht  bald  vorüber;  die  Ableitung  bleibt  nur  2—3  Monat  offen  Der 

SSSlS?  AM,°ZeSS  ubleibt-  ,  Heilung  des  Hydrozephalus  verlangt 
dauernden  Abfluss.  Payr  leitet  ihn  in  die  V.  jugularis  ab  andere 

Vortr ^a rh eltef3 7k  ins  P^ncum;  aber  die  Eingriffe  sind  erhebüch 
vortr.  arbeitet  zurzeit  an  diesem  Problem. 

•n  ■  • i  S  u  U-  '  0  n-:  Berr  A-  B  a  g  i  n  s  k  y  sah  schweren  Diabetes 
msipidus  bei  Gummi  der  Hypophyse.  ^laueics 


1704 


MIJENCHENEK  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT^ 


Nr.  30. 


H<>rr  P  p  r  i  1 7  (Schlusswort)  sah  bei  Kranken  nie  Diabetes 
insiDidtis  dagegen  bei  Versuchstieren.  Bei  Hydrozephalus  bestehen 

Diabetes  imipidus  ist  aber  eme  Re.zerschet- 

'^DUkus'sfon  zum  Vortrae  des  Herrn  Stier:  Abgrenzung  und 

fTÄÄ-Äwnnsd.:  Ist  es  möglich,  den  Be- 

griff  Hdes  neuropathischen  Kindes  mit  d%d%fPds^^ 

....  verauicken?  Hauptpunkt  ist  der  Begriff  der  Uepererreg 
b  irkcit  Herabsetzung  der  Reizschwelle  auf  allen  Gebieten  sensibler- 
„nsnrischer  Art  Schon  auf  schwache  oder  mittelstarke  Reize  er- 

Ä  g&Ä  bei  LÄ 

Be chte"  ewTa.  ist 'anzunehmen!1^ das^ °dfc 'tfc^n^e  Reflexerreg- 
U'irtfpit  in  Zusammenhang  mit  der  neuropathischen  Storung  steht.  I 

sind ^  pathologisch,  nicht  anslösbar,  Perseveratton 

vm  Pathologischen  Gewohnheiten,  Daumenlutschen  Ohnmacht  bei 
Anblick  von  Blut,  Krämpfe  bei  Uebererregbarkeit,  hässliche  Ang  - 

wohnheitem  t  abgrenzbar;  dazu  gehören  nicht  Triebstörungen, 
Schmutzfressen,  Scheu,  Wutanfälle,  Gewitterfurcht,  das  ist  psycho¬ 
pathisch.  Abzugrenzen  sind  ferner  Störungen  der  Intelligen  . 

"  Herr  Peritz:  Zu  den  neuropathischen  Kindern  gehören  die  spas- 
moDhilen  selbst  bei  älteren  fällt  oft  die  elektrische  Erregbarkeit  auf, 
sie  sind  meist  schlank,  die  Muskulatur  schlaff;  idiomuskularer  Wulst 
bei  Beklopfen  die  Haut  ist  kühl.  Die  Kinder  frieren  viel,  Hände  und 
Eüsse  sind  kalt,  Arterien  starr  (hypertonische  Wandspannung).  Sie 
zeigen  Uebergang  zur  Epilepsie,  Zwangsideen,  Tik,  körperlich  ner- 
föse  Zeichen  Kopfschmerzen,  Unruhe,  Aufgeregtheit  und  sehr 
häufig  Asthma  nervosurn,  das  vielleicht  Aequivalent  früherer  Glottis 
krämpfc  ist.  Das  ist  erblich.  Diese  Kinder  neigen  auch  zu  Migräne. 
Das  Blutbild  ist  abnorm;  es  enthält  Leukoblasten  (Pappenheim), 

1  vmDhozvten  des  Knochenmarks,  Reizungszellen. 

3  Herr  Stier  (Schlusswort)  sieht  nur  ältere  Kinder,  spasmoplnle 
Säuglinge  "gar  nicht.  Zuweilen  kommen  Kombinationen  vor,  z.  B. 
Psychopathen  mit  geringem  Triebleben,  die  nicht  essen,  immer  Furc  t 
haben  hitellektuell  frühreif,  mit  Sorgen  in  die  Zukunft  sehen,  Sonst 
ist  die  Trennung  durchführbar.  Kopfschmerzen  gehören  zur  Hydro¬ 
zephalie.  Aber  auch  übermüdete,  faselige,  überanstrengte  Neuro- 

Pllth  Eüf'uebergang  zqr  Epilepsie  ist  nicht  zu  finden. 

Herr  Falk:  Zur  Therapie  des  Tetanus  neonatorum, 
ln  den  Tropen  ist  Tetanus  neonatorum  noch  ziemlich 
häufig  hier  selten.  Im  Kaiser-Friedrich-Kinderkrankenhaus  sah  ei 
3  Fälle  in  4  Monaten.  Die  Aussicht  auf  Heilung  ist  sehr  gering. 
Er  behandelte  sie  nach  dem  Vorschläge  der  Amerikaner  mit  sub¬ 
kutanen  Magnesium  sülfur. -Injektionen;  2  Fälle  sind  d^chgekommen 
der  dritte  steht  am  Ende  der  Behandlungszeit.  Meitzer  emptani 
zuerst  Magnesium;  es  lähmt  Muskeln  und  Sensibilität;  Bewusstlosig¬ 
keit  und  Atemlähmung  können  folgen.  Die  tödliche  Wirkung  lasst 
sich  bei  subkutaner  Injektion  durch  Injektion  von 
nufheben  Bei  Tetanus  der  Erwachsenen  wurde  es  mit  Erfolg  mtra- 
himbsüund  subkutan  angewandt;  im  zweiten  Falle  war  die  Mortali¬ 
tät  ü  Proz.  Diese  Injektionen  bewirken  keine  Atem  ahmung.  (Es 
folgen  die  3  Krankengeschichten.)  Magnesium  wirkt  krampfhemend, 

n^Beide^wlrlfen^abe^beEspasmophilie  krampfhemmend.  Wahr- 
scheinlich  sind  die  Angriffspunkte  des  Kalziums  verschieden.  Be 
Spasmophilie  erfolgt  der  Angriff  zentral  Bei  Tetanus  sind  die  An¬ 
sichten  sehr  uneinig.  Auffallend  ist,  dass  die  Wirkung  des  Magne¬ 
siums  bei  dem  ersten  Falle,  der  keine  starke  Reflexerregbarkeit 
zeigte  besser  war.  Meitzer  empfiehlt  eine  Kombination  von 
Aether  mit  Magnesia  zur  Narkose,  weil  es  zentral  wirke;  er  nimm 
bei  Depressionen  eine  Störung  des  Verhältnisses  der  Mengen  van 
Magnesium  und  Kalzium  an;  er  machte  Tiere  kalziumarm  und  erzielte 
hier  mit  kleinen  Mengen  Magnesia  Wirkungen,  für  die  er  sonst  grosse 
brauchte.  Vielleicht  ist  die  Kombination  von  Chloral  mit  Magne- 

^Vortr  injizierte  nur,  wenn  die  Magnesiumwirkung  zu  Ende  war, 
d  h.  neue’ Krämpfe  kamen;  zu  warnen  ist  vor  zu  hohem  Fieber,  weil 
dieses  wohl  den  Ausscheidungsmodus  stört.  Hohe  Magnesiumgaben 
empfehlen  sich  nicht  im  Privathause.  Solche  Falle  sind  früher  durch¬ 
weg  gestorben.  Die  Konzentration  der  Magnesiainjektionen  betrug 
5 _ g _ 25  Proz.  Im  3.  Fall,  der  leichter  war,  genügten  kleine  Mengen 

vonkommen,  ss  ion;  Herr  Fink  eist  ein:  Die  Prognose  des  Teta¬ 
nus  hängt  von  der  Dauer  der  Inkubation  ab.  Die  Falle  mit  langer 
Inkubationszeit  sind  günstiger.  Seine  Fälle  sind  glatt  geheilt;  Magne- 
sium  benützte  er  nicht.  Letzteres  erzielte  keine  Verkürzung  des 
Verlaufes.  Der  wichtigste  Vorteil  ist  die  Ausschaltung  der  gefahr- 
liehen  plötzlichen  Stösse.  Seine  Todesfälle  erfolgten  im  Anfall,  auch 
wenn  es  schon  besser  ging.  Die  Prognose  bessert  sich  jedenfalls 
durch  dieses  Mittel.  Natürlich  muss  man  Superinfektionen  (Pneu¬ 
monien)  und  Inanition  in  Rechnung  setzen. 

Herr  Czerny  bezweifelt,  dass  der  Tetanus  neonatorum  eine 
Infektionskrankheit  ist.  Daraus  erklärt  sich  auch  der  Heilerfolg.  Es 
ist  eine  Krankheit  der  Neugeborenen,  die  in  extremer  Neigung  zu 


Muskelzuckungen  besteht.  Die  geheilten  Fälle  müssen  länger  als  bis¬ 
her  in  Beobachtung  bleiben. 

Herr  Falk  hat  nicht  auf  Bazillen  gefahndet. 

Herr  A.  B  a  g  i  n  s  k  y  sah  einen  Fall,  bei  dem  er  Kitasatobaz.llen 

nachwies.  Der  I  etanus  ist  infektiös.  Tetanus  Aber  der 

Herr  Finkei  stein;  Nicht  jeder  Fall  ist  1  etanus  aoer  aer 

echte  Tetanus  ist  infektiös;  dafür  spricht  die  Häufigkeit  in  den  der 
Hygiene  entbehrenden  Tropen  und  die  klinische  Uebere.nst.mmung 

mit'  dem  Tetanus  der  Erwachsenen.  ,  ,  .  , 

Sr  eiern  v:  Auch  In  neuerer  Zeit,  wo  der  Nabel  ttut  be- 
handelt f  wird,  kommt  die  Krankheit  in  den  Tropen  oft  vor.  Der 
Bazillus  ist  bei  Erwachsenen  leicht  fcstzustellen. 

Herr  Fa  k:  Die  Kinder  hatten  keine  schweren  Darmerschei¬ 
nungen  schleimiger  Stuhl  kam  2-3  mal  täglich  vor.  Nur  dieKalzium- 
einsprit’zungen  setzten  Reizerscheinungen,  einmal  folgte  eine  Haut- 
nckrose  bei  25  proz.  Lösung.  Den  10  proz.  Injektionen  folgten  me 
Nekrosen  Wichtig  ist  die  Verhütung  des  Hungerns  durch  diese 
TheraDie!  Die  Fütterung  muss  alle  Viertelstunden  versucht  werden. 
Auf  der  Höhe  der  Magnesiawirkung  trinken  die  Kinder  schlecht,  Mel¬ 
leicht  infolge  einer  Schlucklähmung.  Krämpfe  entstehen,  wenn  man 
zu  spät  füttert.  _ _ _ 


Verein  Freiburger  Aerzte. 

(Eigener  Bericht.) 


Sitzung  vom  25.  Juni  1914. 


Herr  Langer  und  Taege:  Theoretische  Gesichtspunkte  zur 

Bewert^  ^2^  ist  aucjj  heute  noch  gewissen  Unsicherheiten,  die  sich 
aus  der  Technik  ergeben  müssen,  ausgesetzt,  deren  Kenntnis  für  den 
Praktiker  von  grossem  Wert  ist,  wenn  er  die  t-rgeLmisse  der  sero¬ 
logischen  Untersuchung  sinngemäss  verwerten  will.  Difterenzen  in 
der  Technik  der  einzelnen  Untersucher,  wie  die  Anwendung  von 
Extrakten  verschiedenster  Herkunft  und  Bereitung  können  Unter¬ 
schiede  in  den  Resultaten  erklären.  Berührung  mit  Watte,  über¬ 
mässig  langes  Aufheben  der  Sera  namentlich  bei  bakterieller  Verun¬ 
reinigung  können  zu  unspezifischen  Hemmungen  fuhren.  Ein  Schwan¬ 
ken  des  serologischen  Befundes  bei  ein  und  demselben  Patienten  er¬ 
klärt  sich  durch  die  Erscheinung  der  paradoxen  Sera,  bachgema.se 
Blutentnahme  vorausgesetzt,  kann  der  positive  Befund  als  beweisend 
angesehen  werden,  wobei  allerdings  immer  berücksichtigt  werden 
soll,  dass  die  kleine  Reihe  von  nicht  syphilitischen  Erkrankungen 
mit  positivem  Wassermann  durch  gelegentliche  Befunde  erweitert 
werden  kann,  so  sind  die  Verhältnisse  etwa  bei  Bleivergiftung, 
Angina  Vincenti  noch  nicht  einwandfrei  geklärt.  Aus  diesem  Qjailde 
kann  der  Serologe  noch  nicht  der  offenen  Mitarbeit  des  I  rakfikers 

Quantitative  Bestimmungen  sind  im  allgemeinen  deshalb  zweck¬ 
los,  weil  kein  Parallelismus  zur  Schwere  der  Erkrankung  besteht, 
sie  können  höchstens  im  Einzelfalle  als  Sinnbild  des  therapeutischen 

Effektes  verwertet  werden.  •  ,  .  ,  „ 

Herr  Taege  besprach  die  Gründe  für  die  verschiedene  Beurteilung 
des  gleichen  Serums  durch  verschiedene  Untersucher  und  ist  der  Mei¬ 
nung,  dass  einheitliche  Resultate  erst  erreich  werden  konnten,  wenn 
die  biologische  Untersuchungsart  durch  die  chemische  ersetzt  werde 
Er  ist  überzeugt,  dass  in  unseren  Breiten  positiver  Was^mann  ein¬ 
deutig  Syphilis  bedeute,  führt  aber  einen  Fall  eigener  Praxis  an. .in 
dem  völlig  syphilisfreier  Patient  positives  Serum  batte  das  allerdings 
nach  6  Wochen  wieder  negativ  war.  Negativen  Blutbefund  sieht  er 
nur  dann  als  Gesundheitszeichen  an  wenn  dieser  sich  konstant,  bv 
häufigen  Untersuchungen,  über  2  Jahre  erhalt.  Es  gäbe  aber  seltc 
Fälle  von  isolierten  Syphiliseruptionen,  die  trotzdem  negativ  reagier¬ 
ten.  Eine  Lokaldiagnose  bedeute  der  Wassermannbefund  niemals, 
sei  aber  immer  eine  wichtige  Unterstützung  der  klinischen  Unter¬ 
suchung.  Zum  Schluss  lässt  er  sich  aus  über  das  prozentuak  Auf¬ 
treten  der  positiven  Reaktion  in  den  einzelnen  Stadien  der  bypniHs. 
Angefeindet  wurde  die  Untersuchung  von  vielen;  vermissen  mochte 
sie  niemand. 


Diskussion:  Herr  Hauptmann:  Die  quantitative  Au« 
führung  der  W  a  s  s  e  r  m  a  n  n  sehen  Reaktion  hat  doch  entgegen  den 
Ausführungen  von  Herrn  Langer,  für  die  Spinalflussigk 
schieden  ihre  Berechtigung.  Der  Liquor  verhalt  sich  eben  ander 
als  das  Serum,  von  dem  grössere  Mengen  nicht  anwendbar  sind,  « 
sie  Eigenhemmung  bewirken;  für  den  Liquor  hat  H.  ja  über  v 
gewiesen,  und  vielfache  Nachuntersucher  haben  das  bestätigt,  das- 
eine  Steigerung  der  Mengen  angängig  ist,  und  dass  sie  in 
den  Fällen  notwendig  ist,  wo  in  den  üblichen  Mengen  (0,2  ccm;  zu 
wenig  syphilitische  Antikörper  vorhanden  waren,  um  eine  posinu 
Wassermannreaktion  zu  erzielen.  Da  unspezifische  Hemmungen 
Vorkommen,  kann  jetzt  auch  der  negative  Ausfall  der  Reaktion  de 
Spinalflüssigkeit  im  Sinne  eines  Ausschlusses  eines  syphilogene 
Zerebrospinalleidens  verwendet  werden,  was  vor  Anwendung  a 
„Auswertungsverfahrens“  nicht  möglich  war.  Vorsicht  ist  nur  d 
Tabes  geboten,  wo  die  Reaktion  selbst  bei  Verwendung  der  5tacr 
Menge  negativ  ausfallen  kann.  Sehr  wertvoll  ist  die  Anwendum 
der  Methode  zur  Diagnose  inzipienter  Fälle  von  Paralyse  und  tut 

cerebrospinalis.  ,  ,  ....  „ 

Eine  einzige  Kombination  bedingt  die  Möglichkeit  eines  pos 
tiven  Ausfalles  der  Liquorreaktion,  ohne  dass  eine  syphilogene  zeri 


28.  Juli  1914. 


MDhNcHFNFR  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


brospinalerkrankung  vorliegt:  das  ist  die  Meningitis  (tuberculosa  oder 
epidemica)  bei  einem  Syphilitiker:  in  solchen  Fällen  können  infolge 
Jer  erhöhten  ermeabilität  der  Meningealgefässe  Antikörper  aus  dem 
Blute  in  den  Liquor  übertreten. 

H.  nimmt  Gelegenheit,  die  praktischen  Aerzte  auf  den  Wert  der 
Liquoruntersuchung  bei  frischer  und  sekundärer  Lues  aufmerksam 
zu  machen.  Auch  ohne  signifikante  Symptome  seitens  des  Zentral¬ 
ere  ensvstems  kann  hier  der  Liquor  hochgradig  verändert  sein,  was 
unbedingt  auf  ein  Ergriffensein  des  Gehirns  resp.  des  Rückenmarks 
nnweist.  Die  spezifische  Behandlung  muss  so  lange  fortgesetzt 
\  erden,  bis  auch  der  Liquor  wieder  normal  geworden  ist,  was  erst 
,icl  später  einzutreten  braucht,  als  das  Verschwinden  der  Haut-  und 
"crileimliauterscheimingen.  Man  riskiert  bei  ungenügender  Behand¬ 
lung,  -  pirochaten  im  Zentralnervensystem  zurückzulassen,  die  mög- 
ichcrweise  dann  die  Veranlassung  werden  zum  Auftreten  späterer 
:chtsyphihtischer  oder  der  sogen,  metasyphilitischen  Prozesse. 


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biologische  Abteilung  des  ärztlichen  Vereins  in  Hamburg. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  21.  April  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Plate. 

Schriftführer:  Herr  y.  Engelbrecht. 

Herr  Delbanco  zeigt  1.  ein  14jähr.  Mädchen  mit  der  seltenen 
Ufektion  der  Pili  annulati  (Ringelhaare).  Für  die  Haarveränderung 
nden  Slcj3  in.  Per  Literatur  die  Bezeichnungen:  Intermittierendes  Er- 
rauen,  Canitie  annelee,  Leukotrichia  annularis,  Trichinosis  ver- 
icolor.  1  ie  blonden  Kopfhaare  erscheinen  bei  auffallendem  Lichte 
rau,  die  einzelnen  Haare  feingekörnt.  Es  handelt  sich  um  ein  in 
estimmten  Abständen  wiederkehrendes  Auftreten  von  Luft  in  der 
larksubstanz.  An  den  lufthaltigen  Stellen  wird  eine  Verdickung  des 
aares  vorgetäuscht,  welches  in  seiner  ganzen  Länge  den  gleichen 
iCKendurchmesser  hat.  Die  Affektion  verläuft  symptomlos,  ist  einer 
herapie  nicht  zugangig.  D.  demonstriert  eine  Abbildung  aus  U  n  n  a  s 
iternationalem  Atlas  seltener  Hautkrankheiten  von  Unnas  Fall, 
elcher  mit  einer  Leukonychie  vergesellschaftet  war.  Die  Literatur 
ndet  sich  in  Josephs  ,, Haarkrankheiten“  zusammengestellt 

2  Zeigt  er  einen  19  jährigen  Menschen  mit  einer  Anzahl  von  aus- 
eilenden  Herden  der  Alopecia  areata.  Pat.  war  wegen  bedrohlichen 
s,  es  m  Eppendorf  operiert  worden.  Ein  Talma  mit  nachfolgender 
alvarsan-Hg-Kur  hat  ihn  bedeutend  gebessert.  Bei  der  Operation 
ar  .j!ie  Leber  derb  und  grobhöckerig  befunden  worden.  Unter  der 
rezitischen  Therapie  waren  die  bis  dahin  einer  Beeinflussung  nicht 
rgangigen,  seit  langem  bestehenden  Herde  schnei!  der  Heilung  ent¬ 
egengebracht  worden.  Analog  einer  früheren  Beobachtung  ausge- 
■  Alopecia-areata-Herde  bei  hereditärer  Lues  (Dermat  Wschr 
109)  nimmt  D.  auch  in  diesem  Falle  einen  Zusammenhang  der 
yphilis  mit  der  Haaraffektion  an  und  damit  ihre  trophoneu- 
otl.s.?he  bzw.  nervöse  Grundlage.  Die  Anhänger  der 
irasitaren  Theorie  müssen  ihrerseits  annehmen,  dass  die  zufällige 
omplikation  so  hartnäckig  sei,  weil  sie  auf  geschwächtem  Terrain 

3.  berichtet  er  über  einen  höchst  instruktiven  Fall  von  Tricho- 
lomame  bei  einem  16  jähr.  Mädchen.  Das  keinerlei  hysterische 
iichen  auf  weisende,  ernste  und  arbeitsame  Mädchen  verlor  wieder- 
)"  samtliche  Zilien  und  Augenwimpern  über  Nacht  Die 
atientin  sah  in  ihren  wimper-  und  zilienfreien  Zeiten,  während 
elcher  eine  ganze  Anzahl  von  Aerzten  konsultiert  wurden,  sehr 
itstellt  aus  D.  selbst,  der  von  dem  Verdacht  einer  artifiziellen 
-tiadigung  zuruckgekommen  war,  konsultierte  Felix  Pinkus  in 
,m-  welchem  auf  Grund  sorgfältiger  Studien  der  Haare  und  Fol- 
•elmundungen  der  Nachweis  der  traumatischen  Aetiologie  gelang 
Patientm  ist  jetzt  im  bleibenden  Besitze  ihres  Haarschmuckes, 
mallend  bleibt,  dass  Patientin  die  Abkapming  der  Haare  an  den 
istrittsonnungen  ohne  Verletzungen  der  Haut  gelang. 

Diskussion:  Herr  Plaut  bemerkt,  dass  differentialdiagnos- 
cn  kaum  Verwechslungen  Vorkommen  können,  da  alle  anderen 
urabnormitaten  wie  Pili  laqueati,  Aplasia  pilorum  moniliformis, 
lUiomycosis  palmellina  und  Trichorrhexis  nodosa  Knotenbildung 
er  unebene  Konturen  erkennen  lassen,  während  bei  der  vorliegen- 
n  Affektion  die  Ränder  der  Hare  absolut  gerade  und  glatt  er- 
oeinen.  Das  fleckweise  Ergrauen  ist  äusserst  selten,  was  schon 
raus  hervorgeht,  dass  von  den  wenigen  Publikationen,  die  darüber 
■stieren,  mehrere  über  denselben  Fall  gemacht  wurden  und  zwar 
naaren,  die  in  der  Anatomie  in  Greifswald  aufgehoben  werden. 

'  .  er  kurzen  Besprechung  der  praktisch  am  wichtigsten  Trichor- 
-xis  nodosa  macht  P.  darauf  aufmerksam,  dass  in  der  Literatur 
•nrtach  behauptet  wäre,  dass  sich  dieselbe  Affektion,  Zersplitte- 
^VOrgf,nge  lu.cb  in  toten  Haaren,  besonders  Rasierpinseln,  ab- 
een  sollen.  Die  Ansicht  besteht  zu  Recht.  Plaut  demonstriert 
h°  ,PinseI  und  ein  mikroskopisches  Präparat  davon,  das  ab- 
ui  aen  Bildern  entspricht,  die  man  gewohnt  ist,  bei  trichorrhek- 
-nen  Schnurrbarthaaren  zu  sehen. 

t  ^  a  *  bemerkt  zu  der  von  Delbanco  erwähnten  Alopccie 
iiaire,  dass  sie  seinen  Erfahrungen  nach  eine  bedeutende  Rolle  in 
•  Cp-n  ie  ^er  Area  Celsi  spiele.  Er  führt  mehrere  hierher  ge- 
ige  falle  an  und  macht  besonders  darauf  aufmerksam,  dass  auch 
ischinen  zur  Korrektur  der  Stellung  der  Zähne  bei  Kindern  Ver- 


anlassunji  zu  zirkumskripten  Kahlheiten  der  Kopfhaut  geben  können 

Fällen^0  nev twe!llger  Herausnahme  der  Haarwuchs  in  manchen 
rauen  schnell  wieder  vollständig  wird. 

lollvlarn  H  3  "  s  !  "  K  demonstriert  ein  Blutpräparat  mit  zahlreichen 

w  S  ,  ’i  nCS  nCI  e'nem  FaM  von  Perniziöser  Anämie  ge- 
3  "  ^  ^er  Pat.  hatte  s‘ch  anfangs  bei  Behandlung  mit 
Salzsaureptpsin  und  Natr.  cacodylicum  etwas  gebessert  und  an  Ge- 

wesentlirher,f-men  ’obwohl,  der  Hämoglobingehalt  des  Blutes  nie 
A usstrich nrf r-? fCn  Wf  U,nd  nur  Kanz  vereinzelte  Erythroblasten  in 
d  Mn  t  Befunden  wurden.  Da  der  Zustand  sich  nach 

gemacht  DnnSn  ?  verschlechterte,  wurde  die  Milzexstirpation 
Lmn  nn  r  ilezf  Cme  Ausschwemmung  enorm  zahlreicher 
zei  f  i  fenden  ^leKaIob,asten  ein  und  neben  vielen  pyknotischen  und 
oder  /n  mph  Kerncn  traten  massenhaft  Jollykörper  auf,  die  einzeln 
\  m  einem  roten  Blutkörper  lagen.  Dieser  Befund 
stimmt  gut  überein  mit  den  jüngst  von  D  e  c  a  s  t  e  I  1  o  beschriebenen 

erreiSra EffCkM  T£rd?  dur.ch  die  Milzexstirpation  nicht 
sub  finem  ^e‘terer  Medikation  mit  Natr.  cacodylicum  und  einer 

war  der  Fvftnc  a“\ vorgenommenen  direkten  Bluttransfusion 

war  der  Exitus  letalis  nicht  zu  vermeiden. 

Veriinf  SHkusS‘0nJ  Herr  Römer  berichtet  über  den  weiteren 
yories  elHen  VF"ii'hm  Im  Aerztlichen  Verein  vor  einigen  Monaten 
E?nfr  HeShJ  ef  Mllzexst>rpation  bei  perniziöser  Anämie, 

andere dhpfindPt  4  Mo.nate  !lach  der  Operation  gestorben,  der 
Frufeube  ndet  S1C-h  z,urzeit  w°hl  und  bietet  das  typische  Bild  der 
Erkrankung  in  weitgehendem  Remissionsstadium.  Hinsichtlich  der 

SngUdnegrenffi?ed-  Mdz,exsti.rPati°u  wurde  ein  ganz  auffallender  Rück- 
garig  der  für  die  Erkrankung  charakteristischen  Allgemeinsymptome 

^seUn?neheev;  F^°r  eX  HTinfälli^keit)  festgestellt  &ne 

wesen  liehe  Vermehrung  der  roten  Blutkörperchen  trat  in  dem  tödlich 

IehrJaheeHedetn  FHa  VTChn  ein-ebenso  stieg  die  Hämoglobinmenge  nicht 
ohiekfiS  7endf,  G1^Ichw,(?hl  war  die  subjektive  Besserung  und  die 
objektive  Zunahme  der  allgemeinen  Frische  sehr  deutlich.  Auch  in 
diesen  Fallen  traten  im  Blute  sehr  grosse  Mengen  von  kernhaltigen 
roten  und  von  Jollykorperchen  auf,  dagegen  war  bemerkenswert  die 
geringe  Veränderung  in  der  Zahl  der  übrigen  myelogenen  Zellen.  R. 
st  daher  geneigt  an2imehmen,  dass  die  Milzexstirpation  in  erster 
V’n‘e  n^t  einen  Plastischen  Reiz  auf  das  Knochenmark  ausübt,  son- 

rneWdn  H  d‘eSD  die , Fah '5keit  verliert,  die  jugendlichen  Zellen  zu- 
ruckzuhalten.  Bezüglich  der  Jollykorperchen  weist  R.  darauf  hin. 
dass  ihre  Deutung  als  Kernreste  nicht  gesichert  ist.  In  Anbetracht 
der  günstigen  Wirkung  der  Milzexstirpation  auf  das  Allgemeinbefinden 
der  Kranken  ist  die  Operation  bei  der  perniziösen  Anämie  im  Rezidiv 
zu  empfehlen. 

f:  ”^B°nrn,Ste,in  bemerkt-  dass  der  Milz  ein  Einfluss  auf  den 
-  genstoffwechsel  zukommt.  Durch  die  Milzexstirpation  wird  die 
Eisenausfuhr  gesteigert,  weil  ein  Eisendepot  ausgeschaltet  wird. 

Herr  Han  sing:  Schlusswort. 

Herr  Dettlefsen  zeigt  ein  Pleuraendotheliom  mit  Metastasen 
nn  Femur,  das  klinisch  diagnostische  Schwierigkeiten  geboten  hat 
ns  tand  sich  keine  Verdrängung  von  Trachea  oder  Herz,  kein 
hämorrhagisches,  sondern  hellgelbliches  Exsudat  ohne  Tumorzellen 
und  kein  Sputum.  Die  Metastasen,  welche  das  ganze  Knochenmark 

FrLnlnen  FeTr  o!r^?,e,tzten’  traten  auf  dem  Röntgenbild  nicht  in 
Erscheinung,  das  Blutbild  war  nicht  verändert. 

Herr  Fahr  demonstriert  einen  Fall  von  Hirschsprung- 
scher  Krankheit  bei  einem  Erwachsenen,  einem  alten  Mann  von 
Jahren.  Es  bestand  ausgesprochenes  Megasigmoideum,  S  romanum 
und  oberer  Teil  des  Rektums  waren  enorm  erweitert  (Breite  des 
aufgeschnittenen  S  romanum  23  cm),  die  Muskularis  war  sehr  stark 
hypertrophisch.  Tod  an  Peritonitis  infolge  perforiertem  Dehmmgs- 
geschwur.  Anamnestisch  war  angegeben,  dass  der  Pat.  oft  5—8  Tage 
keinen  Stuhlgang  hatte.  Wegen  starker  Abmagerung  des  Pat.  war 

fi  hltSeC  a-ZUD”CrSt  3n  *Cm  Karzino/m  der  Flexur  gedacht  worden,  doch 
führte  die  Röntgenuntersuchung  (Dr.  H  a  e  n  i  s  c  h)  schon  klinisch  auf 
die  richtige  Diagnose. 

An  der  Hand  des  Falles  werden  die  beiden  Formen  der  Hirsch- 
sprungschen  Krankheit  (angeborene  und  erworbene)  besprochen 
und  die  Chancen  einer  chirurgischen  Therapie  kurz  erörtert. 
ce„-  * '  U  a-S  '  c  n '  berr  S  i  m  m  o  n  d  s  hat  vor  kurzem  zwei  Kinder 
hen  Üe  ^Erscheinungen  der  H  i  r  s  c  h  s  p  r  u  n  g  sehen  Krank- 
hed  geboten  hatten  Bei  einem  derselben  fand  sich  keine  Erklärung 
für  die  Darmveranderung.  bei  dem  anderen  —  einem  1)4  jährigen 
Knaben  —  eine  stenosierende  Geschwulst  am  Sigma,  die  sich  mikro- 
skopisch  als  tuberkulöser  Natur  erwies.  Bei  älteren  Individuen  hat 
er  ebenfalls  mehrmals  ein  Megasigma  angetroffen.  Eines  derselben 
zeigte  dabei  .  chleimhautnekrosen,  die  beiden  anderen  waren  infolge 
orsion  des  Megasigmoideum  an  Ileus  zugrunde  KCgan&cti. 

Herr  Schmidt  (a.  G.):  Ueber  entgifteten  Kaffee. 


Allgemeiner  ärztlicher  Verein  zu  Köln. 

(Bericht  des  Vereins.) 

Sitzung  vom  18.  Mai  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Strohe. 

Schriftführer:  Herr  Eug.  Hopmann. 

Herr  Grimm  demonstriert  4  Kinder  mit  B  a  r  I  o  w  scher  Er¬ 
krankung. 


1706 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  30. 


Herr  Frangenheim  zeigt  3  Kinder,  die  wegen  a“sser®r 
Tuberkulosen  an  der  Klinik  von  Roll1  er  (Eeys,n’  Schweiz)  be¬ 
handelt  und  geheilt  worden  sind.  Die  Kinder  hab®"  b *  ' 

heblich  zugenommen.  Allgemeinbefinden  ausgezeichnet.  Dauer 
der  Behandlung  1  Vs — 2  Jahre. 

1.  Mit  21  Fisteln  nach  Leysin  geschickt,  die  zum  Teil  durci 
spontane  Perforation  von  tuberkulösen  Abs  z  e  s  s  e  n 
entstanden,  zum  Teil  nach  Resektionen  zuruckgebheb« enn7S' 
Die  Fisteln:  beide  Ellbogen,  beide  Fuss-,  beide  Handgelenke  «"d  zahl¬ 
reiche  Fingergclenke  sind  geheilt  und  vernarbt,  ein  Ellbogengelenk 
ist  versteift,  beide  Talokruralgelcnke  und  der  rechte  Zeigefinger 
zeigen  infolge  vorhergegangener  Resektionen  Schlottergelenke. 

2  Kerato  - Conjunctivitis  tubcrculosa,  Jo  c  h  - 
bein-,  Fusswurzeltuberkulose.  Dass  Fussgelenk  ist  be- 

v  eglich  ge  p  e  n  t  u  b  e  r  k  u  1  o  s  e,  Hauttuberkulose  a  m 
Rücken  und  Tuberkulosebeider  Fussgelenk  e,  ein  russ- 
gelenk  in  Spitzfussstellung  ankylosiert. 

Herr  Hoppe:  Demonstration  eines  ungewöhnlich  schweren 
Falles  von  frischem,  follikulärem  Trachom  bei  einem  13  jähr.  Schüler. 
Der  ganze  Bindehautsack  beider  Augen  bildet  Reihen  von  Wülsten 
mit  dicht  aneinander  gedrängten  Trachomfol hkeln.  Die  Bindehaut  des 
Oberlidknorpels  zeigt  zahlreiche  flache  Follikel.  Ansteckungsquelle 
nicht  sicher  ermittelt.  Hygienische  Verhältnisse  der  Familie  an¬ 
scheinend  gut.  Eltern  und  alle  5  Geschwister  völlig  augengesund, 
in  der  Schulklasse  sollen  mehrere  Kinder  augenkrank  sein  und  täglich 

behandelt  3  h  e  n  hält  einen  Vortrag  über  Wirbelsäulenverletzung. 

Sitzung  vom  25.  Mai  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Strohe. 

Schriftführer:  Herr  Schickendantz. 

Herr  Hochhaus  demonstrierte:  1.  ein  mikroskopisches  Prä¬ 
parat  von  dem  Blute  eines  Falles  von  Bleivergiftung,  in  dem  sich  die 
sog.  basophilen  Granulationen  in  vielen  roten  Blutkörperchen  nach- 
weisen  Hessen;  dann  von  demselben  Kranken  ein  Praparat  vom 
Zahnfleischsaum,  welcher  in  den  Papillen  sehr  schon  starke  Blei¬ 
anhäufung  zeigte. 

2.  besprach  er  einen  Fall  von  Typhus,  der  in  der  Rekonvaleszenz 
eine  embolische  Pneumonie  akquirierte,  wobei  sich  in  dem  blutigen 
Sputum  massenhaft  Typhusbazillen  nachweisen  Hessen;  diese  Er¬ 
scheinung  dauerte  mehrere  Wochen,  bis  die  Lungenaffektion  ganz 
ausgeheilt  war. 

3.  hielt  er  einen  Vortrag  über  Polyneuritis,  in  dem  er  die  ver¬ 
schiedenen  Formen  und  die  verschiedene  Aetiologie  derselben  aus¬ 
führlich  darlegte  und  durch  Demonstration  zahlreicher  einschlägiger 
schwererer  und  leichterer  Krankheitsfälle  erläuterte;  besonders  wies 
er  hin  auf  die  häufig  vorkommenden,  leichteren  Formen  der  Alkohol- 
neuritis,  welche  sich  meistens  nur  durch  Schmerzen  m  den  Beinen, 
besonders  in  den  Unterschenkeln,  durch  Wadenkrämpfe,  IDruck- 
empfindlichkeit  der  Nerven  der  unteren  Extremität  und  der  Waden- 
muskulatur,  sowie  durch  leichte  Schwäche  der  Beine  äussern.  Die¬ 
selben  werden  meist  als  Rheumatismus  angesehen  und  demgemäss 
behandelt;  die  richtige  Diagnose,  besonders  auch  die  Aetiologie  muss 
ausser  durch  die  obengenannten  Symptome  noch  durch  anderweitige 
Zeichen  des  Alkoholismus  gestellt  werden. 

Herr  Beltz:  Die  Pneumokoniose  im  Röntgenbilde. 

Das  Röntgenbild  der  Lunge  ist  im  allgemeinen  nur  im  Verein 
mit  den  übrigen  Untersuchungsergebnissen  mit  Nutzen  zu  verwerten, 
ln  ätiologischer  Hinsicht  bringt  es  uns  nur  sehr  selten  voran.  Dass 
auch  rein  anatomische  Rückschlüsse  durchaus  nicht  so  leicht  und 
sicher  gezogen  werden  können,  wie  man  a  priori  vermuten  möchte, 
zeigt  am  besten  der  langjährige  Streit  um  das  anatomische  Substrat 
der  Lungenzeichnung  Der  Ansicht  von  Schut,  dass  wir  von  einem 
absolut  normalen  Lungenröntgenogramm  wohl  nur  äusserst  selten 
reden  können,  dürften  sich  die  meisten  Kliniker  anschliessen.  Die 
mit  der  ständig  zunehmenden  Verbesserung  der  Technik  immer  sub¬ 
tilere  Einzelheiten  zeigende  Röntgenplatte  musste  zu  diagnostischen 
Spitzfindigkeiten  führen  und  es  ist  nur  auf  Grund  grösserer  Erfahrung 
möglich,  die  Grenze  zwischen  noch  normalem  und  pathologischem 
Befund  ’im  Röntgenbilde  zu  ziehen.  Krankheitszustände,  bei  denen 
dem  Röntgenverfahren  die  absolute  diagnostische  Ueberlegenheit 
zuerkannt  werden  muss,  gibt  es  daher  nur  wenige.  Hier  ist  zunächst 
zu  nennen  die  Miliartuberkulose,  die,  wie  nunmehr  zahlreiche  Beob¬ 
achtungen  gezeigt  haben,  eine  überaus  charakteristische  Röntgen¬ 
platte  gibt  schon  zu  einer  Zeit,  wo  nicht  nur  ein  physikalischer  Befund 
über  den  Lungen  noch  vermisst  wird,  sondern  auch  die  bekannten 
Allgcmeinsymptome,  die  hochgradige  Zyanose  und  Dyspnoe,  noch 
fehlen.  Die  ersten  von  Miliartuberkulosen  gewonnenen  Röntgenbilder 
wiesen  eine  netzartige,  marmorierte  Zeichnung  auf.  Bei  der  heute 
auf  Bruchteile  einer  Sekunde  reduzierten  Expositionszeit  zeigt  die 
Platte  der  Miliartuberkulose  eine  feine  Tüpfelung  und  wir  müssen 
diese  feinen  Schattentüpfel  als  den  Absorptionseffekt  der  einzelnen 
Tuberkel  betrachten.  Bei  der  Demonstration  derartiger  Bilder  auf 
dem  Röntgenkongress  vor  3  Jahren  machte  einer  der  Diskussions¬ 
redner  (Wolf  f)  darauf  aufmerksam,  dass  das  Bild  der  Miliartuber¬ 
kulose  verwechselt  werden  könne  mit  dem  Röntgenbefund  eines 


anderen  Zustandes,  nämlich  mit  der  Steinhauerlunge.  Auf  diese 
Aehnlichkeit  hätte  schon  die  Erfahrung  am  Sektionstisch  hmweisen 
können  wo  früher  die  kleinen,  derben  Knötchen  der  Ste.nhauerlunge 
häufig  mit  miliaren  Tuberkeln  verwechselt  worden  sind.  Der  Vortr 
gibt  sodann  einen  kurzen  Ucberblick  über  die  Pathogenese  und  Klm.k 
der  Pneumokoniosen. 

Die  demonstrierten  Röntgenbilder  stammen  von  Kranken,  die 
zum  Teil  der  Klinik  zur  Beurteilung  ihrer  Erwerbsfahigkeit  über¬ 
wiesen  waren.  Es  handelte  sich  um  Leute  die  in  ihrem  Beruf  der 
Gefahr  der  Staubinhalation  in  besonderem  Masse  ausgesetzt  waren, 
meist  um  Bergleute,  die  allerdings  zum  Teil  schon  lange,  bis  zu 
10  Jahren,  nicht  mehr  unter  Tag  tätig  waren.  Die  Beschwerden  der 
Kranken  wraren  in  allen  Fällen  die  gleichen  und  bezogen  sich  auf 
mehr  oder  weniger  erhebliche  Atemnot  mit  geringem  Husten  und 
meist  spärlichem  Auswurf,  der  einige  Male  eine  grau-schwarzhche 
Verfärbung  aufwies.  In  allen  Fällen  war  der  klinische  Befund  über 
den  Lungen  ein  ausserordentlich  dürftiger:  neben  einem  dem  Alter 
entsprechenden  Emphysem  —  es  handelte  sich  durchweg  um  Männer 
in  den  50  er  Jahren  —  wurde  die  Lunge  meist  v0Hig  n°rmal  gefrmden. 
nur  einige  Male  ein  leichter,  diffuser  Katarrh  festgestellt.  Das 
Röntgenbild  zeigte  nun  in  allen  Fällen  eine  mehr  oder  weniger 
gleichartige  Veränderung,  die  mit  der  für  die  Miliartuberkulose  be¬ 
kannten  eine  grosse  Aehnlichkeit  hat.  Auch  hier  sind  beide  Lungen¬ 
felder  übersät  mit  kleinen  Stecknadelkopf-  bis  reiskorngrossen 
Schattenherdchen,  die  hauptsächlich  die  Flügelfelder  und  das  obere 
Dreieck,  bei  vorgeschritteneren  Fällen  auch  das  untere  Dreieck,  ein- 
nchrnen.  dagegen  in  auffallendem  Gegensatz  zur  Miliartuberkulose  das 
Spitzenfeld  stets  frei  lassen  (ich  folge  hier  der  von  Schut  m  seiner 
sehr  lesenswerten  Arbeit  über  „die  Lungentuberkulose  im  Rontgen- 
bild“*)  vorgeschlagenen  Bezeichnung  der  einzelnen  Lungenbezirke,  die 
mir  zur  gegenseitigen  schnellen  Verständigung  als  ausserordentlich  I 
zweckdienlich  erscheint).  I 

Als  weiteres  differentialdiagnostisches  Merkmal  gegen  Miliar- 
tuberkulöse  ist  hervorzuheben,  dass  die  einzelnen  Schattentupfei  in 
ihrer  Grösse  variieren,  wie  das  besonders  auf  Fernbildern  (1/a— Zm 
Fokusplattenabstand)  mit  ihrer  schärferen  Projektion  deutlich  wird. 
Die  Eisenstaublunge  zeigt  eine  grössere  Schattemntensitat  der  meist 
sehr  kleinen  Tüpfel,  als  die  Kohlenstaublunge  mit  ihren  meist  gros¬ 
seren  und  unregelmässiger  begrenzten  Schattenherdchen.  Verwech¬ 
selt  werden  könnte  das  Röntgenbild  der  Staubinhalationslunge  mit 
einer  ausgesprochenen  peribronchitischen  I  uberkulose  im  Anfangs¬ 
stadium  (Demonstration  eines  entsprechenden  Bildes).  Bemerkens¬ 
wert  ist  die  auffallend  seltene  Komplikation  der  Kohlenstaublunge  mit 
Tuberkulose,  worauf  erst  kürzlich  Lubarsch  )  aufmerksam  machte. 
Ganz  anders  verhalten  sich  hier  die  übrigen  Staubarten,  die  meist 
zu  einer  Disposition  für  Tuberkulose  führen.  Wahrscheinlich  ist  dieses 
verschiedene  Verhalten  dem  Tuberkelpilz  gegenüber  von  der  Häufig¬ 
keit  und  Intensität  des  begleitenden  Katarrhs  abhängig.  (Eine  aus¬ 
führliche  Mitteilung  mit  Röntgenbildern  erfolgt  in  den  Fortschr.  a.  d. 
Geb.  d  Röntgenstr.). 

Diskussion:  Herr  K  1  e  w  i  t  z :  Ich  glaube,  dass  im  allge¬ 
meinen  eine  Unterscheidung  zwischen  Pneumokokkiose  und  Miliar¬ 
tuberkulose  möglich  ist.  Die  einzelnen  Flecken  bei  Pneumokoniose 
sind  grösser  und  zackiger  als  bei  der  Miliartuberkulose.  Ich  erlaube 
mir  eine  Lungenplatte  eines  im  Kohlenbergbau  beschäftigt  gewesenen 
Steigers  zu  zeigen,  die  einer  Beobachtung  aus  der  letzten  Zeit  ent¬ 
stammt  (Demonstration);  bei  oberflächlicher  Betrachtung  wäre  eine 
Verwechslung  mit  Miliartuberkulose  wohl  möglich,  bei  genauerem 
Hinsehen  sieht  man  aber  doch,  dass  die  einzelnen  Schattenflecken 
grösser  und  zackiger  wie  bei  Miliartuberkulose  sind.  Auffallend  isi 
der  geringe  Hilusschatten;  indurierte  Drüsen  sind  nicht  nachweisbar. 
Ob  die  konfluierenden  Herde  tuberkulöser  Natur  sind  oder  broncho- 
pneumonisch.  dürfte  kaum  mit  Sicherheit  zu  entscheiden  sein;  im  vor¬ 
liegenden  Falle  sprach  anamnestisch  manches  für  eine  Komplikation 
mit  Tuberkulose.  Der  klinische  Befund  war  auffallend  gering;  durch 
die  physikalische  Untersuchung  Hess  sich  die  Diagnose  nicht  stellen. 
_  ich  glaube  nicht,  dass  auf  den  Platten  von  Miliartuberkulose  tat¬ 
sächlich  die  einzelnen  Knötchen  dargestellt  wurden,  es  handelt  sich 
meiner  Ansicht  nach  um  eine  Summationswirkung  mehrerer  in  der 
Strahlenrichtung  getroffener  Knötchen.  Für  diese  Annahme  scheint 
mir  auch  der  eine  von  A  c  h  e  1  i  s  (M.m.W.  1910  Nr.  36)  veröffentlichte 
Fall  zu  sprechen,  bei  dem  röntgenologisch  die  Diagnose  Miliartuber¬ 
kulose  gestellt  werden  konnte,  autoptisch  aber  erst  durch  die  mikro¬ 
skopische  Untersuchung  die  Diagnose  bestätigt  werden  konnte;  das 
Röntgenbild  kam  hier  wohl  sicher  durch  Summationswirkung 
mehrerer  feinster,  nur  mikroskopisch  nachweisbarer  Knötchen  zu¬ 
stande. 

Was  die  Hilusschatten  anbelangt,  so  kann  ich  auf  Grund  unseres 
Materiales  bestätigen,  dass  die  Entscheidung,  ob  noch  normal  oder 
schon  pathologisch,  oft  schwierig  ist;  das  liegt  zum  Teil  auch  daran, 
dass  wir  völlig  normale  Röntgenbilder  der  Lungen  nur  selten  zu  ue- 
sicht  bekommen. 


*)  Brauers  Beiträge  zur  Klinik  der  Tuberkulose  24  S.  145. 
•*)  Virch.  Arch.  213.  H.  2  u.  3. 


28.  Juli  1914. 


MUKNCHENKR  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHKIP 


Medizinische  Gesellschaft  zu  Leipzig. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  9.  Juni  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Marchand. 

Schriftführer:  Herr  R  i  c  c  k  e. 

Diskussion  über  jMesothoriuinbehandlung. 

jj  .Ufr,  Lj  1 1  a  u  e  r  demonstriert  2  Uteri  krebskranker  Frauen, 
die  ^  Radium  resp  Mesothorium  behandelt  worden  sind;  im  Er¬ 
gebnis  der  der  Strahlenbehandlung  vorausgeschickten  Abschabungen 
™d^f  Man  tP1u.che  Krebsbilder  festgestellt,  während  in  den 
nach  8  wöchiger  Bestrahlung  exstirpierten  Gebärmüttern  nichts  kar- 
zinomatoses  mehr  zu  finden  war  (Prof.  K  o  c  k  e  1). 

.  .  P'e  Kranken,  welche  der  Strahlenbehandlung  zufallen,  sind  1.  die- 
jenigen,  welche  sich  nicht  gerne  operieren  lassen  wollen;  2.  diejenigen, 
\\e  tlic  wir  nicht  operieren  wollen  (multiple  Karzinome,  schwerkranke 
Individuen);  3.  diejenigen,  welche  wir  nicht  operieren  können;  4  die- 

{“«"•  fWC  Ch?  oper'ert  sipd  und  durch  die  y-Strahlen  vor  Rezidiven 
bewahrt  werden  sollen.  Ob  Krebsfälle,  die  der  Operation  noch  zu- 
gangig  sind,  künftighin  mit  Radium  bestrahlt  oder  operiert  werden 
sollen,  ist  schwer  zu  entscheiden.  Wenngleich  im  Vergleich  zu  früher 
die  Erfolge  der  Operation  vorzüglich  sind  —  Zweifel  hat  bei 

-nepU«kanin0mv  ^ervix  und  Portio)  nur  noch  4  Proz.  Mortalität  und 
aO  1  roz.  Dauerheilung  — ,  so  darf  doch  nicht  verkannt  werden,  dass, 
weil  nur  ca.  5U  Proz.  der  Uteruskrebse  operabel  sind,  die  absolute 

SÄr  2°P  PTOuZ- ,beträgt:  das  ist  ein  schlechtes  Schluss! 
ergebms.  Will  man  herausbekommen,  ob  bei  Mesothoriumbehandlung 
das  Gesamtheilungsprozent  ein  besseres  ist,  als  bei  der  Operation 
was  nach  unseren  bisherigen  Erfahrungen  zu  hoffen  ist,  so  darf  man 

^CrhnHiChL^aulltP"nnUuen,.m2Perable  FalIe  anzugreifen,  sondern  muss 
gerade  solche  Falle  bestrahlen,  die  nach  unserer  Erfahrung  bei 

operativer  Behandlung  die  besten  Resultate  ergeben.  Wer  vorsichtig 
tastend  vorgehen  will,  L  i  1 1  a  u  e  r  gehört  selbst  zu  diesen  Opera¬ 
teuren,  die  von  der  einen  Partei  gewissenhaft,  von  der  anderen  be¬ 
quem  genannt  werden,  der  mag  vorläufig  seine  gut  operablen  Fälle 
weiter  mit  dem  Messer  angreifen,  solchen  Männern  jedoch  wie 
B  u  t  “i.  1,°  d,C  r J  e  1  n  ur|d  K  r  ö  n  i  g,  die,  auf  dem  höchsten  Gipfel 
T/pChnik  stf.hend’  S'ch  als  überzeugte  Anhänger  des  Mesothoriums 
von  der  operativen  Krebsbehandlung  gänzlich  abgewandt  haben,  ge¬ 
bührt  unsere  Anerkennung. 

,  Berr  Reineke  betont,  dass  die  Frage,  ob  operable  Karzinome 
noch  operiert  oder  nur  bestrahlt  werden  sollen,  vom  chirurgischen 
?K?U"kt  a,US  anders,  z,u  beurteilen  sind,  als  von  dem  des  Gynä¬ 
kologen,  weil  die  Verhältnisse  bei  den  meisten  chirurgischen  Kar¬ 
zinomen  weniger  günstig  liegen.  Viele  der  dem  Chirurgen  in  die 
Irl  !?6"  6"  Karzinome  z.  B.  die  der  Mamma  und  des  Magen- 

arh  Hpr  SrwbeP-  ZWai:  durchschnittlich  schlechtere  Heilungsresultate 
lach  der  Operation  als  das  Uteruskarzinom,  und  das  müsste  uns 

'm,nt  Cr  veraflassen>  die  ausschliessliche  Strahlenbehandlung  mit 
grosser  Begeisterung  aufzugreifen,  andererseits  fehlt  es  aber  noch 
ast  ganz  an  Beweisen  dafür,  dass  operable  Karzinome  der  genannten 
ningen  sind*  ^  Bestrahlung  mit  Sicherheit  zum  Verschwinden  zu 

rii  Be/v,fSifherate  ^eg  fü,r,  chirurgische  Fälle  ist  heute  die  Operation 
iJ  acilfo,sender  Bestrahlung.  Besonders  hervorzuheben  ist,  dass 

i  'VeaBes  r,?h lung  sebr  enersisch  sein  muss  und  ebenso 

lurchgefuhrt  werden  soll,  als  ob  das  Karzinom  noch  vorhanden  wäre- 
onst  bekommt  man  trotzdem  Rezidive.  ’ 

ler  S^,lei  nKek5.besp7cbt  da"n  noch  die  Frage  der  Reizwirkung 

eht\iio  !n«3Uber  -rief  in,leiZter  /eit  so  v,el  gesprochen  wird.  Er 
ebt  d  e  auffällige  Tatsache  hervor,  dass  es  experimentell  auch  an 

en  günstigsten  Objekten  (Pflanzen)  sehr  schwer  ist  eine  Reiz 
?1.!  demonstrieren.  Untersuchungen  an  einer  Reihe  von 
tianzen  können  leicht  eine  Reizwirkung  Vortäuschen,  während  es 
Jicrhl  "2  Schwankungen  des  Längenwachstums  innerhalb  physio- 
:’g‘^be  Bweit,e.  handelt.  Einwandfreie  Reizwirkungen  haben  nur 
M  °  'is..c  h.  S  t  o  k  1  a  s  a  u.  a.  gesehen,  während  die  Unter! 
!2ü?a8n  "  v°n  .K  ormcke  und  eigene  Versuche  fast  ganz  negativ 
i.sgefalien  sind.  An  tierischen  Objekten  (Askarideneiern)  hat  nur 
rnL3HUSDBar-  ,0W  deutliche  Reizwirkungen  bekommen.  Die 
rage  der  Reizwirkung  scheint  also  doch  nicht  so  einfach  zu  liegen 
ls  es  meistens  hingestellt  wird. 

Herr  Heineke  demonstriert  dann  noch  eine  20  jährige  Frau 

ntsteS  SeiH3Tu  Jahren  bestehenden,  nach  einem  kleinen  Stoss 
ntstandenen  Hautkarzinom  an  der  Schläfe. 

B-T,hies;  Hy  Die  Frage,  ob  die  Mesothorium-  und 
r  nr  iS  ra  den  eine  elektive  Wirkung  auf  die  Tumorzcllen  haben, 
Pr^h  n*,chS  entscbieden.  Zu  diesem  Kapitel  möchte  ich  Ihnen 
■ilpn  n  demonstrieren  und  kurz  die  Krankengeschichten  mit- 
'  uUas  trstf  Praparat  stammt  von  einer  58  jährigen  Patientin, 
irere  Kinder  geboren  hat.  Wegen  eines  inoperablen  Uterus- 
irzinoms  war  sie  von  anderer  Seite  vor  6—8  Wochen  dreimal  mit 
lesothorium  bestrahlt  worden.  Dabei  stellten  sich  in  der  rechten 
.  unc  überhaupt  im  Abdomen  starke  Schmerzen  ein,  die  wohl 
V  g  jachliessen.  aber  bis  zum  Beginn  dieses  Monats  nicht  gc- 
waren.  Die  Pat'entin  wurde  so  matt,  dass  sie  fast  immer 
f  flm  ■?.  pi  ei?  mussje-  Am  3.  VI.  kam  sie  zu  mir,  mit  folgendem 
Es  bestanden  starke  Oedeme  an  beiden  Extremitäten, 


1707 


weniger  am  übrigen  Körper,  doch  auch  im  Gesicht  und  am  Thorax 

Mnskepi!n!!1nSR:CSPrPChines  0udem  vorbanden.  Starke  Anämie.  Starke 
Muskelspannung  in  der  rechten  Seite,  wie  bei  einer  Appendizitis,  in 

Hm  JrfJv  W^r  ei”o  jcigige  Resistenz  zu  fühlen  und  namentlich  an  der 
Hinterseite  d£s  Abdomens  Druckempfindlichkeit.  Im  Urin  war  kein 

fmss,Swen!v  T®mpe[.a^ur  war  normal.  Der  Uterus  war  doppelfaust- 
g  beweglich,  doch  Iiess  sich  die  Rektumschleimhaut  gegen 

l  J  nlVTCln bf'  Die  Blasc£  zeigte  nur  ^ringes  Oedem  am 
S  S,  p  Dreteren  waren  frei.  Rechts  vom  Uterus  fühlte 
rorlitön  p  b  Pes.istenz’  die  der  Beckenwand  anlag  und  die  von  dem 

weigerte  auBvärtS  ging'  Da  die  Patientin  sich 

Tumor  ö’ir  L  frühere  Behandlung  zurückzukehren  und  da  ich  den 
sehnHf  fu^operabel  hielt,  entschloss  ich  mich  zur  Operation.  Längs- 
siVh  i!nrtQ,Tne"  Verwachsungen  im  Abdomen.  Der  Uterus  zeigte 

die  mefstkd7rht£nnmCrHUndpenlhielt  viele  haselnussgrosse  Metastasen, 
d  e  meist  dicht  unter  dem  Peritoneum  sassen  und  zum  Teil  ineinander 

a£?rgIpge?  un.d  grössere  Karzinomknoten  bildeten.  Die  Blase  liess 
^  S  abprapanefea  und  be>de  Ureteren  waren  nicht  in  den  Tumor 
aHUCh  pas- Pektum  liess  sieh  ablösen.  Rechts  vom  Uterus 
dir?/  n!h  df3S  Pent9neum  Parietale  stark  vor,  es  war  stark  ver- 

d!skklnn  ag  ei1!^  ?-°£SSer  Abszess-  der  nach  aufwärts  hinter 

as  Colon  äscendens  und  hinter  die  rechte  Niere  bis  unter  die  Leber 

Asd Sion 'def  CAh  SPätCr  bC-  £er  Eröffnung  des  Abszesses  erwies. 
Ä0?  del  Abszesses  mit  feiner  Kanüle,  aber  dabei  spritzte  die 
e  F] iuss’gke't  direkt  neben  der  Nadel  heraus  in  die  zwar  gut  ab¬ 
gedeckte  Beckenhohle.  Der  Eiter  wurde  entleert,  er  enthielt  viele 
grosse  nekrotische  Fetzen;  die  Höhle  wurde  mit  Argentum  nitricum- 
Losung  ausgespult,  ebenso  das  kleine  Becken.  Der  rechte  Ureter 
v5d'ef  medial  und  über  diesem  Abszess.  Der  Uterus  wurde  möglichst 
rasch  exshrpiert  und  auf  radikale  Entfernung  der  Parametrien  und 
dei  Parasalpinx  wegen  der  Eiterung  kein  Wert  gelegt  Der 

Becken5  Dl.°,ftormgaze  drainiert,  ebenso  die  Wundhöhle  im 

Becken.  Die  Abszesso ffnung  und  das  ganze  Wundbett  wurde  extra- 

N!ht0n!nllSRrt’  dadurch,  dass  das  Colon  sigmoideum  mit  doppelter 
Naht  nach  B  um  m  mit  Blasenperitoneum  und  Peritoneum  parietale 
ubernaht  wurde.  Schluss  der  Bauchhöhle.  Ohne  dass  s?ch  eine 
klinisch  nachweisbare  Peritonitis  entwickeln  konnte,  ging  die 
Patientin  rapid  an  Streptokokkensepsis  am  zweiten  Tage  zugrunde. 
Der  Ausstrich  aus  dem  Eiter  ergab  eine  Reinkultur  von  Streptokokken. 

lvwJ?taS  Praparat  zeigf  viele  bemerkenswerte  Befunde:  Zunächst  die 
Metastasen  des  Zervixkarzinoms  im  Uterus  selbst.  Die  Schleimhaut 

S£2Z  ynvera'ldert.  Die  Zervix  ist  breit  und  hier  zeigt 
s  llf  tdf-^lrk“nS  der  Strahlen,  da  makroskopisch  auf  der 
Schleimhaut  kein  Karzinom  mehr  zu  erkennen  ist,  während  die  ganze 
Zeivix  stärk  verdickt  und  verändert  ist.  Die  Bestrahlung  hat  auf 
die  hoher  gelegenen  Teile  des  Uterus  gar  keinen  Einfluss  gehabt,  ist 
also  zwecklos  gewesen.  Die  Mesothoriumstrahlen  dringen  nicht  bis 
in  die  tieferen  Teile  des  Uterus  ein. 

cf  Perne.r  ist  von  einer  rein  elektiven  Wirkung  der  Mesothorium- 
strah  en  nicht  zu  sprechen,  da  der  grosse  Abszess  eine  Folge  der  Be¬ 
strahlung  ist.  Appendix,  Niere,  Ureteren,  Leber  zeigten  sich  nicht  ver- 
Ana  Und  d!e.bei  der  Bestrahlung  aufgetretenen  starken  Schmerzen 
w  Abdomen  wiesen  auf  eine  Phlegmone  der  hinteren  Bauchwand  hin. 
Wahrscheinlich  ist  irgend  ein  kleiner  Zerfallsherd  im  rechten  Para- 
metrium  von  den  in  der  Umgebung  des  Karzinoms  befindlichen 
Streptokokken  infiziert  worden  und  von  dort  hat  sich  eine  retroperi- 
toneale  Phlegmone  und  daran  dieser  Abszess  gebildet. 

,.  Das  zweite  Präparat  E.  stammt  von  einer  33  jährigen  Patientin, 
die  ich  im  August  vorigen  Jahres  operiert  habe.  Die  Patientin  war 
12  mal  von  anderer  Seite  mit  Röntgenstrahlen  wegen  eines  vermeint¬ 
lichen  Myoms  bestrahlt  worden.  Sie  zeigte  aber  so  starke  Schmerzen 
im  Becken,  dass  sie  sich  operieren  lassen  wollte.  Da  ich  den  faust- 
grossen  rumor,  der  sich  hinter  und  über  dem  Uterus  befand  nicht 
für  em  Myom,  sondern  für  eine  entzündlich-eitrige  Geschwulst  hielt, 
clytrotomierte  ich.  Es  entleerte  sich  etwa  200  ccm  Eiter.  Einige  Tage 
spater  schloss  ich  die  Laparotomie  an,  da  der  Tumor  noch  nicht  ge¬ 
schwunden  war.  Es  fand  sich  dies  Dünndarmkarzinom  im  unteren 
Teil  des  Heum.  Darmresektion.  Naht  End  zu  End.  Entleerung  nach 
aufa’  £-fPjas.  Karzinom  war  fast  zirkulär  entwickelt  und  nur  ein 
etwa  bleistif tdicker  Kanal  war  noch  frei.  Mikroskopisch  zeigte  der 
umor  keine  Degenerationserscheinungen.  (Demonstration  des  Prä¬ 
parates.)  \A  enn  ich  nun  noch  einige  Worte  über  meine  eigenen  Er¬ 
fahrungen  mit  Mesothorium  sagen  darf,  so  kann  ich  hier  einen  Fall 
referieren,  in  dem  ein  kleinfaustgrosses  Rezidiv  am  Becken  zum 
Schwinden  kam.  Das  Mesothorium  wurde  hier  in  den  Tumor  direkt 
eingefuhrt.  Ischias  und  Oedeme  an  dem  rechten  Bein  gingen  zurück 
ond  ,dl.l.vorher  absolut  bettlägerige  Patientin  konnte  wieder  ihrer 
Beschäftigung  nachgehen.  Wie  weit  hier  eine  Dauerheilung  vor¬ 
handen  ist,  muss  die  Zeit  lehren. 

\\  ir  übersehen  das  Ausbrütungsgebiet  der  Genitalkarzinome 
ohne  einen  operativen  Eingriff  nicht.  Die  Mesothoriumstrahlen 
dringen  aber  nur  bis  in  eine  gewisse  Tiefe,  also  kann  die  Strahlen¬ 
behandlung  nur  für  ganz  gewisse  Fälle  reserviert  bleiben.  Alle 
operablen  Falle  müssen  operiert  werden,  wenn  nicht  unsere  Resultate 
sich  verschlechtern  sollen.  Ob  nicht  die  Röntgenbestrahlung,  die  eine 
bessere  Dosierung  der  Strahlen,  ferner  eine  grössere  Tiefenwirkung 
und  eine  sichere  Direktion  der  Strahlen  möglich  macht,  ein  weiteres 
Anwendungsgebiet  wie  die  Mesothoriumstrahlen  haben  wird,  muss 
die  Zukunft  zeigen. 


1708 


muenchener  medizinische  Wochenschrift. 


Nr.  30. 


Herr  Payr  demonstriert  das  Präparat  einer  frischen  Unter¬ 
schenkelamputation.  Es  handelt  sich  um  einen  hall  von  naut- 
sarkom  am  Fusse  bei  einem  64  jährigen  Mann. 

Der  Fall  ist  dadurch  interessant  und  wissenswert,  dass  er  durch 
eine  unter  besonders  günstigen  Verhältnissen  durchgefuhrte  4  mona - 
liehe  Röntgentherapie  zunächst  völlig  geheilt  erschien  Der 
Kranke  hatte  sich  in  seine  Wohnung  einen  Rontgenapparat  einbauen 
lassen  und  war  der  Tumor  durch  4  Monate  täglich  bestrahlt  worden. 
Die  Haut  hatte  keine  Schädigungen  aufgewiesen  und  war  die  Ge- 
schwujst  so  zurückgegangen,  dass  die  Erkrankung  von  den  behandeln¬ 
den  Aerzten  für  geheilt  angesehen  wurde.  ... 

Plötzlich  aber  bildeten  sich  neue  Geschwülste,  zeigten  rapides 
Wachstum,  liessen  keine  Beeinflussung  durch  die  Röntgenstrahlen 
mehr  erkennen;  der  Tumor  begann  an  der  Oberfläche  rasch  zu  zer- 
fallen,  in  die  Tiefe  zu  wachsen  und  zeigte  sich  in  den  Kruraldrusen 
eine  gleichfalls  sehr  rasch  wachsende  Metastase. 

Deshalb  wurde  von  Herrn  Payr  dem  Kranken  die  Ausräumung 
der  Drüsen  und  die  Amputation  des  Unterschenkels  empfohlen  und 
durchgeführt.  Der  Drüsentumor  in  der  Leiste  war  in  seinem  Zentrum 
bereits  erweicht,  Hess  sich  aber  noch  von  den  Gefässen  losen  und 
anscheinend  im  Gesunden  entfernen.  Das  Präparat  zeigt  das  Ein¬ 
dringen  der  Geschwulstmassen  in  die  Muskulatur  und  zwischen  die 
Fusswurzelknochen.  Histologisch  erwies  sich  der  Tumor  als  Rund¬ 
zellensarkom.  Der  Fall  beweist  auf  das  deutlichste,  dass  für  die  Be¬ 
urteilung  der  Dauerhaftigkeit  des  Erfolges  bei  der  Strahlentherapie 
der  bösartigen  Neoplasmen  die  grösste  Vorsicht  geboten  ist. 

Herr  Payr  verweist  ferner  darauf,  dass  bei  der  Einschätzung 
der  durch  operative  Eingriffe  bei  malignen  Tumoren  gewonnenen 
Verhältniszahlen  von  Dauerresultaten  das  jewei¬ 
lige  klinische  Stadium  der  Erkrankung  von  grosser 

Bedeutung  ist.  ,  .  „  .  .  ,  r 

So  ist  es  doch  höchst  bemerkenswert,  dass  bei  Krebs  der 
weiblichen  Brustdrüse  73—78  Proz.  Dauerheilungen  durch  die 
Operation  erzielt  werden,  wenn  der  Tumor  noch  nicht  über  pflaumen¬ 
gross,  weder  mit  Haut  noch  Pektoralmuskel  verwachsen  und  noch 
keine  fühlbaren  Achseldrüsenmetastasen  bedingt  hat.  Diese  sehr  hohe 
Prozentzahl  sinkt  auf  22—24  Proz..  wenn  die  Geschwulst  Pflaumen¬ 
grösse  überschritten,  nach  einer  der  beiden  genannten  Richtungen 
fixiert  und  von  fühlbaren  Axillardrüsenschwellungen  begleitet  ist. 
Allerdings  gestatten  nur  wenige  Karzinome  eine  so  genaue  Fest¬ 
stellung,  ihrer  topographischen  Nachbarbeziehungen  wie  gerade  das 
Mammakarzinom.  Aber  die  gegebenen  Zahlen  beweisen  doch,  dass 
die  Erfolge  der  chirurgischen  Therapie  nicht  so  schlecht  sind,  wie 
sie  von  den  Anhängern  der  obligaten  Radiotherapie  geschildert 

werden.  .  ,.  ^ 

Herr  Zweifel  (Schlusswort):  Die  Erörterung  m  dieser  Ge¬ 
sellschaft  hat  in  einer  rückhaltlosen  Anerkennung  der  ausserordent¬ 
lichen  Wirkung  des  Mesothoriums,  als  auch  in  der  Auffassung,  dass 
man  heute  noch  nicht  von  der  Heilbarkeit  des  Krebses  durch  Meso¬ 
thorium  sprechen  könne,  eine  erfreuliche  Uebereinstimmung  gebracht. 
Ich  war  bemüht,  durch  beweisende  Präparate  und  die  davon  ge¬ 
wonnenen  Lumierephotographien  Ihnen  Tatsachen  vor  die  Augen  zu 
führen,  die  Dokumentenwert  besitzen.  Das  eine  Bild  von  dein  Vulva- 
karzinom  mit  der  einzig  noch  übrig  gebliebenen  Karzinomzelle  gibt 
ebenso  viel  der  Hoffnung  Raum,  dass  dieser  letzte  Rest  auch  noch 
verschwinden  und  dann  die  Krankheit  geheilt  sein  könne,  als  der 
Befürchtung,  dass  am  Ende  aus  diesem  Rest  doch  die  böse  Krankheit 
wieder  erwachen  und  schliesslich  zum  tödlichen  Ende  führen  könne. 
Darüber  kann  allein  die  Zeit  entscheiden:  denn  viel  beweisender  als 
alle  mikroskopischen  Bilder  sind  die  klinischen  Erfahrungen,  welcher 
Satz,  der  von  mir  wiederholt  lind  doppelt  unterstrichen  wurde,  die 
logische  Folgerung  ergibt,  dass  wir  eine  Heilbarkeit  des  Krebses 
durch  die  Strahlentherapie  nicht  annehmen  können,  ehe  nicht  eine 
grössere  Zahl  unzweifelhafter  Fälle  5  Jahre  und  mehr  von  Rezidiven 
verschont  geblieben  sind. 

Wenn  wir  nun  die  Hoffnung  auf  das  höchste  Ziel  dieser  Behand¬ 
lung,  nämlich  auf  Dauerheilungen  vom  Krebs,  noch  mehrere  Jahre 
still  im  Busen  bewahren  und  in  Geduld  abwarten  müssen,  wie  die 
Zeit  entscheidet,  so  ist  so  viel  schon  sicher,  dass  die  Wirkung  auf 
die  inoperablen  Fälle  hervorragend  nützlich  ist,  gegen  Blutungen  und 
den  Fötor  mehr  hilft,  als  die  bisher  angewandten  Mittel  und  klinisch 
Besserungen  erzielt,  welche  somatisch  und  besonders  psychisch  auf 
die  Kranken  segensreich  wirken.  Das  zeigen  uns  die  Bilder  und  Be¬ 
schreibungen  von  Dr.  Schweitzer.  Dass  wir  nur  von  Besserungen 
sprechen  und  das  Wort  „klinische  Heilung“  nicht  gebrauchen,  habe 
ich  im  Vortrag  schon  damit  begründet,  dass  wir  uns  von  der  Be¬ 
lebung  überschwänglicher  Hoffnungen  fern  halten  wollen,  die,  wenn 
das  Zünglein  der  Wage  sinkt,  auch  wieder  bei  den  Laien  um  der  Ent¬ 
täuschung  willen  masslos  herbe  Urteile  zur  Folge  haben. 

Sehr  interessant  waren  die  Bemerkungen  von  Herrn  Kollegen 
Payr  über  die  Dauerheilungen  beim  Mammakarzinom,  je  nach  dem 
Stadium,  in  dem  der  Krebs  zur  Operation  gelangte.  Dazu  möchte  ich 
bemerken,  dass  bei  den  Gynäkologen  weder  im  allgemeinen  und  noch 
bei  der  Statistik  von  A  u  1  h  o  r  n  aus  meiner  Klinik  im  besonderen 
eine  solche  Unterscheidung  von  Anfangsfällen  oder  weiter  fort¬ 
geschrittenen  Stadien  gemacht  wurde,  wie  dies  in  der  Zusammen¬ 
stellung  von  S  t  e  i  n  t  h  a  1  geschah,  und  daks  speziell  in  der  Statistik 
von  Aulhorn  mit  der  Dauerheilungsziffer  von  51  Proz.  alle  Portio- 
lind  Zervixkarzinome  von  den  Anfängen  bis  zu  den  schwersten  Fällen 
zusammengerechnet  wurden.  Gerade  unter  den  von  mir  operierten 


Frauen  waren  einige  dauernd  geheilt,  bei  dener .die  Opera  ton  so 
überaus  schwer  verlief,  dass  sie  zeitweise  undurchfuhrbar  schien  und 
am  Schluss  nur  einen  Schimmer  von  Hoffnung  auf  Dauerheilung  übrig 
liess.  Das  ermutigte  mich,  grundsätzlich  mit  dem  Aufwand  aller  Kraft 
zu  operieren,  was  nur  irgendwie  zu  operieren  möglich  war:  denn  die 
hoffnungslos  erschienenen  Fälle  waren  schliesslich  innerlich  die  dank¬ 
barsten  geworden.  ,  .  „  , 

Die  Korpuskarzinome  ergaben  eine  viel  bessere  Prognose  oder 
eine  Dauerheilungsziffer  von  75—77  Proz.  Dass  unsere  I  raparate 
richtig  beurteilt  wurden  und  wir  mit  unseren  Grundsätzen  der  mikro¬ 
skopischen  Diagnose  Recht  hatten,  beweisen  die  23— 25  Proz.  Rezidive.  . 

Nie  habe  ich  die  besseren  Ergebnisse,  welche  die  Gynäkologen 
beim  Gebärmutterkrebs  erzielten,  welche  besser  waren  und  noch 
sind  als  die  der  Chirurgen  beim  Mammakarzinom,  anders  er¬ 
klärt  als  durch  die  anatomische  Beschaffenheit  des  Lyinphgefass- 
netzes,  das  offenbar  in  der  Mamma  viel  rascher  zur  Verschleppung 
des  Karzinoms  führt,  bei  der  Gebärmutter  das  Leiden  langer  lokal 
bleiben  lässt.  Das  stimmt  auch  mit  der  Erfahrung  uberein  dass  die 
Karzinome  der  Gebärmutter  bei  junge  n  F  r  a  u  e  n,  bei  denen  der 
Lvmphstrom  lebhafter  ist,  viel  rascher  zu  Metastasen  fuhren,  als  bei 
älteren,  und  dass  die  jugendlichen  Personen  unserer  Praxis,  welche 
das  Unglück  hatten  vom  Uteruskarzinom  heimgesucht  zu  werden, 
insbesondere  alle  Frauen  von  26,  27  und  28  Jahren,  wenn  sie  selbst 
im  Anfangsstadium  operiert  waren,  ausnahmslos  spater  rezidiv 

wurden  und  schliesslich  daran  starben. 

Herr  Schweitzer  (Schlusswort):  Da  die  kurz  bemessene 
Zeit  ein  Eingehen  auf  die  verschiedenen  in  der  Diskussion  angeregten 
Fragen  nicht  gestattet,  beschränkt  sich  Sch.  darauf,  die  klinische  Seite 
und  die  Behandlung  des  Falles  zu  besprechen,  welcher  an  Lungen¬ 
gangrän  ad  exiturn  kam:  ,  n 

29  jährige  Frau.  Weit  fortgeschrittenes  Portiokarzinom.  Das 
Kollum  war  in  einen  2  Finger  breiten  Krater  verwandelt  mit  starker 
Jauchung  und  Zerfall;  auch  das  angrenzende  Scheidengewolbe  war 
ulzeriert.  Uterus  sass  mauerfest  zwischen  derben  Infiltrationen. 
Hochgradige  Kachexie  (32  kg  Körpergewicht),  Fieber  bis  39,5  .  ent¬ 
setzliche  Schmerzen.  .  . 

Es  handelte  sich  also  um  einen  vollkommen  inoperablen,  aul¬ 
gegebenen  Fall,  der  nun  der  Mesothoriumbestrahlung  unterworfen 
wurde.  Einlegen  der  radioaktiven  Substanz  anfangs  in  den  Krater, 
später,  als  dies  wegen  der  Schrumpfung  nicht  mehr  möglich  war, 

in  die  Scheide.  „  ,  ,  ,  ..  .  .  , 

Filterung:  3  mm  Blei,  1,5  mm  Silber  und  1  mm  Aluminium  ab¬ 
wechselnd.  Die  Gesamtmenge  in  den  2  verabfolgten  Serien  betrug: 
8969  Milligrammstunden  Mesothorium. 

Solange  die  Behandlung  dauerte,  konnte  eine  deutliche  Besserung 
des  lokalen  Befundes  konstatiert  werden:  Verkleinerung  und  Glatten 
des  Kraters,  Aufhören  der  Jauchung  und  Blutung.  Sogar  im  Al  gemein¬ 
befinden  etwas  Besserung:  geringe  Gewichtszunahme,  18  tägige 
Fieberlosigkeit,  so  dass  Pat.  ausser  Bett  sein  konnte.  Besserung  der 
Schmerzen.  Dann  aber  ziemlich  plötzliches  Auftreten  von  Lungen- 
erscheinungen,  weshalb  die  Verlegung  nach  St.  Jakob  erfolgte.  op. 
starb  sie  6  Wochen  nach  der  letzten  Bestrahlung  an  Lungengangran. 

An  dem  bei  der  Sektion  herausgenommenen  Uterus  konnte  nun 
Prof.  Verse  als  Effekt  der  Bestrahlung  Zerfall  und  Untergang  von 
Karzinomherden  zeigen,  leider  aber  auch  eine  Nachwucherung 
frischer  Karzinomzellen.  Diese  letztere  Erscheinung  war  ermöglicht 
durch  die  frühzeitige  Unterbrechung  der  Strahlentherapie  (nur 
2  Serien,  6  Wochen  lang  kein  Mesothorium).  Die  Behandlung  war 
nicht  als  abgeschlossen  betrachtet  worden.  Dieser  Fall  darf  deshalb 
nicht  als  geeignet  angesehen  werden,  dem  Mesothorium  seine 
Leistungsfähigkeit  abzusprechen.  Die  als  Nebenbefund  gezeigte  ober¬ 
flächliche  Schorfbildung  in  der  Scheide  kann  durch  die  neuerdings 
gebräuchlichen  Zelluloid-Metallabdeckungen  vermieden  werden,  ist 

aber  ziemlich  belanglos.  ....... 

Schweitzer  fasst  sein  Urteil  über  die  Mesothoriumtherapie 

auf  Grund  seiner  Erfahrungen  dahin  zusammen:  _ 

Das  Mesothorium  bedeutet  einen  grossen  Gewinn  in  der  vordem 
so  unfruchtbaren  Behandlung  des  inoperablen  Uterus-  und  Scheiden¬ 
karzinoms.  Durch  die  weitgehende  Besserung  wirkt  es  zum  mindesten 
das  Leben  verlängernd. 

Zur  Nachbehandlung  nach  der  Krebsoperation  ist  dem  Meso¬ 
thorium  ferner  ein  noch  dankbareres  Arbeitsfeld  eingeräumt.  Sicher 
kann  auf  diesem  Wege  die  Dauerheilung  nur  gebessert  werden. 

Herr  Milner:  Beiträge  zur  operativen  Behandlung  inoperabler 

Karzinomkranker.  ,  .  ,  ,  ,  ,,ip 

Vortr.  steht  mit  auf  dem  Standpunkt,  dass  wir  heute  noch  die 
radikal  operabel  scheinenden  malignen  Tumoren  operieren  sollet«. 
Dieser  Standpunkt  wird  sich  auch  vielen  aufmerksamen  Besuchern 
de^  Chirurgen-  und  Röntgenkongresses  ergeben  haben.  Es  ist  von 
diesem  Standpunkt  aus  zu  bedauern,  dass  unsere  erfolgreichen  Be¬ 
mühungen  der  letzten  Jahre,  die  Karzinomkranken  früher  zur  Ope¬ 
ration  zu  bekommen,  teilweise  durchkreuzt  worden  sind  durch  die 
übertrieben  ungünstigen  und  unberechtigten  Zahlen  über  die  absolute 
Heilung  chirurgisch  behandelter  Karzinome,  wie  sie  von  der  rreiburge 
und  Münchener  Schule  gern  verkündet  werden.  Was  man  durch 
rechtzeitige  Operation  der  Karzinome  erreichen  kann,  ist  auch  m 
Aerztekreisen  längst  noch  nicht  genug  bekannt  und  wir  müssen  Zahlen 
wie:  30  Proz.  Dauerheilung  beim  Magenkarzinom,  40  Proz.  beim 
Rektumkarzinom  (wie  ich  vor  ungefähr  W»  Jahren  hier  ausgefunr 
habe),  50  Proz.  über  5  Jahre  beim  Uteruskarzinom,  75  Proz.  beim 


28.  Juli  1914. 


MUFNCHFNFR  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


1709 


bringen'1'8  opcr‘crtcn  Mammakarzinom  immer  wieder  in  Erinnerung 

.  („as  ians  KjKen  d'®  Strahlenbehandlung  operabler  Karzinome 

°V  t  ,C,r  ^  iLTfZCiI,<Jc«1  vorlai,bgen  Erfolge  einzelner  Strahlentherapeuten 
ncJi  zurückhaltend  macht,  ist,  abgesehen  von  Mitteilungen  über 
5 «chstumsbeschleunigung  durch  Bestrahlung,  ungewöhnlich  reiche 
Metastasierung  nach  Bestrahlung,  häufig  refraktäres  Verhalten  der 
Tumoren  und  Erschwerung  der  Operation  nach  vergeblicher  Be- 

Tumnren’  iJ^rS  dpS  Strcbe!1  ,der  Röntgenologen,  auch  operable 
rumoren  m  Behandlung  zu  bekommen,  weil  die  Behandlung  in- 

JE??,1!1"  Fa"0  Endes  nur  Entaschungen  bieten  werde”. 

(M  u  I  e  r  -  Immenstadt.)  Das  spricht  jedenfalls  nicht  für  Vertrauen 

l1'  wcsc": tlldie.  Überlegenheit  der  Strahlen  über  das  Messer 
Besonders  aber  mochte  ich  darauf  hinweisen,  dass  wir  Chirurgen 
noch  weniger  als i  die  Gynäkologen  bei  der  Strahlenbehandlung  unserer 
Karzinome  die  M.tbestrahlung  anderer  Organe  ausschalten  können" 
besonders  bei  den  abdominellen  Karzinomen,  den  Magendarmkanal 

Prahlen1 Ä'S  ?*  S?hle!mhaut ,  d£S  Rektums  gegen  Mesothorium¬ 
strahlen  stets  ist,  beweist  der  nach  Zweifels  Erfahrung  ohne  Blei- 

uph''  ^  HpKCMTiaSSIS:  ,e.m.tlTtende  Tenesmus.  Experimentell  ist  Schä¬ 
digung  der  Magenschleimhaut,  die  in  Atrophie  ausging,  von  Franzosen 
nachgewiesen  an  Kranken  haben  Bumm,  Mackenrodt  u  a 
Durchfalle  nach  Bestrahlung  beobachtet.  Besonders  interessant  ist 

e  nemeFanh,/,nfah?n  H^n.dly  an  d«r  B  u  m  m  sehen  Klinik,  dass  in 
uSi  h  TV  '  m  nat:h  Aussetzen  der  Behandlung  durch  Strahlen 
unstillbare  Diarrhoen  eingetreten  sind. 

manp-Ut  bedenkt’  wie  langsam,  über  Jahre  hinaus  fort- 
schmteml,  die  Rontgenveranderungen  der  Haut  sich  entwickeln  und 
nicht  selten  die  Disposition  zu  schliesslicher  Karzinombildung  hervor- 
r Uten  so  wird  man  vor  den  kolossalen  Dosen,  die  nach  dem  Vorgänge 
du  Bumm  sehen  und  Freiburger  Klinik  auf  die  Schleimhaut  des 
Da«eaurrhm&%71: n®"  müssen- ,einen  gewissen  Respekt  bekommen. 

L  hi  n  ?3  “  )e"e  spat„en  Schädigungen  machen  können, 
i  besonders  durch  Beobachtungen  von  Iselin,  der 

noch  1  Vi  Jahre  nach  filtrierter  Röntgenbestrahlung  plötzlich  Haut- 
ulzeration  hat  auftreten  sehen.  Ueber  die  theoretische  Gefahr,  dass 
sich  nach  den  modernen  Tiefendosen  im  Laufe  von  Jahren  Magen- 
und  Darmatrophien  und  Karzinome  entwickeln  können,  können  wir 
uns  also  meines  fcrachtens  nicht  einfach  hinwegsetzen. 

Diese  Erwägungen  berechtigen  übrigens  wohl  zu  der  Frage  ob 
nicht  in  dem  eben  von  Geheimrat  Payr  demonstrierten  Fall  an  dem 
“5 hlnH?6?  .,rasche'?  Wachstum  des  tiefen  Sarkoms  nach  vorüber- 
hS»  ti  Heilung  der  Hautsarkome  eine  übertriebene  Röntgen¬ 
bestrahlung  von  seiten  des  Patienten  mit  schuld  sein  könnte.  Es 
mid  auch  einige  Fälle  von  Röntgensarkomen  mitgeteilt. 

Eines  grossen  Fortschrittes  können  wir  uns  alle  heute  schon  er- 
reuen:  wir  können  Operation  und  Bestrahlung  in  geeigneten  Fällen 
kombinieren,  wie  das  ja  schon  von  Vielen  in  verschiedenen  Formen 

^le",WOrden  1Su  Sobat  noch  Heidenhain  auf  dem  letzten 
i  ntgenkongress  über  2  Fälle  bewusst  unvollkommen  operierter  und 
'achtraglich  ohne  Filter  bestrahlter  äusserer  Karzinome  berichtet,  die 

rnlmpi^o  geh?.  *  gebll€?be  nsind-  Der  Einwand  gegen  diese  unvoll- 
(ommenen  Operationen,  dass  sie  das  Wachstum  des  Tumors  be¬ 
schleunigen  konnten  wird  durch  Erfahrung  z.  B.  an  den  Magen- 
arzinomen  der  Breslauer  Klinik,  die  von  B  o  r  m  a  n  n  mikroskopisch 
mtersucht  worden  sind,  nicht  bestätigt:  die  zahlreichen  siche?  im 
vranken  operierten  Fälle  sind  nicht  rascher  rezidiviert  als  die  am 
•tagen  im  Gesunden  operierten  und  bekanntlich  ist  mit  gutem  Grund 
.eraten  worden,  in  vielen  Fällen  nicht  radikal  operabler  Magern 
arzinome  lieber  eine  palliative  Resektion  als  eine  Gastroenterostomie 
u  machen.  Einzelne  Falle,  die  scheinbar  für  Wachstumsbeschleu- 
igung  durch  unvollkommene  Operation  sprechen,  lassen  sich  un- 
ezwungen  anders  erklären.  Viel  häufiger  aber  sind  jedenfalls  die 
alle  in  denen  gar  kein  Grund  gefunden  werden  kann  für  Annahme 
perativer  Wachstumsbeschleunigung,  z.  B.  die  in  normaler  oder 
ogar  nuch  auffallend  langer  Zeit  auftretenden  lokalen  Rezidive 
,n„  Tf.  •  Kombination  von  Operation  und  Röntgenbestrah- 

‘  k  erichtet  Vortr.  zunächst  über  einen  Fall  von  hochsitzendem 
esophaguskarzinom : 

1913  Gastrostomie  wegen  absoluter  Stenose  des  Oesophagus 
nter  dem  Kehlkopf  mit  rechtsseitiger  Rekurrenslähmung.  Danach 
oerraschend  gute  Erholung,  besonders  seitdem  alle  Speisen  gekaut 
r  ü  dann  vom  I  atienten  in  den  Magen  getrichtert  wurden.  Allmählich 
ach  Rekurrenslähmung  links. 

Ende  Dezember  1913  hochgradiger  Stridor  mit  reichlichem,  teit- 
eise  blutigem  Auswurf,  also  Durchbruch  des  Karzinoms  in  die  oberen 
ittwege.  Die  notwendige  Tracheotomie  hätte  den  Patienten  nicht 
>r  baldigen  Exitus  durch  Aspiration  bewahrt.  Darum  2.  Januar  1914 
xstirpation  des  Larynx  und  oberen  Teiles  des  Oesophagus  mit 
l  rachealrmgen:  hohe  Tracheotomie,  lange  Spiralkaiiiile,  2  recht- 
Kige  seitliche  Hautlappen,  Durchtrennung  beider  Sternokleidomastoi- 
,i,  um  die  Anlegung  der  Haut  an  die  zu  erwartenden  Karzinomreste 
i  beschleumgen.  Mediane  Durchschneidung  der  Thyreoidea,  die 
nten  beiderseits  vom  Karzinom  durchwachsen  war,  Abpräparierung 
r  gesunden  Reste,  die  nun  am  Stiel  der  oberen  Schilddrüsengefässe 
nr  gut  beweglich  waren  und  später  höher  oben  durch  Naht  fixiert 
raen,  um  bei  der  vorausgesehenen  Bestrahlung  des  Karzinomrestes 
n  Oesophagus  nicht  mitbestrahlt  und  geschädigt  zu  werden, 
eitere  <  peratmn  überraschend  leicht,  obgleich  das  Karzinom  tief 
aif  Halswirbel  cingewachsen  war,  aus  denen  es  sich  fast  glatt 


siumpt  auslosen  liess;  Dura  danach  vorne  anscheinend  aui  mein  ei  e 
Zentimeter  freiliegend.  Oesophagus  und  Trachea  möglichst  tief  diuch- 
sclmitten,  letztere  an  der  Haut  vorn  fixiert.  Mit  infolge  Versäumung 
einer  Kokanusierung  der  Schleimhaut  des  Pharynx  vor  der  oberen 
Abschlussnaht  letztere  undicht;  putride  Eiterung,  dann  Fistel  zwischen 
-h,lund  u,nd  Wunde,  die  sich  nach  ungefähr  6  Wochen  von  selbst 
u/-  k?'.-  ,  d  nacb  Operation  Röntgenbestrahlung,  besonders  der 
Wirbelsaulengegend,  unter  Bleiabdeckung  der  2  Thyreoideareste. 
mV.t,  CZ^t  lv  gcrade  in.  letzteren,  ziemlich  rasch  wachsend,  ausserdem 
cichtes  Myxödem.  Die  Abdeckung  schien  notwendig,  weniger  zur 
Erhaltung  der  I  hyreoidea  als  zum  Schutz  der  Parathyreoideae,  weil 
letztere  durch  Fütterung  anscheinend  nicht  wie  erstere  ersetzt  werden 
Können.  —  Diagnose  Karzinom  mikroskopisch  bestätigt. 

Vortr.  hebt  ausdrücklich  hervor  die  relative  Leichtigkeit  der  viel 
zu  seitem  aiisgefuhrten  Operation  des  hochsitzenden  Oesophagus¬ 
karzinoms.  Nach  einer  neueren  Arbeit  von  H  o  f  f  in  a  n  n  sind  ausser 
"  unbestimmten  Zahl  von  Fällen  Glucks  nur  ungefähr  7  Fälle 
V  gleichzeitiger  Exstirpation  des  oberen  Teiles  des  Oesophagus 
und  Larynx  und  der  1  racliea  mitgeteilt.  Die  ganze  Operation  wurde 

"anC,1i  der  Methode  von  B  r  a  u  n  durch  Injektion  an 
bmim  l  k  Halswirbel  usw.  ausgeführt,  ohne  Morphium-  und  Skopo- 
lamanvorbereitung;  wahrend  der  Operation  2  cg  Morphin  Vortr 
weiSt  auf  das  nachträgliche  Bedenken  der  Gefahr  doppelseitiger 

beobachte  ab"Jungl"11’  die  schoa  von  Braun  erwähnt,  aber  nicht 
beobachtet  ist.  Trotzdem  erscheint  bei  der  beiderseitigen  tiefen 
okalanasthesie  Vorsicht  am  Platze  und  womöglich  Vermeidung 
zumal  der  beiderseitigen  Injektion  an  der  4.  (und  5.)  Zervikalwurzel 
für  den  Phrenikus.  Bei  alten  Leuten  mit  starrem  Thorax  ist  be¬ 
sondere  Vorsicht  nötig! 

,  ..1V?  I'  Falle  kombinierter  Behandlung  handelte  es  sich  um  un¬ 
erträgliche  Interkostalneuralgien  infolge  von  Pleurakarzinom  un- 

efrpJ+riFnt,  Slt,zes  2/\  JahLe  nach  Mammaamputation.  Morphium 
infnwl  aadere,  halfen  nicht’  rascher  Kräfteverfall 

nhni  FrfnW  NI  0Sllk®lt-  -UVd  Schmerzen;  kurze  Röntgenbestrahlung 
ohne  Erfolg  Novokaininjektion  paravertebral  in  die  Interkostalnerven 

gaiJfl  u1nwirksam-  Versuch,  durch  künstlichen  Pneumothorax  auf  eine 
rcHhkale  Thoraxwandresektion  vorzubereiten,  musste  wegen 
schlechten  Pulses  der  zur  Eile  drängte,  aufgegeben  werden.  Darum 
3.  Februar  m  Lokalanästhesie,  später  mit  Narkose,  Durchschneidung 
und  Resektion  des  4. — 12.  Interkostalnerven  links  neben  der  Wirbel¬ 
säule.  In  den  oberen  Interkostalräumen  Freilegung  des  Gefäss-  und 
Nervenstranges  leicht,  Trennung  des  Nerven  von  den  Gefässen  aber 
unmöglich  wegen  Feinheit  der  Stränge  und  wegen  venöser  Blutung- 
daium  weiter  unten  Resektion  des  ganzen  Bündels  von  Gefässen  und 
Nerven.  In  den  3  untersten  Interkostalräumen  wegen  Enge  (Schrump¬ 
fung  nach  früherer  Exsudatentleerung)  sichere  Freilegung  unmöglich, 
darum  Resektion  der  9.— 12.  Rippe.  Hartnäckige  Blutung  aus  einer 
an  der  rascia  endothoracica  abgerissenen  Arterie,  nur  durch  Tam- 
ponade  stillbar.  Von  hier  ausgehend  später  bei  der  wegen  Schwäche 
mcht  früh  genug  zu  verbindenden  Patienten  Infektion  der  Pleura  mit 
nachträglichem  Empyem,  14  Tage  später  operiert  und  geheilt  Die 
unerträglichen  Neuralgien  nach  der  Operation  bis  heute  ver¬ 
schwunden;  mässige  abdominelle  Schmerzanfälle  durch  Bauch¬ 
massage  anscheinend  gut  beeinflussbar. 

Kritik  der  bisher  nur  sehr  selten  und  in  dieser  Ausdehnung  und 
zu  diesem  Zwecke  wohl  noch  nicht  ausgeführten  Operation:  über¬ 
flüssig  ist  die  Lähmung  der  Bauchmuskeln,  die  bei  Bronchitis  gefähr- 
lich  werden  konnte;  ungenügend  ist  die  mangelnde  Sicherheit  gegen 
Rezidive  dieser  peripheren  Nervenresektion  gegen  Neuralgien 

Die  Operation  von  Franke:  allmähliche  Ausdrehung  der  Inter¬ 
kostalnerven  mit  den  Intervertebralganglien  ist  von  Franke  und 
L  er  ich  e  bei  Tabes  mit  befriedigendem  Erfolge  ausgeführt  von 
Franke  sind  in  einer  Sitzung  8  Nerven  mit  7  Ganglien  extrahiert, 
aber  von  rechts  und  links.  Von  einer  Seite  etwa  den  4. — 12.  Nerven 
so  ausdrehen  zu  wollen,  wäre  zu  gewagt  wegen  schwerer  Schädigung 
des  Splanchmkus,  der  möglicherweise  nicht  nur  motorischen,  sondern 
auch  trophischen  Einfluss  auf  den  Magendarmkanal  hat.  Eine  be- 
fnedigende  Losung  dieser  Schwierigkeit  ist  gegeben  durch  die  Mög¬ 
lichkeit  nachträglicher  radikaler  Heilung  des  Karzinoms  durch  Be¬ 
strahlung. 

Vortragender  erwähnt,  dass  Neuralgien  bei  inoperablem  Karzinom 
unter  Umstanden  durch  Injektion  in  die  Nerven  wesentlich  gebessert 
werden  können.  Er  selbst  hat  einen  Fall  von  Stumme  mitbeob¬ 
achtet,  wo  ungeheure  Neuralgien  im  Ischiadikus,  ausgehend  vom 
grossen  Rektumkarzinom,  wiederholt  für  Wochen  beseitigt  werden 
konnten  durch  Injektion  von  10  ccm.  1  proz.  Kokainlösung  in  den 
Ischiadikus  peripher  vom  Karzinom!  Aehnliche  Erfahrungen  von 
selbe"60  mbge^eib  be'  in°PerabIem  Uteruskarzinom  oder  Rezidiv  des- 

\\  enn  bei  Thorakalneuralgien  unbestimmten  Ursprungs  und  bei 
unsicherem  Sitz  der  Karzinommetastasen  (Wirbelsäule  natürlich  aus¬ 
geschlossen.)  die  Durchschneidung  der  Interkostalnerven  ungenügende 
erfolge  gaben,  kommt  nachträgliche  Durchschneidung  auch  des  Phre¬ 
nikus  in  Betracht. 

Heu  Payr  erläutert  an  der  Hand  von  Röntgenbildern  ein  Ver- 
Lmien  zur  „Verkürzung  der  Ulna  bei  Behandlung  schlecht  geheilter 
Kadmsfrakturen  und  Radiuspseudoarthrosen“. 

Die  Verkürzung  des  Radius  beim  Stauchungsbruch  an  der  unteren 
Epiphyse  ist  die  Hauptursache  der  radialen  Adduktionsstellung.  In 
rjllcn  hochgradiger  Deformität  kann  man  sich  veranlasst  sehen,  den 


1710 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  30. 


Radius  durch  schiefe  Osteostomie  und  nachfolgende  Naht  zu  ver- 

langern.  anderen  p;inen>  besonders  bei  Pseudoarthrosenbildung  mit 
grösserem  Defekt  ist  die  Verkürzung  der  Ulna  gelegentlich  zur  Be¬ 
hebung  der  Deformität  wegen  irreparabler  Verkürzung  der  Weich¬ 
teile  nicht  zu  umgehen.  ,  .  ,  .  .  .  . 

In  einem  Falle  von  ausgedehntem  Radiusdefekt  im  Laufe  einer 
schlecht  geheilten  Fraktur  mit  mehrfachen  vergeblichen  Naht¬ 
versuchen  wurde  das  fehlende  Stück  der  Speiche  durch  Autotrans¬ 
plantation  des  Darmbeinkammes  ersetzt,  die  Ulna  nach  folgendem 

Verfahren  verkürzt:  ,  „  .  .  ,, 

Durchsägung  mit  G  i  g  1  i  scher  Drahtsäge  2  cm  oberhalb  des 
Proc.  styloideus.  Erweiterung  der  Markhöhle  des  peripheren  Stückes 
der  Elle'  mittelst  Kugelfräse,  Verjüngung  des  zentralen,  entsprechend 
der  Lichtung  der  zylindrischen  Bohrung  im  epiphysären  Anteil.  Die 
Verjüngung  wird  mit  einem  schmälen  Bildhäuermeissei  äusgeführt, 
erstreckt  sich  auf  ungefähr  2  cm  und  schliesst  mit  einem  scharfen 
Rand  gegen  das  übrige  Diaphyse  ab. 

Es  erfolgt  nun  durch  Einschieben  des  diaphysaren  Ulnaanteiles 
in  den  epiphysären  eine  Art  S  e  1  b  s  t  b  o  1  z  u  n  g,  die  den  Vorteil  hat, 
keinerlei  Knochennaht  zu  beanspruchen,  ausserordentlich  festhält, 
ideale  Achsenrichtung  garantiert  und  der  Unannehmlichkeit  einer 
Deformierungsgefahr  aus  dem  Wege  geht.  Die  Heilungsbedingungen 
sind  bei  diesem  Vorgehen  die  denkbar  günstigsten. 

Die  Röntgenbilder  lassen  nur  an  einer  schmalen  Rille  die  Stelle 
der  erfolgten  Bolzung  erkennen. 


des  greifbar  aufsitzenden  Tumors  an  der  rechten  Uretermündung  und 
Verschorfung  des  Wundbettes  bestand,  hat  Pat.  nie  mehr  geblutet 
und  erfreut  sich  bei  einer  Gewichtszunahme  von  über  20  Pfund  der 

besten  Gesundheit.  '  .  .  . 

Wegen  der  häufigen  malignen  Degeneration  kommt  es  darauf  an. 

jedes  Papillom  möglichst  frühzeitig  zu  entfernen. 

Die  endovesikale  Behandlung,  insbesondere  die  Elektrokoagu¬ 
lator.  —  in  geeigneten  Fällen  am  besten  kombiniert  mit  der  vorherigen 
Schleimhautabtragung  —  ist  wegen  der  Einfachheit  und  Ungefährhch- 
keit  für  den  Patienten,  vor  allem  auch  wegen  des  Fehlens  der  bei 
Sectio  alta  häufig  vorkommenden  Papillomaussaat  dieser  weit 

Ul  Lf  Ausgebildete  Karzinome  sind  natürlich  nach  allgemein  chirur¬ 
gischen  Gesetzen  zu  behandeln.  Was  die  Elektrokoagulation  bei 
eben  beginnendem,  histologisch  festgestelltem  Karzinom  zu  leisten 
vermag  bleibt  abzuwarten.  Ein  Urteil  der  Schlingenbehandlung  liegt 
in  der  Möglichkeit,  den  Tumor  auch  an  seinem  Stiel  histologisch  zu 
untersuchen,  wenn  ein  negativer  Karzinombefund  natürlich  auch  nicht 
in  allen  Fällen  streng  beweisend  ist. 

Sitzung  vom  16.  April  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Müller. 

Schriftführer :  Herr  Scheidemandel. 

Herr  Thorei:  Pathologisch-anatomische  Demonstrationen. 


Aerztlicher  Verein  in  Nürnberg. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  2.  April  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Müller. 

Schriftführer:  Herr  Fürter. 

Herr  J.  Müller:  Ueber  Erfolge  der  Strahlenbehandlung  bei 
Karzinomen  der  inneren  Organe. 

Der  Vortr.  berichtet  über  seine  Erfahrungen  bei  der  Behandlung 
innerer  Karzinome  mittelst  Mesothorium  und  Röntgenbestrahlung. 
Es  standen  20  mg  Mesothorium  zur  Verfügung.  Trotz  der  kleinen 
Menge  wurden  bei  einer  Reihe  von  inoperablen  Mastdarm-  und 
Uteruskarzinomen  auffällige  Rückbildungen  beobachtet,  die  bei  ein¬ 
zelnen  einer  wenigstens  vorläufigen  klinischen  Heilung  gleichkamen. 

Auch  bei  Magenkarzinomen  wurden  Versuche  mit  inten¬ 
siver  Röntgenbehandlung  gemacht,  ln  mehreren  Fällen  wurde  Still¬ 
stand  und  vorübergehende  Besserung  erzielt,  die  über  jenes  Mass 
hinausging,  das  man  sonst  bei  der  Schonungsbehandlung  vorge¬ 
schrittener  Magenkarzinome  zu  sehen  gewohnt  ist.  Am  auffälligsten 
war  der  Erfolg  bei  einer  48  jährigen  Frau,  die  seit  November  1912  an 
Magenbeschwerden  litt  und  am  3.  VI.  13  in  äusserst  elendem,  ab- 
gemagerten  Zustand  in  das  Krankenhaus  aufgenommen  wurde.  Man 
fühlte  unter  dem  linken  Hypochondrium  durch  die  dünnen  Bauch¬ 
decken  mit  grösster  Deutlichkeit  einen  harten,  knolligen,  über  faust¬ 
grossen,  kaum  verschieblichen  Tumor,  der  nach  dem  Röntgenbild  die 
Mitte  des  Magens  einnahm  und  eine  ausgeprägte  Sanduhrform  ver- 
anlasste.  Es  bestand  Achylie,  der  Stuhl  zeigte  okkulte  Blutungen. 

Durch  die  monatelang  fortgesetzte  Röntgenbehandlung  in  Ver¬ 
bindung  mit  intravenösen  Thorium-X-Einspritzungen  wurde  eine  fort¬ 
schreitende  Besserung  des  Allgemeinbefindens  erzielt,  die  jetzt  ein 
Jahr  lang  anhält  und  mit  der  zugleich  eine  Verkleinerung  des  Tumors 
eintrat.  Von  diesem  ist  nur  noch  eine  mässige,  diffuse  Resistenz  zu 
fühlen.  Auch  das  Röntgenbild  zeigt  eine  Verminderung  der  Sanduhr- 
einschnürung.  Der  Appetit  ist  gewachsen;  das  Erbrechen  hat  völlig 
aufgehört:  im  Stuhl  ist  okkultes  Blut  nicht  mehr  nachzuweisen:  das 
Körpergewicht  ist  von  33  kg  auf  43  kg  gestiegen;  die  schwere  Kachexie 

ist  gewichen.  „  ... 

Dieser  nicht  zu  bezweifelnde  Erfolg  der  Strahlentherapie  bei 
einem  weit  vorgeschrittenen  Magenkarzinom  muss  zu  weiteren  Ver¬ 
suchen  auffordern  und  rechtfertigt,  auch  frühere  Stadien  des  Magen¬ 
krebses  der  Röntgenbehandlung  zu  unterziehen.  Für  letztere  un¬ 
geeignet  sind  alle  Fälle,  die  stärkere  Stenosen  am  Magen  und  Darm 
verursachen  Diese  sind  so  bald  als  möglich  dem  Chirurgen  zuzu¬ 
führen.  _  . 

Zum  Schluss  wird  noch  ein  Kranker  mit  grossem  Osteosarkom 
des  Oberkiefers  vorgestellt,  bei  dem  durch  Röntgenbestrahlung  eben¬ 
falls  eine  deutliche  Verkleinerung  der  Geschwulst  erzielt  wurde. 

Herr  Goldenberg:  Ueber  endovesikale  Behandlung  von 
Blasentumoren. 

Kurze  Besprechung  der  Diagnose,  gleichzeitiger  Bericht  über 
eine  Reihe  zystoskopisch  festgestellter  und  später  teils  mit  Sectio 
alta,  teils  mit  Schlinge  und  Elektrokoagulation  behandelter  Tumoren. 
Epidiaskopische  Demonstration  der  dazugehörigen  mikroskopischer 
Präparate  (Frau  Dr.  R  o  d  1  e  r).  Zum  Teil  handelt  es  sich  um  einfach 
gutartiges  Papillom,  in  einem  anderen  Fall  um  beginnende  karzinoma- 
töse  Umwandlung  (Proliferation  und  Uretaplasie)  des  Epithels,  Ein¬ 
bruch  in  ein  Lvmphgefäss,  in  wieder  einem  anderen  um  ausge¬ 
sprochene  sekundäre  Karzinomentwicklung  bei  einem  Pat.,  bei  dem 
vor  ca.  10  Jahren  von  anderer  einwandfreier  Seite  zystoskopisch  an 
derselben  Stelle  ein  gestieltes  Papillom  festgestellt  worden  war.  Seit 
der  3 Ms  Jahre  zurückliegenden  Operation,  die  nur  in  Umschneidung 


Wissenschaftl.  Gesellschaft  deutscher  Aerzte  In  Böhmen. 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzung  vom  19.  Juni  1914. 

Herr  Grosser  demonstriert  den  von  J.  Johns  ton  im  April 
1914  (Anatomical  Record,  Vol.  8)  für  den  Menschen  beschriebenen 
neuen  Hirnnerven,  den  Nervus  terminalis.  Der  Nerv  entspringt  an 
der  Hirnbasis  hinter  dem  Trigonum  olfactorium  und  verläuft  durch 
die  weichen  Hirnhäute  medial  vom  I  ractus  olfactorius  zur  Lamina 
cribrosa.  Seine  periphere  Ausbreitung  ist  für  den  Menschen  noch 
nicht  festgestellt;  beim  Kaninchen  (Huber  und  G  u  i  1  d,  Anat. 
Record,  Vol.  7,  1913)  verbreitert  er  sich  am  Septum  zum  Jacob  - 
s  o  n  sehen  Organ  vor,  resp.  über  demselben.  In  der  Nasenschleiin- 
haut  und  im  intrakraniellen  Teil  enthält  der  Nerv  bipolare  Ganglien¬ 
zellen  vom  Charakter  sympathischer  Zellen;  die  Fasern  sind  grössten¬ 
teils  aber  nicht  ausschliesslich  marklos.  Der  Nerv  ist  also  seinem 
Ursprung  und  Verlauf  nach  ein  echter  Hirnnerv,  seinem  Bau  nach  ein 
Teil  des  Sympathikus.  Vielleicht  vermag  er  die  Fl  i  e  s  s  sehen  Zonen 
der  Nasenschleimhaut  zu  erklären.  Der  Nerv  findet  sich  anscheinend 
bei  allen  Wirbeltieren,  auch  bei  den  Wassersäugetieren,  denen  der 
Olfaktorius  vollständig  fehlt  und  ist  eigentlich  niemals  viel  starker 
als  bei  den  Säugetieren.  —  Eine  moderne  Klassifikation  der  Hirn¬ 
nerven  überhaupt  muss  den  Nervus  opticus  und  den  N.  olfactorius  der 
älteren  Anatomie  streichen.  Der  Optikus  ist  ein  Hirnteil  wie  der 
Tractus  opticus,  da  die  Retina  als  verlagerter  Hirnlappen  aufzufassen 
ist.  Auch  Bulbus  und  Tractus  olfactorius  sind  Teile  eines  rudimentär 
gewordenen  Hirnlappens,  nur  die  Fila  olfactoria  sind  periphere 
Nerven.  Die  Vagusgruppe  ist  als  einheitlicher  Nerv  aufzufassen,  zu¬ 
mindest  ist  der  Akzessorius  als  selbständiger  Nerv  zu  streichen.  Da¬ 
für  sind  der  N.  terminalis  und  der  N.  intermedius  mit  dem  Ganglion 
geniculi  und  der  Chorda  tympani  als  periphere  Verzweigung  neu 
unter  die  Hirnnerven  aufzunehmen. 

Herr  E.  J.  Kraus  stellt  einen  Fall  von  Grawitztumor  vor, 
der  klinisch  unter  dem  Bilde  einer  Polyneuritis  verlief.  Es  handelte 
sich  um  ein  25  jähr.  Mädchen  von  der  Klinik  des  Hofrat  v.  J  a  k  s  c  h. 
—  Die  Sektion  des  gutgenährten  Weibes  ergab  einen  zum  Teil  ver¬ 
kalkten  Grawitztumor  der  rechten  Niere  mit  mächtiger  Metastasen¬ 
bildung  im  Knochensystem  (Schädel,  Wirbelsäule,  Becken,  Rippen 
etc.),  daneben  Metastasen  in  der  Leber,  den  Lungen  sowie  der 
Scheide.  Ausser  diesen  gewaltigen  Veränderungen  ergab  die  Sektion 
einen  mässigen  Grad  von  Status  lymphaticus  und  hypoplasticus.  Die 
ausgedehnten  Zerstörungen  des  Knochensystems  dürften  die  poly- 
neuritischen  Erscheinungen  vorgetäuscht  haben.  (Das  Zentralnerven¬ 
system  war  frei  von  krankhaften  Veränderungen.) 

Herr  Roman:  Ein  Fall  von  klinisch  typischer  lymphatischer 
Leukämie  mit  starker,  diffuser,  flacher  Infiltration  der  Pleura  und 
des  Perikards  und  mit  lymphosarkomähnlicher  Infiltration  der  Musku¬ 
latur  und  ein  Fall  von  Lymphogranulomatose  der  Lymphknoten  ober¬ 
halb  des  Zwerchfells,  besonders  der  mediastinalen,  der  ebenfalls 
diffuse  flache  Infiltration  zeigte.  Milz  und  Leber  waren  dabei  nicht 
beteiligt. 

Herr  H.  Pribram:  Beeinflussung  des  anämischen  Blutbildes 
durch  Infektionen. 

Eine  39  jähr.  Frau  wurde  wegen  langdauernder  Genitalblutungen 
(Metritis,  Endometritis,  Salpingo-Oophoritis)  supravaginal  amputiert. 
Nachher  Pneumonie  und  Pneumokokkenabszess  der  Laparotomie¬ 
gegend  Blutbild:  Schwerste  Anämie  (Anisozytose,  Poikilozytose. 
Polychromatophilie,  Norrnoblasten,  Mitosen)  und  Vorstufen  der  mye- 
loiden  Reihe  in  grosser  Zahl:  Myelozyten.  Myeloblasten,  Plasmazellen 
und  Reizungsformen.  Das  Blutbild  war  das  einer  myeloiden  Leu¬ 
kämie  mit  Anämie.  In  kurzer  Zeit  vollständige  Heilung,  die  bereits 
y2  Jahr  andauert.  Derartige,  in  diesem  Fall  durch  die  Schädigung 
des  hämatopoetischen  Apparates  durch  die  posthämorrhagische 


28.  Juli  191 -L 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


171 


Anämie  und  die  dazukommenden  Infektionen  entstandene  Blutverän- 
Jerungen  dürften  bei  disponierten  Individuen  persistent  bleiben  können 
und  damit  den  Beginn  einer  Leukämie  darstellen.  Rotky-Prag. 


Verschiedenes. 

Nach  einer  Uebersicht  über  die  in  Preussen  im  Jahre  1913 
lekannt  gewordenen  Bissverletzungen  durch  tolle  oder 
Jer  "Tollwut  verdächtige  Tiere  (Min.Bl.  f.  Medizinal- 
uigelegenheiten  1914  Nr.  29)  wurden  im  Jahre  1913  247  solche  Ver- 
etzungen  amtlich  gemeldet  (gegen  240  im  Jahre  1912).  159  Verletzte 
-  64,3  Proz.)  waren  männlichen,  88  (=  35,7  Proz.)  weiblichen 
lescnleclites.  Die  Zahl  der  Bissverletzungen  war  wie  gewöhnlich 
?  f1 er  wärmeren  Jahreszeit  höher  als  im  Winter  und  Herbst 
03.9:44,1  Proz.).  Am  stärksten  betroffen  waren  die  Provinzen  Ost- 
ireussen  mit  92  (45)  und  Schlesien  mit  86  (129)  Fällen;  es  folgen 
osen  und  Brandenburg  mit  je  19,  Rheinprovinz  und  Westpreussen 
]1.  je  I.3,  1  Fall,  Hessen-Nassau  und  Sachsen  blieben 

rei.  Die  247  Verletzungen  wurden  von  119  Tieren  (113  Hunden,  je 
Katzen,  Pferden,  Kühen)  zugefügt,  von  denen  88  als  sicher  wut- 
ra?n  j-n  verdächt>g.  14  als  sicher  nicht  wutkrank  erkannt  wurden; 
1  iT,  ,  war  die  Untersuchung  des  Tieres  nicht  möglich.  Von 
en  -4 1  Verletzten  wurden  240  ( —  97,6  Proz.)  der  Schutzimpfung  nach 
a  s  t  e  u  r  unterzogen,  davon  137  im  Institut  Robert  Koch  in  Berlin 
d3  nn  Hj^gienischen  Institut  in  Breslau.  Hievon  erkrankten  und 

iii  —  \roz->  von  den  7  nicht  schutzgeimpften  Personen 

rkrankte  und  starb  1. 

Therapeutische  Notizen. 

lieber  die  Behandlung  bei  gleichzeitiger  Erkran- 
u  n  g  a  n  Q  i  c  h  t  u  n  d  D  i  a  b  e  t  e  s  gibt  Karl  v.Noorden- Frank- 
irt  a.  M.  wichtige  Ratschläge.  Während  in  der  Praxis  das  Haupt- 
igenmerk  meist  auf  das  schmerzhafte  Leiden,  die  Gicht,  gerichtet 
ird,  wil  Noorden  vor  allen  Dingen  die  Glykosurie  und  die 
' bekämpft  haben,  da  die  in  den  Kombinationsfällen 
>n  Gicht  und  Diabetes  sehr  häufig  auftretenden  unangenehmen  Kom- 
lkationen  mehr  von  der  Hyperglykämie  als  von  der  Urikämie  ab- 
ingen. 

ln  allen  leichten  Fällen  kommt  man  mit  einer  antidiabetischen 
-ir,  in  die  von  Zeit  zu  Zeit  eine  purinfreie  Periode  eingeschaltet 
ird,  gut  zum  Ziel.  Nur  in  den  Fällen,  wo  beide  Krankheitsformen 
ark  entwickelt  sind,  wechselt  man  am  besten  alle  2  Wochen  die 
astordnung:  2  Wochen  antidiabetische  Kost  mit  beschränkter 
euschzufuhr  wechseln  mit  2  Wochen  fleischloser  Kost  mit  etwa 
—100  g  täglicher  Kohlehydratzufuhr.  (Ther.  Mh.  1914  H.  5.)  Kr. 


Tagesgeschichtliche  Notizen. 

München,  den  27.  Juli  1914. 

—  Vorläufige  Einigung  zwischen  Aerzten  und 
ussen  in  Überbarnim.  Im  Ministerium  für  Handel  und  Ge- 
;rbe  fand  unter  dem  Vorsitz  des  Ministerialdirektors  v.  Meyer  en 
le  Verhandlung  zwischen  den  Bevollmächtigten  der  Krankenkassen 
r  Kreise  Angermiinde  und  reinplin  und  des  Aerztevereins  für  Ober- 
rnim  und  die  Uckermark  zur  Beilegung  der  Streitigkeiten  zwischen 
ankenkassen  und  Aerzten  statt.  An  der  Verhandlung  nahmen  teil 
rtreter  der  beteiligten  Ministerien,  des  Regierungspräsidenten  in 
tsdam,  Vertreter  der  Versicherungsämter,  die  Aerztekammer  und 

-einziger  verband.  Die  Besprechung  führte  zu  dem  erfreulichen 
gebnis,  dass  sich  die  Aerzte  bereit  erklärten,  vom  22.  ds.  Mts.  ab 
ärztliche  Behandlung  der  Mitglieder  der  beteiligten  Kranken- 
^sen  b!s  zum  Abschluss  endgültiger  Verträge  wieder  aufzunehmen, 
m  Abschluss  dieser  endgültigen  Verträge  sollen  die  Bestimmungen 
;  Berliner  Abkommens  zugrunde  gelegt  werden. 

—  Die  neuen  Vorschriften  für  die  ärztliche  Leichenschau 

i  Feuerbestattung  im  Königreich  Sachsen  sind  nun 
issen  worden.  Die  ärztliche  Schau  menschlicher  Leichen,  die  der 
lerbestattung  übergeben  werden  sollen,  ist  von  einem  beamteten 
'te,  der  an  der  Behandlung  des  Verstorbenen  nicht  beteiligt  ge- 
sen  ist,  und  von  dem  behandelnden  Arzte  vorzunehmen.  Als  be- 
u  lm  Sinne  des  Gesetzes  über  die  Feuerbestattung  vom 

viai  1906  gelten  die  Bezirksärzte  (Kreisärzte)  und  die  sächsischen 

■.tultsbezirksarzte  innerhalb  und  ausserhalb  ihrer  Bezirke,  sowie 
medizinischen  Räte  der  Kreishauptmannschaften.  Als  „zweiter“ 
uteter  Arzt  kann  auch  jeder  Arzt  berufen  werden,  der  bei  dem 
at,  einem  Bezirksverband  oder  einer  Gemeinde  in  Eidespflicht 
.  Bei  der  Besichtigung  haben  die  Aerzte  den  Hauptzweck  der 
-nensxhau  —  Aufdeckung  strafbarer  Handlungen,  durch  die  der 
herbeigeführt  sein  kann  —  zu  beachten. 

Fntsprechend  dem  von  dem  Internationalen  Komitee  für  die 
\ngo-KhnioIogenkongresse  gefassten  Beschluss  wird  der  nächste 
.  r, R  a  1 10nale  Laryngo-Rhinologenkongress  im 
rhi„  5  V0,m  9~12;  September  in  Hamburg  in  unmittelbarem 
i  s?  aR  den  ebenfalls  in  Hamburg  stattfindenden  Internationalen 
I  ®  hkongress  tagen.  Aus  Gründen  der  Zweckmässigkeit  ist  be- 
en  worden,  beide  Kongresse  gemeinsam  am  Sonntag,  den  I 


5.  -  eptember,  zu  eröffnen.  Vorträge  und  Demonstrationen  sind  bis 
zum  l.  Mai  1915  bei  dem  Generalsekretär  G.  Finder,  Berlin  W 
Augsburgerstr.  38  anzumelden.  Als  Themata  für  die  Referate  sind 
seitens  des  Internationalen  Komitees  bestimmt  worden;  1.  Patho- 
genese  und  Aetiologie  der  Ozaena.  2.  Pathogenese  und  Behandlung 
des  Heuschnupfens.  3.  Der  Krebs  des  Kehlkopfes,  seine  Diagnose  und 
m  .iü  i  unK;  , [.nd'kationen  und  Anwendungsweise  der  physikalischen 

Methoden  für  die  Behandlung  der  Kehlkopftuberkulose.  5.  Die  Er- 
Krankungen  der  Nase  und  ihrer  Nebenhöhlen  im  Kindesalter.  Mit 
em  Kongress  soll  eine  Ausstellung  von  anatomischen  und  patho¬ 
logisch-anatomischen  Präparaten,  von  Lehrmitteln  und  Röntgen¬ 
bildern  verbunden  werden. 

~  I11  der  Gemeinsamen  Iagung  der  Gesellschaft 
e  u  t  s  c  h  e  r  N  e  r  v  e  n  ä  r  z  t  e  (8.  Jahresversammlung)  und  der 
c  C  h  ,w.e  1  z  e  r  1  sehen  Neurologischen  Gesellschaft  am 
f- 6-  September  1914  inBern  sind  folgende  Vorträge  angemeldet 
von  den  Herren:  1.  L.  Asher  -  Bern:  Experimentelle  Differenzierung 
von  erregenden  und  hemmenden  nervösen  Mechanismen.  2.  S 
Erben-  Wien :  Ueber  spastische  Phänomene.  3.  O.  Foerster- 
Breslau:  Ueber  die  spezifische  Behandlung  der  Tabes  dorsalis. 

'  .  ■  -Kar  plus  und  Kr  ei  dl -Wien:  Ueber  Sympathikuszentren 
und  -bahnen  im  Zentralnervensystem.  5.  M.  Nonne-  Hamburg  • 
Anatomische  Demonstration  zum  Kapitel  der  Cachexia  hypophysi- 
pnva.  6.  A.  S  ae  n  g  e  r  -  Hamburg:  Ueber  akute  doppelseitige  Er- 

GrdsSter  fvSCeht°enbor"-  Heidelberg:  Tetaniesymptome  im 
Greisenalter.  8.  G.  S  t  ein  e  r  -  Strassburg:  Das  Zentralnervensystem 
bei  der  Spirillose  des  Huhns.  9.  G.  S  t  i  e  f  1  e  r  -  Linz:  Ueber  die 
therapeutische  Wirkung  von  Schlafmitteln  bei  Epilepsie.  10.  A 
Stof  fei- Mannheim:  Neues  über  die  Ischias  und  die  Behandlung 
des  Leidens.  11.  0.  V  e  r  a  g  u  t  h  -  Zürich:  Tierexperimentelle  Unter¬ 
suchungen  über  den  psychogalvanischen  Reflex.  12.  Fr.  Wohl- 
w  1 1 1  -  Hamburg:  Pathologisch-anatomische  Befunde  im  Zentral¬ 
nervensystem  der  Syphilitiker  (nach  gemeinsam  mit  Prof.  E  Fraen- 
k  e  1  -  Hamburg  ausgeführten  Untersuchungen).  13.  Z  a  n  i  e  t  o  w  s  k  i- 
Krakau:  Die  Fortschritte  der  elektrodiagnostischen  Methoden  mit 
besonderer  Berücksichtigung  eigener  Versuche  (Demonstrations¬ 
vortrag). 

v,.  ~7,Der  9-  1VeAtret/£rtag  des  Verbandes  Deutscher 
K 1 1  n  i  k  e  r  s  c  h  a  f  t  e  n  (Berlin,  Bonn,  Breslau,  Erlangen,  Freiburg 
Giessen,  Göttingen,  Greifswald,  Halle,  Heidelberg,  Jena,  Kiel,  Königs- 
^r-  Leipzig  Marburg,  München,  Rostock,  Strassburg,  Tübingen, 
Wurzburg)  nndet  am  31.  Juli  und  1.  August  in  L  e  i  p  z  i  g  statt. 

r.  ^In  d?r  Zel^.  v°m  ,19— 3L  Oktober  1914  wird  in  München  ein 
Fortbildungskurs  für  Bezirksärzte  über  Hygiene,  gerichtliche  Medizin 
™d  gerichtliche  Psychiatrie  abgehalten.  Zu  dem  Kurse  werden 
3w  Bezirksarzte  zugelassen,  und  zwar  aus  jedem  Kreise  4.  Den  Teil- 
nehmern  wird  für  die  Dauer  des  Kurses  und  der  Reise  ein  ausser¬ 
ordentlicher  Urlaub  gewährt.  Ferner  erhalten  sie  Tagegelder  und 
Ersatz  der  Reisekosten  nach  den  verordnungsmässigen  Vorschriften. 
Die  Gesuche  um  Zulassung  sind  bei  den  K.  Regierungen,  Kammern  des 
Innern,  bis  1.  September  einzureichen.  Näheres  über  Zeiteinteilung 
und  Lehrplan  s.  Bayer.  Staatsztg.  Nr.  170,  2.  Blatt. 

ir  +  Bj11  neologischer  Kurszyklus  in  Karlsbad. 
Unter  Forderung  des  Internationalen  Komitees  für  das  ärztliche 
Eoitbildungswesen  findet  in  Karlsbad  in  der  Zeit  vom  27.  September 
b,ls  3-  Oktober  ein  Kurszyklus  über  Balneologie  und  Balneotherapie 
statt.  Dm  I  eilnahme  an  dem  Kurszyklus  ist  unentgeltlich,  nur  wird 
eine  Einschreibgebühr  von  10  Kronen  erhoben.  Alles  Nähere  ergibt 
der  der  heutigen  Nummer  beiliegende  Prospekt. 

~  jder  FrauenkHnik  zu  Dresden  sollen  die  nächsten 

£nornV?  VduilgTska  Tle,  für  Aerzte  in  der  Zeit  vom  5.  bis 
30.  Oktober  d.  J.  abgehalten  werden. 

—  Der  Bundesrat  hat  den  Regierungs-  und  Geheimen  Medizinal- 
n1  uhl  Pr'  £?anuel  Rot.h  m  Potsdam  und  den  Marinegeneralarzt 
Dr  Wilhelm  U t  h  e  m  a  11 in  in  Kiel  zu  Mitgliedern  des  Reichsgesund¬ 
heitsrates  gewählt,  (hk.) 

.  ~  Or;  Karl  Kolb,  Assistenzarzt  an  der  Heidelberger  chirur¬ 

gischen  Klinik,  ist  zum  Direktor  des  städtischen  Krankenhauses  in 
bchwenmngen  a.  Neckar  berufen  worden,  (hk.) 

•  t/- .Ch,°'f ra>  Russland.  Laut  Mitteilung  vom  10.  Juli  wurden 
nn  Kreise  Letitschew  (Gouv.  Podolien)  2  Todesfälle  festgestellt;  das 
Gouvernement  ist  für  cholerabedroht  erklärt  worden. 

•7nPeTStk  Türke.i-  In  Beirut  wurde  am  6.  Juli  1*  neuer  Pestfall 
f-M?1!  ?  K  In ,f3assra  s!nd  Im  Mai  4  Erkrankungen  (darunter  2  Todes¬ 
fälle)  festgestellt  worden,  im  Juni  2  (2)  und  vom  1.  bis  9.  Juli  7  (3). 

ein  ^rkischer  Dampfer  aus  Bassra  mit 
1  Pestfall  an  Bord  em.  —  Aegypten.  Vom  27.  Juni  bis  10.  Juli  er¬ 
krankten  15  (und  starben  6)  Personen,  davon  in  Port  Said  5  (3)  in 
Alexandrien  7  (2)  und  in  Etsa  3  (1).  —  Britisch  Ostindien.  Vom 
7.  bis  13.  Juni  erkrankten  1473  und  starben  1310  Personen.  —  Nieder- 
i^Rdi?c!?  lRdi,ei?-  Vom  17-  bis  Juni  wurden  485  Erkrankungen  (und 
512  Todesfälle)  gemeldet.  —  Hongkong.  Vom  7.  bis  13.  Juni  81  Erkran¬ 
kungen  (davon  46  in  der  Stadt  Viktoria)  und  70  Todesfälle.  — 
Zanzibar.  Laut  Mitteilung  vom  12.  Juni  sind  in  der  Stadt  Zanzibar 
3  Erkrankungen,  darunter  1  mit  tödlichem  Ausgang,  festgestellt 
worden.  —  Vereinigte  Staaten  von  Amerika.  In  New  Orleans  ist  am 
28.  Juni  ein  schwedischer  Seemann  an  Pest  gestorben.  Unter  den 
wegen  Ansteckungsverdachts  abgesonderten  Insassen  des  Logier¬ 
hauses,  in  welchem  der  Verstorbene  gewohnt  hatte,  ist  am  gleichen 


1712 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  30. 


Tage  ein  zweiter  Fcstfall  bakteriologisch  festgestellt  worden. 
Peru  Im  Krankenhause  von  Trujillo  befanden  sich  am  19.  Mai  5  Pes  - 

kranke.  ^  ^  Jahreswoche>  vom  5.  bis  11.  Juli  1914.  hatten  von 

deutschen  Städten  über  40  000  Einwohner  die  grösste  Sterblichkeit 
Bromberg  mit  24.7.  die  geringste  Berlin-Friedenau  mit  3.3  Todes¬ 
fällen  pro  Jahr  und  1000  Einwohner.  Mehr  als  ein  Zehntel  aller 
Gestorbenen  starb  an  Scharlach  in  Gladbeck,  Gleiwitz,  Konigshutte, 
an  Masern  und  Röteln  in  Ulm,  an  Keuchhusten  in i  Berlin-Reinicken- 
d()r{  Voft.  Kais.  Ges.A. 


(Hochschulnachrichten.)  .  ..  ,  . 

Berlin.  Das  50  j  ä  h  r  i  g  e  Dozentenjubilaum  beging 
am  20  luli  der  Berliner  Anatom  Geh.  Obermedizinalrat  Prot. 
Dr  Wilhelm  Waldeyer,  Mitglied  des  Herrenhauses,  Mitglied  und 
beständiger  Sekretär  der  preussischen  Akademie  der  Wissen¬ 
schaften  (hk.)  —  Als  Privatdozenten  habilitierten  sich  Dr.  plul.  et  med. 
Otto  W  a  r  b  u  r  g,  früher  Privatdozent  in  Heidelberg,  mit  einer  Probe¬ 
vorlesung  über  die  Rolle  des  Eisens  im  Mechanismus  der  Sauerstoft- 
atmung.  Stabsarzt  Dr  Friedrich  Lotz,  Assistent  an  der  chirurgischen 
Klinik  der  Charitee,  mit  einer  Vorlesung  über  den  Infektionsmodus 
bei  Kriegsschussverletzungen,  Dr.  Kurt  W  arnekro  s,  Assistent  an 
da  Universitäts-Frauenklinik,  mit  einem  Beitrag  zur  Prognose  des 

Puerperalfiebers.  ,  .  ...  ,  , 

Düsseldorf.  Der  Direktor  des  biochemischen  Institutes  der 
Akademie  für  praktische  Medizin  Prof.  Dr.  Johannes  M  ü  11  er  erhielt 
einen  Ruf  an  das  Medico-Chirurgical  College  in  Philadelphia. 

Frankfurt.  Der  Privatdozent  für  Zahnheilkunde  an  der 
Strassburger  Universität  Oberstabsarzt  Dr.  Otto  L  o  o  s  hat  einen 
Ruf  als  ausserordentlicher  Professor  nach  Frankfurt  erhalten,  (hk.; 

Giessen.  Der  Assistent  am  hygienischen  Institut  Dr.  Otto 
H  ii  n  t  e  in  ii  1 1  e  r  habilitierte  sich  mit  einer  Probevorlesung  über 
moderne  Seuchenbekämpfung  als  Privatdozent  für  Hygiene. 

Heidelberg.  Der  Professor  der  Orthopädie  Dr.  Oscar 
V  u  1  p  i  u  s  wurde  zum  korrespondierenden  Mitglied  der  Kgl.  Akademie 
der  Medizin  und  Chirurgie  in  Barcelona  ernannt. 

Jena.  Geh  Obermedizinalrat  Dr.  Rudolf  Abel  in  Berlin  hat 
den  Ruf  als  Nachfolger  von  Prof.  Dr.  Gärtner  als  Direktor  des 
Hygienischen  Instituts  der  Universität  Jena  angenommen. 

München.  Zum  Rector  magnificus  der  Universität  für  das 
kommende  Studienjahr  1914/15  wurde  Geheimrat  Dr.  Friedrich 
v.  M  ii  1 1  e  r,  Professor  der  inneren  Medizin  und  Direktor  des  Stadt. 

Krankenhauses  1.  I  gewählt.  .. 

Strassburg.  Ehemalige  Assistenten,  Schüler,  ärztliche  und 
akademische  Kollegen  des  emeritierten  Professors  Dr.  _  Wilhelm 
Alexander  Freund  haben  zur  Ehrung  des  Achtzigjährigen  eine 
Summe  von  8000  M.  gesammelt,  welche  mit  dem  Einverständnis  des 
Jubilars  der  Universität  übergeben  worden  sind  und  deren  Zinsen 
zur  Unterstützung  wissenschaftlicher  Arbeiten  auf  dem  Forschungs¬ 
gebiet  Freunds  unter  der  Verwaltung  der  medizinischen  Fakultät 
dienen  sollen,  (hk.) 


Paris.  Dr.  C  o  u  v  e  1  a  i  r  e  wurde  zum  Professor  der  geburts¬ 
hilflichen  Klinik  ernannt.  D 

Prag.  Der  a.  o.  Professor  der  internen  Medizin  an  der  Prager 
deutschen  Universität  Regierungsrat  Dr.  Theodor  Petr  in  a  ist  in 
den  Ruhestand  getreten.  Aus  diesem  Anlass  erhielt  er  den  I  itel  eines 
Hofrates  (hk.)  —  An  der  deutschen  Universität  wurde  als  Privat¬ 
dozent  zugelassen:  Dr.  Richard  Imhofer  für  Laryngologie.  (hk 
Wien.  Als  Privatdozenten  wurden  zugelassen:  Dr.  Rudolt 
Ritter  Aberle  von  Horstenegg  für  orthopädische  Chirurgie 
und  Dr.  Isidor  Fischer  für  Geschichte  der  Medizin,  (hk.) 


(Todesfälle.) 

Dr.  Otto  G.  Ramsa  y,  Professor  der  Geburtshilfe  und  Gynä¬ 
kologie  an  der  Yale-Universität  zu  New  Haven. 

Dr.  Joseph  W.  Gleitsmann,  früher  Professor  der  Rhino- 
I  aryngölogie  an  New  York  Polyclinic  Medical  School  and  Hospital. 

In  Dublin  starb  der  Professor  der  Anatomie  und  Physiologie 
Sir  Christophcr  John  Nixon. 


Korrespondenz. 


Bemerkung  zur  Mikrostickstoffbestimmung  in  den  Dialysaten  und  in 
enteiweissten  Sernmproben  zur  Feststellung  der  Abwehrferment¬ 
wirkung. 

Von  Emil  Abderhalden  in  Halle  a.  S. 


Beitrag  zur  Kupferbehandlung  der  Lungentuberkulose. 

Von  C.  M  o  e  w  e  s  und  K.  J  a  u  e  r. 


Auf  Wunsch  der  Farbenfabriken  vorm.  F riedr. B  a  y  e  r  &  Co 
teilen  wir  zu  unserer  Publikation  in  Nr.  26  d.  Wschr.  mit,  dass  die 
von  uns  zu  Injektionszwecken  angewandte  Kupfersalzlosung  nicht 
identisch  sein  soll  mit  den  von  der  Firma  „Lecutyl  genannten  Kupfer¬ 
präparaten.  _ _ 


Wir  erhalten  folgende  Zuschrift  zu  M.  N  i  k  i  t  i  n  s  Aufsat; 


Ueber  den  Einfluss  der  Schutzimpfungen  Kegen  Lyssa  au 
den  Verlauf  der  Anfälle  bei  Epilepsie“  (M.m.W.  Nr.  28) 


M  N  i  k  i  t  i  n  scheint  entgangen  zu  sein,  dass  schon  vor  un 
gefähr  20  Jahren  in  Paris  aus  dem  Pasteurschen  Institu 
aus  der  Feder  eines  bekannten  Neurologen,  dessen  Nam 
mir  jetzt  nicht  ins  Gedächtnis  kommen  will,  eine  Arbeit  erschien 
die  dasselbe  Thema  behandelte.  Auch  dort  wurde  die  Beobachtun: 
gemacht,  dass  nach  einer  antirabischen  Kur  bei  einem  Epileptike 
die  Anfälle  abnahmen  resp.  verschwanden.  Angeregt  durch  dies 
Beobachtung  haben  wir  damals  in  Dr.  G  o  1  d  f  1  a  m  s  Poliklinik  dure 
das  hiesige  musterhafte  Institut  (Dr.  Palmir  s  n  i)  bei  einigen  Epi 
lcotikern  eine  systematische  Impfung  durchfuhren  lassen  —  olin 
irgendwelchen  Erfolg.  Auch  in  Paris  hat  die  Methode  spater  keine 
Nachklang  mehr  gefunden.  Es  scheint  doch,  dass  nur  der  Schot 
des  Hundebisses  die  Epilepsie  beeinflusst  hat.  Diese  historische  Rt 
miniszenz  scheint  mir  insofern  interessant,  als  sie  vielleicht  eine  neu 
I  xssaära“  in  der  Behandlung  der  Epilepsie  verhüten  wird,  wie  e 
sich  init  dem  Crotalin,  wo  ein  analoger  Vorgang  wahrscheinlich  stab 
gefunden  hat,  abspielt.  Dr.  L.  B  y  c  h  o  w  s  k  -  Warschau. 


Amtliches. 


(Bayern.) 

Nr.  5008  f.  2. 

Bekanntmachung 

über  die  Prüfung  für  den  ärztlichen  Staatsdiens 

Kgl.  Staatsministerium  des  Innern. 

Aerzte,  welche  die  Approbation  bereits  seit  2  Jahren  besitze 
können  zur  Prüfung  für  den  ärztlichen  Staatsdienst  nach  der  Ve 
Ordnung  vom  7.  November  1908  (GVB1.  S.  72)  jederzeit  zugelass. 
werden.  _  -  I 

Die  nächste  praktische  und  mündliche  Prüfung  findet  im  Juli  19 
statt.  9j 

Zulassungsgesuche  sind  mit  den  vorgeschriebenen  Belegen  (Ve 
Ordnung  (§  2)  beim  Kgl.  Stciätsministcrium  des  Innern  cinzurcichc 

München,  21.  Juli  1914 

Ministerialdirektor  von  H  e  n  1  e. 


Uebersicht  der  Sterbefälle  in  München 


Es  ist  Seite  301  der  4.  Auflage  der  „Abwehrfermente“  eine  ge¬ 
meinsam  mit  F  o  d  o  r  ausprobierte,  der  F  o  1  i  n  sehen  Methode 
ähnliche  Bestimmung  kleiner  Stickstoffmengen  angegeben  worden. 
Es  ist  nachzutragen,  dass  es  auf  alle  Fälle  ratsam  ist,  zum  Schlüsse 
das  Kölbchen,  aus  dem  das  Ammoniak  übergetrieben  wird,  zu  er¬ 
hitzen  Ferner  ist  es  besser,  nur  Rohrverbindungen  zu  wählen, 
welche  gerade  sind  und  keine  kugeligen  Auftreibungen  besitzen. 
Man  kann  an  eine  Säugpumpe  eine  ganze  Reihe  von  Apparaten  an- 
schliessen  und  so  in  kurzer  Zeit  viele  Bestimmungen  durchfuhren. 
Die  ganze  Apparatur  wird  am  besten  aus  Jenaerglas  angefertigt. 

Die  Methode  hat  sich  in  zahlreichen  Versuchen  ausgezeichnet 
bewährt.  _ 


während  der  27.  Jahreswoche  vom  5.  bis  11.  Juli  1914. 

Bevölkerungszahl  640000. 

Todesursachen:  Angeborene  Lebensschwäche  einschl.  Bildung 
fehler  10  (141),  Altersschw.  (über  60  Jahre)  3(4),  Kindbettfieber  —  l. 
and.  Folgen  der  Geburt  und  Schwangerschaft  1  (—1,  Scharlach  —  (-, 
Masern  u.  Röteln  —  (2),  Diphtherie  u.  Krupp  — (—),  Keuchhusten—!-. 
Typhus  .ausschl.  Paratyphus)  —(—),  akut.  Gelenkrheumatismus  —  (  . 
übertragbare  Tierkrankh.,  d.  s.  Milzbrand,  Rotzkrankh.,  Hundsw, 
Trichinenkrankh.  -  (-),  Rose  lErysipel)  -  (2),  Starrkrampf  -  h 
Blutvergiftung  1  (2  ,  Tuberkul.  der  Lungen  17  (19),  Tuberkul.  and.U. 
(auch  Skrofulöse)  5  (4),  akute  allgem.  Miliartuberkulose  —  (— ),  Lung- 
entzünd.,  kruppöse  wie  katarrh.  usw.  4  (7),  Influenza  —  (— ),  veno 
sehe  Krankh.  1  (1),  and.  übertragbare  Krankh.:  Pocken,  FleckfieL 
Ruhr,  Genickstarre,  Strahlenpilzkrankh.,  Lepra,  asiat.  Cholera,  \v  ecti; ■ 
fieber  usw.  —  (— ),  Zuckerkrankh.  (ausschl.  Diab.  insip.)  6  (3),  Alkoho- 
mus  _  (_)  Entzünd,  u  Katarrhe  der  Atmungsorg.  1  (2),  sonst.  Kran 
d.  Atmungsorgane  6  (9),  organ.  Herzleiden  16  (19),  Herzschlag,  ne 
lähmung  (ohne  näh.  Angabe  d.  Grundleidens)  8  (4),  Arterienverkalkn 
1  (5),  sonstige  Herz-  u.  Blutgefässkrankh.  2  (2),  Gehirnschlag  M 
Geisteskrankh.  —  (1),  Krämpfe  d.  Kinder  2  (2),  sonst.  Krankh.  d. Nerv 
Systems  5  (2),  Atrophie  der  Kinder  1  (4),  Brechdurchfall  —  (2),  Mag 
katarrh,  Darmkatarrh,  Durchfall,  Cholera  nostras  8  (8),  Blindda 
entzünd.  2  (4),  Krankh.  der  Leber,  Gallenblase,  Bauchspeicheldrüse 
Milz  4  (3),  sonst.  Krankh.  der  Verdauungsorg.  3  (6),  Nierenentzünd.  4 
sonst.  Krankh.  der  Harn-  u.  Geschlechtsorg.  2  (2),  Krebs  14  (16),  so 
Neubildungen  3  (4),  Krankh.  der  äuss.  Bedeckungen  —  (2),  Krankn. 
Bewegungsorgane  —  (2),  Selbstmord  6  (1),  Mord,  Totschlag,  a 
Hinricht.  2  (— ),  Verunglückung  u.  andere  gewalts.  Einwirkungen  3 
andere  benannte  Todesursachen  2  (3),  Todesursache  nicht  (gei 
angegeben  (ausser  den  betr.  Fällen  gewaltsamen  Todes)  —  ( — ;• 
Gesamtzahl  der  Sterbefälle:  154  (174). 


*)  Die  eingeklammerten  Zahlen  bedeuten  die  Fälle  der  Vorwo^ 


Verlag  von  J.  F.  Lehmann  in  München  S.W.  2,  Paul  Heysestr.  26.  —  Druck  von  E.  Mühlthaler’s  Buch-  und  Kunstdruckerei  A.O.,  München. 


D,>  Münchener  Medizinische  Wochen»chrift  erscheint  wöchentlich 
™  Umfang  von  durchschnittlich  7  Bogen.  .  Preis  der  einzelnen  «  <r 

MÜNCHENER 


Zusendnngen  sind  zu  adressieren: 

Fördie  Redaktion  Amulfstr.26.  Bürozeit  der  Redaktion  -t  Uhr 

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nent  an  I.  F.  Lehmann’s  Verlag,  Paul  licysestrasse  25 
und  Beilagen  an  Rudolf  Mosse,  Theatinerstrasse  2. 


Medizinische  Wochenschrift. 

ORGAN  FÜR  AMTLICHE  UND  PRAKTISCHE  ÄRZTE 


Originalien. 

Aus  der  Technischen  Hochschule  zu  Charlottenburg. 

Physikalisch-chemische  Untersuchungen  von  Blutseris. 

Von  Prof.  Dr.  J.  Traub  e. 

Untersuchungen  von  Blut  und  Blutseris  können  in  sero¬ 
logischer,  in  chemischer  und  in  physikalisch  - 
chemischer  Richtung  erfolgen.  Die  grossen  Erfolge  der 
nach  den  ersten  beiden  Richtungen  herbeigeführten  zahl¬ 
reichen  Arbeiten  sind  bekannt.  Auch  nach  physikalisch-chemi¬ 
scher  Richtung  sind  Einzelerfolge  erzielt  worden,  namentlich 
durch  Berücksichtigung  derjenigen  Methoden,  welche  die 
Ieuchenzahl  von  Stoffen  im  Blute  zu  ermitteln  gestatten  (Ge- 
frier punkt,  elektrisches  Leitvermögen  und  elektromotorische 
Kräfte),  indessen  hier  ist  doch  nur  erst  ein  Anfang  gemacht 
worden  und  ich  hoffe,  dass  die  vorliegende  Arbeit,  welche  aus¬ 
führlicher  in  dem  nächsten  Hefte  der  von  mir  herausgegebenen 
Intern.  Zschr.  f.  phys.-chem.  Biol.  erscheint,  zeigen  wird,  dass 
iur  die  klinische  Medizin  in  diagnostischer  Be¬ 
ziehung  gerade  nach  dieser  Richtung  erhebliche  Ausbeuten 
zu  erwarten  sind. 

Es  wurden  in  dieser  bereits  vor  einem  Jahre  be¬ 
endeten  Arbeit  mehrere  hundert  tierischer  und 
",f.chJll^her  Sera  untersucht1)  und  zwar  bestimmte  ich 
mit  Hüte  des  Viskos  tagonom  et  er  s:  a)  die  R  e  i  b  u  n  g  s- 
konstante  und  die  Konstante  der  Oberflächen¬ 
spannung,  ferner  nach  neueren  Methoden  die  A 1  k  a  1  i  n  i  - 
tat  und  die  Azidität  der  Sera,  sowie  den  Gehalt  an 

oberflächenaktiven  Säuren  (Fettsäuren  und  Gallen¬ 
sauren). 

oncrpIp”i1ViskoSt,aionometer2)  ist  elne  einfache,  von  0—500  kalibrierte 

SnRi«f  ’MWte  ahe  am  Untfereun  Ende  mit  einer  Abtropffläche  ver- 
h  a  ?  ‘st  ,  M‘t  diesem  einfachen  Apparat  bestimmt  man  inner- 

K  n  nc  fVrfl  Mj  n  u  Vf  U  dlrf  ^  e  1  b  u  ii  g  s  k  o  n  s  t  a  n  t  e  und  die 
Konstante  der  Oberflächenspannung.  Der  Apparat  ist 

sehl-n^3  agmTeternin  meAhrfacher  Hinsicht  überlegen.  Ganz  abge- 
mitbestlmmV  tSS  tAPParat  Sieichzeitig  die  Reibungskonstante 
für  iüp  u  erford?rt  derselbe  eine  wesentlich  geringere  Zeit 

um  dhfiH  ^  VhUI^S  U1]d  es  genugt  ejn  halbes  Kubikzentimeter  Serum, 
um  beide  Konstanten  festzustellen3). 

Huf  Rpbungskonstante  wird  bestimmt,  indem  man  zweckmässig 

™ iche rrrmieiKbai.re «  SeJkuill?enuhr  d>e  Ausflusszeit  vom  Teil- 
apiuh  rT''°v  Uif-fie  betreffende  Flüssigkeit  sowie  für  Wasser  fest- 
als  M-^SHPVerha  mS  ‘d  u’6  SOgen'  sPezifische  Zähigkeit,  welche 
J?Pihn  u  inneren  Reibung  angesehen  werden  darf.  Da  die 

üt  bmehrPr5r  7  °n  TemPPratur  beeinflusst  wird,  so  bestimmt  man 
kann Sn„ ^  mH Tlf1’16."1061'3»)'6»  die  Ausflusszeit  für  Wasser  und 
Derat.m  rpH  HlIfe.  d'eser  Werte  leicht  auf  eine  bestimmte  Tem- 
A„  a  Kp  dAZierT  In  der  vorliegenden  Arbeit  wurden  einfach  unter 

zeifen  CangegebenUSSZeit  fUr  WaSSCr  Ür  20°  die  betreffenden  Ausfluss- 

~n  h}p,aS-  u‘e  konstante  der  Oberflächenspannung  betrifft, 
fesizStPi!?  "Pob  danut  begnügen  dürfen,  die  Anzahl  Skalenstriche 
ustellen.  welche  ]e  1  Tropfen  der  Flüssigkeit  und  1  Wassertropfen 

itz  v^iH,erWeoe  lst.  v<»  kurzem  in  dieser  Wochenschrift  ein  Auf- 
5taGvmnnilfrrn  s c  h  erschienen,  in  welchem  derselbe  mittels 

nmh  m ■  o'rs  die  Oberflächenspannung  einer  Reihe  von  Seris  sowie 

esS-pSS1fgkei lt,-?e,mesien  hat  Er  hat  insbesondere  Abweichungen 
sigcsteut  für  fötales  Serum  sowie  das  Serum  von  Epileptikern. 

>  I  raube:  Biochem.  Zschr.  42.  500.  1912. 

,  n  n  ’  n  ,einer  Mitteilung  über  Kapillarimeter,  Viskosta- 
ler  IntPrf  I  F  uUn  t  s  t  a  I  a  gm  o  m  e  t  c  r,  welche  demnächst  in 
nein»  ,,  ü,'  ^sc“r-  f-  Phys.-chem.  Biologie  erscheinen  wird,  werde  ich 
talnn pm  fenrErfthrungcn  über  die  Apparate  mitteilen.  Das  Visko- 

iurch  an« tCr  iZU  beziehen  durch  C.  Gerhardt  in  Bonn)  ist  da- 
mrch  allen  anderen  Apparaten  überlegen 

Nr  31. 


entsprechen  Dieses  Verhältnis  stimmt  annähernd  überein  mit  dem 
Verhältnis  der  S teighöhen  im  kapillaren  Rohre.  Man  muss  Sorg™ 
Hnpr daSS  die.  Abtropfääche  gut  gereinigt  ist  (von  Zeit  zu  Zeit  mit 
f  "f,  fheissfen  Losung  von  Kaliumbichromat  und  Schwefelsäure  und 
“‘ad. S  u  °  r, erfolgender  Nachspülung  mit  Wasser).  Das  früher 
on  mir  beschriebene  Spiegelstativ  ist  nicht  erforderlich.  Es  wird 
o  verfahren,  dass  man  anstatt  den  fallenden  Tropfen  beim  Ablesen 

Hp ndF-m  obeEen  Ied  d?r  Skala  im  Spiegel  zu  beobachten,  einfach 
dei,E>nger  oder  einen  Gummifinger  unter  die  Abtropfflächc  hält-  man 
zahlt  dann  mehrere  Tropfen  und  bestimmt  die  zugehörige  Anzahl 
^  kalenstnche.  Nach  jedem  Versuche  taucht  man  die  Abtropffläche  in 
Wasser  Der  Apparat  ist  stets  sorgfältig  zu  reinigen  und  achtzi- 
geben,  dass  keine  Unterbrechung  des  Flüssigkeitsfadens  durch  Luft¬ 
blasen  (infolge  schlechter  Reinigung)  stattfindet. 

k** ®  Methode  der  Alkalibestimmung  beruht  auf  einem 
AiRain  .^ri,nzip  uud  ist  überaus  einfach.  Verdünnte  Lösungen  von 
^htnldSantnGr-lei  Chinincblorhydrat  etc.  haben  eine  nur  wenig  ver¬ 
schiedene  Oberflächenspannung  von  Wasser.  So  ergab  ein  Stalagmo 
ineter  welches  für  Wasser  die  Tropfenzahl  49,9  b!i  18  "  zeigte ™r 
ine  0,2  proz.  Losung  von  Chininchlorhydrat  die  Tropfenzahl  50  3 

0  02«e normatbneiVZU,  ;0HCn?,  dieSer  Chininsalzlösung  nur "o, 2 ccm  einer 
0,025  normalen  Kalihydratlosung,  so  stieg  die  Tropfenzahl  infolge 
llüung  freien  Chinins  auf  56,2,  bei  Zusatz  von  0,2  ccm  einer  0  038 
normalen  Kal, todratlösung  auf  57,5,  einer  0,47  normalen  Lösung  aut 
59,55  und  einer  0,57  normalen  Lösung  auf  61,25. 

U  i  e  s  e  einfache  Methode  ist  geeignet,  für 
die  Untersuchung  mannigfacher  Körper- 
flussigkeiten  wertvolle  Dienste  zu  leisten  da 
sie  nicht  wie  die  Indikatormethoden  von  der 
eobachtung  der  Färbungen  abhängig  ist. 

Amf  ganz  entsprechendem  Prinzip  beruht  eine  Methode  der 
Azidttätsbestimmung,  die  ich  gemeinsam  mit  Herrn 
Dr.  bomogyi  ausgebildet  habe4). 

Wenn  man  eine  Lösung  von  Natriumisovalerianat  mit  einer 
stärkeren  Säure  versetzt,  so  wird  die  stark  kapillar- 
a  uu,V  u  Valer*ansäure  die  Oberflächenspannung  des  Wassers 
erheblich  vermindern,  und  man  erhält  so  eine  empfindliche 
Methode  zum  Nachweis  der  Säuren  im  Serum  und  anderen 
Korpersaften.  Natürlich  werden  nach  dieser  Methode  Säuren 
welche  schwächet  sind  als  Valeriansäure,  ebenso  wenig 
angezeigt,  wie  nach  der  Chininmethode  Basen,  welche  nicht 
starker  sind  als  die  sehr  schwache  Base  Chinin.  Die  Aziditäts¬ 
methode  wurde  in  der  Weise  ausgeführt,  dass  5  ccm  einer 
wassengen  Lösung  von  2  proz.  Natriumisovalerianat  mit 
0,2  ccm  Serum  versetzt  und  alsdann  die  Tropfendifferenzen 
viskostagonometrisch  oder  stalagmometrisch  bestimmt  wurden. 

In  Eigänzuiig  dieser  Methode  wurden  die  schwachen 
kapillaraktiven  Säuren  im  Serum  in  der  Weise  bestimmt,  dass 
man  das  verdünnte  Serum  mit  gewissen  Mengen  einer  kapillar- 
inaktiven  stärkeren  Säure  versetzte  und  am  Stalagmometer 
oder  \  iskostagnometer  die  Tropfendifferenz  feststellte.  Es 
wuide  so  verfahren,  dass  man  je  1  ccm  Serum  mit  9  ccm 
Wasser  und  4  ccm  Vioo  Normalschwefelsäure  versetzte. 

dieser  Methoden  wurde  nun  zunächst  eine  grössere 
Anzahl  T  i  er  sera  untersucht.  Auf  die  Tabellen  der  ausführ¬ 
lichen  Arbeit  verweisend,  mögen  hier  die  folgenden  Angaben 
genügen:  s 

In  einem  Vikostagonometer,  in  welchem  die  Ausflusszeit 
Jur  Wasser  vom  I  eilstrich  0—500  112  Sekunden  bei  21°  be¬ 
trug,  wurden  für  7  Meerschweinchensera  die  folgenden  Aus¬ 
flusszeiten  gefunden:  153,  142,  152,2,  150,  152,  153  und  150. 
Man  ei  sieht  aus  dieser  Uebereinstimmung,  dass  die  Eiweiss- 
gei  mnung  beim  Uebergang  von  Plasma  im  Serum  anscheinend 

4)  Vergl  die  im  nächsten  Hefte  der  Intern.  Zsch.r  f.  phys.-chem. 

Biologie  erscheinende  Mitteilung  von  Traube  und  Somogyi. 

1 


1714 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  31. 


derart  gleichmässig  verläuft,  dass  die  Bestimmung  der  Rei¬ 
hungskonstante  von  Seris  zu  vergleichbaren  Ergebnissen  führt. 

Es  mag  genügen,  wenn  hier  folgendes  von  meinen  Ergeb¬ 
nissen  an  Tierseris  mitgeteilt  wird. 

Das  komplementhaltige  Meerschweinchenserum 
hat  im  Vergleich  zu  allen  anderen  untersuchten  Säugetierseris 
(Maus,  Ratte,  Kaninchen,  Hund,  Hammel,  Ziege,  Rind,  Pferd, 
Mensch)  die  geringste  Reibung  150,  die  geringste 
Alkalität  und  die  geringste  Menge  kapillar- 
aktiver  Säuren  —  eine  I atsache,  die  neben  vielen 
anderen  dafür  spricht,  dass  die  komplementären 
Eigenschaften  dieses  Serums  auf  physikalische 
Ursachen  zurückzuführen  sind.  Ferner  haben  eine  geringe 
Reibung  das  Froschser  u  m  sowie  das  Taubenserum. 

Auf  das  Meerschweinchen  folgt  in  bezug  auf  die  Reibung 
das  Kaninchen  mit  159,  die  weisse  Maus  mit  164,  die  Ratte 
mit  172,  dann  folgen  die  grösseren  Tiere.  Beim  Menschen 
schwanken  im  normalen  Zustande  die  Reibungen  etwa  zwi¬ 
schen  den  Grenzen  180  und  210  (Wasser  112).  Die  geringste 
Oberflächenspannung  von  den  untersuchten  Säugetierseris  hat 
die  weisse  Maus  mit  89,7  (Wasser  121),  die  weisse  Ratte  folgt 
mit  96;  die  Oberflächenspannungen  der  grösseren  Säugetiere 
schwanken  innerhalb  enger  Grenzen  von  etwa  99—103.  Die 
Oberflächenspannung  des  Serums  des  normalen  Menschen  liegt 
etwa  zwischen  denselben  Grenzen.  Das  Serum  des  Frosches 
und  der  Vögel  (Huhn  und  Taube)  hat  eine  geringere  Ober¬ 
flächenspannung. 

In  bezug  auf  die  Alkalität  ergab  sich  das  interessante 
Resultat,  dass  die  Vogelsera  eine  wesentlich 
grössere  Alkalität  haben  als  die  Säugetier- 
s  e  r  a  und  dass  andererseits  diejenige  des  Frosches  sehr 
gering  ist. 

Die  Aziditätsbestimmungen  von  Tierseris  sind 
noch  nicht  genügend  weit  durchgeführt,  um  dieselben  zurzeit 
schon  zu  besprechen  5). 

Eine  Untersuchung  von  Magensaft  und  Pankreas¬ 
saft  vomH  u  n  d  e°)  führte  zu  dem  Ergebnis,  dass  der  M  a  g  e  n- 
s  a  f  t  eine  geringe  Azidität,  aber  keine  Alkalität, 
dagegen  der  Pankreassaftkeine  Azidität,  wohl  aber 
erhebliche  Alkalität  zeigte,  die  indessen  geringer  war  als 
diejenige  des  Serums.  (Vergl.  die  ausführlichere  Abhandlung.) 

Die  Untersuchung  der  Oberflächenspannung  einer 
grösseren  Anzahl  von  Seris  gesunder  und  kranker  Pferde  er¬ 
gab,  dass  namentlich  bei  Brustseuche  eine  Abweichung  von 
der  Norm  stattfand. 

Es  sind  alsdann  mehrere  100  menschliche  Sera  (mit  weni¬ 
gen  Ausnahmen  hämoglobinfrei)  untersucht  worden.  Die  Sera 
verdanke  ich  zum  Teil  der  K  r  a  u  s  sehen  Klinik,  zum  Teil  bin 
ich  dafür  dankbar  Herrn  Dr.  H.  Hirschfeld  in  der  Krebs¬ 
station,  Herrn  Dr.  Mühsam,  Dr.  R  o  s  e  n  b  e  r  g  und  einigen 
anderen  Herren.  Nicht  immer  war  die  Diagnose  zuverlässig. 
Auch  war  es  mir  als  Nichtmediziner  nicht  möglich,  den  ein¬ 
zelnen  Fall  genau  zu  verfolgen.  Die  Untersuchung  soll  daher 
nur  als  eine  vorläufige  angesehen  werden.  Trotzdem 
dürfte  sie  zeigen,  dass  hier  bei  systematischem  Vor¬ 
gehen  wertvolle  diagnostische  Resultate  zu  er¬ 
warten  sind. 

Betrachten  wir  zunächst  die  A  1  k  a  1  i  b  e  s  t  i  m  m  u  n  g,  so 
wollen  wir  zunächst  unsere  Meinung  dahin  aussprechen,  dass 
ein  Serum  sich  unzweifelhaft  wie  eine  stark 
alkalische,  andererseits  aber  auch  wie  eine 
starksaure  Flüssigkeit  verhält.  Die  oft  geäusserte 
gegenteilige  Ansicht,  dass  das  Serum  „neutral“  sei,  ist  nicht 
richtig.  Wie  ein  einzelnes  Kolloid  beispielsweise  Eiweiss 
amphoter  ist,  d.  h.  je  nachdem  sauer  oder  alkalisch  sich 
verhalten  kann,  so  kann  auch  ein  Milieu  wie  das 
Serum  sich  ebensowohl  alkalisch  wie  ande¬ 
rerseits  sauer  verhalten. 

Die  Chininmethode  (10  ccm  0,2  proz.  Chininchlorhydrat¬ 
lösung  zu  0,2  ccm  Serum)  zeigt  zunächst  in  Uebereinstimmung 


5)  Mittlerweile  ist  eine  diesbezügliche  vorläufige  Mitteilung  von 
Traube  und  Somogyi  beendet;  vergl.  das  nächste  Heft  der 
Intern.  Zschr.  f.  phys.-chem.  Biologie 

")  Ich  verdanke  diese  Säfte  Herrn  Prof.  Wohlgemut. 


mit  älteren  Indikatormethoden,  dass  das  normale  Serum  sich 
wie  eine  0,05—0,06  Normallösung  von  Kalihydrat  verhält. 

Bei  kachektischen  Zuständen  (Karzinom,  per¬ 
niziöse  Anämie,  schwere  Tuberkulose,  schwerer  Basedow, 
Pneumonie  und  Leberzirrhose,  zuweilen  Urämie,  1  abes,  Mi¬ 
tralfehler  etc.),  überall  da,  wo  die  Kohlensäure 
durch  Zerfallsprodukte  von  Eiweiss  ver¬ 
drängt  wird,  nimmt  die  Alkalität  stark  ab.  In 
manchen  Fällen  von  Karzinom  etc.  geht  dieselbe  bis  auf  I 
3/ioo  einer  normalen  Alkalilösung  herunter.  Die  Untersuchung 
wurde  mit  einem  Stalagmometer  ausgeführt  (Tropfenzahl  für 
Wasser  49,9  und  für  0,2  proz.  Chininchlorhydratlösung  50,7). 
Bei  normalen  Seris,  auch  denen  von  Syphilitikern,  schwankte 
die  Tropfenzahl  des  Systems  Chininchlorhydrat  +  Serum  fast 
immer  zwischen  den  Grenzen  59  und  61,5;  bei  24  Karzinoin- 
seris  ging  niemals  die  Iropfenzahl  bis  60  herauf.  Nur  in 
6  Fällen  war  die  Zahl  grösser  als  59,  in  allen  anderen  Fällen 
war  sie  geringer  und  ging  bis  auf  55,5  herunter.  2  Fälle  von 
Pneumonie  ergaben  56,2  und  56,0.  Ein  Fall  von  schwerem 
Basedow,  Tuberkulose  und  Urämie  ergab  die  'I  ropfenzahlen 
57,3  bzw.  57,0  bzw.  56,2  usw.  Bei  schwerem  Diabetes  erhielt 
ich  nur  deshalb  keine  genügend  grossen  Tropfendifferenzen, 
weil  bei  den  beiden  Fällen,  die  ich  untersuchte,  wie  sich  nach¬ 
träglich  herausstellte,  die  betreffenden  beiden  Patienten  grosse 
Mengen  von  Natriumkarbonat  eingenommen  hatten. 

Diejenigen  Sera,  welche  nach  meinen 
Untersuchungen  eine  zu  geringe  Alkalität  er¬ 
gaben,  sind  nun  dieselben,  welche  eine  posi¬ 
tive  Meiostagminreaktion  zur  Folge  haben, 
wie  Karzinom,  perniziöseAnämie,  T  uberkulose, 
Diabetes,  Pneumonie  etc.,  und  ich  bin  der  Ansicht, 
dass  die  Meiostagminreaktion  von  Ascoli  und 
I  z  a  r  namentlich  wie  sie  jetzt  mit  künstlichen  Antigenen  aus¬ 
geführt  wird,  lediglich  den  Grad  der  Alkalität 
und  der  Kachexie  der  Sera  misst. 

Wenn  man  minimale  Mengen  von  Rizinsäure  und  Linol¬ 
säure  mit  verdünnten  Seris  auf  50  0  erwärmt,  so  liegt  es  nahe, 
dass  ein  Unterschied  der  Alkalität  der  Sera  einen  Einfluss  auf 
die  Oberflächenspannung  ausübt  (vgl.  meine  ausführlichere 

Mitteilung).  .  ,  , .  , 

Die  Versuche  über  die  Azidität  menschlicher 
Sera  sind  gleichfalls  noch  im  Gange.  Die  Ergebnisse  sollen 
für  eine  spätere  Mitteilung  aufgespart  werden.  Auch  hier  zei¬ 
gen  sich  grosse  Unterschiede,  die  möglicherweise  klinisch  ver¬ 
wertbar  sind. 

Was  nun  die  Konstanten  der  Reibung  betrifft,  so  wurder 
in  153  von  etwa  200  Fällen  Ausflusszeiten  von  180—210  Sek 
(Wasser  =  112)  festgestellt.  Anormal  grosse  Reibungen  er 
gaben  sich  namentlich  bei  Gegenwart  von  Galle  im  Serun 
(Leberzirrhose  243,  270;  Ikterus  240)  und  in  gewissen 
aber  keineswegs  allen  Fällen  von  Herz-  und  Gefäss 
erkrankungen  (Apoplexie  273,  Arteriös  klerost 
275,  Aortenerweiterung  228;  in  mehreren  Fällen  vor 
Gelenkrheumatismus  218,  220,  220,  225  etc.).  Auel 
in  einzelnen  Fällen  von  schwerem  Basedow,  Tuber 
kulose  und  Pleuritis  wurden  grössere  Reibungen  21 
bzw.  225  bzw.  223  gefunden.  Zu  geringe  Reibungen  wohl  in 
folge  von  Verwässerung  des  Blutes  beobachtete  ich  in  man 
chen  Fällen  von  Anämie  und  Chlorose  (perniziös' 
Anämie  167,  168,  schwere  Anämie  170,  Chlo 
rose  170). 

In  bezug  auf  die  Werte  der  Oberflächenspannung  ergäbe 
sich  auch  mancherlei  bemerkenswerte  Resultate,  doch  mus 
hier  auf  die  ausführlichen  Tabellen  hingewiesen  werden,  eben 
so  in  bezug  auf  die  Ergebnisse  der  Bestimmungen  der  kapillar 
aktiven  Säuren.  Es  scheint,  dass  bei  Urämie  eine  Vermehrun 
derartiger  Säuren  stattfindet. 

Wie  schon  erwähnt  wurde,  befand  sich  unter  dem  mir  zu 
Verfügung  stehenden  Material  von  Seris  eine  ganze  Anzah 
bei  denen  die  Diagnose  als  unsicher  bezeichnet  werden  konnh 

In  einer  Reihe  von  Fällen,  die  ich  leider  im  einzelne 
klinisch  nicht  verfolgen  konnte,  ergab  sich  aus  meinem  Zahler 
material,  dass  hier  Fehldiagnosen  vorliegen  dürften. 

Wenn  z.  B.  bei  einem  Falle  von  „Herzneurose“  eine  Re 
bung  von  237  festgestellt  wurde,  so  durfte  angenommen  we 


*■  All*list  l9M- _ muencHener  medizinische  Wochenschrift 


len.  dass  es  sich  hier  gewiss  nicht  um  eine  einfache  Neurose 

landelt. 

Bei  einem  lediglich  als  „Kehlkopfkatarrh“  bezeichneten 
-alle  wurde  die  enorme  Reibung  von  241  festgestellt;  bei  einem 
ds  „normal  bezeichneten  Balle  die  Reibung  224;  bei  einem 
all  von  „Gravidität 4  die  Reibung  226,  gleichzeitig  war  die 
Iberflächenspannung  und  Alkalität  durchaus  anormal.  In  allen 
olchen  Fällen  dürfte  eine  mangelhafte  Diagnose  vorliegen 
uch  wenn  andererseits  3  Sera  als  „normal“  bezeichnet  wur- 
!en,  trotz  der  geringen  Reibungen  von  164,  170  und  173. 

\\  ie  bereits  erwähnt  wurde,  handelt  es  sich  bei  dieser 
vrbeit  nur  um  eine  vorläufige  einleitende  Mitteilung, 
'  eiche  bestimmt  ist,  die  Brauchbarkeit  der  hier  geschilderten 
infachen  physikalisch-chemischen  Methoden  für  die  klinische 
ledizin  zu  erweisen.  In  Anbetracht  der  grossen 
.infach  heit  der  Ausführung  dieser  Methoden 
-  selbst  der  praktische  Arzt  könnte  dieselben  vielfach  aus- 
ihren  —  sollte  die  Einführung  in  den  Labor a- 
orien  der  Krankenhäuser  nicht  unterbleiben 
s  ist  mir  unzweifelhaft,  dass  die  Diagnose  in  man- 
hen  Fällen  erleichtert  wird. 


Aus  der  Universitäts-Frauenklinik  Freiburg  i.  Br. 

Ueber  die  biologische  Reichweite  der  Radium-, 
Mesothorium-  und  Röntgenstrahlen. 

Von  B.  K  r  ö  n  i  g. 

In  der  Literatur  und  den  Kongressberichten  der  letzten 
eit  findet  sich  immer  wieder  die  Behauptung,  dass  es  er- 
iesen  sei,  dass  die  biologische  Reichweite  der  Radium-  und 

lesothoriumstrahlen  nicht  über  eine  Gewebstiefe  von  2 _ 3  cm 

nausginge.  Es  werden  daraufhin  schon  die  schwerwiegend¬ 
en  Schlussfolgerungen  gezogen,  indem  z.  B.  vor  kurzem  be- 
auptet  wurde,  dass  die  Anwendung  der  Radium-  und  Meso- 
loriumstrahlen  für  die  Behandlung  von  Karzinomen,  die  tiefer 
ie  3  cm  in  das  Gewebe  dringen,  von  vornherein  aussichtslos 
u.  Für  solche  Karzinome  kämen  nur  die  Röntgenstrahlen 
Betracht. 

Wir  haben  schon  in  einem  Artikel  der  Deutschen  medi- 
nischen  Wochenschrift  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass 
eses  in  einem  gewissen  Widerspruch  steht  zu  den  physikali- 
hen  Anschauungen  von  der  überwiegenden  Penetrations- 
nigkeit  der  Mesothorium-  und  Radiumstrahlen  gegenüber  den 
ontgenstrahlen.  Dort  schon  brachten  wir  einen  Fall  von 
ulvakarzinom,  bei  welchem  wir  aus  16  cm  Luftdistanz  die 
eitgeher.dsten  Rückbildungen  des  Karzinoms  durch  Professor 
schoff  histologisch  festgestellt  sahen.  Da  hier  der  Ein- 
and  gemacht  ist,  dass  in  diesem  Falle  die  Gammastrahlen 
ir  die  Luft,  aber  nicht  das  Gewebe  durchdrungen  hätten,  so 
ochten  wir  einige  weitere  Fälle  anführen,  aus  denen  nach 
iserer  Ueberzeugung  einwandfrei  hervorgeht,  dass  wir  auch 
irch  10  cm  Gewebe  mit  Radium-  und  Mesothoriumstrahlen 
n  Karzinom  beeinflussen,  und  zwar  elektiv  in  der  Weise,  dass 
ts  darüber  gelegene,  durchstrahlte  Gewebe  keine  wesent- 
hen  Veränderungen  aufweist. 

Zunächst  spricht  bis  zu  einem  gewissen  Grade  für  eine 
osse  Tiefenwirkung  der  Mesothorium-  und  Radium-y- 
rahlen  die  Beobachtung,  dass  bei  tiefliegenden  und  tief- 
enenden  Karzinomen  wir  bisher  die  besten  Dauerresultate 
it  der  Radium-  und  Mesothoriumbehandlung  erreicht  haben, 
ährend  unter  der  Röntgenbehandlung,  die  wir  ja  viel  früher 
ie  die  Mesothoriumbehandlung  in  grossen  Dosen  beim  Kar- 
10m  anwendeten,  doch  häufig  später  das  Karzinom  wieder 
s  der  Tiefe  herauswuchern  sahen.  Es  ist  möglich,  dass  wir 
mals  die  Dosis  vielleicht  nicht  hoch  genug  gewählt  hatten, 
-gleich  wir  schon  Dosen  anwendeten,  die  heute  kaum  Über¬ 
tritten  werden;  es  ist  auch  möglich,  dass  vielleicht  die  ange- 
wr  ^°ntgenstrahlen  etwas  weniger  penetrant  waren  als 
-  die  heute  zur  Verfügung  stehenden  Apparate  hervorbringen, 
gleich  unsere  bisherigen  physikalischen  Untersuchungen 
um  eine  Besserung  der  Penetrationsfähigkeit  der  Strahlen 

modernen  Apparate  aufweisen  bei  der  von  uns  ange¬ 
endeten  Filterung.  Immerhin  möchten  wir  doch  auch  an 
-Ser  Stelle  als  auffälligen  Befund  folgendes  registriert  haben:  I 


Von  den  Karzinomen,  die  heute  alle  länger  als  1  Jahr,  viele 
übet  2  Jahre,  1  Karzinomfall  bis  zu  3  Jahren,  rezidivfrei  sind, 
finden  sich  überwiegend  die  Karzinome,  welche  mit  Radium- 
und  Mesothoriumstrahlen  behandelt  wurden.  Es  sind  24  Fälle, 
die  diese  Rezidivfreiheit  alle  über  1  Jahr,  viele  über  2  Jahre.’ 
aufweisen,  und  was  wir  für  die  biologische  Tiefenwirkung  der 
Kadium-  und  Mesothoriumstrahlen  an  dieser  Stelle  besonders 
hervorheben  möchten,  ist,  dass  unter  diesen  24  Fällen  sich 
Mammakarzinome  befinden,  deren  fühlbarer  Tumor  allein  über 
3  cm  1  iefe  aufwies,  und  dass  sich  darunter  ein  Zungenkarzinom 
befindet,  welches  wir  durch  den  Kiefer  hindurch  bestrahlten, 
wo  also  auch  die  Distanz  weit  über  3  cm  betrug,  da  das  Kar¬ 
zinom  weit  hinten  im  Zungengrunde  sass.  Auch  dieser  Fall 
ist  jetzt  über  VA  Jahre  rezidivfrei.  Immerhin  konnte  all  diesen 
Fallen  entgegengehalten  werden,  dass  die  Distanz  nicht  genau 
berechnet  sei.  Deswegen  sind  wir  dazu  übergegangen,  mit 
Mesothorium-  und  Radiumstrahlen  bei  6  cm  fiautdistanz  Portio- 
und  Scheidenkai zinome  durch  die  vordere  Bauchwand  hin- 
durch  zu  bestrahlen.  Wenn  auch  diese  Fälle,  da  sie  kurz  zu- 
i  iickliegen,  noch  nicht  als  abgeschlossen  betrachtet  werden 
können,  so  möchten  wir  doch  betonen,  dass  in  einem  Falle 
eine  grosse  Blumenkohlgeschwulst  vollständig  verschwunden 
ist,  und  dass  an  anderen  Karzinomen  bei  wiederholten  Ex¬ 
zisionen  von  Prof.  As  ch  off  die  weitgehendsten  Rtickbil- 
dungsvoi gönge,  Verhornung  der  Zellen,  wie  jetzt  genügend  be¬ 
kannt  ist,  konstatiert  wurden. 

Anfangs  haben  wir,  um  die  Impulsdosis  genau  an  Ort  und 
Stelle  festzulegen,  von  einer  Stelle  der  vorderen  Bauchwand 
aus,  nachdem  die  Haut  hier  umgeklappt  war,  durch  die  frei¬ 
gelegte  Stelle  hindurch  bestrahlt;  in  den  anderen  Fällen  haben 
wir  uns  der  üblichen  Vielfelderbestrahlung  bedient.  Bei  diesen 
Fällen  war  also  die  Reichweite  der  Mesothorium-  und  Radium¬ 
strahlen  6  cm  Hautdistanz  plus  ca.  8— 10  cm  Gewebsdistanz. 
Ebenso  haben  wir  bei  einem  Pharynxkarzinom  von  den  Seiten 
aus  durch  die  ganze  Halswand  hindurch  bestrahlt,  und  wie  die 
Messung  feststellte,  damit  auch  ein  Gewebe  von  gut  8  cm 
durchdrungen.  Auch  hier  zeigte  sich  eine  weitgehende 
Schrumpfung  des  Iumors  mit  Rückbildungsvorgängen. 

All  die  mikroskopischen  und  makroskopischen  Beweise,  welche 
Bumm  und  Warnekros  in  dieser  Wochenschrift  für  die  Tiefen¬ 
wirkung  der  Röntgenstrahlen  gefordert  haben,  sind  also  bei  uns  auch 
für  die  Mesothorium-  und  Radiumstrahlen  erbracht.  Wir  leugnen 
nicht,  dass  auch  unseren  Fällen  die  gleichen  Schwächen-  der  Beweis¬ 
kraft  anhaften,  wie  den  von  Bumm  und  Warnekros  in  dieser 
Wochenschrift  publizierten  Fällen  der  Tiefenwirkung  bei  Röntgen¬ 
strahlen,  weil  sie  alle  zu  kurz  beobachtet  sind.  Nur  schien  es  mir 
wichtig,  schon  an  dieser  Stelle  hervorzuheben,  dass  die  Annahme  von 
Bumm,  dass  die  I^öntgcnstrcililcn  eine  grössere  Tiefenwirkung  zeigen 
wie  die  Radium-  und  Mesothoriumstrahlen,  unseren  klinischen  Beob¬ 
achtungen  widerspricht.  Auch  möchte  ich  nicht  verfehlen  zu  er 
wähnen,  dass  die  Aeusserungen  von  Bumm,  dass  wir  zwar  schon  vor 
mehreren  Jahren  eine  weitgehende  Zerstörung  der  Karzinome  durch 
Röntgenstrahlen,  z.  B.  bei  Magen-,  Alamma-  und  Zervixkarzinomen 
erreicht  hätten,  aber  nur  „auf  Kosten  schwerster  Verbrennung“,  nicht 
zu  Recht  besteht.  Nur  in  einem  Falle  haben  wir  eine  stärkere 
Nekrose  des  Gewebes  gehabt,  bei  offenbarer  Ueberdosierung  Viel¬ 
mehr  haben  wir  schon  damals  in  der  Arbeit  gerade  umgekehrt  ge¬ 
zeigt,  speziell  in  dem  Falle  von  Magenkarzinom,  wie  ausserordentlich 
elektiv  die  Wirkung  der  Röntgenstrahlen  auch  bei  tiefliegenden  Kar¬ 
zinomen  ist.  Diese  elektive  Wirkung  zeigt  sich  allerdings  auch 
wiederum  in  gleicher  Weise  bei  den  harten  Mesothorium-  und  Ra¬ 
diumstrahlen. 

Um  nicht  missverstanden  zu  sein,  möchte  ich  deswegen 
keineswegs  behaupten,  dass  Radium-  und  Mesothoriumstrahlcn 
besser  zur  Behandlung  der  tiefliegenden  Karzinome  sind  als 
Röntgenstrahlen;  dieses  umso  weniger,  da  ich  der  Ansicht  bin, 
dass  die  Wirkung  der  Radium-,  Mesothorium-  und  Röntgen¬ 
strahlen  keineswegs  allein  von  der  grösseren  oder  geringeren 
Penetrationsfähigkeit  der  Strahlung  abhängig  ist,  dass  vielmehr 
die  Röntgenstrahlen  mit  den  Radium-  und  Mcsothoriumstrahlen 
keineswegs,  wie  es  heute  so  oft  geschieht,  biologisch  gleich¬ 
wertig  sind.  Gewiss  kann  es  bei  oberflächlicher  Beobachtung 
scheinen,  als  ob  die  Röntgen-  und  Radiumstrahlen  eine  analoge 
biologische  Wirkung  hätten;  beide  bringen  Amenorrhoe  her¬ 
vor,  beide  vernichten  Karzinom,  dennoch  aber  drängen  uns 
unsere  Beobachtungen  gerade  bei  Myomen  und  bei  Karzi¬ 
nomen  dazu,  die  biologische  Wertigkeit  doch  in  vielen  Punkten 
als  different  anzusprechen.  Auch  dieses  ist  a  priori  aus  Ana¬ 
logieschlüssen  wahrscheinlich,  denn  ebenso  wie  die  biologische 

1* 


1716 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Wirkung  des  roten  Lichtes  von  der  biologischen  Wirkung 
des  viel  kurzwelligeren  ultravioletten  Lichtes  sich  unter¬ 
scheidet,  ebenso  ist  anzunehmen,  dass  sich  auch  die  Röntgen¬ 
strahlen  von  den  Gammastrahlen  des  Radiums  und  Meso¬ 
thoriums  biologisch  trennen;  umsomehr,  da  die  Differenz  in  der 
Wellenlänge  zwischen  Röntgenstrahlen  einerseits  und  Gamma¬ 
strahlen  des  Radiums  und  Mesothoriums  andererseits  unver¬ 
hältnismässig  viel  grösser  ist  als  die  zwischen  rotem  und 

ultraviolettem  Licht.  .  ,  ,  ..  . 

Diese  Anschauung  von  der  biologischen  Differenz  drangt 

sich  uns  auf  Grund  unserer  Beobachtungen  direkt  auf. 

Nachdem  wir  jetzt  seit  3  Jahren  oberflächliche  und  tief¬ 
liegende  Karzinome  abwechselnd  und  nebeneinander  mit  hohen 
Radium-  und  sehr  hohen  Röntgendosen  behandelt  haben,  sind 
wir  wie  Werner  und  die  französischen  Autoren  zu  der 
Ueberzeugung  gekommen,  dass  sich  verschiedene  Karzinome 
gegen  Radium-  und  Röntgenstrahlen  ganz  verschieden  ver¬ 
halten.  Es  gibt  radiumsensible  und  röntgensensible,  es  gibt 
radiumfeste  und  röntgenfeste  Karzinome.  Oft  genug  haben 
wir  gesehen,  dass  Karzinome  auf  höchste  Röntgendosen  nicht 
ansprachen  und  dann  auf  relativ  geringe  Radiumdosen  zurück¬ 
gingen,  und  umgekehrt.  ...  ,  . 

Wie  röntgenfest  z.  B.  Karzinome  sein  können,  dafür  folgen¬ 
des  experimentelle  Beispiel: 

Ein  oberflächlich  gelegener  Hautknoten  eines  Mamma¬ 
karzinoms  wurde  mit  10cm  Fleisch  bedeckt.  Auf  die  Obei- 
fläche  des  Fleisches  wurden  in  einer  Sitzung  unter  3  mm  Alu¬ 
minium  3000  X  appliziert,  also  eine  Menge,  die  man  der  Haut 
über  einem  10  cm  tief  liegenden  Karzinom  kaum  zumuten  kann. 
Dennoch  zeigte  das  Karzinom  nach  mehrfacher  Probeexzision 
mikroskopisch  nie  die  Spur  einer  Rückbildung. 

Wir  würden  es  für  die  weitere  Entwicklung  der  Karzinom¬ 
therapie  sehr  bedauerlich  erachten,  wenn  man  schon  jetzt  auf 
Grund  relativ  weniger,  kurz  beobachteter  Fälle  sagen  wollte: 
die  Radiumbehandlung  hat  sich  überlebt,  nur  die  Röntgenbe¬ 
handlung  kommt  noch  in  Betracht. 


Aus  der  Kgl.  II.  Gynäkologischen  Universitätsklinik  München 
(Vorstand:  Prof.  Dr.  Amann). 

Wandlungen  in  der  Krebsbehandlung  mit  Röntgenstrahlen  *). 

Von  Prof.  Dr.  J.  A.  Amann. 

Wir  stehen  gegenwärtig  wieder  vor  einem  neuen  Ab¬ 
schnitt  in  der  Entwicklung  der  Strahlentherapie. 

Sofort  nach  Entdeckung  der  Röntgenstrahlen  hat  man  aus¬ 
gedehnte  Versuche  mit  denselben  bei  Karzinomen  jeglicher  Art 
durchgeführt  —  die  Resultate  waren  schlecht  —  die  Schädi¬ 
gungen  gross.  ,.  ~  . 

Einen  bedeutenden  Fortschritt  brachte  erst  die  Durch¬ 
führung  der  von  D  e  s  s  a  u  e  r  begründeten  T  i  e  f  e  n  b  e  - 
strahlungs-  bzw.  Ho  mögen  best  rahlungsmethode. 

Vor  ca.  1  Jahr  erregten  nun  besonderes  Aufsehen  die 
ungeahnten  Wirkungen  der  Radium-  und  Mesothoriumstrahlen 
(Krönig,  Dö  der  lein,  Bumm).  Da  diese  vorher  nie 
gesehene  Wirkung  sich  nur  auf  einen  kleinen  Umkreis  des 
Gewebes  erstreckte,  wurde  immer  mehr  der  Wunsch  rege, 
die  Röntgenstrahlen  noch  mehr  den  wirksamen  Komponenten 
der  Radium-  und  Mesothoriumstrahlen  ähnlich  zu  gestalten. 

An  der  Bumm  sehen  Klinik  hat  nun  vor  einigen  Monaten 
W  a  r  n  e  k  r  o  s  auf  dem  Prinzip  der  homogenen  Bestrahlung 
basierend,  zum  ersten  Male  derartig  hohe  Dosen  von  harten 
Strahlen  verwendet,  wie  sie  vorher  niemals  angewandt 
worden  waren.  Während  früher  nur  bis  25  X  (in  extremen 
Fällen  bis  40)  auf  ein  Hautfeld  und  nur  in  grossen  zeitlichen 
Abständen  verabreicht  wurden,  hat  Warnekros  100  und 
mehr  X  täglich  auf  das  gleiche  Hautfeld  ange¬ 
wandt,  und  was  besonders  staunenerregend  war,  ohne 
bleibende  Hautschädigung.  Dies  konnte  nur  durch 
ein  besonderes  Strahlengemisch  ermöglicht  sein, 
denn  mit  den  früheren  Apparaten  erfolgten  schon  bei  viel  ge¬ 
ringeren  Strahlendosen  schwere  Verbrennungen.  Die  Wir¬ 
kung  dieser  grossen  Dosen  abnorm  harter,  sogen,  ultrapene- 

<)  Vortrag,  gehalten  auf  dem  bayerischen  Chirurgentag  in 
München  am  11.  Juli  1914. 


frierender  Strahlen  auf  maligne  Neubildungen  war  nun  eine 
ganz  in  die  Augen  springende.  Warnekros-Bumm  und 
auch  Z  i  n  s  s  e  r  in  der  F  ranz  sehen  Klinik  konnten  in  einer 
Reihe  von  Fällen  Kollumkarzinome  des  Uterus  nur  durch 
Bestrahlung  vom  Bauch  und  vom  Rücken  aus 
zum  Verschwinden  bringen.  Sie  konnten  sowohl  klinisch  als 
histologisch  nachweisen,  dass  diese  vom  Bauch  aus  applizierten 
Strahlen  ohne  gleichzeitige  Inangriffnahme  von  unten,  genau 
dieselbe  Wirkung  auf  das  Karzinom  ausübten,  wie  es  das  j 
Radium  und  Mesothorium  aus  unmittelbarer  Nähe  tut.  Es  ist 
dies  wohl  der  beste  Beweis  für  die  Tiefenwirkung  dieser 
Strahlen.  Unsere  Erfahrungen,  die  wir  ebenfalls  mit  dem 
Reformapparat  und  den  Maximumröhren  in  dieser  Richtung 
gemacht  haben,  entsprechen  auch  ganz  den  Beobachtungen 
von  B  u  m  m  und  Franz.  • 

An  meiner  Klinik  wurde  die  Strahlenbehandlung  bei  | 
52  Uteruskarzinomen  mit  Röntgen-,  Radium-  und  Meso-  ' 
thoriumstrahlen  durchgeführt.  (Röntgenintensivbestrahlung 
ventral  und  dorsal,  häufig  mehrere  Tage  hintereinander  das  : 
gleiche  Feld  mit  60—100  X  und  darüber,  ohne  jegliche  Haut¬ 
schädigung,  vaginale  Bestrahlung  mit  Mesothorium  und 
Radium.)  Hievon  waren  31  inoperable  Kollumkarzinome, 
16  Rezidive  nach  Radikaloperationen  und  6  Bestrahlungen  ; 
nach  Totalexstirpationen,  welche  bei  bereits  infiltrierten  Para¬ 
metrien  ausgeführt  worden  waren. 

Bei  den  31  inoperablen  Kollumkarzinomen  ist  zu  bemerken,  dass 
das  Material  in  meiner  Abteilung  in  dieser  Beziehung  ein  ganz  be¬ 
sonders  ungünstiges  ist,  da  eine  Auswahl  bei  der  Aufnahme  nicht 
%  Jahre  mit  einem  inoperablen  jauchenden  Zervixkarzinom  auf  der 
stiidt.  gynäkologischen  Abteilung  aufgenommen  und  dort  dauernd, 
event.  bis  zum  Exitus,  behandelt  werden  muss;  es  liegen  daher  der¬ 
artige  Fälle  oft  monate-  ja  jahrelang  auf  der  Abteilung. 

Von  diesen  31  als  gänzlich  verloren  anzusehenden  Fällen 
sind  „klinisch“  geheilt  5  =  16,12  Proz.,  klinisch  fast  geheilt  4 
12,9  Proz.,  also  zusammen  29  Proz. 

Es  sei  hier  z.  B.  eine  60  jährige  Patientin  erwähnt,  welche  bereits 
■%  Jahre  mit  einem  inoperablem  jauchendem  Zervixkarzinom  auf  der 
Abteilung  lag  und  allen  möglichen  Behandlungsmethoden  vergeblich 
unterzogen  worden  war.  Schon  2Vs  Wochen  nach  Röntgen-  und 
Radiumbehandlung  ist  der  Karzinomkrater  völlig  ausgeheilt.  Die 
Infiltrationen  sind  fast  verschwunden;  es  ist  keine  Blutung,  kein 
Ausfluss  mehr  vorhanden.  Der  Uterus  ist  klein  und  ziemlich  be¬ 
weglich  geworden.  Innerhalb  6  Wochen  hat  die  Pat.  13  Pfund  zu¬ 
genommen,  ist  wieder  arbeitsfähig  geworden  und  ist  seit  fast 
%  Jahren  wieder  in  Stellung,  ln  ganz  analoger  Weise  liegen  die 
Verhältnise  in  den  anderen  als  „klinisch“  geheilt  angeführten  Fallen. 

Ferner  wurden  von  den  erwähnten  31  inoperablen  Karzinorn- 
fäilen  wesentlich  gebessert  7,  symptomatisch  ge¬ 
bessert  7,  zu  kurz  in  Behandlung  sind  2  und  gestorben  sind  6. 

Von  den  16  Rezidiven  nach  Radikaloperation 
konnte  nur  1  Fall  als  „klinisch  geheilt“  bezeichnet  werden,  2  Fälle 
als  klinisch  fast  geheilt,  1  Fall  wurde  wesentlich  gebessert,  4  nicht 
oder  nur  vorübergehend  gebessert  und  8  sind  gestorben. 

In  manchen  dieser  Fälle  konnte  die  Strahlenbehandlung  aus 
äusseren  Gründen  nicht  oft  genug  durchgeführt  werden;  in  der  Mehr¬ 
zahl  der  Fälle  war  der  Zustand  schon  bei  der  Einlieferung  ein  der¬ 
artig  desolater,  dass  man  von  vorneherein  von  der  Behandlung  nichts 
mehr  erwarten  konnte.  Trotzdem  finden  sich  unter  den  Gestorbenen 
2  Fälle,  die  besonderes  Interesse  beanspruchen:  bei  einer  Patientin 
hatte  ich  vor  ca.  3  Jahren  eine  ausgedehnte  Radikaloperation  ge¬ 
macht;  ein  Jahr  später  zeigte  sich  ein  Rezidiv  im  Beckenbinde- 
gewebe,  das  ich  wieder  in  ausgedehntester  Weise  mit  nochmaliger 
Freilegung  der  Ureteren  operierte.  Vor  V*  Jahren  trat  wieder  ein 
faustgrosses  Rezidiv  im  Beckenbindegewebe  ein.  Durch  fortgesetzte 
Intensivbestrahlung  gelang  es  nun,  das  Rezidiv  vollkommen  zum 
Verschwinden  zu  bringen  (Patientin  bekam  1318  X).  Die  vorher  be¬ 
standenen  intensiven  Ischiasbeschwerden  und  die  durch  Nerven- 
kompression  bedingte  Kontraktur  des  rechten  Fusses  waren  nicht 
mehr  vorhanden  und  die  Patientin  hatte  zugenommen.  Nachdem  wir 
längere  Zeit  von  der  Patientin  nichts  mehr  gehört  hatten,  wurde  uns 
mitgeteilt,  dass  sie  vor  kurzem  plötzlich  gestorben  sei.  Leider  wurde 
keine  Sektion  ausgeführt;  Unterleibsbeschwerden  waren  keine  mehr 
aufgetreten. 

Im  zweiten  Falle  trat  nach  Intensivbestrahlung  und  Meso¬ 
thoriumeinlage  eine  Einschmelzung  eines  grossen  Rezidives  ein,  das 
in  die  Vagina  durchbrach;  gegen  ärztliche  Verordnung  tritt  Patientin 
aus  der  Klinik  aus  und  wird  22  Tage  später  völlig  ausgeblutet,  mori¬ 
bund  in  die  Klinik  gebracht.  Die  Sektion  ergibt:  Verblutungstou 
durch  Arosion  der  Arteria  uterina;  die  mikroskopische  Untersuchung 
der  makroskopisch  typisch-karzinomatös  aussehenden  Zerfallshöhlen¬ 
wand  und  der  Umgebung  derselben  ergibt  nirgends  Karzinom. 

In  den  6  Fällen,  in  denen  ausgedehnte  karzinomatöse 
Infiltrate  der  Parametrien  bei  der  Totalexstir¬ 
pation  zurückgelassen  werden  mussten,  brachte  die  Intensiv¬ 
bestrahlung  rasch  völliges  Verschwinden  derselben. 


4.  August  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Ausserdem  sei  hier  ein  Fall  von  primärem  welschnussgrossem 
U  r  e  1  r  aJ  k  a  r  z  i  n  o  m  erwähnt.  Die  Patientin  konnte  nur  tropfen- 
weise  im  Stehen  Urin  entleeren,  ein  Katheterismus  war  unmöglich; 
Jurch  reine  Röntgenbestrahlung  (670  X)  konnte  in  einem  Monat  der 

I  umor  bis  auf  eine  minimale  Resistenz  völlig  beseitigt  werden;  die 
Urinentleerung  ist  jetzt  normal,  der  Katheterismus  mit  dickem 
Katheter  leicht  möglich. 

Von  den  Bestrahlungen,  die  wir  bei  Tuberkulose  aus- 
r'iihrten,  will  ich  einen  Fall  erwähnen,  in  dem  eine  seit  Jahren  ver¬ 
geblich  behandelte  Fistel  nach  ganz  kurzer  Bestrahlung  sich 

Jauernd  schloss. 

Dass  die  vom  Reformapparat  gelieferte  Strahlung  jetzt 
•ichon  sehr  nahe  an  die  Radium-Mesothorium-y-Strahlung 
terankommt,  geht  aus  folgendem  hervor: 

Der. Absorptionskoeffizient  der  Radium-  und 
Vlesothorium-y-Strahlung  beträgt  nach  der  üblichen  physi¬ 
kalischen  Ausdrucksweise,  die  von  Rutherford  stammt, 
U.  Bei  der  gewöhnlichen  X-Strahlung  liegt  er  zwischen 
)  und  2;  beim  Reformapparat  beträgt  er  0,3. 

Die  neueste  Errungenschaft  auf  diesem  Gebiete 
.teilt  aber  die  Konstruktion  von  Apparaten  dar,  welche 
Strahlen  liefern,  deren  Absorptionskoeffi- 
ient  0,1  beträgt  —  also  gleich  dem  Absorptions- 
oeffizienten  der  Mesothorium-Radium-y-Strahlung  ist. 

Vergleichmessungen,  welche  an  der  Bu  mm  sehen  Klinik 
rom  Physiker  der  Universität  Giessen  Czermak  iono- 
netrisch  in  der  Vagina,  also  10  cm  unter  der  Bauchdecke  aus- 
eführt  wurden,  haben  ergeben,  dass  die  Strahlenintensität  bei 
entraler  Bestrahlung  in  der  Vagina  einer  Bestrahlung  mit 
00  g  (!)  Mesothorium  (also  im  Werte  von  100  Millionen  Mark) 
us  gleicher  Entfernung  entspricht.  (Diese  Messungen  wurden 
n  einem  Reformapparate  ausgeführt,  beim  neuen  sogen, 
’adiumapparat  liegen  die  Verhältnisse  bezüglich  der  Tiefen¬ 
wirkung  noch  günstiger.) 

Auf  diese  Weise  erklärt  sich  sehr  gut  die  schon  erwähnte 
atsache,  dass  fortgeschrittene  Kollumkarzinome  durch  ven- 
-ale  und  dorsale  Bestrahlung  allein  geheilt  wurden  (mikro- 
kopisch  nachgewiesen).  Dabei  wird  natürlich  das  ganze  Qe- 
;et  der  karzinomatösen  Vorposten  in  den  umgebenden  Drüsen 

II  d  Geweben  von  den  Strahlen  auf  ihrem  Wege  in  die  Tiefe 
etroffen.  Niemals  wäre  es,  auch  mit  den  ausgedehntesten 
perativen  Massnahmen,  möglich,  in  einer  derartigen  Weise 
egen  alle  erkrankten  Teile  vorzugehen. 

Erst  vor  einigen  Tagen  hat  mir  W  a  r  n  e  k  r  o  s  auf  meine 
nfrage  mitgeteilt,  dass  in  der  B  u  m  m  sehen  Klinik  die  Erfolge 
e  gleich  günstigen  geblieben  sind  und  dass  gerade  bei  bef¬ 
ugenden  Karzinomen  nur  durch  Röntgenbestrahlung  ein  Er- 
'lg  zu  erreichen  war;  Radium  und  Mesothorium  wird  nur  als 
kale  Unterstützung  angesehen.  In  vielen  Fällen  wird  iiber- 
mpt  nur  perkutan  (ventral  und  dorsal)  bestrahlt.  Er  teilte 
ich  mit,  dass  er  in  letzter  Zeit  auch  ein  Lippenkarzinom,  ein 
ezidiv  nach  Oberkieferkarzinomoperation  und  vor  allem  ein 
hr  ausgedehntes  Lungenkarzinom  vollständig  geheilt  hat,  wie 
e  verschiedenen  Röntgenaufnahmen  ergeben  haben.  Gleich 
instige  Erfolge  hat  mir  aus  der  Franz  sehen  Klinik 
insser  und  auch  Pankow,  welcher  auf  das  einzelne 
autfeld  bis  zu  140  X  ohne  bleibende  Hautschädigung  appli- 
erte,  mitgeteilt. 

Ein  charakteristischer  biologischer  Beweis,  dass  es  sich 
er  um  andere  Strahlengruppen  handelt  als  die  früher  ver¬ 
endeten,  von  denen  man  infolgedessen  auch  andere  Wir- 
ngen  erwarten  darf,  ist  dadurch  gegeben,  dass  auch  in  den 
dien,  in  denen  man  die  Bestrahlung  gewaltsam  bis  zu  einer 
?rbrennung  zweiten  und  sogar  dritten  Grades,  steigert,  die 
rbrennung  innerhalb  weniger  Wochen  glatt  verheilt, 
ährend  die  früheren,  schweren  Röntgenverbrennungen  be- 
nntlich  eine  ausserordentlich  schlechte  Heilungstendenz 
igten  und  auch  viel  schmerzhafter  waren.  Diese  anfangs 
-•  bezweifelte  Erscheinung  steht  heute  zweifellos  fest 
v  a  r  n  e  k  r  o  s,  Bumm), 

Von  Darmstrikt  u  re  n,  wie  sie  bei  Radium  und  Meso- 
»riutn  beobachtet  werden,  ist  bei  Anwendung  dieser  Röntgen- 
cnsivbestrahlung  niemals  etwas  beobachtet  worden. 

Somit  haben  wir  es  mit  einem  etwas  anderen  Heilmittel 
;  früher  zu  tun,  das  einerseits  viel  ungefährlicher  ist,  von 
m  der  Körper  weit  grössere  Dosen  gefahrlos  verträgt  und 
i  dessen  Beurteilung  frühere  Fehlschläge  und  frühere  Spät- 


1717 


Schädigungen  (I  s  e  1  i  n)  keineswegs  verwertet  werden  können 
—  andererseits  aber  auf  die  Krebszelle,  wie  es  scheint,  elek- 
tiver  einwirkt. 

Vielfach  wird  von  den  früheren  Misserfolgen  der  Röntgen¬ 
therapie  beim  Karzinom  gesprochen.  Nunmehr  handelt  es  sich 
aber  um  ein  neues  Moment,  nämlich  um  die  Erzeugung  anderer 
Strahlenarten  unter  bestimmten  physikalischen  und  tech¬ 
nischen  Voraussetzungen  und  somit  um  neue  Möglichkeiten  der 
Krebstherapie. 

Ein  erheblicher  Teil  der  Misserfolge  bei  der  Karzinom¬ 
therapie  mit  Röntgenstrahlen  alter  Art  und  auch  mit  Radium- 
und  Mesothoriumstrahlen,  beruht  auf  der  Verabreichung  von 
Reiz  dosen;  diese  kommen  zustande  bei  gewöhnlichen 
X-Strahlen  durch  zu  grosse  Absorption  in  den  Bedeckungs¬ 
schichten,  wobei  die  liefe  zu  kleine,  d.  h.  Reizdosen  erhält: 
bei  Radium-  oder  Mesothoriumanwendung,  welches  wegen  der 
geringen  Strahlenmenge  fast  in  unmittelbarem  Kontakt  mit  der 
Oberfläche  gebracht  werden  muss,  ist  die  Tiefenwirkung  sehr 
beschränkt  (d.  h.  Reizdose  vom  3.  Zentimeter  ab).  Will  man  in 
einem  der  beiden  Fälle  die  Reizdosis  in  der  Tiefe  vermeiden, 
so  muss  man  stärker  bestrahlen,  was  eben  zu  den  bekannten 
Nekrosen  an  der  Einfallsstelle  der  Strahlen  führt. 

Krönig  hat  im  Prinzip  daher  ganz  recht,  wenn  er 
ungewöhnliche  Radium-  und  Mesothoriummengen:  800  bis 
1000  mg  in  Form  der  sogen.  Radiumkanone  aus  grösserer  Ent¬ 
fernung  einwirken  lässt;  er  wendet  damit  das  Prinzip  der 
Homogenstrahlungslehre  auf  das  Radium  an  —  nur  wären  für 
die  richtige  Durchführung  der  Homogenbestrahlung  noch  viel 
grössere  Mengen  nötig,  die  wegen  des  Preises  nicht  zu  be¬ 
schaffen  sind  —  in  den  radiumähnlichen  X-Strahlen  scheint  da¬ 
gegen  diese  Möglichkeit  in  unbeschränktem  Masse  gegeben. 

Die  verschiedene  Beurteilung,  die  die  Röntgenintensiv¬ 
bestrahlung  erfährt,  bedarf  einer  Erklärung. 

Diese  Erklärung  ist  zweifellos  in  der  durchaus  ver¬ 
schiedenen  Art  der  vom  einzelnen  verwendeten  Röntgen- 
stiahlen  zu  suchen;  ebenso  wie  die  verschiedenen  unserem 
Auge  gleich  intensiv  erscheinenden  Lichtwellen  ganz  ver¬ 
schiedene  chemische  und  biologische  Wirksamkeit  entfalten, 
sind  die  von  einzelnen  Apparaten  und  Röhren  erzeugten 
Strahlen  untereinander  etwas  ganz  verschiedenes  —  die 
gleiche  Röhre  liefert  unter  verschiedenen  Betriebsbedingungen 
ganz  verschiedene  Strahlenspektra  und  damit  verschiedene 
biologische  Wirkung. 

Für  die  weitere  Entwicklung  der  Dinge  ist  demnach  das 
Postulatzu  stellen,  dass  vor  Anwendung  einer 
Apparatur  zur  Intensivbestrahlung  die  Er¬ 
zeugbarke  it  dieser  kritischen  Strahlen¬ 
gruppe  physikalisch  einwandfrei  sicherge- 
stellt  wird.  Dies  ist  eine  ziemlich  mühsame,  aber  un¬ 
erlässliche  physikalische  Vorarbeit,  die  mit  Hilfe  der  elek- 
troskopischen  Methoden  durchführbar  ist1).  Erst 
wenn  auf  diesem  Wege  jeder  Einzelne  die  Strahlenart  kennt, 
und  angeben  kann,  mit  der  er  seine  Erfolge  oder  Nichterfolge 
erzielt  hat.  lassen  sich  die  Resultate  richtig  bewerten.  Erst 
weitere  Resultate,  wie  sie  bisher  bei  Bum  m  und  Franz  und 
auch  an  meiner  Klinik  erzielt  wurden,  und  diese  Versuche 
können  wohl  nur  an  grösseren  Kliniken  mit  physikalischer 
Unterstützung  gemacht  werden,  geben  später  die  Berechtigung 
zur  Aufrollung  der  allgemeinen  Frage,  ob  und  in  welchen 
Fällen  die  Operation  oder  die  Strahlentherapie  den  Vorzug  ver¬ 
dient. 

Jedenfalls,  möchte  ich  nach  den  oben  erwähnten  im  Ver¬ 
hältnis  aussergewöhnlich  günstigen  Ergebnissen  bei  ganz  aus¬ 
sichtslosen  inoperablen  Karzinomen  die  Bestrahlung  operabler 
Fälle  als  zum  mindesten  erlaubt  bezeichnen. 


)  Wie  mir  von  physikalischer  Seite  mitgeteilt  wird,  ist  die 
Funkcnlänge,  die  neuerdings  wieder  als  Mass  bei  der  Dosierung  er¬ 
wähnt  wurde,  hierfür  nicht  verwertbar.  Sie  ist,  wie  schon  länger 
bekannt,  nicht  einmal  ein  Mass  der  Spannung  —  denn  gleiche  Funken¬ 
längen  entstehen  bei  ganz  verschiedenen  Spannungen  — ,  geschweige 
denn  ein  Mass  der  Strahlenart,  deren  Spektrum  viel  zu  kompliziert 
ist,  als  dass  die  Funkenlänge  einen  Schluss  zuliesse.  Messen  kann 
man  nur  an  der  X-Strahlung  selbst,  denn  sie  —  nicht  Neben¬ 
umstände  : — ,  wie  Funkenbildung,  Stromstärke  etc.  sind  das  bio¬ 
logisch  Wirkende.  —  Geeignet  ist  nur  eine  genaue  Methode  und  dafür 
steht  augenblicklich  nur  das  Elektroskop  zur  Verfügung. 


1718 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  31. 


Mitteilungen  aus  dem  Pathologisch-chemischen  Institut  der 
Universität  Amsterdam  (Direktor:  Prot.  Dr.  P.  Ruitinga). 

Der  kolloidale  Stickstoff  des  Harns  und  seine  Bedeutung 
für  die  klinische  Karzinomdiagnostik. 

Von 

Dr.  P.  L.  J.  de  B  1  o  e  m  e,  S.  P.  S  w  a  r  t  und  A.  J.  L.  T  e  r  w  e  n. 

(Erste  Mitteilung.) 

Bei  der  von  uns  vorgenommenen  Nachprüfung  des  S  a  1  - 
kowski-Kojo  sehen  Verfahrens  *)  zur  Bestimmung  des 
sogen,  kolloidalen  Harnstickstoffs  hat  sich  herausgestellt,  dass, 
wenn  wir  das  direkte  Zinksulfatverfahren  verwendeten,  von 
uns  für  den  kolloidalen  Harnstickstoff  in  normalen  Harnen  weit 
höhere  Zahlen  als  von  K  o  j  o  gefunden  wurden.  So  wurde  von 

Kojo-Nx  100 
uns  das  Verhältnis  ' 


TN 


für  20  normale  Harne  fest¬ 


gestellt  auf  resp.:  2,4,  2,15,  2,3,  3,1,  1,63,  1,95,  2,82,  1,73,  1,75, 
1,74,  2,26,  3,15,  2,67,  2,85,  2,39,  2,13,  2,44,  2,11,  2,0,  1,88.  Also 
in  13  von  20  Fällen  mehr  als  2  Proz.  Aus  den  Werten  im 
3.  resp.  4.  Fall  erweist  sich  die  beträchtliche  Schwankung  der 
Werte  beim  selben  Individuum  wie  auch  seinerzeit  von 
M  e  i  d  n  e  r 2)  betont  wurde.  ^ 

In  den  Harnen  von  8  Lungenleidenden  O  ubercul.  pulmon.) 
in  verschiedenen  Stadien  fanden  wir  Werte  von  1,5  bis 
2,7  Proz.  ln  einem  Falle  akuter  Phosphorvergiftung  mit  le¬ 
talem  Ausgang  wurde  ein  Wert  von  5,42  Proz.  ermittelt.  Wei¬ 
ter  ergaben  2  Fälle  von  Unterernährung  und  Dyspepsia  ner¬ 
vosa  3,7  resp.  1,53  Proz.  In  je  einem  Fall  von  chronischer 
Obstipation  fanden  wir  3,8  Proz.,  von  chronischen  Diarrhöen 
bei  Achylia  gastrica  1,3  Proz.,  von  chronischem  Ikterus  ohne 
Operationsbefund  1,03  Proz.;  von  benigner  Pylorusstenose 
1,55  Proz.;  von  Ulcera  cruris  nebst  Anämie  und  zweifelhaftem 
Magenkarzinom  2,4  Proz.;,  von  Carcinoma  ventriculi  sofort 
nach  einer  schweren  Hämatemesis  3,05,  eine  Woche  nachher 
2,43  Proz.;  von  Adenocarcinoma  ventriculi  mit  Metastasen  1,5 
resp.  2,1  Proz.;  von  Carcinoma  coli  2,6  Proz.  und  in  einem  Fall 
von  Adenocarcinoma  recti,  welches  einige  1  age  nach  der  Be¬ 
stimmung  in  die  Blase  hineinperforierte,  7,6  Proz.  Beachtens¬ 
wert  ist  jedenfalls  der  hohe  Wert  für  die  akute  Phosphorver¬ 
giftung,  war  doch  Salkowskis  erster  Fall  eine  akute  gelbe 
Leberatrophie  bei  einer  Schwangeren  (mit  28,1  Proz.). 

Nachdem  K  a  s  h  i  w  a  b  a  r  a  “)  den  Anteil  der  Harnsäure 
am  Kojo-N  nach  einer  besonderen  Methode  bestimmt  hatte, 
wurden  von  uns  Bestimmungen  im  gleichen  Sinne  ausgeführt. 

Wie  der  parallel  bestimmte  N  der  ganzen  Zinkfällung 
(Kojo-N)  wurde  auch  dieser  Harnsäure-N  (HN)  in  Prozenten 
des  Total-N  (TN)  ausgedrückt. 

Beim  Anfang  unserer  diesbezüglichen  Untersuchungen  war 
die  Kritik,  welche  E.  S  a  1  k  o  w  s  k  i 4)  zu  seiner  eigenen  Arbeit 
in  den  Chariteannalen  geliefert  hat,  noch,  nicht  erschienen. 


Fall 


1.  Echinococcus  hepatis  .  . 

do.  7  Tage  später 

2.  Hyperplasia  hepatis  ... 

3.  Lues  hepatis  . 

4.  Oraviditas  II.  Monat  . 

5.  dicht  .  .  . 

do.  am  1.  Tage  einer  diagn 
Atophankur  .... 

6.  Coma  diabeticum  mit  letalem 

Ausgang  .  .  .  . 

7.  Carcinoma  laryngis  .  .  . 

8.  Carcinoma  nasi . 


-N  x  100 

TN 

HN  X  100 

(Kojo-N— HN)  x  100 

TN 

TN 

3,63 

1,22 

2,41 

3,01 

1,37 

1,64 

2,21 

1,08 

1,13 

2,13 

0,97 

1,16 

2,65 

1,12 

1,53 

4,08 

2,06 

2,02 

5,61 

3,77 

1,84 

1,65 

0,59 

1,06 

2,51 

1,15 

1,36 

2,66 

1,43 

1,23 

Wert  bei  Gicht,  auch  nach  Abzug 

trat  der  Harnsäurebestimmung  nach  Kashiwabara.  Kojo-N 
minus  (HN  4-  PN)  wurde  ZnN  (der  eigentliche  Zinkstickstoff) 
genannt.  _ 


>)  Ko  jo:  Zsch.  f.  phys.  Chem.  73.  S.  416. 

-)  Meidner:  Zsch.  f.  Krebsforsch.  1911  11.  S.  408. 
a)  Kashiwabora:  Zsch.  f  phys.  Chem.  84.  S.  223. 

«)  Salkowski:  Charitee  Ann.  1913  37.  S.  239. 

Pribram  und  L  o  e  w  y :  Zsch.  f.  klin.  M.  77.  S.  284. 


") 


Fall 


g! 

vH  | 

X 


2  H 


oj 

’O-! 

* 


1.  Echinococcus  hepatis  .  .  ... 

2.  dicht,  nach  einer  Atophankur 

3.  Tbc.  pulmon.,  tbc.  laiyng.,  periarticul. 

Abszesse,  Ulcera  crur.  .  .  . 

4.  Obstipatio  alvi  chron.  .  .  . 

do  nach  wenigen  Tagen 

5.  Tumor  malignus  pharyng.  et  laryng. 

6.  Carcinoma  oesophagi  .  •  . 

do.  nach  7  Tagen 

7.  Carcinoma  pylori  (Probelaparotomie) 

8.  Carcinoma  ventriculi  . 

do.  später  wiederholt 


8| 

8 

8 

i|2 

Y  2 

vH 

x 

2 

X  2 

xif 

Ä,H 

21 

7. 

H 

Z 

c; 

X 

- 

N  i 

N 

3,01 

3.5 


2,69 

2,22 

2,52 

3,56 

1,11 

1,2 

2,66 

2,17 

3.35 


1,37 

1,2 

1,3 

0.8? 

0,91 

1,21 

2,1 

0,53 

0,34 

1,47 

1,37 

1,57 


0,08 

0,05 


0,32 

0,2 

0,17 

0,26 

0,14 

0,11 

0,18 

0,17 

0.36 


1,56 

2,25 


52.1 

64.2 


1,07 

1,11 

1,14 

1,2 

0,44 

0,75 

1,01 

0,63 

1,42 


39.8 
50,0 
45,2 
33,7 
30,6 

62.5 

37.9 

28.6 
42.1 


Der  geringe  Wert  beistehender  Zahlen  für  die  klinische 
Diagnostik  des  Karzinoms  springt  sofort  ins  Auge.  Im  7.  Fall 
finden  wir  einen  mittleren,  im  6.  und  8.  Full  eher  einen  niedri- 

geren  ZnN.  ,  .  7. 

Der  Meinung  Thars  und  Beneslawskis')  entgegen 
ist  im  Zinkniederschlag  ausserhalb  Harnsäure  und  Purinbasen 
sicher  noch  ein  grosser  Prozentsatz  anderer  N-haltiger  Ver¬ 
bindungen  enthalten. 

Als  Salkowski  in  den  Charitee-Annalen  (Dez. 
1913)  seine  Erfahrungen  über  die  Zusammensetzung  des  Kojo- 
niederschlages  bekannt  gegeben  hatte,  bestimmten  wir  in 
3  neuen  Fällen  wieder  TN,  Kojo-N,  HN,  PN,  ZnN,  neber 
welchen  Werten  wir  auch  den  Zink-N  nach  den  zwei  vor 
Salkowski  beschriebenen  Verfahren  vermittelten  (ZnN  S! 
und  ZnNSII).  In  Prozenten  des  TN  fanden  wir _  I 


Fall 


1.  Normal . 

2.  Karzinom  d.  Zungenbasis 

3.  Carcin.  intestin.  occ.  ?  . 


8 

8 

© 

© 

o 

© 

X 

© 

© 

X 

2 

X 

2 

X 

2 

X 

2 

X 

Z 

2 

— 

H 

H 

z 

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H 

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Z 

c 

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c r 
ZI 
c  i 

N 

N1 

liz 

XI  o 

•7  ,  0 

Nl 


2,95 

1,3 

0,13 

1,52 

1,85 

3,13 

1,45 

0,30 

1,38 

1,39 

2,67 

1,34 

0,14 

1,19 

1,06 

1,77 

1.25 


51,5 

46,7 

40,3 


der  Harnsäure.  Die  niedrige  Zahl  beim  Koma  diabeticum  ist 
in  Uebereinstimmung  mit  den  Befunden  P  r  i  b  r  a  m  s  und 
Loewyss),  nach  welchen  in  den  schwersten  Diabetesfällen 
eine  Abnahme  des  Blei-N  zu  erwarten  ist. 

In  einer  weiteren  Reihe  von  Fällen  bestimmten  wir  neben¬ 
einander  TN.  Kojo-N,  HN  nach  Kashiwabara  und  den 
Purinbasen-N  (PN)  nach  Krüger  und  Schmid6)  im  Fil- 


Der  normale  Harn  hatte  also  nach  allen  drei  Methoden  dei 
höchsten  Zink-N.  Von  einem  erhöhten  Wert  beim  Karzinon 
ist  auch  hier  nichts  zu  spüren. 

Der  Kojoniederschlag  enthält  also  ausse 
Harnsäure  und  Purinbasen  noch  andere  NI 
haltige  Substanzen,  deren  N  schwankt  zwi 
sehen  0,4  und  2,25  Proz.  des  Gesamt-N.  D  i  e  h  o  h  e 
Werte  decken  sich  aber  in  unseren  Fälle 
durchaus  nicht  mit  den  Karzinomen;  dies 
zeigen  vielmehr  mittlere  Zahlen. 

Unsere  Ergebnisse  waren  also  wenig  er 
mutigend.  Das  ursprüngliche  Kojoverfahre 
ist,  wie  zweifellos  aus  unseren  Unterst! 
chungenhervorgegangenist,  für  die  klinisch 
Karzinomdiagnostik  nicht  wohl  verwendbar 
Wäre  jedoch  nachzuweisen,  dass  unter  de 
Bestandteilen  des  Kojoniederschlag  es  ein 
Substanz  sich  befinde,  welche  qualitativ  ode 
quantitativ  für  den  Krebs  charakteristisc 
ist,  sowäre  daraufeineMethodefür  dieKrebs 
diagnose  zu  gründen.  An  erster  Stelle  habe 
wir  dazu  den  adialysablen  Anteil,  also  de 
kolloidalen  Harnstickstoff  im  engeren  Sinn 
bestimmt. 

Zur  Technik  bemerken  wir  folgendes:  Den  gewaschenen  Koj> 
niederschlag  von  100  ccm  Harn  spritzten  wir  mit  Aqua  dest.  in  eint. 
Kolben  und  brachten  ihn  durch  vorsichtigen  Zusatz  von  30  Pro 
Essigsäure  zur  Lösung.  Ein  Ueberschuss  an  Säure  ist  zu  ver™®!d! 
Das  Gesamtvolum  war  jetzt  etwa  100  ccm.  In  7  Schläuchen  (579  Sei 
und  Sch.)  wurden  diese  während  48  Stunden  gegen  strömendes  V.  assi 
dialysiert.  Die  Schläuche  waren  vorher  mittels  Seidenpepton-  res 
Kaseinlösung  (nach  dem  von  uns,  Swart  und  T  e  r  w  e  n 7  8)|.  aiiü 
gebenen  Verfahren)  geprüft.  Sie  wurden  mit  Gummistöpseln  ui 


<*)  Krüger-Schmid:  Zsch.  f.  phys.  Chem.  1905  45. 


7 )  Thars  und  Beneslawski:  Bioch.  Zsch.  52.  S.  435. 

“)  Swart  und  T  e  r  w  e  n:  M.m.W.  1914  S.  603. 


4.  August  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


1719 


Bindfaden  fest  verschlossen  in  dazu  geeigneten  kleinen  Töpfen  zu 
7  zusammengestellt,  das  Wasser  strömte  am  Boden  ein.  Der  Gc- 
samfmlialt  wurde  nach  48  Stunden  ausgegossen,  die  Hülsen  nachge¬ 
spult.  der  Inhalt  eingeengt  (auf  dem  Wasserbade)  und  der  N  nach 
Kjcldahl  bestimmt.  Man  darf  die  Harnsäure  nicht  zuvor  ent- 
femen,  denn  bei  der  dazu  notwendigen  Einengung  mit  HCl  könnten 
die  kolloidalen  Substanzen  zersetzt  werden. 

Zu  dieser  Prüfung  sei  hier  noch  bemerkt,  dass  wir,  um  einer 
etwaigen  Alkalischädigung  der  Hülsen  vorzubeugen,  den  Sodazusatz 
zum  Kasein  etwas  karger  bemessen  als  ursprünglich  von  uns  beschrie¬ 
ben  worden  ist.  Wir  verwenden  jetzt  8,8  ccm  ~  NaaCO»  für  5  g 
Kasein  und  erhalten  so  eine  lackmusneutrale  Lösung 


Fall 

Kojo-N  x  100 
TN~ 

Adial-N  xlOO 
TN 

Adial-N  x  100 
Kojo-N 

1.  Oesunde  Versuchsperson 

2.  do.  .... 

8.  do  .... 

4.  Perniziöse  Anämie . 

5  Carcinoma  laryngis . 

6.  do. 

7  Carcinoma  nasi  ... 

8.  Carcinoma  ventriculi  .  .  .  . 

2,87 

2.85 

2,13 

2,38 

2,51 

2,51 

2,66 

3.85 

0,16 

0,12 

0,10 

0,18 

0,63 

0,97 

0,58 

0,36 

5,57 

5,10 

4,69 

7,56 

21,11 

38,64 

21,80 

10,74 

Wahrend  also  der  Kojo-N  nichts  auffälliges  darbietet, 
erfährt  sein  adialysabler  Anteil  eine  deutliche  Vermehrung 
beim  Karzinom. 


Aus  der  Freiburger  Universitäts-Kinderklinik. 

Zur  Kenntnis  der  Nierenerkrankung  im  Kindesalter. 

II.  Mitteilung. 

Klinische  und  funktionelle  Untersuchungen  *). 

Von  Prof.  C.  T.  Noeggerath  und  Dr.  H.  Z  o  n  d  e  k. 

Für  die  folgenden  Untersuchungen  war  die  Fragestel¬ 
lung  massgebend:  Ermöglicht  die  gemeinsame  klinische 
Beobachtung  und  funktionelle  Prüfung  auch  im  Kindes¬ 
alter  eine  befriedigendereEinteilung  derNierenerkrankungen  als 
die  bisherige  und  gibt  sie  darüber  hinaus  für  die  Therapie 
sowie  fürdieErkennungdesEintrittsderHeilung 
gesichertere  Hinweise? 

Methodik  Auf  eine  dem  Alter  entsprechende  und  sich 
der  Toleranz  des  Einzelfalles  anpassende  Standardkost  wurde 
Kochsalz  und  E  i  w  e  i  s  s  superponiert. 

Für  die  Standardkost  eines  Falles  folge  ein  Beispiel: 

Karl  H.,  10  Jahre  alt.  Gewicht:  28,8  kg. 


9.  in.  u 


Milch  . 

Zucker  .  .  . 

Ungesalzenes  Brot 
Ungesalzene  Butter 

Kartoffel . 

Qelbrüben  .... 

Aepfel . 

Thee  ... 

Kaffee  . 

Wasser . 

Zitronensaft  . 


Summa 


Menge 

NaCl 

Eiweiss 

Wasser 

Kalorien 

500 

0,8 

16,0 

437 

335 

50 

0,05 

0,15 

1 

190 

50 

0,09 

2,7 

20 

126 

10 

0,01 

0,06 

1 

76 

100 

0,045 

1,5 

75 

88 

80 

0,12 

5,36 

69 

197 

80 

— 

0,24 

68 

41 

250 

— 

_ 

250 

100 

— 

— 

100 

400 

— 

— 

400 

_ 

15 

0,006 

0,03 

15 

6 

h  hingegen 

1,121 

1,6 

26,04 

3,2 

1061 

1436 

670) 

Das  Superponieren  erfolgte  anfangs  so,  dass  teils  mit  der 
Menge  der  schon  gegebenen  Nahrungsmittel  gestiegen  wurde, 
teils  neue  beigefügt  wurden.  Bald  aber  gestalteten  sich  die 
Versuche  durchsichtiger:  einer  gegebenen  Standard- 
Kost  wurde  Kochsalz  und  Plasmon,  abwech¬ 
selnd  oder  gemeinsam  zugegeben.  Anfangs  gaben 
wir  sehr  grosse  Kochsalzmengen  (bis  zu  15  g  Gesamt¬ 
menge).  Bald  zeigte  es  sich  aber,  dass  man  mit  wesentlich 
kleineren  Dosen  (1 — 3  bis  höchstens  5  g  pro  die)  ebenso  klare 
Resultate  erhält,  ohne  sie  mit  gelegentlichen  akuten  Verschlim¬ 
merungen  oder  doch  offensichtlichen  Verlängerungen  der  Re¬ 
konvaleszenz  bezahlen  zu  müssen.  Das  Plasmon  (67,4  Proz. 
tiweiss,  0,2  Proz.  Kochsalz,  keine  Extraktivstoffe)  gaben  wir 
in  Tagesdosen  bis  zu  100  g  in  die  warmen  Speisen  verrührt. 

Aehnliche  einfache  Versuchsbedingungen  waren  vorher 
unseres  Wissens  bei  Kindern  noch  nicht  angewandt  worden. 
Im  Prinzip  Aehnliches  ist  ja  für  Erwachsene  durch  S  t  r  a  u  s  s1), 

Gekürzt  vorgetragen  auf  der  vereinigten  Tagung  der  siid- 
w  esf deutschen  Kinderärzte  und  Münchener  Ges.  f.  Kindhlk.  Stutt¬ 
gart^  7.  Juni  1914. 

)  D.  Strauss:  Chronische  Nierenentzündungen  etc.  Berlin  1902. 


sowie  kürzlich  aus  der  v.  Müller  sehen  -’)  und  der  K  r  e  h  1  - 
sehen  )  Klinik  publiziert  worden. 

Im  einzelnen  wurde  also  in  wochenlangcn  täglichen  Ver¬ 
suchen  die  Tageseinfuhr  des  Kochsalzes,  des  Stickstoffes  und 
des  Wassers  mit  der  Tagesausfuhr  durch  die  Nieren  ver¬ 
glichen.  Dazu  kamen  zu  geeigneten  Zeiten  Untersuchung  des 
Reststickstoffes  und  des  Kochsalzes  im  Blute.  Die  Einfuhr 
wurde  nicht  analysiert,  sondern  nach  dem  sehr  bequemen 
abellenbuch  von  Schall  und  H  e  i  s  1  e  r 4)  berechnet.  Bei 
en  relativ  grossen  Ausschlägen,  die  hier  in  Betracht  kommen, 
zeigte  sich  dies  Verfahren  als  durchaus  genügend  und  exakt. 
Ausfuhr  und  Blutgehalt  wurden  in  üblicher  Weise  bestimmt 
(Näheres  in  der  ausführlichen  Publikation  der  Protokolle  durch 
Z  o  n  d  e  k.) 

+  teriaI  umfasste  6  im  Spiel-  und  Schulalter 

stehende  Kinder.  3  von  ihnen  litten  an  akuten  postinfektiösen 
amorrhagischen,  eines  an  einer  postdiphtherischen  Nephro- 
pathie,  ein  weiteres  an  einer  Hen  och  sehen  Purpura  ab- 
t  ominalis,  die  mit  einer  nach  dem  Typ  der  Pädonephritis  ver¬ 
laufenden  Nierenerkrankung  kompliziert  war.  Eine  echte 
orthotische  Albuminurie  schloss  den  Kreis.  Dazu  kamen  Kon- 
trollversuche  an  Nierengesunden. 

.  .  Die  wesentlichsten  Ergebnisse  sollen  an  der  Hand 
einiger  dieser  Fälle  mitgeteilt  werden. 

,  I-  Die  durchsiehtigsteu  Verhältnisse  bot  der  10  jährige  Franz  S., 
dessen  hartnackige  Purpura  abdominalis,  wie  erwähnt,  mit  einer 
Niei  enerkrankung  vom  Typ  der  Pädonephritis  einherlief.  Das  Ergeb- 
^LCier/Unf t’0nSPrufungI  zeigte  eine  vaskuläre  Hypostenurie  im 
ar-i?-rrS  sIf;me1r  Mitarbeiter:  Die  Niere  hatte  ihre 
Konzentrationsfähigkeit  für  Kochsalz  verloren;  wird  daher  die  Koch- 

niiZcbf laVist,ung, ges^ tegert,  so  muss  die  lösende  Urinflut  ansteigen. 
Dies  fuhrt  naturgemass  zur  Fixation  des  spezifischen  Gewichtes  des 

r0SSeudn  T,Urinmengen  hatten  ungefähr  dasselbe  spe¬ 
zifische  Gewicht  Die  Toleranz  für  Kochsalz  und  Eiweiss  war  relativ 

we"'g  ves,torn  hier  verweisen  wir  für  die  Einzelheiten  auf  die 

Dass  die  hier  beobachteten  Störungen  vaskulärer 
Natur  sind,  ist  in  Anbetracht  der  sonst  bestehenden  Purpura 
verständlich.  Uebrigens  zeigte  das  Blut  des  Patienten  —  wie 
häufig  —  eine  sehr  schnelle  Gerinnung  in  vitro.  Doch  miss¬ 
lang  uns  der  Versuch,  eine  grössere  Durchlässigkeit  der  Ge- 
fässe  durch  Ansaugen  mittels  einer  B  i  e  r  sehen  Saugglocke 
zu  demonstrieren,  was  in  einem  anderen  Falle  leicht  zu  zeigen 
war.  Die  Nieren  heilten  vollständig  unter  allmählich  steigender 
1  oieranz  für  Kochsalz  und  Eiweiss  und  der  Konzentrations¬ 
fähigkeit. 

Ein  weiterer  Schluss  über  diesen  Fall  hinaus  auf  die  All¬ 
gemeinheit  der  unter  dem  Bilde  derPädonephritiden  vereinigten 
Nierenveränderungen  erscheint  im  Hinbilck  auf  seine  beson- 
cere  Stellung  als  Teilerscheinung  einer  Purpura  unzulässig. 

Es  folgen  nun,  Fälle,  bei  denen  bei  oberflächlicherer  Be¬ 
trachtung  der  Einteilung  in  die  S  c  h  I  a  y  e  r  sehen  oder  die 
durch  Strauss,  Widal  und  seine  Mitarbeiter  ge¬ 
schaffenen  Gruppen  möglich  schien.  Eine  nähere  Betrachtung 
der  zum  Teil  recht  lang  durchgeführten  täglichen  Unter¬ 
suchungen  zeigt  aber,  dass  auch  hier  v.  Noordens5)  Wort 
vom  geradezu  bizarren  Verhalten  der  Nieren¬ 
fun  k  t  i  o  n  zu  Recht  besteht.  Ein  gewisses  Interesse  scheinen 
uns  aber  diese  Fälle  deshalb  zu  bieten,  weil  sie  für  einen  Teil 
dieser  Unstimmigkeiten  die  Erklärung  brachten. 

II.  L.  H.,  10  Jahre  alt.  Klinisch:  Postdiphtherische  Nephrose, 
r  un  ktionen  deckte  sich  zu  manchen  Zeiten  das  Krankheitsbild 
mit  der  tubuiaren  Hypostenurie,  die  Schlayer  durch  mangel¬ 
hafte  Kochsalzausscheidung  bei  erhaltener  Konzentrationsfähigkeit 
des  Urins  definiert.  Hierzu  aus  einem  der  Versuchsabschnitte  ein 
Beispiel  m  2  dreitägig  zusammengestellten  Perioden 


Tabelle  1. 


Datum 

Absolute  Einfuhr 

Ausfuhr  in  Proz.  der  Einfuhr 

NaCl 

NaCl 

H,0 

20.-22.  III. 

4.-  6.  IV. 

9,0 

9,7 

55,5 

73,0 

51,7 

67,0 

*).  v.  Monakow:  D.  Arch.  f.  klin.  M.  115.  1914. 

r»  a  u  r  te  r  „Vnd  Sieb  eck:  Untersuchungen  an  Nierenkranken. 
D.  Arch.  f.  klin.  Med.  114.  S.  497  ff. 

2  Schall-Heisier;  Nahrungsmitteltabelle.  Würzburg  1914. 
)  v.  N  0  0  r  d  e  n:  Handb.  d.  Path.  d.  Stoffwechsels.  (Abschnitt: 
„Nierenerkrankungen“.) 


1720 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  31. 


Diese  Tabelel  zeigt  beim  Vergleich  ihrer  3.  und  4.  Spalte 
die  gute  Konzentrationsfähigkeit  des  Urins  dadurch,  dass  der 
Prozentsatz  Ausfuhr  zu  Einfuhr  für  Kochsalz  und  Wasser  sich 
befriedigend  deckt.  Sie  zeigt  aber  auch  bei  Betrachtung  der 
2.  und  3.  Längsspalte  und  beim  Vergleich  der  oberen  und 
unteren  Versuchsreihe,  wie  bei  nicht  einmal  sehr  hochgradiger 
Aenderung  der  Kochsalzeinfuhr  die  Ausfuhr  des  Salzes  pro¬ 
zentual  ganz  unerwartete  Sprünge  macht.  Diese  Verhältnisse 
werden  noch  deutlich  durch  die  nächste  Zusammenstellung 
dreier  dreitägiger  Perioden  bei  jeweils  gleicher  Kochsalzeinfuhr 
illustriert. 

Tabelle  2. 


Datum 

Kochsalz 

Einfuhr 

Ausfuhr 

7.—  9.  IV. 

6,9  g 

8,6  g 

10.— 12.  IV. 

6,9  g 

4,8  g 

13.-  15.  IV. 

6,9  g 

2,7  g 

Hier  ist  also  bei  einer  ziemlich  geringen  Belastung  (p  r  o 
d  i  e  2,3  g  NaCl),  die  aber  in  allen  Versuchen  gleich  bleibt, 
die  Ausfuhr  einmal  sogar  grösser,  dann  kleiner,  um  schliesslich 
sehr  stark  zu  sinken. 

Ein  Licht  in  diese  Verhältnisse  wirft  die  im  folgenden 
nach  rechts  um  die  Stickstoffeinfuhr  verbreiterte  Zusammen¬ 
stellung  derselben  Versuchsreihe: 

Tabelle  3. 


Kochsalz 

Stickstoff 

Einfuhr 

Ausfuhr 

Einfuhr 

6,9 

8,6 

15,4 

6,9 

4,8 

16,6 

6,9 

2,7 

19,6 

Sie  zeigt  beim  Vergleich  der  beiden  letzten  Längsspalten 
dass  die  Salzausscheidung  sinkt,  wenn  die  Ei¬ 
weissbelastung  steigt.  Dieses  gesetzmässige  Ver¬ 
halten  haben  wir  nicht  nur  in  diesem  sondern  auch  in  anderen 
Fällen  mehrfach  bestätigt  gefunden.  Doch  sei  gleich  hier  dar¬ 
auf  hingewiesen,  dass  es  nicht  jedes  Auftreten  bizarrer  Aus¬ 
scheidung  erklärt. 

Diese  Beeinflussbarkeit  der  Kochsalzausscheidung  durch 
die  N-Zufuhr  kann  soweit  gehen,  dass  die  Mehrzufuhr  von  E  i  - 
w  e  i  s  s  (also  nicht  von  Kochsalz)  sogar  zum  Auftreten  von 
Oedemen  führt.  Das  konnten  wir  gerade  bei  diesem  Kinde 
beobachten.  Es  handelte  sich  dabei  nicht  nur  um  das  Auf¬ 
treten  einer  Gewichtszunahme  (v.  Pirquet),  der  Präödeme 
der  Franzosen  (W  i  d  a  1),  sondern  um  echte,  klinisch  palpable 
Hautödeme. 

Diese  Abhängigkeit  der  Kochsalz-Wasserretention  von 
der  Eiweisszufuhr  wurde  in  klarer  Weise  dadurch  be¬ 
wiesen,  dass  wir  diese  Oedeme  und  den  Gewichtsanstieg 
dadurch  wieder  zum  Schwinden  brachten,  dass  nicht  etwa  die 
Kochsalzeinfuhr,  sondern  die  Eiweissbelastung  (von  85  g  auf 
45  bis  30  g  pro  die,  also)  auf  etwa  die  Hälfte  herabgesetzt 
wurde. 

Praktisch  wichtig  erscheint  es  uns,  dass  diese  Versuche 
im  Beginne  der  Rekonvaleszenz,  und  zwar  zu  einer  Zeit  vor- 
genommen  wurden,  als  der  Urin  weder  Eiweiss 
noch  Sediment  mehr  aufwies. 

111.  Bei  dem  3V2  jährigen  K.  W.  hatte  sich  an  eine  eitrige 
Mastoiditis,  die  operiert  werden  musste,  eine  akute  hämor¬ 
rhagische  Nephritis  angeschlossen.  Während  ihres  Blüte¬ 
stadiums  funktionell  untersucht,  zeigte  sie  das  Bild  der  azotäm- 
ischcn  Nephrose  im  Sinne  W  i  d  a  1  s;  d.  h.  'der  Stickstoff  wird 
von  der  Niere  zurückgehalten,  die  das  Kochsalz  dagegen  gut  passieren 
lässt.  So  betrug  beispielsweise  der  Reststickstoff  im  Blut  0,15  Proz. 
gegen  0,10  Proz.  in  der  Norm.  (Die  Zahlen  beziehen  sich  nicht  auf 
Serum,  für  das  sich  die  bisher  gefundenen  Werte  für  Rest-N  auf  0,5 
bis  0.6  Proz.  belaufen,  sondern  auf  enteiweisstes  Gesamtbild,  dessen 
Bearbeitung  geringere  Blutquanta  erfordert.)  Ferner  wurden  beispiels¬ 
weise  von  10  g  bzw.  12,7  g  Tages-N  6,9  bzw.  8,4  ausgeschieden. 
Dabei  ist  die  Kochsalzzufuhr  selbst  bei  hoher  Belastung  wenigstens 
scheinbar  ungestört,  wie  die  folgende  Tabelle  lehrt. 

Tabelle  4. 


Kochsalz 


Tägliche  Einfuhr 

Ausfuhr 

a)  2.3  g 

2,3  g 

b)  2,8  g 

2.8  g 

c)  8,1  g  (!) 

8,1  g 

Datum 

Kochsalz 

Stickstoff 

Tägliche  Einfuhr  |  Ausfuhr 

Einfuhr 

a)  16.  III. 

b)  17.  IH. 

2,3  g 

2,8  g 

2,3  g 

2,8  g 

12.2  g 

12.2  g 

c)  18.  III 

8,1  g 

8,1  g 

8,4  g 

d)  19.  III. 

81,  g 

4,8  g!  |  12,7  g 

Aber  auch  bei  dieser  von  den  bisherigen  so  verschiedenen 
Nierenerkrankung  zeigt  sich  der  Einfluss  der  Eiweissbelastung 
auf  die  kochsalzbewältigende  Leistung  der  Niere  wieder  ganz 
evident: 

Tabelle  5. 


Querreihe  a  und  b  zeigen,  wie  bei  einer  ziemlich  starken 
Stickstoffbelastung  (12,2  g  pro  die)  mittlere  Kochsalzmengen 
(2,3— 2,8  g)  glatt  die  Niere  passieren.  Selbst  wenn  man  wesent¬ 
lich  höhere  Kochsalzmengen  (8,1  g)  hindurchbringen  will,  so 
geht  das  auch,  wie  Reihe  c  beweist.  Hier  mussten  wir  aber 
die  Eiweissbelastung  von  12,2  g  N  auf  8,5  g  N  herab¬ 
setzen!  Steigerten  wir  sie  dann  wieder  auf  etwa  denselben 
Wert  (12,7  g  N  pro  die)  so  wurden  von  den  8,1  g  Kochsalz  nur 
mehr  noch  4,8  g  durchgelassen,  wie  Querreihe  c  und  d  zeigen. 

Auch  in  diesem  Falle  gab  es  Perioden,  in  denen  die  Ab¬ 
hängigkeit  der  Kochsalzausfuhr  von  der  Eiweissbelastung  der 
Niere  nicht  zu  Recht  besteht. 

Bei  den  zurzeit  allerdings  erst  vereinzelten  Unter¬ 
suchungen  Nierengesunder  und  den  häufigeren  Beobachtungen 
an  nierenrekonvaleszenten  Kindern  haben  wir  diese  Ver¬ 
schlechterung  des  Kochsalzwechsels  der  Niere  durch  erhöhte 
Eiweissbelastung  bisher  noch  nie  gefunden.  Ihr  Ver¬ 
schwinden  in  der  Rekonvaleszenz  ist  uns  ein 
Signal  vollständiger  Heilung  geworden. 

Schliesslich  noch  ein  Fall,  der  das  umgekehrte  Verhalten 
zeigte,  nämlich  Beeinflussung  der  Eiweissausscheidung  durch 
die  Kochsalzeinfuhr. 

Bei  dem  8jährigen  H  K.  zeigte  sich  eine  akute  hämorrhagische 
Nepritis  als  seltene  Komplikation  einer  Pneumonie.  Funktionell  unter¬ 
sucht  war  es  eine  Mischform  zwischen  der  S  c  h  1  a  y  e  r  sehen  vas¬ 
kulären  und  tubulären  Hypostenurie.  Nach  W  i  d  a  1  betrachtet 
wäre  es  eine  Mischform  zwischen  A  z  o  t  ä  m  i  e  und  Chlorurämie. 

Hierbei  konnten  wir  also  folgendes  beobachten.  In  4  Blut¬ 
untersuchungen  betrug  der  Reststickstoff  3  mal  0,4  bis 
0,38  Proz.,  war  also  etwa  4  fach  normal.  Es  ist  das  der  höchste 
bisher  von  uns  gefundene  Wert.  Urämische  Erscheinungen 
waren  nicht  nachzuweisen.  (In  einem  Fall  von  Urämie  fanden 
sich  0,3  Proz.  Rest-N  im  Gesamtblut.)  Die  Untersuchungen 
zeigten  folgende  Reihenfolge: _ 


5.  II 


9  II  |  28.  II.  2.  III.  12.  III  |Später  mehrmals 


0,14  Proz. 


0,1  Proz. 


0,4  Proz.  !  0,19  Proz.  |  0,38  Proz.  |  0,38  Proz. 

Die  Herabdrückung  des  Rest-N  im  Blut  am  9.  II.  gelang 
uns  durch  Heruntergehen  mit  der  Kochsalzbelastung  vom  6.  11. 

bis  9.  II.  j 

Nachdem  wir  durch  Vermehrung  der  NaCl-Einfuhr  den 
Reststickstoff  wieder  erhöht  hatten,  wie  die  beiden  Blutuntersu¬ 
chungen  am  23.  II.  und  2.  III,  zeigten,  wurden  dann  hieraus  für  die 
Therapie  die  nötigen  Schlüsse  gezogen;  d.  h.  dieser  Fall  verlor 
unter  salzarmer  Diät  seine  verminderte  Toleranz  für  Eiweiss; 
sein  Reststickstoff  sank  über  0,14  Proz.  auf  den  Normalwert 
von  0,1  Proz.  Das  Kind  wurde  völlig  gesund  entlassen. 

Welche  praktischen  Schlüsse  lassen  sich  aus 
diesem  und  unseren  übrigen  Beobachtungen  ziehen?  Natürlich 
ist  das  vorliegende  Material  zu  klein,  um  etwa  eine  Einteilung 
der  Nierenerkrankungen  im  Kindesalter  jetzt  schon  zu  er¬ 
lauben.  Auch  ist  es  durch  die  Purpura  haemorrhagica  und 
postpneumonischen  Nephrose  wohl  mit  Ausnahmefällen  über¬ 
lastet.  Doch  ist  mit  Sicherheit  aus  der  erfolgreichen  Therapie 
zu  hoffen,  dass  weitere  vergleichende  Untersuchungen 
zwischen  klinischen  und  funktionellen  Beobachtungen  mit  der 
Zeit  zu  befriedigenden  Resultaten  führen  werden.  Bis  dahin 
bleibt  allerdings  nichts  anders  übrig,  als  jeden  Fall  einzeln 
funktionell  durchzuprüfen.  Hierbei  empfiehlt  sich  die  hier 
angewandte  Methode:  Darreichung  einer  dem  Alter  und  der 
Toleranz  des  Kindes  angepassten  Standartkost  mit 
steigender  und  wechselnder  Belastung  durch 
Kochsalz  und  Plasmon  bei  Beachtung  der  oben  be¬ 
schriebenen  gegenseitigen  Beeinflussung  des  Kochsalz-  und 


4.  August  1914. 


Stickstoffwechesls  der  Nieren.  Das  kann  auch  der  praktische 
Arzt  ausfuhren,  wenn  ihm  nur  ein  geeignetes  Laboratorium  die 
notwendigen  chemischen  Untersuchungen  abnimmt.  Allerdings 
muss  man  bei  der  Auswahl  der  Standartkost  jeglichen  Schema- 
tismus  vermeiden,  schon  gar  bekanntlich  den  der  ausschliess- 
jchen  Milchdiät.  Denn  die  notwendige  Milchmenge  kann  an 
Kochsalz  oder  Eiweiss  oder  gar  an  beiden  wesentlich  mehr 
enthalten,  a*s  im  Linzelfall  toleriert  wird.  Wir  verweisen  hier 
•u  auf  die  in  Seite  1719  mitgeteilte  Standartkost  und  die  ihr 
regenubergesteHten  Zahlen  für  1  Liter  Milch,  der  in  diesem 
alle  das  kalorische  Bedürfnis  des  Kindes  nicht  gedeckt  hätte, 
iclegenthch  muss  man  mit  vollkommener  Intoleranz  für  Ei- 
.veiss  und  Kochsalz  rechnen.  Dann  kann  man  v.Noordens 
i|r  Erwachsene  gegebenem  Rate  folgend  zur  alleinigen  Er- 
lahrung  mit  Zucker  schreiten. 

,  SOi^a^e  ic.b  ,fTinen'  derartigen  3  jährigen,  schwer  urämi- 
. ehern  Kmde  mit  Nieren,  deren  Zustand  zwischen  der  akuten 
md  chronischen  hämorrhagischen  Nephrose  lag  (Fettaus- 
cheidung.)  9  läge  langausschliesslich  Zucker  ge- 
.eben.  Es  bekam  anfangs  Trauben-  und  dann  seines  Wider¬ 
willens  wegen  Rübenzucker  und  zwar  täglich  250  g  als  Him- 
»eersyrup.  Die  Stühle  blieben  gut.  Kalorisch  war  diese 
Ehrung  bei  einem  Körpergewichte  von  13,7—11,6  kg  an  sich 
ewiss  zureichend.  Als  auch  der  Rübenzucker  nicht  mehr 
uiommen  wurde,  wurde  es  16  Tage  lang  ausschliesslich  mit 
er  kochsalz-  und  eiweissarmen  Frauenmilch  ernährt,  die  des 
esseren  Geschmackes  wegen  mit  ein  wenig  Haferschleim  ver- 
etzt  worden  war.  Der  so  zubereiteten  Ammenmilch  kann 
ian  sich  auch  sonst  jenseits  des  Säuglingsalters  erfolg- 
Kh  bedienen.  Nebenher  wurde  natürlich  Venaesektion, 
lgitalispraparate,  Diuretika  und  ausgiebiges  Schwitzen  auf 
em  elektrischen  Warmekissen  angewandt.  Unter  dieser 
nergischen  Kur  sank  das  Körpergewicht  rapid.  Oedeme  und 
r,ami.e.  schwanden  Der  Urin  stieg  von  150  g  im  Tag  inner- 
alb  11  Tagen  auf  einen  Liter.  Das  Kind  wurde  nicht  nur 
\h.ei  t,  sondern  es  machte  1  lA  Monate  nach  der  funktionell  be- 
ruiten  Heilung  eine  schwere  Otitis  media  purulenta  durch 
me  dass  sich  dabei  auch  in  der  funktionellen  Prüfung  irgend 
ne  Beemtrachtigung  der  Nieren  hätte  nachweisen  lassen 
ach  allem  sehen  wir  jetzt  schon  in  der  Toleranz 
rutung  der  Nieren  auch  im  Kindesalter  ein 
uv  er  lässiges  Mittel  zur  Feststellung  ihres 
inktion  eilen  Zustandes,  zur  Auffindung  und 
on trolle  des  Heilplanes  und  zur  Bestimmung 
e_SJ:  ‘  a yrx  ttesderendgü!tigen  Heilung.  Analog 
r  für  die  Gesundung  ernahrungsgestörter  Säuglinge  geltenden 
egeln  erklären  wir  ein  nierenkrankes  Kind  dann  für  gesund 
enn  eS  die  in  der  Kost  seiner  Altersstufe 
ithaltene  Kochsalz-  und  Eiweissmenge  ge- 
e  1  n  s  a  m  a  n  s  t  a  n  d  s  1  °  s  toleriert;  nicht  genügt 

’e.r  der  NachweisderEiweiss-undSediment- 

e  Hielt  des  Urins.  Denn  dies  kann  vor  der  voll- 
mmenen  1  oleranzwiederherstellung  der  Fall  sein.  Wir 
nen  in  einiger  Zeit  eine  noch  schärfere  Definition  durch  ge¬ 
ziertere  Feststellung  der  Toleranzgrenze  gesunder  Kinder 
nen  zu  können. 

So  betrachtet,  ist  nach  Untersuchung  allerdings  erst  eines 
lies  von  echter  (d.  h.  sedimentfreier)  orthotischer 
b  u  m  i  n  u  r  i  e  auch  hierbei  die  Niere  funktionell  gestört 
-  zeigte  periodisch  eine  deutliche  Schwächung  ihrer 
■leranz  gegen  Eiweiss  und  Kochsalz  und  die  oben  ge¬ 
loderte  Beeinträchtigung  der  Kochsalzausfuhr  durch  er¬ 
nte  tiweissbelastung. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


dem 


medizinisch-pathologischen  Institut  der  Universität 
Bologna  (Direktor:  Prof.  A.  Rovighi). 

eber  die  Hyperleukozytose  durch  Kälteeinwirkunq. 

D  .  Von 

1  £ h i ,  Professor  für  ,  R.  Secchi,  Privatdozent 
Innere  Medizin.  und  Assistenzarzt. 

Rovighi  hat  schon  im  Jahre  1892  darauf  hingewiesen, 
vS  allgemeine  oder  lokale  Applikationen  von  Kälte  auf  die 
rperoberflache  eine  deutliche  peripherische  Hyperleuko- 
°se  bewirken.  Diese  interessante  Erscheinung  wurde  so- 

Nr.  3|. 


_ _ _ _ 1721 

gleich  durch  zahlreiche  Untersuchungen  von  Winternitz 

ühPrSd!f  rfChÜlern  bestätigt  und  von  M  u  r  r  i  in  seiner  Arbeit 
unci  die  „Uorosi  invernale“  erwähnt. 

A,uf  Cirund  dieser  neuen  Erkenntnisse  sind  später  viele 
kahscher  e^cl?ienen  ube,r  den  Einfluss  verschiedener  physi- 
nic  b  6  .  ^  irknng.en  auf  die  Blutkörperchenzahl:  so  konnte 
c  widrige  Veränderungen  der  Blutzusammensetzung  er- 
kennen,  welche  vom  Licht,  vom  Luftdruck,  von  den  Röntgen- 
.  trahlen  usw.  abhängig  sind.  Es  scheint  aber,  dass  die  Iiyper- 
snm£p>t0Se  durch  Kälteapplikation  eine  ganz  besondere  Wirk- 

Beafbe  tunTh  n3!  S1naUr'Ir1  heute  einen  Qe£enstand  häufiger 
W  i  nt  e  r  n  i  ^  '  ?16  Untersuchungen  von  R  o  v  i  g  h  i  und 
QraPit^  /  •  wurden.  v°u  vielen  anderen  Autoren,  wie 
Gr/witz,  L  o  w  y,  F  r  i  e  d  1  ä  n  d  e  r,  Strasser  Becker 
und  ganz  neuerlich  von  R  i  c  h  e  t  und  W  i  d  a  1  wiederholt 
iese  Untersucher  sind  indes  zu  so  verschiedenen  Meinungen 
über  die  Art  und  die  Ursache  der  Schwankungen  in  de?  ßfut 

bXPCPPPtahvek|f0lfC  V°h  KältC  #elangt’  dass  dieses  Thema 
öisher  nicht  geklart  erscheint.  Es  ist  aber  die  zuerst  von 

es  sich8 bei  depHvneiMpnUng  allgemein  angenommen,  dass 

aLoPum  Znn.L  YnPe  ?  fyt°Se  durch  Käite  nicht  um  eine 
apsomte  Zunahme  der  Leukozytenzahl,  sondern  um  eine  An¬ 
häufung  der  weissen  Blutkörperchen  in  den  Kapillaren  der 

Gefäßen  6handPp  m  n  VerminderunK  derselben  in  den  inneren 
uetassen  handelt.  Dagegen  ist  die  Frage  noch  nicht  ent¬ 
schieden,  ob  die  Verteilung  der  Leukozyten  in  der  Blutbahn 
auch  unter  physiologischen  Verhältnissen  nicht  gleich  sei  Aus 
den  Untersuchungen  von  Qoldscheider  und  Jacob  geht 

7 v ten  r'enth a /P*  HauftkaPdlarb|ut  eine  grössere  Zahl  von  Leitko- 
zj  ten  enthalten  ist,  als  in  dem  Blut  der  inneren  Organe 

Schwenkenbecher  und  Siegel  fanden  dagegen  Sei 

gebieten  m  den  verschiedenen  Gefäss- 

dnrrn  ia  glauben,  dass  es  unmöglich  ist,  diese  Frage 
durch  das  Tierexperiment  zu  entscheiden,  da  der  phvsio- 
Iogische  Zustand  der  Tiere  bei  diesen  Versuchen  ohne  Zweifel 
bedeutend  verändert  ist.  Wir  glauben  aber  wegen  der  grossen 
Leichtigkeit,  mit  welcher  die  Leukozytenzahl  sich  bei  allen 
kleinen  Schwankungen  des  Blutdruckes  oder  der  vasomotori 

dl?6  weSn  Rbltk^en  ve'ändert’  dass  keine  gleiche  Verteilung 
u/o  ^eissan  Blutkörperchen  in  der  Blutbahn  vorhanden  ist 

a^.  dle  Ursache  der  Hyperleukozytose  durch  Kälte  betrifft 
so  sind  verschiedene  Hypothesen  aufgestellt  worden.  Ro- 
vig  tu  meinte  schon  in  seiner  ersten  Arbeit,  dass  sich  das 
Kaliber  der  Hautgefässe  durch  die  Kälteeinwirkung"  verändere" 
die  Beweglichkeit  der  Leukozyten  abnehme,  der  Lymphstrom 
von  den  Kapillaren  zu  den  Geweben  sich  verlangsame,  und 
eine  Ansammlung  der  weissen  Blutkörperchen  in  dem'  ent¬ 
sprechenden  Gefässgebiete  bewirkt  werde. 

v...  ^  \ n  1  e.r  n  1.1  z  und  andere  glauben  dagegen,  dass  die 
Kalte  eine  günstige  Modifikation  der  allgemeinen  Zirkulation 
nämlich  eine  Steigerung  des  Blutdruckes  und  des  Gefässtonus 
bewirkt,  und  hierdurch  aus  den  inneren  Organen,  in  welchen 

P°,rtSrWei5-  Stasen  und  Anhäufungen  von  Blutkörperchen 
stättf  nden,  die  stagnierenden  Leukozyten  dem  allgemeinen 
Kreislauf  zugefuhrt  werden.  s 

Siccardi  sah  bei  seinen  Untersuchungen  nach  Kälteein¬ 
wirkung  jüngere  Formen  von  roten  Blutkörperchen  ins  Blut 

PoP  ^  ’nUnd  £r,  meintP  daSS  die  Kälte  eine  Reizwirkung  auf 
das  Knochenmark  mit  folgendem  vermehrten  Bau  von  Blut¬ 
zellen  bewirkt.  1 

Wir  haben  neuere  Untersuchungen  angestellt,  um  etwas 
neues  zur  Klärung  dieser  Frage  beizutragen.  Eine  kurze  Zu 

fSdes  *  “”*  d£r  ReSultate  aus  diesen  Versuchen  ergdbt 

1.  Bei  Meerschweinchen  erzeugt  die  massige  Körper- 
abkuhlung  last  konstant  eine  peripherische  Hyperleukozytose 
mit  bedeutendem  Vorzug  der  vielkernigen  Zellen.  Gleichzeitig 
ti  itt  im  Zentralblut  (Herz)  eine  Verminderung  der  Leukozyten 
ein  besonders  der  vielkernigen  Zellen.  Die  in  kalter  Luft  ge¬ 
haltenen  Tiere  weisen  eine  peripherische  und  dauernde  Hyper¬ 
leukozytose  auf. 

2.  Die  übermässige  Körperabkühlung  bewirkt  dagegen  eine 
Verminderung  der  Leukozytenzahl. 

3  Bei  Kaninchen  fanden  sich  ähnliche  Blutveränderungen 
wie  bei  den  Meerschweinchen.  Weiter  konnten  wir  konsta- 

2 


\122 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  31 


tieren,  dass  bei  stark  abgekühlten  und  leukopenischen  Tieren  j 
die  Hyperleukozytose  gleichzeitig  mit  dem  Verschwunden  der  l 
Kollapserscheinungen  und  mit  der  Zunahme  der  Puls-  und 
Atmungsfrequenz  wieder  eintritt.  Man  kann  also  eine  Hj-per- 
leukozytose  durch  massige  Kälte,  eine  Leukopenie  durch  starke 
Erkältung  und  endlich  wieder  eine  Hyperleukozytose  durch 
Wiederherstellung  des  Pulses  und  der  Atmung  konstatieren. 

4.  In  einer  anderen  Reihe  von  Untersuchungen  bei  Tieren 
und  Menschen  fanden  wir,  dass  bei  den  Kälteapplikationen  auf 
einen  Teil  der  Körperoberfläche  eine  lokale  Hyperleukozytose 
bewirkt  wird,  aber  nicht  so  konstant,  wie  bei  allgemeinen 

Kälteeinwirkungen,  , 

5.  Ein  interessanter  Teil  diesr  Untersuchungen  besteht 
darin,  dass  wir  einige  physikalische  Veränderungen  in  dem 
Bau  der  vielkernigen  Zellen  beobachten  konnten,  besonders 
nach  dauernden  Kälteapplikationen.  In  zahlreichen  gefärbten 
Blutpräparaten  sahen  wir,  dass  die  vielkernigen  Leukozyten 
eine  gewisse  Verminderung  der  Zahl  und  der  Klarheit  der 
protoplasmatischen  Körnungen,  eine  grössere  Ungleichheit  in 
ihrer  Form  und  in  ihrem  Durchmesser,  endlich  eine  grösseie 
Kernfragmentierung  zeigten. 

Auf  Grund  dieser  Beobachtungen  glauben  wir,  dass  die 
obgenannten  Strukturveränderungen  der  Leukozyten  nicht  nur 
eine  Herabsetzung  der  Beweglichkeit,  worauf  von  Cohn¬ 
heim  und  Heidenhain  schon  hingewiesen  wurde,  sondern 
eine  Steigerung  der  Viskosität  derselben  anzeigen  können,  so 
dass  sich  diese  langsamer  und  klebriger  gewordenen  weissen 
Blutkörperchen  in  den  Kapillaren  ansammeln,  wo  zwei  für  die 
Stasis-  und  Reibungserscheinungen  günstige  Bedingungen  zu¬ 
treffen,  nämlich  niedriger  Blutdruck  und  Kleinheit  der  Blut¬ 
gefässe. 

Diese  Hypothese  ist  von  zwei  Reihen  von  Untersuchungen 
unterstützt.  Erstens  konnten  Determann,  Adami,  Sic¬ 
ca  r  d  i,  Vinaj  beobachten,  dass  die  kalten  Duschen  und 
Bäder  die  Blutviskosität  erhöhen;  zweitens  konnten  Professor 
H  o  1  g  r  e  e  n  von  Stockholm  und  sein  Schüler  G  u  1 1  b  r  i  n  g 
auf  Grund  zahlreicher  Untersuchungen  neuerlich  zeigen,  dass 
die  Blutviskosität  von  der  Prozentzahl  der  vielkernigen  Zellen 
abhängig  ist.  Aus  unseren  Untersuchungen  geht  nun  hervor, 
dass  die  Hyperleukozytose  durch  die  Kälte  genau  aus  einer 
Polynukleose  besteht. 

Eine  ähnliche  Erscheinung  kann  man  bei  Muskelarbeit  be¬ 
obachten:  leichte  Arbeit  bewirkt  Mononukleose  und  Viskosi¬ 
tätsherabsetzung,  dauernde  und  ermüdende  Arbeit  erzeugt 
Polynukleose  und  Viskositätszunahme.  Ausserdem  können  sich 
die  Viskositätssteigerung  und  Hyperleukozytose  auf  das  Ka¬ 
pillargebiet  des  ermüdenden  Körperteils  beschränken',  während 
im  übrigen  Blut  keine  Veränderung  eintritt.  Endlich  wollen 
wir  an  eine  andere  von  Holgreen  und  Gullbring  ge¬ 
fundene  Tatsache  erinnern,  nämlich  dass  die  Blutviskosität 
nicht  von  der  Gesamtzahl  der  vielkernigen  Zellen,  sondern  von 
der  Prozentzahl  derselben  im  Verhältnis  zu  den  einkernigen 
Zellen  abhängig  ist,  so  dass  man  eine  normale  Blutviskosität 
mit  deutlicher  Hyperleukozytose  finden  kann,  wenn  das  Ver¬ 
hältnis  dqr  viel-  zu  den  einkernigen  Zellen  unverändert  ist, 
während  man  umgekehrt  eine  Zunahme  der  Viskosität  mit 
gleichzeitiger  normaler  Leukozytenzahl  finden  kann,  wenn 
relative  Polynukleose  vorhanden  ist.  Dies  scheint  anzuzeigen, 
dass  die  Blutviskosität  nicht  von  der  Quantität,  sondern  viel¬ 
mehr  von  der  Qualität  der  vielkernigen  Zellen  oder  von  ge¬ 
wissen  Veränderungen  derselben  abhängig  ist.  Diese  Be¬ 
obachtungen  stimmen  mit  der  von  uns  aufgestellten  Hypothese 
über  die  Hyperleukozytose  durch  Kälte  überein.  Damit  wollen 
wir  nicht  bestreiten,  dass  die  Kaltwasserkur  einen  günstigen 
Einfluss  auf  den  Organismus  ausübt;  wir  glauben  sogar,  dass 
dieselbe  eine  bedeutende  Verbesserung  in  der  Funktion  des 
Nervensystems,  in  dem  inneren  Stoffwechsel  und  damit  in  der 
allgemeinen  Gesundheit  bewirkt.  Wir  glauben  aber  nicht  fehl 
zu  gehen,  wenn  wir  annehmen,  dass  die  raschen  und  vorüber¬ 
gehenden  Veränderungen  der  Leukozytenzahl  durch  Kälteein¬ 
wirkungen  nicht  auf  eine  Neubildung  der  Blutkörperchen, 
sondern  auf  eine  ganz  lokale  Wirkung  der  Kälte,  und  zwar, 
wenigstens  zum  grossen  Teil,  auf  eine  Zunahme  der  Viskosität 
der  Leukozyten  zurückzuführen  sind. 


Die  Diathermie  in  der  Augenheilkunde  ’). 

Von  F.  Best  in  Dresden. 

ln  letzter  Zeit  sind  verschiedene  Arbeiten  erschienen,  die 
sich  mit  der  Anwendbarkeit  der  Diathermie  für  die  Behand¬ 
lung  von  Augenkrankheiten  beschäftigen.  Da  ich  die  Dia¬ 
thermie  seit  1911  in  geeigneten  Fällen  zu  Rate  ziehe,  auch 
glaube,  dass  die  Versuche  damit  zu  einem  gewissen  Abschluss 
gekommen  sind,  darf  ich  vielleicht  über  meine  Erfahrungen 
berichten  unter  gleichzeitiger  Berücksichtigung  der  vor¬ 
handenen  Literatur. 

Eine  kurze  physikalische  V  o  rbemerkung  für 
den  mit  dem  Wesen  der  Diathermie  =  Thermopenetration  nicht 
vertrauten  Leser  möge  zunächst  folgen.  Wenn  man  einen  gal¬ 
vanischen  oder  faradischen  elektrischen  Strom  durch  den 
Körper  schickt,  so  trifft  er  hier  auf  einen  Widerstand,  der  je 
nach  dem  Gewebe  etwas  verschieden  ist.  Bei  Ueberwindung 
des  Widerstandes  entwickelt  sich  natürlich  Wärme,  die  wir  bei 
den  schwachen  Strömen,  welche  für  gewöhnlich  angewendet 
werden,  nicht  verspüren.  Wenn  es  aber  gelingt,  grössere  I 
Strommengen  zuzuführen,  so  entsteht  an  Qrt  und  Stelle  des 
Gewebswiderstandes  merkliche  Wärme.  Nun  wissen  wir  seit  j 
langem,  dass  die  Haut  einen  verhältnismässig  grossen  Wider¬ 
stand  bietet;  sie  wird  also  sich  auch  am  stärksten  elektrisch 
erwärmen  und  event.  am  ehesten  verbrennen.  Am  Auge  wird 
man  von  vorneherein  annehmen  können,  dass  die  Hornhaut  und 
Sklera  sich  stärker  erwärmen  als  das  Augeninnere,  von  dem 
man  einen  ähnlichen  Widerstand  erwarten  wird,  wie  von 
physiologischer  Kochsalzlösung. 

Der  Weg,  grössere  Strommengen  durch  den  Körper  zu 
leiten,  ist  mit  dem  Wechselstrom  gegeben,  wenn  wir  die  Rich¬ 
tung  des  Stromes  so  schnell  ändern,  dass  der  einzelne  Stroni- 
stoss  keine  Zeit  hat,  in  den  Geweben  des  Körpers  eine  Ver¬ 
schiebung  der  kleinsten  Teilchen  und  damit  eine  Reizung  her¬ 
vorzurufen,  indem  der  folgende  Stromstoss  in  entgegen¬ 
gesetzter  Richtung  den  Impuls  des  ersten  wieder  aufhebt.  Man 
kann  nämlich  mit  Nernst  annehmen,  dass  die  Reizwirkung 
des  elektrischen  Stromes  durch  Transport  elektrisch  geladener 
Teilchen  (Ionen)  und  damit  verbundene  Konzentrationsände¬ 
rung  in  den  Zellen  hervorgebracht  wird.  Den  zu  einer  physio¬ 
logischen  Wirkungslosigkeit  notwendigen  enorm  schnellen 
Wechsel  in  der  Richtung  des  Stromes  erreicht  man  durch 
Zwischenschaltung  einer  Funkenstrecke  —  wie  bekannt  wech¬ 
selt  im  elektrischen  Funken  trotz  seiner  kurzen  Dauer  die  Ent¬ 
ladungsrichtung  vielmals  hin  und  her.  Während  die  Strom¬ 
stärke  gewöhnlicher  Ströme  bei  Anwendung  mittelgrosser 
Elektroden  nicht  über  wenig  Milli  ampere  hinausgeht,  können 
bei  „hochfrequenten“  Wechselströmen  1  Ampere  und  mehr  den 
Körper  passieren,  je  nach  Grösse  der  angewendeten  Elek¬ 
troden.  Die  Diathermieströme  haben  niedere  Spannung  bei 
hoher  Frequenz  des  Wechsels. 

Wenn  wir  nun  zu  der  Anwendung  am  Auge  über¬ 
gehen,  so  lagen  zu  der  Zeit,  als  ich  mit  meinen  Versucher, 
begann,  nur  Tierexperimente  von  Krückmann-)  vor 
welche  nicht  sehr  ermutigend  ausgefallen- waren. 

Krückmann  fand  bei  Thermopenetration  toter  Augen 
dass  Hornhaut  und  Lederhaut  bereits  Gerinnungen  und  Ver¬ 
brennungen  erfahren  hatten,  wenn  die  Temperatur  des  Augen 
innern  die  normale  Blutwärme  erreichte.  Trotzdem  hielt  icfl 
Versuche  am  Menschen  —  zunächst  Selbstversuch  —  fü» 
berechtigt  und  aussichtsreich,  da  die  Erwärmung  des  Körper¬ 
inneren  überall  den  gleichen  Schwierigkeiten  begegnet,  wie  wi 
sie  am  Auge  finden.  Wenn  man  nämlich  innere  Orgam 
thermopenetrieren  will,  so  wird  man  immer  eher  die  Haut  in 
folge  ihres  hohen  Widerstandes  verbrennen,  ehe  im  Innere! 
nennenswerte  Wärme  entsteht;  vor  allem,  wenn  man  schnei 
vorgeht.  Braucht  man  dagegen  schwache  Ströme  durch  lang 
Zeit,  so  dass  die  Haut  Zeit  hat,  an  das  zirkulierende  Blut  uni 
die  Aussenwelt  Wärme  abzugeben,  so  wird  man  eine  besser' 
Erwärmung  innerer  Organe  erreichen.  Ausserdem  war  mi 


‘)  Nach  einem  Vortrag  in  der  Ges.  für  Natur-  u.  Heilk.  zu  Dre^ 
den  am  2.  XI.  12,  mit  neueren  Zusätzen.  ; 

2)  Krückmann:  Einige  Bemerkungen  über  rheumatische  tr 
krankungen  und  Wärmewirkungen  am  vorderen  Augenabschnit 
Ber.  über  d.  .47.  Vers.  d.  ophth.  Oes.,  Heidelberg  1911,  S.  16. 


4.  August  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


bekannt,  dass  auch  der  Schädel  gefahrlos  therrnopenetriert 
werden  kann.  Tatsächlich  stellte  sich  in  den  zuerst  Herbst 
1911  vorgenommenen  Selbstversuchen  heraus,  dass  sich  mit 
Diathermie  am  Auge  recht  hübsche  Wärmewirkungen  erzielen 
lassen,  ohne  Gefahr  fürs  Auge  und  ohne  unangenehme  sub¬ 
jektive  Empfindungen.  Wer  Diathermie  anwenden  will,  der 
sollte  sich  zunächst  am  eigenen  Auge  einüben. 

Die  Folgen  der  Diathermie  am  normalen 
Auge  sind  zunächst  Hyperämie  der  Bindehaut  und  Iris. 
Die  Rötung  des  Auges  schwindet  nach  wenigen  Minuten,  kann 
aber  auch  etwas  länger  anhalten.  Die  Pupille  ist  oft  leicht  er¬ 
weitert,  für  kurze  Zeit.  Im  Augenhintergrund  sind  im  allge¬ 
meinen  keine  Veränderungen  zu  sehen,  auch  keine  wesentliche 
Hyperämie  der  Sehnervenpapillen.  Der  Druck  des  Auges  ist 
meist  leicht  herabgesetzt,  was  aber  wohl  eine  Wirkung  des 
Verbandes  bzw.  Elektrodendrucks  ist.  Clausnitzer3) 
fand  ebenfalls  Konjunktival-  und  Irishyperämie,  Erweiterung 
und  Entrundung  der  Pupille  mit  merklich  träger  Reaktion,  Ver¬ 
minderung  des  Augendruckes,  der  aber  auch  oft  gar  nicht  be¬ 
einflusst  wurde;  einmal  war  der  Druck  von  15  auf  6  mm  ge¬ 
sunken.  Q  u  r  i  n  fand  ausser  Injektion  der  konjunktivalen  und 
episkleralen  Gefässe  eine  stärkere  kapilläre  Hyperämie  der 
Papillen  4). 

Die  Wärm  e,  welche  teils  im  Auge  und  in  den  Lidern, 
teils  in  den  Orbitalknochen  empfunden  wird,  ist  durchaus  an¬ 
genehm  —  vorausgesetzt,  dass  die  Stromstärke  nicht  unnötig 
gesteigert  wird.  In  keinem  Fall  ist  eine  Verbrennung  der 
Kornea  oder  der  inneren  Teile  zu  fürchten;  ich  habe  anfangs, 
ehe  ich  die  Technik  genügend  beherrschte,  mehrfach  Ver¬ 
brennungen  der  Lid-  und  Nackenhaut  gesetzt,  die  übrigens  nie 
tiefer  gingen,  aber  nie  Verbrennungen  am  Auge  gesehen.  Dazu 
kann  es  auch  bei  einem  normal  fühlenden  Patienten  nie 
kommen,  die  vorher  entstehenden  Brandwunden  der  Lidhaut 
würden  energische  Abwehrbewegungen  hervorrufen. 

.Irgend  welche  andere  andere  Empfindungen  am 
Auge  oder  im  Kopf  entstehen  nicht,  insbesondere  kein  fara- 
disches  Nebengefühl,  wenn  der  Apparat  gut  funktioniert,  was 
von  älteren  Konstruktionen  nicht  gilt.  Interessant  ist,  dass 
auch  keine  Lichtempfindung  im  Auge  entsteht.  Durch  diese 
Beobachtung  werden  diejenigen  Theorien  des  Sehens  hinfällig, 
welche  eine  Reizung  der  Sehnervenendigungen  durch  Um¬ 
setzung  des  Lichtes  in  Wärme  annehmen,  ebenso  wird  die 
unmittelbare  Beteiligung  elektrischer  Ströme  bei  den  termi¬ 
nalen  Sehprozessen  unwahrscheinlich. 

Der  Grad  der  Wärmewirkung  ist  in  einer  Reihe 
von  Veröffentlichungen  genauer  bestimmt  worden.  Die  nor¬ 
male  Temperatur  der  Bindehaut  ist  nicht  unerheblich  niedriger 
als  die  Blutwärme,  auch  die  Vorderkammer  ist  um  5 — 6°  kälter 
als  der  Körper.  Es  gelingt  nun  nach  Hertel5 *)  durch 
warme  Ueberschläge  die  Temperatur  des  Konjunkti- 
valsacks  beim  Meerschweinchen  auf  40,5  0  C  zu  bringen.  Mit 
Diathermie  erreicht  man  mehr.  Zahn8),  der  zuerst  Ver¬ 
suche  am  Menschen  veröffentlichte,  erwärmte  die  Konjunktiva 
auf  40—42°,  beim  Kaninchen  den  Glaskörper  auf  40,7°,  die  Or¬ 
bita  auf  40,2°.  Bei  45°  trat  Trübung  der  Kornea  ein,  während 
die  tieferen  Teile  noch  normal  blieben.  Wald  mann7) 
fand,  dass  das  menschliche  Auge  eine  Erwärmung  des  Kon- 
junktivalsacks  auf  42 0  gut  vertrug.  0  u  r  i  n  8)  bezeichnet  als 
die  höchste  von  ihm  gemessene  Konjunktivalsacktemperatur 
43,6°.  Um  sich  von  der  Erwärmung  der  Orbita  eine  Vor¬ 
stellung  zu  machen,  benutzte  er  einäugige  Versuchspersonen, 
denen  er  in  die  leere  Augenhöhle  ein  frisch  enukleiertes  Tier¬ 
auge  einlegte;  auf  diese  Weise  fand  er  in  der  Orbita  eine  um 
1—2 0  höhere  Temperatur  als  im  Bindehautsack  9 *).  Mit  e  1  e  k  - 


3)  Clausnitz:  Der  Einfluss  der  Diathermie  auf  den  intra¬ 
okularen  Druck.  Klin.  Mbl.  f.  Aughlk.  1912,  Juni,  S.  755. 

*)  Qurin:  Ueber  Diathermie  am  Auge.  Zschr.  f.  Aughlk.,  Fe- 
’ruar  1914  S.  136  und  M.m.W.  1914  S.  1120. 

8)  Hertel:  Ueber  die  Wirkung  von  kalten  und  warmen  Ueber- 
chlägen  auf  die  Temperatur  des  Auges.  Arch.  f.  Ophth.  49. 

s)  Zahn:  Ueber  die  Anwendung  der  Diathermie  am  Auge.  Klin. 
Mbl.  f.  Aughlk.,  April  1912,  S.  371. 

7)  Waldmann:  Arch.  f.  Aughlk.  76.  1914.  H.  1. 

8)  Our  in:  Ueber  Diathermie  am  Auge.  Zschr.  f.  Aughlk.,  Fe¬ 

bruar  1914,  S.  136. 

“)  Bei  diesen  Versuchen  bedingt  der  hohe  Widerstand  der  Kon- 


1723 


frischen  Thermophoren  erreichte  O  u  r  i  n  dagegen 
z.vvar  40,6°  im  Bindehautsack,  aber  in  allen  Versuchen  unter 
38"  in  der  Orbita,  ein  Zeichen,  wie  viel  tiefer  die  Diathermie 
eindringt. 

Alle  diese  Messungen  sind  mit  Quecksilberthermometern 
erfolgt,  die  in  den  Bindchautsack  eingelegt  wurden  und  geben 
infolgedessen  nicht  die  eigentliche  Gewebstemperatur  bei  Dia¬ 
thermie  wieder.  Dies  haben  Kriickmann  und  T  c  1  e  m  a  n  n 
durch  folgenden  Versuch  schlagend  bewiesen.  Sie  leiteten 
einen  Strom  von  2  Ampere  durch  ein  Tierauge  und  massen 
dabei  an  der  Augenwand  mit  Thermometer  75  °,  obwohl  die 
Sklera  bereits  anfing  zu  verkohlen,  also  sicher  weit  heisser 
war.  Deshalb  wurde  von  Krückmann  und  Tele- 
mann  ln),  denen  wir  die  exakteste  wissenschaftliche  Unter¬ 
suchung  der  Grundlagen  der  Diathermie  verdanken,  die  Tem¬ 
peratur  der  Gewebe^  thermoelektrisch  bestimmt.  Im 
I  ierversuch  ist  das  Einstechen  einer  thermoelektrischen  Nadel 
in  die  Hornhaut  oder  in  den  Glaskörper  natürlich  möglich,  und 
die  obere  Grenze,  bis  zu  der  die  Hornhaut  ohne  Schädigung  er¬ 
wärmt  werden  kann,  wurde  auf  diese  Weise  in  Uebereinstim- 
mung  mit  früheren  Autoren  zu  45  0  bestimmt.  Dagegen  ver¬ 
bietet  sich  das  Verfahren  beim  Menschen  von  selbst.  K.  und 
I.  konnten  aber  auch  die  Temperatur  der  menschlichen  Horn¬ 
haut  bei  Thermopenetration  messen,  indem  sie  eine  flüssige 
Elektrode  verwandten,  eine  Glaskammer,  welche  sie  mit 
einer  Mischung  von  12,5  Teilen  physiologischer  Kochsalz¬ 
lösung  +  100  Teile  destillierten  Wassers  füllten.  Diese  Mi¬ 
schung  hat  den  gleichen  Widerstand  wie  die  Hornhaut  und  er¬ 
wärmt  sich  bei  elektrischer  Wärmezufuhr  in  gleicher  Weise; 
zu  beachten  ist  nur,  dass  bei  Aufhören  der  Erwärmung  die 
Abkühlung  ungleich  erfolgt.  Bei  Tieren  gelang  es  den  Autoren, 
die  Hornhaut  unter  Temperaturkontrolle  längere  Zeit  auf 
43—45°  zu  erhitzen,  und  sie  hoffen,  dass  dies  auch  beim 
Menschen  gefahrlos  möglich  sein  wird.  —  Während  es  leicht 
ist,  eine  Temperatur  von  40 — 42°  zu  erreichen,  ist  ein  Höher¬ 
gehen  eben  sehr  erschwert.  Dies  liegt  grossenteils  daran,  dass 
die  Lider  infolge  ihres  hohen  Widerstandes  zu  stark  erhitzt 
werden,  ehe  die  Hornhaut  und  erst  recht  das  innere  Auge  sich 
erwärmen.  K.  und  T.  glauben,  dass  bei  Anwendung  grösserer 
Elektroden  die  grösste  Menge  des  Stromes  um  das  Auge 
herumgeht,  was  von  Bucky11)  bestritten  wird. 

Für  die  Beurteilung  dieser  Verhältnisse  ist  die  Kenntnis 
der  elektrischen  Widerstände  der  Gewebe  wichtig. 
Nach  K.  und  T.  verhält  sich  der  Widerstand  der  Kornea  : 
Sklera :  Augeninneres  wie  3,1:  2,8:1,  in  Bestätigung  früherer 
Untersuchungen  von  Hertel,  Tor  n  ton-  u.  a.  Knochen, 
Sehnen,  demnächst  Haut  haben  sehr  hohen  Widerstand, 
Muskeln,  Nerven  einen  geringen,  ganz  besonders  niedrigen 
Fett.  Es  ist  also  wohl  anzunehmen,  dass  ein  grosser  Teil  des 
Stromes  um  das  Auge  herumgeht,  wenn  die  Elektrode  grösser 
als  das  Auge  ist.  Andrerseits  wird  die  Orbita  zwar  stark 
durchströmt,  aber  wenig  erwärmt  werden.  Dasselbe  gilt, 
wenn  der  Stromeintritt  in  die  Hornhaut  erzwungen  wird,  vom 
Glaskörper.  Bucky  empfiehlt,  um  den  Glaskörper  stärker 
zu  erwärmen,  hohe  Stromstärken  zu  verwenden,  aber  nur  kurz 
mit  Unterbrechungen,  während  deren  die  am  stärksten  erhitzte 
Sklera  ihre  Wärme  an  den  Glaskörper  abgeben  kann.  In¬ 
dessen  halte  ich  das  wegen  der  Verbrennungsgefahr  für  un¬ 
günstig,  auch  zeigen  die  Kurven  von  Krückmann,  dass  man 
mit  langdauernder  Anwendung  schwacher  Ströme  dasselbe  er¬ 
zielen  kann.  In  jedem  Fall  ist  ja  die  Wärmeabfuhr  aus  dem 
Glaskörper  wegen  der  fehlenden  Blutzirkulation  geringer  als 
in  Aderhaut  und  Orbita,  während  die  Sklera  als  stärkst  er¬ 
wärmtes  Gewebe  durch  Leitung  allmählich  Wärme  verliert. 
Je  länger  man  thermometriert,  um  so  mehr  gleichen  sich 
Unterschiede  zwischen  benachbarten  Geweben  durch  Wärme¬ 
leitung  aus;  starke  Ströme  kann  man  aber  nur  kurze  Zeit  ein¬ 
wirken  lassen,  da  sie  nicht  lange  ertragen  werden. 


junktiva  die  hohe  Temperatur  in  der  Augenhöhle;  auf  normale  Ver¬ 
hältnisse  sind  sie  nicht  direkt  anwendbar. 

10)  Krückmann  und  Telemann:  Untersuchungen  über  die 
natürlichen  und  künstlichen  Temperaturverhältnisse  am  Auge  mit 
Hilfe  der  Thermopenetration.  Arch.  f.  Ophth.  86.  H.  3  S.  397. 

u)  B  if  c  k  y :  Diskussionsbemerk,  z.  d.  Vortrag  v.  Krückmann. 
Klin.  Mbl.  f.  Aughlk.,  Januar  1914,  S.  155  und  Zschr.  f.  Aughlk.,  März 
1914,  S.  272. 


2* 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Ob  hochfrequente  Wechselströme  ausser  Wärmeentwick¬ 
lung  noch  andere  physikalisch-chemische  Wirkungen  im 
Körper  haben  können,  scheint  fraglich;  es  wird  übrigens  nicht 
angenommen.  Indirekt,  d.  h.  ebenfalls  im  Grunde  durch 
Wärme  bedingt,  sind  solche  vorhanden.  Wir  verdanken 
Sattler  die  Feststellung,  dass  nach  Diathermie  eine  E  i  - 
Weissvermehrung  im  Kammerwasser  und  Uebertritt 
von  Antikörpern  in  dasselbe  stattfindet '-).  Auch  hierin  ist  die 
Diathermie  den  warmen  Ueberschlägen  überlegen  ebenso  wie 
in  bezug  auf  die  Temperaturerhöhung  selbst.  Normales 
Kammerwasser  enthält  nur  '/«<>  Froz.  Eiweiss,  nach  warmen 
Ueberschlägen  auf  die  rasierte  Lidhaut  des  Kaninchens  Wo  bis 
XA  Proz.  (W  e  s  s  e  1  y)  bzw.  nach  lA  stündlichen  Ueberschlägen 
von  55°  %  Proz.  (Sattler),  dagegen  nach  %  ständiger 
Thermopenetration  1  Proz.  (Sattler).  Ausserdem  steigt 
bei  Immuntieren  der  Antikörpergehalt  des  Kammer¬ 
wassers  bis  zu  einer  Höhe,  die  der  des  Blutes  nahekommt. 
Längere  Diathermie  mit  ganz  geringen  Strömen  bewirkt  stär¬ 
kere  Eiweissvermehrung  als  kürzere  mit  stärkeren  Strömen. 
Von  weiteren  indirekten  Wirkungen  möchte  ich  noch  er¬ 
wähnen,  dass  die  Pupillenerweiterung  und  Akkommodations¬ 
lähmung  nach  Homatropin  und  Kokain  rascher  zurückgeht, 
wenn  man  unmittelbar  nach  Einträuflung  thermopenetriert;  ist 
die  Vergiftung  schon  eine  Zeitlang  zurückliegend,  so  ist  Dia¬ 
thermie,  wie  es  scheint,  wirkungslos. 

Ehe  wir  uns  mit  den  Erfolgen  bei  Augenerkrankungen  be¬ 
schäftigen,  möchte  ich  noch  einiges  über  die  T  e  c  h  n  i  k  der 
Anwendung  anführen.  Ich  habe  als  bestes  Verfahren  folgendes 
ausprobiert. 

Die  Augenelektrode  soll  nicht  zu  gross  gewählt  werden,  höchstens 
3  cm  Durchmesser.  Das  geschlossene  Lid  wird  mit  einem  dicken,  mit 
Wasser  oder  Kochsalzlösung  getränkten  Wattebausch  bedeckt,  der  mit 
einem  Bindenstreif  fixiert  wird.  Die  andere  Elektrode  kommt  entweder 
auf  den  Nacken  und  wird  dann  ebenfalls  dick  mit  feuchter  Watte  unter¬ 
polstert,  die  gleich  mit  dem  Augenverband  aufgebunden  wird;  oder 
man  verwendet  eine  Sitzelektrode.  Will  man  den  vorderen  Augen¬ 
abschnitt  oder  die  Lider  beeinflussen,  so  ist  die  Sitzelektrode  das  be¬ 
quemste.  Bei  Thermopenetration  Auge— Nacken  kann  man  dagegen 
annehmen,  dass  der  Strom  grösstenteils  durch  Augeninneres  und 
Orbita  geht,  was  bei  der  anderen  Anordnung  nicht  wahrscheinlich 
ist w).  Die  Elektrode  am  Auge  kann  während  der  Stromwirkung 
ruhig  entfernt  werden,  ohne  Verbrennungsgefahr;  sie  muss  aber 
vorher  der  feuchten  Watte  aufliegen,  darf  nicht  mit  dem  Rande  die 
Haut  des  Gesichtes  berühren.  Will  man  besonders  tief  wirken,  so 
kann  man  die  Watte  mehrfach  mit  kaltem  Wasser,  besser  mit 
Salzlösung,  erneut  tränken.  Die  Stromstärke  richtet  sich  nach 
der  Elektrodengrösse.  Je  kleiner  die  Elektrode,  um  so  konzen¬ 
trierter  ist  die  Stromwirkung  auf  die  Eintrittsstelle,  um  so  grösser 
die  Verbrennungsgefahr.  Bei  kleiner  Elektrode  kann  man  im 
Beginn  bis  zu  0,2  Ampere  gehen,  nachher  ist  0,1  Ampere  und 
darunter  genügend.  Man  richte  sich  in  der  Stromstärke  durch¬ 
aus  nach  den  Angaben  des  Patienten  über  seine  Hitzeempfindung. 
Eine  Messung  der  Temperatur  mit  Quecksilberthermometer  ist 
unnötig,  da  sie,  wie  Krückmann  gezeigt  hat,  eine  Ver¬ 
brennung  nicht  ausschliessen  kann.  Ausserdem  ist  die  Wärme¬ 
empfindlichkeit  individuell  sehr  verschieden,  und  man  muss  auf  diese 
Verschiedenheit  Rücksicht  nehmen.  Uebrigens  kann  man  den  Patien¬ 
ten  etwas  durch  Befühlen  der  Augenelektrode  kontrollieren.  Die 
Dauer  der  Thermopenetration  soll  mindestens  15—20  Minuten  be¬ 
tragen.  Als  Diathermieapparate  standen  mir  dank  der  Liebens¬ 
würdigkeit  der  hiesigen  Herren  Kollegen  v.  Einsiedel  und  Fi¬ 
scher  solche  von  Reiniger,  Gebbert  &  Schall,  sowie  von 
Koch  &  Sterzei  zur  Verfügung.  Da  indessen  in  der  Augenheil¬ 
kunde  nur  schwache  Ströme  nötig  sind,  so  sind  kleinere  — und  billigere 
—  Apparate  ebenso  gut.  Weiser14)  hat  vor  kurzem  einen  solchen 
für  Zwecke  der  Ohrenheilkunde  konstruiert,  der  sich  auch  für  unsere 
Zwecke  vorzüglich  eignet. 

Die  von  mir  zitierten  Autoren  weichen  in  Einzelheiten  der 
Apparatur  und  Ausführung  mehrfach  ab.  Zunächst  sind  besondere 
Elektroden  konstruiert  worden.  Qurin  hat,  um  Assistenz  zu  sparen, 
eine  Elektrode  angegeben,  die  am  Kopf  befestigt  wird.  Bucky15) 
hat  ein  Irrigationsgefäss  konstruiert,  das  gleichzeitig  als  Elektrode 


13)  Sattler:  Experimentelles  zur  Diathermie.  Ber.  über  d. 
38.  Vers,  der  Ophth.  Ges.,  Heidelberg  1912,  S.  379. 

13)  Krückmann  hat  in  einem  Teil  seiner  Versuche  beide  Elek¬ 
troden  auf  die  Lider  aufgesetzt,  die  eine  Elektrode  ringförmig  von  der 
andern  umschlossen.  Hierbei  dringen  natürlich  nur  ganz  schwache 
Stromschleifen  tiefer  ein,  fast  der  ganze  Strom  bleibt  oberflächlich. 

14)  Weiser:  Ein  neuer  Apparat  zur  Diathermiebehandlung  von 
Ohrenkrankheiten.  M.m.W.  1913  S.  2521.  Ich  habt  den  Weis  er¬ 
sehen  Apparat  allerdings  nur  kurze  Zeit  ausprobieren  können. 

15)  Bucky:  Kombinierte  Augenelektrode  und  Augenirrigations- 
gefäss.  M.m.W.  1913  S.  186. 


ausgebildet  ist  und  auf  den  Orbitalrand  aufgesetzt  wird.  Ebenso  ver¬ 
wenden  Krückmann  und  Telemann  eine  „Glaskammerelek¬ 
trode“,  die  aber  der  Hornhaut  anliegt,  was  für  die  praktische  An¬ 
wendung  eine  gewisse  Erschwerung  bedeutet,  aber  andererseits  eine 
Konzentrierung  der  Stromdichte  auf  das  Auge  ermöglicht.  Wald¬ 
mann  verwendet  ebenfalls  feuchte  Watte.  Ein  besonderes  Thermo¬ 
meter  ist  von  Qurin  angegeben.  Will  man  unbedingt  die  Tempera¬ 
tur  messen,  so  ist  die  einzige  Möglichkeit  die  Anwendung  von  Irriga- 
tionsgefässen  mit  Flüssigkeit  gleichen  Widerstandes  wie  die  Horn¬ 
haut  nach  dem  Vorschlag  von  Krückmann. 

Und  nun  zu  den  Resultaten  der  klinischen 
Diathermiebehandlung  am  Auge.  Ich  habe  dann 
thermopenetriert,  wenn  warme  Ueberschläge  am  Platze  waren, 
und  auch,  wenn  rheumatische  Prozesse  in  tieferen  Teilen  Vor¬ 
lagen,  an  die  warme  Ueberschläge  nicht  heranreichen,  oder 
wenn  man  sich  eine  Heilwirkung  von  Hyperämie  versprechen 
konnte.  Den  warmen  Ueberschlägen  halte  ich  die  Diathermie 
für  überlegen  bei  Herpes  corneae,  bei  Episkleritis  und  sklero- 
sierender  Keratitis,  bei  Iritis,  Zyklitis,  ferner  halte  ich  ihre 
Anwendung  von  Nutzen  bei  Neuralgien,  bei  Neuritis  optica 
retrobulbaris,  bei  Augenmuskellähmungen.  Kontraindiziert  ist 
die  Diathermie  1.  bei  Anästhesie  der  Lidhaut,  auch  trotz  Tem¬ 
peraturmessung  würden  dabei  noch  Bedenken  bestehen,  2.  bei 
intraokularen  Gefässveränderungen,  Arteriosklerose  (Glau¬ 
kom).  Vor  übertriebenen  Hoffnungen  ist  zu  warnen,  anderer¬ 
seits  ist  die  Diathermie  wegen  ihrer  Annehmlichkeit  und  Un¬ 
gefährlichkeit  durchaus  eine  Methode  der  Praxis  elegans.  Viel¬ 
leicht  gelingt  es,  wärmeempfindliche  Bakterien  mit  Schonung 
des  lebenden  Gewebes  abzutöten.  Auf  eine  Blennorrhoe  des 
Erwachsenen  habe  ich  vergeblich  gewartet;  bei  Blennorrhoe 
der  Neugeborenen  ist  Thermopenetration  wegen  der  Unmög¬ 
lichkeit,  ihre  Gefühle  auszudrücken,  vorläufig  zu  gewagt.  Auch 
würde  ich  hierbei  wie  beim  Ulcus  corneae  eher  glauben,  dass 
wir  mit  der  Wärme  Schutzkräfte  des  Organismus  wecken, 
als  dass  die  Bakterien  der  Hitze  selbst  erliegen.  Schaden 
habe  ich  nie  von  der  Diathermie  gesehen;  einmal  kam  es 
kurz  nach  ihr  zu  einer  Blutung  in  die  Vorderkammer,  aber 
von  dem  Momente  auch  zur  entscheidenden  Besserung  der 
Erkrankung.  Es  handelte  sich  um  eine  gichtisch-rheumatische 
Iritis,  eine  von  den  Formen,  die  sehr  rasch  zu  stärkster  In¬ 
jektion,  lebhafter  Lichtscheu  und  Schmerzen,  starker  Trübung 
des  Kammerwassers,  leicht  lösbaren  Synechien  und  oft  zu 
Drucksteigerung  führen,  bei  denen  an  und  für  sich  Blutungen 
öfters  spontan  Vorkommen;  die  aber  auch  ohne  Diathermie 
meist  restlos  trotz  des  stürmischen  Beginns  heilen. 

Die  Indikationen,  welche  von  anderen  Autoren  angeführt 
werden,  sind  ungefähr  dieselben  [Qurin,  Wald  mann, 
M  a  1  d  u  t  i  s 18)].  Qurin  gibt  an,  dass  bei  Kornealaffektionen 
die  Diathermie  nicht  so  überlegen  sei,  wie  besonders  bei  Iritis 
gichtisch-rheumatischen  Ursprungs  und  Episkleritis;  er  be¬ 
richtet  über  einen  sehr  guten  Erfolg  bei  einem  Patienten  mit 
Optikusatrophie  und  herdförmiger  Myelitis.  Im  Anschluss 
daran  sei  kurz  erwähnt,  dass  ich  bei  tabischer  Optikusatrophie 
keinen  Vorteil  von  dem  Verfahren  sah,  aber  auch  nicht  abraten 
kann  von  einem  Versuch  damit.  Glaukom  ist  nach  Qurin 
Kontraindikation,  Clausnitzer  rät  wegen  der  Druck¬ 
erhöhung  von  der  Diathermie  überhaupt  ab.  W  a  1  d  m  a  n  n 
lobt  die  Diathermie  bei  Frühjahrskatarrh  und  bei  parenchyma¬ 
töser  Keratitis,  ausser  anderen  schon  erwähnten  Erkrankungen. 

Es  geht  wohl  aus  meinen  Ausführungen  hervor,  dass  wir 
die  Diathermie  oft  dann  anwenden  können,  wenn  andere  Ver¬ 
fahren  vergeblich  versucht  wurden;  sicher  ist,  dass  sie  mehr 
leistet  als  Wärme  in  anderer  Form. 


Diagnostische  Eigentümlichkeiten  der  Karzinome  des 

Magenkörpers. 

Von  Dr.  Heinrich  L.  Baum,  Spezialarzt  für  Chirurgie  in 

München. 

Wenn  vom  Magenkarzinom  die  Rede  ist,  so  denkt  man 
dabei  ohne  weiteres  fast  automatisch  an  das  Pyloruskarzinom. 
Es  ist  dies  die  Folge  davon,  dass  die  Krebse  des  Magenaus¬ 
ganges  weitaus  die  häufigsten  sind  (die  grosse,  1000  in  der 
eigenen  Anstalt  operierte  Magenkarzinome  umfassende  Sta- 

1B)  Maldutis:  Petersburger  Ophthalmol.  Ges.,  Sitzung  vom 
14.  III.  13. 


4.  August  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCH!:  WOCHENSCHRIFT. 


1725 


tistik  W.  M  a  y  o  s  nennt  75  Proz.),  ferner  dass  sie  dem 
Patienten  wie  dem  vor  eine  Diagnose  gestellten  Arzte  ich 
mochte  fast  sagen  am  greifbarsten  zum  Bewusstsein  kommen 
und  endlich,  dass  sie  einer  radikalen  chirurgischen  Behandlung 
noch  am  ehesten  zugänglich  sind. 

So  beziehen  sich  denn  auch  die  meisten  Veröffentlichungen 
diagnostischer  wie  therapeutischer  Art  mehr  oder  weniger  aus- 
schhesshch  auf  das  Karzinom  des  Pylorus  und  seiner  unmittel¬ 
baren  Nachbarschaft  und  es  liiesse  Eulen  nach  Athen  tragen 
\v  oll te  ich  an  dieser  Stelle  näher  darauf  eingehen. 

Indessen  ist  es  augenscheinlich,  dass  das  Karzinom  des 
Magenkorpers  gar  nicht  eine  so  seltene  Erscheinung  ist  als 
dass  Uir  uns  für  die  rechtzeitige  Diagnose  mit  einem  „ignora- 
bimus  und  damit  für  den  operativen  Eingriff  mit  hoffnungs¬ 
loser  Resignation  genügen  dürften. 

Es  ist  also  nicht  bloss  ein  reiner  Zufall  gewesen,  der  mir 
hintereinander  innerhalb  wenig  mehr  als  eines  Vierteljahres 
4  Männer  im  Alter  von  53  bis  64  Jahren  mit  der  Diagnose 
Korpuskarzinom  auf  den  Operationstisch  legte.  Alle  4  wurden 
s°f.°rt  von  den  jeweils  zu  Rate  gezogenen  Aerzten  in 
3  Fallen  mit  absoluter  Sicherheit,  in  1  Falle,  der  uns  noch  be¬ 
sonders  zu  beschäftigen  haben  wird,  mit  Wahrscheinlichkeit 
als  Karzinom  erkannt.  Alle  wurden  nurzurBestätigung 
der  klinischen  Diagnose  dem  Röntgenologen  (Herrn  Siel- 
m  a  n  n)  überwiesen  und  alsdann  mir  zugeführt 

Welches  waren  die  Symptome? 

Die  klinischen  Erscheinungen  boten  bei  den  4  Kranken 
im  grossen  und  ganzen  das  nämliche  Bild.  Magenbeschwerden, 
uie  sich  in  Form  von  Schmerzen  und  gelegentlich  auch 
saurem  Aufstossen  unmittelbar  nach  der  Nahrungsaufnahme 
ausserten,  ebenso  wie  Völlegefühl,  waren  7  Wochen  bis 
' '*  Jal,lrc  vorher  angeblich  zum  ersten  Male  bemerkt  worden 
Erbrechen  hatte  in  keinem  der  Fälle  stattgefunden.  Die  Er¬ 
scheinung,  welche  die  Kranken  bestimmt  hatte,  den  Arzt  auf- 
zusuchen,  war  die  auffällige  Abmagerung.  Die  ob- 
iektive  Untersuchung  hatte  folgende  Ergebnisse: 

/a!  ’  (U  zugewiesen  durch  Herrn  Dr.  K  a  s  1 1.)  Druck- 
mpfindlichkeit  unterhalb  des  Schwertfortsatzes,  kein  Tumor  fühl- 
’ar,  Magen  leer,  HCl  negativ,  Milchsäure  negativ,  Blut  positiv 
■  \3> 1  2  ,(R-  zugewiesen  durch  Herrn  Dr.  Albert  L  o  e  b)  bot 

me  Abweichung  insofern,  als  sich  die  Erscheinung  der  sogen, 
iirh'z/su  ^tention  ergab  d-  h.  es  kamen  bei  der  Magenspülung 
ach  :4  Stunden  noch  die  Kerne  von  Preisselbeeren  zum  Vorschein 

,n 7iLaV „  JP-  zu/ewiesen  durch  Herrn  Dr.  Albert  L  o  e  b)  war  der 
les  Ünkl  Pinnp  deutlichen,  etwa  hühnereigrossen  Tumor  unterhalb 
[Ln  2  ?,‘P-Ptnb0ge"S  fuh'en  hess.  Die  übrigen  Erscheinungen 
Setention  gleichen  wie  m  den  vorhergehenden  Fällen:  keinerlei 

Fall  4  (W„  zugewiesen  durch  Herrn  Dr.  Fries)  zeigte  eben- 
■tlls  neben  rapider,  innerhalb  von  7  Wochen  aufgetretener  Ab- 
’eSte!?  Salzsäuremangel,  eine  nur  sehr  undeutliche 

eipcrnntu  ,unterha!b  des  linken  Rippenbogens;  Magen  leer,  trotz 
äS“  Hut”  „SIS  WaSSeriSe"  Erbrechens.  Untersuchen*  auf 

Zusammenfassend  muss  gesagt  werden,  dass  bei  allen 
Kranken  sich  die  Diagnose  Korpuskarzinom  des  Magens 
rundete  auf  subjektive  Beschwerden  von  seiten  des  Magens, 
tarke  Abmagerung,  Salzsäuremangel  bei  vollkommen  fehlen- 
cr  Retention,  Nachweis  einer  okkulten  Blutung  (mit  Aus¬ 
ahme  des  Falles  4). 

•  ii  fd‘eser  ^ia^nose  konnte  natürlich  die  abgesehen  von 
all  3  fehlende  Tastbarkeit  eines  Tumors  (bei  Mayo  in 
3  Proz.,  bei  Hart  er  t  sogar  in  47  Proz.  der  Fälle)  ebenso 
•emg  etwas  ändern,  als  der  stets  negative  Ausfall  der  Milch- 
aurereaktion,  die  bekanntlich  durchaus  von  dem  Vorhanden¬ 
em  einer  Retention  abhängig  ist. 

Obwohl  also  die  Sachlage  vollständig  klar  zu  sein  schien, 
uruen,  dem  allgemein  vertretenen  chirurgischen  Grundsatz 
Mägen  sämtlicher  4  Patienten  mit  Röntgenstrahlen 
,wohl  l,mter  dem  Leuchtschirm  untersucht,  als  auch  photo- 
raphiert.  Wir  erhielten  ohne  Ausnahme  eine  vollkommene 
estätigung  der  klinischen  Diagnose:  Carcinoma 
trporis  ventriculi,  wie  aus  den  beigegebenen  Diapositiven 
rsichthch  ist. 

Fall  1  zeigt  einen  in  der  oberen  Hälfte  quer  er¬ 
eiferten,  in  der  unteren  Hälfte  verengten  Magen,  also  bereits 

gewisse  Annäherung  an  die  Feldflaschenform,  wie  sie  beim 
rzmomatösen  Schrumpfmagen  gesehen  wird.  Der  Magen  steht 


1  och  und  ist  kaum  beweglich.  Von  der  grossen  Kurvatur  gehen  mehr 
geVief  llnsqhneidende  Schattenaussparungen  aus;  Pylorus, 
K'fr7innmUra!tUr’  bundus„ scheinen  intakt;  daher  Röntgendiagnose: 
rabeT  d  gr0SSen  Kurvatur’  möglicherweise  inope- 

nehmpnHprtl0nfbaefUnn  ?rosser’  die  ganze  hintere  Magenwand  ein¬ 
nehmender,  mit  dem  Pankreas  ausgedehnt  verwachsener,  den  Pylorus 

frei  lassender,  die  grosse  Kurvatur  von  hinten  her  krallenartig  um- 
JorkT^  l  Um°r  nfbs-  Metastasen  in  der  Leber.  Da  keine  Retention 
so  kam  ,auJch  eine  Gastroenterostomie  nicht  in  Betracht.  Der 
Bauch  wurde  wieder  geschlossen. 

der  ICrnn irf>f "  iJctZt’  m  h’  etwa  1  Monate  nach  der  Operation,  sieht 
cter  Kranke,  dessen  Magen  noch  immer  durchgängig  ist,  mit  einem 

über  kindskopfgrossen  Tumor  des  linken  Leberlappens,  schwerem 
h  .Mpn ‘ch  V,  >  huktion  erfordernden  Aszites,  Oedemen  an 
beiden  Unterschenkeln  und  am  Genital  seinem  baldigen  Ende  entgegen 


MaeenwanH*  nnH  ,Karz'nom  deE  liinfcren  Abbildung  2.  R.  Karzinom  des  ganzen 
Sen”"d  u"d  der  ßrossen  Kurvatur;  Magenkörpers,  von  der  kleinen  Kurvatur 

P Wo r u s'vö'i]I?Cf r e i*-" f , i * o" H  hT  ,Pa"kreasi  ausgehend  und  nur  an  der  grossen  Kurvatur 
L-  vol,,g  frei ,  ausgedehnte  Leber- und  einen  fingerbreiten  Streifen  freilaisend  ■ 
Drusenmetastasen.  -  Probelaparotomie.  Pylorus  eben  noch  frei.  -  Probelaparotomie^ 

roo-Pima  *  2'  Mags  and  ,quer  gedehnter  Magen,  verwaschene,  un- 

!  HZaCiige  Zeichnung  in  der  Pylorusgegend,  Schattenaus¬ 
sparung  an  der  kleinen  Kurvatur  mit  Andeutung  von  Zapfenbildung 

nknSSp-KtUrVai-Ur  gIatt;  Magen  hochstehend,  ganz  wenig  beweglich; 
Annbm  °ntgendiag.n0SeÄ  kunSöses  Karzinom  der  kleinen  Kurvatur  mit 
Annäherung  an  den  Pylorus,  sicher  nicht  resezierbar 

Operationsbefund:  Bei  noch  freiem  Pylorus  zeigte  sich  der 

Sk-o  b!S  nahM  an  d,e  Emmündungsstelle  der  Speiseröhre  in  eine 
einzige  starre  Masse  umgewandelt,  in  der  nur  entlang  der  grossen 
Kiirvatm-  em  fingerbreiter,  weicherer  Sfreifen  zu  fühle,,  war  Aus- 
gehend  von  der  kleinen  Kurvatur  war  der  Magen  sowohl  auf  seiner 

frhrsae„re\W‘t  a“  der  birl,e,e,,  Fläche  dicht  mit  pilzarSen 

erbsen-  bis  haselnussgrossen  glasig  aussehenden  Wucherungen,  die 
bis  in  die  Mitte  zwischen  beiden  Kurvaturen  hereinreichten  Ein 
grosser  unbeweglicher  Drüsentumor  lag  der  hinteren  Bauchwand  an 

ääVe'rscM„s*adre?eBa^!Slen0Ch  Z“  d“>"™  auch 

Verlauf:  Dieser  Kranke  ist  jetzt,  ein  halbes  Jahr  nach  der  Ope- 

nrh'p-'+’p  bv  vors£ht'gfr  Diät  soweit  beschwerdefrei,  dass  er  wieder 
arbeiten  kann  Er  hat  sogar  nach  Mitteilung  des  behandelnden  Arztes 
(Herr  Dr.  Albert  L  o  e  b)  4  Pfund  zugenommen,  er  klagt  nur  neuer¬ 
dings  über  b>chmerzen  im  Rücken  und  erschwerte  Gehfähigkeit  so 
dass  an  die  Möglichkeit  einer  Wirbelmetastase  gedacht  werden  muss. 
Der  ursprüngliche  Tumor  ist  mittlerweile  fülhbar  geworden. 

•  <  3 1  d3;  Gr°sser,  in  beiden  Richtungen  gedehnter  Magen  mit 

intaktem  Pylorus.  Etwas  unterhalb  der  Mitte  der  grossen  Kurvatur 


Abbildung  3.  D.  Karzinom  der  grossen 
Kurvatur  mit  geringen  Drüsemnetastaseii, 
nicht  verwachsen,  nahe  an  den  Pylorus 
herangehend.  -  Reaktion  (Kocher)  von 
Vs  des  Magens. 


Abbildung  4.  W.  Leichte  Perigastritis, 
Tetanus  des  präpylorischen  Teiles  mit 
Achylia  gastrica.  —  Probelaparotomie 
wegen  Karzinomverdacht. 


findet  sich  eine  breite,  sektorenförmige  Aussparung  des  Magen¬ 
schattens,  die  eine  leichte  wellige  Begrenzung  zeigt  und  deren  Spitze 


1726 


MUENCHENER MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  31. 


an  der  kleinen  Kurvatur  eine  scharf-winklige  ' 

Also  Andeutung  von  Sanduhrform.  Eine  von  der  Mitte  der  -schatten 
•uissmrunsr  nach  unten  ziehende  Wismutbahn  dürfte  der  obersten 
von  der  Flexura  duodenojejunalis  herabziehenden  Dünndarmschlinge 
entsprechen  und  recht  eiic  Perforation  ins  Colon  traMvws™  be¬ 
zeichnen,  da  für  eine  solche  alle  klinischen  Symptome  fehlten.  Der 
Magen  ist  mit  dem  fühlbaren  Tumor  gut  verschieblich,  also  Röntg  - 
diagnose:  Karzinom  der  grossen  Kurvatur  mit  aller  Wahr 
schein  lichkeit  noch  resezierbsr.  , 

Operationsbefund:  Nach  Eröffnung  der  Bauchhöhle  lasst  sich  der 
von  der  grossen  Kurvatur  ausgegangene  frauenfaustgrosse  Tumor 
samt  dem  Magen  mit  einem  Griff  vor  die  Bauchwunde  vorlagern,  da 
nur  einige  wenige  Drüsenmetastasen  in  nächster  Nahe  des  Magens 
gefühlt  werden,  so  wird  die  Resektion  gemacht,  die  •/.  des  Magens 
samt  dem  Pylorus  entfernt.  Die  Vereinigung  des  Duodenalstumpfes 
mit  dem  Magenrest  erfolgt  nach  der  Koch  ersehen  Methode  und 
funktionierte  vom  ersten  Tage  ab  ohne  jede  Störung. 

Fall  4.  Sehr  stark  längs-  und  namentlich  in  der  Mitte  auch 
quergedehnter  Magen,  der  eben  in  der  Mitte  der  grossen  Kurvatur 
eine  sackartige  Ausbuchtung  erkennen  lässt.  Aboralwarts  von  dieser 
beginnt  unmittelbar  eine  sowohl  an  der  kleinen  wie  an  der  grossen 
Kurvatur  bemerkbare,  durchaus  unscharf  begrenzte  beträchtliche 
Einengung  des  Magenschattens,  mit  aufgehobener  Peristaltik  in 
diesem  Bezirk.  Der  Pylorus  zeigt  normale  Verhältnisse,  was  rorm 
und  Beweglichkeit  anlangt.  Letztere  erscheint,  wenn  man  die  rasche 
Füllung  der  Dünndarmschlingen  in  Betracht  zieht,  eher  etwas  ver¬ 
mehrt.  Demgemäss  Röntgendiagnose,  ringförmiges  medulläres 
Karzinom  des  aboralen  Korpusabschnittes,  wahrscheinlich 

noch  resezierbar.  ,  ,. 

Operationsbefund:  Eine  grosse  Ueberraschung.  Nirgends  di 
Spur  eines  Tumors  oder  auch  nur  einer  Verdickung  der  Magenwand. 
Die  einzig  nachweisbaren  pathologischen  Veränderungen  waren  etwas 
stärker  injizierte  Gefässe  desSerosaiiberzuges,  der  hier  und  da  milchige 
Trübungen  erkennen  lässt,  und  spärliche  schleierdünne  Adhäsionen 
des  Magens  mit  der  Umgebung.  Alles  in  allem  also  nur  eine  geringe 
Perigastritis.  Da  keine  Retention  und  keine  Hyperchlorhydrie,  viel¬ 
mehr  HCl-Mangel  vorlag,  war  auch  eine  Gastroenterostomie  in  keiner 

Weise  angezeigt.  ,  .. 

Verlauf:  Nach  einer  gründlichen  Salzsaurekur  unter  zeitweiliger 
Dareingabe  von  Atropin  hat  sich  der  Patient  wieder  glänzend  erholt 
und  ist  vollkommen  arbeitsfähig. 

Es  ist  eine  alte  Tatsache,  dass  wir  gerade  aus  den  Fehlern, 
die  wir  begangen  haben,  besonders  viel  lernen  können.  Fragen 
wir  nach  den  Gründen,  welche  in  diesem  letzten  Falle  die 
eklatante  Fehldiagnose  veranlasst  haben,  so  kommen  wir  ganz 
allgemein  zur  Erörterung  der  Möglichkeit,  ob  wir  mit  unseren 
heutigen  Hilfsmitteln,  die  Röntgenstrahlen  eingeschlossen, 
überhaupt  imstande  sind,  ein  Magenkarzinom,  insbesondere 
ein  solches  des  Magenkörpers,  mit  Bestimmtheit  zu  er¬ 


kennen. 

Lassen  wir  in  aller  Kürze  die  der  Magenkarzinomdiagnose 
dienenden  Erscheinungen  Revue  passieren. 

1.  Die  Anamnese  gibt  nur  vage  Anhaltspunkte,  zumal 
beim  Korpuskarzinom. 

2.  Der  Tumor,  der  von  manchen  Autoren  neuerdings 
wieder  besonders  in  den  Vordergrund  gerückt  wird,  ist  nur  in 
63—67  Proz.  der  Fälle  fühlbar.  Bei  Korpuskarzinom  gar  nur 
in  53,1  Proz.  (M  a  y  o  und  Harte  rt). 

3.  Die  mechanische  Störung  der  Magenentleerung 
ist  wohl  beim  Pyloruskarzinom  ein  sehr  auffallendes  und  kon¬ 
stantes  Symptom,  kommt  aber  beim  Korpuskarzinom  so  gut 
wie  gar  nicht  in  Betracht,  höchstens,  dass  einmal  die  kleine 
Retention  vorhanden  ist  (M  a  d  s  e  n). 

4.  Der  H  C 1  -  M  a  n  g  e  1  ist  nicht  völlig  konstant.  H  a  y  e  m 
iand  ihn  nur  in  80  Proz.  der  Fälle  *). 

5.  Das  Vorhandensein  von  Milchsäure  und 
:benso  der  Boas-Oppler sehen  Bazillen  kommt  aus- 
,chliesslich  nur  beim  Vorhandensein  von  Retentionen  vor  und 
,ehlt  daher  beim  Korpuskarzinom. 

6.  Das  Röntgenbild  kann  im  negativen  wie  im  posi- 
dven  Sinne  eine  Täuschung  veranlassen,  d.  h.  es  ist  einmal 
unter  Umständen  nicht  imstande,  uns  das  Vorhandensein  eines 
Magenkarzinoms  zu  enthüllen.  Aus  diesem  Grunde  hat  es  auch 
die  Hoffnung,  die  man  auf  seine  Herbeiziehung  für  die  Früh¬ 
diagnose  des  Magenkarzinoms  gesetzt  hat,  nicht  erfüllen 
können.  Darüber  sind  sich  wohl  die  meisten  Chirurgen  und 


Röntgenologen  einig.  Das  Röntgenbild  kann  aber  auch  ein 
Magenkarzinom  Vortäuschen,  wo  ein  soiches  nicht  Vorhände n 
ist  Dafür  ist  ein  Beweis  der  oben  beschriebene  Fall  4  (W.), 
ebenso  wie  der  auf  dem  diesjährigen  Wiesbadener  Kongress 
für  innere  Medizin  von  B  o  r  g  b  j  a  e  r  g  -  Kopenhagen  mit¬ 
geteilte  Fall,  bei  dem  auf  Grund  des  Röntgenbildes  sogar  eure 
Resektion  des  Magens  gemacht  wurde,  wo  sich  indessen  auch 
mikroskopisch  nur  das  Vorhandensein  einer  schweren  Gastrt- 

l'S  "'Hann  diesen  Fällen  ein  Tetanus  des  Antrum  pyloricum, 
wobei  das  pylorische  Ende  unscharf  gezeichnet  ist  j. 
Schwär  z)  die  falsche  Diagnose  Karzinom  stellen  lassen, 
so  kann  dazu  auch  eine  stark  geblähte  Flexura  lienahs  durch 
Schattenaussparungen  an  der  grossen  Kurvatur  \  eranlassung 

geben  (Hartert).  . 

Das  Vorhandensein  der  sogen.  Intermediarsclncht  im 
oberen  Teil  des  Wismutschattens,  die  von  Schlesinger  als 
charakteristisch  für  Hyperazidität  angesehen  wird,  konnte  m 
keinem  der  4  völlig  anaziden  Fälle  vermisst  werden.  Der 
Schmieden  sehe  Satz,  dass  das  Fehlen  der  Intermediar- 
schicht  geeignet  ist,  den  Verdacht  eines  Karzinoms  zu  stutzen, 
muss  jedenfalls  dahin  ergänzt  werden,  dass  ihre  Gegenwart 
kein  Grund  ist,  ein  Karzinom  auszuschliessen,  auch  dort,  wo 
keine  Milchsäure  vorhanden  ist. 

7  Was  die  Gastroskopie  anlangt,  so  bin  ich  weder 
durch  eigene  Erfahrung,  noch  durch  Veröffentlichungen  in  der 
Literatur  in  die  Lage  gekommen,  mir  ein  Urteil  darüber  zu 
bilden,  wie  weit  die  perorale  Gastroskopie  heute  schon  fällig 
ist,  der  Diagnose  des  Magenkarzinoms  zu  Hilfe  zu  kommen. 
Mayo  hält  sie  als  für  den  praktischen  Gebrauch  noch  nicht 
geeignet. 

Ueberblicken  wir  die  uns  zur  Verfügung  stehenden  dia¬ 
gnostischen  Hilfsmittel,  so  kommt  für  das  Korpuskarzinom 
neben  der  Anamnese,  die  uns  lediglich  den  Weg  weist,  fast 
in  Betracht:  der  Salzsäuremangel,  in  etwa  mehr 


nur 


*)  Erst  kürzlich  hatte  ich  wieder  Gelegenheit,  ein  Magen- 
karzinom  zu  resezieren,  bei  dem  eine  ausgesprochene  Hyperchlor¬ 
hydrie  bestanden  hatte;  die  mikroskopische  Untersuchung  durch 
Herrn  Prof.  Oberndorfer  bestätigte  die  klinische  Karzinom¬ 
diagnose. 


1114  1  111  \~hcawa*«..  “  — 

als  der  Hälfte  der  Fälle  die  Fühlbarkeit  eines  1  u mors,  die 
bekanntlich  nicht  von  vornherein  gegen  eine  Operabilität  • 
spricht,  und  das  Röntgenbild. 

Das  Röntgenbild,  gleichgültig,  ob  man  es  nur  mit  dei 
Durchleuchtung  (Wiener  Schule)  oder  mit  der  Photographie 
(Deutschland)  gewinnt,  feiert  seine  grössten  Triumphe  auch 
wieder  nur  beim  Pyloruskarzinom.  Hier  finden  sich  die  be¬ 
kannten  und  immer  wieder  veröffentlichten  Bilder  des  Pylorus- 
defektes,  des  Pyloruszapfens,  des  Pylorussporns  usw.,  Bilder, 
die  selten  einer  Missdeutung  unterliegen  werden.  Ganz  anders 
beim  Korpuskarzinom,  wo  das  augenfällige  Moment  der 
Retention  der  Kontrastmasse  über  viele  Stunden  hinaus  in 
Wegfall  kommt.  Beim  Korpuskarzinom,  bei  dem  die  franzö¬ 
sischen  Röntgenologen  (Beclere)  nur  zwei  bestimmte  Formen 
unterscheiden,  den  Estomac  lacunaire  und  den  Petit  estomac 
sind  die  Erscheinungen  lange  nicht  von  so  grosser  Bestimmt¬ 
heit,  und  wir  finden  nur  in  geeigneten  Fallen  an  der  grosser 
oder  kleinen  Kurvatur  oder  auch  an  beiden  unregelmässige 
Schattenaussparungen  oder  eine  allgemeine  Einengung  des 
Magenschattens.  Ist  letzterer  auch  im  Verein  mit  den 
klinischen  Bilde  kaum  falsch  zu  deuten,  so  geben  die  unregel¬ 
mässigen  Schattenaussparungen,  wie  wir  gesehen  haben,  docl 
gelegentlich  Veranlassung  zu  einer  ungerechtfertigten  Kar- 
zinomdiagnose,  da  sie  eben  auch  bei  anderen  Erkrankungei 
des  Magens  zur  Beobachtung  gelangen  können.  In  unserem 
Falle  W.  musste  infolge  der  rapiden  Abmagerung,  die  inner 
halb  von  7  Wochen  angeblich  über  20  Pfund  betragen  hatte 
auf  Grund  des  Salzsäuremangels  und  des  im  präpylorischei 
Teile  des  Magenschattens  deutliche  zackig  begrenzte  Ein 
engung  zeigenden  Röntgenbildes  unbedingt  die  Diagnose  an 
Karzinom  des  Magenkörpers  gestellt  werden.  Wie  die  Vcr 
hältnisse  lagen,  konnte  unmöglich  angenommen  werden,  das' 
es  sich  lediglich  um  eine  Achylia  gastrica  handeln  könnte,  da 
wie  neuere  Veröffentlichungen  (Röntgenkongress  1914)  er 
kennen  lassen,  zum  Tetanus  des  Antrum  pyloricum  mit  un 
scharfer  Zeichnung  führen  kann. 

Wenn  bei  dieser  Gelegenheit  ganz  allgemein  ein  paar  Be 
merkungen  über  die  Verwertbarkeit  des  Röntgenbildes  hinzu 
gefügt  werden  dürfen,  so  muss  gesagt  werden,  dass  in  diese 
10  Jahren,  die  verflossen  sind,  seitdem  Rieder  durch  Ein 


4.  August  191-4. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


1727 


führung  der  Kontrastmahlzeit  überhaupt  erst  eine  Diagnose 
der  Magendarmerkrankungen  mittels  der  Röntgenstrahlen  er¬ 
möglicht  hat,  sich  mehr  und  mehr  die  Erkenntnis  durchbrach, 
dass  von  einer  eigentlichen  Frühdiagnose  des  Magenkarzinoms 
mittels  der  Röntgenstrahlen  leider  nicht  die  Rede  sein  kann. 
Es  liegt  das  daran,  dass  eben  das  Röntgenbild  nur  eine  Sil¬ 
houette  darstellt. 

Es  hat  nun  vielfach  die  Neigung  bestanden,  und  besteht 
auch  heute  noch,  bei  der  Röntgenuntersuchung  neben  der 
allgemeinen  und  lokalen  Diagnose  bereits  die  Frage  der 
Operabilität  zu  beantworten.  Es  mag  in  einigen  extremen 
Fällen  angängig  sein,  auf  Grund  des  Röntgenbildes  zu  ent¬ 
scheiden:  Hier  ist  jeder  operative  Eingriff  ausgeschlossen, 
Hände  davon!  Aber  mehr,  gewissermassen  die  Indikation  für 
den  vorzunehmenden  operativen  Eingriff  herauslesen  wollen: 
hier  werde  ich  die  Resektion  des  Pylorusteiles,  hier  die  des 
Mittelstückes,  hier  die  Gastroenterostomie  machen,  das  ist 
doch  wohl  nur  ganz  ausnahmsweise  möglich.  So  sehr  ich  die 
Röntgenuntersuchung  des  Magens  schätze,  die  man  wohl  all¬ 
zu  optimistisch  auch  eine  Autopsia  in  vivo  genannt  hat,  und 
so  ungern  ich  sie  vor  einer  allfälligen  Operation  vermisse,  so 
halte  ich  doch  an  dem  Standpunkte  fest,  den  übrigens  auch 
Mayo  teilt,  dass  die  letzte  Entscheidung,  ob  und 
wie  weit  ein  karzinomatös  erkrankter  Magen  noch  einem 
operativen  Eingriffe  zugänglich  ist,  immer  nur  mit  Hilfe 
der  Probelaparotomie  zu  treffen  ist  und  ich 
Gaube,  dass  eine  Probelaparotomie  zu  viel  vor  dem  ärztlichen 
Gewissen  und  im  Interesse  des  Patienten  leichter  wiegt,  als 
ein  zu  wenig.  Freilich  soll  sie  nicht  in  extremis  vorgenommen 
werden,  denn  dann,  aber  auch  n  u  r  dann,  ist  sie  ebenso  sinn- 
wie  nutzlos.  Dass  sie  immer  häufiger  rechtzeitig  vor- 
genommen  werde,  d.  h.  mit  der  Möglichkeit,  die  Radikal- 
iperation  anschliessen  zu  können,  dazu  sollte  das  Röntgenver- 
ahren  ein  gutes  Teil  beitragen. 

Es  scheint  nun  aber,  als  wenn  die  neueste  Forschung  uns 
.  or  der  Probelaparotomie  noch  zur  Pflicht  macht,  als  letztes 
Mittel,  einem  versteckten  Karzinom  auf  die  Spur  zu  kommen, 
Ge  Serodiagnostik  zu  Hilfe  zu  nehmen.  Es  sind  im  Laufe  der 
-eit  bekanntlich  schon  eine  grosse  Anzahl  derartiger  Reak- 
ionen  in  den  Dienst  dieser  Frage  gestellt  worden,  und  10  und 
nehr  verschiedene  Verfahren  sprechen  nicht  nur  für  das  grosse 
yissenschaftliche  Interesse,  sondern  auch  für  die  praktische 
Notwendigkeit,  aber  vielleicht  auch  für  die  noch  nicht  ge- 
liigende  Zuverlässigkeit  dieser  ganzen  diagnostischen  Rich- 
ung.  In  aller  Kürze  erwähnt  seien  hier  die  Brieger- 
'  r  e  b  i  n  g  sehe  Antitrypsinreaktion,  um  deren  Ausgestaltung 
ich  besonders  Mandelbaum  verdient  gemacht  hat;  die 
ilyzyltryptophanreaktion  (Neubauer  -  Fischer);  der 
Nachweis  von  Heterolysinen  im  Magensaft  nach  Grafe- 
’ömer  und  nach  Kelling;  die  Wassermann  sehe  und 
'reund-Kamine  r  sehe  Reaktion  u.  v.  a.;  alle  diese  sero- 
üignostischen  Methoden  zeigten  sich  schliesslich  doch  in  ihren 
Resultaten  als  zu  wenig  konstant,  um  wirklich  einmal  zur  Ent- 
cheidung  herangezogen  werden  zu  können.  Anders  lag  schon 
ie  Sache  bei  der  v.  D  u  n  g  e  r  n  sehen  Komplementbindung,  bei 
er  geübte  Untersucher  in  etwa  90  Proz.  der  sicheren  Kar- 
inomfälle  positive  Resultate  erzielen  konnten  (H  a  1  p  e  r  n). 
eichter  ausführbar  und  doch  ebenso  zuverlässig  scheint  die 
■  s  c  o  1  i  sehe  Meiostagminreaktion  zu  sein,  die  in  neuester  Zeit 
e sonders  dadurch  an  Terrain  gewonnen  hat,  dass  an  Stelle  der 
tbilen  Organextrakte  synthetische  Antigenc  gesetzt  wurden. 

'ie  jüngsten  Mitteilungen  aus  dem  Heidelberger  Institute  für 
rebsforschung  (R  o  o  s  e  n  und  Blumenthal)  äussern  sich 
her  die  Meiostagminreaktion,  welche  gegenwärtig  am  zweck¬ 
nissigsten  mit  einem  alkoholischen  Linolrizinolsäuregemisch 
!s  Antigen  angestellt  wird,  in  dem  Sinne,  dass  sie,  obwohl 
ner  absoluten  Spezifizität  entbehrend,  doch  für  die  Praxis 
nigermassen  brauchbare  Resultate  liefert,  da  sie  in  96,8  Proz. 
er  sicheren  Karzinomfälle  positiv  ausfällt. 

Wie  es  nur  natürlich  ist,  hat  sich  die  Serodiagnostik  der 
eschwiilste  und  besonders  die  der  Karzinome  alsbald  auch 
er  Abderhalden  sehen  Reaktion  für  ihre  Zwecke  be¬ 
richtigt.  Bis  jetzt  allerdings  noch  mit  sehr  widersprochen¬ 
en  Ergebnissen.  Indessen  soll  die  merkwürdige  Beobachtung 
>n  \\  e  i  s  s  aus  der  Tübinger  Medizinischen  und  Nervenklinik 


nicht  unerwähnt  bleiben,  dass  der  Organismus  des  magen¬ 
karzinomkranken  Menschen  im  Gegensatz  zum  magen¬ 
gesunden  Menschen  nicht  imstande  ist,  Abbaufermente  gegen 
parenteral  einverleibte  Substanz  von  anatomisch  normaler 
Magenschleimhaut  zu  produzieren. 

Wenn  diese  Beobachtung,  die  sich  bis  jetzt  nur  auf 
d  Untersuchungen  gründet,  sich  in  der  Folge  auch  in  einer 
grösseren  Anzahl  von  Reaktionen  bestätigt  finden  sollte,  so 
müsste  das  natürlich  einen  ungemein  grossen  Gewinn  für  die 
Diagnostik  des  Magenkarzinoms  bedeuten.  Indessen  will  es 
mii  scheinen,  als  ob  diese  Beobachtung  zu  schön  wäre,  um 
sich  als  zuverlässig  zu  bewähren.  Wertvoller  ist  die  Mit¬ 
teilung  L  a  m  p  e  s,  wohl  des  erfolgreichsten  Vorkämpfers  der 
Abderhaldenreaktion  für  die  Karzinomdiagnose,  dass  bereits  in 
einer  grösseren  Anzahl  von  Fällen,  wo  der  Ausfall  der  Reaktion 
im  Gegensatz  zu  der  klinischen  Diagnose  für  Karzinom  sprach, 
dci  nachfolgende  autoptische  Befund  der  Serumreaktion 
Recht  gab. 

Selbstverständlich  wird  weder  der  Magendarmspezialist 
noch  der  Chirurg  ausserhalb  eines  klinischen  Laboratoriums 
Zeit,  Gelegenheit  und  die  unbedingt  erforderliche  Uebung 
haben,  um  selber  Serodiagnostik  betreiben  zu  können.  Aber 
weder  dieser  Umstand  noch  die  Tatsache,  dass  gelegentlich 
auch  nicht  karzinomatöse  Erkrankungen  (bei  der  Meiostagmin¬ 
reaktion  kommt  besonders  Gravidität  in  Betracht)  einen  posi¬ 
tiven  Ausfall  der  Reaktion  bedingen,  sollte  kurzweg  auf  die 
Heranziehung  dieses  diagnostischen  Hilfsmittels  verzichten 
lassen.  Und  wie  wir  uns  bei  zweifelhaften  Syphilisfällen  ge¬ 
wöhnt  haben,  in  einem  eigens  dafür  eingerichteten  Institut  die 
Wassermannreaktion  anstellen  zu  lassen,  so  sollten  wir  diese 
nicht  mehr  ungewöhnliche  Methode  der  Arbeitsteilung  auch 
auf  die  Serodiagnostik  des  Magenkarzinoms  anwenden,  was 
für  den  Kranken  ebensowohl  wie  für  den  behandelnden  Arzt 
von  allergrösstem  Nutzen  sein  müsste. 

Wir  haben  gesehen,  dass  gerade  die  Symptome  des  Korpus¬ 
karzinoms  an  Deutlichkeit  viel  zu  wünschen  übrig  lassen,  dass 
wir  letzten  Endes  immer  nur  auf  eine  Wahrscheinlichkeits¬ 
diagnose  angewiesen  sind.  Das  sollte  uns  veranlassen,  mit 
allen  uns  zur  Verfügung  stehenden  Mitteln  —  und  dazu  ge¬ 
hört  neuestens  auch  die  Serodiagnostik  —  hinter  das  Geheimnis 
des  Latenzstadiums  des  Magenkarzinoms  zu  kommen,  in  dem 
bekanntlich  nach  Boas  das  Hauptmoment  seiner  Malignität 
begründet  liegt.  Je  mehr  Wahrscheinlichkeiten  sich  alsdann 
auf  die  Diagnose  Korpuskarzinom  des  Magens  vereinigen, 
einen  desto  höheren  Grad  von  Gewissheit  werden  wir  in  der 
Erkennung  des  jeweils  vorliegenden  Krankheitsprozesses  er¬ 
langen,  bevor  wir  den  Leib  öffnen. 

Es  muss  zugegeben  werden,  dass  auch  dann,  wenn  klini¬ 
sche  Untersuchung,  Röntgenverfahren  und  Serodiagnose  bis 
zur  äussersten  Leistungsfähigkeit  durchgebildet  sein  werden, 
es  immer  noch  Fälle  geben  wird,  bei  denen  wir  genötigt  sein 
werden,  zur  Sicherstellung  der  Diagnose  eine  Probe¬ 
laparotomie  zu  machen. 

Das  Bewusstsein,  alle  anderen  diagnostischen  Hilfsmittel 
vorher  erschöpft  zu  haben,  wird  die  in  rein  diagnostischer  Ab¬ 
sicht  unternommene  Operation  in  einem  weniger  unbefrie¬ 
digenden  Lichte  erscheinen  lassen.  Und  darum  muss  heute 
mehr  d  e  n  n  j  e,  auch  wo  noch  keine  Motilitätsstörungen  vor¬ 
liegen,  die  frühzeitige  Ausführung  der  Probelaparotomie  ver¬ 
langt  werden.  Sie  bietet  in  Lokalanästhesie  vorge- 
nommen,  nur  ein  geringes  Risiko,  das  die  Mayo  sehe  Statistik, 
unter  Einbeziehung  der  schon  sehr  heruntergekommenen 
Kranken,  auf  1,6  Proz.  Mortalität  berechnet,  wobei  der  Eingriff 
selbst  an  dem  tödlichen  Ausgange  niemals  direkte  Schuld 
trug. 

Vorstehende  Ausführungen  beabsichtigen,  an  der  Hand 
von  3  Fällen  von  Magenkörperkarzinom  und  einer  im  gleichen 
Sinne  sich  äussernden,  auf  den  klinischen  Befund  und  das 
Röntgenbild  aufgebauten  Fehldiagnose  zu  zeigen,  wie  das 
Karzinom  des  Magenkörpers  vor  allen  anderen  Magen¬ 
karzinomen  ein  diagnostisches  Problem  darstellt,  dessen  Lö¬ 
sung  wir  mit  allen  uns  zur  Verfügung  stehenden  Mitteln,  und 
wenn  es  eben  nicht  anders  geht,  mit  dem  Messer  in  der  Hand, 
nachgehen  müssen.  Vergessen  wir  doch  nicht,  dass  das 
Karzinom  wie  es  in  ungezählten  Fällen  sich  erwiesen  hat,  unter 


1728 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  W0CHENSCHR1ET. 


Nr.  31. 


einer  intakt  erscheinenden  Schleimhaut  schon  weit  gewuchert 
sein  kann.  Allein  aus  diesem  Grunde  dürfen  wir  uns  von 
einem  uncharakteristischen  Röntgenbilde  nicht  von  dem  durch 
klinische  Momente  geweckten  Verdacht  auf  ein  Magen¬ 
karzinom  abbringen  lassen.  Dasselbe  gilt  von  der  jedenfalls 
zu  befragenden  Serumreaktion.  Gewissheit  gibt  allein  die 
Probelaparotomie  und  diese  besitzt  für  den  Kranken  nur  dann 
einen  Wert,  wenn  sie  nicht  zu  spät  für  die  Möglichkeit  der 
Radikaloperation  ausgeführt  wird.  Auch  hier  muss  es  heissen: 

„Inopi  beneficium  bis  dat  qui  dat  celeriter.“ 


Aus  der  Heidelberger  chirurgischen  Klinik  (Direktor:  Professor 

Dr.  W  i  1  m  s). 

Die  Resektion  des  Duodenums  mit  der  Papille  wegen 

Karzinoms. 

Von  Prof.  Dr.  G  g.  H  i  r  s  c  h  e  1,  I.  Assistenten  der  Klinik. 

Die  Resektion  des  Duodenums  wegen  Karzinoms  der  Pa¬ 
pille.  bei  der  auch  Teile  des  Choledochus  und  des  Pankreas  mit 
seinem  Ausfiihrgange  mitentfernt  werden  müssen,  ist  eine 
seltene  Operation.  Einmal  ist  dieses  Karzinom  nicht  gerade 
häufig,  und  dann  entschliesst  man  sich  zu  dem  grossen  Ein¬ 
griffe  nicht  leicht,  da  es  sich  meist  um  sehr  schwache  Patienten 
handelt,  die  eine  grössere  Operation  nicht  überstehen.  Ausser¬ 
dem  bietet  die  Operation  mancherlei  Schwierigkeiten,  da  Teile 
des  Choledochus  und  des  Pankreas  mit  seinem  Ausführgange 
miter.tfernt  werden  müssen  und  da  deren  Versorgung  meist 
nicht  einfach  ist. 

Vor  1 XA  Jahren  hatte  ich  Gelegenheit  bei  einer  Patientin 
eine  solche  ausgedehnte  Resektion  vorzunehmen,  bei  der  die 
Versorgung  der  Stümpfe  der  Ausführungsgänge  Schwierig¬ 
keiten  bereitete  und  wobei  ich  mich  mit  der  Bildung  eines 
künstlichen  Choledochus  mittels  eines  Drainrohres  behalf  nach 
der  Methode,  wie  sie  W  i  1  m  s  und  Brewer  bei  undurch¬ 
lässigem  Choledochus  infolge  von  eingekeilten  Steinen,  Narben¬ 
stenosen  oder  versehentlichen  Choledochusresektionen  nach 
Gallensteinoperation  etc.  empfohlen  haben.  Die  Operation  ge¬ 
staltete  sich  dadurch  verhältnismässig  einfach  und  konnte 
rasch  ausgeführt  werden.  Die  Patientin  erholte  sich  sehr  gut 
und  starb  nach  etwa  1  Jahre  wahrscheinlich  an  Rezidiv;  eine 
sichere  Todesursache  konnte  nicht  festgestellt  werden,  da  eine 
Sektion  nicht  vorgenommen  wurde. 

Die  Krankengeschichte  ist  kurz  folgende: 

Die  47  jährige  Patientin  aus  Bruchsal  hatte  vor  2  Jahren  eine 
vorübergehende  leichte  Gelbsucht.  Schmerzen  bestanden  nicht.  Es 
trat  Genesung  ein,  bis  vor  2  Monaten  die  Gelbsucht  rezidivierte;  auch 
jetzt  waren  keine  Schmerzen  vorhanden.  Eine  hochgradige  Gewichts¬ 
abnahme  wurde  bemerkbar. 

Die  stark  ikterische  Patientin  war  sehr  mager  und  schwach.  Die 
Temperatur  betrug  39°.  Die  Diagnose  lautete:  Verschluss  des  Chole¬ 
dochus  und  Cholangitis. 

Die  Operation  ergab  eine  hühnereigrosse,  mit  Eiter  und  Steinen 
gefüllte  Gallenblase,  deren  Wandung  stark  entzündlich  verändert  war. 
Nach  Inzision  des  Choledochus  entleerte  sich  gestaute  Galle  mit  Eiter 
untermischt.  Ein  Stein  war  nicht  zu  fühlen,  dagegen  an  der  Papille 
ein  walnussgrosser  weicher  Tumor,  der  den  Choledochus  völlig  ver¬ 
schloss.  ln  Anbetracht  des  noch  verhältnismässig  guten  Zustandes 
der  Patientin  und  des  noch  kleinen  zirkumskripten  Tumors  wurde  die 
Resektion  vorgenommen.  Das  leicht  mobilisierbare  Duodenum  wurde, 
soweit  es  vom  Tumor  eingenommen  war,  in  seiner  ganzen  Zirkum- 
ferenz  reseziert.  Dabei  fielen  noch  fort  ein  grösseres  Stück  des 
Choledochus  und  ein  etwa  2  cm  langes  Stück  des  Pankreaskopfes  mit 
seinem  Ausführungsgange.  Der  Papillentumor  war  mit  dem  Pankreas 
fest  verwachsen  und  griff  auf  dieses  über,  ln  Abbildung  1  ist  das 
resezierte  Stück  eingezeichnet.  Der  Tumor  war  ein  weiches,  leicht 
zerfallendes  Adenokarzinom. 

Die  Vereinigung  des  Duodenums  bot  wegen  seiner  guten  Be¬ 
weglichkeit  keine  Schwierigkeiten.  Der  Pankreasstumpf  mit  seinem 
Ausführungsgange  liess  sich  in  dasselbe  ringsherum  gut  einnähen. 
Grössere  Schwierigkeiten  bereitete  das  Heranbringen  des  Chole- 
dochusstumpfes  an  das  Duodenum,  da  letzteres  durch  die  Pan¬ 
kreasimplantation  nach  der  anderen  Seite  gezogen  wurde.  Es  blieb 
deshalb  nichts  anderes  übrig,  als  einen  künstlichen  Choledochus  her¬ 
zustellen,  falls  man  nicht  die  Galle  ganz  nach  aussen  ableiten  wollte. 
Durch  ein  mehrere  Zentimeter  langes  Gummidrain,  das  an  beiden 
Enden  mit  einer  kleinen  seitlichen  Oeffnung  versehen  war,  wurde  das 
fehlende  Stück  Choledochus  ersetzt.  Sowohl  im  Choledochusstumpfe 
als  auch  im  Duodenum  wurde  es  möglichst  dicht  eingenäht  und  in 


seiner  Lage  fixiert.  Die  schwer  veränderte  Gallenblase  wurde  am 
Zystikus  abgetragen  (Abb.  2). 


Abb.  1.  Abb.  2.  Die  Vereinigung  der  Organe 

„  -n  nach  Exstirpation  des  Tumors. 

a  =  Karzinom  der  Papille.  a  _  künstlicher  Choledochus 

b,  c,  d,  e  —  reseziertes  Stuck.  aus  oUmmidrain. 

Durch  die  Vereinigung  der  Duodenalstümpfe  und  das  Einnähen 
des  Pankreas,  sowie  des  künstlichen  Choledochus  war  der  Duodenal¬ 
kanal  sehr  verengt  worden,  so  dass  der  Mageninhalt  nicht  mehr  hin¬ 
durchgeleitet  werden  konnte.  Aus  diesem  Grunde  und  zum  Schutze 
der  Naht  wurde  zum  Schlüsse  der  Operation  eine  Gastroenterostomie 
angeschlossen. 

Das  Wundbett  der  Duodenalresektion  wurde  gut  abtamponiert 
und  drainiert,  damit  der  eventuell  entweichende  Pankreassaft  abge¬ 
leitet  werden  konnte.  Die  ganze  Operation  dauerte  etwas  über  eine 
Stunde,  so  dass  die  Schädigung  der  Patientin  durch  die  Narkose 
nicht  sehr  hochgradig  war.  Am  5.  oder  6.  Tage  nach  der  Operation 
trat  für  mehrere  Tage  eine  geringe  Gallen-  und  Pankreassekretion 
auf,  die  allmählich  wieder  verschwand,  so  dass  sich  die  Wunde 
schliessen  konnte.  3  Wochen  nach  der  Operation  wurde  die  Pa¬ 
tientin  in  gutem  Zustande  entlassen;  die  Wunde  war  geschlossen, 
der  Ikterus  war  verschwunden,  der  Stuhl  war  normal  gefärbt,  Be¬ 
schwerden  bestanden  nicht. 

Das  Wohlbefinden  hielt  auch  in  der  nächsten  Zeit  an  und  die 
Patientin  nahm  rasch  zu. 

Nach  etwa  1  Jahre  erhielt  ich  die  Nachricht  von  dem  Tode  der 
Patientin,  die  Ursache  desselben  war  nicht  zu  eruieren,  auch  war 
eine  Sektion  leider  nicht  vorgenommen  worden.  Ueber  das  Ver¬ 
bleiben  des  Gummidrains  wurde  mir  nichts  bekannt. 

Eine  übersichtliche  Zusammenstellung  der  bisher  veröffent¬ 
lichten  exstirpierten  Papillenkarzinomfälle  findet  sich  in  einer 
Arbeit  von  Kausch  (Bruns  Beitr.  78.  1912).  Er  sammelte 
die  Fälle  und  fand  im  ganzen  10,  welche  die  Radikaloperation 
überlebten.  Von  diesen  10  Fällen  wurde  8  mal  nur  die  Papille 
mit  Umgebung  entfernt,  nicht  aber  ein  Stück  Duodenum  re¬ 
seziert.  Eine  zirkuläre  Resektion  des  Duodenum  fand  er  nur 
in  2  Fällen.  Kausch  selbst  operierte  einen  von  diesen,  der 
nach  %  Jahren  starb. 

Von  den  Fällen,  bei  welchen  nur  die  Papille  exzidiert 
wurde,  ist  ein  Fall  von  Dauerheilung  bekannt,  die  übrigen  star¬ 
ben  in  den  ersten  Monaten  und  Jahren.  Die  Resultate  sind  also 
bisher  nicht  günstig. 

Wegen  der  Grösse  des  Eingriffes  empfiehlt  Kausch,  die 
Operation  zweizeitig  auszuführen,  und  zwar  so,  dass  in  der 
ersten  Sitzung  die  Gallenweg-Darmverbindung  (Cholezyst- 
enterostomie  und  Enteroanastomose)  und  die  Abbindung  des 
Choledochus  vorgenommen  wird,  in  der  zweiten  Sitzung  aber 
der  Tumor  radikal  entfernt  wird  durch  quere  Resektion  des 
Duodenum  mit  eventueller  Pankreasresektion.  Es  folgt  eine 
Gastroenterostomie  und  der  Pylorusverschluss. 

Hiergegen  ist  folgendes  einzuwenden.  Die  Gallenblase  ist 
natürlich  nur  dann  zu  einer  Anastomose  zu  verwerten,  wenn 
sie  sich  in  einem  einigermassen  normalen  Zustande  befindet. 
In  unserem  Falle  war  dies  wegen  der  schweren  entzündlichen 
Veränderungen  nicht  möglich  und  es  fiel  deshalb  die  immerhin 
einige  Zeit  in  Anspruch  nehmende  und  die  Operation  kompli¬ 
zierende  Cholezystenterostomie  und  Enteroanastomose,  wie 
sie  Kausch  beschreibt,  weg. 

Die  Verbindung  des  Choledochusstumpfes  mit  dem  Duo¬ 
denum  machte  in  meinem  Falle  allerdings  Schwierigkeiten,  die 
eben  nur  durch  Bildung  eines  künstlichen  Choledochus  be¬ 
hoben  werden  konnten.  Die  Operation  vereinfachte  sich  hier¬ 
durch  ganz  wesentlich  und  es  konnte  in  der  gleichen  Sitzung 
die  Gastroenterostomie  angeschlossen  werden,  während  der 
Pylorus  nicht  abgeschlossen  zu  werden  brauchte. 


4.  August  1914. _ MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1729 


Aus  der  med.  Klinik  der  kgl.  Universität  Würzburg. 

Sanduhrmagen  bei  nicht  tiefgreifendem  Ulcus  ventriculi 

Von  Wilhelm  Nonnenbruch. 

Die  Beziehungen  zwischen  Ulcus  ventriculi  und  Sanduhr¬ 
magen  sind  vor  allem  durch  F  a  u  1  h  a  b  er  aufgedeckt  und 
eingehend  beschrieben  worden.  In  seiner  1910  erschienenen 
Arbeit  L 1 J  über  die  Röntgendiagnostik  des  tiefgreifenden 
(kallösen)  Ulcus  ventriculi  hat  er  bereits  alle  wesentlichen 
Punkte  niedergelegt,  ln  der  letzten  grösseren  Arbeit  über  die 
Röntgendiagnostik  der  Magenkrankheiten  [2]  wurden  diese 
Punkte  weiter  ausgeführt.  Faulhaber  kommt  zu  dem  Re¬ 
sultat,  dass  das  tiefgreifende  Ulcus  dreierlei  Sanduhrformen 
bedingen  kann: 

1.  rein  organische,  durch  die  Ulcusschrumpfung  oder  be¬ 
gleitende  perigastritische  Prozesse  oder  beides  bedingt; 

2.  rein  funktionelle,  durch  lokale  tetanische  Muskelkon¬ 
traktion  infolge  des  Ulcus; 

3.  Mischformen,  welche  neben  (oft  geringer)  organischer 
Verengerung  in  der  Hauptsache  der  erwähnten  tetanischen 
Kontraktion  ihre  Entstehung  verdanken. 

Er  fügt  dann  noch  hinzu,  dass  alle  diese  Formen  röntgeno¬ 
logisch  persistierende  Sanduhrmägen  sind.  F  a  u  1  h  a  b  e  r  hat 
auch  die  röntgenologische  Differentialdiagnose  zwischen  or¬ 
ganischem  und  spastischem  Sanduhrmagen  gegeben,  die  sich 
aus  dem  Füllungsmechanismus  des  Pylorusabschnittes  ergibt. 
Wenn  sich  dieser  sofort  beim  Essen  vollständig  füllt,  so  liegt 
die  zweite  oder  dritte  Form  vor,  auf  Grund  derer  man  ruhig 
Ulcus  annehmen  kann. 

Die  Befunde  von  solch  persistierendem  Sanduhrmagen 
sind  in  grösseren  Laboratorien  keine  Seltenheit  mehr.  Sie 
finden  sich  meist  vereint  mit  einer  Ulcusnische,  auf  die  zuerst 
und  unabhängig  voneinander  Haudek  [3J  und  Faul- 
haber  [lj  hingewiesen  haben.  Dadurch  resultieren  dann  die 
bekannten  Bilder  von  Sanduhrrflagen  mit  Nische,  wobei  die 
eingezogene  grosse  Kurvatur  pfeilförmig  auf  die  Nische  hin¬ 
weist.  Diese  Fälle  sind  im  allgemeinen  Sache  chirurgischer 
Behandlung.  Durch  interne  Therapie  können  sie  gebessert 
werden,  der  Spasmus  kann  sich  lösen  und  die  Beschwerden 
können  oft  bedeutend  gelindert  werden.  Schlesinger  [4] 
beschreibt  solche  Fälle,  wo  unter  rein  konservativer  Therapie 
der  zu  der  organischen  Stenose  tretende  Spasmus  gelöst 
wurde  und  Gerhardt  [5]  zeigte  einen  Fall,  der  nach 
typischer  Leubekur  beschwerdefrei  war.  Aber  zu  einer  Aus¬ 
heilung  des  als  Nische  erscheinenden  Geschwürs  ist  es  meines 
Wissens  noch  nie  gekommen. 

Als  Gegenstück  zum  persistierenden  Sanduhrmagen  wurde 
der  spastische  oder  intermittierende  oder  auch  Pseudosand¬ 
uhrmagen  unterschieden.  Als  Ausdruck  einer  besonders  tiefen 
Peristaltik  kann  man  häufig  solche  intermittierende  Sanduhr- 
bilder  bei  Nervösen  entstehen  sehen,  wobei  die  Peristaltik  bald 
da  bald  dort  durchschneidet.  Mehr  lokalisiert  ist  die  spastische 
Sanduhrform,  die  man  beim  oberflächlichen  Ulcus  beobachtet. 
So  wie  das  tiefgreifende  Ulcus  der  kleinen  Kurvatur  häufig  zur 
spastischen  —  Sanduhrform  bedingenden  —  Kontraktion  der 
Ringmuskulatur  führt,  kann  auch  das  oberflächliche  Ulcus  einen 
solchen  Reiz  ausüben  und  man  sieht  dann  bei  und  nach  der 
Füllung  an  einer  bestimmten  Stelle,  die  wohl  dem  Ulcus  ent¬ 
spricht,  eine  mehr  weniger  durchgehende  und  mehr  weniger 
lang  fixierte  spastische  Einschnürung  entstehen.  Es  kann  da¬ 
bei  zu  den  ausgesprochensten  Sanduhrformen  kommen  mit 
völliger  Trennung  der  beiden  Magenteile.  In  der  Regel  sind 
diese  Befunde  von  nur  sehr  vorübergehender  Dauer  und  man 
kann  das  Kommen  und  Gehen  dieses  Zustandes  während  der 
Schirmbeobachtung  verfolgen.  Dass  aber  ein  aller  Wahr¬ 
scheinlichkeit  nach  nur  oberflächliches  Ulcus  zuweilen  auch  zu 
i  öntgenologisch  persistierender  Sanduhrform  führen  kann, 
sollen  folgende  zwei  Fälle  aus  unserer  Beobachtung  beweisen. 

Der  erste  Fall  betrifft  ein  48  jähriges  Fräulein,  das  seit  3  Jahren 
j  Mgen*3esc^werc^en  die  periodisch  mit  Zwischenräumen  von  2  bis 
’  Monaten  auftreten  und  dann  meist  5 — 6  Wochen  da  sind.  Erbrochen 
Ia)  sie  nie.  Die  Schmerzen  kommen  nach  dem  Essen  und  sind 
zeitweise  so  heftig,  dass  sie  sich  hinlegen  muss.  Dauer  Yi  Stunde. 
Jer  Stuhlgang  ist  verzögert.  Eintritt  ins  Spital  am  14.  IV.  13. 

Me  klagt  zurzeit  mehr  über  Schwäche  und  Rückenschmerzen  als  über 
en  Magen.  Probefrühstück:  fr.  HCl  5,  Ges.-Az.  55,  mikroskopisch 
Nr.  31. 


Erythrozyten.  Am  18.,  22.  und  28.  IV.  13  wurde  eine  Röntgenunter¬ 
suchung  vorgenommen,  die  jedesmal  das  gleiche  Resultat  ergab  näm¬ 
lich  eine  während  der  ganzen  Schirmbeobachtung  und  bei  den  Kon¬ 
trollen  immer  an  der  gleichen  Stelle  vorhandene  Einziehung  der 
grossen  Kurvatur,  die  zu  typischer  Sanduhrform  des  Magens  führte 
Eine  Nische  konnte  auch  auf  den  jedesmal  gemachten  Radiogrammcn 
nicht  nachgewiesen  werden  (Abb.  1).  Es  handelte  sich  demnach  um 
einen  persistierenden  Sanduhr¬ 
magen,  als  dessen  Ursache  mit 
grosser  Wahrscheinlichkeit  ein 
Ulcus  an  der  kleinen  Kurvatur 
angenommen  werden  konnte. 

Unter  einer  entsprechenden 
mehrwöchigen  Spitalbehandlung 
besserte  sich  der  Zustand  der 
Patientin  wesentlich  und  am 
16.  Mai  1913.  wurde  sie  be¬ 
schwerdefrei  entlassen.  Am 
I  18.  Juni  1914  konnten  wir  eine  @ 

Nachuntersuchung  vornehmen. 

Die  Patientin  war  sehr  schwer 
dazu  zu  bewegen  gewesen, 
denn  sie  fühlte  sich  vollkommen 
gesund  und  vertrug  alle  Spei- 
sen.  Die  Magenuntersuchung  Abb.  u 
ergab  ein  ungehindertes  rasches 

Durchtreten  des  Kontrastbreis  auf  den  kaudalen  Pol  und  keine  Spur 
von  Sanduhrmagen  mehr.  Tiefstand  des  Pylorus  und  der  kleinen 
Kurvatur.  Atonie. 

Ein  zweiter  ähnlicher  Fall  kam  vor  kurzem  zur  Beobachtung. 

Erl.  L.,  20  Jahre,  hatte  früher  niemals  Magenbeschwerden.  Drei 
Wochen  vor  Spitaleintritt  (28.  IV.  14)  bekam  sie  plötzlich  am  Abend 
nach  dem  Essen  heftige  Schmerzen  in  der  Magengrube.  Erbrochen 
\vurde  nicht.  Seit  dieser  Zeit  traten  mit  grosser  Regelmässigkeit 
A  Stunde  nach  dem  Essen  Schmerzen  in  der  Magengrube  und  im 
Rucken  auf,  die  2  Stunden  andauerten.  Stuhlgang  obstipiert,  in  den 
letzten  14  Tagen  immer  schwarz.  Oefter  Schwindelanfälle.  Danach 
war  ein  Ulcus  wahrscheinlich.  Die  Röntgenuntersuchung  ergab,  dass 
der  aufgenommene  Baryumbrei  sich  dicht  unter  dem  Zwerchfell  an¬ 
sammelte  und  dass  sich  erst  nach  K — 14  Minute  auch  unten  in  der 
Nabelgegend  ein  von  dem  ersten  vollkommen  getrennter  Schatten  aus¬ 
bildete,  an  dem  man  Peristaltik  beobachten  konnte.  Während  der 
zunehmenden  Füllung  blieb  dieser  Befund  konstant.  Eine  Nische 
konnte  an  der  Einziehungsstelle  nicht  entdeckt  werden.  Auf  der 
20  Minuten  später  gemachten  Aufnahme  zeigte  sich  der  gleiche  bei  der 
Durchleuchtung  erhobene  Befund  (Abb.  2).  Es  handelte  sich  um  das 
typische  Bild  eines  Sanduhrmagens.  6  Stunden  p.  c.  war  noch  ein 
kleiner  Rest  in  dem  kaudalen  Teil  vorhanden.  Wir  nahmen  demnach 
zusammen  mit  dem  klinischen  Befund  ein  Ulcus  ventriculi  mit  Sitz  an 
der  kleinen  Kurvatur  an,  das  zu  dieser  röntgenologisch  persistieren¬ 
den  Sanduhrform  geführt  hatte  und  verordneten  eine  typische  Leube- 
sche  Ulcuskur.  Aus  therapeutischen  Gründen  wurde  bei  der  sensiblen 
Patientin  eine  abermalige  Breifüllung  in  den  nächsten  Tagen  ver¬ 
mieden.  Erst  bei  der  nach  5  Wochen  erfolgenden  Entlassung  wurde 
die  Patientin  einer  Kontrolluntersuchung  unterzogen.  Sie  war  unter¬ 
dessen  bei  der  3.  Leubekost  angelangt,  die  sie  ohne  Beschwerden 
vertrug.  Es  zeigte  sich  keine  Spur  von  Sanduhrmagen  mehr.  Der 
Brei  sammelte  sich  in  dem  unteren  Magenteil  an  und  wurde  von 
einer  hohen  Saftschicht  überlagert,  die  bis  zu  der  normalen  Magen¬ 
blase  reichte.  Die  Entleerung  ging  diesesmal  prompt  vonstatten. 

Dies  sind  also  zwei  Fälle  von  röntgenologisch  persi¬ 
stierenden  Sanduhrmägen,  die  bei  einem  sicherlich  nicht  als 
tiefgreifend  anzunehmenden  Magenulcus  bestanden  haben  und 
mit  der  Besserung  des  Ulcus  verschwunden  sind.  Demnach 
gehören  sie  unter  Nr.  2  der  von  Faulhaber  aufgeführten 
Sanduhrformen,  die  rein  funktioneller  Natur  sind,  durch 
tetanische  Muskelkontraktion  entstanden.  Beim  tiefgreifenden 
Magengeschwür  sind  solche  Beobachtungen  etwas  häufiges, 
wenn  sie  auch  hinter  den  Beobachtungen  der  unter  Nr.  3  an¬ 
geführten  Mischformen  zurückstehen.  Beim  oberflächlichen 
Ulcus  sind  sie  aber  etwas  seltenes.  Für  die  Prognose  ist  es 
wichtig,  sie  zu  kennen,  denn  während  die  häufigen  Befunde 
von  persistierendem  Sanduhrmagen  in  Gesellschaft  eines  tief¬ 
greifenden  Ulcus  Sache  chirurgischer  Behandlung  sind  (Faul- 
h  a  b  e  r  s  Ulcus  chirurgicum),  sind  diese  Fälle  einer  internen 
Behandlung  wert,  unter  deren  Einfluss  alle  Symptome  und  Be¬ 
schwerden  zurückgehen  können. 

Literatur. 

1.  F  a  u  1  h  a  b  e  r:  M.m.W.  1910  Nr.  40.  —  2.  F  a  u  1  h  a  b  e  r:  Die 
Röntgendiagnostik  der  Magenkrankheiten.  Halle  a.  S.  bei  Carl  M  a  r  - 
hold,  1914.  —  3.  Haudek:  M.m.W.  1910  Nr.  30.  —  4  Schle¬ 
singer:  Grenzgebiete  1911.  —  5.  G  e  r  h  a  r  d  t:  Würzburger  Aerzte- 
abend  23.  I.  12  (M.m.W.  1912  Nr.  17). 


3 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Aus  dem  städtischen  Krankenhaus  zu  Radolfzell 
(Chefarzt:  Dr.  O  1 1  o  M  a  d  e  r). 

lieber  einen  Fall  von  Aneurysma  der  Aorta  abdominalis 
mit  Heilungstendenz. 

Von  Med.-Prakt.  Udo  Stengel  e. 

Aneurysmen  der  Aorta  abdominalis  sind  bekanntlich  sehr  selten. 
Nach  Crisp  UJ  nehmen  sie  bezüglich  der  Häufigkeit  die  4.  Stelle 
ein.  Nur  vereinzelte  Fälle  von  Selbstheilung  sind  bekannt  und  meist 
sieht  man  sie  bei  kleinen  Arterien,  Wichtig  für  die  Selbstheilung  ist 
der  Sitz  des  Aneurysmas.  Steht  es  durch  einen  engen  Hals  mit  dem 
Arterienrohr  in  Verbindung,  dann  ist  die  Prognose  für  eine  Spontan¬ 
heilung  in  dem  Sinne  eher  gegeben,  dass  der  Aneurysmasack  durch 
Thrombenbildung  ausgefüllt,  das  Gerinnsel  organisiert  wird  und 
Bindege  webspeubildung  stattfindet,  mit  anderen  Worten,  dass  „durch 
einen  chronischen  Entzündungsprozess  eine  Schrumpfung  des 
Aneurysmas  herbeigeführt  wird“  l2j.  Solche  Fälle  sind  von  Oliver 
und  S.  F  r  e  n  c  h  |3J  publiziert  worden,  ferner  hat  Arn.  Chaplin  14J 
einen  Fall  mitgeteilt,  bei  dem  es  sich  um  einen  35jähr.  Mann  handelte, 
der  an  einem  Aneurysma  des  Aortenbogens  litt,  das  in  die  Luftwege 
rupturierte  und  so  den  Exitus  herbeiführte,  obwohl  der  Aileurysma- 
sack  wie  die  Obduktion  ergab,  mit  geschichtetem  Blutgerinnsel  ganz 
ausgefüllt  war,  d.  h.  einen  Heilungsvorgang  dokumentierte.  Ueber 
einen  weiteren  Fall  von  spontaner  Ausfüllung  eines  Aneurysmasackes 
und  zwar  der  Aorta  abdominalis  berichtet  noch  früher  McKellar 
1 5]  von  einem  zuletzt  an  Dysenterie  zugrunde  gegangenen  Mann. 
Wenn  ich  auch  nur  ein  kleines  Literaturmaterial  zur  Verfügung  hatte, 
so  bewies  dieses  mir  doch  die  Seltenheit  der  spontanen  Aneurysma¬ 
heilung  und  veranlasste  mich  zu  einem  kasuistischen  Beitrag.  Mit¬ 
bestimmend  war  ferner  die  grosse  Schwierigkeit  der  Diagnose. 

Es  handelte  sich  um  eine  43  jährige  Frau,  die  als  Kind  angeblich 
stets  gesund  gewesen  war.  Viermal  hatte  sie  normal  geboren.  Die 
Kinder  leben  und  sind  gesund.  Vor  4  Jahren  ein  Abortus,  wobei 
der  Uterus  ausgeräumt  wurde.  Damals  hatte  Patientin  einen 
Ikterus,  seitdem  ist  sie  nie  krank  gewesen.  Der  Mann  lebt,  ist 
gesund.  Von  Lues  ist  nichts  zu  eruieren.  Am  10.  Mai  1914  stand  die 
Frau  wie  gewöhnlich  um  6  Uhr  auf,  verrichtete  wie  sonst  ihre  Ar¬ 
beiten  im  Haushalt  und  fühlte  sich  vollkommen  wohl.  Gegen  K*10  Uhr 
klagte  sie  über  Schwindelgefühl,  das  jedoch  nur  von  kurzer  Dauer 
war.  Um  1412  Uhr  mittags  traten  ganz  plötzlich  heftige  Schmerzen 
vornehmlich  in  der  rechten  Bauchgegend  auf.  Patientin  legte  sich  zu 
Bett  und  verlangte  sofort  ärztliche  Hilfe.  Wir  fanden  sie  in  folgen¬ 
dem  Zustand:  Gesicht  und  Extremitäten  wachsfarben,  Puls  kaum 
fühlbar,  unregelmässige  Herzaktion  (keine  Geräusche),  Temperatur 
normal;  Erbrechen,  teilweise  Benommenheit,  Klagen  über  starke 
Schmerzen  im  Leib,  besonders  in  der  Gegend  der  Leber.  Das  Ab¬ 
domen  war  bretthart,  aufgetrieben,  nicht  zu  palpieren,  eine  Dämpfung 
von  der  Linea  alba  ausgehend,  dicht  über  dem  Nabel  sich  nach  rechts 
verbreitend  undeutlich  zu  perkutieren.  Einige  Minuten  dauerte  der 
kolikartige  Anfall,  setzte  dann  für  wenige  Sekunden  aus,  um  sofort 
wieder  mit  erneuter  Heftigkeit  zu  beginnen.  Eine  Palpation  des 
Abdomens  war  schlechterdings  unmöglich.  Der  Puls,  der  kleiner  und 
kleiner  wurde,  nötigte  zu  Kampferinjektionen,  die  starken  Schmerzen 
zur  Injektion  von  Pantopon.  Die  Anfälle,  abwechselnd  mit  sekunden¬ 
dauernden  Pausen  Hessen  nicht  nach.  Während  der  Attacken  war 
der  Leib  anzusehen  wie  der  einer  Kreissenden,  besser  kann  ich  das 
Bild  nicht  beschreiben,  wenn  ich  die  kolikartigen  Anfälle  mit  Wehen 
und  die  kurzen  Intervalle  mit  Wehenpausen  vergleichen  darf.  Dia¬ 
gnostisch  kam  für  uns  in  erster  Linie  eine  Gallensteinkolik  mit  Per¬ 
foration  der  Gallenblase  in  Betracht.  Dafür  sprach  in  erster  Linie 
die  Lokalisation  des  Schmerzes  in  der  Lebergegend  und  die  kolik¬ 
artigen  Anfälle,  das  Erbrechen  sowie  der  Ikterus  aus  der  Anamnese 
(vor  4  Jahren).  Auch  eine  perforierte  Appendizitis  wurde  in  Er¬ 
wägung  gezogen,  hatten  wir  doch  erst  einige  Wochen  vorher  eine 
solche,  die  ohne  vorausgegangene  Symptome  plötzlich  aufgetreten 
war,  gesehen.  Zum  dritten  dachten  wir  an  ein  rupturiertes  Aneu¬ 
rysma.  Letzteres  wurde  jedoch,  da  die  Patientin  keinerlei  Be¬ 
schwerden  während  der  ganzen  letzten  Jahre  gehabt  hatte,  die  etwa 
ein  Aneurysma  hätten  vermuten  lassen,  wieder  in  den  Hintergrund 
gestellt.  Es  trat  eine  sofortige  Operation  in  Frage  und  zwar  mit 
grösster  Wahrscheinlichkeit  eine  Operation  der  Gallenblase.  Zu 
einem  Eingriff  kam  es  jedoch  nicht  mehr,  da  1  Vi  Stunden  nach  dem 
Einsetzen  der  ersten  Attacke  der  Exitus  eintrat. 

Die  Hinterbliebenen  gestatteten  eine  kurze  Bauchsektion  im 
Hause,  die  24  Stunden  post  mortem  vorgenommen  wurde:  auffallend 
war  bei  der  Inspektion  des  Bauchsitus  ein  kolossal  aufgetriebenes 
Colon  ascendens  und  Colon  transversum.  Die  Gedärme  wurden  aus 
der  rechten  Hälfte  des  Abdomens  gedrängt  und  es  zeigte  sich  eine 
Blutmenge  von  reichlich  VA  Liter  in  der  freien  Bauchhöhle.  Des 
weiteren  sah  man  ein  grosses  retroperitoneales  Hämatom,  das  sich 
fast  über  die  ganzen  Lendenwirbel  erstreckte  und  in  die  rechte  Seite 
der  Bauchhöhle  ragte.  Unter  dem  Hämatom  lag  auf  dem  2. — 4.  Len¬ 
denwirbel  ein  zweifaustgrosser,  fluktuierender  Tumor,  der  nach  rechts 
eine  für  den  Daumen  durchgängige  Perforation  zeigte  und  sich  als 
Aneurysma  der  Aorta  abdominalis  dokumentierte.  Der  Aneurysma¬ 
sack  hatte  die  Form  einer  Halbkugel,  war  also  nicht  durch  einen 
schmalen  Hals  mit  der  Aorta  in  Verbindung,  sondern  sass  mit  seinem 
ganzen  Durchmesser  auf  der  Arterie.  Das  Aneurysma  wurde  in  toto 


exstirpiert  und  aufgeschnitten.  Das  Innere  des  zweifaustgrossen 
Sackes  war  bekleidet  mit  einer  zweifingerdicken  Masse,  die  sich  als 
zum  grössten  Teile  organisierte  Thromben  erwies.  Eine  ganze  Hälfte 
war  mit  festem  Bindegewebe  durchsetzt  und  Hess  sich  von  der 
Intima  schwer  ablösen.  Ein  anderer  Teil  war  lockere  lhromben- 
inasse,  von  dem  Innern  der  Arterie  leicht  abzuschälen.  Etwa  M-  cm 
dick  erwies  sich  das  Gerinnsel  an  der  Rupturstelle  und  hier  war  auch 
die  eigentliche  Arterienwand  papierdünn  Der  Rest  der  Aneurysma¬ 
höhle  stand  in  gar  keinem  Verhältnis  zur  Grösse  des  Aneurysmas. 
Die  Höhle  war  bis  auf  einen  kleinen  Durchmesser  mit  organisierten 
und  nichtorganisierten  Thromben  ausgefüllt.  Es  handelte  sich  dem- 
nach  um  einen  spontanen  Heilungsprozess  eines  Aneurysmas  der 
Aorta  abdominalis  und  zwar  um  einen  Fall  der  deshalb  als  selten 
zu  erkennen  ist,  weil  erstens  das  Aneurysma  breit  mit  der  Aorta 
in  Verbindung  stand  und  zweitens,  weil  es  bei  seiner  enormen 
Grösse  fast  völlig  durch  geschichtete  Thromben-  und  Bindegewebs- 
massen  ausgefüllt  war.  Bemerkenswert  ist  der  Fall  ausserdem  noth 
dadurch,  dass  der  Patientin  durch  das  Aneurysma  keinerlei  Be¬ 
schwerden  bis  zum  Zeitpunkt  der  Ruptur  erwachsen  waren  und  die 
Ruptur  selbst  durch  ihre  kolikartigen  Begleiterscheinungen  ganz  das 
Bild  einer  Gallensteinkolik  mit  Perforation  der  Gallenblase  vor¬ 
täuschte. 

Literatur. 

1.  Handbuch  der  prakt.  Chirurgie.  4.  Aufl.  3.  1913.  S.  108.  — 
2.  Bäumler  Ch.t  Penzoldt-Stintzings  Hb.  d.  ges.  Ther.  3.  4.  Aufl. 

S  428  _  3.  French  Herb.  S.:  Spontan,  eure  of  aort.  aneurysm. 

Lancet  10.  Juli  1908.  —  4.  A.  Chaplin:  Brit.  med.  Journ.  1894. 
Vol.  1.  S.  78.  —  5.  McKellar:  A  case  of  abdomin.aneurysm. 
Lancet  1882.  Vol.  II.  S.  262. 


Aus  dein  Sanatorium  Hoppegarten  bei  Berlin  (Dr.  Leu- 
buscher  und  Dr.  Wagne  r). 

Weiterer  Beitrag  zur  Luminalbehandlung  der  Epilepsie. 

Von  Dr.  H.  Qrabi,  Anstaltsarzt. 

Im  Anschluss  an  die  bemerkenswerte  Arbeit  des  Medizinalrat 
Fuchs  in  der  M.m.W.  1914  Nr.  16  möchte  ich  über  die  Anwendung 
des  Luminals  bei  einem  Epileptiker  unseres  Sanatoriums  berichten, 
weil  dieser  Fall  eine  nicht  unwesentliche  Ergänzung  zu  der  bisherigen 
Kasuistik  und  besonders  zu  den  von  Fuchs  beschriebenen  Fällen 

bildet.  ,  .  ,  D 

Uns  wurde  das  Luminal  (damals  noch  mit  der  chemischen  Be- 
zeichung)  im  März  1912  von  der  Elberfelder  Farbenfabrik  zur  Ver¬ 
fügung  gestellt.  Es  ist  zuerst  nur  symptomatisch  gegen  Erregungs¬ 
zustände  und  Schlaflosigkeit,  und  zwar  sowohl  bei  Epileptikern,  wie 
auch  bei  anderen  Psychosen  gereicht  worden. 

Durch  die  Arbeiten  von  Hauptmann,  M.m.W.  1912  Nr.  35, 
und  die  Bemerkung  des  Prof.  F  r  i  e  d  1  ä  n  d  e  r  -  Hohemark  wurden 
wir  zuerst  auf  die  Bedeutung,  welche  Luminal  auf  die  Herabsetzung 
der  Krampfanfälle  bei  Epileptikern  haben  könnte,  aufmerksam  ge¬ 
macht.  Wir  begannen  bald  mit  einer  systematischen  Darreichung 
von  Luminal  bei  Krampfkranken. 

Während  wir  zuerst  bei  Erregungszuständen  schwerer  Art  das 
Luminal  bis  hinauf  zu  0,8  gaben,  gewissermassen  als  Ersatzmittel  für 
Hyoszin,  versuchten  wir  es  dann  mit  geringeren  Dosen  als  regelmässige 
Medikation  bei  einem  Teil  unserer  Epileptiker  einzuführen.  Wir 
haben  bei  einer  grossen  Anzahl  von  Fällen,  und  zwar  mit  regel¬ 
mässig  fortgesetzten  kleinen  Dosen  von  0,2  bis  0,3  pro  die  durch  diese 
Therapie  unzweifelhaft  gute  Erfolge  erzielt. 

Die  meisten  Fälle,  die  wir  anführen  könnten,  würden  einen 
weiteren  gleichartigen  Beitrag  zu  den  bisher  von  anderen  Autoren 
beschriebenen  bieten.  Es  würde  die  Absicht  dieser  Arbeit  über¬ 
schreiten,  wenn  wir  diese  Fälle  einzeln  anführen  würden.  Die  Be¬ 
handlungsdauer  betrug  meistens  4—5  Monate,  dann  wurde  entweder 
aus  Gründen  anderer  Art  die  Luminalbehandlung  eingestellt,  resp.  die 
Patienten  als  wesentlich  gebessert  entlassen. 

Allerdings  ist  es  uns  nur  gelungen,  eine  erhebliche  Besserung 
in  der  Zahl  und  Stärke  der  Krampfanfälle  und  besonders  im  psychi¬ 
schen  Befinden  zu  erzielen,  bisher  konnten  wir  jedoch  noch  kein  voll¬ 
kommenes  Ausbleiben  der  Anfälle  beobachten. 

Ein  Kranker,  der  mit  Luminal  behandelt  wurde,  ist  dauernd  in 
unserem  Sanatorium.  Ich  gebe  in  folgendem  einen  Auszug  aus  seiner 
Krankengeschichte: 

Patient  O.,  1874  geboren,  Kaufmann,  erkrankte  im  17.  Lebensjahr 
an  schwerer  Nierenentzündung.  Darauf  stellte  sich  ein  epileptischer 
Anfall  ein.  Nach  einer  Pause  von  mehreren  Monaten  wiederholten 
sich  die  Krampfanfälle  und  seitdem  bildete  sich  ein  geistiger  Ver¬ 
fall  aus.  Patient  wurde  ziemlich  schwachsinnig,  zeitweise  zeigten  sich 
starke  Erregungszustände.  Körperlich  sind  an  Krankhaftem  vor¬ 
handen:  eine  leichte  Arterienverhärtung  und  dauernd  Spuren  von  Ei- 
weiss  im  Urin.  Seit  November  1910  befindet  sich  der  Kranke  hier 
in  Behandlung. 

In  der  ersten  Zeit  war  Patient  höchst  unlenksam,  stand  in 
dauerndem  Konflikt  mit  seinem  Pfleger,  den  er  sogar  einmal  mit 
einem  Messer  bedrohte.  Kleinere  Tätlichkeiten  gegen  das  Pfleger¬ 
personal  waren  an  der  Tagesordnung.  Er  zerstörte  mitunter  Einrich- 


4.  August  1914. 


MUENCHeNeR  medizinische  WOCHENSCHRIFT. 


tungsgegenstände  und  beschuldigte  nachher  in  alberner  Weise  seine 
Umgebung,  dies  getan  zu  haben. 

Krampfanfalle  traten  sehr  zahlreich,  meist  recht  schwerer  Art 
auf,  Patient  war  nachher  stark  benommen.  Im  März  1911  erkrankte 
0.  an  leichter  Bronchitis,  lin  Anschluss  daran  zeigte  sich  Vermehrung 
des  Eiweisses  iin  Urin  bis  auf  9  prom.  Die  Benommenheit  war  jetzt 
besonders  stark,  in  freieren  Seiten  war  er  sehr  deprimiert.  Bei  reiner 
Milchdiät  und  Schwitzprozeduren  besserte  sich  der  Zustand  wieder 
Dann  traten  von  neuem  zahlreiche  Anfälle  auf,  sein  Verhalten  wurde 
beinahe  noch  unleidlicher  wie  vorher.  Besonders  von  August  bis 
Oktober  1911  waren  fast  dauernd  hochgradige  Erregungszustände 
vorhanden.  Ende  Oktober  traten  auch  wieder  bedrohliche  Erschei¬ 
nungen  von  seiten  der  Nieren  auf.  Im  Sommer  1912  wurde  bereits 
zeitweise  Luminal  gegeben.  Vorübergehend  besserte  sich  der  psy¬ 
chische  Zustand,  um  dann  beim  Aussetzen  des  Luminals  im  August 
wieder  starken  Erregungen  und  Streitsucht  Platz  zu  machen. 

Patient  war  bis  dahin  nur  mit  grossen  Mengen  Stein  sehen 
Brom-Baldriansalzes  behandelt  worden.  Von  November  1912  an 
* urde  mit  der  systematischen  Luminalbehandlung  begonnen  und 
zwar  erhielt  Patient  morgens  0,1  und  abends  0,2.  Die  Brommenge 
wurde  bedeutend  herabgesetzt,  doch  haben  wir  dieselbe  noch  nicht 
ganz  aufgegeben.  Mitte  Oktober  1911  vorübergehend  Herzschwäche! 

Seit  Beginn  der  Luminalbehandlung  haben  die  Anfälle  besonders 
an  Stärke  sehr  nachgelassen,  es  gab  auch  Zeiten,  wo  wochenlang 
keine  Anfälle  auftraten.  Abgesehen  davon  ist  aber  in  dem  Verhalten 
des  Kranken  ein  ganz  ausserordentlicher  Umschwung  zu  bemerken 
Aus  dem  überaus  reizbaren,  häufig  aggressiven  Kranken  ist  ein  ruhi¬ 
ger,  freundlicher  Mann  geworden,  der  fast  niemals  mehr  Konflikte 
Tut  seinem  Pfleger  hat  und  sich  ärztlichen  Anordnungen  ohne  wei- 
eres  fügt.  Der  Schwachsinn  hat  sich  nicht  wesentlich  verändert, 
loch  tritt  jetzt  nicht  selten  seine  natürliche  Gutmütigkeit  und  leichter 
lumor  zutage.  Er  hat  Neigung,  sich  zu  beschäftigen,  spielt  Karten 
egt  Geduldspiele  zusammen  und  macht  zahlreiche  Spaziergänge  in 
lie  Umgebung. 

Es  wurde  versucht,  Ende  April  1913  das  Luminal  auszusetzen, 
vorauf  prompt  eine  wesentliche  Verschlechterung  des  Befindens  ein¬ 
rat.  Im  Mai  wurde  Luminal  wieder  gegeben  und  wieder  zeigte 
•ich  eine  erhebliche  Besserung  des  ganzen  Zustandes.  In  letzter 
-eit  traten  allerdings  die  Krampfanfälle  wieder  etwas  häufiger  auf, 
och  sind  sie  lange  nicht  so  schwer  wie  früher  und  hinterlassen  nicht 
•ie  starke  Benommenheit  wie  ehedem. 

Irgendwelche  körperlichen  Beeinträchtigungen  sind  während  der 
.anzen  Behandlungszeit  bei  dem  nierenkranken  Patienten  niemals 
utgetreten.  Die  Menge  des  ausgeschiedenen  Eiweisses  hat  sich  nicht 
ermehrt.  Nebenerscheinungen  bei  grösserer  Einzelgabe,  wie  sie 
ruher  von  mehreren  Autoren,  L  o  e  w  e,  Patschke  u.  a.,  als 
:kzeme,  Schwindel,  Koordinationsstörungen  etc.  angeführt  sind  ’wur- 
en  nicht  beobachtet. 

Wenn  ich  diesen  Fall  veröffentliche,  so  geschieht  es  deswegen, 

•  eil  ich  glaube,  dass  noch  nie  solange  unausgesetzt  Luminal  gegeben 


1  jtient,0,-  hat  vor  2  Jahren  zuerst  häufig  und  seit  lVz  Jahren 
auernd  täglich  0,3  Luminal  erhalten.  Das  körperliche  Befinden  ist, 
otzdem  Patient  an  einer  Nierenerkrankung  leidet,  recht  gut  ge- 
esen  und  hat  sich,  da  die  ungünstigen  psychischen  Einflüsse  weg- 
cien,  sogar  gebessert.  Im  Verhalten  ist  ein  enormer  Umschwung 
ingetreten,  so  dass  der  Kranke,  der  sich  eine  Last  und  anderen  eine 
ete  Beunruhigung  war,  jetzt  ein  ganz  erträgliches  Leben  zu  führen 


Es  erscheint  daher  möglich,  in  geeigneten  Fällen  die  Luminal- 
enandlung  bei  Epileptikern  zu  einer  dauernden  zu  machen 

Wenn  es  nach  der  Mehrzahl  der  Beobachtungen,  besonders  der 
tzten  Veröffentlichungen  von  Fuchs  als  wahrscheinlich  gelten 
uss,  dass  man  im  Luminal  ein  Spezifikum  für  manche  Form  der  Epi- 
psie  gefunden  habe,  so  muss  es  natürlich  von  grosser  Wichtigkeit 
an,  festzustellen,  wie  lange  es  möglich  ist,  dieses  Mittel,  welches  in 
was  grosseren  Dosen  schon  keineswegs  unbedenklich  ist,  unaus- 
-“setzt  hintereinander  zu  geben. 

Ich  glaube,  dass  der  oben  beschriebene  Fall  ein  Beitrag  zur  Be- 
teilung  dieser  Frage  sein  könnte. 


„Pharmakotechnisches“  zu  Tampospuman. 

Von  Dr.  Paul  Trendelenburg  in  Freiburg  i.  B. 

Als  eines  der  letzten  Erzeugnisse  der  chemisch-pharma- 
utischen  Industrie  wird  seit  kurzem  das  Tampospu  m  a  n, 
n  „pharmakotechnisch  neues,  energisches  Hämostatikum  mit 
ei  Wirkungskomponenten  zur  lokalen  Behandlung  genitaler 
utungen  angeboten.  Die  Fabrikanten  des  Tampospumans 
.uitpoMwerk,  München)  haben  eine  ganze  Reihe  hämo- 
atischer  Körper  „nach  dem  Gesetz  der  potenzierten  Wirkung 
ie.in^lc^er£erp'ht>  das  heisst:  jeder  einzelne  wirkt  für  sich 
utstillend,  zeigt  aber  von  den  übrigen  verschiedene  chemische 
stammung,  so  dass  nach  dem  ebenerwähnten  Gesetz  die 
irkungsresultante  nicht  in  der  Summe  der  einzelnen  Wir- 
ingswerte,  sondern  in  deren  potenzierter  Form  erscheint.“ 


Da  das  von  wissenschaftlicher  Seite  bekanntlich  noch 
keineswegs  allgemein  akzeptierte  „Gesetz  der  potenzierten 
Wirkung“,  auf  Grund  dessen  das  vorliegende  Präparat  kom¬ 
biniert  wurde,  in  Zukunft  wohl  noch  häufig  in  den  Dienst 
der  bekannten  Bestrebungen  der  Industrie,  den  Arzt  an  ge¬ 
brauchsfertig  gelieferte  Medikamentmischungen  zu  gewöhnen, 
gestellt  werden  dürfte,  ist  es  vielleicht  angebracht,  kurz  auf 
das  Resultat  der  Anwendung  des  „Gesetzes“  auf  das  von  der 
rirma  in  Angriff  genommene  Problem  hinzuweisen. 

J"  von  der  Firma  angegebenen  Zusammensetzung  der 

labletten:  Suprarenin.  hydrochlor.  (1:  1000)  2  Proz.,  Stypticin  1  Proz., 
rerripyrm  1,5  Proz.,  Chininsulfat  2,5  Proz.,  Liq.  ferr.  sesquichlorat. 
0,5  I  roz  ,  Pyrazolon.  phenyldimethyl.  10  Proz.,  Acid.  tart.  et  Natr. 
bicarb.  (1  -\-  2),  Corp.  tablett.  ad  2,0  sind  mindestens  2  Punkte  zu 
beanstanden. 

a  u  ySerinnendes  Hämostyptikum  gab  die  Firma  nach  ihren 
Angaben  E  i  s  e  n  c  h  1  o  r  i  d  hinzu.  Da  aber  in  den  Tabletten  Anti- 
pyrin  (Pyrazolon.  phenyldimethyl.)  enthalten  ist,  bindet  sich  in 
wässeriger  Lösung  das  Eisenchlorid  natürlich  sofort  zu  Ferripyrin 
und  es  kann  als  solches  nicht  mehr  Träger  der  beabsichtigten  Wir¬ 
kung  sein,  sondern  es  vermehrt  lediglich  die  schon  vorhandenen 
L5  Proz.  Ferripyrin.  (Es  müsste  denn  ein  Ueberschuss  zugesetzt, 
und  alles  Antipyrm  in  Ferripyrin  übergeführt  sein.  Das  ist  aber 
nicht  der  Fall,  denn  ein  Tropfen  Eisenchlorid,  den  man  in  Tampo¬ 
spumanlösung  hineingibt,  zeigt  durch  Auftreten  der  typischen  Farb¬ 
reaktion  sofort  die  weitere  Bildung  von  Ferripyrin  an.) 

2.  Die  Tatsache,  dass  Eisenchlorid  nicht  im  Ueberschuss  zu¬ 
gegeben  wurde,  hätte  für  die  Hersteller  von  Vorteil  sein  können 
Durch  die  unbeabsichtigte  Bindung  des  Eisenchlorids  an  Antipyrin 
konnte  wohl  möglicherweise  die  oxydative  Wirkung  des  Eisenchlorids 
auf  Adrenalin  —  neutrale  Adrenalinlösungen  werden  bekannt- 

lieh  durch  Spuren  von  Eisenchlorid  nahezu  momentan  zersetzt  _ 

verhindert  worden  sein.  Aber  das  sich  bildende  Ferripyrin  zählt  zu 
den  dissoziierbaren  Eisenverbindungen  und  bewirkt  infolgedessen 
ebenfalls  eine  ausserordentlich  rasch  vor  sich  gehende  Adrenalinzer¬ 
setzung.  So  kann  sich  die  Adrenalinwirkung  zur  Eisenchloridwirkung 
weder  hinzupotenzieren,  noch  hinzuaddieren,  sondern  der  Prozess 
wird  ein  rein  subtraktiver:  der  Eisenchlorid-  (Ferripyrin-)  Zusatz  ver¬ 
nichtet  das  Adrenalin  —  ganz  abgesehen  davon,  dass  das  Gesetz“ 
nur  für  Wirkungen  am  gleichen  Element  aufgestellt  wurde,  liier  aber 
eine  an  den  Blutgefässen  angreifende  Wirkung  mit  einer  an  der 
Blutflüssigkeit  angreifenden  kombiniert  wurde. 

Ein  Versuch  überzeugt  leicht  von  der  adrenalinzerstörenden 
Eigenschaft  der  Tampospumaneisenverbindung.  Gibt  man  zu  einer 
neutralisierten  oder  schwach  alkalischen  TamposDumanlösung  etwas 
Adrenalin,  so  erkennt  man  dessen  rasche  Zersetzung  an  der  sofortigen 

Abb.  1.  Blutdruck  vom  Kaninchen,  mit  Quecksilbermanometer  geschrieben.  Zeit  =  Sekund. 


Oberste  Linie: 

Intravenöse  Injektion  von  V560  mg 
Adrenalin:  Drucksleigerung 
mit  nachfolgender  Senkung 

Mittlere  Linie: 

Injektion  von  %  ccm  einer  Tarn- 
p  o  s  p  u  m  an  lösung,  1  Tabl.  ad 
5  ccm  (=  V, o  der  Tabl.),  lg  Min. 
nach  der  Lösung.  —  In  %  ccm 
sollten  ebenfalls  »/* 60  mg  Adrenalin 
enthalten  sein !  KeineWirkuug 

3.  Linie: 

Wiederholung  der  Injektion  von 
Vjsomg  Adrenalin :  volle  Wirkung. 


Abb.  2.  Wirkung  des  „Tampospumans“  auf  die  Blutgefässe  des  Frosches. 


/•  2//. 

/-*  5M 

T~Sr(r-.5o) 


1.  Kurve:  Die  Oefässe  isolierter  Froschbeine  werden  durch  die  Injektion  von  y~  ccm 

einer  Adrenalinlösung  1:2  Millionen  stark  verengert 

2.  Kurve:  Auch  die  A  d  r  e  n  a  1  i  n  I  ö  s  u  n  g  1:5  Millionen  ist  in  der  gleichen 

Menge  noch  deutlich  wirksam. 

3.  Kurve:  1  Tablette  Tampospuman  wird  in  50  ccm  gelöst,  von  dem  Filtrat  wird 
A  ccm  eingespntzt :  keine  konstriktorische  Wirkung  auf  die  Frosch- 
gefas  se,  obgleich  in  der  Tampospumanlösung  von  50  ccm  0,04  mg  Adrenalin  enthalten 
sein  soll,  somit  die  Adrenalinkonzentration  1:1  250000  in  der  Lösung  zu  er¬ 
warten  war,  und  eine  noch  stärkere  Wirkung,  als  sie  in  Kurve  1  erzielt  ist,  auftreten  sollte. 

Im  Oegenteil,  die  Tampospumanlösung  wirkte  schwach  erweiternd. 

(Unter  jeder  Kurve  ist  die  Zeit  in  Minuten  geschrieben.) 


Verfärbung.  Und  dass  die  im  Tampospumanrezept  enthaltenen 
Adrenalinmengen  keine  Wirkung  mehr  äussern,  ist  aus  der  Abbil¬ 
dung  1,  auf  der  jede  Steigerung  des  Blutdruckes  des  Versuchstieres 
nach  1  ampospumaninjektion  vermisst  wird,  wätirend  die  berechnete 
Adrenalinmenge  deutlichen  Effekt  auslöst,  und  aus  der  Abbildung  2, 
auf  der  Tampospumanlösungen  keine  Verengerung  der  Blutgefässe 


3* 


1732 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  31. 


der  Froschbeine  und  keine  Verringerung  der  ausmessenden  Tropien- 
zahl  bewirken,  während  Adrenalin  in  schwächerer  Konzentration, 
als  sie  in  der  angewandten  Tampospumanlosung  enthalten  se 
müsste  wirksam  ist,  zu  erkennen.  .  , 

So  reduziert  sich  die  Zahl  der  wirksamen  Körper  um _  eines  der 
besten  Hämostyptika  und  die  erhoffte  Potenzierung  durfte  sich ‘  '«folge 
ungenügender  Berücksichtigung  der  chemischen  Eigenschaften  d  r 
Substanzen  nicht  realisieren  lassen. 

„Bei  Verordnung  dieses  neuen  Präparates,  das  die  vor¬ 
läufige  Laboratoriumsbezeichnung  „Inhibin“  trug  ....  sollte 
nicht  übersehen  werden,  dass  durch  allzu  freie  Potenzierungs¬ 
experimente  die  trefflichen  Wirkungen  der  Einzelkomponenten 
stark  „inhibiert“  werden  können. 


Ein  neues  Hilfsmittel  zum  geschmackfreien  Einnehmen 
unangenehm  schmeckender  Arzneien  (Tropfen). 

Von  Dr.  H.  N  e  r  1  i  n  g  e  r,  Mannheim. 

Die  Gelatinekapsel  allein  steht  uns  bisher  zur  Verfügung,  wenn 
unsere  Kranken  einen  flüssigen  Arzneikörper  einnehmen  sollen,  ohne 
dabei  durch  den  Geschmack  und  Geruch  einen  Widerwillen  gegen 
das  Arzneimittel  zu  empfinden.  Die  Gelatinekapsel  ist  aber  als  Fertig- 
fabrikat  an  bestimmte  Gaben  und  Zusammenstellungen  von  Arznei¬ 
mitteln  gebunden  und  eignet  sich  für  wasserhaltige  Arzneimittel  über¬ 
haupt  nicht.  Es  fehlte  dem  Arzte  bisher  ein  Hilfsmittel,  durch  das 
er  jederzeit  dem  Kranken  auf  einfache  Weise  in  geschmackfreier 
Form  Tropfen  geben  lassen  konnte,  die  wegen  ihres  objektiv 
schlechten  Geschmackes  entweder  gar  nicht  oder  nur  mit  grossem 
Widerstreben  eingenommen  wurden.  Ebenso  ging  es  bei  Kranken, 
die  bei  längerem  Gebrauche  eines  an  und  für  sich  nicht  schlecht 
schmeckenden  Mittels  (z.  B.  Sol.  ars.  Fowleri)  einen  unuberwind¬ 
baren  Widerwillen  dagegen  bekamen. 

Auf  mancherlei  Art  haben  sich  Aerzte  und  Kranke  in  solchen 
Fällen  zu  helfen  gesucht;  durch  Aufträufeln  der  Arznei  auf  Zucker 
oder  Mehl  und  Einpackung  des  Ganzen  in  eine  Oblate,  durch  Spulen 
und  Gurgeln  mit  besonders  zu  diesem  Zwecke  angegebenen  Losungen. 
Alle  diese  Verfahren  sind  umständlich  in  der  Anwendung  und  un¬ 
sicher  im  Erfolge.  , 

Zurichtungen  von  Oblaten,  in  denen  seit  vielen  Jahren  meine 
Kranken  unangenehm  schmeckende  Tropfen  leicht  und  ohne  Unbehagen 
nehmen,  haben  nach  vielen  Versuchen  zur  Herstellung  der  zweck¬ 
mässigen  und  handlichen  Tropfenoblatenkapseln  Veran- 

laSSUüfe  T^opfenkapsel  besteht  aus  der  Bodenkapsel  S  und  der  Deck- 

kapsel  D  Der  die  Tropfen  aufsaugende  Kern  der  Bodenkapsel  ist 
Kapsei  u.  h  hergestellt  aus  einer  An- 

yfeüÜöwnut- 


zahl  sternförmig  gelochter 
Oblatenblüttchen  von 
grosser  Porosität. 

Der  Kranke  selbst 
oder  der  Pfleger  füllt  die 
Tropfen  in  die  Kapsel,  die  mit  dem  Deckel  geschlossen  und  in 
Wasser  alsbald  geschluckt  wird. 

Als  Norm  gilt  für  die  Bodenkapsel,  dass  sie  1  ccm  destilliertes 
Wasser  aufsaugt,  welches  der  Kern  3 — 4  Minuten  lang  hält,  ohne  dass 
es  den  Boden  der  Kapsel  durchdringt. 

Die  Grösse  der  Kapsel  entspricht  also  der  Anzahl  Tropfen,  die 
am  häufigsten  (15—20)  verordnet  wird.  Abgesehen  von  der  Kon¬ 
sistenz  und  chemischen  Zusammensetzung  des  Heilmittels  liefern  die 
verschiedenen  Tropfenzähler  des  Handels  für  dieselbe  Flüssigkeit 
sehr  verschieden  grosse  Tropfen.  Es  gibt  1  ropfengläser,  die  von 
wässerigen  Lösungen  so  grosse  Tropfen  geben,  dass  schon  10  bis 
12  Tropfen  1  ccm  oder  1  g  ausmachen.  Bei  Gebrauch  solcher  lropien- 
gläser  werden  in  der  Regel  grössere  Gaben  der  Arzneimittel  einge¬ 
nommen,  als  bei  der  Verordnung  beabsichtigt  ist.  Die  Beigabe  von 
graduierten  Pipetten.  Glasbügeln  zu  stark  wirkenden  Arzneien  ist 
zur  Sicherung  einer  exakten  Dosierung  durchaus  berechtigt.  Zur  Be¬ 
stimmung  der  Mengen  von  flüssigen  Arzneimitteln  und  Lösungen, 
welche  für  den  Gebrauch  der  Tropfenkapseln  in  Betracht  kommen, 
wurde  der  Normaltropfenzähler  von  Kunz-Krause  verwendet, 
der  jeweils  gleich  grosse  Tropfen  gibt,  von  Aq.  dest.  bei  15  C 
20  auf  1  ccm  =  1  g.  Mit  diesem  Normaltropfenzähler  eingefüllt,  halt 
die  Kapsel  sehr  gut  20  Tropfen  von  wässerigen  Lösungen,  alkoholi¬ 
schen  und  ätherischen  Tinkturen,  von  Fluidextrakten  und  Dialysaten, 
von  Oelen  im  Charakter  des  Santalöls  und  von  den  Vasogenen. 

Die  Tropfenkapseln  sind  also  verwendbar  für  alle  Arzneikörper, 
die  als  Tropfen  in  wirksamen  Gaben  eingenommen  werden  können. 

Rein  wässerige  Lösungen  werden  durch  die  starke  Quellung 
der  Oblatenmasse  langsam  aufgesogen,  schneller  Lösungen  in  aro¬ 
matischen  Wässern  (Aq.  amygdal.  amar.),  fast  momentan  alle  stark 
alkohol-  oder  ätherbaltigen  Arzneien;  die  letzteren  und  die  Oele 
werden  ohne  Quellung  durch  Verdrängung  der  Luft  in  den  Hohl- 
räurren  der  Oblatenmasse  festgehalten.  Die  Tropfen  sind  entspre¬ 
chend  der  Schnelligkeit,  mit  der  sie  der  Kern  aufsaugt,  aufzutraufeln, 
dabei  darf  die  Kapsel  nicht  überladen  werden. 

Durch  die  Quellung  der  Aussenhaut  der  Kapsel  im  Wasser  und 
durch  die  die  Kapsel  umgebende  Wasserschicht  wird  beim  Schlucken 


das  Durchdringen  des  Geschmackes  und  des  Geruches  des  Arznei¬ 
mittels  verhindert.  Viele  Menschen  schlucken  die  weiche  Masse 
einer  Oblatenkapsel  leichter  als  eine  Gelatinekapsel. 

Die  sich  leicht  und  ohne  Rückstand  lösende  Oblatenkapsel  macht 
keinerlei  Magenbeschwerden.  Die  Oblatenmasse  (0,4  g)  hüllt  bei 
ihrer  Auflösung  die  Arzneikörper  ein  und  mildert  ihre  direkte  \\  irkung 
auf  die  Magenschleimhaut.  Die  Tropfenkapsel  erleichtert  und  ermög¬ 
licht  die  Anwendung  vieler  wertvoller  Arzneimittel,  die  wegen  ihres 
Geschmackes  und  anderer  Unannehmlichkeiten  beim  Einnehmen  von 
den  Kranken  abgelehnt  werden.  Kranke,  die  Tct.  Strophanti,  Strychni, 
Hvdrastis-  und  Digitalispräparate,  Bitterstoffe,  Validol,  Oxaphor  und 
Oele  etc.  in  Tropfenkapseln  genommen  haben,  nehmen  diese  Arzneien 
in  Wasser  oder  anderen  Flüssigkeiten  ebenso  ungern  wie  z.  B.  ein 

Chininpulver  ohne  Oblatenhüllung.  .  ,  _  ,  ,  , 

Die  vielseitige  und  leichte  Verwendbarkeit  der  Tropfenkapsel 
ist  ein  grosser  Vorteil  gegenüber  den  Fertigfabrikaten  Sie  ge¬ 
stattet  die  individuelle  ärztliche  Verordnung  und  die  Verwendung 
stets  frischer  und  dadurch  voll  wirksamer  Arzneimittel. 

Die  Tropfenkapseln  werden  von  der  Oblatenfabrik  Johann 
Schmidt,  Nürnberg,  aus  feinsten  Mehlen  und  Wasser  unter  Beob¬ 
achtung  aller  hygienischen  Grundsätze  ausschliesslich  mit  Hilfe  von 
Maschinen  hergestellt  und  in  den  Apotheken  zum  Verkauf  gebracht 
mit  der  Bezeichnung:  „Guttamyl“  (Gutta  amylum)  Iropfen- 
Oblatenkapseln.  __ _ _ 

Aus  der  inneren  Abteilung  des  Elisabethkrankenhauses  Halle  a.S. 
(Oberarzt  Prof.  Dr.  W  i  n  t  e  r  n  i  t  z). 

Zur  Technik  des  Abderhalden  sehen  Dialysierverfahrens 

Von  Dr.  Max  Weinberg. 

In  den  Vorschriften  zur  Ausführung  des  Dialysierverfahrens  er¬ 
hebt  Abderhalden  die  Forderung:  Vor  jedem  Versuche  wird, 
unmittelbar  vor  der  Anstellung  des  Versuches,  das  Organ  geprutt. 
Man  kocht  am  besten  im  Reagenzglase  und  zwar  5  Minuten  lang. 
Man  erhitzt  zunächst  mitten  in  der  Flamme  zum  Kochen,  dann  ent¬ 
fernt  man  das  Reagenzglas  aus  ihr  und  sucht  über  ihr  jene  Nelle 
aus,  an  der  das  Wasser  gerade  noch  im  Kochen  gehalten  wird. 

Jeder,  der  sich  mit  der  Methode  beschäftigt  hat  und  mit  vielen 
Kontrollen  zu  arbeiten  gewohnt  ist,  wird  gerade  diese  Vorschrift  als 
mühevoll  und  zeitraubend  erkannt  haben.  Es  ist  recht  anstrengend, 
das  Reagenzglas  ca.  5  Minuten  in  bestimmter  Höhe  ruhig  über  uei 
Flamme  zu  halten  —  und  dies  nicht  einmal,  nein  viele  Male  hinter¬ 
einander  Will  man  nun  z.  B.  mit  6  Kontrollorganen  arbeiten,  so  be¬ 


deutet  dies  neben  der  Mühe  —  angenommen,  dass  nur  zwei  Organe 
beim  ersten  Kochen  nicht  sofort  ninhydrinfrei  sind  —  noch  einen 
Zeitaufwand  von  ca.  1  Stunde,  der  um  so  unangenehmer  ist,  als  der 
Untersucher  vom  Kochen  vollkommen  in  Anspruch  genommen  ist.  j 
Ich  habe  daher  einen  kleinen  Kochapparat  konstruiert,  der  über 
diese  Nachteile  hinweghelfen  soll.  Der  Apparat  ermöglicht  zunächst 
6  Kontrollorgane  auf  einmal  auszukochen.  Dabei  ist  er  so  eingerichtet, 
dass  die  Reagenzgläser  in  ihren  Haltern  verschiebbar  in  jeder  be-j 
liebigen  Höhe  festgehalten  werden  können.  Hat  man  also  zuin 
Kochen  erhitzt,  so  schiebt  man  die  Reagenzgläser  in  die  Höhe  und 
lässt  sie  ruhig  weiterkochen.  Um  ein  zu  starkes  Eindampfen  zu  ver¬ 
meiden,  ermöglichen  Gelenke  eine  Schrägstellung.  Der  ganze  Apparat 
wird  auf  einem  Drahtasbestteller  über  die  Bunsenflamme  auf  einen 
Dieifuss  aufgesetzt.  Daher  wird  die  Gefahr  des  Anbrennens  au:-- 
geschaltet  infolge  doppelter  Regulation  durch  die  Verschieblichkeit  der 
Gläser  und  Veränderung  der  Flammengrösse,  und  gleichzeitig  gleich- 
massiges  Kochen  gewährleistet.  Der  Apparat  erspart  also  Muhe  und 
recht  viel  Zeit,  um  so  mehr,  als  der  Untersucher  während  des  Kochern- 
die  übrigen  Vorbereitungen  für  das  Dialysierverfahren  ausführet) 
kann.  Der  Apparat  ist  von  der  Firma  Rud.  Schöps,  Halle,  Geist¬ 
strasse  zu  beziehen. 


4.  August  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1 733 


Heilung  tiefliegender  Karzinome  durch  Röntgenbestrahlung 
von  der  Körperoberfläche  aus. 

Bemerkungen  zu  der  Arbeit  von  Bumm  und  Warnckros 
in  dieser  Wochenschrift  1914  Nr.  29. 

Von  I)r.  Gott wald  Schwarz,  Privatdozent  für  medi¬ 
zinische  Radiologie  in  Wien. 

Nachdem  Holzknecht  und  Kienböck  in  den  Jahren  1900 
bis  19(U  die  Grundlagen  der  Röntgenstrahlendosimetrie  geschaffen 
hatten,  konstruierten  Sabouraud  und  Noire  1904  ihr  Radio¬ 
meter  X,  welches  bis  auf  den  heutigen  Tag  noch  immer  als  das 
einfachste  und  beste  aller  Röntgendosierungs- 
mittel  bezeichnet  werden  muss.  Das  Prinzip  der  Sa¬ 
bouraud  und  N  o  i  r  6  sehen  Verfahrens  ist  ja  bekannt.  Barium¬ 
platinzyanid,  das  normalerweise  eine  grünliche  Farbe  besitzt,  ver- 
farbt  sich  unter  dem  Einfluss  der  Bestrahlung  mehr  und  mehr  und 
nimmt  allmählich  gnen  orangegelben  Ton  an.  Sabouraud  und 
Noire  haben  experimentell  eine  bestimmte  Nuance,  die  sogen, 
leinte  B  ermittelt,  welche  das  in  halber  Fokushautdistanz  mit- 
bestrahlte  I  latinzyanbariurnplättchen  aufweist,  wenn  eine  Röntgen- 
Strahlenmenge  verabreicht  wurde,  die  auf  der  Haut  nicht  mehr  als 
ein  leichtes  Erythem  und  Haarausfall  erzeugt.  Das  zur  Erzielung 
der  Teinte  B  nötige  Röntgenquantum  stellte  die  Maximaldosis  für 
die  Haut  dar.  Ueberschreitungen  der  Maximaldosis  nach  S.  und  U. 
führten,  wie  wir  (als  Röntgenologen)  Aelteren  wohl  erfahren  haben,  je 
nach  dem  Grade  der  Ueberschreitung  zu  mehr  minder  heftigen 
Dermatitiden,  Ulzerationen  auf  Grund  von  Nekrosen,  schliesslich 
schweren  narbigen  Veränderungen  mit  Prädisposition  zu  karzi- 
nomatöser  Entartung. 

Das  im  Jahre  1907  publizierte  Kienböck  sehe  Quantimeter 
misst  den  chemischen  Effekt  der  Röntgenmenge  mittels  der  Schwär¬ 
zung  von  Bromsilberpapierstreifen  die  nach  der  Bestrahlung  unter 
bestimmten  Kautelen  entwickelt  werden.  Kienböck  gibt  an,  dass 
10  X  (X  nennt  er  die  Schwärzungseinheit)  identisch  sind  mit  der 
naxunaldosis  Teinte  B  nach  Sabouraud-Noire. 

In  den  letzten  Jahren  hat  sich  allmählich  die  von  Perthes 
gegründete  Filtertechnik  immer  mehr  entwickelt.  Man  verwendet 
mie  Röntgenstrahlung,  welche,  bevor  sie  auf  die  Haut  des  Patienten 
mfti  ifft,  durch  ein  3  mm  dickes  Aluminiumblech  hindurchzutretcn 
iat  und  auf  diese  Weise  ihrer  weicheren  (absorptionsfähigeren)  Kom¬ 
ponenten  beraubt  wird.  Bei  Anwendung  derartig  gefilterter 
■'trahlen  hat  sich  nun  die  interessante  Tatsache  ergeben,  dass  die 
.  i  n  fa  c  li  e  T  einte  B  nach  S.  N.  nicht  mehr  Erythem  und  Haar- 
lusfall  bewirkt,  sondern  dass  erst  ein  Mehrfaches  derselben 
:u  diesen  Wirkungen  auf  der  Haut  führt,  welche  uns  Einhalt  ge- 
>ieten. 

Wieviel  solche  Teinte  B-Dosen  dürfen  wir  nun  bei  3  mm  Alu- 
mnum  gefilterter  Strahlung  der  Haut  zumuten? 

Die  allgemeine  Erfahrung  lautete  bisher  dahin,  dass  man  höch- 
tens _auf  drei  Teinte  B-Dosen  pro  Hautstelle  (das  ist  15  H. 
ier  Holzknecht  sehen  Skala  zum  Sabouraud,  das  wären  30  X 
er  Kienböck  sehen  Methode)  steigen  darf.  Dabei  kann  schon 
rythem,  Pigmentation,  ja  sogar  Exkoriation  auftreten. 

In  ihrer  neuesten  Veröffentlichung  geben  aber  Bumm  und 
V  arnekros  an,  dass  sie  pro  Hautstelle  500  X,  das  wären 
0  leinte  B-Dosen,  ja  sogar  800  X,  das  wären  80  Teinte  B-Dosen 
pphziert  hätten. 

Diese  Zahlen  sind  so  enorm,  dass  sie  für  den  Röntgen- 
pezialisten,  der  die  Folgen  der  Ueberdosierung  kennt,  geradezu  be- 
ngstigend  klingen.  Sollte  es  wirklich  möglich  sein,  dass  die  tnensch- 
che  Haut,  die  einst  bei  relativ  geringen  Ueberschreitungen  der 
laximaldosis  mit  einer  argen  Dermatitis  und  Geschwüren  reagierte, 
unmehr  das  50,  ia  80  fache  dieser  ehemaligen  Maximaldosis  ohne 
diwerwiegende  Konsequenzen  vertrüge?  Es  ist  ja  richtig,  wir 
'  frieren  jetzt  die  Strahlen,  doch  vergesse  man  nicht,  so 
auz  unriltriert  wurden  Röntgenstrahlen  auch  seinerzeit  nicht  ver¬ 
endet,  da  man  ja  unfiltrierte  Röntgenstrahlen  gar  nicht  erzeugen 
ann.  Allzeit  mussten  und  müssen  sie  erst  die  Glaswand  der  Röhre 
issieren  und  werden  durch  diese  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
:hon  filtriert. 

Zwei  Möglichkeiten  bestehen:  Entweder  die  durch  3  mm  Alu- 
i  n  i  u  m  filtrierte  Röntgenstrahlung  ist  etwas  prinzipiell  ganz 
ideres  als  die  nicht  durch  Aluminium  filtrierte  Strahlung  —  oder  aber 
t  von  B  u  m  m  und  W  arnekros  angegebenen  Zahlen  beruhen  auf 
retuhrenden  Messungen.  Was  die  erste  Annahme  anlangt,  so  wäre 
igendes  zu  sagen:  Günstige  Wirkungen  der  Röntgenstrahlen  auf 
umoren  sind  nicht  erst  in  der  Filterperiode,  sondern  nahezu  seit 
.n  ersten  Anfängen  der  Röntgentherapie  in  grösster  Anzahl 
-'kannt.  Seit  der  Anwendung  der  Filter  und  anderer  techni- 
ner  Behelfe  haben  sich  die  Erfolge  der  Röntgentherapie  nur  im 
nne  besserer  Tiefenwirkung,  also  quantitativ,  nicht  aber  qualitativ 
uandert. 

Ohne  hier  über  die  von  B  u  m  m  und  Warnckros  behauptete 
Ölung  tiefliegender  Krebse  diskutieren  zu  wollen,  möchte  ich  nur 
merken,  dass  I  umorwirkung  und  Hautwirkung  in  gleicher  Weise 
olog^che  Effekte  auf  menschliche  Zellen  sind,  die  wir  schon  aus 
r  ^orfllterPFio.dt  kennen.  Es  ist  sicher,  dass  durch  die  Filterung 
s  Missverhältnis  zwischen  hautschädigender  und  tumorschädigen¬ 


der  Dosis  verringert  wird.  Aber  eine  Hypothese,  derzufolgc  die 
Rontgenstrahlen  jetzt  so  gut  wie  keine  Wirkung  mehr  auf  die 
Haut,  dagegen  aber  eine  vollkommene  Zerstörungs- 
Wirkung  auf  den  viel  tiefer  liegenden  Tumor  entfalten 
sollten,  birgt  einen  inneren  Widerspruch,  so  dass  die  zweite  von  uns 
aufgezählte  Möglichkeit  vorderhand  die  wahrscheinlichere  ist. 

Nämlich:  Die  von  Bumm  und  W  arnekros  angegebenen 
Kienböckmessungen  entsprechen  den  wirklich  applizierten  Dosen 
nicht-  Die  Kienböck  sehe  Methode  hat  —  abgesehen  von  den 
Fehlerquellen  der  Entwicklung  noch  die  endogene 
Fehlerquelle  der  verschiedenen  Empfindlichkeit  des  Bromsilbers,  je 
nach  dem  Grade  der  „Reifung“  der  Emulsion,  ein  Faktor,  dessen 
Überwachung  bei  der  Fabrikation  ganz  unkontrollierbaren  Um- 
standen  und  Personen  unterworfen  ist.  Am  letzten  Röntgenkongresse 
Berlin  hat  Levi-Dorn  mitgeteilt,  dass  die  Kienböckstreifchen  bis¬ 
weilen  10  mal  mehr  anzeigten  als  demselben  Röntgenstrahlenquantum 
nach  ja  bouraud  und  Noire  entsprach.  Grossmann  erklärte, 
das  mit  einer  für  Silber  charakteristischen  weichen  Fluoreszenz¬ 
sekundärstrahlung,  die  bei  einem  bestimmten  Penetrationsgrade  der 
I  rimärstrahlung  in  hohem  Masse  auftrete  und  eine  sehr  starke 
Schwärzung  des  Kienböckstreifchens  hervorrufe. 

Wie  man  sieht,  ist  derzeit  die  ganze  dosimetrische  Frage,  ins¬ 
besondere  die  Kienböckmessung  einer  gründlichen  Revision  be¬ 
dürftig.  Ueber  meine  eigenen  dosimetrischen  Untersuchungen  nach 
einer  neuen  Modifikation  meiner  Kalomelmethode  (1907)  werde  ich 
später  berichten.  Vorläufig  möchte  ich  nur  empfehlen,  sich  auf  die 
B  u  m  m- War  n  e  k  r  osschen  Zahlen  so  lange  nicht  zu  stützen,  bis 
diese  Autoren  uns  folgende  Frage  beantwortet  haben:  „Kann  man 
tatsächlich  auf  eine  und  dieselbe  Haut  stelle  eine 
Röntgenstrahlenmenge  von  50  ja  80  Teinte  B-Dosen 
nach  Sabouraud-Noire  (=  250  resp.  400  Einheiten  der 
Holzknechtskala)  applizieren? 

Wenn  ja,  wann  kann  diese  Dosis  wiederholt 
werden?“ 


Aus  dem  Institut  für  Schiffs-  und  Tropenkrankheiten  Hamburg 
(Direktor:  Prof.  Dr.  N  o  c  h  t). 

Zur  Frage:  Emetinbehandlung  der  Lamblienruhr. 

Erwiderung  auf  die  Mitteilung  Dr.  Assmys  zu  meiner  Arbeit 
in  Nr.  5  dieser  Wochenschrift. 

Von  Martin  Mayer. 

Herr  Dr.  Assmy  -  Chungking  hat  unter  obigem  Titel  in  Nr.  25 
dieser  Wochenschrift  einen  Fall  beschrieben,  auf  Grund  dessen  er  der 
Ansicht  ist,  „dass  der  Mayer  sehe  Fall  für  eine  spezifische  Wirkung 
des  Emetins  auf  Lamblia  nicht  beweisend  ist“.  Er  hat  mir  sein 
Manuskript  liebenswürdigerweise  eingesandt,  das  mich  zu  einer  kur¬ 
zen  Erwiderung  nötigt. 

Der  von  mir  geschilderte  Fall  ist  mit  dem  Assmv  sehen  klinisch 
überhaupt  nicht  in  Parallele  zu  setzen.  Die  Tatsache,  dass  ein  Pa¬ 
tient,  der  seit  3  Wochen  —  trotz  Diät,  zuletzt  unter  Bettruhe  —  täg¬ 
lich  zahlreiche  blutigschleimige  Durchfälle  mit  dem  Aufnahmebefund 
von  Lamblien  und  Spirochäten  hatte,  bereits  durch  die  erste  Emetin¬ 
dosis  klinisch  geheilt  wurde,  geht  aus  meiner  Schilderung  klar  her¬ 
vor.  Diese  klinische  Wirkung  war  mir  dabei  die  Hauptsache,  wie 
auch  aus  meiner  Zusammenfassung  ersichtlich  ist;  aber  auch  eine  un¬ 
mittelbare  Wirkung  auf  die  Lamblien  liess  sich  mikroskopisch  fest¬ 
stellen,  und  zwar  nicht  allein  durch  ihr  Verschwinden,  sondern  durch 
ihm  vorhergehendes  Auftreten  massenhafter  Zerfallsformen. 

Dass  Lamblien  auch  bei  anderen  Darmaffektionen  angereichert 
werden  können,  habe  ich  eingangs  erwähnt,  aber  die  Frage  ihrer 
eigenen  Pathogenität  ausführlich  erörtert.  Auch  wir  sehen  sie  häufig 
in  unserer  Krankenabteilung  als  Nebenbefund  bei  Diarrhöe  und  Amö¬ 
benruhr;  bei  letzterer  können  sie  auch,  wie  W  erner  jüngst  ver¬ 
öffentlichte.  von  Emetin  unbeeinflusst  bleiben.  Ich  habe  mich  aber 
jeder  Verallgemeinerung  von  meinem  Fall  aus  auf  solche  enthalten. 

Ist  nun  der  Assmy  sehe  Fall  überhaupt  als  irgendeine  „Ruhr“ 
anzusehen?  Ein  „angeblich  schwer  fieberhaft  erkrankter“  Mann, 
der  bei  der  Aufnahme  sehr  elend  und  „subikterrsch“,  aber  fieberfrei 
ist,  zeigt  trotz  flüssiger  Diät  nach  3  Tagen  plötzlich  blutig- 
sch  leimige  Durchfälle  mit  Lamblia  intestinalis  und  Unmengen 
Spirochäten,  und  zwar  nur  an  einem  einzigen  Tage:  soäterhin  sind 
nur  dünnflüssige  Stühle  ohne  Blut  verzeichnet;  aber  8  Tage  nach  der 
Aufnahme  tritt  ein  Rekurrensanfall  ein.  Der  subikterische  Zustand, 
die  Schwäche  und  die  Angaben  bei  der  Aufnahme  lassen  es  mir  als 
sicher  erscheinen,  dass  bereits  ein  solcher  (vielleicht  auch  mehrere) 
vorher  erfolgt  war.  (Die  Pause  entspricht  bei  China-Rekurrens  be¬ 
obachteter  Dauer  iHill,  Journ.  of  trop.  Med.  1904  S.  35l).  Die  nur 
an  einem  Tage  auftretenden  blutigschleimigen  Durchfälle  können  sehr 
vvohl  durch  das  Rückfallfieber  bedingt  gewesen  sein,  das  bekanntlich 
häufig  Darmblutungen  verursacht.  Ich  will  dabei  nicht  behaupten, 
dass  etwa  die  im  Stuhl  gefundenen  Spirochäten  Rekurrensspirochäten 
gewesen  seien,  um  so  weniger  als  ich  selber  vom  Vorkommen  echter 
Spirochätendysenterien  überzeugt  bin. 


1734 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Aus  der  Universitäts-Frauenklinik  Erlangen  (Vorstand:  Prof. 

L.  S  e  i  t  z). 

lieber  die  biologische  Funktion  des  Corpus  luteum,  seine 
chemischen  Bestandteile  und  deren  therapeutische  Ver¬ 
wendung  bei  Unregelmässigkeiten  der  Menstruation. 

Von  L.  Seitz,  H.  Wintz  und  L.  Fingerhut. 

(Schluss.) 

Ein  ganz  merkwürdiges  Verhalten  zeigen  die  Myome. 
Bei  ihnen  wird  die  Blutung  bei  der  Injektion  des  Luteo- 
lipoids  nicht  nur  nicht  gehemmt,  sondern  fast  regel¬ 
mäs  s  i  g  sogar  noch  verstärkt.  Unter  -4  Befr¬ 
achtungen  führen  wir  zum  Belege  hier  1  Blutungskurve  (9)  von 
Myomkranken  an.  Dieses  refraktäre  Verhalten  des  Myoms 
gegen  das  Luteolipoid  wird  nur  dann  verständlich,  wenn  man 
annimmt,  dass  die  Funktion  der  Ovarien  und  des  Corpus 
luteum  bei  den  Myomen  verändert  ist,  dass  also  eine  Dys¬ 
funktion  der  Ovarien  besteht.  Diese  Ansicht  hat  bereits  vor 
3  Jahren  der  eine  von  uns  [Seitz13)]  auf  Grund  klinischer 
Erfahrungen  in  aller  Schärfe  ausgesprochen  und  in  neuerer 
Zeit  hat  die  Ansicht  durch  die  Untersuchungen  von  A.  M  a  y  e  r 
und  Schneider14)  und  Aschner15)  mittels  des  Abder¬ 
halden  sehen  Dialysierverfahrens  eine  neue  Stütze  erhalten. 

Neben  der  blutstillenden  Wirkung  bei  nicht  organisch  be¬ 
dingten  Menorrhagien  hat  das  Luteolipoid  auch  noch  e'ne 
Wirkung  auf  die  Schmerzhaftigkeit  der.  Men¬ 
struation.  Viele  Frauen  gaben  uns  mit  aller  Bestimmtheit 
an,  dass  die  Periode  weniger  unangenehm  und  schmerzhaft 
gewesen  sei  als  früher  und  hoben  rühmend  den  günstigen  Ein¬ 
fluss  der  Einspritzung  auf  die  Schmerzen  und  das  Allgemein¬ 
befinden  hervor.  Auch  der  Umstand,  dass  die  gespritzten 
Frauen  immer  wieder  gerne  von  auswärts  zu  den  monatlichen 
Einspritzungen  kommen,  legt  Zeugnis  dafür  ab,  dass  sie  sich 
infolge  der  Einspritzungen  wohler  befinden. 

Im  Verlaufe  der  Untersuchungen  ist  es  uns  ferner  ge¬ 
lungen,  aus  dem  Corpus  luteum  noch  einen  2.  Körper  zu 
isolieren,  der  in  die  Reihe  der  Lipoproteide 
und  zwar  zu  den  Lezithalb  uminen  gehört  und  den 
wir  mit  dem  Namen  Lipamin  bezeichnen  wollen.  Er  ist  in 
Wasser  klar  löslich,  gehört  nicht  mehr  zu  den  hochmole¬ 
kularen  Eiweisskörpern  und  gibt  daher  keine  Antikörperreak¬ 
tion.  Dieser  Umstand  ist  besonders  wichtig,  da  man  bei  der 
Einspritzung  beim  Menschen  keine  anaphylaktischen  Erschei¬ 
nungen  zu  befürchten  braucht  und  wir  auch  niemals  trotz 
wochenlanger  Anwendung  solche  beobachtet  haben.  In  der 
letzten  Zeit  haben  wir  aus  dem  Lipamin  einen  kristallinischen 
Bestandteil  abgetrennt,  der  klar  in  Wasser  löslich  ähnliche 
Eigenschaften  wie  das  Gesamtpräparat  hat.  Doch  können  wir 
darüber  mangels  genügender  Erfahrungen  noch  nichts  Ab¬ 
schliessendes  sagen.  .  ... 

Auch  das  Lipamin  wurde  zuerst  im  Tierexpenment  geprüft 
und  als  völlig  ungefährlich  erkannt.  Es  bewirkt  beim  Kanin¬ 
chen  eine  Verlangsamung  der  Blutgerinnung,  bei  intravenöser 
Einspritzung  grösserer  Dosen  eine  geringe  Steigerung  der 
Temperatur  um  1  °,  die  vielleicht  mit  dem  Wassergehalt  der 
Lösung  zusammenhängt.  Besonders  interessant  ist  eine  Wir¬ 
kung.  Es  stellt  sich  bei  mehrtägigen  Einspritzungen  eine 
starke  Hyperämie  und  Sukkulenz  der  Genitalien  ein;  setzt  man 
die  Einspritzung  längere  Zeit  fort,  so  erfahren  Uterus  und 
Ovarien  ein  vermehrtes  Wachstum.  Auch  stellt 
sich  frühzeitiger  als  bei  den  Kontrolltieren  die  Brunst  ein.  Die 
beigegebene  Photographie  (Fig.  1)  zeigt  den  Unterschied  in 
der  Grösse  der  Genitalien  der  gleichalterigen,  gespritzten  und 
nicht  gespritzten  Kaninchen.  Uterus  und  Ovarien  der  ge¬ 
spritzten  Tiere  sind  wesentlich  grösser.  Die  2.  Photographie 
(Fig.  2)  zeigt  die  nämlichen  Unterschiede  bei  kastrierten  gleich- 
alterigen  Tieren.  Adler,  Schickei  e,  Isco\esco  ), 


13)  M.m.W.  1911. 

*»)  M.m.W.  1914. 

“)  Arch  f.  Qyn.  102.  1914.  S.  446.  J  f  A  . 

J5*)  I  s  c  o  v  e  s  c  o  ist  es  neuerdings  (Rev.  de  Qynecol.  et  de 
chir.  abdom.  T.  22,  Nr.  3,  März  1914)  gelungen,  ein  in  Oel  lösliches 
Lipoid  herzustellen,  das  im  Tierexperiment  den  Uterus  zu  erhöhtem 
Wachstum  anregt,  und  das  beim  Menschen  einige  Male  angewendet 
bei  Amenorrhoe,  bei  Hypofunktion  der  Ovarien,  bei  Beschwerden  in 
der  Menopause  und  im  Senium  günstig  gewirkt  hat. 


Aschner  haben  mit  ihren  Extrakten  und  Presssaften  ähn¬ 
liche  und  gleiche  Erscheinungen  hervorzurufen  vermocht  und 
es  scheint  demnach,  dass  es  uns  gelungen  ist,  in  dem  Lipamin 
einen  aktiven  Stoff  aus  dem  Corpus  luteum  darzustellcn,  der 
das  Wachstum  des  Uterus  und  der  Ovarien  anregt  und  die 
menstruelle  Hyperämie  und  Umwandlung  der  Uterusschleim- 


Fig.  1.  Oleichalterige  Tiere  desselben  Wurfs. 

Mi»  I  in.min  cresnritzt.  Rechts:  Nicht  gespritzt. 


Diese  Erfahrungen  im  Tierexperiment  veranlassten  uns, 
das  Lipamin  bei  Amenorrhoe  ohne  nachweisbare 
Genitalerkrankung  oder  bei  Amenorrhoe  mit 
nur  geringem  Genitalbefund  anzuwenden, 
können  das  Resultat  unserer  Erfahrungen  dahin  zusammen- 
fassen,  dass  es  bei  den  14  hintereinander  zugegangenen  Fallen, 
bei  denen  wir  es  genügend  lange  angewendet 
haben,  ausnahmslos  gelang,  eine  Menstruation 

herbeizuführen  und  meistüber  längere  Zeitzu 


Fig.  2.  Gleichalterige  Tiere  desselben  Wurfs,  beide  kastriert. 

Links:  Nicht  gespritzt.  Rechts:  Mit  Lipamin  gespritzt. 

erhalten  (Fälle  10—14).  Darunter  ist  eine  Amenorrhoe 
von  3  jährigem  Bestand  und  ein  Fall,  der  vorher  1  Jahr  lang 
mit  grossen  Mengen  von  verschiedenen  Eierstocksubstanzen 
(Oophorin,  Luteintabletten)  ohne  Erfolg  gefüttert  worden  war. 
Ob  sich  bei  den  von  uns  beim  Menschen  angewendeten  Dosen 
auch  eine  Hypertrophie  des  Uterus  erzeugen  lässt,  konnten 
wir  bisher  noch  nicht  einwandfrei  feststellen.  Nach  den  Er¬ 
fahrungen  im  Tierexperiment  lässt  sich  dies  vermuten  und  es 
wäre  berechtigt,  bei  einer  Hypoplasie  der  Genitalien  mit  einer 
lang  ausgedehnten  Injektion  mit  grösseren  Dosen  einen  ver¬ 
such  zu  machen. 

Fall  10.  J.-Nr.  38.  Med.  Klin.  14  Frl.  Di.  Bertha,  27  Jahre 
alt  (s.  auch  Kurve  10  der  Tabelle). 

Regel:  Menarche  mit  13  Jahren,  schwach,  alle  4  Wochen,  mu 
16  Jahren  sistiert  die  Regel  1  Jahr,  17—19  Jahre  regelmässig,  setir 
schwache  Regel,  im  19.  Jahre  wiederum  Aussetzen  der  Regel. 

Vom  20.  Jahre  aber  viermonatlich  sehr  starke  Regel,  die  niciu 
unter  4  Tage  dauern.  Dieser  Zustand,  bei  dem  Patientin  sehr  anämiscn 


4.  August  1914. 


wurde  dauert6  bis  zum  23.  Lebensjahre.  In  der  ersten  Hälfte  des 
*4.  Lebensjahres  war  die  Blutung;  unregelmässig,  kehrte  in  Inter¬ 
vallen  von  14  Tagen  und  3 — 4  Wochen  wieder,  uni  dann  schliesslich 

ganz  aufzuhoren. 

Patientin  hat  nunmehr  seit  3  Jahren  überhaupt  keine 
Blutung  mehr  gehabt. 

^ie  empfand  anfänglich  keine  Beschwerden,  nur  im  letzten  halben 
Jahre  traten  zeitweise  Wallungen  auf,  jedoch  von  geringerer  Stärke. 

..  1  a-  u  Sr\  e,.ne  sckwächliche  Person,  Uterus  hypoplastisch,  nur 
daumendick,  Ovarien  sehr  klein,  also  starke  Hypoplasie  der  Geni¬ 
talien. 

Vom  21.  26.  II  täglich  2  Ampullen  Lipamin,  im  ganzen  11  Am¬ 
pullen. 

Die  Wallungen  haben  aufgehört. 

28.  II.  1  Ampulle  Lipamin. 

21.  III.  2  Ampullen  Lipamin. 

3.  III.  1  Ampulle  Lipamin. 

4—7.  III.  Täglich  2  Ampullen  Lipamin. 

9.  III.  2  Ampullen  Lipamin. 

13.  III.  2  Ampullen  Lipamin. 

14.  III.  Eintritt  einer  geringen  Blutung.  Nachts  wird  die  Blu¬ 
tung  etwas  stärker. 

,i5-  .J}1-  Biutung  versiegt  im  Laufe  des  Tages  vollständig. 

16.  III.  2  Ampullen  Lipamin. 

17.  III.  2  Ampullen  Lipamin. 

20.  III.  2  Ampullen  Lipamin. 

Es  wird  nunmehr  nach  einer  Pause  von  3  Wochen  ein  neuer 
Injektionsturnus  von  20  Ampullen  vorgenommen.  Es  gelang  jedoch 
nicht,  eine  weitere  Blutung  auszulösen. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


17.35 


8.  IV.  3  Amp.  Lipamin. 

9.  IV.  2  Amp.  Lipamin. 

10.  IV.  Morgens  2  Amp.  Lipamin. 

U-  IX-  Mittags  tritt  eine  mässig  starke  Blutung  auf. 

12.  IV.  Starke  Blutung. 

13.  IV.  Blutung  hält  in  derselben  Stärke  an. 

14.  IV.  Starke  Blutung. 

15.  IV.  Starke  Blutung. 

IX-  Morgens  1  Amp.  Luteolipoid.  Blutung  nimmt  etwas  ab 
,  ,  „  ■  .  Morgens  1  Amp.  Luteolipoid.  Blutung  wird  geringer 
und  hört  im  Laufe  des  Tages  ganz  auf. 

Regel:  14.  V  Nachts  Beginn  einer  mässig  starken  Blutung. 

15.  V.  Blutung  nimmt  etwas  ab. 

17.  V.  Blutung  nimmt  weiter  ab. 

18.  V.  Geringe  Blutung. 

1^-  M.  Morgens  hört  die  Blutung  vollständig  auf. 

Diese  Regel  war  spontan  ohne  jede  Injektion  eingetreten. 


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Kurve  12  Zu  Fall  12. 


Kurve  13.  Zu  Fall  13. 


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Kurve  10.  Zu  Fall  10. 


Kurve  11.  Zu  Fall  II. 


Fall  11.  M.  K.  Frau  B„  26  Jahre  alt. 

fiaUö  ° n  2  <«•  HI-  «)  Partus.  Normales  Wochenbett  ohne 

Fieber  das  Kind  wurde  8  Tage  gestillt.  Seit  dem  Partus,  d.  h.  s  e  i  t 
-  Jahren,  keine  Regel  mehr. 

Die  früheren  Regeln  waren  immer  regelmässig.  Keine  Schmer- 
bhjten°rhanden’  DUr  während  der  Zeit  der  PeSel  manchmal  Nasen- 

l  ■  l0nder  if rste?  Zeit  nach  dem  Ausbleiben  der  Regel  hatte  Patientin 

4rhmPBeSChwerden’ -nUr  zu.weilen  glaubte  sie,  nach  unten  ziehende 
„chmerzen  zu  verspüren,  als  wolle  eine  Regel  eintreten. 

In  der  letzten  Zeit  traten  starke  Blutwallungen  auf.  Patientin 
^erspurte  grosse  Hitze  im  Kopf  und  Schwitzen  an  den  Händen  so¬ 
wie  Kreuzschmerzen. 


2.  II. 

3.  II. 

4.  II. 

5.  II. 

6.  II. 

7.  II. 

8.  II. 

9.  II. 

10.  II. 

11.  II. 

12.  II. 

19.  II. 

20.  II. 

21.  II. 

22.  II. 

23.  II. 

24.  II. 

25.  II. 


2  Amp.  Lipamin. 

2  Amp.  Lipamin. 

2  Amp.  Lipamin. 

2  Amp.  Lipamin. 

2  Amp.  Lipamin. 

2  Amp.  Lipamin. 

2  Amp.  Lipamin. 

2  Amp.  Lipamin. 

2  Amp.  Lipamin 
2  Amp.  Lipamin. 

2  Amp.  Lipamin. 

1  Amp.  Lipamin. 

1  Amp.  Lipamin.  Nachts  Beginn  einer  geringen  Blutung. 
Massig  starke  Blutung. 

Blutung  wird  stärker. 

Mässig  starke  Blutung. 

Mässig  starke  Blutung. 


«  t  vT a  1 '  1 X  •  J’‘Nr‘  917 •  Frau  N->  30  Jahre,  Bauersfrau,  seit 
8  Jahren  verheiratet,  kinderlos. 

A„fti+Re5eI  ow17  Jah£en*  regelmässig.  Seit  5  Jahren  seltenes 
Auftreten  der  Blutung  Zirka  alle  A  Jahr  eine  Blutung  (2  Tage). 
Letzte  Periode  Juni  1912,  also  seit  VA  Jahren  keine  Men- 

UltünhJ  °  n  m  6  h  T-  Da  ihr  VOr  1  Jahre  das  rechte  0var  wegen 
zystischer  Degeneration  ganz  entfernt  und  das  linke  wegen  der 

gleichen  Veränderung  teilweise  reseziert  ist,  hat  sie  nur  noch  zirka 
Fiersf,ocksuhstanz.  Uterus  normal  gross,  frei  beweglich, 
ehandelt  seit  mehr  als  A  Jahr  mit  verschiedenen  Ovarial- 
praparaten,  zuerst  mit  Luteintabletten  3  mal  täglich  1  Stück 

innte<ü ,3maJ  nS  lchu  2  StÜck  ’im  ganzen  200  Tabletten,  ferner 
100  Stuck  Oophor  in,  ohne  jeden  Erfolg. 

Nach  Injektion  von  10  Ampullen  von  Lipamin  Regelblutung 
Bauer:  1  XII.  Mässig  starke  Blutung.  2.  XII.  Mässig  starke 
B  utung.  3.  XII.  Massig  starke  Blutung.  4.  XII.  Mässig  starke 
Blutung  nach  Injektion  1  Ampulle  Luteolipoid  Aufhören  der  Blutung 
gegen  10  Uhr  abends. 

Fall  14.  J.-Nr.  177.  M.,  21  Jahre  alt,  ledig. 

-,11p  iw1- ,  Menarclle  mit  16  Jahren,  regelmässig  am  Monatsanfang 
aüe  4  Wochen,  von  3—4  Tagen  Dauer  und  nicht  stark.  Dieser  Typus 
b?sl.and  bis  Juni  1913,  im  Juli  anfänglich  gewöhnliche  Menses,  dann 
14  tägige  Wiederholung  einer  4  Tage  dauernden  ziemlich  starken 
Blutung.  Dieser  Zustand  währt  über  August  bis  Anfang  September 
Hat.  war  deshalb  in  der  Klinik,  wird  konservativ  mit  Sitzbäder  und 
Thermophor  behandelt. 


sei  SSS 

- 


Blutung  wird  etwas  geringer  und  hört  im  Laufe  des 

ages  ganz  auf. 

Regel:  Ohne  Injektion. 

19.  III.  Beginn  einer  mässigen  Blutung. 

Blutung  dauert  in  derselben  Stärke  an. 

Mässig  starke  Blutung. 

Blutung  nimmt  etwas  ab. 

Blutung  wird  geringer  und  hört  im  Laufe  des  Tages  voll- 


20.  III 

21.  III. 

22.  III. 

23.  III. 
andig  auf. 


Fal'  12-  M.  K.  1913.  J.-Nr.  96.  Maria  H.,  26  Jahre  alt. 
j  mit  15  Jahren,  immer  regelmässig,  4—5  Tage 

rnd,  mit  20  Jahren  1  Partus.  Nach  der  Geburt  war  die  Periode 
nmer  regelmässig  alle  4  Wochen.  Seit  2  Jahren  trat  die 
egel  nicht  mehr  ein,  ohne  dass  Patientin  eine  besondere  Er- 
ra?Jcung  angeben  konnte.  Patientin  klagt  über  Kopfweh  und 

arke  Blutwallungen. 

3-  IV.  1  Amp.  Lipamin. 

4.  IV.  2  Amp.  Lipamin. 

5.  IV.  2  Amp.  Lipamin. 

6.  IV.  3  Amp.  Lipamin. 

7.  IV.  2  Amp.  Lipamin. 


Kurve  14.  Zu  Fall  14. 

Befund:  Nullipara  deflorata.  Portio  virginell.  Uterus  anteflek- 
Xj-  Tcat  ver£rössert,  beweglich,  Adnexe  vollständig  frei,  keine 
Verdickungen,  rechts  angeblich  empfindlicher  als  links.  Pat.  verlässt 
am  4.  XI.  die  Klinik.  Am  11.  X.  war  eine  bis  zum  16.  X.  dauernde 
Regel  von  massiger  Stärke  aufgetreten. 

Am  2.  Februar  kommt  Pat.  in  die  Poliklinik  mit  der  Angabe, 
dass  sie  stärk  unter  Hitzewallungen  nach  dem  Kopfe  zu  leiden  habe 
Die  Wallungen  träten  fast  alle  halben  Stunden  auf.  Auch  habe  sie 
seit  Anfane;  Oktober,  also  seit  4  Monaten  keine  Regel  mehr  gehabt. 

,.  Befund:  Vagina  mittelweit,  Mm.  virginell,  Corp.  uteri  anteflek- 
tiert,  klein,  leicht  beweglich,  Adnexe  vollkommen  frei,  ohne  jede 
Schmerzempfindlichkeit.  Gravidität  auszuschliessen. 

M.  wird  nunmehr  behandelt  mit  Lipamin,  täglich  2  mal  2  ccm. 

Nachdem  im  ganzen  in  7  Tagen  14  Ampullen  injiziert  waren,  hat 
die  Regel  angefangen.  Die  Hitzewallungen  haben  bereits  nach  4  In¬ 
jektionen  sistiert.  Vor  Eintritt  der  Regel  leicht  ziehende  Schmerzen. 

15.  II.  Mässig  starke  Blutung,  im  Laufe  des  nachmittags  stärker 
werdend.  Während  der  Revel  wird  nur  an  den  ersten  beiden  Tagen 
noch  je  2  Amp.  Lipamin  infiziert. 

16.  II.  Mässig  starke  Blutung. 

17.  II.  Blutung  dauert  weiter  an. 

18.  II.  Da  die  Regel  nunmehr  aufhören  soll,  wird  mit  Injektion 
1  Amp.  Luteolipoid  begonnen.  Sofortiges  Nachlassen  der  Blutung. 

,9-  B.  Morgens  8  Uhr  nochmals  eine  Amp.  Luteolipoid.  Bis 
Mittag  hat  die  Blutung  vollständig  aufgehört. 

Die  oben  beschriebenen  lästigen  Wallungen  haben  nunmehr  voll¬ 
ständig  aufgehört.  In  den  nun  folgenden  4  Wochen  nach  der  vom 


1736 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  31. 


14.  bis  19.  stattgefundenen  Regel  wird  keine  Injektion  vorgenommen, 
da  beobachtet  werden  soll,  ob  die  nun  folgende  Regel  spontan  Auftritt. 

Am  31.  III.  ist  noch  keine  Blutung  eingetreten,  wohl  aber  haben 
sich  die  Wallungen  wieder  eingestellt.  M.  wünscht  daher  eine  neue 
Injektionsbehandlung.  Es  werden  injiziert  in  der  Zeit  vom  31.  I  . 
bis  11.  IV.  25  Amp.  Lipamin.  Nach  Injektion  von  5  Amp.  haben  die 
Wallungen  wieder  vollständig  aufgehört.  Am  12.  IV.  morgens  Beginn 
einer  massig  starken  Blutung.  1  Amp.  Lipamin. 

13.  IV.  Blutung  nimmt  etwas  zu.  3  Amp.  Lipamin. 

14.  IV.  Massig  starke  Blutung.  3  Amp.  Lipamin. 

15.  IV.  Blutung  nimmt  ab. 

16.  IV.  Massig  starke  Blutung. 

17.  IV.  Blutung  wird  geringer. 

18  IV  Morgens  hat  die  Blutung  vollständig  aufgehort. 

Nachdem  4  Wochen  nach  der  letzten  durch  die  Injektion  hervor¬ 
gerufenen  Blutung  keine  Menses  aufgetreten  sind,  stellt  sich  Pat.  am 
16  V  wieder  vor.  Sie  hat  seit  2  Tagen,  also  am  Tage  der  zu  er¬ 
wartenden  Regel,  wieder  stärker  unter  Wallungen  zu  leiden  und 
wünscht  einen  neuen  Injektionsturnus. 

21.  V.  1  Amp.  Lipamin. 

22.  V.  3  Amp.  Lipamin. 

23.  V.  3  Amp.  Lipamin. 

24.  V.  3  Amp.  Lipamin. 

25.  V.  3  Amp.  Lipamin. 

26.  V.  2  Amp.  Lipamin.  . 

26.  V.  Morgens  tritt  eine  mässig  starke  Blutung  ein,  die  am 

27.  V.  zunimmt. 

28.  V.  Starke  Blutung. 

29  V  Morgens  starke  Blutung.  Pat.  wünscht  zu  Pfingsten 

Schluss  der  Regel,  deshalb  10  Uhr  Injektion  von  1  Amp.  Luteolipoid. 
Versiegen  der  Blutung. 

30.  V.  Geringe  Blutung.  Abends  Schluss  der  Regel. 


Da  es  nach  unseren  Erfahrungen  bei  Amenorrhoe  regel¬ 
mässig  gelang,  eine  richtige  Menstruation  auszulösen,  so  war 
der  Versuch  interessant,  ob  es  auch  bei  regelmässigen  Menses 
gelingt,  den  Typus  der  Menstruation  zu  ändern.  Wir  haben 
bei  einer  regelmässig  menstruierenden  Patientin  mit  deren  aus¬ 
drücklichen  Erlaubnis  die  Injektionen  so  vorgenommen,  dass 
wir  sofort  nach  einer  Regel  die  Einspritzungen  ausführten  mit 
dem  Erfolg,  dass  die  Menses  bereits  nach  15  Tagen  sich  in 
leicht  verstärkter  Weise  einstellten  (Kurve  16).  Auch  bei 
Frauen  mit  geringen  Menses  trat  nach  Einspritzung  in  der  Zeit 
zwischen  2  Regeln  eine  Verstärkung  der  nachfolgenden 
Blutung  auf  Kurve  15).  Dagegen  konnten  wir  ganz  regel¬ 
mässig  die  zunächst  auffallende  Beobachtung  machen,  dass 
das  Präparat  während  der  Menses  einverleibt 
auf  die  Stärke  der  Blutung  völlig  wirkungs¬ 
los  war  (s.  auch  Kurve  8). 


Fall  15.  J.-Nr.  331.  Frau  N.,  31  Jahre  alt.  Oligomenorrhoe 

(Myxödem  [?]).  _  ,. 

Regel:  Menarche  mit  12  Jahren,  immer  regelmassig,  Dauer  2  bis 

3  Tage,  geringer  Blutverlust. 

Befund:  Portio  zeigt  einen  kleinen  Riss,  Uterus  anteflektiert, 
nicht  vergrössert,  beweglich,  Adnexe  frei. 

Regel:  29.  III.  Geringe  Blutung. 

30.  III.  8  Uhr  morgens  1  Ampulle  Lipamin.  4  Uhr  1  Ampulle 

Lipamin.  Mässige  Blutung.  ,  . 

31.  III.  Geringe  Blutung.  8  Uhr  morgens  1  Ampulle  Lipamin. 
Blutung  wird  noch  geringer.  4  Uhr  1  Ampulle  Lipamin. 

1.  IV.  Blutung  hört  morgens  auf.  8  Uhr  1  Ampulle  Lipamin. 
12  Uhr  1  Ampulle  Lipamin.  Injektion  des  Präparates  zeigt  keinen 
Einfluss  auf  die  Blutung. 

Nach  dem  Aufhören  der  Blutung  werden  die  Injektionen  fort¬ 
gesetzt,  und  zwar  10  Tage  lang,  so  dass  insgesamt  24  Ampullen  von 
Lipamin  injiziert  werden. 

Regel:  26.  IV.  Diese  Regel  zeigt  deutlich  eine  Beeinflussung 
durch  die  Injektionen,  da  die  Blutung  länger  andauert  und  auch 
stärker  ist  als  die  vorhergehenden. 

27.  IV.  Mässig  starke  Blutung. 

28.  IV.  Mässig  starke  Blutung. 

29.  IV.  Stärkere  Blutung. 

30.  IV.  Mässige  Blutung. 

1.  V.  Blutung  hört  im  Laufe  des  Tages  auf. 


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Kurve  15.  Zu  Fall  15. 


Kurve  16.  Zu  Fall  16. 


Fall  16.  J.-Nr.  357.  Frl.  K.  18  Jahre  alt. 

Regel:  Menarche  mit  16  Jahren,  Periode  immer  regelmässig, 

3 _ 4  Tage  dauernd,  mässiger  Blutverlust. 

Befund:  Nullipara  deflorata,  kleiner  anteflektierter  Uterus,  Lüf¬ 


tung  nicht  schmerzhaft,  Adnexe  vollständig  frei.  Beide  Ovarien  gut 

zu  tasten  i  ,  j 

Regel  trat  bei  Patientin  immer  Ende  Monats  auf,  es  soll  nun  der 

Versuch  gemacht  werden,  ob  durch  Injektion  vo  n  Lipamin 
eine  Regel  ausserhalb  der  gewöhnlichen  Zeit 

hervorzu  rufen  sei.  ..  .  ,  .  „.  . 

Regel:  27.  111.  Nachts  Beginn  einer  massig  starken  Blutung. 

28  III.  Tagsüber  mässig  starke  Blutung. 

29.  III.  Mässig  starke  Blutung. 

30.  III.  Blutung  wird  geringer  und  hört  gegen  Abend  vollstän¬ 
dig  auf.  Diese  Regel  war  ganz  rgeelmässig  und  den  seit  Jahren 
vorausgegangenen  an  Dauer  und  Stärke  ganz  gleich. 

9  Tage  nach  der  Regel  wird  mit  Injektionen  begonnen,  und 
zwar  vom  9.  IV.  bis  14.  IV.  12  Amp.  Lipamin. 

Am  14.  IV.  Beginn  einer  mässig  starken  Blutung. 

15.  IV.  Mässig  starke  Blutung. 

16.  IV.  Mässig  starke  Blutung. 

17.  IV.  Mässige  Blutung.  12  Uhr  1  Amp.  Luteolipoid.  4  Uhr 

1  Amp.  Luteolipoid.  ,  ,  ... 

18.  IV.  8  Uhr  morgens  1  Amp.  Luteolipoid.  Blutung  hat  seit  dem 
Morgen  bedeutend  nachgelassen.  12  Uhr  1  Amp.  Luteolipoid.  Am 
Abend  hat  die  Blutung  vollständig  aufgehört. 

Wir  spritzen  es  gewöhnlich  in  der  Weise  ein,  dass  wir 
jeden  Tag  eine  Ampulle  zu  2  ccm  (kein  Aether,  weil  sonst 
Fällung  eintritt!)  unter  die  Haut  spritzen  und  setzen  die  Injek¬ 
tion  bis  zum  Eintritt  der  Blutung  fort.  Die  notwendigen  Dosen 
sind  verschieden,  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  waren  18  bis 
24  Ampullen  erforderlich.  Manchmal  setzte  die  Blutung  schon 
nach  wenigen  Tagen,  manchmal  aber  erst  nach  4  Wochen  und 
mehr  ein.  Das  frühere  oder  spätere  Eintreten  der  Blutung 
hängt  wohl  von  dem  jeweiligen  Entwicklungsgrad  des  heran¬ 
reifenden  Follikels  ab.  Man  muss  annehmen,  dass  in  den 
Ovarien  amenorrhoischer  Frauen  die  Ovulation  nicht  völlig 
stille  steht,  dass  wohl  von  Zeit  zu  Zeit  Follikel  reifen,  dass 
aber  bei  den  meist  genitalinfantilen  Personen  der  Reiz  von 
Ovulation  und  Corpus-luteum-Bildung  nicht  ausreicht,  um  am 
Uterus  die  Gefäss-  und  Schleimhautveränderungen  herbeizu¬ 
führen,  die  die  Menstruation  zur  Folge  haben.  Das  künstlich 
einverleibte  Lipamin  erzeugt  diesen  Impuls  und  bewirkt, 
wenn  wieder  ein  Follikel  heranreift,  und  das  Corpus  luteum 
sich  gebildet  hat,  den  Eintritt  der  Blutung.  Nach  dieser  unserer 
Auffassung  bewirkt  das  Lipamin  nicht  an  sich  schon  eine 
Uterusblutung,  sondern  ist  erst  auf  dem  Wege  über  Ovulation- 
und  Corpus-luteum-Bildung  wirksam.  Das  Lipamin  ist  nicht 
mehr  wirksam,  wenn  die  Funktion  des  Ovars  bereits  völlig 
erloschen  ist.  Dass  es  sich  bei  der  Genitalblutung  wirklich 
um  eine  Menstruation  und  nicht  um  eine  einfache 
Blutung  infolge  Hyperämie  gehandelt  hat,  beweisen  die  in 
3  Fällen  mit  der  Kürette  entfernten  Schleimhautteile,  deren 
mikroskopische  Untersuchung  ergab,  dass  die  Schleimhaut  alle 
typischen  Zeichen  eines  prämenstruellen  und  menstruellen 
Fnrlnmptrimn1;  aufwies. 


Nach  diesen  bei  Amenorrhoe  gemachten  Erfahrungen  er¬ 
scheint  es  berechtigt,  anzunehmen,  dass  das  Lipamin  ein 
spezifischer,  im  Corpus  luteum  vorkommen¬ 
der  Stoff  ist,  der  die  Menstruation  auslöst. 
Wir  wissen  freilich,  dass  die  Menstruation  durch  verschiedene 
endo-  und  exogene  Faktoren  leicht  zu  beeinflussen  ist.  So 
sehen  wir  bei  Luftwechsel,  bei  Aenderung  der  Lebensweise 
Amenorrhoe  oder  gelegentlich  auch  vermehrte  Menses  auf- 
treten.  Konstitutionelle  Erkrankungen,  Störungen  der  inneren 
Sekretion,  Erkrankungen  der  Nieren,  des  Herzens,  Infektions¬ 
erkrankungen  beeinflussen  bekanntlich  sehr  weitgehend  die 
Menses  und  zwar  sowohl  im  Sinne  einer  Verstärkung  als  auch 
im  Sinne  einer  Verminderung  oder  völligen  Verschwindens, 
ohne  dass  wir  immer  imstande  wären,  eine  bestimmte  Wand¬ 
lung  im  Körperhaushalt  für  die  Erscheinung  verantwortlich 
zu  machen.  Es  sind  fraglos  die  menstruationsregulierenden 
Mechanismen  bei  der  Frau  vielfach  ausserordentlich  fein  ein¬ 
gestellt.  Auch  Medikamente  vermögen  die  Menstruation  zu 
beeinflussen.  So  kennt  man  den  günstigen  Einfluss  des  Eisens 
bei  Chlorotischen  auf  die  Menstruation  schon  längst.  Ganz 
merkwürdig  ist  die  Mitteilung  von  Fromme  16),  dem  es  ge¬ 
lang,  5  mal  unter  12  Amenorrhoen  durch  Verabreichen  von 
Pituitrin  wieder  die  Menstruation  herbeizuführen.  Diese  Er¬ 
fahrungen  zeigen,  dass  es  verschiedene  Mittel  gibt,  gelegent¬ 
lich  die  Menstruation  auszulösen.  Wir  kennen  ein  analoges 


10)  Fromme:  Zbl.  f.  Gyn.  1912  Nr.  41  S.  1366. 


4.  August  1914. 


M UENCHENER  MEDIZINISCH E  WOCHENSCHRIFT 


Verhalten  bei  der  Brustdrüsenhypertrophie  und  bei  der  Milch¬ 
sekretion.  Nach  den  bisherigen  Erfahrungen  gelingt  es  sowohl 
durch  Einverleibung  von  Ovariahubstanz  als  von  Plazenta¬ 
saften,  als  auch  von  fötaler  Körpersubstanz  eine  gewisse 
Hypertrophie  der  Brustdrüsen  und  Absonderung  von  Kolostrum 
hcrbeizufuhren.  Aehnlich  ist  es  mit  den  aus  dem  Tierkörper 
isolierten  Substanzen,  die  auf  den  Uterus  kontraktionserregend 
wirken.  -  c  h  i  c  k  e  1  e  1 ' )  konnte  abgesehen  von  Adrenalin  und 
1  ltuitrin  eine  Einwirkung  auf  den  Uterus  und  Wehenerregung 
nid  \  erstäi  kung  bei  den  verschiedensten  Körpersäften  fest- 
>tellen.  \\enn  man  alle  diese  Tatsachen  beherzigt,  so  möchte 
tian  leicht  geneigt  sein,  eine  spezifische  Organwirkung  des 
-jpamins  abzulehnen.  Es  lehrt  aber  gerade  das  Verhalten  des 
ituitrins,  dass  es  trotz  der  verschiedenen  Organprodukten 
jemeinschaftlichen  Eigenschaften  doch  wieder  Hormone  gibt 
iie  ganz  speziell  auf  ein  Organ  eingestellt  sind.  Kein  anderes 
Jrganextrakt  oder  Hormon  verstärkt  in  so  typischer  Weise 
he  Wehen  wie  das  Pituitrin.  Nach  unseren  Erfahrungen 
unimt  auch  das  Lipamin  unter  den  Emmenagogen  eine  ähn- 
lch  spezmsche  Stellung  ein,  wie  das  Pituitrin  unter  den  wehen- 
rregenden  Mitteln. 

Ob  es  gegen  das  Lipamin  refraktäre  Amenorrhoen  gibt 
\  issen  wir  noch  nicht.  Uns  scheint  es  nicht  ganz  ausge- 
c blossen,  da  die  Menstruation  wohl  im  wesentlichen  aber  doch 
icht  ausschliesslich,  wie  auch  H  a  1  b  a  n  1S)  betont,  von  der 
Jvulation  und  Corpus-luteum-Funktion  abhängig  ist,  sondern  1 
uch  noch  andere  Drüsen  mit  innerer  Sekretion,  wie  Hypo- 
hyse,  Schilddrüse  eine  wichtige  Rolle  spielen.  Wenn  eine 
menorrhoe  z.  B.  primär  auf  einer  Hypo-  oder  Hyperthyreose 
erulit,  so  kann  man  sich  vorstellen,  dass  auch  das  Lipamin 
■cht  genügend  wirksam  ist.  Erst  vor  kurzem  hat  Sehrt10) 
araut  hingewiesen,  dass  es  möglich  ist,  bei  leicht  myxöma- 
isen  Zuständen  durch  Verabreichung  von  Schilddrüsensub- 
anz  die  verstärkte  Blutung  zu  vermindern. 

Wir  haben  das  Luteolipoid  auch  bei  einigen  Fällen  von 
usfallsei  scheinungen  nach  Kastration  an- 
e\v endet,  doch  war  hier  der  Erfolg  nicht  sehr  in  die  Augen 
wringend,  jedenfalls  denen  nicht  überlegen,  die  man  auch  nach 
ophorin-  und  Luteintablettenverabreichung  zu  sehen  gewöhnt 
t.  In  einem  Falle  von  Ausfallserscheinungen,  in  dem  die 
^wohnlichen  Eierstockspräparate  versagt  hatten,  brachte  die 
ehrwöchentlich  fortgesetzte  Einspritzung  von  Luteolipoid 
erschwmden  der  Beschwerden,  die  seit  X  Jahr  nicht  wieder- 
ikehrt  sind. 

.  BerI|er  haben  wir  unsere  Corpus-Iuteum-Präparate  auch 
i  reinen  Dysmenorrhöen,  d.  h.  ungewöhnlich 
nmerzhaften  Menstruationen  ohne  nachweisbare  Erkrankung 
r  uenitahen  angewendet.  Man  unterscheidet  vielfach  zwei 
rappen  von  Dysmenorrhöen.  Die  eine,  in  denen  die  Blutung 
’rmal  stark  oder  leicht  verstärkt  ist,  und  die  zweite,  bei  der 
e  Blutung  zu  gering  ist.  Wir  versuchten  bei  den  Fällen  mit 
■rstarkter  Blutung  das  Luteolipoid  und  haben,  wie  bereits 
wahnt,  bei  Einspritzung  vor  und  während  der  Menses  recht 
te  Resultate  erzielt.  Bei  den  Fällen  mit  Oligomenorrhoe 
rsuchten  wir  das  Lipamin.  Viele  Kranke  gaben  Besserung 
,  doch  muss  man,  da  man  bei  der  Beurteilung  einzig  und 
em  aut  die  Angaben  der  Patientin  angewiesen  ist  und  sugge- 
ve  Einflüsse  nicht  ausgeschlossen  werden  können,  mit 
nem  Urteile  sehr  zurückhaltend  sein. 

Nach  den  von  uns  am  Menschen  gemachten  Erfahrungen 
oen  die  beiden  bisher  isolierten  Substanzen,  das  Luteo- 
PO!d  und  das  Lipamin  antagonistische  Wir- 
ngen.  Das  erstere  hemmt,  das  letztere  bewirkt  die  Men- 
uation.  Beide  Substanzen  kommen  normalerweise  im 
rpus  luteum  vor.  Diese  Tatsache  legt  den  Gedanken  nahe, 

?s  beide  Substanzen  im  Corpus  luteum  zu  verschiedenen 
■ten  in  verschiedenen  Quantitäten  vorhanden  sind.  Im 
t^^ojOrPus  luteum  hat  das  Lipamin  die  Oberhand  und  es 
t  die  Blutung  ein.  In  der  späteren  Zeit  des  Corpus 
-um  ist  das  Luteolipoid  in  grösserer  Menge  vorhanden,  die 
nstruation  kommt  dadurch  zum  Stillstand. 

Diese  zunächst  theoretische  Deduktion  suchten  wir  auf 


17.37 


«  i  und  •  d>  Deutschen  Gesellschaft  f.  Gynäkologie  1913. 
i»  Ha  „,a  n:  ZhI  i-  Gvn-  1911.  Nr.  46.  S.  1585. 

)  M.m.W.  1913  Nr.  18  S.  961  u.  1914. 

Nr.  31. 


1  ?r,e*-Ta- SaC  1  ic,lkeiten  hin  zu  Prüfen.  Wenn  die  Annahme 
richtig  ist,  so  mussten  sich  im  jurgen  Corpus  luteum  mehr 
Lipamin  im  älteren  Corpus  luteum  mehr  Luteolipoid  nach- 
weisen  lassen.  Zum  Nachweise  der  Substanzen  kann  man  sich 
öes  histo-chemischen  Weges  und  der  quantitativ  chemischen 
Methode  bedienen. 

i  °CL  ^^to-chemische  Nachweis  musste  sich  mangels  an¬ 
derer  Methoden  im  wesentlichea  auf  die  Feststellung  des 
Lipoids  beschränken.  Es  liegen  über  diese  Frage  Unter¬ 
suchungen  von  J.  M  i  1 1  e  r 20)  und  Robert  Meyer1’1)  vor,  die 
fanden,  dass  das  Corpus  luteum  erst  auf  dem  Höhestadium 

S-h  die  srösste  Menge  von  lipoiden'  Stoffen 

enthalt.  Wir  können  auf  Grund  unseres  Materials  diese  Beob¬ 
achtungen  bestätigen,  möchten  aber  doch  bemerken,  dass 
weder  die  früheren  Untersuchungen,  noch  auch  unsere  eigenen 
weder  in  farberisch-technischer,  noch  in  quantitativer  Richtung 
hinreichend  sind  um  die  Frage  nach  allen  Seiten  hin  zu  klären, 
ur  soviel  ist  sicher,  am  meisten  Lipoide  finden  sich  im  Corpus 

ilUnV™  Stadlum  dcr  höchsten  Entwicklung.  Wenn  der 
gelbe  Körper  zu  degenerieren  anfängt,  so  stellt  sich,  wie 
J.  Mille  r  zuerst  einwandfrei  gezeigt  hat,  Neutralfett  ein,  dem 
eine  Funktion  nicht  mehr  zukommt. 

Die  chemisch-quantitativen  Untersuchungen  ergaben  über¬ 
einstimmend,  dass  sich  aus  dem  Corpus  luteum  im  Frühstadium 
eine  grossere  Menge  von  Lipamin  gewinnen  lässt  und  dass  die 
aus  jungen  Corpora  lutea  bereiteten  Präparate  bei  der  Be- 
handlung  Amenorrhöischer  wirksamer  waren.  Umgekehrt 
enthalt  im  Blütestadium  das  Corpus  luteum  eine  sehr  grosse 
Menge  von  Lipoiden,  während  dagegen  die  Ausbeute  an  Lipa¬ 
min  gering  ist. 

Auf  Grund  dieser  Befunde  ist  es  berechtigt  anzunehmen, 
aass  m  der  ersten  Zeit  nach  dem  Follikelsprung  lipaminartige 
bubstanzen  von  dem  Corpus  luteum  abgesondert  und  ins  Blut 
geschickt  werden  und  dass  sie  an  Organen,  zu  denen  sie  eine 
besondere  Affinität  haben,  an  der  Schleimhaut  des  Uterus  zur 
irkung  kommen,  die  prämenstruellen  Umwandlungen  der 
-chleimhaut,  die  Erweiterung  der  Kapillaren  und  schliesslich 
den  Blutaustritt  bewirken.  Mit  dem  Blütestadium  des  Corpus 
luteums  gewinnen  allmählich  die  lipoiden  Substanzen  mit  ihren 
blutungshemmenden  Tendenzen  das  Uebergewicht  und  die 
Blutung  kommt  schliesslich  unter  ihrem  Einfluss  und  durch 
ihr  Dominieren  zum  Stillstand.  Die  Menstruation  ist  dann 
regelmassig,  wenn  Lipaminsubstanzen  und  Luteolipoide  zeit¬ 
lich  richtig  aufeinanderfolgen  und  in  der  richtigen  Quantität 
abgesondert  werden.  Die  Blutung  ist  zu  wenig,  wenn  zu 
wenig  Lipamin  abgesondert  wird  oder  die  Luteolipoidbildung 
zu  energisch  von  vornherein  einsetzt.  Die  Blutung  ist  umge¬ 
kehrt  zu  stark,  wenn  das  Lipamin  zu  reichlich  gebildet  und  die 
Luteolipoide  in  zu  geringen  Mengen  abgesondert  werden 
Durch  das  richtige  Gleichgewicht  der  beiden  Hormone  des 
Corpus  luteum  kommt  die  normale  Menstruation  zustande, 
i  E,t  ^scheint  auf  den  ersten  Blick  paradox,  dass  ein  und 
chisselbe  Organ  zwei  so  differente  in  einem  antagonistischen 
Verhältnis  stehende  Produkte  hervorbringen  soll.  Und  doch 
konnten  wir  eine  andere  Erklärung  für  die  Erscheinung  nicht 
finden.  Man  darf  bei  der  Deutung  der  Corpus-luteum-Funktion 
das  eine  nicht  vergessen:  Das  Corpus  luteum  unterscheidet 
sich  von  allen  übrigen  Organen  urd  auch  von  allen  übrigen 
Drusen  mit  innerer  Sekretion  grundsätzlich,  es  ist  ein  nur  für 
die  Fortpflanzung  vorhandenes  Gebilde,  das  sich  gerade  aus 
dieser  Bestimmung  heraus  in  regelmässigen  Intervallen  bildet 
und  wieder  verschwindet.  Der  Vorgang,  der  sich  bei  den 
übrigen  Oiganen  im  Laufe  eines  ganzen  Lebens  abspielt,  ist 
hier  zusammengedrärgt  auf  einen  engen  Zeitraum  von 
1  W?cien  und  d>eser  rasche  Wechsel  macht  auch  eine  rasche 
endei  ung  der  physiologischen  Funktion  und  der  chemisch 
\\  irk samen  Kräfte  notwendig.  Wir  glauben  übrigens  nicht 
dass  der  chemisch-kausale  Zusammenhang  zwischen  Ovu- 
Dtion,  Corpus-luteum-Bildung  und  Menstruation  hiemit  defi¬ 
nitiv  gelöst  ist.  Das  Problem  liegt  voraussichtlich  weit  ver¬ 
wickelter.  Es  scheint  uns  aber  doch,  dass  wir  mit  der  Auf¬ 
findung  des  blutungsfördernden  Lipamins  und  des  blutungs- 


f.  Gvn!  S-  26311  10L  1914  S-  568  “"d  ZW- 

n)  Arch.  f.  Gyn.  93.  1911.  S.  354. 


4 


1738 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  31. 


hemmenden  Luteolipoids  im  Corpus  luteum  wichtige,  vielleicht 
die  wichtigsten  Faktoren  in  der  Regulation  der  menstruellen 
Vorgänge  gefunden  haben. 

Zusammenfassung. 

Die  Menstruation  hängt  von  der  Funktion  des  Corpus 

luteum  ab.  ^  o 

Das  Corpus  luteum  enthält  2  Körper.  Der  eine  ist  das 
Luteolipoid,  das  blutungshennnende  Eigenschaften  hat  und  sub¬ 
kutan  vor  und  während  der  Menses  einverleibt  die  Blutung 
vermindert  und  abkürzt. 

Der  2  Körper  ist  das  Lipamin,  ein  Lipoproteid  und  zwar 
ein  Lezithalbumin.  Es  bewirkt  im  Tierexperiment  ein  be¬ 
schleunigtes  Wachstum  der  Genitalien,  beim  Weibe  lasst  sich 
durch  subkutane  Einspritzung  bei  Amenorrhöischen  die  Men¬ 
struation  herbeiführen. 

Das  Luteolipoid  und  das  Lipamin  sind  Antagonisten  und 
regulieren  den  Ablauf  der  Menstruation. 

Therapeutisch  wirkt  das  Luteolipoid  vorzüglich  bei  Puber¬ 
tätsblutungen  und  bei  Menorrhagien  ohne  organische  Grund¬ 
lage.  Bei  klimakterischen  Blutungen  wirkt  es  nur,  wenn  die 
Blutungsgerinnung  verlangsamt  ist.  Wirkungslos  ist  die  In¬ 
jektion  bei  Blutungen  auf  entzündlicher  Grundlage.  Bei 
Myomen  tritt  sogar  eher  eine  vorübergehende  Verstärkung 
der  Blutung  ein.  Bei  Dysmenorrhöen,  die  mit  stärkeren  Blu¬ 
tungen  einhergehen,  hat  das  Luteolipoid  günstige  Einwirkung 

auf  die  Schmerzen.  .  .  ,  . 

Das  Lipamin  vermag,  genügend  lange  angewendet,  bei 
Amenorrhöischen  die  Menstruation  herbeizuführen.  Es  ist  be¬ 
rechtigt,  den  Versuch  zu  machen,  die  Hypoplasie  der  Geni¬ 
talien  durch  länger  dauernde  Einspritzung  des  Lipamins  zu 
beheben.  Es  scheint,  dass  bei  Dysmenorrhöen  mit  zu  geringer 
Blutung  das  Lipamin,  vor  der  Periode  eingespritzt,  die 
Schmerzen  zu  lindern  und  zu  beseitigen  vermag. 


- -rffi 


Die  neue  bayerische  Schulordnung. 

Von  Hofrat  Dr.  Craemer. 

Die  auch  von  uns  Aerzten  mit  vielen  Hoffnungen  erwartete  neue 
Schulordnung  ist  nunmehr  erschienen  und  wird  mit  dem  neuen  -criu  - 

jahre  1914/15  in  Kraft  treten.  „  ,  ,  .  . 

Es  kann  nicht  meine  Aufgabe  sein,  die  ganze  Schulordnung  nacn 
allen  Richtungen  einer  Kritik  zu  unterwerfen,  das  ist  von  Seite  der 
Schulmänner  und  der  Eltern  bereits  in  der  Tagespresse  geschehen, 
mir  kommt  es  nur  darauf  an.  diejenigen  Punkte  herauszugreifen,  die 
uns  Acrzte  besonders  interessieren  und  nachzuweisen,  inwieweit  die 
Wünsche  und  Tendenzen,  die  wir  Aerzte  gestellt  haben,  verwirklicht 
worden  sind.  Ich  denke  dabei  in  erster  Linie  an  die  vom  Aerzt- 
lichen  Verein  selbst  gestellte  Forderung  des  biologischen  Unterrichtes 
durch  das  ganze  Gymnasium,  insbesondere  an  die  Forderungen  una 
Wünsche,  die  die  Schulkommission  in  ihren  Leitsätzen  zur  Reform  des 

Gymnasiums  ausgesprochen  hat.  „  .  .  , 

Wir  müssen  dankbarst  anerkennen,  dass  der  Herr  Kultusminister 
auch  uns  Aerzten  Gelegenheit  gegeben  hat,  bei  der  Beratung  des 
Entwurfes  der  neuen  Schulordnung  im  Obersten  Schulrat  unsere 
Wünsche  vertreten  zu  dürfen,  so  ist  es  gelungen,  noch  manches 
durchzusetzen,  was  sonst  vielleicht  anders  geworden  wäre. 

Unsere  Forderung,  es  sollte  in  §  2  (Zweck  der  höheren  Lehr- 
anstatt)  die  körperliche  Ausbildung  besonders  hervorgehoben  werden, 
ist  leider  nicht  verwirklicht  worden.  Die  Auffassung,  dass  sich  das 
gewissermassen  von  selbst  versteht,  ist  ja  für  uns  Aerzte  richtig,  nicht 
aber  von  vornherein  für  die  Schule,  denn  auch  jetzt  noch  sind 
wir  in  der  harmonischen  Ausbildung  des  Körpers  und  Geistes,  von 
der  man  im  Gymnasium  so  viel  spricht,  trotz  mancher  dankenswerten 
Besserung  noch  recht  weit  entfernt.  Ganz  erfreulich  ist  es  und  wird 
dankbarst  anerkannt,  dass  unser  Wunsch,  es  möge  die  Gesamt¬ 
leistung  in  körperlicher  Tüchtigkeit  in  zweifelhaften  Fallen  bei  der 
Entscheidung  des  Vorrückens  mitberücksichtigt  und  besonders  gute 
Leistungen  angerechnet  werden,  tatsächlich  erfüllt  worden  ist.  In  An¬ 
merkung  86  heists  es:  „Hervorragend  gute  Leistungen  in  den  Wahl¬ 
fächern,  dann  insbesondere  gute  Leistungen  im  Turnen  sollen 
bei  der  allgemeinen  Beurteilung  der  Schüler  berücksichtigt  werden; 
auch  kann  eine  bezügliche  Bemerkung  in  das  Jahreszeugnis  aufge- 

nommen  werden.“  _  ,  . 

Unsere  Hauptforderung  bestand  nach  einem  Beschlüsse  des  Aerzt- 
lichen  Vereins  vom  17.  November  1909  im  biologischen  Unterricht 
durch  das  ganze  Gymnasium.  Die  Schulkommission  verlangte  neben 
praktischem  Naturkundeunterricht  durch  das  ganze  Gymnasium,  hy¬ 
gienischen  Unterricht,  Ausbildung  der  Mittelschullehrer  in  Schul¬ 
hygiene,  Vermehrung  der  neuen  Sprachen1)  und  staatsbürgerlichen 


i)  Das  bcisst  Vermehrung  der  Stunden  und  bessere  Ausbildung 
in  den  neueren  Sprachen. 


Unterricht  Ausgehend  von  der  Erwägung,  dass  eine  allgemeine 
Bildung  —  und  die  soll  doch  im  Gymnasium  vermittelt  werden  — 
ohne  gründliche  naturwissenschaftliche  Kenntnisse  nicht  mehr  gedacht 
werden  kann,  dass  in  allen  Bundesstaaten  und  in  Oesterreich  diese 
Forderung  des  durchgehenden  Naturkundeunterrichtes  langst  erfüllt 
ist  dass  somit  die  bayerischen  Abiturienten,  die  Medizin  studieren 
wollen'  den  aus  anderen  Bundesstaaten  hervorgegangenen  gegenüber 
sehr  im  Hintertreffen  sind,  dass  weiter  der  hohe  geistige  Bildungs- 
wert  der  Naturwissenschaften,  die  am  ehesten  geeignet  sind.  Idealis¬ 
mus  zu  heben,  für  höhere  Begriffe  zu  begeistern  und  auch  das 
religiöse  Empfinden  zu  vertiefen,  auch  am  Gymnasium  nicht  langer 
mehr  ignoriert  werden  darf,  haben  wir  im  Aerztlichen  Verein  und  in  I 
der  Schulkommission  in  langen  Beratungen  diese  geradezu  vordring¬ 
liche  Forderung  aufgestellt.  Während  in  den  anderen  Bundesstaaten 
mindestens  in  den  ersten  6  Klassen  Naturkunde  in  je  2  Wochenstunden  ! 
von  Fachlehrern  gegeben  und  in  den  3  oberen  Klassen  1  hysik  und  j 
zum  Teil  auch  Chemie  und  Biologie  gelehrt  wird,  hatten  wir  in  Bayern 
bisher  nur  in  den  ersten  5  Klassen  je  1  Stunde  wöchentlich  und 
dazu  nicht  von  Fachlehrern.  Man  kann  sich  also  wohl  die  absolute  i 
Unzulänglichkeit  dieses  Unterrichtes  vorstellen,  der  auch  bei  den 
Schülern  eben  wegen  seiner  Unzulänglichkeit  keinerlei  Begeisterung 
und  nur  wenig  Interesse  erwecken  konnte.  Das  Kultusministerium 
kam  unseren  Wünschen  insofern  entgegen,  als  in  dem  Entwurf  zur 
neuen  Schulordnung  für  die  ersten  6  Klassen  je  2  Stunden  Naturkundc- 
unterricht  von  Fachlehrern  gegeben,  vorgesehen,  in  den  oberen 
Klassen  je  2  Stunden  Physik  angesetzt  waren.  Wenn  man  das  auch 
nur  eine  Abschlagszahlung  nennen  konnte,  so  musste  man  immerhin 
die  gegen  früher  bedeutende  Verbesserung  anerkennen,  umsomehr,  als 
jetzt  für  die  5.  Klasse  ein  chemischer  Vorkurs  eingerichtet  ist.  Leider 
ist  es  nun  in  der  Kammer  gelungen,  die  2  Stunden  in  der  6.  Klasse 
zu  streichen  und  so  entbehrt  also  die  6.  Klasse  ganz  allein  jedenj 
derartigen  Unterricht.  Die  Motivierung  der  betreffenden  Abgeord- 
neten  (zu  starke  Belastung  der  6.  Klasse)  ist  eine  so  nichtssagende, 
dass  man  nicht  verstehen  kann,  warum  dem  Verlangen  stattgegeben 
wurde.  Durch  die  Streichung  dieser  zwei  Stunden  ist  Bayern  be¬ 
züglich  des  Naturkundeunterrichtes  schlechter  gestellt  wie  fast  alle 
Bundesstaaten  und  Oesterreich  und  es  muss  unsere  Aufgabe  sein, 
alles  daranzusetzen,  um  unsere  Forderung:  biologischer  Unterricht 
durch  das  ganze  Gymnasium,  durchzusetzen.  Wenn  nur  wenigstens 
der  biologische  Unterricht  in  der  obersten  Klasse  als  Wahlfach  zu- 
gelassen  wäre,  so  könnte  man  ja  vorläufig  zufrieden  sein,  aber  das 

ist  auch  ausgeschlossen.  ........ 

Dass  ein  biologischer  Unterricht  durch  die  ganze  Mittelschule 
möglich  ist,  geht  daraus  hervor,  dass  unsere  bayerische  Uberreal¬ 
schule  diesen  biologischen  Unterricht  in  geradezu  vorbildlicher 
Weise  in  ihrem  Programm  hat.  Es  ist  also  erst  recht  unerfindlich 
warum  man  diese  ausgezeichnete  Bildungsmöglichkeit  dem  Gym¬ 
nasium  versagt.  Die  Folgen  werden  ja  sicher  nicht  ausbleibcn  unc, 
die  Flucht  aus  dem  humanistischen  Gymnasium  jedes  Jahr  grössei 

werden.  ,  , 

Begrüssenswert  ist  es  im  hohen  Masse,  dass  die  Versuche  irn 
Aufstellung  von  Schulärzten  an  den  Mittelschulen  fortgesetzt  werter 
sollen,  der  günstige  Einfluss  der  Schulärzte  wird  sich  bald  so  eviden 
heraussteilen,  dass  die  Schulärzte  an  allen  Mittelschulen  aufgestel. 
werden  müssen.  Auch  die  Einsetzung  eines  Elternbeirates  könne) 
wir  Aerzte  nur  begrüssen;  das  fremde  Auge  ist  für  jede  Institutioi 
von  grösstem  Werte.  Unsere  Bemühung,  die  Maximalarbeitszeit  fui 
häusliche  Aufgaben  streng  zu  begrenzen  und  vor  allem  durch  Um 
fragen  von  seite  der  Lehrer  festzustellen,  ob  diese  Zeit  nicht  über 
schritten  wird,  sind  nur  zum  Teil  von  Erfolg  gewesen.  Wir  müssei 
stets  daran  festhaltcn,  dass  das  Arbeiten  der  jungen  Leute  nach  den 
Abendessen  Gift  für  sie  ist;  der  junge  Mensch  muss  geistig  ausgeruh 
ins  Bett  kommen,  wenn  der  Schlaf  wirklich  erquickend  sein  soll,  au 
die  Schlafzeit  allein  kommt  es  durchaus  nicht  an  Hoffentlich  wir« 
diese  Frage  durch  besondere  Ausführungsbestimmungen  des  Mun 
steriums  in  unserem  Sinne  geregelt. 

Die  Bemerkung  in  §  17  Abs.  5:  Die  Sonn-  und  Feiertage  sin« 
von  Uebungsaufgaben  tunlichst  frei  zu  halten,  muss  unseren  Pru 
test  hervorrufen.  Hätte  man  dieses  Kautschukwort  t  u  n  1  i  c  h  s  t  men 
weglassen  können?  Was  kann  man  damit  nicht  alles  entschuldigen 
Die  Disziplinarsatzungen  bringen  eine  Reihe  von  Verbesserungei 
die  zum  grössten  Teile  unserer  Mitarbeit  zu  verdanken  sind.  L)i 
älteren  Schüler  werden  nicht  mehr  wie  Schulkinder  behandelt,  da 
Rauchen  wird  nicht  mehr  verboten,  sondern  aus  hygienischen  Gründe 
widerraten,  ebenso  der  Genuss  geistiger  Getränke,  Arreststrafen  we> 
den  in  den  obersten  Klassen  nicht  mehr  erteilt  etc.  Die  den  L>ssz 
plinarsatzungen  angefügten  Gesundheitsregeln  sind  sehr  begrüssem 
wert,  auch  daran  haben  wir  einen  grossen  Anteil. 

In  Summa  kann  man  sagen,  die  neue  Schulordnung  bringt  man«, 
begrüssenswertes  Neues,  moderner  Geist  ist  da  und  dort  zu  spüre 
viel  Veraltetes  ist  noch  geblieben.  Da  wir  eine  Neubelasturg  d( 
Schüler  unter  keinen  Umständen  gutheissen  können,  so  müssen  em 
Reduktionen  an  den  alten  Sprachen  etc.  eintreten,  damit  genügend  ze 
für  den  biologischen  Unterricht  und  die  Durchführung  aller  sonstig 
Forderungen  gewonnen  werden  kann.  Unser  Bestreben  muss  < 
sein,  den  Reformgymnasien  die  Wege  zu  ebnen,  alles  daranzusetze 
dass  nicht  bloss  das  realistische  Reformgymnasium,  sondern  auch  ai 
humanistische  endlich  auch  in  Bayern  zur  Einführung  kommt.  Dam 
allein  wird  die  Möglichkeit  geschaffen,  alle  Forderungen,  die  u. 
moderne  Leben  gebieterisch  stellt,  in  die  Tat  umzusetzen. 


4.  August  1914. 


MUFNCHHNER  MEDIZINISCHE:  WOCHENSCHRIFT 


Fortbildungsvorträge  und 
Uebersichtsreferate. 

Fortschritte  in  der  Pathologie  und  Therapie  der 
Pankreaserkrankungen. 

Von  Prof.  Dr.  Adolf  Schmidt  in  Halle. 

i  * kV  Es  js*  e'.n  Zeichen  der  Zeit,  dass  wir  die  Fortschritte  der 
letzten  .  a  i re  auf  praktisch-medizinischem  (iebiete  zum  nicht  geringen 
I  eile  der  Initiative  der  Chirurgen  verdanken,  die  im  Vertrauen  auf 
*hr.f  Vflj),che5t'v,^elte  Technik  auch  bei  nicht  völlig  klarem  Krank- 
heitsbilde  den  hin  griff  wagten  und  dabei  auf  unerwartete  Befunde 
stiessen  die  zum  Ausgangspunkt  anatomischer,  klinischer  und  ex¬ 
perimenteller  Untersuchungen  wurden. 

Wenn  ein  bis  dahin  gesunder  oder  höchstens  gelegentlich  mit  un¬ 
bestimmten  Verdauungsstörungen  behafteter  Mensch  plötzlich  unter 
nettigsten  Koliken,  Erbrechen  und  schweren  Kollapserscheinungen  er- 
krankt,  wenn  Stuhl  und  Winde  nicht  abgehen,  die  Überbauchgegend 
sich  auftreibt  und  druckschmerzhaft  wird,  so  liegt  der  Gedanke  an 
einen  hochsitzenden  Darmverschluss  oder  an  eine  Perforation  des 
Magens  nahe,  und  die  Laparotomie  ist  berechtigt.  Wenn  dann  der 
Operateur  in  der  Bauchhöhle  neben  etwas  blutigseröser  Flüssigkeit 
Jie  charakteristischen  weissgelben,  vornehmlich  in  der  Umgebung  des 
Duodenums  lokalisierten,  manchmal  aber  auch  über  das  ganze  Peri- 
oneum  zerstreuten  Flecken,  die  Fettgewebsnekrosen,  erblickt,  wenn 
-r  durch  das  Lig.  gastrocolicum  eingehend  die  Wand  der  prall 
gespannten  Bursa  omentalis  eröffnet  und  dort  inmitten  eines  trüben 
larnorrhagjschen  Exsudates  das  mehr  oder  weniger  vollständig 
lekrotische  1  ankreas  vorfir.det,  so  ist  es  nur  natürlich,  dass  er  den 
Jrsachen  dieses  eigenartigen  Zustandes  nachforscht.  Er  erinnert  sich, 
lass  er  schon  häutiger  bei  Gelegenheit  von  Gallensteinoperationen  den 
xopt  des  ankreas  verhärtet  und  mit  kleinen  Fettgewebsnekrosen 
lurchsetzt  gesehen  hat,  und  indem  er  jetzt  die  Gallenblase  kontrol- 
lert.  findet  er  auch  diesesmal  Steine  darin  oder  eine  Entzündung  Er 
iraimert  den  Gholedochus,  wenn  der  Zustand  des  Patienten  es  er- 
aubt  ebenso  wie  er  vorher  einen  breiten  Tampon  aus  der  Bursa 
»mentalis  nach  aussen  geleitet  hat. 

Wir  nehmen  an,  dass  der  Patient  durchkommt  — die  neueren  Sta- 
ishken  ergeben  etwa  40 — 50  Proz.  Heilungen  bei  der  Frühoperation 
-  und  dass  (jelegenheit  gegeben  ist,  die  Stuhlgänge,  welche  er  in  der 
,ekonvaleszenz  absetzt,  genauer  zu  untersuchen.  Da  zeigt  sich 
ann  dass  sie, _  sobald  der  Kranke  feste  Speisen  zu  nehmen  anfängt 
ehr  fettreich  sind  und  bei  der  Ausbreitung  kleine  unverdaute  Fleisch¬ 
este  enthalten.  Bei  vorsichtiger  Kost  verschwindet  das,  aber  viel- 
-ncht  kommt  er  spater,  nachdem  er  längst  aus  der  Behandlung  des 
i  imfgen  entlassen  ist,  wegen  häufiger  Verdauungsbeschwerden  die 
ls  chronischer  Darmkatarrh  gedeutet  wurden,  in  die  Behandlung 
ines  Spezialisten  für  Verdauungskrankheiten,  und  dieser  konstatiert, 

Ti  wesentlichen  auf  Grund  eingehender  Stuhluntersuchungen  eine 
'ironische  Pankreatitis. 

Wie  ich  es  hier  an  einem  Beispiel  zu  schildern  versucht  habe, 

4  ungetahr  der  Entwicklungsgang  unserer  Kenntnisse  der  sog  Pan- 
reasnekrose  oder  Pankreashämorrhagie  der  gewesen, 
er  heute  bis  zu  einem  gewissen  Abschluss  gelangt  ist. 

Zwei  Fragen  sind  es  vornehmlich,  denen  sich  das  Interesse  der 
orscher  zugewandt  hat,  nämlich:  wie  kommt  eine  so  plötz- 
c  h  e  Nekrose  mit  Autolyse  des  Bauchspeichel¬ 
rusengewebes  zustande  und  wie  sind  die  schweren 
llgemeinerscheinungen  zu  erklären,  die  oft  schon 
in  er  halb  weniger  Tage  zum  Tode  führen? 

Dass  Zirkulationsstörungen,  die  von  den  Pathologen  zuerst  be- 
:huidV  zu  werden  pflegen,  Nekrosen  im  Gefolge  haben  können,  ist 
erstandheh;  bei  der  Mehrzahl  der  Fälle  lassen  sie  sich  aber  nicht 
ich  weisen.  Von  dem  Gedanken  ausgehend,  dass  Sekretstauung  über- 
I  leicht  zu  Schädigungen  im  Stauungsgebiet  führt,  und  bestärkt  durch 
e  praktische  Erfahrung,  dass  der  Ausbruch  des  Leidens  sich  oft 
lmittelbar  an  eine  reichliche  Mahlzeit  anschliesst,  haben  dann 
ser-  Eppinger  und  andere  Forscher  durch  künstliche  Unter- 
ndung  der  Ausführungsgänge  auf  der  Höhe  der  Verdauung  die  Ne- 
•ose  im  I  ierexperiment  zu  erzeugen  versucht;  aber  sie  mussten  sich 
'erzeugen,  dass  bei  sorgfältiger  Methodik  der  erwartete  Erfolg  aus- 
1  .,  dass  vielmehr  auf  diesem  Wege  —  vorausgesetzt,  dass  durch 
eignete  Massregeln  eine  Sprengung  des  Verschlusses  verhütet 
4rde  —  nur  eine  langsame  Atrophie  der  Drüse  mit  bindegewebiger 
duration  bewirkt  wird  (L  o  m  b  r  o  s  o,  Zunz  und  Mayer, 
i  a  t  tl.  Es  muss  noch  ewas  anderes  hinzukommen,  das  unter 
nstanden  auch  ohne  Stauung  wirksam  werden  kann,  und  das  ist  ein 
;ens,  welches  die  Fermente  des  Pankreassaftes,  speziell  das  protco- 
tisclie  Irypsinogen,  bereits  innerhalb  der  Drüse  aktiviert.  Sorg- 
tige  Untersuchungen,  namentlich  chirurgischer  Autoren,  haben  ge- 
,  ,.ss  dieses  Agens  die  Enterokinase  sein  kann,  oder  der 
louena  Inhalt,  in  welchem  sie  anwesend  ist,  dass  es  aber  auch  Bak- 
ien  oder  Bakterienfermente  sein  können  (P  o  I  y  a),  ja  dass  wahr- 
leinhch  auch  Zellfermente,  die  im  Pankreas  aus  irgend  einem  an- 
ren  Grunde  frei  werden,  die  Rolle  dieses  Agens  übernehmen  können 
a  t  e  s).  Insofern  die  Galle  nicht  bloss  die  Pankreaslipase  akti- 
rV,s®ndern  auch  die  Wirkung  des  (bereits  aktivierten)  Trypsins 
leoiich  zu  steigern  vermag,  kann  sie  ebenfalls  zum  Zustandekommen 


1739 


der  Nekrose  beitragen;  wahrscheinlich  wird  sie  aber  in  erster  Linie 
uem  1  ankreassekret  als  Bakterienträgerin  gefährlich.  Unter  dem 
pntluss  des  innerhalb  der  Drüse  aktivierten  Sekretes  findet  —  zumal 
,\C1  gleichzeitiger  Stauung  —  eine  teilweise  Selbstverdauung  statt  und 
cne  freiwerdenden  Zellfermente  steigern  die  nekrotisierende  Wirkung 
nÜf,  eH-g  erf0ulgen  durch  Bl'Utstase  und  Andauung  der  Gefässwände 
protuse  Hamorrhagien,  welche  das  Zerstörungswerk  vollenden  helfen 
,.  bow^lt  !st  alles  verständlich.  Es  fragt  sicli  nur,  wie  gelangen 
ie  verschiedenen  Agentien,  die  beim  Tierexperiment  gewöhnlich  in 
uen  Ausfuhrungsgang  eingespritzt  wurden,  unter  natürlichen  Be- 

vPr^i'uCn  bC!im  M,4n?.chcn  in  die  Drüse?  Ein  den  Ductus  choledochus 
verschhessender  Gallenstein  kann  wohl  zur  Sekretstauung  in  der 

nfrh ldrusc,fu liren;  tritt  er  hindurch,  so  kann  er  vielleicht 
auch  die  Mündung  der  V  a  t  e  r  sehen  Papille  erweitern;  es  mag  auch 

w^irhÜ101611’  -duSS  gCr  Nebenausfuhrungsgang,  der  Ductus  Santorini, 
fnn  flcbs<rhon  die  Duodenal  wand  weniger  schräg  durchbohrt 
s  der  Ductus  Wirsungianus,  eine  abnorm  weite  Mündung  hat,  aber 
das  alles  sind  doch  gewiss  nur  Ausnahmefälle.  Viel  verständlicher 
erscheint  es,  dass  von  der  so  häufig  bei  den  verschiedenen  Affek- 

dPr  -Qa  6nW,ege  ilnfifierten  üalIe  aus  eine  Ueberwanderung 

der  Bakterien  in  das  Pankreassekret  stattfindet.  Tatsächlich  hat 

raiT/m n  im  Experiment,  eine  derartige  Ueberwanderung  von 
der  Gallenblase  aus  erzeugen  können,  vorausgesetzt,  dass  der  Abfluss 
des  Pankreassaftes  aufgehoben  war,  und  Deaver,  Arnsperger 
u.  a.  haben  uns  die  Kommunikation  der  Lymphbahncn  der  Gallenwege 
und  der  Bauchspeicheldrüse  kennen  gelehrt,  die  leicht  verständlich 

n,?prren’  uTs  Tan  Sicn  ^riJn.nert'  dass  in  65  Proz-  der  Fälle  der 
1  uctus  choledochus  vollständig  vom  Pankreaskopf  umwachsen  ist 
Lebrigens  ist  nicht  einzusehen,  warum  nicht  die  Bakterien  aus  dem 
Duodenalinhalt  ebensogut  in  die  Pankreasgänge  wie  in  die  Gallen¬ 
wege,  wo  sie  so  häufig  gefunden  werden,  gelangen  können 

Wir  sehen  also,  dass  wir  am  ungezwungensten  zum  Verständnis 
der  Nekrose  kommen,  wenn  wir  mit  P  o  1  y  a  die  Darmbakterien  als 
das  gefährliche  aktivierende  Agens,  als  die  eigentlichen  Provokatoren 
dfrr  Krankhed  ansehen  und  damit  stimmt  es  auch,  dass  nächst  der 
Lholehthiasis  andere  Affektionen  des  Duodenums,  welche  mit  Zer¬ 
setzung  oder  Stase  des  Inhaltes  einhergehen,  wie  das  Ulcus  duodeni, 
Abknickungen  und  Verwachsungen,  selbst  Erweiterungen  des  Zwölf¬ 
fingerdarmes  als  Ausgangsleiden  in  Betracht  kommen.  Diese  Auf¬ 
fassung  wird  auch  dadurch  nicht  über  den  Haufen  geworfen,  dass  wie 
sich  gezeigt  hat,  in  dem  nekrotischen  Pankreasgewebe  anfangs  keine 
s  arkere  Baktenenansiedelung  gefunden  wird;  die  Bakterien  spielen 
eben  zunächst  nur  die  Rolle  der  Aktivatoren  des  Trypsins,  erst  in 
späteren  Stadien  siedeln  sie  sich  von  neuem  in  der  Zerfallsmasse 
an,  und  dann  wird  aus  der  Nekrose  ein  Abszess. 

Die  2.  oben  aufgeworfene  Frage,  wie  die  schweren  A1I- 
gem  ein  er  sch  ei  nun  gen  zu  erklären  sind,  ist  dadurch 
aktuell  geworden,  dass  es  v.  Bergmann  und  Gulecke  gelang 
einerseits  die  Erscheinungen  experimentell  durch  Einbringen  von 
Pankreasgewebe  in  die  Bauchhöhle  von  Tieren  zu  reproduzieren 
andererseits  den  Ausbruch  derselben  durch  Vorbehandlung  der  Tiere 
mit  trj  psin  hintanzuhalten  resp.  ihre  Intensität  herabzumindern.  Die 
Autoren  schlossen  daraus  auf  eine  spezifische  Giftwirkung  die  sie 
anfangs  dem  Trypsin  zuschrieben.  Diese  Auffassung  liess  sich  aller¬ 
dings  nicht  halten,  nachdem  durch  F  e  r  m  i,  K  i  r  c  h  h  e  i  m  u.  a  nach¬ 
gewiesen  war.  dass  das  reine  Trypsin  nicht  giftig  wirkt.  Ebenso- 
wenig  kann  das  von  Wohlgemuth  im  Pankreassaft  gefundene 
Hämolysin  oder  die  Lipase,  an  die  Hess  denkt,  verantwortlich  ge¬ 
macht  werden.  Entweder  stimmen  die  klinischen  Erscheinungen  nicht 
dazu  (Hämolysin)  oder  es  lässt  sich  die  Antikörperbildung  nicht  er¬ 
klären  (Lipasewirkung). 

Eine  genaue  Analyse  der  klinischen  Symptome  der  Pankreas¬ 
vergiftung  führte  L  a  1 1  e  s  zu  der  Ueberzeugung,  dass  sie  dem 
anaphylaktischen  Schock  sehr  nahe  verwandt  sind.  Dazu  stimmt  es, 
dass  das  Extrakt  der  frischen  Drüse  verhältnismässig  wenig  toxisch 
™  im  Vergleich  mit  den  Extrakten  von  autolysierten  Drüsen. 
Müller  und  I  incus  bestätigten  diese  Erfahrung  und  erweiterten 
sie  dahin,  dass  schon  bei  Reizung  der  Drüse  intra  vitam  Stoffe  aus 
ihr  in  das  Sekret  übergehen,  welche  ihm  toxische  Eigenschaften 
verleihen.  Noch  mehr  ist  das  natürlich  bei  der  Nekrose  des  Paren¬ 
chyms  der  Fall.  Offenbar  beruht  die  Schutzwirktmg,  welche  v.  B  e  r  g- 
mann  und  Gulecke  erzielten,  mehr  auf  allgemeiner  Resistenz¬ 
erhöhung  gegen  derartige  Zerfallsprodukte  als  auf  spezifischer  Anti- 
toxinbddung. 

Warum  gerade  die  Zerfallsprodukte  der  Bauchspeicheldrüse  so 
giftig  wirken,  bleibt  allerdings  zunächst  unverständlich.  Es  mag  aber 
daran  erinnert  werden,  dass  wir  ein  Analogon  dafür  in  dem  Toxin 
haben,  welches,  nach  den.  systematischen  Untersuchungen  von  Davis 
und  von  Whipple,  Stone  und  Bernheim  in  abgebundenen 
Duodenalschlingen  sich  bildet,  und  gegen  das  ebenfalls  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  Immunität  durch  Vorbehandlung  erreicht  werden 
kann.  Da  die  Schleimhaut  dieses  Abschnittes  Enterokinase  und  wohl 
meist  auch  etwas  Irypsin  enthält,  so  begreifen  wir  die  Aehnlichkeit 
der  bei  1  ankreasnekrose  auftretenden  schweren  Allgemeinsvmptome 
mit  hochsitzendem  Ileus. 

Nicht  j  e  d  er  nekrotische  Vorgang  im  Pankreas 
fuhrt  zur  völligen  Zerstörung  der  Drüse.  Es  gibt 
auch  partielle  Nekrosen  und  selbst  mikroskopische  Nekroseherde  mit 
kapillaren  Hamorrhagien.  Es  ist  deshalb  auch  nicht  notwendig,  dass 
in  jedem  Falle  operiert  werden  muss.  Massvolle  Chirurgen,  wie 

4* 


Nr.  31. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Körte,  v.  Haberer  u.  a.  stehen  auf  dem  Standpunkte,  dass  bei 
weniger  schweren  Allgemeinsymptomcn,  wenn  am  4.  oder  5.  läge 
der  Puls  noch  kräftig  und  langsam  ist,  abgewartet  werden  kann. 
Später  kann  allerdings  wegen  Abszessbildung  noch  ein  Eingritt  not¬ 
wendig  werden  Die  eben  genannten  mikroskopischen  Nekrosen  be¬ 
wirken  eine  reaktive  Entzündung  im  Drüsengewebe,  die,  wenn  die 
Herde  resorbiert  sind,  sklerotische  Mecke  hinterlassen.  Obwohl  sich 
nur  selten  Gelegenheit  gibt,  das  anatomische  Bild  dieser 
akuten  Pankreatitis  zu  studieren,  kann  doch  kein  Zweifel  da¬ 
rüber  sein,  dass  sie  in  inniger  Beziehung  zur  schweren  Nekrose  steht, 
deren  abortive  Eorm  sie  repräsentiert  und  deren  Vorläufer  sie  oft 
genug  bildet.  Die  Erage,  welche  klinischen  Symptome  sie  hervorrutt 

_  gegenwärtig  die  wichtigste  Frage  der  Pankreaspathologie  will 

ich  zunächst  übergehen,  um  erst  über  die  uns  besser  bekannte  chro¬ 
nische  Pankreatitis  zu  sprechen. 

Ich  deutete  schon  an,  dass  ein  Teil  der  spontan  oder  nach 
operativem  Eingriff  in  Genesung  ausgehenden  Fälle  von  Pankreas¬ 
nekrose  später  Zeichen  der  chronischen  Pankreatitis  resp.  der  Pan¬ 
kreassklerose  oder  Pankreasatrophie,  wie  der  Zustand 
auch  genannt  wird,  aufweisen.  Diese  bilden  aber  nur  einen  kleinen 
Prozentsatz.  Meist  entwickelt  sich  die  Krankheit  schleichend  aus 
rezidivierenden  akuten  Entzündungen,  die  —  klinisch  mehr  oder 
weniger  latent  —  Erkrankungen  der  Gallenwege  und  des  Duodenums 
begleiten  Weiterhin  können  Gallen-  und  Pankreassteinc,  das  Kar¬ 
zinom  der  Papille  und  andere  Tumoren,  indem  sie  mechanisch  den 
Sekretabfluss  aufheben,  zur  chronischen  Induration  führen.  Auch 
Eues,  Alkoholismus  chronicus,  Arteriosklerose,  Pankreaszysten  und 
endlich  eine  Reihe  von  Infektionskrankheiten  figurieren  unter  den  Ur¬ 
sachen.  ln  anatomischer  Hinsicht  ist  bemerkenswert,  dass  in  man¬ 
chen  Fällen,  namentlich  in  den  durch  Sekretstauung  entstandenen,  die 
Langerhans sehen  Inseln  nicht  in  demselben  Masse  atrophieren, 
wie  das  azinöse  Gewebe.  Auf  die  Bedeutung  dieser  Erscheinung 
für  die  Frage  des  Pankreasdiabetes  komme  ich  noch  zurück. 

Die  klinischen  Symptome  der  chronischen  Pankreatitis 
sind  sehr  wechselvoll,  entsprechend  der  verschiedenen  Entstehungs¬ 
weise  und  dem  Stadium  der  Entwicklung  des  anatomischen  Prozesses. 
Es  sei  hier  gleich  betont,  dass,  wenn  auch  der  Fortbestand  des 
Lebens  mit  dem  völligen  Zugrundegehen  der  Bauchspeicheldrüse  un¬ 
vereinbar  ist,  doch  keineswegs  alle  Fälle  progredient  verlaufen,  viel¬ 
mehr  einen  stationären  Zustand  repräsentieren,  der  einer  geeigneten 
Therapie  dankbare  Angriffspunkte  bietet. 

Die  subjektiven  Beschwerden  beziehen  sich  meist  auf 
Verdauungsbeschwerden  uncharakteristischer  Art:  Spannung  und 
Schmerzen  im  Epigastrium,  Kollern  im  Leibe  mit  zeitweise  stärkeren 
Durchfällen  etc.  Objektiv  besteht  gewöhnlich  deutliche  Abmagerung, 
manchmal  auch  ein  gewisser  Grad  von  Anämie.  Die  Untersuchung 
des  Abdomens  ergibt  nichts  Bemerkenswertes,  abgesehen  von  einer 
hin  und  wieder  bei  mageren  Leuten  und  schlaffen  Bauchdecken  — 
aber  keineswegs  regelmässig  —  fühlbaren  Resistenz  in  der  Ober¬ 
bauchgegend,  die  auf  Druck  ein  wenig  schmerzempfindlich  sein  kann. 
Auch  die  Funktionsprüfung  des  Magens  liefert  gewöhnlich  keinen  Hin¬ 
weis  auf  den  Sitz  des  Leidens. 

Entscheidend  für  die  Diagnose  ist  ausschliesslich  der  Stuhl¬ 
gang,  der  in  ausgesprochenen  Fällen  schon  bei  gemischter,  frei  ge¬ 
wählter  Kost  durch  seine  Massenhaftigkeit  und  seinen  hohen  Fett¬ 
gehalt  auffällt.  Wenn  das  Fett,  wie  es  nicht  allzu  selten  vorkommt 
(in  etwa  Y>  aller  ausführlich  untersuchten  Fälle),  in  Form  eines 
dünnen  Ueberzuges  von  geronnener  Butter  den  ganzen  Stuhl  bedeckt 
(sog.  „Butt  er  Stuhl“),  so  ist  dieser  Befund  an  sich  schon  be¬ 
weisend  für  Pankreaserkrankung,  da  das  bei  keiner  anderen  Erkran¬ 
kung  beobachtet  wird.  Es  besteht  übrigens  dieser  Fettüberzug  nicht, 
wie  man  anzunehmen  geneigt  ist,  stets  aus  Neutralfett,  sondern  oft 
ganz  vorwiegend  aus  freien  Fettsäuren  (Gros  s).  Dem  entspricht 
auch  das  mikroskopische  Stuhlbild,  in  dem  an  Stelle  der  in  Ikterus- 
fettstühlen  fast  ausschliesslich  vorhandenen  Fettnadeln  die  bei  Zim¬ 
mertemperatur  erstarrenden  Fettropfen  überwiegen.  Aus  chemischen 
Untersuchungen  von  Fr.  v.  Müller,  Z  o  j  a  u.  a.  wissen  wir  ja,  dass 
Störungen  der  Fettausnutzung  —  Steatorrhöe  —  eine  regel¬ 
mässige  Begleiterscheinung  mangelhafter  Bauchspeichelsekretion  ist, 
und  dass  sie  sich  oft  mit  ungenügender  Fettspaltung,  häufiger  noch  mit 
ungenügender  Seifenbildung  nach  erfolgter  Spaltung  verbindet. 

Mit  der  Steatorrhöe  vereint  ist  sehr  gewöhnlich  ein  ge¬ 
wisser  Grad  von  Kreatorrhöe,  d.  h.  Abgang  unausgenutzter  Reste 
von  Muskelfleisch.  Verreibt  man  etwas  von  der  Stuhlmasse  mit 
Wasser  sorgfältig  im  Mörser  und  breitet  die  Flüssigkeit  auf  einem 
weissen  Teller  aus,  so  kann  man  oft  schon  mit  blossem  Auge  die 
holzsplitterartigen  Muskelreste  erkennen;  anderenfalls  zeigt  uns  das 
mikroskopische  Präparat  auffallend  reichliche,  grosse,  gut  erhaltene 
Muskclfaserrcste  mit  Querstreifung  und  scharfen  Ecken,  gelegentlich 
ein  ganzes  Gesichtsfeld  ausfüllend.  Unausgenutzte  Stärkekörner 
zeigen  sich  ebenfalls  manchmal  bei  Jodzusatz. 

Da,  wie  jedermann  weiss,  die  Menge  und  Zusammensetzung  der 
Nahrung  von  massgebendem  Einfluss  auf  die  Zusammensetzung  der 
Fäzesmasse  ist  und  bei  unzweckmässiger  Kostwahl  auch  einmal  ohne 
Pankreaserkrankung  mikroskopische  Befunde  wie  die  hier  geschilder¬ 
ten  gefunden  werden  können,  ist  das  Ergebnis  der  Stuhluntersuchung 
nur  dann  für  chronische  Pankreatitis  entscheidend,  wenn  eine  leicht¬ 
verdauliche,  normalerweise  keine  derartigen  Reste  hinterlassende 
Nahrung  genossen  wurde,  am  besten  die  von  mir  eingeführte  Probe¬ 
kos  t,  deren  praktischer  Nutzen  nirgends  deutlicher  zutage  tritt,  als 


bei  dieser  Erkrankung.  Wer  nur  einigermassen  mit  dem  makro¬ 
skopischen  und  mikroskopischen  Bilde  des  Probediätstuhles  vertraut 
ist.  kann  die  durch  chronische  Entzündung  der  Bauchspeicheldrüse 
hervorgerufenen  Veränderungen  nicht  übersehen,  und  es  unterliegt 
keinem  Zweifel,  dass  es  auf  diesem  Wege  am  sichersten  und  ein¬ 
fachsten  gelingt,  die  Krankheit  zu  erkennen.  Selbst  sehr  geringfügige 
Veränderungen  der  Bauchspeicheldrüsenabsonderung,  die  sich  durch 
nichts  anderes  verraten,  entgehen  uns  nicht,  wenn  wir  bei  bestehen¬ 
dem  Verdacht  durch  Zulage  von  50  g  feingeschnittenem  Schinken  oder 
50  g  Butter  zur  Probekost  den  Darm  belasten. 

Die  hier  kurz  skizzierte  Funktionsprüfung  des  Darmes,  die  in 
wenigen  Minuten  ausgeführt  werden  kann,  macht  die  chemische  Ana¬ 
lyse  des  Kotes  und  der  Nahrung,  den  sogen.  Ausnutzungsversuch, 
dem  wir  allerdings  die  ersten  Hinweise  auf  die  Störungen  der  Bauch¬ 
speicheldrüse  zu  verdanken  haben,  für  die  Praxis  überflüssig,  sie  macht 
auch  die  verschiedenen  spezifischen  Pankreasproben  von  W  inter- 
nitz  ( J odbehensäureäthylester)  von  Sahli  (Glutoidkapseln  mit 
Jodoform)  und  selbst  die  von  mir  angegebene  Kernprobe  meistens 
entbehrlich.  Was  die  letztere  betrifft,  so  hat  sich  über  ihre  Zuver¬ 
lässigkeit  ein  lebhafter  Streit  entsponnen,  der  aber  jetzt  im  Sinne 
meiner  Angaben  entschieden  ist,  insofern  tatsächlich  von  allen  Ver¬ 
dauungssekreten  nur  der  Pankreassaft  imstande  ist,  die  Gewebskerne 
innerhalb  kurzer  Zeit  zu  lösen.  In  der  Modifikation  von  Kashi- 
wado  ist  die  Probe  sehr  einfach;  man  gibt  während  der  Probediät 
einmal  mittags  2 — 3  Kapseln  mit  gefärbten  Gewebskernen  )  und 
untersucht  die  nächsten  2  Stühle  mikroskopisch.  Ist  die  Kernver¬ 
dauung  gestört,  wie  das  bei  manchen  Fällen  von  Pankreaserkrankung 
auch  ohne  nennenswerte  Steatorrhöe  vorkommt,  so  erscheinen  die 
Kerne  im  mikroskopischen  Bilde  neben  den  als  Leitmerkmal  dienen¬ 
den  Lykopodiumkörnern  wieder. 

Es  ist  Ihnen  bekannt,  m.  H.,  dass  die  innere  Medizin,  die  an  der 
Erforschung  der  chronischen  Pankreatitis  den  grössten  Anteil  hat, 
neben  den  vom  geschädigten  Pankreas  herrührenden  Verdauungs- 
ausf ällen  nach  noch  direkteren  Zeichen  gesucht  hat  und  dass  dabei 
der  Nachweis  der  Pankreasfermente  in  den  Exkreten 
und  Sekreten  in  den  Vordergrund  getreten  ist.  In  den  Fäzes  handelt 
es  sich  vornehmlich  um  den  Nachweis  und  event.  um  die  quantitative 
Bestimmung  des  Trypsins  und  der  Amylase,  wofür  eine  Reihe  von 
Verfahren  —  das  qualitative  Serumplattenverfahren  von  Müller 
und  Schlecht,  die  quantitative  Kaseinmethode  von  Gros  s,  die 
Wohlgemuth  sehe  Diastasebestimmung  und  ihre  verschiedenen 
Modifikationen  —  ausgearbeitet  worden  sind.  Aber  auch  im  Magen¬ 
inhalt  können  wir  sie  seit  Boidyreffs  Entdeckung  des  häufigen 
Rückflusses  von  Duodenalinhalt  durch  den  Pylorus  mit  geeigneter 
Versuchsanordnung  aufsuchen,  und  noch  sicherer  im  Duodenalmhalt 
selbst,  den  mittels  des  Duodenalschlauches  zu  gewinnen  uns  Ein¬ 
horn  gelehrt  hat.  Ich  kann  die  Technik  aller  dieser  Methoden  hier 
nicht  durchsprechen  und  muss  mich  auf  ein  summarisches  Urteil  über 
ihren  Wert  für  die  Diagnose  der  chronischen  Pankreatitis  beschrän¬ 
ken.  Dasselbe  geht  dahin,  dass  sie  wegen  der  Fehlerquellen,  die  ihnen 
durch  die  natürlichen  Schwankungen  des  Fermentgehaltes  der  Drüse, 
durch  die  Interferenz  mit  anderen  Verdauungsfermenten,  speziell  mit 
Erepsin  und  mit  Bakterienfermenten,  durch  den  erheblichen  Einfluss 
der  Passagezeit  der  Ingesta  auf  den  Fermentgehalt  der  Fäzes,  end¬ 
lich  durch  die  Ungenauigkeit  der  quantitativen  Bestimmungen,  wohl 
als  Ergänzung  für  den  Stuhlbefund  von  Bedeutung  sind,  aber  nur 
selten  allein  die  Diagnose  entscheiden.  Für  die  praktisch¬ 
klinische  Auffassung  ist  es  jedenfalls  wichtiger 
zu  wissen,  wie  gross  die  Verdauungsausfälle  sind, 
die  durch  das  geschädigte  Pankreas  verursacht 
werden,  als  ob  sich  die  Fermente  des  Saftes  in  den 
Sekreten  und  Exkreten  nachweisen  lassen. 

Ich  betrachte  es  nicht  als  meine  Aufgabe,  hier  alle  weiteren 
Symptome  der  chronischen  Pankreatitis  aufzuzählen,  will  mich  viel¬ 
mehr  auf  2  Punkte  beschränken,  die  von  Wichtigkeit  sind.  Der  eine 
betrifft  die  interkurrenten  Darmkatarrhe,  welche  sich 
häufig  auf  der  Basis  der  steten  Anwesenheit  unverdauter  Nahrungs¬ 
reste  im  Darmlumen  entwickeln  und  die  Diagnose  leicht  auf  eine 
falsche  Fährte  leiten.  Der  Stuhl  zeigt  in  diesem  Stadium  alle  Merk¬ 
male  der  chronischen  Enterokolitis:  dünnflüssige  Beschaffenheit, 
Schleim,  event.  mit  Blut  vermischt,  und  alle  Arten  von  Nahrungs¬ 
resten.  Wenn  auch  der  Erfahrene  vielleicht  trotzdem  den  richtigen 
Zusammenhang  der  Dinge  —  ich  meine  den  sekundären  Charakter  der 
Entzündung  —  vermuten  wird,  so  ist  doch  der  Beweis  dafür  erst  dann 
zu  liefern,  wenn  es  unter  sorgfältiger  Behandlung  gelingt,  den  Katarrh 
zu  beseitigen  und  nun  die  charakteristische  Störung  der  Verdauung 
bei  Abwesenheit  aller  Entzündungsprodukte  übrig  bleibt. 

Der  2.  Punkt  betrifft  die  Kombination  der  Pankrea¬ 
titis  c  h  e  n  Symptome  mit  denen  der  Cholelithiasis 
resp.  Cholezystitis,  die  nach  dem  ursächlichen  Verhältnis 
beider  zueinander  naturgemäss  ausserordentlich  häufig  ist.  Sie  stört 
die  Diagnose  einmal  dadurch,  dass  bei  vorhandener  Schmerzhaftigkeit 
und  Schwellung  der  Leber  oder  der  Gallenblase  die  subjektiven  Er¬ 
scheinungen  ausschliesslich  auf  die  Gallensteinkrankheit  bezogen  wer¬ 
den,  dann  aber  besonders  durch  das  gleichzeitige  Bestehen  von 
Ikterus,  welcher  die  Verwertung  der  Kotuntersuchung  beeinträchtigt. 
Hier  kommt  alles  auf  eine  exakte  Stuhlbeobachtung  an,  die  öfter 
wiederholt  werden  muss  und  gegebenenfalls  neben  der  massenhaften 


l)  Zu  beziehen  von  Merck-  Darmstadt. 


4.  August  1914. 


Anwesenheit  von  Fettsäure-  und  Scifcnnadeln  auffallend  reichlich  cr- 
starrte  retttropfen  und  —  was  das  wichtigste  ist  —  zahlreiche  Mus- 
keltaserreste  ergibt,  ln  zweifelhaften  Fällen  können  hier  die  Ferment¬ 
proben  ausschlaggebende  Bedeutung  erlangen.  Fieberbewegungen 
sind  wohl  meist  aut  die  Erkrankung  der  (iallenwege  zu  beziehen 
können  aber  schliesslich  auch  vom  Pankreas  ausgelöst  w'erden,  wenn 
sich  neue  akute  Schübe  auf  die  bestehenden  chronischen  Verände¬ 
rungen  aufsetzen. 

.  .  }\as  könpen  wir  therapeutisch  gegen  die  chronische  Pan¬ 

kreatitis  erreichen.  Wenn  auch  von  chirurgischer  Seite  immer 
wieder  gelegentlich  die  Spaltung  der  Kapsel,  event.  in  Verbindung  mit 
Inzisionen  des  Drusengewebes  selbst  empfohlen  werden,  so  kann 
doch  heute,  nachdem  w'ir  wissen,  dass  das  Organ  in  den  meisten 
Fa  len  nicht  vergrossert,  sondern  verkleinert  gefunden  wird  und 
nachdem  auch  die  massgebenden  Operateure,  insbesondere  Körte, 
sich  ablehnend  gegenüber  derartigen  Eingriffen  ausgesprochen  haben, 
die  chirurgische  Therapie  nur  insofern  in  Frage  kommen,  als  sie  gegen 
die  Beseitigung  der  auslösenden  Krankheit  (Erkrankungen  der  Gallen- 
rvego  ^*CUS  duodeni  und  ventriculi,  Steine,  Zysten  etc.)  angezeigt  ist. 

ie  ankreatitis  würde  die  Indikation  besonders  dann  unterstreichen, 
wenn  sie  nach  dem  Ergebnis  der  Beobachtung  progredienten  Charak¬ 
ter  aufweist  oder  von  Zeit  zu  Zeit  aufflackert 

Die  stationäre  chronische  Pankreatitis  muss  ein  Objekt  der 
inneren  Behandlung  bleiben,  insonderheit  der  diätetischen  Therapie, 
die  hier  in  der  lat  grosse  ErTölge  aufzuweisen  hat.  Denn  nur  in 
den  verhältnismässig  seltenen  Fällen  luetischer  Erkrankung  sind  wir 
in  der  Lage  eine  kausale  Therapie  zu  treiben,  deren  Erfolg  übrigens 
in  einem  Falle  Umbers  ein  vollständiger  war.  Selbstverständlich 
kommt  aber  auch  die  gegen  Cholelithiasis,  Ulcus  duodeni,  Alkoholis¬ 
mus  und  andere  Orundkrankheiten  gerichtete  Therapie  schliesslich 
dem  Pankreas  zugute. 

Die  D  i  ä  t  v  o  r  s  c  h  r  i  f  t  e  n  bei  chronischer  Pankreatitis  er¬ 
geben  sich  ohne  weiteres  aus  dem  Stuhlbefund,  wobei  aber  der 
Mageninhalt  nicht  vernachlässigt  werden  darf.  In  erster  Linie  wer¬ 
den  meist  zuerst  die  Fette  einzuschränken  sein,  wenn  auch  die  An¬ 
wesenheit  unverdauter  Fettreste  im  Verdauungskanal  erfahrungs- 
gemass  diesen  relativ  wenig  schädigt.  Vollständiges  Fettverbot  ist 
meist  nicht  notig;  niedrig  schmelzende  Fette  (Butter,  Gänsefett)  und 
namentlich  emulgierte  Fette  werden  doch  wenigstens  zum  Teil  auf¬ 
gesaugt.  Von  künstlichen  Fettpräparaten,  deren  Fett  zum  Teil  ge¬ 
spalten  ist,  kann  man  nicht  viel  erwarten,  da  die  Fettspaltung  kaum 
f  aufgehoben  ist.  Wohl  aber  kann  eine  Neutralisation  der  freien 
Fettsäuren  durch  Darreichung  von  Kalkwasser  nützlich  sein.  In 
zweiter  Lime  muss  das  Fleisch  eingeschränkt  werden,  und  zwar  zu- 
guns  en  von  Gelatinespeisen,  pflanzlichem  Eiweiss  und  Eiweissprä¬ 
paraten.  Von  letzteren  hat  sich  manchen  Forschern  das  völlig  auf- 
gespaltene  Erepton  in  kleinen  Dosen  als  brauchbar  erwiesen/  Gibt 

o!dPnSCfh/  S°  S°i!  CS  Suhr  gekocht  oder  gebraten  und  ausser¬ 
ordentlich  fein  mechanisch  zerkleinert  sein.  Die  stärkehaltigen  Nah- 

3S™ttei  einzuschränken  ist  in  der  Regel  nicht  nötig,  wenigstens 

hpi!ntdiei?efeaifn’  fw.ahrend  die  Verträglichkeit  der  Gemüse  häufig 
beeinträchtigt  ist  infolge  erschwerter  Zelluloselösung,  die,  w:e  es 

Begleiterscheinung  der  gestörten  Fettverdauung  ist 
üfä  Herford  erlich  Darmkatarrh  ist  vorübergehend  eine  äusserst  blande 

Zur  Unterstützung  der  Diät  dienen  die  Pankreaspräpa- 
1  ate,  I  ankreon  und  Pankreatin,  die  manchmal  auffallend  Gutes  lei¬ 
sten,  manchmal  aber  auch  recht  wenig.  Es  empfiehlt  sich  grosse 
Du°cShu"  ZU^fben-  Weit®rhin  kommt’  wen”  die  Mageninhaltsunter- 

von  HGl  fnaIRatUre,man/el  eiFbenu  hat’  der  reselmässige  Gebrauch 
von  HCl  in  Betracht,  der  sich  recht  wohl  mit  der  Eingabe  von  Pan- 

/r5aupraparate"  verewigen  lässt.  Entleert  sich  der  Magen  nicht 
asch  genug  oder  sind  Zeichen  einer  Zersetzung  des  Inhaltes  vor- 
lunden,  so  zögere  man  nicht  mit  Magenspülungen. 

Es  fragt  sich,  ob  wir  darüber  hinaus  durch  die  Berieselung  des 
Juodenums  mittels  der  Duodenalsonde  einen  direkten  Einfluss 
*“.f  das  erkrankte  Pankreas  gewinnen  können?  Nach 
neinen  bisherigen  Erfahrungen  möchte  ich  die  Frage  mit  ja  be- 

\l7/te,nUWPnigStens  für  die  Falle’  wo  vom  gestauten  oder  infizierten 
rh°h^ha  111  ia  l  aus  -eTe  dauernde  Schädigung  der  Drüse  stattfindet, 
ch  habe  meist  zunächst  dünne  Lösungen  von  H=Os  eingegossen  bin 
' 1«  Menge  und  Konzentration  gestiegen  und  glaube  d^v™ 
leuthehen  Nutzen  gesehen  zu  haben.  In  Fällen  von  stärkerer  Zer 
|etzung  des  oarminhaltes  blase  ich  jetzt  ozonisierten  CL  langsam 
Qm,  d“l  Duodenalsonde  ein,  wobei  der  Patient  gleichzeitig  Jod- 

khtsrmrhi11!'1!,"1“^'  Ch  be,haIte  mir  vor,  auf  diese  anscheinend  aus- 
lchtsreiche  Therapie  an  anderer  Stelle  zurückzukommen 

r  soviel  über  die  chronische  Pankreatitis.  Ihre  genaue  Kenntnis  ist 
Voraussetzung  für  die  Auffindung  der  Symptome  der  akuten  Pai 
I*  dieJch  oben  aIs  die  zurzeit  brennendste  Frage  der  Pan- 

er  Srn0«  0gienbHZeiChn.et  habf7  Wir  dürfen  ihr  Auftreten,  wie  das 
.r™r,ose  Hamorrhagie,  deren  rudimentäre  Form  sie  gewisser- 

-i.  |  ars*e  ’  am  ehesten  im  Verlaufe  der  Cholelithiasis  resp. 
2neZy,1lS,terWarten’  derPnächst  bei  Ulcus  duodeni  und  anderen 
pmrfp  i  fl  k  Ten’  ^iterhin  unter  Umständen  bei  kallösem  Ulcus 
SSS"  *1°'  ?gKenubcr  der  schweren  Nekrose  fehlen  hier  die  cha- 
aKtensbschen  Allgememerscheinungen,  insbesondere  der  Kollaps  und 
■'hm»5,IecbenJ  wahrend  die  plötzlich  einsetzenden  heftigen  Leib- 
pi'Hpm  mü-  l  ••  *?eis*  auch  wohl  geringe  Temperatursteigerungen 
gleichmassig  zukommen.  Natürlich  kann  aber  die  individuelle 


MUKNCHFNER  MEDIZINISCHE  WOCHFNSCHRIFr 


_ _ 1741 

Reaktionsfähigkeit  die  Unterschiede  verwischen,  und  so  sind  neuer- 
mgs  von  Nordmann  und  früher  schon  von  Hirschfeld  Fälle 
!'‘tgetcilt  worden,  bci  denen  der  chirurgische  Eingriff  das  Bestehen 
einer  aus  Entzündung  und  Hamorrhagie  gemischten  Infiltration  der 
rumnL  c,rgeben  hat-  Uie  Schwierigkeit,  eine  solchen  Schmerzattacke 
richtig  zu  deuten,  liegt  auch  hier  in  der  gleichzeitigen  Anwesenheit 
Znr^ehtr->  °df  Gallenblasenschwellungen,  die  zunächst  die  Auf- 
^1®rksamkeit  auf  sich  lenken.  Untersucht  man  aber  in  solchen  Fällen 
man  dochienShtten,  ,Pach de,ri  Anfall  abgesetzten  Stuhlgänge,  so  findet 
S-McSfii- n  cht  u®lten  Veränderungen  darin,  welche  auf  eine  Pan- 
kreasbeteihgung  bitweisen.  Fettreichtum  würde,  wenn  Ikterus  vor- 

skopiscl/viel^ot^b  ratfr!ich  nichts  beweisen.  Wenn  aber  mikro- 
im?|P|rLn  bett  ViesfaD  von  unregelmässigen  (erstarrten)  Tropfen 
und  Schollen  anwesend  ist,  die  beim  Erwärmen  des  Objektträgers 
-  v°rh®”g®n.  ZtJ,SatzT  Yon  Essigsäure  flüssig  werden  und  sich  Icb- 
?mMhlSft.L°SUng  färben  (freie  Eettsäuren)  oder  wenn 
fw  die  Nilblausulfatlosung  eine  Violettfärbung  der  Tropfen  macht 

e»  u-°  ,das  nicht  Zum  Ikterusstuhl.  Der  Verdacht  auf 
«^tPneaSaffektlMn  verstarkt,  wenn  weiterhin  neben  den  Fett¬ 

resten  grosse  Muskelfaserreste  mit  scharfen  Ecken  und  erhaltener 

rhöe^^F  Un t  vo/ha/den  sind  als  Ausdruck  einer  leichten  Kreator- 

deneti  ich  fp1,  f hr  bemerkenswert.dass  bei  diesen  Zuständen,  von 
denen  ich  jetzt  schon  eine  ganze  Anzahl  beobachtet  und  durch  die 

STvÄ?10“  bestätigt  gefunden  habe,  die  Störung  der 
Fettverdauung  diejenige  der  Fleischverdauung 

aher^^njf’  ,?a  ^  nicht  beteiligt  zu  sein  pflegt,  wohl 

aber  die  Galle,  der  spezifische  Aktivator  der  Pankreaslipase  durch 

das  Grundleiclen  (Bakterieninfektion)  an  ihrer  Wirksamkeit  ein- 
?e?dSung  l’eidet.18*  natÜrlich’  dass  in  erster  Linie  die  Fett- 

Untersuchungen  auf  den  Fermentgehalt  der  Fäzes  resp  des  Duo 
denalmhäUes  sind  bisher  bei  der  akuten  Pankreatitis  ebensowenig  ge- 

?  ChcnW?rKd?n’  Wie  bei  der  Pankreasnekrose,  wo  die  Schwere  des 
Krankheitsbildes  und  die  Verhaltung  der  Stuhlentleerung  das  ohne 
a9USp.cJj  iesse{n-,  Hirschberg  hat  aber  nach  erfolgter 

Fermente  (AmtlJJ61  J  t”  ko.ni|en’  wo  die  anfangs  verschwundenen 
Fermente  (Amylase  und  Trypsin)  nach  und  nach  wieder  in  den  Fäzes 
auftraten  und  normale  Werte  erreichten,  während  umgekehrt,  ent¬ 
sprechend  den  Wohlgemuth sehen  Experimenten,  die  Amylase  im 
Urin  zuerst  stark  vermehrt  war  und  später  zur  Norm  zurückkehrte 
Dieses  ällmähhche  Verschwinden  der  pathologischen  Ausscheidungs- 
verhaltmsse,  welches  mit  dem  Nachlassen  der  anfänglichen  Steator- 
rhoe  und  Kreatorrhoe  gleichen  Schritt  hält,  dürfte  in  Zukunft  für  die 
h  mgnose  von  Bedeutung  werden.  Ich  will  auch  nicht  unterlassen  zu 
bemerken,  dass  unter  Umständen  eine  transitorische  Glykosurie  oder 

dPr  Anfall VHi  ^  1  der  L  o  e  w  i  sehen  Reaktion  (Adrenalinmydriasis) 

im  Anfall  die  Diagnose  erleichtern  können. 

In  therapeutischer  Hinsicht  wird  bei  sicherer  Diagnose 
immer  zunächst  die  Frage  des  operativen  Eingriffes  erwogen  werden 
mn^ph'  Wenn  derselbe  auch  in  der  Regel  —  ich  sehe  hfer  von  den 
mit  schweren  Allgemeinsymptomen  einhergehenden  Fällen  ab  —  an 
mm  •  *  b,,zur  Entspannung  und  Drainage  des  Pankreas,  kaum  je 
indiziert  ist,  so  wird  er  doch  durch  die  Gefahr  der  Rezidive  und 
die  Möglichkeit  einer  späteren  Iebensgefähi  liehen  Nekrose  nahegeleg? 

praxi  e.rhaIt  deshalb,  wenn  gleichzeitig  Cholelithiasis  oder' Ulcus 
duodeni  als  Ausgangsleiden  nachgewiesen  werden  kann,  die  chi- 
rurgische  Behandlung  dieses  Leidens,  wenn  sie  überhaupt  angebracht 
ist,  durch  die  komplizierende  Pankreatitis  Unterstützung. 

,Der  u/kuten  Pankreatitis  in  mancher  Beziehung  ähnlich,  wenn 
zuerst verschieden,  sind  die  Zustände,  welche  ich 
zuerst  1906  als  Achylia  pancreatica  beschrieben  habe  Es 
handelt  sich  ausschliesslich  um  Personen,  welche  an  Sekretions¬ 
storungen  des  Magens  (Achylia  gastrica)  mit  davon  abhängigen  djs- 
peptischen  Storungen  des  Darmes,  also  an  der  sog.  gastrogenen 
Darmdyspepsie  leiden.  Im  Verlaufe  derselben,  der  sehr  gewöhnlich 
wechselnde  Perioden  der  Besserung  und  Verschlechterung  aufweist 
hnden  sich  nicht  selten  auf  der  Höhe  der  Exazerbationen  deutliche 
Zeichen  von  Insuffizienz  der  paukreatischen  Sekretion  in  den  Fäzes* 
Abgäng  unvercläuter,  meist  schon  mit  blossem  Auge  erkennbarer' 
Fleischstuckchen  und  vermehrte  Fettreste  bei  Probekost  oder  einer 
HPa  °g(fnK  verdaulichen  Nahrung.  Die  naheliegende  Vermutung, 
dass  dabei  lediglich  die  zu  schnelle  Passage  der  Kontenta  diese 
Nahrungsreste  m  den  Stuhl  gelangen  lässt,  wird  dadurch  widerlegt, 
dass  nicht  alle  Kategorien  von  Nahrungsmitteln  gleichmässig  schlecht 
verdaut  werden,  sondern  ganz  vorwiegend  das  Fleisch,  und  dass  die 
ftei|Cb,enf..,eme®  Ka*arrhs,  also  einer  primär  zu  beschleunigter  Peri- 
sUltik  führenden  Storung,  fehlen.  Neben  dem  Fleisch  ist  meist  auch 
JP. .  Kcrnverdäuung:  ^schädigt,  so  dass  die  Kernprobe  positiv  aus- 
lallt,  viel  weniger  in  der  Regel  die  Fettverdauung.  Fett  erscheint 
zwar  auch  in  unverdautem  Zustande  in  den  Fäzes  wieder,  aber 
dann  oft  in  Gestalt  kleiner  Fettklümpchen.  Hierbei  ist  das  Primuni 
die  mangelhafte  Losung  des  Bindegewebes,  das  die  Fettzellen  ein- 
scnliesst,  eine  Folge  der  fehlenden  Magcnsalzsäure;  Fett  in  Nadeln 
und  Tropfen  kommt  seltener  vor.  u  10 

Dieser  Stuhlbefund  steht  in  einem  gewissen  Gegensatz  zu  dem 
der  akuten  Pankreatitis,  wo,  wir  wir  sahen,  die  Störungen  der  Fett¬ 
verdauung  uberwiegen.  Um  das  zu  verstehen,  müssen  wir  uns  er¬ 
innern,  dass  hier  die  Ursache  des  Ganzen  in  dem  Ausfall  der  Magen¬ 
salzsaure,  des  Hauptstimulans  der  Trypsinausscheidung,  gelegen  ist 
wahrend  dort  die  Galle,  der  Aktivator  des  lipolytischen  Fermentes! 


1742 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  31. 


geschädigt  ist.  Ich  habe  daraus  die  Regel  abgeleitet -—die  natürlich 

nicht  die  Bedeutung  absoluter  Gesetzmassigkeit  haben  soll  d  a  ss 
bei  leichter  Erkrankung  der  Bauchspeicheldrüse 
der  Charakter  der  p  a  n  k  r e  a tischen  S  e  kr e  1 1 o  s  s  t o  - 
rung  der  auslösenden  Störung  gleichsinnig  g 

^Die  Untersuchung  auf  Fermente  ergibt  bei  Pankreasachylie  völ¬ 
liges  Fehlen  oder  doch  sehr  starke  Verminderung  in  den  Fäzes  und  im 
Duodenalinhalt  resp.  im  Mageninhalt  nach  Oelfruhstück.  \  erschiedene 
Autoren  (Gross  Matkou.  a.)  haben  diesen  Befund  in  den  Vorder¬ 
grund  gestellt  und  sprechen  auch  dann  von  Pankreasachylie.  wenn 
fed  glich  Fermentmangel  ohne  die  Zeichen  gestörter  Nahrungsaus¬ 
nutzung  besteht.  Das  ist  unberechtigt:  wenn  bei  fehlender  Magen¬ 
salzsäure  die  Darmverdauung  normal  vor  sich  geht,  so  muss  auch  die 
Pankreassekretion  genügt  haben,  und  wenn  dabei  kein  überschüssige 
Ferment  iS  die  Fäzes  gelangt,  so  kann  man  höchstens  von  einer  an 
der  unteren  Grenze  des  Normalen  sich  bewegenden  Sekretionsgrosse 
reden.  Tatsächlich  konnte  Mat  ko  zeigen  dass  unter  Eingabe  von 
HCl  die  Trypsinwerte  der  Fäzes  gewöhnlich  wieder  in  die  Hohe 

KI"KCFns  fragt  sich,  ob  den  Fällen  ausgesprochener  Achylia  pancreatica, 
von  denen  i  c  h  und  Kashiwado,  ferner  K  er  n  und  W  1  e  n  er,  so¬ 
wie  neuerdings  M  o  r  a  w  i  t  z,  eine  Reihe  typischer  Falle  veroffent- 
Hcht  haben,  wirklich  nur  eine  funktionelle  Störung  und  nicht  doch  eine 
leichte  akute  Entzündung  der  Drüse  zugrunde  liegt/  Anatomische  Be¬ 
weise  fehlen;  wir  sind  also  ausschliesslich  auf  die  klinischen  Merk¬ 
male  angewiesen.  Und  da  ist  zu  betonen,  dass  Schmerzanfalle  und 
Fieberbewegungen  regelmässig  fehlen  und  dass  die  Storung  trotz  ihrer 
anfänglichen  Heftigkeit  fast  immer  unter  geeigneter  Behandlung,  bei 
der  Spülungen  des  Magens  resp.  des  Duodenums  im  Vordergründe 
stehen,  in  kurzer  Zeit  sich  ausgleicht.  Bisher  sind  keine  einwand¬ 
freien  Beobachtungen  von  auf  der  Basis  wiederholter  derartig 
Attacken  entstandener  chronischer  Pankreatitis  bekannt,  und  wir  tun 
deshalb  gut,  zunächst  von  einer  funktionellen  Schäd^ung  zu  sprechen, 
obwohl  wir  damit  rechnen  müssen,  dass  unsere  erweiterten  Erfah¬ 
rungen  uns  später  zu  einer  anderen  Auffassung  zwingen  können, 
rungen  uns  sp^  untedasse  es>  au{  die  Pathologie  der  Pankreasste.ne, 

der  Zvsten  und  Karzinome  näher  einzugehen,  da  ihre  Symptomato¬ 
logie,  abgesehen  von  den  ihnen  eigentümlichen,  seit  langeni  bekannten 
Merkmalen  sich  im  wesentlichen  mit  der  der  chronischen  1  ankreatitis 
deckt  und  die  Fortschritte  in  ihrer  Behandlung  lediglich  technischer 

NjtUDagegen  möchte  ich  zum  Schlüsse  noch  mit  einigen  Worten  auf 

,1  i  e  Beziehung  en  der  Pankreaskrankheiten  z  u  r  G  1  y- 

k0Surie  und  zum  Diabetes  ein  gehen.  Dass  dlf.tQfyu°®S 
wo  sie  vorhanden  ist,  die  Diagnose  sehr  wesentlich  stutzt,  braucht 
nicht  betont  zu  werden.  Leider  liegt  die  Sache  aber  so  dass  sie 
"erade  bei  den  diagnostisch  schwierigen  Fallen,  der  akuten  Pan¬ 
kreatitis  und  der  Nekrose,  sehr  häufig  vermisst  wird,  wahrend  ml  bei 
der  chronischen  Pankreatitis  in  einem  erheblichen  Prozentsatz  de 
Fälle  vorhanden  ist,  ohne  aber  dabei  in  der  Häufigkeit  ihres  Vor- 
kommens  mit  dem  Grade  der  Induration  der  Druse  parallel  zu  gehen. 
Noch  ungleichmässiger  und  deshalb  diagnostisch  vorläufig  unverwert¬ 
bar  sind  bekanntlich  die  Ergebnisse  der  C  a  m  midge  sehen  Reaktion 
die  auch  heute  in  der  Praxis  kaum  noch  geübt  wird.  Theoretisch 
ist  sie  immerhin  interessant,  da  sie  nach  den  sorgfältigen  Unter¬ 
suchungen  von  P  e  k  e  1  h  a  r  i  n  g  und  vanHoogen  hu  y  z  e  auf  der 
Ausscheidung  von  Dextrinen  beruht,  die  als  Vorstufe  der  Glykosurie 

s„geSAehe„dwerden  ka„|e|te  ^  ^  ^  Diabetes  Sym- 

ctome  welche  auf  Miterkrankung  des  azinösen  Gewebes  der  Bauch¬ 
speicheldrüse  hinweisen,  gewöhnlich  fehlen.  Wo  Kreatoi rhoe  und 
Steatorrhöe  die  Zuckerausscheidung  begleiten,  also  1C ’f.” 

Pankreasdiabetes  handelt  cs  sich  um  besondere  Krankheitsbilder,  die 
auch  in  Bezug  auf  das  Verhalten  der  Glykosurie  vielfach  von  den, 
gewöhnlichen  Diabetes  abweichen.  , . 

Es  ergibt  sich  daraus,  dass  die  äussere  und  die 

innere  Sekretion  der  Drüse  in  weitgehendem  Masse 

von  einander  unabhängig  sind.  Die  innere  Sekretion  ist, 
wie  Sie  wissen,  von  verschiedenen  Seiten  in  Beziehung  zu  den 
Langer  h  ans  sehen  Inseln  gebracht  worden,  und  es  liegen  in  der 
Tat  eine  Reihe  von  Erfahrungen  vor.  welche  für  einen  derartigen 
Zusammenhang  sprechen.  So  bleiben  bei  der  langsamen  Atrophie  der 
Drüse  nach  Unterbindung  der  Ausführungsgänge  die  L  an  ge  r  bans  - 
sehen  Inseln  oft  sehr  lange  intakt  und  dementsprechend  fehlt  die 
Glykosurie.  Beim  Diabetes,  dessen  typisches  Korrelat  die  Hanse¬ 
ln  a  u  n  sehe  Granularatrophie  ist,  sind  die  Drüsenzellen  nicht  degene¬ 
riert  wenn  auch  etwas  verkleinert;  dagegen  weisen  die  Langer- 
h  ans  sehen  Inseln  nach  Weichselbaum  und  anderen  zuver¬ 
lässigen  Beobachtern  doch  recht  häufig  degenerative  Veränderungen 
verschiedener  Art  auf.  Diesen  Befunden  stehen  aber  andere,  sicher 
konstatierte  gegenüber,  wo  gerade  das  Inselgewebe  besonders  gut 
entwickelt,  beinahe  hypertrophiert  war;  und  es  sind  auch  Falle  von 
völliger  bindegewebiger  Schrumpfung  der  Druse  mit  Einschluss  der 
Inseln  bekannt  geworden,  in  denen  keine  Glykosurie  bestand. 

Sicher  besteht  also  keine  Korrelation  zwischen  abnormen  Be¬ 
funden  an  den  Inseln  und  dem  Vorkommen  von  Zucker  im  Urin,  wie 
etwa  zwischen  dem  Zustande  des  Drüsengewebes  und  der  ausseren 
Sekretion  Um  über  diese  Schwierigkeit  hinwegzukommen,  hat  man 
zu  verschiedenen  Hypothesen  seine  Zuflucht  genommen.  So  ist  be¬ 


hauptet  worden,  dass  die  Inseln  sich  immer  wieder  neu  aus  dem 
Drüsengewebe  regenerieren  können,  woraus  sich  der  Befund  hyper¬ 
trophischer  Inseln  beim  Diabetes  erklären  lassen  wurde.  Kürzlich  las 
ich  dass  ein  französischer  Autor  in  der  Darmschleimhaut  mstlartige 
Zellkomplexe  gefunden  haben  will,  die  er  für  versprengte  Langer- 
h  ans  sehe  Inseln  ansieht.  Wenn  das  richtig  ist  so  konnten  aller¬ 
dings  diese  aberranten  Zellkomplexe  unter  Umstanden  das  Zustande¬ 
kommen  von  Glykosurie  trotz  Degeneration  des  gesamten  Pankreas¬ 
gewebe"  verhüten.  Endlich  müssen  wir  aber  auch  wie  beim  azinösen 
Gewebe  mit  funktionellen  Störungen  der  Inseltatigkeit  rechnen,  und 
diese  Annahme  gewinnt  durch  die  neuen  Erfahrungen  über  die  W  ech- 
selwirkung  der  Drüsen  mit  innerer  Sekretion  eine  Stutze. 

Fs  würde  mich  indessen  zu  weit  führen,  wenn  ich  auf  diese 
schwierigen  Verhältnisse  näher  eingehen  wollte.  Ich  muss  mich 
darauf  beschränken,  zu  resümieren,  dass  wir  ein  anatomisches  Kor¬ 
relat  für  die  Störung  der  inneren  Sekretion  des  Pankreas  noch  nicht 
mit  Sicherheit  gefunden  haben,  und  dass  deshalb  die  Verwertung  der 
Glykosurie  für  die  anatomische  Diagnose  nur  bei  gleichzeitigem  Be¬ 
stehen  von  Störungen  der  äusseren  Sekretion  oder  von  anderen  auf 
das  Pankreas  hinweisenden  Symptomen  angängig  ist. 


Bücheranzeigen  und  Referate. 

Die  Brightsche  Nierenkrankheit,  Klinik,  Pathologie  und  Atlas. 
Von  F  Volh  a  r  d  und  Th.  F  a  h  r.  Mit  17  mehrfarbigen  Abbildungen 
im  Text  und  44  farbigen  Tafeln.  Berlin  1914.  Springers  Verlag. 

Prei! "zil5ammeSfeabsse4ndeMklinische  Darstellungen  der  Njerenkrankheiten 
sind  in  den  letzten  Jahrzehnten  kaum  gegeben  worden,  und  in  den 
Einzelveröffentlichungen  haben  experimentelle  Untersuchungen  und 
solche  über  die  Funktionsprüfung  der  Nieren  stark  uberwogen.  Der 
Frage  nach  dem  anatomischen  Substrat  bestimmter  k Kmsclier  Krank 
heitsbilder  resp.  Funktionsstörungen  standen  die  meisten  Bearbeiter 
des ^  Nierengebietes  gleichgültig  gegenüber,  weil  sie  von  vornherein 
annahmen,  dass  eine  einheitliche  morphologische  Grundlage  für  d  e 
Störungen  doch  nicht  fassbar  sei.  Diese  Auffassung,  an  der  die 
m vprprn7  im  Arbeitsgebiet  des  Klinikers  und  des  pathologischen 
Anatomen  Schuld  trug,  führte  zu  einem  fast  absoluten  Nihilismus  m 
der  Auffassung  und  Einteilung  der  Nierenkrankheiten;  und  wenn  auc 
einzelne  Kliniker  diesen  heute  allgemein  ausgesprochenen  An¬ 
schauungen  nicht  beistimmten,  und  an  einem  kleinen  Material  den 
Eindruck  gewonnen  hatten,  dass  aus  der  detaillierten  h'stdogisdien 
Untersuchung  der  Nieren  sehr  wohl  ein  Ruckschluss  auf  die  Lnt 
stehungsweise  der  Störungen  möglich  sein  müsse,  so  hat  doch  bisli 
keiner  von  ihnen  konsequent  in  jahrelanger  Arbeit  die  aus  der  Beob¬ 
achtung  eines  grossen  Nierenmateriales  sich  ergebenden  Fragen  der 

Bearbeitung^  unterzogen.hr  haben  mU  jhreni  Ss  angelegten  Werk 

das  Verdienst  nach  geraumer  Zeit  zuerst  wieder  an  die  Traddio 
einer  alten  klassischen  Zeit  der  Medizin  angeknupft  zu  haben,  in  de. 
die  Sonderinteressen  der  Spezialgebiete  noch  nicht  zu  einer  so  weit¬ 
gehenden  Trennung  in  pathologisch-anatomische  und  klinische *  Be¬ 
trachtungsweise  geführt  hatten.  Wenn  das  Werk  Volhar  ds  schon 
von  diesem  Gesichtspunkte  aus  betrachtet,  eine  besondere  Bedeutung 
weit  über  den  Rahmen  seines  eigentlichen  Themas  hinaus  gewinnt, 
so  ist  es  noch  nach  einer  zweiten,  mehr  praktischen  Seite  hin  als  eine 
Tat  beachtenswert.  An  unseren  Universitäten,  die  sieb  als  die  Pflanz 
statten  der  Wissenschaft  kat  exochen  betrachten,  fehlt  es  vielfach 
am  Zusammenarbeiten  der  einzelnen,  durch  Lehr-  und  Forschungs¬ 
interessen  getrennten  Institute.  Der  pathologische  Anatom  weiss  oft 
kaum,  worauf  es  dem  Kliniker  ankommt  und  dem  letzteren  braucht 
die  Schlussdiagnose  des  Prosektors  nicht  immer  als  der  Schlussstein 
des  durch  langdauernde  klinische  Beobachtung  aufgerichteten  Ge 
bäudes  zu  erscheinen.  Der  Direktor  der  grossen  Mannheimer  Kran¬ 
kenanstalten  hat  die  verschiedenen  Forscher  dieser  Institute  ebenso 
wie  sich  selbst  vor  eine  gemeinsame  grosse  Aufgabe  gestellt  und  er 
hat  sie,  wie  man  wohl  annehmen  darf,  mit  einer  gewissen  eisernen 
Konsequenz  an  der  Aufgabe  festgehalten.  Vom diesem  Gesichtspunkte 
aus  hat  er  sich  die  Mitarbeiterschaft  eines  der  besten  Kenner  der 
Nieren-  und  Qefässpathologie,  F  a  h  r  s,  gesichert,  und  dein  Zusammen¬ 
wirken  dieser  beiden  Forscher  ist  im  wesentlichen  das  Resultat  des 
vorliegenden  Werkes  zu  danken.  Aber  auch  der  physiologische 
Chemiker  der  Anstalt,  L  e  s  s  e  r,  hat,  wie  aus  zahlreichen  Bemer¬ 
kungen  hervorgeht,  mitgearbeitet,  zum  mindesten  die  chemischen 
Arbeiten  der  mitwirkenden  Assistenten  überwacht. 

Dadurch,  dass  Kliniker,  pathologischer  Anatom  und  Physiologe 
an  dem  gleichen  grossen  Problem  arbeiteten,  ist  eine  sichere  Gewähr 
für  die  Zuverlässigkeit  des  Dargestellten  gegeben,  die  das  in  den 
Werke  niedergelegte  Tatsachenmaterial  zu  einem  bleibend  wert¬ 
vollen  gestaltet,  selbst  wenn  die  an  seine  Beobachtung  angeknupiten 
theoretischen  Schlussfolgerungen  von  der  weiterschreitenden  wissen¬ 
schaftlichen  Forschung  überholt  sein  werden.  _ 

Die  Einteilung  der  Nierenkrankheiten  hat  seit  der  Meraner 
Naturforscherversammlung  immer  wieder  die  Forscher  beschaitw- 
Die  alte  Einteilung,  die  teils  nach  dem  Verlauf,  teils  nach  den 
makroskopischen  Aussehen  der  Niere  bei  der  Sektion  haupt¬ 
sächlich  eine  parenchymatöse  und  interstitielle  Form  unterschied,  nai 
sich  längst  als  unhaltbar  erwiesen.  Auch  die  Einteilung  nach  der 


4.  August  1914. 


MUENCHKNKR  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Aetiologic  hat  nicht  gehalten,  was  man  von  ihr  erwartete.  In 
neuester  Zeit  ist  es  in  der  Klinik  üblich  geworden,  einerseits  ge¬ 
stützt  auf  gewisse  tierexperimcntclle  Beobachtungen,  andererseits 
in  Anlehnung  an  französische  Forscher  nach  der  Funktionsstörung 
zu  klassifizieren.  Diese  Einteilung  hat  sich  dem  Referenten,  wie  ge¬ 
wiss  auch  manchen  anderen  Untersuchern  als  unzulänglich  erwiesen. 
Die  von  V  o  I  h  a  r  d  und  Fahr  vorgeschlagene  Einteilung  kann  man 
als  auf  histogenetischer  Grundlage  basiert  betrachten.  Sie 
unterscheiden : 

A.  Nephrosen,  wobei  diese  von  Friedrich  Müller  vor¬ 
geschlagene  Bezeichnung  auf  einfache  Epitheldegenerationen  be¬ 
schränkt  wird. 

B.  Nephritis. 

1.  Diffuse  Glomerulonephritis. 

2.  Herdförmige  Nephritis. 

a)  Herdförmige  Glomerulonephritis. 

b)  Interstitielle  Herdnephritis. 

c)  Embolische  Herdnephritis. 

C.  Arteriosklerosen. 

1.  Die  arteriosklerotische  Niere. 

2.  Die  (von  V  o  1  h  a  r  d  und  Fahr  sogenannte)  Kombinations¬ 
form  (die  alte  genuine  Schrumpfniere). 

Diese  pathologisch-anatomische  Einteilung  unterscheidet  sich  von 
der  alten,  z.  T.  heute  noch  gebräuchlichen  dadurch,  dass  die  Histo- 
genese  zur  Grundlage  gewählt  wird  —  nicht  das  makroskopische 
Aussehen  der  Nieren  in  ihrem  Endzustand. 

Eine  solche  Einteilung  kann  natürlich  nur  das  Wesentliche 
der  einzelnen  Prozesse  zur  Grundidee  haben;  in  praxi  müssen  Misch¬ 
formen  (beispielsweise  der  Nephrose  und  Nephritis)  Vorkommen  und 
die  Aufgabe  des  klinischen  Untersuchers  muss  z.  T.  darin  liegen,  zu 
unterscheiden,  welche  Symptome  der  einen,  welche  der  anderen 
morphologischen  Schädigung  entsDrechen.  ■  Es  wird  sich  erst  all¬ 
mählich  zeigen  müssen,  wie  weit  die  in  dem  Werke  niedergelegten 
Schlussfolgerungen  endgültig  anerkannt  werden  können.  Am  schwie¬ 
rigsten  dürfte  die  von  V  o  1  h  a  r  d  und  Fahr  gegebene  Deutung  und 
Abtrennung  der  sogen.  Kombinationsform  sein;  sie  verstehen  darunter 
eine  Krankheit,  die  bisher  als  genuine  Schrumpfniere  von  der  sekun¬ 
dären  und  arteriosklerotischen  Schrumpfniere  abgegrenzt  worden  ist. 
Es  ist  bekannt  genug,  wie  schwierig  dem  pathologischen  Anatomen 
die  Differenzierung  dieser  Form  der  Schrumpfniere  wird,  und  doch 
ist  jeder  Kliniker  von  dem  Bestehen  einer  Form  überzeugt,  die  weder 
als  arteriosklerotische  noch  als  sekundäre  aufgefasst  werden  kann. 
Die  Autoren  sehen  das  Wesentliche  bei  dieser  Form  der  Schrumpf- 
niere  in  „einem  Prozess,  der  ursprünglich  auf  arteriosklerotischen 
Veränderungen  der  kleinen  Nierengefässe  beruht,  und  der  sich  weiter¬ 
hin  mit  entzündlichen  Prozessen  kombiniert.“  Es  wird  Aufgabe  der 
Nachuntersuchung  sein,  diese  neue  Anschauung  durch  Beibringung  ge¬ 
eigneten  Materials  auf  seine  Berechtigung  zu  prüfen. 

Die  klinische  Untersuchung  der  einzelnen  Formen  leitet 
V  o  1  h  a  r  d  hauptsächlich  aus  dem  Verhalten  des  Blutdruckes 
und  aus  der  Nierenfunktionsprüfung  ab.  Blutdrucksteigerung  bezieht  er 
regelmässig  auf  diffuse  Erkrankung  des  Nierengefässapparates.  In  der 
Wassersucht  sieht  er  den  Ausdruck  der  Epitheldegeneration; 
f>e  kann  bei  reinen  Nephrosen,  aber  auch  bei  Nephritiden  Vorkommen. 
Db  Nephrose  oder  Nephritis  vorliegt,  wird  wiederum  nach  dem  Ver¬ 
halten  des  Blutdruckes  unterschieden.  Da  bei  den  Nephrosen  der 
Nierengcfässapparat  intakt  ist,  fehlt  hier  die  Blutdrucksteigerung, 
während  er  bei  diffusen  Nierenerkrankungen  infolge  allgemeiner 
Schädigung  der  intrarenalen  Gefässe  erhöht  ist.  In  ähnlicher  Weise 
wird  differentialdiagnostisch  das  Vorkommen  oder  Fehlen  von  Hämat¬ 
urie,  die  gestörte  Konzentrationsfähigkeit  der  Nieren  u.  a.  m  heran- 
gezogen.  Sehr  richtig  erblickt  Volhard  in  der  Konzentrations- 
unfahigkeit  den  Ausdruck  für  die  „Ausschaltung  eines  grossen  Teiles 
der  sekretorischen  Elemente“.  Diese  kann  daher  sowohl  im  End- 
stadium  der  Nephrosen  („nephrotische  Schrumpfniere“)  im  Endsta¬ 
dium  der  „Kombinationsform“,  als  auch  bei  der  echten  Nephritis  Vor¬ 
kommen;  unterschieden  werden  diese  3  Formen  wiederum  nach  dem 
'  erhalten  des  Blutdrucks  in  der  Herzhypertrophie. 

In  ähnlicher  Weise  werden  die  anderen  klinischen  Symptome 
zur  Stellung  der,  wenn  man  so  sagen  darf,  histologischen  Nieren- 
üiagnose  herangezogen. 

Es  ist  klar,  dass  nach  der  kurzen  Zeit,  die  seit  dem  Erscheinen 
des  V  o  1  h  a  r  d  -  F  a  h  r  sehen  Werkes  verstrichen  ist,  eine  eingehende 
Bewertung  und  Kritik  der  einzelnen  als  differentialdiagnostisch  wich¬ 
tig  angegebenen  Momente  noch  nicht  möglich  sein  kann;  sicher  ist 
aber,  dass  schon  allein  die  Diskussion  der  hier  aufgeworfenen  Fragen 
ausserordentlich  fruchtbringend  sein  muss.  Ob  wirklich,  um  einige 
Beispiele  anzuführen,  die  ausschliessliche  Beziehung  der  „renalen“ 
Wassersucht  auf  die  Epitheldegeneration  das  richtige  trifft,  muss  erst 
noch  genauer  geprüft  werden.  Das  extrarenale  Moment  scheint  dem 
Referenten  nicht  genügend  gewürdigt.  Auch  die  Frage  der  retini- 
tischen  Veränderungen  und  ihre  diffcrentialdiagnostische  Bewertung 
verdient  eine  eingehendere  Prüfung;  vor  allem  aber  wird  zu  unter¬ 
suchen  sein,  ob  bei  der  „Kombinationsform“  (=  genuine  Schrumpf- 
mere)  „die  Blutdrucksteigerung  und  Herzhypertrophie“  gesetzmässig 
„schon  lange  vor  dem  Auftreten  der  entzündlichen  Komponente  be¬ 
standen  haben“. 

W*e  a^er  auch  alle  diese  und  andere  aufgeworfene  Fragen  in 
Zukunft  beantwortet  werden  mögen,  sicher  ist,  dass  das  Werk  in 


dem  Gebäude  der  Nierenpathologie,  wie  die  Autoren  gewünscht 
naben,  einen  sehr  brauchbaren  Baustein  darstellt,  der  von  allen  be¬ 
rücksichtigt  werden  m  u  s  s,  die  zur  Nierenpathologie  Stellung  zu 
nehmen  haben,  und  das  werden  in  gleicher  Weise  pathologische 
Anatomen  wie  Kliniker  sein. 

— -J?Uch’  1135  dem  Mannheimer  Aerzteverein  zur  Feier  seines 
fünfzigjährigen  Jubiläums  gewidmet  ist,  ist  in  mustergültiger  Weise 
von  der  Verlagsbuchhandlung  mit  zahlreichen  prachtvollen  Tafeln  und 
lextfiguren  ausgestattet;  es  ist  in  seiner  Reichhaltigkeit  ein  fast  un- 
entbehrliches  Demonstrationsobjekt  für  den  klinischen  Unterricht  ge- 
worden.  Seine  Entstehung  verdankt  es  der  konsequenten  Verfol¬ 
gung  eines  Vorgesetzten  wissenschaftlichen  Zieles,  und  es  ist  damit 
ein  bleibendes  Denkmal  für  seine  Bearbeiter  wie  auch  für  die  Lei¬ 
stungskraft  unserer  aufstrebenden  städtischen  Krankenanstalten,  auch 
in  wissenschaftlich-theoretischer  Beziehung  geworden. 

Erich  Meyer-  Strassburg  i.  E. 

i.  a  Mcdi-Zinai1Trat  Rr'  *!•  Grassl:  Der  Geburtenrückgang  in  Deutsch- 

müi  m-u6  U^  ierUun-d  seine  Bekampfung.  166  Seiten.  Kempten 
und  München  1914.  Preis  1  Mark. 

Grassl  nimmt  hier  in  seiner  bekannten  temperamentvollen, 
warmherzigen  und  originellen  Art  Stellung  zu  der  wichtigsten  Le- 
bensfrage  unseres  Volkes.  Er  gibt  zunächst  eine  populäre  Einleitung 
über  die  allgemeinsten  Voraussetzungen  der  Rassenhygiene,  wobei 
er^,Uru.dlf.El.xlstenz  e*nes  »»Muttertriebes“  im  Unterschied  vom  Ge- 
schlechtstrieb  eintritt,  meines  Erachtens  mit  vollem  Recht.  Wo  nach 
zehnjährigem  Bestehen  einer  Ehe  nicht  wenigstens  drei  lebende  Kinder 
vorhanden  seien,  handle  es  sich  um  eine  krankhafte  Erscheinung, 
die  allerdings  auch  sozialer  Natur  sein  könne  bei  voller  Gesundheit 
der  individuellen  Instinkte.  Es  folgt  eine  Darstellung  der  tatsäch- 
jenen  Furchtbarkeit  in  alter  und  neuer  Zeit  mit  besonderer  Berück- 
sichtigung  Bayerns.  Der  Einfluss  des  Heiratsalters,  der  Wande¬ 
rungen  des  Volksaufbaues  werden  kurz  behandelt.  Unter  den  Ur¬ 
sachen  des  Geburtenausfalls  wird  dem  Einfluss  der  Rasse  keine  Be¬ 
deutung  zuerkannt,  wohl  aber  dem  Wohnungs-  und  Siedlungswesen 
zumal  dem  städtischen.  Der  Lehre  von  der  kompensierenden  Wir- 
kung  des  Rückganges  der  Säuglingssterblichkeit  wird  mit  erfreulicher 
Bestimmtheut  entgegengetreten,  ebenso  der  Behauotung  von  der 
Guahtatsverschlechterung  durch  hohe  Geburtenzahl.  „Die  jetzige 
Iheorie  des  kleinsten  Volksumsatzes,  die  offiziell  anerkannt  ist,  ist 
falsch  Sehr  treffend  ist  die  Darstellung  des  Einflusses  der  Frauen- 
arbeit  „Jede  Arbeit,  die  die  Frau  von  der  Familie  wegführt,  be¬ 
schrankt  die  Kinderzahl."  Auch  die  Charakterisierung  der  bürger¬ 
lichen  Frauenbewegung  scheint  mir  leider  durchaus  zutreffend  zu 
sein:  „Die  deutsche  Frau  drängt  entschieden  von  der  Familie  fort  und 
da,  wo  sie  freiwillig  in  die  Bande  der  Familie  sich  begibt,  engt  sie 
diese  ein.'  Der  Machtwille  der  Dame*  und  ihr  Einfluss  ist  richtig 
erkannt.  Die  Zerstörung  der  Familie,  der  Einfluss  des  Wohlstandes, 
der  Religion  und  Sitte  finden  ihre  Würdigung.  Die  Folgen  werden 
schwarz  gemalt,  aber  schwerlich  zu  schwarz. 

In  dem  Kapitel  über  die  Abhilfe  wird  als  das  zur  blossen 
Lrhaltung  notige  Minimum  von  Kindern  die  Zahl  von  3,3  pro  Mutter 
berechnet.  Die  Mittel  müssen  sich  nach  den  Ursachen  richten  Die 
Hauptursache  der  beginnenden  Entvölkerung  Deutschlands  liegt”  bei 
der  Frau.  Das  unterschreibe  ich  restlos;  ebenso  die  Folgerung:  „Die 
vollfruchtige  Mutter  muss  den  Mut  des  Bekennens  haben!“  Neben 
der  inneren  Erneuerung  werden  mit  Recht  grosszügige  Wirtschafts¬ 
formen  verlangt.  Man  soll  sich  keine  Illusionen ' machen:  „Das 
Zweikindersystem  ist  das  Völkermorphium“.  Fast  denselben  Satz 
schrieb  Ref.  vor  einigen  Jahren. 

Schliesslich  möchte  ich  mich,  obgleich  mit  weniger  Hoffnung,  dem 
:  chlusssatze  (irassls  anschliessen:  „Mögen  wir  noch  den  Tag  er¬ 
leben,  an  dem  wir  sagen  können:  Das  deutsche  Volk  hat  seine 
Zukunft  gesichert.  ‘  Fritz  L  e  n  z 


n.  oCtieienz:  Shakespeare  und  sein  Wissen  auf  den  Gebieten 
der  Arznei-  und  Volkskunde.  I.  Verlag  von  L.  V  o  s  s,  Leipzig-Ham¬ 
burg,  1914.  328  S.  Preis:  brosch.  8. —  M„  geb.  9. _  M. 


Bßr  durch  seine  Arbeiten  auf  dem  Gebiete  der  Geschichte  der 
Medizm  und  besonders  auf  dem  der  Pharmazie  wohlbekannte  For- 
scher  hat  uns  wieder  ein  neues,  prächtiges  Werk  geschenkt.  Dass 
man  bei  Shakespeare  auf  vieles  in  die  Medizin  Einschlagende  stossen 
muss,  ist  wohl  jedem,  der  Shakespeare  aufmerksam  gelesen  hat,  be- 
kannt.  Verf  hat  sich  nun  der  grossen  Mühe  unterzogen,  alles  Dies- 
bezügliche,  das  in  den  einzelnen  Werken  des  Dichters  zerstreut  war, 
zu  sammeln,  zu  sichten  und  uns  in  einem  Werke  vorzulegen.  Er  führt 
uns  die  Aeskulapjünger  in  Shakespeares  Werken  in  all  ihrem  Tun 
O  Jrc‘.ben  yor;  Wir  erfahren,  wie  der  Dichter  über  Syphilis  und 
1  rostitution  denkt,  und  zugleich  auch,  wie  seine  Zeit  sich  diesen 
beiden  Faktoren  gegenüberstellte.  Dass  Alchemie  und  Pharmazie 
ihrer  Bedeutung  nach  zu  trennen  sind,  wurde  von  dem  Dichter  wohl 
erkannt.  Interessant  ist,  welche  grosse  Kenntnis  Shakespeare  von 
der  Chemie  und  ihren  Mitteln  für  die  damalige  Zeit  hatte.  In  seinen 
Werken  finden  sich  eine  Menge  Heilstoffe  aufgeführi.  deren  Wirkung 
ihm  sehr  gut  bekannt  war.  So  konnte  Verf.  ein  eigenes  Kapitel  über 
schlaf-  und  todbringende  Mittel  aus  den  Werken  des  Dichters  zu- 
sammenstellen.  Ueber  Brauwesen,  überhaupt  über  den  Alkohol  fin- 
•l  S1.c*i  vieles  in  Shakespeares  Dichtungen.  Dadurch,  dass  Verf. 
sich  nicht  mit  der  Anführung  des  rein  Medizinischen  aus  den  Werken 


1744 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  31. 


des  Dichters  begnügte,  sondern  auch  die  Oesamterscheinungen  des 
ganzen  damaligen  Lebens  in  den  Rahmen  seiner  Arbeit  mit  einbezog, 
ganz  abgesehen  von  den  reichen  medizinhistorischen  Reminiszenzen 
in  seiner  Abhandlung,  ist  das  Werk  nicht  nur  dem  Mediziner,  sondern 
auch  dem  Kulturhistoriker  von  Interesse.  Die  fliessende  ^prache,  der 
gute  Stil  machen  das  Lesen  des  Werkes  zu  einem  Oenuss. 

Schönpier  -  München. 

Hugo  Müller- Dahlem:  Die  Misserfolge  in  der  Photographie 
und  die  Mittel  zu  ihrer  Beseitigung.  (Photographisches  Fehlerbuch.) 

I.  Teil:  Negativverfahren.  Vierte  verbesserte  und  vermehrte  Auflage. 
Enzyklopädie  der  Photographie.  Heft  7.  \  erlag  von  Wilhelm 

Knapp,  Halle  a.  S!  1913.  Preis  2  M.  ..  , 

Ein  lehrreiches  und  empfehlenswertes  Buch,  das  in  erschöpfender 
Weise  die  Ursachen  der  Fehler,  die  beim  Photographieren  gemacht 
werden  können,  bespricht  und  Mittel  für  ihre  Beseitigung  oder  Ver¬ 
meidung  angibt.  Oberndorfer. 

Neueste  Journalliteratur. 

Zeitschrift  für  Immunitätsforschung  und  experimentelle 
Therapie.  21.  Band,  1.— 5.  Heft.  Festschrift  für  Ehrlich 
und  Behring.  (Auswahl.) 

Paul  H.  Römer  und  H.  Viereck:  Das  Verhalten  des  Anti¬ 
toxins  im  anaphylaktischen  Tier. 

Bekanntlich  sieht  Eriedberger  als  die  Muttersubstanz  des 
Anaphylaxiegiftes  das  Antigen  der  Vorbehandlung  an,  das  durch  den 
Antikörper  unter  Vermittlung  des  Komplements  gespalten  wird. 
Wenn  das  richtig  ist  —  bisher  wird  es  von  einigen  Seiten  immer 
noch  bestritten  — ,  so  muss  das  eingespritzte  Antigen  bei  vorbehan- 
delten  Tieren  schneller  abgebaut  werden,  als  bei  erstmals  gespritzten 
Tieren.  Um  das  einwandfrei  fcstzustellen,  haben  die  Verfasser 
Diphtherieantitoxin  benützt,  das  sich  bei  Meerschweinchen  genau 
quantitativ  im  Blute  nachweisen  lässt.  Es  liess  sich  in  der  Tat  fest¬ 
stellen,  dass  in  allen  Fällen  in  den  Blutproben  der  vorbehandelten 
Tiere  weniger  Antitoxin  nachzuweisen  war,  als  in  den  der  nicht 
vorbehandelten,  bei  selbstverständlich  genau  gleichzeitiger  Blut¬ 
entnahme  nach  der  Reinjektion. 

Hirschfeld  und  R.  K  1  i  n  g  e  r  -  Zürich:  Ueber  das  Wesen 
der  iiiaktivierung  und  der  Komplementbindung. 

Aus  der  an  wertvollen  Tatsachen  und  Ausblicken  reichen  Arbeit 
sei  nur  das  wichtigste  hervorgehoben:  Aktives  Serum,  das  mit  physio¬ 
logischer  NaCl-Lösung  geschüttelt  wird  oder,  mit  destilliertem  Wasser 
verdünnt,  längere  Zeit  steht,  wird  durch  eine  Labilisierung  der 
Eiweisskolloide  und  sekundäre  Ausfüllung  von  Globulinen  trübe  und 
gibt  die  Wassermann  sehe  Reaktion.  Diese  Eigenschaft  ist  aber 
nicht  an  die  Trübung  als  solche  gebunden,  da  sie  auch  nach  Ab¬ 
zentrifugieren  derselben  bestehen  bleibt.  Da  im  inaktiven  Serum 
diese  Veränderungen  nicht  auftreten,  so  wird  das  Wesen  der  In¬ 
aktivierung  als  eine  Stabilisierung  der  Globuline  aufgefasst.  Auch 
die  anderen  Eingriffe  in  das  Serum,  die  ihm  eine  antikomplementäre 
Eigenschaft  verleihen,  wie  Zusatz  von  Bakterien,  korpuskulären  Be¬ 
standteilen  etc.  müssen  auf  eine  Labilisierung  der  Globuline  zurück¬ 
geführt  werden.  Da  bei  der  Inaktivierung  auch  noch  andere  Eigen¬ 
schaften  des  Serums  verloren  gehen,  so  schliessen  die  Verfasser 
daraus,  dass  das  Serum  diese  Funktionen  nur  dann  ausüben  kann, 
wenn  seine  Kolloide  einen  gewissen  Grad  von  Labilität  aufweisen. 
Damit  fällt  die  Notwendigkeit,  eine  thermolabile  Substanz  anzu¬ 
nehmen.  Die  Theorie,  welche  in  einer  primären  oder  sekundären 
Zustandsänderung  der  Globuline  die  Ursache  der  Wassermann- 
schen  Reaktion  erblickt,  gewinnt  hierdurch  an  Wahrscheinlichkeit. 

Walter  W  e  i  s  b  a  c  h  -  Freiburg:  Zur  Theorie  der  Salvarsan- 

wirkung.  ,  ,  ,,  ,  ,. 

Verf.  konnte  nachweisen,  dass  im  hämolytischen  Versuche  die 
Sensibilisierung  der  roten  Blutkörperchen  durch  Zusatz  von  Salvarsan 
in  sehr  kleinen  Dosen  beschleunigt  wird.  Er  schliesst  daraus,  dass 
das  Salvarsan  nicht  nur  auf  die  Funktion  der  Parasitenzelle,  sondern 
auch  auf  die  Funktion  von  Körperzellen  und  -fiüssigkeiten  einen  Ein¬ 
fluss  ausüben  kann  im  Sinne  Uhlen  huths,  dergestalt,  dass,  auch 
eine  höhere  aktive  Beteiligung  der  Körperzellen  und  Säfte  dabei  eine 

Rolle  spielt.  ,  _  . 

W.  G.  Ruppel  und  K.  Joseph:  Das  Verhalten  des  Tuber¬ 
kulins  im  tuberkulösen  und  nichttuberkulösen  Organismus. 

Seit  den  Zeiten  Kochs  ist  die  Einwirkung  des  Tuberkulins  auf 
den  unberührten  Organismus  immer  wieder  Gegenstand  der  Unter¬ 
suchung  gewesen.  Erst  die  Untersuchungen  von  Schreiber, 
Schloss  mann  u.  a.  haben  zur  Evidenz  ergeben,  dass  selbst 
grösste  Dosen  auf  den  menschlichen  Säugling  ohne  jede  Wirkung 
sind.  Trotzdem  aber  hat  man  sich  über  die  Reaktion  des  normalen 
Tieres  auf  Tuberkulin  nicht  einigen  können.  Die  Verfasser  weisen 
nun  nach,  dass  die  Giftwirkungen,  die  von  verschiedenen  Autoren 
bei  Meerschweinchen  festgestellt  wurden,  in  den  meisten  Fällen  nicht 
spezifischer  Natur  waren.  Tote  intakte  Tuberkelbazillen  rufen  bei 
Meerschweinchen  nach  subkutaner  Einspritzung  und  bei  Kaninchen 
nach  intravenöser  Einverleibung  keine  akuten  Intoxikationen  hervor, 
ebensowenig  zerriebene  Bazillen.  Die  chronischen,  zum  Tode 
führenden  Vergiftungserscheinungen  abgetöteter  Tuberkelbazillen  bei 
normalen  Tieren  können  als  Fremdkörperwirkung  und  als  Folgen  der 
von  ihnen  bewirkten  anatomischen  Veränderungen  erklärt  werden. 


Wässerige  Auszüge  aus  aufgeschlossenen  Bazillen  können  aber  auch 
normale  Tiere  töten,  jedoch  erst  in  einer  Dosis,  die  500  mal  grösser 
ist,  als  die  für  tuberkulöse  Tiere  letale  Dosis. 

F.  N  e  u  f  e  I  d  und  E.  B  ö  c  k  e  r  -  Berlin:  Ueber  die  Wirkung  des 
Salvarsans  auf  Hühnerspirochäten  in  vivo  und  in  vitro. 

Auch  diese  Arbeit  beschäftigt  sich  mit  der  Frage,  ob  das  Sal¬ 
varsan  direkt  bakterizid  wirkt.  Die  Verfasser  konnten  bei  Huhner- 
spirochäten  ebenso  wie  in  vivo,  auch  in  vitro  eine  deutlich  lähmende 
und  abtötende  Wirkung  des  Salvarsans  noch  in  starken  Verdünnungen 
wahrnehmen,  wenn  die  Wirkung  auch  recht  langsam  vor  sich  ging. 
Sie  halten  sich  daher  für  berechtigt,  eine  direkte  spirillozide  Eigen¬ 
schaft  des  Salvarsans  anzunehmen. 

P.  U  h  1  e  n  h  u  t  h  und  R.  Seyderhelm  -  Strassburg:  Experi¬ 
mentelle  Untersuchungen  über  den  Einfluss  elektrischer  Schwach¬ 
ströme  auf  Trypanosomen  in  vitro  und  in  vivo. 

Es  ist  den  Verfassern  gelungen,  Trypanosoma  equiperdum  in 
vitro  mittels  eines  elektrischen  Schwachstroms  von  15  Milliamperes 
jn  io — 20  Minuten  abzutöten.  Unter  dem  Mikroskop  lässt  sich  der 
schädigende  Einfluss  des  Stromes  schrittweise  verfolgen.  Aehnlich. 
aber  etwas  resistenter  verhielt  sich  das  Trypanosoma  Lewisi. 
Weiter  konnten  sic  durch  untertödliche  Dosen  des  elektrischen 
Schwachstroms  die  Trypanosomen  so  beeinflussen,  dass  ihre  ln- 
fcktionskraft  herabgesetzt  wurde.  Ist  durch  die  Wirkung  des  ^  troms 
eine  grössere  Anzahl  von  Trypanosomen  zum  Absterben  und  zur 
partiellen  Auflösung  gebracht,  so  enthält  die  Aufschwemmung  ein 
für  Mäuse  deletäres  Gift.  Offenbar  wird  durch  die  eigenartige 
elektrolytische  Spaltung  der  Leibessubstanz  der  Trypanosomen  ein 
in  ihr  enthaltenes  Gift  frei.  Auch  in  vivo  gelang  die  Abtötung,  aller¬ 
dings  nur  in  relativ  beschränktem  Masse.  Das  Hinterbein  einer 
hochgradig  infizierten  Ratte  wurde  unterbunden  und  ein  elektrischer 
Schwachstrom  von  15  Milliampere  20  Minuten  quer  durch  das  ganze 
Bein  geschickt.  Nach  dieser  Zeit  waren  die  1  rypanosomen  abge¬ 
storben  und  schwammen  bewegungslos  im  Präparat.  Die  Behand¬ 
lung  ganzer  chronisch  infizierter  I  iere  hatte  jedoch  keinen  eindeutigen 
Erfolg. 

C.  M  o  r  e  s  c  h  i  -  Pavia:  Ueber  antigene  und  pyrogene  Wirkung 
des  Typhusbazillus  bei  leukämischen  Kranken. 

In  einem  Falle  von  Leukämie  mit  hinzugetretener  Typhus¬ 
infektion  ist  dem  Verf.  das  gänzliche  Fehlen  von  Agglutininen  in  dem 
Blutserum  des  Kranken  aufgefallen.  Er  ist  dieser  Erscheinung  nach- 
gegangen  und  hat  im  Laufe  von  2  Jahren  an  8  Fällen  von  Leukämie 
nachweisen  können,  dass  diese  Patienten  auf  intravenöse  Injektion 
von  Typhusvakzin  weder,  wie  sonst  gesunde,  mit  hohem  Fieber  noch 
auch  mit  der  Bildung  von  erheblichen  Antikörpern  reagieren.  Für 
diese  auffallende  Tatsache  zieht  er  zwei  Hypothesen  heran.  Einmal 
könnte  die  übermässig  grosse  Anzahl  an  zirkulierenden  Leukozyten 
denjenigen  Orten,  welche  die  Antikörper  erzeugen,  das  Antigen  ent¬ 
ziehen  oder  es  wesentlich  verändern,  bevor  es  zu  ihnen  gelangt. 
Oder  die  antikörperbildende  Tätigkeit  der  hämatopoetlschen  Organe 
ist  durch  den  leukämischen  Prozess  beeinträchtigt. 

H.  Braun  und  M.  F  e  i  1  e  r  -  Frankfurt:  Ueber  Serumfestigkeit 

des  Typhusbazillus.  , 

Nach  der  Ehrlich  sehen  Entdeckung  der  serumfesten  1  rypano- 
somenstämme  und  ihrer  Kultivierungsmethoden  ist  man  auch  der 
Serumfestigkeit  der  Bakterien,  die  schon  früher  nicht  unbekannt  war, 
näher  getreten.  Wegen  der  Widersprüche,  die  auf  diesem  Gebiete 
herrschen,  haben  die  Verfasser  einen  Stamm  systematisch  unter  ver¬ 
schiedenen  Bedingungen  in  sehr  langen  Reihen  weiter  gezüchtet  und 
sind  dabei  zu  folgenden  hauptsächlichen  Resultaten  gekommen: 
Durch  Züchtung  in  aktivem  normalem  Kaninchenserum  erwerben  die 
Typhusbazillen  eine  Festigkeit  gegen  die  bakterizide  Serumwirkung, 
geprüft  im  Plattenversuch  nach  N  e  i  s  s  e  r  und  Wechsberg.  Da¬ 
gegen  erweist  sich  der  in  inaktivem  normalen  Kaninchenserum  ge¬ 
züchtete  Bazillus  den  bakteriziden  Serumwirkungen  gegenüber 
ebenso  widerstandslos  wie  sein  in  künstlichen  Nährmedien  gezüch¬ 
teter  Ausgangsstamm.  Dasselbe  Verhalten  zeigte  die  Züchtung  in 
inaktivem  Immunserum.  Daraus  geht  hervor,  dass  es  nicht  allein 
der  Immunkörper  ist,  der  die  Entstehung  der  Serumfestigkeit  ver¬ 
anlasst.  sondern  mindestens  ebenso  sehr  das  Komplement.  Ferner 
geht  aus  der  weiteren  Tatsache,  dass  der  so  veränderte  Stamm  auch 
gegen  wirksames  normales  Meerschweinchen-  und  Menschenserum 
fest  ist,  hervor,  dass  diese  Festigkeit  nicht  auf  spezifischer  Basis 
beruht.  Das  Erwerben  der  Bakterizidiefestigkeit  steigert  aber  die 
Virulenz  der  Typhusbazillen  nicht. 

M  o  1  d  o  v  a  n  -  Wien:  Ueber  die  Wirkungsart  des  Atoxyls,  des 
Salvarsans  und  des  Menschenserums  bei  der  experimentellen  Nagana- 
infektion. 

Verf.  glaubt  in  die  immer  noch  nicht  genügend  geklarte  lat- 
sache,  dass  Atoxyl  und  Salvarsan  trotz  ihrer  eminenten  Heilkraft 
in  vitro  selbst  in  hohen  Konzentrationen  die  Trypanosomen  nicht 
abzutöten  vermögen,  neues  Licht  gebracht  zu  haben.  Weder  die 
Ehrlich  sehe  noch  die  Uhlenhuth  sehe  Anschauung  trifft  das 
richtige.  Tatsächlich  werden  die  Medikamente  unverändert  von  den 
Parasiten  aufgenommen;  und  in  ihrem  eigenen  Leib  bilden  sie  selbst 
durch  Reduktion  das  tödliche  Gift.  Die  Wirkungslosigkeit  im 
Rcagenzglase  erklärt  sich  einfach  dadurch,  dass  sie  dort  für  den 
Reduktionsprozess  nicht  die  genügende  vitale  Kraft  und  die  nötige 
Intensität  des  Stoffwechsels  haben. 

L.  Saathoff  -  Oberstdorf. 


||.  August  191*4. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1745 


Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie.  128  Bd.,  1.— 2.  Heft. 

Oskar  Wied  hopf:  Die  Splanchnoptose  und  ihre  Behandlung. 
Aus  der  chirurgischen  Klinik  zu  Heidelberg.) 

Die  Auffassung  der  Splanchnoptose  als  einer  Organsenkung  in- 
tlge  einer  Erschlaffung  des  Aufhängeapparates“  zeitigte  die 
ahlreichen  fixierenden  Operationsmethoden,  deren  Erfolge  wie 
erf.  zeigt,  höchst  unsicher  sind.  Es  ist  das  die  Folge  der  Annahme 
nes  unrichtigen  ätiologischen  Faktors:  Nach  neueren  Anschauungen 
hiss  die  Aetiologie  der  Splanchnoptose  in  der  Störung  des  Gleichge- 
ichtes  zwischen  Volum  und  Inhalt  der  Bauchhöhle  —  relative  Volum- 
ermchrung  —  gesucht  werden.  Dementsprechend  soll  die  Therapie 
itweder  für  Vermehrung  des  Inhaltes  sorgen  —  Mastkur  —  oder 
is  Volumen  vermindern  —  Kräftigung  der  Bauchmuskulatur,  Bauch¬ 
inden,  Operation  an  der  Bauchwand  (D  e  p  a  g  e,  Heidenhain, 
lose,  C  u  m  s  t  o  n),  Beckenbodenplastik  — .  Endlich  empfiehlt 
erfasser  ein  Verfahren,  das  durch  Doublierung  der  hinteren  Rektus- 
:heide  das  Volumen  wesentlich  verkleinert.  Die  Organopexien  sind 
ifzugeben. 

v.  Saar:  Zur  Behandlung  der  Fractura  humeri  supracondylica 

itteis  Gelenkautoplastik.  (Aus  der  chirurgischen  Universitätsklinik- 

Innsbruck.) 

v.  S  a  a  r  beschreibt  6  Fälle  ‘von  schweren  suprakondylären 
umerusfrakturen  (Extensionstyp),  bei  denen  durch  Freilegung  der 
ruchstelle,  Auslösung  des  peripheren  Fragments  und  Verkeilung  mit 
mi  proximalen  Fragment  in  geeigneter  Stellung  („Gelenkautoplastik 
ex  er)  durchweg  ein  ausgezeichnetes  Resultat  erzielt  wurde 
ichtig  dabei  ist  die  sorgfältige  und  vollständige  Auslösung  des 
igünstig  dislozierten  Humerusfragments  und  eine  lange  Nachbe- 
indlung. 

0.  M.  Chiari:  Ueber  die  Heilungsresultate  von  Unterschenkel- 

uchen.  (Aus  der  chirurgischen  Universitätsklinik  in  Innsbruck) 

Nachprüfung  der  von  1903—1912  an  der  chirurgischen  Klinik  in 
nsbruck  behandelten  Unterschenkelfrakturen  (teils  durch  Nachunter- 
chung  teils  durch  Beantwortung  eines  Fragebogens)  ergab,  dass 
>n  117  Patienten  (nach  Abzug  der  komplizierten  Frakturen) 
.6  Proz.  beschwerdefrei  waren.  14,6  Proz.  leichte  Beschwerden 
tten.  6,8  Proz.  ein  schlechtes  Resultat  darboten.  Die  Patienten 
tstammten  grösstenteils  der  ländlichen  Bevölkerung  und  waren 
:ht  Unfall  versichert.  Es  zeigt  sich  im  Vergleich  mit"  anderen  Sta¬ 
tiken.  dass  der  Prozentsatz  der  völlig  beschwerdefreien  Patienten 
>vas  grösser  ist,  als  der  an  Unfallversicherten  ermittelte  Satz  von 
dienten  mit  völliger  Erwerbsfähigkeit;  es  zeigte  sich  ferner,  dass 
iall\  ersicherte  Patienten  schwerer  ihre  Frakturenbeschwerden  los 
■:rden,  als  Nichtversicherte. 


F  de  Quervain:  Zur  Diagnose  der  erworbenen  Dickdarm- 
:  ertikel  und  der  Sigmoiditis  diverticularis.  (Aus  der  chirurgischen 
iversitätsklinik  Basel.) 

Beschreibung  von  3  Fällen  von  Divertikulitis  des  Colon  sigmoi- 
um,  von  denen  2  Fälle  akut,  einer  chronisch  verlief.  Es  gelang  in 
•n  chronischen  Fall  bei  einem  61jährigen  Mann,  der  nach  seinen 
mptomen  wegen  Verdacht  auf  Magenkarzinom  der  Klinik  über- 
esen  wurde,  sehr  schön  nach  Kontrastbariumeinlauf  die  Divertikel¬ 
dung  der  Flexura  nachzuweisen.  Die  Operation  —  Transverso- 
moideostomie  —  brachte  ergiebige  Besserung.  Der  erste  Patient 
1  n  unter  dem  Bilde  der  diffusen  Peritonitis  zur  Operation-  die 
topsm  zeigte  zahlreiche  entzündete  Divertikel  am  S  romanum 
r  3.  Patient  wurde  mit  Peritonitis  operiert,  Exitus  später  an 
tigenembohe,  bei  der  Autopsie  fand  sich  ein  perforiertes  Divertikel, 
die  Peritonitis  hier  im  Zusammenhang  steht  mit  einem  unter  hohem 
icke  verabfolgten  Bariumklysma,  bleibt  dahingestellt.  Die  Fälle 
gen,  dass  an  Divertikulitis  sigmoidea  bei  Funktionsstörungen  des 
omanuin  älterer  Leute  gedacht  werden  muss.  Bei  tieferem  Sitz 
d  die  Diagnose  rektoskopisch  zu  stellen  sein;  die  Divertikulosis 
in  nach  teilweiser  Entleerung  des  Kontrastklysma  im  Röntgenbild 
teilt  werden,  die  Entzündung  (Divertikulitis)  zeigt  mangelhafte  Fiil- 
g  des  S  romanum. 

Roll  mann:  Pancreatitis  acuta.  (Aus  der  chirurgischen  Ab- 
mng  der  Huyssens-Stiftung  in  Essen.) 

Bericht  über  12  Fälle  von  Pancreatitis  acuta,  darunter  eine 
■udozyste  der  M  o  r  i  a  n  sehen  Abteilung.  7  der  Fälle  genasen. 
'■]' "  tritt  ,ein  f,ur  ausgiebige  Spaltung  der  Pankreaskapsel;  bei 

telbildung  bewährten  sich  sehr  die  Wohlgemuth  sehe  Diät 
hohe  Natr.-bicarb.-Gaben. 

Karl  Sal  vetti:  Ueber  den  Einfluss  der  Röntgenstrahlen  auf  die 
'hing  der  Knochennarbe. 

Histologische  Untersuchungen  über  Beeinflussung  von  Fraktur- 
;ung  durch  Röntgenstrahlen  (fehlt  genaue  Dosierung  und  Angabe 
r  Kohrenharte.  Ref.)  am  Kaninchenknochen.  Die  Befunde  zeigen 
;n  nachteiligen  Einfluss:  grössere  Produktion  von  Knorpelzellen, 
>sere  Beständigkeit  derselben,  Schmächtigkeit  der  Knochenbälk- 
^us  der  Tatsache  jedoch,  dass  die  Bestrahlung  auch  eine 
Jssere  Ablagerung  von  Kalksalzen“  erzeugte,  glaubt  Verf.  die  Be- 
!oKU1lKii  er  u  en  zu  dürfen,  in  der  „letzten  Bildungsphase“  des 
' suchen3  US  be‘  mangeIhafter  Verknöcherung  die  Bestrahlung  zu 

0.  Walbaum:  Zwei  Fälle  von  Abrissbruch  des  Trochanter 

Beide  FäHe  bei  12  und  15  jähr.  Kindern  —  ereigneten  sich  bei 
eiiem  vorwärtslaufen  beim  I  umspiel,  ihr  Mechanismus  ist  der¬ 


selbe  wie  in  den  Fällen  von  Feinen  und  Vor  schütz.  Die  er- 
schiedenheit  der  Fälle  bezüglich  der  Symptomatologie  erklärt  Verf. 
dadurch,  dass  der  Psoas  mit  der  Spitze  des  Troch.  min.  getrennt  ab- 
reissen  kann  bei  intaktem  Ansatz  des  Iliakus.  Die  Behandlung  .ein- 
tac he  Lagerung  des  Beines. in  Beugung  und  Aussendrehung  —  führte 
in  kurzer  Zeit  zur  Heilung. 

B.  Brand:  Zur  Kasuistik  der  Coxa  valga.  (Aus  der  chirurgi¬ 
schen  Universitätsklinik  in  Utrecht.) 

,  J?'?  Röntgenbilder  von  2  Patienten,  welche  keine  Beschwerden 

der  Valgität  des  Schenkelhalses  empfanden,  bis  kurze  Zeit  vor  der 
Aufnahme  in  die  Klinik,  zeigten  einen  Bruch  des  oberen  Azetabulum- 
randes,  eine  gleiche  Beobachtung  von  K  u  m  a  r  i  s. 

B  ehrend  und  Bauchwitz:  Ein  Beitrag  zur  Prothesen¬ 
bildung  nach  Unterkieferresektion. 

Die  Prothesenbildung  wurde  nötig  nach  Sequestrotomie  infolge 
einer  Unterkieferosteomyelitis:  der  Sequester  erstreckte  sich  von  der 
Hälfte  des  Ram.  mand.  dext.  bis  ungefähr  zur  Mittellinie.  Ueber  die 
Prothese  vergl.  das  Original. 

Hans  Lindenburg:  Zur  Statistik  der  operativen  Dauer- 
h.®!.Iu,!^en  öes  Mammakarzinoms.  (Aus  der  chirurgischen  Univer¬ 
sitätsklinik  zu  Rostock.) 

Von  1901  bis  Ende  1910  wurden  an  der  chirurgischen  Klinik  zu 
Rostock  unter  Müllers  Leitung  183  Fälle  von  Mammakarzinom 
operiert  und  zwar  seit  1904  nach  Rotters  Vorgehen:  Wegnahme 
dei  erkrankten  Mamma  mit  dem  Inhalt  der  Achselhöhle  und  beiden 
Brustmuskeln.  In  14  Fällen  wurden  Supraklavikulardrüsen  ausge- 
raumt.  13  Fälle  (7,1  Proz.)  sind  im  Anschluss  an  die  Operation 
gestorben.  Von  176  Patienten  war  zuverlässige  Nachricht  zu  be¬ 
kommen:  Es  lebten  nach  3  Jahren  rezidivfrei  32,7  Proz.,  nach  5  Jahren 
7/  ,weiter  ze'Kte  sich,  dass  bei  Operation  im  I.  Stadium 

J 3  Wahrscheinlichkeit  der  Heilung  besteht,  während  die  Aussichten 
im  II.  Stadium  unter  %,  im  III.  Stadium  auf  Via  und  im  IV.  Stadium 
(Erkrankung  der  Supraklavikulardrüsen)  auf  0  sinken.  Der  Skirrhus 
bietet  für  die  Dauerheilungen  die  günstigsten  Chancen.  Ein  Vergleich 
mit  den  Resultaten  der  Vorgänger  Müllers  zeigt,  dass  die  Ur¬ 
sachen  der  besseren  Resultate  wahrscheinlich  der  besseren  Technik 
zu  suchen  ist. 

Carl  Deutschländer:  Beitrag  zur  Verpflanzung  ganzer 
Kniegelenke.  (Aus  der  Privatklinik  von  Deutschländer  in 
Hamburg.) 

Bei  dem  13  jährigen  Patienten  waren  nach  Arthrodesen  der 
Kniegelenke  wegen  schwerer  spinaler  Kinderlähmung  schwere  De¬ 
formitäten  im  Sinne  der  Beuge-  und  Valgusstellung  entstanden.  Auf 
der  einen  Seite  Korrektur  durch  Osteotomie  wegen  der  vollständigen 
Lähmung  der  Muskulatur,  auf  der  anderen  Seite  wurde  wegen  der 
noch  erhaltenen  Funktion  eines  Teiles  der  Muskulatur  eine  Kniege¬ 
lenktransplantation  ausgeführt;  als  Spender  diente  ein  4  jähr.  Knabe 
mit  völliger  Lähmung  der  Kniemuskulatur.  (Die  Intermediärknorpel 
bleiben  dem  Spender  erhalten.)  Es  entwickelte  sich  eine  Verschie¬ 
bung  des  Tibiaknorpels  und  Nekrose  der  Gelenkkapsel,  so  dass 
schliesslich  eine,  wenn  auch  wenig  bewegliche  Pseudarthrose  ent¬ 
stand,  die  für  spätere  Nachoperationen  zur  funktionellen  Besserung 
Aussicht  gewährt.  Den  Misserfolg  schiebt  Verf.  auf  die  Erhaltung 
von  alten  Partien  der  Gelenkkapsel  des  Empfängers  und  Mitüber¬ 
pflanzung  von  Gelenkkapsel. 

L.  Hei  den  ha  in:  Neue  Instrumente.  (Aus  der  chirurgischen 
Abteilung  des  städtischen  Krankenhauses  zu  Worms.) 

1.  Eine  Tuchklammer.  2.  ein  Gallensteinfänger,  3.  ein  Handgriff 
für  die  Schutzhülse  des  Elektromotors,  4.  eine  kegelförmige  Fräse. 

L.  Heidenhain:  Kreislaufstörungen.  (Aus  der  chirurgischen 
Abteilung  des  städtischen  Krankenhauses  zu  Worms.) 

H.  empfiehlt  zur  Infusion  bei  Kreislaufschwäche  der  Kochsalz¬ 
lösung  neben  dem  Adrenalin  Pituitrin  zuzusetzen  (10  Tropfen  Supra- 
renin,  1  ccm  Pituitrin  pro  Liter).  Empfehlung  von  intramuskulärer 
und  intravenöser  Strophanthininjektionen  zur  Erzielung  schneller  Wir¬ 
kung  bei  Myodegeneratio  cordis  speziell  vor  Operation.  Bei  Oedemen 
ohne  Einfluss  von  Digitalis  wirkt  das  Cymarin  intramuskulär  injiziert 
ausgezeichnet.  Flörcken  -  Paderborn. 


Beiträge  zur  klinischen  Chirurgie,  red.  von  P.  v.  B  r  u  n  s. 
92.  Band,  4.  Heft.  Tübingen,  Lau  pp,  1914. 

Die  dem  Eppendorfer  Krankenhaus  zum  25  jährigen  Jubiläum  ge¬ 
widmete  Festschrift  von  früheren  und  jetzigen  Aerzten  der  Anstalt 
stellt  ein  beredtes  Zeugnis  der  enorm  ausgedehnten  chirurgischen 
Tätigkeit  der  grössten  chirurgischen  Abteilung  und  des  in  derselben 
herrschenden  wissenschaftlichen  Geistes  dar. 

Prof.  H.  K  ü  m  m  e  1 1  schildert  zunächst  das  neugestaltete  Ope¬ 
rationsgebäude  des  Eppendorfer  Krankenhauses  und  schildert  an  der 
Hand  von  Abbildungen  und  Plänen  die  Operationssäle  und  Labo¬ 
ratorien  etc.  dieses  Hauses. 

Scholz  referiert  über  das  Narkotisieren  ängstlicher  Menschen, 
schildert  die  Vorteile,  die  das  20.  Jahrhundert  mit  der  allgemeinen 
Einführung  der  Tropf-  und  Mischnarkose,  den  Sauerstoffapparaten, 
der  intravenösen  Narkose,  der  Kombination  von  Morphium  und 
Skopolamin  gebracht,  die  die  Gefahren  der  Narkose  wesentlich 
vermindern,  an  Narkotikum  wesentlich  sparen  und  zeigt  in  Tabellen 
das  .  inken  des  Blutdruckes  bei  der  Chloroform-  und  Mischnarkose 
(durchschnittlich  44  Mm.  Hg  in  15  Min.)  und  geht  auf  die  einzelnen 
(jefahren  und  Reflexwirkungen,  die  solche  herbeiführen  können,  näher 


17*46 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


ein.  Das  ganze  Geheimnis  liegt  nach  seinen  Ausführungen  in  dem 
ruhigen,  gleichmässigen  und  flotten  Fortschritt  der  Narkose  und  dem 
nicht  zu  frühzeitigen  Beginn  der  Operation. 

Prof.  H.  Kümmel  gibt  weitere  Erfahrungen  über  intravenöse 
Aethernarkose,  er  sieht  in  derselben  eine  Anästhesierungsmethode, 
die  bei  richtiger  Indikationsstellung  und  Beherrschung  der  nicht 
schwierigen  Technik  für  viele  Fälle  vorzügliches  leistet  und  durch 
keine  andere  Art  der  Allgemeinnarkose  übertroffen  wird,  seine  Er¬ 
fahrungen  damit  sind  bisher  (an  250  Fällen)  so  ungemein  günstig, 
dass  es  ihm  wünschenswert  erscheint,  sie  einer  allgemeinen  An¬ 
wendung  zuzuführen.  Besonders  empfiehlt  sich  dieselbe  bei  Ope¬ 
rationen  im  Gesicht  und  Kopf,  besonders  in  der  Mund-  und  Rachen- 
höhle,  bei  denen  der  Narkotiseur  dem  Operateur  hindernd  im  Wege 
steht,  dann  bei  schwachen,  erschöpften  Patienten.  Das  Erwachen 
aus  der  Narkose  erfolgt  bei  dieser  Methode  rasch  und  ohne  Unbe¬ 
hagen,  Uebclkeit  und  Erbrechen  hat  K.  nie  beobachtet  (was  besonders 
nach  eingreifenden  Laparotomien  zu  schätzen  ist).  Die  Gefahr  der 
Thrombenbildung  an  der  Infusionsstelle  scheint  von  K.  überschätzt 
worden  zu  sein,  bei  kontinuierlichem  Einschliessen  und  der  Neben¬ 
schaltung  von  physiologischer  Kochsalzlösung  hat  K.  in  keinem  ball 
mehr  eine  Thrombenbildung  konstatieren  können.  In  dieser  Kom¬ 
bination  hat  die  intravenöse  Narkose  hauptsächlich  ihre  Indikation 
bei  Elenden,  Abgemagerten,  bei  Ausgebluteten  (Extrauteringravidität), 
Verletzungen,  sowie  kollabierten  Patienten  (Peritonitis);  kontraindi- 
ziert  ist  die  intravenöse  Narkose  bei  Arteriosklerose,  bei  schwerer 
Myokarditis  und  bei  allgemeiner  Plethora.  K.  geht  auf  die  I  echnik 
der  intravensen  Narkose  näher  ein.  Eine  reine  intravenöse  Isopral- 
narkose  möchte  er  wegen  der  blutdruckherabsetzenden  W  irkung  der¬ 
selben  nicht  empfehlen,  dagegen  hat  sich  ihm  eine  1 — lVs  proz.  Iso- 
prallösung  zur  Einleitung  und  Abkürzung  der  intravenösen  Aether¬ 
narkose  vorzüglich  bewährt,  indem  dadurch  besonders  bei  Potatoren 
und  schwer  zu  narkotisierenden  Patienten  das  Toleranzstadium 
rascher  eintritt.  Ein  langsames  Einströmen  der  Isoprallösung  (in 
etwa  5  Minuten  nicht  mehr  als  100  g)  ist  wichtig,  bei  zu  raschem  Ein¬ 
strömen  kann  es  leicht  zu  Asphyxie  und  Zyanose  kommen. 

Wiebrecht  berichtet  zur  Behandlung  der  postoperativen 
Tetanie,  die  allgemein  als  Folge  der  Schädigung  der  Epithelkörperchen 
(event.  auch  bei  Unterbindungen)  angesehen  wird.  Zur  Ver¬ 
meidung  der  Verletzung  der  Epithelkörperchen  empfiehlt  sich,  bei 
Strumektomien  die  hintere  Wand  der  Schilddrüsenkapsel  mit  einei 
dünnen  Schicht  Drüsengewebe  stehen  zu  lassen.  Bei  Tetanie  ist  frische 
Nebenschilddrüse  (vom  Menschen)  zu  implantieren  oder  solche  (vom 
Pferd  oder  Rind)  per  os  zu  verabreichen,  wenn  solche  nicht  zur 
Verfügung  die  Tabl.  glandul.  parathyreoid.  oder  event.  Calcium  lacticum 
(10  proz.  Lösung  3  mal  tägl.  20  Tropfen  steigend)  anzuwenden. 

Ringel  „über  den  Anton  v.  B  r  a  m  a  n  n  sehen  Balkenstich 
berichtet  über  51  im  wesentlichen  nach  v.  Bramanns  Technik 
operierte  Fälle,  berechnet  mit  den  Fällen  v.  Bramanns  zu¬ 
sammen  1,5  Proz.  Mortalität  und  empfiehlt  die  Operation  als  einfach 
und  ungefährlich  bei  Hydrozephalus  und  Hirntumoren,  bei  denen  eine 
grössere  Ansammlung  von  Flüssigkeit  vermutet  wird,  resp.  will  erst 
bei  Versagen  dieser  Methode  zu  eingreifenden  Operationen  raten. 

Weispfenning  gibt  Erfahrungen  über  die  operative  Behand¬ 
lung  der  genuinen  und  traumatischen  Epilepsie  und  berichtet  über  31 
von  Kümmell  operierte  Fälle,  dessen  Anschauungen  er  darlegt; 
von  11  Fällen  traumatischer  Epilepsie  wurde  nur  1  geheilt,  1  ge¬ 
bessert,  von  den  31  Fällen  genuiner  Epilepsie  wurden  3  geheilt,  5  ge¬ 
bessert,  13  blieben  unbeeinflusst,  2  starben. 

H.  H  o  f  f  m  a  n  n  berichtet  über  Kiefergelenksankylose  mit 
„Vogel“gesichtbildung  im  Anschluss  an  2  näher  mitgeteilte  Fälle; 
er  geht  auf  die  Behandlung  näher  ein  und  ist  der  Ansicht,  dass  durch 
die  WeichteiKMuskeDinterposition  die  Zahl  der  Rezidive  (12  Proz.) 
wohl  wesentlich  vermindert  wird. 

Paul  Sudeck  gibt  einen  Beitrag  zur  pathologischen  Anatomie 
und  Klinik  des  Morbus  Basedow»  und  verbreitet  sich  über  die  histo¬ 
logischen  Veränderungen  bei  Morb.  Bas.,  über  die  Herzerscheinungen 
und  über  die  Operationsmethoden  hiebei.  In  frischen  Fällen  mit 
starker  Vaskularisation  ist  die  auf  2  Sitzungen  verteilte  Unterbindung 
aller  4  Arterien  zu  erwägen,  leichtere  und  event.  mittelschwere  Fälle 
werden  einseitig  behandelt  mit  Resektion  der  einen  Hälfte  und  Unter¬ 
bindung  des  Superior  auf  der  anderen  Seite  oder  ausserdem  mit  Keil¬ 
exzision  von  der  anderen  Seite  oder  beide  Seiten  werden  reseziert 
mit  Zurücklassung  eines  etwa  walnussgrossen  Stumpfes  auf  jeder 
Seite  in  der  Gegend  der  Epithelkörperchen.  Mittelschwere  und 
schwere  Fälle  werden  zwei-  oder  noch  mehrzeitig  operiert.  In  der 
1.  Sitzung  Unterbindung  der  A.  superior  und  inferior  einer  Seite  ev. 
mit  Resektion  dieser  Seite,  in  der  2.  wird  auf  der  anderen  Seite  die 
Hemistrumektomie  gemacht  und  event.  eine  Keilexzision  auf  der 
1.  Seite.  Ganz  schwere  Fälle  (d.  h.  solche,  die  bereits  ohne  den  zu 
erwartenden  Operationsschock  als  gefährdet  erscheinen)  und  bei 
denen  man  durch  interne  Behandlung  eine  weitere  Besserung  nicht 
erzielen  kann,  werden  mit  möglichst  schonender  Unterbindung  z.  B. 
nur  eines  Superior  behandelt,  was  mehr  als  Probe  angesehen  wird, 
um  nach  und  nach  die  weitere  Behandlung  durchzuführen. 

H  a  u  c  k  berichtet  über  unsere  Radikaloperationen  beim  Kar¬ 
zinom  der  Speiseröhre  in  ihrem  thorakalen  und  abdominalen  Abschnitt 
über  18  Fälle  operativer  Behandlung  des  Speiseröhrenkarzinoms  (7  im 
Brustteil)  und  teilt  unter  Beigabe  schematischer  Abbildungen  die 
allerdings  nur  Teilerfolge  verzeichnenden  Krankengeschichten  näher 
mit. 


H.  Kümmell  berichtet  über  operative  Behandlung  des  Aorten¬ 
aneurysma  unter  Mitteilung  eines  mit  Operation  (retropleuralc  Bloss¬ 
legung  eines  rupturierten  Aneurysma  und  Naht)  behandelten  ralles. 

WietingPascha  referiert  über  120  Bauchschussverletzungen 
aus  dem  Balkankriege,  beobachtet  in  dem  osmanischen  Fortbildungs- 
krankenhause  Gülhane  (84  Kleinkaliberschüsse  mit  32  Todesfällen, 
18  Schrapnellverletzungen  mit  9  Todesfällen,  18  perforierende  Brust¬ 
bauchschüsse  mit  7  Todesfällen). 

Kayser  berichtet  zur  Frage  der  Infektion  der  Schussm¬ 
ietzungen  und  fordert  im  Anschluss  an  die  Arbeiten  von  v.  Reyer, 
Vollbrecht,  v.  Oettingen  besonders  die  Immobilisation,  die 
Fixation  der  Verbandstoffe  und  die  Einheitstragen. 

H  i  1  d  e  b  r  a  n  d  -  Marburg  gibt  eine  Arbeit  über  Eventratio  und 
Hernia  diaphragmatlca. 

Löf  fei  mann:  Der  Schulterschmerz  (das  Fernsymptom  des 
Nervus  phrenicus  bei  den  akuten  chirurgischen  Erkrankungen  der 

Bauchhöhle.  Verf.  bespricht  dieses  Symptom  als  Erscheinung  bei 
perforiertem  Magen-  (4  Fälle)  und  Duodenalulcus  (12  Falle),  das  als 
differentialdiagnostisches  Zeichen  sehr  wichtig  ist;  Abszesse  der  Leber 
lösen  nur  dann  den  typischen  Schmerz  aus,  wenn  sie  an  der  kon¬ 
vexen  Oberfläche  der  Leber  liegen,  direkt -aufs  Zwerchfell  übergreifen 
oder  im  akuten  Stadium  sind.  —  Auch  bei  Pankreasreizung  hat  das 
Fehlen  des  Schulterschmerzes  ausschlaggebende  Bedeutung,  bei  den 
sich  gleichenden  Krankheitsbildern  ist  das  Fehlen  des  Schulter¬ 
schmerzes  das  einzige  Symptom,  um  eine  Duodenalperforation  aus- 
zuschliessen.  Nach  L.  soll  der  Schulterschmerz  nicht  überschätzt 
werden,  er  soll  nur  ein  beachtenswertes  Moment  in  der  Reihe  anderer 
Symptome  darstellen,  vor  allem  soll  stets  berücksichtigt  werden,  dass 
auch  bei  inneren  Erkrankungen  der  Schulterschmerz  in  Frage  kommen 

^  '"  e  R  o  e  d  e  1  i  u  s  gibt  einen  Bericht  über  die  während  der  letzten 
3  Jahre  chirurgisch  behandelten  Magenerkrankungen  und  referiert 

über  die  seit  der  H  o  f  f  m  a  n  n  sehen  Arbeit  (bis  zum  Jahre  1910) 
operierten  Fälle  (312  Operationen,  darunter  33  akute  Perforationen 
(15  Ulcus  ventr.,  18  des  Duodenum).  38  Resektionen  mit  60,5  Proz. 

Mortalität.  ,  .  .  .  ... 

H.  Kümmell  berichtet  zur  Chirurgie  des  Ulcus  duodeni  über 

65  Fälle,  wovon  im  Jahre  1913  30,  im  Anfang  dieses  Jahres  12  balle 
zur  Operation  gelangten,  so  dass  sich  im  letzten  Jahre  auf  11  Magen¬ 
geschwüre  32  operierte  Duodenalgeschwüre  berechnen  und  sich  zeigt, 
dass  das  Ulcus  duodeni  auch  in  Deutschland  weit  häufiger  vorkommt, 
als  es  bis  jetzt  diagnostiziert  wird.  Auch  die  ungemein  häufige  Ver¬ 
gesellschaftung  des  Ulcus  duodeni  mit  Appendizitis  bestätigt  K.  und 
hält  die  diesbezüglichen  Angaben  amerikanischer  Autoren  (75  Proz.) 
nicht  für  zu  hoch  gegriffen.  K.  gibt  schematische  Röntgenbildcr  einer 
grossen  Anzahl  von  Fällen  und  geht  speziell  auf  die  Behandlung 
(Gastroenterostomie  und  Verschluss  des  Pylorus)  näher  ein. 

Treplin  beschreibt  ein  Phytotrlchobezoar  (bei  6jähr.  Kind 

operativ  entfernt).  .  ,  x  ^ 

Hans  Alb.  Dietrich  berichtet  über  Pancreatitis  acuta  (17  balle) 
und  geht  auf  Aetiologie,  Diagnostik  und  Behandlung  näher  ein.  Der 
Medianschnitt  ist  als  bester  Operationschnitt  zu  empfehlen  (13  balle'. 

Gr  aff  und  W  e  i  n  e  rt  verbreiten  sich  über  die  Frage  warum 
hleihen  nach  Exstirpation  der  Gallenblase  sehr  häufig  Beschwerden 

zurück.  ,  ....  . 

.1.  S  c  h  u  1  z:  Ein  Beitrag  zur  Gallensteinchirurgle.  Verf.  schildert 

die  Ergebnisse  von  gleichzeitig  mit  Koch  unternommenen  Tier¬ 
experimenten  bezüglich  der  Ausscheidung  von  in  die  Blutbahn  inji¬ 
zierten  Staphylokokken  und  bespricht  die  Therapie  der  Cholelithiasis. 
wobei  er  u.  a.  einen  Fall  von  Riesenstein  (72  g)  und  mehrere  Ano¬ 
malien  der  Gallenwege  (Verdoppelung  der  Gallenblase)  schildert. 


der  Gallenwege.  ,,  ,  ,  .  ,  .  , 

H.  Hoff  mann:  Zur  Chirurgie  der  Milz.  Verf.  bespricht  das 
betreffende  Material  der  Kümmel  sehen  Abteilung  (17  Fälle,  darunter 
7  stumpfe  Verletzungen,  2  offene,  2  Milztumoren  bei  J  uberkulose, 
1  bei  Lues,  2  bei  Bluterkrankungen). 

Ed.  Birt  referiert  über  Appendizitis  in  Ostasien,  speziell  in 
Schanghai  und  Umgebung  im  Anschluss  an  92  kurz  mitgeteilte  Fälle. 

Vorderbrügge  gibt  eine  Arbeit  über  Beziehungen  der  Peri¬ 
kolitis  zur  sog.  chron.  Blinddarmentzündung  und  verbreitet  sich  unter 
Mitteilung  entsprechender  Krankengeschichten  über  Symptome  und 
Behandlung  derselben. 

A.  Weiter  gibt  einen  Beitrag  zur  Chirurgie  der  malignen  UieK- 
darmgeschwülste  (Rektum  ausgenommen),  bespricht  die  Symptomato¬ 
logie,  Diagnostik  und  operative  Indikationen  derselben  im  Anschluss 
an  39  Von  1909—1913  operierte  Fälle  (24  Radikaloperationen,  von 
denen  17  Proz.  rezidivfrei  blieben). 

A.  Flockemann  schildert  den  Stachel-Murphyknopf  (zeit¬ 
sparende  Veränderung  am  Murphyknopf). 

Paul  Kaiser  gibt  Beiträge  zur  operativen  Behandlung  der 
Bauchhöhlentuberkulose  und  bespricht  sowohl  die  Fälle  mit  freiem 
Aszites,  als  die  mit  abgekapseltem  und  die  ohne  Exsudat,  sowie  die 
Ileozoekaltuberkulose,  die  Mesenterialtuberkulose  und  Tuberkulose 
der  Tuben  an  der  Hand  der  betreffenden  Krankengeschichten. 

F.  Engelmann  bespricht  die  Frage:  Wozu  bedarf  der  Gyna 
kologe  allgemeine  chirurgische  Kenntnisse?  (Beitrag  zur  Frage  oei 
künstlichen  Scheidenbildung  und  der  Promontoriumresektion  zweck* 
Beckenerweiterung.) 


4.  August  1914. 


MULNCHFNLR  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1747 


A.  Wepfer  referiert  über  die  letzten  100  Fälle  von  geplatzter 
Tubargravidität,  die  sämtlich  geheilt  wurden. 

|>  m  i  t  z  -  f  e  i  f  f  e  r  gibt  einen  Rückblick  über  eine 
jähr.  Erfahrung  mit  der  Alexander-Adams  sehen  Operation 

1 887 — 1912» 

Th  o  t  n  e  s  gibt  einen  kasuistischen  Beitrag  zur  traumatischen 

Ruptur  des  schwangeren  Uterus  und  schildert  einen  durch  Uterus- 
.-xstirpation  geheilten  Fall  kompletter  Ruptur  in  einem  früheren 

>chwangerschaftsmonat. 

Otto  B  i  c  k  e  1  gibt  einen  Beitrag  zur  Spätrachitis,  F.  0  e  h  1  - 
c  k  er  einen  weiteren  Beitrag  zur  Klinik,  Unfallbegutachtung  und 
>chandlung  tabischer  Gclenkerkrankungen,  wobei  er  unter  Schilde- 
ung  zahlreicher  Fälle  und  Beigabe  zahlreicher  Röntgenbilder  die 
itiologische  Entstehung  der  tabischen  Qelenkaffektionen,  Symptome 
:nd  Behandlung  der  einzelnen  Gelenke  bespricht.  Speziell' bei  der 
Vrthropathie  des  Fusses  ist  mit  osteoplastischer  Fussamputation  viel 
iutes  zu  stiften  (in  7  betreffenden  Fällen  trat  völlige  knöcherne 
icilung  ein). 

Der  gleiche  Autor  referiert  über  homoplastischen  Knochenersatz 
ei  fcnehondrom  der  Hand  (erfolgreiche  Implantation  eines  Metakarpus 
on  einem  Unfallverletzten). 

Rohrt  bespricht  die  Endresultate  unblutig  behandelter  intra- 
apsularer  Schenkelhalsfrakturen  und  teilt  unter  Beigabe  zahlreicher 
,öntgenogramme  diesbezügliche  Krankengeschichten  mit. 

Joh-  G-  Chrysospathes  referiert  über  eine  Supinations- 
xtensionsbehinderung  der  Vorderarme  resp.  Hände  bei  Neuire- 
orenen. 


W.  Bocher  gibt  eine  Arbeit  zur  Entstehung  und  Behandlung 

es  *  uf uss^s>  unter  Bericht  über  mehrere  Fälle  mit  entsprechen- 

er  Abbildung. 

Tanz  referiert  über  die  Luxationsfraktur  des  Humeruskopfes  und 

ire  Behandlung  und  schildert  einen  durch  Resektion  geheilten  Fall. 

Goldammer  gibt  einen  Beitrag  zur  Kasuistik  seltener  Talus- 
erletzungen,  teilt  u.  a.  Fälle  von  Talusfraktur  und  Luxation  mit,  an 
enen  er  die  Möglichkeit  und  den  Wert  der  konservativen  Behand- 
ing  schwerer  Talusverletzungen  zeigt  und  besonders  auf  den  Wert 
er  Hackenbruch  sehen  Distraktionsklammern  bei  Talusbrüchen 
ufmerksam  macht. 

B  e  n  g  sch  berichtet  zur  Kasuistik  der  Pfählungsverletzungen 
ti  Anschluss  an  5  in  den  letzten  Jahren  beobachtete  Fälle,  die  er 
tirz  mitteilt. 

A.  Stammler  gibt  diagnostische  und  therapeutische  Krebs- 
:udien,  bespricht  die  serologische  Geschwulstdiagnose  und  betont 
iss  die  A  s  c  oli  sehe  Meiostagminreaktion  ein  wertvolles  Mittel  zur 
lagnose  des  Krebses  sein  kann,  von  der  Abderhalden  sehen 
eaktion  hatte  er  keine  günstigen  Resultate  und  scheint  ihm  zurzeit 
’ch  keine  dieser  Methoden  sicheren  Anhaltspunkt  für  die  Diagnose 
J  geben.  St.  bespricht  die  Chemotherapie,  die  serologische  und 
ologische  Therapie,  von  den  15  mit  Autolysat  behandelten  Fällen 
urde  1  geheilt,  3  vorübergehend  gebessert,  bei  3  einschmelzende 
irkung  auf  den  Tumor  beobachtet,  während  bei  den  anderen  kein 
inmiss,  aber  auch  keine  Schädigung  konstatiert  wurde. 

Friedrich  Bon  hoff  berichtet  über  Verdauungsleukozytose  bei 
arcinoma  und  Ulcus  ventriculi  und  sieht  darin  (nach  14  Fällen  von 
arzinom)  ein  Mittel,  das  allerdings  nicht  mit  absoluter  Sicherheit 
ir  JJiiterentialdiagnose  zwischen  Ulcus  und  Karzinom  verwertet 
erden  kann,  das  aber  immerhin  so  häufig  positive  Resultate  erzielt, 
lSSHSz'ZUr  -fic}]erung  der  Diagnose  herangezogen  werden  sollte. 

”■  .Docht  berichtet  zur  Technik  der  A  b  d  e  r  h  a  1  d  e  n  sehen 
peration  am  Schulter-,  Fuss-  und  Kniegelenk  und  schildert  fernerhin 
e  Gründung  des  chirurgischen  Röntgeninstitutes  am  allgemeinen 
ankenhause  Hamburg-Eppendorf,  indem  er  die  historische  Ent- 
icklung  desselben  bespricht; 

Kotzenberg  bespricht  die  Röntgentherapie  der  malignen 
^schwulste,  besonders  die  Tiefentherapie  mit  Aluminiumfilter  und 
uderbestrahlung  und  bespricht  in  Tabellenform  das  Material  aus 
n  Jahren  1909— 1913,  sowohl  prophylaktisch  bestrahlte  als  wegen 
;zidiv  bestrahlte  Fälle  (53  Mammakarzinome,  2  Heilungen,  5  Besse- 
ngem),  (bei  22  nachuntersuchten  prophylaktisch  bestrahlten  Fällen 
T  aie  "alfte  Rezidive  trotz  viel  kürzerer  Beobachtungszeit),  von 
inoperablen  Fällen  von  Carcinoma  uteri  sind  5  Fälle  gebessert 
sp.  klinisch  geheilt.  K.  betont,  dass  allein  schon  in  der  schmerz- 
-dernden  Wirkung  der  Strahlentherapie  ein  grosser  Erfolg  liegt, 
echt  waren  die  Resultate  bei  den  Drüsenkarzinomen  am  Halse, 
i  denen  der  Zunge,  des  Gaumens,  der  Lippen,  der  Nebenhöhlen  des 
senrachenraumes,  die  oberflächlich  gelegenen  Hauttumoren  wurden 
C  21  Erfolg  zur  Abheilung  gebracht. 

H.  I )  e  n  k  s  berichtet  zur  Röntgenbehandlung  der  chirurgischen 
iberkulosen  über  die  1910—1913  behandelten  Fälle;  die  fungösen 
Kränkungen  der  grossen  Gelenke  (43)  ergaben  35  Proz.  Heilungen, 

;?  Besserungen,  somit  sehr  günstige  Resultate,  und  an  den 

-inen  Gelenken  ebenso  (84  Proz.  Heilungen,  16  Proz.  günstige  Be- 
niussungen);  hier  wurde  konstatiert,  dass  gerade  die  übelsten  Fälle 
Miscninfektion  in  wunderbarer  Weise  beeinflusst  wurden, 
aul  Steffens  bespricht  die  Strahlentherapie  und  Anionen- 
iiandlung,  geht  auf  die  Heilwirkung  radioaktiver  Bäder,  die  Erfolge 

nie i ni!0ne£b*e,Jandlun?  ein>  Nach  St-  lassen  sich  ähnliche  thera- 
Jiiscne  Erfolge,  wie  durch  die  radioaktiven  Bäder,  in  ge- 
e,  fallen  durch  einen  künstlich  erzeugten  Strom  freier  Ionen 
sie  bei  der  Anionenbehandlung  zur  Anwendung  kommen)  erzielen. 


A  1  b  a  n  u  s  gibt  einen  Beitrag  zur  Technik  der  Behandlung  von 
Karzinomen  der  oberen  Luft-  und  Speisewege  mit  Radium  und  Meso¬ 
thoriumbestrahlungen  und  schildert  die  entsprechende  Fixation,  die 
dabei  nötig;  bei  operablen  Tumoren  plädiert  A.  für  Operation  und 
nachhenge  Unschädlichmachung  der  Wundkeime  durch  Strahlen¬ 
therapie.  Inoperable  Tumoren  sind  einer  Bestrahlung  in  einem  nicht 
geahnten  Masse  mit  positivem  Resultate  zugänglich.  Sehr. 

Zentralblatt  für  Chirurgie,  Nr.  29,  1914. 

R  K  I  a  p  p  -  Berlin:  Besondere  Formen  der  Extension. 

v  erf.  empfiehlt  für  die  ischämische  Muskelkontraktur  die  Haut- 
extension,  deren  Technik  er  an  der  Hand  von  2  Abbildungen  er- 
i  l  ?  die  Fingerspitze  des  II.— V.  Fingers  wird  ein  feiner, 
_  .  d°PPelter  Seidenfaden  gezogen;  alle  4  Fäden  werden  zusammen- 
g  knotet,  so  dass  sie  alle  in  gleichem  Grade  angezogen  sind,  und 
schliesslich  wird  eine  Gewichtsextension  daran  angebracht.  Der 
raden  wird  reaktionslos  vertragen,  die  Haut  reisst  nicht  aus,  da  sie 
ja  gegen  Zugwirkung  sehr  widerstandsfähig  ist.  Verf.  erzielte  damit 
Falifn  70n  ischämischer  Lähmung  sehr  gute  Erfolge  und 
empfiehlt  diese  Hautextension  auch  für  Fingerfrakturen  und  -kontrak- 
turen  und  zur  Spreizung  der  Finger  nach  der  Operation  der  Syn- 
daktylie,  auch  an  der  Haut  der  Fersengegend  ist  diese  Extension 
möglich  Eine  zweite  Form  ist  die  Drahtextension,  die  sich  besonders 
am  Kalkaneus  empfiehlt:  der  doppelte  Aluminiumbronzedraht  wird 
zunächst  quer  durch  den  Kalkaneus  geführt,  dann  mit  beiden  Enden 
nach  der  Fusssohle  zu  ausgestochen.  Der  Eingriff  ist  leicht  und  gibt 
nicht  zu  Fistelbildungen  Anlass.  (Mit  2  Skizzen.) 

Adolf  Nu  ssbaum- Bonn:  Ein  billiges  Hilfsmittel  zur  Re- 
dression  kindlicher  Klumpfiisse. 

Verf.  benützt  einen  15  cm  langen,  zylindrischen,  mit  Watte  und 
Binde  umwicke  ten  Holzstab;  zur  Redression  der  Adduktoren  legt 
man  die  Mitte  des  Stabes  auf  die  Höhe  der  Abbiegung  am  Vorfuss* 
nun  umfassen  die  4  Finger  der  einen  Hand  die  kindliche  Ferse  an  der 
medialen  Seite,  der  Daumen  wird  über  den  Stab  gelegt,  während  die 
4  Finger  der  anderen  Hand  von  der  Grosszehenseite  um  den  Vorfuss 
greifen  und  der  Daumen  ebenfalls  den  Stab  umfasst;  ähnlich  wird 
auch  die  Supination  des  Fusses  beseitigt;  zur  Behebung  der  Flexion 
des  Kalkaneus  ist  der  S  c  h  u  1 1  z  e  sehe  Apparat  nötig.  Dieses  ein- 
tache  Hilfsmittel  gestattet  die  Anwendung  einer  ausserordentlichen 
Kraft  ohne  die  Gefahr  des  Abgleitens.  2  Skizzen  zeigen  die  Haltung 
der  zugreifenden  Finger. 

Ernst  von  der  P  o  r  t  e  n  -  Hamburg:  Narkosenmaske  für 
Operationen  in  Bauchlage. 

Verf.  hat  für  Operationen  in  Bauchlage  eine  neue  Maske  kon- 
struiert  bei  der  Mundstuck  und  Tupferhalter  durch  einen  35  cm  langen 
dicken  Schlauch  miteinander  verbunden  werden;  das  Mundstück  kann 
am  Kopf  des  Pat.  festgeschnajlt  werden,  der  Tupferhalter  liegt  etwas 
abseits  vom  Operationsgebiet  auf  einem  Tischchen  und  nimmt  die 
herabfallenden  Tropfen  des  Narkotikums  bequem  auf.  Mit  1  Ab- 
bildung.  E.  Heim-  Oberndorf  b.  Schweinfurt. 


Hegars  Beiträge  zur  Geburtshilfe  und  Gynäkologie. 

Bd.  XIX,  Heft  3.  Leipzig,  Georg  Thieme,  1914. 

E.  Schmidt-Tübingen:  „Tuberkelknötchen“  in  einem  Portio¬ 
karzinom. 

Für  Tuberkulose  sprechen  bei  S.s  Befund  (Riesenzellen):  die 
nachgewiesene  floride  Tuberkulose  einer  Niere  und  Tuberkelbazillen 
im  Körper,  die  hauptsächlich  in  den  Schnitten  der  Probeexzision  ge¬ 
fundenen  Zellkomplexe  mit  allen  Eigenschaften  von  Tuberkeln,  die 
für  den  L  a  n  g  h  a  n  s  sehen  Typus  unbedingt  charakteristische  Form 
der  Riesenzellen;  gegen  Tuberkulose  sprechen  die  Anwesenheit  von 
Hornsubstanzen,  das  auffallend  isolierte  Vorkommen  der  Riesenzellen 
in  den  Krebsalveolen  und  krebsigen  Zerfallsprodukten  das  Vor¬ 
kommen  der  tuberkelartigen  Bildungen  nur  zwischen  den  Krebs¬ 
zapfen,  nie  ausserhalb  des  Krebsgebietes,  das  makro-  und  mikro¬ 
skopische  Fehlen  jeder  Verkäsung.  S.  neigt  der  Ansicht  zu,  dass  es 
sich  um  Fremdkörperriesenzellen  handelt. 

F.  Walther-Strassburg  i.  E.:  Ueber  fieberhafte  Aborte  mit 
spezieller  Berücksichtigung  ihrer  Therapie. 

Aus  seinen  Betrachtungen  zieht  W.  den  Schluss,  dass  es  am 
besten  ist,  nach  genauester  Untersuchung  möglichst  früh  und  schonend 
auszuräumen  und  auch  bei  hämolytischen  Streptokokken  die  Kürette 
nicht  zu  scheuen,  aber  nur  dann  im  letzteren  Falle,  wenn  man  mit  der 
manuellen  Ausräumung  nicht  auskommt. 

P;  S  te  r  n  b  e  r  g  -  Freiburg  i.  B.:  Zur  Frage  des  Isthmus  uteri. 

St.  stutzt  mit  seinen  Untersuchungen  die  Asch  off  sehe  Lehre; 
die  gegen  diese  von  Büttner  erhobenen  Einwände  sind  nach  St. 
nur  Stutzen  der  Lehre,  denn  die  von  Büttner  betonte  funktioneile 
Gleichwertigkeit  des  Epithels  im  Zervix-  und  Isthmusabschnitt  beruht 
nur  auf  dem  Prinzip  der  Ueberfärbung. 

J.  Gold  wasser-Kertsch-München:  Ueber  die  Augen¬ 
verletzungen  während  der  Geburt  bei  der  Zangenoperation  und  ihre 
gerichtlich-medizinische  Bedeutung. 

p„,.  Di.e®e  letztere  ist  eine  sehr  grosse.  Bei  der  Begutachtung  der 
Falle  ist  vor  allem  darauf  hinzuweisen,  dass  Augenverletzungen 
schwerster  Art  auch  bei  Spontanentbindungen  beobachtet  werden. 
Aber  wenn  auch  die  Zangenanlegung  die  Ursache  ist,  so  ist  zu  be¬ 
denken,  dass  bei  ihr  auch  die  besten  Techniker  dem  Kinde  schwere 
Traumen  zufügen  können,  z.  B.  Schröder  eine  Fraktur  des 


1748 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


N».  31. 


Orbitaldaches  mit  Bluterguss  ins  Auge,  Orbita  und  Vorderkanimer; 
auch  ist  zu  betonen,  dass  es  kein  Mittel  gibt,  die  I  raumen  des  Auges 
bei  Zangenextraktion  zu  verhindern. 

S.  Black  st  ein -Halle  a.  S.:  Ueber  die  Serodiagnostik  des 
Karzinoms  mittels  des  Abderhalden  sehen  Dialysieryer  ahrens. 

Es  ist  aus  den  bisherigen  Untersuchungen  festgestcllt.  dass  bei 
Abwesenheit  von  Oravidität  der  positive  Ausfall  der  Karzinomreaktion 
mit  ziemlicher  Sicherheit  für  Krebs  spricht;  besonders  auf  die  frühen 
Stadien  kann  man  so  aufmerksam  werden;  negativer  Ausfall  wird 
meist  nur  bei  fortgeschrittenen  Fällen  gefunden. 

Grete  G  u  m  p  r  i  c  h  -  Strassburg  i.  E.:  Der  Einfluss  der  Men¬ 
struation  auf  das  Blutbild  bei  gesunden  Individuen. 

Die  Erythrozyten  schwanken  meist  nur  um  einige  nundert- 
tausende,  auch  für  die  Leukozyten  lässt  sich  keine  Regel  aufste  en, 
die  für  alle  Fälle  gültig  ist:  die  Lymphozyten  sind  grossen  Schwan¬ 
kungen  unterworfen  Abfall  nud  Anstieg  während  resp.  vor  und 
während  der  Menses  wird  beobachtet,  geschieht  aber  nie  im  Sinne 

einer  Wellenlinie.  ,  .  _  _.  ... 

Doha  Gorba  kowsky-  Strassburg  1.  E.:  Diagnostische  Unter¬ 
suchungen  des  Antitrypsingehaltes  und  der  Leukozytose  bei  Laparo- 

omien^bcran  .gt  nacj,  Operation  eine  Leukozytenvermehrung 

vorhanden.  Ein  gewisser  Zusammenhang  zwischen  der  Entstehung 
des  Antitrypsins  und  dem  vermehrten  Leukozytenverfall  muss  zu¬ 
gegeben  werden,  differentialdiagnostisch  lässt  sich  ebensowenig  wie 
prognostisch  mit  der  Bestimmung  des  Antitrypsin-  (nicht  Antipyrin 
wie  im  Original)  Gehaltes  und  der  Leukozytenzahl  im  Blutserum  nichts 
anfangen.  Die  Oelbehandlung  bedingt  Leukozytenvermehrung  durch 
Reize  Verf  möchte  sie  dort  empfehlen,  wo  Infektionsgefahr  vorliegt. 
x  ‘  V  o  g  e  1  -  Aachen. 


Monatsschrift  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie.  Bd.  40, 


Heft  1. 


M  Malinowsky  -  Kasan:  Tokodynatnometrische  Unter¬ 

suchungen  über  die  Wirkung  des  Pituitrins  auf  die  Uteruskontrak¬ 
tionen  unter  der  Geburt.  „  .  .  „ 

Verf.  benützte  zu  seinen  Untersuchungen,  die  an  50  Kreissenaen 
angestellt  wurden,  ein  modifiziertes  Tokodynamorneter  nach  Schatz 
und  kam  u.  a.  zu  folgenden  Ergebnissen.  Das  Optimum  der  I  ltuitrin- 
wirkung  bei  der  Geburt  fällt  auf  die  Austreibungszeit  und  auf  den 
Schluss  der  Eröffnungsperiode.  Die  tokodynamometrische  Kurve  der 
Pituitrinwehen  stellt  ihrem  Grundcharakter  nach  einen  Uebergang 
vom  physiologischen  zum  tetanischen  Typus  dar.  Sie  ist  charakteri¬ 
siert  durch  starke  Beschleunigung  der  Wehen  bei  bedeutender  Er¬ 
höhung  des  intraabdominellen  Druckes  während  der  Wehen,  durch 
Verkürzung  der  Wehendauer  und  durch  eine  unbedeutende,  dennoch 
aber  immer  zu  konstatierende  Druckerböhung  während  der  Pausen. 

John  O  low -Lund:  Ueber  die  Behandlung  der  in  den  früheren 
Monaten  unterbrochenen  Extrauterinschwangerschaft. 

Schluss  im  nächsten  Heft.  ,  ,  . 

O.  N  e  b  e  s  k  y  -  Innsbruck:  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Chorio- 

Nebesky  fügt  den  88  in  der  Literatur  beschriebenen  Fällen 
von  Chorioangiomen  einen  weiteren  hinzu  und  bespricht  im  Anschluss 
an  die  genaue  rnakro-  und  mikroskopische  Beschreibung  seines  ralles 
die  Art'  und  die  Entstehungsursache  dieser  Tumoren.  Im  Gegensatz 
zu  Gräfenberg,  der  diese  Tumoren  für  eine  eigenartige  Degene¬ 
ration  der  Chorionzotten  anspricht,  hält  Verf.  mit  Borst  das  Chorio- 
angiom  für  eine  wahre  Geschwulst.  Die  Entstehung  auf  Zirkulations¬ 
störung  (Vitium  cordis,  Nephritis  etc.)  bei  der  Mutter  zurückzuführen, 

hält  er  nicht  für  richtig.  .  ... 

Erik  Brattström-I.und:  Ein  Fall  von  vierengen  Vierlingen 
nebst  einigen  Beobachtungen  betreffs  der  Vierlingsgeburten  im  all¬ 


gemeinen.  , ,  ,  , 

Viereiige  Vierlinge  männlichen  Geschlechts,  ein  Kind  war  ma¬ 
zeriert,  die  anderen  drei  voll  ausgetragen  lebend,  die  von  einer 
V  -para  geboren  wurden.  2  Plazenten,  eine  grosse  zusammen¬ 
hängende  mit  3  Eihautsäcken  und  eine  kleinere.  Bemerkungen  über 
die  Statistik  und  die  hereditäre  Disposition  bei  Mehrgeburten. 

Josef  Fahr  ici  us- Wien:  Ueber  ein  primäres  Karzinom  der 

Bartholin!  scheu  Drüse.  . 

Der  Tumor  wurde  bei  einer  45  jährigen  Frau  exstirpiert.  zeigte 
mikroskopisch  typisch  alveolären  Bau,  grosse  rundliche  Zellen  mit 
relativ  grossen  Kernen.  Die  Haut  über  dem  Tumor  war  intakt,  so 
dass  der  Tumor  nur  von  der  Drüse  ausgegangen  sein  kann.  Die  Pat. 
wurde  später  mehrmals  wegen  Metastasen  operiert  und  starb  über 
5  Jahre  nach  der  Operation.  K  o  1  d  e  -  Magdeburg. 


durch  Stauung.  Man  findet  ihn  übrigens  auch  bei  anderen  Zuständen, 

S°  Z'w.'  R  i  nd'fTeVsch-  Stendal:  Eine  abdominelle  Operations¬ 
methode  bei  Retroflexio  uteri.  T  .  .  .  t  . 

Nach  Eröffnung  der  Bauchhöhle  werden  die  Ligg.  rotunda  frei- 
eeleet.  deren  Peritoneum  an  einer  Stelle  gespalten,  die  Ligg.  stark 
herausgezogen  und  möglichst  weit  nach  dem  Uterus  hin  abge¬ 
schnitten  Dieselben  werden  dann  an  der  Rückseite  des  Uterus  ein- 
ge pflanzt  Der  Uterus  liegt  nach  der  Operation  etwas  nach  vorn 
geneigt,  beide  I  igamente  halten  ihn  umfasst  und  fixieren  ihn  in  seiner 
I  ige.  R.  hat  die  Operation  bis  jetzt  in  6  Fällen  mit  Erfolg  ausgefuhrt. 

Z  e  n  g  e  r  1  e  -  Ravensburg:  Ein  Fall  von  Sectio  caesarea  post 


Zentralblatt  für  Gynäkologie.  Nr.  29,  1914. 

A.  I  a  b  h  a  r  d  t  -  Basel:  Ueber  ein  häufiges  Frühzeichen  der 
Schwangerschaft. 

Als  eines  der  frühesten  Graviditätssymptome  gilt  bekanntlich  die 
livide,  sog.  weinheiene  Verfärbung  der  Scheidenschleimhaut,  die  oft 
schon  in  der  5.-6.  Schwangerschaftswoche  auftritt.  Als  Prädilektions¬ 
stelle  dieser  Verfärbung  fand  L.  einen  queren,  etwa  14— 14  cm  breiten 
Strich,  der  etwa  14—1  cm  unterhalb  der  Urethralmündung  verläuft. 
Dieser  suburethrale  livide  Streifen  ist  bei  der  Mehrzahl  der  Schwan¬ 
geren  zu  erkennen,  bei  Multiparis  leichter  als  bei  Primiparis.  L.  denkt 
sich  den  Streifen  entstanden  durch  venöse  Hyperämie,  wahrscheinlich 


mortem.  war  jm  Koma  auf  dem  Transport  ins  Krankenhaus 

gestorben  Durch  die  Sectio  caesarea  wurde  ein  lebendes  Kind  ent¬ 
wickelt.  das  auch  am  Leben  blieb.  Die  alte  Bestimmung  der  Lex 
regia  des  alten  Numa  Pompilius:  Mulier  quae  praegnans  mortua  est, 
ne  humator  antequam  partus  ei  excidatur,  besteht  auch  heute  noch 
zu  recht.  J  a  1  f  e  -  Hamburg. 


Gynäkologische  Rundschau.  Jahrg.  VIII.  Heft  11. 

Karl  H  a  r  t  m  a  n  n  -  Remscheid:  Symphysenschnitt  und  supra- 

symnhysäre  Entbindung.  . 

Mitteilung  von  2  selbst  geleiteten  Geburtsfallen:  1.  23  jährige 

II.  -para  (1.  Geburt  Kind  wegen  Nabelschnurvorfall  abgestorben. 
Perforation,  Kranioklasie),  Conj.  diag.  714  cm,  absolut  verengtes 
Becken.  Suprasymphysärer  Kaiserschnitt,  Kind  3800,52.  2.  2S  jährige 

III.  -para  (1.  Geburt  Abort:  2.  Geburt  Gesichtslage,  Kind  bei  der 
Wendung  abgestorben),  Conj.  diag.  8)4  cm,  subkutane  Symphyseo- 
tomie  nach  Frank;  Kind  3800,50.  Blasenverletzung  spontan  geheilt. 

Verf.  geht  auf  verschiedene  Beobachtungen  ein,  die  er  bei  seinen 
Operationen  gemacht  hat.  Bei  hochstehendem  vorliegenden  I  eil 
liegt  auch  die  Uebergangsfalte  auf  Blase  und  Bauchdecken  hoch  Ob  1 
es  sich  um  ein  enges  Becken  handelt  oder  nicht,  ist  dabei  ganz  gleich¬ 
gültig.  Tritt  der  Kopf  ins  Becken  ein,  so  tritt  die  Harnblase  und  auch 
die  Uebergangsfalte  tiefer.  Beim  absolut  zu  engen  Becken  zieht  sich, 
je  länger  die  Geburt  dauert,  auch  das  untere  Uterinsegment  und  damit 
auch  die  Uebergangsfalte  nach  oben.  Für  Fälle  mit  engem  Becken 
von  Conj.  vera  von  8  cm  aufwärts  hält  Verf.  den  Frank  sehen 
Symphysenschnitt  für  einen  leichten  und  ungefährlichen  Eingriff,  der 
bei  Mehrgebärenden  auch  bei  bestehender  1  emperatursteigeruns: 
ausgeführt  werden  kann.  Es  ist  zu  bedauern,  dass  die  Operation 
bisher  von  so  wenigen  Seiten  nachgeprüft  worden  ist. 

Piero  Gail -Triest:  Indikationen  und  Kontraindikationen  der 
Hypophysenextrakte  in  der  geburtshilflichen  Praxis.  (Aus  der 
k.  k.  Hebammenlehranstalt  in  Triest.) 

Die  Arbeit  ist  das  Resultat  von  Beobachtungen  an  mehr  als 
300  Fällen,  zur  Anwendung  kam  vor  allem  das  Pi  tugland  ol 
(2  ccm).  Gute  Erfolge  wurden  erzielt  bei  Wehenschwache  in  der 
Geburt,  bei  langer  Geburtsdauer  infolge  Gesichts-  und  Becken¬ 
endlagen.  bei  Placenta  praevia,  beim  engen  Becken,  hier  aber  mit 
der  Einschränkung  auf  die  Fälle,  in  denen  eine  Spontangeburt  möglich 
ist,  ferner  bei  Retentio  placentae  und  schliesslich  beim  Kaiserschnitt. 
Bei  Wehenschwäche  in  der  dritten  Geburtsperiode  ist  die  Kombination 
von  Sekakornin  mit  Pituglandol  besonders  zu  empfehlen.  Als  direkte 
Kontraindikation  für  die  Anwendung  der  Hypophysenpräparak 
müssen  die  höheren  Grade  von  Beckenverengerung,  die  eine  Spontan¬ 
geburt  nicht  mehr  gestatten,  genannt  werden,  ferner  die  Querlagen, 
drohende  Uterusruptur,  Herz-  und  Nierenkrankheiten,  sowie 
Eklampsie,  da  infolge  des  erhöhten  Blutdruckes  die  Prognose  nur 
verschlechtert  werden  kann.  A.  Rieländer  -  Marburg. 


Virchows  Archiv.  Bd.  215,  Heft  3. 


J.  Kyrie  und  K.  Schopper:  Untersuchungen  über  den  Ein¬ 
fluss  des  Alkohols  auf  Leber  lind  Hoden  des  Kaninchens.  (Pathol.  In¬ 
stitut  in  Wien.)  ,  . 

Der  50  proz.  Aethylalkohol  wurde  intravenös,  subkutan  und  m 
den  Magen  eingeführt.  Unter  31  Kaninchen  fanden  sich  in  dei  Leber 
7  mal  herdförmige  Nekrosen,  14  mal  kleinzellige  Infiltrate  im  Peri_i 
portalen  Herde  und  3 mal  ausgesprochene  Laennec sehe  Zirrhose. 
Die  degenerativen  Prozesse  treten  zuerst  auf,  und  die  zirrhotiscnen 
sind  als  ihre  Folge  zu  betrachten.  In  den  Hoden  wurde  6  mal  eine 
Atrophie  mittleren  Grades,  9  mal  eine  solche  höheren  Grades  bis 
zum  völligen  Erlöschen  der  Spermiogenese  festgestellt.  Die  Verände¬ 
rungen  fanden  sich  in  gleicher  Weise  in  den  drei  obengenannten  Ver¬ 
suchsreihen.  Die  Verf  ziehen  weiter  den  Schluss,  dass  nicht  der 
Alkohol  allein  die  Veränderungen  setze,  sondern  dass  eine  Disposition 
ausserdem  noch  vorhanden  sein  muss. 

H.  Schuster:  Haemangioma  cavernosum  im  Herzen  eines 
Neugeborenen.  (Pathol.  Institut  in  Lemberg.) 

Das  2,5  mm  im  Durchmesser  haltende  Knötchen  sass  im  rechten 
Herzen  auf  dem  Papillarmuskel  an  der  Uebergangsstelle  der  Muskel¬ 
fasern  in  den  Sehnenfaden. 

C.  Gargano:  Implantation  von  Geweben.  Implantation  von 

Selachiereinbryonen.  (Chirurg.  Klinik  in  Neapel.)  A.I 

In  einem  Falle  gelang  die  Einheilung  eines  Embryo  in  die  mW 
eines  Scyllium  stellare. 

C.  Sauer:  Ein  Beitrag  zur  Kenntnis  des  Chloroms.  (Patnoi 

Institut  in  Freiburg.) 


4.  August  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1749 


Myelozytärcs  Chlorom  bei  einem  36jähr.  Manne:  periostale  Auf¬ 
lagerungen  über  dem  Brust-,  Lenden-  und  Sakralteile  der  Wirbel¬ 
säule.  chloromatöse  Infiltration  der  Lymphknoten  an  der  Aorta,  am 
Leberhilus  und  im  Mediastinum.  Chloromknoten  in  der  Milz,  den 
Nieren,  der  Prostata,  der  Schilddrüse  und  der  Dura  mater,  diffuse 
chloromatöse  Infiltration  der  G  I  i  s  s  o  n  sehen  Kapsel.  Grüne  Abszesse 
an  beiden  Oberschenkeln  und  den  Schultern  nach  Kalomelinjektionen. 

C.  Mi  cremet:  hin  klinisch  unter  dem  Bilde  eines  malignen 
Tumors  verlaufender  Fall  von  myeloischem  Chlorom.  (Pathol.  In¬ 
stitut  in  Utrecht.) 

1 5  jähr .  Mann.  Grünes  Knochenmark,  Tumoren  der  Haut,  unter 
dem  Peritoneum,  im  Mediastinum,  im  Herzen,  in  den  Nieren,  in  der 
Muskulatur.  Verfasser  rechnet  die  Beobachtung  den  leukämischen 

Prozessen  zu. 

P.  Fraenkel:  Ein  Fall  von  Pseudohermaphroditismus  femi- 

ninus  externus.  (Unterrichtsanstalt  für  Staatsarzneikunde  in  Berlin.) 

Die  sehr  eingehenden  Untersuchungen  sind  in  einem  kurzen 
Referate  nicht  wiederzugeben  und  müssen  in  der  Veröffentlichung 
selber  nachgelesen  werden. 

M.  Scgawa:  Ueber  das  Wesen  der  experimentellen  Poly¬ 
neuritis  der  Hühner  und  Tauben  und  ihre  Beziehung  zur  Beriberi  des 
Menschen.  (Pathol.  Institut  in  Tokio.) 

Die  Tiere  wurden  mit  geschältem  Reis  und  Wasser  ernährt. 
Kontrolliere,  die  mit  ungeschältem  Reis  gefüttert  wurden,  blieben 
vollkommen  gesund,  die  anderen  wurden  hochgradig  atrophisch  und 
starben  durchschnittlich  nach  1  Monat.  Die  Lähmungserscheinungen 
waren  das  hervortretendste  Symptom.  Die  peripheren  Nerven 
zeigten  eine  ausgesprochene  Degeneration.  Ausserdem  fanden  sich 
Dilatation  der  Herzventrikel,  Stauung,  Hydroperikard,  Degeneration 
der  Ganglienzellen  der  Vorderhörner  des  Rückenmarks.  Nach  Verf 
ist  die  Hühnerberiberi  identisch  mit  der  Menschenberiberi. 

R.  Krüger:  Ueber  die  Nierenveränderungen  bei  Vergiftung  mit 
Oxalsäure  und  oxalsaurem  Kalium.  (Pathol.  Institut  in  Braunschweig.) 

Bei  der  Oxalsäurevergiftung  findet  eine  Ausscheidung  von  oxal- 
;aurem  Kalk  analog  der  übrigen  Kalkausscheidung  hauptsächlich  in 
Jen  gewundenen  Harnkanälchen  und  in  geringerer  Ausdehnung  in 
Jen  Schleifen  statt.  Die  Kristalle  finden  sich  sowohl  im  Lumen  wie 
n  den  Epithelien.  Die  auftretende  Anurie  ist  auf  eine  Schädigung 
ler  Gefässfunktion  zu  beziehen. 

Ch.  Firket:  Zur  Frage  der  strahligen  Einschlüsse  in  Riesen- 
tellen. 

Die  strahligen  Einschlüsse  stellen  keine  Umbildungsprodukte  von 
.'iastischen  Fasern  dar.  Sie  entstehen  durch  Differenzierung  des 

Vlitoms. 

C.  Heinemann:  Zur  Frage  der  karzinomatösen  Implantations- 
netastase  im  Uterus. 

A.  Bonome:  Durch  spezifische  Antisera  bei  Tieren  experi- 
nentell  erzeugte  Spleno-  und  Myelopathien. 

„Die  Sera  entstammten  Tieren,  die  mit  defibriniertem  Blute  oder 
lit  3  mal  in  physiologischer  Kochsalzlösung  gewaschenen  Blutkörper- 
hen  einer  differenten  Tiergattung  intraperitoneal  behandelt  waren. 
i  der  Arbeit  werden  die  histologischen  Veränderungen  des  Knochen- 
larkes,  der  Milz  und  der  Leber  im  einzelnen  angegeben. 

Schridde  -  Dortmund. 

Berliner  klinische  Wochenschrift.  Nr.  30,  1914. 

F.  G  ö  p  p  e  r  t  -  Göttingen:  Ueber  manifeste  und  latente  In- 
uffizienz  der  Exspiration  im  Kindesalter.  (Nach  einem  Vortrage, 
ehalten  in  der  Göttinger  medizinischen  Gesellschaft.) 

Bei  einer  Anzahl  durch  ihre  Konstitution  zu  chronischer  Schleim¬ 
autschwellung  disponierten  Kindern  tritt  auch  bei  scheinbar  unbe- 
eutenden,  auskultatorisch  oft  kaum  nachweisbaren  chronischen 
ronchialkatarrhen  ein  Tiefstand  des  Zwerchfells  ein,  bei  einzelnen 
Jontan,  bei  anderen  erst,  wenn  sie  einige  Male  tief  inspiriert  haben. 
ie  hierdurch  nachgewiesene  Insuffizienz  der  Exspirationskräfte  ist 
ne  relative.  Das  Atemhindernis  ist  in  einem  Katarrh  der  feineren 
ronchien  zu  suchen,  zudem  sich  Bronchiahnuskelspasmus  gelegent- 
,  hinzugesellt,  keineswegs  aber  notwendig  vorhanden  ist.  Die 
c.iwäche  der  austreibenden  Kräfte  beruht  wahrscheinlich  in  einem 
1>ie]i?renen  ^angel  an  Elastizität  der  Lunge  oder  aber  auch  in  der 
'vollkommenen  Funktion  der  automatischen  Regulation  der  Exspira- 
»nskraft. 

M.  Bernhardt-Berlin:  Beitrag  zur  Lehre  von  der  Errötungs- 
rcht  (Ereuthophobie). 

Kasuistischer  Beitrag. 

E.  F  r  i  e  d  b  e  r  g  e  r  -  Berlin :  Weitere  Versuche  über  uitra- 

olettes  Lieht.  III  Mitteilung.  (Vortrag,  gehalten  in  der  Berliner 
lkrobiologischen  Gesellschaft  am  14.  Mai  1914.) 

Es  ist  dem  Verf.  in  allen  Versuchen  mit  verschiedenen  Vakzinen 
d  Lapinen  gelungen,  die  natürlich  vorkommenden  Begleitbakterien 
weniger  als  30  Minuten  durch  Einwirkung  von  ultraviolettem  Licht 
vernichten,  während  die  Vakzine  selbst  3 — 4  mal  solange  virulent 
leb.  Es  gelingt  also  praktisch  ohne  Zusatz  von  Antiseptizis  und 
ne  dass  ein  störender  Effekt  noch  nachwirken  kann,  die  Lymphe 
imtrei  zu  machen  unter  Wahrung  ihrer  Virulenz. 

rritz  S  c  h  i  f  f  -  Berlin:  Ueber  das  serologische  Verhalten  eines 

a^s  ,tj'ne*'8er  Zwillinge.  (Vortrag  in  der  Berl.  mikrobiolog.  Ges. 

i  14.  Mai  1914.) 

Es  dessen  sich  serologische  Unterschiede  nicht  auffinden,  trotz¬ 


dem  Methoden  zur  Anwendung  kamen,  die  es  erlaubten,  das  Blut 
aller  anderen  untersuchten  Individuen  individuell  zu  differenzieren. 

Zur  individuellen  Blutdifferenzierung  empfiehlt  sicii  die  Kom¬ 
bination  mehrerer  der  von  v.  Dünger  n  u.  a.  zur  Untersuchung 
gi  uppen-  und  individuumspezifischer  Strukturen  benutzten  Methoden. 

Martin  Jakoby  und  N.  U  m  e  d  a  -  Berlin:  Ueber  Auxo  Wir¬ 
kungen  und  gebundene  Aminosäuren  des  Blutserums. 

Die  Verfasser  versuchten  die  Auxourease  zu  isolieren  und  kamen 
dabei  zu  einer  Reihe  interessanter  Resultate,  über  die  sie  kurz  be¬ 
richten. 

W.  Alexander  und  E.  U  n  g  e  r  -  Berlin:  Heilung  eines  be¬ 
merkenswerten  Grosshirntumors.  (Nach  einer  Demonstration  in  der 
Berl.  inikrobiolog.  Ges.  am  17.  Juni  1914.) 

Cf.  pag.  1418  der  M.m.W.  1914. 

F.  F.  F  r  i  e  d  m  a  n  n  -  Berlin :  Ueber  die  wissenschaftlichen 
Vorstudien  und  Grundlagen  zum  Friedmann  sehen  Mittel. 

Aus  den  beigefügten  Krankengeschichten  ist  die  Unschädlichkeit 
des  Mittels  dem  menschlichen  Organismus  gegenüber,  die  Grenzen 
seiner  Leistungsfähigkeit  sowie  die  nicht  zu  bestreitenden  Heilwir¬ 
kungen  ersichtlich. 

Erich  Stern  -  I  annenberg  i.  E. :  Beiträge  zur  Frühdiagnose  der 
Lungentuberkulose. 

Anämie,  dyspeptische  Beschwerden,  diarrhoische  Stühle,  Tachy¬ 
kardie  sowie  leichte  Herzverbreiterung  nach  rechts  weisen  auf  eine 
luberkulose  hin;  ferner  Schmerzen  in  der  Schultergegend  oder  im 
Abdomen  (Pleuritis),  leichte  chronische  Laryngitis  mit  Stimmband¬ 
parese  (gleichseitig),  schlechtere  Muskulaturentwicklung  auf  der  er¬ 
krankten  Seite  und  Pupillenerweiterung  auf  der  befallenen  Seite 
mit  träger  Reaktion. 

I  itu  V  a  s  i  1  i  u  -  Bukarest :  Eine  neue  Spritze  zur  intravenösen 
Injektion  von  konzentriertem  Neosalvarsan  und  anderen  sehr  reizen¬ 
den  Lösungen. 

Die  Neorekordspritze  besteht  aus  zwei  mit  einander  verbundenen 
Spritzen.  Durch  einen  mit  Hähnen  versehenen  hohlen  Metallbogen 
wird  es  ermöglicht,  dass  man  den  Inhalt  jeder  Nadel  separat  durch 
die  Nadel  entleeren  kann.  Man  injiziert  das  Salvarsan  nur  dann, 
wenn  man  sich  Gewissheit  verschafft  hat,  dass  die  Nadel  sich  wirk¬ 
lich  im  Lumen  der  Vene  befindet.  Dr.  Grassmann  -  München. 

Deutsche  medizinische  Wochenschrift.  Nr.  29,  1914. 

Gr  ob  er- Jena:  Behandlung  akut  bedrohlicher  Zustände  bei  der 
Pleuritis. 

Klinischer  Vortrag. 

Max  Rothmann-  Berlin :  Ueber  die  Ausfallserscheinungen 
nach  Affektionen  des  Zentralnervensystems  und  ihre  Rückbildung. 

Vortrag,  gehalten  im  Verein  für  innere  Medizin  und  Kinderheil¬ 
kunde  in  Berlin  am  25.  Mai  1914,  vgl.  das  Referat  der  M.m.W. 

Albrecht  P  e  i  p  e  r  -  Berlin:  Ueber  Adsorptionserscheinungen  bei 
der  A.  R. 

Wenn  die  Ninhydrinreaktion  bei  lOproz.  Eiereiweiss-  oder 
1  proz.  Gelatinelösung  angestellt  wurde,  so  ergab  weder  der  Zusatz 
von  Bariumsulfat,  Kaolin  und  Kieselgur,  noch  der  Zusatz  einer 
lOproz.  Stärkelösung  einen  positiven  Ausfall  der  Reaktion.  Dagegen 
wurde  ein  deutlich  fördernder  Einfluss  des  Stärkezusatzes  (weniger 
des  Kaolins)  auf  die  Intensität  der  Ninhydrinreaktion  bei  Verwendung 
von  Serum,  und  zwar  besonders  von  aktivem  Serum  festgestellt. 
Dieselbe  verstärkende  Wirkung  des  Stärkezusatzes  trat  ein,  wenn 
Hammel-,  Rinder-  oder  Hundeserum  auch  ohne  Organzusatz  zur  Ver¬ 
wendung  kamen,  dagegen  nicht  regelmässig  bei  Menschenserum  ohne 
Organzusatz. 

F.  P  e  n  t  i  m  a  1 1  i  -  Freiburg  i.  Br.:  Zur  Frage  der  chemothera¬ 
peutischen  Versuche  auf  dem  Gebiete  der  experimentellen  Krebs¬ 
forschung  (nebst  einer  Mitteilung  über  die  Wirkung  des  kolloidalen 
Wismuts). 

Es  scheint  R  o  u  s  gelungen  zu  sein,  mit  dem  zellfreien  Filtrat 
eines  Hühnersarkoms  bei  anderen  Hühnern  echte  Sarkome  zu  er¬ 
zeugen.  Entsprechende  Beobachtungen  beim  Mäusekarzinom  stehen 
noch  aus.  Das  letztere  ist  nach  Aschoffs  Ansicht  so  gut  wie 
unempfindlich  gegen  die  y-Strahlen  des  Radiums  und  Mesothoriums. 
Ebensowenig  scheint  zurzeit  der  Weg  für  eine  chemotherapeutische 
Beeinflussung  des  Mäusekrebses  gefunden  zu  sein;  wenigstens  fielen 
zahlreiche  Versuche  in  dieser  Richtung,  welche  mit  Selenpräparaten, 
fluoreszierenden  Substanzen,  Schwermetallen  (als  Salzverbindungen 
oder  in  kolloidalem  Zustande),  Saponinen,  Kalziumsalzen,  mit  Phos¬ 
phor  und  Thorium  X  unternommen  worden  waren,  negativ  aus.  Ge¬ 
legentlich  von  anderen  Forschern  gefundene  Nekrosen  sind  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  auf  traumatische  und  andere  akzidentelle 
Einflüse  zurückzuführen.  Verflüssigung  des  Tumors  bedeutet  noch 
keine  Heilung,  sie  bewirkt  aber  Autoimmunisation.  Bei  den  obigen 
Versuchen  wurde  nebenher  gefunden,  dass  das  kolloidale  Wismut 
ein  exquisites  Nierengift  und  ein  direktes  Reizmittel  für  das  hämato- 
poetische  Gewebe  darstellt. 

Hans  Schirokauer  -  Berlin :  Zur  Phenolphthaleinprobe  auf 
okkultes  Blut  nach  Boas. 

Verf.  hat  bei  einer  4  Tage  auf  fleischfreie  Diät  gesetzten  Patientin 
eine  auffallend  starke  Phenolphthaleinreaktion  bei  schwächer  werden¬ 
der  und  schon  verschwundener  Guajakreaktion  beobachtet  und  führt 
dies  darauf  zurück,  dass  die  Reagentien  allein  genommen  besonders 
bei  einem  Ueberschuss  an  Alkali  eine  intensive  Rotfärbung  aufweisen. 


1750 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


J  Boas-Berlin:  Bemerkungen  zu  dem  vorstehenden  Artikel. 

Wegen  der  grossen  Empfindlichkeit  der  Phenolphthaleinprobe 
muss  die  vorausgeschickte  fleischfreie  Zeit  8—10  Tage  betragen. 
Wenn  auch  die  Reagentien  allein  bei  allzu  reichlichem  Zusatz  von 
Kalilauge  ein  positives  Resultat  ergeben  können,  so  beeinträchtigt 
dieser  Umstand  den  Wert  der  Probe  keineswegs,  da  ein  derartiger 
Fehler  bei  der  Fäzesuntersuchung  wegfällt. 

Syring-Bonn:  Beziehungen  zwischen  Plattfuss  und  Fuss- 

tuberkulose.  .  .  ,  . 

Vor  allem  ist  es  die  Tuberkulose  der  Articulatio  ^talonnviculuris, 
welche  im  Beginn  mit  den  subjektiven  und  objektiven  Symptomen  des 
Plattfusses  einhergehen  kann;  die  Häufigkeit  der  Fehldiagnosen, 
welche  sich  aus  dieser  Erscheinung  ergeben,  wird  auf  etwa  10  Proz. 
berechnet.  Es  handelt  sich  in  solchen  Fällen,  selbst  wenn  ein  sogen, 
kontrakter  Plattfuss  vorzuliegen  scheint,  nicht  um  stärkere  Knochen¬ 
zerstörungen  —  das  Röntgenbild  kann  noch  völlig  negativ  sein  -> 
sondern  um  einen  reflektorischen  Spasmus  des  Muskel-,  Band-  und 
Kapselapparates.  Das  bevorzugte  Alter  liegt  zwischen  18  und 

28  Jahren.  .  ,  . 

Q.  H  o  t  z  -  Freiburg  i.  Br.:  Fermentative  Blutstillung  durch 

Koagulen.  „  ,  ,  ,  , 

Einigermassen  bedeutendere  Qefässe  werden  schneller  und  wir¬ 
kungsvoller,  d.  h.  sicherer  unterbunden.  Dagegen  hat  sich  bei  den 
im  Verlaufe  von  Gehirn-,  Leber-  und  Prostataoperationen  auftretenden 
diffusen  Blutungen  die  örtliche  Anwendung  der  5  proz.  Koagulenlösung 
recht  gut  bewährt,  desgleichen  bei  den  Operationen,  welche  an 
schwer  ikterischen  Personen  vorgenommen  wurden.  Auch  bei 
blutenden  Magengeschwüren  wurde  von  der  Verabreichung  des 
Koagulens  per  os  gute  Wirkung  gesehen.  Eine  stärkere  Hämoptoe 
kam  nach  intravenöser  Einspritzung  von  20  ccm  der  5  proz.  Lösung 
alsbald  zum  Stillstand,  trat  auch  nicht  wieder  auf.  Abnorme 
Thrombenbildung  ist  bislang  auch  von  F  o  n  i  o  niemals  beobachtet. 


D  o  b  b  e  r  t  i  n  -  Berlin-Oberschöneweide:  Erneute  Atemnot  nach 
gelungenen  Kropfoperationen. 

Für  die  früher  oder  später  nach  Kropfexstirpationen  erneut  aut- 
tretende  Dyspnoe  gibt  es  zwei  Gründe:  entweder  ist  die  durch  den 
früher  vorhanden  gewesenen  Kropf  erweichte  Trachea  durch  festes 
Narbengewebe  an  Haut,  Muskeln  oder  Brustbein  fixiert,  vielleicht 
sogar  abgeknickt,  oder  es  hat  sich  ein  Kropfrezidiv  eingestellt.  Im 
letzteren  Falle  kommt  nur  die  Resektion  der  Struma  in  Frage;  in 
ersterem  Falle  muss  man  die  Trachea  sorgfältig  und  weitgehend  aus 
ihrer  narbigen  Umgebung  lösen  und  nach  peinlichster  Blutstillung 
nötigenfalls  mit  einem  Fettlappen  umgeben.  Um  prophylaktisch  der 
Narbenfixation  der  Trachea  zu  begegnen,  empfiehlt  sich  möglichst 
schonende  Ausführung  der  Strumektomie;  insbesondere  sollten  die 
Muskeln  lieber  scharf  durchtrennt  und  später  wieder  gut  vernäht 
werden,  statt  sie  übermässig  scharf  beiseite  zu  ziehen.  Differential¬ 
diagnostisch  ist  an  Emphysem  ehemaliger  Kropfträger  zu  denken. 

B.  L  e  w  i  n  s  o  h  n  -  Altheide:  Ueber  Elarson. 

Elarson  —  das  Strontiumsalz  der  Chlor-Arseno-Behenolsäure  — 
in  Form  von  Tabletten  zu  0,5  mg  Arsen  in  steigenden  und  dann  wieder 
fallenden  Dosen  verabreicht,  wird  als  ein  nahezu  ideales  internes 
Arsenpräparat  bezeichnet,  das  mit  geringster  Toxizität  einen  grösst- 
möglichen  therapeutischen  Wert  vereint.  Besonders  wird  der  rasche 
Eintritt  der  Arsenwirkung  gerühmt. 

H.  Weiss-Barmen:  Zwei  weitere  mit  Kupfer  und  Quarzlampe 
geheilte  Fälle  von  Ulcus  rodens. 

Es  handelte  sich  um  einen  59  jährigen  Mann  mit  Ulcus  rodens 
des  Nasenrückens  und  eine  54  jährige  Frau  mit  Ulcus  rodens  der 
rechten  Schläfengegend;  das  Geschwür  existierte  seit  8  bzw.  7  Jahren. 
Die  Behandlung  bestand  in  Auflegen  der  von  S  t  r  a  u  s  s  angegebenen 
Lekutylsalbe  (zimtsaures  Kupferlezithin)  und  mehrfacher  Quarz¬ 
lampenbestrahlung.  Die  nach  2%  bzw.  2  Monaten  erzielte  Heilung 
dauert  nunmehr  6  bzw.  9  Monate  an. 

Fritz  L  e  s  s  e  r  -  Berlin:  Gibt  es  eine  paterne  Vererbung  der 
Syphilis? 

Erwiderung  auf  die  Veröffentlichung  von  Franz  Bruck  in 
d  Wschr.  1914  Nr.  24.  B  a  u  m  -  München. 


Oesterreichische  Literatur. 

Wiener  klinische  Wochenschrift. 

Nr.  30.  C.  Sa  vas- Athen:  Ueber  die  Choleraschutzimpfung  in 
Griechenland. 

Im  Balkankriege  wurden  auf  griechischem  Gebiete  sowohl  bei 
den  Truppen  als  bei  der  Zivilbevölkerung  in  grossem  Stile  (ca.  500  000 
Personen)  Schutzimpfungen  mit  einem  Choleraimpfstoff  vorgenommen. 
Verschiedene  Vergleiche  sprechen  für  einen  guten  Erfolg  derselben 
und  im  ganzen  sind  von  den  zweimal  Geimpften  99  Proz.  von  der 
Krankheit  verschont  geblieben.  Die  wiederholte  Impfung  schafft  einen 
ungleich  höheren  Grad  der  Immunisierung  als  die  einmalige.  Unter 
sonst  günstigen  und  geregelten  sanitären  Verhältnissen  werden  die 
Impfungen  entbehrlich  sein,  für  Kriegszeiten  sind  sie  unumgänglich 
notwendig,  sie  können  ohne  Beeinträchtigung  der  Kampffähigkeit  der 
Armee  durchgeführt  werden. 

P.  B  i  a  c  h,  W.  Kerl  und  H.  K  a  h  1  e  r  -  Wien :  Zur  Kenntnis 
der  Veränderungen  der  Spinalflüssigkeit  nach  Neosalvarsanappli- 
kation. 

Bei  12  einschlägigen  Untersuchungen  fanden  die  Verfasser  9  mal 


nach  Salvarsaninjektion  einen  hohen  Wert  an  Reduktionsfahigkeit  des 
Liquor  cerebrospinalis,  der  im  Gegensatz  steht  zu  den  Befunden  bei 
14  nicht  mit  Salvarsan  behandelten  Luetikern.  Der  hohe  Zuckerwert 
zeigte  keine  Beziehung  zu  den  luetischen  Krankheitserscheinungen, 
auch  nicht  zu  dem  Bestehen  von  Fieber,  Kopfschmerz,  Schwindel, 
Erbrechen.  Dagegen  bestand  ein  gewisser  Parallelismus  in  der  Menge 
der  reduzierenden  Substanz  mit  der  Höhe  der  Salvarsandosis.  An¬ 
scheinend  kommen  für  die  Erhöhung  der  Zuckerwerte  auch  individuell 
disponierende  Momente  in  Betracht. 

I  S  Schwarz  mann  -  Odessa:  Ueber  die  klinische  Bedeutung 
der  Bestimmung  des  diastolischen  Blutdruckes  für  die  Diagnose  der 
Erkrankungen  der  Aorta. 

Starke  Herabsetzung  des  diastolischen  Blutdruckes  dient  nicht 
nur  zur  Festigung  der  Diagnose  der  Aorteninsuffizienz  bei  sonstigen 
Erscheinungen  derselben,  sondern  kann  auch  nach  dem  Verf.  als 
einziges  Symptom  oder  wenigstens  beim  Fehlen  des  wichtigsten 
Symptomes,  des  diastolischen  Geräusches,  für  die  Diagnose  aus¬ 
reichen.  (Krankengeschichten.)  So  ergibt  sich  auch,  dass  eine 
Aorteninsuffizienz  weit  häufiger  besteht,  als  sie  bisher  erkannt  wurde, 
und  es  erfahren  auf  diese  Weise  manche  Störungen,  wie  Kopfschmerz. 
Schwindel,  Schlaflosigkeit  erst  die  richtige  Erklärung.  Ausserdem 
kann  die  zunehmende  Herabsetzung  des  diastolischen  Blutdruckes  ein 
Zeichen  für  die  fortschreitende  Entwicklung  der  Insuffizienz  abgeben. 
Schliesslich  kann  die  Bestimmung  des  Blutdruckes  auch  zur  Klärung 
der  Diagnose  bei  komplizierten  und  schwierig  zu  erkennenden  Herz¬ 
fehlern  dienen. 

A.  Henszelmann  - Pest :  Die  Reizung  des  Nervus  phrenicus 
Hc.  faraHisphpii  Strom  und  die  röntgenologische  Verwertbar¬ 


keit  dieses  Verfahrens. 

Untersuchungen  an  200  Kranken.  Die  in  üblicher  Weise,  am 
besten  auf  einer  Seite  vorgenommene  Phrenikusreizung  gibt  im 
Röntgenbilde  vielfach  sehr  auffallende  und  diagnostisch  wichtige  Auf¬ 
schlüsse  über  das  Verhalten  des  Zwerchfells.  Dieses  erfährt  während 
der  Reizung  eine  krampfhafte  Kontraktion,  welche  die  des  tiefsten 
lnspiriums  überschreitet,  verliert  die  exspiratorische  Konvexität  und 
wird  ganz  flach,  so  dass  die  phrenikokostalen,  phrenikokardialen  und 
seitlichen  hinteren  Komplementärräume  auf  das  vollkommenste  ent¬ 
faltet  werden.  Von  pathologischen  Zuständen,  deren  Diagnose  auf 
diese  Weise  bereichert  wird,  seien  genannt  kleine  und  grössere  Ex¬ 
sudate,  perikardiale  Verwachsungen;  weiter  bei  Pneumonie,  manchen 
Erkrankungen  des  Herzens,  der  Speiseröhre.  Röntgenabbildungen. 

J.  Cecikas- Athen:  Beitrag  zur  Kenntnis  des  Einflusses  der 
Nephritis  auf  die  Zeugung. 

C.  gibt  folgende  Zusammenstellung  aus  seiner  Beobachtung. 
Unter  28  nephritiskranken  zeugungsfähigen  Frauen  waren  8,  die  ge¬ 
sunde  Kinder  austrugen,  5  waren  steril.  An  Aborten  fanden  36  statt, 
davon  traf  je  1  auf  8,  je  2  auf  4,  je  3  auf  2,  je  4  auf  2  und  6  auf  1  Frau. 
Auf  22  Fälle  trafen  3  akute  Nephritisrezidive.  Auch  beim  Manne 
scheint  nach  C.  die  Nephritis  nachteilig  auf  die  Zeugungsfähigkeit  zu 


wirken. 


Wiener  klinisch-therapeutische  Wochenschrift. 

Nr.  11.  E.  Las  er- Wiesbaden:  Ein  in  Heilung  ausgegangener 
Fall  von  schwerer  medizinaler  Wlsmutvergiftuiig  mit  Beck  scher 
Wismutpaste.  . 

Die  Vergiftung,  wochenlange  intensive  Stomatitis  und  Albumin¬ 
urie,  trat  nach  dreimaliger  Injektion  (in  3  Wochen  170  g  Paste)  in 
den  Psoasabszess  auf.  Allmähliche  Genesung  und  Ausheilung  des 
Abszesses. 

Nr.  11.  E.  W  i  e  n  g  e  s  -  Krefeld:  Zur  Frage  der  öffentlichen 
Ankündigung  nicht  freigegebener  Arzneimittel. 

Verf.  kommt  als  Jurist  zu  dem  Ergebnis,  dass  nach  preussischem 
Recht  eine  Polizeiverordnung,  welche  die  öffentliche  Ankündigung 
von  Arzneimitteln  verbietet,  nur  dann  als  giltig  anzuerkennen  ist, 
wenn  die  Fachpresse  von  dem  Verbote  ausgenommen  ist  und  das 
Verbot  sich  auf  die  Ankündigung  von  Arzneimitteln  gegen  bestimmte 
schwere  Krankheiten  beschränkt. 

Nr.  12  und  13.  A.  T  h  e  i  1  h  a  b  e  r  -  München:  Der  Zusammen¬ 
hang  zwischen  Ernährungs-  und  Getränkereform  und  die  nationale 
Bedeutung  dieser  Reformen. 

Nr.  13  und  14.  E  B  r  a  a  t  z  -  Königsberg  i.  Pr.:  Der  Bruch  des 

Radius  am  Handgelenk. 

Verf.  fordert  für  den  Verband  bei  Radiusbrüchen,  dass  jede 
extreme  Fixierung  der  Handgelenke  vermieden  werde  und  die  Finger¬ 
bewegungen  vollkommen  frei  bleiben.  Da  die  stärkere  Volarbeugung 
der  Hand  die  Fingerbewegungen,  insbesondere  auch  den  Faustschluss 
beeinträchtigt,  ist  sie  zu  vermeiden.  Verf.  empfiehlt  neuerlich  seine 
Modifikation  des  B  e  e  1  y  sehen  Schienenverbandes,  in  dem  er  unter 
Verwendung  eines  weitmaschigen  Formleinens  („Hessian“)  und 
event.  eines  Aluminiumdrahtnetzes  eine  teilweise  offene,  den  Arm 
nicht  ganz  umfassende  Gipskapsel  herstellt,  welche  die  Hand  in  der 
Mitte  zwischen  Volar-  und  Dorsalflexion  fixiert.  (Abbildung.)  Der 
Verband  kann  durch  leichtere  Aenderungen  jeder  Art  des  Bruches 
angepasst  werden  und  vermeidet  alle  Schädigungen.  In  der  Rege' 
bleibt  er  14  Tage  liegen. 

Nr.  15.  J.  P  e  e  r  -  Neustadt  a.  D.:  Ein  Fall  von  spontaner 

Wendung  eines  Fötus  auf  den  Fuss  bei  Querlage. 

Die  Selbstwendung  erfolgte  auf  der  Wagenfahrt  ins  Kranken¬ 
haus.  Bergeat  -  München. 


i.  August  19 14. 


MUFNCHFNHR  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


1751 


Dänische  Literatur. 

a  '  EpMf"sen:DeT  Hypophysenextrakt  ln  der  Geburtshilfe. 

Aus  der  Entbindiingsabteilung  B  des  Reichshospitals  [Direktor: 
tauch].)  (Ugeskrift  for  Läger  1914  Nr  15) 

..  gfr  Verfasser  hatte  teils  Pituitrin  von  Parke,  Davis  &  Co., 
eils  Pitug  andol  von  Ho  ffmann-La  Roche  angewandt,  zog  das 
^Spe.„Fraparat  yor-  Das  Material  bestand  aus  8  Fällen  von  Abort 
/  Fallen  von  prämaturen  Entbindungen,  129  Fällen  von  rechtzeitigen 
ntbindungen.  Der  \  erf.  fasst  seine  Resultate  folgendermassen  zu- 
ammen  :!.  Der  Hypophysenextrakt  ruft  Wehenwirksarnkeit  hervor  oder 

tniLawt  n‘C  dCr  0ebarcn,dc,n'  jedenfalls  in  den  meisten  Fällen. 

.  Die  Wehen  treten  wie  gewöhnliche  Wehen  auf  und  sind  in  physio- 
/gischer  Beziehung  ihnen  gleich,  selbst  wenn  der  Druck  in  der  Wehen- 
ause  steigt  3.  Abort  kann  dadurch  nicht  hervorgerufen  werden- 
enn  der  Abort  im  Gange  ist,  kann  das  Mittel  mit  Erfolg  angewandt 
R»®H«:ZiDaiIlrnenSchnüren  des  0rifizium  wurde  nicht  beobachtet. 

nfhinJ™3  .%P/aeman/rU-lWirkidas  Mittel  wie  bei  gewöhnlichen 
rilüH  Bu  rechtzeitigen  Entbindungen  wirkt  das  Mittel  am 

esten  zum  Schluss.  6.  Gute  Wehen  werden  durch  das  Mittel  nicht 

ordnenden  ‘p-3«1“11®  Wfehen;  7-  Der  Hypophysenextrakt  kann 
neu  ordnenden  Einfluss  auf  schmerzende,  wirkungslose  leicht 

etenSCh8  ^emn<*JS>e2’if°i,daSS  gUjC  )Vehcn  mit  guten  Pausen  auf- 
«;•  Temperaturerhöhung,  jedenfalls  höhere  Grade,  scheinen 

e  \\  irkung  des  Mittels  zu  hemmen.  9.  Atonie  post  partum  wurde 
°.n  deni-  \er( f:  nicht  beobachtet;  die  Anwendung  des  Mittels  war  in 
;inem  Fall  für  das  Kind  gefährlich.  Herzkrankheit,  Albuminurie  und 
ichte  Nierenentzündungen  sind  nicht  Kontraindikationen.  10  Man 
uss  warnen,  das  Mittel  bei  drohender  Eklampsie  anzuwenden 
S;A.J  s  c  h  e  r  n  i  n  g:  Gaudaphil  als  Wundverband.  (Ibidem.) 
Professor  1  s  c  h  e  r  n  i  n  g,  der  Oberchirurg  des  städtischen 
rankenhauses  zu  Kopenhagen,  empfiehlt  sehr  das  Gaudaphil  als 
Ü1  Yon  asePdschen  Hautwunden;  er  schreibt,  dass  er  in 
i4  Jahr?n’  \n  w,elchen  er  Wunden  beobachtete,  nie  mehr  idealen 
gewandt 'hatte**  3  S  *“  den  Monaten>  in  welche"  er  das  Gaudaphil 

J&tota  R(ib,ddem  V°"  kü"s,lk,,er  ■><*'- 

«J,  e‘ner  gevyöhnlichen  Injektionsspritze  mit  langer  Kanüle 
•im  -bC1  Korpertemperatur  nach  Koitus  per  preserva- 

um  aufbewahrt)  eingespntzt.  3  frühere  Versuche,  bei  welchen  der 
g  eicben  Teilen  physiologischen  Salzwassers  gemischt 
■ir,  misslangen,  wahrend  der  4.  Versuch,  nach  der  veränderten 
Cchw'k>  Erfolg  hatte.  Die  Ursache  der  Sterilität  war  Hypospadie 
s  Mannes,  die  Frau  zeigte  keine  Abnormitäten  der  Genitalia. 

iberktdosevo^beugungf  V'  P,ril“elsche  Pro'»  ™<>  Pasche 

i  Knchli  Krzi^,ungsanstalt  »Himmelbjerggaard“,  in  welcher  zirka 
Knaben  im  Alter  von  8 — 13  Jahren  aus  sehr  armen  Heimen  auf- 

'  19lTdieWvrdpP’  Und  1r5nJaDe  bleiben’  hatte  der  Verf.  von  1908 
ifnahL^  ‘quetsche  Probe  bei  allen  Knaben  teils  bei  der 

; ‘nähme,  teils  einmal  jährlich  angestellt.  Bei  der  Aufnahme 

lZTlUTt  Knabeun  78’  d-  h>  43  Proz-  Luter  111  Knaben, 
-anf  ha  /Aujnahm-e  ”lcht  reagierten,  reagierten  14  später,  was 
auf  deutete,  dass  sie  in  der  Anstalt  infiziert  worden  waren;  6  von 

'S  UmSSif  «-Th1  1?08,i^er  SChon  1909,  und  vielIeicht  Hess 

be  h  ah/Ck  6[k  aren’  dass  der  Verf-  bei  der  ersten 

rö.e„‘?'908  35pr?z-  Alttuberkulm,  später  unverdünntes  Tuberkulin 

einem  Knahln1'  A91l  humanes  und  bovines  Tuberkulin  a~a. 

'nähen  K  a  die  Reaktion  schwach,  aber  jedenfalls  schienen 

■  fand  de?  ?  r  Anstalt  infiziert  worden  zu  sein.  Der  Ernährungs- 
:  i  ™inSPenKSCiien  gleich,  aber  der  Gesundheitszustand 

Iafen  die  niefS  ?  • b  A1  d“  n!cht  innzierten.  Seit  1.  Januar  1914 
,  '  .  rht  m  izierten  In  einer  speziellen  Abteilung.  Zur  Vor- 

dn  aneewä1nH?CkH-ngH^Ur^en  der  Anstalt  übrigens  nur  die  Mass- 
.eln  angewandt  dm  die  Gesetzgebung  den  Schulen  vorschreibt 

iversiHKA-linV  Ha  y  s  e  n :  Ueber  Sanduhrmagen.  (Aus  der  mediz. 

:  b  er].),  (ibidem  Nr.  20.)  ““  Reichsh°sPtok  1™-  Knud 

-f^CPhRBAeHSACh+reibU,ng  VOn  10  Fällen  von  Sanduhrmagen  hebt  der 
;  dl.e  Bed®utang  der  spastischen  Form  desselben  und  die  grosse 

iTedeut  ned!red^tU”gH  deF  Rö,ntge"bilder  bei  diesem  Leiden  hervor 
'  ienten  nl  ;r5"derung  der  F9™  des  Magens  muss  man  dem 

it  weiss  uPmtl0-n  r|tCn’  ^6I  tman  in  den  meisten  Fällen 
A  ®‘s»’  ob.  nicht  ein  offenes  Geschwür  vorhanden  ist. 

ge  L-  b  °nss:  Gleichzeitige  quantitativ  ausgeführte  Impfungen 

hI  mlpnünh"1?  ,bovinem  Tuberkulin,  speziell  bei  Lupus  vulgaris 

■  Äe^mmll!ber!iU  °S?’  “ebst  klinischem  und  statistischem  Beitrag 
ise  IÄLUP!!S  vulgaris.  (Aus  der  Hautklinik  des 
[  J2  und  13 )  medlzImschen  Lichtinstituts.)  (Hospitalstidende  1914 

•  hDF  1 1^?^ „besteht , aas  3  Teilen:  1.  Tuberkulintiterbestimmung 
lerkuiin  T„fa  c  IVunc!  ,E.r  a  n  d  s  e  u.  mit  humanem  und  bovinem 
gentuherküLp  £apkneitS?[uUppen  (Llipus  vlllgaris  f161  Fällel; 

•US  erVthkpm»*  64  ?Äe»-9bnServati01}  für  Tuberkulose  [17  Fälle]; 

1  Fällel)  ymatosus.  |17  Falle]  und  nicht  tuberkulöse  Krankheit 
I  um  ä'  „Xi  spezie|,em  Interesse  war  ausser  der  hohen  Titerzahl 
lere  fir,,!!  i  m  ?usammenhang  mit  der  Zahl  für  sämtliche 
iLunn«  pPen’.  der  Sf[hr  ausgesprochene  Unterschied  in  Titerzahl 
upus  vulgaris  und  Lupus  erythematosus,  auch  die  für  sämtliche 


P[,Uppen  gemeinschaftliche  schwache  Reaktion  auf  bovine  Tuber- 
Kulose,  was  vermutlich  durch  das  viel  schwächere  Wachstum  der 
bi  BmZ-L6k  \n  G[yzerinbouillon,  indem  Tuberkulin  von  Kulturen 

obeä  PräJäah  athrb?dCn  h®f,ge?telIt  wird<  sich  erklären  lässt.  2.  Für  die 
oben  erwähnten  Lupusfalle  (27  Stadt-,  131  Landbewohner)  wurde  eine 

Sknn  Anampese  rücksichtlich  der  Wahrscheinlichkeit  für  An- 
z  .hlrw  T°n  JJenschcn  zum  Rind  aufgenommen.  Auch  für  die  Melir- 

wa  rsrhPiniÄpV0 'kerung  schien  es  nach  diesen  Aufklärungen  am 
vnn  m!  i  h  u  anzunehmen,  dass  die  tuberkulöse  Ansteckung 

P-ttieMei  Sd^'\  1Cirtr-U1Kfe‘/  3‘  Flldllch  wurden  sämtliche  inländische 
füV  h  >  vPdK  Lichtinstituts  —  im  ganzen  1846  — ,  nebst  den  Zahlen 

Tuheäknllt  breiHUtlg  der  Rinder-  (Euter-)  und  Menschen-  (Lungen-) 
därauä  wPnnmmpVerSChHedenen  Landbezirken  aufgestellt.  Es  schien 
i  w  vlh  !-  T",wer  en  zu  müssen,  dass  der  Lupus  sich  mehr 
anschliäst  InSHpnr  Lungentuberkulose  als  der  der  Eutertuberkulose 
nrn  Millf  n.f  U  d  r  St?dtne1'  ’ war  d'e  Anzahl  der  Lupuspatienten  0,61 

fst  dass’  hnvbiT  Tahdek°’|72  Pr°  (Mll,le’  Der  Hauptschluss  des  Verf.s 
Adas,s  bovine  1  uberkuloseansteckung  eine  geringere  Rolle  als 
du.  Ansteckung  von  Menschen  als  Ansteckungsmoment  bei  dem  Lupus 
vulgaris  angenommen  werden  muss.  p 

HamMarriLKH  °  8  f-:  K!inlscbe  Methode  zur  Stickstoffbestimmung  Im 

(Ibidem  Nr.  19 )  tierphysi°logischen  Laboratorium  der  Universität.) 

Früher  veröffentlichte  die  Verfasserin  (s.  Hoppe-Seylers  Zschr 

stoffs^  rl Shemie  8a4V,S‘  37,9^  eine  Methode  zur  Bestimmung  des  Harn¬ 
stoffs  des  Harns  mit  Bromlauge;  da  Bromnatron  nicht  allein  Harnstoff 

hest^IH^nniak’  sondern  auch  teilweise  andere  stickstoffhaltige  Harn- 

Pinf!uccdftd  Heltei  ’  7ah»Üenud  ein  kleinerer  Teil  derselben  nicht  be¬ 
einflusst  wird,  kann  die  Methode  auch  zum  Nachweis  des  Stickstoffs 

vnnHsaHrkatnffeWaK-dtH  werdea-  wenn  dieser  widerstandsfähige  Rest 
von  Stickstoffverbindungen  beinahe  konstant,  von  der  Gesamtstick- 
stofrmenge  unabhängig  ist,  was  die  vorgenommenen  Untersuchungen 

kbnlcrb'pn 'rin dlCSnr  Basis..hat  d'e  Verfasserin  ihre  Methode  zum 
klinischen  Gebrauch  ausgenutzt.  (Der  Apparat  ist  bei  F.  C.  Jacob 
Hauserplads,  Kopenhagen,  zu  erhalten.) 

Hpr  ihn?'  F.ridericia:  Eine  klinische  Methode  zur  Bestimmung 
der  Kohlensaurespannung  der  Lungenluft.  (Aus  dem  Institut  für  all¬ 
gemeine  Pathologie  der  Universität.)  (ibidem  ) 

Hrr  j[nbe.Lt!1er-frÜheren  zeigte  der  Verf-  dass  die  Bestimmungen 

der  Kohlensaurespannung  einen  Massstab  für  den  Grad  von  Azidose 

HaLh  Diabetikern  geben,  ganz  wie  die  Ammoniakausscheidung  in 

Esiisn  J6HZt  Verf-  gelungen-  eine  Methode  auszu- 
M  welcher  die  Kohlensaurespannung  in  der  Alveolärluft  in 
wenigen  Minuten  bestimmt  werden  kann  ohne  andere  Apparate  als 
PH  F°uS-SuS  Zybnderglas,  einen  Gummiballon  und  einen  eingeteilten 

Mr\SbAhh-Mr  V°n  ^iner  speziellen  Form.  Beschreibung  der  Methode 
und  Abbildungen  des  Apparates. 

i  S:  äjgaard:  Die  Reaktion  von  Abderhalden.  (Aus 

dem  staathehen  Seruminstitut  [Direktor:  Dr.  Th.  M  a  d  s  e  n]  und  der 
Entbindungsabteilung  A  des  Reichshospitals  [Direktor:  Prof.  Leopold 
Meyer].)  (Ibidem  Nr.  21  und  22.) 

cDer  Verf.  hat  mit  einer  einwandfreien  Technik  bei  mehr  als 
300  Sera  die  Reaktion  von  Abderhalden  untersucht.  Als  Haupt¬ 
punkte  seiner  Resultate  teilt  er  folgendes  mit:  1.  Der  Unterschied,  der 
dUü\T-  i!f  Abderhalden  sehe  Reaktion  zwischen  Schwangeren 
und  Nichtschwangeren  nachgewiesen  werden  kann,  ist  von  quantita- 
tiver  Natur;  durch  Modifikationen  in  der  Versuchsaufstellung  kann 
man  nachweisen,  dass  jedes  Serum  proteolytische  Fähigkeit  gegen¬ 
über  Plazentargewebe  hat.  2.  Deshalb  muss  bei  den  Versuchen 
grosses  Gewicht  auf  die  quantitativen  Verhältnisse  gelegt  werden 
la)  die  Reaktionszeit,  b)  die  Menge  von  Plazenta,  c)  die  Menge  und 
Konzentration  des  Serums].  Durch  Dialyseversuche  bekommt  man 
eine  genauere  Beurteilung  des  proteolytischen  Vermögens  durch  Auf¬ 
stellung  einer  Reihe  Versuche  mit  steigender  Dialysezeit.  3.  Während 
der  Schwangerschäft  wird  die  proteolytische  Fähigkeit  deutlich  ver- 
mehit,  indem  das  Serum  schwangerer  Frauen  durchgehends  be¬ 
deutend  starker  als  das  Serum  ganz  normaler  Individuen  (Männer 
und  Frauen)  reagiert.  Doch  gibt  es  eine  Reihe  von  Leiden  (z.  B. 
Cancer,  febrile  Salpingitis,  Achylie,  Metrorrhagie  usw.),  wo  die 
proteolytische  Fähigkeit  vermehrt  sein  kann,  so  dass  das  Serum 
solcher  Patienten  kräftiger  reagieren  kann  als  die  am  schwächsten 
spaltenden  Sera  von  Schwangeren.  4.  Der  diagnostische  Wert  der 
Methode  muss  aus  diesen  Erfahrungen  beurteilt  werden.  Die  grösste 
Bedeutung  hat  der  Nachweis  von  geringer  proteolytischer  Fähigkeit; 
wenn  ein  Serum  bei  Dialyse  in  16  Stunden  keine  Reaktion  gibt,  spricht 
dieser  umstand  stark  gegen  progressive  Schwangerschaft;  ein  posi- 
tn  er  Ausfall  dieser  Probe  kann  dagegen  von  anderen  Zuständen  als 
Schwangerschaft  verursacht  werden  und  ist  deshalb  von  viel 
geringerem  diagnostischem  Wert.  5.  Die  normal  vorkommende  proteo- 
lytische  bahigkeit  ist  bei  der  Frau  zyklischen  Schwankungen  von 
Menstruation  zu  Menstruation  mit  Steigerungen  in  dem  prä¬ 
menstruellen  Stadium  unterworfen.  Diese  prämenstruelle  Steigerung 
veranlasst  ähnliche  Reaktionen  wie  bei  Gravidität  und  spielt  deshalb 
dne  pralcHsche  Rolle  neben  der  theoretischen  Bedeutung,  welche  sie 
möglicherweise  für  die  Erklärung  der  proteolytischen  Fähigkeit 
wahrend  der  Schwangerschaft  hat. 

Harald  Boas:  Weitere  Resultate  der  Behandlung  von  Syphilis 
mit  Salvarsan  in  Verbindung  mit  Quecksilber.  (Aus  dem  Rudolph 
Beigh-Kran^nhäus  [Direktor:  Prof.  Dr.  E.  P  o  n  t  o  p  p  i  d  a  n] ) 
(Ibidem  Nr.  24  und  25.) 


1752 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  31. 


Darstellung  der  kombinierten  SaWarMn^uKksdberbeh^lung 
bei  263  Patienten.  122  von  diesen  konnten  längere  Zut  beobachtet 
werden.  Die  Patienten  bekamen  zuerst  eine  saure  intramuskuläre  Ei  - 
soritzung  von  60  cg  Salvarsan,  10  Tage  spater  eine  intravenöse  In¬ 
jektion  von  40  cg.  Am  selben  Tag  begannen  die  Patienten  eine 
Schmierkur,  jeder  Patient  bekam  50  liiunktionen  von  3  g  Salbe  oder 
m  Kilomeliniektionen  von  5 cg  oder  10  Injektionen  von  10 cg 
Hydrargyr.  salicylic  Ernste  Nebenwirkungen  des  Salvarsans  wurden 
nicht  beobachtet  Der  Verf.  fand  die  kombinierte  Salvarsan-Queck- 
silberbehandlung  bei  primärer  und  frischer  sekundärer  Syphilis  der 
alten  Quecksilberbehandlung  überlegen,  indem  sie  bei  einer  einzelnen 
Kur  die  Patienten  von  ansteckungsgefahrlichen  Symptomen  eine  lange 
Zeit  frei  zu  halten  vermag,  während  Patienten,  die  in  diesem  ^tadium 
der  Krankheit  nur  mit  Quecksilber  behandelt  werden,  beinahe  immer 
Rezidive  bekommen.  Man  muss  die  Patienten  so  früh  wie  möglich 
behandeln.  Dass  die  Krankheit  bisweilen  abortiv  geheilt  werden 
kann  Hess  sich  dadurch  beweisen,  dass  unter  den  Patienten  ein  un¬ 
zweifelhafter  Fall  von  Reinfektion  auitrat. 

Auch  bei  Pemphigus  chronicus  vulgaris,  Dermatitis  herpetiformis 
und  Pemphigus  vegetans  beobachtete  der  Verf.  gute  Erfolge  durch 
Salvarsanbehandlung.  Adolph  H.  Meyer-  Kopenhagen. 


Norwegische  Literatur. 


P.  Torgersen:  Die  Bedeutung  anatomisch-physiologischer 
Untersuchungen  von  Sportliebhabern.  (Norsk  Magazin  for  Läge- 
videnskaben  1914  Nr.  4.) 

Der  Verfasser  hatte  in  einer  früheren  Arbeit  die  Bedeutung  der 
ärztlichen  Untersuchung  für  die  Sportliebhaber  hervorgehoben,  spe¬ 
ziell  für  die  Trainierung;  durch  die  ärztliche  Untersuchung  werden 
Ueberanstrengungen  und  Uebertrainierung  am.  vermieden, 

und  man  erhält  die  beste  Auswahl  von  kdividuen  zu  den 
Uebungen,  die  jedem  einzelnen  am  besten  passen.  200  Individuen 
hatte  der  Verfasser  untersucht,  mehrere  von  diesen  wiederholt,  einen 
Teil  der  Ruderer  täglich,  so  dass  die  Anzahl  der  Enize! Untersuchungen 
ca  600  war.  Die  Untersuchungen  betrafen  Gewicht,  Hohe,  Muskel 
kraft,  Herzbefund,  Blutdruck,  Respiration,  Vitalkapazitat  der  Lungen, 
Harribefund  usw.;  die  Resultate  wurden  in  Tabellen  für  jedes  Indi¬ 
viduum  aufgeschrieben.  Die  Anzahl  war  nicht  gross  genug,  spezie 
Schlüsse  zu  ziehen,  aber  gibt  eine  Vorstellung  der  verschiedenen 
Typen  von  Sportliebhabern  (Schlittschuhläufer,  Schneeschuhlaufer, 
Fussläufer,  Ruderer,  Ringer,  Fechter).  Der  Verf.  bespricht  dann  die 
anatomischen  und  physiologischen  Veränderungen,  die  sich  wahrend 
einer  Anstrengung  oder  Trainierung,  die  die  Konstitution  des  ein¬ 
zelnen  am  meisten  berücksichtigt,  entwickeln.  Endlich  werden  die 
pathologischen  Veränderungen,  die  ab  und  zu  nach  maximalen  An¬ 
strengungen  beobachtet  werden,  beschrieben. 


Söfus  Wideröe:  Beitrag  zur  Pathologie  der  Appendizitis. 

(Aus  der  chirurg.  Abteilung  des  städtischen  Krankenhauses  zu  Lhri- 
stiania.  Direktor:  Hj.  Schilling.)  (Ibidem.)  . 

Der  Verf.  versuchte  zu  entscheiden,  ob  ein  charakteristisches 
Verhältnis  zwischen  dem  bei  der  Operation  der  akuten  Appendizitis 
vorliegenden  pathologisch-anatomischen  Befund  und  dem  Blutbild  vor¬ 
handen  ist,  ferner  ob  man  aus  dem  Blutbild  Schlüsse  auf  die  Natur 
der  Entzündung  ziehen  kann,  und  endlich,  in  welcher  Weise  peri¬ 
toneale  Infektion  auf  das  Blutbild  bei  Appendizitis  Simplex  einwirkt. 
Das  Material  umfasst  59  Fälle,  56  Blinddarmentzündungen  und  3  dif¬ 
fuse  Bauchfellentzündungen,  von  welchen  nur  die  eine  von  einer 
Appendizitis  verursacht  war.  In  den  operierten  Fallen  wurde  die 
Blutuntersuchung  unmittelbar  vor  und  nach  der  Operation,  in 
mehreren  Fällen  täglich  oder  jeden  anderen  Tag  vorgenommen;  wenn 
Komplikationen  eintraten,  wurden  die  Untersuchungen  fortgesetzt, 
bis  die  Leukozytenzahl  normal  wurde.  In  den  operierten  Fallen 
wurde  die  Appendix  mikroskopisch  untersucht,  um  die  Ausdehnung 
und  Art  der  Entzündung  zu  bestimmen.  Der  Verf.  fand  bei  der 
akuten  Appendizitis  eine  von  bestimmten  Verhältnissen  abhängige 
Leukozytose,  am  grössten  in  dem  jüngeren  Alter.  Die  gangränösen 
Formen  hatten  die  stärkste  Leukozytose,  vor  der  Perforation  sinkt 
die  Leukozytenzahl  etwas,  vor  der  Agone  steigt  sie.  Bei  einer  akuten 
unkomplizierten  Appendizitis  wird  die  Leukozytenzahl  normal  einige 
Tage  nach  der  Operation.  Aus  dem  Grad  der  Leukozytose  kann  man 
keine  sicheren  Schlüsse  auf  das  Vorhandensein  einer  peritonealen 
Infektion  ziehen.  Durch  systematische  Blutuntersuchungen  wahrend 
der  Rekonvaleszenz  lassen  intraperitoneale  Abszesse  sich  am  öftesten 
sehr  früh  diagnostizieren.  Veränderungen  in  der  Anzahl  der  neutro¬ 
philen  Leukozyten  begleiten  die  Veränderungen  der  sämtlichen 
weissen  Blutkörperchen.  In  der  Rekonvaleszenz  tritt  regelmassig 
eine  postinfektiöse  Lymphozytose  auf,  die  Zahl  der  Neutrophilen  ist 
am  grössten  im  ersten  Stadium  der  gangränösen  Appendizitis.  Alte 
Abszesse  geben  keine  Leukozytose.  Die  Blutuntersuchung  wird  Be¬ 
deutung  für  die  Frage  haben,  inwiefern  es  sich  um  eine  gangränöse 
Appendizitis  handelt  oder  nicht;  eine  genaue  klinische  Untersuchung 
ist  doch  immer  notwendig.  Nur  in  den  Fällen,  in  welchen  die  Besse¬ 
rung  sicher  ist  und  die  Leukozytose  niedrig,  kann  die  Operation  aut- 
geschoben  werden.  Wenn  man  den  Wert  der  Leukozytose  bei  einer 
akuten  Appendizitis  beurteilen  will,  muss  man  immer  das  Alter 
sowohl  der  Krankheit  als  des  Patienten  berücksichtigen;  Kompli¬ 
kationen,  die  die  Leukozytose  beeinflussen  können,  müssen  natürlich 
ausgeschlossen  werden. 


Ragnvald  Ingebrigtsen:  Ausgebliebene  Rotation  von  Kolon. 
Coecum  mobile.  Ileus.  (Aus  dem  pathologisch-anatomischen  Institut 

ÜLS  D^r 'verpfänd  in  der'uteratur  8  ähnliche  Fälle.  Die  Missbildung 
wurde  bei  der  Autopsie  eines  jungen  Mannes  gefunden,  der  nach 
einem  chirurgischen  Eingriff  starb.  Der  Magen  und  das  orale  Drittel 
des  Duodenum  waren  normal;  der  übrige  Teil  des  Duodenum  war  mit 
einem  5  cm  langen  Mesenterium,  das  die  Bauchspeicheldrüse  zwischen 
seinen  zwei  Peritonealblättern  enthielt,  versehen  und  wurde  in  das 
Jejunum  ohne  Flexura  duodeno-jejunalis  fortgesetzt.  Es  war  eine 
Hypoplasie  des  Dünndarms,  der  nur  4  m  lang  war,  vorhanden,  auch 
eine  Hypoplasie  des  Dickdarms,  der  nur  70  cm  lang  und  sehr  dünn 
war  Das  Zoekum  war  gross  und  hatte  ein  Mesenterium  von  5-6  cm, 
das  die  direkte  Fortsetzung  des  Mesenteriums  des  Dünndarms  war 
und  unten  eine  freie,  etwas  verdickte  Begrenzung  hatte;  dadurch 
wurde  das  Zoekum  sehr  beweglich.  Das  Colon  ascendens  stieg  m 
der  linken  Seite  der  Peritonealhöhle  herauf  und  hatte  eine  retropen- ■ 
toneale  Lage.  Die  Entwicklung  der  Missbildung  lässt  sich  in  folgen¬ 
der  Weise  erklären:  1.  Der  hypoplastische  Dünndarm  Je  weniger, 
der  Dünndarm  wächst,  desto  weniger  ist  die  treibende  Kraft  und 
desto  unvollkommener  wird  die  Drehung.  2.  Das  sagittal  gestellte j 
und  mit  Mesenterium  versehene  Duodenum,  das  als  eine  Scheidewand 
zwischen  der  linken  und  rechten  Abdominalhalfte  steht  und  den  Dicn- 
darm  hindert  von  der  linken  Seite  gegen  .die  rechte  zu  passieren. 

Nils  B.  Koppang:  Myelogene  Leukämie,  mit  Benzol  behandelt. 
(Aus  der  medizinischen  Abteilung  A  des  Reichshospitals.  Pro  .  Dr.l 

Der  Patient  bekam  zuerst  Arsenik-  und  Röntgenbehandlung  ohne 
Wirkung,  vom  24.  Mai  bis  16.  September  Benzol,  2  g,  spater  3,5  s 
täglich  (im  ganzen  341,5  g),  ausserdem  in  vier  Perioden  Röntgen¬ 
bestrahlungen  (im  ganzen  40  Sitzungen).  Anfangs  stieg  die  Leuko¬ 
zytenzahl  bis  450  000,  dann  fiel  sie.  Am  15.  September  war: sie  330t 
Am  8.  Oktober  fand  man  5  640  000  rote  Blutkörperchen  5800  weisst. 
Hämoglobin  90  Proz.,  also  quantitativ  normales  Blutbild;  in  dem  ge¬ 
färbten  Präparat  ein  einzelner  Myelozyt.  Die  Milz,  die  die  ganze 
linke  Seite  des  Unterleibs  gefüllt  hatte,  erreichte  nur  ca.  Zweifinger- 
breite  vor  linkem  Rippenbogen.  Die  Leberschwellung  schwand  ganz 
Das  Allgemeinbefinden  war  normal.  Harn  seit  9.  Juli  ohne  E'weiv 
G  H  Monrad-Krohn:  Die  Behandlung  der  Syphilis  des 
Nervensystems,  speziell  der  Tabes  und  der  Paralysis  generalis 

UbldD™r  Verf.  behandelte  Fälle  von  Tabes  und  Paralysis  generalis: 
mit  intravenösen  Salvarsaninjektionen  und  nachfolgender  Injektion  vor 
Serum  in  die  Zerebrospinalflüssigkeit  hinein  a  Ja  Dr.  S  w  ift  t,,sai 
varsanisiertes  Serum“)-  Sowohl  bei  1  abes  als  bei  der  Paralyse  ha 
er  durch  diese  Behandlung  in  Verbindung  mit  Uebungstherapie  gute 
Resultate  gehabt.  Die  Abhandlung  ist  eine  vorläufige  Mitteilung. 

Q.  Malm:  Die  Entdeckung  des  Milzbrandbazillus.  Eine  histori¬ 
sche  Kritik.  (Ibidem  Nr.  6.)  .  ,  , 

Das  Studium  der  Originalabhandlungen  zeigte,  dass  der _  fran¬ 
zösische  Arzt  Ray  er  im  Jahre  1850  der  erste  war  der  verotfent 
lichte,  das  Milzbrandstäbchen  beobachtet  zu  haben.  Spater  gab  de 
deutsche  Tierarzt  Fuchs  an,  den  Bazillus  1842  beobachtet  zu  haben 
Die  erste  genaue  Beschreibung  des  Stäbchens  gab  der  deutsche  nt 
ai  zt  P  o  1 1  e  n  d  e  r,  der  1855  mitteilte,  dass  er  den  Bazillus  im  Ja  n 
1849  beobachtet  hatte.  Der  erste,  der  die  Bedeutung  des  Bazillu 
für  Milzbrand  behauptete,  ist  der  französische  Tierarzt  De  af on. 
im  Jahre  1860,  und  der  erste,  der  die  Spezifität  des  Bazillus  gan 
verstellt  und  behauptet,  ist  der  französische  Arzt  Davaine  lM 
der  zusammen  mit  Rayer  die  Stäbchen  beobachtete.  Robert  Koc 
verdankt  man  die  definitive  Feststellung  der  Rolle  des  Milzbrani 
bazillus  als  Erreger  des  Milzbrandes  (1876). 

Kr  Brandt:  Retroplazentäre  Blutung  (frühzeitige  Losung  de 
richtig  sitzenden  Plazenta).  (Aus  der  Entbindungsanstalt  zu  Uri 

"  '"in^der.  letzten  7  Jahren  beobachtete  man  in  der  Entbindungs 
anstalt  unter  9258  Gebärenden  retroplazentäre  Blutung  mit  klinische 
Symptomen  15  mal,  d.  h.  in  0,16  Proz.  Uebersicht  des  Leidens  un 

tabellarische  Aufstellung  der  Fälle. 

Adolph  H.  M  e  y  e  r  -  Kopenhagen. 


Schiffs-  und  Tropenkrankheiten. 


P  G.  U  n  n  a  -  Hamburg:  Materialsammlung  für  eine  künftige  B‘ 
arbeitung  der  Lepraätiologie.  (Hamburg,  med.  Ueberseehefte  1.  r 

1  ^ifnna  eröffnet  im  ersten  Hefte  der  neuen  Zeitschrift  eine  Samn 
lung  von  Einzelbeobachtungen  zur  Beantwortung  der  Frage: 
breitet  sich  die  Lepra  aus?  Die  Sammlung,  die  in  den  Folgehett 
fortgesetzt  wird,  soll  den  Grundstock  einer  neuen  Periode  au 
logischer  Forschung  abgeben,  nachdem  sich  die  durch  den_  bieg  a 
Armauer  Hansen  sehen  Ansteckungstheorie  hervorgerufene 
schüchterung  der  Oeffentlichkeit  gelegt  hat. 

R.  R  u  g  e  -  Jerusalem:  Die  Emetinbehandlung  der  Amobenrun 

(Daselbst  1.  1914.  H.  1.  S.  31.)  .  m 

O.  M  ü  1 1  e  r  -  Hongkong:  Amöbendysenterie  und  Emetin,  u 

selbst  1.  1914.  H.  5.  S.  198.) 

Das  Emetin  wirkt  vernichtend  auf  die  grossen  vegetam« 
Formen  der  Ruhramöbe,  beeinflusst  die  kleinen  Minuta-  oder  Uhr 
midialformen  sehr  wenig  und  versagt  den  Dauerformen  gegenuD 


4.  August  1914. 


MUKNCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


vollständig.  Demnach  bewirkt  es  sicher  und  prompt  eine  klinische 
Heilung,  nicht  dagegen  eine  Dauerheilung.  Namentlich  hat  es  sich 
auch  bei  den  lebengefährdenden  Komplikationen  der  Amöbenruhr 
Jem  Leber-  und  Lungenabszess  als  wirksames  Adjuvans  gezeigt, 
.ur  hmv  erleibung  ist  der  intravenösen  Einspritzung  vor  der  subku- 
anen  und  intramuskulären  der  Vorzug  zu  geben.  Dosis  nicht  unter 
UM.  nicht  über  0,2  (subkutan). 

,  |MLZUr.nilrt^*Ki,t1:  Tr°Pischer  Leberabszess  in  der  Literatur 
les  Jahres  1913.  (Daselbst  1.  1914.  H.  5.) 

Die  latsaclie,  dass  vielfach  auf  jede  andere  Art  angegriffene  und 
edtm  Versuch  widerstehende  dysenterische  Leberabszesse  dem 
.metin  kombiniert  mit  chirurgischer  Behandlung  weichen  und  Miss- 
■rfolge  mit  diesem  Mittel  in  der  Literatur  bis  dahin  überhaupt  nicht 
m  geteilt  werden,  gibt  die  Berechtigung  in  der  Einführung  des 
.mctins  einen  wirklichen  und  wesentlichen  Fortschritt  in  der  Be- 
landlung  des  dysenterischen  Leberabszesses  zu  erblicken.  Im  übrigen 
:urzes  Sammelreferat.  s 

.  *1  ,  Y.°r  f '  s  c  h  :.v  a  n.  v*  °  t  e  n  -  Hevyün  (Kantonprovinz) :  Chi- 
teslsche  Splenomegalie.  (Arch.  f.  Schiffs-  u.  Trop  Hyg  17  1913  H  7  ) 

Abgesehen  von  der  durch  Kala-Azar  und  B  an  O  sehe  Krankheit 
■edingten  M.lzvergrosserung  giebt  es  in  China  eine  chronische 
'Plenomegahe,  die  gekennzeichnet  ist  durch  starke  Vergrösserung 

l^rhartTR,d,er  MdZ’  d,urch  aussesprochen  chronischen  Verlauf, 
langel  an  subjektiven  Beschwerden,  endlich  durch  Fehlen  von  Fieber 
nd  anderen  Nebenerscheinungen,  wie  Abmagerung,  Aszites  und  Leber- 
rkrankungen.  hast  stets  sind  Männer  betroffen  (93  Proz)-  Durch 
chmttsalter  29  Jahre  (9-52  Jahre).  Ursache  unbekannt. '  ’ 

nh  'y1!1'!  s  C.11  e  r  S  C  h  m  i  d  t  -  Neulangenburg:  Erfahrungen  mit 
oha  bei  Frambosie.  (Daselbst  17.  1913.  H.  16.  S.  552.) 

Joha,  eine  ölige  Salvarsansuspension,  ist  teurer  als  Salvarsan 
"zuverlässiger  zu  dosieren  und  steht  in  seiner  Wirkung  weit  hinter 
er  intravenösen  Salvarsaneinspritzung  zurück.  Es  erzeugte,  in  die 
efassmuskulatur  eingespritzt,  Schmerzen  und  Behinderung  der  Geh- 
ihigkeit.  Im  Neosalvarsan  ist  ein  ebenso  wirkendes  und  nur  halb 

Wd^rLnn  wieS  Joha'"’  ^  ebenS°  RUt  intramuskulär  eingespritzt 

559  )BeriCht  Übef  Erfahrungen  mit  J°ha-  (Daselbst  17.  1913. 

rro?0ei-Frac^ÖSie  hat.Joha  eine  ebenso  günstige  Wirkung  wie  eine 
travenose  Salvarsaneinspritzung.  Das  Mittel  ist  wegen  seiner  ein- 
ehen  Anwendung,  verbunden  mit  guter  Wirksamkeit  für  die  Tropen- 
axis  sehr  zu  empfehlen. 


175.3 


«phpr  ni'l1.2  V  Bamkol?li  0perieren  oder  Nichtoperieren  bei  chro- 
scher  Dysenterie.  (Daselbst  17.  1913.  H.  17.  S.  581.) 

rht?PStiVeS  Vor.geb?n  bei  Amöbendysenterie  ist  nur  dann  ge- 
^  h-4  gt’-  ^enn  3  1  Sltz  der  chronischen  Entzündung  Zoekum  und 
ipendix  sicher  nachgewiesen  sind  und  die  Ipecacuanha  oder  das 
netm  be,  richtiger  Anwendung  versagen.  Dafür  bleiben  nur  wenig 
rl«  i  St  be/eits  die  Darmschleimhaut  in  grösserer  Ausdehnung 
rstort.  so  kommt  nur  noch  die  vollständige  Ausschaltung  des  Dick- 
rms  in  Erage;  die  Appendikostomie  und  Spülungen  von  dort  aus 
nugen  dann  nicht  mehr.  Bei  hartnäckigen  bazillären  oder  nicht 
rch  Amoben  hervorgerufenen  dysenterieartigen  Erkrankungen  sind 

a  Uarmausvvaschungen  das  souveräne  Mittel,  mit  dem  fast  stets 
'2  Ausheilung  gelingt. 

IL  P  f  i  s  t  e  r  -  Kairo:  Die  Steinkrankheit  bei  der  Negerrasse 
1  aselbst  17.  1913.  H.  17.  S.  599.)  8  dsse- 

Die  schwarze  Rasse  erkrankt  selten  an  Urolithiasis.  Sogar  in 
narzialandern  scheint  die  Steinkrankheit  die  Neger  zu  verschonen 

l  HUSh^1StaniCchf  •Suh,^r  festgesteIlt-  Nach  neueren  Forschungen 
rd  auch  für  die  Steinbildung  die  bakterielle  Infektion  in  den  Vor- 
•  rgrund  geschoben.  Vielleicht  Iie°-t  in  der  leichteren  Ueberwindung 
kterieHer  Infektionen  von  seiten  des  Negers  auch  die  Ursache 
;  seltenen  Steinbildung.  Es  scheint,  dass  bei  den  Negern  der 
reinigten  Staaten  parallel  mit  der  Zunahme  der  krebsigen  Ge- 
'  HF  a£Ch  Cine  Wrmehrung  der  Harnsteine  stattfindet. 

-w  K  !:/ s  1  e  n  -  Friedrich- Wilhelmshafen  Deutsch-Neuguinea: 
uges  über  Neosalvarsan  bei  verschiedenen  tropischen  Hautkrank¬ 
ten.  (Ebenda  17.  1913.  H.  18.  S.  627.) 

Das  Neosalvarsan  ist  in  seiner  Wirkung  auf  die  Frambösie  dem 
,,.^an  g,?!chwertig  zu  erachten.  Dabei  hat  es  den  Vorteil  der 
’  uemeren  Handhabung.  Es  entfaltet  bei  der  intramuskulären  Ein- 
itzung  dieselbe  heilende  Wirkung,  wie  intravenös,  ohne  dabei  die- 
i  1"  Üef^hr.en  z"  bieten.  Bei  der  Behandlung  des  venerischen  Gra- 
"'™:s  unr5?  der  ^askas  der  Südsee  hat  es  versagt 
1Q.:.lx  Rudolph-Estrella  do  Sul  (Brasilien):  Beitrag  zur  Nastin- 
•andlung  der  Lepra.  (Daselbst  17.  1913.  H.  19.  S.  669.) 

Erneute  günstige  Erfahrung;  besonders  günstig  scheint  Kom- 
ltion  von  Chaulmoograöl  per  os  mit  Nastininjektionen. 

°denwaldt:  Eine  neue  Mikrofilarie  im  Blute  des 
nschen.  (Daselbst  17.  1914.  H.  1.) 

,  V-f-  wies  bei  einem  Togoneger  (Bassari),  der  Togo  nie  ver- 
tn  natte,  im  B lute  eine  ungescheidete  Filarie  nach,  die  so- 
,  dn.  jrosse4  als  auch  in  ihren  bei  Vitalfärbung  hervortretenden 
ananlagen  mit  den  gescheideten  Mikrofilarien  (Jugendformen  der 
ioa  und  Bankrofti)  wesentliche  Aehnlichkeiten  hatte.  Der  Träger 
jlti  aV  SMl.I!em  RiPPenbogen  grosse  Pakete  von  Volvulustumoren. 
•msene  Mikrofilarien  wurden  in  grossen  Mengen  durch  Punktion 
Leistendrüsen  gewonnen.  Verf.  hält  die  zum  erstenmal  im  Blut 


nachgewiesene  Mikrofilaric  für  die  Jugendform  der  Onchocerca  (Fi- 
aruj  volvultis  und  schlägt  für  sie  den  Namen  Microfilaria  nuda  vor. 
uenaue  Beschreibungen  und  Abbildungen  sind  beigefügt. 

.  .  ,  '  l)r  enst  ein:  Zur  Techni  kder  moskitosicheren  Häusercin- 
drahtung.  (Daselbst  18.  1914.  H.  1.) 

Es  ist  mehr  empfehlenswert,  die  das  Haus  umgebenden  Veran- 
den  31s  die  entsprechenden  Türen  und  Fenster  mit  Moskitogaze  zu 
Schutzen.  Die  Gaze  soll  90  Proz.  Kupfer  und  darf  nicht  mehr  als 
o,5  Proz-  Eisen  enthalten.  Die  Seitenlänge  der  Maschen  soll  etwa 
L4  mm  betragen.  Auf  diese  Art  erhält  man  67,4  Proz.  Luftraum.  Die 
rtahrungen  in  der  Panamakanalzone  zeigen,  dass  in  mückensicheren 
ausern  weniger  Erkrankungen  an  Malaria  Vorkommen  als  in  un¬ 
geschützten  Häusern. 

E.  Roden  wal  dt:  Kryptogenetische  Muskelabszesse  in  den 
Tropen.  (Daselbst  18.  1914.  H.  2.) 

,  R\. sal?  T2fo,  und  zwar  fast  ausschliesslich  bei  Kabures  aus 

aem  nördlichen  Togo  eine  Anzahl  von  typischen  Muskelabszessen, 
le  den  von  Ziemann  und  Külz  in  Kamerun  beobachteten  Fällen 
(Ref.  s.  Z  i  em  a  n  n :  diese  Wschr.  1913  S.  1956)  durchaus  ähnlich 
waien.  cs  handelt  sich  um  eine  Krankheit  sui  generis  unbekannter 
Aeuologie.  Wahrscheinlich  liegt  eine  Nachkrankheit  vor,  der  die 
eigentliche  Infektion  vielleicht  Wochen  vorher  mit  einer  von  den  in- 
olenten  Eingeborenen  übersehenen  oder  gering  geachteten  Angina 
vorausgegangen  ist  Gegen  die  von  Külz  und  Ziemann  als  wahr¬ 
scheinlich  hingestellte  filarielle  Aetiologie  werden  gewichtige  Gründe 
angegeben.  Im  Eiter  wurden  Traubenkokken  nachgewiesen. 

e.y  f  f  e  r  t  -  Aruscha:  Erfahrungen  mit  Salvarsan  bei  Tropen¬ 
krankheiten.  (Daselbst  18.  1914.  H.  6.) 

Alb  Salyarsan  hat  der  Arzneischatz  der  Tropenmedizin  eine 
wesentliche  Bereicherung  erfahren,  da  es  als  Spezifikum  gegen  Krank- 
neiten  wirkt,  bei  denen  vorher  die  therapeutischen  Leistungen  nur  in 
Bekämpfung  von  Symptomen  bestanden,  z.  B.  Rekurrens,  vielleicht 
auch  Bilharzia.  Bei  anderen  Krankheiten  zeigt  es  eine  schnellere 
und  promptere  Heilwirkung,  als  die  bisher  üblichen  Mittel,  neben 
denen  es  seinen  Platz  in  der  Therapie  behaupten  wird,  z.  B  Fram¬ 
bosie,  Syphilis,  Ulcus  tropicum,  Tertiana.  Die  Gefährlichkeit  der 
Anwendung  von  Salvarsan  ist  nicht  grösser  als  die  anderer  differenter 
Mittel. 

E  ä  H  e  b  o  r  n  -  Hamburg:  Ueber  die  Lage  von  Mikrofiiaria  loa 
(diurna)  im  Trockenpräparat.  (Daselbst  18.  1914.  H.  7.) 

Mikrofiiaria  Bankrofti  ist  am  leichtesten  daran  zu  erkennen  dass 
sie  im  Trockenpräparat  (dicker  Tropfen)  in  glatten  gerundeten  Win- 
dungen  liegt,  während  Microfilaria  loa  zerknittert  aussieht.  Unter 
Umstanden,  z.  B.  bei  zu  langsamem  Trocknen  verhaltfn  sich  die 
Mikrofilarien  umgekehrt,  so  dass  die  Lagerung  im  Trockenpräparat 
kein  einwandfreies  Charakteristikum  ist.  (Abbildungen.) 

-t  N  a  n  s  e  m  a  n  n  -  Berlin:  Ueber  das  Vorkommen  von  Ge¬ 
schwülsten  in  den  Tropen.  (Zschr.  f.  Krebsforsch.  14.  1914  H  1  ) 
Aus  einem  reichhaltigen,  durch  Vermittlung  des  Reichskoloniai- 
amts  überwiesenen  Material  (110  Untersuchungen)  zieht  der  Verf. 
folgende  Schlüsse:  Epitheliale  Neubildungen  sind  unter  den  Ein¬ 
geborenen  keineswegs  selten.  Sie  machen  wie  in  Europa  ungefähr 
5  Proz.  der  Geschwülste  aus.  Sollte  wirklich  eine  Differenz  be¬ 
stehen,  so  beruht  sie  weniger  auf  Rasseneigentümlichkeiten  oder  auf 
Bedingungen  der  Kultur,  sondern  erklärt  sich  aus  dem  geringeren 
Durchschnittsalter,  das  unter  den  unkultivierten  Völkern  der  Tropen¬ 
lander  erreicht  wird.  Malaria  und  Krebs  schliessen  sich  gegenseitig 
nicht  aus.  Karzinome,  die  von  der  Epidermis  ausgingen,  wiesen 
keine  Pigmentierung  auf,  so  dass  die  Fähigkeit,  Pigment  zu  bilden, 

!.n  den  Krebsgeschwülsten  verloren  geht.  Da  wegen  innerer  Leiden 
ärztliche  Hilfe  von  den  Eingeborenen  selten  in  Anspruch  genommen 
wird,  kommen  Geschwülste  innerer  Organe  wenig  zur  Untersuchung, 
ribrome  sind  durchaus  häufig.  Sie  entstehen  meist  nach 
1  raumen  z.  B.  Tätowierungen,  Ohrlöcherstechen,  Sandflohgeschwü¬ 
ren.  Ls  kommt  in  den  Kolonien  keine  Geschwulstart  zur  Beobach¬ 
tung,  die  bei  uns  unbekannt  wäre,  und  umgekehrt  kommt  bei  uns 
keine  Geschwulst  vor,  die  bei  den  Eingeborenen  fehlt.  Die  G  e  - 
scliwulstbildung,  besonders  die  bösartige  wird 
weder  durch  geographische,  noch  durch  Rassen- 
e  d  i  n  g  u  ngen  beeinflusst,  mit  einziger  Ausnahme 
der  Fibrome,  die  unter  ausgesprochenem  Rassen¬ 
einfluss  stehen. 

Podest  ä  -  Cuxhaven :  Marineärztlich-statistische  Betrachtungen 
über  den  japanischen  Sanitätsdienst  im  russisch-japanischen  Kriege. 
Nach  den  Uebersetzungen  des  japanischen  Sanitätsberichtes.  (Vöff  a 
d.  Geb.  d.  Marine-Sanitätsw.  1914  H.  8.) 

Geschichtliche  und  statistische  Mitteilungen  (s.  darüber  U  t  be¬ 
mann:  Ref.  diese  Wschr.  1913  S.  1837).  Viele  Minentote  und 
(i  e  s  c  li  °  s  s  v  e  r  w  u  n  d  e  t  e  einerseits  und  wenig  Ge- 
bosstote  und  Minenverletzte  andererseits!  Die 
Mineneinwirkung  hat  sich  demnach  qualitativ  und  auch  quantitativ, 
die  Geschosswirkung  dagegen  hauptsächlich  quantitativ  verderblich 
erwiesen  Als  Transportmittel  wird  ein  muldenartiges,  doppel- 
gekrümmtes  Instrument  aus  feuersicherer  leichter  Hartpapiermasse 
in  drei  verschiedenen  Grössen  vorgeschlagen.  Als  Rettimgsmittel 
gegen  den  Ertrinkungstod  haben  sich  gut  gezurrte  Hängematten  be- 
wahrt.  Verf.  knüpft  den  Vorschlag  an,  sie  mit  einem  dünnen,  wasser- 
I  "ich  en  Seide-  oder  Gummiüberzug  zu  versehen,  um  ihren  wertvollen 
Inhalt  trocken  zu  halten,  und  diesen  Inhalt  unter  Berücksichtigunr 


1754 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  31. 


des  weiteren  Schicksals  der  zu  Rettenden  um  einen  Hanellanzug,  ein 
Verbandpäckchen  und  etwas  Mundvorrat  zu  bereichern.  Um  dem  be 
einem  plötzlichen  Untergang  am  meisten  gefährdeten  Maschinen-  und 
Heizerpcrsonal  eine  häufigere  und  leichtere  Rettung .  zu 
muss  es  zeitig  genug  von  dem  drohenden  \  erhangnis  Kunde 

'  "Tvo  B  a  n  d  i  -  Neapel:  A  contribution  to  the  study  of  Bilharziasis. 

(Journ.  of  trop  and  Hyg.  16.  1913.  H.  6.)  R,  r;i 

Verf.  fand  bei  einem  Bilharziatall  aus  Tunis  m  der  Blase  Bil- 
harziaeier  mit  endständigem  und  seitenständigem  Stachel  und  glaubt, 
dass  Looss’  Ansicht  zu  Recht  besteht,  nach  der  beide  Arten  \ on 
Eiern  derselben  Spezies  von  Schistosomum  angehoren. 

A.  Yale  M  a  s  s  e  y  -  Susambo:  A  fibro-sarcoma  in  a  native  of 
central  Afrlca.  (Daselbst  16.  1913.  Nr.  19.)  . 

Während  einer  mehrjährigen  Tätigkeit  in  Zentralafrika  be¬ 
obachtete  der  Verf.  nur  einen  einzigen  ähnlichen  Tumor.  Es  handelt 
sich  um  ein  Fibrosarkom  an  der  Haut  des  Rückens  über  den  unteren 
Brustwirbeln  bei  einem  25  jährigen  Eingeborenen. 

James  C  a  n  1 1  i  e:  Hepatic  abscesses  which  open  upwards  throug 

the  lung.  (Daselbst  16.  1913.  H.  22.) 

Durchbruch  von  Leberabszessen  in  die  Lunge  wird  trotz  ver¬ 
besserter  Diagnostik  immer  wieder  Vorkommen,  einmal  weil  der 
zum  Durchbruch  durch  das  Zwerchfell  prädestinierte  Leberabszess 
mit  einem  Sitz  hinten  oben  in  der  Leber  oder  auf  der  Leber  besonders 
schwer  zu  diagnostizieren  ist,  dann  auch,  weil  durch  die  innere  Be¬ 
handlung,  besonders  mit  Ipecacuanha  (Emetin)  mancher  Leberabszess 
verschleppt  wird.  Der  Eiter  kann  sich  auf  4  Wegen  Ausgang  nach 
oben  verschaffen.  1.  Eiter  überschwemmt  das  Lungengewebe  wie 
Wasser  einen  Sumpf.  Eine  Oeffnung  im  Bronchialbaum  wird  oft 
erst  gefunden,  wenn  Wasser  in  den  Bronchus  gegossen  wird  und  eine 
Oeffnung  anzeigt.  2.  Der  Eiter  nimmt  seinen  Weg  dem  Perikard  be¬ 
nachbart  durch  das  Lig.  latum  pulmoms  nach  oben  bis  zum  Haupt- 
bronchus.  3.  Der  Eiter  crgicsst  sich  unmittelbar  oder  nach  Durch¬ 
querung  von  Lungengewebe  in  die  Pleurahöhle.  4.  Der  Eiter  dringt 
in  den  Raum  zwischen  Zwerchfell,  Pleura  und  Brustwand.  Am  ein¬ 
fachsten  ist  die  operative  Behandlung  in  Fall  4.  Bricht  der  Eiter 
ins  Lungengewebe  durch,  so  ist  die  beste  Zeit  zur  Operation  die  Zeit 
der  Erholung,  die  der  Entleerung  des  Eiters  durch  die  Lunge  bis  zur 
nächsten  Ansammlung  von  Eiter  in  der  Leber  folgt.  Ruckfall  pflegt  nach 
kurzer  Zeit  (einer  bis  mehrere  Wochen)  unter  Aufflackern  der  alten 
Symptome  des  Leberabszesses  einzutreten.  Günstiger  sind  die  Aus¬ 
sichten  zur  spontanen  Ausheilung  des  Lungenabszesses  bei  dem 
freieren  Eiterabfluss,  den  der  unter  2  gezeichnete  Weg  bietet.  Iritt 
spontane  Heilung  nicht  ein,  so  ist  die  operative  Entleerung  schwierig. 
C.  nimmt  sie  durch  Einstossung  eines  grossen  Troikarts  mit  Kanüle 
durch  die  ganze  Dicke  der  Lunge  vor,  nachdem  er  in  der  Axillarlinie 
durch  Rippenresektion  sich  Eingang  in  die  Brusthöhle  verschafft  hat. 

Edmund  R.  B  r  a  n  c  h  -  Basseterre  St.  Kitts:  Salvarsan  in  Fi- 
lariasis.  (Daselbst  16.  1913.  H.  23.  S.  364.)  . 

Nach  Salvarsanbehandlung  verschwinden  die  Mikrofilarien  aus 
dem  Blute.  Die  Fieberattacken  setzen  aus.  Auch  hartnackige  und 
grosse  Geschwüre  kommen  zur  Heilung.  Geringere  elefantiastische 
Verdickungen  können  ausheilen,  stärkere  gehen  zuruck.  Der  All¬ 
gemeinzustand  bessert  sich  wesentlich,  besonders  in  Fallen,  bei  denen 
mit  der  Filariasis  Syphilis  kombiniert  ist. 

A  J  Chalmcrs  and  W.  R.  O’Farell- Khartoum :  Pyosls 
tropica  in  the  Anglo-Egyptian  Sudan.  (Daselbst  16.  1913.  H.  24.) 

Die  Pyosis  tropica  ist  eine  durchaus  häufige,  ausschliesslich  bei 
Europäern,  Tamilen.  Singhalesen  und  Arabern  vorkommende  Pyo¬ 
dermie,  die  ihren  Sitz  besonders  häufig  an  den  Beinen  hat,  ferner  an 
den  Armen,  seltener  über  den  ganzen  Körper.  Sie  wird  hervor¬ 
gerufen  durch  einen  dem  Staphylococcus  aureus  nah  verwandten 
Traubenkokkus.  Die  charakteristische  Form  sind  kleine  Pusteln  zwi¬ 
schen  und  völlig  ohne  Zusammenhang  mit  den  Follikeln.  (Abbil¬ 
dungen.)  Heilung  ist  durch  Karbolsalben  und  Autovakzine  leicht  zu 

erzielen. 


Richard  Strong,  E.  E.  Tyzzer  usw.:  Verruga  peruviana, 
Oroya  fever  and  Uta.  (Daselbst  17.  1914.  H.  l.  S.  11.) 

Ergebnisse  einer  Vereinigten-Staaten-Studienkommission  m 
Peru.  Oroyafieber  und  Verruga  peruviana  sind  durchaus  verschie¬ 
dene  Krankheiten.  Oroyafieber  wird  hervorsrerufen  durch  einen 
Mikroorganismus,  der  in  den  roten  Blutkörperchen  lebt  und  ähnlich 
wie  die  Spirochäten  im  System  zwischen  den  Protozoen  und  Bak¬ 
terien  steht.  Der  Bartonia  bacilliformis  benannte,  der  Theileria  ähn¬ 
liche  Organismus  wird  näher  beschrieben  und  charakterisiert.  Ver¬ 
ruga  peruviana  ist  nicht  identisch  mit  Frambösie  oder  Syphilis,  son¬ 
dern  eine  Krankheit  für  sich.  Ihr  Virus  ist  auf  Tiere  übertragbar 
und  kann  bei  ihnen  den  Verrugaeruptionen  ähnliche  Veränderungen 

erzeugen.  •  * 

j  Beil-Hongkong:  Note  of  a  case  of  liver  abscess  treated  without 

Operation.  (Daselbst  17.  1914.  H.  3.)  .  .  .  ... 

3  Fälle  von  tropischem  Leberabszess  (Hongkong)  wurden  geheilt 
durch  tägliche  Emetineinspritzungen  zu  je  Y>  gran  (gleich  0,02  g)  ohne 

jeden  chirurgischen  Eingriff.  ,.  .  ... 

Lim  B  r  o  n  K  e  n  g:  Treatment  of  chronic  ulcers  of  the  leg  with 

frog  flesh  poultice.  (Daselbst  17.  1914.  H  3.) 

Frisches  Froschfleisch,  zu  Brei  zerstampft  und  mit  Mull  auf  das 
Geschwür  aufgetragen,  ist  ein  vorzügliches  Mittel  zur  Heilung  chro¬ 
nischer  Beingeschwüre. 


E  A.  R.  New  man:  The  operativ  treatment  of  hepatic  abscess. 

(Daselbst  17  1914.  Nr.  9.  S.  138.)  . 

Aus  der  Arbeit  des  Verf.  interessiert  besonders  die  Perhorres- 
zierung  der  Punktionsnadel  beim  Leberabszess.  Sie  kann  durch 
Erzeugung  von  Hämorrhagien  Veranlassung  zu  tödlichem  Ausgang 
sein  e  Ist  unzuverlässig:  sie  kann,  von  den  Bauchdecken  aus  an¬ 
gewendet,  zur  Durchbohrung  von  Hohlorganen  des  Bauches  oder, 
beim  Fehlen  von  Adhäsionen,  zum  Austritt  von  Eiter  in  die  Bauch¬ 
höhle  führen  Sie  soll  also  nur  verwendet  werden  als  letztes  Aus¬ 
kunftsmittel;  der  Kranke  muss  durch  Kalziumsalze  vorbereitet  sein. 
Die  Punktion  darf  nur  durch  die  Brustwände,  me  durch  die  Bauch¬ 
wände  vorgenommen  werden;  der  Eingriff  muss  bei  positivem  Er- 
gebnis  unmittelbar  angcschlossen  werden;  bei  negativem  Er¬ 
geh  s  muss  der  Rumpf  fest  gewickelt  werden,  weiter  muss  unter 
Fortsetzung  der  Kalziumsalzgaben  Bettruhe  eingenommen werden 

John  D.  Sandes:  Treatment  of  liver  abscess.  (Daselbst  17.  I 

H  '  Die  Operation  der  Wahl  beim  Leberabszess  ist  die  Aspiration 
des  Eiters  die  auch  in  verzweifelten  Fällen  vorzunehmen  ist  unu 
stets  vor  der  chirurgischen  Freilegung  versucht  werden  soll.  Aus¬ 
spülung  der  Höhle  mit  Chininlösung  ist  überflüssig;  statt  dessen  wird 
täglich  0  03 — 0,06  Emetin  subkutan  eingespritzt.  Die  Aspiration  soll 
In  der  hinteren  Axillarlinie  so  hoch  wie  möglich  vorgenommen  wer¬ 
den  Bei  grossen  Abszessen  tritt  nach  Aspiration  oft  Erholung  ein. 
so  dass  der  grössere  Eingriff  der  offenen  Freilegung  uberstanden 
werden  kann.  Bei  Abszessen  des  linken  Leberlappens  empfiehlt  sich 
offene  Freilegung.  Sie  sind  gewöhnlich  kleiner  und  weniger  ernst 
als  die  des  rechten  Lappens.  Sehr  grosse  Abszesse  bedürfen  fast 
immer  einer  zweiten,  hin  und  wieder  auch  einer  dritten  Wiederholung 
der  Aspiration.  Narkose  ist  durch  örtliche  Schmerzbetaubung  zu  er- 

SCtZCW  E  Musgrave- Manila:  Infant  Mortality  in  the  Philippine 
Islands.  (The  Philippine  Journal  of  Science.  8.  Sekt.  B.  H.  6.  De-  . 

^"'bpie' Kindersterblichkeit  in  Manila  ist  grösser  als  in  allen  anderen 
Städten,  über  die  Berichte  vorliegen,  und  zwar  ist  sie  bet  Brust¬ 
kind  e  r  n  grösser  als  bei  künstlich  erna  li  r  t  e  n  Kindern.  I 
Die  Ursache  dafür  liegt  nicht  in  mangelhafter  Qualität,  sondern  m 
mangelhafter  Quantität  der  Milch  bei  eingeborenen  Frauen;  und  diese 
wiederum  ist  begründet  vor  allem  in  mangelhafter  Volksernahrung. 
Zur  Hebung  der  Volksernährung  und  als  Ersatz  der  Muttermilch  ist 
die  frische  Milch  der  Haustiere  der  beste  Ersatz.  Doch  ist  sie  in. 
hygienisch  einwandfreiem  Zustand  zu  nur  einigermassen  erschwing¬ 
barem  Preise  nicht  zu  beschaffen.  Auch  pasteurisierte  Milch  eignet 
sich  nicht  für  die  Tropen  zum  allgemeinen  Gebrauch.  Nur  völlig 
sterilisierte  Milch,  über  deren  zweckmässige  Verdünnung  usw.  das, 
Volk  zu  belehren  ist,  kommt  in  Frage. 

Thompson  Frazcr:  The  tongue  and  «PPer  al  mentary  tract  in 
pellagra.  (Journal  of  the  Americ.  mcd.  assoc.  62.  1914.  Nr.  15.  S.  1LU 
In  Ermangelung  der  charakteristischen  Trias,  Dermatitis,  Nerven-. 
Symptome  und  Durchfälle,  sind  gewisse  Zeichen  am  Verdauungskana 
für  die  Diagnose  Pellagra  verwendbar.  Neben  dem  Verlust  aes. 
Appetits,  neben  Dyspepsie,  Pyrosis  und  Stomatitis  eignen  sich  be¬ 
sonders  die  Veränderungen  ander  Zun  g  e.  Die  I  ellagra- 
zunge  ist  meist  rot,  zeigt  an  der  Spitze  in  der  Mitte  oder  beider¬ 
seits  nahe  dem  Rand  hochgerötete,  geschwollene  Papillen,  von  denen 
sich  das  Epithel  abschilfert  oder  an  entsprechender  Stelle  Fissuren. 
J.  C.  Ridgway:  lodine  as  an  antiseptic  in  tropical  countries. 

(Brit.  med.  journal.  1913  N.  2735.)  .  ,  1-l1mm«>| 

2  proz  Lösung  von  Jodtinktur,  als  Berieselungs-  und  Spülmittel 
angewendet,  zeigte  bei  einem  offenen  Unterarmbruch  mit  ausgiebigei 
Weichteilverletzungen  (Krokodilbiss),  ferner  bei  einer  grossen  Keine 
von  Schuss-,  Speer-  und  Pfeilwunden  die  besten  Erfolge. 

Henry  Weinstein:  A  description  of  ainhum  as  seen  on  tm 
canal  zone,  with  report  of  iiiteresting  cases  ocurlng  in  one  iamiiy 
(South,  med.  journal  6.  1913.  Nr.  10.)  .  Fr 

Nach  ausführlicher  Beschreibung  des  Krankheitsbildes  una  cp 
örterung  der  Theorien  über  seine  Entstehung  (1.  Verletzung,  Fremu 
körper,  2.  Selbstverstümmelung,  Instrumente,  3  angeboren 
Spontanamputation,  4.  Lepra,  5.  Trophoneurose,  6.  Skleroderma),  d  . 
bis  auf  eine  besondere  Art  von  Trophoneurose  sämtlich  abgelei. 
werden,  beschreibt  Verf.  2  Fälle  von  Ainhum  (Dactyolysis  spontanea 
die  Onkel  und  Neffen,  beides  Neger  aus  Afrika  kommend,  betretten 
Der  Vater  des  Onkels  hatte  Ainhum  an  beiden  kleinen  Zehen,  ae 
Bruder  an  der  linken  kleinen  Zehe.  Aus  Verlauf  und  pathologiscn 
anatomischen  Befund  ist  der  sehr  lebhafte  Schmerz  an  den  erkranKU 
Zehen,  auch  wenn  Gcschwiirsbildung  nicht  vorhanden  war,  dm 

merkenswert.  .  ,  .  . 

N.  J.  Awgustowsky:  Aid  to  the  wounded  in  modern  na^ 

warfare.  (Milit.  surgeon  32.  1913.  Nr.  5  und  33.  Nr.  1.)  I 

Erfahrungen  aus  dem  russisch-japanischen  Seekrieg  (aus 
Russischen  übersetzt):  Der  Gefechtsverbandplatz  muss  frei  sc:n  voi 
Maschinen  und  Kriegsausrüstung,  darf  nicht  als  Durchgang  dienen  ui 
soll  leicht  sterilisierbar  sein;  er  muss  von  allen  Seiten  gepanzei 
sein  —  gefüllte  Kohlenbunker  sind  ein  sicherer  Schutz  — -;  er  mus 
leicht  erreichbar  sein  (zwei  Eingänge,  Lift,  weite  Treppen);  .er  mm 
geräumig  sein  (nicht  weniger  als  1000  Kubikfuss),  elektrisch 
ieuchtet  und  bei  Zerstörung  des  Stromkreises  mit  Reservebeleuctitui 
ausgestattet,  ferner  mit  eigener  Ventilation  versehen;  der  Bodenn 
lag  darf  Flüssigkeiten  nicht  aufsaugen  und  Hitze  nicht  leiten;  reic 


August  191-4. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1755 


che  Wasserversorgung  muss  durch  besondere  Tanks  von  der  allge- 
leinen  Leitung  unabhängig  sein.  Neben  dem  Gefechtsverbandplatz 
nd  geschützte  Lagerungsplätze  erforderlich.  Am  anderen  Schiffs- 
ide  ist  ein  zweiter  Gefechtsverbandplatz  als  Reserve  bei  Zerstörung 
es  ersten  und  zur  Vermeidung  von  Ueberfällen  vorzusehen,  zuin 
'indesten  auf  Schiffen,  deren  Besatzung  300  Köpfe  übersteigt.  Doch 
t  zu  beachten,  dass  zwei  Aerztc  gemeinsam  ergiebiger  arbeiten 
s  getrennt  jeder  auf  einem  Verbandplatz.  Auf  dem  Gefechtsver- 
indplatz  werden  alle  ärztlichen  Gebrauchsgegenstände  vor  dem  Ge¬ 
eilt  gebrauchsfertig  hergerichtet.  Vier  vom  Hundert  der  Besatzung 
ehen  dem  Arzt  als  Gehilfen  und  Krankenträger  zur  Verfügung  Vcr- 
indpäckchen  führt  jeder  Mann  der  Besatzung.  Splitterfähige  Gegcn- 
ände  werden  von  Bord  gegeben.  Für  den  Transport  der  Ver- 
tztcu  treten  1  ragen  und  andere  I  ransportmittel  gegen  den  Hand- 
ansport  zurück.  Während  des  Gefechtes  ist  der  Arzt  unter  Panzer¬ 
hut2  auf  dem  Gefechtsverbandplatz.  Seine  Tätigkeit  beschränkt 
ch  beim  Zugang  von  Verletzten,  der  oft  gruppenweise  erfolgt,  auf 
e  allereinfachste  Wundversorgung  (Blutstillung,  Wundreinigung,  An- 
2en  von  Schienen,  \  erband).  Nach  dem  Gefecht  sind  Notampu- 
tionen.  Entfernung  von  Fremdkörpern,  auch  Wundnaht  —  Haut  ist 
■r  beste  Schutz  gegen  Infektion  —  möglich.  (Kraffchenko  legte 
glich  über  100  Verbände  an.  „Die  10  Tage  nach  dem  Gefecht 
eilten  grossere  Anforderungen  als  das  Gefecht  selbst  “)  Sorge  für 
e  Ernährung  und  Pflege  der  Verletzten,  ferner  für  die  Befreiung 
s  Schaftes  von  dem  Geruch  des  sich  zersetzenden  Blutes  lastet  auf 
n  Schultern  des  Arztes.  Seekriegsverletzungen  sind  fürchterlicher. 

5  für  möglich  gehalten  wurde.  Besonders  schwer  sind  Verletzungen 
m  Kopf  und  Gesicht.  Verletzungen  des  Kopfes  und  Bauches  sind 
>t  immer  tödlich. 

Ll'  9:,Cather:  An  organiz/ati°n  for  the  transportation  of  wounded 

ter  battle  in  a  battleship.  (Milit.  surgeon  33.  1913.  Nr.  4 ) 

Nach  S  t_ok  es  (Surgeon  general  der  amerikanischen  Kriegsflotte) 
:rden  die  Seekriegsverletzten  in  drei  Kategorien  eingeteilt.  1  Der 
Jiandlung  bedürftige  Verletzte,  die  zum  Gefechtsverbandplatz 
ne  Hilfe  gehen  können,  2.  Verletzte,  die  nur  mit  Unter- 
ltzung  ihrer  Kameraden  den  Gefechtsverbandplatz  erreichen  können, 
Schwerverletzte,  die  auf  Transportmitteln  getragen  werden  müssen 
r  um  den  Transport  der  letztgenannten  hat  sich  der  Schiffsarzt  zu 
mmern.  Es  folgen  Einzelheiten  über  Personal  und  Material  zum 
ansport,  aus  denen  hervorgeht,  dass  C.  den  Schiffsarzt  für 
n  7  ransport  verantwortlich  macht. 

E.  M.  Black  well:  Transportation  of  wounded  from  the  ship 
war  to  the  sanitary  base.  (Milit.  surgeon  33.  1913  Nr  4) 

Die  Ueberführung  der  Seekriegsverletzten  von  Bord  an  die  Küste 
et  statt  auf  Lazarettschiffen  oder  Hilfslazarettschiffen  (medical 
nsport).  Für  jede  Division,  bestehend  aus  4  Schlachtschiffen,  Tor- 
Jebooten  und  Hilfsschiffen,  ist  ein  Lazarettschiff  oder  Hilfslazarett- 
un  ertorderheh.  Das  Sanitätspersonal  des  Lazarettschiffes  wird 
^  Dmsionen  eingeteilt.  Für  jede  Division  wird  ein  bestimmtes 
1-«C|ltS^h'ff  festgesetzt  (eine  Division  für  Torpedoboote  und  Hilfs- 
nne).  Mit  seinem  Bau  und  seinen  Einrichtungen  hat  sie  sich  ver- 
ut  zu  machen.  In  einem  Gefecht  von  der  Dauer  einer  halben 
inde  werden  voraussichtlich  20—25  Proz.  der  Besatzung  zum  Teil 
lieh  verletzt.  Da  eine  Division  eine  Besatzung  von  5000  Mann 
.  muss  das  Hospitalschiff  ausser  für  die  eigene  Besatzung  und 

innanÄ£em0naI  P1^z  für  1000  Verletzte  bieten.  Es  muss  also 
100—20  000  Tonnen  Wasser  verdrängen.  Es  muss  sehr  reichlich 
Booten  ausgerüstet  sein.  Die  Boote  sind  für  die  verschiedenen 
n  atsdivisionen  abzuteilen.  Das  Sanitätspersonal  auf  solchen  I  a- 
ettsch.ffen  umfasst  382  Mann,  darunter  17  Aerzte,  die  gleichmässig 
i  Divisionen  zugeteilt  werden.  Im  Kriege  werden  10—12  solcher 
Mmt-  und  Hilfslazarettschiffe  notwendig  sein.  Die  Uebergabe 
verletzten  vom  Kriegsschiff  auf  das  Lazarettschiff  ist  bei  ruhigem 
sser  unschwer  mittels  Booten  zu  bewerkstelligen.  Bei  schwerer 
ist  ruhiges  Wasser  aufzusuchen.  Das  schwierigste  Problem  ist 
Beschattung  der  grossen  Zahl  der  Sanitätsmannschaften  und  die 
sser  dCr  VerIetzten  auf  das  Lazarettschiff  bei  unruhigem 

C.  M.  Oman:  The  preparation  of  wounded  for  transfer  and 

isport  alter  battle.  (Milit.  surgeon.  33.  1913.  Nr.  4.) 

Da  sich  im  Seegefecht  der  Neuzeit  nur  sehr  wenig  Menschen 
serhalb  1  anzerschutz  befinden,  hat  entgegen  der  Erwartung  eine 
ahme  der  Verluste  an  Menschenleben  nicht  stattgefunden.  Von 
n  Verlusten  bleibt  die  Hälfte  für  die  ärztliche  Versorgung  als 
o'e"  .od®r.  •ficht  verletzt  ausser  Betracht.  Demnach  wird 
.echstel  bis  ein  Viertel  der  Besatzung  nach  dem  Gefecht  ärztlicher 

r  liuin««’  dJ?s  s'nd  au^  e‘nem  neuzeitlichen  Panzerschiff  mit 
r  luuo  Mann  Besatzung  etwa  200  Mann  schwer  Verletzte.  Die 
nterhehen  Zerstörungen  an  Bord  nach  einem  Seegefecht  und  die 
unst  der  räumlichen  Verhältnisse,  sowie  der  Andrang  der  Ver- 
meten  auf  einmal  erschwert  die  Hilfeleistung,  für  die  auf  Flagg- 
nen  3  Aerztc,  1  Apothekengehilfe  und  8  Mann  unteres  Sanitäts- 
'  ”af,  au  anderen  Schiffen  2  Aerztc  und  7  Mann  Sanitätspersonal 
riuguflg  stehen.  Ständige  Friedenserzichung  ist  notwendig,  um 
anitatspersonal  nach  den  Schrecknissen  des  Seegefechtes 
Mgstahig  zu  erhalten,  falls  es  selbst  und  das  ärztliche  Material 
»m  e1  i  ung  entronnen  ist.  Die  Verletztenversorgung  ist  nach 
iro,  \  en^a  vorzunehmen  (Empfangsraum,  Operationsraum,  Ver- 
70;*Um  ü  j™ssere_ärztliche  Eingriffe  zugunsten  weniger  sind  als 
traubend  nicht  erlaubt.  Aerztliche  Begleitpapiere  sind  auszu- 


fullen  und  jedem  Verletzten  mitzugeben.  Jodtinktur,  Morphium  und 
Gummihandschuhe  sind  überaus  notwendige  ärztliche  Gebrauchs¬ 
gegenstände.  Blutungen  sollen  sofort  gestillt,  Nerven  genäht,  not¬ 
wendige  Amputationen  ausgeführt  werden;  Fremdkörper  sind  sofort 
zu  entfernen;  Schädelvcrletzungen  sind  operativ  zu  behandeln,  Kno- 
cnenbrüche  sind  festzulcgen,  Brust-  und  Bauchwunden  abwartend  zu 
bebändern.  Die  zu  erwartenden  Eiterungen  indizieren  reichliche 
Uranmge,  der  Schock  ausgiebig  frische  Luft. 

R.  G.  Heiner:  Eighteen  cases  resembling  climatic  bubo.  (United 
States  naval  med.  bulletin  7.  1913.  H.  1.) 

In  13  von  den  18  an  Bord  des  Kriegsschiffes  „Pennsylvania“  be¬ 
obachteten  Fallen  wurden  die  Drüsen  exstirpiert  und  in  allen  13  Fällen 
wurden  mikroskopisch  Gonokokken  nachgewiesen.  Ausfluss  aus  der 
Harnröhre  war  nie  vorhanden.  V.  hält  eine  abgeschwächte  Form  von 
jonokokken  für  die  Ursache  der  von  ihm  beobachteten  Tropen¬ 
bubonen. 

7  ,nn  H  PoU!h\?,eP0rt  of  case  of  Prisoning  by  sea  urchin.  (Daselbst 
/.  ivU.  n.  2.  b.  254.) 

Ein  Ingenieur  der  Ver.-Staaten-Marine  tritt  beim  Baden  mit  dem 
linken  Fuss  auf  einen  Seeigel.  Nach  3  oder  4  Minuten  Schwellung 
i|Sm-  e!1C1cS’  Schwindel,  Schwere  in  Armen  und  Beinen.  Nach 

LMln7UnteVSprache4ersch,wert;  Puls  erregbar-  wechselnd  zwischen  70 
und  120.  Geringe  Anästhesie  an  den  vorderen  Flächen  der  Unter¬ 
arme  und  Beine;  Parese  beider  Beine,  starke  Schwellung  des  linken 
russes,  in  dem  6  abgebrochene  Seeigelstachel  stecken.  Die  Erschei¬ 
nungen  gingen  in  wenigen  Tagen  zurück. 

W._  M.  Kerr:  Gangosa.  (Daselbst  7.  1913.  H.  2.  S  188) 

Bei  der  Erklärung  der  Gangosa  streiten  noch  drei  Theorien  um 
!Ü-ra,ng  (Folgeerscheinung  der  Syphilis,  der  Frambösie  oder 
diopathisches  Leiden).  Die  pathologisch-anatomischen  Kardinal¬ 
symptome  sind  destruktive  Geschwüre  der  Nasenrachenhöhle  Ge¬ 
schwüre  der  Haut  und  des  Unterhautzellgewebes  und  gummaähnliche 
Bildungen  der  Knochen.  Die  Erkrankung  des  Nasenrachenraumes 
kann  in  jedem  Stadium  Halt  machen,  kann  aber  auch  zu  entsetzlichen 
Zerstorungszustanden  führen,  bei  denen  nur  die  Oberlippe  wie  eine 
Brücke  über  ein  grosses  Loch  im  Gesicht  erhalten  bleibt.  Kehlkopf 
wird  selten,  Zunge  und  Mundboden  werden  nie  ergriffen  Die  Zer 
storung  kann  übergreifen  auf  die  Haut  des  Gesichtes  und  selten 
auf  Nacken,  Schulter,  Arm  und  Thorax.  Die  nicht  häufigen  Knochen- 

!as'?nne"  a1?1  S£hienbein-  Die  Erforschung  der  Krankheit 

beginnt  1828  durch  die  Spanier,  die  sie  auf  den  Ladronen  und 
ariannen  vorfanden.  In  Guam  wurde  unter  amerikanischer  Herr¬ 
schaft  im  Jahre  1906  eine  Isolierung  der  Gangosakranken  in  einer  be¬ 
sonderen  Niederlassung  nach  Art  der  Lepradörfer  versucht.  Ein  Er¬ 
folg  wurde  dadurch  nicht  erzielt.  1910  wurden  unter  11  000  Ein¬ 
wohnern  von  Guam  338  Gangosafälle  festgestellt.  Im  selben  Jahre 
wurde  eine  systematische  Jodkalisublimatbehandlung  begonnen  und 
bei  Androhung  von  Geldstrafe  polizeilich  vorgeschrieben.  Der  Erfolg 
wär  däss  in  8  Monaten  alle  aktiven  Erscheinungen  aufgehört  hatten 
Da  Syphilis  auf  Guam  unbekannt  ist,  dagegen  74  Proz.  der  Bevölke¬ 
rung  meist  in  der  Kindheit  Frambösie  durchmachen  und  nahezu  alle 
Gangosakranken  positive  Wassermannreaktion  geben,  ferner  83  Proz 
dieser  Kranken  mit  Sicherheit  Frambösie  durchgemacht  haben,  bei 
dem  Rest  ebenfalls  das  Ueberstehen  von  Frambösie  wahrscheinlich  ist 
ist  anzunehmen,  dass  Frambösie  Ursache  der  Gangosa  ist. 

N.  J.  Blackwood:  Punctured  wound  of  knee  joint.  by  the  spine 
of  a  stmgray.  (Daselbst  7.  1913.  H.  3.  S.  413.) 

Ein  Fischer  von  den  Philippinen  wurde  bei  dem  Versuche,  einen 
gefangenen  Stachelrochen  aus  dem  Netz  zu  befreien,  von  dem 
Schwanzstachel  des  Rochens  oberhalb  der  Kniescheibe  getroffen  so 
dass  der  Stachel  in  der  Wunde  stecken  blieb  und  abbrach;  sehr 
starke  Schme^en;  sofortiger  Eingriff.  Der  mehrfach  gebrochene 
Sichel  hat  den  Rezessus  durchbohrt  und  sitzt  im  Knochen  fest-  die 
Stachelteile  werden  entfernt.  Keine  Infektion  des  Kniegelenkes,  aber 
Eiterung  der  oberflächlichen  Weichteile,  die  ohne  Schäden  zu  hinter¬ 
lassen,  ausheilt.  Ueber  Giftwirkung  wird  nichts  berichtet  Sie  wurde 
augenscheinlich  nicht  beobachtet. 

(H  Ouzilleau:  L’elephantiasis  et  Ies  filarioses  dans  le  M’Bomou 
(Haut-Oubangui).  Role  de  la  filaria  volvolus.  (Ann.  d’hvg  et  de 
med.  colon.  16.  1913.  Nr.  2.) 

Auf  Grund  von  330  Operationen  von  Elefantiasis  der  Genitalien 
wird  die  vereinfachte  Technik  dieser  Eingriffe  beschrieben.  Mortalität 
trotz  der  ungünstigen  äusseren  Verhältnisse  nur  2  Proz.  Von  den 
verschiedenen  Elefantiasisformen  wird  in  M’Bomou  vorwiegend  die 
Elefantiasis  des  Skrotums  und  der  Rute  gefunden,  ferner  Elefantiasis 
.  f  Labien,  seltener  Lymphskrotum,  Adenolymphozele  und  sehr  spär¬ 
lich  Elefantiasis  der  unteren  Extremitäten,  niemals  der  oberen  Glied¬ 
massen  oder  der  Brüste.  An  Filarien  wurde  die  Filaria  perstans  in 
64  Proz.  der  untersuchten  Bevölkerung,  die  Mikrofilaria  loa  in  30  Proz. 
und  die  rilaria  volvulus  in  45  Proz.  nachgewiesen.  Filaria  Ban- 
••r  °ft.M  k  o  m  m  t  nicht  vor  (1900  Untersuchungen,  davon  400  von 
nächtlich  entnommenem  Blut).  Sich  stützend  auf  die  geographische 
Verteilung  der  Elefantiasis  und  der  Filaria  volvulus  in  jener  Gegend 
Afrikas,  auf  den  konstanten  Nachweis  der  Volvulus  bei  Elefantiasis- 
kranken  und  auf  die  Vorliebe  der  Mikrofilaria  volvulus  für  die  inguino- 
kruralen  Lymphorgane,  schliesst  Verf.,  dass  die  Filaria  vol- 
vulus  das  pathologische  Agens  der  Elefantiasis  in 
M  B  o  m  o  u  ist,  wie  die  Filaria  Bankrofti  für  die  Elefantiasis  Arabuin. 
Doch  unähnlich  der  Filaria  Bankrofti  scheinen  die  stets  in  den 
Lymphwegen  anzutreffenden  Mikrofilarien  selbst  die  eigentliche  Ur- 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


suche  der  Elefantiasis  abzugeben  —  bei  der  Filaria  Bankrofti  sind 
es  vermutlich  die  Eier.  Beschreibung  allgemeiner  Krankheitszüge  bei 
Infektion  mit  Volvulus,  Beschreibung  der  Filarie,  ihrer  Eier,  ihres 
Embryonalstadiums  sowie  des  Infektionsweges  folgen.  , 

Gougerot:  1.  Sur  les  mycoses  profondes.  2.  Sur  les  epider- 
mites  mycosiques  (Teignes).  (Clinique  [Paris],  Jahrg.  8.  1913.  Nr.  39.) 

Kurze  klinische  Vorlesung,  in  der  behandelt  werden  Blasto¬ 
tnykose,  Joidomykose,  Hämisporose, Aktinomykose.Madurafuss,  ferner 
Mikrosporien,  Trichophytien,  Favus  und  einige  ähnliche  Erkrankungen. 

Charkes  Nicol  le:  Apercu  sur  le  kala  azar.  (Presse  med. 

lg.  22.  1914.  Nr.  22.)  ,  .  , 

Die  neuerliche  Entdeckung  eines  Falles  von  Leishmaniose  bei 
einem  Hunde  in  Marseille  gibt  dein  Vcrf.  Veranlassung,  unsere 
jetzigen  Kenntnisse  über  die  menschliche  Leishmaniose,  Kala-Azar 
oder  tropische  Splenomegalie  kurz  zusammenzustellen. 

P.  Rinn  und  G.  Thiry:  Le  venin  des  viperes  francaises. 
(Med.  prat.  Jg.  9.  1913.  Nr.  40.) 

Kalipermanganicum  und  Acidum  chromicum,  beide  1  proz.,  zer¬ 
stören  die  Substanz  des  Viperngiftes  zwar  nicht  völlig,  verhindern 
oder  mildern  jedoch  örtliche  Erscheinungen  und  schwächen  Allge- 
meinerscheinungen  ab  (Kaufmann).  C  a  1  m  e  1 1  e  zieht  Gold¬ 
chlorid  in  Lösung  1  auf  100  vor.  Unterchlorige  Salze  übertreffen 
die  erwähnten  Substanzen  weit  als  Gegengifte.  Besonders  empfiehlt 
sich  Chlorkalklösung,  die  die  Gewebe  nicht  reizt.  Tödliche  Giftdosen 
haben  nicht  den  Tod  des  Versuchstieres  zur  Folge,  wenn  ihnen  inner¬ 
halb  20  Minuten  nach  der  Vergiftung  Chlorkalklösung  um  die  Impf¬ 
stelle  eingespritzt  wird.  Auch  andere  Substanzen  wie  Galle,  Magen¬ 
saft,  Pankreassaft  usw.  zerstören  oder  schwächen  das  Schlangengift. 

Bei  der  Behandlung  des  Vipernbisses  sind  Abschnürung  und 
Aussaugung  anzuwenden.  Ihnen  folgen  örtliche  Einspritzungen  um 
und  unter  die  Bissstelle  mit  den  erwähnten  Lösungen.  Das  beste 
Mittel  sind  Schlangengiftantisera;  sie  wirken  beim  Meerschweinchen 
nur,  wenn  sie  innerhalb  der  ersten  halben  Stunde  nach  Einver¬ 
leibung  des  Giftes  gegeben  werden.  Einige  Beobachtungen  von 
Schlangenbissen  werden  mitgeteilt.  Für  die  Wirksamkeit  der  Anti¬ 
sera  lassen  sich  daraus  bindende  Schlüsse  nicht  ziehen.  Auf  die 
Notwendigkeit  spezifischer  Sera  gegen  vorwiegende  neurotoxische 
und  hämatotoxische  Gifte  wird  hingewiesen. 

Hey  mann:  Traitement  par  les  rayons  X  des  ulceres  phagede- 
niques  tropicaux.  (Ann.  d’hyg.  et  de  med.  colon  17.  1914.  Nr.  1.) 

Die  grosse  Anzahl  der  zur  Heilung  der  tropischen  Schwärsucht 
empfohlenen  Mittel  beweist,  dass  ein  wirkliches  Heilmittel  für  diese 
hartnäckige  Krankheit  nicht  vorliegt.  Auf  Grund  von  Erfahrungen  an 
atonischen  Geschwüren  der  gemässigten  Zone  wandte  Verf.  bei  fünf 
Tropengeschwüren  das  radiotherapeutische  Verfahren  an  und  erzielte 
promptes  und  völliges  Verschwinden  der  vorher 
teils  unerträglichen  Schmerzen  und  überasch  end 
schnelle  Vernarbung  der  Geschwüre. 

zur  Verth  -  Kiel. 


Vereins-  und  Kongressberichte. 

Gesellschaft-  für  Natur-  und  Heilkunde  zu  Dresden. 

(Offizielles  Protokoll.) 

XXII.  Sitzung  vom  14.  März  1914. 

Vorsitzender:  Herr  G  e  1  b  k  e. 

Tagesordnung: 

Herr  Prof.  K  o  h  1  r  a  u  s  c  h  -  Freiberg  i.  Sa.  (a.  G.):  Ueber  die 
physikalischen  Grundlagen  der  Radiumtherapie.  (Mit  Lichtbildern  und 
Experimenten.) 

XXIII.  Sitzung  vom  21.  März  1914. 

Vorsitzender:  Herr  G  e  1  b  k  e. 

Tagesordnung: 

Herr  Riet  sc  hei:  Ueber  Fieber  nach  Kochsalzinfusionen  bei 
Säuglingen.  (Erschien  als  Originalartikel  in  Nr.  12,  1914  d.  Wschr.) 

Diskussion:  Herr  Hueppe:  Es  ist  die  Möglichkeit  nicht 
von  der  Hand  zu  weisen,  dass  bei  der  Entstehung  des  Fiebers  auch 
elektrolytische  Vorgänge  eine  Rolle  spielen.  Scheinbar  ist  es 
ausserordentlich  überraschend,  dass  so  geringe  Mengen  von  Substanz 
eine  so  grosse  Wirkung  ausüben  sollen.  Es  können,  wie  wir  seit 
Nacgclis  Untersuchungen  vor  über  20  Jahren  wissen,  sog.  oligo¬ 
dynamische  Wirkungen  in  Betracht  kommen.  So  wird  z.  B.  destil¬ 
liertes  Wasser,  in  welches  man  abgekochtes  Gold  oder  Kupfer  ge¬ 
bracht  und  wieder  entfernt  hat,  aseptisch  oder  selbst  antiseptisch. 

Herr  Scheunert:  Die  Frage  ist  auch  vom  chemischen  Ge¬ 
sichtspunkte  aus  interessant.  Es  ist  mir  aufgefallen,  dass  bei  Ge¬ 
brauch  des  destillierten  Wassers  von  S  t  r  u  v  e  Indikatoren,  die 
kohylensäureempfindlich  sind,  zu  Titrationen 'nicht  so  gut  verwendbar 
sind,  weil  dieses  Wasser  nicht  geringe  Mengen  Kohlensäure  enthält. 
Bei  Berührung  von  Kohlensäure  und  Kupfer  ist  die  Möglichkeit  von 
Verbindungen  gegeben,  das  Kupfersalz  könnte  alsdann  sehr  wohl  die 
toxische  Wirkung  hervorrufen.  Interessant  wäre  es,  festzustellen,  ob 
auch  Fieber  eintritt,  wenn  man  aus  einem  Kupfergefäss  heraus 
destilliert,  aber  in  einem  Gefäss  aufhebt  Dass  bei  Behandlung  des 
kupferhaltigen  destillierten  Wassers  mit  Ringer  scher  Lösung  kein 


Fieber  entsteht,  erklärt  sich  wohl  dadurch,  dass  die  balze  der 
Ringerschen  Lösung  die  Kupfersalze  in  eine  andere  Form  uber¬ 
führen,  ebenso  wie  die  langdauernde  Sterilisation  während  mehrerer 

Stunden.  ,  .  ,  . 

Herr  Rupprecht  I.:  Ich  möchte  an  das  von  Volk  manu 

und  Genzmer  entdeckte  aseptische  Fieber  erinnern,  das  bei  der 
Resorption  von  Extravasaten  beobachtet  wird.  Vielleicht  kommen 
beim  Fieber  nach  Kochsalzinfusionen  ähnliche  Vorgänge  in  Betracht, 
zumal  es  sich  ja  hier  um  kleine  Kinder  handelt. 

Herr  Rietschel:  Extravasate  können  gewiss  Fieber  erregen, 
aber  ich  betone  noch  einmal,  dass  in  ungefähr  40  Versuchen  bei  Ab¬ 
wesenheit  von  Kupfer  nie  eine  fieberhafte  Reaktion  eintrat:  die 
Temperatur  erhob  sich  nie  über  37,3 — 37.4.  Ich  habe  schon  hervorge¬ 
hoben  dass  die  Extravasate  vielleicht  in  anderer  Weise  zu  Fieber- 1 
Wirkung  in  Beziehung  stehen:  Möglicherweise  entstehen  bei  Anwesen¬ 
heit  von  Kupfer  umsomehr  Giftstoffe,  je  grösser  das  Extravasat  ist. 
Ueber  die  Genese  des  Fiebers  möchte  ich  mich  nur  ganz  hypothetisch l 
aussprecnen.  Sicher  ist,  dass  die  Beimischung  eines  anorganischer 
Momentes  wenigstens  in  einem  Teile  der  Fälle  fiebererregend  wirkt 
Versuche  in  der"  von  Herrn  Scheunert  angedeuteten  Richtung  habt 
ich  nicht  angestellt.  Uebrigens  ist  die  Kupfertherapie  wieder  in  die: 
Medizin  eingeführt  worden,  in  Form  von  Kupferinjektionen  bei  Phthise 
Auch  tiierbei  soll  in  einem  Teile  der  Fälle  Fieber  entstehen. 

Herr  Schweissinger:  In  Kupferschlangen  abgekühltes  destil¬ 
liertes  Wasser  nimmt  höchst  geringe  Mengen  Kupfer  auf;  die  in  der 
Literatur  angegebenen  Zahlen  sind  teilweise  sehr  hoch;  ich  selbst 
konnte  aus  100  Litern  Aqua  destillata  nur  leg  [CuO|  gewinnen 

Das  Kupfer  ist  als  Bikarbonat  gelöst,  man  kann  es  dem  Wasser 
entziehen,  wenn  man  das  Wasser  über  Watte  tropfen  lasst,  das 
gebildete  Kupfermonokarbonat  wird  auf  der  Watte  niedergeschlagen. 

Herr  Aschenheim:  Beitrag  zur  Rachitis-  und  Spasmophilie- 

frase.  _ 

Wissenschaftliche  Vereinigung  am  städt.  Krankenhaus 

zu  Frankfurt  a.  M. 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzung  vjo  m  30.  Juni  1914. 

Vorsitzender:  Herr  M.  Neisser. 

Schriftführer:  Herr  H.  Braun. 

Herr  v.  Lippmann:  Herzbeutelpunktion  rechts  vom  Sternum 

Im  Anschluss  an  den  kürzlich  hier  gehaltenen  Vortrag  des  Hern 
Dr.  M  o  o  g  über  die  Punktion  grosser  Herzbeutelergus^e  vom  Ruckei 
aus  möchte  ich  darauf  hinweisen,  dass  für  die  Behandlung  penj 
kardialer  Exsudate  bisweilen  die  Punktion  rechts  vom  Stemm 
indiziert  sein  kann.  Ich  habe  vor  einiger  Zeit  in  der  medizimscliei 
Klinik  in  Halle  einen  älteren  Mann  behandelt,  bei  dem  ausser  einen 
Erguss  im  Herzbeutel  auch  ein  solcher  in  der  linken  Pleurahohle  be¬ 
stand:  die  Exsudate  waren  nach  Färbung,  spezifischem  Gewicli 
und  Eiweissgehalt  verschieden.  Es  handelte  sich  um  chronische  Peri 
karditis,  und  in  solchen  Fällen  wird  man  sich  kaum  zu  einer  Penl 
kardiotomie  entschliessen,  sondern  sich  auf  wiederholte  Punktionei 
beschränken.  Die  im  linken  5.  und  6.  Interkostalraum,  in  und  ausser 
halb  der  Mammillarlinie  ausgeführten  Herzbeutelpunktionen  lieferte: 
im  Verlaufe  der  Krankheit  allmählich  immer  weniger  Flüssigkeit 
Eine  Punktion  vom  Rücken  her  kam  wegen  der  chronischen  Pleuriti 
nicht  in  Frage.  Als  daher  die  klinischen  Symptome  eine  erneut' 
Punktion  nötig  machten,  entschloss  ich  mich,  diese  im  5.  Interkostal 
raume  3—4  cm  lateral  vom  rechten  Sternalrande  (also  sicher  latera 
von  den  Vasa  mammaria  interna)  auszuführen:  die  rechte  Grenze  Je 
Herzdämpfung  lag  zwischen  rechter  Mammillar-  und  Parasternallinu 
Es  konnte  sofort  über  1  Liter  Exsudat  abgezogen  werden.  Die  i 
der  Folgezeit  vorgenommenen  Punktionen  waren  aber  auch  in  diese 
Gegend  nicht  mehr  so  ergiebig  wie  die  erste.  —  Später  entwickelt 
sich  noch  eine  rechtsseitige  Pleuritis.  —  Die  Sektion  ergab  Tuber 
kulose  aller  drei  serösen  Säcke  der  Brusthöhle,  ausserdem  triscli 
Miliartuberkulose  des  gesamten  Bauchfells. 

Herr  Isenschmid:  Ueber  das  durch  Naphthylamindenvat 
erzeugte  Fieber. 

Unter  allen  Eingriffen,  welche  experimentelles  Fieber  erzeuge! 
nimmt  die  Injektion  von  Tetrahydro-ß-naphthylamin  eine  Vorzugs 
Stellung  ein,  nicht  nur  dadurch,  dass  die  Wirkung  prompter  und  kor 
stanter  eintritt,  als  auf  irgend  ein  anderes  infektiöses  oder  mehl 
infektiöses  Agens,  sondern  besonders,  weil  die  dadurch  erzielte 
Temperaturen  höhere  sind,  als  die  auf  irgend  einen  anderst  tingri 
auftretenden.  0,05  g  rufen  bei  Kaninchen  schon  bei  subkutaner  n 
jektion  die  höchsten  Temperaturen  hervor,  welche  mit  dem  Lebe, 
überhaupt  vereinbar  sind.  .  L  I 

Durch  vielerlei  in  der  Literatur  niedergelegte  Versuche  ist  tes 
gestellt,  dass  die  Wirkung  des  Giftes  auf  die  Körpertemperatur 
ähnlich  wie  der  Wärmestich,  —  an  den  wärmeregulierenden  Zentre 
des  Gehirns  angreift.  Ausser  dieser  Wirkung  des  Giftes  kennen  \v 
noch  weitere  Einflüsse,  welche  es  auf  das  Nervensystem  ausübt: 
kann,  speziell  zentrale  Wirkungen  auf  den  Vagus  und  Einflüsse  ai 
den  Sympathikus,  welche  z.  T.  ebenfalls  zentral  angreifen,  zu: 
anderen  Teil  aber  an  der  Peripherie  einsetzen. 

Die  Versuche  des  Vortragenden  bestanden  darin,  dass  er  b- 
Kaninchen  entweder  durch  Quertrennung  des  Halsmarkes  oder  durc 


August  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


CrlwTu/"CS  Zwischenhirnes,  besonders  des  Tuber  cinerum. 
e  zentrale  \\  armereRulation  ausschaltete  und  nun  bei  diesen  Tieren  I 
et(jn0SHSC  d/S  QefamtstoffNvcchsels  vor  und  nach  der  Injektion  des 
etrahydro-£-naphthyIamins  untersuchte.  Der  Gaswechsel  der 
inKernden  I  icre  wurde  in  Perioden  von  1  A—2  Stunden  Dauer  mit 
m  ll  “  r  b>?f.r '  H  a  1  d  a  "  e  ,schc"  Apparate  bestimmt.  Es  ergab  sich 
fi  fl  ?  •  a"(Ch  nach  der  Ausschaltung  des  zentralen  Wärme- 
gulationsapparates  den  Gesamtstoffwechsel  regelmässig  sehr  erheb- 
h  ste.gerte  und  zwar  betrug  die  Steigerung  der  Kohlensäurepro- 
ktion  und  der  Säucrstoffsufnähmc  bis  über  50  Pro 7 
Ausser  der  Stoffwechselsteigerung,  welche  das  Gift  durch  Ver- 
ttlung  der  warmeregulierenden  Zentren  hervorruft,  kommt  ihm  also 

äm!Sms^tzesrezuPeriP  einsetzende  WirkllI1£  auf  die  Grösse  des 

Bekanntlich  betrachten  manche  Autoren  das  infektiöse  Fieber 
r  als  ein  Analogon  der  Wärmestichhyperthermie,  indem  sie  an- 
hmen  dass  toxische  Substanzen  die  Wärmeregulationszentren  so 
zen,  dass  daraus  alle  die  Veränderungen  des  Stoffwechsels  der 
Umverteilung  und  damit  der  Körpertemperatur  entstehen,  welche  wi[ 
.her  ^nnen.  Den  Autoren,  welche  nur  solche  zentrale  Einflüsse 
.f  die  Stoffwechselste.gerung  im  Fieber  gelten  lassen,  stehen  andere 
:genuber  welche  an  der  Annahme  eines  „toxogenen  Eiweisszer- 
Is  festhalten  und  neben  den  zentralen  Einflüssen,  direkte,  ohne  den 
nveg  über  das  zentrale  Nervensystem  vor  sich  gehende  Einwa¬ 
agen  der  infektiösen  Agentien  auf  den  Stoffwechsel  der  Organe  an- 
nnen.  Die  infektiöse  Noxe  würde  danach,  vielleicht  als  Proto- 
smagift  in  den  peripheren  Organen  Stoffzerfall  und  dadurch  einen 
achten  brunisatzcs  hervorrufen,  welchen  wir  im  Fieber  be- 

Der  Vortragende  betont,  dass  seine  Versuche  darauf  hinweisen, 
nach  nach  der  Ausschaltung  der  zentralen  Wärmeregulation 
itre  Faktoren  als  nur  direkte  Protoplasmawirkungen  die  Grösse 
Gesamtstoffwechsels  beeinflussen  können.  Das  Tetrahydro-d- 
ihthylamin  hat  bei  den  Tieren  ohne  Wärmeregulation  die  Stei- 
ung  des  Gesamtstoffwechsels  wahrscheinlich  nicht  als  Proto- 
srragift  hervorgerufen  sondern  seinen  bisher  bekannten  Wir- 
.  gen  entsprechend  als  N  e  r  v  e  n  g  i  f  t.  Ausser  den  Einflüssen  des 
ln  ft  f  Zentralnervensystem  kennen  wir  bisher  nur  peripher 
apathische  (Pupillenerweiterung  bei  lokaler  Applikation,  Gefäss- 
engerung  auch  nach  Durchschneidung  der  Nerven  etc  )  E  s  1  i  e  g  t 
i0  die  Annahme  nahe,  dass  die  Stoffwechselstei- 
rung  durch  ei  neEin  w  i  r  k  u  n  g  des  Giftes  aufdenperi- 
eren  Sympathikus,  vielleicht  die  Sympathikusendigungen 
£  e.  r  u  e  n  w  u  r  d  e.  Das  ist  eine  Aufforderung,  die  Mög- 
keit  ins  Auge  zu  fassen,  dass  auch  beim  natürlichen  Fieber  ausser 
zentralen  Einflüssen,  solche  peripher  sympathische  auf  den  Stoff- 

ipi  itVOn  w"flufS  s*tm  konnten-  Speziell  für  das  Adrenalinfieber, 
eicht  auch  für  das  thyreotoxische,  liegt  diese  Annahme  nahe,  aber 

,  drS  infektlose ;  Fieber,  das  ja  heute,  dank  der  Möglichkeit 
operativen  Ausschaltung  der  zentralen  Wärmeregulation,  in 
'  em  p.in^.usse  auf  ,den  Stoffwechsel  unter  Ausschluss  dieser  zen- 
hpnE‘ndUuSe  stud‘ert  werden  kann,  ist  die  Möglichkeit  einer 
lien  peripher  ansetzenden  Einwirkung  auf  das  vegetative  Nerven- 
'  Auge  zu  behalten.  Ob  vielleicht  der  Vagus,  der  bei 

der  Versuchstiere  ganz  intakt  war,  die  Stoffwechsel- 
serung,  welche  das  fiebererregende  Gift  erzeugte,  vermittelt  hat 
t  sich  ohne  weitere  Versuche  nicht  sicher  ausschliessen. 

iskussion :  Herr  'S.  Auerbach:  Ich  möchte  Herrn  Vortr. 
en,  ob  er  auf  Grund  seiner  experimentellen  Studien  eine  Er- 
ung  geben  kann  für  das  sog.  „Kleinhirnfiebe r“,  welches 
■i  Operatmnen  am  Kleinhirn  häufig  auftritt  und  bei  Abwesenheit 
'r  anderen  Todesursache  zum  Exitus  führen  kann,  wie  ich  das  auch 
’*,.babe-  Ch  m°cbte  a™ehme«.  dass  es  infolge  des  bei  diesen 
.  en  mivermeicihchen  Abflusses  von  Liquor  cerebrospinalis,  viel- 
!t  auch  durch  die  öfters  erforderliche  Eröffnung  des  4  Ventrikels 

Fiebe^kommt ^  ^  Hirnkammer  umgebenden  Graus  und  so 

Herr  Voss:  Otologische  Beiträge  zur  Hirnpathologie. 

Unter  Vorstellung  einer  grösseren  Anzahl  von  Patienten,  an  der 
^ °n*  Krankengeschichten  und  Demonstrationen  zahlreicher 
oskop'schcr  und  iniltrosltopischer  Präparate  bespricht  Vor- 
tmripn  na<:b  einem  Rückblick  auf  die  diagnostischen  otologischen 
IzVrPhr^P  dFrtn  m,oderne  Ausgestaltung  die  beiden  grossen  Grup- 
;  „r.Lrler  Erkrankungen,  an  denen  die  Otologie  interessiert  ist. 
rt  L!  f Cn  uWird  fepräsentiert  durch  die  Affektionen  des 
uehnnern,  die  sich  an  akute  und  chronische  entzündliche  Erkran- 
,  "d,e,s  Gehörorganes,  hauptsächlich  von  mittlerem  und  innerem 
anschhessen,  die  zweite  setzt  sich  aus  Alterationen  des  Schädel- 
‘cs  zusammen,  die  sekundär  das  Gehörorgan  in  Mitleidenschaft 

ersten  Kategorie  werden  zunächst  extradurale  Abszesse 
.  "ifchSf?,an.akute  und  chronische  Eiterungen,  und  zwar  ohne 
^3mi?Zei  Hen  weiteren  Komplikationen  des  Schädelinneren 
istnrombose,  Hirnabszess)  vorgeführt.  Anschliessend  werden 
, ;  und  Weinhirnabszesse  abgehandelt,  von  denen  je  einer  als 
ehEf  h!iISIC  tf  ^'ährend  von  einem  dritten,  in  Heilung  begriffenen 
cniatenlappcnabszess)  im  Anschluss  an  akute  Mittelohreitcrung 
ptococcus  mucosus)  berichtet  werden  konnte. 
i,wS~  und  Bulbusthrombosen,  sowie  rückläufige  Thrombosen  in 
mus  von  wandständigen  Thrombosen  der  Vena  jugularis  nach 


_ [757 

•malPr?iSenyCre!lCn,ngcn  könncn  teils  als  abgeheilt  an  Patienten,  teils 
an  Präparaten  demonstriert  werden. 

nnrt  Wfrde"  otogene  Meningitiden  besprochen,  demonstriert 

und  ihr  häufigster  Entstehungsmodus  durch  Vermittlung  seröser  oder 

SSSt  Labyrinthitiden  a"  der  Hand  mikroskopischer  Präparate  er[ 

n„h..^<>n  dea  Erkrankungen  des  Schädelinhaltes,  die  sekundär  das 

entzünSfcITer'fie^P  eidenSphaft  zi,e,lcn’  gelan£en  zunächst  diejenigen 
entzündlicher  Genese  zur  Besprechung.  Im  Vordergründe  stehen  hier 

irrÄir  ^ndss°re,e du?ch 

j ted.e  folgen  die  Hirntumoren,  die  in  sekundäre 
,  Astatische)  und  primär  in  cerebro  entstandene  zerfallen.  Aus  der 
ersteren  Gruppe  konnte  über  3  einschlägige  Beobachtungen  berichtet 
erden,  von  denen  einmal  eine  konkomitierende  Otitis  zu  differential 
diagnostischen  Schwierigkeiten  führte,  während  dn  zweites  Md 
ausser  den  Hirnmetastasen  eine  weite«  solche  im  äusseTen  Gehl 

vo?täuscSe.nden  War  Und  dUrCh  ihren  Zerfal1  eine  chronische  Otitis 

izi  •  y°n  den,  PHmären  Hirntumoren  waren  4  im  Stirnlannen  i  im 

slnel“enviHk(Kl  1  h"1  ?nYmd  1  in  der  MedullaTokahsierT 
jfoweit  der  N.  Vlll  (Kleinlurnbruckenwinkel)  nicht  vollkommen  im 

LsmAk,?UÄegangHn  war'  fariden  sich  mikroskopisch  3mal  Atlphien 
des  Akustikus  und  seiner  peripheren  Endorgane,  die  besonders 
den  Stirnhirntumoren  genetisch  in  Parallele  mit  1,  n?, ers  be 
Phien  zu  stellen  sein  dürften.  In  einem Fall  der  lefztere? 
rnn^eifelna-ft  bleibea’  ,ob  die  Vorgefundenen  atrophischen  Verände- 
re.vh60  h  3  61tl  -ZUr  Erklärung  der  fortschreitenden  Taubheit  aus 
Spiile  l.erSCheinen  Und  niCht  dne  psychische  Komponente  dabei  im 

Endlich  gelangen  die  traumatischen  Veränderungen  des  Gehör 
Organes  bei  Verletzungen  der  Schädelkapsel  und  2eS  Inhaltes  zur' 

lKnd  werden  durch  mikroskopische  Präparate  des 
Schläfenbeines  bei  einem  Gehirnschuss,  einer  Schädelbasisfraktur  und 
einer  operativ  geheilten  Schädelbasisfraktur  illustriert 

L)lskussion:  Herr  Georges  L.  Dreyfus  hebt  hervor  dass 
l''00  Pr°f-  Voss  vorgetragenen  und  demonstrierten  neuen  Unter 
suchungsmethoden  nicht  nur  für  die  Ohrenhpilt  „  n  h  6  1  u,¥er- 
auch  »  die  Neurologe  v™  Sl'i"  SOndern 

Npnrncp  zab!reich,cn  Krankheitsgruppen  (Hirntumoren,  traumatische 
Neurosen,  Neurasthenie,  luetische  Erkrankungen  des  Zentralnerven 
Systems  etc.)  ist  die  Untersuchung  des  Cochlearis  und  VestibIK 
notwendig,  um  objektive  Anhaltspunkte  für  die  ieweihV 
vorliegende  Erkrankung  zu  gewinnen.  Jeweilig 

Für  den  Neurologen  liegen  die  Dinge  heute  so  dass  er  die 
modernen  Methoden  der  Untersuchung  des  Akustikus  ebensowen  v 
wie  den  Augenspiegel  entbehren  kann  S  eDensoweP'g 

HaCcH(nr  v'  Auerbach:  Auch  die  einfache  Mastoiditis  kann  ohne 
dass  offenkundige  Symptome  von  Seiten  des  Nervensystems  wie 
Krampfe,  Paresen  etc.,  auftreten,  bei  genauer  neurologischer  Ünter- 
suchung  Zeichen  aufdecken  lassen,  die  auf  eine  Beteiligung  des  Ge 
nrns  (Anfangsstadium  der  Meningo-Encephalitis  serosa?)  Sschliessen 
lassen,  ohne  dass  selbst  die  Aussenfläche  der  Dura  bei  der  Operation 
irgendwelche  Veränderung  aufweist.  So  konnte  ich  kürzlich  bei  einer 
Mastoiditis  postscarlatinosa  duplex  das  Fehlen  eines  Bauchdecken 
reflexes  und  einen  doppelseitigen  klonischen  Babinski  konstatieren 
Bei  der  Entlassung  nach  2  Monaten  bestand  noch  linkerseits  der 

?he.  °HSCterPnaradv.°X^  Reflex'  Vielleicht  würde  man  solche  ZeL 
«ehe-  UI1h  ahnbche  häufiger  finden,  wenn  man  die  Fälle  von  an¬ 
scheinend  unkomplizierter  Mastoiditis  regelmässig  einer  neum 
logischen  Untersuchung  unterziehen  würde. 

Folie0'6  ’nMkt<?  Eu.nkt!on  de,s  N-  cochlearis  und  vestibularis  in  dem 
Falle  von  Meningitis,  in  welchem  das  Labyrinth  von  Eiter  umsoiilt 
war,  mochte  ich  so  erklären,  dass  die  Achsenzylinder  jener  Nerven 

breSg  gäöramen  Sha'b  W“r  “  nlcht  zu  elner  Leitunßunler- 
Herr  Voss:  Schlusswort. 

Sitzung  vom  21.  Juli  1914. 

Vorsitzender:  Herr  M.  N  e  i  s  s  e  r. 

Schriftführer:  Herr  H.  Braun. 

Organs^' "  Fleischmann:  Die  intravitale  Färbung  des  Gehör- 

Nach  einleitenden  Worten  über  die  intravitale  Färbung  und  über 
die  Funktion  der  dabei  gefundenen  Pyorolzellen  legt  Vortragender 
seine  Befunde  mit  der  intravitalen  Färbung  am  Ohr  an  der  Hand  eini- 
ger  Präparate  dar.  Aeusseres  Ohr  und  Mittelohr  werden  kurz  be- 
sprochen,  wahrend  das  innere  Ohr  wegen  der  schwebenden  Frage 

efr  n  f  \iHenaUn  y;des  Labynnthwassers  eine  längere  Behandlung 
erfalirt.  Nachdem  Vortragender  die  verschiedenen  Ansichten  betreffs 
der  Herkunft  von  Endo-  und  Perilymphe  besprochen  hat,  kommt  er 
auf  Grund  der  intravitalen  Färbung,  bei  der  sich  im  ganzen  Labyrinth 
keine  Spur  von  Pyorolzellen  findet,  zu  dem  Schluss,  dass  wahrschein 
lieh  keine  Sekretion  am  inneren  Ohr  stattfindet.  Versuche,  die  Frage 
auf  andere  Weise  zu  lösen,  sind  noch  nicht  abgeschlossen 
.  vMerr  Raecke:  Ueber  Dementia  paralytica.  (Lichtbildervor- 

ii  agj 


1758 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  31. 


Vortr.  gibt  einen  Rückblick  über  die  Entwicklung  der  Lehre  von 

der  Dementia  paralytica  und  ihrem  Zusam™enha"ge  oTchtiekd^  des 
War  durch  die  Wassermann  sehe  Reaktion  die  Richtigkeit  des 

Satzes  „keine  Paralyse  ohne  Syphilis“  gesichert, *uhrf*  Nachweis 
Fortschritte  der  histologischen  Forschung  und  Noguchis  Nachweis 
der  Spirochäten  im  Gehirn  -  ein  Befund,  der  auch  an  hiesiger  An¬ 
stalt  durch  Herrn  .1  a  h  n  e  1  in  3  Fällen  bestätigt  werden  konnte  —  die 
weitere  Frage  zur  Erörterung  gestellt,  ob  nicht  überhaupt  die  I  ara- 
Ivse  als  eine  Spirillose  des  Gehirns  anzusehen  sei,  also  nicht  als 
eine  blosse  Metalues,  sondern  als  eine  besondere  syphilitische  -pat- 
form.  Hier  erscheinen  S  t  a  r  g  a  r  d  t  s  Befunde  bei  der  paralytischen 

OntikusatroDhie  sehr  beachtenswert.  ..  , 

Jedenfalls  ist  eine  scharfe  Abgrenzung  gegen  die  gummosen  u  d 
vaskulären  Formen  der  Hirnlues  nicht  gegeben.  Die  paralytische 
Lcptomeningitis  kann  neben  der  Plasmazellinfiltrat.on  ™as^£ha*te 
Lymphozytenansammlungen  zeigen,  Uebergreifen  auf  die  H  rnnerven, 
fleckweisen  Zerfall  und  mächtige  Bindegewebshyperplasie  mit 
Schwartenbildung,  ln  den  Hirngefässen  der  Paralytiker  finden  sich 
nicht  selten  wandständige  Gummen,  ebenso  frei  im  (jewebe  kleine  en- 
zephalitische  Herde  und  miliare  Gummiknoten.  Diese  von  zahlreichen 
Autoren  (Sträussler,  Fischer,  Jakob  u.  a.)  erhobenen  Be¬ 
funde  kann  Vortr.  an  seinen  eigenen  Präparaten  nur  bestätigen. 
Vielfach  findet  sich  eine  dichte  Abkapselung  solcher  Haufen  von  Ent¬ 
zündungszellen  durch  Gliafaserkörbe. 

Die  früher  herrschende  Lehre  von  einem  mehr  diffusen  Mark¬ 
schwund  mit  Bevorzugung  bestimmter  Territorien  und  Zentren  wider¬ 
spricht  den  Tatsachen.  Schon  vor  lo  Jahren  hat  S  *  \  " f.  J“ 

eine  fleckweise  Markscheidenzerstorung  und  das  Auftreten  sklero¬ 
tischer  Herde  hingewiesen.  Diese  lange  zu  wenig  beachtete  I  atsache 

ist  später  von  Borda,  Fischer,  Spielmeyer  wieder  aufge¬ 
griffen  worden.  Heute  geht  im  allgemeinen  die  Ansicht  dahin,  dass  n 
ca  65  Proz.  der  Fälle  eine  Kombination  mit  derartiger  Plaquesbildung 
besteht  Demgegenüber  vertritt  Vortr.  die  Auffassung,  dass  her  - 
weiser  Zerfall  der  Markscheiden  überhaupt  die  R^gel  darstellt.  Bei 
stärkerer  Vergrösserung  findet  man  stets  zahlreiche  kleine  Herde  l 
der  Markfaserung,  ähnlich  den  Pnmarherdchen der  “«lttplen ‘SMejose. 
Bald  handelt  es  sich  um  streckenweisen  Ausfal  der  J^ngemtialfase- 
rung  in  nur  einem  Teil  der  Windungskuppe^  bald  um  Lucken  in  der 
Supraradiärfaserung,  häufiger  noch  um  Durchlöcherung  der  aus¬ 
strahlenden  Markfächer.  Während  aber  bei  der  multiplen  Sklerose 
meist  ein  Konfluieren  der  Primärherdchen  zu  makroskopisch  grossen 
sklerotischen  Plaques  stattfindet,  ist  das  bei  der  Paralyse  in  nur  einem 
Bruchteil  der  Fälle  so.  In  der  Regel  gruppieren  sich  die  kleinen 
Herdchen  lediglich  in  grosser  Zahl  nahe  zusammen,  ohne  direkt  zu 
verschmelzen,  und  erwecken  dadurch  den  Eindruck  eines  mehr  dif¬ 
fusen  Schwundes.  Die  Fibrillen  zeigen  sich  wohl  resistenter,  gehen 
aber  auch  mit  der  Zeit  in  grösserer  Ausdehnung  zugrunde. 

Ausserordentlich  häufig  finden  sich  endarteriitische  Verände¬ 
rungen  nicht  nur  an  den  kleineren  Gefässen,  sondern  auch  an  den 
grossen.  Infolge  der  Atrophie  der  nervösen  Substanz  kommt  es  zu 
engerem  Zusammenrücken  wie  der  Ganglienzellen  so  auch  der  Ge- 
fässe  und  zu?  Bildung  von  Knäueln.  Oefter  als  echte  Sprossb.ldung 
ist  die  von  C  e  r  1  e  1 1  i  betonte  Obiiteration  kleiner  Gefasschen.  Nicht 
nur  bei  älteren  Paralytikern  sondern  auch  bei  juvenilen  kann  Drusen¬ 
bildung  beobachtet  werden.  Die  Stäbchenzellen  smd  wahrscheinlich 
teils  mesodermalen,  teils  aber  gliösen  Ursprungs.  Als  Aufgabe  der 
wuchernden  Glia  ist  nicht  nur  Narbenbildung  anzunehmen,  vielmehr 
auch  Verstärkung  der  Oberflächen  und  Abkapselung  der  Krankheits- 

herde.  •  ... 

Das  gesamte  exsudativ-entzündliche  Bild  mit  fleckweise  stär¬ 
kerer  Zerstörung  lässt  möglicherweise  an  eine  Entstehung  durch  ein- 
dringende  Spirochätenherde  denken.  Nebenher  mögen  noch  De¬ 
generationen  eine  Rolle  spielen,  wie  sich  solche  ja  schon  bei  der  Hirn¬ 
lues  gelegentlich  finden.  Die  Existenz  ausserordentlich  ähnlicher  kli¬ 
nischer  Bilder,  sogen.  Pseudoparalysen,  bei  andersartigen  dntusen  Er¬ 
krankungen  der  Rinde  lehrt,  dass  es  wohl  mehr  die  Art  der  Ausbrei¬ 
tung  als  die  abweichende  Natur  des  histologischen  Prozesses  ist, 
welche  gegenüber  der  gewöhnlichen  Erscheinungsform  der  Hirnlues 
der  Paralyse  ihr  besonderes  Gepräge  leiht. 


glienzellen  mit  2  Kernen  in  der  Grosshirnrinde  nicht  selten  normaler¬ 
weise  Vorkommen. 

Herr  Raccke  (Schlusswort). 


Naturwissenschaftl.-medizinische  Gesellschaft  zu  Jena. 

Sektion  für  Heilkunde. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  18.  Juni  1914  in  der  chirurgischen  Klinik. 
Vorsitzender:  Herr  L  e  x  e  r. 

Schriftführer:  Herr  Berger 


Diskussion:  Herr  K.  Herxheimer:  Ich  kann  bestätigen, 
dass  die  Annahme  von  Alzheimer,  dass  die  P1.a4smaz?JlLn  a^' 
schliesslich  charakteristisch  für  Paralyse  waren,  nicht  zu  Recht  be¬ 
steht  da  ich  sie  auch  hin  und  wieder  bei  Gummen  des  Hirns  finde 
Dann  noch  eine  klinische  Bemerkung:  Ich  habe  vor  einer  Reihe 
von  Jahren  2  Fälle  beobachtet,  in  denen  Paralyse  etwa  1/5  Jahre 
nach  Erscheinen  des  syphilitischen  Primäraffektes  auftrat;  in  beiden 
Fällen  trat  Exitus  ein,  sie  sind  in  einer  auswärtigen  Anstalt  ge¬ 
storben  Nachdem  wir  wissen,  dass  schon  frühzeitig  bei  der  Lues 
meningeale  Prozesse  auftreten,  wären  solche  Falle  doch  möglich,  und 
ich  frage  den  Herrn  Vortragenden,  ob  ihm  derartige  Falle  bekannt 

"Nachdem  der  Vortragende  dieses  verneint  hatte  und  nach  der  Sek¬ 
tion  der  beiden  Fälle  gefragt  hatte,  erwidert  K.  Herxheimer, 
dass  ihm  über  eine  Sektion  der  Fälle  nichts  bekannt  sei 

Herr  Isenschmid  stellt  die  Frage,  ob  den  Ganglienzellen  mit 
2  Kernen,  welche  der  Herr  Vortragende  im  Paralytikergehirn  gesehen 
hat,  überhaupt  eine  pathologische  Bedeutung  zukommt.  Aus  viel¬ 
facher  eigener  Anschauung  kann  er  bezeugen,  dass  bei  manchen 
Tieren,  speziell  bei  der  Katze,  dem  Kaninchen  und  der  Maus,  Gan- 


HerrdWr  eSde<-rdKardiakarzinom.  (Erscheint  in  der  M.m.W. 

aUSf  m'^kussion:  Herr  Rehn:  Obwohl  der  durch  W.  mitgeteilte 
Fall  keinen  restlosen  Erfolg  darstellt,  betrachtet  R.  das , elzi®  t_e 
sult  't  dennoch  als  sehr  erfreulich,  weil  es  die  Tatsache  bekräftigt,  dass 
das  Invaginationsverfahren  berechtigt  ist,  bei  ausgedehnterem  Karzi- 
nom  der  Kardia  und  vor  allem  bei  Tumoren  des  Oesophagusbrust- 
teils  breitere  Anwendung  zu  finden,  indem  es  gute  Chancen  bietet, 
um  den  bei  der  Entfernung  dieser  Geschwülste  sich  bietenden  Schwie¬ 
rigkeiten  erfolgreich  zu  begegnen.  Was  die  Art  und  Weise  der  ln- 
vagination  anbelangt,  so  steht  R.  nach  wie  vor  auf  dem  in  seiner  län¬ 
geren  Abhandlung  präzisierten  Standpunkt,  welcher  sich  auf  Tier- 

und  Uichenexperfmcnte  und  diu  klinisch™  E'  f  LI  £ 

er  in  der  1  e  x  e  r  sehen  Klinik  sammeln  konnte.  Der  Streit  zwischen, 
den  Anhängern  der  direkten  Stumpfvereinigung  und  denjenigen 
Autoren  welche  den  Verzicht  auf  diese  befürworten,  ist  durchaus 
noch  n"c!U  entschieden,  und  wenn  das  Verfahren  der  Invag.natuin 
sich  irgendwelche  Beachtung  und  Berechtigung  erringen  will,  muss 
es  in  erster  Linie  den  Namen  einer  sicheren  und  gefahrlosen  Methode 
für  sich  in  Anspruch  nehmen  können,  was  für  die  totale  Entfernung 
des  Oesophagus,  wie  sie  bei  der  Invagination  von  unten  nach  o  n 
die  Regel  ist  nicht  immer  der  Fall  zu  sein  pflegt.  R.  war  Aniam 
März  19  4  Gelegenheit  gegeben,  ein  ausgedehntes  Kard.akarz.nom 
welches  auf  Mageü  und  Speiseröhre  übergegriffen  hatte,  nach  dem 
von  ihm  ausgearbeiteten  Verfahren  zu  operieren.  ,  . 

1  Laparotomie,  Freilegen  der  Kardia  mit  linksseitigem  Schräg- 
schnitt  parallel  dem  Rippenbogen  und  nach  Rechtsklappen  der  Leber 

2  Isolieren  und  Mobilisieren  des  nach  oben  über  den  Hiatu. 

oesophageus  reichenden  Tumors  (scharfe  Durchtrennung  der  im  Kar¬ 
zinom  aufgehenden  Vagi).  ....  Hnr^ti  T?  he 

3  Oesophagotomie  am  Halsteil,  Einfuhien  der  durch  K. 

schriebenen  Sonde,  welche  unter  Leitung  der  den  Oesophagustumo 
gefasst  haltenden  Hand  die  Tumorstenose  leicht  passiert  und  aus  eint 
kleinen  Mageninzision  herausgeleitet  wird.  Einbinden  des  Sonden 
knopfes  am  durchschnittenen  Halsteil  der  Speiseröhre  und  Invag 
liieren  von  oben  nach  unten  unter  langsamen  Zug.  bis  die  Emstulpj 
der  Speiseröhre  an  der  oberen  Tumorgrenze  angelegt  ist.  Uuer 
durchtrennen  des  oberhalb  des  Karzinoms  stehengebliebenen  Muskel 

Schlauches  und  Abbinden  desselben.  .  , 

4  Vorlagern  des  freibeweglichen  Tumors,  Reinvagination  de 
Oesophagusschlauches  und  schräge  Resektion  des  Magen"  unter 
nutzung  des  schlauchartigen  Zipfels  als  Magenfistel.  Der  H  a  us  ocsc 
phageus  wurde  durch  Naht  verschlossen,  in  das  Tumorbett  ein  larr 

1,011  PatlenOüberstand  den  1  Stunde  dauernden  Eingriff  gut;  die  Na) 
rungsaufnahme  war  durch  die  Magenfistel  eine  vollauf  'genügend 
und  bequeme  (keine  Magenstörungen).  Verhängnisvoll  wurde 
den  Kranken  eine  bei  Resektion  des  völlig  verjauchten  Karai io 
gesetzte  Infektion  des  Peritoneums,  welcher  er  trotz  Spaltung 
Drainage  am  10.  Tag  post  Operationen!  erlag 

Die  Sektion  stellte  keine  Blutung,  keine  Infektion  des  hintere 
Mediastinums,  keine  Verletzung  der  Pleuren  oder  anderweitige  durej 
die  Invagination  gesetzte  Komplikationen  fest.  ,  Fall  I 

Trotz  seines  unglücklichen  Ausgangs  hat  beschriebener  r 
in  seiner  Ueberzeugung  bestärkt,  dass  es  auf  beschriebenem 
gelingen  muss,  ausgedehnten  Kardiakarzinomen  erfolgreich  heiz 
kommen. 

Tagesordnung: 

Herr  Lex  er:  Teratom  der  Bauchdecken. 

Bei  einem  Neugeborenen  fand  sich  ein  grosses  Teratom,  aas  i 
breiter  Basis  aus  der  Magengrube  herausgewachsen  war.  von  n 
aus  bis  zur  Nabelschnur  bestand  Diastase  der  Rekti.  Das  lera 
zeigte  schon  äusserlich  eine  verhältnismassig  hohe  EntwicKiur 
Deutlich  war  der  runde  Kopf  mit  behaarter  Kopfhaut  und  rudimui 
entwickelten  Gesichtsabschnitten  (beide  Augen  mit  Lidern,  Hast 
höcker,  Mundspalte  mit  rechtsseitiger  Oberlippenspalte,  darun. 
Unterkieferbogen).  Im  übrigen  war  das  Teratom  von  ganz  norma 
Haut  bedeckt.  Die  operative  Entfernung  gelang  leicht  nacn  ui 
schneiden  an  der  Basis  und  nach  Eröffnung  der  Bauchhöhle,  l 
Qefässstiel  des  Teratoms  setzte  sich  ins  Ligamentum  suspensoru 
hepatis  dicht  am  rechten  Rippenbogen  fort.  Es  enthielt  eine  gro> 
Arterie  und  eine  Vene.  Bei  der  Durchtrennung  des  Stils  fiel  aus  u 
durch  eine  dünne  Bindegewebsplatte  getrennten  Inneren  des  tum 
eine  Darmschlinge  vor.  Der  Verschluss  der  Bauchdecken  gei 
leicht.  Am  2.  Tage  Exitus.  Das  Präparat  ergibt  nach  makroSKu 
scher  Präparation  einen  gut  entwickelten  Schädel,  im  Innern, 


4.  August  1914. 


MUE.NCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


nit  klarer  Flüssigkeit  gefüllt  ist,  sind  nur  2  kleine  Hemisphären- 
mlagen  zu  erkennen;  gut  entwickelt  ist  das  Foramen  magnum.  Dicht 
larunter  liegt  ein  kreuzbeinähnlicher  Knochen,  daneben  Skapula  oder 
leckenschaiifelahnliche  Knochen.  Oberhalb  einer  Darnischlingc 
\et.’e  geschlossen  erscheint,  ist  eine  einer  Zwerchfell  wand  entspre- 
hende  Muskelplatte.  Daneben  findet  sicii  ein  von  Rippenrudimenten 
eitlieh  begrenzter  Raum,  der  makroskopisch  nicht  erkennbares  Ge- 
vebe  enthalt. 

lii-ir  Stern  mler:  Die  isolierte  Fraktur  der  Querfortsätze  der 
endenwirbelsaule. 

Vortragender  berichtet  kurz  über  zwei  Fälle  von  isolierter  Frak- 
ur  der  Lendenwirbelquerfortsätze  bei  einem  26  jährigen  Steinbruch- 
rbeiter  und  bei  einem  21  jährigen  Studenten.  Von  den  bisher  in  der 
itcratur  als  spezifisch  für  Querfortsatzfraktur  beschriebenen  Sym- 
tomen:  1  Einschränkung  und  Schmerzhaftigkeit  der  Beugungsfähig- 
C1c  uCS  .nach.  de,r,  gesunden  Seite,  ebenso  der  Rotation; 

Schmerzhaftigkeit  beim  Vorbeugen  und  Wiederaufrichten,  oder  in 
■uckenlage  beim  Beugen  des  gestreckten  Beines  der  betreffenden 
eite  in  der  Hüfte;  3.  lokale  Druckempfindlichkeit  neben  der  Wirbel- 
a  I-  i  en»d  der  Duerfortsätze  bei  sonst  normalem  Befund  an 

er  irbelsaule,  kann  er  nur  das  erste  dieser  Symptome  als  richtig 
".erkennen.  Alle  anderen  Symptome  kommen  auch  beim  einfachen 
amatom  der  an  den  Querfortsätzen  inserierenden  Muskeln  vor.  Im 
legensatz  zu  der  schmerzhaften  Beugung  nach  der  gesunden  Seite, 
le  sie  bei  Querfortsatzfraktur  vorkommt,  beobachtete  er  bei  einem 
alle  von  Muskelhamatom  eine  Schmerzhaftigkeit  beim  Beugen  nach 

Si,,n?nhil"hfSHlte*  d?3.S  eLn.flg  sichere  Hilfsmittel  zur  Diagnosen- 
ellung  bleibt  das  Rontgenbild. 

Herr  S  tein  in  ler:  Zur  Operation  der  Mastdarmfistel. 

f  ,  or  E' peschreibt  eine  von  ihm  an  3  Fällen  mit  ausgezeichnetem 
rf°Is  geuytc  Operation  der  Mastdarmfistel.  Er  präpariert  den  Fistel- 
mg  und  invaginiert  ihn  in  den  Mastdarm.  Die  stumpf  beiseite  ge- 
•angten  Weichteile  werden  wieder  genäht.  Heilung  erfolgte  glatt 
J ?ge,n:.  Verletzungen  des  Sphinkter,  auch  bei  ischio- 
ktalen  F^tdri  können  nicht  Vorkommen.  Die  Operation  kann  nur 
a  bindegewebig  verdickter  Fistelwand  ausgeführt  werden 

Herr  Biedermann:  Navikularbrüche. 

Die  isolierte  Navikularfraktur  an  der  Hand  kommt  häufiger  vor 
7°r,  Anwendung  des  Röntgenverfahrens  allgemein  annahm, 
eselbe  bietet  ein  typisches  Krankheitsbild  und  ist  leicht  zu  erkennen. 

i  l-u  u  d|GS  *et.ztenJapres  wurden  in  der  Jenenser  chirurgischen 
Dlikhmk  df  derartige  Fälle  beobachtet  und  behandelt.  Bei  früh- 
!_I,ger  ErkßHnung  erzielt  man  mit  der  konservativen  Behandlung 
•V ,  er  Lahe  gute  Heilerfolge.  Von  den  11  Patienten  erlangten  4  eine 
’Ukommen  normale  Funktion  des  betroffenen  Handgelenkes  wieder 
,31  |inb'Lebl5mngeriV®e  Beschränkung  der  Bewegung  im  Handgelenk 
(Sinne  der  Dorsalflexion  bestehen.  Drei  der  Fälle,  welche  erst 
-hrere  Monate  nach  dem  Unfall  in  die  Klinik  kamen  und  vorher 
-ht  richtig  erkannt  worden  waren,  behielten  eine  mehr  oder  weniger 
osse  Beschränkung  der  Bewegung  im  Handgelenk.  Zwei  davon 
.  rden  durch  Operation  noch  bedeutend  gebessert.  In  dem  einen 
Ile  wurde  der  schwer,  veränderte  Knochen  total  entfernt  und  der 
tstandene  Defekt  durch  Fett  ergänzt.  In  dem  anderen  Falle  be¬ 
ugte  man  sich  damit,  den  Zertrümmerungsherd  im  Knochen  aus- 
Kratzen  und  durch  Jodoformplombe  zu  ersetzen.  Beim  dritten  Pa- 
nten  erreichte  man  durch  konservative  Behandlung  einige  Bes- 
ung.  Der  11.  Fall  ist  noch  in  Behandlung. 

Vorstellung  von  Patienten  und  Projektion  von  Röntgenbildern 
,7.err  Zange:  Die  pathologisch-anatomische  Grundlage  der 

ö  FnSrUnKe^,dfS^Teren  °hres\  bei  Mittelohreiterungen  und 

e  Entstehung.  (Mit  23  Projektionen.) 

n\beiJ.pIÖtzlichem  Einbruch  einer  Mittelohrentzündung  ins 
ul*  °  a  ,Te  JE1*.  ,stürmischen  Funktionsstörungen  (Ausfall  des 
fiors  und  der  Gleichgewichtsfunktion)  einhergehen,  in  der  Regel 
i  rapider  Zerfall  der  Labyrinthweichteile  zustande  kommt,  ist  be- 

'  .  Weniger  klar  sind  unsere  bisherigen  Vorstellungen  über  die 
atornischen  Zustande  im  inneren  Ohre  bei  unmerklich  eingetretenen 
-  v«f-SKSt?rUrng w-  Bedweiser  oder  völliger  Verlust  des  Gehörs  und 
‘bl!  arfunktl0n)’  die  slch  101  VerIaufc  akuter,  auch  chronischer 
5  RMUngenLentwickeIn  oder  a,s  fertiKer  Zustand  beobachtet 
raen  Bisher  sahen  mit  Ausnahme  Alexanders,  der  bei  einem 

^  Autoren  Fh  Ie  lediglicTb  die  Reichen  einer  reinen  Atrophie  fand, 
den  Rmhi  ü(C  r  z  ° g.  Brock  u.  a.),  vor  allem  auf  Grund  der 
rnn.lbMhiUI?g^n  N,a  g  ?  r  s  von  Taubheit  bei  Cholesteatom- 
L  g  cs  Mittelohrs,  die  Grundlage  dieser  Funktionsstörungen  in 

•erafi;ne  aUAenunaEnt^Ündlin?  im  Labvrinthe  mit  folgender  De- 
vveis  nnp  j?ucb  dar  Fa  A  1  e  x  a  n  d  e  r  wurde  nicht  als  Gegen- 
n  1  3™ntV, da  er  einen  abgelaufenen  Prozess  darstellte. 
ehL  iS  ,Frtage  systematisch  behandelt  und  23  Fälle  mit 
hlpM«  apg,flaafr-ne,n  Veränderungen  untersucht,  worunter  sich 
en,e  FaIle  befinden.  Er  konnte  feststellen:  1.  Es  können  Ent- 
lüungen  de-  verschiedensten  Art  (akute  seröse  und  eitrige,  chro- 
rProoGr°-e  U,nd  edrige)  im  Labyrinthe  bestehen,  ohne  dass  De- 
"  m  ,?  Nervenendapparaten  eintritt.  2.  Es  kann  Ent- 
i„  'r°,n  gleicher  Art  und  Dauer  bestehen  ohne  und  mit  De- 
>■  n  des  nervosen  Apparates  (korrespondierende  Degeneration 
Hnnal  e,enn.rap0n  entwickelt  sich  selbständig  neben  der  Ent- 
pratuL  )ie  Entzündung  im  Labyrinthe  vermag  auch  direkt  De- 
nspifiif60  nU  erzeuRen  durch  Druck,  Ernährungsstörungen  etc. 
nsekutive  Degenerationen).  4.  Endlich  gibt  es  auch  reine  De¬ 


1759 


generationen  ohne  jede  Spur  von  Entzündung  im  Labyrinthe,  wie  ein 
^‘seber  Scharlachfall  mit  nekrotisierender  Otitis  media  beweist  Diese 
läutert  SSC  WCrden  an  zahIreichen  mikroskopischen  Projektionen  er- 

Oas  wechselvolle  Verhalten  erklärt  Zange  einerseits  aus  der 
\  erschietlencn  Empfindlichkeit  und  Reaktionsfähigkeit  der  beiden  Ge- 
websarten  im  Labyrinthe  (der  bindegewebigen  und  nervösen  Ele¬ 
mente!,  andererseits  aus  der  verschiedenen  Wirkung  der  einge- 
drungenen  Schädlichkeit,  je  nach  ihrer  Art  und  Menge  (Konzen¬ 
tration!.  Auf  Grund  der  Entzündungsexperimente  Blaus  ist  anzu- 
nenmen,  dass  die  einzelnen  Bakterienarten  nicht  nur  verschieden 
,W,!frkenV  s.onder»  vor  allem  auch  sich  Bakterien  und  Toxine  hierin 
unterscheiden.  Zange  sieht  die  oben  als  reine  und  die  als  korrespon- 
dierende  Degenerationen  bezeichneten  Zustände  als  Toxinwirkungen 
an.  Er  tut  das  abgesehen  von  dem  Fehlen  von  Bakterien  in  seinen 
"a  wrmthen  auch  in  Analogie  mit  ähnlichen  Veränderungen  im  Auge 
z.  H.  .reinen  Retinadegenerationen  in  unmittelbarer  Nachbarschaft 

men\XerzeugtZhat UnSSherde  dCr  Chorioidea’  wie  sie  S  t  o  c  k  experi- 

a  D‘eseu  Boststellungen  sind  wichtig  für  die  Beurteilung  der  Be¬ 
rn!’  i  ’k  abg+u  au^enen  Fällen.  Man  muss  in  der  Klinik  hinsichtlich  der 
m  Läbyrmthe  anzunehmenden  Veränderungen  mit  sämtlichen  der 
oben  erkannten  4  Möglichkeiten  rechnen.  Zange  hat  selbst  7  Fälle 
mit  abgelaufenen  Veränderungen  im  inneren  Ohre  bei  Cholestcatom- 
eiterungen  histologisch  untersucht  (Projektionen),  von  denen  aber  nur 
einer  ähnliche  Veränderungen,  wie  die  beiden  Nager  sehen  Fälle 
(Bindegewebs-  und  Knochenneubildung  im  Labyrinthinneren)  zeigt, 
pni  +end  m  d^n  ande,;e.n  6,  nur  Zeichen  von  Degeneration  der  Sinnes¬ 
endstellen  und  Atrophie  des  Ganglion  spirale  der  Basalwindung  zu 
sehen  war.  In  diesen  letzteren  Fällen  kann  es  sich  auf  Grund  der 
vorausgegangenen  Erörterungen  also  nur  um  eine  reine  Degeneration 
ohne  Entzündung  gehandelt  haben  oder  höchstens  um  korrespon¬ 
dierende  Degeneration,  bei  der  sich  eine  leichte,  aber  für  die  De- 
generation  unwesentliche  Entzündung  im  Labyrinthe  seinerzeit  wieder 
vollständig  zurückgebildet  hat. 

Diese  Feststellungen  sind  auch  von  praktischer  Bedeutung,  inso¬ 
fern,  als  man  bei  derartigen  Fällen  nicht  annehmen  darf,  dass  eine 
erneute  Labyrinthinfektion  weniger  gefährlich  sei,  weil  die  Räume 
fS-m  -rm*be^  Bindegewebe  und  Knochen  mehr  oder  weniger 
erfüllt  seien  und  so  das  Fortschreiten  der  Infektion  auf  die  Meningen 
behindert  oder  unmöglich  gemacht  würde.  Ein  Teil  dieser  Fälle 
wird  sich  vielmehr  in  dieser  Beziehung  genau  so  wie  ein  völlig 
normales  Labyrinth  verhalten. 

Herr  Schultz:  Neue  körperliche  Symptome  bei  Dementia 
praecox. 

..  ,  Vortr.  berichtet  kurz  über  seine  neueren  Resultate  der  körper- 
,!.ch®nf..UnfersucflunS  Dementia-praecox-Kranker.  Das  Blutbild 
lasst  für  Erstattacken,  chronische  Fälle,  Ausgangszustände  und  in 
Besserung  übergehende  Fälle  entsprechende  Veränderungen  der 
Leukozytenformel  erkennen.  Von  besonderer  Bedeutung  sind  Erv- 
throzytenvermehrung  im  Ohrläppchenblut  (kapilläre  Erythrostase, 
Schultz),  die  sich  in  der  Mehrzahl  der  frischen  Fälle,  bei  vielen 
chronischen,  namentlich  im  Verlauf  neuer  Schübe,  und  bei  vielen 
Endzuständen,  namentlich  katatoner  Form,  finden.  Diese  Befunde 
sind  neuerdings  von  verschiedenen  Seiten  bestätigt  worden  (G  old¬ 
st  e  i  n,  1 1 1  e  n). 

Die  Ab  derhaldenuntersuchungen,  die  Vortr  in  Chem¬ 
nitz  ausfuhrte,  Hessen  in  Uebereinstimmung  mit  den  Befunden  der 
Jenaer  Klinik  häufig  Abbau  von  Keimdrüsen,  Schilddrüse  und  ge¬ 
legentlich  Gehirn  erkennen.  Uteruswand  und  Uterusschleimhaut 
wurde  me  abgebaut.  Es  ist  bemerkenswert,  dass  der  kapillären 
Erythrostase  verwandte  Blutbilder  sich  gleichfalls  bei  Störungen  der 
inneren  Sekretion  der  Keimdrüsen  finden. 

Endlich  wurden  Untersuchungen  über  das  Vorkommen  von 
A  “  r  e  n  a  1  i  n  m  y  d  r  i  a  s  i  s  (Cords)  bei  über  150  Psychosen  ange¬ 
stellt.  Die  Adrenalinmydriasis  kann  positiv  sein  vor  allen  Dingen- 

L  Bei  pathologischer  Durchgängigkeit  der  Kornea. 

2.  Bei  Aufhebung  des  hemmenden  Einflusses,  den  das  Ganglion 
cervicale  suprenum  auf  den  Dilatator  iridis  ausübt  (Sympathikus- 
lahmung). 

3.  Bei  allgemeinen  Störungen  des  Sympathikotonus  (Vorderhirn¬ 
verletzungen,  Medullarverletzungen). 

4.  Bei  Störungen  der  inneren  Sekretion  (pankreaslose  Tiere,  Ba¬ 
sedow,  Diabetes,  Abdominalaffektionen  [?]). 

Dementsprechend  fand  sich  Adrenalinmydriasis  bei  den  verschie¬ 
densten  organischen  Hirnaffektionen  und  bei  Psychosen,  die  mit  Ba¬ 
sedow  oder  der  gl.  kompliziert  waren.  Bei  reinen  Fällen  von  manisch- 
depressivem  Irresein,  bei  Psychopathen,  Epileptikern  und  Normalen 
blieb  die  Adrenalininstillation  ohne  Einfluss.  Dagegen  zeigten  De- 
mentia-praecox-Knmke  in  der  Hälfte  der  Fälle  Adrenalinmydriasis 
massigen  bis  erheblichen  Grades,  ein  Fünftel  blieb  negativ  und  bei 
einern  weiteren  Fünftel  trat  eine  mässige  bis  deutliche  Verengerung 
der  Pupille  auf  Adrenalin  ein  (paradoxe  Adrenalinreak- 
*  n  ‘  .  Dieser  Befund  bietet  eine  interessante  Analogie  zu  den 
während  dieser  Untersuchung  mitgetcilten  Beobachtungen  von 
p  c."  ™  1  ä  t,  dass  nämlich  bei  Dementia-praecox-Kranken  die  physio¬ 
logische  Blutdruckerhöhung  nach  Adrenalininjektionen  ausbleibt  oder 
sogar  durch  eine  vorübergehende  Blutdrucksenkung  ersetzt  wird. 


1760 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  31. 


Medizinische  Gesellschaft  zu  Kiel. 

(Offizielles  Protokoll.) 


Sitzung  vom  18.  Juni  1914. 


Herr  Graf-  Neumünster  berichtet  über  5  Fälle  subkupitaler 
Sehenkelhalsbriichc,  bei  denen  er  1912  und  1913  Klfenbeinstifte  durch 
die  beiden  Bruchstücke  zu  treiben  versuchte.  .  , 

Die  Indikation  boten  1.  Bruche,  die  schon  wochenläng  erfolglos 
behandelt  waren  und  bei  denen  nach  dem  Röntgenbilde,  dem  klinischen 
Befunde  entweder  keine  oder  nur  eine  sehr  mangelhafte  Konsolidation 
eingetreten  war,  bei  denen  das  Bein  kaum  angesetzt,  geschweige  den 

belasset fWerd  bej  denen  nach  dem  Röntgenbilde  anzunehmen 

war,  dass  sie  entweder  gar  nicht  oder  nur  nach  sehr  langer  Zeit 

hUkVonUäiteren  Brüchen  wurde  einer  nach  13  Wochen,  der  andere 
nach  22  Wochen  genagelt.  Beide  sind  fest  geworden,  die  Beine 
sind  völlig  tragfähig,  die  beiden  Männer  heute  schmerzfrei  und  voll¬ 
ständig  arbeitsfähig,  obwohl  bei  dem  ersten  der  Nagel  unterhalb  des 
Kopfes  und  der  Pfanne  seinen  Halt  gefunden  hat. 

Von  den  frischen  Brüchen,  die  erst  nach  Resorption  des  ersten 
Blutergusses  und  ev.  Korrektur  der  primären  schlechten  Stellung 
im  Streckverband  durchschnittlich  2  Wochen  post  trauma  genagelt 
w  urden.  sind  alle  3  fest  geworden.  Rin  Bruch,  bei  dem  die  Möglich¬ 
keit  der  Rinheilung  vorliegt,  ist  anscheinend  knöchern  geheilt,  der 
einzige  von  alllen  fünf.  Die  Trägerin  des  verletzten  Bernes  ist  voll¬ 
ständig  arbeitsfähig.  Die  beiden  anderen,  eine  jetzt  76  jährige  Frau 
kann  trotz  des  festen  Beines  wegen  Altersgebrechlichkeit  nur  mit 
Hilfe  einer  Person,  eine  etwas  jüngere  Bauernfrau  kann  mit  Hute 
des  Stockes  Va  Stunde  über  Land  gut  gehen. 

Gesamtresultat:  3  völlig  arbeitsfähige,  2  beschrankt  arbeitsfähige 
Leute.  4  mal  fibröse  Heilung,  1  mal  knöcherne. 

G.  sieht  den  Hauptvorteil  der  Methode  darin,  dass  er  1.  die 
Leute  sehr  frühzeitig  aus  dem  Bette  nehmen  kann,  ohne  dass  die 
Bruchstücke  sich  verschieben,  2.  die  funktionelle  Belastung  des  Beines 
ohne  grosse  Sorge  frühzeitig  als  Heilfaktor  benützen  kann. 

Technik-  Rs  wird  mit  einem  6mm  dicken  Bohrer  vorgebohrt 
und  ein  7-8  mm  starker  Elfenbeinstift  durch  Hals  und  Kopf  ge¬ 
trieben  in  örtlicher  Betäubung.  Die  Kranken  kommen  spätestens 
M  Tage  später  auf  die  Beine.  Die  Belastung  erfolgt  vorsichtig. 

Diskussion:  Herr  Anschütz  und  Herr  Grat. 


Herr  G  ö  b  e  1 1  -  Kiel  bespricht  1.  die  Pathologie  der  akuten  Pan¬ 
kreasnekrose  und  die  verschiedenen  experimentellen  Arbeiten  über 
die  Rntstehung  der  akuten  Pankreasnekrose  (Hildebrand,  Upie, 
H  e  s's,  G  u  1  e  k  e,  P  o  1  y  a,  H.  S  e  y  d  e  1,  K  n  o  p  e  und  Na  tusu.a. 
Rr  charakterisiert  das  Krankheitsbild,  weist  auf  die  häufige  Kombi 
nation  von  Cholelithiasis  und  akuter  Pankreasnekrose  hm  und  zeigt 
im  besonderen  an  zwei  geheilten  Fällen,  dass  es  m°Khch  |st,  eine 
Frühdiagnose  zu  stellen,  und  an  der  Hand  einer  Statistik,  dass 
die  Frühoperation  innerhalb  der  ersten  24  Stunden  die  besten 
Resultate  gibt  (9  geheilt,  4  gestorben),  während  in  den  zweiten 
24  Stunden  das  Verhältnis  schon  2:3,  in  den  dritten  24  Stunden  gar 
?;8  ist.  —  Die  vorgestellten  Patienten  (60  und  78  Jahre)  wurden  in 
Lokalanästhesie  operiert;  bei  dem  60jährigen  fand  sich  beginnende 
Fettgewebsnekrose,  bei  dem  78  jährigen  ausgedehntere  Fettgewebs- 
nekrose  Der  Pankreasüberzug  wurde  geritzt,  die  Bursa  omentalis 
mit  Vioformgaze  tamponiert  und  drainiert.  W  o  h  1 g  e  m  u  t  h  sehe 
Diät  und  länger  durchgeführte  Tamponade  und  Drainage  sicherten 
vor  dem  Auftreten  einer  Pseudozyste  des  Pankreas. 

?  Diskussion:  Herren  Richter,  Lubarsch,  Anschutz. 

Herr  Graf  berichtet  über  2  operierte  Fälle,  eine  Gastwirtsfrau 
von  29  Jahren  und  einen  Reisenden  von  39  Jahren.  Beide  wurden 
im  Stadium  des  ausgebildeten  Ileus  operiert,  die  Frau  am  4.  l  äge 
der  Rrkrankung,  der  Mann  am  2.  Tage  Bemerkenswert  war,  dass 
letzterer  angab,  innerhalb  der  letzten  6  Wochen  bereits  2  gleiche 
Anfälle  erlitten  zu  haben.  Der  Mann  starb,  die  Frau  wurde  gesund. 
Beide  hatten  Gallensteine  und  führten  ein  unregelmassiges,  nicht 
alkoholarmes  Leben. 

Herr  Hoppe-Seyler. 


b)  eine  Frau,  die  an  Mamma  pendula  und  heftiger  Mastodynle 
litt  und  bei  welcher  beiderseits  durch  freie  Faszientrans¬ 
plantation  ein  an  der  II.  Rippe  befestigtes  Ligamentum 
suspensoriu  m  maminae  mit  kosmetisch  gutem  trfolg  ge¬ 
schaffen  wurde.  Die  Mastodynie  ist  völlig  verschwunden 

c)  einen  32  jährigen  Patienten,  bei  welchem  eine  4  Jahr  alte 
Luxatio  claviculae  retrosternalis  inveterata  durch  blutige  Reposition 
und  die  Retention  des  stcrnalen  Rndes  mittelst  zweier  die  Klavikula 
mit  dem  Sternum  und  der  I.  Rippe  verbindender  frei  transplantierter 
Faszienstreifen  erzwungen  wurde.  Operation  am  Resultat  bis  dahin 

au  g ^  M ä d c h en ,  bei  welchen  nach  Reposition  einer  Luxatio  coxae 
congenitalis  trotz  Beseitigung  der  Anteversion  mittels  Osteotomie 
nach  Schede  wieder  Reluxationen  aufgetreten  waren.  Rs  wurde 
blutig' reponiert,  das  Lig.  teres  aus  der  Gelenkpfanne  entfernt,  nach 
der  Reposition  und  Naht  der  Kapsel  aus  f  r  e  i  transplantierter 
Faszie  ein  von  der  Rminentia  ilei  pectinea  zum  1  rochanter  major 
ziehendes  breites  Band  geschaffen,  welches  nunmehr  forcierte  Aussen- 
rotation  verhindert.  (Demonstration.)  . 

Diskussion:  Herren  Brandes,  Gobell,  Anschutz. 


2  Herr  Göbell  demonstriert  eine  29jährige  Frau,  bei  welcher 
er  am  11.  Juli  1912  eine  echte  Pankreaszyste,  welche  mit  dem  Pan- 
kre'askopf  verwachsen  war,  entfernt  hatte.  Die  Zyste  war  gut  apfel¬ 
gross  ihr  Inhalt  war  schwarz  wie  Tusche,  die  mikroskopische  Unter¬ 
suchung  ergab,  dass  die  Zyste  innen  von  Zylinderepithel  mit  basal 
stehendem  Kern  ausgekleidet  war.  Die  Untersuchung  des  Zysten¬ 
inhalts  im  Physiologischen  Institut  ergab:  Inhalt  schwach  alkalisch, 
verdaut  kein  Riweiss,  kein  Fett,  verzuckert  Starke,  wie  jede  Korper- 

flüssigkeit.  Gallenfarbstoff  und  Gallensamen  fehlen 

Vortr  demonstriert  an  mikroskopischen  I  raparaten  den  Unter¬ 
schied  zwischen  echter  Pankreaszyste  und  Pseudozyste  des  Pankreas. 

Diskussion:  Herr  Lubarsch  bestätigt  die  Diagnose: 
Cystis  pancreatis  vera. 

3  Herr  Göbell  demonstriert:  a)  einen  5jährigen  Knaben  mit 
ischämischer  Kontraktur  und  Medianuslähmung  nach  Rxtensions- 
fraktur  des  linken  Humerus,  bei  welchem  die  N  e  u  r  o  l  y  s  l  s  durch 
freie  Fetttransplantation  zur  Umhüllung  des  aus  den 
Narben  oberhalb  der  RUenbeuge  freipräparierten  N.  medianus,  und 
f  re  i  e  Faszientransplantation  zum  Ersatz  der  geschrumpf¬ 
ten  Oberarmfaszie  einen  guten  Erfolg  am  Medianus  erzielt  hatte. 


Allgemeiner  ärztlicher  Verein  zu  Köln. 

(Bericht  des  Vereins.) 

Sitzung  vom  8.  Juni  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Strohe. 

Schriftführer :  Herr  Schickendantz. 

Herr  Fuchs  hält  einen  Vortrag  über  Psychosen  nach  Trauma. 


Sitzung  vom  22.  Juni  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Strohe. 

Schriftführer:  Herr  Eug.  Hopmann. 

Herr  Frangenheim:  1.  Doppelseitiges  Mammakarzinom 
(Röntgenkarzinom).  Die  Röntgenschwester  des  Burgerhospitals  be¬ 
kam  auf  dem  Boden  eines  Röntgenekzems  beider  Hände  zunächst 
Röntgenulzera,  später  Röntgenkarzinom.  1907  Amputation  des 
rechten  Daumens  und  einige  Monate  später  Exartikulation  der  Finger 
3—5  der  linken  Hand.  Ostern  1908  Amputation  des  linken  Vorder¬ 
armes.  Jetzt  seit  einigen  Tagen  harte  Knoten  in  beiden  Mammae, 
rechts  walnussgrosser  Tumor  oberhalb  der  Mammilla,  Haut  darüber 
verwachsen  und  leicht  eingezogen,  sonst  nicht  verändert,  links 
grosser  Tumor  im  oberen  äusseren  Quadranten  der  Mamma,  tiefe 
Einziehung  der  Mammilla;  keine  Hautveränderung.  Beide  Brus - 
drüsen  auf  dem  Pektoralis  noch  verschieblich.  In  beiden  Achsel¬ 
höhlen  harte,  vergrösserte  Drüsen.  Amputation  beider  Mammae  mit 
Ausräumung  der  Achselhöhlen  in  einer  Sitzung  _  Die  Mamma¬ 
karzinome,  die  wahrscheinlich  auf  den  chronischen  Reiz  der  Rontgen- 
strahlen  zurückzuführen  sind,  zeigen  histologisch  einen  ganz  ver¬ 
schiedenen  Bau.  Rechts  liegen  die  Karzinomzellen  in  grossen  Nestern 
und  Inseln  zusammen,  links  wächst  der  Tumor  in  kleinen  Zapfen  un 
Strängen.  In  der  Umgebung  der  Karzinomzellen  ausgedehnte,  klein¬ 
zellige  Infiltration.  Die  Drüsenmetastasen  zeigen  dasselbe  ver¬ 
schiedene  Bild  des  Tumorwachstums.  Beide  Tumoren  sind  auffallend 
zellreich.  Metastasen  in  anderen  Organen  sind  noch  nicht  nachzu- 


vv'  g  i  s  0  n  t 

2.  Kindskopfgrosse  Myelozele  in  der  Lumbalgegend.  Am  Tage 

der  Geburt  operiert.  Zunächst  reaktionsloser  Verlauf,  dann  Auftreten 
einer  Liquorfistel  in  der  Narbe.  Seit  14  Tagen  ist  die  Fistel  ge-j 
schlossen.  Täglich  zunehmender  Hydrozephalus.  r 

3.  Ausgedehnte,  angeborene  Lappenelefantiasis  der  linken  ue-i 
sichtshälfte  Mehrere  Keilexzisionen  aus  dem  sulzig-ödematosen 
Gewebe  erfolglos.  Unterfütterung  des  Krankheitsherdes  mit  einem 
freitransplantierten  Faszienlappen,  der  gleichzeitig  mit  2  Zipfeln  m 
die  Augenlider  geleitet  und  zur  Beseitigung  der  bestehenden  Ptost 
mit  dem  M.  temporalis  verankert  wird;  die  Ptose  ist  danach  beseitigt 
Der  Tumor  wächst  aber  schrankenlos  weiter.  Deshalb  radikale  Ent¬ 
fernung  des  ganzen  Herdes  und  Epidermistransplantation  auf  die  zu¬ 
vor  freitransplantierte  Faszie.  Seitdem  kein  Rezidiv. 

4.  Ausgedehnte  Darmresektion,  3,40  m,  bei  einem  Patienten,  der 
nach  einer  stumpfen  Bauchkontusion  vor  31/»  Jahren  Adhäsionen  de 
Dünndarmschlingen  untereinander  und  mit  dem  parietalen  Peritoneum 
bekam.  Mehrere  Laparotomien  mit  Lösung  der  Verwachsungen 
waren  erfolglos.  Wegen  dauernder  Schmerzen,  Ileuserscheinungen. 
hartnäckiger  Obstipation  Resektion  eines  grossen  Dünndarmkonvolu.es 
und  Seitenanastomose.  Die  Verwachsungen  beschränken  sich  au;  aas 
lleum  und  den  unteren  Teil  des  Jejunums.  Die  übrigen  Darmschlingen 

sind  frei.  ....  ....  .  .,ru, 

5.  Splenektomien:  1.  bei  perniziöser  Anämie.  Pat.  stirm 

nach  3  Wochen;  dauernde  Abnahme  des  Hämoglobingehaltes  des 
Blutes  und  der  Zahl  der  Erythrozyten.  2.  bei  perniziöser 
Anämie.  Pat.  lebt  noch  nach  4  Monaten.  Vorübergehende. 
Remissionen.  Prognose  aber  ungünstig.  3.  bei  hämolytischem 
Ikterus.  Enorm  grosse  Milz  (1100  g).  Pat.  bei  gutem  Allgemein¬ 
befinden  nach  einigen  Wochen  entlassen.  Weitere  Beobachtung  fehlt 
(paU  i _ 3  von  Herrn  Geheimrat  Hochhaus  -  Augustahospital  über¬ 

wiesen.)  4.  luetische  Cirrhose.  Ikterus.  Nach  Entfernung 
der  Milz  Ikterus  in  wenigen  Tagen  verschwunden.  Seit  4  Monaten 
dauerndes  Wohlbefinden. 


August  1914. 


Al j J EN CHENER  MEDIZINISCHE  W OCHENSCHRIFT 


:  flCrrn^  r  a  n  K  ?  h,e,i  m  ba,t  einen  Vortrag  über  die  röntgeno- 
£hr( nSr  d/er  MafEen?fkrankungeii  mit  Demonstration  zahl- 
u.her  Diapos  tive  (normaler  Magen,  Rose,  Atonie,  Ektasie  Stenose 
fusventncuü  et  pylori,  Karzinom).  Im  Anschluss  an  den  Vortrag 
rcen  eine  Anzahl  von  kallösen  Magengeschwüren  gezeigt,  die  durch 
lerresektion  gewonnen  wurden. 

Diskussion:  Herr  Moritz,  Herr  (j  r  ä  s  s  n  e  r. 


Medizinische  Gesellschaft  zu  Leipzig. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  23.  Juni  1014. 

Vorsitzender:  Herr  M  a  r  c  h  a  n  d. 

Schriftführer:  Herr  R  i  e  c  k  c. 

b^'rr  -«W*1  Dem°nstration  einer  Herzverletzung  (Herz- 
tuss),  mittels  freier  Muskelimplantation  günstig  beeinflusst.' 

Herr  P  ayr:  1  Demonstration  freier  knorpelartiger  und  knochen- 
!ger  Körper  In  der  Bursa  semimembranosa  des  Kniegelenks. 

Demonstration  eines  Ulcustumor  hoch  oben  an  der  kleinen 
i'vatur  des  Magens  (Sanduhrmagen). 

Ouerresektion  des  Magens  ergab  eine  spastische  Einschnürung 
lösem  üla,SU™3SKaÄ“ng  fischen 

LSvativ  ml!  VrfoIgTehaVdc"”"  e'ner  sch'vere"  Hs"dverletrung, 

irn!m.Kolonli"'lcl"  "  demonslrlerl  elnen  Patienten  mit  einer  Magen- 

Pat.  ist  wegen  Ulcus  duodeni  vor  4  Jahren  in  Prag  operiert 
wurde  damals  eine  Oastroenterostornia  posterior  ohne  Pylorus 

i'ihfeTt,eSt'ÄK/2  Jahre  Iang  völliges  Wohlbefinden.  Seit 
n  halben  Jahre  Abmagerung  um  40  Pfund,  Schwäche,  keine 

iei?  BlSC,hweurdeü’  T  fstarkes  Kollern  im  aufgetriebenen  Leibe 
Inechendi es  Aufstossen.  das  zum  ersten  Male  vor  %>  Jahre 

'St’-a  s  Pat'  Slcb  mit  dem  Bauche  beim  Ueberlegen  eines 
nsm.ss.onsr.emcns  gegen  eine  feste  Unterlage  gegenlehnte. 

pi  a  ^  F  . rke, „Abmagerung,  Kolonmeteorismus,  lautes  Kollern 
eibe,  aber  keine  Darmstedungen.  Kein  Tumor  palpabel.  In  der 
lk  mehrfach  fakulentes  Erbrechen  von  der  gleichen  Beschaffen¬ 
es  derMSaUer-'ub,  riecbende  und  auch  sauer  reagierende  Kot 

■  te.  Im  Mageninhalt  nach  Probefrühstück  reichlich  freie  Salz¬ 
ig  etwas  hyperazide  Werte.  Im  Stuhl  kein  okkultes  Blut. 

,i0?MtSenU  "t  e  r  s  u  c  h  u  n  g :  Nach  Bismutbrei  per  os  füllt 

•  der  Magen  und  sofort  ein  Teil  der  Dünndärme  durch  die  Gastro- 
irostonue,  ausserdem  aber  auch  gleichzeitig  ein  Teil  des  Colon 

•  ^  v  ci  oii  in. 

Nach  Einlauf  werden  sofort  ausser  dem  Kolon  der  Magen  und 
1  e  Dunndarmschlingen  gefüllt. 

Gleich  darauf  Erbrechen  bismuthaltiger  Massen. 

m  snfn°rtW£?  Me  th-VlenbIaulösung  ein  Teil  der- 

Ä  i,!  fh  dl.e  s?hlundsonde  aus  dem  Magen  entleert. 

-s  besteht  also  eine  Kommunikation  zwischen  Magen  und  Dick- 

lrendpif d tp' direkt  °der  du':ch  ei.ne  Fistel  zwischen  Kolon  und  der 

cn  eng0  benachbarten  "Ifelia1"  Qas,roenterost»ml=  =>"  einer  dem 

OiLT«?  die,  ^ verschiedenen  Möglichkeiten,  die  zu  einer  Magen- 

■  Kolol  fnprfn  •k0nna11’  bMSpr0C,hen-  Die  häufigsten  Ursachen,  in 
Kolon  perforierendes  Magenkarzinom,  sodann  in  den  Masren 

frierendes  Dickdarmkarzinom,  werden  in  Rücksicht  auf  den 

md  daS  Fehlen  okkulten  Blutes  im  Stuhle  für  un- 

!rt;n!S1(Sk!&,M,^eisfse,n“sserosse 

;;  nnm|»piK?  i  Emmundung  in  den  Magen  selbst  oder  in 

igebrochenbktI!,nda?e  m  daS  v°rgelagerte  Colon  transversum 
\  eeführt  v  uU  -ln -r  M  a  g  e  n  -  J  e  j  u  n  u  m  -  K  0  1  0  11  - 

geführt  hat,  ähnlich  wie  in  dem  von  Reitzenstein  und 
t  beschriebenen  Falle  (Grenzgebiete  Bd.  17).  Die  starke  Ab- 
fUng  ist  durch  den  Ausfall  eines  Teiles  der  Dünndarmverdauung 

^at.  wird  der  Chirurg.  Klinik  zur  Operation  überwiesen. 

1  AssUm  Ü  LVV  nHerr  P  a.yur  •  be?lcrkt  zu  dcn  Ausführungen 
sicherem  dL  -dauS  CSj  ”Ich  indem  vorliegenden  Falle  wohl 
M  r TL  d  sekundären  Durchbruch  eines  Ulcus 

‘  t  ü  vnn'n-  das,0uerkolon  händle,  dass  also  ein 
loben  epin  mTicc  D  n"  r, kd  3  r  m  zwlschen  Magen  und  Kolon  ein- 

«Sz  erhSh  <P'P  0perat!on  derartiger  Fälle  bedingt  nicht 
,  penucum  fei  n  n  Schw'engke.ten.  Die  Spontanperforation  des 
:iru  3  11  Gastroenterostomien  in  benachbarte  Darm- 
1  eine  *  ausgedehpt®  Adhäsionen.  Gelegentlich  findet 

e  mitmSrp  p  'S*  (jrapulat]onsgewebe  ausgekleidete  Höhle, 
öehchkSft  Da!imschl'nKe,n  kommuniziert.  Man  müsse  mit 
SrmanSp  h  ’  die  ,n  dep  krapkhaften  Prozess  einbezogenen 
Rasse  sieh  ! ,res«z,er*n-  Der  Defekt  in  der  Wand  des  Quer- 
falis  .ine  knf.r"  ode/  dlIr.ch-  dlC  Nabt  scbhessen  oder  erfordert 

‘Gastroenterostomie*  an  zu  tegen? '  ZUWeile"  ‘St  eS  notwendig’  eine 


_ _ 1761 

,m^h,CZHffl,chi,der  e\aklcn  radiologischen  Diagnose  des  Falles  be- 
Een saS7 BP|ay[  d1'  M^lichkeH.  mitleist  Kisenfüllung  des 
l.ii,  Blockierung  desselben  durch  den  Magendarm- 

-  Kolon  rr^^tllLf  LDbi™SmSChal,S,S°k 

hä!f(eHu„d  Hmhfhaltf  H:  ^  V0"  I3lastomykose  der  lblken  Skrotal- 

schmerzhaftin^Shl!*  ^eit  .ca>  3  Mpnaten-  mit  kleinen,  leicht  druck- 
m-ihlinh  o  f  m  KHotchen  im  distalen  Funikulusbercich  beginnend,  all- 

un I tzt 1  enCbpins°1den’,  Hod,en. l,nd  unt,e/en  Skrotalpol  übergreifend 
Abtuesse  ter  in  fpf  iTC  Z7ld  Ln  ca‘  ^  Walnussausdehnung.  Im 
bestandteilen  niJ  ö  1S!Cr  .Menge  Blastomyzeten  neben  Eiter- 
fetzenmn/pf  n.  P  fngeA^gten  Ausssaaten  mit  nekrotischem  Gewebs- 
kuftS?  an  S  Bil t  er-  Absz®ssböb,e  auf  Maltoseagar  gingen  in  Rein- 
gärung.an"  Bierwürze  ebenfalls  Wachstum  unter  spärlicher  Ver- 

traktI?pMI}J>IcSi}fr  mitgetci,Iteri  Blastomykosefällen  ist  der  Urogenital- 
rakt  relativ  selten  erkrankt,  und  es  waren  dies  Fälle  in  denen  eine 
Disseminierung  der  Blastomykose  bestand 

erkrankt^Fs^fwfi1!^1  is*  ,IJu.r  linke  Skrotalhälfte  und  ihr  Inhalt 
kommen  de^  lifpkSan  vie'le,cbt  gerechtfertigt,  sich  das  Zustande- 

vom stellen  (iang  und  Gäben  bei  der  Gonorrhöe 

uizusienen.  r.s  wurde  sich  somit  um  eine  Geschlechtsknnktipii 

^  Diesp  Möglichkeit  und  Wahrscheinlichkeit  hat  auch  vieles 
für  sich,  zumal  es  verschiedentlich  gelungen  ist  aus  dem  VaSSsS 
sekret  resp.  aus  dem  Zervikalfluor  Hefen  zu  isoliercn  Das  m^ 
durch  die  weitere  Untersuchung  noch  eruiert  werden 

tW  K  r  „  fl  D^?n-ftrati0ü  eines  Falles  von  Llche"  mber. 
Husten!  K  Mitteilung  über  die  Erreger  von  Schnupfen  und 

(Erschien  als  Originalartikel  in  der  M.m.W.) 

Sitzung  vom  7.  Juli  1914. 

Vorsitzender:  Her  M  a  r  c  h  a  n  d. 

Schriftführer:  Herr  R  i  e  c  k  e. 

änderung.  Quense,:  U  Stirnhirnverletzung  mit  Charakter ver- 

„.„Ä  bpj.  denen  sich  infolge  einer  lokalen  Gehirnerkrankung 
psychische  Storungen  einstellen,  sind  nicht  ganz  selten.  Am  häufic- 

mofeninds!pSl!Ch  wirkbcbe  Veränderungen  der  Persönlichkeit  bei  Tu- 
moren.  Sie  kommen  'bei  ganz  verschiedenem  Sitz  derselben  vor  die 

wppvI6  Alebrzabl  ab^r  betreffen  Stirnhirnerkrankungen.  Tumoren  er- 
ecken  immer  den  Verdacht,  es  könnten  die  fraglichen  Erscheinungen 
Folge  der  Allgemeinwirkung  des  Tumors  sein  Auch  Erweichungs! 
und  Blutungsherde  begegnen  dem  Einwand,  es  lägen  ausgebreitete 
Gefassveranderungen  und  Zirkulationsstörungen  vor.  Blonde  f 
wertvoH  sind  daher  die  seltenen  Fälle  infolge  von  traumatischer 
Gehirnzerstorung.  Am  bekanntesten  sind  die  Fälle  von  H  a  r  1  0  w 
6nit  Epilepsie  bei  Stirnhirnverletzung)  und  von  Welt  (doppelseitige 
Verletzung  des  Stirnhirns).  Es  gibt  zahlreiche  in  bezug  auf  erheb 

St Fä,le  vo"  s,irnhlr'”'er- 

z‘ ,Z‘  29'A  Jabre  aIter  Bergmann,  Vater  Potator,  sonst  nicht 

Veru  ückhtneambe24ervnrST/te  FAnampes?r  ™mer  gesund  gewesen. 
QiA"g  CK  A,T  VIIb  12‘  Er  Iief  mit  aller  Wucht  gegen  eine 

Sicherung  zum  Abfangen  von  Förderwagen,  d.  h.  einen  schräg  von 
der  Firste  gegen  seine  Wegrichtung  herabhängende,  unten  geschärfte 
Eisenstange  und  blieb  stöhnend,  mit  getrübtem  B^Ssfseln liegen 

wurde“  E?  haafsSfÄffIaZaret,t  ZUu  Ea"  W0  folwndes'konstaSert 

\\mae.  er  hat  sich  die  Sicherung  durch  die  nasale  Hälfte  des  linkpn 
Auges  eingestossen.  Neben  dem  Auge  drang  Gehirnmasse  hervor" 
Jw  Glaskörper  war  durch  Blutmassen  undurchsichtig,  die  Umgebung 
oes  Auges  prall  geschwollen  und  pulsierend.  K.  reagie  teToch  auf 
Anruf  und  erkannte  mit  dem  rechten  Auge  die  in  1  m  AbstaSd  v 
gehaltenen  Finger,  Puls  56,  zunehmende  Besinnungslosigkeit  Daher 
Unterbindung  der  linken  Carotis  communis,  Anlegung  einer  Treoana 
bonsoffnung  an  der  linken  Schläfenseite.  Eröffnung  der  Dura  nfe 

mS  a”s^  d«  ■nSk'hpüu  6?S  S,0SSWeise  ««vorquellen  von' Hirn- 

Kopf-  und  Hfllsverband  ab,  doch  bellt™  d“’ sÄ 
des  linken  Auges  musste  wegen  Eiterung  durch  Exzentration  ent 
fernt  werden.  Allmählich  Wiederkehr  des  Bewusstseins  *c  wund 
der  Kopfschmerzen.  Nach  4  Wochen  lief  K.  herum  gab  'kla!eA 

nechts"'  ÄS  Namen.  Weitere  Abnahme  d es "slh vermögt 
t  '  t1'5  Pes ‘anden  Blutungen  im  Auveninnern  Vom  11  IX  -th 

beschäftlct  «K  ri™riib«>!'h«'d  vou  Fürdorwattä 

strengste  Schonung  angeordn«  würde  VOr  aul!c"ärzllic"«  Seite 

sei,  November  Ä  SS? 

schlafe  schlecht,  nachts  belästige  er  seine  Frau  mit  vielen  Prangen 
die  sie  alle  prompt  beantworten  müsse,  sonst  würde  er  aufgeregt  Fr 
bedrohe  sein  Kind  mit  dem  Messer.  In  einer  Kammer  für  „,„h 
er  auch  nicht  schlafen,  da  er  sehr  aafwwt  ™  C''  " 

n  kK‘i,iVUrdc  daher  zuerst  vom  18.  XII.  12  bis  17.  II.  n  zur 
Beobachtung  und  Behandlung  überwiesen. 


1762 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT^ 


Nr.  31. 


Seine  Anamnese  ist  völlie  belanglos,  ausser  dass  sem  J.a‘er ,ge 
trunken  hat.  Er  selbst  trank  dagegen  nur  wenig.  Beschwerden 
äusserte  er  überhaupt  nicht,  nur  habe  er  beim  langen  Sitzen  Kreuz 

schmerzen-rau  ^  an;  Vor  dcm  Unfall  hdbe  ihr  Mann  fleissig 
gearbeitet  seinen  Acker  bebaut,  gern  mit  den  Kindern  gespielt,  etwas 
erregbar  sei  er  allerdings  auch  früher  gewesen.  Schon  im  Kranken¬ 
haus  habe  er  sich  nach  dem  Unfall  verändert,  sich  aufgeregt  bt- 
nommen  sei  unstet  umhergelaufen  Zu  Hause  habe  er  sich  dann  schon 

um  7  Uhr  abends  zu  Bett  gelegt  um  lü  Uhr “e^KJankhe”2^- 
eanz  belanglose  Sachen,  sprach  immer  von  seiner  Krankheit.  Atu 
wortete  sie  nicht,  so  wollte  er  sie  gleich  an  die  Wand  werfen  Er 
wurde  gewalttätig,  drohte  öfter  mit  Schlachten,  stiess  sie  mit  der 
Faust  in  den  Rücken,  wurde  brutal  gegen  sie  und  die  Kinder,  wahrend 
sie  zuvor  in  3  jähriger  Ehe  nur  einmal  eine  Ohrfeige  von  ihm  be¬ 
kommen  habe.  'Hörte  er  einmal  ein  Kind  sehr  eien,  oder  Jefen  «e 
hprnm  so  wurde  er  erregt,  warf  mit  einem  1  eller  nacn  seinem 
jüngsten' Kinde,  warf  in  einem  Wutanfall  die  brennende  Petroleum- 

’amPK  iniSstZdnmkräftiger,  überaus  gesund  und  blühend  aussehender 
Mann.  Unter  dem  linken  Auge  besteht  eine  ca.  3  cm  la«ee,  re'zlos 
l  Infallnarbe  Das  linke  Auge  fehlt,  er  tragt  Glasauge,  n  der  linken 
Schläfengrube  findet  sich  eine  halbkreisförmige,  nach  oben  konvexe 
Narbe  von  der  Trepanation.  Sie  ist  teilweise  mit  Unterlage 
wachsen,  wölbt  sich  bei  Husten  und  Pressen  vor  und  ist  hinten  k  cht 
druckempfindlich.  Das  rechte  Auge  zeigt  (Prof. .  Dr .  B  u  n g  e)  kolos 
sale  Blutungen  und  Degenerationsherde  der  Netzhaut,  Visus  anlang, 
fast  ü  z  Z.  4/12,  diskontinuierliches  Gesichtsfeld. 

Der  Geruch  fehlt  völlig,  Ammoniak  wird  wahrgenommen. 

Die  linke  Stirnhälfte  wird  nicht  gerunzelt,  der  Augenschluss  er¬ 
folgt  schwächer. 

Zähne  defekt,  Tonsillen  vergrossert.  . ,  .SllH 

Am  vorderen  Rande  des  linken  Sternokleidomastoideus  verlauft 

die  9  cm  lange,  reizlose  Unterbindungsnarbe.  , 

Innere  Organe  o.  B.  Blutdruck  155  mm  Quecksilber  Hg  nach 
Riva  Rocci.  Linker  Bindehautreflex  abgeschwacht,  Kniescheiben 
sehnenreflexe  etwas  gesteigert,  somatischer  Befund  sonst  völlig  n  >  - 
mal  Es  besteht  keine  Spur  einer  Sprachstörung. 

Psychisch  verhielt  sich  Patient  in  der  Anstalt  im  Ganzen  ruhig 
und  geordnet.  Eine  genaue  Prüfung  der  Intelligenz  ergab  keinerlei 
Störung  auch  Aufmerksamkeitsleistung,  Merkfähigkeit  sind  völlig 
nonn™  er  ermüdet  nicht  besonders  schnell  Er  klagte  nur  über  seine 
Augen  und  Kreuzschmerzen.  Sein  Appetit  war  ausgezeichnet,  e 
klagte  höchstens,  er  werde  überhaupt  nicht  satt,  obschon  er  an  e- 
wicht  noch  zunahm.  Allmählich  wurde  er  aber  mürrisch  und  reizbar, 
schimpfte,  drängte  nach  Hause  und  musste  auf  sein  Drangen  schliess¬ 
lich  entlassen  werden.  Nachträglich  stellte  sich  noch  heraus,  dass 
er  sich  von  einem  Mitpatienten  10  M.  hatte  geben  lassen  und  diese 
unterschlagen  hatte,  wofür  er  gerichtlich  bestraft  wurde.  Wir  sind 

nicht  befragt  worden.  .  .  .  .  Friiupr 

Zu  Hause  fing  er  nun  ein  ziemlich  unsinniges  Leben  an.  Fn uher 

solide,  lief  er  in  alle  Wirtshäuser,  verbrauchte  seine  Rente,  liess .die 
Familie  hungern,  machte  Schulden  und  verschleuderte  das  Geld  i 
sinnloser  Weise,  versetzte  seine  Uhr,  um  sich  für  teures  Geld  ein 
neue  zu  kaufen.  Er  stahl  seiner  Frau  das  Geld,  wurde  lugenhalt, 
prügelte  seine  Schwester,  so  dass  sie  ärztliche  Hilfe  in  Anspruch 
nehmen  musste  und  ihn  anzeigte.  Schon  wenn  er  wemg  trank  wurde 
er  erregbar,  bekam  Schlägereien.  Er  war  sexuell  sehr  erregbar, 
eifersüchtig,  seine  Frau  halte  es  mit  dem  Pfarrer  und  dem  Nacht¬ 
wächter,  er  beschimpfte  sie  vor  Fremden  und  seinen  Kindern  in  den 
gemeinsten  Ausdrücken,  benahm  sich  Tag  und  Nacht  so  unanständig, 
dass  ihm  die  Wohnung  gekündigt  wurde.  Seine  geschlechtlichen 
Ansprüche,  vorher  in  normalen  Grenzen,  stiegen  dermassen,  dass 
Frau  nicht  mehr  mit  ihm  in  einem  Zimmer  schlafen  wollte.  War 
ihm  nicht  zu  Willen,  so  wurde  er  brutal.  Beim  Koitus  biss  er  sie 
in  die  Kehle  und  ins  Gesicht.  Er  benahm  sich  fest .  ^ndlsch’ jjhneb 
auf  einen  Zettel,  alle  Hausbewohner  hatten  einen  Kl«»-  Er  ging  mit 
aufs  Feld,  spielte  aber  dort  nur  mit  semer  Kartoffelhacke  Solda 
Wegen  seines  Benehmens  kam  er  vom  3. — 27.  September  uu 
in  die  Landesheilanstalt  P.  Nach  der  mir  freundhehst  übersandten 
Krankengeschichte  habe  er  in  letzter  Zeit  auch  noch  verworrenes 
Zeug  geredet,  sehr  unruhig  geschlafen  und  sehr  laut  geträumt.  Er 
klagte  dort  etwas  über  Kopfschmerzen,  gab  zu,  dass  er 
verbraucht  habe,  vergesslich  sei  und  sich  leicht  aufrege  Schwierige 
Aufgaben  rechnete  er  etwas  mangelhaft,  verhielt  sich  seinen  Lei¬ 
stungen  gegenüber  wenig  kritisch.  Im  übrigen  war  er  durchaus  klar, 
geordnet,  ohne  gröbere  Defekte  oder  manifeste  psychische  Erschei¬ 
nungen.  Anfangs  stumpf  und  gleichgültig,  zumal  gegenüber  dem  Er¬ 
gehen  seiner  Angehörigen,  querulierte  er  später  ständig  um  seine 
Entlassung  und  wurde  schliesslich  auf  seinen  Wunsch  beurlaubt. 

Vom  9— 15  X.  1913  war  er  in  Bergmannswohl  zur  Beobachtung. 
Er  war  hier  grosssprecherisch,  reizbar,  benahm  sich  sehr  ungebühr¬ 
lich  und  ausfallend.  .  „  ,,  .  . . 

Zu  Hause  hielt  er  bei  keiner  Tätigkeit  aus,  fing  aller  Augenblicke 

etwas  anderes  an.  führte  aber  nichts  zu  Ende.  Wegen  seiner  Reizbar¬ 
keit  geht  ihm  jedermann  aus  dem  Wege.  Er  kaufte  sich  einen  Genick¬ 
fänger.  soll  auch  andere  mit  einem  Revolver  angeblich  bedroht  haben, 
so  dass  er  vom  1.  XI.  bis  24.  XII.  1913  nochmals  in  die  Landeshellanstalt 
gebracht  wurde.  Anfangs  war  er  etwas  erregbar,  aber  völlig  ge¬ 
ordnet,  später  ruhig,  vorübergehend  benahm  er  sich  auch  dort  unge¬ 


bührlich  schimpfte  über  das  Essen,  über  seine  Zurückhaltung,  konnte 
aber  schliesslich  doch  wieder  nach  Hause  entlassen  werden. 

Seither  ist  eine  gewisse  Besserung  in  seinem  Befinden  bemerk 
bar  Allerdings  muss  ihm  noch  in  allem  Recht  gegeben  werden,  sons 
wird  er  erregt.  Bedrohungen  sind  nicht  mehr  vorgekommen.  Da 
gegen  ist  er  nach  Aussage  der  Frau  gleichgültiger  geworden  Un 
seine  Kinder  kümmere  er  sich  im  Gegensatz  zu  früher  überhaupt  mcl. 
mehr  Wahllos  erzähle  er  auch  Fremden  alle  intimen  Familienan 
gelegenheiten.  Sein  ganzer  Wunsch  sei,  Geld  zu  Reisen  zu  be 
kommen.  Er  borge  wo  er  könne,  stehle  ihr  das  Geld.  Nach  der  En. 
lassung  aus  der  Anstalt  zeigte  er  seiner  Frau  eine  gefälschte  Auf 
forderung  nach  Berlin  in  eine  Klinik  zu  kommen.  Mit  dem  <  iclde  be 
suchte  er  einen  Bekannten  in  Hclmstädt.  Vor  1  fingsten  14  fuhr  e 
nach  Westfalen,  angeblich  um  sich  Arbeit  zu  suchen,  versetzte  abe 
nur  seine  Sachen  und  kam  ohne  Mittel  zuruck.  Am  1.  VII.  wo  lle  e 
nach  Pommern,  dann  komme  er  nicht  wieder.  Er  fange  allerlei  at 
ohne  cs  auszuführen.  So  übernahm  er  eine  Versicherungsagent!., 
versichert^*  viele  Leute  gegen  ihren  Willen,  so  dass  ein  Prozess  em 
stand  und  die  Frau  für  Kosten  aufkommen  musste.  Er  erzählte  e 
sei  Aufseher  in  einer  Obstplantage  und  müsse  mehrere  Tage  fort 
bleiben,  kam  aber  schon  am  gleichen  Abend  wieder  zuruck  Ge 
^chlechtlich  sei  er  noch  immer  anspruchsvoller  als  vor  dem  Ln.a. 
aber  nicht  mehr  in  so  exzessiver  Weise. 

Bei  seiner  jetzigen  Beobachtung  vom  2.  8.  Juli  1  '4  me. et  e 
somatisch  einen  nach  jeder  Richtung  normalen  Befund.  Die  Narbe 
sind  nicht  mehr  empfindlich,  die  Sehschärfe  rechts  ist  auf  mo  st 
stiegen.  Das  Körpergewicht  ist  von  72,0  auf  68,0  Tg  gesunken. 

Er  ist  diesmal  im  ganzen  ruhiger,  klar  und  geordnet.  Eine  eu 
gehende  Prüfung  ergibt  intellektuell  keinerlei  Ausfallserscheinunge 
Seine  Schulkenntnisse  und  Lebenserfahrungen  beherrscht  er  sehr  su 
er  rechnet  mit  einfachen  und  eingekleideten  Aufgaben  so  gut  als  tu., 
das  erwarten  kann.  Begriffsbildung  und  Urteil  sind  so  nicht  gestoi 
die  Merkfähigkeit  ist  ausgezeichnet.  Einen  Ebbinghaus  seht 
Text  ergänzt  er  tadellos,  gibt  kleine  Erzählungen  geschickt  und  sich« 
wieder.  Seinen  Lebenslauf  schreibt  er  richtig  fliessend [nieder.  Dt 
Schluss  gebe  ich  hier:  „Seit  meinem  Unglückstage  am  24.  August  19 
treibe  ich  mich  immer  in  Krankenhäusern  und  Anstalten  henn 
hoffentlich  hat  das  Jammerleben  bald  em  gutes  Ende  Depnme 
ist  er  keineswegs,  im  Gegenteil  sorglos  vergnügt.  Er  beweg,  st 
in  Kraftausdrücken,  er  wünsche  noch  heute  Entlassung,  „sonst  wackt 
die  Wand“.  Er  berichtet  strahlend,  30—40  §las,  Bier  könne  er  s 
vertragen,  obschon  er  jetzt  wenig  trinkt.  Er  habe  bestimmt 
Obstplantage  und  wolle  für  300  M.  Pacht  1000  M  verdienen  se 
Frau  verleugne  es  bloss,  damit  man  die  Rente  n>chtkurze. 
wohl  noch  einmal  Kopfschmerzen,  fühle  sich  schlapp,  habe  Um. 
stechen.  Früh  könne  er  nicht  erwarten,  dass  es  Tag  werde, 
schlafe  schlecht.  Auch  reizbar  sei  er  noch,  wenn  seine  Frau  nie 
beim  ersten  Male  gleich  nachgebe,  werde  er  kauderwelsch. 

2.  Linksseitiger  Kleinhirntumor. 

44  jähriger  Häuer,  früher  gesund,  erkrankt  am .  27.  Januar 
mit  Zucken  in  der  linken  Gesichtshälfte,  in  den  Zahnen  Am  J. 
starke  Zuckungen,  Verziehung  der  Zunge  nach  links.  Beim  Schluck 
war  ihm.  als  sei  die  linke  Halsseite  verstopft.  Der  linke  Arm  u 
4  Tage  taub  und  gefühllos. 

Seither  immer  Kopfschmerzen,  hauptsächlich  links  im  Hinterkc 
häufig  Zucken  links  im  Gesicht,  Zusammenhacken  der  Zahne,  wo 
er  sich  in  den  ersten  Tagen  oft  auf  die  Zunge  gebissen  habe  N 
dem  Zucken  Schwindelgefühl,  gefallen  sei  er  me.  Anfangs  tiel  u 
das  Sprechen  schwer,  besonders  das  „r“. 

Der  Kopf  ist  nirgends  klopfempfindlich. 

Die  Pupillen  sind  gleich  und  normal.  ..  .  rn 

Angenbewegungen  frei  beim  Augenspiegeln,  Nystagmus  ro 

torius  sonst  nicht.  .  ,  , 

Ophthalmoskopisch  Venen  beiderseits  geful  .  Im  Laute  < 
Beobachtung  seit  1.  Mai  1914  scheint  sich  links  allmählich  btauur 

papille  auszubilden,  noch  unsicher.  ..  .  •  „ei 

Gesichtsfeld  für  Farben  links  konzentrisch  massig  eingeei 

rechts  weniger  (Prof.  Schwarz).  linj 

Linke  Lidspalte  enger,  krampfhaft  geschlossen.  Bl  nzeln, 
Mundwinkel  höher,  Nasolabialfalte  tiefer.  Tikartiges  Zucken  im  Uni 
F  azialis 

Linker  Gaumenbogen  höher. 

Zunge  meist  nach  links  herausgestreckt. 

Lähmungen,  Sensibilitätsstörungen,  auch  solche  der,Vc.n' 
empfindung.  Reflexstörungen  fehlen.  Bindehautreflexe  beiders 

normal,  auch  in  Seitenlage.  ,  ,  ...  .  dj 

Bei  Romberg  fällt  Pat.  sofort  nach  links  und  hinten,  Dj 
Gehen  weicht  er  nach  links  von  der  Geraden  ab,  noch  ausgesproem 

bei  Schluss  der  Augen.  ,  .  ict  ,. 

Adiadochokinesis  fehlt.  Eine  Ataxie  des  linken  Armes 
Fanden,  er  fährt  an  Nase  etc.  links  vorbei,  zeitweise  besteht  ein  * 
schüttelndes  Zittern  des  linken  Armes  mehr  als  des  reenten  | 

Bewegungsintention.  Artn-,i 

Beim  Zeigeversuch  starkes  Vorbeizeigen  des  linken  Arm«, 
allen  Gelenken  nach  aussen,  in  den  distalen  Gelenken  fast  noen  < 
gesprochener.  Auch  Kopf  und  Rumpf,  etwas  weniger  das  hnKe  i 
in  Hiift-  und  Fussgelenk  zeigen  nach  links  vorbei.  Der  reeni 
bietet  ein  geringes  Vorbeizeigen  nach  innen.  ,  j 

Das  Ergebnis  der  Gehörsprüfung  und  der  Ohrbefund  sina  n 
(Dr.  K  ü  s  t  n  e  r). 


4.  August  1914. 


MUENCHKNER  MEDIZINISCHE  WQCHENSCH RIFT. 


Galvanische  Prüfung  des  Vestibularis  löst  schon  bei  0,5  MA. 
hochgradigen  Schwindel  aus  mit  Fallrichtung  nach  links.  Auch  Dreh¬ 
stuhlprüfung  ist  deshalb  nicht  ausführbar 

Ausspritzen  mit  20  0  C  ergibt  rechts  normalen  Nystagmus,  be¬ 
sonders  beim  Blick  nach  links.  Vorbeizeigen  des  rechten  Armes  nach 
rechts.  Bei  Romberg  fällt  er  nach  hinten  und  etwas  nach  links. 
Links  bleiben  vorbeizeigen  und  Koniberg  wie  zuvor,  ein  echter 
Nystagmus  tritt  nicht  auf,  nur  sehr  klein-  und  schnellschlägiges  Zittern, 
besonders  beim  Blick  nach  rechts. 

Die  Röntgenaufnahme  des  Schädels  zeigt  keine  Erweiterung  der 
inken  Porus  acusticus  internus. 

*degen  e'nen  I  umor  im  Klcinhirnbriickenwinkel  spricht  das  Fehlen 
iller  Störungen  des  Gehörs.  Die  Erscheinungen  weisen  am  meisten 
un  auf  die  untere  Fläche  der  linken  Kleinhirnhemisphäre.  Wasser- 
nann  im  Blute  war  negativ,  eine  Inunktionskur  ohne  jeden  Einfluss. 
Operation  ist  dem  Kranken  vorgeschlagen,  bisher  aber  noch  abgelehnt. 

Diskussion:  Herr  Klien:  Auch  bei  traumatischen  Fällen 
>t  es  durchaus  nicht  so  leicht,  den  ursächlichen  Zusammenhang 
'wischen  einem  Verlust  von  Hirnsubstanz  und  einer  nachfolgenden 
sjehose  festzustellen  Psychosen  kommen  auch  nach  schweren 
jehirnerschütterungen  ohne  Zerstörungen  von  Hirnsubstanz  vor. 
nd  zwar  können  sie  zu  ganz  genau  den  gleichen  Symptomen  führen 
ne  sie  der  vorliegende  Fall  bietet:  zu  affektiver  Uebererregbarkeit, 
Vitzelsucht,  Wahnideen,  Verwirrtheitszuständen.  In  schweren  Fällen 
ann  es  bis  zu  einem  der  Paralyse  ähnlichen  Krankheitsbilde,  zur 
ostkommotionellen  Pseudoparalyse  kommen.  Es  ist  daher  im  vor- 
egenden  Falle  nicht  so  ohne  weiteres  zu  entscheiden,  ob  die  Psychose 

uf  den  Ausfall  an  Hirnsubstanz  - —  wie  dies  der  Vortragende  will  _ - 

u  Te ziehen  ist  oder  auf  die  W'irkung  der  schweren  Gehirner- 
uhütterung.  W  ir  müssen  uns  deshalb  nach  Momenten  umsehen,  die 
ir  die  eine  oder  die  andere  Auffassung  zu  verwerten  sind.  Wäre  die 
sychose  durch  den  Verlust  an  Hirnsubstanz  bedingt,  so  hätte  sie 
rfenbar  sofort  nach  diesem  Verlust  auftreten  müssen  und  würde  sich 
leileicht  nach  und  nach  gebessert  haben,  wie  wir  dies  nach  Schlag- 
nfällen  sehen.  Im  vorliegenden  Falle  machten  sich  aber  die  psv- 
notischen  Erscheinungen  erst  mehrere  W  ochen  später 
eltend.  Auch  zeigte  die  Psychose  progressiven  Charakter: 
enn  der  jetzige  Zustand,  wie  ihn  der  Vortragende  demonstrieren 
onnte,  dürfte  in  einem  Krankenhause,  vor  allem  aber  in  einer  Irren- 
istalt  der  Beobachtung  doch  kaum  entgehen. 

Es  ist  daher  doch  wahrscheinlicher,  dass  es  sich  um  eine  post- 
jmmotionelle  Psychose  handelt,  zumal  sich  diese  oft  erst  nach 
ner  gewissen  Latenzzeit  entwickele. 

Herr  O  u  en  s  e  1  (Schlusswort):  Ich  halte  in  diesem  Falle  doch 
e  allgemeine  Schädigung  des  Gehirns  nicht  für  das  entscheidende 
üder  wie  die  vorliegenden,  ausschliessliche  Störungen  des  Charak- 
rs,  der  Besonnenheit  und  Selbstbeurteilung,  Steigerung  des  Trieb- 
bens  ohne  jede  intellektuelle  Störung,  ohne  Gedächtnis-  und  Merk- 
7i?edsdeIek^e  *n  der  k*er  vorliegenden  Weise  sind  mir  trotz  aus- 
uehntester  Erfahrung  nach  allgemeiner  Schädigung  durch  Commotio 
rebri  etc.  bei  vorher  Gesunden  kaum  vorgekommen.  Der  Beginn 
t  Veränderpng  reicht  in  die  erste  Krankheitszeit  zurück,  wenn  die 
orungen  erst  später  mehr  hervortraten,  so  ist  es  zu  bedenken,  dass 
il s,f.  Jn  oer  Anstalt  immer  wenig  bemerkbar  machten,  sondern  vor- 
nmhch  zu  Hause,  wo  er  sich  am  meisten  gehen  lässt.  Auch  war  er 
tangs  doch  schwer  krank.  Endlich  kann  man  nach  dem  Verlauf 
;ch  von  einer  gewissen  Besserung  wohl  sprechen. 

Herr  Payr:  Bericht  über  einen  operierten  Patienten  mit  einem 
1  rcngebrochenen  Ulcus  pepticum  jjejuni  (vergl.  Demonstration  des 
!;rrn  Ass  mann  in  der  letzten  Sitzung  vom  23.  VI.  14). 

Herr  H  ü  b  s  c  h  m  a  n  n:  Ueber  Influenza-Bronchiolitis  und  über 
I  luenza-Meningitis. 

Obwohl  der  Pfeiffersche  Influenzabazillus  noch  keine  ganz 
i bestrittene  Stellung  im  System  der  Bakterien  einnimmt  und  obwohl 
Rohe  als  ätiologischer  Faktor  bei  Influenzaepidemien  noch 
nt  voll  anerkannt  wird,  muss  man  ihn  doch  als  einen  pathogenen 
kroorganismus  betrachten  und  muss  den  Fällen  grosse  Aufmerk- 
nkeit  schenken,  bei  denen  an  seiner  ätiologischen  Bedeutung  nicht 

•  zweifeln  ist.  Man  kann  sich  dabei  zunächst  über  die  strittigen 
nkte  hinwegsetzen  und  kann  vor  allem  durch  hämoglobinophile 
zmen  hervorgerufene  Erkrankungen,  sei  es  nun,  ob  man  es  mit 
•i  eigentlichen  Influenzabazillen  Pfeiffers  oder  mit  den  von 

•  i  zuerst  als  Pseudoinfluenzabazillen  bezeichneten  zu  tun  hat,  unter 
inseiben  Gesichtswinkel  betrachten.  —  Pfeiffer  beschrieb  in 
ner  ersten  Veröffentlichung  über  dies  Thema  eine  bestimmte,  bei 
uenza  vorkommende  Lungenerkrankung.  Die  jetzt  im  Leipziger 

'“Ologischen  Institut  beobachteten  Fälle  sind  ganz  analoger  Natur. 

I.  33  jährige  Frau,  die  4  Wochen  krank  war  und  unter  schweren 

•  ’.generschemungen  und  hochgradiger  Dyspnoe  starb.  Die  Sektion 
i aD  “»er  .die  ganze  Lunge  verbreitete,  meist  deutlich  um  kleinste 
meinen  lokalisierte  miliare  Infiltrate:  alle  Bronchien  waren  mit 
igem  Exsudat  ganz  ausgefüllt.  Im  Eiter  der  kleinen  Bronchien 

ln  °  izu  m!>  osko,pisck  massenhaft  kleinste  Gram-negative  Stäb- 
1  •  Kulturell  werden  ausser  vereinzelten  hämolytischen  Strepto- 
en  nur  die  echten  Pfeiffer  sehen  Bazillen  nachgewiesen.  Auch 
nL1-0?  i?ISC”en  Schnitten  finden  sich  diese  Bazillen  reichlich  im 
'  c  uiisekret,  oft  intrazellulär.  In  solchen  Präparaten  sieht  man 
'seraem  eine  schwere  zellige  Infiltration  der  Wände  der  kleinsten 
c?!e"*  Cln  Debergreifen  der  entzündlichen  Veränderungen  auf  die 
cnioli  respiratorii  und  eine  pneumonische  Infiltration  der  an- 


1763 


schliessenden  Infundibula.  —  Man  kann  von  einer  Broncho- 
Pneumonia  miliaris  sprechen. 

.  2-  9  jähriger  Junge,  der  seit  2 — 3  Wochen  an  Masern  leidet, 

Heftig  hustet  und  ebenfalls  unter  schwerer  Dyspnoe  zugrunde  geht. 
]J!e  bektion  ergibt  ein  dem  vorigen  Fall  sehr  ähnliches  Bild,  so  dass 
sich  hier  eine  weitere  Beschreibung  erübrigt.  Im  Ausstrich  vom 
ronchitischen  Eiter  hier  ebenfalls  reichlich  Influenzabazillen,  die  sich 
auch  m  bchmtten  in  grosser  Menge  nachweisen  lassen.  Die  Kultur 
ergibt  hier  ebenfalls  ausser  vereinzelten  Pneumokokken  nur  hämo- 
g  ODinophile  Bazillen,  doch  zeigen  diese  nur  in  der  ersten  Impfung 
ausschliesslich  die  kleinen  Formen  der  echten  Influenzabazillen:  in 

vveiter  geimpften  Kulturen  treten  reichlich  Scheinfäden  und  andere 
Eormen  auf. 

Im  Anschluss  an  diese  beiden  Fälle  wird  3.  eiii  Fall  von  sogen. 

nnn rr  *7  "  LP  ä  * 1  s  P  m  1  ‘,7  r  a  n  s  d em ons tr i er t .  Die  ganze  Anord- 
ung  der  Herde  und  ihr  histologisches  Verhalten  legen  die  Annahme 
nahe,  dass  diese  Erkrankung  sehr  wahrscheinlich  aus  den  geschil¬ 
derten  analogen,  akuten  Bronchiolitiden  resp.  miliaren  Broncho¬ 
pneumonien  hervorgeht. 

(Diese  3  Fälle  werden  ausführlich  in  Zieglers  Beiträgen 
publiziert.) 

FallPvoü  ^{juenzameningitis  bei  einem  IX  jährigen 
schwpt-p1'  pitpS-  hanlde  1  slch  ,uin  eine  etwa  3  4  Wochen  bestehende 
hPi  w  g  ll  ge  Leptomenmgitis  cerebrospinalis.  Intra  vitam  und 
Pp;ni^mS  k  uWerden  Im  Fxsudat  hämoglobinophile  Bazillen  in 
neffJSJrh  nach,gew'e.seii-  Das  Exsudat  ist  zum  Teil  schon  etwas 
SCu  0  de".fris?heren  Eiteransammlungen  liegen  die  kleinen 
BaziUcn  sehr  reichlich  intrazellulär.  Ob  der  Meningitis  eine  Lungen¬ 
erkrankung  vorausging,  lässt  sich  nicht  feststellen.  Bei  der  Sektion 
werden  nur  leichtere  bronchopneumonische  Herde  und  in  diesen  nur 
Pneumokokken  gefunden.  Ausserdem  besteht  eine  doppelseitige  Otitis 
media;  in  dieser  finden  sich  neben  Kokken  vereinzelte  kleine  Gram- 

Prnfp^n  S£SC-hen-  •  (Per  Fal1  wird  auf  Veranlassung  von  Herrn 
Professor  Thiemich  von  Fräulein  Birch-Hirschfeld  in 
ihrer  Dissertation  veröffentlicht.)  mrscnieid  in 

wir  rnrhfdie  .Bewert“n*:  der  Falle  muss  zunächst  betont  werden,  dass 
Ä  es  Pfeiffer  zuerst  wollte,  einen  klaren  Unterschied 

St1ihpbPnk  h-M  Z71ScI?eIl  den  7hten’  auch  in  Kulturen  nur  kleinste 
Stäbchen  bildenden  Influenzabazillen  und  den  oft  lange  Fäden 

f,ndJ"™uloI!sfornien  bildenden  Pseudoinfluenzabazillen.  Für  die 
Identität  spricht  auch  unser  zweiter  Fall,  in  dem  in  der  Kultur  ge- 
wissermassen  die  eine  Form  in  die  andere  überging.  Wir  können 
demnach  für  alle  drei  Fälle  kurz  von  Influenzabazillen  sprechen.  Es 
inananPnr,Una  F-n  kei,neiT  Zweifel  unterworfen  sein,  dass  die  Bazillen 
"  3vFalI?n  aIs  dlue  einzigen  Erreger  der  beschriebenen  patho¬ 
logischen  Vorgänge  zu  betrachten  sind.  Bemerkenswert  ist,  dass  die 
beschriebenen  Lungenerkankungen  in  ihrem  anatomischen  Verhalten 
denen  entsprechen,  die  Pfeiffer  in  seiner  ersten  Ver- 

,  enfhehung  zur  Zeit  der  grossen  Influenzaepidemie  von  1889 _ 1893 

beschneb.  Das  ganze  Verhalten  der  Bazillen  während  der  klinischen 
Beobachtung  und  im  anatomischen  Bilde  spricht  dafür,  dass  man  es 
rmt  exquisit  pathogenen  Mikroorganismen  zu  tun  hat.  Soll  man  nun 
rotzdem  bei  der  Influenza  ausserdem  noch  an  andere  Erreger  denken 

evpniVIp;nHntr-GKheirnrF-  Kr.us®  in  der  vorigen  Sitzung  bemerkte.’ 
event.  ein  ftltnerbar.es  Virus  im  Auge  haben?  -  Wenn  schon  gegen 

die  Schnupfenexperimente  Kruses  der  Einwand  erhoben  werden 
konnte,  dass  vielleicht  die  verimpften  Sekretfiltrate  noch  giftig,  etwa 

!!Luinnendur  .Ag.?re.ssine.\  wirkten>  und  dass  die  positiven  Resultate 
noch  veihaltmsmassig  spärlich  waren,  so  würden  sich  dem  Nachweis 
einer  filtrierbaren  Virusart  bei  der  Influenza  noch  viel  grössere 
Schwmngkeiten  entgegenstel  en.  -  Wenn  wir  aber  dem  Influenza- 
f-v  f  .  FaFl°£eniia*  zugestehen,  so  können  wir  ihm  auch  nicht  die 
Fähigkeit  absprechen,  epidemisch  auftretende  Erkrankungen  zu  ver- 
Ä?:  Dafur TPprPchcn  ja  auch  vor  allen  Dingen'  die  ersten 
Pfeifferschen  Beobachtungen  und  viele,  die  ihnen  folgten.  Wenn 
dagegen  emgewandt  wird,  dass  Influenzabazillen  auch  oft  gefunden 
werden  wo  keine  Influenza  existiert  haben  soll,  so  muss  dagegen 

nüa  C  b  e  T r tlverwies.^n  werden,  der  zwischen  solchen  Befunden 

und  wahren  Influenzaepidemien  eine  vollkommene  Parallelität  fest- 
stellen  konnte.  Ausserdem  muss  in  diesem  Zusammenhang  auf  die 
Bedeutung  des  Influenzabazillus  bei  allen  möglichen  Mischinfektionen 
ungewiesen  werden.  Dazu  kommt  das  uncharakteristische  Bild  der 
Influenza,  so  dass  leichtere  Fälle  übersehen  werden  können.  Auf 
dn!\  and<^r!in  Seit<)  wird  betont,  dass  es  Influenzafälle  und  -epidemien 
gibt,  bei  denen  Iteme  P  i  e  j  f  f  e  r  sehen  Bazillen  gefunden  werden 
Mit  dem  Hinweis  auf  den  nicht  immer  leichten  Nachweis  der  hämo- 
globmophilen  Bazillen  allein  kann  man  diesem  Einwand  nicht  be 
gegnen,  es  muss  vielmehr  sehr  wohl  die  Möglichkeit  zugegeben 
werden,  dass  es  der  „Influenza“  sehr  ähnliche  Erkrankungen  gibt, 
deren  Erreger  aber  ein  anderer  ist.  Dadurch  würde  aber  die  Be- 
deutung  des  Influenzabazillus  nicht  berührt  werden.  —  Endlich  wendet 
aber  scheuer  ein,  dass  man  unterscheiden  müsse  zwischen  der 
epidemisch  auftretenden  Influenza  und  einzeln  auftretenden,  durch 
ham?M,  uxPfnle  Bazillen  verursachten  Erkrankungen.  (Die  Menin- 
gitisfalle  hat  er  dabei  besonders  im  Auge;  darauf  soll  aber  hier  nicht 
ftenauer  eingegangen  werden.)  Den  Beweis  für  seine  Anschauung 
wird  Scheller  bei  dem  heutigen  Stande  unserer  bakteriologischen 
Kenntnisse  über  die  hämoglobinophilen  Bazillen  schwer  erbringen 
können.  Es  drängt  sich  aber  bei  diesem  Einwand  die  Frage  auf,  ob 


1764 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  31. 


wir  denn  im  Moment  eine  Influenzaepidemie  haben.  Drei  Todestalle 
innerhalb  kurzer  Zeit  müssten  uns  dabei  immerhin  bedenklich  machen, 
da  doch  der  tödliche  Ausgang  einer  Influenza  zu  den  Seltenheiten 
gehört.  Wir  konnten  ausserdem,  ohne  etwa  systematisch  nachzu¬ 
forschen,  in  einigen  anderen  Fällen  hämoglobinoplnle  Bazillen  in 
Bronchitiden  nachweisen.  Es  wäre  nicht  undenkbar,  dass  wir  uns 
im  Beginne  einer  neuen  Influenzaepidemie  befinden.  Die  1  raktikcr 
müssen  jetzt  in  dieser  Frage  das  Wort  erhalten.  Nur  gemeinsame 
klinische  und  bakteriologische  Forschung  kann  die  Antwort  bringen. 

Diskussion:  Herr  Kruse:  Die  Aetiologie  des  Schnupfens 
ist  nach  meiner  neulichen  Darlegung  zwar  noch  nicht  mit  völliger 
Sicherheit  aufgeklärt,  indessen  sprechen  unsere  Versuche  mit  grosser 
Wahrscheinlichkeit  für  die  ursächliche  Rolle  eines  filtrierbaren  Virus. 
Ein  Infektionserfolg  von  40  Proz.  ist  doch  recht  bemerkenswert. 
Von  einer  Giftigkeit  des  15— 20  mal  verdünnnten  Schnupfensekrets 
kann  ernstlich  keine  Rede  sein.  Die  3  Krankheitsfalle  Hubs  ch- 
manns  scheinen  allerdings  durch  die  hämoglobinophilen  Bazillen,  die 
Herr  Hübschmann  gezüchtet  hat,  hervorgerufen  zu  sein.  Sie 
ähneln  übrigens  mehr  den  Pseudoinflucnzabazilllen  P  f  e  i  f  f  e  r  s,  als 
den  echten  Bazillen.  Die  letzteren  sind  wahrscheinlich  doch  nicht 
die  Ursache  der  eigentlichen  pandemischen  Influenza,  weil  sie,  wie 
ich  nach  meinen  seit  1889  datierenden  Erfahrungen  versichern  darf, 
nur  zeitweise  bei  grippeähnlichen  Erkrankungen  und  später  wieder 
in  vielen  Fällen,  die  mit  Grippe  nichts  zu  tun  haben  (Keuchhusten, 
Masern  usw.)  gefunden  werden.  Damit  soll  den  Influenzabazillen 
natürlich  nicht  jede  pathogene  Bedeutung  abgesprochen  werden,  sie 
sind  aber  entweder  nur  sekundäre  Krankheitserreger  oder  erzeugen 
nur  eine  weniger  wichtige  Form  der  Grippe.  Dass  die  echte  In¬ 
fluenza  wie  der  Schnupfen  zu  den  Aphanozoeninfektionen  gehört,  datur 
spricht  die  Ergebnislosigkeit  der  bakteriologischen  Untersuchung  aus 
den  erstell  Influenzajahren  1889  und  1890.  Eine  endgültige  Aufklärung 
der  Frage  wäre  natürlich  nur  möglich,  wenn  wir  eine  neue  pan- 
demische  Ausbreitung  der  Influenza  erlebtem  Inzwischen  wäre  es 
aber  empfehlenswert,  bei  vorkommenden  Epidemien  von  Grippe  ähn¬ 
liche  Versuche  mit  Filtraten  anzustellen,  wie  ich  sie  für  den 
Schnupfen  ausgeführt  habe.  ,  , 

Herr  Assmann  schildert  kurz  das  klinische  Krankheitsbild  der 
von  Herrn  Ti  ii  b  s  c  h  m  a  n  n  besprochenen  Fälle,  die  auf  der  medi¬ 
zinischen  Klinik  beobachtet  worden  waren.  Entsprechend  dem  ana¬ 
tomischen  Befunde,  der  zahlreiche  kleinste  Infiltrationsherdchen  muer- 
halb  eines  normal  lufthaltigen  Gewebes  ergab,  fehlten  jegliche  gröbere 
Verdichtungserscheinungen,  wie  Dämpfung  und  Bronchialatmen,  die 
bei  Konfluenz  bronchopneumonischer  Herde  sonst  auftreten.  Die 
physikalischen  Symptome  beschränkten  sich  auf  mehr  oder  weniger 
verbreitete  kleinblasige  Rasselgeräusche  und  eine  charakteristische 
hvpersonore,  bisweilen  zu  ausgesprochener  Tympame  gesteigerte 
Veränderung  des  Perkussionsschalles.  In  scharfem  Gegensatz  zu 
diesen  geringen  physikalischen  Symptomen  standen  die  schweren 
Allgemeinerscheinungen,  hochgradige  Dyspnoe  und  Zyanose. 

Denselben  Kontrast  zwischen  geringen  lokalen  und  schweren  all¬ 
gemeinen  Erscheinungen,  wie  überhaupt  ein  überaus  ähnliches  klini¬ 
sches  Krankheitsbild  bietet  die  Miliartuberkulose  der  Lungen  dar. 
Auch  das  Röntgenbild  —  kleinste,  über  die  ganzen  Lungenfelder 
verstreute  Fleckchen  —  ist  bei  beiden  Erkrankungen  ausserordentlich 
ähnlich,  nur  pflegen  bei  der  Bronchiolitis  die  Flecken  an  Grosse,  Form 
und  Verbreitung  etwas  unregelmässiger  zu  sein  als  bei  den  mein 
gleichartigen  Miliartuberkeln.  Bei  der  grossen  Uebereinstimmung 
der  klinischen  Erscheinungen  kann  also  die  Differentialdiagnose  zwi¬ 
schen  Miliartuberkulose  und  miliaren  Verdichtungsherden  auf  anderer 
Basis,  wie  sie  hier  die  Influenza  schuf,  sehr  schwierig  sein, 
einigen  Fällen  von  Bronchiolitis  gewährt  die  Reichlichkeit  und  event. 
die  bakteriologische  Untersuchung  des  Sputums  diagnostische  Anhalts¬ 
punkte.  In  dem  von  Herrn  Hübschmann  besprochenen  Falle  von 
Bronchiolitis  obliterans  traten  dagegen  katarrhalische  Erscheinungen 
ganz  zurück,  in  der  Anamnese  liess  sich  nichts  von  bestimmten  in¬ 
fektiösen  oder  chemischen  Schädlichkeiten  wie  in  anderen  Fallen  der 
Literatur  ermitteln,  dieser  Fall  bot  ganz  das  klinische  Bild  der 

Miliartuberkulose  dar.  ,  ,. 

Herr  T  h  i  e  m  i  c  h  weist  auf  die  Untersuchungen  von  Vogt  hin, 
welcher  der  Infektion  mit  Influenzabazillen  eine  besondere  Bedeutung 
bei  der  Entstehung  der  Bronchiektasen  im  Kindesalter  zuschreibt.  Er 
spricht  ferner  seinen  Zweifel  daran  aus.  dass  das  Hämoglobin  zum 
Wachstum  der  Influenzabazillen  notwendig  sei,  wenigstens  im  leben¬ 
den  Körper,  da  es  ia  in  den  Lvmphbahnen  und  dem  sie  erfüllenden 
Eiter  der  Leptomeningitis  purulenta  kaum  vorhanden  sei:  vielleicht 
sei  nur  ein  Teil  des  grossen  Hämoglobinmoleküls  unentbehrlich.  Es 
dürfte  von  Interesse  sein,  diese  Frage  weiter  zu  verfolgen.  _ 
Herr  Selter:  In  den  Wintermonaten  1902  und  1903  habe  ich 
bei  Sputumuntersuchungen  noch  öfter  Influenzabazillen  gefunden, 
aber  nie  sehr  reichlich  und  fast  stets  nur  durch  Kultur,  neben  anderen 
Bakterien  so  dass  man  im  Zweifel  sein  konnte,  ob  die  gezüchteten 
Influenzabazillen  als  die  eigentlichen  Erreger  der  Krankheitserschei¬ 
nungen  anzusehen  waren.  In  späteren  Jahren  gelang  es  uns  nie 
mehr  diese  Bazillen  nachzuweisen,  obwohl  wir  in  jedem  \\  inter  zahl¬ 
reiche  diesbezügliche  Untersuchungen  ausgeführt  haben.  Im 
Winter  1908/09  brach  in  Bonn  eine  ausgedehnte  Influenzaepidemie 
aus  die  anscheinend  von  Frankreich  herüberkam.  Von  Klinikern 
wurde  betont,  dass  die  z.  T.  recht  schweren  und  lange  anhaltenden 
Krankheitserscheinungen  sich  in  keiner  Weise  von  den  bei  der 
grossen  Influenzaepidemie  1893  beobachteten  unterschied.  Auch  hier 


fanden  wir  in  keinem  Falle  Influenzabazillen,  dagegen  meist  Rein¬ 
kulturen  eines  Gram-positiven  Diplokokkus  (ähnlich  dem  I  neumo- 
kokkus).  der  auch  in  einer  französischen  Publikation  als  der  Erreger 
dieser  Epidemie  beschrieben  wurde.  Man  kann  also  wohl  nicht  be¬ 
haupten.  dass  die  Influenzabazillen  allgemein  als  die  Erreger  der 
klinisch  bekannten  Influenza  anzusehen  seien. 

Herr  Marchand  berichtet  über  eigene  Beobachtungen,  dass 
im  Frühstadium  von  Schnupfen  keine  Bakterien  im  Sekret  nachweis- 
h'ir  seien 

•  Herr' Hüb  sch  mann  (Schlusswort):  Ich  möchte  noch  einmal 
darauf  hinweisen,  dass  hier  zwei  Fälle  von  Lungenerkrankungen  vor- 
Heeen  bei  denen  die  „Influenzabazillen“  sicher  die  Erreger  sind  und 
möchte  noch  einmal  die  Aehnlichkeit  dieser  Fälle  mit  den  von 
Pfeiffer  beschriebenen  betonen.  Wenn  man  für  letztere  die  ätio¬ 
logische  Bedeutung  der  Bazillen  anerkennt,  so  kann  man  nach  den 
ganzen  damaligen  Befunden  Pfeiffers  auch  nicht  an  der  ätio¬ 
logischen  Rolle  seiner  Bazillen  für  die  damalige  Epidemie  und  somit 
auch  für  andere  Epidemien  nicht  zweifeln.  —  Was  die  widersprechen¬ 
den  Befunde  späterer  Autoren  und  der  Herren  Diskussionsredner 
betrifft,  so  muss  der  Ausweg  in  der  Möglichkeit  gesucht  \\  erden, 
dass  es  auch  epidemisch  auftretende  influenzaähnliche  Erkrankungen 
gibt,  deren  E-reger  andere  Mikroorganismen  sind.  —  Auf  cer  anderen 
Seite  besteht  die  Möglichkeit,  dass  es  verschiedene  Arten  von  liämo- 

globinophilen  Bakterien  gibt.  . 

Herr  v.  Strümpell:  Demonstration  von  angeborene.  .,ih  t  -  . 


Aerztlicher  Verein  München. 


(Eigener  Bericht.) 
Sitzung  vom  6.  Mai  1914. 


Herr  Baum:  Diagnostische  Eigentümlichkeiten  des  Korpus- 

karzinoms  des  Magen.  (Siehe  unter  den  Originalien  auf  S.  1724 
dieser  Nummer.)  1 

Diskussion:  Herr  Lampe  berichtet  kurz  über  den  Wert 
der  Abderhalden  sehen  Reaktion  für  die  Karzinomdiagnose  mit 
besonderem  Hinweis  auf  die  Schwierigkeiten  der  Technik  und  auf 
die  individuell-biologischen  Eigentümlichkeiten  der  Karzmomtragcr. 
Das  eigene  mit  der  A  b  d  e  r  h  a  1  d  e  n  sehen  Reaktion  untersuchte 
Karzinommaterial  beträgt  bis  jetzt  86  Fälle.  Darunter  befanden  sich 
4?  Fälle,  die  klinisch  oder  autoptisch  frei  waren  von  Karzinom. 
E~i  n  e  serologische  Fehldiagnose  ist  zu  verzeichnen.  Von  30  autop¬ 
tisch  oder  operativ  sicheren  Karzinomträgern  reagierten  28  positiv 
nach  Abderhalden;  2  Fehldiagnosen.  Bemerkenswert  ist,  dass 
in  12  Fällen  die  serologische  Diagnose,  die  der  klinischen  wider¬ 
sprach,  Recht  behielt.  Bei  dem  Rest  des  Materiales  handelte  es  sich 
um  teils  positiv,  teils  negativ  reagierende  Falle,  bei  denen  eine 
operative  oder  autoptische  Entscheidung  noch  nicht  gefallen  ist.  in 
der  A  b  d  e  r  h  a  1  d  e  n  sehen  Reaktion  ist  ein  wertvolles  klinisches  I 
Hilfsmittel  zur  Erkennung  des  Krebses  zu  erblicken.  Wie  von  keiner 
biologischen  Methode  kann  man  auch  von  ihr  keine  absoluten  Dia¬ 
gnosen  verlangen.  . 

Herr  Sielmann:  Mit  dem  Herrn  Referenten  bin  ich  einver¬ 
standen.  dass  das  Korpuskarzinom  des  Magens  relativ  häufiger  ist, 
wie  man  vor  der  röntgenologischen  Aera  anzunehmen  gewohnt  war. 
Die  Technik  in  der  Röntgendiagnose  der  Magenerkrankungen  hat  cs 
mit  sich  gebracht,  dass  der  Röntgenolog  häufig  schon  vor  Eröffnung 
des  Bauches  dem  Chirurgen  über  den  Sitz  der  Erkrankung  nähere 
und  detailliertere  Angaben  machen  kann,  wenn  cs  auch  nicht  in  jedem 
Falle  möglich  sein  wird,  wie  das  von  der  Wiener  Schule  des  öfteren 
betont  wurde,  vorher  auf  Grund  des  Röntgenbildes  die  Art  der 

Operation  zu  bestimmen.  _  „  ¥II  .  ,  . 

Im  speziellen  möchte  ich  auf  den  Fall  III  cingehen,  der  .  - 
scheinend  eine  röntgenologische  Fehldiagnose  darstellt;  in  Wirklicn- 
keit  aber  kamen  wir  zu  dieser  Fehldiagnose  nur  dadurch,  dass  n 
klinischer  Hinsicht  alles  für  ein  Karzinom  sprach.  Das  Rontgenpim 
war  auf  Karzinom  suspekt.  Die  Wahrscheinlichkeitsdiagnose  stellten 
wir  nur  dadurch,  dass  wir  auch  das  klinische  Bild  in  den  Bereicn 
unserer  Betrachtung  zogen.  Niemals  soll  man  ja  aus  dem  Rontgen- 
bild  allein  eine  Diagnose  stellen,  immer  müssen  alle  klinischen  Sym¬ 
ptome  in  Berücksichtigung  gezogen  werden.  In  diesem  Falle  hat  uns 
die  klinische  Beobachtung,  die  doch  bei  Magenkarzinom  seit  langen 
wohl  fundiert  ist,  im  Stiche  gelassen.  Ist  man  da  berechtig 
röntgenologischen  Diagnose,  die  auf  diesem  Gebiete  doch  kaum  ein 
Jahrzehnt  alt  ist,  einen  Vorwurf  zu  machen?  Von  dem  Herrn  Vor¬ 
redner  haben  wir  gehört,  dass  die  serologische  Diagnostik  aut  ae 
Gebiete  der  Karzinome  zu  den  schönsten  Hoffnungen  berechtigt, 
besteht  demnach  begründete  Aussicht,  dass  die  klinische  Beobacntm 
im  Verein  mit  dem  Röntgenverfahren  und  der  serologischen  I  <- 
gnostik  uns  ein  gutes  Stück  in  der  frühzeitigen  Erkennung  des  Korpus¬ 
karzinoms  des  Magens  vorwärts  bringen  wird. 

Herr  Craemer:  M.  H.l  Es  ist  gewiss  ausserordentlich  zu  dc 
dauern,  dass  die  Probelaparotomie  beim  Korpuskarzinom  des  Magens 
meist  zu  spät  gemacht  wird.  Das  liegt  aber  nicht  daran,  dass 
Diagnose  zu  spät  gestellt  wird,  sondern  dass  die  Patienten  nicht  zu 
Arzt  kommen,  weil  sie  eben  keine  Beschwerden  haben,  und  solang 
der  Patient  nicht  kommt,  können  wir  ihn  nicht  operieren.  Die  n 
diagnose  des  Korpuskarzinoms  wird  deshalb  mel|tein.  fF°?  ec 
Wunsch  bleiben.  Wie  oft  beobachtet  man  solche  Falle,  bei  den 


4.  August  ION. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


:r.st  seit  wem«  Wochen  uberliaupt  Beschwerden  bestehen,  bei  denen 
jach  genauer  Untersuchung  die  Diagnose  gestellt  wird  und  wo  wir 
lann  bei  der  Autopsie  "'  vivo  sehen,  dass  eine  Radikaloperation  nicht 
nehr  mogheh  ist  Für  die  Diagnose  genügt  es  nicht,  nachzu weisen 
>b  Saure  vorhanden  ist  oder  nicht,  wenn  die  Säure  fehlt,  muss  vor 
dlern  auch  das  Salzsauredefizit  bestimmt  werden,  dem  eine  grosse 
Bedeutung  zukommt  Auch  muss  in  jedem  Fall  auf  okkulte  Blutung 
intersucht  werden,  die  oft  allein  imstande  ist,  den  richtigen  Weg  zu 
eigen.  as  Karzinom  am  Pylorus  ist  viel  früher  zu  erkennen,  weil 
s  eben  schon  als  ganz  kleiner  Tumor  so  charakteristische  Erschei¬ 
nungen  macht,  dass  man  es  bei  einiger  Aufmerksamkeit  nicht  Über¬ 
ehen  kann ;  und  ich  mochte  jedem,  der  ein  Karzinom  bekommt 

ln0C  lte,  py‘0rus  si^en,  dann  kann  er  gerettet’ 

.  r  en.  Erst  kürzlich  habe  ich  einen  Fall  beobachten  können,  bei 
em  noch  vor  ,3  Jahr  eine  ausgesprochene  Hyperchlorhydrie  kon- 
ta tiert  wurde;  nach  einer  bemerkenswerten  Besserung  trat  ein  Um- 
ehlag  em,  bei  der  Sondierung  fand  sich  im  Sondenfenster  ein  Blut- 
oagulum  und  blutiger  Schleim.  Der  Fall  war  mir  nun  höchst  ver- 
dl!  Stllh,luntersuchung  ergab  immer  starken 

mgenu,ntersuchusg  liess  deutlich  eine  Aussparung 
nttrhalb  der  Kardia  erkennen.  Es  wurde  dringend  zur  Operation 

ehat^m  fRlr  haJ  waXabef  bereits  inoperabel.  Jedenfalls  dürfte  es 
Ji  empfehlen,  dass  diejenigen,  welche  im  verdächtigen  Alter  auch 
ur  leichte  Magenbeschwerden  haben,  die  sich  länger  hinziehen  eine 
ontgenuntersuchung  machen  lassen;  vielleicht  kann  man  dann  schon 
über  zu  einer  Diagnose  kommen. 

ntfReR,rArwrt  Jtoeb:  Einer  deLr  beiden  Fälle,  die  ich  dem  Refe- 
f  Mofia  Operation  zugewiesen  habe,  ist  ein  sehr  guter  Beleg  für 

\\  hnS  7eftlhnRhrrn  Vaecmer’  daSS  Korpuskarzinome  manch- 
al  lange  zeit  ohne  besondere  Symptome  bestehen.  Der  betreffende 

wShS8?®’  m  S  m  Zl™  er,sten  Male  zu  mir  kam,  dass  er  seit 
Wochen  leichte  Magenbeschwerden  und  weniger  Appetit  habe 
veimal  sei  Erbrechen  aufgetreten.  Fr  befand  sich  in  ausgezeich- 
tem  Ernährungszustände.  Die  Untersuchung  ergab  ein  vorge- 
hnttenes  Korpuskarzinom,  das  sich  bei  der  einige  Tage  danach  vor- 
nommenen  Laparotomie  als  inoperabel  erwies.  Nun  kommt  das 
erkwurd^gste:  Trotzdem  bei  dem  Patienten  der  Leib  nur  auf-  und 

ge'"acbt.  ward’ besse^te  s[cb  sein  Befinden  bald  nach  der  Operation 
mt.  dass  die  Magenbeschwerden  ganz  verschwanden,  der  Appetit 
:h  hob  und  nach  einigen  Monaten  eine  Gewichtszunahme  von 
•Pfund  zu  verzeichnen  war.  Dass  bei  Pyloruskarzinom  mit  Stenose¬ 
ih  rRnio*  F3Kh  eLner  Gastroenterostomie  Patienten,  die  durch  fort- 
hrendes  Erbrechen  sehr  heruntergekommen  waren,  innerhalb 

;aiger  F°n-me  °ft  u°T30  Pfund  zunebmen,  ist  begreiflich,  da  viel 
;SaJe  Ernahrungsbedingungcn  durch  die  Operation  geschaffen 
irden,  dass  aber  bei  meinem  Patienten  nach  der  blossen  Probe- 
imrotomie  eine  bedeutende  Besserung  oder  vielmehr  ein  völliges 
rschwincien  der  Beschwerden  und  auch  noch  eine  Gewichtszunahme 
(tritt,  ist  doch  höchst  merkwürdig. 

Eerr  E  e  r  u  t  z  schliesst  sich  den  Anschauungen  über  die  un- 
istigen  Operationsaussichten  des  Korpuskarzinoms  an.  Es  scheint 

cm,  Utant  7U  bI^lben;  die  oft  nur  unbedeutenden  dyspeptischen 
schwei  den  und  die  manchmal  geringe  Beeinträchtigung  von  Ge- 
l>nd  AMgemeinbefinden  führen  die  Kranken  erst  zu  spät  zum 
<t.  Auch  die  Serodiagnostik  wird  deshalb  eine  frühere  Feststellung 
ermöglichen.  In  einem  seiner  mitgeteilten  Fälle  wirkte  der 
•ibve  Ausfall  der  W  assermann  sehen  Reaktion  irreführend. 

3  Kontgenbild  hatte  eine  Ausziehung  und  Verschmälerung  des 
;  ra’en  Magonteds  gezeigt,  ähnlich  wie  esHausmann  bei  Magen- 
is  beschreibt  und  wie  es  Redner  in  einem  nach  der  Operation  so 
euteten  hall  gesehen  hat.  Es  bestand  Anazidität,  nüchtern  enthielt 

■  Magen  ein,se  blutige  Flöckchen.  Das  gute  Aussehen  der  50  jähr 
■u  machte  ein  Karzinom  unwahrscheinlich.  Die  positive  WaR. 
;ien  die  seltene  Diagnose  zu  rechtfertigen.  Salvarsan  zeigte  keine 
:  Wirkung.  Die  Operation  ergab  ein  grosses  inoperables,  die  kleine 

vatur  hoch  hinauf  durchsetzendes  Karzinom.  Ein  Tumor  war  in 
,em  ebenso  wie  beim  zweiten  Fall  nicht  zu  fühlen  gewesen.  Hier 

1LS'Chu-,raZld‘tat  Vnd  ein  ger*n.ger  morgendlicher  Rückstand,  das 
.  ttgenbild  zeigte  eine  umschriebene  Aussparung  an  der  grossen 
vatur,  keinen  6-Stundenrest.  Danach  und  bei  dem  guten  Er- 

■  rungszustand  der  Kranken,  die  nur  6  Pfund  von  ihrem  früheren 
..'cm  emgebusst  hatte,  glaubte  man  einen  noch  operablen  Tumor 

itinden  Man  stiess  auf  ein  grosses  Karzinom,  das  über  V3  des 
aalen  Magenteils  einnahm  und  schon  nach  dem  Pankreas  zu  fort- 
1  uchert  war. 

Die  äuffallende  Besserung,  die  in  dem  einen  von  Herrn  A.  Loeb 
»ereilten  Fall  nach  der  Probelaparotomie  einsetzte,  muss  uns 
-h!  Zpr,,uruckhaltung  in  der  Bewertung  der  Erfolge  einer  in 
nen  ™ en  event  angewandte"  Strahlen-  und  Chemotherapie 

£r.,Bau™  (Schlusswort):  Ausserordentlich  beachtenswert  ist 
,  n  uf '  Kn8h*H5rrn  r  a  m  P  d  s,  dass  bereits  eine  ganze  Reihe  von 
h  neobJchte*  wurde,  bei  denen  der  positive  Ausfall  der  Abder- 

■  ae  n  sehen  Reaktion  im  Widerspruch  stand  mit  der  klinischen 
.nose,  und  bei  denen  ein  nachfolgender  autoptischer  Befund  das 
;  andensein  eines  Karzinoms  bestätigte.  Bei  weiterer  und  ins- 
•mdere  einfacherer  Ausgestaltung  der  Technik  steht  zu  hoffen. 

1  •  u-ie  Serodiagnostik  des  Magenkarzinoms  ähnlich  in  die 
Frftu' lirge£n  w,rd;  wie  die  Wassermannreaktion  bei  der  Syphilis, 
i.rianrung  Herrn  Craemers,  dass  die  Patienten  mit  Karzinom 


1765 


des  Magenkörpers  wegen  der  unklaren  und  oft  unbedeutenden  Er- 
^  'Tg%n  SC  -Cn  ztl  spat  arzt,ichc  Hilfe  aufsuchen,  wird  leider 
w  e  vm  r!5  at:gt;  ob  hierin  die  Verteilung  von  Merkblättern, 
w  fd  einpn  w  y  i  ^°l0?eti  ,Tnt  Bezug  auf  das  Uteruskarzinom  geübt 
a,  'nrnh-l  Wandel  zu>n  hesseren  zu  schaffen  vermöchte,  das  müsste 
sch  werdm?  vnnrde-nt'  I®der‘f.aIIs  sollte  bei  länger  andauernden  Be- 
vl  , n  tX0”  feden  des  Magens  zumal  im  karzinomfähigen  Alter 
de;Ierdacb  aaf  Magenkarzinom  nicht  eher  fallen  gelassen  werden 
als  b  s  ein  bündiger  Gegenbeweis  erbracht  ist.  Daher  muss  auch  bei 
def  hiSh1eiAU-fa|-  ,eine(r..wicdeHiolten  Röntgenuntersuchung  wegen 
Pr^,K  b  ,mogll(:hen  Täuschungen  ein  schnellerer  Entschluss  zur 
Probelaparotomie  im  Interesse  der  Kranken  gefordert  werden 


Aus  den  englischen  medizinischen  Gesellschaften. 

Royal  Academy  of  Medicine  in  Ireland.  Section  of  Obstetrics. 

Sitzung  vom  6.  März  1914. 

Die  Verwendung  von  Hypophysenextrakt  bei  Entbindungen. 

tpik  M  a  d  i  1 1  und  R.  M.  Allan  haben  Hypophysenextrakt 

in'nntr=SkUJfr’  tC,ls  subkutan  bei  147  Fällen  angewandt.  Die 
WeGe  an?prptafktJ”n?I1f  werden  dadurch  in  normaler,  physiologischer 
mp  h  -k  S  i  St’  die  Interva,le  zwischen  den  Wehen  werden  um  etwa 
die  Hälfte  der  sonstigen  Zeit  verkürzt,  und  die  Wirkung  des  Mittels 
halt  durchschnittlich  50  Minuten  vor.  Beim  Kinde  machte  sich  aller¬ 
dings  gelegentlich  eine  Einwirkung  auf  das  Herz  bemerkbar,  und 
.  Kinder  kamen  tot  zur  Welt;  möglicherweise  war  aber  dieses  Er- 
gSun/^ Äandere  Ursachen  zurückzuführen.  Sonst  blieben  die'  Kinder 
L.zw^lvmäss^sten  erwies  sich  die  Verabreichung  in  der 
hase  des  Eintretens  des  fötalen  Kopfes  in  die  Beckenmitte  Bei 
Blutungen  nach  der  Geburt  leistete  das  Mittel  im  Verein  mit  Frgotin 
gute  Dienste.  In  dem  Rotundahospital  betrug  die  Zahl  der  Zangen- 

wäh^nH  m  dei1  h2  Monaten.  nach  Einführung  des  Pituitrins  nur  56, 
*abend  im  Jahr  zuvor  106  Zangenentbindungen  vorgekommen 

v\  dien. 

ntpnA  verwendet  das  Mittel  bei  Fällen  von  infantilem 

Utea-us  und  bei  Menorrhagie  der  jungen  Mädchen.  Man  hat  bei 
Eutterungsver suchen  bei  Ratten  gefunden,  dass  die  betreffenden  Tiere 
sich  ungewöhnlich  stark  entwickelten  und  namentlich  eine  Hyper¬ 
trophie  der  Genitalorgane  aufwiesen. 

S.  Sheill  bemerkt,  dass  nach  seinen  an  27  Fällen  gemachten 
Erfahrungen  bei  intramuskulärer  Verabreichung  die  Wirkung  durch¬ 
schnittlich  nach  8 %  Minuten  einsetzt. 

•  JUGi^son,  ben'chtet  über  2  Fälle,  bei  denen  nach  Verab¬ 
reichung  des  Extraktes  während  der  ersten  Periode  eine  ausge¬ 
dehnte  Zerreissung  des  unteren  Uterinsegmentes  erfolgte;  dagegen 
findet  er  das  Mittel  äusserst  empfehlenswert  bei  uteriner  Atonie  in 
der  zweiten  Periode.  Bei  mechanischen  Geburtshindernisssen  soll 
man  es  niemals  anwenden. 


Aus  den  französischen  medizinischen  Gesellschaften. 

Societe  medicale  des  hopitaux. 

Sitzung  vom  5.  Juni  1914. 

Traumatische  Lungentuberkulose. 

Georges  B  rouardel,  Leon  und  Rene  G  i  r  0  u  x  berichten  über 
eine  Beobachtung,  wo  ein  vorher  gesunder  Mann  infolge  einer  Prell- 
vei  letzung  der  rechten  Brusthälfte  tuberkulöse  Veränderungen  ge¬ 
zeigt  hat,  die  rasch  sich  entwickelt  und  zum  Tode  geführt  haben. 
\  erfasser  besprechen  weiterhin  die  experimentellen  Versuche,  welche 
sie  seit  einigen  Monaten  verfolgen  und  welche  zu  beweisen  scheinen, 
dass  das  Trauma  (Rippenfraktur  bei  subkutan  mit  Tuberkelbazillen- 
reinkultur  geimpften  Kaninchen)  die  tuberkulösen  Veränderungen 
lokalisiert  hat.  Sie  weisen  auch  auf  die  Tatsache  hin,  dass  bei  der 
S°i?'  •  Eaumabscben  Tuberkulose,  d.  i.  jener,  die  bei  einem  vorher 
scheinbar  gesunden  Individuum  sich  entwickelte,  es  sich  im  allge- 
memen  um  ein  auf  die  Brustwand  einwirkendes  Trauma,  meist  eine 
einfache  Kontusion  derselben,  selten  um  eine  Rippenfraktur  und  noch 
seltener  um  eine  penetrierende  Wunde  handelt. 

.  .  /Te  tuberkulösen  Veränderungen  entwickeln  sich  unmittelbar  oder 
einige  Tage  bis  Wochen  nach  dem  Unfall  und  zwar  gewöhnlich  auf 
der  Seite  der  Verletzung,  ja  in  seltenen  Fällen,  wie  in  den  von  den 
Veifassern  beobachteten,  auf  der  gleichen  Stelle  wie  diese,  in  ganz 
seltenen  Fallen  aber  auch  auf  der  der  Verletzung  entgegengesetzten 
beite.  Es  scheint,  dass  das  Trauma  meist  in  der  Weise  wirkt,  dass 
es  eme  bis  dahin  latente  lokale  Tuberkulose  zur  Entwicklung  bringt; 
sch hesslich  geben  Verfasser  der  Ueberzeugung  Ausdruck,  dass  die 
Rolle  der  im  Blute  zirkulierenden  Bazillen  eine  wichtigere  ist  als 
man  bisher  annahm  und  dass  der  Herd  der  latenten  Tuberkulose  weit 
entfernt  von  den  Lungen  sein  kann. 

*  m  °  n  *  n“  Mal-de-Gräce  berichtet  über  10  persönliche,  beim 
Heere  gesammelte  Erfahrungen,  wo  die  primäre  Verletzung  direkte 
Kompression  oder  Prellung  des  Brustkorbes  ohne  Wunden  oder 
Fiakturen  war  Ausser  in  einem  Falle,  wo  die  primäre  Reaktion 
auf  beite  der  Pleura  sich  gezeigt  hat,  war  in  allen  Fällen  Hämoptvse 
eingetreten  und  zwar  stets  kurze  Zeit  nach  dem  Trauma,  ohne  Fieber 
und  nicht  sehr  reichlich.  Die  Reaktionen  von  seiten  der  Lungen  sind 


1766 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT^ 


Nr.  31. 


häufiger  als  jene  von  seiten  des  Rippenfelles.  Die  Brustvcrletzum, 

dient,  wie  S.  überzeugt  ist.  nur  dazu,  eine  latP.t.e.Tuber,k“l0p^||p"' 
kundig  zu  machen:  selten  fehlen  in  der  persönlichen  oder  hami hen- 
anamnesc  Verdachts-  oder  wirkliche  Erscheinungen  von  Tuberkulose. 
Eine  in  Val-de-Oräce  aufgenommene  Statistik  zeigt,  dass  die  Tuber¬ 
kulose  als  Folge  des  Militärdienstes  ungefähr  auf  10  Proz.  aller  vor¬ 
übergehenden  oder  ständigen  Pensionierungen  bei  den  verschiedenen 
Militärkategorien  und  zwar  speziell  den  subalternen  Offizieren  und 
Soldaten  trifft.  Die  Lungen-Rippenfelltuberkulose  ist  nach  dieser 
Statistik  in  1,52  Proz.  der  Fälle  traumatischen  Ursprungs,  was  der 
offiziellen  deutschen  Militärstatistik  mit  1,37  Proz.  ziemlich  nahe 

kommt  _ 


Verschiedenes. 


Die  ärztliche  Kriegsbereitschaft. 

Von  Stabsarzt  Dr.  Krause. 

Die  medizinische  Ausrüstung  der  Sanitätsoffiziere  und  Sanitäts- 
offizierdiensttuer  besteht  aus: 

1.  dem  durch  Verfügung  des  Kriegsministeriums  vom  16.  11.  12 
Nr.  2165  12.  11.  M.A.  eingeführten  Taschenbesteck  für  Sanitätsoffiziere, 

2  den  in  der  Druckvorschrift  „Belehrung  über  Hitzschlag  und 
Erfrierung  (D.  V.  Nr.  15)  S.  17  und  18  vorgeschriebenen  Arznei¬ 
mitteln  und  Geräten, 

3.  Zahnzangen.  . 

Während  die  ersten  beiden  für  alle  Sanitätsoffiziere  vor- 
gcschrieben  sind,  brauchen  die  Zahnzangen  nur  von  Assistenz- 
und  Oberärzten  sow'ie  Unterärzten  und  Einjährig-Freiwolligen- 
Aerzten  mitgeführt  werden,  da  die  Obermilitärärzte  einen  Satz 
Zahnzangen  in  ihren  Truppenbestecken  vorfinden. 

Die  unter  1  und  2  genannte  Ausrüstung  besteht  aus: 
a)  Taschenbesteck  der  Sanitätsoffiziere: 

1.  bauchiges  Skalpell  mit  Schutzhülse, 

2.  spitzes  Skalpell  mit  Schutzhülse, 

3.  Impfgerät  mit  Schutzhülse, 

4.  1  anatomische  Pinzette, 

5.  2  Unterbindungspinzetten  oder  Arterienklemmen;  da¬ 

von  1  zugleich  als  Nadelhalter, 

6.  1  gerade  Schere  mit  einem  stumpfen  und  einem  spitzen 

Arm, 

7.  1  Mundspatel, 

8.  1  Hohlsonde, 

9.  1  feine  Sonde.  ,  .  ,  0  ..  „ 

10.  Heft-  und  Umstechungsnadeln  verschiedener  Grosse 

und  Stärke, 

11.  Nähseide, 

12.  1  Maximumthermometer, 

13.  1  Bandmass, 

14.  1  Hammer, 

15.  1  Hörrohr, 

16.  1  Spritze  zu  1  ccm  mit  Hohlnadeln, 

17.  Tabletten  zu  0,5  Acidum  acetylosalicylicum, 

18.  Tabletten  zu  0.75  Acidum  tartaricum, 

19.  Tabletten  zu  1,0  Natrium  bicarbonicum, 

20.  Tabletten  zu  0,5  Hydrargyrum  bichloratum, 

21.  Tabletten  zu  0,2  Hydrargyrum  chloratum, 

22.  zugeschmolzene  Glasröhren  zu  0,2  Coffein  natr.  salicyl. 

in  Lösung  zu  1  ccm, 

23.  zugeschmolzene  Glasröhren  zu  0,02  Morph,  mur.  in 

Lösung  zu  1  ccm, 

24.  Tinctura  opii  Simplex, 

25.  Tinctura  valerianae  aetherea,  _ 

26.  Zinkkautschukheftpflaster,  2,5  cm  breit,  auf  Rollen. 

b)  den  durch  die  Druckvorschrift  Nr.  15  vorgeschriebenen  Ge¬ 
räten  und  Arzneimitteln: 

1.  Instrumentarium  zu  Darmeingiessungen:  Trichter,  Gummi- 

schlauch  und  Ansatzspitze; 

2.  die  erforderlichen  Arzneien:  Kochsalzpulver  oder  Kochsalz- 

Sodapulver  für  Darmeingiessungen,  Aether,  Kampferöl 
oder  statt  dessen  eine  Lösung  von  Aether,  lct.  Digitalis 
oder  Aether  und  Tct.  Strophantin  zu  gleichen  Teilen. 

Die  Unterbringung  dieser  Ausrüstung  ist  nach  §  249  (Anl.  XII) 
der  Anlagen  zur  Kriegssanitätsordnung  freigestellt  Es  f^pfiehlt  sich 
iödoch  alle  die  genannten  Gegenstände  möglichst  in  einem  BestecK 
zu  vereinigen.  Die  leitenden  Gesichtspunkte  dabei  sind  in  erster 
Linie  die  dass  der  Inhalt  übersichtlich  angeordnet  sein  muss  und 
dass  man  jedes  einzelne  Teil  desselben  entnehmen  kann,  ohne  die 
ganze  Tasche  oder  einen  grösseren  Teil  derselben  auspacken  zu 
müssen  Es  sind  eine  Reihe  Modelle  von  den  einzelnen  Instrumenten- 
fabriken  herausgegeben.  Ich  möchte  hier  nur  auf  eines  aufmerksam 
machen,  das  auf  Grund  einer  10  jährigen  Erfahrung  im  Manöver  und 
bei  Truppenübungen  zusammengestellt  ist  und  sich  auch  seitdem  auf 
das  beste  bewährt  hat.  Die  beigegebenen  Abbildungen  )  zeigen  die 


innere  Einrichtung  derselben  besser  als  Worte  tun.  Ich  möchte  nur 
noch  ehiige  Winke  für  die  Beschaffenheit  solcher  Taschen  geben. 

Die  äussere  Umhüllung  muss  aus  derbem  Leder  bestehen,  dessen 
Kanten  überall  glatt  sind.  Es  ist  darauf  zu  achten,  dass  der  eckel 
gu  überfällt,  da  sonst  leicht  Staub  und  Feuchtigkeit  in  das  Innere  ein- 
dringen  Als  Verschluss  empfiehlt  sich  ein  Schloss  nicht  da  dasselbe 
durch  Eindringen  von  Regen  und  Staub  bald  unbrauchbar  ist.  Der 
Inhalt  muss  wie  bereits  gesagt,  leicht  zu  entnehmen  sein,  ohne  dass 
man  das  ganze  Besteck  auszupacken  braucht.  Zweckmässig  ist  es. 
wenn  das  Besteck  so  viel  Raum  enthält,  dass  man  es  durch  Ein¬ 
fügung  von  Verbandpäckchen  erweitern  kann  (in  dem  angeführten 
Besteck  lassen  sich  7  Stück  unterbringen).  Man  achte  auch  daraui. 
dass  der  Raum  für  die  Gifte  besonders  verschliessbar  ist,  was  nicht 

bei  allen  Modellen  der  Fall  ist.  x  ......  ... 

Selbstverständlich  ist,  dass  der  Inhalt  gut  vernickelt  ist  und  die 
Instrumente  aus  gutem  Material  bestehen  da  sie  sonst  schnell  rosten. 
Es  empfiehlt  sich  auch,  das  Besteck  durch  Infusionsnadeln  und  Klei- 
derschere  zu  erweitern,  da  beide  Sachen  schon  bei  den  Friedens¬ 
übungen  öfter  gebraucht  werden,  im  Felde  aber  ihre  Anwendung 

noch  ungleich  häufiger  sein  wird.  ......  .  ,  v> 

Die  Beschaffung  des  Bestecks  erfolge  möglichst  rechtzeitig,  fcs 
herrscht  vielfach  die  Ansicht,  dass  es  genüge,  sich  das  Besteck  sicher¬ 
stellen  zu  lassen.  Darauf  können  die  Firmen  naturgemäss  meist  nicht 
eingehen  da  sie  sich  aufs  Ungewisse  nicht  hunderte  von  Taschen  hin¬ 
legen  können  Der  Vorrat  einer  grossen  leistungsfähigen  Fabrik  über- 


schreitet  in  diesem  Artikel  kaum  die  Zahl  Hundert  und  diese  werden 
in  erster  Linie  an  die  festen  Besteller  abgegeben.  Die  Anschaffung 
ist  ja  auch  durchaus  keine  tote  Kapitalsanlage,  da  das  Besteck  ja 
alles  enthält,  was  in  der  täglichen  Praxis  und  namentlich  in  der  Lana- 
praxis  jeden  Augenblick  gebraucht  werden  kann. 


Frequenz  der  deutschen  medizinischen  Fakultäten  1). 


«  </> 

C  3 
O  ^ 


Wintersemester  1913/14 


*)  Diese  Tasche  wird  von  der  Firma  Evens  &  Pistor  in 
Kassel  angefertigt 


Sommersemestt  r  1914 


Universität 

Reichs¬ 

angehörige 

Ausländer  1 

cT' 

1 

i 

CO 

Darunter  i 

Frauen 

- 

Zahnärzte 

Reichs¬ 

angehörige 

Ausländer 

cT' 

cs 

B 

1 

CO 

Darunter 

Frauen 

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■o  WZ 

5  E-o 

u  orige 
Reich  s- 
angeh. 

Lanaes- 

ange- 

hörige 

übrige 

Reichs- 

angeh. 

Berlin  .  .  j 

1365 

250 

703 

»)2318 

172 

112 

1300 

181 

687 

02168 

171 

Ron  n 

721 

41 

21 

783 

46 

30 

771 

41  ! 

22 

834 

59 

Breslau 

601 

14 

78 

693i  30 

73 

592 

15 

75 

682|  ZV 

Erlangen  . 

287 

117 

19 

423 

8 

14 

255 

130 

14 

899 

ö 

Freiburg  . 

160 

778 

52 

990 

91 

35 

147 

1048 

48 

1243 

128 

Giessen 

156 

147 

19 

322 

12 

-3) 

158 

178 

22 

858 

1 3 

Göttingen 

1  341 

84 

17 

442 

19 

— 

372 

71 

12 

455 

29 

Greifswald 

253 

27 

9 

289 

10 

20 

290 

38 

12 

340 

14 

Halle  .  . 

273 

26 

87 

386 

12 

17 

290 

34 

88 

412 

15 

Heidelberg 

182 

485 

151 

818 

76 

66 

166 

624 

166 

956 

95 

59 

301 

44 

404 

23 

21 

62 

357 

46 

465 

3.2. 

Kiol  .  .  . 

402 

111 

20 

533 

21 

27 

626 

295 

49 

970 

44 

Königsberg 

327 

1  4 

186 

517 

39 

12 

340 

8 

166 

514 

34 

f.eip7.ig 

389 

355 

227 

971 

35 

111 

403 

284 

216 

908!  80 

Marburg  . 

1  393 

74 

15 

482 

24 

61 

486 

80 

15 

581 

81 

München  . 

j  876 

1197 

305 

2378 

161 

99 

814 

1167 

294 

2275 

157 

Münster  . 

248 

7 

255 

1 1 

33 

302 

!  11 

1 

314 

9 

Rostock 

63 

283 

17 

5)363 

6 

1  10 

69 

I  314 

14 

■)397 

1 1 

St.rassburg 

245 

181 

161 

587 

19 

29 

238 

174 

129 

541 

!  7 

Tübingen  . 

219 

141 

14 

37" 

18 

25 

204  I  214 

17 

|  435 

22 

Würzburg 

321 

|  327 

1  25 

671 

14 

1  61 

309 

|  339 

27 

675 

10 

Summa 

|7881 

|495U 

\2 168  14999,847 

|856 

|8194  |5603 

|'12ü|  15917  9M 

38 

88 

14 

51 


39 

22 

74 

37 

55 

15 

132 

72 

115 

44 

18 


i)  Nach  amtlichen  Verzeichnissen,  vergl.  diese  wochenscnr.  iun,  . '  - 

inbegriffen  in  dieser  Summe  sind  die  Zahnärzte  und  Tierärzte.  a)  Ferner  203  T  era 
1)  Ohne  die  Studierenden  der  Kaiser-Wilhelms-Alcademie.  *)  Hierunter  befinden  sich 
diejenigen  Studierenden  der  Medizin,  die  zugleich  Zahnheilkunde  studieren. 


.  August  1914. 


VU'ENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1767 


Recklinghausen  -  Denkmal. 

■  AlV- 1 V  Juli„fa"d;  wie  bereits  gemeldet,  in  Strass  bürg  die 
zierliche  h  n  t  h  u  1 1  u  n  g  der  überlebensgrossen 

aJ  ,n.°  rA“  s  l,e  f  r!.e  d  r  1  c  li  v  Recklinghausens  statt 
lehe  beitolgende  Abbildung),  welche  von  der  Deutschen  Patho- 
gischen  (icsellschaft  gestiftet,  von  Prof.  Max  Lange  in  Leiozitr 
•fertigt  und  unter  den  40  jährigen  Bäumen  des  Gartens  des  patl.o- 
gischen  Institutes  aufgestellt  ist.  Zu  der  Feier  hatten  sich  neben 
:n  Faimlicnangehorigen  die  medizinische  Fakultät,  Vertreter  der 
akU  tatCn’  uCr  niversitätsbehörde,  des  Sanitätskorps  und 
r  Stadt  versammelt.  Prof.  M  B.  Schmidt-  Würzburg  hielt  die 
strede,  in  welcher  er  die  einheitliche  Arbeitsrichtung  v.  R  e  c  k  - 


ghausens  als  pathologischer  Anatom  im  Dienste  der  allge- 
jen  Pathologie  hervorhob;  darauf  übergab  Prof.  Aschoff- 
rburg  als  Vorsitzender  der  Pathologischen  Gesellschaft  mit  einer 
i3i ache  welche  der  Bedeutung  v.  Recklinghausens  für  das 
i  enschaftliche  Leben  Strassburgs  und  für  die  Gestaltung  des  Ver¬ 
risses  der  medizinischen  Fakultät  zu  der  einheimischen  Be¬ 
ßrung  galt,  das  Denkmal  in  den  Besitz  und  Schutz  der  Universität 
,  es  Institutes,  und  Prof.  Chiari  übernahm  dasselbe,  wobei  er 
.ec  klinghausen  als  Gründer  und  Leiter  des  Institutes  und 
-  er  feierte. 


Therapeutische  Notizen. 

Leber  Hydrastopon,  ein  neues  Antidysmenor- 
ikum,  berichtet  in  der  Med.  Klinik  (1914,  Nr.  20)  Prof.  Dr. 
v  alther  -Giessen.  Das  Präparat  enthält  in  100,0  0,08  Hydra- 
n  und  0,2  Papaverin.  W.  gab  mit  Finsetzen  der  Schmerzen  oder 
1  r^I  Symptome  am  ersten  Tage  der  Periode  einen  Esslöffel,  nach 
Munden  einen  zweiten  Esslöffel  (=  0,025  Hydrastinin  und 
1  ,.apavcr*n  pro  die),  nach  Bedarf  am  zweiten  Tage  noch  einen 
'vas  für  leichtere  Fälle  genügt,  wenn  auch  ohne  Gefahr  bis 
slonel  pro  die  gegeben  werden  könnten.  W.  hatte  in  10  von 
allen  den  gewünschten  Erfolg  und  glaubt  das  Mittel  jedenfalls 
'Nachprüfung  empfehlen  zu  können.  Auch  Dr.  P.  Hiissy  hat 
Mittel  im  Frauenhospital  Basel  angewendet  und  hält  es  für  eine 
solle  Bereicherung  unseres  Arzneischatzes.  Es  ist  empfohlen 
,  schmerzen,  die  auf  krampfartigen  Zuständen  der  glatten 
ismuskulatur  beruhen,  also  bei  Dysmenorrhöe,  Uterinkoliken  bei 
metritis,  Mittelschmerz.  (Gynäkol.  Rundschau  1914,  Nr.  9.)  Das 
‘arat  wird  von  der  Kaiser-Friedrich-Apotheke  in  Berlin  in  den 
ßi  gebracht.  Prospekt  liegt  dieser  Nummer  bei. 


Ueber  Quarkfettmilch,  die  einen  guten  Ersatz  für  die 
ausgezeichnete,  aber  im  Gebrauch  recht  teure  F  i  n  k  e  1  s  t  e  i  n  sehe 
tiweissmilch  bildet,  berichtet  Erich  Aschenheim  -  Dresden 

Die  Herstellung  dieser  Quarkfettmilch  ist  recht  einfach  und  ihr 
Preis  sehr  gering  (22—24  Pf.  pro  Liter).  Im  Dresdener  Säuglings- 
neim  werden  2  Arten  dieser  Quarkfettmilch  bereitet.  Die  erste  ent- 
halt  ein  Drittel  Milch  mit  10  Proz.  süssem  Quark  und  7 K  Proz 
. -auf;  ....  zvveite’  der  eigentliche  Ersatz  für  die  Eiweissmilch,  ent- 
haH  A Milch  mit  10  Proz.  süssem  Quark  und  10  Proz.  Sahne;  sie  hat 
einen  Kaloriengehalt  von  437  Kalorien  im  Liter.  Zu  diesen  Gemischen 
kommt  dann  noch  ein  Zusatz  von  Kohlehydraten,  meist  2—4  Proz 
Nahrzucker. 


Am  meisten  soll  es  sich  empfehlen,  den  Quark  zu  der  rohen 
bahne  und  der  Milch  zuzusetzen  und  das  fertige  Gemisch  zu  pasteuri¬ 
sieren.  (Ther.  Mh.  1914  H.  6.)  vr 


Tagesgeschichtliche  Notizen. 

München,  den  3.  August  1914. 

Wenn  diese  Blätter  in  die  Hände  unserer  Leser  kommen, 
werden  viele  deutsche  Aerzte  dem  Rufe  des  Vaterlandes  bereits  ge- 
folgt  und  zu  den  Fahnen  geeilt  sein,  vielen  anderen  steht  es  noch 
bevor,  die  friedliche  Praxis  mit  der  aufregenden  Tätigkeit  des  Feld¬ 
arztes  zu  vertauschen.  Nächst  dem  militärischen  wird  kein  anderer 
Beruf  vom  Kriege  so  nahe  berührt  wie  der  ärztliche.  Der  Bedarf  der 
kämpfenden  Heere  an  Aerzten  ist  enorm;  dafür  haben  soeben  erst 
die  Balkankriege  erschreckende  Beweise  geliefert.  Jeder  Arzt,  dem 
es  Jahre  und  Gesundheit  erlauben,  hat  daher  seinen  Platz  im  Feld. 
Aber  auch  diejenigen,  die  zu  Hause  zu  bleiben  gezwungen  sind, 
haben  nicht  nur  für  die  ausgerückten  Kollegen  die  Arbeit  zu  leisten 
sondern  sie  werden  noch  vielfach  durch  den  Dienst  in  den  in  der 
Heimat  zu  errichtenden  Lazaretten  in  Anspruch  genommen.  So  legt 
der  Krieg  unserem  Stande  schwere  Opfer  auf.  Dass  er  sie  gerne 
tragen,  dass  jeder  Einzelne  freudig  seine  ganze  Kraft  in  den  Dienst 
der  vaterländischen  Sache  stellen  wird,  ist  unsere  feste  Ueber- 
*,eagang-  ,So  war  es  früher,  so  wird  es  heute  sein.  Das  deutsche 
Militärsanitätswesen  hat  immer  als  vorbildlich  gegolten.  Es  wird 
auch  diesmal  beweisen,  dass  es  seinen  Ruf  verdient.  Unsere  innigsten 
Segenswünsche  begleiten  unsere  ausrückenden  Söhne,  unsere  Kol¬ 
legen.  Mögen  sie  mit  dem  Bewusstsein  treu  erfüllter  Pflicht  in  die 
Heimat  zurückkehren. 

—  Durch  Kaiserl.  Verordnung  wurde  die  Ausfuhr  von  Ver- 
b  and  -  und  Arzneimitteln,  sowie  von  ärztlichen  Instrumenten 
und  Geräten  über  die  Grenzen  des  Deutschen  Reichs  bis  auf  weiteres 
verboten.  Nach  Bekanntmachung  des  Reichskanzlers  fallen  unter 
das  Verbot:  Reine  Karbolsäure,  Quecksilber  und  Sublimat,  Jod,  Jod¬ 
kalium  und  Jodnatrium,  Jodoform,  Chloroform,  Pyrazolonum  phenyl- 
methylicum  und  seine  Abkömmlinge  (Pyramidon  usw.)  gepulvertes 
Opium,  Morphium  und  seine  Salze,  phosphorsaures  Kodein,  Para¬ 
formaldehyd,  salzsaures  und  schwefelsaures  Chinin,  Akreolin,  Salvar- 
san,  Verbandwatte,  Verbandgaze  und  andere  Verbandstoffe,  chirur¬ 
gische  und  andere  ärztliche,  auch  zahnärztliche  Instrumente  und  Ge¬ 
räte,  bakteriologische  Geräte,  Material  für  bakteriologische  Nähr¬ 
böden  (Agar-Agar,  Gelatine,  Pepton),  Schutzimpfstoffe,  Schutzsera 
und  Heilsera  bei  Infektionskrankheiten,  Versuchstiere. 

—  Durch  Beschluss  des  Bundesrats  wurde  das  praktische 
Jahr  vorübergehend  aufgehoben;  die  Medizinalpraktikanten  er¬ 
halten  sofort  die  Approbation  als  Arzt. 

-  Das  Kgl.  Bayer.  Staatsministerium  des  Innern  gibt  den  ihm 
unterstellten  Behörden  bekannt,  dass  alle  in  Urlaub  befindlichen  Be¬ 
amten  sich  —  soweit  sie  nicht  zum  Militärdienst  berufen  sind  —  sofort 
an  ihre  Dienstesstelle  zu  begeben  haben. 

—  l_m  Verlag  von  J.  F.  Lehmann,  München  erscheint  dem¬ 
nächst  ein  „V  ademekum  für  Feldärzte“  von  Oberstabsarzt 
Prof.  Dr.  Schönwerth  in  München.  In  dem  Vorwort  zu  der 
zeitgemässen  Publikation  sagt  der  Verfasser:  „Das  Buch  ist  bestimmt 
für  den  praktischen  Arzt,  den  Nichtspezialisten,  der  als  Feldarzt  sich 
plötzlich  in  die  Lage  versetzt  sieht,  vorwiegend  chirurgisch  tätig 
zu  sein.  Die  Anforderungen,  die  hiebei  an  ihn  herantreten,  sind 
mannigfaltig,  die  Verantwortung,  die  jeder  auf  sich  nehmen  muss, 
ist  eine  enorme.  Unbeirrt  durch  die  Fülle  der  auf  ihn  hereinstürmen¬ 
den  neuen  Eindrücke  hat  er  ruhig,  schnell,  selbständig  eine  Ent¬ 
scheidung  zu  treffen  und  demgemäss  zu  handeln.  Dem  weniger  Ge¬ 
übten  in  dieser  Lage  ein  Ratgeber  zu  sein,  ist  der  Zweck  des 
Buches.  Der  Reihe  nach  werden  die  Diagnosen  und  die  Behandlung 
der  einzelnen  verschiedenen  Schussverletzungen  besprochen,  um  eine 
möglichst  rasche  Orientierung  zu  ermöglichen.“  Das  Buch  ist  durch 
zahlreiche  Abbildungen  anschaulich  illustriert;  es  ist  in  biegsamen 
Einband  gebunden,  bequem  in  der  Tasche  zu  tragen  und  kostet  4  M. 

—  Der  diesjährigen  Prüfung  für  den  ärztlichen  Staats¬ 
dienst  in  Bayern  haben  sich  15  Aerzte  unterzogen.  Hiervon 
erhielten  4  die  Note  I,  10  die  Note  II,  1  die  Note  III. 

.  —  Nach  einer  Entscheidung  des  Preussischen  Oberverwaltungs¬ 
gerichtes  bezieht  sich  die  Anzeigepflicht  der  Hebammen 
nicht  nur  auf  Wochenbettfieber,  sondern  auf  jedes  Fieber;  die  An¬ 
zeige  muss  von  der  Hebamme  gemacht  werden,  auch  wenn  ein  zu¬ 
gezogener  Arzt  sie  nicht  für  erforderlich  halten  sollte. 

—  Nach  der  Verbescheidung  des  bayerischen  Ministeriums  des 
Innern  auf  die  Verhandlungen  der  Apothekerkammern 


1768 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  31. 


i  in  Jahre  1913  wird  von  der  Einrichtung  von  Arzneimittelmeder- 
lagen  auf  dem  Lande  abgesehen,  nachdem  sich  sämtliche  Kammern 
übereinstimmend  dagegen  ausgesprochen  haben.  Der  Hute  der 
Kammern,  dahin  zu  wirken,  dass  die  Zulassung  zum  Apothekerberut 
von  der  Hochschulreife  abhängig  gemacht  wird,  steht  die  Kegierung 
wohlwollend  gegenüber.  Das  sog.  Angerersche  Desinfektions- 
kästchen  für  Hebammen,  durch  das  sich  die  Apotheker  wirtschaftlich 
geschädigt  glauben,  ist  weder  Monopol  der  Firma  S  t  i  e  i  e  n  h  o  t  e  r 
(die  aber  Gebrauchsmusterschutz  erwirkt  hat),  noch  besteht  ein 
Zwang  zur  Benützung.  Das  Kästchen  wurde  vom  Obermedizmal- 
ausschuss  als  Mittel  zur  Verhütung  des  Kindbettfiebers  empfohlen, 
wie  auch  jedes  andere  dem  Zweck  ebenso  dienende  empfohlen  werden 
wird.  Die  Führung  des  Kästchens  ist  den  Apothekern  freigegeben. 

—  Reisestipendien  für  Aerzte  an  der  Berliner 
Universität.  Der  Dekan  der  medizinischen  Fakultät  der  Berliner 
Universität  vergibt  in  diesem  Jahre  das  B  1  u  m  e  n  b  a  c  h  sehe  Reise- 
stipendium  im  Werte  von  1980  M.  an  einen  „vorzüglich  würdigen 
jungen  Mann,  welcher  Doktor  der  Medizin  ist.“  Vorzugsweise  wird 
gewählt,  wer  sich  zur  akademischen  Laufbahn  eignet  und  ihr  sich 
zu  widmen  entschlossen  ist.  Ein  halbes  Jahr  muss  der  Empfänger 
auf  Reisen  sein.  Bewerbungen  sind  bis  zum  30.  Juli  dem  Dekan, 
Prof.  Dr.  P  a  s  s  o  w,  einzureichen. 

—  Nach  dem  17.  Jahresbericht  der  Basler  Heilstätte  für 
Brustkranke  in  Davos  trat  die  Anstalt  mit  einem  Patienten¬ 
stand  von  98  (40  m.,  58  w.)  in  das  Jahr  1913;  im  Laufe  des  Jahres 
wurden  233  (97  m„  136  w.)  neu  aufgenommen,  darunter  48  (20  m., 
28  w.)  Deutsche.  41  Patienten  machten  eine  wiederholte  Kur.  Aus¬ 
getreten  sind  239  (99  m..  140  w.),  von  denen  228  für  die  Statistik 
in  Betracht  kommen.  Hievon  waren  38,6  Proz.  im  I.,  11,8  Proz. 
im  II  49  6  Proz.  im  III.  Stadium.  Positiven  Erfolg  hatten  205 
(85  im  L,  27  im  II.,  93  im  III.  Stadium),  negativen  Erfolg  3  im  I., 

19  im  III.  Stadium.  1  Patient  starb.  Voll  erwerbsfähig  wurden  ent¬ 
lassen  164,  mit  wenig  beeinträchtigter  Erwerbsfähigkeit  38,  mit  stark 

beeinträchtigter  25.  ,,  ,  .  ... 

ln  den  Krankenhausanlagen  in  München  wurde  am  31.  v.  Mts. 
das  Denkmal  des  im  Jahre  1908  verstorbenen  Professors  der 
Ohrenheilkunde  Friedrich  Bezold  mit  einer  dem  Ernst  der 
Stunde  entsprechenden  kurzen,  schlichten  Feier  eröffnet.  Prof. 

S  i  e  b  e  n  rn  a  n  n  -  Basel  hielt  die  Festrede.  Rechtsrat  Wölzl  ver- 
sprach  namens  der  Stadt  das  Denkmal  in  treue  Obhut  nehmen  zu 

w ollem  ^  Hans  Quggenheimer,  Assistent  am  poliklinischen 
Institut  der  Universität  Berlin,  hat  den  diesjährigen  Alvarenga- 
preis  der  H  u  f  e  1  a  n  d  sehen  Gesellschaft  über  das  Thema:  „Die 
Rolle  der  Fermente  im  tierischen  Stoffwechsel“  erhalten. 

—  Herr  Dr.  Adolf  Brau  n,  der  Redakteur  der  in  Nr.  28  S.  165o 
genannten  Zeitschrift  „Dia“  teilt  uns  mit,  dass  sein  Vertrag  mit  dem 
Verleger  die  ausdrückliche  Bestimmung  enthalte,  dass  die  Zeitschrift 
in  arzttreuem  Sinne  zu  leiten  sei  und  dass  er  hinsichtlich  des  Be- 
griffes  „arzttreu“  ohne  Vorbehalt  auf  dem  von  uns  eingenommenen 
Standpunkt  stehe.  Die  Grenzen,  welche  dem  redaktionellen  Ten 
dadurch  gezogen  sind,  seien  auch  bisher  niemals  überschritten 
worden.  Von  dem  Inhalt  der  in  die  erste  Nummer  der  Zeitschrift 
aufgenommenen  Anzeigen  habe  Dr.  B.  keine  Kenntnis  gehabt.  Als¬ 
bald  nach  deren  Erscheinen  habe  er  Veranlassung  genommen,  den 
Verleger  aufzufordern,  Kurpfuscherannoncen  jeder  Art  in  Zukunft 
rundweg  zurückzuweisen.  Die  Anzeige  des  Buches  der  Frau 
Dr.  Fischer-Dückelmann,  die  ja  an  ziemlich  versteckter 
Stelle  steht,  sei  ihm  leider  bisher  entgangen.  In  Zukunft  werde  aber 
auch  diese  Anzeige  beseitigt  werden.  Sollte  die  Reinhaltung  des 
Anzeigenteils  von  Kurpfuscherannoncen  sich  aus  irgendwelchen 
Gründen  als  nicht  möglich  erweisen,  so  werde  er  selbstverständlich 
von  der  Redaktion  der  Zeitschrift  ohne  Verzug  zurücktreten. 

—  Dem  Dozenten  für  soziale  Medizin  an  der  Kölner  Akademie 
für  praktische  Medizin  Landesmedizinalrat  Dr.  Heinrich  Knepper 
in  Düsseldorf  ist  der  Professortitel  verliehen  worden,  (hk.) 

—  Cholera.  Russland.  Im  Gouv.  Podolien  sind  bis  zum 
16.  Juli  in  3  Kreisen  überhaupt  30  Erkrankungen  (mit  14  Todesfällen) 
festgestellt  worden.  Laut  Mitteilung  vom  23.  Juli  soll  deren  Zahl 
inzwischen  auf  85  (41)  angewachsen  sein.  —  Türkei.  Laut  amtlicher 
Feststellung  sind  vom  März  bis  zum  16.  Juli  im  ganzen  türkischen 
Reiche  4  Erkrankungen  und  2  Todesfälle  vorgekommen.  _ 

—  Pest.  Russland.  Im  Gouv.  Astrachan  sind  vom  25.  Mai  bis 
13  Juli  41  tödlich  verlaufene  Erkrankungen  festgestellt  werden.  — 
Türkei,  ln  Bassra  sind  vom  25.  Mai  bis  12.  Juli  16  Erkrankungen 
und  10  Todesfälle  festgestellt  worden.  Die  Zahl  der  Erkrankungen 
(Todesfälle)  im  ganzen  türkischen  Reiche  wird  für  die  Zeit  vom 
März  bis  zum  16.  Juli  auf  30  (19)  amtlich  angegeben.  —  Aegypten. 
Vom  11  bis  17.  Juli  erkrankten  11  (und  starben  4)  Personen.  — 
Britisch  Ostindien.  Vom  14.  bis  20.  Juni  erkrankten  1480  und  starben 
1408  Personen.  —  Hongkong.  Vom  14.  bis  20.  Juni  53  Erkrankungen 
(davon  29  in  der  Stadt  Viktoria)  und  41  Todesfälle.  —  China.  In 
Pakhoi  beschränkte  sich  zufolge  Mitteilung  vom  18.  Juni  die  Seuche 
bisher  auf  2  von  Hongkong  auf  einem  Dampfer  eingeschleppte  Fälle. 
In  den  beiden  im  Hinterlande  gelegenen  Dörfern  Kan-lai  und  San-hü 
wurden  etwa  je  100  Todesfälle  gezählt;  in  dem  Hafenplatz  On-pu, 
150  km  östlich  von  Pakhoi,  sollen  mehrere  hundert  Personen  an  der 
Pest  gestorben  sein.  In  Kanton  sind  bis  zum  11.  Juni  1156  Erkran¬ 
kungen  festgestellt  worden.  —  Senegal.  Zufolge  Mitteilung  vom 
13.  Juni  waren  in  Dakar  seit  dem  1.  Juni  neue  Erkrankungen  nicht 


mehr  festgestellt  worden.  Die  Zahl  der  Erkrankungen  soll  100  nicht 
überstiegen  haben.  —  Cuba.  Vom  22.  Februar  bis  24.  Juni  sind  it 
Havana  insgesamt  27  Erkrankungen  mit  6  Todesfällen  festgestellt 

'  in  der  28.  Jahreswoche,  vom  12.  bis  18.  Juli  1914,  hatten  vor 
deutschen  Städten  über  40  000  Einwohner  die  grösste  Sterblichkeit 
Tilsit  mit  32.2,  die  geringste  Berlin-Weissensee  und  Berlin-Wilmers 
dort  mit  je  6,2  Todesfällen  pro  Jahr  und  1000  Einwohner.  Mehr  ah 
ein  Zehntel  aller  Gestorbenen  starb  an  Scharlach  in  Brandenburg 
Königshütte,  Recklinghausen-Land,  an  Masern  und  Röteln  in  Herne 
Ludwigshafen,  Ulm,  an  Diphtherie  und  Krupp  in  Bottrop. 

Vöff.  Kais.  Ges.A. 

(Hochschulnachrichten.) 

Giessen.  Zum  Rektor  für  das  Studienjahr  1914/15  wurde  de: 
Professor  der  Psychiatrie,  Geh.  Medizinalrat  Dr.  Robert  Somme: 

gewählt.  „  „  .  . 

Frankfurt.  Zum  ordentlichen  Professor  der  Pharmakologu 
und  Direktor  des  pharmakologischen  Institutes  wurde  Prof.  Dr.  A.  Elj 
linger  in  Königsberg  berufen,  der  den  Ruf  angenommen  hat.  Exz 
Ehrlich  wird  das  Ordinariat  für  experimentelle  Therapie  um: 

Pharmakologie  übernehmen.  . 

Leipzig.  Als  Privatdozent  für  Hygiene  und  Bakteriologu 
habilitierte  sich  der  Assistent  am  hygienischen  Institut  Dr.  Jose 
Bürgers,  bisher  Privatdozent  in  Königsberg  i.  Pr.  (hk.)  —  De 
Kgl.  sächsische  Geheime  Rat  Professor  Dr.  med.  et  phil.  Ewald 
Hering,  Direktor  des  physiologischen  Universitätsinstitutes  ii 
Leipzig,  begeht  am  5.  August  seinen  80.  Geburtstag,  (hk.) 

Marburg.  Prof.  Dr.  med.  Hans  Hübner,  Privatdozent  fu 
Dermatologie  bisher  leitender  Arzt  der  Hautkrankenstation  der  Medi 
zinischen  Klinik  zu  Marburg,  wurde  als  Chefarzt  der  Hautkranken 
Station  an  das  Städtische  Krankenhaus  zu  Elberfeld  berufen. 

Rostock.  Dem  Privatdozenten  Dr.  med.  Walter  F  r  i  e  b  oe 
aus  Bonn  ist  unter  seiner  Ernennung  zum  Extraordinarius  der  durc 
den  Tod  des  Prof.  Wolters  frei  gewordene  Lehrstuhl  für  Der 
matologie  zum  1.  Oktober  d.  J.  verliehen  worden. 

Strassburg.  Der  Direktor  des  anatomischen  Instituts,  Gel 
Medizinalrat  Prof.  Dr.  Gustav  Schwalbe,  feierte  am  1.  Augus 
seinen  70.  Geburtstag.  Geheimrat  Schwalbe  wird  mit  Schlus 
des  Sommersemesters  von  seinem  Lehramt  zurücktreten,  um  sic 
ferner  nur  noch  seinen  wissenschaftlichen  Arbeiten  zu  widmen. 

Tübingen.  Dem  Privatdozenten  für  Augenheilkunde  Dr.  CU 
mens  Harms  ist  Titel  und  Rang  eines  ausserordentlichen  Professor 

verliehen  worden.  ...  , 

W  ü  r  z  b  u  r  g.  Zum  Dekan  der  med.  Fakultät  wurde  für  1914  1 
D  Gerhardt  gewählt.  Dem  Senat  gehören  an:  v.  Frey  (Physir 
logie)  S  c  h  u  1 1  z  e  (Anatomie),  M.  B.  S  c  h  m  i  d  t  (Pathol.  Anatomie 
Boston.  Dr.  R.  W.  L  o  r  e  1 1  habilitierte  sich  als  Privatdozei 
für  orthopädische  Chirurgie  an  der  Harvarduniversität. 

P  a  v  i  a.  Dr.  F.  P  e  r  u  s  s  i  a  habilitierte  sich  als  Privatdozer 

für  interne  Pathologie.  „.  ,  , 

Rom.  Dr.  B.  B  r  u  n  a  c  a,  bisher  Privatdozent  in  Siena,  hab 

litierte  sich  als  Privatdozent  für  Physiologie. 


Uebersicht  der  Sterbefälle  in  München 


während  der  28.  Jahreswoche  vom  12.  bis  18.  Juli  1914. 

Bevölkerungszahl  640000. 

Todesursachen:  Angeborene  Lebensschwäche  einschl.  Bildung 
fehler  18  (10 ').  Altersschw.  (über  60  Jahre)  5(3),  Kindbettfieber  —  (— 
and  Folgen  der  Geburt  und  Schwangerschaft  2  (1),  Scharlach  —  - 
Masern  u.  Röteln  1  (-),  Diphtherie  u.  Krupp  2  (— ),  Keuchhusten  i  (- 
Typhus  (ausschl.  Paratyphus)  —  (— ),  akut.  Gelenkrheumatismus  -  (- 
übertragbare  Tierkrankh.,  d.  s.  Milzbrand,  Rotzkrankh.,  Hundswi 
Trichinenkrankh.  —  (— ),  Rose  (Erysipel)  —  (— ),  Starrkrampf  1  (- 
Blutvergiftung  —  (L,  Tuberkul.  der  Lungen  24(17),  Tuberkul.  and.  ür 
(auch  Skrofulöse)  2  (5),  akute  allgem.  Miliartuberkulose  2  (—),  Lunge 
entzünd.,  kruppöse  wie  katarrh.  usw.  10  (4),  Influenza  —  (--),  venei 
sehe  Krankh.  3  (1),  and.  übertragbare  Krankh.:  Pocken,  Fleckfiebe 
Ruhr,  Genickstarre,  Strahlenpilzkrankh.,  Lepra,  asiat.  Cholera,  Wecns; 
fieber  usw.  —  (— ),  Zuckerkrankh.  (ausschl.  Diab.  insip.)  1  (6),  Alkoholi 
mus  _  (_))  Entzünd,  u.  Katarrhe  der  Atmungsorg.  3  (1),  sonst.  Krank 
d.  Atmungsorgane  2  (6),  organ.  Herzleiden  19  (16),  Herzschlag,  ner 
lähmung  (ohne  näh.  Angabe  d.  Grundleidens)  4  (8),  Arterienverkalkui 
10  (1),  sonstige  Herz-  u.  Blutgefässkrankh.  5  (2),  Gehirnschlag  1  U 
Geisteskrankh.  1  (— ),  Krämpfe  d.  Kinder  2  (2),  sonst.  Krankh.  d  Nerve 
Systems  1  (5),  Atrophie  der  Kinder  1  (1),  Brechdurchfall  1  (— ),  Mage 
katarrh,  Darmkatarrh, .Durchfall,  Cholera  nostras  11  (8),  Blinddari 
entzünd.  3  (2),  Krankh.  der  Leber,  Gallenblase,  Bauchspeicheldrüse 
Milz  5  (4),  sonst.  Krankh.  der  Verdauungsorg.  7  (3),  Nierenentzünd.4( 
sonst.  Krankh.  der  Harn-  u.  Geschlechtsorg.  2  (2),  Krebs  16  (14).  son 
Neubildungen  3  (3),  Krankh.  der  äuss.  Bedeckungen  2  (— ),  Krankti.c 
Bewegungsorgane  —  (— ),  Selbstmord  —  (6),  Mord,  Totschlag,  au 
Hinricht.  —  (2),  Verunglückung  u.  andere  gewalts.  Einwirkungen  4  1 
andere  benannte  Todesursachen  1  (2),  Todesursache  nicht  (gern 
angegeben  (ausser  den  betr.  Fällen  gewaltsamen  Todes)  —  (— )• 
Gesamtzahl  der  Sterbefälle:  180  (154). 


i)  Die  eingeklammerten  Zahlen  bedeuten  die  Fälle  der  Vorwoci 


Verlag  von  J.  F.  Lehmann  in  München  S.W.  2,  Paul  Heysestr.  26.  —  Druck  von  E.  Mühlthaler’s  Buch-  und  Kunstdruckerei  A.O.,  München. 


Die  Münchener  Medizinische  Wochentchrift  erscheint  wöchentlich 
m  Umfang  von  durchschnittlich  7  Bogen.  .  Preis  der  einzelnen 
Nummer  80  -4.  •  Bezugspreis  in  Deutschland  vierteljährlich 
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M 


MÜNCHENER 


iuscndnngcn  sind  zu  adressieren’: 

FÜrdie  Redaktion  Arnulfstr.26.  Bürozeit  der  Redaktion  3«/,  — l  LThr 
Für  Abonnement  an  |.  F.  Lehmann’s  Verla*,  Paul  Heysestrasse  21 
Für  Inserate  und  Beilagen  an  Rudolf  Mosse,  Theatinerstrasse  i. 


Medizinische  Wochenschrift. 

ORGAN  FÜR  AMTLICHE  UND  PRAKTISCHE  ÄRZTE. 


Ir.  32.  11.  August  1914.  Redaktion:  Dr.  B.  Spatz,  Arnulfstrasse  26. 

_ __ _ Verlag:  J.  F.  Lehmann.  Paul  Hevsestrasse  26. 

_ Per  Verlag  behalt  sich  das  ausschliessliche  Recht  der  Vervielfältigung  und  Verbreitung  der  ln  dieser  Zeitschrift  zum  Abdruck 


61.  Jahrgang. 


gelangenden  Originalbeiträge  vor. 


Originalien. 

Aus  dem  Pathologischen  Institut  der  Universität  München 
(Direktor:  Prof.  Dr.  Borst). 

Lieber  die  Entstehung  der  Hämorrhoiden*). 

(Nach  gemeinsamen  Untersuchungen  mit  Dr.  Szumann.) 

Von  Dr.  A.  Schmincke. 

Leber  die  Pathogenese  der  Hämorrhoidalerkrankung 
errscht,  wie  ein  Studium  der  ausgedehnten  Literatur  ergibt, 
och  Unstimmigkeit.  Untersuchungen,  die  ich  in  Gemeinschaft 
üt  Dr.  Szumann  anstellte,  um  aus  eigener  Anschauung  die 
athologische  Anatomie  dieser  Erkrankung  kennen  zu  lernen, 
aben  mich,  wie  ich  glaube,  neue  und  für  die  Pathogenese  der 
ämorrhoiden  wichtige  Gesichtspunkte  erkennen  lassen  und 
nch  zu  einer  besonderen  ursächlichen  Auffassung  der  Hämor- 
foidenentstehung  geführt. 

Ueber  das  Ergebnis  dieser  Untersuchungen  will  ich  im 
ügenden  berichten: 

Das  Wesentliche  der  Literatur*  l *)  kann  ich  kurz  vorher 
ihin  präzisieren,  dass  als  Momente,  die  bei  der  Genese  der 
ämorrhoiden  wirksam  sind,  Blutstauung  in  den  Hämorrhoidal- 
enen  schon  Hippokrates  hatte  die  Hämorrhoiden  als 
arices  venarum  ani  erkannt  —  und  Entzündung  der  Rektal- 
hleimhaut  in  der  Hämorrhoidalregion  in  Betracht  kommen, 
eide  sollen  sich  in  verschiedener  Weise  kombinieren;  so  ist 
ich  Q  u  e  n  u  *),  dem  wir  die  ersten  modernen  histologischen 
massenden  Untersuchungen  über  Hämorrhoiden  verdanken, 
e  Entzündung  das  Primäre,  die  Venenerweiterung  sekundär, 
.es  veines  se  laissent  definitivement  diiater,  parce-qu’elles 
>nt  malades);  nach  anderen,  insbesondere  v.  R  y  d  y  g  i  e  r  ist 
umgekehrt.  Als  einen  überaus  wichtigen  Fortschritt  in  der 
Hire  der  Hämorrhoidalerkrankung  möchten  wir  die  aus  den 
Versuchungen  _v.  Rydygiers  hervorgehende  Tatsache 
■tonen,  dass  die  Erweiterung  der  Hämorrhoidalvenen  ein 
ozess  ist,  der  schon  in  frühen  Lebensjahren  beginnt  und  mit 
';m  Lebensalter  fortschreitet.  Es  ist  dies  eine  Erfahrung,  die 
ir  auf  Grund  unserer  Untersuchungen  durchaus  bestätigen 
i'nnen  und  die,  wie  wir  sehen  werden,  für  die  Pathogenese 
'  r  Hämorrhoiden  von  hoher  Bedeutung  ist. 

Im  Interesse  eines  besseren  Verständnisses  der  später  zu 
sbenden  Ausführungen  dürfte  es  zweckmässig  sein,  einen 
.kurs  über  die  normale  Anatomie  der  Hämorrhoidalregion 
'»rauszuschicken. 

Unter  Hämorrhoidalregion  „Annulus  haemorrhoidalis“  ver- 
j-'flt  man  einen  ringförmigen,  etwa  2  cm  hohen  Bezirk  der 
trs  analis  recti.  Nach  obenhin  reicht  dieser  Bezirk  bis  an 
("  „ /*sis  der  Morgagni  sehen  Säulen,  nach  unten  geht  er 
;  mählich  in  die  äussere  Haut  über.  Dieser  Bezirk  ist  charak- 
•‘siert  durch  sein  Epithel.  Das  Plattenepithel  der  Haut  geht 
t.r  allmählich  in  ein  unverhorntes,  bedeutend  niedrigeres 
battenepithel  über,  welchem  die  Haare  fehlen,  und  in 
v.Mchem  nur  spärliche  Talgdrüsen  vorhanden  sind.  Die 
>ertlache  dieses  Epithels  ist  glatt,  wie  erwähnt,  nicht  ver- 
irnt,  wohl  deswegen,  weil  es  schon  in  dem  Analrohr  liegt. 

r,  Nach  einem  im  Aerztlichen  Verein  München  am  15.  VII.  14 

'laltenen  Vortrag. 

i  iP'.e  Literatur  über  Hämorrhoiden  findet  sich  zusammengestelit 
■  trä  ^  y  ^  y,g  Le  r:  2schr.  f.  Chir.  91.  Cf.  dazu  auch  S  z  u  m  ann: 

>  g  zur  Lehre  der  Hämorrhoiden.  Inaug.-Diss.  München  1914. 
'199  guenu:  Ltude  sur  les  hemorrhoides  Rev.  de  Chir.  1892. 

Nr.  32. 


Die  obere  Grenze  gegen  die  eigentliche  mit  Zylinderepithel 
übeizogene  Schleimhaut  des  Rektums  ist  unscharf,  indem  das 
Platter.epithel  die  Rektaltaschen  zwischen  den  Morgagni- 
schen  Säulen  noch  streckenweise  auskleidet  und  besonders  an 
den  letzteren  höher  hinaufreicht.  Die  untere  Grenze  der 
Hämorrhoidalzone  fällt  etwa  mit  dem  unteren  Pol  des  Muscul. 
Sphincter  ani  internus  zusammen.  Dieser  Muskel  ist  eine  di¬ 
rekte  Fortsetzung  der  Ringmuskelschicht  des  Rektums,  welche 
hier  um  das  Doppelte  dicker  und  kräftiger  entwickelt  ist.  Am 
unteren  Pol  dieses  Muskels  schliesst  sich  der  willkürliche 
Sphinkter  mit  quergestreiften  Muskelfasern  an. 

In  der  Hämorrhoidalzone  liegen  die  Venen  des  Plexus 
haemorrhoidalis,  und  zwar  besteht  derselbe  aus  einem  Netz 
von  Venen,  welches  teils  an  der  Innenfläche  des  Sphincter  ani 
internus,  „Plexus  haemorrhoidalis  internus“,  teils  an  seiner 
Aussenfläche  „Plexus  haemorrhoidalis  externus“  liegt.  Dies 
Gefässgebiet  wird  gespeist  von  der  unpaaren  Arteria  haemor¬ 
rhoidalis  superior,  den  paarigen  Art.  haemorroidales  mediae 
und  inferiores,  sein  Blut  wird  abgeführt  durch  die  gleich¬ 
namigen  Venen.  Die  Vena  haemorrhoidalis  superior  mündet 
:  in  die  Vena  mesenterica  inferior  und  gehört  so  dem  Pfortader¬ 
kreislauf  an,  während  die  Venae  haemorrhoidales  mediae  und 
inferiores  dem  Gefässgebiet  der  Venae  hypogastricae  ange¬ 
hören.  Nach  Corning3)  ist  die  unpaare  Vena  haemor¬ 
rhoidalis  superior  das  stärkste  Gefäss;  sie  verzweigt  sich  nach 
unten  bis  in  die  Basis  der  Columnae  Morgagni,  und  ihre 
Aeste  bilden  dort  Knäuel,  welche  den  späteren  Hämorrhoidal¬ 
knoten  entsprechen.  Die  Verzweigungen  der  Venae  haemor- 
|  rhoidales  mediae  durchbohren  den  Sphincter  internus  und 
sammeln  sich  in  zwei  Stämmen,  die  in  die  Venae  pudendae 
oder  direkt  in  die  Venae  hypogastricae  münden.  Auf  dieser 
Beobachtung,  dass  nämlich  die  Fasern  des  Sphincter  internus 
von  den  Aesten  der  Venae  haemorrhoidales  mediae  durch¬ 
bohrt  werden,  haben  Duret  und  V  e  r  n  e  u  i  1  (zitiert  nach 
Q  u  e  n  u)  eine  Theorie  der  Hämorrhoidalentstehung  auf¬ 
gebaut,  die  dahin  geht,  dass  durch  die  Kontraktion  dieses 
Muskels  die  Venen  komprimiert,  der  Blutabfluss  gehindert  und 
so  das  Moment  für  die  variköse  Erweiterung  der  Venen  in  der 
Submukosa  gegeben  sei. 

Nun  aber  lehrt  das  Studium  mikroskopischer  Präparate, 
dass  die  Venenstämme  im  Bereiche  des  Sphincters  internus 
selbst  oft  erweitei t  sind;  ja  man  sieht  Bilder,  wie  solche  auch 
v.  P  y  d  y  g  i  e  r  abbildet,  wo  der  Muskel  durch  die  zwischen 
den  Muskelbündeln  gelegenen  Venen  direkt  zerfasert  erscheint. 

Was  nun  die  Venae  haemorrhoidales  inferiores  anbetrifft, 
so  stehen  sie  durch  subkutane  Aeste,  welche  vom  äusseren 
Analring  nach  innen  verlaufen,  mit  dem  Plexus  in  Verbindung. 
Durch  Herabsteigen  des  Hämorrhoidalerkrankungsprozesses  in 
iln  (Gebiet  entstehen,  wie  wir  glauben,  die  äusseren  Hämor¬ 
rhoiden. 

Nachdem  wir  so  die  Anatomie  der  Hämorrhoidalregion 
geschildert  haben,  wollen  wir  nun  zur  Betrachtung  der  Ver¬ 
änderungen,  die  wir  bei  der  Hämorrhoidalerkrankung  an  ihr 
wahrnehmen  können,  übergehen. 

Die  Hämorrhoidalregion  des  Neugeborenen  und  des 
kleinen  Kindes  zeigt  im  Vergleich  zur  übrigen  Schleimhaut  des 
Mastdarms  sowohl  makro-  wie  mikroskopisch  weder  ver¬ 
mehrte  noch  erweiterte  üefässe.  Sie  ist  gleichmässig  blass 
odei  gerötet  wie  die  übrige  Schleimhaut.  Mit  zunehmendem 
Alter  tiitt  nun  in  den  meisten  Fällen  eine  derartige  Verände- 


3)  Lehrbuch  der  top.  Anatomie. 


I 


1770 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  32. 


rung  ein,  dass  der  Annulus  haemorrhoidalis  zunächst 
durch  eine  geringe  Rötung,  später  durch  eine  deutliche 
Injektion,  in  noch  weiter  vorgeschrittenem  Alter,  durch  mit 
blossem  Auge  erkennbare,  zahlreich  in  der  Schleimhaut  ge¬ 
legene,  dilatierte  Venen  auffällt.  Diese  entwickeln  sich  später 
zu  grösseren  Konvoluten  oder  einzelnen  grossen  Bluträumen, 
die  zunächst  als  Höcker  die  Schleimhaut  überragen  und 
schliesslich  gestielte,  blaurot  aussehende  Knoten  bilden.  Es 
sind  dies  die  Hämorrhoidalknoten. 

In  allen  Fällen,  wo  Hämorrhoidalknoten  ausgebildet 
sind,  besteht  immer  eine  gleichzeitig  stärkste  Injektion  der 
Hämor rhoidalzone ;  nach  oben  und  unten  setzt  sie  sich  relativ 
scharf  ab  und  sendet  nach  unten  nur  einzelne  feine  Ausläufer 
aus,  die  eben  den  Aesten  der  Venae  hacmorrhoidales  inferiores 
entsprechen.  Wir  glauben,  dass  eben  diese  scharfe  Lokali¬ 
sation  der  Veränderung  für  das  Verständnis  des  Prozesses 
sehr  wichtig  ist,  da  einerseits  entchieden  gegen  die  urächliche 
Bedeutung  einer  allgemeinen  Stauung  im  Körperkreislauf 
spricht,  andererseits  unsere  Aufmerksamkeit  auf  andere,  gleich 
zu  schildernde  Momente  lenkt. 

Wir  haben  nun  von  einer  ganzen  Reihe  wenig  und  stark 
veränderter  Mastdärme  die  inneren  Wandschichten  bis  zum 
Sphincter  internus,  nämlich  Mukosa,  Muscularis  mucosae  und 
Submukosa,  mit  den  in  ihnen  vorhandenen  Venen  Verzwei¬ 
gungen  abpräpariert,  aufgespannt,  die  Venen  in  der  Sub¬ 
mukosa  freigelegt  und  die  Präparate  dann  durch  Aufhellung  in 
Xylol  durchsichtig  gemacht.  Auf  diese  Weise  erhielten  wir 
sehr  anschauliche  Bilder. 

Es  fanden  sich  in  diesen  Präparaten  oberhalb  der 
Hämorrhoidalzone  nur  einige  kleine  Venenverzweigungen 
und  dann  die  grösseren  Stämme  der  Vena  haemorrhoidalis 
superior  in  der  Richtung  von  oben  nach  unten  verlaufend; 
diese  Stämme  teilten  sich  im  Bereich  der  Hämorrhoidal¬ 
zone  in  immer  feinere  Verästelungen  auf.  Man  konnte 
beobachten,  dass  sowohl  schon  die  Aeste,  aber  be¬ 
sonders  die  feinen  Verzweigungen  ampullenförmige  Erwei¬ 
terungen  zeigten,  so  dass  sie  teilweise  dicker  erschienen,  als 
die  grösseren  Verzweigungen  und  ein  Bild  boten,  wie  Knollen 
an  den  Wurzeln  einer  Pflanze.  Diese  kleinen  Varizen  waren 
es,  welche  die  späteren  Hämorrhoidalknoten  zusammen¬ 
setzten. 

Andere  Präparate  zeigten  den  Prozess  weiter  vorge¬ 
schritten.  Wir  beobachteten  hier  eine  starke  Schlängelung  der 
kleinen  Venenstämme,  dieselben  als  dicke  Kolben  den  Zweigen 
gröberer  Verästelungen  der  Vena  haemorrhoidalis  superior 
anhängend. 

Wie  sollen  wir  uns  diese  Bilder  erklären?  Allgemeine 
Blutstauung  im  Körper  wird  wohl  kaum  eine  so  lokalisierte 
Venenerweiterung  haben  hervorrufen  können.  Vor  allem  aber 
waren  es  die  Erweiterungen  der  kleinsten  Verzweigungen,  die 
„Varices  ramusculaires“  Q  u  e  n  u  s,  welche  einen  anderen 
Gedankengang  nahe  legten.  Wir  glauben  nun,  das  Zustande¬ 
kommen  der  Erweiterung  der  Häinorrhoidalvenen  aus  dem 
Mechanismus  der  Defäkation  erklären  zu  können. 

Bei  der  Defäkation  steigt  die  bis  dahin  im  S  romanum  oder 
im  oberen  Teil  des  Rektums,  jedenfalls  über  dem  Sphincter 
tertius  befindliche  Kotsäule  (dies  ist  wenigstens  die  in  der 
Physiologie  zurzeit  herrschende  Anschauung  (cf.  Nagels 
Handbuch)  ins  Rektum  hinab.  Hierdurch  wird  zugleich  der 
Defäkationsreiz  gegeben,  und  die  Wandschichten  des  Rektums 
werden  funktionell  hyperämisch.  Die  herabsteigende  Kotsäule 
drückt  nun,  besonders  wenn  es  sich  bei  Obstipation  um  harten 
Kot  handelt,  auf  die  Wände  des  Mastdarms,  denselben  pro¬ 
gressiv  erweiternd.  Durch  diesen  Druck  auf  die  Wand  des 
Rektums  wird  das  in  den  Venen  der  inneren  nachgiebigen  und 
weichen  Wandschichten  (Mukosa  und  Submukosa)  befindliche 
Blut  von  oben  nach  unten  herabgestrichen,  herabgepresst,  vor 
der  Kotsäule  hergeschoben  bis  unten  an  die  Hämorrhoidal- 
region,  die  unmittelbar  über  der  Analöffnung  liegt.  Von  hier 
aus  könnte  das  Blut  durch  die  drei  Venenstämme  der  Hämor¬ 
rhoidalis  superior,  media  und  inferior  abfliessen,  aber  in 
diesem  Moment  wirkt  die  Bauchpresse,  um  die  Sphinkter¬ 
kontraktion  zu  überwinden  und  drückt  auf  die  grossen  Venen¬ 
stämme,  die  Abflusswege  des  Hämorrhoidalvenengebietes.  Auf 
diese  Weise  befindet  sich  in  dem  Moment  der  Defäkation  eine 


übergrosse  Menge  Blut,  welches  ausserdem  unter  einem  zwei¬ 
fachen  Druck  steht,  in  den  Venen  der  Hämorrhoidalzone. 

Die  Venen  erweitern  sich,  um  die  übergrosse  Blut¬ 
menge  aufnehmen  zu  können.  Ihre  Wandungen  stehen  so 
unter  einem  hohen  Druck,  und  naturgemäss  sind  es  die  kleinen, 
schwachwandigen  venösen  Gefässe,  welche  zuerst  dem  Drucke 
nachgeben,  ln  dieser  Auffassung  scheint  mir  eine  Erklärung 
der  „Dilatation  ramusculaire“  Quenus  gegeben.  In  der 
frühesten  Jugend,  wo  zunächst  der  Kot  beim  Säugling  weich 
ist,  ist  die  mechanische  Wirkung  des  herabsteigenden  Kotes 
und  die  resultierende  Erweiterung  der  Hämorrhoidalvenen- 
verzweigungen  gering.  Mit  zunehmendem  Alter  muss  die 
täglich  sich  wiederholende  Ueberlastung  des  Hämorrhoidal¬ 
venengebietes  zu  dem  geschilderten  Ergebnis  führen,  beson¬ 
ders  bei  Obstipierten,  defäkationsträgen  Individuen,  bei  denen 
die  Druckwirkung  der  Kotsäule  längere  Zeit  besteht. 

Man  kann  nun  von  vornherein  die  Annahme  machen,  dass 
diese  während  der  Defäkation  stattfindenden  Dilatationen  sich 
während  der  defäkationsfreien  Intervalle  von  selbst  wieder 
ausgleichen.  Mit  der  Zeit  werden  jedoch  in  dem  Hämor- 
rhoidalvenengebiet  Veränderungen  Platz  greifen,  die  in  ihrem 
Wesen  als  Anpassungsveränderungen  an  die  gesteigerte  funk¬ 
tionelle  Inanspruchnahme  aufgefasst  werden  können,  nämlich 
Wandverdickung  der  Gefässe  und  Dilatation  derselben.  Wir 
werden  später  sehen,  dass  dies  tatsächlich  der  Fall  ist.  Es  lässt 
sich  jedenfalls  mit  Sicherheit  sagen,  dass  der  chronische,  oben 
beprochene,  intermittierend  wirksame  Mechanismus  eine  ver¬ 
ändernde  Wirkung  auf  die  Venen  der  Hämorrhoidalzone  ausübt, 
und  v.  R  y  d  y  g  i  e  r  hat  unserer  Meinung  nach  recht,  wenn  er 
glaubt,  dass  die  meisten  Erwachsenen  im  anatomischen  Sinne 
(nicht  im  klinischen)  Hämorrhoidarier  sind.  Von  einem  eigent¬ 
lichen  krankhaften  Zustand  kann  man  jedoch  noch  nicht  reden. 
Ein  Leiden  tritt  erst  dann  ein,  wenn  die  erwähnten,  funktionell 
hypertrophischen  Veränderungen  an  den  Venen  einer 
dauernden  Ueberlastung  gegenüber  nicht  mehr  genügen,  wenn 
also  das  Stadium  der  Insuffizienz  eintritt.  In  diesem  Stadium 
“tritt  eine  besonders  starke  und  dauernde  Erweiterung  der 
Venen  in  Erscheinung,  ausserdem  perivaskuläre  Oedembildung 
und  Blutungen.  Durch  diese  Folgeerscheinungen  leidet  natur¬ 
gemäss  das  Gewebe  der  Hämorrhoidalzone,  und  sekundäre 
Entzündungszustände  sind  die  weitere  Folge. 

Von  der  diffusen  Dilatation  der  Gefässe  im  Bereiche  der 
Hämorrhoidalregion  des  Mastdarms  bis  zur  Bildung  echter 
„Knoten“  ist  nur  ein  kleiner  Schritt.  Wir  verfügen  über  zahl¬ 
reiche  Präparate  von  Hämorrhoidalknoten,  die  erkennen  lassen, 
dass  dieselben  einen  wabigen  Bau  zeigen,  also  aus  zahlreichen 
kleinen  Bluträumen  zusammengesetzt  sind.  Die  Entstehung 
eines  Hämorrhoidalknotens  kommt  unserer  Meinung  nach 
folgendermassen  zustande:  Die  Verzweigungsverhältnisse  der 
grösseren  Venenstämme  bringen  es  mit  sich,  dass  beim  De- 
fäkationsakt  durch  den  erwähnten  Mechanismus  das  in  der 
Hämorhoidalzone  gelegene  Endverzweigungsgebiet  der  Venen¬ 
stämme  je  nach  dem  Modus  der  Verästelung  in  feinere  Ver¬ 
zweigungen  in  verschieden  starker  Weise  mit  Blut  gefüllt  wird. 
Wenn  ein  Seitenast  mit  geringerer  Verzweigung  mit  Blut  über¬ 
füllt  wird,  so  werden  sich  diese  Verzweigungen  in  Gesamtheit 
mehr  erweitern,  als  ein  analoges  aber  stärker  ramifiziertes 
Endgebiet,  da  dieses  eine  grössere  Blutmenge  fassen  kann. 
Die  Gesamtheit  der  kleinen,  stark  blutgefüllten  Ramifikationen 
wird  als  Höcker  imponieren,  der  durch  immer  stärkere  Füllung 
zu  einem  richtigen  Knoten  wird.  Durch  Oedem  und  durch 
Blutungen  in  den  Knoten  hinein,  wie  wir  es  mikroskopisch  oft 
nachweisen  konnten,  durch  sekundäre  bindegewebige  Pro¬ 
zesse,  wird  das  Volumen  dieser  Knoten  vermehrt  und  ge¬ 
festigt. 

Unsere  nun  zu  beschreibenden  mikroskopischen  Befunde 
haben  die  im  obigen  geschilderten  Anschauungen  noch  be¬ 
festigt.  Wir  konnten  in  unseren  Präparaten  funktionell  hyper¬ 
trophische,  sowie  im  Stadium  der  Insuffizienz  eingetretene  Ver¬ 
änderungen  der  Venenwandungen  und  des  umliegenden  Ge¬ 
webes  feststellen. 

Im  einzelnen  fanden  wir  Venen  mit  verdickter  Wandung, 
und  zwar  betraf  die  Verdickung  ziemlich  gleichmässig  alle 
drei  Wandschichten;  teilweise  waren  auch  besonders  endo- 
phlebitische  Wucherungsprozesse  vorhanden.  Die  Venen 


11.  August  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCH!:  WOCHENSCHRIFT. 


waren  in  ihrer  Wandung  arterienähnlich,  die  Lumina  dieser 
in  ihrer  Wand  verdickten  Venen  erschienen  erweitert. 

Diese  Bilder  leiteten  kontinuierlich  über  zu  solchen,  die 
wir,  wie  aus  unseren  obigen  Ausführungen  hervorgeht  als  be¬ 
reits  insuffiziente  ansehen  mussten.  Hier  war  eine  stärke  Er¬ 
weiterung  der  V enensteimmchen  zu  konstatieren;  es  fanden 
sich  Bilder,  wo  die  erweiterten  Gefässlumina  mit  stagnieren¬ 
dem  Blut  erfüllt  waren,  und  zur  Stagnation  Thrombose  hinzu- 
sttreten  war,  ferner  solche  Bilder,  in  denen  eine  Organisation 
Jer  entstandenen  Thromben  deutlich  war. 

Wie  die  Venen,  so  zeigten  auch  die  Kapillaren  starke 
Dilatation  der  Lumina.  Diese  erweiterten  Kapillaren  lagen  oft 
u  Gruppen  zusammen.  Es  kamen  so  Bilder  zustande,  welche 
tngiomai  tig  aussahen,  dadurch,  dass  bei  fortschreitender  Fr- 
.veiterung  der  Kapillaren  oder  präkapillaren  Venen,  die  in 
iruppen  zusammenlagen,  die  Wände  derselben  eng  zur  Be 
iihrung  gekommen  waren. 

Mit  der  Erweiterung  war  gleichzeitig  eine  ausgesprochene 
'Chlangelung  der  Venen  deutlich. 

Nicht  allzu  selten  fand  sich  in  der  Venenwandung  eine 
lyaline  Umwandlung  des  Gewebes,  eine  Beobachtung,  die  be- 
eits  Silber  b  erg4)  erwähnt  hat. 

Ferner  fand  man  in  der  Umgebung  der  Gefässe  in  weit 
orgeschrittenen  Fällen  als  Ausdruck  der  Zirkulationshemmung 
in  hochgradiges  Oedem.  Weiter  konnte  man  häufig  beob- 
chten,  dass  entsprechend  den  stark  hämorrhoidal  veränderten 
nd  ödematösen  Bezirken  das  Epithel  zugrunde  gegangen  war; 
ieser  Defekt  des  Epithels  konnte  sich  makroskopisch  als  üe- 
ehwür,  als  eine  der  bei  weit  vorgeschrittenem  Hämorhoidal- 
■lden  so  zahlreich  vorhandenen  Rhagaden  und  Fissuren  dar- 
iellen.  Neben  den  ödematösen  Zuständen  des  perivaskulären 
lewebes  fand  man  ferner  häufig  hyaline  Umwandlung  des 
indegewebes. 

Es  ist  leicht  zu  verstehen,  dass  ein  so  schwer  geschädigtes 
se’ner  ihr  Bakterieninvasion  so  gefährdeten  Lage 
{sachlich  von  Bakterien  befallen  und  in  den  Zustand  der  Ent- 
indung  versetzt  wird.  Derartige  Veränderungen  haben  wir 
i  operativ  entfernten  und  lebenswarm  fixierten  Hämorrhoidal- 
toten  beobachten  können.  Wir  sahen  hier  hochgradiges 
edem,  starke  entzündliche  Infiltration  des  Gewebes  mit 
eukozyten,  Leukozytendurchwanderung  durch  die  Wand  der 
enen.  In  nach  Gram  gefärbten  Schnitten,  die  wir  von 
esen  Präparaten-  gemacht  haben,  sahen  wir  zahlreiche  Bak- 
rien  im  Gewebe;  Bilder,  welche  den  hier  wiedergegebenen 
eichen,  können  unserer  Meinung  nach  nicht  in  dem  Q  ue  n  u  - 
hen  Sinne  einer  entzündlichen  Genese  der  Hämorrhoiden 
.  deutet  werden,  sondern  nur  so,  dass  die  entzündungs- 
< regenden  Bakterien  in  das  bereits  geschädigte  Gewebe  in- 
dicrt  sind.  Die  Entzündung  ist  unserer  Meinung  nach, 

,e  schon  oben  hervorgeboben,  bei  Hämorrhoiden  stets  ein 
Tundärer  Prozess. 

Das  Resultat  der  obigen  Betrachtungen  lässt  sich  fol- 
^ndermassen  zusammenfassen: 

1.  Die  Hämorrhoidalerkrankung  besteht  ihrem  Wesen  nach 
i  der  Erweiterung  der  feineren  Aeste  der  Venen  der  Hämor- 
r  'idalregion  (Varices  ramusculaires  Q  u  e  n  u  s). 

Diese  Erweiterung  ist  ein  mit  dem  zunehmenden  Alter 
'  tschreitender  Prozess.  Sie  ist  zurückzuführen  auf  das 
.cüanische  Moment  der  Defäkation,  indem  die  herabsteigende 
l;  sau^  das  Blut  in  die  kleinen  Venenzweigungen  der 
morrhoidalregion  hineinpresst,  aus  denen  es  infolge  des 
Mcnzeitig  vorhandenen  Bauchpressendruckes  nicht  schnell 
'iug  abfliessen  kann. 

3.  Die  an  den  Hämorrhoidalvenen  auftretenden  Verände- 
'gen  tinden  ihre  Erklärung  in  einer  funktioneilen  Hyper- 
pnie  der  Gefässwand  mit  sekundärer  Insuffizienz. 

4-  I)ie  Entzündung  bei  Hämorrhoiden  ist  ein  sekundärer 
3zess,  welcher  infolge  von  Bakterieninvasion  in  das  ge¬ 
zeugte  Gewebe  der  Hämorrhoidalzone  besonders  leicht  zü¬ 
nde  kommt. 


*)  Bruns  Beiträge.  61. 


Aus  der  Kuranstalt  Dr.  Saat  hoff  in  Oberstdorf. 

Lieber  die  Notwendigkeit  einer  einheitlichen  Temperatur- 
messung  und  über  die  Grenze  zwischen  normalen  und 
pathologischen  Temperaturen. 

Von  L.  S  a  a  t  h  o  f  f. 


».  ,.So,  sehr  die  Klinik  heute  bestrebt  ist,  ihre  diagnostischen 
Methoden  immer  mehr  zu  verbessern  und  zu  verfeinern,  so 
seiir  auch  die'  Forschung  darauf  ausgeht,  für  ihre  exakten  Me- 
t loden  gleiche  Voraussetzungen  und  Bedingungen  zu  ver¬ 
langen,  damit  sie  in  der  Hand  der  verschiedensten  Unter¬ 
sucher  möglichst  gleiche  Resultate  geben,  so  sehr  ist  zu  ver¬ 
wundern,  dass  für  die  älteste  der  exakten  klinischen  Unter- 
suchungsmethoden,  die  Temperaturmessung,  derartige  einheit- 
liche  Richtungslinien  nicht  bestehen,  und  dass  in  der  Art 
die  Temperatur  des  Kranken  zu  bestimmen,’ 
die  grösste  Willkürlich  keit  herrscht. 

Die  notwendige  Folgerung  ist  die,  dass  über  die  Kardinal¬ 
trage  der  ganzen  I  hermometrie  am  Krankenbett,  wo  denn 
eigentlich  die  Grenze  zwischen  normalen  und 
pathologischen  Temperaturen  liegt,  die  An¬ 
sichten  der  Aerzte  weit  auseinander  gehen,  und  dass  der  eine 
beispielsweise  eine  Temperaturhöhe  von  37,6  noch  als  zulässig 
erklärt,  während  sie  dem  anderen  bereits  weit  im  Bereiche  des 
Pathologischen  liegend  erscheint.  Daraus  aber  ergibt  sich 
einmal  für  die  Aerzte  eine  grosse  Unsicherheit  und  Uneinigkeit 
m  der  Beurteilung  aller  Krankheitszustände,  bei  denen  leichte 
I  emperatursteigerungen  im  Vordergründe  stehen,  wie  z.  B. 
bei  der  latenten  1  uberkulose.  Dann  aber  wird  auch  der  Laie 
durch  den  ihm  manchmal  entgegentretenden  eklatanten  Wider- 
spi  uch  in  dem  Urteil  verschiedener  Aerzte  verwirrt  und  in 
seinem  Vertrauen  auf  die  Richtigkeit  unserer  Methoden  er¬ 
schüttert.  Dass  dieser  Umstand  aber  geradezu  bei  den  hier  in 
Frage  kommenden,  häufig  so  schwierig  zu  beurteilenden 
Grenzfallen  Rat  und  Behandlung  ausserordentlich  erschweren 
muss,  liegt  auf  der  Hand, 


Wenn  wir  nun  den  Ursachen  dieser  auffallenden  Inkon¬ 
gruenz  der  ärztlichen  Meinung  in  einer  scheinbar  so  einfachen 
Eiage  nachgehen,  so  liegt  der  Grund  einfach  darin,  dass  kaum 
zwei  Aerzte  genau  denselben  Modus  der  Messung  innehalten, 
und  dass  selten  den  Patienten  ganz  bestimmte,  ins  einzelne 
gehende  Vorschriften  gemacht  werden.  Der  eine  lässt  im 
Munde  messen,  der  andere  in  der  Achselhöhle,  der  dritte  im 
Rektum  und  der  vierte  in  der  Inguinalbeuge.  Recht  häufig 
wird  bei  Krankengeschichten  nicht  einmal  angegeben,  wo 
eigentlich  gemessen  wurde,  obgleich  doch  jeder  weiss,  dass  an 
den  verschiedenen.  Orten  die  Temperaturen  weit  auseinander 
bf^n.  Auch  die  Vorschriften  für  die  Zeitdauer  der  einzelnen 
Messung  schwanken  sehr.  Bei  der  Rektalmessung  wird  sie 
zwischen  2  und  5  Minuten,  bei  der  Achselmessung  zwischen 
10  und  20  Minuten  angegeben.  Ferner  ist  der  Zeitpunkt  der 
Messung  sehr  wechselnd  und  der  individuellen  Lebensweise 
des  Patienten  häufig  nicht  genügend  angepasst.  Vielfach 
werden  einfach  bestimmte  Tagesstunden  angegeben,  ohne 
Rücksicht  auf  vorangegangene  körperliche  Bewegung  oder 
geistige  I  atigkeit  oder  eingenommene  Mahlzeiten,  während 
wir  doch  ganz  genau  wissen,  was  für  einen  grossen  Einfluss 
alle  diese  Faktoren  auf  die  Körpertemperatur,  besonders  die 
des  Körperinnern,  haben.  —  So  entstehen  ungezählte  Kom¬ 
binationen  in  der  Messung,  die  notwendigerweise  gänzlich  ver¬ 
schiedene  Resultate  zeitigen  müssen,  und  so  kommt  es,  dass 
von  den  Kuiven  verschiedener  Anstalten  und  Aerzte  jede  ihre 
eigene  Sprache  redet. 

Die  letzte  notwendige  Konsequenz  dieser  willkürlichen 
Messungsweise  war  die,  dass  man  bei  der  weiten 
Spannung  der  erhaltenen  Resultate  auch  die 
n  oi  male  Iemperat  urbreite  sehr  weit  ati- 
neh  m  e  n  musste. 

Auch  heute  noch  gibt  es  nicht  wenige  Kliniker,  die  auf 
dem  Standpunkte  der  alten  Autoren  Wunderlich  und 
Liebermeister  stehen,  dass  man  37,5  in  der  Achselhöhle 
am  Nachmittag  noch  als  normal  betrachten  darf.  Selbstver¬ 
ständlich  hat  diese  Anschauungsweise  ihren  bestimmten  Grund, 
lind  ich  sehe  den  darin,  dass  die  alten  Meister  ihre  Erfahrungen 
in  der  Klinik  gewonnen  haben,  die  doch  nur  mehr  oder  weniger 


r 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


Nr.  32. 


1772 


kranke  Menschen  birgt,  die  nicht  als  Norm  für  Gesunde  dienen 
können.  Wie  schwer  es  ist,  von  ganz  gesunden,  im  Leben 
stehenden  Menschen  exakte  Temperaturkurven  zu  erhalten, 
davon  macht  sich  nur  derjenige  den  richtigen  Begrin.  der  sic  i 
eigens  damit  befasst  hat.  Dem  Gesunden  ist  das  Messen  eben 
viel  zu  langweilig,  und  trotz  der  besten  Vorsätze  vergisst  er 
es  immer  wieder. 

Noch  in  einem  anderen  Punkte  mussten  die  alten  Kliniker 
hinter  unserer  heute  gewonnenen  Erkenntnis  zurückstehen:  Sie 
kannten  nicht  die  Rolle  der  latenten  Iuberkulose,  die  uns  durch 
die  biologischen  Methoden  erschlossen  ist.  Praktisch  wird 
diese  aber  auch  heute  noch  nicht  genügend  berücksichtigt. 
Merkwürdig:  Jeder  Arzt  weiss  heutzutage,  dass  etwa  90  Proz. 
aller  Menschen  tuberkuloseinfiziert  sind,  und  den  meisten  ist 
auch  allmählich  ins  Bewusstsein  übergegangen,  dass  ein  posi¬ 
tiver  Pirquet  oder  im  allgemeinen  eine  positive  Tuberkulin¬ 
reaktion  mit  absoluter  Sicherheit  auf  einen  wenigstens  bio¬ 
logisch  aktiven  Prozess  hinweist.  Aber  die  Konsequenz, 
dass  von  diesen  90  Proz.  ein  gewisser  Bruchteil  notwendiger¬ 
weise  erhöhte  Temperaturen  haben  muss,  auch  ohne  manifeste 
klinische  Symptome  aufzuweisen,  wird  meistens  nicht  gezogen, 
und  ebenso  wenig  wird  berücksichtigt,  dass  gerade  diese  Men¬ 
schen  eine  ausserordentlich  labile  Temperatur  haben,  die  bei 
geringen  Bewegungen  leicht  in  die  Höhe  schnellt.  So  laufen 
sie  als  „Gesunde“  mit  und  erhöhen  natürlich  den  Standard  der 
Normaltemperatur  um  ein  bedeutendes.  —  Ehe  man  eine  „indi¬ 
viduelle“  abnorme  Temperaturhöhe  annimmt,  wozu  auch  heute 
noch  vielfach  die  Neigung  herrscht,  muss  man  den  Einfluss 
einer  Tuberkulose  oder  eines  sonstigen  versteckten  Infektions¬ 
herdes  absolut  sicher  ausschliessen,und  das  ist  oft  recht  schwer. 

So  vereinigen  sich  die  verschiedensten  Momente,  um  die 
Grenzlinie  zwischen  normalen  und  pathologischen  Tempera¬ 
turen  zu  verwischen,  und  was  das  wesentlichste  bei  der 
ganzen  Sache  ist:  Diese  Grenze  wird  heute  noch 
meistens  viel  zu  hoch  angenommen,  und 
mancher  Mensch  als  gesund  erklärt,  der  es 
eben  tatsächlich  nicht  ist,  bei  dem  aber  unter 
Umständen  ein  rechtzeitiges  Eingreifen  die 
Krankheit  im  Keime  ersticken  könnte. 

Aus  dem  Gesagten  geht  wohl  zur  Genüge  hervor,  dass  es 
wirklich  an  der  Zeit  ist,  dass  wir  endlich  einmal  die  Tem¬ 
peraturmessung  auf  d  i  e  Stufe  der  Exaktheit  stellen,  auf  die 
sie  gehört,  und  dass  sie  als  solche  Gemeingut  aller  Aerzte 
wird.  Meine  langjährigen,  auf  diesen  Punkt  gerichteten  Be¬ 
obachtungen  haben  mir  gezeigt,  dass  das  sehr  wohl  möglich 
ist,  und  dass  sich  ein  sehr  klares  und  eindeutiges  Endresultat 

ergibt.  '  .  ... 

Was  uns  in  erster  Linie  not  tut,  ist  eine  Einigung  über 
den  Ort  der  Messung.  Wenn  wir  nicht  einheitlich  messen, 
können  wir  auch  die  Temperatur  nicht  einheitlich  verwerten: 
es  ist,  als  ob  wir  in  verschiedenen  Sprachen  redeten.  Aber 
ob  es  gelingen  wird,  hier  mit  alten  Gewohnheiten  und  Vor¬ 
urteilen  aufzuräumen? - 

Wenn  wir  in  eine  Kritik  der  verschiedenen  Messungs¬ 
weisen  eintreten,  so  ist  die  Inguinalmessung,  die  ja  allerdings 
in  Deutschland  selten  angewandt  wird,  schon  aus  dem  Grunde 
zu  verwerfen,  weil  der  verschiedenartige  Bau  der  Leisten¬ 
beuge  vielfach  keine  geschlossene  Höhle  zustande  kommen 
lässt.  Auch  die  Messung  im  Munde,  die  eine  Zeitlang  sehr 
beliebt  war,  vor  allem  wegen  ihrer  grossen  Bequemlichkeit, 
kann  keinen  Anspruch  auf  Zuverlässigkeit  machen,  weil  die 
Mundhöhle  durch  die  Aussentemperatur  zu  stark  beeinflusst 
wird.  Sie  ist  deshalb  auch  von  den  meisten  wieder  verlassen 
worden. 

So  bleiben  nur  noch  Achsel-  und  Rektalmessung.  Dass 
die  Temperatur  im  Rektum  unter  gewissen,  gleich  zu  er¬ 
wähnenden  Umständen  am  genauesten  und  schnellsten  an¬ 
gezeigt  wird,  darüber  dürfte  wohl  keine  Uneinigkeit  herrschen. 
Dass  aber  die  Achselmessung  ihr  noch  vielfach  vorgezogen 
wird,  beruht  einmal  auf  der  vermeintlichen  grösseren  Einfach¬ 
heit  und  auf  der  Rücksichtsnahme  auf  die  Empfindsamkeit 
mancher  Patienten,  sodann  aber  auf  der  leider  noch  immer 
weitverbreiteten  falschen  Anschauung,  dass  die  Differenz  zwi¬ 
schen  Achselhöhlen-  und  Mastdarmtemperatur  eine  einiger¬ 
massen  konstante  Grösse  sei.  Vielfach  lässt  man  in  der 


Achsel  messen  und  dann  0,5°  zuzählen,  um  die  Rektal¬ 
temperatur  zu  erhalten.  Das  schlimmste  aber  ist  die  Um¬ 
kehrung  dieser  falsch  verstandenen  Anschauung:  Man  lässt  im 
Darm  messen  und  dann  von  dem  erhaltenen  Resultat  0,5  ab- 
ziehen.  Damit  glaubt  man  dann  offenbar  die  richtige  Körper¬ 
temperatur  erhalten  zu  haben.  Krasser  lasst  sich  die  Be¬ 
griffsverwirrung,  die  in  der  ganzen  Erage  der  Temperatur- 
messung  an  manchen  Orten  noch  herrscht,  doch  nicht  be¬ 
leuchten!  „  „  , ..  .... 

In  neuerer  Zeit  hat  vor  allem  Staubli  m  seiner  ver¬ 
dienstvollen  Studie  über  vergleichende  Temperaturmessungen 
(M  m  W  1913  No.  19  u.  20)  darauf  aufmerksam  gemacht,  daxs  j 
die  Differenz  zwischen  Axillar-  und  Rektaltemperaturen  auch 
bei  klinisch  Gesunden  nicht  nur  individuell  verschieden  ist  - 
er  fand  Unterschiede  von  0  bis  zu  1  Grad  und  darüber 
sondern  dass  auch  bei  demselben  Individuum  in  verschiedenen 
Zeitperioden  diese  Differenz  schwanken  kann. 

Vielfach  finden  wir  auch  noch  bis  in  die  neueste  Zeit 
hinein  die  Anschauung  vertreten,  dass  beim  bettlägei  igen,  be¬ 
sonders  aber  beim  fiebernden  Patienten  die  Resultate  beider  I 
Messungsarten  annähernd  gleich  seien,  und  dass  hier  wenig-  t 
stens  die  Achselmessung  als  ebenbürtig  angesehen  werden 
dürfte  Aber  auch  das  stimmt  nur  für  einen  Teil  der  halle. 
Ich  selbst  habe  vor  7  Jahren  auf  der  zweiten  medizinischen 
Klinik  in  München  durch  Reihenmessung  an  bettlägerigen 
Kranken,  vor  allem  an  Phthisikern,  feststellcn  können,  dass  die 
Unterschiede  zwischen  Rektum  und  Achselhöhle  ganz  i  egellos  I 
schwankten.  Bei  einzelnen  waren  die  1  emperaturen  an  beiden 
Orten  gleich,  bei  den  meisten  aber  ausserordentlich  ver¬ 
schieden.  Als  maximale  Differenz  fand  ich  bei  einem  Patienten  ■ 
in  der  Achsel  37,6,  im  Mastdarm  dagegen  zu  gleicher  Zeit  39,3, 
und  dazwischen  alle  Uebergänge  in  der  regellosesten  Weise. 

Dazu  kommt  noch,  dass  die  Achselmessung,  wenn  sie 
wirklich  exakt  durchgeführt  wird,  gar  nicht  so  einfach  ist,  wie 
man  allgemein  glaubt.  Die  Achselhöhle  muss  ganz  trocken 
und  wann  sein.  Der  Thermometer  muss  allseitig  gut  ttjjfcfl 
schlossen  werden,  und  nun  muss  der  Patient  den  Arm  min¬ 
destens  15  Minuten  unbeweglich  an  den  Körper  gepresst  halten,] 
wenn  man  die  wirklich  am  Orte  der  Messung  herrschende 
Temperaturhöhe  erhalten  will.  Und  nach  all  dieser  Mühe  ist] 
man  durchaus  nicht  sicher,  dass  das  erhaltene  Resultat  der  im 
Innern  des  Körpers  herrschenden  Temperatur  auch  nur  in 
einem  einigermassen  konstanten  Verhältnis  entspricht,  und  inan 
muss  immer  auf  grobe  Fehler  nach  unten  gefasst  sein,  be¬ 
sonders  wenn  der  Patient,  wie  es  ja  meistens  der  Fall  ist,  die 
Messung  selbst  ausführt. 

Alle  diese  physiologischen  Unregelmässigkeiten  und  mein 
oder  weniger  grossen  Fehler,  die  bei  der  Messung  unterlaufen, 
machen  den  Wert  der  Achselmessung  so  problematisch,  aass 
die  Forderung  wohl  berechtigt  erscheint,  diese  Art  der  Mes¬ 
sung  endlich  über  Bord  zu  werfen,  oder  sie  nur  für  solche 
Fälle  zu  reservieren,  bei  denen  die  Darmmessung  faktisch  un¬ 
möglich  ist.  Auch  die  Rücksicht  auf  die  Gene  der  Patienten 
sollte  endlich  aufhören,  für  den  Arzt  bestimmend  zu  sein.  Ich 
habe  noch  nie  erlebt,  dass  sich  ein  Patient  nach  vernünftiger 
Auseinandersetzung  gegen  die  Rektalmessung  gesträubt  hätte. 
Im  Gegenteil  wird  ihre  viel  grössere  Bequemlichkeit  und 
Schnelligkeit  nachher  immer  dankend  anerkannt. 

Solche  Fehler,  wie  bei  den  anderen  Methoden,  sind  bei  der 
Rektalmessung  von  vornherein  gänzlich  ausgeschlossen,  wenn 
nur  der  Thermometer  tief  genug  eingeführt  wird,  und  wenn 
man  prinzipiell  5  Minuten  messen  lässt.  Volle  Sicherheit, 
gegen  Nachlässigkeit  der  Patienten  beim  Herunterschlagen  dei 
Quecksilbersäule  oder  gegen  bewusste  Täuschungen  gewahr 
allerdings  nur  eine  Massnahme:  Die  eigenhändige  Untersuchung 
durch  den  Arzt  oder  durch  eine  geschulte  Schwester.  Und  d: 
gibt  es  wieder  eine  sonderbare  Eigentümlichkeit  der  Aeskulap- 
seele  festzunageln:  Alle  Untersuchungen  am  Krankenbett 
machen  wir  selbst,  vom  Pulsfühlen  angefangen,  aber  wie  viel] 
Aerzte  mag  es  geben,  die  nur  einigermassen  regelmässig  sud 
die  Mühe  machen,  ihre  Patienten  selbst  zu  messen?  Wie  viel, 
diagnostische  Irrtümer  könnten  so  leicht  und  einfach  dadurci 
vermieden  werden,  dass  wir  uns  das  Gebot  auferlegten,  am 
auffälligen  Temperaturschwankungen  nach  oben  oder  unte 
wenigstens  ein-  oder  zweimal  selbst  zu  kontrollieren! 


11.  August  191-1. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nur  einen  Vorwurf  könnte  man  der  Rektahnessung 
machen,  dass  sie  leicht  zu  hohe  I  emperaturen  anzeigt,  wenn 
'ich  der  Patient  vorher  bewegt  hat.  Und  da  eben  auf  diesen 
Umstand  an  manchen  Orten  nicht  geachtet  und  die  so  er- 
laltene  lemperatur  als  die  wahre  angesehen  wurde,  was  dann 
«weder  zu  übertriebenen  therapeutischen  Massregeln  und  zu 
:iner  gewissen  Verängstigung  der  Patienten  führte,  so  ist  da¬ 
durch  die  Rektalmessung  in  einen  Misskredit  gekommen,  den 
•ie  nicht  verdient  hat. 

Die  1  emperatursteigerung  nach  Bewegung  ist  in  der 
etzten  Zeit  eingehender  studiert  worden,  ausser  von 
•> t ä u  b  1  i  auch  von  Moro,  W  e  i  n  e r  t  und  anderen.  Dabei 
jat  sich  zweierlei  ergeben:  Einmal  dass  die  Temperatur  in 
er  Region  ansteigt,  wo  die  grösste  Muskelanstrengung  statt- 
.efunden  hat,  also  beim  Gehen  im  Rektum,  bei  Arm- 
«ewegungen  unter  der  Achsel,  beim  Kauen  im  Munde,  so  dass 
"an  als  sicher  annehmen  darf,  dass  die  Quelle  der  erhöhten 
Värmc  in  der  Tätigkeit  des  arbeitenden  Muskels  liegt.  So- 
ann  aber,  dass  nach  dem  Gehen  auch  bei  völlig 
esunden  Individuen  die  Rektaltemperatur 
n  unberechenbarer  und  ganz  regelloser 
Veise  an  steigt.  Stäubli  und  andere  haben  nach  ein- 
tündigem  Gehen  bei  gesunden  Menschen  eine  Rektal- 
unperatur  von  38,0  und  darüber  beobachtet.  Auch  ich  habe 
or  4  Jahren  in  dieser  Richtung  Untersuchungen  angestellt  und 
eispielsweise  bei  einem  gesunden  trainierten  Mann,  der  in  der 
uhe  nicht  über  36,8  kam,  nach  einer  intensiven  Steigung 
on  20  Minuten  38,6  im  Rektum  gemessen.  Wie  empfindlich 
ie  Temperatur  des  Beckens  auf  Bewegung  reagiert,  geht  am 
.•klagendsten  daraus  hervor,  dass  selbst  das  Anziehen  am 
lorgen  genügt,  um  die  Mastdarmtemperatur  um  einige 
ehntelgrad  hinaufzutreiben. 

Nun  hat  allerdings  Stäubli  gefunden,  dass  man  die  Ein- 
itigkeit  dieser  Rektalsteigerungen  sofort  erkennt,  wenn  man 
jr  Kontrolle  in  der  Achsel  misst.  Man  findet  dann,  dass  die 
chseltemperatur  gar  nicht  oder  nur  ganz  unbedeutend  ge¬ 
iegen  ist,  wenn  der  Mensch  sonst  gesund  ist.  Diese  ganzen 
eobachtungen  berühren  sich  eng  mit  dem  P  e  n  z  o  1  d  t  sehen 
hänomen,  nach  dem  ein  Mensch,  der  nach  einem  flotten  Spa- 
ergang  von  einer  Stunde  38  und  mehr  im  Rektum  zeigt,  der 
uberkulose  verdächtig  ist.  Aber,  wie  erwähnt,  stimmen  alle 
.ueren  Untersucher  darin  überein,  dass  genau  dieselbe  Er¬ 
hebung  auch  bei  völlig  Unverdächtigen  auftreten  kann.  Zu- 
m  hat  P  e  n  z  o  1  d  t  selbst  seine  Formulierung  sehr  vor¬ 
rätig  aufgestellt  und  sie  auch  auf  Fettleibige  und  Rekonvales- 
nten  ausgedehnt.  Da  ist  es  doch  das  einfachste  und  logisch 
-'htige,  wenn  wir  die  Temperaturmessung  nach 
ewegung  gänzlich  ausschalten  und  nur  nach 
ner  Ruhezeit  messen  lassen,  die  erfahrungs- 
emäss  ausreicht,  um  die  Mastdarmtempera- 
irauf  ihrjeweiligesMinimum  zu  erniedrigen. 

Aber  nicht  nur  die  körperliche,  auch  die  geistige  Ruhe  ist 
irbedingung.  Wer  je  in  einem  Krankenhause  gearbeitet  hat, 

1  nnt  die  Sonntags-Nachmittags-Temperaturen  der  Patienten 
1  ch  dem  Besuche  der  Angehörigen.  Angeregte  Unterhaltung 
1  er  aufregende  Lektüre  drückt  leicht  die  Temperatur  um 
’ige  Zehntelgrade  hinauf,  zumal  ja  selten  die  Muskeln  dabei 
i  völliger  Ruhe  sind. 

,  Und  schliesslich  ist  nicht  zu  vergessen,  dass  während  der 
•rdauungsperiode  die  Temperatur  der  Eingeweide  einseitig 
■  steigt,  dass  man  also  auch  diese  Zeit  für  eine  rektale  Mes- 
ng  ausschalten  muss.  Bei  entzündlichen  Prozessen  im  Mast- 
-  im  ist  selbstverständlich  auch  Vorsicht  geboten. 

Unter  genauer  Berücksichtigung  aller 
jeser  Umstände  zeigt  die  Temperatur  i  m 
.“ktum  die  wirkliche  Innentemperatur  de> 
jrpers,  d.  h.  des  in  den  grossen  Schlagadern 
-■mischten  Blutes,  am  getreuesten  an,  dafür 
ben  wir  wohlbegründete  Anhaltspunkte,  wie  auch  S  t  ä  u  b  1  i 
gibt.  So  fand  Fick  die  Temperatur  im  Rektum  des  Hun- 
s  gleich  oder  eine  Spur  höher  als  im  Herzen.  Quincke 
üelt  im  Innern  des  Magens  eine  nur  um  0,12  höhere  Tem- 
ratur  als  im  Rektum.  Dazu  stimmen  die  Untersuchungen, 

W  e  i  n  e  r  t  mit  Verschluckthermometern  anstellte  (M.m.W. 

19  Nr.  28).  Er  fand  in  einem  Fall  in  der  Ruhe  im  Magen  die 


Temperatur  um  0,1  höher  als  im  Mastdarm.  Während  der 
Magenverdauung,  aA  Stunden  nach  dem  Mittagessen,  war  sie 
aber  um  0,4  höher.  Also  auch  hier  ist  das  Gesetz  bestätigt, 
dass  in  der  Nachbarschaft  tätiger  Organe  die  Temperatur 
lokal  ansteigt. 

Auf  Grund  aller  dieser  Resultate,  die  von  anderen  und  mir 
in  langjähriger  Beobachtung  gesammelt  wurden,  möchte  ich 
folgenden  einheitlichen  Modus  der  Messung  Vorschlägen: 

Es  wird  gemessen  —  wo  es  irgend  möglich 
i  st  —  nur  im  Rektum,  nur  nach  vollständiger 
körperlicher  und  geistiger  Ruhe  von  min¬ 
dest  e  n  s  20  Minuten  und  nur  vor  den  Mahlzeiten 
während  der  Verdauungsruhe. 

Der  Zeitpunkt  der  einzelnen  Messungen  ergibt  sich  dar¬ 
nach  von  selber.  Es  gibt  am  Tage  nur  4  Zeitpunkte,  die  den 
aufgestellten  Anforderungen  streng  entsprechen,  und  diese 
4  Messungen  sollte  man,  wo  es  die  Umstände  erlauben,  auch 
durchführen.  Und  zwar  morgens  sofort  nach  dem  Erwachen, 
ehe  der  Patient  das  Bett  verlässt.  Eine  bestimmte  Zeit  darf 
man  natürlich  dafür  nicht  festsetzen,  der  erste  Griff  des  Pa¬ 
tienten  muss  nach  dem  I  hermometer  sein.  Dann  vor  dem 
Mittagessen  und  vor  dem  Abendessen  nach  der  geforderten 
Ruhezeit.  Ein  reichliches  zweites  Frühstück  und  eine  eben¬ 
solche  Vesper  darf  man  natürlich  im  Interesse  der  Darmruhe 
nicht  erlauben.  Die  4.  Messung  wird  abends  im  Bett  vor¬ 
genommen,  20 — 30  Minuten  nach  dem  Hinlegen.  Ob  man 
länger  oder  kürzer  warten  lässt,  hängt  natürlich  von  der  sehr 
verschiedenen  Betätigung  des  einzelnen  Menschen  ab.  Hier 
muss  man  unter  Umständen  individualisieren. 

Bei  ambulanten  Patienten,  die  sich  tagsüber  keine  Ruhe 
gestatten  können,  genügt  zur  vorläufigen  Orientierung  meistens 
die  morgendliche  und  abendliche  Messung.  Kommen  einem 
diese  aber  verdächtig  vor,  so  muss  auch  bei  ihnen  strikte 
Durchführung  der  Vorschrift  verlangt  werden.  In  zweifel¬ 
haften  Fällen  darf  man  auf  einzelne  erhöhte  Temperaturen 
keinen  entscheidenden  Wert  legen.  Hier  ist  eine  5— 8  tägige 
fortlaufende  Kontrolle  unter  allen  Kautelen  notwendig. 

Wenn  man  streng  nach  diesen  einheitlichen  Bedingungen 
vorgeht,  dann  macht  man  die  Erfahrung,  dass  das  normale 
Temperaturmaximum  eine  viel  grössere  Konstanz  hat,  als  bis¬ 
her  angenommen  wurde.  Auch  von  den  „individuellen  Tem¬ 
peraturen“  bleibt  dann  wenig  oder  gar  nichts  übrig.  Meine 
jahrelangen  auf  diesen  Punkt  gerichteten  Be¬ 
obachtungen  haben  mir  ergeben,  dass  die 
obere  Grenze  des  Normalen  37,0  beträgt.  Eine 
häufigere  Ueberschreitung  ist  sicher  als  nicht  mehr  normal  an¬ 
zusehen. 

Ich  bin  von  vornherein  darauf  gefasst,  dass  dieses  Ergebnis 
auf  vielfachen  Widerspruch  stossen  wird.  Aber  es  ist  ja  leicht 
nachzuprüfen.  Nur  möchte  ich  dringend  empfehlen,  nicht  nur 
bei  Spitalpatienten,  sondern  in  allererster  Linie  bei  wirklich  ge¬ 
sunden  Menschen  zu  messen.  Schon  mancher  zweifelnde  Kol¬ 
lege  ist  dadurch  überzeugt  worden,  dass  er  bei  sich  selbst  mit 
dieser  Art  der  Messung  angefangen  hat.  Ich  habe  sogar 
gefunden,  dass  bei  ganz  gesunden  und  wirklich  robusten,  im 
Leben  stehenden  Menschen,  die  man  allerdings  nicht  so  ganz 
leicht  findet,  die  Ruhetemperatur  im  Rektum  zu  den  ange¬ 
gebenen  Zeiten  36,6 — 36,8  kaum  je  überschreitet,  aber  eine 
gewisse  Schwankungsbreite  muss  man  zulassen. 

Das  wichtigste  Kriterium  für  die  Richtigkeit  dieser  An¬ 
schauung  haben  mir  von  jeher  die  leichten  geschlossenen 
I  uberkulosen  gegeben,  die  ja  bekanntlich  eine  ausserordentlich 
labile  Temperatur  und  Steigerungen  von  der  grössten  Hart¬ 
näckigkeit  haben.  Wenn  sie  wirklich  ganz  gesund  wurden, 
dann  ging  auch  fast  ausnahmslos  bei  allen  die  Temperatur 
dauernd  unter  37,0  herunter,  und  zwar  gteichmässig  bei  Män¬ 
nern,  Frauen  und  Kindern.  Auch  die  verschiedenen  Rassen 
zeigten  da  keinen  Unterschied. 

Recht  gut  stimmen  mit  diesen  Anschauungen  die  Resultate 
überein,  die  Dora  Fraenkel  (D.m.W.  1913  Nr.  6)  an  163  Kin¬ 
dern  der  Kinderheilstätte  Borgsdorf  erhielt.  Von  diesen  hatten 
96,3  Proz.  morgens  im  Bett  und  abends  eine  Stunde  nach  dem 
Hinlegen  als  Höchsttemperatur  37,2  im  Rektum,  alle  unter  per¬ 
sönlicher  Kontrolle  der  Verf.  gemessen.  Die  übrigen  3,7  Proz. 
kamen  an  vereinzelten  Tagen  bis  auf  37,4.  Die  Kinder  standen 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  32. 


im  Alter  von  5/4  bis  16  Jahren  und  ein  Unterschied  in  den  ein¬ 
zelnen  Altersstufen  ergab  sich  nicht.  W  enn  man  nun  bedenkt, 
dass  sämtliche  Kinder  Patienten  waren,  teils  an  Nervosität 
teils  an  Skrofulöse  leidend,  wenn  man  ferner  in  Betiacht  zieht, 
dass  solche  Kinder  schwer  alle  zur  absoluten  Muskelruhe  zu 
bringen  sind,  und  die  Differenz  von  0,2 0  diesen  beiden  Faktoren 
zur  Last  legt,  so  ergibt  sich  eine  vollkommene  Uebereinstim- 
mung  mit  dem,  was  ich  von  Gesunden  behaupte. 

Nun  wird  man  mir  aber  die  Thyreosen  mit  und  ohne  Base¬ 
dowsymptome  entgegenhalten,  bei  denen  doch  so  häufig  die 
Grundtemperaturen  erhöht  sind.  Ich  habe  aber  bereits  vor 

Jahren  (M.m.W.  1913  Nr.  5)  an  meinem  Material  wenig¬ 
stens  nachgewiesen,  dass  von  allen  Ihyreosen  mit  Tempera¬ 
tursteigerung  kein  einziger  Fall  frei  von  Iuberkulose  war. 
Und  im  weiteren  Verfolge  meiner  Beobachtungen  habe  ich  den 
engen  Zusammenhang  zwischen  Thyreose  und  1  uberkulose 
immer  wieder  bestätigt  gefunden,  so  dass  ich  nach  wie  voi 
daran  festhalte,  dass  die  unkomplizierte  Thyreose,  den  Base¬ 
dow  eingeschlossen,  ohne  Temperatursteigerung  verläuft. 
Allerdings  muss  man  in  den  meisten  dieser  Fälle  direkt  auf  die 
Tuberkulose  fahnden,  denn  in  der  Regel  ist  sie  geschlossen, 
gutartig  und  prognostisch  durchaus  günstig;  und  daher  klinisch 
nicht  von  grossem  Belang.  Immer  aber  —  und  das  ist  so 
ausserordentlich  wichtig  für  die  Erkennung  dieser  eminent 
häufigen  Kombination  —  erzeugt  sie  toxische  Symptome,  die 
dem  äusserlich  dominierenden  Faktor,  der  Thyreose,  zuge¬ 
schoben  werden.  Und  gerade  unter  diesen  Symptomen  steht 
die  Temperatursteigerung  in  erster  Linie. 

Hat  nun  aber  eine  derartige  Exaktheit  in  der  Temperatui- 
messung  auch  einen  praktischen  Wert?  Lohnt  sie  die  auf¬ 
gewandte  Mühe  entsprechend?  Diese  Frage  möchte  ich  un¬ 
bedingt  mit  Ja  beantworten.  Wie  oft  kommt  es  dem  Arzt  vor, 
dass  er  bei  einem  Patienten  und  noch  viel  häufiger  bei  einer 
Patientin  mit  unbestimmten  immer  wiederkehrenden  Klagen 
bei  der  physikalischen  Untersuchung  absolut  nichts  findet. 
Lässt  er  sie  nun  nach  der  alten  Weise  messen,  und  findet  viel¬ 
leicht  auch  Temperaturen,  die  sich  zwischen  37,0  und  37,5  be¬ 
wegen,  so  kann  er  nichts  damit  anfangen,  denn  bei  freier 
Lebensweise  kommen  solche  Steigerungen  auch  bei  zweifel¬ 
los  gesunden  Individuen  vor.  Ganz  anders  aber,  wenn  er  sich 
unsere  exakte  Messweise  zunutze  macht.  Hier  weiss  er, 
wenn  die  Tempcraturmaxima  des  öfteren  auch  nur  37,1  und 
37,2  betragen,  ganz  genau,  dass  ein  chronisch-infektiöser  Pro¬ 
zess  im  Spiele  ist.  Er  wird  die  Mandeln,  die  ja  häufig  der 
Sitz  derartiger  ganz  schleichend  verlaufender  Infektionen  sind, 
genau  revidieren.  Ein  leichtes  Herzgeräusch,  däs  er  bis  dahin 
ohne  weiteres  als  anämisches  aufgefasst  hat,  wird  vielleicht 
ein  anderes  Gesicht  gewinnen  und  ihn  auf  die  Diagnose  einer 
schleichenden  Endokarditis  führen.  Schmerzen  in  einer  Nieren¬ 
gegend  besonders  bei  Frauen  die  ihm  früher  nicht  von  Belang 
erschienen,  werden  ihn  zu  einer  bakteriologischen  Unter¬ 
suchung  des  steril  gewonnenen  Harns  veranlassen  und  ihm  viel¬ 
leicht  eine  chronische  Nierenbeckenentzündung  enthüllen,  eine 
Diagnose,  die  bekanntlich  auch  heute  noch  viel  zu  selten  gestellt 
wird.  Weitaus  api  häufigsten  jedoch  wird  er  auf  eine  klinisch 
vielleicht  latente  Tuberkulose  stossen,  die  aber  eben  durch  die 
dauernd  erhöhten  Temperaturen,  durch  typische  toxische,  nun 
leicht  zu  eruierende  Symptome  und  durch  eine  starke  Kutan¬ 
reaktion  auf  Tuberkulin  ihren  aktiven  Charakter  deutlich  zu 
erkennen  gibt,  und  damit  hat  er  nun  eine  befriedigende  Er¬ 
klärung  an  der  Hand  und  einen  klar  vorgezeichneten  thera¬ 
peutischen  Weg. 

Zum  Schluss  muss  ich  aber  eines  nachdrücklich  betonen, 
um  nicht  missverstanden  zu  werden;  Bei  aller  Wertschätzung 
der  genauesten  Temperaturmessung  und  trotz  strikter  Be¬ 
obachtung  aller  sich  möglicherweise  ergebenden  Folgerungen 
möchte  ich  doch  keineswegs  Patienten  mit  leichten  Tempera¬ 
tursteigerungen  nur  deshalb  als  krank  betrachtet  wissen. 
Ob  solche  Menschen  der  Behandlung  bedürfen,  darüber 
müssen  und  können  ganz  allein  die  begleitenden  klinischen 
Symptome  entscheiden.  Eine  übergrosse  Aengstlichkeit  ist 
hier  ebensowenig  am  Platz  wie  ein  allzu  sorgloses  Gehen¬ 
lassen,  und  wir  sollen  ganz  gewiss  dafür  sorgen,  dass  auch 
unsere  Patienten  nicht  verängstigt  werden  und  den  Thermo¬ 
meter  als  die  Richtschnur  ihres  Lebens  betrachten.  In  vielen 


Fällen  gilt  cs  genau  abzuwägen,  ob  es  einem  an  sich  schon 
ängstlichen  und  nervösen  Patienten  nicht  mehr  schadet  als 
nützt,  wenn  wir  seinen  Geist  durch  allzu  rigorose  Massnahmen 
ausschliesslich  auf  sein  Leiden  hinlenken  und  ob  nicht  das 
tätige  Leben  ein  besseres  Korrigens  ist,  als  die  beste  Ruhekur. 

Hier  gilt  es  also  von  Fall  zu  Fall  zu  entscheiden.  Eines 
aber  wissen  wir  jedenfalls  bei  einer  derartig  geleiteten  Jem- 
peraturmessuiig,  dass  bei  häufigerer  Ueberschreitung  du  kri¬ 
tischen  Grenze  von  37,0  irgend  etwas  nicht  in  Ordnung  ist, 
und  dass  wir  mit  sorgfältiger  Beobachtung  unseres  Patienten 
bereitstehen  müssen,  um  im  gegebenen  Moment  handelnd  ein¬ 
zugreifen.  _ 


Aus  der  psychiatrischen  Klinik  der  Universität  Jena  (Direktor:  J 
Geheimer  Rat  Prof.  Dr.  Binswanger). 

Zur  Frage  der  Geschlechtsspezifität  der  Abderhalden- 
schen  Abwehrfermente  und  über  die  Beeinflussung  der 
Abbauvorgänge  durch  Narkotika. 

Von  Dr.  Erich  Wegener,  Assistenzarzt  der  Klinik. 

I. 

Da  in  der  letzten  Zeit  von  verschiedenen  Seiten  Zweifel 
über  die  Spezifität,  ja  sogar  über  die  Geschlechtsspezifität  der 
Abderhalden  scheu  Abwehrfermente  laut  wurden,  so 
habe  ich  versucht,  rein  objektiv  der  Entscheidung  dieser  Frage 
auf  folgende  Weise  näher  zu  treten. 

Ich  Hess  mir  von  den  verschiedenen  Abteilungen  Blut  zur 
Untersuchung  zusenden.  Dann  stellte  ich  die  Blutproben  von 
der  Frauen-  und  Männerstation  durcheinander  und  übergab 
dieselben,  nur  mit  Namen  bezeichnet,  unserer  Laborantin 
Frl.  Pf.,  die  mit  den  einschlägigen  Arbeiten  auf  Grund  einer 
längeren  praktischen  Erfahrung  vollständig  vertraut  ist,  und  die 
in  keiner  Weise  mit  den  Patienten  in  Berührung  kommt,  zur 
Untersuchung.  Jedes  Blutserum  wurde  nun  ausser  den  be¬ 
stimmten  Organen  stets  mit  Ovarien  und  Testikel  angesetzt. 
Ich  überwachte  genau  die  technische  Ausführung  und  stellte  an 
Frl.  Pf.  die  Aufgabe,  nach  dem  Ausfall  der  Reaktion  —  die  sie 
selbst  ablas,  ohne  dass  ich  zugegen  war  —  das  Geschlecht  der 
untersuchten  Fälle  zu  entscheiden. 

Ich  lasse  nun  in  der  nebenstehenden  1  abellc  die  Resultate 
dieser  Untersuchungen  folgen. 

Aus  dieser  Tabelle  geht  unzweifelhaft  hervor,  dass,  so  weit 
Geschlechtsdrüsenabbau  überhaupt  in  Frage  kommt,  die  Ge¬ 
schlechtsspezifität  der  Ab d e r h a  1  d e n sehen  Abwehrfermeute 
absolut  gewahrt  ist.  Es  kam  bei  allen  brauchbaren  Versuchs¬ 
reihen,  d.  h.  bei  denen  die  Kontrollproben  ein  absolut  negatives 
Ergebnis  hatten,  keine  einzige  Fehldiagnose  vor. 

Was  nun  die  Spezifität-  der  A  b  d  e  r  h  a  1  d  e  n  sehen  Ab¬ 
wehrfermente  im  eigentlichen  Sinne  anbetrifft,  so  kann  ich  mich 
auf  Grund  meines  sehr  umfangreichen  Materiales  nur  dafür 
aussprechen.  Ich  hoffe  in  nächster  Zeit  dafür  Beweise  Bei¬ 
bringen  zu  können. 

II. 

ln  gewissen  Fällen  fiel  es  mir  auf,  dass  bei  meinen  Unter¬ 
suchungen  Gehirnabbau  positiv  war,  wo  er  eigentlich  dem 
klinischen  Bilde  nach  nicht  erwartet  werden  durfte.  Stets 
hatten  die  Patienten,  von  denen  das  Serum  war,  längere  Zeit 
hindurch  Narkotika  erhalten.  Es  lag  nun  die  Vermutung  nahe, 
dass  die  Ursache  des  Gehirnabbaues  die  Schlafmittel  wären, 
zumal,  wie  ich  schon  früher  nachgewiesen  hatte,  Chloroform 
und  Aether  einen  vorübergehenden  Gehirnabbau  bewirken 
können.  Um  aber  einen  Beweis  für  diese  Vermutung  zu  haben, 
stellte  ich  folgende  Tierversuche  an: 

Ich  entnahm  vier,  etwa  gleichgrossen,  gesunden  Hunden  Bin 
und  untersuchte  das  Serum  auf  Abwehrfermente  gegenüber  Ovarien 
Testes,  Gehirn,  Nerv  und  L.eber.  Ich  erhielt  bei  allen  vier  völlig 
negatives  Resultat  Nun  fütterte  ich: 

Hund  I  mit  3  g  Brom  pro  die, 

Hund  II  mit  0,15  g  Opium  pro  die, 

Hund  III  mit  5  g  Paraldehyd  pro  die, 

Hund  IV  mit  10  ccm  Alkohol  (96  proz.)  pro  die, 
und  zwar  vermittels  der  Sonde  und  liess  die  Tiere  beobachten,  dann 
sie  nichts  erbrächen.  Die  Fütterung  nahm  ich  8  Tage  lang  vor.  Jet" 
entnahm  ich  wieder  Blut  und  untersuchte  auf  Abwehrfermente  gegen 
über  den  vorher  erwähnten  Substraten.  Es  zeigte  sich,  dass  Gehirn 


11.  August  191-4. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


1775 


M.  weibl.  Katatonie 
+  Gravidität 
H.  weibl. 

Dementia  praecox 

G.  männl. 

Dementia  praecox 

K  männl  26  J. 

Organ.  Erkrankung 
R.  männl.  25  J. 

Mult  Sklerose 
W.  weibl.  Neurasth. 
K.  weibl.  25  J. 

Epilepsie 
W.  weibl.  23  J. 
Epilept.  Anfälle 

H.  weibl.  38  J. 

Mult.  Sklerose 

M  männl.  34  J. 

Epilepsie 
St.  männl.  37  |. 
Paranoia  bei  kon- 
stitution.  Menschen 

K.  männl.  40  J.  Kon- 
»titut.  Neurasthenie 

A.  weibl.  Epilepsie 

L.  gesunde  Wärterin 
■  T.  weibl.  17  J. 

Hebephrenle 
H.  männl.  Dementia 
praec.u.  Lungentub. 
K.  weibl.  Zyklotnie 
Sch.  weibl. "  Hebe- 
phronie  mit  Defekt 
‘  F.  weibl.  Sepsis 
W.  weibl.  Psychose 
nach  Appendizitis 

-  L.  männl.  17  J. 

Dementia  praecox 
;  St.  männl. 

Dementia  praecox 
1  Sch.  männl. 

Dementia  praecox 

*  E.  weibl. 

Erregungszustand 
1  M.  weibl. 

Hebephrenie 
;  L.  weibl. 

Dementia  praecox 
v.  M.  männl. 
Dementia  praecox 

-  N  männl 

Dementia  praecox 

*  St.  weibl  22  J. 

Hysterie 

*  8.  weibl.  24  J. 

Dementia  praecox 
1  F.  männl. 

Dementia  praecox 
'  B.  weibl.  Debilität 
>  Sch.  männl.  32  J. 
ErregUngSZUStan(j 

’  v.  H.  männl. 

Traumat.  Epilepsie 
1  B.  weibl.  25  I. 
Depress.  Hysterie 


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Diagnose 

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H.  weibl.  17  J. 

Hy  oder  Epilepsie 

2 

K.  männl.  38  J. 

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Tumor  cerebri 

3 

P.  männl.  19  J 

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Dementia  praecox 

4 

A.  männl.  15  J. 

— 

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Dementia  praecox 

5 

W.  weibl.  Epilepsie 

— 

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6 

K.  männl. 

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Epil.  und  Demenz 

7 

T.  männl.  Alkoholis¬ 
mus  -f-  Korsakolf 

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-H- 

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8 

B.  männl.  17  J.  Poly- 
glandeuläre  Psych. 

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9 

St.  männl.  29  J. 
Epilep.  Status 

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F.  männl.  26  J  Kon- 

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stitut.  Psychopath 

1 

K.  männl.  29  J. 

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Dementia  praecox 

2 

T.  männl.  24  J. 
Epilepsie 

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1 

Sch.  männl.  27  J 

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Epilepsie 

[ 

R.  weibl.  24J.  Here- 

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ditäre  Neurasthenie 

W  weibl.  22  J. 

Mult  Sklerose 

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St.  männl.  42  J 

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(+) 

Neurasthenie 

1 

R.  männl.  30 J.  Kon- 

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(+) 

stitut.  Neurasthenie 

\ 

R.  männl.  32  J. 

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Zwangsideen 

| 

M.  männl.  38  J. 

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J 

Traumat.  Demenz 
Sch.  männl.  25  J. 

— 

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Dementia  paranoid. 
Sch.  männl.  15  J. 

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Inbezillität 

B.  männl.  61  J.  Epi- 

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lept.  Dämmerzust. 

Kl.  männl.  43  J. 

Sklero  dermie 

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0.  weibl.  Degenera- 

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3 

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und  Nervensubstanz  bei  Hund  1— III  abgebaut  wurden,  bei  Hund  IV 
uer  mit  Alkohol  gefüttert  war,  zeigte  sich  kein  Abbau. 

Ich  behalte  mir  noch  vor,  die  Einwirkung  der  übrigen 
Narkotika,  wie  sie  in  den  psychiatrischen  Anstalten  dargereicht 
werden,  auf  Abbauvorgänge  zu  untersuchen. 

Ueber  die  Einwirkung  des  Hyoszin-Morphins  ist  bereits 
anderseits  berichtet  worden.  Bei  Alkohol  muss  man  höchst¬ 
wahrscheinlich  grössere  Mengen  und  längere  Zeit  hindurch 
verabfolgen,  bevor  sie  irgend  einen  schädlichen  Einfluss  auf 
Organe  auszuüben  imstande  sind.  Auch  bei  meinen  Unter¬ 
suchungen  bei  einfachen  Alkoholikern  habe  ich  keinen  Abbau 
gefunden,  bei  chronischen  Alkoholisten  wurde  zuerst  Leber  ab¬ 
gebaut,  Gehirn  nur  bei  Alkoholpsychosen. 

Um  nun  einwandfreie  Resultate  zu  erlangen,  und  uns  nicht 
ui  dei  Bewertung  des  Lalles  durch  den  Einfluss  von  Narkotika 
täuschen  zu  lassen,  hat  der  Chef  der  Klinik,  Herr  Geheimrat 
Binswanger,  die  Anordnung  getroffen,  dass  das  Blut  erst 
dann  untersucht  wird,  wenn  die  Patienten  möglichst  lange 
mittelfrei  gewesen  sind. 

Viele  Vorwürfe  und  Einwände  sind  gerade  in  letzter  Zeit 
gegen  die  A  b  d  e  r  h  a  1  d  e  n  sehe  Methode  erhoben  worden 
ich  halte  sie  aber  zum  Teil  für  ungerechtfertigt.  Einen  Nach¬ 
teil  könnte  man  der  Abderhalden  sehen  Methode  vielleicht 
vorwerfen,  nämlich  den,  dass  sie  eine  zu  feine  Reaktion  ist 
die  uns  die  geringsten  Störungen  des  Organismus,  die  mit  der 
psychischen  Erkrankung  und  den  ihr  vielleicht  zugrunde 
liegenden  endokrinen  Dysfunktionen  nicht  Zusammenhängen 
anzeigt  und  so  serologische  Befunde  gezeitigt  hat,  die  mit  dem 
klinischen  Bilde  nicht  in  Einklang  zu  bringen  sind. 

Treten  solche  Nebembefunde  auf,  so  muss  man  eben  den 
betreffenden  Fall,  wie  es  überhaupt  wünschenswert,  ja  sogar 
unerlässlich  ist,  mehrere  Male  zu  verschiedenen  Zeiten  und  in 
den  verschiedenen  Krankheitsphasen  untersuchen.  Nur  der 
konstante  Abbau  eines  Organs  oder  mehrerer  Organe  ist  dann 
für  die  Beurteilung  des  Falles  massgebend. 

In  vielfacher  Beziehung  ist  auch  gerade,  wie  mein  Chef, 
Herr  Geheimrat  Binswanger,  immer  wieder  betont,  der 
negative  Ausfall  wertvoller  bei  der  Bewertung  des  Falles  als 
der  positive.  Wenn  erst  längere  Zeit  dahingegangen  sein  wird 
und  wir  über  grössere  Untersuchungsreihen  bei  den  verschie¬ 
denen  psychischen  Erkrankungen  verfügen  werden,  dann 
glaube  ich,  werden  wir  auch  gelernt  haben,  richtige  Schlüsse 
aus  den  Abbauvorgängen  zu  ziehen,  da  ich  die  biologischen 
Grundlagen  hinsichtlich  der  Organspezifität  für  gesichert  er¬ 
achte. 


Aus  dem  bakteriologischen  Institut  der  Universität  Edinburgh 
(Direktor:  Prof.  Dr.  James  R  i  t  c  h  i  e). 

Die  Verbreitung  der  Fett-,  Lezithin-  und  wachsspaltenden 
Fermente  in  den  Organen. 

Von  A.  E.  P  o  r  t  e  r,  Carnegie  Research  Scholar. 

Fettspaltende  Fermente  sind  durch  Löwenhart, 
R  ö  n  a  u.  a.  in  den  verschiedensten  Geweben  gefunden! 
Sie  spielen  hier  anscheinend  eine  wichtige  Rolle,  indem  sie 
durch  ihre  reversible  Wirkung  das  Gleichgewicht  zwischen 
Fettverbi  auch  und  Fettansatz  regeln.  Aber  auch  andere 
Estcrascn,  so  die  Lczithasen  und  Cholesterasen,  sind  recht  ver¬ 
breitet.  Ihnen  reihen  sich,  wie  ich  finde,  die  wachsspaltenden 
Feimente  an,  d.  h.  die  Fermente,  welche  die  Fettsäureester 
der  höheren  Alkohole  zerlegen. 

Zur  Orientierung  über  die  Verbreitung  dieser  verschie¬ 
denen  esterspaltenden  Fermente  habe  ich  Glyzerinextrakte 
von  36  verschiedenen  Organen  in  der  Weise  bereitet,  dass  auf 
eine  gewogene  Menge  frischer,  feingehakter  Substanz  zwei 
Ieile  Glyzerin  kamen.  Nach  zwei  Tagen  wurde  das  trübe 
( jlyzerinextrakt  durch  Gaze  filtriert.  Es  erwies  sich  als  eine 
ziemlich  (über  Wochen  hinaus)  haltbare  Fermentlösung.  Die 
benutzten  neutralen  Fette  und  Lipoide,  in  nicht  weniger  als 
20  proz.  Lösung  in  Benzol,  Xylol,  Alkohol  oder  in  wässeriger 
Emulsion  waren  folgende:  1.  Butyrin,  2.  Tristearin,  3.  Olivenöl, 
4.  Rizinusöl,  5.  Ovolezithin,  6.  Lanolin,  7.  Bienenwachs,  8.  Chole¬ 
sterinester  von  Stearinsäure,  nach  Mair  dargestellt,  9.  Chole¬ 
sterinester  von  Palmitinsäure,  10.  Cholesterinester  von  Pro¬ 
pionsäure.  Es  wurde  auch  Leberfett,  Aether-  und  Alkohol- 


1776 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


extrakt  aus  Gehirn  und  Aether-  und  Xylolextrakt  von  Knochen¬ 
mark  untersucht,  um  zu  sehen,  ob  Leber-,  Gehirn-  und 
Knochenmarkfermente  eine  spezifische  Wirkung  auf  das  ent¬ 
sprechende  Organfett  besitzen,  doch  war  kein  solcher  Einfluss 
zu  bemerken. 

Zu  1  ccm  Fettlösung  wurde  je  1  ccm  Organextrakt  gefügt, 
und  danach  noch  0,5  ccm  5  proz.  CaCb  und  0,25  ccm  Alkohol. 
Bei  schwerlöslichen  Stoffen,  wie  Bienenwachs  und  die  Stearin- 
säureester,  wurde  die  Lösung  durch  Erwärmen  hergestellt. 
CaCL  habe  ich  als  Aktivierungmittel  auf  Empfehlung  von 
K  a  n  i  t  z  verwendet.  Ohne  CaCU>  waren  die  Organextrakte 
fast  unwirksam,  auch  auf  Wachs.  Alkohol  wirkte  beschleuni¬ 
gend,  wie  bereits  Rosenheim  und  S  ha  w-Mackenzie 
gezeigt  haben,  besonders  auf  die  Glyzeride,  die  meistens  *n 
wässeriger  Emulsion  verwendet  wurden.  Nach  24  ständigem 
Stehen  bei  Zimmertemperatur  wurde  mittels  n/10  NaOH-Lü- 
sung  unter  Benutzung  von  Phenolphthalein  austitriert.  Manche 
von  den  angesetzten  Mischungen  wirkten  langsamer  als 
andere,  manchmal  trat  nach  Neutralisierung  neuerdings 
Spaltung  ein,  meistens  war  jedoch  die  Wirkung  bald  zu  Ende. 
Zu  den  Kontrollproben  wurden  einerseits  1  ccm  Organextrakt 
mit  1  ccm  Benzol  oder  Xylol,  0,5  ccm  CaCL-Lösung  und 
0,25  ccm  Alkohol,  andererseits  1  ccm  Fettlösung  mit  1  ccm 
Glyzerin,  0,5  ccm  CaCL  und  0,25  ccm  Alkohol  zusammen  ge¬ 
bracht.  Die  Extrakte  besassen  immer  eine  geringe  Azidität. 

Glyzerin  ist  ein  vorzügliches  Lösungsmittel  für  die 
Lipasen.  Die  Glyzerinextrakte  wurden  bald  steril,  was  den 
Befund  von  Copeman  in  bezug  auf  die  bakterientötende 
Wirkung  des  Glyzerins  bestätigt.  Da  in  Gegenwart  von 
Benzol,  Alkohol  und  Glyzerin  Bakterienwirkung  ausgeschlossen 
ist,  muss  die  beobachtete  Spaltung  den  Organen  selbst  zu¬ 
geschrieben  werden. 

Folgende  Organe  spalten  Olivenöl:  Pankreas  von  Ochs, 
Schaf,  Schwein  und  Mensch;  Leber  von  Ochs,  Schaf,  Schwein, 
Kaninchen,  Meerschweinchen  und  Mensch;  Thymus  von  Ochs, 
Schaf  und  Schwein;  eine  geringe  Spaltung  wurde  auch  beob¬ 
achtet  mit  Lyrnphdriisen  von  Ochs  und  Schaf;  Schilddrüsen  von 
Ochs,  Schaf  und  Schwein;  Nebennieren  und  Knochenmark  von 
Ochs;  Lunge  vom  Schwein. 

Auf  Tristearin  wirkten  zerlegend:  Pankreas  von  Ochs, 
Schaf,  Schwein  und  Mensch;  Menschenhaut;  Leber  von  Kanin¬ 
chen;  Thymus  von  Ochs,  Schaf  und  Schwein;  Lymphdrüsen 
von  Ochs  und  Schaf;  Nebennieren,  Schilddrüsen  und  Knochen¬ 
mark  von  Ochs. 

Butyrinase  war  reichlich  vorhanden  in  Pankreas  von 
Ochs,  Schaf,  Schwein  und  Mensch;  Leber  von  Ochs.  Schaf, 
Schwein,  Kaninchen,  Meerschweinchen  und  Mensch;  Thymus 
von  Ochs,  Schaf  und  Schwein;  Menschenhaut;  Lymphdrüsen 
.  von  Ochs  und  Schaf;  Schilddrüsen  von  Ochs,  Schaf  und 
Schwein;  Knochenmark  von  Ochs;  verfettete  Niere  von 
Mensch;  sie  war  ferner  vorhanden  in  Nieren  von  Ochs  und 
Schaf;  Lunge  von  Ochs,  Schaf,  Schwein  und  Mensch;  Neben¬ 
nieren  von  Ochs;  Milz  von  Ochs,  Schaf  und  Schwein;  Hirn¬ 
anhang  von  Schaf. 

Lezithase  war  das  nach  der  Butyrinase  am  meisten  ver¬ 
breitete  und  manchmal  am  stärksten  wirkende  lipolytische 
Ferment.  In  keinem  der  untersuchten  Organe  fehlte  sie. 
Wenn  man  bedenkt,  welch  ein  wesentlicher  Bestandteil  der 
Zelle  Lezithin  ist,  ist  es  nicht  zu  wundern,  dass  das  Lezithin¬ 
ferment  so  allgemein  vorkommt.  Die  folgenden  Organe  waren 
besonders  reich  daran,  Pankreas  von  Ochs,  Schaf,  Schwein 
und  Mensch;  Leber  von  Ochs,  Schaf,  Schwein,  Kaninchen 
und  Mensch;  Gehirn  von  Mensch;  Milz  von  Schwein. 

Es  ist  mir  gelungen,  wachsspaltende  Fermente  in  einer 
ganzen  Anzahl  Organe  zu  finden;  Pankreas  von  Ochs,  Schaf, 
Schwein  und  Mensch;  Menschenhaut;  Leber  von  Ochs,  Schaf, 
Schwein,  Kaninchen  und  Mensch;  Thymus  von  Ochs  und 
Schaf;  Schilddrüsen  von  Ochs,  Schaf  und  Schwein;  Neben¬ 
nieren  von  Ochs;  Lymphdrüsen  von  Ochs  und  Schaf;  spur¬ 
weise  auch  in  einer  verfetteten  Niere  vom  Menschen.  In 
Gehirn  fand  ich  keine,  oder  nur  eine  sehr  unsichere  Spur 
Wachsferment.  Lorrain  Smith  und  M  a  i  r  haben  Chole¬ 
sterinester  im  Gehirn  unter  pathologischen  Verhältnissen  ge¬ 
funden,  obgleich  sie  da  normalerweise  nicht  Vorkommen.  Ob 
auch  entsprechende  Esterasen  zusammen  mit  ihren  Estern  ent¬ 


stehen,  oder  sich  in  pathologischen  Zuständen  vermehren,  ist 

nicht  bekannt.  ,  ..  0„  f 

Menschenhaut,  Wegen  ihrer  Wirkung  auf  die  Saurefestig- 
keit  der  Tuberkelbazillen  in  Lupus,  ist  von  besonderem  Inter¬ 
esse.  Sie  zeigt  sich  sehr  reich  an  Fermenten,  und  war  daran 
reicher  als  andere  aus  menschlichem  Material  bereitete  Ex¬ 
trakte.  Alle  Cholesterinester  wurden  davon  rasch  gespalten. 

Eine  ausführliche  Veröffentlichung  meiner  Versuche  wird 
bald  an  anderer  Stelle  erfolgen. 

Herrn  Professor  Ritchie  sage  ich  hiermit  für  seine 
freundliche  Anregung  meinen  besten  Dank,  wie  auch  Herrn 
Dr.  S  h  e  n  n  a  n  für  die  Ueberreichung  menschlichen  Materials. 
Herrn  Professor  Hofmeister  möchte  ich  auch  herzlich 
danken  für  seine  Mühe  mit  dieser  Veröffentlichung. 

Literatur. 

1  Loe  wen  hart:  Atncr.  Jour,  of  Physiol.  1902  Vol.  6  p.  331 

—  2  Rona:  Biochem.  Zschr.  32.  1911.  S.  482—488.  —  3.  Rona: 
Zbl  f  Phys  25.  1911.  S.  765—766.  —  4.  M  ai  r:  Jour.  Path.  and  Bad. 
1913  Vol.  18,  p.  185.  —  5.  Kanitz:  Zschr.  f.  phys.  Chem.  46  1905. 
S  482.  —  6.  Rosenheim  und  Shaw-Mackenzie  1910  Proc. 
Roy  "Soc.  Feb.  —  7.  Copeman:  J.  Path.  and  Bact.  Vol.  2,  p.  407. 

-  -  8  Lorrain  Smith  and  M  a  i  r,  zitiert  nach  M  a  i  r. 


Zur  Technik  der  gynäkologischen  Röntgentherapie. 

Der  Kompressor,  ein  Instrument  für  systematische  Aus¬ 
nützung  der  Verschieblichkeit  der  Bauchhaut. 

Von  Dr.  D  e  m  e  t  r  i  u  s  C  h  i  1  a  i  d  i  t  i  in  Konstantinopel  (Pcra). 

Die  Tatsache,  dass  bei  Verschiebung  der  Haut  über  einem 
zu  bestrahlenden  Gewebe  letzteres  mehrmals  bestrahlt  werden 
kann  und  zwar  jedesmal  von  einer  anderen  verschobenen  Haut¬ 
stelle  aus,  wird  in  der  gynäkologischen  Röntgentherapie  bei  Be¬ 
strahlung  durch  die  Bauchhaut  hindurch,  so  weit  mir  bekannt, 
rieht  genügend  ausgenützt.  Durch  rationelle  und  systematische 
Verschiebung — durchschnittlich  um  10cm  bei  der  Bauchhaut— , 
kann,  wie  ich  nachgewiesen  habe1),  etwa  doppelt  so  viel 
Bauchhaut  wie  früher  erfolgreich  zur  Verwendung  kommen. 
Es  ist  daher  bedauernswert,  dass  in  der  Literatur  so  wenig 
darüber  zu  finden  ist.  Ich  konnte  diesbezüglich  nur  einen 
Artikel  D  o  h  a  n  s  a)  ausfindig  machen,  der  mit  Hinweis  auf  die 
Verschieblichkeit  der  Bauchhaut  und  ihre  Bedeutung  für  die 
gynäkologische  Röntgentherapie  sich  mit  der  Ausführung 
der  Frage  näher  beschäftigt. 

Um  die  Haut  in  der  gewünschten  Lage  zu  fixieren,  benutzt 
D  o  h  a  n  Heftpflasterstreifen,  die  mit  einem  Ende  auf  die  Haut 
geklebt,  mit  dem  anderen  Ende  am  Bettrand  oder  sonstwo 
gespannt  fixiert,  oder  mit  Sandsäcken  u.  dergl.  belastet  werden. 
Statt  durch  Heftpflasterstreifcn  kann  die  verschobene  Haut, 
schreibt  Autor  ferner,  auch  mittels  Kompressionsblende  und 
event.  dazugehörigen  Ansätzen  fixiert  werden. 

Auch  ich  habe  ursprünglich  die  Verschiebung  und  Fixierung 
der  Bauchhaut  durch  Heftpflasterstreifen  versucht,  bin  abei 
bald  davon  abgekommen.  Das  Heftpflaster  löst  sich  häufig 
während  des  Betriebes  von  der  Haut  ab,  andererseits  ist  of 
der  Zug  des  Heftpflasters,  sowie  das  Lösen  desselben,  be¬ 
sonders  bei  behaarter  Bauchhaut,  schmerzhaft;  auch  ist  du 
Verziehungsmöglichkeit  beschränkt,  kranial-  und  kaudalwärt' 
ist  sie  ohne  besondere,  komplizierte  Vorkehrungen  so  gut  wi< 
unmöglich.  Ausserdem  muss  daneben  zwecks  Kompressioi 
eine  Blende  oder  ein  analoges  Instrument  verwendet  werden 
da  ia  mit  den  Heftpflastern  an  und  für  sich  nicht  komprimier 
werden  kann.  J 

Die  Verschiebung  und  Fixierung  der  Bauchhaut  durcl 
Kompressionsblenden,  mit  und  ohne  Ansatzstücken 
die  ich  daraufhin  versuchte,  habe  ich  gleichfalls  bald  am 
gegeben.  Dies  aus  folgenden  Gründen: 

•  J)  Chilaiditis:  Queis  sont  les  points  les  plus  importants  d 
la  radiotherapie  profonde?  Bull.  med.  de  Constanlinople;  1912  Nr. 

2)  Kongressbericht  der  D.  R.-Q.  7.  1911.  S.  176 — -177.  Aue; 
Q  a  u  s  s  und  Lembcke  erwähnen  in  ihrer  Monographie  (..Röntgen 
tiefentherapie“,  Urban  &  Schwarzenberg.  Berlin-Wien  191- 
dass  sie  die  Bauchhaut  bei  der  Bestrahlung  verschieben  und  erläutcr 
den  Nutzen  der  Hautverschiebung  durch  instruktive  Zeichnungen.  Ai 
das  „Wie“  gehen  sie  allerdings  nicht  näher  ein. 


1  l.  August  1914. _ MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1777 


1.  Gerade  bei  verschobener  Haut,  bei  der  durch  die  Verziehung 
oit  die  verscluedenst  geformten  Felder  entstehen,  ist  es  notwendig,  um 
nicht  Krossere  Stellen  der  Bauchhaut  unbenutzt  zu  lassen  oder  ander¬ 
seits  wieder  um  nicht  kleine  Segmente  ev.  zweimal  hintereinander 
zu  bestrahlen,  eine  ziemlich  grosse  Anzahl  von  Ansatzstücken  ver¬ 
schiedener  rorm  und  Grosse  für  die  Kompressionsblende  zur  Ver- 
tugung  zu  haben,  hin  Umstand,  der  sicherlich  nicht  zur  Vereinfachung 
des  Betriebes  beitragt,  abgesehen  davon,  dass  es  bei  einer  grossen 
Anzahl  von  Ansatzstücken  schwer  fällt,  das  am  besten  Passende 
schnell  herauszufinden. 


...  Hei  Benützung  der  üblichen  Kompressionsblenden  ist  man  ge¬ 
wöhnlich  an  eine  bestimmte  Fokus-Haut-Distanz  gebunden,  die  neben¬ 
bei  gesagt,  meist  nicht  unbeträchtlich  ist.  Die  Bestrahlungsmöglich- 
ceiten  sind  dadurch  eingeengt,  der  Betrieb  wegen  der  grossen  Fokus- 
lautdistanz  oft  unökonomisch,  der  Bestrahlungskegel  kleinblasig  in- 
olgedessen  die  Wahrscheinlichkeit,  die  in  der  Tiefe  gelegenen’  zu 
bestrahlenden  Organe  innerhalb  des  Bestrahlungskegels  zu  haben 
erringert. 

d>,  vv  eiterer  störender  Punkt,  der  sich,  wenigstens  bei  den  mir 
ur  Verfügung  stehenden  Kompressionssystemen,  geltend  machte 
lestand  darin,  dass  mit  der  Blende  der  schwere  Schutzmantel  der 
<Johre  eng  verbunden  war.  Dadurch  war  das  System  als  genau 
inzustellendes  Instrument  unhandlich,  weil  zu  schwer,  feinere  Ab- 
itufungen  unmöglich.  Die  Grösse  des  ausgeübten  Druckes  war 
chwer  zu  kontrollieren,  die  wegen  der  Schwere  des  Apparates  oft 
nyermeidlichen  brüsken  Bewegungen  störend.  Ausserdem  waren 
leist  mehrere  Hände  zum  genauen  Einstellen  notwendig  und  trotz 
Hedem  eine  Verschiebung  der  Hautränder  während  des  Fixierens 
tt  nicht  zu  umgehen.  Nach  Plazierung  der  Kompressionsblende  war 
ie  Kontrolle,  ob  genau  auf  die  markierten  Ränder  des  zu  bestrahlen- 
en  beides  eingestellt  war,  erschwert,  da  die  Ansatzstücke,  ausser 
eiui  sie  aus  durchsichtigem  Material  angefertigt  wären,  die  mar¬ 
terten  Limen  verdecken  können.  Falls  man,  um  das  letztere  zu 
ermeiden,  das  Ansatzstück  entsprechend  kleiner  wählt,  um  es  i  n  - 
erhalb  der  Grenzlinien  aufzusetzen,  so  wird  wiederum  viel  Haut 
nbestrahlt  gelassen. 

Diese  Umstände  veranlassten  mich  im  Jahre  1911,  ein  für 
teine  Zwecke  geeignetes  Kompressorium  anzugeben,  welches 
iir  von  den  ,,\  eifa-Werken  Frankfurt  a.  M.-Wien  angefertigt 

mrde. 

Ein  Darmsaitengeflecht  in  Form  und  Grösse  eines  ge- 
öhnlichen  Tennisschlägers,  ist  an  einer  vernickelten  Stange 
us  Mannesmannrohr  von  etwa  70  cm  Länge  befestigt  und  das 
anze  an  einem  Stativ  (ich  benutze  hiezu  ein  gewöhnliches 
ompressionsblendenstativ)  derart  nach  allen  Richtungen  dreh- 
ar,  dass  der  Tennisschläger  hebelartig  auf  die  Bauchhaut 
edrückt  und  letztere  in  beliebig  verschobener  Lage  festge- 
dten  werden  kann.  Ein  zweites  durch  einen  Griff  zu  fixieren- 
-s  Gelenk  am  Halse  des  Tennisschlägers  gestattet  weitere 
ewegungen  desselben  am  Halse  quer  zur  Längsachse. 

Dieses  erste  Modell,  über  welches  ich  anderwärts  geschrieben 
be-j,  gestattete  mir,  kurz  gesagt: 

1.  Mit  der  Röhre  so  nahe  als  man  will,  an  die  Haut  heranzu¬ 
cken. 

2.  Die  Grösse  und  Form  des  zu  bestrahlenden  Feldes  nach  Be- 
'rt  zu  wählen.  Die  Formveränderung,  die  daher  ein  z.  B.  ursprüng- 

.i  rechteckiges  Feld’ durch  die  Verziehung  der  Haut  erleidet  (es  ist 
1  ispielsweise  ein  unregelmässiges  Rhomboid  daraus  geworden)  hat 
.keine  Bedeutung,  da  ja  das  Feld  durch  einfaches  Auflegen 
ir  bchutzstoffe  auf  den  Kompressor  in  beliebiger  Grösse  und  Form 
i  bildet  werden  kann. 

3.  Gut  zu  komprimieren  und  hiemit  gleichzeitig  die  Haut  einiger- 
ussen  zu  desensibilisieren. 

4.  Auf  Grund  des  breitmaschigen  Gitterwerkes  nicht  nur  diTTe- 
genen  Grenzlinien  auf  der  Haut  unter  dem  Kompressor  zu  sehen, 
•Klern  solche  durch  letzteren  hindurch  einzuzeichnen  und  sie  jeder- 
'  t,  ohne  den  Kompressor  irgendwie  zu  verrücken,  zu  kontrollieren. 

5.  Der  Kompressor  ist  leicht  und  sicher  zu  handhaben,  der 
ai*sgeübte  Druck  gut  zu  bemessen  und  abzustufen.  Dieser 

uck  wird  für  gewöhnlich  nicht  unangenehm  empfunden. 

Im  konkreten  Falle  (es  würde  sich  z.  B.  darum  handeln,  die 
arialgegend  durch  eine  normalerweise  weit  davon  entfernt  liegende 
utstelle  hindurch  zu  bestrahlen)  gehe  ich  so  vor.  Nach  genauer 
grenzung  des  zu  bestrahlenden  Feldes  mittels  Tinten-  oder  Haut- 
tes,  wird  die  Haut  soweit  als  möglich  manuell  gegen  die  Ovarial- 
1’®*!  verschoben  und  in  dieser  Lage  durch  den  Kompressor 
.  ..  allrch  das  Gitterwerk  hindurch  sichtbaren  Grenzlinien 

' le  d*e  übrigen  den  Strahlen  ausgesetzten  Körperteile  werden  mit 

•  ^  L  h  i  1  a  i  d  i  t  i  s:  Sur  une  nouvelle  teclmique  de  radiotherapie 
onae,  s  appliquant  en  Premier  lieu  ä  la  radiotherapie  des  fibro- 
omes  uterins.  Presentation  d’un  appareil  compresseur  (depla- 
'-urj  pour  la  radiotherapie  profonde.  Soc.  Imp.  de  Med.  de 
ii.l  a  3  n  0  p  ^  c’  Oktober  1912.  —  Sur  ma  teclmique  radiothera- 
des  fibromyomes  uterins.  Presentation  d’un  appareil  compres- 
r  ad  hoc.  Soc.  de  Rad.  med.  de  France,  Mai  1913. 

Nr.  32. 


Schutzstoff  abgedeckt,  das  (mit  Tuch  oder  Leder  armierte  3  mm 

befhidetA  HInHTfllter  W‘[d  dem  KomPressor  einfach  aufgelegt  (es 
efindet  sich  dabei  immerhin  in  einer  Entfernung  von  ungefähr  3  cm 

\on  der  Haut),  die  Röhre  wird  ohne  Schutzmantel  betätigt,  daher 
Ä^-U,brgen  Korperteile  durch  dichte  Kautschuckstoffe  ge- 
Ä  (Bleiglasfenster  vor  dem  Gesicht).  Die  peinlichste  Befolgung 

ist  wo“f  1ÄmZlchUtZ  der  am  AoParat  tan,iercnden  P«“" 


dreiiähwtll  vftC  M?del1  des.  Kompressors  hat  sich  während  einer 
jährigen  Verwendung  bewährt.  Ein  Umstand  machte  sich  iedoch 

c,nnansk;eä?kerne,bLme,rkbr:  Lnfo1*?,  der  ürösse  des  Kompressors  wS 
n  stärkeres  Eindrücken  desselben  an  einer  bestimmten  Stelle  des 

Seren  fS  mPg!Ich'  D.ieseur  Nachteil  machte  sich  besonders  bei 
Frauen..bei  soast  Ieicht  eindrückbaren  Bauchdecken  geltend 
K.habe  aus  diesem  Grunde  bei  den  Veifa-Werken  ein  kleineres 

14  xe  nemier 'efl  (D.urchmesser  des  rakettartigen  Ovals 

4.x  10  em)  welches  sich  tief  ins  Abdomen  eindrücken  lässt  ohne 
störend  empfunden  zu  werden  (siehe  Abb  1).  Das  Darmsaitenwerk 


st  uiesrnai  am  unteren  Rand  des  Holzrahmens  ausgespannt  und  nicht 
wie  früher  in  der  Mitte  des  Rahmens,  wodurch  eine  bessere  Fi¬ 
xierung  und  Kompression  der  Haut  bewerkstelligt  werden  soll  Da 
dieser  Kompressor  tief  in  den  Bauch  gedrückt  werden  kann,  wobei 
die  umgebende  Haut  oft  wallartig  vorspringt,  können  die  Schutzstoffe 
wegen  der  Unebenheit  des  Terrains  oft  nicht  auf  den  neuen  Korn- 
piessor  gelegt  werden.  Es  ist  daher  manchmal  vorzuziehen,  immer 
vorausgesetzt,  dass  man  mit  nackter  Röhre  zu  arbeiten  gewohnt  ist 
die  Schutzstoffe  zwischen  Haut  und  Kompressor  zu  plazieren.  Am  besten 
benutzt  man  wohl  zu  diesem  Zwecke  verschieden  geformte  Aus- 
schmtte  aus  metallhaltigem,  genügend  dickem  Kautschuk.  Man  kann 
natürlich  das  Schutzmaterial  in  geeigneter  Form  auch  oberhalb  des 
Kompressors  plazieren,  doch  ist  dann  die  genaue  Begrenzung  des 
Bestrahlungsfeldes  schwieriger,  da  das  Schutzmaterial  sich  in  einer 
gewissen  Entfernung  von  der  Haut  befindet.  Das  armierte  Aluminium- 
filter  wird  wie  früher  einfach  aufgelegt. 


Was  die  sonstige  I  echnik  anbelangt,  hält  sie  gegenwärtig 
nach  verschiedenen  Schwankungen  die  Mitte  zwischen  der 
Alber  s  - Schönberg  sehen  und  der  Freiburger  Technik, 
jedoch  mit  stärkerei  Anlehnung  an  letztere.  Kurz  zusammen¬ 
gefasst:  3  mm  Aluminiumfilter  mit  5  mm  Leder  hinterlegt 
16—18  cm  Fokus-Hautabstand,  8—12  Felder  abdominal,  event’ 
4—6  Felder  dorsal,  5—10  H  pro  Stelle  und  monatlichem  Zyklus, 
in  Ausnahmefällen  mehr.  Hautschädigungen  wurden  hiebei 
niemals  beobachtet.  Sistieren  der  Menorrhagien  durchschnitt¬ 
lich  nach  2  Zyklen  (darauf  gewöhnlich  noch  1 — 2  prophylak¬ 
tische  Zyklen).  Unter  den  30  Myomfällen  der  letzten  3  Jahre, 
bei  denen  die  Verschieblichkeit  der  Bauchhaut  systematisch 
auf  obige  Weise  ausgenützt  wurde,  befindet  sich  kein  Ver¬ 
sager.  Hiebei  ist  zu  erwähnen,  dass  auch  manche  Myome 
behandelt  werden  mussten,  bei  denen  die  Röntgentherapie  für 
gewöhnlich  als  schwierig,  ja  mitunter  als  kontraindiziert  ab¬ 
gelehnt  wird.  Unter  ihnen  befinden  sich  zwei  submuköse 
Myome,  ein  gut  handbreit  über  den  Nabel  reichendes  Myom, 
ferner  6  Myome,  deren  Trägerinnen  unter  35  Jahre  alt  waren! 


>„ts  ist  auch  möglich,  die  Haut  mittels  des  Kompressors,  statt 
manuell,  in  die  gewünschte  Lage  zu  bringen,  die  Grenzlinien  können 
auch  nachträglich,  i.  e.  durch  den  Kompressor  hindurch  eingezeichnet 
werden. 


2 


1778 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT, 


Nr.  32. 


Das  Jonometer  und  seine  Verwendung  in  der 
Röntgendosimetrie. 

Von  Dozent  Dr.  H.  Greinacher  in  Zürich. 

Das  Ionometer  ist  ein  Instrument,  das  die  Intensität  der 
Luftionisierung  direkt  abzulesen  erlaubt  und  damit  ohne 
weiteres  zur  Messung  von  Radium-  und  Rontgenstrahlen  se- 
eignet  ist.  Nachdem  der  Apparat  seinerzeit  in  seiner  Aus¬ 
führungsform  zur  Messung  von  Radium  und  Radiumemanation 
beschrieben  worden  ist  ')>  möge  heute  über  seine  Ausgestaltung  j 
als  Röntgendosimeter  berichtet  werden. 

Was  das  Konstruktionsprinzip  anbetrifft,  so  lehnt  sich  dasselbe 
a„  die  Bronsonschc  Anordnung  zur  Messung  von  Iomsierungs- 
strömen  an.  Es  dürfte  daher  am  Platze  sein,  zunächst  die  Bron- 
son  sehe  „Methode  der  konstanten  Ausschlage  kurz  zu  skizzieren. 
Will  man  hiernach  etwa  die  Leitfähigkeit  der  Luft  zwischen  den 
Platten  Pi  P2  bestimmen,  wenn  dieselbe  z.  B.  mit  Radium  bestrahlt 

wird,  so  stellt  man  nach  Bronson  die  ,in  F,g’  SVnl t ^f^t/seien 
tUng  her  B  bedeutet  eine  Batterie  von  einigen  100  Volt,  üü  seien 
die  Quadranten  eines  empfindlichen  Quadrantelektrometers.  W  sei 
ein  sehr  grosser  Widerstand.  Bei  dieser  Anordnung  fliesst  zwischen 
Pi  P2  und  durch  W  derselbe  Strom.  Man  misst  nun  am  Elektro¬ 
meter  den  Spannungsabfall  am  Widerstand  W  Sei  diese  Potential¬ 
differenz  V,  so  ist  der  gesuchte  Strom  gegeben  durch  J  =  V  W. 
Sofern  also  W.  eine  Konstante  ist,  ist  J  einfach  V,  d  h.  dem  Elektro- 
meterausschlag  proportional.  Um  einen  genügend  hohen  Wider¬ 
stand  W  zu  haben,  verwendet  Bronson  einen  sog.  Luftwiderstand, 
d  h  2  Platten,  zwischen  denen  die  Luft  durch  eine  konstant  radio¬ 
aktive  Substanz  leitend  gemacht  ist.  Ein  solcher  Widerstand  folgt 
aber  dem  Ohm  sehen  Gesetz  nur,  so  lange  kleine  Potentialdifferenzen 
an  ihm  liegen.  Nur  in  diesem  Falle  ist  dann  auch  der  zu  messende 
Strom  J  proportional  V.  Man  war  also  darauf  angewiesen,  ein 


0  + 


a  a 

— LwwwO — 


ß 


W 


Fig.  3. 


Fig.  1. 


W 


M  — p^VVVWMV— ||l|l|l|l|l| — 


sprechenden  Ausschlag.  Wird  jetzt  die  Luft  um  Z  herum  etwa  durch 
P  idiu.n  ionisiert,  so  fliesst  ein  Ionisierungsstrom  von  Z  nach  der 
Umgebung  Sw.  dem  Gehäuse.  Im  selben  Masse,  wie  damit  das 
Potential  des  Systems  sinkt,  entsteht  nun  aber  zwischen  Pi  und  Ps 
eine  Potentialdifferenz,  die  nun  ihrerseits  Anlass  zu  einem  Strom 
von  P2  nach  Pi  gibt.  Das  Potential  des  Systems  sinkt  nun  so  weit, 
b°s  ein  Gleichgewichtszustand  erreicht  ist  der  dadurch  gekennzeichnet 
ist  dass  der  von  Z  ausgehende  Strom  gleich  ist  dem  Strom  >m  Luft- 
widerstand  L.  Man  erhält  daher  eine  neue  Einstellung  im  Elektro¬ 
meter  E;  und  zwar  gehen  die  Blättchen  umso  naher  zusammen,  je 

stärker  der  lonisierungsstrom  ist.  .  ,  ,  . 

starker  u  Zerstreuungsstiftes  Z  kann  auch  eine  besondere  Ioni¬ 
sierungskammer  aufgesetzt  werden.  Die  Gleichstromquelle  wird  ge¬ 
liefert  entweder  durch  eine  besondere  I  rockenbatterie  von  220  Volt 
öder  dweh  ein  Gleichstromnetz  von  derselben  Spannung.  Falls  nur 
ein  Gleichstromnetz  von  110  Volt  vorhanden  tst,  so  kann  dasselbe! 
,n  Verbindung  mit  einer  Trockenbatterie  von  110  Volt  verwendet 
werden  Neuerdings  ist  es  mir  gelungen  auch  dendirdrten  AnscWuss 
des  Ionometers  an  ein  Wechselstromnetz  von  100— 220  Volt  zu  er- 
chen  Hierzu  bedarf  es  eines  besonderen  Wechselstromgleich- 
S  ers  Ohne  auf  das  Prinzip  dieses  kleinen  Hilfsapparates  nahe, 
einzugehen,  sei  es  gestattet,  hier  wenigstens  eine  Abbildung  desselben 
zu  bringen  (Fig.  4). 

Verwendung  als  Röntgendosimeter. 

Um  die  Röntgendosis  zu  bestimmen,  sind  im  wesentlichen  3  Fak 
toren  anzugeben:  1.  die  Intensität,  2.  die  Harte  und  3.  die  Bestrahl 
uiigszeit  Um  diese  drei  Grössen  zu  bestimmen,  oder  auch  d.rcK 
die  aus  ihnen  sich  zusammensetzendc  Gesamtdosis  abzuleiten,  sim 
die  verschiedenartigsten  Verfahren  angegeben  worden  Leider  s.m 
dieselben  bisher  fast  alle  durchaus  unzulänglich  geblieben.  Wissen 

schaftlich  und  technisch  brauchbare  Apparate  existieren  eigentlich  m. 

für  die  Bestimmung  der  mittleren  Strahlenhärte,  hur  die  Angabe 
Strahlenintensität  existiert  jedoch  noch  kein  wissenschaftliches  Mass 
Genaue  Messungen  waren  eigentlich  nur  durch  Bestimmung  der  Luf 
Ssierung  zu  erwarten.  Das  Prinzip  konnte  aber  bisher  keine 
Eingang  in  die  Praxis  finden,  da  die  Technik  der  Iomsierungsmessun 
noch  zu  umständlich  war. 


* 


Fig.  2. 


PL 

L 

-X J 

ß 


Fig.  4. 


empfindliches  Quadrantelektrometer,  dessen  Nadel  überdies  durch  eine 
besondere  Batterie  geladen  werden  muss,  zu  verwenden.  So  be¬ 
quem  die  Methode  ist,  so  war  man  doch  durch  die  keineswegs 
ganz  einfache  Apparatur  auf  die  Verwendung  im  Laboratorium  be- 
schränkt 

Ich  habe  nun  versucht,  die  Anordnung  in  dem  Sinne  umzuändern, 
dass  man  einen  einfachen  und  bequemen  Messapparat  besitzt,  der 
überdies  an  jedem  Ort  und  ohne  Mühe  aufzustellen  ist.  Die  Umände¬ 
rung  besteht,  wie  Fig.  2  schematisch  zeigt,  in  der  Hauptsache  darin, 
dass  das  Elektrometer  nicht  dem  Luftwiderstand  W,  sondern  der 
lonisierungskammer  K  parallel  geschaltet  wird.  Der  Hauptvorteil 
dieser  Anordnung  besteht  darin,  dass  man  nun  grosse  Potential- 
differenzen  zu  messen  hat,  und  somit  ein  wenig  empfindliches  Mess¬ 
gerät  E  verwenden  kann.  Auch  auf  die  Bedingung,  dass  W  dem 
O  h  in  sehen  Gesetz  folgen  soll,  kann  hier  verzichtet  werden,  da 
das  Instrument  doch  ein  für  allemal  geeicht  wird. 

Eine  genauere  Vorstellung  von  der  Anordnung  des  Ionometers 
(Ausführungsform  zur  Messung  von  Radium  und  Radiumemanation) 
gibt  Fig.  3.  In  einem  Metallgehäuse  G  befindet  sich  der  Luftwider¬ 
stand  L,  bestehend  aus  den  beiden  Platten  Pi  P2.  Letztere  sind  auf 
der  einander  zugewandten  Seite  mit  dem  konstant  aktiven  UaUs  über¬ 
zogen  Um  die  Luftionisierung  auf  den  Zwischenraum  zu  beschranken, 
ist  die  Platte  P2  mit  einem  Metallring  R  versehen.  Die  Platte  P2 
ist  in  Verbindung  mit  einer  Gleichstromquelle,  deren  anderer  Pol 
mit  dem  Gehäuse  verbunden  ist.  Die  Platte  Pi  ist  andererseits  mit 
dem  Blättchenelektroskop  E  und  einem  Zerstreuungsstift  Z  verbunden. 
Dieses  ganze  System  ist  durch  Ebonit  vorzüglich  isoliert.  Zieht  man 
die  Schutzplatten  S  auseinander,  so  ladet  sich  dieses  System  ohne 
w  eiteres  durch  den  Luftwiderstand  L  auf  das  Potential  der  Platte  P2 
auf  Das  Elektroskop  zeigt  jetzt  einen  der  Batteriespannung  B  ent- 


>)  Radium  in  Biologie  und  Heilkunde,  2.  137.  1913. 


Mittels  des  Ionometers  ist  es  nun  möglich,  in  einfachster  Wei 
auf  Grund  von  lonisierungsmessungen  nicht  nur  die  Harte,  sonue 
auch  die  Intensität  der  Röntgenstrahlen  an  beliebigen  Stellen, 
messen,  und  besitzt  man  damit  in  Verbindung  mit  einem  Zeitmess 
alle  wichtigen  Grössen,  um  eine  wissenschaftlich  exakte  Rontgenoo 

metrie  durchzuführen.  „A„  h 

Um  die  Messung  schnell  und  bequem  durchfuhren  zu  können,  < 
der  ursprüngliche  Apparat  einige  kleine  Aenderungen  erfahren,  u 
Ionometer,  welches  zur  Messung  von  schwachen  Ionisierungen  tK 
dium,  Radiumemanation)  gebaut  wird,  besitzt  für  die  Zwecke  a 
Röntgendosimetrie  eine  zu  geringe  Einstellungsgeschwindigkeit.  1 
der  Gleichgewichtszustand  und  damit  das  Elektroskopblattcnen  - 
eingestellt  haben,  vergeht  Va— 1  Minute.  Da  dieEinstellungsgeschwincii 
keit  ausser  von  der  elektrostatischen  Kapazität  des  Elektrometers 
stems  noch  von  der  Grösse  des  Luftwiderstandes  abhängt,  so  kann  m 
sie  also  durch  diese  Faktoren  leicht  verändern.  Insbesondere  kannm 
den  Luftwiderstand  ohne  weiteres  kleiner  wählen,  wenn  inan  es  1 
der  Messung  starker  lonisierungsströme  (Röntgenstrahlen)  zu tun  n 
Dies  kann  erreicht  werden  durch  Verwendung  einer  Radiumbelegi: 
auf  den  Platten  Pi  P2  bzw.  durch  Verwendung  der  in  neuerer  / 
aufkonnnenden  Xylolalkoholwiderständen.  Um  ein  bequemes  f 
lesen  am  Apparat  zu  ermöglichen,  ist  überdies  ein  Zeigerelcktrome 
vorgesehen. 

Da  das  Modell  für  den  fertigen  Röntgenstrahlenmesser  geg 
wärtig  noch  nicht  definitiv  fixiert  ist,  so  sei,  um  eine  vorstein 
von  dem  Apparat  zu  geben,  das  ursprüngliche  Probemodell  wieu 
gegeben  (Fig.  5).  Auf  einem  Holzsockel,  der  zur  Aufnahme 
Trockenbatterie  bzw.  des  Wcchselstromgleichrichters  dient,  bmn 
sich  der  Reihe  nach  montiert  der  zylindrisch  gestaltete  Lunwie 
stand  und  das  viereckige  Elektroskopgehäuse.  Auf  das  Elektron 
das  hier  nur  einen  Zeiger  besitzt,  ist  ein  sog.  Zerstreuungsstjtt  a 
gesteckt.  Statt  dieses  Zerstreuungsstiftes  wird  nun  zur  Röntg 


11.  August  1914 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1770 


strahlenmessunK  ein  Zusatzapparat  aufgeschraubt  (Fig.  6).  Dieser 
besteht  einesteils  aus  einer  lonisierungskammcr  K,  andernteils  aus 
einer  isolierten  Zuleitung  D,  die  sich  in  einem  biegsamen  Metall¬ 
schlauch  S  befindet.  Eine  kleine  Ausführungsform  dieser  Ionisierungs¬ 
kammer  mit  Metallschlauch  zeigt  Fig.  7.  Die  zu  messenden  Strahlen 
werden  durch  die  verstellbare  Blende  B  (Irisblende  oder  Schiebe¬ 


blende)  in  die  Ionisierungskammer  K  eingelassen.  Eine  dünne  Alu¬ 
miniumfolie  F  (0,01  mm)  einerseits,  und  die  Auffängerplatte  P  an¬ 
dererseits  begrenzen  den  Ionisierungsraum.  Vermittels  des  Hebels  H 
kann  die  Oeffnung  der  Blende  und  das  einfallende  Strahlenbündel  in 
messbarer  Weise  verändert  werden.  Während  das  Blendenmaterial 
aus  dem  praktisch  undurchlässigen  Blei  besteht,  wird  für  die  Wan¬ 
dung  des  Ionisierungsraumes,  insbesondere  für  die  Platte  P  Aluminium 
verwendet,  um  die  Entstehung  von  Sekundärstrahlen  möglichst  zu 
verhindern.  Ein  Al-Plättchen  Al  von  1  mm  Dicke  kann  vor  die 
Blende  geschoben  werden,  um  die  Härte  der  Strahlen  zu  bestimmen. 

Hier  sei  nun  in  Kürze  die  Methode  beschrieben,  die  eine  gleich¬ 
zeitige  Bestimmung  von  Härte  und  Intensität  am  Apparat  ermöglicht. 
Am  Elektrometer  bedeutet  etwa  Ao  (Fig.  8)  die  Einstellung  des 
Zeigers,  falls  kein  Ionisierungsstrom  vorhanden  ist.  A  bedeutet  ferner 
eine  zweite  beliebige  Marke,  die  einem  bestimmten,  aber  im  Uebrigen 
willkürlichen  Ionisierungsstrom  entspricht.  Man  kann  es  nun  immer 
so  einrichten  durch  Regulierung  der  Blendenöffnung  B,  dass  gerade 
ein  Ionisierungsstrom  von  dieser  Grösse  in  der  Ionisierungskammer  K 
fliesst.  Praktisch  reguliert  man  die  Oeffnung  B  also  derart,  dass 
das  Ionometer  auf  die  Marke  A  einsteht.  Es  verhalten  sich  dann 
die  Strahlenintensitäten  offenbar  direkt  umgekehrt  proportional  der 
Blendenöffnung.  Man  kann  also  an  der  Hebelführung  H  direkt  eine 
Teilung  anbringen,  welche  die  Intensitäten  anzeigt.  Um  nun  auch  die 
zugehörige  Strahlenhärte  zu  bestimmen,  schiebt  man  das  Al-Plätt- 
chen  Al  vor  die  Blende.  Je  stärker  die  Strahlen  im  Al  absorbiert 
werden,  um  so  mehr  wird  der  Ionisierungsstrom  geschwächt,  um  so 
mehr  rückt  also  die  Zeigerstellung  des  Ionometers  gegen  die  Null¬ 
stellung  Ao.  Man  wird  somit  das  Intervall  zwischen  A  und  Ao  direkt 
in  Härtegrade  einteilen  können. 

Die  Manipulationen  zur  Feststellung  von  Intensität  und  Härte  be¬ 
stehen  also  kurz  in  folgendem: 

1.  Einstellung  am  Hebel  H  auf  die  Marke  A:  Intensitätsablesung 

am  Hebel. 

2.  Vorschieben  des  Aluminiumplättchens  Al:  Ablesung  der  Härte 
am  Elektrometer. 

Was  die  Wahl  der  Masseinheiten  betrifft,  so  wird  man  sich  be¬ 
züglich  der  Härtebestimmung  zweckmässig  der  jetzt  gebräuchlichen 
Angabe  von  Halbierungsdicken  anschliessen.  Schon  früher  hat  man 
sich  bei  rein  physikalischen  Messungen  mit  Vorteil  der  sogen.  Halb¬ 
wertschichten  bedient,  wobei  man  als  Vergleichsmaterial  bei  durch¬ 
dringenden  Strahlen  (y-Strahlen)  das  Blei  und  bei  weniger  durch¬ 
dringenden  Strahlen  (j9-Strahlen,  Röntgenstrahlen)  das  Aluminium 
verwendete.  Unter  der  allgemein  gültigen  Voraussetzung,  dass  die 
Strahlenabsorption  demJExponentialgesetz  J  =  Joe- kd  folgt,  lässt  sich 
wenn  gewünscht,  jederzeit  aus  der  Halbierungsdicke  D  der  Absorp- 
tonskoeffizient  k  nach  der^Formel  k  =  ()^)9-  berechnen.  Die  Angabe 

der  Halbierungsdicke  ist  daher  tasächlich  nicht  nur  anschaulich,  son¬ 
dern  auch  wissenschaftlich  korrekt. 


Etwas  schwieriger  dürfte  die  Festsetzung  der  Einheit  für  die  In¬ 
tensitätsangabe  sein.  Als  wissenschaftliches  Mass  empfiehlt  sich  hier 
vor  allem  die  Intensität  des  Ionisierungsstromes  (Sättigungsstrom)  in 
absoluten  Einheiten.  Wenn  man  z.  B.  den  Sättigungsstrom,  den  man 
m  1  Liter  Luft  bei  760  mm  Druck  und  20°  C  erhält,  in  elektrostatischen 
Stromeinheiten  angibt,  so  hätte  man  ein  wissenschaftlich  einwand¬ 
freies  Mass  für  die  Intensität.  Zugleich  würde  man  damit  Zahlen¬ 
angaben  von  kuranter  Grösse  erhalten.  Dieselben  Zahlen  würde  man 
auch  bekommen,  falls  man  den  Strom  in  1  ccm  und  in  Mache- 
Einheiten  angeben  würde.  Letztere  sind  bekanntlich  1000  mal  kleiner 
als  die  elektrostatischen  Einheiten.  Hat  man  nun  den  Ionisierungs- 
ström  bei  irgend  einem  anderen  Barometerdruck  und  einer  anderen 
Iemperatur  gemessen,  so  Hesse  sich  der  Strom  ebenfalls  ohne  wei¬ 
teres  aut  die  Normalverhältnisse  (760  mm  und  20 u  C)  umrechncii 
Statt  den  hierfür  gültigen  Umrechnungsfaktor  —  ^  0,00367 

(p  ==  Druck,  t  =  Temperatur)  zu  verwenden,  könnte  dieser  bequem 
|  auch  aus  einer  Tabelle  entnommen  werden.  In  der  Praxis  wird  es 
sogar  meist  ausreichend  sein,  einfach  die  gemessenen  Ströme  an¬ 
zugeben,  da  bei  der  relativ  geringen  Schwankung  der  Druck-  und 
I  emperaturverhältnisse  der  Korrektionsfaktor  zu  vernachlässigen  ist. 

Das  Röntgendosimeter  kann  in  der  Weise  geeicht  werden,  dass 
man  den  Ionisierungsstrom,  welcher  der  Marke  A  entspricht,  mittels 
irgendeiner  anderen  Messanordnung  in  absoluten  Einheiten  misst  Es 
seien  hierfür  z.  B.  0,002  elektrostatische  Einheiten  gefunden.  Die 
I  eilung  am  Hebel  H  kann  nun  auf  Grund  dieser  einen  Messung  ohne 
weiteres  ausgeführt  werden.  Stellt  man  H  z.  B.  so,  dass  die  Blen¬ 
denöffnung  1  qcm  beträgt,  und  ist  die  Tiefe  der  Ionisierungskammer 
1  cm,  so  ist  dann  der  bestrahlte  Raum  1  ccm.  Wenn  nun  in  diesem 
Kubikzentimeter  ein  Strom  von  0,002  absoluten  Einheiten  fliesst,  so 
steht  der  Elektrometerzeiger  auf  der  Marke  A.  Dieser  Hebelstell’ung 
entspricht  also  eine  StrahlenintensPät  von  1000  X  0,002  =  2  abso¬ 
luten  Einheiten  (auf  1  Liter  Luft  bezogen).  Für  die  Hebelstellung, 
die  einer  Blendenöffnung  von  2,  3,  4  etc.  qcm  entspricht,  haben  wir 
dann  entsprechend  die  Intensitätswerte  1,  -’/s,  14  etc. 

Die  Härteeinteilung  kann  man  mit  Hilfe  der  Irisblende  ausführen. 
Zu  diesem  Zweck  lässt  man  Röntgenstrahlen  verschiedener  Härte  auf¬ 
fallen  und  macht  für  jede  einzelne  Strahlenqualität  folgende  Messung 
Man  reguliert  den  Hebel  H  bei  weggeschobenem  Al-Plättchen  so 
ein,  dass  der  Zeiger  auf  der  Marke  A  steht.  Die  betreffende  Blenden¬ 
öffnung  betrage  q  Quadratzentimeter.  Nun  schiebt  man  das  absor¬ 
bierende  Al-Plättchen  vor,  wodurch  zunächst  der  Ionisierungsstrom 
abnimmt.  Nachdem  man  die  entsprechende  Einstellung  am  Elektro¬ 
meter  beobachtet  hat,  bringt  man  den  Ionisierungsstrom  nun  wieder 
auf  die  frühere  Höhe,  d.  h.  man  stellt  wieder  auf  die  Marke  A  ein,  in¬ 
dem  man  am  Hebel  H  die  Blende  entsprechend  vergrössert.  Die 
Blendenöffnung  sei  jetzt  q’  Quadratzentimeter.  Man  weiss  damit,  dass 
der  Ionisierungsstrom  durch  das  1  mm  dicke  Al-Plättchen  im  Verhält¬ 
nis  q/q  geschwächt  wurde.  Unter  Verwendung  der  schon  erwähnten 
Exponentialformel  J/Jo/[=  q/q'  =  e-kd  kann  nun  der  JAbsorptions- 
koeffizient  k  bzw.  die  Halbierungsdicke  D  ohne  weiteres  berechnet 
werden.  Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  die  Härteeichung  auch 
direkt  ausgeführt  werden  kann,  wenn  ein  brauchbarer  Härtemesser 
zur  Verfügung  steht. 

Zu  beachten  bleibt,  dass  Härtemessungen  auch  ohne  Intensitäts¬ 
angaben  eine  Bedeutung  zukommt,  wenn  man  auch  im  allgemeinen 
nur  von  einer  mittleren  Strahlenhärte  sprechen  darf.  Intensitäts¬ 
messungen  können  andererseits  nur  im  Verein  mit  Härteangaben 
irgendwelchen  Wert  beanspruchen. 

Zum  Schluss  sei  noch  erwähnt,  dass  die  fabrikationsmässige 
Herstellung  des  Röntgendosimeters  von  der  Siemens  &  Halske- 
A.G.  (Berlin)  übernommen  worden  ist. 


Ein  kleiner  Vorteil  beim  Durchleuchten  mit  Röntgen¬ 
strahlen. 

Von  Richard  Qeigel. 

Jeder,  der  mit  Röntgenstrahlen  diagnostisch  arbeitet, 
weiss,  dass  für  Beobachtungen  am  Leuchtschirm  ein  aus¬ 
geruhtes  Auge  unerlässliche  Bedingung  ist.  Man  pflegt  sie 
durch  längeres  Verweilen  im  verdunkelten  Zimmer  zu  erfüllen. 
Eiir  zeitweilige  Erhellung  dient  eine  Glühlampe,  mit  einfachem 
Kohlenfaden  aus  zwei  Gründen.  Erstens  wird  das  Induktorium 
durch  Kraftstrom  getrieben  und  dabei  ist  nur  die  Mitver¬ 
wendung  einer  Glühlampe  von  10  N.-K.  gestattet  und  zweitens 
wünscht  man  gar  kein  helleres  Licht,  weil  das  dunkeladaptierte 
Auge  nicht  immer  wieder  neu  geblendet  werden  soll.  Es  wird 
es  aber  doch  häufig  in  störender  Weise.  Beim  Regulieren  der 
Stromstärke,  beim  Verschieben  der  Röhre,  Verstellen  des 
Patienten,  Einschalten  einer  Blende  usw.  stört  die  unumgäng¬ 
liche  Erhellung  des  Zimmers  die  nachfolgende  genaue  Beob¬ 
achtung.  Nachdem  meine  Glühbirne  einmal  zufällig  zugrunde 
gegangen  ist,  habe  ich  sie  durch  eine  mit  rotem  Glas,  wie  sie 
beim  Photographieren  Verwendung  findet,  ersetzt.  Durch  das 

2* 


1780 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


rote  Cilas  werden  gerade  die  Strahlen  aüsgeschaltet,  die  am 
Röntgenschirm  aufleuchten,  und  die  Empfindlichkeit  des  Auges 
für  diese  bleibt  erhalten.  Ich  habe  mit  einem  schonen  Stein  - 
heil  sehen  Spektroskop  ä  vue  directe,  das  mir  vor  fast 
40  Jahren  schon  mein  guter  Vater  geschenkt  hat,  das  Licht 
meiner  2  Schirme  und  das  der  roten  Glühbirne  untersucht  und 
folgende  Resultate  erhalten.  Bei  weitem  Spalt  erhalt  man  am 
Ba  Pt.-Zyanürschirm  ein  Spektrum,  das  links  von  E  beginnt 
und  bis  zur  F  r  a  u  n  h  o  f  e  r  sehen  Linie  F  sich  erstreckt  etwa 
zwischen  X  =  560  w  und  X  =  466  nn  liegend.  Das  Spektrum 
am  Astralschirm  meines  Orthodiagraphen  erstreckt  sich  gegen 
den  brechbaren  Teil  etwa  bis  X  =  492,  beginnt  aber  gegen 
den  weniger  brechbaren  schon  etwas  früher,  etwa  bei 
X  =  553  /j ju.  Die  roten  und  die  rotgelben  Strahlen  fehlen  bei 
beiden  Schirmen.  Dagegen  gibt  die  rote  Glühbirne  ein  Spek¬ 
trum,  das  fast  am  äussersten  Rot,  etwa  bei  A  beginnt  und 
etwa  bei  der  D-Linie  endet.  Der  helleuchtende  Teil  er¬ 
streckt  sich  etwa  von  der  Wellenlänge  X  —  660  bis  X  —  586  ufi 
Dann  kommt  ein  intensiv  schwarzer,  breiter  Absorptionsstreif 
im  Grün  von  X  —  586  w  bis  X  =  482  fift  (nahe  bei  E).  Er  bedeckt 
also  fast  genau  den  Teil,  der  an  den  Schirmen  leuchtet, 
und  was  von  da  an  etwa  bis  X  =  470  (über  F  hinaus)  an 
kurzwelligen  Strahlen  wieder  zu  sehen  ist,  erscheint  nur  bei 
weitem  Spalt  und  schwach  leuchtend.  Genaueres  könnte  man 
natürlich  nur  nach  Untersuchung  mit  Doppelspalt  sagen,  ich 

habe  aber  keinen.  ,  ,  „  „  , 

Das  Glas  meiner  Glühbirne  ist  von  dem  hellen  Rot,  wie 
man  es  bei  Entwicklung  und  Fixierung  von  photographischen 
Platten  nur  kurz  verwenden  kann,  ihr  Licht  erleuchtet  das 
Zimmer  hinlänglich,  um  alle  Vorbereitungen  zur  Durchleuchtung 
und  alle  Korrekturen  während  derselben  vornehmen  zu  können 
und  dabei  wird  das  Auge  gegen  den  Lichteindruck  vom  Leucht¬ 
schirm  nicht  abgestumpft.  Ich  empfinde  ciie  Verwendung  des 
roten  Lichtes  zu  diesem  Zwecke  geradezu  als  eine  Wohltat; 
Zeit  wird  gespart,  die  Beobachtung  leichter  und  genauer.  Mit 
Hilfe  des  Spektroskopes  wäre  es  natürlich  ein  leichtes,  eine 
Farbe,  vielleicht  Orange,  auszusuchen,  die  noch  vollkommener 
alle  vom  Leuchtschirm  kommenden  Strahlen  auslöscht  bei 
grosser  Helligkeit  in  den  anderen  Teilen  des  Spektrums.  Ich 
bin  aber  mit  meinem  Hellrot  vorläufig  ganz  zufrieden  und 
wenig  geneigt,  auf  unnötige  Versuche,  die  jeder  ohne  jeden 
Geist  anstellen  kann,  noch  einen  roten  Heller  zu  verwenden. 


Aus  dem  städtischen  Kinderhospital  in  Köln 
(Direktor:  Geheimrat  Siege  r  t). 

Taenia  saginata  beim  Säugling. 

Von  K.  Grimm,  dirig.  Arzt. 

Wenn  die  Diagnose  Bandwurm  beim  jungen  Kinde  ge¬ 
sichert  ist,  dann  treten  wir  an  die  Therapie  meist  wohl  mit 
einem  gewissen  Bedenken  heran;  denn  wir  wissen,  dass  die 
wirksamen  Mittel  für  das  Kind  teils  durchaus  nicht  harmloser 
Natur  sind,  grösstenteils  aber  die  Einnahme  des  Mittels  vorn 
Kinde  überhaupt  verweigert  und  wenn  es  wirklich  genommen, 
später  dann  häufig  wieder  erbrochen  wird.  Diese  Erwägung 
ist  für  manche  bestimmend,  von  einer  Kur  vor  dem  3.  Lebens¬ 
jahre  von  vornherein  Abstand  zu  nehmen,  zumal  ja  eine  Taenia 
nicht  selten  gar  keine  besonderen  Erscheinungen  verursacht. 
Allzu  oft  aber  kommt  der  Arzt  nicht  in  die  Lage,  einen  Ent¬ 
schluss  nach  der  einen  oder  anderen  Richtung  hin  zu  fassen, 
denn  Taenien  sind  im  frühen  Kindesalter  keine  häufige  Er¬ 
scheinung,  zumal  im  Säuglingsalter  sind  sie  nur  wenig  be¬ 
obachtet  worden.  So  berichtet  H  e  n  o  c  h,  dass  von  über 
100  Fällen  von  Taenia  kein  Fall  das  Säuglingsalter  betraf  und 
Monti  sah  unter  121  mit  Bandwurm  behafteten  Kindern  nur 
3  Fälle  bei  Säuglingen  im  Alter  von  3  bis  6  Monaten. 
S  c  h  i  o  e  d  t  e  konnte  unter  43  im  Kindesalter  beobachteten 
Fällen  nur  1  Fall  bei  einem  Säugling  feststellen,  und  zwar 
handelte  es  sich  hier  um  eine  Taenia  flavopunctata. 

"Unter  den  verschiedenen  Arten  von  Taenien,  welche  beim 
Kinde  im  ersten  Lebensjahr  gesehen  wurden,  ist -am  häufigsten 
beschrieben  worden  das  Vorkommen  der  Taenia  cucumarina. 
Nach  einem  Referat  von  Monrad  kamen  von  17  in  Däne¬ 
mark  publizierten  Fällen  von  Taenia  cucumarina  fast  alle  bei 


Kindern  im  ersten  Lebensjahre  vor.  Diesen  Beobachtungen 
reihen  sich  Beschreibungen  über  das  Vorkommen  der  gleichen 
Taenienart  im  Säuglingsalter  an  von  Früs  Hanse  n  H  off- 

man  n.  Kennedy.  Köhl,  Krabbe,  Kuster-Schmidt, 

Leuckart,  L  i  n  d  b  1  a  d,  Monti,  Sonnenschein, 
Sörensenu.  a. 

Pardo  beschreibt  einen  Fall  von  Taenia  soliiim  bei  einem 
S  Monate  alten  Säugling,  W  c  s  t  h  o  f  f  einen  Fall  von  Taenia  saginata 
bei  einem  8  monatlichen  Kinde  und  Comby  schildert  ebenfalls  eine 
Beobachtung  von  Taenia  saginata  bei  einem  9  Monate  aUen  Kinde,  bei 
dem  er  mit  negativem  Erfolge  eine  Kur  mit  0,o  g  Extr.  >'*•  versuchte. 
Die  Abtreibung  des  Wurmes  gelang  erst  später  im  dritten  Lebens¬ 
jahre  des  Kindes  mit  frischen  Kürbiskernen. 

Als  Kuriosa  seien  noch  folgende  2  Fälle  der  Literatur  ■ erwähnt: 
ln  dem  einen  Falle  von  M  ü  1 1  e  r  -  B  a  r  r  i  e  r  aus  dem  Jahre  1830  soll 
bei  einem  5  Tage  alten  Kinde  eine  Taeme  von  1 /->  Fuss  Lange  ab¬ 
gegangen  sein.  Die  Art  dieser  Taenie  ist  nicht  näher  bezeichnet.  Der 
andere  von  Samuel  G.  Armod  1871  im  Long-lsland-Hospital 
New  York  beobachtete  Fall  betraf  ebenfalls  ein  5  läge  altes  Neu¬ 
geborenes,  welches  am  4.  Lebenstage  mit  Trismus  erkrankte.  Nach 
Verabreichung  von  Kalomel  sollen  geschlechtsreife  Glieder  von  Taenia 
soliüm  abgegangen  sein.  Dies  soll  sich  im  Laufe  des  ersten  Lebens¬ 
muts  noch  mehrmals  wiederholt  haben.  Der  Abgang  des  Wurm¬ 
kopfes  wurde  nicht  beobachtet.  Auch  bei  der  Mutter  dieses  Kindes 

*T"  n  in  O  /-V 1  111  in 


Betreffs  der  Therapie  im  Kindesalter  geben  die  Autoren 
ihrer  Meinung  meist  in  sehr  vorsichtiger  und  einandei  wider¬ 
sprechender  Weise  Ausdruck.  Schon  eingangs  wurde  er¬ 
wähnt,  dass  manche  sich  zur  Vornahme  einer  Wurmkui  vor 
dem  dritten  Lebensjahre  des  Kindes  nicht  entschliessen.  Die 
wirksame  Dosis,  speziell  die  des  Extr.  fil.  erscheint  wegen  der 
beobacheten  schlimmen  Nebenerscheinungen  im  frühen  Kindes¬ 
alter  nicht  unbedenklich.  Kassowitz  erklärt,  dass  er  eben 
wegen  der  in  der  Literatur  beschriebenen  Fälle  von  totaler 
Erblindung  und  von  tödlicher  Vergiftung  es  niemals  gewagt 
habe  Extr.  fil.  in  Anwendung  zu  bringen,  und  nicht  einsehen 
könne,  wie  man  trotzdem  dieses  gefährliche  Mittel  in  aller 
Seelenruhe,  verordnen  und  empfehlen  könne,  zumal  er  glaubt, 
in  der  Granatwurzel  ein  zuverlässiges  Mittel  erprobt  zu  haben, 
welches  auch  im  Kindesalter  bei  richtiger  Anwendung  den  ge¬ 
wünschten  Erfolg  herbeiführe;  und  zwar  empfiehlt  er  nicht  das 
schlecht  schmeckende  Dekokt,  sondern  die  ebenso  wirksame, 
aber  besser  schmeckende  Mazeration  allein  ohne  Abkochung. 
Bagin  sky  empfiehlt  besonders  Kusso  bei  Kindern;  Kamala 
sei  nicht  empfehlenswert  und  lasse  insbesondere  bei  Taenia 
saginata  im  Stich.  Heubner  meint,  es  sei  gleichgültig, 
welches  Mittel  man  wähle,  die  Hauptsache  sei,  dass  es  nicht 
erbrochen  würde.  Er  empfiehlt  Extr.  fil.  und  Kamala;  bei 
jungen  Kindern  unter  4  Jahren  dürfe  nach  seiner  Ansicht  im 
allgemeinen  die  Kamala  vorzuziehen  sein,  weil  sie  in  einer 
Latwerge  mit  Honig  leichter  genommen  werde. 

In  der  Kinderpraxis  werden  häufig  auch  die  Kürbissamen 
angewandt.  Aber  auch  hier  divergieren  die  Ansichten; 
während  einige  den  Extrakt  als  empfehlenswert  erachten, 
betont  Comby  gerade  den  Wert  der  frischen  Kürbiskerne, 
und  Monti  behauptete,  dass  es  mit  Kürbissamen  nur  gelänge, 
den  Wurm  ohne  Kopf  zu  entfernen.  S  i  e  g  e  r  t  hatte  mit  dem 
frischen  Samen  des  grossen,  roten  italienischen  Kürbis,  dessen 
weisser  Kern  gut  schmeckt,  auch  mit  Apfelkompot  von  jedem 
Kinde  gern  genommen  wird,  stets  vollen  Erfolg;  speziell  auch 
bei  einem  Kind  von  15  Monaten,  welches  jedes  andere  Mittel 
erbrach.  Nicht  unwichtig  ist  es  für  die  Praxis,  dass  nach  An¬ 
gabe  Hertwigs  die  Taenia  saginata  trotz  des  mangelnden 
Hakenkranzes  vermöge  ihrer  derberen  Saugnäpfe  schwieriger 


abzutreiben  sei. 

Ist  aber  bei  einer  notwendigen  Kur  schon  die  Wahl  des 
Mittels  nicht  so  einfach,  so  stösst  wegen  des  meist  schlechten 
Geschmackes  die  Verabreichung  dieser  Mittel  und  die  Ver¬ 
hütung  des  späteren  Erbrechens  gerade  im  Kindesalter  oft 
auf  erhebliche  Schwierigkeiten,  da  ja  Kapseln  und  Oblaten 
vom  Kinde  nur  selten  genommen  werden.  Diese  häufig  be¬ 
stehenden  Schwierigkeiten  haben  das  von  S  che  ltema  an¬ 
gegebene,  Permeation  genannte  Verfahren  gezeitigt,  einen 
langen,  dünnen  Schlauch  durch  die  Nase  in  den  Magen  ein¬ 
zuführen  und  so  lange  liegen  zu  lassen,  bis  man  sich  durch 
Zug  überzeugen  könne,  dass  die  Spitze  des  Schlauches  den 
Pylorus  passiert  habe;  durch  diesen  Schlauch  hat  er  dann  den 


II.  August  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1781 


Kindern  das  Mittel  einverleibt.  Boas  betont  die  Wichtigkeit, 
dass  das  Mittel  möglichst  lange  in  Berührung  mit  der  Taenie 
bleibe;  man  dürfe  daher  ein  Abführmittel  nicht  gleichzeitig 
oder  kurz  danach,  sondern  frühestens  6  Stunden  nach  Auf¬ 
nahme  des  Extraktes  verabfolgen. 

In  unserem  Falle  handelte  es  sich  um  eine  Taenia  saginata  bei 
einem  10  4  Monate  alten  Knaben.  Das  Kind  hatte  bei  Aufnahme  auf 
die  Säuglingsabteilung  ein  Gewicht  von  7020  g;  es  war  frisch  und 
munter,  sass  vergnügt  in  seinem  Bettchen,  hatte  guten  Appetit,  die 
Stühle  waren  von  normaler  Konsistenz;  es  schlief  ruhig,  die  Haut¬ 
farbe  war  frisch,  der  Hämoglobingehalt  des  Blutes  betrug  85  Proz.  Die 
Taenia  schien  ihm  keinerlei  Unbehagen  oder  Beschwerden  zu  ver¬ 
ursachen  Die  mit  dem  Stuhl  entleerten  Proglottiden  hatte  uns  die 
Mutter  bei  Vorstellung  des  Kindes  in  der  Poliklinik  gezeigt.  Im  Stuhl 
waren  mikroskopisch  die  Eier  der  Taenia  nachweisbar. 

Zur  Vornahme  der  Bandwurmkur  entschloss  ich  mich  zu  dem 
insbesondere  vonLangerund  v.Ritter  empfohlenen,  vonJung- 
cl  aussen  in  Hamburg  hergestellten  unter  dem  Namen  „Kukumarin“ 
im  Handel  erhältlichen  Extrakt  von  Kürbissamen.  Nach  Angabe  der 
Firma  entspricht  eine  Menge  von  ca.  25  g  dieses  Präparates,  welches, 
„einen  nicht  unangenehmen,  fleischsaftähnlichen  Geschmack  haben 
und  von  Kindern  fast  durchwegs  gern  genommen  werden  soll,  ohne 
unliebsame  Nebenwirkungen  zu  zeigen“  etwa  Vs  kg  Kürbiskernen. 
Von  diesem  Extrakt  wurde  dem  Kinde  eine  Menge  von  20  g  mit  der 
Flasche  in  seiner  gewohnten  Milchmischung  aufgelöst,  verabreicht. 
Hiervon  wurde  aber  6  Stunden  später  noch  etwas  erbrochen. 
10  Stunden  nach  Einnahme  des  Mittels  ging  die  Taenia  in  mehreren 
Stücken  ab,  an  einem  dieser  Stücke  befand  sich  der  Kopf  des  Wurmes. 
Die  Gesamtlänge  der  Taenia  betrug  3,25  m.  Ein  nachteiliger  Einfluss 
der  Kur  auf  das  Befinden  des  Kindes  war  nicht  konstatierbar. 

Das  seltene  Vorkommen  dieser  Taenienart  im  Säuglings¬ 
alter  hängt  mit  der  in  diesem  Alter  geringen  Infektionsmög¬ 
lichkeit  zusammen.  Wird  einem  Säugling  rohes  finniges  Rind- 
rleisch  gereicht,  so  kann  sich  bei  ihm  dieser  Parasit  natürlich 
ebenso  gut  entwickeln  wie  beim  grösseren  Kinde. 

In  den  beiden  oben  zitierten  Fällen  von  West  hoff  und 
J  o  m  b  y  war  die  Infektion  zurückzuführen  auf  den  Genuss 
von  rohem,  feingehacktem  Rindfleisch,  bzw.  auf  die  Ver- 
ibreichung  des  ausgepressten  Saftes  von  rohem  Fleisch.  Auch 
n  unserem  Falle  Hess  sich  die  Quelle  der  Uebertragung  nacli- 
veisen:  auf  eindringliches  Befragen  wurde  von  seiten  der 
Vlutter  zugegeben,  dass  das  Kind  2  Monate  vorher  rohes  ge¬ 
habtes  Fleisch  erhalten  hatte. 

In  Anbetracht  der  Wirksamkeit  des  ungiftigen  „Kukumarin“, 
lessen  Verabreichung  per  os  selten  auf  Schwierigkeiten  stösst, 
ind  keine  Störung  der  Verdauung  verursacht,  dürfte  es  sich 
■mpfehlen,  ganz  allgemein  im  frühen  Kindesalter  dieses  Prä- 
>arat  zu  versuchen  und  die  Resultate  bekannt  zu  geben. 
Ia  solche  maximale  Dosis,  wie  sie  hier  verabfolgt  wurde,  vom 
Gugling  anstandslos  vertragen  wurde,  erlaubt  sich  wohl  stets 
lie  Verwendung  wirksamer  grosser  Dosen.  Vom  frischen 
tarnen  genügen  fast  stets  100—200  g. 

Nachtrag.  An  der  akademischen  Kinderklinik  in  Köln  hat 
ich  das  Präparat  als  wirksam  erwiesen,  wo  wiederholte  Versuche 
iit  Extractum  filicis  und  Kamala  wegen  heftigen  Erbrechens  oder 
^Wirksamkeit  des  Präparates  vollständig  scheiterten.  Auch  die 
albe  Dosis  des  „Kukumarin“  wurde  vom  Kinde  von  22  Monaten, 
eiche  kleinste  Mengen  von  Extr.  filicis  sofort  erbrach,  anstandslos 
ut  vollem  Erfolg  genommen. 

Literatur. 

S.  G.  Armod:  The  Boston  med.  and.  surg.  Journal  Vol.  X.  1. 
Bagin  sky:  Lehrb.  d.  Kindkrkh.  3.  Aufl.  —  Boas:  Ther  Mh. 
'ezember  1904.  —  Comby:  Tenia  chez  un  nourrisson.  Arch.  de 
led.  des  enf.  14.  1911.  — -  Friis:  Ugesk.  f.  Läger  96.  - —  Hansen: 

.  •  5.  R.  III.  19.  1896.  - —  He  noch:  Vorles.  über  Kindkrkh.  — 
ertwig:  Lehrb.  d.  Zoologie.  —  Heubner:  Lehrb.  d.  Kindhlk. 
Kennedy:  The  Dublin  Journal  of  med.  Sciences.  76.  —  Köhl: 
m.W.  '904.  4.  —  Krabbe:  Virchow.  Hirsch.  Jahresber.  15.  Jahrg., 
jtL  1  1881.  —  Küster-Schmidt  bei  Leuckart:  Die  Paras.  d. 
enschen.  1.  Bd..  1.  Abt.  —  Langer  in  Pfaundlei#5chIossmann : 
andb  d.  Kindhlk.  —  Lindblad:  Hygiea  1883.  —  Monrad: 

?•  f.  Kindhlk  58.  S.  279.  —  Monti:  Erfahrungen  über  Taenia  im 
mdesalter.  Arch.  f.  Kindhlk.  Bd.  IV.  —  M  ü  1 1  e  r  -  B  a  r  r  i  e  r:  Tratte 
mt.  des  maladies  de  I’enf.  Bd.  II.  98.  —  J.  S.  v.  Pardo:  Soc. 
mecol.  Espan.  1910.  —  v.  Ritter:  Prag.  med.  W.  1904.  5.  — 
c  u.tema:  Sitzung  d.  nederl.  Veraeniging  voor  Paed.  Köln  1910. 
ochioedte:  Hospitalstidende  1902.  49.  50.  —  Sonnenschein: 
"W.  1903.  52.  —  Sörensen:  Ugeskr.  f.  Läger  96.  —  West- 
°tf:  Geneesk  Tijdschr.  voor  Nederl.  Indie  24.  2.  1884. 


Operation  oder  Bestrahlung. 

Eine  kritische  Betrachtung  zu  Sanitätsrat  Dr.  Chr.  Müller  s 
gleichnamigem  Aufsatz  in  Nr.  22  dieser  Wochenschrift. 

Von  Prof.  Dr.  L.  Heidenhain  in  Worms. 

In  Nr.  22  S.  1224 — 1227  dieser  Wochenschrift  folgen  einander 
ein  Aufsatz  von  Fritz  König  „Probleme  der  Krebsbehandlung  im 
Zeichen  der  Radiotherapie“  und  ein  weiterer  von  Christoph  Müller- 
Immenstadt  „Operation  oder  Bestrahlung“.  König  vertritt  mit 
guten  Gründen  den  Standpunkt,  welchen  ich  auf  den  diesjährigen  Kon¬ 
gressen  der  Deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie  und  der  Deutschen 
Röntgengesellschaft  nach  Anhörung  alles  dessen,  was  über  Ergebnisse 
der  Strahlenbehandlung  als  Allerneuestes  mitgeteilt  wurde,  in  der 
Diskussion  vertreten  habe.  Unser  Standpunkt  ist  der,  dass  wir  nach 
den  bisherigen  Ergebnissen  oder  Erfolgen  noch  in  den  allerersten 
Stadien  tastender  Versuche  mit  der  Strahlenbehandlung  der  Karzi¬ 
nome  stehen,  dass  diese  Ergebnisse  zwar  Hoffnungen  erregen,  aber 
auch  nicht  mehr,  dass  die  Ergebnisse  der  operativen  Chirurgie  viel 
besser  sind,  als  sie  von  den  Befürwortern  alleiniger  Strahlenbehand¬ 
lung  der  bösartigen  Geschwülste  offenbar  aus  Unkenntnis  der  wesent¬ 
lichsten  statistischen  Ergebnisse  dargestellt  werden,  dass  diese  Er¬ 
gebnisse  operativer  Behandlung  vollkommen  gesicherte  sind,  in¬ 
sofern  wir  sagen  können,  dass  bei  der  oder  jener  Karzinomform  durch¬ 
schnittlich  soundso  viel  vom  Hundert  Heilungen  von  mehr  als  drei¬ 
jähriger  Dauer  erzielt  werden,  sowie  dass  so  viele  Heilungen  von 
zehnjähriger  und  längerer  Dauer  berichtet  sind,  dass  an  der  Heil¬ 
barkeit  des  Krebs  durch  rechtzeitige  Operation  nicht  zu  zweifeln  ist. 
Haben  wir  also  in  den  letzten  25  Jahren  nach  dieser  Richtung  eine 
gesicherte  Basis  gewonnen  und  gesicherte  Erfolge  errungen,  so  ist 
es  nach  meinem,  wie  nach  Königs  und  der  Mehrzahl  aller  Chirurgen 
Standpunkte  durchaus  unangebracht,  in  diesem  ersten  Sta¬ 
dium  tastender  Versuche  mit  Röntgenstrahlentherapie  den 
sicheren  Gewinn,  das  sicher  Erreichbare  zugunsten 
Von  Hoffnungen  und  Versuchen  aufzugeben1). 

Christoph  Müller  wünscht  nun,  dass  der  Strahlentherapie  auch 
für  gut  operable  Tumoren,  ia  gerade  für  diese,  eine  gleichberechtigte 
Stellung  neben  der  operativen  Chirurgie  eingeräumt  werde.  Der 
Kern  des  Müll  er  sehen  Aufsatzes  ist,  die  Radiotherapeuten  auf¬ 
zufordern,  „auf  Grund  der  glänzenden  Ergebnisse  der 
Röntgenstrahlenbehandlung  bösartiger  Ge¬ 
schwülste2)  nicht  nur  inoperable  Fälle  in  Behandlung  zu  nehmen, 
die  letzten  Endes  nur  Enttäuschungen  bieten  werden,  sondern  auch 
operable  Fälle  anzugehen,  um  damit  Material  beizubringen  zur  Prü¬ 
fung  des  Wertes  der  Strahlentherapie,  der  nur  durch  Behandlung 
operabler  Fälle  gemessen  werden  kann.“  Hiermit  wird,  wenn 
Müller  Nachfolger  findet,  die  Situation  fiir  die 
Kranken  so  gefahrvoll,  dass  es  dringend  nötig  ist, 
die  Behauptungen  Müllers  unter  die  kritische 
Lupe  zu  nehmen,  um  nachzusehen,  was  er  denn  be¬ 
weisen  kann. 

Im  Eingänge  spricht  Müller  von  dem  neuen  Stadium,  in 
welches  die  Radiotherapie  durch  den  Ausbau  der 
T  i  e  f  e  n  t  h  e  r  a  p  i  e  getreten  sei,  von  der  Möglichkeit  oder  Un¬ 
möglichkeit  des  Auftretens  von  Tiefenschädigungen,  von  der  Furcht 
vor  Spätschädigungen,  von  seinen  eigenen  6  jährigen  Erfahrungen  in 
der  Bestrahlung  von  Tumoren,  welche  ihn  keine  Snätschädigung 
hätten  kennen  lehren,  ferner  davon,  dass  durch  die  neue  Tiefentherapie 
die  grösste  Gefahr  der  Strahlenbehandlung,  die  Röntgenverbrennung 
ausgeschaltet  sei  und  nun  hierdurch  Erfolge  zu  ver¬ 
zeichnen  seien,  „die  auch  dem  objektivsten  Beob¬ 
achter  das  Urteil  aufdrängen,  dass  die  neue  Behand- 
lungsform  bei  den  bösartigen  Geschwülsten  mit 
der  bis  jetzt  souveränen  Behandlungsmethode,  der 
Chirurgie,  rivalisieren  kann2).  Weiterhin  sagt  Müller: 

„Es  würde  hier  zu  weit  fühlen,  wollte  ich  die  Fälle  aufzählen 
und  wissenschaftlich  begründen,  die  heute  schon  bessere  Erfolge  durch 
die  Strahlentherapie  wie  durch  die  Operation  bieten.  Hautkarzinome, 
Portiokarzinome,  auch  Mammakarzinome,  abgesehen  von  den  My¬ 
omen,  sind  Krankheitsformen,  dip  bezüglich  des  Erfolges  die  Chirurgie 
bei  weitem  überflügelt  haben  (sic!  H  e  i  d  e  n  h  a  i  n)  .  .  .  .  Auch  der 
früher  vielfach  gemachte  Einwurf,  die  Strahlentherapie  könne  so  lange 
nicht  richtig  gewertet  werden,  bis  Dauererfolge  nachgewiesen  werden 
können,  ist  heute  hinfällig  geworden:  denn  dieZahl  der  erfolg- 
reich  benandelten  Fälle,  die  nach  3  Jahren  noch 
rezidivfrei  geblieben  sind,  ist  prozentual  so  gross, 
dass  behauptet  werden  darf,  dass  die  Rezidivie- 
rungsmöglichkeit  von  durch  Röntgen  strahlen  zum 
\  e  r  s  c  h  winden  gebrachter  Tumoren  eine  geringere 
ist,  wie  solcher  durch  Operation  entfernter 3).“ 

Es  ist  unerhört,  dass  Müller  es  wagt,  derartige  Behauptungen 
aufzustellen,  für  welche  nicht  der  Schatten  eines  Beweises  vorliegt. 
Aktenmässig,  d.  h.  nach  der  Literatur,  stellt  sich  die  Angelegenheit 

J)  Vgl.  einen  im  Druck  befindlichen  Aufsatz  von  mir  in  der  Strah¬ 
lentherapie,  welcher  die  klinischen  Grundlagen  der  Strahlentherapie 
behandelt. 

")  Von  mir  gesperrt.  Heidenhain. 

*)  Von  mir  gesperrt.  Heidenhain. 


1782 


M1JENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHEN  SCHRIE  1 . 


Nr.  32. 


durch  Aluminium  und  die  ersten  3 Die 

miniumfilter  seitens  B  0  r  d  i  e  r  s,  beide  1  ,  -  .  wesentlich 

Gefahr  der  Hautschädigung  durch  gefilterte  Strahlen  .  se^ 
geringer  wie  bei  Verwendung  ungefilterter  Strahlen,  lnsotern  isi 
(’urch  die  Filterung  erst  eine  Tiefentherapie  möglich  geworden.  In 
DeutcS  nd  ist  die  Verwendung  «eBI.er.er  Strahlen  erst  verba tnis- 

Mr  »=ää. 

Ä  lur  aKpliifisi%.u0earseVe„.UdasdS  d,SM»Ä  »• 

SSa.SSS1  S  tscnSeud 

Tiefentherapie  schon  seit  6  Jahren,  denn  er  spricht  von  seinen  6  jahr. 
F.rfahrungen  Weiter  gehört  zur  Tiefentherapie  bei  Geschwülsten  ein 
Instrumentarium,  welches  sehr  hohe  Energiemengen  liefert.  Man  lese 
bei  G  a  u  s  s  und  Lembke  die  gewaltigen  Schwierigkeiten  nach, 
welche  die  Freiburger  Klinik  gehabt  hat  ein  Instrumentarium  zu  be¬ 
schaffen,  welches  einigermassen  grosse  Energiemengen  lieferte.  Ur¬ 
sprünglich  lieferte  ihr  Instrumentarium  in  der  Minute  1  X,  d.  1.  m 
10  Mtaten  die  Erytiiemdosis  von  10  X  1912  ist  die  Klinik  «ta ekln ch 
zu  einem  Instrumentarium  gelangt,  welches  in  2-3  Minuten  iv 
lieferte  Wir  anderen  sind  alle  weit  nachgehinkt.  Die  Leistung  vo 

i _ 5  x  in  der  Minute  galt  bis  in  die  letzten  Monate  noch  für  eine 

'sehr  gute  8-10  X  in  der  Minute  werden  erst  seit  einigen  Mo¬ 
naten' von  einzelnen  Firmen  erzielt  Die  Mehrzahl  der  m  Dem tsüi- 
land  arbeitenden  Instrumentarien  eistet  noch  jetzt  sehr,  s 
weniger.  Krönig  hat  ausdrücklich  erklärt  so  lange  ( 
er  mit  Röntgenstrahlen  allein  gearbeitet  habe,  s 
es  Hirn  nicht  gelungen,  heim  Uteruskarzinom  ohne  vorherige 
Operation  dauernde  Erfolge  zu  erzielen.  Auch  aus  der  Bu  mm  sehen 
Khnik  liegen  nur  sehr  vorsichtige  Aeusserungen  über  vorläufige  Erfolge 
aus  den  letzten  Monaten  vor.  Heraus  Herr  Mull  e.  r  e™1,  JerK^ 
des  Ortes  wo  Sie  den  durch  sorgfältige  wissenschaftliche  Kontrolle 
gestützten  Nachweis  gefunden  haben,  dass  eine  Reihe  von  Portio- 
karrmomen  durch  Rön.genstrahlen  geheilt  worden  und  langer  we 
3  Jahre  rezidivfrei  geblieben  sind.  Erst  in  den  allerletzten  lagen  ist 
ein  g  osserBericht  über  die  laugiährigen  Erfahrungen  der  K  i nr |- 
m  ei  l  scheu  Abteilung  mit  Röntgentherapie  erschienen  (Juni ^  1914)  ). 
Hier  finden  sich  zwei  Fälle,  die  seit  454  und  3  Jahren  re¬ 
zidivfrei  sind,  die  einzigen  der  dortigen  Er  ahrung,  memes 
Wissens  diezweieinzigender  gesamten  Literat  u  r.  E 
Fall  von  Krönig  ist  nach  5  Jahren  noch  an  Rezidiv  zugrunde  ge¬ 
gangen.  Nun,  bitte  Herr  Müller,  geben  Sie  den  Nachweis  der 
Richtigkeit  Ihrer  Behauptungen  aus  der  Literatur  Wenn  man  d- 
artig  wichtige  Berichte  in  der  Literatur  findet,  soll  man  den  glück¬ 
lichen  Arzt,  der  dies  fertig  brachte,  auch  mit  Namen  nennen.  Auch 
sein  Verfahren,  sein  Röntgeninstrumentarium  und  dessen  Leistung 

interNeSbeernbdSsei  bemerkt,  dass  die  Frage  der  definitiven  Heilung  von 
Uteruskarzinomen  durch  radioaktive  Stoffe  auch  noch  nicht  sicher 
spruchreif  ist  —  nach  der  Meinung  der  führenden  Gynäkologen  wenig¬ 
stens  Die  Frage  wird  erst  spruchreif  sein  etwa  im  nächsten  Jahr, 
wenn  grössere  Reihen  von  3  Jahre  lang  beobachteten  Kranken  vor- 
liegen*  Die  Behandlung  der  Uteruskarzinome  mit  Radium  und  Meso¬ 
thorium  verspricht,  wie  die  Leser  der  M.m.W.z  R  aus  ^en  Aufsat 
von  Döderlein  wissen,  hervorragende  Erfolge,  Ja  d  i  e  i Ji n 
mittelbaren  Frfolge  sind  geradezu  verbluttena, 
wie  ich  in  einem  oben  zitierten  Aufsatz  in  der  Strahlentherapie  dar- 
eestellt  habe  Aber  das  letzte  Wort  ist  noch  nicht  gesprochen. 
Allein  Ab  b  6  hat  kürzlich  im  4.  Bande  der  „Strahlentherapie“  e  in  en 
sicheren  Fall  von  Uteruskrebs  mitgeteilt,  der  nach  Radiumbehandlung 
b  Jahre  gesund  blieb  und  dazu  bemerkt,  er  habe  noch  mehrere  solche. 
Ausser  diesen  amerikanischen  ist,  so  weit  ich  sehe,  kein  einziger  ub  r 
3  iahre  rczidivfrei  gebliebener  Fall  bekannt.  Diese  Behandlungsart 
ist  eben  noch  zu  neu,  als  dass  grössere  Reihen  von  Erfahrungen  über 

mehr  als  3  Jahre  vorliegen  könnten. 

Um  auf  Müllers  Artikel  von  den  Leistungen  der  Röntgen¬ 
therapie  zurückzukehren,  behaupte  ich  w  e  i  t  e  r  h  i  n,  1  m 
Gegensatz  zu  Müller,  es  existiert  in  der  gesamten 
I  iteratur  nicht  ein  einziger  Fall,  dass  ein  nicht- 
operiertes  Mammakarzinom  mit  R  ö  n  t  g  en  s  t  r  ah  1  e  n 
sieh  eilt  und  3  Jahre  nicht  wiedergekchrt  sei.  Ver¬ 
einzelten  Fällen,  in  denen  ein  inoperables  Brustkrebsrezidiv  durch 
Röntgenstrahlen  geheilt  wurde,  stehen  lange  Reihen  solcher  gegen¬ 
über,  in  denen  nichts  erreicht  wurde.  Ich  kenne  unsere  chirurgische 
Literatur  sehr  genau,  zumal  da  ich  an  dem,  was  heute  die  operative 
Therapie  den  Karzinomen  gegenüber  leistet,  sehr  wesentlich  beteiligt 
bin  und  das  Interesse  für  die  Krebse  zeitlebens  behalten  habe,  theo¬ 
retisch  und  praktisch.  Ich  behaupte  auch,  wenn  die  Erfolge  so  waren, 
wie  M  ü  1 1  e  r  sie  schildert,  so  hätten  wir  dies,  wenn  nicht  auf  früheren 
Kongressen,  so  auf  dem  diesjährigen  Chirurgenkongress  gehört,  wel¬ 
cher  unter  dem  Zeichen  der  Strahlentherapie  stand  Ich  kenne  den 
Betrieb  der  Deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie  seit  fast  30  Jahren 
und  weiss.  dass  die  Vorsitzenden  sich  nichts  Wichtiges  entgehen 
lassen.  Was  nicht  Spreu  ist,  kommt  dort  zum  Vorschein.  Ich  be- 

*)  Kotzenberg:  Die  Röntgentherapie  der  malignen  Ge¬ 
schwülste.  Beitr.  z.  klin.  Chir.  92.  S.  784. 


haupte  schliesslich,  dass  nach  Ausweis  de, r  L*tera*ur Rön'tg^n- 
Wetterer)  die  prozentuale  Zahl  der  durch  K  o  n  i  gt n 
re  1  e  n  g  e  h  ei  1 1  e  n  G  e  s  i  c  h  t  s  k  r  e  b  s  e,  so  gross  sie  verhält¬ 
nismässig  ist?  dennoch  erheblich  unter  der  durch  Operation erzie  ten 
Heiiungsziffer  steht^  Wenn  ««.d«,  ist.  Herr  MnU. 

sehenerregende  Behauptungen  aufstellt,  soll  man  auch  den  Beweis 

liefern.  j  ^  Statistik  kann  sich  Müll  er  nicht  be¬ 

rufen  Denn  einmal  lässt  sich  ihm  aus  seinen  Publikationen  nach¬ 
rechnen  dass  die  ältesten  seiner  Falle  zurzeit  erst  etwa  2  Jahre 
in  Beobachtung  sind.  Sodann  hat  er  in  einem  Aufsatz ;  über  Tiden¬ 
bestrahlung  unter  gleichzeitiger  Sensibilisierung  mit  Diathermie  ),  der 
im  Oktober  1913  erschienen  ist,  selbst  geschrieben:  „Ueber  die  kli¬ 
nischen  Erfolge  dieser  Behandlungsmethode  mich  jetzt  schon  zu 
äussern  wäre  ebenso  verfrüht,  wie  es  im  allgemeinen  verfrüht  ist,  die 
therapeutischen  Erfolge  bei  malignen  Tumoren  vor  Ablauf  von  2  bis 
3  fahren  der  Oeffentlichkeit  zu  übergeben.“  Der  Meinung  bin  ich 
auch  mit  dem  Hinzufügen,  dass  a  1 1  e  F  ä  1 1  e  mindestens  2  Jahre  be¬ 
obachtet  sein  müssen.  Müller  fährt  fort:  „Aber  das  eine  sei  schon 
jetzt  gesagt  und  wurde  von  uns  auch  bereits  beobachtet,  dass  mit  der 
oft  wiederholten  und  länger  andauernden  Hyperamisierung  des  Tu- 
Irs  und  seiner  Umgebung  neben  einer  Sensibilisierung  desselben 
für  die  Strahlung  noch  das  Wesentliche  erreicht  wird,  dass  die  Re¬ 
sorption  der  zerfallenen  Tumormassen  ausserordentlich  günstig  beein¬ 
flusst  wird.  Wir  wissen,  dass  es  mit  der  gewöhnlichen  Thermo- 
penetration  zweifellos  gelingt,  Exsudate  und  Oedeme  schnell  zur  Re¬ 
sorption  zu  bringen,  und  wie  in  diesen  Fällen,  so  handelt  es  sich  auch 
beiden  zerfallenden  Tumoren  darum,  möglichst  günstige  Verhältnisse 
für  den  Wegtransport  der  Zerfallsprodukte  zu  schaffen.  Diese  Krü¬ 
gen  Verhältnisse  werden  geschaffen  durch  eine  Hyperamisierung  der 
betreffenden  Gewebspartien,  durch  die  der  Blutdruck  im  arteriellen 
Gefässsystem  erhöht  und  im  venösen  herabgesetzt  wird,  Vorgänge, 
deren  Wert  von  vornherein  für  die  Resorption  ausser  Zweifel  steht. 
Was  Müller  für  günstig  hält,  halte  ich  aus  allerdings  rein  theo¬ 
retischen  Erwägungen  für  ungünstig.  Ich  würde  mich 
richtig  freuen,  wenn  Müller  den  grossen  neuen  Weg  zur  Behand¬ 
lung  von  bösartigen  Geschwülsten,  insonderheit  Karzinomen,  gefun¬ 
den  hätte,  aber  ich  zweifle  sehr  daran.  Denn  es  ist  eine  der  ältesten 
Erfahrungen  der  chirurgischen  Praxis,  dass  Hyperämisierung  so  ziem¬ 
lich  das  Schlimmste  ist,  was  man  mit  einem  Tumor  anfangen  kann. 
Vor  30  und  noch  vor  20  Jahren  sah  man  gelegentlich  gepappte  Kar¬ 
zinome  der  Brust,  gepappt,  weil  die  Diagnose  nicht  gestell .  war 
Alle  waren  inoperabel  oder  hoffnungslos  quoad  Rezidiv.  Brustkrebse 
werden  während  einer  Schwangerschaft  nahezu  immer  inoperabel. 
Noch  schlimmer  wirkt  die  Hyperämie  und  gesteigerte  Funktion  bei 
der  Laktation.  Die  Mamma  wird  in  diesen  Fallen  immer  diffuse  infil¬ 
triert  (Mastitis  carcinomatosa  v.  Volkman  ns)  und  immer,  so  wei 
ich  sah,  sind  die  Fälle  hoffnungslos.  Irrtümlich  inzidierte  und  sekun¬ 
där  mit  Eiterkokken  infizierte  Karzinome  wachsen  u!1^e™1i'ch  s5.h  t 
und  bilden  beschleunigt  Metastasen  Sehnliches  gilt  von  geatzten 
Krebsen  (Lippenkrebse).  Diese  und  ähnliche  Erfahrungen  . 
auch  leicht  erklärlich  dadurch,  dass  Hyperämie  stets  mit  einer  ver¬ 
mehrten  Saftströmung  (Lymphströmung)  einhergeht.  Da  die  Kar¬ 
zinome  sich  auf  dem  Lymphwege  verbreiten  so  befördert  die  ver 
mehrte  Lymphströmung  die  Krebszellen  in  den  Saftlucken  und  den 
Lymphbahnen  beschleunigt  vorwärts.  Besonders  bedenkheh  macht 
mich  dass  Müller  die  Diathermie,  wie  er  an  anderer  Stelle  mit- 
teift  nicht  nur  der  Röntgenbetrahlung  vorausgehen  lasst  oder  gleich¬ 
zeitig  mit  ihr  verwendet,  sondern  in  vielen  Fällen  tagtäglich  mehrere 
Male  allein  anwendet,  um  die  Blutzufuhr  zum  Tumor  möglichst  hautu 
und  anhaltend  anzuregen“  °).  Es  müsste  ein  merkwu  r  d  i  g  e  r 
Zufall  sein,  wenn  da  nur  Zerfallsprodukte  des  Tu 
mors  und  nicht  auch  lebende  Tumorzellenmitb- 
f  ordert  würden.  Die  Ergebnisse  einer  Behandlungsmethode 
welche  allen  bisherigen  Erfahrungen  der  Chirurgie  und  Pathologie 
widerspricht,  müssen  abgewartet  werden.  Ein  pr  akti  sc  h  es s  n- 
gebnis  ist  schon  vorhanden.  Das  Samariterhaus  Heidelberg  hat,  w 
Werner  in  der  letzten  Sitzung  des  Badischen  Landeskomitees  für 
Krebsforschung  mitteilte7),  die  Kombination  der  Diathermie  nut 
Röntgenbehandlung  wegen  schlechter  Ergebnisse  aufgegeben.  Dem¬ 
nach  scheint  es  durchaus  erwünscht,  dass  man  zunächst  einmal  ah- 
wartet,  bis  Müller  seine  Erfahrungen  ausführlich  mit  genauen 
Krankengeschichten  und  Erfolgen  mitteilen  kann. 

Abwarten  ist  umsomehr  geboten,  als  Müller  selbst  die  Er¬ 
gebnisse  widersprechend  darstellt.  In  dieser  Wochen¬ 
schrift  1914  Nr.  22  S.  1227  fordert  er  die  Radiotherapeuthen  auf,  „auch 
operable  Fälle  anzugehen,  um  damit  Material  beizubringen  zur  ru- 
fung  des  Wertes  der  Strahlentherapie,  der  nur  durch  Behandlung 
operabler  Fälle  gemessen  werden  kann.  Es  geschieht  dies 
sicher  nicht  zum  Schaden  der  Kranken:  denn  die  L  e  i 1, 
die  notwendig  ist,  um  beurteilen  zu  können,  ob  ein 
operabler  Tumor  reagierUst  eine  derartig  kur  z  e  ' 
mit  Hilfe  des  heutigen  Instrumentariums,  dass  immer  noch  rechtzeitig 
zur  Operation  geschritten  werden  kann,  und  der  geringste  E r- 


S.  49  (2.  X.  13). 


5)  Fortschr.  d.  Röntgenstr.  21.  1. 

«)  Strahlentherapie  2.  S.  186. 

7)  Diskussion  über  Strahlentherapie.  Februar 

8)  Von  mir  gesperrt.  Heidenhain. 


1914. 


-  A"g>lst  l914- _ MUENCHENER  MEDIZINISCHE?  WOCHENSCHRIFT. 


lg,  der  erzielt  wird  durch  intensive  Inangriffnahme  mit  Strahlen- 
;rapie  eines  operablen  Falles,  ist  mindestens  der,  dass 
r  Kran  k  heit  s  Prozess  nicht  vorwärts  schreitet”), 
nti  kann  immer  noch  bei  Versagen  der  Therapie  mit  den  gleichen 
ancen  operiert  werden,  wie  wenn  die  Bestrahlungstherapie  nicht 
rausgegangen  wäre“.  Dagegen  schreibt  Müller  fast  gleich- 
i  t  i  g  in  einer  Broschüre  „Die  Krebsbchandlung“,  welche  drei  zu 
inchen  gehaltene  Fortbildungsvorträge  wiedergibt  (erschienen  An- 
g  April  1914;  in  ihr  ist  a  u  c  h  sein  neuestes  Diathermie- 
r  f  a  h  r  e  n  beschrieben  |°) :  „.  .  .  Damit  wird  natürlich  auch 
Frage,  wann  ev.  operativ  eingegriffen  werden  soll,  eine  scluvie- 
ere.  Es  wird  bei  vielen  Tumoren  sich  erst  nach 
inaten  und  Monaten  herausstcllen,  ob  sie  refrak- 
r  s  i  n  d  (gegen  Röntgenbehandlung,  Heidenhain)  odernicht 
dnachdieserZeitkönnensichallerdingsdieVer- 
Itnisse  der  Operationsmöglichkeit  für  den  Pa- 
’ n  t  e  n  wesentlich  verschoben  haben  (von  mir  ge- 
rrt,  H  e  i  den  h  a  i  n).  In  solchen  Fällen  wird  eben  das  Zusammen- 
len  eines  Chirurgen  und  eines  Röntgenologen  notwendig  sein,  um 
äusserste  Zeitgrenze,  bis  zu  welcher  die  Röntgenbehandlung  fort- 
etzt  werden  darf,  festzusetzen“.  Diese  Sätze  Müllers  zeigen 
: ltlich,  dass  die,  welche  fürchten,  dass  durch  Versuche  mit  vor- 
1  en der  Strahlenbehandlung  eine  grosse  Zahl  von  Karzinomen  in- 
rabel  werden  wird.  Recht  haben.  Das  Zusammengehen 
ies  Chirurgen  und  eines  Röntgenologen  kann  in 
Ichem  balle  nicht  das  geringste  nützen.  Denn  durch 
serliche  Untersuchung  lässt  sich  niemals  feststellen,  ob  ein  Kar- 
im  noch  mit  dauerndem  Erfolge  operabel  sein  wird.  Nicht  der 
he,  palpable  Tumor  und  die  groben  palpablen  Drüsenerkrankungen 
timmen  allein  den  dauernden  Erfolg,  sondern  die  mikrosko- 
>ch  kleinen  Aussenposten,  welche  den  primären  Tumor 
thm  umgeben,  in  den  Saftspalten  und  Lymphgcfässen  und  Lymph- 
sen  der  Umgebung  liegen  und  weder  vor,  noch  während  der 
■  Nation  erkannt  werden  können.  Aus  ihnen  gehen  die  Rezidive 
vor.  nicht  aus  groben  Teilen  des  Tumors,  die  bei  der  Operation 
ackblieben.  Operationen,  die  sich  nicht  mehr  grob  technisch  „rein“ 
dien  lassen,  macht  man  im  allgemeinen  überhaupt  nicht  mehr.  An 
Iler  ist  offenbar  spurlos  vorübergegangen,  was  die  letzten 
fahre  über  Wachstum  und  Ausbreitungswege,  sowie  über  die  Ur- 
len  der  Rezidive  nach  Operationen  wegen  Krebserkrankungen  ge- 
:ht  haben.  Er  rechnet  nur  mit  dem  sichtbaren  oder  palpablen 
lor  und  etwaigen  palpablen  Drüsenerkrankungen,  sonst  könnte  er 
res  nicht  schreiben.  Die  Chirurgie  und  Gynäkologie  rechnet 
ser  mit  diesen  mit  den  mikroskopischen  Aussenposten  und  deren 
eitigung. 

Einen  vollständigen  Nachweis  dessen,  was  die 
nt  genstrahlen  bei  operablen  wie  inoperablen  bösartigen  Ge¬ 
pulsten  bisher  geleistet  haben,  findet  der  Leser  in  dem 
5ande  der  zweiten,  eben  erschienenen  Auflage  des  vorzüglichen 
dbuches  der  Röntgentherapie  von  W  e  1 1  e  r  e  r.  Es  ist  dort  zu 
hen,  dass  die  Zahl  der  dauernden  Erfolge  bisher  bei  allen  Formen 
Karzinomen  recht  gering  ist:  meist  handelt  es  sich  um  vereinzelte 
2ilte  Fälle.  W  e  1 1  e  r  e  r  selbst  hat  eigene,  grosse  Erfahrung  und 
beachtenswerte  Erfolge.  Trotzdem  ist  er  sehr  kritisch  und 
::t  der  Operation,  wo  ausführbar,  fast  immer  das  Wort.  Wenn 
tterer  unter  324  Fällen  oberflächlichen  Hautkrebses,  die  er 
Laufe  von  nahezu  8  Jahren  mit  Röntgenstrahlen  behandelte,  nur 
~älle  als  seit  6—7  Jahren  und  weitere  39  Fälle,  als  seit  2  bis 
ihren  geheilt  nachweisen  kann,  so  ist  dies  nicht  sehr  viel,  selbst 
n  man  in  Betracht  zieht,  dass  nur  110  Fälle  nach  mehr  als  einem 
nachuntersucht  werden  konnten.  56  von  100  Fällen  wären  ca. 
Toz.  Heilung.  Dabei  müsste  man  noch  annehmen,  dass  die  nur 
ihre  in  Beobachtung  stehenden  Kranken  dauernd  geheilt  bleiben. 
Operation  erreicht  mehr.  Den  derzeitigen  Standpunkt 
Chirurgie  hat  Fritz  König  in  seinem  eingangs  zitierten 
;  atz  klargelegt:  operieren  und  bestrahlen,  um  zurückge- 
iene  Reste  womöglich  zu  vernichten.  Verfahren  wir  so, 
geben  wir  keine  Chance  aus  der  Hand! 


ärztliche  Standesangelegenheiten. 

Der  Arzt  in  der  Rechtsprechung. 

Regierungsrat  Paul  Kaestner  in  Berlin-Neubabelsberg. 

VII. 

Erneut  haben  sich  Kammergericht  und  Reichsgericht  über  die 
Oegung  des  §  147,  Abs.  1.  Ziff.  3  der  Reichsge¬ 
rb  e  o  r  d  n  u  n  g  auseinandergesetzt.  Das  Kammergericht  ist  im 
i  il  vom  12.  Januar  1914  (Medizinalarchiv  für  das  Deutsche  Reich 
!  S.  67)  erfreulicherweise  bei  seiner  Auffassung  verblieben,  dass 
[ht  in  Deutschland  approbierte  Personen,  die  in 
ersten  Alternative  des  §  147  Nr.  3  aufgeführten  Bezeichnungen 
1  in  a  I  s,  also  auch  nicht  mit  Zusätzen  führen  dürfen,  die  auf  das 
landensein  einer  ausländischen  oder  den  Mangel  einer  in- 
1  ischen  Approbation  hindeuten.  Das  Reichsgericht  (II.  Strafsenat, 

2  Von  mir  gesperrt.  Heidenhain. 

)  J.  F.  Lehmann,  München,  S.  43. 


Urteil  vom  21.  November  1913,  ebenda  S.  80)  hatte  gegen  die  Auf¬ 
fassung  des  Kammergerichts,  dass  im  Sinne  des  deutschen  öffent¬ 
lichen  Rechts  „Aerztc“  nur  die  in  Deutschland  approbierten  seien, 
ausgefuhrt,  es  sei  zu  unterscheiden  zwischen  dem  Begriff  des 
\\r  z  j.e  s ..  UIlt!  ^cm  , Recht  zur  Führung  des  Arzttitels. 
Wie  die  ärztliche  Wissenschaft,  so  sei  auch  der  ärztliche  Beruf  bei 
allen  Kulturvölkern  vorhanden  und  Arzt  sei,  wer  auf  Grund  wissen¬ 
schaftlicher  Vorbildung  in  staatlich  anerkannter  Weise  die  Befähigung 
erworben  habe,  die  medizinische  Wissenschaft  zur  Behandlung  von 
Krankheiten  anzuwenden.  In  diesem  Sinne  und  nach  allgemeinem 
Sprachgebrauch  sei  auch  der  ausländische  Arzt  ein  A  r  z  t,  wenn  ihm 
auch  die  Berechtigung,  in  Deutschland  den  ärztlichen  Titel  zu 
fuhren,  nur  durch  Staatsvertrag  verliehen  werden  könne.  Durch  die 
inländische  Approbation  erlange  der  Approbierte  die  staatliche  An- 
erkennung  ais  Arzt,  also  gleichzeitig  Arzteigenschaft  und  Arzttitel. 
Der  litel  Arzt  bedeute:  im  Inland  approbierter  Arzt,  der  im  Ausland 
Approbierte  sei  ausländischer  Arzt.  Er  dürfe  aber  in  Deutschland 
diese  Berufsbezeichnung  nicht  als  Titel  führen,  weil  der  Titel 
hier  einen  nach  deutschem  Recht  approbierten  Arzt  bedeute  und  er 
ein  solcher  nicht  sei.  Nenne  er  sich  aber  einen  im  Ausland  appro¬ 
bierten  Arzt,  so  bezeichne  er  seinen  Beruf  wahrheitsgemäss.  Er  führe 
die  Bezeichnung  Arzt  nicht  als  den  in  §  29,  Abs.  1  RGO.  vorgesehenen 
i  cl,  denn  er  wolle  nicht,  dass  das  Wort  „Arzt“  im  Sinne  von  „in 
Deutschland  approbierter  Arzt“  verstanden  werde.  Die  Auslegung 
des  s  147.  Ziff.  3  durch  das  Kammergericht  wäre  vielleicht  begründet 
wenn  das  Gesetz  bezweckte,  die  Ausübung  der  Heilkunde  durch  aus¬ 
ländische  Aerzte  zu  unterdrücken.  —  Das  Kammergericht  hat 
ein  derartiges  Missverständnis  über  den  Zweck  des  Gesetzes  abge¬ 
lehnt  und  dagegen  geltend  gemacht,  dass  solche  Trennung  von  „Arzt¬ 
eigenschaft  und  „Arzttitel“  im  deutschen  öffentlichen  Recht  und 
insbesondere  in  der  Reichsgewerbeordnung  keine  Grundlage  finde 
Der  im  Ausland  approbierte  Arzt  sei,  sofern  ihm  nicht  durch  Staats- 
s!rona?  Cine  besondere  Stellung  eingeräumt  werde,  im  Sinne  der 
SS  29,  147  Ziff.  3  RGO.  nur  eine  die  Heilung  von  Kranken  berufsmässig 
ausübende,  hn  Inland  nicht  approbierte  Person  und  dürfe  sich  deshalb 
nicht  „Arzt“  nennen.  Dies  sei  auch  wohl  begründet;  einmal  weil  im 
Ausland  an  den  „Arzt“,  seine  Vorbildung  und  Befähigung  vielfach  ge¬ 
ringere  Ansprüche  gestellt  würden  oder  doch  diese  Vorbildung  und 
Befähigung  nicht  mit  der  gleichen  Sorgfalt  und  Gründlichkeit  festge¬ 
stellt  werde  wie  in  Deutschland.  Dann  aber  handle  es  sich,  abge¬ 
sehen  von  Deutsch-Oesterreich  und  der  deutschen  Schweiz,  durchweg 
um  fremdsprachliche  Bezeichnungen,  die  sich  mit  den  in  §  147  Ziff.  3 
aufgeführten  deutschen  Ausdrücken  nicht  immer  decken.  —  Das 
Kammergericht  hatte  ferner  früher  darauf  hingewiesen,  dass  das 
minder  gebildete  Publikum  Hinweise  auf  ausländische  Approbationen 
nicht  lese  oder  nicht  verstehe  und  sich  nur  an  das  deutsche  Wort 
•  ü.*  j-ha!te‘  ^Der  Auffassur>S  des  Reichsgerichtes,  diese  Annahme  sei 
nicht  die  des  Gesetzes,  kann  das  Kammergericht  nicht  beitreten.  Denn 
während  das  Gesetz  die  Beilegung  arzt  ähnlicher  Titel  nur  dann 
straft,  wenn  dadurch  der  Glaube  erweckt  wird,  der  Träger  sei  eine 
im  Inland  approbierte  Medizinalperson,  macht  es  diese  Einschränkung 
bei  der  Annahme  des  Arzt  titels  nicht  und  gibt  dadurch  zu  erkennen, 
dass  es  diesen  Titel  unter  allen  Umständen  zur  Erweckung  jener 
Täuschung  für  geeignet  erachtet.  — 

Das  Konkursverfahren  umfasst  das  gesamte,  einer 
Zwangsvollstreckung  unterliegende  Vermögen  des  Gemein¬ 
schuldners,  welches  ihm  zur  Zeit  der  Eröffnung  des  Verfahrens 
gehört.  Ueber  das  Vermögen  des  praktischen  Arztes  Dr.  A.  war  der 
Konkurs  eröffnet.  Unmittelbar  vor  der  Konkurseröffnung  hatte  der 
prakt.  Arzt  Dr.  B.  sich  die  ärztliche  Praxis  des  Dr.  A.  übertragen 
lassen,  mit  der  Praxis  zugleich  zwei  Pferde,  einen  Wagen  und  andere 
Betriebgegenstände  übernommen  und  Ratenzahlungen  an  Frau 
Dr.  A.  als  Gegenleistung  versprochen.  Der  Konkursverwalter  hat 
diese  Vereinbarung  mit  Dr.  B.  angefochten  und  die  Zurückerstattung 
desjenigen  aus  der  Konkursmasse  gefordert,  was  Frau  Dr.  A.  aus  dem 
Verkauf  der  Gegenstände  und  der  ärztlichen  Praxis  von  Dr.  B.  bereits 
erhalten  und  noch  zu  bekommen  hat.  Ob  der  Kaufvertrag  von  Dr  A 
selbst  oder  von  seiner  Ehefrau  mit  Dr.  B.  abgeschlossen  ist,  hat  das 
nach  dem  Anträge  des  Konkursverwalters  erkennende  Oberlandes¬ 
gericht  dahingestellt  gelassen  und  angenommen,  dass  im  ersteren 
Falle  Dr.  A.  die  Zahlung  des  Kaufpreises  an  seine  Ehefrau  ausbe¬ 
dungen,  im  letzteren  Falle  aber  dieser  erlaubt  hat,  seine  ärztliche 
Praxis  an  Dr.  B.  zu  verkaufen,  so  dass  auf  Grund  dieser  Erlaubnis¬ 
erteilung  der  Vertrag  zwischen  Dr.  B.  und  Frau  A.  geschlossen  wäre. 
Das  Reichsgericht  hat  die  Klage  unter  Abänderung  der  erst¬ 
instanzlichen  Urteile  bezüglich  des  Kaufpreises  für  die  ärztliche  Praxis 
abgewiesen  und  im  Urteil  vom  28.  November  1913  (Juristische  Wo¬ 
chenschrift  1914  S.  210)  ausgeführt,  die  ärztliche  Praxis  sei 
kein  Vermögensbestandteil  des  sie  betreibenden 
Arztes.  Die  ärztliche  Praxis  besteht  in  der  Berufsausübung  des 
Arztes  innerhalb  eines  mehr  oder  weniger  bestimmten  räumlichen  Be¬ 
zirkes  und  den  oersönlichen  Beziehungen  des  Arztes  zu  den  Be- 
wohnern  dieses  Bezirkes,  insbesondere  dem  von  ihm  im  Laufe  der 
Zeit  bei  ihnen  erworbenen  Vertrauen  Auf  die  Ausübung 
seiner  beruflichen  Tätigkeit  haben  die  Gläubiger 
eines  Arztes  keinen  Ansprnc  h,  ebensowenig  andererseits 
darauf,  dass  er  sich  derselben  enthält.  Deshalb  kann  auch  keine 
Rede  davon  sein,  dass  die  Gläubiger  die  Praxis  eines  Arztes  durch 
Verkauf  zu  Geld  machen  könnten,  um  dadurch  Befriedigung  für  ihre 
Forderungen  zu  erlangen.  Denn  ein  solcher  Verkauf,  sofern  der  Ver- 


1784 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  32. 


kauf  einer  ärztlichen  Praxis  überhaupt  rechtlich  zulässig  15t,  wäre 
nur  in  der  Weise  denkbar,  dass  der  Arzt  für  seine  Person  auf < 
Ausübung  seines  Berufes  an  dem  Ort  seiner  bisherigen  Wirksamkeit 
ganz  oder  teilweise  verzichtet  und  sich  gefallen  lasst,  dass  dafür  ein 
anderer  Arzt  als  Nachfolger  an  seine  Stelle  tritt.  Darauf  aber  haben 
die  Gläubiger  keinen  Anspruch.  Ebensowenig  wie  zur  Ausübung 
seines  Berufes  kann  der  Arzt  zum  Verzicht  au  die  Ausübung  seines 
Berufes  am  Orte  seiner  bisherigen  Berufstätigkeit  von  seinen  Gläu¬ 
bigern  gezwungen  werden.  Hätte  der  Arzt  freilich  selbst  seine  Praxis 
durch  deren  Verkauf  noch  vor  der  Eröffnung  des  Konkurses  über  sein 
Vermögen  zu  Geldc  gemacht,  so  würden  sich  seine  Gläubiger  an  das 
so  erworbene  Geld  oder  an  die  so  erworbene  Kaufpreisforderung  zu 
ihrer  Befriedigung  halten  können,  da  das  Geld  oder  die  Forderung 
zweifellos  zu  seinem  Vermögen  gehören.  Im  vorliegenden  Halle  aber 
ist  eine  Kaufpreisforderung  in  das  Vermögen  des  Dr.  A.  nicht  gelangt, 
da  Zahlung  des  Kaufpreises  an  die  Ehefrau  bedungen  oder  der  Ver¬ 
trag  unmittelbar  zwischen  dieser  und  Dr.  B.  abgeschlossen  ist.  In 
dem  Vermögen  des  Dr.  A.  ist  durch  den  Kaufvertrag  eine  Aenderung 
nicht  herbeigeführt  werden.  Weder  ist  etwas  aus  dem  Vermögen 
des  Dr.  A.  ausgeschieden,  da  seine  Praxis,  die  er  aufgab,  keinen 
Vermögensbestandteil  bildete,  noch  ist  etwas  in  sein  Vermögen  ge¬ 
langt  da  er  aus  dem  Verkauf  der  Praxis  für  sich  keine  Einnahme  er¬ 
zielt  hat  Wenn  Dr.  A.  die  Zahlung  des  Kaufpreises  an  seine  Ehefrau 
ausbedungen  oder  dieser  gestattet  hat.  in  ihrem  eigenen  Namen  den 
Kaufvertrag  abzuschliessen.  so  bedeutete  diese  Rechtshandlung  des 
Gemeinschuldners  seinen  Gläubigern  gegenüber  nur  einen  Verzicht 
auf  den  ihm  möglichen  Erwerb  eines  Vermögenswertes,  nicht  aber 
eine  seinen  Gläubigern  nachteilige  Aenderung  seines  Vermogensbe- 
standes.  Ein  solcher  Verzicht  auf  Vermögenserwerb  war  nicht  an¬ 
Nach  einem  Urteil  des  II.  Zivilsenats  des  Reichsgerichtes  vom 
17  Januar  1913  (Medizinalarchiv  1914  S  29)  ist  der  Verkauf  der 
ärztlichen  Praxis  nur  dann  nach  §  138  BGB.  nichtig, 
wenn  die  vereinbarten  Bedingungen  den  kaufenden  Arzt  unter  dem 
Einfluss  eines  starken  wirtschaftlichen  Druckes  dazu  nötigen,  bei 
Ausübung  seines  Berufes  das  Augenmerk  zum  Schaden  seiner  Pa¬ 
tienten  vor  allem  auf  die  Erzielung  möglichst  hoher  Einnahmen  zu 
richten.  Der  klagende  Abgeber  seiner  Praxis,  Dr.  A .  hatte  im  ersten 
Jahre  eine  Einnahme  von  9710  M.,  im  zweiten  eine  solche  von  8700  M. 
gehabt.  Das  Oberlandesgericht  hat  nichts  dafür  angeführt,  warum  der 
Beklagte  Dr  B.  als  jüngerer  Mann  nicht  mindestens  das  gleiche  ver¬ 
dienen  konnte.  Dr.  B.  hatte  vor  dem  Vertragsabschluss  betont,  er 
habe  seine  Schulden  zum  Teil  schon  getilgt,  werde  allerdings  die 
geforderte  Anzahlung  von  6000  M.  nicht  leisten  können.  Dr.  A.  hatte 
darauf  die  Anzahlung  um  die  Hälfte  ermässigt  und  die  Fälligkeit  der 
zweiten  Kaufpreisrate  hinausgeschoben.  Bis  dahin  brauchte  Dr.  p. 
nur  das  Restkaufgeld  zu  verzinsen  und  musste  selbstverständlich  die 
Miete  zahlen.  Ausserdem  ist  aber  im  Vertrage  die  Herabsetzung 
der  Tilgungsraten  bei  Erzielung  einer  niedrigeren  Einnahme  als  etwa 
10  000  M.  vorgesehen  und  durch  diese  Bestimmung  eine  billige  Be¬ 
rücksichtigung  der  Umstände  gewährleistet.  Es  war  weder  das  Ent¬ 
gelt  für  die  Ueberlassung  der  Praxis  zu  hoch,  noch  konnten  die  Be¬ 
dingungen  für  seine  Entrichtung  als  schwer  und  drückend  bezeichnet 
werden  und  ein  Verstoss  gegen  §  138  BGB.  liegt  daher  nicht  vor. 

Ein  Urteil  des  Oberlandesgerichtes  Hamburg  vom  27.  Oktober 
1913  (Recht  XVII.  Nr.  3101)  bezeichnet  als  nichtig  einen  Vertrag 
-wischen  einem  Zahnarzt  und  einem  Zahntechniker  in  welchem 
diesem  unter  Konventionalstrafe  verboten  wird  dem  Zahn¬ 
arzt  nach  Lösung  des  Vertrages  Konkurrenz  zu  machen  Weder 
der  Arzt  noch  der  Zahnarzt  dürfe  der  Ausübung  seiner  Berufstätigkeit 
den  Charakter  einer  Erwerbstätigkeit  geben;  beide  sollen  sich  ver¬ 
pflichtet  fühlen,  ihre  wissenschaftlichen  Kenntnisse  und  ihre  Kunst  in 
freier  Tätigkeit  zum  Besten  der  Gesamtheit  und  zum  Wohle  der 
Leidenden  anzuwenden  (RG.  66  S.  144).  Die  Tatsache  des  Honorar¬ 
bezuges  ändert  daran  nichts.  Es  solle  nach  keiner  Richtung  ein  Druck 
ausgeiibt  werden,  dass  sich  Leidende  an  einen  bestimmten  Arzt 
wenden.  Das  sei  aber  der  Fall,  wenn  ein  Arzt  einem  anderen  ver¬ 
traglich  verbiete,  ärztliche  Tätigkeit  auszuüben.  Dabei  mache  es 
keinen  Unterschied,  ob  der  Vertragsgegner  Zahnarzt  oder  Zahn¬ 
techniker  sei,  wenn  nur  ersichtlich  sei,  dass  sich  das  \  erbot  auf  die 
Ausübung  der  zahnärztlichen  Tätigkeit  bezog. 


des  Reichsversicherungsamtes  vom  20.  Oktober  1913,  Amtl.  Nachr. 
YYIY  S  700)  -  .  . 

Die  vom  Automobil  des  Fabrikanten  A.  überfahrene 
Frau  V.  klagte  gegen  A.  auf  Befreiung  von  den  Verbind¬ 
lich  k  e  i  t  gegenüber  Arzt  und  Apotheker,  die  auf  diesen 
Unfall  zurückzuführen  waren.  Der  Beklagte  A.  wandte  ein,  F  r  a  u  V 
sei  zu  dieser  Forderung  nicht  aktiv  legitimiert  Das  Landgericht 
gab  aber  unter  Zurückweisung  dieses  Einwands  der  Klage  statt. 
Voraussetzung  sei,  dass  die  Klägerin,  deren  Anspruch  an  sich 
aus  §1  823  249  BGB.  und  §  11  des  Gesetzes  vom  3.  Mai  1909  be¬ 
gründet  sei,  von  dem  Arzt  auf  Bezahlung  in  Anspruch  genommen 
werden  käme.  Die  Printe,  wer  in  Palle  ärztlicher  Be- 

h  a  n  d  1  u  n  g  einer  Ehefrau  für  die  K  o  s  t  e  n  h  a  f  t  e,  sei  nicht 
unbestritten.  Fraglos  sei  die  persönliche  Unterhaltung  der  Ehefrau 
und  die  Sorge  für  ihr  körperliches  Wohlbefinden  eine  sich  aus  der 
Unterhaltspflicht  des  Ehemannes  (§  1360  BGB)  ergebende  und 
ihm  obliegende  Aufgabe  und  hierzu  gehöre  im  Falle  der  Erkrankung 
der  Ehefrau  vor  allem  die  Wahl  und  Annahme  des  Arztes  und  die 
Beschaffung  der  notwendigen  Arzneien  aus  der  Apotheke.  Begebe  i 
sich  die  Frau  aber  in  die  Behandlung  eines  Arztes,  so  gehöre  dies 
nicht  zu  den  Schlüsselgewaltgeschäften  des  §  1357  BGB.,  so  dass 
der  Mann  auch  nicht  aus  diesem  Grunde  hafte,  also  auch  nicht  ‘Ulem 
zur  Geltendmachung  des  Anspruches  auf  Befreiung  von  den  durch  die 
Frau  eingegangenen  Verbindlichkeiten  aktiv  legitimiert  sei  Dem 
Arzte  und  dem  Apotheker  stehe  vielmehr  ein  Vertragsanspruch  gegen 
die  Ehefrau  aus  §  1399  BGB.  zu.  Zwar  hafte  dem  Arzt  auch  der 
Unterhaltspflichtige,  also  der  Ehemann,  aus  ungerechtfertigter  Be¬ 
reicherung  oder  auftragsloser  Geschäftsführung  vornehmlich  aber  der 
Vertragsgegner,  also  die  Ehefrau.  Das  sei  auch  das  Natürliche,  denn 
der  Arzt  wolle  selbstverständlich  in  erster  Linie  mit  der  Person  einen 
Vertrag  abschliessen,  die  ihn  aufsuche  und  seine  ärztliche  Hufe  er¬ 
bitte.  Ebenso  hafte  umgekehrt,  wenn  der  Ehemann  mit  dem  Arzt 
abschliesse,  damit  er  seiner  Frau  ärztliche  Hilfe  bringe,  der  Mann 
unmittelbar  aus  dem  Vertrage,  auch  die  Frau  aber  aus  dem  Gesichts¬ 
punkte  der  Geschäftsführung  ohne  Auftrag,  da  der  Arzt  seine  nur 
entgeltlich  geleisteten  Dienste,  die  als  Aufwendungen  im  Sinne  des 
§  683  BGB.  anzusehen  seien,  im  Interesse  und  mit  mutmasslichem 
Willen  der  Ehefrau  für  diese  aufwende.  Demnach  sei  auch  Frau  \. 
dem  Arzte  verpflichtet,  folglich  auch  zur  Geltendmachung  des  An¬ 
spruches  auf  Befreiung  von  den  Arztkosten  legitimiert.  Das  Ober- 
iandesgericht  Celle  ist  im  Urteil  vom  20.  Febryar  1914  (Berliner 
Apotheker-Ztg.  S.  204)  diesen  Ausführungen  beigetreten  und  hat 
gleichfalls  angenommen,  dass  die  Ehefrau  berechtigt  ist,  Befreiung  \on, 
Arzt-  und  Apothekerkosten  zu  verlangen,  und  zwar  gleichgültig,  in 
welchem  Güterrecht  die  Eheleute  leben.  — 

Gemäss  §§  7,  20  Abs.  1  des  KVG.  kann  der  Kassenvorstand  ver¬ 
heirateten  Versicherten  unabhängig  von  ihrer  Zustimmung  an  Stellt 
der  Regelleistungen  des  §  6  KVG.  freie  Kur  und  Verpflegung  in  einen 
Krankenhause  u.  a.  dann  gewähren,  wenn  der  Zustand  oder  das  Ver¬ 
halten  des  Erkrankten  eine  fortgesetzte  Beobachtung  erfordert. 
I  ehnt  in  solchem  Falle  der  Versicherte  die  vom  Vorstand  aneeordnett 
Krankenhausbehandlung  ab,  so  hat  die  Kasse  nicht  die  Befugnis  zu: 
Zwangseinweisung,  aber  der  Versicherte  verliert  für  die  Dauer  seir.ci 
Weigerung  jeden  Anspruch  auf  Krankenunterstutzung.  sofern  mch 
die  Weigerung  gerechtfertigt  ist.  Es  genügt  nach  einem  Urteil  üp; 
Verwaltungsgerichtshofs  Braunschweie  vom  24.  September  Dl 
(Preussisches  Verwaltungsblatt  1914  S.  521).  wenn  der  behau 
dein  de  Kassenarzt  aus  irgend  einem  triftigen  Grunde  es  tu 
notwendig  erachtet,  dass  der  Kranke  a i  u  f  s  e  1  n  c 
Zustand  längere  Zeit  beobachtet  wird.  Von  dieser  be 
der  Sachlage  begründeten  Ansicht  des  Kassenarztes  hatte  die  Kass 
im  vorliegenden  Fall  den  Kläger  bei  der  Einweisungsverfügung  ver 
ständigt.  Mangelndes  Vertrauen  zum  Kassenarzt  ist  kern  aus 
reichender  Grund,  die  Krankenhausbehandlung  abzulehnen,  nie  im 
berechtigte  Weigerung,  ins  Krankenhaus  zu  gehen,  hat  den  Wegfa 
der  Krankenunterstützung  für  die  Dauer  der  Weigerung  zur  Folge. 

(Schluss  folgt.) 


Die  Fuhrwerkhaltung  der  Aerzte  bei  Ausübung  ihres 
Berufes  ist  nach  dem  früheren  Unfallversicherungsgesetz 
vom  V  er  sicherungs  zwang  befreit  gewesen,  weil  das  Fuhr¬ 
werk  von  ihnen  nicht  gewerbsmässig  betrieben  wird.  Nach  §  53/ 
Abs  1  Nr  7  RVO.  unterliegt  aber  ausser  dem  gewerbsmässigen 
Fuhr  werksbetrieb  auch  „das  Halten  von  anderen  Fahrzeugen  als 
Wasserfahrzeugen  der  Versicherungspflicht,  wenn  sie  durch  elemen¬ 
tare  oder  tierische  Kraft  bewegt  werden“.  Infolgedessen  ist  letzt  das 
Halten  eines  Fahrzeugs  schlechthin  versichert,  wenn  hierbei  ver- 
sicherungspflichtige  Personen  beschäftigt  werden.  Der  Umstand,  dass 
der  Kutscher  und  Pferdepfleger  hauptsächlich  als  Dienstbote  (Diener, 
Gärtner)  angenommen  wurde,  ist  gegenüber  der  Tatsache,  dass  er 
auch  für  die  Fuhrwerkshaltung  in  einem  kraft  Gesetzes  versicherten 
Betriebe  angestellt  ist,  bedeutungslos.  Die  Versicherungspflicht  tritt 
vielmehr  ohne  weiteres  mit  der  Beschäftigung  einer  zum  Kreise  der 
versicherungspflichtigen  Personen  an  sich  gehörigen  Arbeitskraft  in 
einem  versicherten  Betrieb  ein,  auch  wenn  diese  Tätigkeit  für  die 
betreffende  Person  nur  eine  Nebenbeschäftigung  darstellt  (Beschluss 


Bücheranzeigen  und  Referate. 


Richard  C.  C  a  b  o  t:  Differentialdiagnose  an  Hand  von  385  gena 
besprochenen  Krankheitsfällen  lehrbuchmässig  dargestellt.  Deutsch 

Bearbeitung  nach  der  2.  Auflage  des  Originals  von  H.  Ziesch 
Mit  199  Abbildungen.  Berlin  1914,  Verlag  von  Julius  Springer. 

Das  Buch  behandelt  die  Differentialdiagnose  nicht  in  der  üblich*, 
theoretischen  Art  unserer  guten  Lehrbücher,  sondern  durchaus  prai 
tisch  in  Form  der  Krankengeschichten  von  wohlbeobachteten  in 
-untersuchten  Fällen,  welche  einzeln  in  extenso  ausgeführt  sind.  V 
Anlage  des  Buches  ist  sehr  originell,  indem  die  Krankengeschichte 
nach  bestimmten  hervorstechenden  Symptomen  geordnet  sind:  Kop 
schmerz,  Kreuzschmerzen,  allgemeine  Schmerzen  im  Leib,  Schmerz* 
im  rechten  Hypochondrium,  im  linken  Hypochondrium,  in  der  recht* 
Darmbeingrube,  in  der  linken  unteren  Bauchgegend,  in  der  Achs*, 
gegend,  in  den  Beinen  und  Füssen,  Fieber,  Schüttelfrost,  Kom 
Krämpfe,  Schwäche,  Husten,  Erbrechen,  Hämaturie,  Dyspnoe,  uel 
sucht,  Nervosität.  Den  einzelnen  Gruppen  sind  kurze  einleitend 
Bemerkungen  vorangestellt.  Der  Arzt,  der  einen  dunklen  Krankheit 
fall  differentialdiagnostisch  klären  will,  sucht  die  hervorstechendst* 


11,  August  1914. _ MÜENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


1785 


Sjrnptome  auf  und  orientiert  sich  an  der  Hand  der  im  vorliegenden 
Buche  aufgezahlten  Krankheitsfälle  über  die  verschiedenen  in  Be¬ 
tracht  zu  ziehenden  Krankheiten.  Für  die  Diagnose  seines  Falles 
kommen  ihm  die  ausführlichen  Krankengeschichten  mit  ihrem  Ein¬ 
gehen  aut  \  erlauf,  Einfluss  der  Behandlung  und  den  jeweils  gegebenen 
diagnostischen  Erörterungen  sehr  entgegen.  Es  kann  kein  Zweifel 
sein,  dass  diese  Art  der  Darstellung  eine  sehr  bequeme  ist  und  in 
vielen  ballen  die  gewünschte  Klärung  bringen  wird.  Die  Hand¬ 
habung  des  Buches  ist  eine  selten  klare,  die  Darstellung  eine  knappe 
und  doch  prägnante  ohne  grosse  Voraussetzungen  von  schwierigen 
l  ntersuchungsmethoden.  Das  Buch  kann  wärmstens  empfohlen  wer- 
den-  .  Schiften  hei  m. 

C.  K  r  a  e  m  e  r  -  Böblingen-Stuttgart :  Aetiologle  und  spezifische 
Therapie  der  Tuberkulose.  Verlag  F.  Enke,  Stuttgart.  458  Seiten. 
Preis  10.40  M.  (2  Bände.) 

1 .  Band :  A  e  t  i  o  I  o  g  i  e. 

Kraeme  r  versucht  an  einer  umfangreichen  Statistik  (450  An¬ 
walts-  und  300  Privatpatienten)  zu  beweisen,  dass  die  Ueber- 
tragung  der  I  uberkulose  nicht  extra-,  sondern 
in  traute  r  i  n  erfolgt.  Er  gibt  zwar  zu,  dass  die  Erfahrungen, 

dieu!uuZllJdie^m  Scfl,usse  drängen,  meistens  Eis  der  Behandlung 
wohlhabender  Patienten  hervorgegangen  sind.  Aber  trotz  der  um¬ 
fassenden  Literatur-  und  Sachkenntnis  kann  man  der  Beweisführung 
in  dieser  Hinsicht  kaum  zustimmen.  Sonst  enthält  der  Band  viel 
lesenswerte  Betrachtungen  über  Säuglingstuberkulose  und 
ro.*ulose  u.  a.  und  eine  sehr  anregende  Stellungnahme  zur 
Disposition  und  zu  den  klassischen  Ansichten  von  M  a  r  t  i  u  s. 

Kraemer  hat  sich  zu  viel  mit  Theorie  belastet.  Auch  noch 
der  Antang  des  zweiten  Bandes:  „Das  Tuberkulin  als 
n  LJ *  eJ  1er  Tuberkulös  e“,  leidet  darunter.  Der  Band 
en  halt  die  Biologie,  Methodik,  Kritik  und  Indikation  der  Tuber- 

kulinkur. 

Auch  dieser  2.  Band  ist  ein  sehr  persönliches  Buch  mit  den  Licht- 
und  Schattenseiten  eines  solchen;  allerdings  überwiegen  meines  Er- 
.ichtens  die  Lichtseiten  ganz  bedeutend.  Es  ist  ein  ausserordentliches 
verdienst  Kraemers,  gerade  gegenüber  der  Sucht  nach  neuen 
Mitteln  den  VVert  des  Alttuberkulins  als  des  sichersten  Heil¬ 
mittels  auf  Grund  besonders  reicher  Sachkenntnis  betont  zu  haben, 
ts  hat  auch  für  den  Kundigen  etwas  Bestechendes,  solche  ehrliche 
Begeisterung  eines  erfahrenen  Mannes  zu  hören.  Kraemer  kennt 
keine  Kompromisse,  vielleicht  nur  Sahli  gegenüber.  Es  schadet 
Jem  ganzen  Werk  durchaus  nichts,  wenn  mal  ein  etwas  polemischer 
Ion  gegen  schlechte  Tuberkulinkritiker  hindurch  klingt.  Solche  Ab- 
echnung  tut  not;  falsche  Technik  bedingt  eben  Misserfolge.  Es  tut 
uich  dem  ganzen  keinen  Abbruch,  wenn  man  in  der  theoretischen 
Beweisführung  manchmal  mehr  den  Eindruck  der  Spekulation  wie 
!es  Bewiesenen  hat.  In  den  meisten  Punkten  kann  man  Kraemers 
ehrlicher  Arbeit  zustimmen.  Manche  Kapitel  sind  meisterhaft  ge- 
ungen  Ich  nenne  die  über  „Tuberkulinkritik“,  über  „die  Diplomatie 
Jer  Tuberkulinkur“,  die  „individuelle  Therapie“,  „reaktionslose  Be¬ 
handlung  u.  a.  Kraemer  erkennt  besonders  die  Berechtigung  und 
Notwendigkeit  der  ambulanten  Tuberkulinthera- 
>i  e  an,  die  manche  Anstaltsärzte  unverständlicherweise  immer  noch 
iblehnen. 

„Wer  die  ambulante  Tuberkulinkur  verwirft,  der  setzt  sich 
der  Genesung  eines  grossen  Teils  der  Tuberkulosepatienten  ent¬ 
gegen,  und  er  begibt  sich  des  besten  Mittels,  die  Tuberkulose  ver- 
nunftgemäss  zu  bekämpfen.“ 

,  Die  Erhaltung  der  Ueberempfindlichkeit  verwirft  Kraemer. 

-r  arbeitet  auf  grosse  Dosen  hin,  natürlich  mit  aller  Vorsicht.  „Mehr 
"bei  kühn  hilft  mehr“  (?  Ref.).  Die  Heilung  wird  gesichert  durch 
ine  Nachprüfung  mit  Tuberkulin  nach  einem  halben  bis  ganzen  Jahr 
nter  sprungweiser  Anwendung  von  Gaben  bis  zur  Hälfte  der  früheren 
locnstdosis.  Grundlage  für  die  therapeutische  Anwendung  des  Tuber- 
ulins  ist  eine  exakte  Tuberkulindiagnostik.  Im  übrigen  drückt 
'r‘Len?er  'n  einem  sehr  treffenden  Gleichnis  seine  Stellungnahme 
ur  1  u  b  e  r  k  u  I  i  n  m  e  t  h  o  d  i  k  aus.  „Tuberkulin  ist  mit  einem  Seil 
u  vergleichen,  das  den  Arzt  mit  der  Tuberkulose  des  Patienten  ver- 
niipft.  Lässt  er  es  immer  locker  hängen,  so  begibt  er  sich  der 
ernsten,  stetigen  Fühlung  mit  der  Krankheit  und  spürt  nicht  den 
v  io  erstand  oder  die  Lösung  der  Verbindung  auf  ihrer  Seite.  Ausser- 
em  nst  das  mehr  oder  weniger  starke  Ziehen  der  Krankheitsheilung 
tt  forderlich;  doch  nicht  in  dem  Walten  roher  Kräfte  liegt  der  Vor- 
-il.  sondern  in  der  Kunst,  zu  rechter  Zeit,  in  rechtem  Mass  den  Zug 
usziuiben. 

Bei  Fiebernden  ist.  wenn  eine  entsprechende  Allgemeinbehand- 
ing  erfolglos  ist,  ein  Versuch  mit  Tuberkulin  angezeigt,  der  aller- 
'ngs  auch  häufiger  missglücken  kann.  (Meistens!  Ref.)  —  Die 
|StHtrne  und  ihre  Beschwerden  sind  meist  Zeichen  einer  latenten 
iiDcrkulose.  Kraemer  will  nicht  etwa  die  Anstaltskuren  aus  der 
'eit  schaffen,  sondern  hält  sie  in  bestimmten  Fällen  für  sehr  an- 
L.n£'K  k  uCh  darin  möchte  ich  ihm  durchaus  beistimmen,  wie  sich 
n  überhaupt  Kraemers  Ausführungen  in  vielem  mit  dem  in 
'einem  Lehrbuch  geäusserten  decken. 

Kraemers  Buch  ist  nicht  für  den  Neuling  in  der  Tuberkulosc- 
erapie,  nicht  für  die  Belehrung  des  Allgemeinpraktikers,  dem  der 
ml  i  n  *?d  ist’  geschrieben,  aber  wer  sich  mit  der  Tuberkulose 
ihrer  Behandlung  eingehender  beschäftigen  will,  dem  bietet 


^.ra£.rt?ers  Buch  eine  Fülle  von  Anregungen  und  eine  sachverstän¬ 
dige  Belehrung  Bl  ümel-  Halle. 

Realenzyklopädie  der  gesamten  Heilkunde.  Medizin.-chirurg 
Handwörterbuch  für  praktische  Aerzte.  Unter  Mitredaktion  von 
d*  n  *  IheodBrugsch- Berlin  herausgegeben  von  Geh.  Med.- 
Rat  I  rof.  Dr.  Albert  Eulenburg.  XIV.  u.  XV.  Bd.  4.  gänzlich 
umgearbeitete  Auflage.  Urban  &  Schwarzenberg.  Berlin 
und  Leipzig  1914. 

Mit  den  beiden  vorliegenden  Bänden  ist  die  4.  Auflage  der  Real¬ 
enzyklopädie  abgeschlossen.  Dass  die  mühevolle  Arbeit  der  gänz- 
lichen  Neubearbeitung  des  grossen  Werkes  in  verhältnismässig  kurzer 
z.eit  geleistet  wurde,  gereicht  dem  Herausgeber  und  seinen  Mit¬ 
arbeitern  zur  .Ehre.  Mit  der  Neuauflage  ist  die  Realenzyklopädie  in 
der  1  at  ein  ganz  neues,  ein  anderes  Werk  geworden.  Die  theo- 
retischen  Artikel  haben  gegen  früher  eine  Einschränkung  erfahren; 
der  Schwerpunkt  ist  auf  die  praktische  Medizin  verlegt.  Das  Be- 
streben,  den  Bedürfnissen  des  praktischen  Arztes  zu  dienen,  ist 
überall  erkennbar.  Dem  Bedürfnis  des  Praktikers  entspricht  es  auch, 
dass  das  Werk  seinem  Umfang  nach  erheblich  kürzer  geworden  ist. 
Dass  es  auch  inhaltlich  auf  der  Höhe  steht,  dafür  bürgt  der  grosse 
Stab  ausgezeichneter  Mitarbeiter.  So  ist  E  u  1  e  n  b  u  r  g  s  Real¬ 
enzyklopädie  von  neuem  und  in  erhöhtem  Masse  das  geworden  was 
sie  uns  Alten  war,  das  Nachschlagebuch.  das  in  allen  Lagen  des  prak- 
tischen  Lebens  zuverlässige  Auskunft  gibt.  Wir  wünschen  ihr,  dass 
ihr  die  alte  Beliebtheit  unter  den  Aerzten  erhalten  bleibt. 

Neueste  .Journalliteratur. 

Deutsches  Archiv  für  klinische  Medizin.  1 15.  Bd.,  H.  5  u.  6. 

T°£leVn:,Dit  Zusammensetzung  der  Pneumothoraxluft. 

(Aus  dem  stadt.  Krankenhaus  „Oeresund“  in  Kopenhagen.) 

Werden  Stickstoff,  Sauerstoff,  Kohlensäure  oder  Mischungen  von 
mft  dPrPr611  T  d'e-  P|eurahöhle  eingebracht,  tritt  die  eingeführte  Luft 

von  l  lGonWpben  Q*-D,lff?SLoni  ^nd  es  biIdet  sich  eine  Gasmischung 
SrP  R(!  hndIS!.'C  SD,ff'  4  Proz.  Sauerstoff  und  6  Proz.  Kohlen- 
j  P  .  bestehender  Pleuritis  ändert  sich  die  Zusammensetzung 

S  SChün^’  'ndem  der  Sauerstoff  vollständig  oder  beinahe  voll- 
^  nd!*f  verschwindet.  Dieses  Verschwinden  des  Sauerstoffs  ist  dia- 

bar  Et  H  Verwertbar’  indern  es  früher  als  das  Exsudat  nachweis- 

E.  Malin  ea:  Beiträge  zur  Chemie  des  Sputums.  II.  Ueber 
Innsbruck  Sputums-  (Al,s  der  med.  Klinik  zu  Greifswald  und 

Bei  Tuberkulose  verschiedener  Stadien,  Bronchiektasien,  Bron¬ 
chopneumonien  eitriger  Bronchitis  fand  sich  ein  Ferment,  das  Kasein 
in  alkalischer  Losung  verdaut.  Die  Menge  des  Fermentes  war  ab¬ 
hängig  von  der  Beschaffenheit  des  Sputums  (am  meisten  fand  sich 
im  eitrigen  Sputum)  und  von  dessen  Alter,  indem  Sputum  von  ver¬ 
zögerter  Expektoration  bzw.  solches  nach  1—2  tägigem  Stehen  einen 
grosseren  Fermentgehalt  zeigt.  Ferner  fand  sich  bei  einzelnen  Spu¬ 
tumuntersuchungen  ein  zweites,  auf  Polypeptide  eingestelltes  Fer- 
Das  Sputum  ist  eine  biologisch  labile  Masse,  die  noch  inner¬ 
halb  des  Körpers  bedeutende  Veränderungen  erfährt 
i  W' •  A  c  h  el  i  s:  Ueber  adhäsive  Perikarditis  und  über  den  Ver¬ 

lust  der  beim  Uebergang  aus  der  horizontalen  zur  aufrechten  Körper¬ 
haltung  normalerweise  eintretenden  Vertikalverschiebung  des  Her- 
zens.  (Aus  der  II.  med.  Klinik  der  Akademie  in  Köln  und  der  med 
Klinik  zu  Strassburg.)  (Mit  6  Abbildungen.) 

Von  17  Fällen,  die  vor  kürzerer  oder  längerer  Zeit  Perikarditis 
uberstanden  hatten,  zeigten  nur  3  ein  deutliches  und  allgemeines 
1  leferrücken  des  Herzens  beim  Uebergang  vom  Liegen  zum  Stehen. 
Das  ausschlaggebende  Moment  für  den  Verlust  der  normalen  Verti¬ 
kalverschieblichkeit  des  Herzens  nach  Perikarditis  ist  nicht  in  den 
ausseren,  sondern  in  den  inneren  Verwachsungen  des  Herzbeutels 
zu  erblicken.  Der  klinische  Befund  war  meist  gering.  auch  dann, 
\venn  sich  orthodiagraphisch  eine  völlige  Unverschieblichkeit  des 
Herzens  erkennen  Hess.  Ergiebiger  als  der  klinische  Befund  für  den 
Nachweis  von  Residuen  der  Perikarditis  war  die  röntgenologische 
Untersuchung,  wenn  auch  diese  Befunde  nur  mit  der  nötigen  Kritik 
verwertet  werden  können. 

M.  Landsberg:  Zur  Frage  der  Zuckerverbrennung  im  Pan¬ 
kreasdiabetes.  (Aus  der  med  Klinik  Greifswald.) 

Blutzellen  pankreasloser  Tiere  zerstören  ebensoviel  Zucker,  wie 
Blutzellen  normaler  Tiere.  Normale  Blutzellen  im  Serum  von  pan¬ 
kreaslosen  Tieren  verbrauchten  nicht  weniger  Zucker  als  im  Serun> 
von  normalen  Tieren.  Der  Zuckerverbrauch  arbeitender  Muskeln 
panki  easdiabetischer  Hunde  entspricht  in  seiner  Grössenordnung 
durchaus  dem  Zuckerverbrauch  der  normalen  Muskeln.  Diese  Tat¬ 
sachen  sprechen  unzweideutig  gegen  die  Notwendigkeit  des  Pankreas- 
hormons  für  den  Zuckerverbrauch  durch  Körperzellen.  Es  ist  wahr¬ 
scheinlicher,  dass  das  Pankreashormon  nur  für  den  Kohlehydratstoff- 
Wechsel  der  Leber  ausschlaggebende  Bedeutung  hat. 

H-  Eich  hör  st:  Ueber  latenten  Meningealkrebs.  (Mit  Tafel 

IV,  V ./ 

Bei  einer  50  jährigen  Frau,  die  mit  der  Diagnose  Krebsmeta¬ 
stasen  in  der  Wirbelsäule  und  den  spinalen  Meningen  mit  Kompression 
des  Lendenmarkes  ad  exitum  kam,  fand  man  makroskopisch  an  den 
Wirbeln,  Meningen  und  dem  Rückenmark  nichts  Krankhaftes.  Erst 


178f» 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  .12. 


das  Mikroskop  deckte  weitgehende  karzinomatöse  Veränderungen  des 
Rückenmarkes  und  seiner  weichen  Häute  auf. 

J.  Zadek:  Herzstörungen  nach  Pneumonie.  (Aus  der  inneren 
Abteilung  des  städt.  Krankenhauses  Neukölln.)  (Mit  4  Kurven.) 

In  jedem  Falle  von  Pneumonie,  auch  dann,  wenn  a  priori  die 
günstigsten  Chancen  für  glattes  Ueberstehen  mit  völliger  restitutio 
ad  integrum  bezüglich  des  Gesamtorganismus  zu  bestehen  scheinen, 
ist  der  Rekonvaleszenz  besondere  Beachtung  zu  widmen,  zu  frühes 
Aufstehen  und  Ueberanstrengungen  sind  zu  vermeiden.  Irregularitäten 
oder  Frequenzsteigerung  des  Pulses,  sowie  sonstige  Zirkulations¬ 
störungen  sind  sorgfältig  zu  berücksichtigen;  sonst  können  die  durch 
den  pneumonischen  Infekt  gesetzten,  klinisch  als  Herz-  und  üetass- 
störungen  in  Erscheinung  tretenden  Schädlichkeiten  unter  dem  Ein¬ 
fluss  begünstigender  Momente  leicht  zu  katastrophalen  Folgen 

führen.  .  .  , 

H.  Straub:  Dynamik  des  Säugetierherzens.  (Aus  der  I.  med. 

Klinik  der  Universität  München.)  (Mit  20  Abbildungen.)  .... 

Der  diastolische  Druck  im  linken  Ventrikel  ist  in  der  Regel  nicht 
gleich  dem  atmosphärischen  Druck,  sondern  positiv.  Mit  steigender 
Ueberlastung  verbreitert  sich  die  Druckkurve  des  Ventrikels,  das 
Maximum  steigt.  Das  diastolische  Minimum  steigt  mit  steigender 
Ueberlastung,  d.  h.  die  Anfangsspannung  steigt.  Bei  zunehmender 
Ueberlastung  verschiebt  sich  das  Ventrikelvolumen  nach  der  dia¬ 
stolischen  Seite.  Diastolisches  Maximum  und  systolisches  Minimum 
verschieben  sich  bei  gut  arbeitendem  Herzen  um  denselben  Betrag,  so 
dass  die  Amplitüde,  d.  h.  das  Schlagvolumen  konstant  bleibt.  Jeder 
Ueberlastung  ist  bei  sonst  gleichen  Versuchsbedingungen  ein  be¬ 
stimmtes  Volumen  charakteristisch,  auf  das  die  Volumkurve  bei  Stei- 
gen  oder  Sinken  der  Ueberlastung  sich  alsbald  einstellt.  Das  Herz 
verhält  sich  demnach  in  dieser  Funktion  wie  ein  völlig  elastischer 
Körper.  Die  Kontraktion  des  Säugetierherzens  folgt  denselben  Ge¬ 
setzen,  wie  diejenige  des  Skelettmuskels  und  ist  ein  zwingender  Be¬ 
weis  für  die  Anschauung,  dass  die  Herzmuskelkontraktion  einer  ein¬ 
fachen  Muskelzuckung  entspricht,  und  dass  es  sich  nicht  um  einen 
kurzdauernden  Tetanus  handelt.  (Die  weiteren  Ergebnisse  der  um¬ 
fangreichen  Arbeit  sind  nachzulesen.) 

P.  Wack:  Ueber  Leukozytenbefunde  bei  Miliartuberkulose  und 
ihre  diagnostische  Bedeutung.  (Aus  der  med.  Klinik  in  Marburg.) 

(Mit  1  Kurve.)  ,  ,  ...  , 

In  7  Fällen  von  Miliartuberkulose  fand  sich  regelmasisg  das  Ver¬ 
hältnis  zwischen  polymorphkernigen  Leukozyten  und  Lymphozyten 
zu  ungunsten  der  letzteren  verschoben,  es  bestand  eine  relative 
Lvmphozytopenie  bzw.  relative  Polynukleose,  ein  Zeichen,  dass  der 
Tuberkelbazillus  allein  (d.  h.  ohne  Sekundärinfektion)  die  Lympho- 
zytopenie  bedingen  kann.  Dieser  Befund  ist  für  die  Differentialdia- 
gnose  gegenüber  Typhus  mit  seiner  Leukopenie,  gegenüber  Sepsis 
mit  meist  starker  Leukozytose  und  etwaiger  Meningitis  und  Genick¬ 
starre  mit  meist  starker  neutrophiler  Leukozytose  bedeutungsvoll. 
In  1  Falle  verbarg  sich  die  Miliartuberkulose  unter  dem  Bilde  einer 
myeloischen  Leukämie,  offenbar  bedingt  durch  eine  frühzeitige  runk- 
tionsuntüchtigkeit  des  Knochenmarks  infolge  der  Schwere  der  In- 

M.  Sem  er  au:  Beiträge  zur  Lehre  vom  Pulsus  paradoxus. 

(Aus  der  med.  Klinik  der  Universität  Strassburg.)  (Mit  9  Kurven.) 

Der  mechanisch  bedingte  Pulsus  paradoxus  ist  meist  für  adhasive 
Perikarditis  pathognomonisch.  Der  dynamisch  bedingte  Pulsus  para¬ 
doxus  kann  prognostisch  verwertet  werden,  indem  er  entweder  eine 
drohende  Herzschwäche  oder  eine  Zunahme  des  negativen  intra- 
thorazischen  Drucks  anzeigt. 

W.  Schultz:  Scharlachbehandlung  mit  Humanserum  und 
Serumlipoide.  (Aus  der  II.  inneren  Abteilung  des  Krankenhauses 
Charlottenburg-Westend.)  (Mit  1  Kurve.) 

Bei  7  leichten  bzw.  mittelschweren  Scharlachfallen,  die  mit 
Aetherextraktsuspension  von  Humanserum  intravenös  injiziert  wur¬ 
den  fand  sich  keinerlei  wesentliche  Abweichung  von  unbehandelten 
Fällen.  Die  entfiebernde  Wirkung  des  Humanserums  bei  aJT!n 
Scharlachinfektion  ist  jedenfalls  nicht  in  seinem,  in  der  Kalte  extra¬ 
hierbaren  Lipoidgehalt  darstellbar.  Krnnach 

Besprechungen.  Bamberger  -  Kronach. 

Zentralblatt  für  innere  Medizin.  Nr.  22—29,  1914. 


Nr.  22  u.  23.  31.  Deutscher  Kongress  für  innere  Medizin  zu  Wies- 

hadeKohektivbericht  der  Vereinigung  der  deutschen  medizinischen 

Fachpresse  (v.  Romberg,  Reiter).  .  .  „  ... .  . 

Nr.  24  S  c  i  f  f  e  r  t:  Sammelrefcrat  aus  dem  Gebiete  der  Rhino- 

Laryngologie. 

Januar  bis  April  1914.  .  D. 

Nr.  25.  Bache  m:  Sammelreferat  aus  dem  Gebiete  der  l  harma- 

kologie. 

Januar  bis  März  1914. 

Nr  26  u.  27  ohne  Originalartikcl.  .  . 

Nr.  28.  M.  Wolfheim-Bad  Nauheim:  Zur  Behandlung  des 

Diabetes  mit  Diabeteserin.  „  „  . 

Das  Diabeteserin  enthält  Eserin  und  Salze  des  Dunecek- 
schen  anorganischen  Serums.  Das  Eserin  soll  eine  tomsierende  Wir¬ 
kung  auf  den  Nervus  vagus  ausuben,  die  Salze  sollen  die  Arterio¬ 
sklerose  beeinflussen.  Beide  Momente  sind  in  der  Aet.ologie  des 


Diabetes  häufig  zu  berücksichtigen.  Das  Präparat  erzielte  in  8  1  .dien 
Günstiges  und  w  ird  deshalb  zur  Nachprüfung  empfohlen. 

Nr.  29  ohne  Originalartikel.  W.  Z  i  n  n  -  Berlin. 

Zeitschrift  für  Tuberkulose.  Band  22,  Heft  4. 

Winkler-  Charlottenburg:  Tuberkulose  und  Wohnung  in  Char¬ 
lottenburg.  .  ,  , ,  .... 

Eine  durch  Tabellen  belegte  Arbeit,  die  zahlenmassig  beweist, 
dass  die  Lungentuberkulose  mit  der  Wohnungsdichte  zusammenhängt, 
dass  beispielsweise  die  Wohnungsbelegung  bei  den  an  Tuberkulose 
Verstorbenen  dichter  war,  als  bei  der  Gesamtbevölkerung.  Einzel¬ 
heiten  müssen  im  Originale  nachgelesen  werden. 

B  e  r  g  e  1  -  Dahlem:  Studien  über  fermentativen  Abbau  der 
Tuberkelbazillen  im  Organismus.  . 

Der  Verf.  hat  schon  früher  nachgewiesen,  dass  „bei  der  Ein¬ 
verleibung  von  Lipoiden  bei  Tieren  im  Exsudate  der  betreffenden 
Körperhöhlen  hauptsächlich  Lymphozyten  auftreten,  welchen  offenbar 
der  Abbau  und  die  Wegschaffung  der  einverleibten  Lipoide  obliegt. 
Da  wir  nun  bei  einer  Reihe  von  Infektionskrankheiten  in  den  ent¬ 
zündlichen  Krankheitsprodukten  in  erster  Linie  Lymphozyten  an¬ 
treffen  so  lag  der  (Tedanke  nahe,  dass  das  Auftreten  gerade  dieser 
Zellelemente  vielleicht  ebenfalls  mit  der  Beseitigung  von  Lipoiden 
bei  diesen  Krankheitsprozessen  in  Zusammenhang  zu  bringen  sei. 
Dieser  Gedanke  erschien  um  so  gerechtfertigter,  als  die  Lymphozyten 
hauptsächlich  bei  solchen  Infektionskrankheiten  beobachtet  werden, 
in  deren  Biochemismus  Lipoide  eine  besondere  Rolle  spielen  .  Das 
wird  für  die  Tuberkulose  nachgewiesen  und  dadurch  gezeigt,  dass  die 
bei  dieser  Krankheit  beobachtete  Lymphozytose  ein  Heilbestreben 
des  Organismus  bedeutet. 

Simon-  Aprath :  Erfahrungen  mit  dem  Friedmann  sehen 

Eines  der  sich  jetzt  häufenden  durchaus  absprecheuden  Urteile. 

Menzer-Bochum:  Zur  tuberkulösen  Aetiologie  der  Thyreosen. 

Patienten  mit  thyreotoxischen  Erscheinungen  zeigten  auf  sub¬ 
kutane  Injektionen  von  Landmann  schem  I  uberkulol  spezifische 
Reaktionen.  Der  Zusammenhang  zwischen  den  Thyreosen  und 
schliesslich  auch  Morbus  Basedowii  mit  Tuberkulose  scheint  auch 
dem  Verf.  erwiesen  zu  sein. 

H  a  u  p  t  -  Dresden:  Beitrag  zur  Schutz-  und  Heilimpfung  gegen 
die  Tuberkulose  bei  Meerschweinchen  und  Kaninchen. 

Schluss  folgt.  Liebe-  Waldhof  Elgershausen. 

Zentralblatt  für  Chirurgie.  1914.  Nr.  30. 

Rieh.  Frank-Kaschau:  Die  Desinfektion  der  Haut  mit  Sterolin 

bzw.  Jodsterolin.  ,  ,  ,  c, 

Verf.  benützt  zur  Desinfektion  von  Haut  und  Händen  das  Sterolin 
mit  folgender  Zusammensetzung:  Bals.  Peruv.  4,0,  Ol.  Ricini,  1  ere- 
bintli.  venet.  äa  2,0,  Glycerin.  1,0,  Spirit  vin.  conc.  100,0  Zuerst 
wird  (ohne  Reinigungsbad  am  Vortag)  das  Operationsfeld  mit  steri  er. 
Tupfern  1 — 2  Minuten  abgerieben:  bis  die  Lösung  an  die  Haut  an¬ 
trocknet,  werden  2  Minuten  die  Hände  des  Operateurs  mit  Sterolin 
abgerieben.  Jetzt  wird  mit  frischen  Tupfern  nochmals  das  Operations¬ 
feld  abgerieben  und  dann  gleichfalls  die  Hand  des  Operateurs  zum 
zweitenmal  abgewaschen.  Sobald  der  zweite  Sterolinanstnch  auf  der 
Haut  verdunstet  ist,  kann  mit  der  Operation  begonnen  werden. 
Neuerdings  hat  Verf.  auch  noch  Jodtinktur  benützt:  1.  Bepinselung 
des  Operationsfeldes  mit  6,6  proz.  Jodtinktur,  2.  Abreiben  der  Hände 
mit  Sterolin,  3.  Anlegen  der  Gesichtsmasken,  4.  Abreiben  des  Jod¬ 
anstriches  auf  der  Haut  mit  Sterolmtupfern  (die  Jodbräunung  ver¬ 
schwindet  dabei  rasch  und  völlig),  5.  zweite  Händedesinfektion  mit 
Sterolin.  Verf.s  Erfolge  mit  Sterolindesinfektion  sind  sehr  gute,  ob¬ 
gleich  die  Hände  des  Operateurs  mit  Seife  und  Bürste  vorher  nicht 

mehr  gereinigt  werden.  ,  ,  .  .  . 

E.  Heim-  Oberndorf  b.  Schweinfurt. 

Zeitschrift  für  Kinderheilkunde.  XI.  Band.  Heft  3.  1914. 

Z.  v.  Bökay -Berlin-Pest:  Ueber  eine  besondere  Form  der 
Alvcolardiphtherie  bei  Säuglingen. 

Bei  2  Säuglingen  mit  Nasendiphtherie  konnte  der  Verf.  einen 
eigenartigen  Beginn  diphtherischer  Affektion  des  Alveolarfortsatzes 
beobachten:  sie  setzte  ein  als  sehr  voluminöses,  hämorrhagisches, 
stellenweise  zystenartig  aussehendes  Oedem  der  Schleimhaut,  aut 
dem  sich  erst  nachträglich  zarte  Beläge  ausbreiteten;  die  beigegebene 
Abbildung  gibt  keinen  rechten  Begriff  von  der  Affektion. 

Th.  Franz  und  A.  v  Reuss-Wien:  Beiträge  zur  Kenntnis 

des  Harns  der  ersten  Lebenstagc. 

In  den  ersten  3  Lebenstagen  scheidet  weitaus  die  Mehrzahl  auer 
Neugeborenen  geringe  Mengen  von  Eiweiss  und  ei  weissfällenden 
Substanzen  („E  s  s  i  g  s  ä  u  r  e  k  ö  r  p  e  r“)  aus;  das  ist  wahrscheinlich 
eine  Folge  der  intra  partum  einsetzenden  Zirkulationsanderung,  aiso 
mit  anderen  Worten  eine  ganz  physiologische  Erscheinung. 

Irgendwie  erheblichere  Mengen  des  Nahrungs  z  u  c  k  e  r  s  treten 
nie  in  den  Harn  des  Neugeborenen  über;  durch  empfindliche  I  roDcn 
können  geringe  Mengen  von  Nitraten  oder  Nitriten,  sowie  von  IndiKa 
überaus  häufig  nachgewiesen  werden;  sie  stehen  offenbar  in  Zu¬ 
sammenhang  mit  leichten  enteralen  Störungen  der  ersten  Lebenstage 
(„Ucbergangskatarrhe“)  und  entbehren  der  klinischen  Bedeutung. 


August  1914. _ MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


A.  S  c  h  a  b  a  d -  Petersburg:  Der  Stoffwechsel  bei  angeborener 
.henbriiehigkeit  (Osteogenesis  imperfecta). 

Stoffwechsel  versuche  an  einem  10  jährigen  Mädchen  mit 
ogenesis  imperfecta,  das  bis  dahin  12  Frakturen  erlitten  hatte, 
ben  eine  abnorm  niedrige  Kalkretention,  die  besonders  durch 
^horlebcrtrangaben  günstig  beeinflusst  werden  konnte;  von 
rachitischen  Darniederliegen  der  Kalkretention  unterschied  sich 
■rüge  bei  der  angeborenen  Knochenbrüchigkeit  durch  das  un- 
ärte  Verhältnis  des  durch  Urin  und  Kot  ausgeschiedenen  Phos- 
s,  sowie  durch  die  Wirkungslosigkeit  von  Kalkzufuhr  bei  gleich- 
ger  Phosphorlebertrantherapie.  Q  ö  1 1  -  München. 

Berliner  klinische  Wochenschrift.  Nr.  31,  1914. 

L.  L  a  n  d  a  u  -  Berlin:  Myom  und  Schwangerschaft.  Uterus  myo- 
'sus  gra\ idus.  III.  mens,  von  11 Pfund  Gewicht.  (Nach  einer 
onstration  in  der  Berl.  med.  Ges.  am  8.  Juli  1914) 

Cf.  pag.  1589  der  M.m.W.  1914. 

Karl  K  1  i  e  n  c  b  c  r  g  e  r  -  Zittau:  Die  Behandlung  der  Lungen- 
rkulose  nach  Friedemann.  (Vortrag,  gehalten  in  der  10.  Ver- 
inlung  der  Freien  Vereinigung  für  innere  Medizin  im  Königreich 
sen  am  21.  Mai  1914.) 

C.  Gutmann  -  Wiesbaden:  Beiträge  zu  dem  Kapitel:  Salvarsan 
latenter  Mikrobismns.  (Vortrag,  gehalten  im  Verein  der  Aerzte 
badens  am  4.  Februar  1914.) 

Da  in  der  Entwicklung  begriffene,  akute  fieberhafte  Erkran- 
i  eil  mit  ihrem  latenten  Mikrobismus  mangels  jeglicher  Krankheits- 
utome  sich  fast  ausnahmslos  unserer  Erkenntnis  entziehen,  darf 
i  Salvarsaninjektion  nur  bei  völligem  Wohlbefinden  des  Patienten 
icht  werden. 

Nach  Abheilung  irgendwelcher  akut  fieberhaften,  in  eine  Sal- 
i  inkur  fallenden  Erkrankung  muss  eine  8— 14  tägige  Behandlungs- 
:•  innegehalten  werden. 

Bei  \\  iederaufnahme  der  Salvarsanbehandlung  muss  mit  kleiner 
.dorischer  Dosis  begonnen  und  nur  ganz  allmählich  gesteigert 

en. 

Leonardeo  M  a  r  t  i  n  o  1 1  i  -  Modena:  Epithelisierende  Wirkung 
Vminoazobenzole. 

Verf.  führt  die  epithelisierende  Wirkung  der  Aminoazobenzole 
me  durch  sie  erzeugte  Fixierung  und  Unlöslichkeit  der  Fette 

:k. 

Weckow  ski- Breslau:  Weitere  Erfahrungen  in  der  Radium- 
ahlung  maligner  Geschwülste.  (Vortrag  in  der  med.  Sektion 
gehles.  Ges.  f.  vaterl.  Kultur  zu  Breslau  am  8.  Mai  1914.) 
ßestrahlungsquanten  von  187  bzw.  143  mg  erwiesen  sich  in 
m  Fall  als  schädlich.  Karzinome,  die  unter  Röntgen  sich  fort- 
1  itend  verschlimmern,  verlieren  bei  Radiumbestrahlung  ihre 
irtigkeit  und  bilden  sich  zurück.  Die  Karzinome  verhalten  sich 
Radiumbestrahlung  gegenüber  verschieden,  was  jedoch  weniger 
inere  Ursachen  als  auf  die  noch  immer  mangelhaft  ausgebildete 
i  kationstechnik  zurückzuführen  ist.  Aehnlich  günstige  Resultate 
sie  in  der  Gynäkologie  beim  Uteruskarzinom  zu  erzielen  sind, 
ht  man  in  der  Chirurgie  bei  den  Mammakarzinomen. 

Vlarcus  Rabinowitsch  -  Charkow :  Urobilin  und  Diazo- 
lon  beim  Flecktyphus. 

3ei  den  meisten  Fällen  von  Flecktyphus  sind  Diazo-  und  Uro- 
eaktion  im  Harn  deutlich  ausgebildet.  Die  Diazoreaktion  ist 
in  den  ersten  Krankheitstagen  deutlich  ausgebildet,  ver- 
ndet  meist  kurz  vor  der  Krisis  und  kann  auch  nach  derselben 
nachweisbar  sein.  Sie  ist  je  nach  dem  Fall  verschieden  stark 
l  teht  in  keinem  Verhältnis  zur  Intensität  der  Erkrankung.  Das 
hn  erscheint  im  Harn  der  Flecktyphuskranken  gewöhnlich  kurz 
»der  nach  der  Krisis;  Erscheinen  und  Dauer  sind  je  nach  dem 
verschieden.  Beim  Flecktyphus  ist  das  Urobilin  hämatogenen 
ungs  und  wird  durch  die  hämolytischen  Eigenschaften  des  Fleck¬ 
serregers  bedingt. 

darcus  Rabinowitsch  -  Charkow :  Ueber  den  Flecktyphus- 

erf  behauptet  aufs  neue,  dass  der  von  ihm  im  Jahre  1908  ent- 
e  Diplobazillus  der  Flecktyphuserreger  ist,  und  dass  die  ver- 
jenen  Zelleinschlüsse,  die  beim  Flecktyphus  wahrgenommen 
-'n,  nichts  anderes  als  Reaktionsprodukte  der  Zellen  sind. 

•  B  e  n  d  e  r  s  k  y  -  Kiew:  Ein  Fall  von  hochgradiger  Fettleibig- 
bzw.  Elephantiasis), 
kasuistischer  Beitrag. 

ieorg  S  c  h  m  i  d  t  -  Berlin:  Neuerungen  im  Bereiche  der 
'sischen  Heeressanitätsverwaltung  während  des  Jahres  1913. 

Dr.  Grass  m  a  n  n  -  München. 


Oesterreichische  Literatur. 

►V  lener  klinische  Wochenschrift. 

W  e  i  c  h  e  r  t  -  Wien :  Ueber  neuere  Verfahren  der 
hu,()sebehandlun£  und  die  für  Pathologie  und  Therapie  daraus 
ehenden  Schlüsse. 

Schluss  folgt.) 

k.  M  a  y  e  r  -  Krakau:  Ueber  eine  Methode,  die  physikalischen 
sse  auf  die  Form  der  Elektrokardiogramme  auszuschalten. 


Die  hier  angegebenen  Ableitungsvorrichtungen  lassen  sich  nicht 
in  Kurze  genügend  beschreiben. 

G.  K  i  r  a  1  y  f  i  -  Pest:  Intramuskuläre  Blutinjektionen  in  der 

1  heraple  der  Leukämie. 

Bei  der  Benzol-,  Arsen-  oder  Thoriumtherapic  der  Leukämie 
treten  oft  schwere,  dann  meist  unaufhaltsame  tödliche  Schädigungen 
durch  Lähmung  der  Knochenmarkfunktion  auf.  Bei  einem  solchen 
Kranken  mit  rapider  Abnahme  der  weissen  und  roten  Blutkörperchen 
rw-u  ^  Verf-  '^raftlutäal  drei  Blutinjektionen  (10  später  20  ccm,  nacti 
Defibrinierung  und  Filtrierung  durch  eine  doppelte  Kalikotbinde). 
Das  Absinken  der  Blutkörperchen  kam  zum  Stillstand  und  es  erfolgte 

o^nnrnnnie  ,VermehrunK..dcr  roten  Blutkörperchen  von  1  000  000  auf 

2  000  1100,  obwohl  das  Fieber  anhielt,  besserte  sich  in  hohem  Grade 
das  Allgemeinbefinden.  Den  besten  Erfolg  hatte  die  erste  Injektion 
mit  dem  Blut  eines  polyzythämischen  Kranken. 

V  L  a  z  a  r  e  v  i  c  -  Wien:  Retentionsgeschwulst  (Speichelgang¬ 
geschwulst)  in  der  Glandula  parotis  mit  operativer  Heilung. 

c  Krankengeschichte  eines  7  jährigen  Knaben:  Entfernung  von 
i..„  einc.  n.  aus  dem  Ductus  Stenonianus  auf  dem  in  unkomplizierten 
rallen  einzig  zweckmässigen  oralen  Wege. 

E.  Wiener:  Quarantänestudien. 

V.  Die  Vereinigten  Staaten  von  Nordamerika. 

Prager  medizinische  Wochenschrift. 

Nr.  14/15.  A.  S  c  h  ö  n  f  e  1  d  -  Brünn:  Todesursachen  und  Sek¬ 
tionsbefunde  bei  Geisteskranken  mit  besonderer  Berücksichtigung  des 
Hirngewichtes. 

Mit  Uebergehung  der  vielfachen  Einzelangaben  sei  kurz  das 
Gesamtergebnis  der  Hirnwägungen  angeführt:  Das  Durchschnittsge- 
wicht  des  Gehirns  ist  beim  Gesunden  höher  als  beim  Psychotischen; 
beim  geistesgesunden  Mann  ist  es  1400  g,  beim  geisteskranken  Mann 
rund  1320  g,  bei  der  geistesgesunden  Frau  1275  g,  bei  der  geistes¬ 
kranken  Frau  1205  g. 

Nr.  15.  E.  H.  K  i  s  c  h  -  Marienbad :  Endokrine  Lipomatosis. 

K.  unterscheidet  für  die  Pathogenese  der  endokrinen  Lipomatosis 
drei  Gruppen  je  nach  Behinderung  der  inneren  Sekretion  der  Hypo¬ 
physe,  der  Keimdrüsen  und  der  Thyreoidea;  ausserdem  bilden  sich 
durch  Beteiligung  verschiedener  dieser  Drüsen  Mischformen. 

Nr.  61.  ^R.Lawatschek  -  Prag:  Die  enterale  Resorption  von 
genuinem  Eiweiss  bei  Neugeborenen  und  darmkranken  Säuglingen 
und  ihre  Verwertbarkeit  als  Funktionsprüfungsmethode. 

L. s  Versuche  zeigen,  dass  die  Durchgängigkeit  des  Darmes  Neu¬ 
geborener  für  heterologes  (Hühnerei-)  Eiweiss  normalerweise  über 
den  10.  Lebenstag  hinaus  besteht.  Mit  zunehmendem  Alter  scheint 
die  Resistenz  der  Magendarmwand  allmählich  zu  wachsen.  Diese 
„Permeabilitätsreaktion“  auf  genuines  Eiweiss  wurde  bei  älteren 
Säuglingen  wieder  positiv  bei  schwereren  Darmstörungen;  bei 
akuter  Enteritis  oder  akuten  Rezidiven  chronischer  Erkrankungen 
würden  die  gleichen  oder  selbst  höhere  We’rte  erlangt,  wie  beim 
Neugeborenen.  Es  besteht  hier  wahrscheinlich  ein  Parallelismus  mit 
der  Schwere  der  Erkrankung.  Daher  gibt  die  wiederholte  Reaktion 
einen  Massstab  für  die  Zu-  oder  Abnahme  des  Prozesses  und  für  die 
Prognose. 

Nr.  17.  R.  H.  Jokl-Prag:  Ueber  die  Verwendbarkeit  des 
Roob  Sambuci  zur  Behandlung  von  Neuralgien. 

Die  Nachprüfung  der  Angaben  E  p  s  t  e  i  n  s  (in  Nr.  8)  an  60  Fällen 
der  v.  J  a  k  s  c  h  sehen  Klinik  ergab,  dass  das  Mittel  tatsächlich  in 
zahlreichen  Fällen,  etwa  bei  einem  Drittel  derselben,  wirksam  war. 
Es  wurde  ein  Esslöffel  des  Extraktes  in  Portwein  genommen  oder 
m  100  ccm  Wasser  gelöst  und  15— 20  ccm  96  proz.  Alkohol  hinzuge- 
fügt.  Die  Erfolge  betrafen  primäre  Neuralgien,  z.  B.  des  Trigeminus 
oder  Ischiadikus.  Ausgesprochen  traumatische  und  entzündliche 
Neuralgien  wurden  nicht  beeinflusst,  Neuritiden  vorübergehend  ge¬ 
steigert.  Bisweilen  ist  die  Wirkung  eine  einmalige  und  versagt  bei 
Rezidiven.  Im  ganzen  ist  ein  Versuch  mit  dem  durchaus  unschäd¬ 
lichen  Mittel  wohl  zu  empfehlen. 

Nr.  17.  G.  D  o  b  e  r  a  u  e  r  -  Komotau:  Darmverschluss  durch 
Spulwürmer. 

Krankengeschichte  eines  dieser  noch  selten  beschriebenen  Fälle; 
Entfernung  von  21  lebenden  Spulwürmern  durch  Eröffnung  des 
lleums.  Bei  den  dringlichsten  Fällen  ist  nur  die  alsbaldige  Entero- 
tomie  angezeigt.  Nach  jeder  solchen  Operation  sind  wegen  wahr¬ 
scheinlich  zurückgebliebener  Würmer  Wurmmittel  zu  geben. 

Nr.  20.  E.  S  e  g  e  r  -  Aussig:  Ein  Symptom  der  beginnenden 
Urethritis  posterior. 

Verf.  beobachtete  mehrmals  bei  beginnender  Urethritis  posterior 
psychische  Hemmung  (Unvermögen)  der  Harnentleerung,  wo  sie  vor¬ 
her  nicht  bestanden  hatte;  ausserdem  sah  er  da.  wo  diese  Hemmung 
schon  für  gewöhnlicher  Weise  bestand,  regelmässig  beim  Eintreten 
einer  gonorrhoischen  Erkrankung  eine  Urethritis  posterior  resp. 
Prostatitis  sich  entwickeln. 

Nr.  2i.  E.  M  ü  n  z  e  r  und  A.  S  e  1  i  g- Franzensbad:  Vaskuläre 
Hypertonie  und  Schrumpf niere;  gleichzeitig  ein  Beitrag  zur  Lehre 
von  der  vaskulären  Hypertonie  überhaupt. 

Zusammenfassung:  Stark  verbreitet  kommt  eine  Erkrankung  des 
präkapillaren  arteriellen  Gefässsystems  vor.  welche  wahrscheinlich 
durch  Wandverdickung  (Sklerose)  die  einzelnen  Gefässe  und  damit 
den  Gesamtquerschnitt  der  peripheren  Blutbahn  verengt;  weiterhin 
entsteht  anatomisch  ein  vollkommener  Verschluss  eines  Teiles  dieser 


1788 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  32. 


kleinsten  Qefässe  und  Schwund  der  dadurch  versorgten  GewebsteUe 
Die  unbedingte  klinische  Folge  ist  eine  mehr  oder  weniger  starke 
Hypertonie  und  sekundäre  Hypertrophie  des  linken  Ventrikels, 
übrigen  Symptome  hängen  von  den  besonders  betronenen  Gew  ebs- 
gebieten  ab.  Die  Schrumpfniere  ist  nur  ein  Teil  der  a  lgemeinen 
Qefässerkrankung;  sie  sollte  besser  als  vaskulare  Hvpertf.nie  oder 
allgemeine  periphere  Qefässsklerose  (der 


Korrcspondenzblatt  für  Schweizer  Acrzte.  1914.  Nr.25— 27. 

C.  Arend-Bern:  Ueber  unsere  Erfahrungen  mit  der  Behand¬ 
lung  der  chirurgischen  Tuberkulose  in  der  Ebene. 

Verf  gibt  eine  sehr  ausführliche  Darstellung  der  verschiedenen 
therapeutischen  Massnahmen.  Operation.  Quarzlampenbestrahlung, 
Tuberkulintherapie,  lodtherapie,  Sonnenbestrahlung  und  führt  die 

Erfolge  bei  181  Fällen  an.  .  . 

B.  Streit-Bern:  Ueber  „Katamen  Cetag  ,  ein  neues  wirk¬ 
sames  Mittel  gegen  Dysmenorrhöe.  „TW«**«, 

Verf.  sah  guten  Erfolg  in  10  Fällen  bei  Dosen  von  1—3  Tabletten 
innerhalb  3  Stunden.  Nebenwirkungen  traten  nicht  auf. 

M.  Kusunoki:  Die  perniziöse  Anämie  im  früheren  Kindes¬ 
alter.  (Pathol.  Institut  Basel.)  ,  „  ,  ,  .  ,  .  . 

Ausführliche  klinische  Beschreibung  und  Sektionsbericht  eines 

Falles  (6 jähriger  Knabe):  Literatur.  .  , 

W  Kn  oll -Unter  Acgen:  Betrachtungen  zur  mtra-  nud  extra¬ 
pleuralen  Kollapstherapie  bei  Lungenphthise.  .  , 

Empfehlung  der  Schnittmethode  nach  Brauer,  deren  sich  Verf. 
ausschliesslich  wegen  der  geringeren  Gefahren  bedient;  Hinweis 
darauf,  dass  die  Nachteile  der  Schnittmethode  (Eiterung,  Haut¬ 
emphysem)  nur  auf  Konto  des  Operateurs  zu  setzen  seien.  Verf. 
empfiehlt  dann  die  Aufnahme  auch  mittelschwcrer  und  schwerer  balle 
in  die  Sanatorien,  weil  gerade  sie  längerer  Beobachtung  vor  An¬ 
legung  eines  Pneumothorax  und  dann  längerer  Nachbehandlung  be- 
dürfen.  L.  Jacob-  Würzburg. 


Rumänische  Literatur. 

P.  Her  esc  u:  Ueber  200  Fälle  von  Prostatektomie.  (Medi¬ 
zinisch-chirurgischer  Kongress  rumänischer  Aerzte,  Bukarest, 

20. — 23.  April  1914.)  f 

Der  Verfasser  hat  von  1900—1905  50  Prostataexstirpationen  auf 
perinealem  Wege  vorgenommen,  eine  Mortalität  von  9  Proz.  gehabt 
und  viele  von  diesen  Kranken  nach  9,  11  und  12  Jahren  gesund 
wiedergesehen.  Die  Operation  ergibt  also  gute  Resultate;  nichts¬ 
destoweniger  ist  die  transvesikale  Prostatektomie  derselben  vor- 
zuziehen,  namentlich  wenn  man  von  den  Karzinomen  absieht. 
Die  anfängliche  Sterblichkeit  von  11  Proz.  ist  au  diese  Weise  in 
letzter  Zeit  erheblich  zurückgegangen,  namentlich  seit  H.  keine 
Prostataoperation  vornimmt  ohne  sich  vorher  über  den  Koeffizient 
der  Harnstoffausscheidung  und  namentlich  über  die  A  m  b  a  r  üsene. 
Konstante  orientiert  zu  haben.  Letztere  muss  als  ein  grosser  Fort¬ 
schritt  für  die  Chirurgie  der  Prostata  angesehen  werden.  Ist  dieselbe 
unter  0.100.  dann  kann  die  Operation  vorgenommen  werden,  sonst 
aber  nur  nachdem  der  Kranke  während  mehrerer  Tage  oder  Wochen 
einer  strengen  lakto-vegetarischen  Kost  unterworfen  wurde  und 
während  einiger  Tage  vor  der  Operation  je  5  Tropfen  Digalen  ge¬ 
Von  den  35  im  Jahre  1913  vorgenommenen  Prostatektomien 
endeten  nur  2  tödlich  und  zwar  starb  der  eine  Patient  am  14.  läge 
nach  der  Operation  an  Angina  pectoris,  der  andere  nach  lenem  Monat 
plötzlich  infolge  einer  Herzkrankheit.  Im  laufenden  Jahre  hat  H. 
18  Prostatektomien  ohne  einen  Todesfall  gemacht.  Man  kann  also 
sagen,  dass  die  Prostataausschneidung  in  Anbetracht  der  guten  Er¬ 
folge  baldigst  zu  den  alltäglichen  Eingriffen  gezählt  werden  wird. 
P  Herescu:  Ueber  Nephrektomie.  (Ibidem.) 

Vortr.  gibt  eine  Statistik  seiner  persönlichen  Nierenexstir- 
patienen.  Auf  einer  Anzahl  von  131  Operationen  waren  18  Todes¬ 
fälle  zu  verzeichnen,  was  einer  Sterblichkeit  von  13  Proz.  entspricht 
und  zwar:  Nierentuberkulose  62  Fälle  —  8  Tote;  Pyelonephritis 
unbekannten  Ursprunges  11  Fälle  —  1  Toter;  Pyelonephritis  calculosa 
40  Fälle  —  4  Tote;  Karzinom  11  Fälle  —  4  Tote;  Nierensklerose 

7  Fälle  _  1  Toter.  Bei  malignen  Neubildungen  ist  das  operative 

Resultat,  wie  Vortr.  schon  im  Jahre  1899  in  seiner  Inauguraldisser¬ 
tation  hervorgehoben  hat,  in  umgekehrtem  Verhältnisse  zur  Leichtig¬ 
keit  der  Diagnose,  d.  h.  je  leichter  die  Feststellung  eines  renalen 
Tumors  ist,  desto  schlechter  wird  der  unmittelbare  und  spätere 
operative  Erfolg  sein.  In  ähnlicher  Weise  kann  auch  bezüglich  der 
Nierentuberkulose  gesagt  werden,  dass  man  gute  Erfolge  nur  von 
einer  frühzeitigen  Diagnose  und  ebensolchem  operativem  Lingritte 

erwarten  kann.  ,  u  *  ,  ,  „ 

Mit  Bezug  auf  die  Operationstechnik  empfiehlt  H.  folgenden 
Modus  der  Stielversorgung.  Der  Stiel  wird  mittels  einer  Klemme 
abgeschnürt  und  eine  Katgutschlingc  zwischen  Klemme  und  Aorta 
durchgeführt,  geknotet,  aber  nicht  zusammengezogen.  Hierauf  werden 
die  Nierengefässe  abgebunden  und  abgeschnitten,  und  endlich,  vor 
Abnahme  der  Klemme,  die  hinter  derselben  liegende  Schlinge  von 
einem  Assistenten  fest  zusammengezogen.  Auf  diese  Weise  ist  man 
sicher  weder  unmittelbar,  noch  später  Blutungen  auftreten  zu  sehen. 

C  1  Par  hon  und  G.  Zugravu:  Untersuchungen  über  das 
Gewicht  der  Genitaldrüsen  bei  Geisteskranken.  (Ibidem.) 


Die  Verfasser  haben  bei  mehr  als  200  Geisteskranken  beiderlei 
Geschlechtes  das  Gewicht  der  Sexualdrüsen  untersucht  und  folgende 
7iffern  gefunden-  mittleres  Gewicht  beider  Hoden:  Alkoholiker  44  g 
9 • aÄtfSne Paralyse  40  k  86;  Epilepsie  39  E  4:  B  ödsinn  32 
Geistesverwirrung  32  g:  Pelagra  31  g  92:  Dementia  praecox  29  g 
54-  letztere  Ziffer  stimmt  mit  der  Annahme  überein,  dass  es  sich  in 
der  Pathogeiiie  der  Dementia  praecox  um  eine  Störung  in  den  (lemtal- 

dfUS  BeziigheTi'  der  Gewichtsverhältnisse  beider  Ovarien  ist  folgendes 
gefunden  worden:  Epilepsie  13  g;  allgemeine  Paralyse  9  g  10;  De¬ 
mentia  praecox  7  g  58:  Dementia  senilis  7  g  50;  Geistesverwirrung 

7  g;  Alkoholismus  6  g.  ,  _  ... 

C  I  Parhon,  Gh.  Dumitrescu  und  Gh.  Z  u  g  rav  u .  Inter- 

suchungen  über  die  physiologische  und  therapeutische  Wirkung  der 

Lipoide  der  Genitaldrüsen.  (Ibidem.) 

Die  Verabreichung  von  Eierstocklipoiden  in  subkutanen  Ein¬ 
spritzungen  oder  per  os,  kann  bei  amenorrhoischen  Frauen  das  Aui- 
t^cten  der  Menstruation  resp.  eine  frühzeitige  Menstruation,  falls  die- 
selbe  bereits  bestanden  hat,  bewirken,  endlich  die  öfters  die  Men¬ 
struation  begleitenden  Schmerzen  verschwinden  machen.  Falls  der 
menstruale  Abfluss  aus  irgend  welchem  Grunde  behindert  ist,  kann 
man  hierauf  das  Erscheinen  von  Nachblutungen  beobachten.  Die 
Eierstocklipoide  ergeben  sehr  gute  Resultate  bei  allen  nervösen, 
durch  Eierstockinsuffizienz  bewirkten  Störungen.  Der  Lierstock  ist 
also  die  Drüse,  welche  physiologisch  das  gute  nervöse  und  affektive 

Gleichgewicht  der  Frau  unterhält.  ...  . 

C  I  Parhon  und  Maria  Parhon:  Untersuchungen  über  die 
Serumreaktion  von  A  b  d  e  r  h  a  1  d  e  n  bei  Nerven-  und  Geisteskrank¬ 
ere  ^Verfasser  haben  ihre  Untersuchungen  hauptsächlich  mit 
bezug  auf  die  Fermente  für  die  Schilddrüse  vorgenommen  und  m 
diesem  Sinne  14  Fälle  von  affektiven  Psychosen  (Manie,  Melanchoht. 
periodische  und  zirkuläre  Psychosen)  geprüft.  In  11  von  diesen  Fallen 
war  die  Reaktion  positiv.  In  einem  Falle  wurde  die  Reaktion  nach 
der  Heilung  negativ.  Es  wurde  ferner  positive  Reaktion  bei  kata¬ 
tonischer  Demenz,  in  einem  Falle  von  allgemeiner  Paralyse,  unter 
den  2  untersuchten,  sowie  auch  in  3  unter  den  untersuchten  4  Fa  en 
von  Epilepsie,  ebenso  auch  konstant  positive  Reaktion  in  4  fallen 

N  "  In  2^FäUctfvon  Poliomyelitis  war  die  Reaktion  für  Muskeln 
positiv;  in  einem  Falle  von  Myasthenie  war  dieselbe  für  ITiyreoidea. 
Parathyreoidea  und  Thymus  positiv,  für  Muskeln  intensiv  positiv, 
hingegen  vollständig  negativ  für  Hypophysis,  Nebenniere,  Pankreas. 
Plazenta  und  Lymphdrüse.  Dieses  Untersuchungen  bestätigen  die 
Rolle  der  Schilddrüse  bei  affektiven  Psychosen  und  dem  I  arkln- 
s  o  n  sehen  Syndrom.  Ferner  bestätigen  dieselben  die  klinischen  und 
anatomisch-pathologischen  Tatsachen,  welche  diesen  Drusen  euie 
Rolle  bei  Epilepsie,  Dementia  praecox  und  allgemeiner  Paralyse  zu- 
schreiben 

Bei  allen  erwähnten  Untersuchungen  wurde  die  Plazentar- 
reaktion  zur  Kontrolle  vorgenommen  und  konstant  negativ  gefunden 
C  I  Parhon  und  Maria  Parhon:  Untersuchungen  über  da 
Serumreaktion  von  Abderhalden  mit  Milchdrüse  bei  Schwan¬ 
geren  und  während  der  Laktation.  (Ibidem.)  , 

Sowohl  bei  schwangeren  Frauen,  als  auch  wahrend  der  LaK- 
tation,  ist  obige  Reaktion  positiv.  Die  gleichzeitig  P°sltl^eJ^fcX 
für  Mutterkuchen  und  Milchdrüse  wäre  ein  nu^hphes  serolog  sc 
Syndrom  für  die  Diagnose  der  Schwangerschaft.  Die  verfasse 
fanden  dieselbe  ferner  positiv  bei  postpuerperaler  Manie,  sowie  auc 
bei  einer  Kranken  mit  zirkulärer  Psychose.  Ein  16  jähriges  Madcli. 
mit  periodischer  Psychose  zeigte  eine  negative  Reaktion;  es  scnein 
also,  dass  während  der  Pubertät  keine  antimammaren  Fermente  m 
Blute  vorhanden  sind.  Die  gleiche,  bei  4  Männern  vorgenommem 
Untersuchung  ergab  konstant  negative  Resultate. 

Emil  Savini  und  Therese  Savini:  Die  Rolle  der  osten 
arthromuskulären  Dystrophie  in  der  Aetiologie  und  Pathogenese  dei 
angeborenen  Hüftgelenkluxation.  (Ibidem.) 

Es  gibt  angeborene  Luxationen  des  Hüftgelenkes,  welche  gleiui 
zeitig  mit  einer  allgemeinen  Dystrophie  einhergehen;  so  findet  ma» 
bei  den  betreffenden  Kindern  einen  auffallend  grazilen  Skelettbau 
schwächliche  Muskulatur,  myopathischen  Gesichtsausdruck,  schwacm 
Reflexe,  die  mechanische  und  elektrische  Erregbarkeit  der  Muskii 
herabgesetzt  bei  gleichzeitig  negativer  Entartungsrcaktion  etc.  au 
fallend  ist  ferner  die  leichte  Brüchigkeit  der  Knochen  und  die  Schlat 
heit  der  Gelenkkapseln,  derart,  dass  z.  B.  das  dorsale  Ende  c! 
Finger  mit  der  dorsalen  Fläche  des  Metakarpus  in  Kontakt  gebrav 

werden  kann.  .  ,  .,  ,  ,.  Pr, 

Die  Kenntnis  dieser  Umstände  ist  von  Wichtigkeit,  da  die  r r 
gnose  bei  diesen  Fällen  eine  viel  schlechtere  ist,  als  bei  jenen  onn 
osteo-arthromuskulärer  Dystrophie,  indem  selbst  nach  einer  sen, 
guten  Reduktion  die  funktionellen  Resultate  sehr  mittelmassig  blerw 
eben  infolge  der  Schlaffheit  der  Gelenkkapsel,  der  mangelhaften  rn 
Wicklung  der  Gelenkflächen  und  allgemeinen  Muskelschwäche. 

N.  C.  Paulesco:  Wirkungen  künstlicher  Tumoren  der  nyp 
physis!  (Revista  stiintzelor  med.  1914  Nr.  1.) 

Der  Verfasser  hat  bei  jungen  Hunden  durch  temporale  irep. 
nation  den  Schädel  geöffnet  und  hinter  die  Hypophysis  ein  btuej 
dien  trockener,  sterilisierter  Laminaria  eingeführt.  Dieselbe  Qui 
auf  und  wird  nahezu  haselnussgross,  wodurch  einigermassen  e 
Tumor  der  Schädelbasis,  welcher  auf  die  Zirbeldrüse  drucken  wura 


1.  August  1914.  _  _  MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


achgeahmt  wird.  Von  den  betreffenden  Hunden  hat  der  eine  nach 
er  Operation  45,  ein  anderer  265  Tage  gelebt  und  es  hat  sich  ge¬ 
eist»  'Jass  der  erwähnte  Eingriff  keine  abnorme  Vergrösserung  des 
kelettes  und  keine  Veränderungen  an  der  Schnauze  und  den  Ex- 
eniitäten  (Akromegalie)  bewirkt.  (Schluss  folgt.) 

Inauguraldissertationen. 

_  Universität  Freiburg  i.  Br.  Juli  1914. 

orrmann  Käthe:  Die  Verwendbarkeit  der  Eestalkols  als  Des- 
infiziens  für  die  Hebammenpraxis. 

assencamp  Ludwig:  Untersuchungen  über  die  kombinierte  Wir¬ 
kung  von  Metallsalzen  und  Farbstoffen. 

ermann  Franz:  Zur  Kasuistik  der  Beziehungen  zwischen  Gallen¬ 
blase  und  dem  weiblichen  Genitale. 

umpert  Wilhelm:  Neuere  Erfahrungen  über  hohe  und  tiefe  Extra- 
duralanästhesien  aus  der  Freiburger  Universitäts-Frauenklinik, 
raus  August  Georg:  Die  1  herapie  der  klimakterischen  Ausfalls¬ 
erscheinungen. 

ink  Georg:  Ueber  Hydrops  congenitus  bei  fetaler  Thrombose, 
ai  er  Markus:  Untersuchungen  über  Eisengehalt,  Hämoglobin  und 
Blutkörperchenvolumen  bei  geburtshilflichen  und  gynäkologischen 
Patientinnen. 

ppenheimer  Ernst:  Zur  Frage  der  Fixation  der  Digitaliskörper 
im  tierischen  Organismus  und  besonders  deren  Verhalten  zum  Blut 
oth  Johann:  Beitrag  zur  H  i  r  s  c  h  s  p  r  u  n  g  sehen  Krankheit, 
chunke  Ernst:  Beiträge  zur  chirurgischen  Behandlung  der 
Lungentuberkulose  mittels  der  Wilmsschen  Thorakoplastik. 
ild  Robert:  Die  Thermopenetration  in  der  Gynäkologie. 

Universität  Leipzig.  Juli  1914. 
rie  Fritz:  Ueber  die  Thrombose  der  Pfortader, 
rinkmann  Johannes:  Die  apokryphen  üesundheitsregeln  des 
Aristoteles  für  Alexander  den  Grossen  in  der  Uebersetzung  des 
Johann  von  Toledo. 

resslcr  Alfred:  Beitrag  zur  Kasuistik  der  Syringomyelie, 
issen  Otto:  Die  Heilungsergebnisse  der  frischen  Dammrisse 
III.  Grades. 

Oiultze  Hermann:  Beitrag  zur  Frage  der  künstlichen  Tuben¬ 
sterilisation  der  Frau. 

1 1  e  r  Johannes:  Das  „bedennckhen  Wiirttembergischer  Physi- 
corum“  betreffend  die  Holzkur  für  Herzog  Christoph. 

I.n  ecke  Fritz:  Ueber  die  medianen  Dermoidzysten  der  Nase. 
Lhmann  Friedrich:  Ueber  die  Bedeutung  des  Traumas  für  die 
Entstehung  von  Aortenaneurysmen, 
larkull  Friedrich:  Ueber  Meningitis.  Nach  subkutanen  Ver¬ 
letzungen  des  Schädels  und  der  Wirbelsäule. 

' ütterlein  Arthur:  Ein  Fall  von  Lymphangioma  cysticum  des 
Lides. 

hneider  Johannes:  Ueber  einige  an  der  medizinischen  Klinik 
in  Leipzig  beobachtete  Nebenerscheinungen  der  Salvarsaninjektion 
(Wasserfehler,  Herpes  zoster,  Thrombose). 

■  hürmann  Wilhelm:  Hautsteine. 

‘ahle  Paul:  Ueber  2  Fälle  von  „Chlorakne“, 
n  z  e  1  m  a  n  n  Willy:  Ueber  einen  Fall  von  Pyozyaneussepsis  beim 
..rwachsenen  nebst  Untersuchungen  über  die  Verbreitung  des 
Bacillus  pyocyaneus  in  der  Leiche. 

ugebauer  Engelbert:  Die  physiologischen  Engen  des  Ver¬ 
dauungstraktes  und  ihr  Verhalten  Fremdkörpern  gegenüber, 
■chter  Rudolf:  Ueber  Volvulus  ventriculi  bei  Sanduhrmagen. 

■  meik  Karl:  Ueber  traumatische,  motorische  Aphasie. 

rüver  Friedrich:  Ueber  Blutregeneration  nach  blutendem  Magen¬ 
geschwür. 

igön  Valentin:  Ueber  die  Skoliose. 

■  lker  Arnold:  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Chondrodystrophia 

icetalis. 

erner  Alfred:  Beitrag  zur  Kenntnis  der  kutanen  Schädigungen 

durch  Gifte. 

Universität  Würzburg.  Juli  1914. 

'  i  e  r  Selig:  Untersuchungen  zur  Resorption  und  Assimilation  tief 
abgebauter  Proteine  im  tierischen  und  menschlichen  Organismus 
’ei  künstlicher  Verfütterung  per  rectum;  zugleich  ein  kritischer 
Beitrag  zur  Frage  der  Eiweissnährklysmen  im  allgemeinen. 

:  mo  Peter:  Ueber  Luminal. 

ii  \  Jean  Jacques  Ulrich:  500  Fälle  von  Lumbalanästhesie  an  der 
-\  urzburger  Kgl  Universitäts-Frauenklinik, 
ssauer  Joseph:  Ueber  die  Heilung  der  Bauchfelltuberkulose  bei 
konservativer  Behandlung. 

1  e .!  Ferdinand:  Ueber  Carcinoma  corporis  uteri  mit  spezieller 
Berücksichtigung  seiner  Kombination  mit  Myomatosis  uteri. 

1  a  m  e  r  Martin:  Aktinomykose  der  oberen  Luft-  und  Speisewege, 
nit  besonderer  Berücksichtigung  der  Speicheldrüsen. 

1 1 z  Georg:  Ueber  totale  Darmausschaltung, 
rn  a  n  n  Anton:  Geschichte  der  Physiologie  und  Pathologie  des 
nenschlichen  Blutes. 

ttmaier  Jean:  Die  therapeutische  Verwendung  der  Anilin- 

arbstoffe 

so  ws  k  y  Josef:  Ueber  pathologische  subokzipitale  und  prä- 

akrale  Luxation. 


Vereins-  und  Kongressberichte. 

Gesellschaft-  für  Natur-  und  Heilkunde  zu  Dresden. 

(Offizielles  Protokoll.) 

XXIV.  Sitzung  vom  28.  März  1914. 

Vorsitzender:  Herr  G  e  1  b  k  e. 

Tagesordnung: 

Herr  Schümann:  Ueber  die  operative  Behandlung  der  Herz¬ 
verletzungen.  (Siehe  reldärztliche  Beilage.) 

Herr  Vogt:  Ueber  subkutane  Symphyseotomie. 

Mit  der  Einführung  der  subkutanen  Symphyseotomie  in  die 
1  herapie  des  engen  Beckens  durch  Fritz  Frank  in  Köln  im  Jahre 
19U8  kam  eine  neue  Methode  der  Beckenspaltung  in  Aufnahme,  die 
schon  in  der  alten  oftenen  Symphyseotomie  ihre  Vorläufer  hat.  Es 
ist  merkwürdig,  dass  die  Frank  sehe  Operation  trotz  ihrer  ein¬ 
fachen  i  echnik  und  sehr  zufriedenstellenden  Resultate  für  Mutter  und 
Kind  sich  bis  jetzt  noch  nicht  allgemeiner  Anwendung  erfreuen  darf. 
Die  Hauptgründe  mögen  die  sein,  dass  man  noch  allzusehr  von  den 
schlechten  Erfahrungen  der  Hebosteotomie  durchdrungen  ist  und  dass 
die  letzten  Jahre  ganz  unter  dem  Einfluss  des  extraperitonealen  resp. 
zervikalen  Kaiserschnittes  standen. 

Frank  hat  die  subkutane  Symphyseotomie  in  140  Fällen, 

P  f  e  r  b  e  r  g  in  40  Fällen  und  wir  haben  sie  im  ganzen  in  29 
Fällen,  darunter  3  mal  in  der  Poliklinik,  ausgeführt.  Ueber  die  ersten 
10  Fälle  von  subkutaner  Symphyseotomie,  die  an  der  Dresdener 
Erauenklinik  ausgeführt  wurden  und  in  denen  Mutter  wie  Kind  in 
bestem  Wohlbefinden  die  Klinik  verlassen  haben,  hat  E.  Kehrer 
vor  2  Jahren  in  der  gynäkologischen  Gesellschaft  zu  Dresden  be- 
richtet.  Fleute  kann  Vogt  über  29  Fälle  von  subkutaner  Symphyseo- 
tomie,  die  in  der  Klinik  und  Poliklinik  vorgenommen  wurden,  Be¬ 
richt  erstatten.  Die  wichtigsteren  Punkte  der  Operation  sind  folgende: 

Was  den  Grad  der  Beckenverengerung  betrifft,  in  denen  die 
Operation  ausgeführt  wurde,  so  handelte  es  sich  7  mal  um  eine 
Beckenverengerung  3.  Grades,  22  mal  noch  um  eine  solche  2.  Grades. 

V.  erinnert  daran,  dass  man  von  Beckenverengerung  1.  Grades 
dann  spricht,  wenn  die  C.  vera  obst.  die  kürzeste.  Entfernung  vom 
Promontorium  zum  vorspringendsten  Teil  des  Symphysenknorpels, 
weniger  als  11,  wie  in  der  Norm  und  über  9,0  cm  misst,  Beckenver¬ 
engerung  2.  Grades  umfasst  9,0— 7,5  cm,  3.  Grades  7,5— 5,5  cm  und 
4.  Grades  unter  5,5  cm. 

In  der  Mehrzahl  der  Fälle  handelte  es  sich  um  die  in  Sachsen 
häufigste  Form  des  engen  Beckens,  das  plattrhachitische  Becken  oder 
das  allgemein  verengte  plattrhachitische  Becken,  also  um  Becken,  die 
im  Eingang  im  wesentlichen  verengt  sind. 

Auch  bei  der  subkutanen  Symphyseotomie  ist  die  alte,  bei  den 
Beckenspaltungen  so  oft  diskutierte  Frage,  ob  man  sie  auf  Mehr¬ 
gebärende  beschränken  oder  auch  bei  I.-para  anwenden  soll,  aus¬ 
gebrochen.  Diese  Frage  ist  nicht  müssig,  ihre  Beantwortung  vielmehr 
von  der  grössten  Bedeutung.  Wissen  wir  doch  aus  der  ganzen  Ent¬ 
wicklung  der  alten  offenen  Symphyseotomie  und  Hebosteotomie  und 
auch  der  subkutanen  Hebosteotomie,  dass  dann,  wenn  die  Becken¬ 
spaltung  bei  enger  Vagina  zur  Ausführung  kommt,  teils  bei  der  folgen¬ 
den  Spontangeburt  und  vor  allem  bei  der  folgenden  operativen  Ent¬ 
bindung  event.  Risse  der  Vagina  sich  in  das  die  vorderen  Becken¬ 
knochen  umgebende  Beckengewebe  fortsetzen  können  und  die  unver¬ 
meidliche  Folge  davon  muss  sein,  dass  diese  breiten,  mit  dem  bak¬ 
terienhaltigen  Vaginallumen  in  Verbindung  stehenden  Wunden  zur 
Infektion  und  Vereiterung  kommen.  Schwere  Gefahren  aber  drohen 
dann  in  solchen  Fällen:  Die  Pyämie  und  Sepsis  und  im  günstigsten 
Fall  das  auf  das  Beckenbindegewebe  lokalisierte  Exsudt.  Diese  Ge¬ 
sichtspunkte  wohl  erwägend,  wurde  nur  2  mal  unter  den  28  Fällen  bei 
I.-para  die  subkutane  Symphyseotomie  ausgeführt.  Beide  Male  war 
die  Scheide  ziemlich  weit,  eine  Spontangeburt  durfte  nach  der 
Beckendurchschneidung  erwartet  werden. 

Auf  das  Abwarten  der  Spontangeburt,  wie  es  Zweifel  immer 
und  immer  wieder  betont  hat,  ist  der  grösste  Wert  zu  legen.  In 
29  Fällen  kam  es  18  mal  nach  der  Operation  zur  Spontangeburt- 
11  mal  musste  operativ  die  Geburt  selbst  im  Interesse  des  Kindes  be¬ 
endet  werden.  Aber  jede  Zange,  jede  Extraktion  am  Beckenende, 
jede  Wendung,  die  nach  der  Beckendurchschneidung  ausgeführt  wird 
bringt  die  Gefahr  der  mit  der  Knochen-  und  Knorpelwunde  im  Zu¬ 
sammenhang  stehenden  Weichteilverletzung  mit  sich.  Fast  alle 
Nebenverletzungen  lassen  sich  aber  durch  Abwarten  der  Spontan¬ 
geburt  nach  der  Beckenspaltung  vermeiden  unter  der  Voraussetzung, 
dass  die  Operation  selbst  technisch  einwandfrei  ausgeführt  wurde. 

Notwendig  zur  Spontangeburt  ist  in  erster  Linie  eine  gute  Wehen¬ 
tätigkeit.  Diese  wird  aber  durch  die  intramuskuläre  Injektion  von 
Pituitrin  so  gut  wie  stets  herbeigeführt.  Man  geht  daher  immer 
so  vor,  dass  man  sofort  nach  der  Durchschneidung  der  Symphyse 
noch  auf  dem  Operationstisch  2  Ampullen  Pituitrin  oder  2  Ampullen 
Pituglandol  oder  dergl.  intramuskulär  injiziert;  nach  3  Minuten  ist  die 
Pituitrin  Wirkung  zu  beobachten;  man  überzeugt  sich  durch  vaginale 
Untersuchung  der  noch  auf  dem  Operationstisch  befindlichen  Frau, 
ob  der  Kopf  sich  günstiger  im  Beckeneingang  einstellt,  ob  sich  z.  13. 
die  Hinter-  oder  Vorderschcitelbeineinstellung  korrigiert,  ob  der  Kopi 
ins  Becken  eintritt  und  im  Beckenkanal  herabrückt.  Erst  wenn  man 
sich  davon  mit  Sicherheit  überzeugt  hat  und  damit  auch  praktisch  die 


1790 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  3. 


stets  drohende  grosse  Gefahr  des  Nabelschnurvorfalles  ausgeschlossen 
hat  bringt  man  die  Frau  in  das  Kreissbett  zurück. 

Es  vergingen  als  Minimum  5  Minuten  bei  einer  IIL-para  bis  zur 
Geburt  eines  Kindes  von  50  cm  Länge  und  2900  g  Gewicht;  als 
Maximum  4  Stunden  40  Minuten  nach  der  Operation  bis  zur  Geburt 
des  Kindes;  hier  handelte  es  sich  aber  um  eine  I-para  mit  straffen 
Weichteilen,  die  dem  Vorrücken  des  Kopfes  noch  grosseren  Wider¬ 
stand  entgegensetzten,  obwohl  vorher  zur  Erweiterung  der  Kolp- 
eurynter  eingelegt  worden  war. 

Nur  durch  diese  streng  exspektative  Geburtsleitung  ist  es  möglich, 
so  gut  wie  immer  Nebenverletzungen  zu  vermeiden  und  man  dart 
wohl  sagen,  dass  der  Wert  einer  geburtshilflichen  Operation  sehr 
wesentlich  von  der  Vermeidung  von  Nebenverletzungen  abhangt. 
Freilich  lassen  sich  nicht  alle  Verletzungen  bei  der  Symphyseotomie 
ausschliessen.  Die  Möglichkeit  einer  Blutung  mit  folgender  Hamatom- 
bildung  ist  auch  bei  der  subkutanen  Symphyseotomie  gegeben.  Die 
Blutung  ist  fast  ausschliesslich  venösen  Ursprungs,  da  bei  dem  Ein¬ 
schnitt  in  der  Mittellinie  so  gut  wie  keine  grösseren  arteriellen  Aeste 
durchtrennt  werden.  Das  Hämatom  entwickelt  sich  zunächst  unter 
dem  Mons  Veneris  und  präsymphysär,  um  nach  kurzer  Zeit  sich  in 
die  oberen  Partien  der  grossen  Labien  zu  senken  und  hier  durch 
Anschwellung  sich  bemerkbar  zu  machen.  Aber  die  Blutung  war 
meist  gering  und  konnte  durch  einfache  Kompression  gestillt  werden. 
Beängstigende  Blutungen,  wie  man  sie  nach  der  subkutanen  Hebosteo¬ 
tomie  nicht  selten  erlebt  hat,  hat  V  o  g  t  und  auch  F  r  ank  und 
Kupferberg  nie  gesehen.  Eine  stärkere  Blutung  tritt  nur  dann 
auf  wenn  die  Corpora  cavernosa  clit.  angeschnitten  werden  oder 
wenn  sie  bei  zu  plötzlichem  Auseinanderweichen  der  Symphyse  ent¬ 
rissen.  Wie  sich  neuerdings  auch  diese  Komplikation  der  Hamatom- 
bildung  aus  den  Corpora  cavernosa  clit.  durch  Modifikation  der 
Technik  vermeiden  lässt,  soll  später  ausgeführt  werden. 

Mit  Sicherheit  darf  man  sagen,  dass  Blasen-  und  Urethralver¬ 
letzungen  bei  der  Symphyseotomie  so  gut  wie  nie  Vorkommen  können. 
Das  will  sehr  viel  bezeugen,  wenn  wir  die  grosse  Zahl  der  Blasen¬ 
urethraverletzungen  berücksichtigen,  die  nach  der  Hebosteotonne 
veröffentlicht  wurden.  So  kamen  z.  B.  nach  der  Zusammenstellung 
von  Schläfli  unter  700  Hebosteotomien  63  mal  =  9  Proz.  Blasen¬ 
verletzungen  vor,  während  Frank  und  Kupferberg  niemals  eine 
Verletzung  der  Harnröhre  oder  Blase  sahen;  auch  in  den  29  Fallen 
hat  V.  keine  Verletzungen  von  Harnröhre  und  Blase  gesehen. 

Auch  diejenigen  Blaseneinrisse,  die  durch  zu  starke  Querspannung 
früher  bei  der  Hebosteotomie  bei  l.-para  zustande  kamen,  sind  bei 
der  subkutanen  Symphyseotomie  noch  nicht  beobachtet.  Auch  Ein- 
klemmungen  der  Blase  in  die  operativ  gesetzte  Lücke  der  vorderen 
Beckenwand  sind  bei  der  Symphyseotomie  nicht  zu  furchten.  Wir 
haben  eben  hier  weiche  Knorpelränder  und  keine  scharfen  Knochen¬ 
enden  wie  bei  dem  seitlichen  Beckenschnitt.  , 

Wenn  man  nicht  ganz  vorsichtig  bei  der  Durchtrennung  der 
oberen  Symphyse  arbeitet,  so  liegt  auch  eine  Eröffnung  des  Peri- 
toneums  im  Bereich  der  Möglichkeit.  Durch  die  prinzipielle  Ver¬ 
wendung  eines  geknöpften  Messers  kann  man  sich  sehr  wohl  vor 
einer  Verletzung  des  Bauchfelles  schützen.  ...... 

Die  vorderen  und  hinteren  Verstärkungsbänder  der  Articulatio 
sacro  iliaca  können  nur  dann  einreissen,  wenn  die  Symphyse  nach 
der  Operation  zu  weit  klafft,  der  Spalt  darf  höchstens  3—4  cm  be¬ 
tragen.  so  dass  man  bequem  einen  Finger  einlegen  kann. 

Da  das  Abwarten  der  Spontangeburt  nur  möglich  ist,  wenn  sich 
der  Kopf  günstig  einstellt  und  wenn  keine  Nabelschnur  vorliegt,  oder 
vorgefallen  ist,  so  ist  noch  darüber  Rechenschaft  zu  geben,  warum  in 
den  11  von  den  29  Fällen  nicht  die  Spontangeburt  abgewartet  wurde, 
sondern  die  Geburt  operativ  beendet  wurde. 

Es  handelte  sich  in  diesen  10  Fällen  3  mal  um  Kopfschieflage  mit 
vorliegender  Nabelschnur  bei  stehender  Blase,  1  mal  um  Kopfschief- 
lage  mit  Armvorfall,  2  mal  um  Steisslage,  1  mal  um  eine  Querlage, 
welche  die  Wendung  indizierte.  In  einem  Falle  freilich  war  die  Ope¬ 
ration,  Wendung  und  Extraktion  nicht  streng  indiziert;  es  handelte 
sich  um  einen  unserer  ersten  Fälle.  Einmal  wurde  im  Interesse  des 
Kindes  wegen  Schlechterwerden  der  kindlichen  Herztöne  sofort  die 
Geburt  durch  Wendung  beendet  und  zweimal  aus  gleicher  Indikation 
die  Zange  im  Interesse  des  Kindes  ausgeführt.  Beide  Male  stand  der 
tiefste  Punkt  des  Kopfes  in  der  Ebene  der  B.- Weite;  der  Kopf  war 
also  mindestens  zur  Hälfte  gleich  nach  der  Symphysiotomie  ins 
Becken  eingetreten,  aber  die  Pfeilnaht  stand  quer,  ln  nicht  weniger 
als  4  Fällen  konnte  die  Beobachtung  gemacht  werden,  dass  der  Kopf 
mit  querstehender  Pfeilnaht  das  ganze  Becken  passierte  und  von 
diesen  beiden  Fällen,  von  Zange  abgesehen,  ausserdem  4  mal  im 
tiefen  Querstand  auf  den  Beckenboden  gelangte  und  4  mal  in  diesem 

Wie  steht  es  nun  mit  den  Erfolgen  der  subkutanen  Symphyseo¬ 
tomie  für  das  Kind?  Es  ist  klar,  dass  bei  einer  beckenspaltenden 
Operation  das  Kind  lebend  zur  Welt  kommen  soll,  da  ja  die  Opera¬ 
tion  nur  im  Interesse  des  Kindes  ausgeführt  wird.  Auf  die  29  Fälle 
kommen  leider  3  =  10  Proz.  tote  Kinder.  Kupferberg  hat  bei 
40  Fällen  5  tote  Kinder  =  11.5  Proz.  Frank  hat  nach  den  An¬ 
gaben  die  er  auf  dem  Londoner  Kongress  machte,  auf  117  Falle 
(28  1 -para  +  89  Mehrgebärende)  11  tote  Kinder  —  9,3  Proz.  Die 
Todesfälle  sind  aber  der  Beckendurchschneidung  als  solcher  sicher 
nicht  zur  Last  zu  legen,  sondern  auf  ganz  besonders  unglückliche 
Zufälle  zurückzuführen.  Im  ersten  der  drei  Fälle  konnte  nach  der 


Symphyseotomie  die  Spontangeburt  deswegen  nicht  abgewartet  wer 
den  weil  sich  die  Herztöne  plötzlich  sehr  verschlechterten;  es  musst 
momentan  die  Wendung  ausgeführt  werden;  trotzdem  war  das  Km 
nicht  mehr  zu  retten,  denn  die  Nabelschnur  war  einmal  sehr  fest  ui 
den  Hals  geschlungen  und  nur  41cm  lang.  Das  plötzliche  Absterbe 
des  Kindes  war  also  durch  Kompression  der  Nabelschnur  im  Augei 
blick  des  Kopfeintrittes  ins  Becken  entstanden  und  wäre  ohne  alle 
Zweifel  in  diesem  Falle  auch  bei  der  Spontangeburt  erfolgt.  Lenk 
besitzt  man  kein  absolut  sicheres  Zeichen,  um  die  Nabuschnurun'« 
schlingung  stets  rechtzeitig  zu  diagnostizieren. 

Im  2.  Fall,  in  dem  das  Kind  tot  zur  Welt  kam,  lagen  ganz  di« 
selben  Verhältnisse  vor.  Auch  hier  wurden  bald  nach  beendet« 
Operation  als  der  Kopf  tiefer  trat,  die  Herztöne  ganz  plotzlu 
schlecht  wodurch  sich  eine  möglichst  schnelle  Entbindung  notwend 
machte  Durch  Anlegen  der  hohen  Zange  wurde  das  Kind  in  wenige 
Sekunden  spielend  leicht  entwickelt;  die  Nabelschnur  war  zweim 
fest  um  den  Hals  gewickelt;  das  schwer  asphyktische  Kind  konn 
trotz  aller  Wiederbelebungsversuche  nicht  mehr  gerettet  werden. 

Im  3.  Fall  war  bei  einer  Vlll.-para,  die  schon  2  Lage  kreisst 
bei  Hinterscheitelbeineinstellung  und  absoluter  Gebärunmöghchkt 
die  subkutane  Symphyseotomie  ausgeführt  worden.  Schon  v 
der  Operation  war  notiert  worden,  dass  die  Herztone  oft«, 
wechselten  und  dass  reichlich  Mekonium  abging;  als  dann  na« 
der  Operation  Pituitrin  gegeben  wurde,  verschlechterten  si« 
die  Herztöne  und  trotz  sofortiger  Zangenanlegung  kam  das  Kr 
schwer  asphyktisch  zur  Welt  und  konnte  nicht  wiederbelebt  '.ul 
den.  Es  wurde  eine  Atelektase  der  rechten  Lunge  vermutet,  w 
bei  den  Wiederbelebungsversuchen  auffiel,  dass  bei  den  schnappe 
den  Atembewegungen  des  Kindes  nur  stets  die  linke  Lunge  autgt.  i. 
wurde  und  die  linke  Thoraxhälfte  sich  vorwolbte,  wahrend  i 
rechte  Thoraxhälfte  sich  nicht  ausdehnte.  Bei  der  Sektion  fand  si 
in  der  Tat  eine  primäre  Atelektase  der  ganzen  rechten  Lunge 
Streng  genommen  haben  wir  also  eine  kindliche  Mortalität  v 
3.  90  =  |Q  3  proz.  (vgl.  Frank  und  Kupferberg)  unu  V.  nun 
an  dass  keiner  dieser  3  Fälle  der  Operation  zur  Last  zu  legen  1 
dass  alle  3  Kinder  auch  nach  jeder  Spontangeburt  sicher  ab» 
storben  wären.  Würde  man  das  berücksichtigen,  so  entspräche  cf 

C * 11 C "n  och" *v  i i e  1& weniger  wkTdas  Kind  darf  durch  die  Operation  sei 
die  Mutter  in  Gefahr  kommen.  Die  Gefahren,  die  ev.  der  Mut 
drohen  könnten,  sind,  ganz  allgemein  gesagt  die  der  Blutung  1] 
Infektion,  der  Thrombose  und  Embolie.  Die  Mortalität  für  die  Mut 
beträgt  in  unseren  Fällen  bis  jetzt  0  Proz.  F  r  a  n  k  ’ veHor  \| 
117  Fällen  eine  Mutter  an  Pelveoperitomtis;  Kupferberg  un 
40  Fällen  eine  Frau  an  Sepsis,  die  trotz  des  Fiebers  operiert  wur 

Wie  verhält  sich  nun  die  Morbidität  im  Wochenbett.' ’  Fra 
sah  ganz  glatten  fieberfreien  Verlauf  in  seinen  140  Fallen  37  il 

—  38  Proz  •  bei  den  29  Fällen  war  das  Wochenbett  13  mal,  d.  lu 

44  Proz.,  fieberhaft  gestört;  in  %  der  Fälle  kam  es  zu  einem  Oedi 
der  kleinen  Labien.  Da  das  Oedein  stets  nach  einigen  Tagen  0. 
Behandlung  verschwindet,  kommt  ihm  keine  weitere  praktische 
deutung  zu.  .. 

Thrombosen,  fortgeleitet  von  einem  präsymphysaren  Hamau 
resp  einer  Thrombenbildung  aus  eröffneten  Aesten  der  V.  circi- 
flexa  femoris  media,  der  V.  obturatoria,  der  V.  pudenta  exte 
kommen  bisweilen  vor.  Unter  den  ersten  10  Fa  len  von  E.  Kehl 
3  Thrombosen  =  30  Proz.;  jetzt  in  unseren  weiteren  18  Fallen  d 

—  22  Proz.  Infolge  des  Hämatoms  kommt  es  durch  Resorption  hai 
im  Wochenbett  zu  leichten  Temperatursteigerungen;  das  Fieber- 

.  .  ...  tt  .. mit  oeHrntinTl 


im  VV  UCI1CIIUCU.  1U  iwu.«vu  ‘  - - - -  7  D.cnrnKnn  ( 

aber  nicht  infektiösen  Ursprunges,  sondern  nur  auf  die  Resorption 
Blutergusses  zurückzuführen.  Die  meisten  Fälle  waren  auch  bis 
Operation  nur  rektal  untersucht.  Embolien  wurden  bisher  nie* 
weder  von  Frank  noch  von  Kupferberg  oder  uns  —  gese  c 
das  scheint  übrigens  bei  dem  nicht  geringen  Prozentsatz  von  -3  t 

sehr  bemerkenswert.  ,  .  .  . 

Um  die  postoperative  Thrombose  zu  vermeiden,  wird  bei  • 
Operation  jetzt  nach  einer  ganz  bestimmten,  nachher  zu  besprec 
den  Technik  verfahren,  auch  lässt  man  die  Frauen  prophylakt 
schon  am  3.  oder  4.  Täg  aufstehen.  Die  Gehfähigkeit  wird  in  kej 
Weise  gestört.  Die  Frauen  konnten  schon  bei  der  Entlassung 
auf  einem  Bein  stehen  und  zu  Hause  brauchten  sie  sich  in  K« 
Weise  Schonung  auferlegen.  Eine  Embolie  kam  bis  jetzt  nicht 

Wie  die  Prognose  der  späteren  Geburten  ist,  darüber  besitz 
noch  keine  Erfahrungen;  die  Beobachtungszeit  ist  dafür  zu  k 
Zweifelt  aber,  dass  eine  spätere  Entbindung  leichter  sein  wird, 
das  Becken  bei  der  Symphysiotomie  etwas  auseinanderweicht.  ‘ 
Knorpelwunde  pflegt  durch  Synchondrose,  aber  auch  durch  oy» 
mose  zu  heilen.  In  unseren  Fällen  wurde  bei  der  Nachuntersuc. 
meist  eine  Synchondrose  festgestellt;  die  Symphyse  hat  wieder  • 
normale  Festigkeit  und  der  vordere  Beckenhalbring  war  fest  Kon 
diert;  denn  der  Knorpel,  der  ursprünglich  3 — 4  cm  breit  ist,  schrin 
wie  jede  Narbe,  allmählich  wieder  zusammen,  aber  mindestens  d 
er  weiter  wie  früher,  wie  wir  durch  ausgedehnte  Röntgenu 
suchungen  der  symphysiotomierten  Frauen  zu  den  verschieden 
Zeiten  nach  der  Operation  feststellen  konnten. 


(Schluss  folgt.) 


11.  August  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Verein  der  Aerzte  in  Halle  a.  S. 

(Bericht  des  Vereins.) 

Sitzung  vom  14.  Januar  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Küstner. 

Schriftführer:  Herr  S  t  i  e  d  a. 

Herr  v.  Drlgalski:  Zur  Epidemiologie  der  Cholera  nach 
Erfahrungen  auf  dein  serbischen  Kriegsschauplätze.  (Mit  Licht¬ 
bildern.)  (An  anderer  Stelle  veröffentlicht.) 

Sitzung  vom  28.  Januar  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Küstner. 

Schriftführer:  Herr  S  t  i  e  d  a. 

.  Herr...  Ant0"i  Entwicklungsstörungen,  durch  Schädelröntgen- 
bilder  erläutert.  (Erscheint  ausführlich  an  anderer  Stelle.) 

Herr  Goldstein:  Demonstration. 

Vorstellung  von  zwei  Patienten  mit  den  typischen  Symptomen 
der  Keck  lingh  aus  e  n  sehen  Krankheit:  Multiple  Neurofibrome 
der  Haut  und  1  umorbildung  an  den  tiefer  gelegenen  Nervenstämmen, 
Pigmentierungen  der  Haut  und  psychische  Störungen.  Bei  beiden 
begann  die  Erkrankung  in  der  Pubertätszeit.  Es  fanden  sich  ausser 
einer  Eosinophilie  und  Herabsetzung  des  Blutdruckes  trophische 
Knochenerkrankungen  nach  Art  der  Osteomalazie.  Bei  dem  älteren 
atienten  war  ausserdem  eine  linksseitige  Akustikuserkrankung  (zen¬ 
trale  Neurofibromatose)  und  röntgenologisch  eine  Vergrösserung  der 
sella  turcica  nachweisbar.  Bei  dem  jüngeren  Patienten  fand  sich  ein 
der  amyotroplnschen  Lateralskerosc  ähnliches  Bild,  an  den  atrophi- 
scheiiMuskeJn  der  linken  Hand  aber  myotonische  Reaktion  (sonst 
partielle  Entartungsreaktion),  ferner  mangelhafte  Behaarung,  Hypo- 
genitahsmus  und  Akromegalie,  auch  eine  Lymphozytose  im  Liquor 
cerebrospinalis.  Die  Wassermann  sehe  Reaktion  war  bei  beiden 
Lallen  negativ.  Wie  man  die  Osteomalazie  auf  eine  Dysfunktion 
er  Sexualdrusen  bezieht,  kann  man  auch  die  Veränderungen  in  den 
Nf-en  bei  der  R  e  c  k  1  i  n  g  h  a  u  s  e  n  sehen  Neurofibromatose  als 
ähnliche  und  durch  dieselbe  Ursache  bedingte  Erkrankung  ansehen 
noch  zumal  Hyper-  oder  Dysfunktion  des  Hypophysenvorderlappens 
nach  klinischer  und  experimenteller  Erfahrung  durch  Abänderung  der 
inneren  Sekretion  der  Geschlechtsdrüsen  bedingt  sein  kann. 

Sitzung  vom  25.  Februar  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Küstner. 

Schriftführer:  Herr  S  t  i  e  d  a. 

Herr  Hans  Fielitz:  Demonstrationen. 

1.  Demonstration  eines  25jähr.  Pat.,  bei  dem  im  Juni  1913  eine 
an  ~F,.  ^SIS  iie£ende  meningeale  Zyste  entfernt  wurde.  Der  Patient 
ist  völlig  beschwerdefrei.  Der  Defekt  der  ganzen  Hinterhauptschuppe 
wird  ohne  weiteres  ertragen. 

Ko  a'  Den™nstration  einer  Unterschenkelfraktur  mit  einem  Gehver- 
bande  nach  Hackenbruch.  Die  Distraktionsklammern  werden  für 
Unterschenkelbruche  in  der  Diaphyse  bei  sorgfältiger  Kontrolle  mit 
dem  Rontgenappju-at  empfohlen.  Bei  allen  anderen  Frakturen  scheinen 
-ie  besondere  Vorteile  vor  den  bisherigen  Methoden  nicht  zu  haben. 

3.  Vorstellung  eines  52 jähr.  Bäckers,  bei  dem  1911  nach  drei- 
arn  '  HCr|  ver,gebl.,chIfi:  Operation  ein  grosses  branchiogenes  Karzinom 
am  Halse  durch  Röntgenbehandlung  beseitigt  wurde.  Pat  ist  bis 

nach  Ahd  Sehlm.d /ebIiebe"'  üie  Jetzt  gemachte  Blutuntersuchung 
nach  Abderhalden  ergibt  einen  Abbau  von  Karzinom 

d  ä-S  u  Herr  v-  H‘PPeI:  Versuche.  Choroidealsarkome 

mit  Radiumbestrahlung  zu  behandeln,  sind  gemacht  worden.  Die  Be¬ 
rechtigung  derselben  erscheine  zweifelhaft,  da  die  möglichst  früh- 

ÄS  Slfi  ifiCherU"g  der  D'aCT°Se  2llr  Verm=i‘1”"*  von 

von  ^')e"ker  den  Herrn  Vortragenden,  ob  in  dem  Falle 
Ah,|Kp  1  H  n,0r.V0r  der  Operation  eine  Untersuchung  mit  dem 
„  b  d  e  [  b  a  1  d  e  n  sehen  Dialysierverfahren  auf  Abwehrfermente 

wordnenAsdaUPr°dUkte  V°"  Hirn‘  °der  Ncrvensubstailz  vorgenommen 

Diskussion  zum  Vortrag  des  Herrn  Anton:  Entwicklungs- 
Störungen.  durch  Schädelröntgenbilder  erläutert. 

an  denrVo?frnhmiiedHn:  D£r, Vortragende  berichtet  im  Anschluss 
önnS •  g  des  Herrn  Geheimrat  Anton  über  einige  Opera- 
znr  On  bl*"SSC  ai!s  dem  Qebiete  der  durch  die  Diagnose  Antons 
uher  /Fef.  L°MiekrmenenuKraIlkheitsfäIle-  Insbesondere  kann  er 

mfache,V  bei  welchen  die  Hypophysis  cerebri 
stand  Ln  F  d  b«S1f  her  fr(rlgelegt  wurde.  Einer  der  Patienten  über- 

e  niVe^  npShf1?’  derf.tw,eite  ,erlag  im  Anschluss  an  die  Entfernung 
einiger  Geschwulstpartikel  und  die  Obduktion  zeigte  einen  apfel- 

Adenom  30,6 1  entvWickelte">  -ga"z  inoperablen  Tumor  (malignes 
tomisX.?'  vPHri°(PhySe L.001".  Vortragende  schildert  genau  die  ana- 

bilder?  tn'SSeä  d'C  "J1*  ^e,n  vorher  »"gefertigten  Röntgen- 

th  nn„  !  werden,  und  schildert  den  von  Schlöffe  r  ange- 

Dhvsp  mi?f  atä°n,SWeK’  ye'cher  durch  die  Nase  hindurch  zur  Hypo- 

h esc h r i 1 1 e n  h a tt e  dC"  ^  m  den  bdden  geschilderten  Fällen  ebenfalls 

Herr^^i  ^  n  j  e  r  weist  im  Anschlüsse  an  die  Ausführungen  des 
DhvsisV„nLm  ‘  C  d  6 "  darauf  hin,  dass  für  die  Operation  der  Hypo- 
Pnysistumoren  von  den  Rhinologcn  ein  Verfahren  angegeben  sei, 


1791 


welches  durch  die  Nase  hindurch  an  die  Geschwulst  hinführe.  Der 
Vorteil  dieses  Verfahrens  gegenüber  den  fazialen  Methoden  bestehe 
einerseits  darin,  dass  eine  Kontinuitätstrennung  der  Gesichtshaut  ver- 
v,!ndnn  bernf,r  habe  aber  die  Erfahrung  gelehrt,  dass  bei  dem 

von  dem  Rhmologen  Hirsch  angegebenen  endonasalen  Vorgehen  die 
Mortalität  geringer  ist  als  bei  den  übrigen  von  den  Chirurgen  ange- 
wendeten  Methoden.  Denker  erinnert  ferner  daran,  dass  von  ihm 
eine  Methode  für  die  Operation  der  Hypophysistumoren,  die  ebenfalls 
ohne  Verletzung  der  ausseren  Haut  ausgeführt  werde,  angegeben 
u/ö  R'eser  Weg  fuhrt  vom  Munde  aus  unter  Fortnahme  der  fazialen 
Wand  des  Oberkiefers  und  der  medialen  Kieferhöhlen  wand  durch  die 
nie  n-  ?h  e  irVd.\e  Nase  und  linter  Beiseiteschiebung  resp.  Resektion 
Hnrn!!‘uLrenhT  n1  es.der  Nasenscheidewand  an  die  Keilbeinhöhle  und 
n ihi  d*me  ,hindarch  au  die  Sella  turcica  hin  und  gestattet  eine  gute 
vn,?  h  •  ht  di?S  Operationsgebietes.  Denker  glaubt  das  Verfahren 

MPtHn  I  nS  C  h  ?dtf,r  sei“  e  1  g  e  n  e  s  Vorgehen  gegenüber  den  fazialen 
Methoden  empfehlen  zu  sollen. 

.  iHer>r  V:,  HjPPe  1:  Der  Vorschlag,  die  sellare  Trepanation  auch 

dr“«keüt last^nde^  Verfahren  auszuführen,  wenn  nicht  die  direkte 
Inangriffnahme  der  Hypophyse  beabsichtigt  ist,  erscheint  wegen  der 
grosseren  Infektionsgefahr  nicht  empfehlenswert.  Dass  eine  erfolg¬ 
reiche  Drainage  nach  der  Nase  möglich  ist,  zeigen  schon  die  Fälle 

rdLnKedhlnherHfbflUSS,  T  Biquorv  aus  der  Nase  n£h  Durchbruch 
n  die  Keilbeinhohle  zustande  kam,  hierbei  wurde  regelmässig  Auf- 

horen  oder  Besserung  der  Hirndrucksymptome  beobachtet. 

„)lf  Hie  chirurgische  Behandlung  des  Turmschädels  mit  Rücksicht 

auf  das  Sehyermogen  kommt  nur  selten  in  Frage,  da  man  die  Fälle 

dersefhen der  Stauungspapille,  sondern  nach  Ablauf 
derselben  zu  Gesicht  bekommt,  wo  das  noch  vorhandene  Sehver- 

jXgf  atrophlscher  Verfärbung  der  Papillen  erhalten  zu  bleiben 

Gegen  die  S  c  h  1  o  f  f  e  r  sehe  Kanaloperation  liegen  folgende  Be- 
j“k5™r:  J-  st^bt  und  fallt  ihre  Berechtigung  mit  der  Richtigkeit 
dq.K  B  e  f  -ffS+Ch.e?  Tl(ror!e  der  Stauungspapille  und  selbst  wenn  die- 
.  be  zutrifft,  ist  zu  bedenken,  dass  Behr  die  Störung  nicht  in  den 
knöchernen,  sondern  in  den  häutigen  Kanalis  opticus  verlegt-  2.  be¬ 
stellt  der  Nachteil,  dass  die  an  sich  schwierige  und  eingreifende  Ope- 

cf SuerrteiSe  aid  beiden  Seiten  ausgeführt  werden  müsste; 
3.  gibt  S  c  h  I  o  f  f  e  r  selber  zu,  dass  ausserdem  eine  eigentlich 
druckentlastende  Operation  (Trepanation,  Balkenstich)  in  Frage 
kommen  konnte.  Man  würde  also  gegebenenfalls  bei  demselben  In- 
dividuum  3  schwere  Schädeloperationen  ausführen  müssen.  Hierfiir 
schcmt  bisher  kein  genügender  Grund  vorzuliegen. 

.  Herr  Mohr  weist  auf  die  besondere  Bedeutung  der  röntgeno¬ 
logischen  Untersuchung  der  Gegend  der  Sella  turcica  hin  Sie  er- 
moglicht  es  nicht  selten  durch  die  Aufdeckung  von  schon  relativ 
germgen  Vmanderungen  der  liefe  und  Breite  des  Türkensattels  den 
v eidacht  von  Hypophysenvergrösserung  zu  bestärken.  So  ist  es 
ge  hingen  m  zwei  Fällen  von  scheinbar  nicht  pathologischer  Fett¬ 
leibigkeit  den  hypophysären  Charakter  der  Erkrankung  zu  einer 
Zeit  zu  erkennen,  wo  Augensymptome  noch  nicht  vorhanden  waren, 
^ist  ca.  2  Monate  später  sind  diese  auch  von  spezialistischer  Seite 
teLf HS  e  t  w<?rden-  Mehrfache  spätere  Röntgenuntersuchungelf  des 

DestnikLnrgdieii!'  f-m  iChreiRnde  Erweiterung  des  Türkensattels  und 
I  estruktion  des  Keilbeins.  Bei  einem  weiteren  Fall  bei  einem  jungen 

M.mn  mit.  unklaren  Sehstörungen  ergab  die  Röntgenuntersuchung 
S  5al  s,eine  Erweiterung  der  Sella  turcica.  Gleichzeitig  bestand  ein 
S  atus  thynnco-Iymphaticus  mit  beträchtlicher  Thymusvergrösserung 
Die  radiologische  Schadeiuntersuchung  ist  ein  integrierender  Be¬ 
standteil  der  Gesamtuntersuchung,  die  in  einschlägigen,  verdaclit- 
erweckenden  Fallen  nicht  versäumt  werden  soll. 


Gynäkologische  Gesellschaft  München. 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzung  vom  18.  Juni  1914. 

D  V°r  1er  TaKesordnung  demonstriert  Frl.  Monheim  eine 
atientm,  die  wegen  inoperablen  Karzinoms  mit  der  Intensivbestrah- 
ung .  bis  zur  Erythemgrenze  behandelt  wurde.  Der  Erfolg  Btbe- 
riedigeiid,  aber  die  Patientin  hat  jetzt  trotz  aller  Vorsichtsmassregeln 

J  dem  rIE  bekromraenhemdOS'S  d°Ch  el"e  ^»^nverbrenmins 

Diskussion:  die  Herren  Sanders  und  Klein 

Vagina  seDtab?r|  l?pr,rf  6  ri  demonstriert:  1.  Uterus  septus  cum 
agina  septa.  _.  Uterus  unicornis  dexter  mit  Persistenz  der  linken 

der  linken  T,?h  u^ilc,on"!  dexIter  mit  Persistenz  des  Fimbrienendes 
der  linken  Tube.  Leiden  der  übrigen  Teile  des  linken  Müller  scheu 

inU  MissbdduneenUhe-  fes  jJ1  ü  1 1  e  r..schen  (ianKes  war  kombiniert 
mit  Missbildungen  brnder  Nieren,  die  im  kleinen  Becken,  in  der 

Excavatio  sacralis  lagen.  Besprechung  der  Häufigkeit  in  der  Koiti- 

bmation  von  Missbildungen  im  Urogenitalapparat.  4.  Faustgrosses 

"y™de*  VternS’  ^ol'sfändig  frei,  ohne  Verwachsung,  im  Cavium 

7  >  i  L  fc^e!ld-  .  Hm  Ablösung  von  der  Wand  muss  erst  vor  kurzer 

oarit  Jon  nrm,M  ?  My0I2gewebe  noch  gut  erhalten  ist.  (Prä¬ 
parat  von  Dr.  Mirabeau  f.)  5.  Puerperale  Sepsis  bei  Meer¬ 

schweinchen  mit  Abszessen  an  den  Plazentationsstellen  sekundärer 
veirulvoser  Endokarditis  der  Mitralis,  tertiär  embolische’n  Abszessen 
in  den  parenchymatösen  Organen.  Ursache:  Pneumokokkeninfektion 
der  mehrere  Monate  lang  alle  puerperalen  Meerschweinchen  erlagen! 


1792 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Hcw  eis  der  Selbstinfektion  des  puerperalen  Genitales.  6.  Endo¬ 
metritis  puerperalis  beim  Meerschweinchen  bei  Plazentarretention  in 
der  Vagina.  Tod  8  Tage  nach  dem  Partus.  7.  Alte  Druckusur  und 
Perforation  des  Blasenhalses  durch  ein  Vaginalpessar  nach  lho- 
m  a  s  s.  Ein  Fragment  des  Pessars  lag  frei  im  B  asenhals.  Kein 
Harnabgang  durch  die  Vesiko-Vaginalfistel.  Folge  chronisch-eitriger 

Zystitis.  (Autoreferat.) 

Diskussion:  Herr  Albrecht. 

Herr  Amann:  Ueber  traumatische  Darmruptur  bei  Gravidität. 

Eine  4  Monate  gravide  Frau  stürzte  von  einem  Stuhle,  so  dass 
sie  mit  dem  Bauch  auf  den  Stuhl  aufschlug.  Die  Schmerzen  im 
Leibe  Hessen  bald  wieder  nach,  nach  einigen  Stunden  Blutabgang  aus 
der  Scheide;  nach  einigen  Tagen  Diarrhöen,  nach  8  Tagen  Ver¬ 
stopfung  Erbrechen,  Auftreibung  des  Leibes  und  am  nächsten  läge 
Kotbrechen  Bei  der  Laparotomie  fand  sich  hinter. dem  graviden 
Uterus  im  kleinen  Becken  ein  grosser,  durch  eitrig  belegte  Darm¬ 
schlingen  überdachter  Abszess.  Bei  genauem  Absuchen  fand  sich  im 
lleum,  etwa  20  cm  oberhalb  des  Zoekums,  eine  Perforationsöffnung, 
uus  welcher  die  Schleimhaut  herausstand  Da  ein  Verschluss  nicht 
möglich  war,  wurde  nach  Toilette  der  Bauchhöhle  die  ganze  Darm¬ 
schlinge  in  eine  seitliche  Bauchwunde  eingenäht,  und  der  Abszess 
durch  die  Vagina  drainiert.  Am  Tage  nach  der  Operation  erfolgte 
die  Ausstossung  der  Frucht.  2  Monate  später  Fistelschluss  durch 
Enteroanastomose. 

Diskussion:  die  Herren  Petri  und  Amann. 

G.  Wiener-  München. 


Verschiedenes. 


Therapeutische  Notizen. 

*  Die  Anästhesie  in  der  Urologie.  Resümee  des  von 
Dr.  Ravasini  beim  urologischen  Kongress  für  den  Primarius 
Dr.  Nicol  ich  gehaltenen  Referates. 

Seit  dem  Jahre  1907  führe  ich  alle  Operationen  am  Urogenital¬ 
apparate  mit  Rachianästhesie  aus.  Ich  bin  mit  dieser  Anasthesie- 
inethode  sehr  zufrieden  und  habe,  von  einigen  Zwischenfällen  ab-  , 
gesehen,  keinen  Todesfall  zu  beklagen,  während  4  von  mir  Operierte, 
und  zwar  2  an  Nephrektomie,  1  an  Zystotomie  und  1  an  Prostatek¬ 
tomie,  den  Spätfolgen  der  Chloroformnarkose  erlegen  sind.  Ich  ge¬ 
brauchte  eine  Zeitlang  die  Stovain-Adrenalin-Phiolen  (B  i  1 1  o  n)  mit 
einem  Zusatz  von  neutralem  Strychninsulfat  nach  Jonnesco,  nun¬ 
mehr  wende  ich  nur  Stovain  und  Adrenalin  an. 

Bei  Erwachsenen  war  die  Maximaldosis  bei  Nierenoperationen 
5  cg,  bei  Kindern  llA  cg,  bei  Frauen  und  stark  geschwächten  Kran¬ 
ken  3  cg.  ln  8  Fällen  trat  überhaupt  keine  Anästhesie  ein.  ln  22  Fäl¬ 
len  war  die  Anästhesie  unvollkommen.  Die  Zwischenfälle  von  einer 
gewissen  Bedeutung,  die  ich  beobachten  konnte,  waren  die  folgenden: 
ln  einem  Falle  komplette  Paralyse  der  Harnblase,  die 
aber  2  Wochen  nach  der  Operation  vollständig  zurückging;  Kol¬ 
lapszustand  nach  der  Operation  bei  3  sehr  alten  Patien¬ 
ten;  Augenmuskellähmung  in  2  Fällen,  von  der  durchschnitt¬ 
lichen  Dauer  von  2—4  Wochen;  rechte  Hemiplegie  und  Apha¬ 
sie  bei  einer  an  Pyelotomie  operierten  Frau,  dieser  Zustand  dauerte 
12  Tage  und  ging  dann  in  vollständige  Heilung  über. 

Meine  Erfahrungen  berechtigen  mich,  die  Resultate  mit  der  Rachi¬ 
anästhesie  durchaus  günstig  zu  nennen,  ich  habe  keinen  Todesfall  zu 
verzeichnen  und  die  üblen  Folgeerscheinungen  der  Stovaininjektion 
bei  einigen  Fällen  gingen  immer  vollständig  zurück. 

Für  die  Operationen. an  der  Harnblase  und  Prostata  waren  3  cg 
fast  immer  durchaus  genügend.  Ich  habe  523  Rachianästhesien  aus¬ 
geführt  bei  folgenden  Operationen:  Nierenoperätionen  208,  Pro¬ 
stata  56,  Blase  116,  perineale  Operationen  12,  am  Genitalapparate  131. 
Bei  allen  diesen  Operationen  hatte  ich  immer  günstige  Erfolge 
der  Anästhesie.  Die  Anästhesie  verursachte  nie  eine  Albuminurie. 
Bei  einigen  Fällen  traten  Kopfschmerzen  ein;  Erbrechen  fehlte  fast 
gänzlich.  Primarius  Dr.  N  i  c  o  1  i  c  h  -  Triest. 


Tagesgeschichtliche  Notizen. 

München,  den  10.  August  1914. 

—  Der  K  r  i  e  g  hat  begonnen  und  seine  die  bürgerlichen  Betriebe 
lähmenden  Wirkungen  sind  bereits  deutlich  erkennbar.  Die  Säle  unserer 
Druckerei  sind  verödet,  die  zahlreichen  Kräfte,  die  zur  prompten 
Herstellung  unseres  Blattes  nötig  sind,  sind  auf  ein  kleines  Häufchen 
zusammengeschmolzen,  viele  unserer  Mitarbeiter  stehen  im  Feld.  Es 
ist  unter  diesen  Umständen  technisch  unmöglich,  den  gewohnten  Um¬ 
fang  des  Blattes  aufrecht  zu  erhalten,  vielmehr  musste  schon  in  der 
heutigen  Nummer  eine  Verminderung  der  Seitenzahl  eintreten.  Da¬ 
gegen  erscheint  mit  dieser  Nummer  zum  ersten  Male  die  „Feld- 
ärztliche  Beilag  e“,  die  wir  im  Interesse  unserer  militärärzt¬ 
lichen  Kollegen  und  mit  Rücksicht  auf  die  erhöhte  Bedeutung,  die 
der  Kriegsmedizin  zurzeit  zukommt,  zu  veranstalten  gedenken,  ln 
dieser  Beilage  werden  wir  in  Zukunft  alle  uns  zugehenden  Beiträge 
kriegsmedizinischen  Inhalts  veröffentlichen. 

—  Die  Münchener  Dozentenvereinigung  für 
Ferienkurse  veranstaltet  in  den  Herbstferien  1914:  1.  14  tägige 
Fortbildungskurse  für  Aerzte,  vom  28.  September  bis  10.  Oktober, 


2  4  wöchentliche  Kurse  für  Examinanden  und  Aerzte,  vom  |4.  Sep¬ 
tember  bis  10.  Oktober.  Programm  und  Auskunft  durch  I  rof. 
G  r  a  s  h  e  y  Nussbaumstr.  20  (Das  Programm  Isiehe  den  Annoncen¬ 
teil  d.  Nr.  |  dürfte  wohl  durch  den  Krieg  wesentliche  Einschränkungen 

erfahren.) 

(Hochschulnachrichten.) 

Berlin.  Geh.  Med.-Rat  Prof.  Dr.  August  Bier  wurde  zum 
Dekan  der  medizinischen  Fakultät  gewählt. 

M  ü  n  c  h  e  n.  Prof.  v.  R  o  m  b  e  r  g  wurde  zum  Dekan  der  medi¬ 
zinischen  Fakultät  gewählt. 


Generalkrankenrapport  über  die  K,  Bayer.  Armee 

für  den  Monat  Juni  1914. 

Iststärke  des  Heeres: 


83132  Mann,  213  Kadetten,  188  Unteroffiziersvorschüler. 


Mann 

Kadetten 

Unteroffiz.- 

Vorschüler 

1.  Bestand  waren 

am  31.  Mai  1914: 

1296 

2 

5 

2.  Zugang: 

im  Lazarett: 
im  Revier: 
in  Summa: 

1029 

884 

1913 

15 

15 

10 

10 

lm  ganzen  sind  behandelt: 

3209 

17 

15 

°/oo.  der 

Iststärke: 

38,6 

79,8 

79,8 

dienstfähig: 

1889 

16 

9 

°i oo  der  Erkrankten: 

588,7 

941,2 

600,0 

gestorben : 

8 

— 

— 

3.  Abgang: 

°|<x>  der  Erkrankten: 
dienstunbrauchbar : 

2,5 

ohneVersorgung: 

23 

— 

'  _ 

mit 

52 

— 

1 

anderweitig: 

98 

— 

,  in  Summa : 

2070 

16 

10 

in  Summa: 

1139 

i 

5 

4.  Bestand 

°/oo  der  Iststärke-. 

13,7 

4,7 

26,6 

bleiben  am 

davon  im  Lazarett: 

925 

1 

5 

30.  Juni  1914: 

davon  im  Revier: 

214 

— 

— 

Von  den  in  Ziffer  3  aufgeführten  Gestorbenen  haben  gelitten  an: 
Uebertragbarer  Genickstarre  2,  eitriger  Hirnhautentzündung  1. 
Lungenentzündung  1,  lymphatischer  Leukämie  1,  Magengeschwürs 
blutung  1,  Zerreissung  von  Baucheingeweiden  durch  Lieberfahren¬ 
werden  (Verunglückung)  2.  .  n  ,  , 

Ausserdem  stürben  5  Mann  uusserhulb  militcirärztlicher  Behänd- 
lung  und  zwar:  3  durch  Ertrinken  (Verunglückung),  2  durch  Selbst¬ 
mord  G  durch  Erschiessen,  1  durch  Ueberfahrenlassen  von  einem 

Eisenbahnzug)  ,  ^  ,  ,  ,  , 

Der  Gesamtverlust  der  Armee  durch  Tod  betrug  demnach  im 
Monat  Juni  1914  13  Mann. 


Uebersicht  der  Sterbefälle  in  München 

während  der  29.  Jahreswoche  vom  19.  bis  25.  Juli  1914. 

Bevölkerungszahl  640000. 

Todesursachen:  Angeborene  Lebensschwäche  einschl.  Bildungs¬ 
fehler  1 1  (18  *),  Altersschw.  (über  60  Jahre)  3(5),  Kindbettfieber  —  ( — ), 
and.  Folgen  der  Geburt  und  Schwangerschaft  1  (2),  Scharlach  —  (— /, 
Masern  u.  Röteln  1  (1),  Diphtherie  u.  Krupp  —  (2),  Keuchhusten  —  (1), 
Typhus  (ausschl.  Paratyphus)  —  (— ),  akut.  Gelenkrheumatismus  — 
übertragbare  Tierkrankh.,  d.  s.  Milzbrand,  Rotzkrankh.,  Hundswut, 
Trichinenkrankh.  -  (-),  Rose  (Erysipel)  —  (-),  Starrkrampf  -  (D, 
Blutvergiftung  1  (—  ,  Tuberkul.  der  Lungen  25  (24),  Tuberkul.  and.  Org. 
(auch  Skrofulöse)  3  (2),  akute  allgem.  Miliartuberkulose  —  (2),  Lungen- 
entzünd.,  kruppöse  wie  katarrh.  usw.  5(10),  Influenza  —  (—),  veneri¬ 
sche  Krankh.  1  (3),  and.  übertragbare  Krankh.:  Pocken,  Fleckfieber, 
Ruhr,  Genickstarre,  Strahlenpilzkrankh.,  Lepra,  asiat.  Cholera,  Wechsel¬ 
fieber  usw.  —  (— ),  Zuckerkrankh.  (ausschl.  Diab.insip.)  2(1),  Alkohohs- 
mus  _  (_g  Entzünd,  u  Katarrhe  der  Atmungsorg.  3  (3),  sonst.  Krankh. 
d.  Atmungsorgane  3  (2),  organ.  Herzleiden  10  (19),  Herzschlag,  Eerz" 
lähmung  (ohne  näh.  Angabe  d.  Grundleidens)  7  (4),  Arterienverkalkung 
5  (10),  sonstige  Herz-  u.  Blutgefässkrankh.  4  (5),  Gehirnschlag  /  (1). 
Geisteskrankh.  1  (1),  Krämpfe  d.  Kinder  —  (2),  sonst.  Krankh.  d  Nerven¬ 
systems  7  (1),  Atrophie  der  Kinder  2  (1),  Brechdurchfall  3  (1),  Magen¬ 
katarrh,  Darmkatarrh,  Durchfall,  Cholera  nostras  15  (11),  Blinddarm¬ 
entzünd.  4  (3),  Krankh.  der  Leber,  Gallenblase,  Bauchspeicheldrüse  u. 
Milz  3  (5),  sonst.  Krankh.  derVerdauungsorg.  5  (7),  Nierenentzünd.  li  (4), 
sonst.  Krankh.  der  Harn-  u.  Geschlechtsorg.  3  (2),  Krebs  21  (16),  sonst. 
Neubildungen  6  (3),  Krankh.  der  äuss.  Bedeckungen  1  (2),  Krankh.  der 
Bewegungsorgane  1  ( — ),  Selbstmord  —  ( — ),  Mord,  Totschlag,  auui 
Hinricht.  —(—),  Verunglückung  u.  andere  gewalts.  Einwirkungen  3(4). 
andere  benannte  Todesursachen  2  (1),  Todesursache  nicht  (genau) 
angegeben  (ausser  den  betr.  Fällen  gewaltsamen  Todes)  —  (— )• 

Gesamtzahl  der  Sterbefälle:  180  (180). 

‘)  Die  eingeklammerten  Zahlen  bedeuten  die  Fälle  der  Vorwoche. 


Redaktion:  Dr.  B.  Spatz, 
München,  Arnulfstrasse  26. 


MÜNCHENER 


Verlag  von  J.  F.  Lehmann, 

München,  Paul  Heysestr.  26. 


Medizinische  Wochenschrift. 


Nr.  32.  11.  August  1914. 


Feldärztliche  Beilage  Nr.  1. 


Den  Kollegen  im  Felde! 


Unseren  Kollegen  im  Felde  ist  diese  Beilage  zur  Münchener  Medizinischen  Wochenschrift  gewidmet. 

In  Fühlung  zu  bleiben  mit  der  Wissenschaft,  jeden  Fortschritt,  den  die  Forschung  und  die  Praxis  bringen  sich 
nzueignen  zum  besten  der  ihm  anvertrauten  Kranken,  ist  für  den  Feldarzt  noch  in  höherem  Maße  wie  für  den  Zivilarzt 
Jotwendigkeit  und  Pflicht.  Gerade  der  Krieg  ist  eine  Zeit  erhöhter  Ausbeute  an  wissenschaftlicher  Erkenntnis  und 
Taktischer  Erfahrung  Der  Feldarzt  kann  daher  trotz  der  großen  Anforderungen,  die  der  Dienst  an  ihn  stellt  nicht 
anz  ohne  wissenschaftliche  Lektüre  auskommen.  Nur  wenigen  wird  es  aber  möglich  sein,  sich  die  gewohnten  Zeitschriften 

IS  Feld  nachkommen  zu  lassen;  sie  wären  ein  Ballast,  es  fehlt  die  Zeit  sie  zu  lesen,  sie  enthalten  auch  zu  vielen  für 
ie  Bedürfnisse  des  Felddienstes  gleichgültigen  Stoff. 

Aüs  _  dieser  Erwägung  haben  wir  uns  entschlossen,  die  „Feldärztliche  Beilage“  zu  veranstalten.  Auf  kleinem 
aum  soll  hier  alles  veröffentlicht  werden,  was  uns  an  Mitteilungen,  die  für  den  Feldarzt  von  Interesse  sind,  zugeht 
so  sowohl  Arbeiten  aus  dem  Gebiete  der  Kriegschirurgie  wie  der  inneren  Medizin,  der  Seuchenbekämpfung  und  aus’ 
en ,  verschiedenen  spez.alarztl.chen  Fächern,  immer  mit  Rücksicht  auf  ihre  Beziehungen  zur  Kriegsmedizin;  auch 
‘uilletonistische  Schilderungen  aus  dem  Feldleben  sollen  nicht  ausgeschlossen  sein. 

;  ....  P?  Hcrausgeberkollegium  der  Münchener  Medizinischen  Wochenschrift  stellt  die  Mittel  zur  Verfügung,  um  die 
eldarzthche  Beilage“  möglichst  allen  Feldärzten  und  Lazaretten  unentgeltlich  zugänglich  zu  machen.  Diese  wird  so  ein 

tPsind  0611  fUr  016  Vermittlung  VOn  Erfahrungen  und  Anregungen  an  alle  Aerzte,  die  auf  den  Kriegsschauplätzen 

So  richten  wir  an  alle  unsere  Kollegen  im  Felde  und  in  den  heimatlichen  Lazaretten  die  Bitte,  unser  Unter- 
;hmen,  soweit  es  die  Dienstvorschriften  gestatten,  zu  unterstützen,  auf  dass  es  seinen  Zweck  erfülle  und  damit  der 
oben  vaterländischen  Sache,  der  wir  alle  dienen,  zum  Nutzen  gereiche. 

Die  Redaktion  der  Münchener  med.  Wochenschrift. 


lieber  die  Behandlung  der  Schusswunden  im 
allgemeinen. 

Von  O.  v.  Angerer,  Generalarzt  ä  la  suite. 

Die  Redaktion  der  M.m.W.  hat  mich  ersucht,  einen  kurzen 
ericht  über  die  Behandlung  der  Schusswunden  im  Allge- 
einen  tiir  die  „Feldärztliche  Beilage“  zu  liefern.  Aus  eigener 
fahrung  verfüge  ich  nur  über  Friedensschussverletzungen, 
•var  war  ich  im  Jahre  1870 — 71  als  Einjährig-Freiwilliger-Arzt 
den  Würzburger  Lazaretten  tätig,  aber  wir  bekamen  dort 
i  den  gefangenen  Franzosen  nur  Schussverletzungen  älteren 
mims  zur  Behandlung,  und  die  Behandlung  der  damaligen 
“it  entsprach  wenig  den  Grundsätzen  der  modernen  Wund¬ 
handlung.  Die  Unterschiede  zwischen  Friedens-  und  Kricgs- 
rletzungen  sind  nur  quantitativer  Art  und  die  Prinzipien  der 
undbehandlung  sind  im  wesentlichen  die  gleichen,  wenn  auch 
'*  Behandlungsmethoden  sich  den  eigenartigen  Verhältnissen 
>s  Krieges  anpassen  müssen.  Die  Kriegschirurgie  ist  dem- 
|ch  in  der  Hauptsache  nichts  anderes  als  die  Chirurgie  des 
ledens,  ein  treues  Spiegelbild  der  herrschenden  Lehren, 
-nn  auch  die  Indikationen  zu  chirurgischen  Eingriffen  ausser- 
?  unseres  Operationssaales  andere  sind  wie  innerhalb.  Ope- 
uonen,  die  hier  gefahrlos,  können  dort  unzulässig  sein. 

Die  Schussverletzungen  haben  zu  allen  Zeiten  das  bc- 
mdere  Interesse  der  Aerzte  und  auch  der  Laien  erregt,  ein 
eresse,  das  soweit  ging,  dass  sich  sogar  die  Philosophen  mit 


|  diesen  Wunden  beschäftigt  haben.  So  z.  B.  definiert  der  Philo¬ 
soph  Ely  die  Schusswunde  als  „den  materiellen  Ausdruck  der 
gelaufenen  Gefahr“.  Wer  die  Lehre  der  Schussverletzungen 
in  den  letzten  Jahrhunderten  verfolgt,  der  wird  finden,  dass 
mit  den  \\  andlungen  in  der  Beurteilung  der  Schusswunden 
auch  ein  interessanter  Abschnitt  der  Geschichte  des  ärztlichen 
Standes  in  sozialer  Beziehung  verbunden  ist.  Erinnern  Sie 
sich  an  die  Zeiten  der  Feldschere,  erinnern  Sie  sich,  dass 
noch  im  7  jährigen  Krieg  der  Unterarzt  den  Rang  eines  Tam¬ 
bours  hatte  und  dass  zu  den  Zeiten  des  Vaters  Friedrich  des 
Grossen  der  Feldscher  Rutenstreiche  zu  erwarten  hatte, 
wenn  er  einen  von  den  grossen  Grenadieren  sterben  liess. 
Wie  gründlich  haben  sich  die  Zeiten  geändert!  Welch  hervor- 
ragende  Ausnahmestellung  nimmt  heute  im  deutschen  Reiche 
und  bei  allen  Kulturvölkern  der  Sanitätsoffizier  ein! 

Larrey  zu  Anfang  des  vorigen  Jahrhunderts  und  S  t  r  o  - 
m  ey  er  um  die  Mitte  des  Jahrhunderts  verkörpern  die  Gegen¬ 
sätze  in  der  Behandlung  der  Schusswunden.  Ersterer  bevor¬ 
zugte  die  Amputation  der  zerschossenen  Gliedmassen,  um  die 
Verletzten  rasch  und  ohne  Gefahr  evakuieren  zu  können, 
letzterer  huldigte  bis  ins  äusserste  Extrem  der  konservativen 
Behandlung  und  zwar  ohne  Gipsverband,  den  erst  Piro- 
goff  in  die  Kriegschirurgie  eingeführt  hat. 

Die  Behandlung  der  Schusswunden  hat  besonders  seit 
dem  deutsch-französischen  Kriege  eine  Aenderung  erfahren 
Das  vorgeschriebene  Explorieren  der  Wunden  mit  Sonden  und 


1794 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  mcd.  Wochenschrift. 


Nr.  32. 


Fingern,  das  Spalten  des  Schusskanals,  die  Extraktion  stecken¬ 
gebliebener  Kugeln,  die  Kontinuitäts-  und  Kontiguitatsresektion 
waren  allgemein  als  Normalverfahren  anerkannt  und  geübt. 
Die  Scliusskanäle  spritzte  man  mit  antiseptischen  Losungen 
aus  und  drainierte.  Hier  behandelte  man  mit  Kataplasmen, 
dort  mit  permanenten  Irrigationen,  die  Einen  lobten  den  testen 
Okklusionsverband,  die  anderen  die  offene  Wundbehandlung 
im  Sinne  B  urow  s,  oder  die  Heilung  unter  dem  Schorf.  Die 
Einführung  der  L  i  s  t  c  r  sehen  Wundbehandlung  und  die  Er¬ 
fahrungen  der  Friedenschirurgie  haben  hier  gründlichen 
Wandel  geschaffen.  Dazu  kommt  noch,  dass  man  sich  mit 
dem  Studium  der  Anatomie  der  Schusswunden  durch  Vor¬ 
nahme  experimenteller  Schiessversuche  eingehend  beschäftigt 
hat  und  nicht  zuletzt  hat  auch  die  Entdeckung  R  o  n  t  g  e  n  s 
grossen  Einfluss  geübt,  so  dass  manche  Lehre,  die  bisher  als 
Dogma  gegolten  hat,  umgestossen  worden  ist. 

Es  ist  nicht  meine  Aufgabe,  des  näheren  auf  die  durch 
das  moderne  kleinkalibrige  Geschoss  veränderte  Gestaltung 
der  Schusswunden  einzugehen.  Ich  will  nur  den  einen 
Fundamentalsatz  hervorheben,  dass  die  Schusswunden  mit 
kleinem  Einschuss  und  kleinem  Ausschuss  als  primai 
nicht  infiziert  anzusprechen  sind,  trotzdem  das  Geschoss  die 
Kleider  und  die  Haut  des  Verwundeten  durchsetzt  und  schliess¬ 
lich  auch  pathogene  Keime  in  geringer  Zahl  in  die  Wunde  mit 
sich  transportiert  hat.  Mit  diesen  Keimen  werden  die  Schutz¬ 
kräfte  unseres  Körpers  fertig,  wenn  sie  nur  in  ihrer  Wirksam¬ 
keit  nicht  durch  unzweckmässiges  Eingreifen  unsererseits  ge¬ 
stört  werden.  Die  Infektionsgefahr  beginnt  und 
wächst  mit  einer  unzweckmässigen  Behand¬ 
lung.  Die  Versuche  von  Messner  aus  dem  Jahre  188/ 
haben  ergeben,  dass  sich  bei  allen  mit  nicht, vorher  infizierten 
Kugeln  beschossenen  Blechbüchsen  im  Schusskanal  der  Nahr- 
gelatine  keine  pathogenen  Keime  entwickelt  haben.  Das  Ge¬ 
schoss  war  steril,  wie  sich  überhaupt  auf  metallischen  Körpern 
keine  Bakterien  entwickeln.  Ja  es  will  fast  scheinen,  als  ob 
den  Metallen  an  sich  schon  eine  gewisse  bakterizide  Kraft 
eigen  wäre.  Wurde  dagegen  das  Geschoss  unmittelbar  vorher 
mit  Staphylokokken  oder  Prodigiosus  infiziert,  so  sind  die  be¬ 
treffenden  Bakterien  auch  im  Schusskanal  der  Nährgelatme 
gewachsen,  ein  Beweis  dafür,  dass  das  Geschoss  selbst  duich 
die  Erhitzung,  die  es  im  Laufe  erleidet,  nicht  sterilisiert  wird, 
wie  man  früher  angenommen  hat.  Auch  die  Versuche  von 
Pfuhl,  der  infizierte  Kleiderfetzen  Tieren  einverleibte  und 
reaktionslos  zur  Einheilung  gebracht  hat,  beweisen  die  Wirk¬ 
samkeit  der  Schutzkräfte  unseres  Körpers.  Aus  diesen  1  at- 
sachen  müssen  wir  den  Schluss  ziehen,  dass  das  Suchen  nach 
•  etwa  mitgerissenen  Fremdkörpern,  das  Suchen  nach  stecken¬ 
gebliebenen  Kugeln  und  ihre  Extraktion  um  jeden  Preis  prin¬ 
zipiell  zu  verwerfen  ist,  denn  die  frühere  Annahme,  dass  dci 
Fremdkörper  an  sich  Ursache  der  Eiterung  sei,  ist  falsch.  Die 
Herren  Kollegen,  die  gegenwärtig  meine  Klinik  besuchen, 
konnten  sich  von  der  Richtigkeit  obiger  Erfahrung  überzeugen. 
Ein  junger  Mann  hat  sich  in  selbstmörderischer  Absicht  in  die 
Schläfe  geschossen.  Die  Kugel  lag  extrakraniell,  der  kleine 
Einschuss  wurde  in  einfachster  Weise  verbunden  und  dci 
Heilungsprozess  zeigte  keine  Spur  einer  Entzündung.  Nach 
S  Tagen  entfernte  ich  die  unter  der  1  cmporalfaszie  liegende 
Kugel  und  mit  ihr  auch  Kopfhaare  des  Verwundeten,  die  die 
Kugel  mit  sich  gerissen  hatte,  und  trotz  dieser  gewiss  nicht 
aseptischen  Fremdkörper  rcaktionsloser  Verlauf.  Diese  wich¬ 
tigen  Folgerungen  haben  für  die  Behandlung  der  Schuss¬ 
wunden  entscheidenden  Einfluss  ausgeübt.  Ich  weiss,  dass 
bezüglich  dieser  Folgerungen  eine  Einigkeit  unter  den  Chi¬ 
rurgen  nicht  besteht,  dass  die  Einen  einen  konservativeren, 
die  Anderen  einen  aktiveren  Standpunkt  vertreten.  Aber  hier 
wie  überall  ist  das  Festhalten  an  einem  extremen  Prinzip  von 
Schaden  und  unser  therapeutisches  Handeln  muss  von  den  die 
Verletzung  begleitenden  Umständen  abhängig  gemacht  werden. 
Im  Kriege  ist  es  für  die  Verwundeten  sicher  vorteilhafter,  einen 
mehr  konservativen  Standpunkt  einzunehmen  und  die  Ope¬ 
rationslust  zu  zügeln. 

Die  Behandlung  der  Schussverletzungen  im  Frieden  ge¬ 
staltet  sich  unter  den  günstigen  Aussenbedingungen  wesentlich 
einfacher  und  geordneter  als  im  Kriege.  Hier  ist  der  Kampf 
mit  den  Verhältnissen,  die  übergrosse  Zahl  an  Verwundeten, 


der  Mangel  ausreichender  Hilfskräfte  zu  berücksichtigen.  Des¬ 
wegen  muss  im  Kriege  dahin  gestrebt  werden,  mit  den  ein¬ 
fachsten  Mitteln  das  Bestmögliche  zu  erreichen.  Die  Er¬ 
fahrungen  in  den  letzten  Kriegen  haben  auch  gezeigt,  dass 
E  v.  Bergmanns  Vorschriften,  begründet  auf  die  Er¬ 
fahrungen  im  russisch-türkischen  Krieg  1877  zum  Heile  der 
Verwundeten  durchführbar  sind.  Bergmann  verlangt  für 
die  Behandlung  der  Schusswunden  im  Felde  keine  Freiheit  m 
der  Behandlung,  kein  Individualisieren,  sondern  Schablone; 
und  diese  für  den  Krieg  formalisierten  Grundsätze  haben  sich 
auch  in  der  Friedenspraxis  bewährt.  Wir  müssen  oft  genug 
die  Erfahrung  machen,  dass  Wunden  des  Friedens  durch  die 
unreinen  Hände  geschäftiger  Laien,  durch  schmutzige  Ver¬ 
bandmaterialien,  durch  Auswaschen  mit  nicht  einwandfreien 
Flüssigkeiten  infiziert  werden,  während  andere  nicht  so  \or- 
behandelte  Wunden  glatt  zur  Heilung  kommen.  Das  Sichaus- 
blutenlassen  der  Wunden  ist  viel  ungefährlicher,  ja  sogar  für 
den  Verletzten  zuträglicher,  weil  mit  dem  Blut  auch  Infektions¬ 
keime  herausgespült  werden.  ,  ,  ,,  ... 

Wie  sollen  also  die  Schusswunden  behandelt  werden.-’ 
Nehmen  wir  eine  einfache  Weichteilschusswunde  mit  kleinem 
Einschuss  und  kleinem  Ausschuss  ohne  stärkere  Blutung  als  | 
den  Ausgangspunkt  unserer  Auseinandersetzungen  an,  so 
werden  wir  in  erster  Linie  in  der  Friedenspraxis  die 
Schusslöcher  mit  Jodoformgaze  austamponieren,  damit  das  zur 
primären  Desinfektion  der  Wundumgebung  benutzte  Spül¬ 
wasser  nicht  in  die  Wunde  eindringen  und  sie  infizieren  kann. 
Dann  wird  die  Wundumgebung  mit  Jodtinktur  bestrichen  Die 
Tampons  werden  entfernt  und  ein  einfacher  steriler  Verband  I 
ohne  dazwischen  gelegtes  Guttapercha  angelegt, 
zwischen  gelegter  impermeabler  Stoff  würde  die  Austrocknung 
des  Verbandes  hindern  und  gerade  trockene  Verbände  sind 
der  Bakterienentwicklung  hinderlich.  Im  Kriege  fällt  die  pri¬ 
märe  Desinfektion  der  Wundumgebung  bei  dem  ersten  Ver¬ 
band  überhaupt  fort,  weil  sie  nicht  gründlich  genug  ausgefuhrt 
werden  kann;  es  genügt  der  einfache  Anstrich  der  \Vund- 
umgebung  mit  Jodtinktur,  der  sich  besser  bewährt  hat  als  die 
Verwendung  von  Mastixlösung  oder  anderer  Mittel,  die  den 
Schmutz  der  Haut  fixieren  sollen.  Die  Idee,  den  Hautschmutz  I 
zu  fixieren,  durch  Kollodium  oder  Leim,  hatte  schon  General¬ 
arzt  Port  ausgesprochen.  Wir  vermeiden  also  das  Explo- 
rieren  des  Schusskanals  mit  Sonde  oder  Finger,  erweitern 
weder  Ein-  noch  Ausschuss,  noch  weniger  spalten  wir  den 
Schusskanal.  Wir  desinfizieren  nicht  den  Schusskanal  durch 
Einspritzen  antiseptische’-  Lösungen  und  legen  auch  keine 
Drains  ein;  wohl  aber  stellen  wir  die  verwundeten  Teile  durch 
geeignete  Verbände  fest.  Wir  wissen,  dass  der  Wert  der  anti- 
septischen  Lösung  in  ihrer  Wirkung  für  die  Desinfektion  der 
Wunden  wesentlich  überschätzt  worden  ist,  wir  wissen,  dass 
damit  eine  Abtötung  der  Keime  überhaupt  nicht  erreicht 
werden  kann;  ihre  Anwendung  hat  nur  eine  Reizung  der 
Wunde  und  damit  stärkere  Sekretion  zur  Folge,  wir  ver¬ 
trauen  dem  subkutanen  Charakter  solcher  Wunden  und  be¬ 
handeln  sie  gleich  ihnen.  .  .. 

Anders  liegen  die  Verhältnisse,  wenn  Weichten - 
Schusswunden  mit  grossem  Einschuss  und  noch 
s  e  r  e  m  Ausschuss  vorliegen,  wenn  gleichzeitig  grössere  nhn* 
gefässe  und  Nerven  verletzt  sind.  In  Friedenszeiten  kommen 
solche  Schusswunden  durch  Schrotschüsse  aus  nächster  Nahe 
zur  Behandlung,  die  Aehnlichkeit  mit  den  Granatverletzungen 
im  Kriege  haben.  In  solchen  Fällen  ist  ein  aktiveres  Eingreifen» 
notwendig.  Die  Wunde  muss  erweitert,  der  Schusskanal  viel¬ 
leicht  vollkommen  gespalten  werden,  damit  das  zermalmte, 
zerfetzte  Gewebe,  das  den  Keim  der  Nekrose  infolge  mangel¬ 
hafter  Ernährung  in  sich  trägt,  ausgeschnitten  werden  kann. 
Wir  müssen  bestrebt  sein,  die  komplizierte  Wunde  zu  eine: 
einfachen  zu  gestalten.  Mit  diesem  Herrichten  der  Wunde  ge¬ 
lingt  es  nicht  nur,  die  Wunde  aseptisch  zu  machen,  sondert 
auch  gleichzeitig  die  Blutung  aus  verletzten  Gefässen  zu  stillen 
durchschossene  Nerven  durch  die  Naht  zu  vereinigen  und  et¬ 
waige  Fremdkörper  zu  entfernen.  Wenn  notwendig,  erfolg 
ein  Aussptilen  mit  physiologischer  Kochsalzlösung  und  nach 
heriger,  sorgfältiger,  loser  Tamponade  der  Wunde  mit  Jodo 
formgaze.  Ich  verfüge  über  einige  derartige,  sehr  schwer1 
Schrotschussverletzungen  aus  unmittelbarer  Nähe, 
wurden  nach  diesen  Grundsätzen  behandelt  und  geheilt. 


1.  August  1914. 


t* c Idarztliche  Beilage  zur  Münch.  nicJ.  Wochenschrift. 


1 795 


Bei  Schussfrakturen  ist  wiederum  die  Grösse  des 
in-  und  Ausschusses  ausschlaggebend.  Bei  kleinen  Sehuss- 
ichcrn,  auch  wenn  der  Knochen  gesplittert  ist,  konservative 
•ehandlung  im  Gipsverband;  man  behandle  sie  ebenso  wie 
ie  Durchstechungsfrakturen  des  Friedens.  Bei  grossem  Ein- 
nd  Ausschuss  ist  die  Frage  zu  entscheiden,  ob  überhaupt  eine 
onservative  Behandlung  zum  Ziele  führen  kann  oder  ob  die 
rimäre  Amputation  indiziert  ist.  Das  wird  sich  bei  dem  in 
esen  schweren  Fallen  unbedingt  notwendigen  Debridement 
-r  ^  unde  zeigen.  Man  entschliesse  sich  nicht  zu  schwer  zur 
-irnüren  Amputation,  die  Resektion  in  der  Kontinuität  und 
ontiguität  ist  einzuschränken.  Diese  Art  der  Schussfrakturen 
eicht  den  schweren  Komminutivfrakturen  des  Friedens; 
arke  Zertrümmerung  des  Knochens  und  Weichteilquetschung, 
n  Frieden  behandeln  wir  diese  Frakturen  nach  den  von 
olkmann  aufgestellten  Grundsätzen  und  die  Erfolge  sind 
lerraschend  gut,  wofern  überhaupt  eine  konservative  Be- 
indlung  und  nicht  eine  Amputation  in  Frage  kommt. 

Ich  will  auf  das  spezielle  Gebiet  nicht  eingehen  und  will 
ir  einen  prinzipiellen  Gegensatz  zwischen  Friedens-  und 
iegsverletzungen  in  der  Behandlung  der  Bauchschusswunden 
•rvorheben.  Im  Frieden  laparotomieren  wir  bei  jedem 
auchschuss  so  bald  wie  möglich;  im  Kriege  haben  die 
iparotomien  bei  diesen  Verletzungen  eine  sehr  schlechte 
•erativ e  Prognose,  weil  die  notwendigen  Vorbedingungen  für 
l  aseptisches  und  rechtzeitiges  Operieren  selten  vorhanden 
ld.  Im  Gegenteil  hat  sich  gezeigt,  dass  sogar  spontane 
nlungen  bei  Darmverletzungen  eingetreten  sind.  Letztere 
lerden  allerdings  bei  dem  modernen  Spitzgeschoss  seltener 
erwarten  sein,  da  das  Spitzgeschoss  sehr  häufig  als  Quer- 
.  hlägei  aufschlägt,  den  Darm  nicht  mehr  glatt  durchschlägt, 
ndern  bedeutende  Zerreissungen  zur  Folge  hat.  Aehnlich 
rd  es  mit  den  Brustschüssen  ergehen,  die  in  den  letzten 
!  legen  bei  exspektativer  Behandlung  eine  so  gute  Prognose 
i  geben  haben  und  auch  die  Indikation  zur  Trepanation  hat 
ie  wesentliche  Einschränkung  erfahren. 

Bei  infizierten  Wunden  müssen  breite  Inzisionen 
' macht  werden;  hier  ist  die  offene  Wundbehandlung  mit 
mponade,  Spülungen  mit  Wasserstoffhyperoxyd  und  häu- 
er  \  erbandwechsel  am  Platze.  Sehr  günstig  wirkt  hier 
ch  die  Bier  sehe  Stauung.  Der  Grundgedanke  der  B  i  e  r  - 
len  Stauungshyperämie  ist  der,  die  natürlichen  Abwehr- 
rgänge  des  Körpers  zu  steigern.  In  Wirklichkeit  wirkt  die 
luung  durch  die  mechanische  Ausspülung  und  Ausschwem- 
mg  der  Infektionsstoffe  durch  die  offenen  Wunden.  Die 
iuungsbinde  muss  richtig  angelegt  werden,  darf  die  Zirku- 
ion  nicht  aufheben,  das  Glied  muss  heiss  und  ödematös 
rden,  der  Entzündungsschmerz  muss  schwinden.  Die  Stau- 
i gsbinde  bleibt  10 — 20  Stunden  liegen  und  muss  sorgfältig 
'-'rwacht  werden.  Auch  die  Heissluftbehandlung  bei  eiterri- 
h  infizierten  Wunden  hat  sich  vielfach  bewährt.  Die  ver¬ 
ödeten  Teile  bleiben  täglich  1—2  mal  je  2  Stunden  im  Heiss¬ 
ebad. 


Die  Antifermentbehandlung  eiternder  infizierter  Wunden 
i  sich  noch  nicht  bewährt.  Neuestcns  wird  wieder  die  An- 
jndung  des  Perubalsams  empfohlen  und  wir  können  über 
ne  Wirkung  sehr  günstiges  berichten. 


In  der  ganzen  Wundbehandlungsfrage  spielt  die  Des  in - 
k  t  i  on  unserer  Hände  eine  grosse  Rolle;  die  Kontakt- 
■ktion  der  Wunden  durch  unreine  Hände  ist  nur  zu  häufig. 
J  lc  mechanische  Reinigung  mit  Wasser  und  Seife,  mit 
rmorstaub  und  Sand  liefert  höchstens  eine  Verminderung 
Keimgehaltes  der  Hände.  Auch  durch  andere  Desinfek- 
tsmetlmden  werden  wir  niemals  eine  dauernde  Keimfreiheit 
erer  Hände  erzielen,  ganz  abgesehen  davon,  dass  unsere 
Hd  ein  allzu  kräftiges  Bürsten  und  Behandeln  mit  antisep- 
en  Lösungen  nicht  verträgt.  Risse  und  Schrunden  sind 
,  ,°  und  damit  hört  eine  gründliche  Desinfektion  der  Hand 
rhaupt  auf.  Die  gewöhnliche  Schmierseife  enthält  Alkali 
greift  deswegen  die  Haut  zu  sehr  an.  Sie  ist  für  gewöhn- 
1  und  auf  die  Dauer  nicht  zu  gebrauchen.  Eine  neutrale 
IS/.i am  Die  Methoden  Fürbringers  und 

Itelds  Heisswasser-Alkoholdcsinfektion  ohne  antisep- 
ie  Lösung  sind  die  gebräuchlichsten  und  sind  auch  aus- 
hend. 


Heussner  empfiehlt  ein  5  Minuten  langes  Waschen  mit 
Jodbenzin  (1  Jod  200  Paraffinöl,  800  Benzin,  Stammlösung 
1  Jod  10  Benzin). 

Wieder  andere  rühmen  die  reine  Alkoholdesinfektion,  die 
Haut  schrumpft  und  wird  hart  und  die  Keimabgabe  wird  auf 
ein  Minimum  für  einige  Zeit  reduziert.  Neuestens  wurde  von 
dei  chemischen  Fabrik  von  Marquard  eine  Alkoholseife  her- 
gestellt.  Die  Seife  enthält  ca.  80  Proz.  Alkohol.  Nach  den 
Untersuchungen  im  hiesigen  hygienischen  Institut  wurden 
Staphylo-  und  Streptokokken,  Diphtheriebazillen  und  Bact.  coli 
innerhalb  einer  halben  Minute  abgetötet,  so  dass  sich  diese 
,‘e  sehr  für  die  Desinfektion  unserer  Hände  empfiehlt.  Man 
reibt  die  Seife  gründlich  trocken  ein  und  spült  mit  sterilem 
Wasser  nach. 

Die  Hände  mit  undurchlässigen  Ueberziigen  von  Wachs, 
Harz,  Kautschuk  zu  überziehen,  hat  sich  gar  nicht  bewährt, 
dÖseur  ye^przi*S  reisst  und  springt.  Der  sterile  Gummihand¬ 
schuh  löst  in  einfachster  Weise  die  ganze  Händedesinfektions¬ 
frage  und  ist  für  uns  unentbehrlich.  Die  Technik  liefert  uns 
haltbaie,  nahtlose,  aus  dünnstem  Kondomgummi  hergestcllte 
Handschuhe.  Gewiss  steigen  durch  die  Anschaffung  der 
Gummihandschuhe  die  Kosten  der  Wundbehandlung  und  be¬ 
tragen  im  Jahre  an  unserer  Klinik  2500  Mark.  Ich  lasse  bei 
allen  Opeiationen,  bei  septischen  und  aseptischen  Operationen, 
bei  allen  Verbandwechseln,  von  den  Aerzten  und  Schwestern 
die  Gummihandschuhe  tragen  und  dadurch  ist  der  Verbrauch 
ein  sehr  grosser.  Kleine  Rjsse  in  ihnen  werden  von  den 
Schwestern  ausgebessert,  indem  von  defekten  Handschuhen 
Stücke  ausgeschnitten  und  mit  Paragummi  auf  die  Löcher  fest¬ 
geklebt  werden. 

Zum  Schutze  der  Gummihandschuhe  ist  es  zweckmässig, 
sterile  Zwirnhandschuhe  darüber  anzuziehen.  Der  Gummi¬ 
handschuh  verträgt  ein  öfteres,  etwa  6 — 8  maliges  Sterilisieren 
in  strömendem  Dampf  von  100°  eine  Stunde;  er  wird  mit 
lalknm  eingepudert;  Auskochen  verträgt  der  Gummihand¬ 
schuh  schlecht. 

Die  Gummihandschuhe  müssen  über  die  zuvor  gründlich 
gereinigte,  gut  abgetrocknete  und  eingepuderte  Hand  gezogen 
werden,  feuchte  Haut  unter  dem  Gummihandschuh  befördert 
die  Bildung  des  sog.  Handschuhsaftes.  Man  kann  die  Gummi¬ 
handschuhe  von  einem  zum  anderen  Verbandwechsel  anbe¬ 
halten,  wenn  man  sich  vor  jedem  Verbandwechsel  die  behand¬ 
schuhte  Hand  mit  Wasser,  Seife  und  Sublimat  wäscht. 

Besonders  wichtig  ist  die  Noninfektion  unserer 
Hände  und  es  muss  gefordert  werden,  dass  wir  bei  der  Be¬ 
handlung  septischer  Wunden  wenigstens  Gummihandschuhe 
tragen. 

Wie  die  Haut  unserer  Hände  muss  auch  die  Haut  des 
Operationsgebietes  desinfiziert  werden.  Auch  hier  hat  man 
früher  die  F  ü  r  b  r  i  n  g  e  r  sehe  Methode  angewendet.  Jetzt 
wäscht  man  die  Haut  mit  Seifenspiritus,  mit  Alkohol,  mit  Jod¬ 
benzin  und  bevorzugt  vor  allem  den  Jodanstrich  von  G  ros- 
s  i  c  h.  Das  Gaudanin  D  ö  d  e  r  1  e  i  n  s  und  der  Mastixlack 
O  e  1 1  i  n  g  e  n  s  (Mastix  20,  Chloroform  50,  Leinöl  20  Tropfen! 
sind  überflüssig  geworden. 

Ist  eine  allgemeine  N  a  r  k  o  s  e  des  Verletzten  im  Verlaufe 
der  Wundbehandlung  notwendig,  so  empfiehlt  sich,  wo  immer 
möglich,  die  Mischnarkose  mit  Chloroform-Aether-Sauerstoff 
im  Roth-Träger  sehen  Apparat,  der  vor  allem  eine  genaue 
Dosierung  des  Narkotikums  gestattet.  Es  ist  der  zuver¬ 
lässigste  aller  Narkotisierungsapparate  und  wenn  der  die  Nar¬ 
kose  leitende  Arzt  mit  dem  Vorgang  der  Narkose,  mit  ihrer 
Technik  vertraut  ist  und  von  dem  Gefühl  der  Verantwortlich¬ 
keit,  die  er  zu  tragen  hat,  durchdrungen  ist,  so  hat  die  Inhala¬ 
tionsnarkose  den  grössten  I  eil  ihrer  Gefahren  verloren.  Um 
den  Eintritt  de*"  Narkose  zu  erleichtern,  hat  Klapp  die  künst¬ 
liche  Verkleinerung  des  Kreislaufs  durch  Abschnürung  der 
Beine  oder  Arme  mit  der  Esmarch  sehen  Binde  empfohlen. 
Die  Methode  ist  nicht  empfehlenswert,  denn  die  Throm¬ 
bosen  in  den  abgesperrten  Extremitäten  werden  häufiger  und 
überdies  ist  das  abgesperrte  mit  Kohlensäure  und  anderen 
Abbauprodukten  überladene  Blut  nicht  unschädlich  für  das  Herz. 

Von  der  Aetherrauschnarkose  (Inhalationsanalgesie)  ist 
ausgedehnter  Gebrauch  bei  kleinen  operativen  Eingriffen  zu 
machen.  Die  Analgesie  tritt  schon  nach  10—20  Atemzügen  ein 


796 


Feldärztliche  Beilage  zur  Miinch.  med.  Wochenschrift. 


Nr.  32. 


Die  Anwendung  der  Lokalanästhesie  lässt  uns  in  vielen 
Fällen  die  Inhalationsnarkose  ersparen.  Diese  Methoden  sind 
vorzüglich  ausgebildet  und  sollten  von  allen  Aerzten  gekannt 
und  geübt  werden.  Die  Infiltrations-  und  Leitungsanästhesie, 
von  sachkundiger  Hand  ausgeführt,  lässt  grosse  Operationen, 
Resektionen  am  Oberkiefer,  Unterkiefer,  Kropfexstirpationen, 
Hernienoperationen,  Amputationen  und  Resektionen  der  Ge¬ 
lenke  nahezu  schmerzlos  ausführen.  Die  Venen-  und  arterielle 
Anästhesie  für  die  regionäre  Anästhesie  sind  noch  zu  wenig 

praktisch  erprobt.  . 

Das  empfehlenswerteste  Lokalanästhetikum  ist  zurzeit  das 
Novokain,  das  wenig  giftig  ist,  nicht  reizt  und  keine  gefäss- 
erweiternde  Wirkung  ausübt.  Mit  Suprarenin  bezweckt  es 
eine  genügend  lange  Anästhesie.  Von  der  U  proz.  Lösung 
sind  150,  ja  sogar  250  ccm  ohne  irgendeinen  Schaden  schon 
injiziert  worden  =  1,5  Novokain,  auch  bei  Luxationen  und 
Frakturen  für  die  Reposition  sehr  zu  empfehlen  (Plexus- 
anästhesie). 

Die  Lumbalanästhesie  ist  für  alle  Operationen  an  den 
unteren  Extremitäten  bis  fast  zur  Nabelhöhe  zu  gebrauchen, 
erfordert  aber  eine  exakte  und  nicht  ganz  leicht  zu  erlernende 
Technik.  Wir  haben  an  unserer  Klinik  nahezu  1800  Lumbal¬ 
anästhesien  ausgeführt  ohne  ernstliche  Störungen,  aussei  bis- 
weilen  heftiges  Kopfweh  und  ein  paar  Mal  vorübergehende  Ab- 
duzenslähmung.  Von  anderer  Seite  aber  werden  Todesfälle, 

1 :  200,  nach  anderen  Berichten  1 :  350,  dauernde  Extremitäten¬ 
lähmung,  Gangrän  berichtet,  so  dass  diese  Art  der  Anästhe¬ 
sierung  im  allgemeinen  nicht  zu  empfehlen  sein  dürfte. 
Zur  Injektion  eignet  sich  am  besten  nach  unseren  Erfahrungen 
Tropakokain.  Bei  bestehenden  Eiterungen  ist  die  Lumbal¬ 
anästhesie  strenge  zu  meiden. 

Bei  schweren  Blutverlusten  ist  an  einen  Ei  satz 
des  Blutes  zu  denken.  Das  beste  Mittel  ist  die  Kochsalz¬ 
infusion  intravenös  oder  subkutan,  extraperitoneal  odei  rektal, 
mit  Sauerstoffinhalation,  Tieflagerung  des  Kopfes  und  Auto¬ 
transfusion,  natürlich  nach  vorausgegangener  exakter  Blut¬ 
stillung.  ,  ,  _ 

Die  Bluttransfusion  ist  durch  die  Fortschritte  der  üefass- 
chirurgie  in  ein  neues  Stadium  getreten.  Die  direkte  Irans¬ 
fusion'  durch  Einnähen  der  Arterie  des  Blutspenders  in  die 
Vene  des  Empfängers  scheint  die  grossen  Gefahren  der 
Thrombosenbildung  der  früheren  Methoden  zu  vermeiden. 


Aus  der  Kgl.  chirurgischen  Universitätsklinik  zu  Berlin 
(Geh.  Med.-Rat  Bier). 

Kriegschirurgische  Arbeit  auf  dem  Hauptverbandplatz. 

Von  Dr.  Ludwig  S  c  h  1  i  e  p,  Assistent  der  Klinik. 

Während  in  den  hinteren  Etappenlinien  Operationen  in 
grösserer  Zahl  Vorkommen,  treten  Zahl  und  Mannigfaltigkeit 
der  Operationen  auf  einem  Hauptverbandsplatz  gegenüber 
zahlreichen  Verbänden  in  den  Hintergrund.  In  dieser  Hinsicht 
hatte  ich  Gelegenheit,  selbst  einen  Vergleich  zu  ziehen,  weil 
ich  im  ersten  Balkankriege  in  einem  Lazarett  in  Belgrad 
arbeitete,  im  zweiten  auf  einem  Hauptverbandsplatz  tätig  war. 
Aus  meiner  Tabelle  bekommt  man  ein  Gesamtbild  meiner 
kriegschirurgischen  Tätigkeit  im  zweiten  Balkankriege.  Diese 
Tabelle  kann  nur  deswegen  ein  Interesse  beanspruchen,  weil 
sie  ein  Bild  von  der  kriegschirurgischen  Arbeit  einer  be¬ 
stimmten  Sanitätsformation  während  eines  ganzen  Feldzuges 
gibt.  Da  es  speziell  die  dritte  serbische  Armee  und  von  dieser 
wieder  speziell  die  Morawadivision  war.  die  entscheidend  an 
den  Ereignissen  Anteil  nahm,  so  war  ich  in  der  glücklichen 


Die  Tätigkeit  unseres  Hauptverbandsplatzes  erstreckte 
sich  vom  30.  Juni  bis  zum  3.  August  1913.  Im  ganzen  behan¬ 
delten  wir  5207  Verwundete.  Ich  habe  in  der  ersten  Rubrik 
die  Namen  der  Schlachten  angeführt,  in  welchen  unser  Haupt¬ 
verbandsplatz  in  Aktion  trat.  Man  ersieht  ohne  weiteres,  dass 
in  den  ersten  Schlachten  bei  Hansi-Beg,  bei  Drogcrtzi  und 
Warsakli  und  bei  Stip  die  Verwundetenziffer  eine  relativ  ge¬ 
ringe  war  In  der  letzten  Schlacht  bei  Leskaja  und  Vinica 
hatten  wir  eine  Gesamtzahl  von  3519  Verwundeten,  und  zwar 
muss  ich  hinzufügen,  dass  es  sich  hier  bei  der  letzten  Schlacht  I 
um  die  Erstürmung  von  1300  m  hohen,  sehr  steilen  Bergen 
handelte,  hinter  denen  sich  die  Bulgaren  verschanzt  hatten. 
Die  serbische  Infanterie  musste  sich  langsam  in  Gräben  hinauf¬ 
graben,  tagsüber  hauptsächlich  unter  Artilleriefeuer,  in  der 
Nacht  unter  Bajonettangriff.  Das  Verhältnis  der  Offiziere  zu  I 
den  Unteroffizieren  und  Mannschaften  war:  56  verwundet 
Offiziere  kamen  auf  422  verwundete  Unteroffiziere  und  3041 
verwundete  Mannschaften.  Das  sind  1  Proz.  vciwundete  Offi¬ 
ziere  zu  12  Proz.  verwundeten  Unteroffizieren  und  86  Proz. 
verwundeten  Mannschaften.  Darüber  ist  weiter  nicht  viel  zu 
berichten.  Ausserdem  habe  ich  unsere  Verwundeten  ein¬ 
geteilt  in  Schwerverwundete  und  Leichtverwundete.  1615 
Schwerverletzte  kamen  auf  3592  Leichtverletzte,  ein  Prozent¬ 
satz  wie  31  zu  69.  Weiterhin  sind  die  Verwundeten  eingeteilt 
in  Verletzte  durch  Schrapnellkugeln,  Granatkontusionen  odei 
Bajonett.  Ueber  Schrapnell-  und  Kugelverletzungen  will  ich 
mich  hier  nicht  äussern.  Sehr  interessant  waren  die  623 
Granatkontusionen,  die  auf  unseren  Verbandsplatz  kamen, 
Wir  sahen  da  Bilder  von  nervösem  Zittern  mit  Schwindel, 
kaltem  Schweiss,  Pulsverlangsamung  oder  Pulsbeschleunigung, 
auch  von  melancholischen  Zuständen,  Angstzuständen  bis  zu  ] 
jenen  schweren  Bildern,  wo  uns  die  Granatkontuudici  ten  auf 
Tragen  angebracht  wurden  und  unfähig  waren,  auch  nur  «-Ui 
Glied  zu  rühren.  Wir  haben  diese  Schwerkontundierten  sofort 
evakuiert.  Die  Prognose  dieser  Kontusionen  ist  eine  schlechte., 
Wir  sorgten  dafür,  dass  sie  womöglich  direkt  bis  Belgrad 
gingen,  und  wir  konnten  das  tun,  indem  wir  einen  entspi  cclicn- 
den  Vermerk  auf  dem  Verwundetentäfclchen  machten. 

Im  übrigen  ist  die  Frage  ja  auch  interessant,  ob  es  wohl 
möglich  ist,  dass  in  der  Schlacht  durch  die  Nähe  platzender 
Granaten  ohne  weitere  Verwundung  Menschen  getötet  werden 
können,  und  es  scheint,  als  ob  diese  Frage  zu  bejahen  ist.  Ich 
habe  es  allerdings  auch  erlebt,  dass  ein  Soldat  durch  eine 
Granate  total  verschüttet  wurde;  seine  Kameraden  gruben I 
ihn  sofort  wieder  aus,  und  er  tat  unbeschädigt  Dienst.  Aber 
trotzdem  neigen  wir  heutzutage  der  Ansicht  zu,  dass  Granat¬ 
kontusionen  ohne  jede  weitere  Verletzung  auf  dem  Sclilaw. 
felde  selbst  zum  Tode  führen  können. 

Ueber  die  Evakuation  ein  kurzes  Wort!  —  Wir  waren 
darauf  angewiesen,  unsere  Verwundeten  fast  durch  die  ttanK 
in  zweiräderigen  türkischen  Ochsenkarren  zu  evakuieren,  die 
natürlich  ein  miserables  Transportmittel  darstellten,  abci  en  - 
sprechend  dem  Zustande  der  Wege  auf  dem  Balkan  docir 
immerhin  wenigstens  ein  sicheres  Transportmittel  bilden, 
wenn  sie  auch  bloss  15  km  pro  Tag  zurücklegen.  Wir  haben, 
nur  Kopfschüsse  und  Bauchschüsse  in  anderen  Wagen  eva¬ 
kuiert.  Das  waren  zweiräderige  Wagen  französischen  Mo¬ 
dells  mit  Pferdebespannung,  in  welchen  4  Tragen  federn» 
untergebracht  werden  konnten,  aber  es  waren  viel  zu  wem« 
von  diesen  Fahrzeugen  vorhanden. 

Eine  weitere  Rubrik  sind  die  Bajonettverletzungen:  58  at 
der  Zahl.  Das  ist  eine  merkwürdig  kleine  Zahl.  Sie  erklär 
sich  bloss  daraus,  dass  trotz  dieser  kolossal  vielen  Bajonett 
angriffe  —  die  letzte  Schlacht  dauerte  nämlich  12  Tage  um 


Lage,  eben  dort  zu  arbeiten,  wo  es  am  meisten  zu  tun  gab. 

Tätigkeit  des  Hauptverbandplatzes  der  serbischen  Morawadivision  I.  Aufgebots  in,  serbisch-bulgarischen 


Schlacht 


Hansi-Beg. 
Droeertzi  u.  War 
sakli  .  .  . 

Stip  ..... 
Leskaia  u  Vinica 


Offi¬ 

ziere 

Unter¬ 

offiziere 

Mann¬ 

schaft 

Zu¬ 

sammen 

Schwer 

ver¬ 

wundet 

Leicht 

ver¬ 

wundet 

Schrap¬ 

nell 

Kugel 

Konfus. 

Bajonett 

Kopf 

Brust 

Bauch 

Untere 

Extrem 

Obere 

Extrem. 

Fraktur. 

Oper. 

25 

187 

1297' 

1509 

551 

958 

652 

737 

111 

9 

173 

191 

60 

645 

490 

30 

20 

2 

56 

3 

12 

42'» 

18 

144 

7041 

23 

156 

3519 

8 

140 

916 

15 

16 
2603 

9 

24 

896 

8 

117 

2083 

4 

1 

507 

? 

40 

3 

19 

380 

1 

22 

391 

1 

15 

124 

13 

93 

1462 

2 

16 

756 

11 

72 

1 

16 

|  83 

624 

4500 

|  5207 

|  1615 

|  3592 

|  1581 

|  2945 

|  623 

1  58 

|  575 

605 

200 

|  2213 

1261 

113 

37 

An  mehrere 
Stellen 

verwundet 


100 


18 

138 


256 


I.  August  191-4. 


1797 


1  cldai ztliehe  Beilage  zui  Münch.  med.  Wochenschrift. 


-  Nächte,  und  in  jeder  Nacht  wurden  Bajonettangriffe  gemacht 
die  meisten  dieser  Bajonettverletzten  auf  dem  Schlachtfelde 
arben.  Auch  diese  58  Verletzten,  die  wir  hatten,  waren  aus- 

-'limend  schwer. 

Weiter  habe  ich  das  Material  eingeteilt  in  Kopfschüsse, 
rustschüsse,  Bauchschüsse,  Schüsse  der  unteren  Extremitäten 
ul  Schüsse  dei  oberen  Extremitäten.  Sie  sehen:  wir  haben 
5  Kopfschüsse  behandelt.  Wir  haben  uns  darauf  beschränkt, 
olitter,  Fremdkörper  und  sonstige  Verunreinigungen  der 
unden  zu  entfernen,  bei  gequetschten  Gehirnmassen  für  Ab- 
iss  zu  sorgen  und  im  übrigen  gutsitzende  Verbände  zu 
achen.  Meiner  Meinung  nach  haben  wir  doch  zu  wenig 
leriert.  Nach  meiner  persönlichen  Ueberzeugung  hätten  wir 
-hei  manchen  Kopfschuss  durchbringen  können,  wenn  wir 
n  operier t  hätten.  Das  war  aber  nicht  möglich,  weil  wir 
•ine  Zeit  dazu  hatten.  Wir  waren  derartig  von  Verwundeten 
■  »erlastet,  dass  wir  grössere  Operationen  nicht  vornehmen 
»nuten.  V  ir  waren  nämlich  bloss  zwei  Aerzte.  Ausser  mir 
beitete  noch  ein  serbischer  Kollege  da.  Unter  diesen  Um¬ 
inden  konnten  wir  bei  den  380  Kopfschüssen  weiter  nichts 
achen.  Ausserdem  wird  ja  neuerdings  verlangt,  dass  Kopf¬ 
nüsse  überhaupt  nicht  auf  dem  Hauptverbandsplatz  operiert 
erden.  Dem  möchte  ich  aber  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
i  ch  widersprechen. 

Brustschüsse  hatten  wir  605.  Die  Brustschüsse  bieten 
i  erhaupt  günstige  Bilder.  Ein  Brustschuss  bekommt  Mor- 
I  nun  und  wird  auf  Stroh  gelagert.  Dann  wird  er  möglichst 
-4  läge  behalten,  ehe  er  evakuiert  wird,  und  meistens  ist 
;r  übrige  Verlauf  eines  Brustschusses  ein  relativ  harmloser. 

Das  interessanteste  Gebiet  geben  die  Bauchschüsse  ab. 

1  ir  haben  von  den  200  Bauchschüssen  keinen  einzigen  ope- 
rt.  Eistens  ist  das  ja  auch  gar  nicht  möglich,  denn  man 
leitete  fast  immer  im  Freien,  und  weiterhin  geben  nach  den 
uesten  Erfahrungen  konservativ  behandelte  Bauchschüsse 
ie  gute  Prognose.  Allerdings  hörte  ich  nachher  auf  dem 
ckmarsch,  als  ich  an  den  einzelnen  Etappenlinien  vorsprach, 
ss  sämtliche  Bauchschüsse  zugrunde  gegangen  sind! 
thrend  die  Kopfschüsse  den  Transport,  die  Evakuation  aus¬ 
zeichnet  überstanden  haben.  Wir  beschränkten  uns  bei  den 
uchschiissen  darauf,  ihnen  keine  Nahrung  zu  geben.  Für 
Tage  bekamen  sie  überhaupt  nichts  zu  trinken  und  bloss 
löffelweise  hier  und  da  etwas  Thee,  im  übrigen  Morphium, 

1  och  kein  Opium,  damit  uns,  das  Bild  nicht  zu  sehr  ver- 
lleiert  würde. 

Die  Schüsse  der  unteren  und  oberen  Extremitäten,  2213 
!'  unteren,  126  der  oberen  Extremitäten,  ergeben  einen 
i  rkwürdig  hohen  Prozentsatz  für  die  untere  Extremität, 
s  erklärt  sich  auch  daraus,  dass  die  Soldaten  hinter 
ckungen  lagen,  hinter  kleinen  Steinhaufen,  und  dass  es  sehr 
vorkam,  dass  die  bulgarischen  Schanzen  teilweise  bloss 
in  entfernt  waren.  Wenn  daher  ein  Soldat  auch  bloss  etwa^ 
dem  Bein  strampelte,  so  bekam  er  natürlich  leicht  sofort 
en  Schuss  durch  die  Ferse  oder  den  Fuss.  Wir  sahen  sehr 
le  ausserordentlich  interessante  Wadenschüsse,  über  die 
:r  schon  so  viel  berichtet  wurde,  dass  es  hier  nicht  möglich 
näher  darauf  einzugehen. 

Ausserdem  hatten  wir  113  Frakturen.  Ich  muss  gestehen: 
ich  in  das  Feld  hinauszog,  machte  ich  es  mir  zum  Grund- 
z.  keine  Fraktur  zu  evakuieren,  speziell  keine  schwere,  ohne 
-n  tadellos  sitzenden  Gipsverband.  Das  war  Theorie,  ln 
Praxis  gestaltete  sich  das  ganz  anders.  Ich  hatte  vielleicht 
der  3  Femurfrakturen  von  der  Brust  bis  zu  den  Zehen  ein- 
ipst.  Schliesslich  war  es  nicht  mehr  möglich,  uns  fehlte 
Zeit.  Wir  nahmen  Latten  und  Schienen,  und  sehr  gute 
1  nste  leisteten  uns  Stärkebinden.  Auch  hier  kann  ich  bloss 
'  bekräftigen,  was  schon  im  Jahre  1868  Langenbeck  ge- 
t  hat:  auf  den  Hauptverbandsplatz  gehört  der  Pappschienen- 
'n  das  Feldspital  der  Gipsverband.  Ich  hörte  auch 
hher  in  den  hinteren  Etappenlinien,  dass  unsere  Frakturen 
1  Transport  sehr  gut  Überstunden  hätten. 

Schliesslich  zu  den  Operationen  —  ich  rechne  da  natürlich 
’S  die  grösseren  Operationen  — :  37,  eine  merkwürdig  ge- 
.e  Zahl.  Ich  kenne  bloss  4  Indikationen  zur  Operation  auf 
■i  Hauptverbandsplatz:  Schädeldebridement,  Unterbindung, 
egmonenspaltung,  allerhöchstens  noch  eine  Rippenresektion 


bei  einem  Empyem.  Wir  haben  uns  —  und  diese  Zahl  beweist 
cs  —  vor  der  verhängnisvollen  Polypragmasie  des  Hauptver¬ 
bandsplatzes  sehr  gehütet.  Ausserdem  habe  ich  hier  eine 
Rubrik  von  Leuten,  die  an  mehreren  Stellen  verwundet 
wurden:  256. 

Schliesslich  hatten  wir  350  Cholerakranke.  Das  gehört 
nicht  hierher.  Wir  hatten  Malaria,  Rekurrens,  Dysenterie, 
lyphus  und  Cholera.  Die  haben  wir  in  Separatbaracken  in 
der  Nahe  möglichst  schnell  evakuiert.  Das  war  allerdings 
manchmal  nicht  so  schnell  gemacht,  wie  es  wünschenswert 
eischien,  und  zwar  deswegen,  weil  sehr  viele  Cholerakranke 
von  der  Front  zu  uns  kamen  und  angaben,  sie  seien  granat- 
kontundiert.  Sie  fürchteten  sich,  in  die  Cholerabaracken  ge¬ 
bracht  zu  werden. 

Aus  meinen  Mitteilungen  ist  zu  ersehen,  dass  der 
Charakter  der  knegschirurgischen  Tätigkeit  dicht  hinter  der 
reuerhme  ein  ganz  anderer  ist  als  in  den  Etappen-  oder  Kriegs¬ 
lazaretten,  wo  die  chirurgische  Indikationsstellung  mehr  und 
mehr  der  des  Friedens  gleicht. 


Die  Anordnung  der  Verbandplätze  im  Feld*). 

Von  Oberstabsarzt  Prof.  Dr.  Schoen  werth  in  München. 

I.  Truppenverbandplatz. 

Lage:  Möglichst  geschützt,  jedoch  nahe  der  Gefechtslinie 
und  leicht  zu  erreichen.  Vorhandensein  von  Wasserstellen 
dringend  erwünscht. 

Ei  richtung  des  I  ruppenverbandplatzes  ist  vom  Regiments- 
etc.  Arzt  vom  Kommandeur  zu  erwirken,  im  Notfälle  selbst¬ 
ständig  zu  errichten.  Meldung  alsdann  an  Kommandeur. 

Es  ist  wünschenswert,  für  jedes  Regiment  nur  einen 
1  ruppenverbandplatz  einzurichten,  je  nach  Umständen  die 
Iruppenverbandplätze  mehrerer  Regimenter  von  Anfang  an 
zusammenzulegen.  Eine  Vereinigung  der  Truppenverband¬ 
plätze  mit  dem  Hauptverbandplatz  ist  anzustreben. 

Truppenverbandplatz  kann  von  jedem  Bataillon,  jeder 
Ai  tillerieabteilung  mit  Hilfe  des  eigenen  Sanitätspersonals  und 
-materials  errichtet  werden. 

Sanitätspersonal  pro  Bataillon :  2  Aerzte,  4  Sanitäts¬ 
mannschaften,  16  Krankenträger. 

Sanitäts  material  pro  Bataillon:  80  wollene  Leib¬ 
binden,  52  Krankendecken,  20  Labeflaschen,  4  Sanitätsverband¬ 
zeuge,  20  Paar  Sanitätstaschen,  4  oder  5  zusammenlegbare 
Krankentragen  mit  2  'Tragegurten,  1  zweispänniger  Infanterie¬ 
sanitätswagen. 

Zweck:  erste  ärztliche  Hilfe  der  Verwundeten. 

II.  Hauptverbandplatz. 

Lage:  Nähe  von  fahrbaren  Strassen,  Anlehnung  an  Ge¬ 
bäude,  Wasser.  Errichtung  durch  Sanitätskompanien  (für 
jedes  Armeekorps  3  San.-Kompanien). 

Sanitätspersonal: 

1.  Personal:  1  Kommandeur,  2  Leutnants,  1  Oberarzt, 

1  Oberapotheker,  1  Zahlmeister,  1  Chefarzt  (Oberstabsarzt) 

2  Stabsärzte,  5  Ober-  oder  Assistenzärzte. 

2.  Unterpersonal:  9  Sanitätsunteroffiziere,  davon  1  be¬ 
rittener  für  den  Chefarzt,  8  Militärkrankenwärter. 

3.  Krankenträgerpersonal:  20  Unteroffiziere  und  223  Mann¬ 
schaften. 

Sanitätsmaterial:  8  zweispännige  Krankenwagen 
mit  je  7  oder  9  Krankentragen  mit  Verbandmitteltaschen;' 
2  zweispännige  Sanitätswagen;  2  zweispännige  Packwagen 
mit  je  einem  Verbindezelt;  1  zweispänniger  Lebensmittel¬ 
wagen. 

Zweck:  Beförderung  der  Verwundeten  in  die  Feld¬ 
lazarette. 

III.  Feldlazarett. 

(pro  Armeekorps  12.) 

Lage:  In  Ortschaften  nahe  an  dem  Ort  der  Verluste 
bzw.  des  Hauptverbandplatzes. 


*)  Aus  Vademekum  des  Feldarztes.  J.  F.  Lehmanns  Verlag, 
München. 


1798 


Fcldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  32. 


Sanitätsperso¬ 
nal:  1  Chefarzt  (Ober¬ 
stabsarzt),  1  Stabsarzt, 
4  Ober-  oder  Assistenz¬ 
ärzte,  1  Oberapotheker, 
2  Feldlazarettinspektoren. 

Unterpersonal:  12  Sa¬ 
ri  itätsunteroifiziere,  3  Un¬ 
teroffiziere,  1  Gefreiter, 
2  Mann,  14  Militärkran¬ 
kenwärter. 

Sanitätsmater  ial: 

1  zweispänniger  Kranken¬ 
wagen  mit  7  oder  9 
Krankentragen  mit  Ver¬ 
bandmitteltaschen,  2 
zweispännige  Sanitäts¬ 
wagen,  1  zweispänniger 
Packwagen,  4  zweispän¬ 
nige  Gerätewagen,  1 
zweispänniger  Beamten¬ 
wagen. 

Zweck:  Lazarett¬ 
pflege  der  nicht  marsch¬ 
fähigen  Verwundeten,  bis 
Rückbeförderung  möglich 
oder  Uebernahme  durch 
die  Etappe  erfolgt. 


IV.  Leichtverwundeten-Sammelplatz. 

Lage:  Im  Abmarschgelände  weit  genug  zurück,  leicht 
und  sicher  erreichbar,  womöglich  1  Leichtverwundeten- 
Sammelplatz  für  mehrere  Hauptverbandplätze. 

Sanitätspersonal:  Wenn  nötig  und  nach  Bedarf 
aus  noch  nicht  errichteten  Feldlazaretten. 

Zweck:  Entlastung  der  Truppen  und  Hauptverband¬ 
plätze  von  den  marschfähigen  Verwundeten;  Ablieferung  an 
die  Etappe. 

V.  Sanitätsstaffel. 

Lage:  Möglichst  geschützt,  nahe  der  Gefechtslinie  und 
Kavalleriedivision. 

Sanitätspersonal:  des  Sanitätspersonals  der 

Kavalleriedivision.  . 

Sanitätsmaterial:  4«  zweispännige  Kavallerie- 
sanitätswagen,  1  zweispänniger  Sanitätsvorratswagen, 
2  Kavalleriebestecke,  12  Nottragen,  2  Satz  Zeltstangen  für  ein 
Verwundetenzelt. 

Zweck:  Versorgung  der  Verwundeten  in  und  nach  dem 
Gefecht.  Marschfähige  nach  dem  nächsten  Etappenort,  die 
übrigen  Verwundeten  nach  dem  nächsten  Feldlazarett. 


Vereine. 

Gesellschaft  für  Natur-  und  Heilkunde  zu  Dresden. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Aus  der  Sitzung  vom  28.  März  1914. 
Vorsitzender:  Herr  Qelbke. 


Herr  Schümann  (a.  G.):  Ueber  die  operative  Behandlung  der 
Herzverletzungen. 

Vortr.  berichtet  zunächst  über  ältere  Falle  von  Herznaht  aus 
der  T  r  e  n  d  e  1  e  n  b  u  r  g  sehen  Klinik  (vergl.  M.m.W.  1909  Nr.  15); 
sodann  über  einen  eigenen  im  Johannstädter  Krankenhause  zu 
Dresden  operierten  Fall  von  Ventrikelverletzung  durch  Revolver- 


Krankengeschichte:  30  jälir.  Monteur,  Suizidversuch  durch  Schuss 
in  die  Herzgegend  mit  9  mm-Revolver.  Anfänglich  abwartendes  Ver¬ 
halten-  nach  12  Stunden  plötzliche  Verschlimmerung:  Zunahme  der 
Anämie,  Zyanose,  Orthropnoe,  äusserste  Unruhe.  Einschuss  liegt  im 
IV  Interkostalraum  6  cm  innerhalb  und  3  cm  unterhalb  der  linken 
Brustwarze.  Operation  in  leichter  Aethernarkose:  Freilegung  des 
Herzens  nach  Kocher.  Im  Herzbeutel  und  namentlich  in  der 
Pleurahöhle  grosse  Mengen  Blut.  Einschuss  im  linken  Ventrikel, 
Naht  durch  3  tiefgreifende  Katgutnähte.  Ausschuss  nicht  zu  finden. 
(Auf  breite  Perikarderöffnung  musste  eines  schweren,  wahrend  der 
Operation  eintretenden  Kollapses  wegen  verzichtet  werden.)  Nach 
Injektion  von  1000  ccm  Kochsalzlösung  wird  der  Puls  wieder  fühlbar. 
Wundheilung  frei  von  Störungen,  die  Symptome  des  Pneumothorax 
schwinden  schnell  (Operation  ohne  Druckdifferenzverfahren).  Pro¬ 


jektil  am  10.  Brustwirbelkörper  nachweisbar;  Vergrösserung  und 
Abrundung  des  Herzschattens,  namentlich  der  rechten  Grenze,  be¬ 
stehen  noch  14  Tage  nach  der  Verletzung,  vermutlich  durch  Reste 
des  Hämoperikards. 

Befund  4  Wochen  später:  Keine  Herzvergrösserung  mehr  per¬ 
kutorisch  nachzuweisen.  Puls  regulär,  etwas  beschleunigt.  Sub¬ 
jektiv:  leichte  Ermüdbarkeit,  Spannungsgefühl  in  der  Brust. 

Besprechung  der  Pathologie,  Diagnostik  und  I  lierapie  der  Herz- 
Verletzungen.  (Erscheint  ausführlich  in  der  M.m.W.) 

Diskussion:  Herr  Friedrich  Hesse:  Ich  bin  Anhänger  der 
Pleuradrainage,  deren  Ausführung  ich  auf  dem  Chirurgenkongress  1911 
empfohlen  habe;  sie  muss  aber  richtig  ausgeführt,  werden,  und  zwar 
am  tiefsten  Punkte  der  Pleura,  links  hinten  unten.  Bei  dieser  Aus¬ 
führung  werden  die  Ergebnisse  der  Statistik,  die  bisher  gegen  die 
Pleuradrainage  spricht,  bessere  sein.  Die  Pleuradrainage  soll  sofort 
an  die  Operation  der  Herzverletzung  angeschlossen  werden.  Was  die 
Schnittführung  anlangt,  so  habe  ich  gefunden,  dass  es  zweckmassig  ist, 
Teile  des  Sternums  zu  resezieren.  Da  das  Herz  mehr  hinter  als  neben 
dem  Sternum  liegt,  so  wird  die  Arbeit  durch  vorherige  Resektion  von 
einem  Drittel  oder  der  Hälfte  des  Sternums  sehr  erleichtert.  Die 
Resektion  muss  aber  vor  Eröffnung  des  Herzbeutels  erfolgen,  weil 
man  dann  meist  noch  Zeit  hat,  was  in  der  Regel  nicht  mehr  der  r al 
ist,  sobald  sich  nach  der  Eröffnung  des  Herzbeutels  die  Notwendigkeit 
ergibt,  nach  rechts  hin  Platz  zu  schaffen.  Auch  kann  man  so  leicht 
extrapleural  arbeiten. 

Herr  Oppe:  Der  vom  Vortragenden  besprochene  Fall  befindet 
sich  seit  seiner  chirurgischen  Heilung  in  der  Gefangenenanstalt;  ei 
ist  noch  nicht  genesen.  Der  Puls  ist  dauernd  hoch,  um  100,  der 
Kranke  muss  sich  sehr  schonen,  kann  nur  langsam  gehen  und  Keine 
schnellen  Bewegungen  machen.  Im  Bereich  des  bei  der  Operatiot 
gebildeten  Lappens  ist  eine  systolische  Vorwölbung  zu  bemerken 
keine  Einziehung.  Wir  können  daraus  schliessen,  dass  die  Ver¬ 
bindung  zwischen  Herznaht  und  Herzbeutel  sich  mit  der  Zeit  gelos 
haben  muss,  sonst  müsste  man  Einziehungen  beobachten. 

Herr  Faust:  Einen  der  ersten  Fälle  von  operierter  Herzver 
letzung  hat  unser  verstorbener  S  t  e  1  z  n  e  r  1886  auf  dem  Chirurgen 
kongress  vorgestellt.  Es  handelte  sich  um  einen  Studenten,  der  in 
Rausch  sich  eine  ziemlich  lange  Nähnadel  ins  Herz  gestochen  batte 
Der  Herzbeutel  wurde  eröffnet;  die  Nadel  verschwand  in  dem  Augen 
blick,  als  sie  extrahiert  werden  sollte,  aber  der  Kranke  genas.  ! 

Herr  Hans  Seidel:  Die  Pleura  reagiert  sehr  leicht  auf  mecha 
nische  Reize,  auch  bei  aseptischen  Eingriffen.  Es  bildet  sich  eil 
seröses  Exsudat,  welches,  wie  ich  namentlich  im  Tierexperimen. 
aber  auch  beim  Menschen  gesehen  habe,  schon  durch  seine  bloss 
Anwesenheit  recht  störend  wirken,  vor  allem  aber  auch  einei 
recht  guten  Nährboden  für  Infektion  abgeben  kann.  Ich  bin  kein  prm 
zipieller  Anhänger  der  Drainage,  wohl  aber  der  Drainage  mit  Aus 
wähl.  Sobald  auch  nur  der  leiseste  Verdacht  auf  Infektion  der  I  leur 
vorliegt,  so  drainiere  ich  im  hintersten  untersten  Pleurawinkel.  ' 
einigen  Fällen  habe  ich  präventiv  drainiert  und  das  ziemlich  stark 
Drain  zunächst  verschlossen,  um  es  später  entweder  zu  entfernei 
wenn  keine  Infektion  erfolgt  war,  oder  aber  zu  öffnen  und  so  nu 
Leichtigkeit  die  Drainage  einzuleiten,  falls  die  Infektion  es  noti 
machte.  Ein  wichtiges  Moment  für  die  nachträgliche  Infektion  <ie 
Pleura  nach  eingeleiteter  Drainage  ist  das  Durchstreichen  der  Lu 


1.  August  1914. 


Fcldürztliche  Beilage  zur  Miincli.  mcd.  Wochenschrift. 


1799 


ircli  das  Drain  iii  den  I  horax.  Es  lässt  sich  dies  nicht  immer  ganz 
^hindern.  I  i  e  g  e  1  hat  deshalb  einen  Troikart  mit  Klappenver- 
hluss  angegeben,  bei  dem  der  Weg  inspiratorisch  verschlossen, 
ispiratonsch  freigegeben  wird.  Schon  Thiersch  hat  bei  den 
eurotoinien  das  eingelegte  Drain  mit  einem  Kondomgummi  ver- 
lien,  das  bei  der  Inspiration  selbsttätig  schloss.  Auf  diese  Weise 
nn  man  eine  nachträgliche  Infektion  vermeiden  und  dieser  Gegen- 
und  gegen  eine  Drainage  fällt  also  fort. 

Die  von  Herrn  E.  Hesse  empfohlene  Resektion  des  Sternums 
rd  recht  häufig  eine  breite  Mediastinaleröffnung  bedingen,  die  auch 
e  Nachteile  hat:  Aspiration  von  Luft  und  erhöhte  Infektionsgefahr, 
i  sich  das  Mediastinum  viel  schwerer  drainiert  als  die  Pleura, 
irde  ich  es  stets  wieder  zu  schliessen  suchen.  Schliesslich  noch  ein 
ort  zur  Diagnose  der  Herzverletzungen:  Es  ist  auffällig,  wie  häufig 
.‘  Schüsse  in  der  Herzdämpfung  sitzen,  ohne  dass  man  eine  Herz- 
rletzung  diagnostizieren  kann.  Ich  erinnere  mich  an  4  oder  5  Fälle, 
i  denen  der  Einschuss  absolut  innerhalb  der  Herzdämpfung  sass, 

*  i  erbindungslinie  zwischen  Einschuss  und  Ausschuss  bzw.  die 
ntgenologisch  nachgewiesene  Kugel  durch  das  Herz  ging  und 
ztcres  trotzdem  gut  funktionierte.  Ob  es  sich  dabei  um  Kontur- 
lüsse  handelt,  ist  schwer  festzustellen. 

Herr  Geipel:  Die  Grösse  der  Eröffnung  des  Herzens  ist  nicht 
mer  tiir  den  spateren  Verlauf  entscheidend.  Die  Kugel  kann  in  den 
ken  Ventrikel  durchschlagen  und  vollständig  einheilen.  Anderer- 
ts  ist  es  möglich,  dass  selbst  durch  die  ganz  dünne  Probepunk- 
nsnadel  einer  Pravazspritze,  die  versehentlich  die  Herzwand  durch- 
lirt,  eine  totale  Herztamponade  zustande  kommt.  Dafür  habe  ich 
,r  kurzem  einen  Beleg  gesehen:  Bei  einem  8jährigen  Kinde  mit 
•lwerer  rheumatischer  Herzaffektion  und  starker  Dilatation  wurde 
gen  verdachtes  auf  Perikarditis  die  Probepunktion  links  vom  Ster- 
n  vorgenommen.  5  Minuten  später  erfolgte  der  Tod.  Bei  der 
\tiou  zeigte  es  sich,  dass  die  W  and  des  linken  Ventrikels  nahe  dem 
Gtum  2,5  cm  oberhalb  der  Spitze  von  der  Nadel  völlig  durchbohrt 

•  r<^en  war’  ur*d  dass  eine  völlige  Tamponade  des  Herzens  die 
ge  gewesen  war.  Es  bestand  hochgradige  Dilatation  der  Herz- 

;ilen.  aber  kein  Exsudat.  Die  Stichöffnung,  welche  in  der  Längs- 
ntung  der  Kammer  gelegen  war,  mass  an  dem  komprimierten 
zen  1  mm  in  der  Länge  ui.d  3  mm  in  der  Breite,  was  beweist, 

I  s  durch  die  Kontraktion  des  Herzens  eine  deutliche  Zerreisung  der 
iskulatur  an  der  Nadel  erfolgt  war.  Mikroskopisch  erwies  sich  der 
■zmuskel  relativ  wenig  verändert. 

Herr  Ernst  Schmorl:  Der  von  Herrn  Faust  erwähnte  Fall 
i Stelz  n  er  ist  mir  seit  20  Jahren  genau  bekannt,  da  mich  der 
lent  wegen  eines  leichten  Diabetes  von  Zeit  zu  Zeit  aufsuchte 
ektiv  sind  nur  eine  geringe  Unregelmässigkeit  der  Herzaktion  und 
leichtes  systolisches  Geräusch  nachweisbar.  Beschwerden  sind 
m  vorhanden.  Leider  ist  der  Patient  nicht  zu  bewegen  sich 
'tgen  zu  lassen. 

Herr  Friedrich  Hesse:  Der  Stelzn  ersehe  Fall  ist  in  der 
■  -ratur  beschrieben.  Ein  Analogon  zu  dem  von  Herrn  Geipel 
geteilten  Falle  habe  ich  selbst  vor  vielen  Jahren  erlebt:  Bei 
:m  schon  lange  an  chronischer  Osteomyelitis  leidenden  Kinde 
■tc  ich  wegen  Verdachtes  auf  exsudative  Perikarditis  die  Probe- 
iktion  des  Herzbeutels  aus  und  sah  binnen  5  Minuten  den  Tod 
i  reten. 

Herr  Wilhelm  Weber:  Auch  ich  habe  eine  Reihe  von  Fällen 
'-neu,  in  denen  der  Einschuss  im  Bereich  der  Herzdämpfung  oder 
ileren  Rande  lag  und  die  Versuchung  zu  einem  Eingriff  recht  gross 

•  Im  Verlauf  der  nächsten  Stunden  zeigte  sich  aber,  dass  die 
ptverletzung  eine  abdominale  Verletzung  war.  Diese  kommt  da- 

i:h  zustande,  dass  die  von  der  rechten  Hand  gehaltene  und  auf 
Gegend  der  Brustwarze  gerichtete  Waffe  sich  im  Moment  des 
ruckens  nach  links  unten  aussen  bewegt;  so  wird  das  Perikard 
gestreift,  aber  das  Zwerchfell  und  häufig  auch  der  Magen  durch- 
>ssen.  In  einem  Falle,  der  einen  Geisteskranken  betraf,  wollte 

•  der  1  atient  eine  spitze  Feile  mittels  eines  Hammers  ins  Herz 
ien;  er  traf  aber  auf  den  Schwertfortsatz  und  trieb  sich  die  Feile 
m  tief  in  die  oberste  Bauchhöhle  hinein. 

Herr  Schümann:  Für  das  Zustandekommen  einer  Infektion  im 
iraraum  ist  der  von  Herrn  Hesse  beschriebene  Sekretsee  nicht 
ruerlich;  allem  die  Berührung  mit  der  Luft  ist  hierzu  ausreichend 
Jungen  ist  die  Anregung  H  e  s  s  e  s  zur  Pleuradrainage  gut  fun- 
■i  und  verdient  volle  Beachtung.  Die  Resektion  des  Brustbeins 
•nt.  talls  man  sich  der  Lappentechnik  bedient,  die  Unterbindung 
vlammaria  interna  notwendig. 

Von  Tretidelenburg  wurde  ein  Fall  beobachtet,  im  dem  die 
h  c  u  Kerzen  lag  und  darin  herumsprang  „wie  eine  Pille  in 
lr  >chachtel‘.  Der  Patient  entzog  sich  der  weiteren  Beobachtung, 
uem  eine  Röntgendermatitis  aufgetreten  war. 

ucl.  eine  Embolie  durch  die  im  Herzen  gelegene  Kugel  ist  be¬ 
ieben  worden. 

Kleine  ^Mitteilungen. 

Verwundetentransportwesen  in  Russland  und  Japan. 

Angesichts  des  deutsch-russischen  Krieges  gewinnen  die  im 
,fc  "Japanischen  Kriege  gemachten  ärztlichen  Beobachtungen  er- 
es  Interesse,  da  sie  uns  über  den  Stand  des  russischen  Militär¬ 
swesens  unterrichten.  Dass  allerdings  in  den  dazwischen  liegen¬ 


den  t  Jahren  die  Russen  auch  in  dipser  Richtung  Fortschritte  gemacht 
.  ,  i.1  "JOKeii,  darf  nicht  vergessen  werden.  Einem  Aufsatz  des  öster¬ 
reichischen  Regimentsarztes  Dr.  Friedrich  Hoorn:  „Kriegschirurgische 
p„iaiM?Sen  ai!,s  dem  russisch-japanischen  Krieg“  (Militärärztliche 
Publikationen  Nr.  104,  Wien,  J.  S  a  f  a  r)  entnehmen  wir  folgendes 
Kesumee  über  das  I ransportwesen  der  beiden  Staaten: 

. .  ’>Pie  Geschichte  ist  die  Lehrerin  des  Lebens.  Wenn  die  Ge¬ 
schichte  des  jüngsten  Krieges  gegenwärtig  Gegenstand  intensiven 
stuüiums  ist,  so  kann  sich  auch  das  Militärsanitätswesen  aus  dem  ge¬ 
waltigen  Volkerringen  am  mandschurischen  Kriegsschauplätze  wich¬ 
tige  Lehren  zunutze  machen.  Zunächst  zeigt  sich,  wie  ausserordent- 
nen  wichtig  ein  gut  eingerichtetes  und  umsichtig  geleitetes  Trans- 
RRJ  *  wesen  für  das  Wohl  der  Verwundeten  ist,  wie  notwendig  die 
eistelmng  reichlicher  und  zweckmässiger  Transportmittel,  die  sorg- 
va„mi?-  Einrichtung  der  Krankenzüge,  die  Fürsorge  für  Labung  und 
crkostigung  der  Verwundeten  auf  dem  Verbandplätze  ist.  Von 
grösster  Bedeutung  für  den  ganzen  Sanitätsdienst  ist  ferner  eine 
rigorose  S  o  r  1 1  e  r  u  n  g  der  Verwundeten,  die  vom  Hilfsplatze  bis  in 
das  Heimatland  durchzufiihren  ist,  und  eine  zentralisierte  umsichtige 
Leitung  des  Verwundetennachschubes.  Das  Ausserachtlassen  der 
^oitierung  hat,  wie  sich  im  russisch-japanischen  Kriege  gezeigt  hat, 
zur  Folge,  dass  die  Tätigkeit  am  Verbandplätze  gehindert  wird,  dass 
Leichtverwundete  in  die  entlegensten  Spitäler  transportiert  werden, 
dass  Leichtkranke  die  Sanitätszüge  füllen,  während  Schwerver¬ 
wundete  in  nicht  eingerichteten  Güterwagen  durch  die  Ungunst  der 
1  ransportverhaltmsse  die  schwersten  Schädigungen  ihrer  Gesundheit 
erleiden.  Line  umsichtige  Leitung  des  Verwundetenabschubes  wird 
ihr  Augenmerk  auch  darauf  zu  richten  haben,  dass  die  Evakuatiou 
nicht  rücksichtslos,  ohne  Beachtung  der  Untransportablen  vor  sich  gehe. 

Ls  kunn  nicht  geleugnet  werden,  dass  der  Verwundetenabschuh 
i rn  a b ge  a i i f e n e n  Kriege  bei  den  Russen  ein  sehr  mangelhafter  war. 
Freilich  hatte  das  russische  Sanitätswesen  mit  unüberwindlichen 
Schwierigkeiten,  mit  der  enormen  Ausdehnung  und  Entlegenheit  des 
Kriegsschauplatzes,  mit  der  Ungunst  des  Klimas,  mit  geringen  Res¬ 
sourcen,  dem  spärlichen  Bahnnetze  zu  rechnen, 
i  ..,.Rer  russischen  Sanitätsleitung  mangelte  es  aber  an  einem  ein¬ 
heitlichen,  zentralisierten  Verwundetenabschube,  eine  Sortierung 
zwischen  Leicht-  und  Schwerverwundeten  fand  nicht  statt,  es  fehlte 
an  einer  entsprechenden  Einrichtung  der  Krankenzüge,  an  Vorkeli- 
rungen  für  die  Verköstigung  der  Kranken  und  Verwundeten,  Uebel- 
stände,  die  die  Leiden  der  armen  Verwundeten  ins  Unerträgliche 
steigerten  und  einen  höchst  ungünstigen  Einfluss  auf  den  Wundver¬ 
lauf  hatten. 


In  mancher  Hinsicht  kann  uns  dagegen  das  japanische  Militär- 
samtatswesen  als  ein  nachahmenswertes  Beispiel  eines  wohlorgani- 
sierten  Sanitätsdienstes  gelten.  Die  sorgfältige  Sortierung  der  Ver¬ 
wundeten,  der  rasche  Abschub  derselben,  die  zweckentsprechende 
.p.e v0An  Hilfs-  und  Verbandplätzen,  die  aufopferungsvolle 
Tätigkeit  der  Aerzte  und  Blessiertenträger  in  der  Gefechtslinie  geben 
Zeugnis  von  der  Tüchtigkeit  des  japanischen  Sanitätspersonals.  Die 
japanischen  Sanitätsorgane  waren  durchaus  nicht  schwerfällig,  son¬ 
dern  rasch  im  Entschlüsse,  sicher  im  Urteile  und  geschickt  in  der 
Selbsthilfe,  mit  sicherem  Blick  das  Notwendige,  den  Mangel  wahr¬ 
nehmend.  Immer  galt  ihnen  die  Zweckmässigkeit,  die  Anpassung  an 
die  gegebenen  Verhältnisse  als  leitendes  Prinzip.  Wir  sehen,  dass  es 
den  Japanern  zu  Beginn  des  Krieges  vollständig  an  Sanitätswagen 
mangelte,  dass  die  Ausrüstung  der  Feldspitäler  völlig  unzulänglich 
war.  Durch  geschickte  Improvisation  und  Vermehrung  der  Aus¬ 
rüstung  suchten  sie  rasch  die  Mängel  zu  beheben.  Sie  hielten  sich 
nicht  mit  starrer  Strenge  an  eine  gegebene  Schablone,  sondern  ge¬ 
brauchten  die  Sanitätsformationen,  wie  es  die  konkreten  Verhält¬ 
nisse  erheischten.  Dies  zeigte  sich  besonders  in  der  verschieden¬ 
artigen  Evakuation  und  Verstärkung  der  Hilfs-  und  Verbandplätze, 
sowde  in  deren  Ablösung  in  Feldspitäler. 

Auch  unser  Reglement  für  den  Sanitätsdienst  setzt  von  den  Sa- 
mtatsorganen  Raschheit  des  Entschlusses,  Zweckmässig¬ 
keit,  Anpassung  an  die  gegebenen  Verhältnisse  und  Selbsthilfe 
voraus.  In  allem  aber  muss  die  Sorge  für  das  Wohl  der  Kr  a  n  - 
ken  und  Verwundeten  die  Handlungsweise  des  Arztes  be¬ 
stimmen.  Darin  gaben  uns  die  Japaner  ein  nachahmenswertes  Bei¬ 
spiel.“ 


Verschiedenes. 

Therapeutische  Notizen. 

Zement  als  B  1  u  t  s  t  i  1 1  u  n  g  s  -  und  Plomben- 
m  a  t  er  i  albei  Schädeloperationen  emofiehlt  V.  S  c  h  i  I  - 
I  er- Wien  (a.  d.  Laboratorium  der  psychiatrischen  Klinik,  Prof. 
Wagner  v  Jau  r  egg.  W.kl.W.  1014  Nr.  32).  Sch.  suchte  nach 
emem  pulvenörmigen  Mittel,  das  nach  gleichmässiger  Durchtränkung 
nnt  Blut  eine  plastische  Masse  liefert,  welche  die  Ausfüllung  der 
blutenden  Knochenwunde  gestattet,  verhältnismässig  rasch  erhärtet 
1,1  dm*  Knochen  wunde  einheilt.  Diese  Bedingungen 
erfüllt  das  pulverförmige  Kalzium-Aluminium-Silikat  (Zement),  das 
Sch.  trocken  sterilisiert  anwendete.  Auch  als  gut  verwendbares 
Material  für  Knochenplomben  kommt  der  Zement  in  Betracht.  Das 
Verfahren  hat  sich  bei  einer  grösseren  Reihe  von  Schädeloperationen 
am  Hunde  bewährt  und  scheint  erfolgversprechend  zu  sein.  (Vor¬ 
läufige  Mitteilung.) 


Nr.  32. 


1800 


Feldärztliehe  Beilage  zur  münch.  med.  Wochenschrift. 


Nachrichten. 


München,  den  10.  August  1914. 


—  Die  erste  Woche  der  Mobilisierung  der  deu  t  s  c  hen 
Armee  ist  vorüber  und  hat  den  Beweis  von  der  ausgezeichneten 
Kriegsbereitschaft  Deutschlands  geliefert.  Wer  die  T*uhe  “"d  Ord¬ 
nung  mit  der  sich  die  Riesenleistung  dieser  Mobilmachung  vollzieht, 
beobachtete,  gewann  die  Gewissheit,  dass  die  Maschine,  die  hier  so 
präzis  und  fast  geräuschlos  arbeitete,  auch  im  Oelde  nmht 
wird.  Und  wer  die  endlosen  Züge  der  ausruckenden  1  <?der 

den  unablässigen  Strom  der  vom  Lande  cintreffenden  Wehrpflichtigen 
sah,  dfe  sSammen  Söhne  des  Gebirgs  und  die  wettergebraunten 
Burschen  der  Hochebene,  meist  prächtige  Gestalten,  von  tadelloser 
Disziplin  ernst,  aber  doch  voll  Freude  und  Begeisterung  darüber, 
dass  sie’ berufen  sind  den  Kampf  um  die  Existenz  der  Nation  ent¬ 
scheiden  zu  helfen,  der  wurde  erfüllt  von  \ertrauen  auf  die  Tüchtig¬ 
keit  dieser  Armee.  Und  wie  hier  so  im  ganzen  deutschen  Reich, 
man  lernt  erUnnen.  was  es  heisst,  ein  Volk  in  Waffen-  Em  Volk, 
so  organisiert  und  vom  Geiste  der  Vaterlandsliebe  und  der  Pflicht 
erfüllung  beseelt,  muss  unüberwindlich  sein.  Möge  ihm  ein  rascher, 
restloser  Sieg  über  seine  Feinde  beschieden  sein,  damit  es  bald 
wieder  zu  den  Werken  des  Friedens  zurückkehren  kann. 

—  Zu  der  Ordnung,  mit  der  sich  die  Mobilmachung  vollzieht,  trägt 
gewiss  nicht  wenig  das  Alkoholverbot  bei.  Es  wird  davor  gewarnt, 
durchziehenden  Mannschaften  alkoholische  Getränke  zu  reichen;  aut 
den  Bahnhöfen  ist  der  Alkoholausschank  überhaupt  untersagt.  Wer 
sich  aus  dem  Jahre  1870  erinnert,  wie  damals  den  durchziehenden 
Truppen  Ströme  von  Bier  gereicht  wurden  und  wie  dadurch  die 
Disziplin  nicht  selten  gelockert  wurde,  vermag  den  Fortschritt,  der 
in  dem  Alkoholverbot  liegt,  zu  würdigen. 

—  Sofort  nach  Erklärung  des  Krieges  begann  eine  ausgedehnte 
Arbeit  zur  Fürsorge  für  die  Verwundeten  und  Kranken,  insbesondeie 
seitens  des  Roten  Kreuzes.  An  die  Spitze  stellte  sich  der  Kaiser,  der 
100  000  M.  für  Zwecke  des  Roten  Kreuzes  und  die  gleiche  Summe 
zur  Fürsorge  für  die  Familien  der  zu  den  Fahnen  Einberufenen 
spendete,  ferner  stellte  er  die  Kgl.  Schlösser  in  Strassburg,  Wies¬ 
baden,  Königsberg  und  Koblenz  zur  Aufnahme  von  Verwundeten  un 
Kranken  zur  Verfügung.  —  ln  Bayern  eröffnten  der  König  und  die 
Königin  die  Sammlungen  für  Verwundetenfürsorge  und  Angehorigen- 
fürsorge  durch  Spenden  von  je  10  000  M.  Seine  Majestät  haben 
ausserdem  bestimmt,  dass  alle  geeigneten  und  verfügbaren  Raume 
in  den  Schlössern  der  Kgl.  Zivilliste  samt  den  vorhandenen  Einrich¬ 
tungen  an  Betten  etc.  als  Lazarette  und  Erholungsstätten  sowie  zu 
sonstigen  Kriegszwecken  (Sammelstellen,  Depots  etc.)  zur  Verfügung 
gestellt  werden.  —  Der  Kaiser  von  Oesterreich  hat  1  Million  Kronen 
für  Fürsorgezwecke  für  die  Armee  gespendet.  Die  von  privater 
Seite  gestifteten  Beträge  erreichen  bereits  eine  bedeutende  Hohe. 

—  Die  Mitglieder  der  Berliner  amerikanischen  Aerztegesell- 
schaft  haben  beschlossen,  ihre  Dienste  in  den  Sanitätsanstalten  der 
deutschen  Heere  anzubieten. 


grossen  Lazaretten  an  der  Grenze  und  hier  in  München.  Jedermann 
kann  Arbeit  leisten,  die  seinen  Kräften  entspricht,  zum  Besten  des 
ganzen  Vaterlandes.  Darum  stellt  euch  alle  in  den  Dienst  der  guten 
Sache  und  helft  uns  die  Wunden  des  Krieges  zu  heilen. 

Anmeldungen  werden  auf  der  Geschäftsstelle  der  Münchener 
Medizinerschaft,  Pettenkoferstrasse  14/1,  täglich  von  9—12  und 
2—6  Uhr  entgegengenommen. 

(Todesfall.) 

Stabsarzt  Dr.  P  a  u  1  s  e  n,  Spezialarzt  für  Ohren-,  Hals-  und 
Nasenkrankheiten  in  Dresden,  stürzte  in  Pirna  so  unglücklich  mit 
dem  Pferde,  dass  nach  kurzem  der  Tod  eintrat. 


—  In  München  fand  am  8.  ds.  eine  Versammlung  von  Ver- 
tretern  ärztlicher  Vereine  statt,  in  der  über  die  La^e  und  über  cic 
den  Aerzten  erwachsenden  Aufgaben  beraten  wurde.  Es  soll  vor 
allem  die  Vertretung  der  ins  Feld  gezogenen  Kollegen  geregelt  wer¬ 
den  Durch  einen  Fragebogen  soll  festgestellt  werden,  welche  Aerzte 
noch  in  München  sind  und  ob  sie  zur  Vertretung  anderer  bereit 
sind,  ferner  welche  Aerzte  ausgerückt  sind  und  welche  Vertreter  sie 
aufgestellt  haben.  Die  Polizeidirektion  soll  um  ihre  Mitwirkung  bei 
der  Bekanntmachung  der  Vertretungen  ersucht  werden,  damit  die 
Versorgung  mit  ärztlicher  Hilfe  keine  Störung  erleidet.  Es  wurde 
eine  Kommission,  bestehend  aus  den  Herren  Hecht,  Hohmann, 
Lukas  und  Scholl  gewählt,  der  die  Durchführung  der  ange¬ 
regten  Massnahmen  obliegt.  Als  Geschäftsstelle  dient  das  Büro  der 

Freien  Arztwahl,  Pettenkoferstrasse  14. 

—  Auch  die  in  München  wohnenden  Aerztinnen  und  Medi¬ 
zinerinnen  in  höheren  Semestern  wünschen  ihre  Kräfte  in  den  Dienst 
der  grossen  vaterländischen  Sache  zu  stellen.  Es  dürfte  dies  zu¬ 
nächst  wohl  am  besten  dadurch  geschehen,  dass  sie  an  Kranken¬ 
häusern,  Kliniken  und  Polikliniken,  die  wegen  Mangels  an  Aerzten 
oft  kaum  den  Betrieb  aufrecht  erhalten  können,  die  Stellen  ihrer 
ausgerückten  Kollegen  einnehmen.  Aerztinnen,  welche  zu  solchen 
Dienstleistungen  bereit  sind,  wollen  sich  bei  Frl.  Dr.  Kraepelin, 
Psychiatrische  Klinik,  München,  Nussbaumstr.  7,  melden.  Ebenso 
werden  Krankenanstalten  in  München  und  auswärts,  welche 
Aerztinnen  und  Medizinerinnen  in  höheren  Semestern  beschäftigen 
wollen,  gebeten,  sich  an  Frl.  Kraepelin  zu  wenden. 

_  In  Kiel  ist  nach  dem  Aufruf  des  Rektors  der  Universität  fast 

die  gesamte  Studentenschaft  dem  Rufe  zu  den  Fahnen  gefolgt.  — 
Das  Münchener  Korps  Franconia  hat  sich  in  corpore  zum  Waffen¬ 
dienst  gestellt  und  hat  an  sämtliche  Angehörige  des  Kosener  S.  O. 
einen  Aufruf  ergehen  lassen,  sich  als  Freiwillige  zu  stellen.  Aehnliche 
Aufrufe  ergehen  von  den  deutschen  Burschenschaften. 

—  Die  Münchener  Medizinerschaft  erlässt  an  alle 
landsturmpflichtigen  oder  gänzlich  militärdienstfreien  Aerzte,  Medi¬ 
ziner  und  Medizinerinnen,  ebenso  an  alle  Nichtmediziner,  beiderlei 
Geschlechts,  die  sich  in  den  Dienst  der  Hilfeleistungen  für  unsere 
verwundeten  Krieger  stellen  wollen,  folgenden  Aufruf. 

„Stellt  euch  dem  Vaterlande  zur  Verfügung  als  Aerzte  und 
Krankenpfleger  in  den  Feldlazaretten  und  Lazarettzügen,  in  den 


Kriegsvertretung  der  Aerzte. 


Die  Aerztekammer  für  die  Provinz  Brandenburg 
und  für  den  Stadtkreis  Berlin  erlässt  folgenden  Aufruf- 


Das  Vaterland  bedarf  jetzt  einer  grossen  Zahl  von  Aerzten  im 
Felde  und  in  den  Lazaretten.  Viele,  die  in  diesen  '1  agen  ausrücken 
müssen,  konnten  in  der  kurzen  Zeit  keinen  Vertreter  zur  Versorgung 
ihrer  Kranken,  der  Kassenkranken  und  der  Privatpatienten  finden. 
Viele  andere,  die,  ohne  dazu  verpflichtet  zu  sein,  freudig  sich  der 
Armee  zur  Verfügung  stellen  würden,  werden  daran  aus  Rücksicht 
auf  ihre  unversorgt  zurückbleibenden  Kranken  gehindert.  Um  den 
einen  wie  den  anderen  die  Sorge  um  ihre  Patienten  abzunehinen. 
diesen  aber  die  ärztliche  Hilfe  vollkommen  zu  sichern,  organisiert 
die  Aerztekammer  einen  einheitlichen  Vertreterdienst.  Damit  dieser 
unverzüglich  ins  Leben  treten  kann,  haben  wir  beschlossen. 

1  Die  ins  Feld  ziehenden  Aerzte  und  diejenigen,  die  sich  dem 
Heere  zur  Verfügung  stellen  wollen,  werden  gebeten,  unverzüglich 
von  der  Art  ihres  Vertretungsbedürfnisses  Kenntnis  zu  geben.  - 
2.  Alle  in  Gross-Berlin  bleibenden  Aerzte  werden  gebeten,  eben-, 
falls  unverzüglich  ihre  Bereitwilligkeit  zur  \ertrctung  mitzuteilen 
unter  Hinzufiigung  aller  ihnen  zweckmässig  erscheinenden  Angaben. 

Von  dem  vaterländischen  und  dem  kollegialen  Sinn  unserer 
Kollegen  erwarten  wir,  dass  jeder,  der  in  der  Lage  ist,  Vertretung  zu 
leisten,  sich  dazu  bereit  erklärt.  Alle  Zuschriften  sind  mit  der  Auf- 
schrift-  Kriegsvertretung  zu  richten  an  das  Büro  der 
Aerztekammer,  Berlin,  Schellingstrasse  9.  In 
dringenden  Fällen  wird  telephonisch  Auskunft  gegeben  von  Herrn 
Sanitätsrat  Dr.  Moll  (Steinplatz  6969)  und  Herrn  Dr.  G.  Ritter 
(Steinplatz  13  408). 


Amtliches. 


Notapprobation  für  Aerzte. 


Vorübergehende  Aufhebung  des  praktischen 

Jahres. 

Der  Bundesrat  hat  in  der  Sitzung  vom  1.  August  1914  be 

schlossen; 

1.  die  zuständigen  Landeszentralbehörden  —  §  1  der  Prüfungs¬ 
ordnung  für  Aerzte  —  zu  ermächtigen,  den  Kandidatei 
der  Medizin,  die  die  ärztliche  Prüfung  abgelegt 
das  praktische  Jahr  aber  noch  nicht  beende 
haben,  unter  B  e  f  r  e  i  u  n  g  von  der  Ableistung  des  Restes  de1 
praktischen  Jahres  die  Approbation  als  Arzt  s  o  f  o  r  t  zi 
erteilen, 

2.  die  nach  Nr.  1  erteilte  Ermächtigung  bis  auf  weiteres  aucl 
auf  diejenigen  Kandidaten  der  Medi  z  i  n  zu  er 
strecken,  die  nach  dem  Ergehen  dieses  Beschlusses  di 

ärztlichePrüfungablegen, 

3.  die  zuständigen  Behörden  zu  beauftragen,  den  gemäss  Nr.  1. 
zu  approbierenden  Kandidaten  der  Medizin  bei  hrteilung  'v 
Approbation  zu  Protokoll  zu  eröffnen,  die  Erteilung  erfolg 
in  der  Erwartung,  dass  die  Kandidaten  —  soweit  si 
nicht  heeresdienstpflichtig  und  -fähig  sind  —  den  Be¬ 
hörden  zur  Verwendung  an  solchen  Orten  zur  ver 
fiigung  stehen  würden,  in  denen  eine  Verstärkung  de 
ärztlichen  Personals  erforderlich  erscheine. 


Berlin,  den  1.  August  1914. 

Der  Stellvertreter  des  Reichskanzlers. 
Delbrück. 


Zur  Beachtung. 

Die  „Feldärztliche  Beilage“  wird  nach  Möglichkeit  allen  im  Fek 
stehenden  oder  in  Militärlazaretten  beschäftigten  Aerzten  o- 
deutschen  und  österreichischen  Armee  unentgeltlich  geliefert.  Herr 
welche  sie  nicht  erhalten,  werden  um  Angabe  ihrer  Adresse  ersue 


Die  Beiträge  für  die  „Feldärztliche  Beilage“  werden  nach  c 

höhten  Sätzen  honoriert.  . 

J.  F.  Lehmanns  \ erlag 


Verlag  von  ].  F.  Lehmann  in  München  S.W.  2,  Paul  Heysestr.  26.  —  Druck  von  E.  MOhlthaler’s  Buch-  und  Kunstdruckerei  A.O.,  München. 


DieMßnchener  Medizinische  Wochenwhrift  erscheint  wöchentlich 
m  Umfang  von  durchschnittlich  7  Bogen.  .  Preis  der 
Nummer  80  *1.  *  Bezugspreis  in"  Deutschland*  ÄStffiBS 
.<  6.—.  .  Übrige  Bezugsbedingungen  siehe  auf  dem  Umschlag 


MÜNCHENER 


Zusendungen  sind  zu  adressieret 
FOrdie  Redaktion  Arnulfstr.26.  Bürozeit  der  Redaktion  S'/,-l  Uhr 
För  Abonnement  an  j.  F.  Lehmann’s  Verlag,  Paul  Heysestrasse  li 
Für  Inserate  und  Beilagen  an  Rudolf  Mosse,  Theatinerstrasse  S. 


Medizinische  Wochenschrift. 


ORGAN  FÜR  AMTLICHE  UND  PRAKTISCHE  ÄRZTE. 


Nr.  33.  18.  August  1914. 


Redaktion:  Dr.  B.  Spatz,  Arnulfstrasse  26. 
Verlag.  J.  F.  Lehmann.  Paul  Heysestrasse  26. 


61.  Jahrgang. 


Der  Verlag  behält  sich  das  ausschliessliche  Recht  der  Vervielfältigung  und  Verbreitung  der  In  ...  ,  ,  , - 

- - — _ _ _ _ uicber  Teilschritt  zum  Abdruck  gelangenden  Onginalbeiträge  vor 


Originalien. 

Aus  der  Städtischen  Frauenklinik  zu  Frankfurt  a.  M.  (Direktor- 

r° ;  W  a  1  Ü  a  r  d)-  Aus  dem  Kgl.  Institut  für  experi¬ 

mentelle  I  herapie  (Direktor:  Wirkl.  Geh.  Rat  Prof.  Dr.  E  h  r - 
lieh,  Exz.).  Aus  dem  chemisch-physiologischen  Institut 
(Direktor:  Prof.  Dr.Embde  n). 

(linische  und  experimentelle  Untersuchungen  über  die 
Wirkung  des  Salvarsans  auf  die  kongenitale  Syphilis 
des  Fötus  bei  Behandlung  der  Mutter. 

Von  Dr.  Erwin  Meyer,  Assistent  der  Frauenklinik. 

I.  Klinischer  Teil. 

Die  jnfauste  Prognose  des  Schwangerschaftsproduktes 
inet  mclit  behandelten  syphilitischen  Mutter  machte  es  dem 
jeburtshelfer  selbstverständlich,  unter  allen  Umständen  eine 
yphihtische  Schwangere  antiluetisch  zu  behandeln,  und  jeder 
rosse  Fortschritt  in  der  antiluetischen  Therapie  musste  frucht- 
' ringend  auf  die  Behandlung  der  kongenitalen  Syphilis  wirken. 
h.tT  hteruatin;,finden  wir’  gesammelt  an  grossen  Statistiken, 
ei  Nichtbehandlung  der  maternen  Syphilis  eine  primäre  Mor¬ 
alität  bzw.  T  od  des  Kindes  in  den  ersten  Lebensjahren  von 
1-  Proz.  Leduc,  80  Proz.  v.  Z  e  i  s  s  1,  90  Proz.  nach 
“"eh  und  90,2  Proz.  nach  Markus.  Dazu  weisen  nach 
lochsing  er  93  Proz.  der  syphilitischen  Kinder  Erkran- 
ungen  des  Nervensystems  auf.  Man  muss  sich  diese  Zahlen 
uherer  Jahre  vor  Augen  führen,  um  einerseits  an  die  prak- 
sch  absolut  infauste  Prognose  des  Schwangerschaftspro- 
uktes  einer  nicht  behandelten  Syphilitika  zu  glauben,  anderer- 
eits  —  wie  ich  später  zeigen  will  —  die  grossen  Fortschritte 
nzu erkennen,  die  die  Behandlung  der  kongenitalen  Syphilis 
ur  Folge  hat. 

Bei  der  kongenitalen  Syphilis  haben  wir  durch  die  Be- 
rteilung  der  maternen  Lues  keinen  Anhaltspunkt  für  die 
chwere  der  fötalen  Lues.  Ich  kann  Markus  nicht  unbedingt 
eistimm en,  wenn  er  die  von  der  Mutter  in  utero  infizierte 
,  u  ,  einem  frisch  angesteckten  Syphilitiker  gleichstellt 
‘ ir  können  an  den  syphilitischen  Neugeborenen  nicht  die  ein- 
"  nen  Stadien  der  Lues  verfolgen,  sondern  in  jedem  Stadium 
-r  maternen  Lues  kann  ein  Kind  mit  Pemphigus,  Hepatitis, 
Plenitis,  Osteochondritis  syphilitica  geboren  resp.  ein  syphi- 
ischer  mazerierter  Fötus  ausgestossen  werden.  In  der 
atnologie  der  kongenitalen  Syphilis  können  wir  eben  nicht 
e  üblichen  3  Stadien  der  Syphilis  auseinanderhalten.  Nur  ein 
oüiis  der  Infektion  ist  hiervon  ausgenommen.  Ist  der  Fötus 
trautenn  noch  nicht  erkrankt  und  hat  die  Gebärende  infek- 
>ns  tüchtige,  syphilitische  Herde  im  Bereich  des  Genital- 
hlauches  z.  B.  Primäraffekt  oder  Papeln  —  solche  Zustände 
amen  bei  der  luetischen  Infektion  der  Mutter  nach  dem 

L  V^ngMrSchaftsmonat  e‘nfrcfen — »so  kann  das  nicht-luetisch 
Krankte  Neugeborene  noch  während  der  Austreibungsperiode 
‘  ziert  werden.  Dieser  Infektionsmechanismus  ist  demnach  ein 
In' i er!ner  and  ist  also  streng  genommen  nicht  mehr  kon- 
.•nitai,  das  Neugeborene  macht  dann  alle  drei  Stadien  der 
3  H,rca-  P'e  Mütter  luetischer  Neugeborener  weisen  in 
roz.  eine  positive  Wassermann  sehe  Reaktion  auf. 

,>n  am  Leben  gebliebenen  Kindern  latent  luetischer  Mütter 
3  en  schon  in  den  ersten  Wochen  50  Proz.  eine  positive 
a  s  s  e  r  m  a  n  n  sehe  Reaktion  (v.  S  z  i  I  y).  Nicht  viel  besser 
t  onne  Hchantjiung  dcr  maternen  Lues  wird  die  Aussicht 
e  endes  Kind  zu  erhalten,  wenn  eine  Luetika  vor  Eintritt 
Nr.  33. 


^aVldlt,at’  ?  eLT5  in  der  Schwangerschaft  selbst,  be¬ 
handelt  wird  In  82,3  Proz.  dieser  Fälle  müssen  wir  nach 

|Mrnnl,knU/  m t0ten  Kind  rechnen-  Die  luetischen  Er¬ 
krankungen  der  Mutter  spielen  auch  keine  Rolle  für  die  Neu¬ 
geborenen,  symptomfreie  luetische  Mütter  gebären  sogar  in 
8  sicher  syphilitische  Kinder-  während  die  Zahl  der 

syphilitisch  erkrankten  Kinder  von  mit  Erscheinungen  be- 
Jjaf  et.en,  Muttern  nur  65,8  Proz.  beträgt.  Die  Erklärung  liegt 
natürlich  dann,  dass  diese  Patientinnen  in  der  Regel  unter  Be¬ 
handlung  stehen,  im  Gegensatz  zu  den  älteren  Gruppen,  wo  oft 
viele  Jahre  seit  der  letzten  Kur  vergangen  sind  (Markus). 
Diese  gemmnten  Zahlen  zwingen  uns,  eine  syphilitische  Frau 
als  fui  ihren  Fötus  frisch  infektiös  während  ihres  ganzen  gebär- 
fahigen  Alters  zu  betrachten  mit  dem  geringen,  für  unsere  Be¬ 
trachtungen  nicht  in  Anrechnung  zu  bringenden  Fehler,  dass 
die  Lues  schon  im  jüngeren  Lebensalter  ausheilen  resp  bei 
Emtntt  emer  Schwangerschaft  für  den  Fötus  infektions- 
untuchtig  werden  kann.  Bessere  Resultate  des  Schwanger- 
scnaitsproduktes  müssen  uns  einen  Anhaltspunkt  dafür  geben 
ob  wir  durch  Behandlung  der  Schwangeren  die  syphilitische 
Infektion  des  Fötus  resp.  den  Tod  desselben  infolge  der 
maternen  Lues  verhindern  können.  Diese  Frage  wurde  auf 
u  Kongress  der  französischen,  geburtshilflichen  Gesell¬ 
schaft  eingehend  erörtert.  Ich  gebe  hier  die  Zahlen  wieder 
wie  sie  Sau  vage  in  seinem  Referat  niedergelegt  hat  Be¬ 
merkenswert  ist  diese  Statistik  deshalb,  weil  sie  die  einzige 
ist,  die  nach  Einführung  des  Salvarsans  in  der  antiluetischen 
I herapie  zusammengestellt  ist.  Vor  der  Salvarsanzeit 
wurden  von  217  infizierten  Frauen  mit  Zeichen  der 
frischen  Syphilis,  die  in  der  Schwangerschaft  syste¬ 
matisch  mit  Quecksilber  oder  kombiniert  mit  Jod  behandelt 
wurden,  in  25,46  Proz.  lebende  Kinder  geboren,  von  den  leben¬ 
den  Kindern  hatten  10,18  Proz.  Zeichen  der  Syphilis. 

Von  163  Frauen  ohne  Zeichen  der  frischen 
Syphilis  (Lues  latens:  Wassermannsche  Reaktion 
positiv)  vor  der  Gestationsperiode  nicht  genügend  behandelt, 
in  der  Schwangerschaft  systematisch  mit  Quecksilber  oder 
kombiniert  mit  Jod  behandelt,  wurden  in  66,25  Proz.  lebende 
Kinder  ohne  Zeichen  der  Lues  geboren,  14,72  Proz  tragen 
Zeichen  der  Lues,  19  Proz.  sind  mazeriert. 

V°n..  Krauen  mit  Lues  latens  vor  und  während  der 
Gravidität  systematisch  mit  Hg  oder  kombiniert  mit  Jod  be¬ 
handelt  wurden  in  88,28  Proz.  lebende  Kinder  geboren  die 
übrigen  tragen  Zeichen  der  Lues. 

.  ^nschhiss  daran  gebe  ich  einen  sehr  instruktiven 
rall  wieder,  den  1  uchmann  beobachtet  und  über  den 
F  o  u  r  n  i  e  r  uns  berichtet. 

t  A  betrifft  eine  syphilitische  Frau,  die  11  mal  gravid  war  Im 
Laufe  der  ersten  7  Schwangerschaften  keine  Behandlung.  Resultat: 

/  syphilitische  Kinder,  die  alle  starben.  Im  Laufe  der  8.  und  0. 
Schwangerschaft  spezifische  Behandlung  mit  Hg.  Resultat: 

2  v,  f.bcnd?’  SDSnndc  Kinder.  Während  der  10.  Schwanger- 
schaft  keine  Behandlung:  Syphilitisches  Kind,  das  an  Syphilis 
stirbt.  11.  Schwangerschaft:  Neuerliche  Behandlung.  Geburt 
eQeT. munden  Kindes.  Fournier  führt  dann  weiter  aus:  „So 
mächtig  und  leider  so  kurz  andauernd  ist  die  Wirkung  der  Mcrkurial- 
behandlung,  dass  ich  mich  —  wäre  das  Experiment  minder  un- 
moralisch  —  der  Aufgabe  unterziehen  möchte,  eine  syphilitische  Frau 
abwechselnd  gesunde  und  syphilitische  Kinder  zur  Welt  bringen  zu 

oder' "nicht“06"1  ihr  e‘ne  spezifische  Behandlung  durchführe 

Wir  sehen,  dass  eine  antiluetische,  selbst  systematisch  an¬ 
gewandte  Therapie  mit  Hg  vor  Eintritt  der  Gravidität  dem 
Fötus  keinen  genügenden  Schutz  gegen  eine  luetische  Infektion 

1 


1*02 _ __ 

bietet.  Besser  sind  schon  die  Resultate  bei  antiluetischer  Be¬ 
handlung  mit  Hg  nur  während  der  Qraviditat.  Einen  noch 
besseren  Erfolg  verzeichnen  wir  dann,  wenn  der  antiluetischen 
Therapie  mit  Hg  während  der  Gravidität  eine  systematische 
Behandlung  vor  der  Konzeption  vorangeht. 

Und  nun  ist  es  interessant,  die  Resultate  nach  Einführung 
des  Salvarsans  zu  studieren.  Gestattet  uns  doch  das  Sal- 
varsan  durch  die  relativ  grosse  Differenz  zwischen  kurativer 
und  toxischer  Dosis,  dem  Körper  eine  entsprechend  grosse 
Menge  Arsen  einzuverleiben,  und  damit  in  kurzer  Zeit  einen 
energischen  Einfluss  auf  die  Syphilis  im  allgemeinen  zu 

C1/i<Von  Autoren,  die  ihre  Resultate  von  in  der  Schwanger¬ 
schaft  mit  Salvarsan  oder  Salvarsan  kombiniert  mit  Queck¬ 
silber  behandelten  Frauen  mitgeteilt  haben,  gebe  ich  folgende 
Zahlen  in  Form  einer  Tabelle  wieder- 


M U F.NCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRlEI' . 


Nr.  33. 


Von  den  43  in  graviditate  Behandelten  gebaren  42  Mutter  je  ein 
lebendes  Kind.  Von  diesen  42  Kindern  starben  5  Kinder  in  den 

erStCDie  Mutter  des  totgeborenen  Kindes  und  der  5  post  partum  ge¬ 
storbenen  Kinder  sind  wie  folgt  behandelt  worden: 

1  Totgeborenes  Kind  im  6.  Monat  (Kind  26  cm  lang,  500  g 
schwer).  Die  Mutter  hat  0,8  g  Salvarsan  und  0,05  g  Hydrargyrum 
salicylicum  im  4.-5.  Monat  der  (iravidität  erhalten. 

2  Lebend  geborenes  Kind  I.  Dessen  Mutter  hat  0,9  g  .  alvarsan 
und  0  35  g  Hg.  sal.  im  6.  Monat  der  Gravidität  erhalten  Es  stirbt 
am  3  Tage  nach  der  Geburt  und  weist  Pemphigus  an  den  Händen 

und  Füssen  auf.  . 

3  Lebend  geborenes  Kind  II  (Frühgeburt  im  8.  Monat  .  Dessen 
Mutter  hat  0,4  g  Salvarsan  und  0,05  g  Hg.  sal.  4  1  age  vor  der 1  «bur 
erhalten.  Es  stirbt  11  Stunden  nach  der  Geburt.  Die  Sektion  ergiot 
keine  Zeichen  der  Syphilis. 

4  Lebend  geborenes  Kind  III  (Frühgeburt  im  8.  Monat).  Dessen 
Mutter  hat  0,4  g  Salvarsan  und  0,05  Hg.  sal.  kurze  Zeit  vor  der 


Name  des  Autors  Anzahl  der  Fälle 


Stadium  der  maternen  Lues, 
Zeichen  der  Syphilis 


lebende  Kinder 


tote 

Kinder 


Es  starben  später  ?  Kinder 
oder  zeigten  später  Zeichen 
der  Syphilis 


Lebende 
Kinder 
vom  Autor 
in  Prozent¬ 
zahl  gesetzt 


Sauvage 

Jeanselme 

derselbe 

Fahre  und  Bourret 
Brisson 


derselbe 


v.  Szily 
Audebert  und 
Berny 


Heden 


derselbe 

Lemcland  u.  Brisson 

Schreiber 

Gluck 

Fraenkel  u.  Olaser 
v.  Zeissl 
Galliot 
Levis 

Oui 

Baisch 

Barin 

Girauld  und  Tissier 


91 

16 

2 

6 

36 


(mit  Neosalvarsan 
behandelt) 

10 

7 

(nur  mit  Salvarsan 
behandelt) 

17 

(nur  mit  Salvarsan 
behandelt) 

10 

(mit  Salvarsan  und 
Hg  behandelt) 

19 


Zeichen  der  frischen  Syphilis 
do. 

Lues  latens 
do. 


Lues  latens 


Lues  latens 


7 

4 


50  Proz. 


10 


18 

2 

2 

3 
1 

4 

gesunde 

Zwillinge 

2 

2 

2 

4 


14,2  Proz.  schwach  positive 
Wassermannsche  Reaktion ; 
35,7  Proz.  deutliche  Zeichen 
der  Syphilis 


1  Kind  zeigt  positive  Wasser¬ 
mannsche  Reaktion 


2  starben  am  17.  resp.  13.  Tag 
nach  d.  Geburt,  2  Kinder  später ; 
Zeichen  der  Syphilis  (Pemphigus 
resp.  Plaques  am  Anus) 


1  Kind  nach  3  Wochen  t 


3  Kinder  später;  Wassermann¬ 
sche  Reaktion  positiv 


100 


94,73 


Wir  haben  in  der  städt.  Frauenklinik  zu  Frankfurt  a.  M. 
43  Fälle  von  Syphilis  in  der  Gravidität  beobachtet,  die  teils 
in  der  Frauenklinik,  teils  in  der  Abteilung  für  Hautkranke  anti¬ 
luetisch  behandelt  wurden. 

Die  Behandlung  der  Schwangeren  richtet  sich  nach  den 
allgemeinen  Prinzipien  der  antiluetischen  Therapie  die  heute 
allgemein  die  kombinierte  Salvarsan-Quecksilbertherapie  be¬ 
deutet.  So  werden  die  Schwangeren  in  jedem  Monat  der 
Schwangerschaft  gleich  nach  der  Aufnahme  in  das  Kranken¬ 
haus  kombiniert  behandelt.  Wir  streben  danach  im  Ingr¬ 
esse  des  Fötus  einer  luetischen  Schwangeren  in  möglichst 
kurzer  Zeit  eine  möglichst  hohe  Dosis  zu  geben  und  halten 
eine  ganze  Kur  für  beendet,  wenn  1,5—3  g  Salvarsan  und 

i)  5 _ i  o  g  Quecksilber  verabfolgt  sind.  Das  Salvarsan  geben 

wir  intravenös  von  0,2  steigend  bis  0,4  g  in  Zwischenräumen 
von  5 _ 8  Tagen,  in  den  Tagen  zwischen  den  einzelnen  Infu¬ 

sionen  0,05  bzw.  0,1  g  Hydrargyrum  salicylicum  intramuskulär, 
selbstverständlich  unter  ständiger  Kontrolle  der  Nierenfunk¬ 
tion  Das  Salvarsan  wurde  in  allen  Fällen  gut  vertragen.  Die 
Schwangerschaft  ging  ungestört  weiter,  insbesondere  haben 
wir  niemals  Blutungen  oder  einen  Abort  auftreten  sehen,  der 
dem  Salvarsan  zur  Last  fallen  könnte.  Dagegen  wurde  von 
einer  syphilitischen  Schwangeren  nach  kombinierter  Salvar- 
san-Hg-Behandlung  am  Ende  der  Zeit  ein  gesundes  Kind  ge¬ 
boren'  bei  der  im  6.  Monat  der  Gravidität  Wehen  aufgetreten 
waren  und  keine  kindlichen  Herztöne  gehört  wurden. 

Bei  der  Mutter  waren  nach  genügend  langer  Behandlung 
Erscheinungen  wie  Papeln,  Exanthem  bei  der  Geburt  abgeheilt. 

Betrachten  wir  nun  die  Erfolge,  die  wir  mit  der  kom¬ 
binierten  Salvarsan-Quecksilberbehandlung  in  der  Gravidität 

im  Hinblick  auf  die  kongenitale  Syphilis  erreicht  haben,  so 
ergeben  sich  folgende  Resultate: 


Die  Sektion 


Geburt  erhalten.  Es  stirbt  8  Stunden  nach  der  Geburt. 

erSlb5  Lebend  geborenes  Kbid'ivVrühgeburt  im  8.  Monat).  Dessen 
Mutter  hat  Mg  Salvarsan  und  0  35  Hg  sal.  kur».  Zejt  vor  d  m 
Partus  erhalten.  Es  stirbt  10  Stunden  nach  der  Geburt.  Die  Sektion 
ergibt  einen  Hydrocephalus  internus;  Spirochäten  werden  nicht  ge- 

“ö!' Lebend  geborenes  Kind  V.  Dessen  Mutter  hat  3,4  g  Salvarsan 
und  0,95  Hg.  sal.  in  den  ersten  Monaten  der  Gravidität  erhalten.  E  . 
weist  Pemphigus  lueticus  auf  und  stirbt  nach  7  I  agen. 

Von  den  am  Leben  gebliebenen  Kindern  haben: 

4  ein  Gewicht  über  4000  g,  3  ein  Gewicht  über  2000  g, 

17  „  „  .  3000  g,  3  „  unter  2000  g. 

10  „  .  2500  g, 

5  Kinder  weisen  als  einziges  Zeichen  der  Lues  eine  positive 
Wassermann  sehe  Reaktion  auf.  Von  den  Muttern  dieser 
Kinder  haben  3  unter  1  g  Salvarsan  in  der  Gravidität  erhalten, 
eine  Mutter  1,6  g  und  nur  eine  2  g.  .  I 

Bei  den  Fällen,  in  denen  die  Wassermann  sehe  Re¬ 
aktion  auch  im  Plazentar-  resp.  Nabelschnurblut  angesetzt 
wird,  ist  dieselbe  in  3  Fällen  positiv,  davon  in  einem  Falle,  i 
dem' auch  das  Serum  des  Neugeborenen  positiv  reagieit. 

Das  Serum  der  37  Mütter  gibt  in  20  Fällen  eine  positive 
Wassermann  sehe  Reaktion,  d.  h.  in  54  Proz. 

In  der  Gravidität  weisen  von  43  Müttern  28  das  erste  resp 
zweite  Stadium  der  Syphilis  auf  (Plaques,  Papeln,  Angina 
luetica).  Bei  23  Müttern  fällt  die  Konzeption  und  luetisclu 
Infektion  zusammen,  resp.  findet  die  Infektion  in  den  erste! 
Monaten  der  Gravidität  statt.  Die  Erscheinungen  des  zweitei 
Stadiums  der  Lues  sind  bei  den  Müttern  nach  Salvarsan 
behandlung  in  graviditate  bei  sämtlichen  Frauen  sub  partu i  a  ■ 
abgeheilt  zu  bezeichnen.  Ich  führe  diese  Tatsache  desnaii 
an  weil  nach  der  Statistik  das  zweite  Stadium. der  Lues  de 


18.  August  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCH R I ET. 


1803 


Mütter  unbehandelt  oder  auch  mit  Quecksilber  behandelt  eine 
hei  weitem  schlechtere  Prognose  für  das  Kind  gibt  wie  bei 
Lues  latens  der  Mutter  bei  gleicher  Therapie. 

Das  Verhältnis  zwischen  Gewicht  der  Plazenta  und  Fötus 

/erhält  sich  normal. 

Die  Schwangerschaftsdauer  verhält  sich  gleichfalls  normal, 
1.  h.  sie  ist  relativ  länger  bei  schweren  Kindern  und  kürzer 
iei  Kindern  mit  geringem  Gewicht.  Ich  führe  dies  deshalb  an 
un  zu  zeigen,  dass  nicht  wie  bei  chronischen  Krankheiten  der 
»lütter  das  Gewicht  hinter  der  Schwangerschaftsdauer  zurück¬ 
geblieben  ist.  Wäre  das  der  Fall,  so  müssten  wir  die  Ursache 
iierfür  in  einer  Erkrankung  der  Plazenta  resp.  des  Fötus 
uchen  und  hier  natürlich  in  der  Syphilis. 

Wir  halten  es  für  einen  grossen  Vorzug  unseres  Materials, 
jss  ein  giosser  Ieil  aller  Kinder  von  dem  konsultierenden 
,  ädiater  auf  Zeichen  der  Lues  untersucht  ist.  Dabei  werden 
ur  bei  einem  Kinde  eine  palpablc  Milz  und  bei  einem  Kinde 
röntgenologisch  periostale  Auflagerungen  auf  der  Tibia  ge- 
inden.  Alle  anderen  Kinder  sind  klinisch  gesund.  Sämtliche 
7  Kinder  zeigen  während  ihres' Aufenthaltes  in  der  Klinik  ein 
utes  Befinden  und  verhalten  sich  völlig  wie  normale  Kinder. 

\  on  diesen  37  Kindern  sind  nach  Erhebungen  beim 
tandesjpt  3  im  ersten  Monat,  2  im  zweiten  Monat^  nach  der 
eburt  gestorben;  keines  nachweislich  an  syphilitischen  Er- 
rankungen.  Diese  Zahlen  entsprechen  wohl  ungefähr  der  all¬ 
emeinen  Mortalität  unehelicher  Kinder,  um  die  es  sich  hier 
eist  handelt.  Ob  die  lebenden  Kinder  später  Zeichen  der 
yphilis  zeigen,  kann  ich  nicht  angeben,  da  ein  grosser  Teil 
cht  mehr  in  Frankfurt  weilt.  Auf  der  anderen  Seite  leben 
tzt  länger  als  2  Jahre  7  Kinder,  länger  als  1  Jahr  19  Kinder 
ld  weniger  wie  1  Jahr  6  Kinder. 

Während  ihres  Aufenthaltes  in  der  Klinik  werden  sämt- 
:he  Säuglinge,  auch  wenn  sie  klinisch  wie  serologisch  keine 
-ichen  der  Lues  darbieten,  antiluetisch  behandelt  und  nach 
rer  Entlassung  zur  weiteren  Behandlung  der  Säuglings- 
iratungsstelle  überwiesen.  Endgültige  Erfahrungen  über  die 
m  uuf  diese  Art  behandelten  Kinder  kann  ich  nicht  mit- 
ilen,  doch  fiihie  ich  eine  Erfahrung  von  Markus  an,  dass 
e  intrauterine  Behandlung  auf  den  weiteren  Verlauf  der  an- 
borenen  Syphilis  einen  deutlich  günstigen  Einfluss  sowohl 
1  nisch  als  serologisch  gezeigt  hat. 

Was  nun  die  Dosis  Salvarsan  und  Quecksilber  betrifft,  die 
'r  bei  unseren  syphilitischen  Schwangeren  verwandt  haben, 

.'  sehen  wir,  dass  von  den  Misserfolgen  nur  .eine  einzige 
j  hwangere  eine  hohe  Dosis  (3,4  g  Salvarsan  und  0,95  g 
L.  sal.)  erhalten  hat,  die  übrigen  4  haben  weniger  wie  1  g 
.  lvarsan  und  0,5  g  Hg.  sal.  erhalten.  Von  den  Kindern  mit 
:$itiver  Wassermannscher  Reaktion  haben  3  Mütter 
uer  1  g  Salvarsan  erhalten,  eine  Mutter  1,6  g  und  nur 
tie  2  g. 

Wenn  wir  auch  über  1,5  g  resp.  2  g  Salvarsan  und  0,5  g 
sal.  in  einem  Falle  einen  völligen  Misserfolg  und  in  2  Fällen 
' nen  vollen  Erfolg  verzeichnen,  so  geht  unsere  Erfahrung 
kh  dahin,  dass  wir  bemüht  sein  müssen,  einer  syphilitischen 
•lwangeren,  sobald  sie  sich  in  unsere  Behandlung  begibt, 
äi.  in  jedem  Monat  der  Schwangerschaft  eine  möglichst  hohe 
sis  Salvarsan  und  Quecksilber  zu  geben.  Die  Chancen,  in 
‘cm  Stadium  der  Syphilis  ein  gesundes  Kind  zu  erhalten, 

’  chsen  mit  der  Dosis  und  nach  unseren  Erfahrungen  ist  die 
inmal  therapeutische  Dosis  1,5  g  Salvarsan  und  0,5  Hg.  sal. 
wiss  haben  wir  auch  gesunde  Kinder  bei  einer  geringeren 
sis,  doch  die  Sicherheit,  ein  gesundes  Kind  zu  erhalten, 

-  i  st  mit  der  Höhe  der  angewandten  Dosis,  und  ich  muss 
Hot  durchaus  widersprechen,  wenn  er  im  Interesse  des 
k  des  eine  relativ  geringere  Dosis  bei  der  Mutter  für  ge- 
1  tend  hält. 

Von  den  43  Fällen  müssen  wir  die  oben  angeführten 
lsserfolge  als  völlig  ungenügend  behandelt  abziehen.  Es 
Vden  dann  von  38  genügend  mit  Salvarsan  und  Hg  in  der 
■wangerschaft  behandelten  Frauen  37  lebende  Kinder  ge- 
' en,  von  denen  5  eine  positive  Wasser  m  ann  sehe  Re- 
■on  autweisen,  d.  h.  bei  der  Geburt  haben  alle  Kinder  gelebt, 

|  Proz.  sind  am  Leben  geblieben,  15,8  Proz.  weisen  Zeichen 
'Syphilis  auf.  Auf  das  Gesamtmaterial  berechnet  waren 
dem  10.  Lebenstag  noch  86  Proz.  Kinder  am  Leben. 


Nach  diesen  Untersuchungen  darf  man  sich  vorstellen,  dass 
wir  eine  Infektion  des  Kindes  während  des  intrauterinen 
Lebens  durch  Behandlung  der  Mutter  beeinflussen  können  und 
dass  bei  der  Lues  in  bezug  auf  die  Resultate  des  Kindes  die 
-  alvarsan-Quecksilbertherapie  der  einfachen  Hg-Therapie 
oder  auch  der  mit  Kombination  mit  Jod  bei  weitem  über¬ 
legen  ist. 


II.  Experimenteller  Teil. 

.  ^rgebnis  zeitigt  die  Fragestellung,  auf  welche 

Weise  dieser  Einfluss  zustande  kommt.  Die  Wirkungsweise 
des  Salvarsans  auf  den  Fötus  ist  nicht  geklärt,  insbesondere 
blieb  es  fraglich,  ob  überhaupt  die  Plazenta  für  Arsen  durch¬ 
gängig  ist.  Für  die  biologische  Funktion  der  Plazenta  galt  es 
festzustellen,  inwieweit  dieselbe  chemische  Stoffe  passieren 
lasst. 

P  o  i  a  k  und  S  a  u  v  a  g  e  bestreiten  den  Uebergang  von 
Arsen  auf  den  Fötus.  D  a  u  n  a  y  und  Conchision  finden 
im  Nabelschnurblut  kein  Arsen.  Der  Arsennachweis  wird  von 
letzterem  in  einem  Falle  versucht,  bei  dem  die  Frau  10  Tage 
nach  einer  Infusion  von  0,6  g  entbindet.  Von  M  a  r  e  c  k  a  und 
La  dis  wird  bei  einem  Fötus  von  4  Monaten  Arsen  nach¬ 
gewiesen.  We  Land  er  berichtet  über  positiven  Arsennach¬ 
weis  bei  2  Fällen. 

M.  B  e  h  a  1  findet  in  2  Fällen  Spuren  von  Arsen  im  Nabel¬ 
schnurblut  einige  Stunden  bis  3  Tage  nach  der  Injektion  des¬ 
gleichen  B  o  n  n  a  i  r  e. 

Ueber  die  Wirkungsweise  des  Salvarsans  auf  den  Fötus 
vertieten  üiiauld  und  I  issier  die  Ansicht,  dass  das 
Salvarsan  gut  vertragen  wird  und  keinen  toxischen  Einfluss 
auf  den  Fötus  ausübt,  sondern,  dass  der  Tod  des  Fötus  in  utero 
eher  eintritt  durch  die  rapide  Vernichtung  der  Spirochäten 
und  eine  Überproduktion  von  Antikörper  als  durch  das 
Arsen. 

Diese  Fragestellung  gab  den  Anlass  für  meine  Unter¬ 
suchungen.  Ich  versuchte  den  Arsennachweis  in  der  Plazenta, 
im  Nabelschnurblut  und  im  Fötus  selbst  sowohl  beim  Menschen 
wie  im  Tierexperiment. 

Die  tierexperimentellen  Untersuchungen  wurden  im  Kgl. 
Institut  für  experimentelle  Therapie  (Direktor:  Wirkl.  Geh! 

P1C)L  Dr.  Ehrlich,  Exzellenz),  die  chemischen  Unter¬ 
suchungen  im  chemisch-physiologischen  Institut  (Direktor; 
Prof.  Dr.  E  m  b  d  e  n)  ausgeführt. 

Die  Oigane,  die  Plazenta  nach  sorgfältiger  Entfernung  des 
anhaftenden  Blutes,  werden  zum  Arsennachweis  zunächst 
durch  die  Veraschung  auf  nassem  Wege  nach  A.  Ne  um  ann 
vorbereitet  (Technik  s.  Hoppe-Seyler,  Handbuch  der 
physiologisch-  und  pathologisch-chemischen  Analyse)  Zum 
Arsennachweis  selbst  bedient  man  sich  des  Verfahrens  von 
Marsh  (s.  Richter:  Lehrbuch  der  anorganischen  Chemie). 

Ich  lasse  zunächst  die  Krankengeschichten  der  drei  auf 
diese  Art  untersuchten  Fälle  folgen: 

,  7913/14  XII.,  28.  I.-para.  Graviditas  m.  X.  Go- 

norrhoc.  Wassermann  negativ.  Behandlung  im  6.  Monat  der  Gra- 

Ll/sSTIfUnd  11 s?1-  1,2  g  P3  Iniekhonen),  Salvarsan 
intravenös  2,8  g  (8  Infusionen),  die  letzte  0,4  g  (vor  4  Wochen).  Spon- 

Lues  Geburt  emes  gesunden  Kindes  von  2630  g  ohne  Zeichen  der 

Im  Nabelschnurblut  und  in  der  Plazenta 
ist  die  Arsen  probe  negativ. 

R.,  J.-Nr,  1913/14  XII.,  34.  Il.-para.  Graviditas  m.  X.  Lues  I. 
Gonorrhoe.  Wassermann  positiv.  Behandlung:  0,35  Hg  sal  (4  In¬ 
jektionen),  Salvarsan  1,0  intravenös  (3  Infusionen),  die  letzte  6,4  (vor 
51  agenj.  Patientin  kommt  während  der  Behandlung  spontan  nieder 
Kind  lebensfrisch,  3850  g,  ohne  Zeichen  der  Lucs. 

Der  Arsen  nach  weis  in  der  Plazenta  und 
Nabelschnurblut  ist  negativ. 

A.,  J.-Nr.  1913/14  XII.,  88.  I.-para.  Graviditas  tu.  V. — VI. 
F,ue.s .  ,  ‘m  vierten  Monat  der  Gravidität.  Behandlung:  0,05  Hg.  sal. 

(I  Injektion;,  0,8  g  Salvarsan  (2  Infusionen)  intravenös.  Letzte  Sal- 
varsaninfusion  0,4  g  vor  2  Tagen.  Patientin  kommt  während  der  Be¬ 
handlung  spontan  nieder.  Fötus  26  cm  lang,  Gewicht  500  g.  Frischtot 
ohne  Zeichen  der  Mazeration  (derselbe  ist  kurz  vor  der  Geburt  ab¬ 
gestorben). 

Bei  der  Arsenprobe  gibt  sowohl  die  Pla¬ 
zenta  als  auch  der  Foetus  einen  geringen,  je¬ 
doch  deutlichen  Arsenspiegel. 

1* 


1804 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  33. 


Bei  einem  im  Gang  befindlichen  Abort  im  3.  Monat  wird  aus 
anderen  Gründen  bei  einer  nichtluetischen  Frau  0.3  g  Salvarsan  intra¬ 
venös  infundiert.  24  Stunden  später  wird  ein  frischtoter  Fötus  ohne 
Zeichen  der  Mazeration  geboren.  Es  darf  deshalb  angenommen  wer- 
den.  dass  der  Fötus  zur  Zeit  der  Infusion  noch  gelebt  hat. 

ln  der  Plazenta  wie  in  der  fötalen  Leber 


wird  kein  Arsen  nachgewiesen. 

Weiter  wurde  das  Tierexperiment  herangezogen,  und 
zwar  wurden  trächtige  Kaninchen  und  trächtige  weisse  Mäuse 

verwandt.  ,  ,  .  ,  . 

Um  im  Tierexperiment  die  vorher  beim  Menschen  be¬ 
schriebene  Versuchsanordnung  nachzuahmen,  wurde  Kanin¬ 
chen  Salvarsan  in  die  Ohrvene  infundiert.  Zur  Infusion  selbst 
benutzte  man  am  besten  die  Randvene  des  Ohres. 

Das  Salvarsan  wurde  in  alkalischer  'A  proz.  Lösung  ver¬ 
wandt. 


Es  wurden  4  Kaninchen  systematisch  mit  Salvarsan  behandelt 
und  es  erhielten  im  ganzen: 

Tier  1  6  Infusionen  =  0,492  g  Salvarsan 
Tier  II  4  „  =  0,23015  g 

Tier  III  6  „  =  0,5275  g 

Tier  IV  6  ,,  =  0,374  g  „ 


Weder  in  der  Plazenta  noch  in  den  Foeten 
konnte  Arsen  nachgewiesen  werden. 

Weiter  wurde  zwei  trächtigen  Kaninchen  die  toxische 
Dosis  von  Salvarsan  infundiert. 

Tier  I,  Körpergewicht  2400  g.  Dem  Tier  wird  0,11g  Salvarsan 
pro  kg  Tier  =  0,264  g  Salvarsan  (Gesamtmenge)  in  26,4  ccm  Flüssig¬ 
keit  injiziert.  Das  Tier  stirbt  bald  nach  der  Infusion.  Der  Uterus 
enthält  6  Föten  mit  einem  Gesamtgewicht  von  78  g,  6  Plazenten  mit 
einem  Gesamtgewicht  von  41g. 

Tier  II.  Körpergewicht  2200  g.  Dem  Tier  wird  0,08  g  Salvarsan 
pro  kg  Tier  =  0,176  g  Salvarsan  (Gesamtmenge)  in  35,2  ccm 
Flüssigkeit  injiziert.  Das  Tier  stirbt  nach  4  Stunden.  Der  Uterus 
enthält  6  Föten  mit  einem  Gesamtgewicht  von  78  g,  6  Plazenten  mit 
einem  Gesamtgewicht  von  41  g. 


schrieben  werden.  Die  Wirkung  ist  wahrscheinlich  eine  pro¬ 
phylaktische.  resp.  hemmende  in  bezug  auf  die  Erkrankung 
der  Plazenta. 

Das  Salvarsan  wird  von  den  schwangeren  Frauen  gut  ver¬ 
tragen  Abort  oder  Blutungen  treten  nach  intravenöser  In¬ 
fusion  von  Salvarsan  nicht  auf.  Ein  Absterben  des  Fötus  nach 
einer  Salvarsaninfusion  ist  nicht  beobachtet  worden. 

Von  37  in  der  Schwangerschaft  kombiniert  mit  Salvarsan 
und  Quecksilber  genügend  behandelten  Müttern  werden  in 
97  4  Proz  lebende  Kinder  geboren.  Von  sämtlichen  43  mit 
Salvarsan  und  Quecksilber  in  der  Schwangerschaft  behan¬ 
delten  Müttern  sind  nach  den  ersten  10  Lebenstagen  noch 
86  Proz.  am  Leben,  15,8  Proz.  der  Kinder  weisen  bei  der 
Geburt  eine  positive  W  a  s  s  e  r  m  a  n  n  sehe  Reaktion  auf. 

Die  Aussicht,  in  jedem  Stadium  der  maternen  Syphilis  ein 
lebendes,  gesundes  Kind  zu  erhalten,  steigt  mit  der  injizierter, 
Dosis  Die  untere  Grenze  der  therapeutischen  Dosis  liegt  bei 
1,5  g  Salvarsan  +  0,5  g  Hydr.  sal.;  in  einem  geringen  Prozent¬ 
satz  kann  auch  unterhalb  dieser  Dosis  ein  gesundes  Kind  ge¬ 
boren  werden.  . 

Kinder  syphilitischer  Mütter  müssen  auch  ohne  klinische 
oder  serologische  Zeichen  der  Syphilis  nach  der  Geburt  anti¬ 
luetisch  behandelt  werden. 


Die  technisch  erzeugte  y-Strahlung. 

(Zweite  Mitteilung.) 

Von  Ingenieur  Friedrich  Dessauer  in  Frankfurt  a.  M 

Meine  erste  Mitteilung  in  der  M.m.W.  hat  an  vielen  Orte. 
Aufmerksamkeit  erweckt  und  ist  auch  teilweise  nicht  richti; 
verstanden  worden.  Dies  beweisen  mehrere  Zuschriften  un 
literarische  Arbeiten,  die  seitdem  erschienen. 

Deswegen  möchte  ich  noch  folgendes  der  ersten  Mitteilun 


In  allen  Plazenten  und  allen  Foeten  ist  der 
Arsennachweis  negativ;  die  Kontrolle  der  inneren 
Organe  des  Muttertieres  gibt  eine  stark  positive  Reaktion. 

Versuchsanordnung  bei  Mäusen: 

Es  werden  6  tächtigen  Mäusen  je  1Uooccm  Salvarsan  in  die 
Schwanzvene  infundiert.  Drei  Mäuse  werden  20—30  Minuten  nach 
der  Infusion  durch  Entbluten  getötet;  einer  einzigen  Maus  wird 
1  ioo  ccm  Salvarsan  subkutan  injiziert,  dieselbe  wird  20  Minuten  nach 
der  Infusion  getötet.  Der  Arsennachweis  geschieht  nach  der  Methode 
Ehrlich-Bertheim.  Es  wird  nach  dieser  Methode  das  Sal¬ 
varsan  in  Gefrierschnitten  der  Plazenta  und  der  fötalen  Leber  im 
Gewebe  selbst  nachgewiesen  und  zwar  mit  einer  salzsauren  Lösung 
von  p-Dimethylamidoobenzaldehyd,  der  noch  zur  stärkeren  Reaktion 
gesättigte  Sublimatlösung  zugefügt  wird,  auf  Salvarsan  geprüft. 

Die  Plazenten  der  ersten  drei  Tiere,  die 
n  u  r  20—30  Minuten  gelebt  haben,  sowie  die  Pla¬ 
zenta  der  subkutan  injizierten  Maus  geben 
ein  negatives  Resultat,  Die  Plazenta  der  drei  Mäuse, 
die  1 A  Stunden  nach  der  Infusion  gelebt  haben,  nehmen  nach 
ca.  5  Minuten  eine  gelbliche  Färbung  an.  Die  Föten 
geben  sämtlich  ein  negatives  Resultat,  des¬ 
gleichen  das  Fruchtwasser. 

Dieselbe  Versuchsanordnung  wurde  noch  zur  Kontrolle 
bei  einem  graviden  Kaninchen  angewandt,  das  3  Stunden  nach 
Infusion  von  0,224  g  Salvarsan  (0,08  g  pro  kg  Tier)  getötet 
wurde,  ln  der  Plazenta  konnte  deutlich  Arsen  nachgewiesen 
werden;  Föten  wie  Fruchtwasser  geben  ein 
negatives  Resultat. 

Zusammenfassung: 

Der  Arsengehalt  der  Plazenta  entspricht  dem  Arsengehalt 
des  in  der  Plazenta  kreisenden,  mütterlichen  Blutes. 

Eine  nicht  erkrankte  Plazenta  ist  für  Arsen  nicht  durch¬ 
gängig. 

Bei  syphilitischer  Erkrankung  der  Plazenta  kann  Arsen 
durch  die  Plazenta  hindurchgehen  (s.  Fall  A.,  J.-Nr.  1913/14 
XII,  88).  Ein  Urteil  über  die  Häufigkeit  des  Arsenüber¬ 
ganges  durch  die  syphilitische  Plazenta  kann  nicht  abgegeben 
werden. 

Die  Erfolge  bei  der  Behandlung  der  kongenitalen  Lues 
des  Kindes  durch  Salvarsan  müssen  wohl  in  der  Hauptsache 
der  primären  Beeinflussung  der  mütterlichen  Lues  zuge- 


hinzufiigen :  , ,  .  . 

1.  Es  handelt  sich  bei  der  künstlichen  y-Strahlung  nicli 
um  ein  Surrogat,  sondern  um  physikalisch  das^  nämliche  wi 
die  y-Strahlung  der  radioaktiven  Präparate.  Es  handelt  sic 
auch  nicht  etwa  um  die  weiche  y-Strahlung  des  Radiums  1 
sondern  um  die  wirksame  y-Strahlung  des  Radiums  C  un 
des  Mesothorium  II  und  zwar  ist  die  künstliche  y-Strahlun 
nahezu  so  hart  und  teilweise  gleichhart  oder  durchdiingung. 
fähig  wie  diese  Strahlung. 

2.  Die  y-Strahlung  ist  bei  den  gewöhnlichen  Röntgei 

maschinen  in  der  Regel  nicht  vorhanden,  es  gelang  erst  durc 
systematische  Verfolgung  sie  zu  erzeugen  in  besondertj 
Röntgenmaschinen.  I 

3.  Diese  Maschinen  sind  zurzeit  nicht  im  Handel.  Ich  nal 

diese  Maschinen,  von  denen  jede  einzelne  vorläufig  sehr  vi 
Mühe  macht,  sorgfältige  Messungen  voraussetzt,  auch  en 
sorgfältige  Einschulung  des  betreffenden  Arztes  unbedingt  e 
forderlich  macht  (da  eine  solche  Maschine  eine  Strahlung  v< 
vielleicht  gegen  100  g  Radium  liefert,  also  ein  sehr  different 
Medikament  ist  und  ich  die  Gefahr,  sie  herauszugeben,  nie 
unterschätze),  nur  nach  besonderer  Verständigung  an  ve 
einzelte  grosse  Kliniken  und  hervorragende  Fachleute  gegek 
oder  bin  im  Begriffe  es  zu  tun.  Sobald  von  diesen  Seit 
Resultate  vorliegen  und  bestimmte  Anleitungen  über  den 
brauch  der  wirksamen  Strahlung,  werde  ich  sie  durch  i 
fabrizierende  Firma  (Veifa-Werke,  Frankfurt)  der  Oeffentlic 
keit  übergeben,  vorher  nur  nach  voraufgegangener  Einz 
Verständigung.  .  J 

Die  Messungen  der  Strahlung  sind  natürlich  sämtlich  e' 
wandfrei  und  auf  elektrometrischem  Messwege  gemacht,  nn 
nur  von  mir,  sondern  unter  Kontrolle  von  Physikern  in  al 
demischen  Stellungen.  An  der  Tatsache  der  Erzeugung  die; 
künstlichen  y-Strahlung  ist  nicht  zu  zweifeln. 

4.  Die  Hauptkonsequenzen  für  die  Therapie  erblicke  ich 
folgenden  Punkten:  I 

Ich  bin  zunächst  überzeugt,  und  habe  diese  Ueberzeugi 
vor  10  Jahren  in  meiner  ersten  grossen  Arbeit  über  Tief* 
therapie  bereits  zum  Ausdruck  gebracht,  dass  die  durchdr 
gendste  Strahlung  die  für  den  Krebs  am  besten  geeignete 
Die  ganze  Kasuistik  spricht  dafür,  ebenso  die  Wirkung  " 
y-Strahlung  des  Radiums. 


8.  August  191-1. 


Einen  weiteren  Fortschritt  erblicke  ich  darin,  dass  eine 
erartig  penetrierende  Strahlung  sich  im  Gewebe  wie  eine 
omogene  Strahlung  verhält  und  dass  man  infolgedessen  _ 
um  ersten  Male  —  genau  weiss,  welche  Dosen  bzw 
trahlungsfeldstarken  in  einer  beliebigen  Tiefe  des  Organis- 
'us  -  also  im  tiefliegenden  Krebsherd  -  nun  jeweilig  zur 
"  ka'"™-  Ueber  die  exakte  und  in  ihren  Grundlagen 

stge.xctzte  Messmethode  werde  ich  in  einer  weiteren  Mit- 
ilung  berichten.  1 


JVTUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1805 


us  der  Universitäts-Kinderklinik  Freiburg  i.  B.  (Direktor: 
Professor  Dr.  C.  T.  Nöggerath) 

eher  schwere,  nicht  diphtherische  Kehlkopfstenose  bei 

Kindern. 

Von  Dr.  Ernst  Köck,  Assistent  der  Klinik. 

imilm?LFr1Une  d6S  ’etuten  ^Yintersernesters  kamen  in  unserer 
mik  2  Falle  von  schwerer,  akuter  Kehlkopfstenose  zur  Be- 

tachtung,  die  in  kasuistischer  und  praktisch-therapeutischer 
;nsicht  bedeutsam  erscheinen.  Der  Krankheitsverlauf  war  — 
Kurze  —  folgender: 

o/m1’«!;  M°Uri!aI  ur‘ J24  (stand  2mal  in  unserer  Behandlung) 
i  der  FamiUe.M  te  3  *’  Mutter  Sehr  nervös’  sonst  nichts  erbliches 
I.  Aufnahme:  23.  X. -bis  3.  XI.  1913. 

Anamnese:  Seit  4  Wochen  entwöhnt,  bisher  stets  gesund 
;  f  kthe  „vor.  2  Iagen  mit  heftigem  Nasenkatarrh  und  trockenem 
Hier  bellendem  Husten.  Temperatur  nicht  gemessen.  Gestern 
r . (mittag  ziehende  Atmung,  rasches  Zunehmen  der  Dyspnoe  nachts 

iSS*ÄKiw^'te  llara“,hin -1  Uhr  »ÄÄ 

D°StHn.!,fShifcrae-\e.nS:  GutL entwickeltes  Kind.  Temperatur 
.  Haut  blass,  nicht  zyanotisch,  frei  von  Ausschlägen  Mässigc 
\  h  inphademe.  Starke,  seröse,  nicht  blutige  Rhinitis  Rachen 

’cke'ner  ffSs^n2''  *5?  V0°  Adenoides  Polster.  *  Bellenden 

ckener  nusten.  Atmung  beschleunigt  und  vertieft.  Deutliche 

-terlettT'a  B.  hmziehungen  am  Thorax.  Lungen  o.  B.  Herz  und 

Verl^p6^600^1"^  intramuskulär,  Bronchitiskessel,  Adalin. 
verlaut.  26.  X.  Temperatur  subfebril.  Stenose  bessert 

:  e  d  e  XTfTn  71 ,  ff?,  ft  »Ifi , 

p  hVlTe  r  iVs)  ä  b  c  h  e  n.°  k  ^  6  "  <A“reus  “n,i  Albns,•  keine 

1  ten  lockerTn^ht  rh{  ur  “nteI,  38  °-  Nur  mebr  ger'nge  Stenose, 
.ten  locker,  nicht  bellend.  Bronchitis  stärker 

a.  Temperatur  zwischen  37  0  und  38°.  Stenoseerscheinungen 

■»chwunden.  Husten,  Bronchitis,  L  ö  f  f  1  c  r  k  u  1 1  „  r'ITa  p  h  vTo- 

Kken  keine  Diphtheriestäbchen. 

.  '  Temperatur  normal.  Bronchitis  zurückgegangen 

-htes  Serumexanthem.  Entlassung.  gegangen. 

II.  Aufnahme:  20.  III.  bis  24.  III.  1914. 

.  ,i! 3  u/nif S  JSei^  Entlassung  aus  der  Klinik  völliges  Wohl- 
-en.  \.  ahrend  der  letzten  Tage  starker  Schnupfen.  17  III  4  Uhr 
l  stknrhna<T  ru/llgem  Schlaf  plötzliche  Atemnot.  Einziehungen  am 
t?ofz  T/ockener  bellender  Husten.  Grosse  Unruhe.  3  Tage 
He.ftphmltZPaCkR.n?’  S,enIumschläge,  Inhalation  keine  Bes- 

undert1  1?  uh  U  e#-e  ,-inf  der  Kehlkopfgegend.  Stenose  un- 

tnaert.  12  Uhr  mittags  Einlieferung  in  die  Klinik. 

I  anffallpnH  K,raesxens:  20‘  i,11’ ,  Patient  nunmehr  14%  Monate 
■  mailend  blass.  Turgor  stark  herabgesetzt,  grosse,  motorische 

i  ♦  T^Peratui;  38  •  Bellender  Husten,  vertiefte  und  be- 
'gte  Atm,ung’  deutliche  thorakale  Einziehungen.  Lungen  o  B 
grenzen  gehörig  Töne  etwas  dumpf.  Puls  klein  und  weich 
Jhera  Pie:  Adalin,  Koffein.  Bronchitiskessel. 

;  1er  AUf:,,  achmittags  rasche  Steigerung  der  Stenoseerschei- 
• .  n  und  der  Unruhe.  5%  Uhr  p.  m.  Intubation.  Schwerer 
1  a  P  s,  dauert  etwa  1  Stunde.  r  e  r 

■  t2B,n-  A  u  '  d  e  m  U  ö  f  f  I  e  r  n  ä  h  r  b  o  d  e  n:  nahezu  Rein- 
:  p  vo"  Streptokokken,  keine  Diphtherie- 

'ihr  im  Temperatur  37,3  °.  Tadellose  Atmung  durch  die  Tube. 

'  uter  K^'liyncUC./  ZCU*  e^tubiere"  misslingt,  sofort  Reintubation. 

:  er  s  k  ’h!S  h  anhaltfnd-  Tube  Hegt  tagsüber  gut, 
rur  39  1»  k'r  H' efL'ge  Hustenanfalle.  10  Uhr  p.  m.  Tem- 

'  derlieven'ripr  V-  lC,h  5  °  *  ?  "? 1  e,  (Aethernarkose) :  Trotz  sehr 
n^rhegender  Z.rlfu^tion  kein  Zwischenfall  während  der  Ope- 

r'Lf  SSb3rb  nacllhler  schwerer,  %  Stunde  währender 

I  le  Pfast  SS!  F  lr  ü"rublg-  Jaktation.  Gute  Atmung  durch  die 
’  a.  t  Keine  Expektoration.  Temperatur  um  40°. 

t  'v  m  n’n  yc^h^H31^  4 j’2 °'  Nasenf|ügelatmung.  Trockener  Husten, 
f  insetzen  e  H  e ^  d  e  a  b  eT  b  c  i  d  e  L  u  n  g  e  n.  9  Uhr  a.  in. 

;  iJe  ~auS  d1r,  Wunde  gegbttencn  Kanüle.  Daraufhin 

ge  nerzschwache.  Untertags  sehr  geringe  Expektoration. 


Husten  EI-  Temperatur  39,8°.  Starke  Dyspnoe.  Kurzer,  trockener 
Kanüle"  aJ  CIC  !fr  Tunger|befund.  Keinerlei  Sekretausvvurf  durch  die 
Kmiu  e.  Appet.t  lasst  erheblich  nach.  Patient  sichtlich  erschöpft 

UPfrSÄrsr s£ 

(Dr  A  m  m  e  r  s  h  1  s  c  b  e  r.  Befund  21  Stunden  post  mortem 
im  Larvnxeln/ancf  V?n  ^er  ,aryngo1-  Klinik):  Hinter  der  Epiglottis 

lemach  I  be,lehi  »in.  •  1  rache,otom'Poflmi»z  (durch  Sonde  sichtbar 

schUessende^SchleimhLtsch  wellung.  “  L“'”en  <*“ 

anail'efzJS^fedeltS  '  ,*te  ^ 

Am  13°  "I  mi4  ^nehf  ^  dahr  Furunkulose,  sonst  immer  gesund. 
Schwer;  ./ehe  aChtSA*tr0Ckener’  bellender  Husten.  2  Tage  später 
nächsten  T^en  H  Aftmung'  Angeblich  kein  Fieber.  Da  in  den 
die  Klinik.  S  Husten  und  Atemnot  zunehmen,  Einlieferung  in 

peratu/ ’r  e-ahFSehn\:-*20‘u  L  üut  entwickeltes  Kind.  Tem- 
gerötet  ketae  Befäe?  1  To^slllen  mässig  geschwellt  und 

’üssss  oKr- 

Ä  Sa“ 

i  2bJ'.  Temperatur  38,2°.  Gute  Atmung  durch  die  Tube  Gleirher 
Lungenbefund.  Tube  abends  ausgehustet.  Nach  2 — 3  Stunden  schwere 
S  t  qP// hC  1  R®mtnbation-  Löfflerkultur  (vom  Kehlkopfschleim)  - 
s  tif  b  che  n.k  °  k  k  e  "  ,Aurcus  “nd  Albus),  keine  Diphtherie: 

T  r  a  ch  eo  t  0  Se  (AeSa’rkSef  SClWere  DySPn°e  “nd  Zyanose' 

die  KSde.  kÄeSSn"  U^'S'l'rSZrl“^ 

Trachealeiter)  t  Sh  3  f,"nden  ErboI“"e-  L  5  ff  1  e  r  k  u  1 1  u  r  (vom 
tSfes!äbche„.P  y'°C0CC“S  anreus’  kel"e  B'P"- 

,v,nc  26Vb£i  Temperatur  38,6.  Serumexanthem.  Aus  der  Kanüle  wird 
massenhaft  mit  frischem  Blut  vermengter  Eiter  ausgeworfen. 

.  •  ,  1  emperatur  um  38°.  Schwarzer  Beschlag  auf  df>r  Vnr 

Versuch  dfe"  Kanü?/6'  Betastufng  de^  Kehlkopfgegend  ‘schmerzhaft 
rsuch  die  Kanüle  zu  verstopfen:  sofort  Atemnot  und  tiefe  Zyanose 

Kah3l'e  r)-UAdnncCiUng  deS  KebIkc°Pfes  mit  dem  Tracheoskop  (Prof. 
tnnrnLfc!'  Aditus  laryngis  und  Stimmbänder  unverändert.  Ring- 
orpel  stark  verdickt  und  gerötet.  Darunter  eine  ausgedehnte  Ge 
schwursflache  an  der  Vorderwand  der  Trachea.  Abends  schwerer 
Kollaps  von  mehrstündiger  Dauer.  werer 

weniger^  aJscedehnf1^  Spbf-ebriI-  Schwarzer  Beschlag  an  der  Kanüle 
v-fnnf  ausgedehnt.  Geringere  Eiterexpektoration.  Versuch  die 
Kann  e  zu  verschossen:  nach  %  Minute  hochgradige  Atemnot. 

sichtbar.  Temperatur  normaI-  An  der  Kanüle  kein  Beschlag  mehr 

T„uJ  j  -E*  Versuch  bei  liegender  Kanüle  zu  intubieren,  misslingt 
auf  ein rXsHlnde^sWeit  ta  d3S  KehIkopflu™n  ein,  stösst  dann 

Ji ■  iJeniIpera!u5  normal-  Massige  Eiterabsonderung.  Ver- 
.chluss  der  Kanüle  wird  etwa  2  Minuten  lang  ertragen. 

v  12;  11  .  Temperatur  normal.  Ab  und  zu  etwas  Stimme  hörbar 

in  daf  Kehlkoofiumen  Hei 8£nderIr  Kanüle):  Tabe  gleitet  vollständig 
in  üas  Kehlkopflumen  ein.  Mundatmung  dadurch  nicht  gebessert 

Verschluss  der  Kanüle  ruft  sofort  Dyspnoe  und  Zyanose  hervor 

.  p>i  ,  '  Temperatur  37,6  .  Aus  der  Kanüle  kommt  viel  Eiter 

nommen  *  V°n  WClteren  Intubationsversuchen  wird  Abstand  ge- 

17.  III.  Temperatur  gegen  39°.  Viel  Husten,  reichliche  Exoek 
Lungen"  oV°B  ""d  B'Ut'  Stimme  zeitweise  auffallend  krähig. 

19.  III.  Temperatur  39,4°.  Verschluss  der  Kanüle  wird  lA  Stunde 
den£Mimda2en‘  Dabe‘  'aUte’  kIarC  Stimme.  kräftiger  Husten  durch 

.  .  24/  E1-  Temperatur  subfebril.  Aus  der  Kanüle  wird  viel  Eiter 

f  auAsgeworfe,n-  /k  stiindiges  Verstopfen  der  Kanüle  ruft  keine 
erhebliche  Atemnot  hervor,  kräftige  Stimme. 

r  \  *  Temperatur  normal.  Kanüle  kann  nur  mehr  etw'i 

o  .  muten  verschlossen  werden.  Stimme  bedeutend  schwächer, 
vnr  Hai»  •  tmfnratF  norrr,al-  Intubationsversuch:  Tube  dringt 

liehe” Hinde™isKeh1k°frerF  Ci"’  W  dann  auf  ein  Müberwind- 
Atemnot.  d  ~2  Mmuten  nach  Verschluss  der  Kanüle  starke 


Nr.  33. 


1806 


MIJENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


4  IV  Der  täglich  z.  T.  mit  erheblicher  Kraft  yorgenommene 
Versuch  mit  der  l'ube  das  Kehlkopflumen  zu  erweitern,  verlauft 
stets  gleich  erfolglos.  Temperatur  normal.  Allgemeinbefinden  sehr  gut. 

14.  IV.  Intubationsversuche  eingestellt.  Kehlkopf  vollkomme 

\  erschlossen.  wjrd  mit  Kanüle  entlassen,  soll  später  operiert 

werden.  .  ,  ,  „  ■  .  „ 

Welcher  Form  von  Krupp  sind  nun  beide 

^  a  'in  Betracht  kommen  4  Formen  von  akutenKehlkopferkran- 
kungen:  der  diphtherische  Krupp,  der  Pseudokrupp,  die  aty¬ 
pische  Form  von  Pseudokrupp  und  die  Laryngitis  phleg- 

monosa.te  D  j  p  h  t  h  e  r  j  e  anzunehmen  lag  am  nächsten,  da 
sich  bei  beiden  Kindern  die  Krupperscheinungen  ganz  allmäh¬ 
lich  unter  mässigem  Fieber  entwickelt  hatten,  und  Laiynx- 
stenose  ohne  irgendwelche  Rachenveränderungen  bekanntlich 
ein  nicht  seltener  Befund  bei  Diphtherie  ist.  In  beiden  Fallen 
injizierten  wir  daher  Heilserum.  Auf  Grund  mehrmaligen  nega¬ 
tiven  Ausfalles  der  Löfflerkulturen  mussten  wir  jedoch  dies^- 

Diagnose  fallen  lassen.  ,  ,  ,  , 

Typischer  Pseudokrupp  war  in  Anbetracht  der 

ganz  anderen  Verlaufsart  unserer  Fälle  ohne  weiteres  auszu- 
^chliessen 

Um  so  mehr  musste  dagegen  die  atypische  Foim 
desPseudokruppsin  Erwägung  gezogen  werden.  Diese 
Kehlkopferkrankung  kommt  keineswegs  selten  zur  Beob¬ 
achtung,  sie  hat  jedoch  auffallenderweise  in  den  gebräuch¬ 
lichen  Lehrbüchern  bisher  nicht  die  ihr  gebührende  Beachtung 
gefunden.  Eine  kurze,  doch  treffende  Beschreibung  findet  sich 

Mit  dem  klassischen  Pseudokrupp  hat  die  atypische  Form 
nur  die  kruppähnlichen  Erscheinungen  und  die  negative  lat- 
sache  gemein,  dass  bei  ihr  die  Diphtheriebazillen  keine  ätio¬ 
logische  Rolle  spielen.  Die  Art  des  Verlaufes  ist  eine  ganz 
andere:  Mehrmals  hatten  wir  Gelegenheit,  etwa  folgendes 
Krankheitsbild  zu  beobachten:  Ein  Kind  des  schulpflichtigen 
Alters  wird  von  Schnupfen  und  Heiserkeit  befallen.  Bald 
stellt  sich  heftiger  bellender  Husten  ein  und  es  entwickelt 
sich  langsam,  doch  deutlich  zunehmend  eine  Kehlkopfstenose 
mit  ihren  charakteristischen  Erscheinungen.  Das  anfangs 
mässige  Fieber  (um  38°)  erreichte  häufig  für  1—2  Tage  eine 
beträchtliche  Höhe  (gegen  40°).  Die  Kehlkopfenge  kann  sich 
während  der  ersten  Tage  dermassen  steigern,  dass  ein  opera¬ 
tiver  Eingriff  ernstlich  erwogen  wird.  Meist  geht  indes  die 
Stenose  spontan  zurück  und  klingt  ganz  allmählich  erst  nac  i 

4 _ 6  Tagen  ab.  Krupphusten,  Heiserkeit  und  subfebrile  lem- 

peraturen  bestehen  in  der  Regel  noch  einige  weitere  Tage. 
Akute  Bronchitis  geht  nicht  selten  nebenher 

Vergleicht  man  nun  mit  dieser  Beschreibung  das  Bild, 
welches  F  a  1 1  1  während  seines  ersten  Klinikaufenthaltes  dar¬ 
bot  so  wird  die  grosse  Aehnlichkeit  ohne  weiteres  in  die 
Augen  fallen.  Auch  hier  gehen  katarrhalische  Erscheinunsen 
voraus.  Es  stellen  sich  Krupphusten  und  Stenoseerscheinungen 
ein.  Diese  steigern  sich  in  der  Nacht  vom  2.  auf  den  3.  Krank¬ 
heitstag  so  beträchtlich,  dass  sich  die  Eltern  entschlossen,  das 
Kind  noch  in  der  gleichen  Nacht  in  die  Klinik  zu  bringen,  um 
es  hier  nötigenfalls  operieren  zu  lassen.  Von  einem  operativen 
Eingriff  kann  indes  abgesehen  werden.  Im  Laufe  von  4  bis 
5  Tagen  geht  die  Stenose  zurück.  Krupphusten,  Bronchitis, 
geringes  Fieber  besteht  noch  etwas  länger.  Nachdem  Di¬ 
phtherie  nicht  mehr  in  Betracht  kam,  zögerten  wir  nicht,  die 
Diagnose  auf  atypischen  Pseudokrupp  zu  stellen. 

\Vir  sahen  uns  in  dieser  Auffassung  bestärkt,  als  das  Kind 
im  März  mit  ähnlichen  Erscheinungen  neuerdings  zur  Aufnahme 
kam.  Rezidive  sind  ja  bei  typischem  und  atypischem  Pseudo- 
krupp  nichts  Seltenes.  Nun  nahm  aber  die  zweite  Erkrankung 
doch  einen  wesentlich  anderen,  ungleich  schwereren  Verlauf. 
Es  entwickelte  sich  in  der  Klinik  im  Verlaufe  einiger  Stunden 
höchstgradige  Stenose,  so  dass  noch  am  Abend  des  Aufnahme¬ 
tages  intubiert  und  später  tracheotomiert  werden  musste.  Da¬ 
neben  bestand  von  Anfang  an  bedrohliche  Herzschwäche,  die 
sich  wiederholt  zu  schwersten  Kollapsen  steigerte.  Nach 
2  Tagen  entwickelte  sich  eine  Pneumonie,  der  das  ohnehin 


schon  sehr  geschädigte  Herz  am  5.  Behandlungstage  erlag. 
Auf  dem  Löfflernährboden  wuchsen  wiederum  keine  Di¬ 
phtheriestäbchen,  dagegen  nahezu  eine  Reinkultur ^von *  * 1 :repto- 
kokken  Ohne  Zweifel  lag  diesem  zweiten  Anfall  von  Kehl¬ 
kopfstenose  die  Laryngitis  phlegmonosa  zugrunde, 
wie  sie  bei  Heubne  r ’)  in  anschaulicher  Weise  beschr.c- 

benEs  mag  zunächst  einigermassen  befremden,  dass 
zwei  Kruppanfälle  desselben  Kindes  scheinbar  so  ganz  j 
verschieden  das  eine  Mal  als  atypischer  Pseudokrupp,  das 
andere  Mai  als  Laryngitis  phlegmonosa  gedeutet  werden. 
Dieser  vermeintliche  Gegensatz  lost  sich  jedoch  leicht,  wenn 
man  bedenkt,  dass  es  sich  hier  um  klinische 
handelt,  die  als  solche  ganz  verschiedene  Zustande  da./.u- 
stehen  scheinen,  denen  aber  unter  Umständen  gleiche  oder 
verwandte  Erreger  zugrunde  liegen  können.  ^  unserld 
Falle  ist  das  Bindeglied  zwischen  erstei  und 
zweiter  Erkrankung  durch  die  pyogene  In¬ 
fektion  gegeben.  Der  erste,  verhältnismässig  milc 
verlaufende  Anfall  wurde  durch  Staphylokokken  der  zweite 
letal  endende  dagegen  durch  Streptokokken  ausgelost.  Es  be¬ 
standen  also  beide  Male  lediglich  graduelle  Unterschiede  n 
der  Schwere  der  Infektion  und  dementsprechend  war  da: 
klinische  Bild  verschieden. 

Bei  Fall  2  hatten  wir  gleichfalls  zunächst  diphtherische! 
Krupp  mit  fehlenden  Rachenerscheinungen  angenommen 
mussten  aber  auch  hier  angesichts  des 
logischen  Befundes  die  gestellte  Diagnose  aufgeben.  Abge 
sehen  von  der  durch  das  Tubentrauma  bedingten  Komplikation 
die  späterhin  wiederholt  bedenkliche  Grade  annahm  verhd 
dieser  Fall  besonders  in  Hinsicht  auf  das  Allgemeinbefmdc 
des  Kindes  wesentlich  milder  als  Fall  1  beim  zweiten  Klinik 
aufenthalt.  Die  ganz  langsam  im  Verlauf  mehrerer  Tage  zu 
Entwicklung  gelangte  Kehlkopfstenose  erreichte  zwar  gle.d 
falls  einen  recht  hohen  Grad,  doch  blieb  wahrend  der  beide 
ersten  Wochen  der  Kräftezustand  ein  guter,  das  Herz  litt  m 
vorübergehend  am  übernächsten  Tage  nach  der  Tracheotomr 
die  Temperatur  hielt  sich  auf  mässiger  Hohe  (zwischen  38  un 
39  °).  Es  bestand  zwar  Bronchitis,  doch  kam  es  nicht,  wie  du 
bei  Laryngitis  phlegmonosa  nahezu  regelmässig  der  1  all  i. 
zur  Entwicklung  einer  Pneumonie.  Die  Erreger  waren.ü 
phylokokken.  Es  fügt  sich  diese  Erkrankung  somit  zwang 
in  das  Bild  des  atypischen  Pseudokrupps  ein  ui 
bildet  eine  Parallele  zum  ersten  Anfall  von  Kehlkopfsteno: 

bei  Fall  1.  .  ,  .  ,1^5 

Was  lehren  unsere  beiden  Falle  in  thers 


peutischer  Hinsicht?  r  , .  .  .  .  . 

Die  Widerstandsfähigkeit  der  Kehlkopfschleimhaut  di 
starren  Tubus  gegenüber  hängt  vornehmlich  von  dem  Zustat 
ab,  in  dem  sie  sich  zurzeit  der  Intubation  befindet. 

Am  besten  erträgt  die  gesunde  Schleimhaut  den  metallen' 
Fremdkörper.  So  berichtet  v.Bokay3)  über  einen  Fall  vj 
erschwertem  Decanulement,  in  dem  er  die  Tube  nicht  wenig 
als  insgesamt  1448  Stunden  liegen  iiess,  ohne  dass  sich  sena 

liehe  Folgen  ergeben  hätten.  .......  orWSnl< 

Bedeutend  verletzlicher  ist  die  diphtherisch  erkram 
Kehlkopfschleimhaut.  Schon  nach  einer  Tubenlage  von  et\ 
2  Tagen  —  wir  pflegen  diesen  Termin  nicht  erheblich  zu  um 
schreiten 4)  —  ist  bei  der  Sektion  nicht  selten  beginnen 
Dekubitusbildung  zu  beobachten,  wenngleich  diesen  gering 
Schleimhautdefekten  keine  klinische  Bedeutung  zukommt  u 
ihre  gelegentliche  Feststellung  wohl  niemand  mit  der 
wendung  der  Tube  Vertrauten  abhalten  werden,  von  dies" 
segensreichen  Instrument  ausgiebigen  Gebrauch  zu  maeni 
Man  hat  darüber  diskutiert,  ob  die  Tube  bei  Diphtherie  Des 
ertragen  wird,  wenn  reichliche  Membranbildung  best 
(Baginsky)  oder  ohne  eine  solche  [Cnopf  sen.  5)J.  v.  dok^ 


1)  p  Hat  off:  Semiotik  und  Diagnostik  der  Kinderkrankheiten, 
S.  170. 


2)  Heubner:  Lehrbuch  der  Kinderheilkunde  II,  S.  240. 

»)  v  Rokay:  Die  Lehre  von  der  Intubation,  S.  115. 

*)  Nebenbei  sei  bemerkt,  dass  wir  stets  versuchen,  zunac 
ohne  Intubation  auszukommen,  wobei  wir  von  Adalin-Bayer  t/s  ‘ 
_  o,25  —  ev.  mehrmals),  Bronchitiskessel  und  absoluter  Kune  > 
Erfolge  sehen.  Lokale  Anwendungen  (Breiumschläge  etc.)  lassen 
wegen  der  dadurch  bedingten  Aufregung  der  Kinder  grundsai 

bei  seite. 

E)  1.  c.,  S.  116. 


18.  August  191-4. 


_M UENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


bemerkt  sehr  richtig  zu  diesem  Streit  der  Meinungen,  dass  es 
hei  der  Entwicklung  eines  Druckgeschwürs  viel  weniger  auf 
die  grossere  oder  geringere  Membranbildung  als  vielmehr 
auf  die  Art  der  Infektionserreger  ankomrae. 
Er  weist  dabei  eine  besonders  schädigende  Rolle  den  event 
neben  den  Diphtheriebazillen  bestehenden  Eiterkokken  zu. 

Auch  wir  sind  geneigt,  der  pyogenen  Infektion  der  Kehl- 
kopfschleimhaut  eine  besonders  schädigende  Rolle  zuzuweisen 
und  sehen  m  den  beiden  beschriebenen  Fällen  von  Tuben¬ 
schädigung  einen  Beweis  dafür,  dass  reine  E  i  t  e  r  i  n  f  e  k  - 
t  i  o  n  d  i  e  Kehlkopfschleimhaut  gegen  die 
starre  1  u  h  e  noch  weit  widerstandsloser 
inacht  als  reine  Diphtherieinfektion 

Als  Fall  1  zum  zweiten  Mal  in  die  Klinik  ’  eingeliefert 
wurde,  waren  wir  uns,  wie  erwähnt,  sogleich  darüber  klar, 
dass  es  sich  nicht  um  diphtherischen  Krupp  handle.  Wir 
gingen  daher  bei  der  Intubation  mit  äusserster  Vorsicht  zu 
Werk.  Erst  als  die  Stenose  einen  schweren  Grad  erreicht 
,atte,  entschlossen  wir  uns  zu  dem  Eingriff  und  versuchten 
schon  nach  17  Stunden  zu  extubieren.  Da  sich  dies  als  un¬ 
möglich  erwies,  mussten  wir  reintubieren,  doch  schritten  wir 
bereits  nach  weiteren  12  Stunden  zur  sekundären  Tracheo¬ 
tomie.  Obwohl  somit  die  Tube  nicht  länger  als  29  Stunden 
gelegen  hatte,  stellte  die  post  mortem  vorgenommene  Tracheo- 
T-opie  Freihegen  des  Knorpels  (wahrscheinlich  Ringknorpels) 
test.  Die  Streptokokken  hatten  die  Schleimhaut  unter  der 
lube  zu  einem  ganz  rapiden  Zerfall  gebracht. 

B*  B  al  1  2  wurde  nach  einer  Tubenlage  von  2  Tagen 
•  e.dei}  die  sekundäre  Tracheotomie  ausgeführt.  Auch  hier 
iei  Staphylokokkeninfektion,  genügte  eine  so  kurze  Zeit 
Heubner  belässt  die  Tube  bis  zu  5  Tagen,  v.  Bokav 
im  das  vmlfache  länger  —  zur  Ausbildung  einer  schweren 
>ch  eimhautnekrose.  Sogleich  nach  Abfall  des  durch  die 
vehlkopfeiterung  bedingten  Fiebers  suchten  wir  durch  Intu- 
iieren  bei  liegender  Kanüle  das  Larynxlumen  offen  zu  halten 
vas  uns  auch  vorübergehend  gut  gelang,  doch  zwang  uns 
rneutes  Auftreten  hohen  Fiebers  etwa  10  Tage  lang  von  den 
n tu ba  tions  versu  ch  en  abzustehen.  Im  Verlaufe  dieser  kurzen 
•eit  hatte  sich  indes  eine  narbige  Kehlkopfstenose  entwickelt 
ie  sich  nicht  mehr  beheben  Iiess. 


1807 


Zusammenfassung. 

1.  Die  „atypische  Form  des  Pseudokrupps“ 
st  eine  wenig  b  e  k  an  n  t  e,  jedoch  nicht  seltene 
nd  wichtige  Erkrankung. 

2.  Pyogene  Infektion  derKehlkopfschleim- 
a  u  t  vermag  scheinbar  so  ganz  verschiedene 
rankheitsbilder  wie  atypische  Form  des 
seu  dokrupps  und  Laryngitis  phlegmonosa 
ii  s  z  u  1  o  s  e  n. 

3.  DadieKehlkopfschleimhautdurchEiter- 

F:  rn  V;  l r  n  °,c  h  erheblich  stärker  als  durch 
i  p  h  t  h  e  r  l  e  b  a  z  1 1 1  e  n  geschädigt  wird,  so  soll 
eim  Nachweis  der  erstejen  als  Krankheits- 
r suche  grundsätzlich  von  der  Intubation  ab- 
esehen  und  primäre  Tracheotomie  gemacht 
erden.  S  o  1 1 1  e,  w  a  s  n  i  c  h  t  s  e  1 1  e  n  d  e  r  F  a  1 1  s  e  i  n 
-  die  pyogene  Natur  der  Infektion  erst 
achtra  glich  durch  das  Kulturergebnis  auf- 
edeckt  werden,  so  ist  an  Stelle  der  Intuba- 
on  sogleich  die  sekundäre  Tracheotomie 
orzunehmen. 


Rezidivierende  Nabelkoliken  der  Kinder. 

Von  Frau  Dr.  med.  Paula  Tobias. 

Bevor  und  während  die  M  o  r  o  -  K  ü  1 1  n  e  r  sehen  bzw. 

i  r  .n„k  [ 1  6  ^  u  n  ^  sc^en  Mitteilungen  (die  früheren  waren 
unbekannt)  über  diesen  Gegenstand  erschienen,  hatte  ich 
naer  m  Behandlung,  bei  denen  ein  ähnlicher  Symptomen- 
1  P  ex  einer  fast  gleichen  Therapie  zugänglich  war.  Indes 
"ci  analoger  Behandlung  die  theoretische  Grundlage  anders 
..  e.'  ripdjung  und  Moro:  Die  Anfälle  halte  ich  für 
emfs  Ulcus  ventriculi  bzw.  d  u  o  d  e  n  i  oder 
o  r  s  t  u  t  e  n  in  dem  Sinne,  wie  v.  Bergmann  sie 


^LpirhYactlse1!®  [xl  letztfr  Zeit  mehrfach  und  ausführlich  be- 
sctireibt,  also  für  Krampfe  im  Gefässsystem  der  Magen-  bzw 
Darmschleimhaut.  Diese  Annahme  lässt  sich  zwanglos  auf 
tr'Hrpn  V00  a  r  1  c  ,d  ]  11  n  R  und  M  0  r  0  angeführten  Fälle  über- 

7nSrtpeSmrerS  Cl'  d°urt  v!elfach  andere  angiospastische 
Zus  ande  (Blasse,  Ohnmächten)  beobachtet  wurden  Am 

Schlug  semer  zweiten  Mitteilung  deutet  Moro  ja  auch  die 
Möglichkeit  dieser  Aetiologie  an. 

svmmnm!?itcSIlreChendiiSt  die  an^ebene  Therapie  nicht 
hnPpP  ?ph  aS  h"vUgSuftrIV’  sondern  ätiologisch.  In  erster  Linie 
habe  ich  die  Verabfolgung  von  Belladonnapillen  nicht  für 
eine  ind'fferente  Scheinbehandlung.  Die  gute  Wirkung,  die 

selmn  e/aund  £erade  bei  dcn  schweren  Fällen 

sehen,  steht  auf  der  gleichen  Stufe  mit  der  v.  Bergmann- 

sehen  Atropinbehandlung.  Die  bei  leichteren  Fällen  —  den 
vor-  und  Fruhstadien  —  für  ausreichend  erachteten  näda- 
Pp?f|Chen  Massnahmen  bestehen  im  wesentlichen  in”  einer 
Regelung  der  Ernährung.  Die  auffallende  Besserung,  die 
Kinder  der  Pol.khnikpraxis  bald  nach  ihrer  Aufnahme  in  die 
Klinik  zeigen,  ist  demnach  ein  Verdienst  der  vernünftigen  und 
vor  allen  Dingen  pünktlichen  Ernährung.  In  der  Privatpraxis 
kann  die  vorher  meist  nicht  vorhanden  gewesene  qualitative 
quantative  und  zeitliche  Zweckmässigkeit  der  Nahrungsauf¬ 
nahme  natürlich  die  gleichen  Erfolge  haben.  Die  bei  nur  ge¬ 
ringen  Schmerzanfällen  zu  Hilfe  genommene  Valeriana  dürfte 
ein  zwar  symptomatisch  aber  doch  nicht  rein  suggestiv 
wirkendes  Mittel  sein,  da  ihr,  besonders  in  alkoholischer  Lö¬ 
sung,  eine  leicht  narkotische  Wirkung  wohl  nicht  abzu¬ 
sprechen  ist.  Den  faradischen  Strom  habe  ich  bisher  nicht 
angewandt,  kann  mir  aber  von  ihm  eine  Beeinflussung  des  ihm 
unterworfenen  Gefässgebietes  und  somit  eine  Wirkung  vor- 
stellen.  Der  Heftpflasterstreifen  ist  allerdings  hier  wie  an 
manchen  anderen  Körperstellen  wohl  als  reines  Suggestivmn 
zu  betrachten  und  am  erfolgreichsten  bei  den  offensichtlich 
i  em  nervösen  Fällen,  zu  denen  aus  der  bunten  Reihenfolge  der 
M.o  röschen  Aufzählung  eine  Anzahl  auf  den  ersten  Blick  zu 
zahlen  ist  Zur  Beeinflussung  der  begleitenden  nervösen 
Komponente  mag  er  auch  bei  einem  Teil  der  übrigen  Patienten 
seine  Schuldigkeit  tun. 

Die  gewiss  nicht  allgemein  zulässige  Analogie  zwischen 
dem  Organismus  des  Kindes  und  des  Erwachsenen  lag  mir 
bei  diesem  Krankheitsbild  um  so  näher,  als  ich  neben  ganz 
ähnlichen  Fallen,  wie  den  von  Fried  jung  und  Moro  be- 
schriebenen,  zwei  ältere  Kinder,  die  vorher  schon  ähnliche  Be¬ 
schwerden,  wie  die  zur  Diskussion  stehenden  gehabt  haben 
sollen  mit  den  klassischen  Symptomen  des  Ulcus  ventriculi 
in  Behandlung  bekam. 

„  .  1  cErna  M->  10  Jahre,  starke  Leib-  und  Kopfschmerzen,  besonders 
Fach  Sussigkeiten,  bisweilen  Erbrechen,  saures  Aufstossen  Ob¬ 
stipation,  Epigastrium  stark  empfindlich,  B  o  a  s  scher  Druckpunkt. 

2.  Hermine  H.,  13  Jahre,  heftige  Magenschmerzen  nach  Essen 
Blutungen’  0bstipatlon’  Epigastrium  stark  empfindlich,  Boas,  okkulte 

In  beiden  Fällen  war  niemals  Temperatursteigerung  fest¬ 
zustellen.  Beide  Kinder  wurden  unter  entsprechender  Be¬ 
handlung  (Bettruhe,  Hunger-  bzw.  Schonungsdiät,  Atropin  und 
Karlsbader)  beschwerdefrei. 

Die  Prädisposition  auch  sonst  vasolabiler,  neurasthenischer 
odei  hysterischer  Individuen  für  die  Erkrankung  findet  sich 
eim  Erwachsenen  geradeso  wie  beim  Kind.  Die  psychogenen 
Erscheinungen  stehen  hier  ebenso  in  vielen  Fällen  so  sehr  im 
Vordergrund,  dass  sie  die  fliessenden  Uebergänge  von  der  sorr 
Magenneurose  zum  Ulcus  verschleiern  können.  Vielleicht  kann 
E  r  i  e  d  j  u  n  g  von  einigen  seiner  Fälle  erfahren,  ob  die  Er¬ 
krankung  sich  im  späteren  Alter  wiederholt  und  ob  sich  nicht 
manchmal  ein  echtes  Geschwür  entwickelt  hat.  Sollte  sich 
das  herausstellen,  dann  ist  die  Annahme  eines  ätiologischen 
Zusammenhanges  wohl  eher  berechtigt,  als  wenn  später  eine 
Appendizitis  auftritt. 

Dass  auch  bei  der  hier  skizzierten  Auffassung  eines  Teils 
oer  „Nabelkohken“  eine  sorgfältige  Differentialdiagnose  nicht 
nur  Appendizhis,  wie  Kiittner  verlangt,  sondern  ebenso 
Enthelminthen  (Askarisl),  Tuberkulose,  Pyelozystitis,  Nephritis 
und  Nierensteine,  Meningitis,  eventl.  auch  Lungenaffektionen 
ausschhessen  soll,  ist  selbstverständlich. 


1808 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Literatur. 

M.in.W.  1913  Nr.  51.  B.kl.W.  1914  Nr.  4  u.  8.  (Originale  und 
Sitzungsbericht.) 


Aus  dem  Dermosyphilopathischen  Institut  des  Ospedale 
Maggiore  in  Mailand. 

Toxische  Nebenerscheinungen  des  Embarin. 

Von  Prof.  Dr.  A.  P  a  s  i  n  i  in  Mailand. 

Die  am  2.  Juni  1914  in  dieser  Wochenschrift  erschienene 
kurze  Abhandlung  Georg  Merzbachs:  „Toxische  Neben¬ 
erscheinungen  des  Embarin“,  in  der  dieser  Verfasser  über 
toxische  Erscheinungen  mit  nesselartigem  Ausschlag  be¬ 
richtet,  die  bei  zwei  Kranken  nach  Embarineinspritzungen  aut- 
getreten  sind,  veranlassen  mich,  einen  ähnlichen  Fall  zur  Be¬ 
sprechung  zu  bringen,  den  ich  in  der  letzten  Zeit  habe  be¬ 
obachten  können. 

Der  ball  betrifft  eine  70  jährige,  ziemlich  fettleibige  brau  in  sonst 
guten  allgemeinen  organischen  Verhältnissen.  Sie  stellte  sich  am 
10.  Mai  d.  J.  in  unserem  Ambulatorium  vor;  bei  dieser  Gelegenheit 
konnten  wir  das  Vorhandensein  einer  ausgedehnten,  geschwungen, 
syphilitischen  Gummigeschwulst  an  dem  mittleren-vorderen  Drittel 
des  rechten  Beins  wahrnehmen.  Die  Vorgeschichte  der  Kranken 
gab  keinerlei  Auskunft.  Andere  nebenhergehende  Erscheinungen 
wurden  nicht  wahrgenommen,  ebensowenig  Spuren  von  früheren 
Anzeichen  einer  bestehenden  Syphilis  in  anderen  I  eilen  des  Organis¬ 
mus.  Die  Wassermann  sehe  Serumdiagnose  hat  jedoch  zu  einem 
deutlich  positiven  Ergebnis  geführt.  Die  Kranke  hatte  keine  Ahnung 
von  der  erfolgten  Syphilisansteckung,  ebensowenig  hatte  sie  jemals 
eine  Behandlung  durchgemacht,  die  gegen  diese  Krankheit  gerichtet 
war.  Ich  begann  Mitte  Mai  die  spezifische  Behandlung  mit  Ein¬ 
spritzungen  von  Embarin,  das  mir  freundlichst  von  der  Chemischen 
babrik  von  Heyden,  Radebeul-Dresden,  geliefert  worden  ist,  und 
erprobte  diese  neue  Substanz  unter  anderen  Kranken  auch  bei  diesem 
ball,  bei  dem  vorher  keine  spezifische  Behandlung  stattgefunden  hatte, 
um  so  die  Heilwirkung  des  Mittels  besser  bewerten  zu  können.  Die 
Einspritzungen  (jedesmal  der  Inhalt  einer  Phiole)  wurden  jeden 
zweiten  Tag  intramuskulär  in  die  Gesässgegend  vorgenommen.  Die 
Einimpfungen  wurden  lokal  gut  vertragen  und  führten  nur  zu  einem 
unbedeutenden  Schmerz  ohne  irgendwelche  Rötung  und  ohne  An¬ 
schwellung  des  betreffenden  Teiles.  Bereits  nach  3  Einspritzungen 
hatte  die  spezifische  Verschwärung  eine  deutliche  Veränderung  er¬ 
fahren.  Es  war  nämlich  der  Boden  des  Geschwürs  rein  geworden 
und  zeigte  eine  gewisse  Neigung  zur  Abplattung  und  Erhebung,  wäh¬ 
rend  die  Ränder  des  gummösen  Kraters  etwas  nieder  und  regel- 
massiger  wurden.  Die  Besserung  wurde  nach  der  vierten,  fünften  und 
sechsten  Einverleibung  immer  deutlicher,  bis  dann  an  dem  1  age,  an 
dem  die  siebente  Einspritzung  von  Embarin  vorgenommen  werden 
sollte,  die  Kranke  über  ein  allgemeines  Uebelbefinden  mit  Kopf¬ 
schmerzen  und  Temperaturanstieg  bis  38°  C  klagte.  Den  Tag  über 
trat  das  Uebelsein  noch  stärker  hervor  und  ergriff  den  ganzen  Körper, 
mit  Ausnahme  des  Kopfes  und  der  Beugegegenden  der  Hände  und 
büsse,  bei  fleckenartiger,  dem  Typus  nach  dem  Oedem  nahestehender 
Rötung  und  leichtem  Jucken.  Ich  setzte  dann  aber  mit  den  Embarin¬ 
einspritzungen  aus,  da  in  mir  die  Vermutung  auf  stieg,  dass  die  deutlich 
hervorgetretenen  Vergiftungserscheinungen  zu  ihnen  in  Beziehung  ge¬ 
bracht  werden  könnten,  verabreichte  ein  Abführmittel  und  verordnete 
die  Vornahme  von  Darmausspülungen  mit  physiologischer  Fltissig- 
keit.  Trotz  dieser  therapeutischen  Hilfsmittel  waren  am  Tage  darauf 
die  Krankheitsanzeichen  vermehrt.  Die  Temperatur  erreichte  39  ü  C. 
der  Hautausschlag  wurde  noch  ödematöser,  die  zuerst  vereinzelt  liegen¬ 
den  blecken  flössen  zusammen  und  führten  zu  einer  verbreiteten 
ödematösen  Rötung  mit  nicht  stark  ausgesprochenem  Jucken.  Trotz 
der  hohen  Temperatur  war  das  subjektive  Allgemeinbefinden  der 
Kianken  nicht  schlechter  geworden.  Es  hatte  sich  nur  eine  leicht 
beschleunigte  Herztätigkeit  eingestellt  ohne  unregelmässige  Pulsfolge; 
der  Urin  zeigte  abgesehen  von  einer  äusserst  leichten  Eiweisstrübung 
normales  Verhalten.  Am  dritten  Tage  war  die  Temperatur  auf  38°  C 
gefallen,  der  Hautausschlag  schickte  sich  an,  blasser  zu  werden.  Am 
vierten  Tag  wurde  die  Temperatur  normal,  die  Rötung  und  das  Haut¬ 
ödem  verschwanden  rasch;  am  fünften  Tage  hatten  sich  bei  der 
Kranken  wieder  normale  Verhältnisse  eingestellt,  ln  der  Zwischen¬ 
zeit  war  auch  die  gummöse  Schädigung  kleiner  geworden  und  alle 
Anzeichen  sprachen  zu  Gunsten  einer  in  vollem  Gange  befindlichen 
Wiederherstellung. 

Wie  bereits  erwähnt,  habe  ich  schon  am  ersten  läge  des  Auf- 
tietens  der  besagten  Krankheitsanzeichen  vermutet,  dass  es  sich  da 
um  eine  durch  Embarin  hervorgerufene  Vergiftung  handeln  könne. 
Die  beiden  kaum  erst  von  M  e  r  z  b  a  c  h  in  Berlin  veröffentlichten 
bälle  die  meinem  vorstehenden  zur  Seite  gestellt  werden  können, 
bestärken  mich  in  meiner  mir  von  Anfang  an  gebildeten  Anschauung 
und  veranlassen  mich,  diesen  kurzen  Bericht  zu  veröffentlichen,  damit 
neben  dem  vorteilhaften  Einfluss,  den  das  Embarin  bei  syphilitischen 
Erscheinungen  auszuüben  vermag,  auch  die  Missstände  bekannt  seien, 

die  es  auslösen  kann.  .  „  . 

Das  Embarin  ist  nach  Angaben  der  babrik  eine  3  Proz.  Queck¬ 


silber  enthaltende  Lösung  des  merkurisalizylsulfonsauren  Natriums  mit 
einem  Zusatze  von  Vs.  Proz.  Akoin  als  Anästhetikum.  Nach  Ver¬ 
suchen  von  v.  Hayek  im  physiologischen  Institut  der  Universität 
Innsbruck  ist  die  toxische  Wirkung  des  Präparates  schwächer  als  die 
aer  anderen  löslichen  Hg-Verbindungen.  Versuchstiere  vertrugen  das 
doppelte  Quantum  Hg  in  Form  von  Embarin  im  Vergleich  zu  anderen 

wasserlöslichen  Merkurialien.  ,  .  . 

Trotz  dieser  experimentellen  Daten  und  trotzdem  dass  von  an¬ 
deren  Klinikern,  wie  Kobligk  usw.,  das  Embarin  bei  einer  be¬ 
trächtlichen  Anzahl  von  Syphiliskranken  ohne  das  Auftreten  toxischer 
Erytheme  angewandt  worden  ist,  ermahnen  uns  doch  die  von  Merz¬ 
te  a  c  h  und  von  mir  beobachteten  Erscheinungen,  auf  der  Hut  zu  sein 
vor  möglichen  Zwischenfällen  und  auf  Seiten  des  Kranken  bestehender 
Unerträglichkeit,  die  weit  häufiger  zu  sein  scheinen,  als  dies  bei  den 
anderen  gewöhnlichen  Quecksilberpräparaten  der  ball  ist.  Das  tm- 
barvn  ist  eine  der  Veränderung  ziemlich  leicht  verfallende  Substanz, 
weshalb  sie  leicht  Verbindungen  eingeht,  die  ihr  Giftigkeitsverinögeii 
umwandeln  können.  Ein  Beweis  dafür  sind  auch  die  zu  seiner 
praktischen  Verwendung  empfohlenen  und  notwendigen  Vorsichts- 
itiassregeln  Wenn  nun  auch  einige  Kliniker  es  wirklich  bei  Kranken 
erprobt  haben,  ohne  das  Auftreten  irgendwelcher  mit  Erythem  ver¬ 
bundener  Vergiftungsanzeichen  feststellen  zu  müssen,  so  fehlt  es  doch 
andererseits  auch  nicht  an  anderen  Klinikern,  die  nach  Verabreichung 
des  Heilmittels  Anzeichen  von  Idiosynkrasie  mit  bieber.  bieber- 
'chauer  und  Kopfschmerzen  zu  beobachten  vermocht  haben,  halo- 
monski  hat  derartige  Erscheinungen  bei  27  Kranken  5  mal  beob¬ 
achtet.  beind,  Sowade,  Gappitsch  haben  sehr  bedeutende 
Temperaturanstiege  bis  zu  40,1 0  C  und  scharlachartige  Hautausschläge 
wahrgenonimmen.  Nach  L  o  e  b  haben  sich  schliesslich  ausser  den 
Temperaturerhöhungen  auch  Drüsenanschwellungen  und  Nerven¬ 
schmerzen  erkennen  lassen. 

Während  also  einerseits  anerkannt  werden  muss,  dass  das  Em¬ 
barin  den  syphilitischen  Erscheinungen  gegenüber  ein  starkes  Heil- 
vermögen  besitzt,  darf  andererseits  doch  auch  nicht  übersehen  wer¬ 
den.  dass  es  ein  Heilmittel  ist,  das  anscheinend  häufiger  als  die  ge¬ 
wöhnlichen  Quecksilberpräparate  dies  zu  tun  Pflegen,  zu  ldiosynkra- 
tischen  Vergiftungsvorgängen  führt,  die  durch  plötzliches  Uebelsein. 
bieberschauer,  starken  Temperaturanstieg,  erythematös-nesselartige 
und  scharlachartige  Hautausschläge  zum  Ausdruck  gelangen. 

Das  Embarin  ist  somit  ein  Heilmittel,  das  mit  Vorsicht  ange¬ 
wandt  und  dessen  Verabreichung  sorgfältig  überwacht  werden  muss. 


Der  Quadratograph.  Ein  Röntgenhilfsapparat. 

Von  Dr.  Rigi  er  in  Darmstadt. 

Um  der  Wirklichkeit  entsprechende  Bilder  normaler  Grösse  von 
inneren  Organen  röntgenograpiiisch  zu  bekommen,  stehen  uns  zurzeit 
zwei  Methoden  zur  Verfügung. 

Der  Orthodiagraph  nach  Moritz  oder  Groedel  ermöglicht 
cs  uns,  ausschliesslich  mit  zentralen  Strahlen  zu  arbeiten  und  rr»it 
Hilfe  der  beweglich  gemachten  Röhre  die  Organgrenzen  entweder 
direkt  auf  die  Haut  des  Patienten  oder  auf  Papier  oder  Glas  autzu- 


Die  zweite  Methode  ist  in  der  sogen.  Fernphotographie  zur  wei¬ 
teren  Ausarbeitung  gelangt  und  es  ist  besonders  von  Rosenthal. 
Köhler,  Groedel  u.  a.  nachgewiesen,  dass  z.  B.  ein  in  1 A  bis 
2  m  Entfernung  vom  Apparat  aufgenommenes  Herzbild  der  wirklichen 
Herzgrösse  durchaus  entspricht. 

Beobachtet  man  bei  aufeinanderfolgenden  Aufnahmen  stets  die 
gleiche  Technik,  so  lassen  sich  auch  mit  Hilfe  dieser  Methode  eine 
Reihe  von  Herzaufnahmen  hersteilen,  die  wohl  miteinander  ver¬ 
glichen  werden  können.  An  diesen  Fernbildern  lassen  sich  dann 
die  einzelnen  Herzmasse  ausmessen,  wenn  man  sich  vorher  be¬ 
stimmte  PunKtc  der  Brustwand  durch  Bleimarken  markiert  hat. 

Abgesehen  davon  nun,  dass  dies  Verfahren  immerhin  etwas  um¬ 
ständlich,  das  genaue  Messen  auf  der  Glasplatte  oder  der  Kopie  nicht 
ganz  leicht  ist,  und  sich  auch  die  Mittellinie  nicht  immer  exakt  be¬ 
stimmen  lässt,  haftet  der  Methode  vor  allem  noch  der  Nachteil  an, 
dass  natürlich  die  Kosten  durch  Plattenverbrauch  ziemlich  erhebliche 


Will  man  z.  B.  den  Erfolg  einer  Badekur  mit  kohlensauren  Bä¬ 
dern,  oder  den  Erfolg  eine  Medikation,  z.  B.  die  Wirkung  der  Digitalis! 
auf  die  Herzgrösse  feststellen,  so  muss  man  eine  ganze  Reihe  von 
Bildern  machen,  um  fortlaufend  einen  Vergleich  zu  haben. 

Der  Versuch,  sich  mit  Durchleuchtungen  zu  behelfen  und  bei 
diesen  Papierpausen  anzufertigen,  um  auf  diese  Weise  Platten  zu 
sparen,  hat  wieder  sein  sehr  Missliches,  weil  es  ein  sehr  subjektives 
Verfahren  ist.  Kaum  zwei  Untersucher  werden  bei  dieser  Art  der 
Feststellung  der  Herzgrenzen  genau  die  gleichen  Masse  eruieren. 

Diese  Ueberlegung  gab  die  Veranlassung  zur  Konstruktion  des 
Quadratographen,  der  in  einfachster  Weise  die  angegebenen  Schwie¬ 
rigkeiten  beheben  soll. 

Es  handelt  sich  dabei  um  ein  aus  Zinkdraht  hergestelltes  Gitter 
bei  dem  die  einzelnen  Drähte  immer  2  cm  voneinander  entfernt  sind 
so  dass  also  Felder  von  4  qcm  entstehen.  Das  Ganze  wird  in  dei 
Grösse  des  Leuchtschirms  angefertigt  und  kann  einfach  mit  2  Klam¬ 
mern  über  den  Leuchtschirm  gehängt  und  mit  Leichtigkeit  auch  wiedei 
entfernt  werden.  Die  Mittellinie  ist  durch  einen  Bleistab,  der  leien 


18.  August  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


1809 


erkennbar  ist,  inarkiert.  Oben  an  dem  Bleistab  befindet  sich  ein  Zei¬ 
ger,  um  die  genaue  Einstellung  des  Patienten  aut  die  Mittellinie  zu 
erleichtern.  Zur  bequemeren  Ablesung  wird  dem  Apparat  dann  noch 
eine  Skala  mit  einzelnen  Nummern  beigegeben,  die  über  den  Apparat 
an  einer  beliebigen  Stelle  gehängt  werden  kann,  und  die  es  ermög¬ 
licht,  bei  der  Durchleuchtung  die  Höhe  der  gesehenen  Gebilde  ab¬ 
zulesen. 

Nimmt  man  nunmehr  nach  Anbringung  des  Quadratographen  in 
etwa  lVi—2  m  Entfernung  die  Durchleuchtung  des  Patienten  vor  so 
sieht  inan  auf  dem  Leuchtschirm  sehr  deutlich  die  Mittellinie  und  die 
einzelnen  Quadrate.  Man  kann  also  bei  der  Durchleuchtung  des 
Brustkorbes  ohne  weiteres  nach  der  Anzahl  der  Quadrate  den 
Medianabstand  links  und  den  Medianabstand  rechts  ablesen.  Es  ge¬ 
nügt  hierzu  ein  Blick,  so  dass  die  Durchleuchtung  nur  von  ganz  kur¬ 
zer  Dauer  zu  sein  braucht,  demnach  auch  häufige  Wiederholungen 
ohne  Schaden  für  den  Patienten  ausgeführt  werden  können 

Mit  der  Feststellung  der  Herzgrenzen  ist  aber  die  Bedeutung  des 
Quadratographen  nicht  erschöpft.  Vielmehr  ermöglicht  er  auch  die 
exakte  Festlegung  anderer  normaler  und  pathologischer  Gebilde  inner¬ 
halb  der  Brusthöhle,  wenn  man  nur  die  kleine  Vorsicht  gebraucht 
den  Leuchtschirm  immer  in  der  gleichen  Höhe  wieder  einzustellen 
und  überhaupt  bei  jeder  folgenden  Durchleuchtung  stets  die  gleichen 
Bedingungen  der  vorhergehenden  zu  schaffen.  Praktisch  macht  das 
sehr  w  enig  Schwierigkeiten,  da  sich  an  den  meisten  Durchleuchtungs- 
Stativen  bereits  eine  Zentimetereinteilung  befindet.  Z.  B.  kann  man 
mit  Hilfe  des  Quadratographen  Veränderungen  des  Niveaus  pleuri- 
tischer  Exsudate,  Zu-  oder  Abnahme  von  Drüsenschwellungen  Um¬ 
fang  von  Spitzeninfiltrationen  u.  a.  m.  so  festlegen,  dass  selbst  ein 
anderer  Beobachter  später  feststellen  kann,  ob  eine  Vergrösserung 
oder  Verkleinerung  der  besagten  Gebilde  stattgefunden  hat 


Sollen  natürlich  Fein¬ 
heiten  der  einzelnen  Bil¬ 
der  festgelegt  werden,  so 
muss  eine  photographi¬ 
sche  Aufnahme  vorge¬ 
nommen  werden,  aber 
auch  bei  solcher  erleich¬ 
tert  das  Vorschalten  des 
Quadratographen  die 
Ausmessung  und  be¬ 
währt  sich  z.  B.  bei  be¬ 
ginnenden  Aneurysmen 
bei  der  Feststellung  einer 
etwaigen  Vergrösserung. 

Erwähnt  sei  noch, 
dass  selbstverständlich 
,  .  .....^  ,,  .  ,  , ,  auch  der  mit  Kontrast¬ 

brei  gefüllte  Magen  sich  sowohl  am  Beleuchtungsschirm,  wie  auch 
auf  der  Platte  mit  Hilfe  des  Quadratographen  genau  ausmessen  lässt, 
ebenso  irgendwelche  pathologischen  Gebilde  im  Bereich  des  Darms 
scharf  zu  lokalisieren  sind. 

P  ...  ^cr  beigefügten  Abbildung  geht  —  ohne  dass  es  weiterer 
Erläuterungen  bedarf  —  die  Konstruktion  des  Apparates  im  einzelnen 

hervor. 

Selbstverständlich  soll  nun  nicht  behauptet  werden,  dass  nicht 
vielleicht  ähnliche  Apparate  bereits  an  anderen  Stellen  angewandt 
wurden.  Zweck  dieser  Zeilen  sollte  es  nur  sein,  auf  den  kleinen-Hilfs- 
ap parat  aufmerksam  zu  machen,  der  vielleicht  dem  einen  oder  andern 
Kollegen  in  der  Praxis  sich  als  nützlich  erweist 

Der  Quadratograph  ist  zu  beziehen  von  Gebr.  Behrmann 
mechanische  Werkstätte,  Darmstadt,  Schützenstrasse 


Heizbare  Oesophagussonde  (Oesophagotherm)  zur 
Behandlung  von  Stenosen. 


Von  Wilhelm  Sternberg  in  Berlin. 


H  '.!V  hobelt1)  berichtet  in  einem  Aufsatz  „Die  Behandlung  der 
urnrohrenstriktur  mit  Hyperämie  hervorrufenden  Bougies“  und 
pnfn?°^i- V  •'  im  r  a.n  k 2)  in  einer  Arbeit  „Hyperämiebehandlung  bei 
entzündlich  infiltrativen  Erkrankungsprozessen  in  den  Harnwegen“ 
,  r  Ertolge,  die  mit  elektrisch  erwärmten  Sonden  bei  Strikturen 
er  Urethra  erzielt  werden.  Neben  der  mechanischen  Erweiterung 
vwrd  eine  aktive  Hyperämie  hervorgerufen,  die  Infiltrate  werden 
uurcü  die  Wärme  der  elektrothermischen  Bougies  günstig  beeinflusst, 
in  oige  der  serösen  Durchtränkung  des  Gewebes  werden  die  Narben 
sesc  uneidig  und  schneller  dehnbar,  so  dass  in  einer  Sitzung  unmittel- 
nur  tnntereinander  stärkere  Kaliber  angewandt  werden  konnten.  Die 
vanze  Behandlung  wird  somit  erleichtert,  und  ihre  Dauer  wesentlich 
abgekürzt. 


Daher  entschloss  ich  mich,  nach  demselben  Prinzip  von  der  uro- 
mgischen  Abteilung  der  Firma  Reiniger,  Gebbert  &  Schall  in  Berlin 
nnH  are  _yes°Ph3gussonden  zur  Behandlung  von  Narbenstenosen 
ino.  VOn  ^pasrnen  des  Oesophagus  herstellen  zu  lassen.  Das  ganze 

mstrumentarium  besteht  bloss  aus 


’)  M.m.W.  1912  Nr.  30. 

*)  D.m.W.  1913  Nr.  45. 
Nr.  33. 


1.  einem  Akkumulator  oder  Anschlussapparat  für  Endoskopie, 

2.  den  Anschluss  versehenden  Kabeln, 

3.  den  elektrisch  erwärmbaren  elastischen  Bougies  und 

4.  einem  in  den  Stromkreis  eingeschalteten  Kontrollthermo- 
meter. 

Die  Bougies,  in  jeder  Stärke  der  Charriere  sehen  Skala  an- 
gctcrtigt,  sind  die  elastischen  nach  Art  der  französischen  Seiden- 
bougies  mit  dem  sich  nach  unten  verjüngenden  Schaft  und  mit 
olivenformigem  Ende.  Der  elastische  Heizkörper  besteht  aus  iso- 
uerten  elektrischen  Widerständen,  in  denen  die  Erwärmung  vor  sich 
gellt.  An  seinem  oberen  Ende  trägt  er  einen  Steckkontakt  für  den 
Anschluss. 

Die  Technik  der  Einführung  dieser  heizbaren  Sonden  ist  die¬ 
selbe  wie  die  der  Einführung  der  üblichen  Sonden.  Kokain  wird 
vermieden,  erstlich  damit  das  Gefühl  der  Wärme,  das  an  und  für 
ca;-  schmerzlindernd  wirkt,  erhalten  bleibt,  und  zweitens  damit 
scnaaigungen  zu  hoher  Temperaturen  vermieden  werden.  Mit  einem 
Gleitmittel  versehen,  wird  die  Sonde  eingeführt,  und  die  Wärme 
bis  auf  45  0  erhöht. 

•  n  Eer  t* *en  *Hi  m’t  diesen  heizbaren  Oesophagussonden  er¬ 

zielte,  war  derselbe  günstige  wie  der  mit  der  Urethrasonde.  Hier 
wie  dort  wird  die  Einführung  dieser  erwärmten  Sonden  angenehm 
empfunden.  Ausserdem  wird  der  Spasmus  vermieden,  der  durch 
die  .ciniunrung  kalter  Sonden  mitunter  veranlasst  wird. 
it  1,Ebe!ls.?  k°nnte  man  bei  den  Oesophagusstenosen  wie  bei  den 
Urethrastrikturen  den  erweichenden  und  auflösenden  Einfluss  der 
Hitzesonde  oft  sthon  daran  erkennen,  dass  bei  der  Sondierung  und 
nach  der  Sondierung  eine  reichlichere  Sekretion  stattfindet. 

Die  Vorzüge  dieser  Sondierung  mit  heizbaren  Sonden  sind 
folgende: 

1.  Mechanische  Dilatation. 

2.  Massage  der  Schleimhaut. 

3.  Erweichung  und  leichtere  Dehnbarkeit  der  Striktur.  Infolge 
der  Hyperämie  werden  die  Infiltrate  und  Narben  geschmei¬ 
diger,  das  Narbengewebe  wird  serös  durchtränkt,  dadurch 
erweicht  und  leichter  dehnbar. 

4.  Abkürzung  der  Behandlungsdauer.  In  ein  und  derselben 
Sitzung  können  hintereinander  immer  stärkere  Kaliber  ange¬ 
wandt  werden,  so  dass  die  erst  unüberwindbar  scheinende 
Stenose  leicht  und  schnell  nachgibt. 

i  1  j-  äb^cher  Weise  wie  die  Oesophagusstrikturen  lassen  sich 
auch  die  Mastdarmstrikturen  durch  heizbare  Sonden  günstig  beein¬ 
flussen. 

r  u  F 1  a*  a  u")  bat  auch  mit  „Pelvithermen“  günstige  Erfolge  erzielt. 
Ich  benutze  diese  elektrische  Thermotherapie  auch  zu.  meiner  Ent¬ 
fettungskur. 


Operation  oder  Bestrahlung. 

Eine  Erwiderung  zur  kritischen  Betrachtung  meines  gleich¬ 
namigen  Aufsatzes  in  Nr.  30  dieser  Wochenschrift  des  Herrn 
Prof.  Dr.  L.  Heidenhain  in  Worms. 

Von  San. -Rat  Dr.  Christoph  Müller  in  Immenstadt. 

Die  Strahlentherapie  —  d.  i.  die  Behandlung  mit  Röntgenstrahlen 
und  radioaktiven  Substanzen  und  nicht  die  Bestrahlung  mit  Rönt¬ 
genstrahlen  allein,  welch’  letztere  H.  in  seiner  Erwiderung  ausschliess- 
hch  in  Erwägung  zieht  —  hat  durch  die  langjährige,  ernste  und  wissen¬ 
schaftliche  Arbeit  zahlreicher  Forscher  so  viel  Klärung  über  die 
physikalische  und  biologische  Wirkung  der  strahlenden  Energie  ge¬ 
bracht,  dass  sie  heute  nicht  mehr  verdient,  als  „im  ersten  Stadium 
tastender  Versuche“  sich  befindend  bezeichnet  zu  werden  H  stützt 
sich  bei  seiner  Kritik  der  Erfolge  der  Strahlentherapie  bei  malignen 
I unioren  ausschliesslich  auf  die  Literatur  und  erleich¬ 
tert  mir  den  Beweis,  warum  die  Literatur  zurzeit  noch  keine  grosse 
Anzahl  von  geheilten  Karzinomen  aufweist  mit  einer  kurzen  Zu¬ 
sammenfassung  der  allgemein  bekannten  historischen  Entwicklung 
der  1  iefentherapie.  Ich  muss  nochmals  betonen,  dass  ich  in  meiner 
Arbeit  unter  moderner  Röntgentiefentherapie  d  i  e  Therapie  gemeint 
habe  —  und  darüber  kann  bei  genauem  Durchlesen  der  Arbeit  wohl 
für  keinen  ein  Zweifel  bestehen  —  die  es  ermöglicht,  mit  moderner 
Apparatur,  unter  Benützung  von  harten  Röhren  und  Filtrierung  der 
Strahlen  durch  Aluminium  von  3  mm  und  mehr,  in  allen  beliebigen 
Tiefen  des  Organismus  notwendig  hohe  Dosen  zur  Absorption  zu 
bringen,  und  die  Haut  mit  vielen  Hunderten  von  X  zu  durchstrahlen 
ohne  (jefahr  einer  nennenswerten  Schädigung  derselben 

Diese  Tiefentherapie  bildet  ja  die  hauptsächlichste  Ursache  der 
erfolgreicheren  und  gefahrloseren  Anwendung  der  strahlenden  Ener¬ 
gie  bei  malignen  Tumoren,  und  von  ihr  wird,  bei  uns  in  Deutschland 
wenigstens,  Gebrauch  gemacht  seit  2  Jahren.  Die  Anwendung  der 
radioaktiven  Substanzen  in  der  jetzt  gebräuchlichen  Weise,  durch 
Filtrierung  der  Strahlen,  welch  letztere  ja,  wie  bei  den  Röntgen- 
strahlen,  auch  hier  umwälzend  gewirkt  hat,  erfolgt  seit  gut  Jahres¬ 
frist.  Wenn  man  demgemäss  die  Erfolge  dieser  beiden  seit  2  resp. 

1  Jahr  durchgeführten  Behandlungsarten,  wie  ich  es  in  meiner  Arbeit 
versuchte,  kritisch  zu  beleuchten  sucht,  und  ausserdem  für  den  Be- 

3)  Eine  neue  Methode  der  Thermotherapie  bei  gynäkologischen 
Erkrankungen.  Zbl.  f.  Gyn.  1911  Nr.  5. 


2 


1810 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  33. 


griff  Heilung  von  Karzinomen,  wie  H.  selbst,  eine  rezidivfreie  Zeit 
von  3  Jahren  verlangt,  vor  Ablauf  welcher  Zeit  die  Veroftenthchung 
erfolgreich  behandelter  Fälle  demgemäss  anfechtbar  ist,  so  wird  man 
sich  nicht  wundern,  wenn  die  Literatur  heute  solche  1  alle  nicht  auf¬ 
weist,  und  wird,  wie  wiederum  H„  erst  im  nächsten  Jahre  die  dies¬ 
bezüglichen  Veröffentlichungen  erwarten. 

Wenn  mich  aber  Herr  H.  bittet,  aus  der  Literatur  Falle  nach¬ 
zuweisen,  die  rezidivfrei  sind  aus  der  Zeit  vor  Ausbau  der  Tiefen¬ 
therapie,  so  können  dies  nur  Fälle  sein  von  rumoren,  die  an  der 
Körperoberfläche  oder  nicht  weit  unter  derselben  gelegen  waren, 
weif  ja  vor  Einführung  der  Tiefentherapie,  ohne  Schädigung  der 
Haut,  notwendig  hohe  Dosen  tiefer  nicht  gebracht  werden  konnten. 
Für  die  Hautkarzinome  bringt  H.  selbst  in  seiner  Arbeit  die 
324  von  Wetterer  behandelten  Fälle,  für  die  er  50  I  roz.  Heilung 
annimmt.  Wenn  H.  behauptet,  dass  die  prozentuale  Zahl  der  durch 
Röntgenstrahlen  geheilten  Gesichtskrebse,  die  ja  auch  zu  den  Haut¬ 
karzinomen  gehören,  erheblich  unter  der  durch  Operation  erzielter 
Heilungen  steht,  und  von  mir  den  zahlenmässigen  Nachweis  für  meine 
gegenteilige  Behauptung  erbittet,  so  fällt  mir  nichts  leichter  als  dies. 
Fs  werden  in  der  Literatur  bis  95  Proz.  Heilungen  bei  Hautkarzi¬ 
nomen  angegeben  (Manfred  Fränkel:  Die  Beeinflussung  des  Kar¬ 
zinoms  durch  Röntgenstrahlen,  Zschr.  f.  Röntgenkunde  13.  1911.  H.  9J ; 
und  es  finden  sich  in  der  Literatur  Anhaltspunkte  genug,  die  die  Sou- 
veränität  der  Röntgenbehandlung  über  die  chirurgischen  Eingriffe  bei 
Hautkarzinomen  rückhaltlos  anerkennen.  Z.  B.  hält  John  H.  Ed- 
mondson  (Southern  Medical  Journal  1913  H.  9  S.  579)  die  Röntgen¬ 
behandlung  für  die  einzig  richtige  Behandlung,  weil  dieselbe 
1.  schmerzlos  ist,  2.  keine  Narben  verursacht,  3.  nicht  nur  den  Krank- 
heitsherd  sondern  auch  die  Umgebung  in  Angriff  nimmt,  4.  weil  sie 
die  besten  Resultate  gibt. 

Auch  weist  die  Literatur  viele  Fälle  von  geheilten  Mamma¬ 
karzinomen  auf.  Es  ist  dabei  vollkommen  irrelevant,  ob  dies 
inoperable  Mammakarzinome  oder  Mammakarzinomrezidive  oder 
überhaupt  nicht  operierte  Mammakarzinome  sind;  denn  bei  einem  Re¬ 
zidiv  oder  bei  einem  inoperablen  Fall  Erfolg  zu  erzielen,  ist  doch 
therapeutisch  ungleich  schwieriger,  wie  einen  operablen  oder  pri¬ 
mären  Prozess  günstig  zu  beeinflussen.  D  i  e  g  e  h  eilten  M  a  m  m  a  - 
karzinome  aus  der  Literatur  hier  anzuführen, 
würde  de  nn  doch  zu  weitführen.  Ich  will  Herrn  H.  nur  mit 
einem  einwandfreien  Fall  von  Mammakarzinom,  der  durch  Röntgen¬ 
strahlen  und  die  von  mir  angegebene  Kombination  mit  Hochfrequenz- 
strömen  geheilt  wurde,  aufwarten,  einem  Fall,  der  diagnostisch 
einwandfrei  feststeht  und  der  nunmehr  seit  6  Jah¬ 
ren  rezidivfrei  ist  (ü.  Klein:  Erfolge  der  Röntgenbehand¬ 
lung  bei  Karzinomen  des  Uterus,  der  Mamma  und  der  Ovarien, 
Strahlentherapie  3.  1913.  H.  1  S.  260).  Auch  von  den  4  in  meiner 
Publikation:  Therapeutische  Erfahrungen  an  100  mit  Kombination 
von  Röntgenstrahlen  und  Hochfrequenz  resp.  Diathermie  behandelten 
bösartigen  Neubildungen  (M.m.W.  1912  Nr.  28)  niedergelegten  Fallen 
von  Mammakarzinom,  die  nicht  operiert  wurden,  in  dieser 
Publikation  als  vollständig  zurückgebildet  bezeichnet  sind,  und  b  e  - 
reits  im  Jahre  1910  bestrahlt  wurden,  sind  3  bis  heute 
rezidivfrei.  Diese  3  Fälle  wurden  mir  von  Kollegen  überwiesen;  die 
Diagnose  wurde  von  mehreren  Herren  bestätigt  und  auch  die  Kon- 
trolluntersuchungen  sind  bis  heute  von  den  überweisenden  Kollegen 
durchgeführt.  Herrn  H.  stehen  die  Fälle  zur  eigenen  Kontrolle  zur 
Verfügung,  ebenso  die  Namen  der  Kollegen,  die  mir  seinerzeit  die 
Fälle  überwiesen  haben.  Ich  wiederhole  nochmals,  diese  Erfolge 
stammen  aus  einer  Zeit,  wo  der  Anwendung  hoher  Dosen  schon  beim 
Mammakarzinom  noch  ungleich  grössere  Schwierigkeiten  im  Wege 
standen,  wie  heute. 

Es  würde  gleichfalls  zu  weit  führen,  wollte  ich  mich  in  ähnlicher 
Weise,  wie  ich  es  beim  Haut-  und  Mammakarzinom  getan  habe, 
auf  die  Literatur  der  anderswo  lokalisierten  Tumoren  und  die  Erfolge 
bei  denselben  mit  Röntgenstrahlen  weiter  einlassen. 

Die  Literatur  in  allen  Ehren,  aber  eine  derart  vorwärts  drän¬ 
gende.  gegen  die  furchtbarste  Krankheit  der  Menschheit  gerichtete 
Behandlungsform  kann  sich  nicht  durch  den  noch  nebenbei  willkür¬ 
lich  gewählten  Begriff  der  3  jährigen  Rezidivfreiheit  knebeln  lassen. 
Der  Arzt,  insonderheit  der  forschende  Arzt,  hat  noch  andere  Mo¬ 
mente  zu  berücksichtigen,  die  ihm  den  Mut  und  den  Ansporn  geben  zu 
zielbewusster  Weiterarbeit.  Es  sind  dies  seine  Beobachtungen  am 
Kranken  selbst  und  die  persönliche  Verwertung  von  anderswo  Ge¬ 
sehenem.  Und  wenn  dies  tagtäglich,  wie  es  uns  die  Tiefentherapie 
zeigt,  Erfolge  sind,  die,  wenn  auch  zunächst  nur  vorläufige,  die 
früheren  Erfolge  mit  Strahlentherapie  so  bedeutend  überschreiten, 
so  gaben  rie  mir  nicht  nur  das  Recht,  sondern  sie  verpflichteten  mich 
auch,  die  Schlussfolgerungen  aus  den  vorläufigen  Erfolgen  zu  ziehen, 
und  sie  drückten  mir  die  Feder  für  den  fraglichen  Aufsatz  in  die  Hand, 
allerdings  unter  der  Voraussetzung,  dass  diejenigen,  die  heute  in  der 
Frage  mitreden  wollen,  wenn  auch  nicht  aus  eigener  Erfahrung,  so 
doch  wenigstens  auf  Grund  von  Informationen  an  anderer  Stelle,  wo 
mit  hohen  Dosen  gearbeitet  wird,  die  jetzigen  Erfolge  kennen. 

Wenn  H.  die  Publikation  meiner  Erfolge  in  den  letzten  beiden 
Jahren  nicht  abwarten  konnte,  so  brauche  ich  ihn  nicht  auf  diese 
meine  kommenden  Publikationen  zu  vertrösten,  sondern  der  Zufall 
wollte  es,  dass  gerade  jetzt  eine  wichtige  und  bezüglich  der  Erfolge 
hocherfreuliche  Arbeit  von  Bumm  und  Warnekros1)  er- 


0  M.m.W.  1914  Nr.  29. 


schien  die  meine  Erwiderung  wesentlich  vereinfacht  Die  Therapie, 
welche  den  beiden  Forschern  die  Erfolge  brachte,  ist  die  gleiche  wie 
die  von  mir  angewendete  und  in  meiner  Arbeit  gemeinte:  möglichst 
hohe  Dosierung,  das  Bestreben  durch  Kreuzfeuer  im  Tumor  und  seiner 
weitesten  Umgebung  das  Quantum  der  Strahlenabsorption  noch  zu 
erhöhen  keine  Rücksichtnahme  auf  Hautgefährdung,  welch  letztere 
bei  dieser  Technik  minimal  ist.  (Siehe  meine  Leitsätze  zu  meinem 
Vortrag  auf  dem  heurigen  Kongress  für  innere  Medizin  in  Wiesbaden.) 
Bei  meiner  Therapie  kommt  lediglich  noch  die  Ausnutzung  der  hoch¬ 
frequenten  Elektrizität  resp.  der  Diathermie  zu  Sensibilisierungs- 
zwecken  dazu. 

Bestätigen  diese  Erfolge  der  Bumm  sehen  Klinik  den  ausser¬ 
ordentlichen  Wert  der  modernen  Tiefentherapie  im  Vergleich  zu 
unseren  früheren  unvollkommenen  Methoden,  so  findet  sich  in  dieser 
Arbeit  auch  das  bestätigt,  was  ich  in  meinen  früheren  Arbeiten  be¬ 
sonders  in  meiner  Broschüre  „Die  Krebsbehandlung  .  gesagt  habe  ; 
über  das  Absorptionsgesetz  und  vor  allen  Dingen  über  die  Leistungen  , 
der  radioaktiven  Substanzen  im  Vergleich  zu  den  Rontgenstrahlen. 
Auf  S.  48  dieser  Broschüre  schreibe  ich:  „Die  vorzüglichen  Erfolge 
der  Radium-  und  Mesothoriumbestrahlung  sind  somit  lediglich  aut  die 
Fälle  beschränkt,  bei  denen  das  Präparat  in  oder  unmittelbar  an  den 
Tumor  ohne  dass  eine  gesunde  Zwischenschicht  zu  schonen  ist,  ge-  ; 
bracht  werden  kann,  und  bei  denen  die  Absorption  der  Strahlung 
nicht  weiter  als  in  eine  Tiefe  von  4  cm  notwendig  ist.  Und  aui 
S.  50:  Zur  Stunde  ist  die  Situation  eine  derartige,  dass  bei  allen 
tiefer  gelegenen  bösartigen  Neubildungen,  bei  denen  es  gilt,  gesunde, 
deckende  Schichten  zu  schonen,  die  Anwendung  der  Rontgenstrahlen 
den  unbedingten  Vorzug  verdient.“  Vielleicht  sind  diese  Bestatt-  ; 
gungen  von  seiten  der  beiden  Autoren  dazu  angetan,  die  grossen  Aus¬ 
gaben  an  Volksvermögen  für  Ankauf  von  radioaktiven  Substanzen 
zu  Heilzwecken  einzuschränken  mit  Rücksicht  auf  die  Cr- 
satzmöglich  keit  dieser  Substanzen  du  r  c  li  1<  o  n  t  - 
genstrahlen,  nachdem  meine  früheren  Publikationen,  msonder- 
heit  meine  Publikation  in  Nr.  44  1913  d.  Wschr.  „Therapeutische  und 
biologische  Wirkung  der  radioaktiven  Substanzen  und  Ersatz  der¬ 
selben  durch  Röntgenstrahlen“  und  Nachtrag  zu  derselben  m  Nr.  3 
1914  welche,  allerdings  hauptsächlich  aus  physikalischen  Erwägungen 
heraus,  klipp  und  klar  genau  das  gleiche  sagten,  die  seinerzeitige  Be¬ 
geisterung  nicht  einzudämmen  vermochten. 

Aus  dieser  Arbeit  greife  ich  weiterhin  folgendes  heraus:  Dort  ist, 
wortwörtlich  zu  lesen,  dass  von  14  mit  Röntgentiefentherapie  be¬ 
handelten  Mammakarzinomen,  bei  denen  es  sich  12  mal  um  Rezidive, 
und  zwar  um  sehr  ausgedehnte  Drüsenrezidive  handelte,  mit  einer 
einzigen  Ausnahme  sämtliche  geheilt  wurden.  Aus  dieser  Arbeit 
greife  ich  schliesslich  heraus  den  Satz:  „Wir  glauben  durch  die  ge¬ 
schilderten  Beobachtungen  die  Möglichkeit  der  gefahrlosen  Beein¬ 
flussung  des  Karzinomgewebes  durch  Röntgenbestrahlung  auf  die  Ueic 
von  10  cm  bewiesen  zu  haben.  Damit  eröffnen  sich  Aussichten  zur 
Behandlung  der  Karzinome  der  inneren  Organe  (Darm,  Magen,  Oeso¬ 
phagus,  Larynx  etc.),  die  bis  jetzt  nur  durch  schwere  operative  Ein¬ 
griffe  oder  gar  nicht  heilbar  waren.“  Wenn  es  sich  bei  diesen  Er-I 
folgen  auch  um  Erfolge  an  der  Bumm  sehen  Klinik  handelt,  so  kann 
ich  mich  auf  gleiche  Erfolge  stützen.  Und  es  müsste  ein  Wunder  sein, 
sollten  die  Erfolge  nicht  die  gleichen  sein,  nachdem  die  Therapie  die 
gleiche  ist.  Ich  bin  mit  meiner  Schlussfolgerung  nur  einen  Schritt 
weiter  gegangen  und  hielt  mich  für  berechtigt,  ich  betone  aus¬ 
drücklich  st  berufene,  mit  der  Therapie  durchaus) 
vertraute,  gewissenhafte  Röntgentherapeuten  zu 
veranlassen,  operable  Fälle  in  grösserem  Umfange  anzugehen,  nach¬ 
dem  diese  Therapie  schon  bei  Fällen  Erfolge  erzielt  hat,  bei  denen 
die  Chirurgie  machtlos  war.  j 

Hier  spitzt  sich  die  Streitfrage  zu.  H.  steht  auf  dem  Standpunkt; 
Solange  nicht  die  Literatur  eine  grosse  Anzahl  von  durch  Strahlen-) 
therapie  zum  Verschwinden  gebrachten  und  3  Jahre  rezidivfrei  ge¬ 
bliebenen  Fällen  aufweist,  und  solange  nicht  die  Statistik  zittern-- 
mässig  nachweist,  dass  die  Erfolge  der  Strahlentherapie,  was  Heilung 
und  Dauerheilung  anbelangt,  besser  sind,  als  die  der  Chirurgie,  dür¬ 
fen  operable  Fälle  nicht  bestrahlt  werden.  Ich  sage:  Der  Umstand 
dass  die  Therapie  erst  2  Jahre  alt  ist,  und  demgemäss  statistische 
Anhaltspunkte  über  Heilungen  und  Dauerheilungen  noch  nicht  vor¬ 
liegen  können,  ist  für  denjenigen,  der  den  hohen  Wert  der  lherapu 
erkannt  hat,  kein  Grund,  in  der  therapeutischen  Arbeit  sich  aufnaltei 
zu  lassen,  und  diese  Therapieform  weiterhin  nur  anzuwenden  bei  in¬ 
operablen  Tumoren  oder  „solaminis  causa“  oder  „ut  aliquid  hat 
Die  eklatanten,  wenn  auch  zum  Teil  vorläufigen  Erfolge  aber  det 
heutigen  Strahlentherapie  sind  derartige,  dass  ihre  Ausnützung  in 
Interesse  der  Krebskranken  drängt,  der  weitere  Ausbau  der  Technik 
die  Vervollkommnung  der  Apparatur  tunlichst  beschleunigt  und  de 
Therapie  jetzt  schon  das  Recht  eingeräumt  werden  muss,  zu  bc 
weisen,  was  sie  vermag.  Dies  ist  nur  möglich  durch  Bestrahl  un- 
operabler  Fälle,  selbstverständlich  unter  Erfüllung  all  der  vorbe 
dingungen,  die  ich  präzisiert  habe.  Das  Fehlen  statistischen  »er 
gleichsmaterials  ist  kein  Gegengrund.  Beispielsweise  auch  bei  de 
grosszügig  durchgeführten  Erprobung  des  Wertes  des  Salvarsans  an 
Menschen  fehlte  eine  Vergleichsstatistik  gegenüber  den  Leistungei 
der  früheren  Luestherapie  und  der  Gefährlichkeit  des  Mittels.  E 
eihob  sich  damals  keine  Stimme  gegen  die  Anwendung  des  Salvar 
sans  bei  Lues  in  allen  ihren  Stadien.  Wie  überhaupt  kenn 
irgendwie  geartete  Therapieform  richtig  durchgeprobt  werden  konnte 


18.  August  191*4. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


solange  man  nicht  sich  entschloss,  die  mit  ihr  zu  bekämpfenden  Krank¬ 
heiten  von  Anfang  an  mit  ihr  zu  behandeln  und  nicht  erst  dann, 
wenn  alles  andere  versagte  und  die  Patienten  ihre  Restitutionskraft 

verloren  hatten. 

Und  nun  zum  ethischen  Moment  dieser  Forderung,  der  Ge- 
rahr  für  die  Kranken.  Ich  behaupte,  dass,  selbstverständlich 
geeignete  Fälle  ausgewählt,  durch  einen  energischen  Ver¬ 
such  mit  Strahlentherapie  bei  operablen  Tumoren,  der  mit  Beobach¬ 
tung  seiner  direkten  Wirkung  eine  3—4  wöchentliche  Zeit  verlangt, 
bei  Versagen  der  Strahlentherapie  die  Chancen  für  eine  nachfolgende 
Operation  nicht  herabgesetzt  werden.  Ich  behaupte  dies  auf  Grund 
einer,  bei  den  oberflächlich  gelegenen  Tumoren  fast  4  jährigen  und 
bei  den  tiefer  gelegenen  2  jährigen  Durchführung  dieses  Prinzips, 
während  welcher  Zeit  ich  noch  nie  beobachtet  habe,  dass  die  Strah- 
ientherapie  nicht  wenigstens  so  viel  geleistet  hätte,  dass  keine  wei¬ 
teren  Metastasen  sich  bildeten  und  der  Tumor  sich  nicht  vergrösserte. 
Diese  Erfahrung  und  Beobachtung  werden  alle  die  mit  mir  teilen, 
Jie  ebenfalls  operable  1  umoren  mit  Strahlentherapie  angehen  und 
iie,  wie  ich,  bei  allem  ihrem  ärztlichen  Tun  und  Flandeln  von  der 
ersten  grossen  ürundforderung  geleitet  sind:  nil  nocere. 

Ich  möchte  hier  nur  einige  Beispiele  aus  der  Literatur,  auf  die 
ierr  H.  ja  so  grossen  Wert  legt,  anführen:  Krönig  und  Gauss: 
)ie  Behandlung  des  Krebses  mit  Röntgenstrahlen  und  Mesothorium. 
Xin.W.  1913  Nr.  26.  —  P.  Kw  einer:  Ueber  die  Einwirkung  von 
Röntgen-  und  Mesothoriumstrahlen  auf  maligne  Neubildungen  der 
jenitalien.  Strahlentherapie  3.  1913.  H.  1.  —  H.  Menge:  Medi¬ 
zinische  Sitzung  des  naturhistorisch-medizinischen  Vereins  in  Heidel¬ 
berg  vom  17.  Febr.  1914.  —  v.  Seuffert:  Sitzung  der  Berliner  medi¬ 
zinischen  Gesellschaft,  Dezember  1913. 

H.  behauptet,  dass  bei  Erfüllung  dieser  Forderung  die  Situation 
ür  die  Kranken  gefahrvoll  wird.  Er  behauptet  dies,  ebenso  wie  das, 
vas  er  später  über  die  Diathermie  sagt,  ohne  eigene  Erfah- 
ung,  oder  weil  er  selbst  so  grossen  Wert  darauf  legt,  ohne  Litera- 
urangabc;  denn  aus  der  Arbeit  H.s  ist  ohne  weiteres  zu  entnehmen, 
lass  er  eigene  Erfahrung  über  die  Bestrahlung  operabler  Fälle  nicht 
lesitzt.  Ich  aber  habe  meine  eigene  Erfahrung  in  dieser  verant¬ 
wortungsvollen  Frage,  und  will  Herrn  H.  auch  Literatur  angeben, 
us  der  er  entnehmen  kann,  dass  tatsächlich  die  Operabilität  eines 
umors  durch  einen  vorausgehenden,  sachgemässen  Versuch  mit 
trahlentherapie  nicht  gefährdet  wird:  Robert  K  i  e  n  b  ö  c  k  -  Wien: 
eber  Röntgenbehandlung  von  Sarkomen.  W.m.W.  1912  Nr.  19.  — 

*  t  i  c  k  e  r  -  Berlin:  Anwendung  des  Radiums  in  der  Chirurgie. 

1.  Versammlung  der  deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie.  Solange 
i.  keine  Beweise  für  diesen  seinen  schweren  Vorwurf  bringt  und 
igene  diesbezügliche  Erfahrung  sammelt,  besteht  sein  Vorwurf  nicht 
u  Recht  . 

Im  2.  Teil  seiner  Abhandlung  beschäftigt  sich  H.  mit  meinen 
tieorien  über  die  Wirkung  der  Diathermie  bei  der  kombinatorischen 
Sehandlung  maligner  Tumoren  und  mit  dieser  Behandlungsmethode 
elbst,  obwohl  die  kombinatorische  Behandlungsmethode  in  meinem 
•ufsatz  mit  keinem  Worte  erwähnt  ist.  Er  verlässt  damit  den  Inhalt 
er  Arbeit  und  wendet  sich  gegen  frühere  meiner  Arbeiten.  Auch 
lesmal  wieder  mit  einfachen  Behauptungen,  ohne  eigene  Erfahrung, 
hne  mit  der  Methode  gearbeitet  zu  haben,  indem  er  eine  meiner 
lieorien,  die  Theorie  über  die  Wichtigkeit  der  Abfuhr  der  Zerfalls- 
rodukte  herausgreift  und  dieselbe  als  das  Wesentlichste  der  Dia- 
lermiewirkung  hinstellt.  Diese  Theorie,  nämlich  die  Wichtigkeit  der 
(yperämisierung  für  die  Abfuhr  der  Zerfallsprodukte,  kann  ich  nicht 
eweisen.  Sie  wird  aber  auch  nicht  durch  eine  einfache,  nicht  auf 
ieweise  gestützte  Gegenbehauptung  widerlegt.  Und  sollte  sie  auch 
iderlegt  werden  können,  so  ist  damit  noch  lange  nicht  das  Wich¬ 
te  und  Nachgewiesene  für  den  Wert  der  Diathermie  getroffen, 
achgewiesen  ist,  dass  die  Radiosensibilität  der  Gewebe  durch  Hyper- 
misierung  gesteigert  wird,  nachgewiesen  ist  dies  von  vielen  Seiten 
iit  einwandfreien  Messungen  und  nachgewiesen  ist  dies  durch  die 
xperimentellen  Untersuchungen  von  Bering  und  Meyer.  Auf 
•esen  Tatsachen  fusst  meine  Anwendung  der  Diathermie  zur  Unter- 
ützung  der  Bestrahlungen.  Und  diese  Tatsachen  hätten  wiederum 
on  Herrn  H.  mit  Beweisen  widerlegt  werden  müssen  —  allerdings 
cht  in  dieser  seiner  Kritik.  Nicht  aber  geht  es  an,  eine  theoretische 
rwägung  aus  einer  Anzahl  von  Arbeiten  herauszugreifen,  die,  wie 
de  Iheorie  angegriffen  werden  kann,  um  den  Wert  einer  Behand- 
ngsform  herabzusetzen. 

Im  übrigen  wird  seit  einiger  Zeit,  wie  mir  berichtet  wird,  an 
rossen  Kliniken  in  ausgedehntem  Masse  der  Wert  der  Sensibili- 
erung  mit  Hochfrequenz  resp.  Diathermie  nachgeprüft,  und  bleibt 
biiiwarten,  wie  die  Resultate  ausfallen  Ich  wiederhole,  hätte  Herr 

•  selbst  mit  Diathermie  zu  Sensibilisierungszwecken  gearbeitet,  oder 
'.h  wenigstens  anderswo,  wo  die  Methode  angewandt  wird,  durch 
ugenschein  informiert,  hätte  er  das  Schwarzsche  Gesetz 
rjer  die  Wichtigkeit  der  Blutfüllung  der  Gewebe  für  die  Radiosensi- 
ntät  derselben  und  die  experimentellen  Untersuchungen  B  e  r  i  n  g  s 
id  Me yers  widerlegt,  dann  hätte  er  die  Schlüsse  ziehen  dürfen, 
e  er  in  seiner  Kritik  gezogen  hat  lediglich  auf  Grund  des  Aufsteilens 
ner  Gegenbehauptung  gegen  eine  theoretische  Erwägung  meiner- 

iltS. 

Und  wenn  Herr  H.  die  Erfahrungen  des  Samariterhauses  Heidel- 
-rg  über  die  Kombination  der  Diathermie  mit  Röntgenstrahlen 
eranzieht,  so  kann  ich  ihm  mitteilen,  dass  das  gleiche  Institut  beztig- 

dei  Gefahr  der  Verschleppung  lebender  Tumorzellen  durch  An-  i 


1811 


u  endung  von  1  hermopenetration  —  und  dies  ist  die  Gegenbehauptung 
des  Herrn  H.  —  sich  dahin  geäussert  hat,  dass  besondere  Anhalts¬ 
punkte  für  eine  Ausstreuung  der  Keime  durch  die  Thermopenetration 
bei  den  Arbeiten  in  diesem  Institut  nicht  gefunden  wurden.  (Erich 
S  t  e  p  h  a  n  -  Heidelberg:  Histologische  Untersuchungen  über  die  Wir¬ 
kungen  der  Thermopenetration  auf  das  normale  Gewebe  und  Karzi¬ 
nom.  [Samariterhaus.]  Beitr.  z.  klin.  Chir.  1912  H.  2.) 

Weiterhin  glaubt  H.,  dass  all  das  Viele,  was  über  das  Wachstum 
der  Karzinome,  die  Ausbreitungswege  und  die  Ursache  der  Rezidive 
nach  Operationen  publiziert  wurde,  spurlos  an  mir  vorübergegangen 
ist.  Ich  nehme  für  mich  das  Recht  in  Anspruch,  aus  dem  Chaos  von 
I  heorien  das  herauszusuchen,  was  ich  in  Einklang  mit  meinen  Er¬ 
fahrungen  bringen  konnte.  Tatsache  ist,  dass  an  den  blutreichen 
Organen  und  Körperpartien  Karzinome  relativ  selten  sind;  Tatsache 
ist,  dass  die  Rückbildung  eines  jeden  Tumors  mit  Hyperämisierung 
einsetzt;  Tatsache  ist,  dass  die  Rezidive  am  häufigsten  in  den  schlecht 
mit  Blut  versorgten  Operationsnarben  sich  einstellen,  Tatsache  ist, 
cluss  Selbstheilungen  von  Karzinomen  bei  lange  anhaltenden  Fieber- 
krankheiten,  in  denen  der  Blutdruck  ständig  gesteigert  ist,  und  bei 
Erysipelinfektionen  in  der  Umgebung  eines  Karzinoms  beobachtet 
wurden.  Dies  sind  Tatsachen  nud  keine  Theorien  und  beweisen  die 
Wichtigkeit  der  Blutfüllung  in  der  ganzen  Karzinomfrage.  Auch  sie 
dürfen  nicht  spurlos  vorübergehen  an  jemand,  der  das  Interesse  für 
die  Krebse  zeitlebens  behalten  haben  will. 

H.  stellt  fernerhin  das,  was  ich  in  meinen  im  Dezember  1913 
in  der  Münchener  Vereinigung  für  ärztliches  Fortbildungswesen  ge¬ 
haltenen  Vorträgen  über  die  Bestrahlung  operabler  Karzinome  ge¬ 
sagt  habe,  nämlich,  dass  eine  durch  Monate  und  Monate  hindurch 
durchgeführte  Strahlenbehandlung  bei  einem  operablen  Tumor  die 
nicht  den  gewünschten  Erfolg  der  Rückbildung  bringt,  nach  dieser  ver¬ 
hältnismässig  langen  Zeit  die  Aussichten  für  die  Operationsmöglich¬ 
keit  verschieben  kann,  meiner  jetzigen  Behauptung  gegenüber  dass 
durch  einen  einmaligen,  kräftigen  Versuch  der  Bestrahlung  eines  Tu¬ 
mors,  der,  wie  gesagt,  nicht  mehr  wie  3 — 4  Wochen  beansprucht 
die  Operationsmöglichkeit  nicht  herabgesetzt  wird.  Ersterer  Satz! 
der  aus  dem  Zusammenhang  herausgerissen  ist,  steht  in  keinerlei 
Gegensatz  zu  meiner  letzteren  Forderung,  die  nichts  anderes  ist,  als 
eine  Ergänzung  des  ersteren,  dahin  gehend,  dass  in  der  Regel  nur  ein 
kurzdauernder,  energischer  Versuch  mit  Strahlenbehandlung  genügend 
ist,  dessen  Durchführbarkeit  auf  Grund  der  seit  November  1913  ge¬ 
machten  Erfahrungen,  über  die  Applizierung  sehr  hoher  Dosen  ohne 
Hautgefährdung,  unterdessen  sich  wesentlich  gebessert  hat. 

Wie  H.  aus  meiner  Arbeit  lesen  kann,  dass  ich  seit  6  Jahren 
moderne  Tiefentherapie,  d.  i.  die  Anwendung  harter  Röntgenstrahlen 
mit  moderner  Apparatur  unter  Filtrierung  mit  3  mm  Aluminium  auf¬ 
wärts,  treibe,  kann  ich  mir  nicht  erklären.  Ich  habe  meinen  Aufsatz 
immer  und  immer  wieder  durchgelesen  und  von  anderen  lesen  lassen, 
niemand  hat  auch  die  geringste  Andeutung  hiefiir  gefunden.  Ab¬ 
gesehen  davon,  dass  man  eine  Therapie  doch  erst  dann  anwenden 
kann,  wenn  sie  gefunden  ist,  und  Herr  H.  selbst  legt  in  seiner  Kritik 
des  Weiten  auseinander,  dass  dieselbe  vor  6  Jahren  noch  gar  nicht 
existiert  hat. 

Auch  alles  sonstige  in  meinem  Aufsatz  Niedergelegte  halte  ich 
nach  wie  vor  aufrecht  und  ich  kann  mich  insonderheit  nicht  zu  dem 
prinzipiellen  Standpunkt  bekennen,  nur  zu  bestrahlen,  um  nach  einer 
Operation  zurückgebliebene  Karzinomreste  zu  vernichten.  Denn  wenn 
der  Tumor  derart  radiosensibel  ist,  dass  die  Bestrahlung  mit  dem¬ 
selben  fertig  wird,  dann  ist  die  Operation  überflüssig,  vorausgesetzt, 
dass  nicht  die  Grösse  des  Tumors  und  die  Gefahr  der  Resorptions¬ 
erscheinungen  die  Operation  notwendig  machen.  Wird  aber  operiert, 
weil  sich  der  Tumor  als  nicht  radiosensibel  erwiesen  hat,  dann  ist  die 
Bestrahlung  nach  der  Operation  illusorisch,  weil  ja  bestimmt  die  nicht 
genügend  radiosensiblen  Reste  auf  die  Bestrahlung  nicht  reagieren 
werden. 


Aerztliche  Standesangelegenheiten. 

Der  Arzt  in  der  Rechtsprechung. 

Von  Regierungsrat  PaulKaestnerin  Berlin-Neubabelsberg. 

(Schluss.) 

Ein  Reichsgerichtsurteil  vom  15.  Dezember  1913  (Juristische 
Wochenschrift  1914  S.  377)  behandelt  Taxüberschreitungen 
durch  Apotheker.  In  §  148  Nr.  8  der  RGO.  sind  Ueber- 
schreitungen  der  Taxe  mit  besonderer  Strafe  bedroht.  Trotzdem 
können  sie  auch  als  Betrug  strafbar  sein,  falls  im  Einzelfall 
die  Merkmale  dieses  Vergehens  (§  263  StrGB.)  nachweisbar  sind. 
Dies  trifft,  soweit  die  Täuschungsbehandlung  in  Frage  kommt,  nament¬ 
lich  dann  zu,  wenn  die  Anforderung  eines  bestimmten  übersetzten 
Preises  für  ein  der  Taxe  unterliegendes  Arzneimittel  nach  den  Be¬ 
gleitumständen  als  die  bewusst  wahrheitswidrige  Behauptung  auf¬ 
zufassen  ist,  die  laxe,  deren  Bestehen  dem  Käufer  bekannt  ist,  setze 
den  für  die  Ware  geforderten  Preis  fest,  nicht  den  in  Wirklichkeit 
festgesetzten,  so  dass  der  getäuschte  Käufer  den  Taxpreis  zu  zahlen 

glaubt,  während  er  tatsächlich  nicht  diesen,  sondern  mehr  bezahlt. _ 

Aerztliche  Verordnungen  dürfen  in  Apotheken 
von  Eleven  nach  §  30  Abs.  3  der  Apothekenbetriebsordnung  vom 
18.  Februar  1902  nur  unter  Aufsicht  des  Apothekenvorstandes  oder 

2* 


i812 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  33. 


eines  Assistenten  unter  deren  Verantwortlichkeit  angefertigt 
werden.  Der  Apotheker  A.,  der  keinen  Assistenten  hatte,  liess  seinen 
am  1.  April  eingetretenen  Eleven  bereits  nach  6  Wochen  in  der 
Rezeptur  ärztliche  Verordnungen  insofern  ohne  Aufsicht  anfertigen, 
als  er  selbständig  die  Medikamente  zusammenstellte.  Einige  Zeit 
darauf  liess  er  die  Nachtglocke  in  das  Zimmer  des  Eleven  verlegen 
und  wollte  nur  in  wichtigen  Eällen  geweckt  sein.  Das  Rezeptjournal 
ergibt  in  Uebereinstimmung  mit  der  Bekundung  des  Eleven,  dass 
dieser  in  3  oder  4  Eällen  zur  Nachtzeit  ohne  Beisein  des  A.  Rezepte 
angefertigt  und  abgegeben  hat.  A.  ist  auf  Grund  obiger  Gesetzes¬ 
bestimmung  in  Verbindung  mit  der  revidierten  Apothekenordnung 
vom  11  Oktober  1801  und  §  367  Nr.  5  StrGB.  von  der  Strafkammer 
bestraft  und  seine  Revision  ist  durch  Urteil  des  Kammergerichts 
vom  2.  April  1914  (Berliner  Apothekerzeitung  S.  323)  zurückgewiesen. 
Mit  dem  Einwand,  jeder  Eleve  in  einer  Apotheke  müsse  wissen,  ob 
die  Anfertigung  eines  Rezepts  einen  wichtigen  Fall  betreffe,  und  seine 
Anordnung  habe  daher  dahin  verstanden  werden  müssen,  dass  er  für 
die  Anfertigung  der  Rezepte  zu  wecken  sei,  ist  A.  nicht  gehört.  Er 
hat  fahrlässig  gehandelt,  weil  er,  nachdem  er  aus  dem  Rezeptbuch 
die  selbständige  Anfertigung  eines  Rezepts  durch  den  Eleven  er¬ 
fahren  habe,  keine  Anordnung  getroffen  habe,  um  einen  Wieder¬ 
holungsfall  zu  verhindern.  — 

Int  „Aerztlichen  Vereinsblatt“  1914  S.  174  ist  eine  Entscheidung 
des  sächsischen  ärztlichen  Ehrengerichtshofes  vom  13.  Oktober  1913 
wiedergegeben,  nach  welcher  dem  Arzte  nicht  zugemutet  werden 
kann,  dass  er  auch  ausserhalb  der  Sprechstundenzeit 
abends  noch  jedem  beliebigen  Kranken,  der  sich  bei  ihm  melden  lasse, 
zur  Verfügung  stehe.  Auffällig  erscheint,  dass,  soweit  der 
mitgeteilte  Tatbestand  erkennen  lässt,  der  Vorsitzende  des  ärztlichen 
Bezirksvereins  gegen  das  freisprechende  Erkenntnis  des  ärztlichen 
Ehrengerichts  Berufung  eingelegt  hatte.  Da  es  sich  nicht  um  einen 
dringenden  Fall  gehandelt  hat,  der  sofortige  ärztliche  Hilfe  notwendig 
gemacht  hätte,  kam  eine  (jefährdung  des  Ansehens  des  ärztlichen 
Standes  nicht  \  in  Frage  und  war  die  Freisprechung  selbstver¬ 
ständlich.  —  .  .  n, 

B  litt  an  einer  Geschwulst  am  Lendenwirbel,  wollte  eine  Ope¬ 
ration  vermeiden  und  begab  sich  in  die  Behandlung  einer  Magneto- 
p  a  t  h  i  n,  der  Zahnarztswitwe  K.,  die  sich  als  „Frau  Dr.“  bezeichnen 
liess  Die  K.  diagnostizierte,  anstatt  die  tatsächlich  vorhandene 
Knochentuberkulose  zu  erkennen,  auf  Furunkeln,  magneti¬ 
sierte  den  B.  und  behandelte  das  immer  grösser  werdende  Geschwür 
mit  Pflastern,  Schmierkäse,  Lehm-  und  Salbenaufstreichen,  bis  sie 
schliesslich  die  Oeschwulst  aufschnitt.  Bald  erschienen  an  der 
gleichen  Stelle  zwei  weitere  grosse  Geschwüre,  welche  die  K.  ver¬ 
geblich  mit  Bädern  und  Pflastern  zu  heilen  suchte.  Der  endlich 
hinzugezogene  Arzt  riet  zur  sofortigen  Operation,  der  B.,  von  der  K. 
bestärkt,  widersprach.  Nach  ständiger  Verschlimmerung  vertraute 
B.  sich  endlich  dem  Arzte  an,  aber  zu  spät.  Die  Knochentuberkulose 
hätte  bereits  die  Wirbelsäule  ergriffen,  so  dass  die  alsbald  vor- 
genommene  Operation  keine  Rettung  mehr  bringen  konnte;  B.  starb 
an  Entkräftung.  Die  K.  ist  von  der  Strafkammer  am  Landgericht 
Wiesbaden  wegen  fahrlässiger  Tötung  mit  6  Monaten  Ge¬ 
fängnis  bestraft  und  ihre  Revision  vom  Reichsgericht  durch  Urteil 
vom  20  Dezember  1913  (Rechtspr.  u.  Mediz.  Gesetzgebg.  1914  S.  31) 
zurückgewiesen.  Die  K.  habe  durch  die  Verwechselung  von  Knochen¬ 
tuberkulose  und  Furunkeln  ihre  gänzliche  Unerfahrenheit  auf  diesem 
Gebiete  gezeigt  und  hätte  die  Behandlung  des  B.  gar  nicht  über¬ 
nehmen  dürfen,  sondern  auf  Zuziehung  eines  Arztes  dringen  müssen. 
Statt  aber  dieser  Sorgfaltspflicht  nachzukommen,  habe  sie  die  Be¬ 
handlung  fortgesetzt  und  sich  durch  Anordnung  vollkommen  ver¬ 
fehlter  und  zweckwidriger  Mittel  eines  groben  Kunstfehlers  schuldig 
gemacht.  Keinesfalls  habe  sie  von  der  Operation  abraten  dürfen, 
die,  rechtzeitig  vorgenommen,  den  Kranken  allein  hätte  retten  können. 
Bei  ihrer  allgemeinen  Erfahrung  als  Heilkundige  habe  ihr  nicht  ver¬ 
borgen  bleiben  können,  dass  bei  falscher  Behandlung  die  Möglichkeit 
eines  ungünstigen  Verlaufes  bestand.  Sie  habe  daher  durch  ihre 
grobe  Fahrlässigkeit  den  Tod  des  B.  verursacht.  — 

Der  Tischlergeselle  F.  unterhielt  seit  März  1912  in  L.  gemeinsam 
mit  seiner  Wirtin,  einer  Weissnäherin,  eine  Verkaufsstelle  für 
Krankenpflegeartikel,  Kräuterthee  und  antikonzeptionelle  Mittel  aus 
dem  Laboratorium  eines  Dr.  N.  in  U.  und  veröffentlichte  in  drei 
Tageszeitungen,  einer  Wochenschrift  für  Frauen  und  einem  Variete¬ 
programm  ziemlich  gleichlautende  Anzeigen  etwa  folgenden  Inhalts: 
„Frauen  wenden  sich  bei  Frauenleiden  sowie  bei  Bedarf  an  hygieni¬ 
schen  Artikeln  an  das  Filialdepot  Dr.  N.  in  L„  Diskretion 
zugesichert.“  Der  ärztliche  Bezirksverein  L.  stellte  wegen  dieser 
Anzeigen  Strafantrag  gegen  F.  und  F.  ist  durch  Strafkammerurteil, 
bestätigt  durch  Urteil  des  Reichsgerichts  vom  7.  April  1914  (Berliner 
Apothekerzeitung  S.  311),  wegen  Vergehens  gegen  §  4  des  Wett¬ 
bewerbsgesetzes  zu  100  M.  Geldstrafe  verurteilt.  Massgebend  für 
die  Wirkung  der  Anzeige  sei  nicht  die  Auffassung  erfahrener  Ge¬ 
schäftsleute.  sondern  die  Anschauung  des  Publikums,  das  nur  nach 
dem  Gesamteindruck  urteile,  die  Inserate  oberflächlich  lese  und  nicht 
durch  genauere  Ueberlegung  in  den  tieferen  Sinn  einzudringen  pflege. 
F.  habe  in  der  Anzeige  in  der  Absicht,  den  Anschein  eines  besonders 
günstigen  Angebots  hervorzurufen,  wissentlich  unwahre,  zur  Irre¬ 
führung  geeignete  Angdben  über  die  Art  seines  Geschäftsbetriebes 
gemacht.  Denn  wenn  man  die  Anzeige  mit  den  Augen  des  gewöhn¬ 
lichen  Zeitungslesers  betrachte,  so  bestehe  der  Anschein,  als  ob  hier 
ein  Dr.  N.,  der  selbst  Arzt  und  dessen  Doktortitel  zum 


D  r  me  d.  zu  ergänzensei,  leidenden  Frauen  Rat  und  ärztliche 
Hilfe  gewähren  wolle.  Diese  Angabe  über  geschäftliche  Verhält¬ 
nisse  wie  insbesondere  die  Leserin  sie  dem  Inserat  entnehmen  könne, 
sei  unwahr  und  das  habe  F.  auch  gewusst,  denn  sonst  habe  er  in  un¬ 
zweideutigen  Ausdrücken  dem  Publikum  zur  Kenntnis  gebracht,  dass 
er  nur  ein  Filialdepot  des  N.schen  Laboratoriums  unterhalte.  Die 
Möglichkeit  der  Irreführung  sei  hinreichend  vorhanden,  da  das 
Publikum  zu  einem  Arzte  grösseres  Vertrauen  habe  als  zu  einem 
Tischlergesellen  und  es  vorziehe,  hygienische  Artikel  dort  zu  kaufen, 
wo  es  von  einem  Arzte  beraten  werde.  — 

Wegen  f  a  h  r  1  ä  s  s*i  g  e  r  Tötung  ist  die  Hebamme  H. 
durch  Urteil  des  Reichsgerichts  vom  19.  Dezember  1913  (Rechtspr. 
u  Mediz.  Gesetzgebg.  1914  S.  30)  bestraft.  Erwiesen  war  dass  die 
H.  schon  am  21.  April  das  K  i  n  d  b  e  1 1  f  i  e  b  e  r  erkannt  und  voraus- 
gesehen  habe,  dass  der  Tod  der  Kranken,  falls  nicht  sofort  ein  Arzt 
eingreifen  würde,  unvermeidlich  war.  Wenn  die  H.  trotzdem  den 
Vorschriften  ihrer  Dienstanweisung  zuwider  die  Inanspruchnahme 
ärztlicher  Hilfe  bis  zum  26.  April  hinausgezögert  habe,  so  habe  sie 
fahrlässig  gehandelt  und  hierdurch  den  Tod  der  Wöchnerin  ver¬ 
schuldet  die  anderenfalls  durch  rechtzeitiges  ärztliches  Eingreifen 
hätte  gerettet  werden  können.  Die  H.  habe  auch  gegen  das  preus- 
sisclie  Gesetz  vom  28.  August  1905  verstossen  nach  dem  bei  Aus¬ 
bruch  von  Kindbettfieber  sofort  an  die  Ortspolizeibehorde  Meldung 
zu  erstatten  ist.  Die  Meldepflicht  habe  ihr  in  erster  Linie  obgelegen, 
da  sie  dem  Ehegatten  den  Charakter  der  Krankheit  geflissentlich 

verschwiegen  habe.  —  ,  ,  u  *  u  •  p  u 

Die  Hebamme  B.  hatte,  als  nach  der  Geburt  bei  der  Frau  W . 

die  Nabelschnur  sich  nicht  hatte  lösen  wollen,  nach  dem  Zeugnis  des 
Ehemannes  W.  an  der  Nabelschnur  gezogen  und  hatte  hierdurch 
innere  Zerreissungen  herbeigeführt,  denn  alsbald  waren  heftige  Blu-j 
tungen  eingetreten.  Bei  nachfolgender  Operation  wurde  festgestellt 
dass  das  Ziehen  an  der  Nabelschnur,  wenn  auch  nur  mitwirkend, 
neben  anderen  Begleitumständen,  zum  Losreissen  der  Gebärmutter 
geführt  hatte.  Das  hierauf  gegen  die  B.  eingeleitete  Strafverfahren 
führte  zu  ihrer  Verurteilung  wegen  fahrlässiger  Körper¬ 
verletzung  (Reichsgericht  19.  Januar  1913 :  Rechtspr.  u.  Mediz. 

Gesetzgebg.  1914  S.  31).  —  ,  ,  H  ,  , 

Durch  §  184,3  StrGB.  sollte  nicht  der  Verkauf  und  der  Handel 
mit  sog  Schutzmitteln,  sondern  nur  ihre  öffentliche  A  n  - 
kündigung  und  Anpreisung,  die  als  gegen  Anstand  und 
Sitte  verstossend  empfunden  wurde,  verboten  werden.  Dieser  Rück¬ 
sicht  trägt  das  Gesetz  Rechnung,  indem  es  verhindern  will,  dass  sich 
die  Ankündigung  solcher  Gegenstände  in  der  Oeffentlichkeit  voll¬ 
zieht  Darüber  hinaus  schränkt  es  Verwendung,  Verkauf  und  Ver¬ 
breitung  der  Mittel  nicht  ein.  Diesen  Gesichtspunkt  hatte  nach  den 
Urteil  des  Reichsgerichts  vorn  23.  Oktober  1913  (Juristische  Wochen- 
schrift  1914  S.  367)  die  Strafkammer  verkannt,  wenn  sie  Aeusserungerj 
des  Angeklagten,  der  eine  Ausspülspritze  feilgeboten  hatte,  bei  Kaui- 
Verhandlungen  schlechthin  als  Anpreisung  im  Sinne  des  §  184, s  geltci 
liess  Ob  der  Gegenstand  zu  unzüchtigem  Gebrauch  bestimmt  war 
hatte  sich  nach  seiner  Zweckbestimmung  zu  richten 
Einem  solchen  würde  er  dienen,  wenn  er  seiner  B  e  s  c  h  a  f  f  e  n  h  e  1 
nach  ausschliesslich  oder  doch  überwiegend  und  erfahrungsgemas; 
dazu  benutzt  würde,  die  Empfängnis  zu  verhüten.  Es  ist  nicht  voi 
Fall  zu  Fall  zu  untersuchen,  ob  ein  Gegenstand  zum  Zwecke  der  Er 
leichterung  oder  Beförderung  unzüchtigen  Verkehrs  dient,  sondern 
nur  darauf  kommt  es  an,  ob  das  angewendete  Mittel  als  solches  nacl 
seiner  äusseren  Beschaffenheit,  nach  seinem  Zweck  und  nach  seine 
allgemeinen  Gebrauchsbestimmung  zu  unzüchtigem  Verkehr  bestimm, 
ist  und  erfahrungsgemäss  dazu  verwendet  werden  kann.  — 

ln  einer  Tageszeitung  war  angezeigt,  „Sexol  verhütet  ue 
schlechtskrankheiten“ ;  zugleich  war  unter  Angabe  der  Geschäfts! 
adresse  kostenlose  Zusendung  von  Prospekten  angekündigt.  Ui< 
Firma  schickte  ferner  Reisende  an  Apotheker  und  Drogisten,  um  si> 
für  den  Bezug  des  Mittels  zu  gewinnen.  Das  Landgericht  I  Bern 
hat  den  Geschäftsführer  der  Firma  G.  wegen  Anpreisung  zi 
unzüchtigem  Gebrauch  bestimmter  Gegenstand 
(§  184  a  StrGB.)  bestraft  und  die  Unbrauchbarmachung  des  Inserat 
nach  §41  StrGB.  verfügt  und  das  Reichsgericht  hat  durch  Urteil  von 
21.  April  1914  (Berliner  Apothekerzeitung  S.  372)  die  Revision  zu; 
rückgewiesen.  Rechtlich  massgebend  sei  allein,  dass  der  angezeigt 
Gegenstand  nach  den  besonderen  Umständen  zu  unzüchtigem  ue 
brauch  geeignet  sei  und  hierzu  erfahrungsgemäss  Verwendung  nndt 
Da  Sexol  die  Ansteckungsgefahr  beseitigen  solle,  stelle  es  ein  Mitte 
zur  Förderung  und  Erleichterung  einer  nach  dem  Volksempfinden  ur 
züchtigen  Handlung  dar  und  erscheine  daher  zu  unzüchtigem  Oe 
brauch  bestimmt.  Dass  die  Form  der  Ankündigung  und  das  Mitte 
selbst  anstössig  wirke,  sei  nicht  erforderlich.  Trotz  seiner  Kenntni 
von  der  Eigenschaft  des  Mittels  habe  G.  es  dem  Publikum  angi 
priesen,  zu  dem  auch  die  von  den  Reisenden  besuchten  Apotheke 
und  Drogisten  zu  rechnen  seien.  Bei  Zurückweisung  der  Revisio 
ist  besonders  betont,  es  komme  weder  auf  die  Frage  der  Aergernn 
erregung  noch  auf  das  Patent  an,  dessen  Erteilung  keinesfalls  di 
Ankündigung  des  betreffenden  Mittels  sanktionieren  könne.  —  i 
Mit  diesem  jetzt  viel  erörterten  §  184,3  StrGB..,  nach  dem  b< 
straft  wird,  „wer  Gegenstände,  die  zu  unzüchtigem  Gebrauch  bt 
stimmt  sind,  an  Orten,  welche  dem  Publikum  zugänglich  sind,  au- 
stellt  oder  solche  Gegenstände  dem  Publikum  ankündigt  oder  ai 
preist“,  beschäftigt  sich  schliesslich  auch  ein  Urteil  des  Reich: 
gericht  vom  24.  März  1914  (Berliner  Apothekerzeitung  S.  273).  Nac 


18-  August  1914.  _  MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


ihm  fällt  unter  dieses  Verbot  auch  die  Ankündigung  von  „Gummi¬ 
waren  und  „hygienischen  Artikeln“,  da  dem  Publikum  ganz  genau 
bekannt  sei,  was  mit  diesen  Ausdrücken  gemeint  sei.  Ein  Apotheker 
A.  hatte  durch  Anzeigen  in  Fachzeitschriften  für  Apotheker,  Banda¬ 
gisten  und  Drogisten  auf  sein  Spezialgeschäft  für  „Gummiwaren  und 
hygienische  Artikel“  hingewiesen,  zum  Bezug  von  Preislisten  auf¬ 
gefordert  und  auf  Nachfrage  eine  Spezialliste  übersandt,  die  genaue 
Angaben  über  I  abletten,  Pessare,  Mutterduschen,  Spülapparate  und 
Nonstige  empfängnisverhütende  Mittel  enthielt  Die 
Strafkammer  Dresden,  die  ihn  zu  300  M,  Geldstrafe  verurteilte,  er¬ 
achtete  für  erwiesen,  dass  der  wegen  gleicher  Verfehlung  bereits 
vorbestrafte  A.  wisse,  dass  diese  Mittel  zur  Verhütung  der  Empfängnis 
oder  zum  Schutze  gegen  Ansteckungen,  demnach,  wie  das  Reichs¬ 
gericht  schon  oft  entschieden  hatte,  zu  unzüchtigem  Gebrauch  be¬ 
stimmt  seien.  Wenn  auch  die  Mittel  nicht  als  antikonzeptionelle  be¬ 
zeichnet  seien,  so  wisse  doch  das  Publikum  sehr  wohl,  dass  mit 
.Gummiwaren“  und  „hygienischen  Artikeln“  allgemein  dergleichen 
Gegenstände  gemeint  seien.  Dass  hierunter  auch  Mittel  zur  Kranken- 
und  Wochenpflege  verstanden  würden,  ändert  nichts  an  dieser  be¬ 
kannten,  allgemein  überwiegenden  Auffassung.  Durch  den  Hinweis 
luf  Preislisten  mit  genauer  Einzeldarstellung  werde  überdies  auch 
üe  indirekte  Anpreisung  genügend  erwiesen.  Die  Ankündigung 
labe  sich  an  die  Leser  der  Fachzeitschriften,  die  öffentliche  Mit¬ 
eilungen  seien,  also  an  das  Publikum  gewandt.  Wenn  A.  die  Leser 
ler  Fachzeitschriften  nicht  für  ein  „Publikum“,  sondern  für  einen  be¬ 
grenzten  Personenkreis  gehalten  habe,  so  sei  das  ein  unbeachtlicher 
?echtsirrtum.  Zur  Erfüllung  des  Begriffes  des  begrenzten  Personcn- 
;reises  sei  unbedingt  das  Vorhandensein  persönlicher  Beziehungen 
rforderlich,  die  hier  nicht  vorlägen.  — 


Fortbildungsvorträge  und 
Uebersichtsreferate. 

Ueber  Behandlung  der  Stirnhöhleneiterungen. 

Von  Dr.  Ernst  Win  ekler  in  Bremen. 

Stirnhöhleneiterungen  auf  endonasalem  Wege  in  Angriff  zu 
ehmen,  ist  zuerst  von  Dieffenbach,  der  einen  Troikart  gegen  die 
bere  Nasenwand  richtete,  empfohlen  worden.  Die  moderne  Lehre 
er  Nebenhöhleneiterungen  verwirft  jedes  gewaltsame  Eindringen  in 
ie  oberen  Nebenräume,  welches  in  den  Anfängen  der  Rhinochirurgie 
ersucht  und  später  mit  Hilfe  des  Röntgenschirmes  nochmals  probiert 
urde,  weil  derartige  Manipulationen  mit  den  heutigen  Vorstellungen 
ber  die  Pathologie  der  Stirnhöhlenentzündung  und  den  chirurgischen 
irundsätzen  über  die  Behandlung  infektiöser  Prozesse  in  starr- 
andigen  Höhlen  unvereinbar  sind. 

Um  einige  in  neuester  Zeit  auftauchende  Kunstgriffe,  welche 
icder  auf  endonasalem  Wege  Stirnhöhleneiterungen  in  Behandlung 
.hmen  wollen,  richtig  auf  ihren  Wert  abschätzen  zu  können,  muss 
"ui "  e  .  eiP  die  Einzelheiten,  auf  denen  die  Beurteilung  einer  Neben¬ 
ihlenaffektion  beruht,  weniger  geläufig  sind,  wenigstens  die  wich¬ 
st611  Leitsätze  kennen,  welche  die  Rhinochirurgie  der  oberen 
isalen  Nebenräume  befolgt. 

So  wünschenswert  es  ist,  jede  Gesichtsnarbe  zu  vermeiden,  so 
uss  nach  der  heutigen  Auffassung  über  die  Pathologie  der  Neben- 
ihlenentzündungen  doch  unbedingt  vertreten  werden,  dass  nur  unter 
mz  bestimmten  Bedingungen  auf  die  äussere  Operation  und  die 
ündliche  Freilegung  der  oberen  nasalen  Nebenräume  verzichtet 
erden  kann.  Die  Indikationen  für  äussere  und  endonasale  Eingriffe 
id  beschränkte.  Die  auf  die  Stirnhöhle  isolierte  Entzündung,  welche 
an  früher  für  besonders  bedenklich  hielt,  ist  klinisch  von  ganz  unter- 
mrdneter  Bedeutung,  weil  durch  eine  schonende  Lokalbehandlung 
e  Gegend  des  Ausführungsganges  der  Ventilation  durch  die  Nasen- 
mung  leicht  zugängig  gemacht  werden  und  etwaigen  Absonderungen 
nn  schnell  spontaner  Abfluss  verschafft  werden  kann.  Die  Be- 
itigung  stenosierender  Septumdeviationen,  Schleimhautschwellungen 
‘9.  Muschelverdickungen  spielt  dabei  eine  wichtige  Rolle.  Es  lassen 
-h  nicht  alle  Fälle  heilen,  aber  es  können  doch  sehr  viele  Fälle 
me  äussere  und  ohne  gegen  den  Sinus  frontalis  gerichtete  endo- 
sale  Operationen  durch  zweckmässige  Lokaltherapie  einer  solchen 
.sserung  zugeführt  werden,  dass  der  Verzicht  oder  zum  mindesten 
r  Aufschub  eines  äusseren  Eingriffes  ganz  unbedenklich  ist.  Cum 
a,n.°.  s^'’s  sind  alle  chronischen  Naseneiterungen  mit  einfacher 
-nlcimhau  tschwellung  oder  atrophischen  Zuständen  der  Nasenschleim¬ 
ut  bezüglich  der  Stirnhöhlenerkrankung  insofern  günstiger  zu  be- 
>  als  die  äussere  Operation  häufig  durch  geeignete  Lokalbe- 
ndlung  ganz  zu  umgehen  ist.  Im  Gegensatz  dazu  bietet  eine  aus- 
uennte  nasale  Polypenbildung  bei  chronischer  Naseneiterung  nur 

geringe  Aussichten,  eine  gleichzeitige  Stirnhöhleneiterung  ohne 
ssere  Eingriffe  zur  Ausheilung  zu  bringen. 

Alle  akut  einsetzenden  Infektionen  sind  zunächst  ein  Noli  me 
igerc  für  jede  endonasale  Chirurgie. 

Die  Infektionen,  welche  zu  Periostitiden  an  den  Orbitalwänden 
Cr  iw  ,vorderen  Stirnbeintafel  führen,  sind  als  sehr  bedenkliche 
atl0nen.  aufzufassen.  Hier  muss  so  schnell  als  möglich  eine 
endliche  Freilegung  der  oberen  Nebenhöhle  von  aussen  vorge- 
mmen  werden. 


1813 


Es  ist  nicht  angängig,  derartige  Komplikationen  mi'  ähnlichen 
Erscheinungen  in  Parallele  zu  stellen,  wie  sie  eine  akute  Otitis 
media  begleiten  oder  ihr  folgen  können,  wenn  auch  die  Actiologie 
“n.d  die  pathologischen  Vorgänge  dabei  dieselben  sind.  Soweit  das 
Mittelohr  in  Betracht  kommt,  kann  man  sich  in  der  Allgemeinpraxis 
beim  Fehlen  von  Fieber  zuweilen  ohne  Schaden  für  den  Patienten 
abwartend  verhalten,  indem  die  am  Warzenfortsatz  auftretendc 
Schwellung  den  günstigen  Weg  nach  aussen  anzeigt,  welchen  die  In- 
fektion  im  Schläfenbein  genommen  hat.  Ganz  anders  liegen  die 
V erhaltmsse  bei  Infektion  der  nasalen  oberen  Nebenhöhlen  mit 
ausseren  Schwellungen.  Auch  hier  fehlt  das  Fieber  oft  oder  steht 
mit  der  Schwere  des  Prozesses  keineswegs  in  Einklang.  Andauernde 
cu-j  emperaturen  sind  fast  regelmässig  schon  auf  Infektion  des 
Schadelinhaltes  zu  beziehen. 

Folgende  besondere  anatomische  Einzelheiten  sind  bei  der  In¬ 
fektion  der  oberen  nasalen  Nebenhöhlen  in  Erwägung  zu  ziehen,  ver¬ 
bieten  jede  endonasale  Manipulation  und  gebieten  sofort  die  gründ¬ 
lichste  äussere  Freilegung  des  gefährdeten  Terrains.  1.  Die  beach- 
tenswerte  Nähe  der  Lamina  cribrosa  mit  den  offenen  Olfaktorius¬ 
scheiden  2.  Die  offenen  Lymphspalten  im  oberen  Abschnitt  der 
Nasenhöhle,  welche  direkt  mit  dem  Arachnoidealraum  kommuni¬ 
zieren,  und  welche  namentlich  im  jugendlichen  Alter  zu  beriicksich- 
'gen  sind.  3.  Die  eigenartige  Anordnung  des  Siebbeins,  welche  die 
Infektion  rapide  an  die  Tiefe  der  Schädelbasis  bringen  kann,  wobei 
die  hinteren  Siebbeinzellen  und  der  Sinus  sphenoidalis  in  ihren  wech¬ 
selnden  Beziehungen  zum  Sinus  cavernosus,  der  Fissura  orbitalis 
supenor  und  Foramen  opticum  zu  beachten  sind.  4.  Die  Lymplnvege 
des  Orbitalinhaltes,  die  bei  infektiöser  Periostitis  der  Augcnhöhlen- 
wande  die  Propagation  der  Entzündung  nach  dem  Schädelinnern 
übernehmen. 

Der  Schädelinhalt  ist  ferner  gefährdet  a)  durch  Verbreitung  der 
Infektion  auf  präformierten  Wegen,  z.  B.  Foramina  ethmoidalia  oder 
Lucken  der  inneren  Orbitalwand,  b)  durch  Kontaktinfektionen  bei 
schnell  eintretenden  Nekrosen  der  inneren  Stirnbeintafel,  c)  durch 
Entzündungen  und  I  hrombenbildung  in  den  Venen  der  Diploe  und  in 
solchen,  die  direkt  mit  Venen  der  Dura  Zusammenhängen. 

Die  Operationsbefunde  der  schweren,  namentlich  der  akut  auf- 
tretenden  Stirnhöhlenerkrankungen  haben  nun  gelehrt,  dass  die  Stirn- 
höhlenaffektion  nicht  das  Wesentliche  war,  sondern  stets  die  die  Stirn- 
hohlenerkrankung  erst  veranlassende  Siebbeinerkrankung.  Auf  letz¬ 
tere  ist  daher  bei  jeder  Therapie  das  grösste  Gewicht  zu  legen. 
Soweit  eine  Siebbeinerkrankung  endonasal  operierbar  ist,  wird  auch 
die  Stirnhöhlenerkrankung  ohne  äussere  Operation  zu  beeinflussen 
sein.  Andererseits  ist  die  äussere  Operation  mit  der  Abtragung  der 
vorderen  Stirnhöhlenwand,  die  erst  die  Kammern  und  Nischen  der 
vielgestaltigen  Höhle  zeigt,  und  mit  der  einst  Kuhnt  die  Wege 
wies,  wie  chirurgisch  den  Eiterungen  der  oberen  nasalen  Neben¬ 
räume  beizukommen  ist,  nie  beendet.  Nur  nach  gründlichster  Elimi¬ 
nation  aller  Siebbeinzellen,  die  oft  der  erkrankten  Stirnhöhle  lateral 
anliegen,  kann  die  Heilung  angebahnt  werden. 

Der  Art  der  Siebbeinerkrankung  und  der  jeweiligen  anatomischen 
Anlage  des  Siebbeins  müssen  nun  im  Einzelfalle  die  therapeutischen 
Massnahmen  sich  anpassen.  Eine  Universaloperation  gibt  es  daher 
nicht. 

Die  Erkrankungen  sind  so  verschiedenartig,  und  die  Anatomie 
des  Sinus  frontalis  und  ethmoidalis  ist  so  wechselnd,  dass  es  ein 
Nonsens  wäre,  alle  Fälle  nach  einem  Schema  zu  operieren,  sei  es, 
dass  ein  endonasaler,  sei  es,  dass  ein  äusserer  Eingriff  dazu  als  der 
allein  zum  Ziele  führende  empfohlen  wird. 

Nach  einer  Siebbeininfektion  (vulgo  schwerem  Schnupfen) 
können  mannigfache  Zustände  Zurückbleiben.  Wichtig  ist,  wie  be¬ 
reits  erwähnt,  der  Unterschied  zwischen  einfacher  Siebbeineiterung 
und  solcher  mit  Polypenbildung.  Bei  ersterer  werden  die  kleineren 
Siebbeinzellen  völlig  abgeschlossen  und  können  bei  operativer  Aus- 
räumung  wie  Zysten  aussehen.  In  den  grösseren  Zellen  ist  die 
Schleimhaut  stark  verdickt  und  mit  Eiter  bedeckt.  Bei  der  Polypen¬ 
bildung  fehlen  oft  die  die  Zellen  trennenden  Wände.  Das  ganze  Siebbein 
ist  mit  grösseren  oder  kleineren  Schleimpolypen  oder  Granulations¬ 
massen  angefüllt.  Die  Menge  des  Eiters  ist  oft  viel  geringer  wie  bei 
erstgenanntem  Zustande,  und  dennoch  ist  der  ganze  Prozess  immer 
als  eine  schwere  Erkrankung  aufzufassen,  bei  der  sich  bakteriologisch 
häufig  noch  Reinkulturen  von  Streptokokken  nachweisen  lassen.  Die 
Stirnhöhlenerkrankung  ist  nun  nicht  immer  identisch  mit  der  des 
Siebbeins.  Es  gibt  Fälle,  bei  denen  die  Siebbeinzellen  und  Stirnhöhle 
voll  von  Polypen  und  Granulationen  sind.  Es  gibt  Fälle,  bei  denen 
die  Polypen-  und  Granulationsbildrng  allein  die  Siebbeinzellen  be¬ 
trifft,  in  der  Stirnhöhle  diese  sich  aber  nur  an  dem  äusseren  Winkel 
oder  vorn  am  Ostium  fr.  zeigt,  also  überall  da,  wo  die  Siebbeinzellen 
dem  Sinus  frontalis  anliegen,  im  übrigen  aber  die  verdickte  Stirn¬ 
höhlenschleimhaut  durch  eitrigschleimiges  Sekret  wie  ein  Sack  aus¬ 
gefüllt  ist.  Es  kann  die  Erkrankung  nur  einzelne  Abschnitte  des 
Siebbeins  betreffen  und  endlich  können  auch  bei  ausgedehnter  Sieb¬ 
beinerkrankung  verschiedene  Bilder  in  einzelnen  Abschnitten:  also 
Polypenbildung  und  einfache  Eiterung,  nebeneinander  bestehen.  Es 
ergeben  sich  somit  die  mannigfachsten  Variationen,  die  es  erklären, 
warum  in  dem  einen  Fall  endonasale  Eingriffe  den  Zustand  besserten 
oder  zuweilen  selbst  zur  Ausheilung  brachten  im  anderen  Falle  aber 
gar  nichts  erzielten,  und  Polypenrezidive  trotz  wiederholter  endo¬ 
nasaler  Operationen  nach  kürzerer  oder  längerer  Frist  immer  von 
neuem  eintreten.  Die  orbitalen  Siebbeinzellen  sind  intranasal  nicht 


1814 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  \VOCH_gNSCHIglFT. 


Nt.  33. 


zu  erreichen.  Die  Abhängigkeit  der  Stirnhohlenerkrankung .  vom  Sieb¬ 
bein  ist  ohne  weiteres  klar.  Es  ist  jedoch  recht  schwer  die  Art  der 
Erkrankung  der  Stirnhöhlenschleimhaut  auch  nur  mit  Wahrschein- 

"ChkAn  keiner  ^örpergegend  ist  aul  die  Va ric täten  d er  anatomischen 
Anlage  ein  so  besonderes  Gewicht  zu  legen  wie  bei  der  St  rnhoh  e 
und  dem  Siebbein.  Die  Prognose  der  gleichen  Erkrankung  ist,  falls 
eine  kleine  Stirnhöhle  und  nur  bis  zur  inneren  Orbitalwand  reichende 
Siebbeinzellen  vorliegen,  ganz  anders  zu  stellen  als bei Sand 
höhle  und  Siebbeinzellen,  welche  sich  über  dem  oberen  Orbitalrand 
weit  nach  dem  lateralen  Augenwinkel  hin  ausdehnen.  In  letzterem 
Falle  ist  sie  so  ungünstig,  dass  man  unter  Umstanden  aut  jede  endo- 
nasale  Behandlung  verzichtet  und  sofort  den  ausser,en 
im  ersteren  Falle  ist  sie  günstiger.  Es  können  endonasale  Eingriffe 
genügen,  die  Erkrankung  der  Heilung  zuzufuhren.  Zwischen  diesen 
beiden  Extremen  der  Anlage  der  oberen  nasalen  Nebenhöhlen  gibt 
es  naturgemäss  die  mannigfachsten  Abstufungen,  welche  die  Beur¬ 
teilung  der  Erkrankung  und  Auswahl  der  Therapie  sehr  erschweren 

können. 

Die  jedesmal  vorliegende  Entwicklung  der  oberen  Nebenraume 
wird  auf  Röntgenplatten  erkannt.  Sie  zeigen  uns  die  Grosse  und 
Tiefe  der  Stirnhöhle,  die  Stellung  der  interfrontalen  Scheidewana, 
welche  nicht  immer  mit  der  der  Nasenhöhlen  korrespondiert,  die 
Kammerteilung  durch  mehr  oder  weniger  in  die  Stirnhöhle  vor¬ 
springende  Septen  und  vor  allem  die  Ausdehnung  der  oberen  orbitalen 

Siebbeinzellen.  f 

Nach  den  Röntgenbildern  lässt  sich  beurteilen:  1.  wo  eine  aul- 
fallende  Entstellung  durch  äussere  Eingriffe  notwendig  e m tr e t: e n  rn u s s , 

2  wo  bei  äusserer  Operation  die  Erhaltung  der  vorderen  Stirnhohlen- 
wand  des  Nasengerüstes  gerechtfertigt  ist  oder  versucht  werden 
darf.  3.  wo  der  Erfolg  aller  endonasalen  Eingriffe  von  vornherein 
zweifelhaft  sein  wird. 

Es  ist  mit  Nachdruck  zu  betonen,  dass  eine  dauernde  sichere 
Heilung  der  erkrankten  oberen  nasalen  Nebenhöhlen  n  u  r  durch  Ver¬ 
ödung  des  Sinus  frontalis  und  der  oberen  orbitalen  Siebbemzellen 
nebst  vollkommenster  Ausräumung  des  Siebbeins  garantiert  werden 
kann.  Um  dies  zu  erreichen,  müssen  die  innere  un^,  obJ;r^0rlP.1.t;lt ' 
wand,  soweit  dies  angängig  ist,  und  die  vordere  Wand 1  der  Stirr - 
höhle  total,  nebst  Entfernung  der  Stirnhöhlen-  und  Siebbeinschlei  n- 
haut  fortgenommen  werden.  Nur  dann  ist  eine  genaue  Adap  lon  er 
Weichteile:  Stirnhaut  und  Orbitalinhalt  mit  ihrem  Periost,  an  die 
hintere  Stirnhöhlenwand  und  den  durch  die  Ausräumung  der  orbitalen 
Siebbeinzellen  neu  geschaffenen  Hohlraum  möglich.  Alle  anderen 
Operationsmethoden  lassen  unkontrollierbare  kleinere  oder  grossere 
Lücken  in  dem  geschaffenen.  Hohlraum  zurück,  die  nach  nasalen 
Reinfektionen  den  kosmetischen  Erfolg  illusorisch  machen  können. 

Eine  besondere  Beurteilung  muss  den  osteoplastischen  Opera¬ 
tionen  zuteil  werden,  bei  denen  die  Orbitalwände  erhalten  bleiben 
und  nach  temporärer  Resektion  eines  Teiles  der  vorderen  Stirn¬ 
höhlenwand  und  des  Nasengerüstes  die  oberen  Nebenhöhlen  m  Be¬ 
handlung  genommen  werden.  Ihre  Anwendung  ergibt  ein  sehr  gutes 
kosmetisches  Resultat,  ist  aber  nur  ausnahmsweise  möglich  da  relativ 
selten  eine  tiefe  und  nicht  zu  hohe  Stirnhöhle  mit  dünner  vorderer  W  and 
und  wenig  lateral  entwickelten  Siebbeinzellen,  breiterem  Nasengerus 
und  stark  vorspringendem  inneren  Augenwinkel  anzutreffen  ist.  Nach 
den  osteoplastischen  Methoden  bleibt  ein  mit  Schleimhaut  bedeckter 
Hohlraum,  bestehend  aus  Stirnhöhle  und  ausgeräumten  orbitalen  -ieb- 
beinzellen  zurück,  der  durch  einen  neu  hergestellten  Ausfuhrungs- 
gang  in  den  oberen  Abschnitt  der  Nasenhöhle  und  den  unteren  aus¬ 
geräumten  Bezirk  des  Siebbeins  führt.  Dass  dieser  Hohlraum  sich 
an  allen  Schnupfenanfällen  mit  stärkerer  oder  geringerer  Abson¬ 
derung  beteiligt,  ist  selbstverständlich.  Die  Anfälle  sind  jedoch  m 
der  glatten,  grossen  Höhle  ganz  unbedenklich,  so  lange  wie  die  weite 
Lichtung  der  nasalen  Stirnhöhlenöffnung  nach  der  Operation  erhalten 
bleibt.  Wird  sie  durch  Narbenstränge  verlegt,  dann  kann  die  Ver¬ 
ödung  des  oberen  Nebenraumes  noch  später  nötig  werden. 

Da  mit  allen  Operationsmethoden,  die  durch  partielle  (Spangen¬ 
bildung)  oder  gänzliche  Erhaltung  der  vorderen  Stirnbeintafel  oder 
durch  Osteoplastik  auf  das  kosmetische  Resultat  bedacht  sind,  eine 
gewisse  Unsicherheit  des  definitiven  Erfolges  verbunden  ist,  und  da 
die  Verödung  der  oberen  nasalen  Nebenräume  nur  dann  mit  einer 
massigen  weniger  auffälligen  Entstellung  zu  erreichen  ist.  wenn 
Grösse  und  Tiefe  der  Stirnhöhle  gewisse  Grenzen  nicht  überschreiten, 
so  ist  es  ganz  natürlich,  dass  der  Entschluss  zu  äusseren  Eingriffen, 
falls  unter  endonasaler  Therapie  sich  die  subjektiven  Beschwerden 
verlieren,  solange  als  möglich  hinausgeschoben  wird,  auch  wenn  eine 
Heilung  der  Stirnhöhlenerkrankung  nicht  erzielt  wird.  Die  kompli¬ 
zierten  anatomischen  Verhältnisse  erklären  es  auch,  warum  in  dem 
einen  Falle  zuweilen  nur  ein  gründlicher  endonasaler  Eingriff  zur 
Besserung  des  Zustandes  genügt,  in  anderen  Fällen,  in  welchen  von 
den  endonasalen  nicht  erreichbaren,  latenten  Siebbeinzellen  immer 
neue  Nachschübe  (Eiterungen,  Polypcnbildung)  erfolgen,  wiederholte 
endonasale  Operationen  nötig  sind.  Es  handelt  sich  hier  nicht  um 
eine  Polypragmasie,  sondern  um  Versuche,  den  äusseren  Eingriff, 
vor  allem  die  Verödung  der  Stirnhöhle  zu  umgehen,  welcher  zwar 
Heilung  aber  bei  grossem  Sinus  frontalis  und  weit  lateral  liegenden 
Siebbeinzellen  eine  schwere  dauernde  Gesichtsentstellung  zur  Folge 
hat.  und  den  die  geklagten  Beschwerden  und  die  Art  der  Infektion 
nicht  immer  ausreichend  motivieren. 


Bei  tiefen  Stirnhöhlen  ist  es  nun  sehr  gut  möglich,  nach  Aus¬ 
räumung  der  frontalen  Siebbeinzellen  in  die  Stirnhöhle  emzudrmgen. 
schonend  den  zwischen  den  oberen  frontalen  Siebbemzellen  ge- 
fegenen  Ausführungsgang  zu  erweitern  und  eine  endonasale  Therapie 
daselbst  einzuleiten,  wie  dies  kürzlich  Ritter  empfohlen  hat.  Man 
kann  mit  dem  Vorgehen  unter  Umständen  die  äussere  Operation  ganz 
umgehen  oder  lange  hinausschieben. 

Wie  sich  der  praktische  Arzt  zu  den  modernsten  Kunstope- 
rationen  stellen  will,  bei  denen  man  mit  einer,  einen  Schützer  für  die 
hh  te e Stirnhöhlenwand  tragenden  Trephine  von  der  Nasenhöhle  her 
den  Agger  nasi,  die  vordere  Stirnhöhlenwand  und  dann  den  Stirn¬ 
höhlenboden  abschleift,  oder  bei  denen  man  mit  einem i  S  t  a  c  k  e  schen 
Meissei  die  gleiche  Prozedur  ausübt,  bleibt  seinem  Verantwortungs¬ 
gefühl  nach  den  obigen  Ausführungen  uberlassen. 

Die  nicht  zu  kontrollierenden  Kunstoperationen  sind  .anatomisch 
möglich  Es  ist  aber  unmöglich,  gewisse  gefährliche  Varietäten,  bei  | 
denen  die  Crista  galli  sehr  nahe  der  vorderen  Wand  auch  einer 
nach  der  Profilröntgenaufnahme  scheinbar  grossen  und  tiefen  Stirn- J 
höhle  anliegen  kann,  vorher  sicher  durch  Ron  genbilder  festzustellen 
Was  dabei  angerichtet  werden  kann,  bedarf  keiner  weiteren  Be¬ 
schreibung  Zu  bedenken  ist,  dass  die  genannten  Kuns  Operationen 
in  einem  infizierten  Gebiet  vorgenommen  werden.  Wenn  in  der 
Mehrzahl  der  Fälle  die  chronischen  Stirnhohleneiterungen  auch  gut¬ 
artige  Infektionen  sind,  so  dürfen  doch  nicht  immer  die  unkontrolliert 
baren  Nebenverletzungen  an  den  gesunden  Knochen  so  ganz  gleich¬ 
gültig  sein.  Ferner  ist  zu  erwägen,  dass  auch  bei  dem  gutartigen 
Charakter  vieler  Stirnhöhlenentzündungen  -  nicht  die  Veränderungen 
der  Stirnhöhlenschleimhaut,  sondern  die  der  Siebbemzellen  und  zwar 
der  Zellen,  die  über  dem  oberen  Orbitaldach  liegen,  das  wesentlich!, 
sind.  Es  wird  nun  zwar  vor  Beginn  der  Kunstoperationen  endonasal 
das  Siebbein  ausgeräumt.  Es  ist  aber  nach  den  gemachten  Aus¬ 
führungen  auch  ohne  weiteres  klar,  dass  die  weit  lateral  liegende! 
orbitalen  Zellen  weder  endonasal  bei  der  Siebbemausraumung  noch 
mit  den  Drehungen  der  Trephine  oder  dem  Stack  eschen  Meisse 
zu  erreichen  sind.  Für  den  Rhinologen  sind  die  Operationen,  weicht, 
mit  Meissei  und  Trephine  gegen  die  Stirnhöhle  vorgehen.  nicht  dis 
kutabel  und  weder  mit  chirurgischen  noch  nnt  rhinochirurgischer 
Vorstellungen  vereinbar. 


Bücheranzeigen  und  Referate. 


A  Strümpell:  Lehrbuch  der  speziellen  Pathologie  und  The 
rapie  der  inneren  Krankheiten.  2  Bände  mit  240  Abbildungen  n 
Text  und  10  Tafeln.  Neunzehnte,  vielfach  verbesserte  und  vermehrt 
Auflage.  Leipzig.  Verlag  von  F.  C.  W.  Vogel.  Preis  geb.  24  Ir 


Die  Tatsache,  dass  der  18.  Auflage  nun  nach  knapp  2  Jahre 
die  19.  folgt,  beweist  mehr,  als  jedes  spezifizierte  Lob  die  ungemein 
Popularität  und  grosse  Nützlichkeit  des  bekanntesten  Lehrbuches  de 
inneren  Medizin.  Dass  die  neue  Auflage  wirklich  „vielfach  vei 
bessert  und  vermehrt“  ist,  lehren  sowohl  der  Text  in  zahlreiche 
Erweiterungen,  insbesondere  über  neue  diagnostische  und  tner< 
peutische  Verfahren,  als  auch  die  erhebliche  Vermehrung  der  lex 
abbildungen  und  vorzüglichen  Tafeln. 

Der  Autor  bekennt  in  seinem  Vorwort  in  vorbildlicher  Besehe 
denheit,  er  sei  sich  wohl  bewusst,  dass  der  auf  irgend  einem  Gehn 
besonders  erfahrene  Leser  hie  und  da  eine  wesentliche  Lucke  oüt 
eine  irrtümliche  Angabe  in  seinem  Buche  finden  könne.  Das  ist  ta 
sächlich  so,  aber  es  kann  m.  E.  auch  kaum  anders  sein.  Denn  w< 
uns  längeren  auf  Grund  intensiver  (oft  etwas  hypertrophische 
publikatorischer  Bearbeitung  gesichert  oder  zum  mindesten  auch  !' 
ein  Lehrbuch  mitteilenswert  erscheint,  dünkt  dem  vielerfahrem 
Aelteren,  der  schon  viel  hohe  Wellen  medizinischer  Arbeit  (und  Morn 
verebben  sah,  vielleicht  kurzlebig  und  unsicher.  So  ist  z.  B.  u 
Schwierigkeit,  gerade  die  heutige  Diagnostik  und  Therapie  viel 
Blutkrankheiten  dem  Studenten  zu  explizieren,  enorm;  die  Lehre  vo 
hämolytischen  Ikterus  und  essentieller  Anämie,  das  komplizier 
System  der  verschiedenen  „pseudoleukämischen“  und  „aleukan 
sehen“  Krankheitsbilder,  die  Strahlentherapie  der  BlutkrankheiU 
die  Benzoltherapie  der  Leukämie,  die  wieder  so  aktuelle  krage  ü 
Milzexstirpation  bei  der  perniziösen  Anämie  u.  v.  a.  sind  so 
Flusse  der  Diskussion,  dass  man  es  Strümpell  nicht  verarg 
kann,  auf  diese  Dinge  nicht  näher  eingegangen  zu  sein,  so  sehr  di 
auch  mancher  Arzt  und  studentischer  Schüler  jüngerer  Kliniker  i 
dauern  mag.  Der  Autor  hat  recht,  wenn  er  sich  auf  den  Stai 
punkt  stellt,  dass  er  kein  Handbuch,  keine  Kompilation  des  u 
samten  Wissens  und  Forschens  bieten  kann  und  will,  sondern  ei 
Darstellung  des  jetzigen  Standes  unserer  Wissenschaft  „unter  nun 
Ziehung  der  Ergebnisse  des  eigenen  Beobachtens  und  Nachdenken, 
also  ein  individuelles  Lejirbucli.  In  diesem  Sinne  wollen  wir  i 
der  dankbaren  Pietät  des  ehemaligen  Schülers  die  neue  Auflage  i 
grüssen  und  auf  noch  viele  weitere  „verbesserte  Auflagen“  hohen.  • 
der  nun  weltberühmte  „Strümpell“  dem  Gesetz  der  Vergänghcnk 
folgend,  durch  das  Werk  eines  Jüngeren  abgelöst  wird.  Die  Aussu- 
hierzu  scheint  aber  fürs  erste  gering.  Denn  wer  sollte  den  Mut  nah  j 
dies  heutzutage  ausserordentlich  schwierige  Werk  zu  unternehmen 

Hans  C  urschmann  -  Mainz 


18.  August  19M 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


ES  1 5 


A.  B  a  c  ra  e  i  s  t  e  r  -  Freiburg:  Die  Entstehung  der  menschlichen 
Lungenphthise.  Berlin,  Julius  Springer,  1914.  70  Seiten.  Ge¬ 

heftet  M.  2.40. 

ln  dem  vorliegenden  Buche  hat  der  Verf.  die  Resultate  seiner 
ausserordentlich  verdienstvollen  Forschungen  zusammenhängend 
niedergelegt.  Er  betont  scharf,  dass  sich  seine  Ausführungen  nur  auf 
die  typische  Lungentuberkulose  beziehen.  Durch  seine  bekannte 
Methode  der  Erzeugung  von  richtiger  Lungenphthise  bei  Kaninchen 
und  Meerschweinchen  konnte  er  die  alte  Frage  der  aerogenen  oder 
hämatogenen  Entstehung  der  ersten  Infektion  definitiv  dahin  zum 
Austrag  bringen,  dass  beide  Wege  dem  Tuberkelbazillus  offen  stehen, 
wenn  auch  die  Aufnahme  der  Bazillen  auf  dem  Luftwege  etwas  im 
Vordergründe  zu  stehen  scheint.  Zum  Ausgangspunkt  der  Lungen¬ 
phthise  kann  jeder  primäre  tuberkulöse  Herd  werden,  der  sich 
irgendwo  im  Körper  befindet.  Stets  ist  in  diesem  Falle  das  Blut  der 
Vermittler.  Auch  die  wichtige  Frage,  ob  die  Lungenphthise  immer 
durch  eine  Reinfektion  entsteht,  oder  ob  eine  Erstinfektion  sogleich 
zur  Phthise  führen  kann,  wie  Orth  annimmt,  hat  Verf.  wenigstens 
für  die  Versuchstiere  zu  beantworten  vermocht:  In  jedem  Falle  war 
eine  richtige  Phthise  nur  dann  zu  erhalten,  wenn  schon  eine  frühere 
Infektion  im  Körper  haftete. 

Ueber  die  Fragen  der  Disposition,  der  Immunität  und  der  Be¬ 
deutung  der  Kindheitsinfektion  könnte  man  mit  dem  Autor  an  man¬ 
chen  Punkten  rechten,  aber  hier  ist  noch  zu  viel  hypothetisch.  Dass 
er  uns  aber  an  manchen  Punkten,  über  die  schon  unendlich  viel 
Tinte  geflossen  ist,  auf  sicheren  Boden  gestellt  hat,  das  ist  nicht  hoch 
genug  einzuschätzen,  und  die  Tatsachen,  die  er  uns  erschlossen  hat, 
sollten  jedem  Arzte  durchaus  geläufig  werden. 

L.  S  a  a  t  h  o  f  f  -  Oberstdorf. 

A.  G  r  e  g  o  r:  Lehrbuch  der  psychiatrischen  Diagnostik.  Berlin, 
Verlag  von  S.  Karger,  1914.  VIII  und  255  Seiten.  Preis  M.  4.80. 

In  knapper  und  wohltuend  unkomplizierter  Form  werden  die 
allgemeinen  und  speziellen  diagnostischen  Probleme  erörtert.  Unter 
den  von  dem  Autor  verwerteten  psychiatrischen  Symptomen 
herrschen  die  K  r  a  e  p  e  1  i  n  sehen  Anschauungen  vor,  ohne  dass  eine 
völlige  Festlegung  nach  dieser  Richtung  zu  bemerken  ist. 

Das  Buch  wird  besonders  dem  Anfänger  von  Nutzen  sein,  da 
es  ihn  in  alle  wesentlichen  Fragen  einführt,  ohne  ihm  die  Aufnahme 
eines  sehr  umfangreichen  spezialwissenschaftlichen  Ballastes  zuzu- 
muten.  Plaut. 

Therapeutische  Technik  fiir  die  ärztliche  Praxis.  Ein  Handbuch 
i:ir  Aerzte  und  Studierende,  herausgegeben  von  Professor  Dr.  Julius 
Schwalbe,  Geh.  Sanitätsrat.  Mit  126  Abbildungen.  4.  verbesserte 
und  vermehrte  Auflage.  Leipzig  1914.  Verlag  von  G.  T  h  i  e  m  e. 
Seitenzahl  1095.  Preis  24  M. 

Das  Erscheinen  der  ersten  Auflage  liegt  erst  7  Jahre  zurück  und 
unsere  günstige  Prognose  über  das  Werk  hat  sich  erfüllt.  Auch  in 
der  ärztlichen  Technik  spiegelt  sich  die  lebhafte  Fortbewegung 
unserer  Wissenschaft  so  stark  wieder,  dass  auch  diese  jüngste,  knapp 
nach  der  3.  Auflage  folgende  4.  Ausgabe  eine  grosse  Reihe  von  Er¬ 
gänzungen  aufweist.  Hinzugekommen  sind  z.  B.  Kapitel  über  die 
Diathermie  und  die  Behandlung  nach  Bergonie  von  Professor 
R  i  e  d  e  r  -  München,  die -Technik  der  Ernährung  des  gesunden  und 
kranken  Säuglings  von  K  ö  p  p  e  -  Giessen,  die  allgemeine  Technik 
der  Laparotomie  und  die  chirurgische  Behandlung  der  Peritonitis  von 
Prof.  W  e  r  n  e  r  -  Heidelberg.  Neu  bearbeitet  ist  die  Technik  der 
Augenheilkunde  (früher  Eversbusch  -  München,  gestorben)  durch 
v.  Hess  und  L  o  h  m  a  n  n  -  München.  Durchgreifende  Verände¬ 
rungen  erfuhr  der  Abschnitt  über  die  Technik  der  Frauenheilkunde 
(Prof.  Fritsch)  durch  Stöckel-  Kiel.  Die  Syphilisbehandlung, 
Strahlentherapie  gehören  zu  den  Abschnitten,  welche  starken  Zu¬ 
wachs  erfahren  haben.  Auf  den  allgemeinen  Charakter  des  hier 
wiederholt  besprochenen  hervorragenden  Werkes  brauchen  wir  wohl 
kaum  mehr  hinzuweisen.  Das  Werk  ist  durch  die  Gediegenheit  des 
textlichen  Inhaltes,  für  welche  die  Persönlichkeiten  der  zahlreichen 
Mitai beiter  bürgen,  durch  die  ganze  umfassende  Bearbeitung  des  so 
wichtigen  und  ausgedehnten  Gebietes,  welche  kaum  je  im  Stiche 
lässt,  für  den  ärztlichen  Praktiker  fast  unentbehrlich  geworden,  die 
allermeisten  Abbildungen  sind  nicht  nur  technisch  gut,  sondern  auch 
besonders  von  wirklichem  didaktischen  Werte. 

Dr.  Karl  Grass  m  a  n  n  -  München. 

Neueste  Journalliteratur. 

Zeitschrift  für  physikalische  und  diätetische  Therapie. 
1914,  Heft  7. 

A.  Fischer  und  L.  Katz- Berlin:  Zur  röntgenologischen  Be¬ 
stimmung  der  Verweildauer  von  vegetabiler  und  Kuhmilch  im  Magen, 
nebst  einer  Kritik  der  Kapselmethode. 

Schluss  folgt. 

B.  I)et  ermann:  Ueber  das  Wüstenklima. 

Schluss  folgt. 

A.  K  a  k  o  w  s  k  i  -  Kiew :  Die  Kürbisbehandlung  der  Oedeme. 
Schluss.) 

lm  L  Teil  der  Arbeit  gibt  Verf.  eine  Uebersicht  über  die  Diu- 
'etika  und  führt  einige  eigene  Erfahrungen  mit  weniger  häufig  ge¬ 
brauchten  Mitteln  an.  Verschlimmerung  der  Nephritis  sah  er  bei 


Kranken,  die  rohe  Zwiebel  (240  g)  gegessen  oder  Pcrubalsam  (20  und 
24  g)  gebraucht  hatten:  das  gleiche  war  nach  Chlorkalzium  der  Fall 
(10  läge  1,0  g).  Ziegenserum  blieb  wirkungslos,  ebenso  Nieren- 
®xtrakt.  —  Im  2.  Teil  berichtet  Verf.  über  seine  Erfahrungen  mit  der 
Kürbisbehandlung  der  Oedeme.  Er  beschreibt  ausführlich  10  Fälle 
von  Nephritis,  in  denen  die  Wirkung  ausgezeichnet  war  (siehe 
Tabellen!).  Die  Kranken  assen  täglich  4 — 6  Pfund  mit  Milch  oder 
Wasser  gekochten  Kürbisbrei.  Es  trat  starke  Diurese,  Gewichts¬ 
abnahme,  Verschwinden  der  Oedeme,  des  Eiweisses,  der  Zylinder  ein. 
Verf.  nimmt  an,  dass  die  im  Kürbis  wirksamen,  noch  unbekannten 
Stoffe  nur  die  Osmose  in  den  Glomerulis  begünstigen,  die  Niere  nicht 
ixizen,  sondern  weitgehend  schonen  und  sich  -so  von  allen  anderen 
Diuretizis  unterscheiden.  L.  Jacob-  Würzburg. 

Zentralblatt  für  Chirurgie,  Nr.  31,  1914. 

Dr.  E.  A.  L  ü  k  e  n  -  Leipzig:  Ueber  Trikotschlauch-Mastisol- 
Extensionsverbände.  (Siehe  Fcldärztl.  Beilage.) 

Dr.  Sophus  W  i  d  e  r  ö  e  -  Christiania:  Mobilisation  der  Bauch¬ 
wand  bei  grossen  Ventralhernien. 

Verf.  hat.  einen  rechtseitigen  Leistent^uch,  der  trotz  4  maliger 
Operation  wie  der  rezidivierte,  durch  Mobilisation  der  Bauchwand 
folgendermassen  operiert.  Nach  Exzision  der  Narbe  Schnitt  bis  zum 
Tubercul.  pubic.,  Freilegung  des  Ligam.  Poupart.,  Loslösung  des 
M.  rectus  und  pyramidal,  mitsamt  dem  Periost,  dann  Zug  der  Bauch¬ 
wand  nach  rechts  zur  Deckung  des  Defektes,  wobei  das  rechte  Bein 
bis  80°  im  Hüftgelenk  gebeugt  wird.  Jetzt  folgt  Naht  der  gelösten 
Muskelinsertion  mit  Seide  am  Pecten  oss.  pub.  u.  Tuberc.  pubic.,  Ver¬ 
einigung  der  beiderseits  vom  Bauchbruch  herauspräparierten  Musku¬ 
latur,  die  nun  ohne  Zug  gelingt;  doppelte  Fasziennaht  in  zwei  Etagen. 
Gleich  nach  der  Operation  steht  der  Nabel  in  der  rechten  Pararektal¬ 
linie;  nach  10  Tagen  steht  er  wieder  an  normaler  Stelle.  Bis  jetzt 
(nach  2  Monaten)  ist  der  Erfolg  der  Operation  befriedigend. 

E.  H  e  i  m  -  Oberndorf  b.  Schweinfurt. 

Jahrbuch  für  Kinderheilkunde.  Band  79.  Heft  5. 

H.  S  c  h  e  1  b  I  e  -  Bremen :  Zur  enteralen  Infektion  im  Säuglings¬ 
alter.  (Mit  21  Kurven  im  Text.) 

Mitteilung  einer  enteralen  Hausinfektion,  wohl  hervorgerufen 
durch  „schlechte  Milch“,  ohne  dass  es  gelang,  den  Infektionserreger 
oder  das  toxische  Moment  näher  zu  charakterisieren.  Typhus,  Para¬ 
typhus  und  Dysenterie  (Kruse  und  F  1  e  x  n  e  r)  scheint  nach  den 
Untersuchungen  nicht  Vorgelegen  zu  haben.  Die  klinischen  Daten 
bringen  keine  Entscheidung,  ob  Infektion  oder  verdorbene  Milch  die 
Ursache  der  Störungen  gewesen  ist. 

A.  S  p  i  e  c  k  e  r  -  Wiesbaden:  Beiträge  zum  Studium  der  here¬ 
ditären  Lues  des  Nervensystems  (Friedreich  scher  Symptomen- 
komplex).  (Aus  der  Universitäts-Kinderklinik  [Prof.  Dr.  K  o  e  p  p  el 
in  Giessen.) 

Mitteilung  zweier  einschlägiger  Fälle,  die  mit  dem  sehr 
wechselnden  Symptomenkomplex  der  hereditären  Ataxie  eine 
klinisch  nicht  zu  trennende  Uebereinstimmung  aufweisen.  Verf.  lässt 
dabei  die  Frage  offen,  ob  es  sich  dabei  um  eine  wirkliche  Fried¬ 
reich  sehe  Krankheit  auf  der  Basis  der  Heredosyphilis  handelt. 
S  p  i  e  c  k  e  r  schliesst  sich  eher  der  Ansicht  Schobs  an,  dass  es 
bei  derartigen  Beobachtungen  sich  um  Krankheitsbilder  handele,  die 
dem  Friedreich  sehen  Symptomenkomplex  ähnlich  seien  und  die 
auf  luetischer  Basis  beruhen.  —  Weitere  Aufklärungen  müssen  patho¬ 
logisch-anatomischen  Untersuchungen  Vorbehalten  bleiben. 

Leonhard  Frank  und  Ernst  Schloss:  Zur  Therapie  der 
Rachitis.  4.  Mitteilung.  Vergleichende  Untersuchungen  über  die 
Wirkung  des  Lebertran  und  Phosphorlebertran  beim  künstlich  ge¬ 
nährten  rachitischen  Kinde.  (Aus  der  ehern.  Abteilung  [Dr.  Fend- 
ler]  des  Untersuchungsamtes  der  Stadt  Berlin  [Direktor:  Geh.  Rat 
Proskauer]  und  aus  dem  Grossen-Friedrichs-Waisenhaus  der 
Stadt  Berlin  in  Rummelsburg  [Chefarzt:  Prof.  E.  Mülle  r].)  (Hierzu 
4  Kurven  im  Text.) 

Vor  allem  ist  auf  eine  deutlich  eiweisssparende  Wirkung  des 
Lebertrans  und  des  Phosphorlebertrans  beim  künstlich  ernährten 
Kinde  hinzuweisen;  die  N-Bilanz  wird  durchgängig  erheblich  ver¬ 
bessert:  es  steht  dieser  Befund  im  Gegensatz  zu  den  Resultaten  beim 
natürlich  genährten  Kinde.  Die  Kalkretention  steigt  unter  Dar¬ 
reichung  von  Lebertran  und  Phosphorlebertran  gleichmässig  gewaltig 
an,  worauf  die  klinische  Besserung  der  Rachitis  in  erster  Linie  be¬ 
ruht.  Der  Zusatz  von  Phosphor  spielt  dabei  in  den  mitgeteilten 
Fällen  keine  wesentliche  Rolle.  Der  Phösphorumsatz  geht  fast  durch¬ 
gängig  dem  Kalkumsatz  parallel.  Dagegen  folgt  die  Magnesia  nach 
den  Autoren  anderen  Gesetzen.  Das  in  dieser  Versuchsreihe  er¬ 
hobene  Ergebnis  spricht  für  die  schon  früher  gemachte  Angabe,  dass 
bei  florider  Rachitis  bei  einer  Kalkberaubung  eine  übernormale  Ein¬ 
lagerung  von  Mg  0  stattfindet  (vikariierender  Vorgang,  Ref.),  die  bei 
der  Heilung  wieder  zurückgeht.  —  Im  Alkalienumsatz  bringt  die  Medi¬ 
kation  keinerlei  ausgesprochene  Aenderung  der  Verhältnisse  hervor. 

Ed.  H  a  u  d  r  i  c  k :  Zur  Entstehung  der  eitrigen  Parotitis  im  Kindes¬ 
alter.  (Ausr  der  Säuglingsstation  des  Krankenhauses  Altstadt  in 
Magdeburg  [Oberarzt:  Prof.  Dr.  H.  Vogt].)  (Hierzu  1  Abbildung 
im  Text.)  Kasuistische  Mitteilung. 

Hans  Schi  rokauer:  Der  Zuckerstoff  verbrauch  beim  Lympha- 
tir.mus  der  Kinder.  (Aus  dem  Kvl.  mediz.-poliklin.  Institut  der  Uni¬ 
versität  Berlin  [Direktor:  Geh.  Rat  Prof.  Dr.  G  o  1  d  s  c  h  e  i  d  e  rj.) 


1816 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  33. 


Verf.  fand  bei  einer  Reihe  lymphatischer  jugendlicher  Individuen 
den  Blutzuckergehalt  als  Nüchternwert  teilweise  vermindert,  0,100  bis 
0,120  Proz.  Nach  Belastung  des  Zuckerstoffwechsels  durch  ver¬ 
schiedene  Zuckerarten  findet  man  eine  erhöhte  Toleranz,  die  sich 
besonders  darin  ausspricht,  dass  neben  den  geringen  Blutzucker- 
werten  auch  im  Harn  keine  Zuckerausscheidung  auftritt.  Mit  diesen 
Hyperfunktionen  gehen  gewisse  funktionelle  Störungen  in  der  Rich¬ 
tung  der  Abschwächung  der  Funktion  des  Adrenalsystems  einher. 

Rudolf  Fisch!  -Prag:  Experimentelle  Untersuchungen  zur 
Analyse  der  Thymusextraktwirkung.  (Schluss.) 

Die  in  27  Schlusssätzen  zusammengefassten  Ergebnisse  der 
Versuche  Fisch  ls  müssen  im  Original  nachgelesen  werden:  zu 
kurzem  Referat  ungeeignet.  Literatur. 

Literaturbericht  von  A.  Niemann-  Berlin. 

O.  Rommel-  München. 

Archiv  für  experimentelle  Pathologie  und  Pharmakologie. 

77.  Band,  1.  u.  2.  Heft. 

J.  Donath:  Ueb<y  den  Einfluss  der  Nebennierenexstirpation 
und  des  d-Suprarenins  auf  die  Blutkonzentration  bei  Katzen. 

(Pharmakol.  Institut  Wien.) 

Nach  Exstirpation  der  Nebennieren  tritt  Vermehrung  des  Blut- 
treckenriickstandes  ein  infolge  Ausfalls  des  Adrenalins,  wodurch  die 
Permeabilität  der  Blutgefässe  und  Kapillaren  erhöht  wird.  Es  tritt 
so  auch  bei  normalem  oder  niedrigem  Blutdruck  Flüssigkeit  aus  dem 
Blut  in  die  Gewebe  über.  Das  Gegenteil  ist  bei  Anreicherung  des 
Blutes  mit  d-Suprarenin  der  Fall;  nur  akute  Blutdrucksteigerung  führt 
auch  zur  Bluteindickung,  wenn  nicht  schon  Abdichtung  der  permeablen 
Gefässwand  eingetreten  ist. 

M.  C  1  o  e  1 1  a  und  E.  W  a  s  e  r :  Ueber  den  Einfluss  der  lokalen 
Erwärmung  der  Temperaturregulierungszentren  auf  die  Körper¬ 
temperatur.  (Pharmakol.  Institut  Zürich.) 

B  a  r  b  o  u  r  hatte  angenommen,  dass  das  im  Fieber  überhitzte 
Blut  auf  das  Wärmezentrum  beruhigend  wirke  und  so  ein  Steigen 
der  Körpertemperatur  ins  Ungemessene  verhindere.  Die  Verfasser 
haben  mit  anderer  Methodik  (Erhöhung  der  Temperatur  in  den 
Seitenventrikeln  durch  Diathermie)  jedoch  gefunden,  dass  Erwärmung 
des  Zwischenhirns  bei  normalen  und  bei  fiebernden  Tieren  zur 
Steigerung  der  Darmtemperatur  führt,  dass  ein  gleichzeitiger  Wärme¬ 
stich  zu  raschem  Ansteigen  der  Temperatur  der  Ventrikel  führt. 
Sie  glauben  daher,  dass  durch  die  Erwärmung  der  Temperatur¬ 
regulierungszentren  keine  Beruhigung,  sondern  eine  Erregung  ge¬ 
schaffen  wird. 

Fr.  R  o  1 1  y  und  A.  Christiansen:  Beitrag  zum  Stoffwechsel 
im  Kochsalzfieber.  (Med.  Klinik  Leipzig.)  . 

Bei  Kaninchen  trat  nach  Injektion  konzentrierter  (3  proz.)  NaCl- 
Lösungen  Fieber  mit  vermehrter  N-Ausscheidung  und  Steigerung  des 
respiratorischen  Stoffwechsels  ein;  wahrscheinlich  sind  dies  Wir¬ 
kungen  von  Schädigung  der  Körperzellen,  wodurch  eiweisshaltige 
Zellbestandteile  frei  werden. 

E.  Starkenstein:  Ueber  die  pharmakologische  Wirkung 
kalziumfällender  Säuren  und  der  Magncsiumsalze.  (Pharmakol.  In¬ 
stitut  Prag.)  ,  '  ,  ,  .... 

Das  gleiche  Vergiftungsbild  wie  die  Oxalsäure  rufen  die  Na- 
Salze  der  Ortho-,  Pyro-  und  Metaphosphorsäure,  der  Inositphosphor- 
säure  und  der  Fluorwasserstoffsäure  hervor,  es  lässt  sich  ebenfalls 
durch  Kalziumchloridinjektion  aufheben  oder  vermeiden.  Das  Herz 
schlägt  langsamer,  der  Blutdruck  sinkt,  die  Temperatur  steigt,  die 
Blutgerinnung  wird  gehemmt.  —  Magnesiumsalze  werden  durch 
Kombination  mit  kalziumfällenden  Salzen  vollkommen  entgiftet. 

Secher:  Untersuchungen  über  die  Einwirkung  des  Koffeins  auf 
die  quergestreifte  Muskulatur.  (Pharmakol.  Institut  Kopenhagen.) 

Das  Koffein  wirkt  nur  auf  die  quergestreifte  Muskulatur  der 
Wirbeltiere,  nicht  bei  Mollusken,  Arthropoden  und  Amuliden.  Unter 
den  Wirbeltieren  sind  die  Säugetiere  am  widerstandsfähigsten,  dann 
folgen  die  Vögel,  schliesslich  die  Kaltblüter.  Die  histologischen  Ver¬ 
änderungen  sind  reversibel,  destillierte  Muskelfasern  können  sich 
regenerieren. 

P.  Jungmann:  Ueber  die  Beziehungen  des  Zuckerstichs  zum 
sog.  Salzstich.  (Med.  Poliklinik  Strassburg.) 

Die  Piqüre  in  der  Medianlinie  der  Rautengrube  nach  Claude 
B  e  r  n  a  r  d  führt  ebenso  zu  Polyurie  und  Hyperchlorurie  wie  der 
Stich  an  bestimmter  Stelle,  des  Funniculus  teres.  Die  Wirkung  geht 
über  den  Splanchnikus  und  bleibt  nach  Durchschneidung  desselben 
aus.  Sie  beweist  die  nervöse  Beeinflussung  der  Nierenfunktion. 

M.  Wetzel:  Ueber  das  Verhalten  des  Komplementes  bei  der 
Pankreatin  Vergiftung.  (Med.  Klinik  Marburg.) 

Bei  Einwirkung  aktiver  Pankreatinlösung  auf  komplement¬ 
haltiges  Meerschweinchenserum  tritt  in  vitro  regelmässig  eine  Kom- 
plementabnahme  ein,  die  bei  Verwendung  von  inaktiver  Lösung  fehlt. 
Man  kann  daraus  schliessen.  dass,  wie  Dörr  glaubt,  das  Komple¬ 
ment  in  unspezifischer  Weise  am  anaphylaktischen  Vorgang  be¬ 
teiligt  ist.  L.  J  a  c  o  b  -  Würzburg. 

Deutsche  medizinische  Wochenschrift.  Nr.  30,  1914. 

Gr  ob  er- Jena:  Behandlung  akut  bedrohlicher  Zustände  beim 
Pneumothorax. 

Klinischer  Vortrag  mit  3  Krankengeschichten.  Ausser  der  Ent¬ 
fernung  übermässiger  Luftmengen  und  des,  Exsudates  kommt  die 


baldige  und  ausgiebige  Anwendung  von  Narkotizis  und  die  Anregung 
der  Herztätigkeit  vor  allem  in  Betracht. 

R.  Kraus  und  B.  B  a  r  b  a  r  a  -  Buenos  Aires:  Zur  Frage  der 
Züchtung  des  Lyssavirus  nach  H.  N  o  g  u  c  h  i. 

Die  Verfasser  konnten  nach  den  Angaben  N  o  g  u  c  h  i  s  die  von 
ihm  beschriebenen  Körperchen  züchten  und  in  allen  ihren  Formen 
zum  Nachweis  bringen,  am  besten  mit  der  H  e  i  d  e  n  h  a  i  n  sehen 
Färbung.  Dagegen  gelang  es  nicht,  mit  den  Kulturen  experimentell 
Lyssa  zu  erzeugen.  Weiter  haben  die  Verfasser  aber,  wie  Vol- 
p  i  n  o,  aus  steriler  Aszitesflüssigkeit  durch  Färbung  (Heiden¬ 
hain  und  auch  G  i  e  m  s  a)  Körperchen  dargestellt,  welche  genau  den 
mikroskopischen  Befunden  Noguchis  entsprechen.  Es  ist  daher 
bezüglich  der  Natur  der  N  o  g  u  c  h  i  sehen  Körperchen  noch  ein  ge¬ 
wisser  Vorbehalt  zu  machen. 

H.  M.  Evans-  Baltimore-Breslau  und  W.  Schulemann- 
Breslau :  Die  vitale  Färbung  mit  sauren  Farbstoffen  in  ihrer  Bedeutung 
für  pharmakologische  Probleme. 

F.  W  i  1  b  o  r  n  -  Breslau:  Kolloidchemischer  Beitrag  hierzu. 

Zur  kurzen  Wiedergabe  nicht  geeignet. 

K.  Klieneb  erg  er -Zittau:  Agglutinationstiter  bei  Infektions¬ 
krankheiten,  insbesondere  bei  Typhus  und  Paratyphus. 

Namentlich  bei  Typhus  und  Paratyphus  hat  Verf.  gefunden,  dass 
der  Titerverlauf  der  W  i  d  a  1  sehen  Reaktion  recht  häufig  bisher  nicht 
bekannte,  vorübergehende,  abnorm  hohe  Agglutinationswerte  auf¬ 
weist.  An  8  Typhusfällen  wurden  Agglutinationstiter  von  1:640. 
einmal  1:2560,  dreimal  1:10  240,  zweimal  1:81  920,  einmal  1:163  840 
erreicht.  Demnach  sind  die  Angaben,  dass  bei  Typhus  Werte  von 
1 : 2000  selten,  1 :  20  000  unglaublich  hoch  seien,  nicht  aufrecht  zu 
erhalten. 

A.  M  a  y  e  r  -  Frauendorf-Stettin:  Erfahrungen  mit  dem  Tuber¬ 
kulin  Rosenbach  bei  1. ungentuberkulose. 

Gute  Erfahrungen  an  31  Fällen,  von  denen  je  etwa  ein  Drittel 
den  drei  Stadien  angehörten;  9  wurden  geheilt,  18  gebessert.  Die 
Vorzüge  des  Präparates  sind  geringe  Giftigkeit,  leichte  Dosierbarkeit, 
gute  Bekömmlichkeit.  Die  mehrfach  berichteten  starken  Stichreak¬ 
tionen  fehlten,  doch  scheint  das  Präparat  nicht  völlig  konstant  zu  sein. 

M.  H  e  n  i  u  s  -  Berlin:  Zur  medikamentösen  Behandlung  der 
Diarrhöen. 

Verf.  empfiehlt  angelegentlich  die  durch  Fuld  eingeführte 
Kokaintherapie  der  Diarrhöen,  von  denen  ein  grosser  leil  auf  gastro- 
gener  Grundlage  beruht  und  durch  Anästhesierung  der  Magenschleim¬ 
haut  (Herabsetzung  der  krankhaften  Reflexerregbarkeit)  günstig  be¬ 
einflusst  wird.  Eine  einfache  und  sichere  Form  der  Darreichung  sind 
die  Gelonida  neurenterica  (G  o  e  d  e  c  k  e  &  Cie.,  Berlin),  welche  je 
0,005  Kokain  enthalten  und  wovon  3  mal  3  Tabletten  vor  der  Mahlzeit 
zu  geben  sind.  Als  besonders  zugänglich  für  die  Behandlung  haben 
sich  nervöse  Diarrhöen,  die  Diarrhöen  „post  prandium“  und  manche 
chronische  Diarrhöen  verschiedener  Aetiologie  gezeigt. 

E.  Harnack  -  Halle  a.  S.:  Chronische  Kupfervergiftung  durch 
das  Tragen  von  schlechter  Goldlegierung  im  Munde. 

Beschreibung  eines  Falles  schleichender  Erkrankung  mit  Appetit¬ 
verlust,  Erbrechen,  heftigen  Koliken,  Meteorismus,  Zittern  und 
Schwäche  der  Muskeln,  Kräfteverfall  etc.  Mit  Entfernung  der  Zahn¬ 
brücke,  welche  zu  kaum  %  aus  Gold,  zu  2,3  vorwiegend  aus  Kupfer 
gefertigt  war,  trat  allmähliche  Genesung  ein.  Verf.  nimmt  eine  chro¬ 
nische  Kupfervergiftung  als  wahrscheinlich  an,  wie  eine  solche  gerade 
durch  die  Zersetzungsverhältnisse  in  der  Mundhöhle  lebhaft  unter¬ 
halten  v'erden  kann;  eine  derartige  Vergiftung  kann  direkt  lebens¬ 
gefährlich  werden.  Daher  sollen  Zahnärzte  dauernd  zu  tragende 
Prothesen  nur  aus  purem  Gold,  jedenfalls  nicht  aus  Legierungen  mit 
Kupier  oder  Zink  anfertigen. 

h.  S  t  e  r  n  -  New  York:  Ein  Frühsymptom  der  perniziösen  An¬ 
ämie. 

Das  von  Ossian  Schaumann  als  kardinales  Frühsymptom 
der  perniziösen  Anämie  erkannte  Wundsein  der  Zunge  und  des 
Gaumens  hat  Verf.  im  Beginn  zweier  Fälle  von  echter  perniziöser 
Anämie  beobachtet.  Wahrscheinlich  ist  die  Zungenaffektion  nicht  die 
Folge  der  Anämie,  sondern  einer  unbekannten  gemeinsamen  Schäd¬ 
lichkeit. 

E  n  g  e  1  e  n  -  Düsseldorf:  Brachialiswellenbeschreibung. 

Beschreibung  des  neuen  Registrierapparates  und  der  Technik. 

L  N  i  e  s  z  y  t  k  a  -  Tapiau:  Untersuchungen  zum  Abderhalden- 
verfahren,  •  I 

Zusammenfassung:  Im  Tierversuch  lassen  sich  bisweilen  diffe¬ 
rente  Fermente  gegen  differente  Abschnitte  des  Nervensystems  er¬ 
reichen.  Ob  bei  Kranken  dasselbe  zutrifft,  ist  weiter  zu  prüfen.  Der 
Grad  der  Fermentspezifität  hängt  von  der  Eiweissreinheit  des 
Antigens  ab,  anscheinend  auch  von  dessen  Resorptionsgeschwindig- 
keit.  Gegen  die  behauptete  Identität  zwischen  Fermenten  und  Ambo¬ 
zeptoren  sprechen  verschiedene  Erscheinungen.  Die  Verbesserung 
der  Technik  lässt  die  Darstellung  organspezifischer  Präzipitine  er¬ 
warten 

M  K  a  t  z  e  n  s  t  e  i  n  -  Berlin:  Die  Gerbung  der  Bänder  zur  Hei¬ 
lung  des  Plattfusses  und  anderen  Knochendeformitäten. 

Vorgetragen  in  der  Berliner  Gesellschaft  für  Chirurgie.  Siehe 
Bericht  M.m.W.  1914  S.  674. 

M.  W  i  1  h  e  1  m  -  Berlin-Weissensee:  Ein  Beitrag  zu  den  ner¬ 
vösen  Aequivalenten  im  Säuglingsalter. 

7  Monate  altes  neuropathisches  Kind  litt  monatelang  an  unstill¬ 
barem,  erschöpfendem  Erbrechen.  Dieses  kam  in  kurzer  Zeit  zum 


18.  August  1914. _ MUENCHENEK  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


Stillstand  nach  dem  Auftreten  einer  Nasendiplitherie.  Nach  zirka 
6  Tagen  Entfieberung  und  alsbald  Wiedereintritt  des  Erbrechens,  das 
wieder  aussetzt  nach  dem  Eintritt  einer  tödlichen  Bronchopneumonie. 
Pie  Erklärung  dieser  Erscheinung  kann  darin  bestehen,  dass  die 
schwere  Erkrankung  als  Hemmnis  für  einen  monatelang  bestandenen 
bedingten  Reflex  wirkte. 

J.  S  c  h  u  m  a  c  h  e  r  -  Berlin:  Vortäuschung  von  Eiweiss  nach 

Hexamethylentetramin. 

Zusammenfassung:  Die  von  Schmiz  beschriebene  Reaktion 
\  on  ncxamethylentetraminurinen  beim  Erwärmen  mit  Kaliumpikrat 
ist  nicht  spezifisch.  Die  betr.  durch  Reduktion  des  Kaliumpikrats 
entstehende  Verbindung  ist  ein  Aminophenolkürper.  Daher  geben 
auch  Dextrose,  naszierender  Wasserstoff  u.  a.  die  Reaktion.  Bei 
He.xamethyltetraminurinen  wird  die  Reaktion  durch  die  reduzierende 
Eigenschaft  des  E'ormaldehyds  bedingt.  Zur  Feststellung  von  Hexa¬ 
methylentetraminabkömmlingen  dient  am  besten  eine  Formaldehyd¬ 
reaktion.  Bei  der  quantitativen  Zuckerbestimmung  nach  Fehling 
soll  auf  das  Vorhandensein  von  Hexamethylentetraminderivaten  im 
Urin  geachtet  werden. 

H  L  o  hn  s  t  e  i  n  -  Berlin:  Ein  Urethroskop  zur  Hochfrequenzbe¬ 
handlung  von  Affektionen  der  Harnröhre  und  des  Blasenhalses. 

Beschreibung  des  Instrumentes. 

A.  S  c  h  a  n  z  -  Dresden:  Bandagen  für  Appendizitisnarben  und 

Bauchbrüche. 

Die  von  Sch.  angegebene  Bandage  strebt  an,  den  Widerhalt  der 
gefährdeten  Stelle  der  Bauchwand  bis  zur  Norm  zu  heben  und  ver¬ 
wendet  eine  unverschieblich  auf  der  Narbe  sitzende  elastische  Beutel¬ 
pelotte,  wie  sie  Verf.  in  der  M.m.W.  1901  fiir  die  Herstellung  eines 
Bruchbandes  angegeben  hat. 

Rückgang  der  Säuglingssterblichkeit. 

Nach  einer  Zusammenstellung  des  Kais,  statistischen  Amtes. 

R.Beneke:  Wege  und  Ziele  des  Unterrichtes  in  pathologischer 
Anatomie  an  der  Universität  Halle. 

F  Frank- Köln:  Ferdinand  Adolf  Kehrer. 

Nachruf. 

H.  B  o  r  u  1 1  a  u  -  Berlin :  L.  Hermann. 

Nachruf. 

Korrespondenzen. 

E.  Rautenberg  -  Berlin-Lichterfelde :  Zur  Geschichte  der 

\  orhofregistrierung. 

Erklärung  zu  einer  Aeusserung  von  Leon  Fredericq. 

O.  Bondy:  Bemerkungen  zu  der  Erwiderung  des  Herrn  Ro- 
'enstein.  (D.m.W.  Nr.  25.) 

P.  Rosenstein:  Erwiderung.  B  e  r  g  e  a  t  -  München. 

Oesterreichische  Literatur. 

Wiener  klinische  Wochenschrift. 

Nr.  32.  H.  B  a  r  d  a  c  h  -  Wien:  Die  Durchleuchtung  von  Blut- 
tefässen  und  die  Drosselung  des  arteriellen  Gefässrohres. 

Die  elastische  Ligatur  mit  zarten  Gummischläuchen  hat  für 
ihysiologische  und  pathologische  Experimente  den  Vorzug  des  ein- 
achen  Sehlingens  und  raschen  Oeffnens  des  Knotens.  Sie  kann  auch 
tuf  kurze  Zeit  in  einer  geschlossenen  Wunde  belassen  werden.  Die 
.latte  Oberfläche  und  Undurchlässigkeit  des  Kautschuks  erleichtern 
üe  Sterilisation.  Mittels  Durchleuchtung  von  Blutgefässen  hat  Verf. 
^ei  doppelter  Ligatur  eine  sonst  schwer  wahrnehmbare  rückläufige 
sation  an  der  Karotis  festgestellt;  er  sah  auch  flüchtig  auftretende 
ulsationen  und  Pulsbeschleunigungen,  Diffusionsströmungen,  be¬ 
hende  Gerinnung  und  interessante  Stauungsbilder  an  der  Vasa  I 
asorum.  Eine  wesentliche  Milderung  des  elastischen  Druckes  lässt 
ich  durch  eine  „Drosselungsspange“  erreichen. 

R.  Löwy-Wien:  Zur  Frage  der  neurotropen  Wirkung  des 

'alvarsans. 

Aus  mehreren  Krankengeschichten  lässt  sich  der  Schluss  ab- 
’ff.*”1?’- dem  Salvarsan  nicht  an  sich  eine  besondere  toxische 
‘  il-’tät  zum  Nervengewebe  zukommt,  sondern  dass  nur  eine  indirekte 
chadigung  bei  besonderer  Disposition  des  Kranken,  ferner  bei 
egenerationsprozessen,  z.  B.  der  Leber  oder  Nieren,  insbesondere 
ber  bei  schwereren  Degenerationsvorgängen  an  den  Blutgefässen 
lattfindet. 

A.  v.  Iorday:  Zur  Prognose  der  Lungentuberkulose. 

Verf.  erörtert  die  zahlreichen  für  die  prognostische  Beurteilung 
mes  Tuberkulosefalles  in  Betracht  kommenden  Gesichtspunkte. 

R.  Monti-Wien:  Die  Dermoide  des  Samenstranges. 

Die  Literatur  enthält  bisher  8  Fälle  von  Dermoiden  des  Samen¬ 
ranges.  Verf.  beschreibt  einen  Fall  eines  echten  innerhalb  des 
eistenkanals  gelegenen  Epidermoides.  Die  richtige  Diagnose  konnte, 

>e  in  den  anderen  Fällen,  erst  bei  der  Operation  gestellt  werden. 

v.  S  c  h  i  1 1  e  r  -  Wien:  Zement  als  Blutstillungs-  und  Plomben- 
nterial  bei  Schädeloperationen. 

Schädeloperationen  am  Hunde  hat  Sch.  zur  Blutstillung 
eribsiertes  Kalzium-Aluminium-Silikat  (Zement)  verwendet;  nach 
eichmässiger  Durchtränkung  mit  Blut  bildet  sich  eine  plastische 
asse,  die  zur  Ausfüllung  der  blutenden  Knochen  wunde  dient,  ziem¬ 
en  rasch  erhärtet  und  reaktionslos  einheilt.  Es  ist  zu  erwarten, 
lSSHn\v'e-Ser  ^eise  der  Zement  sich  gut  zu  Knochenplomben  eignet. 

i  ei  c  h  e  r  t  -  Wien:  Ueber  neuere  Verfahren  der  Tuberkulose- 
enandlung  und  die  für  Pathologie  und  Therapie  daraus  zu  ziehenden 
chlusse.  (Schluss.)  Zur  kurzen  Wiedergabe  nicht  geeignet. 


1817 


Wiener  klinisch-therapeutische  Wochenschrift. 

Nr.  17.  L.  Lichtenstcin-Pistyan:  Die  Diathermiebehand¬ 
lung  des  Rheumatismus. 

Wenig  zugänglich  für  die  Diathermiebehandlung  sind  die  tuber¬ 
kulösen  Formen  der  Gelenkentzündung  und  die  Arthritis  deformans; 
die  primäre  chronische  exsudative  Polyarthritis  eignet  sich  eher  für 
neissluftbehandlung.  Dankbarer  ist  die  gichtische  Arthritis,  bei  wel- 
cner  der  akute  Anfall  sich  durch  Diathermie  öfters  geradezu  kupieren 
lasst.  Oute  Wirkung  wird  erzielt  bei  bakteriellen  Arthritisformen,  so 
tast  durchgehends  bei  akuter  und  subakuter  Monarthritis,  und  am 
meisten  bei  der  gonorrhoischen  Arthritis.  Speziell  bei  gonorrhoischen 
Ankylosen  gelingt  es  oft,  während  der  Diathermie  eine  gesteigerte 
aktive  und  passive  Beweglichkeit  durchzusetzen. 

Bei  rheumatischen  Myalgien  und  Neuralgien  scheint  die  Dia- 
theinue  keinen  besonderen  Vorteil  zu  bieten. 

Nr.  15  17.  Th.  R  o  v  s  i  n  g-  Kopenhagen:  Ueber  die  Vaseline- 
injcktlon  ln  die  Gelenke,  die  Indikationen,  Technik  und  Resultate 
derselben. 

Weitere  Versuche  mit  Injektionen  von  sterilisierter  gelber  Vase¬ 
line  in  Gelenke  (52  Injektionen  an  44  Kranken). 

Ungeeignet  erwiesen  sich  die  Fälle  von  nichttraumatischer  Ar¬ 
thritis  crepitans.  Die  Injektionen  bewirkten  starke  entzündliche 
Reizung,  aber  keine  Besserung.  Es  handelt  sich  da  vielfach  um  Fälle 
wo  reichlich  Synovialflüssigkeit  und  zwar  von  graulicher  Farbe  und 
reichlichem  Flockengehalt  vorhanden  war.  Wo  die  Punktion  solchen 
Befund  ergibt,  ist  die  Injektion  zu  widerraten.  Wenn  das  Gelenk 
aber  ganz  trocken  gefunden  wird  und  die  Entzündung  erloschen  ist, 
kann  der  Versuch  mit  einer  kleinen  Injektion  gemacht  werden.  Da- 
gegen  sind  die  Erfolge  sehr  befriedigend  bei  der  traumatischen  Ar- 
thritis  und  bei  dem  Malum  senile.  (Diese  Fälle  betrafen  vorzugs¬ 
weise  das  Schulter-,  Knie-  oder  Hüftgelenk.)  Schliesslich  eignet  sich 
die  v  aselininjektion  dazu,  nach  Arthrotomien  oder  Resektionen  einer 
Ankylose  vorzubeugen.  Die  einzuspritzende  Menge  Vaselin  ist  beim 
Erwachsenen  für  das  Hüftgelenk  20— 25  ccm,  das  Kniegelenk  10  bis 
höchstens  15,  für  das  Schultergelenk  ca.  15  ccm. 

B  e  r  g  e  a  t  -  München. 

Rumänische  Literatur. 

(Schluss.) 

Em.  Deme/tru  Pauli  an:  Eosinophilie  infolge  von  Helminthen. 
(Spitalul  1914  Nr.  2.) 

Der  menschliche  Organismus  wehrt  sich  gegen  Darmparasiten 
geradeso  wie  auch  gegen  jedweden  anderen  pathogenen  Einfluss. 
Diese  Abwehr  wird  durch  eine  Aenderung  der  leukozytären  Formel 
gekennzeichnet  und,  wie  verschiedene  Untersucher  nachgewiesen 
haben,  durch  eine  starke  Vermehrung  der  eosinophilen  Zellen.  Wäh¬ 
rend  das  Verhältnis  derselben  im  normalen  Zustande  1 — 4  Proz.  be¬ 
trägt,  wurde  bei  Helminthiasis  ein  Ansteigen  auf  8 — 9  Proz.,  in  einem 
Falle  sogar  bis  auf  17  Proz.  festgestellt. 

Der  Verfasser  hat  diese  Blutreaktion  auf  experimentellem  Wege 
nachmachen  wollen  und  Kaninchen  Extrakte  von  Tänien  und  auch 
von  Spulwürmern  subkutan  eingespritzt.  Kurz  hierauf,  oft  nach 
wenigen  Stunden,  trat  eine  bedeutende  Eosinophilie  auf,  wodurch 
sich  zeigte,  dass  auch  der  tierische  Organismus  in  ähnlicher  Weise 
gegen  die  Darmparasitentoxine  reagiert  wie  der  menschliche. 

Die  Feststellung  der  leukozytären  Formel  ist  also  in  diagnostisch 
zweifelhaften  Fällen  von  Wichtigkeit.  So  z.  B.  bei  schweren  An¬ 
ämien,  gastro-intestinalen  Erscheinungen,  Konvulsionen,  Pseudo¬ 
meningitis  etc.  In  allen  diesen  Fällen  zeigt  eine  bestehende  Eosino¬ 
philie,  dass  es  sich  um  Darmparasiten  handelt,  während  bei  Fehlen 
dieser  Blutreaktion  die  Diagnose  in  ganz  anderer  Weise  orientiert 
werden  muss. 

I.  Buia:  Die  Nukleinotherapie  bei  der  P  a  r  k  i  n  s  o  n  sehen 
Krankheit.  (Spitalul  1914  Nr.  6.) 

Ausgehend  von  der  Annahme,  dass  eine  fieberbewirkende  Medi¬ 
kation  in  vorteilhafter  Weise  auf  die  Symptome  der  Parkinson- 
schen  Krankheit  einwirken  dürfte,  hat  Verf.  bei  5  Parkinsonkranken 
der  Klinik  des  Prof.  Marinescu  subkutane  und  später  auch  intra¬ 
venöse  Einspritzungen  von  nukleinsaurem  Natrium,  5— 10  proz.  Lö¬ 
sung  in  physiologischem  Serum,  gemacht  und  symptomatisch  gute 
Resultate  erzielt.  Kurz  nach  der  Einspritzung  trat  Frösteln,  dann 
Temperaturerhöhung,  endlich  Schweiss  auf  und  die  Kranken  hatten 
ein  Gefühl  der  Erleichterung,  welches  auch  während  der  folgenden 
Tage  anhielt.  Es  wurde  jeden  zweiten  Tag  injiziert  und  betrugen  die 
angewendeten  Dosen  0,02—0,50  cg  .  Ausser  der  subjektiven  Besse¬ 
rung  wurde  auch  ein  Abnehmen  des  Zitterns,  der  Muskeirigidität, 
eine  Besserung  des  Appetites,  der  Diurese  und  eine  Vermehrung  des 
Stoffwechsels  beobachtet. 

E.  Juvara:  Die  chirurgische  Behandlung  der  abstehenden 
Ohren.  (Revista  de  Chirurgie,  Mai  1914.) 

Es  wird  über  der  Mastoidealgegend  und  auf  der  hinteren  Fläche 
der  Ohrmuschel  ein  Hautlappen  ausgeschnitten,  derart,  dass  der  er¬ 
zielte  Hautverlust  die  Form  eine  Sechseckes  zeigt.  Die  Teile  werden 
durch  mehrere  Nähte  vereinigt  und  die  Fäder  über  einer  auf  die 
äussere  Fläche  der  Ohrmuschel  gelegte  Gazerolle  geknotet.  Diese 
Nähte  durchdringen  an  zwei  Stellen  den  Ohrknorpel,  wodurch  eine 
bessere  Adaptierung  desselben  gesichert  ist. 

E.  Juvara  und  E.  H  r  i  s  t  i  d  i :  Ein  neuer  operativer  Vorgang 
für  die  Operation  der  Syndaktylie.  (Ibidem.) 


1818 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Ni .  33. 


Die  Operation  der  verwachsenen  Finger  ist  eine  sehr  einfache 
und  leichte,  falls  eine  etwas  breitere  Zwischenmembran  vorhanden 
ist,  denn  dann  handelt  es  sich  nur  um  die  Durchtrennung  derselben 
und  Anlegung  der  entsprechenden  Nahte.  Ist  aber  die  Verwachsung 
eine  straffe,  so  muss,  nach  Separierung  der  beiden  Finger  für  die 
fehlende  Haut  Ersatz  beschafft  werden.  J.  operiert  in  folgender 
Weise:  Für  den  einen  Finger  wird  der  notwendige  Hautlappen  durch 
einen  Dorsal-  und  einen  Palmarschnitt  von  dem  anderen  abpräpariert 
und  durch  Nähte  vereinigt.  Der  nun  am  zweiten  Finger  entstandene, 
ziemlich  grosse  Substanzverlust  wird  durch  einen  länglichen,  der 
Hüfte  entnommenen  Hautlappen  gedeckt.  Man  muss  diesen  Lappen 
etwa  um  ein  Drittel  länger  nehmen  als  der  zu  deckende  Substanz¬ 
verlust,  ferner  wird  derselbe  nicht  vollkommen  angenäht,  sondern 
an  der  Fingerbasis  freigelassen  und  ein  Drain  eingeführt. 

C.  Frumusianu:  Die  Behandlung  mit  dem  Wasser  von  C  a  - 
c  i  u  1  a  t  a.  (Bukarest  1914,  83  Seiten.) 

Der  Verfasser  gibt  eine  ausführliche  Beschreibung  der  Mineral¬ 
quellen  von  Caciulata,  die  sich  in  Rumänien  schon  seit  langem 
eines  besonderen  Rufes  bei  Behandlung  von  Gicht,  Blasen-  und 
Nierensteinen,  sowie  auch  bei  chronischer  Nephritis  erfreuen.  Weitere 
Indikationen  sind  Fettsucht,  Diabetes,  Gallensteine,  urämische  Er- 
schcinungen.  Die  therapeutische  Wirkung  wird  durch  Badekuren 
in  dem  nahe  liegenden  Calimaneschti  erfolgreich  unterstützt. 

Felix  Missbach:  Die  moderne  Behandlung  der  chirurgischen 
Tuberkulosen.  (Die  Heliotherapie.)  (Revista  stiintzelor  med.,  Mai 

1914.)  ...  D.  •  ,  . 

Die  schon  im  Altertume  bekannte  günstige  Einwirkung  der 
Sonnenbestrahlung  auf  verschiedene  Krankheiten  hat  erst  in  den 
letzten  Jahren  eine  ausgedehntere  Anwendung  gefunden.  Nament¬ 
lich  sind  es  die  Tuberkulosen  des  Kindesaltcrs,  welche  sehr  gute 
Heilresultate  geben  und  zwar  sowohl  Knochen-  und  Gelenktuber¬ 
kulosen,  als  auch  tuberkulöse  Adenopathien.  Verf.  beschreibt  seine, 
in  Tekir-Ghiol,  am  Gestade  des  schwarzen  Meeres  geübte  Behand¬ 
lungsmethode  und  illustriert  dieselbe  durch  mehrere  Photographien. 
Pottiker  werden  immobilisiert  und  redressierend  gelagert,  ebenso 
müssen  Kinder  mit  Gelenktuberkulosen  in  geeigneter  Weise  in  Ruhe¬ 
lage  gehalten  werden.  Die  Bestrahlung  soll  allmählich  vorgenommen 
werden,  anfangs  nur  kleiner  Körperteile  und  kurze  Zeit  bestrahlt, 
später  die  Bestrahlung  auf  den  ganzen  Körper  ausgedehnt  und  täg¬ 
lich  durch  7—8  Stunden  geübt  werden.  Auf  diese  Weise  vermeidet 
man  am  sichersten  das  Auftreten  von  Erythemen,  sowie  auch  von 
depressiven  Erscheinungen,  Herzklopfen  etc.  Bei  Frauen  und  Mäd¬ 
chen  wird  die  Bestrahlung  während  der  Menstruation  ausgesetzt, 
da  sonst  oft  profuse  Blutungen  auftreten  können.  Schwerere 
Läsionen  des  Herzens,  namentlich  Myokarditis,  sind  eine  Gegen¬ 
anzeige  für  die  Sonnenbestrahlung.  Im  allgemeinen  muss  gesagt 
weiden,  dass  die  Heliotherapie  eine  genaue,  tägliche  ärztliche  Be¬ 
aufsichtigung  verlangt. 


Ueber  Blasenfisteln,  ihre  Entstehung  und  Be- 


A.  Daniel:  Beiträge  zum  Studium  der  heredo-syphilitischen 
Zahndystrophien.  (Ibidem.) 

Der  Verfasser  beschreibt  eine  Familie  von  Heredosyphilitikern. 
welche  folgendes  darbot:  der  ältere  Sohn,  27  Jahre  alt,  hatte  nur 
zwei  obere  Schncidezähne,  dieselben  waren  zwischen  2.  und  3.  Lebens¬ 
jahr  gewachsen,  hatten  nie  gewechselt,  und  war  der  Mund  sonst 
zahnlos.  Gleichzeitig  bestand  Sattelnase,  dünnes,  wolliges  Haar,  vor¬ 
zeitige  Alopezie,  namentlich  am  Vertex  und  den  Schläfen.  Der  zweite 
Sohn,  15  Jahre  alt,  hat  nie  einen  Zahn  gehabt,  ferner  Sattelnase,  voll¬ 
kommener  Mangel  der  Augenbrauen  und  Alopezie.  Weitere  zwei 
Kinder,  ein  13  jähriges  Mädchen  und  ein  10  jähriger  Knabe  hatten  nur 
oben  vier  spitze,  weit  auseinander  stehende  Schneidezähne,  waren 
sonst  vollkommen  zahnlos,  ferner  Nanismus,  fast  vollständiges  Fehlen 
der  Augenbrauen  und  mangelhafter  Haarwuchs  des  Kopfes.  Adontis- 
mus,  wie  der  beschriebene,  vollständig,  oder  fast  vollständig  auf¬ 
tretend,  ist  selten. 


Al.  Schaabner-Tuduri  berichtet,  über  den  IX.  inter¬ 
nationalen  Kongress  für  Hydrologie,  Klimatologie  und  Geologie  in 
Madiid.  (Bukarest  1914.) 

Der  Verfasser  ist  derzeit  der  beste  Kenner  der  so  zahlreichen 
und  zum  grossen  Teil  noch  wenig  gekannten  Heilquellen  Rumäniens 
und  hat  in  der  Eigenschaft  eines  offiziellen  Delegierten,  dem  er¬ 
wähnten  Kongresse  einen  ausführlichen  Bericht  vorgelegt,  der  mm 
in  Druck  erschienen  ist.  Alle  Quellen  sind  darin  in  ausführlicher 
Weise  beschrieben  und  deren  therapeutische  Indikationen  gegeben. 
Vielleicht  trägt  diese  Arbeit  dazu  bei,  die  natürlichen  Heilfaktoren 
Rumäniens  auch  im  weiteren  Ausland  bekannt  zu  machen,  denn  es 
sind  unter  denselben  so  manche,  welche  in  bezug  auf  Zusammen¬ 
setzung  und  Wirkung  es  mit  Karlsbad,  Vichy,  Vittel  etc.  aufnehmen 
könnten.  E.  T  o  f  f  -  Braila. 


Inauguraldissertationen. 

Universität  München.  Juli  1914. 

Takahashi  Kotaro:  Uteruskarzinom  im  jugendlichen  Alter. 
Gastei  Max:  Beitrag  zur  Frage  der  Toxinbildung  bei  der  Trichi- 
nosis. 

Karasawa  Junkichi:  Ueber  die  Hcbosteotomie. 

H  oo  gen  Julius:  Ueber  sekundäre  Darmstenosen  bei  Karzinom. 
Krug  Hans:  Ueber  die  traumatischen  Hüftgelenksluxationen  an  der 
Münchener  chirurgischen  Klinik  im  Jahre  1894—1914. 


Miura  Naotomo: 

K  e'iGie'r1  Bruno:  Methoden  zur  Bestimmung  der  Ueberleitungszeit 

am  Froschherzen.  ,  „  „  , 

Abramo  witsch  H  :  Ueber  die  Storungen  der  Gegenrollung  der 
Augen  bei  Erkrankungen  des  Ohres. 
joffeS  H  :  Ein  Fall  von  Dicephalus  tetrabrachius  dipus. 
Schmidt  Rudolf:  Weitere  Untersuchungen  über  Fermente  im 
Darminhalt  (Mekonium)  und  Mageninhalt  menschlicher  Föten  und 

Neugeborener.  .  . 

Bloch  Wolf:  Ein  seltener  Fall  von  papillärem  Kystom  und  Uber¬ 
flächenpapillom  bei  einem  Ovarialteratom. 

Gold  wasser  Josef:  Ueber  die  Augen  Verletzungen  bei  der  Geburt 
und  besonders  bei  der  Zangenoperation,  und  ihre  gerichtlich-medi¬ 
zinische  Bedeutung.  .  ..  .  c  . 

Vollnhals  Franz:  Beiträge  zur  Kenntnis  der  allgemeinen  Sepsis. 

41  Fälle  aus  den  Jahren  1903—1912.  ..... 

Cohn  Curt:  Statistische  Betrachtungen  iiber  das  Gallenstemleiden. 
Kurljandsky  D.:  Ueber  die  Form  des  menschlichen  Linsensterns. 

K  a  u  f  m  a  n  n  Adalbert:  Ueber  subkutane  Zerreissungen  der  Nieren.  J 
Jofan  H.:  Ueber  die  verschiedenen  Methoden  der  Bestimmung  des 

Pes  valgus.  . 

Lewin  Salman:  Vaginaler  Kaiserschnitt. 

Kleeblatt  Friedrich:  Experimentelle  Erzeugung  von  Dunndarm- 
geschwüren  bei  Hunden  durch  Unterbindung  des  Ductus  cholt- 

GrlnbTrg  Aron:  Ueber  Missbildung  der  Finger  und  Zehen  an  den  , 

Extremitäten.  „  ,  .  ,  ... 

D  i  k  a  n  s  k  i  M.:  Ueber  den  Einfluss  der  sozialen  Lage  auf  die  , 

Körpermasse  von  Schulkindern.  . 

Krakowski  Ichuda:  Die  Behandlung  des  Karzinoms  mittels 
Röntgenstrahlen,  Radium  und  Mesothorium. 

Br  än  dl  ein  Oskar:  Beitrag  zu  den  durch  Beschattung  und  Be¬ 
lichtung  des  Auges  auslösbaren  abnormen  Bulbusbewegungcn. 
Matusiewicz  Jakob:  Der  Körperlängen-Körpergewichtsindex  bei 
Münchener  Schulkindern. 

Lerman  J.:  Azurgranula  der  Lymphozyten. 

Fogt  Eugen:  Vor-  und  frühzeitiger  Blasensprung  und  Geburt. 

B  a  rase  h  k  o  f  f  Israel :  Geburt  bei  Kyphoskoliose. 
Pfannenstiel  Wilhelm:  Beiträge  zu  den  histologischen  Befunden 
an  Skleralnarben  nach  Glaukomoperationen  mit  Berücksichtigung 
ihrer  Filtrationsfähigkeit. 

Litwak  Selman:  Ueber  die  Beteiligung  des  Uvealtraktus  bei  der 

Keratitis  parenchymatosa.  ,  „  ,  , 

Waiss  Rahel :  Ueber  sekundäre  traumatische  Hydronephrosc. 
Moeller  Karl:  Ueber  einen  Fall  von  Lymphosarkom  der  Nase. 
Wald  Hans:  Ein  Fall  von  Adenomyom  der  Cervix  uteri.  Beitrag  zur 
Lehre  von  den  Adenomyomen. 

Dürst  Georg:  Ueber  einen  Fall  von  Karzinom  in  der  Laparotomie¬ 
narbe  nach  Totalexstirpation. 

Feldbaum  J.:  Aetiologie  und  Wesen  der  Gastroptose. 
Schmidseder  Max:  Ueber  primäre  Beckenknochensarkome  (mit 
einer  Zusammenstellung  von  178  Beckensarkornfällen  aus  der 
Literatur  und  einem  selbst  beobachteten  Fall). 

Medjowitsch  Moses:  Ein  Beitrag  zur  operativen  Heilung  der 
Radialislähmung  nach  Humerusfraktur.  . 

Fukuo  Yuro:  Ueber  die  Teratome  der  Glandula  pinealis. 
v.  Koch  Franz:  Ueber  Endocarditis  lenta  mit  einem  kasuistischen 
T3  c  i  1 1"  ti 

van  der  Reis  Victor:  Die  Geschichte  der  Hydrotherapie  von 
H  a  h  n  bis  P  r  i  e  s  s  n  i  t  z. 

Grien  Salomon:  Peritonitis,  Darmlähmung  und  Ileus  post 

operationem.  ,  _  ....  ,  ,. 

Chose  Efim:  Ueber  den  Einfluss  durchgemachter  Rachitis  aut  die 

Körflermasse  von  Schulkindern. 

Ziperssou  David:  Ueber  subkutane  Darmverletzungen  nach  Ein¬ 
wirkung  stumpfer  Gewalt.  ,  ,  , 

Oh  no  Masataka:  Ueber  die  Verkalkung  der  Vasa  deferentia.  , 
Kabzan  Elieser:  Pelveoperitonitische  Abszesse  durch  Colpotomm 

posterior  geheilt.  .  , 

Basnizki  Siegfried:  Ueber  die  in  den  Jahren  1903—1913  in  der 
Kgl.  Universitäts-Frauenklinik  und  Kgl.  Hebammenschule  zu 
München  zur  Beobachtung  gekommenen  Sturzgeburten. 
Oppenheim  Alfred:  Ist  Inulin  ein  Glykogenbildner? 

Stock  Heinz-Richard:  Die  optischen  Synästhesien  bei  E.  1.  ft 

Hoffman  n.  ,  ,,  . 

Gurewicz  Akiwa:  Ueber  2  neue  Reflexe:  1.  das  Vorderarm- 
phänomen  von  Leri;  2.  der  Malleolarreflex  von  Trömner. 
Matsuhisa  Yuma:  Ein  Fall  von  operativer  Verletzung  des  Sinus 

sigmoidcus.  u„ 

Hey  1  Theodor:  Statistik  über  Staroperationen  mit  besonderer  Be¬ 
rücksichtigung  der  Beziehungen  der  Reife  des  Stars  und  Häufig¬ 
keit  des  Nachstars.  • 

Rosenberg  J.  A.:  Ueber  vikariierende  Menstruation  aus  abdomi 

nellen  Fisteln. 

v.  B  r  e  u  n  i  g  Werner:  Ueber  dieBurnam  sehe  und  andere  rormai- 
dehydproben  im  Urin  und  über  die  Abspaltung  von  Formaldehu 
im  Urin  nach  interner  Urotropindarreichung. 


18.  August  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1819 


Vereins-  und  Kongressberichte. 

Gesellschaft  für  Natur-  und  Heilkunde  zu  Dresden. 

(Offizielles  Protokoll.) 

XXIV.  Sitzung  vom  28.  März  1914  (Schluss). 

Vorsitzender:  Herr  Q  e  1  b  k  e. 

Herr  Vogt:  Heber  subkutane  Symphyseotomie.  (Schluss.) 

Die  Technik  der  subkutanen  Syrnphysiotomie,  wie  sie  ursprüng¬ 
lich  frank  angegeben  hat,  erfuhr  in  unserer  Klinik  einige  Modifi¬ 
kationen.  Zuerst  geschieht  die  Desinfektion  der  vorher  enthaarten 
Vulva  mit  Warmwasser.  Seife,  Alkohol,  dann  folgt  ein  Jodanstrich. 
Mit  2  Fingern  geht  der  Operateur  mit  der  linken  Hand  in  die  Vagina 
ein  und  an  die  Hinterfläche  der  Symphyse,  um  ihre  Höhe  und 
Dicke,  das  Verhalten  des  Symphysenknorpels  und  die  Lage  der 
Urethra  zur  Mittellinie  festzustellen.  Inzwischen  fasst  ein  Assistent 
mit  einer  Gazekompresse  die  ganze  Klitorisgegend  mit  der  linken 
Hand  möglichst  flach  und  zieht  sie  weit  nach  unten,  um  dadurch  die 
Klitoris  und  die  Urethra  samt  den  Gefässen  vom  unteren  Symphysen¬ 
rand.  vom  Lig.  arcuatum  wegzudrängen.  Hierauf  wird  mit  einem 
gewöhnlichen  mittelstarken  Skalpell  dicht  über  der  Symphyse  einge¬ 
stochen;  die  Schneide  des  Skalpells  sieht  nach  unten.  Dabei  muss 
man  genau  darauf  achten,  dass  man  in  der  Mitte  bleibt.  Nur  so 
gelingt  die  Auffindung  des  Symphysenspaltes  und  ist  die  Mitte  einmal 
gefunden,  so  wird  dadurch  die  ganze  Operation  sehr  erleichtert.  Da¬ 
durch.  dass  die  Haut  des  Mons  pubis  nach  unten  gezogen  ist,  kommt 
die  Einschnittöffnung  in  den  Bereich  der  Behaarung  des  Mons  pubis 
zu  liegen.  Dann  wird  die  untere  Hälfte  der  Symphyse  nur  in  ihren 
vorderen  zwei  Dritteln  bis  ans  Lig.  arcuatum  heran  mit  dem  scharfen 
Skalpell  vorsichtig  tastend  durchtrennt.  Hierauf  wird  das  Messer 
herumgedreht  und  so  wird  die  obere  Hälfte  der  Symphyse,  auch  nur 
in  ihren  vorderen  zwei  Dritteln,  gespalten,  indem  gleichzeitig  der  Zug 
des  Assistenten  an  der  Haut  der  Klitorisgegend  nachlässt,  damit  die 
Einstichöffnung  in  der  Haut  dem  Messer  nach  oben  fo’gen  kann.  In 
der  Mitte  wird  an  einer  kleinen  Stelle  die  Symphyse  vollständig 
durchtrennt,  das  spitze  Skalpell  wird  entfernt  und  durch  ein  schmales 
geknöpftes  Messer  ersetzt.  Mit  diesem  wird  hierauf  das  noch  nicht 
durchtrennte  hintere  Drittel  des  Symphysenknorpels  mit  den  Ver¬ 
stärkungsbändern  an  der  Hinterwand  vorsichtig  durchschnitten.  Die 
Durchschneidung  des  Knorpels  stösst  meist  auf  keine  grösseren 
Schwierigkeiten, ^sofern  keine  Verknöcherung  oder  starke  Verdickung 
vorliegt.  Wenn  die  Kreuzungsfasern  der  Sehnen  vom  Ansatz  der 
Muskuli  recti  und  M.  pyramidalis  und  hinten  das  Lig.  pubo-vesicales 
gespalten  ist,  dann  weicht  die  Symphyse  meist  schon  auseinander; 
unten  wird  sie  aber  durch  das  Lig.  arcuatum  noch  zusammenge¬ 
halten.  Jetzt  werden  mit  dem  über  die  Fläche  gekrümmten  Messer, 
das  E.  Kehrer  angegeben  hat,  noch  vorsichtig  rechts  und  links  die 
beiden  Schenkel  des  Lig.  arcuatum  und  dabei  die  Corpora  vacernosa 
clit.  rechts  und  links  1 — 1^  cm  abgelöst.  Sowie  das  geschehen  ist, 
klafft  auch  die  Symphyse  unten  so  weit,  dass  man  bequem  einen 
Finger  einlegen  kann,  ungefähr  3  cm.  Die  ganze  Operation  leitet 
und  kontrolliert  der  in  die  Vagina  eingeführte  Finger.  Dauer  wenige 
Minuten!  Sofort  wird  dann  das  Messer  aus  der  Wunde  entfernt 
und  die  Wunde  fest  vom  Assistenten  komprimiert;  mit  2 — 4  Mi¬ 
chel  sehen  Klammern  gelingt  es  stets  die  kleine  Wunde  zu  ver- 
schliessen.  Vioform,  trockener  Mastisolverband.  Hierauf  wird  die 
Harnblase  katheterisiert  und  auf  etwaige  Blutbeimengungen  des  Urins 
geachtet.  Sofort  nach  vollendeter  Operation  werden  2  Ampullen 
Pituitrin  intramuskulär  injiziert.  Durch  nochmalige  Untersuchung 
überzeugt  man  sich  dann,  ob  der  vorangehende  Teil  eintritt,  ob  er 
sich  günstig  einstellt  und  ob  er  tiefer  tritt.  Erst  nachdem  man  sich 
davon  mit  absoluter  Sicherheit  überzeugt  hat,  wird  Patientin  in  das 
Bett  zurückgebracht.  Bei  der  Operation  ist  es  von  grösster  Wichtig¬ 
keit.  dass  die  Beine  der  Patientin  richtig  gehalten  werden.  Sie 
sind  im  Knie  und  Hüftgelenk  rechtwinklig  gebeugt  und  müssen,  sowie 
die  Symphyse  klafft,  nach  innen  rotiert  und  stark  adduziert  werden, 
um  ein  zu  starkes  Klaffen  des  vorderen  Beckenhalbringes  und  eine 
Gefährdung  der  Verstärkungsbänder  der  Articulatio  sacro  iliaca  feu 
vermeiden.  Mit  diesen  nach  innen  rotierten,  adduzierten  Ober¬ 
schenkeln  muss  Patientin  auch  ins  Bett  zurückgebracht  werden.  Das 
Becken  wird  durch  einen  Beckengurt  oder  umgelegtes  Handtuch  leicht 
fixiert  und  zur  Kompression  der  Wunde  ein  kleiner  Sandsack  auf¬ 
gelegt.  Unter  steter  Kontrolle  der  kindlichen  Herztöne  wird  die 
Spontangeburt  abgewartet.  Wenn  es  zur  Austreibungsperiode  kommt 
und  Patientin  mitpresst,  so  muss  man  darauf  achten,  dass  sie  nicht 
plötzlich,  wenn  sie  aus  der  Narkose  erwacht,  die  Beine  zu  stark 
spreizt.  Man  binde  die  Beine  oberhalb  der  Knie  leicht  zusammen 
und  ziehe  sie  bei  den  Presswehen  leicht  nach  dem  Unterbauch  an. 
Nach  Geburt  des  Kindes  und  der  Plazenta  folgt  das  Einlegen  eines 
Dauerkatheters,  aber  nicht  etwa  aus  Furcht  vor  einer  Verletzung 
der  Harnblase  oder  der  Harnröhre,  sondern  nur  damit  die  Harnröhre 
oder  Blase  sich  nicht  in  den  Symphysenspalt  einklemmt.  Wir  haben 
auch  schon  in  mehreren  Fällen  ungestraft  den  Dauerkatheter  am 

2.  Tag  entfernt;  sonst  entfernen  wir  den  Dauerkatheter  erst  am 

3.  oder  4.  Tag  vor  dem  ersten  Aufstehen.  Die  spontane  Urinentleerung 
hat  danach  niemals  die  geringsten  Schwierigkeiten  gemacht. 

Grosser  Wert  ist  auf  die  Nachbehandlung  im  Wochenbett  zu 
legen.  Das  Becken  bleibt  in  den  ersten  Tagen  leicht  fixiert  im 
Beckengurt.  Beim  ersten  Aufstehen  muss  die  Patientin  auch  den 


Beckengurt  tragen,  schon  damit  sie  persönlich  das  Gefühl  der  Sicher¬ 
heit  hat  und  dann  muss  Patientin  frei,  ohne  dass  dabei  ihre  Bauch¬ 
muskulatur,  die  am  vorderen  Beckenhalbring  inseriert,  in  Tätigkeit 
kommt,  aus  dem  Bett  hcrausgehoben  und  sofort  auf  die  Beine  gestellt 
werden.  Das  Gehen  macht  meist  keine  Schwierigkeiten  oder 
Schmerzen,  wenn  die  Patientin  nur  ganz  kleine  Schritte  macht  und  die 
Beine  nicht  zu  weit  auseinandernimmt.  Die  Gehversuche  werden 
täglich  wiederholt  und  jeden  Tag  verlängert.  Wenn  sich  Zeichen 
einer  Thrombose  einstellen,  muss  die  Pat.  strenge  Bettruhe  halten 
unter  Hochlagerung  des  Beines. 

Durch  diese  Modifikation  der  F  r  a  n  k  sehen  Technik  durch 
Kehrer,  durch  Ablösung  der  Schenkel  der  Corpora  cavernosa  clit. 
mit  den  Schenkeln  des  Lig.  arcuatum  beiderseits  ist  es  neuerdings 
gelungen,  eine  Blutung  aus  den  Corpera  cavernosa  clit.  und  somit 
eine  stärkere  Hämatombildung  zu  vermeiden.  Und  damit  haben 
wir  einen  nicht  hoch  genug  anzuschlagenden  Vorteil:  die  Einschrän¬ 
kung  der  Thrombosen,  erreicht. 

So  kamen  auf  die  erste  Serie,  die  E.  Kehrer  veröffentlicht  hat, 
von  10  Fällen  3  Thrombosen  =  30  Proz.,  während  jetzt  auf  die 
17  Fälle  der  2.  Serie  4  Thrombosen  =  22  Proz.  kommen. 

Auch  die  Zahl  der  Hämatome  ist  bedeutend  zurüokgegangen. 
Während  in  der  ersten  Serie  von  10  Fällen  6  mal  ein  Hämatom  in 
verschiedener  Grösse  nachweisbar  war,  kommen  jetzt  auf  die  zweite 
Serie  von  18  Fällen  nur  2  Hämatome. 

Die  Operation  wurde  meist  in  Allgemeinnarkose  mit  Aether  oder 
als  Mischnarkose  mit  Chloroform  und  Aether  durchgeführt.  In  einem 
Falle  wurde  mit  gutem  Erfolge  und  vollkommener  Anästhesie  die 
Sakralanästhesie  angewendet.  Diese  Methode  wird  in  künftigen 
Fällen,  abgesehen  von  denen,  in  denen  die  Operation  innerhalb  we¬ 
niger  Minuten,  also  bei  sehr  dringlicher  Indikation,  zur  Ausführung 
kommen  muss,  anzuwenden  sein. 

Nach  alledem  besitzen  wir  in  der  subkutanen  Syrnphysiotomie 
eine  Operation,  die  sich  in  der  Therapie  des  engen  Beckens  einen 
dauernden  Platz  sichern  wird  durch  ihre  einfache  Technik,  durch 
ihre  guten  Resultate  für  Mutter  und  Kind. 

Diskussion:  Herr  Prüsmann:  Die  Symphyseotomie  in 
ihrer  ursprünglichen  Gestalt  wurde  seinerzeit  wegen  der  Nebenver¬ 
letzungen  und  der  infolge  der  mangelhaften  Heilung  nachbleibenden 
Gehstörung  verlassen.  Die  Mehrzahl  der  damals  Operierten  bekam 
eine  Art  Schlottergelenk  und  mithin  einen  watschelnden  Gang,  da  die 
Festigkeit  des  Beckenringes  gestört  war.  Man  wendete  sich  der 
Pubeotomie  zu,  die  zwar  knöcherne  Vereinigung  der  durchtrennten 
Beckenknochen  zur  Folge  hat,  aber  mehrfach  zu  gewaltigen  Blu¬ 
tungen  geführt  hat.  Wegen  dieser  Gefahr  ist  man  auch  von  der 
Pubeotomie  neuerdings  wieder  zurückgekommen.  Ich  möchte  fragen, 
wie  der  Vortr.  es  erklärt,  dass  jetzt  bei  der  subkutanen  Durch¬ 
trennung  der  Symphyse  die  Heilung  eine  so  vorzügliche  ist,  und  ob 
bereits  Erfahrungen  über  nachfolgende  Geburten  vorliegen. 

Herr  Rudolf  Klotz:  In  der  Tübinger  Universitäts-Frauenklinik 
wurde  bei  engem  Becken  vielfach  der  extraperitoneale  Kaiserschnitt 
ausgeführt.  Soweit  mir  die  Tübinger  Zahlen  aus  dem  Gedächtnis 
erinnerlich  sind,  erscheinen  mir  die  für  die  Symphyseotomie  mitge¬ 
teilten  Mortalitätsprozente  der  Mütter,  besonders  aber  der  Kinder, 
reichlich  hoch. 

Herr  Kreis:  Ich  habe  die  subkutane  Symphyseotomie  bisher 
dreimal  ausgeführt.  Immer  fiel  mir  auf,  wie  leicht  die  Symphyse 
zum  Klaffen  kommt  und  wie  leicht  der  Kopf  dann  ins  Becken  eintritt. 
In  einem  Falle  wich  das  Becken  auf  2  Ouerfingerbreite  auseinander 
und  der  vorher  in  Hinterscheitelbeineinstellung  stehende  Kopf  trat 
ein  und  passierte  binnen  3  Wochen  innerhalb  von  10  Minuten  den 
Geburtskanal.  Gerade  das  leichte  Eintreten  des  Kopfes  ist  besonders 
bemerkenswert.  S  e  1 1  h  e  i  m  konnte  mittels  des  Dynamometers  nach- 
weisen,  dass  im  Vergleich  zur  Pubeotomie  bei  der  Symphyseotomie 
eine  dreimal  geringere  Kraft  nötig  war,  um  das  Becken  gleich  weit 
klaffen  zu  lassen. 

Herr  Kehrer:  Die  subkutane  Symphyseotomie,  die  von  Fritz 
Frank  in  Köln  erfunden  wurde,  ist  eine  ausgezeichnete  und  leicht 
auszuführende  Operation.  Wie  der  Herr  Vortragende  sagte,  ist  sie 
in  5 — 10  Minuten  zu  vollenden,  doch  habe  ich  sie  wiederholt  binnen 
2 — 3  Minuten  zu  Ende  geführt. 

•  Die  Technik  macht  jemandem,  der  sie  2  oder  3  mal  an  der 
Leiche  geübt  hat,  keine  Schwierigkeiten.  Ich  selbst  habe  nur  die 
ersten  10  Fälle  operiert,  die  nächsten  7  Operationen  wurden  von 
meinen  Assistenten  ausgeführt.  Einige  kindliche  Todesfälle  wären 
auch  bei  Spontangeburt  eingetreten.  Der  eine  Exitus  bei  der  Mutter 
hat  mit  der  Symphyseotomie  nichts  zu  tun,  da  die  letale  Uterus¬ 
ruptur  schon  vor  der  Operation  eingetreten  war.  Das  einzig  störende 
Moment  war  bisher  die  Bildung  grösserer  Hämatome.  Dies  wird  nun¬ 
mehr  bei  Benutzung  des  von  mir  angegebenen,  über  die  Fläche  ge¬ 
krümmten  Messers  zur  Ablösung  des  Lig.  arcuatum  von  den  Scham¬ 
beinknochen  vermieden.  Wie  gering  bei  dieser  Art  des  Vorgehens 
der  Blutverlust  ist,  zeigen  die  Untersuchungen  von  R  ii  b  s  a  m  e  n,  der 
nur  5 — 15  ccm  Blut  feststellen  konnte. 

Gehstörungen  wurden  unter  28  Fällen  keinmal  beobachtet.  3  oder 
4  Frauen  erzählten  sogar,  dass  sie  6 — 8  Wochen  nach  der  Ent¬ 
bindung  wieder  getanzt  hätten.  Nebenverletzungen  kamen  unter 
28  Fällen  nicht  vor;  ebensowenig  Embolien.  Ein  so  ruhiger  Beur¬ 
teiler  wie  Zweifel  bringt  der  Operation  regstes  Interesse  entgegen. 
Er  verfährt  allerdings  in  anderer  Weise  als  wir:  Er  geht  mit  dem 
Zeigefinger  hinter  die  Symphyse  und  löst  das  Gewebe  von  der  Sym- 


1820 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  33. 


physe  ab.  Dadurch  werden  freilich  viel  kompliziertere  Verhältnisse 

geschaffen.  ,  _  ...  ,.  , 

Für  die  ausserklinischc  Geburtshilfe  ist  der  Eingriff  vorläufig  noch 
nicht  geeignet,  obwohl  sie  einem  geschickten  Operateur  gewiss  auch 
im  Privathause  keine  Schwierigkeiten  bereitet. 

Herr  Vogt:  Was  die  Indikation  anlangt,  so  beschränken  wir  uns 
auf  ganz  reine  Fälle,  die  nur  in  der  Klinik  untersucht  wurden  und 
nicht  infiziert  sind,  auch  bei  infektionsverdächtigen  Fällen  lehnen 
wir  die  Operation  ab.  Den  extraperitonealen  Kaiserschnitt  reser¬ 
vieren  wir  für  die  infizierten  Fälle.  Die  kindliche  Mortalität  bei 
diesem  Eingriff  beträgt  10  Proz.  Das  möglichste  Abwarten  der 
Spontangeburt  haben  beide  Operationen  gemein.  Es  ist  ein  Fall  von 
Frank  bekannt,  in  dem  die  subkutane  Symphyseotomie  im  Jahre 
1908  ausgeführt  wurde  und  später  noch  4  Spontangeburten  ausge- 
tragener  Kinder  erfolgten.  Die  Frau  ging  an  einem  interkurrenten 
Typhus  zugrunde:  bei  der  Sektion  fand  sich  an  der  Stelle  der  Sym¬ 
physeotomie  eine  breite  Synchondrose. 


Aerztlicher  Bezirksverein  Erlangen. 

(Eigener  Bericht.) 

208.  Sitzung  vom  27.  Mai  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Jam  in. 

Schriftführer:  Herr  König  er. 

Herr  Penzoldt:  Ueber  die  Bekämpfung  des  Arzneimittel- 
unwesens. 

Herr  Graser:  Demonstration  zur  Mesothoriumbehandlung. 

G.  berichtet  über  eine  Reihe  interessanter  Erfahrungen  aus  den 
Gebieten  der  Strahlentherapie.  Besonders  hervorzuheben  ist  ein 
kolossal  ausgedehntes  Karzinom  der  Mamma,  welches  bereits  die 
Rippenknorpel  durchsetzt  hatte,  ohne  jedoch  auf  die  Pleura  über¬ 
zugehen.  Der  ganze  Tumor,  welcher  bis  auf  die  Bauchwand  herunter¬ 
ragte,  wurde  entfernt,  die  Rippenknorpel  ausgekratzt,  ohne  Ver¬ 
letzung  der  Pleura  und  die  Wundfläche  offen  gelassen  zur  direkten 
Röntgenbestrahlung.  Jetzt  nach  Jahresfrist  ist  das  ganze  Karzinom 
ausgeheilt  und  der  Defekt  bis  auf  eine  markstückgrosse  granu¬ 
lierende  Stelle  geschlossen,  welche  der  definitiven  Verheilung  aller¬ 
dings  grosse  Schwierigkeiten  macht.  Ein  kleiner  Drüsenknoten  in 
der  Axilla,  der  sich  nachträglich  langsam  entwickelt  hat,  enthielt  nur 
degenerierte  Karzinomzellen;  Allgemeinbefinden  glänzend  gehoben. 

Mehrere  gut  geheilte  oberflächliche  Karzinome,  ferner  einige 
Sarkome,  von  denen  namentlich  ein  Fall  dadurch  besonders  interes¬ 
sant  ist,  dass  nach  %  Jahr  ca.  50  metastatische  Knoten  bis  Hühnerei¬ 
grösse  am  ganzen  Körper  sich  entwickelt  haben,  während  an  den 
früher  mit  Mesothorium  behandelten  Stellen  kein  Rezidiv  auftrat. 
Die  sämtlichen  Metastasen  waren  nach  14  tägiger  Bestrahlung  voll¬ 
kommen  verschwunden. 

Einige  ausgezeichnete  Erfolge  bei  Tuberkulose  der  Halsdrüsen, 
behandelt  mit  Röntgenstrahlen.  Ein  mit  vollkommener  Beweglichkeit 
ausgeheilter  Fungus  des  Ellenbogengelenkes,  an  welchem  auf  dem 
Röntgenbild  deutlich  schwere  Zerstörungen  am  Knochen  nachweisbar 

waren-  ,  „  „ 

G.  berichtet  auch,  dass  der  seinerzeit  mitgeteilte  rau  eines 

Spindelzellensarkoms  an  der  Parotis  mit  vollkommener  Fazialis¬ 
lähmung  nach  einem  Jahre  rezidivfrei  geblieben  ist.  G.  betont  aber, 
dass  wir  noch  weit  entfernt  sind  vor.  der  Möglichkeit,  die  Wirkung 
der  Strahlentherapie  für  die  einzelnen  Fälle  vorauszusehen  und  glaubt, 
dass  der  neu  verbesserten  Tiefenwirkung  mit  Röntgenstrahlen  die 
beste  Aussicht  für  die  Zukunft  zukommt. 

Genaue  Berichte  über  das  ganze  Material  werden  beim  4.  bayen 
Chirurgentag  erfolgen  und  in  den  Beiträgen  zur  klinischen  Chirurgie 
veröffentlicht  werden. 

Diskussion:  Herren  S  e  i  t  z  und  Hauser. 

Herr  Anger  er:  Ueber  F  r  i  e  d  m  a  n  n  sehe  ‘Tuberkulosebe¬ 
handlung, 

Es  wird  über  12  an  der  chirurgischen  Klinik  zu  Erlangen  mit 
Friedmann  schcm  Mittel  behandelte  Fälle  berichtet,  die  sich  in 
ihrem  Resultat  im  allgemeinen  mit  den  bisherigen  Veröffentlichungen 
decken.  Bei  2  Fällen,  von  denen  der  eine  sehr  nahe  der  Ausheilung 
stand,  der  andere  ausgiebig  mit  anderen  Massnahmen  behandelt 
wurde,  trat  Heilung  ein,  bei  weiteren  2  Fällen  Besserung,  bei  4  Fällen 
sah  man  keine  Beeinflussung  und  bei  den  übrigen  4  Fällen  deutliche 
Verschlimmerung.  Schwere  Allgemeinerscheinungen  nach  der  In¬ 
jektion  wurden  auch  an  der  hiesigen  Klinik  beobachtet.  Besserung 
des  Allgemeinbefindens  trat  in  keinem  Falle  ein.  In  den  4  Fällen, 
in  denen  keine  Besserung  erzielt  wurde,  musste  später  operativ  ein¬ 
gegriffen  werden.  In  einem  von  diesen  Fällen  trat  4  Monate  nach 
einer  Simultaninjektion  eine  tuberkulöse  Meningitis  auf,  der  der  Pat. 
erlag.  Auf  Grund  der  schlechten  Erfahrung  wird  von  einer  weiteren 
Anwendung  des  Mittels  nunmehr  abgesehen. 

Diskussion:  Herr  M  e  s  e  t  h  fand  das  Friedmann  sehe 
Mittel  bei  Lungentuberkulosen  völlig  unwirksam;  in  einem  Falle  von 
Lupus  hatte  gleich  die  1.  Injektion  0,5  grün  intramuskulär)  das  Auf¬ 
treten  floiider  Lungenerscheinungen  zur  Folge. 

Herr  Hauser  demonstriert  einen  Urethralstein  von  ungewöhn¬ 
licher  Grösse, 


Aerztlicher  Verein  in  Frankfurt  a.  M. 

(Offizielles  Protokoll.) 

1678.  ordentliche  Sitzung  vom  15.  Juni  1914  abends  7  Uhr 

im  Sitzungssaal. 

Vorsitzender:  Herr  Quincke. 

Schriftführer:  Herr  Baerwald. 

Herr  B.  Fischer:  Pathologisch-anatomische  Demonstrationen. 

1.  7  Herzen  mit  schwerster  schwieliger  Myokarditis,  teils  durch 
Koronarsklerose,  teils  durch  rheumatische  Erkrankung  bedingt. 

2.Isolierte  Thrombose  der  linken  Arteria  renalis  durch  Arterio¬ 
sklerose  bei  80  jähr.  Frau.  Totale  Infarzierung  der  Nieren. 

3.  Schwerste  akute  rote  Leberatrophie  bei  16  jähr.  Mädchen  ohne 
nachweisbare  Aetiologie. 

4.  Zwei  primäre  verhornende  Plattenepithelkarzinome  der 

Lungen.  52  jähr.  Mann  und  63  jähr.  Mann. 

Herr  Flesch:  Mikrochemische  Demonstrationen  über  Nerven- 
zellen. 

In  einer  vor  kurzem  im  Frankfurter  Aerztlichen  Verein  vorge¬ 
tragenen  Mitteilung  hat  Dr.  Brill  über  Beziehungen  bestimmter  ner¬ 
vöser  Apparate  des  Eierstockes  zu  gewissen  Formen  der  Nerven¬ 
zellen  des  Sympathikus  berichtet.  In  der  anschliessenden  Diskussion 
hat  Fl.  darauf  hingewiesen,  dass  hier  eine  physiologische  Bedeutung 
einer  bereits  seit  langem  bekannten  chemischen  Differenz  der  Nerven¬ 
zellen  zum  Nachweis  zu  kommen  scheint,  die  der  Beachtung  wert  ist. 
Die  seit  langem  bekannte  verschiedenartige  Färbbarkeit  der  Nerven¬ 
zellen  ist  eben  bisher  nirgends  genügend  gewürdigt.  Brill  hat  die 
für  ihn  in  Betracht  kommenden,  sich  durch  grössere  Färbbarkeit 
auszeichnenden  Zellen  der  sympathischen  Ganglien  als  chromaffin  be¬ 
zeichnet.  Auf  das  Wort  kommt  dabei  wenig  an.  Rawitz  hat  für 
dieselbe  Sache  den  Gegensatz  von  pachychromen  und  oligochromen 
Zellen  aufgestellt.  Flesch  hat  schon  vor  über  30  Jahren  in  eigenen 
Arbeiten  und  solchen  seiner  Schüler  sie  als  chromophile  und  chromo- 
phobe  Zellen  differenziert.  Die  Beobachtung  der  Tatsache  reicht  aber 
viel  weiter  zurück:  Mauthner  hat  schon  ganz  in  den  Anfängen 
histologischer  Forschung  darauf  aufmerksam  gemacht,  allerdings  unter 
Widerspruch  K  ö  1 1  i  k  e  r  s,  der  die  Verschiedenheit  am  Karminprä¬ 
parat  für  Zufallsprodukt  ansah.  Heiden  h  ein  hat  bereits  darauf 
hingewiesen,  dass  die  ungenügende  Verständigung  über  die  physio¬ 
logische  Bedeutung  des  Unterschieds  z.  T.  darin  liege,  dass  seitens 
der  verschiedenen  damit  befassten  Autoren  man  zu  jvenig  sich  gegen¬ 
seitig  berücksichtigt  und  daher  das  Material  nicht  zusammenfügend 
verwertet  habe.  Am  meisten  hat  zu  dieser  Verwirrung  beigetragen, 
dass  N  i  s  s  1  s  Entdeckungen  über  das  Vorhandensein  der  als  Tigroid- 
körper  bekannten  Granula  mit  der  verschiedenen  Färbbarkeit  der 
Nervenzellen  in  Beziehung  gesetzt  w'orden  ist.  Zellen  mit  reichlicher 
Tigroidanhäufung  wurden  unter  Uebcrtragung  des  von  Flesch  ge¬ 
prägten  Ausdruckes  als  chromophil,  tigroidarme  als  chromophob  be¬ 
zeichnet.  Es  wurde  damit  entsprechend  dem  grösseren  Interesse,  das 
N  i  s  s  1  s  Entdeckung  alsbald  durch  den  Nachweis  physiologischer  und 
pathologischer  Veränderungen  der  Tigroideinlagerung  bei  verschie¬ 
denen  Prozessen  gewann,  das  Wesentliche  der  mit  den  Bezeich¬ 
nungen  chromophil  und  chromophob  ausgedrückten  1  atsache  ver¬ 
deckt.  Auch  deren  Wiederaufleben  durch  die  späteren  Arbeiten  und 
Benennungen  bringt  dieses  Wesentliche  nicht  zum  Ausdruck.  Es 
handelt  sich,  wie  Fl.  nun  an  Zeichnungen  und  Präparaten  aus  altei 
Zeit  demonstriert,  bei  dieser  ungleichen  Färbbarkeit  der  Nervenzellen, 
die  in  allen  Teilen  des  Nervensystems  nachweisbar  ist.  Fl.  hat  u.  a. 
sie  aus  der  Grosshirnrinde  schon  1886  in  der  von  ihm  gelieferten  Be¬ 
arbeitung  der  Histologie  des  Zentralnervensystems  in  Ellenber¬ 
gers  Handbuch  der  Histologie  der  Haussäugetiere  abgebildet  — -  nicht 
bloss  um  einen  quantitativen  Unterschied,  wie  er  in  den  verschiedenen 
Namen  ausgedrückt  ist,  sondern  um  wichtige  qualitative  Differenzen, 
die  sich  darin  am  besten  charakterisieren,  dass  unter  Umständen  eine 
elektive  Färbung  in  Farbstoffgemischen  bewirkt  werden  kann,  am 
besten  an  Chromsäurepräparaten  bei  Behandlung  mit  Karmin-Indigo¬ 
gemischen,  wobei  die  chromophilen  (pachychromen,  chromaffinen) 
Zellen  Indigo,  die  anderen  Karmin  annehmen,  während  die  dazwischen 
liegenden,  vielleicht  am  besten  als  mesochrom  benannten,  eine  der 
Farbenmischung  entsprechende  Zwischenfarbe  zeigen.  ^  Als  chemisch 
nachweisbare  Differenz  konnten  die  Untersuchungen  Fl.s  und  seiner 
Schülerinnen  durch  Einwirkung  von  Alizarin  (Methode  von  Li  eber  - 
kühn)  oder  Zyanin  (Nencki)  wesentlich  einen  Unterschied  der 
Alkaleszenz  sicherstellen.  Säurenachweis  in  den  chromophilen  Zeller., 
wie  man  ihn  vielleicht  hätte  erwarten  können,  weil  die  Reaktion 
sich  mit  der  der  Belegzellen  des  Magens  deckt,  gelang  nicht,  speziell 
auch  nicht  der  Nachweis  einer  Kohlensäureanhäufung.  Ehrl  ich  s 
Methylenblaureaktion  tritter  früher  an  den  chromophilen  als  an  den 
chromophoben  Zellen  auf,  an  beiden  früher  als  an  den  Achsen¬ 
zylindern;  am  Wärmefrosch  erfolgt  sie  anscheined  schneller,  am 
Kältefrosch  verlangsamter.  Charakteristisch  ist  die  starke  redu¬ 
zierende  Kraft  der  chromophilen  Zellen,  die  ihre  Darstellung  durch 
Osmium-  und  Chromsäurereduktiön  ermöglicht.  Sämtliche  Reak¬ 
tionen  sind  identisch,  höchstens  quantitativ  geringer  mit  denen  der 
Belegzellen  der  Magendrüsen  und  der  Hypophysenschläuche,  -me 
physiologische  Rolle  der  durch  den  Färbungsunterschied  zum  Aus¬ 
druck  kommenden  Verschiedenheiten  hat  FL  aus  dem  ungleichen 
Magenverhältnis  der  beiden  extremen  Formen  in  verschiedenen  1  eilen 
des  Nervensystems  entnommen:  es  enthalten  bei  allen  untersuchten 


18.  August  1914. 


MUENpHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1821 


Deren  und  dem  Menschen  die  Spinalganglien  relativ  mehr  chromo- 
phile  Zellen  als  das  Ganglion  Gasseri.  Von  den  verschiedenen 
Kernen  der  Oblongata  sind  einzelne  überwiegend  aus  hellen,  andere 
aus  dunklen  Zellen  geformt.  Eine  gewisse  Rolle  scheint  die  Grösse 
zu  spielen:  im  allgemeinen  sind  die  chromophilen  Zellen  überall 
grösser:  doch  gibt  es  auch  Tiere,  bei  denen  das  umgekehrte  Ver¬ 
halten  gefunden  worden  ist.  Beim  jungen  Tier  und  Menschen  finden 
sich  relativ  weniger  chromophile  Zellen  als  beim  ausgewachsenen. 
Beim  Embryo  scheinen  ausschliesslich  „mesochrome“  Formen  vor¬ 
zuliegen,  so  dass  beide,  chromophile  und  chromophobe  Formen  aus 
einer  und  derselben  Grundform  entsprungen  zu  sein  scheinen.  Mit 
dem  I  igroid  hat  die  Färbbarkeit  mit  den  die  Chromophilie  oder 
Cliromophobie  (pachychrome  oder  oligochrome)  Beschaffenheit  nach- 
\\  eisenden  Farbstoffen  nichts  zu  tun.  Es  gelingt  durch  geeignete 
Färbemittel  das  Tigroid  in  beiden  Arten  zu  differenzieren:  es  gibt 
Zellen  beiderlei  Art  mit  viel  und  mit  wenig  Tigroid. 

Brill  hat  auch  der  Vakuolenbildung  in  den  Nervenzellen  eine 
gewisse  Bedeutung  zugewiesen.  F 1  e  s  c  h  hält  sie  für  eine  Ab¬ 
sterbeerscheinung.  Sie  beginnt  stets  in  der  hellen  Randzone  der  Zell¬ 
substanz,  durch  Häufung  der  Vakuolen  erfolgt  die  Lösung  der  Nerven¬ 
zelle  von  dem  umgebenden  Material.  Nur  wo  sie  sehr  fest  rund  herum 
haftet,  sieht  man  gelegentlich  zentrales  Auftreten  der  Vakuolen  Die 
\  akuolenbildung  erfolgt  am  raschesten  bei  den  Zellen  der  Gebiete, 
die  den  kompliziertesten  Verrichtungen  vorzustehen  scheinen  (Hirn¬ 
rinde,  dann  Rückenmark,  dann  Ganglien  und  Sympathikus).  Daher 
der  bekannte  gewöhnliche  Befund  der  Rindennervenzellen  als  frei¬ 
liegende  Substanzhäufchen  in  einer  Höhle,  mit  deren  Wand  sie  nur 
durch  die  Fortsätze  lose  Zusammenhängen. 

Durch  die  Mitteilung  Brills  scheint  die  Ermittelung  der  physio¬ 
logischen  Bedeutung  dieser  Zellunterschiede  um  ein  gutes  Stück 
näher  gerückt  zu  sein. 

Diskussion:  Herr  L.  Auerbach:  Die  Feststellungen  des 
Vortragenden  decken,  so  interessant  und  verdienstvoll  sie  an  und  für 
sich  sind,  keine  mikrochemische  Reaktion  auf,  weil  es  sich  bei  diesen 
Differenzen  nicht  um  das  Vorkommen  oder  Fehlen  bestimmter  Stoffe 
sondern  um  physikalische  Unterschiede  in  der  Dichte  einer  kolloi¬ 
dalen  Masse  handeln  dürfte.  Auch  ist  im  Auge  zu  behalten,  dass  phy¬ 
siologische  Folgerungen  daraus  nur  mit  äusserster  Vorsicht  zu  ziehen 
wären,  weil  Entmischungsvorgänge  und  in  einzelnen  Fällen  an¬ 
scheinend  selbst  Schrumpfungen  bei  dem  Ergebnis  zur  berücksichtigen 
sind.  In  den  Spinalganglien  sind  die  chromophilen  Zellen  nach  den 
r.rfahrungen  A.s  im  allgemeinen  reicher  an  N  i  s  s  1  scher  Substanz 
c'm  Zusammenhang  zwischen  Chromophilie  und  Zellgrösse  ist  daselbst 
ferner  nicht  in  Abrede  zu  stellen. 

Herr  L.  Edinger  (mit  R.  Liesegang):  Ueber  Nachahmung 
von  Tormen  des  wachsenden  Nervensystems. 

Man  nimmt  jetzt  vielfach  an,  dass  die  Ausläufer  der  Ganglien- 
zellen,  die  Dendriten  sowohl  als  die  Achsenzylinder,  durch  eine  Kraft 
die  von  der  Ganglienzelle  selbst  aus  wirkt,  gebildet  werden.  Da  es 
t.  aufgefallen  war,  dass  die  Bilder,  welche  bei  der  Regeneration  von 
Nervenfasern  auftreten,  ebenso  wie  diejenigen,  welche  sich  beim  Aus¬ 
wachsen  embryonaler  Fasern  bilden,  grosse  Aehnlichkeit  mit  Tropfen 
laben,  welche  in  viskose  Flüssigkeiten  fallen,  hat  er  sich  mit  L  ver¬ 
jüngt,  um  zu  untersuchen,  ob  solche  Formen  nicht  künstlich  hergestellt 
w  erden  können.  E.  und  L.  haben  als  Bestes  Silikatgewächse  ge- 
linden,  Röhren  aus  Kieselsäure,  welche  von  Eisen-  und  anderen  Kri- 
tallen  auswachsen,  wenn  man  sie  in  Wasserglas  wirft.  Der  Vor¬ 
ragende  demonstriert  Bilder,  welche  ausserordentlich  grosse  Aehn- 
ichkeit  mit  solchen  von  regenerierenden  Achsenzylindern  an  durch¬ 
schnittenen  Nerven  haben;  sie  zeigen  sogar  die  Varikositäten  und  die 
'Piralen,  welche  man  in  regenerierenden  Fasern  leicht  findet.  Ebenso 
st  es  gelungen,  Präparate  zu  erhalten,  die  in  vieler  Beziehung  Gan¬ 
glienzellen  aus  der  Hirnrinde  und  solchen  aus  dem  Kleinhirn  gleichen 
i  enn  die  Substanz,  mit  welcher  hier  gearbeitet  wird,  auch  eine 
jurenaus  andere  als  die  im  Nervensystem  vorhandene  ist,  so  ist  doch 
eiitk-i  i  ?  erlaubt,  dass  die  Kräfte,  welche  im  Nervensystem  ge- 
taltbildend  wirken,  in  vieler  Beziehung  (Wachstum,  Widerstände  etc.) 
uinlich  mechanisch  wirken,  wie  die  im  Modell  vorhandenen;  anders 
f  aru  U  Aeh"lichkeit’.  welche  so  gross  ist.  dass  hie  und  da  erfahrene 
j'-obachter  die  Abbildungen  für  Nervensvstempräparate  hielten 
chwer  zu  erklären. 

Der  Vortrag  erscheint  mit  Abbildungen  im  Anatom.  Anzeiger. 

D  i  skussion:  Herr  L.  Auerbach:  Derartige  Versuche  wer- 
en  kein  Licht  auf  das  wirkliche  Geschehen,  weil  sie  bei  der  totalen 
erschiedenheit  der  Substrate  nur  eine  äusserliche  Analogie  geben, 
anz  abgesehen  davon,  dass  wichtige  Faktoren,  wie  chemotaktische 
inilusse,  dabei  völlig  ausser  acht  gelassen  sind.  Mag  man  auch  der 
-eile  eine  Plasmahaut  zuerkennen,  so  ist  diese  doch  keinesfalls  einer 
evvohnhehen  1  rombe  sehen  semipermeablen  Membran  gleichzu- 
.en>  sondern  ist  eher  mosaikartig  zusammengesetzt  zu  denken  und 
csitzt  eine  regulative  Veränderlichkeit  ihrer  Permeabilität.  Uebri- 
;ens  'St  selbst  die  äussere  Aehnlichkeit  lange  nicht  so  gross,  wenn 
|an,  statt  von  Silberpräparaten  auszugehen,  die  Ganglienzellc  im 
-  enstnschen  Zustande  oder  bei  möglichst  adäquater  Fixation  (Alko- 
oi;  zum  Vergleiche  heranzieht.  Denn  im  letzteren  Falle  fehlt,  worauf 
ereits  Bethe  hingewiesen,  der  Spitzenbesatz,  der  auf  einer  Mit- 
'Krustierung  des  Golginetzes  beruht  und  den  Dendriten  nur  anhaftet, 

ass  an  Stelle  der  rauhen  Konturen  glatte,  gleichmässige  Grenz- 
len  liervortreten.  Ebenso  verdanken  die  Varikositäten  z.  T.  post- 
'ortalen  Einwirkungen’  ihren  Ursprung. 


Herr  F 1  e  s  c  h  betont  die  grosse  Bedeutung  der  Böttcher- 
Leduc- Liesegang  sehen  Versuche  als  Grundlage  fiir  die  Ent¬ 
stehungsursache  der  Lebensform.  Er  verweist  auf  das  vorzügliche 
Buch  Le  du  cs  „Das  Leben“,  das  nicht  nur  die  Tatsachen,  sondern 
auch  die  grundlegenden  physikalischen  Gesetze  in  Form  populärer 
Darstellung  vorführt. 

Herr  G.  Oppenheim. 

Herr  Edinger:  Herrn  Auerbach  möchte  ich  erwidern,  dass 
ich  glaube  stark  hervorgehoben  zu  haben,  wieso  ganz  anderes  Ma- 
terial  und  andere  Verhältnisse  in  meinen  Versuchen  benutzt  werden, 
als  im  Nervensystem  vorliegen;  dass,  wie  Herr  Oppenheim  meint, 
meine  Bilder  den  Silberbildern  ähnlich  seien,  weil  bei  der  Entstehung 
der  letzteren  möglicherweise  ähnliche  Bedingungen  vorliegen,  kann 
nicht  der  Fall  sein,  denn  fast  alle  die  erwähnten  Formen  sind  auch 
bereits  vital  ohne  Silberanwendung  beobachtet.  Wenn  ich  entgegen 
der  Meinung  von  Herrn  Flesch  Leduc  nicht  genügend  gewürdigt 
nabe,  so  geschah  es,  weil  dessen  Untersuchungen  mehrzellige  Wesen 
angeblich  reproduzierten,  während  es  sich  hier  ja  um  Untersuchungen 
über  Verhältnisse  an  ein  und  derselben  Zelle  handelt;  gerade  weil  die 
Aehnlichkeit  mit  mehrzelligen  bei  den  Silikatgewächsen  nur  eine  ganz 
oberflächliche  ist,  haben  ja  die  Leducschen  Untersuchungen  in  der 
Morphologie  nichts  gelehrt. 

- - - 

Verein  der  Aerzte  in  Halle  a.  S. 

(Bericht  des  Vereins.) 

Sitzung  vom  29.  April  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Beneke. 

Schriftführer:  Herr  Stieda. 

Heri  Mohr:  Zur  Klinik  der  syphilitischen  Erkrankungen  der 
Leber. 

Diskussion:  Herren  Sowade,  Anton,  Beneke  und 
K  n  e  i  s  e. 

Herr  Stieda:  Ueber  das  Pseudomyxoma  peritonei. 

Von  dieser  Erkrankung  sind  nicht  sehr  viele  Fälle  bisher  publiziert 
worden,  die  meisten  ohne  Mitteilung  des  mikroskopischen  Befundes. 
Der  Vortragende  hatte  vor  kurzem  Gelegenheit  einen  einschlägigen 
Fall  zu  operieren.  Es  handelte  sich  um  eine  45  jährige  Frau,  die  seit 
134  Jahren  eine  allmählich  zunehmende  Auftreibung  des  Abdomens 
bemerkte.  Es  traten  Schmerzen  im  Leibe  von  stechendem,  inter¬ 
mittierendem  Charakter  auf,  auch  Drang  zu  häufigem  Urinlassen  und 
De  dem  an  den  Beinen.  Bei  der  Aufnahme  war  eine  ausserordentlich 
starke  Auftreibung  des  Leibes  vorhanden  mit  deutlich  nachweisbarem 
r luktuationsgefühl ;  überall  Dämpfung  mit  Ausnahme  einer  kleinen 
Partie  im  Epigastrium,  wo  tympanitischer  Schall  zu  konstatieren  war. 
Magenbefund  normal.  Die  vaginale  Untersuchung  ergab  an  den  lin¬ 
ken  Adnexen  keine  Veränderungen;  rechts  kann  das  Ovarium  nicht 
abgetastet  werden,  es  besteht  hier  eine  undeutliche  Resistenz.  Bla¬ 
senbefund  normal. 

Die  Pat.  war  in  der  medizinischen  Klinik  2  mal  ohne  Erfolg  punk¬ 
tiert  worden,  um  den  vermuteten  Aszites  abzulassen. 

Es  wurde  deshalb  jetzt  zur  Laparotomie  geschritten,  bei  der 
sich  ebenfalls  kein  Aszites  entleerte,  sondern  eine  gelblich  grünliche 
gelatinöse,  fast  gummiartig  zähe  Masse  in  sehr  reichlicher  Menge! 
Nach  Ablassen  von  etwa  3  Liter  kann  man  durch  die  Abtastung  ein 
gestieltes,  multilokulares  geplatztes  Ovarialkystom  rechterseits  nach- 
weisen,  das  in  Handtellergrösse  mit  dem  parietalen  Peritoneum  der 
vorderen  Bauchwand  verwachsen  ist.  Das  gesamte  Peritoneum 
parietale  erscheint  unregelmässig  verdickt  und  ist  mit  kleinen  Knöt¬ 
chen  von  glasiger,  sagoartiger  Beschaffenheit  und  wechselnder  Grösse 
bedeckt.  Die  Serosa  der  benachbarten  Darmschlingen  weist  ähn- 
liehe,  wenn  auch  nicht  so  ausgesprochene  Veränderungen  auf.  Ab- 
tragung  des  rechten  Ovariums.  Weitere  gründliche  Ausräumung  der 
gelatinösen  Massen  (ca.  7  Liter!).  Exakter  Verschluss  der  Laparo¬ 
tomiewunde. 

Der  mikroskopische  Befund  ergab  das  typische  Bild  des  multi- 
lokulären  Pseudomuzinkystoms. 

Es  handelte  sich  also  im  vorliegenden  Falle  um  jene  seltene  Er¬ 
krankung  von  geplatztem  Pseudomuzinkystom  mit 
gleichzeitiger  Beteiligung  des  Peritoneums 

Es  sind  die  Ansichten  über  die  Entstehung  des  Leidens  noch 
nicht  völlig  geklärt. 

Nach  der  Auffassung  von  W  e  n  d  1  e  r,  die  bereits  Virchow 
1874  vertrat,  liegt  eine  chionische  produktive  Peritonitis  mit 
myxomatöser  Degeneration  vor,  die  duich  die  Gallertmassen  ver¬ 
ursacht  ist,  die,  aus  dem  rupturierten  Zystadenoma  stammend,  die 
Bauchhöhle  anfüllen  (Peritonitis  gelatinosa). 

Nach  Werth  (1884)  überziehen  die  den  Zysteninhalt  bildenden 
Gallertmassen  das  parietale  und  viszerale  Blatt  des  Peritoneum  und 
haften  den  Därmen  etc.  so  fest  an,  dass  völlige  Entfernung  der  zähen 
Gallerte  nicht  möglich  ist.  Die  Gallerte  wird  durch  das  wuchernde 
Peritoneum  z.  T.  membranös  umhüllt  und  teilweise  durch¬ 
wachsen.  Die  als  Fremdkörper  wirkenden  Gallertmassen  reizen  das 
angrenzende  Gewebe  zur  Neuproduktion  und  gewinnen  mit  ihm  Zu¬ 
sammenhang. 

Olshausen  und  Pfannenstiel  halten  das  Pseudomyxoma 
peritonei  für  eine  metastatische  Neubildung  bei  ge¬ 
borstenem  Cysto  m  a.  Die  gallertigen  Massen  gleichen  dem 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  33. 


1822 


primären  Tumor;  genau  wie  an  der  Innenwand  der  0  v  ar  1 algesehu ulst 
sind  Zylinderzellen  nachweisbar,  die  als  Bildner  des  Zysteninhaltes 
und  als  Erzeuger  der  im  Bauchraume  befindlichen  Gallertmassen  an¬ 
zusehen  sind.  Die  genannten  Autoren  weisen  dem  Peritoneum  keiner¬ 
lei  Einfluss  an  der  Erzeugung  der  gallertigen  Massen  zu. 

Die  am  meisten  einleuchtende  Erklärung  über  das  Wesen  des 
Pseudomyxoma  peritonei  wird  von  Eugen  Fr  aenkel  gegeben. 
Nach  dessen  Untersuchungen  handelt  es  sich  um  die  Bildung  von 
Implantationsmetastasen  auf  dem  Peritoneum  und  um 
eine  Umwandlung  der  Peritonealschicht  in  myxomatoses  Gewebe 
unter  gleichzeitigem  fast  völligen  Schwund  der  elastischen  Elemente. 
Die  Berstung  des  vorhandenen  glandulären  Cystoma  pseudomuci- 
nosum  wird  durch  eine  herdweise  mykomatöse  Degeneration  und 
schleimige  Erweichung  der  Zystenwand  ermöglicht  Die  sich  am 
parietalen  und  viszeralen  Peritoneum  ansiedelnden  Zellareale  bilden 
Zysten  und  produzieren  selbständig  neuen  Schleim. 

Nur  in  44  Proz.  der  Fälle  pflegt  Heilung  zu  erfolgen. 

Schlusswort:  Herr  Stieda. 

(Vgl  E  J  a  e  g  e  r,  Dissertation,  Halle  1914.) 

An  der  folgenden  Diskussion  beteiligten  sich  die  Herren 
Veit  und  B  e  n  e  k  e. 


Naturhistorisch-medizinischer  Verein  zu  Heidelberg 

(Medizinische  Sektion.) 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  9.  Juni  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Hermann  Kossel. 

Schriftführer:  Herr  Carl  Franke. 

Herr  Sieb  eck:  Ueber  den  Chlorgehalt  der  roten  Blutkörper¬ 
chen  und  seine  Abhängigkeit  von  der  Suspensionsflüssigkeit. 

Die  Erscheinungen  und  Bedingungen  des  Salzwechsels  am  ge¬ 
sunden  und  kranken  Menschen  sind  so  mannigfaltig,  dass  es  im  ein¬ 
zelnen  Falle  kaum  möglich  ist,  die  Verhältnisse  aus  allgemeinen  Vorstel¬ 
lungen  befriedigend  zu  erklären.  Daher  erscheint  es  wünschenswert, 
die  Grundlagen  unserer  Vorstellungen  durch  die  Untersuchung  ein¬ 
facher,  übersichtlicher  Vorgänge  zu  erweitern,  d.  h.  den  Salzwechsel 
einzelner  Zellen  zu  untersuchen.  Von  menschlichen  Zellen  —  bei 
diesen  bietet  sich  Aussicht,  Abweichungen  bei  pathologischen  Zu¬ 
ständen  zu  finden  —  kommen  dafür  praktisch  nur  die  Blutzellen  in 
Betracht,  vor  allem  die  roten  Blutkörperchen.  Allerdings  haben  sie 
wegen  ihrer  minimalen  vitalen  Funktion  sonst  Nachteile.  Ueber  das 
Verhalten  der  roten  Blutkörperchen  in  Salzlösungen  wurden  ver¬ 
schiedene  Vorstellungen  entwickelt:  während  die  Blutkörperchen 
einerseits  vor  allem  auf  Grund  der  umfassenden  Untersuchungen 
Overtons  im  wesentlichen  mit  osmotischen  Systemen  verglichen 
wurden,  nahm  andererseits  besonders  Hamburger  demgegenüber 
immer  eine  weitgehende  Salzdiffusion  an. 

Die  berichteten  Untersuchungen  beziehen  sich  zunächst  nur  auf 
Chlor.  Analysen:  trockene  Veraschung  nach  B  a  u  m  a  n  n,  Titra¬ 
tion  nach  V  o  1  h  a  r  d.  Volumenbestimmung  der  roten  Blutkörperchen 
durch  die  ursprünglich  von  Hamburger  angegebene  Stickstoff¬ 
methode.  Ergebnisse:  Es  wurde  zunächst  der  Chlorgehalt  des 
Serums  und  der  Blutkörperchen  unter  verschiedenen  Verhältnissen 
bei  Gesunden  und  Kranken  (auch  bei  Störung  des  Salzwechsels)  ver- 
glichen  Es  ergab  sich  ein  ganz  konstantes  Verhältnis:  das  Serum 
enthielt  etwa  2  mal  so  viel  Chlor  als  die  Blutkörperchen. 

Weiter  wurde  der  Chlorgehalt  der  roten  Blutkörperchen  in  ver¬ 
schiedenen  Lösungen  untersucht:  es  wurden  gleiche  Volumina  Blut¬ 
körperchenbrei  und  neutrale,  isotonische  Rohrzucker-  oder  Natrium¬ 
sulfatlösung  mehrere  Stunden  lang  dauernd  gemischt  (bei  Zimmer¬ 
temperatur);  in  der  Lösung  wurde  dann  stets  erheblich  mehr  Chlor 
gefunden,  als  dem  Chlor  aus  dem  Serumrest  des  Blutkörperchenbreies 
entsprach.  Es  trat  also  Chlor  aus  den  Blutkörperchen 
in  die  Lösung.  Der  Austausch  erfolgte  in  Natriumsulfat  viel 
rascher  als  in  Rohrzucker.  Er  trat  auch  dann  ein,  wenn  die  Kohlen¬ 
säure  aus  dem  Blutkörperchenbrei  ausgespiilt  worden  war.  Bringt 
man  den  Blutkörperchenbrei  nach  dem  Austausch  in  Serum  oder 
Kochsalzlösung,  so  geht  Chlor  aus  der  Lösung  in  die  Blutkörperchen. 

Wurde  vor  und  nach  dem  Versuche  das  Verhältnis  des  Cl-Ge- 
haltes  im  Suspensionsmittel  zu  dem  in  den  Körperchen  bestimmt,  so 
ergab  sich,  dass  es  genau  das  gleiche  war,  wenn  der  Blutkörperchen¬ 
brei  bei  Zimmertemperatur  4  Stunden  dauernd  mit  Natriumsulfat¬ 
lösung  gemischt  wurde.  Danach  scheint  sich  das  Chlor  in  ganz  be¬ 
stimmtem  Verhältnis  (1:2)  auf  die  Blutkörperchen  und  das  Suspen¬ 
sionsmittel  zu  verteilen. 

Es  war  nun  die  Frage  zu  entscheiden,  ob  die  Zellen  in  diesen 
Versuchen  dauernd  geschädigt  waren  oder  ob  der  Austausch  ein  re¬ 
versibler  Vorgang  ist.  Es  ist  schon  erwähnt,  dass  sowohl  aus  Serum 
als  auch  aus  Kochsalzlösung  Chlor  in  die  Zellen  ging.  Weiter  wurden 
mit  solchen  Zellen,  die  Chlor  abgegeben  hatten,  „osmotische  Ver¬ 
suche“  angestellt,  d.  h.  die  Zellen  wurden  in  isotonischer  und  hypo¬ 
tonischer  Kochsalzlösung  aufgeschwemmt  und  1—3  Stunden  gemischt. 
Die  Zellen  nahmen  dann  ebenso  an  Volumen  zu  wie  normale.  Es 
gelang  auch,  rote  Blutkörperchen  durch  wiederholtes  Auswaschen 
mit  Natriumsulfatlösung  vollkommen  Cl-frei  zu  machen,  ihr  Chlor¬ 
gehair  wurde  in  der  gesammelten  Spülflüssigkeit  quantitativ  gefunden; 


auch  diese  Zellen  nahmen  in  hypotonischer  Kochsalzlosung  ebenso 
Wasser  auf  und  hielten  es  in  mehreren  Stunden  unverändert  fest. 

Fs  kann  also  zwischen  Blutkörperchen  und  umgebender  Losung 
ein  Chloraustausch  stattfinden,  und  dennoch  ist  der  Wassergehalt  der 
Zellen  vom  osmotischen  Drucke  der  umgebenden  Losung  abhängig, 
was  eben  nach  der  herrschenden  Ansicht  bedeutet,  dass  nur  Wasser, 
^?ht  aber  Salz  In  die  und  aus  den  Zellen  diffundiere.  Man  kann  die 
Verhältnisse  auch  nicht  durch  die  Annahme  erklären  dass  Wasser 
viel  langsamer  als  Salz  in  die  Zellen  diffundiert  (Hamburger, 
Jauues  Loeb),  da  der  Wassergehalt  der  Zellen  m  der  hypotonischen 
Lösung  auch  in  3  Stunden  nicht  abnimmt.  Will  man  die  osmotischen 
Vorstellungen  festhalten  und  nicht  annehmen,  dass  der  Wassergehalt 
der  Zellen  in  erster  Linie  vom  Quellungsgrade  der  Zellkolloide  ab¬ 
hängt  —  und  wirklich  findet  eine  grosse  Reihe  Tatsachen  in  den  os¬ 
motischen  Vorstellungen  die  einfachste  Erklärung  — ,  so  bleibt  nur 
übrig  anzunehmen,  dass  die  Grenzschicht  der  Zellen  ganz 
komplizierte  Funktionen  hat,  dass  der  W  iderstand, 
den  sie  der  Diffusion  entgegensetzt,  vom  Milieu 
abhängig  ist;  er  ist  z.  B.  in  Sulfatlösung  geringer  als  in  Rohr- 


Herr  B.  Balsch:  Die  Behandlung  chirurgischer  Tuberkulosen 

mit  Enzytol  (Borcholin).  (Vergl.  diese  Wschr.  Nr.  29  S.  1613.) 

Diskussion:  Herr  B  e  1 1  m  a  n  n  betont,  dass  er  bei  der  Haut¬ 
tuberkulose  nur  sehr  geringe  Wirkung  mit  Enzytol  gesehen  hat.  was 
aber  durch  die  bekannte  Resistenz  der  Hauttuberkulose  auch  gegen 
Röntgenbestrahlungen  eine  Erklärung  findet. 

Herr  L.  Schreiber  hat  gemeinsam  mit  Kohns  die  Wirkung 
des  Enzytois  auf  das  normale  Kaninchenauge  geprüft.  Die  Appli¬ 
kation  des  Enzytois  erfolgte  1.  als  subkonjunktivale  Injektion;  2.  als 
intraokulare  Injektion,  und  zwar  einmal  in  die  vordere  Augenkammer, 
andermal  in  den  Glaskörper;  3.  als  subkutane  Injektion  an  der  Wange, 
um  auf  eventuelle  Fernwirkung  auf  das  Auge  zu  achten;  4.  intravenös. 
Von  den  Versuchsergebnissen  teilt  Sch.  nur  das  eine  mit,  dass  bei  In¬ 
jektion  minimaler  Mengen  in  die  vordere  Augenkammer  schon  nach 
wenigen  Tagen  eine  sehr  auffällige  Depigmentierung  der  Iris  zu  be¬ 
obachten  ist.  Dieser  Befund  hat  deshalb  besonderes  Interesse,  weil 
von  A  b  e  1  s  d  o  r  f  f  die  gleiche  Irisdepigmentierung  durch  Einbringen 
von  Thorium  X  in  die  Vorderkammer  erzielt  wurde.  Der  Versuch 
zeigt  demnach  die  von  R.  W  e  r  n  er  nachgewiesene  chemische  Imi¬ 
tation  der  Strahlenwirkung  durch  Enzytol  in  sinnfälliger  Weise. 

Herr  Werner  will  festgestellt  wissen,  dass  nicht  der  Gehalt 
an  Lezithin  an  sich  die  Radiosensibilität  eines  Gewebes  bedinge, 
sondern  dass  die  Anwesenheit  von  Sauerstoff  (reichliche  Vaskulari- 
sierung)  zum  Abbau  notwendig  sei  Er  bestätigt  die  Einwirkung  des 
Cholins,  wie  sie  vom  Vortr.  angegeben  wurden,  und  hat  bei  Tumoren 
die  beste  Wirkung  durch  gleichzeitige  Anwendung  von  Enzytol  und 
Bestrahlungen  erzielt.  ' 


Naturwissenschaft!. -medizinische  Gesellschaft  zu  Jena. 

Sektion  für  Heilkunde. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  2.  Juli  1914  im  Hygienischen  Institut. 

Vorsitzender:  Herr  L  e  x  e  r. 

Schriftführer:  Herr  Berger. 

Tagesordnung: 

Herr  Gärtner:  Ankylostomiasis. 

Die  sog.  Tropenanämie  hat  sich  in  der  Hauptsache  aufgelöst  in 
die  durch  Malaria  und  durch  Ankylostomen  erzeugte.  Die  Ankylo¬ 
stomiasis  ist  vielleicht  die  verbreitetste  Krankheit  auf  der  Erde. 
Ungezählte  Millionen  von  Menschen  in  den  tropischen  und  sub¬ 
tropischen  Bezirken  leiden  an  ihr.  So  wird  z.  B.  für  die  Südstaaten 
von  Nordamerika  angenommen,  dass  dort  über  10  Millionen  Menschen 
affiziert  sind.  In  grossartiger  Weise  wird  dort  der  Kampf  gegen  die 
Krankheit  durch  Wanderärzte  zu  bekämpfen  gesucht.  Ausser  den 
Mitteln,  die  der  Staat  gewährt,  sind  Millionen  Dollar  von  Rocke- 
feiler  für  diese  Zwecke  zur  Verfügung  gestellt  worden,  ln  Süd¬ 
amerika,  in  Indien,  auf  den  indischen  Inseln,  auf  Manila,  in  Südchina 
in  den  feuchten  Bezirken  Afrikas,  insbesondere  auch  in  Aegypten 
ist  die  Krankheit  ganz  ungemein  verbreitet.  In  Europa  wurde  sie 
in  der  Umgebung  von  Mailand  schon  1838  entdeckt.  Stark  trat  sie 
auf  1879  beim  Bau  des  St.  Gotthardtunnels.  Ausser  anderen  Aerzter 
hat  sich  besonders  Prof.  Peroncito  um  die  Erkenntnis  der  Krank 
heit  verdient  gemacht.  Letzterer  wies  nach,  dass  die  Würmer  nicht 
die  Folge,  sondern  die  Ursache  der  Krankheit  waren  und  zwar  da¬ 
durch,  dass  er  die  Würmer  durch  Extractum  filicis  abtötete,  worau 
die  Krankheit  verschwand.  Vom  Gotthard  aus  wurde  die  Krankhei 
durch  die  Tunnelarbeiter  weit  verschleppt,  nach  Oesterreich-Ungarn 
nach  Frankreich,  Belgien,  Niederlanden  und  nach  Deutschland,  um 
hier  anscheinend  zunächst  auf  die  Ziegelfelder  Kölns.  Hier  war  e 
Prof.  Leichtenstern,  welcher  sehr  wertvolle  Untersuchungen 
über  die  Krankheit  und  ihre  Erreger  angestellt  hat.  Einige  Jahn 
später  wurde  sie  im  Oberbergamtsbezirk  Dortmund  bei  einem  Beru 
arbeiter  durch  Dr.  A  1  b  e  r  s  festgestellt,  während  sie  im  Aachene 
Revier  durch  Dr.  G.  Meyer  nachgewiesen  wurde.  In  den  nächstei 
Jahren  häuften  sich  die  Fälle  in  den  Bergwerken  des  westfälische 
Industriebezirkes  erheblich,  und  zwar  trat  die  Affektion  als  eine  bos 
artige  Anämie  auf,  die  auch  Todesfälle  aufzuweisen  hatte. 


18.  August  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1823 


Die  Krankheit  wird  erzeugt  durch  das  Ankylostomum  duodenale, 
in  Amerika  Ankylostoma  americanuin  (—  Necator  americauus, 
Dr.  Stile  s).  Die  ausgewachsenen  Männchen  sind  bis  18  mm,  die 
Weibchen  bis  10  mm  lang.  Die  Schädigung  findet  statt  durch  das 
Saugen  der  Here  im  Darm.  Hierbei  wird  nicht  bloss  Blut  ausge- 
sogen,  sondern  auch  Darmschleimhaut.  Schaudinn  konnte  nach- 
w  eisen,  dass  eine  grosse  Zahl  der  Würmer  kein  Blut,  sondern  Darm¬ 
epithel  in  ihrem  Magendarmkanal  hatten  und  zwar  als  zusammen¬ 
hängende  Petzen.  Die  Zahl  der  im  Menschen  gefundenen  Würmer 
beträgt  wenige  Exemplare  bis  zu  3000.  Die  Begattung  findet  im 
menschlichen  Darm  statt,  die  Weibchen  scheiden  eine  grosse  Menge 
von  Eiern  aus.  Man  hat  in  1  g  Kot  schon  bis  zu  18  900  gefunden. 
Die  Eier  furchen  sich  im  Darm,  aber  es  kommt  nicht  zur  Entwickelung 
einer  Larve.  Die  Larvenbildung  findet  ausserhalb  statt,  sofern  sich 
Sauerstoff,  eine  Wärme  von  15—30°  findet  und  eine  relativ  grosse 
Feuchtigkeit  vorhanden  ist.  Die  jungen  Larven  sind  0,2— 0,3  mm 
lang,  sie  häuten  sich  zweimal  und  erreichen  eine  Grösse  von  0,8  mm 
Die  Einkapselung  erfolgt  durch  eine  Haut,  welche  aber  die  lebhafte 
Bewegung  der  Tiere  nicht  hindert.  Nahrungsaufnahme  findet  in 
dieser  Zeit,  soviel  bekannt,  nicht  statt.  Die  Lebensdauer  der  Larven 
geht  bis  zu  einem  Jahr.  Aufgenommen  werden  die  Larven  durch 
den  Mund  des  Menschen.  Im  Darm  verlieren  sie  die  Schutzhülle, 
sie  bekommen  eine  Mundöffnung  und  einen  Magendarmkanal,  kurz, 
wachsen  in  einigen  VVochen  zu  geschlechtsreifen  Männchen  und 
Weibchen  aus.  Die  Eier  treten  ca.  6  Wochen  nach  der  Aufnahme 
im  Stuhle  auf.  Der  zweite  Weg  ist  der  von  Loos  angegebene 
durch  die  Haut  und  zwar  anscheinend  sehr  oft  von  den  blossen 
Füssen  aus.  Die  Larven  gelangen  entweder  in  die  Lymphbahnen  und 
werden  dort  zum  Teil  in  den  Lymphdriisen  abgefangen  oder  sie 
kommen  in  die  Venen,  in  die  Lunge  und  von  dort  durch  Luftröhre 
und  Speiseröhre  in  den  Magen.  Die  Symptome  der  Krankheit  be¬ 
stehen  zunächst  in  leichten  Verdauungsstörungen,  dann  in  Schmerz¬ 
gefühl  in  der  Oberbauchgegend  und  darauf  aus  den  Zeichen  der 
Arämie,  z.  B.  Müdigkeit,  Herzgeräusche,  Abnahme  der  roten  Blut¬ 
körperchen,  Verminderung  des  Hämoglobingehaltes.  Weiterhin 
zeigen  sich  die  eosinophilen  Leukozyten  vermehrt,  ein  Befund,  auf 
welchen  die  Engländer  betreffs  der  Diagnose  Wert  legen,  der  aber 
in  Deutschland  weniger  hoch  geschätzt  wird. 

Die  Krankheit  wurde  im  Ruhrgebiet  bekannter  gegen  das 
lahr  1896,  im  Jahre  1903  wurde  die  ganze  unterirdische  Belegschaft, 
194  000  Personen,  untersucht  und  32  576  Wurmbehaftete  gefunden. 
Nun  setzte  die  Bekämpfung  der  Affektion  bei  den  Bergwerken  ein. 
Zunächst  wurden  Massnahmen  getroffen  betreffend  grösserer  Sauber¬ 
keit,  sowohl  über,  als  unter  Tage.  Statt  der  Waschkauen  wurden 
überall  Brausebäder  verwendet;  über  Tage  wurden  gut  eingerichtete 
saubere  Klosetts  hergestellt  und  unter  Tage  an  all  den  Orten,  wo 
ein  grösserer  Verkehr  war,  Abortkübel  hingestellt,  so  dass  zurzeit 
nci  einer  unterirdischen  Belegschaft  von  rund  300  000  Personen  auf 
ie  8,5  Mann  ein  Kübel  entfällt!  Die  höchste  Zahl  von  Personen  auf 
einen  Kübel  beträgt  27!  Die  Verschmutzung  mit  Kot  in  den 
'tollen  usw.  wird  sehr  stark  bestraft,  bis  zu  60  M.  in  dem  einzelnen 
'"'alle.  Für  die  Sauberkeit  und  die  richtige  Fortnahme  der  Kübel  ist 
überall  die  beste  Vorsorge  getroffen.  Für  diese  Reinlichkeits- 
lestrebungen  sind  im  Dortmunder  Oberbergamtsbezirk  rund  2%  Mil- 
ion  Mark  ausgegeben  worden.  Tatsächlich  ist  die  Sauberkeit  in  den 
fergwerken  an  der  Ruhr  jetzt  eine  ausserordentlich  zufrieden- 
'tellende. 

Sodann  ordnete  die  Oberbergbehörde  die  Durchmusterung  zu¬ 
nächst  der  gesamten,  dann  eines  Teiles  (Stichproben  von  20  bis 
>0  Proz.)  der  unterirdischen  Belegschaft  in  relativ  kurzen  Zwischen- 
äumen  an.  Ausserdem  musste  jeder  auf  einer  Zeche  neu  angestellte 
Uann  ein  ärztliches  Zeugnis  beibringen,  dass  er  wurmfrei  sei.  Die 
^Versuchungen  wurden  von  hierfür  ausgebildeten  Knappschaftsärzten 
orgenommen.  Da  die  Infizierten  nicht  eher  neu  angestellt  werden 
lurften,  als  sie  den  Nachweis  der  Wurmfreiheit  führen  konnten,  so 
yar  damit  ein  Behandlungszwang  eingeführt,  der  in  einer  Kur  mit 
.xtractum  filicis  im  Krankenhaus  bestand.  Das  in  Amerika  in  erster 
Jnie  verwendete  Thymol  bewährte  sich  bei  uns  weniger.  Durch 
iiese  Massnahmen  ging  der  Prozentsatz  der  Infizierten  in  wenig 
[ähren  ganz  erheblich  herunter,  und  er  ist  jetzt  von  ungefähr 
•94  Proz.  auf  ungefähr  0,5  Proz.  gesunken. 

Es  macht  jedoch  Schwierigkeiten,  den  Prozentsatz  weiter 
lerunterzudriicken  und  in  den  letzten  Jahren  ist  ein  erheblicher  Rück¬ 
gang  nicht  mehr  zu  verzeichnen.  Nach  genauen  Untersuchungen  an 
bt  und  Stelle  hofft  man  dadurch  weiter  zu  kommen,  dass  man  an 
lie  Stelle  der  bloss  mikroskopischen  Untersuchung  nach  dem  Vor- 
icinge  von  Loos  die  kulturelle  setzt.  Zu  dem  Zweck  wird  eine 
'Otmenge  von  vielleicht  50  g  mit  der  mehrfachen  Masse  von  Tier- 
ohle  fein  verrieben  und  in  den  Brütapparat  gesetzt.  Die  Kohle  dient 
|ur  als  Sauerstoffüberträger.  In  wenigen  Tagen  entwickeln  sich 
'ann  die  Eier  zu  Larven,  das  Kotkohlegemisch  wird  mit  Wasser 
erdünnt,  eine  Zeit  stehen  gelassen  und  dann  leicht  zentrifugiert, 
he  spezifisch  schweren  Larven  finden  sich  im  Sediment  und  werden 
aiter  dem  Mikroskop  leicht  gefunden.  Bei  der  mikroskopischen 
ntersuchung  konnte  man  jeweils  nur  2  mg  untersuchen.  Nach  vielen 
'  ausend  Untersuchungen  von  Prof.  B  r  u  n  s  -  Gelsenkirchen  findet 
ian  mit  der  kulturellen  Methode  3  mal  mehr  Bazillenträger  heraus, 
ls  mit  der  mikroskopischen. 

Die  Durchmusterung  der  Gesunden  erwies  sich  für  das  Personal 
uf  die  Dauer  als  eine  grosse  Belästigung,  die  auch  im  Verhältnis 
iel  zw  wenig  Erfolge  hatte.  Es  ist  deshalb  vorgeschlagen  worden, 


die  kulturellen  Durchmusterungen  zwar  beizubehalten,  aber  das 
Hauptaugenmerk  auf  die  dauernde  Verfolgung  der  jetzt  und  in  den 
3  letzten  Jahren  als  Wurmträger  befundenen  Leute  zu  legen,  sie 
vermittels  einer  Kartothek  stets  im  Auge  zu  behalten.  Erst  wenn 
in  mehrfachen  Untersuchungen  Wurmfreiheit  konstatiert  ist,  werden 
u  •  jn  ^er  Liste  gelöscht.  Die  jetzt  vorhandenen  weitgehenden 
Ke.nlichkeitsbestrebungen  müssen  bestehen  bleiben,  da  die  Infektion 
durch  die  Haut  hindurch  in  den  Bergwerken  wahrscheinlich  eine 
grosse  Rolle  spielt.  Genaueres  war  darüber  trotz  aller  Umfragen, 
botz  Inspektion  einer  grossen  Reihe  von  Bergwerken  und  besonders 
der  infizierten  Reviere  absolut  nicht  zu  erfahren.  Für  den  deutschen 
Bergbau  ist  es  von  grosser  Wichtigkeit,  die  Krankheit  wenn  möglich 
ganz  zu  beseitigen.  Helfend  tritt  hinzu,  dass  die  Ankylostomen  sich 
im  Menschen  nur  ca.  5 — 8  Jahre  halten  und  dann  absterben.  Er¬ 
schwerend  kommt  hinzu,  dass  die  Bergwerke  des  Auslandes  und 
die  ganzen  feuchten,  tropischen  und  subtropischen  Bezirke  infiziert 
sind.  Daher  macht  sich  die  dauernde  Kontrolle  der  neu  anzulegenden 
Bergwerke  notwendig. 

Ausserhalb  der  Gruben  kommt  die  Affektion  nicht  vor;  niemals 
mit  Ausnahme  eines  einzigen  Falles  ist  sie  über  Tage  verbreitet 
worden,  und  auch  dieser  Fall  ist  noch  zweifelhaft. 

Disk  us  s  i  o  n :  Herr  Herzog-  Chicago:  H.  hebt  hervor,  dass 
er  in  Chicago  selbst  fast  keine  Fälle  von  Ankylostomiasis  zu  sehen 
bekam,  dass  er  aber  seinerzeit  auf  Manila  viele  Erkrankungen  beob¬ 
achtet  habe.  Es  handelte  sich  um  eine  Art  von  Ankylostomum,  das 
man  auch  als  Ankylost.  americanum  bezeichnet  habe.  Er  halte  die 
!in^tion  durch  die  Haut  für  sehr  wichtig  und  kenne  selbst  derartige 
Fälle  aus  eigener  Erfahrung.  Nach  seiner  Ansicht  seien  die  Eier 
ziemlich  leicht  zu  finden,  aber  auch  in  Amerika  würde  jetzt  ein  An¬ 
reicherungsverfahren  verwendet.  Die  Behandlung  bestehe  in  Ver- 
abreichung  grosser  Dosen  von  Ihymol.  In  den  amerikanischen  Berg¬ 
werken  sei  die  Belegschaft  eine  so  wechselnde,  dass  sichere  Unter¬ 
suchungen  über  die  Erkrankungen  an  Ankylostomiasis  nicht  vorlägen. 
Bekannt  sei  ihm,  dass  in  den  Südstaaten  die  „Faulkrankheit“  eine 
grosse  Rolle  spiele  und  die  Regierung  grosse  Mittel  zu  deren  Be¬ 
kämpfung  bewillige. 

Herr  Grober  berichtet  aus  eigener  Beobachtung  im  rheinisch¬ 
westfälischen  Kohlengebict  über  klinische  Besonderheiten  der  deut¬ 
schen  Ankylostomiasis  Die  geringe  Eosinophilie  hat  auch  er  beob¬ 
achten  können;  die  Zahl  der  eosinophilen  Zellen  ist  bei  seinen  Kranken 
nie  über  5  Proz.  hinausgegangen.  —  Die  Anämie  kann  sehr  hoch¬ 
gradig.  werden,  doch  kommt  es  nie  zu  dem  Symptomenkomplex  der 
perniziösen  Form;  die  Erythrozyten  zeigen  stets  ihre  normale  Ge¬ 
stalt.  —  Die  Vermutung  des  Vortr.,  dass  es  sich  bei  der  Wirkung  der 
Ancylostomum  duodenale  um  Beeinflussung  der  Darmschleimhaut 
handelt,  die  neben  der  Blutaufsaugung  der  Würmer  in  Betracht  kommt, 
glaubt  Gr.  bestätigen  zu  können,  da  er  einen  Fall  bei  der  Sektion 
sah,  der  einen  ausgedehnten  schweren  Katarrh  des  mittleren  und 
unteren  Dünndarms  bei  Anwesenheit  sehr  vieler  Würmer  hatte. 
Der  Kranke  war  nicht  an  der  Anämie,  sondern  an  einer  interkurenten 
akuten  Phthise  zugrunde  gegangen. 

Die  Unwirksamkeit  der  Thymoltherapie  hat  auch  Gr.  erfahren. 
Das  wirksame  Mittel  ist  sicherlich  das  Farnkrautextrakt. 

Herr  Klunker:  Ueber  Milchpasteurisierung,  insbesondere  über 
biorisierte  Milch. 

Der  Vortr  gibt  zunächst  einen  Ueberblick  über  die  gegenwärtig 
gebräuchlichen  Pasteurisierungsmethoden  der  Grossbetriebe,  die  sich 
sich  in  der  Hauptsache  physikalischer  Hilfsmittel  bedienen.  Obenan 
stehen  die  Erhitzungsverfahren,  die  man  ihren  wesentlichsten  Merk¬ 
malen  nach  in  zwei  Klassen  einteilt:  1.  in  die  Kurz-  oder  Hoch- 
pasteurisation,  bei  welcher  Temperaturen  von  85—98°  verhältnis¬ 
mässig  kurze  Zeit  (10 — 1  Minute)  zur  Anwendung  kommen,  2.  in  die 
Dauerpasteurisation,  wobei  die  Milch  etwa  Vs  Stunde  lang  63  bis 
75  Wärmegraden  ausgesetzt  wird.  Letztere  ist  bei  weitem  vorzu¬ 
ziehen,  da  durch  sie  die  Milch  in  chemisch-physiologischer  Beziehung 
nur  in  ganz  geringem  Masse  beeinflusst  und  trotzdem  ein  befrie¬ 
digendes  bakteriologisches  Resultat  erreicht  wird.  Insbesondere  wird 
der  Behandlung  der  gut  verschlossenen  Flaschenmilch  im  63  "-Wasser¬ 
bad  das  Wort  geredet,  da  auf  diese  Weise  jegliche  Nachinfektion 
vermieden,  dagegen  der  Rohmilchcharakter  völlig  gewahrt  und 
ausserdem  eine  hervorragende  Keimverarmung  und  sichere  Abtötung 
etwa  vorhandener  pathologischer  Organismen  erzielt  wird.  Leider 
lässt  sich  durch  die  Flaschenmilchpasteurisierung  wegen  der  damit 
verbundenen  Umständlichkeiten  nur  ein  kleiner  Teil  des  Konsums, 
z.  B.  der  Bedarf  an  Säuglingsmilch  decken.  —  Von  den  chemischen 
Hilfsmitteln  hat  nur  der  Zusatz  von  Wasserstoffsuperoxyd  eine  ge¬ 
wisse  Bedeutung.  Man  kann  den  etwa  vorhandenen  Ueberschuss 
an  H2O2  durch  nachträgliche  Beigabe  eines  katalytisch  wirkenden 
Ferments  beseitigen  und  so  ein  gutes,  keimfreies  Produkt  gewinnen. 
Die  allgemeine  Anwendung  chemisch  behandelter  Milch  ist  deshalb 
nicht  zu  empfehlen,  weil  die  Gefahr  besteht,  dass  bereits  zersetzte, 
die  Gesundheit  schädigende  Milch  durch  Zusatz  von  Chemikalien  kon¬ 
serviert  und  verkauft  wird. 

Hierauf  berichtet  der  Vortragende  über  eigene  Versuche  mit  dem 
„Biorisator“,  einem  von  dem  Leipziger  Chemiker  Dr.  Lob  eck  kon¬ 
struierten  Apparat,  in  welchem  die  unter  Druck  von  4  Atmosphären 
stehende  Milch  aufs  feinste  verstäubt  und  hierbei  wenige  Sekunden 
hindurch  einer  Temperatur  von  ca.  75°  ausgesetzt  wird.  Die  Milch 
legt  da  nur  einen  ganz  kurzen  Weg  zurück  und  gelangt  durch  einen 
kombinierten  Kühler  sofort  zur  Abfüllung.  Die  Kürze  des  Weges  ist 
wegen  der  Verhütung  von  Nachinfektionen  von  grösster  Bedeutung. 


1824 


Bei  den  monatelang  währenden  \  ersuchen  konnte  einerseits 
nachgewiesen  werden,  dass  die  „Biorisierung  der  Milch  keinen 
nennenswerten  Einfluss  auf  ihre  chemisch-physiologische  Beschaffen¬ 
heit  hat,  insbesondere  sind  das  Aussehen,  der  Geschmack  und  Ge¬ 
ruch,  das  Aufrahmungsvermögen,  der  Enzymgehalt  und  die  ti- 
weisszusammensetzung  gegenüber  dem  unbehandelten  Naturprodukt 
so  gut  wie  unverändert,  andererseits  tritt  durch  die  Verarbeitung 
im  Biorisator  eine  überraschende  Keimverarmung  und  Vernichtung 
aller  Krankheitserreger  ein.  Die  der  Milch  pro  Kubikzentimeter  in 
Mengen  von  50000—200000  beigemischten  Koli-,  Typhus-,  Paratyphus-, 
Ruhr-  Gärtner-,  Cholera-  und  Diphtheriebazillen,  sowie  virulente 
Streptokokken  sind  nach  der  Biorisierung  auch  durch  feinere  Me¬ 
thoden  nicht  mehr  zu  kultivieren.  Nicht  völlig  vernichtet  werden 
Staphylokokken,  von  denen  ebenso  wie  von  den  eigentlichen  Milch¬ 
säurebildnern  eine  kleine  Zahl  am  Leben  bleibt. 

Sehr  günstig  gestalteten  sich  auch  die  Versuche  mit  Tuberkel¬ 
bazillen  Aus  einer  Reihe  von  Tierversuchen  geht  hervor,  dass  auch 
die  Koch  sehen  Stäbchen  vermittels  des  neuen  Verfahrens  völlig 
unschädlich  gemacht  werden.  .  ... 

Da  ausserdem  die  im  Biorisator  behandelte  Milch  eine  um  über 
100  Proz.  erhöhte  Haltbarkeit  gegenüber  der  Rohmilch  besitzt,  so 
kann  sie  —  eine  leidlich  saubere  Gewinnung  des  Naturproduktes 
vorausgesetzt  —  als  hygienisch  einwandfreie  Milch  bezeichnet 
werden,  die  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  eine  grosse  Bedeutung  für 
die  gesamte  Volksernährung  erlangen  wird. 

In  der  Diskussion  geht  Herr  Gärtner  des  näheren  auf  den 
Abtötungsvorgang  ein,  wie  er  nach  seiner  Ansicht  im  Biorisator 
statthat.  Es  ist  wahrscheinlich,  dass  hierbei  weniger  der  Druck  und 
die  plötzliche  sprunghafte  Temperaturerhöhung  von  ca.  15  auf  75° 
eine  Rolle  spiele,  als  vielmehr  die  von  allen  Seiten  gleichmässig 
auf  die  Milchtröpfchen  einwirkende  Erhitzung,  deren  vernichtende 
Kraft  noch  dadurch  erhöht  werde,  dass  die  Milch  in  feinster  Schicht 
an  den  heissen  Innenflächen  des  Apparates  herabfliessen  müsse.  — 
Bezüglich  des  Zusatzes  von  Chemikalien  zur  Milch  ist  Herr  Gärt¬ 
ner  anderer  Anschauung  als  der  Vortragende:  Die  Gefahr,  eine  be¬ 
reits  zersetzte  Milch  zu  konservieren  und  zu  verkaufen,  bestünde 
nicht  nur  bei  der  chemischen  Behandlung,  sondern  auch  bei  der 
Pasteurisierung  durch  Wärme.  Daher  sei  es  Hauptaufgabe  der  Kon¬ 
trolle,  zu  verhüten,  dass  genussuntaugliche  Milche  auf  irgend  eine 
Weise  pasteurisiert  werde.  Die  von  dem  Vortragenden  er¬ 
wähnte  Abneigung  gegen  Desinfektionsmittel  in  der  Nahrungsmittel¬ 
branche  sei  auch  neulich  in  einer  Sitzung  des  Gesundheitsrates  In 
Berlin  stark  zum  Ausdruck  gekommen.  Man  fürchtete  auch  da,  dass 
die  Freigabe  der  Desinfektionen  dazu  führen  würde,  dass  im  Nah¬ 
rungsmittelgewerbe  nicht  die  nötige  Sorgfalt  herrsche,  andererseits 
dürfe  man  auch  nicht  zu  streng  sein.  So  sehe  er  nicht  ein,  warum 
man  nicht  Milch  mit  Wasserstoffsuperoxyd  und  einer  Spur  Perhydrase 
sterilisieren  solle;  das  ganze,  was  der  Milch  zugeführt  würde, 
sei  eine  Spur  Wasser  und  eine  Spur  Sauerstoff.  Beide  wären 
völlig  indifferent.  Die  Milch  sei  ausserdem  keine  Konserve,  sondern 
stets  frisch  zu  gebrauchen;  die  erwähnten  Zusätze  machten  sie  auch 
nicht  zur  Konserve,  sie  gestatteten  nur  eine  etwas  längere  Brauch¬ 
barkeit.  Die  Wirkung  des  Biorisators  beruhe  in  der  grossen  Haupt¬ 
sache  darauf,  dass  durch  die  feine  Verteilung  tatsächlich  jedes  Teil¬ 
chen  Milch  auf  ca.  75°  C  erwärmt  würde,  womit  die  Keimfreiheit 
mit  Ausnahme  für  die  sporenhaltigen  Bakterien  genügend  gesichert 
sei.  Einen  Einwurf  von  Stabsarzt  Klunker,  dass  man  durch 
Wasserstoffsuperoxyd  auch  eine  schlechte  Milch  sterilisieren  könne, 
gebe  er  zu,  aber  dasselbe  sei  bei  der  Pasteurisierung  auch  möglich. 
In  dieser  Beziehung  bestände  also  ein  grundlegender  Unterschied 
nicht. 


Verschiedenes. 

Therapeutische  Notizen. 

Die  Behandlung  der  Tuberkulose  mit  Rosen- 
bachschem  Tuberkulin  eignet  sich  nach  Josef  Kovacs- 
Pest  besonders  für  alle  Fälle  von  äusserer  Tuberkulose:  Tuberkulose 
der  Knochen  und  Gelenke,  tuberkulöse  Drüsen  und  Fisteln  und 
kariöse  Prozesse.  Das  Mittel  wird  in  den  Krankheitsherd  selbst  oder 
in  das  umgebende  Gewebe  eingespritzt;  es  ruft  dort  typische  Re¬ 
aktionen  hervor.  Schädigungen  wurden  nie  davon  beobachtet.  Bei 
Lungentuberkulose  trat  nach  Anwendung  des  Mittels  wohl  eine  gün¬ 
stige  Beeinflussung  des  Allgemeinzustandes  ein,  selten  aber  eine 
Besserung  des  objektiven  Befundes.  (Ther.  Mh.  1914  H.  6.)  Kr. 


Tagesgeschichtliche  Notizen. 

München,  den  14.  August  1914. 

—  Der  Schiedsspruch,  durch  den  der  Hallische  Kassen¬ 
streit  beigelegt  wird,  bestimmt  folgendes: 

I.  Das  Schiedsgericht  macht  sich  dahin  schlüssig,  dass  die  Ver¬ 
gütung  der  Aerzte  für  ärztliche  Versorgung  der  Mitglieder  der  All¬ 
gemeinen  Ortskrankenkasse  in  Halle  a/S.  wie  folgt  festgesetzt  wird: 
7.50  M.  pro  Kopf  und  Jahr  der  Versicherten.  Das  Pauschale  schliesst 
die  Nebenleistungen  ein,  jedoch  sollen  besonders  vergütet  werden: 
Nachtkonsultationen  mit  2  M.,  Nachtbesuche  mit  4  M.,  Entbindungen 


Nr.  33. 


nach  den  Mindestsätzen  der  jetzt  geltenden  Preussischen  Gebühren¬ 
ordnung.  Kilometergebühren  für  ausserhalb  Halles  wohnende  Ver¬ 
sicherte  mit  75  Pf.  pro  Kilometer  einfach  gerechnet. 

II  für  die  Behandlung  von  auswärts  der  Allgemeinen  Orts¬ 
krankenkasse  in  Halle  zugewiesener  Kranker  werden  die  Mindest¬ 
sätze  der  jetzt  geltenden  Preussischen  Gebührenordnung  gezahlt. 
Die  ärztlichen  Liquidationen  für  auswärts  behandelte  Mitglieder  der 
Allgemeinen  Ortskrankenkasse  werden  von  dieser  der  Hallischen 
Kontrollkommission  zur  Begutachtung  vorgelegt.  Der  von  dieser 
festgesetzte  Betrag  ist  aus  dem  ärztlichen  Pauschale  zu  zahlen. 

III.  Das  Schiedsgericht  ist  der  Ansicht,  dass  die  im  Arzt- 
registcr  des  städtischen  Versicherungsamts  in  Halle  a/S.  eingetra¬ 
genen  Aerzte  des  Saalkreises  vorstehendem  Schiedsspruch  unterstellt 
sind,  soweit  Mitglieder  der  •  Allgemeinen  Ortskrankenkasse  zu 
Halle  a/S.  in  Betracht  kommen. 

—  Von  den  „Abhandlungen  über  Salvarsan1,  ge¬ 
sammelt  und  herausgegeben  von  Paul  Ehrlich,  ist  der  4.  Band  er¬ 
schienen  (Verlag  von  J.  F.  Lehmann,  München;  Preis  geb.  11  M.h 
Der  Band  enthält  die  vorwiegend  in  der  Münch,  med.  Wochenschr.. 
aber  auch  die  in  anderen  Zeitschriften  erschienenen  Arbeiten  über 
Salvarsan. 

—  Cholera.  Russland.  Im  Gouv.  Podolien  wurden. bis  zum 
23.  Juli  insgesamt  113  Erkrankungen,  davon  53  mit  tödlichem  Aus¬ 
gang,  festgestellt.  Die  Kreise  Brazlaw,  Winniza  und  Jampol  int 
Gouv.  Podolien  sind  für  choleraverseucht,  die  Gouvernements  Wol-i 
hynien  und  Kiew  für  cholerabedroht  erklärt  worden. 

_  Pest.  Russland.  Die  Gesamtzahl  der  im  Gouv.  Astrachan | 

seit  dem  Ausbruch  der  Pest  festgestellten  Erkrankungen  beträgt  49 
mit  46  Todesfällen.  Vom  16.  bis  23.  Juli  sind  Neuerkrankungen  nicht 
vorgekommen.  — •  Aegypten.  Vom  18.  bis  24.  Juli  erkrankten  6  (und 
starben  9)  Personen.  —  Tripolitanien.  Zufolge  Mitteilung  vom 
15.  Juli  ist  die  Pest  in  Bengasi  noch  nicht  erloschen;  sie  zeigt  indessen 
keine  Zunahme  und  wird  als  gutartig  bezeichnet.  Auch  in  der  Um¬ 
gebung  von  Tripolis  (in  Azizia,  Zansur  und  Tarhuna)  sind  in  letzter 
Zeit  einzelne  Pestfälle  beobachtet  worden.  —  Britisch  Ostindien.  Vom 
21.  bis  27.  Juni  erkrankten  750  und  starben  661  Personen. 

—  In  der  29.  Jahreswoche,  vom  19.  bis  25.  Juli  1914,  hatten! 
von  deutschen  Städten  über  40  000  Einwohner  die  grösste  Sterblich¬ 
keit  Halberstadt  mit  40,8,  die  geringste  Remscheid  mit  5,3  Todesfälle! 
pro  Jahr  und  1000  Einwohner.  Mehr  als  ein  Zehntel  aller  Gestorbener 
starb  an  Scharlach  in  Zabrze,  an  Diphtherie  und  Krupp  in  Harburg 

Vöff.  Kais.  Ges.A. 

(Hochschulnachrichten.) 

Berlin.  Der  Geh.  Med.-Rat  Dr.  Heinrich  Schoeler,  a.  o 
Professor  der  Augenheilkunde,  beging  am  5.  August  seinen  70.  Ge 
burtstag.  (hk.) 

G  ö  1 1  i  n  g  e  n.  Am  14.  ds.  Mts.  hielt  der  Assistenzarzt  an  de 
hiesigen  Universitäts-Kinderklinik,  Dr.  K.  B  1  ü  h  d  o  r  n,  seine  Probe 
Vorlesung  als  Privatdozent  für  Kinderheilkunde. 

München.  Der  nichtetatsmässige  a.  o.  Professor  der  Psych 
iatrie  an  der  Münchener  Universität  Dr.  Walter  Spielmeyer 
Leiter  des  anatomischen  Laboratoriums  der  psychiatrischen  Klinik 
wurde  zum  Oberarzt  an  der  genannten  Klinik  in  etatsmässiger  Eigen 
schuft  ernannt,  (hk.) 


Uebersicht  der  Sterbefälle  in  München 

während  der  30.  Jahreswoche  vom  26.  Juli  bis  1.  August  1914. 

Bevölkerungszahl  640000. 

Todesursachen:  Angeborene  Lebensschwäche  einschl.  Bildungs 
fehler  5  (ll1),  Altersschw.  (über  60  Jahre)  6(3),  Kindbettfieber  1  (— 
and.  Folgen  der  Geburt  und  Schwangerschaft  —  (1),  Scharlach  —  (— 
Masern  u.  Röteln  1  (1),  Diphtherie  u.  Krupp  —  (— ),  Keuchhusten3(— 
Typhus  (ausschl.  Paratyphus) —(—),  akut.  Gelenkrheumatismus  1  (— 
übertragbare  Tierkrankh.,  d.  s.  Milzbrand,  Rotzkrankh.,  Hundswu 
Trichinenkrankh.  —  (—),  Rose  (Erysipel)  1  (— -),  Starrkrampf  —  (— 
Blutvergiftung  1  (1),  Tuberkul.  der  Lungen  15  (25),  Tuberkul.  and.  Or; 
(auch  Skrofulöse)  8  (3),  akute  allgem.  Miliartuberkulose  1  ( — ),  Lunger 
entzünd.,  kruppöse  wie  katarrh.  usw.  3  (5),  Influenza  —  (— ),  vener 
sehe  Krankh.  1  (1),  and.  übertragbare  Krankh.:  Pocken,  Fleckfiebe 
Ruhr,  Genickstarre,  Strahlenpilzkrankh.,  Lepra,  asiat.  Cholera,  Wechse 
fieber  usw. — ( — ),  Zuckerkrankh.  (ausschl.  Diab.  insip.)  3  (2),  Alkoholi: 
mus  —  (— ),  Entzünd,  u.  Katarrhe  der  Atmungsorg.  1  (3),  sonst.  Kranki 
d.  Atmungsorgane  2  (3),  organ.  Herzleiden  11  (10),  Herzschlag,  Mer: 
lähmung  (ohne  näh.  Angabe  d.  Grundleidens)  2  (7),  Arterienverkalkun 
5  (5),  sonstige  Herz-  u.  Blutgefässkrankh.  4  (4),  Gehirnschlag  12  (7 
Geisteskrankh.  3  (1),  Krämpfe  d.  Kinder  3  ( — ),  sonst.  Krankh.  d.Nervei 
Systems  4  (7),  Atrophie  der  Kinder  4  (2),  Brechdurchfall  —  (3),  Mage' 
katarrh,  Darmkatarrh,  Durchfall,  Cholera  nostras  15  (15),  Blinddarr. 
entzünd.  1  (4),  Krankh.  der  Leber,  Gallenblase,  Bauchspeicheldrüse 
Milz  1  (3),  sonst.  Krankh.  derVerdauungsorg.  4  (5),  Nierenentzünd.  8(1! 
sonst.  Krankh.  der  Harn-  u.  Geschlechtsorg.  2  (3),  Krebs  16  (21),  son: 
Neubildungen  4  (6),  Krankh.  der  äuss.  Bedeckungen  —  (1),  Krankh.  d 
Bewegungsorgane  —  (1),  Selbstmord  5  (— ),  Mord,  Totschlag,  au> 
Hinricht.  —  ( — ),  Verunglückung  u.  andere  gewalts.  Einwirkungen  3  (■ 
andere  benannte  Todesursachen  8  (2),  Todesursache  nicht  (gena 
angegeben  (ausser  den  betr.  Fällen  gewaltsamen  Todes)  —  (— )• 
Gesamtzahl  der  Sterbefälle:  168  (180). 

*)  Die  eingeklammerten  Zahlen  bedeuten  die  Fälle  der  Vorwoch 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


{edaktion:  Dr.  B.  Spatz, 
tünchen,  Arnulfstrasse  26. 


MÜNCHENER 


Verlag  von  J.  F.  Lehmann, 

München,  Paul  Heysestr.  26. 


Medizinische  Wochenschrift. 


Nr.  33.  18.  August  1914. 


Feldärztliche  Beilage  Nr.  2. 


Aus  der  chirurgischen  Klinik  zu  Leipzig. 

in  Vorschlag  zur  Behandlung  der  Bauchschüsse  im  Kriege. 

on  Geh.  Med. -Rat  Prof.  Payr,  Generalarzt  ä  la  suite  des 
Kgl.  Sächs.  Sanitätskorps. 

Die  letzten  Kriege  haben  gezeigt,  dass  die  für  die  Friedens¬ 
rats  geltenden  Grundsätze  in  der  Behandlung  der  Bauch- 
-hüsse  ohne  schwere  intraabdominelle  Blutung  keine  Geltung 

aben. 

Zur  Zeit,  da  die  Laparotomie  mit  Aussicht  auf  vollen  Er- 
>lg  ausgeführt  werden  könnte,  sind  die  äusseren  Verhältnisse 
vbt  die  geeigneten;  zur  Zeit,  da  sie  geeignet  wären,  ist  der 
ustand  des  Verletzten  entweder  schon  in  ungünstigem  Sinne 
ltschieden,  oder  aber  es  sind  reparative  Vorgänge  in  Aus- 
idung,  die  es  sehr  fraglich  erscheinen  lassen,  ob  durch  die 
aparotomie  noch  Nutzen  gebracht  wird. 

Bei  den  Durchbohrungen  des  Magendarmkanals  durch  das 
oderne  kleinkalibrige  Geschoss  ist  die  Neigung  zu  Ver- 
ebungen  nach  vorübergehendem  Verschluss  des  Schuss- 
ches  durch  vorquellende  Schleimhaut  eine  relativ  grosse. 

Die  Mortalität  der  konservativ  behandelten  Bauchschüsse 
ar  mehrfach  bei  geeignetem  Verhalten  in  den  letzten  mit 
odernen  Handfeuerwaffen  arbeitenden  Kriegen  eine  wesent- 
h  geringere,  als  man  es  nach  den  Lehren  der  Friedenspraxis 
wartet  hätte. 

Die  in  späteren  Stadien  des  Verlaufes  eines  Bauchschusses 
^genommenen  Operationen  ergeben  häufig  einen  wenig  be- 
edigenden  Befundund  dementsprechend  schlechte  Resultate, 
e  Darmschlingen  finden  sich  durch  Fibrin,  gewöhnlich  schon 

reichlicher  Organisation  begriffen,  fest  verklebt,  zwischen 
11  einzelnen  Darmschlingen  da  und  dort  Abszesse,  manche 
ithaltig. 

Jedenfalls  ist  durch  die  reaktiv  entzündlichen  Prozesse 
e  Möglichkeit  einer  Uebersicht  genommen,  von  einer  Ver- 
rgung  aller  vorhandenen  Oeffnungen  des  Darmkanals  keine 
.'de  mehr,  eine  Gelegenheit  zu  befriedigender  Drainage  oder 
tener  Behandlung  auch  nicht  mehr  gegeben. 

Erfahrungen  mit  Bauchschüssen  in  der  Friedenspraxis,  so- 
!e  die  sehr  reichlichen  Beobachtungen  beim  perforierten 
agen-  und  Duodenalgeschwür,  sowie  bei  der  Appendizitis, 
ben  mir  nun  folgendes  nahegelegt. 

Nach  der  Durchquerung  der  Leibeshöhle  durch  ein  Ge¬ 
noss  mit  der  Wahrscheinlichkeit  einer  multiplen  Eröffnung 
'S  Magendarmkanals  und  der  Zerreissung  mannigfaltiger 
einerer)  Blutgefässe  erfolgt  ein  Bluterguss,  dem  gegebenen- 
j'S  Magendarminhaltmassen  beigemischt  sind,  in  die  freie 
buchhöhle. 

Dieser  Erguss  senkt  sich  allmählich,  wenn  er  nicht  allzu 
j’chtig  ist,  gegen  das  kleine  Becken.  Ich  habe  mehrere  Male 
uchschüsse  mit  Browningpistole  gesehen,  die  am  2.  Tage 
|ch  der  Verletzung  kein  Blut  in  der  freien  Bauch- 
»hlc  nach  gemachter  Laparotomie  zeigten,  wohl  aber  jene 
schmal  ziemlich  massigen  Ergüsse  im  kleinen  Becken. 

Die  Verklebungsvorgänge  an  den  verletzten  Darm- 
' dingen  setzen  mächtig  ein  und  die  lokale  oder  regio- 
•tre,  wenn  auch  gelegentlich  zu  kleineren  Abszessen 
''rende  adhäsive  Peritonitis  verhütet  das  Zustande- 
'mmen  einer  allgemeinen. 

Der  Bluterguss  im  kleinen  Becken  aber  wird  häufig  nicht 


resorbiert,  da  er  in  der  grossen  Mehrzahl  der  Fälle  als 
vom  Darmkanal  aus  infiziert  anzusehen  ist. 

Es  entsteht  durch  seine  Vereiterung  ein  Kleinbecken- 
a  b  s  z  e  s  s,  der,  wie  ich  mich  bei  anscheinend  durch  Tage 
günstig  verlaufenen  perforierten  Magen-  und  Duodenal¬ 
geschwüren  und  Verletzungen  überzeugt  habe,  späterhin 
durch  Drucksteigerung  und  Sprengung  der  gebildeten  Ad¬ 
häsionen  zur  sekundären  und  diesmal  prognostisch  sehr  un¬ 
günstigen  Peritonitis  führt.  Es  handelt  sich  also  meines  Er¬ 
achtens  darum,  den  infizierten  Bluterguss  im 
kleinen  Becken  bei  den  Bauchschüssen  im 
Kriege  prophylaktisch  oder  therapeutisch 
unschädlich  zu  machen. 

Hierfür  scheinen  mir  zwei  Wege  brauchbar  zu  sein.  Ich 
empfehle  bei  den  frischen  Bauchschüssen,  d.  h.  bei  jenen, 
welche  innerhalb  der  ersten  24 — 48  Stunden  in  sonst  gutem 
Zustande  in  die  fachärztliche  Behandlung  kommen,  nur 
suprasymphysär  eine  kleinste  Laparotomie  unter 
Lokalanästhesie  zu  machen,  gross  genug,  um  ein 
fingerdickes  Gummidrain  in  das  kleine  Becken  zu  führen  mit 
weiterer  Behandlung  in  halbsitzender  oder  Seitenlage. 

Kommt  der  Verletzte  später  in  fachchirurgische  Hände, 
so  ist  sofort  der  Douglas  per  rectum  genauestens  zu  unter¬ 
suchen  und  beim  Vorhandensein  von  Schmerzhaftigkeit,  Vor¬ 
wölbung,  Tenesmen,  Schwierigkeiten  in  der  Harnentleerung  zu 
eröffnen.  Ist  eine  zirkumskripte  deutliche  Vorwölbung  vor¬ 
handen,  so  wird  man  den  Weg  durch  die  Rektalwand  wählen. 

Ich  wiederhole  Bekanntes,  wenn  ich  sage,  dass  man  den 
Schliessmuskel  kräftig  dehnt,  mit  2  Kugelzangen  die  Schleim¬ 
haut  über  der  tastbaren  Schwellung  fasst,  fixiert,  die  Nadel 
einer  Punktionsspritze  einstösst,  sieht  ob  zersetztes  Blut,  ge¬ 
trübtes  Exsudat  oder  Eiter  zum  Vorschein  kommt  und  nun 
bei  steckender  Punktionsnadel  mit  Paquelin  oder  Messer  ein¬ 
sticht,  den  Erguss  entleert  und  ein  Drain  nachführt. 

Ist  eine  zirkumskripte  Vorwölbung  nicht  vorhanden,  aber 
der  Douglas  im  allgemeinen  vorgewölbt  und  sehr  schmerzhaft, 
die  Erscheinung  einer  Kleinbeckenperitonitis  und  beginnenden 
allgemeinen  vorhanden,  so  empfehle  ich,  p  a  r  a  s  a  k  r  a  1  zu  er¬ 
öffnen. 

Das  Steissbein  wird  dabei  am  besten  enukleiert,  nach 
Längsspaltung  der  Fascia  retrorectalis  der  Mastdarm  frei¬ 
gelegt,  herabgezogen  und  die  vordere  peritoneale  Umschlag¬ 
falte  seitlich  eröffnet.  Der  Eingriff  ist  natürlich  etwas  grösser, 
aber  vom  geübten  Chirurgen  doch  in  kürzester  Zeit  und  mit 
einfachen  Mitteln  ausführbar. 

Die  Nachbehandlung  ergibt  sich  von  selbst.  Man  führt 
ein  Drain  in  das  kleine  Becken  ein,  fixiert  es  in  der  Wunde 
verlässlich  durch  eine  Naht,  lässt  die  ganze  Operationswunde 
offen  und  tamponiert  sie  leicht. 

Mögen  meine  Friedenserfahrungen  bei  manchen  Formen 
von  Peritonitis  nach  Verletzungen  und  Perforationen  von 
Bauchhöhlenorganen,  die  zu  diesen  Vorschlägen  führten, 
unseren  tapferen  Kriegern,  die  jetzt  freudig  ins  Feld  ziehen, 
für  Deutschlands  völkische  Ehre  und  Grösse  zum  Nutzen  ge¬ 
reichen! 

Ein  Austausch  der  an  grösserem  Materiale  gewonnenen, 
leider  wohl  bald  sich  ergebenden  Erfahrungen,  wäre  schi- 
erwünscht. 


1826 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  33. 


Aus  der  Kgl.  orthopädischen  Klinik  in  München. 

Die  Orthopädie  im  Kriege. 

Von  Prof.  Dr.  Fritz  Lange,  Oberstabsarzt  d.  L. 


Die  erste  Aufgabe  der  Kriegschirurgie  ist  Stillung  der 
Blutung,  die  zweite  Wahrung  der  Asepsis  und  die  dritte  ein 
zweckentsprechender  Transport  der  Verwundeten. 

In  der  Beherrschung  der  Blutungen  und  der  Asepsis  sind 
grosse  Fortschritte  gemacht  worden.  In  der  Frage  des  Trans¬ 
portes  sind  dagegen  die  Fortschritte  viel  geringer.  Zum  Be¬ 
lege  führe  ich  folgendes  an: 

1870  waren  die  Schäden,  die  Verwundete  durch  den  Trans¬ 
port  erfuhren,  noch  so  gross,  dass  Stromeyer  vorge¬ 
schlagen  hat,  die  Oberschenkelfrakturen  4—5  Tage  in  der 


Abb.  1.  Schiene  für  Verletzungen  von  den  Zehen  bis  zum  Knie. 


Nähe  des  Schlachtfeldes  hegen  zu  lassen,  sie  nur  durch  Zelte 
zu  schützen  und  erst  dann  den  Transport  in  die  Wege  zu 
leiten.  Derselbe  Vorschlag  ist  jetzt  von  Küttner,  der  wohl 
unter  den  deutschen  Chirurgen  die  meisten  Erfahrungen  als 
Kriegschirurg -gesammelt  hat,  wieder  aufgenommen  worden. 


Abb.  2.  Schiene  für  Verletzungen  vom  Knie  bis  zu  den  untern  Lumbalwirbeln, 
einschliesslich  Hüftgelenk  und  Becken. 


Das  heisst  mit  anderen  Worten:  der  T  ransport  der  Knochen¬ 
verletzungen  entspricht  heute  noch  ebenso  wenig  unseren 
Wünschen  wie  vor  44  Jahren,  und  man  tut  besser,  den  Kranken 
in  den  ersten  Tagen  überhaupt  nicht  mit  den  jetzigen  Mitteln 
zu  transportieren.  Friedrich,  der  in  einer  Arbeit  über 


löst  betrachtet  werden,  wie  die  neuesten  kriegerischen  Er¬ 
eignisse  wieder  gezeigt  haben.“  Daraus  geht  hervor,  dass 
eine  zweckentsprechende  Feldschiene  noch  nicht  vor¬ 
handen  ist.  * 

Dass  wir  aber  auch  in  der  Schienung  unserer  Kranken  in 
den  Kliniken  keine  wesentlichen  Fortschritte  gemacht 
haben,  das  zeigt  am  besten  die  Tatsache,  dass  die  alte  Volk- 
mann  sehe  Schiene,  trotz  ihrer  grossen  Mängel,  immer  noch 
in  den  Kliniken  und  Krankenhäusern  das  Feld  behauptet.  Ich 
glaube,  dass  an  der  Lösung  dieses  Problems  mitzuarbeiten  der 
moderne  Orthopäde,  der  ja  genug  Gelegenheit  hat,  sich  mit 
technischen  Fragen  zu  beschäftigen,  besonders  berufen  und 
auch  besonders  verpflichtet  ist. 

Welche  Anforderungen  müssen  wir  an  eine  Feldschiene 
stellen? 

Sie  soll  einfach  sein,  damit  sie  jeder  Laie  schnell  an- 
legen  kann;  sie  muss  für  jede  Grösse,  die  beim  Militär  vor¬ 
kommt,  ohne  weiteres  passen;  sie  muss  für  die  rechte  Körper- 1 
hälfte  ebenso  passen  wie  für  die  linke,;  sie  soll  billig  sein, 
damit  eine  Massenanwendung  bei  der  Masse  der  Verletzungen! 
möglich  ist;  sie  muss  das  verletzte  Glied  annähernd  ebenso, 
sicher  fixieren  wie  ein  orthopädischer  Apparat  oder  ein 
Gipsverband,  und  endlich  muss  sie  leicht  sein,  denn  die  Kraft  j 
unserer  Krankenträger  darf  nicht  durch  das  Gewicht  der 
Schiene  noch  mehr  in  Anspruch  genommen  werden. 

Allen  diesen  Anforderungen  kann  m.  E.  entsprechend  durch, 
Schienen,  die  im  wesentlichen  aus  Bandeisen  bestehen,  mitj 
Sattlerfilz  gepolstert  und  durch  Gurte  mit  Schnallen  am  Körper  j 
befestigt  werden. 

Bandeisen  ist  schon  von  Port  für  Feldschienen  empfohlen 
worden.  Um  aber  dem  federnden,  weichen  Bandeisen  diej 
nötige  Festigkeit  und  Starrheit  zu  geben,  mussten  bisher 
immer  eine  Anzahl  von  quer-  und  längsverlaufenden  Bandeisen j 
durch  Nieten  mit  einander  zu  einer  Art  Hülse  verbunden 
werden  und  dadurch  wurden  dieN  Apparate  umständlich  und 
es  war  ein  gewisses  technisches  Geschick  zur  Anpassung  er-; 
forderlich. 

An  den  von  mir  empfohlenen  Schienen  (abgesehen  von. 
dem  Feldkorsett)  wird  der  Halt  durch  ein  einziges,  36  mm 
breites  und  2  mm  dickes  Bandeisen  gegeben.  Um  diesem 
einen  Bandeisen  die  nötige  Starrheit  zu  geben,  ist  es  hohl  ge¬ 
hämmert,  so  dass  es  im  Querschnitt  nicht  linienförmig  ( - ). 

sondern  bogenförmig  ( - - )  ist.  An  dieser  langen  starren 


Längsschiene  sind  3 — 6  schmälere  Querbandeisen  angebracht, 
welche  weich  sind  und  sich  durch  den  Druck  der  Hand  jedem 
Gliedumfang  anpassen  lassen. 

Das  ist  das  eine  grundsätzliche  Neue  an  den  Schienen:! 
das  andere  ist  der  Ersatz  der  Wattepolster  und  der  Binden- 


Abb.  3.  Feldkorsett  für  Verletzungen  von 
Lenden-  und  Brustwirbelsäule. 


Abb  4  b. 


den 


2.  Balkankrieg  von  diesen  Vorschlägen  Strom  eyers 
und  Kiittners  berichtet  (M.m.W.  1913  Nr.  47)  fügt  selbst 
folgende  Bemerkungen  bei:  „Ist  der  Transport  nicht  aufschieb- 
bar,  dann  tritt  die  grosse  Frage  der  besten,  festen,  haltbaren 
Schienen  in  ihr  Recht . . .  Diese  grosse  und  einschneidende 
Frage  kann  leider  bis  zum  heutigen  Tage  noch  nicht  als  ge- 


anwicklung  durch  Filzunterlage  und  Gurte.  Dem  einen  Band 
eisen  verdankt  die  Schiene  ihre  Einfachheit  und  das  leichte 
Gewicht,  dem  Filz  und  dem  Gurt  die  ausserordentliche  Erspar 
nis  an  Verbandmaterial  und  an  Zeit  beim  Anlegen. 

Ich  habe  die  Polsterung  und  die  Gurte  bei  denjenigen 
Schienen,  welche  zum  Transport  der  Verwundeten  vom  Ver- 


18.  August  1914. 


Feldärztliche  Beilage  /nr  Münch,  mcd.  Wochenschrift. 


1827 


handplatz  zum  Lazarett  dienen  sollen,  fest  vernähen  lassen. 
Ich  verhehle  mir  nicht,  dass  diese  Schienen  in  kurzer  Zeit 
einen  wenig  sauberen  Anblick  darbieten  werden;  sie  werden 
durch  Blut,  Regen  etc.  stark  beschmutzt  sein.  Da  aber  die 
Schienen  auf  diesem  Transport  über  den  Kleidern  angelegt 
werden,  so  ist  das  für  die  Wundbehandlung  gleichgültig;  die 
Tragbaren  können  ja  auch  nicht  vor  jedem  Gebrauch  sterili¬ 
siert  werden.  Andrerseits  ist  cs  viel  wichtiger,  dass  die 
Schienen  immer  gebrauchsfertig  sind  und  deshalb  sind  fest¬ 
genähte  Filzpolster  und  Gurte  vorzuziehen.  Es  ist  selbstver¬ 
ständlich,  dass  nach  einiger  Zeit  diese  Filze  und  Gurte  er¬ 
neuert  werden  müssen;  doch  kann  man  das  für  ruhigere  Zeiten 
aufsparen;  in  Zeiten,  wo  der  Kampf  tobt,  ist  das  Aussehen 
Nebensache. 

Für  diejenigen  Schienen  aber,  welche  im  Lazarett  benutzt 
und  die  gelegentlich  mit  Eiter  infiziert  werden,  habe  ich  Filz 
und  Gurte  abnehmbar  und  sterilisierbar  machen  lassen.  Filz 
und  Gurte  müssen  bei  diesen  Schienen  durch  Leinenbänder 
am  Bandeisen  befestigt  werden;  dadurch  ist  das  Anlegen  etwas 
umständlicher  als  bei  den  Transportschienen,  aber  es  erfordert 
bei  weitem  noch  nicht  so  viel  Zeit,  wie  das  Anwickeln  der 
heute  noch  meistens  gebrauchten  Volkmann  sehen  Schiene. 

So  viel  über  die  Grundsätze,  die  mich  bei  der  Herstellung 
meiner  Schienen  leiteten.  Die  Anwendung  der  einzelnen 
Schiene  dürfte  besser  als  durch  Worte  durch  die  Abbildungen 
gezeigt  werden: 


•  5.  Schiene  für  Verletzungen  des  oberen 

nerusendes,  des  Schultergelenkes  und  des  Abb.  6.  Armschiene  für  Verletzungen  von  der 
Schultergürtels.  Hand  bis  zur  Schulter. 


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Abb.  1.  Das  an  der  Rückseite  des  Beines  verlaufende  Band¬ 
eisen  zeigt  eine  Aushöhlung  für  die  Ferse,  folgt  dann  dem 
Wadenumfang,  zeigt  am  Knie  eine  leichte  Einbiegung,  damit 
das  Knie  nicht  vollständig  gestreckt,  sondern  in  leichter  Beu¬ 
gung  steht;  diese  Beugung  kann,  wenn  sie  nicht  genügen 
sollte,  leicht  durch  Biegen  der  Schiene  über  der  Tischkante 
noch  verstärkt  werden.  Der  1.  und  2.  Gurt  a  und  b  befestigt 
die  Schiene  am  Fuss,  der  3.  Gurt  (c)  in  der  Mitte  des  Unter¬ 
schenkels,  der  4.  (d)  in  der  Mitte  des  Oberschenkels. 

Abb.  2.  Die  Schiene  verläuft  wie  die  erste  an  der  Rück¬ 
seite  des  Beines  und  Rumpfes  und  reicht  bis  zum  Thorax.  Im 
unteren  Teil  bis  zur  Mitte  des  Oberschenkels  ist  die  Schiene 
crenau  so  gebaut  wie  die  1.  Schiene;  der  obere  Teil  mit  den 
beiden  den  Rumpf  umfassenden  Querbändern  (e  und  f)  dient 
zur  Fixierung  des  Rumpfes. 

Abb.  3.  Zwei  Längsschienen  zu  beiden  Seiten  der  Wirbel¬ 
säule  bilden  den  Kern  der  Schiene;  zwei  Querbänder  und  zwei 
Schulterbänder  befestigen  die  Schiene  am  Körper.  In  diesem 
Falle  sind  2  Schienen  verwandt,  weil  die  eine  Schiene  in 
der  Mitte  leicht  einen  Druck  auf  die  Dornfortsätze  ausüben 
könnte,  welcher  lästig  sein  kann. 

Abb.  4  a  und  4  b.  Der  Kinngurt  wird  nur  bei  Verletzungen 
des  Kiefers  angelegt. 


Abb.  5.  Diese  Schiene  lehnt  sich  an  die  alte  M  i  d  d  e  I  - 
dorpfsche  Triangel  an;  sie  ist  aber  durch  einen  Band¬ 
eisengurt  noch  am  Rumpfe  befestigt  und  gibt  dadurch  einen 
ganz  anderen  Halt  als  die  alte  Triangel  und  übt  gleichzeitig 
bei  Oberarmbrüchen  eine  gewisse  Extension  aus. 

Abb.  6.  Bei  dieser  Schiene  ist  das  längs  verlaufende  Band 
nicht  hohl  gehämmert,  weil  für  die  leichte  Aufgabe  die  Schiene 
nicht  absolut  starr  zu  sein  braucht.  Da  das  Bandeisen  seine 
ursprüngliche  Form  behalten  hat,  ist  es  viel  leichter  biegsam 
und  deshalb  ist  diese  Schiene  gleichzeitig  gedacht  für  Improvi¬ 
sierung  in  besonderen  Fällen,  wenn  z.  B.  bei  Kniekehlenwunden 
der  Druck  der  Schiene  von  hintenher  nicht  vertragen  wird,  so 
kann  diese  Armschiene  auch  seitlich  am  Bein  benutzt  werden, 
um  die  Fixierung  des  Kniegelenks  zu  bewirken. 

Der  Zweck  der  Schienen  *)  ist,  die  Schmerzen  der  Ver¬ 
wundeten  nach  Möglichkeit  zu  lindern  und  die  Wundheilung 
zu  beschleunigen,  Zeit  und  Kräfte  der  Aerzte  zu  schonen  und 
der  Heeresverwaltung  Geld  ersparen  zu  helfen.  Mögen  sie 
bei  der  ernsten  Prüfung,  der  sie  jetzt  unterzogen  werden, 
diesen  Zweck  voll  erfüllen. 


Aus  der  chirurgischen  Universitätsklinik  zu  Leipzig 
(Geh.  Med. -Rat  Prof.  Dr.  E.  P  a  y  r). 

Blutender  Herzschuss  durch  Naht  und  Muskelimplan- 

tation  geheilt. 

Von  Dr.  A.  T.  J  u  r  a  s  z,  Oberarzt  der  Klinik. 

Seit  Rehns  erstmalig  mit  Erfolg  ausgeführter  Herznaht 
im  Jahre  1896  sind  eine  ganze  Reihe  von  operativ  behandelten 
Fällen  von  Herzverletzungen  bekannt  geworden,  welche  in  den 
Statistiken  von  Borchardt  [l],  Wendel  [2],  R  e  h  n  [3] 
und  Hesse  [4]  gesammelt  und  niedergelegt  worden  sind. 
I  rotzdem  herrscht  in  der  Frage  der  Behandlung  noch  immer 
keine  ganz  einheitliche  Ansicht,  insofern,  als  einige  Autoren, 
wie  Franke,  Hildebr  andt,  Friedrich,  Martens  [5] 
u.  a.  auf  Grund  von  einem  oder  mehreren  glücklich  durchge¬ 
kommenen  Fällen  und  auf  Grund  der  Erfahrungen  der  Stati¬ 
stiken  die  konservative  Behandlung  der  Herzver¬ 
letzungen  empfehlen.  Ein  sicheres  Urteil  sich  in  dieser  Frage 
zu  bilden,  dürfte  jedoch  auf  Grund  eines  geringen  Materials 
ausserordentlich  schwer  sein,  zumal  die  Diagnose  bei  den  kon¬ 
servativ  behandelten  Fällen  durchaus  nicht  immer  mit  abso¬ 
luter  Sicherheit  festgestellt  war;  die  Sammelstatistiken  kranken 
an  den  ihnen  natürlichen  Fehlern,  dass  sie  meist  nur  Zu¬ 
sammenstellungen  von  günstig  verlaufenen  Fällen  bringen, 
während  die  ungünstigen  nicht  erwähnt  werden.  Es  war  des¬ 
halb  ein  grosser  Fortschritt,  als  Hesse  im  Jahre  1911  über 
21  Herzverletzungen  aus  ein  und  derselben  Klinik,  dem 
Obuchow-Krankenhause  in  St.  Petersburg,  auf  dem  Chirurgen¬ 
kongress  berichten  konnte  und  auf  Grund  der  dabei  gemachten 
Erfahrungen  vor  allem  auf  die  Notwendigkeit  eines 
frühzeitigen  Eingreifens  Nachdruck  legte,  da  mit 
jeder  Stunde  des  Zuwartens  die  Prognose  sich  ungünstiger 
gestalte.  Er  hält  diese  Forderung  auch  für  die  Fälle  auf¬ 
recht,  bei  denen  eine  Diagnose  nicht  sicher  zu 
s  t  e  1 1  e  n  i  s  t.  Er  nimmt  also  den  schon  früher  von  R  e  h  n 
angegebenen  Standpunkt  ein,  dass  es  immer  besser  sei,  wenn 
man  eine  vergebliche  Probeperikardiotomie  mache,  als  eine 
Herzverletzung  übersehe. 

Ich  möchte  in  folgendem  einen  Beitrag  zur  Unterstützung 
dieser  Forderung  liefern  in  einem  Falle,  der  aus  zwei  anderen 
Gründen  noch  ein  besonderes  Interesse  beansprucht. 

Es  handelte  sich  um  einen  34  jährigen  Patienten,  der  vor  vier 
Stunden  einen  Suizidversuch  gemacht  hat,  indem  er  sich  mit  einem 
7  mm-Revolver  in  die  linke  Brustseite  schoss.  Er  wurde  in  voll¬ 
kommener  Benommenheit  im  Stadium  des  Schocks  mit  kleinem,  kaum 
fühlbaren  Puls  und  grosser  Unruhe  hier  eingeliefert.  Irgendwelche 
Auskunft  über  den  Vorgang  der  Verletzung  war  nicht  zu  erlangen. 
Im  5.  linken  Interkostalraume  fand  sich  in  der  Mammillarlinic  eine 
von  Pulverrauch  noch  geschwärzte  Einschussöffnung  vor.  Ein  Aus- 


*)  Die  Schienen  werden  von  der  Firma  Stortz  &  Raisig, 
München,  Rosenheimerstrasse  4a,  angefertigt  und  der  Armee  zum 
Selbstkostenpreise  geliefert;  der  Preis  wird  voraussichtlich  bei  den 
meisten  Schienen  etwa  3 — 4  M.  betragen,  nur  einzelne  werden  etwas 
teurer  sein. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  33. 


1828 


schuss  war  nirgends  zu  finden.  Es  bestand  Bauchdeckenspannung, 
Dämpfung  der  linken  Brustseite  bis  zur  Spina  scapulae.  Bei  rechter 
Seitenlage  entleerte  sich  aus  dem  Schusskanal  synchron  der  Atmung 
hellrotes,  etwas  schaumiges  Blut.  Auf  Exzitantien  und  Kochsalz¬ 
infusion  besserte  sich  der  Puis,  so  dass  er  fühlbar  wurde.  Es  war 
nun  die  schwerwiegende  Frage  zu  entscheiden,  ob  es  sich  um  einen 
Herzschuss  oder  um  einen  einfachen  Lungenschuss  oder  um  beides 
handelte. 

Nach  einstündiger  Beobachtung  Kleinerwerden  des  Pulses,  des¬ 
wegen  Operation  (Dr.  J  u  r  a  s  z). 

In  Aethernarkose  Koch  er  scher  Schnitt  vom  Sternum  über  den 
6.  linken  Rippenknorpel.  Resektion  desselben,  wobei  der  Einschuss  in 
die  Pleura  festgestellt  wurde,  aus  dem  Blut  mit  Luft  gemengt,  anfangs 
geringer,  bei  Anwendung  von  Ueberdruck  mit  dem  Schoemak  er¬ 
sehen  Apparat  aber  reichlicher  herausfloss.  Resektion  des  5.  Rippen¬ 
knorpels,  wobei  der  Einschuss  in  das  blutig  imbibierte  Perikard  sicht¬ 
bar  wurde.  Resektion  des  4.  Rippenknorpels,  wodurch  eine  weit¬ 
gehende  Eröffnung  des  Perikards  ermöglicht  war.  Es  zeigte  sich 
dabei,  dass  der  ganze  Herzbeutel  mit  zahlreichen  Blutgerinnseln  und 
auch  mit  frischem  hellroten  Blut  ausgefüllt  war,  das  aus  der  Tiefe 
hervorquoll.  Mitten  im  linken  Ventrikel  war  ein  rundlicher  Einschuss 
zu  erkennen,  der  von  einem  Thrombus  verschlossen  schien  und  nicht 
blutete.  Beim  Aufheben  der  Herzspitze  konnte  man  dagegen  eine 
ziemlich  starke  Blutung  aus  dem  fingernagelgrossen,  ziemlich  zer¬ 
fetzten  Ausschuss  erkennen.  Durch  3  Seidenknopfnähte  durch  die 
Muskulatur  wurde  der  Ausschuss  verschlossen  und  die  Blutung  stand. 
Nach  Reposition  des  Herzens  hörte  dasselbe  auf  zu  schlagen,  durch 
sanfte  massierende  Bewegungen  jedoch  fingen  erst  langsam,  allmählich 
rhythmisch  wieder  die  Kontraktionen  an.  Nach  Wegwischen  des 
Gerinnsels  vom  Einschuss  fing  derselbe  wieder  an  zu  bluten.  Zwei 
Nähte  brachten  die  Blutung  nicht  zum  Stehen,  ausser¬ 
dem  blutete  es  aus  den  Stichkanälen,  deswegen  Implantation 
eines  1cm  langen,  %  cm  breiten  Muskelstückes  aus 
der  Brustmuskulatur  auf  die  Einschussstelle  mit¬ 
tels  einigen  feinen  Situationsnähten,  worauf  die 
Blutung  augenblicklich  stand.  Spülung  des  Peri¬ 
kards  mit  Kochsalz  bis  keine  Gerinnsel  mehr  in  demselben 
vorhanden  waren,  sodann  Verschluss  desselben  mit  fortlaufender 
Katgutnaht.  Da  sich  im  linken  Pleuraraume  grosse  Mengen  Blutes 
fanden  und  es  nicht  zu  entscheiden  war,  ob  das  Blut  nur  aus  -dem 
Perikard  herausgeflossen  war  oder  ob  auch  die  Lunge  verletzt  war, 
wurde  ein  Interkostalschnitt  ausgeschlossen,  die  massenhaften  Ge¬ 
rinnsel  ausgeräumt  und  ein  zerfetzender  Durchschuss  des  linken 
Unterlappens  der  Lunge  festgestellt,  aus  dem  es  mässig  blutete.  Die 
Lungenwunde  Hess  sich  ohne  Schwierigkeiten  nähen.  Gründliche 
Ausspülung  der  ganzen  Pleurahöhle  mittels  Koch¬ 
salz,  bis  kein  Gerinnsel  mehr  zu  sehen  war.  Hierauf  Verschluss 
der  Wunde  durch  mehrschichtige  Naht  unter  Ueberdruck.  Der 
äussere  Einschuss  wurde  exzidiert  und  vernäht. 

Verlauf:  Der  Verlauf  war  ein  normaler.  Geringe  Temperatur¬ 
steigerungen  bis  38,0  in  den  ersten  beiden  Wochen.  Am  10.  Tage 
wurde  ein  ziemlich  ausgedehnter  seröser  Erguss  mittels  Aspiration 
aus  der  linken  Pleurahöhle  entleert,  der  kulturell  steril  geblieben  ist. 
Vollständige  Heilung.  Puls  von  Anfang  an  langsam,  regelmässig, 
kräftig. 

Die  Nachuntersuchung  nach  8  Wochen  hat  vollkommenes  Wohl¬ 
befinden  ohne  Verbreiterung  des  Herzens,  ohne  pathologische  Ge¬ 
räusche  an  demselben  gegeben. 

Im  vorliegenden  Falle  schienen  die  ganzen  Erscheinungen 
erst  gegen  einen  Herzschuss  zu  sprechen,  denn  der  Lage  des 
Ausschusses  entsprechend  hätte  das  Geschoss  sehr  wohl  am 
Herzen  Vorbeigehen  können.  Die  von  Rehn  klinisch  so  genau 
beschriebenen  Symptome  des  Herzdruckes,  sich  äussernd  in 
starker  Zyanose,  Atemnot,  Ueberfüllung  der  Halsvenen,  zu¬ 
nehmenden  kleinen  Puls,  waren  nicht  vorhanden.  Abnorme 
Herzgeräusche  waren  ebenfalls  nicht  hörbar.  Auch  das  Her- 
ausfliessen  des  Blutes,  nicht  stossweise,  der  Pulswelle  ent¬ 
sprechend,  wie  man  dies  bei  offenen,  mit  dem  Herzbeutel  kom¬ 
munizierenden  Wunden  hätte  erwarten  können,  sondern  syn¬ 
chron  der  Atmung  bei  entsprechender  Tieflage,  schien  gegen 
einen  Herzschuss  zu  sprechen.  Die  Indikation  zur  Operation 
wurde  deswegen  mehr  auf  Grund  des  zunehmenden  Hämo- 
thorax  gestellt,  als  in  der  Annahme  einer  Herzverletzung.  Dass 
sich  trotzdem  bei  der  Operation  eine  so  schwere  Verletzung, 
wie  die  Perforation  des  linken  Ventrikels  mit  stark  zerfetztem 
Ausschuss  vorfand,  ist  ein  abermaliger  Beweis  dafür,  wie  be¬ 
rechtigt  die  Forderung  Reims  und  Hess  es  ist,  dass  in 
jedem  Falle,  bei  dem  die  Möglichkeit  eines  Herzschusses  vor¬ 
liegen  kann,  frühzeitig  operativ  eingegriffen  werden  soll.  Denn 
nach  dem  operativen  Befunde  war  es  nicht  anzunehmen,  dass 
die  Hämorrhagie  aus  der  Herzwunde  zum  Stillstand  gekommen 
wäre,  schon  deswegen  nicht,  weil  das  Blut  aus  dem  Perikard 
einen  freien  Ausfluss  nach  der  Pleurahöhle  hatte,  der  Patient 
sich  also  zweifellos  in  die  Pleurahöhle  hinein  verblutet  hätte, 


Die  Implantation  eines  freien  Muskelstückes  auf  eine  blu¬ 
tende  Herzwunde  wurde  zuerst  von  Läwen  [6]  empfohlen 
und  ausgeführt  anlässlich  eines  Schusses,  der  die  Herzspitze 
durchbohrt  hatte  und  bei  dem  die  Blutung  schwer  zu  stillen 
war.  Dass  das  Muskelgewebe  eine  starke,  blutgerinnende 
Wirkung  hat,  ist  bekannt,  dass  jedoch  eine  Implantation  von 
dem  Herzen  ohne  weiteres  vertragen  wurde,  ohne  eine  Mehr¬ 
belastung  diesem  Organe  zuzumuten,  geht  aus  dem  Läwen- 
schen  Falle  und  aus  den  experimentellen  Versuchen,  dp 
Läwen  und  Jurasz  [7]  am  Herzen  und  anderen  Organen 
angestellt  haben,  zur  Genüge  hervor.  Die  gute  Anheilung 
ohne  Zeichen  irgend  welcher  Nekrose,  wurde  im  Läwen- 
schen  Falle  durch  die  Sektion  des  Pat.  bewiesen,  der  leider 
einer  Infektion  erlegen  ist. 

Mein  Fall  dürfte  der  erste  sein,  bei  dem 
eine  I  m  plantation  von  Muskelgewebe  auf  das 
Herz  zu  einem  Dauererfolge  geführt  hat. 

Aus  einem  3.  Grunde  dürfte  mein  Fall  noch  interessant  er¬ 
scheinen,  insofern  nämlich,  als  sich  bei  der  grossen  Wunde 
keine  Zeichen  der  sonst  so  gefürchteten  Infektion  anschlossen. 
Ich  führe  das  auf  die  reichliche  Spülung  des  Peri¬ 
kards  und  der  Pleurahöhle  mit  Kochsalz¬ 
lösung  zurück,  welche  die  alten,  möglicherweise  durch 
den  Schusskanal  schon  infizierten  Blutkoageln  restlos  heraus¬ 
spülte.  Ich  glaube,  dass  in  jedem  künftigen  Falle 
die  Pleura  und  das  Perikard  analog  dem  Vor¬ 
gehen,  wie  wir  es  bei  der  Bauchhöhle  befolgen, 
gespült  werden  sollten. 

Was  die  operative  Technik  zur  Freilegung  des  Herzens 
betrifft,  so  geben  nur  die  anfangs  erwähnten  Arbeiten  von 
Borchardt  und  Wendel  genauen  Aufschluss  über  die  bis¬ 
her  geübten  Methoden.  Neuerdings  haben  W  i  1  m  s  [8]  und 
1  s  e  1  i  n  [9]  den  einfachen  Interkostalschnitt  empfohlen.  Ich 
glaube,  dass  er  bei  derartigen  Herzverletzungen  nicht  immer 
genügen  dürfte.  Ferner  wurde  von  L.  Rehn  die  Längs¬ 
spaltung  des  Sternums  zur  Eröffnung  des  vorderen  Media¬ 
stinums  vorgeschlagen  und  nach  einer  mündlichen  Mitteilung 
bei  2  Fällen  von  Herzverletzung  mit  ausserordentlich  gün¬ 
stigem  Erfolge  ausgeführt.  Die  Spaltung  des  Sternums  soll 
eine  ausgezeichnete  Uebersicht  ergeben.  Sie  kommt  bei 
alleinigen  Herzwunden  in  Betracht  und  wohl  besonders  bei 
Verletzungen  des  rechten  Ventrikels,  der  Vorhöfe  und  der 
grossen  Gefässe  an  der  Herzbasis.  Bei  gleichzeitiger  Ver¬ 
letzung  des  Herzens  und  der  Lunge  wird  ein  Interkostalschnitt 
unerlässlich  sein.  Mit  dem  Kocher  sehen  Schnitte  über  den 
6.  Rippenknorpel  mit  nachfolgender  Resektion  der  oberen 
Rippen,  soweit  wie  notwendig,  habe  ich  mir  in  diesem  Falle 
einen  sehr  guten  Zugang  verschaffen  können. 

Literatur. 

1.  Borchardt:  Sammlung  klin.  Vortr.  1906,  411/412.  —  2. 
Wendel:  Langenbecks  Archiv  80.  —  3.  Rehn:  Langenbecks  Ar¬ 
chiv  83,  Berl.  klin.  Woch.  1913  Nr.  50  und  Hb.  d.  prakt.  Chir.  2. 
1913.  S.  908.  —  4.  Hesse:  Chirurgenkongress  1911.  —  5.  Zit.  nach 
Rehn:  Bruns  Beitr.  75.-6.  Läwen:  Langenbecks  Archiv  104.  — 
i.  Läwen  und  Jurasz:  Langenbecks  Archiv  104.  —  8.  Wilms: 
Chirurgenkongress  1911  —  9.  Iselin:  D.  Zschr.  f  Chir.  1905. 

Der  Dienstbetrieb  bei  einem  Feldlazarett. 

Von  Oberstabsarzt  Dr.  v.  R  e  i  t  z. 

Nachstehende  Zeilen  machen  keineswegs  den  Anspruch 
auf  Vollständigkeit,  denn  sie  sind  in  der  allerkürzesten  Zeit 
niedergeschrieben  worden.  Trotzdem  glaube  ich,  dass  mancher 
meiner  Kollegen  irgend  eine  Anregung  daraus  entnehmen 
kann  und  zwar  namentlich,  wenn  ihm  nur  wenige  Hilfskräfte 
aus  dem  aktiven  Stande  zur  Verfügung  stehen. 

I. 

Dienstanweisung  für  den  Polizeiunteroffizier. 

1.  Der  Polizeiunteroffizier  ist  am  Eingang  des  Lazarettes  etc. 

unterzubringen.  Jeder  Fremde  ist  von  ihm  zu  kontrollieren,  die  das 
Lazarett  verlassenden  Mannschaften  haben  sich  bei  ihm  abzumelden 
und  beim  Einpassieren  das  Zertifikat  abzugeben.  _  Jl 

2.  Ihm  obliegt  die  Aufsicht  über  die  mitgebrachten  Dienst-  und 
eigenen  Sachen  der  Kranken,  die  Unterbringung  dieser  Gegen¬ 
stände  in  einen  eigenen  Raum  und  ihre  Kenntlichmachung  durch 
Anhängeadressen, 


18.  August  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


1829 


3.  Die  hauspolizeilichen  Anordnungen  des  Chefarztes  hat  er  zu 
achen#  Wer  Polizeiunteroffizier  ist  nicht  Vorgesetzter  der 

Militärpersonen  gleichen  oder  höheren  Ranges,  da  er  nicht  zu  den 
\\ achnunnschaften  gehört.  Reicht  die  eigene  Autorität  hei  Dienst- 
\' idrigkeiten  nicht  aus,  hat  er  es  dem  Chefarzt  zu  melden. 

4.  Zu  seinen  weiteren  Dienstobliegenheiten  gehört  die  Führung 
der  Listen  über  die  Lazarett-  und  Parkwachen  sowie  die  Visitierung 
der  1  osten,  letzteres  nach  Anordnung  des  Chefarztes,  und 

5.  die  Aufsicht  über  die  Waffen  der  Mannschaften;  jeden  Mitt¬ 
woch  inid  Samstag  Gewehrappell  nach  dem  Nachmittagsappell. 

ü.  Pichtet  das  Feldlazarett  einen  Hauptverbandplatz  ein,  so  wird 
der  Polizeiunteroffizier  der  Empfangsabteilung  zugeteilt.  Wird  das 
Lazarett  als  solches  in  Betrieb  gesetzt,  richtet  er  eine  Kammer  für 
Kltidei  und  Eigentum  der  Kranken  ein  und  versieht  seine  weitere 
Tätigkeit  im  Krankenaufnahmezimmer  unter  Aufsicht  des  zweiten 
Feldlazarettinspektors. 

e. r  J$a  m  mer  Unteroffizier  ist  dem  ersten  Inspektor 
zugeteilt  als  1 1 1 1  tsorgan  für  die  Materialverwaltung  und  für  die  In¬ 
standhaltung  der  Mannschaftsmonturen. 

III.  Der  Lazarettfeldwebel. 

1.  Der  mit  der  Aufsicht  über  die  Sanitätsunteroffiziere,  die  Militär- 
ki .  nkenwärter,  den  Koch  und  den  Apothekenhandarbeiter  beauftragte 
älteste  Sanitätsunteroffizier  ist  im  Dienst  Vorgesetzter  des  gesamten 
unteren  Sanitätspersonals  und  der  nicht  im  Dienstrange  höher  stehen¬ 
den  Kranken. 

2.  Er  führt  die  zur  Besetzung  der  Krankenwachen  notwendigen 
Listen  sowie  die  sonstigen  Kommandierrollen  und  das  Parolebuch. 
Ferner  hat  er  die  Arrestscheine  und  Krankenrapporte  für  die  An¬ 
gehörigen  des  Lazarettes  aufzustellen. 

3.  Eine  halbe  Stunde  nach  dem  Wecken  findet  durch  ihn  der 
Morgenappell  statt.  Hierbei  ist  auf  Vollzähligkeit  des  Personales, 
ob  jeder  sauber  gewaschen  und  gekleidet  ist  (Stiefel!)  zu  achten 

4.  Um  2  Uhr  Nachmittag  hält  er  einen  zweiten  Appell  ab,  wobei 
die  von  ihm  zu  bestimmenden  Monturstücke  etc.  vorzuzeigen  sind. 
Gleichzeitig  hat  er  die  Lazarettbefehle  bekannt  zu  geben  und  die 
Postsachen  an  das  Sanitätspersonal  auszuteilen. 

5.  Diesem  Nachmittagsappell  hat  auch  der  Trainunteroffizier  mit 
dem  1  rainpersonal  anzuwohnen. 

6.  Erlaubniskarten  für  das  Sanitätspersonal  gibt  er  dem  Chefarzt 
zur  Unterschrift,  nachdem  sie  zuvor  den  Stationsärzten  etc.  zur  Ein- 
verständniserklärung  vorgelegt  waren.  Ueber  die  Erlaubniskarten 
sind  lasten  zu  führen. 

7.  Die  Stationsaufseher  überwacht  er  hinsichtlich  ihres  Dienstes 
besonders  in  bezug  auf  Reinlichkeit  und  Ordnung  in  den  Kranken¬ 
stuben,  entsprechende  Lüftung  und  Heizung,  ordnungsmässige  Be¬ 
nutzung  und  Aufbewahrung  der  Geräte  und  richtige  Beschreibung 
der  Kopftafeln. 

8.  Missstände,  die  er  nicht  selbst  abstellen  kann,  meldet  er  so¬ 
fort  dem  betreffenden  ordinierenden  Sanitätsoffizier  oder  dem  Chef¬ 
arzt.  oder  dem  ersten  Lazarettinsp^ktor. 

9  Wird  das  Lazarett  als  Hauptverbandplatz  etabliert,  sorgt  er 
zunächst  auf  dem  Warteplatz  für  marschfähige  Verwundete  für 
Ordnung. 

IV.  Der  Train  Unteroffizier. 

1.  Der  Trainunteroffizier  beaufsichtigt  das  Trainpersonal,  die 
rahrzeuge  und  Pferde. 

2.  Nachmittags  2  Uhr  wohnt  er  mit  dem  sämtlich  abkömmlichen 
1  rainpersonal  dem  vom  Lazarettfeldwebel  abzuhaltenden  Appell  bei 

3.  Wird  das  Feldlazarett  als  Hauptverbandülatz  etabliert,  hat  er 
nach  Anweisung  des  Chefarztes 

a)  den  Parkplatz  für  die  Wagen, 

b)  den  Feldstall  und 

c)  die  Latrinenanlage  mit  dem  ihm  zur  Verfügung  stehenden 
Personal  zu  errichten. 

4.  Erlaubniskarten  für  das  Trainpersonal  werden  von  ihm  dem 
Uhefarzt  zur  Genehmigung  vorgelegt. 

Einrichtung  des  Feldlazarettes. 

I. 

Ergeht  der  Befehl  zum  Einrichten  des  Feldlazarettes,  so 
bezeichnet  der  Chefarzt  die  einzelnen  Räume,  während  der 
•  Inspektor  sofort  Stroh  herbeischafft.  Letzterem  ist  bei¬ 
gegeben  der  Radfahrer  und  der  Kammerunteroffizier. 

Es  ist  einzurichten: 

a)  Das  Aufnahmezimmer:  2.  Inspektor  mit  Schreiber  und  Polizei¬ 

unteroffizier. 

Die  Munition  der  Kranken  ist  gesondert  unterzubringen  und  zur 

Etappe  abzuführen. 

b)  Geschäftszimmer:  Lazarettfeldwebel. 

c)  Operationszimmer  mit  Nebenraum  für  den  Sterilisierapparat: 

1  Sanitätsoffizier. 

d)  1  Verbandzimmer:  1  Sanitätsoffizier. 

e)  Apotheke:  Oberapotheker  und  sein  Gehilfe. 

Y  K.” c.^  ” e  b  s  t  Speise  und  Abspülraum:  der 

Koch  mit  1  Militärkrankenwärter. 

.  g)  Aufbewahrungskeller  für  Fleisch  und  G  e  - 
1  ranke:  die  Gleichen. 


h)  Ein  Raum  für  reine  Leib-  und  Bettwäsche:  der  Kammer¬ 
unteroffizier. 

D  l  Kammer  für  die  Kleider  der  Verwundeten:  der 
Polizeiunteroffizier. 

1  Kaum  für  Beleuchtungsmittel,  Lampen,  Laternen:  der 

3.  Stationsaufseher. 

n]  Räume  für  Feuerungsmittel:  der  Gleiche. 

PJ  Aborte  für  Kranke  und  Lazarettpersonal  (alle 
ivi  an  keil,  die  gehen  können,  sind  auf  einen  Abort  ausserhalb 
a  e  s  Hauses  zu  verweisen):  Trainunteroffizier. 

d)  Ein  Raum  für  die  Lazarett-  und  Park  wache: 
der  Polizeiunteroffizier. 

l)  1  Wohnungen  für  die  Aerzte  und  Beamten,  ein  Teil  der  Diener, 

A  bur  das  übrige  Personal:  1  Assistenzarzt. 

v  ||n  Railm  für  unreine  Wäsche:  der  3.  Stationsaufseher. 

x)  eine  Totenkammer:  der  3  Stationsaufseher. 

(Die  durch  Fettdruck  bezeichneten  Räume  müssen,  die  durch  Sperr¬ 
druck  bezeichneten  sollen  nicht  unter  einem  Dach  mit  Kranken  sein.) 

Spater  ist  von  den  Stationen  für 

h)  Theeküchen,  weiter 

i)  für  Baderäume  (Chefarzt), 

o)  Wäschetrockenboden  (1.  Inspektor), 

s)  Mikroskopierzimmer  (Chefarzt), 

t)  Röntgenzimmer  und  Dunkelkammer  (Chefarzt), 

u )  W  aschküche  und  Rollkammer  (1.  Inspektor)  und 

w)  für  einen  Desinfektionsraum  für  Wäsche  und  Kleider  (Chef¬ 
arzt;  zu  sorgen. 

Die  sämtlichen  Räume  sind  durch  Tafeln  und  Inschriften 
zu  bezeichnen. 

An  den  Ortseingängen  sind  frühzeitig  Wegweiser  zum 
Lazarett  anzubringen  (Improvisationskolonne).  Die  übrigen 
Sanitätsoffiziere  bezeichnen  die  einzelnen  Krankenräume,  wo¬ 
bei  zu  beachten  ist,  dass  die  nötige  Grundfläche  zur  Lagerung 
eines  Kianken  9  qm  und  der  Abstand  der  Betten  1  m  betragen 
soll,  sowie,  dass  die  Räume  unter  allen  Umständen  gut  lüftbar 
sind.  Ziffer  45  der  Anlagen  zur  K.S.O. 

II. 

i  *  -  Die  Improvisationskolonne  sorgt  für  Kennzeichnung  des  Feld- 
uzaiettes  (Ziffer  171  und  133  der  K.S.O. ,  sowie  für  Kenntlichmachung 
und  event.  für  Beleuchtung  der  Zufahrtstrassen. 

2-  Reinigung  der  Krankenräume  durch  die  Krankenwärter  unter 
Aufsicht  der  Stationsaufseher. 

3.  Auspacken  eines  oder  zweier  Gerätewagen  und  des  Kranken¬ 
wagens  (Strohsäcke,  Bett-  und  Krankenwäsche,  Tragen,  Kranken- 
verpflegungsvorrat  und  Kochkessel)  durch  den  Kammerunteroffizier 
(I.  Inspektor)  und  Militärkrankenwärter  und  Koch. 

4.  Einrichten  von  1 — 2  Stationen  durch  deren  Personal 

5.  Ansetzen  einer  Suppe  durch  den  Koch. 

,  x  6\  AdIsPacken  eines  Sanitätswagens  (Sterilisiergerät,  Haupt- 
besteck,  Verbandmittel).  Aufstellen  von  Verbandtischen  durch  die 
Sanitätsoffiziere  und  Sanitätsmannschaften. 

7.  Eventuell  Erweiterung  des  Lazarettes  durch  Zelte  aus  Zelt¬ 
bahnen  und  durch  Anforderung  von  Zelten  vom  Lazarettreservedepot 

8.  Abfallgruben  müssen  mindestens  100  Schritte  vom  Lazarett 
entfernt  sein  und  täglich  desinfiziert  werden.  Verbrennbare  Abfälle 
sind  zu  verbrennen. 

9.  Auf  die  Notwendigkeit  der  Reinlichkeit  weisen  Ziff.  46 _ 51 

der  Anlagen  der  K.S.O.  hin. 

Lazarettdienst. 

1.  Wecken  itn  Sommer  um  6  Uhr,  im  Winter  um  Vl>7  Uhr.  Der 
Koch  eine  halbe  Stunde  früher. 

2.  Eine  halbe  Stunde  nach  dem  Wecken  Appell:  In  der  Zwischen¬ 
zeit  Ankleiden,  Waschen,  Stube  in  Ordnung  bringen. 

3.  Nach  dem  Appell  Dienstbeginn:  die  Kranken  werden  ge¬ 
messen.  Ankleiden  und  Waschen  der  Kranken. 

4.  Eine  halbe  Stunde  nach  dem  Appell  Kaffeeausgabe  an  die 
Kianken  und  ans  Personal.  20  Minuten  Frühstückspause,  dann 
Reinigen  der  Krankensäle. 

5.  11  Uhr  45  Min.  Essenausgabe  an  die  Kranken,  12  Uhr  15  Min 
Essenausgabe  an  das  Personal. 

a  r-'  bis  2  Uhr  Mittagspause,  während  der 

das  Geschirr  gereinigt  wird. 

7.  2  Uhr  Appell. 

8.  6_Uhr  abends  Essenausgabe  an  die  Kranken,  6  Uhr  15  Min 
abends  Essenausgabe  an  das  Personal. 

9.  Von  6  Uhr  abends  bis  zum  Zapfenstreich  wird  der  Stations- 
dienst  nur  vom  Sanitätsunteroffizier  vom  Tag  und  von  den  durch 
die  Station  bestimmten  Wärtern  versehen. 

10.  10  Minuten  vor  Zapfenstreich  meiden  sich  die  zur  Nacht¬ 
wache  kommandierten  Mannschaften  beim  Unteroffizier  vom  Tag,  der 
ihnen  die  besonderen  Instruktionen  über  ihr  Verhalten  bei  Schwer¬ 
kranken  erteilt. 

Nr.  1  Wache  von  9—12  Uhr, 

..  2  „  „  12—3  „ 

»»  3  »»  ii  3 — 6(4  ,, 


11530 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  33. 


Der  Unteroffizier  vom  Tage. 

].  Der  Unteroffizier  vom  Tag  übernimmt  seinen  24  Stunden 
dauernden  Dienst  um  2  mittags.  Sein  Vorgänger  hat  ihm  den 
Dienst  zu  übergeben  Während  der  Zeit  muss  er  zu  Mause  sein, 
wenn  er  nicht  dienstlich  verschickt  wird. 

2.  Der  Unteroffizier  vom  Tag  sorgt  für  rechtzeitiges  Wecken 
des  Personals  und  achtet  darauf,  dass  deren  Stuben  noch  vor  dem 
Morgenappell  in  Ordung  gebracht  werden. 

3.  Während  die  Menage  verteilt  wird,  ist  er  zur  Kontrolle  an 
deren  Ausgabestelle  anwesend. 

4.  Zur  Zeit  des  Zapfenstreiches  revidiert  er,  ob  die  Leute  zu¬ 
hause  sind. 

5.  Durch  Rundgänge,  deren  Zeit  vom  Chefarzt  bestimmt  wird, 
hat  er  sich  Gewissheit  zu  verschaffen,  dass  alles  in  Ordnung  ist. 

6.  Ein  besonderes  Augenmerk  hat  er  auf  das  Anzünden  der 
Lampen  und  auf  deren  regelmässiges  Brennen  und  ihr  rechtzeitiges 
Auslöschen  zu  richten. 

7.  Im  Dienst  des  Unteroffiziers  vom  Tag  wechseln  ab:  1.  der 
Polizeiunteroffizier,  2.  der  als  Schreiber  fungierende  Unteroffizier, 

3.  der  Kammerunteroffizier,  4.  der  Trompeterunteroffizier. 

8)  In  jeder  neuen  Ortsunterkunft  meldet  sich  der  Unteroffizier 
vom  Dienst  beim  Offizier  vom  Ortsdienst. 

Kranken  Verpflegung. 

Die  Verpflegung  erfolgt  am  einfachsten  in  zwei  Kost¬ 
formen,  wie  wir  es  bereits  bei  der  Selbstbewirtschaftung  in 
den  Lazaretten  gemacht  haben.  Die  erste  Form  ist  die  all¬ 
bekannte,  die  zweite  Form  ist  eine  möglichst  reizlose  Kost 
hauptsächlich  in  Suppenform,  zu  welcher  nach  Bedarf  Bra¬ 
ten  etc.  als  Zulage  verordnet  werden  kann. 

Für  den  geordneten  Dienst  in  der  Küche  ist  der  erste 
Lazarettinspektor  verantwortlich. 

Dem  Unterpersonal,  ausschliesslich  des  Trainpersonals 
kann  die  Beköstigung  aus  der  Lazarettküche  gegen  Fortfall 
der  Feldküche  gewährt  werden.  Ziff.  244. 

Bezüglich  Beitreibungen  siehe  Ziff.  206  der  Anlagen 
zur  K.S.O. 

Marscheinteilung. 

An  der  Spitze  reiten  die  Sanitätsoffiziere,  dann  kommen 
die  Sanitätsmannschaften  und  Militärkrankenwärter  in  Gruppen 
zu  4  Rotten,  diesen  folgen  die  Fahrzeuge  in  der  Kolonne  zu 
Einern.  Reihenfolge:  Krankenwagen,  Sanitätswagen  Nr.  1  u.  2, 
Packwagen,  Gerätewagen  1—4,  Beamtenwagen,  beigetriebene 
Vorratswagen,  den  Schluss  bildet  der  Trompeterunteroffizier. 

].  ?V->.  Stunden  vor  Abmarsch  wird  geweckt. 

2.  Füttern  der  Pferde  04  der  Ration  2  Stunden  vor  Abmarsch, 
Vi  Ration  nach  dem  Einrücken,  Vz  Ration  am  Abend). 

3.  1  Stunde  nach  jeder  Mahlzeit  Nachtränken  der  Tiere. 

4.  Sobald  Unterkunftsort  bestimmt  ist,  die  Quartiermacher  vor¬ 
ausschicken:  Ein  Assistenzarzt,  der  Trainunteroffizier  und  der  Train¬ 
gefreiter.  Sanitätskorporalschaft  geschlossen  in  nahe  beieinander 
gelegenen  Häusern  unterzubringen. 

Trainpersonal  fahrzeugweise  einquartieren,  Pferde  mindestens 
zu  zweien,  bei  mehr  als  4  Pferden  hat  ein  Mann  im  Stall  zu  schlafen. 
Bei  mehr  als  12  Pferden  werden  Stallwachen  eingerichtet. 

5.  Den  Lazarettfeldwebel  in  die  Nähe  des  Chefarztes  ein¬ 
quartieren. 

6.  ln  der  Nähe  des  Parkplatzes  ein  Wachlokal  einrichten  mit 
einem  Unteroffizier  und  3  Mann  zur  Bewachung. 

7.  Sind  besondere  Vorsichtsmassregeln  angezeigt,  werden  Mann¬ 
schaften  und  Pferde  alarmbereit  in  grösseren  Quartieren  vereinigt. 

8.  Der  Parkplatz  ist  zugleich  Alarmplatz. 

Zu  Park-  und  Sicherheitswachen  werden  in  erster  Linie  die 
Trainsoldaten  verwendet. 

Hauptverbandplatz. 

Wäre  ein  Verbandplatz  zu  errichten,  käme  zur 

1.  Empfangsabteilung:  1  Assistenzarzt,  der  2.  Lazarett¬ 
inspektor,  entsprechend  dem  Zahlmeister  bei  der  Sanitätskompagnie 
Ziff.  153  der  K.S.O.  (Ausladeplatz  für  das  Gepäck.)  Der  Polizei¬ 
unteroffizier.  Der  3.  Stationsaufseher  mit  seinen  Krankenwärtern. 

2.  Zu  den  Verbandabteilungen:  Die  übrigen  4  Sanitäts¬ 
offiziere  mit  dem  Personal  von  Station  I  und  II,  die  ihrerseits 

3.  den  W  a  r  t  e  p  1  a  t  z  für  versorgte  transportfähige  und 

4.  für  versorgte  nicht  transportfähige  Verwundete  einrichten  und 
zur  Aufsicht  je  einen  Sanitätsunteroffizier  mit  einem  Krankenwärter 
abstellen. 

5.  Zum  Warteplatz  für  Marschfähige  der  Sanitätsfeldwebel, 

6.  zum  Platz  für  Sterbende  ein  Sanitätsunteroffizier, 

7.  zum  Platz  für  Tode  der  gleiche  Sanitätsunteroffizier  und  der 
2.  Lazarettinspektor  (Ziff.  152  der  K.S.O.). 

8.  Zum  Kochplatz,  der  1.  Lazarettinspektor  und  der  Koch. 

9.  Latrine  und 

10  Feldstall,  sowie 


11.  der  Parkplatz  werden  vom  Trainunteroffizier  eingerichtet. 

Auf  letzterem  sammelt  sich  die  Improvisationskolonne,  die  in 
erster  Linie  aus  geeigneten  Handwerkern  des  Feldlazarettes  und  dann 
aus  dem  übrigen  verfügbaren  Personal  besteht.  Diese  stellt  den 
Signalapparat  auf  (Beleuchtungsgerät),  schlägt  Zelte  aus  Zeltbahnen 
auf  und  bezeichnet  und  erleuchtet  die  Zufahrtsstrassen.  Im  Feld¬ 
lazarett  haben  sie  auch  unter  Aufsicht  des  ersten  Lazarettinspektors 
Krankenbettstellcn  herzustellen,  gemäss  Ziff.  611—614  der  Anlage 
zur  K.S.O. 

6  Mann  vom  Sanitätspersonal  und  5  Mann  vom  Train 
können  in  10  Stunden  75—100  Notbettstellen  und  45—75 
Bretterbettstellen  herrichten. 

Der  Improvisationskolonne  obliegt  auch  die  Herstellung 
von  Fahrzeugen  zum  Verwundetentransport  und  die  Anferti¬ 
gung  von  anderem  Improvisationsgerät.  Ebenso  stellt  sie  Bei¬ 
treibungskommandos  ab  und  zwar  Trainsoldaten  zu  Stroh- 
und  Lebensmittelbeitreibung  etc. 

Unterricht. 

1.  Die  vier  ältesten  Sanitätsunteroffiziere  werden  durch  die 
Sanitätsoffiziere  als  Lazarettfeldwebel  bzw.  als  Stationsaufseher,  so¬ 
wie  als  Abrichter  für  die  Strohbehelfsarbeiten  und  für  die  Trage¬ 
übungen  ausgebildet. 

2.  Das  ganze  Sanitätspersonal  wird  in  drei  kleine  Unterrichts- 
gruppen  eingeteilt:  1.  die  Sanitätsunteroffiziere,  2.  die  Militärkranken¬ 
wärter  1 — 7,  3.  die  Militärkrankenwärter  8 — 14,  weil  an  so  kleine 
Gruppen  der  Unterricht  viel  intensiver  erteilt  werden  kann. 

3.  Ein  Oberarzt  unterrichtet  der  Reihe  nach  die  Gruppen  über 
Messen  der  Körperwärme,  Pulszählen,  Blutkreislauf,  Blutungen  und 
Blutstillung:  Ziffer  76—80,  103  a,  108—117,  1121,  230  der  Kranken- 
trägerordnung,  sowie  über  den  Sterilisierapparat,  76,  77,  79,  80, 
192,  210,  211  des  Unterrichtsbuches  für  Sanitätsmannschaften. 

4.  Ein  zweiter  Sanitätsoffizier  unterrichtet  über  Verbandmittel 
und  Verbände.  Ziffer  83,  85—94  der  Krankenträgerordnung,  sowie 
über  die  Pflege  Sterbender.  §§  219,  220,  224,  225  des  Unterrichts¬ 
buches  für  Sanitätsmannschaften. 

5.  Der  dritte  Sanitätsoffizier  unterrichtet  über  Verletzungen  und 
Wundverbändc  103  b,  104,  105,  106,  124,  127,  128  der  Krankenträger¬ 
ordnung,  sowie  über  ansteckende  Krankheiten  §§  110,  111,  112,  221  und 
Beilage  6  des  Unterrichtsbuches  für  Sanitätsmannschaften. 

6.  Der  vierte  Sanitätsoffizier  unterrichtet  über  die  Lagerung  von 
Verletzten  Ziff.  164,  184,  186,  203  bis  211  der  Krankenträgerordnung, 
sow'ie  über  Krankenwachen  und  Ordnung  in  den  Krankenstuben 
§§  187,  189,  191,  194,  195,  196,  204,  205  des  Unterrichtsbuches  für 
Sanitätsmannschaften. 

Der  Unterricht  soll  nicht  etwa  in  einem  theoretischen 
Vortrag  bestehen,  sondern,  hauptsächlich  in  praktischen 
Uebungen,  während  deren  der  Unterrichtsleiter  durch  Frage¬ 
stellung  hinreichend  auf  das  theoretische  Wissen  seiner  Leute 
einwirken  kann.  Aehnlich  sollen  auch  die  Trageübungen  und 
die  Befehlsarbeiten  ausgeführt  werden.  Auf  diese  Weise  wird 
der  notwendigste  Teil  des  Unterrichtsstoffes  den  Sanitätsmann- 
schaften,  die  in  ihrer  Gesamtheit  doch  nur  selten  zu  einem  ge¬ 
meinschaftlichen  Unterricht  zu  vereinen  wären,  auf  dein 
raschesten  Wege  beigebracht. 


Referate. 

Alfred  S  c  h  ö  n  w  e  r  t  h  -  München:  Vademekum  des  Feldarztes. 

München,  Lehmann,  1914.  Preis  4  Mark. 

Gerade  zur  rechten  Zeit  erscheint  für  unsere  vielen  im  Felde 
stehenden  Kollegen  das  vorgenannte  Vademekum.  Gar  mancher 
unserer  Kollegen  v'ird  sich  plötzlich  Aufgaben  gegenüber  sehen,  die 
ihm  bisher  nur  selten  gestellt  wurden,  sei  es,  dass  er  als  Truppen¬ 
arzt  die  erste  Hilfe  zu  leisten  und  dabei  oft  endgültig  über  das 
Schicksal  mancher  Verletzter  zu  entscheiden,  sei  es,  dass  er  im 
Lazarett  in  kurzer  Zeit  eine  Unsumme  von  unaufhörlich  zuströmen¬ 
den  Verwundeten  chirurgisch  zu  versorgen  hat. 

Das  vorliegende  Vademekum  wird  sicher  vielen  ein  sehr  will¬ 
kommener  Ratgeber  sein.  In  knapper  Darstellung  gibt  es  zunächst 
eine  kurze  Uebersicht  über  die  wichtigsten  kriegschirurgischen 
Grundsätze  und  betont  dabei  immer  wieder,  wie  der  Grundsatz,  die 
Infektion  fernzuhalten,  unsere  Arbeit  in  erster  Linie  leiten  muss.  Ein 
kurzer  Abschnitt  über  Wundbehandlung,  Narkose,  Blutstillung  mit 
besonderer  Berücksichtigung  der  Kriegsverhältnisse  schliesst  sich  an. 

In  einem  dritten  Teile  werden  die  einzelnen  Verletzungen  Kurz 
aufgezählt  und  ihre  zweckmässigste  Versorgung  auf  dem  Schlacht¬ 
felde  sowohl  wie  im  Lazarett  erörtert.  Auch  die  wichtigsten  Wund¬ 
komplikationen,  sowie  die  vernehmlichsten  akuten  chirurgischen  Er¬ 
krankungen  (Brucheinklemmung,  Appendizitis,  Ileus)  finden  Berück¬ 
sichtigung. 

Das  recht  handlich  gebundene  Buch  wird  unseren  Feldärzten  als 
Naehschlagebuch  zur  schnellen  Orientierung  gute  Dienste  leisten. 

K  r  e  c  k  e. 


8.  August  1914. 


Heklürztliche  Beilage  zur  Miincli.  meü.  Wocheiisdirift. 


1831 


Kleine  Mitteilungen. 

Kriegssanitätsstatistik. 

Dem  ausgezeichneten  Artikel  über  Militärsanitätswesen  in 
u  1  e  n  b  u  r  g  s  Realenzyklopädic  der  gesamten  Heilkunde,  4  Aufl 
id.  2.  entnehmen  wir  die  nachstehenden  zeitgemässen  Ausführungen 
her  die  Kriegssanitätsstatistik  von  Oberstabsarzt  Dr.  Schwie- 
ing,  Professor  an  der  militärärztlichen  Akademie  in  Berlin: 

Ein  besonderes  Kapitel  der  Militärmedizinalstatistik  bildet  die 
r  i  e  g  s  s  an  itätsstatistik;  sie  unterscheidet  sich  von  der 
riedensstatistik  durch  die  anders  geartete  Zusammensetzung  des 
rundmaterials,  indem  zu  den,  wenige  Altersjahre  umfassenden 
ktiven  Mannschaften  noch  die  den  verschiedensten  Altersklassen 
agehörenden  Mannschaften  der  Reserve  und  Landwehr  hinzutreten; 
•rncr  durch  die  viel  schwierigere  Berechnung  der  Kopfstärken,  durch 
e  Verschiedenheit  der  Kopfstärken,  je  nachdem  man  nur  die  Teil- 
-Imier  an  den  Schlachten  oder  die  überhaupt  auf  dem  Kriegsschau- 
atz  verwandten  Truppen  in  Betracht  zu  ziehen  hat,  durch  die 
idere  Zeiteinteilung,  indem  die  Statistik,  je  nach  der  Dauer  des 
rieges,  oft  nur  wenige  Monate,  oft  mehrere  Jahre  als  Zeitmass 
.'rücksichtigen  muss  uam. 

Die  Zahlen  der  verschiedenen  Kriege,  wie  sie  in  nachstehender 
abeile  aufgeführt  sind,  sind  natürlich  nicht  ohne  weiteres  zu  ver- 


Auf  die  Summen  der  Streiter  berechnet  ergibt  sich  als  Durch- 
schnittsverlust  der  einzelnen  Schlacht: 

für  die  Russen . 16,7  Proz. 

»  *  Japaner . 20,4  „ 

„  „  Deutschen .  7,0  „ 

als  Durchschnittsverlust  am  einzelnen  Schlachttage- 

für  die  Russen .  1,7  Proz. 

„  „  Japaner . ( :  2,0  „ 

„  „  Deutschen .  4,7  „ 

Der  einzelne  Schlachttag  hat  hiernach  proportional  sehr  viel 
weniger  Opfer  gefordert  als  im  Jahre  1870/71.  Nun  haben  sich 
aber  in  der  Mandschurei  die  Verluste  sehr  ungleichmässig  auf  die 
einzelnen  Schlachttage  verteilt,  und  an  manchen  Tagen  der  lang¬ 
dauernden  Schlachten  sind  grosse  Teile  der  als  „Schlachtteilnehmer" 
in  Rechnung  gestellten  Truppen  überhaupt  nicht  ins  Gefecht  ge¬ 
kommen,  während  andere  Truppenteile  Verluste  gehabt  haben,  die 
dem  deutschen  Durchschnittstagesverlust  gleichkonnnen,  ja  ihn  iiber- 
treffen.  Im  Kriege  1870/71  decken  sich  dagegen  die  Tagesverluste 
mit  denen  der  einzelnen  Schlacht,  da  die  Mehrzahl  der  letzteren 
nur  einen  Tag  dauerte. 

Der  Generalstab  glaubt  hiernach  zu  der  Ansicht  berechtigt  zu 
sein,  dass  die  Schlachten  des  Ostasiatischen  Krieges  blutiger  waren 
als  diejenigen  1870/71,  und  zwar  sowohl  infolge  der  langen  Dauer 


Krieg 

(Dauer  desselben) 

Armee 

Kopf¬ 

stärke 

An  Krankheiten  sind 

Gefallen 
vor  dem  Feinde 
sind 

An  Verwundungen  sind 

Summe  der  vor 
dem  Feinde  Ge¬ 
fallenen  und  spä¬ 
ter  an  Wunden 
Gestorbenen 

Summe 

der  überhaupt 
Gestorbenen 

behandelt 

gestorben 

behandelt 

gestorben 

abs. 

Prom. 

K. 

abs. 

|  Prom. 
K. 

abs. 

Prom. 

K. 

abs. 

Prom. 

K. 

abs. 

Prom. 

K. 

abs 

Prom . 
K. 

abs. 

Prom. 

K. 

Krimkrieg  1851  —  1856 
(28  Monate) 

Engländer 

97  864 

144  390 

1475,4 

17  579 

179,6 

2  755 

28,2 

18  283 

186,8 

1  847 

18,9 

4  602 

46,9 

22  181 

226,7 

Franzosen 

309  268 

361  459 

1168,8 

59  273 

191,7 

8  250 

26,7 

39  868 

128,9 

9  923 

32,1 

18  173 

58,8 

77  446 

250,4 

Krieg  in  Italien  1859 
(13  Monate) 

Franzosen 

130  302 

112  476 

863,2 

13  788 

105,8 

2  536 

20,0 

17  054 

130,9 

2  962 

22,9 

5  498 

42,9 

19  286 

148,7 

nerikanischer  Sezessions¬ 
krieg  1861-1865 

Amerikaner 

544  704 

p 

? 

? 

? 

44  238 

81,1 

2S4  055 

521,5 

34  849 

63,9 

79  087 

145,2 

9 

p 

eg  gegen  Dänemark  1864 
(9  Monate) 

Preussen 

63  500 

26  717 

420,7 

310 

4,9 

422 

6,6 

11,3 

2  021 

31,8 

316 

4,9 

738“ 

11,6 

1  048 

16/5 

Dänen 

54  000 

31  575 

584,7 

820 

15,1 

610 

3  987 

73,8 

836 

15,5 

1  446 

26,8 

2  266 

41,9 

Krieg  in  Böhmen  1866 
(3  Monate) 

Preussen 

280  000 

64  191 

229,3 

5  219 

18,6 

2  553 

9,1 

13  731 

49,0 

1  455 

5,2 

4  008 

14,3 

9  227 

32,9 

rieg  gegen  Frankreich 
1870/71  (12  Monate) 

Deutsche 

815  000 

480  035 

589,0 

14  904 

18,2 

17  255 

21,2 

99  566 

122,1 

11  023 

13,5 

28  278 

34,7 

43  182 

52,9 

issiscli-Türkischer  Krieg 
1877/78 
(28  Monate) 

Russische 

Donauarmee 

592  085 

875  929 

1479,4 

45  969 

77,6 

11  905 

20,1 

43  386 

73,3 

4  955 

8,4 

16  860 

28,5 

62  829 

106,1 

Russische 

Kaukasusarmee 

246  454 

1  184  757 

4807,2 

35  572 

144,3 

? 

734 

P 

13  266 

53,8 

1  869 

7,6 

p 

? 

37  441 

151,9 

misch-Chinesischer  Krieg 
1894/95  (6  Monate) 

Japaner 

60  979 

? 

? 

3  148 

51,6 

12,0 

? 

? 

231 

3,8 

965 

15,9 

4  113 

67,5 

echisch-Türkischer  Krieg 
1897 

Griechen 

1 

— 

66  500 

? 

? 

p 

? 

698 

10,5 

2  219 

33,4 

? 

? 

9 

9 

? 

lanisch- Amerikanischer 
ieg  1898/99  (13  Monate) 

Amerikaner 

211  350 

? 

? 

5  438 

25,7 

643 

3,0 

4  276 

20,2 

325 

1,5 

968 

4,6 

6  406 

30,3 

iüdafrikanischer  Krieg 
899—1901  (24  Monate) 

Engländer 

250  000 

? 

? 

11  092 

44,4 

4  757 

19,0 

19  561 

78,2 

1  623 

6,5 

6  380 

25,5 

17  472 

69,9 

ssisch-Japanischer  Krieg 
1904/05 

Russen 

699  000  I 

358  400 

512,7 

9  300 

13,3 

28  800 

41,2 

141  800 

202,8 

5  200 

7,4 

34  000 

48,6 

43  300 

61,9 

Japaner 

650  000  1 

_i  334  100 

514,0 

27  200 

41,8 

47  400 

72,9 

173  400  1  266,8  |  11  500 

17,7 

58  900 

90,6 

86  Tool 

132,3 

Gehen.  Es  ist  sehr  fraglich,  ob  die  angegebenen  Iststärken  durch- 
g  die  durchschnittlichen  Kopfstärken  darstellen  und  nicht 
■  n  Teil  die  Zahlen  der  überhaupt  auf  dem  Kriegsschauplatz  ge- 
senen  Mannschaften  sind.  Sodann  ist  hinsichtlich  der  Verluste 
|rch  Krankheiten  die  Dauer  des  Krieges  zu  berücksichtigen;  und 
1  ^  den  blutigen  Verlusten  ist  die  Anzahl  und  Dauer  der  Schlachten 
>1  Gefechte  sowie  etwaiger  Belagerungen  in  Betracht  zu  ziehen, 
fch  ist  zu  bedenken,  dass  die  Beziehung  der  blutigen  Verluste  auf 
-  durchschnittliche  Kopfstärke,  wie  sie  in  der  Tabelle  der  Gleich- 
1  ssigkeit  halber  angewandt  ist,  keine  vergleichsmässigen  Daten 
ert,  da  natürlich  nur  ein  Teil  der  auf  dem  Kriegsschauplatz  gc- 
•  senen  Mannschaften  an  den  Schlachten  usw.  teilgenommen  hat, 
lirend  ein  nicht  unbeträchtlicher  Teil  mit  dem  Feinde  in  keine 
1  nittelbare  Berührung  gekommen  ist. 

Leider  ist  es  nicht  möglich,  die  Zahlen  aus  den  meisten  früheren 
'egen  nach  diesen  Gesichtspunkten  umzurechnen,  so  dass  man 
j 1  den  in  den  offiziellen  Quellenwerken  gegebenen,  in  der 
Gelle  aufgeführten  Zahlen  begnügen  muss. 

Für  den  letzten  russisch-japanischen  und  den  deutsch-französi- 
;en  Krieg  hat  aber  der  preussische  Generalstab  die  entsprechenden 
echnungen  aufgestellt,  worüber  noch  einige  Worte  gesagt  sein 
Ken.  Als  Verlustgelegenheiten  stehen  sich  hier  noch  gegenüber: 


1870/71  .  .  . 
1904/05  .  .  . 


grosse 

Schlachten 

18 

4 


mit 

Schlachttagen 

40 

27 


Gefechte 
grössere  kleinere 
(nach  Tagen  berechnet) 

5  228 

6  37 


Betrachtet  man  zunächst  die  Schlachtverluste 
«idete),  so  ergibt  sich: 

Russen 

umtverlust .  135  000 

ehschnittsverlust  an  jedem  ein¬ 
zelnen  Gefechtstage  ....  3  262 


(Gefallene  +  Ver- 

Japaner  Deutsche 

146  200  82  500 

3  650  3  055 


der  Schlachten,  als  auch  infolge  der  erhöhten  Waffenwirkung  — - 
welch  letztere  ja  auch  die  Veranlassung  für  die  lange  Dauer  moderner 
Schlachten  ist. 

Von  Interesse  ist  das  Verhältnis  der  an  Krankheiten  und  Wunden 
Gestorbenen  zu  den  an  Krankheiten  und  Wunden  überhaupt  Be¬ 
handelten. 

Im  Krimkriege  z.  B.  starben  von  allen  Kranken  bei  den  Eng¬ 
ländern  12,2  Proz.,  bei  den  Franzosen  16,4  Proz.;  im  deutsch-fran¬ 
zösischen  Krieg'betrug  das  Verhältnis  nur  3,1  Proz.;  im  Mandschuri¬ 
schen  Kriege  beziffert  es  sich  bei  den  Russen  auf  nur  2,1  Proz.,  bei 
den  Japanern  dagegen  auf  8,1  Proz.  Worauf  dieses  überaus  un¬ 
günstige  Resultat  bei  den  Japanern  beruht,  ist  nicht  klar,  es  lässt 
sich  der  Gedanke  nicht  von  der  Hand  weisen,  dass  die  Japaner  nur 
bei  ernsteren  Erkrankungsfällen  in  Lazarettpflege  überführten  —  die 
Zahlen  beziehen  sich  nur  auf  Lazarettkranke  —  leichter  Erkrankte 
dagegen  bei  der  Truppe  behalten  haben,  was  bei  den  Verhältnissen 
im  letzten  Kriege,  namentlich  bei  den  langen,  zwischen  den  grossen 
Schlachten  liegenden  kampffreien  Pausen  leicht  durchführbar  war, 
während  z.  B.  1870/71  bei  den  schnell  aufeinanderfolgenden  Schlachten 
und  der  dauernden  Bewegung  der  Truppen  auch  die  Leichterkrankten 
den  Lazaretten  überwiesen  werden  mussten. 

Was  endlich  das  Prozentverhältnis  der  an  Wunden  Gestorbenen 
zu  den  überhaupt  Verwundeten  betrifft,  so  ist  im  Laufe  der  Jahr¬ 
zehnte  eine  ganz  bedeutende  Besserung  zu  verzeichnen;  vön  100  Ver¬ 
wundeten  starben  z.  B.  im  Krimkriege  (Franzosen)  24,9,  im  italieni¬ 
schen  Kriege  17,3;  im  Krieg  1864  bei  den  Preussen  15,5,  im  Feld¬ 
zuge  1870/71  bei  den  Deutschen  noch  11,1,  im  spanisch-amerikani¬ 
schen  Kriege  7,6,  im  letzten  Kriege  endlich  bei  den  Japanern  6,8, 
bei  den  Russen  nur  3,2  —  ein  glänzender  Beweis  für  die  Fort¬ 
schritte  der  Kriegschirurgie. 


1832 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  33. 


Nachrichten. 

München,  den  17.  August  1914. 


—  Die  zweite  Kriegswoche  hat  den  deutschen  Waffen  eine  Reihe 
erfreulicher  Erfolge  gebracht,  die  vor  allem  die  Säuberung  deutschen 
Bodens  vom  Feind  bewirkten;  sie  haben  ferner  die  Schlagfertigkeit, 
Angriffslust  und  Todesverachtung  unserer  Truppen  erwiesen,  Eigen¬ 
schaften,  die  bei  unseren  Gegnern  bisher  nicht  hervorgetreten  sind. 
So  darf  man  den  kommenden  schweren  Kämpfen  mit  Zuversicht  ent¬ 
gegensehen.  .  „  ,  ... 

-  Die  Sammlungen  für  das  Rote  Kreuz  und  für  die  An¬ 
gehörigen  der  im  Felde  stehenden  Krieger  nehmen  einen  raschen 
Fortgang  und  haben  schon  jetzt  sehr  bedeutende  Summen  ergeben, 
ln  welch  grosszügiger  Weise  die  Hilfsaktion  unterstützt  wird,  zeigt 
u.  a.  der  Beschluss  der  Berliner  Landesversicherungsanstalt,  5  Mil¬ 
lionen  Mark  flüssig  zu  machen,  um  die  Angehörigen  der  im  Felde 
stehenden  bei  der  Anstalt  Versicherten  in  Fällen  von  Not  und  Krank¬ 
heit  usw.  zu  unterstützten.  Die  Berliner  Landesversicherungsanstalt 
hat  ferner  die  Heilstätte  in  Beelitz  mit  2000  Betten  für  Verwundete 
eingerichtet  und  wird  diese  Heilstätte  dem  Roten  Kreuz  übergeben. 

—  Die  Darlehenskommission  der  Berliner  Aerztekammer  hat  die 
zinslose  Gewährung  von  Darlehen  an  die  Angehörigen 
der  ins  Feld  gerückten  Kollegen  beschlosssen,  um  diese,  soweit 
angängig,  vor  Not  zu  schützen.  Gesuche  sind  an  Geh.  Rat  Alexan¬ 
der,  Berlin  W.  62,  Schillstrassse  11  zu  richten. 

_ Die  Vorstände  der  Aerztevereinigungen  in  Wiesbaden 

haben  in  einer  gemeinsamen  Sitzung  beschlossen,  in  einer  allge¬ 
meinen  Aerzteversammlung  zu  beantragen,  dass 
1.  in  der  Privatpraxis 

jeder  Wiesbadener  Arzt  verpflichtet  ist,  jeden  ins  Feld  ziehen¬ 
den  Kollegen  unentgeltlich  zu  vertreten.  Auch  die  An¬ 
nahme  von  Geschenken  in  irgend  einer  Form  soll  nicht  gestattet 
sein. 

Jeder  in  Wiesbaden  verbleibende  Arzt  ist  weiterhin  ver¬ 
pflichtet,  jeden  neu  zu  ihm  kommenden  fremden  Privatkranken 
zu  fragen,  welcher  Arzt  ihn  früher  behandelt  oder  zu  welchem 
Arzt  er  hätte  gehen  wollen.  Stellt  sich  heraus,  dass  dies  ein 
Kollege  ist,  der  sich  im  Feld  befindet  bzw.  sonst  militärisch  ab¬ 
berufen  ist,  so  muss  er  den  Kranken  für  diesen  Kollegen  be¬ 
handeln  und  die  Einnahmen  an  dessen  Frau  oder  an  den  Kollegen 
selbst  abliefern,  auch  wenn  er  nicht  sein  Vertreter  ist. 


2.  Betr.  Kassenpraxis  wird  der  Kassenarztverein 
den  Beschluss  fassen: 

Alle  Kassenärzte  erhalten  von  dem  Kasseneinkommmen  den 
Prozentsatz,  den  sie  auch  im  ersten  Halbjahr  erhalten  haben,  so 
dass  für  die  im  Felde  befindlichen  Aerzte  —  an  sie  selbst  oder 
ihre  Familien  —  das  Honorar  zur  Auszahlung  kommt,  was  sie 
voraussichtlich  verdient  hätten.  Ausserdem  soll  der  Vor¬ 
stand  ermächtigt  werden,  einen  Teil  des  Kasseneinkommens  zu¬ 
rückzubehalten,  um  etwaige  Not  in  den  Familien  der  im  Feld 
befindlichen  Kollegen  zu  mildern. 

Ferner  sollen  die  Aerztekammern  ersucht  werden,  mit  Hilfe 
der  angesammelten  Gelder  etwaige  Not  in  den  Familien  der  ein- 
berufenen  Aerzte  zu  mildern.“ 

Es  ist  nicht  daran  zu  zweifeln,  dass  auch  an  anderen  Orten 
der  patriotische  und  kollegiale  Sinn  der  Aerzte  sie  veranlassen  wird, 
die  Interessen  der  ins  Feld  gezogenen  Kollegen  nach  Kräften  zu 
wahren. 

—  Das  „Vademekum  für  Feldärzte“  von  Oberstabsarzt 
Prof.  Dr.  Schön  werth  war  8  Tage  nach  Erscheinen  vergriffen; 
eine  2.,  unveränderte  Auflage  ist  soeben  erschienen.  J.  F.  Leh¬ 
manns  Verlag  hat  den  Reinertrag  der  1.  Auflage  mit  1000  M.  zu 
gleichen  Teilen  dem  Roten  Kreuz  und  der  Hinterbliebenen-Sammlung 
zur  Verfügung  gestellt.  .  .  .x 

—  Von  der  Kriegssanitätsordnung,  die  einige  Zeit  ver¬ 
griffen  war,  ist  ein  Neudruck  von  J.  F.  Lehmanns  Verlag  in  Mün¬ 
chen  veranstaltet  worden.  Preis  im  Buchhandel  2  M. 

(Hochschulnachrichten.) 

Jena.  Prof.  Dr.  Erich  L  e  x  e  r  ist  im  Beurlaubtenstande  der 
Marine  als  Marine-Oberstabsarzt  angestellt  und  der  Marinestation 
der  Nordsee  zugeteilt  worden,  (hk.) 

Leipzig.  Geh.  Med.-Rat  Prof.  Dr.  E.  Payr,  Direktor  der 
chirurgischen  Klinik  in  Leipzig,  wurde  zum  Generalarzt  ä  Ia  suite  des 
Kgl.  sächsischen  Sanitätskorps  ernannt. 

Tübingen.  Prof.  Perthes,  Oberstabsarzt  der  Landwehr 
2.  Aufgebots,  wurde  unter  Vorbehalt  späterer  Patentregelung  zum 
Generaloberarzt  befördert  und  zum  beratenden  Chirurgen  beim 
Generalkommando  des  Kgl.  Württemb.  Armeekorps  ernannt,  (hk.) 


An  unsere  akademische  Jugend. 

Kommilitonen! 

Die  Musen  schweigen.  Es  gilt  den  Kampf,  den  a  u  f  g  e  - 
zwungenen  Kampf  um  deutsche  Kultur,  die  Barbaren  vom 
Osten  bedrohen,  um  deutsche  Erde,  die  der  Feind  im  Westen  uns 

neidet.  „  .  , 

Da  entbrennt  aufs  neue  der  furor  teutomeus,  die  Begeisterung 
der  Befreiungskämpfe  lodert  auf.  Der  heilige  Krieg  bricht  an.  Die 

Verlag  von  J.  F.  Lehmann  in  München  S.W.  2,  Paul  Heysestr.  26. 


Alma  mater  entlässt  mit  ihrem  Segen  die  Söhne,  die  sie  zur  Friedens¬ 
arbeit,  die  sic  zur  Pflicht  und  Ehre  und  Freiheit  erzog. 

Schart  Euch  als  Krieger  um  die  Fahnen,  als  Helfer  um  das 


Rote  Kreuz  . 

Ein  jeder  an  seinem  Platz  mit  Kraft  und  Trotz,  mit  Faust  und 

Herz. 

Gott  segne  die  Waffen,  Gott  segne  den  Kampf,  Gott  gebe  den 


Sieg! 


Die  Rektoren  und  Senate  der  Bayerischen  Hoch¬ 
schulen. 


Amtliches. 

Nr.  76  b  122.  München,  8.  August  1914. 

Kgl.  Staatsministerium  des  Innern. 

Betreff: 

Beschaffung  von  Aushilfen  für  einberufene  Aerztel 

Nach  einem  Telegramm  des  Reichsamts  des  Innern  will  der  Leip¬ 
ziger  Acrzteverband  zur  Abwendung  des  durch  Einberufungen  ent-, 
standenen  Aerztemangels  bei  den  Krankenkassen  durch  Verschiebung 
der  Aerzte  versuchen,  geeignete  Orte  mit  einem  oder  mehreren  appro-1 
bierten  Aerzten  zu  versorgen  und  neben  diesen  nichtapprobiertc  Medi¬ 
ziner  zur  Kassenpraxis  heranzuziehen.  Das  Reichsamt  des  Innern, 
erachtet  die  durch  den  Krieg  verursachten  Verhältnisse  als  dringend! 
im  Sinne  des  §  122  der  Reichsversicherungsordnung  und  hält  Medi¬ 
zinalpraktikanten  sowie  Studierende  der  Medizin,  die  bereits  2  kli¬ 
nische  Semester  vollendet  haben,  als  Hilfspersonen  für  geeignet.  Dir 
Staatsministerien  des  Innern  beider  Abteilungen  sind  mit  der  be 
absichtigten  Aushilfsmassregel  einverstanden.  Studierende  der  Medi¬ 
zin  sind  jedoch  selbstverständlich  nur  im  Notfälle  heranzuziehei 
und  auch  dann  ist,  wenn  irgend  möglich,  nur  auf  solche  Studierend! 
zurückzugreifen,  die  sich  bereits  nahe  am  Abschluss  ihres  Studiunv 
befinden  und  sich  ausserdem  über  ausreichende  praktische  Er 
fahrungen  ausweisen  können. 

Die  Kgl.  Regierungen  haben  die  Distriktsverwaltungsbehörde] 
(Versicherungsämter)  und  durch  diese  die  Krankenkassen  hiervor 
in  Kenntnis  zu  setzen. 

Dr.  Frhr.  v.  S  o  d  e  n. 

Die  Landeszentrale  der  bayerischen  Aerzte  schreibt  dazu:  1 

„Wir  fordern  demgemäss  alle  (männliche  und  weibliche)  prak, 
tischen  Aerzte,  Medizinalpraktikanten  und  Kandidaten  der  Medizin 
welche  mindestens  2  klinische  Semester  vollendet  haben,  soweit  sh 
militärfrei  sind  und  sich  für  Vertretungen  praktischer  Aerzte,  welch 
zum  Heere  einberufen  sind,  zur  Verfügung  stellen  wollen,  auf,  siel 
beim  Generalsekretariat  des  Leipziger  Verbands 
Abteilung  Stellenvermittlung,  Leipzig,  Dufour 
strasse  18,  schriftlich  zu  melden,  mit  Angabe  des  genauen  Namens 
des  Vornamens,  Geburtsjahres,  Approbationsjahres,  des  bestandene: 
Staatsexamens  oder  Angabe  der  Anzahl  der  klinischen  Semester,  so! 
wie  der  genauen  Adresse.  Jeder  Adressenwechsel  ist  dann  sofor 
dem  Generalsekretariat  anzuzeigen. 

I.  A.:  Hofrat  Dr.  Mayer,  Fürth, 

Dr.  Mainzer,  Nürnberg. 


Bekanntmachungen. 

Bakteriologisch  geschulte  Aerzte, 

welche  nicht  militärpflichtig  sind,  werden  für  den  Dienst  in  de 
Königlichen  Medizinal-Untersuchungsämtern  und  Hygienischen  In¬ 
stituten  sofort  gesucht.  Anmeldungen  in  der 

Medizinalabteilung  des  König  1.  Preussischen  Min 
steriu  ms  des  Innern  in  Berlin,  Schadowstr.  10. 


Jüngere,  die  moderne  Chirurgie  beherrschende  Kollegen,  auc 
nichtdeutsche,  die  als  freiwillige  Chirurgen  an  Verwundetenabte 
hingen  wirken  wollen,  bitte  ich  unter  Beifügung  eines  kurzen  Be 
richtes  über  ihre  Ausbildung  sich  bei  mir  zu  melden. 

Geheimrat  Prof.  W  i  t  z  e  1,  Direktor  der  akademischen  chirurgische 

Klinik  Düsseldorf. 


Zur  Beachtung. 

Die  „Feldärztliche  Beilage“  wird  nach  Möglichkeit  allen  im  Feie 
stehenden  oder  in  Militärlazaretten  beschäftigten  Aerzten  di 
deutschen  und  österreichischen  Armee  unentgeltlich  geliefert.  Herrc 
welche  sie  nicht  erhalten,  werden  um  Angabe  ihrer  Adresse  ersuch 


Die  Beiträge  für  die  „Feldärztliche  Beilage“  werden  nach  e: 
höhten  Sätzen  honoriert. 

J.  F.  Lehmanns  Verlag- 


Druck  von  E.  Mühlthaler’s  Buch-  und  Kunstdruckerei  A.G.,  München. 


Die  Münchener  MedixbiUche  Wochenschrift  ertcheinl  wöchentlich 
im  Umfang  von  durchschnittlich  7  Bogen.  •  Preis  der  einzelnen 
Nummer  80-1.  *  Bezugspreis  in  Deutschland  vierteljährlich 
M  6.—.  •  Ubnge  Bezugsbedingungen  siehe  auf  dein  Umschlag 


MÜNCHENER 


Zusendungen  sind  zu  adressieren: 

FOrdie  Redaktion  Amulfstr.26.  Bürozeit  der  Redaktion  3'/,—  l  Uhr. 
Für  Abonnement  an  |.  F.  Lehmann's  Verlag,  Paul  Uey sestrasse  25 
Für  Inserate  und  Beilagen  an  Rudolf  Mosse,  Theatinerstrasne  i. 


Medizinische  Wochenschrift. 


ORGAN  FÜR  AMTLICHE  UND  PRAKTISCHE  ÄRZTE 


'Ir.  34.  25.  August  1914.  Redaktion:  Dr.  B.  Spatz,  Arnulfstrasse  26. 

 Verlag:  J.  F.  Lehmann,  Paul  Heysestrasse  26. 


61.  Jahrgang. 


Der  Verlag  behält  sich  das  ausschliessliche  Recht  der  Vervielfältigung  und  Verbreitung  der  ln  dieser  Zeitschrift  zum  Abdruck  gelangenden  Originalbeiträge  vor. 


Originalien. 

Aus  der  I.  med.  Klinik  München. 

Die  Diagnose  der  Form  der  Lungentuberkulose*). 

Von  Ernst  Romberg. 

Die  Ausdehnung  der  Tuberkulose  über  die  Lungen,  wie 
ie  am  präzisesten  durch  das  T  urban  sehe  Schema  in  seiner 
etzt  allgemein  üblichen  Fassung  angegeben  wird,  bildet  für 
lie  Abschätzung  des  voraussichtlichen  Erfolges  einer  Volks- 
leilstättenbehandlung  einen  recht  zuverlässigen  Anhalt.  Wir 
nüssen  uns  nur  erinnern,  dass  die  Lappeneinteilung  des 
'chemas  s*ch  nicht  auf  die  anatomischen  Grenzen,  sondern 
uf  das  Volumen  der  linksseitigen  Lungenlappen  bezieht.  Aber 
!ie  richtige  Beurteilung  des  durchschnittlichen  Erfolges  einer 
o’ksheilstättenkur  darf  nicht  zu  der  Annahme  verleiten,  so 
ucli  den  voraussichtlichen  Verlauf  der  einzelnen  Erkrankung 
ichtig  abschätzen  zu  können.  Die  Arbeitsfähigkeit,  auf  deren 
Erhaltung  oder  Wiederherstellung  die  Volksheilstätten  in  erster 
-inie  Gewicht  legen  müssen,  geht  aus  naheliegenden  Gründen 
ei  Berechnung  von  Durchschnittswerten  aus  grossen  Zahlen- 
eihen  weitgehend  der  Ausdehnung  der  Lungenerkrankung 
arallel.  Dem  einzelnen  Kranken  gegenüber  kommt  es  bei 
Beurteilung  der  Arbeitsfähigkeit  darauf  an,  festzustellen,  ob  er 
uf  die  besseren  oder  auf  die  schlechteren  Chancen  zu  rechnen 
at,  aus  denen  dieser  Durchschnitt  sich  zusammensetzt.  Lind 
anz  unzureichend  erweist  sich  das  für  die  Volksheilstätten  so 
ortreffliche  Schema,  wenn  ärztlich  die  gesundheitliche  Be- 
eutung,  der  voraussichtliche  Verlauf  der  Krankheit  beurteilt 
erden  sollen. 

Schon  in  meiner  Leipziger  Dozentenzeit  habe  ich  meine 
uhörer  darauf  hingewiesen,  wie  notwendig  es  sei,  nicht  nur 
ie  Ausdehnung  der  Lungentuberkulose,  allenfalls  unter  Be¬ 
ttung  etwaiger  Kavernensymptome,  zu  ermitteln.  Viel 
ichtiger  ist  es,  die  Form  der  Lungentuberkulose  möglichst 
enau  zu  bestimmen.  Der  anatomische  Prozess  bildet  in  seiner 
rt  den  einen  massgebenden  Faktor,  der  den  Einfluss  der 
ungentuberkulose  auf  den  Kranken  bestimmt.  Ich  habe  es 
eshalb  mit  grosser  Freude  begrüsst,  als  A.  Fraenkel1) 
ladenweiler)  und  der  verstorbene  Alb  recht2)  (Frank- 
irt  a.  M.)  mit  ihren  ausgezeichneten  anatomischen  Unter¬ 
teilungen  hervortraten,  welche  diesen  ärztlichen  Gesichts¬ 
unkt  zum  Ausgang  ihrer  Untersuchungen  machten,  und  als 
or  kurzem  Nicol3)  in  einer  wertvollen  Arbeit  aus  dem 
sch  off  sehen  Institut  diese  Anschauungen  weiter  aus- 
aute. 

Nach  diesen  Feststellungen  haben  wir  drei  Formen  der 
ungentuberkulose  zu  unterscheiden:  die  meist  rasch  fort- 
-hreitenden  käsigen  bronchopneumonischen  Prozesse  mit 
rer  Neigung  zu  ausgedehntem  Zerfall  des  Lungengewebes, 
e  langsam  sich  entwickelnden  wuchernden  proliferativen 
orgänge  mit  geringerer  Neigung  zum  Zerfall  und  endlich 
s  dritte  Reihe  die  schrumpfenden  bindegewebigen  zirrhoti- 
lien  Formen  der  Lungenerkrankung  mit  ihrer  geringen  Ten- 
-nz  zu  weiterer  Ausdehnung,  die  den  beiden  ersten  Reihen 
-geniiber  als  Heilungsvorgänge  zu  bezeichnen  sind. 

*1  Im  Vortragszyklus  über  die  Erkennung  und  Behandlung  der 
uigentuberkulose  gehalten  am  2.  Juli  1914. 

„  7-  A.  Fraenkel:  Verhdl.  d.  Deutschen  Kongr.  f.  inn.  Med. 

'19  S.  174. 

*)  Alb  recht:  Frankf.  Zschr.  1907,  I. 

)  Nicol:  Brauers  Beitr.  z.  Klin.  d.  Tub.  30.  231. 

Nr.  34. 


Die  akuten  und  subakuten  rasch  fortschreitenden  käsigen 
?  i"  c  E?  Pneumonischen  Prozesse  setzen  wie  andere  in¬ 
fektiöse  Entzündungen  der  Lungen  ein  entzündliches  Infiltrat  aus 
Leukozyten,  rasch  gerinnendem  Exsudat,  abgestossenen  Alveolar- 
epitnelien  in  die  Alveolarräume  und  Bronchiolen.  Entsprechend 
der  Art  des  Erregers  verkäst  es  sehr  schnell,  und  so  entstehen 
die  bekannten  gelben  bronchopneumonischen  Herde  in  ihrer  peri¬ 
bronchialen  oder  konfluierenden  Anordnung.  Auch  das  Gewebe 
der  Lungen,  speziell  ihre  elastischen  Fasern  werden  zerstört  und 
bei  genügender  Dauer  der  Erkrankung  entwickeln  sich  bisweilen 
sehr  grosse  Kavernen.  Oft  erfolgt  bei  der  Art  der  Störung  die  Aus¬ 
breitung  über  die  Lunge  sehr  rasch.  Die  verkästen  Massen  werden 
in  angrenzende  Lungenpartien  aspiriert.  Atmen  sie  durch  die  Nach¬ 
bai  schaft  erkrankter  Abschnitte  ungenügend,  ist  der  Lymphstrom  in 
ihnen  verlangsamt,  so  finden  die  Bazilllen  günstige  Bedingungen 
zur  weiteren  Entwicklung  und  mit  grosser  Schnelligkeit  grast  die 
tuberkulöse  die  Lunge  von  oben  nach  unten  ab. 

Wesentlich  milder  und  langsamer  verläuft  die  zweite,  die  pro- 
1  i  f  e  r  i  e  r  e  n  d  e  Form  der  Lungentuberkulose.  Auch  hier  entsteht 
die  Veränderung  alveolär  oder  in  den  feinsten  Bronchiolen.  Eine 
Yv  ucherung  epitheloider  Zellen  mit  Riesenzellen  verlegt  das  Alveolar¬ 
lumen.  Das  Lungengewebe  wird  zunächst  nicht  zerstört.  Die  elasti¬ 
schen  Fasern  bleiben  erhalten.  Seltener  und  meist  in  geringerer 
Ausdehnung  entstehen  durch  sekundäre  Infektionen  mit  Eitererregern 
odei  durch  käsige  Einschmelzung  Kavernen.  Im  Gegensatz  zu  der 
bronchopneumonischen  oder  pneumonischen  Anordnung  der  käsigen 
Prozesse  entwickeln  sich  hier  meist  grössere  oder  kleinere  Knoten 
tuberkulöser  Neubildung  im  erkrankten  Gewebe.  Auch  diese  Form 
hat  die  Neigung  von  oben  nach  unten  in  den  Lungen  fortzuschreiten. 
Auch  sie  breitet  sich  zunächst  durch  die  Atembewegung  in  immer 
neue  Brcnchialgebiete  aus,  dringt  an  den  respiratorischen  Bronchiolen 
in  die  Lymphgefässe  ein  und  schreitet  hier  weiter  fort. 

Die  schrumpfenden  zirrhotischen  Formen  ent¬ 
stehen  einmal  durch  Entwickelung  von  Bindegewebe  aus  dem  den 
spezifisch  tuberkulösen  Prozess  umgrenzenden  Entzündungshof.  Bei 
den  exsudativen  verkästen  Prozessen  nur  andeutungsweise,  wenn 
überhaupt,  entwickelt,  weil  die  Erkrankung  in  ihrem  raschen  Fort¬ 
schreiten  keine  Zeit  für  solche  Abkapselungsbestrebungen  lässt,  finden 
sie  sich  bei  den  gutartigeren  proliferativen  Formen  bisweilen  in 
imponierender  Stärke.  Hier  begünstigt  noch  ein  zweiter  Vorgang 
ihre  Entwickelung.  Die  zwischen  erkrankten  Alveolarräumen  liegen¬ 
den  lufthaltigen  Lungenpartien  kollabieren.  Auch  in  ihnen  bildet  sich 
narbiges  Bindegewebe.  So  entstehen  die  zunächst  unverständlichen 
anatomischen  Bilder,  dass  die  Erkrankung  scheinbar  in  der  Mitte  aus¬ 
heilt,  am  Rande  fortschreitet.  Entsprechend  dem  schlechten  Lymph¬ 
strom  in  dem  fibrösen  Bindegewebe  bleibt  der  eingeatmete  Russ  hier 
in  grossen  Mengen  liegen.  Die  intensiv  schwarze,  anthrakotische 
Farbe  lässt  diese  bindegewebigen  Partien  ohne  weiteres  hervor¬ 
treten.  Bisweilen  werden  die  in  geschrumpften  Partien  liegenden 
Bronchien  ektatisch  erweitert. 

Die  Aufgabe  der  ärztlichen  Untersuchung 
ist  es  nun,  diese  Formen  der  Lungentuber¬ 
kulose  voneinander  zu  trennen.  Gelingt  sie,  be¬ 
kommen  wir  ein  lebendiges  Bild  vom  Zustande  der  Lungen, 
und  soweit  ihr  Zustand  die  Krankheit  beherrscht,  einen  wich¬ 
tigen  Eindruck  für  die  Beurteilung  der  Erkrankung.  Von  der 
Besprechung  der  Frühdiagnose,  der  Beurteilung  minimaler 
Veränderungen  sehe  ich  hier  ab.  Ziemlich  leicht  ist  die  E  r  - 
kennung  der  schrumpfenden  zirrhotischen 
Prozesse.  Schon  eine  nach  der  Vorgeschichte  festgestellte 
Dauer  der  Erkrankung  über  2  Jahre  macht  ihre  anatomische 
Nachweisbarkeit  sehr  wahrscheinlich.  Sind  sic  stärker  ent¬ 
wickelt,  so  ist  die  erkrankte  Partie  deutlich  verkleinert,  die 
Spitze  eingesunken,  ihre  obere  Grenze  am  Rücken  neben  der 
Wirbelsäule  steht  tiefer.  Weiter  werden  die  Interkostal¬ 
räume  bei  ausgedehnteren  Veränderungen  mit  ihren  in  der 
Regel  vorhandenen  Pleuraverwachsungen  bei  jeder  Einatmung 
nach  innen  bewegt.  Dann  werden  die  seitlichen  Rippenpartien 
durch  die  Lungenschrumpfimg  nach  innen  gezogen.  Die 
Rippenwinkel  ‘an  Wirbelsäule  und  Brustbein  werden  ver- 

1 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHE N SCHRIFT. - 


1 8.1-4 

kleinert.  I  >;is  Herz  wird  in  die  erkrankte  Seite  hineingezogen, 
die  unteren  Lungcngrenzen  rücken  nach  oben  und  werden 
un verschieblich.  Hei  der  Perkussion  finden  wir  entsprechend 
der  Verkleinerung  des  Lungenvolumens  und  der  Abnahme  des 
Luftgehaltes  verkürzten  oder  gedämpften  Schall  und  mehr 
oder  minder  deutlichen  tynipanitischen  Beiklang  wie  über 
einer  infiltrierten  Lungenpartie,  aber  der  Stimmfremitus  ist 
bei  vorwiegender  Schrumpfung  abgeschwächt.  In  der  Regel 
hört  man  über  nur  geschrumpften  Lungenpartien  ein  ver¬ 
schärftes  Zellenatmen,  dessen  Lautheit  wechselt.  Nur  bei 
völliger  Verödung  des  Lungengewebes  über  Bronchiektasien 
oder  Kavernen  kann  Bronchialatmen  wahrnehmbar  sein.  Et¬ 
waige  feuchte  Rasselgeräusche  sind  nicht  klingend. 

Eine  besondere  Note  bekommen  stärkere  Lungen¬ 
schrumpfungen  durch  die  recht  häufige  Beteiligung  des 
Herzens.  Die  starke  Erschwerung  der  Atembewegung 
durch  ausgedehnte  Schrumpfung,  selbst  nur  einer  Lunge,  führt 
auch  bei  Tuberkulösen  zu  einer  Drucksteigerung  in  der 
l  iingenarterie,  zur  Hypertrophie  der  rechten  Kammer  [siehe 
Hirsch  •)].  Nicht  selten  entwickelt  sich  eine  Insuffizienz  der 
rechten  Kammer  mit  allen  Folgen,  und  eine  Besserung  des  Zu¬ 
standes  gelingt  hier  bisweilen  in  überraschender  Weise  durch 
Behandlung  des  Herzens. 

Unschwer  ist  auch  die  Unterscheidung  der  fort¬ 
schreitenden  verkästen  oder  proliferativen 
und  der  kavernösen  Vorgänge  von  überwie- 
g  e  nder  Sehr  u  in  p  f  u  n  g  durch  die  einfache  physikalische 
Untersuchung,  während  die  Trennung  der  beiden  prognostisch 
so  verschiedenen  Formen,  der  Verkäsung  und  der  Proliferation 
andere  Hilfsmittel  braucht.  Die  Perkussion  ergibt  zwar  hier 
die  gleiche  Verkürzung  oder  Dämpfung  mit  mehr  oder  minder 
tympanitischem  Beiklang  oder  bei  ganz  beginnender  Infiltration 
auch  nur  den  letzten  wie  bei  Schrumpfung  mit  entsprechender 
Verminderung  des  Luftgehaltes  und  mit  Abnahme  der  Lungen- 
spannung.  Aber  meist  lehrt  die  Auskultation,  dass  keine 
blosse  Schrumpfung  vorliegt.  Bei  völliger  Infiltration  erscheint 
Bronchialatmen,  bei  noch  teilweise  vorhandenem  Luitgehalt 
ist  das  Zellenatmen  meist  weich,  leise  und  vor  allem  das  Aus¬ 
atmungsgeräusch  verlängert  und  hauchend. 

Besonders  sorgfältig  ist  auf  den  Charakter  der  Rassel¬ 
geräusche  zu  achten.  Es  kann  nicht  genug  betont  werden, 
wie  notwendig  dafür  die  Auskultation  kurzer  Hustenstösse  und 
der  darauffolgenden  Atemzüge  ist.  Eine  Lungenuntersuchung, 
welche  diese  Regel  nicht  berücksichtigt,  ist  unvollständig. 
Entscheidend  für  infiltrative  Prozesse  ist  der  klingende  Cha¬ 
rakter  des  feuchten  Rasseins.  Dazu  kommt  schliesslich  der 
verstärkte  Stimmfremitus. 

Kavernen  sind  durch  amphorisches  Atmen,  grossblasiges 
Rasseln  über  den  Spitzen,  seltener  durch  rein  tympanitischen 
Schall,  auffallend  starken  tympanitischen  Beiklang,  die  Schall- 
wechselersehcinungen  zu  erkennen,  aber  in  ihrer  Ausdehnung 
und  Zahl  meist  nicht  zu  beurteilen.  Für  ihre  Anwesenheit 
sprechen  weiter  reichliche  Hämoptysen,  reichlichere  elastische 
Fasern  und  die  münzenförmige  Beschaffenheit  des  Auswurfs. 

1  he  so  häufige  Kombination  schrumpfender 
Prozesse  mit  progredierenden  oder  kaver- 
n  ö  s  e  n  Y  e  r  ä  n  d  e  r  u  n  g  e  n  ist  auch  meist  unschwer  durch 
die  gleichzeitige  Nachweisbarkeit  der  für  beide  Formen  cha- 
i akteristischen  Zeichen  festzustellen.  Hört  man  über  einer 
stark  geschrumpften  Lungenpartie  Bronchialatmen  oder 
klingendes  Rasseln,  auffallend  hauchendes  Exspirium  des  Vesi¬ 
kuläratmens.  findet  man  verstärkten  oder  wenigstens  nicht  ab¬ 
geschwächten  Stimmfremitus.  so  liegen  in  der  zirrhotischen 
Partie  entsprechende  progredierende  Veränderungen,  und  man 
muss  auf  sie  bei  der  Beurteilung  Rücksicht  nehmen. 

Seit  reichlich  20  Jahren  achte  ich  bei  Sektionen  von 
Phthisikern  auf  diese  Verhältnisse  und  glaube  dafür  einstehen 
u  können,  dass  die  physikalische  Diagnostik  in  der  ange¬ 
gebenen  Weise  zuverlässige  Resultate  lief  rt. 

Schwierigkeiten  entstehen  erst  bei  der  Unterschei¬ 
dung  der  gutartigen  p  r  o  I  i  f  e  r  i  e  renüen  F  o  r  m  e  n 
von  d  e  n  meist  f  I  o  r  i  d  e  r  verlaufenden  ver¬ 
käst  n  d  e  n  P  r  o  z  e  s  s  e  n.  Perkutorisch  und  auU  ultatorisch 

*)  c  Hirsch:  IV  Arch.  f  klin.  Med.  (  I  MS. 


wie  bei  Prüf  ng  des  Stimmfremitus  sind  sichere  dinier: 
diagnostische  Merkmale  für  die  beiden  Veränderungen  tnr 
her  nicht  deutlich  gewesen.  Die  \ om  Kranken  berichtete  Vc 
geschichte  gestattet  meist  kein  Urteil.  Wohl  spricht  e:r.t  s. 
ausgedehnte  Veränderung  nach  kurzer  Dauer  der  Kran»- 
für  "die  floride  Form.  Aber  wir  alle  wissen,  wie  die  Dg 
einer  Lungentuberkulose  sehr  oft  viel  zu  kurz  angegeben  Ti  • 
Und  umgekehrt  schliesst  eine  lange  Dauer  der  Störung  u 
floriden  Formen  nicht  aus.  weil  nicht  selten  im  Verlauf  t.n 
auch  ganz  chronischen  Tuberkulose  eine  akute  Aussaat  m 
verkäsenden  Herden  auftreten  kann.  Eher  spneht  ein  sei 
gleichmässiger  physikalischer  Befund  über  einem  g-- 
Lungenlappen  bei  kurzer  Dauer  der  Erkrankung  für  die  flo. -dt 
Formen  Aber  hier  kommen  wieder  differentialdiagnosnsc 
sekundäre  Erkrankungen  in  Betracht  für  welche  das  Gleicht  c 

Der  Bazillengehalt  des  Auswurfs  kann  wegen  der  Ha.*, 
keit  von  Kavernen  bei  beiden  Formen  zur  Unterschob 
kaum  benutzt  werden,  wenngleich  die  verkäsenden  Form, 
mit  ihrem  Gewebszerfall  das  Auftreten  reichlicher  Baz  ii 
im  Auswurf  begünstigen.  Mit  vollem  Recht  hat  s.n< 
A.  F  r  a  e  n  k  e  1 5)  hervorgehoben,  dass  die  Reichlichke  :  : 
Bazillen  kein  prognostisches  Urteil  ermöglicht. 

Oefters  kann,  wie  ich  glaube,  die  Röntgenunte 
s  u  c  h  u  n  g  weiter  helfen.  Die  proliferierenden  gutartige 
Formen  schienen  mir  in  der  Regel  im  Beginn  nur  wenig  de; 
liehe  Schatten  zu  geben.  Die  Wucherung  des  Gewebes,  c 
Atelektasen  in  ihrem  Bereich  machen  zunächst  nur  genug 
meist  ziemlich  diffuse  Abschattungen.  Erst  ausgedehnte- 
knotige  Verdichtungen  mit  der  sie  gewöhnlich  begleite' v 
schwieligen  authrakotischen  Induration  ruien  schärfere,  o 
sehr  deutlich  konturierte  fleckige  Schatten  aui  der  Röntc«. 
platte  hervor.  Je  stärker  diese  dunklen  Herde  auf  der  P!at 
hervortreten,  um  so  älter  in  der  Regel  der  Prozess,  um  i 
günstiger  ceteris  paribus  die  Voraussage.  Die  bronchorm 
monischen  Formen  geben  dagegen  erstaunlich  früh  sehr  dev 
liehe,  aber  weiche  rundliche  Schatten  in  gleichmässiger  Au: 
breitung  über  grössere  Lungenbezirke.  Oft  erkennt  man  se; 
gut  die  Grössenabnahme  der  Herde  von  der  Spitze  zur  Bas; 
Dass  das  Röntgenbild  die  Intensität  der  Veränderung  ste 
übertreibt,  weil  alle  Herde  in  der  Lunge  auf  eine  Fläche  pi« 
jiziert  sind,  sei  nur  nebenher  erwähnt.  Bei  totaler  käsig 
Pneumonie  hat  man  dichte  Abschattungen  über  einem  grossi 
Bezirk.  Die  physikalisch  nicht  unterscheidbaren  sekundär« 
Erkrankungen  geben  in  der  Regel  nicht  eine  so  gleictanässi» 
Dissemination  und  in  ihren  nicht  konfluierenden  Formen  aut 
weniger  deutliche  Schatten.  Leider  ist  ja  die  Röntgen-mr 
suchung  nur  für  einen  kleinen  Teil  der  Kranken  nutzbar  • 
machen.  Sie  zeigt  sich  aber  auch  auf  diesem  Gebiete  als  au 
gezeichnete  Eiihrerin  unserer  Diagnose.  Die  Röntgenstrahi 
differenzieren  proliferierende  und  exsudative  Prozesse  eu 
sprechend  der  verschiedenen  physikalischen  Dichtigkeit  vi 
feiner  als  Perkussion  und  Auskultation.  Auch  die  Kaverne¬ 
diagnose  wird  mit  Hilfe  der  Röntgenstrahlen  viel  zuverlässige 
Ueberhaupt  ist  die  Röntgenuntersuchung  neben  anatom;s;ni 
Kontrollen  für  jeden  die  beste  Schule  bei  der  Untersucht), 
der  Lungentuberkulose.  Gute  Aufnahmen  sind  der  blossi 
1  hirchleuchtung  zweifellos  überlegen,  w-enngleich  auch  c 
Betrachtung  mit  dem  Leuchtschirm  stets  vorgenomnu 
werden  soll. 

Können  wir  Röntgenstrahlen  nicht  anwenden,  oder  bring» 
sie  z.  B.  wegen  völliger  Abschattung  einer  Seite  durch  c 
Pleuraexsudat  nicht  genügenden  Aufschluss,  so  sind  nach  ein 
einmaligen  Untersuchung  nur  die  ganz  akuten  Formen  dun 
die  sie  begleitenden  Allgemeinerscheinungen  zu  erkennen.  I 
Beschleunigung  der  Atmung  auf  40  und  mehr  in  der  Mäiu. 
die  auffallende  Zyano:  e.  die  starke  Abmagerung  entscheiden 
diesem  Sinne.  Die  viel  häufigeren  Erkrankungen  dieser 
die  nicht  in  wenigen  Wochen,  sondern  erst  in  Monaten  o« 
nach  1  2  Jahren  als  floride  Tuberkulose  zum  Tode  führ«, 

sind  einstweilen  nur  an  ihrem  unaufhaltsamen,  raschen  r 
schreiten  von  den  proliferierenden  Formen  und  von  ***'• 
dären  Frkrankungen  zu  trennen. 

Ich  übergehe  die  Formen  der  Lungentuberkulose,  die  sei- 
Vorkommen,  wie  die  ausschliesslich  auf  dem  Lymphwegt 

’•)  A  E  r  a  cn  I;  c  I:  Vcrh.  d.  Deutsch.  Kongr.  f.  inn.  Med.  IW®.  I 


wt  1914. 


yLT?jCH3SCP  ^EDtZT «7-C  bfE  A  OCH£S5s_ -rfy T 


Je  frkraDk^nt  ebenso  die  m  asdere-*  Bl' 
tote  WfianibciUme  der  Lang«.  de=  jj  er-- 
inrajje  dieser  Krrsc  za  btst/recb-sEde  Kjadertteter- 

rrödtee  mir  gazz  karz  a  af  ;  *  von  HilasaiV- 


»  ^ 


iM^ir 


T  ■  b  e  r  <  s  1 


O  '  e  h  u  essen.  Soe  rw  fern  Er- 


-•rhetser  als  J  e  SoJztr'.  r'« ;  .-se¬ 


it  gewotebch  aczer>zrr.T-~'  w 


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4a  3er 


cer  dee  Verhähatsse  kjaTe*  ibersetoar  -  - vabe* 
andOtten  ‘)  m  meiner  T  Binder  Klmfe  bei  entseta  e  - 

Prozess»  die  Tabe  rindose  etwa  m  amen i  SMcMri  der  F9e 

1  Z  er- -  ;  -  -  . 

.  r:e-  Prozesse.  Lides  sind  sie  Md  Infeer  *--- 

•  :cr  Lage  der  BrooefealdrLvet:  jer  Aabre3E?s- 

.  rtariose  za  erheaata  ab  rechts,  la  3L  Md  L  Zn  - 

-  -----  tcnraaai  «eben  Jem  Sternen:  ersebeinea  messt  Sera  - 

-  zer  erd  Dämpfngea.  lettre  Aeadenrngea  öe* 

-  iscbes.  leer  entwickelt  set  später  rrr:  Vorhebe  e~e 
Form  fast  patbogscerAEöcäe  Kaverne.  Voc  teer 

:  »  v  sicb  dam  rer  Prozess  weiter  ans.  Reefes  k ;  —  -  - 
nein  Ted  ter  Fälle  zr  äbrbthet  Veräaöerrezer. 

-  .  t  findet  man  ehe  erste  pfaysdcatsche  Vesäiderxsf  — 
recte e*  a iscfeensdadteridattranai  oder  aa  der  rt.t  hier?- 
Ztentt  «er  -inafci  spät  m  der  rechten  Achsefr::  -  I  ;* 
vm 


sr  tt  versäume  restiait*  atab  bei  leosestetr  Veriet 
r.e  ir  -  -  z  -  -  .  - .  . 

:  -  ■  i.s  sonveräse  Verjähret:  st 

.  -  iid  tr*  Langer:—  berkalose  - ir de  rrvoBstärt  c  se_t 
tbt  ic  nicht  aachdricfcfech  an  de  Hedem  t  t 

ekasdrea  Katarrhe  aad  Eatziadaasea  fei 


wiese,  wehe  speziefl  bei  dea 
2:-'-'  -  :  massgebend  bebe: 


te-  rm tet  tet  :r 


na  i.üteareaBCT  ie  füaägke"  re 
ttr  Eriraaficaafttt  .st 
^  a®*tennKfce  F  tzetss  büdec  3  «me-  Alt  ±rt  *2r  - 
:  - '  Bdriaaj.  dea  eosoeff  xasstgefeeaden  Fasotc.  te*  tec  i 
*Kri  :'tr  ö*a  :«£-■  Intest  iet  -her  «raaicen  Testnnnr. 

~  --'rtea  t»  toe  Largenf  iftmkjjssfc  tt  ssr  er: er  te  crt*meteT 
A  tose,  oo  seiex  e-är.  -w  e  ax tseroräenfith  rae-r;  p;  - - 
toe-er  circa  ie  Imtcke  Frkrateaap^  itr<i  Ären  Terscäie>i»nen 

•  erax:  »et  me  Faaotr  HUL  W?  erbioten  a  äer  xr-veHa 

•  trsefeedefeet  les  aaanow  scheB  2:2  ies  imf  m  iett  tx  rr 
afeaa.-pgeg  »also n  der  Ltrx ese-irinä:xtx  as  «ttskäer  ben 

\zr-z  --  ti  t«-i  ai:s-.ert-r fentücT  mhnwra' «wr.  "  er- 
t53Jttt.sees  tv  .sdtet  te-  Zib.  xz-t  5er  'artreer  ier  Tite'cet- 
ttar.._en  aw  ;e*  ßrrtit  t  e  frcr-riotEr  ^eiet  .e  Tr-  .--t  Je*  An 

ti*  i  '*  :  : *  t "  t-'--:  .*- 

Lx_rer.  -trer  1  rt»  i  rai|  »Ti  adH i  M  '  sder  inre:  re- 
— «öer  rrässerer  baansL  Aber  sas  Verhalten  ies 
fa^fcbdtedts  seifest  h  aar  eia  FAlai  io  rammten 

•  tet  wert:  vt  oir  ter  ~.->~r—  irr^-fri^T  Y -_rr_ 

t>  äar?mer:  abseben.  sa_stxe*e-*  ;  :  -  t-r  z~- 

•  itf  i3z  stets  t .  e  r  :  i  f  t .  t- 1  t  e  s  Ce  stu  :- 
? r K -  ** 2  t  t  e i  :  i  t e i.  A  e  t»e.  tast  jeöer  fa- 
’  -  f tj3xs£jarxte.t  teert  saeä  ix  tt  te  ter  Tat  e- ci  ree  - 

— 1 — t>— tscer  i"t  ImsHaacar  -tes  ersttaxet er  —r  -.tc  n~  za-— 
■*  ~'_tet  etttit'eetemtet  *  atätdetTxret  tes  je-xttrt- 

-  ^  -  *  veriJ  etter  rtrttet.  :.e 

“  'tttVrr  *’*  zm  .  >te  tittten.  artet  :ce  tet  .  —  rrrrstms 

• :  ritte  >t  et  et  -  ±  : ;  •  er ft  -  ai  te  ■. .  ■  i  - :  t  e  t  - 

-  '  .  '  '  -  :- 
-  -  —  r.tt*  1 1  rt  t.st.r  ~ee  ;  t  - 

;  •"  -  -  •  •  -  '  ^  r  '  '  .  '  t  .  '  *'  . 

re.  ganz  triistrer  rrtztr^en  r-t^eseen  raten  ir  rrter  Lrr- 


A  trerog  rtt  te.  se 


Ftiu  et|er~ - -  ^  rofeSicUdl _ _  _ _ _ 

-  •  '-  •  e-  i-  .  .  t  -;  •  .  -  z  e'ter  itttte  - 

-  -  -At  'teztüsttet-  arattm  _t  aastet  tetet  Sr- 
iti--  t-r.setet  s  tt.  -  -  .  - .  •  -  . .  • .  .  •  .  - 

?-  .  -  '.v.et.xtet  Langer  trrtr  _V_sctxteft5:r  tte*  tt  tet  etes  -  r- 

An  erhe  jurch  Tderkda  bemorgeraicaca  tett  tzx_sttet.  —  t:e  -x  *  - 

leiien  Potzrr trtta  ertsteber.  ist  ttt  rrttelrtZe  farrt  p  r  :  :  e  s  s  f  t  t  e  t  s  : 

'.','*"*  _t'  V|-  -  -  - —  t  -ttt  Itt.t  e  '  -  Ti  _  t  ;  ;  :*ti  iti  2  -iS  - - 

*  x*-*-^  -  -  -  t.t  ;t  ■  t  t:  et  «  e:r  etttttffsvtü  er  teer  er.  vrem  wtr  tte  r*:sse'e  Ir  t 

-  tt:  :  et  *e*-  i“  r'ttt_ i .fet  :tltt_c  tt  tertattett  tatet. 

-  -  -  —  —  —  —  tt..t*t‘  .  - 1  *.  t  r  e  *  t  ttt  t  e  t_£  e  t  -  —  , :  -  -  t-  xet  ststett  .  -  -  ~  -  *. 


'ScaenmtncaL  tertt-tre-s 
stt  z  _  xrttrale.  srerte 
tx-reteiaBei  seterttt  seiwererex 
— .t  — 't  ~  ;  -  ete  .  ettte-itttrstee  e-rt. 
rt_  te-  EtnürrrgsnanaBt  st  tst- 
r:£it  itittr  strex 
te grösste  «etsex  etet- 


-  - —  -  -t  es  wichtig,  die  greese 
risch  t~berct:*>se  Vet 
t  mbaagf  za  ton.  Banal  be  re 
t  aof  tem  die  Tsbe-tt-zee  sebtst  >zrtscit"etea  :t 
-  *  etttt  •  e*t: *te*  tte  *  -  -  • 

Manpienatwan^g.  Die  pfefsdol  s.  5  —  t — e 
feafin  Katarrhe,  lnhaün  a  aad  >  bätet  Ptettt- ;r 
■a i  ii hi.äa  skfe  a  kerner  Weise  tob  «den  etttsttette" 
fefcdnibeitdösa  Verändewaget.  Ntt  ta  Rcctxet: 

«ie  ernte,  bis  za  tttt  tev  sset  trat: 
karrhaBsche  Brondhopne—onie  tob  der  verfäette* 

: "* ;  *  -  ■  -  i'—zTi-  ttt  tes *t  *  t  .*:  *  iss  tetet  -  - .  - 

cizz  ve-if.Tte-  t  - 1  :  e  ?■ t  tet  1 1  *t  s; 

t"^a: * . *  'erksleser  Prszzesse  ist  ttartntscb  tt~:x  tt  N 
rigerer  Zeit,  meist  erst  v«  V.rtet.  f  irte-  t  t 
er  Syttrttme  errefc  Set  -  -t:-  *  eta— tat  st  *t* 

-'ch  Satmt  tot  Lxft  m  ateleftattscbe  Rmsoa. 
»feLaumscbe  Ffffbig  angrenzender  Lnagente  :  S  e-e 

• .  .  .  -  :  .  -  * .  .  - 

Jteteor  rvbt  tre't-  tte*  attsa-*e*  *';-tst"t;  te:  ?  ;  t. 

'-"‘.-".t-."  ;Xt* 

'  -  -  .  ._t  -*__.■  et  a?  t  cesttttet  -  . 

1  tch  ia  weettex.  3 — c- — >  \\  y---  stt-  ts  s. 

■  r  kann  anfbörem  P>nphxcg  k rette-  s  z'r  aa*- 


tt xtsetex  Lttfre-etf.-attfatac  rtc  tte  tet  ta-:ir  raatnäxr  te 
-  eaixen  tes  -jesaxtt  rvixsttrs  att  tt  *  tat-ftrex  —  At.x. 

-  -  T '  -  —  ^  te :  .  '  .  *  t  ttt  •  .  t  x  -  .  •  • 

*  tettfet.  ttö-g-Ctzs"  stete-  n  rehex 


i  -w  n 


* 


’  trt  »  tet  *  ttrer  Sfratentte  tr*  trxi- 
äsche  v.e-tttt tt  Imetaec:  Pr«.  Pr  Xr-r.ttL 

üTserrErfesnr«*  ~  :  je*  r -**•:  s-* f  s-Kfrcrf 
als  -"TV'css-^r  txr  S  »^rrftebfan. 

'  t“  2A  *  :  - :  nt  Asssaeszznr  tet  ♦  -  « 

'-—nt:'  '  te*  r.e t« tusaexteennve  ttttett«t‘t'T  t isc—  >t'T*er 

-.re.  -  tente  tt  etrt  axt  ünmt  te*  Peso. tan  etc  ite- 
^  •  i*:---  ..  : .  sat — et~as.se  *  t  i"re-  t  ere  *:s:*t:*- 

*:*  ;  rer-atcTte  Jfeedbade  der 

Rovttrec  ad  Qeraghtv  gaben  nr  fer  »an  fernes 
tEÄEgx-e-te  Verbvce  ax.  ttss  xtnadnr  te*  rzrbsn-nf  tat? 
? —  - 1  w.  tuten  —  ln  trsenenex  miss«,  t 
.*s*e~  r~:tte  S-- — Pta.  itt  *at*  i  2-t-tet 
55 — ß  Pro*,  des  FhaabdbifelLet  a.stiSv 
—  _ss~et  NteA  .  Sbtthi  sei  baba  v‘  Tite- .  ~t:t  :  :  i;  — 

-.*:  t.t  fttf  ■  t  tt:-  t  -  I  ;  t  : 


bn; 
P-Vt  t 

hesar 

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Sfel  niicksiha.  Die  RndMi  sind  in  retetrr  j  nessbati  'Äene  pjjr  sete-xe— ■ 
''.TÜeberT-  Kenn  uxan  t;  ffinben  c  esc*  <  tn-  .  -;-»r  st  tt  verschwiel*  V» ;  se  ;  - :  - 

"hd  nu  9d  * 


bätetx  tre  PttKr  t .  t  t  s  ;  ~-et 

dieser  oder  jener  Emwntang  nifeafca»  Er  . 
"ea.  [>-e  Tsberkakvse.itersttt  ze^gt  za:  Centce 


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tesettt  :oer  tre  \issche  nirry 

Tte  bsfeer  bätzjtrt  rswtrteMs:  Vatrtrt  ntten  rs 
tnebet  ha  cattert  ten  PestJatü  Je-  a~  enkanfet'  - 

»  xr.  •»  :  -  5.  t 


1836 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  34. 


Autoren.  Auch  nach  unseren  Erfahrungen  an  normalen  und 
pathologischen  Fällen  können  wir  die  Nierenfunktionsprüfung 
mit  Phenolsulfophthalein  als  eine  wertvolle  Bereicherung 
unseres  diagnostischen  Rüstzeuges  bezeichnen.  Wir  sehen  als 
besonderen  Vorzug  die  grosse  Einfachheit,  die  völlige  Unge¬ 
fährlichkeit  und  minimale  Belästigung  für  den  Patienten. 

Ich  gebe  zunächst  kurz  die  Methodik  an,  wie  sie  jetzt  an 
unserer  Klinik  mit  gutem  Erfolg  angewandt  wird. 

1.  Der  Patient  erhält  1  Stunde  vor  der  Injektion  des  Farb¬ 
stoffes  500  ccm  Wasser  (Himbeerlimonade  oder  dergleichen), 
nachdem  zuvor  die  Blase  entleert  war.  Erst  von  jetzt  ab  wird 
der  Urin  exakt  gesammelt  und  gemessen! 

2.  Injektion  von  1  ccm  Phenolsulfophthalein2)  tief  intra- 
glutäal  mit  gut  schliessender  Spritze,  nachdem  Patient  un¬ 
mittelbar  vorher  Urin  (in  Glas  Nr.  0)  gelassen  hat.  Die  In¬ 
jektion  wird  praktisch  auf  die  volle  Stunde  gelegt,  wodurch 
man  Irrtümern  seitens  des  Patienten  resp.  des  Personals  hin¬ 
sichtlich  eines  exakten  Urinsammelns  zur  bestimmten  Zeit  am 
besten  entgeht. 

3.  Der  Patient  hat  nun  vom  Moment  der  Injektion  an 
während  der  ersten  Stunde  in  viertelstündlichen  Intervallen 
und  dann  weiter  stündlich  stets  in  numerierte  (Glas  1,  2,  3 
usw.)  und  mit  Zeitangabe  versehene  Gläser  Urin  zu  lassen. 
Der  Patient  muss  besonders  angehalten  werden,  stets  seine 
Blase  völlig  zu  entleeren. 

Es  folgt  dann  die  recht  einfache  kolorimetrische  Bestim¬ 
mung  des  im  Urin  ausgeschiedenen  Phthaleins  mit  dem 
Au  tenrieth-Koenigsberger  sehen  Kolorimeter.  Ich 
brauche  hier  auf  diese  Technik  nicht  einzugehen,  da  dies 
schon  wiederholt  geschehen  ist;  ausserdem  wird  jedem  Kolori¬ 
meter  eine  genaue  Beschreibung  beigegeben. 

Diese  Methode  weicht  insofern  von  der  von  Rowntree 
und  G  e  r  a  g  h  t  y  ab,  als  diese  ihre  Stundenmessung 
von  dem  Moment  der  ersten  positiven  Aus¬ 
scheidung  im  Urin  beginnen.  Diese  Art  der  Rech¬ 
nung  habe  ich  auch  anfangs  geübt,  bin  aber  sehr  bald  davon 
abgekommen,  da  man  sehr  oft  Schwierigkeiten  hat,  den  ersten 
Moment  der  positiven  Ausscheidung  exakt  festzustellen;  es  ist 
nicht  immer  möglich,  dass  ein  Patient  alle  3 — 4  Minuten  Urin 
lässt.  Bei  den  normalen  Fällen  mag  diese  Berechnung  noch 
gehen,  da  hier  mit  grösster  Regelmässigkeit  die  Probe  nach 
5 — 7  Minuten  positiv  ausfällt;  aber  bei  Nierenkranken  kann  es 
20  Minuten  bis  über  eine  Stunde  dauern.  Es  wäre,  ganz  ab¬ 
gesehen  von  den  Ungenauigkeiten,  eine  harte  Geduldsprobe 
und  äusserst  zeitraubend,  wenn  man  bei  solchen  Fällen  immer 
und  immer  wieder  Zusehen  müsste,  wann  man  mit  der  Stunden¬ 
berechnung  beginnen  kann. 

Während  Deutsch  ebenfalls  auf  den  Nachweis  des 
ersten  positiven  Ausfalls  der  Probe  verzichtet,  tritt  Roth3) 
entschieden  dafür  ein,  die  Stundenberechnung  erst  beim  Er¬ 
scheinen  des  Farbstoffes  im  Urin  zu  beginnen,  da  sich  sonst 
Fehler  bis  zu  8  Proz.  einschleichen  können.  Da  es  mir  wieder¬ 
holt  vorgekommen  ist,  dass  ein  Patient  nicht  in  der  Lage  war, 
zu  der  Zeit  Urin  zu  lassen,  zu  der  ich  den  positiven  Ausfall  er¬ 
wartete,  und  da  ich  das  Katheterisieren  zu  diesem  Zweck  im 
grossen  und  ganzen  ablehnen  muss,  so  kann  recht  oft  der  wich¬ 
tige  Zeitpunkt  der  ersten  Ausscheidung  verloren  gehen. 

Um  nun  diesen  wertvollen  Moment  nicht  zu  verlieren  und 
von  der  Ueberlegung  ausgehend,  dass  vielleicht  im  Verlauf  der 
ersten  Stunde  schon  prägnante  Unterschiede  in  der  Ausschei¬ 
dungsart  beim  Nierengesunden  und  Nierenkranken  erkennbar 
sein  würden,  ging  ich  dazu  über,  die  Patienten  in  der  ersten 
Stunde  %  stündlich  post  injectionem  urinieren  zu  lassen. 
Ganz  abgesehen  von  dem  unten  zu  besprechenden  Wert  einer 
derartigen  Kurve,  ist  durch  diese  Art  der  Handhabung  für  den 
Arzt  eine  enorme  Vereinfachung  gegeben;  er  injiziert  und 


2)  Man  verwende  stets  das  gleiche  Präparat,  am  besten  das  von 
der  Firma  Hynson,  W  e  s  c  o  1 1  &  C  o.,  Baltimore,  zu  beziehen 
von  H  e  1 1  i  g  e  &  Co.,  Freiburg  i.  Brsg.  Von  dieser  Firma  wird  alles 
für  die  Methode  nötige  geliefert. 

*)  Roth:  B.kl.W.  1913  Nr.  35.  R.  berichtet  da  in  einer  ausge¬ 
zeichneten  Arbeit  über  einige  wichtige  Fehlerquellen  bei  der  Ph  - 
Probe:  ich  verweise  auf  diese  Arbeit  und  brauche  deshalb  nicht 
weiter  auf  die  Fehlerquellen  der  Methodik  einzugehen,  die  übrigens 
bei  Einhalten  der  von  mir  angegebenen  Vorschriften  minimal  sind. 
Siehe  auch  Er  ne:  M.m.W.  1913  Nr.  10 


braucht  sich  dann  nicht  mehr  um  den  Patienten  zu  kümmern, 
abgesehen  von  wenigen  Ausnahmen,  in  denen  ein  Katheteris¬ 
mus  nötig  ist,  um  schnell  und  sicher  die  erste  Stundenkurve 
zu  haben  (siehe  weiter  unten  Differentialdiagnose,  Koma, 
Urämie  etc.). 

Durch  die  Bestimmung  dieser  Stundenkurve  in  ^stünd¬ 
lichen  Intervallen  hoffte  ich  weiter,  auch  für  den  Praktiker  die 
Methode  noch  leichter  verwertbar  zu  machen. 

Es  hat  sich  in  der  Tat  gezeigt,  dass  der  Ablauf  dieser 
Kurve  beim  Normalen  auffallend  typisch  ist,  und  dass  diese 
Kurve  fast  immer  ein  Spiegelbild  der  Gesamtausscheidung  dar¬ 
stellt.  Man  wird  zumeist  schon  aus  dem  Ablauf  der  Viertel¬ 
stundenkurve  ein  Bild  der  Funktionstüchtigkeit  der  Nieren 
gegenüber  Phthalein  bekommen,  wenn  ich  auch  hervorheben 
muss,  dass  es  natürlich  stets  besser  ist,  ein  Bild  der  üesamt- 
ausscheidung  zu  haben. 

Es  hat  sich  in  etwa  100  Normalfällen  ergeben,  dass  der 
Kurvenablauf,  auf  den  ich  besonderen  Wert  lege,  ein 
ganz  typischer  ist,  während  er  bei  Nierenkranken,  wie  wir 
weiter  unten  sehen  werden,  mehr  oder  weniger  verändert  ist. 
Es  müssen  beim  Normalen  in  der  ersten  K  Stunde  deutlich 
messbare4)  Mengen  des  Ph.  ausgeschieden  sein5);  die  Kurve 
muss  dann  von  der  ersten  zur  zweiten  (seltener  auch  noch 
event.  zur  dritten)  Viertelstunde  ansteigen  und  von  da  ab 
wieder  abfallen.  Diese  %  stündliche  Bestimmung  der  Aus¬ 
scheidung  ist  vielfach  bis  zum  negativen  Ausfall  der  Probe 
verfolgt,  und  es  hat  sich  stets  das  gleiche  typische  Bild  ergeben: 
vom  Höhepunkt  der  Ausscheidung  in  der  zweiten  (bis  dritten) 
Viertelstunde  muss  die  Kurve  zuerst  steil,  dann  langsam,  aber 
ständig  abfallen!  Beim  Nierenkranken  zeigt  sie  da¬ 
gegen  meist  völlig  anderen  Verlauf. 

Auf  Anregung  von  Herrn  Prof.  Moritz  habe  ich  eine 
Tabelle  entworfen  und  in  diese  eine  Normalkurve  (als  Mittel 


Phcnolsullophlhalein-Tabelle.’) 


Kurve  1. 


aus  100  Fällen)  eingezeichnet.  In  diese  Tabelle ß)  (s  i  e  h  e  Ab¬ 
bildung)  trägt  man  mit  Buntstift  die  beim  untersuchten 
Patienten  gefundenen  Phthaleinwerte  ein;  man  hat  dann  gleich¬ 
zeitig  den  normalen  Mittelwert  vor  Augen.  Ausserdem  kann 
man  sich  durch  weitere  Notizen  in  der  Tabelle  über  Herz, 
Blutdruck,  Urinbefund  und  Ausfall  weiterer  funktioneller  Prü¬ 
fungen  der  Niere  ein  klares  Bild  über  den  jeweils  untersuchten 
Fall  verschaffen. 

Die  Kurve  entspricht  „Mittelwerten“,  es  müssen  in  der 
ersten  Stunde  post  inject,  normaliter  mindestens  40  Proz.,  in 
der  ersten  und  zweiten  Stunde  zusammen  mindestens  50  Proz. 
ausgeschieden  sein. 

4)  Ich  verwende  zu  den  kolor.  Bestimmungen  verschiedene  Ver¬ 
dünnungen  des  Urins  je  nach  Farbintensität:  auf  100,  250,  500,  1000. 

5)  Deutsch  verlangt  in  der  ersten  halben  Stunde  messbare 
Werte,  seine  übrigen  Forderungen  stimmen  im  ganzen  mit  den  meinen 

überein.  4  . 

°)  Diese  Tabellen  werden  zugleich  mit  dem  Kolorimeter  «ne 
mit  dem  Phenolsulfophthalein  von  Heilige  &  Co.,  Freiburg  i.  Brsg 
geliefert:  es  ist  diesen  Tabellen  auch  eine  genaue  Beschreibung  der 
Methode  beigegeben. 


>5.  August  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1837 


Ehe  ich  auf  spezielle  Fragen  über  die  normale  Aus¬ 
scheidung  des  Phthalein  eingehe,  noch  einiges  zur  Technik. 

Wir  geben  stets  genau  500  ccm  Wasser  eine  Stunde  vor 
ier  Injektion,  um  dadurch  ein  gewisses  Urteil  über  die  Diu- 
ese  zu  erhalten.  Auf  diese  Weise  stellen  wir  gleichzeitig 
nit  der  Phenolsulfophthaleinprobe  noch  den  Strauss- 
\  1  b  a  r  r  a  n  sehen  Wasserversuch  an.  Da  der  Ausfall  der 
Tithaleinausscheidung  nach  dem  Urteil  anderer  wie  auch  nach 
neinen  Erfahrungen  nicht  abhängig  von  der  Harnmenge  ist,  so 
•ind  wir  voll  berechtigt,  diesen  Diureseversuch  mit  der 
«Jowntree-Qeraghty sehen  Probe  zu  verbinden. 

Eine  derart  belastete  normale  Niere  erledigt  in  zirka 
Stunden  —  gewöhnlich  mit  dem  Höhepunkt  etwa  am  Ende 
:er  2.  Stunde  —  diese  Wasserzulage.  Auch  S  t  ra  u  s  s  gab  an, 
'ass  normal  in  ca.  2  Stunden  die  Zulage  ausgeschieden 
cürde. 

Bei  nierenkranken  Patienten  können  wir  wesentliche  Ab¬ 
weichungen  von  der  Norm  beobachten.  Es  ist  natürlich,  dass 
nan  die  Ausscheidung  der  500  Wasser  nur  nach  dem  Niveau 
er  ohnehin  erfolgten  Wasserausscheidung  beurteilen  kann. 
:u  diesem  Zwecke  verfolgt  man  am  Tage  vor  oder  nach  der 
Vassergabe  die  Urinausscheidung  bei  sonst  völlig  gleichen 
iedingungen. 

Die  Wasserzulage  gebe  ich  gewöhnlich  2—3  Stunden  nach 
cm  ersten  Frühstück,  bei  dem  allerdings  möglichst  wenig 
lüssigkeit  gereicht  werden  soll.  Die  Probe  nüchtern  anzu- 
tellen,  ist  für  den  Patienten  wenig  angenehm,  weil  er  min- 
estens  noch  3 — 4  Stunden  ohne  Frühstück  bleiben  müsste. 

Aus  der  Differenz  in  den  Urinmengen  vom  Tag  ohne  und 
iit  Wasserzulage  gewinnen  wir  dann  zumeist  recht  wertvolle 
ufschlüsse,  wie  einige  Beispiele  in  der  beigegebenen  Tabelle 
eigen  sollen. 

a)  Nierengesunde. 


b)  Nierenkranke. 


Hö. 

Sp. 

En. 

Her. 

Stu. 

1 

II 

I 

II 

i 

II 

I 

n 

,  1  II  a 

27.  II. 

11  b 

13.  III. 

75 

70 

60 

55 

45 

20 

85 

100 

85 

100 

75 

170 

160 

40 

35 

45 

80 

110 

95 

75 

85 

90 

170 

160 

75 

65 

50 

80 

90 

150 

110 

60 

•  50 

125 

100 

60 

105 

30 

85 

100 

340 

60 

45 

240 

140 

250 

55 

80 

130 

65 

75 

170 

35 

45 

120 

100 

70 

60 

100 

55 

95 

55 

80 

40 

30 

100 

Sämtüehc  Patienten  erhielten  an  Tai;  I  und  II  morgens  7  Uhr  einen  Becher  Kaffee 
Milch  (200  —  300  ccm),  an  Ta^  II  um  9  Uhr  ausserdem  500  ccm  Wasser. 


Die  Injektion  wird  intraglutäal  (in  den  obersten  Teil)  aus¬ 
führt,  da  das  Phthalein  in  der  Lumbalmuskulatur  Schmerzen 
.'rursacht;  dasselbe  haben* auch  Fromme  und  Rubner 
tont.  Von  einer  intravenösen  Injektion,  die  E  i  c  h  m  a  n  n, 
romme  und  Rubner  empfehlen,  wurde  Abstand  ge- 
■mmen,  da  hierdurch  die  Methode  nur  unnötig  kompliziert 
ird.  Es  ist  nicht  Jedermanns  Sache,  zu  rein  diagnostischen 
wecken  ohne  Not  eine  Venenpunktion  zu  machen.  Wenn 
ch  ohne  weiteres  zugegeben  wird,  dass  wir  durch  die  intra- 
nöse  Einverleibung  des  Phthalein  etwas  gleichmässigere  Be¬ 
ugungen  bekämen,  muss  ich  doch  bemerken,  dass  ich  auch 
:ch  intraglutäaler  Injektion  beim  Normalen  eigentlich  nie 
ten  wesentlichen  Unterschied  in  dem  Beginn  der  Aus- 
üeidungszeit  gefunden  habe.  Zudem  scheint  es  mir  vom  rein 
ysiologischen  Standpunkt  aus  gar  nicht  so  gleichgültig  für 

-  Beurteilung  der  Funktion  eines  Organs  zu  sein,  ob  man  cs 
itzlich  mit  einer  grossen  Masse  eines  Stoffes  überschwemmt, 
er  ob  dieser  der  normalen  Resorption  entsprechend  längere 
it  hindurch  in  kleineren  Mengen  das  betr.  Organ  passiert. 

Für  die  Bewertung  der  in  Rede  stehenden  Methode  ist 

-  Beantwortung  besonders  zweier  Fragen  von  der  aller- 
össten  Bedeutung:  1.  scheiden  tatsächlich  alle  Nieren¬ 


Voeg. 

Ru. 

Jü. 

He. 

Schö. 

Bu. 

1  II 

I 

II 

I 

11 

I 

II 

I 

II 

I 

II  a 

II  b 

30 

55 

145 

50 

35 

25 

30 

50 

100 

80 

60 

55 

45 

50 

95 

200 

225 

50 

60 

45 

50 

195 

95 

75 

75 

110 

60 

230 

180 

270 

60 

110 

65 

230 

145 

300 

■  80 

330 

80 

130 

180 

4  SO 

50 

500 

65 

400 

160 

360 

40 

580 

3 1 5 

85 

140 

150 

180 

40 

i  75 

75 

290 

130 

120 

85 

275 

120 

75 

125 

180 

150 

75 

|  50 

65 

75 

110 

100 

100 

50 

60 

gesunden  den  Farbstoff  stets  „normal“  aus  und  2.  scheidet  ihn 
die  gleiche  Person  unter  gleichen  Bedingungen  stets  an¬ 
nähernd  in  gleicher  Menge  und  in  entsprechender  Zeit  aus? 

Wenn  ich  von  Funktionstüchtigkeit  „normaler“  Nieren 
spreche,  so  verstehe  ich  darunter  Nieren,  die  nach  unseren 
allgemein  üblichen  Untersuchungsmethoden  als  gesund  gelten 
können.  Es  wurden  vor  allem  nur  Patienten  zur  Feststellung 
dei  normalen  Ausscheidung  des  Phthaleins  herangezogen,  die 
lediglich  wegen  leichter  Erkrankungen  in  der  Klinik  weilten, 
die  insbesondere  keinerlei  Veränderungen  ihres  gesamten 
Urogenitaltraktus  zeigten,  und  die  auch  nicht  an  Krankheiten 
litten,  die  ab  und  zu  —  wenn  auch  nur  leichte  —  Nierenver¬ 
änderungen  machen  könnten.  So  wurden  insbesondere  alle 
Patienten  mit  Strikturen,  Prostata-  oder  Blasenerkrankungen, 
ebenso  solche  mit  Veränderungen  im  kleinen  Becken  zur  Fest¬ 
stellung  der  Norm  ausgeschlossen.  Ich  möchte  weder  Frauen 
mit  Adnextumoren  (Fromme  und  Rubner),  noch  Gravide 
für  geeignete  Versuchspersonen  zum  Studium  der  normalen 
Phthaleinausscheidung  halten. 

Unsere  Annahme  der  Norm  gründet  sich  für  das  Gros  der 
Fälle  auf  regelmässige,  fast  tägliche  exakteste  Urinunter¬ 
suchungen.  Daneben  wurden  bei  einer  ganzen  Reihe  von 
„Normalfällen“  die  Kochsalz-  und  Harnstoffbestimmung,  die 
Milchzucker-,  Diastase-  und  Jodprobe  neben  Beobachtung  der 
Diurese  ausgeführt;  neuerdings  verwende  ich  auch  die 
Kreatininbestimmung  nach  Neubauer  mit  gutem  Erfolg. 

Ich  darf  nun  sagen,  dass  ich  bisher  beim  Normalen 
stets  den  normalen  Kurvenablauf  und  die  geforderte  Prozent¬ 
menge  von  Phthalein  gefunden  habe.  Es  finden  sich  in  der 
Literatur  Stimmen  (Eichmann,  Albrecht,  Fromme 
und  Rubner),  die  beim  Normalen  abnorm  niedrige  Werte 
bekommen  haben.  In  einzelnen  Fällen  glaube  ich,  dass  es  sich 
eben  nicht  um  normale  Nieren  gehandelt  hat;  teilweise  scheint 
ein  anderes  minderprozentiges  Präparat  verwendet  zu  sein; 
mehrfach  ist  der  Grund  der  schlechten  Phthaleinausscheidung 
nicht  ohne  weiteres  ersichtlich. 

Es  muss  ausdrücklich  hervorgehoben  werden,  dass  es  uns 
auch  wiederholt  vorgekommen  ist,  dass  wir  entgegen  unserer 
Annahme,  bei  einem  bestimmten  Patienten  eine  normale 
Phthaleinausscheidung  zu  bekommen,  einen  schlechten  Aus¬ 
fall  der  Probe  konstatieren  mussten.  Es  sind  dies  jetzt  unter 
300  Fällen  etwa  15;  und  da  ist  es  uns  nur  in  einem  einzigen 
Fall  bisher  nicht  gelungen,  den  Grund  des  abnormen  Kurven¬ 
verlaufes  nachzuweisen  (Pat.  verliess  vorzeitig  die  Anstalt). 
In  allen  anderen  Fällen  konnten  wir  entweder  Fehler  in  der 
Technik  (ich  habe  aus  äusseren  Gründen  für  einige  Versuche 
andere,  minderprozentige  Präparate  verwendet,  kam  dann  aber 
sofort  durch  vergleichende  Messungen  zu  denselben  Resultaten 
wie  Roth),  oder  mangelhaftes  Entleeren  der  Blase  oder  aber 
in  der  Mehrzahl  tatsächlich  bestehende  Veränderungen  am 
„Urogenitalsystem“  feststellen.  Es  bestand  mehrmals:  Striktur, 
Prostatahypertrophie,  Kleinbeckentumoren  oder  tatsächlich 
eine  klinisch  bisher  verborgen  gebliebene  Nierenerkrankung; 
auf  den  letzteren  Punkt  werde  ich  später  noch  besonders  zu 
sprechen  kommen  müssen. 

Wir  sind  daher  nicht  berechtigt,  bei  unternormalem  Aus¬ 
fall  der  Probe  beim  „vermeintlich  Normalen“,  dies  der  Me¬ 
thode  ohne  weiteres  zur  Last  zu  legen;  es  muss  vielmehr  ge¬ 
fordert  werden,  dass  bei  derartigen  Differenzen  alle  uns  bisher 
zu  Gebote  stehenden  Untersuchungsmethoden  (ich  betone  be¬ 
sonders  auch  die  einfache  tägliche  Untersuchung  auf  Eiweiss 
und  Formelemente)  erst  entscheiden  müssen,  ob  wir  es  tat¬ 
sächlich  mit  funktionell  normalen  Nieren  zu  tun  haben.  Es 
gibt  viel  mehr  kranke  Nieren,  als  gemeinhin  angenommen 
wird! 

Es  ist  vielleicht  auch  nicht  überflüssig,  zu  betonen,  dass 
man  sich  mit  j  e  d  e  r  klinischen  Methode,  ganz  besonders  aber 
mit  einer  „einfachen“  vertraut  machen  muss,  ehe  man  den 
Stab  über  sie  bricht,  oder  sie  bedingungslos  empfiehlt,  und 
dass  man  auch  bei  einer  einfachen  Methode  „e  x  a  k  t“  arbeiten 
muss,  besonders  wenn  es  sich  wie  hier  um  eine  einfache  aber 
quantitative  Bestimmung  handelt. 

Wir  kommen  zur  Beantwortung  der  Frage:  scheidet  der¬ 
selbe  Normale  unter  gleichen  Bedingungen  gleiche  Farbstoff¬ 
mengen  in  entsprechender  Zeit  aus?  Nein!  die  gefundenen 


1838 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  34. 


Differenzen  sind  aber  zumeist  derart,  dass  sie  nicht  unter  die 
Grenze  der  Norm  fallen,  also  praktisch  bedeutungslos  sind. 
Es  kommen  da  offenbar  neben  mangelhafter  Blasenentleerung 
auch  extrarenale  Einflüsse  in  Betracht.  Der  1  ypus  der  Aus¬ 
scheidung,  d.  h.  der  Kurvenablauf  ist  im  ganzen  immer  der 

gleiche.  ,  ,  ,  ,  .  , 

Ich  möchte  aber  ganz  besonders  hervorheben,  dass  ich 

auch  in  etwa  3  Fällen  bei  der  gleichen  Versuchsperson  einmal 
weit  unternormale  und  dann  wieder  hoch  normale  Werte 
bekommen  habe;  diese  Differenz  hat  sich  nicht  immer  durch 
mangelhafte  Blasenentleerung  erklären  lassen.  Derartige 
Fälle  sind  Ausnahmen! 

Verschiedenheiten  der  Farbstoffelimination  lassen  sich  je¬ 
doch  beim  gleichen  Individuum  —  wie  ich  schon  früher  her¬ 
vorgehoben  habe  —  zu  den  verschiedenen  Tageszeiten  und  bei 
Bettruhe  und  Aufsein  beobachten. 

Der  Normale  scheidet  häufig  am  Nachmittag  (d.  h.  2  bis 
3  Stunden  nach  dem  Mittagessen  und  Kaffee)  grössere  Mengen 
Phthalein  aus  als  am  Vormittag.  Die  Unterschiede  können 
gross  sein,  jedoch  nicht  so,  dass  sie  unter  die  normale  Grenze 
fielen.  Dieser  Unterschied  in  der  Ausscheidung  fällt  bei 
Nierenkranken,  besonders  beim  chronischen  Neplnitiker 
schwererer  Form  völlig  weg. 

Während  offenbar  die  durch  Nahrungsaufnahme  bedingten 
Nierenreize  (Kochsalz,  Purinkörper,  Harnstoff)  beim  Gesunden 
eine  erhöhte  Nierenfunktion  (Reservekraft)  hervorrufen,  so 
dass  auch  das  körperfremde  Phthalein  innerhalb  dieses  Reiz¬ 
zustandes  besser  ausgeschieden  wird,  bleibt  die  Funktion  der 
Nieren  beim  Nephritiker  auch  den  einfachen  Reizen  einer  ge¬ 
wöhnlichen  Mahlzeit  gegenüber  „starr“.  Allerdings  vermag 
mitunter  eine  die  Nierentätigkeit  stark  anregende  Mahlzeit 
(Purin,  Alkohol)  auch  derartige  Nieren  zu  einer  vermehrten 
Phthaleinausscheidung  zu  bringen  7). 

Alle  diese  hier  skizzierten  Unterschiede  sind  bei  der  prak¬ 
tischen  Anwendung  der  Probe  von  nur  untergeordneter  Be¬ 
deutung,  müssen  aber  registriert  werden  und  haben  Wert  für 
die  Beurteilung  der  physiologischen  und  pathologisch-physio¬ 
logischen  Nierentätigkeit.  Vielleicht  spielen  da  auch  Prozesse 
mit,  die  völlig  unabhängig  von  der  Nierenfunktion  sind 
(Resorption  etc.). 

Sehr  wenig  von  Belang  ist  es,  ob  man  den  Patienten 
liegen  lässt,  oder  ob  sich  derselbe  ausser  Bett  befindet.  Nur 
insofern  ist  ein  gewisser  Einfluss  vorhanden,  als  die  Diurese 
im  Liegen  im  allgemeinen  besser  ist,  somit  also  auch  der  be¬ 
treffende  Patient  jederzeit  leichter  Urin  lassen  kann.  Ver¬ 
einzelt  habe  ich  gefunden,  dass  im  Liegen  etwas  mehr 
Phthalein  sezerniert  wird,  jedoch  sind  das  praktisch  unwichtige 
Differenzen. 

Eine  Zusammenfassung  unserer  Beobachtungen  an  nor¬ 
malen  Individuen  ergibt  etwa  folgendes: 

1.  die  normale  Phthaleinkurve  verläuft  in  der  vorher 
angegebenen  Form  (s.  oben  Kurve); 

2.  es  müssen  in  der  ersten  Stunde  mindestens  40  Proz. 
(davon  in  der  ersten  Viertelstunde  messbare  Werte),  in  der 
ersten  und  zweiten  Stunde  zusammen  mindestens  50  Proz.  '*) 
des  Farbstoffes  ausgeschieden  sein. 

3.  die  Gesamtausscheidung  muss  am  Ende  der  dritten 
Stunde,  höchstens  der  vierten  praktisch  vollendet  sein; 

4.  diese  Normen  gelten  im  grossen  und  ganzen  für  alle 
gesunden  Nieren.  Finden  sich  bei  vermeintlich  nierengesunden 
Leuten  Abweichungen,  so  ist  die  Probe  zu  wiederholen;  ergibt 
sie  wieder  einen  abnormen  Befund,  so  wird  es  mindestens 
wahrscheinlich,  dass  man  es  doch  mit  einer  bis  dahin  ver¬ 
schleierten  Nierenerkrankung  zu  tun  hat.  Die  Verwendung 
sonstiger  uns  zu  Gebote  stehender  diagnostischer  Hilfsmittel 
ist  dann  angezeigt,  um  dieses  Urteil  zu  sichern. 

(Schluss  folgt.) 


H 


7)  Die  Versuche  und  Untersuchungen  über  Beeinträchtigung  der 
Phthaleinausscheidung  von  verschiedenen  Gesichtspunkten  werden 
noch  weiter  fortgesetzt. 

7*)  Anmerkung  bei  der  Korrektur.  Diesen  Wert 
nimmt  auch  v.  Monakow  an  (D.  Arch.  f.  kl.  Med.  116.  S.  1). 


Aus  dem  Sanatorium  Davos-Dorf  (leit.  Arzt  Dr.  L.  v.  Muralt). 

Praktische  Erfahrungen  über  die  granuläre  Form  des 

Tuberkulosevirus. 

Von  Dr.  S.  W  e  i  n  e  r. 

Seitdem  M  u  c  h  die  nur  nach  Gram  darstellbare  granu¬ 
läre  Form  des  Tuberkulosevirus  entdeckt  hat,  sind  bereits 
16  Jahre  vergangen,  und  doch  scheinen  die  Akten  über  diese 
Frage  noch  nicht  geschlossen  zu  sein.  Trotz  einer  grossen 
Anzahl  Arbeiten,  wie  sie  von  Rosenthal,  W e h r  1  i, 
Knoll,  Deycke,  Wegelin,  Weiss,  Leschke  und 
vielen  anderen,  die  die  Existenz  des  granulären  Virus  ausser 
Zweifel  setzen,  gibt  es  noch  Autoren,  welche  die  Much  sehen 
Granula  in  Abrede  stellen.  Von  den  letzteren  wollen  besonders 
Bittrolf  und  Morn  ose  bewiesen  haben,  dass  nach  der 
Weiss  sehen  Doppelfärbung  jedem  Einzelnkorn  ein  Stück¬ 
chen  säurefeste  Substanz  anhaftet,  dass  also  die  Much  scheu  \ 
Granula  prinzipiell  nichts  Neues  darstellen.  Diese  Ansicht  hat 
Knoll  seinerzeit  zur  Genüge  widerlegt. 

Wir  konnten  uns  an  1050  im  Laufe  eines  Jahres  aus¬ 
geführten  Sputumuntersuchungen  von  der  Richtigkeit  der 
Much  sehen  Beobachtungen  vollkommen  überzeugen.  Wir 
wollen  daher  hier  auf  den  prinzipiellen  Streit  nicht  mehr  zu¬ 
rückkommen.  Die  positiven  Resultate  sind  so  überwältigend 
gross  an  Zahl,  dass  es  neuer  Beweise  in  dieser  Hinsicht  kaum 
mehr  bedarf.  Much  hat  die  positiven  ebenso  wie  die  nega¬ 
tiven  Befunde  anderer  Autoren  in  seiner  letzten  Arbeit  zu¬ 
sammengefasst  und  kritisiert.  Theoretisch  ist  danach  die 
Frage  als  erledigt  zu  betrachten. 

Was  uns  aber  noch  viel  zu  wenig  gewürdigt  scheint,  ist 
der  praktische  Wert  des  Nachweises  Much  scher  Granula  im 
Einzelfall.  Auch  in  den  Lungenheilstätten  bringt  man  dieser 
Seite  der  Frage  viel  zu  wenig  Interesse  entgegen,  und  doch  ist 
ihre  Bedeutung  gross  und  mannigfach.  Manch  unklarer  Fall 
kann  durch  die  Feststellung  des  granulären  Virus  geklärt 
werden.  Ferner  war  von  Interesse  festzustellen,  wie  viele  der 
Ziehl-negativen  Kranken  das  granuläre  Virus  produzieren.  Da 
diese  Form  des  Tuberkuloseerregers, '  wie  von  Much  und 
anderen  nachgewiesen  und  wie  wir  es  auch  bestätigen 
konnten,  virulent  und  infektiös  ist,  so  ergeben  sich  ausser  den 
rein  diagnostischen  Gesichtspunkten  auch  wichtige  prophylak¬ 
tisch-soziale  Schlüsse  für  die  1  uberkulosebekämpfung. 

Weiterhin  muss  es  von  Interesse  sein,  festzustellen,  ob  sich 
aus  dem  Vorhandensein  verschiedener  Formen  des  Tuberku- 
loseerregers  im  Einzelfalle  prognostische  Gesichtspunkte  ge¬ 
winnen  lassen.  Es  war  zu  prüfen,  ob  mit  der  klinischen  Besse¬ 
rung  die  Bazillen  ihre  Säurefestigkeit  einbüssen,  um  sich  in  die 
kapsellosen  Bazillen  (Uebergangsformen)  und  schliesslich  in 
die  granuläre  Form  zu  verwandeln. 

Ein  Lungenmaterial,  wie  es  unser  Sanatorium  bietet,  schien 
uns  auf  diese  Frage  um  so  mehr  Licht  werfen  zu  können,  als 
wir  Gelegenheit  haben,  das  Sputum  ebenso  wie  das  klinische 
Bild  eines  und  desselben  Patienten  monate-,  selbst  jahrelang 
zu  beobachten  und  auf  diese  Weise  Zufälligkeiten  möglichst 
auszuschliessen. 

Der  Zeitraum,  auf  den  unsere  Untersuchungen  sich  er¬ 
strecken,  umfasst  etwas  mehr  als  ein  Jahr.  Es  wurde  tuber¬ 
kulöses  Material  (Sputum,  pleuritische  Exsudate,  Knochen¬ 
fistelsekret,  Rektalfistelsekret  und  tuberkulöse  Abszesse)  von 
im  ganzen  75  Patienten  1.,  II.  und  III.  Stadiums  nach  Turban 
untersucht. 

Von  den  75  Patienten  wurden: 

12  Patienten  1.  Stadium  48  mal  untersucht,  48  Z  0,  35  M  lb" 
20  „  II.  „  175  ,  „  157  ,  HO  ,  47  , 

43  „  III.  „  827  .  „  227  „  ,  ,  227  „ 

1050  mal  untersucht,  432  Z  O,  372  M  60  M 

Unter  Stadium  III  befinden  sich  auch  30  Patienten  mit 
künstlichem  Pneumothorax,  deren  Sputum  110  mal  zur  Unter¬ 
suchung  kam.  ii  jj  ■' 

Von  den  75  Patienten  zeigten  25  (10  des  I.  und  15  de- 
II.  Stadiums)  nie  nach  Z  i  e  h  1  färbbare  Bazillen.  Sie  waren 
als  geschlossene  Tuberkulosen  ins  Sanatorium  eingewiesen 
worden,  da  auch  auswärts  zum  Teil  bei  wiederholter  Sputum- 
analyse  keine  Bazillen  gefunden  worden  waren.  Bei  15  der 
30  Pneumothoraxpatienten  wurden  mehrere  bis  viele  Monate 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


25.  August  19 14. 


nur  M  u  c  fi  sehe  Granula  gefunden.  Auf  die  Zahl  der  Patienten 
berechnet  waren  es  also  40  von  75  =  53,3  Proz.,  bei  denen 
man  stets  oder  teilweise  keine  säurefesten  Bazillen,  wohl  aber 
Granula  finden  konnte. 

Im  ganzen  wurden,  wie  aus  der  Tabelle  hervorgeht, 
1050  Paralleluntersuchungen  nach  Z  i  e  h  1  und  Much  gemacht, 
von  denen  432  —  41  Proz.  Ziehl-negativ  ausfielen.  Von  diesen 
433  waren  372,  also  35,4  Proz.  der  gesamten  resp.  85  Proz. 
der  Ziehl-negativ'en  Untersuchungen  nach  Much  positiv.  Von 
18  1  ierversuchen  mit  dem  nur  Granula  enthaltenden  Sputum 
waren  15  positiv  und  3  negativ. 

Die  Bereitung  der  Präparate  ging  folgendermassen 

vor  sich: 

Das  Sputum  wurde  zwischen  zwei  Objektträgern  zu  einer  feinen 
Seife  zerrieben.  Das  eine  Präparat  wurde  nach  Z  i  e  h  1.  das  Kontroll- 
präparat  nach  einer  modifizierten,  von  K  n  o  1 1  angegebenen  Doppel- 
tärbungsinethode  bearbeitet.  Die  K  n  o  1 1  sehe  Farbenmischung  unter¬ 
scheidet  sich  von  der  früher  von  W  e  i  s  s  angegebenen  durch  einen 
Zusatz  einer  3  proz.  Resorzinlösung,  die  das  Ausfallen  des  Methylen¬ 
blaues  einschränkt.  Wenn  nach  Ziehl  keine  Bazillen  gefunden 
wurden,  nahmen  wir  in  den  meisten  Fällen  nach  Anreicherung  mit 
Antiformin  eine  nochmalige  Färbung  des  Sedimentes  nach  Ziehl 
und  Kn  oll  vor.  Mit  so  untersuchtem  Sputum  wurden  auch  die 
Tierimpfungen  vorgenommen. 

Wir  zogen  die  24  bzw.  48 ständige  Kaltfärbung  der  kurzen  heissen 
vor,  da  sie  auf  Grund  unserer  Erfahrungen  zu  einem  Minimum 
von  Farbenniederschlägen  führt.  Die  Befürchtung,  dass  die  Granula 
leicht  mit  Kokken  und  Farbenniederschlägen  verwechselt  werden, 
sonnen  wir  nicht  teilen.  Bei  einiger  Uebung  fallen  diese  Schwierig¬ 
keiten  weg,  da  die  tinktoriellen  und  physikalischen  Eigenschaften  der 
iranula  für  die  letzteren  vollkommen  charakteristisch  sind.  Bei  den 
n eisten  Sputa,  wo  man  auch  nach  Ziehl  Bazillen  findet,  bietet  das 
Mikroskop  bei  der  Doppelfärbung  ein  buntes  Bild  von  granulären 
lazillcn  mit  rotem  Leib  und  bläulichen,  stark  lichtbrechenden  Kern- 
-hen,  welche  in  wechselnder  Menge  an  verschiedenen  Stellen  des 
iazillus  liegen,  häufig  auch  nur  äusserlich  dem  Leib  anliegen;  von 
Jebergangstormen,  bei  denen  der  Leib  nur  noch  als  blassroter 
•■chatten  zum  Vorschein  kommt  und  von  zu  Stäbchen  angeordneten 
md  regellos,  einzeln  und  in  Haufen  liegenden  Granula.  Die  Menge 
ler  granulierten  Bazillen  entsprach  fast  immer  derjenigen,  die  auch 
lach  Ziel  festgestellt  werden  konnte.  Als  Plus  sind  nur  die  Ueber- 
jangsformen  und  reine  Granula  zu  betrachten.  Es  kommen  aller- 
lings  auch  seltene  Fälle  vor,  wo  man  nach  der  Doppelfärbung  nur 
ote  Bazillen  fand  und  diese  letzteren  vollkommen  granulafrei  waren. 

Weitaus  am  wichtigsten  ist  die  Feststellung  des  granulären 
luberkulosevirus  in  Fällen,  wo  die  Ziehlmethode  auch  nach 
•em  Anreicherungsverfahren  versagt  und  wo  die  klinischen 
Symptome  eine  Tuberkulose  vermuten  lassen,  ln  der  Fest- 
tellung  des  Virus  bei  diesen  letzteren  liegt  der  Hauptwert 
ler  Much  sehen  Entdeckung  und  diese  Tatsache  wird  die 
nodifizierte  Grammethode  in  der  Zukunft  unentbehrlich 
nachen.  Die  sogen,  okkulten  Tuberkulosen,  ebenso  wie  die 
lilusfälle,  wo  man  die  Zuflucht  zu  diesem  Namen  nehmen 
nusste,  weil  das  Virus  nicht  darstellbar  war,  sind  wohl  jedem 
äithisiater  bekannt.  Um  so  sonderbarer  ist  die  Behauptung 
on  G  e  i  p  e  1,  dass  es  schwer  sei,  menschliches  Material  zu 
inden,  bei  dem  keine  Ziehlbazillen  getroffen  werden.  Der- 
rtige  okkulte  Fälle  treten  seit  der  Entdeckung  des  granulären 
irus  in  einem  ganz  anderen  Licht  auf.  Es  heisst  nicht  mehr, 
ass  der  Erreger  in  die  Aussenwelt  nicht  ausgeschieden  wird, 
ondern  dass  er  in  einer  anderen,  bis  jetzt  nicht  darstellbar  ge¬ 
wesenen  Form  erscheint,  ln  Ziehl-negativen  Fällen  sieht  man 
n  Mikroskop  in  den  meisten  Fällen  nur  wenig  Uebergangs- 
•rrnen  und  Much  sehe  Stäbchen,  meistenteils  aber  zu  Stäb- 
hen  angeordnete  Granula,  3—4  in  der  Zahl,  hie  und  da  auch 
ur  zwei  Granula  mit  einem  Zwischenraum,  welcher  der 
urchschnittlichen  Länge  eines  Bazillus  entspricht,  und  dann 
nch  in  Haufen  oder  einzeln  liegende  Granula.  Folgendes  Bei- 
piel  diene  als  Beleg: 

Frl.  S„  25  Jahre  alt,  starke  erbliche  Belastung.  Bis  Herbst  1911 
eitens  der  Lunge  keine  Beschwerden.  Dann  traten  schleichend 
asten  und  Auswurf  auf.  Leichte  Ermüdbarkeit.  Im  Sanatorium 
bis  ^nc^e  März  1913.  Normale  Temperaturen,  selten 
^'eimig  eitriges  Sputum.  Bis  auf  leichte  Ermüdung  ordentliches 
Vpnlbefinden.  Ueber  beiden  Lungen  hört  man  disseminierte,  halb- 
üngende  Rhonchi.  Im  Auswurf  sind  nie  Ziehlbazillen  gefunden 
orden,  auch  nicht  mit  Antiformin.  Nach  der  Doppelfärbung  waren 
-gelmässig  Granula  zu  finden.  Tierversuch  war  positiv.  An  beiden 
ungen  des  Meerschweinchens  und  an  der  Milz  war  eine  diffuse 
ussaat  von  verkästen  Tuberkeln.  Interessant  ist,  dass  in  diesen 
uberkefn  nur  Granula,  aber  nicht  säurefeste  Bazillen  zu  finden 
aren. 


1839 


Warum  in  einem  Falle  säurefeste  Bazillen  ausgeschieden 
werden,  im  andern  nur  die  granuläre  Form,  lässt  sich  zurzeit 
noch  nicht  mit  Sicherheit  beantworten.  Es  scheint  uns  sicher, 
dass  die  biologischen  Bedingungen  für  den  Tuberkuloseerreger 
in  beiden  Fällen  verschieden  sind  und  dass  auch  der  ana¬ 
tomische  Zustand  der  Gewebe  entsprechend  ein  anderer  sein 
muss.  Haben  wir  doch  im  Verlaufe  unserer  Untersuchungen 
feststellen  können,  dass  mit  dem  Wechsel  des  klinischen  Bildes 
die  Form  des  Erregers  sich  vor  unseren  Augen  änderte,  indem 
er  seine  Säurefestigkeit  verliert,  um  anfangs  noch  als  Ueber- 
gangs-,  zum  Schluss  aber  nur  noch  als  granuläre  Formen  zu 
erscheinen.  Derartige  Beobachtungen  machten  wir  in  den 
Fällen,  in  denen  eine  Besserung  durch  hygienisch-diätetische 
Kur  allein  erreicht  wurde,  wie  auch  in  einer  grösseren  Anzahl 
von  Fällen,  die  mit  Pneumothorax  behandelt  wurden.  Als  Bei¬ 
spiel  dieser  Metamorphose  ist  folgender  Fall  anzuführen: 

Frl.  Th.,  32  Jahre  alt,  krank  seit  März  1912.  Mai  1912  Pleuritis, 
seit  Mitte  Juni  1912  viel  bazillenhaltiger  Auswurf.  Im  Sanatorium 
seit  dem  21.  X.  12.  Die  ersten  Monate  bazillenhaltiges  eitrig  geballtes 
Sputum  Seit  Mai  1913  verschwanden  die  Bazillen,  hingegen  war  die 
granuläre  Form  fast  regelmässig  positiv.  Seit  Februar  1914  sind 
im  schleimigen,  hie  und  da  mit  Eiterklümpchen  vermischten  Sputum 
auch  M  u  c  h  sehe  Granula  nicht  mehr  nachweisbar.  Klinischer  Be¬ 
fund:  Anfangs  grobe,  klingende  Rhonchi  im  rechten  Unterlappen  mit 
absoluter  Dämpfung  und  bronchialem  Atmen,  subfebrile  Tempera¬ 
turen,  leicht  müde.  Seit  April  1913  spärliche,  halbklingende,  selten 
klingende  Rhonchi,  nur  noch  nach  Husten.  Aufhellung  der  Dämpfung. 
Sehr  wenig  Auswurf.  Temperaturen  normal.  Allgemeines  Wohlbe¬ 
finden.  Die  zuletzt  aufgenommene  Röntgenplatte  zeigt  im  Vergleich 
zu  der  ersten  eine  fast  vollkommene  Aufhellung  der  früheren  dunklen 
Stelle. 

Bei  den  Pneumothoraxfällen  sahen  wir  fast  jedesmal,  wo 
es  gelang,  die  Lunge  zu  einem  genügenden  Kollaps  zu  bringen, 
nach  kürzerer  oder  längerer  Zeit  die  säurefesten  Bazillen  ver¬ 
schwinden,  um  zunächst  noch  als  Uebergangsformen  und  im 
weiteren  Verlauf  nur  mehr  als  granuläre  Form  zum  Vorschein 
zu  kommen.  Nur  bei  den  Pneumothoraxfällen  mit  starr- 
wandigen  Kavernen  und  ausgedehnten  Adhäsionen  dauerten 
die  Ziehlbazillen  an.  Gewöhnlich  war  in  diesen  letzten  Fällen 
eine  sehr  geringe  Besserung  des  allgemeinen  Zustandes  zu 
verzeichnen  und  der  Pneumothorax  musste  mehrfach  mit 
irgend  einer  thorakoplastischen  Operation  kombiniert  werden. 

Fall  S.,  34  Jahre  alt.  Erkrankt  1908.  Im  Sputum  früher  immer 
Bazillen  positiv.  Seit  dem  Jahre  1912  in  unserer  Behandlung.  Vor 
dem  Pneumothorax:  Eitrig-geballtes  Sputum  mit  positivem  Bazillen¬ 
befund.  Ueber  der  ganzen  rechten  Lunge  zahlreiche  klingende  und 
halbklingende  Rhonchi,  subfebrile  Temperaturen,  sehr  herabgesetzte 
Leistungsfähigkeit.  Pneumothorax  rechts,  seit  März  1913.  Seit  Mai 
desselben  Jahres  wurden  keine  Bazillen  mehr  nach  Ziehl  nach¬ 
gewiesen,  auch  nicht  mit  Antiformin.  Mit  der  Doppelfärbung  wurden 
fast  immer  seit  dieser  Zeit  Uebergangsformen  und  Granula  gefunden. 
In  den  letzten  Monaten  fiel  auch  eine  Abnahme  der  Uebergangsformen 
auf,  während  die  Granula  noch  immer  in  fast  gleichen  Mengen  be¬ 
standen.  Die  Lunge  war  ganz  ruhig  gestellt,  nirgends  waren  Rhonchi 
wahrzunehmen.  Temperatur  normal,  gutes  Allgemeinbefinden.  Der 
Patient  konnte  in  den  letzten  Monaten  mehrere  Stunden  täglich 
arbeiten  und  wurde  als  geheilt  entlassen. 

Ein  gewisser  Parallelismus  zwischen  dem  Verlust  der 
Säurefestigkeit  der  Bazillen  und  dem  Abnelnnen  und  schliess¬ 
lich  gänzlichen  Verschwinden  der  toxischen  Erscheinungen  ist 
nicht  zu  verkennen.  Diese  Vermutung  gewann  besonders 
festen  Boden,  seitdem  wir  bei  einigen  Pneumothoraxfällen 
lange  nach  Abschluss  der  Kollapstherapie  im  Stadium  der  kli¬ 
nischen  Heilung  im  spärlichen  Sputum  noch  M  u  c  h  sehe 
Granula  in  grösseren  Quantitäten  nachweisen  konnten.  So 
sind  z.  B.  bei  dem  Patienten  Herrn  W„  bei  dem  der  Pneumo¬ 
thorax  schon  seit  4  Jahren  nicht  mehr  besteht,  noch  Much- 
sehe  Granula  zu  finden.  Der  Tierversuch  fiel  positiv  aus.  Der 
Patient  führt  das  Leben  eines  vollkommen  gesunden  Menschen, 
ist  klinisch  noch  kaum  als  tuberkulös  zu  betrachten.  Diese 
Erfahrungen  deuten  andererseits  darauf  hin,  dass  die  Much- 
schen  Granula  nicht  nur  die  resistentere  Form  des  Tuber¬ 
kulosevirus,  sondern  auch  die  persistierende  Form  darstellen. 

K  n  o  1 1  kam  an  Hand  anderer  Beobachtungen  zum  selben 
Schluss. 

Wenn  bei  klinischer  Besserung  einerseits  sich  die  Tu¬ 
berkelbazillen  im  Sputum  zunächst  zu  der  granulären  Form 
degenerieren,  so  kann  man  andererseits  in  progredienten  Fällen 
und  bei  Rezidiven  den  umgekehrten  Vorgang  verfolgen.  Wir 


1840 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  34. 


sahen  an  diesen  Fällen,  dass  Hand  in  Hand  mit  einer  Ver¬ 
schlimmerung  des  subjektiven  und  objektiven  Befindens  des 
Patienten  säurefeste  Bazillen  auch  noch  zum  Vorschein 
kommen.  Sehr  schön  konnten  wir  dies  im  folgenden  Falle 
sehen: 

Fall  Trx.  Patient  ist  geboren  1894,  hat  mit  ca.  12  Jahren  einen 
rechtseitigen  Spitzenkatarrh  durchgemacht.  Im  Sommer  1910  Rezidiv, 
erhebliche  Blutung  mit  ausgedehnter  Aspiration  in  die  ganze  linke 
Lunge.  September  1910  künstlicher  Pneumothorax  links.  Bis 
April  1911  waren  Ziehlbazillen  regelmässig  nachweisbar.  Im  April 
bildete  sich  ein  tuberkulöses  lymphozytenhaltiges  Exsudat.  Die 
Bazillen  im  Sputum  verschwanden,  allgemeine  Besserung.  Resorption 
des  Exsudates  nach  8  Monaten.  Völliges  Wohlbefinden  während 
eines  Jahres  bei  Unterhaltung  des  Pneumothorax.  Im  Januar  1913 
setzten  Husten,  Auswurf  und  leichtes  Fieber  von  neuem  ein.  Durch 
den  Zug  der  schrumpfenden  Pleuraschwarten  wurde  eine  Partie  an 
der  Basis  der  linken  Lunge  gezerrt  und  schliesslich  ausgedehnt.  Es 
kam  dann  zu  frischem  Zerfall  und  Kavernenbildung.  Während  des 
Vorganges  wurden  zunächst  nur  granuläre  Formen,  nach  einiger  Zeit 
erst  säurefeste  Stäbchen  im  Sputum  gefunden.  Die  Granula  nahmen 
in  diesem  Falle  scheinbar  ihre  Säurefestigkeit  nochmals  auf.  Das 
Verschwinden  der-  Bazillen  nach  dem  Auftreten  des  Exsudates  ist 
wohl,  wie  v.  M  u  r  a  1 1  annimmt,  auf  eine  immunisatorische  Wirkung 
zurückzuführen. 

Much  selbst  stellt  irgendwelchen  Unterschied  in  der 
symptomatischen  Dokumentierung  der  Ziehlbazillen  und  des 
Oranulärevirus  in  Abrede.  Aber  schon  Muchs  Auffassung 
der  Metamorphose  der  Tuberkelbazillen  lässt  einen  solchen 
Unterschied  vermuten.  Much  sagt  darüber: 

„In  dem  von  der  Ernährung  mehr  oder  weniger  abgeschnittenen 
Tuberkulösengewebe  oder  tuberkulösem  Eiter  wird  die  Säurefestig¬ 
keit  (der  Tuberkelbazillen)  beeinträchtigt.  Hier  zerfallen  sie  in  nur 
nach  Gram  darstellbaren  Körnerreihen  und  Körner.  Diese  Körner 
möchte  ich  als  granuläre  Form  bezeichnen.  Gelangen  nun  diese 
Körner  auf  irgend  eine  Weise  in  die  Zirkulation,  und  werden  in  ge¬ 
sundes  Gewebe  verschleppt,  so  entwickeln  sich  aus  ihnen  die  feinen, 
nur  nach  G  r  a  m  färbbaren  Stäbchen.  Diese  Stäbchen  imprägnieren 
sich  dann  mit  einer  Fettsubstanz  und  werden  säurefest.“ 

Das  anatomische  Milieu,  in  welchem  sich  die  verschiedenen 
Formen  finden,  ist  also  auch  nach  Much  verschieden.  Eine 
entsprechende  klinische  Symptomatologie  ist  demnach  nicht 
schwer  zu  erklären.  Es  sei  nebenbei  bemerkt,  dass  die  Be¬ 
hauptung  von  Much,  dass  im  Tuberkuloseeiter  und  im  Tu¬ 
berkuloseexsudat  sich  die  granuläre  Form  fast  immer  vor¬ 
findet,  mit  unseren  Erfahrungen  nicht  übereinstimmt.  So 
konnten  wir  fast  an  unseren  sämtlichen  pleuritischen  Ex¬ 
sudaten  Ziehlbazillen  nachweisen,  ebenso  im  Eiter  einer 
Sternalfistel  und  zweier  tuberkulöser  Analfisteln.  In  einem 
Falle  von  abszedierender  Nebennierentuberkulose  konnten  wir 
post  mortem  nur  noch  die  granuläre  Form  finden.  Von  dem 
Nebennierenparenchym  waren  kaum  mehr  Reste  erhalten. 
Man  könnte  sich  mit  Much  die  Sachlage  so  erklären,  dass  in 
den  ersten  Fällen  die  säurefesten  Stäbchen  ins  Exsudat  oder 
in  das  Fistelsekret  aus  der  tuberkulösen  Pleura  oder  dem 
umgebenden  tuberkulösen  Gewebe  hineingeschwemmt  werden, 
hingegen  bei  abgesackten  Tuberkuloseabszessen,  wie  in  dem 
oben  erwähnten  Nebennierenfall,  verlieren  die  Bazillen  ihre 
säurefeste  Substanz  und  kommen  nur  als  granuläre  Form  zum 
Vorschein. 

Wir  fassen  also  zusammen: 

I.  Bei  einem  beträchtlichen  Prozentsatz  der  tuberkulösen 
Erkrankungen  ist  das  granuläre  Virus  der  einzige  darstellbare 
Erreger.  Seine  Darstellung  ist  mit  Hilfe  der  Doppelfärbungs¬ 
methoden  verhältnismässig  einfach. 

II.  Bei  tuberkulösen  Erkrankungen,  die  eihe  Heilungs¬ 
tendenz  zeigen,  sehen  wir  die  Umwandlung  der  anfangs  vor¬ 
handenen  säurefesten  Bazillen  in  die  granuläre  Form. 

III.  Das  granuläre  Virus  scheint  auf  den  Organismus 
weniger  toxisch  einzuwirken  und  ist  im  ganzen  klinisch  und 
prognostisch  als  eine  günstige  Form  zu  betrachten. 

IV.  In  progredienten  Fällen  und  bei  Rezidiven  kann  das 
granuläre  Virus  unter  allgemeiner  Verschlimmerung  des  klini¬ 
schen  Bildes  seine  Säurefestigkeit  wieder  aufnehmen. 

V.  Das  granuläre  Virus  scheint  selbst  imstande  zu  sein, 
Tuberkeln  zu  bilden  und  ist  ansteckungsfähig. 

Wie  aus  I.  und  V.  erfolgt,  ist  die  Feststellung  der  Much-, 
sehen  Granula  von  grosser  Bedeutung  auch  für  die  soziale 
Tuberkuloseprophylaxe.  Es  ist  Sache  des  praktischen  Arztes 
und  der  Heilstätten,  diese  neuen  Untersuchungsmethoden  sich 


zu  eigen  zu  machen  und  die  tuberkuloseverdächtigen  Patienten 
mit  negativem  Bazillenbefund  auch  auf  die  Much  sehen 
Granula  zu  untersuchen,  um  im  letztgegebenen  Falle  sie  als 
ansteckungsfähig  zu  erklären.  Die  Desinfektionspflicht  muss 
sich  nicht  nur  auf  die  Bazillenproduzenten,  sondern  auch  auf 
die  Granulaproduzenten  in  voller  Strenge  erstrecken. 

Der  Satz  von  v.  B  e  h  r  in g:  „Die  Untersuchungen  des  Tu¬ 
berkulosevirus  im  menschlichen  Körper  werden  zukünftig  sich 
nicht  nur  beschränken  dürfen  auf  den  Nachweis  des  Ziehl-färb- 
baren  Bazillenvirus,  sondern  sie  müssen  ausgedehnt  werden 
auf  die  granulären  Zerfallsprodukte  des  Tuberkulosevirus'' 
dürfte  bei  den  Aerzten  mehr  Anklang  finden,  als  es  bis  jetzt 
der  Fall  war. 

Literatur. 

Bittrolf  und  Mo  in  ose:  D.m.W.  1912  Nr.  1.  —  Deyeke: 
Zur  Biochemie  des  Tuberkclbazillus.  M.m.W.  1910  Nr.  12.  — 
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18.  H.  1.  —  Kn  oll:  Morphol.  und  Biol.  usw.  Beitr.  z.  Klin.  d.  Tbc. 
15.  H.  2.  —  Ders.:  Zur  Morphologie  des  Tuberkelbazillus.  Ebenda 
18.  —  Ders.:  Morphologischer  Beitrag  zu  den  Beziehungen  usw. 
D  Arch.  f  klin.  M.  109.  —  L  e  s  c  h  k  e:  Ueber  die  granuläre  Form  des 
Tuberkelbazillus.  Zbl.  f.  Bakt.  59.  1911.  —  Much:  Ueber  die 
granuläre,  nach  Z  i  e  h  I  nicht  färbbare  usw.  Beitr.  z.  Klin.  d.  Tbc. 
8  h  1.  -  Ders.:  Ebenda  8.  H.  4.  —  D  e  r  s.:  Ebenda  11.  H.  1.  — 
Ders.:  Handb.  d.  Tbc.  Brauer,  Schröder,  Blumenthal  I.  — 
v  M  u  r  a  1 1:  Erfahrungen  über  Exstirpation  bei  künstlichem  Pneumo¬ 
thorax.  Beitr.  z.  Klin.  d.  Tbc.,  Suppl.  7.  —  Weiss:  Zur  Morpho¬ 
logie  des  Tuberkelbazillus.  B.kl.W.  1899  Nr.  47. 


Ueber  die  Entstehung  der  Weitsichtigkeit  und  des  Stars. 

Von  Sanitätsrat  Dr.  Fritz  Schanz  in  Dresden. 

Die  unsichtbaren  Strahlen  unseres  Tageslichtes  sind  che¬ 
misch  wirksamer  als  die  Gesamtheit  der  sichtbaren  Strahlen, 
die  es  enthält.  Sichtbare  wie  unsichtbare  Strahlen  wirken  als 
chemischer  Reiz  auf  die  Substanzen,  von  denen  sie  absorbiert 
oder  verändert  werden.  Dies  gilt  auch  für  die  lebenden  üe-i 
webe  des  menschlichen  Körpers.  In  unserer  Haut  erzeugen 
sie  bei  sehr  intensiver  Einwirkung  Entzündungen,  die  als 
Sonnenbrand  bekannt  sind,  bei  physiologischer  Intensität  ver¬ 
anlassen  sie  im  Laufe  des  Lebens  deutlich  wahrnehmbare; 
Veränderungen,  die  Haut  wird  derber  und  undurchsichtiger. 
Vor  allem  die  unsichtbaren  Strahlen  sind  es,  die  diese.  Wir¬ 
kungen  erzeugen.  Am  Auge  werden  die  Strahlen,  die  in  der 
Tiefebene  solche  Wirkungen  erzeugen,  von  der  Linse  absor¬ 
biert.  Sind  diese  Strahlen  in  der  Linse  wirkungslos?  Diese 
Frage  lässt  sich  mit  grosser  Bestimmtheit  beantworten. 
Keinesfalls!  Dass  die  Strahlen  auf  die  Gewebe,  von  denen  sie 
absorbiert  werden,  als  chemischer  Reiz  wirken,  gilt  ganz  all¬ 
gemein,  davon  macht  die  Augenlinse  keine  Ausnahme.  W  enn 
wir  solche  Wirkungen  an  der  Augenlinse  nicht  kennen,  so 
müssen  wir  nach  solchen  suchen. 

Die  Linse  besteht  aus  kolloidalen  Eiweissstoffen,  auf  die 
die  Lichtstrahlen  chemisch  wirken.  Was  wissen  wir  über  die 
Lichtwirkung  auf  kolloidale  Stoffe?  Es  ist  bekannt,  dass  kol¬ 
loidale  Lösungen  unter  Lichteinwirkung  rascher  ausflocken. 
LJurch  das  Licht  werden  die  kleinsten  Teile  zu  grösseren  Ag¬ 
gregaten  zusammengeballt,  aus  leicht  löslichen  Stoffen  werden 
schwerer  lösliche.  Gilt  dies  auch  vom  Eiweiss?  Dreyer 
und  Hansen1)  haben  nachgewiesen,  dass  die  Eiweissstoffe; 
photosensibel  sind,  dass  sie  besonders  sensibel  sind  für  kurz¬ 
welliges  Licht  und  dass  sie  unter  Lichtwirkung  koagulieren. 
Chalupecky2)  hat  sowohl  vom  Hühnereiweiss  wie  vom 
Linseneiweiss  erwiesen,  dass  Licht  leichtlösliche  Eiweiss¬ 
stoffe  in  schwerer  lösliche  verwandelt  und  schliesslich 
koaguliert.  Das  sind  experimentell  einwandfrei  fest¬ 
gestellte  Tatsachen,  und  es  fragt  sich  nun,  können  wir 
in  der  Linse  Veränderungen  feststellen,  die  diesen  chemi¬ 
schen  Wirkungen  des  Lichtes  auf  die  Eiweissstoffe  entsprechen 
Die  intensivste  Lichteinwirkung  haben  wir,  wenn  ein  Blitz 
nahe  vor  dem  Auge  niederschlägt.  In  solchen  Fällen  werdet 
Trübungen  der  ganzen  Linse  —  Blitzstar  —  beobachtet.  Dct 
Lichtreiz  ist  so  gross,  dass  alle  Eiweissstoffe  der  Linse  koagu¬ 
liert  werden.  Man  hat  angenommen,  dass  in  solchen  Füller 


4)  Compte  rendu,  vol.  145. 

2)  W.m.W.  1913  Nr.  31  u.  32. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1841 


25.  August  1914. 


die  Gerinnung  des  Linseneiweisses  durch  die  katalytische  Wir¬ 
kung  der  Elektrizität  veranlasst  wird.  Aber  da  jetzt  feststeht, 
dass  auch  das  Licht  koagulierend  auf  das  Eiweiss  einwirkt, 
ist  diese  Erklärung  nicht  mehr  zulässig  für  die  Fälle,  wo  die 
geschädigte  Person  vom  Blitz  nicht  direkt  getroffen  wird. 
Dass  die  bei  Blitzstar  beobachteten  Schädigungen  des  Kapsel¬ 
epithels  vom  Licht  allein  hervorgerufen  werden  können,  hat 
niemand  besser  gezeigt  als  v.  Hess3)  selbst,  der  für  die  kata¬ 
lytische  Entstehung  des  Blitzstares  auch  jetzt  noch  eintritt. 

Wenn  das  Licht  in  physiologischer  Intensität  auf  das 
Auge  einwirkt,  sind  die  Wirkungen  stetig,  aus  leicht  löslichen 
Eiweissstoffen  werden  nur  allmählich  schwerer  lösliche.  Es 
bildet  sich  mit  der  Zeit  im  Zentrum  der  Linse  ein  derber  Kern. 
Wie  M  ö  r  n  e  r 4)  und  Jess5)  gezeigt,  entsteht  die  Verdich¬ 
tung  des  Linsenkernes  dadurch,  dass  sich  schwerer  lösliche 
Eiweissstoffe  bilden  auf  Kosten  der  leicht  löslicheren.  Es  ist 
dies  also  derselbe  Vorgang,  den  das  Licht  in  den  leblosen  Ei¬ 
weisskörpern  erzeugt.  Es  liegt  kein  Grund  vor,  an  der 
Identität  dieser  Vorgänge  zu  zweifeln.  Die  Trübungen  der 
Linse  (der  Altersstar),  die  sich  bei  jedem  Menschen,  wenn  er 
nur  alt  genug  wird,  ausbilden,  sind  der  Ausgang  jenes  Pro¬ 
zesses. 

Um  sich  über  die  Wirkungen  der  nicht  sichtbaren  Strahlen 
auf  die  Linse  eine  rechte  Vorstellung  zu  machen,  ist  es  not¬ 
wendig,  diese  Strahlen  innerhalb  der  Linse  zu  verfolgen.  Schon 
ein  Teil  der  sichtbaren  Strahlen  wird  an  der  Hinterfläche  der 
Linse  reflektiert,  das  unsichtbare  Licht  wird  mit  aller  Wahr¬ 
scheinlichkeit  in  erhöhtem  Masse  reflektiert,  bei  jeder  Re- 
tlektion  verliert  das  Licht  vor  allem  an  kurz¬ 
welligen  Strahlen,  das  Spektrum  verkürzt  sich.  Das 
Licht  wird  von  der  hinteren  Linsenkapsel  gleichsam  wie  von 
einem  Hohlspiegel  zurückgeworfen  in  das  Zentrum  der  Linse 
and  gegen  die  vordere  Linsenkapsel,  die  es  wieder  zurück¬ 
wirft  in  die  Linsenmassen,  die  mit  Vorliebe  kurzwellige  Strah- 
en  absorbieren.  Es  gibt  dies  eine  Erklärung,  wie  kurzwelliges 
-icht,  das  achsial  ins  Auge  fällt,  auch  in  Linsenbezirken  zur 
Wirkung  gelangt,  die  durch  die  Iris  vor  Licht  geschützt  zu 
>ein  scheinen. 

Licht  wird  aber  in  der  Linse  nicht  nur  reflektiert,  es  wird 
mch  diffundiert.  Was  wissen  wir  über  die  Diffusion 
les  Lichtes?  Sobald  ein  Sonnenstrahl  in  ein  dunkles 
Zimmer  dringt,  sehen  wir  deutlich  seinen  ganzen  Verlauf; 
einste,  in  der  Luft  suspendierte  Partikelchen  zersplittern  das 
Geht,  auch  wenn  der  Lichtstrahl  unser  Auge  nicht  trifft, 
nachen  die  abgesplitterten  Strahlen  denselben  uns  sichtbar, 
'ie  Absplitterung  des  Lichtes  ist  bedeutend 
-tärker  für  violette  als  für  rote  Strahlen.  Auf 
ler  erhöhten  Absplitterung  des  kurzwelligen  Lichtes  beruht  die 
ilaue  Farbe  des  Himmels.  Wenn  unsere  Erde  ohne  Atmo¬ 
sphäre  oder  die  Atmosphäre  „optisch  leer“  wäre,  müsste  der 
limmel  schwarz  aussehen.  Die  Luftmoleküle  zersplittern  das 
-icht,  am  stärksten  die  kurzwelligen  Strahlen.  Dadurch  er¬ 
scheint  uns  die  Atmosphäre  blau.  Am  dunkelblausten  er¬ 
scheint  der  Himmel  90  0  zur  Richtung  der  einfallenden  Sonnen- 
trahlen.  Auf  dieser  Zersplitterung  des  Lichtes  beruht  das 
ltramikroskop.  Senkrecht  zur  Achse  desselben  wird  ein 
ntensiver  Lichtstrahl  durch  ein  Objekt  gesandt;  ist  dieses  nicht 
.optisch  leer“,  so  sieht  man  im  Mikroskop  die  durch  die  klein¬ 
en  Teile  abgesplitterten  Lichtstrahlen.  Man  kann  so  kleinste 
I  eile  beobachten,  die  jeder  anderen  Untersuchung  sich  ent¬ 
gehen.  Dass  die  ultravioletten  Strahlen  an  dieser  Absplitte- 
ung  des  Lichtes  in  hohem  Masse  beteiligt  sind,  lässt  sich  an 
Mikrophotographien  nachweisen,  an  denen  die  photographisch 
vierten  Erscheinungen  viel  augenfälliger  hervortreten  können, 
ils  sie  dem  Auge  erscheinen.  Die  Diffusion  des  Lichtes  wächst 
ämlich  umgekehrt  proportional  zur  vierten  Potenz  der 
Aellenlänge.  Wenn  die  Diffusion  des  Lichtes  von  h  800 
deich  eins  gesetzt  wird,  so  wird  das  äusserste  sichtbare 
-icht  (?.  400  ju/u)  16  mal  stärker,  das  Ultraviolett  von  l  320  f if 
las  vom  Tageslicht  noch  in  erheblicher  Intensität  zur  Linse 
-dangt,  etwa  40  mal  stärker  diffundiert. 


3)  Arch.  f.  Augenheilk.  57. 

*)  Zschr.  f.  physiol.  Chemie  18.  1894. 
•)  Zschr.  f.  Biol.  Nr.  61. 

Nr.  34 


Wie  verhält  es  sich  mit  der  Diffusion  des  Lichtes  in  der 
Linse?  Ist  die  Linse  „optisch  leer“?  Um  dies  zu  ermitteln, 
habe  ich  ähnlich  wie  bei  dem  Ultramikroskop  einen  dünnen, 
intensiven  Lichtstrahl  von  einer  abgedeckten  Bogenlampe  in 
einem  Dunkelzimmer  durch  die  Linse  gesandt.  Um  das 
Fluoreszenzlicht  auszuschliessen,  waren  durch  ein  Euphosglas 
diem  Licht  die  ultravioletten  Strahlen  entzogen.  Trotzdem 
sieht  man  mit  blossem  Auge  einen  hellen  Lichtstreif 
durch  die  ganze  Linse  ziehen.  Die  Linse  ist  also 
nicht  „optisch  leer“,  sondern  sehr  dicht  mit  kleinsten 
Ieilchen  gefüllt,  die  das  sichtbare  Licht  abspalten,  die  unsicht¬ 
baren  Strahlen  müssen  nach  dem  obigen  Diffusionsgesetz,  nach 
dem  die  Diffusion  umgekehrt  zur  vierten  Potenz  der  Wellen¬ 
länge  wächst,  noch  viel  erheblicher  abgespalten  werden.  Wir 
erhalten  dadurch  Lichteinwirkungen  auf  Linsenteile,  die  durch 
die  Iris  vor  dem  direkt  einfallenden  Licht  gedeckt  sind,  und 
zwar  muss  dieses  Licht  besonders  reich  an  kurzwelligen 
Strahlen  sein. 

Wir  wissen  ferner  von  den  unsichtbaren  Strahlen,  dass 
sie  je  nach  dem  Wellenlängenbereich,  dem  sie  angehören,  ver¬ 
schieden  tief  in  das  Gewebe  eindringen.  Es  werden  also  je 
nach  dem  Wellenlängenbereich  der  Strahlen  die  Bezirke  ver¬ 
schieden  liegen,  in  denen  ihre  Wirkungen  sich  geltend  machen. 
Es  wäre  also  möglich,  dass  die  verschiedene  Lokalisation  der 
Trübungen  beim  Altersstar  zusammenhängt  mit  den  verschie¬ 
denen  Tiefenwirkungen  dieser  Strahlen.  Dass  die  innere 
Struktur  der  Linse  auf  die  Gestaltung  der  Trübungen  (speichen¬ 
förmige  Anordnung)  Einfluss  hat,  ist  wahrscheinlich.  Ebenso 
kann  die  Ernährung  der  Linse,  die  Anbildung  der  Linsenfasern, 
die  Schädigung  des  Kapselepithels,  wie  sie  v.  Hess  fest¬ 
gestellt,  auf  den  Prozess  einwirken. 

Eigentümlichkeiten  in  dem  Verlauf  des  Prozesses 
lassen  sich  auch  aus  Eigentümlichkeiten  der  Lichtwir¬ 
kung  erklären.  Der  Star  beginnt  meist  in  der  unteren 
Hälfte  der  Linse.  Es  ist  dies  eine  solche  Eigentüm¬ 
lichkeit  der  Lichtwirkung.  Auf  die  untere  Linsenhälfte 
wirkt  nämlich  während  des  ganzen  Lebens  ein  anders 
zusammengesetztes  Lichtgemenge  als  auf  die  obere.  Wenn 
wir  im  Freien  stehen,  wirkt  auf  die  untere  Linsenhälfte  das 
direkte  Sonnenlicht  und  das  Himmelslicht,  auf  die  obere  aber 
das  vom  Erdboden  reflektierte  Licht.  Das  letztere  hat  nicht 
nur  im  Verhältnis  zu  seiner  Helligkeit  an  kurzwelligen  Strahlen 
verloren,  sondern  mit  jeder  Reflektion  verkürzt  sich  das 
Spektrum  an  seinem  kurzwelligen  Ende.  Das  vom  Erdboden 
zu  unserem  Auge  gelangende  Licht  ist  vielfach  reflektiert.  Es 
kann  gar  kein  Zweifel  sein,  dass  das  Licht,  welches  während 
des  Lebens  auf  die  untere  Linsenhälfte  wirkt,  viel  reicher  an 
kurzwelligen  Strahlen  ist,  als  das  Licht,  welches  auf  die  obere 
Linsenhälfte  trifft.  Dass  sich  der  Star  in  den  schattenlosen 
Gegenden  der  Tropen  und  Subtropen  häufig  findet  und 
20  Jahre  eher  reif  wird  als  bei  uns,  findet  auch  in  der  Zu¬ 
sammensetzung  des  Lichtes  seine  Erklärung.  Das  Licht  ist 
dort  reicher  an  Strahlen,  die  auf  Linse  wirken,  als  bei  uns, 
während  die  Strahlen,  die  auf  das  äussere  Auge  wir¬ 
ken,  infolge  der  Luftabsorption  nicht  in  gleichem  Masse 
zunehmen.  Dass  der  Altersstar  bei  den  Bewohnern 
unserer  Hochgebirge  nicht  häufiger  ist  als  bei  uns  in 
der  Tiefebene,  liegt  wahrscheinlich  daran,  dass  das  Licht  des 
Hochgebirges  mehr  kurzwellige  Strahlen  enthält,  die  auf  das 
äussere  Auge  einwirken  und  die  Bewohner  der  Hochgebirge 
zwingt,  mehr  ihre  Augen  vor  dem  Licht  zu  schützen  als  wir 
und  die  Trqpenbewohner  dies  tun.  Wir  haben  hier  dieselben 
Verhältnisse  wie  bei  den  Glasbläsern  und  den  Arbeitern  von 
andersartigen  Schmelzöfen.  Das  Licht,  das  der  Glasofen  aus¬ 
sendet,  ist  arm  an  Strahlen,  die  auf  das  äussere  Auge  wirken, 
darum  kann  der  Glasbläser  so  anhaltend  sein  Auge  der  Wir¬ 
kung  dieses  Lichtes  aussetzen.  Die  Arbeiter,  die  an  anders¬ 
artigen  Schmelzöfen  arbeiten,  haben  sich  immer  Licht  aus¬ 
zusetzen,  das  viel  intensiver  auf  das  äussere  Auge  wirkt, 
sie  müssen  ihre  Augen  besser  als  die  Glasbläser  schützen  und 
erkranken  deshalb  nicht  an  der  den  Glasbläsern  eigentüm¬ 
lichen  Starform. 

Von  den  Experimenten,  die  man  zur  künstlichen  Erzeugung 
des  Stares  durch  Licht  ausgeführt  hat,  scheinen  sich  jetzt 
auch  einige  zu  klären.  Herzog  konnte  nur  bei  älteren  Tieren 

2 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


\S42 


Trübungen  der  Linse  durch  Licht  erzeugen.  Hierfür  findet  sich 
jetzt  die  Erklärung.  Bei  jungen  1  ieren  besteht  die  Linse  nur 
uns  leicht  löslichen  Eiweissstoffen,  diese  müssen  erst  in  schwer 
lösliche  umgewandelt  werden.  Die  Linse  der  älteren  Tiere 
besteht  aus  schwer  löslichen  Eiweissstoffen.  Bei  letzteren  ge¬ 
lingt  es  koagulierende  \\  irkungen  ( 1  rübungen)  zu  erzeugen. 
Dass  es  auch  Widmark  nur  bei  wenigen  Tieren  gelang, 
mit  Licht  Trübungen  in  der  Linse  hervorzurufen,  kann  daran 
liegen,  dass  er  auf  das  Alter  der  Tiere  keine  Rücksicht  ge¬ 
nommen.  Kiribuchi  fand  Linsentrübungen  am  Aequator 
der  Linse,  der  durch  die  Iris  vor  der  Einwirkung  des  Lichtes 
gedeckt  war.  Wer  die  Verteilung  des  kurzwelligen  Lichtes  in 
der  Linse  kennt,  wird  an  der  Richtigkeit  der  Beobachtung 
nicht  zweifeln. 


Schlafstörungen. 

(Ein  Nachwort  und  ein  Vorschlag.) 

Von  Dr.  CarlHappich  (Sanatorium  Luisenheim,  St.  Blasien.) 

Auf  dem  diesjährigen  Kongress  für  innere  Medizin  zu 
Wiesbaden  haben  Referenten  und  Diskussionsredner  eine  ver¬ 
wirrende  Fülle  von  Einzelheiten  über  die  Schlaflosigkeit  (mehr 
zur  Behandlung  als  zum  Wesen  derselben)  gebracht.  Als  Re¬ 
sultat  der  Verhandlungen  erschien,  man  solle  möglichst  kausal 
behandeln,  die  psychische  Komponente  beim  Entstehen  der 
Schlaflosigkeit  nicht  vernachlässigen  und  möglichst  wenig 
Schlafmittel  geben,  jedenfalls  nicht  „automatisch“. 

Aus  der  reichen  Menge  ihrer  Erfahrungen  heraus  warnten 
die  meisten  Redner  mit  vollem  Recht  vor  schematischer  Be¬ 
handlung.  Aber  es  dürfte  nach  so  vielen  Vorarbeiten  doch 
wohl  erlaubt  sein,  festere  Umrisse  um  die  Vorstellungen  vom 
Wesen  der  Schlafstörungen,  nicht  des  Schlafes,  zu  ziehen;  es 
dürfte  trotz  allem  auch  zulässig  sein,  eine  Art  schematisieren¬ 
der  Arbeitshypothese  aufzustellen,  welche  die  Orientierung  in 
dem  weitverzweigten  Gebiet  erleichtert,  zur  Erkennung  des 
Wesens  der  Schlaflosigkeit,  nicht  zur  Schematisierung  der 
Behandlung. 

Ich  möchte  im  folgenden  den  Versuch  machen,  eine  vor¬ 
läufige  Arbeitshypothese,  wie  sie  sich  mir  in  jahrelanger  Beob¬ 
achtung  an  einem  schwierigen  und  differenzierten  Patienten¬ 
material  meist  bewährt  hat,  auseinanderzusetzen. 

Ich  sage  ausdrücklich  „Hypothese“,  indem  ich  dabei  un¬ 
untersucht  lasse,  ob  die  Feststellungen  anderer  Autoren,  von 
denen  ich  ausgehe,  in  dem  von  ihnen  angegebenen  Sinne  völlig 
zutreffend  sind.  Es  handelt  sich  hier  nur  um  die  Skizzierung 
eines  klinischen  Bildes,  das  plastische  Vorstellungen  er¬ 
wecken  soll. 

„Im  Schlaf  besteht  eine  Hyperämie  des  Ge¬ 
hirns.  Der  Unterschied  der  Gefässerweite- 
rung  im  Gehirn  beim  Schlaf  und  bei  gesteiger¬ 
ter  Aufmerksamkeit  ist  der,  dass  bei  jenem 
Zustand  die  Gefässerweiterung  durch  Herab¬ 
setzung  des  Tonus  ein  tritt,  während  bei  die¬ 
sem  Zustande  die  Gefässerweiterung  durch 
einen  Erregungszustand  des  vasomotori¬ 
schen  Zentrums  für  Gefässerweiterung  her¬ 
beigeführt  wird“  (W  e  b  e  r). 

Demnach  haben  wir  alle  Faktoren  psychi¬ 
scher  oder  organischer  Natur  auszuschalten, 
die  durch  Erregung  der  Aufmerksamkeit  den 
Gefässtonus  so  verändern,  dass  der  Schlaf 
nicht  eintreten  kann;  oder  wir  müssen  das 
nicht  „gestimmte“  G  e  f  ä  s  s  s  y  s  t  e  m  in  die  rich¬ 
tige  Verfassung  bringen  (cf.  F  r  a  e  n  k  e  1 :  Strophan¬ 
thin  bei  Herzinsuffizienz  schlaffördernd),  oder  aber  wir 
müssen  die  eventuell  lädierte  Hirnrinden¬ 
zellenarkotisieren. 

Im  Schlafe  sollen  unsere  Zellen  sich  ausruhen,  d.  h.  die 
Abfallstoffe,  die  in  ihnen  lagern,  an  das  Blut  abgeben  und 
gegen  frische  Zellbausteine  eintauschen.  Wieweit  dieses 
schon  während  des  Wachens  und  der  Arbeit  vor  sich  geht, 
interessiert  uns  hier  nicht.  Dieses  Auswechseln  der  Ersatz¬ 
teile,  um  einen  Ausdruck  der  Technik  zu  gebrauchen,  bean¬ 
sprucht  einmal  die  Tätigkeit  der  Zelle  selbst,  dann  vor  allem 


der  Blutgefässe,  die  den  Transport  bewerkstelligen.  Werden 
einzelne  Organe  zur  Arbeit  gezwungen  (z.  B.  Gehirn:  Ge¬ 
danken.  Magen:  zu  reichliche  Abendmahlzeit),  so  wirken  sie 
durch  die  Art  des  Tonus  ihrer  lokalen  Blutgefässe  und  die 
veränderte  Blutverteilung  störend  auf  die  Allgemeinsituation 
des  Körpers  ein,  deren  besonderer  Disposition  er  unbedingt  zum 
Eintritt  und  zur  Fortführung  des  Schlafes  bedarf;  das  nach 
dieser  Richtung  hin  wichtigste  Organ  ist  natürlich  das  Gehirn. 
Es  liegen  genügend  zahlreiche  Untersuchungen  vor,  die  eine 
Erklärung  der  Vorgänge  ermöglichen.  Man  hat  die  „Restau¬ 
rierung“  der  Zelle  im  Schlaf  ganz  zweckmässig  mit  der  Kohlen- 
überahme  eines  Dampfers  verglichen;  die  Zellen  nehmen  das 
zu  verfrachtende  Material  auf,  die  Blutgefässe  bringen  es 
heran  und  zwischen  beiden  müsste  ein  Mechanismus  zur 
Uebernahme  bestehen.  Störungen  können  auftreten  an  der 
Zelle,  an  den  Gefässen  und  an  dem  Mechanismus  des  Ueber- 
ladens.  Der  einzige  dieser  drei  Faktoren,  den  wir  genauer 
haben  untersuchen  können,  sind  die  Gefässe;  von  der  Iütig- 
keit  der  Zelle  während  des  Schlafes  wissen  wir  kaum  etwas, 
Tust  nichts  von  der  Art  des  überleitenden  Mechanismus. 

Im  Schlaf  tritt  also  eine  Hyperämie  des  Gehirns  ein  (ich 
verweise  auf  die  Arbeiten  von  Mosso,  Lehmann,  Ber¬ 
ger,  Czerny,  Brodmann  und  Weber).  Bei  der  Auf¬ 
merksamkeit,  also  ausgesprochener  Gehirntätigkeit,  sehen  wir 
auch  eine  Gehirnhyperämie;  beide  Arten  unterscheiden  sich  aber 
durch  ein  ganz  wesentliches  Moment  von  einander:  im 
Schlaf  besteht  ein  herabgesetzter  Tonus  der 
Gefässe,  bei  Aufmerksamkeit  ein  erhöhter,  was 
physiologisch  auch  ohne  weiteres  begreiflich  ist.  Mit  diesem 
fundamentalen  Unterschiede  sind  schon  theoretisch  eine  ganze 
Reihe  von  Möglichkeiten  gegeben,  unter  denen  Schlafstörungen 
eintreten  müssen.  Die  Gehirnfunktionen  haben  ja  so  viele 
Sicherungen,  Nebengeleise,  Umschaltungen  und  Wechselwir¬ 
kungen,  dass  bei  der  Erregung  der  Aufmerksamkeit  Nerven¬ 
zelle  und  Gefässsystem  sich  gegenseitig  beeinflussen,  so  auch 
beim  Schlafe,  nur  auch  hier  wieder  mit  einem  grossen  Unter¬ 
schiede,  dass  nämlich  infolge  der  grossen  Sicherheitsvorrich¬ 
tungen  auch  bei  leichten  Störungen  mit  einiger  Willens¬ 
anstrengung  die  Möglichkeit  besteht,  die  lebenswichtige  Auf¬ 
merksamkeit,  als  eines  aktiven,  auf  einem  Reiz  beruhenden 
Prozesses  zu  erhalten,  während  der  Schlaf  einer  Reizlosigkeit 
bedarf,  die  naturgemäss  sehr  viel  schwerer  herzustellen  ist, 
da  die  geringste  Störung  des  zu  seinem  Eintritt  nötigen  Zu¬ 
standes  eben  einen  Reiz  bedeutet,  der,  wenn  er  stark  genug 
ist,  die  Aufmerksamkeit  erregt,  dadurch  die  Gehirngefässe  zu 
dem  erhöhten  Tonus  der  Arbeitsstellung  bringt,  zu  ihrem 
Aktionstonus,  noch  einmal  gesagt,  also  ihre  „Schlafstellung“ 
verhindert. 

Diese  „Schlafstellung“  kann  verhindert  werden  einmal 
schon  durch  alle  möglichen  äusseren  Dinge;  viele  Menschen 
schlafen  schlecht,  weil  sie  mit  dem  Kopfe  sich  zu  tief  lagern: 
die  übermässig  zerebralwärts  fliessende  Blutmenge  übt  einen 
Reiz  auf  die  Gefässwand  aus;  stark  anämische  wieder  müssen 
ihren  Kopf  tief  lagern,  weil  sie  sonst  nicht  genug  Blut  zum 
Hirn  treiben,  das  ihre  Gefässe  in  der  erschlafften  Stellung  aus¬ 
reichend  füllen  würde.  Deshalb  schlafen  Patienten  mit  hohem 
Blutdruck,  mit  kongestioniertem  Gesicht  oft  so  viel  besser  im 
Sitzen,  wo  dann  auch  die  hängenden  Beine  noch  ableiten. 
Hierher  gehören  auch  gewisse  Fälle  von  Arteriosklerosb 
cerebri,  doch  ist  bei  ihnen  noch  zu  bedenken,  dass  ihre  rigide 
gewordene  Gefässwand  nicht  mehr  die  „erschlaffte  Schlaf¬ 
stellung“  fertig  bringt.  Bezeichnenderweise  empfahlen  für 
diese  Fälle  Goldscheider  und  Kohnstamm  auf  dem 
Kongress  als  schlaffördernd  Diuretin. 

Alle  Mittel,  welche  eine  aktive  Erweiterung  der  peri¬ 
pheren  Gefässe  hervorrufen,  werden  in  den  meisten  Fällen 
schlafhindernd  wirken:  Kaffee,  heisse  Bäder,  die  „Animier- 
dosen“  des  Alkohols,  ein  bestimmtes  Mass  von  körperlicher 
Arbeit.  Natürlich  ist  das  individuell  verschieden. 

Von  der  Grosshirnrindenzelle  aus  kann  der  Schlaf  durch 
alles  gestört  werden,  was  aufmerksamkeiterregend  wirkt;  in¬ 
sistierende  Gedanken,  vor  allem  gefühlsbetonte  (weil  diese  an 
und  für  sich  das  Gefässsystem  beeinflussen),  Licht,  Geräusche, 
daher  der  Nutzen  der  „Sinnesabsperrung“,  der  Psychotherapie, 
der  Psychoanalyse,  der  eventuelle  Vorteil  leichter  Lektüre  im 


25.  August  1014. 


MUENCHENER  MEDIZINISCH!:  WOCHENSCHRIFT. 


oder  noch  besser  am  Bett  (Abdrängen  insistierender,  Vor¬ 
drängen  irrelevanter  Vorstellungen;  daher  nur  „Unter- 
haltungs-“,  keine  Denk-  oder  Gefühlslektüre  nehmen).  Or¬ 
ganische,  destruierende  Prozesse  in  den  Hirnzellen  werden  auf 
der  anderen  Seite  grob  chemisch  oder  anatomisch  die  Re¬ 
stitutionsfähigkeit  der  Zelle  verhindern  und  so  den  Schlaf  ver¬ 
scheuchen  ipsi  per  sese  oder  auch  durch  Einwirkung  auf  die 
Gefässe. 

Wieweit  die  Ueberleitung  von  den  Gehirnzellen  auf  die 
Gefässwand  als  mehr  oder  weniger  selbständiger  Vorgang 
existiert,  entzieht  sich  unserer  Beurteilung. 

Auf  eines  kann  nicht  genug  hingewiesen  werden,  zumal 
nach  den  Wiesbadener  Verhandlungen,  nämlich  dass  das  Ein¬ 
treten  des  Schlafes  ein  automatischer  Vorgang  ist,  zum  Teil, 
aber  auch  nur  zum  Teil,  von  unserem  Willen  abhängig.  Er 
tritt  automatisch  ein,  eingeleitet  durch  eine  Reihe  regelmässig 
sich  wiederholender  Vorgänge:  wir  machen  Abendtoilette, 
löschen  das  Licht,  bringen  den  Körper  in  die  uns  bequemste 
Lage,  schliessen  die  Augen  und  beginnen  unwillkürlich  in  der¬ 
selben  Weise  tief  zu  atmen,  wie  wir  es  während  des  Schlafes 
tun;  wird  diese  Reihenfolge  künstlich  unterbrochen  (Sprechen, 
Lesen,  Störungen),  so  wird  oft  auch  die  Automatie  des  Schlaf¬ 
eintritts  alteriert.  Sich  dieses  klar  zu  machen  ist  für  unsere 
i  herapie  von  Wichtigkeit,  besonders  dann,  wenn  durch  öftere 
Wiederholung  die  Selbststeuerung  verloren  gegangen  ist. 

Wenn  wir,  zur  Therapie  übergehend,  diese  letzteren  Fälle 
zuerst  ins  Auge  fassen,  so  sehen  wir  meist,  dass  bei  ihnen 
durch  irgend  welche  Umstände  (Hochgebirgstouren,  Kummer, 
Krankenpflege)  längere  Zeit  der  Schlaf  verscheucht  worden 
war  und  auch  nach  Wegfall  der  schädigenden  Momente  sich 
nicht  wieder  einstellt;  der  Patient  gibt  oft  an,  er  habe  die 
Lmpfindung,  als  sähe  er  die  Türe,  die  in  den  dunklen  Raum 
führe,  aber  als  könne  er  nicht  hindurch,  so  etwa,  wie  wenn 
ein  Angetrunkener  mit  dem  Schlüssel  immer  um  das  Schlüssel¬ 
loch  herumführe  und  nicht  hineinfände.  Man  hat  das  Gefühl, 
als  ob  der  oben  erwähnte  Ueberleitungsmechanismus  gestört 
wäre,  sich  durch  die  lange  künstliche  Schlaflosigkeit  einen 
falschen  Aktionstypus  angewöhnt  habe.  Woran  es  auch 
'fegen  mag,  jedenfalls  müssen  gerade  diese  Kranken  die 
I echnik  des  Einschlafens  wieder  lernen;  solche  bedürfen  in 
allererster  Linie  der  Schlafmittel.  Sie  erhalten  durch  einige 
Tage  hindurch  gegebene  Mittel  (Methode  cf.  u.)  in  der  gleichen 
Weise  die  Selbststeuerung  wieder,  wie  dies  G  ö  p  p  e  r  t  in  der 
Diskussion  von  den  Säuglingen  erzählte.  Es  ist  übrigens  auf- 
allend,  wie  fast  alle  solche  Kranke  einen  gewissen  Infantilis- 
nus  mit  einem  minderwertigen,  oft  hypoplastischen  Gefass¬ 
tstem  zeigen.  Da  man  annehmen  kann,  dass  bei  solchen 
\lenschen  gelegentlich  wegen  des  Erschlafftseins  während  des 
Schlafes  die  Gefässmuskulatur  nach  dem  Aufwachen  zu  einer 
eaktiven  stärkeren  Kontraktion  neigt,  so  versteht  man  auch 
eichter  die  Unlust  der  Neurastheniker  am  Morgen  (mit  länger 
lestehen  bleibender  kontrastierender  Gefässreaktion),  die 
uorgendliche  Verstimmung  der  Zyklothymen  und  Melan- 
holiker,  das  morgendliche  Kopfweh  der  Patienten  mit  spasti- 
cher  Migräne,  die  etwas  zu  lange  geschlafen  haben,  das  dann 
bezeichnenderweise  durch  einen  kurzen,  etwa  halbstündigen 
'chlaf  am  Tage  wieder  verscheucht  werden  kann. 

Diese  Infantilen,  Psychastheniker,  Psychopathen  (Psy- 
hosen  als  allzu  gewaltiger  Aeusserungen  übergehe  ich  hier) 
eiden  naturgemäss  auch  besonders  oft  unter  schlafstörenden 
Heizen,  die  von  der  Hirnrindenzelle  ausgehen:  insistierende 
iedanken,  nicht  „abreagierte  Komplexe“  und  dergleichen;  bei 
hnen  muss  selbstverständlich  Psychotherapie  einsetzen.  Muss 
uan  gleichzeitig  zur  Unterstützung  oder  zur  Wiedererlernung 
;es  Schlafeintrittes  Mittel  geben,  so  soll  man  die  Vorschläge 
on  Mohr-  Coblenz  beherzigen. 

Der  bei  Störungen  des  Schlafmechanismus  augenscheinlich 
ast  immer  mitleidende  Teil  ist  das  Gefässsystem,  sei  es,  dass 
s  selbst  erregt  oder  die  Blutverteilung  aus  mechanischen 
Runden  störend  sei,  sei  es,  dass  es  durch  Tätigkeit  der  Hirn¬ 
indenzellen  sekundär  erregt  den  Schlafeintritt  verhindert 
•.Aufmerksamkeitstonus“).  Es  sind  uns  die  Schwankungen 
er  Gefässe  gut  bekannt  und  sie  lassen  sich  am  sichersten, 
rciftigsten  und  gefahrlosesten  beeinflussen.  Unser  Haupt- 
ngriffspunkt  bei  Bekämpfung  der  Schlaf- 


1843 


Störunge  nwirdalsodasGefässsystemsein.  Zu 
den  direkten  Einwirkungen  gehören  alle  physikalischen  Be¬ 
handlungsmethoden,  Höher-  oder  Tieferlegen  des  Kopfes,  alle 
hydriatrischen  Prozeduren,  diätetische  Vorschriften,  warme 
Darmeinläufe  etc.  Wie  eingreifend  die  Einwirkung  auf  die  Ge¬ 
fässe  sein  kann,  sei  mir  gestattet  an  der  Hand  eines  Falles  zu 
erläutern:  Eine  junge  Ehefrau  findet  eines  Morgens  ihren  an 
Endokarditis  leidenden  Mann  tot  im  Bett;  sie  gerät  in  eine 
solche  Aufregung,  dass  ein  Kollege  ihr  nacheinander  mehrere 
Morphium-Skopolamineinspritzungen  macht  und  ihr  Verr  ' 
gibt;  sie  beruhigte  sich  nicht  im  mindesten,  geriet  im  Gegen 
in  einen  Zustand  von  Tobsucht  hinein,  so  dass  ich  nachts  zu 
gerufen  wurde;  in  einer  sofort  angelegten  Ganzeinpackung  l 
ruhigte  sie  sich  alsbald  und  schlief  nach  30  Minuten  8  Stunde, 
lang;  jetzt  erst  nach  Beruhigung  des  Gefässsystems  durch  di 
kühle  Einpackung  konnten  die  vorher  gegebenen  starken  nar¬ 
kotisierenden  Mittel  schlafmachend  wirken. 

Sind  die  Hirnrindenzellen  organisch  verändert,  wie  z.  B. 
bei  Hirnarteriosklerose,  dann  werden  nur  Einwirkungen  grob- 
chemischer  Art  nützen,  dann  werden  wir  auf  die  Dauer  nur 
mit  narkotisierenden  Schlafmitteln  helfen  können,  wozu  auch 
in  diesem  Falle  der  Alkohol  gehören  kann. 

Bei  der  Auswahl  der  Schlafmittel  können  wir  uns  nicht 
mehr  allein  von  den  fundamentalen  Erkenntnissen  der  so 
wichtigen  Meyer -  Overton  sehen  Theorie  leiten  lassen, 
wird  es  uns  nicht  mehr  allein  auf  Lipoidlöslichkeit  oder  die 
Zahl  der  an  den  Kohlenstoff  angelagerten  Halogenatome  etc. 
ankommen,  nachdem  wir  gesehen  haben,  dass  bei  entspreche 
den  Ursachen  oder  Komplikationen  Strophanthin  oder  Diuretin 
schlafmachend  wirken  können.  Man  wird  dies  vielleicht  nur 
ein  Spiel  der  Worte  nennen,  aber  es  kommt  uns  ja  nicht  nur 
darauf  an,  Mittel  zu  kennen,  welche  gewisse  Tätigkeiten  der 
Hirnrindenzelle  aufheben;  darüber  hat  uns  bisher  die 
Pharmakologie  ausgezeichnet  orientiert.  Selbstverständlich 
möchte  ich  andererseits  auch  nicht  darauf  eingehen,  dass  man 
bei  Zahn-  oder  Gelenkschmerzen  oder  Magenbeschwerden,  die 
den  Schlaf  verscheuchen,  nicht  narkotisierende  Medikamente, 
sondern  kausal  entsprechende;  Pyramidon,  Aspirin,  Opium, 
Belladonna  oder  sonst  etwas  Zweckdienliches  geben  muss,  das 
wären  Banalitäten.  Da  wir  in  erster  Linie  die  Möglichkeit  des 
Schlafeintrittes  vorbereiten,  nicht  im  letzten  Augenblick  er¬ 
zwingen,  in  anderen  Fällen  die  Fortführung  des  Schlafes 
sichern,  möglichst  auch  auf  das  Gefässsystem  einwirken 
wollen,  so  werden  wir  vielmehr  die  Sedativa  als  eigentliche 
Schlafmittel  heranziehen,  oder  die  letzteren  in  solcher  Ver¬ 
teilung  oder  so  kleinen  Dosen  geben,  dass  sie  als  Sedativa 
wirken.  Das  wichtigste  scheint  mir,  ein  Mittel  in  refracta 
dosi  zu  geben,  jedoch  nicht  wie  bisher  etwa  abends  um  6,  um 

8  und  um  10  Uhr  einen  Bruchteil  des  Mittels,  sondern  schon 
mittags  nach  dem  Essen  unter  Umständen  eine  gewisse  Dosis, 
dann  eventuell  wieder  zwischen  5  und  6,  zuletzt  um  'Ä9  oder 

9  Uhr  und  dergleichen.  Gegen  Abend  befinden  wir  uns  alle 
sozusagen  in  einem  fieberischen  Zustand,  verglichen  mit  dem 
am  Morgen.  Bei  den  oben  beschriebenen,  wenig  widerstands¬ 
fähigen  Menschen  ist  dies  in  gesteigertem  Masse  der  Fall. 
Eine  schon  frühzeitig,  event.  mittags,  gegebene  kleine  Dosis 
von  der  Höhe  eines  Sedativums  verhindert  die  durch  die  Ein¬ 
wirkungen  des  Tages  sich  steigernde  krankhafte  Erregung,  die 
Patienten  schlafen  aus  eigener  Kraft,  da  man  ihnen  nur  das 
übermässig  Erregende  weggenommen  hat,  bekommen  ihre 
„automatische  Selbststeuerung“  wieder  und  schlafen  nach  ver¬ 
hältnismässig  kurzer  Zeit  ohne  Mittel.  Es  sind  nur  Ausnahmen, 
bei  denen  man  durch  äussere  Umstände  gezwungen  wird,  eine 
„schlafmachende  Dosis“  kurz  vor  der  Nacht  dem  Kranken  wie 
einen  Knüppel  ins  Genick  sausen  zu  lassen. 

Dieser  Art  wären,  die  üblichen  Anwendungsweisen  von 
Chloralhydrat,  Paraldehyd  und  gewöhnlich  auch  des  Veronals; 
natürlich  kann  man  auch  einmal  hierzu  gezwungen  werden 
bei  Delirium  tremens  hat  man  ja  bis  zu  4  g  Veronal  innerhalb 
von  24  Stunden  ohne  Schaden  gegeben;  ich  war  einmal  ge¬ 
zwungen,  eine  tobsüchtige  Dame  im  dauernd  fortgesetzten 
Cliloralhydratschlaf  von  Venedig  nach  Wien  transportieren  zu 
lassen. 

Abgesehen  davon,  dass  Chloralhydrat,  wie  wir  wissen, 
wegen  seiner  blutdruckherabsetzenden  Wirkung  von  uns  allen 

2* 


1844 


gescheut  wird,  dass  Paraldehyd,  wie  Loeb  mitteilte,  beim 
Kaninchen  auch  in  sehr  kleinen,  über  eine  W  oche  fortgesetzten 
Dosen  schwere  Aortenveränderungen  machen  kann,  so  haben 
diese  Mittel  einen  solchen  Geruch  und  Geschmack,  dass  kaum 
ein  empfindlicher  Kranker  sie  zum  zweitenmal  nimmt,  zumal 
heute  jedermann  an  die  bequemen  Tabletten  gewöhnt  ist;  das 
Mittel  wird  einfach  nicht  mehr  genommen  oder  es  löst  solche 
innere  Widerstände  aus,  dass  unsere  ganze  schöne  psychische 
Arbeit  wieder  anulliert  wird.  Das  noch  immer  so  sehr  be¬ 
liebte  Veronal  habe  ich  früher  sehr  häufig,  seit  2  Jahren  aber 
gar  nicht  mehr  verwendet,  öfter  noch  das  leichtere  Veronal- 
natrium.  Veronal  wirkt  viel  zu  oft  erregend;  vor  wenigen 
Wochen  habe  ich  erst  eine  geistig  sehr  intensiv  arbeitende 
Dame  behandelt,  die  sich  mit  Veronal  zum  Schlafen  bringen 
wollte,  und  da  sie  nur  unruhiger  wurde,  die  Dosis  bis  auf 
2  g  (!)  erhöhte;  sie  schlief  trotzdem  nicht,  bekam  nächtliche 
Angstzustände  und  da  sie  am  anderen  Tage  geistig  frisch  sein 
musste,  wurde  sie  sekundär  Alkoholikerin;  18  Monate  hatte 
sie  so  zugebracht;  sie  lernte  in  3  Wochen  mit  kleinen  Dosen 
(in  der  oben  angebenen  Weise  verabreicht)  von  Luminal 
schlafen  und  nahm  an  Gewicht  wieder  zu.  Nun  ist  Luminal 
eine  Art  Substitutionsprodukt  des  Veronals! 

Hier  komme  ich  auf  einen  Punkt,  der  mir  weiterer  Ueber- 
legungen  wert  scheint.  Man  hat  oft  über  die  Ueberfülle  der 
fabrizierten  Schlafmittel,  die  Menge  der  Substitutionsprodukte 
geklagt,  sich  über  die  Ueberbietungen  der  konkurrierenden  Fa¬ 
briken  beschwert.  Ist  das  wirklich  so  berechtigt?  Ich  glaube 
nicht,  und  ich  möchte  darin  auch  einigen  Ausführungen  auf 
dem  Kongress  widersprechen.  Natürlich  ist  es  nicht  mehr  so 
bequem  wie  früher,  wo  man  glaubte,  es  genüge  so  ungefähr, 
eine  lipoidlösliche  Substanz  ins  Gehirn  etwa  wie  in  eine  Re¬ 
torte  hinein  zu  praktizieren.  Ich  glaube  im  Gegenteil,  dass 
wir  uns  freuen  sollten,  eine  so  grosse  Auswahl  unter  den  Mit¬ 
teln  zu  haben,  wenn  auch  schlechte  darunter  sind;  ich  glaube 
sogar,  dass  wir  noch  nicht  genug  haben,  den  es  gibt  noch 
immer  verzweifelte  Fälle,  die  sehr  lange  Zeit  jeglicher 
Therapie  trotzen.  Ich  habe  oft  gesehen,  wie  spezifisch  ein¬ 
zelne  Mittel  wirken  können;  es  ist  ganz  wesentlich  zu  wissen, 
wie  verschieden  einzelne  Patienten  auf  bestimmte  Mittel 
reagieren.  Jeder  einzelne  Fall  muss  nach  seiner  Indi¬ 
vidualität  studiert  werden;  dazu  muss  man  ihn  im  Laufe  des 
Tages  mehrmals  zu  sehen  Gelegenheit  haben.  Ich  kenne  eine 
Kranke,  die  nur  Adalin  vertrug,  eine  andere  nur  Valamin,  ein 
anderer  reagierte  nur  auf  Luminalnatrium;  psychische  Mo¬ 
mente  waren  dabei  völlig  ausgeschlossen.  Worauf  solche 
„Idiosynkrasien“  beruhen,  wird  hoffentlich  die  Pharmakologie 
ergründen,  die  ja  nur  dann  den  wichtigen  praktischen  Teil 
ihrer  Aufgabe  erfüllen  kann,  wenn  sie  ausgiebige  Fühlung  mit 
der  Medizin  hält.  Das  Bestreben  des  Kongresses  für  innere 
Medizin,  die  Beziehungen  zur  Pharmakologie  zu  pflegen,  ist 
deshalb  sehr  zu  begrüssen. 

Im  folgenden  möchte  ich  einige  Mittel  nur  kurz  anführen; 
die  genauere  Kenntnis,  warum  bei  einzelnen  Kranken  nur 
bestimmte  Mittel  wirken,  welcher  Art  neu  zu  entdeckende 
Mittel  sein  müssen,  hoffen  wir  noch  von  der  Pharmakologie 
zu  erfahren;  ich  erhoffe  vieles  gerade  von  den  Substitutions¬ 
produkten. 

Ausgezeichnet  hat  sich  mir  das  Luminal  bewährt.  Es  ist 
ja  zwar  dem  Veronal  verwandt;  es  kann  in  seltenen  Fällen 
auch  einmal  erregend  wirken,  zeigt  aber  in  kleinen  Dosen 
so  viele  dem  Brom  ähnliche  Eigenschaften  (cf.  auch  Epilepsie), 
dass  ich  es  sehr  gerne  als  Sedativum  angewendet  habe.  Es 
wird  meist  in  zu  grossenDosen  gegeben, entsprechend  denNach- 
richten  der  Fabrik  und  den  Veröffentlichungen  der  Psychiater 
bei  Epilepsie;  Dosen  von  0,05—0,1,  allenfalls  0,15  Luminal¬ 
natrium  sollte  man  nur  selten  überschreiten.  Nicht  vertragen 
wird  es  von  blassen,  blutarmen  Menschen  mit  einem  schlechten 
Gefässtonus,  besonders  derartigen  Frauen;  geradezu  spezifisch 
wirkt  es  bei  irgendwelcher  Blutfülle  des  Gehirns,  besonders 
bei  Basedow  und  Hypertonie  und  Gehirnarteriosklerose;  aber 
man  muss  jeden  einzelnen  Fall  3—4  Tage  lang  studieren,  bis 
man  seinen  Modus  kennt;  Luminal  ist  ein  ausgesprochen 
kumulierendes  Mittel;  benutzt  man  diesen  Umstand  thera¬ 
peutisch,  so  kann  man  den  Kranken  allmählich  sicher  von 
jedem  Mittel  los  bekommen.  Ich  habe  einem  schweren  Mor- 


Nr.  34. 


phinisten,  der  frei  von  Morphium  geworden  war,  aber  nicht 
schlafen  konnte  und  alle  Mittel  in  höchsten  Dosen  hinter  sich 
hatte,  mit  anfangs  8  mal  0,1  Luminal  pro  die  zum  Schlafen 
gebracht,  nach  6  Wochen  nahm  er  nur  noch  0,1  Luminal  pro 
Woche,  dann  nichts  mehr  und  nahm  sein  Amt  als  höherer 
Verwaltungsbeamter  wieder  auf,  das  er  jetzt  zwei  Jahre  gut 
versieht.  Man  kann  Luminal  unter  Umständen  lange  Zeit 
gefahrlos  geben,  aber  nach  ca.  dreimonatlichem  Gebrauch  tritt 
oft  ein  lästiges  Klingen  und  Läuten  in  den  Ohren  auf,  das 
schwer  zu  beseitigen  ist.  Merkwürdig  ist  die  grosse  Ge¬ 
wichtszunahme  bei  durch  Luminal  beruhigten  Kranken. 

Ausgezeichnet  als  leichtes  Einschläferungsmittel,  etwa  bei 
abends  überreizten  Kopfarbeitern,  ist  Aleudrin,  1  g,  bei  Frauen 
event.  'A  g.  Es  vertieft  den  Schlaf  und  hinterlässt  keinerlei 
unangenehme  Sensationen,  ausserdem  beruhigt  es  Schmerzen,  . 
was  fälschlicherweise  dem  Luminal  nachgesagt  wurde. 

Zur  Einwirkung  auf  die  Gefässe  wendet  man  oft  mit  Vor¬ 
teil  Aspirin,  Pyramidon,  Phenazidin  an,  gelegentlich  Phena- 
kodin.  Selbstverständlich  genügen  oft  Valerianapräparate; 
ausserdem  Brom  mit  seinen  Vorzügen  und  Nachteilen.  In 
vielen  Fällen  ist  Adalin  wertvoll,  bei  einigen  Kranken  Pro-  i 
ponal,  für  Hysterisch-Nervöse  oft  Valamin  (nie  in  leeren  Magen  , 
geben,  bei  Hyperazidität  kontraindiziert);  bei  Husten  sahen  wir , 
gute  Erfolge  von  Kodeonal,  bei  Kopfschmerzen  manchmal  von  ; 
Veronazetin.  Diuretin,  bei  Arteriosklerosis  cerebri  mit  Erfolg  I 
gegeben,  kann  andererseits,  wenn  man  es  aus  anderen  Indi- ! 
kationen  längere  Zeit  anwendet  (spastische  Migräne),  nach 

5 _ 6  Tagen  Schlaflosigkeit  machen;  wahrscheinlich  durch 

dauernde  Erweiterung  der  Hirngefässe  (Thcobrominreiz- 
wirkung).  Gelegentlich  habe  ich  mit  Nutzen  Dormiol  ange¬ 
wendet,  wenig  Hedonal;  über  Aponal  und  die  neueren  Diogenal 
und  Phenoval  besitze  ich  keine  Erfahrungen  *). 

Mit  grossem  Vorteil  habe  ich,  folgend  der  Idee  der  Nar-, 
kosengemische,  über  den  Tag  verteilt  kleine  Dosen  verschie¬ 
dener  Mittel  gegeben,  z.  B.  mittags  und  nachmittags  je  0,05 
Luminal.  abends  Aleudrin  oder  sogar  mittags  0,05  Lumina!, 
nachmittags  1  Valaminpille,  abends  irgend  etwas  anderes. 
Ich  glaube,  dass  man  diese  Methode  sehr  zweckmässig  aus¬ 
bauen  kann,  event.  fängt  man  schon  morgens  an  etwas  zu 
geben. 

Zusammenfassend  möchte  ich  sagen: 

Die  Störungen  des  Schlafes  sind  letzten 
Endes  im  Gehirn  zu  suchen,  sie  können  dort 
zellulärer  oder  vasomotorischer  Natur  sein 
oder  auf  einer  Alteration  der  Beziehungen 
zwischen  Hirnrindenzelle  und  Gefässe n  be¬ 
ruhen.  Zum  Eintritt  und  zur  Fortführung  des 
Schlafes  ist  ein  ganz  besonderes  Verhalten 
der  Gehirngefässe  nötig,  dessen  Bildung 
durch  Impulse  von  den  Hirnrindenzellen  aus 
oder  durch  Erregung  oder  Alteration  des 
Gefässsy  stems  selbst  verhindert  werden 
kann.  Unsere  Behandlung  muss  darauf  hin¬ 
zielen,  einen  Zustand  von  Reizlosigkeit  psy¬ 
chisch  und  somatisch  zu  schaffen  und  so  vor 
allem  das  Gefässsystem  in  die  zum  Schlaf¬ 
eintritt  günstige  Verfassung  zu  bringen, 
oder  wir  müssen  die  verloren  gegangene' 
Automatie  wieder  h  erstellen. 

Ich  glaube,  dass  diese  Arbeitshypothese  Aufklärungen  und 
Anleitungen  geben  kann,  vor  Schematisieren  in  der  Behand¬ 
lung  bewahrt  und  hoffe,  dass  sie  verbessert  wird. 


Anmerkung  bei  der  Korrektur.  Inzwischen  habe  ici 
mehrfach  Gelegenheit  gehabt,  Phenoval  und  Diogenal  zu  erproben 
Phenoval  ist  sehr  milde  und  vertieft  den  Schlaf  bei  früh  Aufwachen 
den,  Diogenal  hat  leicht  narkotisierende  Wirkung.  Bei  arteriosklero 
tischer  Schlaflosigkeit  habe  ich  einige  Male  mit  überraschendem  Er 
folg  2 — 3  mal  täglich  Papaverin  0,03  zusammen  mit  0,05  Luminal  ge 
geben.  Bei  mehreren  Fällen  von  allerschwerster,  lange  bestehende! 
Schlaflosigkeit  bei  erheblicher  depressiver  Verstimmung  konnte  ici 
Heilung  in  mehreren  Wochen  durch  eine  rationell  durchgeführh 
Opiumkur  mit  dem  K  r  a  f  f  t  -  E  b  i  n  g  sehen  Vinum  thebaicum  er¬ 
zielen. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


25.  August  1914. 


Kritische  Bemerkungen  zur  Pathogenese  eines 
„Salvarsantodesfalles“. 

Von  Wilhelm  Wechselmann. 


Es  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  die  Zahl  der 
5alvarsanschädigungen  und  Salvarsantodesfälle  in  einer  rapi¬ 
den  Abnahme  begriffen  ist,  und  zwar  nicht  nur  relativ  sondern 
auch  absolut.  Der  Grund  liegt  in  der  Verbesserung  der 
Technik  der  Salvarsananwendung,  in  der  vorsichtigeren  Aus¬ 
wahl  der  Fälle  und  in  der  sorgfältigeren  Beobachtung  des  Be¬ 
handlungsverlaufes.  Aber  auch  bei  den  wenigen  Fällen, 
welche  noch  Vorkommen,  muss  man  sich,  wenn  man  weiter¬ 
kommen  will,  von  der  gedankenlosen  Art,  alle  im  Gefolge  von 
Salvarsananwendung  auftretenden  Ereignisse  als  Arsenver¬ 
giftung  schlechtweg  zu  deuten  und  biiromässig,  wie  ein  be¬ 
fähigter  Registrator,  zusammen  zu  addieren  (M  entberge  r), 
abwenden  und  jede  Schädigung  und  jeden  Todesfall  einer  kri¬ 
tischen  Beleuchtung  unterziehen.  In  jedem  einzelnen  „Salvar- 
santodesfall  muss  man  epikritisch  sich  klar  zu  machen 
suchen,  warum  gerade  diesem  Menschen  eine  sonst  gefahrlos 
gebrauchte  Salvarsandosis  gefährlich  geworden  und  warum 
dieselbe  Salvarsandosis,  welche  derselbe  Mensch  vorher  ver¬ 
tragen  hatte,  plötzlich  lebensgefährlich  wurde. 

Kurz  man  muss  den  Weg  einschlagen,  den  ich  in  meiner 
Pathogenese  der  Salvarsantodesfälle  (S.  1)  gewiesen  habe  wo 
ich  ausführte: 


„Nun  kann  man  die  Nebenwirkungen  des  Salvarsans  wie  die 
eines  jeden  Arzneimittels  auf  zweierlei  Art  betrachten.  Der  eine 
eg  ist  der,  dass  man  gewissenhaft  alle  unangenehmen  Folgen  regi¬ 
striert  und  nach  einiger  Zeit  das  Schuldkonto  präsentiert;  dabei  ist 
man  von  vornherein  ziemlich  sicher,  dass  dies  sich  von  Tag  zu  Tag 
vermehren  muss,  und  dass  man,  gleichgültig,  ob  diese  Unfälle  einen 
gemeinsamen  Typus  aufweisen  oder  nicht,  zu  dem  Urteil  gelangen 
miss,  das  ^alvarsan  wird  verbrannt.  Weitaus  mühseliger  und  un- 
sicherer  ist  der  andere  Weg,  dass  man  sich  zunächst  jenseits  von 
iut  und  Bose  stellt,  der  Genese  der  Unfälle  nachgeht,  prüft,  ob  die¬ 
selben  unbedingt  dem  Salvarsan  zur  Last  fallen  und  wie  sie  sich 
,'a  vermeiden  lassen.  Nur  der  zweite  Weg  ist  der  wahrhaft 
wissenschaftliche,  weil  er  frei  ist  von  Vorurteilen. 

So  muss  man  daher  auch  an  die  Prüfung  der  Todesfälle  nach 
salvarsan  und  ihrer  Pathogenese  herantreten. 

Zweckmässig  geht  man  dabei  nicht  von  denjenigen  Todesfällen 
ms,  welche  nach  subkutaner  oder  intramuskulärer  Salvarsan- 
mwendung  bei  Leuten  mit  schweren  Organveränderungen  Vor¬ 
namen,  sondern  von  denen,  wo  junge,  blühende  Menschen  nach  intra¬ 
venösen  Salvarsaninjektionen  binnen  kurzer  Zeit  in  der  akutesten 
vVeise  zugrunde  gegangen  sind  und  wo  grobe  technische  Fehler 
ncht  in  Frage  kommen.“ 

,  Ein  solcher  Fall  ist  kürzlich  von  Frühwald  (Ueber  einen 
odesfall  nach  intravenöser  Injektion  von  Neosalvarsan.  M.  Kl.  1914, 
25)  aus  der  Rille  sehen  Klinik  beschrieben  worden.  Früh- 
■  a  I  d  fasst  in  seinen  epikritischen  Bemerkungen  den  tödlichen  Aus¬ 
zug  als  kaum  vermeidlich  auf  und  sagt,  dass  diese  Zwischenfälle 
m  „trauriges  Anhängsel  der  Salvarsantherapie“  sind  und  bleiben, 
s  scheint  mir  daher  wichtig,  den  Fall  auch  von  dem  von  mir  ange- 
ommenen  Standpunkt  aus  zu  ventilieren  und  zu  prüfen,  ob  der 
laurige  Ausgang  nicht  doch  hätte  vermieden  werden  können.  Selbst¬ 
verständlich  kann  es  sich  bei  diesen  Ausführungen  nicht  um  eine 
olemik  gegen  den  Autor  handeln,  sondern  lediglich  um  eine  prin- 
ipiel  e  Betrachtung  darüber,  ob  man  aus  der  Betrachtung  des  Falles 
-icnthnien  für  ähnliche  Fälle  konstruieren  und  damit  die  Ungliicks- 
tuncen  durch  zweckmässiges  Vorgehen  noch  wesentlich  verringern 
onnte. 


Der  Fall  F  r  ii  h  w  a  1  d  s  ist  kurz  folgender: 

Em  IS  jähriges  gesundes,  im  6.  Monat  der  Schwangerschaft  he¬ 
imliches.  frisch  syphilitisches,  noch  unbehandeltes  Mädchen  erhält 
m  ti  Oktober  9,75  Neosalvarsan  in  2  ccm  Flüssigkeit.  Danach 
opfschmerzen  bei  normaler  Temperatur.  Am  27.  Oktober  zweite 
ijektion  von  0,75  Neosalvarsan.  Am  28.  Oktober  abends  Schmerzen 
n  Unterleib.  Am  29.  Oktober  ist  Patientin  bewusstlos  und  geht  unter 
rampfen  und  Erscheinungen  von  Atemlähmung  am  Abend  unter  dem 
^Kannten  Bilde  der  Encephalitis  haemorrhagica  zugrunde,  welche 
urch  die  Sektion  bestätigt  wurde. 

T-V'J? vv  a  *  d  hebt  mit  Recht  hervor,  dass  sowohl  in  der  Dosis 
on  U,k.  Neosalvarsan,  sowie  in  der  Wiederholung  dieser  Gabe  nach 
lagen  die  I  odesursache  nicht  erblickt  werden  kann,  da  er  die 
Pichen  Dosen  in  vielen  Hunderten  von  Fällen  straflos  ebenso  ge- 
-‘hen  hätte. 

F  r  ü  h  w  a  I  d  wendet  sich  dann  gegen  meine  zur  Erklärung  eines 
eiB  der  Salvarsantodesfälle  eingenommenen  Standpunkt  mit  den 
orten:  „Wechselmann  neigt  der  Ansicht  zu,  dass  wenigstens 
aen  meisten  Fällen  nicht  das  Salvarsan  selbst  schuld  ist,  sondern 
gend  eine  Organinsuffizienz  und  dadurch  bedingte  mangelhafte  Aus- 
neidung;  besonders  hat  er  hierbei  die  Nieren  im  Auge  und  er  warnt 


1845 


daher  vor  einer  gleichzeitigen  Anwendung  von  Quecksilber  wegen 
semer  nierenreizenden  Eigenschaften.  Von  einer  solchen  Organ- 
insuffizienz  war  aber  in  meinem  Fall  klinisch  nichts  zu  finden  und 
auch  die  Sektion  ergab  keinen  diesbezüglichen  Anhaltspunkt.  Des¬ 
halb  muss  er,  wie  die  anderen  Todesfälle,  auch  lediglich  dem  Neo¬ 
salvarsan  zur  Last  gelegt  werden.“ 

Dieser  Standpunkt  Frühwalds  erscheint  keineswegs  ge¬ 
nügend  begründet. 

Schon  der  Umstand,  dass  es  sich  um  eine  Gravide  —  noch  ver¬ 
schärft  dadurch,  dass  es  sich  um  eine  sehr  junge  Erstschwangere 
handelte  mahnt  zur  Vorsicht  in  der  Behauptung,  dass  Organ- 
lnsutfizienzen  nicht  Vorlagen.  Ich  habe  auch  darauf  hingewiesen, 
dass  nicht  die  grobanatomische  Untersuchung  das  Kriterium  für  eine 
urganmsuffizienz  abgeben  kann,  auch  nicht  immer  die  histologische 
Untersuchung.  Man  ist  keineswegs  so  weit  auf  Grund  des  anatomi- 
schen  Bildes,  die  intakte  Funktion  der  Niere  behaupten  zu  können. 

Vc  *  v-?i  ^  e  r  ,e.u.b  n  e  r  haben  gezeigt,  dass  Kranke  mit  schwer¬ 
ster  Glomerulonephritis  nur  ganz  geringfügige  Veränderungen  der 
Ulomeruh  zu  zeigen  brauchen.  In  der  Publikation  Frühwalds  fehlt 
nuP,  ,..er ,.  er‘cJ1t  über  die  mikroskopische  Untersuchung  der  Nieren 
vollständig,  während  er  für  die  schon  nach  der  makroskopischen  Be¬ 
schreibung  höchst  verdächtigen  Schwangerschaftsnieren  zur  Beur¬ 
teilung  des  Falles  unbedingt  erforderlich  ist.  Noch  erheblicher  ist 
der  Mangel  jeder  Angabe  über  die  Funktion  der  Nieren,  besonders 
vor  und  nach  der  ersten  Injektion. 

Es  fehlt  in  der  Krankengeschichte  jeder  Hinweis  darauf,  dass 
die  Nieren  auf  ihre  Suffizienz  irgendwie  geprüft  worden  sind.  Es 
findet  sich  lediglich  die  Angabe,  dass  nach  Eintritt  der  Katastrophe 
dei  Urin  eiweissfrei  war.  Ich  habe  aber  scharf  darauf  hingewiesen, 
dass  nicht  so  sehr  die  eiweissausscheidende  Niere  die  Gefahr  der 
-L  varsanretention  bedingt,  —  im  Gegenteil  bedeutet  dies  oft  ein 
über  das  Normale  durchlässiges  Nierenfilter  — ,  sondern  dass  in 
dieser  Hinsicht  die  Funktion  der  Wasserausscheidung  viel  wichtiger 
erscheint.  Ich  würde  niemals  eine  Infusion  von  0.75  Neosalvarsan 
machen,  ehe  ich  über  die  Wasserausscheidung  der  Niere  volle  Klar¬ 
heit  hätte;  für  ganz  fehlerhaft  muss  aber  eine  solche  Belastung  der 
Niere  bei  einer  Schwangeren  gelten,  wo  ohnedies  die  Funktion  der 
Niere  stets  mit  Argwohn  geprüft  werden  muss. 

Ich  behandle  nie  eine  Schwangere  mit  intravenösen  Sal¬ 
varsaninjektionen,  ohne  vorher  —  da  mir  die  Kontrolle  der 
LIrinmenge  nicht  genügend  erscheint  —  die  Funktionsprüfung 
mit  Milchzucker  nach  Schlayer  gemacht  zu  haben.  Man 
sieht  dann  öfter,  dass  solche  Nieren  funktionell  geschädigt 
sind  und  den  hohen  Anforderungen,  die  die  Schwangerschaft 
an  sie  stellt,  kaum  noch  gewachsen  sind,  so  dass  eine  Mehr¬ 
belastung  durch  0,75  Neosalvarsan  vielleicht  zwar  einmal  noch 
ertragen  wird,  gleichzeitig  aber  die  Funktion  der  Niere  so 
stark  herabsetzt,  dass  die  zweite  derartige  Injektion  einen 
urämisch-toxischen  Effekt  hervorrufen  kann.  Auch  Jonas, 
welcher  über  derartige  Funktionsprüfungen  aus  der  Greifs- 
walder  Klinik  berichtet  hat  (D.m.W.  1914  Nr.  27  S.  1405)  kam 
zu  denselben  Resultaten.  Es  wurden  ausser  gesunden  Gra¬ 
viden  auch  solche  mit  klinisch  deutlicher  Nierenschädigung, 
Eklampsie  und  Hyperemesis  gravidarum  herangezogen.  Auch 
bei  klinisch  normalen  Fällen  wurde  in  überwiegender  Anzahl 
eine  Schädigung  der  Niere  im  Sinne  einer  Gefässalteration  fest¬ 
gestellt,  während  sich  keine  Anhaltspunkte  für  eine  Schädigung 
der  Tubuli  gewinnen  liessen;  im  Gegenteil,  das  eingeführte 
Jodkali  wurde  oft  auffallend  rasch  ausgeschieden  (24—36  Stun¬ 
den).  Von  den  mitgeteilten  pathologischen  Fällen  ist  besonders 
erwähnenswert  eine  Eklampsie  sub  graviditate,  bei  der  sich 
das  typische  Bild  der  vaskulären  Hyposthenurie  fand.  Dass 
die  Oligurie,  die  sich  fast  regelmäsig  am  Ende  der  Gravidität 
findet,  nicht  stets  der  Ausdruck  einer  Nierenveränderung  ist, 
liess  sich  leicht  dadurch  erweisen,  dass  einige  Male  keine  Ab¬ 
weichungen  in  den  Ausscheidungen  der  körperfremden  Sub¬ 
stanzen  trotz  ausgesprochener  Oligurie  festzustellen  waren. 

Daraus  erklärt  sich  die  Gefahr,  welche  gelegentlich 
die  intravenöse  Salvarsanzufuhr  bei  Schwangeren  haben  kann. 

Man  erkennt  also,  wie  wichtig  meine  Angaben  über  die 
Pathogenese  der  Salvarsantodesfälle  sind  und  dass  ein  Teil 
derselben  eine  Retentionstoxikose  mit  urämischen  Symptomen- 
komplex  darstellen.  Dafür  spricht  die  starke  Erhöhung  des 
Reststickstoffes  im  Blut  und  in  der  Lumbalflüssigkeit,  welche 
ich  gefunden  habe  und  welche  U 1 1  m  a  n  n  in  seinem  Falle  be¬ 
stätigt  hat.  Auch  darüber  fehlt  jede  Angabe  bei  F  r  ü  h  w  a  1  d. 

Aber  selbst,  wenn  die  Funktionsprüfung  bei  einer 
Schwangeren  keine  Abweichungen  zeigt,  scheint  mir  die 
Menge  von  0,75  Neosalvarsan  nicht  an  und  für  sich,  aber  in 
der  Schwangerschaft  zu  hoch.  Der  Organismus  der  Schwan¬ 
geren  ist  auf  ein  Maximum  seiner  Leistungsfähigkeit  eingestellt 


1846 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


und  verfügt  oft  —  zumal  bei  der  ersten  Schwangerschaft  — 
nicht  über  genügende  Reservekräfte.  Man  muss  daher  die 
Dosen  kleiner  wählen,  bis  man  sich  von  der  Fähigkeit  des 
Organismus,  solch  hohe  Dosen  normal  auszuscheiden  und  zu 
bewältigen,  überzeugt  hat.  Ein  gewisses  Risiko  wird  aber  bei 
Schwangeren  immer  übrig  bleiben  und  man  tut  gut,  die  Nieren 
solcher  nicht  durch  eine  grosse  intravenöse  Injektion  brüsk 
zu  belasten,  sondern  kleinere  Dosen  mit  0,15  anfangend  bis 
0,45  subkutan  zu  geben. 

Diese  Ausführungen  beweisen,  dass  man  keineswegs  mit 
einer  rätselhaften  Idiosynkrasie  zu  rechnen  braucht,  um  den 
F  r  ü  h  w  a  1  d  sehen  Fall  zu  deuten.  Dieser  Begriff  hätte,  wie 
ich  in  der  Pathogenese  der  Salvarsantodesfälle  ausgeführt 
habe,  nur  einen  Wert,  wenn  wir  diese  Ueberempfindlichkeit 
rechtzeitig  klinisch  zu  erkennen  vermöchten  und  so  den 
Patienten  vor  der  Salvarsanzufuhr  und  dem  Tode  bewahren 
könnten;  als  nachhinkende  pathologische  Deutung  auf  dem 
Sektionstisch  ist  uns  die  Ueberempfindlichkeit,  welche  ihrer 
Natur  nach  nur  ein  klinischer  Begriff  sein  kann,  vollkommen 
gleichgültig  und  unannehmbar.  Es  empfiehlt  sich  daher,  statt 
sich  dieses  im  Zusammenhang  mit  Salvarsantherapie  ganz 
inhaltslosen  Wortes  zu  bedienen,  auf  die  Insuffizienz  lebens- 
wichter  Organe  zu  achten;  in  erster  Linie  kommt  dabei  die 
Niere  in  Betracht,  welche  viel  häufiger  als  man  gewöhnlich 
glaubt,  durch  abgelaufene  Infektionskrankheiten,  durch  akute 
Quecksilber-  oder  chronische  Alkoholintoxikationen  funktionell 
so  geschädigt  sein  kann,  dass  ihr  Ausscheidungsvermögen  für 
Salvarsan  schwer  gelitten  hat.  Viel  seltener  ist  eine  Leber¬ 
schädigung  so  weit  gediehen,  dass  deren  entgiftende  Funktion 
in  lebensgefährdender  Weise  gelitten  hätte;  ebenso  ist  eine 
gefährliche  Insuffizienz  des  polyglandulären  Systems  nur 
selten. 

Wenn  man  diese  Punkte  beachtet,  wird  man  nur  selten 
noch  rätselhaften  Ueberempfindlichkeiten  begegnen;  man  wird 
:  her  im  Laufe  der  Behandlung  rechtzeitig  Insuffizienzen  ent¬ 
decken  und  durch  angepasste  Behandlung  beherrschen  können. 


Aerztliche  Standesangelegenheiten. 

Die  Frage  der  Kurpfuscherei  und  die  Revision  des 
bayerischen  Polizeistrafgesetzbuches  *). 

Von  Bezirksarzt  Dr.  Carl  Becker  in  München. 

Unseren  gesetzgebenden  Körperschaften  ist  der  Entwurf  eines 
Gesetzes  über  die  Aenderung  des  bayerischen  Polizeistrafgesetz¬ 
buches  zugegangen.  Derselbe  beschränkt  sich  auf  einzelne  Aende- 
rungen  und  Ergänzungen,  die  sich  im  Laufe  der  Zeit  als  besonders 
dringlich  erwiesen  haben.  „ 

Er  enthält  aber  eine  grosse  Lücke.  Er  hat  es  vollständig  uber¬ 
gangen,  eine  gesetzliche  Grundlage  dafür  zu  schaffen,  dass  über  die 
Ausübung  des  Heilgewerbes  durch  nichtapprobierte  Personen  Ver- 
rdnungen  oder  Ministerialvorschriften  erlassen  werden  können. 

Nach  Artikel  127  Abs.  3  sollen  einer  Strafe  an  Geld  bis  zu  150  M. 
i  erliegen  ..Krankenpfleger  und  andere  in  der  niederen  Gesundheits¬ 
ege  beruflich  tätige  Personen,  wenn  sie,  von  Notfällen  abgesehen, 
oen  Verordnungen  oder  Ministerialvorschriften  über  ihre  Befugnisse 
und  Pflichten  zuwiderhandeln“.  Nach  der  Begründung  sind  mit 
diesen  Personen  gemeint  ..Krankenpfleger,  Desinfektoren,  Mas¬ 
seure  usw.“,  also  offenbar  keine  nichtapprobierten  Personen,  welche 
selbständig  das  Heilgewerbe  ausiiben. 

Die  ganze  Misere  mit  der  Kurpfuscherei  geht  zurück  auf  die 
Einführung  der  Reichsgewerbeordnung.  Der  Reichstag  hatte  seiner¬ 
zeit  die  Ausübung  der  Heilkunde  freigegeben  und  nur  für  die  Führung 
des  Titels  Arzt  oder  ähnlicher  Bezeichnungen  eine  Garantie  schaffen 
wollen.  Von  dieser  schrankenlosen  Kurierfreiheit  ist  die  Reichs¬ 
gesetzgebung  aber  immer  mehr  abgekommen,  weil  sich  der  grosse 
Volksschaden  der  Kurpfuscherei  zu  deutlich  herausstellte.  Es  wurde 
die  Ausübung  der  Heilkunde  im  Umherziehen  verboten,  die  Bestim¬ 
mungen  über  die  Errichtung  von  Privatkrankenanstalten  wurden 
wiederholt  verschärft,  ausser  den  Arzneien  wurden  auch  die  Geheim¬ 
mittel.  Bruchbänder  und  Brillen  vom  Verkauf  oder  Feilbieten  im 
Umherziehen  ausgeschlossen.  Die  Untersagung  des  Handels  mit 
Drogen  und  chemischen  Präparaten,  welche  zu  Heilzwecken  dienen, 
wurde  vorgeschrieben,  wenn  die  Handhabung  des  Gewerbebetriebes 
Leben  und  Gesundheit  von  Menschen  gefährdet.  Es  wurde  das  Ge¬ 
setz  zur  Bekämpfung  des  unlauteren  Wettbewerbes  erlassen,  das 
auch  gegen  die  Kurpfuscher  sich  anwenden  liess.  Das  öffentliche  An¬ 
kündigen  und  Anpreisen  von  Geheimmitteln  wurde  unter  Strafe  ge¬ 

*)  Nach  einem  im  Neuen  Standesverein  Münchener  Aerzte  er¬ 
statteten  Referat. 


stellt.  Aber  alle  diese  Massnahmen  konnten  noch  nicht  genügen.  Im 
Jahre  1908  veröffentlichte  die  Reichsregierung  einen  „vorläufigen  Ent¬ 
wurf  eines  Gesetzes,  betreffend  die  Ausübung  der  Heilkunde  durch 
nichtapprobierte  Personen  und  den  Geheimmittelverkehr“  und  im  No¬ 
vember  191(1  liess  sie  dem  Reichstag  den  „Entwurf  eines  Gesetzes 
gegen  Missstände  im  Heilgewerbe“  zur  verfassungsmassigen  Be- 
schlussnahme  zugehen.  Dort  wurde  er  in  eine  Kommission  ver¬ 
wiesen,  die  Beratungen  zeigten  von  einer  grossen  Verständnislosig¬ 
keit  der  meisten  Kommissionsmitglieder,  der  Entwurf  wurde  in  der 
Kommission  nicht  einmal  ganz  durchberaten  und  gelangte  nicht  mehr 
ins  Plenum. 

Da  sich  die  Reichsgesetzgebung  gegen  die  Kurpfuscherei  als 
völlig  ungenügend  erwies,  das  Bedürfnis  nach  einer  Ueberwachung 
und  Einschränkung  derselben  aber  immer  fühlbarer  wurde,  setzte 
endlich  die  Landesgesetzgebung  in  den  einzelnen  Bundes¬ 
staaten  ein,  nachdem  die  Bedenken  nicht  mehr  als  zutreffend  er¬ 
achtet  wurden,  dass  bei  der  Freigabe  der  Kurpfuscherei  in  der  Reichs-, 
gewerbeordnung  keine  einschränkenden  landesgesetzlichen  \or- 
schriften  erlassen  werden  dürften.  Voran  ging  Hamburg  mit  der 
Verordnung  vom  1.  Juni  1900,  welche  die  täuschenden,  prahlerischen 
Anzeigen  nichtapprobierter  Personen  und  auch  die  öffentliche  An¬ 
kündigung  von  Gegenständen,  Mitteln,  Vorrichtungen  und  Methoden 
unter  Strafe  stellte,  falls  ihnen  über  ihren  wahren  Wert  hinaus¬ 
gehende  Wirkungen  beigelegt  werden,  das  Publikum  durch  die  Art 
ihrer  Anpreisung  irregeführt  oder  belästigt  wird,  oder  falls  sie  zur 
Hervorrufung  von  Gesundheitsschädigungen  geeignet  sind.  Aehnliche 
Bestimmungen  wurden  dann  auch  in  Preussen  (28.  Juni  1902),  Bremen 
(23.  Dezember  1902),  Sachsen  (14.  Juli  1903)  und  in  der  Folge  von! 
mehreren  anderen  Bundesstaaten  erlassen.  Ferner  trafen  einzelne 
Bundesstaaten  Vorschriften  über  die  Meldepflicht  der  Kurpfuscher 
über  die  Führung  von  Geschäftsbüchern  nach  vorgeschriebenem! 
Muster,  einzelne  Bundesregierungen  verboten  auch  die  Ankündigung 
von  Geheimkuren  und  die  öffentlichen  Vorstellungen  von  Magneti¬ 
seuren,  Hypnotiseuren  und  Suggestoren.  Die  diesbezüglichen  Bestim-I 
mutigen  bis  zum  Jahre  1905  finden  sich  in  der  „Zusammenstellung 
der  gesetzlichen  Handhaben  zur  Bekämpfung  der  Kurptuschcrei  uni 
im  ersten  Nachtrag  hiezu  (Vorlage  der  Kurpfuschereikommission  zi 
den  Deutschen  Aerztetagen  1903  und  1905,  Beilagen  zum  Aerzthcher 
Vcrcinsblatt). 

Seitdem  wurden  in  mehreren  Bundesstaaten  Vorschriften  er¬ 
lassen  gegen  die  amtliche  Bestätigung  von  Dankschreiben  angeblicl 

geheilter  Personen.  . 

Wie  verhielt  sich  nun  die  Landesgesetzgebung  in  Bayern 
seit  Einführung  der  Reichsgewerbeordnung?  Eine  Ministerialent- 
schliessung  vom  22.  Juli  1873  führte  aus: 

„Es  herrscht  die  Besorgnis,  dass  nach  Aufhebung  der  auf  medi¬ 
zinische  Pfuscherei  früher  gesetzten  Strafe  die  Ausübung  der  Heil 
künde  durch  nichtapprobierte  Personen  für  die  Zukunft  sehr  über 
handnehmen  werde. 

Zur  richtigen  Beurteilung  dieses  Gegenstandes  und  zur  Ge 
winnung  einer  sicheren  Basis  behufs  allenfalls  nötig  werdender  Er- 
greifung  von  Vorkehrungsmassregeln  wurde  vom  Kgl.  Obermedizina 
ausschusse  eine  statistische  Erhebung  über  die  Ausübung  der  Heil 
künde  durch  nichtapprobierte  Personen  beantragt,  indem  sich  hier 
durch  nach  und  nach  ein  Material  sammeln  werde,  welches,  wem 
auch  vielleicht  schwierig  kritisch  zu  beurteilen,  doch  geeigneter  ah 
das  blosse  Hörensagen  sein  würde,  um  Gewissheit  darüber  zu er¬ 
langen,  ob  die  jetzt  eingetretenen  Zustände  wirklich  ein  fortschreiten¬ 
des  Uebel  und  eine  steigende  Gefahr  für  das  öffentliche  Gesundheits 
wohl  in  sich  schliessen,  oder  ob  die  Ausübung  der  Heilkunde  durcl 
nichtapprobierte  Personen  auf  dem  Standpunkte  bleibt,  den  sie  bis¬ 
her  inne  hatte,  und  der  sich  wohl  auf  keine  Weise  jemals  wird  be 
seifigen  lassen. 

Zu  diesem  Zwecke  erachtet  das  Kgl.  Staatsministerium  des  In 
nern  es  für  angezeigt,  dass  ein  Verzeichnis  aller  jener  Individuen 
welche,  ohne  approbierte  Aerzte  zu  sein,  sich  mit  der  Heilung  vor 
Krankheiten  der  Menschen  abgeben,  in  tabellarischer  Form  herge 
stellt  und  in  demselben  deren  Name.  Alter,  Wohnort,  Nationalität 
Gewerbe  und  die  Art  und  Weise  der  Ausübung  der  Heilkunde  aut 
geführt  werde,  wobei  insbesondere  auch  Rücksicht  auf  das  nieder, 
ärztliche  Personal,  Hebammen,  Apotheker,  halbausstudierte  Medi 
ziner.  promovierte  Doktoren  zu  nehmen  ist. 

Sämtliche  Distriktspolizeibehörden  und  Physikate  werden  hier 
durch  angewiesen,  die  in  die  Kreise  ihrer  Beobachtung  fallender 
Vorkommnisse  von  Ausübung  der  Heilkunde  durch  nichtapprobierU 
Personen  sorgfältig  und  gewissenhaft  zu  sammeln  und  darüber  jahr 
lieh  bis  zum  1.  Februar  jeden  Jahres  an  die  Kgl.  Regierungen  gemein 
sam  zu  berichten.  .  . 

Bei  Herstellung  des  erwähnten  tabellarischen  Verzeichnisse' 
welches  genau  die  oben  angegebenen  Rubriken  auszuweisen  hat 
können,  soweit  erforderlich,  von  seite  der  Kgl.  Physikate  die  arzt 
liehen  Bezirksvereine  zur  Mitwirkung  veranlasst  werden.“  t 

Weiterhin  erging  eine  Ministerialentschliessung  vom  10.  Mar 
1896,  die  Ausübung  der  Heilkunde  durch  nichtapprobierte  Personei 
betreffend: 

..Nachdem  die  zum  Vollzüge  der  Ministerialentschliessung  von 
22.  Juli  1873  Nr  6600,  die  Ausübung  der  Heilkunde  durch  nicht  appro 
bierte  Personen  betr.,  seit  dem  Jahre  1875  alljährlich  gepflogene 
und  in  der  „Münch  med.  Wochenschr.“  veröffentlichten  Verzeichniss 
jener  Personen,  welche,  ohne  approbiert  zu  sein,  die  Heilkunde  aus 


25  August  19 H. _ MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


üben,  in  den  letzten  Jahren  ein  ziemlich  glcichmässiges  Bild  ergeben 
haben,  so  wird  die  KkI.  Regierung,  K.  d.  I„  angewiesen,  die  Her¬ 
stellung  und  Vorlage  des  benannten  Verzeichnisses  bis  auf  weiteres 

zu  unterlassen.“ 

Vom  Jahre  1896  an  nahm  also  die  bayerische  Staatsregierung 
amtlich  nicht  einmal  mehr  Kenntnis  von  der  Kurpfuscherei,  es  sind 
nur  in  den  Gencralsanitätsbcrichten  einzelne  besondere  Mitteilungen 
aus  den  Jahresberichten  der  Bezirksärzte  kurz  erwähnt  worden. 
Offenbar  hat  sich  aber  die  Staatsregierung  von  der  Unhaltbarkeit 
dieser  Nichtbeachtungspolitik  überzeugt.  Sie  will  doch  wenigstens 
wieder  sich  Kenntnis  verschaffen  von  den  Kurpfuschern  und  den  Ver¬ 
such  machen,  ihre  Tätigkeit  zu  überwachen  und  zu  beschränken.  In 
der  Dienstanweisung  für  die  Bezirksärzte  vom  23.  Januar  1912  lauten 
die  diesbezüglichen  Vorschriften: 

„XVIII.  Ausübung  der  Heilkunde  durch  Personen 
ohne  staatliche  Anerkennung. 

§  72. 

I.  Der  Bczirksarzt  hat  ein  Verzeichnis  der  in  seinem  Bezirke 
wohnenden  Personen,  die  ohne  die  entsprechende  staatliche  Anerken¬ 
nung  sich  gewerbsmässig  mit  der  Behandlung  von  Krankheiten, 
Leiden  oder  Körperschäden  bei  Menschen  befassen,  zu  führen  (An¬ 
lage  12). 

II.  Er  hat  den  Geschäftsbetrieb  dieser  Personen  ständig  im 
Auge  zu  behalten  und  besonders  darauf  zu  achten: 

dass  sie  sich  nicht  als  Arzt  bezeichnen  oder  sich  einen  ähn¬ 
lichen  Titel  beilegen,  durch  den  der  Glaube  erweckt  wird,  der 
Inhaber  sei  eine  geprüfte  Medizinalperson, 

dass  sie  nicht  mit  amtlichen  ärztlichen  Funktionen  betraut 
werden  und 

dass  sie  insbesondere  nicht  im  Urnherziehen  die  Heilkunde 
ausiiben  oder  Arznei-  und  Geheiminittel  sowie  Bruchbänder  feil¬ 
bieten  oder  anderen  käuflich  überlassen, 

ferner  dass  Frauen,  die  nicht  als  Hebammen  approbiert  sind, 
nicht  gewerbsmässig  geburtshilfliche  Handlungen  vornehmen. 

III.  Zuwiderhandlungen  sowie  Gesundheitsschädigungen  durch 
solche  Personen  sind  der  Distriktsverwaltungsbehörde  anzuzeigen.“ 

Die  erwähnte  Uebersicht  enthält  4  Rubriken:  Zahl  der  männ¬ 
lichen  und  weiblichen  Personen,  die  am  Jahresschlüsse  ohne  staat¬ 
liche  Anerkennung  die  Heilkunde  gewerbsmässig  ausüben,  ihren 
eigentlichen  oder  früheren  Beruf  und  die  vorzugsweise  behandelten 
Krankheiten. 

Dies  ist  natürlich  ungenügend  und  man  hätte  wohl  erwarten 
dürfen,  dass  die  bayerische  Staatsregierung  in  der  Novelle  zum 
Polizeistrafgesetzbuch,  in  der  sie  die  Vorschriften  bezüglich  der 
Bader  und  Hebammen  erweitert  und  wirksamer  gestaltet,  für  die 
Ki  ankenpfleger,  Desinfektoren,  Masseure  usw.  Strafandrohungen  bei 
Zuwiderhandlungen  neu  einführt,  sich  auch  eine  gesetzliche  Grund¬ 
lage  geschaffen  hätte,  um  bezüglich  der  Personen,  welche  ohne 
staatliche  Approbation  gewerbsmässig  die  Heilkunde  ausüben,  Ver¬ 
ordnungen  oder  Ministerialvorschriften  in  Zukunft  erlassen  zu 
können.  Welche  Massnahmen  im  einzelnen  gegen  die  Kurpfuscherei 
zu  ihrer  Ueberwachung  und  Einschränkung  angezeigt  erscheinen, 
braucht  jetzt  nicht  weiter  ausgeführt  zu  werden  und  kann  einer 
späteren  Beratung  in  der  bayerischen  ärztlichen  Standesvertretung 
Vorbehalten  werden.  Im  gegenwärtigen  Zeitpunkte  handelt  es  sich 
lediglich  darum,  die  richtige  Gelegenheit  nicht  zu  versäumen  und 
bei  der  bayerischen  Staatsregierung  sowie  bei  der  Kammer  der 
Abgeordneten  dahin  vorstellig  zu  werden,  dass  in  der  Novelle  zum 
Polizeistrafgesetzbuch  eine  gesetzliche  Grundlage  geschaffen  wird,  um 
über  den  Gewerbebetrieb  und  die  öffentlichen  Anpreisungen  der  nicht- 
ipprobierten  Hcilgewerbetreibendeti  Vorschriften  erlassen  zu  können. 

Das  Polizeistrafgesetzbuch  enthält  die  Grundlage  für  mehrfache 
Vorschriften,  die  sich  auf  die  Tätigkeit  der  Aerzte  beziehen  (An-  und 
Abmeldung,  Anzeigepflicht  bei  ansteckenden  Krankheiten,  Befugnis 
zur  Abgabe  von  Arzneien),  für  die  Regelung  der  Verhältnisse  des 
nännlichen  niederärztlichen  Personals,  die  Bader,  für  die  Befugnisse 
md  Verpflichtungen  der  Hebammen:  bezüglich  der  letzteren  schreibt 
Te  Reichsgewerbeordnung  lediglich  vor,  dass  sie  eines  Prüfungs¬ 
zeugnisses  der  nach  dem  Landesgesetze  zuständigen  Behörden  be- 
-iirten,  alles  weitere  ist  den  einzelnen  Bundesstaaten  überlassen. 
>ie  Novelle  will  auch  die  Krankenpfleger  und  andere  in  der  niederen 
lesundheitspflege  beruflich  tätigen  Personen  mit  einbeziehen.  Alle 
Jic  vorbenannten  Medizinalpersonen  haben  einen  durch  staatliche 
Vorschriften  geregelten  und  überwachten  Bildungsgang  durch - 
gemacht,  mit  Aufnahme  ihrer  Erwerbstätigkeit  übernehmen  sie  Be¬ 
fugnisse  und  Verpflichtungen,  sie  stehen  unter  der  Aufsicht  und 
eberwachung  des  Staates,  haben  sich  bei  den  Behörden  anzumelden 
md  bei  Zuwiderhandlung  gegen  ihre  Befugnisse  und  Pflichten  Straf- 
-inschreitung  und  Zurücknahme  ihrer  Berechtigung  zu  gewärtigen. 
ie  Kurpfuscher  dagegen,  auf  welche  ganz  besonders  das  Auge  des 
lesetzgebers  sich  richten  sollte,  welche  am  allermeisten  der  staat- 
lchen  Ueberwachung  bedürfen,  sollen  nach  wie  vor  schrankenlos 
md  unbehelligt  von  irgend  einer  gesetzlichen  Vorschrift  ihre  unheil¬ 
volle  Tätigkeit  ausiiben  können.  Hier  muss  der  Gesetzgeber  eiu- 
'Chreiten,  wenn  das  Staatswohl  nicht  noch  weiter  Schaden  leiden 
oll.  Die  Vorkehrungen  in  einer  grossen  Anzahl  deutscher  Bundes¬ 
staaten  wie  Preussen,  Sachsen,  Baden,  Oldenburg,  Anhalt,  Waldeck, 
•'Chaumburg-Lippe,  Lübeck,  Bremen  und  Hamburg  sollten  vorbildlich 


sein  für  den  zweitgrössten  Bundesstaat  Deutschlands.  Sonst  wird 
er  mit  der  Zeit  ein  Eldorado  für  alle  unlauteren  Elemente,  die  in 
den  anderen  deutschen  Bundesstaaten  sich  nicht  recht  behaglich 
fühlen  und  nach  Bayern  verziehen,  wo  keine  staatliche  Behörde  von 
ihnen  die  geringste  Notiz  nimmt,  kein  Beamter  sic  überwacht,  kon¬ 
trolliert  oder  behelligt,  kein  Gesetz  auch  nur  die  geringste  Straf- 
einschreitung  vorsieht.  Darum:  Videant  consules,  ne  quid  detrimenti 
capiat  res  publica! 


Bücheranzeigen  und  Referate. 

Handbuch  der  allgemeinen  Pathologie,  Diagnostik  und  Therapie 
der  Herz-  und  Gefässerkrankungen  unter  Mitwirkung  von  Prof.  Dr. 
Karl  E  w  a  1  d,  Dr.  Fritz  Falk  (gestorben),  Dr.  Leo  Hess,  Prof. 
Dr.  G.  Holzknecht,  Privatdozent  Dr.  R.  Kaufmann,  Privat¬ 
dozent  Dr.  Albert  v.  M  ii  1 1  e  r  -  D  e  h  a  m,  Privatdozent  JAr.  0.  Por- 
ges,  Prof.  Dr.  Emil  Reimann,  Prof.  Dr.  Julius  Rothberger, 
S  a  1  o  m  o  n,  Dr.  Paul  Saxl,  Privatdozent  Dr.  Gott- 
vvald  Schwarz,  Prof.  Dr.  Oskar  S  t  ö  r  k,  Privatdozent  Dr.  Otto 
Wiesel,  Privatdozent  Dr.  R.  Ritter  v.  Wiesner  und  Prof.  Dr. 
Heinrich  Winterberg.  Herausgegeben  von  Privatdozent  Dr. 
Nikolaus  Jagic  in  Wien.  3.  Band,  2.  Teil.  Leipzig  und  Wien, 
Franz  Deu  ticke,  1914.  Seite  461—879.  Preis  15  M. 

Die  bereits  früher  erschienenen  Teile  des  Werkes  wurden  hier 
bereits  in  kurzer  Besprechung  gebracht.  Der  2.  Teil  des  3.  Bandes 
enthält  folgende  Hauptkapitel:  Funktionsstörungen  und  Funktions¬ 
prüfungen  der  inneren  Organe  bei  Erkrankungen  des  Herzens  und  der 
Gefässe,  dies  von  Dr.  F.  Falk  und  Dr.  Paul  Saxl;  dann  einen  Ab¬ 
schnitt  über  die  physikalische  Therapie  der  Herz-  und  Gefässkrank- 
heiten  von  letzterem  Autor,  einen  weiteren  Abschnitt  über  die  diäte¬ 
tische  Behandlung  der  Herz-  und  Gefässkrankheiten  von  Prof. 
H.  S  a  1  o  m  o  n  und  Dr.  Paul  Saxl.  Dann  einen  grossen  Abschnitt 
über  die  experimentelle  Analyse  der  Herz-  und  Gefässmittel  von 
Prof.  Heinrich  Wihnterberg,  dem  sich  ein  Abschnitt  „medika¬ 
mentöse  Therapie  der  Herz-  und  Gefässerkrankungen“  von  Privat¬ 
dozent  Dr.  N.  v.  Jagic  anschliesst,  endlich  die  chirurgische  Behand¬ 
lung  der  Erkrankungen  des  Herzens  und  des  Herzbeutels  sowie  der 
Gefässe  von  Prof.  Dr.  Karl  Ewald.  Der  an  erster  Stelle  genannte 
Abschnitt  bringt  die  zusammenfassende  Darstellung  eines  Gebietes, 
welches  in  den  meisten  Handbüchern  im  allgemeinen  kurz  abgetan 
wird.  Besprochen  sind  im  einzelnen  die  Verhältnisse  der  Lungen, 
Leber,  Magen  und  Darm,  der  Niere,  letzterer  Abschnitt  vertrüge 
vielleicht  eine  noch  weitere  Ausgestaltung.  Der  Hauptanteil  des  zu 
besprechenden  Bandes  liegt,  wie  ersichtlich,  auf  dem  Gebiete  der 
Therapie  und  bringt  speziell  durch  die  eingehende  Darstellung  des 
Pharmakologischen  auf  dem  Gebiete  der  Herz-  und  Gefässkrank¬ 
heiten  die  zurzeit  wohl  eingehendste  und  beste  Zusammenstellung 
des  literarischen  Materials  über  diese  Fragen.  Wie  in  den  früheren 
Teilen,  so  ist  auch  in  diesem  Bande  die  einschlägige  Literatur  in 
besonders  weitgehender  und  kritischer  Weise  verarbeitet,  so  dass 
über  das  in  Frage  stehende  Gebiet  bisher  Erschienene  eine  wirk¬ 
liche  Bereicherung  der  Literatur  darstellt.  Die  Physiologie  und  die 
pathologische  Physiologie  finden  im  Rahmen  des  Werkes  eine  be¬ 
sonders  hervorragende  Betonung. 

Dr.  Karl  Grass  manh  -  München. 

O.  C.  Grüner:  The  biology  of  the  blood-cells.  Bristol,  John 
W  r  i  g  h  t  and  Sons  Ltd.,  1913.  Preis  21  sh. 

Das  in  erster  Auflage  erscheinende,  392  Seiten  umfassende  Buch 
bietet  die  Forschungsresultate  der  theoretischen  Hämatologie  in  einer 
Form  dar,  die  sicher  vielen  willkommen  sein  wird.  In  sehr  über¬ 
sichtlicher  Anordnung,  unter  Verwendung  zahlreicher  Diagramme, 
schematischer  Zeichnungen,  Kurven,  Uebersichtstabellen  und  farbiger 
Tafeln  werden  die  einzelnen  Zellarten  in  ihrer  Morphologie  und  Bio¬ 
logie  von  ihrer  Entstehung  bis  zu  ihrem  Untergang  nach  dem  jetzigen 
Stand  unserer  Kenntnisse  in  7  Kapiteln  ausführlich  dargestellL  Wir 
finden  je  ein  Kapitel  über  die  „Primordialzelle“  (=  Mutterzelle  aller 
Blutkörperchen,  Lymphoidozyt),  die  roten  Blutzellen,  die  Lympho¬ 
zyten,  die  grossen  mononukleären  Leukozyten,  die  neutrophilen 
Leukozyten,  über  Phlogozyten  (dabei  Eosinophile  und  Mastzellen) 
und  über  Zellbildung  in  den  blutbildenden  Geweben.  Die  Anreihung 
eines  25  Seiten  umfassenden  Vokabulariums  mit  einer  entsprechenden 
Erklärung  hämatologischer  Fachausdrücke  verdient  bei  der  gerade 
auf  diesem  Gebiet  eingerissenen  babylonischen  Sprachverwirrung 
besonders  freudig^  begrüsst  zu  werden.  In  seinen  Anschauungen  ist 
der  Verfasser  offenbar  von  Pappenheim  beeinflusst,  dessen 
Schriften  er  nach  einer  Acusserung  im  Vorwort  ganz  besonderen 
Dank  schuldet.  Die  farbigen  Zellbildcr  sind  zum  grössten  Teil  recht 
schön.  H.  Kämmerer-  München. 

D.  0.  K  u  t  h  y  -  Pest  und  A.  W  o  I  f  f  -  E  i  s  n  e  r  -  Berlin:  Die 
Prognosenstellung  bei  der  Lungentuberkulose.  Urban  & 
Schwarzenberg.  Berlin  und  Wien.  532  Seiten.  Geheftet 
M.  18. — ,  gebunden  M.  20. — . 

Die  Verfasser  haben  sich  hier  an  eine  Aufgabe  gemacht,  die  bis¬ 
her  noch  nirgends  eine  lehrbuchmässige  Behandlung  erfahren  hat. 
Und  sie  haben  sich  ihrer,  wie  schon  die  hohe  Seitenzahl  und  ein 
Literaturregister  von  1002  Nummern  anzeigt,  mit  einer  geradezu 
profunden  Gründlichkeit  erledigt.  Bei  der  Lektüre  des  Buches  findet 


1S48 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCIiENSCHRlET. 


Nr.  34. 


man  kaum  einen  noch  so  entlegenen  Punkt,  der  sich  mit  der  Prognose 
der  Lungentuberkulose  verknüpfen  Hesse,  unbehandelt  gelassen,  und 
so  steckt  schliesslich  in  dem  Buche  nicht  weniger  als  eine  ziemlich 
erschöpfende  pathologische  Anatomie,  Diagnostik  und  Therapie  der 

Auf  Einzelheiten  einzugehen,  ist  bei  der  überreichen  Fülle  des 
Stoffes  nicht  möglich.  Dass  die  Prognose  der  Lungentuberkulose 
eines  der  heikelsten  Kapitel  in  der  ganzen  Medizin  ist,  und  dass  aut 
diesem  Gebiet  die  allergrössten  lrrtümer  vorgekommen  sind  und  noch 
täglich  Vorkommen,  das  wird  jedem  Arzte  mit  steigender  Erfahrung 
immer  klarer,  und  es  ist  sehr  wohl  zu  verstehen,  wenn  manche  Prak¬ 
tiker  —  und  nicht  die  schlechtesten  —  bei  manifester  Tuberkulose 
jede  Aussage  für  die  Zukunft  ablehnen.  Einer  solchen  Skepsis  positive 
Tatsachen  entgegenzustellen,  ist  der  Zweck  des  Buches,  und  an¬ 
gesichts  der  eminenten  Schwierigkeit  der  Materie  muss  man  zu¬ 
gestehen,  dass  beide  Verfasser  es  verstanden  haben,  das  beste  daraus 
zu  machen.  *venn  man  ihnen  auch  nicht  in  allem  folgen  kann. 

Ob  die  Breite  der  Darstellung  —  das  Tuberkulin  nimmt  allein 
77  Seiten  für  sich  in  Anspruch  —  der  Einführung  in  die  Praxis  nicht 
mehr  hinderlich  als  fördernd  ist,  darf  man  füglich  bezweifeln.  Aber 
wünschenswert  wäre  es  immerhin,  wenn  es  recht  viele  Aerzte  gäbe, 
die  noch  ein  solches  Buch  lesen.  Für  die  dem  Fleisse  der  Verfasser 
zu  wünschende  zweite  Auflage  wäre  aber  eine  Zusammenlegung  des 
Stoffes  wohl  zu  empfehlen,  und  vielleicht  darf  dem  einen  auch  der 
Wunsch  nach  einem  besseren  Deutsch  nahegelegt  werden. 

L.  S  a  a  t  h  o  f  f  -  Oberstdorf. 

v  Bruns,  Gar  re  und  Küttner:  Handbuch  der  praktischen 
Chirurgie.  IV.  Aufl.  4.  Band.  Stuttgart,  Ferd.  Enke,  1914. 

Als  stattlicher  Band  ist  der  Band  4  des  Handbuches  jetzt  er¬ 
schienen.  Er  umfasst  die  Chirurgie  der  Wirbelsäule  und  des  Beckens. 
Rückenmark  und  Wirbelsäule  bearbeitet  von  H  e  n  1  e,  der  Abschnitt 
Skoliose  gemeinsam  mit  Drehmann;  knöchernes  Becken  ein¬ 
schliesslich  Gefässe  und  Nerven  von  Steinthal;  Nieren  und  Harn¬ 
leiter  von  Kümmell  und  Gr  aff,  männliche  Harnblase  von 
O.  Zuckerkand  1,  männliche  Harnröhre  und  Penis  von  Raram- 
stedt;  weibliche  Harnorgane  von  Stoeckel;  Prostata  von 
Schlange;  Hoden  von  v.  Bramann  und  Rammsted t.  Die 
Darstellung  ist  sachgemäss,  die  Ausstattung  (363  z.  T.  farbige  Ab¬ 
bildungen)  vorzüglich.  H  e  1  f  e  r  i  c  h. 

Pharmazeutische  Rundschau. 

Von  Dr.  Max  Winckel  in  München. 

Trotz  der  immer  mehr  an  Boden  gewinnenden  physikalischen 
und  gymnastischen  Heilmethoden,  trotz  Wasser-,  Luft-  und  Licht¬ 
behandlung,  trotz  Höhen-,  See-  und  Wüstenklima,  Balneotherapie, 
Elektro-,  Röntgen-  und  Radiumtherapie  etc.  gewinnt  man  man  beim 
Studium  statistischer,  die  Pharmazie  betreffender  Zahlen  die  Ueber- 
zeugung,  dass  die  Pharmazie  unter  diesen  arzneimittellosen  Behand¬ 
lungsweisen  nicht  allzusehr  zu  leiden  hat;  allerdings  ist  die  Rezept¬ 
zahl  für  medikamentöse  Zubereitungen  erheblich  zurückgegangen, 
dafür  sind  aber  die  Arzneimittelspezialitäten  gekommen,  die  dem  Apo¬ 
theker  eine  entsprechende  Entschädigung  bieten.  Die  Pharm.  Ztg. 
sagt  auf  Seite  348  (1914):  „An  die  Stelle  des  Rezeptes  ist  die  Spe¬ 
zialität  getreten  und  da  diese  jetzt  durchschnittlich  einen  Verdienst 
von  50—100  Proz.  gewährt,  steht  sie  an  Einträglichkeit  dem  Rezept 
nicht  nur  nicht  nach,  sondern  übertrifft  dasselbe  insofern,  als  die 
Verabreichung  einer  Spezialität  mit  viel  weniger  Zeit  und  Mühe  ver¬ 
knüpft  ist,  als  die  Anfertigung  eines  Rezeptes.  Der  Verkaufs-  zum 
Einkaufspreis  steht  jetzt  allgemein  so,  dass  dem  Apotheker  ein  Nutzen 
bleibt,  den  ihm  das  Rezept  nicht  in  allen  Fällen  gewährt.  Die  Klage 
über  den  Rückgang  der  Rezeptur  ist  somit,  bei  Lichte  besehen,  nicht 
ganz  berechtigt.  Und  wenn  sich  der  Apotheker  dadurch  etwas  tom 
Arzte  emanzipiert  und  nicht  nur  auf  dessen  Rezeptverschreibung  an¬ 
gewiesen  ist,  sondern  zur  Not  auch  vom  Handverkauf  leben  kann, 
so  ist  das  weiter  als  kein  Unglück  zu  betrachten. 

Die  erwähnten  statistischen  Zahlen  finden  sich  zum  Teil  in  den 
Jahresberichten  von  Gehe&Co!,  Dresden,  nach  denen  der  Gesamt¬ 
umsatz  (Einfuhr  und  Ausfuhr)  der  chemisch-pharmazeutischen  In¬ 
dustrie  im  abgelaufenen  Jahre  1  386  799  000  M.  betragen  haben,  womit 
gegen  das  Jahr  1912  eine  Erhöhung  um  145  513  000M.  erreicht  wurde. 
Mit  dieser  Wertsteigerung  steht  die  pharmazeutische  Industrie  an 
der  Spitze  des  gesamten  auswärtigen  Handels. 

Die  Handelsgesellschaft  deutscher  Apotheker  G.m.b.H.  Berlin 
mit  ihren  6  Filialen  (Köln,  München,  Dresden,  Breslau,  Hamburg, 
Frankfurt  a.  M.)  konnte  ihren  Umsatz  auf  24  Millionen  Mark  steigern 
und  erzielte  einen  Reingewinn  von  1,66  Millionen. 

Einen  weiteren  Beweis  für  die  Lebenskraft  der  Pharmazie 
bringen  die  verschiedenen  wissenschaftlichen  Arbeiten  und  Vorträge, 
wie  sie  in  den  pharmazeutischen  Fachzeitschriften,  teilweise  auch  in 
den  Jahresberichten  der  grossen  chemisch-pharmazeutischen  Fa¬ 
briken  niedergelegt  sind.  —  Aus  dem  Berner  pharmazeutischen 
Institut  veröffentlicht  H.  Dichgans  fortlaufend  in  der  Apoth.-Ztg. 
„vergleichende  Untersuchungen  der  in  die  Pharmakopoen  aufgenom¬ 
menen  Wertbestimmungen  stark  wirkender  Drogen  und  den  aus 
diesen  Drogen  hergestellten  Präparaten“.  Die  Ergebnisse  dieser 
Untersuchungen  zeigen,  dass  die  Vorschriften  für  die  Bestimmung  der 
Alkaloide  bei  vielen  Pharmakopoen  durchaus  ungeeignet  sind.  Ent¬ 
weder  erzielt  man  nach  denselben  keine  dem  tatsächlichen  Gehalt 


entsprechenden  Resultate  oder  aber  die  Vorschriften  sind  durch  ihre 
Umständlichkeit  ungeeignet  für  die  Praxis.  Die  Arbeit  legt  den 
dringenden  Wunsch  nach  internationalen  Standardzahlen  und  Ur¬ 
schriften  nahe.  -  Oberapotheker  H.  L  i  n  k  e  -  Berlin  bringt  in  einer 
Reihe  von  Artikeln  in  der  Apoth.-Ztg.  „Ergebnisse,  Beobachtungen 
und  Betrachtungen  bei  der  Untersuchung  unserer  Arzneimittel“, 
Üg  He  v  1  und  P.  Kneip  „Mikrosublimation  von  Flechtenstoffen". 
K. 'Feist  (Apoth.  Ztg.  1914  S.  354)  „Ueber  die  Zusammensetzung 
einiger  Geheimmittcl  und  Spezialitäten  ;  derselbe,  der  gelegentlich  der 
Tagung  des  Vereins  deutscher  Chemiker  in  der  Fach¬ 
gruppe  für  medizinisch -  pharmazeutische  Chemie 
,  Ueber  die  Konstitution  und  Wirkung  der  Arzneimittel“  einen  Vortrag 
hielt  Ebendortselbst  trug  C.  M  a  n  n  i  c  h  über  „Auswüchse  der  modernen 
Heilmittelproduktion“  vor,  ein  Vortrag,  der  in  Nr.  25,  S.  1402  d.  Wschr.  j 
zum  Abdruck  gelangte.  Im  Provinzialausschuss  Hannover  für  Fort¬ 
bildungskurse  der  Apotheker  sprach  C.  M  a  n  n  i  c  h  „Ueber  die  Ana¬ 
lyse  der  Geheimmittel“.  Einen  äusserst  interessanten  Vortrag  hielt 
Ö  Tun  mann  -  Bern  in  der  Deutschen  pharmazeutischen 
Gesellschaft  in  Berlin  „Ueber  Mikrochemie  und  Biologie  der  ; 
Pflanze“  und  Max  Hart  mann  in  der  Münchener  pharmaz. 
Gesellschaft  „Ueber  Diastase  in  Technik  und  Wissenschaft". 
Bemerkenswerte  Untersuchungen  über  „Alkali  des  Glases"  hat 
Stabsapotheker  D  r  o  s  t  e  -  Hannover  gemacht  (Apoth.  Ztg.  1914 
S  381).  Bekanntlich  wirkt  das  Alkali  des  Glases  unter  Umstanden 
auf  die  in  den  Glasgefässen  aufbewahrten  Substanzen  zersetzend  ein. 
Die  sehr  empfindlichen  neueren  Heilmittel  organischer  Natur,  z.  B. 
Salvarsaft,  Skopolamin  etc.  können  bei  längerer  Aufbewahrung  schon 
durch  Spuren  des  im  Glas  vorhandenen  Alkalis  zersetzt  werden. 
„Das  dritte  Getränk“  betitelt  sich  ein  Aufsatz  von  P.  Siedler 
(Pharm  Ztg.  1914  S.  283),  in  welchem  er  über  eine  Gruppe  alkohol¬ 
freier  Getränke  berichtet,  die  durch  natürliche  Vergärung  zwar  reich  i 
an  Kohlensäure  werden,  jedoch  arm  an  Alkohol  sind,  solche  Ge¬ 
tränke  werden  aus  Fruchtsäften  durch  Vergären  mit  einem  beson¬ 
deren  Gärungserreger,  der  aus  dem  Zucker  Kohlensäure,  aber  keinen 
Alkohol  entwickelt,  hergestellt.  Diese  Getränke  kommen  unter  dem  ; 
Namen  Boa-Li  in  den  Handel.  .... 

Aus  dem  pharmazeutischen  Laboratorium  der  Universität  Döt¬ 
tingen  publizieren  C.  M  a  n  n  i  c  h,  G.  Leemhuis  und  S.  Kroll 
die  Ergebnisse  ihrer  Untersuchungen  über  neue  Arzneimittel 
(Apoth.-Ztg.): 

Algocratine,  von  E.  Lancosme-  Paris,  soll  eine  künst¬ 
liche  Base  sein,  die  in  eine  besondere  Klasse  der  Pyrazolonbasen  ge¬ 
hört;  in  Wirklichkeit  ist  es  nichts  anderes  als  ein  Gemisch  aus! 
50  Phenazetin,  10  Koffein  und  40  Pyramidon  (Apoth.  Ztg.  Nr.  49). 

Kalamax,  ein  Mittel  zur  Wiedererlangung  der  natürlichen 
Haarfarbe,  besteht  aus  einer  Lösung  von  Wismuttartrat. 

Addyol.  Unter  diesem  Namen  wird  von  E.  Schulte-! 
Düsseldorf' „ein  hervorragendes  Mittel  bei  Verbrennungen  aller  Art" 
auf  den  Markt  gebracht;  es  besteht  aus  einer  1  proz.  Pikrinsäure¬ 
lösung.  —  ! 

S  a  1  i  c  o  1.  Dr.  W  e  i  t  e  m  e  y  e  r  hat  „gemeinsam  mit  einem 
Chemiker“  seine  Salikotabletten  geändert  und  sie  sollen  nunmehr 
reines  Acidum  aceto-citrylo-salicylicum  präsentieren.  Prof.  C.  Man- 
nich  berichtet  folgendes  über  den  „neuen  Körper“:  „Die  neue,  che¬ 
mische  Verbindung  besteht  aus  freier  Salizylsäure  mit  einem  Gehalt 
von  3,5  Proz.  Zitronensäure;  esterartige  Verbindungen  sind  nur  in 
ganz  untergeordneter  Menge  zugegen.  Der  Erfolg  Dr.  Weite¬ 
meyers  und  seines  Chemikers  besteht  also  im  wesentlichen  darin, 
die  Azetylsalizylsäure  aufgespalten  zu  haben;  gewiss  ein  Triumph 
der  Arzneimittelsynthese!“  (Apoth.  Ztg.  1914  Nr.  52). 

Thiorubrol  ist  ein  S'chwefelbadzusatz,  über  den  O.  An¬ 
se  1  m  i  n  o  und  C.  R  i  p  p  i  n  Untersuchungen  angestellt  haben  (Apoth. 
Ztg.  Nr.  40).  Es  ist  eine  weiche,  überfettete  Schwefelseife,  die  mit 
Ausnahme  des  geringen,  als  Sulfatschwefel  (0,1—0,16  Proz.)  ent¬ 
haltenen  Schwefels  den  Schwefel  in  einer  an  die  Fettsäure  gebun¬ 
denen  Form  enthält;  derselbe  beträgt  2,5  Proz. 

Felkesche  Präparate.  Von  der  Fabrik  chemisch-pharma¬ 
zeutischer  Präparate  „B  o  eb  u  c  o“,  Gelsenkirchen,  werden  zahlreiche 
homöopathische  Präparate,  die  nach  den  Grundsätzen  der  Felke- 
schen  Heilweise  (Pastor  Felke)  hergestellt  sein  sollen,  in  den  Han¬ 
del  gebracht.  Von  diesen  Präparaten  sind  von  C.  Mann  ich  und 
G.  Leemhuis  folgende  untersucht  worden  (Apoth.  Ztg.  1914  Nr. 22, 
23,  ref.  Pharm.  Ztg.  1914  S.  263): 

Santa  Flora,  ein  Asthmamittel,  enthält  laut  Deklaration 
„Verba  santa,  Lobelia,  Stramonium,  Hyoszyamus,  Mekonium,  Akonitum 
in  1  bis  4  Dez.-Pot“.  —  Unter  Verba  santa  ist  das  Kraut  von  Eriodic- 
tion  glutinosum  zu  verstehen.  Nach  der  Untersuchung  besteht 
Santa  Flora  in  der  Hauptsache  aus  verdünntem  Weingeist,  der 
0,9  Proz.  Pflanzenextrakt  gelöst  enthält. 

Milztonicum,  ein  Abführmittel,  enthält  laut  Deklaration 
„Rheum,  Podophyllum,  Kardamomum,  Zinnamomum  in  1 — 4  Dez.-Pot. 
Vinum  et  corrig.“  Nach  der  Analyse  ist  Milztonikum  im  wesentlichen 
eine  weinige  Rhabarbertinktur,  welche  in  100  ccm  12,5  Proz.  Alkohol 
und  9,2  Proz.  Pflanzenextrakt  enthält. 

Weisser  Nerven  wein,  ein  Nervenstärkungsmittel  ent¬ 
hält  nach  der  Analyse  5,71  Vol.-Proz.  Alkohol,  etwas  Baldriantinktur, 
4,8  Proz.  Extrakt  und  ca.  0,1  Proz.  eines  Bromsalzes. 

Roter  Nerven  wein,  ebenfalls  ein  Nervenstärkungs¬ 
mittel,  soll  enthalten:  „Aur.  chlor.  China,  Ferr.  acet.,  Veratr.  alb.  Kal. 
carb.,  Ambra,  Castor.  in  4 — 8  Dez.-Proz.,  Vinum  et  corrig.“  1° 


:5.  August  1914. 


MUHNCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


1849 


100  ccm  rotem  Nervenwein  waren  enthalten:  Alkohol  7,57  Vol.-Proz., 
Extrakt  9,4  Proz.  Im  Extrakt  war  Zitronensäure  nachweisbar.  Beim 
Veraschen  Innterblieben  0,17  Proz.  Mineralstoffe.  In  der  Asche 
konnten  Eisen,  Spuren  von  Erdalkalien,  Natrium,  Kalium,  Phosphor¬ 
saure  und  Salzsaure,  dagegen  kein  Silber  und  Gold  nachgewiesen 
werden.  Ebenfalls  waren  Alkaloide  —  Chinin,  Veratrin  —  nicht  zu¬ 
gegen.  Mittels  Chloroform  Hessen  sich  aus  der  vom  Alkohol  be¬ 
ireiten  Flüssigkeit  geringe  Mengen  einer  fettartigen  Substanz  iso¬ 
lieren,  welche  die  Cholesterinreaktion  gab. 

Glicht  wein.  In  100  ccm  Gichtwein  waren  enthalten:  Alkohol 
5,5  Vol.-Proz.,  Extrakt  10,99  Proz.  Im  Extrakt  war  Zitronensäure 
nachweisbar.  Beim  Veraschen  hintcrblieben  0,11  Proz.  Mineralstoffe 
Eehlingsche  Lösung  wurde  vor.  der  Flüssigkeit  stark  reduziert. 

Herz  g o  1  d,  ein  Stärkungsmittel  hei  Herzschwäche,  usw.  soll 
enthalten.  „Essent.  dulc.  Ignat.  Digital.  Sarnbuc.,  Natr.  sulf.,  Aur 
chlorat.  in  4—8  Dez.-Proz.,  Vin.  et  corrig.“  In  100  ccm  Herzgold 
waren  enthalten:  Alkohol  5,44  Vol.-Proz.,  Extrakt  11,8  Proz.,  Aschcn- 
rückstand  0,21  Proz.  Im  Extrakt  war  Zitronensäure  nachweisbar 
In  der  Asche  war  neben  Erdalkalien,  Kalium,  Phosphorsäure,  Salz¬ 
säure,  Schwefelsäure,  hauptsächlich  Natrium  vorhanden.  Alkaloide 
waren  auch  hier  nicht  nachweisbar. 

'  Dolorosa  enthält  laut  Deklaration:  „Viburn.,  Aloe,  Thymus 
t/haraomiU.,  Rosmar.,  Gram.,  Viol.,  Hydrast.  in  4—8  Proz.“  Die 
Bestimmung  der  üblichen  Konstanzen  ergab  in  100  ccm  Dolorosa:  Al- 
'«•jol  4,71  \  ol.-Proz.,  Extrakt.  20,14  Proz.,  Aschenrückstände 

>,114  1  roz.  Im  Extrakt  war  Zitronensäure  nachweisbar. 

Migränelikör  soll  folgende  Bestandteile  haben:  „Iris,  Mo- 
chus,  Castor ,  Asa  foetida,  Valer.,  Serpyll.,  Colocynth.,  Coffea,  Natr 
ulf.  in  4—8  Dez.-Pot.,  Vinum  et  corrigens.“  In  100  ccm  Migräne- 
ikör  waren  enthalten:  Alkohol  5,94  Vol.-Proz.,  Extrakt  7,9  Proz.  Im 
.xtrakt  war  Zitronensäure  nachweisbar.  Beim  Veraschen  hinter- 
'lieben  0,21  Proz.  Mineralstoffe,  im  wesentlichen  Natrium.  Koffein 
\ar  nicht  nachweisbar. 

Nach  diesen  Untersuchungen  bestehen  Roter  Nervenwein,  Gicht- 
>em.  Herzgold,  Dolorosa  und  Migränelikör  in  der  Hauptsache  aus 
iner  weinartigen,  unter  Zusatz  von  Zitronensäure,  bereiteten  Flüssig¬ 
en,  welche  mehr  oder  weniger  Pflanzenextrakte  gelöst  enthält  Al- 
aloide  sind  nicht  vorhanden,  jedenfalls  nicht  in  nachweisbarer 
Aenge. 

Lungensirup  soll  Kal.  Sulfoguajakol,  Verba  Santa,  Me- 
omum  D.  IV,  Vin.  et  corrig.  enthalten.  Nach  der  Untersuchung 
esteht  Lungensirup  im  wesentlichen  aus  ca.  58  Proz.  Zucker,  3,7  Proz. 
cilium  sulfoguajacolicum,  etwas  Wein  und  Pomeranzensirup  als  Ge- 
dimackscorrigens. 

Pflanzentonicum,  ein  Stärkungsmittel,  ist  nach  der  Aua- 
se  ein  wässeriger  Auszug  aus  emedinhaltigen  Drogen,  dem  Zucker 
nd  Alkohol,  sowie  geringe  Mengen  Kampfer  und  eines  Eisenprä- 
arates  zugesetzt  sind. 

Von  Prof.  Feist  (Apoth.  Ztg.  Nr.  33  ref.  Pharm.  Ztg.  1914 
.  369;  wurden  folgende  Präparate  untersucht: 

Nervin  um  ist  eine  verdünnte  alkoholische  Lösung  von  äthe- 
schen  Oelen,  unter  denen  sich  Lavendel-,  Zimt-  und  Koniferenöle 
Lirch  den  Geruch  bemerkbar  machen.  Da  diese  Oele  Sauerstoff 
ionisieren,  so  ist  dieser  Mischung  eine  gewisse  ozonisierende  Wir- 
ang,  die  nach  der  Angabe  des  Herstellers  vorliegen  soll,  nicht  ab- 
rsprechen. 

Okasa  (Mittel  gegen  Fettsucht)  besteht  aus  Okasa  I  und 
kasa  III  in  Tabletten,  die  künstliche  Mineralsalze  ungemischt  ent- 
dten  sollen,  und  Okasa  II,  das  als  Sauerstoffpräparat  bezeichnet  ist. 
kasa  1  besteht  nach  der  Analyse  aus  einem  Gemisch  von  Alkali- 
irbonaten,  -Sulfaten  und  -Chloriden  mit  etwas  Stärke  als  Binde¬ 
rnd :  in  Okasa  III  wurden  gefunden  neben  Kalziumkarbonat,  Ma- 
lesium  und  Alkalien,  sowie  die  Säuren:  Schwefelsäure,  Kohlensäure 
id  Salzsäure;  Okasa  II  besteht  im  wesentlichen  aus  karbonat- 
iltigem  Magnesiumsuperoxyd  und  Kalziumphosphat. 

P  r  i  e  s  1 1  e  y  p  u  I  v  e  r  soll  nach  Angabe  des  Darstellers  bestehen 
s  ^  Teilen  Natron  und  1  Teil  „basischkohlensaurem  Magnesium¬ 
peroxydhydrat“.  Bei  der  Analyse  konnten  beträchtliche  Mengen 
unumbikarbonat  und  aktiver  Sauerstoff,  etwa  5,8  Proz.  Magnesium- 
Peroxyd  entsprechend,  festgestellt  werden. 

Sprengels  Kräutersaft  besteht,  wie  in  Uebereinstim- 
Jng  mit  früheren  Analysen  ermittelt  wurde  ,aus  einem  wenig  Wein- 
ist  enthaltenden  Infus  aus  Rad.  oder  Succ.  Liquirit.  und  Cort. 
ang,  in  welchem  Tubera  Jalapae  plv.  suspensiert  enthalten  ist,  und 
ar  wurden  3,35  Proz.  Jalapenpulver  und  10,3  Proz.  Alkohol  quan- 
ativ  festgestellt. 

.  -i^  ^ u1  °.z H  so^  na.ch  Angabe  des  Darstellers  Magnesiumsuper- 
:>a.  Physiologische  Nährsalze,  Lezithinderivate,  Malzextrakt  und  ; 
lenzucker  enthalten.  Durch  die  chemische  Analyse  konnten  diese  ! 
l-fc  e.n  *m  wesentlichen  bestätigt  werden:  die  physiologischen 
rsalze  scheinen  nach  den  Ergebnissen  ähnlicher  Natur  zu  sein, 
f.  das  ’m  ..Nervenkraftnährsalz“  und  im  „Sauerstoffeiweiss“  ent- 
Cne  Dl\,RieRels  Nährsalz  (siehe  da).  Quantitativ  wurden 
“  *  roz-  Magnesiumsuperoxyd  ermittelt. 

ii  ^e..rven'<raftnährsalz  enthält  nach  Angabe  des  Hcr- 
1  ers  Magnesiumsuperoxyd  6,0,  „Kalziumtonol“  12,0,  Puderzucker  7,0, 

>  zextraktpiilver  60,0.  Durch  die  chemische  Analyse  wurden  diese 
K a.  . 5n  Qualitativ  im  wesentlichen  bestätigt,  statt  6  konnten  jedoch 
r  L2  I  roz.  Magnesiumsuperoxyd  festgestellt  werden, 
sauerstoffeiweiss  besteht  laut  Angabe  aus  Magnesium¬ 


superoxyd  8,0,  Dr.  Riegels  Nährsalz  4,0,  Milchzucker  25,0, 
Dr.  Klopfers  Pflanzenei weiss  65,0.  Die  Analyse  ergab  die  An¬ 
wesenheit  von  Magnesium,  Kalium,  Natrium,  Chlor  (Salzsäure), 
Schwefelsäure  und  Phosphorsäure,  sowie  der  weiteren  aufgeführten 
Bestandteile,  doch  konnten  nur  1,62  Proz.  Magnesiumsuperoxyd  und 
56, J  1  roz.  Eiweiss  quantitativ  ermittelt  werden. 

Sauerstoffmalzextrakt  besteht  laut  Angabe  aus 
Magnesiumsuperoxyd  10,0,  Milchzucker  30,0,  Malzextraktpulver  60,0. 
Die  chemische  Analyse  gab  qualitativ  keine  abweichenden  Befunde, 
doch  lieferte  die  quantitative  Bestimmung  nur  2,77  Proz.  Magnesium¬ 
superoxyd. 

Sauerstoffnährsalz  Nr.  2  besteht  nach  den  durch  die 
Analyse  bestätigenden  Angaben  des  Herstellers  aus  Magnesiumsuper¬ 
oxyd  25,0  und  Milchzucker  75,0. 

Br  ausendes  Sauerstoffnährsalz  Nr.  3  soll  nach  An¬ 
gabe  des  Darstellers  enthalten:  Magnesiumsuperoxyd  25,0,  Natrium¬ 
bikarbonat  28,0,  Puderzucker  15,0,  Weinsäure  26,0,  Cremor  tatari  6,0. 
^ich  die  Analyse  konnten  neben  den  anderen  Bestandteilen  nur 
4,76  Proz.  Magnesiumsuperoxyd  festgestellt  werden. 

Brausendes  Sauerstoff  nährsalz  Nr.  3p  besteht  laut 
Angabe  des  Darstellers  aus  Magnesiumsuperoxyd  23,0,  Natrium¬ 
bikarbonat  26,0,  Puderzucker  14,0,  Weinsäure  23,0,  Cremor  tatari  5,0, 
Pepsin  9,0.  Durch  die  Analyse  konnten  statt  23  nur  4,68  Proz. 
Magnesiumsuperoxyd  nachgewiesen  werden  und  der  Verdauungs¬ 
versuch  entsprach  nicht  der  angegebenen  Pepsinmenge. 

Trunksuchtsmittel,  Salz  und  Pillen  zu  gleich¬ 
zeitiger  Verwendung.  Das  Salz  enthält  Bromkali  und  Rohrzucker 
Ermittelt  wurden  50,7  Proz.  Bromkali  und  46  Proz.  Rohrzucker. 

(Schluss  folgt.) 

Neueste  Journalliteratur. 

Zeitschrift  für  Tuberkulose.  Band  22,  Heft  5. 

Schwermann  -  Ueberruh:  Blutuntersuchungen  bei  Lungen¬ 
tuberkulose. 

Nachdem  früher  die  Veränderung  der  weissen  Blutelemente 
festgestellt  wurde,  befasst  sich  dieser  zweite  vorliegende  Artikel 
mit  der  Frage,  ob  die  Lungentuberkulose  einen  Einfluss  auch  auf  die 
roten  Blutkörperchen  und  das  Hämoglobin  hat.  Es  zeigt  sich,  dass 
die  unkomplizierte  Lungentuberkulose  das  Blutbild  nach  dieser  Hin¬ 
sicht  nicht  verändert.  Erst  bei  schweren  und  besonders  bei  den 
schwersten  Fällen  lässt  sich  oft  eine  erhebliche  Abnahme  des  Hämo¬ 
globingehalts  und  der  Erythrozyten  feststellen.  Dasselbe  gilt  von 
Darmtuberkulose  und  schweren  Lungenblutungen. 

Barbier-Paris:  Contribution  ä  la  l’etude  de  lTodoradium- 
therapie  dans  la  pratique  antituberculeuse. 

•lod  ist  bei  Lungentuberkulose  ein  doppelt  wirksames  Mittel, 
indem  es  durch  Erhöhung  der  Verteidigungsmöglichkeiten  die  Kon¬ 
stitution  verbessert  und  andererseits  die  Toxine  der  Bazillen  neutrali¬ 
siert,  wesentlich  ist  es  noch  in  Verbindung  mit  Menthol  und  am  aller¬ 
besten  mit  Radium  als  Radiodine.  Die  Anwendung  hat  immer  in  Ver¬ 
bindung  mit  der  Brehmer  sehen  Behandlung  zu  geschehen. 

S  c  h  ö  n  w  a  1  d  -  Grimmenstein:  Zur  Behandlung  der  Misch¬ 
infektion  bei  Tuberkulose. 

Die  Mischinfektion  wurde  mit  W  o  1  f  f  -  E  i  s  n  e  r  scher  Misch¬ 
vakzine  behandelt  und  zwar  dann,  wenn  die  übliche  Freiluft-  und 
Wasserkur  nicht  mehr  wirkte.  Die  Erfahrungen  fordern  auf,  in 
solchen  Fällen  diese  Behandlung  einzuleiten.  Das  Grundleiden  darf 
dabei  nicht  vernachlässigt  werden.  Stellt  sich  auf  die  Vakzination 
gar  keine  Reaktion  ein,  so  ist  die  Prognose  schlecht. 

H  a  u  p  t  -  Dresden:  Beitrag  zur  Schutz-  und  Heilimpfung  gegen 
die  Tuberkulose  bei  Meerschweinchen  und  Kaninchen. 

Schluss  der  langen  durch  3  Hefte  hindurch  handelnden  Arbeit, 
die  in  ihren  Einzelheiten  im  Originale  nachgelesen  werden  muss, 
zumal  das  Ergebnis  für  den  Praktiker  keinerlei  Aufmunterung  be¬ 
deutet.  L  i  e  b  e  -  Waldhof  Elgershausen. 

Zentralblatt  für  Chirurgie.  1914.  Nr.  32. 

Willy  Meyer- New  York:  Zur  Resektion  des  Oesophagus¬ 
karzinom  im  kardialen  Abschnitt. 

Verf.  hat  seinen  in  Nr.  2  1914  angegebenen  Operationsplan  auf 
Grund  neuer  Erfahrungen  geändert  und  geht  jetzt  so  vor:  im  1.  Akt 
erfolgt  die  Feststellung  des  Lokalbefundes  im  Bauch  und  Anlegung 
einer  Magenfistel;  im  2.  Akt  geht  er  dann  intrathorakal  vor;  er  durch¬ 
trennt  die  Speiseröhre  oberhalb  der  oberen  Tumorgrenze,  verlagert 
den  proximalen  Stumpf  von  oben  nach  unten  unter  die  Brusthaut 
und  versorgt  den  distalen  nach  Einstülpung  durch  einige  Matratzen¬ 
nähte  sicher;  bei  elendem  Allgemeinzustand  wird  dem  Pat.  zwischen 
die  beiden  Oeffnungen  ein  Gummidrainrohr  eingefügt,  um  die  Mög¬ 
lichkeit  des  Schluckens  wieder  herzustellen.  Erlaubt  dagegen  der 
Zustand  des  Pat.  eine  Radikaloperation,  so  wird  im  3.  Akt  der  kardiale 
Tumor  von  unten  her  entfernt. 

R.  W  i  1  m  a  n  n  s  -  Bethel-Bielefeld:  Zur  Freilegung  des  Brust- 
abschnittes  der  Speiseröhre. 

Auf  Grund  eines  praktischen  Falles  betont  Verf.,  dass  die  Unter¬ 
bindung  der  V.  azygos  beim  Menschen  zulässig  und  ungefährlich  ist. 

M  o  m  b  u  r  g  -  Bielefeld:  Auskochbare  Messer. 

Da  der  gewöhnliche  Stahl  durch  die  Erhitzung  auf  100°  er¬ 
weicht  wird  und  dadurch  die  schneidenden  Instrumente  stumpf 


1S50 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  3-1 


werden,  so  benützt  Verf.  Messer  ans  Chrom-Wolfram-  oder  aus 
Kobaltstahl,  die  ein  wiederholtes  Auskochen  sehr  gut  vertragen; 
dieser  Stahl  beginnt  erst  bei  500°  zu  erweichen. 

E.  Hei  m  -  Oberndorf  b.  Schweinfurt. 

Zcntralblatt  für  Gynäkologie.  Nr.  31),  1914. 

F.  A  h  1  fei  d- Marburg:  Heilung  von  Nabelschnurbrüchen  auf 
konservativem  Wege. 

Bei  zerrissener  Hülle  und  Verwachsung  innerer  Organe  mit  dem 
Bruchsack  bleibt  der  operative  Weg  der  einzig  richtige.  Bei  sehr 
grossen  Brüchen  und  da,  wo  es  an  geeigneter  chirurgischer  Hilfe 
fehlt,  empfiehlt  A.  sein  Verfahren.  Dasselbe  besteht  in  Reinigung 
des  Bruchsackes  und  der  Haut,  Zurückdrängen  des  Inhalts  in  leichter 
Narkose,  Bedeckung  mit  in  Alkohol  getränkter  Watte  und  Eimvicke- 
lung  des  ganzen  Unterleibs,  die  alle  paar  Tage  erneuert  wird.  Der 
Ausspruch  Kroeners,  bei  Nabelschnurbrüchen  führe  nur  der 
operative  Eingriff  zum  Ziele,  besteht  nicht  zu  Recht. 

K  Reifferscheid  -  Bonn :  Ueber  die  Anwendung  von  Eu- 
phyllin  zur  Hebung  der  Diurese  bei  der  Eklampsie, 

Euphyllin,  eine  Verbindung  von  Theozin  und  Acthylendrainin, 
wurde  bereits  von  Lichtenstein  (Nr.  23  des  Zentralbl.)  bei 
Eklampsie  zur  Hebung  der  Diurese  empfohlen.  L.  gab  cs  intra¬ 
muskulär  mittels  Injektionen;  R.  empfiehlt  es  auf  Grund  von  16  Fällen, 
über  die  er  berichtet,  rektal.  In  allen  Fällen  liess  sich  eine  prompte 
Besserung  der  Diurese  feststellen.  Von  den  16  Fällen  starb  nur 
1  Fall  6.25  Proz.  Mortalität.  Dosis  gewöhnlich  3  Euphyllinsupposi- 
torien  ä  0,36. 

R  i  e  c  k  -  Altona:  Zur  Therapie  der  Amenorrhoe. 

R.  behandelt  idiopathische,  erworbene  Amenorrhoe  mit  dem 
Intrauterinstift,  den  er  von  14  Tagen  bis  zu  8  Jahren  (sic)  liegen 
liess;  beabsichtigt  war  eine  Stiftdauer  von  8- — 12  Monaten.  Unter 
22  Fällen  hatte  der  Stift  in  3  Fällen  gar  keinen  Erfolg;  von  den 
übrigen  19  Fällen  waren  in  5  Fällen  Misserfolge  in  bezug  auf  die 
Beschwerden.  14  Fälle  zeigten  günstige  Resultate.  Schädigungen 
wurden  nur  dreimal  beobachtet,  einmal  durch  wehenartige  Schmer¬ 
zen,  einmal  durch  Wundwerden  der  Scheide,  einmal  durch  Ver¬ 
anlassung  eines  Abortes. 

R.  erklärt  trotzdem  den  vom  Arzte  kontrollierten  Intrauterin¬ 
stift  für  „gänzlich  ungefährlich“,  eine  Ansicht,  die  durch  seine 
eigenen  Ausführungen  teilweise  widerlegt  wird.  J  a  f  f  e  -  Hamburg. 

Berliner  klinische  Wochenschrift.  Nr.  32,  1914. 

Alexander  T  i  e  t  z  e  -  Breslau:  Ueber  eine  eigenartige  trau¬ 
matische  Gelenkkontraktur.  (Reflexkontraktur  steifgehaltener  Ge¬ 
lenke.)  (Vortrag,  gehalten  in  der  med.  Sektion  der  schles.  Ges.  f. 
vaterl.  Kultur  am  15.  Mai  1914.)  Kasuistischer  Beitrag. 

M.  Wolf  f -Berlin:  Die  Behandlung  der  Lungentuberkulose  mit 
dem  Heilmittel  von  Friedmann. 

Die  klinischen,  experimentellen  und  röntgenologischen  Er¬ 
fahrungen  des  Verf.  mit  der  F  r  i  e  d  m  a  n  n  sehen  Behandlung  haben 
nur  ausserordentlich  wenig  zufriedenstellende  Resultate  ergeben. 

L.  Asch  off:  Sind  die  Würmer,  besonders  die  Oxyuren,  direkt 
oder  indirekt  schuld  an  der  Appendizitis? 

Die  relative  Häufigkeit  der  Oxyureninfektion  des  normalen  oder 
nicht  akut  erkrankten  Wurmfortsatzes  ist  schon  seit  längerer  Zeit 
bekannt.  Das  vom  Verf.  geschilderte  Bild  der  Pseudoappendizitis 
ist  durch  die  Untersuchungen  Rhein  dorfs  bestätigt  und  in  seiner 
Häufigkeit  anerkannt  worden.  Die  Behauptung  Rheindorfs,  dass 
die  Oxyuren  indirekt  mit  der  akuten  Appendizitis  etwas  zu  tun  haben, 
ist  als  unbewiesen  anzusehen.  Die  Bedeutung  der  Wurminfektion 
für  die  pseudoappendizitischen  Anfälle  sollte  die  Aerzteschaft  veran¬ 
lassen,  noch  sorgfältiger  als  bisher  auf  Wurminfektion,  besonders  bei 
Kindern,  zu  achten.  Eine  erfolgreiche  Wurmkur  wird  die  Kinder  vor 
pseudoappendizitischen  Anfällen  und  damit  vor  etwaiger  unnötiger 
Operation  bewahren. 

Richard  M  ü  h  s  a  m  -  Berlin:  Milzschuss,  durch  freie  Netztrans¬ 
plantation  geheilt.  (Nach  einer  Demonstration  in  der  Berl.  med.  Ges. 
am  24.  Juni  1914.)  cf.  1914,  S.  1482  der  M.m.W. 

Huntemüller  und  B.  Eckard  -  Berlin:  Beiträge  zur  Frage 
der  Händedesinfektion.  (Nach  einem  Vortrag  in  der  Berl.  mikro¬ 
biolog.  Ges.  am  19.  März  1914.) 

Siehe  Feldärztliche  Beilage  Nr.  3. 

B  e  r  n  h  e  i  m  -  Breslau:  Ueber  Afridolseife. 

Die  Afridolseife  ist  eine  Quecksilberseife,  die  in  ihrem  Indi¬ 
kationsgebiete  gute  Erfolge  erzielt  und  praktisch  alles  das  hält,  was 
theoretisch  von  ihr  zu  erwarten  steht. 

Fritz  H  e  i  m  a  n  n  -  Breslau:  Zur  Histologie  bestrahlter  Karzi¬ 
nome.  (Vortrag,  gehalten  am  19.  Juni  1914  in  der  med.  Sektion  der 
schles.  Ges.  f.  vaterl.  Kultur.) 

Die  histologische  Untersuchung  gibt  heute  noch  keinen  Auf¬ 
schluss  über  die  Heilungsmöglichkeit  der  Karzinome,  aber  soviel  steht 
fest,  dass  die  Beeinflussung  der  karzinomatösen  Zellen  durch  die 
Strahlen  eine  phänomenale  ist. 

Aladär  Henszelmann  -  Pest :  Kleine  röntgenologische  Vor¬ 
richtung  zur  Erzeugung  von  Wurmfortsatzbildern. 

Verf.  gibt  einen  Kompressor  an,  der  den  Wurmfortsatz  leichter 
sichtbar  macht. 

Arthur  M  a  y  e  r  -  Berlin:  Ueber  die  Beziehungen  der  atypischen 
Gicht  zu  Erkrankungen  der  Respirationsorgane. 


Es  liegt  die  Vermutung  nahe,  dass  manche  Lungenblutungen 
deren  Aetiologie  unklar  ist,  das  Aequivalent  eines  Anfalles  bei  cinei 
im  übrigen  latenten  Gicht  ist.  Wie  diese  Blutungen  zustande 
kommen,  lässt  sich  natürlich  nicht  sagen. 

Robert  M  e  y  e  r  -  Berlin:  Die  Hellseher,  ihre  Tricks  und  ihn 
Opfer.  Dr.  Grassmann  -  München. 

Deutsche  medizinische  Wochenschrift.  Nr.  31,  1914. 

Grober-  Jena:  Die  Behandlung  bedrohlicher  Erscheimmger 

bei  der  Herzschwäche. 

Klinischer  Vortrag. 

R.  Kraus  und  S.  M  a  z  z  a  -  Buenos-Aires:  Zur  Frage  der  Vak 
zinetherapie  des  Typhus  abdominalis. 

Die  Verf.  studierten  die  Tatsache,  dass  nach  intravenöser  (nicli 
subkutaner)  Injektion  der  Vakzine  baldigst  ein  starker  Temperatur) 
anstieg  und  kurz  darauf  ein  jäher  kritischer  Abfall  eintritt.  Wenn 
diese  Reaktion  eine  anaphylaktische  war,  so  musste  sie  bei  de  J 
intravenösen  Injektion  einer  anderen  Bakterienvakzine  ausbleiben 
Es  trat  nun  aber  nach  einer  Kolivakzine  genau  derselbe  kritische 
Abfall  ein,  wie  nach  der  Typhusvakzine.  In  praktischer  Hinsicht  er 
mutigt  diese  Erfahrung  zur  therapeutischen  Verwendung  der  Koli 
vakzine  bei  Typhus  nach  genauerem  Studium  aller  Verhältnisse! 
Möglicherweise  könnten  auch  andere  Infektionen  der  Behandlung  mi, 
solcher  ..Heterovakzine“  zugänglich  sein. 

H.  Oe  1 1  c  r  und  R.  Stephan-  Leipzig:  Kritik  des  Dialysierver 
fahrens  und  der  Abwehrfermentreaktion. 

Die  Verfasser  haben  je  100  Gravide  und  Nichtgravidc  im  Dia) 
lysierverfahren  auf  Abwehrfermente  untersucht  und  fanden  nebeii 
dem  fast  regelmässigen  Abbau  des  Plazentarsubstrates  durch  da) 
Serum  von  Graviden  in  einer  Reihe  von  Kontrollen,  allerdings  pro. 
zentual  weniger  als  bei  Graviden,  im  Serum  von  normalen  un<j 
organisch  kranken  männlichen  Individuen  ganz  eindeutig  „Abwehr, 
fermente“  auf  Plazentareiweiss.  Da  die  Schwangerschaftsdiagnos 
im  Mittelpunkt  der  Lehre  von  den  Abwehrfermenten  steht,  muss  ma 
daran  denken,  dass  die  Methode  als  solche  zur  Lösung  der  bin1 
logischen  Probleme  nicht  geeignet  ist  oder  die  ganze  theoretisch 
Voraussetzung  dieser  Forschungsweise  nicht  zutrifft.  Die  Verfasse) 
kritisieren  weiter,  dass  die  derzeitige  Anordnung  des  Dialysierver: 
fahrens  für  die  Wirkung  des  Fermentes  keine  optimale  Bedingungc; 
schafft  und  unter  Umständen  keinen  Aufschluss  über  die  Anwesen 
heit  eines  Fermentes  im  Serum  gibt.  Es  gelang  ausserdem  mit  de 
Ausschaltung  der  fermentschwächenden  Komponente  des  Serums  z 
zeigen,  dass  fast  jedes  Serum  gekochtes  Plazentargewebe  abbaue, 
kann.  Weiter  fand  sich,  dass  die  Wirkung  der  „Abwehrfermente, 
abhängt  von  ihrer  Konzentration  im  Serum.  Bei  einem  gewisse 
Konzentrationsgrad  des  Ferrnentgehaltcs  vermag  das  Serum  in  ut 
spezifischer  Weise  hitzekoagulierte  Proteine  zu  spalten.  Nacj 
weiteren  Bemerkungen  kommen  die  Verfasser  zu  dem  Schluss,  das, 
für  die  Erklärung  „unstimmiger“  Versuchsresultatc  viel  zu  oft  Fehler 
quellen  angenommmen  werden,  vielmehr  die  theoretischen  Grüne! 
lagen  des  ganzen  Verfahrens  nicht  zutreffen.  Bei  aller  Bedeutun; 
dieses  Forschungsgebietes  scheint  eine  gründliche  Umarbeitung  de: 
selben  durchaus  notwendig  zu  sein. 

P.  Hirsch- Jena:  Eine  neue  Methode  zum  Nachweis  der  At 
welirfermente. 

Die  Methode  zur  quantitativen  Verfolgung  der  Abwehrfermen 
Wirkung  beruht  darauf,  dass  die  durch  Abbau  eines  bestimmten  Sul 
strates  durch  spezifische  Fermente  bewirkte  Peptonwirkung  in  einet 
Serum  eine  Konzentrationsänderung  bewirkt,  die  durch  Vergleich  m 
einer  entsprechend  aufgehobenen  Probe  des  gleichen  Serums  ohr 
Substrat  mit  Hilfe  des  I.  ö  w  e  -  Z  e  i  s  s  sehen  Interferometers  quant 
tativ  bestimmt  wird.  Die  Untersuchungen  ergaben  völlige  Spezifik 
der  Abwehrfermente. 

J.  B  r  o  e  k  m  e  y  e  r  -  Greifswald :  Blutzucker  bei  Morbus  Add 
sonii. 

Krankengeschichte  eines  Falles  von  Morbus  Addisonii.  Der  no:j 
male  Gehalt  an  Blutzucker  spricht  für  die  Meinung  S  c  h  i  r  oj 
k  a  u  e  r  s,  dass  die  Hypoglykämie  nicht  zu  den  charakteristische 
wenn  auch  zu  den  häufigen  Symptomen  der  Krankheit  gehört.  Ferm 
zeigt  der  Fall,  dass  bei  Morbus  Addisonii  auch  bei  normalem  Bluj 
Zuckergehalt  Adynamie  auftreten  kann  und  die  Schwere  des  Prozessi 
nicht  ausschlaggebend  für  das  Symptom  der  Hypoglykämie  ist. 

P  f  ö  r  t  n  e  r  -  Göttingen:  Letale  Häniatoporphyrinurie  nach  Su 
fonalgebraucli. 

Krankengeschichte  und  Erörterung  eines  Falles. 

K.  R  i  n  d  e  r  s  p  a  c  h  e  r  -  Dortmund:  Zur  Kasuistik  der  period 
sehen  Unregelmässigkeit  des  Pulses. 

Ergebnis  der  Beschreibung  und  Erörterung  eines  Falles:  1 
finden  sich  bei  Kindern  periodische,  auf  Reizleitungsstörungcn  zw 
sehen  Sinus  und  Vorhof  zurückzuführende  Herzarrhythmien.  Die 
Ueberleitungsstörung  kann  anscheinend  von  der  funktionellen  Sch; 
digung  der  Ueberleitungsfasern  und  gleichzeitiger  Stauung  in  eh 
Koronarvenen  abhängig  sein,  da  die  Arrhythmie  mit  Beseitigung  h 
Stauung  schwindet.  Daher  kann  in  solchen  Fällen  eine  Digital! 
bchandlung  am  Platze  sein.  Die  von  Verf.  und  Mosbach  er  b 
scbiitbene  a'-Welle  ist  eine  aus  dem  rechten  Ventrikel  herrührem 
Stauungswelle  des  Blutes,  vermutlich  infolge  einer  aktiven  Tonn 
mehrung  der  Ventrikelmuskulatur.  Vielleicht  spielen  hierbei  toxiscl 
Einflüsse  (Diphtherie,  Nikotin)  eine  Rolle. 


25.  August  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


N  Dracinski  und  J.  M  e  h  1  m  a  n  n  -  Kimpolung  (Bukovina): 
Mumpskomplikation  —  Pankreatitis? 

Unter  hunderten  Bällen  einer  Munipsepidemie  fanden  sich  drei 
schwere  mit  Herpes,  heftigem  Kopfschmerz,  Obstipation,  ileusartigem 
Bi  brechen,  Kollaps,  Fieberdelirien,  Schmerz  oberhalb  des  Nabels 
starker Azetonurie,  Fehlen  desPatellarreflexcs,  Cheyne-Stokes- 
sches  Atmen  und  Pulsverlangsamung.  Als  wahrscheinlich  wurde  eine 
komplizierende  Pankreatitis  angenommen.  Bei  späterer  genauerer 
Beobachtung  zeigten  10  Proz.  aller  Fälle  den  Mangel  des  Patellar- 
rcflexes:  bei  diesen  bestand  ein  durch  Kopfschmerz  und  Erbrechen 
erschwerter  Krankheitsverlauf. 

A.  Czapek  und  S.  W  a  s  s  c  r  m  a  n  n  -  Wien :  Die  akute  Harn* 
verhaltung.  eine  wenig  beachtete  Wirkung  des  Morphins. 

Die  Verfasser  haben  in  5  Fällen  (Männer)  nach  Morphiumdar- 
reichung  und  zwar  schon  nach  0.01—0,02  g  eine  teils  sehr  heftige, 
durch  den  Blasensphinkterkrampf  bedingte  Harnverhaltung  beob¬ 
achtet.  Einzelne  Literaturangaben,  auch  solche  über  Tiercxperi- 
mentc,  bestätigen  das  Vorkommen  dieser  Störung  nach  Morphium- 
|  gaben.  Therapeutisch  wären  lokale  Hitze.  Sitzbäder,  Katheterismus, 
am  meisten  wohl  Atropininjektionen  zu  empfehlen. 

K  ü  h  1  m  a  n  n  -  Strassburg  i.  E.:  Ueber  die  Röntgenbehandlung 
der  tuberkulösen  I  ymphdriisen. 

K  berichtet  über  15  Fälle:  die  Erfahrungen  sind,  wie  bei  anderen 
Autoren,  befriedigend.  Bei  einfachen  hypcrplastischcn  Lvmphomen 
treten  nach  stärkeren  Bestrahlungen  oft  Schwellungen,  Schmerzen 
und  Fieber  ein,  worauf  der  Patient  vorher  aufmerksam  zu  machen 
ist;  die  Heilung  dauert  4—6  Monate,  das  kosmetische  Resultat  ist 
gut;  auffallend  rasche  Heilungen  erfolgen  z.  B.  bei  der  Hodgkin- 
| sehen  Krankheit  und  sprechen  gegen  Tuberkulose.  Bei  verkästen 
nid  vereiterten  Formen  kommt  es  durch  Bestrahlung  öfters  zu  Fieber 
und  rascher  Abszedierung.  Bei  Ulzerationen  und  Fisteln  wird  oft 
ascli  ein  recht  befriedigendes  kosmetisches  Resultat  erzielt.  Bei  den 
Bestrahlungen  ist  immer  an  die  Möglichkeit  schwerer  Spätschädi¬ 
gungen  der  Haut  zu  denken  und  es  ist  daher  nach  mehreren  Be¬ 
strahlungen  eine  längere  Pause  einzuschalten,  während  deren  oft 
>och  eine  spontane  weitere  Besserung  erfolgt. 

A.  Mayer-  Berlin:  Ueber  die  Beziehungen  der  im  Blut  kreisen- 
len  Tuberkelbazillen  zu  der  Entstehung  der  Partialantikörper. 

Die  zur  kurzen  Wiedergabe  nicht  geeigneten  Ausführungen  M.s 
<nüpfen  sich  an  die  von  ihm  gemachte  Beobachtung,  dass  bei  den 
Patienten,  in  deren  Blut  sich  Tuberkelbazillen  fanden,  durchweg  Fett- 
mtikörper  fehlten  oder  sehr  spärlich  waren;  besonders  fehlten  Fett- 
-äureantikörper,  in  geringerem  Masse  auch  Neutralfettantikörper. 

P.  B  a  b  i  t  z  k  i  -  Kiew:  Eröffnung  des  Kniegelenkes  bei  Meniskus- 
erletzungen  durch  Längsschnitt  mitten  durch  die  Patella  und  deren 
)urchsägung. 

Das  durch  die  Ueberschrift  gekennzeichnete,  früher  von  einigen 
Uitoren  in  einzelnen  Fällen  auch  ausgeführte  Verfahren,  hat  Verf. 
nit  gutem  Erfolg  in  einem  Falle  angewendet  und  empfiehlt  es  für 
nanche  Meniskusverletzungen  angelegentlich.  Nachdem  die  Patella 
ängs  durchtrennt  ist,  werden  ihre  Hälften  vollständig  umgestülpt,  so 
ass  ihre  Unterseite  nach  oben  kommt  und  es  wird  bei  zunehmender 
Beugung  des  Knies  das  Gelenkinnere  vollständig  zugänglich  gemacht. 

E.  B  a  r  t  h  -  Berlin:  Das  Koagulen  Kocher-Fonio  in  der  Rhino- 
hirurgie. 

Da  wegen  mancher  schwerer  sekundärer  Störungen  das  Opc- 
ieren  mit  Glühschlingen  mehr  und  mehr  durch  das  mit  scharfen  In¬ 
trumenten  ersetzt  wurde,  war  immer  noch  die  Gefahr  von  Nach- 
hitungen  bei  Nasenoperationen  sehr  beträchtlich  und  die  Tamponade 
ur  ein  ungenügender  Behelf  bei  diesen;  ebenso  erfüllt  die  Wasser- 
toffsupcroxydbehandlung  nicht  alle  Forderungen.  Ein  sehr  brauch- 
ares  Blutstillungsmittel  ist  das  Koagulen  nach  Kocher-Fonio, 
elches  in  10  proz.  Lösung  mit  einer  Spritze  auf  das  Operationsfeld 
ufgeträufelt  wird.  Es  hat  sich  bei  endonasalen  Operationen.  Ton- 
illotomien.  Adenektomien,  Siebbeinausräumungen  gut  bewährt;  frei 
on  Reizwirkungen  scheint  es  zudem  die  Wundheilung  nur  zu  fördern. 

R.  D  ö  1  g  e  r  -  Frankfurt  a.  M.:  Ein  geheilter  Fall  von  schwerer 
leningitis  cerebrospinalis  mit  einseitiger  Erkrankung  des  inneren 
ihres. 

Der  Fall  ist  u.  a.  bemerkenswert  wegen  der  günstigen  Beein- 
ussung  des  Leidens  durch  das  Antimeningokokkenserum  (K  olle- 
i  assermann),  durch  die  gute  Wirkung  des  Yatrens  (Jodoxvchi- 
olinsulfosäure)  auf  die  Meningokokken  im  Nasenrachenraum  (auch 
e*  einigen  sonst  gesunden  Keimträgern),  wodurch  die  Brauchbarkeit 
es  Mittels  auch  bei  Diphtheriekeimträgern  möglich  scheint;  durch 
!e  einseitige  Beteiligung  des  inneren  Ohres;  schliesslich  durch 
e  gute  Beeinflussung  des  Hörvermögens  mittels  innerer  Jodkali- 
aben. 

W.  N.  C  1  e  m  m  -  Dresden :  Eine  neue  Speiseröhre-  und  Magen- 
uide  mit  Vorrichtung  zu  elektrischer  Behandlung. 

Beschreibung  des  Instrumentes  (Reiniger.  Gebbert  &  Schall). 

E  n  g  e  1  e  n  -  Düsseldorf :  Apparat  zur  Behandlung  der  Haut¬ 
assersucht. 

Der  Apparat  dient  zur  gleichzeitigen  Verwendung  von  6  in  die 
erschiedenen  Schichten  der  Haut  reichenden  Nadeln  und  zur  zweck- 
assigeiy  Ableitung  und  Aufsammlung  der  Oedemflüssigkeit. 

F.  S  c  h  I  e  n  k  -  Dresden:  Rönterigröhrenregulierung  ohne  Va- 

inimänderung. 

Beschreibung  des  Apparates.  Firma  Chielur  G.  m.  b.  H.. 

resden  A.  3. 


1851 


G.  P  u  p  p  e  -  Königsberg  i.  Pr.:  Die  Operationspflicht  des  Ver¬ 
letzten. 

S.  Bericht  M.m.W.  1914  S.  1477. 

M.  Waldeyer:  Gustav  Schwalbe  zum  70.  Geburtstage. 

B  e  r  g  e  a  t  -  München 

Oesterreichische  Literatur. 

Wiener  medizinische  Wochenschrift. 

...  ,^r‘  F.  Hamburger-Wien:  Ueber  Psychotherapie  im 
Kindesalter. 

Nur  kurz  seien  angedeutet  die  Erfolge  der  Wachsuggestion,  die 
Einwirkung  des  ,, neuen  Erlebnisses“,  welches  unter  Umständen  schon 
m  der  ungewohnt  energischen  bis  schroffen  Behandlung  gegenüber 
einem  bis  dahin  allzu  nachsichtig  behandelten  Kinde  bestehen  kann; 
hierher  gehört  u.  a.  auch  der  Erfolg,  welchen  öfter  die  kurze  —  wenn 
notwendig  in  kurzen  Zwischenräumen  wiederholte  —  Spitalbehand- 
lung  bei  Enuresis  nocturna  zeitigt,  ähnlich  auch  die  Beeinflussung, 
wenn  auch  nicht  Heilung  der  Masturbation  durch  den  Milieuwechsel. 

.  yele.  vielleicht  die  Hälfte  der  Fälle  von  hartnäckigem  Husten 
bei  Kindern  sind  nervösen  Ursprungs  und  lassen  sich  durch 
Ipecacuanha  heilen;  die  Beeinflussung  des  Keuchhustens  durch 
•-Uggestion  und  Milieuwechsel  ist  bekannt.  Oft  lassen  sich  epilep¬ 
tische  Anfälle  auf  suggestivem  Wege  und  z.  B.  durch  Tinctura  amara 
beseitigen;  es  sollte  stets  ein  solcher  Versuch  gemacht  werden.  Für 
die  Formen  des  Tick,  zumal  der  Gesichts-  und  Schultermuskulatur, 
bildet  der  Milieuwechsel  und  die  Faradisation  meist  eine  sehr  dank¬ 
bare  Behandlung;  ebenso  lassen  sich  viele  Fälle  von  Appetitlosigkeit, 
Eibrechen  und  Diarrhöen  durch  knappe  Diät  und  Suggestivbehand¬ 
lung  leicht  heilen. 

Nr.  25,26.  F.  S  c  h  a  u  t  a  -  Wien:  Blutungen  während  der 
Gestation.  Klinischer  Vortrag. 

Nr.  25  J.  Bauer  -  Innsbruck:  Die  Beziehungen  der  Hypophyse 
zur  Wärmeregulation. 

B  behandelt  die  von  ihm  gefundene  und  von  Döblin  und 
Fleischmann  bestätigte  Tatsache,  dass  die  parenterale  Injektion 
eines  Extraktes  aus  dem  nervösen  Anteil  der  Hypophyse  (bei 
Kaninchen  und  Meerschweinchen)  eine  beträchtliche  Temperatur¬ 
senkung  bewirkt.  Weiter  werden  folgende  Beobachtungen  anderer 
Autoren  angeführt:  Bei  Fällen  von  hypophysärer  Dystrophie  findet 
sich  nicht  selten  auffallend  niedrige  Körpertemperatur.  Bei  teilweiser 
Zerstörung  der  Hypophyse  an  Hunden  wurde  gleichfalls  eine  solche 
Hypothermie  gefunden,  welche  sich  durch  Injektion  von  Rinder¬ 
hypophysenextrakt  wieder  ausgleichen  liess.  Die  von  C  u  s  h  i  n  g 
beschriebene  „Thermoreaktion“  zeigt  eine  Temperatursteigerung 
nach  Injektion  eines  Extraktes  aus  dem  Vorderlappen  des  Hirn¬ 
anhanges  bei  Tieren,  welchen  die  Hypophvse  entfernt  ist,  während 
diese  Temperatursteigerung  bei  normalen  Tieren  ausbleibt.  Weiter 
ist  auf  das  gleichzeitige  Vorkommen  der  hypophysären  Dystrophie 
und  Hypothermie  mit  Polyurie  und  Polydipsie  zu  verweisen,  wozu 
Verf.  5  Krankengeschichten  anführt.  Es  zeigt  aber  nicht  jeder  Fall 
von  Diabetes  insipidus  diese  Hypothermie,  die  luetischen  Formen 
desselben  haben  im  Gegenteil  öfters  erhöhte  Temperatur.  Verf.  be¬ 
schreibt  näher  die  Versuche,  wo  beim  Kaninchen  nach  intravenöser 
Injektion  von  Pituitrin,  infundib.  (Parke-Davis)  und  beim  Meer¬ 
schweinchen  nach  intraperitonealer  Injektion  von  Pituglandol  starker 
Temperaturabfall  eintrat;  auch  beim  Menschen  beobachtet  er  nach 
subkutaner  Injektion  von  Pituglandol  oder  Pituitrin  deutlichen  Ab¬ 
fall  der  vorher  normalen  oder  febrilen  Temperatur.  Bei  Kontroll- 
versuchen  mit  Thyreoidinum  (P  ö  h  1)  wurde  dagegen  die  Tem¬ 
peratur  leicht  erhöht.  Mit  Jacobj  nimmt  Verf.  an,  dass  die  Hypo¬ 
physe  wahrscheinlich  durch  das  in  den  Ventrikel  entleerte  Sekret 
die  Funktion  verschiedener  in  der  Nähe  gelegener  die  Wärmebildung 
und  Wärmeabgabe  regulierender  nervöser  Apparate  steigert  oder 
hei  absetzt;  dabei  scheint  ein  gewisser  funktioneller  Antagonismus 
zwischen  dem  vorderen  und  hinteren  Teil  der  Hypophyse  zu  be¬ 
stehen.  Schliesslich  berichtet  Verf.  noch  über  Versuche,  in  denen 
bei  Kaninchen  nach  intravenöser  Einspritzung  von  Liquor  cerebrospi¬ 
nalis  öfters  gleichfalls  eine  nicht  unerhebliche  Herabsetzung  der  Tem¬ 
peratur  eintrat. 

Nr.  26  O  L  e  o  n  h  a  r  d- Mühlbach:  Ein  mit  „Ulsanin“  (Hydro- 
jodoborat)  geheilter  Fall  von  Gesichts-  und  Nasenlupus. 

Krankengeschichte. 

Nr.  27.  A.  B  I  u  m  e  n  f  e  1  d  -  Lemberg:  Zur  Abortivbehandlung 
der  Syphilis. 

In  1 1  Fällen  von  primärer  Syphilis  bei  noch  negativer  Wasser- 
m  a  n  n  scher  Reaktion  hat  B.  durch  breite  und  tiefe  Verschorfung 
den  Primäraffekt  beseitigt,  eine  mässige  Salvarsankur  (Dosis 
höchstens  0,5  g  intramuskulär)  und  darauf  eine  intensive  Oueck- 
silbei  spritzkur  eingeleitet  und  dadurch  ein  jetzt  2—3  Jahre  an¬ 
haltendes  Fehlen  aller  klinischen  und  serologischen  Erschei¬ 
nungen  erzielt. 

Nr.  27.  H.  Bayer- Wien:  Behandlung  tuberkulöser  Lungen¬ 
prozesse  mittels  Vibroinhalation. 

Verf.  verwendet  mit  Erfolg  Inhalationen  eines  Methylglvkokol- 
säureesters  des  Guajakols,  während  welcher  der  Luftstrom  nicht  kon¬ 
stant,  sondern  mit  rhythmischen  Unterbrechungen  zugeleitet  wird, 
um  so  eine  zarte  Vibromassage  der  Atemwege  auszuüben. 

Nr  27.  H.  C  h  a  I  u  p  e  c  k  y  -  Prag:  Die  Wirkung  verschiedener 
Strahlungen  auf  die  Augenlinse. 


1852 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  34. 


Verf.  fand  an  exstirpierten  und  an  Linsen  lebender  Kaninchen 
eine  Schädigung  durch  Einwirkung  ultravioletter  Strahlen.  Dagegen 
blieben  nachweisbare  Schädigungen  (chemische  Veränderungen)  aus 
bei  Einwirkung  von  Radiumchlorid  und  Mesothorium  auf  die  Linse 
des  lebenden  Kaninchens,  ferner  bei  Einwirkung  der  Röntgenstrahlen 
und  der  a-Strahlen  auf  frisch  exstirpierte  Schweinslinsen. 

Nr.  27.  0.  Hirsch:  Operative  Behandlung  der  Hypophysen¬ 

tumoren. 

Für  die  Diagnose  des  Sitzes  der  Tumoren  gibt  ausser  der 
Röntgenuntersuchung  das  Sehvermögen  Anhaltspunkte.  Fehlen  Seh¬ 
störungen,  so  ist  der  Tumor  intrasellar  oder  vorwiegend  intrasellar, 
sind  solche  vorhanden,  so  ragt  der  Tumor  mit  einem  Abschnitt  in  die 
Schädelhöhle,  ist  also  intrakraniell.  Eine  Uebersicht  über  die  Stati¬ 
stik  der  verschiedenen  Operationsmethoden  zeigt  die  geringste  Mor¬ 
talität  bei  der  endonasalen  Methode  des  Verf.  und  der  verwandten 
Methode  Cushings  (rund  14  Proz.).  Deshalb  verdienen  diese 
Methoden,  welche  ebenso  wie  andere  eine  radikale  Entfernung  der 
inlrasellaren  und  zystischen  Tumoren  ermöglichen,  den  Vorzug. 
Unter  37  nach  der  Methode  des  Verf.  Operierten,  starben  5  (4  sehr 
grosse  maligne  intrakranielle  Geschwülste),  4  blieben  unbeeinflusst, 
5  wurden  vorübergehend,  21  zum  Teil  sehr  beträchtlich  und  anhaltend 
gebessert,  so  dass  die  Wiederherstellung  der  geistigen  Leistungs¬ 
fähigkeit,  mehrmals  auch  der  Berufsfähigkeit  erreicht  wurde. 

B  e  r  g  e  a  t  -  München. 

Inauguraldissertationen. 

Universität  Tübingen.  Juli  1914. 

Beck  Alfred:  Die  Augenverletzungen  in  der  Tübinger  Klinik  im 
Jahre  1911. 

B  u  r  k  h  a  r  d  t  Emil:  Weitere  Mitteilungen  der  klinischen  Erfahrungen 
über  die  E  1 1  i  o  t  sehe  Operation. 

Herrmann  Theodor :  Ueber  Luxationen  im  L  i  s  f  r  a  n  c  sehen  Ge¬ 
lenk. 

Kämmerer  Wilhelm:  Zur  Kasuistik  des  „Moralischen  Irreseins  . 
Kretschmer  Ernst:  Wahnbiidung  und  manischdepressiver  Sym¬ 
ptomkomplex. 

Nick  Heinrich  Georg:  Ein  Beitrag  zur  Frage  der  mechanischen  Be¬ 
einflussung  der  Blutzirkulation  durch  die  Luftdruckerniedrigung  im 
Höhenklima. 

Willburger  Eugen:  Paranoische  Zustandsbilder  in  der  Manie. 
Funccius  Herbert:  Der  sog.  Kolobom  der  Macula  lutea. 
Hengstenberg  Werner:  Beitrag  zur  Kasuistik  der  Darmlipome. 
Schleich  Rudolf:  Klinischer  Beitrag  zur  Psychose  bei  Trypano- 
somiasis. 

Schmidt  Erich:  Ueber  die  Bedeutung  des  Cholesterins  für  die 
Xanthombildung. 

Schmitt  Adalbert:  Untersuchungen  über  die  Chlorose. 

Voges  Rudolf:  Ueber  intrakranielle  Blutungen  des  Neugeborenen. 


Vereins-  und  Kongressberichte. 

Gesellschaft-  für  Natur-  und  Heilkunde  zu  Dresden. 

(Offizielles  Protokoll.) 

XXV.  Sitzung  vom  4.  April  1914. 

Vorsitzender:  Herr  G  e  1  b  k  e. 

Tagesordnung: 

Herr  Rieb  old:  Ueber  die  Erblichkeit  der  Struma. 

R  i  e  b  o  1  d  sucht  an  der  Hand  von  Stammbäumen  nachzuweisen, 
dass  die  Struma  eine  ausgesprochen  erbliche  Krankheit  ist. 

Sie  vererbt  sich  nach  den  Mendel  sehen  Regeln,  verhält  sich 
aber  dabei  nur  dem  weiblichen  Geschlecht  gegenüber  dominant. 

(Erscheint  ausführlich  in  der  Zeitschrift  für  induktive  Abstam- 
mungs-  und  Vererbungslehre.) 

Diskussion:  Herr  Hueppe:  Von  den  demonstrierten  Fi¬ 
guren  lassen  sich  nur  2  für  die  gezogenen  Schlüsse  verwerten,  bei 
denen  ohne  Zweifel  die  M  e  n  d  c  1  sehen  Regeln  zutreffen;  für  eine 
grössere  Reihe  von  Fällen  lässt  sich  aber  eine  viel  einfachere  Er¬ 
klärung  finden,  wenn  man  an  eine  gemeinsame  Noxe  denkt.  Nament¬ 
lich  bei  endemischem  Kropf  kann  man  mit  der  Erblichkeit  allein  nicht 
auskommen;  es  müssen  noch  andere  Faktoren  dabei  im  Spiele  sein. 

Als  seinerzeit  in  Wien  die  neue  Hochquellenleitung  gegründet 
werden  sollte,  fürchtete  man  das  Wasser  der  Kropfgegend;  es  trat 
aber  keine  Kropfvermehrung  ein,  ebenso  nach  Eröffnung  der  zweiten 
Hochquellleitung.  Trotzdem  ereignete  sich  ein  merkwürdiger  Fall. 
Ein  bekannter  Wiener  Arz't,  der  mütterlicher-  und  väterlicherseits  aus 
sicher  kropffreier  Familie  stammte,  brachte  einmal  seine  Ferien  in 
einer  Kropfgegend  zu  und  bekam  einen  starken  Kropf,  ein  Beweis, 
dass  ein  Kropf  erworben  werden  kann,  wo  Erblichkeitsfaktoren  sicher 
ausgeschlossen  werden  können.  Ob  es  übrigens  gerade  das  Wasser 
ist,  das  den  Kropf  erzeugt,  ist,  wie  ich  vor  einiger  Zeit  hier  erwähnt 
habe,  zurzeit  noch  keineswegs  ausgemacht.  Man  hat  neuerdings 
in  der  Schweiz  Tierversuche  angestellt,  um  den  Kropf  durch  Wasser 
aus  Kropfgegenden  künstlich  hervorzurufen;  der  Erfolg  war  stets 
negativ.  Die  Vorstellung,  dass  das  Wasser  der  Träger  einer  Noxe 
sei,  lässt  sich  demnach  nicht  mehr  aufrecht  erhalten.  Allem  Anschein 
nach  haften  an  den  Oertlichkeiten  Momente,  die  zurzeit  noch  rätsel¬ 
haft  sind,  aber  doch  darauf  hinweisen,  dass  Erblichkeit,  Wasser  usw. 


allein  noch  nicht  genügen.  Der  eine  Fall  des  Vortragenden,  der  eine 
Ausnahme  von  den  Mendel  sehen  Regeln  bildete,  würde  sich  also 
am  einfachsten  durch  die  Annahme  erklären,  dass  an  einer  be¬ 
stimmten  Oertlichkeit  kropferzeugende  Momente  haften. 

Wie  der  Vortragende  schon  selbst  sagte,  ist  das  Material  viel  zu 
klein.  Es  wäre  nötig,  gerade  in  Kropfgegenden  die  Erblichkeitsfrage 
genau  zu  studieren. 

Herr  Rieb  old:  Ich  glaube  selbst  genügend  betont  zu  haben, 
dass  ich  das  Mitwirken  äusserer  Schädlichkeiten  keineswegs  be¬ 
streite.  Man  muss  selbstverständlich  zugeben,  dass  ein  Kropf  einmal 
auch  ohne  Erblichkeit  entstehen  kann.  Fast  nie  findet  sich  ja  eine 
einheitliche  Pathogenese.  Ich  habe  alle  Beispiele  angeführt,  weil  sie 
alle  das  familiäre  Auftreten  zeigen.  In  dem  letzten  Falle  spielen 
örtliche  Momente  keine  Rolle,  denn  die  3  Brüder  wohnen  alle  von 
früher  Jugend  an  in  verschiedenen  Städten. 

Herr  Schubert  und  Herr  G  e  i  p  e  1:  Ueber  sog.  primäre  Milz- 
tuberkulöse. 

Herr  Schubert  berichtet  über  eine  51  jährige  Pat.,  die  tuber¬ 
kulös  erblich  belastet,  aber  bis  auf  verschiedene  Kinderkrankheiten! 
immer  gesund  gewesen  war.  Sie  erkrankte  im  Jahre  1900  mit  hohem 
Fieber  und  allgemeinen  Krankheitserscheinungen,  ohne  irgendwelche! 
besondere  Symptome,  und  wurde,  da  die  Erkrankung  im  Anschluss  ar 
eine  Furunkulose  und  während  der  Beschäftigung  in  einem  Kranken¬ 
hause  auftrat,  eine  septische  Infektion  angenommen.  Das  Fieber  hielt! 
lange  Zeit,  6  Wochen,  an,  ging  dann  allmählich  zurück  und  die  Pa¬ 
tientin  war  anscheinend  wieder  vollkommen  hergestellt,  so  dass  sie 
ihren  Krankenpflegekursus  zu  Ende  führen  konnte. 

Solche  Anfälle  sind  dann  in  den  späteren  Jahren  in  grösserer 
Zwischenräumen  verschiedene  Male  wieder  aufgetreten.  Sie  warer' 
allerdings  von  kürzerer  Dauer,  8 — 14  Tage,  verliefen  aber  ganz  wie 
der  erste  Anfall,  ohne  irgendwelche  besondere  Krankheitserschei¬ 
nungen,  und  wurden  als  Rezidive  der  früheren  Sepsis  angesehen 
Vortr.  hat  in  den  letzten  6  Jahren  3  solche  Anfälle  gesehen.  Dieselbe: 
traten  während  des  Winters,  in  der  Zeit,  in  welcher  in  Dresden  In¬ 
fluenza  herrschte,  auf,  und  da  in  der  Regel  etwas  Husten  bestand 
wurden  von  ihm  die  Anfälle  als  Influenza  aufgefasst.  Sie  verliefe: 
im  ganzen  leicht  und  Pat.  war  nach  Ablauf  derselben  scheinbar  immer 
wieder  vollkommen  gesund. 

Im  November  1911  erkrankte  Pat.  in  Prag  an  Durchfall  mil 
hohem  Fieber:  Vom  Arzt  wurde  eine  Fischvergiftung  als  Ursach: 
dieser  Erkrankung  angenommen.  Sie  ging  nach  14  Tagen  zurück  um. 
Pat.  kehrte  geheilt  wieder  nach  Dresden  zurück.  Im  Januar  1912 
erkrankte  sie  aufs  neue  unter  den  gleichen  Erscheinungen,  Fiebei 
zwischen  39  und  40°  und  Durchfall,  zog  ihren  Arzt  aber  nicht  gleicl 
zu.  Vortr.  sah  die  Patientin  am  7.  Februar  und  war  gerufen  worden 
weil  die  Temperatur  nicht  ganz  zur  Norm  zurückgehen  wollte  und 
Pat.  sich  sehr  elend  fühlte.  Sie  klagte  insbesondere  über  Druck  ii 
der  Magengegend  und  Appetitlosigkeit. 

Der  Befund  war  folgender:  Brustorgane  gesund.  Der  Leib  is 
unterhalb  des  linken  Rippenbogens  etwas  vorgewölbt.  Diese  ganze 
Gegend  ist  ausserordentlich  druckempfindlich,  so  dass  eine  genauer: 
Untersuchung  nicht  möglich  ist.  Man  fühlt  aber  eine  deutliche  Re 
sistenz,  die  fast  bis  zum  Nabel  reicht.  Der  übrige  Teil  ist,  sowei 
das  bei  der  starken  Empfindlichkeit  überhaupt  festgestellt  werdei 
kann,  weich.  Die  Verdauung  ist  normal.  Der  Urin  ist  frei  voi 
Eiweiss  und  Zucker.  Die  Temperatur  beträgt  37,5,  der  Puls  80  in  der 
Minute.  Der  Widal  ist  negativ.  Die  Zählung  der  Blutkörperchei 
ergibt  3  500  000  Erythrozyten  und  2500 — 2800  Leukozyten.  Das  mikro 
skopische  Blutbild  zeigt  keine  deutlichen  Veränderungen.  Die  Opli 
thalmoreaktion  ist  negativ. 

Unter  heissen  Umschlägen  ging  die  Resistenz  etwas  zurück  um 
die  Druckempfindlichkeit  wurde  wesentlich  geringer.  Man  könnt: 
infolgedessen  genauer  untersuchen  und  feststellen,  dass  der  Iumo 
mit  der  Milz  in  Zusammenhang  stand.  Im  Allgemeinbefinden  ändert: 
sich  zunächst  nichts.  Pat.  fühlte  sich  matt  und  leistungsunfähig,  macht: 
aber  nicht  den  Eindruck  einer  besonders  schwer  Kranken.  Nur  di: 
Temperatur  stieg  allmählich  wieder  höher.  Das  ganze  Krankheits 
bild  blieb  infolgedessen  unklar  nid  wurden  aus  diesem  Grunde  ver 
schiedene  Kollegen  zugezogen.  Von  einer  Seite  wurde  wieder  ein: 
Sepsis  angenommen,  obwohl  der  ganze  Befund  und  Verlauf  gegei 
diese  Annahme  sprach.  Die  Blutkulturen  waren  vollkommen  steril 
Von  anderer  Seite  wurde  ein  sogen.  Holzknecht  sches  Ulcu: 
ventriculi  mit  Perforation  und  Verwachsungen  und  Höhlenbildum 
zwischen  Magen,  Leber,  Milz  etc.  angenommen.  Aber  auch  dies: 
Diagnose  musste  wieder  fallen  gelassen  werden,  da  niemals  Blut  in 
Stuhl  nachgewiesen  werden  konnte.  Vortr.  hat  dann  zuletzt  di> 
Wahrscheinlichkeitsdiagnose  Hodgkin  sehe  Krankheit,  Schwellung 
der  Milz  und  der  retroperitonealen  Lymphdrüsen  gestellt.  Die  Ob 
duktion  ergab  eine  käsige  Tuberkulose  sämtlicher  bronchialen  um 
retroperitonealen  Lymphdrüsen  und  einen  Milztumor  mit  chronische. 
Miliartuberkulose.  * 

Solche  Fälle  von  sog.  primärer  oder  selbständiger  Milztuber 
kulose  sind  bis  jetzt  in  der  Literatur  33  bekannt.  Bayer  hat  in 
Jahre  1904  28  Fälle  zusammengestellt  und  hierzu  kommen  noch  5  it 
den  folgenden  Jahren  veröffentlichte  Fälle,  1  Fall  von  Franke  190h 
je  1  Fall  von  S  t  r  c  h  1  und  von  Fischer  1909,  1  Fall  von  K  ü  m 
mel  1911  und  1  Fall  von  Loney  1912.  Früher  nahm  man  an,  das- 
es  sich  in  diesen  Fällen  um  eine  primäre  Erkrankung  der  Mib 
handle,  jetzt  weiss  man,  dass  es  sich  bei  dieser  Tuberkulose  de: 


?5.  August_1914. _  MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


1853 


Milz  immer  um  einen  sekundären  Prozess  handelt,  dass  diese  Milz- 
tuberkulöse  wohl  klinisch  das  Krankheitsbild  beherrschen  kann,  dass 
'ich  aber  immer  ein  wenn  auch  oft  sehr  kleiner  primärer  Herd  in  den 
yinphdrüsen  oder  den  Lungen  findet. 

Per  Verlauf  dieser  Fälle  ist  in  der  Regel  ein  chronischer.  Es 
ntv\  ickelt  sich,  meist  ohne  grössere  I  emperatursteigerungen,  allmähl¬ 
ich  ein  mehr  oder  weniger  grosser  Milztumor,  der  die  Kranken  erst 
lann  zwingt,  den  Arzt  aufzusuchen,  wenn  er  infolge  seiner  Grösse 
Beschwerden,  Schmerzen  und  Druck  im  Leib  usw.  macht.  Ein  akuter 
■erlauf  dieser  Krankheit,  wie  in  dem  vom  Vortr.  berichteten  Falle 
st  bisher  nur  in  einem  Falle  von  Schanoldt  beobachtet  worden! 
:s  handelte  sich  da  um  einen  25  jährigen  jungen  Mann,  der  mit 
Schüttelfrost  und  hohem  Fieber  erkrankte,  bei  dem  im  Krankenhause 
in  grosser  Milztumor  festgestellt  wurde,  und  der  unter  dauernd 
ohem  Fieber  und  Durchfällen  nach  17  Tagen  zugrunde  ging. 

Eine  Bevorzugung  eines  Alters  oder  Geschlechtes  ist  bei  dieser 
rkrankung  nicht  zu  erkennen.  Es  finden  sich  neben  Kindern  im  Alter 
on  1—9  Jahren  alle  Altersstufen  bis  hinauf  in  das  höchste  Alter 
ertreten.  Der  Kranke  von  Romanow  war  80  Jahre  alt.  Männer 
nd  Frauen  sind  fast  in  gleicher  Zahl  an  den  Fällen  beteiligt 

Sehr  schwierig  ist  die  Diagnose  dieser  Erkrankung.  Das  be- 
1  ®ist  am  besten  die  I  atsache,  dass  von  den  33  bisher  bekannten 
allen  nur  in  einem  Falle  und  zwar  in  dem  Fall  von  K  ü  m  m  e  1 1  die 
liagnose  vor  der  Operation  gestellt  worden  ist,  weil  in  diesem  Falle 
och  andere  manifeste  Erscheinungen  von  Tuberkulose  bestanden.  In 
en  iihiigen  32  Fallen  ist  die  Diagnose  erst  bei  der  Obduktion  oder 
iperation  gestellt  worden.  Die  Entwicklung  des  tuberkulösen  Milz- 
imors  weicht  eben  in  der  Regel  in  nichts  von  der  Entwicklung 
ndersartiger  Milztumoren  ab.  Leicht  ist  die  Differentialdiagnose  bei 
llen  Erkrankungen,  bei  denen  durch  Untersuchung  des  Blutes  oder 
iirch  Serumreaktion  Klarheit  über  die  Aetiologie  des  Milztumors  ge- 
:haffen  werden  kann,  wie  bei  Leukämie,  perniziöser  Anämie  chro- 
ischer  Malaria,  chronischem  Milztumor  nach  Typhus  abdominalis 
nd  Lues.  Schwerer  ist  sie  aber  in  den  Fällen,  bei  welchen  diese 
ilfsmittel  versagen,  z.  B.  bei  den  Iienalen  Formen  der  Pseudo- 
ukämie,  der  B  a  n  t  i  sehen  Krankheit  und  den  verschiedenen  ma- 
gnen  Tumoren  der  Milz.  Man  hat  deshalb  immer  wieder  nach 
nerentialdiagnostischen  Hilfsmitteln  gesucht.  So  hat  R  o  s  e  n  g  a  r  t 
jf  Grund  einer  eigenen  Beobachtung  und  auf  Grund  der  Angaben 
niger  anderer  Autoren  auf  einen  Symptomenkomplex  aufmerksam 
^macht,  der  bei  chronischem  Milztumor  für  Tuberkulose  sprechen 
)11,  nämlich  das  Zusammentreffen  von  Milztumor  mit  Hyperglobulie 
id  Zyanose.  Dieser  Symptomenkomplex  ist  aber  nur  bei  einem 
eil  der  Fälle  beobachtet  worden,  während  in  den  anderen  Fällen  die 
ahl  der  roten  Blutkörperchen  normal  oder  sogar  vermindert  war 
uch  in  dem  vom  Vortr.  beobachteten  Falle  war  die  Erythrozyten- 
lhl  etwas  herabgesetzt.  Und  auf  der  anderen  Seite  ist  Hyperglobulie 
,c"  b^i  Fällen  von  Milztumoren  gefunden  worden,  die  sich  bei  der 
bduktion  als  nicht  tuberkulös  herausstellten.  Diesem  Symptomen- 
nnplexe  kann  also  kein  differentialdiagnostischer  Wert  beigemessen 
erden.  Ebenso  kommt  die  Untersuchung  des  Blutes  auf  Tuberkel- 
izilllen  noch  nicht  für  die  Diagnose  dieser  Erkrankung  in  Frage.  Die 
sher  damit  gewonnenen  Untersuchungsresultate  sind  noch  zu  wider- 
'rechend  und  müssen  erst  weitere  Erfahrungen  abgewartet  werden, 
an  zweifellosem  Wert  sind,  wie  das  auch  schon  von  anderen  Seiten 
igegeben  worden  ist,  die  Tuberkulinreaktionen,  insbesondere  die 
ibkutaninjektion  von  Tuberkulin.  Die  Ophthalmoreaktion  war,  wie 
is  in  infausten  Fällen  oft  vorkommt,  in  dem  vorliegenden  Falle 
;gativ  und  die  Subkutaninjektion  ist  nicht  gemacht  worden,  weil 
nies  Fieber  bestand.  Man  könnte  sich  aber  wohl  denken,  dass  auch 
solchen  fieberhaften  Fällen  durch  die  Injektion  eine  Herdreaktion, 
h.  eine  grössere  Schmerz-  und  Druckempfindlichkeit  und  eine 
Jrkere  Schwellung  des  Milztumors  ausgelöst  und  dadurch  die 
agnose  gesichert  werden  könnte.  Jedenfalls  ist  die  subkutane 
iberkulinreaktion  bei  den  ohne  nennenswerte  Temperatursteige- 
ngen  verlaufenden  Fällen  von  Milztumor  zu  empfehlen. 

Wenn  alle  diagnostischen  Hilfsmittel  versagen,  muss  die  Probe- 
aarotomie  vorgenommen  werden.  Sie  kann  um  so  leichter  in  Vor¬ 
nlag  gebracht  werden,  weil  die  Exstirpation  des  Milztumors  als 
izig  erfolgversprechende  Behandlungsweise  bei  dieser  Krankheit  in 
age  kommt.  L  o  r  e  y  empfiehlt  in  erster  Linie  eine  interne  Be- 
n*-  ü2’  neben  physikalisch-diätetischen  Massnahmen  eine  syste- 
itische  I  uberkulinkur.  Erst  wenn  diese  Mittel  versagen,  hält 
i  u  M?s*’rpa*’on  der  Milz  für  wichtig.  Wenn  man  aber  eine 
iche  Milz  gesehen  hat,  so  kann  man  sich  nicht  denken,  dass  sie 
ter  einer  inneren  Behandlung  zur  Ausheilung  kommmen  kann.  Eine 
iche  tuberkulöse  Milz  ist,  wie  das  auch  eine  ganze  Reihe  von  zur 
Auktion  gekommenen  Fällen  gezeigt  hat,  eine  dauernde  Gefahr  für 
n  Kranken  und  muss  entfernt  werden.  Der  primäre  Herd  ist  in  der 
•gel  nur  klein,  nicht  so  ausgedehnt  wie  in  dem  vom  Vortr.  be- 
nteten  Falle  und  kann  nach  Entfernung  der  Milz  zur  Ausheilung 
mmen.  Das  beweisen  die  Erfolge  bei  den  bis  jetzt  chirurgisch  be- 
noelten  Fällen.  Von  14  Kranken,  bei  denen  die  Milz  exstirpiert 
trde,  sind  10  geheilt  worden,  nur  4  sind  kurz  nach  der  Operation 
storben. 

^eJ"r  Q  e  i  P  e  I :  Die  Sektion  ergab  eine  Tuberkulose  des 
ff  P  h  a  t  i  s  c  h  e  n  Systems.  Befallen  waren  die  bronchialen 
itiphdrüsen,  einzelne  vordere  mediastinale,  sowie  die  retroperi- 
icalen.  Die  ersteren  waren  zu  einem  faustgrossen  Paket  ver¬ 
bolzen,  zeigten  multiple  kleine  Verkäsungen.  Auf  den  Lymph- 


drüsen  frische  Eruption  von  Knötchen,  die  übrigen  waren  frei  Die 
Milz  wog  640g  (Formalin),  war  übersät  mit  stecknadelkopfkgrosscn 
l  uberkeln.  Mikroskopisch  zeigten  Lymphdrüsen  und  Milz  einen 
nochgradigen  Bazillengehalt.  Inmitten  des  Käses  Haufen 
von  Bazillen,  die  im  gefärbten  Präparat  bereits  makroskopisch  sicht- 
)ai  waren.  G.  betont  das  völlige  Freibleiben  der  übrigen  Organe, 
vor  allem  der  Leber,  trotz  des  teilweise  hämatogenen  Verbreitungs- 
weges.  (Hinweis  auf  ähnliche  Erkrankungen  wie  S  t  e  r  n  b  e  r  g  sehe 
Krankheit.) 


Diskussion:  Herr  Schmaltz:  Ich  möchte  fragen,  wie  Herr 
v  enubert  die  Bezeichnung  „primäre  Milztuberkulose“  verstanden 
wissen  will.  Es  ist  mir  nicht  klar  geworden,  ob  die  Milz  primär  be¬ 
fallen  gewesen  ist. 

Herr  Rostoski:  Mir  ist  nicht  verständlich  geworden,  welche 
ausschlaggebende  Bedeutung  die  Tuberkulininjektionen  haben  sollten, 
ich  meine,  dass  man  mit  einer  positiven  Reaktion  nicht  viel  anfangen 
Konnte,  da  ja  fast  immer  ein  primärer  Tuberkuloseherd  vorhanden  ist 
und  auch  sonst  ein  tuberkulöser  Herd  auf  Tuberkulin  reagiert. 

Die  Milzexstirpation  wird  nur  ausnahmsweise  die  richtige 
1  nerapie  sein,  und  zwar  dann,  wenn  eine  geringe  Drüsentuber¬ 
kulose  vorliegt  In  dem  besprochenen  Falle,  wo  die  Driisencrkran- 
kung  so  ausgedehnt  war,  würde  die  Operation  ganz  zwecklos  ge¬ 
wesen  sein. 


Herr  Beschorner:  Das  Zusammenfallen  der  beiden  Vorträge 
am  heutigen  Abend  veranlasst  mich,  eine  Frage  zu  stellen.  Bei  den 
uberkulosearzten  besteht  neuerdings  die  Neigung,  Vergrösserungen 
der  Schilddrüse  als  Zeichen  tuberkulöser  Intoxikation  aufzufassen.  In 
letzter  Zeit  hat  ein  ungarischer  Autor  einen  Aufsatz  über  den  Zu- 
sam.fSen‘ianS  V0IJ  Tuberkulose  und  Vergrösserung  der  Schilddrüse 
veröffentlicht  und  ist  zu  dem  Schluss  gekommen,  es  sei  ein  Fehler 
wenn  man  nicht  jeden  Fall  von  Vergrösserung  der  Schilddrüse  mit 
I  uberkulm  behandelte. 

u  ^un£..1Isjt  Inir  aufgefallen,  dass  einigemale  bei  Sektionen  von 
Basedowfallen  als  Nebenbefund  Milztuberkulose  gefunden  wurde  Ich 
mochte  Herrn  Geipel  fragen,  ob  er  auch  dieses  Zusammentreffen 
öfters  gefunden  hat. 


Herr  G  m  e  i  n  e  r:  Im  Januar  ds.  Jrs.  stellte  Herr  Arnsperger 
auf  der  II.  inneren  Abteilung  des  Friedrichstädter  Krankenhauses 
einen  Fall  von  Milztuberkulose  vor,  der  operiert  werden  sollte  Ich 
mochte  fragen,  was  aus  diesem  Fall  geworden  ist. 

AUi  MCrr  s  f'del:  Ein  entsprechender  Fall  ist  auf  der  chirurgischen 
Abteilung  nicht  zur  Operation  gekommen. 

Herr  Naether  fragt,  ob  von  dem  vorgestellten  Fall  kein  Rönt- 
genbild  aufgenommen  worden  ist.  Auf  einem  solchen  können  die 
unter  Umständen  bis  zu  Kleinfaustgrösse  geschwollenen  —  Drüsen 
event.  nachgewiesen  werden. 


,  i-  H-eür  ,D^nrg  e  r:  Der  von  Herrn  Schubert  demonstrierte  Fall 
hat  mich  lebhaft  an  einen  anderen  erinnert,  den  ich  während  meiner 
1  atigkeit  auf  der  Inneren  Abteilung  des  Johannstädter  Krankenhauses 
beobachten  konnte  und  der  mir  aus  dem  Grunde  besonders  im  Ge¬ 
dächtnis  geblieben  ist,  weil  er  uns  allen  bei  der  Autopsie  eine  grosse 
und  ganz  unerwartete  Ueberraschung  bereitete.  Es  handelte  sich  um 
ein  junges  Mädchen  von  16  Jahren,  das  wegen  typhusverdächtigen  Er¬ 
scheinungen  ins  Krankenhaus  gebracht  wurde.  Die  Untersuchung  er- 
gab  hohes  Fieber  bei  verhältnismässig  wenig  beschleunigstem  Puls 
eichte  Benommenheit,  Milzschwellung  und  starke  Diazoreaktion  im 
Urin  Die  Zählung  der  weissen  Blutkörperchen  zeigte  eine  ausge¬ 
sprochene  Leukopenie.  Unter  diesen  Umständen  wurde  Typhus  dia¬ 
gnostiziert,  und  der  weitere  Verlauf  —  hohe  Kontinua  bei  andauernd 
relativ  langsamem  Puls  —  schien  dieser  Annahme  durchaus  zu  ent¬ 
sprechen.  Die  W  i  d  a  1  sehe  Reaktion  war  zwar  negativ,  doch  konnte 
dies  in  der  Diagnose  zunächst  nicht  schwankend  machen,  da  sich  die 
Kranke  nach  der  Anamnese  etwa  in  der  Mitte  der  2.  Krankheitswoche 
befand  Die  Methode  des  Typhusbazillennachweises  im  Venenblut 
durch  Anreicherung  in  der  K  a  y  s  e  r  -  C  o  n  r  a  d  sehen  Gallenröhre 
war  damals  noch  nicht  bekannt;  ihr  negativer  Ausfall  wäre  ein  wich¬ 
tiger  Fingerzeig  gewesen.  Nach  etwa  10  Tagen  trat  Herzschwäche 
ein,  der  die  Kranke  unter  rasch  fortschreitendem  Verfall  in  kurzer 
Zeit  erlag.  Die  Sektion  ergab  nun  nicht  den  mit  Sicherheit  er¬ 
warteten  Typhus,  sondern  eine  Tuberkulose  der  Bronchial¬ 
drüsen;  eine  Miliartuberkulose  war  nicht  vorhanden.  Ob  die  Milz 
in  ausgedehnterem  Masse  mit  erkrankt  war,  ist  mir  nicht  mehr  genau 

^rininre.,,ich‘  c^eirT1.  ^eu*e  von  Herrn  Schubert  besprochenen 

räll  fallt  nun,  worauf  ich  besonders  hinweisen  möchte,  das  Verhalten 
der  ulskurve  sehr  auf.  Auch  hier  ist  eine  ausgesprochene  r  e  1  a  - 
t  i  v  e  B  r  a  d  y  k  a  r  d  i  e  vorhanden.  Bei  einer  Temperatur  zwischen 
39  und  40  bewegt  sich  der  Puls  tagelang  zwischen  80  und  90  —  ge¬ 
nau  wie  in  dem  von  mir  erwähnten  Fall.  Es  ist  dies  um  so  be¬ 
merkenswerter,  als  es  sich  doch  gerade  um  sehr  schwere,  schliesslich 
letal  endende  Krankheitsbilder  handelte,  bei  denen  man  a  priori  weit 
eher  eine  unverhältnismässige  Pulsbeschleunigung  —  wie  wir  sie  bei 
malignen  Tuberkulosen  ja  sonst  zu  sehen  gewohnt  sind  —  erwarten 
sollte. 


Ich  glaube,  dass  es  vielleicht  möglich  sein  wird,  für  die  wie  es 
scheint  anatomisch  wohlcharakterisierte  Erkrankung  auch  ein  einiger- 
massen  typisches  klinisches  Krankheitsbild  herauszuschälen.  Bei  der 
ausserordentlichen  Aehnlichkeit  mit  Typhus  wird  es  sich  vor  allem 
darum  handeln,  die  in  Rede  stehende  Erkrankung  diagnostisch  vom 
Typhus  abzugrenzen,  was  wohl  in  erster  Linie  auf  negative  Weise, 


1854 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


durch  Ausbleiben  der  Agglutination  sowie  mangelnden  Nachweis  der 
Typhusbazillen  in  Blut  und  Stuhlgang,  zu  geschehen  hätte;  auch  der 
Nachweis  von  Tuberkelbazillen  im  Blut  wäre  zu  untersuchen. 
Schliesslich  würde  noch  eine  fortlaufende  morphologische  Blutanalyse, 
namentlich  hinsichtlich  der  einzelnen  Arten  der  Leukozyten,  deren 
Verhalten  bei  Typhus  sehr  genau  bekannt  ist,  unter  Umstanden 
wichtige  Aufschlüsse  geben  können. 

Herr  S  c  h  u  b  e  r  t;  Auf  die  Trage  des  Herrn  S  c  h  m  a  1 1  z  mochte 
ich  antworten,  dass  ich  nur  von  sogenannter  primärer  Milztuber- 
kulose  gesprochen  habe.  Die  primären  Herde  finden  sich  in  der 
Lunge  oder  in  den  Lymphdrüsen.  Die  früheren  Autoren  haben  aller¬ 
dings  von  primärer  Milztuberkulose  gesprochen. 

Die  diagnostische  Bedeutung  der  Tuberkulininjektion  liegt  hier, 
ähnlich  wie  bei  der  Lungentuberkulose,  in  der  Möglichkeit  des  Auf¬ 
tretens  einer  Herdreaktion,  die  in  diesem  Talle  voraussichtlich  in 
einer  Erhöhung  der  Druckempfindlichkeit  und  wahrscheinlich  auch  in 
einer  Schwellung  der  erkankten  Milz  bestanden  haben  würde.  Die 
Temperaturen  würden  allerdings  nicht  massgebend  gewesen  sein. 
Eine  Röntgenaufnahme  wurde  aus  verschiedenen  Gründen,  u.  a.  wegen 
des  schweren  Allgemcinzustandes,  nicht  vorgenommen.  Die  Tuber¬ 
kulose  der  Bronchialdrüsen  war  nicht  zu  diagnostizieren. 

Herr  G  e  i  p  e  1 ;  Herrn  Beschorner  möchte  ich  sagen,  dass 
das  Zusammentreffen  von  Thyreose  und  Milztuberlose  wohl  sicher 
ein  zufälliges  ist.  Milztuberkulose  ist  so  häufig,  dass  man  fast  in  der 
Mehrzahl  der  Tälle  einige  Tuberkeln  findet.  In  dem  von  mir  vorher 
erwähnten  Fall  von  Bronchialdrüsentuberkulose  war  eine  geringe 
Tuberkulose  der  Milz  vorhanden.  Die  Aehnlichkeit  des  Krankheits¬ 
bildes  mit  Typhus  ist  in  diesen  Fällen  gross.  Bemerkenswert  ist  auch, 
dass  die  Erkrankungsherde  in  solchen  Fällen  relativ  beschränkt  sind. 


Nr.  34. 


als  Kontrollmittel  zahnärztlicher  Behandlung  und  seine  Verwendung 
in  der  Orthodontie  und  der  Prothetik. 

Die  Bedeutung  des  Röntgenbildes  geht  über  das  praktische  Be¬ 
dürfnis  hinaus,  da  es  auch  Antwort  auf  manche  theoretische  1  rage  zu 
geben  vermag.  So  lehrt  es  deutlich,  dass  die  Resorption  von  Milch¬ 
zähnen  nicht  den  Druck  von  Nachfolgern  allen  als  Ursache  hat,  dass 
das  Wandern  der  Zähne  keineswegs  durch  Kaudruckverhältnisse  her- 
vorgerufen  zu  sein  braucht.  Auch  anthropologische  und  ethnologische 
Fragen  können  durch  das  Röntgenbild  beantwortet  werden,  wie  es 
auch  die  Altersbestimmung  ermöglicht. 

Die  Aufnahme  ist  mit  grossen  Schwierigkeiten  nicht  verknüpft. 
Der  gebräuchliche  Film,  der  in  die  Mundhöhle  kommt,  passt  sich  der 
Lokalisation  günstig  an.  Zu  berücksichtigen  ist  besQnders  die  Wahl 
der  Röhre,  deren  Härte  meistens  zwischen  weich  und  mittelweich 

liegen  muss.  ,  .  .  . 

Diskussion:  Herr  Stieda  demonstriert  einige  Rontgen- 
platten  und  Films,  die  Aufnahmen  von  Kiefer-  und  Zahnerkrankungen 
widergeben.  Dieselben  sind  in  den  letzten  Jahren  in  der  chirurgischen 
Poliklinik  angefertigt  worden  und  betreffen  Fälle  von  Zahnzysten, 
retinierten  Zähnen,  überzähligen  Zähnen,  Wurzelerkrankungen  u. 
dergl.  m.  _ 


Naturhistorisch-medizinischer  Verein  zu  Heidelberg. 

(Medizinische  Sektion.) 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  23.  Juni  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Hermann  Kos  sei. 
Schriftführer:  Herr  Carl  Franke. 


Verein  der  Aerzte  in  Halle  a.  S. 

(Bericht  des  Vereins.) 

Sitzung  vom  13.  Mai  1914 
Vorsitzender:  Herr  B  e  n  e  k  e. 
Schriftführer :  Herr  Stieda. 

demonstriert  einige 


pathologisch-ana- 


bedingt  durch 


Herr  Kretschmer 
tomische  Präparate. 

Zur  Diskussion  spricht  Herr  Beneke.  _ 

Herr  Goldstein:  jacksonsche  Epilepsie 

Cysticercus _celluleOsae^abe  stürzte  2  Jahre  vor  seiner  Einlieferung  in 
die  Klinik  von  der  Treppe  und  war  damals  ca.  15  Minuten  bewusstlos. 

2  Tage  später  ein  Anfall  mit  tonisch-klonischen  Zuckungen  in  allen 
Extremisten.  Dann  eine  Pause  von  fast  2  Jahren  Darauf  traten 
innerhalb  von  14  Tagen  5  Anfälle  auf,  die  mit  Knebeln  in  der  inken 
Hand  begannen  und  in  Zuckungen  des  linken  Armes  und  der  linken 
Hand  übergingen.  Objektiv  fand  sich  beim  Vorstrecken  der  Arme 
ein  Abknicken  der  linken  Hand  nach  unten  und  zeitweise  eine  Astereo- 
gnosie  der  linken  Hand.  Bei  der  von  Prof.  S  c  hm  leden  angeführ¬ 
ten  Operation  fand  sich  direkt  unter  der  Pia,  ein  Zentimeter  hinter  der 
Zentralfurche  in  der  Höhe  des  Handzentrums  ein  haselnussgrosser,  gut 
ausschälbarer  isolierter  Zystizerkus.  Glatter  Wundverlauf.  Bisher 
(6  Monate  nach  der  Operation)  trat  kein  Anfall  mehr  auf,  es  sind  über¬ 
haupt  weder  subjektive  noch  objektive  Symptome  mehr  nachweisbar 

Diskussion:  Herr  Schmieden  gibt  einige  klinische  Mit¬ 
teilungen  über  die  chirurgische  Behandlung  des  in  der  Hirnrinde  in 
der  motorischen  Region  in  diesem  Falle  aufgefundenen  Zystizerkus 
und  schildert  die  Leichtigkeit  eines  solchen  Eingriffs  und  seiner  Nach¬ 
behandlung,  wenn  wie  hier  als  Ursache  der  Epilepsie  eine  so  klare 
umschriebene  Veränderung  auffindbar  ist.  Da  weitere  Zystizerken  in 
dem  freigelegten  Gebiet  nicht  feststellbar  waren,  dürfte  die  Prognose 
des  Falles,  der  bisher  ohne  Rückfall  verlief,  eine  günstige  sein. 

Herr  Zahnarzt  H  i  r  s  c  h  (a.  G.) :  Das  Röntgenbild  in  der  Zahnhed- 

kunde.  (Mit  Lichtbildern.)  ,.  . 

Das  Röntgenbild,  welches  die  Entwicklung  der  ganzen  Medizin 
beeinflussen  konnte,  ist  dazu  berufen,  auch  in  der  Zahnheilkunde  eine 
grosse  Rolle  zu  spielen.  Die  vielen  Einzelheiten,  mit  denen  es  der 
Zahnarzt  zu  tun  hat,  können  mit  ihm  sichtbar  gemacht  und  zur  An¬ 
schauung  gebracht  werden.  Dieses  ist  für  die  Zahnheilkunde  von 
grosser  Bedeutung,  weil  viele  und  wichtige  Manipulationen  im  Inter¬ 
esse  einer  konservierenden  Therapie  in  Gebieten  vorgenommen  wer¬ 
den  müssen,  die  topographisch  ungünstig  lokalisiert  und  der  unmittel¬ 
baren  Betrachtung  entzogen  sind.  ......  ,. 

Der  Bereich  des  Kiefers  mit  seinen  Zahnen  erscheint  für  die  Rönt¬ 
genaufnahme  geradezu  prädestiniert.  Der  Knochen  zeichnet  seine 
Struktur  unverkennbar  in  das  Bild  hinein,  die  Zahne  mit  ihren  für 
Röntgenstrahlen  weniger  durchlässigen  Geweben  heben  sich  mit  allen 
ihren  Teilen  und  Details  vorteilhaft  ab,  fremde  Bestandteile,  wie  sie 
die  Zahnbestrahlung  erfordert,  abgebrochene  Instrumente,  die  ge¬ 
legentlich  zurückgelassen  werden,  Substanzverluste,  wie  sie  patho¬ 
logische  Prozesse  hervorrufen,  das  alles  sind  Dinge,  die  das  Rontgen- 
bild  deutlich  erkennen  lässt.  Deshalb  spielt  das  Röntgenbild  eine 
grosse  Rolle  für  Diagnostik  und  Therapie,  zumal  auch  Erscheinungen, 
die  in  das  Gebiet  der  Anomalien  gehören,  wie  Retention,  Dislokation, 
Ueberzahl  und  Unterzahl  von  Zähnen  zu  konstatieren  sind.  Das 
Angeführte  macht  auch  erklärlich  die  Verwendung  des  Rontgenbildes 


Herr  Neu:  Zystoskopische  Demonstration  eines  entlang  dem' 
rechten  Ureter  nach  der  Blase  zu  durchgebrochenen  paranephritiseben 
Abszesses  bei  einer  21  jährigen  landwirtschaftlichen  Arbeiterin. 

'  Nach  der  Anamnese  bestand  bei  der  Patientin  vom  zweiten 
Schwangerschaftsmonate  ab  eine  während  der  ganzen  Gravidität  an¬ 
dauernde  rechtsseitige  Pyelitis,  gelegentlich  heftige  Sclnnerzattackeii 
in  der  rechten  Seite,  Schüttelfröste.  Uebliche  interne  Behandlung. 
Am  b.  Wochenbettstage  Abgang  von  stark  eitrigem,  stinkendem  Urin. 
8  Wochen  später  Aufnahme  in  die  Universitäts-Frauenklinik.  Be¬ 
fund:  Aus  beiden  Ureteren  klarer  Urin.  Rechts  neben  der  rechten» 
Uretermündung  eine  kraterartige  Einziehung  (Perforationsöffnung),, 
aus  der  sich  zäher  Eiter,  besonders  bei  Druck  auf  die  vergrösserto 
rechte  Niere  entleert.  Rechter  Ureter  als  deutlich  verdickter  Strang 
zu  tasten.  Uterus  retrovertiert-flektiert.  Rechte  Adnexe  und  Becken-j 
Zellgewebe  elastisch.  Palpatorisch  und  röntgenologisch  ist  die  rechte 
Niere  enorm  vergrössert;  das  Pyelogramm  ergab  keine  erkennbare 
Nierenbeckenerweiterung.  Die  Diagnose  einer  auf  einer  früher 
bestandenen  Pyelitis  in  graviditate  beruhenden  Paranephritis  abscen- 
dens  ist  nach  alledem  gesichert.  Die  Patientin  wird  operiert  werden; 
von  dem  Befund  bei  der  Operation  wird  die  Ausdehnung  des  chirur¬ 
gischen  Eingriffes  abhängig  zu  machen  sein.  (Der  Fall  wird  aus¬ 
führlich  a.  0.  publiziert  werden.) 

Herr  Bettmann:  Krankeildemonstration:  Luetische  Iniektioi 

mit  Primäraffekt  an  der  Tonsille. 

Herr  Moro:  Ueber  den  Einfluss  der  Molke  auf  das  Darmepithel 

Die  Ueberlcgenheit  der  natürlichen  Ernährung  und  die  Minder¬ 
wertigkeit  der  Kuhmilchnahrung  beim  Säugling  ist  unter  anderem  au 
die  differente  Wirkung  beider  Molken  zurückzuführen,  und  zwar  er¬ 
gaben  Atmungsversuche  am  überlebenden  Darmepithel  verschiedene! 
Tierarten,  dass  die  am  Oxydationseffekt  gemessene  Lebensenergie  dei( 
isolierten  Darinzellen  im  Medium  artentsprechender  Molken  wesent 
lieh  höhere  Werte  erreicht,  als  im  Medium  heterologer  Molken.  Diesel 
Einfluss  der  Molken  auf  das  Darmepithel  beruht  zum  Teil  auf  spezifi¬ 
scher  Salzwirkung  vor  allem  aber  auf  der  Wirkung  gewisser,  wahr 
scheinlich  mit  Lipoidsubstanzen  zu  identifizierender  Molkenstofie.  Da: 
Molkeneiweiss  (homolog  oder  heterolog)  übt  auf  die  Oxydationsgrössi 
in  Darrnzellen  keinen  erkennbaren  Einfluss  aus,  wohl  aber  auf  die  re 
sorptive  Funktion,  wie  in  besonderen  Versuchen  (Freudenber; 
und  Schofmann)  gezeigt  werden  konnte.  Ueberlebender  Käloer 
darm  nahm  aus  Frauenmolke  wesentlich  weniger  Milchzucker  am 
als  aus  Kuhmolke.  Als  resorptionshemmendes  Prinzip  wurde  da 
heterologc  Molkeneiweiss  erkannt. 


Allgemeiner  ärztlicher  Verein  zu  Köln. 

(Bericht  des  Vereins.) 

Sitzung  vom  6.  Juli  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Strohn. 

Schriftführer:  Herr  Eugen  H  o  p  in  a  n  n. 

Herr  Grimm  zeigt  einen  9  Monate  alten  Säugling  mit  Bar 
I  o  w  scher  Krankheit  und  macht  hiebei  aufmerksam  auf  das  in  de 
letzten  Zeit  in  Köln  gehäuftere  Auftreten  dieser  Erkrankung.  Vorn 
hatte  Gelegenheit,  während  der  letzten  6  Monate  8  derartige  Krank 
heitsfälle  bei  Säuglingen  zu  beobachten,  welche  vor  ihrer  Erkran 
kung  eine  nur  kurze  Zeit  sterilisierte  Milch  neben  teilweiser  Beikos 
von  Gemüse  erhalten  hatten.  _ 

Herr  Grimm:  Neuere  Methoden  der  künstlichen  Ernanrun 
und  Ernährungstherapie  beim  Säugling. 


•5-  August  19H.  _  MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


1855 


Grösstenteils  auf  Grund  seiner  an  eigenen  Nachprüfungen  ge¬ 
wonnenen  Erfahrungen  berichtet  Vortr.  an  der  Hand  typischer  Kurven 
iher  die  in  letzter  Zeit  sowohl  als  Dauernahrung  wie  auch  als  Hcil- 
lahrung  bei  ernährungsgestörten  Säuglingen  vorgeschlagenen  Me- 
hoden  künstlicher  Ernährung.  Es  kamen  zur  Besprechung  die 
riedenthalsche  Milch,  die  molkenadaptierte  Milch  nach 
Schloss,  die  von  Niemann  angegebene  Methode  der  Möglich¬ 
st  einer  Fettanreicherung  der  Säuglingsnahrung  in  Form  von  melir- 
ich  gewaschener  Butter,  wodurch  diese  von  den  niederen  Fett- 
iuren  befreit  wird,  die  Eiweissrahmmilch  nach  Feer;  ferner 
inkel stein-Meyers  Eiweissmilch  und  die  als  Ersatz  hierfür 
orgeschlagenen  Herstellungsmcthoden  nach  Heim-John  und  nach 
n  g  e  1,  sowie  die  Quarkfettmilch  nach  Rietschel-Aschen- 
e  i  m. 

Von  den  im  Handel  befindlichen  Ersatzpräparaten  der  Eiweiss- 
lilch  haben  sich  Vortr.  das  Larosan  der  Firma  La  Roche  &  Co 
i  Gienzach  und  das  Tricalcol-Casei'n  der  Firma  Dr.  W.  Wolff 
Co.  in  Elberfeld  an  klinischen  und  poliklinischen  Material  als  ein 
ach  in  der  Aussenpraxis  wegen  leichter  Anwendungsweise  und  auch 
illigeren  Preises  brauchbares  Präparat  bewährt. 


Gynäkologische  Gesellschaft  München. 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzung  vom  16.  Juli  1914. 

Herr  Döderlein:  Demonstration  von  Instrumenten, 

1.  Sonde  und  Dilatatoren  mit  einem  kreisförmigen  Schutzblatt 
ir  Verhütung  zu  tiefen  Eindringens  in  den  Uterus  und  dadurch  Ver- 
nderung  der  Perforation  der  Uteruswand. 

2.  Instrument  zur  Perforation  und  Verkleinerung  des  Schädels, 
ssen  Besonderheit  neben  seiner  Länge  darin  liegt,  dass  die  beiden 
)ifcl  zuerst  angelegt  werden  und  den  Kopf  fixieren  und  dann  erst 
is  bohrerförmige  Perforatorium  eingeführt  wird. 

Diskussion:  Frau  Democh-Maurmeier  und  die 
ei  reu  Amann,  Ziegenspeck,  Döderlein. 

Herr  Dürck:  Demonstration  histologischer  Befunde  an  Karzi- 
uneii  nach  Mesothoriumbestrahlung. 

Es  handelt  sich  um  2_von  Klein  behandelte  Fälle  und  zwar 
um  ein  Gesichtskarzinom,  das  durch  Mesothorium  geheilt  wurde, 
id  2.  um  einen  kindskopfgrossen  Tumor  der  Weichengegend,  der 
r  ein  Nebennierenkarzinom  gehalten  wurde.  Mesothoriumauflage- 
ng  brachte  die  Geschwulst  grösstenteils  zum  Schwinden,  vor  ein 
■«Wochen  Darmperforation;  Exitus.  Bei  der  Besprechung  des 
thologisch-anatomischen  Verhaltens  der  beiden  Fälle  geht  Dürck 
von  aus,  dass  sich  betreffs  der  Einwirkung  der  Radiumtherapie 
ei  Anschauungen  gegenüberstehen.  Die  erste  sucht  die  Erklärung 
einer  Schädigung  der  Kerne  und  Zerstörung  der  Kernsubstanz, 

"  zweite  in  einer  starken  Anregung  des  Bindegewebswachstums, 
•durch  das  Tumorgewebe  umschniirt,  in  seiner  Ernährung  gestört 
d  zum  Zerfall  gebracht  werde.  Bei  dem  Gesichtskarzinom  sieht 
ui  an  einigen  Stellen  in  der  Tiefe  das  Wachstum  der  Neubildung 
gestört  vor  sich  gehen,  an  oberflächlicheren  Stellen  dagegen  er- 
nnt  man  ein  ungemein  zellreiches  Granulationsgewebe,  das  die 
irzinomzellen  durch  seine  Wucherung  auseinandergesprengt  hat 
J  ausser  Ernährung  setzt,  eine  Nekrobiose  der  eigentlichen  Tumor- 
niente  bewirkt.-  Daneben  sieht  man  eine  ausgedehnte  Zytophagie, 

1  h.  Eindringen  zahlreicher  Fresszellen  zwischen  die  offenbar  schon 
schädigten  Krebszellen. 

Im  2.  Falle  handelte  es  sich  um  ein  Gallertkarzinom  des  Blind- 
rmes:  an  den  mikroskopischen  Bildern  des  von  einer  derben  binde- 
\v ebigen  Kapsel  umhüllten  Karzinoms  sieht  man  von  der  Kapsel 
•  släufer  des  Bindegewebes  zwischen  die  Krebselemente  sich  vor- 
, hieben  und  diese  in  ihrer  Ernährung  schädigen.  An  anderen 
-llen  ist  das  Bindegewebe  ganz  kernarm  und  weist  Alveolen  auf 
n  den  zerstörten  Tumorzellen.  Vielfach  sind  Riesenzellen  zu 
uen,  vielfach  auch  Wanderzellen,  welche  die  Krebszellen  durch- 
v.zen 


n, 


Diskussion:  die  Herren  Oberndorfer,  D  ö  d  e  r  I  e 
11  a  n  n,  Hengge,  D  ü  r  c  k. 

Herr  Döderlein:  Venentinterbindung  bei  Thrombophlebitis 

i  -rperalis. 

Vertragender  bespricht  zuerst  die  verschiedenen  Fälle  von 
rombophlebitis  puerperalis  und  berichtet  über  3  Venenunter- 
uungen  ohne  jeden  Erfolg.  Erst  nach  längerer  Zeit  entschloss  er 
'  h,  die  Methode  nochmals  zu  versuchen,  und  es  gelang  ihm,  die 
t.  zu  retten.  Der  erste  Schüttelfrost  trat  in  diesem  Falle  am 
P.ost  Part-  atif,  dann  folgten  bis  zum  19.  Tage  noch  6  weitere 
•  nutteltröste,  darauf  Operation.  Vortr.  hielt  sich  nicht  mit  dem 
rauspräparieren  der  Venen  auf,  sondern  unterband  beiderseits 
I*  Hig.  infundibulo-pelvicum  und  ebenfalls  beiderseits  die  Vena 
Pegastrica.  Jetzt  —  nach  38  Tagen  —  allmählicher  Abfall  der 
mperatur,  kein  Schüttelfrost  mehr. 

D  i  s  k  u  s  s  i  o  n :  die  Herren  Dürck,  Hengge,  Klein,  D  ö  - 
r  ‘  c  *  n-  Gi.  Wiener-  München. 


Aus  ärztlichen  Standesvereinen. 

Neuer  Standesverein  Münchener  Aerzte. 

Sitzung  vom  13.  Juli  1914. 

Nach  Bekanntgabe  des  Einlaufes  durch  den  Vorsitzenden  Herrn 

ergeat  referierte  Herr  Hoeflmayr  über  den  Hauptpunkt  der 
i agesordnung:  „Aenderung  des  bayerischen  Polizei- 
Strafgesetzbuches“,  dessen  Entwurf  dem  Landtage  zur  Be- 
ratung  und  Beschlussfassung  von  der  Regierung  zugegangen  ist.  Mit 
Befriedigung  nahm  die  Versammlung  von  der  neuen  Bestimmung 
tvenntms,  dass  Vorführungen  über  Magnetismus,  Suggestion,  Hypnose 
ohne  Erlaubnis  der  Polizei  nicht  zugelassen  werden  sollen.  Von 
gtossem  Interesse  waren  die  die  Irrenfürsorge  betreffenden  Aende- 
rungen  Nach  den  bisherigen  Bestimmungen  wurde,  wie  Referent 
austunrte,  nur  derjenige  mit  einer  kleinen  Strafe  bedroht,  der  einen 
H  SIC™  anvertrauten  Geisteskranken,  der  für  die  öffentliche 
oittlicnkeit  oder  sonst  gemeingefährlich  war,  frei  herumgehen  Hess 
und  die  Polizeibehörde  des  Heimatortes  konnte  einen  solchen  Kranken 
in  eine  Anstalt  einweisen.  In  der  Novelle  wird  nun  die  Vernachlässigung 
der  Beaufsichtigung  eines  Geisteskranken  überhaupt  unter  Strafe  ge¬ 
stellt  und  das  Strafmass  wesentlich  erhöht.  Als  zuständig  für  die 
Einweisung  des  Kranken  in  eine  Anstalt  wird  die  Polizeibehörde  des 
Aufenthaltsortes  bestimmt.  Als  Voraussetzung  für  die  Einweisung 
wird  nicht  mehr  der  Nachweis  der  Gemeingefährlichkeit  gefordert 
es  genügt  die  Anstaltsbedürftigkeit.  Den  Antrag  auf  Einweisung 
können  nach  dem  Entwürfe  nicht  nur  Angehörige  und  Verwandte  des 
Kranken  sondern  auch  Vorgesetzte,  Behörden,  Körperschaften,  auch 
Aerzte  stellen.  Die  Einweisungsmöglichkeit  wird  demnach  sehr  er¬ 
leichtert.  Sowohl  der  Kreis  derer,  welche  einer  Anstalt  zugeführt 
werden  können,  ah  auch  jener,  welchen  der  Antrag  auf  Einweisung 
obliegt  und  damit  auch  die  Verantwortung  zufällt,  ist  wesentlich  er¬ 
weitert.  Der  eingewiesene  Kranke  kann  dann  Beschwerde  einlegen. 
Zu  deren  Verbescheidung  ist  nur  dann  eine  neuerliche  ärztliche  Unter¬ 
suchung  notwendig,  wenn  die  letzte  6  Monate  zurückliegt.  Die  Ent¬ 
scheidung  über  die  dauernde  Verwahrung  eines  Kranken  in  einer 
Anstalt  wird  dem  Amtsgerichte  übertragen.  Für  eine  zu  frühzeitige 
Entlassung  eines  Kranken  können  alle  Beteiligten  verantwortlich  ge- 
macht  werden,  auch  der  Hausarzt  kann  betroffen  werden.  Endlich 
sieht  der  Entwurf  auch  die  zwangsweise  ärztliche  Ueberwachung 
Geisteskranker  ausserhalb  der  Anstalt  vor.  In  der  Kammer  der 
Reichsräte  wurden  diese  Neuerungen  nicht  angenommen,  aber  nur 
deswegen,  weil  man  formell  an  der  Unterbringung  der  Bestimmungen 
über  Irrenfürsorge  im  Polizeistrafgesetzbuche  Anstoss  nahm. 

In  der  nun  folgenden  lebhaften  Diskussion  über  den  Gegenstand, 
an  der  sich  die  Herren  Ranke,  Becker,  Hoeflmayr,  Grass¬ 
mann,  B  e  r  g  e  a  t  und  N  o  d  e  r  wiederholt  beteiligten,  wurden  be¬ 
sonders  folgende  Punkte  hervorgehoben:  Die  gesetzliche  Regelung 
der  Irrenfürsorge,  insbesondere  der  Aufnahme  in  Anstalten  und  Ent¬ 
lassung  aus  denselben  —  bisher  konnten  die  Angehörigen  jederzeit 
einen  Kranken  aus  der  Anstalt  entfernen  — ,  dann  der  Ueberwachung 
ausserhalb  der  Anstalt  ist  sehr  zu  begrüssen.  Da  für  das  Zustande¬ 
kommen  eines  eigenen  Irrengesetzes  zurzeit  wenig  Aussicht  besteht, 
können  die  Bestimmungen  sehr  wohl  einstweilen  im  Polizeistraf¬ 
gesetzbuch  wie  bisher  untergebracht  werden.  Etwas  ganz  Neues  ist 
es,  dass  die  ordentlichen  Gerichte  über  rein  ärztliche  Begriffe  ent¬ 
scheiden  sollen.  _  Ihnen  wird  damit  eine  ganz  bedeutende  Arbeitslast 
aufgebürdet.  Die  Anstalten  für  Geisteskranke  haben  mit  einer  er¬ 
heblichen  Vermehrung  der  Krankenzufuhr  zu  rechnen,  deren  Be¬ 
wältigung  Schwierigkeiten  machen  wird.  Die  Verantwortlichkeit  der 
Sanatoriumsbesitzer  wird  bei  Aufnahme  psychisch  Kranker  bedeutend 
erhöht.  Sehr  schwierig  wird  sich  aber  nach  aller  Voraussicht  auch 
der  Standpunkt  des  praktischen  Arztes  gestalten.  Ihm  wird  vom 
Publikum  die  Entscheidung,  ob  ein  Kranker  anstaltsbedürftig  ist  oder 
nicht,  und  damit  auch  die  Verantwortung  zugeschoben.  Die  Ent¬ 
scheidung  ist  aber  für  ihn  oft  recht  schwierig;  er  sieht  den  Kranken 
nur  hie  und  da,  vielleicht  zum  ersten  Male,  wird  von  den  Angehörigen 
des  Kranken  bei  deren  bekannten  Abneigung  gegen  Anstaltsbehand- 
lung  häung  absichtlich  ungenau  informiert  und  eine  Entscheidung  für 
Anstaltsbegürftigkeit  wird  ihm  oft  recht  übel  genommen.  Gleich¬ 
wohl  wird  die  Haftung  für  alle  Folgen  ihm  aufgeladen;  ausserdem 
aber  noch  gar  mancher  Patient  seiner  Behandlung  entzogen.  Jeden¬ 
falls  können  die  Aerzte  die  ihnen  darin  auferlegte  weitgehende  Ver¬ 
antwortlichkeit  und  Haftung  nicht  auf  sich  nehmen. 

Einem  Anträge  Hoeflmayr-Bergeat  entsprechend  be¬ 
schloss  die  Versammlung  einstimmig:  Es  sollen  nach  vor¬ 
heriger  näherer  Information  eventuell  ent¬ 
sprechende  Schritte  bei  der  Kgl.  Staatsregierung 
und  den  Parlamenten  unternommen  werden,  damit 
die  weitgehende  Haftung  des  praktischen  Arztes 
aus  dem  Gesetze  vor  dem  Zustandekommen  des¬ 
selben  beseitigt  werde. 

Im  Anschlüsse  hieran  berichtete  Herr  Becker*)  darüber,  dass 
in  Bayern  zur  Eindämmung  der  Kurpfuscherei  noch  gar  nichts  ge¬ 
schehen  sei,  während  in  den  meisten  anderen  Bundesstaaten  durch 
Einführung  der  Anmeldepflicht  für  die  Kurpfuscher  und  deren  Ueber¬ 
wachung  die  Schäden  der  Kurpfuscherei  gemildert  worden  seien  und 


*)  Das  Referat  findet  sich  abgedruckt  auf  S.  1846  der  M.m.W. 


1856 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


dass  daher  schon  mancher  Kurpiuschcr,  dem  der  Boden  anderwärts 
zu  heiss  geworden  war,  sich  nach  Bayern  gewandt  habe.  Sein  Vor- 
schlag,  an  den  massgebenden  Stellen  vorstellig  zu 
werden,  dass  anlässlich  der  Aenderung  des  Polizei¬ 
strafgesetzbuches  auch  in  Bayern  Vorschritten 
über  die  Kurpfuscherei  erlassen  werden  mit  Hin¬ 
weis  auf  die  anderen  Bundesstaaten,  fand  einstimmige  ^ 

Annahme.  ...  „  ... 

Es  folgte  noch  die  kurze  Besprechung  eines  vorläufigen  Pro- 
grammes  für  die  Begehung  des  10  jährigen  Stiftungsfestes  des  Neuen 
Standesvereines. 

Mit  der  Aufnahme  eines  Mitgliedes  schloss  die  Sitzung  um 
11  y4  yilr.  Dr.  K.  Qoertz. 


Verschiedenes. 

Therapeutische  Notizen. 

Die  Behandlung  der  Leukämie  mit  Benzol,  die  zu¬ 
erst  K  0  r  a  n  y  i  für  solche  Fälle  empfohlen  hat,  bei  welchen  Röntgen¬ 
strahlen  unwirksam  bleiben,  bespricht  L  i  b  e  r  0  w  -  Tomsk  an  der 
Hand  eines  ausserordentlich  schweren  Falles  von  myelogener  Leu¬ 
kämie.  Bei  der  Patientin  betrug  vor  der  Behandlung  die  Zahl  der 
weissen  Blutkörperchen  über  300  000,  nach  einer  2  Monate  langen 
Behandlung  mit  täglicher  Verabreichung  von  1,5— 2,0  g  Benzol  nur 

noch  18  000.  , 

Liberow  warnt  davor,  das  Benzol  in  grösseren  Dosen  als  2,0 
bis  3,0  g  zu  geben  und  rät  dringend,  das  Blut  und  den  Harn  des 
Patienten  ständig  zu  kontrollieren,  um  eine  für  das  Leben  des  Pa¬ 
tienten  bedrohlich  werdende  Aplasie  der  blutbildenden  Organe  zu 
verhüten.  Von  einer  Heilung  der  Leukämie  kann  auch  bei  dem  Ben¬ 
zol  nicht  die  Rede  sein,  da  trotz  der  fast  normalen  Anzahl  der 
weissen  Blutkörperchen  die  leukämische  Zusammensetzung  des  Blu¬ 
tes  bestehen  bleibt.  (Ther.  Mh.  1914  H.  5  )  Kr. 

Zwei  therapeutische  Vorschläge  für  die  gy¬ 
näkologische  Praxis  macht  E.  Landsberg  -  Halle. 
Erstens  empfiehlt  er  die  subkutane  Einspritzung  einer  1  p  r  0  z.  Lö¬ 
sung  von  Calcium  lacticum  bei  Entzündungsprozessen  der 
weiblichen  Genitalien:  wie  Adnextumoren,  Parametritis  und  akuter 
Adnexitis.  Die  Injektion  von  2—3  ccm  der  Lösung  geschah  in  mög¬ 
lichster  Nähe  der  entzündeten  Stellen. 

Sein  zweiter  therapeutischer  Vorschlag  betrifft  die  Bekämp¬ 
fung  zu  starker  Uterus  Blutungen,  besonders  in  der 
Pubertät,  durch  Extrakte  aus  Corpora  lutea  vera.  Diese 
Extrakte  sind  von  der  Firma  Hoffman  n-La  Roche  her¬ 
gestellt  worden  und  unter  dem  Namen  Veroglandol  erhältlich.  7  von 
L.  wegen  Pubertätsblutungen  mit  Veroglandol  behandelte  Fälle 
wiesen  einen  vollen  Erfolg  auf;  bereits  nach  6 — 8  Einspritzungen  von 
je  1  ccm  Veroglandol  stand  die  Blutung  vollkommen.  (Ther.  Mh. 
1914  H.  5.)  Kr. 


_ Wir  werden  ersucht,  darauf  hinzuweisen,  dass  die  Apollinaris 

Co  Limited  in  London,  die  in  Neuenahr  a.  Rh.  den  Versand  des  be¬ 
kannten  Apollinarisbrunnens  betreibt,  eine  rein  engli¬ 
sche  Gesellschaft  ist.  Es  wäre  wohl  an  der  Zeit,  den  Ver¬ 
brauch  dieses  Wassers  in  Deutschland  einzustellen.  Von  der  gleichen 
englischen  Gesellschaft  wird  das  Apcnta-Bitterw  asser  ver¬ 
_  Pest.  Britisch  Ostindien.  Vom  28.  Juni  bis  4.  Juli  er¬ 
krankten  542  und  starben  474  Personen.  —  Niederländisch  Indien. 
Vom  1  14.  Juli  wurden  470  Erkrankungen  (und  479  Todesfälle)  ge¬ 

meldet.  Für  die  Zeit  vom  17.— 30.  Juni  sind  nachträglich  aus  dem 
Bezirke  Malang  noch  19  und  aus  Magetan  2  Todesfälle  mitgeteilt 
worden  -  Hongkong.  Vom  21.  Juni  bis  4.  Juli  57  Erkrankungen 
(davon  26  in  der  Stadt  Viktoria)  und  49  Todesfälle.  —  Vereinigte 
Staaten  von  Amerika.  In  New  Orleans  sind  vom  29.  Juni  bis  17.  Jul: 

3  neue  Pestfälle  gemeldet  worden. 

In  der  30.  Jahreswoche,  vom  26.  Juli  bis  1.  August  1914, 
hatten  von  deutschen  Städten  über  40  000  Einwohner  die  grösste 
Sterblichkeit  Tilsit  mit  36,1,  die  geringste  Altenburg  mit  2,5  Todes¬ 
fällen  pro  Jahr  und  1000  Einwohner.  Vöff.  Kais.  Ges.A. 

(Hochschulnachrichten.) 

Berlin.  Preisaufgaben.  Die  Medizinische  Fakultät  stellt  für! 
den  Königlichen  Preis  eine  Arbeit  über  die  diagnostische  und  thera¬ 
peutische  Bedeutung  des  Kokkobazillus  Ozaenae  foetidus  (P  e  r  e  z)  zur 
Aufgabe,  sowie  aus  dem  Vorjahr  das  Thema:  Möglichst  zahlreiche 
Fälle  von  allgemeiner  und  lokalisierter  (Meningitis!),  tödlicher  Miliar- 
tuberkulöse  sollen  auf  Art,  Ort  usw.  älterer  tuberkulöser  Herde  unter-  j 
sucht  und  besonders  in  Rücksicht  auf  die  Frage  einer  erworbenen 
Tuberkuloseimmunität  erörtert  werden.  Die  Aufgabe  für  den  städti¬ 
schen  Preis  lautet:  Die  pharmakologischen  Wirkungen  des  Benzols, 
sind  namentlich  in  bezug  auf  Atmung  und  Blutdruck  zu  untersuchen. 

B  e  r  n.  A11  Stelle  des  verstorbenen  Professors  H.  Kroneckerj 
wurde  der  a.  o.  Professor  Dr.  med.  Leon  Asher  zum  ordentlichen 
Professor  der  Physiologie  ernannt,  (hk.) 

G  r  a  z.  Dr.  med.  Rupert  Franz  habilitierte  sich  als  Privat- 1 
dozent  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie,  (hk.) 

Innsbruck.  Dem  a.  0.  Professor  der  Zahnheilkunde  Dr.  Bern¬ 
hard  Mayrhofer  wurde  der  Titel  und  Charakter  eines  ordentlichen 
Universitätsprofessors  verliehen. 

P  r  a  g.  Der  mit  dem  Titel  eines  a.  0.  Universitätsprofessors  be¬ 
kleidete  Privatdozent  Dr.  Rudolf  Fischl  wurde  zum  a.  0.  Professor 
für  Kinderheilkunde,  der  Titularprofessor  Dr.  Rudolf  Winternitz 
zum  a.  0.  Professor  für  Dermatologie  und  Syphilis,  beide  an  der 
deutschen  Universität,  ernannt.  I 

W  i  e  n.  Als  Privatdozenten  wurden  zugelassen:  Dr.  med.  Rudoli 
Müller  für  Dermatologie  und  Syphilidologie  und  Dr.  Oskar 
Frankl  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie,  (hk.) 

Zürich.  Dem  Privatdozenten  für  Chirurgie,  Sekundararzt  der 
chirurgischen  Klinik  der  Universität  Zürich  Dr.  Karl  Henschen 
wurde  der  Professortitel  verliehen,  (hk.) 

(Todesfall.) 

Der  hervorragende  Freiburger  Gynäkologe  Wirkl.  Geheimer  Rat 
Alfred  He  gar  ist  85  Jahre  alt  gestorben.  Ein  Nekrolog  wird  folgen.: 


Tagesgeschichtliche  Notizen. 

München,  den  22.  August  1914.  ^ 

—  Das  Präsidium  des  Deutschen  Zentralkomitees  zur  Be¬ 
kämpfung  der  Tuberkulose  erlässt  einen  Aufruf  an  alle 
diejenigen  Stellen,  die  sich  bis  jetzt  mit  der  Tuberkulosebekämpfung 
beschäftigt  haben,  diese  Tätigkeit  auch  während  des  Krieges  fort¬ 
zusetzen.  Selbstverständlich  erfordert  die  augenblickliche  Not  des 
Vaterlandes,  dass  alle  verfügbaren  Kräfte  und  Mittel  zuerst  dafür  ein¬ 
gesetzt  werden,  um  den  Sieg  zu  erringen.  Dadurch  werden  eine 
grosse  Anzahl  derjenigen  Personen,  die  sich  in  Friedenszeiten  der 
Tuberkulosebekämpfung  widmeten,  dieser  Tätigkeit  entzogen.  Schon 
haben  zahlreiche  Lungenheilstätten  geschlossen  werden  müssen  und 
viele  Auskunfts-  und  Fürsorgestellen  für  Lungenkranke  ihre  vor¬ 
beugende  Tätigkeit  eingestellt.  Damit  erhebt  sich  die  Gefahr,  dass 
der  Kampf  gegen  die  Tuberkulose,  den  gefährlichsten  Feind  des 
Volkes,  erlahmen  könnte.  Die  Tuberkulosefürsorge  darf  aber  keine 
Unterbrechung  erfahren;  wer  immer,  sei  es  beruflich,  sei  es  ehrenamt¬ 
lich,  in  der  Fürsorge  für  die  Tuberkulösen  tätig  gewesen  ist,  möge 
auf  seinem  Posten  verharren,  und  mögen  sich,  wo  Lücken  in  den 
Reihen  der  Tuberkulosekämpfer  entstanden  sind,  recht  bald  freiwillige 
Helfer  und  Helferinnen  finden,  die  bereit  sind,  an  diesem  edlen  Werke 
für  die  Volksgesundheit  mitzuarbeiten. 

—  Die  zahlreichen  Kongresse,  die  im  Laufe  der  nächsten  Mo¬ 
nate  hätten  stattfinden  sollen,  müssen  infolge  des  Krieges  selbstver¬ 
ständlich  ausfallen.  So  wird  die  Naturforscherversammlung  in  Han¬ 
nover  abgesagt,  der  III.  internationale  Kongress  für  Gewerbekrank¬ 
heiten  in  Wien,  die  Versammlung  deutscher  Nervenärzte  in  Bern;  die 
anderen  werden  wohl  oder  übel  folgen  müssen.  Das  Erscheinen 
unseres  „Kongresskalenders“  haben  wir  mit  Kriegsbeginn  eingestellt. 
Inter  arma  silent  musae. 

—  Der  für  Oktober  in  Aussicht  genommene  Fortbildungs¬ 
kurs  für  bayerische  Bezirksärzte  findet  nicht  statt. 

—  Reisebeihilfen  für  bayerische  Aerzte  (s.  d.  W.  Nr.  28, 
S.  1600)  werden  bis  auf  weiteres  nicht  gewährt. 


Uebersicht  der  Sterbefälle  in  München 

während  der  31.  Jahreswoche  vom  2.  bis  8.  August  1914. 

Bevölkerungszahl  640  000. 

Todesursachen:  Angeborene  Lebensschwäche  einschl.  Bildungs¬ 
fehler  14  (5 l),  Altersschw.  (über  60  Jahre)  4  (6),  Kindbettfieber  —  (1). 
and.  Folgen  der  Geburt  und  Schwangerschaft  —  (— ),  Scharlach  —  (— )■ 
Masern  u.  Röteln  —  (1),  Diphtherie  u.  Krupp  —  (— ),  Keuchhusten  1  (3' 
Typhus  (ausschl.  Paratvphus)  —  (— ),  akut.  Gelenkrheumatismus  -  (1' 
übertragbare  Tierkrankh.,  d.  s.  Milzbrand,  Rotzkrankh.,  Hundswut 
Trichinenkrankh.  —  (— ),  Rose  (Erysipel)  —  (1),  Starrkrampf  -  (-) 
Blutvergiftung  —  (1),  Tuberkul.  der  Lungen  24  (15),  Tuberkul.  and.  Org, 
(auch  Skrofulöse)  2  (8),  akute  allgem.  Miliartuberkulose  —  (1),  Lungen- 
entziind.,  kruppöse  wie  katarrh.  usw.  8  (3),  Influenza  —  (— ),  veneri¬ 
sche  Krankh.  1  (1),  and.  übertragbare  Krankh.:  Pocken,  Fleckfieber 
Ruhr,  Genickstarre,  Strahlenpilzkrankh.,  Lepra,  asiat.  Cholera,  Wechsel 
fieber  usw.  —  ( — ),  Zuckerkrankh.  (ausschl.  Diab.  insip.)  3  (3),  Alkohohs- 
rnus  —  (— ),  Entzünd,  u.  Katarrhe  der  Atmungsorg.  —  (1),  sonst.  Krankh 
d.  Atmungsorgane  1  (2),  organ.  Herzleiden  9  (11),  Herzschlag,  Herz 
lähmung  (ohne  näh.  Angabe  d.  Grundleidens)  3  (2),  Arterienverkalkung 
3  (5),  sonstige  Herz-  u.  Blutgefässkrankh.  2  (4),  Gehirnschlag  4  (12) 
Geisteskrankh.  1  (3),  Krämpfe  d.  Kinder  1  (3),  sonst.  Krankh.  d.Nerven 
Systems  5  (4),  Atrophie  der  Kinder  4  (4),  Brechdurchfall  2  ( — ),  Magen 
katarrh,  Darmkatarrh,  Durchfall,  Cholera  nostras  12  (15),  Blinddarm 
entzünd.  3  (1),  Krankh.  der  Leber,  Gallenblase,  Bauchspeicheldrüse  u 
Milz  2  (l),  sonst.  Krankh.  der  Verdauungsorg.  2  (4),  Nierenentzünd.  5  (8! 
sonst.  Krankh.  der  Harn-  u.  Geschlechtsorg.  3  (2),  Krebs  14  (16).  sonst 
Neubildungen  4  (4),  Krankh.  der  äuss.  Bedeckungen  3  ( — ),  Krankh.  de 
Bewegungsorgane  —  ( — ),  Selbstmord  7  (5),  Mord,  Totschlag,  auo 
Hinricht.  —  (—),  Verunglückung  u.  andere  gewalts.  Einwirkungen  H  T 
andere  benannte  Todesursachen  —  (8),  Todesursache  nicht  (genau 
angegeben  (ausser  den  betr.  Fällen  gewaltsamen  Todes)  1  (— )• 
Gesamtzahl  der  Sterbefälle:  159  (168). 


')  Die  eingeklammerten  Zahlen  bedeuten  die  Fälle  der  Vorwoche 


!edaktion:  Dr.  B.  Spatz, 
tünchen,  Arnulfstrasse  26. 


MÜNCHENER 


Verlag  von  J.  F.  Lehmann, 

München,  Paul  Heysestr.26. 


Medizinische  Wochenschrift. 


Nr.  34.  25.  August  1914. 


Feldärztliche  Beilage  Nr.  3. 


Seekriegschirurgie  und  kriegschirurgische  Dogmen. 

Von  Marineoberstabsarzt  Dr.  M.  zur  Verth  in  Kiel. 

Nirgends  sind  zur  Verwundetenversorgung  feste  Leitsätze 
js  Handelns  so  erforderlich,  als  unter  den  ungünstigen  Um- 
änden  des  Seekrieges  *).  Die  geringe  Erfahrung,  die  bis 
ihin  auf  dem  Gebiete  der  Seekriegschirurgie  vorliegt  —  ver- 
ertbar  sind  ausser  den  Lehren  gelegentlicher  Friedensunfälle 
mptsächlich  die  zum  Teil  recht  spärlich  fliessenden  Quellen 
?er  den  spanisch-amerikanischen,  chinesisch-japanischen  und 
issisch-japanischen  Krieg  —  sind  die  Veranlassung,  die  fest- 
ehenden  und  gesicherten  Lehren  der  Kriegschirurgie  zur  Auf- 
ellung  dieser  Leitsätze  in  weitestem  Masse  heranzuziehen, 
ie  durchaus  anderen  Verhältnisse,  unter  denen  sich  der  See- 
ieg  vollzieht  —  ich  darf  sie  hier  als  bekannt  voraussetzen  — 
■ben  indes  für  die  Verwundetenversorgung  und  ihre  Vor- 
reitung  im  Seekrieg  gewisse  grundlegende  Unterschiede 
‘gen  den  Krieg  zu  Land,  deren  klare  Erkennung  zur  Auf- 
Hlung  von  Leitsätzen  für  den  Seekrieg  notwendig  ist.  Soweit 
e  Unterschiede  für  die  Tätigkeit  des  Marinesanitätsoffiziers 
esentlich  sind,  sollen  sie  in  folgendem  untersucht  werden. 

Ich  vermeide  es,  die  letzteren  Folgerungen  im  einzelnen 
ziehen  und  begnüge  mich  damit,  die  grundlegenden  Ver- 
hiedenheiten  in  grossen  Zügen  zu  erörtern.  Sie  ziehen  sich 
rch  das  ganze  Gebiet  des  Gefechtssanitätsdienstes,  be¬ 
inend  mit  der  Möglichkeit  weitausholender 
riedensvorsorge  zur  Besserung  des  Ver- 
tzung sausganges,  sie  äussern  sich  besonders  in  der 
rt,  weniger  in  der  Zahl  der  Verletzungen,  end- 
h  auch  im  Transport  der  Verletzten  und  in  der 
ersorgung  ihrer  Wunden. 

Der  Gedanke  vor  einem  Gefecht,  in  dem  ja  die  Verletzung 
1 1er  Anzahl  von  Mitkämpfern  zu  erwarten  ist,  diese  Teil- 
ihmer  durch  natürliche  und  künstliche  Vorbereitung  zum 
i  (glichst  glatten  Ueberstehen  der  Verletzung  geeignet  zu 
liehen,  liegt  viel  zu  nahe,  als  dass  er  nicht  auch  für  die  Land- 
Tiee  erörtert  und  versucht  wurde.  Für  die  Landarmee  wird 
;  von  A.  Köhler-1)  als  indiskutierbar  kurz  abgelehnt.  Ob 
•se  scharfe  Ablehnung  so  ganz  berechtigt  ist,  scheint  etwas 
eifelhaft.  Soll  es  doch  den  Japanern  auf  dem  fraglos  für 
gienische  Massnahmen  nicht  gerade  günstigen  Kriegsschau- 
tz  Ostasiens  gelungen  sein,  hin  und  wieder  die  Körper  ihrer 
Idaten  frisch  gewaschen  und  mit  frischen  Kleidern  versehen 
Gefecht  zu  schicken.  Im  allgemeinen  wird  man  freilich 
i  h  1  e  r  recht  geben  müssen,  dass  zur  Vornahme  praktischer 
T*e ne  im  Felde  bei  der  Armee  die  Zeit,  die  Mittel  und  das 
•  ^führende  Personal  mangeln,  dass  also  für  die  Armee  diesen 
stiebungen  viel  praktischer  Wert  nicht  zukommt. 

)  Näheres  darüber  siehe  zur  Verth:  Grundzüge  der 
'gemeinen  Seekriegschirurgie.  M.m.W.  1912  Nr.  47 
austührlicher  „Handbuch  der  Gesundheitspflege  an  Bord  von 
egsschiffen“.  Kap.  IX.  zur  Verth:  Kriegssanitäts- 
>:s®n  aiJ  Bord.  (Allgemeine  Seekriegschirurgie.) 

das  „H  a  n  d  b  u  c  h  der  Gesundheitspflege  an  Bord 
\  H  Kriegsschiffen“  sei  jeder  Marinearzt  besonders  hin- 
.  vicsen .  Dank  den  aufopfernden  Bemühungen  der  Verlagsbuch- 
diung  (Gustav  Fischer,  Jena)  wird  das  Buch  bei  Erscheinen  dieser 
len  voraussichtlich  fertig  vorliegen. 

, , "  °  ^  *  e  r:  teuere  Vorschläge  für  die  Kriegschirurgie. 

M  Tic  oien  Verein>sung  der  Chirurgen  Berlins,  1907.  Jahrg.  XX, 

"  *  **»  O.  80. 


Anders  bei  der  Marine:  Zwar  fällt  an  Bord  von  Kriegs¬ 
schiffen  das  Biwak-  und  Lagerleben,  das  Eingraben  und 
Decken  hinter  Erdwällen  fort  mit  der  nahen  und  andauernden 
Berührung  des  Körpers  mit  dem  Erdboden,  doch  ist,  wenn  man 
vom  Tetanus  absieht,  der  in  der  Berührung  mit  dem  Erdboden 
erworbene  Schmutz  nicht  der  gefährlichste  für  die  Wunden. 
Viel  weittragender  ist  die  Bedeutung  der  von  Mensch  zu 
Mensch  bei  engem  Zusammenleben  übertragenen  Verunreini¬ 
gungen,  zumal  die  Verletzung  des  Seekrieges  der  Eiterung 
leichter  zugänglich  ist,  als  die  Durchschnittsverletzung  des 
Landkrieges.  Ich  werde  nachher  nachzuweisen  haben,  dass 
der  Seekriegsverletzung  als  charakteristische  Eigenschaften 
Quetschung,  Zerreissung  und  Zermalmung  eigen  sind  und  dass 
diese  Verletzungen  deswegen  zum  allergrössten  Teil  der  Eite¬ 
rung  anheimfallen.  Das  hygienische  Bestreben,  dieser  Eiterung- 
schön  vor  der  Verletzung  entgegenzuwirken,  muss  also  gerade 
im  Seekrieg  besonders  betont  werden  3). 

Die  Bekämpfung  der  Eiterung  wendet  sich  zunächst  gegen 
die  Ursache  aller  Eiterungen,  gegen  die  Eiterkeime.  Dann 
auch  greift  sie  beim  Menschen  an,  dessen  natürliche  Wider¬ 
standsfähigkeit  gegen  Eiterkeime  sie  zu  heben  sucht. 

Der  Kampf  gegen  die  Eiterkeime  beginnt  beim  Bau  des 
Schiffes.  Zwar  schliesst  der  eigentliche  Zweck  des  Kriegs¬ 
schiffes  und  der  harte  Kampf  um  den  Raum  an  Bord  eine  allzu 
grosse  Berücksichtigung  hygienischer  Forderungen  aus;  doch 
besteht  fraglos  die  Gefahr,  dass  durch  rein  militärische  Rück¬ 
sichten  die  Bedürfnisse  der  Hygiene  zu  kurz  kommen.  Inner¬ 
halb  des  Erreichbaren  ist  eine  gewisse  Weite  des  Raumes  und 
Höhe  des  Decks  mit  möglichst  viel  Licht  und  Luft  erstrebens¬ 
wert.  Die  Reinigungsfähigkeit  ist  überall  zu  berücksichtigen. 
Jede  Fugung  ist  wasserdicht  herzustellen.  Ornamente  sind 
überflüssig,  schroffe  Winkel  sind  möglichst  durch  Rundungen 
zu  ersetzen.  Metallgitterwerk  ist  bei  Treppenstufen  zu  ver¬ 
meiden.  Linoleum  und  Terrazzo  oder  Fliesen  sind  dem  Holz 
als  Decksbelag  unter  Deck  überall  vorzuziehen.  Gemein¬ 
samem  Gebrauch  dienende  Mannschaftstische  und  -bänke  sind 
aus  Metall,  nicht  aus  Holz  herzustellen.  Das  Schiff  ist  so  ein¬ 
zurichten,  dass  jede  Ecke,  jeder  Winkel  ohne  wesentliche 
Schwierigkeiten  reinigungsfähig  und  auf  seine  Reinlichkeit 
leicht  zu  mustern  ist. 

Durch  die  eng  gedrängte  Besatzung  ist  das  Schiff  während 
der  Indiensthaltung  starker  Verschmutzung  im  chirurgischen 
Sinne  ausgesetzt.  Zwar  ist  die  weniger  gefährliche  Quelle 
dieser  Verschmutzung,  die  Verstaubung  an  Bord  in  Anbetracht 
der  Staubarmut  der  Seeluft  gering,  Asche  und  Kohlengrus,  die 
den  Staub  an  Bord  ersetzen,  können  sogar  als  aseptisch  an¬ 
gesehen  werden,  indes  fliesst  um  so  reichlicher  eine  andere 
Quelle,  die  unmittelbare  Verschmutzung  der  Decks  und  Wände 
des  Schiffes  durch  eitrige  Absonderungen  von  seiten  der  Mann¬ 
schaft.  Die  Raumverhältnisse  an  Bord,  die  Gänge,  Lasten, 
Vorratsräume  und  Kammern  sind  so  eng,  die  Besatzungszahl 
ist  im  Verhältnis  zum  Raumgehalt  so  gross,  dass  dauernde  Be¬ 
rührung  von  Wänden  und  Deck  mit  der  Besatzung  und  da¬ 
durch  mit  Keimträgern  nicht  zu  vermeiden  ist.  Von  vorn¬ 
herein  muss  also  ein  gewisser  Keinireichtum  des  Schiffes  als 
wahrscheinlich  angenommen  werden. 


3)  Ausführlicheres  darüber  s.  zur  Verth:  Hygiene  der  See¬ 
kriegsverletzungen.  Massnahmen  zur  Besserung  des  Ausganges  von 
Seekriegsverletzungen.  Marine-Rundschau,  1913,  B.  24,  H.  4. 


Ni  34. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  mcd.  Wochcnscliriit. 


1858 


Indes  treffen  an  Bord  viele  Bedingungen  zusammen,  die 
Virulenz  der  Keime  abzuschwächen  und  das  Absterben  der 
Keime  zu  beschleunigen,  vor  allem  sind  es  die  Sonne,  das  in 
See  recht  intensive  diffuse  Iageslicht,  der  ergiebige  Luftzug 
und  Luftwechsel,  endlich  grössere  und  häufigere  I  emperatur- 
und  Feuchtigkeitsschwankungen.  Die  Keimzahl  wird  weiter 
vermindert  durch  die  ziemlich  ausgiebige  natürliche,  dem 
Stahl  und  den  anderen  an  Bord  verwendeten  Metallen,  zu¬ 
kommende  Eigenschaft  der  Keimvernichtung.  Weniger  er¬ 
giebig  ist  diese  Eigenschaft  beim  Holz;  aber  gerade  das  beim 
Schiffbau  viel  verwendete  Eichenholz  zeigt  neben  dem 
Akazienholz  unter  den  Hölzern  die  stärksten  keimtötenden 
Eigenschaften. 

Darüber  hinaus  wohnt  den  leinölhaltigen  Anstrichfarben, 
mit  denen  an  Bord  die  Baumetalle  bedeckt  werden,  eine  leb¬ 
hafte,  allerdings  mit  der  Zeit  nachlassende,  keimtötende  Kraft 
inne.  Von  schätzbarem  Wert  sind  auch  die  physikalischen 
Eigenschaften  guter  Leinölfarben.  Qleichmässige  Glätte,  die 
Keime  nicht  in  Schrunden  und  Vertiefungen  eindringen  lässt, 
Widerstandsfähigkeit  gegen  fettlösende  Substanzen,  gegen 
Schmierseifenlösung,  Sodalösung,  Desinfektionsmittel,  Abreiben 
und  Äbbiirsten,  ohne  dass  die  Glätte  wesentlich  leidet,  endlich 
Mangel  an  Aufnahmefähigkeit  für  Feuchtigkeit  und  Spritzer, 
sind  zur  Keimvernichtung  und  Keimarmut  durchaus  dienstliche 
Eigenschaften,  die  den  Leinölfarben  in  hohem  Masse  eigen  sind. 

Noch  nachhaltiger  ist  die  selbsttätige  Desinfektionswirkung 
des  Linoleums,  das  unter  Deck  als  Deckbelag  im  grossen 
Massstabe  verwendet  wird.  Das  Linoleum  hat  den  besonderen 
Vorzug,  dass  diese  keimtötende  Eigenschaft  anscheinend  auch 
nach  Jahren  nicht  nachlässt. 

Dieser  Selbstdesinfektion,  die  uns  gewissermassen  als  Ge¬ 
schenk  zuteil  wird,  muss  die  Arbeit  der  Besatzung  zur  Keim¬ 
vernichtung  zu  Hilfe  kommen.  Die  tägliche  und  besonders  die 
wöchentliche  allgemeine  Schiffsreinigung  sind  hygienisch  un- 
gemein  wertvoll.  Wenn  auch  von  der  Seifen-  und  Sodalösung, 
wie  sie  an  Bord  angewendet  werden,  eine  unmittelbare  Des¬ 
infektionswirkung  nicht  zu  erwarten  ist,  so  findet  durch  die 
ungeheuren  Wassermengen,  deren  Verwendung  die  Bauart  des 
Schiffes  und  die  Pumpeinrichtung  an  Bord  gestattet,  eine  Ver¬ 
dünnung  und  Fortschwemmung  von  Erregern  statt,  die  der 
Desinfektion  zum  mindesten  gleichzusetzen  ist.  Riegel4) 
kennzeichnet  die  Art  der  Reinigung  an  Bord  treffend  mit  den 
Worten  „Die  Wassermassen,  die  bei  .Reinschiff  die  Decks 
eines  Kriegschiffes  überfluten,  würden  jedes  Wohnhaus  ge¬ 
wöhnlicher  Bauart  mit  dem  Einsturz  bedrohen.  Die  Ver¬ 
wendung  von  Seewasser  ist  dabei  eher  erwünscht  als  bedenk¬ 
lich,  da  im  Seewasser  nur  in  seltenen  Ausnahmefällen  krank¬ 
heitserregende  Keime  zu  erwarten  sind. 

Natürlich  ist  das  ganze  Schiff,  der  Kampfplatz  des  See¬ 
krieges,  den  reinigenden  Verfahren  zu  unterziehen.  Mit  be¬ 
sonderer  Sorgfalt  sind  sie  aber  in  den  Räumen  zu  verwenden, 
die  der  Versorgung  und  Lagerung  der  Seekriegsverlctzten 

dienen.  * 

Dass  auch  die  Kriegszeit  geeignet  ist,  die  Sorge  um  die 
Reinhaltung  des  Schiffes  im  unmittelbaren  Interesse  der 
Hygiene  der  Seekriegsverletzungen  nur  noch  zu  steigern,  da¬ 
rauf  ist  von  ärztlicher  Seite  unter  Begründung  dieses  Rat¬ 
schlages  besonders  hinzuweisen. 

Von  dieser  Sorge  um  die  Keimbeseitigung  aus  dem  Schiff, 
die  ja  mehr  dem  Seeoffizier  obliegt,  ist  die  Ausschaltung 
der  Keimquellen  in  erster  Linie  Pflicht  des  Arztes. 
Schon  oben  wurde  angedeutet,  dass  als  Keimquelle  an  Bord 
in  erster  Linie  der  Mensch  in  Betracht  kommt.  Mit  den  an 
Bord  häufigen  geringen  Eiterungen  an  Händen  und  Füssen 
wetteifern  akute  und  chronische  Katarrhe  der  Schleimhäute 
und  chronische  Mittelohrleiden  als  Keimlieferanten.  Zur 
schnellen  Entdeckung  und  Ausschaltung  dieser  Keimquellen 
sind  Belehrungen  und  Musterungen  der  Mannschaft  und  ziel¬ 
bewusste  Behandlung,  nötigenfalls  Ausschiffung,  die  besten 
Mittel. 

Zwar  ist  die  menschliche  Haut  im  allgemeinen  ein  unge¬ 
eigneter  Nährboden  für  Eitererreger.  Doch  wäre  es  eine  nicht 

’)  Kap.  4  des  „Handbuch  der  Gesundheitspflege  an  Bord  von 
Kriegsschiffen“. 


zu  rechtfertigende  Unterlassung,  die  an  Bord  so  leicht  zu¬ 
gänglichen  Mittel  zur  Reinigung  der  Haut  nicht  zu  benutzen. 
Brauseräume  stehen  ausreichend  zur  Verfügung.  Im  Frieden 
spricht  gegen  eine  ausgiebige  Benutzung  der  hohe  Preis  des 
Frischwassers.  Im  Kriege  müssen  in  Ansehung  eines  mög¬ 
lichen  Nutzens  derartige  Rücksichten  schweigen.  Auch  bei  der 
Körperreinigung  spielt  die  Fortschwemmung  der  Keime  eine 
grössere  Rolle  als  die  Desinfektionskraft  der  Seifen.  Aus  rein 
hygienischen  Gründen  ist  daher  zum  Abbrausen  des  Körpers 
das  Frischwasser  dem  Seewasser  nur  insofern  überlegen,  als 
es  durch  Anwendung  von  Seifen  eine  bessere  Lösung  der 
fetthaltigen  Schmutzschichten  gestattet. 

Viel  wesentlicher  als  die  Körperreinigung  ist  die  Reini¬ 
gung  der  Wäsche,  an  der  Eitererreger  sich  wochenlang 
lebend  und  infektionsfähig  erhalten  können.  Nach  Riegel 
hat  das  Waschverfahren,  das  auf  unseren  Kriegsschiffen  geübt 
wird,  den  gesundheitlichen  Nachteil,  dass  Bakterien  dadurch 
nicht  abgetötet  werden.  Höchstens  eine  Verdünnung  der  Bak¬ 
terien  wird  erreicht,  die  jedoch  bei  der  verhältnismässig  ge¬ 
ringen  Wassermenge,  die  zum  Waschen  gewährt  wird,  und 
infolge  des  Umstandes,  dass  mehrere  Leute  ihr  Zeug  gleich¬ 
zeitig  in  einer  Balje  waschen,  zugleich  die  Gefahr  einer  Ver¬ 
schleppung  und  Verbreitung  von  Krankheitskeimen  in  sich 
schliesst.  Eine  wesentliche  Besserung  würde  erreicht  durch 
Anlage  von  Zentralwaschvorrichtungen,  die  das  Abkochen  der 
Wäsche  gestatten.  Doch  ist  die  Einführung  dieses  Verfahrens  | 
bis  jetzt  an  der  stärkeren  Beanspruchung  der  Wäsche  durch 
das  Kochen  gescheitert.  Indes  ist  die  Entkeimung  der  Wäsche 
so  bedeutungsvoll,  dass,  falls  keine  gemeinsame  Auskochung 
eingeführt  wird,  der  Einbau  eines  ortsfesten  Dampfdesinfek¬ 
tionsapparates  überlegt  werden  sollte. 

Dieser  Apparat  würde  zugleich  der  grossen  Schwierigkeit 
überheben,  die  der  Entkeimung  der  Überkleider  anhand. 
Die  Mannschaft  besitzt  zwar  waschbare  Oberkleider,  das  sog. 
Arbeitszeug,  indes  hat  sich  in  den  beiden  japanischen  See¬ 
kriegen  gezeigt,  dass  dieses  Zeug  viel  eher  Feuer  fing,  als  das 
blaue  Wollzeug.  Auf  die  Häufigkeit  und  Gefährlichkeit  der 
Verbrennung  aber  haben  erneut  die  Erfahrungen  in  dci1 
wenigen  Seekämpfen  des  letzten  Balkankrieges  hmgewiesen.l 
Nun  lässt  sich  das  blaue  Wollzeug  zwar  nicht  waschen,  doch 
ist  es  leicht  der  Dampfdesinfektion  zu  unterwerfen.  In  der 
keimfreien  Herrichtung  des  Anzuges  würde  also  der  ortsfeste 
grosse  Dampfdesinfektionsapparat  einen  wesentlichen  Fort¬ 
schritt  bedeuten. 

Die  technische  Möglichkeit  der  Vornahme  hygienisch  pro¬ 
phylaktischer  Massnahmen  lenkt  auch  die  Aufmerksamkeit  auf 
das  vielversprechende  Gebiet  der  künstlichen  Steige¬ 
rungvorhandener  Abwehrkräfte  des  Organis- 
m  us  gegen  Eitererreger.  Die  Versuche  der  Miku¬ 
licz  sehen  Schule  haben  ergeben,  dass  durch  Einspritzung 
von  Nukleinsäure  in  die  Bauchhöhle  eine  beträchtliche  Steige¬ 
rung  der  Leukozytenzahl  bis  auf  das  8  fache  der  normalen 
und  eine  Erhöhung  der  Widerstandsfähigkeit  des  Bauchfells 
gegen  Eitererreger  auf  das  16 — 20  fache  zu  erreichen  ist.  Indes 
wirken,  per  os  verabreicht,  weder  die  Nukleinsäure,  noch 
nukleinsäurehaltige  Nahrungsmittel.  Wenn  auch  aus  diesen 
Ergebnissen  ein  unmittelbarer  Nutzen  noch  nicht  zu  ziehen 
ist,  so  ist  es  doch  empfehlenswert,  ihre  Fortschritte  im  Auge 
zu  behalten  und  sich  der  Verfahren  zur  künstlichen  Hebung 
der  Widerstandsfähigkeit  des  Körpers,  sei  es  gegen  Eiter¬ 
erreger,  sei  es  zur  Ueberwindung  von  Strapazen  oder  auch 
von  Verletzungen,  zu  bedienen,  sobald  die  Bedingungen  dieser 
Verfahren  in  allgemein  anwendbare  Form  gebracht  sind. 

Vielleicht  sind  wir  eher  in  der  Lage  durch  die  Ernährung 
die  Gerinnungsfähigkeit  des  Blutes  zu  stei- 
g  e  r  n.  Es  kann  das  bei  der  Eigenart  der  Seekriegsver- 
letzungen  hin  und  wieder  von  Nutzen  sein.  Für  kochsalzreicht 
Diät  ist  die  blutgerinnungsbefördernde  Wirkung  anerkannt;  in¬ 
des  ist  sie  wegen  der  mit  ihr  stets  verbundenen  Durststeige¬ 
rung  vor  dem  Seegefecht  kaum  anzuraten.  Besonders  in  der 
amerikanischen  und  englischen  Medizin  wird  indes  die  ge¬ 
rinnungsbefördernde  Wirkung  der  Kaliumsalze  vielfach  ge¬ 
rühmt.  Irgendwelche  Schädlichkeiten  sind  mit  dem  Genuss 
dieser  Mittel  nicht  verbunden.  Es  spricht  also  nichts  dagegen, 
sie  als  Zusatz  von  Speisen  oder  Getränken  (z.  B.  als  Calcium 


Feldärztlichc  Beilage  zur  Miinch.  med.  Wochenschrift. 


1859 


5.  August  1914. 


hloratum  zum  Selterswasser)  der  Mannschaft  in  grösseren 
lengen  einzuverleiben. 

Die  günstige  Prognose  des  Bauchschusses  im  Kriege  im 
egensatz  zur  Friedensverletzung  wird  durch  die  geringe  Fül- 
ng  des  Darmschlauches  erklärt.  Wer  einmal  gesehen  hat, 
ie  sich  die  Schusslöcher  bei  leerem  Darm  Zusammenlegen, 
tme  dass  Inhalt  austritt,  wie  bei  gefüllten  Darmschlingen  da¬ 
egen  beim  Anheben  des  Darmes  zwecks  Nahtversorgung  aus 
der  Schussöffnung  wie  aus  einem  Springbrunnen  der  Darm¬ 
halt  herausquillt  —  ein  Bauchverletzter,  den  zu  versorgen  ich 
elegenheit  hatte,  hatte  16  Glas  Bier  vor  der  Erwerbung 
,‘iner  Schussverletzung  getrunken  —  der  wird  diese  Deutung 
irchaus  bestätigen.  Es  liegt  also  in  der  Möglichkeit  reich¬ 
er  Nahrungsversorgung  der  Kriegsschiffsmannschaft  im 
riege  fraglos  ein  Nachteil.  Dieser  Nachteil  lässt  sich  aber 
jrch  weise  Mässigung,  die  häufige  aber  nur  geringe  Mahl- 
iiten  gestattet,  zum  Vorteil  wenden,  indem  die  auch  im  Ge- 
cht  nicht  unterbrochene  Nahrungszufuhr  die  Spannkraft  und 
dderstandsfähigkeit  des  Körpers  aufrecht  erhält. 

Auch  die  Fernhaltung  schädlicher  Nahrungsmittel,  so 
.•sonders  des  Alkohols,  ist  an  Bord  leichter  als  am  Lande, 
o  die  Verhütung  der  Verwertung  von  zufällig  gefundenen 
arräten  auf  Schwierigkeiten  stösst.  (Schluss  folgt.) 


Kriegshygiene. 

3ii  Ministerialrat  Prof.  Dr.  A.  D  i  e  u  d  o  n  n  e,  Generaloberarzt 
ä  la  suite  des  Sanitätskorps. 

In  den  meisten  Kriegen  waren  die  Verluste  durch  Krank- 
iten  weit  höher  als  die  durch  Waffen;  so  stellte  sich  das 
erhältnis  der  Gefallenen  und  der  an  Verwundung  Gestor- 
nen  zu  den  an  Krankheiten  erlegenen  Soldaten  im  Krimkrieg 

1  den  Engländern  wie  1,7:  6,4,  bei  den  Franzosen  wie  2,2:  7,2. 
den  napoleonischen  Feldzügen  von  1793  bis  1815  starben 

\  Millionen,  in  den  Kriegen  von  1815  bis  1865  2%  Millionen 
ieger.  Von  diesen  rund  8  Millionen  Menschen  erlagen 

2  Millionen  den  Kriegsverletzungen,  dagegen  6lA  Millionen 
n  Krankheiten.  In  den  neueren  Kriegen  hat  sich  das  Ver- 
ltnis  etwas  gebessert,  im  Kriege  1870/71  betrug  die  Zahl  der 
.‘fallenen  und  der  ihren  Wunden  später  Erlegenen  28  300 

4,4  Proz.,  der  an  Krankheiten  Gestorbenen  14  900 
1,8  Proz.  In  Südwestafrika  fielen  652  Mann  =  4,42  Proz. 
d  starben  an  Krankheiten  638  —  4,39  Proz.  Im  russisch- 
)anischen  Kriege  betrugen  die  Verluste  durch  Waffen  bei 
n  Russen  34  000  =  5,8,  bei  den  Japanern  58  900  =  1 1,0  Proz., 
i  durch  Krankheiten  bei  den  Russen  9300  =  1,3  Proz.,  bei 
n  Japanern  27  200  =  4,2  Proz.  Das  Verhältnis  der  Todes¬ 
te  durch  Verwundungen  zu  den  Todesfällen  durch  Krank- 
iten  war  im  Kriege  1870/71  1:0,56,  bei  den  Japanern  1:0,37. 

Die  Verluste  durch  Krankheiten  sind  hauptsächlich  durch 
iegsseuchen  bedingt,  von  denen  in  den  neueren  Kriegen  nur 
eh  der  lyphus,  die  Ruhr,  die  Pocken  und  auch  die  Cholera 
Betracht  kommen.  An  Typhus  erkrankten  im  Krieg  1870/71 
der  deutschen  Armee  gegen  74  000  Mann  =  9,3  Proz. 
r  Kopfstärke,  von  denen  gegen  9000  star.ben  (60  Proz.  aller 
erhaupt  an  Krankheiten  Gestorbenen);  in  den  Monaten  Sep- 
nber  und  Oktober  erkrankten  vor  Metz  22  090  Mann  und 
rben  1328.  In  Südwestafrika  starben  555  Mann  am  Typhus 
Proz.  aller  an  Krankheiten  Gestorbenen).  Aehnliche  Ver¬ 
te  wurden  durch  die  Ruhr  hervorgerufen,  die  im  Kriege 
'0/71  bei  den  Deutschen  hauptsächlich  vor  Metz  38  652  Er- 
mkungen  mit  283  Todesfällen  verursachte.  Die  10  wöchige 
rnierung  von  Metz  kostete  an  Toten  und  Verwundeten 
10  Mann,  an  Kranken  etwa  60  000,  darunter  die  Mehrzahl 
Phus  und  Ruhr.  Die  Cholera  tritt  glücklicherweise  seltener 
Kriegsseuche  auf,  ist  dann  aber  die  gefährlichste,  da  die 
günstigen  Verpflegungsbedingungen,  besonders  der  Mangel 
einwandfreiem  Trinkwasser,  den  Ausbruch  und  die  Ver¬ 
dung  begünstigen.  Im  Krimkriege  betrugen  die  Verluste  bei 
i  Franzosen  11  196,  bei  den  Engländern  4593.  Im  Kriege 
6  auf  dem  böhmischen  Kriegsschauplatz  hatten  die  Preussen 
000  Erkrankungen  =  87  Proz.  aller  Lazarettkranken  mit 
9  Todesfällen  =  1,6  Proz.  der  Kopfstärke,  während  den  Tod 
Gi  W  affen  trotz  der  blutigen  Schlachten  nur  3473  Mann  er- 
en-  Bei  längerer  Dauer  des  Krieges  hätte  diese  Seuche 


selbst  der  siegreichen  Heeresleitung  ernstliche  Schwierig¬ 
keiten  bereitet. 

Die  Pocken,  welche  in  früheren  Jahrhunderten  eine  grosse 
Rolle  spielten,  haben  in  den  neueren  Kriegen  an  Bedeutung 
verloren.  Im  Kriege  1870/71  starben  von  den  Deutschen  297, 
von  den  Franzosen  weit  mehr  an  Pocken.  Die  Zahl  der 
Pockenkranken  bei  den  kriegsgefangenen  Franzosen  betrug 
14  000  mit  1963  Todesfällen. 

Die  Kriegsseuchen  sind  also  oft  schlimmere  Feinde  als  die 
I  nippen  des  Gegners  und  können  durch  die  Schwächung  der 
Kopfstärke  einen  bestimmenden  Einfluss  auf  den  (Jang  des 
Krieges  gewinnen,  da  auch  die  Kranken  längere  Zeit  oder 
dauernd  dem  Dienst  entzogen  sind. 

Das  Auftreten  und  die  starke  Verbreitung  dieser  Seuchen 
ist  bedingt  zunächst  durch  die  Eigentümlichkeiten  des  Kriegs- 
Iebens,  durch  die  Anhäufung  grosser  Menschenmassen  auf 
engem  Raum,  die  Unregelmässigkeit  der  Verpflegung,  die 
starken  körperlichen  Strapazen,  Witterungseinflüsse  ul  a.  Alle 
diese  Schädlichkeiten  wirken  ungünstig,  indem  sie  eine  Dispo¬ 
sition  schaffen.  Die  eigentliche  auslösende  Ursache  sind  aber 
die  spezifischen  Erreger.  Die  Infektion  der  Truppen  erfolgt 
meist  in  vorher  schon  verseuchten  Gebieten  des  Aufmarsch¬ 
gebietes  oder  des  Feindeslandes;  so  war  die  Gegend  von  Metz 
schon  lange  vor  der  Belagerung  mit  Typhus  infiziert.  Die 
Kriegsseuchen  sind  in  erster  Linie  von  den  sanitären  Verhält¬ 
nissen  des  Landes  abhängig. 

Die  wichtigste  Kriegsseuche,  der  Typhus,  wird  durch  den 
I  yphusbazillus  hervorgerufen,  der  mit  den  Darmentleerungen 
und  dem  Harn  ausgeschieden  wird,  und  zwar  nicht  nur  vom 
Kranken,  sondern  auch  von  den  gesunden  Bazillenträgern,  die 
beim  lyphus  eine  wichtige  Rolle  spielen.  Die  Verbreitung  er¬ 
folgt  entweder  durch  Uebertragung  von  Person  zu  Person 
oder  durch  infiziertes  Trinkwasser  und  Nahrungsmittel.  Bei 
dem  engen  Zusammenleben  und  den  ungünstigen  Verhältnissen 
besonders  bei  Belagerungen  wie  vor  Metz  kann  leicht  die  Ver¬ 
breitung  von  Person  zu  Person  erfolgen.  Ausserdem  kam  es 
dort  infolge  der  Regengüsse  und  der  mangelhaften  Beseitigung 
der  Abfallstoffe  zu  einer  ausserordentlichen  Verunreinigung 
des  Bodens  und  zur  Infektion  der  Wasserläufe  und  der 
Brunnen,  die  zu  den  Massenerkrankungen  führten.  Nach  der 
Kapitulation  der  Festung  trat  mit  dem  Verlassen  des  infizierten 
Gebietes  bei  der  Mehrzahl  der  Truppen  alsbald  ein  Abfall  der 
Typhuserkrankungen  ein.  In  Südwestafrika  waren  die  zahl¬ 
reichen  Typhuserkrankungen  besonders  durch  die  ungünstigen 
Wasserverhältnisse  bedingt.  _  Die  wenigen  Wasserstellen 
waren  durch  die  sie  zuerst  benützenden  Truppen,  oft  schon 
durch  die  Feinde  infiziert,  und  so  wurde  der  Krankheitserreger 
auf  die  später  kommenden  Truppen  übertragen.  Ferner  führte 
die  durch  den  Wassermangel  bedingte  ungenügende  Reinlich¬ 
keit  zu  häufigen  Kontaktinfektionen.  Die  Verbreitung  der  Ruhr 
erfolgt  ähnlich  wie  bei  Typhus.  Eine  wichtige  Rolle  spielt 
dabei  schlechtes,  infiziertes  Trinkwasser  und  mangelhafte  Ver¬ 
pflegung,  ferner  unreifes  Obst;  auch  hier  sind  Bazillenträger 
von  grosser  Bedeutung.  Die  Cholera  wird  ausser  durch 
Kontakt  durch  Trinkwasser  und  Nahrungsmittel  verbreitet. 

Das  Auftreten  der  Pocken  bei  den  Deutschen  im  Kriege 
1870/71  war  dadurch  bedingt,  dass  der  Krieg  in  einem  von 
dieser  Seuche  stark  heimgesuchten  Lande  ohne  Impfzwang  ge¬ 
führt  wurde.  Die  meisten  Erkrankungen  kamen  bei  Orleans 
vor,  wo  die  Pocken  unter  der  Zivilbevölkerung  stark  ver¬ 
breitet  waren  und  bei  der  engen  Belegung  in  dem  kalten 
Winter  reichlich  Gelegenheit  zur  Ansteckung  gegeben  war. 

Die  Verhütung  und  Bekämpfung  der  Seuchen  ist  die 
wichtigste  Aufgabe  der  Kriegshygiene.  Die  Anleitung  zu  ihrer 
Durchführung  gibt  die  Kriegs-Sanitätsordnung,  welche  auf  den 
grossen  Errungenschaften  der  Wissenschaft  aufgebaut  ist.  Die 
Vorbereitungen  zur  Kriegshygiene  sind  schon  im  Frieden  not¬ 
wendig,  vor  allem  die  Kenntnis  der  endemisch  verseuchten  Ge¬ 
biete.  Im  heimatlichen  Aufmarschgebiet  ist, durch  die  Benach¬ 
richtigung  der  Zollbehörden  eine  Orientierung  darüber  mög¬ 
lich.  Aurserdern  werden  hygienisch  vorgebildete  Sanitäts¬ 
offiziere  mit  tragbaren  Laboratorien  dorthin  vorausgesandt, 
die  sich  an  Ort  und  Stelle  von  den  sanitären  Verhältnissen 
überzeugen,  besonders  die  Trinkwasserverhältnisse  kontrol¬ 
lieren  und  noch  durchführbare  Assanierungen  in  die  Wege 


1860 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  ined.  Wochenschrift. 


leiten,  ln  Feindesland  können  die  marschierenden  Truppen 
durch  Patrouillen  und  durch  die  Quartiermacher  Näheres  über 
seuchenverdächtige  Orte  erfahren.  Verseuchte  Orte  sind  nicht 
zu  belegen  und  dafür  Biwaks  zu  beziehen.  Sind  infolge  der 
Kriegslage  infizierte  Ortschaften  nicht  zu  umgehen,  so  ist  es 
die  Hauptaufgabe,  die  Gefahr  der  Ansteckung  auf  ein  möglichst 
geringes  Mass  zurückzuführen.  Die  als  infiziert  bekannten 
Häuser  sind  kenntlich  zu  machen  und  zu  meiden.  Die  Mann¬ 
schaften  sind  über  die  Art  der  Ansteckung  und  eine  zweck¬ 
mässige  Lebensweise  zu  belehren.  Die  Benutzung  der  oft  sehr 
mangelhaften  und  unreinlichen  Abortanlagen  ist  zu  vermeiden; 
statt  dessen  sind  einfache  Feldlatrinen  anzulegen.  Besondere 
Aufmerksamkeit  ist  dem  Trinkwasser  zuzuwenden;  ein  Trink¬ 
wasser,  das  auch  nur  mit  Wahrscheinlichkeit  als  die  Ursache 
von  Gesundheitsstörungen  anzusehen  ist,  ist  vom  Gebrauch 
auszuschliessen.  Im  allgemeinen  wird  das  Trinkwasser  an 
fremden  Orten  dort  geholt,  wo  es  die  Einwohner  entnehmen, 
doch  ist  auch  unter  diesen  Trinkwasserstellen  durch  voraus¬ 
gesandte  Aerzte  eine  Auswahl  zu  treffen,  da  die  Brunnen  durch 
unzweckmässige  Anlage  oder  schlechte  Bauart  von  der  Um¬ 
gebung  aus  infiziert  sein  können.  Wichtig  ist,  dass  die  Brunnen 
von  den  Truppen  selbst  nicht  verunreinigt  werden.  Ober¬ 
flächenwasser  ist  fast  stets  durch  Abwässer  verunreinigt. 
Verdächtiges  Wasser  muss  stets  vorher  gereinigt  und  keimfrei 
gemacht  werden.  Das  sicherste  Mittel  ist  das  Abkochen;  das 
gekochte  Wasser  wird  durch  Thee,  Kaffee  oder  Zitronensäure 
schmackhafter  gemacht.  Zur  Gewinnung  grösserer  Mengen 
von  gekochtem  Wasser  wird  es  in  den  Ortsunterkünften  oder 
Biwaks  abgekocht  und  in  Wasserwagen  nachgefahren,  oder 
aber  es  werden  die  fahrbaren  Trinkwasserbereiter  in  Betrieb 
gesetzt,  die  in  einer  Stunde  500  Liter  keimfreien  gelüfteten 
Wassers  liefern,  das  nur  etwa  5  Grad  wärmer  ist  als  das 
ungekochte.  Die  Filtration  durch  keimdichte  Filter  (Kiesel- 
guhr-,  Porzellanfilter)  gibt  gleichfalls  steriles  Wasser,  doch 
müssen  diese  Filter  sorgfältig  behandelt  werden,  da  sie  leicht 
schadhaft  werden;  sie  eignen  sich  daher  weniger  für  mar¬ 
schierende  Truppen  als  für  Kriegs-  und  Etappenlazarette.  Bei 
den  Biwakplätzen  ist  vor  allem  auf  eine  zweckmässige  An¬ 
lage  der  Latrinen,  Beseitigung  der  Abfälle  und  auf  Vernichtung 
der  Ansteckungsstoffe  zu  achten.  Besonders  wichtig  sind  die 
sanitären  Einrichtungen  und  die  Trinkwasserverhältnisse  auf 
der  Etappenlinie;  es  ist  daher  ein  beratender  Hygieniker  dem 
Etappenarzt  für  den  Gesundheitsdienst  beigegeben. 

Ist  eine  Infektionskrankheit  unter  den  Truppen  ausge¬ 
brochen,  so  kommen  im  Felde  dieselben  Bekämpfungsmass- 
regeln  in  Betracht  wie  im  Frieden:  frühzeitige  Feststellung  der 
Krankheitsfälle,  Absonderung  der  Kranken  und  Keimträger  in 
Seuchenlazaretten,  Desinfektion  der  von  den  Kranken  be¬ 
nützten  Räume  und  Gegenstände,  Beobachtung  und  Ab¬ 
sonderung  der  ansteckungs-  und  kranksheitsverdächtigen  Fälle. 
In  der  Kriegs-Sanitätsordnung  sind  diese  Abwehrmassregeln 
eingehend  erläutert.  Die  bakteriologische  Untersuchung  ist  hie¬ 
bei  von  grösster  Wichtigkeit.  In  den  Seuchenlazaretten  muss 
ein  in  der  Pflege  von  ansteckenden  Kranken  ausgebildetes 
Pflegepersonal  zur  Verfügung  stehen. 

Die  Lagerplätze  sind  häufig  zu  wechseln,  überfüllte  Quar¬ 
tiere  zu  räumen.  Wenn  eine  allgemeine  Durchseuchung  eines 
ganzen  Truppenteils  anzunehmen  ist,  kann  eine  Absonderung 
in  einem  Quarantänelager  notwendig  werden. 

Ausser  diesen  Massnahmen  sind  noch  solche  zu  treffen, 
welche  die  Widerstandsfähigkeit  des  Körpers  stärken  und  das 
geistige  und  körperliche  Wohlbefinden  der  Soldaten  erhöhen; 
Reinlichkeit  der  Haut  und  der  Kleidung,  Verbesserung  der 
Unterkunft  und  der  Verpflegung,  Lieferung  von  Thee,  Kaffee, 
Tabak  und  angemessenen  Mengen  guter  alkoholischer  Ge¬ 
tränke,  event.  mit  Hilfe  der  Liebesgaben,  Verabfolgung  von 
warmen  Unterzeug  und  wollenen  Leibbinden,  endlich  Er¬ 
leichterung  im  Dienst,  soweit  zulässig.  Das  Wichtigste  ist  eine 
zweckmässige  Ernährung.  Der  im  Felde  bestehenden  Neigung 
zu  Durchfällen  wird  durch  Verabfolgung  von  leicht  verdau¬ 
lichen,  schleimigen  Speisen  (Reis-,  Graupengerichte,  Mehl¬ 
suppen)  und  verminderte  Darreichung  von  fetten  Speisen 
und  stark  gesalzenem  geräucherten  Fleisch  entgegenge¬ 
wirkt.  Durch  die  Einführung  der  fahrbaren  Feldküchen,  die 
den  Truppen  unmittelbar  folgen,  ist  eine  sorgfältigere  und 
schmackhaftere  Zubereitung  der  Speisen  ermöglicht,  als  dies 


Nr.  3-1. 


bei  dem  Einzelkochen  der  Fall  war.  Besonders  wichtig  ist. 
dass  damit  auch  Thee  und  Kaffee  zur  sofortigen  Abgabe  bereit 
gehalten  werden  kann. 

Endlich  kommt  noch  die  Schutzimpfung  in  Betracht.  Da 
bei  der  Pockenimpfung  der  Schutz  nur  etwa  10  Jahre  anhält, 
müssen  sämtliche,  in  den  letzten  Jahren  nicht  mit  Erfolg 
Geimpfte  wieder  geimpft  werden.  Die  Schutzimpfung  gegen 
Typhus  wurde  insbesondere  in  der  englischen  Armee  in 
grossem  Massstabe  durchgeführt  und  ist  in  der  amerikanischen 
Armee  obligatorisch.  Als  Impfstoff  wird  eine  24  stündige,  in 
Kochsalz  aufgeschwemmte  Typhuskultur  benützt,  die  durch 
einstiindiges  Erwärmen  auf  56°  abgetötet  wird.  Durch  Phenol¬ 
zusatz  ist  der  Impfstoff  lange  Zeit  haltbar.  Die  Impfung  wird 
meist  dreimal  mit  steigenden  Dosen  in  Zwischenräumen  von 
etwa  8  Tagen  vorgenommen.  Nach  den  seitherigen  Erfahrungen 
wird  zweifellos  ein  gewisser  Schutz  erreicht.  Die  Empfäng¬ 
lichkeit  wird  vermindert  und  der  Verlauf  bei  den  trotz  der 
Impfung  Erkrankten  ist  schneller  und  leichter,  die  Sterblichkeit 
ist  geringer.  Gegen  die  Impfung  von  fechtenden  Truppen  be¬ 
stehen  aber  deshalb  Bedenken,  weil  meist  eine  starke  allge¬ 
meine  und  örtliche  Reaktion  cintritt,  die  mehrere  Tage  datiert 
und  Schonung  notwendig  macht.  Unter  europäischen  Verhält¬ 
nissen  wird  die  Typhusimpfung  daher  zunächst  in  belagerten 
Festungen  in  Betracht  kommen,  wo  eine  Durchführung  der I 
anderen  prophylaktischen  Massnahmen  sich  schwer  oder  un¬ 
möglich  gestaltet,  ferner  zum  Schutze  besonders  gefährdeter 
Personen  wie  der  Aerzte  und  des  Pflegepersonals  in  den' 
Seuchenlazaretten.  Auch  bei  der  Cholera  kann  die  Schutz¬ 
impfung  in  Kriegszeiten  unter  Umständen  von  grossem 
Wert  sein. _ 

Das  französische  Infanteriegeschoss. 

Von  Prof.  Walther  Straub  in  Freiburg  i.  Br 

Es  ist  die  Meinung  unter  unseren  Soldaten  verbreitet, 
das  französische  Infanteriegeschoss  wäre  dadurch  besonders 
gefährlich,  dass  es  Veranlassung  zu  Vergiftung  auf  chemi¬ 
schem  Wege  gebe. 

Aus  den  Kämpfen  bei  Mülhausen  sind  mir  französische 
Patronen  zur  Untersuchung  gegeben  worden.  Die  unver¬ 
sehrten  Patronen  tragen  teilweise  einen  schwarzen  ca.  1  mm 
breiten  Streifen  an  der  Stelle,  wo  das  Geschoss  in  der 
Patronenhülse  steckt.  Dieser  Streifen  wird  besonders  arg¬ 
wöhnisch  beurteilt.  Bei  seiner  Untersuchung  stellte  sich, 
heraus,  dass  es  sich  um  einen  Lackring  handelt,  der  völlig 
harmlos  ist.  Es  ist  eine  Massregel  rein  technischer  Natur  zum 
Zwecke  der  Dichtung  an  der  Stelle  der  Einfügung  des  Ge¬ 
schosses  in  die  Patronenhülse.  Der  Lack  sitzt  ausserordent¬ 
lich  fest,  denn  ich  fand  ihn  zum  grossen  Teil  noch  erhalten  an 
Geschossen,  die  aus  Verwundeten  entfernt  worden  waren; 
er  hat  also  die  Passage  durch  den  Gewehrlauf  unversehrt 
ausgehalten.  Patronen  mit  anderen  Fabrikationszeichen 
trugen  übrigens  den  Lackring  nicht. 

Das  Geschoss  selbst  ist  massiv  mit  einem  äusserst  dünnen,, 
offenbar  galvanisch  aufgelegten  Kupfermantel  überzogen;  der 
Mantel  ist  so  dünn,  so  dass  er,  selbst  wenn  er  absplittern 
sollte,  keinen  Schaden  anrichten  kann.  Die  chemische  Ana¬ 
lyse*)  des  Geschosses  ergab  die  Anwesenheit  von  Kupfer.  Zink 
und  Nickel  und  zwar  in  quantitativer  unverbindlicher 
Schätzung  etwa  90  Proz.  Kupfer,  6  Proz.  Zink  und  4  Pro/.. 
Nickel.  Es  fehlten  Arsen,  Phosphor,  Antimon.  Demnach  ist 
das  Geschoss  ein  Massivgeschoss  aus  sehr  gutem  Material. 
Eine  akute  Vergiftung  mit  den  im  Geschoss  enthaltenen  Me¬ 
tallen  erscheint  ausgeschlossen. 

Die  Frage,  ob  ein  derartiges,  eingeheiltes  Geschoss  etwa 
eine  chronische  Vergiftung  noch  nachträglich  verursachet, 
könnte,  ist  zurzeit  nicht  entscheidbar.  Tierversuche  über  da- 
Verhalten  eingeheilter  derartiger  Geschosse  sind  im  Gange 
bis  jetzt  sind  keinerlei  Reaktionserscheinungen  zu  beobachten 
was  auch  mit  den  Beobachtungen  der  Aerzte  über  dei 
Heilungsverlauf  Verwundeter  mit  nicht  entfernten  Geschossei 
übereinstimmt.  „  ] 

Ueber  die  Resorption  von  Kupfer  aus  metallischem  Depo' 
und  dadurch  entstehende  chronische  Kupfervergiftung  ist  sc 

*)  Ausgeführt  von  Dr.  L.  Hermanns. 


li.  August  101-4. 


Eeldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


1861 


t  wie  nichts  bekannt,  es  erscheint  aber  äusserst  unwahr- 
hei n lieh,  dass  auf  diesem  Wege  eine  chronische  Vergiftung 
tstehen  könnte.  Hiemit  besteht  toxikologisch  keine  Ver- 
lassung  zur  schleunigen  Entfernung  des  Geschosses  aus 

m  Verwundeten. 

Soweit  in  solchem  Pal le  der  Ausdruck  überhaupt  gerecht¬ 
st  ist,  muss  das  französische  Infanteriegeschoss  als  human 

zeichnet  werden. 


Ein  Fall  von  akuter  Erkältungsnephritis. 

Von  Dr.  med.  Gehr  mann  in  Berlin. 

Dass  die  Erkältung  bei  vielen  Krankheiten  als  eigentliche 
sache  anzusehen  ist,  wird  noch  von  vielen  Forschern  be- 
ittem  Man  ist  heutzutage  geneigt,  die  Bakterien  als  die  ein¬ 
en  Krankheitserzeuger  zu  bezeichnen  und  für  eine  ganze 
ihe  von  Krankheiten,  wie  Diphtherie,  Typhus,  Gonorrhöe, 
es  etc.  muss  das  unbedingt  zugegeben  werden.  Anders 
ht  es  schon  mit  der  Pneumonie,  die  doch  auch  durch  Mikro¬ 
kosmen  hervorgerufen,  wird.  Hier  drängt  sich  bei  vielen 
'len  unwillkürlich  der  Gedanke  auf,  dass  eine  Erkältung  erst 
Abwehrkraft  des  Körpers  gegen  bakterielle  Einflüsse  ge- 
iwächt  hat,  die  Erkältung  also  die  primäre  Krank¬ 
it  s  ur  s  a  c  h  e  bildet.  Ganz  ähnlich  verhält  es  sich  mit 
Angina.  Auch  hier  stellt  die  Erkältung  das  ätiologische 
ment  dar,  sie  setzt  die  Widerstandsfähigkeit  des  Organis- 
s  herab  und  begünstigt  dadurch  die  Invasion  der  Bakterien. 
:h  die  zahlreichen  Fälle  von  sogen.  Influenza,  Bronchitis  etc., 
alljährlich  vom  Herbst  an,  im  Winter  bis  ins  Frühjahr  hin¬ 
regelmässig  auftreten,  sind  doch  grösstenteils  auf  Er- 
tungseinfliisse  zurückzuführen.  Das  hat  schon  jeder  an  sich 
ist  erfahren.  Demgegenüber  bestreitet  Chodonuskv 
.kl.W .  1907  Nr.  20)  auf  Grund  seiner  Versuche  am  eigenen 
per  und  an  lieren,  dass  die  natürlichen  Abwehrvorrich- 
gen  des  Organismus  durch  intensive  Abkühlungen  alteriert 
rden  und  die  Erkältung  die  Disposition  zu  einer  Infektions- 
nkheit  schafft.  Diesen  experimentellen  Untersuchungen 
lerspricht  die  tägliche  Erfahrung.  Ein  tieferes  Verständnis 
die  Wirkungsweise  der  Erkältung  ist  bisher  noch  nicht  ge- 
inen.  Erniedrigung  der  Körpertemperatur,  Zirkulations- 
-ungen  und  dadurch  bedingte  Schädigungen  der  Zeller¬ 
rung  müssen  wohl  in  erster  Reihe  genannt  werden.  Ausser 
Abkühlung  wirkt  noch  eine  vorausgegangene  Ueber- 
Jung  oft  recht  schädlich.  Wenn  z.  B.  ein  Radfahrer  nach 
•r  anstrengenden  Tour  kaltes  Bier  trinkt,  sich  der  Zugluft 
! setzt,  die  Kleidung  ist  meistens  auch  nur  dürftig  und  von 
weiss  durchnässt,  so  darf  er  froh  sein,  mit  einem  Schnupfen 
r  einer  Bronchitis  davonzukommen.  Besonders  leicht 
m  solche  überanstrengte  Menschen  einer  Infektionskrank- 
zum  Opfer.  Fälle  von  Tetanus  sind  von  zahlreichen 
oren  veröffentlicht  worden,  welche  ohne  gleichzeitige 
ne  Verletzung  bei  Individuen  vorkamen,  die  einer  lange 
irenden  Erkältung  ausgesetzt  waren.  Man  pflegt  dann  von 
unatischem  Tetanus  zu  sprechen.  Ausser  der  Abkühlung 
lt  noch  die  Durchnässung  eine  wesentliche  Rolle.  Experi- 
itell  hat  das  Siegel  (XXV.  Kongr.  f.  innere  Med.)  durch 
suche  an  Hunden  nachgewiesen.  Es  gelang  ihm,  durch 
uhlung  der  äusseren  Haut  eine  schwere  akute  Nephritis 
vorzurufen,  indem  er  den  Thorax  mit  Eisstückchen  be- 
vte  oder  die  Hunde  mit  den  Hinterbeinen  in  einen  Eimer 
)Ser  von  4°  C  brachte.  Die  intensive  Durchnässung  war 
notwendig;  denn  wenn  die  Tiere  nach  der  Abkühlung 
'tig  frottiert  wurden,  blieb  die  Nephritis  aus.  Im  folgen¬ 
will  ich  über  einen  Fall  von  allerfrischester  Erkältungs¬ 
iritis  berichten,  der  einem  Experiment  fast  nahe  kommt 
•  ausserdem  noch  besonderes  Interesse  bietet,  weil  er  zur 
ppsie  kam.  In  der  Literatur  dürfte  er  bisher  einzig 
1  ehen. 

Der  28  jährige  Landwirtssohn  K.  S.  badete  an  einem  Spät- 
'nittage  zusammen  mit  seinen  Kameraden  in  einem  See.  Obwohl 
ein  besonders  tüchtiger  Schwimmer  war,  wagte  er  sich  weit 
is,  erlahmte  schliesslich  und  ging  unter.  Seine  Kameraden  be- 
v  eP.  somrt  den  Vorfall,  eilten  teils  schwimmend,  teils  auf  einem 
e  i  nn  zu  Hilfe  und  es  gelang  ihnen,  den  Verunglückten  ans  Land 
nngen.  Nach  ihren  Aussagen  ist  er  ca.  5—7  Minuten  unter 
■>er  gewesen.  Inzwischen  war  ich  telephonisch  benachrichtigt 


worden.  Mit  Sauerstoffapparat  eilte  ich  zu  der  Unfallstelle.  Durch 
aie  Schockwirkung  und  Aspiration  von  Wasser  und  Schlamm  sistierte 
uie  Atmung  vollkommen.  Der  Herzschlag  war  nur  schwach  zu  fühlen, 
sogleich  wurde  mit  Wiederbelebungsversuchen  begonnen.  Der  Kopf 
wurde  tiefer  gelagert,  Mund  und  Nase  wurden  von  Schleim  und  Unrat 
gereinigt  und  die  Zunge  hervorgezogen.  Dann  wurde  die  mitgebrachte 
^auerstoffmaske  aufgesetzt  und  die  künstliche  Atmung  nach  dem 
Silvester  sehen  Verfahren  eingeleitet.  Die  Herztätigkeit  wurde 
durch  mehrmalige  Kampfereinspritzungen  gekräftigt.  Nach  zirka 
/.!  ständigen  Bemühungen  gelang  es,  die  Atmung  in  Gang  zu  bringen, 
uer  l  atient  wurde  ins  Krankenhaus  gebracht,  wo  er  alsbald  spontan 
urm  entleerte.  Derselbe  war  bräunlichrot,  fleischwasserähnlich,  das 
*.jewicfo  j10ch  (1022).  Das  Sediment  wies  zahlreiche  rote 
Dlutkorperchen  auf  jedoch  nur  einige  wenige  Zylinder.  Ausser  einer 
Nepnritis  lag  die  Vermutung  einer  Verletzung  des  Urogenitaltraktus 
nane.  1  rotz  aller  in  solchen  Fällen  anzuwendenden  Mittel  ging  der 
l  atient  am  nächsten  Tage  an  Herzinsuffizienz  zugrunde.  Die  später 
ausgetuhrte  Sektion  ergab,  dass  eine  innere  Verletzung  nicht  vorlag. 

m  nur  das  hier  in  Betracht  kommende  zu  erwähnen,  so  war  das 
makroskopische  Aussehen  der  Nieren  nahezu  normal,  die  Kapsel  ge¬ 
spannt,  leicht  abziehbar. 

Auf  dem  Durchschnitt  fielen  einzelne  Partien  wie  auch  die 
Glomeruh  durch  ihre  rötliche  Färbung  auf.  Im  Mikroskop  sah  man 
Zerfall  und  Desquamation  zahlreicher  Epithelien,  die  Harnkanälchen 
waren  durch  ausgetretene  Blutkörperchen  stark  gefüllt  usw.,  also  die 
Zeichen  einer  ausgesprochenen  akuten  hämorrhagischen 
N  e  p  h  r  i  1 1  s.  Ich  will  noch  hinzufügen,  dass  nach  den  Aussagen  der 
Litern  der  Verunglückte  nie  ernstlich  krank  gewesen  ist. 

Durch  diesen  Fall,  glaube  ich,  ist  nachgewiesen,  dass  eine 
Erkältung  in  allerkürzester  Zeit  eine  akute 
Nephritis  auszulösen  vermag. 


Wundverband  bei  Schussfrakturen  *). 

Von  Oberstabsarzt  Prof.  Dr.  Schönwerth. 

(Die  nachfolgenden  Bemerkungen  beziehen  sich  hauptsächlich  auf 
die  erste  Behandlung  der  Wunden  am  Truppenverbandplatz.) 

Der  erste  Grundsatz  bei  Behandlung  dieser  Wunden  lautet: 
Wunden  sind  mit  den  Fingern  nicht  zu  berühren  und  nicht  zu 
sondieren.  Dies  ist  um  so  wichtiger,  als  bei  dem  grossen  An¬ 
drang  der  Verletzten  zu  den  Verbandplätzen  und  bei  den  un¬ 
günstigen  äusseren  Verhältnissen  eine  genügende  Desinfektion 
der  Hände  zwischen  den  einzelnen  Verbänden  oft  ganz  unmög¬ 
lich  ist.  Höchstens  bei  groben  Verunreinigungen  werden 
Schmutzpartikeln  mit  einer  Pinzette,  mit  Tupfern  entfernt. 
Auch  zur  Sicherung  der  Diagnose  ist  die  Sondierung  absolut 
zu  unterlassen. 

Einfache,  nicht  komplizierte  Weichteilschüsse  zeigen  im 
allgemeinen  kleine  Einschuss-  und  Ausschussöffnungen,  und 
zwar  sowohl  bei  Verletzung  durch  Mantelgeschosse  wie  durch 
Schrapnell.  Von  Einfluss  auf  die  Grösse  des  Defektes  ist  das 
Verhalten  der  unter  der  Haut  liegenden  Gewebe.  —  Quere, 
deformierte  Geschosse  machen  grössere  Einschussöffnungen 
—  ausgedehnte  Zerstörungen  werden  durch  Granaten  gesetzt. 

Die  Wundversorgung  besteht  im  Anlegen  eines  einfachen 
Deckverbandes,  Verbandgaze  und  Watte,  die  mittels  Pflaster- 
Streifen  oder  Binde  zu  fixieren  sind  (Verbandpäckchen).  — 
Sollte  ein  operativer  Eingriff  in  Bälde  wünschenswert  sein,  so 
ist  dies  auf  dem  Verbandtäfelchen  zu  vermerken. 

v.  Oettingen  empfiehlt  den  Mastisolverband:  „Ohne 
Berücksichtigung  der  Verschmutzung  der  Wundumgebung 
wird  mit  einem  Wattepinsel  die  ganze  Umgebung  bis  an  deii 
Wundrand  oder  bei  kleiner  Schusswunde  über  dieser  weg  mit 
Mastisol  gepinselt.  Nach  genügender  Verdunstung  (A  bis 
1  Minute)  wird  ein  Wattebausch  erfasst  und  mit  der  den 
greifenden  Fingern  gegenüberliegenden  Seite  auf  die  Schuss¬ 
öffnung  gedeckt.  Bei  leichter  Blutung  ist  Kompression  er¬ 
forderlich;  auf  den  Wundbausch  kommt  noch  eine  dünne  Lage 
Watte,  oder  wir  lassen  diese  auch  fort  und  wickeln  mit  einer 
Binde."  —  „Die  Abnahme  eines  Verbandes  geschieht  vorsichtig 
nach  der  Wunde  zu,  so  dass  die  Teile,  die  auf  der  Wunde 
liegen,  zuletzt  abfallen.“  —  „Reste  des  angetrockneten  Masti- 
sols  auf  der  Haut  werden  durch  Abwaschen  mit  Benzin, 
Aether  usw.  oder  Speiseöl  entfernt.“ 

Bei  Behandlung  von  Schussfrakturen  ist  die  Fixierung  der 
verletzten  Extremität  von  denkbar  grösster  Bedeutung.  In  den 
vorderen  Linien  wird  man  dazu  hauptsächlich  Schienen  ver- 


")  Aus  Vademekum  des  Feldarztes.  Verlast  von  .1.  F.  L  e  li - 
m  a  n  n  in  München. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Miinch.  med.  Wochenschrift. 


Nr.  3-1. 


1S62 


wenden;  von  letzteren  ist.  wenn  Zeit  und  die  Umstände  es 
erlauben,  auch  bei  Weichteilverletzungen,  besonders  bei 
grösseren  Wunden,  ein  ausgedehnter  Gebrauch  zu  machen, 
ebenso  können  Verbände  im  Bereiche  von  Kopf  und  Hals  untei 
Umständen  zweckmässig  mit  Fappstreifen,  Schusterspänen 

verstärkt  werden.  , 

Bei  Verletzungen  im  Bereiche  der  Wirbelsäule,  des 

Beckens  kommt  eine  passende  Lagerung  des  Körpers  in  Be¬ 
tracht,  welche  hier  die  Stelle  des  fixierenden  Verbandes  zu 

vertreten  hat.  ,  ,  „ 

Bei  schweren  Blutungen  im  Bereich  der  Extremitäten  ist 

die  Esinarch  sehe  Gummibinde  anzulegen.  Die  Binde  ist 
niemals  mit  Kleidungsstücken  zu  bedecken,  weil  sie  sonst  ver¬ 
gessen  werden  kann,  und  darf  wegen  Gefahr  der  Gangrän 

nicht  länger  als  2  Stunden  liegen. 

Technik  der  Abschnürung  mit  der  Esmarchbinde.  Die 
Extremität  wird  von  einem  Gehilfen  in  die  Höhe  gehalten  unJ 
darauf  die  Binde  4— 5  mal  unter  anhaltendem  Zug  um  das 
Glied  zentral  von  der  blutenden  Stelle  angelegt;  man  achte 
besonders  darauf,  dass  der  mit  der  Binde  ausgeübte  Zug  nicht 
beim  Uebergang  von  einer  Tour  in  die  andere  nachlässt. 
Die  Binde  ist  auf  der  blossen  Haut  aufzulegen,  die  Eixiciung 
erfolgt  durch  Einstecken  des  Bindenkopfes  von  oben  her 
zwischen  Haut  und  Bindentouren. 

Bei  Blutungen  im  Bereiche  von  Kopf,  Hals,  dicht  unter 
dem  Leistenhand  Kompression  und  Unterbindung. 


Referate. 

Deutsche  militärärztliche  Zeitschrift.  43.  Jahrg.,  14.  Heft. 

Torsten  R  i  e  t  z  -  Stockholm:  Die  Krankentransportmittel  bei  der 
griechischen  Armee  im  Balkankriege  1912/13. 

Verf.  bespricht  an  Hand  von  Abbildungen  die  verschiedenen 
Arten  der  Krankentransportmittel  der  griechischen  Armee.  Neben 
den  Hilfstransportmitteln,  zweiräderigen  und  vierraderigen  Wagen 
und  den  (zusammenlegbaren)  Tragbahren  sowie  Krankentransport¬ 
wagen,  welche  schon  vorhanden  waren,  wurden  Transportmittel  im¬ 
provisiert,  indem  Lastautomobile,  Strassenbahn-  und  Eisenbahnwagen 
zum  Zwecke  des  Krankentransportes  umgebaut  wurden.  Ebenso 
wurden  Handelsdampfer  in  Verwundetentransportschiffe  umge- 

'  andje  u  s  c  h  e  r  -  Münster:  Eine  Sanitätstasche  für  Sanitätsoffiziere. 
(Zum  Gebrauch  im  Manöver  und  im  Felde.)  Mit  3  Abbildungen. 

Die  Tasche  hat  die  Form  der  Kartentaschen  der  Offiziere;  sie 
besteht  aus  einer  Haupttasche  (=  gewöhnliche  Kartentasche),  ent¬ 
haltend  ein  Instrumcntenbesteck,  Verbandzeug,  Spritzen  etc.  sowie 
einer  Arzneitasche,  die  bei  dem  einen  Modell  als  ausziehbarer  Leder- 
einsatz  in  die  Kartentasche  vorne  eingebaut,  bei  einem  zweiten  Mo¬ 
dell  in  das  Innnere  der  Tasche  verlegt  ist.  Die  Tasche  ist  verschliess- 
bar;  sie  wird  an  der  linken  Sattelseite  mittels  zweier  Karabiner¬ 
haken  über  der  Säbeltragevorrichtung  befestigt,  so  dass  der  Sabel¬ 
korb  die  Tasche  und  die  Tasche  den  SäbeL  beim  Reiten  am  Schleu¬ 
dern  hindert.  Die  Tasche  wird  von  der  Firma  Edelkoker. 
Münster,  Frauenstrasse  aus  bestem  Rindsleder  zum  Preise  von  12  M. 

angefertigt. ^  Verhaus  -  Wesel:  Ein  Fall  von  Schambeinbruch  und 

Svmphysenlösung  infolge  Muskelwirkung.  . 

Der  Bruch,  kompliziert  durch  Verlegung  der  Blase,  ist  durch  eine 
plötzliche  forcierte  Wirkung  der  Adduktoren  entstanden.  Der  Pat. 
wurde  nach  7  Monaten  wieder  dienstfähig  zur  Truppe  entlassen. 

W  u  n  d  e  r  1  i  c  h  -  Metz:  Ein  Fall  von  hämorrhagischem  Typhus. 

Ein  schwerer  Fall  dieser  seltenen  Erkrankung,  deren  Prognose 
sehr  ungünstig,  gelangte  zur  Heilung  und  zwar  hörten  die  Blu¬ 
tungen  (Haut,  Schleimhaut,  Mund,  Nase)  prompt  auf,  als  Suprarenm 
gegeben  wurde.  Es  wurden  anfangs  3  mal  täglich  15  Tropfen  Supra- 
reninum  syntheticum  (1:1000)  gegeben  und  allmählich  ging  man 
herunter  auf  3X5  Tropfen. 

Stabsarzt  Linke:  Kursus  über  die  zahnärztliche  Behandlung 
der  Kieferschussfrakturen  und  im  Anlegen  von  Kieferprothesen. 

Der  Kursus  fand  im  Februar  d.  J.  unter  Leitung  von  Prot. 
Schröder  in  Berlin  statt.  Prof.  Schröder  hebt  die  besondere 
Bedeutung  der  provisorischen  Okklusivprothesen,  aus  Zelluloidplatten 
hergestellt,  für  den  Kriegsfall  hervor,  da  sie  einfach  sind  und  Nah¬ 
rungsaufnahme  sowie  Sprache  erleichtern.  Die  Schussverletzungen 
des  Oberkiefers  stehen  bezüglich  Prozentzahl  (30—40  Proz.)  an  der 
Spitze  von  Verletzungen  der  Gesichtsknochen.  Die  Fixierung  ge¬ 
schieht  nach  Möglichkeit  an  den  vorhandenen  Zähnen  durch  dentale 

und  interdentale  Verbände.  >  ....  ,  . 

Stabsarzt  B  e  y  k  o  w  s  k  y  -  Prag:  Das  österreichisch-ungarische 

Militärsanitätswesen. 

^  C I*  ät 

Buchbesprechungen,  Avancement  der  Militärärzte  etc.  H.  S. 


Auswärtige  Briefe. 

Berliner  Briefe. 

(Eigener  Bericht.) 

Die  Betätigung  der  in  Berlin  zurückgebliebenen  Aerzte  während 

Die  allgemeine  Begeisterung,  die  mit  elementarer  Kraft  überall 
in  deutschen  Landen  die  Gemüter  beherrscht,  kommt  bei  dem  Teil 
der  Bevölkerung,  der  nicht  ins  Feld  berufen  ist,  in  einer  allgemeinen 
Hilfsbereitschaft  zum  Ausdruck.  Ebenso  wie  die  Heeresverwaltung 
den  Andrang  der  Freiwilligen  kaum  bewältigen  kann,  so  bieten  sich 
mehr  Hände  zur  Mithilfe  an.  als  beschäftigt  werden  können.  Unser 
ernster  Beruf  legt  uns  vor  allen  andern  die  Aufgabe  nahe,  zu  helfen, 
wo' Hilfe  nottut:  und  vom  ersten  Tage  gingen  die  Berliner  Aczte 
daran  ihre  Arbeit  während  des  Krieges  zu  organisieren.  Ein  grosser 
Teil  der  Kollegen  befindet  sich  bereits  im  Felde,  andere  erwarten  täg¬ 
lich  abberufen  zu  werden.  Fast  der  gesamte  Rest  hat  sich  für  der' 
Sanitätsdienst  zur  Verfügung  gestellt.  Die  Abwesenheit  vie ler  Aerzte 
hat  im  ersten  Moment  die  Befürchtung  laut  werden  lassen,  dass 
Schwierigkeiten  in  der  Versorgung  der  Kranken  entstehen  könnten. 
Eine  sofortige  Veröffentlichung  der  Aerztekammer,  dass  eine  Kriegv 
vertretung  eingerichtet  werde,  hat  diese  Befürchtungen  zerstreut:  .ür 
die  Kranken  wird  ausreichende  ärztliche  Hilfe  vorhanden  sein.  Aber 
auch  die  abwesenden  Kollegen  sollen  in  ihrer  Praxis  keinen  Schaden 
erleiden.  Die  Vertretung  soll  eine  rein  kollegiale,  unentgeltliche  sein, 
und  es  soll  Vorsorge  getroffen  werden,  dass  ihnen  der  Bestand  ihrer 
Praxis  für  die  Zeit  nach  ihrer  Rückkehr  ungeschmälert  erhalten  bleibt. 
Das  gilt  sowohl  für  die  Privat-  wie  für  die  Kassenpraxis.  Die  Für¬ 
sorge  der  Aerzteschaft  erstreckt  sich  des  weiteren  auf  die  Angehöri¬ 
gen  der  ins  Feld  gezogenen  Krieger;  viele  dieser  Familien  sehen  mit 
Sorge  der  kommenden  Zeit  entgegen.  Staat  und  Gemeinden  zahlen 
ihnen  Zuschüsse,  die  ihnen  den  notwendigsten  Unterhalt  verschaffen, 
aber  in  Krankheitsfällen  können  sie  aussergewöhnliche  Ausgaben  nient 
tragen.  Die  Berliner  Aerzte  haben  sich  bereit  erklärt,  in  solchen 
Fällen  die  Angehörigen  der  Reservisten  unentgeltlich  zu  behandeln. 
Bedürftigen  ohne  Entschädigung  zu  helfen  sind  wir  auch  sonst  ge¬ 
wohnt,  und  es  wäre  unter  anderen  Verhältnissen  nicht  notig,  das  be- 
sonders  auszusprechen.  Hier  handelt  es  sich  aber  vielfach  um  ra- 
milien  die  in  geordneten  Verhältnissen  lebten,  und  denen  eine  un¬ 
entgeltliche  Inanspruchnahme  des  Arztes  etwas  Unbekanntes  oder 
doch  Ungewohntes  ist.  Diese  sollen  wissen,  dass  ihre  erschwerte 
materielle  Lage  kein  Grund  ist,  auf  ärztliche  Hilfe  zu  verzichten.  Da 
ausserdem  viele  Polikliniken  geschlossen  sind,  die  Krankenhäuser  zu 
einem  grossen  Teil  für  Lazarettzwecke  freigehalten  werden,  so  sehen 
die  Aerzte  einer  verdoppelten  und  verdreifachten  Tätigkeit  entgegen. 
Sie  werden  die  Arbeit  als  eine  selbstverständliche  Pflicht  gern  aut 
sich  nehmen,  denn  jeder  hat  das  Bestreben,  nach  seinem  Können  dem 
Vaterlande  nützlich  zu  sein  und  gleichzeitig  zu  seinem  Teil  dazu  bei¬ 
zutragen,  das  ungeheure  Elend, 'das  mit  dem  Kriege  verbunden  ist, 
zu  mildern. 

Die  Krankenhäuser  haben  ihr  Aussehen  gänzlich  verändert,  das 
ärztliche  Personal  ist  ein  anderes  geworden,  es  hat  sich  verjüngt  und 
das  weibliche  Element  tritt  stark  hervor.  Natürlich  haben  die  Kol¬ 
leginnen  sich  mit  dem  gleichen  Feuereifer  zur  Verfügung  gesteht  wie 
die  andern,  und  sie  sind  den  Krankenhausleitern  eine  sehr  erwünschte 
Hilfe,  denn  sie  gehören  zu  den  wenigen,  die  nicht  weggerufen  werden. 
Gerade  für  die  Assistenten  liegt  ja  meist  die  aktive  Dienstzeit  nicht 
weit  zurück,  sie  sind  also  schon  in  den  ersten  Tagen  zum  Heere  ein- 
berufen,  ihre  Stellen  nehmen  vorläufig  Medizinalpraktikanten  und 
ältere  Studierende  ein,  bis  auch  sie  zur  Dienstleistung  in  den  Laza¬ 
retten  herangezogen  werden.  Es  ist  von  keiner  Stelle  bekannt  g‘  • 
worden,  dass  der  Krankenhausdienst  unter  dieser  Verjüngung  dir 
ärztlichen  Kräfte  leidet.  Was  den  jungen  Kollegen  an  Erfahrung  fehl., 
das  wird  durch  ihr  frisches  Wissen,  ihren  Eifer  und  die  intensive  An¬ 
leitung  durch  die  Direktoren  ersetzt.  Der  Andrang  zur  freiwilligen 
Krankenpflege  ist  ungeheuer,  es  melden  sich  viel  mehr,  als  ausgebildet 
und  beschäftigt  werden  können.  So  können  wir  auch  vom  ärztlichen 
Standpunkt  aus  der  kommenden  schweren  Zeit  mit  Zuversicht  ent¬ 
gegensehen,  auch  wir  sind  gerüstet. 

Dem  Massenandrang  zur  freiwilligen  Krankenpflege  beim  Roten 
Kreuz  entspricht  ein  reichliches  Angebot  von  Aerzten  und  Aerztinnen. 
die  zur  Ausbildung  der  Krankenpflegerinnen  bereit  sind.  In  dem¬ 
selben  Saale,  in  dem  die  denkwürdige  Sitzung  des  Reichstages  bei  Er¬ 
öffnung  des  Krieges  stattfand,  versammelten  sie  sich,  um  die  Organi¬ 
sation  des  Unterrichts  zu  besprechen,  und  diese  Versammlung  machte 
einen  höchst  imposanten  Eindruck.  Nicht  nur  die  Sitzreihen  waren 
bis  auf  den  letzten  Platz  gefüllt,  sondern  auch  in  allen  Gängen  staiui 
man  dichtgedrängt.  Das  Angebot  ging  weit  über  den  Bedarf 
Wie  Herr  Ministerialdirektor  Kirchner  mitteilte,  sollen  4000t)  Per¬ 
sonen  für  den  Dienst  der  Krankenpflege  ausgebildet  werden;  nacn 
einem  festgelegten  Plan  soll  zunächst  der  Unterricht  für  3000  neitt- 
rinnen  in  100  Kursen  mit  je  30  Teilnehmerinnen  beginnen.  Es  ist  an¬ 
zunehmen,  dass  bei  der  Riesenzahl  der  sich  anbietenden  Helferinnei 
sich  auch  manche  befinden,  die  nach  ihrem  Bildungsgrad,  früheren  be¬ 
ruf  und  ihrem  Talent  für  diese  Art  der  Betätigung  sich  wenig  eignen. 
Es  wird  daher  die  erste  Aufgabe  der  Kursleiter  sein,  ihr  Schülerinnen- 
material  zu  sichten  und  ungeeignete  Personen  durch  sanften  Dtuck 
auf  ein  anderes  Tätigkeitsgebiet  hinzuweisen.  Die  Ausbildung  er- 


.  August  1914. 


186.3 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


eckt  sich  nicht  nur  auf  die  Pflege  Verwundeter,  sondern  auch  auf 
'  vorbeugenden  Massnahmen  gegen  etwaige  spätere  Seuchen¬ 
fahren;  und  es  muss  ferner  dafür  gesorgt  werden,  dass  die  zalil- 
chen  in  der  Eriedenszeit  geschaffenen  sozialhygienischen  Einhell¬ 
igen,  wie  Lungenheilstätten,  Säuglingsfürsorgestellen  u.  a.  während 
5  Krieges  keine  Einbusse  erleiden.  Oie  Aerzte  dieser  Anstalten  sind 
einem  grossen  I  eil  zu  den  Waffen  gerufen;  sie  sollen  durch  junge 
•diziner  ersetzt  werden,  darum  wurden,  wie  Herr  Kirchner 
[teilte,  im  Laufe  der  letzten  8  Tage  nicht  weniger  als  2000  Appro- 
tionen  erteilt.  Eiir  die  Aerzte,  die  sich  der  Militärbehörde  oder  dem 
ten  Kreuz  freiwillig  zur  Verfügung  gestellt  haben,  finden  dem- 
;hst  im  Kaiserin-Eriedrich-Hause  Orientierungskurse  statt,  welche 
Organisation  des  Heeres,  des  Sanitätsdienstes  und  der  freiwilligen 
ankenptlege  zum  Gegenstand  haben.  Ferner  soll  die  Verwendung 
>  nicht  dienstpflichtigen  Zivilarztes,  seine  Stellung  und  seine  Be- 
nisse  und  zum  Schluss  die  allgemeinen  Grundsätze  der  Seuchen- 
(ämpfung  besprochen  werden.  M.  K. 


Kleine  Mitteilungen. 

Merkblatt  für  die  Pflege  Verwundeter. 

Von  Geheimrat  Professor  Witzei  in  Düsseldorf. 

ide  sauber;  i  wenn  beschmutzt,  sofort  waschen!! 

:tung:  Alles  bereit;  —  stets  fragen,  ob  einzelne  Teile  besonders  zu 
lagern;  —  nicht  mit  gekrallten  Fingern  oder  ruckweise;  —  zu 
mehreren,  nach  leiser  Verständigung,  im  Tempo, 
rchliegen  (Schimpf  für  Pflegerin!):  Druckschmerz  rechtzeitig  er¬ 
kennen;  —  Umlagern,  Hohllagern  (Luft-  oder  Wasserkissen);  — - 
Haut  äusserst  sauber  halten  mit  Seifenwasser  und  Alkohol, 
lrung  und  Erquickung:  Nur  ärztlich  Erlaubtes;  —  Beihilfe,  ohne 
Verband  zu  verschieben  oder  zu  beschmutzen;  —  bei  Kopf-,  Hals-, 
Brust-,  Bauchverletzten  fragen,  ob  besondere  Art  der  Zuführung, 
leerungen:  Erst  alles  bereit,  auch  etwa  nötige  zweite  Hilfe.  — 
Stuhl:  ohne  Schmerz  anheben  und  höher  lagern;  —  Verband  — 
durch  Tuch  schützen;  —  Unterlage  wieder  sauber  und  glatt;  — 
Stuhl  sofort  hinaus;  —  Gefäss  sofort  peinlich  säubern;  - —  bei 
Aufbewahrung  zudecken,  Namen  auf  Zettel.  —  Uringlas  zugedeckt 
im  Nachttisch. 

rechen:  sofort  melden;  —  Erbrochenes  stets  verwahren;  draussen 

■nit  Zettel. 

merz:  wenn  anhaltend  und  besonders  wenn  zunehmend,  melden, 
band:  drückt  oder  schnürt!;  sofort  melden;  —  gelockert,  durch- 
:ränkt  von  Blut  oder  Eiter,  melden. 

rke  Blutung:  sofort  Arzt!  —  Verband  auf  Wunde  fest  aufdrücken; 
—  Gummischlauch,  Bahre  zur  Stelle.  —  Meldung  zum  Operations- 

;aal. 

tickung:  sofort  Arzt!,  —  in  bester  Lage  unterstützen;  Sauerstoff- 
rombe  (Vorsicht!),  Bahre  zur  Stelle.  —  Meldung  zum  Operations- 

>aal. 

zliche  Schwäche:  sofort  melden;  —  beim  Verwundeten  bleiben. 

die  Visite  des  Arztes  Bescheid  wissen  über: 

Ulgemeines  Befinden,  Schlaf,  Schmerzen,  Puls,  Temp.,  Appetit, 
Besonderes!  —  Leise  berichten;  Uebles  nie  für  Verwundeten 
hörbar. 


Sanitätsdienst  zwischen  Gefechtsbeginn  und  Hauptver¬ 
bandplatzerrichtung. 

Von  Oberstabsarzt  Dr.  v.  Reitz  in  München. 

Bei  Gefechtsbeginn  müssen  die  Truppenärzte  nicht  nur  die  Lage 
Sammelplatzes  für  Leichtverwundete  erfahren,  sondern  sie 
sen  auch  möglichst  bald  unterrichtet  werden,  nach  welcher  Rich- 
.  Schwerverwundete  zu  dirigieren  sind.  Mit  der  Errichtung  des 
Ptverbandplatzes  ist  nach  der  Kriegssanitätsordnung  grundsätz¬ 
zu  warten,  bis  eine  andauernde  und  wirksame  Tätigkeit  der 
tätskompagnie  in  nicht  zu  weiter  Entfernung  vom  Ort  der  Ver- 
:  gewährleistet  ist.  Unter  den  heutigen  Verhältnissen  aber,  wenn 
der  Hauptverbandplatz  wegen  der  Unsicherheit  der  Lage  nicht 
an  der  Front  errichten  lässt,  muss  die  Sanitätskompagnie  weiter 
ck  von  der  Gefechtslinie  in  Tätigkeit  treten  und  ihre  Wagen- 
| -Platze  möglichst  weit  nach  vorne  schieben.  Für  die  Truppen- 
c  genügt  es  zu  wissen,  auf  welchen  Strassen  diese  errichtet 
den.  Die  Sanitätskompagnie  hat  in  einer  Ortschaft  mit  be- 
ucn  Anfahrtsstrassen  und  genügenden  Räumen  für  ein  Eeld- 
rett  Vorbereitungen  für  die  Unterkunft  der  Verwundeten  zu 
'eil,  die  ärztliche  Hilfe  kann  sich  für  die  erste  Zeit  auf  einfache 
’ande  und  die  allernotwendigsten  Eingriffe  beschränken,  erst  bei 
seier  Anzahl  der  Verwundeten  ist  es  nötig,  den  ganzen  Apparat 
ewegung  zu  setzen.  (Deutsche  militärärztl.  Zschr.  1913  H.  15.) 

R.  S. 


Der  Gesundheitszustand  der  französischen  Armee 

n  der  lct/ten  Zeit  wiederholt  erörtert  worden  und  hat  dabei 
-ande  selbst  von  massgebender  Seite  eine  recht  ungünstige 
Heilung  erfahren,  die  gerade  jetzt,  in  ernster  Zeit,  von  doppeltem 
«sse  ist.  Der  Inspektionsarzt  der  französischen  Armee. 

1  roussaint,  berichtete  unlängst  auf  dem  Kongress  für  allge¬ 


meine  Hygiene  in  Lyon,  dass  der  Gesundheitszustand  sowohl  der  Re¬ 
kruten  als  auch  der  ausgebildeten  Mannschaften  noch  immer  höchst 
besorgniserregend  sei.  Die  Verhältnisse  lägen  weit  ungünstiger  als 
in  irgendeinem  anderen  europäischen  Militärstaate.  Das  Versteck¬ 
spielen  helfe  nichts.  Die  Bevölkerung  müsse  erfahren,  dass  65  Proz. 
d  er  unter  die  Fahne  berufenen  jungen  Leute  in 
höherem  oder  geringerem  Grade  tuberkulös  seien.  Im  Jahre 
191(1  seien  von  52J4  zurückgestellten  Dienstpflichtigen  4314  tuberkulös 
gewesen.  1 .  schlägt  vor,  die  für  diensttauglich  erklärten  Leute,  bei 
denen  I  uberkulose  in  den  Anfangsstadien  konstatiert  sei,  von  an- 
sti  engenden  Dienstleistungen  zu  befreien.  Auch  möge  man,  da  die 
finanziellen  Schwierigkeiten  die  Errichtung  eigener  Militärsanatorien 
nicht  ermöglichten,  mit  Zivilsanatorien  Abmachungen  treffen.  Das 
Samtätswesen  verfüge  über  die  ganz  unzureichende  Jahressumme 
von  lo  Millionen  Frank.  Es  sei  im  höchsten  Grade  bedauerlich,  dass 
die  Sanitätsleitung  der  Armee  ohne  jeden  Einfluss  auf  die  über  ein 
Budget  von  300  Millionen  Frank  verfügende  Intendantur  sei,  die  alle 
für  die  Gesundheit  der  Truppen  so  wichtigen  Fragen,  wie  Ernährung 
Bekleidung  und  Unterkunft,  selbst  oder  höchstens  im  Einverständnis 
mit  einer  Anzahl  von  Genieoffizieren  entscheide,  denen  jede  Kenntnis 
der  modernen  Anordnungen  fehle.  W.kl.W. 

Therapeutische  Notizen. 

Ucber  Behandlung  von  im  Sommer  gehäuft  auf¬ 
tretenden  Magendarmstörungen. 

Von  Dr.  Leo  E  k  s  t  e  i  n,  Distriktsarzt  in  Oberhaid. 

Von  berufener  Seite  wurde  wiederholt  hingewiesen  auf  die 
entgiftende  Wirkung  der  Kohle,  besonders  der  gereinigten  Tierkohle. 

Ganz  besonders  wurde  von  Herrn  Prof.  Dr.  Wiechowski- 
Prag  auf  die  prompten  Erfolge  bei  Anwendung  genannten  Mittels 
aufmerksam  gemacht. 

Die  Tierkohle  wird  allgemein  bei  Vergiftungen  (besonders  mit 
Alkaloiden)  verwendet. 

In  meinem  Distrikte  traten  heuer  mehrere  Fälle  von  Magen- 
darinstörungen  auf,  die  wohl  auf  die  unvorsichtige  Ernährung  (un¬ 
reifes  Obst  u.  dgl.)  zurückzuführen  waren.  Es  waren  darunter 
Patienten  von  mehr  als  70  Jahren,  die  in  grosser  Prostration  dahin¬ 
lagen. 

Den  von  verschiedenen  Autoren  gemachten  Anregungen,  auch  in 
solchen  Fällen  von  Tierkohle  Gebrauch  zu  machen,  folgend,  konnte 
ich  innerhalb  von  1—2  Tagen  eine  auffallende  Besserung  und  baldigste 
Genesung  selbst  in  den  schwersten  Fällen  konstatieren. 

Erlaube  mir  daher  ebenfalls  die  Anwendung  von  Tierkohle  — 
sei  es  in  Tablettenform  oder  in  10  proz.  Lösung  —  aufs  wärmste 
zu  befürworten. 

Gerade  in  der  jetzigen  Zeit,  da  grosse  Massen  zusammenströmen, 
durfte  der  Hinweis  sowie  die  Anregung  begründet  sein,  Feldlazarette 
mit  reiner  Tierkohle  ausgiebig  zu  versehen. 

Als  einfaches  und  billiges  Verfahren  der  Händedesinfek¬ 
tion  ist  das  Verreiben  kleiner  Mengen  von  Festalkohol  oder  ge¬ 
eigneten!  flüssigen  Seifenspiritus  zu  empfehlen;  besonders  bewährt 
hat  sich  ein  75  proz.  Rizinusseifenspiritus.  Am  besten  wird  der  flüs¬ 
sige  Seifenspiritus  mit  einem  Wattebausch  auf  den  Händen  verrieben. 
(Huntemüller  und  B.  Eckard:  Beiträge  zur  Frage  der  Hände¬ 
desinfektion.  B.kl.W.  1914  Nr.  32.)  R  s 


Nachrichten. 

München,  den  24.  August  1914. 

Eine  herrliche  Siegesnachricht  brachte  nach  langen  Tagen 
banger  Erwartung  das  Ende  der  3.  Kriegswoche.  Acht  französische 
Armeekorps  geschlagen,  die  feindliche  Offensive  abgewiesen,  das 
Land  dem  Eindringen  unserer  Armee  geöffnet?  Zusammen  mit  den 
Fortschritten  auf  dem  belgischen  Kriegsschauplatz,  wo  die  Landes¬ 
hauptstadt  Brüssel  besetzt  wurde,  sind  das  Erfolge,  wie  sie  bei  allem 
Vertrauen  auf  die  Ueberlegenheit  unserer  Truppen  so  rasch  und  so 
glänzend  nicht  erhofft  werden  durften.  Sie  werden  nicht  verfehlen, 
die  Siegeszuversicht  unserer  heldenmütigen  Truppen  ebenso  zu  stei¬ 
gern,  wie  sie  auf  den  Geist  unserer  Gegner  lähmend  wirken  müssen. 

Eine  überaus  beklagenswerte  Erscheinung,  die  in  diesem  Kriege 
der  ersten  Kulturvölker  unerwarteterweise  hervortritt,  ist  die  häufige 
Verletzung  der  Genfer  Konvention.  Die  Fälle,  in  denen  auf  Aerzte  ge¬ 
schossen  wurde,  sollen  sehr  zahlreich  sein,  ebenso  diejenigen,  in  denen 
aus  Häusern,  die  die  Genfer  Flagge  trugen,  geschossen  wurde.  Noch 
schlimmer  ist,  dass  von  der  belgischen  und  französischen  Bevölkerung 
an  verwundeten  Kriegern  bestialische  Grausamkeiten  verübt  wurden. 
Da  diese  Vorkommnisse  die  schärfsten  Gegenmassregeln  zu  einem 
Gebot  der  Selbsterhaltung  machen,  so  erhält  dadurch  die  Kriegs¬ 
führung  eine  an  sich  unnötige  Härte,  die  niemand  mehr  bedauern 
Kann  als  die  deutschen  Soldaten  und  das  deutsche  Volk.  —  Unquali¬ 
fizierbar  ist  das  Vorgehen  Japans  gegen  Deutschland,  das  sich  als 
glatte  Erpressung  kennzeichnet.  Und  das  von  Japan,  das  von  Deutsch¬ 
land  so  viele  Wohltaten  erfahren  hat!  Ein  Leser  unseres  Blattes 
schickt  uns  die  Frage:  „Was  fängt  die  Universität  nun  mit  den  japani¬ 
schen  Geschwuistdoktoren  an,  von  deren  Namen  das  Dissertations¬ 
verzeichnis  Ihrer  letzten  Nummer  strotzt?“  (S.  1818;  das  Verzeichnis 
ist  in  der  Tat  charakteristisch  für  das  Ueberwuchern  japanischer  und 


1864 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  34. 


russischer  Studenten  in  München.  Red.)  Wir  können  die  Frage  mit 
dem  Ausspruch  eines  Münchener  Klinikers  beantworten:  „Wir  wer¬ 
den  ihnen  die  Türe  weisen“.  Die  Säuberung  unserer  Universitäten 
von  diesen  wenig  erwünschten  Gästen  wird  eine  der,  wie  wir  hoffen, 
vielen  wertvollen  Errungenschaften  dieses  Krieges  sein. 

—  Der  erste  grössere  Verwundetentransport  ist  in 
München  in  der  Nacht  vom  20.  zum  21.  August  eingetroffen.  Es 
handelte  sich  in  der  Mehrzahl  um  Soldaten,  die  an  den  Kämpfen  bei 
Mülhausen  und  bei  Lagarde  teilgenommen  hatten. 

Die  Verwundeten  stammten  aus  den  verschiedensten  Regimen¬ 
tern.  Neben  Angehörigen  des  Bayerischen  Leibregiments,  des  ersten 
schweren  Reiterregiments  und  des  ersten  Ulanenregiments  sah  man 
Mannschaften  der  in  Strassburg  und  in  den  elsässischen  Garnisonen 
ligenden  Regimenter,  auch  die  in  Zabern  liegenden  99  er  waren  ver¬ 
treten. 

Es  handelte  sich  im  wesentlichen  um  leichtere  Verletzungen: 
Weichteilschüsse,  Verletzungen  der  oberen  Extremitäten.  Die  Wun¬ 
den  waren  alle  in  gutem  Zustande,  grösstenteils  vollkommen  reizlos. 
Die  mit  Knochenbrüchen  vergesellschafteten  Schusswunden  waren 
alle  gut  geschient,  und  auf  diesen  Umstand  muss  man  wohl  vornehm¬ 
lich  die  gute  Heilung  dieser  Verletzungen  zurückführen.  Auch  bei 
sehr  ausgedehnter  Splitterung  des  Humerus,  des  Radius  und  der  Ulna 
zeigten  die  Ein-  und  Ausschussöffnungen  keine  Spur  einer  Reaktion. 
Die  Mehrzahl  der  Verletzungen  waren  durch  das  französische  Infan¬ 
teriegewehr  hervorgerufen  und  durch  Schüsse  aus  den  verschieden¬ 
sten  Entfernungen  entstanden.  Die  Hautverletzungen  waren  auch  bei 
Nahschüssen  alle  nur  sehr  klein,  die  Knochensplitterungen  jedoch, 
wie  die  Röntgenbilder  zeigten,  zum  Teil  ausserordentlich  ausgedehnt. 
Auffallend  war  die  verhältnismässig  geringe  Verschiebung  der  Bruch¬ 
enden. 

Die  Knochensplitterung  scheint  von  der  Entfernung,  aus  der  das 
Geschoss  stammt,  nicht  abzuhängen:  der  Humerus  fand  sich  bei  einem 
Schuss  aus  20  m  Entfernung  unmittelbar  oberhalb  des  Olekranon  glatt 
durchschossen,  der  Ra’dius  bei  einem  Schuss  aus  300  m  Entfernung  in 
zahlreiche  Splitter  zerbrochen. 

Das  gute  Aussehen  der  Wunden  gibt  Zeugnis  davon,  wie  treff¬ 
lich  die  erste  Wundversorgung  auf  dem  Schlachtfelde  funktioniert. 
Eine  grosse  Zahl  von  Verletzten  war  von  den  Kameraden  sofort  mit 
Hilfe  des  Verbandpäckchens  verbunden  und  dann  den  Lazaretten  zu¬ 
geführt  worden.  Schon  diese  erste  Nachuntersuchung  hat  gezeigt, 
dass  unsere  Feldärzte  auf  ihrem  Posten  sind,  und  es  ist  kein  Zweifel, 
dass  es  der  ärztlichen  Kunst  gelingt,  viele  auch  recht  schwere  Ver¬ 
letzungen  einer  reaktionslosen  Heilung  zuzuführen.  Kr. 

Infolge  des  plötzlich  eingetretenen  grossen  Bedarfs  an  Mor¬ 
phium  hat  nicht  nur  der  Preis  dieses  wichtigen  Arzneimittels  eine 
ausserordentliche  Steigerung  erfahren,  sondern  es  fehlt  auch  an  ver¬ 
schiedenen  Stellen  an  genügenden  Vorräten,  so  dass  für  Apotheken 
vielfach  Schwierigkeiten  bei  der  Deckung  ihres  Bedarfs  entstehen. 
Da  unter  den  obwaltenden  Umständen  auch  auf  weitere  Zufuhren  von 
Opium  nicht  gerechnet  werden  kann,  so  ist  darauf  Bedacht  zu  nehmen, 
die  vorhandenen  Vorräte  an  Morphium  tunlichst  zu  schonen.  Der 
preussische  Minister  des  Innern  ersucht  daher  die  Aerztekammern, 
auf  die  Aerzte  ihres  Bezirks  dahin  einzuwirken,  dass  sie  bei  ihren 
Verordnungen  in  geeigneten  Fällen  statt  des  Morphiums  ent¬ 
sprechende  Ersatzmittel  berücksichtigen  und  Morphium  nur  da  ver¬ 
schreiben,  wo  es  unentbehrlich  und  in  keiner  Weise  zu  ersetzen  ist. 

—  Im  Anschluss  an  die  bisherigen  Vorbereitungen  zur  Ordnung 
des  Vertreterdienstes  für  die  aus  Berlin  infolge  des  Krieges 
abwesenden  Kollegen  fand  am  10.  d.  Mts.  eine  gemeinsame  Sitzung 
des  geschäftsführenden  Vorstandes  der  Aerztekammer  für  die  Provinz 
Brandenburg  und  den  Stadtkreis  Berlin,  des  Vorstandes  des  Aerzte- 
Ausschusses  von  Gross-Berlin  und  des  Ausschusses  des  Zentralver¬ 
bandes  der  Kassenärzte  von  Berlin  statt.  Der  dort  zum  Ausdruck  ge¬ 
kommenen  Auffassung  schliesen  sich  die  beiden  Geschäftsausschüsse 
an.  Einstimmig  war  man  der  Ansicht,  dass  den  abwesenden  Kollegen 
möglichst  unentgeltliche  Vertretung  gesichert  werden  soll,  und 
ebenso  dass  alles  zu  geschehen  hat,  den  später  zurückkehrenden  Kol¬ 
legen  ihre  Praxis,  die  unterdessen  durch  Vertreter  besorgt  wird,  un¬ 
geschmälert  zu  übergeben. 

—  Aerztlicher  Kriegsausschuss  München.  Der 
Aerztliche  Kriegsausschuss  teilt  mit.  dass  während  des  Krieges  über 
450  Aerzte  in  München  zur  Verfügung  stehen.  Für  hinreichende  ärzt¬ 
liche  Hilfe  ist  deshalb  gesorgt.  Eine  genaue  Aufstellung  der  hier 
anwesenden  Aerzte  wird  in  den  nächsten  Tagen  erfolgen. 

—  Das  Kgl.  Bayer.  Staatsministerium  des  Innern  für  Kirchen- 
und  Schulangelegenheiten  teilt  in  bezug  auf  die  Einschränkung 
von  Staatsausgaben  mit:  „Der  Neubau  für  das  Hygienische  Insti¬ 
tut  in  München  unterbleibt  vorerst.  Die  darauf  bezüglichen  Vor¬ 
arbeiten  und  Verhandlungen  sind  einzustellen.  Der  bereits  in  An¬ 
griff  genommene  Neubau  für  die  chirurgische  Klinik  ist  weiter¬ 
zuführen,  soweit  dies  bei  den  derzeitigen  Verhältnissen  über¬ 
haupt  möglich  erscheint.  Der  Neubau  der  Universitäts-Frauenklinik 
ist  fortzuführen,  soweit  nicht  ohne  Schaden  für  den  Staat  und  ohne 
Herbeiführung  einer  grösseren  Arbeitslosigkeit  die  Einstellung  möglich 
ist.  Die  innere  Einrichtung  des  Gebäudes  hat,  soweit  hier  nicht  be¬ 
reits  Bestellungen  erfolgt  sind,  vorerst  zu  unterbleiben.  Von  dem 
beantragten  Erweiterungsbau  des  Zahnärztlichen  Instituts  muss 
gleichfalls  vorerst  abgesehen  werden.  Der  Neubau  der  zweiten 
Chirurgischen  Klinik  hat  bis  auf  weiteres  zu  beruhen.“ 

—  Von  Berliner  Chirurgen  ist  Geheimrat  Bier  als  Marine- 


Generalarzt  nach  Kiel  gegangen.  Geheimrat  Sonnenburg  be¬ 
gleitet  als  konsultierender  Chirurg  den  Stab  des  III.  Armeekorps. 
Die  Geheimräte  Hildebrand,  Körte  und  R  o  1 1  e  r  sowie  Prof. 
Riese  sind  gleichfalls  als  konsultierende  Chirurgen  zur  Armee  ab¬ 
gegangen. 

_  Der  87  jährige  Nestor  der  Deutschen  Turnerschaft  Geheimer 

Sanitätsrat  Dr.  Ferdinand  G  ö  t  z  hat  sich  an  die  Spitze  einer  grossen 
Organisation  gestellt,  welche  die  zurückgebliebenen  deutschen 
Männer,  Turner  und  Nichtturner,  durch  körperliche  Uebungen  für  den 
Dienst  des  Vaterlandes  vorbereiten  will.  Für  diesen  Zweck  werden 
alle  Turn-,  Spiel-  und  Sportplätze  sowie  Turnhallen  zur  Verfügung 
gestellt.  Der  Allgemeine  Turnverein  in  Leipzig  hat  Landsturmriegen 
gebildet. 

_  Wie  die  Bayer.  Staatszeitung  mitteilt,  hat  Geheimrat 

Dr.  v.  R  ö  n  t  g  e  n  die  ihm  von  der  Royal  Society  verliehene  grosse 
goldene  Medaille,  die  er  angesichts  der  Haltung  Englands  nicht 
mehr,  besitzen  will,  und  die  einen  Goldwert  von  ungefähr  1000  M 
r\pr  Snmmelstelle  zur  Fürsorge  für  Stadt  und  Land  und 


das  Rote  Kreuz  überwiesen. 

—  Die  Hamburg-Amerika-Linie  hat  ausser  dem  Lazarettschiff: 
„Hansa“  dem  Roten  Kreuz  noch  einen  ihrer  grossen,  im  Hamburger 
Hafen  liegenden  Passagierdampfer  als  Lazarettschiff  zur  Ver¬ 
fügung  gestellt.  In  Betracht  kommen  dürfte  dafür  der  Dampfer. 
„Patricia“. 

—  Die  Farbenfabriken  vorm.  Fried r.  Bayer  &  Co., 
Leverkusen,  haben  in  ihrem  grossen  Verwaltungsgebäude  ein  Hilis- 
lazarett  eingerichtet.  Es  enthält  vorläufig  250  Betten  mit  allem  Zu-1 
behör,  Operationszimmer,  Verbandszimmer  und  den  nötigen  Ver-! 
pflegungseinrichtungen.  4  Aerzte,  Pflegepersonal,  Verbandstoffe, 
stehen  zur  Verfügung.  Die  Verwundeten  können  mit  der  Kleinbahn! 
und  Fabrikbahn  direkt  an  das  mit  Aufzügen  versehene  Gebäude  heran- j 
geschafft  werden.  Man  ist  damit  beschäftigt,  noch  ein  zweites  Hilfs¬ 
lazarett  mit  ebenfalls  250  Betten  einzurichten.  Beide,  mit  allem  Zu¬ 
behör,  ärztlicher  Behandlung  und  voller  Verpflegung  sind  dem  Roten! 
Kreuz  zur  Verfügung  gestellt  worden. 

—  Herr  und  Frau  Krupp  von  Bohlen  und  Halbaclii 
haben  für  sich  und  die  Firma  Krupp  A.-G.  für  die  verschiedenen  Zen¬ 
tralen  und  ärztlichen  Organisationen  des  grossen  Liebesdienstes  eine 
Million  Mark  zur  Verfügung  gestellt.  —  Die  Firmen  Karl  Zeiss  und, 


Schott  in  Jena  haben  dem  Roten  Kreuz  20  000  M.  überwiesen. 

—  Die  Karlsruher  Lebensversicherung  auf  Gegen¬ 
seitigkeit  teilt  mit,  dass  alle  bei  ihr  abgeschlossenen  Lebensversiche¬ 
rungen,  für  die  die  Versicherungsurkunde  spätestens  am  1.  Juli  1914 
unter  Zahlung  der  ersten  Prämienrate  eingelöst  war,  die  Kriegsgefahr 
für  den  gegenwärtigen  Krieg  nach  Massgabe  der  für  die  einzelnen 


Versicherungen  geltenden  Versicherungsbedingungen  ohne  weitere 
übernommen  ist.  Für  die  Versicherungen,  die  erst  später  eingelöst 
wurden,  ist  die  Kriegsgefahr  übernommen,  wenn  dies  besonders  ver¬ 


einbart  ist. 

—  Prof.  Dr.  J.  Fesslers  „Erster  Unterricht  in  der 
Krankenpflege  für  Haus  und  Beruf“  ist  in  4.  Auflage  erschienen 
Verlag  der  Aerztl.  Rundschau  Otto  Gmelin,  München  1914.  Preh 
M.  1.25.  Im  gleichen  Verlag  erschien:  „Katechismus  für  Hel¬ 
ferinnen  vom  Roten  Kreuz“  von  Med.-R.  Dr.  E  s  c  h  1  e.  Preb 
70  Pf.  Beide  zeitgemässe  Broschüren  sind  in  Frage  und  Antwort  be¬ 
arbeitet. 

—  Auch  der  Leitfaden  für  Samariterschulen:  „Die  erste, 
Hilfe  bei  plötzlichen  U'n  glücksfällen“  von  Friedr 
v.  Esmarch  ist  neu  erschienen  (30.  Auflage,  146.  bis  151.  Tausend 
Leipzig,  Verlag  von  F.  C.  W.  Vogel). 

(Todesfall.) 

Sanitätsrat  Dr.  Richard  Gottschalck  aus  Ginnheim  be 
Frankfurt  a.  M.  ist  bei  der  Ausübung  seines  Berufes  als  Militärarz 
in  Belgien  einem  heimtückischen  Anschlag  dortiger  Bewohner  zun 
Opfer  gefallen. 


Bekanntmachung. 

Zur  Begleitung  der  Lazarett-  und  Hilfslazarettzüge  bedarf  dei 
Kaiserliche  Kommissar  und  Militärinspekteur  der  freiwilligen  Kran 
kenpflege  noch  weiterer  Aerzte.  Meldungen  sind  unter  Vorlegung  de 
Zeugnisse  bei  dem  genannten  Herrn  Kommissar  in  Berlin  NW.  7 
Reichstagsgebäude,  einzureichen.  Den  Kandidaten,  die  die  ärztlich« 
Notprüfung  bestanden  haben  und  den  Nachweis  führen,  dass  sie  ab 
ärztlicher  Begleiter  eines  Lazarettzuges  angenommen  worden  sind 
wird  bei  Erfüllung  der  sonstigen  Zulassbedingungen  für  die  ärztlich» 
Prüfung  die  Approbation  als  Arzt  für  das  Gebiet  des  Deutsche: 
Reiches  alsbald  erteilt  werden. 


Die  „Feldärztliche  Beilage“  ist  bestimmt,  allen  im  Felde  stehen 
den  oder  in  Militärlazaretten  beschäftigten  Aerzten  der  deutsche 
und  österreichischen  Armee  und  Flotte  unentgeltlich  geliefert  zu  wer 
den.  Herren,  welche  sie  nicht  erhalten,  werden  um  Angabe  ihre 
Adresse  ersucht. 

Beiträge  für  die  „Feldärztliche  Beilage“  werden  nach  erhöhte 
Sätzen  honoriert. 

Selbstverständlich  wird  unseren  im  Feld  stehenden  Abonnente 
auch  die  Wochenschrift  selbst  an  jede  uns  angegebene  Adresse  nach 
geliefert.  J.  F.  Lehmanns  V  erlag- 


Verlag  von  J.  F.  Lehmann  in  München  S.W.  2,  Paul  Heysestr.  26.  —  Druck  von  E.  Mühlthaler’s  Buch-  und  Kunstdruckerei  A.Q.,  München. 


e  Münchener  Mcdizlnlichc  Wocheruch  ritt  er*chetnt  wöchentlich 
Umfang  von  durchschnittlich  7  Bogen.  .  Preis  der  einzelnen 
immer  80  4.  *  Bezugspreis  in  Deutschland  vierteljährlich 
6.—.  •  Übrige  Bezugsbedingungen  siehe  auf  dem  Umschlag 


MÜNCHENER 


•  Zusendungen  sind  zu  adressieren: 

Fflrdie  Redaktion  Amulfstr.26.  Börozeit  der  Redaktion  S",—  J  Uhr. 
FDr  Abonnement  an  |.  F.  Lehmann’s  Verlag,  Paul  Hevsestrasse  2V. 
Für  Inserate  und  Beilagen  an  Rudolf  Mosse,  nieatinerstrasse  t. 


Medizinische  Wochenschrift. 


ORGAN  FÜR  AMTLICHE  UND  PRAKTISCHE  ÄRZTE. 


! .  35.  1.  September  1914. 


Redaktion:  I)r.  B.  Spatz,  Arnulfstrasse  26. 
Verlair:  .1.  F.  Lehmann.  F^a u  1  Hevsestrasse  26 


61.  Jahrgang. 


Der  Verlag  behält  sich  das  ausschliessliche  Rech,  der  Vervielfältigung  und  Verbreitung  der  In  d.eser '  Zenschrif,  zum  Abdruck  gongenden  OrigütalbeitrAge 


vor 


Originalien. 

Ueber  Zystographie. 

Von  O.  Zuckerkandl  in  Wien. 

(Mit  1  Tafel.) 

Die  Untersuchung  der  Blase  mittelst  Röntgenstrahlen  hat 
her  neben  den  übrigen  Untersuchungsmethoden,  die  an 
:sem  Organ  zur  Anwendung  kommen,  wenig  Bedeutung  er- 
■  St,  wohl  aus  dem  Grunde,  weil  die  Erfolge  der  Zystoskopie 
i  ihrer»  überzeugenden  Befunden  jede  andere  Unter- 
hungsmethode  überflüssig  erscheinen  Hessen.  Der  er- 
rene  Untersucher  aber  weiss,  dass  sich  aus  den  zysto- 
»pischen  Befunden  nicht  immer  alle  für  die  klinische  Beur- 
ung  der  Fälle  erforderlichen  Daten  ergeben.  Man  muss 
i  iicksichtigen,  dass  wir  ein  genügend  übersichtliches  plasti- 
es  Bild  nur  gewinnen  können,  wenn  wir  das  Objektiv  in 
sprechende  »Distanz  zum  Gegenstand  bringen  können, 
s  wird  nicht  immer  möglich  sein,  und  wir  müssen  uns  bei 
inbeengenden  Tumoren  z.  B.  darauf  beschränken,  aus 
lansichten  der  Oberfläche  uns  ein  Bild  des  ganzen  zu 
i  inen. 

Wir  können  mit  unseren  Methoden,  so  vollkommen  sie 
h  zu  sein  scheinen,  nicht  in  allen  Fällen  alles  wissenswerte 
eben.  Steht  uns  eine  prinzipiell  neue  Art  der  Unter- 
hung  zur  Verfügung,  wie  die  mit  Röntgenstrahlen,  so 
ssen  wir  sie  in  ihren  Erfolgen  mit  den  bisher  üblichen  ver¬ 
dien  und  sie  dementsprechend  bewerten. 

Die  Untersuchung  der  Blase  mit  Röntgen- 
ahlen  schien  in  erster  Linie  eine  Bereicherung  für  die 

•  gnose  der  Steine  zu  bedeuten.  Im  Recessus  retropro- 
i  icus  eingekeilte  Steine,  solche  in  Divertikeln,  waren  nur 

Hilfe  der  radiologischen  Darstellung  zu  diagnostizieren, 
rkwürdigerweise  sind  bisweilen  auch  grosse  Blasensteine 
ichtbar,  selbst  wenn  man  nach  W  i  1 1  e  k  durch  Luftfüllung 
1  sere  Kontraste  zu  erzielen  trachtet.  Diese  Unsicherheit  der 
’Ultate  trübt  den  Wert  der  Methode,  und  gibt  nur  den  posi- 
n  Befunden  diagnostischen  Wert. 

Zur  Erkennung  von  Lage-  und  Form  Veränderungen  der 
'Se  wurde  die  Füllung  dieser  mit  schattengebenden  Fliissig- 
' en  erfolgreich  eingeführt.  Wulff  verwendete  dazu  eine 
iroz.  Wismutaufschwemmung,  während  V  ö  1  c  k  e  r  und 
■  h  t  e  n  b  e  r  g  2  proz.  Kollargol  empfahlen.  So  konnten 
i  Frontalprojektionen  aus  dem  Schattenrisse  des  Organs  die 
m  der  Blase  und  Abweichungen  von  der  Norm,  Divertikel, 
lagerungen  in  Hernien,  dargestellt  werden. 

Die  Versuche,  auf  diese  Weise  Geschwülste  darzustellen, 

I  sehr  spärlich  unternommen  worden.  H  a  e  n  i  s  c  h  hat  in 
m  Falle,  in  welchem  die  Zystoskopie  unausführbar  war, 
ich  Füllung  der  Blase  mit  10  proz.  Wismutaufschwemmung 
!  sellr  charakteristisches  Bild  eines  grossen,  die  Blase  fast 
linden  I  umors  gewonnen.  Desgleichen  haben  Legueu 
1  Pap  i  n  mit  der  gleichen  Methode  ein  ähnliches  Resultat 
eit.  Mit  Recht  heben  die  Autoren  hervor,  dass  nur  grosse 
[  chwülste  diese  Art  der  Untersuchung  erheischen.  Bei 
neu,  übersichtlichen  Tumoren  ist  die  Zystoskopie  zur  ße- 
1  ilung  von  Sitz,  Grösse,  Implantation  etc.  vollkommen  aus- 

•  liend.  Bei  grossen  Tumoren  hat  dies  seine  Schwierig- 
jen,  wenn  wir  nur  einen  Teil  der  Oberfläche  überblicken. 

H  täuscht  sich  auch  hei  grosser  Erfahrung  in  der  Beurteilung 
‘  Stielverhältnisse  grosser,  kugelig  prominierender  Blasen- 
chwülste.  Die  Untersuchung  mit  Röntgenstrahlen  ist,  wie 
Jcr  Hand  von  Erfahrungen  an  ausgeprägten  Fällen  gezeigt 
Nr.  35. 


werden  soll,  geeignet,  in  Fällen  dieser  Art  klarere  Befunde 
zu  geben. 

I .  Röntgenuntersuchung  Bei  infiltrierendem 

Blase  «krebs. 

Handelt  es  sich  um  grössere,  breit  aufsitzende,  ent¬ 
sprechend  tiefgreifende  Krebsgeschwülste,  so  gibt  die  Füllung 
mit  Kollargol  am  Frontalbilde  ein  sehr  charakteristisches  Aus¬ 
sparungsfeld  im  Schattenriss,  bedingt  durch  die  Einengung  von 
seiten  des  prominierenden  Tumors,  bei  gleichzeitigem  Ela- 
stizitätsverlust  des  infiltrierten  Blasenanteils. 

1.  58  jähriger  Mann  (St.  M.)  leidet  seit  5  Jahren  an  vermehrter 
narnfrequenz  und  schmerzhafter  Miktion.  Hämaturie.  Zystoskopisch: 
em  von  der  rechten  Blasenwand  in  das  Lumen  ragender  höckeriger 
l  umor  von  grösserer  Ausdehnung.  Bimanuell  keine  Härte  tastbar. 
Nach  dem  zystoskopischen  Bilde  schien  die  Möglichkeit  einer  Exzision 
/fon  star£  yorrasenden  T  umors  gegeben.  Die  Röntgenuntersuchung 
(12U  g  Kollargolfüllung)  ergab  ein  weit  klareres  Bild:  der  Blasen¬ 
fundus  in  seiner  linken  Hälfte,  die  linke  Seitenwand  und  der  Scheitel 
noi  mal  konfiguriert.  Knapp  unter  dem  Scheitel  rechts  beginnt  der 
Defekt  im  Schatten,  der  die  ganze  rechte  Seitenwand  und  die  rechte 
Hälfte  des  Blasengrundes  betrifft.  (Fig.  1.)  Diese  ausgedehnte  Aus¬ 
sparung  weist  mit  Sicherheit  darauf,  dass  hier  am  Frontalschnitt  fast 
die  ganze  rechte  Hälfte  der  Blase  vom  Scheitel  bis  zur  Mündung 
von  dem  Tumor  substituiert  ist,  dass  der  Fall  also  zur  Resektion 
ungeeignet  ist. 

2.  53  jähriger  Mann,  seit  4  Monaten  Harnbeschwerden;  blutig¬ 
jauchiger  Harn;  Abmagerung.  Zystoskopie  wegen  unpassierbarer 
Harnröhre  nicht  möglich.  Bei  der  Kollargolaufnahme  zeigt  sich 
frontal  eine  Aussparung  des  Schattens,  die  die  ganze  rechte  Blase 
betrifft.  Diagnose:  infiltrierender  Krebs  der  rechten  Blasenhälfte. 
Bei  der  Operation  (Implantation  der  Ureteren  in  den  Dickdarm)  wird 
dieser  Befund  bestätigt.  (Fig.  2.) 

3.  89  jährige  Frau,  seit  3  Jahren  Miktionsbeschwerden,  Blutungen. 
Zystoskopisch  ein  von  der  linken  Seite  vorragender  ulzerierter 
Tumor.  Die  Röntgenaufnahme  (Kollargol)  zeigt  die  linke  Hälfte  des 
Fundus  und  einen  Teil  der  Seitenwand  infiltriert.  (Fig.  3.) 

4.  M.  H„  62  Jahre,  vor  5  Jahren  lithotribiert,  leidet  seit  3  Jahren 
an  intermittierenden  Hämaturien  mit  zunehmenden  Harnbeschwerden 
Alkalischer,  blutig-eitriger,  aashaft  stinkender  Harn.  Zystoskopisch 
schon  sieht  man  einen  die  ganze  linke  Blasenwand  substituierenden 
exulzerierten  Tumor,  der  vermöge  seiner  Ausbreitung  als  nicht 
radikal  operabel  erscheint.  Röntgenologisch:  grosse  Aussparung  der 
ganzen  linken  Blasenwand  vom  Scheitel  bis  zur  Basis.  (Fig.  4.) 

II.  Röntgenuntersuchung  bei  gestielten,  die 

Basis  nicht  infiltrierenden  Bla  sen¬ 
geschwülsten. 

Ganz  anders  als  in  den  bisher  besprochenen  Fällen  ge¬ 
stalten  sich  die  Verhältnisse,  wenn  die  Geschwülste  gestielt 
sind,  die  Blasenwand  ihre  Dehnbarkeit  nicht  eingebüsst  hat. 
Füllt  man  in  solchen  Fällen,  auch  wenn  der  Tumor  beträcht¬ 
lich  gross  ist,  die  Blase  mit  Kollargol,  so  umgibt  die  schatten¬ 
gebende  Flüssigkeit  den  von  der  Basis  abgehobenen  Tumor 
von  allen  Seiten.  Der  Schattenriss  der  Blase  präsentiert  sich 
auf  der  photographischen  Platte  als  symmetrischer,  nirgends 
eingeengter  Hohlraum.  Daraus  ziehen  wir  für  die  Praxis 
den  Schluss:  Gibt  der  Kollargolschatten  bei  nachgewiesen 
grösserer  Blasengeschwulst  keine  Aussparung,  sondern  ist  er 
normal  in  seiner  Form,  so  ist  die  Geschwulst  gestielt,  nicht 
infiltrierend,  folgerichtig  operativ  radikal  entfernbar.  Dabei 
ist  vorausgesetzt,  dass  der  Tumor  entsprechende  Grösse  be¬ 
sitzt  und  dass  die  Aufnahme  nicht  nur  frontal,  sondern  auch 
hei  schräger  Durchleuchtung  vorgenommen  das  gleiche  Re¬ 
sultat  ergab. 

Bei  dieser  Art  der  Untersuchung  ist  also  eine  Differen¬ 
zierung  zwischen  den  genannten  verschiedenen  Geschwulst- 

I 


1866 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  _  Nr.  35. 


typen  hinsichtlich  ihrer  grob  anatomischen  Beziehungen  zur 
Blase  möglich. 

Ich  war  nebenbei  bestrebt,  die  Geschwulst  als  solche  im 
Röntgenbilde  darzustellen.  Die  Anregung  zur  Durchführung 
gab  mir  der  Vortrag  Kümmells  auf  der  Naturforscherver¬ 
sammlung  in  Wien  (1913),  in  welchem  dieser  zeigte,  dass  man 
radiologisch  nicht  nachweisbare  Steine  der  Niere  auf  der 
Röntgenplatte  sichtbar  machen  könne,  wenn  man  die  Unter¬ 
suchung  nach  Füllung  des  Nierenbeckens  mit  Kollargol  resp. 
nachdem  dies  abgeflossen  ist,  vornimmt.  Die  Reste  der 
Lösung,  die  an  der  Oberfläche  des  Steines  haften  bleiben, 
bedingen,  dass  die  Umrisse  der  früher  sichtbaren  Steine 
nunmehr  auf  der  Röntgenplatte  sich  differenzieren. 

Dieses  Verfahren  schien  mir  für  die  Geschwülste  der 
Blase  anwendbar,  wobei  es  ins  Gewicht  fiel,  dass  die  rauhe, 
zottige,  des  Epithels  beraubte  Oberfläche  der  Geschwülste  das 
Festhaften  von  Kollargolresten  besonders  zu  begünstigen  be¬ 
stimmt  schien.  Zur  schärferen  Differenzierung  wurde  die 
Blase  nach  Ablauf  des  Kollargols  mit  Luft  gefüllt,  stets  in 
einer  Menge,  die  nicht  schmerzhaft  empfunden,  die  Blase  nicht 
in  Spannung  versetzte.  Mit  Hilfe  dieses  Verfahrens  ist  es  ge¬ 
lungen,  Geschwülste  der  Blase  sehr  übersichtlich  darzustellen. 
Die  Luftfüllung  hebt  den  gestielten  Tumor  von  seiner  Basis, 
und  wenn  der  Zufall  es  will,  dass  der  Stiel  in  die  Frontal¬ 
ebene  fällt,  so  hat  die  Darstellung  fast  die  Uebersichtlichkeit 
eines  anatomischen  Präparates. 

So  liess  sich  im  folgenden  Falle  die  Diagnose  auf  gestielten 
Tumor  mit  Sicherheit  stellen,  ohne  dass  es  möglich  gewesen 
wäre,  volle  Klarheit  über  die  Stielverhältnisse  zu  gewinnen. 

M.  E.,  52  Jahre  alt,  seit  3  Jahren  Harnbeschwerden,  zeitweilig 
Hämaturie.  Zystoskopie:  grosser  zottiger  Tumor,  der  die  Basis  der 
Blase  von  links  her  überlagert.  Ueber  Grösse  und  Art  der  Implan¬ 
tation  ist  kein  Urteil  möglich.  Die  Füllung  mit  Kollargol  ergibt  eine 
bis  auf  Verbreiterung  und  Hebung  des  Fundus  normal  konfigurierte 
Blase.  (Fig.  5.)  Nach  Ablauf  des  Kollargols  wird  der  kleinapfel¬ 
grosse,  mehr  die  linke  Blasenhälfte  einnehmende  kugelige,  ober¬ 
flächlich  unebene  Tumor  sichtbar.  (Fig.  6.)  Der  Kollargolrest 
zwischen  Tumor  und  Blasenwand  lässt  mit  Sicherheit  auf  die  er¬ 
haltene  Elastizität  der  Wand  an  dieser  Stelle  schliessen.  Der  Tumor 
hat  also  die  Basis  nicht  infiltriert,  er  muss  gestielt  sein. 

Die  Diagnose,  die  auf  papilläre  gestielte  Geschwulst  gestellt 
wurde,  bestätigt  sich  bei  der  Operation.  Die  nebenstehende  Figur 
(Fig.  7)  zeigt  das  gewonnene  Präparat. 

Völlige  Klarheit  gab  die  Untersuchung  im  folgenden  Falle: 

A.  L.,  68  jähriger  Mann,  vor  einem  Jahre  Hämaturie,  seither  oft 
wiederholt.  Zystoskopisch :  überwalnussgrosser,  kugeliger,  grob¬ 
zottiger  Tumor.  Die  Kollargolfüllung  ergibt  einen  Hochstand  des 
Trigonums,  wie  bei  Prostatahypertrophie,  sonst  normaler  symmetri¬ 
scher  Schattenriss  der  Blase.  (Fig.  8.)  Nach  Ablauf  des  Kollargols 
und  Füllung  mit  Luft  zeigt  sich  auf  der  Platte  der  von  der  rechten 
Seite  in  die  Blase  hereinragende  kugelige  Tumor,  dessen  Stiel  auch 
deutlich  sichtbar  ist.  Die  Blasenwand  ist  auch  am  Stiele  der  Ge- 
schwmlst  durch  Luft  wie  an  der  linken  Seite  gedehnt,  der  Tumor  von 
der  Basis  abgehoben.  (Fig.  9.)  Diagnose:  Grosser  kugeliger,  an  der 
rechten  Blasenwand  mit  einem  Stiel  aufsitzender  Tumor.  Die  neben¬ 
stehende  Abbildung  (Fig.  10)  zeigt  die  exzidierte  Geschwulst  in  natür¬ 
licher  Grösse. 

Als  Beispiel  einer  breit  aufsitzenden,  nicht  infiltrierenden 
Geschwulst,  gilt  der  folgende  Fall: 

60  jähriger  Mann,  seit  3  Jahren  intermittierende  Hämaturie, 
nebenbei  Dysurie.  Zystoskopisch:  von  der  Basis  her  ein  zottiger 
Tumor  vorragend,  dessen  Grenze  nicht  einstellbar. 

Bei  Kollargolfüllung  ist  der  Blasenfundus  in  seiner  Grenze  etwas 
verwaschen,  doch  zeigt  der  Schatten  keinen  tiefergreifenden  Defekt. 
(Fig.  11.)  Bei  Luftfüllung  erscheint  ein  vom  Fundus  her  in  die  Blase 
ragender,  breit  aufsitzender  Tumor  von  unregelmässiger  Oberfläche. 
(Fig.  12.)  Diagnose:  zottiger,  breitbasiger,  die  Basis  nicht  infiltrieren¬ 
der  Tumor  des  Blasengrundes.  Die  Annahme  fand  bei  der  Operation 
ihre  Bestätigung.  Es  handelte  sich  um  einen  breit  aufsitzenden,  der 
Schleimhaut  angehörenden  zottigen  Tumor.  (Fig.  13.) 

Aus  diesen  wenigen  Befunden,  die  seither  in  neuen  Fällen 
immer  wieder  ihre  Bestätigung  gefunden  haben,  glaube  ich 
schliessen  zu  dürfen,  dass  die  Röntgenuntersuchung  in  der 
genannten  Art  und  Weise  bei  den  Geschwülsten  der  Blase  ge¬ 
eignet  ist,  in  wirksamer  Weise  die  zystoskopische  Unter¬ 
suchung  zu  ergänzen  oder  dort,  wo  eine  solche  unmöglich  ist, 
allein  zur  Stellung  der  Diagnose  verwendet  zu  werden. 

Wir  gewinnen  auf  diese  Weise  nur  Anhaltspunkte  über  die 
grob  anatomischen  Verhältnisse  der  Geschwulstbasis,  die 
nichts  über  die  histologische  Natur  präjudiziert,  aber  für  die 


klinische  Beurteilung  der  Fälle,  ihre  Operabilität  z.  B.  von  ent¬ 
scheidender  Bedeutung  ist. 

111.  Röntgenuntersuchung  bei  Prostata  hyper- 

t  r  o  p  h  i  e. 

Es  lag  nahe,  mit  der  gleichen  Methode  die  Darstellung  der 
in  die  Blase  vorragenden  Anteile  bei  Prostatahypertrophie  zu 
versuchen.  Es  hat  ja  seine  Schwierigkeiten,  mit  unseren  üb¬ 
lichen  Methoden  bisweilen  zwischen  Prostatahypertrophie. 
Prostatakarzinom  oder  anderweitigen  Tumoren  des  Blasen¬ 
grundes  die  Unterscheidung  zu  treffen. 

Bei  den  diesbezüglichen  Versuchen  ergaben  sich  schon 
bei  Kollargolfüllung  der  Blase  wichtige  diagnostische  Momente 
für  die  Erkennung  der  Prostatahypertrophie.  Während  die 
normale  Blase  am  frontalen  Schattenriss  ovoid  geformt  in 
ihren  oberen  Anteilen  breiter  als  in  den  unteren,  ihren  tiefsten 
Punkt  hinter  der  Symphyse  im  oberen  Dritteil  dieser  trägt 
(Fig.  14),  zeigt  die  Blase  bei  Prostatahypertrophie  ein  völlig 
verschiedenes  Verhalten.  Der  Blasengrund  ist  in  diesem  Fallt 
eine  ebene  Fläche,  deren  Niveau  querfingerbreit  oder  höher 
über  der  Symphyse  liegt.  Entsprechend  dem  breiten  Fundus 
sind  die  dem  Scheitel  näheren  Partien  der  Blase  schmäler,  so 
dass  eine  Art  Birnform  des  ganzen  Organs  resultiert.  In  keiner 
anderen  Untersuchungsmethode  stellt  sich  die  Hebung  der  ge¬ 
samten  Blase  so  übersichtlich  dar,  wie  beim  Kollargol- 
schattenriss. 

Auch  die  trabekuläre  Hypertrophie  der  Wand  äussert  sich 
in  recht  markanter  Weise,  indem  der  Kontur  der  Blase  nicht 
geradlinig,  wie  am  normalen  Organ,  sondern  gezackt,  wie  aus- 
genagt,  erscheint.  Die  basalen  Divertikel  zu  beiden  Seiten  des 
Grundes  erscheinen  sehr  häufig  und  sind  fast  typische  Befunde. 

Verwendet  man  nach  Ablauf  des  Kollargols  die  Füllung 
mit  Luft,  so  geben  die  an  der  Oberfläche  der  Prostaia- 
geschwulst  haftenden  Kollargolpartikelchen  auf  der  photo¬ 
graphischen  Platte  ein  deutliches  Bild  vom  Relief  der  vesikal- 
wärts  prominierenden  Anteile.  Während  wir  mit  den  üblichen 
Methoden  der  Zystoskopie  aus  Partialbildern  uns  die  Form 
des  Prostataadenoms  im  jeweiligen  Falle  rekonstruieren 
müssen,  erhalten  wir  auf  diese  Weise  ein  Bild  der  ganzen  Ge¬ 
schwulst.  Aus  der  Form  der  Begrenzung  lassen  sich  diffe¬ 
rentialdiagnostische  Momente  für  die  Unterscheidung  von 
Hypertrophie  und  Karzinom  treffen. 

Ich  möchte  den  Wert  der  Methode  an  einigen  markanten 
Beispielen  illustrieren: 

1.  65  jähriger  Mann  mit  chronisch  inkompletter  Harnretention 
und  starker  Ueberdehnung  der  Blase.  Per  rectum  das  Organ  stark 
vergrössert.  Unter  sehr  sorgfältiger  Katheterbehandlung  gelingt  es 
nach  Ablauf  geraumer  Zeit,  die  Blase  mit  dem  Katheter  völlig  trocken 
zu  legen.  Zur  Darstellung  der  Verhältnisse  wird  die  Kollargolfüllung 
ausgeführt.  Am  Frontalschattenriss  ist  der  Fundus  breit,  das  Sym¬ 
physenniveau  beträchtlich  überragend;  die  Blase  dreigelappt:  die 
drei  Anteile,  zwei  seitliche  und  ein  mittlerer,  sind  annähernd 
gleichgross.  Wenn  das  Kollargol  abgelaufen  ist,  wird  eine  ge¬ 
ringe  Menge  Luft  in  die  Blase  gebracht  und  eine  neuerliche  Aufnahme 
vorgenommen.  Es  zeigt  sich,  dass  in  den  beiden  seitlichen  grossen 
Divertikeln  die  schattengebende  Flüssigkeit  noch  enthalten  ist,  dass 
nur  der  mittlere  Anteil  mit  Luft  gefüllt  ist.  Aus  der  Basis  der  Blase; 
sieht  man  in  diesen  mittleren  Anteil  zapfenförmig  die  Prostatahyper¬ 
trophie  vorragen,  deren  breitere  basale  Anteile  im  Röntgenbilde 
gleichfalls  recht  deutlich  differenziert  erscheinen.  (Fig.  15.)  Ich 
möchte  betonen,  dass  diese  auffallende  Form  der  Blase  gelegentlich 
der  von  mir  vorgenommenen  zystoskopischen  Untersuchung  nicht 
ersichtlich  war. 

2.  Herr  von  56  Jahren,  seit  2  Wochen  chronisch  komplette  Harn¬ 
retention.  Zystoskopisch  der  gewöhnliche  Befund  der  mehrlappige 
Prostata.  Am  Kollargolschattenriss  flacher,  kranialwärts  erhobener 
Fundus.  (Fig.  16.)  Am  Röntgenbilde  sieht  man  beiderseits  auch  die 
Ureteren  mit  der  schattengebenden  Flüssigkeit  erfüllt;  sie  sind  bi1' 
an  den  Eintritt  in  die  Blasenwand  mässig  dilatiert,  in  ihrem  intra- 
muralen  Anteil  in  die  Länge  gezerrt,  eher  verengt,  eine  Schlinge 
nach  oben  bildend. 

Unter  diesen  Umständen  wurde  die  Luftfüllung  mit  einer  sehr 
geringen  Menge  vorgenommen,  um  das  Eindringen  in  die  Harnleiter 
zu  verhüten.  Die  Aufnahme  bei  Luftfüllung  zeigt  in  recht  klarer 
Weise  die  Form  des  kleinen  prominenten  Lappens.  (Fig.  17.)  Heilung 
nach  Prostatektomie. 

Das  Eindringen  der  Kollargolfiüssigkeiten  in  einen  der 
beiden  Harnleiter  haben  wir,  trotzdem  nie  mehr  als  100  g  zur 
Verwendung  kommen,  wiederholt  beobachtet.  Es  gibt  natür¬ 
lich  Fälle,  in  denen  die  Ursache  dieser  Erscheinung  a  priori 


Beilage  zu  Nr.  35,  1914,  der  Münche 


ner  medizinischen  Wochenschrift. 


Zum  Aufsatz :  „Ueber  Zystographie“  von 


O.  Zuckerkandl  in  Wien. 


Fig.  I.  Karzinom  der  rechten  Blasenhälfte. 


4.  Infiltrierender  Krebs  der  linken  Blasenhälfte. 


Fig.  2.  Infiltrierender  Krebs  der  rechten  Blasenhälfte. 


Fig  3.  Infiltrierender  Krebs  der  linken  Blasenhälfte. 


g-  7.  Der  auf  Fig.  6  dargestellte  Zottenpolyp. 


Fig.  8.  Zottenpolyp  der  Blase. 
Normaler  Schattenriss  bei  Kollargolfiillung. 


Fig.  9.  Derselbe  Fall  nach  Ablauf  des  Kollargols  bei 
Luftfüllung.  Gestielte  nicht  infiltrierende  Geschwulst  der 
rechten  Seitenwand. 


0.  Der  Fig.  9  dargestellte  Tumor  nach  Exstirpation. 


Fig.  11.  Grosse  zottige  Blasengeschwulst. 
Schattenriss  bei  Kollargolfüllung. 


Fig.  12.  Derselbe  Fall  bei  Luftfüllung  nach  Ablauf  des 
Kollargols.  Vom  Fundus  sich  erhebender  breitbasiger 
Tumor. 


Fig.  14.  Schattenriss  einer  normalen  Blase. 


Fig.  15.  Dreikämmrige  Blase.  Die  seitlichen  Anteile  mit  Fig.  16.  Hypertrophie  der  Prostata.  Trigon  um  si 

Kollargol  gefüllt;  in  den  mittleren  luftgef iillten  Teil  ragt  gehoben,  flach  Beide  Flarnleiter  mit  Kollargol  geh 

von  unten  her  das  Prostataadenom. 


Fig.  17.  Derselbe  Fall  bei  Luftfüllung  nach  Ablauf  des  Fig.  18.  Hypertrophie  der  Prostata.  Starke  Hebung 

Kollargols.  Kleine,  in  die  Blasenlichtung  ragende  Hyper-  und  Verbreiterung  des  Blasenbodens. 

trophie  der  Prostata.  (Kollargolaufnahme.) 


Fig.  19.  Derselbe  Fall  nach  Ablauf  des  Kollargols  bei  L 
füllung.  Prostata  in  Form  mächtiger  Lappen  prominiere 
Im  Rezessus  retrouretericus  ein  Rest  von  Kollargol 


Fig.  20.  Hypertrophie  der  Prostata.  Kollargolfüllung.  Fig.  21.  Derselbe  Fall.  Luftfüllung  nach  Ablauf  des 

Starke  Hebung  und  Verbreiterung  des  Blasengrundes.  Kollargol.  Zapfenartiges  Vorragen  des  Prostatalappens 

gegen  die  Blase. 


Fig.  22.  Papilläre  Blasengeschwulst.  Luftfüllung  "• 
Ablauf  von  Kollargol.  Am  Blasengrund  gestielt  f 
sitzender,  die  Basis  nicht  infiltrierender  Tumor. 


September  1914. _ MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1867 


lar  ist,  so  bei  den  atonischen  kongenitalen  Erweiterungen  der 
arnieiter,  bei  ulzeröser  Zerstörung  des  Sphinkterapparates 
n  Ureter.  Warum  aber  in  dem  eben  genannten  Fall,  in  dem, 
ie  bei  beträchtlicherer  Hypertrophie  der  Prostata  beobachtet 
ird,  der  unterste  Harnleiterabschnitt  nicht  nur  nicht  erweitert, 
indem  eher  verengert  erscheint,  warum  hier  der  Eintritt  so 
icht  erfolgen  konnte,  ist  nicht  erklärbar.  Anhangsweise 
öchte  ich  noch  bemerken,  dass  bei  diesem  Manne  die  vor 
inlegung  des  Verweilkatheters  entleerte  Residualflüssigkeit 
ehr  als  1000  g  betragen  hat. 

ln  welcher  Weise  die  Kollargolluftfüllung  der  Blase  in 
fferentialdiagnostisch  wirkenden  Fällen  zur  Entscheidung 
.'rangezogen  werden  kann,  wird  durch  den  folgenden  Fall  er- 
chtlich. 

60  jähriger  Mann,  zeitweilige  Hämaturie,  nächtliche  Dysurie, 
e  und  da  Harnretention.  Die  auswärts  von  sachverständiger  Seite 
irgenommene  Untersuchung  ergab  eine  beträchtliche  Verlängerung 
i  Pars  prostatica.  Die  Passage  dieser  Partie  mit  starren  Instru- 
enten  ist  ausserordentlich  erschwert  und  jedesmal  von  so  heftiger 
utung  gefolgt,  dass  die  Zystoskopie  unmöglich  erscheint.  Mit 
icksicht  auf  diese  Verhältnisse  war  von  dem  behandelnden  Arzte 
e  Diagnose  mit  grösster  Wahrscheinlichkeit  auf  Blasenkarzinom 
stellt  worden. 

Bei  der  Untersuchung  fand  ich  vom  Rektum  aus  die  Prostata 
:ht  vergrössert;  kein  Residualurin.  Unter  Anwendung  der 
igationszystoskopie  finde  ich:  eine  beträchtliche  Verlängerung  der 
irs  prostatica,  ausgeprägte  trabekuläre  Hypertrophie  der  Blase, 
eifache  Divertikel.  Die  Blasenmündung  und  damit  der  Rand  der 
ostata  war  wegen  der  gezwungenen  Stellung  des  Instrumentes 
:ht  sichtbar  zu  machen.  Die  gewünschte  Aufklärung  über  den  Fall 
sab  sich  erst  aus  der  Röntgenaufnahme  bei  Kollargol-  und  Luft- 
luug.  Der  Kollargolschattenriss  der  Blase  zeigt  die  typische  Form 
r  Prostatahypertrophie:  breiter  flacher  Fundus,  daumenbreit  über 
m  oberen  Symphysenrand  stehend,  rechts  und  links  seitlich  je  ein 
chtes  Divertikel.  (Fig.  18.)  Nach  Ablauf  des  Kollargols  und  Luft- 
lung  treten  die  mächtigen,  stark  in  das  Blaseninnere  prominierenden 
lappten  Anteile,  die  typisch  in  ihrer  Form,  scharf  gegen  das  Blasen¬ 
nen  abgesetzt  sind,  zutage.  (Fig.  19.) 

Mit  Rücksicht  auf  die  typische  Form  und  Hebung  des  Blasen- 
.  Lindes,  ferner  in  Erwägung  des  Umstandes,  dass  der  In  die  Blase 
pminente  Tumor  grobe  Lappung  aufwies,  konnte  die  Diagnose  mit 
Lherheit  auf  Hypertrophie  der  Prostata  gestellt  werden. 

Als  schattengebende  Flüssigkeit  verwendete  ich  die  unter  dem 
men  Skiargan  in  den  Handel  gebrachte  Kollargollösung  konstanter 
nzentration. 

Die  Röntgenaufnahmen  stammen  aus  dem  Röntgeninstitut  des 
thschild-Spitals  in  Wien  (Vorstand:  Dr.  R  o  b  i  n  s  o  n)  und  sind  vom 
sistenten  Dr.  K  r  o  n  f  e  1  d  hergestellt. 


is  dem  chemisch-bakteriologischen  Institut  des  Dr.  Philipp 
Blumenthal  in  Moskau. 

perimentelle  Untersuchungen  über  die  Wirkung  von 
röntgenisiertem  Serum  (X-Serum)  auf  das  Blut. 

in  Dr.  Jacob  Qlaubermann  in  Moskau,  Leiter  der 
hämatologischen  Abteilung  des  Instituts. 

Der  in  dieser  Wochenscharft  (1914,  No.  6,  S.  299)  ver- 
1  entlichte  Aufsatz  von  S.  W  e  r  m  e  1  „Ueber  die  Eigenschaften 
ss  Blutes  resp.  des  Serums  nach  Einwirkung  der  Röntgen- 
fahlen“  ist  in  der  Hinsicht  ausserordentlich  interessant,  dass 
I  r  der  Versuch  vorliegt,  in  gewissen  Fällen  zu  therapeuti- 
len  Zwecken  die  direkte  Röntgenbestrahlung  durch  Ein- 
rleibung  von  röntgenisiertem  Serum  zu  ersetzen,  das 
alog  der  unmittelbaren  Beleuchtung  mit  X-Strahlen  wir¬ 
rt  soll. 

Ja,  es  ist  sogar  möglich,  dass  die  Heilerfolge  bei  An- 
‘ndung  des  X-Serums  in  manchen  Fällen  (tuberkulöse 
ektionen  der  Knochen  und  Drüsen,  Neubildungen  u.  dgl.) 
h  noch  als  besser  erweisen  dürften  als  bei  der  direkten  Bc- 
ahlung.  Jedenfalls  wäre  es  angesichts  der  von  S.  W  e  r  m  e  I 
'Leiten  beachtenswerten  Ergebnisse  sehr  angebracht,  in 
j'Ser  Richtung  eine  Reihe  streng  wissenschaftlicher  und  ob- 
i  tiver  Untersuchungen  auszuführen,  die  die  Bedeutung  des 
'Serums  als  therapeutisches  Agens  klarstellen  könnten. 

Die  Beobachtungen  W  e  r  m  e  1  s  an  gesunden  Kaninchen,  denen  er 
v  schiedene  Mengen  von  X-Scrum  (6 — 24  ccm)  subkutan  injizierte, 
DÜen,  dass  in  allen  Fällen  kurz  nach  der  Einverleibung  des  Serums 
Ee  Abnahme  der  Gesamtzahl  der  Leukozyten  eintrat:  die  Abnahme 
L  Leukozytenanzahl  hielt  5 — 10  Stunden  an,  sodann  stieg  sie  all- 
r  hlich  wieder  an  und  erreichte  nach  24  Stunden  den  ursprünglichen 


Wert.  In  mehreren  Fällen  wurde  eine  vorangehende,  1 — 2  Stunden 
lang  andauernde  Leukozytose  vermerkt.  Die  von  Priv.-Doz.  Dr.  M  a- 
r’iviV  °i^  s  ^  ‘  ausseführte  Untersuchung  der  blutbildenden  Organe 
Uviilz,  Knochenmark)  und  der  Geschlechtsdrüsen  der  eine  Woche  nach 
der  Injektion  getöteten  Versuchstiere  ergab  keine  Abweichungen  von 
der  Norm.  Fasst  man  jeden  einzelnen  der  von  W  e  r  m  e  1  angestellten 
b  Versuche  gesondert  ins  Auge,  so  sieht  man,  dass  der  Effekt  der 
Einwirkung  des  Serums  auf  die  Abnahme  der  Leukozyten  keines¬ 
wegs  in  direkter  Abhängigkeit  steht  von  der  Menge  des  eingeführten 
Serums,  eher  sogar  umgekehrt:  die  Einspritzung  der  grössten  X- 
Sei  ummenge  hatte  das  geringste  Ergebnis  im  Sinne  einer  Leukopenie 
zur  Folge. 

So  wurden  z.  B.  im  Versuch  Nr.  5  subkutan  24  ccm  eingeführt 
und  die  Anzahl  der  Leukozyten  sank  nach  5 Vz  Stunden  von  10  900 
auf  8500,  während  im  Versuch  Nr.  3  die  applizierten  9  ccm  die 
Leukozytenzahl  nach  6  Stunden  von  10  900  bis  auf  3200  herunter- 
di  tickten  .  Diese  Erscheinung  legte  uns  die  Vermutung  nahe,  dass  es 
sich  bei  der  Einwirkung  des  X-Serums  auf  die  Leukozyten  wohl  um 
zwei,  die  Schwankungen  der  Leukozytenanzahl  im  Blute  in  entgegen¬ 
gesetztem  Sinne  beeinflussende  Faktoren  handeln  dürfte.  Einerseits 
bewirkt  das  Serum  bekanntlich  eine  Leukozytose,  andererseits  die 
am  Serum  haftende  Röntgenenergie  Lukopenie.  Um  unsere  Annahme 
zu  piiifen,  stellten  wir  eine  Reihe  von  Versuchen  an  gesunden  Ka¬ 
ninchen  an,  denen  wir  verschiedene  Mengen  von  X-Serum:  min- 
destens  2  und  höchstens  16  ccm  pro  dosi  subkutan  injizierten.  Ins- 
gesamt  unterzogen  wir  12  Kaninchen  der  Beobachtung,  von  denen 
drei  behufs  Kontrolle  normales  Pferdeserum  und  9  röntgenisiertes 
Serum  eingespritzt  erhielten. 

Das  X-Serum  wurde  uns  von  Herrn  Dr.  Werme! 
freundlichst  zur  Verfügung  gestellt;  die  Bestrahlung  geschah 
in  der  Weise,  dass  jeder  Ampulle  mit  je  8  ccm  Serum  zirka 
400  X  zugeführt  wurden,  von  denen  das  Serum  100  X  absor¬ 
bierte. 

Die  Mehrzahl  der  Kaninchen  befand  sich  24  Stunden  lang, 
mehrere  dagegen  5 — 8  Jage  lang  unter  Beobachtung.  Zwei  Ka¬ 
ninchen  erhielten  wiederholte  Seruminjektionen:  eine  von  normalem, 
die  andere  von  röntgenisiertem  Serum  in  der  gleichen  Menge  (d.  h. 
je  4  ccm).  Die  Zählung  der  Leukozyten  erfolgte  mit  Hilfe  der  Biir- 
k  e  r  sehen  Kammer,  wobei  der  Inhalt  der  ganzen  Kammer  gezählt 
wurde.  Bei  der  Blutentnahme  fertigte  man  jedesmal  auch  Ausstrich¬ 
präparate  auf  Deckgläschen  an.  Aus  den  nach  Jenner  gefärbten 
Präparaten  wurde  die  leukozytäre  Form  errechnet  und  die  Morpho¬ 
logie  der  Leukozyten  berücksichtigt.  Die  Ergebnisse  unserer  Unter¬ 
suchungen  sind  in  folgenden  Tabellen  enthalten. 

Zum  besseren  Verständnis  der  von  uns  erzielten  Resultate 
erlauben  wir  uns  hier  kurz  die  in  der  Literatur  niedergelegten 
Angaben  über  den  Einfluss  der  direkten  Röntgenbestrahlung 
auf  das  Blut  anzuführen. 

H  e  i  n  e  k  e  fand,  dass  nach  der  Röntgenbestrahlung  der  blut¬ 
bildenden  Organe  eine  Verarmung  des  Blutes  an  weissen  Blutkörper¬ 
chen  eintritt.  Bei  der  Beleuchtung  von  Mäusen,  Meerschweinchen, 
Ratten  und  Kaninchen  in  Kisten,  in  denen  die  Tiere  sich  frei  bewegen 
konnten,  war  eine  hochgradige  Abnahme  der  Leukozyten  (sogar 
unter  1000  in  1  emm)  zu  konstatieren,  dabei  verschwanden  die 
Lymphozyten  manchmal  gänzlich  aus  dem  Blute. 

H  e  1  b  e  r  und  Linser  untersuchten  systematisch  die  morpho¬ 
logischen  Blutveränderungen  unter  dem  Einflüsse  von  Röntgen¬ 
strahlen.  Sie  wiesen  nach,  dass  die  Leukozyten  nicht  nur  an  Zahl 
abnehmen,  sondern  auch  zugrunde  gehen.  Auch  sie  fanden,  dass  vor 
allem  die  Lymphozyten  geschädigt  werden.  Die  Zerstörung  der 
Leukozyten  findet  nicht  nur  in  den  blutbildenden  Organen  statt, 
sondern  in  erster  Linie  im  Blutstrom  selbst. 

Aubertin  und  Bcausard  zeigten  im  Jahre  1904  durch 
Tierversuche,  dass  nach  intensiver  Bestrahlung  sich  in  den  ersten 
Stunden  eine  stark  ausgeprägte  Leukozytose  mit  Vermehrung  der 
Neutrophilen  einstellt.  Nach  einigen  Stunden  erfolgt  eine  Abnahme 
der  Anzahl  der  Leukozyten.  Der  Zunahme  der  Polynuklearen  im 
Blute  wurde  parallel  gehend  eine  Verringerung  derselben  im  Knochen¬ 
mark  und  in  der  Milz  beobachtet.  Im  folgenden  machte  sich  im 
zirkulierenden  Blute  ein  beträchtlicher  Leukozytenzerfall  bemerkbar. 

Interessant  sind  die  Beobachtungen  von  Benjamin,  v.  R  e  u  s  s, 

G  1  u  k  a  und  Schwarz.  Sie  unterzogen  Kaninchen  der  Einwirkung 
von  Röntgenstrahlen  (20  H)  und  fanden,  dass  in  den  ersten  2  Stunden 
charakteristische  Blutveränderungen  nicht  auftreten.  Nach  Ablauf 
der  ersten  2  Stunden  hingegen  stellt  sich  aui  einmal  eine  stark  aus¬ 
gesprochene  Leukozytose  ein  (2— 4  mal  grössere  Zahl  als  in  der 
Norm)  bei  relativer  Lymphopenie,  und  nach  mehreren  Stunden  wird 
dieses  Bild  durch  ein  rasches  Sinken  der  Gesamtzahl  der  Leukozyten 
abgelöst.  Ungefähr  nach  12  Stunden  beginnt  die  Leukopenie,  die 
gewöhnlich  am  3  Tag  ihren  Höhepunkt  erreicht.  Nach  6—7  Tagen 
gewinnt  das  Blut  seine  normale  Zusammensetzung  wieder,  nur  ist 
ein  gesteigerter  Gehalt  an  grossen  einkernigen  Elementen  bemerkbar, 
deren  Menge  am  4.  Tage  bisweilen  34  Proz.  erreicht. 

Beachtenswert  ist  ein  von  den  genannten  Autoren  an  einem 
Kaninchen  ausgeführter  Versuch,  bei  dem  nur  die  Ohren  des  Tieres 
der  Wirkung  der  Röntgenstrahlen  ausgesetzt  waren,  während  sein 
ganzer  Körper  in  einer  bleiernen  Kiste  isoliert  wurde.  Als  Ergebnis 

r 


1868 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


der  sehr  starken  Bestrahlung  (170  H)  trat  eine  recht  beträchtliche 
polynukleäre  Leukozytose  mit  Lymphopenie  auf,  die  nur  einige 
Stunden  anhielt,  worauf  alles  rasch  wieder  zur  Norm  zurückkehrte. 
Ein  Sinken  der  (iesamtzahl  der  Leukozyten  unter 
die  Norm  —  eine  echte  Röntgenleukopenie  — 
stellte  sich  dabei  nicht  ein.  Daraus  ziehen  die  Autoren 
der.  Schluss,  dass  zwischen  der  Röntgenbestrahlung  des  ganzen 
Tieres  und  der  isolierten  Einwirkung  auf  das  Blut  allein  ein  wesent¬ 
licher  Unterschied  besteht,  der  darin  enthalten  ist,  dass  im  ersteren 
Eallc  für  die  vollständige  Regeneration  7—10  Tage  erforderlich  sind, 
während  im  letzteren  das  Blutbild  bereits  nach  24  Stunden  zum  Status 
quo  ante  zurückkehrt.  Der  Versuch  der  Autoren  weist  somit  darauf 
hin,  dass  die  Blutveränderungen  im  Laufe  der  ersten  24  Stunden 
hauptsächlich  auf  Rechnung  des  Leukozytenzerfalls  im  Blute  und 
nur  zum  Teil  auf  Rechnung  einer  Schädigung  der  blutbildenden 
Organe  zu  setzen  sind  während  die  erst  nach  24  Stunden  eintretenden 
Veränderungen  ausschliesslich  von  Schädigungen  der  hämatopoeti- 
schen  Organe  abhängen.  Diese  Ansicht  findet  eine  Bestätigung  in 
den  Ergebnissen  zahlreicher  Forscher,  die  bereits  2  Stunden  nach 
der  Bestrahlung  eine  hochgradige  Abnahme  der  Lymphozyten  kon¬ 
statieren  konnten,  während  H  e  i  n  e  k  e  in  demselben  Zeitraum 
irgendwelche  Veränderungen  in  den  Blutbildungsorganen  nicht  nach¬ 
zuweisen  vermochte. 

Indem  wir  zu  unseren  eigenen  Versuchen  übergehen, 
wollen  wir  bemerken,  dass  in  sämtlichen  Fällen  die  Kaninchen 
am  ersten  Beobachtungstage  (24  Stunden  lang)  ohne  Nahrung 
blieben,  obwohl  dies  nicht  unbedingt  erforderlich  zu  sein 
scheint,  da  Klieneberger  und  Carl  das  Auftreten  einer 
Verdauungsleukozytose  bei  allen  von  ihnen  untersuchten 
Tieren  gänzlich  in  Abrede  stellen,  ebenso  wie  K  ä  1 1  m  a  r  k  bei 
hungernden  Kaninchen  keinerlei  Schwankungen  im  Verhältnis 
der  einzelnen  Leukozytenformen  feststellen  konnte. 


Laufende 

Nummer 

Gewicht 

S 

Injiziert 

Zeit  der 

Blutentnahme 

Zahl 

der  Leukozyten 
in  1  emm 

Prozent¬ 
gehalt 
an  Lympho¬ 
zyten 

1 

15.  XII.  13 

15.  XII 

um 

12 

Uhr  25  Min 

4  5P0 

— 

um 

12  Uhr  30  Min. 

1 

ft  ff 

11  000 

— 

8 

ccm  normales 

,, 

2 

t*  30  ,, 

1 1  000 

— 

Serum 

16  XII 

12 

,,  25  „ 

6  400 

— 

2 

15.  XU.  13 

15.  XII 

um 

12 

Uhr  30  Min. 

10  000 

— 

um 

12  Uhr  25  Min. 

1 

8  400 

— 

5 

ccm  X-Serum 

2 

.,  30  „ 

6  £00 

— 

16.  XII 

»» 

12 

„  20  „ 

13  60 

— 

3 

9.  I.  14 

9.  I. 

um 

11 

Uhr  40  Min. 

6  4(  0 

52 

um 

11  Uhr  45  Min. 

12 

8  600 

50 

8  ccm  X-Serum 

12 

„  20  „ 

5  000 

52 

2 

1  5 

6  700 

35 

10.  I. 

»» 

11 

45  „ 

10  200 

38 

4 

17.  I.  14 

17.  1. 

um 

12 

Uhr  —  Min. 

7  000 

50 

um 

12  Uhr  05  Min 

12 

>i  20  f9 

9  200 

45 

8  ccm  normales 

12 

„  40  ,, 

9  900 

49 

Serum 

2 

35  „ 

10  600 

38 

18.  I. 

i» 

12 

„  05  „ 

10  000 

48 

5 

26  1.  14 

26  1. 

um 

11 

Uhr  10  Min 

9  800 

50 

um 

11  Uhr  05  Min. 

11 

15  200 

52 

8 

ccm  X-Serum 

11 

„  45  „ 

14  200 

43 

12 

„  45  ,, 

11  000 

37 

1 

,1  45  fl 

8  800 

30 

3 

„  30  ,. 

9  000 

24 

5 

„  50  „ 

10  000 

27 

27.  I 

♦» 

11 

,,  15  ., 

10  400 

26 

6 

1350 

2.  II.  14 

2.  II. 

um 

11 

Uhr  15  Min. 

5  000 

51 

um 

11  Uhr  20  Min. 

11 

„  45  „ 

5  200 

5' 

16  ccm  X-Serum 

11 

50  „ 

4  400 

48 

12 

„  50  „ 

4  400 

37 

3 

„  40  „ 

4  800 

39 

5 

„  40  „ 

6  000 

43 

3.  II. 

„ 

11 

20  „ 

6  410 

42 

7 

1400 

9  11  14 

9  II. 

um 

11 

Uhr  25  Min. 

10  2C0 

66 

um 

11  Uhr  30  Min. 

11 

,,  45  „ 

8  800 

72 

4 

ccm  X-Serum 

12 

8  000 

67 

1 

5  600 

60 

3 

„  30  „ 

8  400 

56 

5 

8  800 

58 

10.  II. 

»» 

11 

„  30  „ 

15  6f  0 

41 

8 

1500 

23  11.  i4 

23.  II. 

uin 

12 

Uhr  30  Min. 

9  000 

47 

um 

12  Uhr  35  Min. 

12 

„  50  „ 

110  0 

46 

2 

ccm  X-Serum 

1 

7  800 

69 

2 

„  05  „ 

6  600 

51 

4 

„  35  „ 

9  000 

30 

- 

» * 

7 

,,  (abends) 

12  6l  0 

32 

2t.  II. 

»» 

12 

„  35  Min. 

11  400 

29 

9 

3125 

28.  II.  14 

28.  II. 

um 

11 

Uhr  05  Min 

14  600 

73 

bc 

um 

1 1  Uhr  10  Min 

11 

16  000 

75 

4 

ccm  X-Serum 

11 

,,  40  „ 

12  200 

70 

Ü  JC 

12 

„  40  „ 

10  400 

65 

t  3 

2 

„  io  „ 

12  1(  0 

60 

LU  £ 

1  ”lll. 

4 

„  55  ., 

15  800 

62 

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11 

io  „ 

18  6  0 

58 

9 

1.  III  14 

1.  III 

um 

11 

Uhr  25  Min. 

1 8  OCO 

58 

um 

11  Uhr  10  Min. 

11 

,,  40  „ 

14  600 

56 

ec 

noch  4  ccm 

12 

„  40  „ 

12  5(  0 

57 

«3  <£> 

X-Serum 

2 

7  500 

55 

‘C  % 

5 

25  „ 

6  200 

53 

i  3 

7 

io  „ 

6  600 

54 

N  £ 

10 

„  io  ,, 

8  4C0 

50 

> 

(abends) 

1 

2.  III. 

»t 

11 

Uhr  10  Min. 

16  200 

45 

Nr.  35. 


«J  U 

V  - 

JZ 

Zahl 

c 

6 

JC 

~  c 

F  c 

’i  “ 

Injiziert 

Zeit  der 

Biulentnahme 

der  Leukozyten 

N 

o 

2  Ei 
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=  3 
ca  -y 

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o 

in  1  emm 

h. 

c. 

U- 1  n 

c 

« 

9 

2.  111.  14 

2.  111.  um 

11 

Uhr  25  Min. 

16  400 

48 

um  11  Uhr  10  Min. 

11 

40  „ 

10  4C0 

53 

noch  4  ccm 

3.  III.  „ 

11 

10  „ 

15  000 

55 

—  u 

X-Serum 

4.  III.  „ 

12 

10  „ 

13  600 

611 

1-  t/1 

6.  III.  ,, 

6 

ff 

»• 

(abends) 

8  eoo 

62 

> 

8.  III.  „ 

12 

—  Min. 

11  600 

65 

10 

1750 

6  III.  14 

6.  III.  um 

12 

Uhr  20  Min 

9  010 

46 

um  12  Uhr  20  Min. 

12 

ft 

40  „ 

9  600 

50 

4  ccm  normales 

1 

ft 

10  „ 

11  800 

53 

Pferdeserum 

2 

ff 

10  „ 

14  4C0 

49 

2 

40  „ 

15  600 

45 

ft  ft 

7.  III.  „ 

5 

12 

ff 

♦  1 

40  „ 

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10  600 

9  500 

49 

40 

10 

7  111.  14 

7.  III.  um 

12 

Uhr  40  Min. 

14  000 

48 

um  12  Uhr  25  Min. 

12 

55  ., 

13  500 

50 

4  ccm  normales 

1 

55  „ 

13  700 

52 

3 

Serum 

3 

ff 

25  „ 

12  COO 

55 

'S 

5 

25  „ 

9  200 

46 

V) 

8.  III.  „ 

12 

25  „ 

9  300 

53 

O 

9.  111.  ,. 

12 

ff 

ff 

8  900 

50 

11.  III.  ,. 

11 

30  „ 

9  100 

52 

n 

1350 

8.  III.  14 

8.  UL  um 

11 

Uhr  30  Min 

7  400 

61 

um  11  Uhr  35  Min 

11 

50  „ 

7  500 

60 

4  ccm  X-Serum 

1»  )» 

12 

10  „ 

7  000 

56 

2 

10  ,, 

6  200 

49 

>»  ft 

3 

4 

ff 

25  „ 

25  „ 

6  000 

4  300 

50 

43 

6 

ft 

7  0.0 

40 

9.  HI  „ 

12 

30  „ 

7  800 

41 

10.  III.  „ 

1 

tf 

f* 

7  900 

37 

12.  III.  ., 

11 

30  ,. 

7  5(  0 

39 

12 

2360 

17.  IV.  14 

17.  IV.  um 

1  1 

Uhr 

—  Min. 

7  200 

50 

um  11  Uhr 

11 

20  ,. 

7  400 

48 

4  ccm  X-Serum 

11 

35  „ 

5  000 

60 

(Die  Injektion  wurde 

12 

ff 

45  „ 

4  400 

42 

24  Stunden  nach  der 

2 

ft 

5  800 

50 

(Sättigung  des  Serums 

3 

ft 

t  • 

5  SO  I 

48 

mit  X-Strahlen 

4 

7  000 

43 

gemacht) 

»1  »» 
18.  IV.  „ 

5 

11 

ff 

30  ,. 

f  » 

7  200 

7  800 

42 

61 

Beim  Durchblicken  der  angeführten  Tabellen  fällt  es  auf, 
dass  die  Wirkung  des  röntgenisierten  Serums  auf  die  weissen 
Blutkörperchen  der  Versuchtstiere  sich  von  der  des  Normal¬ 
serums  auf  die  Kontrollkaninchen  stark  unterscheidet.  In  allen 
drei  Versuchen  mit  der  Injektion  von  Normalserum  (Nr.  1: 
8  ccm,  Nr.  4:  8  ccm  und.  Nr.  10:  zwei  Tage  der  Reihe  nach  zu 
je  4  ccm)  stellte  sich  eine  deutlich  ausgesprochene  Leuko¬ 
zytose  ein.  Der  Prozentgehalt  an  Lymphozyten  änderte  sich 
fast  gar  nicht.  Die  Leukozytose  erreichte  nach  2 — 2  lA  Stunden 
ihren  Höhepunkt  und  sank  noch  vor  Ablauf  von  24  Stunden 
ungefähr  bis  zu  ihrem  ursprünglichen  Werte  herab. 

Ein  ganz  anderes  Ergebnis  hatten  ausnahmslos  sämtliche 
Versuche  mit  Einführung  von  Serum  derselben  Serie  (das 
gleichzeitig  demselben  Pferde  entnommen  wurde),  das  aber 
vorher  durch  Bestrahlung  mit  Röntgenstrahlen  gesättigt  war. 
In  fast  sämtlichen  Fällen  wurde  15  Minuten  nach  der  Ein¬ 
spritzung  ein  Anstieg  der  Qesamtzahl  der  Leukozyten  beob¬ 
achtet,  der  sogleich  herunterzugehen  begann  und  in  der  Regel 
nach  1  Yi — 2  Stunden  sein  Minimum  erreichte,  sodann  wiederum 
ein  allmählicher  Anstieg;  24  Stunden  nach  Einführung  des 
Serums  war  noch  eine  gewisse  Steigerung  im  Vergleich  mit 
dem  ursprünglichen  Werte  zu  konstatieren.  Was  den  Prozent¬ 
gehalt  an  Lymphozyten  anlangt,  so  wurde  überall  ein  merk¬ 
liches  Sinken  während  des  ganzen  Versuches,  d.  h.  der 
24  Stunden  verzeichnet. 

Seitens  der  übrigen  Leukozytenformen  kamen  keine  merk¬ 
lichen  Abweichungen  von  der  Norm  zur  Beobachtung.  Gleicher¬ 
weise  sahen  wir  auf  gefärbten  Ausstrichpräparaten  keinen 
deutlich  ausgeprägten  Leukozytenzerfall,  keine  Auflösungs¬ 
formen.  Zerdrückte  Leukozyten  waren  auf  diesen  Präparaten 
in  nicht  grösserer  Menge  vorhanden  als  in  dem  vor  der 
Serurninjektion  entnommenen  Blute. 

Im  Versuch  Nr.  12  war  das  Sinken  des  Prozentverhältnisses 
der  Leukozyten  nur  ein  geringfügiges,  und  zum  Schluss  des  Ver¬ 
suches  machte  sich  sogar  eine  gewisse  Lymphozytose  geltend. 
Dieser  Umstand  scheint  davon  abzuhängen,  dass  in  dem  betreffenden 
Falle  ein  Serum  angewandt  wurde,  das  24  Stunden  vor  seiner  Ein¬ 
verleibung  an  das  Kaninchen  mit  X-Strahlen  gesättigt  worden  war. 
während  wir  in  allen  übrigen  Versuchen  ein  Serum  benutzten,  welches 
2 — 3  Stunden  vor  Beginn  des  Versuches  der  Einwirkung  der  Röntgen¬ 
strahlen  ausgesetzt  wurde.  Ausserdem  ist  es  möglich,  dass  in  diesem 
Falle  die  Reaktion  seitens  der  Lymphozyten  sich  verspäten  konnte 
und  wir  sie  übersehen  haben,  da  von  5'/?.  Uhr  abends  bis  11  Uhr 
morgens  am  nächsten  Tage  Beobachtungen  am  Blute  dieses  Ka¬ 
ninchens  nicht  angestellt  wurden. 


1.  September  191-4. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1869 


Vom  Blut  des  Kaninchens  Nr.  12  angefertigte  Ausstriche  wurden 
nach  dem  kombinierten  Verfahren  von  Jenner  und  Qiemsa  ge¬ 
färbt.  Die  mikroskopische  Untersuchung  dieser  Präparate  zeigte, 
dass  die  Anzahl  der  grossen  Mononuklearen  sowohl  vor  als  auch 
wahrend  des  gesamten  Versuches  sich  nicht  merklich  verändert  hatte 
und  4 — 6  Proz.  der  Gesamtzahl  der  Leukozyten  betrug. 

Ausserdem  beobachteten  wir  im  Blute,  das  Vs  Stunde  und  später 
nach  der  Einführung  von  X-Serum  entnommen  war,  das  Vorhanden¬ 
sein  einer  geringen  Menge  (etwa  Vs  Proz.)  von  sehr  grossen  Lympho¬ 
zyten  mit  grossem,  verhältnismässig  blass  gefärbtem  Kerne  und  stark 
öasophilem  Protoplasma  und  Vakuolen  in  demselben,  die  morpho¬ 
logisch  den  zuerst  von  Türk  beschriebenen  Reizungszellen  des 
\nochenmarkes  (I  ii  r  k  sehe  Reizungsformen)  ausserordentlich 
dichen.  Dieser  Umstand  legt  die  Ansicht  nahe,  dass  das  unter  die 
laut  applizierte  röntgenisierte  Serum  zweifellos  auch  auf  die  blut¬ 
bildenden  Organe  einwirkt. 

Vergleichen  wir  die  bei  der  Einführung  verschiedener 
Mengen  von  X-Serum  von  uns  erzielten  Resultate  so  sehen 
wir,  dass  die  Abnahme  der  Leukozyten  am  deutlichsten  war 
lach  der  Injektion  von  4  ccm  X-Serum  und  am  wenigsten 
Jeutlich  nach  16  ccm.  In  dieser  Beziehung  sind  unsere  Ver- 
mchsergebnisse  identisch  mit  denen  von  S.  W  e  r  m  e  1.  Ein 
gewisser  Unterschied  machte  sich  beim  Vergleich  der  Dauer 
ler  sich  einstellenden  Leukopenie  bemerkbar.  In  unseren  Ver- 
uchen  erreichte  die  Abnahme  der  Leukozyten  ihr  Maximum 
tach  1  's — 2  Stunden,  wobei  die  Leukopenie  hernach  noch  2  bis 

I  Stunden  anhielt,  in  den  Versuchen  W  e  r  m  e  1  s  dagegen  hielt 
lie  Leukopenie  bedeutend  länger  an  und  wies  auch  später  ihr 
Maximum  auf.  Ein  Versuch  mit  wiederholter  Einführung  von 
(-Serum  (4  ccm  täglich,  3  Tage  lang)  zeigte,  dass  am  ersten 
Tage  das  gewöhnliche  Bild  der  Abnahme  der  Leukozyten  mit 
inem  gewissen  Anstieg  am  nächsten  Tage  beobachtet  wurde. 
Un  zweiten  Tage  ein  neuerliches  Sinken,  das  eine  längere  Zeit 
n dauerte  und  stärker  ausgeprägt  war  (das  Maximum  des  Ab¬ 
tiegs  von  18  000  bis  auf  6200  trat  6  Stunden  nach  der  zweiten 
njektion  von  X-Serum  ein). 

Das  Ergebnis  der  neuen  Serumeinspritzung  am  dritten 
age  ist  von  uns  leider  nicht  genügend  verfolgt  worden.  Im 
erlaufe  der  nächsten  4  Tage  nach  Einstellung  der  Injektionen 
erharrte  die  Gesamtzahl  der  Leukozyten  in  den  Grenzen  der 
rspriinglichen  Norm  bei  relativer  Lymphopenie.  Die  am  Kon- 
■ollkaninchen  ausgeführte  wiederholte  Injektion  von  je  4  ccm 
lormalserum  an  zwei  Tagen  rief  jeden  Tag  nach  Ws  bis 
Stunden  ein  Maximum  der  Leukozytose  und  sodann  ein  all- 
lähüches  Sinken  derselben  bis  zur  Norm  nach  Ablauf  von 
4  Stunden  hervor.  Bei  dieser  ursprünglichen  Norm  verharrte 
ie  Leukozytenmenge  im  Verlaufe  der  nächsten  4  Tage. 

Was  den  konsekutiven  Blutbefund  (nach  24  Stunden)  bei 
inmaliger  Einführung  von  X-Serum  anlangt,  so  konnten  wir 
onstatieren,  dass  die  Gesamtzahl  der  Leukozyten  nach  Ablauf 
er  ersten  24  Stunden  4  Tage  lang  auf  der  ursprünglichen  Höhe 
erblieb,  während  die  Anzahl  der  Lymphozyten,  sowohl  die 
dative  als  auch  absolute,  bedeutend  niedriger  als  die  anfäng- 
che  Norm  war  (vgl.  Versuch  Nr.  11). 

Aus  allen  diesen  Darlegungen  können  wir  folgende 
chlüsse  ziehen: 

1.  Die  subkutane  Injektion  von  X-Serum  ruft  bei  Kaninchen 
larakteristische  Blutveränderungen  hervor:  Nach  einer  sehr 
nrzdauernden,  rasch  eintretenden  Leukozytose  stellt  sich  eine 
-hnell  vorübergehende  Leukopenie  ein,  die  ihren  Höhepunkt 
ach  Ws — 2  Stunden  erreicht  und  sodann  allmählich  vor  Ab- 

II  f  von  24  Stunden  bis  zur  ursprünglichen  Norm  und  etwas 
urüber  ansteigt. 

2.  Gleichzeitig  wird  eine  ziemlich  stark  ausgeprägte  zä¬ 
hmende  Lymphopenie  beobachtet,  die  ihr  Maximum  nach  Ab- 
uf  von  24  Stunden  nach  der  Injektion  erreicht. 

3.  Vergleicht  man  die  Resultate  der  subkutanen  Applikation 
on  X-Serum  bei  Kaninchen  mit  den  von  verschiedenen 
utoren  bei  direkter  Röntgenbestrahlung  erzielten  Ergebnissen, 

»  tritt  eine  hochgradige  Analogie  sowohl  hinsichtlich  der 
eukopenie  wie  auch  der  Lymphopenie  hervor,  mit  dem 
esentlichen  Unterschied  jedoch,  dass  die  Reaktion  seitens  der 
eukozyten  bei  direkter  Bestrahlung  bedeutend  langsamer  sich 
ülzieht  (nach  2  Stunden  Leukozytose,  nach  12  Stunden  Be¬ 
im  der  Leukopenie,  ihr  Maximum  am  3.  Tage,  am  7. — 8.  Tage 
ülständige  Regeneration  des  Blutes). 

4.  Die  Wirkung  des  X-Serums  auf  das  Blut  bietet  eine 
osse  Aehnlichkeit  dar  mit  dem  Einfluss,  welchen  die  direkte 


Röntgenbestrahlung  isoliert  auf  das  Blut  ausübt  (Versuche  von 
Schwarz  mit  der  Bestrahlung  der  Ohren  von  Kaninchen, 
die  in  einer  bleiernen  Kiste  isoliert  waren),  mit  dem  Unter¬ 
schied,  dass  in  den  Schwarz  sehen  Versuchen  die  Anzahl 
der  Leukozyten  nicht  unter  die  ursprüngliche  Norm  sank. 

5.  Bei  der  Wirkung  des  röntgenisierten  Serums  auf  das 
Blut  haben  wir  es  mit  zwei  Antagonisten  zu  tun:  mit  dem 
Serum,  das  eine  Leukozytose  hervorruft,  und  mit  der  im  Serum 
eingeschlossenen  Röntgenenergie,  die  in  entgegengesetzter 
Richtung  wirkt.  Infolgedessen  wird  bei  Steigerung  der  X- 
Serumdosis  nicht  immer  eine  Verstärkung  des  Effektes  be¬ 
obachtet. 

6.  Da  die  Beeinflussung  des  Blutes  durch  direkte  Röntgen¬ 
bestrahlung  von  Tieren  (der  blutbildenden  Organe),  sowie 
durch  die  isolierte  Bestrahlung  von  Körperteilen  (Kaninchen¬ 
ohren),  die  von  den  blutbildenden  Organen  weit  entfernt  sind, 
der  Beeinflussung  durch  Injektionen  von  X-Serum  zwar 
analog,  aber  nicht  ganz  gleich  ist,  so  wäre  es  sehr 
wünschenswert  zu  untersuchen,  in  welchen  Fällen  und  wann 
diese  oder  jene  Methode  der  Einverleibung  von  Röntgen¬ 
energie  zu  therapeutischen  Zwecken  vorzuziehen  ist. 

Zum  Schluss  ist  es  mir  eine  angenehme  Pflicht,  meinem 
Mitarbeiter  und  Kollegen  Herrn  Dr.  S.  L  i  f  s  c  h  i  t  z  für  die  mir 
bei  der  Ausführung  dieser  Arbeit  erwiesene  freundliche  Mit¬ 
wirkung  meinen  besten  Dank  auszusprechen. 

Literatur. 

1.  S.  Wermel:  Ueber  die  Eigenschaften  des  Blutes  resp.  des 
Serums  nach  Einwirkung  der  Röntgenstrahlen.  M.m.W.  1914  Nr.  6 
S.  299.  —  2.  J.  Wett  er  er:  Handb.  d.  Röntgenther.  1913—1914.  — 
3.  Nägeli:  Blutkrankheiten  und  Blutdiagnostik.  —  4.  C.  Kliene- 
berger  und  W.  Carl:  Die  Blutmorphologie  der  Laboratoriums¬ 
tiere.  Leipzig  1912. 


lieber  neuartige  gewerbliche  Erkrankungen  in 
Kalkstickstoflfbetrieben. 

Vorläufige  Mitteilung. 

Von  Dr.  F.  K  o  e  1  s  c  h,  Kgl.  bayer.  Landesgewerbearzt. 

Kalkstickstoff  stellt  ein  Produkt  der  modernen  elektro¬ 
chemischen  Industrie  dar,  welches  als  künstliches  Düngermittel 
—  Ersatz  des  Chilesalpeters  —  hervorragende  volkswirtschaft¬ 
liche  Bedeutung  besitzt.  Zu  seiner  Herstellung  werden  zu¬ 
nächst  Kalk  und  Kohle  (Koks)  im  elektrischen  Ofen  bei  etwa 
3000°  C  zu  Kalziumkarbid  gebunden;  letzteres  wird  fein  ge¬ 
mahlen  und  (nach  dem  Verfahren  von  Frank  &  Caro) 
unter  gleichzeitigem  Erwärmen  auf  etwa  900—1000°  C  in  den 
elektrischen  Azotieröfen  mit  Stickstoff  gesättigt.  Der  hierzu 
nötige  Stickstoff  wird  nach  dem  Linde  sehen  Verfahren  aus 
der  Luft  entnommen  durch  Verflüssigung  des  Luftsauerstoffs 
bei  etwa  — 200°  C.  Das  Handelsprodukt  enthält  annähernd 
57  Proz.  Kalziumzyanamid,  21  Proz.  Aetzkalk,  14  Proz.  Kohlen¬ 
stoff,  dazu  einige  Verunreinigungen  von  Kiesel-  und  Phosphor¬ 
säure,  Eisen  u.  dgl.  Die  Kalkstickstofffabrikation  bietet  nicht 
nur  vom  technischen  Standpunkte  aus  erhebliches  Interesse; 
sie  hat  auch  der  Gewerbehygiene  einige  interessante  Probleme 
gestellt. 

Nur  andeutungsweise  seien  an  dieser  Stelle  die  A  e  t  z  - 
wirk  u  n  gen  infolge  des  relativ  hohen  Gehalts  an  Kalzium¬ 
oxyd  (21  Proz.),  die  Möglichkeit  der  Vergiftung  infolge 
Entwickelung  von  Azetylen  oder  Phosphorwasserstoff  bei 
Feuchtigkeitsaufnahme,  die  Gefahr  einer  Explosion  durch  die 
letztgenannten  Gase  erwähnt.  Diesbezügliche  Beobachtungen 
und  Relationen  werden  in  einer  demnächst  erscheinenden 
Studie  des  Verfassers  näher  erörtert  werden.  An  dieser  Stelle 
sollen  nur  die  eigenartigen,  vom  toxikologischen  Standpunkte 
aus  höchst  interessanten  und  in  der  Literatur  bisher  noch  nicht 
beschriebenen  Attacken  kurz  geschildert  werden,  die  bei  den 
Kalkstickstoffarbeiten  im  Gefolge  der  Alkoholauf- 
n  a  h  m  e  —  sonst  nicht  —  auftreten. 

Bei  Genuss  von  alkoholischen  Getränken  „steigt  (nach  An¬ 
gabe  der  Arbeiter)  die  Hitze  in  den  Kopf,  der  Kopf  wird  rot, 
während  die  Glieder  meist  frösteln,  auf  der  Brust,  auch  im 
Hals  schlägt  es,  der  Atem  reicht  nicht  mehr  aus,  es  drückt  die 
Brust  zusammen,  cs  ist  zu  voll  in  der  Brust“  usw. 


1870 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Die  Untersuchungen  ergaben  nachstehende  Er¬ 
gebnisse:  Während  die  Arbeiter  für  gewöhnlich  keinerlei 
subjektiven  oder  objektiven  Befund  zeigen,  treten  schon  nach 
geringfügiger  Alkoholzufuhr,  meist  schon  nach  dem  ersten  oder 
zweiten  Schluck  Bier,  Schnaps,  Wein  etc.,  seltener  erst  nach 
grösseren  Mengen,  lebhafte  Kongestionszustände  in  den  oberen 
Körperregionen  ein.  In  den  meisten  Fällen  ist  Gesicht  und 
Hals,  meist  auch  die  Schultergegend  bläulichrot  injiziert,  etwa 
wie  bei  einem  hochgradig  Erhitzten.  Die  Verfärbung  wird  an 
Rumpf  und  Armen  mehr  hellrot  und  ähnelt  hier  lebhaft  dem 
Scharlachexanthem.  Sie  breitet  sich  bei  einem  Teil  der  Unter¬ 
suchten  weiter  aus,  bis  etwa  3—4  Querfinger  unterhalb  der 
Schlüsselbeine  bzw.  in  der  Mitte  bis  zum  Schwertfortsatz,  am 
Rücken  bis  zur  Höhe  der  Schulterblattgräte,  in  anderen  Fällen 
vorne  bis  unterhalb  der  Firustwarzen  bzw.  bis  zum  Nabel  oder 
einige  Querfinger  darunter,  rückwärts  bis  zum  Beginn  der  Ge- 
sässspalte.  Die  Verfärbung  an  Kopf  und  Rumpf  ist  meist 
gleichmässig  mit  gezackten  Rändern;  selten  sind  normale  Haut¬ 
partien  eingeschlossen.  Die  Arme  sind  selten  ganz  befallen 
(einmal  bis  zum  Handgelenk),  meist  finden  sich  grössere  oder 
kleinere  zackige  Flecken  verstreut,  besonders  in  der  Achsel¬ 
falte  und  Ellenbeuge.  Die  Augenbindehaut  ist  lebhaft  injiziert, 
die  Tränensekretion  erscheint  vermehrt,  auch  die  Schleimhaut 
der  Mimdrachenhöhle,  besonders  der  weiche  Gaumen,  ist  leb¬ 
haft  gerötet.  Bei  der  Blutentnahme  aus  dem  Ohrläppchen 
tropft  reichlich  Blut  ab.  Eine  wesentliche  Temperatur¬ 
erhöhung  der  geröteten  Körperstellen  ist  nicht  nachweis¬ 
bar,  hingegen  fühlen  sich  die  Hände  häufig  kalt  an.  Gelegent¬ 
lich  ist  ein  leichtes  Zittern  des  ganzen  Körpers  (Kälteschauer?) 
zu  beobachten.  Die  Atmung  ist  meist  etwas  beschleunigt, 
etwa  20—25  per  Minute,  in  allen  Fällen  vertieft,  thorakal,  von 
hörbaren  tiefen  Inspirationen  häufig  unterbrochen.  Ab  und  zu 
erfolgt  leichtes  Husten,  vielleicht  die  Folge  einer  Hyperämie  der 
Luftwege  (ev.  in  Verbindung  mit  Staubreizung).  Die  Herz¬ 
tätigkeit  ist  lebhaft  erregt,  der  Herzstoss  äusserlich  sicht¬ 
bar,  der  Puls  demgemäss  beschleunigt,  schnellend,  meist  über 
100  bis  130  per  Minute.  Der  Blutdruck  ist  bei  einem  Teil 
der  Untersuchten  normal,  bei  der  Mehrzahl  etwas  erniedrigt. 
Das  Blutbild  ist  unverändert. 

Das  Sensorium  ist  vollkommen  klar,  Reflexe  sind  nor¬ 
mal.  Bei  schweren  Fällen  soll  auch  ein  leichtes  Taumeln  Vor¬ 
kommen,  während  insbesondere  früher  (bei  den  ersten  Anfällen 
im  Beginn  der  Fabrikation)  häufiger  Schütteln,  Jaktation  etc. 
beobachtet  worden  sei;  doch  dürften  diese  Symptome  mehr 
psychischen  Ursprungs  gewesen  sein,  da  sie  aus  der  Zeit 
stammen,  wo  die  Arbeiter  vom  Krankheitsbild  noch  überrascht 
waren,  sich  krank  meldeten  bzw.  das  Bett  aufsuchten  und  den 
Arzt  holen  Hessen. 

Die  Dauer  der  Anfälle  ist  verschieden  und  fast  stets  von 
der  aufgenommenen  Alkoholmenge  abhängig;  meist  beträgt  sie 
1 — 2  Stunden.  Falls  im  Anfalle  Erbrechen  oder  Abweichen 
auftritt,  erfolgt  fast  momentan  eine  Besserung,  welche  auch 
am  Nachlassen  der  Rötung  sogleich  sichtbar  wird.  Nach  dem 
Anfall  soll  leichte  Abgeschlagenheit,  Müdigkeit,  Frösteln  etc. 
bestehen.  Dauerfolgen  wurden  bisher  nicht  beobachtet.  Eine 
persönliche  Disposition  ist  erforderlich,  doch  sind  nahezu 
sämtliche  Arbeiter  mehr  oder  minder  disponiert.  Eine  Ge¬ 
wöhnung  scheint  nicht  stattzufinden.  Voraussetzung  ist 
eine  wenn  auch  nur  stundenlange  Beschäftigung  im  Betrieb 
mit  Staubinhalation;  je  staubiger  die  Arbeitsverrichtung,  desto 
intensiver  der  Anfall,  wenn  nachher  Alkohol  konsumiert  wird. 
Die  Disposition  verschwindet,  wenn  die  Arbeit  1 — 2  Tage  oder 
länger  unterbrochen  wurde,  um  nach  Wiederaufnahme  der 
Arbeit  zurückzukehren.  Ferner  ist  es  ohne  Belang,  wenn  die 
Arbeiter  vor  Aufnahme  der  Staubarbeit  Alkohol  zu  sich  ge¬ 
nommen  haben;  nach  mehreren  Ruhetagen,  event.  auch  an 
AJontagen,  ist  daher  trotz  vorhergegangenen  Alkoholmiss¬ 
brauchs  keine  Häufung  der  Anfälle  zu  erwarten,  wenn  nicht 
das  bekanntermassen  an  solchen  Tagen  gesteigerte  Durst¬ 
gefühl  zu  neuer  Alkoholaufnahme  verleitet.  In  gleicher  Weise 
wirken  hohe  Temperaturen  infolge  Erhöhung  des  Durstgefühls 
begünstigend. 

Die  Prophylaxe  ergibt  sich  aus  den  ätiologischen  Mo¬ 
menten  von  selbst:  Vermeidung  von  Staubbildung  und  der 
Alkoholaufnahme.  Ersteres  erfolgt  im  wesentlichen  durch 


Nr.  35. 


technische  Verbesserungen,  wie  durch  mechanische  Absaugung 
an  allen  Staubherden,  mechanischen  Transport,  Absack¬ 
maschinen  u.  dgl.  m.  Auch  Zusatz  von  Oel  zum  Fabrikat 
vermindert  die  Verstaubungsgefahr.  Die  persönliche  Pro¬ 
phylaxe  besteht  in  Belehrung  der  Arbeiter,  Anleitung  zu  vor¬ 
sichtigem  Arbeiten,  Tragen  von  Respiratoren  bei  besonders 
staubenden  Verrichtungen,  Vermeidung  des  Alkohols  und  Er¬ 
satz  durch  Kaffee,  Tee,  Limonaden.  Tatsächlich .  ist  der  Al¬ 
koholverbrauch  dieser  Arbeiter,  seitdem  die  Beziehungen  zu 
den  „Anfällen“  bekannt  sind,  relativ  niedrig;  manche  sind  fast 
abstinent.  Die  Firma  stellt  täglich  mehrere  hundert  Liter 
schwarzen  Kaffee  unentgeltlich  zur  Verfügung.  Beigefügt  sei, 
dass  anfänglich,  als  die  Alkoholeinwirkung  noch  nicht  bekannt 
war,  „im  Anfall“  gelegentlich  in  therapeutischer  Absicht 
Schnaps,  Kognak,  Spir.  aether.  oder  Tct.  Valerian  etc.  ge¬ 
nommen  wurden,  was  natürlich  eine  Verschlimmerung  zur 
Folge  hatte. 

Eine  Therapie  findet  seit  genauerer  Kenntis  von  der 
Entstehung  des  Anfalls  nicht  mehr  statt;  einige  Leute  legen 
sich  hin  und  warten  die  Attacke  im  Bett  oder  auf  dem  Sopha 
etc.  ab.  Aerztliche  Hilfe  wird  nicht  mehr  in  Anspruch  ge¬ 
nommen.  Sie  hätte  sich  event.  auf  Eisapplikation  und  Ver¬ 
ordnung  eines  Brech-  oder  Abführmittels  zu  beschränken. 

Als  Ursache  dieser  eigenartigen  Affektion  ist  das  im 
Kalkstickstoff  enthaltende  Zyanamid  anzusprechen,  wie  die 
Untersuchungen  des  Verf.  ergeben  haben  dürften;  dieselben 
sollen,  wie  erwähnt,  in  einer  monographischen  Studie  über  die 
Hygiene  der  Kalkstickstoffindustrie  demnächst  mitgeteilt 
werden. 


Vergiftungstod  durch  „Chineonal“. 

Von  Med.-Rat  Dr.  V.  Erd  t,  k.  Landgerichtsarzt  in  München. 

Die  Firma  E.  Merck  in  Darmstadt  vertreibt  seit  längerer 
Zeit  ein  Mittel  gegen  Keuchhusten,  Infektionsfieber  und  Neu¬ 
ralgie,  das  sie  „Chineonal“  nennt  und  welches  aus  einer  Ver¬ 
bindung  von  Chinin  und  Veronal  besteht.  Von  mehreren 
Autoren  (F  r  ä  n  k  1  und  Hauptmann  [M.K1.  19121. 
Pauli,  S.  Wassermann,  B  ö  c  k,  A  r  m  b  r  u  s  t  e  r  u.  a.) 
werden  die  guten  Erfolge  dieses  Mittels  bei  Keuchhusten  her¬ 
vorgehoben.  Das  Erbrechen  soll  bald  aufhören,  der  Appetit 
sich  heben.  In  der  Tat  ermunterte  die  Zusammensetzung,  das 
seit  Jahren  bei  Keuchhusten  empfohlene  Chinin  in  Verbindung 
mit  dem  früher  als  unschädlich  bezeichneten  Veronal  (Diäthyi- 
malonylharnstoff)  zu  Versuchen,  da  unsere  Auswahl  von  wirk¬ 
samen  Mitteln  bei  Keuchhusten  eine  sehr  geringe  ist  und  das 
einige  Zeit  viel  gebrauchte  Bromoform  sich  als  recht  gefähr¬ 
lich  erwiesen  hatte. 

Wie  bekannt,  wurde  das  Veronal  von  E.  Merck  1903  in 
den  Handel  gebracht  und  von  E.  Fischer  und  Me  ring  in 
die  Therapie  eingeführt.  Es  ist  ein  schwach  bitter  schmecken¬ 
des  kristallinisches  Pulver,  das  sich  in  12  Teilen  kochenden 
Wassers  und  in  145  Teilen  Wasser  von  20"  leicht  löst.  Es 
wurde  in  fast  überschwenglicher  Weise  als  unschädliches  und 
prompt  wirkendes  Narkotikum  empfohlen  und  ist  vielfach  im 
Gebrauch.  Doch  sind  seit  ca.  11  Jahren  zahlreiche  Fälle  von 
Vergiftungen  selbst  durch  ganz  geringe  Dosen  (0,25)  bekannt 
geworden,  die  zur  Vorsicht  mahnen  müssen.  Es  sei  auf  die 
zahlreichen  Referate  über  Veronal  in  der  M.m.W.  1903,  1904 
1905,  1908,  1909,  1910,  1911  und  1913  verwiesen. 

Das  Chineonal  enthält  in  100  Teilen  63,78  Teile  Chinin  und 
36,22  Teile  Veronal;  es  wird  von  der  Firma  in  eleganten 
Packungen  als  Chineonal-Schokoladetäfelchen  ä  0,1  g  und 
dragierten  Tabletten  zu  0,1  und  0,2  g  für  Kinder,  als  Chineonal- 
tabletten  zu  0,3  g  für  Erwachsene  in  der  ärztlichen  Praxis 
verordnet. 

Nachstehender  Fall  aus  meiner  Gerichtspraxis  ist  geeignet, 
die  Kollegen  bei  Verordnung  des  Mittels  zu  grosser  Vorsicht 
zu  mahnen. 

In  dein  Orte  S.  erkrankten  im  September  1913  mehrere  Kinder 
und  Erwachsene  an  Keuchhusten.  So  auch  eine  Familie  in  der  Par¬ 
terrewohnung  eines  Hauses,  dessen  ersten  Stock  eine  kleine  Be¬ 
amtenfamilie  bewohnte.  Diese  bestand  aus  Mann,  Frau  und  einem 
214  jährigen  kräftigen  Kinde,  das  der  Obhut  eines  13  jährigen,  geistig 
etwas  beschränkten  Landmädchens  anvertraut  war.  Die  Infektion 
wurde  auch  auf  diese  Familie  übertragen  und  zwar  auf  das  Dienst- 


September  19H. _ MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


ädchen.  Der  gerufene  praktische  Arzt  des  Ortes,  welcher  eine 
andapothekc  führt,  verabreichte  dem  Dienstmädchen  Chineonal- 
hokoladetäfelchen,  welche  dieselbe  aber  nicht  nehmen  wollte.  Da- 
uf  übergab  er  ihr  Chineonaldragdes.  Das  Gläschen  mit  diesen 
hsengrossen  glänzenden  Kügelchen  stellte  sie  offen  in  die  Küche,  in 
clcher  das  Kind  sich  häufig  aufhielt.  Das  Kind  spielte  nun  öfter 
t  dem  Gläschen,  öffnete  eines  Tages  den  Verschluss  und  ver- 
hluckte  eine  Tablette;  irgendwelcher  Nachteil  für  das  Kind  wurde 
;ht  bemerkt,  doch  will  die  Mutter  daraufhin  dem  Dienstmädchen 
rboten  haben,  das  Kind  mit  dem  Gläschen  spielen  zu  lassen,  was 
er  von  dem  Mädchen  bestritten  wird  Das  Glas  blieb,  wie  vorher, 
der  Küche  und  war  dem  Kinde  leicht  zugänglich.  Am  29.  Oktober 
hm  das  Kind  im  Laufe  des  Tages  nach  und  nach  den  ganzen  Inhalt, 
Tabletten,  zu  sich.  Abends  7  Uhr  bemerkte  die  Mutter,  dass  das 
id  schläfrig  wurde,  schwankte,  vom  Sofa,  auf  das  man  es  setzte, 
rabfiel  und  erbrach.  Erst  jetzt  bemerkte  man  den  Verlust  der 
len  und  das  Mädchen  gab  zu,  dass  das  Kind  von  den  Pillen  ge- 
mmen  hatte.  Das  Kind  wurde  sofort  zum  Arzte  verbracht.  Dort 
ir  es  soporös,  die  Pupillen  reagierten  nicht  mehr  auf  Licht,  Arme 
d  Beine  waren  wie  gelähmt.  Einmal  setzte  es  sich  noch  auf,  rief 
n  Namen  der  Mutter,  sank  dann  zurück,  wurde  zyanotisch  und 
■rlor  das  Bewusstsein. 

Trotz  lange  fortgesetzter  künstlicher  Atmung,  trotz  Kampfer  und 
therinjektionen  starb  das  Kind  abends  10  Uhr.  Eine  Magenaus- 
ilung,  auf  die  das  Kind  nicht  mehr  reagierte,  war  ohne  Erfolg 

dieben. 

Die  gerichtliche  Sektion  ergab  keine  charakteristischen  Befunde 
die  Todesursache.  Es  fand  sich  bei  Eröffnung  der  Schädelhöhle 
süsslicher  ätherischer  Geruch,  bei  Eröffnung  der  Bauchhöhle 
rker  Kampfergeruch;  dies  erklärt  sich  aus  den  vorhergegangenen 
Aktionen.  Keine  Hypeiämie  des  Gehirns.  An  den  grossen  Gefässeti 
Lungenwurzeln  waren  einzelne  Dunktförmige  Ecchvmosen.  Dei 
ige  Befund  war  negativ.  Harn  befand  sich  nicht  in  der  Harnblase. 

Die  Leichenteile  wurden  von  Herrn  Privatdozent  Dr.  Hei¬ 
se  h  k  a  untersucht.  Nach  gütiger  Mitteilung  desselben  ergab  die 
mische  Untersuchung  (Verfahren  S  t  a  s  -  0  1 1  o).  dass  in  den  Ein- 
■  meiden  keine  Giftstoffe  vorhanden  waren,  während  man  ans  200  g 
Gehirns  eine  geringe  Menge  von  Kristallen,  welche  als  Veronal 
usprechen  waren,  erhielt. 

Bedenkt  man,  dass  das  Kind  innerhalb  6—8  Stunden 
(48  Veronal  zu  sich  genommen  hatte,  so  überrascht  anfäng- 
1 1  das  geringe  Resultat  der  chemischen  Untersuchung.  Dies 
lärt  sich  einerseits  aus  dem  Umstande,  dass  kein  Harn  ge- 
1  nnen  werden  konnte,  aus  dem  sich  in  den  meisten  Fällen 
!  grössten  Mengen  isolieren  lassen,  andererseits  aus  der  Zeit, 
i welcher  die  Tabletten  genommen  wurden.  Wie  Panzer 
tljschr.  f.  gerichtl.  M.  und  H  e  i  d  u  s  c  h  k  a  (Arch.  d.  Pharm. 

1  5)  aufmerksam  machen,  kann  der  Tod  nach  Veronalver- 
ung  erst  zu  einer  Zeit  eintreten,  wo  das  Veronal  zum 
ssten  Teil  aus  dem  Körper  wieder  ausgeschieden  ist. 

Man  könnte  im  vorliegenden  Falle  zweifelhaft  sein,  ob 
it  der  Tod  des  Kindes  durch  die  grosse  Chininmenge  er- 
:t  ist.  Dagegen  spricht  das  Fehlen  der  Gehirnhyperämie, 
Symptome  vor  dem  Tode  (Atemstörung,  Zyanose)  und  der 
itive  Befund  der  chemischen  Untersuchung;  letzterer  ist 
die  Diagnose:  Tod  durch  Vergiftung  mit  Veronal,  aus- 
‘laggebend.  Nach  Fried  el  (Zschr.  f.  Med.  18)  machte 
g  Veronal  bei  einem  Erwachsenen  Koma,  Herzschwäche 
Kollaps,  Alter  beobachtete  nach  1  g  bei  einem  Epi- 
iker  Tod  unter  Cheyne-Stokesschem  Atmen,  M  i  o  s  i  s, 
len  der  Reflexe,  Lungenödem. 

Bei  Chinintod  erfolgt  Lähmung  des  Atemzentrums,  das 
•  gereizt  wird,  und  durch  Herzschwäche  (Handb.  d.  ärztl. 
liverst.-Tätigkeit  von  Prof.  Paul  Di  tt  rieh  Bd.  VII  1910). 

'  Kind  hatte  in  unserem  Falle  in  9  Tabletten  1,15  g  Chinin 
1  sich  genommen.  Wenn  auch  Chinin  im  allgemeinen  von 
Jern  gut  vertragen  wird,  so  ist  doch  durch  Husemann 
ler.  Mh.  1888)  ein  Fall  beschrieben,  in  welchem  bei  einem 
'unden,  3  Jahre  alten  Kinde  durch  2 — 3  g  der  Tod  eintrat. 

’■  n  e  r  (bei  H  u  s  emann  zitiert)  erwähnt  den  Tod  eines 
ihre  alten  Kindes  durch  1,2  g  Chinin. 

Man  wird  nicht  umhin  können,  in  unserem  Falle  dem 
nin  wenigstens  eine  schwächende,  den  Tod  befördernde 

'  kung  zuzuerkennen. 

Als  Gegenmittel  bei  Veronalvergiftung  empfiehlt  Thol! 
ner.  Koffein,  bei  Chininvergiftung  Erben  Kaffee,  Thee, 

nerinjektion,  Atropin. 

Bei  Chineonalvergiftung  dürfte,  neben  der  Magenaus- 
ung,  Aether  und  Kampfer,  vielleicht  auch  Atropin  versucht 

den. 

Der  erwähnte  Fall  möge  namentlich  den  Kollegen  auf  dem 


1871 


Lande  zur  Warnung  dienen  und  sie  veranlassen,  derartige  ver- 
lührerisch  harmlos  aussehende  Medikamente  nur  unter  ge¬ 
wissen  Vorsichtsmassregeln  zu  verwenden. 

Bezeichnend  ist,  dass  im  beschriebenen  Falle  der  Vater 
des  Kindes  die  alleinige  Schuld  am  Tode  des  Kindes  dem 
Arzte  zumass,  der  durch  seine  Magenausspülung  das  Kind  er¬ 
stickt  habe! 


Aus  der  physikalisch-therapeutischen  Abteilung  des  St.  Marien¬ 
krankenhauses  zu  Frankfurt  a.  M. 

(Direktor:  Dr.  med.  E.  Hergenhahn). 

II. 

Ueber  therapeutische  Erfolge  mit  dem  Degrassator 
nach  Dr.  Schnee. 

Von  Dr.  med.  Adolf  Schnee  in  Frankfurt  a.  M. 

Nachdem  von  anderer  Seite  in  einer  ganzen  Anzahl  von 
Publikationen  auf  die  therapeutische  Bedeutung  der  durch  elek¬ 
trische  Reizung  unter  gleichzeitiger  Belastung,  die  als'  Arbeits¬ 
widerstand  dient,  hervorgerufenen  rhythmischen  Muskelkon¬ 
traktionen  hingewiesen  wurde,  und  nachdem  ich  selbst  wieder¬ 
holt  zu  dieser  Frage  Stellung  genommen  habe,  möchte  ich 
im  Nachstehenden  einen  kurzen  Bericht  über  eine  Reihe  von 
mir  bisher  nach  dieser  Methode  behandelter  Fälle  geben.  Vor¬ 
ausschicken  möchte  ich  nur  noch  zur  Orientierung,  dass 
während  B  e  rgo  n  i  e  für  diese  Zwecke  sehr  gleichmässige 
faradische  Ströme  verwendet  und  Nagelschmidt  sich 
dazu  des  L  e  d  u  c  sehen  Stromes  bedient,  ich  Kondensatorent¬ 
ladungen  benutze  und  zwar  von  Kondensatoren  grosser  Ka¬ 
pazität,  deren  Entladungskurven  so  beschaffen  sind,  dass  bei 
minimaler  sensibler  Reizung  ein  bedeutender  physiologischer 
Reizeffekt  auf  Muskeln  und  motorische  Nerven  erfolgt. 

Zahlreiche  Gelehrte  und  Praktiker  wie  Z  a  n  i  e  t  o  w  s  k  i, 
Dubois,  Hoorweg,  Cluzet,  Lapique,  Hermann, 
Mann,  Cramer,  Doumer,  Wertheim-Salomon- 
sonu.  a.  m.  haben  schon  früher  auf  die  grosse  Bedeutung  von 
Kondensatorentladungen  zu  diagnostischen  Zwecken  hinge¬ 
wiesen  und  in  neuerer  Zeit  haben  Zanietowski,  Sudnik 
und  Smith  sie  auch  mit  Vorteil  in  der  Therapie  verwertet. 

Für  die  von  mir  beabsichtigten  Zwecke  scheinen  Konden¬ 
satorentladungen  schon  deshalb  besonders  geeignet  zu  sein,  weil 
sie  die  Eigentümlichkeit  besitzen,  ebenso  wie  der  unterbrochene 
L  e  d  u  c  sehe  Strom  anästhesierend  zu  wirken,  dabei  aber  bei 
weitem  energischere  Muskelkontraktionen  als  diese  hervor¬ 
zurufen. 

Ich  habe  diese  Kondensatorentladungen  nun  mit  dem  von 
mir  schon  früher  in  dieser  Wochenschrift  beschriebenen  Ap¬ 
parat:  „Degrassator“  in  Anwendung  gebracht,  über  dessen 
Konstruktion  und  Handhabung  ich  mich  daher  nicht  weiter  zu 
äussern  brauche. 

In  aller  Kürze  möchte  ich  jedoch  hier  zunächst  noch  auf 
einige  praktische  Momente  bei  der  Benutzung  des  Apparates 
hinweisen,  die  insofern  von  Bedeutung  sind,  als  es  im  Inter¬ 
esse  aller  jener  gelegen  ist,  die  sich  des  Degrassators  bedienen, 
dass  sie  sich  dieselben  zunutze  machen. 

Bevor  der  zu  behandelnde  Patient  entkleidet  auf  dem  Degrassa- 
torliegestuhl  Platz  nimmt,  werden  die  mit  Hilfe  der  darunter  befind¬ 
lichen  Kohlenfadenlampen  gut  angewärmten  Rücken-  und  Gesässelek- 
troden  mit  einem  doppelt  oder  dreifach  zusammengelegten,  in  heisses 
Wasser  getauchten  Lacken  überdeckt.  Hat  sich  der  Patient  gelagert, 
so  wird  die  verstellbare  Rückenlehne  des  Degrassatorliegestuhles 
in  die  ihm  zuträglichste  Stellung  gebracht.  Unter  den  Kopf  kommt 
ein  mit  Billrothbattist  überzogenes  Polster.  Mitunter  ist  es  emp¬ 
fehlenswert,  auch  unter  das  Kreuz  eine  ebenso  adjustierte  Rolle  zu 
bringen.  Hierauf  versieht  man  die  in  Anwendung  zu  bringenden 
übrigen  Elektroden  (Brust-,  Bauch-,  Ober-,  Unterarm-,  Ober-  und 
Unterschenkelelektroden)  mit  ebenfalls  mittels  heissen  Wassers  gut 
durchfeuchteten  Ueberzügen,  passt  sie  durch  Zurechtbiegen  den  be¬ 
treffenden  Körperteilen  gut  an  und  belastet  sie  schliesslich  mit  Sand¬ 
säcken. 

Diese  Belastung  darf  niemals  schematisch  erfolgen,  sondern  man 
hat  dabei  vielmehr  einmal  auf  den  beabsichtigten  Zweck  und  weiter 
auf  den  individuellen  Zustand  des  Patienten  Rücksicht  zu  nehmen. 

Handelt  es  sich  beispielsweise  un;  ein  Individuum  mit  stark 
entwickeltem  Fettpolster  und  sonst  gesundem  und  kräftigem  Herz, 
so  wird  man  ohne  weiteres  von  vorneherein  bei  kräftigen  Konden¬ 
satorentladungen  grössere  Belastungen  (60—80  kg)  wählen  dürfen, 
und  lediglich  darauf  bedacht  sein,  die  Dauer  der  Sitzungen  anfangs 


1872 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  35. 


nicht  allzu  sehr  auszudehnen.  15 — 20  Minuten  werden  für  die  erste 
Sitzung  vollauf  genügen.  Wird  diese  anstandslos  vertragen,  so  wird 
man  die  Dauer  der  folgenden  Sitzungen  sofort  verlängern  und  nach 
2  bis  3  Tagen  bis  auf  eine  halbe  Stunde  und  mehr  ausdehnen  können. 

( ileichzcitig  damit  wird  man  auch  die  Belastung  noch  weiter  er¬ 
höhen  und  dabei  etwa  bis  100  kg  gehen,  keinesfalls  aber  150  kg 
—  und  auch  dies  nur  in  Ausnahmefällen  —  überschreiten. 

Viel  grössere  Vorsicht  ist  natürlich  bei  schwächlichen  Individuen 
mit  weniger  widerstandsfähigen  Herzen  geboten.  Hier  geht  man  ganz 
vorsichtig  zu  Werk  und  ist  vor  allem  darauf  bedacht,  die  Leistungs¬ 
fähigkeit  des  Herzens  durch  ganz  allmähliche  Steigerung  der  Be¬ 
lastung  und  ebenso  langsam  zunehmende  Verstärkung  der  Konden¬ 
satorentladungen  zu  erhöhen.  Die  untere  Grenze  der  Belastung  wird 
in  derartigen  Fällen  etwa  20 — 30  kg  und  die  Dauer  der  ersten 
Sitzungen  5  bis  15  Minuten  betragen. 

Exakte  Angaben  über  die  in  beiden  Fällen  jeweils  anzuwenden¬ 
den  Ladespannurigen  bzw.  Entladungsstromstärken  lassen  sich  nicht 
machen.  Im  allgemeinen  wird  man  als  stärkere  Ladespannungen 
solche  von  30—50  Volt  und  als  grössere  Entladungsstromstärken 
solche  von  15—20  MA.  bezeichnen.  Schwächere  Ladespannungen 
sind  solche  von  10—20  Volt,  schwächere  Entladungsstromstärken 
solche  von  5 — 10  MA. 

Hinsichtlich  der  zu  benutzenden  Kapazitäten  sei  darauf  hin¬ 
gewiesen,  dass  man  sich  am  vorteilhaftesten  möglichst  grosser  be¬ 
dient,  etwa  25 — 35  MF. 

Die  Zahl  der  in  der  Minute  zu  applizierenden  Stromstösse,  die 
mit  Hilfe  eines  Metronoms  reguliert  wird,  passt  sich  im  allgemeinen 
der  Pulsfrequenz  an.  Nur  bei  wesentlich  gesteigerter  Pulsfrequenz 
wird  man  eine  langsamere  Folge  wählen. 

Nach  Beendigung  der  Applikation  empfiehlt  es  sich,  die  Patienten 
etwa  eine  halbe  bis  eine  Stunde  ausruhen  zu  lassen. 

Wie  ich  schon  früher  betont  habe,  rufen  die  etwa  mit  der  Fre¬ 
quenz  der  mittleren  Pulszahl  einander  rhythmisch  folgenden  Ent- 
ladungsstösse  grösserer  Kapazitäten  keinerlei  unangenehme  oder 
schmerzhaft  sensible  Nebenwirkungen  hervor.  Es  bleibt  nur  das 
eigentümliche  dumpfe  Gefühl  des  sich  kontrahierenden  Muskels  be¬ 
stehen,  das  bis  zu  einem  gewissen  Grad  als  angenehm  und  mit  zu¬ 
nehmender  Dauer  der  Applikation  sogar  als  kalmierend  und  sedativ 
bezeichnet  werden  muss.  Ein  sicherer  Beweis  dafür  ist  das  bei  man¬ 
chen  Patienten  während  der  Applikation  auftretende  Schlafbedürfnis. 

Trotzdem  das  Heben  der  Sandsäcke  (bei  jedem  Entladungs- 
stoss  etwa  bis  zu  3—4  cm  Höhe)  im  Gesamtgewicht  bis  zu  100  kg 
und  darüber  keiner  geringen  Arbeitsleistung  entspricht,  haben  die 
Patienten  doch  während  der  Applikation  keineswegs  das  Gefühl  der 
Anstrengung -und  auch  nachher  nicht  die  Empfindung  der  Ermüdung. 
Sie  fühlen  sich  im  Gegenteil  erfrischt  und  zu  körperlicher  Arbeit 
fähig. 

Die  Reizung  der  Vasodilatatoren  führt  durch  Erweiterung  der 
peripheren  Gefässe  zu  einer  Hauthyperämie  mit  Schweissausbruch 
und  Temperaturerhöhung,  letztere  innerhalb  mässiger  Grenzen.  Aber 
auch  die  arbeitende  Muskulatur  wird  besser  durchblutet.  Durch 
Beschleunigung  und  gleichzeitige  Vertiefung  der  Atmung  kommt  ein 
intensiverer  Gasaustausch  zustande,  indem  mit  der  Vermehrung  der 
Kohlensäureabgabe  auch  der  Sauerstoffverbrauch  steigt. 

Während  der  Applikation  nimmt  die  Pulsfrequenz  etwas  zu. 
Diese  Frequenzzunahme  ist  jedoch  bei  weitem  nicht  so  gross  als  wie 
bei  zeitlich  gleich  gross  geleisteter  willkürlicher  Muskelarbeit.  Hand 
in  Hand  damit  geht  eine  Abnahme  des  Widerstandes  im  Gefäss- 
system  und  eine  systolische  Steigerung  der  beförderten  Blutmenge. 
Dies  dokumentiert  sich  durch  wachsende  Pulsamplitiiden  und  schär¬ 
fere  Ausprägung  des  Dikrotismus.  Damit  verbindet  sich  meist  auch 
eine  merkliche,  wenn  auch  geringe  Steigerung  des  systolischen  und 
diastolischen  Blutdruckes. 

Nach  Beendigung  der  Applikation  pflegt  die  Pulsfrequenz  wieder 
rasch  herunterzugehen  und  in  den  meisten  Fällen,  wo  sie  schon  vor¬ 
her  erhöht  war,  geringer  zu  werden  als  vor  der  Applikation.  Das¬ 
selbe  gilt  vom  Blutdruck,  der  oft  ganz  bedeutend  herabgesetzt  wird. 

Betonen  möchte  ich  an  dieser  Stelle  nochmals  besonders  die 
hervorragend  tonifizierende  Wirkung  dieser  Behandlungsmethode  auf 
die  quergestreifte  und  glatte  Muskulatur,  die  direkt  und  indirekt  auch 
auf  den  Herzmuskel  zum  Ausdruck  gelangt. 

Im  folgenden  seien  nun  in  wahlloser  Folge  eine  Reihe  von 
Fällen,  die  ich  mit  dem  Degrassator  behandelte,  in  aller  Kürze 
aufgezählt.  Ich  will  mich  dabei  zu  weitgehender  Mitteilungen 
enthalten  und  nur  die  für  den  Praktiker  wichtigsten  Daten  an¬ 
führen. 

1.  Herr  E.  R.,  Privatier,  59  Jahre  alt,  Gewicht  92,800  kg,  klagt 
über  Atembeschwerden  und  Schmerzen  in  der  Herzgegend  und  von 
da  ausstrahlend  in  den  Rücken  und  linken  Arm.  Puls  102  arhythmisch, 
inäqual;  systolischer  Blutdruck  nach  Doumer  (Sphygmomanometer) 
170  mm. 

Diagnose:  Myodegcneratio  cordis.  Arteriosclerosis. 

Patient  erhält  wechselgerichtete  Impulse  von  8  MA.  bei  30  Volt 
und  22  kg  Belastung  durch  20  Minuten;  während  8  Applikationen 
wird  die  Entladungsstromstärke  auf  10  MA.  bei  34  Volt  Ladespan- 
nung,  die  Belastung  auf  50  kg  die  Dauer  auf  30  Minuten  gesteigert. 
Nach  jeder  Applikation,  bei  der  ausschliesslich  Gesäss-,  Rücken-  und 
Bauchelektroden  verwendet  wurden,  fühlt  Patient  eine  wesentliche 


Erleichterung  seiner  Beschwerden.  Die  Pulsfrequenz  sinkt  auf  %, 
der  Blutdruck  auf  146  mm.  Der  Puls  wird  rhythmisch  und  äqual 
Das  Gewicht  geht  ohne  besondere  diätetische  Massnahmen  au> 
90,900  kg  während  dieser  Zeit  herunter.  Infolge  einer  interkurrenter 
Bronchitis  muss  der  Patient  mit  der  Behandlung  aussetzen. 

2.  Herr  H.  J.,  Schmied,  25  Jahre  alt,  stand  wiederholt  im  Kranken¬ 
hause  in  Behandlung.  Klagt  über  starkes  Herzklopfen  und  Atemnot 
bei  der  geringsten  Anstrengung.  Starke  Zyanose  des  Gesichtes  unc 
der  Hände.  Gewicht  60  kg.  Puls  120,  unregelmässig;  Blutdruck 
nach  D  o  u  m  e  r  120 

Diagnose:  Insufficientia  mitralis. 

Obwohl  bei  dem  aussichtslosen  Zustand  des  Patienten  keine  Hoff¬ 
nung  vorhanden  ist,  ihn  der  Heilung  zuzuführen,  erhält  er  dennoch  iri 
der  Erwartung,  ihm  wenigstens  vorübergehend  eine  Erleichterung 
seiner  Beschwerden  verschaffen  zu  können,  zwei  direkte  Herzappli- 
kationen,  und  zwar  in  der  Weise,  dass  einerseits  Gesäss-  und  Rücken-, 
elcktroden,  andererseits  eine  nur  mit  5  kg  belastete  Herzelektrod» 
zur  Anwendung  gelangen.  Die  wechselgerichteten  Impulse  haben  bc . 
1  2  MA.  Entladungsstromstärke  20  Volt  Ladespannung.  Dauer  dei, 

Applikation  5  und  10  Minuten. 

Während  der  Applikationen  hat  der  Patient  das  Gefühl  der  Er 
leichterung  in  der  Herzgegend,  die  Atmung  wird  freier.  Die  Puls  i 
frequenz  sinkt  bis  auf  94.  Dabei  wird  der  Puls  regelmässig.  Di» 
Zyanose  verschwindet  fast  gänzlich.  Diese  relative  Euphorie  häl 
nach  jeder  Applikation  etwa  2 — 3  Stunden  an. 

Wenige  Tage  später  Exitus  letalis. 

Wenn  es  in  diesem  Falle  auch  nicht  gelungen  ist,  den  schwer) 
kranken  Patienten  zu  retten,  so  ist  doch  gerade  die  nach  jede 
Applikation  auftretende,  subjektiv  und  objektiv  nachweisbare  Besse 
rung  im  Befinden  desselben  der  beste  Beweis  für  die  völlige  Ungefähr 
lichkeit  der  Methode  und  ihre  Vorzüge. 

3.  Frl.  D..  52  Jahre  alt.  Diagnose:  Obstipatio  habitualis.  7  Appli 
kationen.  Wechselgerichtete  Impulse.  4  MA.  —  20  Volt.  17  kg 
10  Minuten  bis  6  MA.  —  30  Volt,  23  kg,  15  Minuten.  Rücken- 
Gesäss-  und  Bauchclektrodcn.  Nach  der  vierten  Applikation  stell 
sich  bei  der  Patientin,  die  bisher  seit  einer  Reihe  von  Jahren  nu 
mit  Hilfe  von  Abführmitteln  Stuhlgang  erzielen  konnte,  regelmässige 
Stuhl  ein.  Puls  zu  Anfang  der  Behandlung  120,  rhythmisch,  äqual 
Blutdruck  190  mm,  am  Schluss  der  Behandlung  Puls  72,  Blutdruck 
180  mm. 

4.  Frau  L.  H.,  47  Jahre  alt.  Patientin  leidet  seit  23  Jahren  ai 
Stuhlverstopfung.  Der  Unterleib  ist  stark  gebläht  Bauchumfang  ii 
Nabelhöhe  130  cm.  Gewicht  75  kg.  Pat.  klagt  häufig  über  nervös» 
Beschwerden,  Migräne  und  gallensteinkolikartige  Anfälle.  Puls  108 
rhythmisch,  äqual,  schwach:  Blutdruck  180mm.  Diagnose:  Atoni; 
intestinalis.  51  Applikationen.  Wechselgerichtetc  Impulse,  6  MA 
—  20  Volt,  15  kg,  15  Minuten  bis  10  MA.  —  34  Volt,  35  kg,  40  Mi 
nuten.  Rücken-,  Gesäss-  und  Bauchelektroden.  Die  Applikationei 
werden  mit  Ausnahme  der  Sonntage  und  der  durch  die  Menstruation 
bedingten  Pausen  täglich  vorgenommen.  Bereits  nach  der  dritte) 
Applikation  stellt  sich,  trotzdem  während  der  letzten  Jahre  ohn' 
Abführmittel  überhaupt  kein  Stuhlgang  erzielbar  war  und  die  ganz' 
Zeit  vor  Beginn  der  Dcgrassatorbehandlung  jeden  zweiten  Tag  Sen 
natininjektionen  gemacht  wurden,  die  jedoch  auf  meinen  Rat  hii 
zwecks  Gewinnung  eines  möglichst  klaren  Bildes  fernerhin  gänzlici 
unterblieben,  eine  ausgiebige  Defäkation  ein.  Im  weiteren  Verlauf» 
der  Behandlung  hat  die  Patientin  täglich  mehr  oder  weniger  reich 
liehen  Stuhlgang,  der  gegen  Ende  derselben  als  völlig  normal  he 
zeichnet  werden  muss.  Bauchumfang  in  Nabelhöhc  105  cm,  Gewich 
75,800  kg.  Puls  84,  rhythmisch,  äqual,  Blutdruck  140  mm. 

Auffällig  ist  bei  dieser  Patientin  die  ganz  bedeutende  Abnalnn 
des  Leibesumfanges  um  25  cm,  ohne  dass  es  dabei  zu  einer  Gewichts 
abnahme  gekommen  wäre.  Dies  ist  wohl  auf  Rechnung  der  geringe) 
Belastung  zu  setzen,  durch  die  zwar  eine  Einschmclzung  des  über 
flüssigen  Fettes  am  Bauch  erfolgte,  gleichzeitig  aber  auch  eine  wesent 
liehe  Kräftigung  der  Bauchmuskulatur  hervorgerufen  wurde. 

Diese  tonifizierende  Wirkung  erstreckte  sich  aber  auch  ganz  ge 
wiss  auf  die  glatte  Muskulatur  des  Darmes,  die  zunächst  wieder  ihr 
Funktionsfähigkeit  erlangte.  Erst  im  weiteren  Verlaufe  der  Bd 
handlung  konnte  dies  auch  von  der  Bauchmuskulatur  gesagt  werdet 
wodurch  dann  erst  eine  kräftige  Betätigung  der  Bauchpresse  gewähr 
leistet  erschien. 

•5.  Frau  M.  E.,  39  Jahre  alt.  Pat.  litt  seit  jeher  an  erschwerten 
mit  Schmerzen  verbundenem  Stuhlgang.  Die  Bauchdecken  sind  dich 
weich  und  etwas  aufgetrieben.  Beim  Palpieren  des  Abdomens  emp 
findet  sic  Schmerzen  in  der  Magen-  und  Blinddarmgegend  und  klag 
über  das  Gefühl  der  Völle  im  Leib.  In  der  letzten  Zeit  hatte  s» 
wiederholt  Anfälle,  bei  denen  sic  von  unten  nach  oben  im  Lei' 
ziehende  Schmerzen  empfand,  die  ihr  die  Luft  nahmen.  Stuhlgan 
kann  nur  mit  Nachhilfe  erzielt  werden.  Gewicht  78  kg,  Puls  1_0>' 
rhythmisch,  äqual,  Blutdruck  150  mm.  Bauchumfang  in  Nabelhöh 
108  cm. 

Diagnose:  Atonia  coli.  ’  jgfcj 

26  Applikationen.  Wechselgerichtetc  Impulse.  2  MA.  —  14  Vol) 
11kg,  5  Minuten  bis  10  MA.  —  32  Volt.  40  kg,  30  Minuten.  Di 
Anfälle  verschwinden,  nachdem  sie  sich  noch  3  mal  in  grösseren  Zwi 
schenräumen  wiederholt  haben,  gänzlich.  Der  Stuhlgang  stellt  sic 
allmählich  wieder  ein  und  ist  zu  Ende  der  Behandlung  normal  gc 
worden.  Gewicht  77  kg.  Puls  72,  rhythmisch,  äqual,  Blutdruck  150  mn 
Bauchumfang  in  Nabelhöhe  96  cm. 


September  191 4. 


6.  Herr  13.  R.,  52  Jahre  alt.  Pat.  klagt  über  seit  mehren 
ähren  zunehmende  Unsicherheit  beim  Gehen,  die  sich  in  letzter  7e 
dermassen  steigerte,  dass  er  sich  im  Zimmer  nur  schwer  und  aü 
Jwei  bt?ckf  Kestutzt,  fortbewegen  kann.  Da  er  starker  Esser  ist 
'at,  w*zter  bedeutend  an  Gewicht  zugenommen.  Seit 

nehreren  Monaten  Harndrang  und  Inkontinenz  der  Blase  An¬ 
dauernde  Stuhlverstopfung.  Gewicht  97  kg.  Puls  108  hart  emm 
llutdruck  225  mm,  Bauchumfang  in  Nabelhöhe  131cm 

.ersalisKn0Se:  Sderosis  multiplex’  Atonia  intestinalis,  Adipositas  uni- 

,u  30,nPMikat*ioneu-  Wechselgerichtetelmpulse.  10  MA.  —  38  Volt 
3  kg,  -0  Minuten  bis  14  MA.  —  40  Volt,  69  kg,  45  Minuten  Der 
Stuhlgang  bessert  s.ch  wesentlich,  ohne  jedoch  völlig  normal  zu 

\crden-f  kann  a2?  SchIuss  dcr  Behandlung  sich  wesentlich 
echter  fortbewegen.  Das  Allgemeinbefinden  ist  ein  befriedigendes 

J12cmht  kK’  11  S  Blutdruck  150  mrn’  Bauchumfang  in  Nabelhöhe 
/.  Herr  .1.  K.,  52  Jahre  alt.  Im  Anschluss  an  einen  vor  2  Jahren 

;urchgemachten  Muskelrheumatismus  traten  bei  dem  Patienten  Herz" 

•eschw erden  beim  Gehen  oder  selbst  bei  leichter  körperlicher  An- 
trengung  auf,  die  sich  n  krampfartigen,  nach  dem  Rücken  und  in 
en  linken  Arm  ausstrahlenden  Schmerzen  äussern.  Mitunter  Atem 
Schwmdelanfalle.  Gefühl  des  Aufgetriebenseins  und  der  VöTe 
-eit  dieser  Zeit  auch  andauernd  Stuhlverstopfung.  Zweiter  Aorten- 

"wStTÄS  PU,S  9°’  gespannt’  Berück  185  mm. 

J?nafnnut;^y0deg«/er?ti0,  cordis’  °bstipatio  habitualis. 
j  l  '  ^pP*!kab°n^n-  Wechselgerichtete  Impulse.  4  MA  —  18  Volt 
3kg’01|.,M,nutcn  bls,  14  MA-  —  38  Volt,  40  kg.  30  Minuten  Nach 
<wa  8  Sitzungen  stellt  sich  normaler  Stuhlgang  ein  der  für  die  Folge 
nausgesetzt  so  bleibt.  Nach  der  15.  Sitzung  kann  Pat  bereits 
Mchter  gehen  Die  Schwindelanfälle  schwinden  gänzlich  Nach 

gS  aufdem  Vorort  b]-ekt7en  Besch^erdcn  K^hen.  Pat.  kann 
tfiiiui  aus  dem  Vorort,  in  dem  er  wohnt,  den  halbstündigen  Wov 

um  und  vom  Krankenhause  anstandslos  zurücklegen.  Nachdem  sein 

m  hpd  SnCh  hP  °  g!i  emer  Influenza  mit  anschliessender  Bronchitis 
orubergehend  wieder  verschlechtert  hatte,  tritt  nach  weiteren 
Applikationen  völlige  Euphorie  ein,  so  dass  er  sogar  leichtere 

Gewicht  86 kg’ Herztö-  «*■. 

ir  ia'eall“gM?le  sWzzVrf  "  Z”  Vermei<I“n8:  ™"  Wiederhol,,,, een 

,  .?•  Berr  Fh.  B.,  32  Jahre  alt.  Diagnose:  Adipositas  universalis 

'0  cm  Pu  s  7?arlivthQeWiCh--  102i  kgA,  Bauchumfang  in  Nabelhöhe 
.  cm.  Duls  78,  rhythmisch,  aqual.  Blutdruck  145  mm  S5  Anni; 

itionen  Wechselgerichtete  Impulse;  10  MA  —  40  Volt  23kv~ 

.  Minuten  bis  16  MA.  -  50  Volt,  100  kg,  30  Minuten.  Gewicht  96  kg 

lutdrS^lS  mmNaS  She  109  Cm',  Püls  76’  rhythmisch,  äqual 
lutdruck  155  mm.  Stuhlgang  normal.  Patient  fühlt  sich  körperlich 
id  geistig  erfrischt  und  leistungsfähig.  Körperlich 

9.  Frau  K.  K.,  48  Jahre  alt.  Diagnose:  Adipositas  universalis 

»9  cm  "SÄvSr  kt  Bauchumfang  in  Nabelhöhe 
y  cm.  I  uls  90  rhythmisch,  inaqual.  Blutdruck  170  mm  ?5  Amili 
tionen  Wechselgerichtete  Impulse.  6  MA.  —  24  Volt  20  kv 
1  Minuten  bis  10  MA.  —  30  Volt,  40  kg,  30  Minuten  Gewich? 

k?’  AnnVtUr  fang  in  Nabelhöhe  90  cm.  Puls  78.  Stuhlgang  von 
ln APpllkatl°n  an  normal,  täglich  1-2  mal. 

1  ))  Erau  A.  R„  23  Jahre  alt.  Diagnose:  Erschlaffung  der  Bauch 

3  cm  POPuräUmRInSeWi?\^500  kg’  Bauchumfang  in  Nabelhöhe 
•rirhTetP  ?4,  B  ntd/,u*ck  125  mm-  18  Applikationen.  Wechsel- 

24  Vnb  ^o  lSe’ ~  32  Volt-  13  k-  15  Minuten  bis  B  MA 
-4  Volt,  30  kg  30  Minuten.  Gewicht  69,500  kg.  Puls  78  Blut 
tick  145  mm.  Bauchumfang  in  Nabelhöhe  88  cm. 

ruu  t.  O.,  42  Jahre  alt.  Diagnose:  Adipositas  universalis 

0  "m  m  Pui‘sna«4'  hP td"iChi  ^sn°°  kg‘  Bauchlimfang  in  Nabelhöhe 
i-iÄ«  i  f4’  B  atd[uck  189  "im.  19  Applikationen.  Wechsel- 

30  Volt  "s?  kv  an  m  T  30  X°!t’  28  kK-  15  Mimiten  bis  12  MA. 

Mi  i? -i  ,  kg’  3b  Minuten.  Gewicht  95,400  kg  Bauchumfnnv 

Nabelhohe  108  cm.  Puls  76.  Blutdruck  165  ccm  sfuhlganfvon 
a  Aprihliatmn  an  täglich  ohne  Nachhilfe  normal. 

w  cht  6aU4()0r'w  V7  iahr?  aIt  •  Diagnose:  Obstipatio  habitualis. 
utdruck  HS  mm  7aUA  Um  ai-g  1,1  Nabeiböhe  97  cm.  Puls  78, 
MA  —  3P  Vrdf  ?n  V  A,PsP  äa  ?Cnl  Wechselgerichtete  Impulse. 

*  3"  V?  ’  29  kK’  5  Minuten  bis  14  MA.  —  36  Volt  40  k"- 

uWrSckeT55  mnT'ChSr  H  kg'  Bauchumfang  in  Nabelhöhe '92  cm! 
h  normal  55  Stuhigan8:  von  der  vierten  Applikation  an  täg- 

widit  b69asnn  kP"  u  Jnhref  aIt  •  Dl'aKnose:  Obstipatio  habitualis. 
i  mm  af°Akgr.  Bauchllmfa»g  m  Nabelhöhe  103cm.  Blutdruck 
Vn,r  4  A?n  Matl°*nen',  Wechselgerichtete  Impulse.  8  MA.  — 

:  Wicht  68  kV  Ba  r  fn  blS-  10mMuA;.~  28  Vo,t’  45  kK-  30  Minuten. 
ch  h  a  vl  Bauchumfans  m  Nabelhöhe  93  cm.  Blutdruck  160  mm 

5hÄTÄ.Sich  »Wich  normaler  Stuhlgang  e™i 
'lanfäJle  heim  r^'e  HlS  ,daBin  ziemlich  heftig  auftretenden  Schwin- 
Itinn  C  m  Gchen  bedeutend  nach.  Von  der  15.  bis  30  Appli- 
i  och  SeÄ  SifChidCr  ZTUstand  der  Pa‘ientin  neuerlich,  um 
14  hJ  a  C,b  zar  ,fr,uheren  Besserung  zurückzukehren. 

»nia  enh rP  p,',i  'aP  m  ^  altl  PiaKnose:  Neurasthenia  universalis, 
seriehn  ie  ,Jn  ?  Blutdruck  190  mm.  88  Applikationen.  Wcch- 
.er.chtete  Impulse.  4  MA.  -  12  Volt,  15  kg.  15  Minuten  bis 
Nr.  35 


MUENCHKNER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1S7.3 


14  MA.  —  30  Volt,  50  kg.  30  Minuten.  Puls  84.  Blutdruck  140  mm 
häuf,VUStnld  d|f  P,atientcn  wechselt  während  der  Behandlung  überaus 
Der  knnHcI  ^tuhlgäng  wird  tagelang  normal,  dann  wieder  träger, 
stfmmn?  u  d  cmKenommen,  bald  frei.  Ebenso  zeigt  die  üemüts- 
.  timmung  sich  grossem  Wechsel  unterworfen.  Erst  von  der  69  Appli 

lauf  anhält  ‘  ”C  SiCht'iChC  Besserung  zutage,  die  im  weiteren  Ver- 

Puk  X4  Firi: !;/•’  ,131Jcahrc  a,t-  Diagnose:  Neurosis  cordis,  Anacmia 
Impulse  B,atdruck  !50  mm  17  Applikationen.  Wcchselgerichtete 
M-  *  ~  18,°lt,  13  k8-  10  Minuten  bis  8  MA.  —  24  Volt 
anfir^t2  Puls  84-  Blutdruck  150.  Die  oft  ganz  unvermittelt 

auftretenden  Schmerzen  in  der  Herzgegend,  Herzklopfen  Anvstve  ühlP 

nehmeminden  ganzhcb-  Patientin  kann  den  Schulbesuch  wfeder  auf- 

bei  diesem Hpatientim  ’vn3  Jal're  aIt'  Bjasnose:.  Kardiospasmus.  Der 
u  aiesem  Datienten  vorgenommene  Versuch  einer  Behandhmv  mit 

Kondensatorent  adungen  verschaffte  ihm  zwar  vorübergehend  einige 
Erle'chterung,  konnte  jedoch  mit  Rücksicht  auf  die  Schwere  des  Lei 

dieses  VeShtfVTdeni  B1en  ■ llalbe"  Monat  nilch  Bcc"di- 
in  Plötzlichem  KoUaps  der  Tod  e^"he™em  rela,i'"!”  Wohlbefinden 

Puls  HeRi,näP'’i39i^rhre  alt‘  Diasnose:  Neurasthenia  universalis 

Impulse  6  MArUCti8?  vmHk  w'  A9P'ikationep-  WechselgericSe 
4,,  „  ~  \8  yolt’  15  kg’  20  Minuten  bis  8  MA  —  22  Volt 

MlAnutf.V-  PMs  90.  Blutdruck  170  mm.  Patient  fühlt  sich 
nach  jeder  Applikation  körperlich  gekräftigt  und  geistm  leistunvs 

funhrari,brechVe0„rhermehe"er  Qeschäf,e  mlTSelS 

lor um ^e t^^rt i rVi'l n nim^7  nahre  alt‘  Diagnose:  Rheumatismus  muscu- 
,et  articulorum  chronicus.  Puls  84.  Blutdruck  235  Hand 
und  Kniegelenke  rechts  wie  links  stark  geschwollen.  d^ckempfindlich" 
,ffi7v  tWCgU/,g,en,Und  beim  Gchen  z'ernlich  heftige  Schmerzen  in  den 

katiririen n  zugehörigen  Muskelgruppen.  62  Appli¬ 

kationen.  Wechselgerichtete  Impulse.  Rücken-,  Gesäss-  Bamh 

Unterarm-  und  Oberschenkelelektroden.  10  MA  —  ?2  Volt  25  kv’ 

BlntdlSS“,«'8  10  v°"-  60  kg*  30  Minntem  Pids  82 

fr,ck  165  U]m-  Die  Schmerzen  in  den  affizierten  Gelenken  und 

ÄÄSAfaE“* 

5?Ä  gsa  bafd  ÄLSä-JS”-  ““  “‘SSTÄ 

4  Proz  ZuckerK'  Puk  1s  J rVm alt\  Diagnose:  Diabetes  mellitus. 

auf  2,7  Proz.  gesunken  war,  tritt  unter  dem  Einfluss  -der  Kondensator 

v^adTgfSbdehandlung  sehr  rasch  eine  wesentliche  Besserung  des  All' 
gerneinbefmciens  in  die  Erscheinung,  indem  sich  Appetit  und  Kräfte 

denUH  Di?7n  nk  d‘e  VOnrhe,r  bestehenden  Muskelschmerzen  verschwin¬ 
den  Die  Zuckerausscheidung  lässt  nach  und  ist  bald  auf  0  Proz  ve 

werden'.  °,Zdem  bls  z“  100  g  Kohlehydrate  verabrei?M 

Rll1.  ,20’  fe/,r.B'  L-,  f9  Jahre  alt.  Diagnose:  Arthritis  urica  Puls  76 

zehengUe^enk55undm'Baf|tarke  ^cbwebung  pnd  Rötung  am  rechten  Gr  Js^ 

gSete  Irnouie0  R?r1cpnch  rerz-n-  n  Appl»ka tionen.  Wechsel- 

MA  22  Vn  t%n  R^  kin  ÄAQeraSSi.  Bauch-  UIld  B^selektroden. 

c\j  Kg,  10  Minuten  bis  14  MA  _  mn  i 

SSÄÄSä  kaTn.'5  VMUU  so  dass  PaS 

Puls  84  BIufdruck^70mniJa4rep  alt-  7Diagno,se:  Diabetes  mellitus, 
kationeii.  t  SS hTeTe  ^ J?g  Ä  k’5  ,« 

&  SÄ!" 

sank  Im  weiteren  Verlauf  der  Behandlung  trat  trotz  Zuführ  von 
lassen  rasch  nach  und  verschwinden  gänzlich  uurtetschmerzen 

unteren  “efTnken^stark  ertwlckel?' 

<£S;  ’ÄÄkr 

ÄS,  ÄÄOÄ 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  35. 


l_S/4 

38  Volt,  70  kg,  30  Minuten.  Gewicht  81  kg.  Bauchumiang  in  Nabel¬ 
höhe  86  cm.  Puls  72.  Blutdruck  145  mm.  Die  Bauchdecken  sind 
straffer,  weniger  fettreich;  der  Stuhlgang  nach  wenigen  Applikationen 
täglich  normal. 

25.  Frau  L.  M..  57  Jahre  alt.  Diagnose:  Adipositas  universalis. 
Gewicht  73  kg.  Bauchumfang  in  Nabelhöhe  110  cm.  7  Applikationen. 
Wechsclgcrichtcte  Impulse.  8  MA.  —  26  Volt,  25  kg,  15  Minuten  bis 
10  MA.  —  30  Volt,  45  kg,  20  Minuten.  Gewicht  70  kg.  Bauchumfang 
in  Nabelhöhe  100  cm.  Patientin  muss  infolge  häuslicher  Verhältnisse 
die  Kur  abbrechen. 

26.  Frau  Fl.  K.,  36  Jahre  alt.  Diagnose:  Adipositas  universalis. 
Gewicht  75.500  kg.  Bauchumfang  in  Nabelhöhe  113  cm.  Puls  78. 
Blutdruck  155  mm.  15  Applikationen.  Wechselgerichtete  Impulse, 
g  MA.  —  20  Volt,  25  kg,  15  Minuten  bis  12  MA.  —  36  Volt,  55  kg, 
30  Minuten.  Gewicht  72  kg.  Bauchumfang  in  Nabelhöhe  106  cm. 
Puls  84.  Blutdruck  135  mm. 

27.  Herr  Ph.  W.,  69  Jahre  alt.  Diagnose:  Adipositas  universalis, 
Arteriosclerosis,  Fmphysema  pulmonum.  Gewicht  96  kg.  Bauch¬ 
umfang  in  Nabelhöhe  132  cm.  Puls  78.  Blutdruck  210  mm.  16  Appli¬ 
kationen.  Wechselgerichtete  Impulse.  6  M.A.  —  24  Volt,  35  kg, 
10  Minuten  bis  10  MA.  —  32  Volt,  50  kg,  30  Minuten.  Gewicht  92  kg. 
Bauchumfang  in  Nabelhöhe  126  cm.  Puls  78.  Blutdruck  160  mm. 

Die  hier  angeführten  Daten  bestätigen  im  allgemeinen 
meine  zu  Anfang  dieser  Arbeit  niedergelegten  Beobachtungen. 
Die  Auswahl  der  mir  zur  Verfügung  stehenden  Fälle  war  keine 
grosse.  Immerhin  aber  ist  aus  dem  Gesagten  ersichtlich,  dass 
durch  fortgesetzte  Beobachtungen  und  intensive  Arbeit  auf 
diesem  Gebiet  die  Aussicht  besteht,  die  mittels  meines  Dc- 
grassators  applizierten  Kondensatorentladungen  therapeutisch 
nutzbringend  zu  verwerten. 


Aus  der  II.  medizinischen  Klinik  der  Kölner  Akademie  für  prak¬ 
tische  Medizin  (Direktor:  Prof.  Dr.  Moritz). 

Unsere  Erfahrungen  mit  der  Phenolsulfophthalein-Methode 
als  Prüfungsmittel  der  Nierenfunktion. 

Von  Dr.  Otto  Hess,  Assistenzarzt  der  Klinik. 

(Schluss.) 

II. 

ln  praktischer  Hinsicht  für  eine  rationelle  Diätetik  der 
Nephritiker  scheint  es  in  erster  Linie  von  Interesse,  zu  wissen, 
inwieweit  unsere  Nierenkranken  etwa  Kochsalz  und  Stickstoff 
retinieren.  Die  exakte  Anwendung  der  bezüglichen  Funktions¬ 
proben  erfordert  aber  die  Hilfsmittel  eines  Laboratoriums. 
Zudem  ist  nicht  zu  vergessen,  dass  die  bei  der  Kochsalzprobe 
übliche  Belastung  der  Nieren  mit  10  g  NaCl  unangenehme 
Folgeerscheinungen  zeitigen  kann.  So  betont  C  o  n  z  e  n,  dass 
durch  eine  Gabe  von  10  g  NaCl  die  Eiweissausscheidung,  die 
Wasserretention  und  das  ganze  Krankheitsbild  sich  bei  echter 
Nephritis  verstärken  können.  Auch  wir  haben  wiederholt  der¬ 
artiges  gesehen. 

Es  wäre  deshalb  sehr  erwünscht,  wenn  die  Phthaleinaus¬ 
scheidung  annähernd  parallel  mit  der  NaCl-  und  Stickstoff¬ 
ausscheidung  ginge 8 *).  Dadurch  wären  wir  in  die  Lage  ver¬ 
setzt,  mittels  einer  einfacheren  Methode  das  gleiche  Ziel  zu 
erreichen. 

Die  Frage  eines  solchen  Parallelismus  berühren  mehrere 
schon  vorliegende  Untersuchungen. 

Deutsch  und  Schmuck ler  finden,  dass  —  abgesehen 
von  den  unkompliziert  degenerativen  Gefässerkrankungen  der 
Niere  und  den  akut  entzündlichen  Glomerulonephritiden  — 
die  Phthaleinprobe  der  S  c  h  1  a  y  e  r  sehen  Methode  (NaCl, 
Jod,  Milchzucker)  zumindest  gleichwertig  ist,  vor  ihr  aber  den 
grossen  Vorteil  der  Einfachheit  habe. 

Nach  K  e  y  e  s  und  Stevens  soll  ein  Parallelismus  in 
der  Ausscheidung  des  Phthaleins  und  des  Harnstoffes  bestehen. 
Christian  spricht  von  dem  prognostischen  Wert  der  Me¬ 
thode,  da  sich  bei  starker  N-Retention  im  Blut  eine  ver¬ 
minderte  Phthaleinausscheidung  fände. 


8)  Nach  den  schönen  Untersuchungen  Schlayers  soll  das  Koch¬ 
salz  und  Jod  in  den  Tubulis  zur  Ausscheidung  gelangen;  hier  wird 
wohl  z.  T.  auch  die  Harnstoffelimination  stattfinden.  Aus  den  Unter¬ 
suchungen  von  Abel  und  Rowntree  am  Frosch  ergibt  sich,  dass 
das  Phthalein  ebenfalls  hauptsächlich  von  den  Epithelien  der  Tubuli 
ausgeschieden  wird,  es  wäre  somit  in  Parallele  zum  Kochsalz  und  Jod 
zu  setzen.  All  diese  Dinge  sind  jedoch  —  auch  nach  unseren  klini¬ 
schen  Erfahrungen  —  noch  nicht  spruchreif,  und  ich  möchte  besonders 
im  Rahmen  dieser  Arbeit  nicht  weiter  darauf  eingehen. 


Ich  selbst  habe,  seitdem  ich  überhaupt  die  Phthalein- 
methode  anwende,  soviel  Paralleluntersuchungen  als  möglich 
gemacht.  Dass  man  solche  Kontrolluntersuchungen  nur  bei 
einer  beschränkten  Anzahl  von  Pat.  ausführen  kann,  hat  z.  T. 
seinen  Grund  in  der  immerhin  oft  recht  lästigen  gleichförmigen 
Diät,  die  man  nicht  gerne  ohne  triftigen  Grund  gibt,  z.  T. 
aber  in  der  oben  erwähnten  Befürchtung,  durch  die  Zulage 
von  10  g  Kochsalz  Schaden  zu  stiften. 

Nach  meinen  Untersuchungen  (etwa  35  Fälle)  ergibt  sich, 
dass  in  allen  Fällen,  in  denen  NaCl  bei  der  Belastung  schlecht 
ausgeschieden  wurde  oder  bei  denen  eine  Retention  von  NaCl 
bestand,  auch  stets  die  Phthaleinkurve  einen  abnormen  und 
zwar  etwa  der  Schwere  der  Störung  der  Salzelimination  ent- , 
sprechenden  Verlauf  hatte“).  Niemals  habe  ich  bei  guter 
Phthaleinausscheidung  eine  abnorme  Kochsalzelimination  be¬ 
obachten  können.  Auch  der  schlechten  Harnstoffausscheidung, 
scheint  nach  meinen  bisher  allerdings  noch  nicht  zahlreichen 
Vergleichsuntersuchungen  stets  eine  Herabsetzung  der  Pro-; 
zente  Phthalein  zu  entsprechen. 

Hier  möchte  ich  gleichzeitig  erwähnen,  dass  die  Jodaus-; 
Scheidung  auch  zumeist  völlig  parallel  der  Phthaleinaussehe:- 
dung  ging. 

Ebenso  war  das  Verhältnis  des  Diastasegehaltes  im  Urin, 
zum  Ablauf  der  Phthaleinkurve  fast  stets  ein  übereinstimmen¬ 
des.  Besonders  bei  den  chronisch-interstitiellen  Nephritiden 
trat  ein  Parallelismus  im  Ausfall  der  Wohlgemut  sehen 
Diastase-  und  der  Phthaleinprobe  hervor. 

In  bestimmten  Fällen  ergab  freilich  die  Diastaseprobe  eklatantere 
und  dem  klinischen  Bilde  mehr  entsprechende  Werte  als  die  Phthalein- 
probe,  eine  Tatsache,  die  für  die  Güte  der  Wohlgemut  sehen 
Probe  spricht;  sie  leistet  vor  allem  auch  vorzügliches  bei  der  Fest¬ 
stellung  einseitiger  Nierenerkrankungen  10). 

Zu  etwa  gleichen  Resultaten  bezüglich  der  Diastaseprobe 
sind  Rowntree  und  Geraghty,  Geraghty,  Rown¬ 
tree  und  Gary  und  G  e  y  e  1  i  n  gekommen. 

Nach  alledem  kann  man  sagen,  dass  wir  in  der  Phthalein¬ 
methode  eine  einfache  Nierenfunktionsprobe  haben,  deren  Aus¬ 
fall  uns  zugleich  ein  Urteil  darüber  erlaubt,  ob  der  untersuchte 
Patient  Kochsalz  und  Harnstoff  gehörig  zur  Ausscheidung 
bringt.  Wenn  wir  in  dieser  Hinsicht  auch  nach  dem  Ausfall 
der  Probe  nicht  differenzieren  können,  ob  etwa  nur  NaCl  oder 
nur  Stickstoff  schlecht  ausgeschieden  wird,  ist  das  nicht  von 
grossem  Belang.  Denn  wir  wissen,  dass  in  der  Mehrzahl  der 
Fälle  diese  beiden  Funktionen  gleichzeitig  gestört  sind  10*).  Wir 
werden  also  bei  abnormem  Kurvenablauf  auf  jeden  Fall  die 
Kochsalzzufuhr  einschränken,  aber  stets  auch  auf  Vermin¬ 
derung  des  Stickstoffgehaltes  der  Nahrung  sehen. 

Man  könnte  sich  zwar  auf  den  Standpunkt  stellen,  dass 
man  ohnehin  bei  jeder  Nephritis  so  Vorgehen  wird.  Aber  auch 
dann  würde  die  Phthaleinprobe  für  den  in  Rede  stehenden 
Zweck  nicht  an  Wert  verlieren.  Denn  es  ist  eben  nicht  jede 
„Nephritis“  so  einfach  mittels  der  übrigen  gebräuchlichen 
Methoden  zu  erkennen.  Gerade  darin  liegt  ein  Hauptwert 
der  Probe,  dass  sie  uns  in  solchen  Fällen  —  wie  wir  weiter 
unten  sehen  werden  —  sehr  rasch  Klarheit  verschafft. 

Wir  kommen  zur  Besprechung  der  Phthaleinkurve  bei 
Nierenkranken. 

Beginnen  wir  mit  der  häufigsten  und  oft  am  schwersten 
zu  erkennenden  Form:  der  chronischen  interstitiellen  Ne¬ 
phritis. 

Es  hat  sich  hier  in  einer  sehr  grossen  Zahl  von  Unter¬ 
suchungen  einwandfrei  gezeigt,  dass  die  Phthaleinprobe  uns 
stets  die  bestehende  Erkrankung  durch  Abnormitäten  im  Kur- 
venverlauf  anzeigt.  Es  kann  der  Beginn  der  Ausscheidung 
verzögert  sein  (in  der  ersten  Viertelstunde  noch  keine  mess¬ 
baren  Werte),  die  Kurve  kann  erst  am  Ende  der  ersten  Stun¬ 
den  oder  noch  später  ihren  Höhepunkt  erreichen,  der  normale' 
typische  ständige  Abfall  vom  Gipfel  zum  Nullpunkt  der  Aus¬ 
scheidung  kann  durch  erneute  Zacken u)  unterbrochen  sein, 


8)  Darauf  habe  ich  schon  Ende  1913  hingewiesen,  M.m.W.  19U 

I.  c. 

10)  Caan:  Eine  Arbeit  über  die  W  o  h  1  g  e  m  u  t  sehe  Diastase¬ 
probe  erscheint  demnächst. 

10*)  Im  Rahmen  dieser  Arbeit  kann  ich  nicht  näher  auf  die 
isolierte  Schädigung  der  NaCl-  oder  N-Ausscheidung  eingehen. 

“)  Siehe  auch  Behrenroth  und  Frank. 


1.  September  1914. 


MUenchener  medizinische  Wochenschrift. 


l87o 


die  aufgeschiedene  Prozentmenge  kann  unter  der  Norm  blei¬ 
ben.  Häufig  sieht  man,  dass  sieh  nach  mühsamem  Anstieg  die 
Ausscheidung  des  Phthaleins  längere  Zeit  auf  fast  gleicher 
Höhe  hält.  Ich  möchte  darin  in  Analogie  zu  S  c  h  1  a  y  e  r  von 
einer  Starre  der  Ausscheidung  sprechen,  die  um  so  grösser 
sein  kann,  je  schwerer  die  Erkrankung  ist. 


Kurve  2. 


Kurve  3. 


Es  Hessen  sich  da  unzählige  Varietäten  der  Ausscheidung 
anführen,  die  Deutsch  versucht  hat,  in  4  Gruppen  zu  teilen. 
Ich  für  meinen  Fall  möchte  sagen:  fast  jeder  Fall  ist  anders. 
Beim  Vergleich  mit  meiner  Normalkurve  lässt  sich  jedoch 
•eicht  jede  gröbere  Abweichung  feststellen  (s.  Kurve  2  und  3). 

Was  nun  die  Verwertbarkeit  der  Phthaleinmethode  zur 
Charakterisierung  der  Schwere  des  Falles  anlangt,  so  scheinen 
wir  nach  allem,  was  bisher  in  der  Literatur  berichtet  ist,  und 
was  wir  aus  unseren  Untersuchungen  schliessen  können,  für 
die  Mehrzahl  der  Fälle  berechtigt  zu  sein,  auch  hierin  von 
einem  Parallelismus  zu  dem  Ablauf  der  Phthaleinkurve  zu 
sprechen.  Doch  scheint  es  von  dieser  Regel  Ausnahmen  zu 
geben. 

So  warnt  F  o  s  t  e  r  vor  einer  Ueberschätzung  unserer 
Nierenfunktionsmethoden;  er  hat  Fälle  von  Urämie  beobachtet, 
bei  denen  kurz  vor  dem  Tod  die  Phthaleinausscheidung  nor¬ 
male  Werte  gab;  ferner  solche,  die  unter  analogen  Verhält¬ 
nissen  keine  Erhöhung  des  Reststickstoffes  im  Blut  zeigten. 
Desgleichen  berichten  Pepper,  Perry  und  Austin  von 
2  Fällen  von  chronischer  Nephritis  (verzögerter  Chlorausschei¬ 
dung),  die  eine  normale  Phthaleinausscheidung  hatten. 

Ware  spricht  sogar  von  einer  völligen  Wertlosigkeit  der 
ganzen  Methode  als  Nierenfunktionsprüfung,  da  sie  nur  zur 
Bestimmung  der  wahren  Harnazidität  in  Betracht  käme.  Im 
Gegensatz  dazu  sagen  Boy d,  Gardner  u.  a.,  dass  die 
Menge  des  ausgeschiedenen  Farbstoffes  stets  genau  im  direkten 
Verhältnis  zur  Schädigung  des  Nierenparenchyms  steht;  es 
gäbe  keinen  pathologischen  Prozess,  bei  dem  Phthalein  ver¬ 
mehrt  ausgeschieden  würde. 

Auch  Goodmann  sieht  die  Phenolsulfophthaleinprobe 
als  die  beste  Nierenfunktionsprüfung  an. 

Nach  den  Erfahrungen  Rowntrees  und  Geraghtys 
u.  a.  sieht  man  gerade  bei  Urämie  die  allerschlechteste  Phtha¬ 
leinausscheidung,  es  kann  sogar  soweit  kommen,  dass  über¬ 
haupt  kein  Farbstoff  mehr  eliminiert  wird.  Solche  Fälle  hat 
auch  Sehrt  gesehen,  und  Rowntree  und  Geraghty  be¬ 
zeichnen  dies  als  ein  Omen  pessimum.  Sie  konnten  lediglich 
aus  dem  so  eklatant  schlechten  Ausfall  ihrer  Proben  die  Dia¬ 
gnose  auf  drohendes  Coma  uraemicum  stellen. 


Auch  in  unseren  Fällen  war  da,  wo  wir  eine  ganz  minimale 
Ausscheidung  bekamen,  die  Prognose  tatsächlich  die  schlech¬ 
teste:  wurde  gar  kein  Phthalein  mehr  sezerniert,  so  trat  in 
der  Regel  schon  nach  kurzer  Zeit  der  Tod  ein.  Man  ist  also 
wohl  berechtigt,  aus  einem  völlig  negativen  Ausfall  der  Phtha¬ 
leinprobe  auf  einen  baldigen  Exitus  zu  schliessen.  Umgekehrt 
habe  ich  bei  einem  urämisch  in  die  Klinik  eingelieferten 
Patienten  wesentlich  mehr  Prozent  Farbstoff  erhalten,  als  dies 
sonst  bei  Urämie  der  Fall  war;  die  daraus  gestellte  bessere 


Prognose  wurde  durch  den  weiteren  Verlauf  bestätigt.  Auch 
die  Phenolphthaleinkurve  besserte  sich,  blieb  jedoch  unter¬ 
normal. 

Die  diagnostische  Bedeutung  der  Phthaleinprobe  liegt  auch 
darin,  dass  sie  ohne  weiteres  auch  bei  Komatösen  ausgeführt 
werden  kann,  wie  wir  dies  wiederholt  getan  haben.  Rown¬ 
tree  und  Geraghty  haben  auch  darauf  hingewiesen,  dass 
man  bei  klinisch  unklaren  urämischen  komatösen  Zuständen 
durch  den  Ausfall  der  Probe  rasch  entscheiden  kann,  ob  die 
Niere  im  Vordergrund  der  Erkrankung  steht. 

Ehe  wir  das  Gebiet  der  chronischen  Nephritis  verlassen, 
muss  noch  besonders  auf  eine  Gruppe  von  Kranken  ein¬ 
gegangen  werden,  bei  der  die  Probe  vorzügliches  leistet.  Es  sind 
dies  alle  jene  Fälle,  bei  denen  es  uns  —  besonders  aber  dem 
Praktiker  in  der  Sprechstunde  —  bei  einmaliger  Untersuchung 
oft  n'cht  gelingen  kann,  mit  Hilfe  unserer  bisherigen  Methoden 
zu  sagen,  ob  die  Niere  im  Vordergrund  der  Erkrankung  steht. 
Wir  wissen,  dass  Patienten,  die  oft  mit  der  Klage  über  Herz¬ 
klopfen  und  zeitweiligen  Kopfschmerz  zu  uns  kommen,  und 
|  bei  denen  wir  dann  neben  einer  geringen  Verbreiterung  des 
Herzens  einen  erhöhten  Blutdruck12)  finden,  zumeist  an  chroni¬ 
scher  Nephritis  leiden.  Wir  wissen  aber  auch,  dass  man  ge- 
lade  in  solchen  Fällen  oft  nichts  Pathologisches  im  Urin  findet, 
wodurch  man  leicht  von  der  richtigen  Diagnose  abgelenkt  wird. 

Hier  erfahren  wir  rasch  und  einfach  durch  die  Phthalein¬ 
kurve,  inwieweit  die  Niere  tatsächlich  erkrankt  ist.  Unter¬ 
sucht  man  dann  solche  Fälle,  die  zuerst  nichts  Pathologisches 
im  Urin  aufwiesen,  jedoch  Phthalein  schlecht  ausschieden,  täg¬ 
lich  auf  das  allergenaueste,  so  zeigt  sich  fast  stets,  dass  sich 
eben  doch  ab  und  zu  eine  Spur  Eiweiss  und  Zylinder  im  Urin 
finden.  Desgleichen  ergibt  in  solchen  Fällen  die  NaCl-Aus- 
scheidung  zumeist  eine  Abweichung  von  der  Norm.  Ueber 
letzteren  Punkt  sind  meine  Untersuchungen  indessen  noch  nicht 
abgeschlossen. 

Auch  Sehrt  hebt  hervor,  dass  Fälle,  die  klinisch  erst 
keine  Symptome  zeigten,  entsprechend  der  Phthaleinausschei¬ 
dung  sich  doch  als  nierenkrank  erwiesen  3a). 

Für  die  chronische,  mit  Hypertonie  einhergehende  Nephri¬ 
tis  hat  die  Rowntree  und  Geraghty  sehe  Probe  grosse 
Bedeutung,  da  sie  uns  hier  in  diagnostischer  und  prognostischer 
Beziehung  sehr  gute  Dienste  leisten  kann.  Im  Verlauf  der  Er¬ 
krankung  wiederholte  Phthaleinproben  belehren  uns,  inwieweit 
sich  der  Kranke  gebessert  hat  resp.  ob  die  Erkrankung  über¬ 
haupt  durch  unsere  Massnahmen  wesentlich  zu  beeinflussen  ist. 

Noch  nicht  so  eindeutig  hegen  die  Verhältnisse  bei  den 
akuten  Nephritiden  und  den  Nephrosen. 

So  sagen  Deutsch  und  Schmuckler:  „Wie  bei  den 
degenerativen  Gefässerkrankungen  kann  sich  das  Phenolsulfo- 
phthalein  also  auch  bei  entzündlichen  glomerulären  Affektionen 
zur  Feststellung  des  vorhandenen  Nierenprozesses  als  un¬ 
geeignet  erweisen.  Es  ist  nur  noch  zu  betonen,  dass  in  solchen 
Eällen  auch  die  S  c  h  1  a  y  e  r  sehen  Prüfungsmethoden  nicht 
wesentlich  mehr  sagen.“ 

Dietsch  trennt  von  den  akuten  Nephritiden,  bei  denen 
in  drei  untersuchten  Fällen  wohl  entsprechend  der  Schwere 
die  Farbstoffausscheidung  nur  wenig  unter  der  Norm  war, 
jene  Formen  ab,  die  fast  ausschliesslich  die  Glomeruli  betreffen, 
so  die  nach  Scharlach  und  die  im  Sekundärstadium  der  Sy¬ 
philis.  Bei  den  letzteren  zeigte  sich  ein  schöner  Parallelismus 
zwischen  den  klinischen  Erscheinungen  und  der  Phthaleinaus¬ 
scheidung.  Was  die  Scharlachnephritiden  anlangt,  so  Hessen 
sich  zwar  durchgehende  Regeln  nicht  aufstellen;  es  ergab  sich 
aber  doch,  dass  weitgehende  Beziehungen  zwischen  der 
Schwere  des  Krankheitsbildes  und  der  Menge  des  ausgeschie¬ 
denen  Farbstoffes  bestanden.  Behren  roth  und  Frank 
betonen  in  bezug  auf  die  Feinheit  der  Methode,  dass  man  schon 
Nierenschädigungen  (so  besonders  im  Verlauf  von  Scharlach) 
nachweisen  könne,  ehe  solche  klinisch  erkennbar  wären.  Nach 
F  i  s  h  b  e  i  n  scheint  während  der  letzten  Stadien  (3.— 5.Woche) 
des  Scharlachs  eine  allgemeine  Herabminderung  der  Nieren- 


)  Moritz:  Ein  neues,  leicht  transportables  Instrument  zur 
Blutdruckmessung.  Rhein.-westf.  Gesellschaft  für  inn.  Med..  Bonn 
17.  V,  14.  Zu  beziehen  von  Faust,  Köln  a.  Rh.,  Lauggasse. 

u)  Anmerkung  nach  Abschluss  der  Arbeit:  Aehnlich  äussert  sich 
auch  Hessel. 


1876 


Nr.  35. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


funktion  zu  bestehen;  allerdings  hat  er  auch  in  zwei  mit  akuter 
Nephritis  vergesellschafteten  Fällen  eine  normale  Ausscheidung 
gesehen;  andererseits  beobachtete  er  eine  ausgesprochene 
Funktionsstörung  dann,  wenn  zwar  Eiweiss  im  Urin  fehlte,  die 
betr.  Patienten  aber  über  Kopfschmerzen  und  Erbrechen 
klagten. 

Meine  Untersuchungen  erstrecken  sich  auf  eine  grössere 
Reihe  sogen,  akuter  und  subakuter  parenchymatöser  Nephri¬ 
tiden  (F.  Müllers  „Nephrosen“)  mit  bekannter  und  unklarer 
Aetiologie.  Reine  Fälle  von  akuter  Glomerulonephritis  (aut- 
optisch  bestätigt)  habe  ich  bisher  nicht  untersuchen  können. 

Wenn  wir  auch  Zweideutigkeiten  und  oft  in  krassem 
Widerspruch  zur  Klinik  stehende  Befunde  bekommen  haben, 
so  möchte  ich  dies  zum  Teil  dadurch  erklären,  dass  wir  ja 
gerade  in  der  Einteilung  der  „sogen,  akuten  Nephritis  und  der 
Nephrosen“  noch  recht  unklare  und  in  keiner  Weise  überein¬ 
stimmende  Begriffe  haben.  So  ist  ja  gerade  die  parenchyma¬ 
töse  Entzündung  eines  der  strittigsten  Gebiete  der  Nieren¬ 
pathologie,  was  durch  die  Worte  A  s  c  h  o  f  f  s,  „dass  hier  jeder 
Pathologe  sein  eigenes  Glaubensbekenntnis  habe“,  treffend 
charakterisiert  wird. 

Bei  klinisch  etwa  gleichen  Krankheitsbildern  (reichlich 
Eiweiss  und  Formelemente,  Oedeme,  NaCl-Retention,  aber 
relativ  gute  Ausscheidung  bei  der  Belastung,  normale  Jodaus¬ 
scheidung  =  akute  [event.  hämorrhagische]  parenchymatöse 
Nephritis,  alter  Bezeichnung)  fand  sich  eine  meist  nur  wenig 
abnorme  Phthaleinkurve;  wenn  schon  in  einzelnen  Fällen  ein 
gewisser  Parallelismus  mit  der  Schwere  des  Falles  da  war, 
so  zeigten  wieder  andere  trotz  schwerster  klinischer  Erschei¬ 
nungen  eine  fast  normale,  einmal  sogar  reichlich  normale  Farb- 
kurve. 

Im  Verlauf  der  Erkrankung  konnte  ich  dann  wiederholt  die 
gleiche  Beobachtung  machen;  während  die  einen  Patienten 
unter  Besserung  des  klinischen  Bildes  bald  auch  das  Phthalein 
völlig  normal  eliminierten,  wurde  bei  anderen  trotz  scheinbarer 
Besserung  die  Farbstoffausscheidung  schlechter.  Gleichzeitig 
verschlechterte  sich  auch  die  Diastase  und  NaCl-Ausschei- 
dung  in  drei  Fällen.  Auffallend  ist,  dass  in  all  den  Fällen  (siehe 
auch  Tabelle  von  D  i  e  t  s  c  h),  in  denen  trotz  hohem  Eiweiss¬ 
und  Zylindergehalt  des  Urins  die  Phthaleinausscheidung  relativ 
gut  war,  auch  keine  Blutdrucksteigerung  bestand. 

Man  möchte  vermuten,  dass  jene  Fälle,  die  im  Verlauf  der 
Erkrankung  eine  schlechtere  Phthaleinausscheidung  bekom¬ 
men,  unter  unseren  Augen  zu  echten  Nephritiden  mit  entzünd¬ 
lichen  Veränderungen  wurden,  bei  denen  es  wahrscheinlich 
auch  noch  zu  einer  Blutdrucksteigerung  kommen  wird. 

In  einem  Fall  von  akuter  Nephrose  nach  Chloroform  (Spät¬ 
tod  nach  Chloroform),  bei  dem  sich  post  mortem  allerdings 
auch  noch  geringe  chronische  interstitielle  Veränderungen 
fanden,  wurde  bei  hochgradiger  Oligurie  (Belastung  mit  Harn¬ 
stoff  und  NaCl  konnte  nicht  gemacht  werden)  überhaupt  kein 
Phthalein  ausgeschieden  [Exitus  letalis] 14). 

Bei  reinem  Amyloid  scheint  die  Probe  normale  Werte  zu 
ergeben,  wie  Deutsch  und  Schmuckler  gefunden  haben. 
Bei  Dietsch  war  der  Ausfall  in  einem  Fall  sehr  wechselnd. 
Bei  zwei  autoptisch  bestätigten  Fällen  von  Amyloid  mit  ge¬ 
ringen  chronisch-entzündlichen  Veränderungen  war  die  Phtha¬ 
leinkurve  etwas  unternormal;  gleichzeitige  Untersuchung  auf 
Diastase  ergab  einen  eklatant  schlechten  Ausfall.  Die  Koch¬ 
salz-  und  Harnstoffprobe  zeigte  in  einem  Fall  eine  wesentliche 
Verzögerung  der  Ausscheidung;  es  bestand  gleichzeitig  Olig¬ 
urie;  der  Diureseversuch  zeitigte  niedere  Werte. 

Ich  glaube,  dass  wir  trotz  manchen  Widerspruches  bei  der 
Untersuchung  der  akuten  Nephritiden  und  Nephrosen  doch 
noch  nach  genauer  Rubrizierung  und  beim  stetigen  Vergleich 
mit  den  pathologisch-anatomischen  Befunden  zu  wichtigen  dia¬ 
gnostischen  und  prognostischen  Schlüssen  kommen  werden, 
und  dies  vielleicht  gerade  durch  die  oft  so  ganz  dem  klini¬ 
schen  Bild  widersprechende  gute  Phthaleinausscheidung 
(Amyloid!).  Vielleicht  kann  auch  gerade  hier  die  topische 
Diagnostik  einsetzen! 

Ich  habe  die  zwei  Formen  „chronische  und  akute  Nephri¬ 
tis“  getrennt,  ohne  dabei  allzu  grosses  Gewicht  auf  „par- 


14)  Dieser  Fall  soll  noch  als  kurze  Mitteilung  veröffentlicht 
werden. 


enchymatös“  oder  „interstitiell“  zu  legen;  ich  kann  mich  nicht 
zu  einer  derartigen  scharfen  Trennung  entschliessen,  glaube 
auch  nicht  an  eine  parenchymatöse  Entzündung,  sondern 
nehme  an,  dass  bei  der  Nephritis  eine  Parenchymschädigung 
ohne  jede  Gefässläsion  nicht  wohl  denkbar  ist  und  umgekehtt. 
dass  wir  es  also  fast  stets  —  besonders  in  den  chronischen 
Fällen  —  mit  Erkrankung  beider  Systeme  zu  tun  haben,  wobei 
natürlich  das  eine  schwerer  ergriffen  sein  kann. 

Bei  der  Beurteilung  der  Phthaleinausscheidung  müssen 
auch  extrarenale  Einflüsse  berücksichtigt  werden. 
Im  Vordergrund  stehen  die  mit  Stauung  einhergehenden  Herz¬ 
erkrankungen.  Es  hat  sich  gezeigt,  dass  bei  längerer  und 
hochgradiger  universeller  Stauung  die  Farbstoffausschei¬ 
dung  verzögert  ist,  jedoch  oft  völlig  normale  Gesamtwerte 
erreichen  kann.  Hier  ist  wohl  die  verzögerte  Ausscheidung 
zum  Teil  auf  Kosten  der  verlangsamten  Resorption  zu  setzen. 
Wichtig  ist  —  und  dadurch  hat  hier  die  Probe  wieder  hohes 
diagnostisches  Interesse  —  dass  mit  Hebung  der  Herzkraft  der 
Kurvenablauf  sehr  bald  normal  wird,  wenn  die  Niere  sonst 
intakt  ist.  Wir  können  so  rasch  ein  Urteil  darüber  gewinnen, 
ob  die  Niere  oder  das  Herz  im  Vordergrund  der  Erkrankung 
steht.  Berenroth  und  Frank  sahen  bei  einem  schwer 
dekompensierten  Vitium  cordis  mit  Stauung  normale  Ausschei¬ 
dung;  ich  habe  auch  einen  derartigen  Fall  gesehen,  bei  dem 
allerdings  die  Stauung  erst  kurze  Zeit  bestand  und  auch  rasch 
nach  Hebung  der  Herzkraft  vorüberging.  So  betonen  auch 
R  o  w  n  t  r  e  e  und  Fitz,  dass  eine  Besserung  in  der  Zirku¬ 
lation  durch  die  Wiederholung  der  Phthaleinprobe  eindeutig 
zum  Ausdruck  gebracht  werde. 

Recht  interessante  Befunde  Hessen  sich  im  Verlauf  der 
Pneumonie  mehrmals  konstatieren.  Vor  der  Krise  war  die 
Phthaleinkurve  meist  unternormal,  während  nach  Abfall  der 
Temperatur  normale  Werte  erreicht  wurden.  Es  wäre  dies 
ein  Parallelismus  mit  der  NaCl-Retention  18). 

Inwieweit  Lebererkrankungen  den  Ausfall  der  Proben  be¬ 
einträchtigen,  ist  aus  der  Literatur  nicht  klar  zu  ersehen,  die 
Möglichkeit  wird  aber  von  Behrenroth  und  Frank  ange¬ 
nommen.  Auch  ich  konnte  bisher  zu  keinen  eindeutigen  Re¬ 
sultaten  kommen. 

Zum  Schluss  sei  noch  darauf  hingewiesen,  dass  sich  die 
R  o  w  n  t  r  e  e  und  G  e  r  a  g  h  t  y  sehe  Probe  auch  ausgezeichnet 
für  die  getrennte  Untersuchung  beider  Nieren  verwenden  lässt 
Ich  kann  Vogel  verstehen,  der  jetzt  auf  die  Kontrollen  mit 
Indigokarmin,  Phloridzin  und  Kryoskopie  verzichtet  und  nur 
noch  die  Phthaleinprobe  allein  benutzt,  um  sich  über  die 
Funktion  der  Nieren  zu  unterrichten.  Auch  Key  es  und 
Stevens  berichten  über  günstige  Resultate,  verwenden 
allerdings  beim  Ureterenkatheterismus  die  intravenöse  In¬ 
jektion  des  Phthaleins,  weil  man  dadurch  die  Beobachtung  ab¬ 
kürzen  könne;  ich  halte  dies  deshalb  für  nicht  gut,  weil  bei  so 
rascher  Ausscheidung  in  grosser  Menge  schon  kleine  Fehler 
grosse  Differenzen  ergeben  müssen. 

Rainoldi  ist  auf  Grund  von  H  Fällen,  die  meist  durch 
Operation  bestätigt  wurden,  mit  der  Phthaleinmethode  sehr 
zufrieden,  da  man  nicht  nur  erfährt,  welche  Niere  krank  ist, 
sondern  auch  erkennen  kann,  welche  Niere  bei  doppelseitiger 
Erkrankung  die  schlechtere  ist.  Seine  Vergleichsunter¬ 
suchungen  mit  der  A  m  b  a  r  d  sehen  Konstanten  haben  über¬ 
einstimmende  Resultate  ergeben. 

Ich  habe  schon  einmal 1B)  hervorgehoben,  dass  die  Me¬ 
thode  gerade  durch  die  exakte  kolorimetrische  Bestimmung 
dem  Indigokarminversuch  überlegen  ist.  Betont  muss  nur 
wieder  werden,  dass  man  dicke  Ureterenkatheter  mit  mehreren 
Oeffnungen  verwenden  muss,  um  möglichst  jeden  Verlust  an 
Urin  zu  vermeiden. 

Auf  einige  technisch  wichtige  Momente  darf  ich  wohl  kurz 
hinweisen:  Es  ist  sehr  wesentlich,  den  Farbstoff  nicht  eher  zu 
injizieren,  bis  man  sich  davon  überzeugt  hat,  dass  aus  beiden 
Kathetern  der  Urin  regelmässig  abtropft  (sofern  man  nicht 
schon  zystoskopisch  festgestellt  hat,  dass  die  eine  Niere  über- 


15)  Es  müssen  uns  weitere  Untersuchungen  zeigen,  ob  wir  es  hier 
tatsächlich  mit  einer  vorübergehenden  funktionellen  Nierenläsion  zu 
tun  haben,  auf  die  dann  auch  ev.  die  NaCl-Retention  entgegen  den 
bisherigen  Anschauungen  zu  beziehen  wäre. 

16)  M.m.W.  1914  S.  565. 


1.  September  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1877 


laupt  keinen  Urin  sezerniert).  Man  muss  oft  längere  Zeit  zu- 
'Varten,  bis  eine  reflektorische  Anurie  vorüber  ist.  Hat  man  es 
nit  Pyonephrosen  zu  tun,  so  spült  man  praktisch  vor  Anstellen 
ier  Probe  gut  aus;  ich  verwende  dazu  am  liebsten  dünne  Bor- 
ösung  oder  physiologische  NaCl-Lösung,  die,  um  dies  hier 
icbenbei  zu  erwähnen,  zumeist  genügt,  um  pyelitisches  Fieber 
u  beseitigen.  Es  liegt  eben  lediglich  ein  Hindernis  des  Eiter- 
ibflusses  vor!  Es  ist  leicht  einzusehen,  dass  man  durch  Ab- 
luss  des  Eiters  vor  der  Probe  leichter  ein  Verstopfen  des 
(atheters  verhüten  kann;  tritt  dies  dann  doch  noch  ein,  so 
miss  man  sofort  durchspülen,  da  sonst  Urin  am  Katheter  vor- 
»eifliesst  und  für  die  Bestimmung  verloren  geht. 

Der  Einwurf  von  E  r  o  m  m  e  und  R  u  b  n  e  r,  dass  beim 
reterenkatheterismus  das  Hindernis  für  die  Anwendung  der 
dithaleinmethode  in  der  3  Stundenbeobachtung  liege,  ist  nach 
neinen  Darlegungen  nicht  stichhaltig,  da  man  schon  aus  dem 
Ausfall  der  Probe  in  der  ersten  Stunde  wertvolle  Schlüsse 
ichen  kann.  Gerade  hier  ist  also  meine  %  Stundenkurve  für 
ie  erste  Stunde  (natürlich  für  eine  Niere  die  Hälfte  der  an- 
egebenen  Werte)  recht  wertvoll. 

Ich  lasse  die  Katheter  vom  Moment  der  Einspritzung  an 
ine  Stunde  liegen,  entnehme  auch  den  event.  vorhandenen 
Hasenurin  und  lasse  dann  noch  weiter  stündlich  Urin  sammeln, 
udem  stelle  ich  stets  noch  die  Phthaleinprobe  vorher  oder 
achher  ohne  Ureterenkatheterismus  zum  Vergleich  an.  Es 
rgibt  sich  da  mitunter  auch  beim  Normalen  ein  Unterschied 
i  der  Gesamtmenge  zugunsten  der  letzten  Probe.  Ich  glaube, 
ass  die  gesamte  Nierenfunktion  nach  Einlegen  des  Ureter- 
atheters  mehr  oder  weniger  besonders  bei  sehr  sensiblen  Per- 
onen  auf  nervösem  Wege  gestört  sein  kann  (reflektorische 
nuriel).  Deshalb  ist  es  hier  wesentlich,  ganz  besonders  auf 
en  Beginn  der  Ausscheidung  und  auf  den  Kurvenablauf  zu 
chten.  Auf  eine  Chromozystoskopie 17)  verzichte  ich  stets, 
eil  ich  sie  für  zu  unsicher  halte,  und  sie  oft  genug  gar  nicht 
isführbar  ist 18). 

Mittels  des  Ureterenkatheterismus  gewinnen  wir  nicht  nur 
us  gewünschte  Urteil  über  die  Funktion  der  kranken  Niere, 
andern,  was  oft  von  grösster  Wichtigkeit  sein  kann,  auch 
)er  den  Zustand  der  anderen,  „gesunden“  Niere.  Wir  können 
itscheiden,  ob  die  andere  Niere  so  funktionstüchtig  ist,  dass 
ir  ihr  die  Gesamtarbeit  zumuten  dürfen;  oft  sehen  wir,  dass 
e  die  Funktion  ihres  erkrankten  Schwesterorgans  schon  mit- 
lernommen  hat.  Ueber  die  Reservekraft  erhalten  wir  jedoch 
2in  Urteil. 

Auf  einfache  Art  lässt  sich  mittels  unserer  Probe  auch  fest¬ 
eilen,  in  welcher  Zeit  z.  B.  nach  einer  Nierenexstirpation  die 
i  Körper  verbleibende  Niere  die  Funktion  übernimmt.  Es 
-Schieht  dies  in  erstaunlich  kurzer  Zeit,  schon  nach  wenigen 
agen  können  durch  die  eine  Niere  die  für  die  Norm  geltenden 
hthaleinmengen  ausgeschieden  werden.  Es  Hess  sich  so  auch 
e  schon  bekannte  Tatsache  bestätigen,  dass  die  Funktionen 
)n  der  einen  Niere  um  so  rascher  und  vollkommener  über- 
>mmen  werden,  je  schwerer  die  exstirpierte  Niere  in  ihrer 
inktion  gestört  war,  also  die  andere  Niere  schon  vorher  bis 
i  einem  gewissen  Grade  die  Funktionen  mitübernommen 
itte.  Auch  konnte  ich  einmal  die  gewiss  interessante  Be- 
’aehtung  machen,  dass  nach  Exstirpation  einer  Eiter¬ 
einniere  die  Funktion  der  Testierenden  Niere  besser  war,  als 
>rher  die  beider  Nieren  zusammen. 

Wir  gewinnen  für  die  chirurgischen  Nierenerkrankungen 
ls  dem  Ausfall  der  Phthaleinprobe  einen  wertvollen  Auf- 
hluss  darüber,  wann  wir  operieren  können!  Zeigt  die 
ithaleinkurve  starke  Störungen,  so  werden  wir  vorerst  ver¬ 
dien,  die  gestörte  Nierenfunktion  zu  heben.  Ist  dies  ge¬ 
liehen,  so  zeigt  uns  dies  die  Probe  an.  R  o  w  n  t  r  e  e  und 
eraghty  sagen,  dass  man  auf  diese  Weise  einen  gün- 
gen  Zeitpunkt  für  die  Operation  bestimmen  kann.  Es  gilt 
es  ganz  besonders  für  bestimmte  Eingriffe  bei  Prostata¬ 
krankungen.  So  äussern  sich  auch  Schmidt  und 
r  e  t  z  s  c  h  m  e  r,  die  vor  jeder  Operation  an  Blase  oder  Niere 
-  Phthaleinprobe  angestellt  haben,  dass  bei  Prostatikern  mit 
rmalem  Verhalten  der  Farbenausscheidung  nach  der  Ope- 


*‘)  Sehrt  1.  c.  empfiehlt  0,2  proz.  Sodalösung. 

)  cf.  auch  Roth;  B.kl.W.  1909  Nr.  23  und  Zschr,  f.  Urol,  5. 

1 1.  S.  439 


ration  nie  Störungen  von  seiten  des  Herzens  oder  der  Nieren 
auftraten,  während  manche  Patienten  mit  verlangsamter  oder 
ungenügender  Ausscheidung  an  Niereninsuffizienz  starben. 
Wir  können  aus  dem  Ausfall  der  wiederholten  Probe  erkennen, 
ob  es  sich  um  vorübergehende  funktionelle  Störungen  oder  um 
schwere  Parenchymschädigungen  handelt. 

Zusammenfassung. 

1  )ie  besprochene  Rowntree-Geraghty sehe  Probe 
übertrifft  alle  bisher  bekannten  Methoden  zur  Prüfung  der 
Nierenfunktion  an  Einfachheit.  Sie  ist  ohne  Vorbereitung  (be¬ 
sonders  diätetische)  bei  jedem,  auch  bei  benommenen  Patienten 
anzuwenden. 

Wir  erhalten  sehr  rasch  ein  Resultat  mit  einer  ganz  ein¬ 
fachen  Methodik,  die  auch  der  Praktiker  ohne  Laboratorium 
ausführen  kann. 

Wir  haben  in  der  Probe  ein  wichtiges  diagnostisches 
Hilfsmittel  für  die  oft  nicht  erkannte  chronische  interstitielle 
Nephritis,  die  so  häufig  keinen  ständigen  pathologischen  Befund 
aufweist. 

Aus  dem  Kurvenablauf  lässt  sich  bis  zu  einem  gewissen 
Gi  ade  ein  Schluss  über  die  Schwere  der  Erkrankung  ziehen, 
und  wir  bekommen  so  prognostisch  wichtige  Daten. 

Durch  den  Parallelismus  der  Phthalein-  der  N-  und  Salz¬ 
ausscheidung  haben  wir  besonders  für  den  Praktiker  einen 
gewissen  Ersatz  der  Kochsalz-  resp.  Harnstoffprobe. 

Für  die  akuten  Nephritiden  und  Nephrosen  lassen  sich  bis 
jetzt  aus  dem  Ausfall  der  Kurve  noch  keine  bindenden  Schlüsse 
ziehen;  es  ist  hier  oft  ein  Widerspruch  zwischen  Ausfall  der 
Phthaleinkurve  und  dem  klinischen  Bild.  Jedoch  gehen  auch 
hier  häufig  beide  parallel,  besonders  in  den  schweren  pro¬ 
gnostisch  ungünstigen  Fällen. 

Eine  Abschätzung  der  renalen  Insuffizienz  bei  kardio- 
renalen  Zuständen  ist  durch  wiederholte  Phthaleinprobe  leicht 
möglich. 

Bei  der  getrennten  Nierenfunktionsprüfung  mittels  Ure¬ 
terenkatheterismus  ist  das  Mittel  vorzüglich  geeignet;  es  lässt 
uns  erkennen,  wie  weit  das  Parenchym  der  kranken  Niere  ge¬ 
schädigt  ist,  und  gibt  uns  Aufschluss  über  die  normale  oder 
schon  gesteigerte  Funktion  der  anderen  Niere. 

Freilich  stossen  wir  bei  der  Methode  hier  und  da  noch  auf 
Unklarheiten  und  manche  Befunde  stimmen  nicht  mit  der  Klinik 
überein.  Insbesondere  bedarf  es  noch  weiterer  Untersuchungen 
inwieweit  die  Ausscheidung  des  Phenolsulfophtalein  durch 
extrarenale  Einflüsse  beeinträchtigt  werden  kann. 

Dies  gilt  für  die  Phthaleinprobe  aber  nicht  mehr  als  für 
die  übrigen  Nierenfunktionsproben  und  vermag  ihre  günstige 
Gesamtbeurteilung  nicht  zu  beeinträchtigen. 

Herrn  Dr.  Künster  danke  ich  auch  an  dieser  Stelle 
herzlichst  für  die  weitgehende  Hilfe,  die  er  mir  bei  den  kolori- 
metrischen  Messungen  hat  zu  Teil  werden  lassen. 

Literatur. 

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Gaz.  des  hop.  1912  Nr.  55.  —  Geraghty  und  Rowntree:  Journ. 
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Perry  und  H.  Austin:  Americ.  Journal  of  the  med.  Science  145 
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urin.  1.  1911.  Nr.  4;  The  journal  of  the  americ.  med.  assoc.  57.  1911. 


1878 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  35. 


S.  811  und  Arch.  of  int.  raed.  9.  1912.  S.  284.  —  Rowntree: 
Americ.  journ.  of  the  med.  Sciences  147..  1914.  S.  352.  —  Sehrt: 
Zbl.  f.  Chir.  1912  Nr.  33  S.  1121.  —  Schlayer:  Beih.  z.  Med.  Klinik 
1912  H.  9.  S.  211.  —  Schmidt  und  Kretz  schm  er:  Transaction 
of  the  Americ.  urological  Assoc.  XI,  NewYork  2.  VI.  12.  —  Vogel: 
B.kl.W.  1912  S.  2172.  —  Ware:  NewYork  med.  journ.  99.  S.  416. 


Bücheranzeigen  und  Referate. 

Die  unregelmässige  Herztätigkeit  und  ihre  klinische  Bedeutung. 

Von  Dr.  K.  F.  VV  e  n  c  k  e  b  a  c  h  -  Strassburg  i.  E.  Mit  109  Figuren 
im  Text  und  auf  2  Tafeln.  Leipzig  und  Berlin,  Verlag  von  W.  E  n  g  e  1- 
mann,  1914.  Preis  13  M.  Seitenzahl  249. 

Die  klinische  Bedeutsamkeit  der  verschiedenen  Formen  der 
Herzunregelmässigkeiten  zu  untersuchen  und  zu  bewerten,  das  war 
eine  Aufgabe,  welche  immerhin  schon  mehrere  Jahre  auf  Inangriff¬ 
nahme  wartete.  Denn  das  Vorkommen  solcher  Fälle  ist  bekanntlich 
ganz  ausserordentlich  häufig,  so  dass  jeder  Arzt  unzählige  Male  in 
die  Lage  versetzt  ist,  solche  Patienten  zu  untersuchen  und  einerseits 
wichtige  Schlüsse  für  die  Behandlung  aus  seinen  Feststellungen  zu 
ziehen,  andererseits  besonders  prognostische  Werturteile  abzugeben, 
welche  für  den  Patienten  häufig  von  weittragendster  sozialer  und 
psychischer  Bedeutung  sind  (Lebensversicherungen!).  Die  Er¬ 
forschung  der  Erscheinungen  selbst  hat  ja  innerhalb  der  letzten 
10—15  Jahre  durch  die  neuen  graphischen  Methoden,  besonders  auch 
durch  die  Analyse  des  Venenpulses  und  des  Elektrokardiogramms 
grosse  Fortschritte  gemacht  und  längst  zu  einer  Revision  früherer 
Auffassungen,  welche  auf  Grund  besonders  von  Sphygmogrammen 
gewonnen  waren,  dringendst  aufgefordert.  Nun  kommt  mit  dem 
Autor  des  vorliegenden  Werkes  ein  Forscher  zu  Wort,  welcher  nicht 
nur  durch  langjährige  Arbeit  mit  den  graphischen  Methoden  ein 
Meister  in  der  Herstellung  der  betreffenden  Kurven  geworden  ist  und 
durch  eigene  Forschungen  die  diagnostische  Verwertung  derselben 
in  vielen  Stücken  gefördert  hat,  sondern  auch  gerade  als  Arzt  berufen 
ist,  die  praktische  Wichtigkeit  dieser  Fragen  völlig  zu  erfassen  und 
zu  proklamieren.  Für  Patienten  und  Aerzte  wird  der  von  ihm  ver¬ 
tretene  Standpunkt  häufig  ein  wahres  Evangelium  sein,  denn  er  ist 
ein  weit  optimistischerer  Standpunkt  als  die  allermeisten  Aerzte  ihn 
bisher  gegenüber  den  Arrhythmien  eingenommen  haben  und  noch  ein¬ 
nehmen.  Es  ist  ein  direktes  Verdienst,  das,  was  durch  die  graphischen 
Methoden  im  letzten  Dezennium  gefunden  wurde,  endlich  auch  in 
zusammenhängender  Darstellung  und  Begründung  für  die  klinische, 
diagnostische  und  therapeutische  Seite  auszuwerten,  und  mit  Recht 
hat  Weackebach  die  Frage  aufgeworfen,  was  der  Praktiker  von 
dieser  bedeutenden  Vermehrung  unserer  Kenntnisse  auf  diesem  Ge¬ 
biete  bisher  erhalten  oder  zu  erwarten  hat.  Sein  ganzes  jüngstes 
Werk  ist  die  Beantwortung  der  praktisch  wichtigen  Frage:  Ist  die 
Arrhythmie  Ausdruck  einer  gewissen  Minderwertigkeit  des  Herzens? 
Jeder  Anhänger  der  früheren  klinischen  Schule  wird  mit  immer 
grösserem  Staunen  lesen,  dass  Wenckebach,  gestützt  auf  Ex¬ 
perimente,  eine  reiche  persönliche  Erfahrung  und  Beobachtung,  dem 
alten  Dogma,  dass  die  Arrhythmie  das  Zeichen  eines  schwer  ge¬ 
schädigten  Herzmuskels  sei,  von  Seite  zu  Seite  auf  das  schärfste 
zusetzt.  Die  Arrhythmien  sind  für  ihn  Anzeichen  eines  —  aus  uns 
oft  gänzlich  unbekannter  Ursache  —  gestörten  Herzmechanismus, 
was  allerdings  für  den  Kreislauf  und  für  das  Wohlbefinden  schädlich 
sein  kann,  aber  sie  sind  nicht  schon  an  sich  ein  Signum  mali  ominis. 
Die  Extrasystolie,  welche  stark  unter  dem  Einfluss  des  Nerven¬ 
systems  steht  und  vielfach  durch  reflektorische  Wirkungen  zustande 
kommt,  sagt  nach  W.  an  sich  nichts  über  den  Zustand  des  Herz¬ 
muskels  aus,  sie  kann  aber  bei  gesunden  Personen  unangenehme 
Herzsymptome  und  nicht  unwesentliche  Kreislaufstörungen  an  und 
für  sich  hervorrufen,  erst  recht  bei  Herzkranken.  Sie  ist  häufig  nicht 
die  Folge,  sondern  die  Ursache  von  Kreislaufstörungen.  Das  ist  ein 
ganz  neuer  Standpunkt,  welcher  besonders  der  Therapie  neue  Auf¬ 
gaben  stellt  und  sie  neue  Wege  suchen  heisst.  Es  kann  hier  nicht 
auf  das  einzelne  eingegangen  werden,  hervorgehoben  werden  muss 
besonders  auch  das  wichtige  Kapitel  über  das  Vorhofflimmern, 
welches  dem  dauernd  arrhythmischen  Pulse  zugrunde  liegt.  Auch 
das  ist  ein  Kapitel  von  grosser  praktischer  Bedeutung;  freilich  auch 
vieles  andere  über  die  Tachykardien,  dann  über  die  Rhythmus¬ 
schwankungen  ohne  Störung  des  Herzmechanismus,  besonders  auch 
über  die  praktische  Bedeutung  des  Vagusdruckversuches.  Die 
Digitalistherapie  erfährt  nach  den  W  e  n  c  k  e  b  a  c  h  sehen  Dar¬ 
legungen  wieder  eine  neue  Erweiterung,  aber  auch  sonst  bringt  der 
Verfasser  aus  seiner  Erfahrung  noch  manche  therapeutischen  Vor¬ 
schläge,  wenn  er  auch  auf  das  freimütigste,  wie  er  sich  auch  sonst 
in  seinem  ganzen  Buche  gibt,  hervorhebt,  wie  weit  wir  gegenüber 
den  verschiedenen  Formen  der  Herzarrhythmie  in  therapeutischer 
Hinsicht  noch  zurück  sind.  Die  Inäqualität  des  Pulses  in  ihren  ver¬ 
schiedenen  Formen  erfährt  nach  mancher  Richtung  neue  Beleuchtung. 
Das  W  e  n  c  k  e  b  a  c  h  sehe  Werk  ist  ein  Buch,  das  Zeit  brauchen 
wird,  um  sich  in  seinen  zum  Teil  revolutionären  Ausführungen  in 
der  Aerztewelt  durchzusetzen.  Referent,  welcher  zu  einem  sehr 
grossenTeile  aus  persönlicher  Erfahrung  heraus  in  klinischer  Hinsicht 
den  Wenckebach  sehen  Standpunkt  teilt,  ist  überzeugt,  dass  das 
Buch  unter  den  jüngsten  Erscheinungen  betreff  der  Herz-  und  Gefäss- 
literatur  eine  grosse  Bedeutung  gewinnen  wird.  Seinen  Triumph  wird 


es  erst  dann  feiern,  wenn  die  Mehrzahl  der  Aerzte  aufgehört  haben 
wird,  ihren  Patienten,  z.  B.  wegen  vorhandener  Extrasystolie,  die 
Etikette  einer  dauernden  Minderwertigkeit  aufzukleben. 

Dr.  Karl  Grassmann  -  München. 

H.  Stern:  Theorie  und  Praxis  der  Blutentziehung.  Curt 

Kabitsch’  Verlag  in  Würzburg,  1914.  Preis  brosch.  3.50  M. 

Der  Aderlass,  von  seiner  mittelalterlichen  Bedeutung  als  Allheil¬ 
mittel  herabgesunken,  hat  sich  lange  Zeit  als  unwissenschaftliches 
Werkzeug  alter  Dorfbader  und  Kurpfuscher  verächtlich  behandeln 
lassen  müssen.  In  neuerer  Zeit  tritt  ein  Wandel  ein,  auf  ein  solideres 
wissenschaftliches  Fundament  gestellt,  erfreut  sich  die  therapeutische 
Blutentziehung  wieder  mehr  und  mehr  der  Anerkennung  von  Klinikern 
und  praktischen  Aerzten.  Es  war  ein  verdienstvolles  Unternehmen 
des  Verfassers,  die  Lehre  vom  Aderlass  und  seines  Indikations¬ 
bereiches  in  einer  Monographie  darzustellen,  gibt  es  doch  kaum  eine 
Heilmethode,  die  jedem  Arzt  so  zugänglich  ist  und  deren  Anwendungs¬ 
möglichkeiten  auf  so  ganz  verschiedenen  Gebieten  liegen.  Stern 
liefert  uns  aus  seinem  reichen  Erfahrungsschatz  interessante 
kasuistische  Beiträge  über  die  Wirksamkeit  der  Venaesectio  auch 
bei  Krankheitszuständen,  bei  denen  sie  zurzeit  noch  selten  oder  gar 
nicht  angewandt  wird.  Ich  erwähne  nur  Pneumonie,  Pleuritis, 
Emphysem,  Chlorose,  Morphinismus  und  verwandte  Zustände 
(„Narkomanien“).  Es  scheint  tatsächlich,  dass  wir  mit  Kritik  und 
exakter  Indikationsstellung  das  Anwendungsgebiet  des  Aderlasses 
erweitern  dürfen.  Hoffentlich  entsteht  keine  Modeströmung,  setzt 
nicht  auch  hier  wieder  einseitiger  und  kritikloser  Enthusiasmus  ein: 
wir  möchten  nicht  erleben,  dass  das  altehrwürdige  Aderlassmännlein 
in  neuer  pseudowissenschaftlicher  Vermummung  eine  unheilvolle 
Auferstehung  feiert.  Das  vorsichtige  und  kritische  Buch  Sterns 
trägt  sicher  nicht  dazu  bei.  H.  Kämmerer  -  München. 

Dr.  J.  Ce  mach- Wien:  Chirurgische  Diagnostik  in  Tabellen¬ 
form  für  Studierende  und  Aerzte.  J.  F.  Lehmann,  München  1914. 

Preis  kart.  M.  14,  geb.  M.  15. 

Als  Studenten  haben  wir  alle  uns  wohl  einzelne  diagnostische 
Kapitel  in  Tabellenform  gebracht,  um  eine  gute  Uebersicht  zu  haben. 
Was  der  Verfasser  in  diesem  Buche  bietet,  ist  eine  Ausführung, 
welche  durch  ihre  Vollständigkeit,  übersichtliche  Anordnung,  die 
Menge  vergleichsweise  nebeneinandergestellter  ausgezeichneter  Ab¬ 
bildungen  (112  Tafeln)  und  eine  glänzende  Ausstattung  hohe  Er¬ 
wartungen  übertrifft  und  vielen  nützlich  sein  kann. 

H  e  1  f  e  r  i  c  h. 

Ludwig  Bach  und  R.  Seefelder:  Atlas  zur  Entwicklungs¬ 
geschichte  des  menschlichen  Auges.  Dritte  Lieferung.  Mit  28  Figuren 
im  Text  und  Tafel  XXXV — L.  Verlag  von  Wilhelm  Engel  mann, 
Leipzig  und  Berlin.  Preis  M.  22. — . 

Die  vorliegende  Lieferung  des  eingehenden  Werkes  bringt  in 
klarer  Darstellung  die  Entwicklung  der  Sklera,  der  T  e  n  o  n  sehen 
Kapsel,  des  Blutgefässsystems,  des  Auges,  sowie  der  Netzhaut,  des 
Sehnerven  und  des  Pigmentepithels.  Die  Tafeln  sind  grossenteils 
von  hervorragender  Schönheit  und  auch  die  Textfiguren  wohl  aus¬ 
gewählt  Salzer-  München. 

Pharmazeutische  Rundschau. 

Von  Dr.  Max  Winckel  in  München. 

(Schluss.) 

Neue  Arzneimittel  (zusammengestellt  nach  Pharm. 
Z  t  g.,  A  p  o  t  h.  -  Z  t  g.,  P  h.  Z  t  h.,  P  h.  Viertel  j.  -  Rundschau) 

Acetoform,  essigsaure  Tonerde  „Kalle“,  ist  essig-zitronen- 
saures  Alumin-Hexamethylentetramin.  Acetoform  bildet  ein  schnee- 
weisses  Pulver,  das  leicht  und  vollkommen  ohne  jeden  Rückstand  in 
Wasser  löslich  ist.  Das  neue  Präparat,  das  als  Pulver  sowie  in  Form 
von  Tabletten  ä  1,0  in  den  Handel  kommt,  soll  in  % — 2  proz.  wässe¬ 
riger  Lösung  als  Ersatz  des  offizineilen  Liquor  Aluminii  acetici  Ver¬ 
wendung  finden.  Fabrikant:  Kalle  &  Co.  A.G.  in  Biebrich  a.  Rh. 

Acitrin  composit.  ist  eine  Mischung  von  Acitrin  (Phenyl¬ 
cinchoninsäureäthylester)  0,5  mit  Colchicin  0,0003  (Farbenfabr.  vorm. 
Friedr.  Bayer  &  Co.,  Leverkusen). 

Adigan  ist  ein  neues  Digitalispräparat,  welches  die  wirk¬ 
samen  Bestandteile  der  Digitalispflanze  repräsentiert,  frei  von 
Saponin,  insbesondere  von  Digitonin.  Diese  Körper  werden  bei  der 
Darstellung  durch  Fällen  mit  Cholesterin  entfernt.  Je  1  ccm  der 
Lösung  oder  je  1  Tablette  entsprechen  in  der  Wirkung  dem  Aufguss 
aus  0,1  vollwertigem  Digitalispräparat.  Das  Präparat  wird  hergestellt 
von  Dr.  Max  Haasc  ix  Co.  in  Berlin. 

Arsalyt,  ein  von  Giemsa  erfundenes  Antisyphilitikum: 
Bismethylaminotetramin-arsenobenzol.  Das  Präparat  kommt  in 
sterilen  Ampullen  fertig  zur  Anwendung  in  den  Handel  und  soll  sich 
ähnlich  dem  Salvarsan  bewähren  (D.m.W.  1914  S.  886). 

Chromoform  ist  eine  Verbindung  der  Dichromsäure  mit 
Methylhexamenthyltetramin  von  der  Zusammensetzung  (CoHiaNi- 
CH3),-C,07.  Es  stellt  ein  orangerotes,  kristallisiertes  Pulver  dar, 
das  in  kaltem  Wasser  etwa  zu  3  Proz.,  in  heissem  Wasser  leicht 
löslich  ist.  In  Alkohol  ist  die  Löslichkeit  gering.  Die  wässerige 
Lösung  spaltet  sowohl  auf  Zusatz  von  Säure  als  auch  Alkali  Formal¬ 
dehyd  ab:  ebenso  wird  beim  Erwärmen  der  wässerigen  Lösung  allein 
Formaldehyd  frei.  Der  Gehalt  an  Dichromsäure  beträgt  41,4  Proz. 


1.  September  1914. 


MUFNCHFNFR  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1879 


Infolge  seiner  chemischen  Eigenschaften  vereinigt  Chromoform  in 
sich  allein  die  Wirkung  des  Formaldehyds  mit  derjenigen  der  Chrom- 
saure.  Fabrikant:  Dr.  K.  H.  Schmitz  in  Breslau  VII. 

Coagulen  „Kocher-Fonio"  ist  ein  organotherapeutisches 
Blutstillungsmittel,  welches  die  gerinnungsbefördernden  Körper  des 
Blutes,  speziell  die  Blutlipoide  enthält.  Es  kommt  in  10  proz.  Lösung 
zur  Verwendung  (Ges.  f.  ehern.  Industrie  Basel). 

Dial  „Ciba“:  Dialylbarbitursäure  oder  Dialylmalonylharnstoff, 
ist  ein  dem  Veronal  und  Proponal  ähnliches  Schlaf-  und  Beruhigungs¬ 
mittel,  Dosis  0,05—0,5,  es  kommt  in  Pulver,  Pillen  und  Tabletten¬ 
form  in  den  Handel  (Ges.  f.  ehern.  Industrie  Basel). 

G  on  o  k  t  e  i  n,  ein  internes  Mittel  zur  Behandlung  der  Gonorrhöe, 
soll  Extrakte  aus  den  gerbstoffhaltigen  Drogen  Folia  Uvae  Ursi, 
Rhc-um.  palmatum,  Erythrea  centaur.  und  Menyanth.  trifol.,  sowie 
das  Harz  von  Kawa-Kawa,  eine  geringe  Menge  Bismuthum  subnitric. 
und  Wacholderöl  enthalten.  Die  Gerbsäure  soll  in  dem  Präparat 
(chemisch  gebunden  sein. 

Hydrastopon  wird  ein  neues  Antidysmenorrhoicum  genannt, 
das  in  Form  eines  Likörs  sowie  in  Tabletten  in  den  Handel  kommt. 
Das  Präparat  enthält  in  100,0  0,08  Hydrastinin.  hydrochlor.  und 
n.2  Papaverin.  hydrochlor.  sowie  ein  Geschmackskorrigens. 
Fabrikant:  Kaiser-Friedrich-Apotheke  in  Berlin. 

Ilun  nennen  die  Farbenfabriken  vorm.  Fr.  Bayer  &  Co.  in 
Elberfeld  ein  sehr  reines  Kreatinin,  welches  zur  Prüfung  der  Nieren¬ 
tätigkeit  verwendet  wird. 

I  n  h  i  b  i  n  ist  ein  neues  lokales  Hämostatikum  bei  genitalen 
Blutungen,  das  nach  dem  Prinzip  der  Eusemori-  und  Semoritabletten 
heigestellt  ist  und  13  (!)  verschiedene  hämostatische  Stoffe,  wie 
Adrenalin.  Stypticin,  Ferripyrin  usw.  enthält.  Die  Tabletten  ent¬ 
wickeln  in  der  Vagina  einen  starken  Schaum.  Fabrikant:  Chem. 
Fabrik  Luitpold-Werk  in  München. 

Jodoglobin  ist  Dijodtyrosin,  welches  entsteht  durch  Ein¬ 
wirkung  von  Jod  auf  eine  alkalische  Tyrosinlösung.  Färb-  und  ge- 
uchlose  Kristalle,  indiziert  bei  Syphilis,  gewissen  anderen  Infektions¬ 
krankheiten  und  Gefässerkrankungen;  es  werden  bis  zu  2  g  inner- 
lalb  24  Stunden  gereicht  (La  Zyma  A.G.,  Aigle  und  St.  Ludwig). 

Jodprothaemin  werden  mit  Schokolade  überzogene 
Jragees  genannt,  -welche  Prothaemin  (ein  trockenes  Blutpräparat) 
nit  10  Proz.  Jod  enthalten  sollen.  Fabrikant:  Goedecke  &  Co. 
n  Leipzig  und  Berlin. 

K  I  i  n  o  p  1  a  s  t  w'ird  ein  neues  sterilisierbares  Kautschukpflaster 
tenannt,  das  bei  der  Sterilisation  im  Autoklaven  seine  Klebfähigkeit 
lach  Anbruch  beibehält,  in  den  Handel.  Fabrikant:  Dr.  Hugo  Remm- 

cr  in  Berlin  N. 

L  a  c  a  1  u  t  ist  Aluminium  lacticum  in  fester  Form.  Es  wird  bei 
dichten  Umschlägen  und  Mundwasser  in  V2 — 2  proz.,  zu  Spülungen 
ler  Blase  und  Harnröhre  in  0,1 — 0,2  proz.  wässeriger  Lösung  ver¬ 
wendet.  Darsteller:  C.  H.  Böhringer  Sohn,  Nieder-Ingel- 

icim  a.  Rh. 

M  e  r  c  0  i  d  ist  eine  sterile  Suspension  von  Kalomel  und  merkuri- 
alizylsulfosaurem  Natrium  in  Paraffinum  liquid,  und  kommt  in 
'läschchen  zu  12  ccm  in  den  Handel.  1  ccm  Mercoid  enthält  je  0,04 
er  beiden  Komponenten.  Diese  Kombinierung  soll  die  Vorzüge  der 
öslichen  Quecksilberpräparate  (geringere  Intoxikationsgefahr,  rasch 
intretende  Wirkung)  und  der  unlöslichen  Ouecksilberpräparate  (nach¬ 
haltige  Wirkung,  geringe  Zahl  der  Einspritzungen)  vereinigen, 
abrikant:  Chem.  Fabr.  von  Heyden  in  Radebeul  bei  Dresden. 

Primärmehl  und  das  daraus  hergestellte  Brot  wurde  vom 
!eferenten  untersucht.  Dasselbe  enthält  nur  9.8  Proz.  Kohlehydrat, 
aneben  38,8  Proz.  Eiweiss  und  4,5  Proz.  Asche  und  ist  daher  als 
liabetikerbrot  geeignet.  Das  Brot  kann  in  jedem  Haushalt  her¬ 
estellt  werden;  das  Mehl  kommt  von  Diaetei  in  Breslau  V  in 
en  Handel. 

Pyocyaneoprotein  Ho  ul  ist  ein  aus  Bouillonkulturen 
es  Bacillus  pyocyaneus  (nach  Angabe  von  Prof.  Dr.  H  0 11 1)  her- 
estelltes  Produkt,  das  einen  deutlichen  antagonistischen  Einfluss  auf 
erschiedene  Mikroben,  besonders  auf  Eiterkokken,  Bacillus  pyo- 
yaneus  ausübt.  Darsteller:  E.  Merck,  Darmstadt. 

Pyralgininjektionen  werden  sterile  Melubrinlösungen 
1  Ampullen  genannt,  die  in  je  1  ccm  0,5  Melubrin  (das  Natriumsalz 
es  amidomethansulfonsauren  Antipyrins),  0,00275  Natrium  chlorat.. 
.00025  Calcium  chlorat  und  0,0005  Traubenzucker  enthalten, 
abrikant:  Apotheke  K  r  e  m  e  1  -  Wien. 

Rhodaform:  Methylhexamethylentetraminrhodanid,  mit 

7.7  Proz.  Rhodan;  es  erhöht  den  Rhodangehalt  und  die  Alkalinität 
es  Speichels  und  dient  daher  gegen  Karies,  Stomatitis,  Gingivitis, 
lveolärpyorrhöe,  Dosis  0,3  (Dr.  K.  Schmitz,  Breslau  VII). 

Sagrota  n,  Chlor-Xylenol-Sapokresol,  ein  neues  wasser- 
»sliches  Desinfektionsmittei,  besteht  aus  einem  in  Seife  gelösten 
lolekularen  Gemisch  aus  Chlorxylenol  und  Chlorkresol  bzw.  Grotan, 
as  die  doppelte  Wirksamkeit  besitzt  äls  die  Summe  der  beiden 
Gemischen  Komponenten.  Nach  Prof.  Dr.  Schott  elius  ist  das 
elati v  ungiftige  Sagrotan  dem  Lysol  um  fast  das  Doppelte,  der 
resolseife  nahezu  um  das  Dreifache  überlegen.  Eine  1  proz.  Lösung 
enügt  für  alle  praktisch  in  Frage  kommenden  Zwecke.  Fabrikant: 
chülke  &  Mayr,  A.G.  in  Hamburg. 

Septan  wird  ein  neues  formaidchydhaltiges  Desinfektions- 
littel  genannt,  das  besonders  für  die  tierärztliche  Praxis  empfohlen 
ird.  Es  ist  mit  Wasser,  Alkohol  und  Glyzerin  mischbar  und  soll 


in  0,5 — 5  proz.  Lösung  zur  Anwendung  kommen.  Fabrikant: 
Dr.  K  i  r  s  t  e  i  n,  Berlin. 

Supradroscrin-Crema  enthält  als  wirksame  Stoffe 
Droserin,  Suprarenin  und  Novokain  und  kommt  in  drei  Stärkegraden 
in  den  Handel.  Es  wird  hauptsächlich  bei  Heufieber  angewendet. 
Darsteller:  Dr.  R.  und  Dr.  O.  Weil,  Fabrik  chem.-pharmazeut.  Prä¬ 
parate  in  Frankfurt  a.  M. 

Syntalin:  Methylester  der  Piperonylchinolinkarbonsäure  vom 
yP  l'cs  Atophan;  es  ist  indiziert,  wo  Atophan  und  dessen  Homologe 
Anwendung  finden  (E.  Schering,  chem.  Fabrik,  G.G.  Berlin). 

I  iophysen:  Additionsprodukt  des  Allylsulfoharnstoffs  und 
Jodäthyls,  nach  Knoblauch  riechende  Kristalle  mit  46,5  Proz.  Jod: 
überall  angezeigt,  wo  eine  Jodwirkung  erzielt  werden  soll 
(Dr.  König,  München). 

I  oxodesmin  besteht  aus  5  Teilen  Tierkohle,  2,5  Teilen 
Natriumsulfat  und  2,5  Teilen  Magnesiumsulfat.  Es  soll  in  erster 
Linie  ein  Gegengift  gegen  alle  Vergiftungen,  ausgenommen  derer  mit 
Säuren  und  Laugen,  sein,  auch  wird  es  bei  Magendarmentzündungen, 
ferner  als  diätetisches  Mittel  z.  B.  statt  Jogurt  und  Sauermilch  an¬ 
gewendet.  Bei  Krankheiten  gibt  man  1—4  mal  5,0  täglich.  Fabrikant: 
N.  ().  Chem.  Fabr.  „Amsterdam“  in  Ymuiden  (Holland).  (Pharm. 
Z.  H.  1914  Nr.  21.) 

Trivalin  locale  enthält  in  1  ccm  0,0048375  Morphin- 
valerianat,  0,0074  Koffeinvalerianat  und  0,01012  Kokainvalerianat  und 
einen  Tropfen  Suprarenin  als  baldriansaures  Salz  1:200.  Fabrikant: 
Saccharinfabrik  in  Salbke-Wester-Dresden. 

Veroglandol,  ein  neues  Mittel  gegen  Uterusblutungen,  ist 
ein  Extrakt  aus  Corpora  lutea  vera.  Das  Mittel  findet  subkutan  in 
Dosen  von  1  ccm  Anwendung.  Fabrikant :  Hoffman  n  -  La  Roche 
in  Grenzach  i.  Bd. 

Neueste  Journalliteratur. 

Deutsches  Archiv  für  klinische  Medizin.  116.  Band,  1.  und 
2.  Heft. 

P.  v.  Monakow:  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Nephropathien. 
III.  Mischformen.  (Aus  der  II.  med.  Klinik  zu  München.) 

Es  gibt  Fälle  von  schwerer  Störung  der  NaCl-Ausscheidung  bei 
gleichzeitig  ganz  oder  nahezu  intakter  N-Eliminatlon.  Bei  diesen 
Fällen  pflegen  urämische  Erscheinungen  zu  fehlen,  der  Blutdruck  ist 
in  der  Regel  niedrig,  dagegen  besteht  Neigung  zur  Oedembildung. 
Zu  schweren  Oedemen  kommt  es  aber  erst,  wenn  gleichzeitig  eine 
Störung  in  den  peripheren  Gefässen  besteht.  Kochsalzzulagen  werden 
retiniert  und  führen  meistens  zu  einem  Anstieg  des  Körpergewichts, 
während  gleichzeitig  die  Urinmenge  abnimmt;  es  kommen  aber  auch 
Kochsalzretentionen  ohne  Veränderung  des  Körpergewichts  vor,  in 
diesen  chronischen  Fällen  wird  die  Urinmenge  durch  NaCl-Zulagen 
nicht  beeinflusst.  Harnstoffzulagen  beeinflussen  in  Fällen  isolierter 
Störung  der  NaCl-Ausscheidung  die  Diurese  günstig  bzw.  können 
dann  noch  als  Diuretikum  wirken,  wenn  alle  anderen  Diuretika  ver¬ 
sagen.  Diese  hypochlorurischen  Nephropathien  kommen  rein  nur  in 
akuten  Fällen  vor  und  sind  bedingt  durch  Veränderungen  der  Tubuli 
contorti.  Da  letztere  eine  starke  Regenerationsfähigkeit  haben,  kommt 
es  oft  zur  Heilung;  anderenfalls  kommt  es  sekundär  zu  einem  Ausfall 
der  zugehörigen  Glomeruli  und  damit  funktionell  zu  einer  schlechten 
Ausscheidung  von  NaCl  und  N  und  schliesslich  zu  dem,  was  man 
früher  als  sekundäre  Schrumpfniere  bezeichnete. 

Demgegenüber  gibt  es  Fälle,  die  bei  guter  NaCl-Ausscheidung 
von  vorneherein  eine  Störung  der  N-Ausscheidung  zeigen,  Fälle  mit 
hohem  Blutdruck  und  chronisch-urämischen  Beschwerden,  bei  denen 
Kochsalz  stark  diuretisch  wirkt,  während  Harnstoff  ohne  wesentliche 
Wirkung  ist.  Die  Erkrankung  betrifft  hier  vorwiegend  die  Glomeruli, 
während  die  Tubuli  nahezu  intakt  sind  Es  kommt  hier  zu  erheblicher 
N-Retention  in  den  Geweben,  ohne  dass  der  Rest-N  des  Blutes  er¬ 
heblich  vermehrt  ist.  Wenn  das  retinierte  N  kausal  mit  den  urämi¬ 
schen  Erscheinungen  in  Zusammenhang  steht,  so  ist  die  Sättigung  der 
Gewebe  mit  N  dafür  verantwortlich  zu  machen.  Bei  diesen  „hypazo- 
turischen  Nephropathien“  kann  es  sich  um  akute  Fälle  handeln,  die 
ausheilen,  meist  handelt  es  sich  um  chronische  Erkrankungen,  die  sich 
aus  einer  akuten  Glomerulitis  oder  auf  dem  Boden  einer  chronischen 
Erkrankung  der  Glomerulusgefässe  entwickeln. 

Daneben  gibt  es  noch  Fälle  mit  hohem  Blutdruck  und  leichtester 
Albuminurie  und  Fälle,  bei  denen  hochgradige  Albuminurie  die  einzige 
Störung  der  Nierenfunktion  darstellt,  sowie  Mischformen,  die  gleich¬ 
zeitig  Veränderungen  der  Glomeruli  und  Tubuli  aufweisen.  In  bezug 
auf  die  Ausscheidung  körperfremder  Stoffe  (Jod,  Milchzucker)  konn¬ 
ten  prinzipielle  Unterschiede  zwischen  den  verschiedenen  Nephro¬ 
pathien  nicht  gefunden  werden,  ähnliches  gilt  für  Theocin. 

R.  Hertz  und  M.  Erlich:  Ueber  den  Einfluss  kleiner  Gaben 
Toluylendiamins  auf  das  Blut  mit  einem  Beitrag  zur  Lehre  über  die 
Entstehung  experimenteller  Hyperglobulie.  (Aus  der  III  B-Abteilung 
für  innere  Krankheiten  des  Kindlein-Jesu-Krankenhauses  in  War¬ 
schau.) 

Kleine  Gaben  Toluylendiamins  rufen  Erythrozytenzerfall  und  hin 
und  wieder  Erhöhung  der  Resistenz  der  Erythrozyten  hervor,  sie 
führen  zur  Entstehung  der  Hämatopoetine  und  bedingen  Hyperglo- 
bulie.  Experimentell  lässt  sich  ein  kausaler  Zusammenhang  zwischen 
Hyperglobulie  und  Anämie  beweisen. 

R.  Sieb  eck:  Beitrag  zur  Analyse  sehr  kleiner  Stickstoff¬ 
mengen  in  organischem  Materiale  (Harnstoffbestimmungen  in  einigen 


1880 


MUKNCHENKR  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  _  Nr.  35. 


Tropfen  Blut).  (Aus  der  med.  Klinik  in  Heidelberg.)  (Mit  2  Fi¬ 
guren.) 

Die  nachzulesende  gasometrische  Methode  ist  zur  Analyse  sehr 
kleiner  Mengen  Stickstoff  recht  brauchbar. 

E.  Weiser- Prag:  Präsystolische  Geräusche  bei  Vorhof  s- 
flimmern.  (Mit  3  Kurven.) 

ln  1  Falle,  da  der  Vorhof  dazu  neigte,  aus  feinschlägigem  in 
grobschlägiges  Flimmern  überzugehen,  traten  vereinzelte  derart 
starke  Kontraktionen  des  Vorhofes  ein,  dass  der  durch  ein  verengtes 
Mitralostium  durchgepresste  Blutstrom  ein  präsystolisches  Geräusch 
erzeugen  konnte.  Aus  vereinzelten  präsystolischen  Geräuschen  darf 
nicht  auf  einen  Vorhof-Ventrikel-Rhythmus  geschlossen  werden,  son¬ 
dern  Phlebogramm  und  Elektrokardiogramm  müssen  zur  Aufklärung 
des  Falles  herangezogen  werden. 

A.  Lehndorff:  Zur  Frage  der  Saugwirkung  des  Herzens. 
(Aus  der  med.  Klinik  R.  v.  J  a  k  s  c  h  in  Prag.)  (Mit  1  Kurve.) 

Das  Herz  wirkt  nur  als  Druckpumpe,  aber  nicht  als  Säugpumpe. 

W.  Kaiser  und  J.  Liiwy:  Ueber  Schwankungen  der  Serum¬ 
konzentration  bei  Scarlatina.  (Aus  der  med.  Universitätsklinik 
R.  v.  I  a  k  s  c  h  in  Prag.) 

Bei  einer  Reihe  von  Scharlachfällen  ohne  Komplikation  finden 
sich  während  des  Krankheitsverlaufes  keine  nennenswerten  Schwan¬ 
kungen  des  Brechungsindex  des  Serums,  während  bei  einer  anderen 
Reihe  eine  Erhöhung  der  Serumrefraktion  im  Stadium  der  Schuppung 
vorhanden  ist.  Bei  1  Falle  von  Nephritis  liess  sich  vor  dem  Auf¬ 
treten  von  Albuminurie  eine  Zunahme  der  Serumkonzentration  fest¬ 
stellen.  Nach  Ablauf  einer  Pneumonie,  bei  Eintritt  von  Gelenk¬ 
schmerzen,  bei  multiplen  Abszessen  stieg  die  Serumrefraktion,  viel¬ 
leicht  teilweise  bedingt  durch  die  Vermehrung-  von  im  Blute  kreisen¬ 
den  toxischen  Produkten.  Eine  praktische  Bedeutung  kann  wegen 
der  auch  bei  unkomplizierten  Fällen  auftretenden  Schwankungen  des 
Brechungsindex  der  Bestimmung  der  Serumrefraktion  bei  Scharlach 
nicht  zukommen. 

Z.  I  anii:  Experimentelle  Untersuchungen  über  das  Verhältnis 
der  Ammoniak-  und  Gesamtstickstoffausscheidung  im  Urin  bei  ver¬ 
schiedener  Kostform  und  besonders  bei  Reisfütterung.  (Aus  der  medi¬ 
zinischen  Klinik  zu  Leipzig.) 

Das  Verhältnis  Ammoniakstickstoff  zum  Gesamtstickstoff  im  Urin 
beim  Menschen,  Hunde  und  Kaninchen  hat  während  vorwiegender 
Eiweissnahrung  (auch  Fleischnahrung)  im  Gegensatz  zur  eiweiss¬ 
armen  (oder  cerealischen)  Kost  die  Neigung  zur  Verminderung.  Das 
Verhältnis  ist  deutlich  vermehrt  bei  Reisfütterung.  Die  Ursache  der 
relativen  Ammoniakvermehrung  bei  Reisfütterung  beruht  auf  einer 
Blutalkaleszenzabnahme  im  Organismus. 

F.  Goebel:  Proteusmeningitis  und  Proteussepsis  bei  einem 
Neugeborenen  nebst  Bemerkungen  über  Proteus  als  Krankheitserreger 
des  Menschen.  (Aus  dem  Gisela-Kinderspital  in  München.) 

Das  Wesentliche  enthält  die  Ueberschrift. 

L.  Licht  witz  und  F.  Stromeyer:  Untersuchungen  über 
die  Nierenfunktion.  1.  Die  Funktion  der  Niere  im  Diabetes  insipidus. 
(Aus  der  medizinischen  Universitätsklink  zu  Göttingen.)  (Mit 
16  Kurven.) 

In  2  Fällen  von  Diabetes  insipidus  war  die  Chlorkonzentration 
hochgradig  geschädigt,  während  die  Niere  N  in  normal  hohen  Werten 
konzentrieren  konnte.  Pituitrin  verminderte  die  Wasserausscheidung 
beträchtlich.  Ein  3.  Fall,  dessen  Konzentrationsvermögen  gegenüber 
einer  NaCl-  bzw.  Harnstoffzulage  normal  war,  muss  als  Polyurie  j 
unklaren  Ursprunges  angesehen  werden. 

E.  W  a  1  1  e  r  s  t  c  i  n  e  r:  Untersuchungen  über  das  Verhalten 
von  Gesamtstoffwechsel  und  Eiweissumsatz  bei  Karzinomatösen.  ' 
(Aus  der  med.  Klinik  zu  Heidelberg.) 

In  langdauernden  Respirationsversuchen  wurde  das  Verhalten  der 
Wärmeproduktion  nüchterner,  nicht  fiebernder  Karzinomatöser  stu¬ 
diert  und  der  Eiweissstoffwechsel  solcher  Kranker  im  Rahmen  der 
Gesamtverbrennungen  verfolgt.  Die  Wärmeproduktion  Karzinoma¬ 
töser  kann  sich  sehr  verschieden  verhalten  und  schwankte,  bezogen 
auf  Tag  und  1  kg  Körpergewicht  in  der  enormen  Breite  von  20  bis 
59  Kalorien.  Die  Ursache  ist  vermutlich  bei  den  stark  herabge¬ 
setzten  Verbrennungen  eine  Anpassung  an  Unterernährung,  in  10  Proz. 
fand  sich  eine  erhebliche  Steigerung  des  Gesamtstoffwechsels,  die 
meisten  Zahlen  bewegen  sich  in  der  Breite  oder  an  der  oberen 
Grenze  der  Norm.  Eiweissverluste  traten  nur  dann  ein,  wenn  der 
Steigerung  der  Verbrennungen  und  des  Eiweissumsatzes  nicht  in  der 
Ernährung  Rechnung  getragen  wird.  Mit  einer  ausreichenden  Er¬ 
nährung  liess  sich  stets  annähernd  ein  Stickstoffgleichgewicht  er¬ 
zielen,  ein  Eiweissansatz  trat  ein,  wenn  der  Kalorienbedarf  deutlich 
überschritten  wurde.  Im  übrigen  ist  die  Möglichkeit  zuzugeben,  dass 
beim  Karzinom  eine  isolierte  (toxische?)  Schädigung  des  Eiweiss¬ 
stoffwechsels  einmal  Vorkommen  kann,  ein  zwingender  Beweis  hie- 
fiir  fehlt.  Die  Steigerung  des  Stoffwechsels  beim  Karzinom  ist  jedoch 
da,  wo  sic  nicht  von  Temperaturerhöhungen  begleitet  ist,  prinzipiell 
von  der  beim  echten  Fieber  insofern  verschieden,  als  die  Wärme¬ 
regulation  intakt  bleibt.  Ueber  die  Ursache  der  Steigerung  lässt  sich 
eine  genaue,  für  alle  Fälle  zutreffende  Vorstellung  schwer  gewinnen. 
Man  wird  deshalb  wohl  am  besten  von  einer  toxischen  Stoffwechsel¬ 
steigerung  sprechen,  wobei  das  Wort  im  weitesten  und  allgemeinsten 
Sinne  einer  Alteration  des  Stoffwechsels  durch  das  Geschwulstge¬ 
webe  bzw.  dessen  Produkte  gemeint  ist. 

Preisausschreiben  der  „Robert  Koch-Stiftung  zur  Bekämpfung 
der  Tuberkulose“.  Preisaufgabe:  „Die  Bedeutung  der  verschieden¬ 


artigen  Strahlen  (Sonnen-Röntgen-Radium-Mesothoriurn)  für  die  Dia¬ 
gnose  und  Behandlung  der  Tuberkulose.“ 

Kleinere  Mitteilungen. 

1.  Sc  h  1  a  y  e  r  -  München:  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Nephro¬ 
pathien.  Bemerkungen  zu  der  Arbeit  v.  Monakows.  (Aus  der 
1.  med.  Klinik  zu  München.) 

2.  P.  v.  Monakow:  Erwiderung  zu  obigen  Bemerkungen. 

Besprechungen.  Bamberger  -  Kronach. 

Zentralblatt  für  Chirurgie.  1914.  Nr.  33. 

A.  v.  Lichtenber  g-Strassburg:  Zur  Technik  der  Pyelographie. 

Veif.  gibt  zu  der  Publikation  von  Joseph  in  Nr.  27  noch  einige 
wertvolle  Ergänzungen:  Um  wirklich  gute  Röntgenbilder  von  der 
Niere  zu  bekommen,  ist  gründliche  Entleerung  des  Darmes  Bedingung: 
verwendet  werden  Katheter  mit  Wismut  imprägniert,  von  Stärke 
Nr.  4,  höchstens  Nr.  5;  nach  Einführung  des  Katheters  wird  das 
Zystoskop  entfernt;  vor  der  Röntgenaufnahme,  die  der  Funktions¬ 
prüfung  der  Niere  angeschlossen  wird,  wird  ein  Katheter  Nr.  17 
Charr.  in  die  Blase  eingelegt.  Eingespritzt  wird  eine  10  proz.  Lösung 
des  Kollargol  Heyden;  die  Menge  schwankt  zwischen  5  und 
100  ccm,  je  nach  den  speziellen  anatomischen  Verhältnissen  der  zu 
untersuchenden  Niere;  solange  neben  dem  Katheter  ständiger  Rück¬ 
fluss  erfolgt,  darf  die  Injektion  während  der  Aufnahme  fortgesetzt 
werden;  eine  röntgenographisch  nachweisbare  Stockung  des  Urin- 
abflusses  bildet  ein  absolutes  Frühsymptom  einer  beginnenden  Hvdro- 
nephrose.  Von  der  Ausspülung  des  Kollargols  nach  der  Pyelographie 
ist  Verl,  wieder  abgekommen,  da  sie  in  den  Fällen  doch  nicht  mög¬ 
lich  ist,  wo  Kavernen  oder  Geschwüre  im  Nierenbecken  sind.  Bei 
Blutungen  ist  die  Pyelographie  zu  unterlassen. 

Hans  Hans-Limburg  a.  d.  Lahn:  Zur  Operationstechnik  der 
doppelseitigen  Hasenscharte. 

Um  die  doggenmässige  Verbreiterung  der  Nase  zu  vermeiden, 
benützt  Verf.  den  beweglichen  Hautteil  des  Zwischenkiefers  zur 
Bildung  des  häutigen  unteren  Teiles  der  Nasenscheidewand;  die 
Rücklagerung  des  Zwischenkiefers  erfolgt  nach  der  Methode  von 
Bardeleben.  Ueber  die  Wunde  kommt  kein  Verband;  die 
Spannung  lindert  ein  Heftpflasterzug  auf  folgende  Weise:  ein  12  cm 
langer  und  4  cm  breiter  Leukoplaststreifen  wird  von  den  Schmal¬ 
seiten  her  bis  auf  4  cm  eingeschnitten;  die  unteren  Zipfel  werden  uin 
360"  um  die  oberen  Zipfel  geschlagen,  so  dass  aus  dem  Mittelstück 
eine  glatte  Rolle  entsteht,  die  in  den  Mundspalt  kommt;  die  oberen 
Zipfel  gehen  von  Ohr  zu  Ohr,  die  unteren  unter  Zug  unter  das  Kinn. 
Diese  Methode  hat  sich  dem  Verf.  gut  bewährt  zur  Erzielung  eines 
kosmetischen  Resultates.  E.  Heim-  Oberndorf  b.  Schweinfurt. 

Zentralblatt  für  Gynäkologie.  Nr.  31,  1914. 

P.  Z  w  e  i  f  e  1  -  Leipzig:  Erfahrungen  mit  der  Mesothoriumbe- 
handlung. 

Z.  bespricht  einige  mikroskopische  Bilder  von  bestrahlten 
Karzinomen.  In  einem  Präparate  war  nur  noch  eine  einzige  Kar¬ 
zinomzelle  übrig  geblieben.  Auch  die  elektive  Wirkung  war  in  den 
Präparaten  zu  erkennen.  Trotzdem  betont  Z.,  dass  für  die  Frage 
der  Dauerheilung  nicht  das  Mikroskop,  sondern  nur  die  klinische  Be¬ 
obachtung  über  einen  langen  Zeitraum  entscheidend  ist.  Zu  dieser 
Auffassung  kam  er  durch  eine  Reihe  von  grossen  Enttäuschungen, 
die  er  im  Laufe  der  Jahre  mit  der  Karzinombehandlung  erlebt  hat. 

E.  M  e  y  e  r  -  Frankfurt  a.  M.:  Zur  Wertung  der  intrauterinen 
Radiumapplikation  bei  Carcinoma  uteri. 

Zwei  Fälle  von  Zervixkarzinom,  bei  denen  nach  endozervikaler 
Radiumapplikation  einmal  eine  schwere,  parauterine  Entzündung  des 
ganzen  Beckenbindegewebes  und  der  Adnexe  mit  Ausgang  in  Heilung, 
einmal  nach  gleicher  Behandlung  eine  foudroyante  Sepsis  auftrat,  die 
in  kurzer  Zeit  den  Exitus  herbeiführte.  Die  Fälle  zeigen  die  Gefahren 
der  intrauterinen  Radiumapplikation. 

H.  K  ii  s  t  e  r  -  Breslau:  Ueber  den  Nutzen  des  Peristaltins  für 
die  Laoarotomierten. 

K  empfiehlt  auf  Grund  seiner  Erfahrungen  0,5  Peristaltin  intra¬ 
muskulär  unmittelbar  vor  der  Operation  und  am  Operationsabend  zu 
geben.  Die  Darmtätigkeit  setzt  dann  etwa  8  Stunden  früher  ein,  als 
sonst,  was  nach  dem  Abgang  der  ersten  Flatus  bestimmt  wurde. 
Seine  Anwendung  ist  im  übrigen  völlig  unschädlich.  Das  Mittel  wurde 
zuerst  von  Fla  tau  in  Nürnberg  empfohlen.  J  a  f  f  e  -  Hamburg. 

Berliner  klinische  Wochenschrift.  Nr.  33,  1914. 

H.  B  e  i  t  z  k  e  -  Lausanne:  Ueber  eine  schwere,  tödlich  verlaufene 
Infektion  des  Menschen  mit  Rindertuberkulose. 

Kasuistischer  Beitrag. 

Starke-  Breslau :  Zur  Behandlung  des  Lupus  mit  dem  Fried- 
m  a  n  n  sehen  Mittel. 

Unangenehme  Nebenwirkungen  des  Mittels  wurden  nicht  be¬ 
obachtet,  dagegen  war  aber  eine  wirklich  fortschreitende  Heilung, 
selbst  eine  deutliche  Besserung  auch  nach  mehreren  Monaten  in 
keinem  Falle  zu  konstatieren. 

W.  S  c  h  o  1 1  z  -  Königsberg  i.  Pr.:  Die  Heilung  der  Syphilis  durch 
die  kombinierte  Salvarsan-Quecksilberbehandlung. 

Verf.  nimmt  an,  dass  durch  die  Salvarsan-Quecksilberbchand- 
lung  der  Syphilis  bei  primärer  Syphilis  in  95—100  Proz.,  bei  sekun¬ 
därer  Syphilis  in  etwa  85  Proz.  der  Fälle  Heilung  erzielt  wird  und 


1.  September  1914. 


MUFNCFIFNFR  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


Jass  wir  tatsächlich  berechtigt  sind  anzunehmen,  dass  die  Heilung 
eine  definitive  sein  dürfte. 

St  rau  ss.  Ueber  die  diagnostische  Bedeutung  des  Nischen- 
ymptoms  bei  der  radiologisehen  Magenbetraehtung. 

Das  Nischensymptom  ist,  sobald  es  vorhanden  ist  und  ein  Be- 
»bachtungsfehler  nicht  vorliegt,  absolut  beweisend  für  das  kallöse 
Jlcus.  Es  kommt  ihm  beim  pylorusfernen,  kallösen  Ulcus  eine  selir 
t oh e  Bedeutung  zu,  beim  Ulcus  simplex  spielt  es  keine  Rolle.  Als 
eines  Symptom  -  also  ohne  gleichzeitig  vorhandenen  Sanduhr- 
'ugen  ist  es  sehr  selten.  Die  Nische  ist  meistens  beim  penetrieren- 
,en  Ulcus  vorhanden,  doch  kann  man  sic  gelegentlich  auch  bei  ganz 
leinen  kallösen  Ulccra  ohne  penetrierenden  Charakter  beobachten. 

M.  E  h  r  e  n  r  e  i  c  h  -  Bad  Kissingen:  Zur  Diagnose  der  begiimcii- 
!en  sekretorischen  Insuffizienz  des  Magens. 

NLht  die  Frage,  ob  freie  HCl  vorhanden  ist  oder  fehlt,  ist  für 
ie  Ditferentialdiagnose  zwischen  Ulcus  und  Karzinom  von  Wichtig- 
eit,  sondern  die,  ob  die  sekretorische  Funktion  als  Ganzes  im  Sinne 
iner  Reizung  oder  Lähmung  verändert  ist.  Das  Frühstadium  der 
ekretorischen  Insuffizienz  kann  man  beim  Ryloruskarzinom  oftmals 
us  dem  v  erhaltms  der  Säurezahlen  des  Nüchternrestes  zu  denen  des 
robefrühstiieks  erkennen.  Für  Fälle  mit  pylorusfernem  Karzinom 
hiss  eine  geeignete  Methode  zur  Erkennung  der  Anfangsstadien  der 
ekrctionsschadigung  noch  gefunden  werden.  Als  dafür  gangbarer 
\  eg  erscheint  die  Anwendung  des  Verfahrens  der  2  mal  nacheinander 
orzunehmenden  Reizung  des  sekretorischen  Apparates. 

I.  Friedländer:  Ein  Fall  von  Neuritis  postdiphtherica. 

Kasuistischer  Beitrag. 

H.  I  r  ie  p  el- Breslau:  Das  Alter  menschlicher  Embryonen. 

Wenn  das  Menstrualalter  auch  von  dem  wahren  Alter  des 
ttibryos  abweicht,  so  ist  es  doch  immer  für  die  Bestimmung  des 
lters  menschlicher  Embryonen  von  Bedeutung.  Das  wahre  Alter 
t  im  Mittel  um  18  bis  19  Tage  geringer  als  das  Menstrualalter. 

Dr.  G  r  a  s  s  m  a  n  n  -  München. 


Deutsche  medizinische  Wochenschrift.  Nr.  32,  1914. 

Grob  er- Jena:  Die  Behandlung  der  bedrohlichen  Zustände  bei 
:r  akuten  Endomyo-  und  Perikarditis.  Klinischer  Vortrag. 

1  'ktbr,  ena:  Zystische  Geschwülste  im  Jugulum,  speziell 
ne  tuberkulöse,  aus  der  Thymusdrüse  (?)  hervorgegangene 

Von  den  Kropfzysten“  sind  ein  beträchtlicher  Teil  Dermoide 
um  sie  dicht  über  dem  Sternum  sitzen;  die  weiter  oben  sitzenden 
■icn  vom  Ductus  thyreoglossus  aus.  Die  Dermoidzysten  liegen  vor 
-ii  langen  Halsmuskeln  ganz  oberflächlich,  während  die  Kropfzysten 
eist  tiefer  hegen.  Kropfzysten  gehen  scheinbar  oft  von  dem  Isthmus 
is  in  Wirklichkeit  aber  meist  von  einem  der  Seitenlappen.  In 
opfreichen  Gegenden  finden  sich  Dermoide  und  Kropfzysten  ziern- 
n  gleich  häufig  im  Jugulum,  in  kropffreien  überwiegen  die  Der¬ 
male  Kropfzysten  können  gelegentlich  tuberkulös  entarten 
-rinoide  schwerlich.  Die  von  den  Rippenansätzen  und  den  Lymph- 
usen  in  der  Umgebung  der  Vena  jugularis  interna  ausgehenden 
Müschen  tuberkulösen  Geschwülste  (oder  Abszesse)  liegen  mehr 
itheh  im  Jugulum;  eine  in  der  Mittellinie  desselben  liegende  tuber- 

i  ose  Zyste  wird  sich  von  einer  substernalen  Struma  oder  wahr- 
leinhcher  von  der  tuberkulösen  Thymusdrüse,  event.  auch  von 

ii  uiandulae  mediastini  anterioris  aus  entwickeln.  Beschreibung 
,es  cisentumlichen  Falles,  wo  wahrscheinlich  die  tuberkuiöse 
'Mmisdruse  den  Ausgangspunkt  für  ein  entzündliches  Infiltrat  mit 
ntralem  zystenähnlichen  Zerfall  bildete. 

Ir  Dnkultu  “kalt’KÖnigSberg:  DaS  Aussterben  der  »Krankheiten 

Von  den  Impfgegnern  wird  der  Rückgang  der  Pocken  gern  durch 
s  Aussterben  der  „Krankheiten  der  Unkultur“,  wie  Flecktyphus, 
l,"ld  Kekurrens  erklärt.  Verf.  weist  auf  den  grossen  Unterschied 
;  bc‘  diesen  letzten  Krankheiten  ein  ganz  bestimmter  tier- 
Cr  ebcrlrager  (Läuse,  Ratte)  bekannt  ist,  dessen  Ausrottung 
'iiständfmfehltS  Ke  mgt’  während  bei  den  Pocken  diese  Möglichkeit 

L  H  i  r  s  c  h  f  e  I  d  und  R.  K  I  i  n  g  e  r  -  Zürich :  Ueber  eine  Ge- 

1  nimgsreaktion  bei  Lues. 

.  Nähere  Ausführungen  zu  dem  auf  dem  Kongress  für  innere 
uzin  vorgetragenen  Verfahren.  S.  Bericht  M.m.W.  1914  S.  1193. 

’ dadefekt  r  6  e"^remen:  Die  (-)perationen  Zlir  Deckung  grösserer 

Verf.  hat  das  von  Brandes  angegebene  Verfahren  zum  Aus- 
7  Krosserer  Tibiadefekte  mittels  Transplantation  der  zugehörigen 
i  LT  einern  Fal1  angewendet,  wo  bei  einem  12  jährigen  Mädchen 
.  Z  Zerstörung  der  unteren  Tibiaepiphyse  eine  starke  Längen- 
uenz  und  Bd^tungsdeformätion  drohte:  Mobilisierung  des 
^ren  Knöchels  mit  Periost  und  Einpflanzung  desselben  in  den 
„i7  ,  lbiarest  oder  den  Talus,  gabelförmige  Längsspaltung  des 
,  c  la  tes  der  Höhe  des  Endes  des  Tibiastumpfes  und  Ein- 
li  iTICses  Reriostknochenspahnes  mit  seinem  oberen  Ende  in 
nv'Ir  M>im  de?  unteren  Schienbeinendes.  Der  Erfolg  war  durch 
>  S(:  Nekrose  infolge  ungünstiger  Zirkulationsverhältnisse  einiger- 

■  (en  ecinträchtigt.  Mit  Rücksicht  auf  die  Spannung  des  medialen 
n-  unu  Muskelnarbengewebes  empfiehlt  sich  die  Operation  mög- 
;7  '  ,  naKl'  Abheilung  der  Osteomyelitis.  Bemerkungen  und 

^en  betr.  Modifikation  des  Verfahrens  in  besonderen  Fällen. 

■  c  r  s  -  Kopenhagen :  Ueber  die  operative  Behandlung  des 
auhrmagens. 


Bezüglich  der  Diagnostik  —  abgesehen  von  der  zuverlässigsten 
Röntgenuntersuchung  —  macht  P.  u.  a.  folgende  Bemerkungen  (15 
Kranke) :  Beim  Lufteinblasen  trat  8  mal  ein  gurgelndes  oder  pfeifen¬ 
des  Geräusch  an  der  Kardia  auf,  5  mal  waren  zwei  durch  eine  Furche 
gctiennte  Hervorwölbungen  zu  konstatieren.  Nach  dem  Wasserein- 
giessen  blieb  6  mal  das  Wasser  ganz  oder  zum  Teil  im  Magen,  3  mal 
trübte  sich  plötzlich  das  anfangs  klare  Ausheberungswasser.  In 
einem  ral  e  war  wiederholt  nach  scheinbar  völliger  Ausheberung  der 
i  robemahlzeit  noch  eine  Portion  zu  erhalten,  die  gegenüber  der  ersten 
lortion  eine  entgegengesetzte  Reaktion  zeigte.  An  13  Kranken  wurden 
olgende  Operationen  gemacht:  7  mal  die  Gastrogastroanastomose 

Rezidive  mit  Ulcussymptomcn),  3  mal  die  Gastroenterostomose 
J".  u  f1  j.  3  mal  die  beiden  Operationen  (1  Rezidiv).  Verf.  be¬ 
dachtet  die  Gastrogastroanastomose  als  die  entsprechendste  (die 
Rezidive  traten  erst  nach  5  bzw.  7  Jahren  ein),  wo  wegen  Alters, 
^.chwachc  oder  Arteriosklerose  die  Resektion  nicht  möglich  ist.  Im 
übrigen  verdient  die  B  i  1 1  r  o  t  h  sehe  Resektion  II  als  radikales  Ver¬ 
fahren  mit  guten  Endresultaten  den  Vorzug. 

.  d:  d\  N  j  t  z  e  s  k  u  -  Bukarest:  Die  Schutzfermente  gegen  das 
Maisenveiss  (Zeine)  im  Blut  der  Pellagrösen. 

Zusammenfassung:  Das  Blut  der  Pellagrösen  enthält  Fermente, 
die  anscheinend  elektiv  auf  Zeine  reagieren,  zeinolytische  Fermente. 
Uer  Pellagröse  unterliegt  bei  ununterbrochener  Maiskost  einer  Intoxi- 
kation  durch  die  Zeine.  Die  genannten  Fermente  bleiben  noch  lange 
Zeit  im  Blut  nach  Schwinden  der  Symptome  und  Kostwechsel.  Die 
Feimentreaktion  kann  in  zweifelhaften  Fällen  die  Diagnose  unter¬ 
stützen. 

H.  B  o  r  u  1 1  a  u  -  Berlin:  Zur  innerlichen  Kalktherapie. 

Nach  B.s  Untersuchungen  ist  das  Calcedon,  eine  Kombination 
von  Kalk  mit  dem  Pflanzeneiweiss  Edestin,  zur  länger  dauernden 
inneren  Kalkbehandlung  geeignet;  u.  a.  ergab  sich  auch,  dass  das 
Präparat  beim  Kaninchen,  per  os  gegeben,  die  Pituitrinwirkung  auf 
die  Atmungskurve  aufhebt,  wie  das  Kays  er  bei  subkutanen  Clilor- 
kalziuminjektionen  beobachtet  hat. 

R.  Meyer- Halle  a.  S.:  Larosan  beim  Erwachsenen,  insbe¬ 
sondere  beim  Ulcus  ventriculi. 

Wo  bei  Ulcus  ventriculi  Schmerzen  oder  Blutungen  eine  längere 
strenge  Schonungsdiät  erfordern,  hat  M.  mit  gutem  Erfolg  Larosan 
(5:-6  Proz.)  der  Milch  zugesetzt;  ausser  der  Kalorienbereicherung 
wird  durch  den  Kalkgehalt  des  Mittels  die  Säurebindung  erhöht  und 
die  Gerinnungsfähigkeit  des  Blutes  gesteigert.  Im  allgemeinen  wird 
der  Geschmack  gern  ertragen,  ev.  wäre  ein  Zusatz  von  Kakao  und 
Zucker  zu  machen.  Das  Mittel  ist  auch  verwendbar  bei  chronischen 
Darmkatarrhen,  Darmtuberkulose  und  für  Mastkuren. 

H.  Schirokauer  -  Berlin  Die  Phenolphthaleinprobe  auf  ok¬ 
kultes  Blut  nach  Boas.  Erwiderung  auf  die  Bemerkungen  von 
Boas  in  Nr.  29. 

J.  Boas-  Berlin :  Entgegnung. 

G.  K  a  t  z  -  Berlin-Friedenau :  Hexal  in  der  Frauenpraxis. 

Verf.  hat  an  sich  erprobt,  dass  das  Hexal  auch  beim  Gesunden 
diuretisch  -wirkt.  Der  Geschmack,  in  Zuckerwasser,  ist  gut,  unan¬ 
genehme  Nebenwirkungen  fehlen.  Bei  25  weiblichen  Kranken, 
(Zystitis,  Urethritis,  Ncphrolithiasis,  Pyelonephritis)  war  die  Wirkung 
sehr  befriedigend.  Namentlich  werden  auch  hartnäckige  Zystitiden 
gut  beeinflusst,  wofür  allerdings  anfangs  bis  zu  3  g  im  tage  er¬ 
forderlich  sind. 

G.  F  r  i  t  s  c  h  -  Grosslichterfelde:  Die  resorbierende  Wirkung  des 
Jodozitins. 

Verf.  hat  an  sich  nach  3  monatigem  Jodozitingebrauch  (täglich 
1  Tablette)  eine  deutliche  Klärung  des  getrübten  Gesichtsfeldes  und 
Besserung  eines  leichten  Asthma  bronchiale  feststeilen  können. 

G.  F  1  a  t  a  u  -  Berlin:  Bemerkungen  über  mechanische  Mittel  zur 
Behebung  der  Impotenz. 

F.  verhält  sich  nicht  ganz  absprechend  gegen  die  in  dieser 
Richtung  gehenden  Behandlungsvcrsuche,  hält  aber  die  bisher  kon¬ 
struierten  und  empfohlenen  Vorrichtungen  nicht  für  genügend 
brauchbar  und  unschädlich. 

A.  Rördans  z-Charlottenburg:  Eichung  medizinischer  Spritzen. 

Abdruck  der  Bekanntmachung  betr.  Eichung  von  medizinischen 
Spritzen  (4.  Reihe  der  Mitteilungen  der  Kaiserl.  Normaleichungs¬ 
kommission  S.  62)  und  Erläuterung  derselben.  Das  Bestreben  geht 
dahin,  dass  von  beamteten  Aerzten  und  in  Krankenhäusern  nur  noch 
geeichte  Spritzen  verwendet  werden  sollen. 

E  n  g  e  1  e  n  -  Düsseldorf:  Apparat  zur  Lichtbehandlung  der  Lunge. 

Der  Apparat  trägt  auf  einem  der  Thoraxform  anzupassenden, 
gut  anliegenden  Gestell  eine  Reihe  von  kleinen,  röhrenförmigen 
Glühlampen.  Firma  Louis  und  H.  Löwenstein,  Berlin  N,  Ziegel¬ 
strasse  28/29. 

Adam-Köln:  Die  französische  Kriegskrankenpflege. 

Wird  in  der  Fcldärztlichen  Beilage  besprochen. 

B  c  r  g  e  a  t  -  München. 

Oesterreichische  Literatur. 

Wiener  klinische  Wochenschrift. 

Nr.  33.  G  u  r  a  r  i  -  St.  Petersburg:  Eine  neue  Methode  der  Be¬ 
handlung  der  Syphilis  des  Nervensystems. 

Ausgehend  von  der  Beobachtung,  dass  die  perivaskulären 
Lymphräume  der  Hauptsitz  der  Spirochäten  sind,  muss  man  auch 
darnach  trachten,  in  die  Lymphwcge  die  antisyphilitischen  Heilmittel 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  35. 


1882 


einzubringen;  hierfür  stellt  der  subarachnoidale  Raum,  welcher  die 
Zerebrospinalflüssigkeit  enthält,  den  besten  Weg  dar  und  er  ver¬ 
mittelt  zugleich  den  besten  Zugang  der  Medikamente  zum  Zentral¬ 
nervensystem.  Nach  den  Versuchen  von  Swift  und  Ellis  hat  das 
Serum  von  mit  Neosalvarsan  behandelten  Patienten  die  Eigenschaft, 
die  Spirillen  zu  töten  und  lässt  sich  therapeutisch  verwerten.  Dem¬ 
entsprechend  ist  Verf.  vorgegangen.  1  Stunde  nach  intravenöser  In¬ 
jektion  von  Neosalvarsan  (0,6,  neuerlich  0,45  g)  wurden  aus  der  Vene 
4Q_50  ccm  Blut  entnommen;  wenn  man  dabei,  nachdem  die  Nadel 
ohne  Spritze  in  die  Vene  gestochen,  die  vorher  stark  angezogene 
Stauungsbinde  lockert  und  zugleich  bei  gesenktem  Arm  aktiv  oder 
passiv  die  Finger  bewegt  werden,  fliesst  das  Blut  im  Strahl  rasch 
ab.  In  einer  Glasschale  mit  breitem  Boden  bleibt  das  Blut  24  Stun¬ 
den  kühl  gehalten.  Das  so  gewonnene  reine  Serum  wird  J4  Stunde 
auf  56"  erwärmt,  dann  12—15  ccm  davon  mit  physiologischer  NaCl- 
Lösung  auf  30  ccm  verdünnt.  Diese  Lösung  wird  dann  nach  Ab¬ 
fassung  etwa  der  halben  Menge  von  Zerebrospinalflüssigkeit  in  den 
Lumbalkanal  des  sitzenden  Kranken  eingebracht,  der  dann  48  Stun¬ 
den  in  dem  am  Fussende  durch  Backsteine  erhöhten  Bett  verbleibt. 
Diese  Behandlung  wurde  an  45  Kranken  vorgenommen;  bei  10  hoff¬ 
nungslos  chronisch  Kranken  konnten  wiederholte  Untersuchungen  der 
Zerebrospinalflüssigkeit  vorgenommen  werden  (Myelitis  5,  Tabes  1, 
Lues  cerebrospinalis  4);  die  Zahl  der  Injektionen  betrug  2  bei  2.  3  bei  3, 

5  bei  1  Kranken.  Der  Injektion  folgte  eine  etwa  12  ständige  Reaktion 
mit  einer  Temperatur  von  meistens  38,0 — 38,5,  mit  Schmerzen  im 
Kopf,  Kreuz  und  den  Beinen  und  in  einigen  Fällen  auch  mit  Harn¬ 
retention.  Der  subjektive  Erfolg  bestand  nur  in  der  Besserung  der 
Schmerzen  und  Sensibilitätsstörungen,  dagegen  war  objektiv  mit 
einer  Ausnahme  eine  günstige  Veränderung  der  Zerebrospinalflüssig¬ 
keit  festzustellen  in  Form  der  bedeutenden  Verringerung  der  Pleo¬ 
zytose,  die  in  3  Fällen  fast  normalen  Verhältnissen  Platz  machte,  fast 
parallel  veränderte  sich  die  Non  ne  sehe  Reaktion,  während  die 
Lange  sehe  und  die  Wassermann  sehe  Reaktion  sich  am  läng¬ 
sten  erhielten.  10  Krankengeschichten. 

A.  Plunger-Linz  a.  D.:  Zwei  Fälle  von  isolierter  Mondbein¬ 
fraktur. 

Krankengeschichten.  Verf.  weist  auf  die  Bedeutung  der  dorsalen 
Hyperflexion  der  Hand  für  das  Entstehen  der  isolierten  Fraktur  des 
Mondbeins  hin.  In  veralteten  Fällen  empfiehlt  sich  die  Exstirpation 
des  Mondbeins. 

J.  S  a  p  h  i  e  r  -  München:  Ueber  die  Herstellung  der  haltbaren 
Kollargolpräoarate  von  Spirochäten  und  Hyphomyzeten. 

Die  von  Nit  sehe  empfohlene  Verwendung  kolloidaler  Metalle 
an  Stelle  der  Tusche  bei  Burripräparaten  ergibt  nur  wenig  haltbare 
Präparate.  Verf.  empfiehlt  folgende  Verbesserung;  Das  luft- 
getrocknete  Ausstrichpräparat  wird  mit  Kollargollösung  beschickt, 
nach  2 — 3  Minuten  wird  der  Objektträger  senkrecht  gestellt  und  an 
der  Luft  getrocknet.  Dieses  Kollargolpräparat  bleibt  einen,  am  besten 
2—3  Tage  liegen.  Dann  kommt  es  kurz  in  eine  2  proz.  Lösung  von 
Fixiernatron,  wird  in  Wasser  abgespült  und  getrocknet.  Statt  braun 
ist  nun  das  Präparat  stahlgrau  glänzend  und  gibt  sehr  schöne  scharfe 
Bilder.  Die  Haltbarkeit  ist  unbegrenzt.  Am  besten  werden  1 — 2  proz. 
Kollargollösungen  verwendet.  B  e  r  g  e  a  t  -  München. 

Inauguraldissertationen. 

Universität  Greifswald.  Juli  und  August  1914. 

Köhnke  Fritz:  Ueber  Divertikelsteine  der  Harnblase. 

Krüger  Alfred:  Ein  Fall  von  Keratoma  palmare  et  plantare  lieredi- 
tarium. 

P  a  e  t  z  Alexander:  Bekämpfung  uteriner  Blutungen  durch  Einwirkung 
auf  die  Ovarien. 

Gurr  Ernst:  Der  Volvulus  des  Zoekum. 

Langel  iiddeke  Albrecht:  Ueber  die  Einwirkung  einiger  Medika¬ 
mente  auf  die  Lebensdauer  einiger  pathogener  Bakterien.  . 
Schweitzer  Walter:  Ueber  Degeneratio  retinae  bei  Siderosis 
bulbi. 

Dütschke  Hans:  Der  Impfzwang.  (Jurist.  Diss.) 

Pieper  Ernst:  Die  Lebensfähigkeit  der  Typhusbazillen  im  Wasser 
des  Greifswalder  Boddens  mit  besonderer  Berücksichtigung  der 
Kanalisationsfrage. 

Hotnerczyk  Theodor:  Sind  die  „Nebenträger“  der  Diphtherie- 
bazillen  für  die  Verbreitung  der  Diphtherie  bedeutungslos?  Eine 
kritische  Studie. 

Straszewski  Max:  Salizylsäure  und  Gelenkrheumatismus. 
Jahn  Theodor:  Der  Geburtenrückgang  in  Pommern  (1876 — 1910). 
Grub  er  t  Ernst:  Ein  Dolichozephaius  mit  Hydrozephalie  und  Spina 
bifida. 

Universität  Würzburg.  Juli  1914. 

Abcrt  Theodor:  Beiträge  zur  partiellen  Rhinoplastik. 

Emnet  Karl:  Klinische  und  serologische  Untersuchungen  über  die 
Ursache  der  Alopecia  areata. 

Flach  Werner:  Die  Anwendung  der  Zange  an  der  Kgl.  Universitäts- 
Frauenklinik  zu  Wtirzburg  in  den  Jahren  19Q1 — 1911. 

Meyer  Max:  Zur  Frage  der  Tuberkelbazilleninvasion  durch  die 
Zähne  hindurch.  jjin 

V  i  e  r  h  e  i  1  i  g  Joseph:  Die  subkutane  Bronchuszerreissung. 


Vereins-  und  Kongressberichte. 

Verein  der  Aerzte  in  Halle  a.  S. 

(Bericht  des  Vereins.) 

Sitzung  vom  27.  Mai  1914. 

Vorsitzender:  Herr  B  e  n  e  k  e. 

Schriftführer  i.  V.:  Herr  Zander. 

Herr  Adolf  Schmidt:  Laparoskopie  und  Thorakoskopie  nach 

J  a  k  o  b  ä  u  s.  .  .  •  .  .  ~ 

Herr  Sch.  demonstriert  die  Thorakoskopie  an  einem  Patienten 
mit  spontanem  Pneumothorax  und  bespricht  ihre  Indikationen,  sowie 
die  Technik.  Ueber  die  Laparoskopie  sind  die  Akten  noch  nicht  ge¬ 
schlossen,  wenn  auch  zurzeit  wenig  Aussicht  besteht,  ihren  Anwen¬ 
dungsbereich  über  die  Fälle  von  Aszites  wesentlich  zu  erweitern. 
Das  Verfahren  ist  jedenfalls  mehr  als  eine  Spielerei  und  verdient  wei¬ 
tere  Beachtung. 

Herr  Grund:  Ueber  Oesophagusdllatationen. 

Nach  einer  kurzen  Zusammenstellung  der  verschiedenen  Formen 
von  Oesophagusdilatationen  und  der  für  sie  in  Betracht  kommenden 
Ursachen  stellt  der  Vortragende  2  Fälle  vor,  bei  denen  eine  eigen¬ 
artige  Verknüpfung  von  organischer  Oesophaguserkrankung  mit  einer 
diffusen  Erweiterung  vorlag. 

1.  45  iähriger  Werkmeister  leidet  seit  10  Jahren  an  heftigen 
Schmerzattacken  links  oben  seitlich  im  Leib  mit  starkem  Erbrechen. 
Seit  3  Jahren  treten  während  des  Essens  zeitweilig  plötzlich  Druck¬ 
gefühl  in  der  unteren  Brustgegend,  Schluckstörungen  und  Regurgi¬ 
tation  von  Speisen  auf.  Diese  Schluckbeschwerden  gehen  unter  dem 
Gefühl  des  Lösens  ebenso  plötzlich  vorüber.  Im  Jahre  1912  und  im 
März  1914  trat  fast  eine  Woche  lang  vollständige  Schluckunmöglich¬ 
keit  ein,  so  dass  Pat.  rapid  herunterkam. 

Der  Befund  bei  der  Aufnahme  ergab  starken  Rückstand 
im  Oesophagus,  mit  reichlichem  Milchsäuregehalt,  Boas- 
O  p  p  1  e  r  -  sehen  Bazillen.  Bei  der  Spülung  fasste  der  Oeso¬ 
phagus  350  ccm.  Mit  einiger  Mühe  gelang  es,  den  Schlauch  in  den 
Magen  einzuführen,  was  mit  einem  ziemlich  plötzlichem  Ruck  geschah. 
Der  Magen  fasste  950  ccm  Flüssigkeit.  Nach  Eingabe  eines  Probe- 
friihstückes  wurden  keine  freie  Salzsäure  und  Spuren  von  Milcn- 
säure  nachgewiesen. 

Die  Röntgenuntersuchung  ergab  eine  starke  diffuse  Dilatation  des 
Oesophagus,  die  Kardia  war  etwas  nach  links  und  oben  verzogen. 
Ebenso  schien  der  Anfangsteil  der  kleinen  Kurvatur  etwas  nach  links 
verdrängt. 

Im  ösophagoskopischen  Bilde  wies  die  hintere  Wand  mehrere  un- 
gleichmässige,  runde,  nichtulzerierte  Höcker  auf,  während  die  vor¬ 
dere  Begrenzung  glatt  erschien. 

Die  Diagnose  ist  mit  Wahrscheinlichkeit  einmal  auf  ein  hoc'i- 
sitzendes  Magenulcus  zu  stellen,  worauf  die  bereits  seit  10  Jahren 
bestehenden  Magensymptome  zurückzuführen  sind.  Beim  Ueber- 
greifen  auf  die  Kardia  selbst  ist  Oesophagusspasmus  hinzugetretei. 
der  seinerseits  zu  der  diffusen  Dilatation  des  Oesophagus  geführt  hat. 
Die  Möglichkeit  einer  malignen  Entartung  der  Ulcusnarbe  muss  be¬ 
sonders  in  Anbetracht  des  ösophagoskopischen  Bildes  in  Rechnung 
gezogen  werden.  '  ; 

2.  43  jähriger  Arbeiter,  in  die  Klinik  aufgenommen  am  19.  re- 
bruar  1914,  hatte  bereits  vor  20  Jahren  ab  und  zu  das  Gefühl  als 
wenn  die  Speisen  nicht  in  den  Magen  gingen,  namentlich  gegen  Ende 
der  Mahlzeit.  Durch  Nachtrinken  von  Flüssigkeit  wurden  die  Be¬ 
schwerden  besser.  Seit  6  Jahren  besteht  öfter  schmerzhafte.' 
Drücken  in  der  Gegend  des  Schwertfortsatzes.  Seit  Juli  1913  haben 
die  Beschwerden  an  Intensität  zugenommen,  das  Drücken  ist  heftiger 
und  dauernder  geworden,  auch  bestehen  dabei  Wtirgreiz  und  Aui- 
stossen,  aber  niemals  wirkliches  Erbrechen  oder  auch  nur  Regurgi- 
tieren  von  Speisen.  Seit  dieser  Zeit  Gewichtsabnahme. 

Die  Untersuchung  ergab  rechts  hinten  unten  neben  der  Wirbel¬ 
säule  eine  schmale  Dämpfungszone.  Das  Herz  war  etwas  nach  links 
verbreitert.  Die  ohne  besondere  Mahlzeit  vorgenommene  Durch¬ 
leuchtung  ergab  einen  breiten  Schatten,  der  das  ganze  Mediastinum 
cinnahm  und  zunächst  den  Eindruck  eines  Mediastinaltumors  er 
weckte.  .  . 

Die  Sondierung  mit  dem  Magenschlauch  und  Röntgendurch¬ 
leuchtung  nach  Bariummahlzeit  klärten  den  Fall  dahin  auf.  dass  der 
Mediastinalschatten  durch  eine  kolossale  Dilatation  des  Oesophagus 
vorgetäuscht  war.  Dieselbe  fasste  1200  ccm  Flüssigkeit.  Eine  Son¬ 
dierung  der  Kardia  war  unmöglich.  Der  Bariumschatten  lief  unten 
spitz  in  die  Kardia  aus,  wobei  die  Füllung  des  Magens  zu  verschie¬ 
denen  Zeiten  sehr  mangelhaft  oder  mit  mässig  verzögerter  Geschwin¬ 
digkeit  vor  sich  ging.  Die  vordere  Begrenzung  oberhalb  der  Kardia 
war  etwas  gezackt.  . 

Im  oberen  Teile  des  Oesophagus,  bis  fast  unter  den  Kehikopi 
reichend,  war  eine  Luftblase  sichtbar,  von  annähernd  denselben  Di¬ 
mensionen,  wie  sie  sonst  im  Magen  zu  beobachten  ist.  Die  den  Oeso¬ 
phagus  füllende  Flüssigkeit  war  gegen  diese  Luftblase  durch  einen 
horizontalen,  bei  Bewegungen  tanzenden  Flüssigkeitsspiegel  abge- 
grenzt.  n 

Die  Oesophagoskopic  ergab  eine  enorme  Erweiterung  des  Oeso¬ 
phagus.  Oberhalb  der  Kardia  war  an  der  linken  Wand  eine  zwei¬ 
markstückgrosse  Wucherung  mit  gelbem  Belage  zu  sehen,  wenn 
man  bei  der  Oesophagoskopie  im  Sitzen  Flüssigkeit  in  den  Oeso- 


September  1914. 


MUFNCHFNFR  MEDIZIN ISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1883 


igus  goss,  so  bildete  sich  ein  horizontaler  hin  und  her  glitzernder 

issigkeitsspiegel. 

Am  30.  März  kam  Pat.  unter  Erscheinungen  von  Lungengangrän 
n  Exitus,  nachdem  vorher  die  Tumorbildung  oberhalb  der  Kardia 
;h  röntgenologisch  einwandsfrei  nachgewiesen  worden  war. 

Die  Sektion  bestätigte  die  gestellte  Diagnose.  Es  fand  sich  eine 
rrme  Dilatation  des  Oesophagus  mit  einem  eigrossen,  stark  ulze- 
rten  Karzinom,  in  der  vorderen  Wand  oberhalb  der  Kardia, 
hrend  die  Kardia  selbst  keine  Veränderungen  aufwies.  Die  Mus- 
n  des  Oesophagus  waren  im  ganzen  unteren  Teil  stark  hyper- 
phisch.  Nach  oben  gegen  den  Kehlkopf  hin  hörte  die  Dilatation 
tzlich  auf,  so  dass  man  den  Eindruck  eines  klappenartigen  Vcr- 
lusscs  erhielt. 


Der  Eall  ist  jedenfalls  so  zu  deuten,  dass  eine  primäre  Dilatation 
vielen  Jahren  bestand,  während  das  Karzinom  erst  im  Juli  vori- 
i  Jahres  in  Erscheinung  getreten  ist.  Die  Ursache  des  Entstehens 
Dilatation  ist  schwer  zu  geben.  Die  Erklärung  durch  Kardio- 
smus  erscheint  unbefriedigend,  weil  einwandfreie  Symptome  von 
diospasmus  nicht  beobachtet  worden  sind  und  niemals  Regurgi- 
on  von  Speisen  stattgefunden  hat.  Wenn  diese  auch  in  letzter  Zeit 
ch  den  klappenförmigen  Verschluss  des  Oesophagus  nach  oben  ver- 
dert  worden  sein  kann,  so  würde  fiir  die  erste  Zeit  der  Dilatations- 
stehung  dieses  Moment  als  Erklärung  der  fehlenden  Regurgitation 
lt  in  Betracht  kommen.  Der  Vortragende  glaubt  deshalb  hier 
:n  Erschlaffungszustand  des  Oesophagus  jedenfalls  sehr  wesentlich 
die  Entstehung  der  Dilatation  mit  verantwortlich  machen  zu 
ssen.  Naheliegend  ist  auch  der  Verdacht,  dass  bei  Dilatationen  so 
en  Grades  angeborene  Verhältnisse  mitspielen. 

Diskussion:  Herr  Winternitz:  Ich  berichte  in  aller 
:  ze  über  einen  Fall  meiner  Beobachtung,  der  sich  als  Pendant  von 
erem  Typus  den  beiden  besürochenen  Fällen  gegenüberstellt. 

Es  handelt  sich  um  eine  idiopathische  sackförmige  Oesophagus- 
ederung  kardiospastischer  Natur  bei  einem  17  jährigen  Mädchen. 
Patientin  leidet  seit  2  Jahren  an  Magenbeschwerden,  die  sich  an- 
.s  in  Aufstossen  nach  dem  Essen  und  starkem,  schmerzhaftem 
ckgefuhl  in  der  Magengrube  nach  den  Mahlzeiten  äusserten.  Die 
isen  gingen  nur  schwer  herunter,  so  dass  sie  meist  Wasser  nach- 
ken  musste.  Hemmnis  und  Schmerzen  wurden  anfänglich  in  der 
te  des  Sternums,  später  in  der  Höhe  des  Schwertfortsatzes  be¬ 
eiltet. 

Diese  Klagen,  namentlich  die  Verlegung  des  Hindernisses  in  die 
te  des  Sternums,  Hessen  zuerst  an  ein  Oesophaeusdivertikel  den- 
.  Vor  einem  halben  Jahre  stellte  sich  Erbrechen  ein,  und  zwar 

I  öhnlich  abends  vor  dem  Zubettgehen,  doch  auch  frühmorgens 
item.  Im  Erbrochenen  fanden  sich  Speisereste  vorn  vorhergehen- 
i  aber  auch  noch  von  früheren  Tagen  her.  In  den  letzten  3  Wo- 

i  machte  sich  nun  eine  Zunahme  der  Beschwerden,  insbesondere 

I I  des  Erbrechens,  geltend,  und  es  erfolgte  starke  Gewichts¬ 
ihme. 


Ein  Probefrühstück  ergab  vergorenen  Inhalt  mit  Soeiseresten 
i  Tage  vorher,  freie  Salzsäure  15,  Gesamtazidität  45.  Der  Magen 
de  nach  erfolgter  Expression  —  es  war  übrigens  beim  Einführen 
Magenschlauches  in  den  Oesophagus  schon  Erbrechen  erfolgt  — 
'tandig  rein  gespült.  Die  Einführung  des  Magenschlauches  ge- 
ubrigens  stets  ohne  Schwierigkeit;  ungefähr  43  cm  von  der  Zahn- 
3  entfernt  machte  sich  allerdings  ein  Hindernis  geltend,  das  aber 
it  zu  überwinden  war.  Eine  Stunde  nach  der  Magenspülung 
de  der  Magenschlauch  neuerdings  eingeführt,  und  nun  wurde, 
n  ehe  der  Schlauch  die  Kardia  passiert  hatte,  vergorener  Inhalt 
usgepresst,  der  aber  im  Gegensatz  zum  Probefrühstück  keine 
Salzsäure  enthielt.  Dieses  Verhalten  bestärkte  den  Verdacht 
L'in  Oesophagusdivertikel.  Andererseits  ist  zu  betonen,  dass  der 
ne  Magenschlauch  ebenso  wie  starke  Sonden  sich  nie  in  einem 
.  verfingen.  Dies  und  andere  klinische  Zeichen  machten  doch  eine 
se  Erweiterung  der  Speiseröhre  wahrscheinlich,  was  durch  die 
genaufnahmen  (Demonstration)  sichergestellt  wurde.  Insbeson- 
lasst  die  Röntgenaufnahme  nach  Wismutmahlzeit  mit  gleich- 
ger  Einführung  einer  mit  Quecksilber  gefüllten  Sonde  keinen 
'je*  über  eine  Oesophagusdilatation  mehr  zu. 

In  therapeutischer  Hinsicht  ist  naturgemäss  der  vorliegende  Fall 
anders  zu  beurteilen  als  die  vorher  geschilderten  Krankheits- 
flier  kommt  die  Dilatation  der  Kardia.  am  besten  von  oben 
mit  einer  Ballonsonde  —  wir  verwendeten  die  G  e  i  s  s  1  e  r  - 
tsteinsche  Sonde  —  in  Betracht.  Die  Sondierung  von  unten 
nach  Vornahme  der  Gastrostomie  bietet  keine  Vorteile  und  wird 
r  nur  die  Ausnahme  bilden.  Trotz  Besserung  der  Passage  zeigen 
BiIdesPatere  RöntKenaufnahmen  in  der  Regel  keine  Veränderung 


frese:  In  dem  zweiten  Fall  halte  ich  das  Vorliegen  einer 
atmschen  Dilatation  nicht  für  wahrscheinlich  und  glaube,  dass 
’  vorneherein  ein  organisches  Hindernis  an  der  Kardia  bestanden 
L  auernder  nervöser  Kardiospasmus  findet  sich  bei  ösophago- 

ischer  Untersuchung  sehr  selten. 

Herr  S  c  h  m  i  e  d  e  n  vertritt  den  Standpunkt,  dass  doch  vermut- 
,uer  hochgradigen  Dilatation  und  Muskelhypertrophie  der  Speise- 
••  im  vorgestellten  Fall  eine  funktionelle  Stenose  der  Kardia  zu- 
e  liegen  müsse,  vermutlich  ein  Kardiospasmus  und  glaubt,  dass 
icnerweise  das  an  so  abnormer  Stelle  entstandene  Oesophagus- 
nom  auf  dem  Boden  eines  alten  Geschwürs  entstanden  sein 


könne,  welches  seinerseits  den  Kardiospasmus  hervorgerufen  habe. 
Damit  würde  eine  Erklärung  für  das  sonst  ätiologisch  dunkle  Leiden 
gegeben  sein.  Der  Begriff  der  idiopathischen  Dilatation  der  Speise¬ 
röhre  sollte  besser  fallen  gelassen  werden. 

Herr  Beneke:  Die  in  der  heutigen  Diskussion  ebenso  wie  in 
der  Literatur  hervortretende  Unsicherheit  bezüglich  der  Genese  der 
spindelförmigen  Oesophagusdilatationen  veranlasst  mich,  bei  dieser 
Gelegenheit  auf  eine  verjährte  Abhandlung  von  mir  über  diesen 
Gegenstand  zurückkommen,  welche  in  der  Literatur  fast  unbekannt 
geblieben  ist.  Sie  beruhte  auf  der  Beobachtung  eines  Mannes,  der 
als  kräftiger  junger  Soldat  im  Anschluss  an  das  Verschlucken  eines 
heissen  Kartoffelstückes  an  nervösem  Kardiospasmus  erkrankte  und 
nach  vieljährigem  Siechtum  an  spindelförmiger  Oesophagusdilatation 
durch  Verhungern  zugrunde  ging.  Ich  konnte  damals  nachweisen, 
dass  ein  charakteristischer  Klappenmecha¬ 
nismus  an  dem  untersten  Abschnitt  des 
Oesophagus  zustande  gekommen  war;  der 
Oesophagus  bildete  einen  Sack,  an  welchem 
die  letzten  2  cm  vor  der  Kardia  schräg  an¬ 
setzten;  füllte  sich  der  Sack  mit  Speise¬ 
resten,  so  komprimierte  er  in  der  Richtung 
des  Pfeiles  das  Endstück  vor  der  Kardia. 

Ich  habe  daran  die  Hypothese  geknüpft, 
dass  dieser  Klappenverschluss  in  manchen 
Fällen,  bei  denen  sich  ursprünglich  infolge 
eines  Kardiospasmus  eine  spindelförmige 
Dilatation  entwickelt  hatte,  im  Spätstadium 
die  Weiterbildung  der  letzteren  auf  Grund 
eines  derartigen  Klappenmechanismus  auch 
ohne  fortbestehenden  Kardiospasmus  er¬ 
folgen  könne.  Die  Sektionserfahrungen, 
welche  ich  seitdem  gemacht  habe,  haben  mich 
im  ganzen  in  dieser  Annahme  bestärkt  — 
so  auch  der  von  Herrn  Grund  vorgetragene  Fall  — ,  wenn  sie  auch 
nicht  immer  ganz  überzeugend  waren.  Es  kommt  auf  eine  sehr  ge¬ 
naue  Sektionsmethode  an.  Regelmässig  findet  sich  das  letzte  Oeso- 
phagusstück  (2  cm)  frei  von  Hypertrophie  und  Dilatation;  es  ist 
schlaff,  weich  und  sehr  leicht  seitlich  zu  verschieben,  so  dass  Klappen¬ 
verschluss  oberhalb  des  Zwerchfells  zustande  kommen  kann;  für 
einen  solchen  Verschluss  kommt  es  ja  nur  auf  das  schräge  Ein¬ 
setzen  des  Abgangstückes  vom  erweiterten  Oesophagus  an. 

Bezüglich  der  Entwicklung  der  Einzelheiten  der  Oesophagus¬ 
dilatation  möchte  ich  an  der  Auffassung,  dass  mechanische  Abfluss¬ 
hemmung  und  chemische  Wandreizung  durch  die  zersetzten  Speisen 
die  Hauptrolle  spielen,  festhalten;  eine  Entwicklung  der  Hypertrophie 
aus  einer  „primären  Erschlaffung“  der  Muskulatur  vermag  ich  mir 
ebensowenig  wie  Herr  Schmieden  zu  erklären;  auch  die  Vagus¬ 
degeneration  habe  ich  in  2  untersuchten  Fällen  nicht  finden  können. 
Die  Wandveränderung  besteht  in  einer  allgemeinen  Hypertrophie  aller 
Bestandteile:  mächtige  Entwicklung  des  Epithels  in  dicken  Schichten. 
Wucherung  und  derbe  Verdichtung  des  Bindegewebes  begleiten  in 
der  Regel  die  Hypertrophie  der  Muskulatur.  Dadurch  entsteht  ein 
ganz  typisches  Bild;  es  wäre  nicht  ganz  undenkbar,  deren  Entwick¬ 
lung  im  Sinne  des  Herrn  Schmidt  auf  einfache  Entzündungsreize 
zurückzuführen,  doch  glaube  ich.  dass  die  Kombination  mit  der 
mechanischen  Hemmungstheorie  die  Tatsachen  am  besten  erklären 
möchte.  Die  chemische  Reizung  des  Epithels  kann  zu  Wucherungen 
blastomatöser  Natur  führen;  deshalb  habe  auch  ich  von  Anfang  an 
den  Fall  des  Herrn  Grund  in  dem  Sinne  gedeutet,  dass  die  chro¬ 
nische,  typische  Dilatation  der  Entwicklung  des  Karzinoms  lange 
vorausgegangen  ist. 

Mit  der  Entwicklung  der  allgemeinen  Dilatation  des  untersten 
Endes  des  Oesophagus  im  Sinne  eines  „Vormagens“  hat  die  „spindel¬ 
förmige  Dilatation“  gar  keine  Aehnlichkeit.  „Vormagen“  habe  ich 
häufig  beobachtet;  sie  finden  sich  namentlich  bei  viel  brechenden 
Kindern  mit  schlaffer  weiter  Kardia  und  enden  gewöhnlich  ziemlich 
scharf  in  der  Höhe  der  das  Lumen  des  Oesophagus  beengenden  Bi¬ 
furkation. 

Wahrscheinlich  füllt  der  untere  Oesophagusabschnitt  sich  häufig 
im  Schlafe  bei  Erschlaffung  der  Kardia  bis  zu  dieser  mechanisch 
verengten  Stelle  mit  überfliessendem  Mageninhalt,  ähnlich  wie  es  in 
der  Leiche  so  leicht  zu  beobachten  ist,  bis  zuletzt  demgemäss  eine 
allgemeine  Erweiterung  erfolgt. 

Herr  Winternitz:  Ich  stehe  auch  auf  dem  Standpunkt,  spe¬ 
ziell  was  den  besprochenen  Fall  betrifft,  dass  ein  eigentlicher  Kardio¬ 
spasmus  dabei  keine  wesentliche  Rolle  spielt.  Ich  habe  ja  auch 
betont,  dass  die  Ueberwindung  des  Hindernisses  an  der  Kardia  stets 
ohne  Schwierigkeiten  gelang.  Wenn  ich  von  kardiospastischer  Dila¬ 
tation  sprach,  so  wollte  ich  nur  der  gängigen  Nomenklatur  folgen 
und  ausdrücken,  dass  es  sich  um  eine  sog.  idiopathische  Dilatation 
handelt,  bei  der  eine  narbige  Stenose  oder  dergl.  nicht  vorlag.  An¬ 
dererseits  glaube  ich,  dass  bei  der  Entstehung  mechanische 
Hindernisse  den  Ausschlag  geben,  und  ich  möchte  hier  —  speziell 
auf  Grund  meiner  Bilder  —  den  eigentümlich  gewundenen  Verlauf 
des  Endteiles  des  Oesophagus  —  bzw.  der  Kardia  —  dafür  verant¬ 
wortlich  machen,  der  zweifellos  ein  solches  Hindernis  abgibt.  Das 
sind  Verhältnisse,  die  erst  durch  die  Röntgenaufnahmen  aufgedeckt 
wurden.  Dann  wollte  ich  noch  darauf  hinweisen,  dass  meiner  Mei¬ 
nung  nach  in  vielen  Fällen  der  Dilatation  eine  Rumination  oft  jahrc- 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1884 


lang  vorhergeht  und  dass  Rumination  «nd  Regurgitation  als  Sym¬ 
ptome  einer  Oesophagusdilatation  wohl  zu  beachten  sind. 

An  der  Diskussion  beteiligte  sich  noch  Herr  Ad.  Schmidt. 
(Schluss  folgt.) 


Aus  den  englischen  medizinischen  Gesellschaften. 

Royal  Academy  of  Medicine  in  Ireland.  Section  of  Surgery. 

Sitzung  vom  20.  März  1914. 

Einige  Erfahrungen  mit  der  C  r  i  1  e  sehen  Methode  des  schockfreien 

Operierens. 

W.  d.  C.  Whceler  hat  seit  einigen  Monaten  seine  Patienten  nach 
den  C  r  i  1  e  sehen  Vorschriften  zur  Operation  vorbereitet.  Obwohl 
manche  Details  noch  der  Verbesserung  fähig  sind,  ist  er  mit  dem 
Verfahren,  das  auf  eine  Ausschaltung  jeglichen  Schocks  beim  Ope¬ 
rieren  hinzielt,  sehr  zufrieden.  Man  sucht  möglichst  jede  psychische 
Erregung  und  Angst  vor  dem  chirurgischen  Eingriff  auszuschalten 
und  gibt  als  Vorbereitung  kurz  davor  Omnopon  und  Skopolamin. 
Jegliches  zu  durchtrennende  Stück  Gewebe  wird  vorher  mit  einer 
Vs.  proz.  Lösung  von  Novokain  und  Adrenalin  injiziert,  und  vor  dem 
Schluss  der  Operation  wird  eine  0,75  proz.  Lösung  von  Harnstoff 
und  Chinin  ausgiebig  in  die  Gewebe  in  der  Umgebung  des 
Operationsgebietes  injiziert.  Dieses  letztere  Verfahren  hat 
den  Zweck,  die  Wirkung  des  Novokains  weiter  auszudehnen 
und  während  der  nächstfolgenden  Tage  alle  Nervenreizung  auf¬ 
zuheben.  Gerade  dieses  Moment  bildet  neben  der  Kombination 
von  allgemeiner  und  lokaler  Anästhesie  eine  wesentliche  Errungen¬ 
schaft  bei  dieser  Neuerung. 

Stoney  wendet  ein,  dass  die  grösste  Gefahr  einer  Schock¬ 
wirkung  gerade  bei  dringlichen  Operationen  an  den  Därmen  besteht, 
bei  Verschluss  durch  Kompression,  Knickung  usw.  Man  könne  doch 
nicht  die  ganze  Radix  mesenterii  infiltrieren,  schon  wegen  der  Länge 
der  dafür  nötigen  Zeit. 


Verschiedenes. 

Therapeutische  Notizen. 

In  der  Behandlung  der  Bronchektasien  und  der 
chronischen  Bronchitis  hat  Gustav  Singer- Wien  her¬ 
vorragende  Erfolge  mit  einer  milde  durchgeführten  Trocken  kur 
erreichen  können.  Singer  gibt  den  betreffenden  Patienten  reich¬ 
lich  Gemüse  und  Obst  und  sorgt  auf  die  Weise  dafür,  dass  die  Flüssig¬ 
keitsentziehung  keine  zu  scharfe  ist.  Bei  einer  methodisch  durch¬ 
geführten  Durstkur  in  der  obenerwähnten  milden  Art  stellt  sich  sehr 
bald  eine  auffallende  Verminderung  der  Sputummemre  ein.  Der 
Hustenreiz  lässt  nach,  und  das  Verschwinden  der  vorher  so  reich¬ 
lichen  Rasselgeräusche  zeigt  an,  dass  der  Prozess  in  der  Lunge  wirk¬ 
lich  zum  Ausheilen  kommt.  Nach  seinen  günstigen  Erfahrungen  in 
24  Fällen  kann  Singer  die  Behandlung  aufs  wärmste  für  alle  Bron¬ 
chialerkrankungen,  die  mit  abundanter  Expektoration  einhergehen, 
empfehlen.  (Ther.  Mh.  1914  H.  5.)  Kr. 


Tagesgeschichtliche  Notizen. 

München,  den  29.  August  1914. 

Der  Hannoversche  Provinzialverein  zur  Bekämpfung  der 
Tuberkulose  hat  ein  Merkblatt  zur  Förderung  des  Stil¬ 
lens  herausgegeben.  Das  Blatt  weist  in  drastischer  und  allgemein 
verständlicher  Form  auf  die  grossen  Schäden  hin,  welche  die  Flaschen¬ 
ernährung  der  Gesundheit  unseres  Volkes  bringt  und  stellt  die  inni¬ 
gen  Beziehungen  falscher  Ernährung  zur  englischen  Krankheit  und 
zur  Tuberkulose  dar.  Das  Merkblatt  ist  bestimmt  zur  Verteilung 
durch  die  Standesämter  bei  Anmeldung  der  Geburten,  durch  die  Heb¬ 
ammen,  bei  den  Impfungen,  öffentlichen  Vorträgen  und  durch  die  Für¬ 
sorgestellen.  Es  soll  auch  zugleich  Propaganda  für  die  im  Kreise  be¬ 
reits  bestehenden  Einrichtungen  machen,  welche  sich  der  Säuglings¬ 
pflege  widmen.  Zu  diesem  Zweck  ist  am  Kopf  des  Merkblattes  ein 
freier  Raum  gelassen,  der  den  Stempelaufdruck  der  verteilenden 
Stelle  aufnehmen  soll.  Der  Preis  des  Merkblattes  beträgt:  1  Stück 
5  Pf.,  50  Stück  2.—  M.,  100  Stück  3.—  M.,  500  Stück  9  M„  1000  Stück 
15.—  M. 

—  Durch  Erlass  des  preuss.  Medizinalministers  werden  die  Medi¬ 
zinaluntersuchungsanstalten  aufgefordert,  sich  unverzüglich  mit  einem 
ausreichenden  Vorräte  von  Nährböden,  Chemikalien  und  für  die 
Untersuchungen  erforderlichen  Gerätschaften  (Glasschalen  usw.)  zu 
versehen,  damit  beim  Ausbruche  von  Epidemien  keine  Betriebs¬ 
stockung  eintritt. 

—  Die  für  Ende  August  und  Anfang  September  in  Bern  an¬ 
gesetzte  Versammlung  der  Freien  Vereinigung  für  Mikro¬ 
biologie  findet  nicht  statt. 

—  Cholera.  Türkei.  Die  Gesamtzahl  der  in  der  Türkei  vom 
März  bis  24.  Juli  festgestcllten  Erkrankungen  (und  Todesfälle)  betrug 
9  (5).  —  Straits  Settlements.  In  Singapore  vom  31.  Mai  bis  27.  Juni 
60  Erkrankungen  und  52  Todesfälle. 


Nr.  35. 


—  Pest.  Vom  13.  bis  19.  Juli  wurden  in  Bassra  4  Erkrankungen 
(und  2  Todesfälle),  in  Smyrna  1  (1)  gemeldet,  insgesamt  in  der  Türkei 
seit  März  33  (21).  Zufolge  Mitteilung  vom  27.  Juli  sind  in  Beirut  in 
den  letzten  Wochen  2  neue  Pestfälle  festgestellt  worden.  —  Straits 
Settlements.  Vom  31.  Mai  bis  27.  Juni  auf  der  Ouarantäneinsel  bei 
Singapore  1  tödlich  verlaufener  Pestfall.  —  Niederländisch  Indien. 
Vom  15.  bis  28.  Juli  wurden  556  Erkrankungen  (und  489  Todesfälle) 
gemeldet.  Für  die  Zeit  vom  1.  bis  14.  Juli  sind  nachträglich  aus  dem 
Bezirk  Malang  noch  26  Todesfälle  und  aus  Magetan  1  Erkrankung 
mitgeteilt  worden.  —  Brasilien.  In  Pernambuco  vom  1.  bis  15.  Mai 
2  Todesfälle,  in  Bahia  vom  17.  bis  23.  Mai  1.  —  Ecuador.  In  Guaya¬ 
quil  im  Mai  3  Erkrankungen  und  1  Todesfall. 

—  In  der  36.  Jahreswoche,  vom  2.  bis  8.  August  1914.  hatten  von 
deutschen  Städten  über  40  000  Einwohner  die  grösste  Sterblichkeit 
Thorn  mit  32,3,  die  geringste  Bielefeld  mit  3,1  Todesfällen  pro  Jahr 
und  1000  Einwohner.  Mehr  als  ein  Zehntel  aller  Gestorbenen  starb 
an  Scharlach  in  Brandenburg,  an  Diphtherie  und  Krupp  in  Bottrop, 
an  Keuchhusten  in  Gleiwitz.  Vöff.  Kais.  Ges.A.. 

(Hochschulnachrichten.) 

Berlin.  Die  venia  legendi  für  Gynäkologie  und  Geburtshilfe 
wurde  dem  Assistenten  an  der  Universitäts-Frauenklinik  Dr.  Kurt 
Warnekros  erteilt.  Dr.  Warnekros  ist  Vorstand  der  Rönt¬ 
gen-  und  Radiumabteilung  der  Frauenklinik,  (hk.) 

Breslau.  Der  am  1.  August  zum  Rector  magnificus  gewählte 
Direktor  der  Universitäts-Frauenklinik,  Geh.  Med.-Rat  Prof.  Dr.  Otto 
K  ü  s  t  n  e  r,  ist  vom  Kultusminister  bestätigt  worden  und  tritt  am 
15.  Oktober  sein  Amt  an. 

Frankfurt  a.  M.  Die  Universität  Frankfurt  a.  M.  wird  zum 
Beginn  des  bevorstehenden  Wintersemesters  ihre  Vorlesungen,  wenn 
auch  in  bescheidenerem  Umfange  als  geplant  war,  aufnehmen.  Nach¬ 
dem  bereits  am  10.  Juni  durch  Allerhöchsten  Erlass  die  Universität 
errichtet  wurde,  sind  von  Seiner  Majestät  vor  seiner  Abreise  zum 
Kriegsschauplatz  die  Universitätsstatuten  noch  unterschriftlich  voll¬ 
zogen  worden,  und  zwar  mit  dem  historisch-denkwürdigen  Datum  vom 
1.  August.  Der  Kultusminister  hat  durch  Erlass  vom  18.  August  den 
derzeitigen  Rektor  der  Akademie,  Prof.  Dr.  Wachsmut  h,  zum 
ersten  Rektor  der  Universität  ernannt,  (hk.) 

Leipzig.  Der  Privatdozent  für  Hygiene  und  Bakteriologie 
und  Assistent  am  hygienischen  Institut  der  Universität  Leipzig  Prof. 
Dr.  Hugo  Selter  ist  zum  a.  o.  Professor  ernannt  worden,  (hk.) 

München.  Als  Privatdozenten  wurden  bestätigt:  Dr.  Erich 
Benjamin  für  Kinderheilkunde,  Dr.  Karl  L  e  x  e  r  für  Chirurgie  und 
Dr.  Hermann  Straub  für  innere  Medizin,  (hk.) 

Köln.  Dr.  E  b  e  1  e  r,  Sekundärarzt  der  gynäkologischen  Klinik 
der  Akademie  (Prof.  H.  Füth)  erhielt  die  venia  legendi  für  Gynäko¬ 
logie. 

Prag.  Der  mit  dem  Titel  eines  a.  o.  Professors  bekleidete  Pri¬ 
vatdozent  Dr.  Rudolf  Winternitz  wurde  zum  ausserordentlichen 
Professor  für  Dermatologie  und  Syphilis  an  der  deutschen  Universi¬ 
tät  ernannt,  (hk.) 

Zürich.  Dr.  Otto  Steiger,  erster  Assistenzarzt  an  der  medi¬ 
zinischen  Klinik  erhielt  die  venia  legendi  für  innere  Medizin,  (hk.) 


Uebersicht  der  Sterbefälle  in  München 

während  der  32.  Jahreswoche  vom  9.  bis  15.  August  1914. 

Bevölkerungszahl  640000. 

Todesursachen:  Angeborene  Lebensschwäche  einschl.  Bildungs¬ 
fehler  5  (141),  Altersschw.  (über  60  Jahre)  2(4),  Kindbettfieber  —  (-), 
and.  Folgen  der  Geburt  und  Schwangerschaft  1  ( — ),  Scharlach  2  (— ), 
Masern  u.  Röteln  —  ( — ),  Diphtherie  u.  Krupp  —  (— ),  Keuchhusten  2  (1 ), 
Typhus  (ausschl.  Paratyphus) — ( — ),  akut.  Gelenkrheumatismus  1  (— ). 
übertragbare  Tierkrankh.,  d.  s.  Milzbrand,  Rotzkrankh.,  Hundswut, 
Trichinenkrankh.  —  (— ),  Rose  (Erysipel)  —  (— ),  Starrkrampf  —  (— )> 
Blutvergiftung  2  ( — ),  Tuberkul.  der  Lungen  14  (24),  Tuberkul.  and.  Org. 
(auch  Skrofulöse)  6  (2),  akute  allgem.  Miliartuberkulose  —  (— ),  Lungen- 
entzünd.,  kruppöse  wie  katarrh.  usw.  12  (8),  Influenza — (— ),  veneri¬ 
sche  Krankh.  2  (1),  and.  übertragbare  Krankh.:  Pocken,  Fleckfieber, 
Ruhr,  Genickstarre,  Strahlenpilzkrankh.,  Lepra,  asiat.  Cholera, Wechsel- 
fieber  usw.  —  ( — ),  Zuckerkrankh.  (ausschl.  Diab.  insip.)  2  (3),  Alkoholis¬ 
mus  1  ( — ),  Entzünd,  u.  Katarrhe  der  Atmungsorg.  3  (— ),  sonst.  Krankh. 
d.  Atmungsorgane  2  (1),  organ.  Herzleiden  13  (9),  Herzschlag,  Herz¬ 
lähmung  (ohne  näh.  Angabe  d.  Grundleidens)  3  (3),  Arterienverkalkung 
3  (3),  sonstige  Herz-  u.  Blutgefässkrankh.  1  (2),  Gehirnschlag  5  (4). 
Geisteskrankh.  3  (1),  Krämpfe  d.  Kinder  —  (1),  sonst.  Krankh.  d.  Nerven¬ 
systems  4  (5),  Atrophie  der  Kinder  4  (4),  Brechdurchfall  4  (2),  Magen¬ 
katarrh,  Darmkatarrh,  Durchfall,  Cholera  nostras  14  (12),  Blinddarm¬ 
entzünd. —  (3),  Krankh.  der  Leber,  Gallenblase,  Bauchspeicheldrüse  u. 
Milz  2  (2),  sonst.  Krankh.  der  Verdauungsorg.  6  (2),  Nierenentzünd.  —(5), 
sonst.  Krankh.  der  Harn-  u.  Geschlechtsorg.  3  (3),  Krebs  27  (14),  sonst. 
Neubildungen  4  (4),  Krankh.  der  äuss.  Bedeckungen  —  <3),  Krankh.  der 
Bewegungsorgane  1  (— ),  Selbstmord  11  (7),  Mord,  Totschlag,  auch 
Hinricht.  —  ( — ),  Verunglückung  u.  andere  gewalts.  Einwirkungen  1  (11)» 
andere  benannte  Todesursachen  1  ( — ),  Todesursache  nicht  (genau) 
angegeben  (ausser  den  betr.  Fällen  gewaltsamen  Todes)  —  (1)- 

Gesamtzahl  der  Sterbefälle:  167  (159). 

‘)  Die  eingeklammerten  Zahlen  bedeuten  die  Fälle  der  Vorwoche. 


daktion :  Dr.  B.  Spatz, 
iinchen,  Arnulfstrasse  26. 


MÜNCHENER 


Verlag  von  J.  F.  Lehmann, 
München,  Paul  Heysestr.  26. 


Medizinische  Wochenschrift. 


Nr.  35.  1.  September  1914. 


Feldärztliche  Beilage  Nr.  4. 


chirurgische  Beobachtungen  vom  Kriegsschauplatz. 

Von  Generalarzt  Prof.  Dr.  P.  K  r  a  s  k  e. 

Den  18.  August  1914. 

Sehr  geehrter  Herr  Kollege! 

Kurz  vor  meinem  Ausrücken  aus  Freiburg  erhielt  ich 
en  Brief,  in  dem  Sie  mich  um  Beiträge  für  die  „Feldärzt- 
ie  Beilage"  der  M.m.W.  ersuchten.  Rascher,  als  erwartet, 
für  mich  die  Gelegenheit  gekommen,  kriegschirurgische  Be¬ 
ichtungen  und  Erfahrungen  zu  machen,  die  ich  Ihnen  gerne 
Verfügung  stelle;  dass  ich  in  den  folgenden  Mitteilungen 
meide,  Angaben  über  Oertlichkeiten  des  Kriegsschau- 
tzes  und  über  die  fechtenden  Truppenteile  zu  machen,  ver- 
it  sich  in  diesem  Stadium  des  Krieges  wohl  von  selbst. 

In  den  (jefechten  vom  9.  und  10.  August  sah  ich  auf  einem 
Hauptverbandplätze  eine  grössere  Anzahl  Verwundeter. 
;  Schicksal  der  meisten  von  ihnen,  sowie  das  vieler 
erer,  denen  anderwärts  der  erste  Verband  angelegt 
rden  war,  konnte  ich  in  den  nächsten  Tagen  in  den  Feld- 
iretten  und  den  Zivilspitälern,  verfolgen.  Die  Zahl  der  Ver¬ 
ödeten,  die  ich  sah,  beläuft  sich  auf  etwa  600.  Weitaus 
meisten  Verwundungen,  die  ich  beobachtet  habe,  waren 
ch  Infanteriegeschosse  gesetzt,  französische  und  deutsche, 
sich  nach  E'orm,  Grösse  und  Kaliber  und  auch  in  bezug 
ihre  Wirkung  nicht  wesentlich  von  einander  unterscheiden, 
h  den  Angaben  der  Verwundeten  waren  die  Verletzungen 
st  aus  mittleren  Entfernungen  (400—600  m)  erfolgt.  Eine 
gesprochene  Sprengwirkung  war  im  allgemeinen  bei  diesen 
ussverletzungen  deshalb  auch  nicht  vorhanden.  Die  Ver- 
ldungen  an  den  langen  Extremitätenknochen  waren,  so- 
t  sich  das  feststellen  liess  (zu  Röntgenuntersuchungen 
te  selbstverständlich  in  den  ersten  Tagen  Zeit  und  Ge- 
inheit  vollständig)  im  ganzen  verhältnismässig  einfach, 
h  die  penetrierenden  Schüsse  durch  die  grossen  Körper¬ 
len  zeigten  in  der  grossen  Mehrzahl  wenig  ausgedehnte 
reissungen.  Von  den  etwa  30  durch  die  Brust  Ge- 
»ssenen,  die  ich  gesehen  habe,  hatten  eine,  ganze  Anzahl 
rhaupt  kein  Blut  gehustet  und  auch  der  Bluterguss  im 
rax  hielt  sich  in  mässigen  Grenzen,  obwohl  der  Pneumo- 
ax  und  das  Zellgewebsemphysem,  das  ich  in  einigen 
en  bis  zum  Skrotum  und  den  Oberschenkeln  sich  aus- 
ien  sah,  die  Lungenverletzung  sicher  bewies.  Bei  den 
orierenden  Unterleibs-  und  Darmschüssen  handelte  es  sich 
nehreren  Fällen  um  zwar  mehrfache  aber  glatte  Durch- 
erungen  des  Darms,  die  bei  der  später  ausgeführten 
ration  einfach  durch  die  Naht  geschlossen  werden  konnten, 
meisten  zeigte  sich  eine  grössere  Sprengwirkung  auch  der 
ischüsse  wohl  bei  den  Schädelverletzungen.  Viele  von 
in  den  Kopf  Geschossenen  sind  wohl  auf  der  Stelle  tot 
esen.  Ich  habe  auf  dem  ersten  Verbandplätze  am  Abend 
9.  August  nur  zwei  solcher  penetrierender  Kopfschüsse 
'ausgedehnter  Zertrümmerung  der  Schädeldecken  und  Pro- 
des  zertrümmerten  Gehirns  gesehen,  die  beide  moribund 
ebracht  wurden.  Im  Lazarett  sah  ich  zwei  Tage  später 
n  Mann  mit  relativ  gutem  Befinden  und  fehlenden  Hirn- 
Ptomen,  dem  ein  Projektil  am  Schädeldach  rechts  neben 
Mittellinie  eingedrungen  war,  den  rechten  Stirnlappen 
hsetzt,  den  N.  opticus  durchtrennt  hatte,  und  vor  dem 
wieder  ausgetreten  war.  Hier  war  eine  erhebliche 


Sprengwirkung  nicht  vorhanden;  wahrscheinlich  war  auch 
das  Projektil  aus  grösserer  Entfernung  gekommen.  Bei 
einigen  20  Leuten  sah  ich  Schädelschüsse,  die  den  Kopf  mehr 
tangential  getroffen,  die  Schädeldecke  '  rinnenförmig  zer¬ 
trümmert  und  die  üehirnoberfläche  stark  gequetscht  hatten. 
Merkwürdigerweise  betrafen  bis  auf  2  dieser  Verletzungen 
alle  die  linke  Kopfseite,  wie  denn  auch  in  mehreren  Fällen 
neben  der  Lähmung  des  rechten  Fazialis,  des  rechten  Arms 
und  Beins,  ausgesprochene  Aphasie  bestand.  Das  erklärt  sich 
wohl  ohne  Zweifel  daraus,  dass  die  Leute  sämtlich  getroffen 
worden  waren,  während  sie  im  Liegen  mit  nach  rechts  ge¬ 
neigtem  Kopfe  im  Anschläge  lagen,  zielten  und  feuerten. 

Gegenüber  den  auf  grössere  Entfernung  gesetzten  Ver¬ 
letzungen  waren  die  aus  der  Nähe  zustande  gekommenen  in 
der  Minderzahl.  Immerhin  sah  ich  auch  genug  Verwundungen 
dieser  Kategorie.  In  der  Nacht  vom  9/10.  hatte  der  Feind, 
der  am  Abend  vorher  schon  bald  nach  Beginn  des  Gefechtes 
zurückgegangen  war,  wiederholt  Vorstösse  gemacht,  wobei 
es  dann  auch  zum  Nahkampf  gekommen  war.  Die  Verwun¬ 
dungen,  die  hierbei  zustande  kamen,  erwiesen  sich  im  allge¬ 
meinen  als  sehr  viel  ernster.  Selbst  bei  einfachen  Weichteil¬ 
schüssen  sah  ich  ausgedehnte  Zerreissungen  und  weite  Aus¬ 
schussöffnungen.  Bei  einem  aus  der  Entfernung  von  wenigen 
Metei  n  erfolgten  Schüsse  durch  die  Bauchdecken  eines  ziem¬ 
lich  korpulenten  Mannes,  bei  dem  Ein-  und  Ausschuss  etwa 
25  cm  auseinander  lagen,  waren,  ohne  dass  das  Geschoss 
selbst  in  die  Peritonealhöhle  eindrang,  alle  Gewebe  der  Bauch- 
decken  unter  der  Haut  in  der  schwersten  Weise  zertrümmert 
und  das  Peritoneum  parietale  weit  aufgerissen,  ohne  dass  der 
Darm  lädiert  war.  Bei  einem  in  diagonaler  Richtung  aus 
näherer  Entfernung  durch  den  Unterleib  Geschossenen  war 
die  Ausschussöffnung  in  der  linken  Lumbalgegend  etwa  hand- 
tcllergross,  so  dass  ein  ganzes  Konvolut  Dünndarm  pro- 
labierte.  Zwei  Oberarmschüsse  zeigten  eine  derartige  Zer¬ 
trümmerung  des  Knochens  und  der  Weichteile,  dass  die  pri¬ 
märe  Amputation,  das  eine  Mal  sofort  auf  dem  Verbandplätze, 
das  andere  Mal  am  nächsten  Tage  im  Lazarett  gemacht 
werden  musste. 

Neben  den  durch  Kleingewehrprojektile  gesetzten  Ver¬ 
wundungen  traten  die  durch  andere  Waffen  hervorgerufenen 
an  Häufigkeit  sehr  zurück.  Auf  dem  Teile  des  Gefechtsfeldes, 
den  ich  übersehen  konnte,  hatte  das  feindliche  Geschützfeuer 
offenbar  nur  geringe  Wirkung.  Ich  hatte  zudem  den  Eindruck, 
als  ob  die  französischen  Schrapnells  in  zu  grosser  Höhe  kre¬ 
pierten.  Die  wenigen  durch  Schrapnellkugeln  gesetzten  Ver¬ 
wundungen,  die  ich  gesehen  habe,  waren  auch  alle  verhältnis¬ 
mässig  leicht;  die  Durchschlagskraft  der  Geschosse  war  ge¬ 
ring,  so  dass  sie  im  Körper  stecken  blieben  und  mehrfach, 
dicht  unter  der  Haut  liegend,  schon  auf  dem  Verbandplätze 
entfernt  wurden.  Auch  Granatsplitterverletzungen  habe  ich 
nur  wenige  gesehen,  ebenso  nur  einzelne  Fälle  von  Ver¬ 
wundungen  durch  die  blanke  Waffe. 

Was  die  Verteilung  der  von  mir  gesehenen  Verletzungen 
auf  die  einzelnen  Körpergegenden  betrifft,  so  standen  die  Ex- 
b  emitätenschüsse  an  erster  Stelle.  Sie  betrugen  nach  meiner 
Schätzung  4 — 5  Sechstel  aller  Verwundungen.  Hier  handelt 
es  sich  natürlich  um  die  verschiedenartigsten  Verletzungen: 
einfache  Weichteilschüsse,  Schussfrakturen,  Gelenkver¬ 
letzungen  (ich  sah  3  Kniegelenksschüsse  ohne  nachweisbare 


1886 


feldärztliche  Beilage  zur  Miinch.  med.  Wochenschrift. 


Nr.  3' 


Knochenverletzung,  jedenfalls  ohne  Kontinuitätstrennung  der 
Knochen);  relativ  häufig  kamen  Schussverletzungen  der  linken 
Hand  vor  (wohl  die  Folge  der  exponierten  Lage  dieser  Hand 
beim  Feuern);  zweimal  sah  ich  Verletzung  des  N.  radialis  am 
Oberarm  ohne  Knochenverletzung,  einmal  mit  gleichzeitiger 
Fraktur  des  Humerus.  Von  Verletzungen  grösserer  Gefäss- 
stämme  sah  ich  nur  einmal  eine-  Läsion  der  V.  femoralis 
dicht  unter  dem  Poupart  sehen  Bande:  einen  mehrere  Zenti¬ 
meter  langen  Längsriss,  der  wohl  nicht  unmittelbar  durch  das 
Geschoss,  sondern  indirekt  durch  Sprengwirkung  zustande 
gekommen  war  (die  Blutung  stand  durch  den  auf  dem  Ver¬ 
bandplätze  angelegten  Kompressivverband,  am  nächsten  Tage 
wurde  der  Riss  genäht;  nach  2  Tagen  sah  ich  den  Verletzten 
wieder  bei  gutem  Befinden,  ohne  jede  Zirkulationsstörung  am 
Bein).  Von  den  Verletzungen  des  Schädels  sprach  ich  schon 
vorher.  Auch  Verwundungen  des  Gesichtsschädels  sah  ich 
eine  Anzahl,  darunter  eine  überaus  schwere,  die  in  einer  Zer¬ 
trümmerung  beider  aufsteigender  Unterkieferäste  bestand. 
Bei  einem  Verletzten  sah  ich  einen  Schuss  quer  durch  die 
Zunge  ohne  jede  Knochenverletzung.  Auch  die  penetrierenden 
Brustschüsse  erwähnte  ich  bereits,  und  ich  möchte  noch  ein¬ 
mal  hervorheben,  dass  in  den  meisten  Fällen  die  Erschei¬ 
nungen  auffallend  wenig  schwer  waren.  Wenn  nicht  nach 
der  Lage  der  Schussöffnungen,  nach  dem  Hämatopneumo- 
tborax  und  nach  dem  oft  sehr  ausgedehnten  Zellgewebs- 
emphysem  eine  Lungenverletzung  absolut  sicher  gewesen 
wäre,  hätte  man  wohl  einen  Konturschuss  annehmen  können. 
Ich  konnte  das  Schicksal  der  meisten  Lungenschussver¬ 
letzten  in  den  einzelnen  Lazaretten  und  Spitälern  mehrere 
Tage  verfolgen  und  fand  sie  bis  auf  einen  in  so  gutem  Zu¬ 
stande,  dass  ich  die  Prognose  auch  für  den  weiteren  Verlauf 
durchaus  günstig  zu  stellen  mich  für  berechtigt  hielt.  Nach 
diesen  meinen  Erfahrungen  möchte  ich  glauben,  dass  man 
die  nicht  durch  besondere  andere  Verletzungen  komplizierten 
Lungenschüsse  zu  den  minder  schweren  Verwundungen 
rechnen  darf.  Dreimal  sah  ich  allerdings  solche  Kompli¬ 
kationen  bei  Brustschüssen,  und  zwar  eine  Komplikation  der 
schwersten  Art,  nämlich  gleichzeitige  Verletzung  des  Rücken¬ 
marks.  Das  Geschoss,  das  den  Mann  in  liegender  Stellung 
traf,  war  unterhalb  der  Klavikula  eingedrungen,  hatte  die 
Lunge  durchsetzt  und  Wirbelsäule  und  Rückenmark  im 
unteren  Hals-  und  oberen  Brustteil  durchbohrt.  Von  den 
vielen  traurigen  Eindrücken,  die  ich  gehabt  habe,  war  der  Ein¬ 
druck,  den  diese  Rückenmarksverletzten  auf  mich  gemacht 
haben,  wohl  mit  der  traurigste.  —  Von  Verletzungen  des 
Unterleibes  und  seiner  Organe  sah  ich  einige  20,  die  meisten 
nur  vorübergehend;  einige  betrafen  lediglich  die  Bauchdecken, 
mehrere  die  Lebergegend  und  wohl  zweifellos  auch  die  Leber 
selbst  ohne  stärkere  Blutung  und  ohne  Verletzung  des  Dar¬ 
mes;  ferner  sah  ich  einen  Verwundeten,  der  einen  Schuss 
durch  die  Blase  mit  Verletzung  des  Peritoneums,  aber  ohne 
Darmverletzung  erlitten  hatte,  einen  Bajonettstich,  der  die 
vordere  Magenwand  durchtrennte  und  eine  Anzahl  von  pene¬ 
trierenden  Bauchschüssen,  bei  denen  zweifellos  der  Darm  ver¬ 
letzt  war.  Von  diesen  letzteren  habe  ich  nur  einen  Teil  wieder¬ 
gesehen.  Es  wurden  bei  einer  Anzahl  von  ihnen  Laparotomien 
gemacht.  Leider  konnte  die  Operation,  was  ja  durch  die  Ver¬ 
hältnisse  bedingt  war  und  wohl  fast  immer  bedingt  sein  wird,  erst 
verhältnismässig  spät,  20—24  Stunden  nach  der  Verletzung, 
bei  bereits  bestehender  Peritonitis  ausgeführt  werden,  so  dass 
die  Prognose  von  vornherein  sehr  ungünstig  war.  Immerhin 
sah  ich  drei  Operierte  (zwei  mit  multiplen  Dünndarmper¬ 
forationen  und  einen  mit  einer  Perforation  der  Flexura  sig- 
moidea),  die  sich  am  dritten  Tage  nach  der  Operation  in  so 
gutem  Zustande  befanden,  dass  man  die  beste  Hoffnung  auf 
Genesung  haben  konnte. 

Ueberhaupt  kann  ich,  wenn  ich  die  Erfahrungen  und  Be¬ 
obachtungen  überblicke,  die  ich  in  den  wenigen  ereignisreichen 
Tagen  bis  zu  meinem  Weggange  vom  ersten  Schauplatze 
machen  konnte,  nur  sagen,  dass  meine  wahrlich  nicht  sehr 
hoch  gespannten  Erwartungen  in  bezug  auf  die  Versorgung 
und  Behandlung  der  Verwundeten  durchaus  übertroffen 
worden  sind.  Freilich  lagen  die  Verhältnisse  insofern  günstig, 
als  ein  sehr  grosser  Teil  der  Verletzten  in  ein  glänzend  ein¬ 
gerichtetes  modernes  Krankenhaus  geschafft  werden  konnten 


zu  einem  vortrefflichen  Chirurgen,  der  mit  grösstem  Eife 
und  äusserster  Hingabe  sich  und  sein  Können  zur  Verfiigun 
stellte  und  die  nötigen  Operationen  ausführte.  Auf  de 
anderen  Seite  aber  waren  doch  auch  bei  der  Bergung  de 
Verwundeten  die  grössten  Schwierigkeiten  zu  überwindet 
Die  hereinbrechende  Dunkelheit  und  das  auch  während  de 
Nacht  fortgeführte  Gefecht  machte  das  Aufheben  der  Ver 
wundeten  ungemein  schwierig.  Und  hier  muss  ich  saget 
haben  unser  ärztliches  Personal,  die  Sanitätsmannschafte 
und  unsere  gesamte  Feldsanitätseinrichtung  die  erste  Prob 
vortrefflich  bestanden.  Ich  wüsste  nicht,  wie  die  grösste 
Schwierigkeiten  besser  hätten  überwunden  werden  könnet 
als  es  hier  geschehen  ist.  Vor  allem  habe  ich  mit  Freude  fest 
stellen  können,  dass  auf  dem  Verbandplätze  die  grösste  Ruit 
und  Ueberlegung  herrschte,  und  dass  nichts  von  jenem  Uebetj 
eifer  zu  bemerken  war,  der  früher  unseren  Verwundeten  s 
oft  verhängnisvoll  geworden  ist.  Der  Grundsatz  der  eit 
fachen  Okklusion  der  Wunde  ist,  so  viel  ich  gesehen  hub 
überall  und  immer  in  verständnisvollster  Weise  durchgefüh 
worden.  Von  den  segensreichen  Folgen  habe  ich  mich  hit 
länglich  überzeugen  können.  Dass  die  allergrösste  Mehrza! 
der  Verletzungen,  auch  der  schweren  Schussfrakturen,  ohn 
progrediente  Entzündung,  ohne  Fieber,  ohne  Schmerzen  un 
ohne  Störung  des  Allgemeinbefindens  verlaufen  könnten,  liätt» 
ich  nicht  für  möglich  gehalten.  Auch  wenn  sich,  was  ja  woli 
nicht  ausbleiben  wird,  bei  einem  Teil  der  Verwundeten  noi 
nachträglich  Störungen  im  Wundverlaufe  einstellen,  so  wir 
das  an  dem  allgemeinen  guten  Eindrücke  nicht  viel  änder 
den  ich  in  den  hinter  mir  liegenden  Tagen  gewonnen  habe. 


Aus  der  kgl.  bakteriologischen  Untersuchungsstation  Landa 

Ueber  die  Verbreitung  der  Y-Dysenteriebazillen. 

Von  Stabsarzt  Dr.  Otto  Mayer,  Leiter  der  Station. 

Angesichts  der  Tatsache,  dass  in  den  letzten  Jahren  eigen 
lieh  nur  unter  der  Militärbevölkerung  grössere  Häufungen  vc 
Ruhrfällen  beobachtet  wurden,  soll  im  folgenden  über  eii 
kleine  Dysenterieepidemie  berichtet  werden,  welche  als  Bi 
spiel  dafür  dienen  kann: 

1.  dass  die  Ruhr  auch  in  unserer  Gegend  offenbar  häufig' 
ist  als  zur  Kenntnis  der  Behörden  kommt; 

2.  warum  sie  sich  sehr  oft  dem  Bekanntwerden,  namen 
lieh  der  offiziellen  Anzeige  entzieht. 

Ein  Angehöriger  der  Sanitätsschule  des  kgl.  Garniso: 
lazaretts  Landau  wurde  wegen  seines  schlechten  Aussehei 
vom  Verfasser  nach  seinem  Befinden  gefragt  und  auf  die  A 
gäbe,  dass  er  seit  mehreren  Wochen  an  Durchfällen  leide,  ohi 
sich  krank  gemeldet  zu  haben,  veranlasst,  der  Station  Stuf 
proben  zur  Untersuchung  einzuschicken. 

In  der  ersten  eingesandten  Stuhlprobe  wurden  Dyscnteri 
bazillen  vom  Typus  Y  (Pseudodysenterie  Kruse  H)  am  6.  II. 
nachgewiesen. 

Der  Kranke  war  bis  zur  ersten  Feststellung  des  Infektion 
Verdachts  auf  der  äusseren  Station  des  kgl.  Garnisonlazaret 
Landau  beschäftigt  gewesen. 

In  der  Nacht  vom  10.  auf  11.  II.  14  traten  bei  13  Kranki 
der  äusseren  Station  des  Lazaretts  Durchfälle  auf,  welcl 
fast  alle  nach  24  Stunden  ohne  ärztliche  Behandlung  sistierte 

Ein  Patient  hatte  ruhrartige  Krankheitserscheinungen  ui 
schleimig  blutige  Darmabgänge. 

Da  darauf  hin  angenommen  werden  musste,  dass  ei» 
Ausstreuung  von  Dysenteriebazillen  im  Bereiche  des  B 
riihrungskreises  des  Ersterkrankten  schon  stattgefunden  nah 
wurden  ausgedehnte  Isolierungen  und  Durchuntersuchungen 
dessen  Umgebung  vorgenommen. 

Es  wurden  428  Stuhlproben  bei  215  Personen  ausgefüh 

Die  Untersuchung  der  Stuhlentleerungen  der  rühm 
dächtigen  Kranken  der  äusseren  Station  fiel  mit  einer  Au 
nähme  negativ  aus.  In  dem  einen  positiven  Falle  wurde  fe; 
gestellt,  dass  der  betreffende  Kranke  am  Tage  der  Unti 
suchung  einen  leichten  Ruhrrückfall  hatte. 

Unter  den  Sanitätsschülern  wurde  ein  gesunder  Dy 
enteriebazillenträger  ermittelt,  welcher'  10  Tage  lang  Dy 
enteriebazillen  ausschied. 


Fcldärztliche  Beitage  zur  Münch.  med.  Wochenschrift. 


1887 


.  September  1914. 


Der  Ersterkrankte  selbst  schied  nachweislich  7  Wochen 
mg  Dysenteriebazillen  aus. 

Dies  konnte  nur  dadurch  festgestellt  werden,  dass  im  Ver- 
tufe  der  3  monatlichen  Beobachtungszeit,  welcher  er  unter¬ 
worfen  wurde,  die  sämtlichen  Stuhlentleerungen  im  Stech¬ 
ecken  unmittelbar  nach  der  Entleerung  zur  bakteriologischen 

ntersuchung  gelangten. 

Verfasser  konnte  bei  diesen  Untersuchungen  ebenso  wie 
ei  der  Dysenterieepidemie  in  Fürth  im  Jahre  1909  feststellen, 
ass  das  Aussehen  der  Dannentleerungen,  in  denen  sich 
ingere  Zeit  nach  der  Erkrankung  die  Dysenteriebazillen  vor- 
inden.  sich  von  dem  normaler  Stuhlentleerungen  nicht 
nterschied. 

Im  vorliegenden  Falle  fanden  ebenfalls  in  Uebereinstim- 
lung  mit  den  Beobachtungen  in  Fürth  grössere  Pausen  in  der 
usscheidung  statt  und  zwar  eine  in  der  Dauer  von  6,  eine 
on  7  Tagen,  eine  von  4  Wochen  und  eine  von  10  Tagen. 

Bei  der  vom  kgl.  bayerischen  Kriegsministerium  vorge- 
;hriebenen  fortlaufenden  Untersuchung  des  in  den  Garnisonen 
er  Pfalz  zu  Küchen  und  Kantinen  kommandierten  Personals 
urde  ausserdem  noch  festgestellt,  dass  sich  der  Infektionsstoff 
otz  der  ausgedehnten  Vorsichtsmassregeln  doch  schon  über 
in  Bereich  des  Lazaretts  hinaus  verbreitet  hatte  und  es  nur 
egen  der  geringen  Infektiosität  desselben  nicht  zu  weiteren 
rkrankungen  gekommen  war. 

Am  5.  III.  1914  wurden  nämlich  in  den  Darmentleerungen 
nes  für  die  Küche  einer  Bataillonskaserne  in  Landau  be- 
immten  Soldaten  Dysenteriebazillen  gefunden. 

Bei  der  Durchuntersuchung  der  Zimmergenossen  desselben 
nden  sich  noch  zwei  gesunde  Dysenteriebazillenträger. 

Da  auch  die  letzteren  Stämme  durch  Pseudodysenterie¬ 
tzillenserum  Kruse  H  stark  agglutiniert  wurden,  war  schon 
js  dem  agglutinatorischen  Verhalten  der  Stämme  die  An- 
ihme  berechtigt,  dass  es  sich  um  einen  Zusammenhang 
vischen  den  neugefundenen  Bazillenträgern  und  den  Erkran- 
jngen  in  dem  Lazarett  handeln  könne. 

Dieser  Verdacht  wurde  noch  erhärtet  durch  die  Best¬ 
ellung,  dass  ein  Sanitätsschüler  im  gleichen  Zimmer  mit  den 
azillenträgern  kaserniert  hatte. 

Bei  diesem  sind  allerdings  nie  Dysenteriebazillen  festge¬ 
eilt  worden,  jedoch  ist  bei  den  raschen  Passagen  von  Dys- 
lteriebazillen  durch  den  menschlichen  Körper,  die  hier  bei 
.‘Sunden  und  leicht  kranken  Personen  beobachtet  wurden 
bei  den  Bazillenträgern  in  der  Kaserne  wurden  bei  zahl- 
ichen  Untersuchungen  nur  einmal  im  Stuhle  Dysenterie- 
izillen  nachgewiesen  —  der  Schluss  erlaubt,  dass  der 
initätsschüler  die  Dysenteriebazillen  aus  dem  Lazarett  in  die 
iserne  verschleppt  hatte,  zur  Zeit  seiner  Untersuchung  aber 
hon  wieder  bakterienfrei  war. 

Man  sieht,  dass  die  Ausscheidung  von  Dysenteriebazillen 
t  eine  so  kurzdauernde  sein  kann,  dass  bakteriologische  Re- 
ltate  bei  gesunden  Dysenteriebazillenträgern  und  Leicht¬ 
anken  einen  Zufallsbefund  darstellen,  wenn  nicht  täglich 
tersucht  und  das  Material  unmittelbar  nach  der  Entleerung 
kteriologisch  verarbeitet  werden  kann. 

Da  dies  nur  in  Internaten,  wie  Heil-  und  Pflegeanstalten, 
nderasylen,  Gefängnissen,  Kasernen  usf.  durchgeführt 
^den  kann,  so  finden  sich  zusammenhängende  Unter- 
chungen  über  Dysenterie  vorwiegend  nur  aus  solchen  An- 
dten. 

Wenn  nun  auch  in  Internaten  zur  Verbreitung  der  Ruhr 
-hr  Gelegenheit  gegeben  ist,  wie  im  Privatleben  und  deshalb 
tufungen  von  Ruhrfällen  in  diesen  leichter  eintreten  wie  im 
rgerlichen  Leben,  so  ist  doch  anzunehmen,  dass  die  Ruhr, 
Gleicht  mit  Ausnahme  einiger  Heil-  und  Pflegeanstalten,  stets 
die  Internate  eingeschleppt  wird  und  dass  daher  in  der 
Öffentlichkeit  mehr  Ruhr  Vorkommen  muss,  als  nach  den 
etlichen  Anzeigen  bekannt  ist. 

Im  bürgerlichen  Leben  geht  eben  die  Dia- 
•  ose  Dysenterie  fast  ausnahmslos  verloren. 

Die  Erkrankungen  kommen  in  unseren  Gegenden  ent- 
’  der  gar  nicht  in  ärztliche  Behandlung,  oder  sie  verlaufen  zu 
1  ch,  als  dass  seitens  der  Aerzte  Material  eingesandt  wird, 
>er  das  Material  ist  zu  alt  und  daher  ungeeignet  zur  Unter- 
;>:hung. 


Ein  Streiflicht  auf  die  Richtigkeit  der  letzteren  Be¬ 
hauptung  wirft  die  Mitteilung  Löwenthals,  dass  im  ganzen 
Jahre  1911  in  Berlin  nur  5  Ruhrerkrankungen  polizeilich  ge¬ 
meldet  wurden,  während  er  allein  unter  628  Blutproben,  die 
dem  städtischen  Untersuchungsamte  in  Berlin  aus  den  ver¬ 
schiedensten  Anlässen  zur  Untersuchung  zugingen,  130  fest¬ 
stellen  konnte,  die  eine  ausgesprochene  positive  und  etwa 
ebensoviele,  die  eine  stark  angedeutete  Agglutinationsreaktion 
gegenüber  Y-Dysenteriebazillen  ergaben. 

Bei  einer  ganzen  Reihe  der  betreffenden  Personen  konnte 
ei  nachträglich  auch  die  Y-Bazillen  in  den  Fäzes  nachweisen. 

GeorgM  ayer  fand  bei  der  Durchuntersuchung  der  Militär¬ 
bevölkerung  Münchens  ebenfalls  Dysenteriebazillenträger. 

Die  Annahme,  dass  die  Y-Dysenteriebazillen  viel  weiter 
verbreitet  sind,  als  gegenwärtig  festgestellt  ist,  erscheint  nach 
solchen  systematischen  Untersuchungen  berechigt. 

Kruse  und  Knöpfei  mach  er  haben  schon  vor 
längerer  Zeit  gefordert,  dass  jede  follikuläre  Enteritis  bei 
Kindern  wenigstens  den  Verdacht  auf  Ruhr  erwecken  müsse. 

Diese  Forderung  muss  angesichts  der  obigen  Mitteilung 
neuerdings  erhoben  werden.  Vielleicht  lässt  sich  eine  Ver¬ 
minderung  der  Säuglingssterblichkeit  auch  durch  Ausschaltung 
eines  Teiles  der  Säuglingsdurchfälle,  welche  auf  Ruhr  beruhen, 
erreichen. 

Die  piaktischen  Aerzte  sollten  den  Untersuchungsanstalten 
viel  mehr  Material  von  Kinderdurchfällen  einsenden,  als  dies 
zurzeit  geschieht. 

Wenn  eine  mehrmalige  Ausscheidung  von  Dysenterie¬ 
bazillen  nach  hartnäckigeren  Erkrankungen  festgestellt  ist, 
sollte  die  Beobachtung  nicht  unter  3  Monaten  geschlossen 
werden. 


Aus  dem  Garnisonlazarett  zu  Halle  a.  S. 

Zur  Gonorrhöebehandlung  mit  Gonokokkenvakzin  Men zer. 

Von  Stabsarzt  Dr.  F.  Becker. 

Sowohl  in  der  Fachpresse  als  auch  auf  Kongressen  ist 
dje  Behandlung  der  Gonorrhöe  in  den  letzten  Jahren  ein 
Gegenstand  lebhafter  Erörterung,  woraus  hervorgeht,  dass  wir 
von  einer  sicher  erfolgreichen  Behandlung  derselben  noch  weit 
entfernt  sind.  Als  von  Neisser  und  seiner  Schule  die 
Argentumtherapie  eingeführt  und  ein  Präparat  immer  durch 
ein  höherwertiges  abgelöst  wurde,  schien  man  dem  erwähnten 
Ziele  nahe  gekommen  zu  sein,  doch  gibt  es  wohl  kaum  eine 
Krankheit,  bei  welcher  auf  Kosten  der  Therapie  soviel  Rück¬ 
sicht  auf  Verheimlichung  des  Leidens  genommen  und  dadurch 
einer  gründlichen  Ausheilung  selbst  in  gebildeter,  Kreisen  ent¬ 
gegengewirkt  wird.  Gerade  der  Militärarzt  hat  leider  recht 
oft  Gelegenheit,  darüber  Beobachtungen  zu  sammeln,  ist  doch 
die  Zahl  der  alljährlich  mit  Geschlechtskrankheiten  einge¬ 
stellten  Rekruten  recht  erheblich,  obwohl  die  aus  Gross¬ 
städten  stammenden  meist  vorher  ärztlich  behandelt  worden 
waren.  Nach  v.  Schjerning1)  wurden  unter  den  Berliner 
Rekruten  40  Prom.,  unter  denjenigen  aus  Hamburg  und  Altona 
30  Prom.  bei  der  Einstellung  geschlechtskrank  befunden,  meist 
handelte  es  sich  um  Gonorrhöe.  Welche  nachteiligen  Folgen 
die  Verseuchung  mit  Geschlechtskrankheiten  für  das  Heer  und 
im  Mobilmachungsfalle  für  die  Landessicherheit  hat,  beweist 
der  Umstand,  dass  allein  im  Jahre  1912  im  Bereich  der  Land¬ 
wehrinspektion  Berlin  2)  7709  Reservisten  und  Landwehrleute 
deswegen  ihre  militärischen  Uebungen  nicht  ableisten  konnten! 

Naturgemäss  werden  von  militärärztlicher  Seite  alle  Fort¬ 
schritte  in  der  Gonorrhöetherapie  aufmerksam  verfolgt  und  hat 
hierbei  der  Militärarzt  den  Vorteil,  dass  sich  ihm  nicht  wie  in 
der  Privatpraxis  oder  in  Krankenhäusern  die  Patienten  nach 
ihrem  Belieben  entziehen  und  dass  sie  später  jederzeit  nach¬ 
untersucht  werden  können,  ob  auch  wirklich  Dauerheilung  vor¬ 
liegt.  Die  durchschnittliche  Behandlungsdauer  der  Gonorrhöe 
in  Militärlazaretten  wird  aus  diesem  Grunde  stets  länger  sein, 
zumal  damit  zu  rechnen  ist,  dass  der  Militärdienst  mit  seinen 


*)  v.  Schjerning:  Sanitätsstatistische  Betrachtungen  über 
Volk  und  Heer.  Berlin  1910. 

;!)  Hecker:  Zur  Verbreitung  der  Geschlechtskrankheiten  unter 
den  Mannschaften  des  Beurlaubtenstandes.  D.  rnilitärärztl  Zschr 
1913  Nr.  22. 


1888 


Feldärztlichc  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  35. 


Anforderungen  an  die  körperliche  Leistungsfähigkeit  jedes 
Einzelnen  keinerlei  Schonung  gestattet. 

Bei  der  lokalen  Behandlung  der  Gonorrhöe  durch  Injek¬ 
tionen  dürfte  wohl  allgemein  nach  dem  N  e  i  s  s  e  r  sehen 
Grundsatz  erstrebt  werden,  dieselbe  bis  zum  völligen  Ver¬ 
schwinden  der  Gonokokken  fortzusetzen  [Rosen  fei  d3) 
u.  a.).  In  neuerer  Zeit  ist  mehr  und  mehr  die  Vakzinetherapie 
Gegenstand  der  Forschung  geworden,  deren  Erfolge  wohl 
hauptsächlich  bei  Epididymitis  gelobt  werden.  Einzelne 
Autoren  wie  Bardach4 * * 7)  berichten  über  gute  Erfolge  intra¬ 
venöser  Injektionen,  während  von  anderer  Seite  subkutane 
oder  intramuskuläre  Einspritzungen  bevorzugt  werden,  auch 
über  die  Höhe  der  Dosierung  schwanken  die  Ansichten 
noch  sehr. 

Schon  seit  Jahren  hatte  Menzcr  im  Garnisonlazarett  zu 
Halle  mit  einem  von  ihm  selbst  aus  frischen  Originalstämmen 
bereiteten  Gonokokkenvakzin  akute  und  chronische  Gonor¬ 
rhöen  mit  gutem  Erfolge  behandelt,  wie  seine  Mitteilungen  “) 
darüber  beweisen.  Reiter'1)  fordert  nun  in  seinem  Sammel¬ 
referat  über  die  Ergebnisse  der  Vakzinetherapie  und  Vakzine¬ 
diagnostik  weitere  kritische  Beobachtungen,  ob  die  von 
Menzcr  ausgesprochenen  Anschauungen  bezüglich  der 
akuten  Gonorrhöe  berechtigt  sind.  Da  ich  teils  unter  seiner 
Aufsicht,  später  nach  seinen  Angaben  die  diesbezügliche  Gonor¬ 
rhöebehandlung  fortgesetzt  habe,  dürften  meine  Erfahrungen 
mit  dem  Gonokokkenvakzin  Menzer  einiges  Interesse  bieten. 

I.  Von  akuten  Fällen  wurden  in  2  Jahren  27  ')  genau  be¬ 
obachtet,  bei  allen  war  bereits  auch  der  hintere  Teil  der  Harn¬ 
röhre  mit  ergriffen,  21  mal  auch  die  Vorsteherdrüse,  obwohl 
die  Leute  gewöhnlich  bald  nach  der  Infektion  —  durchschnitt¬ 
lich  etwa  2  Wochen  danach  —  sich  krank  meldeten,  ein  Be¬ 
weis,  wie  schnell  bei  körperlichen  Anstrengungen  die  Infektion 
fortschreitet.  Von  diesen  27  Fällen  zeigten  deutliche  Reaktion 
auf  Einspritzung  von  Vakzin  Menzer,  welches  stets  subkutan 
in  Dosen  von  0,5— 1,0  ccm  (5—10  Mill.  Gonokokken)  verabfolgt 
wurde: 

a)  mit  Erhöhung  der  Temperatur  und  vermehrtem  Ausfluss 
1 1  Fälle, 

b)  ohne  Erhöhung  der  Temperatur,  aber  vermehrtem  Aus¬ 
fluss  10  Fälle, 

c)  keinerlei  örtliche  oder  allgemeine  Reaktion  6  Fälle. 

Der  Ausfluss  wurde  etwa  24  Stunden  nach  der  Ein¬ 
spritzung  stärker,  der  Harn  trüber,  auch  zeigte  er  vermehrten 
Bodensatz,  die  Zahl  der  Gonokokken  im  Präparat  war  erhöht. 
Etwa  ein  Drittel  der  Fälle  gaben  auch  subjektive  Störungen 
des  Allgemeinbefindens,  wie  allgemeine  Unruhe  und  Kopf¬ 
schmerzen  an.  Gewöhnlich  klang  die  Reaktion  von  selbst  in 
1—3  Tagen  ab  und  setzte  nach  der  nä'chsten  Vakzination 
wieder  ein,  vielfach  in  schwächerem  Grade,  doch  liess  sich 
hierbei  keine  Regelmässigkeit  feststellen,  mitunter  war  bereits 
durch  die  erste  Einspritzung  die  Reaktion  darauf  erschöpft. 

Die  Einspritzungen  wurden  im  allgemeinen  alle  3  Tage 
vorgenommen,  über  die  Dosis  von  10  Millionen  wurde  nie 
gegangen,  da  bei  höheren  Dosen  ebensowohl  wie  bei  intra¬ 
venöser  Anwendung  unangenehme  Folgen  nach  den  bisherigen 
Erfahrungen  noch  nicht  unter  allen  Umständen  auszuschliessen 
sind,  in  einigen  wenigen  Fällen  wurden  bei  höherem  Fieber 
oder  sonstigen  Komplikationen  auch  geringere  Mengen  (0,2  bis 
0,3  ccm  Vakzin)  verwendet,  üble  Zufälle  kamen  daher  nie  vor. 
Dass  nicht  alle  Fälle  auf  die  Einspritzungen  reagierten,  mag 
zum  Teil  durch  die  zu  geringe  Dosierung  zu  erklären  sein,  wie 
dies  auch  von  anderen  Vakzins  (Gonargin)  berichtet  worden 
ist,  teilweise  dürfte  das  Ausbleiben  der  Reaktion  daran  liegen, 
dass  manche  Gonokokkenstämme  sich  dem  Vakzin  gegenüber 
refraktär  verhalten,  obwohl  dasselbe  stets  aus  einer  grösseren 
Anzahl  frischerer  Stämme  (mindestens  6)  bereitet  wird. 


3)  Rosenfeld:  Fortschritte  in  der  Argentumtherapie  bei  der 
Gonorrhöe  des  Mannes.  D.m.W.  1913  S.  1992. 

’)  Bardach:  Zur  therapeutischen  Anwendung  intravenöser 
Arthigoninjektionen.  M.m.W.  1913  S.  2622. 

•'*)  Menzer:  M.m.W.  1911  Nr.  46  u.  49  und  1912  Nr.  2. 

“)  Reiter:  Ergebnisse  der  Vakzinetherapie  und  Vakzine¬ 
diagnostik.  D.m.W.  1913  S.  2207. 

7)  Es  sind  nur  diejenigen  Fälle  berücksichtigt,  bei  welchen 
Gonokokkenvakzin  Menzer  während  der  ganzen  Behandlung  gegeben 
worden  ist,  was  aus  äusseren  Gründen  oft  unterblieb. 


Ausser  den  27  wurden  noch  3  akute  mit  Epididymitis  kom¬ 
plizierte  Fälle  behandelt,  von  denen  2  auf  das  Vakzin  mit  Tem¬ 
peratu  rsteigerung  bis  39,4  und  39,5  reagierten,  wobei  in  dem 
einen  Fall  das  Fieber  erst  am  3.  Tage  danach  abfiel,  ln  dem 
3.  Fall,  in  welchem  erst  nach  Abklingen  der  akuten  Entzün¬ 
dungserscheinungen  injiziert  wurde,  erfolgte  keinerlei  Tem¬ 
peraturanstieg  oder  Reaktion. 

Die  sonstige  Behandlung  bestand  in  2 — 3  Wochen  Bett¬ 
ruhe,  reizloser  Kost,  nach  Abklingen  der  akuten  Erscheinungen 
vom  Ende  der  2.  Woche  an  wurde  örtliche  Wärme  in  Gestalt 
warmer  Sitzbäder  (35 — 40")  von  15  Minuten  Dauer  verordnet, 
ferner  Prostatamassage  und  von  der  3.  Woche  an  gewöhnlich 
J  a  n  e  t  sehe  Spülungen  mit  Kal.  permangan.  1 :  5000.  Die  j 
Dauer  der  Behandlung  betrug  dabei  durchschnittlich  49,5  Tage. 
Mit  Ausnahme  derjenigen  Kranken,  welche  nach  Abschluss  der 
Behandlung  zur  Reserve  entlassen  wurden,  fanden  Nachunter¬ 
suchungen  statt,  welche  sich  teilweise  bis  fast  zu  2  Jahren 
erstreckten,  dabei  wurde  1  Rückfall  festgestellt,  obwohl  der 
Mann  57  Tage  behandelt  worden  war.  2  Tage  später,  nach¬ 
dem  er  anstrengenden  Dienst  getan  hatte,  bekam  er  wieder 
gonokkokenhaltigen  Ausfluss,  welcher  nunmehr  durch  19  tägige 
Behandlung  endgültig  verschwand  und  bei  späteren  Unter¬ 
suchungen  nicht  mehr  gefunden  wurde.  Der  3  mal  unter¬ 
nommene  Versuch,  die  etwas  lange  Dauer  der  Behandlung 
durch  Einspritzung  leichter  adstringierender  Lösungen  in  die, 
Harnröhre  (Zinc.  sulfur.  0,5:200)  abzukürzen,  hatte  keinen  Er- 
folg. 

II.  Von  chronischer  Gonorrhöe  wurden  13  Fälle  genau 
beobachtet,  deren  durchschnittliche  Behandlungsdauer  39,6 
Tage  betrug.  Nur  in  einem  Falle  war  die  Prostata  nicht  ver¬ 
ändert,  sonst  stets  beträchtlich  vergrössert,  meist  war  sie  gar 
nicht  untersucht  worden.  Es  handelte  sich  bei  diesen  chro¬ 
nischen  Fällen  hauptsächlich  um  Einjährig-Freiwillige  oder  Re¬ 
kruten,  welche  sich  vor  dem  Diensteintritt  angesleckt  hatten, 
die  Infektion  lag  angeblich  meist  1  Jahr,  in  einem  Falle 

6  Jahre  zurück.  Sämtliche  Kranke  waren  mit  Einspritzungen 
von  Silbersalzen,  2  ausserdem  noch  mit  Zinc.  sulfur.  oder  Kal. 
permang.  behandelt  worden,  die  grosse  Mehrzahl  spezialistiscli. 
nur  2  waren  ungeheilt  entlassen  worden,  alle  übrigen  geheilt. 

Mit  Vakzinebehandlung  wurde  —  ausser  aus  äusseren  Grün¬ 
den  in  1  Fall  —  sofort  begonnen  und  gewöhnlich  zuerst  5  Mil¬ 
lionen,  dann  10  Millionen  injiziert.  Positive  Reaktion  auf  die 
Einspritzung,  und  zwar: 

Temperatursteigerung  und  vermehrten  Ausfluss  zeigten 

7  Fälle, 

keine  Temperatursteigerung,  aber  vermehrten  Ausfluss! 
zeigten  5  Fälle, 

keinerlei  Reaktion  1  Fall. 

Manche  chronischen  Gonorrhöen  sollen  nach  Menzer 
deshalb  nicht  reagieren,  weil  sie  durch  Staphylokokken  oder 
Bact.  coli  mit  bedingt  sind.  Ausser  Vakzination  bestand  die 
Behandlung  in  2  wöchiger  Bettruhe,  reizloser  Kost,  Sitzbädern, 
J  a  n  e  t  sehen  Spülungen  gewöhnlich  vom  Beginn  der  2.  Woche 
an  und  Prostatamassage,  die  Vorsteherdrüse  hatte  sich  bis  auf 

1  Fall  danach  gut  zurückgebildet. 

Bei  3  Patienten  traten  Rückfälle  ein.  Ein  Einjährige-Frei  williger, 
welcher  39  Tage  behandelt  worden  war,  zeigte  3  Tage  später  nach 
einer  anstrengenden  Uebung  wieder  Ausfluss,  jedoch  ohne  Gono¬ 
kokken.  Erneute  Behandlung  im  Lazarett  27  Tage,  auf  Vakzin  jetzt 
keinerlei  Reaktion.  Ausfluss  seitdem  verschwunden,  Harn  klar.  — 
Ein  von  ausserhalb  überwiesener  Rekrut,  welcher  schon  1  Jahr  die 
meisten  üblichen  Behandlungsmethoden  und  Argentumpräparate  ge¬ 
braucht  hatte,  reagierte  auf  Vakzin  mit  Temperaturanstieg  bis  38", 
später  allmählich  geringer.  Nach  34  Tagen  mit  klarem  Harn  ent¬ 
lassen.  Nachdem  er  14  Tage  wieder  Dienst  getan  hatte,  erneut  Aus¬ 
fluss  mit  Gonokokken.  —  Ein  seit  Jahren  chronisch  kranker  Berliner 
„Arbeiter“,  welcher  in  vielen  Grossstädten  und  1  Jahr  vorher  mehrere 
Monate  in  einem  grossen  Militärlazarett  mit  wohl  sämtlichen 
spezialistischen  Behandlungsmethoden  behandelt  worden  war,  zeigte' 
auf  Vakzination  vermehrten  Ausfluss,  aber  keine  Temperatur¬ 
steigerung.  Nach  58  tägiger  Behandlung,  wobei  er  in  den  letzten 

2  Wochen  bei  Biergenuss  bereits  an  Haus-  und  Gartenarbeit  sich 
beteiligt  hatte,  mit  klarem  Urin  entlassen.  14  Tage,  nachdem  er 
wieder  Dienst  getan  hatte,  erneut  Ausfluss,  darin  aber  nie  Gonokokken 
gefunden.  Der  Mann  war  wieder  in  seine  auswärtige  Garnison 
zurückgeschickt  worden.  Ob  bei  diesem  vielfach  vorbestraften 
Menschen  der  nicht  gonokokkenhaltige  Ausfluss  vielleicht  auf  andere 
Weise  selbst  hervorgerufen  war,  liess  sich  nachträglich  nicht  fest¬ 
stellen. 


1.  September  191-L 


Fcldärztliclic  Beilage  zur  Mimcli.  med.  Wochenschrift. 


1889 


Jedenfalls  beweisen  diese  Fälle,  dass  das  Menz  e  r  sehe 
Gonokokkenvakzin  bei  chronischer  Gonorrhöe  in  der  grossen 
Mehrzahl  der  Fälle  spezifische  Reaktion  und  Erfolg  erzielt  und 
y-u  diagnostischen  Zwecken  sehr  gut  zu  verwenden  ist. 

Ausser  bei  den  13  chronischen  Gonorrhöen  wurde  das  Vak¬ 
zin  noch  bei  8  mit  Epididymitis  komplizierten  chronischen  Fäl  ¬ 
len  verwendet,  wobei  meist  erhebliche  Reaktion  eintrat  und 
die  auch  von  anderen  Vakzins  hierbei  gewonnenen  günstigen 
Erfahrungen  bestätigt  Werden  konnten,  so  dass  eine  weitere 
Beschreibung  sich  erübrigt.  Bei  gonorrhoischer  Arthritis  hatte 
ich  keine  Gelegenheit,  das  Vakzin  anzuwenden. 

Es  liegt  nicht  in  der  Absicht  dieser  Zeilen,  das  Menz  e  r  - 
sehe  Gonokokkenvakzin  als  etwas  Besonderes  hinzustellen, 
obwohl  auch  weniger  zahlreiche,  aber  genau  beobachtete  und 
über  einen  längeren  Zeitraum  verfolgte  Fälle  ein  Urteil  über 
ein  Mittel  erlauben.  Doch  möchte  ich  darauf  hinweisen,  dass 
es  sowohl  bei  akuter  als  auch  bei  chronischer  Gonorrhöe  in 
den  meisten  Fällen  spezifische  Wirkung  entfaltet  und  in  dia¬ 
gnostischer  wie  auch  im  Verein  mit  anderen  altbewährten  Me¬ 
thoden  in  therapeutischer  Hinsicht  Gutes  leistet.  Der  Pres 
der  Behandlung  stellt  sich,  da  ein  Fläschchen  Vakzin  zu  5  ccm 
mit  50  Millionen  Gonokokken  1.50  M.  kostet  und  für  1  Fall 
etwa  10  Einspritzungen  notwendig  sind,  im  Verein  mit  den 
J  a  n  e  t  sehen  Spülungen  sehr  gering,  was  für  Krankenhaus¬ 
behandlung  von  Wichtigkeit  ist.  Es  wird  bei  dieser  Therapie 
allerdings  keine  Schnellheilung,  wohl  aber  eine  gründliche  Aus¬ 
teilung  erstrebt  und  es  wäre  dringend  wünschenswert,  dass 
nein  und  mehr  durch  Aerzte  und  Presse  die  Anschauung  im 
Volke  verbreitet  würde,  dass  auch  die  Gonorrhöe  eine  Krank- 
teit  ist,  welche  ebenso  wie  andere  gründlich  behandelt  wer¬ 
ten  muss.  Ob  durch  neuere  Methoden,  wie  z.  B.  die  Caviblen- 
herapie  eine  .schnelle  und  sichere  Ausheilung  der  Gonorrhöe 
erreicht  werden  wird,  muss  erst  die  Erfahrung  nach  einem  läu¬ 
teren  Zeitraum  beweisen. 


leuchtungsapparat  mit  ganz  einfachen  Vorrichtungen  direkt  an 
die  Untersuchungsinstrumente  hingesteckt  werden  kann. 

Der  Augenspiegel  des  Besteckes  (Fig.  2)  besteht  aus  dem  stab- 
tormigen  Beleuchtungsapparat  und  einem  aufgesteckten  Halter  mit 
zwei  federnden  Spangen,  in  welche  eine  Diopterscheibe  und  event. 
Korrektionsgläser  analog  dem  bekannten  Li  e  b  r  e  i  c  h  sehen  Spiegel 
eingesetzt  werden  können.  Derselbe  Halter  wird  auch  für  den 
elektrischen  Ohren-  und  Nasenspiegel  benützt.  Der  Ohrtrichter  bzw. 
das  Nasenspekula  setzt  man  dabei  in  eine  der  Spangen  ein  und  dreht 
een  Stab  so,  dass  die  Ocffnung  des  Trichters  voll  beleuchtet  wird 
I  ig.  3).  Der  kleine  Leuchtstab  lässt  noch  genügend  Platz,  um  mit 
Instrumenten  über  ihm  hinweg  zu  hantieren.  Ein  besonderer  Vorteil 
dieses  elektrischen  Ohrenspiegels  ist,  dass  bei  richtiger  Haltung  des 
Ohrtrichters  jeder  Beschauer,  auch  der  ungeübte,  ein  gleichgutes 
Bild  des  I  rommelfellcs  erhalten  muss. 


Bei  dem  Kehlkopfspiegel  (Fig.  4)  wird  der  Beleuchtungsapparat 
in  einen  nach  allen  Seiten  im  Kugelgelenk  drehbaren  Halter  am  Griff 
des  Spiegels  eingesetzt  und  das  Licht  in  der  Richtung  der  Blicklinie 
auf  den  Spiegel  gerichtet.  Es  mag  zugegeben  werden,  dass  diese 
Art  des  Kehlkopfspiegelns  einigemale  probiert  sein  will;  aber  im  all¬ 
gemeinen  gelingt  es  meist  leicht,  ein  deutliches  Bild  des  Kehlkopfes 
bzw.  des  Nasenrachenraumes  zu  gewinnen. 


•in  neues  elektrisches  Untersuchungsbesteck  für  Auge, 
Ohr,  Nase  und  Kehlkopf. 

Von  Dr.  Pleikart  Stumpf  in  München. 


Der  Grundgedanke  dieser  Konstruktion  war,  einen  uni- 
’ersell  anwendbaren  Beleuchtungsapparat  zu  schaffen,  mit  dem 
nan  alle  einfacheren  endoskopischen  Untersuchungen  aus- 
ühren  kann.  Es  sind  in  den  letzten  Jahren  verschiedene  elek- 
risehe  Augenspiegel,  Ohrenspiegel,  Nasen-  und  Kehlkopfspiegel 
eröffentlicht  worden,  deren  Konstruktion  hinlänglich  bekannt 
ein  dürfte.  Bei  den  meisten  ist  jedoch  der  Beleuchtungs- 
ipparat  so  voluminös,  oder  den  Spezialzwecken  so  angepasst, 
lass  ein  universeller  Gebrauch  nicht  möglich  ist.  Bei  dem 
euen  Universalbesteck  (Fig.  1)  hat  der  Beleuchtungsapparat 


ie  Gestalt  eines  dünnen  Stabes,  in  dessen  vorderes  Ende  ein 
Iciner  Spiegel  eingebaut  ist,  der  den  Lichtkegel  senkrecht  zur 
ichtung  des  Stabes  austreten  lässt.  Die  geeignete  Helligkeit 
Rd  durch  eine  Linsenkombination  im  Innern  des  Stabes  cr- 
-icht.  Die  Stabform  hat  den  Vorteil,  dass  nun  der  Be- 


Fig.  4. 


Item  Besteck  ist  eine  Brille  beigegeben,  damit  man  den  Be¬ 
leuchtungsapparat  auch  vor  dem  Auge  des  Untersuchers  befestigen 
und  die  Untersuchungen  in  analoger  Weise  wie  mit  einem  Reflektor 
vornehmen  kann  (füg.  5).  Für  das  Augenspiegeln  gewährt  dies  ganz 
besondere  Vorteile.  Es  erübrigt  sieb  das  Halten  des  Spiegels,  so 
dass  man  z.  B.  beim  Spiegeln  im  umgekehrten  Bild  eine  Hand  frei 
hat,  auf  welche  man  den  Patienten  zu  sehen  heisst.  Man  kann  auf 
diese  Weise  den  Blick  des  Patienten  beliebig  dirigieren,  die  Papille 
mit  Sicherheit  einstellen  und  den  ganzen  Hintergrund  systematisch 
absuchen.  Auch  fiir  das  Spiegeln  von  Ohr,  Nase  und  Kehlkopf  kann 
die  Brille  verwendet  werden;  diese  Untersuchungen  gestalten  sich 
dann  analog  der  Anwendung  einer  Stirnlampe  oder  eines  Reflektors. 

Obige  Instrumente  sind  in  einer  Federtasche  untergebracht  die 
sicli  bequem  in  der  Rocktasche  tragen  lässt  (Fig.  I). 

Noch  einige  andere  Anwendungsformen  des  Beleuchtungs¬ 
apparates,  die  mehr  fiir  den  Augenspezialisten  in  Betracht  kommen, 
seien  liier  erwähnt.  Fs  lassen  sich,  wie  Fig.  6  zeigt,  die  meisten  der 


1890 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  35. 


gebräuchlichen  Refraktionsaugenspiegel  durch  Vorsetzen  des  Be¬ 
leuchtungsapparates  vor  den  Spiegel  ohne  weiteres  in  elektrische 
Augenspiegel  umwandeln.  Derartige  Vorrichtungen  zum  Anstecken 
des  Beieuchtungsapparates  sind  leicht  anzubringen;  sie  stören  auch 
beim  gewöhnlichen  Gebrauch  des  Spiegels  in  keiner  Weise.  Man 
hat  also,  falls  einmal  die  elektrische  Beleuchtung  versagen  sollte, 
immer  noch  eine  Reserve  in  dem  gewöhnlichen  Reflektor. 

Besonders  gut  eignet  sich  der  Beleuchtungsapparat  wegen 
seines  konzentrierten  Lichtes  zur  Ausführung  der  seitlichen  Be¬ 
leuchtung.  Um  nun  auch  kleinere  Operationen,  wie  Entfernung  von 
Fremdkörpern,  Kauterisation,  Diszission  etc.  bei  dieser  idealen  seit¬ 
lichen  Beleuchtung  ausführen  zu  können,  setzt  man  den  kleinen  Licht¬ 
stab  mittels  einer  Klammer  dem  Patienten  auf  die  Nase  (Fig.  7).  Der 
Halter  ist  im  Kugelgelenk  gelagert,  so  dass  die  Einstellung  des 
Lichtps  beliebig  erfolgen  kann.  Die  Klammer  wird  direkt  unter  dem 
Nasenbein  aufgesetzt  und  das  Scharnier  auf  den  Nasenrücken  gelegt, 
so  dass  der  Halter  also  in  drei  Punkten  unterstützt  ist.  Die  Nasen¬ 
atmung  wird  bei  dieser  Art  der  Anbringung  in  keiner  Weise  gestört. 

Bemerkt  sei  noch,  dass  der  Beleuchtungsapparat  seiner  Ver¬ 
wendung  entsprechend  entweder  an  eine  Taschenbatterie,  am  besten 
in  einer  Hülse  mit  Drehkontakt,  oder  event.  auch  an  eine  stationäre 
Lichtleitung  angeschlossen  werden  kann. 

Die  beschriebenen  Apparate  werden  von  der  Firma  R.  Jung, 
ü.  m.  b.  H.,  Heidelberg  fabriziert  und  geliefert. 


Seekriegschirurgie  und  kriegschirurgische  Dogmen. 

Von  Marineoberstabsarzt  Dr.  M.  zur  Verth  in  Kiel. 

(Schluss.) 

Bei  den  grundlegenden  Verschiedenheiten  zwischen  See¬ 
krieg  und  Landkrieg  überrascht  es  einigermassen,  dass  die 
Zahlen  der  Qesamtverluste  in  beiden  ziemlich  die¬ 
selbe  Höhe  erreichen.  Wenn  mit  R.  Köhler  die  Gesamt¬ 
verluste r’)  in  den  grossen  europäischen  Kriegen  seit  1859  mit 
ungefähr  10  Proz.  angenommen  werden  —  die  Verluste  im 
japanischen  Heere  und  auch  im  russischen  während  des 
Krieges  1904/05  waren  höher  (im  Feldkrieg  16,6  und  18,3;  ein¬ 
schliesslich  Belagerungskrieg  21,2  und  16,0  Proz.)  — ,  so  passt 
sich  der  japanische  Seekrieg")  mit  10,2  Proz.  Gesamtvcrlusten 
dieser  Durchschnittszahl  vorzüglich  an.  Der  Gesamtverlust 
der  japanischen  Marine  setzt  sich  zusammen  aus  8,7  Proz.  Ge¬ 
fallenen  oder  Verletzten  und  1,5  Proz.  an  Krankheiten  Ge¬ 
storbenen. 

Zerteilt  man  nun  diese  Gesamtzahlen,  so  treten  allerdings 
nicht  unwesentliche  Verschiedenheiten  im  Seekrieg  und  Land¬ 
krieg  zutage.  Während  das  Verhältnis  der  Toten  zu  den  Ver¬ 
letzten  im  Landkrieg  etwa  1  zu  5  ist  (1870/71  auf  deutscher 
Seite  1  zu  5,8,  1904/05  im  Landkrieg  auf  japanischer  Seite 
1  zu  3,7,  auf  russischer  Seite  1  zu  4,9),  stellt  sich  im  japanischen 
Seekrieg  auf  1  zu  0,9.  Der  japanische  Seekrieg 
brachte  also  mehr  Tote  als  Verletzte. 

Als  Ursache  dieser  schweren  Lebensverluste  kommt  vor¬ 
züglich  die  Minenwirkung7)  in  Betracht.  Für  die  Minen  stellt 
sich  die  Zahl  der  Toten  zu  den  Verletzten  (die  Ertrunkenen  mit 
eingerechnet)  wie  1  zu  0.21,  während  sie  sich  für  die  Artillerie 
wie  1  zu  2,6  und  zwar  für  direkte  Geschosse  (Granaten  und 
ihre  Splitter)  wie  1  zu  1,7  und  für  indirekte  Geschosse  wie 
1  zu  6,7  stellt. 

Auch  für  den  Landkrieg  hat  der  Einfluss  der  Kriegs- 
seuchen  auf  die  Vcrlustgrösse  bedeutend  abgenommen. 
Während  noch  in  der  ersten  Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts 
die  Kriegsheere  etwa  6  mal  so  viele  Menschen  durch  Krank¬ 
heiten  verloren,  als  durch  Waffen,  fiel  diese  Zahl  für  die  zweite 
Hälfte  des  Jahrhunderts  auf  2  zu  1  und  drehte  sich  in  unserem 
Kriege  1870/71  zum  ersten  Male  (abgesehen  von  kleinen  Kriegs¬ 
zügen),  so  dass  etwa  nur  die  Hälfte  von  allen  an  Waffen  zu¬ 
grunde  Gegangenen  durch  Krankheiten  starb.  Ganz  ähnlich 
war  das  Verhältnis  auf  japanischer  Seite  zu  Land  1904/05  mit 


r>)  Summe  der  auf  dem  Schlachtfeld  Gefallenen,  der  Vermissten, 
der  Verwundeten  und  der  an  ihren  Wunden  oder  Krankheiten 
Gestorbenen. 

,:)  Für  die  Zahlen  des  Seekrieges  steht  nur  der  russisch¬ 
japanische  Seekrieg  zur  Verfügung,  da  es  sich  bei  allen  anderen  neu¬ 
zeitlichen  Seekriegen  nur  um  Einzelgefechte  handelt. 

')  Der  Torpedo  (eine  bewegliche  Mine)  spielte  im  russisch- 
iapanischen  Kriege  eine  unverhältnismässig  geringe  Rolle.  Seine 
Wirkungen  werden  sich  in  einem  künftigen  Kriege  vielleicht  den 
Störungen  durch  Minen  im  russisch-japanischen  Kriege  an  die  Seite 
stellen  lassen. 


1  zu  0,5.  Der  Seekrieg  1904/05  übertraf  diese  Zahlen  noch, 
indem  auf  japanischer  Seite  auf  1  durch  feindliche  Waffen  Ge¬ 
töteten  nur  0,36  an  Krankheiten  Gestorbene  kamen. 

Zwar  mögen  auch  im  Landkrieg  die  Gefahren  des  Kriegs¬ 
handwerks  (Bedienung  der  eigenen  Waffen  usw.)  Verluste  er¬ 
zeugen,  doch  sind  sie  im  Verhältnis  so  gering,  dass  sie  den 
eben  erläuterten  Ursachen  von  Verlusten  gegenüber  ganz  zu¬ 
rücktreten.  Beim  Seekrieg  kommen  dazu  die  nicht  unwesent¬ 
lichen  Gefahrmomente  der  Seefahrt  an  sich,  die  durch  den 
Krieg  selbst  beträchtliche  Zunahme  erleiden  (Abgeblendet¬ 
fahren  bei  mangelnden  Seezeichen  u.a.  m.).  Nahezu  ein  Viertel 
der  Seekriegstodesfälle  (einschliesslich  der  Ertrunkenen)  und 
ein  gleicher  Anteil  der  Seekriegsverletzungen  auf  japanischer 
Seite  gingen  1904/05  auf  diese  Gefahren  des  Seekriegshand¬ 
werkes  zurück. 

Während  die  bis  dahin  erläuterten  Zahlen  in  erster  Linie 
militärisch-nationalökonomischen  Wert  haben  und  das  ärztliche 
Gebiet  nur  mittelbar  berühren,  sind  die  Verlustzahlen 
des  einzelnen  Schiffes  im  Einzelgefecht  von 
unmittelbarem  ärztlichen  Interesse.  Sie  stellen  die  Grund¬ 
lagen  dar,  auf  denen  die  Friedensvorbereitungen  für  die  Ver- 
letztenversorgung  im  Seekrieg  aufbauen. 

Auch  für  die  Aufstellung  der  Einzelverlustzahlen  sind 
grundlegende  Unterschiede  zwischen  Kriegsführung  an  Land 
und  zur  See  vorhanden.  Während  theoretisch  an  Land  das 
ganze  kämpfende  Heer 8)  aufgerieben  werden  kann,  so  dass 
dem  hinter  der  Linie  erhaltenen  Sanitätspersonal  die  Riesen¬ 
aufgabe  der  Versorgung  aller  nicht  Getöteten  zufällt,  hat  die 
Zahl  der  zu  versorgenden  Verletzten  im  Seekrieg  Grenzen 
nach  oben.  Es  gibt  eine  obere  Grenze  für  den  Ausfall  an 
Kriegsschiffsmannschaften,  bei  deren  Ueberschreitung  das 
Kriegsschiff  aktionsunfähig  wird.  Das  aktionsunfähige  Kriegs¬ 
schiff  aber  fällt  sicherer  Vernichtung  anheim.  Mit  der  Ver¬ 
nichtung  des  Kriegschiffes  hört  aber  auch  die  Möglichkeit  der 
Verletztenversorgung  auf.  Natürlich  sind  Ausnahmefälle 
denkbar;  aber  nach  Ausnahmefällen  können  dieVorbereitungen 
nicht  getroffen  werden.  Diese  Grenze  hält  Stokes11)  für  ge¬ 
geben,  wenn  etwa  ein  Drittel  bis  die  Hälfte  der  Besatzung 
ausgefallen  ist.  Die  Zahl  wechselt  wohl  je  nach  der  Organi¬ 
sation  des  Dienstbetriebes  an  Bord.  Das  Eine  lässt  sich  sicher 
schliessen :  es  gibt  an  Bord  unähnlich  dem  Land¬ 
gefecht  eine  nicht  allzu  hohe  Grenze,  über  die 
hinaus  eine  Verletztenversorgung  im  allge¬ 
meinen  wegfallen  wird,  eine  Vorbereitung 
und  Ausrüstung  also  überflüssig  ist. 

Viel  einschneidender  aber  als  in  der  Zahl  sind  die  Unter¬ 
schiede  in  der  Art  der  Verletzung.  Wenn  auch  die 
Beteiligung  der  einzelnen  Waffenarten  an  den  Ausfällen  in 
den  Landkriegen  schwankt,  so  sind  überall  (bis  auf  wenige 
Ausnahmen  im  Festungskrieg)  die  Kleinkaliberverletzungen 
bei  weitem  in  der  Mehrzahl,  meist  so  sehr,  dass  Geschützver¬ 
letzungen  demgegenüber  vollkommen  verschwinden.  An 
Bord  fallen  von  den  nicht  tödlichen  eigentlichen  Seekriegs¬ 
verletzungen  durch  feindliche  Waffen  76,4  Proz.  der  Artillerie, 
19,1  den  Minen  zu,  der  Rest  verteilt  sich  auf  verschiedene 
Ursachen.  Als  Artilleriegeschosse  werden  in  den  meisten 
Marinen  nur  Granaten  verwendet,  das  Schrapnell  wird  nur 
noch  unter  bestimmten,  selten  gegebenen  Voraussetzungen 
gebraucht.  Bei  den  Artillerieverletzungen  aber  wie  bei  den 
Minenverletzungen,  also  bei  der  allergrössten  Anzahl  aller 
Seekriegsverletzungen  zeigen  sich  als  charakteristische  Eigen¬ 
schaften  der  Wunden  Quetschung,  Zermalmung  und  Zer- 
reissung,  während  für  den  Landkrieg  —  natürlich  auch  mit 
Ausnahmen  —  die  glatte  Schnitt-  oder  stichförmige  Verletzung 
als  Regel  angesehen  werden  muss. 

Ungefähr  20  Proz.  der  Seekriegsverletzungen  (etwa  L 
der  Artillerieverletzungen  und  der  Minenverletzungcn) 
gehen  auf  indirekte  Geschosse  zurück.  Ungleich  den  Ver¬ 
hältnissen  im  Landkrieg,  wo  Gemäuer,  Geröll,  Erde  und  ähn¬ 
liches  vielfach  hochinfektiöses  (Tetanus)  Material  als  in- 


K)  In  der  Schlacht  bei  Cannä  fielen  auf  seiten  der  Römer  92  Proz. 
der  Kämpfer,  in  der  Schlacht  bei  Salenkemen  verloren  die  Türken 
(einschliesslich  10  000  in  die  Theihs  Gedrängter)  nahezu  94  Proz. 
ihrer  Streitkräfte  (A.  Kühle  r). 

")  Generalstabsarzt  der  amerikanischen  Marine. 


I.  September  1914. 


Fcldärztliche  Beilage  zur  Miinch.  mcd.  Wochenschrift. 


1891 


direktes  Geschoss  fortgeschleudert  wird,  sind  es  an  Bord  in 
erster  Linie  Teile  des  Schiffskörpers,  also  auf  einem  neuzeit¬ 
lichen  Schiff  meist  Metallstücke,  deren  für  die  Wundinfektion 
verhältnismässig  günstige  Eigenschaften  eben  schon  erörtert 

wurden. 

Auch  auf  den  Sitz  der  Verletzungen  wirken  die  Verhält¬ 
nisse  des  Seekrieges  in  besonderer  Art  ein  und  zwar  sind 
abere  und  untere  Gliedmassen  im  Seegefecht  geringer  be¬ 
troffen.  als  irn  Landgefecht.  Die  Ursache  dafür  liegt  fraglos 
Jarin,  dass  im  Infanteriegefecht  der  zielende  Arm  und  das  in 
iegender  Stellung  über  die  Deckung  herausragende  Bein  be¬ 
sonders  dem  Kugelregen  ausgesetzt  sind.  Vielleicht  spielt  bei 
len  geringen  Zahlen  für  das  Bein  auch  der  Granatenspreng- 
<cgel  eine  Rolle. 

Aus  ebenso  natürlichen  Gründen  erklärt  sich  auch  die 
schlechtere  Prognose,  die  den  Bauch-  und  Beinschüssen  im 
Seekrieg  gegenüber  dem  Landkrieg  eigen  ist 10).  Die  Eigen- 
ümlichkeiten  der  Seekriegsverletzung  zeigen  in  den  Weich¬ 
eilen  des  Oberschenkels,  wie  bei  den  Bauchorganen  ganz  be¬ 
sonders  ihre  verheerende  Wirkung. 

Steckschüsse,  mit  denen  man  bei  der  Armee  in  5—10  Proz. 
ier  fälle  rechnet,  sind  an  Bord  weitaus  häufiger  und  wegen 
ler  zackigen  und  unregelmässigen  Form  des  Geschosses,  das 
’ielfach  Kleiderfetzen  mitreisst,  auch  weitaus  unangenehmer. 

Der  Transport  des  Kriegsverletzten,  dem  im  Land- 
, eiecht  besonders  organisatorische  Massnahmen  gewidmet 
ind.  liegt  an  Bord  ausserhalb  des  Sorgenbereichs  des  Sanitäts¬ 
offiziers.  Zwar  nicht  ganz  einfach  wegen  des  Mangels  von 
erbindungen  der  einzelnen  Gefechtsstationen  untereinander 
nd  mit  dem  Gefechtsverbandplatz  und  wegen  der  Unzugäng- 
chkeit  mancher  Gefechtsstationen  und  vieler  Verbandplätze, 
d  es  an  Schwierigkeit  mit  dem  Transport  im  Landgefecht 
icht  zu  vergleichen.  Es  ist  eine  Friedensaufgabe  des  Marine- 
anitätsoffiziers,  jeden  Mann  der  Besatzung,  insbesondere 
Iffiziere  und  Unteroffiziere  über  die  Art,  die  Zeit  und  den 
\eg  des  Transportes  zu  unterrichten.  Nach  dem  Gefecht 
doch  lastet  eine  so  schwere  Aufgabe  auf  den  Schultern  des 
larinearztes,  dass  die  Leitung  des  Transportes  ihm  ge- 
ommen  werden  muss  und  tatsächlich  genommen  ist.  Die 
eit,  die  der  Transport  eines  einzelnen  benötigt,  ist  an  Bord 
o  kurz,  dass  das  Fehlen  von  ärztlicher  Hilfe  während  des 
ransportes  nicht  in  Betracht  kommt. 

Die  Grundsätze  der  Verletzt enversorgung 
n  Land  und  an  Bord  sind  naturgemäss  dieselben.  Indes  ergeben 
ie  besonderen  Verhältnisse  und  das  Vorherrschen  von  be- 
mderen  Verletzungsarten  an  Bord  im  einzelnen  doch  tief¬ 
reifende  Unterschiede,  die  für  das  Vorgehen  des  Arztes  von 
edeutung  sind. 

Die  erste  Versorgung  4er  Verletzten  verteilt  sich  am 
aride  auf  die  Truppenverbandplätze,  Hauptverbandplätze  und 
eldlazarette.  An  Bord  ist  alles  zusammengedrängt  auf  dem 
efechts Verbandplatz.  Wenn  nun  schon  die  Land- 
tnee  eine  organisatorische  Teilung  des  Hauptverbandplatzes 
eine  „Empfangsabteilung“  und  „Verbandabteilung“  vor- 
mmt,  so  ist  diese  Teilung  an  Bord  um  so  wesentlicher,  als 
auch  die  Aufgaben  des  Feldlazaretts  dem  Hauptgefechts- 
-■rbandplatz  an  Bord  zufallen.  In  Ansehung  dieser  Er¬ 
eiferung  der  Aufgaben  der  „Verbandabteilung“  habe  ich  für 
^  an  ^orcl  den  Namen  „Versorgungsabteilung“  Vor¬ 
schlägen  n),  während  ich  für  die  ersterwähnten  den  Namen 
-mpfangsabteilung“  beibehalten  habe. 

Da  an  Bord  die  kämpfende  oder  zu  neuen  Kämpfen  be- 
unmte  Mannschaft  in  enger  Fühlung  mit  den  Verletzten 
eibt,  steht  neben  der  rein  chirurgischen  Versorgung  ihrer 
unden  die  Befriedigung  ihrer  Wünsche  und  Bedürfnisse  im 
ndergrund  der  ärztlichen  Pflichten.  Stillung  der  Schmerzen 
.  Durststillung  ist  also  eine  wesentliche  ärztliche  Aufgabe. 

L>  «Abteilung  verabreicht  wahllos  jedem  Verletzten 
e  Maximaldosis  Morphium  unter  die  Haut.  Zur  Durst- 
Tlung,  der  ja  auch  die  Morphiumspritze  dient,  sind  besonders 

r  *  Ausführlichere  Zahlen  s.  zur  Verth:  Gefechtssanitätsdienst 

°r  u  r-  '  ^6-  Handbuch  der  Gesundheitspflege  an  Bord  von 

u-Ksschiffen.  B.  1. 

)  zur  Verth:  Zur  Organisation  der  ärztlichen  Tätigkeit  auf 
ui  nauptgefechtsverbandplatz.  Marine-Rundschau  1911,  H.  3. 


auf  den  Lagerungsplätzen  ausreichende  Getränkmengen  an¬ 
gehäuft. 

In  der  chirurgischen  Versorgung  der  Verletzungen  ist 
insofern  der  wesentlichste  Unterschied  gegeben,  als  kleine 
Aus-  und  Einschussöffnungen  mit  Schusskanälen  zu  den 
Ausnahmen  gehören,  als  aber  die  bakterielle  Infizierung  der 
Verletzungen,  besonders,  sofern  sie  durch  indirekte  Geschosse 
hervorgerufen  sind,  hinter  der  Infizierung  der  Granatver¬ 
letzungen  am  Lande  zurückbleibt.  In  der  chirurgischen  Aus¬ 
stattung  ist  der  Hauptgefechtsverbandplatz  an  Bord  den  Ver¬ 
bandplätzen  am  Lande  fraglos  überlegen.  Er  ist  etwa  der 
Ausrüstung  eines  Feldlazarettes  vergleichbar.  Von  dieser 
Seite  aus  können  also  auf  dem  Gefechtsverbandplatz  alle  Ein¬ 
griffe  vorgenommen  werden,  zu  denen  das  Feldlazarett  be¬ 
fugt  ist. 

Auch  im  Seekrieg  ist  der  erste  Verband  von 
allergrösstem  Einfluss  für  das  Schicksal  des 
Verletzten.  Die  Neigung  zum  aktiven  Eingreifen  im 
Sinne  der  Desinfektion  scheint  im  Seekrieg  in  Anbetracht  der 
reichlich  zur  Verfügung  stehenden  Hilfsmittel  recht  gross  zu 
sein.  Trotzdem  den  japanischen  Aerzten  reine  Asepsis  vor¬ 
geschrieben  war,  haben  sie  vielfach  antiseptische  Massnahmen 
angewendet.  Wenn  auch  das  Aussehen  der  japanischen  See¬ 
kriegsverletzungen  sich  vorteilhaft  von  dem  der  russischen 
unterschied,  so  glaube  ich  doch,  dass  durch  reine  Asepsis  weit 
mehr  zu  erreichen  ist.  Die  Unterlagen  dafür  teile  ich  an 
anderer  Stelle  mit.  Bei  der  Wundbehandlung  hat  also  der 
Seekriegschirurg  vorzusorgen,  dass  die  Möglichkeit  zur  An¬ 
wendung  künstlicher  Massnahmen  ihm  nicht  zur  Gefahr  wird, 
dass  er  nicht  durch  Vielgeschäftigkeit  schadet,  wie  es  bei  den 
Japanern  stellenweise  der  Fall  gewesen  zu  sein  scheint.  Die 
Fragestellung,  ob  die  Seekriegsverletzung,  wie  die  Verletzung 
an  Land  als  primär  infiziert  zu.  betrachten  ist,  ist  unglücklich. 
Aus  vielfachen  Erfahrungen  ist  es  erlaubt,  zu  schliessen,  dass 
die  Kriegsverletzung  an  Bord  wie  am  Lande,  wenn  sie  nicht 
sekundär  geschädigt  wird,  primär,  d.  h.  ohne  Eiterung  heilt. 
Die  Vernichtung  etwa  eingedrungener  Erreger  kann  also  an 
Rord  wie  am  Lande  nicht  unsere  Aufgabe  sein.  Einzig 
und  allein  die  Verhütung  späterer  Schädi¬ 
gung  ist  die  Pflicht  des  Kriegschirurgen.  Not¬ 
wendig  dazu  ist  die  sterile  Abdeckung  der  Wunden  gegen  das 
Eindringen  von  Keimen  und  die  Ruhigstellung  des  verletzten 
Körperteiles.  Die  sterile  Abdeckung  muss  so  geschehen,  dass 
der  Verband  nicht  scheuert  und  das  etwaige  Wundsekret  ab¬ 
dunsten  kann. 


Der  sterile  fertige  Verband  ist  der  beste 
Wundverband.  An  Stellen,  an  denen  auch  bei  guter  Ver¬ 
bandtechnik  das  Scheuern  sich  nicht  sicher  ausschliessen  lässt, 
also  am  Rumpf,  in  der  Mitte  der  Glieder  und  am  Schulter-  und 
Hüftgelenk,  kann  statt  des  fertigen  Verbandes  steriler  Mull, 
der  mit  Heftpflaster  festgelegt  wird,  verwendet  werden.  Masti- 
sol  ist  ein  guter  Heftpflasterersatz.  Doch  ist  seine  Brauchbar¬ 
keit  bei  den  häufig  recht  grossen  Wunden  des  Seekriegs  nicht 
zweifelsfrei.  Das  Bestreichen  der  Wundumgebung  mit  Jod¬ 
tinktur  ist  wie  alles  Ueberfltissige  nicht  empfehlenswert,  im 
allgemeinen  aber  fraglos  nicht  schädlich. 

Zur  Ruhigstellung  des  verletzten  Körper¬ 
teiles  ist  an  Bord  der  Gips  das  souveräne 
Mittel.  F  r  i  e  d  r  i  c  h  12)  hat  für  die  Kriegslazarette  am 
Lande  die  Vorherrschaft  des  Gipses  zu  erschüttern  versucht 
und  statt  dessen  dem  Extensionsverband  den  Preis  zuerkannt. 
Seine  Vorschläge  erfreuen  sich  zwar  auch  für  den  Landkrieg 
nicht  allgemeiner  Anerkennung,  an  Bord  aber  ist  der  Ex- 
tensionsverband  unbrauchbar.  Die  Enge  des  Raumes  und  die 
Bewegungen  des  Schiffes  schliessen  seine  Verwendungen  aus. 
Für  die  Ruhigstellung  des  Gliedes  ist  der  gute  Gipsverband 
jeder  Schiene  überlegen.  Da  die  Bordverhältnisse  eine  Ein¬ 
schränkung  des  Gips-  und  Wasservorrates,  also  der  beiden 
zum  Gipsverband  unbedingt  notwendigen  Hilfsmittel,  nicht  be¬ 
dingen,  liegt  im  Gegensatz  zum  Landgefecht  eine  Ver¬ 
anlassung  nicht  vor,  zugunsten  des  Gebrauchs  von  Schienen 
den  Gipsverband  einzuschränken.  Jedes  ernstlich  Seekriegs- 


Friedrich 
Saloniki  und  Athen 
M.m.W.  1913  H.  45—47 


Aus  den  griechischen  Kriegslazaretten  zu 
am  Ausgange  des  zweiten  Balkankrieges 
S.  2497,  2570  und  2628. 


1892 


Feldärztliche  Beilage  zur  Miinch.  med.  Wochenschrift. 


Nr.  35. 


verletzten  harrt  in  späteren  Tagen  noch  die  Ausschiffung  von 
Bord.  Sie  stellt,  besonders  wenn  sie  in  See  bei  unruhigem 
Wasser  geschieht,  ein  technisches  Problem  dar,  jedenfalls  ist 
sie  nirgends  so  einfach,  wie  der  horizontale  Transport  an 
Land.  Bei  dieser  Ausschiffung  besteht  wohl  die  grösste  Ge¬ 
fahr  der  Wundschädigung  durch  Störung  des  Prinzips  der 
Ruhe.  Auch  für  die  vermehrte  Beanspruchung  bei  dieser  Ge¬ 
legenheit  ist  der  Gipsverband  jedem  anderen  Stützverband 
überlegen. 

Gerade  wegen  des  schon  erwähnten  Zusammenlebens  der 
Verletzten  mit  der  noch  streitbaren  Besatzung  ist  auf  die 
Schmerzverhütung  bei  jeglichem  chirurgischen  Ein¬ 
griff  der  grösste  Wert  zu  legen.  Oertliche  Schmerzbetäubung 
verlangt  Zeit  und  wegen  des  Wechsels  in  der  Betäubungs-  und 
Operationsfolge  Platz  und  reichliches  Hilfsmaterial.  Alle  drei 
aber  stehen  an  Bord  nicht  zur  Verfügung.  Für  alle  Eingriffe 
bei  der  ersten  Versorgung  der  Gefechtsverletzten  ist  also  die 
Allgemeinbetäubung  an  Bord  das  einzig  brauchbare  Mittel. 
So  lange  das  elektrische  Licht  leuchtet  und  die  künstliche 
Lüftung  die  nötige  Luftneuerung  auf  dem  üefechtsverband- 
platz  sichert,  ist  der  Aether-  oder  auch  der  Chloräthylrausch 
empfehlenswert.  Brennen  indes  bei  Zerstörung  der  elektri¬ 
schen  Anlagen  offene  Lichter,  so  ist  der  Aether  wegen  der 
ihm  innewohnenden  Feuer-  und  Explosionsgefahr  durch 
Chloroform  zu  ersetzen. 

Bei  den  vielfach  gequetschten  und  zermalmten  Wunden 
ist  eine  Wundherrichtung,  die  vor  allem  in  der  Entfernung  der 
zerquetschten  Teile  besteht,  bei  einem  grossen  Teile  der  Ver¬ 
letzungen  kaum  zu  umgehen.  Bei  glattrandigen  Hautver¬ 
letzungen  hat  sich  die  Wundnaht  mannigfach  bewährt:  die 
geschlossene  Haut  stellt  den  besten  Schutz  gegen  das  Ein¬ 
dringen  von  Eitererregern  dar.  Besonders  bei  Verletzungen 
der  Gesichtsteile  ist  sie  nützlich. 

Gelegentliche  Luftröhrenschnitte,  Harnröhrenschnitte,  Ge- 
fässunterbindungen  sind  ohne  Zögern  auszuführen.  Die  Pro¬ 
gnose  primär  vorgenommener  Sehnen-  und  Nervennähte  ist 
so  viel  besser,  als  die  bei  sekundärer  Naht,  dass  auch  diese 
Operationen,  wenn  eben  möglich,  primär  auf  dem  Gefechts¬ 
verbandplatz  zu  erledigen  sind. 

Im  Gegensatz  zum  Landkrieg  ist  die  sofortige  Ent¬ 
fernung  der  Fremdkörper  anzuraten.  Auf  dem 
schon  im  Frieden  hergerichteten  Gefechtsverbandplatz  ist  die 
Asepsis  besser  gewährleistet,  als  im  Feldlazarett.  Da  Schuss¬ 
kanäle  durchaus  selten  sind  und  die  Tiefe  der  Wunde  im  Ver¬ 
hältnis- zum  Durchmesser  der  Einschussöffnung  gering  ist,  ist 
die  Technik  der  Fremdkörperentfermmg  bei  der  Seekriegs- 
verletzung  einfacher  als  das  Land.  Durchschneidung  undurch- 
trennter  Gewebsschichten  wird  dabei  seltener  in  Betracht 
kommen.  Aber  auch  das  Bedürfnis  zur  Entfernung  des 
Fremdkörpers  ist  bei  der  Seekriegsverletzung  ungleich 
grösser.  Zunächst  neigt  die  stärker  gequetschte  Seekriegs¬ 
verletzung  mehr  zur  Eiterung,  vermag  also  den  Schädigungen 
des  Fremdkörpers  weniger  Widerstand  entgegenzusetzen. 
Dann  aber  auch  ist  das  steckende  Geschoss  meist  ein  Granat¬ 
splitter  oder  ein  losgerissenes  Metallstück  des  Schiffskörpers. 
Beiden  ist  im  Gegensatz  zum  häufigsten  Geschoss  des  Land¬ 
krieges  eine  zackige,  buchtige,  unregelmässige  Form  eigen. 
Aber  gerade  von  unregelmässig  gestalteten  Fremdkörpern  im 
Gewebe  gehen  die  grösseren  Gefahren  aus.  Endlich  reisst 
das  Geschoss  gerade  wegen  seiner  Zacken  und  Unregel¬ 
mässigkeiten  vielfach  Teile  der  Kleidung  mit  in  die  Tiefe. 
Wurden  doch  von  den  Japanern  alle  Lagen  der  die  Schuss¬ 
verletzung  bedeckenden  Kleider  in  regelrechter  Reihenfolge 
unter  dem  Geschoss  in  der  Tiefe  der  Wunde  wieder  entdeckt. 
Dass  aber  Zeugfetzen  als  Fremdkörper  in  den  Geweben  un¬ 
günstiger  wirken  als  Geschossteile,  ist  durch  die  Erfahrung 
erwiesen.  Aus  allen  diesen  Gründen  ist  die  primäre  Ent¬ 
fernung  von  Fremdkörpern  bei  der  Seekriegsverletzung  nütz¬ 
lich.  Natürlich  ist  es  nicht  gestattet,  auf  das  Suchen  nach 
Fremdkörpern  übermässig  viel  Zeit  zu  verwenden.  Bringt 
der  scharfe  Haken  ohne  Anwendung  des  Messers  den  Fremd¬ 
körper  nicht  zu  Gesicht,  so  darf  auf  weiteres  Suchen  füglich 
verzichtet  werden.  Seine  Entfernung,  erleichtert  durch  die 
Anwendung  von  Röntgenbildern,  ist  dann  einer  späteren  Zeit, 
in  der  die  Arbeit  weniger  drängt,  zu  überlassen. 


Aus  diesen  grundlegenden  Unterschieden  in  der  Ver- 
letztenversorgung  an  Bord  und  am  Lande  die  Schlussfolge¬ 
rungen  im  einzelnen  zu  ziehen,  erübrigt  sich.  Sie  werden  er¬ 
leichtert  durch  die  klare  Einsicht,  wo  bewusst  von  dem  fest¬ 
gefügten  und  erprobten  Gebäude  der  Verletztenversorgung 
am  Lande  abgewichen  werden  muss. 


Orientierungskurse  für  freiwillige  Kriegsärzte  in  Berlin. 

Berichterstatter:  L)r.  M.  S  c  h  w  a  b  -  Berlin-Wilmersdorf. 

Es  finden  zurzeit,  veranstaltet  vom  Zentralkomitee  für  das  ärzt-' 
liehe  Fortbildungswesen  in  Preussen  unter  Förderung  des  Krieg.-,- 
ministeriums,  im  Kaiserin-Friedrich-Hause  zu  Berlin  Kurse  für  frei¬ 
willige  Kriegsärzte  statt.  Der  erste  Kurs  dauerte  vom  17.  bb> 
20.  August  1914,  die  übrigen  werden  für  diejenigen  Aerzte,  die  der; 
zahlreichen  Meldungen  wegen  erst  der  Reihe  nach  berücksichtigt: 
werden  konnten,  in  weiterer  Folge  mit  dem  gleichen  Programm  ab¬ 
gehalten. 

Der  erste  Abend  wurde  durch  eine  Einleitungsrede  des  Gen.- 
Arztes  Dr.  P  a  a  1  z  o  w,  Chefs  der  Medizinalabteilung  des  Kriegs¬ 
ministeriums,  eröffnet,  in  welcher  derselbe  die  Bereitwilligkeit  der 
deutschen  Aerzteschaft,  die  auch  ohne  Dienstpflicht  sich  in  so  grosser: 
Zahl  der  Heeresbehörde  zur  Verfügung  gestellt  habe,  mit  -warmer 
Worten  des  Dankes  anerkannte,  sodann  eine  Uebersicht  des  Pro¬ 
gramms,  das  in  schulmässiger  Weise  mit  der  Anatomie,  der  Zu¬ 
sammensetzung  des  Heereskörpers  und  des  Sanitätskorps  beginne, 
um  dann  auf  die  Physiologie  und  Pathologie  überzugehen,  gab,  daraui 
dem  Gedächtnis  des  grossen  Kriegschirurgen  Ernst  v.  Bergmann 
verehrungsvolle  Worte  der  Pietät  widmete  und  dessen  Wort:  .Nur 
nicht  müde  werden!“  der  Aerzteschaft  als  die  augenblicklich  gegebene 
Devise  in  die  Erinnerung  rief. 

Danach  wurden  die  eigentlichen  Vorträge,  anhebend  mit  der 
„Anatomie“,  gehalten: 

1.  Dr.  Holzhauer,  Stabsarzt  an  der  Kaiser-Wilhelms- 
Akademie: 

1.  Organisation  der  Armee  mit  besonderer  Berücksichtigung  der 
Organisation  des  Sanitätskorps. 

a)  Personal:  Chef  des  gesamten  Sanitätswesens  im  Kriege 
ist  der  Generalstabsarzt  der  Armee,  im  Kriege  „Chef  des  Feld- 
sanitätswesens“  genannt;  er  befindet  sich  im  grossen  Haupt¬ 
quartier. 

Das  Heer  zerfällt  in  mehrere  Armeen,  jede  mit  einem  Armee¬ 
arzt  an  der  Spitze.  Jede  Armee  hat  mehrere  Armeekorps,  jedes  mit 
einem  Korpsarzt  an  der  Spitze,  dem  ein  beratender  Chi¬ 
rurg  und  ein  beratender  Hygieniker  zur  Seite  stehen 
Jedes  Armeekorps  hat  mehrere  Divisionsärzte;  jede  Division 
ihre  Regimentsärzte  usw. 

Jedes  Armeekorps  hat  3  Sanitätskompagnien,  die  mit  der  fechten¬ 
den  Truppe  marschieren  und  aus  ca.  200  bis  220  Krankenträgern 
und  einem  Assistenzarzt  bestehend,  von  einem  Rittmeister  befehligt 
werden.  Ausserdem  Hilfskrankenträger,  Sanitäts-j 
man  lisch  aften  etc.  bei  den  verschiedenen  Sanitätsformationen 

b)  Material:  Jeder  Soldat  hat  sein  Verbandpäckchen;  jeder 
Sanitätsoffizier  seine  Instrumententasche;  die  Sanitätsmannschaftci 
tragen  Sanitätstaschen,  Labeflaschen  und  Sanitätsverbandzeug;  jedes! 
Infanteriebataillon  hat  einen  Infanteriesanitätswagen,  in  dem  wollene! 
Leibbinden,  Krankendecken,  Labcflaschen,  Sanitätstaschen,  Kranken¬ 
tragen  und  das  Truppenbesteck  mitgeführt  werden;  in  ähnlicher  Weise 
haben  die  analogen  und  die  grösseren  Heeresformationen  ihre  Satii- 
täts-,  Vorrats-,  Gerätewagen. 

2.  Heeressanitätsdienst. 

A.  Im  Gefecht: 

a)  Truppenverbandplatz:  Zur  allerersten  Versorgung  der  Vcr-! 
wundeten. 

b)  Hauptverbandplatz:  Mit  verschiedenen  Abteilungen  (Ernp- 
fangsabteilung,  Verbandabteilung,  Warteplatz,  Kochplatz. 
Platz  für  Sterbende,  Platz  für  Tote  usw.);  hier  Sortierung 
der  Verwundeten  in  marsch  fähige,  transport¬ 
fähige  und  nichttransportfähige  Verwundete 
mit  Hilfe  von  Wundtäfelchen  (weisse  Papptafcln  mit  2  afn 
trennbaren  roten  Längsstreifen):  Nichttransportfähige  er¬ 
halten  ein  Wundtäfelchen  mit  den  2  roten  Streifen:  Trans¬ 
portfähige  ein  solches,  von  dem  ein  roter  Streifen  abgetrennt 
ist,  also  ein  Täfelchen  mit  1  roten  Streifen,  und  Marschfähige 
ein  weisses  Täfelchen  ohne  roten  Streifen. 

c)  Feldlazarett:  Pro  Armeekorps  12,  jedes  für  200  Kranke  ein¬ 
gerichtet,  zur  Pflege  der  nicht  marschfähigen  Verwundeten 

d)  Sanitätsstaffel:  Zur  Versorgung  der  Verwundeten  in  und 
nach  dem  Gefecht. 

e)  Leich tvcrwundctcn-Sammelplatz. 

B.  Im  Etappengebiet  (Etappe  ist  das  Bindeglied  zwischen 
Heimat  und  Armee  zum  Nach-  und  Rückschub  von  Personal  und  Ma¬ 
terial):  jede  Armee  hat  eine  besondere  Etappeninspektion  mit  einem 
Etappeninspekteur  und  einem  Etappenarzt  an  der  Spitze;  letzterem 
steht  ein  beratender  Hygieniker  zur  Seite;  zur  Unterstützung  des 
Etappenarztes  dient  ein  Kriegslazarettdircktor.  Die  Lazarette  der 
Etappe  heissen  K  r  i  e  g  s  1  a  z  a  r  e  1 1  e,  wenn  sic  aus  Feldlazaretten 


.  September  1914. 


Peldärztlidic  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


1-893 


Der  Nachschub  von  Material  zum  Heere 
tsdepot,  den  Sanitätsdepots  usw. 

C.  Im  Heimatgebiet  befinden 
zaretten,  die  im  Kriege  Reserve 
:dere  Reservelazarette. 

II.  Dr.  Neu  mann,  Stabsarzt  in  der  Medizinalabteilung  des 

iegsministeriums: 


sich 
a  z  a 


ausser 

rette 


den  Garnisons¬ 
heissen,  noch 


3.  Verwendung  des  nichtdienstpflichtigen  Zivilarztes  im  Dienste 
r  Armee,  sein  persönliches  Verhalten  und  Ratschläge  für  seine  Aus- 

stung. 

Der  nichtdienstpflichtige  Zivilarzt  kann  verwendet  werden  bei 
n  Ersatztruppen,  Reservelazaretten,  Kriegslazarettabteilungen, 
appenlazaretten.  Er  erhält  Gebührnisse,  je  nach  dem  Rang  9  15 
.  21  M.  innerhalb  des  Wohnortes;  12,  18,  21,  24  M.  ausserhalb.’  Er 
tt  in  ein  vertragliches  Verhältnis  in i t  der  Heeresbehörde.  Seine 
isrüstung  besteht  atn  besten  aus  einer  geeigneten  Uniform,  den 
listigen  nötigsten  Bekleidungsstücken  und  einer  Verbandtaschc. 

Aus  den  Zivilärzten  werden  auch  die  beratenden  Chirurgen  und 
gieniker  entnommen,  die  aber  militärischen  Rang  haben.  Ferner 
nnen  ehemalige  Sanitätsoffiziere  reaktiviert  werden  und  Studen- 
i  der  Medizin  vom  7.  Semester  ab  als  Feldunterärzte  angenommen 
:rden. 

III.  Dr.  Holzhäuer,  Stabsarzt  an  der  Kaiser- Wilhelms-Aka- 
ime:  Dm  freiwillige  Krankenpflege  und  ihre  Verwendung  im  Kriege. 

Nicht  jeder  ist  zur  freiwilligen  Krankenpflege  berechtigt,  sondern 
r  die  Deutschen  Vereine  vom  Roten  Kreuz,  die  Ritterorden  und 
sondere  Vereinigungen,  die  vom  Kriegsministerium  die  Erlaubnis 
ulten  haben.  Die  freiwillige  Krankenpflege  wird  vollständig  und 
allen  Teilen  von  der  Militärbehörde  geleitet  und  organisiert.  Nur 
Eintritt  des  einzelnen  ist  freiwillig,  der  Dienst  dann  aber  nicht. 

■  Angehörigen  der  freiwilligen  Krankenpflege  unterstehen  der  Dis- 
linargewalt  (leichter  Verweis,  strenger  Verweis,  Entfernung)  und 
relde  den  Kriegsgesetzen. 

Aufgabe  der  freiwilligen  Krankenpflege:  Krankenpflege,  Kranken¬ 
nsport  und  Depotdienst,  vorwiegend  im  Etappengebiet;  im  spe- 
Hen:  Vermehrung  des  Pflege-,  Transport-  und  Verwaltungspgrso- 
s;  Einrichtung  von  Krankenstellen,  Erfrischungsstellen;  Aufstellung 
i  Lazarett-  etc.  Zügen;  Bereitstellung  von  kaufmännischem  Per- 
»al;  Uebernahme  des  Verwaltungs-  und  Schreibdienstes  in  den 
Baretten  usw.;  Dienst  in  den  Nachweisebureaus. 

Dies  erfordert  eine  straffe  Organisation:  An  der  Spitze  steht  der 
serhehe  Kommissar  und  Militärinspekteur  der  freiwilligen  Kran- 
ipflege,  der  sich  im  grossen  Hauptquartier  befindet.  Seine  Unter- 
ane  sind  die  Delegierten  (Etappendelegierte,  Delegierte  bei  der 
;  inKentransportabteilung,  Territorial-,  Festungs-Reservelazarett- 
legierte  u.  a.  m.). 

Personal  im  einzelnen:  Lazaretttrupp  (Pfleger,  Pflegerinnen, 

■  he,  Köchinnen)  zum  Dienst  im  Bereich  der  Kriegslazarettabtei- 
•ten;  Iransporttrupp  (112  Krankenträger);  Begleittrupp;  Depot- 

;  tp. 

Im  Heimatgebiet  ähnliche  Formationen;  hier  ausserdem  Errich- 
tg  besonderer  Lazarette,  „Vereinslazarette“  (von  mindestens 
Betten)  und  von  Privatpflegestätten. 

!}.■  Dr.  v-  Oettingen:  Allgemeine  Gesichtspunkte  für 

chirurgische  Tätigkeit  in  Front,  Etappe  und  Heimat. 

Der  mit  Erfahrungen  aus  3  grossen  modernen  Feldzügen  aus- 
.attete  Kriegschirurg  des  russisch-japanischen,  serbisch-türkischen 
serbisch-bulgarischen  Krieges  gab  in  fesselnder  Darstellung  einen 
iss  der  modernen  Kriegschirurgie,  nachdem  er  einen  kurzen  histo- 
nen  Rückblick  auf  die  Entwicklung  derselben  geworfen  hatte, 
das  Resultat  der  letzteren  will  er  die  Verwirklichung  des  Satzes 
E.  v.  Bergmann:  „Ich  wünsche  im  Felde  keine  Freiheit  der 
andlung,  das  Individualisieren  hat  hier  der  Schablone  zu  weichen“, 
estrebt  sehen. 

Es  folgt  eine  gedrängte  Uebersicht  der  Wirkung  der  Waffen  im 
•  ^eu^rwaffcn :  a)  Handfeuerwaffen,  b)  (jeschütze  (Granaten 

Schrapnells),  2.  kalte  Waffen  (Säbel,  Bajonett  etc.)  und  eine 
'zierung  der  Schussverletzungen  des  menschlichen  Körpers  und 

1  r  Folgen. 

Die  Frage :  „  W  as  entscheidet  das  Schicksal  eines 
jrwundeten?“  ist  nicht  dahin  zu  beantworten,  dass  dies  der 
Cr  u  ™  se‘  (was  höchstens  für  die  Extremitäten  gilt),  sondern 
JDgesehen  von  der  Wichtigkeit  des  getroffenen  Organs  und  der 
were  der  Verletzung  —  die  Tatsache,  ob  eine  Infektion  ein- 
oüer  nicht.  Dabei  ist  der  Begriff  der  Infektion  nicht  im  patho- 
wn-hakteriologischen  Sinne  aufzufassen  (jede  Wunde  enthält 
ne,  jedoch  wird  bei  nicht  zu  grosser  Zahl  und  Virulenz  derselben 
^nwehrkraft  des  Organismus  häufig  anstandslos  mit  ihnen  fertig), 
lern  im  klinischen  Sinne.  Man  kann  3  Arten  der  Infektion  unter¬ 
en.  a)  Infektion  eo  ipso,  wenn  z.  B.  infiziertes  Material  (z.  B. 


Holzsplitter,  Kleidungsstücke  etc.)  mit  dem  Geschoss  in  die  Wunde 
hineingetrieben  wird;  b)  primäre;  c)  sekundäre  Infektion.  Letztere 
wud  hervorgerufen  durch  fehlerhafte  Massnahmen  (Sondieren, 
1  amponade,  Waschen  und  Spülen  der  Wunde  oder  ihrer  Umgebung, 
lockere  Verbände,  die  sich  dann  verschieben,  nichtsterilisierte  Ver¬ 
bandstoffe,  Schwächung  der  Körperkräfte  durch  Anwendung  starker 
Antiseptika,  Mangel  der  Fixation,  Anfassen  der  Wunde  mit  den  Fin¬ 
gern  etc.)  und  durch  Nichtverbinden  der  Wunden. 

Die  Infektion  zeigt  sich  in  4  Formen: 

a)  örtliche  Reizung  (Therapie:  Suspension), 

b)  Phlegmone, 

c)  Abszess  (vereitertes  Hämatom  oder  Fremdkörperabszess), 
dl  Verhaltung,  akut  oder  chronisch. 

Dazu  kommt  noch  die  allgemeine  Infektion  (Sepsis,  Pyämie)  und 
die  spezifische  (Erysipel,  Pyozyaneus,  Tetanus,  Gasphlegmone  etc.). 

Grundsätze  der  Therapie:  In  der  Front  und  auf  der 
Etappe  tritt  neben  der  Anlegung  des  Verbandes  und  der  Fixation  die 
zweckmässige  Organisation  der  Beförderung  (Evakua- 
tion)  in  den  Vordergrund  des  Handelns. 

,,  Als  Verbände  kommen  in  Betracht:  a)  Notverband, 
■U  ausc‘lv.erband,  c)  Dauerverband,  die  sich  nicht  nach  der  Art 
ihres  Materials,  sondern  nach  der  Zeit,  die  sie  liegen  bleiben  können 
und  sollen,  unterscheiden. 

P'e  Fixation  wird  in  4  Arten,  je  nach  der  Verletzung  einzeln 
für  sich  oder  in  variabler  Kombination  miteinander  angewandt,  aus- 
geführt: 

a)  Fixation  der  Bakterien  in  der  Wundumgebung  und  der  Ver¬ 
bandstoffe  (hier  verwirft  Oe.  die  Jodtinktur  aus  verschiedenen 
Gründen,  sondern  empfiehlt  klebende  Stoffe,  schon  deshalb, 

■  weil  diese  die  Bakterien  und  die  Verbandstoffe  zugleich 
fixieren). 

b)  Fixation  der  Blutung:  Unterbindung,  Druckverband;  selten 
Tamponade  und  Druckverband  notwendig. 

c)  Fixation  der  Knochen:  Schienenverbände,  Gipsverband,  Exten¬ 
sionsverbände. 

d)  Fixation  des  Verwundeten  an  sein  Lager:  am  besten  so,  dass 
der  Verletzte  bis  zu  seiner  Genesung  die  erste  Trage,  auf  die 
er  gebettet  wurde,  nicht  zu  verlassen  braucht. 

Die  Beförderung  erfolgt  zu  Fuss,  auf  der  Trage,  mittels 
Wagens. 

Dies  sind  die  Richtlinien  für  das  Verhalten  des  Arztes  in 
der  Front  und  in  der  Etappe;  erst  in  der  Heimat  kommt  die  grosse 
Chirurgie  in  wesentlicheren  Betracht. 

Eine  Reihe  von  instruktiven  Biidern  erläuterte  diese  Auseinander¬ 
setzungen^  und  gab  Gelegenheit,  auch  über  die  spezielle  Kriegs¬ 
chirurgie  Einzelheiten  einzuflechten,  wovon  hier  nur  betreffs  Indikation 
zur  Amputation  erwähnt  werden  möge,  dass  dieselbe  viel  seltener 
als  früher  gegeben  und  nicht  von  der  Ausdehnung  oder  gar  von  dem 
Vorhandensein  einer  Verletzung  der  Knochen,  sondern  von  der  Ver¬ 
letzung  der  Weichteile  und  der  grossen  Gefässe  (auch  bei  Nicht¬ 
bestehen  einer  Knochenläsion)  abhängig  ist. 

(Schluss  folgt.) 


Referate. 

Deutsche  medizinische  Wochenschrift.  Aus  Nr.  33,  1914. 

A.  N  e  i  s  s  e  r  -  Breslau.  Venerische  Krankheiten  bei  den  im  Felde 
stehenden  Truppen. 

Die  Frage,  ob  eine  Allgemeinbehandlung  der  Syphilis  beim 
marschierenden  und  im  Felddienst  stehenden  Soldaten  durchführbar 
ist,  wird  vom  Verf.  unbedingt  bejaht.  Für  die  Quecksilber- 
*,.,0  1,u^s  emPfielllt  sich  Oleum  cinereum  (Merginol,  Engelsapo- 

theke  Breslau),  wöchentlich  einmal  Vio  bis  höchstens  14  ccm  injiziert 
Maximaldosis  Hg  wöchentlich  0,14  g,  Gesamtdosis  für  die  Kur  0,7  g. 

icfe  subkutane  Injektionen  oben  aussen  in  der  Glutäalgegend  sind 
so  gut  wie  schmerzlos  und  hindern  nicht  beim  Marschieren  und  Rei¬ 
ten.  Mundpflege!  Wichtiger  und  wirksamer  ist  das  Neosalvarsan, 
am  besten  in  der  bei  guter  I  echnik  absolut  schmerzlosen  intravenösen 
Injektion  (Lösung  in  6—10  ccm  möglichst  sorgfältig  und  frisch  ab¬ 
gekochten  (destillierten)  Wassers,  1.  Injektion  0,4  g,  2.  Injektion  nach 
8—10  lagen  0,6  g,  4.  und  5.  Injektion  in  8  tägigen  Abständen  0,9  g. 
riir  eventuelle  tief  subkutane  Injektionen  (auf  die  Faszie,  nicht 
intermuskulär),  welche  aber  oft  recht  schmerzen,  wäre  die  Joha-Salbe 
am  besten.  Immer  ist  die  Quecksilber-  und  Salvarsanbehandlung  zu 
kombinieren,  die  Injektionen  lassen  sich  an  demselben  Tag  machen. 
Die  Behandlung  ist  möglichst  früh  zu  beginnen,  sowie  eine  auch  nur 
verdächtige  Ulzeration  vorhanden  ist. 

Ulcera  mollia  sind  mit  unverdünnter  Karbolsäure  ge- 
nauestens  auszuwischen,  darauf  lOproz.  Jodoformvaseline  oder  Ung. 
Zinci  mit  20  Proz.  Perubalsam  zu  geben.  Erweichende  Bubonen  wer¬ 
den  inzidiert,  die  Höhle  mit  lOproz.  Jodvaseline  ausgefüllt  und  letz¬ 
teres  durch  ein  Pflaster  in  der  Höhle  festgehalten. 

Die  Gonorrhöe  ist  am  beschwerlichsten.  Bei  stärkerer  Ent¬ 
zündung  möglichst  absolute  Ruhe.  Für  eine  Abortivbehandlung  dient 
die  tägliche  vorsichtige  Injektion  (durch  den  Arzt  vorzunehmen)  einer 
4  proz.  Protargollösung  mit  Zusatz  von  2  Proz.  Al.vpin  resp.  5  Proz 
Antipyrin.  Sonst  sind  täglich  2  mal  Injektionen  von  K— 'A  proz.  Pro- 


1894 


Nr.  35. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


targollösung  mit  A  proz.  Alypin-  oder  3  proz.  Antipyrinzusatz  zu 
machen,  20  Minuten  in  der  Harnröhre  zu  halten.  Suspensorium  nach 
N  e  i  s  s  e  r  aus  obengenannter  Apotheke. 

Zur  Abortivbehandlung  ist  auch  zu  empfehlen  die  täglich  zwei¬ 
malige  Einspritzung  der  vorher  zu  erwärmenden  Novinjectol- 
Salbe  (event.  aus  genannter  Apotheke)  (Protargol_  6,0,  Aqu.  dest. 
24,0,  Alypin  2,0,  Eucain.  anhydr.,  Adip.  lan.  anhydr.  ää  35,0);  die  ein¬ 
zuspritzende  Menge  beträgt  6—10  ccm,  und  soll  durch  einen  guten 
Verband  8—10  Stunden  in  der  Harnröhre  gehalten  werden.  Gelingt 
dies,  so  lässt  sich  in  den  allermeisten  Fällen  die  Gonorrhöe  mit 
1 — 2  Einspritzungen  definitiv  heilen. 

Zur  Verhütung  von  Komplikationen  dienen  Gonosan  und  ähnliche 
Balsamika;  die  Gonokokkenvakzine  hat  keinen  prophylaktischen 
Wert,  leistet  aber  bei  Epididymitis  und  Arthritis  sehr  Gutes. 

Unter  den  Massnahmen  zur  Verhütung  von  Geschlechtskrank¬ 
heiten  (z.  B.  Einfettung  der  Genitalien  beim  Mann  und  Weib)  emp¬ 
fiehlt  Verf.  da,  wo  sich  Prostitutionsherde  bilden,  grundsätzlich  die 
präventive  bzw.  abortive  Behandlung  jeder  Prostituierten  mit  Sal- 
varsan.  Bgt. 

Zentralblatt  für  Chirurgie.  Aus  Nr.  31,  1914. 

Dr.  E.  A.  L  ii  k  e  n  -  Leipzig:  Ueber  Trikotschlauch-Mastisol- 
Extensionsverbände. 

An  der  Leipziger  Klinik  werden  fast  alle  Frakturen  an  den  Ex¬ 
tremitäten  mit  Trikotschlauch  und'  Mastisol  extendiert.  Die  einfache 
Technik  gestaltet  sich  folgendermassen:  man  bestreicht  den  Teil  der 
Extremitäten,  an  dem  der  Verband  angelegt  werden  soll,  ganz  dünn 
(um  Ekzem  zu  vermeiden)  mit  Mastisol  und  lässt  es  1  Minute 
trocknen;  über  den  mit  Mastisol  bestrichenen  Teil  zieht  man  den 
Trikotschlauch,  der  sofort  fest  haftet  und  belastet  werden  kann;  für 
Streckverbände  bei  Eingerbrüchen  nimmt  Verf.  die  Fingerlinge  von 
Trikothandschuhen.  An  der  Hand  von  7  Skizzen  ist  die  Technik  der 
Verbandanlegung  bei  den  verschiedenen  Frakturen  an  den  Extremi¬ 
täten  erläutert.  Die  Vorteile  dieser  Form  von  Extension  liegen  darin, 
dass  1.  der  Verband  auch  da  angelegt  werden  kann,  wo  wegen  zu 
kurzer  Angriffsfläche  ein  Heftpflasterverband  nicht  möglich  ist,  2.  dass 
er  einen  steten,  vollkommenen  Ueberblick  über  die  Stellung  der 
Extremität  gestattet,  3.  dass  durch  die  zirkuläre  Anlegung  eine  Re¬ 
traktion  der  Muskeln  sicherer  vermieden  wird,  4.  dass  er  reizlos  und 
gefahrlos  ist. 


Kleine  Mitteilungen. 

Die  französische  Kriegskrankenpflege. 

Nach  einem  Aufsatz  von  Stabsarzt  Dr.  Adam  in  Köln 
(D.m.W.  Nr.  32). 

I.  Personal. 

Die  gesamte  technische  Leitung  des  Feldsanitätsdienstes  ist  den 
Militärärzten  übertragen.  Diese  sind  Offiziere  und  bekleiden  in  den 
höchsten  Stellen  (Armeeärzte)  den  höchsten  vorhandenen  militäri¬ 
schen  Rang  eines  Divisionsgenerals.  Ihnen  unterstehen  die  pharma¬ 
zeutischen  Offiziere  (Apotheker)  und  Verwaltungsoffiziere  (Inspek¬ 
toren).  Ausserdem  gehören  zum  Sanitätspersonal  die  Unterärzte 
(teilweise  Studenten  der  Medizin),  die  Krankenpfleger  (infirmiers), 
welche  den  deutschen  Sanitätsmannschaften  und  Krankenwärtern  ent¬ 
sprechen,  und  die  Krankenträger  (brancardiers). 

Im  Etappen-  und  Heimatgebiet  wird  der  Sanitätsdienst  haupt¬ 
sächlich  durch  die  neuerdings  mehr  zentral  organisierte  freiwillige 
Krankenpflege  (ein  Männer-  und  zwei  Frauenvereipe  vom  Roten 
Kreuz)  versehen. 

II.  Material. 

Soweit  das  Sanitätsmaterial  nicht  offen  (Krankentragen,  Zelte) 
transportiert  wird,  ist  es  gruppenweise  je  nach  dem  Zweck  in  Körben 
(Nr  1 — 15),  Kasten  (Nr.  1 — 5)  und  Ballen  (Nr.  1 — 8)  verpackt,  weniger 
zur  möglichsten  Rauinausniitzung  als  zur  raschen  und  bequemen 
Verwendung. 

Das  Verbandzeug  hat  grösstenteils  die  Form  fertiger  trockener 
und  aufsaugender  Schnellverbände,  welche  in  den  meisten  Fällen 
auf  die  unberührte  Wunde  ohne  wesentliche  Reinigung  der  Haut 
(event.  nach  Abschneiden  der  Haare)  gelegt  werden  sollen  und  über 
welche  zum  Schutz  die  vorher  aufgeschnittenen  Kleider  wieder  zu¬ 
sammengelegt  werden.  Bei  dem  genannten  fertigen  Verbandzeug 
hat  man  wie  in  Deutschland  den  Grundsatz  der  Aseptik  angenommen 
und  von  antiseptischer  Imprägnierung  abgesehen.  Es  sind  drei  Mo¬ 
delle  von  verschiedener  Grösse  eingeführt  worden,  wovon  das  grösste 
für  grosse  Wunden,  hauptsächlich  des  Rumpfes  dienen  soll.  Die  Be¬ 
standteile  sind  Mull,  Watte  und  Binden  (Nadeln  sind  entbehrlich), 
die  Hülle  soll  annähernd  wasserdicht  sein,  Pergament  oder  Leinen 
(event.  imprägniert).  Die  Packung  ist  zylindrisch  oder  kantig;  von 
einer  Pressung  wird  zur  Erhaltung  der  Aufsaugefähigkeit  abgesehen. 
Zu  den  fertigen  Verbänden  rechnet  auch  das  jedem  Angehörigen  der 
Armee  zugeteilte  Verbandpäckchen. 

Bei  den  Arzneimitteln  ist  wie  in  Deutschland  auf  möglichst  kom- 
pendiöse  Form  und  Einschränkung  der  Flüssigkeitsmengen  geachtet. 
Chloroform  und  Chloräthyl  in  Röhren  von  30  bzw.  15  g.  Ampullen; 


Kokain  ä  0,0025  und  0,005  g,  Aether,  Strychin  sulf.,  Atropin,  Koffein. 
Morphium  (0,01  g).  Tabletten:  Antipyrin,  Chinin,  Opium,  Kalomel. 
Sulfonal,  Hydrarg.  oxycyan.  Jodtinktur  wird  in  Lösung  mitgeführt. 

In  dem  auf  je  ein  Bataillon,  Pionierkompagnie,  fahrende  Ab 
teilung  treffenden  IVA  kg  schweren  Sanitätstornister  findet  sich 
neben  einigem  Verbandzeug  und  Arzneien  eine  Rolle  zur  Wieder¬ 
belebung,  enthaltend  einen  Flanellmantel,  zwei  Fausthandschuhe  zum 
Frottieren  und  eine  Reibebürste,  dazu  die  Gebrauchsanweisung.  Zum 
Material  für  Fixationsverbände  gehören  auch  Knochenbruchbinden 
(Drillichbänder  mit  Schnallen)  zum  Befestigen  der  Schienen. 

III.  Organisation. 

A.  Im  militärischen  Operationsgebiet. 

a)  Truppensanitätsdienst. 

Das  Truppensanitätspersonal  teilt  sich  in  zwei  Hälften,  von  denen1 
die  eine  in  der  Feuerlinie  und  bei  den  angesammelten  „Verwuudeten- 
nestern“  die  erste  Hilfe  leistet,  die  andere  Hälfte  den  Truppen¬ 
verbandplatz  (poste  de  secours)  einrichtet,  der  ausserhalb  dev 
Gewehrteuerbereiches  gelegen  sein  soll. 

b)  Feldsanitätsformationen. 

1.  Die  Krankenträgerkompagnien  (groupes  de  bran¬ 
cardiers)  zu  213—318  Mann,  je  eine  bei  jeder  Division,  haber 
hauptsächlich  die  Verwundeten  zu  sammeln  und  nach  rückwärts  zu 
schaffen.  Line  solche  Kompagnie,  welcher  eine  Abteilung  für  Hygiene.- 
und  Desinfektion  (section  d’hygiene  et  de  prophylaxie)  beigegeben 
ist,  steht  ausserdem  noch  zur  Verfügung  eines  jeden  Armeekorps. 

2.  Die  Ambulanzen  (60  MannJ  richten  die  Hauptver¬ 
bandplätze  ein  und  pflegen  die  Verwundeten  bis  zu  ihrer  Rück¬ 
kehr  zur  t  ruppe  oder  ihrer  Weitergabe  an  die  Etappen. 

3.  Lazarettgerätetrupps  (sections  d’hospitalisation) 
(7 — 8  Mann);  diese  führen  auch  das  nötige  Lazarettmaterial  mit  sich, 
um  die  Ambulanzen  event.  auch  als  Feldlazarette  auszustatten. 

Jedes  Armeekorps  hat  für  jede  Division  4  Ambulanzen  und 
3  Lazarettgerätetrupps  zur  Verfügung,  die  nach  Bedarf  abgegeben 
und  sofort  aus  dem  Etappengebiet  durch  neue  verwendungsbereite 
Formationen  ersetzt  werden. 

4.  Bei  jedem  Armeekorps  besorgt  eine  Sanitätskraftfahr¬ 
abteilung  (section  sanitaire  automobile)  die  tägliche  Kranken¬ 
abfuhr. 

B.  Im  Etappengebiet. 

1.  Die  Evakuationslazarette  (höpitaux  d'evacuation) 
(66  Mann),  von  denen  eines  auf  jedes  Armeekorps  trifft 
übernehmen,  sondern  und  verpflegen  die  Verwundeten  und  geben  sit 
nach  der  Heimat  ab;  hierfür  stehen  jedem  dieser  Lazarette  viel 
planmässige  Hilfslazarettzüge  zur  Verfügung. 

2.  Bei  jedem  Armeekorps  acht  Etappenambulanzen  unc 
sechs  Etappenlazarettgerätetrupps  in  der  unter  b  3  angegebenen  Zu¬ 
sammensetzung. 

3.  Krankenstuben  längs  der  Eisenbahn-,  Land-  oder 
Wasseretappenlinien  dienen  zur  Versorgung,  und  Erfrischung  der 
durchkommenden  Kranken. 

4.  Immobilisierte  Ambulanzen  und  Lazarett-1 
gerätetrupps,  event.  als  Seuchenlazarette  verwendbar. 

5.  Ständige  oder  neuerrichtete  Krankenanstalten  im  be¬ 
setzten  Gebiet. 

6.  Spitäler  der  freiwilligen  Krankenpflege. 

7.  Genesungsabteilungen 

8.  Die  Sanitätspersonal-  und  Materialreserve  der 
Armee.  Zur  Sanitätspersonalreserve  zählen  auch  die  beratender, 
Aerzte,  Hygieniker  und  Chirurgen. 

9.  Sanitätsabteilungen  der  Sammelstationei 
versorgen  die  genannte  Sanitätsmaterialreserve  (Ziff.  8)  und  haber 
für  jedes  Armeekorps  eine  Sammeleinheit  (unite  collective),  weicht 
sowohl  für  ganze  Sanitätsformationen,  als  auch  für  Teilausrüstunger 
das  Material  bereithalten. 

Aus  den  Materialübersichten  seien  hier  nur  einige  kürzere  Pro¬ 
ben  wiedergegeben. 

Korb  6  („Passe-partout“),  26  kg  schwer,  enthält:  1  Operations¬ 
besteck,  1  Injektionsspritze,  3  Druckbinden,  2  Fiebermesser,  3  Ver¬ 
bandschalen,  1  Operationsleuchter,  1  Spirituslampe,  2  Operations¬ 
mäntel,  2  dreieckige  Tücher,  12  Knochenbruchbinden,  2  Bürsten  zur 
Aseptik,  Yi  kg  Seife,  1  Röhrchen  Nähseide,  2  m  Drain,  10  Gazebinden 
50  Mullkompressen,  10  Tupfer,  500  g  gewöhnliche  Watte,  250  g  ent¬ 
fettete  Watte,  50  Verbandpäckchen;  10  Kokain-,  10  Koffein-,  10  Mor 
phiumampullen;  in  Tabletten  50  g  Chinin,  100  g  Opium,  200  g  Queck 
silberoxyzyanid.  120  g  Chloroform,  60  g  Chloräthyl,  150  g  Wismut 
nitrat,  600  g  Natriumsulfat,  200  g  Weingeist,  100  g  Melissengeist 
40  g  Ipekakuanha,  400  g  Jodtinktur,  50  g  Vaseline,  Schreibmaterajien 

Kasten  13,  76  kg  schwer,  enthält  an  Desinfektionsmitteln:  5  kg 
Kresol,  25  kg  Kupfersulfat,  5  kg  Formaldehyd,  1  kg  Kal.  hypermang 
1  kg  Schmierseife,  15  kg  Schwefel  in  Stangen. 

Kasten  15,  62  kg  schwer,  enthält  100  Büchsen  Formalinpastillen 

Ballen  1,  12  kg  schwer,  enthält  Drahtschienen. 

Von  Korb  6  befinden  sich  beispielsweise  sechs,  von  Kasten  1 
drei,  von  Kasten  15  zwei,  von  Ballen  1  ein  Stück  bei  der  Ergänzungs¬ 
ausrüstung  eines  Armeekorps.  Bgt. 


1.  September  191*4. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Miinch.  ined.  Wochensch, if t. 


1895 


Heilig  sind  die  Frauen! 

Von  ür.  Max  Nassauer  in  München. 

1. 

Heilig  sind  die  schwangeren  Frauen! 

f.°  i(:b  ^iesen  Tagen  eine  schwangere  Frau  sehe,  kommt 
mr  die  alte  jüdische  Sitte  vor  Augen: 

Alt  und  Jung  lässt  die  schwangere  Frau  vorausgehen  und 
rweist  ihr  die  Ehren  einer  Königin,  einer  Heiligen:  „Vieleicht  trägt 
ie  den  Messias,  den  Erlöser,  unter  dem  Herzen'" 

So  oft  ich  eine  schwangere  Frau  sehe  in  diesen  Tagen,  denke  ich 
n  den  ungeborenen  Messias,  an  den  Heiland,  an  den  Erlöser  der 
eran wachst  unter  den  Herzen  der  deutschen  Frauen:  An  die  Zu- 
.uift  an  die  Macht  und  Herrlichkeit  der  deutschen  Zukunft  die 
ie  Welt  erlösen  soll  von  Hinterlist  und  Tücke! 

Heilig  sind  die  schwangeren  Frauen! 

2. 

Heilig  ist  die  Frau,  die  seit  sieben  Jahren  kinderlos  in  ihrer  Ehe 
bte  und  die  heute  zum  Arzte  kommt:  „Mein  Mann  zieht  dieser  Tage 
nt  hinaus  in  den  Krieg.  Sieben  Jahre  sind  wir  verheiratet.  Wir 
aben  kein  Kind.  Ich  hätte  wohl  schon  früher  kommen  sollen...“ 
Nun  w  ul  sie  von  ihrem  Manne  ein  Kind  hinterlassen  haben  und 
’  lhm  bewahren  und  behüten  mit  all  ihrer  Liebe,  und  will  es  ihm 
ltgegenstrecken,  wenn  er  wieder  kommt  ...  und  die  Frau  unter- 
eht  sich  sofort  einem  schmerzhaften  Eingriff,  um  heute  noch  unter 
chmerzen  das  Kind  zu  empfangen  von  dem  Manne,  der  hinauszieht 
den  Kampf 

Heilig  ist  die  deutsche  Frau! 

3. 

Heilig  ist  die  schwangere  Frau! 

Die  schwangere  Frau,  die  stündlich  ihrer  Entbindung  entgegen- 
j1,  !”(.er  ers*ei]  Entbindung,  schleppt  mühsam  ihren  schweren  Leib 
i  der  Sommerglut  dieser  Augusttage  in  das  Zimmei  des  Arztes- 
lerr  Uoktor,  in  5  Tagen  muss  mein  Mann  fort  ins  Feld.  Ich  komme 
shalb  zu  Ihnen  damit  er  nichts  davon  erfährt:  ich  flehe  Sie  an 
hrnen  Sie  mir  das  Kind  künstlich,  vorher,  schon  jetzt,  heute,  da- 
1  1 .  n|ieineni  Manne  noch  zeigen  kann,  ehe  er  weggeht  Damit 
sein  Kind  noch  gesehen  hat,  ehe  er  ins  Feld  zieht  ...  machen  Sie 
len  Eingriff,  eine  künstliche  Geburt,  ich  bitte  Sie,  ich  flehe  Sie 

Und  sie  erhebt  bittend  die  Hände,  ihre  Wangen  glühen,  und  von 
ein  schweren  Leib  strömt  die  Glut  der  Mutterschaft  aus,  wie  von 
r  fruchtschwangeren  Erde... 

,Xiebe  Frau,  das  würde  eine  sehr  schwere  Operation  sein  und 
ie  Gefahr  für  Sie,  eine  Lebensgefahr  ...  es  ist  ja  nur  noch  ganz 
rze  Zeit  bis  zur  Geburt ..." 

Sie  aber  erwidert  leidenschaftlich:  „Wenn  es  keine  Gefahr  für 
■s  Kind  bedeutet,  tun  Sie  es,  Herr  Doktor,  tun  Sie  es,  ich  will 
i  mein  Manne  noch  das  Kind  schenken  ...  er  soll  es  noch  sehen 

i  wie  haben  wir  uns  gefreut...“ 

Wahrend  das  Herz  des  Arztes  bebt,  spricht  sein  Mund  mit 
i  uger  zuversichtlicher  Stimme:  „Liebe  Frau,  Sie  werden  Ihrem 
i.me  das  Kind  entgegenstrecken,  wenn  er  zurückkommt.  Zeigen 
mm  jetzt  eine  heitere  Miene  und  sagen  Sie  ihm  mit  Zuversicht, 

■>s  bie  ihm  das  Kind  behüten  werden  und  ihm  in  den  Arm  legen 
'  rden,  wenn  er  zurückkommt...“ 

nmt1  m“rmelt  sie:  ”Ja’  wenn  er  zurückkommt!  Wenn  er  zuriiek- 
Heilig  ist  die  schwangere  Frau! 

4. 

Heilig  ist  die  Mutter! 

Unter  der.  qualvollsten  Schmerzen  liegt  die  Frau  in  Wehen,  um 

Kind  zu  gebaren. 

Cc  ^raSSe  Junten  der  Lärm  der  aufgeregten  Menge,  der 
n»!!  u  Soldaten,  die  heute  am  ersten  Tage  hinausziehen  ...  der 
i  un.d  gebende  Gesang  der  begleitenden  Bevölkerung 

dazwischen  der  Klageruf  der  gebärenden  Frau. 

er  junge  Ehemann  steht  bleich  am  Bette  seines  gebärenden 
mes.  das  sich  in  Schmerzen  windet.  Sein  Herz  steht  fast  still 

ii  Anblick  dieses  Jammers  ...  und  jetzt  der  Jubelruf  der  jungen 
u,  nach  ddn  letzten  Schmerz  ...  das  Kind  ist  geboren,  das  erste 

d,HldS'rhei‘SSursehl]te.  •  •  •  Vnd  der  Jubelruf  wird  iibertönt  vom  Klin- 
oes  I  elephons  drüben  im  anderen  Zimmer. 

ai#.ernEbe™a"n , gebt  ans  Telephon,  während  die  junge  Mutter 
d!.as  Kind,  hörst  Du,  das  Kind,  mein  Kind  ...  unser  Kind 
-  n  Mädchen  . .  Mann,  Schatz,  hörst  Du,  wir  haben  ein  Kind  .  . .“ 
uer  junge  Mann  kommt  zurück,  bleich,  fahl  und  sieht  das  Kind 
nerzverzerrt  lächelnd  an  und  spricht  nichts. 

Da  weint  die  junge  Mutter  laut:  „Verzeih,  verzeih,  lieber  Mann, 

>  es  ein  Mädchen  ist  ...  ich  weiss,  Du  wolltest  einen  Buben 

•  freu ’ Dich  dochZei'“daSS  CS  e‘n  Mädchen  ist  und  freu  I)ich  doch 

■  ,?Är  ™Vrmelt:  ..Ich  freue  mich  ja,  mein  Kind,  ich  freue  mich 
p  doch  nicht  so  töricht  ...  wie  ich  mich  freue  . . .“ 

,uCr  oeuKt  sich  auf  die  junge  Mutter  und  das  Kind  und  küsst 
neri  sehe  ,lfgt  den  *n  den  Kissen,  damit  man  nicht  seine 


müsse  7ns1  FplHh  hh  *  ,tlTn  gesagt  dass  er  morgen  einrücken 
v  H  Feld,  sehr  weit  weg,  an  die  Front  ...  und  alles  muss  er 

verlassen,  das  Weib,  das  Kind  ... 

Und  draussen  sagt  er  zum  Arzt:  „Das  Kind,  das  Mädchen  muss 

lüimn?  ne[nmal  ‘n  ?Cn  Krieg  ich  aber  zie,ie  nun’ gerne 
Hinaus,  bald  komme  ich  wieder!“ 

Heilig  ist  die  Mutter! 

ö. 

Bl.it  Mn  be*igen  Mütter,  Ihr  Frauen  der  Millionen  Männer,  die  ihr 
hr  777  tr^KCn  aufs  Sch|achtfeld,  das  Vaterland  zu  verteidigen 
BlutÄ?  ™rtn'  Unter  Eurcm  Herzen  «Priesst  schon  das  junge 

Sehe^  und  E^h  mrap’0Kn  1  B!Ut  der  Kinder-  deren  Väter  Uinaus- 
das  7777^  h-  9  tr,be  bmterlassen  haben,  das  Ihr  behütet,  und 
das  erstarken  wird,  um  d  a  s  zu  geniessen,  was  ihre  Väter  ihnen  be- 

Gütern*1  und  sÄl““  “nd  heil,s:e  Va,"la”d 

die  ihurkunK'Den„SiandSThrt  d“  Q“‘  “*""  E“rem  Herzcn!  Wa,"-t 

HpilIb7,Man"er  beugt  das  Knie  vor  den  heiligen 
deutschen  Frauen  und  lasst  sie  voran  gehen  wie 
eme  Königin,  eine  Heilige:  Unter  ihrem  Herren 
reift  heran  der  Erlöser  für  Deutschlands  Glück' 
Heilig  sind  die  Frauen!  u' 


Der  Alkohol  in  der  Kriegssanitätsordnung. 

4,6-„  Der  Alkoho1  wirkt  zwar  anfangs  belebend,  beim  Ge¬ 
nüsse  grosserer  Mengen  aber  bald  erschlaffend.  Die  Erfahrung  lehrt 

stdmn ntha  tSamC  Sodaten  den  Kriegsstrapazen  am  besten  wider- 

i  ^  ,  Aucb  v,erfübrt  Alkoholgenuss  leicht  zu  Unmässigkeiten  und  zur 
Lockerung  der  Mannszucht.  ur 

Alkoholische  Getränke  sind  daher  nur  mit  grösster  Vorsicht  zu 
gewahren  und  auf  dem  Marsche  ganz  zu  vermeiden.  Bei  Kälte  Alko- 

Wirkung^ist trügerisch. geniessen’  Ehrlich.  Seine  erwärmende 

Dem  Beschränken  des  Alkoholgenusses  ist  von 
allen  Dienststellen  fortgesetzt  die  ernsteste  Auf- 
merksamkeit  zuzuwenden.  ieAUI' 

blasigen  cPhalrn  B'e.rK  ist-klar  un^  erzeugt  einen  dichten,  klein- 

a liszusch iiess en!**  '  °der  Sa“res  Bier  ist  vom  üc"“ss 

c  ,418-,  Saareii  oder  iungen  Wein,  auch  Fruchtwein,  hat  man  be¬ 
sonders  bei  Verdauungskrankheiten  zu  meiden. 


Therapeutische  Notizen. 

Ein  einfacher  Verband  bei  länger  dauernden  Eite¬ 
rungen. 

c  ,  HaadeJl  e,s  sicJ1  ,um  jänger  dauernde  Eiterungen,  so  ist  eine  ein¬ 
fache  Verbandmethode  gewiss  erwünscht. 

Ich  habe  ein  solches  Verbandmaterial  hergestellt  durch  Ueber- 
giessen  von  Hemdentuch,  in  mehrfachen  Lagen  zusammengelegt,  mit 
Walriit,  welches  in  einer  Pfanne  geschmolzen  war.  Ist  die  Masse 
recht  heiss,  so  dringt  sie  beim  Uebergiessen  durch  viele  Lagen  von 
Hemdentuch  auf  einen  Teller  und  fettet  dieselben  ein,  indem  sie  zu¬ 
gleich  desinfiziert. 

Eine  Lage  wird  dann  abgenommen  und  ein  Stück  in  der  Grösse 
dascs  na<rh  allen  Seiten  die  eiternde  Stelle  um  1  cm  überragt,  auf 
dieselbe  gelegt,  nachdem  sie  mit  Verbandwatte  gereinigt  ist. 

T}.  i  ie  Befestigung  geschieht  mit  einer  ein-  oder  mehrköpfigen 
Binde,  event.  mit  Heftpflasterstreifen.  pngen 

7W  .Je  ,nach  d„er,.Stark.e  der  Eiterabsonderung  wird  der  Verband 
zwei-  oder  mehrstundlich  erneuert. 

Walrat  hat  sich  mir  als  das  indifferenteste  Material  erwiesen 
nachdem  ich  vorher  Paraffin,  Talg  und  Unschlitt  gebrauchte. 

)a  die  letzteren  Materialien  auch  im  Kriege  leicht  zu  haben  sind, 
kann  man  sich  leicht  ein  indifferentes  Verbandmaterial  herstellen, 
welches  nahezu  einen  I  rockenverband  bildet  und  sich  durch 
Sauberkeit  auszeichnet. 

Dr.  med.  K.  C.  1  h  1  d  e  r,  Bozen-St.  Magdalena  (Südtirol. 

Ueber  K  o  a  g  u  1  e  n  -  Kocher-Fonio  berichtet  E.  Juliusbur- 
g  e  r  aus  dem  Stadt.  Wenzel-Hancke-Kratikenhause  in  Breslau.  .1.  ver- 

ifTn  i6,-?1”6  5T10Pr?f:  LösunS  von  Koagulen  in  physiologischer 
Kochsalzlosung,  die  5  Minuten  lang  in  Wasser  gekocht  und  wovon 
unhltriert  20  ccin  in  die  Ellbogenvene  injiziert  wurden.  In  einer  Reihe 
von  bullen  v°n  Hämoptoe  und  Hämatemesis  zeigte  sich  die  styptische 
|r kung  des  K.  eklatant,  so  dass  J.  zu  dem  Schlüsse  kommt,  dass 
das  Präparat  besonders  bei  intravenöser  Applizierung  eine  hervor¬ 
ragende  Waffe  gegen  Blutungen  aller  Art  darstellt.  —  Th.  v.  Mut- 
s  c  hen  bacher  berichtet  über  die  Stillung  der  parenchv- 
m  a  t  o  s  e  n  B'uiungeii  mit  Koagulen-Kocher-Fonio 
(aus  der  II.  Chirurg.  Klinik  in  Pest).  Er  wendete  das  Mittel  in  5  und 
lOproz.  und  konzentrierterer  Wasserlösung  an  den  blutenden  Stellen 


1896 


Nr.  35. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med,  Wochenschrift. 


lokal  an,  indem  es  auf  die  blutende  Wunde  gespritzt  wird,  oder  indem 
darin  eingeweichte  Tampons  aufgedrückt  werden.  Parenchymatöse 
Blutungen  kommen  so  in  etwa  20 — 30  Sekunden  zum  Stehen,  auch 
blutende  Venen  von  Heftnadelstärke  werden  in  einigen  Minuten 
thrombosiert.  Besonders  eignet  sich  das  K.  zur  Blutstillung  in  den 
Körperhöhlen  und  in  nach  Operation  entstandenen  toten  Höhlen. 
(D.m.W.  1914  Nr.  34.)  R-  S. 


Nachrichten. 

München,  den  31.  August  1914. 

—  ln  die  glänzenden  Siegesnachrichten,  die  auch  die  4.  K  r  i  e  g  s  - 
woche  in  reicher  Zahl  brachte,  mischte  sich  eine  Trauerkunde,  die 
in  ganz  Bayern  die  schmerzlichsten  Empfindungen  ausgelöst  hat;  der 
jugendliche  Erbprinz  Luitpold,  der  älteste  Sohn  unseres  Kron¬ 
prinzen  Rupprecht,  ein  überaus  sympathischer,  13  jähriger  Junge,  ist 
einer  blitzartig  verlaufenen  Poliomyelitis  zum  Opfer  gefallen. 
Ueber  die  Infektionsquelle  ist  nichts  bekannt.  In  Berchtesgaden,  wo 
der  Prinz  seit  der  Abreise  des  Vaters  zur  Armee  weilte,  scheinen 
sonstige  Fälle  nicht  vorgekommen  zu  sein;  dagegen  ist  es,  wie  man 
aus  der  in  Nr.  51,  S.  2833,  1913  d.  Wschr.  veröffentlichten  Sammel¬ 
forschung  der  Münchener  Gesellschaft  für  Kinderheilkunde  über  die 
H  e  i  n  e  -  M  e  d  i  n  sehe  Krankheit  weiss,  leider  eine  Tatsache,  dass 
diese  heimtückische  Seuche  in  Bayern,  und  besonders  in  Oberbayern, 
in  nicht  unerheblichem  Grade  endemisch  ist.  Wurden  doch  in  knapp 
einem  Jahr  197  Fälle  aus  dem  Königreich,  davon  80  aus  Ober¬ 
bayern  (44  aus  München)  gemeldet.  Leider  stehen  wir  der  Krank¬ 
heit  noch  völlig  machtlos  gegenüber,  wenn  auch  durch  die  Entdeckung 
ihres  Erregers  durch  F  1  e  x  n  e  r  wenigstens  die  Aussicht  eröffnet  ist, 
dass  Mittel  und  Wege  zu  ihrer  Bekämpfung  gefunden  werden.  Die 
Anstrengungen,  auf  diesem  Wege  vorwärts  zu  kommen,  werden 
durch  den  jetzt  vorgekommenen  traurigen  Fall  einen  neuen  Anspofn 
erhalten. 

Von  den  Siegesbotschaften  der  Woche  —  Namiir,  Longwy,  Mau¬ 
beuge,  Manonviller  etc.  —  hat  ganz  zweifellos  die  Meldung  von 
der  vollständigen  Niederlage  der  englischen  Armee  bei  St.  Ouen- 
tin  den  grössten  Jubel  hervorgerufen.  Das  deutsche  Volk  erblickt 
in  der  englischen  Regierung  den  eigentlichen  Anstifter  des  gegen¬ 
wärtigen  Krieges;  nichts  wird  daher  grössere  Genugtuung  erwecken 
können,  als  die  Niederwerfung  dieses  perfiden  Gegners. 

—  ln  Luxemburg  ist  durch  Stiftungsurkunde  vom  8.  August  1914 
die  „Gesellschaft  des  luxemburgischen  Roten  Kreu- 
z  e  s“  ins  Leben  gerufen  und  durch  Grossherzoglichen  Beschluss  vom 
9.  August  staatlich  anerkannt  worden.  Das  luxemburgische  Rote 
Kreuz  hat  die  Zulassung  zur  Mitwirkung  bei  der  deutschen  freiwilligen 
Krankenpflege  nachgesucht.  Von  der  deutschen  Regierung  ist  dieses 
Anerbieten  mit  bestem  Danke  angenommen  worden. 

—  Der  Vorstand  der  Medizinischen  Gesellschaft  zu 
Leipzig  hat  aus  dem  verfügbaren  Kapital  300  M.  als  Kriegsnot¬ 
spende  dem  Leipziger  Verband  für  Armenpflege  und  Wohltätigkeit 
überwiesen.  Anderweitige  Spenden  sind  in  Aussicht  genommen. 

—  Dem  Beispiele  Röntgens  folgend  hat  auch  Geh.  Rat  L  e  - 
n  a  r  d,  der  Heidelberger  Physiker,  auf  die  ihm  von  der  Royal  Society 
verliehene  Goldene  Medaille  verzichtet.  Er  tut  dies  mit  folgender 
Zuschrift  an  das  Heidelberger  Tageblatt:  „Als  ein  Zeichen  meines 
Abscheus  vor  der  in  diesen  Tagen  so  deutlich  gewordenen  Eigenart 
englischer  Denkweise  habe  ich  beschlossen,  eine  einst  (1896)  von  der 
„Royal  Society“  in  London  erhaltene  goldene  Medaille  von  mir  zu 
tun.  Ich  habe  ihren  Geldwert  (ca.  1000  M.)  zum  Besten  bedürftiger 
1  iterbliebener  der  gefallenen  badischen  Kämpfer  nutzbar  gemacht. 
Ich  stelle  diese  Mitteilung  zur  Verfügung,  da  ich  glaube,  dass  ihre 
Verbreitung  nützlich  sein  könnte.“ 

—  Man  schreibt  uns:  Bessere  Kennzeichnung  der 
Kriegsärzte.  Als  ich  gestern  abends  unter  den  Verwundeten 
einen  kläglich  zugerichteten  Arzt  bemerkte,  drängte  sich  mir  der  Ge¬ 
danke  auf,  dass  diese  Männer  durch  die  blosse  Armbinde  auf  der 
feldgrauen  Uniform  keineswegs  hinreichend  gekennzeichnet  er¬ 
scheinen,  um  auf  grössere  Schussweite  —  denn  man  darf  doch  nicht 
annehmen,  dass  stets  in  der  Nähe  teuflisch  boshaft  auf  sie  gefeuert 
wercje  —  vom  Feldsoldaten  unterschieden  werden  zu  können.  Hier 
wäre,  um  der  Sache  der  Menschlichkeit  willen,  eine  Aenderung  wohl 
zu  erwägen.  F.  K.-München. 

_  Kriegsärztliche  Abende.  Unter  Mitwirkung  einer 

Reihe  hervorragender  Aerzte  aus  den  Militär-  und  Zivilkreisen  sowie 
von  Vertretern  des  Ministeriums  des  Innern  und  des  Kriegsmini¬ 
steriums  ist  gestern  Abend  unter  obigem  Namen  im  Kaiserin-Fried- 
rich-Hause  in  Berlin  eine  lose  Vereinigung  begründet  worden.  Die 
Vereinigung  soll  einen  Sammelpunkt  für  alle  im  Dienste  der  ver¬ 
wundeten  und  erkrankten  Krieger  tätigen  Aerzte  schaffen  und  zugleich 
zum  Austausch  von  Erfahrungen  und  zur  Förderung  kriegsärztlicher 
Kenntnisse  dienen.  Es  sind  in  wechselnder  Folge  alle  8  Tage  Vor¬ 
trags-  und  Demonstrationsabende  vorgesehen.  Erstere  finden  im 
Langenbeckhause,  letztere  in  den  zu  Reservelazaretten  umgewandel¬ 
ten  grösseren  Berliner  Krankenhäusern  statt,  und  zwar  der  erste 
Vortragsabend  am  8.  September  8  Uhr.  Zum  Vorsitzenden  wurde 
Geheimer  Rat  Trendelen  bürg,  zum  stellvertretenden  Vorsitzen¬ 


den  Generalarzt  Grossheim,  zum  Schriftführer  Prof.  Adam  und 
zum  Kassierer  Dr.  Löwin  gewählt.  Mitglieder  können  alle  reichs- 
deutschen  und  österreichischen  Aerzte  und  Acrztinnen  gegen  Zahlung 
eines  Beitrages  von  2  M.  werden.1  Karten  vom  1.  September  ab  im 
Kaiser in-Friedrich-Hausc  (Luisenplatz  2—4)  erhältlich. 

_  Von  dem  im  vorstehenden  Artikel  über  Seekriegschirurgie 

mehrfach  erwähnten  „Handbuch  der  Gesundheitspflege 
an  Bord  von  Kriegsschiffe  n“,  herausgegeben  von  z  u  r  V  e  r  t  h. 
B  e  n  t  m  ann,  I )  i  r  k  s  e  n  und  Rüge  (Verlag  von  Gustav  Fischer, 
Jena)  ist  jetzt  der  1.  Band,  Allgemeine  Gesundheitspflege,  erschienen. 
Der  2.  Band,  der  die  Krankheitsverhütung  an  Bord  von  Kriegsschiffen 
behandelt,  wird  in  8  Tagen  herauskommen.  Der  1.  Band  umfasst 
1028  Seiten;  zu  den  Mitarbeitern  zählen  ausser  den  Herausgebern 
die  bekanntesten  Marineärzte  und  -hygieniker  Deutschlands.  Schon 
aus  diesen  Tatsachen  ergibt  sich,  dass  man  es  hier  mit  einem  ebenso 
gründlichen  wie  inhaltlich  wertvollen  Werk  zu  tun  hat.  Eine  ein¬ 
gehendere  Besprechung  wird  folgern  Der  Preis  für  das  vollständige 
Werk  beträgt  M.  40. — ,  geb.  M.  45; — . 

(Todesfall.) 

In  München  starb  im  75.  Lebensjahr  nach  längerer  Krankheit  Ge¬ 
heimrat  Prof.  Dr.  Hubert  v.  Grashey.  Der  Verstorbene  war  Nach¬ 
folger  Quddens  auf  dem  Lehrstuhl  der  Psychiatric  in  München.  189b 
wurde  er  als  Nachfolger  Kerschen  Steiners  Leiter  des  baye¬ 
rischen  Medizinalwesens.  Eine  als  Forscher  wie  als  Mensch  gleich 
ausgezeichnete  Persönlichkeit  ist  mit  ihm  dahingegangen.  Ein  Nach¬ 
ruf  wird  folgen. 


Amtliches. 

(P  r  e  u  s  s  e  n.) 

Erlass,  betr.  Typhusschutzimpfung  der  Aerzte  und  Pflegepersoifen  in 
Krankenanstalten,  vom  7.  August  1914  —  M  11  597  — . 

Bei  etwaigen  Typhusepidemien,  mit  denen  in  der  Kriegszeit  ge¬ 
rechnet  werden  muss,  wird  dem  Schutz  des  gefährdeten  ärztlichen 
und  Pflegepersonals  in  den  allgemeinen  Krankenhäusern  besondere 
Aufmerksamkeit  zuzuwenden  sein. 

Es  empfiehlt  sich  daher,  durch  Vermittlung  der  Krankenhausvor¬ 
stände  den  Aerzten  und  Pflegepersonen  anheimzugeben,  sich  freiwillig 
der  Typhusschutzimpfung  zu  unterziehen.  Zu  diesem  Zweck  wird 
Typhusimpfstoff  von  dem  Königlichen  Institut  für  Infektionskrank¬ 
heiten  „Robert  Koch“  in  Berlin  N.  39,  Föhrerstrasse,  bereit  gehalten 
und  mit  einer  Gebrauchsanweisung  —  von  der  ein  Abdruck  beigefügt 
ist  —  unentgeltlich  abgegeben. 

Ew.  pp.  ersuche  ich  hiernach  ergebenst,  ungesäumt  das  Erforder¬ 
liche  zu  veranlassen. 

Berlin,  den  7.  August  1914. 

Der  Minister  des  Innern. 

Im  Aufträge :  Kirchner. 

Anlage. 

Anweisung  für  die  Benutzung  des  Typhusimpfstoffes. 

Der  Impfstoff,  welcher  aus  einer  0,25  Proz.  Trikresol  enthaltenden 
und  auf  Sterilität  geprüften  Aufschwemmung  von  abgetöteten  Typhus¬ 
bazillen  in  physiologischer  Kochsalzlösung  besteht,  ist  bis  zum  Ge¬ 
brauch  kühl  aufzubewahren,  womöglich  im  Eisschrank. 

Unmittelbar  vor  dem  Gebrauch  ist  der  Impf¬ 
stoff  gut  umzuschütteln,  damit  die  zu  Boden  gesunkenen 
Bakterienkörper  sich  wieder  gleichmässig  in  der  Flüssigkeit  verteilen. 

Als  Injektionsstelle  wird  die  Brust-  oder  die  Rückenhaut  (zwi¬ 
schen  den  Schulterblättern)  empfohlen,  wo  der  Impfstoff  mit  steriler 
Spritze  nach  sorgfältiger  Reinigung  der  Haut  subkutan  eingespritzt 
wird. 

In  der  Regel  werden  3  Injektionen,  die  durch  einen  Zwischen¬ 
raum  von  mindestens  8  Tagen  voneinander  zu  trennen  sind,  aus¬ 
geführt.  Bei  der  ersten  Injektion  sind  0,5  ccm  des  Impfstoffs  einzu¬ 
spritzen,  bei  der  zweiten  und  dritten  Injektion  je  1,0  ccm. 

Den  Einspritzungen  folgt  häufig  eine  ausgesprochene  allgemeine 
und  lokale  Reaktion  (Erhöhung  der  Körpertemperatur,  Kopfschmerz, 
ev.  Erbrechen,  Rötung,  Schwellung  und  Druckempfindlichkeit  der  In¬ 
jektionsstelle);  die  Erscheinungen  gehen  aber  in  1—2  Tagen  völlig 
zurück. 


Deutsche  Aerzte! 

Verschreibt  nur  deutsche  Präparate  und  Spezialitäten! 


Die  „Feldärztliche  Beilage“  ist  bestimmt,  allen  im  Felde  stehen¬ 
den  oder  in  Militärlazaretten  beschäftigten  Aerzten  der  deutschen 
und  österreichischen  Armee  und  Flotte  unentgeltlich  geliefert  zu  wer¬ 
den.  Herren,  welche  sie  nicht  erhalten,  werden  um  Angabe  ihrer 
Adresse  ersucht. 

Beiträge  für  die  „Feldärztliche  Beilage“  werden  nach  erhöhten 
Sätzen  honoriert. 

Selbstverständlich  wird  unseren  im  Feld  stehenden  Abonnenten 
auch  die  Wochenschrift  selbst  an  jede  uns  angegebene  Adresse  nacn- 
geliefert.  J.  F.  Lehmanns  V  e  r  I  a  g-_ 


Verlag  von  J.  F.  Lehmann  in  München  S.W.  2,  Paul  Heysestr.  26.  —  Druck  von  E.  Mühlthaler’s  Buch-  und  Kunstdruckerei  A.O.,  München. 


Die  Münchener  Medixinliche  Wochenechrift  enchemi  wöchentlich 
m  Umfang  von  durchschnittlich  7  Bogen.  .  Prei»  der  einzelnen 
Nummer  80  •  Bezugspreis  in  Deutschland  vierteljährlich 

M  6.—.  »  übrige  Bezugsbedingungen  siehe  auf  dem  Umschlag 


MÜNCHENER 


Zusendnngen  sind  zu  adressieren: 

POrdie  Redaktion  Amulfstr.26.  Bflrozeit  der  Redaktion  SV,— 1  Uhr. 
Für  Abonnement  an  I.  F.  Lehmann’s  Verlag,  Paul  Heysestrasse  21 
Für  Inserate  und  Beilagen  an  Rudolf  Mosse,  Theatinerstrasse  S. 


Medizinische  Wochenschrift. 


ORGAN  FÜR  AMTLICHE  UND  PRAKTISCHE  ÄRZTE. 


fr.  36.  8.  September  1914. 


Redaktion:  Dr.  B.  Spatz,  Raul  Heysestrasse  26. 

Verlag:  J.  F.  Lehmann,  Paul  Heysestrasse  26. 


61.  Jahrgang. 


Der  Verlag  behält  sich  das  ausschliess.iche  Rech,  der  Vervielfältigung  und  Verbreitung  der  in  dieser  Zeitschrift  zum  Abdruck  gelangenden  Originalbeiträge  vor. 


Originalien. 

lie  experimentellen  Beweise  für  das  Vorkommen  von 
ibwehrfermenten  unter  verschiedenen  Bedingungen*). 

Von  Emil  Abderhalden  in  Halle  a.  S. 

Meine  Damen  und  Herren!  Ich  habe  die  grosse  Ehre  ge- 
abt.  Ihnen  vor  ungefähr  2  Jahren  zu  berichten,  dass  es 
eglückt  sei,  die  Schwangerschaft  aus  dem  Verhalten  des 
erums  gegenüber  koaguliertem  Plazentagewebe  festzustellen. 

war  dies  die  erste  Mitteilung,  die  über  diese  Feststellung 
rfolgt  war  und  die  in  der  Oeffentlichkeit  bekannt  geworden 
t.  Seitdem  ist  nun  eine  Zeitspanne  vergangen,  während  der 
2hr  viel  auf  allen  möglichen  Gebieten  auf  Grund  meiner 
leen  und  Methoden  gearbeitet  worden  ist.  Ich  bin  dem  Herrn 
orsitzenden  sehr  dankbar  dafür,  dass  er  mir  Gelegenheit 
ietet,  einen  Ueberblick  über  die  Entwicklung  der  ganzen 
orschung  zu  geben.  Ich  will  zunächst  ganz  kurz  mitteilen, 
elches  die  Grundlagen  der  ganzen  Forschung  gewesen  sind 
ie  folgende  einfache  Fragestellung  bildet  den  Ausgangspunkt 
2S  ganzen  grossen  Forschungsgebietes.  Welche  B  e  - 
ieh  ungen  bestehen  zwischen  den  zu  sam¬ 
engesetzten  Bestandteilen  unserer  Nah- 
u  ng  und  den  Bestandteilen  unserer  Zellen? 
ie  chemische  Forschung  und  das  Studium  der  Vor- 
inge  bei  der  Verdauung,  sowie  die  Feststellungen  des 
erhaltens  des  tierischen  Organismus  nach  parenteraler 
-fuhr  von  Nahrungsmitteln,  ergaben  in  eindeutiger  Weise, 
iss  von  direkten  Beziehungen  dieser  Stoffe  zu  den 
Hlbestandteilen  keine  Rede  sein  kann.  Stets  werden 
e  zusammengesetzten  Nahrungsstoffe  im  Darmkanal  in  ihre 
Wachsten  Bausteine  zerlegt.  Es  entstehen  aus  den  hetero- 
rnsten  Kohlehydraten,  Fetten,  Eiweissstoffen  usw.  stets  ganz 
eichartige  Bausteine  in  wechselnden  Mengen,  d.  h.  den  Zellen 
ird  immer  wieder  das  gleiche  Material  zur  Verfügung  ge¬ 
eilt.  Die  Zellen  können  diese  Stoffe  in  der  mannigfaltigsten 
eise  verwenden.  Sie  können  es  abbauen,  umwandeln  oder 
tien  bestimmten  Bau  daraus  zimmern. 

Auf  diese  Weise  wird  verhindert,  dass  die 
usammensetzung  des  Blutes  fortwährend 
ch  ändert  und  die  Körperzellen  andauernd 
mz  verschiedenartigen  Stoffen  gegenüber 
e  h  e  n.  Es  wird  ihnen  im  Gegenteil  immer  das  gleiche  Ge- 
sch  von  Nahrungsstoffen  zugeführt.  Jede  Körperzelle  mit 
■sonderen  Aufgaben  hat  einen  besonders  gearteten  Bau. 
iner  müssen  innerhalb  eines  Organismus  die  einzelnen  Zellen 
rschiedenartig  sein.  Es  gilt  dies  auch  von  ihren  Bestand- 
len.  Man  muss  arteigene  resp.  körpereigene  und  -fremde 
standteile  unterscheiden  (Hamburger)  und  ferner  zwar 
teigene,  jedoch  zelleigene  und  zellfremde  Stoffe.  Endlich 
■  nn  man  von  bluteigenen  und  -fremden  Produkten  sprechen. 

Ausgedehnte  Versuchsreihen,  die  sich  auf  weit 
ehr  als  tausend  einzelne  Versuche  stützen, 
Den  ergeben,  dass  der  tierische  Organismus  in  gleicher 
e‘se,  w*e  im  Darmkanal,  Fremdartiges  beseitigen  kann,  wenn 
‘  Iches  in  seiner  Blutbahn  auftritt.  Er  produziert  Fermente, 
t  ihrer  Hilfe  wird  das  blutfremde,  zusammengesetzte 
•  »terial  abgebaut,  bis  der  charakteristische  Bau  zerstört  ist. 
Dreh  parenterale  Zufuhr  von  zusammengesetzten  Kohlc- 
draten,^von  Fetten,  von  Eiweissstoffen,  Nukleinsäuren  usw. 

*)  Wrtrag,  gehalten  in  der  6.  ordentlichen  Sitzung  des  Vereins 
’  Aerzte  zu  Halle  a/S.  am  8.  Juli  1914. 

Nr.  36. 


ist  der  tierische  Organismus  absichtlich  unter  Bedingungen 
gestellt  worden,  die  sich  unter  normalen  Verhältnissen 
nicht  finden.  In  allen  Fällen  traten  nach  einiger  Zeit  im  Blute 
rei  mente  auf,  welche  diese  Produkte  abzubauen  vermochten. 

Diese  Erscheinung  hat  nichts  wunderbares  an  sich.  I  n 
der  gesamten  Organismenwelt  nivellieren 
die  Zellen  die  verschiedenartigsten,  zu¬ 
sammengesetzten  Stoffe  durch  Hydrolyse 
mittels  Fermenten.  Die  Beobachtung,  dass  blutfremde, 
zusammengesetzte  Stoffe  durch  Abbau  aus  dem  Blute  ent¬ 
fernt  werden,  gibt  eine  Art  der  Verteidigung  des  Organismus 
gegen  fremdartige  Stoffe  wieder. 

Derartige  Versuche  sind  nun  seit  5—6  Jahren  ohne  Unter¬ 
brechung  in  meinem  Institute  ausgeführt  worden.  Jeder 
Tag  bringt  die  Bestätigung  der  Richtigkeit 
meinerAnschau  ungen.  Ich  wagte  nicht,  zu  behaupten, 
dass  die  blutfi  emden  Fermente  stets  ganz  spezifisch  auf  diejenige 
Verbindung  eingestellt  seien,  durch  die  sie  ins  Blut  „gerufen“ 
wurden.  Erst  die  fortschreitende  Erfahrung  ergab  die  Be¬ 
weise.  Ich  möchte  nicht  unterlassen,  auf  die  schönen  Ver¬ 
suche  von  Kafka,  Frank,  Posenthal,  Biberstein, 
Zimmermann,  Hirsch  u.  a.  hinzuweisen,  durch  die 
immer  wieder  experimentell  bestätigt  wurde,  dass  die  blut¬ 
fremden  Fermente  in  aussergewöhnlich  spezifischer  Weise  auf 
bestimmte  Substrate  eingestellt  sind. 

Es  müsste  jeder  einzelnen  klinischen 
Untersuchung  der  Tierversuch  vorausgehen. 
Ich  kann  dies  nicht  genug  betonen.  Es  liegt  ein  gewaltiges 
Forschungsgebiet  vor.  Pharmakologische,  therapeutische, 
experimentell-pathologische  Fragestellungen  sind  in  aus¬ 
gezeichneter  Weise  geeignet,  um  die  Grundlagen  des  ganzen 
Forschungsgebietes  zu  erweitern. 

Die  weitere  Fragestellung  war  die,  ob  es  nicht  Zum 
stände  innerhalb  des  Organismus  gibt,  diT'’ 
in  Parallele  mit  der  parenteralen  Zufuhr  von 
blutfremden  Stoffen  zu  setzen  sind.  Gibt  es 
Organe,  die  von  sich  aus  Stoffe  an  das  Blut 
abgeben,  die  noch  die  charakteristischen 
Eigenschaften  jener  Zellen  haben,  aus  denen 
sie  her  stammen?  Diese  Frage  konnte  sofort 
für  die  Plazenta  bejaht  werden.  Wir  finden 
während  der  Schwangerschaft  im  Blute  blutfremde  Fermente, 
die  auf  Plazentastoffe  eingestellt  sind.  Von  diesen  sind  bis 
jetzt  die  auf  Plazentaeiweiss  wirkenden  genau  studiert. 

Die  Tatsache,  dass  es  gelingt,  Blutserum, 
das  von  einer  Schwangeren  stammt,  von 
solchem  zu  unterscheiden,  bei  dem  weder 
eine  Schwangerschaft  existiert,  noch  eine 
Geburt  kurze  Zeit  vorausgegangen  i  s  t,  noch 
endlich  ein  Chorionepitheliom  vorhanden  ist, 
ermunterte  zu  weiteren  Fragestellungen.  Es 
wurde  die  Frage  aufgeworfen,  ob  es  nicht  auch  Stö¬ 
rungen  in  der  Funktion  einzelner  Organe  gibt, 
bei  denen  es  zum  Uebergang  von  zell¬ 
eigenen  Stoffen  oder  von  zelleigenen  Fer¬ 
menten  oder  beiden  zugleich  kommt.  Selbstver¬ 
ständlich  kann  es  sich  hierbei  nur  um  die  Feststellung  von 
Störungen  bestimmter  Art  handeln.  Ein  Organ  kann  in  seinen 
Funktionen  auf  unendlich  viele  Arten  geschädigt  sein.  Man 
wird  nur  dann  mittels  des  Nachweises  blutfremder  Substrate 
und  blutfremder  Fermente  Störungen  erkennen  können,  wenn 
ein  Uebergang  von  solchen  Stoffen  in  das  Blut  stattgehabt  hat. 

1 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1898 

Ich  hebe  das  so  scharf  hervor,  weil  es  eine  Ge¬ 
dankenlosigkeit  bedeuten  würde,  wenn  man 
von  der  Annahme  a  u  s  g  i  n  g  e,  als  könnte  man 
jetzt  eine  Serodiagnostik  aller  Störungen 
von  Organfunktionen  begründen.  Davon  war 
natürlich  nie  die  Rede.  Es  müssen  selbstverständlich  die 
notwendigen  Bedingungen  erfüllt  sein,  falls  die  sogen.  Ab¬ 
wehrfermentreaktion  eintreten  soll.  Es  kann  sich  um  Dys¬ 
funktionen  aller  Art,  aber  auch  um  Hyperfunktionen  handeln. 
Stets  liegt  das  Bestreben  vor,  qualitativ  und  quantitativ  nicht 
ins  Blut  gehörende,  zusammengesetzte  Stoffe  zu  beseitigen. 

Ich  will  heute  nicht  auf  die  Natur  der  Abwehr¬ 
fermente  und  die  Ansichten  über  ihre  Herkunft  ein- 
gehen.  Bemerken  will  ich  nur,  dass  ich  nicht  der  Meinung  bin, 
dass  die  Leukozyten  bei  der  Bildung  der  Abwehrfermente 
nicht  in  Frage  kommen.  Im  Gegenteil,  ich  bin  immer  noch 
der  Ansicht,  dass  sie  von  grosser  Bedeutung  sind.  Ausserdem 
können  jedoch  auch  die  einzelnen  Organzellen  blutfremde 
Fermente  abgeben.  Auch  Guggenheimer  vertritt  diese 
Meinung. 

Ich  möchte  Ihre  Aufmerksamkeit  noch  auf  einen  anderen 
Punkt  richten.  Man  vermag  mit  den  vorliegenden 
Methoden  nicht  nur  blutfremde  Stoffe  mittels 
der  blutfremden  Fermente  zu  erkennen,  son¬ 
dern  man  kann  auch  unter  Umständen  auf 
er  Stere  fahnden.  Es  könnte  uns  z.  B.  interessieren,  ob 
in  der  Zerebrospinalflüssigkeit  Eiweissstoffe  enthalten  sind, 
welche  noch  zelleigen  sind  und  z.  B.  dem  Gehirn  entstammen. 
Würden  wir  die  Zerebrospinalflüssigkeit  auf  Tiere  übertragen 
natürlich  parenteral  — ,  dann  würde  die  Tatsache,  dass  nun¬ 
mehr  das  Blutserum  des  Versuchstieres  Gehirnsubstanz  ab¬ 
baut,  beweisen,  dass  jene  Flüssigkeit  Gehirnzelleneiweiss  ent¬ 
hielt.  Selbstverständlich  müssen  derartige  Versuche  mit  allen 
möglichen  Kontrollversuchen  zusammen  durchgeführt  werden, 
sollen  die  Beweiskraft  erhalten.  Es  wäre  sehr  zu  begrüssen, 
wenn  nach  dieser  Richtung  mehr  als  bisher  gefahndet  würde. 

Man  muss  in  der  Entwicklung  jeden  Forschungsgebietes 
verschiedene  Perioden  unterscheiden.  Zunächst  handelt  es 
sich  um  rein  theoretische  Feststellungen.  Es  gilt  ein  grosses 
Material  zu  sammeln.  Erst  viel  später  kommt  dann  die  Frage, 
ist  eine  Methodik  und  ein  Ideengang  auch  praktisch  wertvoll. 
Es  kann  zurzeit  wohl  kaum  die  Rede  davon  sein,  was  meine 
Methoden  und  Forschungen  praktisch  leisten.  Vielmehr  wird 
erst  geprüft,  in  welchen  Fällen  und  mit  welcher  Regelmässig¬ 
keit  blutfremde  Fermente  bei  bestimmten  Prozessen  anzu¬ 
treffen  sind.  Es  ist  von  allen  Seiten  eifrig  geforscht  worden. 
Ich  will  den  erhaltenen  Resultaten  nicht  vorausgreifen  und  es 
den  Herren  überlassen,  über  klinische  Erfahrungen  zu  be¬ 
richten,  die  sich  in  dankenswerter  Weise  zur  Diskussion  ge¬ 
meldet  haben.  Ich  will  gleich  hervorheben,  dass  sie  alle  ganz 
unabhängig  von  mir  gearbeitet  haben,  und  ich  genau  so,  wie 
Sie  alle,  ihre  Resultate  zum  erstenmal  vernehme. 

Ich  will  nur  ganz  kurz  erwähnen,  dass  zurzeit  in  meinem 
Institute  ganz  besonders  viele  Untersuchungen  durchgeführt 
werden.  Wir  werden  bald  über  ein  ganz  gewaltiges  Material 
von  Tumorträgern  verfügen.  Es  sind  wohl  bis  jetzt  über  200U 
bis  3000  Fälle  aller  Art  in  meinem  Institute  untersucht  worden. 
Da  wir  für  ganz  verschiedene  Kliniken  und  Aerzte  Unter¬ 
suchungen  angestellt  haben,  so  können  nun  schon  sehr  viele 
Herren  sich  ein  Urteil  über  unsere  Untersuchungen  bilden. 

Endlich  möchte  ich  mit  aller  Vorsicht  mitteilen,  dass 
ich  versucht  habe,  ein  Serum  zu  bereiten,  das 
gegen  Tumoren  eingestellt  ist.  Ich  hoffte 
erstens  Besserungen  herbeiführen  zu  können 
durch  fermentative  Entfernung,  der  im  Blute 
kreisenden  blutfremden  Stoffe,  und  dann  war 
die  Möglichkeit  gegeben,  dass  es  gelingt,  die 
Tumorzellen  selbst  zu  beeinflussen.  Die  bis¬ 
herigen  Erfahrungen  haben  gezeigt,  dass  in  einzelnen 
Fällen  das  Allgemeinbefinden  und  in  ganz 
vereinzelten  auch  der  Tumor  (Karzinom)  gün¬ 
stig  beei'nflusst  worden  sind.  Es  liegt  ein  Ob¬ 
duktionsbefund  vor,  der  sicher  beweist,  dass  das  angewandte 
Serum  auf  das  vorhandene  Karzinom  energisch  eingewirkt  hat. 
Selbverständlich  ist  mir  wohl  bekannt,  dass  man  gerade  auf 


Nr.  36 


diesem  Gebiete  sehr  vorsichtig  sein  muss.  Es  liegt  mir  fern 
von  Heilungen,  ja  auch  nur  von  wirklichen  Besserungen  zi 
sprechen.  Die  Beobachtungszeit  ist  ja  auch  viel  zu  kurz.  Dii 
Tatsache,  dass  Tumoren  von  in  bestimmter  Weise  zubereiteten 
Serum  überhaupt  beeinflusst  worden  sind,  erscheint  mir  an  um 
für  sich  bemerkenswert.  Vielleicht  gelingt  es  auf  dem  ein 
geschlagenen  Wege  vorwärts  zu  kommen. 

Ich  komme  nun  zur  Methodik!  Ich  will  nicht  die  mög 
liehen  Fehlerquellen  wiederholen  und  ihnen  auch  keine  Einzel 
heiten  über  die  Technik  der  einzelnen  Methoden  vortragen,  E 
liegt  mir  nur  daran.  Ihnen  an  Hand  der  Fülle  von  Apparaten 
welche  Sie  hier  sehen,  zu  zeigen,  dass  der  Vorwurf  ganz  siche  j 
nicht  berechtigt  ist,  das  von  mir  errichtete  ForschungsgebäuT 
stehe  auf  schwachen  Füssen!  Sie  sehen  hier  alle  „Fiisse“  vo( 
sich  (der  Redner  weist  auf  die  auf  drei  grossen  Tischen  auf’ 
gebauten  Apparate  hin). 

Ich  beginne  mit  dem  ältesten  Verfahren,  der  sog.  op 
tischen  Methode.  Sie  erfordert  sehr  sorgfältige  Zu 
bereitung  des  Substrates  (Pepton  aus  Eiweissstoffen  resp 
Organen)  und  einen  Polarisationsapparat,  der  Ablesungen  vo: 
0,01  0  gestattet.  Um  dem  Einwurf  zu  begegnen,  der  übrigen 
so  gesucht  als  nur  möglich  ist  und  jeder  Begründung  entbehr 
dass  die  Ablesung  der  Drehungsänderungen  subjektiv  beem 
flusst  sein  könnte,  habe  ich  gemeinsam  mit  Herrn  Dr.  Will 
d  e  r  m  u  t  h  zwei  objektive  Methoden  ersonnen.  Einmal  sehe 
Sie  hier  vor  sich  einen  ganz  gewaltigen  Apparat  mit  vieler 
Uhrwerken.  Er  dient  zur  photographischen  Regi 
strierung  der  Drehungsveränderung  des  Gemisches  Serur 
r  Pepton.  Ferner  haben  wir  das  Auge  durch  Kalium 
zellen  (Elster  und  Geitel)  ersetzt.  Diese  Zellen  sind  emp 
findlicher  als  unsere  Augen.  Sie  können  Helligkeitsunter 
schiede  wahrnehmen,  wo  unser  Auge  schon  versagt.  Dies 
Zellen  liefern  bei  Belichtung  Potentialdifferenzen.  Diese  lasse 
sich  am  stromnachweisenden  Instrument  erkennen.  Sind  di 
Halbschatten  des  Polarisationsapparates  genau  gleich  hei 
oder  noch  verschieden,  so  zeigen  das  die  Kaliumzellen  gan 
objektiv  an.  Es  ist  somit  die  optische  Methode  durch  Me 
thoden  ergänzt  worden,  die  den  Beobachter  während  des  Ver 
suches  ganz  ausschalten.  Ueber  die  Resultate  dieser  Unter 
suchungen  wird  bald  berichtet. 

Hier  folgt  das  bekannte  Dialysierverfahren.  E 
ist  kombiniert  mit  der  Vordialyse  der  Sera.  Sie  sehen  hie 
alle  Einzelheiten  und  auch  zahlreiche  richtig  vorbereitet 
Organe.  Erwähnen  will  ich,  dass  zurzeit  das  Dialysat  ersten 
mittels  der  Biuretreaktion  auf  Eiweissabbaustufen  ge 
prüft  wird,  ferner  mittels  der  Ninhy  drinprobe,  ferne 
durch  Mikrostickstoffbestimmung  (der  Apparat  ü 
hier  noch  einfacher  gestaltet,  als  in  der  kürzlich  erfolgten  Be 
Schreibung).  Erwähnt  sei,  dass  wir  jetzt  stets  das  Amtnonial 
unter  Erhitzen  des  Kölbchens  übertreiben.  Endlich  führen  wi 
seit  einiger  Zeit  Aminostickstoffbestimmunge 
nach  der  Methode  von  van  Slyke  aus. 

Ferner  Enteiweissen  wir  nach  Michaelis  um 
R  o  n  a  und  auch  nach  der  von  F  1  a  t  o  w  neuerdings  modi 
fizierten  resp.  richtig  beschriebenen  Methode.  Die  Ent 
eiweissung  gelingt  jetzt  nach  letzterem  Verfahren  manchma 
jedoch  bei  weitem  nicht  immer,  wenn  man  mit  Toluol  in  de1 
Wärme  schüttelt  (eine  bereits  bekannte  Methode,  verg; 
Be  ch  hold:  Die  Kolloide  in  Biologie  und  Medizin).  Feme 
arbeiten  wir  mit  Peptonen  und  Serum  und,  bestimmen  de, 
Aminostoff. 

Endlich  haben  wir  auch  schon  seit  einiger  Zeit  unabhängi 
von  Bornstein  und  Deetjen  mikroskopische  Bel 
ob  ach  tu  ng  en  an  gefärbten  Schnitten  vor  und  nach  er 
folgtet-  Einwirkung  von  Serum  durchgeführt.  Alle  mögliche: 
Apparate  sind  weiterhin  von  uns  in  den  Dienst  der  Forschu tr 
gestellt  worden :  das  Ultramikroskop,  der  R  e  f  r  a  k  t  o 
mete  r,  das  Polarisationsmikroskop  usw. 

Nun  hat  dieser  Tage  Paul  Hirsch  in  Jena  mitgeteih 
dass  er  mit  Hilfe  des  Interferometers  von  Loewc 
also  mit  einer  ganz  neuen  Methode,  jede  Einzelheit  unsere 
Forschungsergebnisse  und  namentlich  auch  die  Spezifität  de 
Abwehrfermente  bestätigen  kann  ‘). 


’)  Auch  ich  habe  seitdem  mit  dem  Apparat  mit  bestem  Erfolg 
gearbeitet. 


8.  September  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1899 


Alle  angeführten  Methoden  haben  genau 
zu  den  gleichen  Ergebnissengeführt.  Es  ist  dies 
sehr  beruhigend.  Es  liegt  nicht  der  geringste  Grund  zu 
Zweifeln  an  der  Richtigkeit  der  vorliegenden  Forschungs¬ 
ergebnisse  vor.  Ich  glaube  nicht,  dass  es  viele  biologische 
Methoden  gibt,  die  so  gut  fundiert  sind,  wie  die  Methoden  der 
Abwehrfermentforschung. 

Endlich  will  ich  noch  anführen,  dass  zahlreiche  b  i  o- 
I ogis che  Versuche  ausgeführt  worden  sind  und  zum  Teil 
noch  im  Gange  sind.  Sie  bestätigen  durchaus  die  auf  anderen 
Wegen  erhaltenen  Ergebnisse. 

Die  ganze  Methodik  hat  ganz  gewiss  eine 
Schwäche,  die  ich  selbst  immer  hervorge¬ 
hoben  und  sehr  hoch  bewertet  habe.  Wir  wollen 
streng  spezifische  Reaktionen  nachweisen  und  haben  keine 
streng  spezifischen  Substrate  in  der  Hand  oder  besser  ausge¬ 
drückt,  wir  sind  zurzeit  nicht  so  weit,  dass  wir  auf  chemischem 
oder  physikalischem  Wege  feststellen  können,  ob  ein  be¬ 
stimmtes  Substrat  spezifisch  ist.  Es  liegt  dies  daran,  dass  die 
chemische  Forschung  vor  den  hochmolekularen  Stoffen  zu¬ 
sammengesetzter  Natur  einstweilen  noch  Halt  machen  muss. 
Es  bleibt  uns,  da  wir  immer  eine  Summe  von  Substraten  in 
den  Geweben  und  Zellen  verwenden,  nichts  anderes  übrig,  als 
jedes  Substrat  histologisch  genau  zu  untersuchen  und  es  bio¬ 
logisch  einzustellen.  Unter  Umständen  muss  die  Einstellung 
über  den  Tierversuch  gehen.  Wer  heutzutage  noch  mit  unge¬ 
eichten  Geweben  arbeitet,  begeht  einen  der  schwersten  Kunst- 
fehler  und  nimmt  seinen  Versuchen  zum  voraus  jeden  Wert. 
Es  wird  gewiss  bald  die  Zeit  kommen,  in  der  jegliche  Arbeit 
verschwinden  wird,  in  der  uneingestellte  Organe  Verwendung 
gefunden  haben.  Ich  gebe  zu,  dass  es  vieler  Mühe  und  Arbeit 
bedarf,  bis  man  über  eine  Sammlung  zuverlässiger  Substrate 
verfügt.  Es  darf  dies  jedoch  kein  Grund  sein  unter  Nicht¬ 
erfüllung  der  elementarsten  Forderungen  einer  Methodik  mit 
gänzlich  unbrauchbaren  Substraten  zu  arbeiten.  Ich  bin  jetzt 
ganz  sicher  davon  überzeugt,  dass  nicht  Hülsenfehler  es  sind, 
welche  zu  paradoxen  Resultaten  führen,  sondern  wohl  immer 
Organfehler. 

Bei  jeder  Methode  wird  es  von  entscheidender  Bedeutung 
sein,  ob  eine  Fehlerquelle  mit  Sicherheit  umgangen  werden 
kann  oder  nicht.  Ich  kann  auf  Grund  meiner  Erfahrungen  und 
denen  einer  sehr  grossen  Anzahl  von  Forschern  mit  Bestimmt¬ 
heit  behaupten,  dass  jede  einzelne  Fehlerquelle  meiner  Me¬ 
thoden  zu  umgehen  ist.  Es  beweisen  dies  die  zahlreichen 
Mitteilungen  über  gute  experimentelle  und  klinische  Ergebnisse. 

Zum  Schluss  möchte  ich  nochmals  betonen,  dass  die  ganze 
Forschung,  soweit  sie  sich  auf  die  Untersuchung  von  Sera  von 
Kranken  erstreckt,  in  die  Hände  des  Klinikers  und  Arztes  gehört. 
Sie  kann  ihm  zurzeit  nur  ein  Hilfsmittel  sein.  Erst  nach  langer 
Zeit  wird  man  beurteilen  können,  was  die  einzelnen  Methoden 
Neues  gebracht  haben.  Ich  möchte  selbst  so  energisch  als  nur 
möglich  vor  weitgehenden  Schlussfolgerungen  warnen.  Je 
sorgfältiger  geforscht  wird  und  je  zurückhaltender  die  ein¬ 
zelnen  Forschungen  in  der  Beurteilung  ihrer  Ergebnisse  sind, 
um  so  lieber  ist  es  mir. 


Jeber  die  Differenzierung  der  drei  Genera  Cladothrix, 
Streptothrix  und  Aktinomyces. 

Von  Prof.  Dr.  W.  Rullmann  in  München. 

Angeregt  durch  verschiedene  Neuerscheinungen  in  der 
'akteriologischen  Literatur,  welche  beweisen,  dass  die  Cha- 
akteristik  obiger  drei  Genera  immer  noch  nicht  genügend  be¬ 
sannt  ist,  soll  der  Versuch  wiederholt  werden,  die  Möglichkeit 
iner  leichten  Unterscheidung  derselben  herbeizuführen. 

Vorausgeschickt  sei,  dass  die  meisten  in  den  letzten  Jahren 
-owohl  in  der  deutschen  als  auch  in  der  ausländischen  Literatur 
geschriebenen  Fälle  der  sogen.  Pseudotuberkulose  auf 
’ie  schädigende  Einwirkung  eines  fälschlich  als  Strepto- 
hrix  bezeichneten  Fadenpilzes  zurückgeführt  wurden.  Da 
'änz  besonders  die  praktischen  Aerzte  in  ihrer  Tätigkeit  am 
läufigsten  Gelegenheit  haben,  von  den  feststehenden  Unter- 
cheidungsmitteln  Gebrauch  machen  zu  können,  so  sei  der  Re¬ 
aktion  der  in  ärztlichen  Kreisen  ganz  besonders  viel  gelesenen 


Münch,  med.  Wochcnschr.  für  Verbreitung  der  nachstehenden 
Zeilen  herzlichst  gedankt. 

Um  bei  Bearbeitung  des  Themas  der  hiesigen  botanischen 
und  hygienisch-bakteriologischen  Fachautoritäten  sicher  zu 
sein,  habe  ich  unter  Vorlage  des  beweisenden  Materials  die 
Frage  mit  den  Herren  Geheimen  Räten  Prof.  Dr.  v.  Goebel 
und  v.  Gr  über  besprochen  und  nach  erzielter  Uebereinstim- 
mung  erhielt  ich  auf  Anfrage  auch  von  dem  Berliner  Botaniker 
Herrn  Universitätsprofessor  Dr.  Ben  ecke  zustimmende  Mit¬ 
teilung,  die  im  Wortlaut  später  folgt.  Gestützt  hierauf,  seien 
zuerst  einige  ältere  und  auch  ganz  neue  Literaturangaben  ge¬ 
bracht,  um  dann  an  der  Hand  beweisenden  Materials  auf  den 
heute  allgemein  angenommenen  Standpunkt  überzugehen. 


zuerst  sei  aus  1891  H.  L  p  p  i  n  g  e  r 1)  erwähnt,  welcher  über 
eine  neue  pathogene  Cladothrix  und  eine  durch  sie  hervor¬ 
gerufene  Pseudotuberculosis  cladothricha  berichtet. 
Diesem  folgte  1893  E.  Y.  Acosta,  F.  Grande  Rossi2 *)  mit:  Des- 
u  r-!)P  ci,.?,n  ^e.un  nu°vo  Cladothrix  invulnerabilis.  In 
beiden  Fällen  wird  schon  das  allgemeine  Charakteristikum  der  Aktino- 
myzeten  betont,  dass  die  kleinen  runden  Kolonien  auf  der  Oberfläche 
er  Nährböden  so  fest  haften,  dass  sie  beim  Abnehmen  zerreissen; 
Vladothr.  invulnerabil.  aber  widersteht  hohen  Temperatur¬ 
graden.  Gasperini’)  bringt  1894  bereits  eine  Synonymenzu- 
sammenstellung  vom  Genus  actinomyzes. 


Namen 

Beobachter 

Synonym 

Beobachter 

Actinomyc.  bovis  sulfur. 

Rivolta 

Actin.  bovis? 

„  Foersteri 

Cohn 

Streptothr.  Foersteri 

,,  bovis  farcin. 

„  cati 

Nocard 

Rivolta 

Bacill.  farcin. 

„  bovis  albas 

Gasperini 

Strephtothr.  1,  2,  3 
,,  alb. 

Cladothr.  asteroides 
Streptothr.  „ 

,,  Eppinger 

Almquist 

Rossi-Doria 

,,  asteroides 

Eppinger 

Gasperini 

Rossi-Doria 

„  chromogenes 

,,  luteoroseus 

Gasperini 

Gasperini 

„  chromogena 

„  nigra 

Oospora  Metschnikowi? 
„  Guignardi? 

Sauvagean  et  Radiis 

„  cuniculi 

Schmor! 

Streptothr.  cuniculi 

i,  Hoffmanni 

Gruber 

Micromyces  Hoffmanni 

„  albido-flavus 

Rossi-Doria 

Streptothr.  albido-flava 

,,  violaceus 

,,  violacea 

,,  carneus 

,,  citreus 

„  pluricoior? 

,,  arborescens 

,,  ferrugin. 

M  , 

Gasperini 

Terni 

Edington 

Naunyn 

,,  carnea 

Wir  ersehen  aus  diesem  Verzeichnisse  Gasperinis,  dass 
schon  damals  die  unrichtige  Bestimmung  zweifelloser  Aktinomyzeten 
erkannt  war  und  1895  teilte  Acosta4)  mit,  dass  die  1893  beschrie¬ 
bene  Cladothr.  invulnerabilis  auch  der  Austrocknung  wider¬ 
steht  und  dass  eine  steinhart  gewordene  Kartoffelkultur  ihre  Luft- 
gonidien  nach  mehr  als  einem  Jahre,  auf  frisches  Nährsubstrat  ge¬ 
bracht,  wieder  aufkeimen  lasse.  Rull  mann5 * 7)  hatte  Gelegenheit 
dieselbe  Beobachtung  zu  machen;  er  teilte  1895  das  Auffinden 
eines  Fadenpilzes  mit  echten  Verzweigungen  (Fig.  1)  mit,  der  in  Rein¬ 
zucht  auf  allen  organischen  Nährböden  „E  r  d  g  e  r  u  c  h“  bildet.  Der 
anfangs  fälschlich  als  Cladothrix  odorifera  bezeichnete  Fa¬ 
denpilz  ist  gleichfalls  ein  zweifelloser  Aktinomyzete,  welcher 
sich  häufig  in  der  Erde,  der  Luft  und  ganz  besonders  auf  den  ver¬ 
schiedenartigsten  Gramineen  findet.  Von  demselben  Autor“)  wur¬ 
den  dann  mehrere  Jahre  lang  im  ausgehusteten  wässerigen  Sputum 
einer  Dame  immer  wieder  Körnchen  gefunden,  welche  gleichfalls  einen 
Fadenpilz  mit  echten  Verzweigungen  enthielten,  der  gleichfalls  zuerst 
als  Streptothrix  hominis  irrtümlich  beschrieben  wurde.  Die 
Züchtung  desselben  bereitete  anfangs  grosse  Schwierigkeit,  nachdem 
jedoch  auf  Löffler  schein  Blutserum  Vermehrung  eingetreten  war, 
gelang  auch  die  Kultur  in  Nährbouillon,  wobei  sich  Stäbchen  mit  Diph¬ 
theriebazillen  ähnlichen  kolbigen  Verdickungen  zeigten.  Ueber  den 
klinischen  Verlauf  berichten  gemeinschaftlich  Bull  in  g  und  Rull¬ 
mann  ').  In  der  sich  über  8  Jahre  ausdehnenden  Beobachtungzeit 
wurde  schliesslich  der  Fadenpilz  als  Aktinomyces  hominis  be¬ 
stimmt  und  die  Richtigkeit  dieser  Benennung  ergibt  sich  unschwer 
aus  den  bereits  1902  veröffentlichten  Abbildungen  (Fig.  2  u.  3). 

Flexner8)  beschreibt  dann  1897  einen  ähnlichen  Fall,,  wel¬ 
cher  klinisch  für  Lungentuberkulose  gehalten  wurde,  bei  dem  aber 
kein  Sputum  ausgehustet  und  auch  keine  Tuberkelbazillen  nach¬ 
gewiesen  wurden.  Die  Obduktion  ergab  teilweise  Zerstörung  der 
Lungen,  Kavernen  enthaltend,  ferner  war  das  Lungengewebe  ödema- 


’)  H.  Eppinger:  Ziegler  und  Nauwerck,  1891.  Beiträge  S.  287. 

*’)  E.  Y.  Acosta,  F.  Grande  Rossi;  Zbl.  f.  Bakt.  1893  S.  14. 

:i)  Gasperini:  Zbl.  f.  Bakt.  1894  S.  684. 

4)  Zbl.  f.  Bakt.  1.  1875,  Refer.  465. 

5)  R  u  1 1  m  a  n  n:  Dissertation,  München  1895. 

“)  Ru  11  mann:  M.m.W.  1898  Nr.  29,  1899  Nr.  13,  1902  Nr.  22. 

7)  Bulling  und  Ru  11  mann:  B  kl.W.  1907  Nr.  42. 

8)  S.  Flexner:  Pseudo-tuberculosis  hominis  streptothricha 
(J.  Hopkins  Hospital  Bulletin  1897;  Ref.  Zbl.  f.  Bakt.  1.  1898,  p.  83). 

1* 


1900 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  36. 


tös,  geschwollen  und  von  tuberkelähnlichen  Knötchen  durch-  I 
setzt,  auch  Leber  und  Milz  enthielten  ähnliche  Knötchen.  In  den  auf 
Tuberkelbazillen  gefärbten  Ausstrichpräparaten  zeigten  sich  keine 
Bakterien,  dagegen  konnten  zahlreiche,  sich  schwach  mit  der  Ziehl- 
schen  Lösung  färbende  verzweigte  Bakterienfäden  nachgewiesen 
werden.  Kulturversuche  blieben  erfolglos;  der  lange 
verzweigte  Fadenbazillus  wuchs  auf  keinem  der  verwendeten 
Nährböden.  Auch  diesen  Organismus  benannte  der  Autor  fälsch¬ 
lich  als  Streptothrix  hominis.  Dann  finden  sich  im  Jahre 
1897  von  dem  auf  dem  Gebiete  der  Aktinomyzetenforschung  sehr  be¬ 
kannt  gewordenen  Berestnew8)  hochinteressante  Angaben, 
welche  durch  das  der  betr.  Publikation  beigegebene  photographische 
Material  überzeugend  beweisen,  dass  die  bisher  meist  als  Clado- 
t  h  r  i  x  und  Streptothrix  bezeichneten  Arten  unverkennbare 
Aktinomyzeten  sind  und  schlägt  dann  auch  Berestnew  ge¬ 
meinsam  mit  G  a  s  p  e  r  i  n  i  diese  Bezeichnung  für  die  Gruppe  vor, 
deren  morphologische  Eigenschaften  auf  S.  707  präzisiert  werden. 

Ferner  hat  Berestnew  durch  Begiessen  von  Stroh  mit  s  t  e  -  | 
r  i  1  e  m  Wasser  und  Einlegen  in  eine  bedeckte  Glasschale,  Stehen- 


aus  1914  kurz  erwähnt,  welche  beweisen,  dass  die  unrichtigen  Be¬ 
zeichnungen  immer  noch  weitergehen.  So  findet  sich  von  Thöni11) 
in  den  „Untersuchungen  über  die  hygienisch-bakteriologische  Be¬ 
schaffenheit  der  Berner  Marktmilch“  das  Vorkommen  von  Strep- 
tothr.  chromogenes,  albus  und  n  i  g  e  r  erwähnt,  welche 
gleichfalls  schon  lange  als  Aktinomyzeten  erkannt  sind  und  Bern¬ 
hardt12)  bespricht  im  Februar  1914  in  der  Berliner  Mikro¬ 
biolog.  Gesellschaft  eine  aus  Lumbalpunktat  isolierte  Strepto¬ 
thrix,  bei  welcher  er  selbst  echte  Verzweigung  und  die  charak¬ 
teristische  Eigenschaft  der  Aktinomyzeten,  des  Festsitzens  der  Kolo¬ 
nien  auf  den  Nährböden  und  deren  schwere  Zerteilung  behufs  mikro¬ 
skopischer  Präparation  angibt.  Nach  erbetener  Zusendung  von  Prä¬ 
paraten  konnte  Schreiber  dieser  Zeilen  die  Zugehörigkeit  des  Faden¬ 
pilzes  zu  den  Aktinomyzeten  konstatieren. 

Mit  der  Charakteristik  der  drei  Genera  jetzt  beginnend, 
sei  angeführt,  dass  die  neueste  Auflage  der  bakteriologischen 
Diagnostik  von  Lehmann  und  Neumann  über  Clado- 
I  thrix  Cohn  angibt,  dass  sie,  zu  der  Gattung  der  Spalt- 


Fig.  1. 


Fig.  4.  Cladothrix  dichotoma  Cohn 
Deckglaspräparat  aus  5-tägiger  Zucht  in  Bouillon 
von  Dr.  Hoeflich.  Oelimmersion  Vit  Zeiss. 
1000-fach  vergrössert.  Aufnahme  von  Dr.  Rülke. 
a  =  aus  der  Scheide  freigewordene,  zu  neuen 
Fäden  auswachsende  Olieder.  b  =  noch  in  der 
Scheide  befindl.  Olieder.  c  =  entleerte  Scheiden. 


Fig.  7. 


Fig.  6. 


Fig.  9. 


lassen  im  Brutschränke  nach  einigen  Tagen  erzielt,  dass  auf  dem 
Stroh  neben  einigen  Schimmelpilzen  sich  weissliche  und  auch  anders¬ 
farbige  Wucherungen  zeigten,  welche  kreideartig  aussahen  und  nur 
Sporen  und  einige  Fäden  zeigten.  Steckt  man  diese  Strohstückchen 
von  5 — 6  cm  Länge  in  sterilisiertem  feuchten  Sand  wie  vorher  an¬ 
gegeben  in  eine  überdeckte  Schale,  sondert  täglich  die  verunreinigten 
Stückchen  ab,  dann  erhält  man  in  kurzer  Zeit  Reinkulturen.  So  ge¬ 
lang  B  e  r  e  t  n  e  w  die  Isolierung  von  Actin.  gramin.,  einer., 
niger,  aromatic.,  albido-fuscus  u.  a.  Nicht  ohne  Absicht 
ist  hier  die  weite  Verbreitung  der  Aktinomyzeten  erwähnt;  man 
weiss  jetzt,  dass  von  den  vielen  beschriebenen  Fällen  menschlicher 
Aktinomykose  die  meisten  wohl  dadurch  entstanden,  dass  das  Sto¬ 
chern  mit  Stroh-  und  Grashalmen  im  Munde  und  ganz  besonders  am 
Zahnfleische  Verletzungen  hervorrief,  in  welche  unbeachtet  die  auf¬ 
sitzenden  Aktinomyzeten  eindrangen,  ihren  Nährboden  fanden  und 
die  Schädigungen  ausübten.  Verf.  hat  schon  des  öfteren  auf  diese 
gefährliche  Spielerei  aufmerksam  gemacht.  Trolldenier10)  be¬ 
richtet  dann,  1903  über  eine  bei  einem  Hunde  gefundene  patho¬ 
gene  Streptothrix,  welche  er  selbst  in  seiner  Arbeit  schliess¬ 
lich  als  einen  unzweifelhaften  Aktinomyces  bezeichnet  und  auf 
Vorschlag  von  Harz  Actin.  bicolor  nannte.  Diese  älteren 
Literaturangaben  mögen  genügen  und  seien  nur  noch  zwei  Angaben 


B)  Berestnew:  Dissertation,  Moskau  1897;  Ref.  Zbl.  f.  Bakt. 
1.  1898.  p.  706  u.  ff. 

10)  Trolldenier:  Zschr.  f  Thierfned.  1903  p.  81  u.  ff. 


algen  gehörig,  Fäden  mit  Scheiden  und  pseudo- 
dichotomer  Verzweigung  besitzt  (siehe  Abb.  4).  Wir 
haben  also  mit  dem  Nachweise  einer  echten  Verzweigung 
den  Beweis  in  Händen,  dass  es  sich  keinesfalls  um 
eine  Cladothrix  handeln  kann.  Bei  diesen  falschen  Ver¬ 
zweigungen  13)  sieht  man,  dass  an  irgend  einer  Stelle  eines 
Fadens  die  Verbindung  zweier  Zellen  sich  lockert  und  die  letz¬ 
teren  sich  gegeneinander  verschieben,  worauf  die  beiden  oder 
auch  nur  eine  der  einseitig  freiwerdenden  Polzellen  selbständig 
weiterwachsen,  meist  ohne  sich  an  der  Teilungsstelle  ganz  von 
einander  zu  trennen.  So  entstehen  vielfach  verästelte  und  ver¬ 
schlungene  Fadenmassen,  welche  jedoch  mit  echten  Ver¬ 
zweigungen  nichts  zu  tun  haben,  aber  wie  gezeigt, 
immer  noch  zu  Verwechslungen  beitragen.  Uebergehend  auf 
Streptothrix,  ist  in  den  angeführten  Beispielen,  welche 
nur  einen  kleinen  Teil  der  darüber  erschienenen  Literatur  bil¬ 
den,  der  Beweis  der  immer  noch  herrschenden  Verwirrung 
erbracht  und  doch  liegt  die  Sache  ganz  einfach.  Es  sei  hier 

u)  Thöni:  Mitt.  a.  d.  Schweiz.  Ges.A.  1914  H.  1  p.  40  u.  ff. 

12)  Bernhardt:  B.kl.W.  1914  Nr.  25. 

13)  Lafar:  Technische  Mykologie  II,  Bd.  III,  Rull  mann, 
p.  198,  Morphologie  der  Gattung  Cladothrix. 


8.  September  1914. _ MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


auf  Lafar”)  verwiesen  und  das  dorten  Niedergelegte  kurz 
wiederholt:  „Es  ist  daher  um  so  erfreulicher,  dass  jetzt  endlich 
Harz  mit  seiner  Ansicht  über  diese  Gattungen  durch¬ 
gedrungen  ist,  welcher  sich  Berestnew,  Lubarsch, 
Gasperini,  Lachner-Sandoval  u.  a.  angeschlossen 
haben.  Harz18)  klärt  mit  wenigen  Worten  die  verwickelte 
Lage  auf;  nach  ihm  begründete  Cor  da  im  Jahre  1839  die 
Gattung  Streptothrix  zunächst  durch  eine  Art,  S  t  r  e  p  t  o- 
thrix  fusca  Corda.  Wie  aus  der  nebenstehenden  Fig.  5 
ersichtlich  ist,  hat  man  es  hier  mit  einem  zweifellosen  Schim¬ 
melpilz  zu  tun,  aus  dessen  Myzel  sich  baumartig  ver¬ 
zweigte,  aufrechte  Hyphen  erheben.  Diese  zeigen  meist  einen 
sympodialen  Aufbau  und  tragen  teils  sitzende,  teils  ge¬ 
stielte  Sporen.  Es  handelt  sich  also  hier  um  wirkliche 
Schimmelpilze,  wie  Aspergill.  glauc.,  Penicillium  crustac.  u.  a. 
Nun  wurde  die  entstandene  Verwirrung  durch  mehrere  For¬ 
scher  hervorgerufen,  welche  ganz  andere  Organismen, 
F  a  d  e  n  b  a  k  t  e  r  i  e  n,  als  Streptothrix  bezeichneten  und  dabei 
ibersahen,  dass  Corda  schon  lange  Jahre  vorher  diesen 
Namen  vergeben  hatte.“ 

Wäre  die  hier  beigegebene  Abbildung  aus  der  Pracht- 
lora  für  Schimmelpilze  (Prag,  1839)  allgemeiner  be¬ 
sannt  gewesen,  dann  würde  ganz  gewiss  die  Verwirrung  keine 
o  ausgedehnte  und  andauernde  geworden  sein.  — Auf  die  Cha- 
akterisierung  der  A  k  t  i  n  o  m  y  z  e  t  e  n  übergehend,  führe  ich 
lieselbe  an,  wie  ich  solche  seinerzeit  in  Lafar18)  entwickelt 
iahe:  Die  Gruppe  der  Aktinomyzeten  zeichnet  sich  bei  ihrem 
A  achstum  auf  festen  Nährböden  durch  Bildung  von  erhabenen 
Kolonien  aus,  welche  von  derber  Beschaffenheit  und  mehr  oder 
veniger  knorpelig  faltig  sind  und  fast  in  dem  Nährboden  an- 
sachsen.  Sie  bilden  sämtlich  lange,  dünne  gestreckte  Myzel- 
äden  mit  echten  monopodialen  Verzweigungen.  Die 
Ireite  der  Fäden  beträgt  0,6  (J,  die  Länge  bis  200  ß  und  mehr. 
)ic  verschiedenen  Arten  unterscheiden  sich  durch  ihr  Ver¬ 
alten  auf  den  verschiedenen  Nährböden  und  wachsen  auf 
iesen  unter  Bildung  oft  lebhaft  gefärbter  Kolonien.  Alle 
ehmen  Anilinfarbstoffe  gut  auf,  ganz  besonders  aber  ver¬ 
mintes  Karbolfuchsin;  für  Differenzierung  empfiehlt  sich  die 
i  r  a  m  sehe  oder  die  Weigert  sehe  Fibrinfärbemethode. 

11  n  g  e  Zuchten  zeigen  häufig  nur  unverzweigte  Stäbchen,  die 
ich  durchaus  nicht  von  gewöhnlichen  Spaltpilzen  unter- 
jheiden.  Die  Fortpflanzung  erfolgt  ausser  durch  Gonidien- 
uktifikation,  durch  Teilung  des  Fadeninhaltes  und  Querteilung 
on  Fadenstrecken;  einzelne  Arten  zeichnen  sich  durch  ein  auf- 
illiges,  flockiges  Luftmyzel  aus.  In  Betreff  der  Fortpflanzung 
■t  die  Gonidienfruktifikation  von  grösster  Wichtigkeit,  ebenso 
ire  Widerstandsfähigkeit  gegen  Erhitzen  und  A  u  s  - 
r  o  c  k  n  e  n.  Nach  Kruse17)  ist  es  noch  zweifelhaft,  ob  ein 
rinzipieller  Unterschied  zwischen  der  Segmentation  (Sporen- 
ldung)  in  Luftfäden  und  der  Fragmentation  in  feuchtem  Nähr¬ 
ten  besteht.  So  ziemlich  für  alle  Aktinomyzesarten  ist  die 
lit  dem  Alter  der  Zucht  sich  steigernde  weisse,  kreideähnliche 
erfärbung  (Abbildung  6)  der  einzelnen  Kolonien  charak- 
ristisch,  indem  sich  ein  verzweigtes  Myzel  mit  reichlichen 
uftfäden  bildet;  diese  Kolonien  erhalten  sich  sehr  lange 
eit  fortpflanzungsfähig.  In  vielen  Fällen  unter¬ 
st  die  Membran  der  Fäden  eigenartigen  Veränderungen,  die 
üher  missdeutet  und  erst  durch  Bostroem18)  und  B  a  - 
es10)  richtig  erkannt  wurden.  Es  entstehen  häufig  an  den 
uden,  aber  auch  in  der  Mitte  der  Fäden,  durch  Vergallertung 
-r  Membran  keulen-  oder  kolbenförmige  Anschwellungen;  sie 
nd  als  Degenerationserscheinungen  anzusehen  (Abb.  7  u.  8). 

In  gleichem  Sinne  äussern  sich  Lehmann  und  Neu- 
a  n_n  in  ihrer  neuesten  Auflage  der  Bakteriol.  Diagnostik 
•  158,  622— 624);  sie  sagen:  „ein  Hauptcharakteristikum  der 
Ginomyzeten  in  kultureller  Beziehung  ist  das  derbe,  meist 
(orpeligc  oder  lederartige  Wachstum  auf  der  Oberfläche  des 
ihrbodens;  im  Alter  sind  die  Kolonien,  wie  mit  Kalkpulver 

”)  Ebenda:  Rullmann,  p.  202. 

)  Harz:  Vortrag  in  der  Gesellschaft  für  Morphologie  und 
ysiologie.  München  1890. 

,B)  Lafar:  Technische  Mykologie  II,  Bd.  II,  p.  205.  Gustav 

1  scher,  Jena  1904. 

r  u  s  e,  in  Flügge,  Mikroorganismen,  3.  Aufl.,  1897. 

Bostroem:  Zieglers  Beitr.  1891  Bd.  9. 

)  Babes:  Zschr.  f.  Hyg.  4.  1888.  p.  173. 


1901 


bestaubt  (Fig.  9).  —  In  Kolle-Wassermann!0)  ist  die 
Streptothrixfrage  durch  Petruschky  bearbeitet 
worden,  welcher  sich  daselbst  ganz  im  Sinne  der  von  Harz 
aufgestellten  Sätze  äussert.  —  Zum  Schlüsse  kommend,  seien 
noch  die  zustimmenden  Zeilen  des  Berliner  Botanikers,  Herrn 
Universitätsprofessor  Dr.  B  e  n  e  c  k.e,  angeführt,  welcher  mir 
unter  dern  12.  Juni  1914  schreibt:  „Ich  bin  ganz  Ihrer  Meinung, 
dass  die  Benennung  der  betr.  Formen  als  Aktinomyzeten  die 
zutreffende  ist.  Jedenfalls  haben  sie  mit  Streptothrix 
fusca  Corda  gar  nichts  gemein.  Die  Gattung 
Streptothrix  Cohn  (Streptothrix  Foersteri)  ist,  das  kann 
man  aus  der  Abbildung  (Cohns  Beitr.  z.  Biol.  Bd.  I,  Taf.  V, 
rig.  7)  wohl  mit  Bestimmtheit  entnehmen,  ebenfalls  ein  Aktino- 
myzes,  allenfalls  könnte  es  sich  auch  um  ein  Mykobakterium 
handeln.  Cohn  hat  ja  seine  Form  zweifellos  gar  nicht 
zu  i  Gattung  Streptothrix  Corda  rechnen,  sondern 
eine  neue  Gattung  Streptothrix  aufstellen  wollen, 
ohne  zu  wissen,  dass  dieser  Namen  durch  Corda  bereits 
einem  Fungus  i  m  p  e  r  f  e  c  t  u  s“  gegeben  worden  war. 
Ich  selbst  habe  übrigens  gelegentlich  auch  Streptothrix 
odorifera,  thermophila  usw.  drucken  lassen,  gebe 
aber  zu,  dass  dieser  Name  aus  historischen  Gründen  falsch 
J  s  t.  E)a  sich  diesem  Urteil  auch  die  eingangs  genannten 
hiesigen  Autoritäten  anschliessen,  so  dürfte  wohl  zur  endlichen 
Richtigstellung  der  Bezeichnung  der  drei  Genera  ein  weiterer, 
hoffentlich  nicht  ganz  nutzloser  Schritt  geschehen  sein. 


Aus  der  Universitäts-Frauenklinik  zu  Würzburg 
(Geh.  Rat  H  o  f  m  e  i  e  r). 

Erfahrungen  mit  Lumbalanästhesie. 

Von  Dr.  Gfroerer,  Assistenzarzt. 

Wenn  bis  heute  noch  die  Lumbalanästhesie  eine  ziemlich 
beschränkte  Verbreitung  besitzt,  so  liegt  der  Grund  hierfür  ins¬ 
besondere  wohl  in  der  Scheu  vor  den  Schwierigkeiten  der 
Technik  und  den  Komplikationen,  die  sich  intra-  oder  post 
operationem  ereignen  können.  Ihre  Vorteile  der  Allgemein¬ 
narkose  gegenüber  sind  ja  hinreichend  bekannt.  Da  nun  heute 
aber  auch  die  Technik  und  die  ganze  Methode  der  Rücken¬ 
marksanästhesie  derartig  ausgebildet  ist,  dass  sich  uner¬ 
wünschte  Zwischenfälle  auf  ein  Minimum  reduzieren  lassen, 
so  ist  ihre  weiteste  Anwendung  zu  wünschen  und  die  Be¬ 
trachtung  der  von  uns  erreichten  Resultate  scheint  uns  einige 
Berechtigung  dazu  zu  geben. 

Die  Lumbalanästhesie  wurde  1907  bei  uns  aufgenommen 
und  erfreut  sich,  wie  die  Zunahme  um  12,5  Proz.  in  den  letzten 
2%  Jahren  beweist,  steigender  Beliebtheit.  Insgesamt  wurde 
sie  in  1223  Fällen  ausgeführt,  wobei  es  sich  nur  um  grössere 
vaginale  bzw.  abdominale  Operationen  handelte,  die  in  A  aller 
Fälle  mehr  als  eine  Stunde  in  Anspruch  nahmen.  Von  der 
Anästhesie  ausgeschlossen  haben  wir  nur  Patientinnen  mit 
Rückenmarksleiden,  Lues,  schwerer  Tuberkulose,  Neigung  zu 
heftigen  Kopfschmerzen  und  Aufregungszuständen,  Gegenindi¬ 
kationen,  die  uns  nur  selten  zur  Abstandnahme  von  der 
Lumbalanästhesie  nötigten.  Naturgemäss  waren  die  Resultate 
zu  Beginn  schlechter,  bessern  sich  aber  mit  der  Ausbildung  der 
Methode  von  Jahr  zu  Jahr.  Ohne  auf  die  früheren  Erfahrungen 
näher  einzugehen,  teile  ich  nur  kurz  die  Resultate  der  ersten 
Jahre  mit.  Todesfälle,  die  der  Lumbalanästhesie  zur  Last 
fielen,  waren  niemals  zu  beklagen.  Unter  Zugrundelegung 
eines  Schemas,  in  dem 

Grad  I  =  dauernd  bis  Schluss  der  Operation  oder  über  45  Minu¬ 
ten  bedeutet, 

Grad  II  =  eine  Dauer  zwischen  30  und  45  Minuten, 

Grad  III  =  15 — 30  Minuten, 

Grad  IV  =  völliges  Versagen  bzw.  eine  Dauer  bis  zu  15  Minuten, 
ergaben  sich  für  die  erste  272  Fälle  umfassende  Serie  folgende 
Resultate:  Stovain  Tropakokain 

Grad  I:  76,7 'Proz.  Grad  I:  66  Proz. 

-  IV:  5,8  „  „  IV:  10  „ 

Für  die  nächstfolgenden  500  Fälle 

Stovain  Tropakokain  - 

Grad  I:  82,6  Proz.  Grad  I:  85  Proz. 

_  ..  IV:  6,5  „  „  IV:  4  , 


20)  Kolle-Wassermann  1.  Aufl.,  II.  Bd.,  p.  834—836. 


1902 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  36. 


Es  ist  also  bereits  in  der  2.  Serie  ein  wesentlicher  Fort¬ 
schritt  zu  erkennen,  einerseits  in  der  V  erwendung  von  Tropa¬ 
kokain  liegend,  andererseits  in  dem  Umstand,  dass  wir  in  dieser  I 
Serie  die  Vorbehandlung  der  Patientinnen  mit  Morphium- 
Skopolamin  einführten. 

Die  3.  Serie,  über  die  ich  mich  ausführlicher  verbreiten 
möchte,  umfasst  500  Anästhesien,  reichend  bis  September  1913 
und  verkörpert  unseren  heutigen  Stand. 

Auf  Grund  der  letzten  guten  Erfahrungen  benützten  wir 
in  diesen  3  Jahren  ausschliesslich  5  proz.  Tropakokain  mit 
0,6  proz.  steriler  Kochsalzlösung,  wie  sie  von  Merck  in 
Darmstadt  in  Ampullen  von  1  ccm  in  den  Handel  gebracht 
werden.  Eine  Stunde  vor  der  Operation  werden  0,6— 0,8  ccm 
einer  Lösung  von  0,01  Morphium  und  0,0004  Skopolamin  in¬ 
jiziert.  Wir  haben  diese  einmalige  Injektion,  die  gegenüber 
früher  eine  geringere  Dosierung  bedeutet,  für  vollkommen  ge¬ 
nügend  befunden.  Die  bei  zu  grosser  Skopolamingabe  auf¬ 
tretenden  Erregungszustände  wurden  nicht  mehr  beobachtet 
und  der  für  das  Gelingen  der  Anästhesie  wichtige  schläferige 
Zustand  der  Patientinnen  auch  mit  dieser  geringeren  Dosis  in 
genügendem  Grade  erreicht. 

Zur  Injektion  benutzen  wir  eine  10  ccm  fassende  Rekordspritze, 
die  trocken  sterilisiert  wird.  Wird  die  Spritze  z.  B.  mit  Soda  aus¬ 
gekocht,  so  können  durch  das  noch  anhaftende  Antiseptikum  die  Me¬ 
ningen  gereizt,  ferner  das  Anästhetikum  selbst  in  seiner  chemischen 
Zusammensetzung  alteriert  werden.  Bei  Kochen  mit  Wasser  oder 
Kochsalzlösung  allein  lässt  sich  auch  bei  sorgfältiger  Reinigung  ein 
allmählicher  Ansatz  von  Rost  nicht  vermeiden.  Die  Spritze  wird 
mit  dem  Anästhetikum  beschickt  und  die  Pat.  in  geeigneter  Weise 
gelagert. 

Wir  lagern  die  Pat.  in  der  Weise,  dass  sie  mit  dem  Rucken  ganz 
an  der  Kante  des  Fahrbetts  liegt,  die  Knie  stark  angezogen,  der  Kopf 
stark  gebeugt.  Nun  wird  die  Haut  gründlich  mit  Azeton-Alkohol  ab¬ 
gerieben,  zwischen  2.  und  3.  Lendenwirbel  genau  in  der  Mittellinie 
die  Kutis  unter  Chloräthylspray  mit  einem  lanzettenförmigen  Messer 
eingestochen  und  die  mit  Mandrin  armierte  Punktionsnadel  senkrecht 
zum  Verlauf  der  Wirbelsäule  mit  etwas  nach  oben  gerichteter  Spitze 
eingeführt.  Hat  man  das  charakteristische  Gefühl,  die  Dura  zu  durch¬ 
bohren,  so  darf  die  Punktionsnadel  nicht  mehr  weiter  vorgeschoben 
werden.  Der  Mandrin  wird  entfernt  und  ca.  2  ccm  Liquor  abgelassen. 
Sodann  wird  so  langsam  wie  möglich,  um  Wirbelbildungen  und  plötz¬ 
liche  Drucksenkungen  zu  vermeiden,  8  ccm  Liquor  angezogen  und 
dann,  ohne  die  Lage  der  Kanüle  im  geringsten  zu  verändern,  ganz 
langsam  injiziert. 

Die  Anästhesie  pflegt  bereits  nach  2—3  Minuten  auf¬ 
zutreten.  so  dass  die  folgende  Desinfektion  des  Bauches  mit 
Azetonalkohol  nicht  mehr  als  unangenehm  empfunden  wird. 
Kommt  die  Patientin  auf  den  Operationstisch,  so  ist  in  den 
ersten  10  Minuten  jede  steile  Beckenhochlagerung  zu  ver¬ 
meiden. 

Gelingt  die  Punktion  zwischen  2.  und  3.  Lendenwirbel 
nicht,  so  kann  man,  wenn  man  einen  Wirbel  tiefer  geht,  zum 
Ziele  kommen.  Kommt  statt  Liquor  Blut,  so  kann  die  Punktion 
an  einer  anderen  Stelle  wiederholt  werden,  fliesst  auch  dann 
noch  Blut  ab,  so  hat  man  gewöhnlich  eine  der  zahlreichen 
Venen  zwischen  Periost  und  Dura  angestochen  und  die  In¬ 
jektion  unterbleibt  am  besten.  Steht  der  Liquor  unter  so 
niedrigem  Druck,  dass  sich  nur  bei  Hustenreiz  einige  Tropfen 
entleeren  lassen,  dann  haben  wir  auch  in  diesem  Falle  ruhig 
injiziert  und  damit  ebenfalls  ausgezeichnete  Resultate  erzielt. 
Eine  Punktion  in  sitzender  Stelle  haben  wir  nur  dann  ange¬ 
wendet,  wenn  sie  in  der  Seitenlage  unmöglich  war  und  uns 
viel  an  dem  Gelingen  der  Anästhesie  lag. 

Als  Resultate  ergaben  sich  folgende  Werte: 

Grad  I:  437  An.  89,54  Proz. 

Grad  II:  7  ,  4.43  , 

Grad  III:  11  ,  2,24  „ 

Grad  IV:  33  „  6,76  , 

Die  vollkommen  ausreichenden  Anästhesien  sind  um 
4,34  Proz.,  die  Versager  um  1,26  Proz.  gestiegen.  Die  Miss¬ 
erfolge  haben  sich  also  vermehrt,  jedoch  nur  dadurch,  dass, 
um  das  Bild  möglichst  objektiv  zu  gestalten,  alle  Anästhesien, 
die  Chloroformnarkose  benötigten,  als  Versager  gerechnet 
wurden.  In  der  Tat  figurieren  darunter  4  Anästhesien,  wobei 
die  Patientinnen  von  vorneherein  bei  guter  Anästhesie  leiden¬ 
schaftlich  Chloroform  verlangten.  4  weitere  betreffen  tech¬ 
nische  Versager,  bei  welchen  kein  oder  nur  eine  ganz  geringe 
Menge  Liquor  abfloss.  Zieht  man  diese  Reihe  von  Fällen  ab, 
so  ergeben  sich  nur  4,9  Proz. 


Die  grösste  Wichtigkeit  für  das  Gelingen  besteht  in  der 
peinlichsten  Beachtung  der  Technik.  Daneben  können  jedoch 
noch  andere  Faktoren  eine  gewisse  Rolle  spielen,  die  eine 
richtig  ausgeführte  Anästhesie  zunichte  machen.  Ausser  dem 
Umstand,  dass  das  Nervensystem  eine  geringere  Affinität  zu 
dem  Anästhetikum  haben  kann  und  somit  eine  ungenügende 
Wirkung  auftritt,  kann  auch  die  Injektionsflüssigkeit  selbst 
chemisch  verändert  sein  und  wir  glaubten  in  einer  Reihe  von 
Fällen  diesen  Punkt  als  Ursache  von  Misserfolgen  ansprechen 
zu  können.  Endlich  spielt  die  individuelle  Empfindlichkeit  der 
Patientinnen  eine  nicht  geringe  Rolle,  finden  wir  doch  Versager 
in  72  Proz.  bei  Frauen  unterhalb  des  45.  Lebensjahres,  in  einer 
Zeit,  wo  die  Eindrucksfähigkeit  des  Menschen  noch  eine 
stärkere  ist.  Betrachten  wir  die  Art  der  Erkrankungen  in  Be¬ 
ziehung  zu  den  Misserfolgen  der  Anästhesie,  so  entfallen 
45  Proz.  auf  Adnextumoren  und  Tubargraviditäten,  Opera¬ 
tionen,  bei  denen  zur  Lösung  der  Adhäsionen  ein  kräftiges 
Ziehen  am  Peritoneum  nicht  zu  vermeiden  ist  und  dadurch 
höher  gelegene  Bezirke  in  Mitleidenschaft  gezogen  werden, 
die  das  Anästhetikum  nicht  oder  nur  in  ungenügendem  Masse 
erreicht  hat. 

Die  Dauer  der  Anästhesie  betrug  in  28,5  Proz.  46—60  Mi¬ 
nuten,  in  55,4  Proz.  60—75  Minuten,  gewiss  eine  für  das  Wohl 
der  Patientinnen  nicht  gleichgültige  Tatsache  einer  Allgemein¬ 
narkose  gegenüber  von  der  gleichen  Länge. 

Die  häufigsten  Störungen  i  n  t  r  a  operationem  be¬ 
stehen  in  Wiirgreiz  und  Erbrechen.  Wir  beobachteten  es  in 
38  Fällen  =  7,8  Proz.  Nur  in  1,4  Proz.  musste  aus  diesem 
Grunde  Allgemeinnarkose  eingeleitet  werden.  In  einer 
grösseren  Anzahl  dieser  Fälle  muss  das  Erbrechen  lediglich  als 
Nachwirkung  einer  vorangegangenen  Narkose  aufgefasst 
werden,  da  unser  Material  in  ausgiebigster  Weise  Demou- 
strationszwecken  dient  und  wir  bei  anschliessender  Operation 
wenn  irgend  möglich  die  Lokalanästhesie  ausführen.  Ernstere 
Komplikationen  intra  operationem  ereigneten  sich  9  mal.  3  mal 
traten  stärkere  Erregungszustände  auf,  die  auf  eine  Ueber- 
dosierung  des  Skopolamins  zurückzuführen  sind.  In  einem 
Falle,  wo  wegen  Versagens  der  Lumbalanästhesie  Chloroform 
gegeben  wurde,  handelte  es  sich  um  eine  Asphyxie.  In  einem 
weiteren  Falle  kollabierte  die  Patientin  und  kam  18  Stunden 
später  zum  Exitus.  Wie  die  Obduktion  ergab,  waren  bei  einer 
Fisteloperation,  die  8  Tage  vorherging,  beide  Ureteren  unter¬ 
bunden  bzw.  in  Mitleidenschaft  gezogen  und  der  tödliche  Ver¬ 
lauf  als  urämisches  Koma  zu  erklären.  Nur  in  4  Fällen 
=  0,8  Proz.  ist  ein  intra  operationem  auftretender  Kollaps  der 
Lumbalanästhesie  zuzuschreiben,  einmal  verbunden  mit  auf- 
steigender  Lähmung  der  Thoraxmuskulatur.  Die  Schuld  daran 
ist  einer  zu  raschen  Injektion  bzw.  zu  raschen  Beckenlagerung 
zuzuschieben.  Alle  Patientinnen  erholten  sich  in  kurzer  Zeit 
und  ohne  dauernden  Schaden  zu  nehmen. 

Unter  den  postoperativen  Störungen  treten  am 
häufigsten  die  Kopfschmerzen  in  den  Vordergrund.  Sie  werden 
7  mal  verzeichnet  —  1,4  Proz.  und  zwar  wurde  6  mal  der 
Schmerz  in  typischer  Weise  am  Hinterkopf  angegeben.  Dieses 
ausgezeichnete  Resultat  glauben  wir  in  erster  Linie  dem  Wes¬ 
fall  des  früher  üblichen  Adrenalinzusatzes  und  der  ausschliess¬ 
lichen  Benutzung  von  Tropakokain  zu  verdanken,  wobei  wir 
allerdings  bemerken,  dass  nur  nachhaltigere  und  das  Allge¬ 
meinbefinden  beträchtlich  störende  Kopfschmerzen  registriert 
wurden. 

Postoperatives  Erbrechen,  das  bei  der  Allgemeinnarkose 
zum  mindesten  am  ersten  Tag  zur  Tagesordnung  gehört, 
wurde  in  nur  0,8  Proz.  festgestellt. 

Von  Lähmungserscheinungen  wurde  am  10.  bzw.  13.  Tag 
post  operationem  eine  Abduzenslähmung  beobachtet.  Wir 
müssen  sie  wohl  der  Lumbalanästhesie  zuschreiben,  jedoch 
ist  nach  anderweitigen  Erfahrungen  anzunehmen,  dass  auch  in 
diesem  Falle  eine  Restitutio  ad  integrum  eintrat. 

Endlich  trat  einmal,  eine  halbe  Stunde  nach  der  Operation, 
eine  Psychose  in  Form  von  Verfolgungswahn  auf.  Nach 
Pantopon-Skopolamin  beruhigte  sich  die  Patientin  wieder,  um 
am  folgenden  Tag  völlig  normal  zu  erscheinen.  Einen  nach¬ 
haltigen  Schaden  hat  Patientin,  wie  wir  uns  vor  einigen 
Wochen  überzeugen  konnten,  nicht  erlitten. 


September  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1903 


Von  sämtlichen  mit  Lumbalanästhesie  operierten  Frauen 
nd  20  gestorben,  keine  aber  unter  dem  Einfluss  der  Narkose 
id  grösstenteils  solche  Patientinnen,  bei  denen  infolge  ihres 
istandes  die  Lumbalanästhesie  ein  rettendes  Moment  gegen- 
nr  der  für  Herz  und  Lungen  nicht  gleichgültigen  Allgemein- 
irkose  darstellte. 

Die  ernsteren  Kollapserscheinungen  hätten  sich  jedenfalls 
i  langsamer  Injektion  und  Vorsicht  in  der  Beekenhoch- 
gerung  zum  Teil  vermeiden  lassen. 

In  78  Proz.  aller  Operationen  wurde  die  Lumbalanästhesie 
isgefiihrt  und  diese  Zahl  wäre  wohl  noch  eine  höhere,  wenn 
is  nicht  äussere  und  didaktische  Gründe  zwängen,  teilweise 
r  Narkose  zu  greifen. 

Pie  Vorteile,  Wegfall  der  Schädigung  von  Herz  und 
iigen.  Freibleiben  des  Sensoriums,  vereinzeltes  Auftreten 
m  Uebelkeit  und  Erbrechen,  die  Möglichkeit  intra  operat. 
it  der  Patientin  konferieren  zu  können,  sowie  das  Sparen 
les  geschulten  Narkotiseurs,  gepaart  mit  der  durch  unsere 
sultate  aufs  Neue  bewiesenen  Güte  und  Ungefährlichkeit 
r  Methode.  lassen  es  berechtigt  erscheinen,  die  Lumbal- 
ästhesie  zur  weitesten  Benutzung  zu  empfehlen. 

Literatur. 

Cuny:  Inaug.-Diss.  Würzburg  1914.  500  Fälle  von  Luinbal- 

othesie. 


s  dem  pathologischen  Institut  des  Allgemeinen  Kranken¬ 
hauses  Hamburg-Eppendorf  (Prof.  Dr.  E.  Fraenkel). 

Todesursachen  bei  Aortenaneurysmen. 

Von  Dr.  med.  P  o  h  r  t. 

Die  einzige  bisher  über  dieses  Thema  veröffentlichte  Arbeit 
enigstens  der  deutschen  Literatur)  ist  eine  von  Max  Baer 
'  dem  Jahre  1912  aus  der  medizinischen  Klinik  im  städti- 
f  ien  Krankenhaus  zu  Frankfurt  a.  M.:  „Ueber  die  Todes¬ 
ache  beim  Aortenaneurysma“,  in  der  er  über  26  Fälle  be¬ 
lltet.  Von  diesen  gingen  7  durch  Perforation  zugrunde, 
urch  komplizierende  Erkrankung,  15  unter  dem  Bilde  eines 
onischen  Herz-  und  Lungenleidens.  Baer  tritt  an  der 
i  nd  dieser  Zusammenstellung  der  Anschauung  entgegen,  dass 
häufigste  Ausgang  des  Aneurysma  die  Perforation  sei. 

'  ier  die  Todesursachen  bei  Aortitis  luica  besitzen  wir  ver- 
i  iedene  Aufstellungen. 

So  berichtete  z.  B.  Deneke  1910  über  46  Fälle  von  Aortitis 
a.  von  denen  13  im  Krankenhaus  verstorben  und  seziert  waren, 
waren  von  ihnen  zugrunde  gegangen  an: 

Selbstmord .  ....  1 

Tabes  (mit  Aorteninsuffizienz) . 1 

Tuberkulose  (und  Aneurysma) . 1 

Ruptur  eines  Aneurysmas . 2 

Kompression  des  linken  Hauptbronchus  und  der 

Trachea  durch  Aneurysma . 1 

Relative  Aorteninsuffizienz . 3 

Fmbolie  der  Arteria  mesenterica  aus  einem  Aneu¬ 
rysma  der  Aorta  ascendens  . 1 

Absolute  Aorteninsuffizienz  und  Verengerung  der 
Kranzarterien . 3 

-  Jahre  später  berichtete  Deneke  über  118  Patienten  mit 
^  :itis  luica,  die  in  den  Jahren  1909 — 1911  in  seine  Behandlung  ge- 
J  -n  waren.  Von  ihnen  waren  zur  Zeit  des  Vortrages  (Ende  1912) 

n2  Proz.)  gestorben.  Von  diesen  118  Patienten  leiden  oder 

i  n  an: 

^  itis  ohne  Aneurysma  und  Aorteninsuffizienz  6  (t  2  oder  33  Proz.), 

'  er  Aorteninsuffizienz  .  64  (+  40  oder  62,5  Proz., 

'  eninsufnzienz  mit  Aneurysma  .  .  .  34  (t  23  „  67,6  „  ), 

'  urysma  ohne  Aortenfehler  ....  14  (t  9  „  64,3  „  ). 

Wenn  über  unser  Thema  so  wenig  veröffentlicht  ist,  so 
das  daran,  dass  bis  vor  kurzem  die  Aetiologie  des  Anett¬ 
es  ganz  im  Mittelpunkt  des  Interesses  stand,  und  dass 
i  Klärung  dieser  Frage  sich  das  Interesse  der  Therapie 
andte.  Dazu  kommt  ferner,  dass  unser  Thema  scheinbar 
ein  theoretisches  Interesse  bietet.  Das  ist  aber  nur  schein- 
\  ^er  Lall,  denn  wie  wir  sehen  werden,  birgt  es  eine  ganze 
v  ie  von  Anregungen  für  Diagnose  und  Therapie.  Ich  habe 
-*r  auf  Anregung  von  Herrn  Prof.  Dr.  Fraenkel  50  in 
1  Jahren  1908—13  hier  behandelte,  verstorbene  und  sezierte 
■  e  von  Aortenaneurysma  zusammengestellt  und  im  Sinne 
;  obigen  Themas  verwertet. 


Lm  gleich  mit  dem  bekanntesten  Ausgang  des  Aneurysmas  zu 
beginnen,  so  hatten  wir  unter  unseren  Fällen  12  Perforationen.  Die 
Aneurysmen  sassen  hier  mit  einer  Ausnahme  an  dem  Anfangsteil  der 
Aorta.  2  mal  waren  sie  zylindrisch,  sonst  sackförmig,  zwischen  der 
Grosse  einer  Walnuss  und  eines  Kindskopfes  schwankend.  In  3  Fällen 
waren  mehrere  Aneurysmen  vorhanden,  von  denen  eins  (in  2  Fällen 
clas  kleinere.  Iiasel-  resp.  walnussgrosse)  perforiert  war.  Je  nach 
üem  Wachstum  nach  verschiedenen  Richtungen  und  des  Risses  an 
verschiedenen  Stellen  war  auch  die  Blutung  in  verschiedene  Räume 
erfolgt,  und  zwar:  5  mal  in  die  linke  Pleurahöhle,  je  1  mal  in  den 
linke n  Lungenunterlappen  und  von  da  in  den  linken  Pleuraraum,  in 
den  linken  Hauptbronchus,  in  die  Trachea,  in  den  Oesophagus,  ins 
I  erikard,  in  die  rechte  Pleurahöhle  und  ins  Abdomen. 

r  .  djes®n  Fällen  waren  3  Aneurysmata  spuria.  Bei  einem 

dieser  Falle  fanden  sich  bei  der  Sektion  in  der  Hinterwand  der  Aorta 
unmittelbar  unter  dem  Durchtritt  durch  das  Zwerchfell  2  neben¬ 
einander  liegende,  unregelmässig  zackig  begrenzte,  je  2  cm  lange 
Kisse.  Hier  war  der  Blutstrom  in  die  Gefässwand  eingedrungen  und 
hatte  einen  gut  faustgrossen  Sack  gebildet,  der  sich  nach  oben  über 
das  Zwerchfell  durchgewühlt  hatte  und  durch  ein  über  fünfmarkstück¬ 
grosses  Loch  in  die  linke  Pleurahöhle  perforiert  war.  In  einem 
anderen  Fall  handelte  es  sich  um  ein  eineinhalbfaustgrosses  dicht 
unterhalb  der  Durchtrittsstelle  durch  das  Zwerchfell  gelegenes 
Aneurysma,  das  sich  noch  6  cm  weit  über  das  Zwerchfell  hinüber 
eisti  eckte.  Die  Perforation  war  ins  Abdomen  erfolgt,  man  hatte  eine 
Laparotomie  gemacht;  der  Patient  war  bald  hinterher  gestorben 
Ueber  den  3.  Fall  siehe  weiter  unten. 

In  3  Fällen  war  die  erste  Blutung  sofort  tödlich.  Sie  waren 
sämtlich  in  die  linke  Pleurahöhle  resp.  durch  den  linken  Lungen- 
,  unterlappen  in  diese  erfolgt.  2  mal  fand  man  bei  der  Sektion  3,5  Liter, 

1  mal  2  Liter  Blut.  Ein  Fall  eines  ins  Abdomen  rupturierten  Aneu¬ 
rysmas  (siehe  oben)  hatte  eine  Laparotomie  noch  überstanden.  Die 
anderen  gingen  nicht  an  der  ersten  Blutung  zugrunde.  Hier  traten, 
bevor  die  tödliche  Blutung  in  die  Trachea  resp.  den  linken  Haupt- 
brcnchus  erfolgte,  in  2  Fällen  wenigstens,  14  resp.  15  Tage  vorher 
blutiger  Auswurf  ein.  In  3  anderen  Fällen  war  mehrere  Tage  vor 
dem  Tode  Blut  im  Pleuraraum  nachgewiesen  worden.  Bei  einem 
dieser  Fälle  wurden  am  2.  Tage  200  ccm,  am  4.  900  ccm.  am  5. 
3011  ccm  stark  getrübter,  Staphylokokken  enthaltender,  blutiger 
Flüssigkeit  entleert.  Bei  der  Sektion  am  6.  Tage  enthielt  die  Pleura¬ 
höhle  1,5  Liter  blutige  Flüssigkeit.  In  einem  2.  Fall  fand  sich  bei 
einer  Probepunktion  flüssiges  Blut.  Bei  der  Aufnahme  war  bereits 
die  ganze  linke  Lunge  gedämpft  gewesen.  Bei  dem  15  Tage  nach  der 
Aufnahme  erfolgten  Tode  enthielt  die  linke  Pleurahöhle  2—3  Liter 
Blut.  In  einem  3.  Fall  erfolgte  4  Tage  vor  dem  Tode  unter  Dämpfung 
der  ganzen  linken  Lunge  eine  Blutung  in  die  linke  Pleurahöhle. 

2  Tage  später  wurden  davon  800  ccm  punktiert.  Bei  der  Sektion 
wurden  3,5  Liter  gefunden.  In  diesen  Fällen  war  offenbar  die  Per¬ 
forationsöffnung  zunächst  klein  gewesen,  oder  sie  war  durch 
Thromben  wieder  verstopft  worden,  oder  der  Blutstrom  hatte  sich 
durch  dicke  Thrombenmassen  durchwühlen  müssen.  So  war  eine 
geringe  aber  stetige  Blutung  erfolgt,  und  diese,  oder  zum  Schluss 
eine  akute  heftige,  hatte  den  Exitus  herbeigefiihrt. 

Wie  lange  nach  Entstehung  des  Aneurysmas  der  Tod  er¬ 
folgte,  darüber  lässt  sich  bei  unseren  Fällen  im  allgemeinen 
sehr  schwer  etwas  Sicheres  aussagen.  Wir  finden  zwar  an¬ 
gegeben,  dass  die  Patienten  seit  einer  bestimmten  Zeit  an 
Stichen  in  der  Brust  litten,  kurzatmig  wurden  usw.,  doch  lässt 
sich  aus  diesen  Angaben  der  Beginn  der  Entwicklung  des 
Aneurysmas  aus  der  Gefässerkrankung  nicht  bestimmen. 

Doch  haben  wir  einen  Fall,  bei  dem  sich  dies  genau  feststellen 
lässt.  Es  handelt  sich  hier  um  einen  früheren  Konzertsänger,  der 
am  27.  III.  11  hier  aufgenommen  wurde  und  angab,  er  sei  bis  1901 
vollkommen  gesund  gewesen.  1901  habe  er  dann  beim  Essen  plötz¬ 
lich  einmal  das  Gefühl  gehabt,  als  wenn  ihm  der  Bissen  im  Halse 
stecken  bliebe.  Nach  einigen  Tagen  habe  sich  Heiserkeit  eingestellt. 
Später  sei  die  Stimme  zeitweise  hin  und  wieder  normal  gewesen, 
bis  sie  definitiv  heisser  geworden  sei.  Vor  6  Jahren  habe  sich  eine 
Vorbuchtung  der  linken  Brustseite  gezeigt,  es  seien  Herzschmerzen 
eingetreten.  Seitdem  habe  sich  sein  Zustand  allmählich  ver¬ 
schlechtert.  Sei  der  Sektion  fand  man  ein  mannsfaustgrosses  Aneu¬ 
rysma  spurium  der  Aorta  ascendens,  ein  strausseneigrosses  der  Aorta 
descendens  und  eine  Degeneration  des  linken  Nervus  recurrens.  Hier 
sind  also  von  dem  ersten  Auftreten  der  Schädigungen  durch  das 
Aneurysma  bis  zur  Ruptur  10  Jahre  vergangen,  eine  ungewöhnlich 
lange  Zeit.  Schätzt  doch  R  o  m  b  e  r  g  die  Lebensdauer  des  Aneu¬ 
rysmas  in  der  Hälfte  der  Fälle  nur  auf  Va—VA  Jahre.  Uebrigens 
hatte  der  Patient  1901,  1908  und  1909  spezifische  Kuren  durchgemacht. 

War  in  den  Krankengeschichten  die  raumbeengende  Wir¬ 
kung  des  Aneurysmas,  auch  zweier  so  grosser  wie  in  dem 
zuletzt  geschilderten  Fall,  nicht  auffällig,  wenigstens  nicht 
lebensbedrohend,  hervorgetreten,  so  lag  das  an  der  Richtung 
ihres  Wachstums.  Zwei  Organe  der  Brust  sind  es,  die  eine 
Pression  durch  das  Aneursma  vertragen  können,  ohne  dass 
lebensgefährliche  Erscheinungen  auftreten,  das  sind  die  Lungen 
und  die  Knochen.  Denn  wie  der  Mensch  einen  sehr  grossen 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


19M 


TeQ  seiner  atmenden  Lunker  pberüä ehe  verlieren  kann,  ohne 

der  rpv"~\''- -  "T1  „ r ersredroher. rer  Meise  leidet,  so 

bringt  in  auch  e.ne  ■  orbuchtung  ocer  schliesslich  sog^.  eine 
Usv  der  Rippen  — h  der  M  irbelkörper  nicht  in  Geiahr,  voraus-  | 
gesetzt.  dass  sie  riebt  ü'jer  ein  gewisses  .Mass  hmansgeht. 
Wächst  also  ex  Ar  urysma  nach  einer  dieser  beiden  Rich- 
t^in  ih—  kommen  lebensbedrobende  Schädigungen  nicht 
zustande.  Immerhin  aber  erhöht  ein  Aneurysma  in  iecem  Fa!! 
den  Druck  im  Brus  träum  und  dieser  fuhrt  zur  Beeinträchtigung 
der  Atmung  und  der  Herztätigkeit  in  gewissen  Grenzen. 
Wächst  aber  ein  Aneurysma  gegen  die  Organe  des  Media 
cmns,  dann  kommt  es.  sobaid  dieses  resp.  der  Teil  cer  Aorta, 
an  dein  das  Aneurysma  sitzt,  nicht  ausweichen  können  (der 
Anfangsteä  der  Aorta  verfügt  über  eine  ge  Beweglich-  : 
keitk  zu  Kompression  der  Organe,  der  Trachea,  des  Oeso¬ 
phagus  oder  der  grossen  Gefasse. 

Auf  >  che  Weise  haben  9  unserer  Fälle  geendet,  und  zwar: 
e  rer  durch  ein  .Aneurysma  der  Aorta  ascencens.  das  die  Arten 2 
prinufe  za  Sichetiont  komprimiert  hatte,  2  durch  Kompression 
des  Oesit'igus.  Von  den  letzteren  wurde  einer  mit  hochgradigster 
Inarit:'  miribuad  hier  anrger immer.  27  cm  hinter  der  Zahr.rethe 
s ress  man  mit  der  Oesoptagussoude  auf  ein  unüberwindliches 
Hmderms.  Bei  der  Sdtko  stellte  es  sich  heraus,  dass  hier  ein  wal- 
uussgr.sses,  mit  dicken  Thrcmbenniederschlägen  versehenes  Areu- 
rrsra  des  Arfarrsteüs  der  Aorta  desceudens  die  hintere  Wand  des 
Oesophagus  vonrölbte.  Bei  dem  2.  Fad  lag  ein  halbkugeliges  Areu- 

-  cer  rechten  W  and  des  Arkus  vor.  das  nach  nieten  gewachsen 

-  ar  m:  den  imker  Earrtbroccbus  und  den  Oesophagus  komprimierte. 
Dieser  Druck  bare  zu  einem  Druckgeschwür  des  Oesophagus,  zu 
einem  Durchbruch  seiner  V*  an c  unc  der  anlieger.cen  cer  Tracnea. 
eine*  jauchigen  Brt-nchitis  und  einem  Gangriüiherd  :m  «öberlappen 
der  linken  Lunge  geführt.  Die  übrigen  6  Fälle  erlagen  einer  Kom¬ 
pression  der  Trachea,  cie  sich  in  5  der  Fa_e  be:  Lebzeiten  :n  einem 
lauten  Stridor  manifestiert  har e.  Bei  einem  6.  Fad  war  durch  die 
Pression  eine  Tracheitis  prcliterans  entstancen.  Diese  Bemncerung 

-  ar  nicht  hpchgrad.z  genuz  gewesen,  um  Stridor  her -erzürnen,  hatte 
aber  eine  deutliche  Hemmung  der  Exspiration  verursacht. 

Vor  anderen  Folgen  der  Pression  der  Trachea  konnten  registriert 
«  erden:  In  einem  Fall  war  die  eine  seitdehe  Wand  cer  Tracnea  im 
Bereit"  re*  : — 12.  Y~ tmels  eirgedrüc-:'-  die  Frachea  hatte  cacurcn 
ci'ty've" —  hekotnrnen.  cas  Lumen  *  ar  bis  auf  Oo  cm  ver- 
sc'm  -  lern  *1  -rderu  In  anderen  Fällen  hatte  eme  Erw  eichung  oder 
Scc  und  re*  Knorpel  r  der  Stelle  des  Ftruciies  eurer  cas  Aneurysma 
1  tatt gef ur d em  damit  tra*  nitirt  nur  e;r  Flattern  cer  A  arc  bei  den 
Alembewe  gern  gen  ein.  sondern  das  Lumen  -  urdc  letzt  scrocungs. '  s 
durch  das  Aneurysma  eingeengt.  5  Patienten  gingen  durch  Er- 
'titkunc  zugrurte:  bei  dreier  wurce  c:e  Entstehung  von  Broncho¬ 
pneumonien  durch  Behinderung  der  Exspiration  begünstigt,  wodurch 
das  Erde  beschleunigt  -  erde.  Y  erschiecenreit  ces  Ausgangs- 
p.mktes  der  Form  und  Grosse  hatten  in  dieser.  Fällen  die  Art  urc 
W  eise,  •  e  die  Kumprevsoa  zustande  gekommen  war.  stark  variiert. 
F'~—  ai  handelte  es  sich  um  ein  kiudskopf grosses  Aneurysma  der 
hinteren  Fläche  des  Arcus  aortae.  das  nach  hinten  und  unten  ge- 
.  achver  war  und.  i -dem  es  den  unteren  Teil  cer  Trachea  stark  nacr 
links  gedrückt  hatte,  eure"  Vorbcchtung  der  Wand  das  Lumen  ein¬ 
geengt  hatte  elr  andere;  Mal  um  etr.  faustgrosses  cer  Aorta  ascen- 
dens  und  des  Arkus,  das  die  Trachea  säbelscfceidenarcg  zusammen- 
gedrüc*:  harte  e  -  drir.es  Mal  hatte  e  re  kugelige  Ausbuchtung  der 
Arteria  awzr.rma  diese  hähebcheidenform  durch  halbkugelige  Ein- 
rtüpimr  der  Wand  kn  Bereiche  des  5.— 12.  Trachea Iknorpeb  bervor- 
gerufer  und  das  Lener  his  au:  5  cm  verengert  Giere  oben);  ir 
einem  4  Fall  handelte  es  er  um  ei- er.  fast  faustgrossen  Sack,  der 
in  Höhe  der  Arteria  aron:  ma.  der  Karotls  und  Subclavia  sinistra 
aus  der  hinterer  Wand  des  Arkus  entstanden  war  und.  sich  hinter 
den  genannten  GefLsser.  in  die  Höhe  schiebend-  die  Trachea  kom¬ 
primiert  harte:  ein  fünftes  Mal  um  eir.  16  cm  im  Umfang  messendes 
Aneurvsma  de-  Aorta  testendem-  das  nach  rechts  gewachsen  war 
und  eher,  oberhalb  der  Btfurcatki  die  linke  Ward  der  Trachea  vor- 
bocktete:  ei-  sechstes  V.al  um  eir.  überfaust  grosses  Gebilde  am  Ueber- 
gar.g  der  Aorta  descendems  in  cer.  Arkus,  das.  indem  es  sich  gegen 
das  M  mdiinm  sterri  anstemmte.  die  Organe  des  Mediastinums 
gegen  cie  Wirbelsäule  anpresste.  Unter  diesem  Druck  hatte  die 
Trachea  vorwiegend  gelitten,  doch  -ar  der  Oesophagus  nicht  un- 
bebdfigt  ge  hieben,  und  cer  Parier.:  hatte  ir.  der  letzter.  Zeit  vor  dem 
Tode  feste  Nahrung  nur  sc '-locker  vierer  - enr.  er  hinterher  trank. 

Wenn  wir  nun  zu  der.  beirr  Aneurysma  beobachteten 
Kreislaufstörungen  übergehen,  so  muss  zunächst  betont 
we-detu  dass  unter  unseren  51  Fällen  keiner  war.  der  durch 
die  durch  das  Aneurysma  an  sich  verursachten  Kreislauf- 
tör.-.ger.  zugrunde  ging,  wenn  wir  von  der r.  Tod  durch  Kom¬ 
pression  der  grossen  Gefässe  absehen.  Diese  durch  das 
Aneurysma  ar  sich  gesetzten  Schädigungen  sind  einmal  die, 
das  eir  Teil  des  Blutstroms,  in  einen  Sack  mit  starren  Wan- 
d uriger  gepresst  aus  diesem  in  einem  gewissen  Winkel  zu 


Nr3f 


dem  normaler.  Blutstrom  austretend,  den  letzteren  hemmt  ; 

.  veranlasst.  Onenbar  wird  diese  Schädigur  t 
s«  grösser  sein,  je  grösser  der  Sack  und  vor  allem  die 
irur.i:a:.cr.  mit  der  Aorta  ist.  Solche  Schädigungen  we 
beirr,  zy.  r.dnschen  Aneurysma  sehr  viel  geringer  sein. 
zweite  Schädigung  ist  die  oben  schon  erwähnte,  dur. 
Vermehrung  des  intrathorakalen  Druckes  zustande  kommt  . 

Nun  werden  aber  beim  Aneurysma  eine  ganze  1-i  . 
anderer.  Schädigungen  der  Kreislauiorgane  beobachtet,  0  r_ 
“hm  r.ur  mehr  oder  weniger  nahe  Beziehungen  haben,  bse 
werden  einmal  durch  die  Aneriosklerose  und  Lues,  die  ja  ;c: 
den  Boder.  rer  das  Aneurysma  bilden,  veranlasst:  die  Star  .  , 
des  Aortenrohres  durch  luische  und  arteriosklerotisch t  ::r- 
krankung.  die  lutschen  und  aneriosklerotischen  Verändermer 
der  Kranzarterien,  vor  allen  Dingen  der  luischen.  die  zu  er- 
schluss  oder  Einengung  des  Abgangs  der  Koronarartce- 
rühren:  irische  Veränderungen  der  Aortenklappen,  die  ne 
absolute  Aorteninsufnzienz  veranlassen  und  schliesslich  ae 
Er»  eiterur.g  ces  Aortenostiums,  die  zu  einer  relativen  Aoeu- 
insumzienz  führt. 

Eine  ganze  Reibe  unserer  Fälle  (17)  sind  Kreislaufstoncer 
■siehe  aber  ober.)  erlegen.  Im  einzelnen  Falle  war  niemals  eii  ce 
per.  genannten  Schädigungen  allein  Ursache  des  Todes,  dot  be¬ 
herrschte  in  jedem  einzelnen  Falle  eine  so  sehr  das  Bild,  dassmp  , 
fiese  als  cie  Todesursache  bezeichnen  konnte. 

Um  nun  mit  der  relativen  Aorteninsufnzienz  zu  beginne  so 
war  es  kein  Zufall,  dass  unsere  12  Fälle,  die  daran  endigten,  sanier 
cir.e  zylindrische  oder  spindelförmige  Erweiterung  der  Aorta  ge*-  4 
fers  oder  auch  des  weiteren  Verlaufs  der  Aorta  aufwiesen,  lsnm 
gtz~-  unger  anzunehmen.  dass  ein  sackförmiges  Aneurysma  an  ner 
Stelle  der  Aorta  entsteht,  an  der  die  Wand  besonders  stark  irefe 
der  pathologischen  Prozess  geschädigt  ist.  wobei  dann  noch  disog. 
iirandrrgslirie  eir.e  Rolle  spielen  mag.  so  kann  man  nicht  umh.  ot: 
der  Z-.  lir.drischen  Erweiterung  eine  gieichmässige  Wandschäcic. 
ar.zurehmer..  bwohl  es  nicht  gelang,  aus  den  in  den  Sektionsotc- 
k  Iler  riedercelegten  Befunden  eine  Verschiedenheit  der  nur- 
skopisch  sichtbaren  Veränderungen  der  Aortenwand  bei  zylindrirer 
und  sackf  -rr.iger  Aneurysmen  naebzuweisen.  Hier  ule  dort  t  a 
der  eher  iecenden  Mehrzahl  der  Fälle  eine  Kombination va»  j 
luischen  urf  arteriosklerotischen  Veränderungen  vor  (3  Patnieu 
die  in  hohem  Alter  mit  einem  Aneurysma  verstorben  waren,  »ses 
r.ur  arteric sklerotische,  keine  luischen  Veränderungen  auit.  .äe  i 
solche  gfcichmässige  Schädigung  der  ganzen  \\and.  die  w  aa- 
nehmer  ir 1.  ssen,  führt  zu  einer  gleichmässigen  Erweiterung,  iu  ar 
fieser  nimm:  dann  auch  der  Anfangsteil  der  Aorta,  das  Aonenos*. 
re:!.  Die  Folge  ist  eine  mehr  oder  weniger  hochgradige  reime 
AorreninsufLzienz.  I  In  unseren  Fällen,  die  dadurch  endigten,  hkt 
irr.  ad  gemeinen  Masse  des  Aortenostiums.)  Ueber  den  Gr;  ue* 
Erweiterer  c  des  Aortenostiums  in  unseren  Fällen  vermögen  w  i 
allgerr.ei r.en  keine  präzisen  Angaben  zu  machen  (einmal  wun  der 
Umfang  der  Aorta  an  ihrer  Abgangsstelle  mit  9.5  cm  gemessen) 
f.r.der  angegeben,  dass  das  Ostium  in  die  Aorta  gegossenes  vvssc 
durchlaufen  lässt.  In  2  Fällen  ist  die  Aorta  dicht  oberha  «s 
Ostiums  mit  9  resp.  l*-5  cm.  1  mal  2  cm  über  ihm  mit  14  c  ge¬ 
messen. 

Ar.  Komplikationen  wiesen  diese  Fälle  von  relativer  A  r 
Insuffizienz  auf:  4  mal  Verengerung  resp.  \  erschloss  der  1 
arrerier.  durch  der.  luischen  Prozess.  2  mal  war  die  rechte  eripac» 
verengt.  1  mal  völlig  verschlossen;  1  mal  war  die  linke  verseng 
und  die  rechte  r.ur  für  einen  feinen  Faden  durchgängig. 

■aarer.  Veränderungen  der  Aortenklappen  selbst:  ln  5  Fällen  not* 
sich  absolut  intakte  Klappen,  in  den  anderen  zeigten  sitojt 
Fer ■■•erur.g.  sk'ero’isrhe  Veränderungen.  Schrumpfung  durch  Is-- 
N’eränderungen  'in  4  Fällen),  welche  letzteren  zu  der  relative  t- 
absolute  Aorteninsufnzienz  hinzufügten.  In  allen  Fällen  wa  e 
Dilatation  de?  linken  Ventrikels,  zum  Teil  eine  sehr  hochgradig  ea- 
ge treten,  die  in  5  Fällen  mit  einer  mehr  oder  weniger  hoch'," 
Hypertrophie  sich  vergesellschaftete.  5  mal  war  auch  derj  cl 
Ventrikel  erweitert.  In  3  Fällen  erfolgte  ein  plötzlicher  To..  ^ 
trat  er  unter  zunehmender  Kreislaufschwäche  ein. 

Jn  einem,  der  Fälle  waren  wir  in  der  Lage  iestzustellen.  üs 
wenigster  17  Monate  an  seinem  Aneurysma  gelitten  MW 
Diagnose  war  am  4.  VII.  09  gestellt  worden,  der  Tod  eriolc  -- 
10.  XIL  10).  _  , 

Der  Rest  unserer  17  Fälle,  die  Kreislaufstörungen  er.az' 
g  -g  durch  syphilitische  Erkrankungen  der  Kreislauiorgane  - 
«cie  mir  dem  Ar.eurr  ma  nur  insofern  verwandt  waren,  als  Sten¬ 
derns  eiben  Bo-fer.  er.:  ach  er  waren).  Ein  Patient  endigte  -- 
hochgradigen  Ve-  .-i  der  Abgangsstelle  seiner  beiden  Kot 
arrerier.  die  beide  noch  gerade  für  eine  Stecknadel  pas:-’- 
waren.  Die  4  anderen  gingen  durch  syphilitische  Erkrank«: 
Aortenklappen  die  bekenntermassen  eine  Retraktion,  unregelr.' 
Verdickung  und  Derbheit  der  Klappen,  dadurch  eine  absolute  A  - 
Insuffizienz  hervorruft.  Das  Krankheitsbild  unterschied  sic 
zir  eil  nicht  von  dem  bei  den  obengenannten  an  relativer  Insu;  j 
zugrunde  gegangenen  Fällen.  Dyspnoe,  mehr  oder  weniger 


S  September  1914, _ MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Stauungserscheinungen.  zum  Teil  keine,  zum  Teil  hochgradige 
•cdeme.  das  waren  die  Erscheinungen  der  letzten  Zeit,  und  der 
Tod  erfolgte  entweder  unter  zunehmender  Herzschwäche  oder  aus 
inem  gewissen  Wohlbefinden  heraus  plötzlich.  Bei  der  Sektion  fand 
-*ch  immer,  ganz  wie  bei  den  früheren  Fällen,  eine  geringe  bis 
-chgradige  Dilatation  des  linken  Ventrikels,  in  2  Fällen  vergesell- 
chartet  mit  Hypertrophie,  die  bei  einem  Fall,  in  dem  neben  einer 
osofiizienz  auch  eine  Stenose  bestand,  hochgradig  war  (die  Dicke 
er  Wand  des  linken  Ventrikels  betrug  bis  zu  23  mm).  In  den 
Jlen.  die  mit  schweren  Stauungserscheinungen  endigten,  fand  man 
uch  den  rechten  Ventrikel  dilatiert.  An  Komplikationen  wiesen  die 
Fälle  von  relativer  Aorteninsuftizienz  auf:  einmal  Verschluss  der 
echten  Koronararterie:  einmal  starke  Verengerung  der  rechten  (nur 
ir  eine  feine  Sonde  durchgängig)  und  weniger  starke  der  linken. 

Die  Stauung  im  kleinen  Kreislauf,  die  bei  einer  ganzen  Anzahl 
.on  Aneurysmakranken  als  Folge  der  obengenannten  Affektionen  der 
vreislauforgane  eintritt.  manifestiert  sich  meist  auch  in  einer  hart- 
ackigen  Bronchitis.  Kommt  dazu  eine  \  erengerung  der  Trachea, 
ann  treten  infolge  Behinderung  der  Exspiration  leicht  tödlich  endi- 
ende  Bronchopneumonien  auf  (siehe  oben).  Aber  auch  anderen  In- 
ektioner.  öffnet  die  Schädigung  der  Widerstandsfähigkeit  des 
ungengewebes  Tur  und  Tor,  so  ist  es  wohl  nicht  als  Zufälligkeit 
nzusehen,  wenn  3  Patienten  kruppösen  Pneumonien  erlagen. 

Eine  zu  dem  Aneurysma  selbst  in  engster  Beziehung  stehende 
.cesursache  ist  hier  noch  im  Anschluss  an  die  eben  genannten  Fälle 
-  erwähnen:  der  Tod  durch  Embolie  aus  Aneurysmathromben.  Wir 
aben  unter  unseren  Fällen  kein  Beispiel  dafür. 

Auch  bei  den  anfangs  angeführten  Aufstellungen  über  Todes- 
's^chen  bei  Aneurysma  und  Aortitis  luica  ist  diese  Todesursache 
eiten:  Baer  hatte  unter  seinen  26  Fällen  kein  Beispiel  dafür, 
•eneke  nennt  einmal  unter  13  Fällen  an  Aortitis  luica  einen  Todes- 
tii  an  Embolie  der  Arteria  mesenterica  aus  einer  hühnereigrossen, 
-ickförmigen  Ausbuchtung  nahe  dem  Klappenringe,  die  mit  älteren 
“d  frischen  Gerinnseln  gefüllt  war.  Die  Folge  war  ausgedehnte 
’armgangrän  und  tödliche  Peritonitis.  1912  zählt  Deneke  unter 
s  Todesfällen  an  Aortitis  luica  2  Fälle  von  Darmgangrän  auf  emboli- 
.  er  Grundlage  mit  denselben  Folgen. 

Die  Seltenheit  einer  Embolie  aus  Aneurysmathromben  ist  nicht 
erwunderlich,  wenn  man  bedenkt,  dass  die  Thrombosierung  des 
neurysmas  meist  in  Schicht  weisen,  schalenförmigen  Anlagerungen 
n  die  W  and  erfolgt,  die  sich  schwer  losreissen. 

Schliesslich  starben  8  unserer  Patienten  an  interkurrenten  Er- 
-ankungen.  3  starben  am  Senium  70.  73  und  91  Jahre  alt.  Als 
teressante  Einzelheit  sei  noch  erwähnt,  dass  sich  bei  einem  dieser 
-die  ein  faustgrosses  Aneurysma  der  Aorta  ascendens  fand,  das  mit 
er  Arteria^  pulmonalis  durch  einen  linsen-  und  zwei  stecknadelkopf- 
rcsse  Oeirnungen  kommunizierte  Ein  Patient  erlag  einer  iortge- 
-hrittenen  Lungentuberkulose,  ein  anderer  einer  akuten  Blutung  aus 
>ei  irischen,  linsengrossen  Geschwüren  des  Pylorus.  Es  ist  schwer 
:  entscheiden,  ob  man  die  Aneurysmathromben,  die  sich  bei  der 
ektion  fanden,  für  die  Entstehung  der  Ulzera  verantwortlich  machen 
Q-  Es  fanden  sich  jedenfalls  sonst  nirgends  Thromben,  die  eine 
mbolie  der  Pylorusarterien  hätten  machen  können.  Ein  anderer 
arb  an  ausgedehnten  Lungeninfarkten  aus  marantischen  Herzohr- 
romben  (starke  Koronararteriosklerose.  Myodegeneratio  cordis 
iiposa);  ein  anderer  an  einer  Streptokokkämie  mit  unbekannter 
ntrittspforte.  In  einem  Falle  war  das  Aneurysma  am  Zustande¬ 
mmen  des  Todes  mittelbar  beteiligt:  es  handelte  steh  da  um  eine 
".eumokokkämie.  ausgehend  von  einem  Pneumokokkenempyem  der 
nken  Pleurahöhle.  Es  erfolgte  eine  Infektion  der  Aneurysma- 
romben.  die  dann  septische  Infarkte  der  linken  Niere  und  der  Milz 
lachten. 


Fassen  wir  nun  die  Resultate  vorstehender  Unter- 
ehungen  zusammen,  so  gingen  zugrunde  an: 


I.  Ruptur . 

12 

(24 

Proz.) 

!.  Kompression  von  Organen  der  Brusthöhle 

9 

(18 

„  ) 

I.  Krankheiten  der  Kreislauiorgane  . 

17 

(34 

.,  ) 

a)  relative  Aorteninsumzienz 

12 

(24 

..  ) 

b)  sonstige . 

5 

(10 

..  ) 

.  Lungenerkrankungen  infolge  Stauung  im 

kleinen  Kreislauf . 

3 

(6 

.  Embolie  aus  .Aneurysmenthromben  . 

0 

(0 

) 

I.  Interkurrente  Erkrankungen . 

9 

(18 

„  ) 

Vergleichen  wir  unsere  Prozentzah!  der 

dur 

ch 

Ruptur 

.endeten  Fälle  mit  den  sonst  genannten  (M  a  1  m  s  t  e  n 
1  Proz.,  Arnold  53  Proz.,  Baer  27  Proz..  G  i  b  s  o  n 
'  Proz.).  so  hält  sie  sich  weit  unter  der  Mitte.  Am  häufigsten 
ma!)  erfolgte  die  Blutung  in  die  linke  Pleurahöhle.  Dreimal 
ar  die  erste  Blutung  soiort  tödlich,  in  den  anderen  Fällen 
ndelte  es  sich  um  chronische  Blutungen.  1  Fall  starb  nach 
ner  Laparotomie. 

Wächst  das  Aneurysma  gegen  die  Trachea  oder  den  Oeso- 

•ages.  dann  droht  der  Tod  durch  Kompression  dieser  Organe. 

9  aut  diese  Weise  zugrunde  gegangenen  Fällen  war  6  mal 
r  Tod  durch  Kompression  der  Trachea  erfolgt.  2  mal  durch 

Nr  36. 


1005 


Kompression  des  Oesophagus,  1  mal  durch  Kompression  der 
Arteria  pulmonalis. 

Die  durch  das  Aneurysma  an  sich  hervorgerufenen  Kreis¬ 
laufstörungen  genügen  nicht,  um  den  Tod  herbeizuführen.  Erst 
wenn  es  bei  zylindrischer  Erweiterung  des  Aortenrohres  zu 
einer  relativen  Aorteninsuffizienz  kommt,  tritt  eine  leben¬ 
bedrohende  Schädigung  ein  (12  unserer  Fälle).  Bei  anderen 
5  Iodesfällen  infolge  Erkrankungen  der  Kreislauforgane  war 
1  mal  eine  Verengerung  der  Koronararterien,  4  mal  eine  ab¬ 
solute  Aorteninsuffizienz  infolge  Lues  der  Aortenklappen  die 
Todesursache. 

3  Patienten  erlagen  einer  kruppösen  Pneumonie.  Eine 
Stauungsbronchitis  hatte  hier  der  Infektion  die  Wege  geebnet. 

Tod  durch  Embolie  aus  Aneurysmenthromben  ist  selten, 
da  die  Thromben  der  Aneurysmawand  fest  ansitzen.  Wir 
hatten  unter  unseren  Fällen  keinen  solchen. 

8  Fälle  endeten  an  interkurrenten  Erkrankungen,  das 
Aneurysma  spielte  als  Todesursache  hier  nur  eine  Nebenrolle. 

Literatur. 

Bär:  Ueber  die  Todesursachen  beim  Aortenaneurysma.  Frankf. 
Zschr.  f.  Pathol.  1912.  - —  Deneke:  Zur  Klinik  der  Aortitis  luica. 
Dermatologische  Studien  21.  1910.  —  Deneke:  Ueber  Aortitis  syphi¬ 
litica.  Yerhandl.  d.  Hamburger  med.  Gesellschaft  1912.  —  Rom¬ 
berg:  Die  Aneurysmen.  Handbuch  der  prakt.  Medizin  1905.  — 
His:  Ueber  das  sackförmige  Aortenaneurysma.  Deutsche  Klinik  des 
20.  Jahrhunderts.  —  Kaufmann-  Lehrbuch  der  spez.  pathol.  Ana¬ 
tomie.  —  Benary:  Beitrag  zur  Lehre  vom  Aortenaneurysma.  In¬ 
auguraldissertation  Kiel  1912. 


Darf  bei  weichen  Schankergeschwüren  prophylaktisch 
Salvarsan  angewandt  werden? 

Erwiderung  auf  den  Artikel  von  Prof.  Erich  Hoffmann 

in  Bonn. 

Von  Dr.  Hugo  Müller  in  Mainz. 

In  Nr.  23  dieser  Wochenschrift  habe  ich  die  Verallgemeinerung 
der  von  N  e  i  s  s  e  r  für  ganz  bestimmte  Fälle  von  Ulzera  unsicherer 
Herkunft  empfohlenen  Salvarsantherapie  auf  typische  Ulcera  mollia 
vorgeschlagen,  da  trotz  sorgfältigster  Untersuchungen  gelegentlich 
die  P  a  1 1  i  d  a  sich  der  Beobachtung  entziehen  könne.  Ich  beriet 
mich  auf  Gelehrte  aus  der  Zeit  vor  der  Spirochätenentdeckung,  um 
deren  rein  anatomisch-klinisches  Urteil  wiederzugeben,  und  suchte 
einen  Zusammenhang  zwischen  deren  Auffassung  und  unseren 
modernsten  Forschungsergebnissen  herzustellen.  Einer  wie  sorg¬ 
fältigen  Spirochätenuntersuchung  es  bei  dubiösen  Ulzera  bedarf,  er¬ 
gibt  die  bei  zunächst  negativem  Dunkelfeldbefund  besonders  betonte 
Notwendigkeit  von  explorativer  Geschwürsexzision  und  Leisten¬ 
drüsenpunktion.  Aber  es  bleibt  die  Tatsache  bestehen:  Trotz  exak¬ 
tester  Methoden  ist  bei  Primäraffekt  zwar  in  den  meisten 
Fällen,  jedoch  nicht  mit  absoluter  Sicherheit  in  jedem 
Fall  von  Luesinfektion  die  P  a  1 1  i  d  a  festzustellen. 

Hoffmann  gibt  das  zu  und  empfiehlt  daher  im  Gegensatz  zu 
meinem  Vorschlag  der  Salvarsanprophylaxe  in  diesen  besonderen 
Fällen  abzuwarten,  bis  zum  Auftreten  einer  positiven  Wassermann¬ 
blutreaktion,  eventuell  auch  auf  Kaninchenhoden  zu  impfen,  was 
natürlich  ebenfalls  einen  Zeitverlust  ergibt. 

Dieses  ist  der  Angelpunkt  der  ganzen  Frage. 
Meine  .Arbeit  ist  hervorgegangen  aus  den  Beobachtungen  der  emi¬ 
nenten  Erfolge  unserer  Abortivkuren  in  der  noch  negativen  Wasser¬ 
mannreaktionsperiode  des  Frühprimärstadiums.  Schon  Ende  1912 
konnte  ich  Serien  von  bis  zu  2  Jahren  beobachteten  Heilungen  von 
100  Proz.  mit  ganz  wenigen  Salvarsandosen  zusammenstellen  *)-  Ich 
habe  die  Ueberzeugung.  dass  es  etwas  anderes  ist,  einen  noch  nega¬ 
tiven  Fall  bei  negativer  Reaktion  zu  erhalten,  als  einen  schon  posi¬ 
tiv  gewordenen  durch  ganz  eminent  starke  Therapie  wieder  negativ 
zu  gestalten.  Die  von  Hoffmann  u.  a.  hier  inaugurierte  und  mit 
grosser  Energie  durchgeführte  Intensiv  behandlung,  die  auch 
als  Abortivkur  bezeichnet  wird,  muss  besonders  anerkannt  werden. 
Demgegenüber  stehen,  wie  eben  gesagt,  die  im  negativen  Frühstadium 
mit  ganz  wenigen,  mittleren  Dosen  erzielten  glänzenden  Erfolge,  d.  h. 
also  in  der  für  die  gefürchteten  Hirnkomplikationen  am  allerwenig¬ 
sten  disponierten  Kr^nkheitsperiode 

Demnach  spitzt  sich  die  Frage  auf  die  folgenden,  wenigen 
Punkte  zu: 

1  Ist  nicht,  trotz  der  Erfolge  der  Intensivkur  im  positiven  Früh¬ 
stadium,  die  Behandlung  der  noch  negativen  Frühestperiode  anders 
zu  bewerten? 

2.  Ist  das  reine  Ulcus  molle  wirklich,  wie  Er.  Hoffman  n 
meint,  so  häufig,  dass  die  „prophylaktische  Salvarsantherapie“  ver- 
hältnisn:  ssu  oft  in  Anwendung  kommt? 


l)  Hugo  Müller:  Dauererfolge  der  Salvarsanabortivkuren  der 
Jahre  1910—11.  M.m.W.  1913.  Nr.  S. 


2 


}t)06  MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. _ _ _ Nr.  36. 


3.  Ist  Salvarsan  ungefährlich  genug,  um  in  dubiösen  ballen  als 
Prophylaxe  zu  dienen? 

Ad  1.  Abgesehen  von  den  zum  grössten  Teil  vermeidbaren 
grösseren  Gefahren  der  Salvarsananwendung  im  positiven  Früh- 
stadium,  ist  der  ideale  Begriff  einer  Abortivkur  darin  zu  finden,  dass 
der  Patient  überhaupt  nicht  in  das  positive  Stadium  hineinkommt. 
Er  behält  einfacli  seine  normale  Blutreaktion.  Erst  die  Jahre 
müssen  lehren,  ob  bei  den  einmal  positiv  gewordenen  Fällen  die 
wiedergewonnene  negative  Reaktion  eine  bleibende  Eigenschaft  ge¬ 
worden  ist.  Die  Aussichten  hierfür  scheinen  günstig,  aber  kritische 
Bobachtung  ist  noch  vonnöten. 

Ad  2.  Wären  die  reinen  Ulcera  mollia  freilich  so  häufig,  wie 
Hoff  mann  annimmt,  dann  wäre  der  Einsatz  unserer  modernen 
spezifischen  Salvarsantherapie  gegenüber  der  Chance,  überhaupt 
keine  Lues  zu  haben,  entschieden  zu  hoch. 

In  Mainz,  wo  Einwohnerzahl  und  sexuelles  Sichausleben 
durchaus  grossstädtisch  ist,  war  das  reine  Ulcus  molle  früher  viel 
häufiger.  Jetzt  tritt  es  ganz  sporadisch  auf,  und  nur  gelegentlich 
schafft  eine  unreine  Quelle  mehrere  Infektionen.  Soweit  mir  jetzt 
Zahlenmaterial  zur  Verfügung  steht,  folgen  hier  die  Angaben. 

Die  Spezialabteilung  des  Garnisonlazaretts 
Mainz  (leitender  Arzt:  Stabsarzt  Dr.  R  i  s  s  o  m)  ver¬ 
zeichnet  innerhalb  von  15  Monaten  70  Schanker.  Davon  waren 
60  syphylitischer  Natur.  Unter  den  übrigen  10,  bei  denen  keine  Spiro¬ 
chäten  zu  finden  waren,  traten  später  in  2  Fällen  noch  Allgemein¬ 
erscheinungen  auf;  bei  beiden  bestand  Zweifel  an  Diagnose  Ulcus 
molle.  Man  sieht  hieraus,  dass  der  weiche  Schanker  eine  relative 
Seltenheit  ist,  und  dass  bei  bestehendem  Genitalgeschwür  die  Hoff¬ 
nung  für  den  Kranken,  der  Syphilis  entgangen  zu  sein,  sehr  gering 
ist.“  (Zitiert  nach  Rissom;  Weitere  Erfahrungen  über  Behandlung 
der  Syphilis  mit  Salvarsan.  M.K1.  12.  Nr.  13.) 

Diese  Lazarettstatistik  hat  deshalb  besonderen  Wert,  weil  in 
den  letzten  Jahren  die  überwiegende  Mehrzahl  venerischer  Erkran¬ 
kungen  des  Unteroffiziers-  und  Soldatenstandes  in  der  Spezialabtei¬ 
lung  des  Garnisonlazaretts  zur  Behandlung  kam.  Zugleich  ist  die 
Garnison  hinreichend  gross,  um  einen  Rückschluss  auf  den  ein¬ 
schlägigen  Krankheitsstand  in  Mainz  zu  gestatten. 

Demgegenüber  braucht  die  relative  Wertlosigkeit  der  Zivilkran¬ 
kenhausstatistik  für  Ulcus  molle  nicht  besonders  betont  zu  werden. 
Abgesehen  von  der  unzureichenden  Länge  der  hier  möglichen  Kon- 
trollzeit  sucht  ja  der  an  Ulcus  molle  Erkrankte  ohne  Eintreten  von 
Komplikationen  seltener  das  Spital  auf.  Um  Fehldiagnosen  zu  meiden, 
wird  daher  irri  hiesigen  städtischen  Kranken  hause  keine 
Statistik  über  Ulcus  molle  geführt.  Doch  sind  laut  Mitteilung  des 
leitenden  Arztes  der  inneren  Abteilung  (Oberarzt  Dr.  Cursch- 
m  a  ii  n)  reine  Ulcera  mollia  recht  selten.  St.  Vincenzspital 
(S.-R.  Dr.  Metzger)  verzeichnet  neben  77  Lueszugängen  7  Ulcera 
mollia.  Diese  Zahlen  werden  hier  nur  der  Vollständigkeit  wegen 
verzeichnet.  Der  Garnisonlazarettstatistik  aber  gleichwertig  sind 
die  Zahlenangaben  meiner  Privatklientel  in  Beziehung  auf  genügend 
langdauerndc  Kontrolle.  Ich  hoffe  bei  Gelegenheit  grössere  und  damit 
beweiskräftige  Zahlen  aus  Privatklientelen  zu  bringen. 

Eigene  Fälle  1913:  Primäraffektc  25,  Ulcera  niixta  2, 
reine  Ulcera  mollia  2. 

Summa  Garnisonlazarett  +  Privatklientel  ergibt:  Primär¬ 
affekte  95,  Ulcera  mixta  4,  reine  Ulcera  mollia2)  10. 

Diese  Zahlen  bestätigen  für  Mainz  meine  Behauptung,  dass  eine 
Salvarsanprophylaxe  bei  reinem  Ulcus  molle  verhältnismässig  selten 
in  Frage  kommt. 

Ad  3.  Ca.  1000  Salvarsaninjektionen  wurden  ohne  dauernde 
Schädigung,  abgesehen  von  der  überwundenen  Neurorezidivära 3)  bei 
meiner  Klientel  vorgenommen.  Es  fanden  sich  neben  dermato¬ 
logischem  Luesmaterial  zahlreiche  Fälle  von  Herzlues  und  Zentral¬ 
affektionen.  Wohl  ist  einleuchtend,  dass  die  Tatsache 
selbst,  kein  ernstes  Salvarsan  Unglück  erlebt  zu 
haben,  bei  dem  Vorschlag,  zur  Salvarsanprophylaxe  für  dubiöse 
Fälle  ermutigend  wirkt.  Dazu  kommt,  dass  heute  von  zahlreichen 
Kollegen  das  Salvarsan  bei  harmlosen  Hautkrankheiten  etc.,  wo  ich 
es  meiden  würde,  unbedenklich  angewendet  wird. 

Eine  auf  anderem  Gebiet  liegende  Frage  muss  nunmehr  noch 
angeschnitten  werden. 

H  o  f  f  m  a  n  n  wartet  in  zweifelhaften  Fällen  bis  zum  Positiv¬ 
werden  der  Blutreaktion.  Es  gilt  als  Dogma,  dass  diese  eintreten 
muss,  sofern  eine  Luesinfektion  erfolgt  ist.  Wie  steht  es  in  den 
Fällen,  wo  auf  ein  Ulcus  hin  etwa  ein  Jahrzehnt  lang  keine  mani¬ 
festen  Symptome  auftreten,  bis  dann  eine  schwere  zentrale  Nerven- 
affektion  erscheint.  Ist  hier  für  alle  einschlägigen  Fälle  als  wissen¬ 
schaftlich  unverrückbare  Tatsache  festgestellt,  dass  vorher  die  B  1  u  t  - 
reaktion  -stets  positiv  gewesen  sein  muss?  Kann  sie  nicht  nur  ganz 
vorübergehend  —  und  dann  für  den  Praktiker  ausserhalb  der  Klinik 
kaum  greifbar  - —  positiv  auftreten,  oder  kann  sich  die  Infektion  in 
diesen  Zentralnervenluesfällen  nicht  ausschliesslich  in  positiver  Re¬ 
aktion  der  Lumbalflüssigkeit  zeigen?  (Vgl.  Rissom:  Zur  Früh¬ 
diagnose  der  syphilitischen  und  metasyphilitischen  Erkrankungen  des 
Nervensystems.  M.m.W.  1914  S.  1588.)  Wenn  diese  Frage  nicht 


2)  Ob  nach  der  Entlassung  vom  Militär  hier  nicht  gelegentlich 
noch  Allgemeinerscheinungen  aufgetreten  sind,  ist  nicht  zu  ent¬ 
scheiden. 

3)  Hugo  Müller:  Ueber  Abortivkuren  sowie  über  Neurorezi- 
dive.  M.m.W.  1912  Nr.  1. 


absolut  entschieden  ist,  wäre  bei  einem  Ulcus-molle-Fall  und  ab¬ 
wartender  Therapie  auch  die  Lumbalpunktion  notwendig.  So 
unentbehrlich  im  übrigen  dieser  Eingriff  ist.  möchte  ich  ihn  doch  beim 
„Ulcus  molle“  durch  prophylaktische  Salvarsaninjektion  ersetzt  sehen. 

Wenn  Hoffmann  meint,  dass  man  nach  meiner  Auffassung 
die  Prophylaxe  auch  auf  die  unvorhergesehenen  Harnröhrenprimär- 
aft'ekte  im  Verlauf  der  Gonorrhöe  ausdehnen  müsste,  so  ist  hier  nur 
zu  entgegnen:  Beim  Ulcus  molle  sehen  wir  verhältnismässig  häufig 
einen  mit  Lues  komplizierten  Verlauf;  dagegen  tritt  der  Harnröhren- 
schar.ker  mit  Gonorrhöe  vergesellschaftet  doch  so  viel  seltener  auf, 
dass  die  beiden  Dinge  kaum  zu  vergleichen  sein  dürften. 

Meine  Zusammenfassung  ergibt  demnach: 

1.  Das  Ideal  der  Syphilisabortivkur  ist  heute  die  denkbar  früheste 
Beseitigung  der  Spirochäten,  bevor  sic  im  Blut  durch  die  WaR.  oder 
durch  Tierimpfung  nachweisbar  ist.  ln  diesem  negativen  Frühest¬ 
stadium  sind  die  an  und  für  sich  nicht  zu  hoch  zu  veranschlagen¬ 
den  Salvarsangefahren  am  geringsten.  Daher  ist  es  auch  beim  Ulcus 
molle  unbedenklich  prophylaktisch  anzuwenden. 

2.  In  Mainz  ist  das  unkomplizierte  Ulcus  molle  selten,  und  daher 
mein  Vorschlag  praktisch  nicht  sehr  häufig  anzuwenden. 

3.  Für  den  Praktiker,  zumal  bei  Spitalsbehandlung,  ist  es  rat¬ 
samer,  gelegentlich  überflüssigerweise  Salvarsan  zu  injizieren,  als 
den  günstigsten  Moment  zu  versäumen,  eine  vielleicht  schon  bei 
seinem  Patienten  vorhandene  Erkrankung  im  Keime  zu  ersticken. 

Diese  rein  praktischen  Bemerkungen  tun  den  wissenschaftlichen 
Erörterungen  keinen  Abbruch.  Sie  wollen  dem  Therapeuten  für  sein 
tägliches  Handeln  eine  Richtschnur  geben. 

Eine  wissenschaftliche  Verwirrung  wird  nicht  angerichtet,  da 
ja  der  strenge  pathologische  und  biologische  Unterschied  zwischen 
Ulcus  molle  und  syphilitischem  Primäraffekt  durch  meinen  Vorschlag 
nicht  im  entferntesten  tangiert  wird. 

Wenn  aber  durch  die  Salvarsanprophylaxe  bei  Ulcus  molle  die 
Statistik  der  syphilitischen  Primäraffekte  wirklich  um  ein  Geringes 
verschoben  werden  kolltc,  so  wird  dieser  Mangel  reichlich  aufgehoben 
durch  die  zahlreichen  Fälle  von  Tertiär-  und  Metalues,  welche  bisher 
im  Primärstadium  der  Diagnose  entgangen  sind. 


Fortbildungsvorträge  und 
Uebersichtsreferate. 

Fortschritte  in  Diagnose  und  Therapie  der  chirurgischen 

Tuberkulose.*) 

Von  Prof.  Fritz  König,  Direktor  der  chirurgischen  Uni¬ 
versitätsklinik  zu  Marburg  a.  L. 

M.  H.l  Der  ehrenvollen  Aufforderung,  vor  Ihnen  über  ein 
aktuelles  chirurgisches  Thema  zu  sprechen,  gern  folgend,  habe  ich 
geglaubt,  ein  solches  in  der  chirurgischen  Tuberkulose 
wählen  zu  dürfen.  Auf  dem  Gebiete  der  Lymphdrüsentuber- 
k  u  1  o  s  e,  sowie  der  Tuberkulose  der  Knochen  und  Ge¬ 
lenke  gibt  es  ohne  Zweifel  viel  des  Interessanten  und  Neuen.  In¬ 
dem  ich  von  einem  Eingehen  auf  die  Literatur  absehe,  will  ich  mich 
auf  eine  Reihe  von  eigenen  älteren  und  vor  allem  von  den  Be¬ 
obachtungen  stützen,  die  ich  an  der  Marburger  chirurgischen  Klinik 
habe  machen  können.  Eine  „Stichprobe“  am  13.  Mai  d.  J.  hat  er¬ 
geben,  dass  unter  den  200  stationären  Kranken  der  Klinik  51  = 
25,5  Proz.  wegen  Tuberkulose  behandelt  wurden;  ein  Beweis,  dass 
Material  zu  diesen  Beobachtungen  in  hinreichender  Fülle  vorhan¬ 
den  ist. 

Zu  einem  sicheren  Urteil  über  die  Behandlungserfolge  gehört  die 
Gewissheit,  dass  die  Fälle  wirklich  Tuberkulosen  gewesen  sind. 
Diese  scheinbar  so  selbstverständliche  Forderung  ist  in  den  meisten 
Statistiken  nur  in  recht  bescheidenem  Masse  erfüllt.  Die  alte 
klinische  Diagnostik,  so  sorgsam  sie  ausgearbeitet  war,  ge¬ 
nügt  dazu  nicht;  wir  werden  uns  deshalb  mit  ihr  hier  nicht  weiter 
beschäftigen.  Nur  einen  Zuwachs  hat  die  „Klinik  der  Tuberkulose“  in 
den  letzten  Jahrzehnten  erhalten,  der  sehr  ernster  Beachtung  wert 
ist,  das  ist  die  Röntgenphotographie.  Wir  konnten  in  den 
letzten  Jahren  eine  ganze  Reihe  von  granulierenden  Herden  wie 
von  keilförmigen  Sequestern  an  den  Knochen  konstatieren.  Am 
besten  zugänglich  sind  natürlich  die  Finger,  Zehen  und  die  Meta¬ 
tarsen;  schon  beginnende  Spina  ventosa  ist  an  der  periostalen  Ver¬ 
dickung  kenntlich  und  im  weiteren  Verlauf  der  Knochenzerstörung 
oder  Heilung  zu  verfolgen.  Die  seltenen  Schafttuberkulosen  der 
langen  Röhrenknochen  sind  der  Osteomyelitis  gegenüber  ausge¬ 
zeichnet  durch  die  relativ  dünne  Periostschale;  gut  erkennbar  die  des 
Unterkiefers.  Unregelmässig  verändert  sind  tuberkulöse  Rippen, 
verbreitert,  weniger  kompakt  als  die  normalen  Teile.  An  den  Wirbei- 
körpern  sehen  wir  die  Kompression  an  der  Vorderfläche,  aber  auch 
an  den  Seiten;  Abszesse  an  ihnen  werden  durch  überbrückende 
Knochenspangen  und  wohl  auch  durch  ovalen  Schatten  erkennbar. 
An  den  platten  und  kurzen  Knochen,  am  Darmbein,  am  Schädel,  wird 
nicht  selten  die  perforierende  Tuberkulose  in  Gestalt  runder  Lö¬ 
cher  im  Bilde  sichtbar  und  erklärt  den  Ausgang  von  Senkungs¬ 
abszessen.  Auch  der  Kalkaneus  zeigt  diese  Perforationen. 


*)  Nach  einem  am  13.  Juni  1914  in  München  gehaltenen  Vortrag. 


September  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


t<klf 


Die  kleinen  1  usswurzel-  und  Handknochen  sind  inehr  angc- 
essen,  zernagt,  diese  Befunde  am  Kalmhein  von  Hand  und  Fuss 
i  den  Keilbeinen  sind  wichtige  Feststellungen. 

Von  grosser  Bedeutung  sind  Knochenherde  an  den  Gelenk- 
den,  welche  noch  keine  Gelenktuberkulose  erzeugt  haben.  Wir 
'Unten  solche  an  den  unteren  Femurkondylen,  am  Olekranon  u  a 
cliweisen.  Andere  reichen  bis  in  das  Gelenk 
Sie  führen  über  zur  röntgenologischen  Diagnostik  der  Gelenk- 
:  b  e  r  k  u  I  o  s  e.  Denn  ihre  vitale  Form  geht  immer  mit  starker 


t‘verL  rherapie  eine  Probeexzision  aus  dem  Gelenk  gemacht  wurde, 
me  I  uberkulose  ergab.  Auch  bei  einem  Soldaten  unseres  Jäger- 
bataillons,  der  im  Anschluss  an  ein  Trauma  einen  Kniehydrops  be- 
kam,  der  allen  Heilversuchen  trotzte,  bei  dem  die  Reaktionen  auf 

I  uberkulose  vorläufig  negativ  waren,  zeigte  die  schwere  Knochen- 
atroplne  zuerst  die  Natur  des  Leidens  an. 

Wichtiger  und  beweisender  ist  es,  wenn  dazu  sich  Ober- 

I I  a  c  h  e  n  v  e  r  ä  n  d  e  r  u  n  g  im  Gelenk  gesellt.  Diese  Verände- 
i  urigen  im  Röntgenbild  können  bei  Synovialtuberkulosen  lange  Zeit 


Fig.  1.  Extraartikulärer  Herd, 
xtraartik.  Granulationsherd  bei  Tuberkulose. 


Fig.  2.  Artikularer  Herd. 

X  Käsiger  Herd,  bis  ins  Gelenk  reichend 


f  Fig  3.  Keilsequester. 

X  Keilförmiger  Sequester  (Tuberkulose). 


X 


Störung  im  Gelenkende  einher.  Wir  sehen  Fälle,  in  denen  der 
lenkelhals,  der  Schulterkopf  zum  grossen  Teil  von  Tuberkulose 
genommen  ist;  in  einem  Fall  erscheint  die  Kopfoberfläche  noch  un- 
ändert,  im  anderen  ist  sie  schon  ganz  unregelmässig  zerfressen 
-h  das  Vorhandensein  mehrerer  Herde  im  Gelenk  konnten  wir  bei 
weren  Tuberkulosen  konstatieren. 

Charakteristisch  tritt  gelegentlich  die  Keilform  des  tuberkulösen 
luesters  hervor,  öfter  mehr  abgestumpft,  manchmal  aber  auch  in 
itiger  Spitzform. 


vollständig  fehlen,  ln  anderen  Fällen  sehen  wir  Unregelmässigkeiten 
der  Knorpeloberfläche,  die  nicht  so  glatt  wie  gewöhnlich  erscheint. 
Man  sieht  das  wohl  an  der  Pfanne  des  Hüftgelenks,  doch  muss  man 
bei  Kindern  besonders  vorsichtig  sein,  da  hier  die  normale  Knochen¬ 
entwicklung  solche  Unregelmässigkeiten  Vortäuschen  kann.  Unver- 
kennbai  ist  es,  wenn  Teile  des  Knorpelüberzugs  viel- 
leicht  mit  einer  dünnen  Knochenschicht,  sich  abheben/  Solche 
Bilder,  wie  wir  sie  am  Knie  bei  Kindern  wiederholt  gesehen  haben, 
no?"_^azu  Knochenatrophie,  lassen  sehr  bestimmt  die  Diagnose 
auf  Tuberkulose  zu. 

Fs  kommen  dann  weiter  Defekte,  tuberkulös-granulierende 


F'g.  4.  Kniegelenktuberkulose.  Fig.  5.  Subakute  Osteomyelitis 

XX  Auffaserung  und  Abhebung  (schematisch).  Bei  X  Knochenabszess,  bei  XX  periostale  Auflagerung. 


Fig.  6  Arthritis  deformans,  vereitert). 

X  Ausgesprengte  Knorpel.  —  Knochenstück. 


Schon  bei  den  Knochenherden,  mehr  noch  bei  den  Gelenken, 
neint  eine  diffuse  Veränderung,  die  sog.  Knochenatrophie, 
begleitendes  Symptom  der  Tuberkulose.  Die  Knochen  gleichen 
itten,  ihre  Knorpelränder  treten  als  scharfe  zarte  Linien  hervor, 
Innern  finden  sich  hier  und  da  Verdichtungen.  Man  kann  be- 
-hten,  dass  diese  Atrophie,  die  wohl  als  chemischer  Prozess  an- 
1  hen  ist,  die  einzig  nachweisbare  Röntgencrschei- 
‘g  bei  tuberkuloseverdächtigen  Gelenken  bildet.  So  haben  wir 
bei  einem  14  jährigen  Jungen  mit  Schwellung  des  Fussgelenks 
1  der  Kalkaneusgegend  behandelt,  bei  dem  im  Lauf  der  konserva- 


Ulcera,  wie  wir  sie  sehr  schön  an  der  Ulnagelenkfläche  eines  Mäd¬ 
chens  als  bohnengrossen  Defekt  gesehen  haben.  Es  kommen  dazu  die 
Schultertuberkulosen,  bei  denen  langsam  die  Kopfoberfläche  schwin- 
.Jfop*  im  üdlenk  höher  steigt;  die  Tuberkulose  der 
Hüfte.  Hier  kann  einmal  der  Kopf  seiner  Oberfläche  in  gleicher 
Weise  verlustig  gehen,  er  wird  kleiner  und  steigt  ebenfalls  in  der 
Pfanne,  die  selbst  wenig  verändert  ist,  aufwärts;  oder  die  Pfanne 
wird  zerstört,  der  Umfang  wächst,  der  Kopf  steigt  in  der  Erweite¬ 
rung  (Pfannenwanderung)  aufwärts  am  Hüftbein  in  die  Höhe  oder 
rückt  tief  ins  Becken,  bis  zur  Perforation. 


2 


1908 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  36. 


In  späteren  Stadien  ist  die  Form  ganz  verändert,  sind  die  Gelenk¬ 
enden  verschwunden;  oder  völlige  Synostose  trat  ein.  An  Hand-  und 
Eusswurzelknochen  verschwimmen  die  Grenzen,  cs  geht  alles  in 
eine  atrophische  Knochenmasse  über. 

Zur  röntgenographischen  Diagnostik  gehört  noch  die  Möglichkeit, 
durch  A  u  s  1  ü  1 1  e  n  von  Fistelgängen  mit  Wismutauf- 
schwcm  m  u  n  g,  z.  B.  der  Beck  sehen  Faste,  den  Ursprung  der 
Fistel  festzustellen.  Es  ist  uns  auf  diese  Weise  gelungen,  von  Fisteln 
am  Oberschenkel  aus  tuberkulöse  Erkrankungen  am  Becken  und  an 
der  Wirbelsäule  zu  finden. 

So  zahlreich  die  hier  skizzierten  Befunde  sind,  welche  die  Rönt¬ 
gendiagnostik  tuberkulöser  Knochen-Gclenkerkrankungen  ermög¬ 
lichen,  zahlreiche  Irrtümer  sind  doch  auch  möglich.  Schon  die 
scheinbaren  Höhlen,  welche  die  Fossa  intercondylica  femoris,  die 
Fossa  olccrani  am  Humerus  vortäuschen,  sind  zu  beachten.  Die 
normale  Epiphysenentwicklung  —  Froc.  posterior  calcanei!  —  und 
die  abnorm  vorhandenen  Sesambeine  kommen  dazu.  Unter  unseren 
Bildern  ist  ein  charakteristisches,  bei  dem  das  Scsambein  der  Knie¬ 
kehle,  die  Fabella,  bei  der  Aufnahme  von  vorn  nach  hinten  einer 
durch  Nekroseherd  bedingten  Knochenverdichtung  sehr  ähnlich  ist. 

Und  nun  kommen  die  Verwechslungen  mit  anderen  patho¬ 
logischen  Frozessen!  Die  lokalisierte  Feriostverdickung  bei  der  be¬ 
ginnenden  Spina  ventosa  hat  viel  Aehnlichkeit  mit  Kallus¬ 
bild  u  n  g,  und  das  fällt  bei  den  oft  latenten  Metatarsusfrakturen 
sehr  ins  Gewicht.  Nur  das  Verhalten  des  Knochens  kann  hier  die 
röntgenologische  Schwierigkeit  heben.  Besond.ers  schwer  liegt  auch 
die  Frage  bei  den  subakut  verlaufenden  Knocheneite¬ 
rungen.  Wir  beobachteten  einen  jungen  Mann,  bei  dem  sich  ohne 
.  äusseren  Anlass  allmählich  eine  schmerzhafte  Auftreibung  am  unteren 
Radiusende  entwickelt  hatte.  Das  Röntgenbild  gab  in  seltener  Klar¬ 
heit  einen  Knochenherd  wieder,  fast  ohne  Verdickung  von  Kortikalis 
und  Periost;  und  die  Tatsache,  dass  der  junge  Mensch  kurz  vorher 
in  einer  Lungenheilstätte  behandelt  war,  schien  die  Annahme  der 
Tuberkulose  hinreichend  zu  stützen.  Bei  der  Operation  fand  sicli 
aber  ein  alter  Knochenabszess,  aus  dem  Staphylococcus  aureus  in 
Reinkultur  gezüchtet  wurde,  und  nichts  von  Tuberkulose.  Eine  ganz 
ähnliche  Beobachtung  habe  ich  bei  einem  10  jährigen  Mädchen  ge¬ 
macht,  bei  dem  eine  ganz  chronisch  entstandene  Schwellung  an  der 
Aussenseite  oberhalb  des  Fussgelenks  durch  einen  Knochenherd  an 
der  fibulären  Kante  der  Tibia  gebildet  war,  der  bei  der  Operation  als 
subakut  osteomyelitisch  erkannt  wurde. 

Interessante  Erfahrungen  habe  ich  über  die  röntgenologische 
Diagnose  bei  Arthritis  deformans  gemacht.  Ein  kräftiger 
Arbeiter  von  40  Jahren  hatte  an  einem  längst  kranken  Knie  eine 
akute  Verschlimmerung  mit  Schwellung  unter  Fiebererscheinungen 
bekommen.  Auch  hier  schien  die  chronische  Entwicklung,  die  Kon¬ 
traktur,  die  Form  der  Gelenkschwellung,  vor  allem  aber  der  Nach¬ 
weis  eines  ausgesprochen  keilförmigen  Sequesters  an  der  Gelenk¬ 
fläche  des  Femur  für  die  akute  Vereiterung  eines  tuberkulösen  Ge¬ 
lenks  zu  sprechen.  Freilich  wiesen  uns  die  etwas  ausladenden  Ge- 
lenkenden  aucli  auf  Arthritis  deformans.  Bei  der  Resektion  fand  sich 
ein  schwer  vereitertes,  von  Tuberkulose  völlig  freies  Gelenk  mit 
chronisch  deformierender  Arthritis;  Nekrosen,  Absprengungen  hatten 
sich  dabei  ereignet  und  waren  in  einer  Weise  wieder  angeheilt,  dass 
das  Röntgenbild  dem  tuberkulösen  Sequester  ungemein  ähnlich  wer¬ 
den  musste.  Wenn  es  mir  die  ausladenden  Gelenkenden  an  der 
Hüftpfanne  oberhalb  des  Kopfes  in  einem  schwierigen  Fall  möglich 
gemacht  haben,  bei  einer  etwa  40  jährigen  Dame  mit  schwer  heredi¬ 
tärer  Tuberkulosebelastung  mit  Recht  Arthritis  deformans  anzu¬ 
nehmen,  so  hatten  bei  einer  Patientin  mit  doppelseitiger  Kniegelenks¬ 
erkrankung  gerade  die  Röntgensymptome  der  Arthritis  deformans 
den  Arzt  lange  Zeit  getäuscht,  und  als  ich  neben  der  Arthritis  de¬ 
formans  die  ostale  Tuberkulose  erkannte,  da  war  die  Erkrankung 
am  einen  Knie  schon  soweit  vorgeschritten,  dass  erst  die  Amputation 
der  alten  Dame  Linderung  gab. 

Die  Röntgenographie  ist  in  der  Diagnose  der  Knochen-  und  Ge¬ 
lenktuberkulose  ein  hervorragendes,  unentbehrliches  Hilfsmittel  ge¬ 
worden.  Aber  auch  sie  kann  die  Aufgabe  nicht  restlos  lösen;  auch 
sie  lässt  Fälle  übrig,  bei  denen  die  Diagnose  entweder  un¬ 
sicher  bleibt  oder  erst  durch  die  Operation  entschieden 
w  i  r  d.  Solcher  Erlebnisse  erinnern  wir  uns  wohl  alle.  Ein  kleiner 
Knabe  hatte  ein  chronisch  entstandenes  Lymphdrüsenpakct  am  Halse, 
das  nach  allem  als  tuberkulös  angesprochen  werden  musste  und  ex- 
stirpiert  wurde.  Die  mikroskopische  Untersuchung  der  hyperplasti¬ 
schen  Lymphdrüsen  ergab  keine  Spur  von  Tuberkulose  —  ein  Bei¬ 
spiel  der  früher  als  skrophulös  bezeichneten  Affektion.  Ein  Herr  jen¬ 
seits  des  50.  Lebensjahres  bekam  eine  rasch  wachsende  weiche,  mit 
dem  Sternokleido  verwachsene  Geschwulst,  als  Sarkom  angesehen 
und  exstirpiert.  Die  mikroskopische  Untersuchung  zeigte  auf  der 
Schnittfläche  zahlreiche  frische  Tuberkel  ohne  Verkäsung.  Die  Fest¬ 
stellung  der  eitrig  gewordenen  Arthritis  deformans  genu  habe  ich 
erst  eben  erwähnt. 

Diese  mikroskopische  Kontrolle  der  durch  Ope¬ 
ration  gewonnenen  Teile  gehört  zu  unseren  aller¬ 
sichersten  diagnostischen  Hilfsmitteln.  Durch  die 
Operationen  hob  sich  die  Annahme  Tuberkulose  zur  Gewissheit  oder 
wurde  verworfen;  je  weniger  operiert  wird,  desto  mehr 
Irrtümer  in  der  Diagnose  sind  möglich.  Es  erscheint 
deshalb  voll  berechtigt,  fortan,  wenn  weniger  operiert  werden  sollte, 
mehr  von  der  Probeexzision  zur  mikroskopischen 


Untersuchung  Gebrauch  zu  machen.  Wir  haben  oben 
schon  von  einem  Fall  berichtet,  bei  dem  wir  aus  dem  Fussgelcnk 
eine  solche  Exzision  gemacht  haben.  Bei  dem  geringen  Risiko, 
welches  bei  unserer  heutigen  Asepsis  ein  solches  Vorgehen  bietet,  ist 
es  ganz  sicher  berechtigt  —  jedenfalls  wenn  wir  auf  Grund  der  in 
Frage  kommenden  Fälle  Statistik  machen  wollen. 

Man  kann  gar  nicht  genug  betonen,  dass  jede  Gelegenheit, 
objektives  Beweismaterial  für  den  tuberkulösen 
Charakter  einer  Erkrankung  zu  gewinnen,  ausgenutzt  werden 
soll.  Dazu  gehören  Granulationen  auf  Geschwüren  und  die  Um¬ 
randungen  von  Fisteln.  Ein  positiver  Befund  von  Tuberkeln  bei  der 
mikroskopischen  Untersuchung  macht  hier  jeden  Zweifel  schwinden. 
Unter  Umständen  muss  die  Entnahme  des  Materials  wiederholt 
werden.  Wir  haben  erst  vor  kurzem  wieder  eine  junge  Frau  mit 
einem  Glutäalabszess  beobachtet,  der  bei  ihrer  Aufnahme  schon 
inzidiert  war,  und  bei  dem  es  nur  bei  der  Vermutung  der  Tuber¬ 
kulose  blieb,  bis  eine  wiederholte  Untersuchung  von  Granulationen  j 
Sicherheit  brachte.  Ebenso  wie  die  Auslöffelung  oder  die  Exzision  i 
von  Fistelgängen  gehört  die  Exstirpation  und  Untersuchung  von 
regionär  geschwollenen  Lymphdrüsen  zu  den  wichtigsten  Mitteln  des 
Tuberkulosenachweises. 

Ein  weiteres  bedeutsameres  Beweismittel  liefert  uns  die  sachge- 
mässe  Ausnutzung  tuberkuloseverdächtiger  seröser  oder  eitriger  Ex-  j 
sudate  und  Abszesse.  In  zweifelhaften  Fällen  soll  kein 
Exsudat  entleert,  kein  Abszess  gespalten  werden, 
ohne  dass  die  Flüssigkeit  nach  allen  Regeln  zur 
Untersuchung  auf  Tuberkulose  benutzt  wird.  Wie 
oft  bekommen  wir  Abszesse  nach  der  Spaltung  erst  in  Behandlung; . 
dann  ist  das  Resultat  nicht  mehr  einwandfrei. 

Der  Inhalt  eines  noch  unberührten  „kalten  Abszesses" 
wird  zuerst  zur  zytologischen  Untersuchung  benutzt,  ein 
Trockenpräparat  gefärbt.  Er  enthält  Detritus  und  relativ  spärliche! 
Zellelemente,  meist  mononukleärer  Form.  Dagegen  ist  der  Eiter  eines 
akuten  Abszesses  sehr  reich  an  Zellen,  und  die  polynukleären  Formen 
wiegen  vor.  Allerdings  gibt  es  auch  akute  Formen  der  Tuberkulose 
und  hier  ist  das  histologische  Bild  dem  der  pyogenen  Infektionen  ähn¬ 
licher.  Aber  während  wir  bei  diesen  zwischen  den  Zellen  die  schon 
gefärbten  Staphylo-  oder  Streptokokken  entdecken,  fehlen  sie  bei 

der  Tuberkulose.  ,  ,  , 

Natürlich  werden  auch  sofort  Kulturen  angelegt,  auf  denen 
bei  der  Tuberkulose  keine  Kolonien  aufgehen.  Wenn  die  Kultur  aus 
dem  Eiter  steril  bleibt,  so  ist  die  Annahme  Tuberkulose  um  einen 
Grad  wahrscheinlicher. 

Die  Flüssigkeiten  werden  sofort  weiter  benutzt  zur  tier¬ 
experimentellen  Prüfung.  Sie  werden  in  die  Bauchhöhle 
vom  Meerschweinchen  injiziert,  und  nun  wird  nach  längeren  Wochen 
nachgesehen,  ob  Tuberkulose  entstand  oder  nicht.  Die  etwas  lange 
Wartezeit  hat  man  abzukürzen  versucht!  Bloch  injzierte  in  oie 
vorher  manuell  gequetschte  Leistengegend  von  Meerschweinchen. 
Bei  günstigem  Verlauf  treten  nach  9  Tagen,  frühestens,  ev.  später. 
Schwellungen  der  Drüsen  auf,  und  man  kann  nun  durch  Exzision 
und  Untersuchung  feststellen,  ob  Tuberkulose  vorliegt.  Andere  Male 
geht  die  Infektion  durch  die  Drüsen  durch,  es  kommt  gleich  zu  allge- 
meiner  Infektion.  Der  Nachweis  ist  dann,  wie  bei  der  alten  Pen- 
tonealmethode  erst  nach  Wochen,  durch  Sektion  und  Untersuchung 
der  Organe  zu  erbringen.  _  ..  ,  .  . 

Neuere  Bestrebungen  gingen  dahin,  die  Umstandlicnkcn 
dieses  Nachweises  zu  verringern.  Die  für  uns  wich-; 
tigen  Verfahren  beruhen  auf  Beobachtungen,  die  P.  Ro  einer  in 
seiner  Marburger  Tätigkeit  gemacht  hatte;  er  stellte  fest,  dass  Meer¬ 
schweinchen,  welche  durch  Impfung  mit  Tuberkulose  hochempfindlich 
gegen  Tuberkulin  geworden  waren  bei  intrakutaner  Injektion  von 
Tuberkulin  eine  ganz  charakteristische  Hautreaktion  zeigten  ln 
intensivstem  Typus  tritt  innerhalb  18—24  Stunden  eine  lokale  Schwel¬ 
lung  der  Haut  auf,  im  Zentrum  eine  blaurote  Verfärbung,  um  sie  ein 
porzellanweisser  Ring,  der  wiederum  von  einem  entzündlich  geröteten 
Hof  umgeben  ist.  Weniger  typischer  Verlauf  zeigt  nicht  den  blau¬ 
roten  Mittelpunkt,  der  übrigens  später  nekrotisch  wird,  und  bei  ge¬ 
wissen  Fällen  kommt  es  nur  zu  einer  entzündlichen  Schwellung, 
die  sich  2  Tage  hält  und  dann  in  einen  10  Tage  fühlbarem  Knoten 

übergeht.  ,  ,  ,  ... 

Sobald  bei  dem  Versuchstier  die  Tuberkulose  ausgebrochen  ist. 
kann  sie  durch  das  Auftreten  dieser  Herdreaktion  erkannt  werden 
Wir  würden  hierdurch  zwar  die  Notwendigkeit  der  Tötung  des 
Tieres  bzw.  Drüsenexzision  und  nachfolgender  Untersuchung  sparen 
—  wären  aber  auch  so  erst  in  der  üblichen  Wartezeit,  mindestens 
10  Tage  nach  der  Tierimpfung,  imstande,  nachzuweisen,  ob  der 
Abszesseiter,  das  Exsudat  etc.  tuberkulös  war  oder  nicht.  • 

Diese  Zeit  abzukürzen,  das  ist  nun  durch  eine  ingeniöse  Aende- 
rung  meinem  ersten  Assistenten  Hagemann  gelungen.  Bei  seinen 
Experimenten  fand  H.,  dass  tuberkulöser  Eiter  oder  Exsudat  w 
hochempfindlichen  Meerschweinchen  die  gleiche  Reaktion  erz.eitci 
wie  das  Tuberkulin:  er  spritzte  also  stets  diesen  die  ver¬ 
dächtigen  Flüssigkeiten  selbst  intrakutan  ein.  i» 
48  Fällen  hatte  Hagemann  bei  seiner  Veröffentlichung  dieses 
Verfahren  angewendet;  u.  a.  hatte  er  4 mal  (bei  2  Knicgelenhv 
ergüssen.  1  Aszites,  1  Lymphdrüseneiterung)  eine  positive  ReaKiioi 
erhalten,  während  alle  anderen  Arten  des  Nachweises  der  ulur 
kulose  versagt  hatten.  Auch  anderweitig  sind  diese  Befunde  be¬ 
stätigt,  besonders  ihr  Wert  bei  Aszites  und  Gelenkhydrops. 


S.  September  1914. _ MUENCFIENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


Wir  können  also  mit  dem  Hage  m  a  n  n  sehen  Verfahren,  voraus¬ 
gesetzt,  dass  wir  tuberkulöse  Meerschweinchen  vorrätig  halten,  durch 
intrakutane  Injektion  von  1  ccm  der  Exsudate  innerhalb  v  o  11 
?4  Stunden  die  tuberkulöse  Natur  dieser  Flüssig- 
weiten  feststellen.  Die  praktische  Bedeutung  dieses  Ver- 
ahrens  liegt  auf  der  Hand. 

Die  Römer  sehen  Versuche  hatten  uns  bereits  zu  dem  Nach¬ 
weis  der  Tuberkulose  im  Körper  mit  Hilfe  der  spezifischen 
Reaktionen  auf  Tuberkulin  geführt.  Viel  näher  liegend  ist 
natürlich  ihre  Anwendung  auf  den  tuberkuloseverdächtigen  Kranken 
■elbst.  Die  für  den  praktischen  Arzt  zunächst  wegen  ihrer  Ein- 
achheit  bedeutsamste  Form  ist  die  K  u  t  a  n  r  e  a  k  t  i  o  n  nach  v.  P  i  r- 
luet.  Von  4  Impfstrichen  werden  zwei  mit  recht  frischem  unver- 
liinntem  Alttuberkulin  beschickt.  Die  ausgesprochene  Reaktion  tritt 
nn  er  halb  der  ersten  24  Stunden  als  starke  Quaddelbildung  auf,  eine 
'chuppung  hinterlassend,  die  Wochen  und  Monate  bestehen  bleibt 


Flg.  7.  V.  Pirquctsche  Kytanreaktion. 


Nach  öfter  wiederholten  systematischen  Untersuchungen  an  grös- 
erem  Material  bin  ich  der  Ueberzeugung,  dass  bei  kleinen  Kindern 
is  zum  10.  Jahre,  oft  noch  weiter,  der  positive  Ausfall  für  Tuber- 
ulose  in  aktivem  Zustand  beweisend  ist.  Beim  Erwachsenen  spricht, 
•  ie  auch  neuere  Untersuchungen  Hagemanns  ergeben  haben,  eine 
tark  positive  und  rasch  auftretende  Reaktion  im  ganzen  ebenfalls 
afiir.  Ausbleiben  der  Reaktion  finden  wir  gelegentlich  auch  ohne 
rsichtlichen  Grund  bei  tuberkulösen  Kindern,  doch  haben  wir  die 
ngabe  von  W  i  I  m  s  nicht  bestätigen  können,  wonach  dies  in  auf- 
illigem  Masse  bei  Gelenkfungus  Vorkommen  soll. 

Die  Pirquetimpfung  hilft  uns  in  vielen  Fällen  weiter,  aber  zumal 
ei  Erwachsenen  gibt  sie  keinen  genügenden  Anhaltspunkt,  dass  nun 
erade  der  in  Frage  kommende  Krankheitsherd  tuberkulös  ist.  Dies 
->1!  bei  der  alten  diagnostischen  subkutanen  Tuberkulin  - 
njektion  die  Herdreaktion  ersetzen.  Sie  wird  in  immer 
iherem  Masse  wieder  herangezogen  und  ist  für  Gelenktuberkulose 
iletzt  von  K  e  p  p  1  e  r  an  der  Bier  sehen  Klinik  an  der  Hand  von 
l  Fällen  unklarer  Hüftgelenkserkrankung  empfohlen.  K.  fand  16 
jsitive  Herdreaktionen  und  glaubt  unter  den  25  negativen  von  19 
^erzeugt  sein  zu  dürfen,  dass  keine  Tuberkulose  vorlag.  Nach 
iseren  Erfahrungen  scheint  mir  dieser  Schluss  recht  un- 
icher  zu  sein.  Wir  wenigstens  haben  auch  bei  Tuberkulose 
einem  beträchtlichen  Prozentsatz  die  Herdreaktion  vermisst  —  also 
chmerzen,  Schwellung,  Bewegungsstörung.  In  einigen  Fällen,  so 
B.  am  Fussgelenk,  haben  wir  sie  auch  gefunden.  Ich  glaube  im 
-.uzen,  dass  die  heute  gebräuchlichen  Injektionsmengen  zum  Auf- 
eten  einer  starken  Herdreaktion  wohl  zu  gering  sind.  An  der 
B  e  r  g  m  a  n  n  sehen  Klinik  mit  den  hohen  Dosen  jener  Zeit  habe 
h  sehr  starke  Herdreaktionen  gesehen.  Sog.  „Stichreaktionen“, 
so  an  der  Stelle  der  Injektion,  haben  wir  öfter  beobachtet,  es  trat 
emperatursteigerung  auf,  aber  die  eigentliche  Herdreaktion  fehlte. 
|r  Unsere  Dosierung  entsprach  der  von  Röpke-Bandelier, 
ir  begannen  mit  2/iomg  Alttuberkulin,  stiegen  zu  1  mg,  bei  Aus¬ 
eiben  der  Reaktion  zu  3,  5,  höchstens  10  mg.  Höher  wie  5  mg 
ld  wir  gerade  wie  K  e  p  p  I  e  r  selten  gegangen. 

Im  ganzen  erfüllt  die  subkutane  diagnostische  Tuberkulin¬ 
aktion  bezüglich  der  Herdwirkung  also  n  i  c  h  t  die  a  n  s  i  e  ge¬ 
hüpften  Hoffnungen. 

Um  die  diagnostischen  Mittel  noch  einmal  z  u  - 
immenzufassen,  so  haben  wir  ausser  den  alten  klinischen 
ethoden  zürn  Beweis  chirurgischer  Tuberkulose  die  Röntgeno- 
aphie,  die  mikroskopische  Untersuchung  bei  Gelegenheit  von 
Jerationen,  event.  auch  bei  Probeexzisionen.  Dazu  gehören  Ex- 
'ionen  von  regionären  Lymphdrüsen,  von  Granulationen,  Fistel¬ 
ngen  zur  mikroskopischen  Untersuchung.  Exsudate  aus  Gelenken 
d  der  Bauchhöhle,  Eiter  aus  kalten  Abszessen  sind  teils  zu  zyto- 
dscher  und  bakteriologischer  Untersuchung,  teils  zur  Tierimpfung 
verwerten.  Bei  anderweitig  tuberkulös  gemachten  Meerschwein¬ 
en  sind  die  erwähnten  Flüssigkeiten  zur  H  a  g  e  m  a  n  n  sehen  Ku- 
ueaktion  —  d.  h.  zu  einer  spezifischen  Schnellreaktion  —  zu  ver- 
erten.  Als  spezifische  Reaktion  kommt  ferner  bei  Kindern  die 
Pirquet  sehe  Kutanimpfung,  beim  Erwachsenen  die  subkutane 
t  Tuberkulin  zur  Anwendung,  die  letztere  auch  zur  Erzielung  der 
<alen  „Herdreaktion“. 

Es  wäre  das  Ideal  einer  Statistik  über  Behandlung  unserer 
iberkulosen,  wenn  diese  vielfachen  diagnostischen  Hilfsmittel,  rich- 
ange wendet,  die  Diagnose  in  allen  Fällen  gegen  jeden  Zwei- 
1  sicherstellten.  Leider  ist  das  in  einigen  noch  immer  nicht  hin- 
ichend,  und  eine  ganz  sichere  Statistik  wird  einmal 
le  die  hier  noch  nicht  restlos  aufgeklärten  Fälle 
issch  alten  müssen.  (Schluss  folgt.) 


Bücheranzeigen  und  Referate. 

B.  H  e  i  n  e  -  München:  Operationen  am  Ohr.  Die  Operationen 
bei  Mittelohreiterungen  und  ihren  intrakraniellen  Komplikationen. 

*  .1,  neubearbeitete  Auflage.  Mit  29  Abbildungen  im  Text  und 
7  Iafeln.  Berlin,  S.  Karger,  1913.  Preis  7.60  M. 

Von  der  beliebten  Operationslehre  Heines  ist  nach  7  Jahren 
eine  neue  Auflage  erschienen,  die  manche  Aenderungen  und  Er¬ 
gänzungen  bringt.  Das  Kapitel  über  die  Labyrinthoperation,  das  sich 
immer  noch  in  Fluss  befindet,  ist  gänzlich  umgearbeitet  worden.  Im 
ganzen  kann  man  den  etwas  zurückhaltenden  Standpunkt  des  Ver- 
tassers  billigen.  Mit  Recht  wendet  er  sich  gegen  die  frühzeitige 
Aufmeisselung  bei  der  akuten  Mittelohreiterung  und  gegen  die  pri¬ 
märe  Naht^  nach  der  einfachen  Aufmeisselung.  Als  Ursache  für  die 
grossere  Gefahr  der  Otitis  media  acuta  bei  alten  Leuten  stellt  er 
vY.ied?r,  wie  in  d(rn  früheren  Auflagen  die  Osteosklerose  hin.  Tat¬ 
sächlich  finden  sich  aber  im  Alter  im  Gegenteil  besonders  häufig 
grosse  pneumatische  Zellen.  Die  Erklärung  Heines  stimmt  auch 
mcht  mit  der  latsache  überein,  dass  die  einfache  chronische  Mittel- 
ohreiterung,  bei  der  bekanntlich  Osteosklerose  die  Regel  bildet, 
weniger  gefährlich  ist,  als  die  akute  Mittelohreiterung.  Von  der 
diagnostischen  Verwertung  der  Röntgenaufnahme  bei  Mastoiditis  hält 
er  nicht  viel.  Im  Gegensatz  zu  wohl  allen  Operateuren  hat  Heine 
nach  der  konservativen  Radikaloperation  mit  Erhaltung  der  Gehör¬ 
knöchelchen  in  keinem  einzigen  Falle  Heilung  gesehen. 

Bei  der  Frage  der  Jugularisunterbindung  wendet  er  sich  be¬ 
sonders  gegen  eine  Arbeit  Schneiders  aus  der  Klinik  des  Refe¬ 
renten.  Wenn  er  dabei  die  Worte  gebraucht  „einen  prinzipiellen 
Unterschied  zu  machen  zwischen  akut  und  chronisch,  und  danach* 
die  Indikation  zu  stellen,  halte  ich  für  sehr  gefährlich“,  so  hat  er  den 
Verfasser  total  missverstanden.  Schneider  bespricht  nur  das 
Vorgehen  bei  der  akuten  Mittelohreiterung  und  rät  auf  Grund  unserer 
Erfahrungen  die  Jugularis  nur  dann  zu  unterbinden,  wenn  sie  selbst 
miterkrankt  •  ist.  Von  unserem  Vorgehen  bei  der  chronischen 
Eiterung  spricht  er  mit  keiner  Silbe.  Heine  macht  Schneider 
auch  den  Vorwurf,  dass  er  seine  Schlüsse  im  Verhältnis  zur  Zahl  der 
mitgeteilten  Fälle  zu  sehr  verallgemeinere.  Um  dies  zu  beweisen, 
führt  er  einen  Satz  desselben  in  Parenthese  an  und  erweckt  damit 
den  Glauben,  dass  er  ihn  wörtlich  anführt.  Das  ist  aber  nicht  der 
Fall.  Er  lässt  gerade  den  einschränkenden  Passus  „auch  nach  unserer 
Erfahrung“  aus  demselben  weg  und  druckt  dafür  einen  anderen 
Passus,  der  im  Text  nicht  hervorgehoben  ist,  mit  fetten  Lettern. 
Wenn  man  einen  Satz  in  Parenthese  anführt,  so  ist  es  aber  üblich, 
ihn  auch  wörtlich  zu  zitieren.  Der  Vorwurf  ist  also  unberechtigt, 
und  wir  halten  daran  fest,  dass  nach  unserer  Erfahrung  die  Jugularis¬ 
unterbindung  in  fast  allen  Fällen  von  Sinusthrombose  nach  akuter 
Mittelohreiterung  überflüssig  ist.  S  c  h  e  i  b  e  -  Erlangen. 

A.  v.  Szily:  Die  Anaphylaxie  in  der  Augenheilkunde.  Unter 
Mitarbeit  von  A  r  i  s  a  w  a.  Mit  13  Tafeln  und  4  Textabbildungen. 
317  Seiten.  Stuttgart.  Enke  1914.  Preis  24  M. 

Nach  einer  klaren  und  übersichtlichen  Einführung  in  die  Grund¬ 
prinzipien  der  allgemeinen  Anaphylaxielehre,  behandelt  der  Autor  in 
dem  breit  angelegten  speziellen  Abschnitt  die  toxischen  Eigenschaften 
der  Augengewebe,  die  Ergebnisse  der  generellen  Anaphylaxiever¬ 
suche  mit  Augengeweben,  die  Sensibilisierung  des  Organismus  vom 
Auge  aus,  sowie  die  Teilnahme  des  Auges  an  der  allgemeinen 
Anaphylaxie  und  die  spezifischen  Eigenschaften  der  Augengewebe  und 
ihre  Beziehung  zur  Anaphylaxie,  wobei  besonders  die  kontroversen 
Ansichten  bezüglich  der  Organspezifität  des  Linseneiweisses  kritisch 
beleuchtet  werden. 

Es  folgt  die  eingehende  Darstellung  der  Erscheinungen  der  ex- 
pei  imentell-anaphylaktischen  Erkrankungen  am  Auge,  insbesondere 
der  lokalen  Anaphylaxie  der  Hornhaut  auf  Grund  der  Versuche  von 
Wessely  und  v.  Szily. 

In  den  Kapiteln  „die  sympathische  Ophthalmie  als  anaphylak¬ 
tische  Uveitis“  und  „die  Keratitis  parenchymatosa  auf  anaphylak¬ 
tischer  Basis“  werden  Probleme  erörtert,  die  einen  breiten  Raum  in 
der  wissenschaftlichen  Ophthalmologie  der  letzten  Jahre  eingenommen 
haben. 

Aus  dem  Schlusskapitel,  das  der  pathologischen  Anatomie  der 
anaphylaktischen  Entzündungen  des  Auges  gewidmet  ist,  erscheint 
besonders  bemerkenswert,  dass  Verf.  in  voller  Uebereinstimmung  mit 
Reis,  A.  Fuchs  und  Meller  die  prinzipielle  Verschiedenheit  der 
anaphylaktischen  Uveitis  von  der  sympathisierenden  Entzündung  be¬ 
tont,  sie  vielmehr  ins  Gebiet  der  „Endophthalmitis“  verweist. 

Das  mit  vorzüglichen  Abbildungen  ausgestattete  Buch  orientiert 
umso  zuverlässiger  über  alle  einschlägigen  Fragen,  als  Verf.  sich 
davon  frei  gehalten  hat,  auf  diesem  jungen  Wissensgebiete  gesichertes 
Gut  und  Hypothetisches  zu  vermengen.  Gilbert. 

Lehrbuch  der  ärztlichen  Sachverständigentätigkeit  für  die  Unfall-, 
Invaliden-,  Hinterbliebenen-  und  Angestelltenversicherungsgesetz¬ 
gebung.  Bearbeitet  von  Dr.  L.  Becker,  Geh.  Medizinalrat  und 
Kgl.  Kreisarzt  a  D.,  Gerichtsarzt  beim  Oberversicherungsamt  Gross- 
Berlin.  7.  umgearbeitete  und  vermehrte  Auflage.  Berlin  1914.  Ver¬ 
lagsbuchhandlung  von  R.  Schötz.  Preis  15  M.  623  Seiten. 

Das  bekannte  Becker  sehe  Werk  musste,  um  den  durch  In¬ 
krafttreten  der  Reichsversicherungsordnung  eingetretenen  Verände- 


1910 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  36. 


rungcn  gerecht  zu  werden,  in  vielen  Stücken  ergänzt  und  erweitert 
werden,  wie  ja  selbstverständlich  auch  die  Fortschritte  in  rein  incdi- 
'zinischer  Hinsicht  einen  Stillstand  nicht  zulassen.  Der  Charakter 
des  nunmehr  schon  in  7.  Auflage  vorliegenden  Werkes,  das  seinen 
Platz  durch  mancherlei  Vorzüge,  darunter  auch  den  eines  nicht  über¬ 
mässig  grossen  Umfangs,  neben  den  grossen  Werken  dieser  Ait 
rühmlich  behauptet,  braucht  hier  nicht  mehr  besonders  auseinander¬ 
gesetzt  zu  werden;  es  ist  in  seiner  Neubearbeitung  auf  seine 
spezielle  Art  nun  wieder  ein  der  Zeit  angepasster,  zuverlässiger  und 
erprobter  Führer  für  den  ärztlichen  Praktiker  auf  dem  grossen  Felde 
der  ärztlichen  Begutachtung.  Dr.  Karl  G  rassma  n  n  -  München. 


Prof  Arnaldo  Cantani  e  Dott.  Guido  Arena;  11  pneumo- 
torace  artifieiale  nella  eura  della  tisi  e  di  altre  affezioni  dell’  apparato 
respiratorio.  Ricerche  cliniche,  sperimentali  e  anatomo-patologiche 

Napoli  1914.  P.  VII.  255.  „  ,  .  IT  *  ^  , 

Die  Frage  ist  in  eingehendster  Weise  besprochen.  Unter  Grund¬ 
lage  der  Statistiken  der  Autoren  und  der  eigenen  Erfahrungen  kommen 
die  Verfasser  zu  dem  Schlüsse,  dass  die  günstige  Wirkung  des  künst¬ 
lichen  Pneumothorax  auch  bei  der  jetzigen  ungünstigen  Auswahl  der 
Fälle  augenscheinlich  ist,  dass  die  direkten  Heilerfolge  sich  aber 
sicher  erhöhen  werden,  wenn  man  auch  leichte  und  mittelschwerc 
Fälle  heranzieht.  Die  Gefahren  der  Operation  sind  nicht  derart,  dass 
man  von  einer  ausgedehnteren  Anwendung  abstehen  soll.  Auch  wenn 
die  Indikation  nicht  sicher  gestellt  werden  kann,  kann  man  den  Ver¬ 
such  machen,  der  je  nach  dem  Erfolg  fortgesetzt  oder  unterbrochen 
wird.  Der  Pneumothorax  braucht  nicht  vollständig  sein.  Die  Be¬ 
handlung  muss  sich  auf  mindestens  2  Jahre  erstrecken.  Während 
dieser  Zeit  kann  der  Kranke  auch  einer  intensiveren  hygienisenen  und 
medikamentösen  Kur  unterworfen  werden.  D  a  1 1’  A  r  m  i  -  München. 


Neueste  Journalliteratur. 

Archiv  für  klinische  Chirurgie.  Bd.  101,  Heft  4,  1913. 

B.  Heile- Wiesbaden:  Der  epidurale  Raum. 

Unsere  Vorstellungen  über  den  epiduralen  Raum  sind  dahin  zu 
revidieren,  dass  wir  ihn  in  seiner  ganzen  Länge  vom  Hinterhaupts¬ 
loch  bis  zur  Höhe  des  2.  Sakralwirbels  sagittal  in  2  Hälften,  ent¬ 
sprechend  der  betreffenden  Körperhälfte,  teilen  müssen.  Er  hört  nicht 
am  Hinterhauptsloch  auf,  sondern  setzt  sich  im  Schädelinnern  bis  an 
den  Ansatz  des  Tentoriurns  fort.  Will  man  eine  reine  Sakralein¬ 
spritzung  machen,  so  genügt  das  Vorschieben  der  Nadel  nach  Durch¬ 
stechen  der  Sakralfontanelle  um  etwa  2 — 4  cm.  Will  man  eine 
Hälfte  des  epiduralen  Raumes  treffen,  so  ist  die  Kanüle  mindestens 
7 — 8  cm  tief  einzuführen.  Verf.  injiziert  in  den  Epiduralraum  durchs 
Foramen  intervertebrale,  wofür  technische  Vorschriften  gegeben  wer¬ 
den.  Er  hat  bei  Wurzelischias,  Ischias  scoliotica  und  Lumbago  bei 
dieser  Form  der  Injektion  und  bei  sakraler  Einspritzung  von  hypo¬ 
tonischer  Kochsalzlösung  gute  Erfolge  gesehen.  Besonders  eignen 
sich  hierfür  die  Fälle,  wo  sich  ein  Reizzustand  im  Verbreitungsgebiet 
des  Nerven  (Druckempfindlichkeit  in  der  Höhe  des  5.  Lendenwirbels) 
nachweisen  lässt.  Hohe  operative  Anästhesien  für  Bauchoperationen 
lassen  sich  (mit  Ausnahme  der  Sakralanästhesie)  vom  Epiduralraum 
aus  noch  nicht  ausführen. 

ü  o  e  b  e  1  -  Breslau:  Kriegschirurgische  Erfahrungen  auf  der  1  ri- 
polisexpedition  des  Deutschen  Roten  Kreuzes. 

Die  chirurgischen  Fälle  waren  häufig  mit  Typhus  kompliziert, 
was  eine  raschere  Heilung  oder  tatkräftigeres,  schnelleres  Eingreifen 
verhinderte.  Schwerere  Infektionen  der  Wunden  fehlten,  was  wohl 
auf  das  heisse  austrocknende  Klima  zurückzuführen  ist.  Das  Charak¬ 
teristische  der  Bombenverletzungen  war  ihre  Multiplizität,  das  vor¬ 
wiegende  Befallensein  der  unteren  Extremität  und  des  Stammes  und 
der  Verlauf  des  Wundkanals  von  unten  nach  oben.  Der  Hauptwert 
der  Expedition  lag  in  den  Erfahrungen,  die  über  Transport,  Aus¬ 
rüstung,  Organisation  und  Aufstellung  eines  Kriegslazaretts  in  einem 
Kolonialkriege  gemacht  werden  konnten.  Der  Röntgenapparat  ver¬ 
sagte  zunächst,  weil  die  Röhren  zersprungen  ankamen  und  die  Mo¬ 
toren  versandeten.  Sehr  bewährt  haben  sich  Mastisolverbände. 

C  o  1  m  e  r  s  -  Coburg:  Ueber  die  Wirkung  des  Spitzgeschosses. 

Die  Unterschiede  des  Spitzgeschosses  von  dem  ogivalen  besteht 
in  einer  erheblich  grösseren  Geschwindigkeit  und  Rasanz  in  den 
ersten  1200  m  der  Geschossbahn,  in  dem  grösseren  Energieverlust 
auf  weite  Entfernungen,  in  dem  Formunterschiedc  (steile  Spitze,  glatt¬ 
stumpfes  eiförmiges  Ende)  und  der  erheblichen  Rückwärtslagerung 
des  Schwerpunktes.  Dieser  letzte  Umstand  bedingt  eine  grosse  Nei¬ 
gung  des  Spitzgeschosses,  den  Schwerpunkt  im  Widerstande  nach 
vorn  zu  werfen,  d.  h.  sich  um  seine  quere  Achse  zu  drehen.  Hier¬ 
durch  wird  der  Aktionsradius  im  Verlaufe  des  Schusskanales  grösser, 
was  Einfluss  auf  das  Zustandekommen  von  Gefäss-  und  Nervenver¬ 
letzungen  zu  haben  scheint.  Aus  demselben  Grunde  kommt  es  bei 
Schussfrakturen  häufig  zu  Steckschüssen,  bei  denen  das  Geschoss 
Deformationen  erleiden  kann.  Bei  tangentialen  Schädelschüssen  ist 
durchweg  eine  erhebliche  Splitterung  und  ein  vergrösserter  Knochen¬ 
ausschuss  vorhanden.  Sonst  unterscheiden  sich  die  durch  das  Spitz¬ 
geschoss  gesetzten  penetrierenden  Wunden  im  wesentlichen  nicht 
von  den  durch  andere  gleichkalibrige  Mantelgeschosse  hervor¬ 
gerufenen  Schusswunden. 

G.  A.  Waliaschko  und  A.  A.  L  e  b  e  d  e  w :  Zur  Prophylaxe 
der  Hernien  und  Vorstülpungen  post  laparotomiam.  (Abt.  f.  operat. 
Chirurgie  u.  top.'Anat.  am  Med.  Institute  f.  Frauen  in  Charkow.) 


Verf  empfehlen,  in  die  Bauchwunde  ein  Stück  Faszie  zu  trans¬ 
plantieren  das  in  der  Tiefe  mit  dem  Peritoneum  auf  der  Oberfläche 
mit  der  Aponeurose,  in  der  Mitte  mit  den  Muskelschichten  vernäht 
wird.  Einzelheiten  der  Technik  werden  angegeben.  Der  Hauptwert 
der  Faszienplastik  soll  darin  liegen,  dass  die  bedeckten  Gewebe  der 
Bauchwand  vom  Granulationsprozess  verschont  bleiben. 

H  Bure  k  har  dt:  Ueber  Infektion  der  Brusthöhle.  (Chirurg. 
Klinik  der  Charitee  in  Berlin,  Geh.  Med.-Rat  Prof.  Hildebrand.) 

Die  experimentellen  Versuche  des  Verf.  haben  ergeben,  dass  der 
Pneumothorax  die  Brusthöhle  im  höchsten  Masse  zur  Injektion  dis¬ 
poniert.  Von  praktischer  Bedeutung  ist,  dass  nicht  nur  der  totale 
sondern  auch  der  partielle  Pneumothorax  diese  Wirkung  hat.  B.  in¬ 
jizierte  Tieren  mit  dünner  Kanüle  Luft  in  die  Pleurahöhle  und  dann 
Staphylokokkenkulturen  nach.  Er  erzeugte  so  fast  stets  eine  eitrige 
Pleuritis,  während  diese  bei  den  Tieren  ohne  Pneumothorax  meist 
ausblieb. 

M.  Tiegel:  Ueber  Spontanheilung  von  Lungenwunden. 

(Chirurg.  Abteil,  des  städt.  Luisen-Hospitals  in  Dortmund,  Prof. 
Heul  e.) 

Ein  Spannungspneumothorax  lässt  sich  leicht  durch  ein  ein¬ 
gelegtes  Ventildrain  beseitigen,  ein  Zellgewebsemphysem,  auch  ein 
solches  des  Mediastinums  lässt  sich  bequem  von  einem  kleinen  Schnitt 
im  Jugulum  aus  vermittels  einer  B  i  e  r  sehen  Saugglocke  und  ein.i 
damit  verbundenen  Wasserstrahlpumpe  absaugen.  Für  letztere  Tat¬ 
sache  wird  ein  beweisender  Fall  mitgeteilt.  Versuche  mit  künstlich 
gesetzten  Lungenwunden  an  Hunden  ergaben,  dass  Lungenwunden 
eine  überaus  grosse  Tendenz  zur  Spontanheilung  besitzen  und  das'- 
auch  starke  Blutungen  aus  denselben  spontan  in  kurzer  Zeit  zum  Still¬ 
stand  gelangen.  ,  J 

B.  K.  Finkeis  tein-Baku:  Zur  Chirurgie  des  Diekdarms 

ausser  dem  Mastdarm. 

Statistik.  Maligne  Tumoren  kommen  am  häufigsten  (44  Proz 
aller  Fälle)  am  S  romanum  vor  dann  folgt  mit  20  Proz.  das  Zoekum. 
Die  zweckmässigste  Operationsmethode  bei  Undurchgängigkeit  des 
Darmes  ist  die  Anlegung  einer  Kotfistel  und  später  die  einzeitige  oder 
zweizeitige  Resektion  je  nach  Lage  des  Falles. 

E.  Rehn:  Die  Verwendung  der  autoplastischen  Fetttransplaii- 
tationen  bei  Dura-  und  Hirndefekten.  (Chirurg.  Klinik  in  Jena,  Geh. 
Rat.  Prof.  Dr.  l.exer.) 

Das  transplantierte  Fettgewebe  heilt  nach  den  Tierversuchen  des 
Verf.  sehr  schonend  ein.  Ein  guter  Teil  geht,  ohne  auch  nur  die  ge¬ 
ringste  Veränderung  zu  erfahren,  in  den  endgültigen  Besitz  des  Emp¬ 
fängers  über.  Nach  aussen  erhält  der  Duradefekt  durch  der  über¬ 
pflanzten  Fettlappen  dadurch  einen  exakten  Abschluss,  dass  sich  am 
Transplantat  eine  den  Duradefekt  kontinuierlich  überspannende  ba¬ 
sale  Bindegewebsplatte  bildet.  In  der  Hirnchirurgic  ist  bei  Verwen¬ 
dung  der  Fettplastik  L  e  x  e  r  insofern  einen  Schritt  weitergegangen, 
als  er  die  Fettlappen  auch  zur  Ausfüllung  von  Hirndefekten  mit  ver¬ 
wendet.  Mitteilung  eines  entsprechenden  Falles. 

Ch.  Girard-Genf:  Dysphagia  und  Dyspnoea  lusoria. 

Die  früher  als  Dysphagia  lusoria  bezeichneten  Schlingbeschwer¬ 
den  infolge  abnormen  linksseitigen  Ursprungs  der  Art.  subclavia  dextra 
sind  kein  hypothetisches  Krankheitsbild,  sondern  können  wirklich 
Vorkommen.  Bei  prätrachealem  Verlaufe  der  betreffenden  Arterie 
kann  es  auch  zu  einer  Dyspnoea  lusoria  kommen.  Es  ist  in  gewissen 
Fällen  möglich  und  indiziert,  diese  Zustände  operativ  zu  beseitigen. 
Bei  prätrachealem  Verlauf  der  Subklavia  ist  die  Arteriopexie  gegen 
das  Sternum  mittels  eines  streifenförmigen  Lappens  aus  dem  linken 
M.  sternomastoideus  ein  ungefährliches  und  nützliches  Operations- 
Verfahren.  Bei  retrotrachealem  oder  namentlich  bei  retroösopha- 
gealem  Verlauf,  dürfte  die  Unterbindung  und  Trennung  der  Sub- 
klavia  das  sicherste  Mittel  sein,  um  die  Beschwerden  zu  heben. 

M.  Schewandin:  Endresultate  der  L  e  x  e  r  scheu  Arthrodese 
am  Sprunggelenk.  (Kgl.  Chirurg.  Klinik  in  Berlin,  Geh.  Rat  Prof. 
B  i  e  r.)  .  ... 

Die  Nachuntersuchung  von  5  Fällen  ergab,  dass  der  durch  den 
Kalkaneus  in  die  Tibia  eingetriebene  Knochenbolzen  stets  resorbiert 
wird.  Die  erstrebte  knöcherne  Ankylose  gelingt  selten,  die  teilweise 
Bewegungsbeschränkung  wurde  nur  in  einigen  Fällen  erreicht,  lbe 
Mehrzahl  der  Fälle  war  wieder  auf  Apparate  und  orthopädische  -  tie¬ 
fe!  angewiesen.  Die  Fixation  bleibt  gesichert,  solange  der  Bolzen  im 
Gelenk  nicht  der  Resorption  anheimgefallen  ist.  Sobald  aber  der  Bol¬ 
zen  verschwindet,  entsteht  eine  beschränkte  Beweglichkeit  und  diese 
gibt  dann  rasch  nach,  so  dass  der  Fuss  fast  immer  wieder  vollständig 
herabsinkt.  Günstiger  liegen  die  Verhältnisse  im  Talo-Kalkaneiis- 
gelenk.  .  /rUr 

Quieke:  Ueber  penetrierende  Brust-Bauchverletzungen.  W 
Klinik  in  Strassburg  i.  E.,  Prof.  Madelung.) 

Bei  allen  Brust-Bauchverletzungen  mit  grösseren  Wundkanaun 
hat  der  Eingriff  transpleural  zu  erfolgen.  Nach  Erweiterung  «.er 
Wunde  sind  etwaige  Läsionen  der  Bauchorgane  zu  versorgen  und  das 
Zwerchfell  zu  nähen.  Wenn  irgend  möglich,  ist  die  Wunde  pnmar 
durch  die  Naht  zu  scliliessen.  Liegt  Verdacht  vor,  dass  weiter  ab¬ 
wärts  gelegene  Eingeweide  oder  retroperitoneal  fixierte  Organe  ver¬ 
letzt  sind  (lange  Waffen),  so  soll  die  Laparotomie  ausgeführt  oder  nin- 
zugefügt  werden.  Bei  Brust-Bauchverletzungen  durch*  Schuss  ode 
feine  Instrumente,  die  ganz  enge  Wundkanäle  hinterlassen,  soll,1" 
allgemeinen  nur  laparotomiert  werden.  Eine  Naht  solcher  Zwerchte  - 
wunden  ist  gewöhnlich  nicht  nötig. 


8.  September  191-4. 


1911 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  W ( )CHENSCHRIFT. 


S  p  r  e  n  g  e  1  -  Braunschweig:  Die  Wahl  des  Narkotikums  hei 
Operationen  wegen  akut  entzündlicher  Prozesse  in  der  Bauchhöhle. 

Nach  Ansicht  des  Vcrf.  ist  die  Wahl  des  Narkotikums  die  Ur¬ 
sache  einer  nach  Appendizitisoperationen  zuweilen  beobachteten, 
meist  zum  I  ode  führenden  Komplikation,  die  darin  bestellt,  dass 
Ikterus,  Unruhe,  Unklarheit,  Benommenheit  und  Schlafsucht  auftreten. 
Es  handelt  sich  um  eine  Spätwirkung  des  Chloroforms.  Es  ist  daher 
rationell  das  Chloroform  überhaupt  für  die  Narkose  aufzugeben  und 
an  dessen  Stelle  die  Aethernarkosc,  unterstützt  durch  Morphium  und 
Atropin,  zu  setzen. 

O.  Nordmann:  Transjejunale  Hepatlkusdrainage.  (II.  chirurg. 
Abteil,  des  Stadt.  Auguste  Victoria-Krankenhauses  in  Berlin-Schöne¬ 
berg.) 

In  einem  Falle  von  operativer  Durchschneidung  des  Ductus 
hepaticus  war  es  zu  einer  äusseren  üallengangfistel  gekommen.  Eine 
neue  Verbindung  zwischen  Gallengang  und  Jejunum  wurde  in  der 
\\  eise  erzielt,  dass  ein  Drain  in  den  Duct.  hepaticus  gelegt  und  mit 
dem  anderen  Ende  in  das  Darmlumen  hinein  und  an  einer  anderen 
Stelle  herausgeleitet  wurde  Dann  wurde  das  Hepatikusende  mög¬ 
lichst  an  den  Darm  herangenäht  und  die  Ein-  und  Austrittsstelle  des 
Drains  durch  W  i  t  z  e  1  sehe  Nähte  abgedichtet.  Der  Fall  kam  zur 
Heilung. 

W.  J.  Rasumowsky  - Saratow :  Zur  Frage  der  chirurgischen 
Behandlung  der  kortikalen  (traumatischen  und  nichttraumatischen) 
Epilepsie. 

Das  Verfahren  des  Verf.  besteht  darin,  dass  nach  der  Trepanation 
durch  bipolare  Reizung  das  Zentrum  der  für  den  Anfall  charakte¬ 
ristischen  Bewegungen  bestimmt  und  dann  die  Substanz  der  Hirn¬ 
rinde  an  dieser  Stelle  schichtweise  abgetragen  wurde.  Die  Ab¬ 
tragung  der  Hirnsubstanz  wurde  solange  fortgesetzt,  bis  bei  Reizung 
der  Schnittfläche  mittels  eines  gleich  starken  Stromes  keine  epilep¬ 
tischen  Kontraktionen  mehr  auftraten  oder  bis  letztere  hierbei  nur 
noch  schwach  ausgesprochen  waren.  In  anderen  Fällen  wurden  nur 
diejenigen  Stückchen  Hirn  entfernt,  woselbst  sich  die  Zentren  für  die 
Muskelgruppen  befanden,  deren  Kontraktionen  im  vorliegenden.  Falle 
den  epileptischen  Anfall  einzuleiten  pflegten.  Diese  Operation  wurde 
14 mal  anlässlich  der  Jackson  sehen  (nichttraumatischen)  Epilepsie 
ausgeführt.  Mehrfach  wurden  im  Gefolge  der  Operation  vorüber¬ 
gehende  motorische  und  sensible  Lähmungen  beobachtet.  In  bezug 
auf  die  Epilepsie  waren  in  mehr  als  der  Hälfte  der  Fälle  positiv 
gute  Resultate,  3 — 4  mal  waren  die  Resultate  negativ.  Bei  der  Kos- 
b  e  w  n  i  k  o  w  sehen  Epilepsie  wurde  in  3  Fällen  mit  gutem  Erfolg 
das  Armzentrum  abgetragen. 

F.  V  o  e  1  c  k  e  r  -  Heidelberg:  Operationen  an  den  Samenblasen. 

Verf.  beschränkt  die  Operation  der  tuberkulösen  Samenblasen 
auf  diejenigen  Fälle,  wo  man  durch  Fieber,  Abszesse,  Fistelbildung, 
Schmerzen  oder  Blasenerscheinungen  dazu  gedrängt  wird.  Je  einmal 
hat  er  ein  Myom  der  Samenblase  und  ein  auf  diese  übergegangenes 
Prostatakarzinom  operiert.  Ein  anderer  Fall,  wo  nach  der  Entfernung 
der  beiderseitigen  Prostatalappen  und  der  Samenblasen  Nierenkoliken 
verschwanden,  brachte  den  Beweis,  dass  es  durch  Druck  der  Samen¬ 
bläschen  aufs  untere  Ureterende  zu  Nierenkoliken  kommen  kann. 
Dreimal  wurden  mit  gutem  Erfolg  die  Samenbläschen  wegen  chro¬ 
nisch  rheumatischer  Beschwerden  entfernt,  die  mit  einer  gewissen 
Wahrscheinlichkeit  auf  versteckte  gonorrhoische  oder  Pneumokokken- 
herdc  in  den  Samenbläschen  bezogen  wurden.  Durch  die  Entfernung 
der  Samenbläschen  wird  die  Facultas  generandi  zerstört,  die  Potentia 
coeundi  bleibt  erhalten. 

C.  Ritter:  Ueber  die  Verminderung  des  Blutgehaltes  bei  Spät¬ 
operationen.  (Chirurg.  Abteil,  des  städt.  Krankenhauses  in  Posen.) 

Verfasser  hat  an  drei  Patienten  für  Operationen  am  Schädel 
und  am  Gehirn  die  Blutzirkulation  dadurch  unterbrochen,  dass 
er  beiderseits  die  Arteria  carotis  mit  einer  Klemme  temporär 
verschloss.  Die  Klemmen  lagen  im  ersten  Falle  (Impressions- 
iraktur  an  der  linken  Scheitelbeingegend)  20  Minuten,  im  zwei¬ 
ten  (eitrige  Mastoiditis  mit  Cholesteatombildung)  35  Minuten,  im 
dritten  (Trepanation  wegen  Verdachtes  auf  Hirntumor)  30  Min.  lang. 
Nach  seinen  bisherigen  Erfahrungen  ist  die  doppelseitige  temporäre 
Karotidenabklemmung  zum  Zweck  einer  blutsparenden  Operation  bei 
uneröffnetem  Schädel  in  der  Zeit  zum  mindesten  bis  30  Minuten  voll¬ 
kommen  unschädlich,  bei  eröffnetem  Schädel  dagegen  mit  der  Gefahr 
einer  zu  grossen  Schädigung  der  Hirnoberfläche  verbunden. 

L  ä  w  e  n  -  Leipzig. 

Zentralblatt  für  Chirurgie,  Nr.  34,  1914. 

Carl  H  e  1  b  i  n  g- Berlin:  Zur  Frage  des  Heftpflasterverbandes 

hei  Hasenschartenoperationen. 

Verf.  hält  bei  der  Hasenschartenoperation  jeden  Heftpflaster- 
verband  für  überflüssig;  er  verzichtet  überhaupt  auf  jeden  Verband, 
legt  auch  keine  Salben  auf,  sondern  lässt  die  Nahtstelle  unter  dem 
Schorf  heilen.  Den  Hauptwert  legt  er  auf  exakteste  Naht  der  zarten 
Haut,  am  besten  abwechselnd  je  eine  tiefergreifende  und  eine  Adap¬ 
tionsnaht,  im  Notfälle  eine  versenkte  Entspannungsnaht  mit  dünnem 
Silberdraht. 

Hermann  Matti-Bern:  Zweckmässiger  Verband  nach  Hasen¬ 
schartenoperation. 

Verf.  macht  einen  Kollodialstreifenverband:  2  Streifen  vom  Unter- 
kieterrand  über  die  Nasenwurzel  fast  bis  zur  Stirnhaargrenze,  die 
sich  über  der  Nasenwurzel  kreuzen;  über  die  Nahtlinie  zieht  ein  Quer¬ 


streifen;  in  die  Nasenlöcher  kommt  ein  antiseptischer  Tampon,  um 
das  Nasensekret  aufzusaugen.  Bis  die  Streifen  fcstgeklebt  sind, 
muss  ein  Assistent  den  Mund  des  Pat.  seitlich  zusammengedrückt 
erhalten.  Ein  Verband  ist  in  situ  abgebildet 

Ernst  ü  e  1  i  n  s  k  y  -  Berlin:  Die  Drahtextension  am  Kalkaneus. 

Die  Methode  des  Verf.s  besteht  darin,  dass  er  mit  dem  Draht 
nicht  den  Knochen  durchbohrt,  sondern  oberhalb  des  Kalkaneus  durch 
den  Ansatz  der  Achillessehne  geht,  deren  straffe  Fasern  den  Draht 
fcsthalten;  die  Drahtenden  werden  über  einem  Fussbrett  geknüpft, 
das  der  Sohle  anliegt  und  mit  Heftpflasterstreifen  am  Vorderfuss  be- 
festigt  wird;  der  Gewichtszug  wird  in  der  Richtung  der  Unterschen¬ 
kelachse  am  Fussbrett  angebracht.  So  vermeidet  Verf.  jede  Knochen¬ 
verletzung;  das  seitliche  Einschneiden  des  Drahtes  wird  durch  eine 
Zwischenlage  von  Schusterspan  zwischen  die  durch  Mull  geschützte 
Haut  und  Draht  verhütet. 

E.  Heim-  Oberndorf  b.  Schweinfurt. 

Zentralblatt  für  Gynäkologie.  Nr.  32/33. 

B.  S  c  h  w  e  i  t  z  e  r  -  Leipzig:  Die  bisherigen  Erfolge  der  Meso¬ 
thoriumbehandlung  beim  Gebärmutter-  und  Scheidenkrebs. 

Bericht  über  31  Fälle.  Die  I.  Bestrahlungsserie  erreichte  eine 
Mesothoriumquantität  von  höchstens  3 — 4000  mg-Stunden,  dann  3  bis 
4  Wochen  Pause  und  Wiederholung  nach  Bedarf.  Das  Material  der 
II.  Serie  umfasst  7  Fälle,  davon  6  gebessert,  der  III.  Serie  3  Frauen 
mit  3  Besserungen,  der  IV.  Serie  6  Frauen  mit  1  Besserung  und  5  Hei¬ 
lungen.  In  7  Fällen  gilt  die  Behandlung  unter  Vorbehalt  als  ab¬ 
geschlossen.  Das  Mesothor  bedeutet  sicherlich  einen  grossen  Ge¬ 
winn  in  der  Behandlung  des  inoperablen  Uterus-  und  Scheiden¬ 
karzinoms. 

A.  H  ö  r  r  m  a  n  n  -  München:  Chorionepitheliom  und  Strahlen¬ 
therapie. 

44  jährige  Vl.-para  mit  typischem  Chorionepitheliom.  Zunächst 
vaginale  Totalexstirpation  des  Uterus  und  der  Adnexe  nebst  Ex¬ 
zision  der  äusseren  Geschwulstmetastasen.  Schon  nach  14  Tagen 
Rezidiv  der  letzteren,  die  nun  mit  Mesothor  behandelt  wurden.  Die 
Knoten  verschwanden  danach,  doch  erlag  Pat.  inneren  Metastasen. 

M.  Hirsch-  Berlin:  Röntgenstrahlen  und  Eugenetik. 

Bei  der  Strahlenbehandlung  drohen  den  Keimdrüsen  und  damit 
der  Nachkommenschaft  Gefahren.  Sie  darf  nach  H.  nur  in  den  Fällen 
angewendet  werden,  in  welchen  man  auf  Fortpflanzung  endgültig  ver¬ 
zichten  darf  und  dauernde  Sterilität  herbeiführen  will. 

G.  S  c  h  u  b  e  r  t  -  Beuthen :  Tupferkontrolle  bei  gynäkologischen 
Laparotomien. 

Sch.  schliesst  die  Bauchhöhle  durch  ein  Stopftuch  ab,  das  durch 
einen  „Stopftuchhalter“  festgehalten  wird.  Ein  Uebersehen  von 
Tupfern  soll  hierdurch  ausgeschlossen  sein.  Näheres  s.  im  Original 
mit  Abbildung. 

C.  H  o  1  s  t  e  -  Stettin:  Ein  wasserdichter  Nabeldauerverband  für 
Neugeborene. 

H.  benutzt  zur  Bedeckung  des  Nabelschnurrestes  den  Stoff,  der 
zur  Anfertigung  von  Regenmänteln  dient  und  für  Wasser  undurch¬ 
lässig  ist,  dabei  aber  die  Verdunstung  nicht  verhindert.  So  kann  das 
Kind  mit  dem  Verband  gebadet  werden.  Letzterer  wird  mit  Leuko¬ 
plast  (Beiersdorf)  befestigt  und  am  6.  Lebenstage  abgenommen. 
Die  Erfolge  waren  gut. 

A.  G  e  n  t  i  I  i  -  Cagliari:  Ueber  die  innere  Sekretion  der  Dezidua 
im  Hinblick  auf  die  Arbeit  von  J.  Schottländer:  „Zur  Theorie 
der  Abderhalden  sehen  Schwangerschaftsreaktion“. 

Die  Schottländer  sehen  Ideen  befinden  sich  bereits  aus¬ 
geführt  in  einer  Arbeit  von  G.  im  August  1913.  Das  Verdienst,  die 
innere  Sekretion  der  Dezidua  erkannt  zu  haben,  gebührt  danach  dem 
Lehrer  G.s,  Sfameni,  das  Verdienst,  den  experimentellen  Beweis 
für  diese  Ansicht  erbracht  zu  haben,  G.  selbst. 

J  affe-  Hamburg. 

Berliner  klinische  Wochenschrift.  Nr.  34,  1914. 

Franz:  Praktische  Winke  für  die  Chirurgie  im  Felde. 

Karl  F  r  i  t  s  c  h  -  Breslau:  Netztorsion  mit  Einschluss  einer  Darm¬ 
schlinge. 

Kasuistischer  Beitrag. 

Ehrmann  -  Berlin:  Ueber  Rückfluss  und  röntgenologische  Anti¬ 
peristaltik  des  Duodenums  als  Folge  von  Adhäsionen. 

Aus  den  mitgeteilten  beiden  Fällen  ergibt  sich,  dass  es  auch  ohne 
Verengerung  des  Duodenums  zu  einer  Antiperistaltik  mit  starker  Er¬ 
weiterung  des  Duodenums  und  Fältelung  des  Organs  kommen  kann. 
Die  Ursache  der  Antiperistaltik  muss  wohl  in  Spasmen  gesucht  wer¬ 
den,  die  durch  Adhärenzen  am  Duodenum  bedingt  waren. 

J.  P 1  e  s  c  h  -  Berlin:  Ueber  die  Verteilung  und  Ausscheidung 
radioaktiver  Substanzen.  (Vortrag,  gehalten  in  der  Berl.  physiol. 
Gesellschaft  am  13.  Juni  1914.) 

Die  Untersuchungen  des  Verf.  zeigen,  dass  das  hämatopoetische 
System  eine  starke  Affinität  zu  den  radioaktiven  Substanzen  hat  und 
dass  die  letzteren  hauptsächlich  durch  den  Darm  sezerniert  werden. 

Bernhard  Zondek  und  Walter  F  r  a  n  k  f  u  r  t  h  e  r  -  Berlin:  Die 
Beeinflussung  der  Lungen  durch  Schilddrüsenstoffe. 

Die  Schilddrüsenstoffe  üben  eine  bronchokonstriktorische  Wir¬ 
kung  auf  die  Lungen  aus;  hieraus  lassen  sich  manche  klinische  Er¬ 
scheinungen  bei  Schilddrüsenerkrankungen  erklären. 

Dr.  Grassmann  -  München. 


1912 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  36. 


Deutsche  medizinische  Wochenschrift.  Nr.  33,  1914. 

Grob  er- Jena:  Behandlung  bedrohlicher  Zustände  bei  der 
Angina  pectoris.  Klinischer  Vortrag. 

0.  Küstner  und  F.  H  e  i  m  a  n  n  -  Breslau:  Ergebnisse  der 
Strahlenbehandlung  der  Karzinome. 

Bericht  über  98  längere  Zeit  beobachtete,  hauptsächlich  nur  in¬ 
operable  Fälle  und  Rezidive.  Von  5  Vulvakarzinomen  sind  4  nach 
Operation  und  folgender  Bestrahlung  rezidivfrei  geblieben,  ein  in¬ 
operables  Rezidiv  wurde  nur  unregelmässig  bestrahlt,  anfangs  mit, 
später  ohne  Erfolg.  Von  44,  meist  bei  der  Laparotomie  als  inoperabel 
erkannten  Uteruskarzinomen  sind  8  während  oder  nach  der  Strahlen¬ 
behandlung  gestorben,  bei  je  3  war  die  Behandlung  eifolglos,  oder 
musste  abgebrochen  werden  oder  wurde  weiterhin  verweigert,  bei 
den  übrigen  28  wurde  eine,  teilweise  ausserordentliche  Besserung 
erzielt,  zum  Teil  mit  Schwinden  aller  nachweisbaren  lokalen  Erschei¬ 
nungen.  Weniger  augenscheinlich  sind  die  Erfolge  bei  den  Rezidiv¬ 
fällen:  sie  bedürfen  besonders  hoher  Bestrahlungsdosen.  Von  17  Fäl¬ 
len  ist  einer  gestorben,  2  trotz  Bestrahlung  sehr  verschlechtert,  die 
übrigen  leidlich  gut,  2  erstaunlich  gut  beeinflusst.  —  Ueber  die  sogen, 
prophylaktischen  Bestrahlungen  gegen  Rezidive  ist  ein  Urteil  noch 
nicht  zu  gewinnen.  —  Bei  3  manifest  operablen  Fällen  wurde  wegen 
Diabetes  oder  wegen  Alters  und  Schwäche  nicht  operiert  und  mit  der 
Bestrahlung  ein  sehr  guter  Erfolg  erzielt,  indem  keine  karzinomatöse 
Affektion  an  der  Portio  mehr  nachweisbar  ist.  Ausserdem  lässt  sich 
bei  operablen  Fällen  die  Bestrahlung  verwenden,  um  vor  der  Opera¬ 
tion  jauchende  Geschwüre  und  auch  die  Infiltration  des  parametranen 
Gewebes  zu  beheben,  also  die  Operation  zu  erleichtern,  event.  den 
Fall  erst  operabel  zu  machen.  Die  Meinung,  dass  durch  die  Be¬ 
strahlung  die  Operation  und  Heilung  erschwert  werde,  fanden  die 
Verff.  nicht  bestätigt.  —  Zur  Technik  sei  nur  erwähnt,  dass  die  kom¬ 
binierte  Röntgen-  und  Mesothoriumbehandlung  angewandt  wird 
(Apexinstrumentarium  und  Duraröhre  von  Reiniger,  Gebbert 
&  Schall)  und  jeder  Fall  auch  bezüglich  der  Behandlungs¬ 
dauer  genauer  Individualisierung  bedarf.  Unter  anderen  Neben¬ 
erscheinungen  sind  die  schmerzhaften  Tenesmen  besonders  lästig,  sie 
werden  oft  durch  Suppositorien  mit  Isoamylhydrokuprein  günstig  be¬ 
einflusst. 

Im  allgemeinen  stellt  die  Strahlenbehandlung  einen  sehr  grossen 
Fortschritt  dar,  wenn  auch  nicht  feststeht,  ob  Karzinome,  die  durch 
Operation  gut  heilbar  sind,  auch  mit  der  Bestrahlung  geheilt  werden 
können.  Namentlich  bei  den  oft  erst  nach  der  Operation  als  hoch 
hinaufreichend  erkannten  Kollumkarzinomen  ist  das  durchaus  nicht 
wahrscheinlich.  Bei  dieser  Unsicherheit  der  Beurteilung  halten  die 
Verff.  an  der  Operation  der  operablen  Fälle  fest.  Unschätzbar  ist  bei 
den  nichtoperablen  Karzinomen  die  Beseitigung  und  Verhütung  von 
Jauchungen  und  die  Erhaltung  der  Pflege-  und  Familienfähigkeit  der 
Kranken. 

E.  K  o  s  m  i  n  s  k  i  -  Berlin:  Zur  Behandlung  der  Amenorrhoe  mit 
Hypophysenextrakten. 

Infolge  der  inneren  Beziehungen  zwischen  der  Funktion  der 
Hypophyse  und  des  Ovariums  ist  auch  für  manche  Menstruations¬ 
störungen  eine  Beziehung  zur  Hypophyse  anzunehmen;  hierfür  spre¬ 
chen  auch  die  Erfolge  der  Hypophysenbehandlung  bei  einer  Reihe 
von  ätiologisch  nicht  klaren  Fällen  von  Amenorrhoe,  die  wahrschein¬ 
lich  auf  einer  Unterfunktion  der  Hypophyse  beruhen.  Verf.  hat 
24  Patientinnen  mit  Injektionen  von  Pituitrin,  Pituglandol  oder  Hypo- 
physin  behandelt,  bei  20  nach  längerer  Pause  den  Wiedereintritt  der 
Menses,  bei  6  eine  dauernde  Heilung  erzielt.  Durchaus  erfolglos  war 
die  Behandlung  nur  bei  3.  wovon  1  an  Bauchfelltuberkulose  litt,  2  vor 
einiger  Zeit  Typhus  gehabt  hatten.  Es  betrafen  7  Fälle  angeborenen 
Infantilismus,  3  Subinvolutio  uteri,  3  Adipositas.  3  präklimakterische 
Amenorrhoe  (bei  diesen  wurde  auch  Ovaradentriferrin  gegeben), 
5  Neurasthenie  bzw.  Hysteroepilepsie.  5  Oligomenorrhoe.  Im  all¬ 
gemeinen  wurde  die  Injektion  jeden  2.  Tag  gegeben,  nach  10  Injek¬ 
tionen  eine  Woche  ausgesetzt,  der  Urin  wurde  kontrolliert.  Da  die 
Behandlung  unschädlich  ist  (es  tritt  nur  bisweilen  Schwindel  und 
Ohrensausen  auf),  ist  ein  Versuch  mit  derselben  sehr  zu  empfehlen. 

A.  Neumann-Graz:  Therapeutische  Versuche  mit  Embarin 
bei  Nervenkrankheiten. 

Das  Embarin  ist  ein  Quecksilberpräparat,  das  gut  resorbiert 
wird,  energisch  wirkt,  keine  Schmerzen  verursacht  und  auch  von 
Frauen,  schwächlichen  und  alten  Personen  gut  vertragen  wird.  Nach 
des  Verf.s  Erfahrung  (8  Krankengeschichten)  erweisen  sich  u.  a.  be¬ 
sonders  die  Anfangszustände  von  Tabes  und  die  Neurasthenie  im  Be¬ 
ginne  der  progressiven  Paralyse  einer  guten  Beeinflussung  durch  das 
Mittel  zugänglich. 

M.  C  o  r  d  e  s  -  Berlin:  Verbesserung  der  Technik  der  Embarin- 
behandlung. 

Um  die  mehrfach,  auch  von  ihm  selbst  in  2  Fällen  beobachteten 
unangenehmen  Nebenerscheinungen  zu  vermeiden,  empfiehlt  Verf. 
den  Beginn  mit  kleinen  Dosen  und  langsamer  Steigerung  derselben 
(k  Spritze  subkutan  in  der  Lumbalgegend,  dann  nach  3  Tagen 
Vi  Spritze,  dann  jeden  2.  Tag  1  Spritze);  bei  dieser  Darreichung 
kommt  die  gute  Wirkung  des  Mittels  ohne  Nachteil  zur  Geltung. 

J.  B  a  r  u  c  h  -  Berlin:  Ueber  Bandwurmbehandlung. 

Nach  Erfahrungen  an  15  Fällen  empfiehlt  B.  angelegentlich  die 
Einführung  des  Filmarons  in  die  Kassenpraxis  trotz  des  höheren 
Preises  wegen  des  nicht  unangenehmen  Geschmackes  und  Geruches, 
der  geringen  notwendigen  Menge  und  des  prompten  Erfolges  des  Mit¬ 


tels  bei  fehlender  Giftwirkung.  Es  empfiehlt  sich,  kein  Abführmittel 
vor  der  Kur  zu  geben,  sondern  erst  wenn  nach  VA — 2  Stunden  kein 
Stuhlgang  erfolgt,  ein  Glas  Bitterwasser.  Nützlich  ist.  dem  Kranken 
vorher  an  einem  Präparat  den  Kopf  eines  Bandwurmes  zu  zeigen. 

A.  Deutsch-  Frankfurt  a.  M.:  Zur  Bekämpfung  der  Säuglings¬ 
sterblichkeit.  , ,  ... 

Beschreibung  eines  verkleinerten  Soxhletapparates,  der  in  eine 
Kochkiste  eingesetzt  wird  und  in  dem  die  Milch  nach  Belieben  in 
heisser  oder  nach  Abkühlung  auch  längere  Zeit  (event.  Tage)  auf 
niedriger  Temperatur  erhalten  werden  kann.  Firma  B.  B.  Cassel, 
Frankfurt  a.  M.,  Preis  12.50  M. 

F.  B  r  u  n  k  -  Berlin-Charlottenburg:  Noch  einmal  zur  Frage  der 
paternen  Vererbung  der  Syphilis. 

Erwiderung  auf  die  Bemerkungen  F.  Lessers  in  Nr.  29. 

A.  N  c  i  s  s  e  r  -  Breslau:  Venerische  Krankheiteil  bei  den  im  Felde 
stehenden  Truppen. 

Besprochen  in  der  Feldärztlichen  Beilage  Nr.  4. 

B  e  r  g  e  a  t  -  München. 

Oesterreichische  Literatur. 

Wiener  klinische  Rundschau. 

Nr.  21.  H.  B  e  r  1 1  i  c  h  -  Bochum:  Schwangerschaft  und  Geburts¬ 
störungen  bei  Missbildung  des  Uterus,  speziell  bei  Uterus  bicornis. 

Verf.  beschreibt  5  Fälle  von  Uterus  bicornis  und  bearbeitet  sie 
mit  00  solchen  aus  der  Literatur  seit  1905  klinisch-statistisch. 

Nr.  22.  H.  R  o  h  1  e  d  e  r  -  Leipzig:  Die  künstliche  Befruchtung 
beim  Menschen. 

R.  tritt  entschieden  für  die  grössere  Verbreitung  der  künstlichen 
Befruchtung  ein.  Unbedingte  Voraussetzung  für  dieselbe  ist,  dass 
durch  genaue  Untersuchung  die  normale,  gesunde  Beschaffenheit  der 
Zeugungsprodukte  festgestellt  ist  und  nur  eine  mechanische  Unmög¬ 
lichkeit  der  Vereinigung  derselben  besteht:  ferner  sollen  alle  anderen 
Mittel  zur  Behebung  der  Sterilität  der  Ehe  erschöpft  sein.  Dann 
ist  die  künstliche  Befruchtung  ein  medizinisch  einwandfreies  Mittel, 
gegen  welches  auch  keine  moralischen  Bedenken  bestehen.  Die  Er¬ 
folge  sind  relativ  günstige  (am  meisten  empfiehlt  sich  die  uterine 
Methode  oder  deren  Verbindung  mit  der  vaginalen  Methode),  indem 
unter  65  Fällen  (bis  1910)  21  =  30  Proz.  Schwangerschaften  erzieh 
wurden.  Bei  der  Verbesserung  der  Auswahl  und  Technik  sind  die 
Aussichten  noch  bessere. 

Nr.  23/24.  M.  M  o  r  t  i  e  r  -  Berlin:  Ueber  Adhäsionen  nach  Kai¬ 
serschnitt,  zugleich  ein  Beitrag  zur  Lehre  vom  queren  Fundalabschnitt 
nach  Fritsch. 

Bericht  über  7  Kaiserschnitte  der  Heidelberger  Klinik,  darunter 
4  mit  dem  queren  Fundusschnitt  nach  Fritsch.  Im  ganzen  scheint 
diese  Methode  dem  Längsschnitt  gleichartig  zu  sein  ohne  absolute 
Vorzüge  vor  demselben,  Im  einzelnen  Fall  wird  man  die  Auswahl 
treffen,  so  z.  B.  wird  bei  einer  Dehnung  des  unteren  Uterinsegmentes 
der  Querschnitt,  bei  im  Fundus  sitzender  Plazenta  der  Längsschnitt 
bevorzugt  werden. 

Nr.  25.  L.  L  i  c  h  t  e  n  s  t  e  i  n  -  Pistyan:  Ein  akuter  Gichtanfall 

von  seltener  Lokalisation. 

Bei  einem  seit  längerer  Zeit  an  Gicht  Leidenden  trat  ein  akuter, 
typisch  ablaufender  Anfall  von  Schmerzhaftigkeit  Rötung  und  Schwel¬ 
lung  an  der  Tuberositas  tibiae  auf. 

Nr.  27.  M.  B  1  ü  w  s  t  e  i  n  -  Basel :  Zur  Frage  der  Beziehungen 
der  Epithelkörperchen  zur  Paralysis  agitans. 

Anatomische  Untersuchungen  an  3  Fällen  von  Paralysis  agitans. 
Bei  zweien  fanden  sich  normale  Epithelkörperchen.  Bei  dem  dritten 
bestand  in  den  Epithelkörperchen  starke  Fettdurchwachsung  und  eine 
geringe  Zahl  von  Hauptzellen;  in  den  2  untersuchten  Epithelkörper¬ 
chen  waren  oxyphile  Zellen  nicht  zu  finden,  was  aber  auch  bei  nor 
malen  Menschen  vorkommt.  Vorliegende  Befunde  sprechen  nicht  da¬ 
für,  dass  morphologische  Veränderungen  der  Epithelkörperchen  den 
Boden  für  die  Entstehung  der  Paralysis  agitans  bilden. 

B  e  r  g  e  a  t  -  München. 

Inauguraldissertationen. 

Universität  Jena.  August  1914. 

Pape  Carl:  Beiträge  zur  Anatomie  von  Sacabranchus  fossilis 
(G  ii  n  t  h  e  r) 

H  i  n  r  i  ch  s  Gustav:  Ueber  eine  neue  Methode  zur  Diagnose  der  bös¬ 
artigen  Geschwülste. 

Brünger  Hermann:  Ueber  Operationstod  bei  Thyreoiditis  chronica. 
(Gleichzeitig  ein  Beitrag  zu  den  Beziehungen  zwischen  Base¬ 
dow  scher  Erkrankung  und  Thyreoiditis.) 

Fröhlich  Arthur:  Ueber  lokale  gewebliche  Anaphylaxie. 
Schubert  G.  Friedrich:  Ein  Fall  von  totaler  Thrombose  der  Aorta 
abdominalis  und  ihrer  Aeste. 

Su  st  Otto:  Ein  Beitrag  zur  Frage:  Hysterie  oder  Simulation. 
Fischer  Fritz:  Portiomyom  als  Geburtshindernis. 

Universität  Würzburg.  August  1914. 

Fuchs  Anton:  Ueber  schmerzlindernde  Mittel  in  der  Geburtshilfe 
mit  besonderer  Berücksichtigung  des  Laudanon. 

Müller  Emil:  Ein  Beitrag  zur  Frage  der  Peritonitis  im  Wochenbette. 
Rossmann  August:  Synechien  und  Atresien  der  Nase  und  des 
Pharynx. 


■  September  1914. _  MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Vereins-  und  Kongressberichte. 

Aerztlicher  Verein  in  Frankfurt  a.  Hfl. 

(Offizielles  Protokoll.) 

'79.  ausserordentliche  Sitzung  vom  29.  Juni  1914. 
Vorsitzender:  Herr  Quincke. 

Schriftführer:  Herr  B  a  e  r  w  a  1  d. 

Eingänge: 

Die  Pockenkommission  (Referent  Herr  N  e  i  s  s  e  r)  beantragt: 
er  ärztliche  Verein  möge  besch  Hessen,  die  Auf- 
erksanikeit  der  Aerztekammer  auf  den  Umstand 
inzulenken,  dass  impfgegnerische  Aerzte  Imp¬ 
ulsen  ausführen. 

Diskussion:  Herr  Lehmann:  Es  ist  zu  erwägen,  ob  nicht 
taktische  Erwägungen,  2.  auch  tatsächliche  Bedenken  gegen  ein 
lilches  Vorgehen  sprechen.  Ein  Teil  der  impfgegnerischen  Aerzte 
•  Pft  ja  aus  Ueberzeugung  ga  r  nicht,  andere  —  gegen  die  sich 
iser  Antrag  an  die  Aerztekammer  richtet  — ,  die  also  impfen,  be¬ 
enden  dies  nämlich  damit,  dass  s  i  e  die  Impfung  deshalb  ausführen, 
eil  sie  sofort  darnach  durch  Schwitzbäder  etc.  —  aber  übrigens 
cht  durch  Abwischen  der  Lymphe  —  die  Schädlichkeiten  zu  v  e  r  - 
i  adern  suchen.  Es  ist  also  meines  Erachtens  den  betreffenden 
erren  mit  dem  Vorwurf  unmoralischen  Vorgehens  nichts  anzuhaben, 
id  so  könnte  unser  Antrag  ohne  Erfolg  bleiben  und  unserem  An- 
hen  dann  Abbruch  geschehen.  Die  Regierung  weiss  von  solchen 
ingen  und  kann  gegen  die  betreffenden  Aerzte  nach  dem  Gesetz 
irgehen. 

Herr  Hanau  hat  Bedenken  dagegen,  da  es  doch,  falls  es  sich 
ir  um  Scheinimpfungen  handelt,  in  erster  Linie  Sache  der  Polizei¬ 
hörde  ist,  sich  darum  zu  bekümmern.  Weiterhin  hat  die  Sache 
nen  denunziatorischen  Beigeschmack  und  es  besteht  auf  Grund 
:s  Impfgesetzes  keine  Möglichkeit,  den  impfgegnerischen  Aerzten 
e  Ausführung  der  Impfung  zu  untersagen. 

Herr  Neubürger  hat  Bedenken  gegen  diesen  Antrag. 

Herr  Neisser:  Wer  öffentlich  als  Arzt  erklärt:  „impfen  ist 
hädlich“  und  danach  trotzdem  impft,  dessen  Tun  widerspricht  dem 
irenkodex.  Der  Anfrag  der  Kommission  ist  nicht  denunziatorisch, 
soll  nur  prophylaktisch  wirken.  Die  Herren  Impfgegner  brauchen 
nicht  zu  impfen! 

Herr  Fromm:  Mir  ist  nicht  bekannt,  dass  die  Kgl.  Regierung 
:zu  bereits  Stellung  genommen  hat,  jedenfalls  erscheint  es  ganz 
wünscht,  wenn  auch  die  Aerzteorganisationen  sich  an  der  Be- 
inpfung  der  Missstände  beteiligen.  Vom  Kgl.  Polizeipräsidium 
rd  den  Impfungen  impfgegnerischcr  Aerzte  die  erforderliche  Auf- 
irksamkeit  geschenkt  und  es  geschehen  diejenigen  Schritte,  die 
Reichsimpfgesetz  vorgesehen  und  zulässig  sind. 

Die  Herren  Neubürger  und  Lehmann  bleiben  bei  ihren 
denken. 

Herr  B  a  e  r  w  i  n  d  t  beantragt  Schluss  der  Debatte.  Der  Antrag 
rd  angenommen  und  der  Antrag  der  Pockenkommission  mit  allen 
gen  3  Stimmen  angenommen. 

Demonstrationen: 

Herr  J.  Feucht  wange  r  demonstriert: 

L  Ein  jetzt  8  jähriges  Kind,  das  bei  der  Geburt  1970  g  schwer 
d  36  cm  lang,  mit  4  Wochen  1015  g  schwer  war,  und  jetzt  körper- 
lh  und  geistig  durchaus  seinem  Alter  entspricht,  nur  Zeichen  iiber- 
mdener  Rachitis  aufweist.  Das  Kind  war  infolge  Hydrorrhoea 
:  “ri  gravidi  amnialis  gesund,  aber  zu  früh  geboren. 

2.  Plazenta  von  Hydrorrhoea  Uteri  gravidi  amnialis  herrühren- 
Kind  wurde  40  cm  lang  totgeboren.  An  der  Plazenta  hingen  nur 

i  hr  mazerierte  Fetzen  der  Eihäute. 

3.  Nachgeburt  eines  Falles  von  spontaner  Nabelschnurruptur  bei 
pilage  und  spontaner  Geburt  in  Rückenlage  im  Bett.  Lebendes 

1  id. 

4  Intrauterine  Skelettierung  eines  ca,  3  monatigen  Fötus. 

5.  ca.  4  monatigen  Fötus  mit  amniotischer  Verwachsung.  Von 
J 1  linken  Fingerspitzen  zieht  ein  amniotischer  Faden  zu  den  Ei- 
1  iten.  dabei  die  Nabelschnur  in  der  Mitte  treffend  und  mit  ihr  ver- 
'  chsend.  Dadurch  entstehen  2  Löcher,  die  begrenzt  sind  einerseits 
'n  Fötus  mit  linkem  Arm,  amniotischem  Faden  und  fötalem  Teil 
Nabelschnur,  andererseits  Plazenta,  plazentarem  Teil  der  Nabel- 
mur  und  amniotischem  Faden.  Der  plazentare  Teil  der  Nabel- 
nur  zeigte  ca.  20  Drehungen,  woraus  hervorgeht,  dass  der  Fötus 
tensooft  durch  dieses  letztere  Loch  schlüpfte  und,  indem  er  sich 
Blutzufluss  abdrehte,  sich  selbst  tötete.  Sonst  keine  Miss- 
‘  Jungen  am  Fötus. 

Herr  Amberger  demonstriert: 

L  Fall  von  traumatischer  Pseudozyste  des  Pankreas. 

Junger  Mann  erlitt  am  16.  X.  13  eine  Quetschung  durch  einen 
'  mbkarren  in  der  Magengegend.  Zunächst  keinerlei  Anzeichen 
i er  intraabdominellen  Verletzung.  Völliges  Wohlbefinden  während 
'  agen,  innerhalb  deren  Pat.  zu  Bette  liegt.  Beim  ersten  Aufstehen 
urechen,  das  sich  in  den  nächsten  Tagen  mehrfach  wiederholt. 

-  ichzeitig  bildet  sich  in  der  linken  Oberbauchgegend  eine  deutliche 
r  Wölbung  aus,  die  perkutorisch  völlige  Dämpfung  aufweist, 
j’ntgenbild  zeigt  den  Magen  stark  nach  rechts  und  oben  verdrängt. 
U.  kommt  in  den  folgenden  Tagen  auffallend  herunter. 


Diagnose:  Flüssigkeitserguss  in  die  Bursa  omentalis,  viel¬ 
leicht  vom  Pankreas  herrührend. 

1.  XI.  13  Operation.  Vorderwand  der  Bursa  omentalis  mit  Peri¬ 
toneum  parietale  verlötet.  Bursa  von  grossem  Erguss  ausgefüllt, 
der  stark  blutig  gefärbt  sämtliche  Pankreasfermente  enthält. 
Pankreas  bildet  die  Hinterwand  der  Höhle,  zeigt  einige  nekrotische 
I  artien,  auch  in  der  Flüssigkeit  einige  nekrotische  Fetzen.  Drainage 
und  1  amponade  der  Höhle.  In  der  Folgezeit  starke  Entleerung  (bis 
1400  ccm  täglich)  von  Pankreassekret  aus  der  Drainage.  Pat.  kommt 
während  dieser  Zeit  stark  herunter.  W  o  h  1  g  e  m  u  t  h  sehe  Diät  ohne 
ersichtlichen  Einfluss.  Dann  ganz  plötzlich  nach  ca.  1  Monat 
spontaner  Schluss  der  Fistel.  Danach  rapide  Erholung.  Gegenwärtig 
ist  Pat.  völlig  gesund  und  beschwerdefrei.  Fistel  ist  dauernd  ge¬ 
schlossen  geblieben.  Pat.  ist  arbeitsfähig. 

2-  Fall  von  Thorakoplastik  nach  Empyenifistel. 

38  jährige  Frau,  im  Juli  1913  wegen  metapneumonischen  Empyems 
operiert  Fistel  trotz  aller  Bemühung  nicht  zum  Schluss  zu  bringen. 
Deshalb  22.  X.  13  Thorakoplastik  nach  Schede.  Ausgedehnte 
Resektion  von  6  Rippen,  Wegnahme  der  Interkostalmuskulatur,  sowie 
der  Pleura  costalis,  die  enorm  schwartig  verdickt  ist.  Dekortikation 
der  Lunge  nach  D  e  1  o  r  m  e.  Heilung  völlig  glatt  und  ohne  Fistel. 
Gute  Erholung  der  Patientin. 

Schluss  der  Sitzung  8%  Uhr. 


Verein  der  Aerzte  in  Halle  a.  S. 

(Bericht  des  Vereins.) 

Sitzung  vom  27.  Mai  1914  (Schluss). 

Vorsitzender:  Herr  B  e  n  e  k  e. 

Schriftführer  i.  V.:  Herr  Zander. 

Herr  David:  Mitteilungen  zur  Kenntnis  der  Ozonwirkung. 

Schon  bald  nachdem  Schönbein  das  Ozon  entdeckt  hatte, 
wurde  es  eifrig  medizinisch-therapeutisch  zu  verwenden  gesucht.  Die 
Anwendung  gründete  sich  vor  allem  auf  der  Annahme,  dass  03  ein 
normaler  Bestandteil  des  Blutes  sei  und  man  hoffte  durch  03-Zufuhr 
dem  Organismus  einen  lebenswichtigen  Stoff  zu  geben.  Diesen, 
namentlich  durch  Lender  übermässig  propagierten  Bestrebungen 
trat  Pflüger  energisch  entgegen  dadurch,  dass  er  die  wissenschaft¬ 
liche  Haltlosigkeit  dieser  Annahme  nachwies.  Weiter  hat  dann 
namentlich  Binz  die  03-Wirkung  auf  eine  wissenschaftliche  Basis  zu 
stellen  gesucht.  Exakte  Untersuchungen  über  den  Einfluss  auf  die 
tierischen  und  pflanzlichen  Fälle  liegen  nur  wenige  vor,  so  dass 
Z  u  n  t  z  noch  1906  schreiben  konnte  „für  heute  kann  man  von  physio¬ 
logischen  Grundlagen  einer  Ozonsauerstofftherapie  kaum  reden“. 

Am  meisten  noch  ist  über  den  Einfluss  auf  Bakterien  gearbeitet 
worden,  doch  hatte  dies  im  wesentlichen  zu  negativen  Resultaten 
geführt,  d.  h.  man  fand  keinen  irgendwie  deutlichen  Einfluss  auf 
pathogene  Keime.  Auch  zeigte  sich,  dass  kleine  Tiere,  namentlich 
Kaltblüter,  unter  03-Wirkung  nicht  leiden  (Sigmund).  Von  schäd¬ 
lichen  Einflüssen  waren  schon  früher  namentlich  Veränderungen  in 
den  Lungen  aufgefallen,  die  besonders  in  Oedem,  Bronchitis  und 
Peribronchitis  (Schultz)  zum  Ausdruck  kam.  Eine  gewisse 
Schwierigkeit  hatte  es  früher  gemacht,  ganz  reines  Ozon  anzuwenden, 
da  bei  den  meisten  Methoden  auch  andere  Produkte  wie  Stickstoff¬ 
oxyde  entstanden.  Mit  einwandfreier  Methodik  wurden  vor  kurzem 
die  Untersuchungen  an  den  Lungen  wieder  aufgenommen  von  Hill 
und  Fla  ck;  aber  auch  sie  kamen  zu  dem  Ergebnis,  dass  bereits  sehr 
geringe  03-Mengen  schwere  Veränderungen  in  dem  Lungengewebe 
hervorrufen  können.  Wir  haben  mit  Hilfe  eines  handlichen  Apparates, 
den  die  Firma  Siemens  &  Halske  gebaut  hatte  und  der  gleichzeitig 
eine  Dosierung  der  erzeugten  Os-Menge  erlaubt,  diese  Versuche 
wiederholt.  (Es  folgt  eine  Demonstration  der  Konstruktion  und  Funk¬ 
tion  des  Apparates  und  einiger  erforderlicher  Hilfsutensilien.) 

Auch  wir  sahen  bei  Versuchstieren  schwere  Schädigungen  au 
den  Lungen  auftreten.  Wir  haben  dann  diese  Versuche  auf  andere 
Gewebe  ausgedehnt  und  konnten  hierbei  feststellen,  dass  sich  alle 
anderen  Gewerbe  des  Körpers  wesentlich  anders  verhalten,  selbst  in 
den  höchsten  Dosen  von  03  ergaben  sich  keine  Reizerscheinungen. 
Kaninchen  und  Hunde  vertrugen  03  intrapleural,  intraperitoneal  und  an 
den  verschiedensten  Stellen  des  Magen-  und  Darmkanals  ohne 
schwerere  Schädigung.  Dieses  gegensätzliche  Verhalten,  das  viel¬ 
leicht  mit  dem  Flimmerepithel  des  Respirationstraktus  zusammen¬ 
hängt,  war  bisher  nicht  bekannt. 

Aufbauend  auf  die  Versuche  Pfannenstiels,  der  aus  per  os 
verabreichtem  Jodkali  in  lupösen  und  tuberkulösen  Gewebe  durch 
Ozon  Jod  abzuspalten  suchte  und  dabei  gute  therapeutische  Erfolge 
erzielt  hat,  haben  auch  wir  diese  Frage  experimentell  angeschnitten, 
in  gemeinsamer  Arbeit  mit  Dr.  Ishiguro  konnte  ich  nachweisen, 
dass  sich  eine  solche  Jodabspaltung  in  den  meisten  Organen  mit 
Ausnahme  des  unteren  Darmkanals  erzielen  lässt:  namentlich  in  den 
Lungen  liess  sich  ein  starker  Jodgehalt  nachweisen.  Damit  haben 
wir  experimentell  bewiesen,  dass  eine  entsprechende  Therapie  sich 
auf  richtige  Voraussetzungen  aufbaut.  Dementsprechend  sind  wir 
auch  in  der  menschlichen  Therapie  vorgegangen.  Ueber  die  hierbei 
gesammelten  Erfahrungen  werde  ich  mir  erlauben  später  zu  berichten. 

Diskussion:  Herr  W  i  n  t  e  r  n  i  t  z :  Vielleicht  gewinnt  die 
Ozonisierung  für  die  interne  .1  o  d  k  a  1  i  t  h  e  r  a  p  i  e  tertiärluetischer 
Manifestationen  Bedeutung.  Ich  denke  in  erster  Linie  an  gummöse 


1914 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  36 


Prozesse  in  der  Leber  oder  an  anderen  leicht  zugänglichen  Stellen. 
Wenn  es  durch  die  Ozonisierung  gelingt.  Jod  in  statu  nascetidi  am 
eigentlichen  locus  rnorbi  in  grösseren  Mengen  frei  zu  machen,  so  ist 
zu  erwarten,  dass  die  therapeutische  Einwirkung  des  Jodkaliums  oder 
anderer  Jodpräparate  in  derartigen  Fällen  eine  viel  energischere  sein 
wird. 

Herr  Benckc:  Nach  dem  mikroskopischen  Bild  der  Lunge 
handelt  cs  sicli  vorwiegend  um  (Jedem  und  kleine  Blutungen  *). 

An  der  Diskussion  beteiligte  sich  auch  Herr  Ad.  Schmidt. 

Sitzung  vom  10  Juni  1914. 

Vorsitzender:  Herr  B  e  n  c  k  e. 

Schriftfiiher:  Herr  Stieda. 

Auf  Vorschlag  des  Vorsitzenden  wird  in  Beantwortung  einer 
Anfrage  des  „Vereins  zur  Förderung  des  Zeichenunterrichts  in  den 
Schulen“  folgender  Beschluss  gefasst: 

Der  ärztliche  Verein  zu  Halle  a.  S.  erkennt  die  Bestrebungen 
des  „Breslauer  Vereins  zur  Förderung  des  Zeichenunterrichtes“  als 
sehr  bedeutungsvoll  für  die  Erziehung  zum  Studium  der  Naturwissen¬ 
schaften  und  der  Medizin  an  Je  früher  die  Tätigkeit  zu  genauer 
Beobachtung  der  Formen-  und  Farbenwelt  entwickelt  und  geschult 
wird,  um  so  mehr  wird  das  Verständnis  der  Naturobjekte  erleichtert, 
welche  den  Gegenstand  des  naturwissenschaftlich-medizinischen 
Studiums  bilden. 

Diese  Fähigkeit  aber  kann  nur  durch  die  von  früh  auf  systema¬ 
tisch  durchgeführte  Uebung  im  Zeichnen  erworben  werden,  welche 
für  das  plastische  Denken  soviel  bedeutet  wie  das  Auswendiglernen 
von  Worten  und  Formen  für  das  Sprachverständnis.  Ausgiebiger 
Zeichenunterricht  führt  auch  passiv  mindestens  ebenso  vollkommen 
in  das  ästhetische  Verständnis  der  Welt  ein,  wie  der  Unterricht  in 
Sprache  und  Literatur:  er  hat  dabei  den  Vorteil,  die  manuelle  Ge¬ 
schicklichkeit  nicht  nur  für  das  Zeichnen  selbst,  sondern  auch  für 
andere  Zwecke  zu  erhöhen.  Für  das  medizinische  Studium  bildet  das 
Zeichnen  eine  durchaus  notwendige  technische  Grundlage:  die  Tat¬ 
sache,  dass  heute  nur  sehr  wenig  Studierende  der  Medizin  leidlich 
zeichnen  können,  macht  viele  Schwierigkeiten  im  Unterricht  und 
Mängel  in  deren  Resultaten  begreiflich. 

Mit  Sicherheit  darf  erwartet  werden,  dass  eine  gründliche  Vor¬ 
bildung  im  Zeichnen  auf  den  3  vorbereitenden  Schulen  für  die  Absol¬ 
vierung  des  medizinischen  Studiums  eine  wesentliche  Verbesserung 
mit  sich  bringen  wird.  Deshalb  schliesst  sich  der  Verein  vom  Stand¬ 
punkte  des  ärztlichen  Interesses  aus  den  Bestrebungen  des  „Bres¬ 
lauer  Vereins  zur  Förderung  des  Zeichenunterrichtes“  nachdrücklich 
an  und  ermächtigt  den  letzteren  zur  Verwendung  dieser  Meinungs¬ 
äusserung  im  Interesse  der  angeregten  Sache.  Nur  das  Bestreben 
des  Breslauer  Vereins,  das  Zeichnen  auch  in  die  Reihe  der  Examens¬ 
fächer  aufnehmen  zu  lassen,  erscheint  dem  ärztlichen  Verein  als  zu 
weit  gegangen. 

Herr  Niklas  (a.  G.):  Ueber  Dickdarmmelanose. 

Vortr.  demonstriert  2  Fälle  von  Dickdarmmelanose,  die  in  allen 
wesentlichen  Punkten  anatomisch  mit  dem  von  Pick  aufgestellten 
Typus  übereinstimmen.  Mikrochemisch  weicht  das  Pigment  der 
Dickdarmmelanose  in  einigen  Punkten  von  dem  echten  Melanin,  wie 
es  in  der  Haut  und  in  der  Retina  vorkommt,  nicht  unwesentlich  ab, 
so  dass  der  Vortr.  übereinstimmend  mit  Hu  eck  und  Henschen 
und  Bergstrand  demselben  eine  Zwischenstellung  zwischen 
echtem  Melanin  und  Lipofusein  anweist.  Vortr.  geht  sodann  auf 
die  Biologie  der  Melanine  ein  und  bespricht  die  Tyrosinasen.  Eine 
solche  konnte  er  auch  im  melanotischen  Dickdarm  nachweisen,  der 
einmal  die  Fähigkeit  besitzt  noch  relativ  lange  nach  dem  Tode  bei 
steriler  Autolyse  bei  56®  nachzudunkeln  durch  aktive  fermentative 
Pigmentneubildung;  des  weiteren  konnte  die  Oxydasenwirkung  nach¬ 
gewiesen  werden  am  makroskopisch  normalen  frischen  Darm,  der 
nur  mikroskopisch  erkennbare  Mengen  von  Melanin  enthielt,  und 
schliesslich  gelang  auch  der  direkte  Nachweis  im  physiologischen 
Kochsalzauszug  des  Dickdarmes  einer  51  jährigen  marantischen  Frau. 
Eingestellt  war  diese  Oxydase  nur  auf  Tyrosin,  Versuche  mit 
Tryptophan  und  Adrenalin  fielen  negativ  aus. 

Klinisch-ätiologisch  kommt  bei  der  in  den  ausgesprochenen 
Graden  nur  seltenen,  im  übrigen  aber  relativ  häufigen  Affektion  nach 
den  Untersuchungen  von  Henschen  und  Bergstrand  neben 
vorgerücktem  Alter  und  dem  nur  selten  fehlenden  Marasmus  höchst¬ 
wahrscheinlich  die  chronische  Obstipation  in  Betracht.  Vortr.  hält 
dabei  vorläufig  weniger  eine  quantitative  oder  qualitative  Ver¬ 
änderung  der  aromatischen  Aminosäuren,  die  als  Farbbildner 
fungieren,  als  vielmehr  den  exzessiv  gesteigerten  Fermentgehalt  der 
Dickdarmmukosazellen  für  das  Wesentliche. 

(Erscheint  ausführlich  im  Archiv  für  Verdauungskrankheiten, 
siehe  auch  die  vorläufige  Mitteilung  M.m.W.) 

Diskussion:  Herr  Beneke:  Die  von  Herrn  Niklas  aus¬ 


*)  Bald  nach  dem  Vortrag  hatte  Herr  Dr.  David  die  Güte,  mir 
einen  Hund,  der  durch  wiederholte  Ozonatmung  getötet  war,  zur 
Sektion  zu  überweisen.  Ich  fand  starkes  Lungenödem,  auffallende 
Entwicklung  und  Abstossung  myelinfetthaltiger  Alveolarepithelien, 
hier  und  da  etwas  Fibrin  in  den  Alveolen,  viel  Leukozyten  in  den 
Lungenkapillaren;  starke  Verfettung  der  Tub.  contort.,  der  Nieren. 
(Der  Versuch  hatte  nur  wenige  Stunden  gedauert;  der  Hund  war 
ca.  8  Stunden  danach  krepiert.) 


gesprochene  Vermutung,  dass  ich  unter  etwa  700  Fällen  je  1  Fai 
schwerer  Dickdarmmelanose  gesehen  hätte,  stimmt  vielleicht  nicli 
ganz,  ich  halte  die  Fälle  für  noch  seltener.  Herr  Kollege  Schreibe 
in  Königsberg,  dessen  reiche  romanoskopische  Erfahrung  bekannt  ist 
teilte  mir  mit,  dass  er  noch  nie  einen  Fall  in  vivo  beobachtet  habt 

Herr  Keller:  1.3  Geschwülste  der  rechten  Anhänge  mit  älui 
liehem  Untersuchungsbefunde  vor  der  Operation: 

a)  Parovasientumor. 

b)  Tubentumor. 

c)  Tubargravidität  bei  gleichzeitiger  regelrechter  Schwanger 
schaft  im  3.  Monat.  (Vor  4  Wochen  operiert;  die  normale  Schwanger 
schaft  besteht  weiter!) 

2.  Luftemphysem  der  Haut  der  rechten  Körperhälfte  nach  Bauch 
schnitt,  infolge  heftigen  Brechens. 

3.  Fremdkörper: 

a)  hühnereigrosser  Blasen-Harnröhrenstein  um  eine  grosse  Haar 
nadel  herum. 

b)  Intrauterinpessar,  das  lange  Zeit  (3  Jahre)  gelegen  hat.  et<| 

c)  Kuriosa: 

a)  Verschluckte  Gegenstände,  nach  1  Jahr  (von  Geh.  Ra 
Oberst)  aus  dem  Magen  entfernt  durch  Laparotomie* 
ß)  2  Schieferstiftspitzen,  von  denen  die  eine  etwa  14  Jahr 
in  der  Hohlhand,  die  andere  etwa  5  Jahre  unter  der  Kopt 
haut  lag, 

y)  Schlüssel  am  Penis  zur  Verhütung  der  Konzeption. 


Biologische  Abteilung  des  ärztlichen  Vereins  in  Hamburc 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  5.  Mai  1914. 

Vorsitzender:  Herr  A  1 1  a  r  d. 

Schriftführer:  Herr  v.  Engelbrecht. 

Herr  Lohfel  dt:  Ueber  einen  Fall  von  ungewöhnlich  hoch 
gradiger  Spondylitis  detormans  der  Lendenwirbelsäule. 

An  der  Hand  eines  demonstrierten  Diapositivs  von  einer  Wirbe 
aufnahme  aus  dem  Hafenkrankenhause  wird  der  Fall  eines  53 jäh 
Arbeiters  besprochen,  der  früher  nie  über  Beschwerden  seiten 
seiner  Wirbelsäule  zu  klagen  hatte,  der  als  Schauermann  täglic 
schwere  Lasten  heben  musste,  bis  er  im  März  d.  J.  in  einen  Schiff: 
raum  fiel  und  sich  einen  Bruch  des  XII.  Brustwirbels  sowie  de 
Proc.  transv.  sin.  des  II.  Lendenwirbels  zuzog.  Die  Röntgenau 
nähme  zeigte  diese  Wirbelverletzungen  einwandfrei,  daneben  (an 
sich  eine  Spondylitis  deform,  der  unteren  Brustwirbel  in  der  Haup 
sacke  links  und  sehr  grosse  spondylitische  Spangenbildungen  recht 
am  1.,  II.  und  III.  Lendenwirbel.  Die  schwere  Spondylitis  deformar 
hatte  dem  Patienten  also  vor  seinem  Unfall  nie  Beschwerden  ge 
macht.  Eruiert  wird  nun  folgendes:  1.  Die  Bewertung  der  Spot 
dyliiis  deform,  bei  der  Bemessung  einer  Unfallrente,  man  soll  nicl 
bei  jeder  (auch  posttraumatischen)  Spond.  def.  eine  Dauerrente  gebe; 
da  zwar  die  Veränderung  nicht  heilbar,  aber  die  Beschwerden  wo! 
zu  bessern  sind.  2.  Die  Intensität  der  Beschwerden  steht  nicht  ii 
Verhältnis  zur  Schwere  der  Wirbelveränderungen.  3.  Die  Form  dt 
Skoliose  (oben  rechts  konvex,  unten  links  konkav  und  die  Zacke 
und  Spangen  an  der  Konkavität)  gibt  vielleicht  einen  Anhalt  für  d 
Entstehung  durch  statische  Veränderungen.  4.  Wenn  Verdacht  ai 
irgendwelche  Wirbelverletzungen  oder  auch  nur  Quetschung  de 
Rückens  besteht,  soll  man  stets  Röntgenaufnahmen  der  betr.  Wirb 
machen,  um  keine  schon  vorhandene  Spond.  def.  später  für  eine  pos 
traumatische  erklären  zu  müssen. 

Diskussion:  Herr  Plate  warnt  auch  seinerseits  davor,  ai 
dem  Grade  der  Veränderungen  im  Röntgenbilde  einen  Schluss  i< 
ziehen  auf  die  Arbeitsfähigkeit  des  Trägers.  Die  Bedeutung  dt 
statischen  Moments  zeigt  sich  an  der  stärkeren  Beteiligung  dt 
rechten  Seite  der  Wirbelsäule  am  Krankheitsprozess  und  die  B< 
obachtung,  dass  im  Tierreich  die  Krankheit  nur  bei  Tieren  mit  au 
rechter  Körperhaltung  vorkommt,  spricht  in  gleichem  Sinne. 

Baudonin  hat  1912  in  der  Pariser  Acad.  des  cienccs  iE 
Krankheit,  die  älteste  bekannte  Krankheit  genannt.  Er  fand  sie  ■ 
typischer  Weise  an  den  Wirbelsäulen  von  Höhlenmenschen  und  vcj 
den  vorhandenen  Tieren  nur  beim  Höhlenbären. 

Bei  den  Männerskelettcn  waren  besonders  die  untersten  Brus 
und  die  Lendenwirbel  befallen,  bei  den  Frauenskeletten  die  Har 
Wirbelsäule  mit  stärkerem  Befallensein  der  linken  Seite.  Vielieic. 
rührt  das  daher,  dass  die  Frauen  Lasten  so  auf  dem  Kopfe  trüge 
dass  sie  mit  einer  Hand  stützten  und  dadurch  eine  Seite  mehr  b 
lastet  wurde. 

Unter  den  zahlreichen,  recht  naturalistischen  Zeichnungen,  e 
man  in  solchen  Höhlen  findet,  konnte  P.  keine  Bilder  von  Fr  auf 
finden,  die  so  Lasten  trugen. 

Herr  H  a  e  n  i  s  c  h. 

Herr  Simmonds:  Auch  die  anatomische  Erfahrung  bestäti 
die  sehr  grosse  Häufigkeit  der  Spondylitis  deformans  bei  Männeii 
jenseits  des  50.  Jahres.  Oefter  trifft  man  schwere  Veränderung: 
bei  Individuen  an,  die  bis  kurz  vor  ihrem  Tode  ihre  volle  Arbeit 
fähigkeit  besessen  haben.  Eine  allzu  grosse  Bewertung  des  Befund' 
intra  vitam  ist  also  im  allgemeinen  abzulehnen.  Andererseits  weis; 
aber  doch  die  Erfahrungen  an  anderen  Körperabschnitten  darauf  In 
dass  pach  Traumen  an  Gelenken  mit  deformierender  Arthritis  vi 


S.  September  1914. 


MUFNCHFNFR  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1915 


hartnäckigere  Störungen  sielt  ansehliessen;  und  es  ist  daher  anztt- 
iiehmen,  dass  Individuen  mit  Spondylitis  deformans  auf  ein  Trauma 
der  Wirbelsäule  schwerer  reagieren  als  andere. 

Herr  L  o  h  f  e  I  d  t  (Schlusswort). 

Herr  Simmonds:  Ueber  Veränderungen  der  Hypophysis  bei 

Meningitis  tubcrculosa. 

Hie  Hvpophysis  ist  bei  tuberkulöser  Meningitis  fast  immer  be- 
tciligt.  Meist  beschränkt  sich  der  Prozess  auf  eine  Umscheidung  des 
Micks  durch  eine  mehr  oder  minder  breite  Infiltrationsschicht  und 
eine  Infiltration  der  Drüsenumhüllung.  In  manchen  Fällen  greift  aber 
der  tuberkulöse  Prozess  von  der  Umgebung  auf  die  äussersten 
Schichten  des  Organs  über,  in  derselben  Weise,  wie  ja  auch  die  Hirn¬ 
rinde  sich  oft  an  der  tuberkulöse  der  Meningen  beteiligt.  Wenn 
auch  die  tuberkulöse  Infiltration  dabei  niemals  weiter  in  die  liefe 
des  Hirnanhangs  eindringt,  so  wäre  es  doch  möglich,  dass  diese 
Oberflächenerkrankung  und  besonders  die  Umscheidung  des  für  den 
Sekretabfluss  so  wichtigen  Stiels  Sekretionsstörungen  veranlassen. 

Neben  der  Erkrankung  der  Oberfläche  kommen  aber  auch  im 
Innern  der  Hypophysis  bei  1  uberkulose  des  Hirns  und  seiner  Häute 
Miliartuberkeln  vor.  Diese  bisher  nie  erwähnten  feinen  Knötchen, 
die  nur  als  Tcilerscheinung  einer  allgemeinen  Miliartuberkulose  auf- 
zufassen  sind,  finden  sich  sowohl  im  Vorder-  wie  Hinterlappen.  In 
ersterem  sind  sie  seltener  und  kleiner,  in  letzterem  grösser  und 
häufiger. 

Ob  all  die  geschilderten  Veränderungen  klinische  Erscheinungen 
auslösen,  ist  bei  der  grossen  Ausbreitung  der  meningealen  Ver¬ 
änderungen  im  Zentralnervensystem  schwer  zu  sagen.  Mit  der  Mög¬ 
lichkeit  ist  jedenfalls  zu  rechnen;  es  empfiehlt  sich  daher  in  Fällen, 
die  sich  durch  besondere  klinische  Eigentümlichkeiten  auszeichnen, 
abnorm  tiefe  Temperatur,  erhöhte  Diurese  usw.  den  Hirnanhang 
histologisch  zu  untersuchen. 

Herr  G  r  i  s  s  o  n  und  Herr  D  e  I  b  a  11  c  o:  Monströser  Tumor  der 
üenitalgegend. 

Im  Anschluss  an  die  Demonstration  im  Hamburger  Acrztlichen 
Verein  am  6.  Dezember  1910  (D.m.W.  1911  Nr.  14,  Vereinsbeilage 
>.  669)  berichtet  Herr  Qrisson  über  das  weitere  Schicksal  des 

Kranken. 

Mikroskopische  Untersuchungen  von  exzidierten  Stücken  und 
exstir pierten  Drüsen  lieferten  widersprechende  Ergebnisse: 

Prof.  Simmonds  fand  keine  malignen  Stellen  und  hielt  die 
Prognose  für  günstig. 

Dr.  Del  bau  co  erklärte:  Spitze  Kondylome  liegen  weder 
Klinisch  noch  mikroskopisch  vor,  cs  handle  sich  um  ein  „sehr  gut¬ 
artiges  Karzinom“. 

Bei  diesem  Widerspruch  konnte  (i.  sich  zunächst  nicht  zu  einer 
xadikaloperation  entschlossen,  da  diese  zu  vollständiger  Emasculatio 
uhren  musste.  Es  wurden  deshalb  austrocknende  Mittel,  Aetzungen 
salvarsan,  Röntgenstrahlen,  scharfer  Löffel,  Kaustik  und  harte 
schmirschlinge  versucht. 

Ohne  jeden  bleibenden  Erfolg. 

Weitere  mikroskopische  Untersuchungen  blieben  wider¬ 
spruchsvoll. 

Prof.  Simmonds:  Benigne  epitheliale  Neubildung,  nicht  Kar- 
dnom.  Prognose  günstig. 

Dr.  Delbanco:  Spitze  Kondylome  mit  Bestimmtheit  aus¬ 
geschlossen.  Epitheliale  Neubildung  mit  sehr  suspekten  Epithel- 
•' Bänderungen.  Später:  Hoffnungsloses  Karzinom. 

Der  Tumor  wuchs  durchaus  nach  Art  eines  Karzinoms,  führte 
ui  einer  Harnröhren-,  später  auch  zu  einer  Darmfistel,  drang  tief  ins 
wavum  ischio-rectale  und  zwischen  die  Muskulatur  des  Ober-  I 
ichenkels  ein  und  arrodierte  das  Schambein. 

Eine  am  16.  X.  1911  ausgeführte  grosse  Radikaloperation  mit 
masculatio  und  eine  nochmalige  Rezidivoperation  waren  erfolglos. 
Kr  Kranke  starb  nach  2Vz jährigem  Aufenthalt  im  Krankenhaus; 
iber  8  Jahre  nach  Beginn  des  Leidens. 

Die  Sektion  ergab,  dass  der  Tumor  ganz  wie  ein  Karzinom  ge¬ 
wachsen  war,  aber  keinerlei  Metastasen  in  Drüsen  oder  anderen 
•rganen  gemacht  hatte. 

Es  war  also  klinisch  ebenso  widerspruchsvoll  wie  mikroskopisch. 

Ein  offenbar  ganz  gleicher  Fall  ist  jetzt  in  Kiel  von  Konjetzny*) 
icobachtet  und  beschrieben  worden. 

(Demonstration  von  Photogrammen  und  einer  Moulage.) 

Herr  D  e  I  b  a  n  c  o  hatte  Gelegenheit,  den  Tumor,  welcher  ihm 
deich  bei  der  ersten  Vorstellung  als  Morbus  sui  generis  imponiert 
'atte,  zu  verschiedenen  Zeiten  zu  untersuchen.  Die  noch  im  De- 
unber  1910  gewonnenen  Präparate  hatten  ihn  trotz  einer  stellen- 
\eisc  nicht  einmal  geringen  Aehnlichkeit  das  „spitze  Kondylom“ 
tblehnen  lassen.  D.  rekapituliert  den  derzeitigen  Stand  der  Dia¬ 
gnostik  des  Condyloma  acuminatum.  Der  neuerliche  Vorstoss  von 
'«■ouquist  (Malmö  1912),  den  Ausgangspunkt  der  Wucherung 
wieder  in  das  Bindegewebe  zu  verlegen,  wird  abgelehnt.  —  Neben 
lCn  Y°n'  spitzen  Kondylom  trennenden  Momenten  waren  es  eine  zum 
ttreheinander  der  Zellen  vielfach  führende  Unruhe  der  tieferen  Lagen 
Ics  Akanthoms,  eine  Neigung  der  Stachelzellen  zur  Erweichung,  zur 
jyalinen  Degeneration  und  Perlcnbildung,  welche  I).  veranlassten, 
ler  fremdartigen  Wucherung  die  Zeichen  einer  eben  beginnenden 
ualignität  zuzusprechen.  Unna  folgte  D.  in  der  Ablehnung  des 
mndyloms  acuminatum,  nicht  in  der  Diagnose  einer  malignen  Neu¬ 


bildung,  empfahl  vorderhand  von  einem  Epitheliom  grossen  Stils  zu 
sprechen. 

D.  erinnert  an  die  Referate  von  Darier,  Ford  y  c  c  und 
■I  ad  a  s  s  oh  n  auf  dem  Londoner  Kongress  über  die  benignen  und 
malignen  Epitheliome  der  Haut.  Die  Dermatologie  kann  des  Epi¬ 
thelioms  nicht  entraten,  welches  die  Pathologen  viel  enger  fassen 
unci  mit  welchem  die  dermatologischen  Schulen  der  verschiedenen 
Lander  keine  einheitlichen  Begriffe  verbinden. 

Die  Röntgenbestrahlung  hatte  vorübergehend  und  stellenweise 
die  Epithellager  zur  Abstossung  gebracht.  Der  freiliegende  Binde- 
gewebskörper  wurde  schnell  epithelisiert.  Ebenso  schnell  geriet  die 
Epitheldecke  in  Wucherung  mit  dem  Ergebnis  der  ursprünglichen 
Geschwulstbildung.  Im  Bindegewebe  zu  allen  Zeiten  der  Unter¬ 
suchung  eine  stärkst  ausgebildete  chemisch  entzünd- 
1 1  c  h  e  R  e  i  z  u  n  g  mit  starker  Erweiterung  der  Venen.  Die  Röntgen¬ 
bestrahlung  kann  nicht  Ursache  sein,  dass  schon  Ende  1911  die  Ge¬ 
schwulstbildung  durchweg  das  mikroskopische  Bild  des  ausge¬ 
sprochenen  Plattenepithelkrebses  aufwies,  ohne  dass  klinisch 
die  Wucherung  als  solche  ein  anderes  Aussehen 
annahm. 

Wie  in  der  Mehrheit  der  Fälle  die  karzinomatöse  Wucherung 
der  Haut  über  die  grössere  Spanne  ihres  zeitlichen  Bestandes  in 
Zusammenhang  bleibt,  ist  es  auch  hier  nirgends  zu  einer  Abschnürung 
von  Epithel  gekommen  trotz  hochgradiger  Metaplasie  der  Stachel- 
zel  en,  Verlustes  der  Architektur  der  Haut,  alles  Zeichen  einer 
malignen  Degeneration,  ln  der  Wahrung  des  Epithelzusammen¬ 
hanges  in  Verbindung  mit  der  kräftigen  Reaktion  des  Bindegewebes 
beruht  wohl  auch  hier  die  relative  Gutartigkeit  des  Tumors,  welcher 
per  contignitatem  das  Os  pubis  usurierte,  aber  selbst  die  meist  ge¬ 
fährdeten  Lymphdrüsen  nicht  infizierte.  In  Schnitten  durch 
diese  nicht  eine  Krebszelle. 

Auffällig  in  den  Präparaten  ist  die  Erweichung  des  Krebs¬ 
gewebes.  Bei  schwacher  Vergrösserung  denkt  man  an  Querschnitte 
eitrig  infiltrierte  Bindegewebspapillen  mit  isolierten  Epithelien.  Die 
geschwollenen  Krebszellen  haben  durch  Aufnahme  von  Leukozyten 
in  ihrem  verflüssigten  Protoplasmateil  bizarre  Formen  angenommen. 

Delbanco  erinnert  an  B.  Fischers  Untersuchungen  über 
Scharlachrot  und  atypische  Epithelwucherung.  Wer  Hypothesen 
liebt,  mag  beim  Studium  der  zahlreichen  demonstrierten  Präparate 
denken,  welche  vom  Bindegewebe  aus  die  Epitheldecke  in 
Wucherung  brachten  —  und  auch  wieder  in  Schranken  hielten. 
E  i  s  c  h  e  r  s  Arbeiten  haben  W  a  1 1  i  c  h  in  Prag  zu  geistvollen 
Studien  angeregt.  Er  brachte  Scharlachrot  unter'  die  Keimscheibe 
von  Hühnerembryonen,  erzeugte  dadurch  Epithelwucherungen  und 
Vervielfachungen  des  Medultarrohres.  (Arch.  f.  Entwicklungsmechanik 
38.  Bd.) 

Diskussion:  Herr  Simmonds:  Wie  Sie  an  dem  pro¬ 
jizierten  Mikrophotogramm  erkennen  können,  war  der  histologische 
Befund  an  dem  vor  4  Jahren  von  mir  untersuchten  Stück  nicht  von 
der  Art,  dass  man  ein  Karzinom  diagnostizieren  durfte,  und  es  freut 
mich  zu  hören,  dass  auch  ein  so  erfahrener  Kenner  der  Hautpatho¬ 
logie,  wie  Unna,  damals  sich  in  gleichem  Sinne  geäussert  hat.  Auch 
bei  einem  kürzlich  veröffentlichten,  dem  vorliegenden  stark  ähnelnden 
Tumor  lehnte  Konjetzny  die  makroskopisch  gestellte  Diagnose 
Krebs  auf  Grund  des  histologischen  Befundes  ab,  und  Lu  barsch 
unterstützte  nachträglich  diese  Auffassung.  In  den  von  Herrn 
Delbanco  jetzt  vorgelegten  Präparaten  findet  sich  zweifellos 
krebsiges  Gewebe,  und  ich  kann  daher  nur  annehmen,  dass  im  Laufe 
der  4  Jahre  seit  meiner  ersten  Untersuchung  sich  eine  maligne  Um¬ 
wandlung  des  Tumors  vollzogen  hat.  Auffallend  bleibt  es  ja  immer, 
dass  ein  Karzinom  von  dieser  enormen  Ausdehnung  nach  5  jähriger 
Dauer  keine  Metastasen,  vor  allem  auch  keine  Drüsenmetastasen, 
veranlasst  hat.  Das  unterstützt  gewiss  die  Annahme  einer  eigen¬ 
artigen,  ursprünglich  nicht  krebsigen  Neubildung. 

Herr  Plate  hat  in  der  Krankengeschichte  eine  Angabe  ver¬ 
misst,  ob  eine  Gonorrhöe  vorhanden  war.  Gerade  in  dieser  Gegend 
ist  doch  die  Benetzung  der  Haut  mit  gonorrhoischem  Sekret  die 
häufigste  Ursache  der  spitzen  Kondylome. 

Dass  die  Berührung  der  Haut  mit  infektiösem  Sekret  auch  beim 
Gesunden  spitze  Kondylome  erzeugen  kann,  scheint  P.  durch  eine 
Beobachtung  bewiesen,  die  er  vor  einigen  Jahren  gemacht  hat.  Ein 
Kind  wird  in  Steisslage  geboren,  nachdem  längere  Zeit  das  Wasser 
abgegangen  war  und  der  Stciss  längere  Zeit  tief  in  der  Scheide  ge¬ 
standen  hat.  Nach  einiger  Zeit  zeigen  sich  bei  der  Mutter,  die 
massigen  Ausfluss  hat,  dessen  bakteriologische  Untersuchung  aus 
äusseren  Gründen  unterblieben  ist,  spitze  Kondylome  am  Introitus 
vulvae. 

Bald  darauf  bilden  sich  auch  mitten  auf  der  Haut  der  Nates 
einer  Seite  beim  Kind,  das  keine  Zeichen  einer  vaginalen  Infektion 
darbot,  spitze  Kondylome,  die  die  Grösse  einer  Kastanie  erreichten. 
Bei  I  rockenbehandlung  verschwand  der  Tumor,  ohne  eine  Narbe 
zu  hinterlassen. 

Herr  Engelmann:  Eine  w'ohl  gleichartige  Affektion  ist  der 
von  L  u  c  a  e  beschriebene  Krebs  des  Gehörganges.  Nach  der  von 
den  Herren  Delbanco  und  Grisson  gegebenen  Schilderung  ist 
es  wohl  dasselbe  —  auch  ein  Epitheliom.  Das  Leiden  verläuft  nur 
lokal  bösartig,  macht  nie  Metastasen.  E.  sah  einen  derartigen  Fall, 
auch  hier  war  die  Aehnlichkeit  mit  spitzen  Kondylomen  auffallend. 
Nach  der,  nicht  genügend  ausgiebigen  Operation  —  auch  der  Knochen 
war  befallen  —  Rezidiv,  das  mit  gutem  zeitweisem  Erfolg  mit 


*)  Konjetzny:  M.m.W.  1914  Nr.  16  S.  9U4. 


1916 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  36. 


Alaun  und  Summitates  Sabinae  (von  Lucae  angegeben)  behandelt 
wurde.  Schliesslich  wurde  dem  Patienten,  der  sein  Leiden  nicht 
für  ernst  hielt,  die  Sache  zu  langweilig  und  er  blieb  fort. 

Herr  A  r  n  i  n  g. 

Herr  Jacobsthal. 

Herr  Qrisson  (Schlusswort). 

Herr  Delbanco  (Schlusswort)  schliesst  sich  allen  Aus¬ 
führungen  des  Herrn  Ed.  A  r  n  i  n  g  über  das  spitze  Kondylom  an. 
Einen  Fall  von  spitzen  Kondylomen  der  Kopfhaut  demonstrierte  er 
selbst  in  dieser  Sektion.  Dreyers  viel  zu  wenig  beachtete  Befund 
von  Spirochäten  in  Schnitten  durch  das  spitze  Kondylom  vermochte 
er  nicht  zu  bestätigen. 

Herr  Oehlecker:  Lieber  ein  neues  Verfahren,  um  normale 
und  pathologische  Hohlräume  des  Körpers  wie  auch  Telle  des  Ver¬ 
dauungsschlauches  im  Röntgenbild  darzustellen. 

Das  Verfahren  besteht  darin,  dass  ein  kleiner  Ballon  aus 
feinstem  Kondomgummi  in  den  Hohlraum  (z.  B.  alte  Empyemhöhle) 
eingeführt  und  mittels  eines  dünnen  mit  dem  Ballon  fest  verbundenen 
Katheters  mit  Kollargol  gefüllt  wird.  Bei  entsprechend  geformten 
Ballons  gelingt  es  auch,  den  Nasenrachenraum  sowie  Teile  des  Oeso¬ 
phagus  auf  diese  Weise  im  Röntgenbild  sichtbar  zu  machen.  Vortr. 
weist  darauf  hin,  dass  dieses  Verfahren  keineswegs  andere  bewährte 
Methoden  verdrängen  soll,  empfiehlt  es  jedoch  für  gegebene  Fälle 
als  nützliches  diagnostisches  Hilfsmittel.  Demonstration  zahlreicher 
Photogramme,  die  in  sehr  schöner  Weise  die  betreffenden  Höhlen 
im  Röntgenbild  sichtbar  machen.  Dies  Verfahren  wurde  vom  Vortr. 
auf  dem  letzten  Chirurgenkongress  in  Berlin  demonstriert.  (Die  aus¬ 
führliche  Veröffentlichung  erfolgt  anderen  Orts.) 


Deutsche  medizinische  Gesellschaft  in  Chicago. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  5.  Februar  1914 
Vorsitzender:  Herr  Lieberthal. 

Schriftführer:  Herr  Reich  mann. 

1.  Herr  Heinrich  Schmitz:  Die  Röntgentiefentherapie  in  der 
Gynäkologie. 

2.  Herr  Adolph  Hartung:  Viszeroptosis  im  Röntgenbilde. 

Herr  Schmitz  schildert  in  kurzen  Worten  die  biologischen 
Grundlagen  der  gynäkologischen  Röntgentiefentherapie  und  beschreibt 
die  Technik  derselben,  einschliesslich  des  Gebrauches  des  Härte¬ 
messers,  der  Strahlenfilterung,  der  Vielfelderbestrahlung  und  Dosie¬ 
rung,  welch  letztere  er  mit  der  Holzknecht-Sabouraud-Noiree-Skala 
bewerkstelligt. 

Seine  eigene  Technik  besteht  in  dem  Gebrauche  von  Röhren 
von  8  Heinz-Bauer,  einer  Fokusdistanz  von  20 — 22  cm,  einer  3  mm- 
Aluminiumfilterung,  einer  Belastung  von  4 — 5  Milliamp.  und  6  bis 
12  Eintrittspforten  von  5  qcm.  Die  Gesamtdosis  einer  Sitzung  beläuft 
sich  auf  200—240  X.  Amenorrhoe  wird  nach  durchschnittlich  4  bis 
6  Serien  erreicht.  Er  kann  nur  von  Primärerfolgen  sprechen,  da 
seine  Fälle  alle  in  dem  letzten  Jahre  behandelt  wurden.  Im  Portio- 
und  Korpuskarzinom  hat  er  gar  keine  Beeinflussung  gesehen  trotz 
energischster  Strahlung  bis  zu  2000 — 3000  X.  Sobald  er  im  Besitz 
von  Radium  ist,  wird  er  seine  Behandlungen  erneuern.  Zwei  Fälle 
von  tuberkulöser  Adnexitis  wurden  behandelt.  Die  Patientinnen 
waren  unverheiratet  —  32  Jahre  alt  —  hatten  ausgesprochene 
Dysmenorrhöen  und  Menorrhagien,  sowie  profuse  Leukorrhöen. 
Beide  waren  vor  4  resp.  3  Jahren  operiert  worden.  Die  rechten 
Adnexe  und  die  Appendix  wurden  entfernt.  Die  linken  dagegen 
zeigten  keine  grösseren  Veränderungen  und  wurden  deshalb  zurück¬ 
gelassen  Die  eine  Patientin  bekam  S  Serien,  jede  von  25 — 30  X, 
nach  welchen  Amenorrhoe  eintrat.  Die  subjektiven  Beschwerden 
schwanden  vollständig.  Die  andere  Dame  findet  sich  noch  in  Be¬ 
handlung;  die  subjektiven  Beschwerden  sind  jedoch  verschwunden. 
Bei  Uterusmyomen  und  hämorrhagischen  Metropathien  folgt  Vor¬ 
tragender  den  Indikationen  von  K  r  ö  n  i  g  und  Menge.  Zum  Schlüsse 
schliesst  er  sich  ganz  dem  Menge  sehen  Standpunkt  an,  dass  der 
Gynäkologe  selbst  die  Technik  der  Röntgentiefentherapie  erlernen  solle. 

Herr  R  e  i  c  h  m  a  n  n  berichtet  über  einige  gynäkologische  Fälle, 
die  er  mittels  Röntgenstrahlen  behandelt.  Es  handelte  sich  um  6  Fälle 
von  Myomen  und  3  Fälle  von  klimakterischen  Blutungen.  Es  wurde 
nach  Albers-Schönbergs  Methode  behandelt  und  in  allen 
Fällen  den  Blutungen  Einhalt  getan.  Reichmann  betont  die  Not¬ 
wendigkeit  einer  innigen  Zusammenarbeit  zwischen  Gynäkologen  und 
Röntgenologen,  da  man  nur  so  zu  dem  gewünschten  Resultate  ge¬ 
langen  könne. 

Herr  Carl  Beck  gibt  seiner  Befriedigung  Ausdruck,  dass  die 
Röntgentherapie  in  gynäkologischen  Fällen  von  einem  Gynäkologen 
in  Angriff  genommen  wurde,  denn  nur  ein  solcher  könne  betreffs 
Indikation  und  Prognose  eine  endgültige  Entscheidung  abgeben,  eine 
Fähigkeit,  die  den  meisten  Röntgenologen  abgehe. 

Ad  2.  Herr  Reichmann  betont  die  Ueberlegenheit  der  Schirm¬ 
untersuchung  des  Verdauungstraktes  gegenüber  der  Plattenaufnahme, 
obgleich  er  letztere  in  keinem  Falle  missen  möchte,  namentlich  in 
Fällen,  bei  welchen  die  Schirmuntersuchung  irgendwelche  patho¬ 
logische  Veränderungen  erkennen  lässt.  Doch  auch  bei  diesen  Unter¬ 
suchungen  ist  eine  Zusammenarbeit  des  Klinikers  und  der  Röntgeno¬ 


logen  unerlässlich,  da  sich  die  Untersuchungen  beider  ergänzen, 
während  in  den  meisten  Fällen  weder  eine  klinische  noch  eine  rönt¬ 
genologische  Untersuchung  für  sich  allein  eine  für  das  richtige  thera¬ 
peutische  Handeln  ausschlaggebende  Diagnose  ergebe. 

Herr  Carl  Beck  betont  ebenfalls  die  Wichtigkeit  der  Schirm¬ 
untersuchungen.  erwähnt  Fälle,  bei  denen  er  bei  der  Laparotomie 
nichts  von  den  Veränderungen  finden  konnte,  die  er  nach  den  Be¬ 
funden  der  Röntgenplatte  zu  finden  hoffte. 

Sitzung  vom  5.  März  1914. 

Vorsitzender :  Herr  Lieberthal. 

Schriftführer:  Herr  Reichmann. 

Herr  Emil  Ries: 

a)  Bericht  über  einen  Fall  von  Danntumor  mit  Intussuszeptlon 
mit  gleichzeitiger  Demonstration  des  betreffenden  Präparates. 

b)  lieber  Pyosalpinx  und  deren  Folgen. 

Herr  J.  Holinger:  Gesichtsskelett  und  seine  Beziehungen 
zu  Nasenaffektionen. 


Verschiedenes. 

Therapeutische  Notizen. 

Zur  Behandlung  des  Herpes  zoster. 

Von  Dr.  med.  A  1 1  h  o  f  f  in  Attendorn  i.  W. 

Unter  Herpes  zoster,,  Gürtelrose,  verstehen  wir  Bläschen- 
bildungen  mit  wasserhelleni,  dann  sich  trübendem  und  vertrocknen¬ 
dem  Inhalte,  welche  dem  Nervenverlauf  entsprechend,  meist  dem 
Sitz  der  Interkostalnerven  folgend,  fast  stets  einseitig  auftreten.  Die 
Krankheit  ist  oft  sehr  schmerzhaft,  dauert  manchmal  wochenlang  und 
hinterlässt  nicht  selten  örtliche  Störungen  der  Sensibilität.  Das  All¬ 
gemeinbefinden  ist  fast  immer  gestört.  Auf  Grund  der  Beobachtung 
von  zahlreichen  Fällen  der  Gürtelrose  scheint  mir  eine  akute  Infek¬ 
tionskrankheit  vorzuliegen;  dementsprechend  möchte  ich  die  nach¬ 
folgende  Behandlung,  welche  sich  mir  in  allen  Fällen  bewährt  hat,  di«. 
Krankheitsdauer  abkürzt,  die  Schmerzen  und  das  Jucken  lindert,  sehr 
empfehlen.  Die  Behandlung  soll  möglichst  frühzeitig  beginnen. 

Man  gebe  3  mal  täglich:  Urotropin,  Aspirin  aa  0,5  in  einem  halben 
Glase  Wasser  und  lasse  1  Tasse  heissen  Thee  nachtrinken.  Die  er¬ 
krankte  Körperstelle  erhält  2  mal  täglich  einen  Salbenverband  mit: 

Thymol 

Ac.  carbol.  liq.  ää  1,0 

Vaselin,  alb.  ad  100,0 
MDS.:  äusserlich. 


Tagesgeschichtliche  Notizen 

siehe  „Feldärztliche  Beilage“. 


Uebersicht  der  Sterbefälle  in  München 

während  der  33.  Jahreswoche  vom  16.  bis  22.  August  1914. 

Bevölkerungszahl  640000. 

Todesursachen:  Angeborene  Lebensschwäche  einschl.  Bildungs¬ 
fehler  13  (51),  Altersschw.  (über  60  Jahre)  5  (2),  Kindbettfieber  3  (— )• 
and.  Folgen  der  Geburt  und  Schwangerschaft  1  (1),  Scharlach  —  (4 
Masern  u.  Röteln  —  (— ),  Diphtherie  u.  Krupp  3  (— ),  Keuchhusten  2  (2t, 
Typhus  (ausschl.  Paratyphus)  —  (— ),  akut.  Gelenkrheumatismus  2  (1), 
übertragbare  Tierkrankh.,  d.  s.  Milzbrand,  Rotzkrankh.,  Hundswut. 
Trichinenkrankh.  —  (— ),  Rose  (Erysipel)  1  (— ),  Starrkrampf  —  (— ). 
Blutvergiftung  1  (2),  Tuberkul.  der  Lungen  23  (14),  Tuberkul.  and.  Org. 
(auch  Skrofulöse)  3  (6),  akute  allgem.  Miliartuberkulose  — -  (— ).Lungen- 
entzünd.,  kruppöse  wie  katarrh.  usw.  5(12),  Influenza  —  (—),  veneri¬ 
sche  Krankh.  1  (2),  and.  übertragbare  Krankh.:  Pocken,  Fleckfieber, 
Ruhr,  Genickstarre,  Strahlenpilzkrankh.,  Lepra,  asiat.  Cholera, Wechsel 
fieber  usw.  —  ( — ),  Zuckerkrankh.  (ausschl.  Diab.  insip.)  —  (2),  Alkoholis¬ 
mus  —  (1),  Entzünd,  u.  Katarrhe  der  Atmungsorg.  2  (3),  sonst.  Krankh 
d.  Atmungsorgane  —  (2),  organ.  Herzleiden  14  (13),  Herzschlag,  Herz¬ 
lähmung  (ohne  näh.  Angabe  d.  Grundleidens)  4  (3),  Arterienverkalkung 
3  (3),  sonstige  Herz-  u.  Blutgefässkrankh.  8  (1),  Gehirnschlag  6  (5). 
Geisteskrankh.  — (3),  Krämpfe  d.  Kinder  1  (— ),  sonst.  Krankh.  d.  Nerven¬ 
systems  2  (4),  Atrophie  der  Kinder  1  (4),  Brechdurchfall  —  (4),  Magen¬ 
katarrh,  Darmkatarrh,  Durchfall,  Cholera  nostras  12  (14),  Blinddarm¬ 
entzünd.  3  ( — ),  Krankh.  der  Leber,  Gallenblase,  Bauchspeicheldrüse  u. 
Milz  3  (2),  sonst.  Krankh.  der  Verdauungsorg.  4  (6),  Nierenentzünd.  4(  ), 
sonst.  Krankh.  der  Harn-  u.  Geschlechtsorg.  2  (3),  Krebs  17  (27),  sonst. 
Neubildungen  2  (4),  Krankh.  der  äuss.  Bedeckungen  3  (— ),  Krankh.  der 
Bewegungsorgane  —  (1),  Selbstmord  7  (11),  Mord,  Totschlag,  auch 
Hinricht.  —  ( — ),  Verunglückung  u.  andere  gewalts.  Einwirkungen  3  (1)> 
andere  benannte  Todesursachen  4  (1),  Todesursache  nicht  (genaui 
angegeben  (ausser  den  betr.  Fällen  gewaltsamen  Todes)  —  (— )• 
Gesamtzahl  der  Sterbefälle:  168  (167). 

*)  Die  eingeklammerten  Zahlen  bedeuten  die  Fälle  der  Vorwoche. 


Redaktion:  Dr.  B.  Spatz, 
München,  Arnulfstrasse  26. 


MÜNCHENER 


Verlag  von  J.  F.  Lehmann, 
München,  Paul  Heysestr.  26. 


Medizinische  Wochenschrift. 

Nr.  36.  8.  September  1914. 


Feldärztliche  Beilage  Nr.  5. 


Prophylaxe  und  .Therapie  der  Ruhr  im  Felde1) 

Von  Geh.-Rat  Prof.  Dr.  Ad.  Schmidt  in  Halle  a.  S. 

Die  Gefahr  der  Ruhrepidemien  (Bazillenruhr)  im  Felde  ist 
usserordentlich  gross.  Einzelne  Fälle  kommen  in  den 
Sommermonaten  wohl  überall  vor,  zumal  bei  unvorsichtiger 
Nahrungsaufnahme.  Sie  werden  nicht  erkannt,  weil  sie  keine 
schwereren  Erscheinungen  machen  und  sind  auch  nicht  ge- 
ährlich,  solange  der  Kranke  imstande  ist,  den  Stuhl  ins  Klo- 
ett  resp.  an  einem  unschädlichen  Ort  zu  entleeren  und  die 
vVäsche  resp.  seine  Finger  rein  zu  halten.  Das  ist  im  Krieg 
iel  schwerer  durchführbar  als  im  Frieden  und  deshalb  sollte 
eder  mit  heftigem  Stuhldrang  einhergehende  Durchfall  ge¬ 
neidet  und  vom  Arzt  nachgesehen  werden.  Zeigt  sich,  dass 
iie  Entleerung  blutig,  d.  h.  blutigschleimig  oder  blutig-eitrig 
mssieht  und  fiebert  gar  der  Mann,  so  muss  er  sofort  krank 
;eschrieben  und  wenn  möglich  isoliert  werden.  Auf  das  Er- 
;ebnis  der  bakteriologischen  Untersuchung  des  Stuhles  oder 
ler  Agglutination  zu  warten,  ist  nicht  angängig. 

Vor  allem  sind  die  Stuhlentleerungen  und  die  Wäsche  zu 
lesinfizieren.  Kommen  mehrere  Fälle  im  Lazarett  zusammen, 
o  ist  für  eine  genügende  Zahl  von  Unterschiebern  zu  sorgen, 
!a  die  Schwerkranken  keine  Zeit  haben,  bis  aufs  Klosett  zu 
.ehen;  sie  entleeren  sonst  den  Stuhl  ins  Bett  und  damit  wächst 
Iie  Gefahr  der  Weiterverbreitung.  Dass  sich  Aerzte  und 
^eger,  überhaupt  jeder,  der  mit  den  Kranken  zu  tun  hat, 
'urch  besondere  Schürzen  oder  Mäntel,  Gummihandschuhe 
nd  womöglich  auch  Gummischuhe  schützen  muss,  versteht 
ich  von  selbst.  Sehr  wichtig  ist  weiterhin  die  Fernhaltung 
er  Fliegen  von  den  Patienten  und  noch  mehr  von  ihren  Ent¬ 
erungen.  Neben  geeigneten  Deckeln  auf  allen  Gefässen  und 
liegenfängern  hat  sich  mir  die  Verwendung  von  Steifgaze 
ls  Fliegenfenster  sehr  bewährt.  Man  schneidet  resp.  näht 
Tücke  von  der  Grösse  der  Fensteröffnungen  zusammen, 
lappt  den  Rand  etwas  um  und  spannt  das  ganze  mit  Pappe- 
treifen  und  Reisszwecken  auf  diejenige  Seite  der  Fenster¬ 
ahmen,  nach  -der  die  Fensterflügel  nicht  schlagen.  Derartige 
iazefenster  werden  durch  Regen  und  mässigen  Wind  nicht 
eschädigt. 

Für  die  Therapie  kommt  in  erster  Linie  das  Ruhr- 
erum  in  Betracht,  und  zwar  am  besten  das  polyvalente 
erum  (Höchst  oder  Sächsische  Serumwerke). 
)enn  es  handelt  sich  nur  in  den  seltensten  Fällen  um  Infek- 
onen  mit  reinen  Stämmen  (Kruse-Shiga,  F  1  e  x  n  e  r, 

.  S  t  r  o  n  g),  vielmehr  meist  um  Stämme,  welche  ihren  Eigen- 
chaften  nach  zwischen  den  erstgenannten  drei  Stämmen 
tehen,  oder  auch  um  Mischinfektionen.  Das  polyvalente 
erum  wird  von  Pferden  gewonnen,  die  mit  allen  Arten  ge- 
npft  worden  sind.  Man  infiziert  möglichst  früh- 
eitig  ein  oder  mehrmals  je  10  ccm;  in  der  Regel  kommt 
:an  mit  3  Dosen  (über  2 — 3  Tage  verteilt)  aus.  Die  Reaktion 
eigt  sich  vor  allem  an  dem  Heruntergehen  des  Fiebers  und 
er  Besserung  des  Allgemeinzustandes,  der  sich  an  dem  Ver¬ 
alten  des  Pulses  kontrollieren  lässt.  Ein  kleiner  und  fre¬ 
uenter  Puls  ist  auch  bei  niedriger  Temperatur  und  verhältnis¬ 
lässig  geringen  Lokalerscheinungen  prognostisch  ungünstig. 

l)  Nach  Erfahrungen  bei  einer  gegenwärtig  im  Abklingen  be¬ 
rittenen  Epidemie  in  Gimritz  bei  Halle,  über  die  an  anderer  Stelle 
usführlicher  berichtet  werden  wird. 


Ungünstig  ist  auch  häufiges  Erbrechen,  das  bei  leichteren 
Fällen  fehlt.  Auf  den  Tenesmus  und  die  Stuhlentleerung  wirkt 
das  Serum  weniger  deutlich. 

Gegen  diese  empfiehlt  sich  am  meisten  Bolus  alba  (3  mal 
täglich  1  Esslöffel)  oder  ein  Sirnarubadekokt  (30:300,  auf  die 
Hälfte  eingekocht).  Letzteres  schmeckt  schlecht  und  erregt 
unter  Umständen  Uebelkeit.  Emetin,  subkutan  injiziert, 
welches  bei  der  Amöbenruhr  fast  spezifisch  wirkt,  ist  nach 
meinen  Erfahrungen  bei  der  Bazillenruhr  unwirksam.  Abführ¬ 
mittel  zu  geben  (Rizinus  oder  Kalomel),  möchte  ich  selbst  in 
beginnenden  Fallen  dringend  widerraten.  Unzweckmässig 
sind  auch  Darmspülungen  mit  Tanninlösungen  oder  Einläufe 
mit  Jodoformemulsionen  und  ähnlichem.  Sie  werden  doch 
nicht  gehalten  und  sind  schmerzhaft.  Dagegen  können 
kleine  Zäpfchen  aus  Belladonnaextrakt  mit  Opium  (ää  0,02) 
den  unerträglichen  Drang  lindern.  Gegen  die  in  der  Regel 
nicht  sehr  erheblichen  Koliken  gebe  man  heisse  Kompressen. 

Bei  Kollapsen  spare  man  nicht  mit  Exzitantien  (Kamp¬ 
feröl)  und  subkutanen  Kochsalzinfusionen.  Letztere  wirken 
momentan  auffallend  günstig.  Die  Nahrungszufuhr  hat  sich 
im  akuten  Stadium  auf  warme  Flüssigkeiten  (Glühwein,  Kakao, 
Reissuppen)  zu  beschränken. 

Man  entlasse  die  Kranken  nicht  zu  früh  aus  der  Behand¬ 
lung,  da  Rückfälle  auch  nach  14  Tagen  noch  Vorkommen. 
Auch  finden  sich  die  Bazillen  oft  noch  lange  in  den  Aus¬ 
scheidungen.  Nachkrankheiten  —  es  sind  Gelenkschwellungen, 
Konjunktivitis,  Urethritis  etc.  beobachtet  worden  —  sind  nach 
allgemein-therapeutischen  Gesichtspunkten  zu  behandeln. 


Aus  der  chirurgischen  Klinik  Würzburg  (Prof.  Dr.  Enderlen). 

Ueber  stumpfe  Darmverletzungen. 

Von  Privatdozent  Dr.  Lobenhoffe  r. 

Schon  die  ersten  Mobilmachungstage,  die  Transporte  von 
Gütern  und  Pferden  geben  zu  einer  Reihe  von  Verletzungen 
Anlass,  die  grössere  operative  Massnahmen  sofort  dringend 
erfordern;  es  sind  das  meist  Verletzungen  durch  Ueberfahren- 
werden,  Herabfallen  schwerer  Güter  auf  den  Körper,  Auf¬ 
schlagen  des  fallenden  Körpers  auf  Kanten  und  ähnliches  und 
endlich  durch  Hufschlag,  also  Verletzungen  durch  Ein¬ 
wirkung  stumpfer  Gewalt.  Im  Felde  kommt  als  weiteres 
ätiologisches  Moment  das  Aufschlagen  eines  matten  Ge¬ 
schosses  und  der  Kolbenstoss  hinzu.  Aus  der  Reihe  dieser 
Verletzungen  seien  hier  diejenigen  herausgegriffen,  die  den 
Bauch  treffen,  und  von  den  intraperitonealen  Organen  den 
Darm  verletzen,  weil  bei  ihnen  von  der  richtigen  Diagnose  und 
sofortigen  Operation  das  Leben  der  Patienten  abhängt.  Die 
in  den  letzten  Monaten  in  der  hiesigen  Klinik  beobachteten 
Fälle  dienen  als  Grundlage.  Die  Verletzungen  können  ausser¬ 
dem  noch  betreffen  Leber,  Milz,  Pankreas. 

Von  den  Bauchorganen  ist  der  Darmtraktus  am  häufig¬ 
sten  verletzt  und  dabei  wieder  in  der  überwiegenden  Mehr¬ 
zahl  der  Dünndarm.  Die  Statistik  von  P  e  t  r  y  gibt  unter  219 
stumpfen  Bauchverletzungen  172  mal  den  Dünndarm  als  Sitz 
der  Wunde  an,  davon  9  mal  das  Duodenum,  46  mal  das  Jeju¬ 
num,  85  mal  das  Ileum,  während  der  Magen  nur  21  mal,  der 
Dickdarm  26  mal  betroffen  war;  unter  den  Dickdarmver¬ 
letzungen  war  wieder  7  mal  das  Zoekum,  8  mal  das  Colon 


1918 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


ascendens,  4  mal  das  Colon  transversum,  2  mal  das  Colon  des- 
cendens  und  5  mal  die  Flexur  verletzt. 

Der  Sitz  der  Verletzung  entspricht  wohl  in  den  meisten 
Fällen  der  Stelle  der  Gewalteinwirkung,  doch  gibt  die  Anam¬ 
nese  sehr  oft  in  dieser  Hinsicht  keinen  genaueren  Aufschluss, 
oft  fehlen  ja  auch  Spuren  der  Gewalteinwirkung  auf  der 
äusseren  Haut,  so  dass  die  Angaben  der  Kranken  nicht  kon¬ 
trolliert  werden  können.  Notwendig  ist  diese  Korrespondenz 
auch  nicht;  sie  hängt  von  den  mechanischen  Umständen  ab. 
Diese  lassen  sich  unterscheiden  in  1.  Quetschung,  2.  Ab¬ 
reis  s  u  n  g  und  3.  B  erst  u  n  g.  Nach  den  Untersuchungen 
von  P  e  t  r  y,  Bunge,  Sauerbruch  u.  a.  nimmt  die  Darm- 
quetschung  an  Häufigkeit  die  erste  Stelle  ein.  Der  Darm  wird 
dabei  durch  eine  meist  mit  relativ  kleiner  Basis  auf  die  Bauch¬ 
decken  einwirkenden  Gewalt  gegen  ein  hartes  Widerlager, 
das  Becken  oder  die  Wirbelsäule  gepresst;  kaum  je  wird  die 
extrem  gespannte  Lendenmuskulatur  eine  stärkere  Quetschung 
des  Darmes  zulassen;  sie  wird  dagegen  bei  Abreissungen  vom 
Mesenterium  das  Widerlager  abgeben  können.  Die  Ver¬ 
letzung  der  Darmwand  kann  die  verschiedensten  Bilder  bieten, 
ln  den  leichtesten  Fällen  tritt  nur  eine  kleine  blutige  Sugillation 
ein,  die  fast  keine  Symptome  macht,  oder  kleine  Schleimhaut- 
defekte,  die  zum  Ulcus  und  Blutungen  ins  Darmlumen  führen. 
Ferner  können  grössere  Blutungen  zwischen  den  einzelnen 
Schichten  der  Darmwand  entstehen,  die  je  nach  dem  Sitz  zu 
verschiedenen  Folgeerscheinungen  Anlass  geben  können. 
Wird  die  Schleimhaut  durch  das  Extravasat  abgehoben  und 
ausser  Ernährung  gesetzt,  so  können  ebenfalls  traumatische 
Ulcera  entstehen,  in  ganz  seltenen  Fällen  hämorrhagische 
Zvsten  der  Darmwand  (Ziegler);  sind  dagegen  alle  Schichten 
der  Darmwand  durch  die  Quetschung  so  geschädigt,  dass  zwar 
die  Kontinuität  zunächst  noch  erhalten,  aber  das  Gewebe  nicht 
mehr  genügend  ernährt  ist  und  der  Nekrose  anheimfällt,  so 
kann  späterhin  Perforation  eintreten.  In  anderen  Fällen  ist 
nur  die  Serosa  geschädigt,  es  kann,  worauf  Höchen  egg  auf¬ 
merksam  macht,  späterhin  zu  Adhäsionen  mit  Störungen  in 
der  Darmbewegung  kommen;  ferner  kann  auch  nur  die  Sero- 
muscularis  durchgequetscht  und  die  Mukosa  erhalten  sein,  sie 
drängt  sich  dann  wie  eine  Hernie  aus  der  Wunde.  Die  Muskel¬ 
risse  stehen  längs  und  meist  gegenüber  dem  Mesenterial¬ 
ansatz.  Solche  unvollkommene  Darmrupturen  führen,  wenn 
Heilung  eintritt,  leicht  zu  Stenosen  (Schl  off  er). 

Diesen  nicht  perforierenden  stehen  die  perforierenden 
Wunden  gegenüber,  bei  denen  das  Darmlumen  sofort  auf 
grössere  oder  kleinere  Strecken  eröffnet  ist;  es  ist  dann  der 
Darm  entweder  zirkulär  abgequetscht  oder  cs  sind  noch  Teile 
der  Darmwand,  event.  nur  noch  Serosastreifen  erhalten,  ähn¬ 
lich  wie  bei  der  Anwendung  der  Quetschzange.  Neben  diesem 
Mechanismus  der  Durchtrennung  der  Darmwand  kommt 
auch  noch  die  quere  Abreissung  des  Darmrohres  durch  Zug 
vor.  Voraussetzung  dafür  ist,  dass  die  verletzende  Kraft 
tangential  angreift  oder  dass  das  betroffene  Darmstiick  fixiert 
ist;  Erichsen  beschreibt  einen  Fall  von  querer  Durch- 
reissung  des  Pylorus,  andere  Fälle  wurden  an  der  Flexura 
duodenojejunalis  und  vor  der  Valv.  ileocoecalis  beobachtet. 
Diese  Verletzung  kann  nur  zustande  kommen,  wenn  die  Kraft 
genau  in  der  Längsachse  des  Darmes  einwirkt,  sonst  reisst 
viel  eher  das  Mesenterium  ein. 

Ueber  die  Vorgänge  bei  Entstehung  der  Berstung  des 
Darmes  herrschen  verschiedene  Meinungen.  Vorbedingung 
zu  ihrem  Zustandekommen  ist  Füllung  der  Darmschlinge  und 
Verhinderung  der  Abflussmöglichkeit  nach  beiden  Seiten  durch 
Knickung,  Adhäsionen,  Angriffsfläche  des  Traumas  (Sauer- 
bruc  h).  Der  intraintestinale  Druck  muss  dabei  grösser 
werden  als  der  auf  der  äusseren  Darmwand  lastende  (Mo  ty). 
Das  Zusammenwirken  all  dieser  Umstände  ist  selten  und  daher 
die  reine  Darmberstung  überhaupt  selten.  Nach  B  u  n  g  e  kann 
sie  beim  normalen  Darm  überhaupt  nur  eintreten  an  der  Stelle, 
wo  das  Rektum  in  den  Levatorschlitz  eintritt  und  an  Bruch¬ 
pforten.  Die  Darmberstung  ist  eine  indirekte  Verletzung, 
die  Rissstelle  in  der  Darmwand  sitzt  entfernt  von  der 
Angriffsfläche  der  verletzenden  Kraft. 

Eine  weitere  Form  der  Verletzungen  durch  stumpfe  Ge¬ 
walt  ist  der  Abriss  des  Darmes  vom  Mesenterium  entweder 
ant  Ansatz  an  dem  Darm  oder  höher  oben  gegen  die  Radix 


zu.  Die  Verletzung  kommt  gewöhnlich  so  zustande,  dass  die 
Kraft  schräg  von  oben  nach  unten  wirkt,  das  Darmrohr  vor 
sich  her  schiebt  und  bis  zum  Reissen  das  Mesenterium  an¬ 
spannt.  Auch  bei  Fall  auf  die  Fiisse  sind  Abreissungen  am 
Mesenterium  beschrieben  worden.  Der  Patient  ist  gefährdet 
durch  die  Blutung,  aber  noch  mehr  dadurch,  dass  das  im  Ver¬ 
letzungsgebiet  gelegene  Darmstiick  ausser  Ernährung  gesetzt 
ist  und  nekrotisch  wird.  Die  Ausdehnung  der  Nekrose  nimmt 
natürlich  zu,  je  höher  oben  gegen  die  Radix  mesenterii  die 
Gefässverletzung  liegt. 

Kombinationen  dieser  Verletzungsform  mit  anderen  ist 
nicht  gerade  selten.  Ein  charakteristischer  Fall  wurde  vor 
kurzem  hier  beobachtet: 

L.  R.,  11  Jahre  alt,  Wiirzburg  Eingetreten:  1.  VIII.  14. 

Heute  Morgen  10  Uhr  fiel  dem  Jungen  beim  Spielen  ein  schwerer 
Balken  auf  den  Leib;  nach  anfänglichem  Schock  erholt  er  sich  bald 
wieder.  Von  12  Uhr  nachmittags  ab  trat  .Erbrechen  auf,  der  Leib 
wurde  aufgetrieben  und  empfindlich.  Klinik:  4  Uhr  nachmittags. 

Status:  Blass,  verfallen,  Puls  96,  klein.  Abdomen  auf  getrieben, 
sehr  empfindlich,  Haut  der  Unterbauchgegend  blaurot  verfärbt,  keine 
Peristaltik;  etwas  Flankendämpfung. 

Operation  (Dr.  Porz  eit):  Mediane  Laparotomie  zwischen  Na¬ 
bel  und  Symphyse.  Im  Bauch  viel  flüssiges  Blut,  kein  Darminhalt. 
Bei  Absuchen  des  Darmes  findet  man  eine  Ileumschlinge,  die  etwas 
gerötet  ist  und  eine  linsengrosse  Perforationsöffnung  gegenüber  dem 
Mesentcrialansatz  trägt;  sie  ist  fest  kontrahiert,  so  dass  nur  ein 
kleiner  Schleimhautpfropf  heraussieht.  Handbreit  unterhalb  davon 
ist  die  Serosa  allein  auf  ca.  5  cm  längs  eingerissen  und  der  Darm  aui 
ca.  10  cm  vom  Mesenterium  abgerissen;  die  Gefässe  sind  thrombo- 
siert,  der  Darm  schwarzblau.  Es  wird  die  ganze  geschädigte  Dann¬ 
partie  reseziert  und  eine  Seit-zu-Seit-Anastomose  angelegt.  Bauch- 
spülung.  Naht;  Drain  an  den  untersten  Wundwinkel.  Ungestörter 
Heilungsverlauf. 

Klinisches  Bild:  Das  klinische  Bild  ist  bestimmt 
durch  3  Symptomenkomplexe,  die  zeitlich  aufeinander  folge;;. 
Die  erste  Zeit,  sofort  nach  dem  Unfall  ist  beherrscht  durch 
die  Zeichen  des  Schocks,  der  bei  erfolgter  Darmverletzung  nur 
selten  fehlt,  aber  doch  nicht  da  sein  muss.  Der  Puls  ist  meist 
klein,  frequent,  unregelmässig,  kann  aber  auch  manchmal  ver¬ 
langsamt  sein  (Vaguspuls).  Nach  einiger  Zeit  schwinden  die 
Symptome  des  Schocks  und  nun  kommen  auch  die  lokalen 
Merkmale  mehr  in  den  Vordergrund  und  geben  event.  Hin¬ 
weise  auf  die  Art  der  Verletzung.  Jetzt  muss  entschieden 
werden,  ob  dem  Patienten  die  Gefahren  der  Darm-  und  Ge¬ 
fässverletzung  drohen,  oder  ob  man  annehmen  darf,  dass  der 
Darm  intakt  ist,  mit  anderen  Worten,  ob  man  operieren  muss 
oder  zuwarten  darf.  Für  Darm-  und  Gefässverletzungen  sind 
die  Symptome  natürlich  verschieden,  weil  dort  die  beginnende 
Peritonitis  hier  die  Anämie  sich  geltend  macht.  Die  Peritonitis 
braucht  einige  Zeit  zur  Entwicklung,  es  tritt  deshalb,  nament¬ 
lich  bei  kleineren  Darmwunden  nach  Verschwinden  des 
Schocks  eine  gewisse  Erholung  des  Patienten  ein,  die  bei  F.r- 
öffnung  des  Darmlumens  freilich  nur  von  kurzer  Dauer  ist. 
Diese  Pause  muss  freilich  nicht  eintreten,  es  kann  in  beson¬ 
ders  unglücklichen  Fällen  der  Schock  direkt  in  foudroyante 
Peritonitis  übergehen,  ebensogut  wie  Schock  fehlen  kann.  Einen 
Beweis,  wie  die  Peritonitis  auch  bei  kleineren  Darmver- 
letzungen  sofort  auftreten  kann,  gibt  beifolgende  Kranken¬ 
geschichte  : 

Mich.  Z.,  58  Jahre  alt.  Eingetreten :  16.  III.  14. 

Pat.  erhielt  um  11  Uhr  vormittags  mit  der  Deichsel  eines  Göppcls 
einen  Schlag  gegen  den  Leib;  es  stellte  sich  sofort  Erbrechen  ein. 
das  neben  der  kurz  vorher  eingenommenen  Nahrung  auch  Blut  ent¬ 
hielt.  Es  bestanden  starke  Schmerzen  im  Leib;  Gase  gingen  nicht 
mehr  ab,  Urin  wurde  nicht  mehr  entleert.  Sofort  Ueberfiihrung  in 
die  Klinik. 

Status:  Kräftiger  Mann;  leichte  Zyanose  des  Gesichtes. 
Puls  84,  etwas  weich,  Temp.  37,5.  Abdomen  diffus  gespannt  und 
druckempfindlich,  in  den  oberen  Partien  etwas  mehr  als  unten,  Dou¬ 
glas  nicht  vorgewölbt,  aber  auch  empfindlich.  Im  Magen  ca.  20  ccm 
grünlicher  Schleim,  kein  Blut.  Urin  ca.  100  ccm,  klar,  dunkel,  ent¬ 
hält  kein  Blut. 

Operation  (ca.  5  Stunden  post  trauma)  (Prof.  E  n  d  e  r  1  e  n).  Me¬ 
diane  Laparotomie.  Aus  der  Bauchhöhle  quillt  trübgraue,  etwas  zähe 
Flüssigkeit,  die  nicht  sauer  riecht;  der  Magen  ist  nicht  verletzt,  da¬ 
gegen  findet  sich  ungefähr  am  Uebergang  zwischen  Jejunum  und  Heum 
eine  fingernagelgrosse  Perforationsöffnung  gegenüber  dem  Mesen¬ 
terialansatz  und  ausserdem  2  kleinere  Serosarisse.  Uebernähung. 
Spülung,  Drain.  Heilung  durch  Fasziennekrose  und  Pleuraempyem 
gestört. 


September  191-4. 


Hcldarztlichc  Beilage  zur  Münch,  mal.  Wochenschrift. 


1919 


Es  ist  nun  natürlich  für  den  Patienten  von  der  aller- 
'ssteu  ichtigfkeit,  dass  mau  der  vollen  Ausbildung  der 
itonitis  zuvorkommt;  es  muss,  wenn  irgend  möglich,  sofort 
Diagnose  gestellt  weiden,  ob  eine  Darmverletzung  vor- 
I  ,t  oder  nicht,  und  der  Patient  dann  gleich  der  Operation 
erzogen  werden.  Wie  sehr  zuungunsten  sich  das  Bild  sich 
längerem  Zuwarten  verändert,  beweisen  die  oben  ange¬ 
lten  Krankengeschichten,  denen  hier  noch  einige  bei- 
igt  seien. 


J.  W„  33  Jahre  alt.  Eintritt:  9.  VII. 


Anamnese:  Pat.  wurde  gestern  nachmittags  3  Uhr  von  einem 
d  beim  Einspannen  auf  den  Leib  geschlagen;  er  wurde  nicht  be¬ 
stlos,  hatte  aber  sehr  heftige  Schmerzen  im  Leib;  der  Arzt  ver¬ 
liefe  Ruhe  und  Eisblase  und  gab  Auftrag,  ihn  bei  der  geringsten 
'Chlimmerung,  besonders  bei  Eintreten  von  Erbrechen,  zu  rufen, 
zdem  abends  Brechen  eintrat,  wurde  er  erst  am  andern  Morgen 
)lt;  der  Leib  war  bereits  aufgetrieben  und  sehr  druckempfindlich 
ordnete  sofortige  Ucberführung  in  die  Klinik  an. 

Status.  Leib  aufgetrieben,  stark  druckempfindlich,  besonders 
der  rechten  Seite;  rektal  nichts.  Puls  etwas  weich,  110  Tem- 
tur  axillar  37,8,  rektal  38,7. 

Operation  (ca.  18  Stunden  nach  der  Verletzung)  (Prof  Ender- 
).  Abdomen  diffus  angefüllt  mit  Eiter  und  Darminhalt;  die  Darm- 
ngen,  besonders  die  unteren,  mit  Fibrin  belegt  und  teilweise  ver- 
en;  ca.  40  cm  oberhalb  der  Klappe  im  Ileum  findet  sich  eine 
engrosse  I  erforation;  sie  wird  übernäht;  Kochsalzspülung,  Drain 
“n  Douglas,  Naht.  Drain  nach  b  Tagen  entfernt;  Pat.  erholt  sich 
gut;  Wundheilung  durch  Fasziennekrose  gestört 
L.  Oe.,  21  Jahre  alt.  Eintritt:  19.  VII.  14. 

kekam  VIL  A3  Uhr  früh  bei  der  Stalhvache  von 

n  Pferd  mit  beiden  Hinterhufen  einen  Schlag  gegen  den  Bauch, 
roch  auf  allen  vieren  weiter  und  wurde  von  einem  Kameraden 
“hoben  und  in  das  Zimmer  geführt;  es  traten  sehr  heftige 
lerzen  und  Aufstossen,  aber  kein  Erbrechen  auf;  dann  etwas 
erung;  in  den  nächsten  Stunden  verschlechterte  sich  der  Zustand 
verfiel,  wurde  etwas  zyanotisch,  die  Atmung  wurde  oberfläch- 
der  Puls  blieb  gut.  __  Ueberführung  in  die  Klinik. 

Status.  Leichte  Zyanose  des  Gesichtes,  forcierte  Atmung 
Puls  78 — 82:  kräftig.  Temperatur  axillar  37,3^ 
il  37,8  .  _  Abdomen  diffus  gespannt  und  druckempfindlich,  in  den 
en  I  artien  mehr  als  in  der  Gegend  der  Leber  und  des  Magens, 
rall  Dampfung,  keine  Undulation;  keine  Darmgeräusche  zu 
l,  Douglas  frei. 

Operation  (8  Stunden  post  trauma)  (Prof.  En  der  len).  Me- 
!*  Laparotomie  ober-  und  unterhalb  des  Nabels.  Trüber  Frguss 
iauch,  besonders  zu  beiden  Seiten  und  im  kleinen  Becken  '  In 
Ileumschhnge,  40—50  cm  oberhalb  der  Klappe,  findet  sich  eine 
nggrosse  Perforation  gegenüber  dem  Mesenterialansatz.  Dop- 
Emstiilpungsnaht.  Revision  des  ganzen  Darmes.  Kochsalz- 
ng,  Drain  in  den  Douglas.  Etagennaht.  8.  VII.  Geheilt  ent- 


;n. 


Sch.,  21  Jahre  alt.  Eintritt:  7.  VIII. 

Wurde  gestern  abend  8  Uhr  von  einem  Pferd  auf  den  Bauch  ge¬ 
igen.  War  benommen,  erholte  sich  aber  nach  einiger  Zeit  wieder 
wurde  in  das  Lazarett  gebracht.  Im  Lauf  der  Nacht  langsam 
:hlimmerung,  gegen  Morgen  Aufstossen,  Zunahme  der  Leib- 
erzen,  die  gleich  nach  dem  Hufschlag  stark  gewesen,  dann  aber 
kgegangen  waren.  Brechen  trat  nicht  auf,  Gasabgang  wurde 
beobachtet.  Einlieferung  in  die  Klinik. 

Status:  Gesicht  blass,  etwas  zyanotisch.  Puls  kräftig,  120. 
i  zeigt  ausserheh  keine  Verletzung,  überall  gespannt  und  druck- 
ndlich,  am  meisten  links  unten. 

Operation  (15  Stunden  post  trauma)  (Dr.  Loben  hoffer). 
inschnitt  unterhalb  des  Nabels;  im  Bauch  sehr  viel  hämorrha- 
■ -eitrige  rlüssigkeit;  Dünndarm  besonders  in  der  unteren  Bauch- 
etwas  seifig  belegt,  einige  Ileumschlingen  in  der  linken  unteren 
inalfte  dick  mit  Fibrin  belegt  und  verklebt;  in  einer  dieser 
>zen  gegenüber  dem  Mesenterialansatz  eine  ca.  2  cm  lange, 
gestellte  Perforationsöffnung  mit  herausgewulsteter  Schleimhaut 
etzigen,  hämorrhagischen  Rändern.  Uebernähen;  der  übrige 
ist  intakt;  Kochsalzspülung,  Drains  nach  beiden  Seiten  und  in 
•ouglas. 

dlgemeinbefinden  hebt  sich  rasch;  Heilung  durch  Fasziennekrosc 


Vben  angeführten  Krankengeschichten  geben  in  typi- 
™e*se  den  Krankheitsverlauf  wieder,  wie  er  sich  in  der 
fj1  ^”ebrzahl  der  Fälle  abspielt.  Nach  Abklingen  des 
j-ks  kommt  erst  ein  Stadium  der  Erholung,  das  einige 
len  anhält,  bis  dann  das  dritte  Stadium  einsetzt,  das  der 
onitis.  Die  Pause  fehlt  nur  in  besonders  ungünstigen 

•as  Häufigere  ist  das  Stadium  der  Erholung.  Man  hat 
rund  dafür  geltend  gemacht,  dass  die  Darmwand  sich  so- 
•  acn  der  Verletzung  um  die  Wunde  herum  auf  das  stärkste 
1  ahiert  und  zunächst  das  Ausfliessen  von  Darminhalt  ver¬ 


hindert;  der  Verschluss  wird  noch  begünstigt  dadurch,  dass 
die  Schleimhaut  sich  wie  ein  Pfropf  aus  der  Lücke  heraus¬ 
drängt  und  sie  ausfüllt;  nach  einigen  Stunden  erst  tritt  Er¬ 
schlaffung  der  Kontraktion  ein  und  damit  erst  beginnt  das 
Ausfliessen  grösserer  Mengen  Darminhalt  und  die  Peritonitis. 

„t  diesem  zeitweiligen  Verschluss  mögen  auch  die  besonders 
günstigen  I  alle  erklärt  werden,  bei  denen  es  durch  sehr  bald 
aufgetretene  Verklebungen  nur  zur  lokalen  Peritonitis  und 
Abszessbildung  kam.  Als  begünstigende  Momente  muss  aber 
noch  dazu  kommen,  dass  der  Darm  leer  war  und  wenig  viru¬ 
lente  Bakterien  enthielt. 


Es  fiägt  sich  nun,  ob  es  nicht  möglich  ist,  die  Diagnose, 
wenigstens  die  Wahrscheinlichkeitsdiagnose  auf  Darmver¬ 
letzung  zu  stellen,  ehe  die  Symptome  die  Peritonitis  unzweifel¬ 
haft  machen  und  die  Chancen  für  die  Heilung  durch  ein  mög¬ 
lichst  frühzeitiges  Eingreifen  zu  verbessern.  Solche  Früh¬ 
st  mptome  gibt  es  und  sie  werden  sich  bei  genauer  Unter¬ 
suchung  wohl  in  den  meisten  Fällen  feststellen  lassen. 

Vorausgestellt  sei  dasjenige  Zeichen,  dem  allgemein  heut¬ 
zutage  das  grösste  Gewicht  für  die  Frühdiagnose 
e .! n  ,c  ^  entzündlichen  Vorganges  beigelegt  wird, 
nämlich  die  lokalisierte  Bauchdeckenspannung,  die  „De- 
ftnse  musculaire  ,  die  noch  vielfach  ihren  französischen 
Namen  trägt,  weil  französische  Chirurgen  zuerst  auf 
ihre  Wichtigkeit  hingewiesen  haben.  Sie  ist  charak¬ 
teristisch  für  jeden  Entzündungsprozess  in  der  Bauch¬ 
höhle  überhaupt,  für  die  Appendizitis  ebensogut,  wie  für 
eine  lokalisierte  Peritonitis  aus  anderen  Ursachen,  also  auch 
für  die  bei  Darmruptur.  Die  Spannung  entspricht  der  Stelle 
der  Organverletzung,  ist  bei  einseitiger  Verletzung  zunächst 
auch  einseitig,  breitet  sich  aber  natürlich  über  den  ganzen 
Bauch  aus,  wenn  multiple  Verletzungen  bestehen  oder  die 
Peritonitis  sich  ausbreitet.  T  rendelenburg  macht  auf 
die  Mitbeteiligung  des  Kremaster  aufmerksam.  Täuschungen 
können  veranlasst  werden  durch  Verletzungen  der  Bauch¬ 
muskeln  selbst  oder  ein  properitoneales  Hämatom.  Genaue 
Untersuchung  kann  event.  diese  beiden  Ursachen  feststellen. 
Intraperitoneale  Blutungen  verursachen  die  Spannung  eben¬ 
falls.  Die  Annahme  einer  intraperitonealen  Organverletzung 
gewinnt  an  Wahrscheinlichkeit,  wenn  die  Spannung  nach  Ab¬ 
klingen  des  Schocks  unverändert  weiter  besteht,  oder  eben¬ 
falls  etwas  zurückgeht  und  sich  nach  Stunden  wieder  ver¬ 
stärkt.  Zu  vermeiden  ist  dabei  die  Morphiuminjektion,  die  die 
Lokalsymptome  verwischt,  v.  Haffner  macht  darauf  auf¬ 
merksam,  dass  die  Entscheidung  beschleunigt  werden  könne 
durch  ein  heisses  Bad;  bestehe  keine  intraperitoneale  Ver¬ 
letzung,  so  ginge  die  Intensität  der  lokalen  Merkmale  rasch 
zuiück,  blieben  sie  dagegen  auch  nach  dem  Bad  unverändert 
so  sei  das  die  Indikation  zum  Eingriff. 


Der  Bauchdeckenspannung  gegenüber  treten  die  übrigen 
für  die  Diagnose  in  Betracht  kommenden  Momente  mehr  in 
den  Hintergrund,  sie  sind  viel  inkonstanter,  ihr  Vorhandensein 
untei  stützt  sie,  namentlich  wenn  mehrere  Zusammentreffen, 
ihr  Fehlen  ist  aber  nicht  ausschlaggebend. 

Dass  aus  der  Art  des  Traumas  und  der  Beschaffenheit  der 
Bauchdecken  gewisse  Schlüsse  gezogen  werden  können,  ist 
sicher.  Ein  kräftiger,  mit  schmaler  Basis  angreifender  Stoss 
oder  Schlag  wird  leichter  zur  intraperitonealen  Organver¬ 
letzung  führen,  als  ein  mit  breiter  Fläche  angreifender; 
fettreiche  bauchdecken  schützen  den  Darm  vor  Verletzungen  j 
dagegen  können  schon  bei  leichteren  I  raumen  Darmver¬ 
letzungen  eintreten,  wenn  die  Bauchdecken  schlaff  sind.  Be¬ 
sondere  Disposition  besteht,  wenn  der  Darm  der  schützenden 
Musulatur  überhaupt  entbehrt,  wenn  er  z.  B.  in  einem 
Bruchsack  liegt.  Dann  genügt  schon  eine  relativ  geringe 
Kraft,  um  ihn  schwer  zu  schädigen.  Folgender  Fall  ist  dafür 
charakteristisch. 


M.  B.,  67  Jahre  alt  Eingeliefert:  6.  VII.  14. 

Pat.  trägt  wegen  eines  Leistenbruches  ein  Bruchband,  das  den 
Bruch  gut  zurückhält.  Gestern  abend,  als  sie  das  Bruchband  be- 
rcits  abgelegt  hatte,  stiess  sie  sich  im  Dunkel  gerade  mit  dem  Bruch 
an  einer  I  ischkante.  Sie  hatte  sogleich  heftige  Schmerzen,  repo- 
merte  den  ausgetretenen  Bruch  und  legte  sich  zu  Bett.  Uebcr  Nacht 
nahmen  die  Schmerzen  zu,  es  trat  öfter  Erbrechen  auf,  weshalb  sie 
ca.  20  Stunden  nach  dem  Unfall  in  die  Klinik  kam 

Statu  s:  Bauch  aufgetrieben,  besonders  in  den  unteren  Teilen 
druckempfindlich.  Oberhalb  des  Lig.  Poup.  r.  leere  Bruchöffnung. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  3 6 


1920 


Operation  (Prof.  E  n  d  c  r  I  e  n).  Laparotomie  in  der  Mittellinie 
zwischen  Nabel  und  Symphyse.  Bauchdecken  bereits  etwas  ödema- 
tös;  nach  Eröffnung  des  Peritoneums  quillt  trübe,  stinkende  Flüssig¬ 
keit  hervor;  der  Dünndarm  ist  z.  T.  fibrinbelegt,  ln  einer  lleum- 
schlinge  findet  sich  eine  hirsekorngrosse  Perforationsstelle.  Doppelte 
Einstülpungsnaht.  Kochsalzspülung.  Bauchnaht,  Gummidrain  in  den 
Douglas.  Günstiger  Heilungsverlauf. 

Aus  dem  Puls  ist  in  den  ersten  Stunden  nach  der  Ver¬ 
letzung  kein  brauchbarer  Schluss  zu  ziehen  für  Darmver- 
letzungen,  anders  allerdings  für  Blutungen.  Bei  der  Blutung  j 
im  Peritoneum  bleibt  der  Puls  von  Anfang  an  klein  und  fre¬ 
quent,  er  geht  in  der  Füllung  immer  weiter  herunter;  bei  der 
Darmverletzung  dagegen  wechselt  er  im  einzelnen  Fall  ausser¬ 
ordentlich.  Wo  Schock  vorhanden  ist,  ist  er  natürlich  in  der 
eister  Zeit  dadurch  beeinflusst,  dann  hebt  er  sich  aber  meist 
wieder,  um  erst  beim  Ueberhandnehmen  der  Peritonitis  wieder 
an  Frequenz  zu  steigen.  Wo  der  Schock  fehlt,  ist  oft  auch 
der  Puls  anfangs  kaum  verändert.  Individuelle  Eigenschaften 
spielen  hiebei  eine  grosse  Rolle. 

Das  Verhalten  der  Temperatur  ist  sehr  wechselnd; 
namentlich  in  den  ersten  Stunden  kann  sie  ganz  normal  sein, 
kann  sogar  etwas  sinken,  wenn  Schock  vorhanden  ist.  Der 
Beginn  der  Peritonitis  wird  vielfach  angezeigt  durch  Tem¬ 
peratursteigerungen,  oft  nur  um  einige  Zehntelgrade,  oft  durch 
raschen  Anstieg.  Ein  Hinweis  auf  entzündliche  Vorgänge  in 
der  Bauchhöhle  ist  gegeben,  wenn  die  Temperatur  im  Rektum 
die  gewöhnliche  Differenz  zu  der  Axillartemperatur  wesentlich 
überschreitet,  wie  das  zum  Teil  in  den  angeführten  Kranken¬ 
geschichten  der  Fall  ist.  Doch  muss  betont  werden,  dass  es 
Peritonitiden  gibt,  die  ohne  Fieber  einhergehen  ebensogut, 
wie  solche,  die  von  Anfang  an  hohe  Steigerungen  zeigen;  eine 
Regel  ist  also  nicht  aufzustellen. 

Aehnlich  ist  es  mit  dem  Aufstossen  und  Brechen.  Sein 
Fehlen  beweist  nichts  gegen  eine  Darmverletzung,  sein  Vor¬ 
handensein  in  allem  Anfang  nichts  für  eine  solche,  es  kann 
Folge  der  Schockwirkung  und  Hirnanämie  sein.  Wichtigkeit 
ist  ihm  jedoch  beizulegen,  wenn  es  nach  Abklingen  der 
Schockwirkung  bestehen  bleibt,  oder  sich  dann  erst  wieder 
einstellt;  dann  stützt  es  die  Diagnose  wesentlich,  v.  Angerer 
macht  darauf  aufmerksam,  dass  nach  seinen  Erfahrungen 
bei  perforierenden  Darmverletzungen  das  Brechen  häufig  und 
gallig  sei,  dass  es  dagegen  bei  nicht  perforierenden  Darm- 
wunden  meist  nur  1 — 2  mal  sich  einstelle.  Wie  sehr  auch 
hierin  die  einzelnen  Fälle  mit  ganz  ähnlichem  autoptischen  Be¬ 
fund  wechseln,  beweisen  schon  die  wenigen,  hier  angeführten 
Krankengeschichten.  ‘Man  hat  aus  der  Häufigkeit  des  Er¬ 
brechens,  aus  dessen  Menge  und  Beschaffenheit  eine  Diagnose 
auf  den  Ort  der  Verletzung  aufbauen  wollen;  es  soll  nach 
Magenperforationen  relativ  seltener  sein,  als  nach  Darmper¬ 
forationen,  weil  der  Mageninhalt  durch  die  Perforation  in  den 
Bauchraum  abfliessen  könne.  Ferner  wurde  das  Vorhanden¬ 
sein  von  Blut  im  Erbrochenen  für  Magenverletzung  in  die 
Wagschale  geworfen.  Es  kann  das  nur  für  grössere  Massen 
gelten,  kleinere,  namentlich  nur  einmalige  Blutbeimengungen 
beweisen  nichts  (cf.  Krankengeschichte  II). 

Von  den  lokalen  Symptomen  wurde  das  Wesentlichste 
schon  vorausgeschickt.  Nach  Brunner  soll  an  der  Perfo¬ 
rationsstelle  zuweilen  peritoneales  Reiben  zu  fühlen  sein. 
Sind  Gase  ausgetreten,  so  sammeln  sie  sich  in  Rückenlage  des 
Patienten  an  der  höchsten  Stelle  des  Bauchraumes,  im  Epi- 
gastrium,  und  hier  ist  event.  die  Gasblase  perkutorisch  nach¬ 
weisbar  und  verdrängt  die  Leberdämpfung,  während  stärkerer 
Flüssigkeitserguss  sich  durch  Flankendämpfung  verrät.  Die 
Druckempfindlichkeit  der  Bauchdecken  an  der  Verletzungs¬ 
stelle  ist  ein  absolut  unzuverlässiges  Merkmal  für  eine  intra¬ 
peritoneale  Organverletzung,  weil  durch  das  Trauma  die 
Bauchdecken  immer  zuerst  getroffen  werden  und  eine  Zeitlang 
empfindlich  bleiben  müssen. 

Von  den  angeführten  Symptomen  verdient  die  Bauch¬ 
deckenspannung  die  grösste  Beachtung,  sie  wird  in  der 
hiesigen  Klinik  in  allen  zweifelhaften  Fällen  als  ausschlag¬ 
gebend  angesehen.  Die  angeführten  Krankengeschichten  ent¬ 
halten  ja  nur  Spätfälle,  bei  denen  die  Peritonitis  bereits  sich 
ausgebreitet  hatte,  aber  das  Symptom  hat  sich  schon  bei  so 
vielen  anderen  Verletzungen,  Appendizitiden,  wo  es  als  ein¬ 
ziges  lokales  Merkmal  bestand,  als  sicher  bewährt,  dass  uns 


sein  Vorhandensein  stets  als  Indikation  zur  Operation  dient 
Ihm  gegenüber  treten  die  übrigen  Merkmale  an  Wichtigkei 
im  einzelnen  entschieden  zurück,  weil  sie  zu  inkonstant  um 
zu  wenig  eindeutig  sind.  .  ! 

Zur  Sicherung  der  Diagnose  wurde  in  letzter  Zeit  voi 
F  1  o  r  e  n c  e  und  Ducuing  die  Punktion  des  Peritoneal 
raumes  vom  Rektum  bzw.  dem  hinteren  Scheidengewölbe  au; 
empfohlen.  Vor  diesem  Vorgehen  ist  entschieden  zu  warnen 
weil  die  Asepsis  nicht  gewahrt  werden  kann;  eine  Probe 
laparotomie  ist  viel  ungefährlicher. 

Die  Therapie  kann  natürlich  nur  eine  operative  sein,  wc 
die  Diagnose  auf  Darmruptur  gestellt  ist  oder  auch  nur  dei 
Verdacht  besteht.  Der  Eingriff  soll  sobald  als  möglich  er 
folgen,  er  soll  der  Peritonitis  zuvorkommen.  Und  wenn  ii 
zweifelhaften  Fällen  eine  Probelaparotomie  gemacht  wird' 
ohne  dass  eine  grössere  oder  überhaupt  eine  Organverletzunt 
gefunden  wird,  so  ist  der  Patient  damit  lange  nicht  dei 
schweren  Gefahr  ausgesetzt,  als  wenn  zugewartet  wird  und  e 
am  nächsten  Tage  seine  Peritonitis  hat.  Die  Prognose  win 
von  Stunde  zu  Stunde  schlechter,  und  die  beste  Zeit  ist  ver 
passt,  wenn  die  Peritonitis  erst  manifest  ist.  Die  Ver 
schlechterung,  die  die  Prognose  mit  dem  Zuwarten  stufen 
weise  bekommt,  zeigt  am  besten  folgende  Tabelle; 


Petry . 199  Darmrupturen  mit  25  Heilungen  =  12,5  Pro, 

Tawaststjerna  173  „  ,  41  ,  =23,6  , 

Hertle . 138  „  „  32  „  —  23,.  , 


Operiert  nacli 

0—  6  Stunden 
7-12 
13-24 
24—48 
später  als  48 
ohne  Angabe  der  Zeit 


geheilt 

13  =  52  Proz 
7  =  46  „ 

5=21  „ 

1=7  „ 

3  =  20  , 

_3 _ 

32 


gestorben 

12  =  48  Proz. 

8  =  54  „ 

18  =  79  „ 

13  =  93  „ 

12  =  80  „ 

13 


77 


Zahl  der 
operierten  Fäl 

25 

15 

24 

14 

15 

16 

109 


Die  Operation  besteht  im  Aufsuchen  der  Darmwundt 
wobei  man  nicht  ausser  acht  lassen  darf,  dass  mehrere  vor 
handen  sein  können.  Man  muss  also  den  ganzen  Darm  ab 
suchen  und  sich  nicht  mit  einer  aufgefundenen  Oeffnung  zu 
frieden  geben.  Kleinere  Wunden  werden  mit  zwei  Ein 
stiilpungsnahtreihen  übernäht,  grössere  müssen  reseziei 
!  werden;  ebenso  müssen  Darmstücke,  deren  Ernährung  ge 
fährdet  ist,  entfernt  werden.  Bei  bestehender  Peritonitis  h< 
uns  die  heisse  Kochsalzspülung  (37  °)  gute  Dienste  getar 
neben  der  reinigenden  Wirkung  kommt  ihr  sicher  auch  ein 
aiicilcptische  zu» 

Es  ist  ein  günstiger  Zufall,  dass  die  hier  in  den  letzte 
Monaten  operierten  subkutanen  Darmverletzungen  alle  ei 
gutes  Ende  nahmen,  trotzdem  sie  erst  spät,  zum  I  eil  sei 
spät,  zur  Operation  kamen;  es  Hessen  sich  leicht  eine  Reihe  vo 
Krankengeschichten  hinzufügen,  wo  das  nicht  so  war.  Di 
Frühdiagnose  und  die  Frühoperation  ist  und  bleibt  immer  da 
dringendste  Erfordernis  bei  der  stumpfen  Bauchverletzun; 
Es  kommen  natürlich  immer  wieder  besonders  glückliche  Fäl 
vor,  wo  frühzeitige  Verklebungen  das  Auftreten  der  allg» 
meinen  Peritonitis  verhindern,  wo  bloss  Abszesse  entstehet 
!  aber  man  hat  niemals  einen  Anhaltspunkt,  wann  man  m 
diesem  Rückfall  rechnen  darf;  er  darf  also  auch  für  das  ärz 
liehe  Handeln  nicht  ins  Gewicht  fallen. 

Aus  der  Friedrichstadtklinik  für  Lungenkranke  zu  Bei  1: 
(dirig.  Arzt;  Dr.  Arthur  Mayer). 

Die  Bekämpfung  der  Tuberkulose  in  der  Feldarmee 

Von  Dr.  Arthur  Mayer. 

Die  Bekämpfung  der  Tuberkulose,  die  immer  wieder  nei 
Probleme  bietet,  stellt  auch  den  Feldarzt  vor  neue  Aufgabe 
Denn  so  mancher  brave  Krieger,  der  in  das  Feld  zog,  ui 
—  wenn  es  sein  muss  —  einen  ehrlichen  Soldatentod  z 
sterben,  wird  das  Opfer  des  tückischen  Tuberkulosegiitf 
werden.  Leider  wissen  wir  nichts  darüber,  wieviele  Soidati 
in  früheren  Kriegen  durch  die  Tuberkulose  dahingerafft  wordt 
sind,  weil  naturgemäss  die  Diagnose  und  die  Prophylaxe  dt 
Tuberkulose  erst  seit  der  Entdeckung  des  Tuberkelbaziilus 
den  Statistiken  eine  Rolle  spielen  kann.  Desto  genauer  sir 
wir  aber  darüber  informiert,  wie  gross  die  Morbilität  ur 


8.  September  1914. _ Feldärztlichc  Beilage  zur  Miincli.  med.  Wochenschrift. 


Mortalität  an  1  nberkulose  während  der  Friedenszeiten  in 
unserem  Heer  und  in  den  Armeen  unserer  Gegner  ist. 

Da  zeigt  sich,  wie  auf  so  vielen  anderen  Gebieten,  dass 
auch  hier  Deutschland  am  allerbesten  dasteht.  Nach  einer  Zu¬ 
sammenstellung  von  Sforza*)  beträgt  die  Morbidität  in 
Preussen  1,96,  in  England  3,16,  in  Oesterreich-Ungarn  3,22,  in 
Russland  4,69  und  in  Frankreich  7,30  auf  1000  der  Präsenz¬ 
stärke  der  Armee.  In  Italien  soll  allerdings  nach  den  An¬ 
gaben  des  Autors  die  Erkrankungsziffer  noch  etwas  geringer 
als  in  Preussen  sein,  wogegen  aber  allerlei  Bedenken  zu  er¬ 
heben  sind.  Nach  Untersuchungen  von  L  e  b  e  d  e  f  f  ist  die 
Tuberkulose  in  der  russischen  Armee  noch  viel  verbreiteter. 
Beinahe  die  Hälfte  der  russischen  Soldaten  sollen  tuberkulös 
sein,  was  allerdings  in  diesem  Umfange  von  Sach  ar  off 
bestritten  wird  **).  Sehr  ungünstig  liegen  übrigens  die  Ver¬ 
hältnisse  auch  bei  der  bulgarischen  Armee,  wo  von  allen 
Sterbefällen  etwa  60  Proz.  auf  Lungenkranke  entfallen  sollen. 

Noch  wichtiger  und  bemerkenswerter  ist  aber  die  Tat¬ 
sache,  dass  in  unserer  deutschen  Armee  die  Zahl  der  Tuber¬ 
kulösen  dauernd  abnimmt.  In  der  österreichisch-ungarischen 
\rmee  bestehen  nicht  unerhebliche  Schwankungen,  die  aber 
rotz  alledem  eine  Tendenz  zur  Abnahme,  besonders  seit  den 
etzten  10  Jahren  zeigen.  In  den  anderen  Ländern,  ganz  be¬ 
sonders  aber  in  Russland  und  Frankreich  besteht  keine  Ab- 
lahme  der  Tuberkulosesterblichkeit2).  Daher  kehren  auch 
n  dem  französischen  Senate  fast  alljährlich  die  Klagen  wieder, 
lass  die  Tuberkulosemorbidität  in  der  französischen  Armee 
tuffallend  hoch  ist  und  bleibt 3).  Aehnlich  liegen  übrigens  auch 
iach  Angaben  von  No  11  et1)  die  Verhältnisse  bei  der  fran- 
’ösischen  Marine.  Im  Arsenal  von  Brest  sollen  allein  im 
Durchschnitt  300  Tuberkulöse  liegen.  Diese  Verhältnisse 
verden  auch  neuerdings  von  Poresta5)  bestätigt. 

Bei  all  diesen  statistischen  Mitteilungen  darf  allerdings, 
vorauf  auch  Möllers0)  hinweist,  nicht  vergessen  werden, 
ass  es  bei  den  Angaben  über  verschiedene  Heere,  besonders 
her  die  Frankreichs  und  Russlands  nicht  ersichtlich  ist,  ob  die 
'iagnose  der  Tuberkulose  nur  aus  einem  verdächtigen  Lungen- 
pitzenkatarrh  oder  aus  dem  Befund  von  Tuberkelbazillen  ge¬ 
teilt  ist.  Bemerkt  muss  auch  werden,  dass  die  russischen 
Statistiken  mit  dem  Jahre  1907  aufhören. 

Vielfach  wird  die  Zunahme  oder  zum  wenigsten  die  ge- 
inge  Abnahme  der  Tuberkulose  in  den  Armeen  unserer 
iegner  damit  erklärt  werden  können,  dass  die  Diagnose  der 
uberkulose  durch  unsere  modernen  Hilfsmittel  jetzt  häufiger 
nd  sicherer  gestellt  wird,  als  es  früher  geschehen  ist 
Troussaint 7)].  Demgegenüber  ist  aber  zu  bemerken, 
ass  sich  die  Tuberkulosezahlen  in  der  Armee  genau  so  ver¬ 
alten,  wie  die  Zahlen  bei  der  Zivilbevölkerung,  und  dass  eben 
ie  I  uberkulose  in  den  Armeen  der  Völker  abnimmt,  bei  denen 
ie  überhaut  wirksam  bekämpft  wird8). 

Im  Feldheer  wird  nun  aber  die  Tuberkulose  zweifellos 
unehmen,  und  zwar  aus  verschiedenen  Gründen.  Z  u  - 
ächst  wird  die  Tuberkulose  bei  nicht 
enigen  Soldaten  manifest  werden,  bei  denen 
ie  bisher  latent  war  oder  die  von  ihrer 
uberkulose  „geheilt“  waren.  Wenn  auch  im 
■Jeden  der  Militärdienst  auf  viele  schwächliche  und  ge- 
ihrdete  junge  Leute  einen  guten  Einfluss  ausübt  und 
ch  während  der  Dienstpflicht  verdächtige  Spitzensymptome 

*)  Sforza:  Der  Militärarzt,  Rom  191  i.  —  „La  Tuberculose  dans 
s  armees.“  Vortrag  auf  dem  16.  intern,  med.  Kongr.  in  Pest  1910. 

**)  N.  A.  Leb  ed  eff:  Die  Verbreitung  der  Tuberkulose  in  der 
nuee.  und:  N.  Sacharoff:  Erwiderung.  Intern.  Zbl.  f.  d.  ges. 

aberk.-Literatur  1913. 

*)  Baracoff:  La  Tuberculose  dans  l’armec  bulgare.  La  Tub. 

ms  la  Pratique  1910. 

*’)  Otto  v  Schjerning:  Sanitäts-statistische  Betrachtungen 

icr^Volk  und  Heer.  Berlin  1910. 

3)  Schwiening:  Ueber  den  Gesundheitszustand  des  frän¬ 
kischen  Heeres.  D.m.W.  1912. 

0  Noll  et:  La  tuberculose  ä  bord.  Arch.  de  med.  nav.  1909. 
i  )  Poresta:  Gesundheitsverhältnisse  der  französischen  Marine 

1  Vergleich  zur  deutschen. 

*)  Möllers:  Tuberkulose.  Lehrb.  d.  Militärhygiene.  Berlin 

12. 

)  Troussaint:  Der  Gesundheitszustand  der  französischen 
uiee.  La  Tuberculose  dans  la  pratique  1910. 

)  Helm:  Armee,  Tuberkulose  und  Rotes  Kreuz.  1909. 


1921 


verlieren,  so  liegen  doch  bei  den  ungleich  grösseren  Strapazen 
des  Krieges  und  bei  den  grossen  psychischen  Erregungen  die 
Dinge  anders.  Dazu  kommt,  dass  gerade  das  erste  Dienst¬ 
jahr,  soweit  Statistiken  darüber  vorliegen,  bei  allen  Armeen 
die  höchste  Krankheitsziffer  zeigt.  So  hat  z.  B.  auch  für  die 
französische  Armee  Bouget  festgestellt,  dass  54,6  bis 
60  Proz.  der  an  Tuberkulose  erkrankten  Mannschaften  eine 
weniger  als  6  monatliche  Dienstzeit  hinter  sich  hatten  und  für 
die  deutsche  Armee  hat  Schultzen9)  nachgewiesen,  dass 
die  im  2.  Dienstjahr  stehenden  etwa  %,  die  länger  Dienenden 
etwas  mehr  als  ‘/s  aller  derer  ausmachen,  die  überhaupt  an 
Tuberkulose  erkrankt  sind.  Die  neu  eingezogenen  Mann¬ 
schaften  und  die  Kriegsfreiwilligen  sind  demgemäss  am 
meisten  gefährdet. 

Aber  nicht  nur  durch  die  Strapazen  des  Krieges  wird  so 
manche  latente  Tuberkulose  manifest  werden,  sondern  auch 
durch  Traumen.  Wir  wissen  ja  aus  der  Friedenszeit  hin¬ 
reichend,  dass  so  manche  Verletzung  die  auslösende  Ursache 
für  die  Entstehung  einer  Tuberkulose  ist.  Besonders  werden 
wohl  Schussverletzungen  der  Lunge  in  Betracht  kommen. 

Ich  verfüge  u.  a.  über  einen  Fall,  der  für  diese  Verhältnisse 
lehrreich  ist. 

M.  F.,  35  jähriger  Schlächtermeister,  kräftiger,  muskulöser  Mann, 
der  gedient  und  mehrere  Uebungen  gemacht  hat.  In  der  ganzen  Fa¬ 
milie  keine  Tuberkulose.  Vor  2  Jahren  dringt  ihm  durch  die  Unvor¬ 
sichtigkeit  eines  Bekannten  eine  Teschingkugel  in  den  Unterlappen  der 
rechten  Lunge.  Die  damalige  Verletzung  heilte  schnell,  zunächst 
ohne  Komplikation.  Seitdem  leidet  Patient  unter  sehr  häufig  wieder¬ 
kehrenden  Bronchialkatarrhen  und  Pneumonien  der  rechten  Lunge. 
Seit  6  Monaten  sind  im  Sputum  Tuberkelbazillen  nachzuweisen.  Man 
hört  über  der  ganzen  rechten  Seite  feinblasiges  Rasseln;  über  einer 
fünfmarkstückgrossen  Stelle  des  Unterlappens,  wo  die  Kugel  sitzt, 
Bronchialatmen;  über  dem  Unterlappen  ist  der  Schall  verkürzt  und 
leicht  tympanitisch.  Im  Röntgenbild  sieht  man  eine  Trübung  der  gan¬ 
zen  rechten  Seite,  die  nach  unten  zu  beträchtlich  zunimmt.  In  einer 
von  derben  fibrinösen  Strängen  scheinbar  abgekapselten  Höhle  sitzt 
die  Kugel. 

Es  kann  kaum  einem  Zweifel  unterliegen,  dass  dieser  kräf¬ 
tige  Mann,  der  gedient  und  mehrereUebungen  gemacht  hat,  vor 
der  Verletzung  klinisch  gesund  war  und  dass  die  Schussver¬ 
letzung  die  Tuberkulose  bei  ihm  ausgelöst  hat.  Uebrigens 
braucht  die  auslösende  traumatische  Ursache  keine  Schuss¬ 
verletzung  zu  sein,  sondern  kann,  wie  das  ja  aus  der  Literatur 
hinreichend  bekannt  ist,  auch  eine  Quetschung  des  Brust¬ 
korbes,  eine  Pleurazerreissung,  eine  Rippen-  oder  Wirbel- 
Fraktur,  oder  irgend  ein  peripheres  Trauma  sein.  Derartige 
Fälle  sind  hinreichend  bekannt  und  werden  zweifellos  jetzt 
den  Feldarzt  vielfach  beschäftigen. 

Eine  zweite  Gruppe  umfasst  diejenigen,  die  mit 
offener  Tuberkulose  oder  zum  mindesten  mit  einer 
sicheren  tuberkulösen  Affektion  ins  Feld  gezogen 
sind.  Jeder  Arzt  wird  die  Erfahrung  gemacht  haben,  dass 
viele  seiner  Phthisiker  trotz  allen  Abratens  nicht  mehr  zu 
halten  waren  und  unter  die  Fahne  eilten.  So  mancher  war  ein 
armseliger  Desperado,  der  ein  schnelles  Ende  durch  eine 
feindliche  Kugel  einem  langen  Siechtum  .vorzog.  Viele  aber 
erachteten  jetzt  in  diesem  grossen  Augenblick  ihre  Beschwer¬ 
den  gering  und  wollten  selbst  mit  ihren  schwachen  Kräften 
das  Vaterland  verteidigen.  Es  ist  ganz  selbstverständlich, 
dass  manche  dieser  Tuberkulösen  bei  der  ärztlichen  Unter¬ 
suchung  vor  der  Einstellung  unerkannt  geblieben  sind,  ganz 
besonders  die.  die  äusserlich  sehr  wohl  aussahen,  in  einer 
Lungenheilstätte  gebräunt  und  gemästet  waren  und  einen 
relativ  sehr  geringen  physikalischen  Befund  aufwiesen. 

Eine  dritte  Gruppe,  mit  der  der  Feldarzt  zu  rechnen 
haben  wird,  umfasst  die  Soldaten,  die  während  des 
Feldzuges  infiziert  worden  sind.  Dabei 
können  die  Infektionsträger  entweder  tuberkulöse  Sol¬ 
daten  oder  Tuberkulöse  aus  der  Zivilbevölkerung,  eventuell 
auch  Nahrungsmittel;.  (Milch)  sein.  Man  wird  ganz  be¬ 
sonders  damit  rechnen  müssen,  dass  sich  manche  Feld¬ 
zugsteilnehmer  in  tuberkulös  verseuchten  Bürgerquartieren 
infizieren.  Wenn  auch  ohne  weiteres  zugegeben  werden 
muss,  dass  ein  gesunder  kräftiger  Mann  nicht  tuberkulös  wird, 
wenn  er  in  einem  Bett  schläft,  in  dem  ein  Phthisiker  vorher 

fl)  Schujtzen:  Die  Bekämpfung  der  Tuberkulose  in  der 
Armee.  Kai).  13  der  Denkschr.  f,  d.  Int.  Tub.-Konf.,  Paris  1905. 


1922 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  nied.  Wochenschrift. 


Ni.  36. 


geschlafen  hat  oder  von  einer  bazillenhaltigen  Milch  nicht  ohne 
weiteres  infiziert  wird,  so  hegen  die  Verhältnisse  eben  im 
Kriege,  wo  man  vielfach  mit  geschwächten  Menschen,  deren 
Widerstandskraft  herabgesetzt  ist,  zu  rechnen  hat,  doch 
anders.  Wie  sehr  Hunger  und  Erschöpfung  die  Infektion  mit 
allen  Bakterien  begünstigt,  ist  von  C  h  a  r  z  i  n  und  Rolle, 
vor  allem  aber  von  Ficker 10)  experimentell  gezeigt  wor¬ 
den  u). 

Es  fragt  sich  nun,  was  können  unsere  Feldärzte 
tun,  um  unsere  Soldaten  nach  Möglichkeit 
vor  der  Tuberkulose  zu  schützen!  Das  ist  in 
erster  Reihe  natürlich  eine  Heeres-hygienische  Frage. 
Sie  wird  aber  auch  zu  einer  allgemeinen  sozfal- 
hygienischen.  Weil  wir  damit  rechnen  müssen,  dass 
auch  unter  der  zurückbleibenden  Zivilbevölkerung  durch  die 
erschwerten  Lebensbedingungen  die  Tuberkulose  während 
und  nach  der  Kriegszeit  zunehmen  wird,  die  heimkehren- 
den  tuberkulösen  Soldaten  die  Ansteckungsquellen  vermehren 
und  die  Zahl  der  Tuberkulösen  überhaupt  vergrössern.  Dazu 
kommt,  dass  zahlreiche  Kriegsteilnehmer,  die  tuberkulös  zu¬ 
rückkehren,  Dienstbeschädig  u  ngsan  spriiche  er¬ 
heben  werden,  die  vielfach  wohl  anerkannt  werden  müssen. 

Denn  in  einem  event.  späteren  Streitverfahren  wird  die 
Frage,  ob  der  Kriegsteilnehmer  bereits  vorher  tuberkulös  war, 
häufig  genug  irrelevant  sein  oder  unbeantwortet  bleiben 
müssen,  weil  man  annehmen  wird,  dass  im  allgemeinen  von 
vornherein  Tuberkulöse  vom  Militärdienst  ausgeschlossen 
worden  sind. 

Dass  die  deutsche  Heeresverwaltung  in  Friedens- 
Zeiten  umfangreiche  Massnahmen  getroffen  hat,  um  Sol¬ 
daten,  die  sich  als  tuberkulös  erweisen,  aus  Heer  und  Flotte  zu 
entfernen,  und  dass  sie  andererseits  vielfach  mustergültige  An¬ 
stalten  unterhält,  um  in  geeigneten  Fällen  Tuberkulöse,  um 
jede  Härte  bei  der  Entlassung  zu  vermeiden,  zu  behandeln,  ist 
hinreichend  bekannt* 11*). 

Das  betrifft  im  wesentlichen  länger  gediente  Unteroffiziere  und 
Kapitulanten,  hier  und  da  aber  auch  sonstige  Mannschaften,  bei  denen 
eine  Besserung  des  Leidens  bis  zu  einem  niederen  Grade  der  Invalidi¬ 
tät  zu  erwarten  ist.  Derartige  besondere  Lazarettabteilungen  für 
Lungenkranke  bestehen  mehrfach.  Ausserdem  verfügt  die  deutsche 
Heeresverwaltung  auf  Grund  besonderer  Vereinbarungen  in  16 
deutschen  Lungenheilstätten  über  eine  Anzahl  Betten,  die  für  die 
Mannschaften  der  benachbarten  Korpsbezirke  bestimmt  sind.  Auch 
für  inaktive  Mannschaften  stehen  32  Freistellen  in  Lungenheilstätten 
zur  Verfügung.  Sogar  für  die  Angehörigen  von  Unteroffizieren  ist 
mehrfach  gesorgt. 

Für  erkrankte  tuberkulöse  Offiziere  stehen  die  dem  deutschen 
Kaiser  geschenkte  Villa  Hildebrandt  in  Arco  am  Gardasee  und  ver¬ 
schiedene  Freistellen  in  Lungenheilstätten  zur  Verfügung. 

Wenn  auch  vielfach  in  anderen  Ländern  für  die  tuber¬ 
kulösen  Mannschaften  und  Offiziere  gesorgt  ist,  so  stehen  doch 
alle  die  Einrichtungen  weit  hinter  den  deutschen  zurück. 

Für  den  Krieg  reichen  naturgemäss  alle  diese  Massnahmen 
nicht  aus.  Es  ist  auch  nicht  möglich  —  was  natürlich  die 
beste  Prophylaxe  wäre  —  bei  dem  Musterungsgeschäft  alle 
Tuberkulösen  von  der  Dienstleistung  auszuschliessen;  auch  der 
Truppenarzt  kann  diese  Aufgabe  zunächst  nicht  lösen.  Man 
muss  eben  damit  rechnen,  dass  mit  der  Bestanderhöhung  der 
Armee  die  Ansprüche  an  die  Tauglichkeit  herabgesetzt  werden. 
Das  wird  diejenigen  Länder  am  wenigsten  treffen,  bei  denen 
die  Bevölkerungsziffer  in  Zunahme  begriffen  ist  oder  wenig¬ 
stens  nicht  sehr  erheblich  sinkt,  und  die  daher  verhältnismässig 
gesundes  Material  in  die  Armee  nachschiessen  können.  In 
Frankreich  liegen  die  Verhältnisse  gerade  deswegen  schlimm, 
weil  die  Abnahme  der  Bevölkerungsziffer  naturgemäss  die 
Heeresverwaltung  zwingt,  die  Anforderungen  an  die  körper¬ 
lichen  Eigenschaften  der  Heerespflichtigen  sehr  herabzusetzen. 
Nach  ausgezeichneten  Untersuchungen  von  Schwiening 


,0)  Ficker:  Ueber  den  Einfluss  des  Hungers  auf  die  Bakterien¬ 
durchlässigkeit  des  Intestinaltraktus.  Arch.  f  _  Hyg.  54.  —  Ueber 
den  Einfluss  der  Erschöpfung  usw.  Ebenda  57. 

11 )  In  der  Kriegssanitätsordnung,  deren  Lektüre  jedem  Arzte 
dringend  zu  empfehlen  ist,  heisst  es  auch  in  Ziffer  353:  „Eine  Truppe, 
die  durch  Anstrengungen  erschöpft  usw.  ist,  ist  dem  Eindringen  und 
der  Ausbreitung  von  Heeresseuchen  besonders  ausgesetzt“. 

11  *)  Saar:  Bekämpfung  der  Tuberkulose  in  der  deutschen 
Armee,  und:  Kirsch:  Die  Bekämpfung  der  Tuberkulose  in  der 
Marine.  Verh.  d.  III.  intern.  Tuberk.-Kongr.  zp  Washington. 


(1.  c.)  braucht  Deutschland  nur  53 — 55  Proz.  der  Militärpflich¬ 
tigen,  Frankreich  dagegen  88—89  Proz.  einzustellen! 

Es  zeigte  sich  in  Frankreich  schon  im  .lahrc  1894,  als  der  Effek¬ 
tivbestand  der  Armee  plötzlich  um  30  000  Mann  erhöht  wurde,  dass 
die  im  Abnehmen  begriffene  Bevölkerungsziffer  nicht  mehr  imstande 
war,  den  erhöhten  Bedarf  an  Rekruten  zu  decken,  und  dass  dadurch 
notwendigerweise  die  Auswahl  zum  Nachteil  der  Armee  eine  minder 
sorgfältige  werden  musste 12)  Nach  neueren  Mitteilungen  von 
Trouissaint,  dem  Inspektionsarzt  der  französischen  Armee, 
waren  65  Proz.  der  unter  die  Fahne  berufenen  jungen  Leute  tuber¬ 
kulös.  1910  sind  von  5214  zurückgestellten  Dienstpflichtigen  4314 
tuberkulös  gewesen,  so  dass  das  Heer  gezwungen  war,  eine  grosse 
Zahl  Leichtlungenkranker  einzustellen.  Neuerdings  ist  freilich  ein 
ministerieller  Erlass  ergangen,  der  eine  bessere  Auslese  der  Mann¬ 
schaft  erstrebt12*).  Ein  Erfolg  ist  wohl  aber  jetzt  noch  nicht  an¬ 
zunehmen. 

Es  ist  natürlich  technisch  undurchführbar,  die  Tuber¬ 
kulösen  bei  der  Musterung  oder  Untersuchung  durch  den 
Truppenarzt  durch  Tuberkulinproben  auszusondern.  Die  sub¬ 
kutane  Tuberkulininjektion  erfordert  eine  mehrtägige  Beob¬ 
achtung,  die  unmöglich  ist  und  die  kutane  Impfung  (Pirquet) 
beweist  nichts.  Die  Aussonderung  der  Tuberkulösen  wird 
also  zum  Teil  erst  während  des  Feldzuges  stattfinden  können 
und  zwar  in  erster  Reihe  in  den  Lazaretten,  hier  und  da  auch 
bei  den  vorgeschriebenen  Untersuchungen  durch  den  Truppen¬ 
arzt,  Es  wird  sich  dann  —  besonders  bei  genauen  klinischen 
Untersuchungen  in  den  Lazaretten  —  zeigen,  dass  viele  Tuber¬ 
kulöse  sehr  bald  schwerer  erkrankt  sind,  und  dass  bei  anderen 
tuberkulöse  Erkrankungen  als  Nebenbefund  festgestellt  wer¬ 
den  können. 

Es  erscheint  indesssen  sehr  zweifelhaft,  ob  die  Lazarettärzte 
auch  noch  mit  einer  eigentlichen  Fahndung  auf  Tuberkulöse 
belastet  werden  können,  denn  ihre  Aufgaben  werden  voraus¬ 
sichtlich  sehr  gross  sein.  Nach  einer  Statistik  von  K  ü  b  1  e  r '') 
kamen  im  Kriege  1870/71  auf  einen  Arzt  180  Mann  der  Kopf¬ 
stärke  und  127  der  in  Lazaretten  Behandelten.  Wenn  die  Zahl 
der  Aerzte  auch  seitdem  stärker  zugenommen  hat,  als  es  der 
Zunahme  der  Bevölkerung  entspricht,  so  ist  doch  anzunehmen, 
dass  durch  die  vielfachen  neuen  Aufgaben,  die  dem  Feldarzt 
gestellt  werden,  die  Zahl  der  im  Lazarett  Behandelten,  die  auf 
den  einzelnen  Arzt  kommen,  nicht  abgenommen,  sondern  im 
Gegenteil  zugenommen  hat.  Es  ist  ferner  zu  bedenken,  dass 
im  Kriege  70/71  nach  derselben  Statistik  von  1000  Mann  der 
Iststärke  unseres  Heeres  nur  122,1  wegen  Verwundungen, 
dagegen  589,0  wegen  Krankheit  in  Lazarettbehandlung  ge¬ 
kommen  sind. 

Es  ist  also  anzunehmen,  dass  auch  jetzt  die  Aufgaben,  die 
unseren  Feldärzten  gestellt  werden,  ausserordentlich  gross 
sind,  und  dass  sie  nicht  noch  mit  der  Tuberkulosesanierung  be¬ 
lastet  werden  können.  Die  Diagnosenstellung  der 
Tuberkulose  wird  auch  vielfach  besondere 
Hilfsmittel  notwendig  machen  (Röntgen'apparalt, 
Sputumuntersuchungen),  die  aus  dem  Rahmen  der  laufenden 
Tätigkeit  in  den  Etappenlazaretten  fallen. 

Es  wird  sich  daher  empfehlen,  für  die 
Tuberkulosesanierung  besondere  Aerzte 
(freiwillige  Zivilärzte)  zu  bestimmen,  deren 
Aufgabe  es  ist,  die  Tuberkulösen  in  den  Laza¬ 
retten  abzusondern  und  in  besonderen  Ab¬ 
teilungen  nach  der  Heimat  abzuführen. 

Die  Prophylaxe  und  die  Sanierung  der 
Armee  hat  sich  aber  auch  noch  auf  andere 
Massnahmen  zu  erstrecken. 

Wie  bereits  ausgeführt  worden  ist,  werden  manche 
durchseuchte  Bürgerquartiere  erhebliche 
Ansteckungsgefahren  mit  sich  bringen.  Es  muss 
daher  dafür  gesorgt  werden,  dass  nach  Möglichkeit  derartige 
Quartiere  gemieden  oder  zum  mindesten  vor  der  Benutzung 
desinfiziert  werden,  wie  das  auch  in  der  KSO.  Ziff.  354 
und  454  vorgesehen  ist. 

In  den  deutschen  Bürgerquartieren  wird  das  vielfach  mit 
Leichtigkeit  möglich  sein,  denn  unsere  vorzüglich  organi¬ 
sierten  Auskunfts-  und  Fürsorgestellen  für 


12)  Kelch:  La  tuberculose  dans  l’armee.  1913. 

12 *)  G.  H.  L  e  v  u  s  i  n  e:  Ueber  die  Frequenz  der  Tuberkulose  in 
der  Armee.  Presse  medic.  1909  und  Revue  de  la  Tuberculose  1912. 

13)  Kubier:  Kriegssanitätsstatistik.  Jena  1902. 


1923 


•  September  1914. _ Fddärztlichc  Beilage  zur  Münch.  med.  Wochenschrift. 


jngenkranke  kennen  eine  sehr  grosse  Anzahl  derartiger  in- 
ierter  Wohnungen.  Wenn  die  Einquartierungsbehörden  sich 
it  ihnen  in  Verbindung  setzen,  werden  sich  viele  Quellen 
:r  Ansteckung  in  der  Etappe  verstopfen  lasssen.  Es  ist 
sher  sehr  wichtig,  dass  alle  Auskunfts-  und  Fürsorgestellen 
re  Tätigkeit  aufrecht  erhalten.  Das  Präsidium  des  Deut- 
hen  Zentralkomitees  zur  Bekämpfung  der  Tuberkulose  hat 
dankenswerter  Weise  bereits  einen  derartigen  Aufruf  er- 
sssen  M). 

ln  Berlin  sind  bereits  diese  Massnahmen  ergriffen.  Die 
>n  Pii  1 1  e  r  geleiteten  Auskunfts-  und  Fiirsorgestellen  haben 
;h  mit  den  massgebenden  Behörden  in  Verbindung  gesetzt 
d  werden  dafür  sorgen,  dass  nach  Möglichkeit  keine  Ein¬ 
lagerung  in  solche  Räume  kommt,  die  als  tuberkulosein- 
iert  angesehen  werden  müssen. 

Es  muss  —  worauf  schon  hingewiesen  ist  —  ferner  daran 
innert  werden,  dass  zwar  die  Tuberkulose  hauptsächlich  von 
ensch  zu  Mensch  übertragen  wird,  dass  es  aber  auch  un¬ 
eifelhaft  gar  nicht  so  wenig  Fälle  gibt,  in  denen  Nahrungs¬ 
ittel,  besonders  Milch  und  Butter,  die  Quelle  der  An- 
jckungsgefahr  bergen  (R  a  b  i  n  o  w  i  t  s  c  h).  Da  in  Frank- 
ich  die  sanitätspolizeiliche  Ueberwachung  des  Viehes  ganz 
Argen  liegt  und  in  Russland  überhaupt  nicht  vorgesehen 
.  ist  der  Genuss  roher  Milch  nicht  nur  wegen  der  Typhus¬ 
fahr,  sondern  auch  aus  diesem  Grunde  im  Feindeslande 
nz  zu  unterlassen!15)  (S.  auch  Ziff.  384  KSO.)  Auch 
esen  Verhältnissen  wird  der  Tuberkulose- 
iNdarzt  seine  Aufmerksamkeit  widmen  und 
t  dem  konsultierenden  Hygieniker  und  den  Laboratoriums¬ 
tern  in  Verbindung  treten  müssen. 

Wenn  es  so  gelingt,  viele  Tuberkulöse  aus  dem  Heere  und 
s  den  Lazaretten  auszuscheiden  und  Ansteckungsquellen  zu 
rstopfen,  so  muss  für  die  Kranken  weiter  gesorgt  werden, 
i  müssen  in  eigens  für  sie  bestimmte  Abteilungen  in  der 
imat  untergebracht  werden,  wo  sie  fern  vom  Kriegsschau- 
itz  in  zweckentsprechender  Weise  behandelt  werden 
nnen. 

Es  muss  daher  frühzeitig  dafür  Sorge  ge- 
agen  werden,  dass  bestimmte  Reserve-  oder 
ireinslazarette  für  diese  Zwecke  frei  blei- 
n.  In  erster  Reihe  werden  sich  dafür  unsere  Lungen- 
lstätten  eignen,  vielfach  auch  Spezialabteilungen  unserer 
ankenhäuser  oder  Tuberkulosekliniken,  in  denen  das  ganze 
senal  der  modernen  Tuberkulosetherapie  unseren  tuber¬ 
ösen  Kriegern  zur  Verfügung  steht.  Nach  den  frühe- 
n  Ausführungen  werden  sich  aber  besonders 
den  Armeen  unserer  Gegner  sehr  viele 
'  i  b  e  rkulöse  finden.  Wenn  diese,  so  weit 
1  e  in  unsere  Hände  kommen,  nicht  sehr  bald 
aliert  werden,  erwächst  unserem  Vaterland 
ne  neue,  erhebliche  Gefahr.  Ziff.  337  KSO. 

treibt  daher  auch  ausdrücklich  vor,  dass  Kriegsgefangene, 
•che  an  übertragbaren  Krankheiten  leiden,  in  den  Lazaretten 
er  Beobachtungsstationen  des  Kriegsschauplatzes  zurück- 
talten  und  erst  nach  Beseitigung  der  Ansteckungsfähigkeit 
1  nach  Desinfektion  ihrer  Sachen  den  Kriegsgefangenen- 
l>ots  zugeführt  werden  sollen. 

Die  I  ätigkeit  der  Tuberkulose-Feldärzte 
sich  also  auch  auf  die  Untersuchung  der 
Netzten,  erkrankten  und  gefangenen 

gner  und  auf  die  notwendigen  desinfek- 
rischen  Massnahmen  zu  erstrecken.  Die  Zahl 
Aerzte,  die  für  diese  Tätigkeit  notwendig  ist,  kann  nach 
n,  was  wir  über  die  Tuberkulosemortalität  der  feindlichen 
neen  wissen,  nicht  unerheblich  sein,  denn  je  schneller  wir 
'  I  uberkulösen  isoliert  haben,  desto  geringer  werden  auch 
dieser  Beziehung  die  gefährlichen  Folgen  dieses  Krieges 

u. 


ln  Ziffer  354  d.  KSO.  heisst  es  auch  ausdrücklich,  dass  zur 
tellung  gefahrdrohender  gesundheitlicher  Missstände  im  Aut¬ 
sch-  und  Operationsgebiete  des  Feldheeres  alle  Ergebnisse  der 
rrieden  angestellten  Erhebungen  verwertet  werden  sollen,  Be- 
i-!I  ..  raRt  werden  sollen  usw. 

)  Selbst  die  schönen  Laiterien  in  Belgien  lassen  in  dieser  Be- 
ung  viel  zu  wünschen  übrig. 


Einige  wichtige  Grundsätze  zur  Behandlung  der 
Schusswunden. 

Von  Generalarzt  Professor  Dr.  Ernst  Graser  in  Erlangen, 

beratendem  Chirurgen  des  III.  Bayer.  Armeekorps,  und 
Kgl.  Bayer.  Oberarzt  der  Reserve  Prof.  Dr.  M.  Kirschner 

in  Königsberg  i.  Pr. 

Zum  I  eil  angeregt  durch  die  persönlichen  Erfahrungen 
von  Prof.  Kirschner  im  ersten  Balkankriege  1912/13  haben 
wir  gemeinsam  eine  Anzahl  von  Grundsätzen  für  die  Be¬ 
handlung  der  Schusswunden  zusammengestellt,  die  zu  Beginn 
des  gegenwärtigen  Krieges  durch  den  Korpsarzt  Generalarzt 
Dr.  Soenning  an  die  Aerzte  des  III.  Bayer.  Armeekorps 
ausgegeben  wurden.  Diese  Grundsätze  erheben  nicht  den 
Anspruch  einer  vollständigen  Zusammen¬ 
stellung  aller  notwendigen  Ratschläge.  Sie  sollen  nur  die 
mit  den  modernen  kriegschirurgischen  Grundsätzen  nicht  ge¬ 
nügend  vertrauten  Kollegen  vor  gewissen  prin¬ 
zipiellen  Fehlern  bewahren,  die  —  wie  die  Er¬ 
fahrung  lehrt  —  ganz  besonders  häufig  gemacht  werden. 

1 .  Das  Abwaschen  der  Umgebung  der  Wund¬ 
öffnungen  hat  zu  unterbleiben  (kein  Wasser,  keine  Seife!). 
Angetrocknetes  Blut  soll  nicht  entfernt  werden.  Die  Be¬ 
kehrung  zu  dieser  vollkommen  trockenen  Wundbehandlung  ist 
nach  unseren  bereits  gesammelten  Erfahrungen  bei  vielen 
Kollegen  ganz  besonders  schwer. 

2.  Ist  ausnahmsweise  bei  übermässig  starker 
Beschmutzung  eine  Reinigung  der  Umgebung  dringend 
wünschenswert,  so  wird  sie  mit  Benzin  oder  Alkohol 
ausgeführt,  wobei  die  Wunde  selbst  durch  oberfläch¬ 
liches  Andrücken  von  Tupfern  ohne  Verletzung  des  Wund¬ 
schorfes  geschützt  wird.  Niemals  darf  hierbei  etwa 
eine  —  wenn  auch  vorübergehende  —  Tamponade  der  Schuss¬ 
kanalöffnungen  vorgenommen  werden,  wodurch  infektiöses 
Material  eingeführt  werden  kann. 

3.  Die  Wunde  darf  nie  mit  dem  Finger  berührt 
werden.  Sind  ausnahmsweise  an  der  Wunde  oder  in  ihrer 
unmittelbaren  Umgebung  Massnahmen  erforderlich,  so  werden 
sie  mit  sterilen  Instrumenten  ausgeführt.  Die  In¬ 
strumente  werden  durch  Kochen  (unter  Umständen  in 
einem  gewöhnlichen  Kochtopf),  nicht  durch  Einlegen  in  anti¬ 
septische  Lösungen  sterilisiert. 

4.  Jedes  Sondieren  der  Wunde  ist  grund¬ 
sätzlich  zu  unterlassen. 

5.  Nur  breit  offene  Wunden  mit  freiem  Abfluss 
dürfen  tamponiert  werden. 

6.  Bei  kleiner  Ein-  und  Ausschussöffnung  ist  die  Tam¬ 
ponade  wegen  der  Gefahr  des  Einbringens  infektiösen  Ma¬ 
terials  und  wegen  der  Behinderung  des  Wundabflusses  (Blut, 
Sekret)  grundsätzlich  zu  unterlassen.  Zur  Stillung 
der  Blutung,  die  ohnehin  in  den  allermeisten  Fällen  bald  von 
selbst  aufhört,  ist  in  diesen  Fällen  die  Tamponade  durchaus 
ungeeignet. 

7.  Der  beste  W  und  schütz  ist  ein  trockener, 
aseptischer  Verband,  wie  er  durch  sachgemässe  Ver¬ 
wendung  der  Verbandpäckchen  hergestellt  werden  kann. 
Eine  vorausgehende  Desinfektion  der  Umgebung  (Jodtinktur) 
erscheint  nicht  notwendig.  Bei  ungestörtem  Wundverlauf  soll 
der  erste  Verbandwechsel  erst  nach  8  bis  10  Tagen  stattfinden. 

8.  Um  das  Verschieben  dieses  Verbandes  beim  Transport 
möglichst  zu  verhüten,  ist  die  vorausgehende  Bestrei¬ 
chung  der  Wund  Umgebung  in  grösserer  Aus¬ 
dehnung  mit  einem  Klebstoff  (Mastixlösung, 
M  a  s  t  i  s  o  1)  äusserst  wertvoll.  Der  grosse  Wert  dieser  kle¬ 
benden  Stoffe  besteht  vor  allem  in  dieser  Fixation  der  Ver¬ 
bandstoffe,  weniger  in  der  Arretierung  der  Keime. 

9.  Ein  vorhandener  Wundschorf  (eingetrocknetes 
Blut),  der  den  sichersten  Schutz  gegen  sekundäre  Infektion 
gewährt,  soll  nicht  entfernt  werden. 

1 0.  Das  gleiche  gilt,  wenn  Kleidungsstücke  oder 
'Teile  eines  Notverbandes  in  dem  Schorfe  fest- 
gehalten  sind.  Sie  werden  am  besten  so  ausgeschnitten, 
dass  das  festgeklebte  Stück  am  Körper  verbleibt. 

11.  Der  in  der  Friedenspraxis  bei  beginnender  Infektion 
vielfach  beliebte,  häufigen  Wechsel  erfordernde,  feuchte 


1924 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  36. 


Verband  ist  in  der  Kriegspraxis  der  ersten  Tage  grund¬ 
sätzlich  zu  vermeiden,  da  er  die  Bakterienentwicklung  be¬ 
fördert. 

12.  Bei  der  Verwendung  dicker  Wattelagen  zur 
Bedeckung  stärker  blutender  Wunden  bildet 
sich  über  der  Wunde  leicht  ein  dicker,  feucht  bleibender 
Blutkuchen.  Es  erscheint  zweckmässiger,  unter  Weglassung 
grosser  Wattemengen  das  Blut  durch  die  Kompressen  durch- 
sickern  und  eintrocknen  zu  lassen,  als  es  sich  unter  einer 
starken  Wattelage  in  dicker  Schicht  ansammeln  zu  lassen. 

13.  Im  Körper  verbliebene  Geschosse  und 
gelöste  Knochensplitter  heilen  meistens  ein. 
Es  ist  daher  in  den  allermeisten  Fällen  der  Versuch  ihrer  Ent¬ 
fernung  dringend  zu  widerraten. 

14.  Alle  Knochenbrüche  sollen  vor  einem  Transport 
durch  Gips  oder  Schienen  ausgiebig,  d.  h.  unter  Ein¬ 
beziehung  der  beiden  Nachbargelenke,  ru  h  i  g  gestellt 
v/  e  r  d  e  n  (also  bei  Oberschenkelbrüchen  Verband  vom 
Knöchel  bis  auf  den  Rippenbogen!).  Fehlt  es  an  etatmässigem 
Immobilisierungsmaterial,  so  empfehlen  wir  Strohschienen,  die 
an  Ruhetagen  in  grossen  Mengen  vorbereitet  werden  können. 

15.  Bei  Daueraufenthalt  der  Verwundeten  sollen  die 
Schienenverbände  möglichst  bald  durch  Extensions¬ 
verbände  ersetzt  werden,  wie  sie  mit  Mastisol  und  Trikot¬ 
schläuchen  äusserst  einfach  herzustellen  sind.  Diese  Ex¬ 
tensionsverbände  können  zwar  die  eingetretene  Verkürzung  und 
Seitenverschiebung  nicht  mehr  ausgleichen  (daher  nur  geringe 
Belastung!),  wohl  aber  eine  Winkelstellung,  und  sie  begegnen 
der  drohenden  Gelenkversteifung  und  Muskelatrophie. 

16.  Mit  Morphium  soll  —  namentlich  beim  Transport 
nicht  gespart  werden. 

17.  Schädel-  und  Bauchschüsse  sollen  in  den 
ersten  Tagen  möglichst  nicht  transportiert  werden.  (Wenn 
möglich,  Zelte  errichten!) 

18.  Tangentiale  S  c  h  ä  d  e  1  s  c  h  ü  s  s  e  sollen  mög¬ 
lichst  bald  operativ  angegangen  werden  wegen  der  bei  ihnen 
zumeist  vorhandenen  ausgedehnten  Zertrümmerung  des 
Knochens  und  Zermalmung  des  Gehirns.  Nach  Spaltung  der 
Haut  von  der  Ein-  bis  zur  Ausschussöffnung  werden  die  losen 
Knochenstücke  entfernt,  und  die  Wunde  wird  locker  tam¬ 
poniert. 

19.  B 1  u  t  a  n  s  a  m  mlungen  im  Brustfellrau  m 
sollen  nicht  punktiert  werden. 

20.  Bei  Bauchschüsse  n  ist  in  den  ersten  Tagen  Ent¬ 
haltung  von  Speise  und  Trank  angezeigt. 

21.  Bei  den  Operationen  können  wir  die  Benutzung  der 
dicksten,  im  ff  a  n  d  e  1  überhaupt  erhältlichen 
Gummihandsch  u  h  e  dringend  empfehlen.  Sie  lassen  sich 
sehr  häufig  auskochen,  und  sie  können  zwischen  zwei  Opera¬ 
tionen  —  ohne  von  den  Händen  entfernt  zu 
werden  —  durch  gründliches  Abwaschen  und  durch  kurz¬ 
dauerndes  Eintauchen  in  kochendes  Wasser  genügend  keim¬ 
frei  gemacht  werden. 


Schwere’ Kohlensäurevergiftung  an  Bord  eines  Lloyd¬ 
dampfers. 

Von  Sanitätsrat  Dr.  Brausewetter  in  Malaga. 

Am  19.  Mai  d.  J.,  nachmittags  etwa  3  Uhr,  wurde  ich  vom 
1.  Offizier  des  Schiffes  „Schleswig“  dringend  gerufen,  er  erklärte  mir 
im  Wagen  kurz,  dass  ein  schwerer  Unfall  sich  an  Bord  ereignet  habe 
und  mehrere  der  Mannschaften  in  Gefahr  seien.  In  5  Minuten  waren 
wir  an  Ort  und  Stelle. 

Ich  schicke  voraus,  dass  die  „Schleswig“  als  Touristendampfer 
im  Hafen  von  Mälaga  lag.  Ein  Ausflug  nach  Granada  hatte  etwa 
alle  Passagiere  auf  2  Tage  entfernt,  der  Kapitän  und  der  Schiffsarzt 
waren  mitgegangen,  die  Vertretung  des  letzteren  hatte  ich  über¬ 
nommen. 

Auf  dem  Schiffe  .bot  sich  mir  folgender  Anblick: 

Der  mittlere  Lagerraum  war  abgedeckt,  in  der  Tiefe  sah  ich 
einen  Mann  im  Rauchhelm  arbeiten,  er  versuchte  gerade  einen  Kame¬ 
raden,  der,  wie  es  mir  schien,  schon  Kadaver  war,  anzuseilen.  Ich 
hatte  noch  Zeit,  Matratzen  auf  Deck  legen  zu  lassen,  die  Mannschaften 
zusammenzubringen,  welche  künstliche  Atmung  zu  machen  ver¬ 
standen  und  weitere  Hilfsmittel  zu  bestellen,  als  der  erste  Ver¬ 
unglückte  heraufgewunden  wurde.  Sein  Herz  arbeitete  nicht  mehr, 
die  Gesichtsfarbe  war  weiss,  der  Brustkorb  eingefallen,  kein  Zeichen 
des  Erstickungstodes  oder  eines  Todeskampfes.  Ich  machte  selber 


die  ersten  Rettungsversuche,  um  alles  getan  zu  haben,  Hess,  als  die 
anderen  heraufgewunden  wurden,  bei  dem  ersten  die  künstliche 
Atmung  fortsetzen  und  begab  mich  zu  den  übrigen  3  Verunglückten, 
sobald  sie  nacheinander  heraufgebracht  wurden.'  Bei  allen  die  glei¬ 
chen  Symptome,  weisse  Gesichtsfarbe,  eingefallene  Brust,  das  Herr 
schlug  nicht.  Ein  regelrechter  Dienst  mit  Ablösung  für  künstliche 
Atmung  wurde  eingerichtet  und  l'A  Stunden  durchgehalten.  Das  Ge¬ 
sicht  der  Opfer  färbte  sich  allmählich  bläulich,  Rettungsversuche  blie¬ 
ben  erfolglos. 

Ich  hatte  mich  inzwischen  informiert:  Im  Lagerraum  lagen  neben 
Säckchen  voll  Reisschrot  Fässer  mit  Maltakartoffeln,  weiter  nichts. 
Um  2Vi  Uhr  wollte  der  Proviantsteward  Kartoffeln  aus  dem  Lager¬ 
raum  holen  lassen  und  beauftragte  damit  den  Matrosen  A.  Der 
stieg  herunter  bis  zur  zweiten  Abteilung  des  Lagerraumes.  Im  Augen¬ 
blicke,  als  er  das  Seil  um  das  Fass  legen  wollte  und  sich  dazu  bückte, 
sank  er  leblos  um.  Der  Matrose  B„  welcher  das  sah,  wollte,  im 
Glauben,  sein  Kamerad  habe  einen  plötzlichen  Ohnmachtsanfall  er-| 
litten,  ihm  zu  Hilfe  eilen,  stieg  ihm  nach,  kam  ohne  Beschwerde1 
unten  an,  wollte  das  Seil  um  den  Verunglückten  schlingen  und  schrie, 
als  er  sich  dazu  bückte,  laut  auf:  „Hol  üpp!“  Sofort  wurde  das  Seil 
hochgewunden  und  B„  dessen  Arm  sich  darin  verfangen  hatte,  herauf- 
gebracht.  Er  fühlte  sich  noch  etwas  benommen,  ging  aber  doch  so¬ 
fort,  sich  den  Rauchhelm  aufzusetzen  und  das  Rettungswerk  fortzu-, 
setzen,  denn  inzwischen  hatte  der  Raum  neue  Opfer  gefordert.  Der 
1.  Offizier  hatte  den  Befehl  gegeben,  dass  niemand  in  den  Lagerraum 
herunterstiege  und  war  dann  gefahren,  mich  zu  rufen,  nachdem  er  das 
Kommando  einem  anderen  Offizier  gegeben.  Ehe  es  verhindert  wer¬ 
den  konnte,  waren  die  Matrosen  C.  und  D.  und  E.  in  den  Laderaum, 
hinabgesprungen,  zu  helfen,  sie  alle  fielen  um,  sobald  ihr  Gesicht  ir 
das  Höhenniveau  des  ersten  Verunglückten  kam,  und  blieben  regungs¬ 
los  liegen,  E.  versuchte  sich  noch  aufzurichten,  sank  aber  um  und 
gab  kein  Lebenszeichen  von  sich.  Der  Matrose  F.  endlich,  welcher1 
als  Letzter  den  Lagerraum  betrat,  schrie  plötzlich  auf,  wurde  hoch¬ 
gewunden  und  so  gerettet.  Der  Matrose  B.  hatte  nun  im  Rauchhelrr 
den  Raum  durchsucht  und  die  4  Opfer  mit  Aufbietung  aller  Kräh 
nach  oben  gebracht. 

Die  Aussagen  dieses  und  des  anderen  Geretteten  F.  sind 
für  die  Beurteilung  von  grösster  Wichtigkeit,  beide  Stimmer 
völlig  überein:  B.  sowohl,  wie  F.  stiegen  in  den  unteren  Raum 
ohne  irgend  welche  Beschwerden  zu  fühlen,  auch  als  sie  auf¬ 
recht  auf  den  Kästen  und  Kisten  standen,  haben  sie  nichts 
wahrgenommen,  was  Herz,  Atmung  oder  Sinne  beeinflusst 
hätte,  erst  als  sie  sich  bückten  und  Mund  und  Nase  etwa  60  cm 
über  dem  Kopfe  des  ersten  Verunglückten  war,  haben  sie  gam 
plötzlich  eine  wahnsinnige  zuschnürende  Beklemmung  gefühlt 
sie  schrieen  auf  und  wurden  im  selben  Augenblicke  herauf¬ 
gewunden  und  fühlten  sich  sofort  wieder  frei. 

Danach  blieb  keine  andere  Diagnose,  als  die  der  Ver¬ 
giftung  durch  Kohlensäure  in  starker  Konzentration,  nach  cci 
Erscheinungen  über  25  Proz.  Ein  deutscher  und  ein  spani¬ 
scher  Chemiker  wurden  zugezogen.  Da  inzwischen  Stundet 
vergangen  waren  und  die  Räume  reichlich  ausgelüftet,  so  ver¬ 
sagten  die  Proben.  Die  Kalkwasserprobe  verlief  negativ  um 
ein  heruntergelassenes  Kaninchen  blieb  am  Leben.  Wit 
schritten  daher  zur  Untersuchung  des  vorderen  Lagerraumes 
der  dieselbe  Ladung  enthielt  und  noch  verschlossen  war.  Eint 
mit  Wasser  gefüllte,  11  Liter  enthaltende  Flasche  wurde  v 
einem  Metallkübel  in  den  untersten  Lagerraum  hinabgelassen 
dann  umgestülpt,  so  dass  das  Wasser  in  den  Kübel  ausflos‘ 
und  das  Grundgas  in  die  Flasche  einzog,  diese  wurde  wiedet 
heraufgewunden,  versiegelt  und  zum  Laboratorium  geschafft 
Der  spanische  Chemiker  sagte  mir,  dass  die  Menge  deij 
Kohlensäure  in  der  Flasche  mehr  als  60  Proz.  betragen  habe 

Damit  war  alles  erklärt,  nur  nicht  die  Anhäufung  so  un¬ 
glaublicher  Mengen  Kohlensäure  in  beiden  Lagerräumen. 

Das  Schiff  war  erst  6  Tage  unterwegs,  in  den  Räumet 
befand  sich  nichts  als  Kartoffeln  und  Reisschrot.  Keimend. 
Kartoffeln  erzeugen  Kohlensäure.  Die  Fässer  wurden  geöffnet 
und  keine  keimende  Kartoffel  gefunden,  der  Inhalt  war  ir 
tadellosem  Zustande.  Nun  war  es  vor  wenigen  Tagen  ir 
Malaga  vorgekommen,  dass  ein  deutsches  Schiff  beanstande 
wurde,  weil  seine  Ladung,  Reisschrot,  welches  nicht  gan; 
trocken  war,  sich  erhitzt  hatte  und  Feuersgefahr  vorlag.  Ds, 
auch  auf  unserem  Schiffe  ein  Teil  des  Reisschrotes  bei  Reger 
geladen  war,  so  wurden  die  Säcke  heraufgebracht  und  dei 
Verdacht  bestätigte  sich,  die  Temperatur  im  Inneren  der  Säcke 
war  bis  42°. 

Am  nächsten  Morgen  wurde  die  sämtliche  Ladung  ge¬ 
löscht  und  das  Schiff  konnte  seine  Fahrt  am  Abend  fortsetzen 

Der  Fall  bietet  manches  Lehrreiche.  Es  ist  nicht  häufig 
dass  die  Wirkung  der  Kohlensäure  in  so  konzentrierter  Forn 


Pcldarztliche  Beilage  zur  Miinch.  med.  Wochenschrift. 


September  1914. 


|>  genau  beobachtet  werden  kann.  Der  Tod  war  bei  den 
er  Opfern,  welche  in  der  Kohlensäure  untergetaucht  waren, 
st  momentan  eingetreten.  Vor  allem  aber  dürfte  es  wenig 
■kennt  sein,  dass  Reisschrot,  wenn  es  nicht  ganz  trocken  ist, 
gefährlicher  Ladung  gehört,  für  das  Schiff  durch  die  Ver- 
ennung  und  für  die  Menschen  durch  die  Verbrennungspro- 
ikte.  In  geschlossenen  Lagerräumen  kann  die  aufge- 
hichtete  Kohlensäure  den  Brand  verhindern,  aber  auch  zu 
itastrophen  führen,  wie  in  diesem  Falle,  und  wieviel  mehr, 
enn  die  Lagerräume  vielleicht  nicht  ganz  dicht  sind  und  die 
ige  aufgespeicherte  Kohlensäure  das  Niveau  der  Kabinen 
reicht. 


is  neue  Wundpulver  Scobitost  (Scobis  tosta  cribrata). 

Von  Dr.  F.  Hammer  in  Stuttgart 

Dieses  bei  mir  am  Katharinenhospital  schon  seit  einigen 
hren  im  Gebrauch  befindliche  Wundpulver  (geröstetes 
gmehl,  s.  M.m.W.  1913  Nr.  21)  dürfte  bestimmt  sein,  für  die 
iegschirurgie  grosse  Bedeutung  zu  erlangen.  —  Die  glatten 
n-  und  Ausschussöffnungen  sind  mit  einem  einfachen  Ver- 
nde  zufrieden.  Dagegen  brauchen  wir  für  die  grösseren,  mit 
irker  Zertrümmerung  der  Gewebe  einhergehenden  Wunden 
i  Verbandmittel,  das  die  Infektion  und  Jauchung  hintanhält, 
nn  meistens  wird  ja  der  erste  Verband  mehrere  Tage  liegen 
üben  müssen,  bis  der  Verwundete  in  regelmässige  Spital¬ 
ege  kommt.  Diesem  Bedürfnis  entspricht  die  Scobitost.  Sie 
reinigt  die  bekannten  stark  aufsaugenden  Eigenschaften  des 
gemehles  mit  den  antiseptischen  der  Kohle.  Das  Pulver 
ausserordentlich  leicht,  massig  und  hält  deshalb  die  Wunden 
;t  für  den  Sekretabfluss  offen.  Es  regelt  in  äusserst  gün- 
ger  Weise  den  Feuchtigkeitsgrad  der  Wunde,  denn  es 
cknet  nicht  zu  abschliessenden  Krusten  ein,  unter  denen 
.h  so  leicht  weiterschreitende  Eiterung  entwickelt,  sondern 
et  die  Sekrete  in  den  Verband.  Seine  Billigkeit  ermöglicht 
Verwendung  in  grossen  Mengen.  Es  wird  einfach  mit  dem 
ifel  eingefüllt  und  noch  etwas  in  die  Wundspalten  einge- 
ickt.  Darüber  kommt  der  übliche  Gazeverband.  Wenn  die 
inde  gereinigt  ist,  wird  es  besser  weggelassen,  da  es 
inchmal  die  Granulationen  reizt.  Für  schon  infizierte 
inden  empfiehlt  sich  die  Beimengung  von  10  Proz.  Jodo- 
m,  welches  in  dieser  Form  ausgezeichnet  wirkt.  Der  Ver- 
ld  muss  aber  dann  mindestens  1—2  mal  täglich  erneuert 
rden.  Wenn  nötig,  kann  man  auch  darüber  noch  Um¬ 
läge,  z.  B.  mit  essigsaurer  Tonerde,  in  mehr  oder  weniger 
diinntem  Spiritus  machen. 

Das  Pulver  wird  fabrikmässig  dargesteht  durch  die 
■isiawerke  Dr.  K  r  e  u  d  e  r  -  Wiesbaden. 


ummischwammkompression  gegen  Schussblutungen. 

Von  Dr.  W  e  r  n  e  r  -  Venedig,  derzeit  Tübingen. 

Eine  erste  Aufgabe  des  Feldarztes  ist  die  Behandlung 
r  Blutung,  der  freien  Blutung  nach  aussen  wie  der  ins 
are  des  Gewebes. 

Ich  spreche  im  folgenden  nicht  von  Fällen,  in  denen 
tzende  Gefässe  Unterbindung  erheischen  oder  weit 
ine,  zerfetzte  Wunden  nur  Tamponade  verlangen.  Bei 
grossen  Mehrzahl  der  Schussverletzungen  handelt  es 
um  kleinere  Hautwunden  mit  oft  grossen  inneren  Zer- 
ungen.  Besteht  Blutung  nach  aussen,  so  ist  deren  Stillung 
•  selbstverständliche  Notwendigkeit.  Wichtiger  ist,  zu  be- 
1  ui,  dass  auch  die  innere  Gewebsblutung,  das 
riatom,  unterdrückt  und  vermieden  werden  sollte.  Eine 
blutung  ins  Gewebe  —  von  Körperhöhlen  abgesehen  — 
u  ja  kaum  Vorkommen;  das  Hämatom  hat  aber  vier  wesent- 
-  Folgen: 

1.  Vermehrung  der  Schmerzen  durch  Spannung. 

3.  Bildung  eines  Nährbodens  für  Infektionen. 

3.  Gewebsnarben  bei  mangelhafter  Resorption,  die  eine 
funktionelle  restitutio  ad  integrum  verzögern  oder  ver¬ 
hindern. 

T  Aneurysmen  nach  Gefässschüssen. 

Fassen  wir  Blutungen  nach  aussen  oder  innen  bei  kleiner 
‘twunde  zusammen,  so  ist  die  grundsätzliche  Therapie  dafür 


1925 

die  Kompression.  In  der  Not  mit  dem  Finger,  dann  mit 
der  Gummibinde,  die  aber  nur  Palliativmittel  ist,  weil  sie  nur 
beschränkte  Zeit  liegen  bleiben  kann  (Goldtammer  möchte 
sie  sogar  ganz  aus  dem  Tornister  des  Krankenträgers  ver¬ 
bannen)  und  schliesslich  mit  dem  Kompressionsverband  von 
seiner  einfachsten  Form  bis  zum  aseptischen  Gazewattever¬ 
band  mit  Mastisolfixierung. 

Nun  weiss  jeder  Chirurg,  dass  Kompressionsverbände  eine 
beschränkte  Elastizität  haben,  und  besonders  wenn  sie  feucht 
werden,  die  Fähigkeit,  sich  auszudehnen,  rasch  verlieren.  Blu¬ 
tungen  in  den  Verband  kommen  trotz  aller  Vorsicht  vor.  Die 
Stillung  der  Blutung  erfolgt  oft  mehr  durch  Austrocknung  als 
durch  Gefässkompression,  also  oberflächlich,  nicht  in  der  Tiefe. 

Ich  habe  seit  einiger  Zeit  bei  Fällen  der  kleinen  Chirurgie 
in  ausgedehntem  Masse  den  Gummischwamm  als  Kom¬ 
pressionsmittel  verwendet.  Er  ist  leicht  sterilisierbar  mit 
aseptischen  Flüssigkeiten,  die  durch  Auspressen  wieder  entfernt 
werden  können,  so  dass  der  Schwamm  wieder  trocken  wird; 
gute  Exemplare  sind  auch  mehrmals  auskochbar;  er  ist 
leicht,  ist  überall  zu  bekommen  und  hat  eine  gleichmässig  wir¬ 
kende  andauernde  Elastizität. 

Wird  bei  einer  Weichteiloperation  mit  schwieriger  Blut¬ 
stillung  nach  der  Hautnaht  über  die  Gaze,  die  die  Wunde  be¬ 
deckt,  in  den  Verband  ein  Gummischwamm  eingebunden,  so  ist 
ein  Hämatom  unter  der  Naht  ausgeschlossen. 

Wird  bei  einer  frischen  Fraktur  oder  Distorsion  sofort  auf 
die  Verletzungsstelle  ein  oder  mehrere  Gummischwämme 
aufgebunden,  so  kann  fast  mit  Sicherheit  das  sonst  unausbleib¬ 
liche  Hämatom  vermieden  werden.  Die  Weiterbehandlung  mit 
Zug-  und  Kontentivverbänden,  Massage,  passiven  Bewegungen 
wird  dadurch  ausserordentlich  erleichtert  und  ohne  Zweifel  die 
Wiedervereinigung  der  getrennten  Bänder  oder  Knochen  be¬ 
schleunigt. 

Wird  auf  ein  schon  entstandenes,  aber  noch  frisches 
Hämatom  bei  den  erwähnten  Verletzungen  eine  elastische 
Schwammkompression  ausgeübt,  so  kann  man  die  Schwellung 
an  dieser  Stelle  zurückgehen  und  bei  der  später  entstehenden 
hämorrhagischen  Verfärbung  genau  die  Konturen  des  Schwam¬ 
mes  ausgespart  sehen.  An  der  Kompressionsstelle  bleibt  die 
Haut  viel  heller,  bisweilen  ganz  normal.  Es  wird  dabei  nicht 
nur  das  Anwachsen  des  Hämatoms  verhindert,  sondern  auch 
das  schon  ergossene  Blut  weggepresst,  wohl  grossenteils  in 
die  zerrissenen  Gefässe  zurück.  Schon  nach  24  Stunden 
können  wir  annehmen,  dass  die  Thrombose  des  zerrissenen 
Gefässes  eingetreten  und  damit  die  Quelle  der  Blutung  ver¬ 
stopft  ist. 

Soweit  die  Anwendung  bei  geschlossenen  Verletzungen. 
Bei  blutenden  Verletzungen  sah  ich  ebenfalls,  wenn  im  Augen¬ 
blick  Gefässunterbindung  oder  Wundnaht  nicht  möglich  war, 
die  Wunde  digital  zusammengepresst,  eine  aseptische  Kom¬ 
presse  darauf  und  den  Gummischwamm  darüber  gebunden.  In 
günstigen  Fällen  ist  eine  Wundnaht  nachher  überflüssig. 

Eine  ähnliche  Rolle  spielt  die  elastische  Kompression  bei 
Verletzungen  durch  Gewehr-  und  Schrapnellschüsse.  Die  neue¬ 
sten  Kriegserfahrungen  zeigen,  dass  eine  überwiegende  Mehr¬ 
zahl  davon  reaktionslos  verläuft,  wenn  auch  die  Schusskanäle 
im  Prinzip  als  infiziert  anzusehen  sind.  Die  Heiltendenz  ist, 
wie  die  Erfahrungen  des  Balkankrieges  zeigen,  bei  diesen 
Wunden,  wenn  sie  nicht  berührt  werden,  unter  Ruhe,  Immobili¬ 
sierung  und  aseptischem  Verband  ausserordentlich  gross. 
Wenn  aber  Infektion  mit  ödematöser  Schwellung  oder  Eiterung 
eintritt,  so  sind  es  gerade  die  Fälle  mit  starker  Gewebszer- 
trümmerung  und  Hämatomen,  in  denen  die  Eitererreger  ihren 
Nährboden  finden. 

Ich  habe  über  die  Verwendung  des  Gummischwammes  bei 
Schusswunden  keine  eigene  Erfahrung,  es  erscheint  mir  aber 
selbstverständlich,  dass  mit  einer  Unterdrückung  oder  Ver¬ 
hütung  des  Hämatoms  vor  allem  im  zertrümmerten  Gewebe 
viele  Vereiterungen  vermieden  werden  könnten. 

Es  handelt  sich  bei  der  Schwammkompression  in  keiner 
Weise  um  Aufsaugung  des  Blutes  aus  der  Wunde.  Man  kann 
sich  leicht  überzeugen,  dass  ein  zusammengepresster  Gummi- 
schwamm  so  gut  wie  keine  Flüssigkeit  mehr  aufnimmt.  Damit 
ist  auch  eine  Nachblutung  in  den  Schwamm  hinein  aus¬ 
geschlossen. 


1926 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschritt. 


Nr.  3f 


Die  Schwammkoinpression  kann  je  nach  Bedarf  dosiert 
werden  durch  stärkeres  oder  geringeres  Zusaminendriicken. 

Nötigenfalls  wird  der  Schwamm  vor  dem 
Gebrauch  zusammengerollt,  damit  er  härter 
wird,  oder  werden  mehrere  Schwämme  übereinander  ge¬ 
bunden.  Die  Wirkung  ist  ganz  analog  der  Digitalkompression 
und  kann  wie  diese  wohl  kaum  übertrieben  werden.  Sie 
wirkt  prinzipiell  anders  als  die  Gummibinde,  nicht  abschnürend, 
sondern  nur  lokal  ohne  zirkulären  Druck. 

Die  Möglichkeit  der  Anwendung  ist  beschränkt  wie  die  des 
Kompressionsverbandes  auf  das  Skelett,  d.  h.  auf  Steilen,  wo 
die  Knochen  ein  festes  Widerlager,  bilden.  Es  scheint  aber 
nicht  ausgeschlossen,  dass  auch  —  freilich  nur  in  gut  aus¬ 
rüsteten  Lazaretten  —  mit  einem  grossen  Konvolut  von 
Schwämmen  eine  Aortenkompression  an  Stelle  des  Mom- 
hurgschen  Schlauches  möglich  wäre. 

Nimmt  man  den  Gummischwamm  nach  längerem  Liegen 
(ca.  24  Stunden)  ab,  so  zeigt  die  Betrachtung  der  kompri¬ 
mierten  Hautpartie,  dass  eine  Ernährungsstörung  des  Gewebes 
nicht  stattfindet,  dass  offenbar  die  Kapillarversorgung  des  Ge¬ 
webes  mit  Blut  nicht  leidet.  Ich  glaube  überhaupt,  dass  die 
Stärke  der  Kompression  nicht  leicht  übertrieben  werden  kann 
und  in  diesem  Sinne  der  Gummischwamm  weit  harmloser  ist 
als  die  Gummibinde,  mit  der  er  übrigens  nur  zum  Teil  in  Kon¬ 
kurrenz  tritt. 

Was  die  praktische  Verwendbarkeit  im 
Felde  anbelangt,  so  ist  zunächst  sehr  wichtig,  dass  er  mit 
der  bisher  erprobten  Verbandtechnik  nicht  kollidiert.  Asep¬ 
tischer  Verband  und  darüber  der  Gummischwamm,  der  oft 
grössere  Mengen  von  Verbandmaterial  erspart.  Der  Verband 
hält  mit  dem  Schwamm  viel  besser,  verschiebt  sich  weniger. 
Der  Schwamm  sollte  trocken  aufgebunden  werden,  feucht 
nur  nach  einwandfreier  Sterilisierung.  Für  gewöhnlich  braucht 
er  aber,  da  er  über  den  aseptischen  Verband  kommt,  nicht 
steril  zu  sein. 

Ein  Paket  kleiner  Gummischwämme,  mässig  komprimiert, 
bedeutet  keine  Schwierigkeit  für  den  Transport  durch  Gewicht 
und  Volum.  Im  übrigen  ist  es  heutzutage  ein  Artikel,  der 
überall  gefunden,  also  im  Feindesland  leicht  requiriert  werden 
kann. 

Wie  die  Blutstillung  überhaupt,  so  gehört  die  Anwendung 
der  Gummischwammkompression  in  die  vordersten  Linien.  Ob 
sie  schon  auf  den  Truppenverbandplätzen  angewandt  werden 
kann,  ist  eine  technisch-organisatorische  Frage;  zum  minde¬ 
sten  käme  sie  für  den  Hauptverbandplatz  in  Betracht.  Im  Feld¬ 
lazarett  könnte  häufig  der  Schwamm  ohne  Schädigung  der 
Wunde  nach  1 — 2  Tagen  abgenommen  und  wieder  verfügbar 
gemacht  werden.  An  seine  Stelle  kommt  dann  eine  Watte¬ 
kompresse,  die  das  Erreichte  festhält. 

Eine  besondere  Rolle  dürfte  die  elastische  Kompression 
bei  Gefässschüssen  gegen  die  primäre  Blutung,  die  Nach¬ 
blutung  und  das  Entstehen  von  Aneurysmen  spielen  (immer 
unter  Ausschluss  der  ganz  schweren  Blutungen  nach  aussen). 
In  diesem  Fall  muss  der  Schwamm  —  unter  Kontrolle  —  tage¬ 
lang  liegen  bleiben,  um  seine  Aufgabe  zu  erfüllen,  den  Wider¬ 
stand  der  Gefässwand  und  des  umgebenden  Gewebes  gegen 
den  Blutaustritt  aus  der  Gefässwunde  künstlich  zu  ersetzen. 

Dass  die  Schwammkompression  sich  bei  Hämatomen  mit 
frischen  Entzündungserscheinungen  von  selbst  verbietet, 
braucht  für  den  Chirurgen  kaum  eigens  betont  zu  werden. 

Ich  erwähne  nur  kurz,  dass  im  Kriege  auch  Schwellungen 
und  Ergüsse  anderer  Art,  besonders  in  die  Gelenke,  dieser  Art 
der  Kompression  unterworfen  werden  können.  Auf  die  viel¬ 
fache  Gebrauchsmöglichkeit  in  der  allgemeinen  Chirurgie  gehe 
ich  hier  nicht  ein;  der  Zweck  dieser  Zeilen  ist,  das  Verfahren 
im  jetzigen  Augenblick  für  geeignete  Fälle  in  der  Kriegs¬ 
chirurgie  anzuregen. 

Kurz  zusammengefasst  empfehle  ich  die  Kom¬ 
pression  mittels  trockenen  Gummischwammes  gegen  Blu¬ 
tungen  nach  aussen  und  vor  allem  gegen  das  traumatische 
Hämatom,  das  damit  oft  nicht  nur  verhütet, sondern  auch,  wenn 
noch  nicht  lange  bestehend,  stark  reduziert  werden  kann.  Ich 
halte  das  Verfahren  für  besonders  wertvoll  bei  Gefässschüssen. 
Die  üummischwammkompression  ist  kein  neues  Verfahren,  ge¬ 
wiss  schon  oft  improvisiert  verwendet  worden;  doch  finde  ich  es 


bei  einer  raschen  Durchsicht  der  neueren  chirurgischen  Literatu 
nirgends  generell  empfohlen.  Ich  selbst  möchte  es  als  Hilfs 
mittel  nicht  mehr  vermissen  und  bin  überzeugt,  dass  es  übe 
den  Wert  einer  Improvisationstechnik  hinaus  einen  dauernde 
Platz  in  der  konservativ-chirurgischen  Therapie  verdiente.  I 
welchem  Umfang,  muss  die  weitere  Erfahrung  lehren. 


Orientierungskurse  für  freiwillige  Kriegsärzte  in  Berlir 

Berichterstatter:  Dr.  M.  S  c  h  w  a  b  -  Berlin-Wilmersdorf. 

(Schluss.) 

V.  Oberstabsarzt  Geheimrat  v.  Wassermann:  Seuche: 

bekämpfung  im  Kriege. 

1.  Die  Bekämpfung  der  Kriegsseuchen  ist  von  jeher  ein  intt 
■griercnder  Bestandteil  unseres  Heeressanitätswesens  gewesen.  Bi 
der  Besprechung  eines  solchen  Themas  ist  es  aber  unmöglich,  nicfj 
des  Namens  und  der  Bedeutung  eines  Robert  Koch  zu  gedenkei 
An  die  Spitze  seiner  lichtvollen  Darlegungen  setzte  daher  der  Voi 
tragende  den  Satz  des  Altmeisters  der  Epidemiologie:  „Jede  In 

f  ektionskrankheit  wird  h  e  r  v  o  r  g  e  r  u  f  e  n  durci 
einen  bestimmten  Erreger,  der  von  aussen  in  de 
Organismus  eindringt,  sich  im  Gewebe  ansiede! 
und  dort  vermehr  t.“ 

2.  ln  jedem  Falle  einer  Infektion  ist  der  davon  betroffene  Mensc 
vorher  mit  einem  anderen  Menschen  mit  gleicher  Infektion  —  direl 
oder  indirekt  —  im  Zusammenhang  gestanden  gewesen.  Für  de 
Epidemiologen  gilt  es  daher,  die  Ouelle  der  Infektion  herauszufinüe 
und  zu  unterbrechen.  Die  Hauptsache  der  Prophylaxe  von  Krieg: 
seuchen  besteht  also  darin,  die  ersten  Menschen,  die  infiziert  worde 
sind,  ausfindig  zu  machen.  Wichtiger  als  die  klinisch  Kranken  sin 
dabei  oft  die  Keimträger  (Bazillenträger),  die  für  Menschen  m 
mangelnder  Indisposition  eine  neue  Ouelle  werden.  Daher  die  zweit 
Kardinalregel :  „Auch  die  ganze  Umgebung  desErkrank 
ten  als  ansteckungs-  oder  bereits  erkrankungsl 
verdächtig  zu  betrachten  und  sie  ebenso  gena 
bakteriologisch  zu  untersuchen!“ 

Zusammenfassend  ist  also  zu  sagen,  dass  im  Frieden  wie  ii 
Kriege  die  bakteriologische  Untersuchung,  besonders  die  des  erste 
Falles,  von  äusserster  Wichtigkeit  ist,  weshalb  in  den  Krieg  tragbai 
bakteriologische  Laboratorien  mitgenommen  werden. 

3.  Die  Gefahren,  auf  die  wir  in  diesem  Kriege  besondei 
gefasst  sein  müssen,  sind,  da  bei  der  annähernd  vollständige 
Seuchenfreiheit  unseres  Landes  dies  mehr  oder  weniger  vom  Feine 

abhängt,  „  ,  ,  „  , 

a)  von  der  Ostgrenze  her:  Cholera  ,Pest,  Rekurrens,  Fleckfiebe 

Typhus;  , 

b)  von  der  Westgrenze  her:  besonders  Typhus.  (Unsere  Wes 
grenze  ist  durch  eine  seit  über  einem  Jahrzehnt  begonnen 
planmässig  organisierte  [Untersuchungsstationen!]  Bekämpfur 
des  Typhus  assaniert;  die  Franzosen  haben  vor  mehrere 
Jahren  denselben  Versuch  gemacht,  ihn  aber  wieder  aufgegebc 
und  dafür  die  Typhusschutzimpfung  ihrer  Armee  eingefülir 
wodurch  wohl  eine  ziemliche  Typhusfreiheit  der  geimpfte 
Truppen  erzielt  worden  sein  wird,  letztere  aber  dafür  u 
so  mehr  als  Bazillenträger,  die  zwar  von  der  Krankheit  nie! 
befallen  werden,  trotzdem  oder  vielmehr  eben  deshalb  ah< 
Bazillen  ausscheiden  können,  in  Betracht  kommen  dürften; 
Belgien  ist  gar  nichts  getan  worden.) 

4.  Was  kann  nun  seitens  des  freiwilligen  Kriegsarztes  zt 
Herabminderung  der  Gefahren  geschehen?  Antwor 
Beachtung  der  in  der  Inkubation  befindlichen  Verwundeten  und  di 
Bazillenträger.  Deshalb  muss 

a)  in  jedem  Lazarett  etc.  ein  Raum  vorhanden  sein,  der  als  ls> 
lierraum  benützt  werden  kann  und  der  von  vorneherein  da; 
bestimmt  ist,  nicht  erst  anlässlich  der  ersten  Fälle  ne 
gerichtet  wird; 

b)  Die  Isolierräume  und  überhaupt  die  Lazarette  müssen  (dun 
Drahtnetze  oder  Verbandgaze  in  den  Fenstern,  durch  Beham 
lung  von  Tümpeln  in  der  Nähe  des  Lazarettes  mit  Petroleun 
möglichst  mückenfrei  gemacht  werden  (Choleraübertragu: 
durch  Fliegen!). 

c)  Anlegung  von  Latrinen. 

d)  Misstrauen  gegen  jedes  Oberflächenwasser  (das  sichers 
Wasser  ist  das  Grundwasser,  durch  abessynische  Brunin 
herausgefördert;  sonst  Trinkwasserbereiter  oder  Abkochen  u 
Wassers!). 

e)  Anamnestische  und  sonstige  Prüfung  des  Personals,  besonde 
des  Küchenpersonals,  hinsichtlich  überstandenen  Typhus  od' 
Paratyphus,  vorausgegangener  Pflege  von  Typhuskranken  er 
ganz  besonders  des  weiblichen  Personals,  weil  bei  Typhus  ui 
Paratyphus  Frauen  viel  häufiger  Keimträger  sind  als  Männe 

5.  Die  Handhabung  der  Desinfektion  geschieht: 

a)  durch  physikalische  Massnahmen:  wo  angängig  und  Vorhände 
Dampfdesinfektion  oder  sonstige  physikalische  Mittel  (Rur 
n  e  r  scher  Apparat  u.  dergl.).  Improvisation  von  Damptde 
infektion:  Waschkessel  mit  einem  Drahtnetz  darüber  und  eil 


S.  September  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Miinch.  med.  Wochenschrift. 


daräufgcsetzte  Tonne  ohne  Boden,  deren  Deckel  2  Oeffnungen 
^m.e  e.n  Thermometer,  eine  für  Ausströmung  des  Dampfes 
hat;  Abdichtung  der  Tonne  am  unteren  Kunde  mit  Lehm 
b)  durch  chemische  Mittel: 

a)  Univcrsaldesinfektlonsmitte!  für  innerhalb  des  Lazarettes 
(Wasche  Badewannen,  Injektionen  etc.)  ist  die  alte  Kre- 
s  o  1  s  e  1  f  e  n  1  ö  s  u  n  g,  die  in  grossen  Mengen,  vom  Anfang 
der  Einrichtung  jedes  Lazarettes  an  vorhanden  sein  oder 
hergestellt  werden  muss  und  in  irdenen  Töpfen  (für  die 
Wasche,  die  Dejektionen)  zur  Verwendung  kommt 
Kp.  950  Teile  heisses  Wasser,  dazu 

25  „  grüne  Kalischmierseife  und 

25  „  Acid.  carbol.  crud. 

ß)  Ein  zweites  Universalmittel  (für  Fäzes,  Abortgruben  tisw.) 
ist  die  Kalkmilch  (gebrannter  Kalk  wird  mit  Wasser 
bespritzt  bis  er  zerfällt  Igelöschter  Kalk];  von  diesem  ge¬ 
löschten  Kalk  wird  1  1  eil  mit  3 — 4  Teilen  Wasser  angerührt 
hur  Latrinen  sind  auf  2  Teile  Grubeninhalt  1  Teil  Kalkmilch 
zu  «eben  (die  Reaktion  muss  alkalisch  sein),  dann  ist  nach 
o — 12  Stunden  alles  desinfiziert. 

(Wäsche,  Dejektionen  etc.  sofort  innerhalb  des  Kran- 
kenzimmers  desinfizieren  lassen,  da  sonst  Verschleppung  von 
Infektionskeimen  möglich!  Alle  Desinfektionsmassnahmen  von 
vorneherein  vorbereitet  haben,  nicht  erst  nach  Ausbruch  der 
Infektion  damit  beginnen!) 

6.  Verhalten  den  einzelnen  Kriegsseuchen 

egen  über: 

a'  T  i  Pl’ 11  s ■  Erreger  ein  Bazillus  mit  obligater  Eingangspforte; 
i'il  m  if1*-18*  e’ne  metastabsche  Infektionskrankheit,  des- 
lalb  alle  Abgänge  des  Kranken  (Fäzes,  Urin,  Sputum)  desinfi- 
?ieru  .Dia£n°se:  Irr  der  ersten  Woche  durch  Blutaussaat 
(durch  Aspiration  gewonnenes  Venenblut  wird  in  Conradi- 
sehe  Gallenröhrchen,  erhältlich  in  den  Sanitätsdepots,  auch  bei 
L  a  u  t  e  ns  c  h  I  ä  g  e  r  -  Berlin  und  Merck-  Darmstadt,  ge¬ 
bracht,  die  Bazillen  werden  dadurch  angereichert  (positiver 
Erfdg  m  der  ersten  Woche  in  ca.  90  Proz.  der  Fälle).  Die 
Röhrchen  an  den  beratenden  Hygieniker  des  Armeekorps  oder 
an  die  sonstigen  Untersuchungsämter,  wie  im  Frieden,  ein¬ 
schicken!  Die  Fäzes  kommen  von  der  2.  Woche  an  in  Be¬ 
tracht,  für  Keimträger  ausschliesslich.  Einschicken  in  den  be¬ 
kannten  Entnahmegefässen  (erhältlich  in  den  Etappen-Sanitäts- 
depot)  oder  Ausstreichen  auf  D  r  i  g  a  1  s  k  i  -  C  o  n  r  a  d  i  sehen 
Agar,  fertig  geliefert  in  trockenen  Nährböden  von  den  Etappen- 
bamtatsdepots  oder  von  L  a  u  t  e  n  s  c  h  1  ä  g  e  r  -  Berlin  und 
M  e  r  c  k  - Darmstadt.  Rote  Kolonien  sind  Kolibazillen.  blaue 
können  Typhus,  Paratyphus  oder  Ruhr  sein;  dann  Einschicken 
der  mit  Paraffm  abgedichteten  Platten  zur  Agglutinationsprobe! 
77  Prophylaxe:  Belehrung  der  Truppen  und  ähnliche  allgemeine 
Massregeln  sind  im  Kriege  ohne  Erfolg.  Deshalb  eventuell 
yphusschutzimpfung,  deren  Resultate  nach  den  Erfahrungen 
des  Auslandes  hervorragende  sind.  Ausführung:  Zunächst 
a*  ccm  bserum,  das  in  grossen  Mengen  zur  Verfügung  steht, 
subkutan  in  die  linke  Subklavikulargegend  (nicht  in  den  Arm 
oder  in  den  Rücken,  weil  öfters  örtliche  Reaktionen)  in  den 
späten  Abendstunden  (weil  öfters  1  emperatursteigerung)  in¬ 
jiziert;  die.  Begleiterscheinungen  sind  am  nächsten  Tag  ver¬ 
schwunden  7  Tage  warten,  dann  2.  Injektion  (weil  eine  nicht 
genügt)  in  doppelter  Dosis  (1  ccm  des  offiziellen  Impfstoffes); 
eVif"!!nu  noc!?  Injektion.  Injektionen  sind  vollkommen  un¬ 
schädlich.  Für  den  freiwilligen  Kriegsarzt  kommt  in  erster 
Lime  die  Schutzimpfung  des  Wartepersonals  in  Betracht, 
b)  Dysenterie:  Verdacht  bei  blutig-schleimigem  Stuhlgang. 
Lokale  Infektion  des  Dickdarms,  die  lokal  bleibt;  deshalb  Ba- 
ziHen  nur  in  den  Dejektiopen  zu  finden.  Zu  beachten  besonders 
die  Bazillenträger!  Mit  der  Stuhlprobe  sofort  etwas  Blut(serum) 
einschicken  zur  Identifizierung  des  Erregers  (Shiga-Kruse  oder 
rlexner  oder  Stamm  Y).  Mit  der  Therapie  warten  bis  zur 
Identmkation  des  Erregers,  dann  Ruhrserum  (subkutan). 

C  ,aratyPhus:  Hauptsächlich  durch  Nahrungsmittelinfektion 
oder  Bazillenträger.  Verdacht  bei  gehäuften  Brechdurchfällen. 

lagnose  durch  Drigalski  -  Conradi  sehe  Agarplatten ; 
genauere  Diagnose  durch  den  Bakteriologen, 
d)  Cholera:  Diagnose  wie  im  Frieden  nach  dem  Reichs-Seuchen- 
gesetz.  Prophylaxe  nach  den  Koc  h  sehen  Regeln.  Für  mo¬ 
bile  Truppen  Choleraschutzimpfung  (wird  genau  wie  Typhus¬ 
schutzimpfung  gemacht,  aber  nie  mehr  als  2  Injektionen.  Re¬ 
aktionen  weit  geringer  als  bei  Typhusimpfung.  Erfolge  nach 
den  Erfahrungen  bei  der  griechischen  Armee  hervorragend. 
e'  ^  Formen  (Bubonen-  oder  Lungenpest,  letztere  weit 

gefährlicher).  Verdacht  schöpfen  bei  jeder  Pneumonie,  weil 
(r(Fungenpest  in  den  ersten  2  Tagen  ebenso  aussieht.  Des¬ 
halb  Sputumuntersuchung:  Sputum  auf  Deckglas,  lufttrocken 
werden  lassen,  dann  nicht  in  der  Flamme  erhitzen,  sondern 
einige  Minuten  mit  absolutem  Alkohol  bedecken,  dann  durch 
sc^wen^en  und  ausblasen;  Färben  mit  dünner  Me- 
thylenblauiösung,  wodurch  die  charakteristische  bipolare  Ge¬ 
stalt  der  Bazillen  sichtbar  wird.  Einschicken  des  Deckgläs¬ 
chens  nur  an  foljjende  3  Stellen  angängig:  Institut  „Robert 
Koch  ,  Kaiser-Wilhelms-Akademie  oder  Reichsgesundheits- 
aint'  ~  Bei  Bubonenpestverdacht  (hohes  Fieber,  Drüsen- 


1927 


Schwellungen)  Aspiration  von  Bubonensaft  aus  dem  Bubo 
Behandlung  wie  oben. 

f)  Flecktyphus:  Fast  ebenso  gefährlich  wie  Pest.  Das  Kon- 
tagium  durch  die  Luft  und  durch  Ungeziefer  übertragbar. 
Sehr  infektiös  für  Aerzte  und  Personal.  Einziges  Mittel  gegen 
die  Ansteckung  ist  ausser  der  schärfsten  Isolation  nach  Koch 
das  Offenhalten  der  Fenster  und  Türen  Tag  und  Nacht  hin- 
durch,  einerlei  ob  kalt  oder  warm,  Regen  oder  Schnee,  um 
durch  die  Verdünnung  durch  den  Luftstrom  die  Infektionsgefahr 
zu  bannen;  die  Isolierräume  müssen  daher  auf  weite  Distanz 
(mindestens  40 — 50  in)  von  jeglichem  anderen  Raum  entfernt 

g)  Rekurrens:  Diagnose  leicht  aus  dem  Blute.  Therapie- 

Salvarsan.  ‘ 

h)  Epidemische  Genickstarre:  Diagnose  leicht  aus  dem 
Lumbalsekret  (Meningokokken  verhalten  sich  färbcrisch  wie 
die  Gonokokken  und  sehen  auch  so  aus).  Therapie:  Intra¬ 
lumbale  Injektion  von  (20 — 30  ccm)  Genickstarreserum  (cf. 
m  •  e  Viy  Erfahrungen  mit  Kolle-Wassermann  schem 
Meningokokkenheilserum;  D.m.W.  1908  Nr.  4  S.  139). 

Meldung  jeder  Infektionskrankheit  oder  Verdachtes  hierauf  an 
den  Vorgesetzten  Sanitätsoffizier  zur  Weitergabe! 


In  einem  Schlusswort  gab  Generalarzt  Dr.  Grossheim 

UehSSen;er  SUbdvekut0r  der  Kaiser-Wilhelms-Akademie,  einen 
Ueberbhck  über  die  Verbesserungen,  die  das  Heeressanitätswesen 

r em  Knnege*  ^/n  71  erfahren  hat:  damals  hatte  1  Armeekorps 
-02  1  ragen,  heute  400;  statt  37 2  Krankenträger  hat  es  jetzt  600,  statt 
Krankenwagen  jetzt  36  resp.  40;  dazu  kommen  heute  Kraft- 
HiÜS(n’--felner  dl?  Möglichkeit  der  Verwertung  der  Mannschaftszelte, 
die  D  o  c  k  e  r  sehen  Baracken.  Verbessert  hat  sich  auch  die  Be- 
kostigung  durch  die  Konserven  etc.,  die  chirurgische  Therapie  durch 
die  Fortschritte  der  Asepsis  und  die  Schematisierung  des  Verbandes 
die  innere  Medizin  durch  die  exaktere  Dosierung  mittels  der  Tablet¬ 
ten,  die  zudem  viel  kompendiöser  als  Pulver  sind  und  deshalb  in 
grosserer  Menge  als  diese  mitgenommen  werden  können. 


Diese  zurzeit  hochaktuellen  Kurse  sind  wohl  mit  das  Beste, 
was  auf  dem  Gebiete  des  ärztlichen  Fortbildungswesens  geleistet 
worden  ist:  nicht  nur  wegen  der  hervorragenden  Qualität  der  Vor¬ 
tragenden,  die  ihrem  jeweiligen  Thema  so  glänzend  korrespondierten 
sondern  auch  wegen  der  Tatsache,  dass  der  mitzuteilende  Stoff  so¬ 
wohl,  den  Bedürfnissen  des  Augenblicks  entsprechend,  meisterhaft 
ausgesucht  als  auch  bei  Wahrung  möglichster  Vollkommenheit  in 
kürzester  Zeit  (4  Abende  mit  je  Stunden  Vortragsdauer)  be- 
-  wurde.  Diese  „Orientierungskurse  für  freiwillige  Kriegs¬ 

arzte  können  deshalb  als  Vorbild  dienen  für  analoge  Veranstal¬ 
tungen  dm  an  allen  Zentren  ärztlicher  Fortbildung  inauguriert  wer¬ 
den  sollten  damit  möglichst  viele  Zivilärzte  mit  den  Richtlinien,  nach 
denen  sie  bei  der  ihnen  bevorstehenden  schwierigen  und  verantwor- 
tungsvollen  Aufgabe  handeln  sollen,  cito  et  jucunde  vertraut  werden 
Und  auch  die  Absicht,  auch  denjenigen,  die  fern  von  der  Möglich¬ 
keit,  solche  Vorträge  zu  hören,  ein  Bild  derselben  zu  geben  recht¬ 
fertigt  wohl  neben  den  schon  angeführten  Gründen,  die  Ausführlich¬ 
keit  dieses  Berichtes. 


Kleine  Mitteilungen. 

Feldpostbriefe. 

Aus  einem  Feldpostbrief  eines  Oberarztes  d.  L.  vom  22.  August: 

i"-  ™ar  von  meiner  Kompagnie  getrennt,  weil  ich  in  Kl. 
eine  Leichtkrankensammelstelle  errichten  und  die  Patienten  nach 

lassen  musste.  Man  hatte  mir  einen  Radfahrer  geschickt 
mit  der  Meldung  dass  ich  meine  Leute  in  . . .  wiederfinden  würde. 
Dieser  Radfahrer  fuhr  um  343  Uhr  früh  ab,  verirrte  sich  aber  in  der 
Dunkelheit  und  kam  anstatt  7  Uhr  erst  um  10  Uhr  zu  mir.  Daher 
and  ich  m  . .  -  keine  Spur  mehr  von  meiner  Kompagnie  und  da  in¬ 
zwischen  das  Gefecht  im  vollen  Gang  und  alles  im  Vorrücken  war 
stand  ich  vor  der  Aufgabe,  in  Begleitung  des  Radfahrers  und  meines 
leners  auf  den  mit  Truppen  vollgestopften  Strassen  meine  Sanitäts¬ 
kompagnie  zu  suchen.  Ein  Bahnwärter  konnte  mir  die  Richtung  des 
binarsches  sagen.  Ich  hätte  sie  aber  trotzdem  nicht  gefunden,  wenn 
ich  nicht  einen  Feldtelegraphisten  entdeckt  hätte,  der  eben  mit  dem 
Armeekorpskommando  sprach.  Er  erhielt  sofort  den  Befehl  nach 
dem  Standort  niemer  Division  zu  fragen  und  ich  erfuhr  so,  dass 
diese  m  ••■  war.  Auf  dem  Wege  dahin  fand  ich  nach  neun¬ 
stündigem  Ritt  in  meine  Leute  glücklich  wieder;  der  Radfahrer 
war  18  Stunden  auf  den  Beinen  gewesen,  mein  Pferd  musste  ich  die 

m  ZtC  t,StUn  u6  •  führ.en’  weil  es  VÖI1‘£  erschöpft  war.  Auf  diesem 
Marsche  sah  ich  den  ersten  Trupp  von  24  gefangenen  Franzosen. 
Die  Leute  haben  keine  so  neue  und  solide  Ausrüstung  wie  bei  uns,  aber 
durchaus  nicht  schlecht.  In  . . .  war  uns  ein  französisches  Feldlaza¬ 
rett  in  die  Hände  gefallen  und  der  medecin-major  (Stabsarzt)  von 
echt  französischer  Beweglichkeit,  war  überglücklich,  dass  wir  ihm 
mit  Morphium,  Verbandstoffen,  Konserven  aushalfen,  denn  er  war 
mangelhaft  ausgerüstet.  Von  unserer  Seite  waren  2  Lazarette  er¬ 
richtet. 


1928 


Feldärztliche  Beilage  zur  Miinch.  med.  Wochenschrift. 


Nr.  36. 


Das  Essen  aus  der  mitgefahrenen  Feldküche  —  eine  grossartige 
Einrichtung  —  ist  sehr  gut  und  enorm  reichlich;  die  Stimmung  unserer 
prächtigen  bayerischen  Leute  glänzend.  Das  Wetter  ist  herrlich,  aber 
die  Nächte  sind  kühl,  besonders  gegen  Sonnenaufgang.  Wer  einen 
guten  Magen  (entschieden  das  wichtigste),  ruhigen  Schlaf  und  etwas 
Gleichmut  besitzt,  kann  dieses  Leben  wohl  ertragen.  . . . 


Unser  Mitarbeiter  Dr.  Fritz  Loeb  schreibt  uns: 

„Am  28.  August  stand  unsere  3.  San.-Kotnp.  bei  B.  im  Granat¬ 
feuer;  3  tödlich  verwundet,  2  am  gleichen  Tage  gestorben,  sonst 
14  Verletzte.  Ich  verdanke  einem  Zufall  mein  Leben;  3  m  neben 
mir  schlug  eine  Granate  ein,  mich  mit  Erde  und  Steinen  über¬ 
schüttend  und  mich  zu  Boden  werfend.  Sie  krepierte  zum  Glück 
nicht,  sonst  wäre  der  Vater  des  Dissertationsreferates  wohl  erledigt. 
Ich  war  ca.  1  Sekunde  bewusstlos.  Bis  jetzt  unverletzt  und  sieges¬ 
zuversichtlich.“ 


Nachrichten. 

München,  den  7.  September  1914. 

—  Das  grosse  Ereignis  der  5.  Kriegswoche  war  der 
glänzende  Sieg  der  deutschen  Armee  im  Osten  bei  Tannenberg,  wo 
drei  russische  Armeekorps  vernichtet  wurden.  Im  Westen  sind 
unsere  Truppen  in  unaufhaltsamem  Siegeslauf  bis  in  die  Nähe  von 
Paris  vorgedrungen.  Erfreulich  ist,  dass  trotz  der  unerhörten  An¬ 
strengungen,  die  unsere  Truppen  auszuhalten  haben,  der  Gesund¬ 
heitszustand  ein  günstiger  ist.  Eine  amtliche  Erklärung  des 
Chefs  des  Feldsanitätswesens  besagt  darüber  folgendes:  „Der  Ge¬ 
sundheitszustand  aller  Teile  unseres  im  Felde  stehenden  Heeres  ist 
gut.  Seuchen  sind  bisher  nicht  aufgetreten.  Freilich  stehen  unsere 
Truppen  zum  Teil  in  Feindesland,  das  sich  bis  dahin  keiner  so 
guten  Aufsicht  erfreute  wie  unsere  Heimat,  und  dessen  Bevölkerung 
manche  Träger  von  Keimen  ansteckender  Krankheiten  in  sich  birgt. 
Doch  waltet  auch  gegen  diese  Uebelstände  eine  weitgehende 
Vorsicht  im  deutschen  Heere.  Die  Schutzpockenimpfung 
ist  streng  durchgeführt  und  wird  im  Notfälle  auch  bei  der  feindlichen 
Bevölkerung  durchgesetzt.  Typhus-,  Cholera-  und  Ruhrunter¬ 
suchungsgeräte  sowie  Schutzimpfungsstoffe  werden  mitgeführt.  Sach¬ 
verständige  Hygieniker  befinden  sich  in  den  Reihen  unserer  Militär¬ 
ärzte.  Leider  wurde  auch  von  ihnen  schon  einer  bei  einer  vor¬ 
sorgenden  Brunnenuntersuchung  hinterrücks  von  Einwohnern  er¬ 
schossen.  Im  I  n  1  a  n  d  e  sind  nennenswerte  Häufungen  übertrag¬ 
barer  Krankheiten  ebenfalls  nicht  zu  verzeichnen.  In  dieser  Hin¬ 
sicht  werden  besonders  scharf  die  Kriegsgefangenen  über¬ 
wacht.  Die  von  den  regelrechten  Heeresgeschossen  gesetzten  Wun¬ 
den  zeigen  ein  durchweg  gutes  Heilungsbestreben.  Das 
deutsche  Verbandsverfahren,  insbesondere  die  Anwendung  der 
deutschen  Verbandspäckchen,  hat  sich  bewährt.  Die  in  den  vorder¬ 
sten  Linien  angelegten  Verbände  sassen  auch  noch  zur  Zeit  der 
ferneren  Rücktransporte  den  Verwundeten  gut.  Ein  grosser  Teil  der 
zurückbeförderten  Verwundeten  ist  bereits  in  der  Genesung  und 
drängt  wieder  nach  der  Front  zurück.“ 

—  Das  Direktorium  der  Farbenfabriken  vorm.  Fried  r. 
Bayer  &  C  o.  in  Leverkusen  hat  100000  M.  gestiftet,  die  in  folgen¬ 
der  Weise  Verwendung  finden  sollen:  1  Nationalstiftung  für  die 
Hinterbliebenen  der  im  Kriege  Gefallenen  50  000  M.  2.  Zweigverein 
vom  Roten  Kreuz  Kreis  Solingen  20  000  M.  3.  Provinzialverein  vom 
Roten  Kreuz  zu  Koblenz  10  000  M.  4.  Zentralkomitee  des  Preussi- 
schen  Landesvereins  vom  Roten  Kreuz  zu  Berlin  10  000  M.  5.  Zweig¬ 
verein  vöm  Roten  Kreuz  für  die  Stadt  Elberfeld  5000  M.  und  6.  Verein 
für  das  Deutschtum  im  Auslande,  für  die  mit  harter  Not  kämpfen¬ 
den,  vertriebenen  oder  von  ihrer  Heimat  abgeschnittenen  Ausländs¬ 
deutschen  5000  M.  Ferner  hat  Geheimrat  Prof.  Dr.  Duisberg, 
Generaldirektor  in  Leverkusen,  persönlich  10  000  M.  gestiftet  und 
zwar  für  das  Rote  Kreuz  6000  M.  und  für  die  Hinterbliebenen  der 
im  Kriege  Gefallenen  4000  M. 

—  Herr  Prof  Dr.  Sauerbruch,  Direktor  der  chirurgischen 
Universitätsklinik  in  Zürich  wmrde  als  beratender  Chirurg  des 
15.  Armeekorps  gewählt  und  ist  am  6.  August  nach  Strassburg 
abgereist. 

—  Im  Verlag  von  Reiniger,  Gebbert  &  Schall  A.G., 
Berlin-Erlangen  ist  eine  kleine  Broschüre:  „Praktische  Winke 
zur  Anfertigung  von  Röntgenaufnahmen  an  Kriegs¬ 
verwundete  n“  erschienen,  die  allen  Aerzten,  die  ein  Interesse 
daran  haben,  auf  Wunsch  unentgeltlich  zugestellt  wird. 

—  Zu  dem  Artikel  von  N  e  i  s  s  e  r  (D.m.W.  Nr.  33,  ref.  M.m.W. 
S.  1893)  über  venerische  Krankheiten  bei  den  im  Felde  stehenden 
Truppen  wird  die  Herstellungsvorschrift  der  Noviinjektolsalbe  wie 
folgt  richtiggestellt  (D.m.W.  Nr.  34):  Prötargol  6,0  aufzustreuen  auf 
Aq.  dest.  24,0,  stehen  lassen  bis  zur  Lösung,  beizufügen  Alypin 
nitr.  2,0,  auf  Wasserbad  bei  30 — 40°  zu  lösen  und  zu  mischen  mit 
Eucerin,  anhydric.,  Adipis  lan.  aa  35,0.  Bgt. 

—  Cholera.  Türkei.  Vom  10. — 24.  Juli  wurden  in  Eski- 
Chehir  2  Erkrankungen  (und  1  Todesfall),  in  Vize  1  (— )  gemeldet. 
—  Russland.  Im  Gouv.  Podolien  vom  19.— 24.  August  104  Erkran¬ 
kungen,  davon  98  mit  tödlichem  Ausgange. 

—  Pest  Türkei  In  Beirut  wurde  am  2.  August  ein  neuer 
Pestfall  festgestellt.  —  Aegypten.  Vom  25.-31.  Juli  erkrankten  (und 


starben)  4  (1)  Personen,  davon  2  (1)  in  Alexandrien  und  2  (— )  in 
Port  Said.  —  Britisch  Ostafrika.  In  Mombassa  im  Juni  1  Pestfall. 

—  Griechenland.  Im  Piräus  sind  seit  einiger  Zeit  zuerst  vereinzelt, 

zuletzt  aber  häufiger  Pestfälle  vorgekommen.  Bis  zum  28.  August 
sollen  22  Erkrankungen,  darunter  4  mit  tödlichem  Ausgang,  festge¬ 
stellt  worden  sein.  —  Vereinigte  Staaten  von  Amerika.  In  New- 
Orieans  wurden  vom  18.— 27.  Juli  8  Pestfälle  festgestellt,  im  ganzen 
seit  dem  28.  Juni  13,  auch  wurden  14  Pestratten  gefunden.  Die 
Zahl  der  in  der  Stadt  wöchentlich  gefangenen  und  untersuchten 
Ratten  wird  auf  8—10  000  angegeben.  —  Ecuador.  In  Guayaquil  im 
Juni  3  Erkrankungen  und  2  Todesfälle.  , 

—  In  der  33.  Jahreswoche,  vom  16.  bis  22.  August  1914,  hatten 
von  deutschen  Städten  über  40  000  Einwohner  die  grösste  Sterblich¬ 
keit  Halberstadt  mit  36,4,  die  geringste  Altenburg  mit  5,1  Todes¬ 
fällen  pro  Jahr  und  1000  Einwohner.  Mehr  als  ein  Zehntel  aller 
Gestorbenen  starb  an  Masern  und  Röteln  in  Colmar,  an  Diphtherie 
und  Krupp  in  Berlin,  Pankow,  Bottrop,  an  Keuchhusten  in  Flensburg. 

—  In  der  33.  Jahreswoche,  vom  16.  bis  22.  August  1914,  hatten 

von  deutschen  Städten  über  40  000  Einwohner  die  grösste  Sterblich¬ 
keit  Metz  mit  40,0,  die  geringste  Berlin-Friedenau  mit  3,3  Todesfällen 
pro  Jahr  und  1000  Einwohnern.  Mehr  als  ein  Zehntel  aller  Ge¬ 
storbenen  starb  an  Scharlach  in  Königshütte,  Pforzheim,  an  Diph¬ 
therie  und  Krupp  in  Lehe.  Vöff.  Kais.  Ges.A. 

(Hochschulnachrichten.) 

Wien.  Hof  rat  Prof.  Dr.  Julius  Hochenegg  wurde  zum  General¬ 
stabsarzt  ernannt.  — Hofrat  Frhr.  v.  Eiseisberg  fungiert  schon  seit 
Jahren  als  Adm.-Stabsarzt  a.  D.  und  als  Gen.-Chefarzt  des  deutschen 
Ritterordens.  —  Dem  Dr.  Josef  Winter,  Stabsarzt  i.  d.  E„  wurde 
wegen  seiner  Verdienste  um  die  Ausgestaltung  der  Hilfsmittel  des 
Ocsterr.  Roten  Kreuzes  der  Adel  verliehen. 

(T  o  d  e  s  f  ä  1 1  e.)  . 

ln  Frankenthal  starb  Dr.  Karl  G  ö  t  e  1,  kgl.  Regierungs-  und  Geh. 
Medizinalrat  a.  D„  ein  verdienter  ehemaliger  Medizinalbeamter  der 

Reichslande.  . 

In  Halle  starb  Geh.  Rat  Dr.  Theodor  Weber,  früher  Direktor 
der  med.  Klinik  daselbst,  85  Jahre  alt.  Eine  Würdigung  seiner  Per¬ 
sönlichkeit  brachten  wir  in  Nr.  33,  1899,  anlässlich  seines  70.  Geburts¬ 
tages. 

Fürs  Vaterland  starben: 

Dr.  Friedrich  L  a  u  k,  Stabsarzt  d.  Res.,  Arzt  in  Ellingen,  am 

20.  August.  ......  ,  ,  u 

Dr.  Georg  Ritter  v.  Boxberger,  Marinestabsarzt  d.  Res., 
Arzt  in  Bad  Kissingen,  am  28.  August  mit  S.  M.  S.  „Ariadne“. 

Karl  Wolf,  Ein.-Freiw.  Unteroffizier,  Zahnarzt,  am  26.  August. 

Hans  v.  Blomberg,  cand.  med.,  Eberswalde,  am  22.  August. 

Paul  D  i  e  1 1,  cand.  med.,  München,  am  22.  August. 

Ludwig  G  o  p  p  e  1 1,  cand.  med.,  am  2.  September. 

Auf  der  vorstehenden  Ehrentafel  werden  wir  die  uns  be¬ 
kannt  werdenden  Namen  derjenigen  Aerzte  und  Studierenden  der 
Medizin  verzeichnen,  die  in  dem  heiligen  Krieg  für  das  Vaterland  ge¬ 
fallen  sind.  Wir  bitten  unsere  Leser,  zur  Vervollständigung  der  Liste 
beitragen  zu  wollen. 


Bekanntmachungen. 

Ansuchen. 

Alle  Lazarette,  städt.  Krankenhäuser,  Privatkliniken  und  Pflege¬ 
stätten  der  freiwilligen  Krankenpflege,  jeder  Arzt  sowie  alle  Herren 
Aerzte,  welche  Offiziere  behandeln,  die  wegen  Verwundung  oder 
Erkrankung  aus  dem  Felde  oder  Feindesland  hieher  zurückgekehrt 
sind,  werden  ersucht,  die  betreffenden  Offiziere  zu  benachrichtigen, 
dass  jeder  Offizier  usw.  alsbald  nach  Ankunft  in  München  der  Kom¬ 
mandantur  Meldung  über  sein  Eintreffen  zu  erstatten  habe.  Die 
Meldung  kann  mündlich  (beliebiger  Anzug)  oder  schriftlich  (5-Pfg.- 
Postkarte)  geschehen.  Sie  soll  enthalten: 

Vor-  und  Zuname,  Dienstgrad,  Truppenteil. 

Tag  und  Art  der  Verwundung  oder  Krankheit. 

Pflegestätte  und  Wohnung. 

Angabe,  ob  ein  Ersatz-Truppenteil  benachrichtigt  ist. 

Auf  Grund  dieser  Meldung  wird  für  nicht  hier  im  Stand¬ 
ort  befindliche  Offiziere  Zuteilung  zu  einem  Ersatztruppenteil  für 
Verpflegung  und  allenfallsige  Bedürfnisse  erfolgen. 


In  deutlicher 
Schrift. 


Deutsche  Aerzte! 

Verschreibt  nur  deutsche  Präparate  und  Spezialitäten! 


Die  „Feldärztliche  Beilage“  ist  bestimmt,  allen  im  Felde  stehen¬ 
den  oder  in  Militärlazaretten  beschäftigten  Aerzten  der  deutschen 
und  österreichischen  Armee  und  Flotte  unentgeltlich  geliefert  zn  wer¬ 
den.  Herren,  welche  sie  nicht  erhalten,  werden  um  Angabe  ihrer 
Adresse  ersucht. 

Beiträge  für  die  „Feldärztliche  Beilage“  werden  nach  erhöhten 
Sätzen  honoriert. 

Selbstverständlich  wird  unseren  im  Feld  stehenden  Abonnenten 
auch  die  Wochenschrift  selbst  an  jede  uns  angegebene  Adresse  nacli- 
geliefert.  J.  F.  Lehmanns  Ver!  aj^ 


Verlag  von  J.  F.  Lehmann  in  München  S.W.  2,  Paul  Heysestr.  26.  —  Druck  von  E.  Mühlthaler’s  Buch-  und  Kunstdruckerei  A.G.,  München. 


nl«  M,.ncke"*r  M*d(il*l»cli€  Wochen »chrift  enchemf  w8ch«n<ITcfi 

im  Umfar-  —  —  —  *  •  “  —  ■ 

Nummer 
M  6. 


Zotendnngen  rind  zu  adreitleren; 
rOrdte  Redaktion  Amulfstr.26.  Bürozeit  der  Redaktton  8V.-I  Uhr. 
Für  Abonnement  an  1.  F.  Lehmann’s  Verlag,  Paul  Heysestrasse  24. 
Für  Inserate  und  Beilagen  an  Rudolf  Mosse,  Theatinerstrasse  3. 


MÜNCHENER 

Medizinische  Wochenschrift. 

ORGAN  FÜR  AMTLICHE  UND  PRAKTISCHE  ÄRZTE. 


Nr.  37.  15.  September  1914. 


Originalien. 

Aus  dem  Kgl.  Institut  für  experimentelle  Therapie  in  Frank¬ 
furt  a.M.  (Direktor:  Wirkl.  Geh.  Rat  Prof.  Dr.  Paul  Ehrlich). 

Halbspezifische  Desinfektion. 

Von  Prof.  Dr.  H.  B  e  c  h  h  o  I  d,  Mitglied  des  Instituts. 

Zwischen  den  Stoffen,  mit  welchen  der  Organismus  die 
Bakterien  abtötet,  und  den  von  der  Chemie  erzeugten  besteht 
ein  charakteristischer  Unterschied;  die  ersteren  sind  streng 
spezifisch,  die  letzteren  von  allgemeiner  Wir¬ 
kung.  Das  Lysin  der  Cholera  z.  B.  wirkt  nur  auf  den 
Choleravibrio,  das  Typhusagglutinin  nur  auf  Typhusbazillen; 
hingegen  tötet  Karbolsäure  den  Choleravibrio  ebensogut  wie 
den  Typhusbazillus  und  Sublimat  vernichtet  Staphylokokken 
nicht  weniger  sicher  wie  Tuberkelbazillen.  —  Zwar  gibt  es 
höchst  widerstandsfähige  Keime,  z.  B.  Milzbrandsporen  und 
Tuberkelbazillen,  doch  sind  diese  widerstandsfähiger  gegen 
alle  chemischen  Eingriffe1,  während  andere  Krankheitserreger, 
nv  ie  Choleravibrionen,  Gonokokken,  den  meisten  chemischen 
Desinfektionsmitteln  leichter  unterliegen. 

Vor  einigen  Jahren x)  war  nun  dem  Verfasser  dieser 
Zeilen  eine  Gruppe  von  chemischen  Substanzen  aufgefallen, 
die  wesentlich  von  dieser  Regel  abweichen:  es  handelt  sich 
um  die  Halogen-/?-Naphthole,  die  ich  in  Verfolg  einer 
früheren  Arbeit  von  P.  Ehrlich  und  dem  Verfasser2) 
auf  ihre  Desinfektionswirkung  untersuchte. 

Behandelt  man  A-Naphthol  in  geeigneter  Weise  mit 
Chlor  oder  Brom,  so  kann  man  Substanzen  gewinnen,  die 
1  (Mono-),  2  (Di-)  oder  3  (Tri-)  Chloratome  in  der  Naphthol- 
molekel  enthalten;  von  Bromderivaten  kennt  man  sogar,  ab¬ 
gesehen  von  Isomeren,  5  verschiedene  Produkte:  Mono-,  Di-, 
Iri-,  Tetra-  und  Penta-Brom-ß-Naphthol.  —  Es  sind  gelbliche 
bis  weisse,  feste  Körper,  die  teils  geruchlos  sind,  während  den 
niederen  Chlornaphtholen  ein  leichter  Geruch  anhaftet.  In 
kaltem  Wasser  sind  sie  fast  unlöslich,  in  Alkohol,  Fett  und 
anderen  organischen  Lösungsmitteln  leicht  löslich;  ebenso 
sind  sie  gemäss  ihres  sehr  schwachen  Säurecharakters  in  Al¬ 
kalien  löslich  und  lassen  sich  durch  ähnliche  Mittel,  wie 
Phenol,  Kresole  etc.,  in  Lösung  bringen. 

Als  ich  die  entwicklungshemmende  und  keimtötende  Wir¬ 
kung  der  Halogennaphthole  gegen  verschiedene  Bakterien  und 
Kokken  prüfte,  zeigte  sich  folgende  merkwürdige  Erscheinung: 
Es  fanden  sich  unter  den  Derivaten  einige,  wie  z.  B.  Tribrom¬ 
naphthol,  die  gegen  gewisse  Bakterien  (Staphylokokken, 
Streptokokken,  Diphtheriebazillen)  eine  enorme  Wirkung  aus¬ 
übten,  die  kaum  hinter  der  des  Sublimats  zurückblieb,  während 
.sie  gegenüber  anderen,  wie  Paratyphus  N  und  Bacterium  coli, 
keine  wesentlich  höhere  Desinfektionskraft  als  Kresol  be- 
sassen.  —  Nebenstehende  Tabelle 3)  lässt  uns  manche  inter¬ 
essante  Einblicke  gewinnen. 

Betrachten  wir  zunächst  die  Standardsubstanz  Kresol 
Am  leichtesten  werden  von  ihr  Diphtheriebazillen,  am  schwer¬ 
sten  Paratyphus  N  geschädigt;  zur  Entwicklungshemmung 
von  Paratyphus  N  braucht  man  die  50 fache  Konzentration 


H  Zschr.  f.  Hyg.  64.  S.  113—142. 

,  '  Bechhold  und  Ehrlich:  Beziehungen  zwischen  chemi¬ 

scher  Konstitution  und  Desinfektionswirkung.  Zschr.  f.  physiol.  Chem. 

47.  S.  173—199. 

•  r,  ^  habe  bier  nur  ^‘e  Entwicklungshemmung  notiert,  da  diese 
sich  sehr  übersichtlich  wiedergeben  lässt.  Die  Abtötungszeit  ist 

etwas  komplizierter. 

Nr.  37. 


wie  bei  Diphtheriebazillen.  Viel  grösser  aber  ist  der  Unter¬ 
schied  bei  Tri-  und  Tetrabromnaphthol;  hier  werden  Di- 
phtheriebazillen  bereits  durch  den  250.  Teil  der  Substanz¬ 
menge  geschädigt,  die  für  Paratyphus  N  erforderlich.  _  Der 

Chemiker  versteht  unter  „Konzentration“  das  Molekular¬ 
gewicht  in  Grammen  gelöst  in  1  Liter.  Zieht  man  diese  „Kon¬ 
zentration“  in  Betracht,  so  bekommt  man  Zahlen,  die  ich  als 
„molekulare  Desinfektion“  (1.  c.)  bezeichnet  habe. 
Diese  Zahl  gibt  an,  wieviel  Molekeln  einer  Substanz  erforder¬ 
lich  sind,  wenn  der  gleiche  Effekt  erzielt  werden  soll  wie  mit 
1000  Molekeln  Kresol. 


Molekulare  Desinfektion  bei  Paratyphus 
Kresol  iooo 

Tribromnaphthol  70 

Tetrabromnaphthol  115 


Diphtheriebazillen 

1000 

3,4 

2,8 


Hier  tritt  die  spezifische  Wirkung  des  Tri-  und  Tetrabrom¬ 
naphthol  gegen  Diphtheriebazillen  noch  markanter  hervor.  Sie 
•ist  aber  nicht  spezifisch  wie  die  eines  Lysins  oder  Agglutinins, 
sondern  sie  dehnt  sich  auf  eine  gewisse  Gruppe  von  Mikro¬ 
organismen  aus,  in  diesem  Fall  auf  Staphylokokken,  Strepto¬ 
kokken  und  Diphtheriebazillen.  Aus  diesem  Grund  wurden 
solche  Desinfizientia  „h  a  1  b  s  p  e  z  i  f  i  s  c  h“  genannt. 


Staphylo¬ 

kokken 


Strepto-  Diphtherie¬ 
kokken  bazillen 


Paratyphus 

N. 


Bacterium 

coli 


Lysol  (auf  den  Kresol- 

gehalt  bezogen)  ...  1 

/?-Naphthol  ...  1 

Chlor-^-Naphthol  ...  1 

Dichlor-/S-Naohthol  .  l 

Trichlor-y3-Naphthol  .  1 

Brom-/?-NaphthoI  .  .  1 

Dihrom-/j-Naphthol  .  .  l 

Tribrom-/J-Naphthol  .  1 

Tetrabrom-/?-Naphthol  .  1 

Pentabrom-/(-NaphthoI .  1 

Die  Zahlen  bezeichnen 
entwicklungshemmend  wirken 


3000 
6000 
2«  000 
40000 
50000 


1  :  10000 
1  : 8000 
1  : 20  000 
1  :  30000 
ca.  1  :  20000 


20000  jca.  1:20000 
80000  ca.  1  :  20000 
250000  1  ;  60000 

250000  1:60000 

50  000  ca.  I:40u00 


1  : 20000 
1  :  10000 
1  :  10000 
1  : 20000 
1  : 20000 


1  :  10000  1  :  4000  1  :  8000 

1:40(100  1:4000  1:32000 

1:400003  1  :  lnüO  1:1300 

1:200000  1:800  1:800 

1  :  150C00  1  :  800  1:400 

die  höchste  Verdünnung,  in  der  die  betr  Substanzen  noch 
1  Zum  Vergleich  ist  Kresol  (Lysol)  herangezogen. 


1  :  400 
1  :  4000 
1  .  4000 
1  :  4000 
1  :  400 


1  :  800 
1  :  8000 
1  :  12000 
1  :  16000 
1  :  >  20000 


Durchmustern  wir  unsere  Tabelle,  so  finden  wir  ausser 
der  erwähnten  halbspezifischen  Wirkung  des  Tri-  und  Tetra¬ 
bromnaphthol  gegen  Staphylokokken,  Streptokokken  und 
Diphtheriebazillen  noch  eine  ähnliche  halbspezifische  Wirkung 
von  Dibrom-ß-Naphthol  gegen  Bacterium  coli.  Unsere 
Reihenversuche  zeigen  uns  ferner,  dass  diese  halbspezifische 
Eigenschaft  nicht  plötzlich  bei  einer  chemischen  Substanz  er- 
i  eicht  wiid,  sondern  dass  sie  das  Resultat  einer  sukzessiven 
Veränderung  ist,  deren  Optimum  eben  den  halbspezifischen 
Körper  darsteüt.  Am  schönsten  zeigt  dies  die  Bromreihe  an 
Diphtheriebazillen.  Hier  steigt  die  Desinfektionswirkung  mit 
Eintritt  je  eines  Bromatoms  in  den  Naphtholkern  von  1:  10  000 
auf  1:40  000,  erreicht  im  Tribromnaphthol  sein  Optimum  mit 
1  . 400  000,  um  dann  mit  Eintritt  weiterer  Bromatome  auf 
1  :  200  000  und  1  :  150  000  zu  sinken. 

Im  Gegensatz  zu  den  halbspezifischen  Desinfektions¬ 
mitteln  stehen  die  allgemeinen  Desinfizientia,  für  welche 
Kresol  typisch  zu  sein  pflegt:  ihre  Wirkung  erreicht  keine  auf¬ 
fallende  Höhe,  aber  sie  wirken  so  ziemlich  auf  jeden  Mikro¬ 
organismus.  Noch  viel  typischer  als  allgemeines 
Desinfiziens  und  dabei  von  höherer  Wirkung  als  Kresol 
erweist  sich  das  Chlor-ß-Naphthol.  Während  bei 
Kresol  der  Unterschied  in  der  Empfindlichkeit  zwischen  Di¬ 
phtheriebazillen  und  Paratyphus  noch  fünfzigfach,  ist  er  bei 
Chlornaphthol  nur  mehr  234  fach. 

Um  diese  Ergebnisse  auf  eine  noch  breitere  Grundlage 
zu  stellen,  habe  ich  zwei  besonders  resistente  Bakterien  ge¬ 
wählt,  Pyozyaneus  und  Tuberkelbazillen,  und  an 

1 


1930  MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  _  Nr.  37. 


ihnen  die  beiden  Antipoden,  Monochlor-^-Naphthol  und  1  ri- 
brom-^-Naphthol  geprüft 4).  —  Monochlornaphthol 

wirkte  gegen  Pyozyaneus  noch  in  einer  Verdünnung 
1:2000  entwicklungshemmend5),  während  Tribrom- 
naphthol  selbst  bei  1  :  1000  keinerlei  Wirkung  hat.  —  Eine 
Tuberkelbazillenemulsion  wurde  von  2X>  proz.  Monochlornaph- 
thollösung  in  der  Zeit  von  >  2X  Stunden  und  <  8  Stunden  ab¬ 
getötet,  während  eine  Tribromnaphthollösung  gleicher  Kon¬ 
zentration  selbst  bei  25  ständiger  Einwirkung  nicht  die  ge¬ 
ringste  Verminderung  der  Virulenz  bewirkte. 

Prüfen  wir  von  dem  hier  dargelegten  Gesichtspunkte  die 
Ergebnisse  früherer  Forscher,  so  finden  wir,  dass  eigentlich 
kein  chemisches  Desinfektionsmittel  als  ein  allgemein  gleich- 
mässiges  anzusprechen  ist,  dass  allen  eine  „Zehntel-  oder 
Hundertstelspezifität“  innewohnt.  Aber  so  markante  Unter¬ 
schiede  wie  zwischen  Monochlornaphthol  und  Tribromnaph- 
thol  waren  doch  bisher,  selbst  unbewusst,  nicht  zu  ver¬ 
zeichnen.  Monochlornaphthol  wirkt  fast  gleichmässig  auf  alle 
untersuchten  Mikroorganismen,  auf  die  empfindlichen  Strepto¬ 
kokken  wie'  auf  die  ungemein  resistenten  Tuberkelbazillen. 
Tribromnaphthol  hat  auf  letztere  nicht  den  mindesten  Einfluss, 
schädigt  hingegen  die  als  resistent  angesehenen  Staphylo¬ 
kokken  selbst  noch  in  einviertelmillionenfacher  Verdünnung. 
Ja  sogar  die  bisher  als  resistenteste  Keime  geltenden  Milz¬ 
brandsporen  werden  von  1  proz.  Tribromnaphthollösung 
binnen  2  Stunden  bis  auf  wenige  Keime  vernichtet6). 

Die  Halbspezifität  des  Tribromnaphthols  legte  es 
nahe,  weitere  Vorversuche  behufs  event.  medizinischer  Ver¬ 
wendung  zu  machen,  zumal  auch  F.  G  o  e  b  e  1 ')  bei  anderer 
Prüfungstechnik  zu  dem  Ergebnis  gekommen  war,  dass  „Tri- 
brom-/LNaphthol“  zweifellos  ein  vorzügliches  Desinfektions¬ 
mittel  ist,  das  rasch,  sicher  und  regelmässig  wirkt,  wenn  man 
es  nicht  schwächer  als  in  1  proz.  Lösung  anwendet.  Die  unter¬ 
suchten  Erreger  tötet  es  binnen  einer  Minute  zuverlässig  ab." 

Der  Tierversuch  zeigte,  dass  es  praktisch  ungiftig  ist. 
—  Stabsarzt  Lehmann8)  und  Verfasser  nahmen  das 
Pulver  messerspitzenweise  ein,  ohne  irgendwelche  Erschei¬ 
nungen  zu  konstatieren.  —  Im  Gegensatz  zu  Naphthol,  sämt¬ 
lichen  Chlornaphtholen  und  dem  Mono-  sowie  Dibromnaphthol 
wirkt  es  nicht  hämolytisch. 

Dies  Verhalten  gab  sogar  ein  wichtiges  analytisches 
Mittel  an  die  Hand,  um  den  event.  Gehalt  von  Tri¬ 
bromnaphthol  an  Dibromnaphthol  zu  bestim- 
m  e  n.  Vermittels  der  hämolytischen  Methode  ist  es  möglich, 
noch  einen  Gehalt  von  0,5  Proz.  Dibromnaphthol  zu  erkennen 
und  1  Proz.  deutlich  nachzuweisen.  —  Dieser  Nachweis  ist 
praktisch  von  Bedeutung,  weil  Dibromnaphthol  die  Haut 
reizt. 

Wichtig  ist  auch,  dass  Tribromnaphthol  Leukozyten 
nicht  verändert,  dass  es  die  Phagozytose  (Versuche  an 
Staphylokokken)  nicht  beeinträchtigt,  ja  dass  sogar 
bei  der  Phagozytose  einige  Tribromnaphtholkriställchen  mit- 
phagozytiert  wurden.  Dies  beweist,  dass  Tribromnaphthol  in 
einer  Verwendung  bei  septischen  Wunden  etc.  die  Selbsthilfe 
des  Organismus  durch  Phagozytose  nicht  hindert  (im  Gegen¬ 
satz  zu  den  meisten  gebräuchlichen  Wundantisepticis). 

Versuche  an  Hunden  wurden  durch  die  Herren  Stabs¬ 
arzt  B  e  t  h  k  e  und  Dr.  Flamm  (Chir.  Klinik  des  städt.  Kran¬ 
kenhauses  zu  Frankfurt  a.  M.,  Direktor  Geh.  Med.-Rat  Prof. 
Dr.  Reim)  ausgeführt.  Es  wurden  am  Nacken  durch  Abschä¬ 
lung  der  Epidermis  Wunden  gesetzt.  Diese  wurden  teils  mit 
Staphylokokken,  teils  mit  Schmutz  aus  Stubenkehricht  in¬ 
fiziert.  In  anderen  Fällen  wurde  vor  der  Infektion  der  Muskel 

'■)  Die  ausführlichen  Daten  nebst  darauf  bezüglichen  Unter¬ 
suchungen  von  rein  wissenschaftlichem  Interesse  erscheinen  später 
in  der  Zschr.  f.  Hyg. 

5)  Es  erweist  sich  somit  auch  dem  Kresol  weit  überlegen,  das  bei 
1:1000  noch  nicht  die  geringste  Entwicklungshemmung  von  Pyo¬ 
zyaneus  bewirkt. 

°)  Auf  die  Ursachen  (Theorie)  der  Halbspezifität  werde  ich  in 
einer  späteren  ausführlichen  Publikation  zurückkommen  und  dort  auch 
auf  die  interessante  Arbeit  von  Eisenberg  eingehen,  welcher  auf 
Grund  meiner  ersten  Veröffentlichung  zahlreiche  Substanzen  (ins¬ 
besondere  Farbstoffe)  auf  Halbspezifität  untersucht  hat. 

7)  Inaug.-Diss.  (Ueber  Desinfektion  mit  Sublimat  und  Tribrom- 
/?-Naphthol),  München  1913. 

8)  Beitr.  z.  klin.  Chir.  74.  S.  22 3 


unter  der  Epidermis  zerfetzt  (Quetschwunde).  Schliesslich 
wurden  mit  dem  Thermokauter  Brandwunden  zweiten  und 
dritten  Grades  erzeugt.  Zum  Vergleich  wurde  stets  eine 
Wunde  steril  verbunden,  die  andere  mit  Tribromnaphthol  be¬ 
handelt.  —  Zusammenfassend  sei  gesagt,  dass  die  Tribrom- 
naphtholwunden  keinerlei  Reizerscheinungen  zeigten,  sich 
schneller  reinigten  und  meist  weniger  sezernierten,  als  die 
steril  behandelten  Wunden,  die  meist  speckig  belegt,  spiegelnd 
waren,  oder  ein  serös  eitriges  Exsudat  ausschieden.  —  Be¬ 
sonders  auffallend  war  die  kräftige  Anregung  der 
Granulationsbildun g.  Allerdings  empfahl  es  sich, jnit 
der  Behandlung  aufzuhören,  sobald  die  Wunde  mit  Granu¬ 
lationen  bedeckt  war,  da  die  Epithelisierung  nicht  weiter  ge¬ 
fördert  wurde. 

Ueber  klinische  Resultate,  insbesondere  bei  der  Wund¬ 
behandlung,  werden  im  folgenden  die  Herren  Geh.  Rat 
Prof.  Dr.  Leser  und  Dr.  Ziegler  berichten.  Hier  sei  nur 
erwähnt,  in  welcher  Richtung  auf  Grund  klinischer  An¬ 
wendung  seitens  anderer  Aerzte  das  Tribromnaphthol  [Pro- 
vidoform  ")]  Vorzüge  vor  anderen  bisher  verwandten  Mitteln 
besitzt  und  wo  neue  therapeutische  Möglichkeiten  sich  zeigen. 
Dabei  ist  zu  wiederholen,  dass  es  ein  halbspezifisch  es 
äusseres  Desinfiziens  ist,  dessen  Wirkung  sich  be¬ 
sonders  gegen  Kokken,  insbesondere  Eitererreger,  richtet.  Von 
den  Herren  Dr.  med.  Kirchberg,  Geh.  Med.-Rat  Prof. 
Dr.  Leser,  Geh.  Sanitätsrat  Prof.  Dr.  med.  Neubürge r, 
Prof.  Dr.  med.  V  o  s  s10)  und  Dr.  med.  August  Weber  werden 
sehr  befriedigende  Erfolge  über  die  Verwendung  der  5  proz. 
alkoholischen  Lösung  gegen  Furunkulose  berichtet.  Be¬ 
sonders  wird  betont,  dass  bei  Einpinselung  der  Umgebung 
die  so  lästigen  Rezidive  vermieden  werden.  —  Bei  der  Des¬ 
infektion  des  Operationsfeldes  dürfte  die  5  proz.  alkoholische 
Lösung  von  Tribromnaphthol  (Providoformtinktur)  berufen 
sein,  die  oft  reizende  und  unangenehm  färbende  Jodtink¬ 
tur  zu  ersetzen.  —  Schliesslich  sei  noch  erwähnt,  dass  bei 
der  Desinfektion  von  Instrumenten  und  Geräten  in  der  wässe¬ 
rigen  Lösung  diese  keinerlei  Schädigungen  erfahren. 

Es  ist  in  obigem  dargelegt  und  wird  in  den  folgenden  Auf¬ 
sätzen  der  Herren  Leser  und  Ziegler  weiter  gezeigt,  dass 
wir  ein  halbspezifisches  äusseres  Desinfiziens 
gefunden  haben,  das  sich  durch  seine  hohe  Wirkung,  Ungiftig- 
und  Reizlosigkeit,  Geruchlosigkeit  und  geringen  Preis  aus¬ 
zeichnet  und  berufen  ist,  auf  den  verschiedensten  Gebieten, 
insbesondere  aber  der  Wundbehandlung,  bisherige  weniger 
wirksame  Substanzen  mit  teilweise  unangenehmen  Neben¬ 
eigenschaften  zu  ersetzen. 


Chirurgische  Erfahrungen  mit  Providoform. 

Von  Geh.  San.-Rat  Prof.  Dr.  Leser  in  Frankfurt  a.  M. 

Im  Jahre  1912  wurde  ich  mit  dem  von  Bechhold  ge¬ 
fundenen  halbspezifischen  Desinfiziens  Tribromnaphtol 
bekannt,  welches  jetzt  unter  dem  Namen  Providoform 
in  den  Handel  kommt* *).  Es  ist  ein  schwach  gelbliches,  geruch- 
und  geschmackloses  Pulver  (Providoformstreupulver),  das 
sich  in  Alkohol  leicht  löst  (Providoformtinktur)  und  aus  dem 
auch  ein  das  Sekret  gut  aufsaugender  und  leicht  ablösbarer 
Mull  hergestellt  wird.  Schliesslich  bringt  die  Providolgesell- 
schaft  auch  eine  2  proz.  wässerige  Lösung  in  den  Handel, 
die  sich  mit  Wasser  verdünnt,  zum  Auswaschen  von  Wunden, 
Ausspülungen,  sowie  zur  Desinfektion  von  Instrumenten 
eignet.  Das  Präparat,  welches  mir  von  Kollegen  Bechhold 
zur  Prüfung  gegeben  wurde,  interessierte  mich,  da  seine  Un¬ 
giftigkeit,  Geruchlosigkeit,  neben  höchster  Desinfektions¬ 
wirkung  gegen  Eitererreger  Eigenschaften  in  sich  vereinigt, 
die  für  die  Chirurgie  wertvoll  werden  konnten,  wenn  es  sich 
in  der  Klinik  als  brauchbar  erwies. 


fl)  Das  Tribromnaphthol  wird  unter  dem  Namen  Provido¬ 
form  von  der  Providol-Gesellschaft,  Berlin  NW.  21.  Alt- 
Moabit  104,  in  den  Handel  gebracht.  Sie  gibt  es  in  Form  von  Streu¬ 
pulver,  Mull,  Tinktur  (5  proz.  alkoholische  Lösung)  und  in  wässriger 
Lösung  ab. 

10)  Prof.  Dr.  Voss  bereitet  eine  Publikation  darüber  vor. 

*)  Es  wird  hergestellt  von  der  Providol-Gesellschaft, 
Berlin  NW.  21,  Alt-Moabit  104. 


.  September  1914. _ MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


lcli  habe  deshalb  das  Providoform  in  meiner  Praxis  an¬ 
wand!  und  wende  es  auch  jetzt  in  geeigneten  Fällen  an. 

Aus  meinen  Protokollen  greife  ich  einige  heraus,  welche 
r  besonders  typisch  erscheinen: 

1.  E.  Flächenhafte  Quetschwunde  am  Ellenbogen  und  Unterarm 
markierende  handtellergrosse  Druckgangrän  der  Haut.  Die  YVimd- 
he  ist  mit  schmierigen,  missfarbenen  Massen  belegt.  Nachdem 
ividoformstreupulver  angewendet  wird,  erfolgt  sehr  schnell  eine 
nigung  der  YYundfläche  und  es  erscheint  ein  mit  roten  Granula- 
len  besetzter  Grund. 

-■  frauH.  Kleinhandtellergrosse  unregelmässig  zackig  be- 
nzte  W  lindfläche  über  dein  Brustkorb  nuch  uusjöcbi^er  Aus- 
tzuug  und  Ausmeisselung  von  abszedierenden  Herden  im  Sternum 
I  den  Kippenansätzen.  Entfernung  von  eitrigen  YVuche- 
gen  in  dem  Muskel-  und  Unterhautzellgewebe.  Die  Wundfläche 
eruiert  stark  und  ist  init  missfarbenen,  gelblich-grünen  Eiter- 
'sen  bedeckt.  Nach  Anwendung  von  Providolstreupulver  schnelle 
nigung  der  YY'unde.  Es  erscheint  ein  frisch  geröteter,  gereinigter 
nd  mit  spärlichen  Granulationen. 

d.  Herr  Bl.,  Kaufmann.  Schmutzig  belegtes  Narbenulcus  am 
:ten  Unterschenkel,  das  schon  wochenlang  seiner  Wrnarbung 
ersteht.  Nachdem  3  mal  je  2  I  age  hintereinander  Providoform- 
upulver  aufgestreut  ist,  reinigte  sich  die  Geschwürsfläche  ver- 
iusmassig  schnell  und  schickte  sich  zur  raschen  Vernarbung  an 

4.  Fr!.  Ei.  Operierte  alte  Osteomyelitisnarbe  in  */»- Länge  des 
’ten  Unterschenkels,  die  auf  der  Knochenfläche  fixiert  ist.  Da  sich 
l  der  Exzision  der  Narbe  trotz  plastischer  Lösung  der  Ränder  die 
teren  nicht  primär  schliessen,  kommt  es  zu  einer  allmählichen  De- 
enz  der  Wundränder,  kompliziert  durch  randständige  Nekrosen, 
.‘ti  sich  Suppuration  anschloss.  Einige  Providoformumschläge  — 
mir  gesandte  Lösung  wurde  in  der  10  fachen  Menge  Wasser  nach 
schrift  verdünnt  —  genügten,  um  nicht  nur  relativ  schnelle  Ab- 
sung  der  nekrotisierten  Wundränder  zu  bewirken,  sondern  vor 
r,  die  Eiterung  sehr  schnell  zu  vernichten. 

5.  Auch  bei  inzidierten  Furunkeln  und  Panaritien,  die  sich  nur 
sam  reinigten,  wurde  ein  etwas  schnellerer  Erfolg  bei  Anwendung 
Providoform  beobachtet.  Diese  letztgenannten  Fälle  sind  natiir- 
irweise  nicht  einzeln  erörtert. 

Fasse  ich  mein  Urteil  zusammen,  so  halte  ich  Providoform 
ein  Präparat,  das  besonders  bei  eiternden  Wunden, 
nutzig-schmierig  belegten  Geschwiirsflächen,  hartnäckig 
rnden  Stellen  der  Haut  und  langsam  heilenden  Abszessen 
günstig  wirkt  und  die  Bildung  von  gesunden  Granu- 
men  kräftig  anregt.  Sehr  zu  bedauern  ist,  dass  sich  die 
ungen  kaum  länger  als  24  Stunden  halten,  sondern  eine 
setzung  eintritt,  die  das  Präparat  unbrauchbar  macht.  Um 
oedauerlicher  ist  dieses,  da  sich  erfahrungsgemäss  bei  der- 
t  eitrigen  Defekten  feuchte  Verbände  besonders  eignen, 
h  meiner  Ansicht  kann  es  jedoch  einer  Frage  nicht  unter¬ 
en,  dass  Providoform  ein  kräftiges,  pathogene  Mikro- 
inismen  abtötendes,  auch  ihre  Stoffwechselprodukte  un- 
dlich  machendes  Mittel  ist,  das  ich  in  derartigen  Fällen, 
oben  skizziert,  gerne  appliziere. 


Meine  Erfahrungen  mit  Providoform. 

Dr.  J.  Ziegler,  prakt.  und  Bahnarzt  in  Kiefersfelden. 

Im  Jahre  1909  u.ff.  stellte  mir  Herr  Prof.  Dr.  Bechhold- 
«kfurt  a.  M.  eine  grössere  Menge  Providoform*)  zu 
uchen  in  der  ärztlichen  Praxis  zur  Verfügung. 

Die  Resultate,  die  damals  und  in  der  darauf  folgenden 
im  allgemeinen,  namentlich  aber  bei  der  Behandlung  von 
den  und  deren  Folgen  erzielt  wurden,  ermutigten  zu  einer 
edehnteren  Erprobung  dieses  neuen  Desinfektionsmittels. 
Ri  war  es  nicht  uninteressant,  bei  der  Vielgestaltigkeit  der 
'ichen  lätigkeit  eines  praktischen  Arztes  auf  dem  Lande 
der  wahllosen  Aufeinanderfolge  der  einzelnen  Krankheits- 
zu  beobachten,  inwieweit  dieses  Mittel  gewissermassen 
1  universellen  Anwendung  fähig  ist. 

.s  besteht  ein  gewaltiger  Unterschied  einerseits  zwischen 
1  nassnahmen  in  einer  chirurgischen  Klinik  und  andererseits 
Tdinationszimmer  des  praktischen  Arztes.  Letzterer  hat  in 
•ter  Folge  jetzt  eine  gewöhnliche  Angina,  dann  eine 
isis  pulmonum,  dann  ein  Panaritium,  darauf  eine  gynäko- 
che  Untersuchung  unter  den  Händen,  und  es  ist  klar,  dass 

)  Providoform  ist  die  Handelsbezeichnung  für  Tribromnaplitol. 
ts l  von  der  Providol-Gesellschaft,  Berlin  NW.  21, 

;  oabjt  104  als  Providoformstreupulver,  Providoformmull,  5  proz. 
otormtinktur  und  Providoform  (wasserlöslich)  in  den  Handel 


1931 


bei  solchem  Betriebe  schon  aus  Mangel  an  Zeit  die  strengen 
Forderungen  der  Klinik  in  bezug  auf  Antisepsis  und  Asepsis 
oft  unausführbar  und  unerfüllt  bleiben  müssen.  Wenn  es 
daher  gelänge,  durch  ein  einfaches  Verfahren  diese  Mängel 
nach  Möglichkeit  auch  in  der  Sprechstundenpraxis  zu  be¬ 
seitigen,  so  wäre  damit  für  das  Handeln  des  Arztes  und  seine 
zu  erwartenden  Erfolge  viel  gewonnen. 

Aus  der  Publikation  von  Bechhold  wissen  wir,  dass 
das  1  ribrom-/?-Naphthol  noch  in  1  proz.  Lösung  die  Eiter¬ 
ei  reger,  Staphylokokken  und  Streptokokken  innerhalb  einer 
Minute  abtötet  und  in  einer  Verdünnung  von  1:400  000  in 
ihrer  Entwicklung  hemmt.  Bechhold  hat  daraufhin  ein 
Verfahren  ausgebildet  (1.  c.),  das  in  der  Tat  geeignet  erscheint, 
die  Haut  absolut  keimfrei  zu  machen. 

Zur  desinfekto  rischen  Vorbereitung  der 
Haut  des  Patienten  bei  chirurgischen  Eingriffen  hat  die 
Grossich  sehe  Methode  mittels  Bepinselung  der  Haut  mit 
Jodtinktur  namentlich  bei  den  praktischen  Aerzten  weite  Ver¬ 
breitung  und  Anerkennung  gefunden.  Die  diesem  Verfahren 
anhaftenden  Mängel,  wie  Bräunung  der  Haut,  die  keine  Venen 
durchscheinen  lässt,  Reizung  der  Haut  besonders  bei  Frauen 
und  Kmdern  mit  zartem  Teint,  Entstehung  von  Jodekzem,  die 
j  r  Patienten,  Arzt  und  Assistenz  oft  lästige  Entwicklung  von 
Joddämpfen  etc.  können  meines  Erachtens  vollständig  ver- 
mieden  werden,  wenn  man  statt  der  Jodtinktur  alkoholische 
Providoformtinktur  auf  die  Haut  streicht.  Dabei  wird,  che¬ 
misch  reines  Providoform  vorausgesetzt,  die  Haut  gar'  nicht 
gereizt,  das  Operationsfeld  bleibt  völlig  ungefärbt,  die  Wäsche 
wird  durch  daneben  laufende  Providoformlösung  nicht  be¬ 
schmutzt,  die  ganze  Prozedur  ist  geruchlos  und  belästigt  nicht 
die  Atmungsschleimhäute  des  Patienten  und  seiner  Umgebung. 
Ich  habe  unter  diesem  Verfahren  stets  Heilung  per  primam 
bei  reinen  Wunden,  meist  auch  bei  infizierten  Fällen  gesehen. 

Handelt  es  sich  um  stark  verunreinigte  Wunden, 
imi  Eiterherde  (Abszesse,  Furunkeln),  so  sah  ich  in  einer 
überaus  grossen  Anzahl  von  Fällen,  die  sich  der  bisherigen 
Behandlung  gegenüber  (mit  Sublimat,  Vioform,  Airol  u.  a.)  re¬ 
fraktär  verhalten  hatten,  bei  Anwendung  von  Providoform  oft 
eine  eklatante  Wendung  zur  Besserung.  In  solchen  Fällen 
streue  ich  Providoformstreupulver  in  Substanz  auf  die  vorher 
möglichst  vom  Eiter  befreiten  Wundflächen  auf  und  verbinde 
mit  steriler  Gaze  und  Watte.  Es  hat  sich  dabei  gezeigt,  dass 
im  Verlaufe  von  mehreren  Tagen  von  dem  aufgestreuten  Pro¬ 
vidoform  nur  sehr  geringe  Mengen  von  der  Wunde  aus  gelöst 
und  resorbiert  wurden,  so  dass  es  praktisch  und  ausreichend 
erscheint,  wenn  man  die  Wunde  und  ihre  nächste  Umgebung 
nur  ganz  leicht  mit  Providoformpulver  bepudert.  Dieses  Be- 
pudern  ist  besonders  vorteilhaft  bei  ausgedehnten  Brand¬ 
wunden,  wo  bei  der  Ungiftigkeit  des  Providoform  selbst 
bei  sehr  grossen  Wundflächen  eine  Intoxikation 
absolut  nicht  zu  befürchten  ist.  Auch  hatte  ich 
den  Eindruck,  dass  Providoform  die  Granulation  s- 
bildung  wesentlich  anrege  und  dadurch  den  Heilungsver¬ 
lauf  beschleunige.  Gleiches  gilt  für  die  Behandlung  der  auf 
dem  Lande  so  weit  verbreiteten  Unterschenkel¬ 
geschwüre,  die  dem  praktischen  Arzte  ein  dankbares 
Feld  seiner  Tätigkeit  bieten. 

Weniger  eindeutige  Erfolge  hatte  ich  bei  der  Behandlung 
unterleibskranker  Frauen,  wo  ich  in  der  sogen,  kleinen 
Gynäkologie  (Fluor,  Erosion  der  Portio,  Endometritiden) 
mit  dem  Providofonn  vor  anderen  gebräuchlichen  Mitteln 
keinen  in  die  Augen  fallenden  Vorsprung  konstatieren  konnte. 

Dagegen  war  ich  mit  der  Wirkung  des  Providoform  aus¬ 
gezeichnet  zufrieden  bei  vielen  Fällen  von  Stomatitis, 
Rhinitis,  Angina,  selbst  Diphtherie,  in  welchen  Fällen  ich  eine 
1  proz.  alkoholisch-wässerige  Providoformlösung  mittels  eines 
feinen  Zerstäubers  applizierte.  Das  durch  den  Alkohol  er¬ 
zeugte  Brennen  auf  den  Schleimhäuten  war  nur  von  kurzer 
Dauer  und  wurde  selbst  von  Kindern  ertragen.  Hier  möchte 
ich  bemerken,  dass  es  mir  für  solche  Fälle  sehr  wünschens¬ 
wert  erschien,  eine  rein  wässerige  Providoformlösung  zu  be¬ 
sitzen  (gewöhnliches  Providoform  ist  in  Wasser  praktisch  un¬ 
löslich).  Herr  Prof.  Dr.  Bechhold  übersendete  mir  auf  An¬ 
frage  eine  von  ihm  zu  diesem  Zwecke  hergestellte  10  proz. 
wässerige  Lösung.  Diese  Lösung  muss  für  den  jeweiligen 

1* 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Gebrauch  immer  frisch  bereitet  werden.  Ist  dies  schon  ein 
Nachteil,  so  hat  sich  ausserdem  herausgestellt,  dass  selbst  eine 
1  proz.  wässerige  Lösung  sowohl  die  Schleimhäute  wie  auch 
Wunden  stark  reizt. 

Wahrhafte  Triumphe  feiert  das  Providoform  bei  der  Be¬ 
handlung  von  Eiterungen  aus  dem  äusseren  Gehör- 
g  a  n  g,  ja  selbst  bei  Mittelohreiterungen.  Genügt  es, 
bei  Eiterungen  im  äusseren  Gehörgang  nach  dessen  sorg¬ 
fältiger  Reinigung  eine  lnsufflation  mit  feinstem  Providoform- 
streupulver  (ähnlich  wie  mit  Borsäure)  zu  machen,  so  sah  ich 
bei  Mittelohreiterung  nach  spontaner  Perforation  oder  Para¬ 
zenthese  des  Trommelfells  eine  in  die  Augen  springende  Ab¬ 
kürzung  der  Eiterungsdauer  bei  folgendem  Verfahren:  Sterile 
Verbandgaze  wird  in  ca.  1  cm  breite  und  10  cm  lange  Streifen 
geschnitten  und  in  10  proz.  rein  alkoholische  Providoform- 
lösung,  der  eine  geringe  Menge  Giycerinum  puriss.  beigefügt 
war,  getaucht  und  trocknen  lassen.  Der  geringe  Glyzerin¬ 
zusatz  erhält  die  Providoformgaze  nach  dem  Trocknen  leicht 
hygroskopisch  und  bewirkt,  dass  das  Providoform  in  feinster 
Verteilung  besser  an  der  Gaze  haften  bleibt.  Man  reinigt  nun 
das  erkrankte  Ohr,  soweit  möglich,  mit  sterilen  Wattetupfern, 
füllt  den  äusseren  Gehörgang  mit  3  proz.  Wasserstoffsuper¬ 
oxydlösung  an,  wartet  bis  keine  Gasbläschen  mehr  durch  Ab¬ 
spaltung  von  Sauerstoff  sich  entwickeln,  lässt  die  Lösung  aus- 
laufen,  tupft  den  Gehörgang  mit  steriler  Watte  trocken  und 
stopft  ihn  lose  mit  einem  Streifen  Providoformmull  aus,  indem 
man  sich  bemüht,  damit  möglichst  nahe  an  das  Trommelfell 
heranzukommen.  Ueber  das  Ohr  kommt  dann  noch  ein 
Schutzverband  aus  Watte.  Es  ist  erstaunlich,  wie  rasch  bei 
diesem  Verfahren  der  übelriechende  Ausfluss  sich  vermindert 
und  bald  ganz  sistiert. 

Fasse  ich  meine  Erfahrungen  mit  Providoform  (Bech- 
h  o  1  d)  zusammen,  so  möchte  ich  folgendes  sagen: 

1.  Das  Gro  ss  ich  sehe  Verfahren  der  Hautdesinfektion 
mittels  Jodtinkturanstrich  vor  operativen  Eingriffen  lässt  sich 
zweckmässig  durch  eine  5  proz.  Providoformtinktur  ersetzen, 
wobei  die  unangenehmen  Nebeneigenschaften  des  Jodes  voll¬ 
ständig  vermieden  werden. 

2.  Providoformtinktur  sowohl  wie  auch  Providoformstreu- 
pulver  zeigt  sich  vielfach  bei  allen  jenen  Erkrankungen,  die 
auf  septische  Prozesse  zurückzuführen  sind  (Staphylokokken, 
Streptokokken)  als  wirkungsvoller,  wie  die  bisher  ange¬ 
wandten  Wundlösungen  und  Wundstreupulver.  Insbesondere 
werden  Ohreiterungen  überaus  günstig  beeinflusst. 

3.  Providoform  übt,  wenn  chemisch  rein,  in  Substanz 
keinerlei  Aetzwirkung  auf  Wunden  aus,  es  wirkt  granulations¬ 
fördernd  und  desodorisierend,  ist  geschmack-  und  geruchlos 
und  als  ungiftig  für  den  Organismus  anzusehen. 


Aus  der  Prosektur  der  Landeskrankenanstalten  in  Salzburg. 

Ueber  den  Nachweis  der  Wirkung  spezifischer  Abwehr¬ 
fermente  im  histologischen  Schnitt. 

(Vorläufige  Mitteilung.) 

Von  Prosektor  Dr.  Humbert  Rollet  t. 

Abderhalden  studiert  die  Wirkung  seiner  Abwehr¬ 
fermente  am  Reaktionsgemisch,  indem  er  das  Auftreten  von 
Eiweissabbauprodukten  in  demselben  feststellt.  Meine  Frage¬ 
stellung,  die  sich  auf  die  Abderhalden  sehen  Fest¬ 
stellungen  gründet,  war  die:  „Lässt  sich  vielleicht  auch  durch 
die  mikroskopische  Untersuchung  des  verwendeten  Substrates 
einerseits  ohne  Einwirkung  von  spezifischem  Serum  und 
andererseits  nach  der  Einwirkung  von  solchem  Serum  fest¬ 
stellen,  dass  hier  eine  Einwirkung  von  Fermenten  statt¬ 
gefunden  hat? 

Die  Versuche  wurden  in  folgender  Weise  angestellt.  Ich 
liess  Serum  von  Schwangeren  auf  kleine  gekochte  Plazenta¬ 
stückchen  durch  16  bis  24  Stunden  einwirken.  Ebensolche 
Stücke  wurden  in  der  gleichen  Weise  in  Sera  von  nicht 
Schwangeren,  bzw.  Tiersera  gelegt.  Die  Stückchen  wurden 
hierauf  in  Paraffin  eingebettet,  geschnitten  und  gefärbt.  Es 
zeigte  sich  nun,  dass  die  aus  mit  Schwangerenserum  be¬ 
brüteten  Stückchen  stammenden  Schnitte  von  den  Kontroll- 
schnitten  deutlich  zu  unterscheiden  waren.  Die  Verände¬ 


rungen  bestanden  hauptsächlich  in  einem  stellenweist 
Schwund  der  Kerne,  bzw.  der  Kernfärbbarkeit  im  Zotte 
ektoderm  und  im  Synzytium  sowie  in  den  Proliferationsinsel 
also  im  spezifischen  Gewebe  der  Plazenta.  Dass  die  Plazent 
Stückchen  für  meine  Zwecke  weder  entblutet  werden  musst 
noch  gepresst  werden  durften,  um  ihre  Struktur  nicht  zu  se 
zu  verändern,  sei  nur  nebenbei  erwähnt.  Versuche  mit 
verschiedenen  Härtungsflüssigkeiten  gehärteten  Stückchen  i 
gaben  bisher  noch  keine  einwandfreien  Resultate.  Der  Ve 
such,  Serum  auf  Paraffinschnitte  von  Plazenta  einwirken 
lassen  ergab  keinen  Unterschied  zwischen  dem  Serum  Gr 
vider  und  nicht  Gravider.  Offenbar  greifen  die  Fermente 
solchen  mit  so  verschiedenen  Reagentien  bereits  behandelt 
Substraten  nicht  mehr  an.  Auch  analoge  Versuche  mit  Kret 
serum  und  Krebsgewebe  führten  bisher  nicht  zu  einwandfrei 
Resultaten. 

Ob  die  Methode  als  diagnostische  Reaktion  wird  ang 
wendet  werden  können,  weiss  ich  nicht  anzugeben.  Der  Ui 
stand,  dass  die  Methode  neue  Wege  für  eine  Kombinat! 
serologischer  und  histologischer  Arbeitsmethoden  zu  eröffn 
scheint,  sowie  der,  dass  es  mir  aus  äusseren  Gründen  je 
nicht  möglich  ist,  die  Arbeit  zu  Ende  zu  führen,  veranlass 
mich,  trotzdem  die  Zahl  meiner  Versuche  noch  klein  ist, 
dieser  vorläufigen  Mitteilung.  Die  ausführliche  Publikati 
soll  später  erfolgen. 


Aus  der  Kgl.  Heil-  und  Pflegeanstalt  Arnsdorf  bei  Dresd 
(Direktor:  Obermedizinalrat  Dr.  Schulze). 

Ueber  den  Nachweis  spezifischer  peptolytischer  Fermer 

im  Harn. 

Von  Dr.  med.  Wilhelm  Sagel,  Anstaltsarzt. 

II. 

Die  weiteren  Untersuchungen,  die  ich  nach  der  in  meir 
ersten  Mitteilung  (M.m.W.  1914  Nr.  24,  S.  1331)  veröffentlich! 
Methode  angestellt  habe,  scheinen  das  Vorkommen  spezifiscl 
peptolytischer  Fermente  im  Harn  zu  bestätigen. 

Bei  der  Schwierigkeit,  die  zur  Peptonbereitung  erford 
liehen  grossen  Mengen  von  Organen  nur  durch  Sektionen 
erhalten,  habe  ich  mit  gutem  Erfolge  auch  Tierorgane  ; 
Gewinnung  der  Substrate  benutzt. 

Ich  habe  die  Methode,  um  ihre  Tauglichkeit  zu  prüf 
nur  bei  diagnostisch  klaren  Fällen  angewendet,  und  habe  da 
eindeutige  Resultate  erzielt. 

Ich  benutzte  in  der  Hauptsache  Gemische  von  Abend-  u 
Morgenurin,  möglichst  in  der  Menge  von  etwa  500  ccm. 
auf  rund  15  ccm  im  Vakuum  bei  40 — 45  11  C  eingeengt  wurd 
Sauer  reagierender  Harn  wurde  durch  tropfenweisen  Zus 
von  NaOH  schwach  alkalisch  gemacht.  Beim  Vermiscl 
des  Urins  mit  den  Zusätzen  muss  man  Schaumbildung  i 
Schütteln  vermeiden,  da  offenbar  dadurch  eine  „Inaktivierur 
der  Fermentlösung  stattfindet. 

Bei  jedem  Versuche  wurden  ausser  der  eigentlic! 
Reaktion:  Urin  1,4  T  Peptonlösung  1,0,  noch  als  Konto 
proben  angesetzt:  Urin  1,4  +  physiol.  Kochsalzlösung  1,0  i 
physiol.  Kochsalzlösung  1,4  +  Peptonlösung  1,0,  um  fest 
stellen,  dass  nicht  Urin  oder  Peptonlösung  allein  schon 
Tendenz  zur  Veränderung  der  ursprünglichen  Drehung  böt 
und  ferner  hin  und  wieder  noch:  Urin  1,4  +  „fremdes"  S 
trat  1,0,  d.  h.  ein  Pepton,  dessen  Abbau  durch  das  im  H; 
enthaltene  Ferment  theoretisch  ausgeschlossen  war, 
Plazentapepton  beim  Manne,  oder  Hodenpepton  beim  Mei 

Ich  bezeichne  den  Ausfall  des  Versuches  als  positiv,  wi 
die  eigentliche  Reaktion  innerhalb  von  längstens  48  Stunt 
eine  Drehungsdifferenz  von  mindestens  Vioo  Grad  aufweist,  t 
die  Kontrollen  dabei  ihre  Anfangsdrehung  und  Klarheit 
behalten  haben.  Besonders  die  Proben  Urin  +  physiol.  Ko 
Salzlösung  neigten  wiederholt  zu  Trübungen. 

Es  seien  einige  Beispiele  angeführt: 

Bei  einem  Fräulein,  das  an  schwerer  Lungenschwindsucht 
einer  geringen  sekundären  Demenz  litt,  baute  der  Harn  Schwei 
lungenpepton  aber  nicht  Menschenhirnpepton  ab.  - 

Der  Urin  eines  weit  niedergeführten  aber  lungengesunden 
lytikers  zeigte,  mit  denselben  Peptonen  zusammengebracht,  um 


September  1914. _ MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


t  eine  deutliche  DrehungsänderunK  des  Menschenhirnpeptons 
keine  des  Schweinslungenpeptons.  (Siche  Kurven.) 


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* 

er  Harn  einer  im  7.  Monate  der  Schwangerschaft  stehenden 
bewirkte  mit  Plazentapepton  vom  Rinde  z-usammengebracht 
»rehungsänderung  von  7Ao»  Grad,  der  einer  Wöchnerin  am 
;e  nach  der  Geburt  von  4/ioo  Grad,  während  der  einer  nicht- 
1  ngeren  Frau  sich  indifferent  verhielt.  Leichenurin  von  einem 
i  dessen  Sektion  unter  anderem  Encephalitis  hämorrhagica, 

'  :ulosis  pulmonum  und  Haemorrhagia  pancreatis  aufdeckte,  be- 
einen  Abbau  von  Schweinsaortenpepton,  Schweinslungen- 
und  Rinderpankreaspepton  um  je  6 100  Grad  und  Hess  Rinder¬ 
itapepton  unverändert.  Die  sich  in  der  Encephalitis  haemor- 
T  und  Pankreasblutung  ausdrückende  Gefässschädigung  lässt 
bbau  des  Aortenpeptons  trotz  des  Fehlens  sinnfälliger  Ver- 
ngen  in  der  Aorta  erklärlich  erscheinen.  Auch  der  Urin  eines 
:  tapoplektischer  Demenz  leidenden  Mannes  enthielt  Fermente 
Aortenpepton,  während  solche  im  Harn  einer  gesunden  Frau 
cht  nachweisen  Hessen. 

-r  Urin  eines  Paralytikers  und  eines  Dementia-praecox- 
n  bauten  Stierhodenpepton  ab,  während  bei  einem  tief  nieder¬ 
en  Katatoniker  dieser  Abbau  nicht  beobachtet  wurde. 

h  habe  im  ganzen  bisher  etwa  20  Fälle  mit  den  ver- 
tensten  Peptonen  untersucht.  Ich  bin  mir  bewusst,  dass 
;  Zahl  zur  Entscheidung  einer  so  wichtigen  Frage,  wie 
nach  dem  Vorhandensein  „spezifischer  peptolytischer 
mte  im  Harn“  ist,  eine  Frage,  die  auf  nichts  weniger  als 
Lösung  des  Problems  einer  fast  allgemeinen  Diagnostik 
m  Harn,  zielt,  bei  weitem  nicht  genügt.  Ich  veröffent- 
ber  die  Resultate,  um  zu  ihrer  Nachprüfung  anzuregen, 

•  in  der  nächsten  Zeit  an  der  Weiterarbeit  verhindert  bin. 


is  der  II.  med.  Klinik  der  Universität  München 
(Prof.  v.  Müller). 

lagnostische  Versuche  mit  Luetin-Noguchi, 

Von  Max  C 1  a  u  s  z. 

I  rr  Professor  N  o  g  u  c  h  i  -  New  York  hat  in  liebens- 
-  er  Weise  der  II.  med.  Klinik  neuerdings  sein  für  dia- 
'  ehe  Intrakutanreaktionen  hergestelltes  Spirochäten- 
1  „Luetin  ‘  zur  Verfügung  gestellt.  Trotz  des  allmäh- 
1  Anschwellens  der  Literatur  sind  die  Erfahrungen  mit 
neuen  Hilfsmittel  der  Syphilisdiagnose  noch  nicht  so 
dass  sich  nicht  die  Veröffentlichung  neuer  Unter- 
^sreihen  verlohnen  würde1)-  Gerne  folgte  ich  daher 


der  Anregung  des  Herrn  Privatdozenten  Dr.  K  ä  m  m  e  r  e  r, 
an  geeigneten  Fällen  der  II.  medizinischen  und  der  dermato¬ 
logischen  Klinik  (Prof.  P  o  s  s  e  1 1)  diagnostische  Versuche  mit 
Luetin  anzustellen.  An  dieser  Stelle  möchte  ich  nicht  ver¬ 
säumen,  den  Herren  Assistenzärzten  meinen  verbindlichsten 
Dank  für  die  freundliche  Zuweisung  des  Krankenmaterials 
auszusprechen. 

Von  den  ersten  Untersuchungen  seien  nur  kurz  folgende 
erwähnt: 

191 1  erfolgte  die  Mitteilung  Noguchis  über  die  Spezi- 
itat  semei  neuen  Intrakutanreaktion  für  Syphilis  und  deren 
praktische  Verwertbarkeit.  Er  erhielt  bei  hereditärer  Syphilis 
!n  1  qZ"  bei  tertiärer  in  100  Proz.,  bei  spätlatenter  Lues 
in  )4  Proz.,  bei  I  abes  und  Paralyse  in  60  Proz.  positive 
Luetinreaktion. 

Die  Untersuchungen  von  Nobl  und  Fluss- Wien  aus 
dem  Jahr  1912  sollten  nur  Vorversuche  darstellen  und  er- 
streckten  sich  unter  100  Fällen  hauptsächlich  auf  primäre  und 
sekundäre  Syphilis  ohne  sicher  nichtluetische  Kontrollfälle;  sie 
vermögen  daher  ein  Urteil  über  den  spezifischen  Wert  des 
Luetins  nicht  abzugeben. 

Die  in  Amerika  an  44  Fällen  ausgeführten  Versuche 
Grad  wohls  aus  dem  gleichen  Jahr  ergaben  positive  Reak¬ 
tion  bei  tertiärer  und  bei  spezifisch  behandelter  sekundärer 
Lues  in  100  Proz.,  wechselnde  Reaktion  bei  unbehandelter 
sekundärer  und  bei  latenter  Syphilis;  negativ  fiel  bei  ihm  die 
Luetinreaktion  immer  bei  primärer  Lues  und  bei  Metalues  aus. 

,  Die  ersten  in  Deutschland  an  vorwiegend  innerem  Material' 
(108  Falle)  vorgenommenen  Untersuchungen  stammen  von 
Kämmerer;  sie  ergaben  die  völlige  Ungefährlichkeit  des 
Luetins  für  den  Patienten,  die  Spezifität  für  Syphilis,  die 
Häufigkeit  negativer  Reaktion  bei  sicheren  Luesfällen  gleich 
welchen  Stadiums,  die  Notwendigkeit  einer  14  tägigen  Be- 
obachtungsdauer,  die  Tatsache,  dass  bei  starker  Reaktion  der 
JxT^r^i°nSS^e^e  ^es  Luetins  auch  die  der  Kontrollflüssigkeit 
(Nährbodensubstanz  ohne  Spirochäten)  oft  in  erheblicher 
Starke  mitreagiert.  „Vielleicht,  schliesst  der  Verfasser,  ist  die 
Reaktion  berufen,  als  brauchbare  Ergänzung  des  Komplement¬ 
bindungsverfahrens  und  —  einwandfreie  fabrikmässige  Her¬ 
stellung  und  Konservierung  vorausgesetzt  —  auch  dem 
praktischen  Arzt  als  wertvolles  diagnostisches  Hilfsmittel 
zu  dienen.“ 

In  der  Folgezeit  erschien  nun  eine  wahre  Hochflut  von 
Arbeiten  über  die  Luetinreaktion,  deren  Spezifität  nur  von 
einer  ganz  verschwindenden  Minderheit  bestritten  wurde.  Da 
inzwischen  eine  Arbeit  aus  der  III.  med.  Klinik  in  Bukarest 
von  Nanu-Muscel,  Alexandres  cu-Dersca  und 
F  r  i  e  d  m  a  n  n  in  Nr.  23  der  gleichen  Wochenschrift  erschien, 
welche  die  Ergebnisse  der  meisten  bisher  erschienenen  Ar¬ 
beiten  zusammenstellt,  kann  ich  mich  hier  mit  einem  Hinweis 
darauf  begnügen. 

Wenn  ich  nun  auf  meine  eigenen  Versuche  eingehe,  so 
möchte  ich  vorausschicken,  dass  ich  von  der  gleichzeitigen 
intrakutanen  Injektion  der  Kontrollflüssigkeit  am  anderen  Arm 
des  Kranken  absah,  da  diese  Frage  wohl  als  erledigt  gelten 
darf;  das  Luetin  wurde  unverdünnt  in  einer  Menge  von 
0,07  ccm,  wo  nicht  ausdrücklich  anders  bemerkt,  intrakutan 
injiziert.  Im  übrigen  hielt  ich  mich  an  die  Angaben  Noguchis 
und  benutzte  bei  der  Aufzeichnung  der  Resultate  die  von 
K  ä  tnmerer  angegebenen  Buchstabenzeichen. 

Untersucht  wurden  im  ganzen  111  Fälle;  diese  setzten 
sich  zusammen  aus  71  Luetikern,  10  Syphilisverdächtigen  und 
30  Nichtluetikern.  Diese  „Kontrollfälle“  waren  Kranke  mit: 
Gastroptose,  Gastritis  hyperacida  bzw.  anacida,  Atonia  ven- 
triculi,  Achylie,  Ulcus  ventriculi,  Leberzirrhose,  Kolitis, 
Diabetes  mellitus,  Lumbago,  multiple  Sklerose,  spinale  Muskel¬ 
atrophie,  apoplektische  Beschwerden,  Myelitis  transversa, 
Paralysis  agitans,  vasomotorische  Neurose,  Neuritis,  Hysterie, 
Carcinoma  recti,  Bronchitis,  Pleuritis,  Tuberkulose,  Arthritis 
rheumatica,  Ikterus,  Lupus,  Erythema  multifornie  und 
Gonorrhöe. 

Eine  Gefährdung  des  Patienten  irgendwelcher  Art  trat 
in  keinem  einzigen  Falle  auf:  niemals  wurde  eine  Temperatur- 

')  Eine  ausführlichere  Arbeit  sei  einer  demnächst  erscheinenden 
Dissertation  Vorbehalten. 


1934 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  37 


Steigerung  von  mehr  als  0,3°  (auch  nicht  bei  höheren  Dosen 
von  0,15  ccm,  die  in  5  Fällen  injiziert  wurden)  beobachtet;  da¬ 
gegen  wurde  in  6  Fällen  (Dosis  0,07)  über  leichte  Kopf¬ 
schmerzen  tags  darauf  geklagt,  die  sich  am  folgenden  lag 
wieder  verloren.  In  einem  sehr  stark  positiv  reagierenden 
Fall  (intensive  Rötung,  starke  Infiltration  und  Grosspustel¬ 
bildung)  bei  Dosis  0,15  ccm  (cf.  Nr.  26)  kam  es  bei  einer  auch 
sonst  sehr  empfindlichen  Patientin  zu  einer  ziemlich  schmerz¬ 
haften  Schwellung  der  regionären  Lymphdriisen,  die  3  Tage 
anhielt,  ohne  mit  Temperatursteigerung  einherzugehen.  Da 
Patientin  bestritt,  die  Insertionsstelle  irritiert  zu  haben,  Kon- 
trollfälle  des  gleichen  Tages  in  gleicher  Dosis  aber  negativ 
blieben,  muss  wohl  auch  an  die  Möglichkeit  einer  allergischen 
Reaktion  gedacht  werden.  Komplikationen  anderer  Art  traten 
nie  auf. 


Vo 

positiv 


negativ 


n  8  Fällen  primärer  Syphilis  reagierten: 
mit  Luetin  5  =  62,5  Proz.,  mit  der  Wassermann- 

schen  Reaktion 
„  3  =  37,5  „  mit  der  Wassermann- 

schen  Reaktion 

(Wassermann  fehlt  bei  2  =  25  Proz.) 


4  =  50  Proz. 
2  =  25  „ 


positiv 

negativ 


mit 


positiv 

negativ 


positiv 

negativ 


Von  14  Fällen  sekundärer  Lues: 

Luetin  8  =  57  Proz.,  mit  Wassermann  11  =  78,6  Proz. 
„  6  =  43  „  „  „  1=7  „ 

(Wassermann  fehlt  bei  2=  14,4  Proz.) 

Von  15  Fällen  tertiärer  Lues: 

Luetin  5  =  33  Proz.,  mit  Wassermann  1 1  =  73,3  Proz. 
„  „  10  =  67  „  „  „  4  =  26,7  „ 

Von  9  Fällen  latenter  Lues: 
mit  Luetin  5  =  55,6  Proz.*),  mit  Wassermann  8  =  88,8  Proz.*) 

”  >  ^  ~  »>)>>*  ”  .  .  ,  **s 

„  „  fraglich  r*) 


mit 


Von  22  Fällen  sog.  Metalues: 
positiv  mit  Luetin  16  =  72,7  Proz.,  mit  Wassermann  18  =  81,8  Proz. 
negativ  „  „  6  =  27,3  „  „  „  4=18,2  „ 

V  o  n  3  Fällen  kongenitaler  Syphilis: 
positiv  mit  Luetin  2  =  66,7  Proz.,  mit  Wassermann  3  =  100  Proz. 
negativ  „  „  1  =  33,3  „  „  „ 

Von  10  Fällen  mit  Verdacht  auf  Lues: 
positiv  mit  Luetin  5,  mit  Wassermann  3,  (später  4) 
negativ  „  „  5,  „  „  6,  (später  5) 

Von  30  Kontrollfällen: 

posit.  mit  Luetin  —  mit  Wassermann  1  =  3,3  Proz.,  fragl.  4, 
negat.  „  „  30=  100Proz.,  Wassermann  wurde  nicht  bei  allen 

Kontrollfällen  angesetzt,  obige  5  (frag¬ 
lich  bzw.  pos.)  waren  späterhin  negativ. 

Vor  Ablauf  von  14  Tagen  entzogen  sich  der  Beobachtung  12  Pa¬ 
tienten:  1  Sekundärluetiker,  4  Tertiärluetiker,  1  Spätlatenz,  4  Meta¬ 
lues,  2  Luesverdächtige.  Sie  werden  bei  obiger  Tabelle  mitauf- 
gefiihrt. 

Da  verschiedene  Autoren  über  den  Einfluss  der  spezifisch¬ 
antiluetischen  Behandlung  auf  die  Luetinreaktion  berichten, 
möge  hier  noch  eine  Trennung  der  Fälle  in  unbehandelte  und 
behandelte  mit  Angabe  des  Ausfalles  der  Noguchi-Reaktion 
Platz  finden,  wobei  bemerkt  sei,  dass  die  1  herapie  zumeist 
erst  vor  wenigen  Wochen  einsetzte.  Da  der  Zeitpunkt,  wo 
die  Wasser  m  a  n  n  sehe  Reaktion  vorgenommen  wurde, 
nicht  mit  dem  der  Luetinreaktion  zusammenfiel,  in  einigen 
wenigen  Fällen  auch  die  antisyphilitische  Behandlung  ersi  in 
dieser  Zwischenzeit  einsetzte,  konnten  in  der  folgenden  Auf¬ 
stellung  die  beiden  Reaktionen  nicht  einander  gegenüber¬ 
gestellt  werden. 

Primärstadium:  8  Fälle. 

Unbehandelt  waren  7,  hievon  reag.  positiv  4,  negativ  3 
1  Salvarsan-Patient  „  „  L  „  — 

Sekundärstadium:  14  Fälle. 

Unbehandelt  waren  4,  hievon  reag.  positiv  2,  negativ  2 
von  9  Salvarsan-Patienten  „  „  6,  „  3 

1  Hg-Patient  „  ..  — ,  „  1 

Tertiärstadium:  15  Fälle. 

Unbehandelt  waren  5,  hievon  reag.  positiv  3,  negativ 

von  9  Salvarsan-Patienten  „  „  2,  „ 

1  Jk-Patient  „  „  1  (stark),  „ 


2 

7 


Lues  Iatens:  9  Fälle. 
Unbehandelt  waren  3,  hievon  reag.  positiv  1, 


von  2  Salvarsan-Patienten 


von  3  Hg-Patienten 
1  Jk-Patient 


2. 

L 

1  (stark), 


negativ  2 
>1 

„  2 


Fäll  e. 
positiv  5, 


3  (stark' 
6  (stark), 

ä  1 1  e. 

1, 

1, 

1  (stark), 


negativ  1 


negativ 


Metalues:  22 
Unbehandelt  waren  6,  hievon  reag. 
von  8  Salvarsan-Patienten  „ 

von  6  Hg-Patienten  „ 

Lues  hereditaria:  3  F 

Unbehandelt  war  1,  hievon  reagierte  positiv 
1  Salvarsan-Patient  „ 

I  Jk-  u.  Kontraluesin-Pat.  „  » 

Luesverdächtige:  10  Fälle. 

Unbehandelt  waren  8,  hievon  reag.  positiv  5,  negativ  3 

1  Salvarsan-Patient  „  „  — ,  » 

1  Hg-Patient  „  — »  »  1 

Insgesamt  reagierten  also  von: 

34  unbehandelten  Luetikern  (inkl.  Lu-suspekte) 

positiv  21  =61,8  Proz.,  neg  13  =  28,2  Pm 
31  Salvarsan-Patienten  „  14  =  45,2  ,  »  17  =  54,8 

II  Hg-Patienten  ,  7  =  63,6  „  „  4  =  36,4 

4  JK-  n  ,  4  =100 Proz. 

Nach  dieser  Aufstellung  möchte  man  beinahe  den  Eindruc 
gewinnen,  dass  das  Salvarsan  doch  imstande  sei,  einen  gt 
wissen  Einfluss  auf  die  Allergie  der  Haut  auszuüben  im  Sir 
eines  negativen  Ausfalles  der  Luetinreaktion;  wobei  bemer; 
sei,  dass  das  Verhältnis  der  negativen  Reaktion  zur  positive 
bei  Fällen,  wo  die  Salvarsantherapie  mindestens  ein  halbe 
Jahr  zurücklag,  8  : 2  war,  während  bei  Salvarsanbehandlur 
in  den  letzten  6  Monäten  sich  ein  Verhältnis  10  :  11  ergibt. 

Einige  Fälle,  die  vielleicht  besonderes  Interesse  ve 
dienen,  möchte  ich  noch  kurz  anführen: 

Nr.  12:  Bei  einem  54jährigen  Patienten  mit  offenkundiger  Hel 
scher  spinaler  Querschnittsaffektion  war  die  wiederholt  vorg 
nommenc  Wa  s  s  e  r  m  a  n  n  sehe  Reaktion  im  Blute  ändauert 
negativ,  im  Liquor  immer  fraglich,  das  Lumbalpunktat  ergab  8  Zelle 
Die  Luetinreaktion  fiel  mit  Quaddel-  und  Pustelbildung  sofort  posit 
aus  trotz  energischer  JK  -  und  Hg-Behandlung  in  den  letzten  Monate 
die  wenig  Besserung  brachte. 

Nr.  13:  Bei  Arthritis  urica  und  Adipositas  eines  43  jährigen  r 
tienten  war  die  Seroreaktion  stark  positiv,  die  Luetinreaktion  sclii 
anfangs  negativ;  erst  nach  7  Tagen  entstand  auf  eine  Harnsäur 
injektion  hin  eine  Pustel  und  tiefe  Nekrose;  eine  zweite  nach  di 
weiteren  Wochen  angestellte  Luetinreaktion  fiel  sofort  stark  posit 
aus;  die  11  Tage  später  nochmals  angesetzte  Wassermannsc 


Reaktion  war  negativ:  in  der  Zwischenzeit  erhielt  der  Patient  zw 


*)  Darunter  3  mit  Sekundärlatenz. 

**)  Darunter  1  mit  Sekundärlatenz. 


Neosalvarsaninjektionen! 

Nr.  26:  Bei  einer  24  jährigen  Patientin  mit  Milztumor  (zunact 
fraglicher  Genese)  und  Phlebitis  fiel  das  Komplementbindungsvt 
fahren  negativ  aus.  Da  wegen  eines  Abortps  im  3.  Monat  und  r w 
Partus  immaturi  im  7.  und  8.  Monat  Verdacht  auf  Lues  bestar 
wurde  Luetin  injiziert:  nach  3  Tagen  sehr  starke  Reaktion  fl 
regionärer  Driisenschwellung  (cf.  oben  unter  Gefährdung):  darauf) 
wurde  nach  provokatorischer  intramuskulärer  Neosalvarsanmjekti 
(0.3)  noch  zweimal  die  Wassermann  sehe  Reaktion  angesetzt,  i 
aber  beide  Male  wieder  negativ  ausfiel.  Auf  Bestrahlung  der  M 
und  0.45  Neosaivarsan  ging  der  Milztumor  etwas  zurück;  man  nal 
hier  später  aleukämische  Leukämie  an. 

Nr  27:  Bei  einer  56  jährigen  Patientin  mit  sicherer  Lues  cerel 
liess  die  zweimalige  Wassermann  sehe  Reaktion  im  Stich.  ( 
Luetinreaktion  fiel  sofort  stark  positiv  aus. 

Nr.  45:  Bei  einer  38  jährigen  Patientin  mit  Meningitis  basa 
luetica  war  Wassermann  im  Blute  dreimal  negativ;  die  nach  positiv 
Luetinreaktion  vorgenommene  Seroreaktion  des  Liquor  cerebi 
spitialis  fiel  stark  positiv  aus. 

Nr.  60:  Bei  einer  31  jährigen  Patientin  mit  Icterus  catarrlia 
war  die  Wassermann  sehe  Reaktion  im  Blut  stark  positi' .  < 
Luetinreaktion  negativ.  Fin  6  Wochen  später  angesetztes  Komp 
mentbindungsverfahren  ergab  negatives  Resultat  (ohne  dass  irger 
welche  antiluetische  Behandlung  voransgegangen  wäre). 

Nr.  100:  Bei  einem  anderen  Fall  von  Icterus  catarrhalis  w 
Wassermann  zunächst  fraglich  ausgefallen  bei  negativer  Lut 
rcaktion,  später  negativ.. 

Nr.  101:  Bei  einer  57  jährigen  Patientin  (Adipositas,  vor  3  Jam 
rasch  gebesserte  Apoplexie  (mit  Aphasie)  bestand  Verdacht  aut  - 
philis.  Die  Luetinreaktion  war  stark  positiv  bei  negativer  , e! 
reaktion.  .  7  .... 

Nr.  68:  Bei  einem  47  jährigen  Patienten  mit  typischen  z.e.*) 
progressiver  Paralyse  war  Wassermann  zweimal  negativ.  Lue 
stark  positiv;  das  Lumbalpunktat  ergab  20  Zellen  im  Kubikmilhme 

Nr.  94:  Bei  einem  56  jährigen  Patienten  mit  Rektumkarzmi 
hatte  man  Verdacht  auf  syphilitische  Ulzerationen  trotz  nega |V 
Wassermanns.  Die  Luetinreaktion  fiel  ebenfalls  negativ  aus  und  1 
klinische  Verlauf  bestätigte  die  obige  Diagnose. 


15.  September  1914. 


MUFNCHENFR  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1935 


ei"er  44  jähriKcii  Patientin  mit  typischer  Tabes  dor- 
salis  fitl  Wassermann  negativ  aus,  die  Luetinreaktion  sehr  stark 

positiv. 

Sog  torpid  eFäile  waren  (ausser  Nr.  13): 
r.  14.  Bei  57  jälir.  Pat.  mit  Aortitis  luetica  und  Taboparalyse 

^lc  -coreaktion  stark  positiv;  die  Luetinreaktion  ergab  nacli 
9  lagen  starke  Infiltration,  starke  Pustelbildung  und  intensive  Rötung 
an  der  oberen,  starke  Nekrosen  an  der  unteren  Insertionsstelle. 

Nr.  31:  Bei  42jahr.  I  at  mit  Tabes  dorsalis  entwickelte  sich  bei 
starker  W a ss  e r  m  a  n  n  scher  Reaktion  erst  am  10.  Tage  an  beiden 
bi  klu  ng n SS 1  C  e n  stai"ke  Infiltration  mit  Rötung  und  Grosspustel- 

r>  •*  i'  a"i'  e‘nem  34jähr.  Patienten  mit  Condylomata  lata  ad 
genitale.  Alopecia  specifica  und  Sclerodermia  universalis  entstanden 
bei  stark  positivem  Wassermann  erst  am  zehnten  Tag  an  der  oberen, 
am  !3.  Tag  auch  an  der  unieren  Injektionsstelle  kleine  Pusteln,  die 
ui  den  folgenden  lagen  sich  zu  grossen  Pusteln  mit  starker  Rötung 
und  Infiltration  entwickelten. 

Nr.  72:  Bei  einem  23jährigen  Patienten  mit  Primäraffekt 
schossen  erst  nach  9  Tagen  kleine  Pusteln  auf,  die  ohne  sich  wesent¬ 
lich  zu  vergrossern,  6  bzw.  8  Tage  anhielten. 

Nr.  80:  Bei  einem  18jährigen  Patienten  mit  Cephalalgie  und  Ulcus 
mixtum  hcss  das  Komplementbindungsvcrfahren  zweimal  im  Stiche, 
die  Luetinreaktion  zeigte  erst  nach  16  Tagen  (ohne  wahrnehmbaren 
ausseren  Anlass)  deutliche  kleine  Pusteln,  die  nach  4  bzw  6  Tagen 
eintrockneten:  inzwischen  war  eine  Schmierkur  (Ungt.  ein)  einge- 
leitet  worden  (die  Insertionsstelle  wurde  natürlich  geschont)  die 
spatere  Seroreaktion  war  deutlich  positiv. 

Nr.  97:  Bei  47  jälir.  Patienten  mit  Tabes  dorsalis  fiel  bei  posi- 
tivem  Wassermann  die  Luetinreaktion  erst  am  9.  Tage  positiv  aus, 
es  bildeten  sich  Pusteln  von  mittlerer  Grösse,  die  7  bzw  9  Tage 
weiterbestanden. 


Z  u.s  a  m  m  e  n  f  a  s  s  u  n  g: 

Aus  diesen  Ergebnissen  dürfte  ohne  weiteres  hervorgehen, 
dass  Noguchis  Intrakutanreaktion  als  ein  recht  brauch¬ 
bares  Hilfsmittel  zur  Syphilisdiagnose  anzusehen  ist,  indem 
positiver  Ausfall  beweisend  ist,  während  negativer,  wie  bei 
allen  biologischen  Methoden,  nicht  unbedingt  gegen  eine 
luetische  Infektion  spricht.  An  ihrer  Spezifität  ist  nach  der 
Bestätigung  so  zahlreicher  Autoren  nicht  mehr  zu  zweifeln, 
allerdings  erfordert  die  Beurteilung  einzelner  Reaktionen 
einige  Uebung.  Besonders  wertvoll  ist  der  Umstand,  dass  die 
Luetinreaktion  nicht  selten  gerade  da  charakteristische  Reak¬ 
tionen  gibt,  wo  uns  das  Komplementverfahren  im  Stiche  lässt, 
dass  sie  also  dieses  in  willkommener  Weise  zu  ergänzen  im¬ 
stande  ist.  Wie  der  Verlauf  der  torpiden  Fälle  zeigt,  ist  stets 
eine  über  2  Wochen  währende  Beobachtungsdauer  nötig. 
Ueber  den  Einfluss  der  antiluetischen  Behandlung,  speziell  des 
Salvarsans,  auf  den  Ausfall  der  Luetinreaktion  lässt  sich  bei 
den  verschiedenen  Ergebnissen  der  einzelnen  Autoren  heute 
ein  abschliessendes  Urteil  noch  nicht  abgeben.  Weitere 
Untersuchungen  gerade  in  dieser  Richtung  sind  sicherlich  zu 
begrüssen.  Es  wäre  zu  wünschen,  dass  die  chemischen 
Fabriken  die  Einführung  des  Luetins  in  weitere  ärztliche  Kreise 
ermöglichten. 


Aus  der  k.  k.  Universitäts-Kinderklinik  (Vorstand:  Professor 
C.  Freiherr  v.  Pirquet). 

Beitrag  zur  Methodik  der  Diphtherieprophylaxe*). 

i  Von  Dr.  Karl  Kassowitz. 

Im  folgenden  möchte  ich  in  aller  Kürze  über  Erfahrungen 
berichten,  welche  ich  anlässlich  einer  Diphtherieepidemie  in 
einem  Wiener  Jugendfürsorgeverein,  dem  Verein  Settle¬ 
ment  in  Ottakring,  dessen  ärztliche  Ueberwachung  ich  über¬ 
nommen  habe,  zu  machen  Gelegenheit  hatte.  Es  boten  sich 
mir  hiebei  weniger  in  epidemiologischer  Hinsicht  neuartige 
Befunde,  ich  konnte  aber  zum  ersten  Male  bei  den  Mass¬ 
nahmen  zur  Verhinderung  weiterer  Erkrankungen  eine  Me¬ 
thode  praktisch  erproben,  welche  wir  bisher  nur  an  der  Klinik 
in  seltenen  Fällen  von  eingeschleppten  Diphtherieerkrankungen 
in  Anwendung  gebracht  haben.  Es  ist  dies  die  kom¬ 
binierte  b  £  k  Le  r  i  o  1  o  g  i  s  c  h  -  s  c  r  o  1  o  g  i's  c  h  e  Prü¬ 
fung  sä  nft  lieber  Individuen  mit  nachfolgen¬ 
der  fakultativer  Isolierung  und  fakultativer 
Ser  um  Prophylaxe. 

■  Die  Forderung  nach  einer  gewissenhaften  bakteriologi¬ 
schen  Durchuntersuchung  aller  Personen,  welche  sich  längere 

*1  Nach  einem  in  der  Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinder¬ 
heilkunde  iii  Wien  am  25.  VI.  gehaltenen  Vortrag. 


Zeit  in  der  Umgebung  von  Diphtheriekranken  aufgehalten 
haben,  ist  allgemein  anerkannt  (S  o  b  e  r  n  h  e  i  in,  S  e  e  1  i  g  - 
|!lan.n);  Tr°tzdem  begnügen  sich  noch  immer  manche 
■  anitatsbehörden  bei  Schulepidemien  mit  der  einfachen  zwei- 
wochenthchen  Klassensperre  mit  nachfolgender  Desinfektion, 
emer  Massregel,  die  trotz  ihrer  scheinbaren  Rigorosität  in 
\  ielen  Fällen  nicht  zum  Ziel  führen  kann,  da  die  unbekannt 
.v.euienenen  Infektionsträger  auch  noch  nach  zwei  weiteren 
Wochen  die  Quelle  neuer  Erkrankungen  bilden  können.  D  i  e 
Eliminierung  der  Bazillenträger  wird  immer 
das  oberste  Prinzip  jeder  ernstlichen  Diph- 
t  h  e  r  i  e  p  r  o  p  h  y  1  a  x  e  b  1  e  i  b  e  n.  Es  ist  selbstverständlich, 
dass  selbst  der  Ersatz  der  generellen  bakteriologischen  Unter- 
suchung  durch  wahllose  prophylaktische  Serumbehandlung 
sämtlicher  gefährlicher  Personen  auf  die  Dauer  nicht  an¬ 
nähernd^  denselben  Schutz  vor  weiteren  Erkrankungen  ge¬ 
wahrt.  Trotzdem  wird  diese  unrationelle  und  kostspielige  Me¬ 
thode  noch  gelegentlich  bei  Epidemien  im  Heer  oder  in  ge¬ 
schlossenen  Anstalten  angewendet  (Otto).  Während  man 
aber  die  Serumbehandlung  einer  diphtherieverdächtigen  Er- 
l  t."  Un^  n*c^  von  dem  Ausfall  der  bakteriologischen  Prüfung 
abhängig  zu  machen  pflegt,  sollte  man  die  Indikation  für  die 
Sei  umpi  ophylaxe  nur  nach  dem  erfolgten  Nachweis  von  Diph- 
thenebazillen  auf  den  Schleimhäuten  des  fraglichen  Individuums 
stellen.  Die  Falle,  wo  ein  nach  wiederholter  Untersuchung 
als  bazillenfrei  erwiesenes  Kind  nach  Entfernung  der  Infek¬ 
tionsträger  dennoch  erkrankt,  dürften  zu  den  allergrössten 
Seltenheiten  gehören. 

Auf  Grund  der  Arbeiten  von  Schick  und  seinen  Mit- 
ui  weitern  über  die  intrakutane  Diphtheriereaktion  als  Ausdruck 
des  Schutzkörpergehaltes  eines  Individuums  kann  man  aber 
das  Anwendungsgebiet  der  prophylaktischen  Immunisierung 
noch  weiter  beschränken.  Eine  als  Bazillenträger  erkannte 
Person  ist  im  allgemeinen  als  gefährdet  anzusehen,  denn  eine 

wiederholt  auch  von  uns  gemachte  Erfahrung,  _  z.  B.  bei 

Schwestern  der  Diphtheriestation  —  lehrt,  dass  die  lebenden 
Keime  oft  erst  nach  Monaten  im  Anschluss  an  eine  ander¬ 
weitige,  häufig  lokale  Rachenerkrankung  (Wegfall  der  lokalen 
Immunität)  die  Diphktherieerkrankung  zum  Ausbruch  bringen 
können.  Oft  werden  wir  allerdings  nicht  imstande  sein,  das 
auslosende  Moment  für  den  Beginn  der  Erkrankung  zu  er¬ 
kennen.  Wir  haben  es  aber  in  der  Hand,  mittelst  der  I.  D.  R. 
in  einer  grossen  Zahl  solcher  Bazillenträger  den  Grund  für 
die  Indifferenz  des  Organismus  gegenüber  den  Krankheits¬ 
erregern  aufzudecken,  indem  wir  durch  den  negativen  Ausfall 
der  Toxinprüfung  den  bereits  vorhandenen  Schutzkörpergehalt 
dci  Körpersäfte  die  humorale  Immunität  des  Organismus  fest- 
stellen  und  hiermit  die  Möglichkeit  einer  Erkrankung  aus- 
schliessen.  In  diesem  Falle  erübrigt  sich  selbstverständlich 
wiederum  das  prophylaktische  Verfahren. 

Demnach  gestaltet  sich  unser  Vorgehen  im  Falle  einer  An- 
stalts-  oder  Schulepidemie  folgendermassen: 


1.  Bakteriologisch-kulturelle  Untersuchung  sämtlicher 
gegenüber  einem  Kranken  irgendwie  exponiert  gewesenen 
Personen  mit  Wiederholung  nach  längstens  einer  Woche. 

Zur  Technik  der  Untersuchung  ist  zu  bemerken,  dass  man  sich 
abgesehen  von  einer  bereits  verdächtigen  Koryza  darauf  beschränken 
kann,  sorgfältig  von  den  Krypten  der  Tonsillen  abzuimpfen,  da  diese 
namentlich  bei  Dauerausscheidern  als  Ausscheidungsorgan  oft  der 
einzige  Fundort  der  Bakterien  sind.  Die  Kulturen  auf  Löfflerserum 
werden  bereits  nach  18  Stunden  Bruttemperatur  in  G  r  a  m  scher 
und  N  eis  s  er  scher  Färbung  untersucht.  Es  ist  nicht  zweckmässig, 
bei  bestehenden  Verdachtsmomenten  auf  Grund  dieser  Untersuchung 
mit  dem  Urteil  der  Infektiosität  des  betreffenden  Individuums  noch 
weder  zuruckzuhalten  und  erst  das  Resultat  der  Virulenzprüfung  am 
Meerschweinchen  abzuwarten.  Diese  mag  sich  nach  bereits  vorge¬ 
nommener  relativer  Isolierung  des  Kindes  zur  näheren  Charakteri¬ 
sierung  des  Virus  anschliessen,  und  zwar  auch  am  besten 
in  Form  der  so  ökonomischen  R  ö  m  e  r  -  N  e  i  s  s  e  r  sehen  Modi- 
fikation  (siehe  Neisser,  Verein  f.  Mikrob.,  Berlin  1913),  doch 
werden  die  Fehldiagnosen  bei  rein  morphologischer  Untersuchung  in 
einem  sicher  diphtherischen  Milieu  kaum  sehr  ins  Gewicht  fallen. 

2.  Sofortige  Entfernung  der  bakteriologisch  verdächtigen 
Individuen. 


3.  Schliessung  der  Anstalt,  aber  nur  bis  nach  Beendigung 
einer  gründlichen  Desinfektion. 

Hiermit  sind  die  eigentlichen  Massregeln  zur  Erstickung 


1936 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  37. 


der  Epidemie  erschöpft.  Das  weitere  Vorgehen  dient  zur  Be¬ 
handlung  der  Bazillenträger. 

1.  Intrakutane  Toxininjektion  (Technik  derselben,  siehe 

Schick,  d.  Zschr.  1913). 

2.  Serumbehandlung  nur  der  positiv  Reagierenden. 

3.  Ständige  ambulatorische  Ueberwachung  mit  wieder¬ 
holter  bakteriologischer  und  serologischer  Kontrolle. 

Therapeutisch  haben  sich  die  konsequent  durchgefuhrten 
Mund-  und  Rachenspülungen  mit  ziemlich  starken  Wasserstoff¬ 
superoxydlösungen  0,5  Proz.  verhältnismässig  noch  am  besten 
bewährt. 

Die  Resultate,  welche  ich  mit  diesem  Vorgehen  in  meinem 
Falle  zu  verzeichnen  hatte,  möchte  ich  Ihnen  nun  zur  Kenntnis 

bringen.  ,  T,.  , 

Ende  März  d.  Js.  erkrankte  ein  Kind  des  Kindergartens  an 

Diphtherie.  Nach  ca.  3  wöchentlichem  Aufenthalt  im  k.  k. 
Wilhelminenspital  und  einer  weiteren  Woche  häuslicher  Pflege 
nahm  das  Kind  den  Besuch  des  Kindergartens  wieder  auf. 
Nach  10  Tagen  tritt  nun  der  zweite  Krankheitsfall,  nach  drei 
weiteren  Tagen  noch  zwei  neue,  auf,  denen  nach  2  Tagen  eine 
5.  Erkrankung  folgt.  Die  letzten  4  Fälle,  welche  an  unserer 
Klinik  gelegen  haben,  waren  bis  auf  eine  mittelschwere  Kehl¬ 
kopfdiphtherie  typische,  lokalisierte  Tonsillardiphtherien 
leichten  Charakters.  Ich  ging  nun  unverzüglich  an  die  bak¬ 
teriologische  Durchuntersuchung  der  52  Kinder  der  Kinder¬ 
gartengruppe,  ferner  auch  aller  Erwachsenen,  welche  im 
Kindergarten  beschäftigt  sind.  (NB.  In  den  übrigen  Kinder- 
gruppen  des  Vereins,  welche  zwar  mit  dem  Kindergarten  nicht 
in  direkte  Berührung  kommen,  wohl  aber  dieselben  Räumlich¬ 
keiten  benützen,  ist  bemerkenswerterweise  nicht  ein  einziger 
Erkrankungsfall  beobachtet  worden.)  Das  Ergebnis  der  Unter¬ 
suchung  war  folgendes:  Unter  den  52  Kindern  gingen  bei 
8  Fällen  in  der  Kultur  des  Tonsillenabstriches  zweifellose 
Diphtheriebazillen  auf  und  zwar  waren  darunter  das  im  März 
erkrankt  gewesene  Kind,  ferner  2  Geschwisterpaare  und  3  ein¬ 
zelne  Kinder.  Von  den  Geschwistern  dieser  Infektionsträger, 
im  ganzen  9  Kinder,  die  ich  ebenfalls  durchprüfte,  erwiesen 
sich  alle  bis  auf  eines  bazillenfrei.  Diese  Befunde  sprechen  in 
gewissem  Sinn  für  die  grössere  Bedeutung  des  Daueraus¬ 
scheiders  für  die  Weiterverbreitung  der  Epidemie  gegenüber 
den  einfachen  Bazillenträgern  im  engeren  Sinne. 

Nachdem  die  Sperrung  und  Desinfektion  der  Anstalt  an¬ 
geordnet  worden  war,  ist  nach  Wiedereröffnung  bisher  kein 
einziger  Erkrankungsfall  mehr  vorgekommen,  obwohl  schon 
alle  früheren  Bazillenträger  bis  auf  2  nach  Konstatierung  ihrer 
Bazillenfreiheit  wieder  den  Kindergarten  frequentieren. 

Aber  auch  unter  den  8  Bazillenträgern  gelang  es,  dieser 
Erkrankung  vorzubeugen.  Nach  Vornahme  der  Intrakutan¬ 
prüfung  mit  Ditoxin  wurden  nur  bei  positiv  reagierenden 
Kindern  (3)  prophylaktisch  Seruminjektionen  gemacht  und 
zwar  von  50  I.-E.  pro  Kilogramm  Körpergewicht. 

'  Auf  diese  Weise  ist  es  gelungen,  der  Ausbreitung  der 
Epidemie  von  dem  Momente  des  Einsetzens  der  prophy¬ 
laktischen  Massnahmen  Einhalt  zu  tun. 


Aus  der  chirurgischen  Universitätsklinik  zu  Leipzig 
(Direktor:  Geh.  Med.-Rat  Professor  Dr.  Payr). 

Eine  Kardiaabschlusssonde. 

Von  Dr.  A.  T.  Juras  z,  Oberarzt. 

Kausch  hat  1903  (B.kl.W.  1903  S.  753)  eine  Magensonde 
beschrieben,  welche  dem  Zwecke  dient,  bei  Ileusoperationen, 
in  denen  eine  Inhalationsnarkose  notwendig  ist,  einen  Ab¬ 
schluss  der  Kardia  zu  vermitteln  und  somit  beim  Erbrechen 
eine  Aspiration  in  der  Narkose  zu  verhüten.  Die  Sonde  be¬ 
steht  aus  einer  gewöhnlich  weichen  englischen  Magensonde, 
an  der  oberhalb  des  von  der  Spitze  entfernten  Fensters  ein 
Gummiballon  angebracht  ist,  von  dem  aus  ausserhalb  und 
neben  der  Magensonde  ein  Gummischlauch  entlang  führt, 
welcher  zum  Aufblasen  des  Gummiballons  mit  Luft  dient. 
Nahe  an  dem  Ende  dieses  dünnen  Schlauches  ist  ein  zweiter 
Gummiball  von  genau  derselben  Grösse  und  Wandstärke,  wie 
der  erste  Ballon,  eingeschaltet.  Vor  der  Narkose  wird  die 
Sonde  in  den  Magen  eingeführt,  der  Gummiballon  mit  einer 
Spritze  mit  Luft  gefüllt,  sodann  abgeklemmt  und  die  Sonde 


zurückgezogen,  bis  der  aufgeblasene  Ballon  sich  fest  an  die 
Kardia  anpresst  und  hierdurch  dieselbe  verschliesst. 

Wir  haben  dieses  Instrument  seit  Jahren  bei  allen  Fällen 
von  Operationen  des  Ileus  angewendet  und  wir  sehen  in  ihm 
eines  derjenigen  kleinen  technischen  Hilfsmittel  der  operativin 
Chirurgie,  deren  Anwendung  und  Wirkung  uns  von  ausser¬ 
ordentlich  grosser  Bedeutung  für  den  Erfolg  der  Operation 
erscheint.  Bekanntlich  stehen  bei  vorgeschrittenem  Ileus 
Pylorus  und  Kardia  weit  offen.  Infolge  Anspannen  der  Bauch¬ 
presse  fliesst  der  dünne  Inhalt  des  paralytischen  Darmes 
rückwärts  in  den  Magen,  um  bei  einer  gewissen  Füllung  des¬ 
selben  erbrochen  zu  werden.  Eine  Spülung  des  Magens  vor 
der  Operation  ist  also  zwecklos.  Die  Inhalationsnarkose  birgt 
deshalb  die  grosse  Gefahr  in  sich,  dass  bei  dem  geringsten 
Pressen  des  Patienten  oder  bei  dem  durch  die  Reposition  der 
Dünndärme  auf  dieselbe  ausgeübten  Druck  Darminhalt  in  den 
Oesophagus  nach  oben  strömt  und  aspiriert  wird.  Unvermeid¬ 
lich  ist  diese  Gefahr  bei  Anwendung  der  Beckenhochlagerung. 
Wer  einmal  einen  derartigen  plötzlichen  Aspirationstod  auf 
dem  Operationstisch  erlebt  hat,  wird  diesen  Anblick  nie 

vergessen.  ,  _  ,  .  .. 

Es  ist  deshalb  verwunderlich,  dass  diese  Sonde  im  all¬ 
gemeinen  nur  wenig  bekannt  ist  oder  sich  nur  relativ  geringer 
Beliebtheit  erfreut.  Wir  möchten  dieselbe  warm  in  Emp¬ 
fehlung  bringen  und  zwar  in  einer  von  uns  modifizierten  Form, 
welche  kleine  Nachteile,  die  unserer  Ansicht  nach  der  ur¬ 
sprünglichen  von  K  a  u  s  c  h  angegebenen  Sonde  anhaften,  ver¬ 
meidet  und  ihre  Anwendung  bequemer  gestaltet. 

Wir  haben  nämlich  öfters  erfahren,  dass  bei  vor¬ 
springender  kahnförmiger  Epiglottis  und 
schmalen  Halsorganen  die  Einführung  der  Sonde 
trotz  guter  Einfettung  nicht  gelingen  wollte,  indem  der  in  den 
abschliessenden  Kardiaballon  einmündende  äussere  Luft¬ 
zuführungsschlauch  an  seiner  Einmündungsstelle  einen  Vor¬ 
sprung  bildet.  —  Hierdurch  ist  der  Gesamtdurchmesser  des 
Schlauches  nicht  unerheblich  vergrössert,  was  die  Einführung 
unmöglich  machte.  Ich  selbst  habe  deswegen  zweimal  auf 
die  Hilfe  dieser  Sonde  verzichten  müssen. 

Einen  weiteren  kleinen  Nachteil  sehe  ich  in  der  notwen¬ 
digen  Abklemmung  des  zuführenden  Schlauches  nach  Füllung 
mit  Luft,  indem  an  der  abzuklemmenden  Stelle  der  Schlauch 
entweder  verklebt  und  nachher  abgeschnitten  werden  muss, 
oder  sehr  schnell  brüchig  wird  und  infolgedessen  nicht  selten 
gerade  dann,  wenn  man  ihn  braucht,  sich  in  Reparatur  befindet. 
Und  schliesslich  glaube  ich  die  Füllung  des  Ballons  mit  Luft 
einfacher  und  sicherer  als  mittels  einer  Spritze  durch  ein  mit 
einem  Ventil  versehenes,  dauernd  an  der  Sonde  sich  befind¬ 
liches  Handgebläse  erzielen  zu  können.  Die  Sonde,  die  nach 
meinen  Angaben  konstruiert  wurde  (Firma!  A.  Schädel,  Leipzig), 
besteht  aus  einem  ovalen  Magenschlauch.  Oberhalb  der 
doppelt  gefensterten  Spitze  ist  der  dem  Kardiaabschluss 
dienende  Gummiballon  angebracht.  In  denselben  mündet  der 


Luftzuführungsschlauch  von  innen  hinein,  indem  er  an  der 
seitlichen  Innenwand  angebracht  und  von  aussen  daher 
gar  nicht  sichtbar  ist  (Fig.  1).  Die  Füllung  mit  Luft  geschieht 
mittelst  eines  Handgebläses  (Fig.  2),  das  aus  einem  Druckball 


15.  September  I9M. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1937 


und  einem  Windballon  besteht.  Der  Druckball  ist  mit  einem 
gewöhnlichen  Ventil  versehen,  das  die  Luft  aufsaugt,  aber 

keine  Luft  nacli 
hinten  hinaustreten 
lässt,  zwischen 
Druck-  und  Wind¬ 
ball  ist  ein  Dreiweg¬ 
hahn  eingeschaltet, 
der  in  Parallelstel¬ 
lung  (Fig.  3)  zur 
Zuführungsröhre  die 

c  ...  ,  ,  .  Luft  eintreten,  in 

Schragstellung  nach  hinten  die  Luft  entweichen  lässt  und  in 
rechtwinkeliger  Stellung  die  Luftzufuhr  vollständig  abschneidet. 

Durch  die  ovale  Form  wird  die  Einführung  in  den 
Oesophagus  erleichtert.  Die  Anbringung  des  Luftzu- 
fuhrungsschlauches  innerhalb  der  Magensonde  beseitigt  den 
oft  störenden  und  die  Einführung  oft  unmöglich  machenden 
Vorsprung  an  der  Einmündungsstelle.  Die  Füllung  mit  Luft 
geschieht  mittelst  eines  einfachen  Handgebläses,  an  dem,  wie 
an  der  Kausch  sehen  Sonde,  der  Kontrollballon  angebracht 
ist  und  uns  infolge  seiner  gleichen  Grösse  mit  dem  Kardia¬ 
ballon  (Fig.  2)  jederzeit  über  den  Aufblähungszustand  des 
letzteren  unterrichtet.  Die  Anbringung  des  Dreiweghahnes 
erspart  uns  den  Klemmabschluss,  indem  in  paralleler  Stellung 
desselben  ein  mehrmaliges  Zusammendrücken  des  Hand¬ 
gebläses  genügt,  den  Kardiaballon  zu  füllen,  ohne  dass  die  Luft 
dabei  entweichen  könnte.  Erst  nach  Erwachen  des  Patienten 
aus  der  Narkose  wird  der  Hahn  in  schräge  Richtung  nach 
hinten  gestellt,  der  Kardiaballon  entleert  und  hierdurch  die 
Sonde  ohne  Schwierigkeit  wieder  entfernt.  Nach  Aufblähen 
des  Ballons  muss  derselbe  unter  ziemlich  heftigem  Druck  an 
die  Kardia  angepresst,  d.  h.  solange  zurückgezogen  werden 
bis  man  auf  einen  festen  Widerstand  stösst.  Die  Sonde  wird 
dann  zum  seitlichen  Mundwinkel  herausgeleitet,  der  Zug  durch 
Befestigung  des  Schlauches  mit  Heftpflasterstreifen  im  Ge¬ 
sichte  während  der  Dauer  der  Narkose  aufrecht  erhalten. 

Die  Sonde  habe  ich  als  Kardiaabschlusssonde 
bezeichnet,  da  ich  ihre  Anwendung  nicht  allein  für  die  Nar- 
■tose,  sondern  auch  für  alle  mit  Erbrechen  einhergehende  Zu¬ 
stände  indiziert  halte,  in  denen  die  normalen  Schluckreflexe 
lerabgesetzt  oder  das  Bewusstsein  getrübt  ist,  wie  z.  B.  bei 
schweren  Gehirnerschütterungen  oder  anderen  zerebralen 
\nektionen. 


Fortbildungsvorträge  und 
Uebersichtsreferate. 

■ortschritte  in  Diagnose  und  Therapie  der  chirurgischen 

Tuberkulose. 

‘  on  Prof.  Fritz  König,  Direktor  der  chirurgischen  Uni¬ 
versitätsklinik  zu  Marburg  a.  L. 

(Schluss.) 

Bei  Besprechung  der  Behandlung  der  chirurgischen  Tuberkulose 
>erde  ich  mich  bemühen,  nur  das,  was  neu,  wichtig  und  gegen 
rüher  verändert  erscheint,  zu  skizzieren.  Die  Chirurgie  hat  von  jc- 
er  zwischen  einer  konservativen  und  operativen  Behandlung  unter- 
enieden.  Zur  letzteren  zählen  wir  bei  Lymphdriisen  die  Exstir- 
ation,  bei  Knochen  und  Gelenken  die  Resektion,  Amputation  und  Ex- 
rtikulation. 

Den  Standpunkt,  auf  welchem  viele  und  ich  selber  bis  vor 
urzem  bezüglich  der  Knochen-  und  Gelenktuberkulose  gestanden 
aben,  kann  ich  nicht  treffender  schildern,  als  indem  ich  mich  auf 
as  Referat  des  Bonner  Chirurgen  Garre  vom  Chirurgenkongress 
913  stütze.  Es  basiert  auf  einer  in  19  Jahren  an  1000  stationär  be- 
hachteten  Fällen  gewonnenen  Erfahrung. 

Garre  bekannte  sich  zu  einer  weitgehenden  operativen  Thera- 
ie-  Lokale  Knochenherde  werden  exstirpiert;  mit  Ausnahme  der. 
ach  Garre  in  den  Resektionserfolgen  ungünstigen  Gelenke  an  Hand 
nd  Hüfte  wird  die  Gelenkresektion  gepriesen.  Am  Kniegelenk  bei- 
nelsweise  schlägt  Garre  vor: 

1.  die  Resektion  auch  auf  Kinder  auszudehnen; 

2.  alle  schweren  fungösen  Formen  mit  Zerstörung  des  Gelenk¬ 
knorpels,  die  mit  Subluxation  und  mit  Sequestern,  selbstver¬ 
ständlich  alle  eitrigen  und  fistulösen  Fälle  zu  resezieren. 

Konservativ  will  Garre  die  trockenen  Formen  des  Fungus  bei 
itaktem  Gelenkknorpel,  den  Hydrops  tuberculosus  und  die  ersten 
Nr.  37. 


Stadien  der  Erkrankung  behandeln  —  endlich  nichteiternde  Tuber¬ 
kulosen  bei  älteren  Personen. 

i  G  a  rr  e  berichtet  über  268  Resektionen  und  133  konservativ  be¬ 
handelte  Falle  von  Knietuberkulose. 

hj  krassem  Gegensatz  zu  diesen  Mitteilungen  eines  hervor¬ 
ragend  erfahrenen  und  immer  operativer  gewordenen  Chirurgen 
stehen  die  Mitteilungen  von  R  o  1 1  i  e  r  -  Leysin,  die  sich  immerhin 
auch  schon  auf  eine  10  jährige  Erfahrung  stützen.  Rolli  er  hat  in 
immer  wachsendem  Masse  die  Allgcmeinbehandlung  mit  der  Be¬ 
sonnung  in  den  hochalpinen  Gegenden  neben  einfacher  Ruhigstellung 
zum  1  nnzip  erhoben,  und  hat  grosse  Operationen  schliesslich  so  gut 
wie  ganz  ausgeschaltct.  ln  jahrelangem  Bemühen  hat  er  aus  herunter¬ 
gekommenen  Patienten  durch  die  Heliotherapie  blühende  Menschen 
gemacht;  er  hat  lokale  Tuberkulosen  aller  Art,  an  Drüsen,  Knochen 
und  Gelenken,  er  hat  fungöse  und  eitrige  Formen  zur  völligen  Hei- 
d  nSi  ?eora.chL  bat  den  Verschluss  tuberkulöser  Fisteln  erreicht. 
R  o  1 1 1  e  r  ist  der  Ansicht,  dass  die  Sonnenbehandlung  im 
Hochgebirge  jede  Form  chirurgischer  Tuberku¬ 
lose  und  in  jedem  Alter  heilen  könne. 

Wenn  ich  Ihnen  heute  sage,  dass  in  unserer  Marburger  Klinik 
der  Verlauf  der  Tuberkulose  seit  etwa  VA  Jahren 
einen  offensichtlichen  Umschwung  zum  Günstigen 
genommen  hat,  so  können  diese  Erfolge  nicht  mit  der  alpinen  Sonne 
erreicht  sein.  Ebensowenig  kann  das  der  Tuberkulinbehandlung,  die 
wir  neuerdings  wieder  mehr  geübt  haben,  zugute  geschrieben  wer- 
den.  Ich  habe  auch  früher  Erfolge  mit  ihr  gesehen.  Aber  sie  waren 
immerhin  vereinzelt  und  konnten  die  Vornahme  grosser  operativer 
Eingriffe  in  keiner  Weise  einschränken.  Anders  jetzt.  Wir  haben 
noch  im  Jahr  1912  bei  79  chirurgischen  Tuberkulosen  21  grosse 
Operationen  ausgeführt.  Im  Jahre  1913  sind  es  auf  85  Fälle  4,  und 
diese  Aenderung  ist  ohne  Schädigung  der  Patienten  eingetreten.  Wir 
haben  zurzeit  251  Tuberkulosen  in  stationärer  und  ambulanter  Be¬ 
handlung.  Wenn  die  Operationen  so  selten  waren,  so  geschah  es, 
weil  die  progredienten  Erscheinungen  seltener  wurden,  welche  uns 
sonst  das  Messer  in  die  Hand  drückten. 

.  Da  da|  bei  114  jähriger  Beobachtung  meiner  Meinung  nach  kein 
opiel  des  Zufalls  sein  kann,  so  müssen  wir  als  wahrscheinliche  Ur¬ 
sache  die  veränderte  Behandlung  ansehen.  Es  sind  2  Dinge  die  wir 
früher  gar  nicht  oder  in  anderer  Art  geübt  haben. 

Als  erstes  muss  ich  die  Bestrahlung  mit  der  sogen,  „künstlichen 
Hohensonne  ,  wie  die  modifizierte  Quarzlampe  nach  Dr.  Bach  und 
Nagelschmidt  genannt  wird,  eingehend  besprechen.  Einmal  ist 
die  systematische  Dauerbestrahlung  der  chirur- 
gisch  Tuberkulösen  mit  diesem  Apparat  an  einem  grossen 
klinischen  Betriebe  zuerst  bei  uns  angewendet,  und  zweitens  halte 
ich  sie  tatsächlich  für  einen  wichtigen  Faktor. 

Als  das  wirksame  Agens  dieser  Quecksilberlampe  werden  die 
ultravioletten  Strahlen  angesehen,  die  ihr  an  sich  bläulich-graues 
und  kuhles  Licht  enthält.  Sie  sind  es  bekanntlich,  denen  man  ganz 
vorwiegend  die  Heilwirkung  der  alpinen  Besonnung  zuschreibt. 
Immerhin  kommen  andere  Dinge  hinzu,  und  so  ist  es  vor  allem  auch 
erwünscht,  die  Bestrahlung  unter  Zutritt  f-ischer  Luft  zu 
machen.  Einmal  um  die  dazu  notwendige  Wärme  zu  schaffen,  welche 
dem  kühlen  Licht  der  gewöhnlichen  Bach  sehen  Lampe  fehlt,  dann 
aber  auch,  um  die  bei  der  alpinen  Höhensonne  doch  auch  nicht  ganz 
fehlenden  roten  Lichtstrahlen  zu  ersetzen,  hat  mein  I.  Assistent, 

L  r.  Hagemann,  die  Lampe  um  einen  Ring  gewöhnlicher  Glüh¬ 
birnen  bereichert.  Die  ganze  Lampe  mit  dem  H  a  g  e  m  a  n  n  sehen 
Ring  ist  von  der  Quarzlampen-Gesellschaft  m.  b.  H.  zu  Hanau  a  M 
zu  beziehen. 

Eine  technische  Bemerkung  müssen  Sie  mir  dazu  erlauben.  Wir 
haben  unsere  Lampen  über  dem  Bestrahlungstisch  von  der  Wand 
herunterhängen,  so  dass  Lampe  und  Ring  in  einer  dem  Tisch  paral¬ 
lelen  Horizontalebene  stehen.  Die  Quarzlampengesellschaft  hat  die 
Lampe  neuerdings  an  einem  Stativ  oder  auch  hängend  schräg  mon¬ 
tiert,  dadurch  steht  auch  der  Ring  schräg.  Wir  können  diese  Aende¬ 
rung  um  deswillen  nicht  gut  heissen,  weil  dadurch  bei  der  Allgemein¬ 
bestrahlung  die  einzelnen  Lampen  des  Glührings  in  ganz  verschie¬ 
denem  Abstand  wirken,  und  weil  auch  die  Quarzlampe  den  Körper 
nicht  so  gleichmässig  trifft,  wie  bei  der  horizontalen  Anbringung  über 
dem  Körper  des  Liegenden. 

Für  Lokalbestrahlungen  mag  das  gleichgültig  sein.  Aber 
wir  verwenden  diese  nur  noch  bei  Hauttuberkulose,  Lupus.  Skrophulo- 
derma,  Hautabszessen.  Für  eine  genau  gleichmässige  Abdeckung  der 
Umgebung  mit  Tüchern  ist  zu  sorgen.  Der  Abstand  von  der  Lampe 
beträgt  30—40  cm,  die  Dauer  der  Bestrahlung  beträgt  3  Minuten  im 
Anfang,  steigt  bis  zu  A  Stunde,  3  mal  und  mehr  in  der  Woche. 

Die  Hauptmethode  ist  die  Allgeineinbestrahliuig,  deren  Technik 
von  Hag  e  m  a  n  n  und  mir  wiederholt  beschrieben  worden  ist.  Die 
Patienten  liegen  auf  niedrigen  Tischen  im  Abstand  von  etwa  1  m 
von  der  Lampe  und  möglichst  in  der  Nähe  des  geöffneten  Fensters; 
die  Luft  im  Zimmer  soll  möglichst  kühl  sein.  Die  Augen  sind  stets 
durch  eine  dunkle  Brille  oder  ein  Tuch  zu  schützen:  noch  besser  ist 
es,  über  den  Kopf  einen  Reifenbügel  zu  stellen,  über  den  ein  den 
Kopf  verdeckendes  Tuch  gehängt  ist.  Die  auf  den  übrigens  nackten 
Körper  einwirkende  Bestrahlung  dauert  zunächst  5  Minuten.  Es  ist 
gut.  bei  der  individuell  sehr  verschiedenen  Hautempfindlichkeit  die 
Wirkung  dieser  Probedosis  am  nächsten  Tag  zu  kontrollieren. 
Dann  steigt  man  langsam  an,  bestrahlt  Vorder-  und  Rückenseite,  und 


1938 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  37. 


gelangt  bis  zur  Dauer  von  4  Stunden  täglich.  Bei  Kindern  lassen  wir 
mehrere,  bis  6,  zusammen  unter  der  Lampe  liegen,  bei  Erwachsenen 
höchstens  2.  Wir  haben  zurzeit  4  Höhensonnen  in  dauerndem  Ge¬ 
brauch,  3  auf  den  Krankensälen,  eine  für  die  ambulante  Bestrahlung; 
ausserdem  eine  in  der  Privatklinik.  In  der  Klinik  werden  oft  täglich 
bis  zu  60  Bestrahlungen  gegeben. 


Fig.  8.  Bestrahlung  mit  der  Quarzlampe  auf  der  Kindei-station. 

Die  Dauer  richtet  sich  nach  dem  Verlauf  der  Erkrankung,  er¬ 
streckt  sich  bei  schwer  Tuberkulösen  auf  lange  Monate  —  sie  soll 
in  jeder  Weise  der  R  o  1 1  i  e  r  sehen  Höhenbesonnung  nachgebildet 
werden. 

Schädliche  Dauerwirkungen  haben  wir,  obwohl  nunmehr  bald 
dreieinhalb  Hundert  Patienten  in  1 H  Jahren  mit  Tausenden  von  Ein¬ 
zelgaben  bestrahlt  sind,  nicht  gesehen.  Da  die  Haut,  wie  gesagt, 
sehr  verschieden  empfindlich  ist,  so  kann  es  als  Folge  der  frischen 
Bestrahlung  —  wie  auch  bei  der  Höhensonne  —  zu  sehr  starker 
Hyperämie,  event.  auch  Blasenbildung,  kommen.  Man  erkennt  die 
starke  Empfindlichkeit  an  der  Probedosis  —  ist  es  zweckmässig, 
auch  die  Genitalgegend  zu  schützen,  die  jedoch  immer  in 
gleichem  Umfang  abzudecken  ist. 


Fig.9u  10.  D.  B.,5J.  Multiple  fistulöse  Knochentuberkulose.  (Vorderarm  links,  Tibia  links). 


10.  VI.  1913 
vor  der  Bestrahlung. 


31.  VII.  1913 

nach  Quarzlampenbestrahlung. 


Bei  normalem  Verlauf  entsteht  eine  zunehmende,  zuweilen  mäch¬ 
tige  Pigmentierung  der  Haut,  die  von  Rolli  er  u.  a.  als  günstiges 
Zeichen  genommen  wird.  • 

Die  Wirkung  ist  eine  allgemeine;  als  ihren  objektiven 
Ausdruck  kann  man  im  Blut  Veränderungen,  besonders  eine  Steige¬ 
rung  des  Hämoglobingehalts,  naclnveisen. 


Die  Wirkung  wird  meist  durch  eine  mässige  Abnahme  des  Kör¬ 
pergewichts  unter  starker  Müdigkeit  der  Kranken  in  den  ersten 
Wochen  eingeleitet.  Dann  beginnt  die  Hebung  des  Allgemeinbefin¬ 
dens,  das  Ruhigerwerden  der  Kranken,  der  bessere  Schlaf,  die  Appc- 
titvermehrung.  die  Gewichtszunahme  —  bei  Erwachsenen  haben  wir 
innerhalb  einiger  Monate  solche  von  24  Pfd.  gesehen.  Aber  nicht  die 
gelegentliche  Höhe  der  Zunahme,  sondern  die  Regelmässigkeit  der 
Erscheinung,  die  H  a  g  e  m  a  n  n  in  tabellarischen  Kurven  naclnveisen 
konnte,  ist  die  Hauptsache.  Sie  stellt  sich  auch  bei  Patienten  ein. 
die  vorher  in  keiner  Weise  hoch  zu  bekommen  waren;  nur  wenige 
lassen  sie  vermissen. 

Nachdem  wir  die  Bestrahlung  nunmehr  bei  225  Tuberkulösen  an¬ 
gewendet  haben,  möchte  ich  über  unsere  Beobachtungen  folgendes 

sagen:  , 

Die  örtliche  Einwirkung  der  Lokalbestrahlung  auf 
oberflächliche  Tuberkulosen  ist  von  uns  bestätigt  worden.  Wir 
konnten  nicht  nur  lupöse  Stellen  mit  Ulzeration,  besonders  schön  auch 
die  im  Anschluss  an  Drüsenfisteln  oder  Operationen  sich  entwickelnde 
Hauttuberkulose:  das  Skrophuloderma,  sondern  auch  oberflächliche 
Weichteiltuberkulosen  zur  Heilung  bringen. 

Tiefere  Herde  erreicht  das  Quarzlicht  nicht;  hier  muss  die 
Allgemeinbestrahlung  eintreten.  Da  sie  auch  eine  All¬ 
gemeinwirkung  entfaltet,  so  kann  die  Besserung  oder  Ausheilung 
naturgemäss  erst  nach  einiger  Zeit  erwartet  werden. 


Fig.  11. 


L.  B.,  2  J.  Spina  ventosa  an  beiden  Mittelfingern,  links  an  Phalanx  I  u.  II,  rechts  ebenso. 

Erstes  Bild:  Vor  der  Bestrahlung;  man  beachte  auch  die  Weichteilverdickung. 

Zweites  Bild:  1  y,  Jahr  später.  Nur  Quarzlampenbehandlung. 

Die  lokale  Ausheilung  lässt  sich  am  schönsten  rönt¬ 
ge  nographisch  am  Knochen  nachweisen.  Wir  sehen  Spina 
ventosa,  bei  der  unter  der  Behandlung  die  krankhaften  Verdickungen 
am  Periost  verschwinden.  Wir  sehen  eine  Ellbogentuberkulose  bei 
einem  4  jährigen  Kinde,  das  ich  ein  Jahr  vorher  an  Tuberkulose  am 
Unterkiefer  und  Metatarsus  operiert  hatte.  Die  Knochen  zeigen  die 
bekannte  Atrophie,  in  der  Fossa  sigmoidea  ulnae  sitzt  ein  bohnen- 
grosser  Herd.  3  Monate  später  ist  die  Struktur  in  der  bekannten 
Weise  dicker,  gröber  geworden,  der  Herd  hat  sich  ausgeglichen.  Die 
Schwellung  ist  gleichzeitig  zurückgegangen,  der  Arm  in  massigen 
Grenzen  beweglich.  An  der  Rippe  sehen  wir  die  krankhafte  Form 
sich  wieder  abrunden,  während  die  klinischen  Erscheinungen  bei  dem 
mit  tuberkulösen  Drüsen  behafteten  jungen  Mann  verschwinden. 

Auch  die  Oberflächendestruktion  an  den  Gelenkenden  sehen  "ir 
im  Röntgenbild  zurückgehen.  So  finden  wir  bei  einem  5  jährige'1 
Jungen  mit  schwerer  fungöser  Knietuberkulose  deutlich  die  Abhebung 
der  Oberfläche  an  den  Gelenkrändern  durch  die  tuberkulöse  Granu- 


!.  September  1014. 


MUFNCHFNER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1939 


ion.  Ein  paar  Monate  später  ist,  während  der  Fungus  klinisch 
li  zurückbildet,  die  Oberfläche  glatter  geworden,  die  Abhebungen 
id  nicht  mehr  zu  sehen. 

M  .  5  J.  Ellbogentubcrkulosc.  Erstes  Bild:  Oranulierender  Herd  in  der  Fossa 
sigmotdea  ulnae:  Knochenatrophie.  (Oberarmgelenkende!) 
des  Bild:  Nach  dreimonatlicher  Quarzlampenbestrahlung;  Atrophie  im  Rückgang 

Defekt  im  Ausheilcn. 


Fig.  13.  16.  I.  14.  Fig.  14.  2.  IV.  14. 


Weniger  objektiv,  aber  deutlich  genug,  sind  die  klinischen 
■  i  c  h  e n,  wie  das  z.  B.  an  einem  Teil  unserer  18  Wirbeltuberku- 
n  hervorgeht.  So  bekamen  wir  einen  1 1  jährigen  Knaben  aus 
.  Aer  tuberkulöser  Familie,  den  ich  irn  Vorjahr  wegen  Tubercul. 
:  ni  operiert  hatte,  mit  frischer  tuberkulöser  Spondylitis  dorsalis 
Jer.  In  einem  halben  Jahr  war  der  Kranke  wieder  schmerzlos, 

:  ohne  Apparat  umher  und  hat  sich  ausserordentlich  gekräftigt. 
Auch  mit  den  schwereren  Formen  von  destruierendem 
gus  sahen  wir  Erfreuliches.  Wiederholt  haben  wir  den  Rückgang 
in  Progredienz  begriffenen  schwer  schmerzhaften  Koxitis  gesehen, 
auffallendsten  war  mir  ein  22  jähriges  Mädchen,  das  mit  äusserst 
merzhaftej  destruierender  Tuberkulose  des  Kniegelenks  mit  Sub- 
tion  der  I  ibia  zu  uns  kam,  und  bei  dem  in  etwa  einem  Vieteljahi 
Abschwellen,  Schmerzloswerden  bei  Erhalten  einer  gewissen  Be- 
1  ichkeit  erzielt  wurde.  Ich  kann  versichern,  dass  ich  dieses 
i  noch  ein  Jahr  vorher  —  wie  es  ja  auch  Gar  re  empfiehlt  — 
ziert  hatte. 

Es  kommen  weiter  die  eiternden  Fälle.  Es  kommt  unter 
Bestrahlung  gelegentlich  zur  Entstehung  von  Abszessen.  Bei 
itn  8  jährigen  Knaben  mit  schwerer  Wirbcltuberkulose  haben  wir 
u,  dass  am  Hals  Drüsen  anschwollen  und  vereiterten,  später  aber 
Heilung  kamen.  Diese  und  andere  Abszessbildungen  sind  dann 
i  den  üblichen  Injektionen  geheilt,  Koxitis  mit  Abszess  zurtick- 
■det,  ein  tuberkulöser  Abszess  am  Schläfenbein  völlig  verschwun- 
Auch  beim  Erwachsenen  ist  die  Heilung  von  Senkungsabszessen 
igen. 

Von  besonderer  Wichtigkeit  sind  die  fistulösen  Formen 
ire  Reaktion  ist  verschieden.  Die  Fisteln  sezernieren  zuweilen 
i'Sal  unter  der  Bestrahlung,  di^  Absonderung  lässt  dann  nach 
kommt  in  günstigen  Fällen  zum  Schluss.  Wir  haben  das  am  Vor- 
rm,  am  Fuss,  am  Jochbein,  an  der  Hüfte  gesehen,  besonders  auch 
Jen  unangenehmen  Fisteln  nach  Resektion.  Sowohl  bei  Kindern 
|  bei  Erwachsenen  haben  wir  Heilung  beobachtet.  Aber  in  anderen 
i  n  sind  die  Fisteln  uns  ein  Kreuz  geblieben.  Bei  einer  Reihe  von 
'.'nten.  mit  soweit  sehr  erfreulicher  Besserung,  haben  sich  die 
1  In  erhalten;  wenn  auch  einzelne  sich  schlossen,  sezernierten  die 
ren  weiter  und  waren  auch  anderen  Mitteln  unzugänglich. 

Einen  günstigen  Einfluss  scheint  die  Bestrahlung  auch  auf  die 
i  hinfektion,  die  Reinigung  der  Granulationen  zu  haben. 

Bisher  habe  ich  Beobachtungen  wiedergegeben,  bei  denen  eben 
-Quarzlampe  als  das  wirksame  Agens  in  der  Behandlung  er- 
|  nen  musste.  Aber  wir  sind  natürlich  nicht  so  einseitig  gewesen, 
tuf  diese  Therapie  zu  versteifen.  Es  bleiben  Fälle,  wie  schwere 
1  ose  Beckentuberkulosen,  schwere  Gelenktuberkulosen,  zumal  bei 
en  Personen,  bei  denen  sie  keinen  Erfolg  zeigten. 

ir  haben  hier  die  bewährten  Mittel  in  geeigneter  Weise  überall 
i  wandt,  aber  der  einzige,  ausser  der  Quarzlampentherapie  für  uns 
i  Faktor  war  die  systematische  Röntgenbestrah- 
?.  die  wir  besonders  seit  Einrichtung  der  Tiefentherapie  wieder 
i-dehnter  zur  Anwendung  gebracht  haben. 

Wir  haben  bisher  107  Tuberkulosen  mit  Röntgen  behandelt. 
■Jings  nur  wenige  Fälle  rein,  z.  B.  Lupus  und  Drüsen.  Meist  wurde 
’oen  noch  mit  der  Quarzlampe  bestrahlt,  welche  Kombination  also 

'aus  zulässig  ist. 

Besonders  I  s  e  1  i  n  -  Basel  hat  die  Röntgentherapie  chirurgischer 
rkulose  auszubauen  versucht,  und  hat  darüber  ebenfalls  im 


Frühjahr  1913  berichtet.  An  den  grossen  Gelenken  der  Schulter, 
Hüfte,  im  Becken  hatte  er  keine  Erfolge,  an  Ellbogen,  Hand  und  Fuss 
dagegen  Heilungen,  und  hatte  auch  Verschluss  von  Fisteln  gesehen. 
Daneben  bedeutende  Gewichtszunahmen.  Er  empfiehlt  das  Verfahren, 
das  bei  Kindern  wegen  Schädigung  der  Epiphysenlinie  ausgeschlossen 
sei,  bei  Erwachsenen  und  alten  Leuten,  oft  auch  nach  der  Operation. 

Garrc  konnte  die  günstigen  Erfolge  auch  für  die  kleinen  Ge¬ 
lenke,  besonders  die  Hand,  nicht  bestätigen.  Verschluss  von  Fisteln, 
Gewichtszunahme  hat  auch  er  gesehen. 

Wir  haben  z.  T.  mit  dem  alten  Instrumentarium,  seit  diesem 
Winter  auch  mit  der  Tiefenbestrahlung  gearbeitet.  Da  Iselin 
noch  nach  1  34  Jahren  Spätschädigung  der  Haut  sah  —  nichtheilende 
ulccra  schwerster  Form  —  so  ist  Vorsicht  geboten. 

E>as  Gelenk  wird  möglichst  von  2,  3  oder  4  Seiten  bestrahlt. 
Jedes  Feld  erhält  15 — 20  X,  so  dass  zuweilen  in  einer  Sitzung  80  X 
gegeben  werden.  Die  Strahlenfilterung  geschieht  mit  1  mm  dickem 
Aluminiumblech.  Unsere  meisten  Gelenke  erhielten  so  etwa  180  X. 
Die  Bestrahlung  wird  alle  14  Tage  bis  3  Wochen  wiederholt. 

Bei  der  I  uberkulose  der  Drüsen  haben  wir  gleich  anderen 
Erfolg  gesehen.  Oft  kommt  cs  zur  Erweichung  und  Eiterung,  man 
muss  injizieren,  exkochleieren  etc.  Auf  alle  Fälle  dauert  die  Heilung 
lange,  und  nicht  alle  Patienten  haben  Zeit  und  Lust  zu  dem  Ver¬ 
fahren.  Auf  jeden  Fall  aber  haben  wir  damit  ein  Mittel,  das  mir  be¬ 
sonders  bei  den  weitverbreiteten  multiplen  Drüsen  ebenso  wie  even¬ 
tuell  zur  Nachbehandlung  nach  Operationen  zweckmässig  erscheint. 
Beim  Erwachsenen  verwenden  wir  hier  Röntgenbestrahlung  und 
Quarzlampe,  während  wir  bei  Kindern  nur  die  Quarzlampe  in  der 
Allgemeinbestrahlung  verwenden. 

Bei  der  Knochen  -  und  Gelenktuberkulose  haben  wir 
t  fast  ausnahmslos  die  lokale  Röntgen-  mit  der  allgemeinen  Quarz¬ 
bestrahlung  kombiniert.  Im  ganzen  habe  ich  nicht  den  Eindruck,  dass 
das  Hinzutreten  der  Röntgentherapie  überraschende  Erfolge  gehabt 
hätte.  An  Hand-  und  Fussgelenk  hatten  wir  einige  Erfolge,  die  wohl 
auf  die  Röntgenbestrahlung  geschoben  werden  müssen.  Auch  sind 
einige  Fisteln  geheilt,  die  vorher  mit  der  Quarzlampe  allein  nicht  zur 
Heilung  kamen.  In  anderen  Fällen,  bei  welchen  uns  diese  im  Stich 
gelassen  hatte,  z.  B.  am  Kreuzbein,  haben  auch  die  Röntgenstrahlcn 
keinen  Fortschritt  gebracht. 

Bei  Durchbruch  eitriger  Tuberkulose  an  den  Gelenken 
’  I  entschiedener  Progredienz,  auch  bei  hinzugetretener 
Misch  infektion  habe  ich  in  mehreren  Fällen  einen  beson¬ 
deren  Weg  eingeschlagen.  Bei  mehreren  Fuss-  und  Ell¬ 
bogengelenken  Erwachsener,  z.  T.  älterer  Personen,  habe  ich  von 
der  Stelle  der  Eiterung  bzw.  den  Fisteln  aus  eine  breite  Eröffnung 
mit  partieller  Exkochleation  gemacht,  tamponiert  und  dann  alsbald  die 
Wundflächen  mit  Quarzlampe  und  Röntgenstrahlen  behandeln  lassen. 
Der  Erfolg  war  in  mehreren  Fällen  von  sehr  schwer  eitriger  Knochen- 
Gelenktuberkulose  Erwachsener  ein  recht  guter,  die  Wunden  reinig¬ 
ten  sich,  so  dass  der  Prozess  der  Heilung  entgegengeht  —  ohne  Re¬ 
sektion.  Auch  bei  der  sehr  schweren  Mischinfektion  einer  nach  Re¬ 
sektion  fistulös  rezidivierten  Ellbogentuberkulose  einer  alten  Frau 
kam  es  zum  Stillstand,  schliesslich  zur  Heilung  der  Fisteln,  und  die 
Amputation  konnte  vermieden  werden. 

Diese  Beobachtungen  erscheinen  mir  wichtig,  einmal  weil  man 
in  diesen  Fällen  früher  immer  regelrecht  reseziert  hätte,  und  weil  ein 
solches  partielles  Ausräumen  eitrig  tuberkulöser  Gelenke  mit  Tam¬ 
ponade  sich  früher  häufig  schwer  rächte.  Vielleicht  ist  der  hervor¬ 
gehobene  günstige  Einfluss  der  Quarzlampe  bei  Mischinfektionen  zu¬ 
sammen  mit  der  Röntgenbestrahlung  der  offen  zutage  liegenden 
tuberkulösen  Erkrankung  in  der  durch  die  Auslöffelung  verdünnten 
Schicht  imstande,  für  diese  schweren  Fälle  einen  gangbaren  Weg  zu 
führen. 

Ich  habe  eine  Reihe  günstiger  Erfolge  bei  unserer  Behandlung 
der  chirurgischen  Tuberkulose  geschildert,  und  obwohl  ich  nicht 
verschwiegen  habe,  dass  auch  Misserfolge  bleiben,  habe  ich  vielleicht 
manchem  von  Ihnen  ein  zu  rosiges  Bild  entworfen.  Deshalb  will  ich 
nochmals  betonen:  nicht  die  einzelnen  guten  Erfolge,  sondern  der 
immer  gleichmässige  Eindruck  der  letzten  114  Jahre  bestimmen  mich, 
zu  glauben,  dass  wir  es  wirklich  mit  einem  Fortschritt  in  der  Be¬ 
handlung  zu  tun  haben.  Wenn  ich  27  K  n  i  e  t  u  b  e  r  k  u  I  o  s  e  n  be¬ 
handle,  von  denen  ich  nur  eine  reseziere,  so  ist  das  anders 
wie  früher.  Wie  weit  die  Annahme,  dass  die  syste¬ 
matische  Behandlung  mit  der  Quarzlampe,  und 
mit  der  Röntgentherapie  an  diesem  Erfolg  Anteil 
hat,  zu  Recht  besteht,  das  muss  erst  die  Zukunft 
erweisen. 

Nur  für  die  isolierten  ohne  Verstümmelung  radikal  entfernbaren 
Tuberkuloseherde  bin  ich  auch  heute  noch  unbedingt  für 
Operation.  Einen  noch  nicht  ins  Gelenk  oerforierten  Knochen¬ 
herd  an  gut  erreichbarer  Stelle,  auch  an  der  Ripne,  entferne  ich  so 
gut  wie  die  isolierten  Lymphdriisenpakete,  am  Hals,  in  der  Sub- 
maxillargegend.  der  Achselhöhle  etc.  Nichts  dankbareres  als  solche 
Eingriffe.  Die  örtliche  Tuberkulose  ist  eliminiert;  es  ist  eine  absolut 
unbeweisbare  Hypothese  von  W  i  I  m  s,  dass  die  Entfernung  dieser 
Drüsen  dem  Träger  die  Widerstandskraft  gegen  neue  Tuberkulose 
nähme,  welche  er  bei  der  Resorption  unter  der  Röntgentherapie  ge¬ 
winnen  soll. 

Die  Gelenktuberkulosen  aber  operiere  ich  nicht  mehr  so  wie 
früher,  allein  aus  dem  Grunde,  weil  Knochenherde  oder  Destruktion 

2* 


1940 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  3 


der  Gelenkenden  mit  Subluxation  da  sind,  oder  weil  Vereiterung  ein¬ 
getreten  ist.  Nur  bei  den  schwer  entzündlichen  mehr  akuten  Formen, 
auch  mit  Mischinfektion,  operiere  ich,  aber  vorläufig  ohne  Resektion, 
mit  Exkochleation,  Tamponade  und  folgender  Röntgen-  und  Quarz¬ 
bestrahlung.  Nur  bei  wirklichem  weiteren  Fortschreiten  würde  ich 
mich  zur  Resektion,  bei  alten  Personen  zur  Amputation  entschliessen. 

Vorhandene  Fisteln  ändern  zunächst  nichts  an  diesem  Vor¬ 
gehen  —  abgesehen  vielleicht  von  direkt  septischer  Infektion. 

Bei  den  übrigen  Fällen  wird,  unter  Ruhigsteilung  —  in  Schienen¬ 
oder  Extremitätenverband,  selten  in  Gips  —  die  örtliche  Be¬ 
handlung  auf  Einspritzen  von  Jodoformglyzerin  in  Gelenke  und 
Abszesse,  seltener  Inzision  und  Exkochleation,  beschränkt;  bei  den 
Gelenken  Erwachsener  in  Kombination  lokaler  Röntgenbestrahlung. 

Zur  Allgemeinbehandlung  wird  häufig  Tuberkulin  verwendet. 
Wir  nehmen  dazu  die  Bazillenemulsion  (Neutuberkulin)  in  3  Formen; 

!.  langsame  Kur:  von  0,001  mg  ansteigend  bis  600  mg; 

2.  mittlere  Kur,  von  0,001  mg  bis  1000  mg; 

3.  schnelle  Kur,  von  0,05  mg  bis  1000  mg. 

Die  Injektionen  werden  wöchentlich  2  mal,  bei  den  höheren 
Dosen  1  mal  gemacht,  zur  Vermeidung  von  Fieberreaktionen. 

Dazu  kommt  dann  die  Allgemeinbehandlung  mit  der  Quarzlampe, 
mit  Aufenthalt  in  der  Luft  und  Sonnenbädern. 

Mit  diesem  ganzen  Apparat  ist  aber  die  Kur  noch  nicht  ge¬ 
schlossen.  Wir  werden  zu  keiner  definitiven  Heilung  der  chirurgi¬ 
schen  Tuberkulose  kommen  ohne  Dauerkontrolle  der 
Patienten.  Wie  bei  der  Syphilis  jeder  Kranke  sich 
selbstverständlich  der  Nachuntersuchung  unter¬ 
zieht,  weil  er  über  den  Charakter  seiner  Erkran¬ 
kung  aufgeklärt  ist,  so  muss  es  auch  bei  unseren 
Tuberkulösen  werden.  Wir  haben  schon  in  grösserem  Mass- 
stabe  Kontrolltage  eingerichtet.  Wiederholt  haben  wir  dabei  zu¬ 
fällig  einen  neuen  Krankheitsherd,  eine  Verschlimmerung  der  Tuber¬ 
kulose  entdeckt,  die  nun  wieder  in  rechtzeitige  Behandlung  genommen 
werden  konnte. 

Deshalb  muss  ein  Verzeichnis  aller  Tuberkulösen  angelegt 
werden,  und  sind  sie  zuerst  alle  Viertel-,  später  alle  Halbjahr  oder 
mehr  zu  untersuchen.  Und  darin  können  die  Herren  Kollege-  in 
Stadt  und  Land  die  Anstalten  unterstützen.  Erst  wenn  diese  Dauer¬ 
überwachung  dafür  sorgt,  dass  die  mit  den  neuen  Methoden  erreichten 
Erfolge  anhalten  oder  wiedergewonnen  werden,  ist  eine  wirksame 
Therapie  auch  der  chirurgischen  Tuberkulose  zu  erwarten. 


Bücheranzeigen  und  Referate. 

Spezielle  Pathologie  und  Therapie  innerer  Krankheiten  in 

10  Bänden.  Herausgegeben  von  Friedrich  Kraus  und  Theodor 
Brugsch.  Verlag  von  Urban  und  Schwartzenberg. 

Seit  Ankündigung  der  ersten  Lieferungen  des  grossen  Werkes 
in  der  M.m.W.  sind  jetzt  weitere  Lieferungen  erschienen.  Da  die 
Lieferungen  in  sehr  verschiedene  Kapitel  hineingreifen,  sie  zum 
grossen  Teil  auch  noch  nicht  vollenden,  so  ist  eine  eingehendere  Be¬ 
sprechung  noch  nicht  möglich.  Diese  soll  nach  Erscheinen  des  ganzen 
Werkes  erfolgen.  Ich  begnüge  mich  bis  dahin  nur  die  Verfasser 
und  den  Inhalt  der  einzelnen  Abhandlungen  anzugeben.  Es  sind 
neuerdings  erschienen  Lieferung  25 — 39,  enthaltend :  Hoffendahl- 
Berlin;  Erkrankungen  der  Mundhöhle;  B  r  u  g  s  c  h  -  Berlin:  Erkran¬ 
kungen  der  Mundspeicheldrüsen;  R  i  d  d  e  r  -  Falkenstein:  Die  Er¬ 
krankungen  der  Speiseröhre;  Fuld- Berlin:  Physiologie  der  Magen- 
und  Darmverdauung;  Zweig- Wien:  Grundzüge  der  zweckmässigen 
Ernährung  und  Ernährungskuren  bei  Magenkrankheiten;  Licht¬ 
witz-Göttingen:  Ueber  die  Bildung  von  Niederschlägen  und  Kon¬ 
krementen  im  Harn  und  in  den  Harnwegen;  B  r  u  g  s  c  h  -  Berlin: 
Fettsucht  (1.  Hälfte);  S  t  r  a  s  s  e  r  -  Wien:  Erysipel;  Schilling- 
Berlin:  Tropenkrankheiten  I;  E 1  s  n  e  r  -  Berlin:  Magenuntersuchungs¬ 
methoden:  v.  B  e  r  g  m  a  n  n  -  Altona:  Die  Röntgenuntersuchung  des 
Magens;  R  ey  h  e  r  -  Berlin:  Keuchhusten;  D  e  y  c  k  e  -  Lübeck:  Die 
Lepra.  V  o  i  t  -  Giessen. 

M.  Kassowitz:  Gesammelte  Abhandlungen.  In  Verbindung 
mit  Büttner,  Hochsinger,  Holitscher,  Mautner  heraus¬ 
gegeben  von  Dr.  Julie  Kassowitz.  Berlin.  Verlag  Julius  Sprin¬ 
ger.  34  Bogen,  1  Porträt.  Preis  12  M. 

Die  vorliegende  Sammlung  enthält  lange  nicht  das  ganze  Lebens¬ 
werk  des  vor  Jahresfrist  als  Siebziger  verstorbenen  Wiener  Kinder¬ 
arztes  und  Biologen,  aber  sie  bietet,  von  sachkundiger  Hand  zu¬ 
sammengestellt,  einen  recht  umfassenden  und  viele  wohl  überraschen¬ 
den  Einblick.  Mancher,  der  die  einleitenden  grossen  Worte  der 
Herausgeberin  nur  ihrem  pietätvollen  Empfinden  zugute  halten  wollte, 
mag  darüber  bei  der  Durchsicht  und  gar  beim  eingehenden  Studium 
der  Abhandlungen  allmählich  anderer  Ansicht  geworden  sein.  Das 
Lebenswerk  dieses  Mannes  ist  in  der  Tat  imposant. 

Gegen  50  Publikationen  von  Kassowitz  befassen  sich  mit 
Fragen  der  normalen  und  pathologischen  Ossifikation,  insbesonders  bei 
Rachitis  und  mit  der  Therapie  dieses  Zustandes.  Eine  Blütenlese 
von  mehreren  dieser  —  zum  Teil  an  wenig  zugänglichem  Orte  er¬ 
schienenen  —  Arbeiten  lehren  uns  den  Verf.  kennen  als  fleissigen  und 
bewanderten  Knochenhistologen,  als  feinen  ärztlichen  Beobachter  und 


erfolgreichen  Finder  auf  therapeutischem  Gebiet.  Ein  weiterer  A 
schnitt  „zur  Diphtherie-Heilserumfrage“  zeigt  uns  den  glänzend 
Polemiker  und  Dialektiker,  der  auch  dort  lehrreich  und  interessa 
ist,  wo  er  offenkundig  irrt.  Ohne  Zweifel  hat  K.  zur  Beurteilung  d 
hier  behandelten  Themas  mehr  beigetragen  als  hundert  andere,  i 
in  breiten  Phrasen  lange  schon  leergewordenes  Stroh  nachdresch 
zu  sollen  vermeint  haben. 

Von  den  Abhandlungen  „aus  verschiedenen  Gebieten  der  Kindt 
heilkunde“  sei  nur  jene  über  den  grösseren  Stoffverbrauch  des  Kind 
erwähnt,  weil  sich  hier  heute  schon  bewahrheitet,  was  die  Herai 
geberin  prophezeit,  dass  nämlich  allerjüngste  Forschungen  bestätig 
werden,  was  K.  fast  isoliert  gegen  hervorragende  Autoritäten  s 
Jahren  vertreten  hat  (vergl.  z.  B.  Benedict  und  Talbot:  T 
Gaseous  Metabolism  of  infants,  Carnegie  Instittuion  1914). 

Dieses  Thema  leitet  über  zu  Abhandlungen,  die  die  Erkennt, 
der  Lebenserscheinungen  im  Lichte  einer  neuen  Theorie  behände 
Gemeint  ist  des  Verf.  metabolische  Stoffwechsellehre  und  seine  g; 
gliozentrische  oder  Reflexkettentheorie,  ein  geistvoll  gefügtes  b 
logisches  System,  das  mit  der  Kalorienlehre,  mit  der  Isodynamie  c 
Nahrungsstoffe  bricht  und  völlig  neue  Gedanken  einführt.  „Das  b 
logische  Lehrgebäude  von  K.  ist  vielleicht  dazu  berufen,  eine  ne 
Aera  der  Wissenschaft  zu  inaugurieren,  die  wieder  den  Mut  ■> 
Hypothese  hat  und  bewusst  konstruktiv  zu  Werke  geht,  um  ein  i 
schlossenes  mechanisches  Weltbild  aufzubauen.“  Schreibtischtbes 
finden  ja  heute  weit  weniger  Kredit  als  solche,  die  frisch  aus  c 
Bürette  gezupft  wurden.  Aber  auch  Wahrheiten  letzterer  Gent 
sind  sehr  oft  ephemer.  Vielleicht  lehrt  das  Schicksal  von  Kass 
witz’  Metabolismus  in  der  Tat,  dass  das  Produkt  aus  dem  Idet 
laboratorium  eines  grundgescheitcn.  ausgereiften  Mannes  von  u 
fassendem  Wissen  mit  den  Produkten  anderer  Laboratorien  erio 
reich  in  Konkurrenz  treten  kann.  Pfaundler 

Ph.  B  o  c  k  e  n  h  e  i  m  e  r  -  Berlin:  Allgemeine  Chirurgie.  Leipj 

Klinkhardt,  1914.  3  Teile.  Preis  gebunden  33  M. 

Das  grosse  Gebiet  der  allgemeinen  Chirurgie  in  einem  nicht 
un  angreichen  Werke  zum  Gebrauch  für  Studierende  und  Aer 
I  zusammenzustellen,  erfordert  intensive  Arbeit  und  reiche  Erfahru 
Die  allgemeine  Chirurgie  hat  so  ausserordentlich  viel  Beziehung 
zu  anderen  wichtigen  Disziplinen,  zur  pathologischen  Anatomie, 
Bakteriologie,  zur  inneren  Medizin,  dass  ihre  Darstellung  neben  ein 
umfangreichen  Wissen  eingehende  Vorarbeiten  auf  den  verschied 
sten  Gebieten  erfordert.  Dem  Verfasser  ist  diese  schwere  Aufgi 
in  dem  vorliegenden  Werke  in  vortrefflicher  Weise  gelungen.  Er 
es  verstanden,  aus  der  Fülle  des  Stoffes  das  Wesentlichste  hera 
zuwählen  und  dem  Leser  in  kurzer  und  präziser  Form  darzustell 
Durch  seine  langjährige  Erfahrung  als  akademischer  Lehrer  sch 
er  zu  dieser  Arbeit  in  besonderem  Masse  befähigt. 

Das  Werk  gliedert  sich  in  3  Teile.  Der  erste  behandelt 
chirurgische  Operationslehre,  der  zweite  die  allgemeinen  chirui 
sehen  Erkrankungen  und  der  dritte  die  Geschwülste  und  Zysten. 

Bei  der  Darstellung  ist  überall  das  Bestreben  erkenntlich, 
für  die  praktischen  Bedürfnisse  brauchbares  Werk  zu  schaffen,  d 
den  Leser  schnell  über  alles  Wissenswerte  zu  unterrichten  und  da 
doch  das  Buch  auf  der  Höhe  der  wissenschaftlichen  Forschung 
halten.  Wesentlich  gefördert  wurde  diese  Absicht  durch  die  Beig, 
von  sehr  zahlreichen  Abbildungen,  die  zum  Teil  der  eigenen  reic! 
Sammlung  des  Verfassers  entstammen,  zum  Teil  anderen  Wer! 
entlehnt  sind.  Die  Mehrzahl  derselben  muss  als  recht  gut  bezeich 
werden.  Nur  die  Röntgenbilder  fallen  gegen  die  anderen  Figu 
erheblich  ab  und  lassen  zum  Teil  sehr  wenig  von  den  betreffem 
Veränderungen  erkennen.  Dieser  Mangel  wird  in  einer  neuen  P 
läge  leicht  zu  beheben  sein.  .  Kreclu 

Ernst  Pagen  Stecher:  Ueber  das  Vorkommen  des  ende 
sehen  Kropfes  und  der  Schilddrüsenvergrösserung  am  Mittelrhein 

in  Nassau.  Mit  einem  Vorwort  von  Geh.  Med.-Rat  Proi. 

K.  Garre  in  Bonn  a.  Rh.  Verlag:  J.  F.  Bergmann,  Wiesbac 
1914. 

In  einer  Zeit,  in  der  die  Bodentheorie  und  die  Infektionsthe< 
der  Kropfentstehung  noch  unentschieden  miteinander  kämpfen, 
jeder  statistische  Beitrag  über  Kropfhäufigkeit  in  bestimmten  g 
graphischen  Gebieten  wertvoll. 

In  der  vorliegenden  Schrift  von  Pa  gen  Stecher  ist  das 
biet  des  Mittelrheins  und  von  Nassau  einer  Bearbeitung  unterzo 
worden.  Pagenstecher  kommt  auf  Grund  seiner  Zusamm 
Stellungen  zu  einer  gewissen  Bestätigung  des  B  i  r  c  h  e  r  sehen 
setzes:  Wo  devonischer  Schiefer,  also  alte  marine  Bildung  allein  \ 
liegt,  ist  die  Häufigkeit  des  Kropfes  am  stärksten,  wo  Süsswas' 
bildung  sich  auf  ihm  abgelagert  hat,  fehlt  Kropf  im  allgemeinen; 
ringe  Häufigkeit  ist  vorhanden,  wo  alluviales  Gerolle  Süsswas: 
bildung  durchsetzt  oder  wo  sich  Devon,  tertiäre  marine  und  - 
wasserschichten  berühren  oder  überlagern  und  Juramuschelkalk 
zukommt. 

Unerklärt  und  mit  dem  B  i  r  c  h  e  r  sehen  Gesetz  nicht  verein 
ist  jedoch  die  Häufigkeit  des  Kropfes  im  Neuwiedener  Becken, 
von  vulkanischem  Bimsstein  hoch  überschichtet  ist.  Vulkanische 
biete  sollten  von  Kropf  nach  B  i  r  c  h  e  r  frei  sein. 

Oberndorfer  -  Münchei 


,  September_1914. _ MUKNCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Die  menschliche  Intelligenz  und  ihre  Steigerung.  (Eine  Anleitung 
,n  rationellen  Denken.)  Von  Dr.  med.  A.  Lorand.  Verlag 
erner  Klink  har  dt.  Leipzig  1914  S.  413.  M  5  — 

Nach  mancherlei  vorbereitenden  Arbeiten  über  das  Altern“ 
c  rationelle  Ernährungsweise“  u  a.  hat  L.  es  jetzt  unternommen! 
cli  die  menschliche  Intelligenz  einer  empirisch-medizinischen  Betrach- 
igsweise  zu  unterwerfen  und  unsere  gesamte  Geistestätigkeit  bis 
ihre  einzelnen  I  unktionen  des  Denk-  und  Schlussvermögens,  der 
I  obachtungsgabe  und  des  Gedächtnisses  vorn  ontogenetischen  Stand- 
1  ^ te  aus  zu  beleuchten.  Obschon  L.  gleich  im  Vorwort  sowohl  für 
.Methode  seiner  Betrachtungsweise  als  auch  für  den  Inhalt  seiner 
,  beit  den  einfachen  gesunden  Menschenverstand  als  Gegenstand 
nes  Interesses  kennzeichnet,  so  ist  die  Aufgabe,  die  er  sich  stellt 
m  dem  Einfluss  der  Zirkulationsverhältnisse  im  Gehirn  bis  zu 
nen  Vorschlägen  zur  modernen  Schulreform)  für  den  Raum  eines 
händigen  \\  erkes  fast  zu  kühn.  Dennoch  gelingt  es  der  klaren 
1  an  belegen  reichen  Deduktion,  uns  nach  und  nach  von  der 
1  rwirklichung  seiner  Theoreme  zu  überzeugen. 

Eine  besondere  Gründlichkeit  und  Liebe  ist  der  methodischen 
:iehung  unserer  Jugend  zugewendet.  Die  Kapitel  über  die  Wichtig- 
,i  der  Sinnesübungen,  die  Kunst  des  Vergessens,  über  rationelles 
nen  und  Studieren  gehören  zu  dem  Besten,  was  ich  über  diesen 
ft  bisher  gelesen  habe.  Die  Abschnitte  „von  grossen  Männern, 
i  kränkliche  Kinder  oder  schlechte  Schüler  waren“  fesseln  durch 
Fülle  der  Beispiele  und  ihre  geistvolle  Diktion.  Mit  grossem 
'•er  und  grosser  Eindringlichkeit  redet  der  letzte  Teil  des  Werkes 
der  Reform  unseres  Schulunterrichts,  von  der  Notwendigkeit  der 
dwerklichen  Unterweisung  neben  der  geistigen  Paukarbeit,  von 
\  erbesserung  des  vernachlässigten  deutschen  Sprachunterrichts 
i  der  Notwendigkeit  der  Erziehung  genialer  Kinder  der  Armen 
der  Heranziehung  neuer  Lehrgegenstände  wie:  die  Biographien 
sser  Männer.  Es  ist  der  Grundriss  zu  einer  Pädagogik  grossen 
es,  wie  sie  Montessori  begonnen  und  auch  Ardigho  ge- 
t  hat;  auch  wenn  man  der  systematischen  Entwicklung  dieser 
i  lankengänge  des  Verfassers  folgt,  so  erscheint  die  Verwirklichung 
"er  Vorschläge  nicht  nur  durchaus  möglich  und  wahrscheinlich 
Gern  sogar  notwendig. 

Man  möchte  von  diesem  Buche  mit  Leibniz’  Vater  sagen 
i  er  dem  Sohn  seine  Bibliothek  öffnete,  „tolle,  lege!“ 

Wolf-  Meissen. 


Neueste  Journalliteratur. 

Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie.  128  Bd.,  3.-4.  lieft. 

P.  Sick:  Weitere  Erfahrungen  mit  kombinierten  Narkosen. 

s  der  chirugischen  Abteilung  des  Diakonissenhauses  in  Leipzig.) 
Sick  wendet  weiter  mit  bestem  Erfolge  die  Skopolamin- 
phiuminjektion  vor  der  Narkose  an.  Wichtig  ist,  das  Morphium 
auch  das  Pantopon  nicht  mehrmals  mit  dem  Skopolamin  zu 
•n,  die  kumulierende  Wirkung  kann  zum  Exitus  führen,  an  dem 
üblich  das  Skopolamin  unschuldig  ist.  In  dringenden  Fällen  wird 
i  'Pin-Morphium  in  einmaliger  Gabe  verwendet.  Der  Verbrauch  an 
;ier  ging  mit  dieser  Methode  auf  %  der  früheren  Menge  zurück; 
echen  nur  in  0,5—1  Proz.  der  Fälle  (1000  Narkosen). 

Bruno  Storch:  Ueber  Magen-  und  Dünndarmsarkome.  (Aus 
:  äusseren  Abteilung  der  Evangelischen  Diakonissen-Kranken- 
i  alt  zu  Posen.) 

4  Fälle  von  Magensarkom  (3  Rundzellensarkome,  1  Lympho- 
om).  Nach  der  Literatur  sind  die  Rundzellensarkome  am  häufig- 
;  Je  ein  Fall  des  Verfassers  war  am  Pylorus,  an  der  grn  <en 
atur,  an  der  kleinen  Kurvatur,  an  der  Vorderwand  lokal,,  ert. 
Sarkome  metastasieren  im  allgemeinen  weniger  und  später  wie 
;  Karzinome  des  Magens.  In  einem  Falle  des  Verfassers  ent- 
elte  sich  das  Sarkom  vielleicht  auf  dem  Boden  eines  polypösen 
oids.  Die  sichere  Diagnose  kann  nur  auf  Grund  der  mikro- 
ischen  Untersuchung  von  Tumorteilen  oder  Metastasen  gestellt 
'tn.  2  Fälle  von  Dünndarmsarkomen:  zystisch  erweichtes  Spin- 
llensarkom  des  Jejunum  und  Rundzellensarkom  des  Jejunum, 
sch  findet  sich  meist  das  Bild  der  chronischen  Enteritis,  ein 
■  iKteristisches  Symptom  existiert  nicht. 

Herbert  Mosenthin:  Seltenere  Komplikationen  der  multiplen, 

laginären  Exostosen.  (Aus  der  chirurgischen  Abteilung  der  evan- 
chen  Diakonissenanstalt  Posen.) 

ln  der  Familie,  aus  der  die  beiden  Patienten  stammten,  fanden 
multiple  kartilaginäre  Exostosen  vererbt  bei  mehreren  Familien¬ 
iedern;  in  dem  einen  Falle  hatte  sich  über  einer  Exostose  ein 
rysma  ausgebildet,  das  durch  üefässnaht  unter  Erhaltenbleiben 
Zirkulation  exstirpiert  wurde,  in  einem  2.  Falle  war  eine  Exostose 
'  ne  chondromatös  degeneriert  und  machte  Kompressionserschei- 
'cn.  Literatur. 

Sy  ring:  Klinisches  und  Experimentelles  zur  Oesophagusplastik. 

'  der  chirurgischen  Universitätsklinik  zu  Bonn.) 

Bei  einer  Oesophagusplastik  nach  Roux-Lexer  wegen  nar- 
•  Uesophagusstenose  wurde  die  zur  Plastik  benutzte  Jejunum- 
ige  antiperistaltisch  gelagert.  Verfasser  musste  nun  im  Gegen- 
zu  den  Literaturberichten  die  Erfahrung  machen,  dass  nach  Ein- 
J  ng  von  Nahrung  in  den  Magen  eine  so  starke  Peristaltik  der 
nge  einsetzte,  dass  aller  Mageninhalt  wieder  herausgepresst 
e-  Durchtrennung  der  Jejunumschlinge  analwärts  von  der 
oenterostomie,  Durchtrennung  des  zuführenden  Mesenteriums 


fh!rnhtem  dCin  Zli-tanl  mir  se,lr  wenig-  Die  Patientin  starb  an  einer 
iw*--  *  In,an'tl01n  begünstigten  Lungentuberkulose.  Unter  keinen 
Sphiin^eü  *dar  •  demnach  bei  einer  Oesophagoplastik  die  benutzte 
bcnlmge  antiperistaltisch  gelagert  werden.  Speziell  „Vagotoniker“ 
Ä"^rC  ,*antiPerist;dtische  Darmverlagerung  bei  Oesophago- 
k*On  kHgefahrdet  scm‘  Durch  Ausschaltung  der  Reizlcitung  braucht 
keine  Hemmung  dieser  gefährlichen  Peristaltik  einzutreten  (Wirkung 

ei^U|rbachSChe,n  Plexus)‘  Die  klinischen  Erfahrungen  und 
uf ” n'XPeumen  ,e  d<Ts  Verfassers  zeigen,  dass  in  gleicher  Weise 
v’plUrm  [)esopha8°P|ast|l<  aus  der  grossen  Kurvatur  nach  J  i  a  n  u  eine 
Pp^mL*h  ’  nam  oben  gerichtete  Peristaltik  auftreten  kann,  die  das 

schal  teil  fmacht;  Gelingt  nicht>  diese  Peristaltik  auszu- 

S  .«Vf-- :sc.horf/l!nK  der  Serosa  +  Muskularis,  Torquierung,  Atro- 
p iüir  iv  i  r  die  Des°P hauoplastik  die  isoperistaltische  Verlagerung 

einer  Dunndarmschhnge  das  gegebene  Verfahren. 

Ho.,  v'  Dossen;  Ueber  Vererbung  familiärer  Merkmale,  speziell 
den  Vcrerbungsmodus  der  Bluterkrankheit  und  Versuch  seiner  Er- 
Klärung. 

f  ,  ,Die  Vererbung  der  Hämophilie  in  der  Bluterfamilie  Mampel  er- 

Fr au p n 3 n h p r f 01  Ges^z:  ”Pie  Anlage  zu  Blutungen  wird  nur  durch 
Eau„ern  ubertragen,  die  selbst  keine  Bluter  sind.  Nur  Männer  sind 

heh-ntpnVHriprbRin*abier’  «le Prauen  aus  blutgesunder  Familie 

eiraten,  die  Blutanlage  nicht.  Zur  Klärung  des  gynephoren  Ver¬ 
erbungssystems  der  Familie  nimmt  L.  an,  dass  1.  die  Blutanlage,  wenn 
Me  in  der  befruchteten  Eizelle  sich  befindet,  eine  unteilbare  Erbeinheit 
ist,  2.  die  Erbeinheit  der  Bluteranlage  in  der  Familie  M.  sich  immer 
nur  emmai  in  der  befruchteten  Eizelle  findet  und  hierbei  von  dir 
Mutter  stammt;  3  beim  Auswachsen  der  befruchteten  Eizelle  der 
Bluterkeim  entweder  in  die  Körperanlage  (Ursomazelle)  oder  in  die 
rortpflanzungsanlage  (Urgeschlechtmutterzelle)  übergeht,  welche  der 
Beginn  der  Keimbahn  und  Keimanlage  darstellt,  4.  der  Bluterkeim 
meist  mit  der  Determinante  für  das  männliche  Geschlecht  verkettet 
ist  und  damit  auswächst.  Erwähnung  anderer  Bluterfamilien,  die 
z.  i.  „zw  eikeimige  Bluter  repräsentieren.  Durch  Röntgenbestrah- 
mng  geringen  Grades  würde  es  vielleicht  gelingen,  den  dominanten 
Bluterkeim  in  einen  rezessiven  zu  verwandeln  und  damit  die  Nach¬ 
kommenschaft  gesund  zu  machen. 


Fritz  R  i  s:  Beitrag  zur  Kenntnis  des  chronischen  „Rotzes“  beim 
Menschen.  (Die  Wirkung  verschiedener  therapeutischer  Mass¬ 
nahmen.) 

Ausführliche  Krankengeschichte  eines  Veterinärs,  der  sich  bei 
der  mikroskopischen  Untersuchung  von  Präparaten  eines  rotzkranken 
Bierdes  infizierte.  Die  Diagnose  wurde  bakteriologisch  gestellt,  die 
Inkubation  betrug  6  Tage,  die  Krankheit  zeigte  sich  in  folgenden 
1  hasen:  1.  Pleuritis,  2.  Muskelabszesse,  3.  Bronchitis,  4.  Pharyngo- 
Laryngitis,  5.  Septikopyämie.  Sämtliche  sonst  verwandte  Medi¬ 
kamente:  Jod,  Arsen,  Schwefel,  Kollargol  Hessen  im  Stich.  Neu  ist 
die  Anwendung  der  Röntgentherapie  gegen  die  Affektionen  des  Pha- 
r,ynxWLfynx’  der  Dhren,  der  Nase  gegen  die  spezifischen  Abszesse; 
die  Wirkung  war  eine  entschieden  günstige,  ebenso  wurden  Salvar- 
saninjektionen  gut  vertragen  und  beeinflussten  das  Leiden  günstig. 
Es  kam  nicht  zur  Heilung,  der  Kranke  lebt  noch,  ist  aber  durch  das 
schwere  Leiden  hochgradig  geschwächt. 

Esau:  Weitere  Beiträge  zur  Appendizitis.  (Aus  der  chirur¬ 
gischen  Abteilung  des  Kreiskrankenhauses  Oschersleben.) 

Appendizitische  Eiterungen  und  Polyarthritis  acuta.  Der  Auf¬ 
fassung  einiger  Autoren,  dass  die  rheumatische  Affektion  für  die 
dizitis  prädisponiert,  kann  man  nicht  beipflichten,  in  dem  von 
E.  ucobachteten  Fall  war  das  Zusammentreffen  der  beiden  Erkran¬ 
kungen  ein  rein  zufälliges  Ereignis. 

Totalgangrän  der  Appendizitis  (Sequestrierung),  die  total  gan¬ 
gränöse  Appendix  schwamm  in  dem  eröffneten  Abszess.  Ausheilungs¬ 
zustände  (Defekte  in  der  Kontinuität  und  Selbstamputationen).  Echte 
Steine,  Bandwürmer  und  Fremdkörper  in  der  Appendix  (Birnenkern 
und  eine  Nadel).  Karzinom  der  Appendix  (Resectio  ileocoecalis  w'egen 
Verdacht  auf  Tuberkulose,  mikroskopisch  findet  sich  ein  Carcinoma 
scirrhosum  der  Appendix.  Die  extraperitoneale  Appendix  (nur  die 
Spitze  lag  intraperitoneal),  retroperitoneale  Lage  der  appendizitischen 
Eiterung  (ein  interessanter  Fall  mit  Beugekontraktur  des  Hüftgelenks 
als  Symptom),  subfasziale  Eiterung  der  Appendix  (alle  4  Fälle  zeig¬ 
ten  eine  scheinbare  Mitbeteiligung  des  Hüftgelenks,  diagnostisch  wich¬ 
tig  ist  vermehrter  Druckschmerz  bei  gestreckt  erhobenem  Bein),  fer¬ 
ner  Erwähnung  eines  Falls  von  Wanderung  eines  appendizitischen 
Abszesses  unter  dem  Lig.  Poupartii  durch  zum  Oberschenkel.  Magen¬ 
darmblutungen  nach  Appendizitis  (Blutung  12  Tage  nach  der  Opera¬ 
tion).  Fisteln  nach  Operationen  wegen  Appendizitis.  Appendizitis 
und  Chorea  (1  Fall),  Appendizitis  und  akute  Halluzinose.  Differential¬ 
diagnostisches  zur  Appendizitis  (Pneumonie  unter  dem  Bilde  der  aku¬ 
ten  Appendizitis,  appendizitische  Peritonitis  unter  dem  Bilde  der 
Brucheinklemmung). 

Grisson:  Bauchdeckenplastik.  (Aus  der  chirurgischen  Ab¬ 
teilung  des  Freimaurerkrankenhauses  in  Hamburg.) 

Wo  Gr.  genötigt  war,  bei  einer  Appendektomie  zu  tamponieren, 
bleibt  die  Wunde  ganz  offen  und  es  folgt  später  eine  Bauchdecken¬ 
plastik:  die  Hautnarbe  wird  exstirpiert,  die  oberflächliche  Faszie 
parallel  dem  Hautrande  durchschnitten  und  ihr  Rand  mobilisiert,  der 
stehengebliebene  Streifen  mitsamt  der  tiefen  Faszie  vernäht.  Naht 
der  tiefen  Faszie,  Naht  der  oberflächlichen  Faszie  mit  Duplikatur. 
Instruktive  Abbildungen.  Auf  34  kontrollierte  Operationen  nur  ein 


*iy42 


MUENCtiENfcfc  MmZftrtSCBfc  XVOcB^SitiW'T. _ 


Rezidiv  (Wie  N  a  r  a  t  h  und  Verfasser  mit  Recht  betonen,  wird  das 
Verfahren  wohl  sicher  von  anderer  Seite  schon  angewandt,  die 
Klinik  Fnderlen  wandte  es  schon  vor  Jahren  an,  ebenso  Ret.) 

AI  H  a  g  e  n  t  o  r  n :  Ein  Beitrag  zur  Operation  der  Blasenektopie. 
(Aus  dem  städtischen  Krankenhaus  in  Kowno,  Russland.) 

11  schlägt  vor.  das  lleum  mit  seinem  Mesenterium  entsprechend 
der  Anastomose  zwischen  A.  ileocolica  und  Mesent.  sup.  quer  zu 
durchtrennen,  dann  mit  dem  zentralen  lleum  eine  lleozoekostomie 
auszuführen,  den  peripheren  Ileumabschmtt  nebst  Mesenterium  duren 
einen  Spalt  im  rechten  M.  rect.  zu  ziehen  und  die  mobilisierte  Blase 
mit  der  Dtinndarmschlinge  zu  vereinigen. 

A.  K  ö  h  1  e  r  -  Berlin:  Ueber  den  Zucker  und  den  Kohleverband. 

Wie  K.  in  einer  historisch-medizinischen  Abhandlung  zeigt,  geht 
die  Wundbehandlung  mit  Zucker  (neuerdings  wieder  von  Magnus 
u  a  empfohlen)  schon  auf  das  Jahr  300  bis  600  n.  Ohr.  (Indien)  zu¬ 
rück.  Der  Kohleverband  (neuerdings  wieder  von  Hammer  emp¬ 
fohlen)  ist  jüngeren  Datums. 

Erich  Fabian:  Zur  Behandlung  der  Fractura  condyli  exterm 
liumeri  mittels  Exstirpation  des  freien  Fragments.  (Aus  dem  chirur¬ 
gisch-poliklinischen  Institut  der  Universität  Leipzig.) 

1  mal  wurde  die  totale,  1  mal  die  partielle  Exzision  des  üondylus 
cxt.  ausgeführt.  Wenn  die  Adaptierung  der  Fragmente  nicht  sicher 
gelingt,  so  ist  die  Exstirpation  die  beste  Methode. 

Walter  Carl:  Eigenartiger  Heilungsvorgang  bei  suprakondylaren 
Humerusfrakturen  im  Kiiidesalter.  (Aus  der  chirurgischen  Klinik  der 

Universität  in  Königsberg  i.  Pr.)  ,  ,  , 

Bei  2  suprakondylären  Humerusbrücken  bei  Kindern  mit  starker 
Verlagerung  zeigte  sich,  dass  von  dem  peripheren  Fragment  aus, 
sich  ein  neuer  Humerus  ausbildete  und  dass  der  alte  dislozierte  Schaft 
allmählich  sich  stark  zurückbildete  und  ausser  Kurs  gesetzt  wurde, 
so  dass  das  funktionelle  Resultat  schliesslich  ein  recht  gutes  war. 
C.  nimmt  an,  dass  der  Humerus  bei  der  Fraktur  seines  Periost¬ 
schlauches  entblös'st  wurde,  der  mit  dem  peripheren  Fragment  in  Zu- 
sammenhang  blieb,  so  dass  sich  ein  neuer  Röhrenknochen  entwickeln 


konnte. 

Kurze  Mitteilungen.  , 

Rittershaus:  Ueber  das  primäre  Karzinom  der  Vulva.  tAus 
dem  Herzoglichen  Landkrankenhause  zu  Koburg.) 

3  Fälle  von  primären  Vulvakarzinomen  mit  Besprechung  der 
Häufigkeit  (268  Fälle)  der  Klinik  und  der  Therapie. 

Flörcken  -  Paderborn. 


Zentralblatt  für  Chirurgie,  Nr.  35,  1914. 

A.  T.  J  u  r  a  s  z  -  Leipzig:  Die  Paravertebralanästhesie  im  Dienste 
der  Gallensteinchirurgie. 

Verf.  schildert  an  der  Hand  von  2  Fällen,  bei  denen  völlige  An¬ 
ästhesie  erzielt  wurde,  genau  die  Technik  der  einseitigen  Paraverte¬ 
bralanästhesie:  in  linker  Seitenlage  bei  angezogenen  Beinen  wird  zu¬ 
erst  etwa  3  cm  von  der  Dornfortsatzlinie  entfernt  ein  linearer  Haut¬ 
streifen  anästhetisch  gemacht;  dann  geht  er  innerhalb  dieses  Streifens 
in  der  Höhe  der  Spitze  des  6.  Dornfortsatzes  mit  einer  feinen  Nadel 
ein  und  sucht  sich  den  unteren  Rand  des  Querfortsatzes  auf;  dicht 
unter  ihm  führt  er  die  Nadel  J4— 1  cm  tiefer  ein  und  tastet  so  lange, 
bis  der  Pat.  einen  nach  vorne  ausstrahlenden  Schmerz  äussert;  hier 
werden  dann  5  ccm  einer  1  proz.  Novokain-Suprarenin-Lösung  ein¬ 
gespritzt;  ebensolche  Injektionen  werden  an  den  Austrittsstellen  des 
7.  Dorsal-  bis  zum  2.  Lumbalnerven  gemacht,  so  dass  im  ganzen 
40  ccm  einseitig  eingespritzt  werden.  Wichtig  ist,  dass  die  Ein¬ 
spritzung  in  die  Nähe  des  Foramen  intervertebrale  gelangt.  Mit 
diesen  Mengen,  einseitig  eingespritzt,  hat  Verf.  öfters  schon  völlige 
Anästhesie  der  Bauchdecken,  des  Bauchfelles  und  der  rechtsseitigen 
Bauchorgane  erzielt.  Diese  Methode  eignet  sich  vor  allem  für  Opera¬ 
tionen  an  Gallenwegen  bei  solchen  Pat.,  bei  denen  die  Allgemein¬ 
narkose  kontraindiziert  ist. 

R.  G  u  t  z  e  i  t  -  Neidenburg:  Technisches  zur  Erleichterung  der 
Varizenexstirpation. 

Verf.  benützt,  um  sich  die  kleinen  Krampfadern  gut  sichtbar  zu 
machen,  einen  vorher  sterilisierten  Tintenstift  und  zeichnet  auf  der 
vorher  mit  Alkohol  abgeriebenen  Haut  die  sichtbaren  Hautvenen  nach. 
Dann  erfolgt  Pinselung  der  Haut  mit  Jodtinktur;  die  Venen  erscheinen 
darnach  schwarz  auf  braunem  Grunde  und  bleiben  während  der 
Operation  gut  zu  erkennen. 

E.  Heim-  Oberndorf  b/Schweinfurt. 


Zentralblatt  für  Gynäkologie.  Nr.  34,  1914. 

H.  Albrecht  -  München:  Die  Anwendung  des  Koagulen  Kocher- 
Fonio  in  der  Gynäkologie. 

Das  von  Fonio  empfohlene  Koagulen  ist  eine  gerinnungsför¬ 
dernde  Substanz,  die  aus  Tierblutplättchen  dargestellt  wird.  (Fabri¬ 
kant:  Gesellschaft  für  chemische  Industrie  Basel.)  Es  bewirkt  eine 
Beschleunigung  und  Verstärkung  der  Blutgerinnung.  A.  hat  das  Mit¬ 
tel  bei  einer  Reihe  von  vaginalen  und  abdominalen  Operationen  lokal 
angewendet.  Es  wirkte  prompt  bei  flächenhaften  parenchymatösen 
Blutungen,  versagte  aber  bei  allen  arteriellen  und  venösen  Blutungen. 
Auch  bei  essentiellen  Menorrhagien  in  subkutaner  Anwendung  sah  A. 
keine  Erfolge.  Das  Mittel  kommt  in  Pulverform  in  den  Handel;  zum 
Gebrauch  dient  eine  frisch  bereitete  10  proz.  Lösung  in  physiologischer 
Kochsalzlösung,  die  auf  die  blutende  Stelle  aufgespritzt  wird. 


E.  M  e  y  e  r  -  Frankfurt  a.  M.:  Der  Gummifäustling  zur  Leitung 

der  Sp°ntangehU  jer  Qurnrnj|iarKiscjmhc  Gummifäustlinge,  d.  li 

Fausthandschuhe  zur  Leitung  der  Spontangeburt  besonders  für  Heb- 
ammen  geeignet.  Sie  werden  zur  Vorbereitung  der  Kreissenden,  beim 
Kürzen  der  Haare,  Sekretentnahme,  Katheterismus,  Dammschutz  und 
Abnabeln  des  Kindes  benutzt.  Zur  inneren  Untersuchung  sind  sie 
nicht  verwendbar.  Ihr  Hauptvorzug  liegt  in  einer  grösseren  Haltbar¬ 
keit  und  leichteren  aseptischen  Anwendung,  als  bei  den  Gummihand¬ 
schuhen  M.s  Erfahrungen  stammen  aus  der  städtischen  Frauenklinik 
in  Frankfurt,  wo  sie  sich  seit  Jahren  gut  bewährt  haben. 


Jahrbuch  für  Kinderheilkunde.  79.  Band,  6.  Heft. 

E  Moro:  Ueber  den  Einfluss  der  Molke  auf  das  Darmepithel 

(Aus  der  Heidelberger  Kinderklinik.)  I.  Mitteilung.  (Hierzu  9  Text¬ 
abbildungen.)  ... 

Aus  den  schon  von  Lamby  angestellten  Ernahrungsversuchei 
bei  Säuglingen  mit  Frauen-  und  Kuhmolkengemisch  liess  sich  die 
Ueberlegenheit  des  ersteren  Gemisches  im  Ernährungserfolg  erkennen 
Verf  zieht  aus  seinen  Versuchen  allerdings  nur  den  Schluss,  das: 
unter  Umständen  die  Art  der  Molke  allein  den  Ernährungseiiek- 
offenkundig  zu  beeinflussen  vermag.  Den  direkten  Einfluss  der  Molki 
auf  das  Darmepithel  des  Säuglings  studierte  Verf.  einmal  mittels  de 
Methode  der  „vitalen  Färbung“  —  die  aber  keine  befriedigende 
Resultate  ergab.  Nach  der  Methode  der  „Zellatmung“  konnte  Verf 
dagegen  feststellen,  dass  die  Rinderdarmzellen  im  Medium  der  lionm 
logen  Kuhmolke  einen  wesentlich  höheren  Oxydationswert  erreichet 
als  im  Medium  der  heterologen  Frauenmolke.  Dieses  Verhalten  tra 
gesetzmässig  auf.  Die  beschriebene  Methode  lässt  nach  Moro  gut» 
Verwertbarkeit  zur  experimentellen  Inangriffnahme  der  in  den  folgen 
den  Mitteilungen  bearbeiteten  Spezialfragen  erhoffen. 

H.  Hahn  und  E.  Moro:  Ueber  den  Einfluss  der  Molke  auf  da 
Darmepithel.  II.  Mitteilung.  Zur  Frage  nach  der  Artspezifität  de 
Molkenwirkung  auf  Darmzellen. 

Die  mitgeteilten  Versuche  ergaben  folgendes  Resultat:  „De 
Oxydationseffekt  der  Darmzellen  verschiedener  Tierarten  war  in 
homologen  Molkenmedium  durchwegs  grösser  als  in  der  Menschen 
mölke.  Die  Unterschiede  waren  stets  sehr  deutlich  ausgeprägt,  be 
sonders  stark  in  den  Versuchen  mit  Hundedarmzellen.  Geringe 
waren  die  Differenzen  gegenüber  Kuhmolke.  In  den  Versuchsreihe 
Schwein  und  Ziege  zeigten  sich  gegenüber  Kuhmolke  zumeist  über 
haupt  keine  Unterschiede.  Darmzellen  von  älteren  Kindern  und  vo 
künstlich  genährten  (nicht  primär  ernährungsgestörten)  Säuglinge 
ergaben  ungefähr  gleich  grosse  Oxydationswerte  in  Kuh-,  Ziegen 
und  Frauenmolke.  Zu  den  Versuchen  mit  dem  Darmepithel  von  Früh 
gebürten  und  Neugeborenen  trat  hingegen  ein  deutlicher  Unterschie 
zugunsten  der  homologen  Frauenmolke  zutage.“ 

D.  Hayashi:  Ueber  den  Einfluss  der  Molke  auf  das  Darm 
epithel.  III.  Mitteilung.  Kolostrumversuche. 

Aus  diesen  Versuchen  geht  hervor,  dass  eine  die  Dannzell 
atmung  des  neugeborenen  und  jungen  Kalbes  begünstigende  Wirkun 
der  Kolostrahnolke  im  Vergleich  zu  gewöhnlicher  Kuhmolke  mit  diese 
Methodik  nicht  nachweisbar  ist.  Ebensowenig  liess  sich  in  diese 
Hinsicht  ein  Unterschied  zwischen  Erstkolostrum  und  älterer  Koh 
stralmolke  ermitteln. 

L.  Klocman  und  E.  Moro:  Ueber  den  Einfluss  der  Molke  ai 
das  Darmepithel.  IV.  Mitteilung.  Untersuchungen  über  die  an  de 
Verschiedenheit  der  Wirkung  von  Kuh-  und  Menschenmolke  auf  Kä' 
berdarmzellen  wesentlich  beteiligten  Faktoren. 

Diese  Versuche  ergaben,  dass  sich  analoge  Unterschiede  in  de 
Wirkung  von  Kuh-  und  Frauenmolke  auf  Kälberdarmzellen  auch  b 
abdialysierten,  salzfreien  Rückstand  nachweisen  lassen.  Die  Ver 
schliessen  daraus,  dass  neben  der  „Salzwirkung“  oder  vereint  mit  ili 
der  Einfluss  einer  weiteren  Komponente  anzunehmen  ist.  Diese 
Stoff  ist  nach  dem  Verf.  vermutlich  eine  lipoide  Substanz,  die  durc 
spätere  Versuche  noch  näher  charakterisiert  werden  soll. 

E.  Freudenberg  und  G.  Sch  of  man:  Ueber  den  Einflu: 
der  Molke  auf  das  Darmepithel.  V.  Mitteilung.  Resorptionsversueh 
am  überlebenden  Kälberdarm. 

Die  Verf.  konnten  feststellen,  dass  aus  Frauenmolke  absolut  un 
prozentual  wesentlich  geringere  Zuckermengen  im  überlebenden  K:i 
berdarm  verschwinden  als  aus  Kuhmilchmolke.  Diese  Beobachten 
kann  nicht  durch  Diffusionsvorgänge  erklärt  werden.  Ein  Nutzeffel 
seitens  der  Kuhmolke  für  den  Kalbsdarm  wird  ausgeschlossen,  den 
aus  Milchzuckerlösungen  resorbiert  dieser  fast  geradeso  gut  wie  an 
Kuhmolke;  auch  aus  eiweissfreier  Molke  so  gut  wie  aus  genuine 
Dagegen  wird  gezeigt,  dass  der  Frauenmolkc  ein  durch  Kaolinad^iri 
tion  entfernbares  schädigendes  Prinzip  für  den  Vorgang  der  Mild 
zuckeresorption  im  Kalbsdarm  anhaftet,  also  wohl  ihrem  Eiweis 
Eiweissfreie  Frauenmolke  ist  für  den  Darm  so  günstig  wie  Kuhinollv 
Auch  verdaute  Molken  beiderlei  Art  lassen  keine  Unterschiede  hei 
vortreten. 

Ernst  Freudenberg  und  Ludwig  Klocman:  Untei 
suchungen  zum  Spasmophilieproblem.  (Aus  der  Heidelberger  Kindei 
klinik.)  II.  Mitteilung. 

Die  Verff.  verbreiten  sich  über  die  Darstellung  und  Eigenschafte 
der  durch  komplette  Oxydation  von  Lebertran  gewonnenen  Substar 
des  Oxylebertranes.  Durch  Bindung  von  Ca  in  ihren  Oxygruppc 


15.  September  1914. 


stellten  sie  das  „Lipocalcin“  her,  welches  den  Zellen  das  Kalzium 
in  hpoider  Form  zuführen  soll,  wodurch  gegenüber  der  flüchtigen 
des  als  ü  alz  zugeführten  Ca,  eine  protrahierte  Wirkung  erzielt  wer- 
den  sollte.  Analysen  und  Versuclisprotokoll.  Der  theoretisch  ein- 
leuchtenden  Kombination  sollte  die  praktische  Erprobung  des  Prä- 
parates  bei  Spasmophilie  folgen. 

Eds  E  ö  v  e  g  r  e  n  -  Helsingfors  (Fiiiland):  Weitere  Blutbefunde 
bei  Melaena  neonatorum. 

Kasuistische  Mitteilung. 

Vereinsberichte.  Literaturbericht  von  A.  N  i  e  m  a  n  n  -  Berlin. 

Rommel-  München. 

Berliner  klinische  Wochenschrift.  Nr.  35  u.  36,  1914. 

li.  L  o  c  n  e  n  -  Breslau :  flandkrebs  als  Spätfolge  einer  Kriegs¬ 
wunde.  Ä 

Kasuistischer  Beitrag. 

Iheodor  K  oh  r  s -Lübeck:  Das  zytologische  Bild  der  Intrakutan- 
reakt.onen  mit  den  D  e  y  c  k  e  -  M  u  c  h  sehen  Partialantigenen  der 
Tuberkelbazillen  und  dem  Alttuberkulin. 

Mikrobiologischer  Beitrag. 

0.  B  Meyer- Würzburg:  Ueber  Neuralgia  brachialis  und  ein 
eigentümliches  Symptom  bei  derselben. 

Bei  Rasierstellung  des  Kopfes  tritt  ein  Arm-(Schulter-)schmerz 
aut,  welchem  bezüglich  der  brachialen  Neuralgie  diagnostische  Bedeu¬ 
tung  zukommt.  Bei  hartnäckigen  und  besonders  schweren  Formen 
dieser  trkrankung  sollten  stets  Röntgenaufnahmen  der  Halswirbel¬ 
saule  und  der  Plexusgegend  gemacht  werden,  mit  Rücksicht  auf  die 
chirurgische  I  herapie  bei  eventuellen  Neubildungen.  Als  ein  neues 
Vntineuralgikum  hat  sich  das  Algokratin  gut  bewährt.  Für  die 
schweren  Armneuralgien  kommt  die  Injektionstherapie  mit  paraverte- 
hralen  bzw.  epiduralen  Injektionen  an  der  Halswirbelsäule  oder  an 
den  peripheren  Nerven  in  Frage. 

Lungenspitzen11  a  n  n  ^er^n'  ^Ur  D*asnostik  ^er  Erkrankungen  der 

Nach  den  Untersuchungen  des  V  erf.  scheint  es  wahrscheinlich 
dass  bei  ein-  oder  doppelseitiger  Affektion  der  Lungenspitzen  viel 
mutiger  als  bei  gesunden  Lungen  eine  verschiedene  Reizbarkeit  des 
Musculus  dilatator  pupillae  besteht,  die  durch  Lähmung  des  Musculus 
oculomotorius  nach  Einverleibung  von  Atropin  oder  Belladonna  per  os 
erst  deutlich  in  Erscheinung  tritt. 

Nr.  36. 

Lothar  D  r  e  y  e  r  -  Breslau:  Die  jetzige  Gestaltung  des  Druck- 

Merenzver  ahrens  (Vorgetragen  auf  dem  43.  Kongress  der 
■deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie.) 

Cf.  Spezialreferat  der  M.m.W.  1914. 

H.  E  c  k  s  t  ei  n  -  Berlin:  Ueber  einige  unbekannte  Wirkungen  der 
Kontgenstrahlen  und  ihre  therapeutische  Verwertung.  (Vortrag  ge- 
lalten  in  der  Berl.  med.  Ges.  am  8.  Juli  1914.) 

Cf.  S.  1589  der  M.m.W.  1914. 

i  d""  a  11 J  e  n  6  e  r  g  -  Berlin-Lichterfelde:  Klinische  Anwendung 
ler  Kontgenphotographie  der  Leber  und  Milz.  (Nach  einem  Vortrag 
n  der  Berl.  med.  Ges.  am  1.  Juli  1914.) 

Cf.  S.  1533  der  M.m.W.  1914. 

O.  H  e  i  n  e  m  a  n  n  -  Berlin:  Ueber  Lupus  syphiliticus.  . 

\  i,  fu  bfr'chtet  über  einen  Fall  von  Lupus  syphiliticus,  der  grosse 
Uhniichkeit  mit  Lupus  vulgaris  hatte  und  als  solcher  lange  Zeit 

1  ?i°!..behudflt  wurde-  Eine  spezifische  Kur  brachte  in  6  Wochen 
ollstandige  Heilung. 

W.  Kiel- Berlin:  Eine  Vorrichtung  zum  Auffangen  und  Trans- 
ortieren  von  Stuhl  für  klinische  Untersuchungen  (Faecontenor). 

Der  Apparat  besteht  aus  einer  Glasschale  mit  einer  Metall- 
assung  des  Bodens,  die  mit  Gurten  leicht  im  Innern  des  Klosetts  auf- 
. “hangen  ist.  Ein  mit  einer  Dichtung  versehener  Blechdeckel  er- 
nogheht  einen  sicheren  Verschluss.  Dr.  G  r  a  s  s  m  a  n  n  -  München. 

Deutsche  medizinische  Wochenschrift.  Nr.  34  u.  35,  1914. 

( i  r  o  b  e  r  -  Jena:  Die  Behandlung  bedrohlicher  Zustände  bei  den 
amorrhagischen  Diathesen,  bei  der  akuten  Leukämie  und  Pseudo- 
eukamie. 

Klinischer  Vortrag. 

-  R*  edel -Jena:  Ueber  einen  vor  22  Jahren  operierten  Fall  von 
vropttuberkulose  mit  deutlichen  klinischen  Erscheinungen. 

Kurze  Krankengeschichte  eines  1892  operierten  Falles.  Kleiner 
r  5r’  Oesophagus  und  Trachea  fest  umschliessender  Kropf  mit 
h  enDVerwachsungen-  Nach  9  jährigem  Stillstand  entwickelte  sich 
i  aen  Kesten  der  Seitenlappen  ein  wahrscheinlich  tuberkulöses  Re- 
rY- ..  Bei  2  weiteren  Fällen  war  Tuberkulose  gleichfalls  wahr- 
-nunheh.  Vielleicht  beruhen  Kropfrezidive  öfter,  als  man  annimmt, 

unerkulose.  Daher  sollten  häufige  genaue  histologische  Uuter- 
uenungen  gemacht  werden. 

E.  Juliusberger-Breslau:  Koagulen  Kocher-Fonio. 

Besprochen  in  der  Feldärztlichen  Beilage  Nr.  4. 

M  »  t  s  c  h  e  n  b  a  c  h  e  r  -  Pest :  Die  Stillung  der  par- 
nchymatosen  Blutungen  mit  Koagulen  Kocher-Fonio. 

Besprochen  in  der  Feldärztlichen  Beilage  Nr.  4. 

p.  Dr  eye  r- Breslau:  Beitrag  zur  Gefässchirurgie. 
i,,.:1"  Embolus  in  der  Art.  femoralis  war  nach  einer  Prostatektomie 

ich  entstanden.  Nachdem  die  Extraktion  von  einem  Längs- 


MUFNCHhNKR  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


1943 


scbndt  antprl'alb  d°s  P  o  u  p  a  r  t  sehen  Bandes  nicht  gelungen  war, 
wurde  die  Arterie  im  Adduktorenkanal  geöffnet  und  schliesslich  durch 
ninspritzung  von  Kochsalzlösung  durch  einen  Drain  der  28  cm  lange 
verzweigte  Pfropf  zu  der  ersten  oberen  Arterienöffnung  herausbeför- 
dert.  Die  Naht  war  durch  Arteriosklerose  sehr  erschwert.  Schon 
wahrend  der  Operation  traten  neue  Emboli  auf.  Die  Sektion  ergab 

aortaeSPrUngS°rt  der  Bmboden  e*nen  mächtigen  Thrombus  im  Arcus 

n.M  ..S  ph.u  rJ. 1  übingen:  Die  Behandlung  des  Ulcus  corneae  ser- 
pens  mit  Optochm  (Aethylhydrocuprein). 

hvHr Die  experimentell  festgestellte  energische  Wirkung  des  Aethyl- 
inrd  RCuPre!in  E’°,pt0CIh,ln‘ )  auf  Pneumokokken  veranlasste  Versuche 
foc  Pfi,fndlang  des  Vlcus  corneae  serpens  an  der  Tübinger  Klinik 

Mischinferktion)WahrSChem  1ChC  Fälle  V°n  PneumokokkenuIcus-  2  von 

ist  ^ÄeStel!ter  Diagnose  —  bei  anderen  Arten  von  Infektionen 
st  das  Mittel  wirkungslos  —  wird  das  Geschwür  etwa  1—2  Minuten 

Vwftteh!  d!e  2proz-  sterile  Lösung  des  Optochin  getauchten 

leicht^  Trnh,  betup!t’,  bls  dlc  nachste  Umgebung  des  Geschwüres 
;r.ubunS.  zeigt;  ausserdem  1—2  stündlich  Instillationen  der 
2proz.  Losung  m  den  Bindehautsack,  bis  die  Reinigung  des  Ge- 

efnemUTLeis’teIh1tttdP MpSt  ‘St  d5f,  Erf°ig  erstaunlicli  gut,  schon  nach 
einem  I  ag  steht  der  Prozess  still,  nach  etwa  5—8  Tagen  ist  das  Ge- 

etell  Thremigt'-  v°T  dCr  Behandlung  des  Ulcus  werden  etwa 
eiternde  Thranensacke  exstirpiert,  sie  sind  durch  Optochin  nicht  zu 

beeinflussen.  Zur  Nachbehandlung  dient  die  gelbe  Salbe  oder  3  bis 

wurden  30  h  n°'l  d,fn  35  sicheren  Pneumokokkenfällen 

urclen  30  nur  durch  das  Optochin  geheilt,  eigentlich  versagt  hat  das 

reaciLtTn  nrnmmem  HFa-- :  *die  , wahrscheinlichen  Pneumokokkenfälle 
Ieagierten  Prompt  und  günstig,  bei  den  Mischfällen  war  die  Wirkung 
weniger  energisch  und  wurde  noch  eine  Zinkbehandlung  nötig. 

Gegen  die  begleitende  Iritis  wirkt  im  ganzen  das  Optochin  nicht 

RUPh!,enhHiiend  .gunsilg-  —  Am  günstigsten  wirkt  eine  frühzeitige 
Behandlung  der  Geschwüre,  notwendig  ist  die  Verwendung  frischer 
Losungen,  daher  sind  nur  kleinere  Mengen  vorrätig  zu  halten.  Bei 
empfindlichen  Kranken  ist  Kokainisierung  angezeigt.  —  Ist  die  bak- 
teriologasche  Untersuchung  nicht  möglich  oder  ohne  bestimmtes  Er¬ 
gebnis,  so  kann  der  Praktiker  zunächst  gleichzeitig  prophylaktisch 
LPrl*Zh  °Ptophm-  and  Proz.  Zinklösung  einträufeln,  da  die  meisten 
verursachtewlrnde?eSChWUre  V°n  Pneumokokken  oder  Diplokokken 

A.  Schneider  und  v.  T  e  u  b  e  r  n  -  Bonn :  Untersuchungen  mit 
d6r  ^  Pkeno|PhthaleinProbe  auf  okkultes  Blut  in  den  Fäzes. 

,  •  n?luCh  den  Erfakrungen  der  Verff.  ist  die  Boas  sehe  Phenolphtha- 
lemprobe  ein  sehr  geeignetes  und  sicheres  Mittel  zum  Nachweis 
okkulter  Blutungen  in  den  Fäzes;  sie  ist  an  Feinheit  der  Web  er¬ 
sehen  und  der  Aloinprobe  überlegen. 

Schwangerschah!1  1  u  n  g '  GöttinSen:  Behandlung  der  ektopischen 

Klinischer  Vortrag. 

M.  Rohde-Mülhausen  (Els.)-Jena:  Beitrag  zur  Bewertung  der 
Wassermann  sehen  Reaktion.  s  aer 

Angaben  über  den  Ausfall  der  W  assermann  sehen  Reaktion 
z.  B.  besonders  bei  nichtluetischen  Nervenleiden,  haben  erst  dann 

nrho'iw0  en  aWert\  Wenn4ZU  ersehen  ist<  mit  welchen  Extrakten  ge- 
arbehet  wurde.  Ausserdem  kann  der  Vergleich  der  verschiedenen 

Reaktion  bei  Verwendung  verschiedener  Extrakte  gewisse' diagnosti- 

ni/m  Be  uem-Unn  erl^Iten-  Verf-  Pflegf  nebeneinander  die  Proben  mit 
Ihtschen  Organextrakten  und  alkoholisch-syphilitischen  Ex- 
tiakten  zu  machen;  daneben  wird  noch  meist  eine  dritte  beliebige 
Hp  angesetzt.  In  jedem  Fall  wird  durch  einen  Vorversuch 

der  Ambozeptor  austitriert;  ferner  wendet  Verf.  oft  auch  verstärkte 
Serumdosen  an  (neben  der  üblichen  Menge  von  0,1  auf  2,5  ccm 
Rohrchemnhalt  auch  Mengen  bis  zu  0,4)  und  bestätigt  die  von  anderen 

Vorigem  5 ff 1®”+  zuveDässigen  Resultate  in  zweifelhaften  Fällen. 
Vor  allem  unterstützt  er  Kronfelds  Forderung,  dass  derjenige,  der 
im  Laboratorium  die  Proben  anstellt  und  beurteilt,  auch  den  klini- 

aUfndeSvCa  CS  kennen  so11  (Bespiel  durch  eine  Kranken¬ 
geschichte).  Die  Was  s  ermann  sehe  Reaktion  ist  teils  abhängig 
p°n  deil  Sfnrochaten,  teils  von  der  Wirkung  der  durch  fettspaltende 
Fermente  bewirkten  Iipoiden  Zerfallsprodukte.  Es  ist  wichtig  die 
reine  Lipoidreaktion  der  Organextrakte  mit  einer  spezifischen  Re¬ 
aktion  zu  vergleichen  Verf.  fand  in  vielen  Fällen  eine  starke  Reak- 
!°n  niu.  Drganextrakten  bei  völlig  fehlender  oder  geringer  Hemmung 
des  alkoholisch-syphilitischen  Extraktes  und  zwar  fast  stets  bei 
organischen  nichtluetischen  Prozessen  des  Zentralnervensystems  wie 
I  unioren,  schweren  Intoxikationen,  die  das  Nervensystem  betreffen 
(I  seudotabes  u.  a ).  Es  werden  eben  auch  bei  diesen  Prozessen 
Lipoide  freu  che  nur  mit  Organextrakten,  aber  nicht  mit  wässerig- 
oder  alkoholisch-luetischen  Extrakten  Reaktionen  geben. 

Aphasie  0  0  e  b  e  1  ‘  Hirschberg  (Schlesien):  Ueber  Amusie  und 

Schlussergebnis:  Die  Anlage  verschiedener  Erinnerungs-  und 
Vorstellungszentren  einerseits  für  Musik,  andererseits  für  die  Sprache 
ist  zuruckzuführen  auf  das  Vorhandensein  verschiedener  Aufnahme¬ 
apparate  für  Töne,  d.  h.  für  regelmässige  Schallwellen,  und  für 
jcrausche,  d.  h.  regellose  komplizierte  Schallbewegungen  (wie  sie 
bei  der  Sprache  vorwiegend  in  Betracht  kommen). 


1944 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  37. 


Hosemann  -Rostock:  Schädeltrauma  und  Lumbalpunktion. 

Neben  einer  Anzahl  von  Schädeltraumen  mit  mehr  oder  weniger 
typischer  und  diagnostizierbarer  extraduraler  Blutung  gibt  es  viele 
Fälle  von  subduralen  Blutungen,  die  kaum  zu  lokalisieren  und  viel¬ 
fach  kaum  zu  diagnostizieren  sind.  Bei  diesen  gibt  die  Lumbal¬ 
punktion  oft  guten  Aufschluss  durch  den  Nachweis  des  bluthaltigen 
Liquors;  die  gelbliche  Färbung  des  zentrifugierten  Liquors 
und  die  blasse  Farbe  der  ausgelaugten  roten  Blutkörperchen 
eilaubt  die  Unterscheidung  von  etwaigen  irischen  bei  der  Punktion 
erfolgten  Blutbeimengungen.  Hervorzuheben  ist,  dass  dieser  Blut¬ 
gehalt  nicht  nur  bei  Frakturen  des  Schädels  oder  der  Wirbelsäule, 
sondern  auch  einige  Male  nur  bei  wahrscheinlicher  Hirnkontusion  zu 
finden  war.  Mancher  Fall  von  „Commotio  cerebri“  wird  auf  diese 
Weise  als  Meningealblutung  erkannt.  Weiter  erörtert  Verf.  die  im 
Anschluss  an  subarachnoideale  Hämatome  sich  entwickelnden  Er¬ 
scheinungen  der  Meningitis  serosa  und  der  Blutdrucksteigerung. 
Schliesslich  finden  durch  die  Lumbalpunktion  und  Druckmessung 
manche  Fälle  von  Unfallsneurose  und  „Simulation“  nach  Kopfver¬ 
letzungen  (Kopfschmerz,  Schwindel,  Gedächtnisschwäche,  Schlaflosig¬ 
keit  usw.)  eine  Aufklärung.  Beim  Nachweis  einer  subarachnoidealen 
Blutung  ist  eine  sorgfältige  Behandlung  mit  langer  Schonung  und 
Ruhe  einzuhalten.  Neben  dieser  diagnostischen  Bedeutung  hat  die 
Lumbalpunktion  oft  eine  sehr  günstige  therapeutische  Wirkung.  In 
schweren  Fällen  von  Verwirrtheit  und  langanhaltender  Bewusst¬ 
losigkeit  nach  Schädel-  oder  Wirbeltraumen  tritt  nicht  selten  während 
oder  nach  der  Punktion  (dieselbe  ist  nicht  vor  dem  dritten 
Tage  zu  machen  und  eventuell  zu  wiederholen;  es  braucht 
oft  nur  ein  Teil  des  Ergusses  entfernt  zu  werden)  ein  Nachlassen 
der  Kopfschmerzen,  Klärung  des  Bewusstseins,  Schwinden  etwaiger 
motorischer  Störungen  ein.  Weitere  klinische  Einzelheiten  sind  im 
Original  einzusehen. 

L.  S  c  h  1  i  e  p  -  Berlin:  Ueber  Blasenspalten. 

Uebersicht  über  die  Operationsverfahren.  Krankengeschichte 
eines  Knaben  von  8  Monaten  mit  der  seltenen  Fissura  vesicae 
superior.  Erfolgreiche  Operation  mit  direkter  Vereinigung  der  Spalt¬ 
ränder. 

A.  Falk-Berlin;  Zur  Behandlung  des  Tetanus  mit  subkutanen 
Magnesiuminjektionen. 

Besprochen  in  der  Feldärztlichen  Beilage  Nr.  6. 

W.  F  o  r  n  e  t  -  Berlin;  Ueber  Fortschritte  in  der  Schutzimpfung 
gegen  Typhus  und  Cholera. 

Besprochen  in  der  Feldärztlichen  Beilage  Nr.  6. 

Adam-Köln:  Das  deutsche,  österreichische,  französische,  russi¬ 
sche  und  englische  Militärsanitätswesen. 

Fortsetzung  folgt.  B  e  r  g  e  a  t  -  München. 

Korrespondenzblatt  für  Schweizer  Aerzte.  1914.  Nr. 28  30. 

Nr.  28.  H.  Matti-Bern:  Kombinierte  Behandlung  der  Varizen 
der  unteren  Extremität. 

Verf.  gibt  einen  sehr  ausführlichen  Ueberblick  über  die  Literatur, 
diskutiert  die  einzelnen  Behandlungsmethoden  und  beschreibt  dann 
seine  eigene  Methode,  bei  der  die  hohe  Ligatur  der  Vena  saphena  mit 
der  Exzision  grösserer  variköser  Venenplexus  kombiniert  wird  unter 
gleichzeitiger  Anwendung  von  Karbolinjektionen  zur  Thrombosierung 
der  Zwischenstrecken  und  Anastomosen.  Das  Verfahren  wird  im  ein¬ 
zelnen  beschrieben  und  durch  7  Krankengeschichten  erläutert. 

M.  Roch:  Ueber  die  Vereinheitlichung  der  Arzneimittelreklame. 

Verf.  schlägt  vor,  dass  die  Fabriken  einheitliche  Reklamekarten, 

von  denen  er  ein  Muster  beigibt,  einführen,  die  der  Arzt  sammeln 
und  mit  Notizen  versehen  kann,  so  dass  er  rasch  sich  aus  seiner 
Sammlung  über  ein  neues  Heilmittel  orientieren  kann.  Die  Karten 
sollen  Namen,  Zusammensetzung,  Preis,  Dosierung  des  Mittels  ent¬ 
halten. 

A.  B  u  r  c  k  h  a  r  d  t  -  Basel:  Nochmals  der  Doktortitel  des  Para¬ 
celsus. 

Bericht  über  ein  neues  Dokument,  aus  dem  hervorgeht,  dass 
Paracelsus  in  Ferrara  zum  Doktor  promovierte. 

Nr.  29.  A.  Müller:  Ueber  Prostataatrophie. 

Blasenstörungen  bei  kleiner  atrophischer  Prostata  sind  relativ 
häufig,  durch  kleine  Adenome  oder  Schrumpfungen  des  Sphincter 
intern,  hervorgerufen.  Verf.  bespricht  ausführlich  die  verschiedenen 
Behandlungsmethoden.  Literaturverzeichnis. 

E.  B  i  r  c  h  e  r  -  Aarau:  Zum  Kropfproblem.  Polemik. 

Nr.  30.  E.  W  a  1 1  h  e  r  -  Zürich:  Die  physikalischen  und  bio¬ 
logischen  Grundlagen  der  Strahlentherapie. 

Uebersichtsreferat.  L.  J  a  c  o  b  -  Würzburg. 

Oesterreichische  Literatur. 

Wiener  klinische  Wochenschrift. 

Nr.  34.  K.  Kofi  er- Wien:  Perseptale  Operationen  an  der 
lateralen  Nasenwand. 

Prinzip  und  Zweck  des  Verfahrens  ist  das  Gebiet  der  lateralen 
Nasenwand  zur  Untersuchung  und  zu  operativen  Eingriffen  durch  eine 
im  Septum  angelegte  Oeffnung  (Resektion  des  Knorpels)  zugänglich 
zu  machen.  Ist  z.  B.  die  rechte  laterale  Nasenwand  erkrankt,  so 
wird  von  der  linken  Nasenhöhle  aus  zuerst  die  Schleimhaut  des  Sep¬ 
tums  in  einem  grösseren  trapezförmigen  Lappen  zurückgeschlagen, 
dann  eine  Oeffnung  im  Knorpel  angelegt,  schliesslich  die  der  rechten 


Nasenhöhle  angehörige  Septumschleimhaut  in  einem  entsprechenden 
Lappen  zurückgeschlagen.  Durch  die  Septumöffnung  lässt  sich  nun 
das  Nasenspckuluin  weiter  nach  hinten  als  bei  der  gewöhnlichen 
Untersuchung  einführen  und  die  laterale  Nasenwand  mehr  „en  face“ 
sichtbar  machen.  Für  eine  Reihe  operativer  Eingriffe  bietet  dieser 
Weg  entschiedene  Vorteile;  u.  a.  ermöglicht  er  die  Korrektur  von 
Septumdeformitäten  und  Operationen  an  der  lateralen  Nasenwand 
in  einer  Sitzung;  auch  wird  die  Umgehung  von  normalen  oder  patho¬ 
logischen  Hindernissen  ermöglicht  oder  erleichtert.  8  Kranken¬ 
geschichten. 

J.  K  o  1 1  a  r  i  t  s  -  Pest:  Krieg  und  Tuberkulose. 

Die  Anstrengungen  und  Schädlichkeiten  eines  Feldzuges  werden 
bei  vielen  Soldaten  die  Entstehung  der  Tuberkulose  oder  das  Her¬ 
vortreten  einer  bisher  latenten  tuberkulösen  Erkrankung,  insbeson¬ 
dere  der  Lungen  herbeiführen.  Verf.  schlägt  vor,  für  deren  Behand¬ 
lung  die  von  Fremden  leerstehenden  Sommerfrischen  in  den  Bergen 
mit  ihren  vielen  Unterkunftsräumen  und  Betten  heranzuziehen.  Durch 
gründliche  Desinfektion  könnte  jede  Gefahr  für  spätere  Bewohner 
ausgeschlossen  werden. 

Nr.  35.  H.  K  eit  ler  und  K.  L  i  n  d  n  e  r  -  W'ien:  Ueber  den 
Einfluss  der  Strahlenbehandlung  auf  die  sog.  Abderhalden  sehen 
Abwehrfermente. 

Die  Beeinflussung  der  Abderhalden  sehen  Abwehrfermente 
durch  Röntgen-  bzw.  Radiumbestrahlung  lässt  sich  an  Kaninchen 
nachweisen,  denen  Plazentarbrei  injiziert  wird.  Bei  den  nichtbe- 
strahlten  Tieren  fanden  die  Verfasser  ausnahmslos  positive  Reaktion 
auf  Plazenta,  dagegen  fehlte  diese  Reaktion  bei  allen  bestrahlten 
Tieren.  Jedenfalls  wird  die  Bildung  der  Abwehrfermente  durch  die 
Bestrahlung  mindestens  verzögert  Für  die  Praxis  folgt  aus  den 
Versuchen,  dass  da,  wo  eine  Strahlenbehandlung  im  Gange  ist,  der 
negative  Ausfall  der  Reaktion  nicht  gegen  ihre  Verlässlichkeit  spricht. 
Andererseits  kann  eine  negative  Reaktion  bei  bestrahlten  Krebsfällen 
auch  als  Beweis  gelten  für  den  Eintritt  einer  anatomischen  Heilung. 

Nr.  36.  Th.  B  a  r  s  o  n  y  -  Pest:  Ueber  die  Diagnose  des  gleich¬ 
zeitigen  Vorkommens  von  Magen-  und  Duodenalgeschwüren. 

Das  gleichzeitige  Bestehen  von  Magen-  und  Duodenalge¬ 
schwüren  ist  nicht  selten,  wird  aber  selten  richtig  festgestellt.  Verf. 
beschreibt.  8  Fälle,  wobei  die  Kombination  der  Symptome  für  ein 
gleichzeitiges  Bestehen  sprach,  aber  doch  nur  ein  isoliertes  Magen¬ 
oder  Duodenalgeschwür  vorhanden  war.  Mit  Vorsicht  sind  sogar 
bei  der  Operation  gefundene  Narben  auf  der  Serosa  des  Duodenum 
zu  deuten,  ihnen  entspricht  nicht  immer  ein  Geschwür  der  Schleim¬ 
haut.  Bei  isolierten  Magengeschwüren  spricht  öfters  die  Anamnese 
für  duodenale  Erscheinungen,  ohne  entsprechenden  Röntgenbefund  ist 
daher  die  Anamnese  nicht  hinreichend  für  die  Diagnose  eines  Duo¬ 
denalgeschwürs.  —  Bei  Sanduhrmagen,  die  auf  Grund  eines  Magen¬ 
geschwürs  entstehen,  können  die  von  der  Einschnürung  aboral 
liegenden  Teile  charakteristische  Röntgenzeichen  für  Duodenalulcus 
zeigen,  ohne  dass  im  Duodenum  irgend  eine  Veränderung  vorliegt. 
—  Bei  isoliertem  Duodenalulcus  kann  gleichzeitig  ein  spastischer 
Sanduhrmagen  bestehen. 

In  einem  der  Fälle  war  der  für  kombinierte  Geschwüre  charak¬ 
teristische  Symptomenkreis  vollständig,  es  fand  sich  aber  nur  ein 
Ulcus  des  Magens  und  eine  grössere  Serosanarbe  des  Duodenums; 
vielleicht  ging  von  dieser  ein  Teil  der  Symptome  aus. 

M.  K  ah  an  e- Wien:  Vorschläge  zur  Organisation  der  spezial¬ 
ärztlichen  Dienstleistung  in  Kriegszeiten. 

Besprochen  in  der  Feldärztlichen  Beilage  Nr.  6. 

B  e  r  g  e  a  t  -  München. 

Inauguraldissertationen. 

Universität  Freiburg.  August  1914. 

R  netten  Felix:  Experimentelle  Untersuchungen  über  Phagozytose. 
Willrich  Georg:  Das  Blutbild  bei  Diphtherie  als  Hilfsmittel  für  die 
Diagnose  und  Prognose. 

Universität  Halle  a/S.  Juli — August  1914. 

Budnick  Paul:  Ein  Fall  von  R  o  b  e  r  t  schem  Becken. 
Dienemann  Rudolf:  Ueber  Kaptitis  im  Kindesalter. 

F  a  b  e  1  i  n  s  k  i  Lasar:  Ein  Fall  von  Ulcus  rodens  vulvae. 

Franke  Martin:  Ueber  die  Wirkung  von  Neosalvarsan  bei  Lues  des 
inneren  Ohres. 

Merkel  Curt:  Ueber  Molluscum  contagiosum. 

Müller  Erich:  Ein  Beitrag  zur  Graviditas  ovarica. 

Noack  Fritz:  Der  Uebergang  der  mütterlichen  Scheidenkeime  auf 
das  Kind  w'ährend  der  Geburt. 

Sercarz  Konrad:  Zur  Kenntnis  der  Allgemeininfektionen  mit 
Streptococcus  viridans. 

Storch  Bruno:  Ueber  Magen-  und  Dünndarmsarkome. 

Strumpf  Paul:  Ueber  eine  neue  Modifikation  der  v.  Pir  quet¬ 
schen  Hautreaktion. 

Universität  Jena.  August  1914. 

Müller  Fritz:  Ein  klinischer  und  experimenteller  Beitrag  zur  Frage 
der  sogen,  reflektorischen  Anurie. 

Koch  Erich:  Ueber  chronische  Entzündung  der  pylorischen  Magen¬ 
wand  als  Grundlage  der  gutartigen  Pylorushypertrophie  des  Er¬ 
wachsenen. 


5.  September  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1945 


Vereins*  und  Kongressberichte. 

65.  Versammlung  der  American  Medical  Association. 

(Eigener  Bericht.) 

Der  amerikanische  Aerztcverband  hielt  seine  diesjährige  Ver- 
jmmlung  V0If|  ~2-— 26.  Juni  in  Atlantic  City  ab.  Ueber  3500  Mit- 
Üecer  aus  allen  Staaten  der  Union  waren  anwesend.  Noch  nie 
uvor  war  die  Versammlung  so  zahlreich  besucht  worden. 

Das  Delegiertenhaus,  der  geschäftsleitende  Ausschuss  des  Ver- 
andes,  trat  am  22.  Juni  vormittags  zusammmen.  Die  Berichte  der 
erschienenen  Kommissionen  legen  Zeugnis  ab  von  der  weitrcichen- 
en  Tätigkeit  und  der  Energie,  welche  der  amerikanische  Aerzte- 
erband  zur  Hebung  des  Medizinalwesens,  zur  Förderung  der  öffent- 
chen  Hygiene  und  zum  Schutze  seiner  eigenen  Interessen  entfaltet 
Der  erste  Bericht  wurde  vom  Rechtsrat  vorgelegt.  Derselbe 
e richtet,  dass  in  letzter  Zeit  die  tägliche  Pressse  vielfach  als  Re- 
lamemittel  einzelner  Aerzte  und  Chirurgen  benutzt  worden  sei  in 
er  W  eise,  dass  seltene  und  schwierige  Operationen  oder  die  Bc- 
andlung  hervorragender  Persönlichkeiten  mit  grossem  Pomp  in  der 
iglichen  I  resse  breitgetreten  worden  seien.  Es  wird  zugegeben, 
.iss  es  geziemend  sei,  das  Volk  mit  hervorragenden  Leistungen  und 
eri  Fortschritten  auf  dem  Gebiete  der  Medizin  bekannt  zu  machen 
ber  es  soll  nicht  in  einer  Weise  geschehen,  dass  solche  Presse- 
rzeugnisse  als  Reklame  dienen.  Es  wird  beschlossen  in  jedem 
taate  eine  besondere  Kommission  zu  ernennen,  die  darüber  zu 
achen  hat,  dass  die  ethischen  Regeln  des  Aerztestandes  nicht  in 
roher  Weise  verletzt  werden. 

Ferners  wird  berichtet,  dass  während  der  amerikanische  Aerzte- 
.rband  bisher  immer  den  Grundsatz  befolgt  habe,  dass  chirurgische 
istrumente  und  andere  Apparate,  welche  von  Aerzten  und  Chi- 
irgen  eifunden  worden,  von  den  Erfindern  nicht  patentiert  und 
isgebeutet  werden  sollen,  es  sich  herausgestellt  habe,  dass  solche 
sti  umente,  namentlich  wenn  sie  sich  als  gewinnbringend  erweisen, 
m  den  Besitzern  der  Werkstätten,  in  denen  sie  hergestellt  werden, 
itentiert  und  zu  hohen  Preisen  an  die  Aerzte  und  Chirurgen  ver- 
mft  werden.  Auf  Antrag  der  Kommission  wurde  beschlossen,  dass 
;r  Aerzteverband  wichtige  Erfindungen  dieser  Art  von  den  Er- 
idem  übernehmen  und  selbst  patentieren  solle,  so  dass  die  Aerzte 
ane  übermässigen  Preise  zu  bezahlen  haben. 

Von  besonderem  Interesse  ist  der  Bericht  der  Kommission  für 
rentliche  Hygiene  und  Aufklärung  des  Volkes.  Die  Tätigkeit  dieser 
'mmission  ist  auch  im  vergangenen  Jahre  sehr  fruchtbringend  ge- 
esen,  indem  durch  öffentliche  Vorträge  hervorragender  Aerzte, 
rch  Flugschriften  und  durch  zahlreiche  Artikel,  die  in  der  täglichen 
esse  veröffentlicht  wurden,  das  Volk  mit  den  hygienischen  Fragen 
t  Zeit  bekannt  gemacht  wurde.  Dabei  haben  sich  die  Wander- 
ldervorträge  besonders  wirksam  erwiesen,  das  Volk  für  solche 
agen  zu  interessieren. 

Von  grosser  Wichtigkeit  sind  die  Resultate  einer  Untersuchung 
r  hygienischen  Verhältnisse  in  den  Land-  und  Stadtschulen.  Nach 
m  Berichte  gibt  es  mehr  kranke  und  gebrechliche  Kinder  in  den 
tndschulen,  obgleich  die  gesundheitlichen  Verhältnisse  in  den 
adtschulen  noch  mangelhaft  sind.  Man  fand,  dass  von  294  427 
hulkindern  in  Pennsylvanien  75  Proz.  ärztlicher  Behandlung  unter- 
irfen  werden  mussten,  während  von  287  469  Kindern  der  Stadt 
:w York  nur  72  Proz.  ärztlich  behandelt  wurden.  Lungenkrank- 
uen  waren  in  New  York  mit  1  Proz.  vertreten,  während  das  Land 
Proz.  aufwies.  An  Unterernährung  litten  in  der  Stadt  23  Proz., 
i  dem  Lande  aber  31  Proz.  der  Kinder.  Die  Untersuchungen  er- 
eckten  sich  jedoch  nur  auf  verhältnismässig  wenige  Landdistrikte 
d  es  wäre  gewagt,  diesen  Zahlen  allgemeine  Geltung  zuzuschreiben. 

Da  in  einer  Anzahl  von  Staaten  noch  Tausende  von  Kindern 
ter  16  Jahren  in  Fabriken.  Bergwerken  und  anderen  Arbeiten  ver¬ 
endet  werden,  wodurch  deren  Gesundheit  und  Lebenskraft  unter- 
iben  wird.  wurde  auf  Antrag  der  Kommission  beschlossen,  in  allen 
laten,  welche  noch  keine  diesbezüglichen  Gesetze  haben,  dahin  zu 
wirken,  dass  die  Kinderarbeit  gesetzlich  verboten  werde.  Der 
itrikanische  Aerzteverband  soll  auch  seinen  Einfluss  darauf  ver¬ 
enden,  dass  eine  diesbezügliche  Bill,  die  gegenwärtig  dem  Kon- 
.‘sse  vorliegt,  zum  Bundesgesetz  erhoben  werde. 

Die  Kommission  für  medizinische  Bildung  berichtet  auch  dieses 
^ir  über  erfreuliche  Fortschritte  auf  dem  Gebiete  des  medizinischen 
^ns  in  allen  Staaten.  Die  Vorkenntnisse  der  zum  Studium 
Medizin  sich  Meldenden  sind  überall  erhöht  worden.  Die  Zahl 
!  medizinischen  Schulen  ist  auch  dieses  Jahr  wieder  reduziert 
rden  In  dieser  Richtung  hat  namentlich  der  Süden,  der  früher  den 
rdstaaten  weit  zurückstand,  grosse  Fortschritte  gemacht.  Vor 
'Jahren  waren  in  den  Südstaaten  noch  41  grössere  und  kleinere 
uizinische  Schulen.  Gegenwärtig  bestehen  deren  nur  noch  24, 
beinahe  alle  ebenso  hohe  Anforderungen  zum  Eintritt  stellen  als 
Schulen  der  Nordstaaten. 

Die  Rote  Kreuz-Kommission  wurde  im  Jahre  1912  ins  Leben  ge- 
211  dem  Auftrag,  in  allen  Staaten  lokale  Rote  Krcuz-Kommis- 
ien  zu  organisieren,  um  im  Kriegsfälle  und  in  Zeiten  grosser 
|  astrophen  eine  Anzahl  geeigneter  Aerzte  bereit  zu  haben,  die  ge- 
lt  sind,  ihre  Dienste  dem  gemeinen  Besten  zu  widmen.  Solche 
nmissionen  sind  denn  auch  im  letzten  Jahre  überall  organisiert 
rden. 


Die  Kommission  für  Nomenklatur  und  Klassifizierung  der 
Krankheiten  berichtet  über  Unterhandlungen  mit  der  gleichnamigen 
Kommission  des  Royal  College  of  Physicians  of  London,  um  eine 
einheitliche  Nomenklatur  der  Krankheiten  in  der  englischen  Sprache 
zu  erzielen.  Ein  bestimmtes  Resultat  ist  indessen  noch  nicht  er¬ 
reicht  worden. 

Eine  Spezialkommission  legt  der  Versammlung  einen  Bericht 
,  er  ein  beabsichtigtes  Denkmal  in  Panama  vor.  Dieses  Denkmal, 
,s.  ^on  dem  amerikanischen  Aerzteverband  errichtet  werden  wird, 
so  den  Triumph  der  Wissenschaft  über  die  Krankheit  darstellen 
und  in  zweiter  Linie  soll  es  ein  Denkmal  des  fortschrittlichen  Geistes 
der  amerikanischen  Medizin  sein,  aus  der  die  Männer  hervorge¬ 
gangen,  deren  Wissen,  Iatkraft  und  Ausdauer  das  grosse  Werk  des 
Kanalbaues  möglich  machte.  Das  Denkmal  wird  die  Namen  des 
Obersten  Gor gas  und  aller  Aerzte  tragen,  welche  ihm  in  seinen 
Arbeiten  behilflich  waren. 

•  B'e  Generalversammlung  wurde  am  23.  Juni  vormittags  vom 
zurucktrctenden  Präsidenten  Dr.  Wi  t  h  e  r  s  p  o  o  n  -  Nashville  er- 
onnet.  Nach  verschiedenen  Begriissungsreden  übergab  der 
n  umv  im  j^am2n  des  amerikanischen  Aerzteverbandes  Herrn 
Ui.  William  C  Gor  gas,  Generalstabsarzt  der  amerikanischen 
Annee  eine  goldene  Ehrenmedaille  in  Anerkennung  seiner  grossen 
er  dienste  um  die  Wissenschaft  und  die  Erbauung  des  Panama- 
Kanals.  Der  so  Geehrte  nahm  die  Medaille  mit  den  bescheidenen 
v\  orten  entgegen,  dass  er  die  Ehre  mit  der  grossen  Anzahl  von 
Aerzten  teilen  müsse,  die  ihm  in  seinen  Arbeiten  so  getreulich  zur 
beite  standen  und  die  Erbauung  des  Kanals  möglich  machten. 

Hierauf  hielt  Dr.  V  a  u  g  h  a  n  -  AnnArbor,  der  diesjährige  Prä¬ 
sident,  eine  ausgezeichnete  Rede,  in  welcher  er  auf  die  grossen 
Verdienste  der  medizinischen  Wissenschaft  um  den  Fortschritt  der 
menschlichen  Kultur  hinwies.  „Die  Geschichte  der  Medizin  ist  die 
Geschichte  der  Menschheit"  sagte  er.  In  einem  raschen  Ueberblick 
vergangenen  Zeiten  zeigte  er,  wie  die  Aerzte  in  allen 
Jahrhunderten  die  Träger  des  Lichtes,  der  Aufklärung  und  des  Fort- 
s  cli  ritt  es  waren.  Grosses  hat  die  moderne  Medizin  geleistet,  aber 
vieles  bleibt  noch  zu  tun  übrig.  Noch  immer  gedeiht  die  Quack- 
salberei  zum  Schaden  des  Volkes,  noch  ist  die  Unwissenheit  und 

Aberglaube  stark.  Das  Land  von  diesen  Uebeln  zu  befreien  ist 
die  Aufgabe  der  jungen  Vertreter  der  medizinischen  Wissenschaft 

Bei  den  Neuwahlen  wurde  Dr.  William  L.  R  o  d  m  a  n  -  Phila¬ 
delphia  zum  Präsidenten  für  das  kommende  Jahr  erwählt.  Die 
nächste  Versammlung  wird  in  San  Francisco  bei  Anlass  der  dortigen 
Weltausstellung  stattfinden. 

Eine  überaus  reiche  wissenschaftliche  Ausstellung,  welche  wäh¬ 
rend  der  vier  Tage  allen  Besuchern  offen  stand,  legte  Zeugnis  ab 
von  dem  gesunden  und  fortschrittlichen  Geiste,  der  in  der  ameri¬ 
kanischen  Medizin  herrscht.  Besonders  sehenswert  waren  die  Aus- 
stellungsgegenstände  in  der  experimentellen  Medizin,  namentlich 
über  Krebs,  Magengeschwür,  Tumorwachstum,  Pneumonie  usw. 

A.  A 1 1  e  m  a  n  n. 


Verein  der  Aerzte  in  Halle  a.  S. 

(Bericht  des  Vereins.) 

Sitzung  vom  24.  Juni  1914. 

Vorsitzender:  Herr  B  e  n  e  k  e. 

Schriftführer:  Herr  S  t  i  e  d  a. 

Vor  der  Tagesordnung: 

..  Herr  Niklas  (a.  G.)  demonstriert  als  Nachtrag  zu  seinem 
Vortrag  über  Dickdarmmelanose  2  makroskopische  Präparate,  näm¬ 
lich  ein  Stück  Zoekum  eines  37  jährigen  an  Morbus  Addisonii  ge¬ 
storbenen  Patienten,  dessen  Sektion  in  jeder  Beziehung  typische 
Büder  ergeben  hatte.  Interessanterweise  war  auch  die  Dickdarm¬ 
schleimhaut  von  einer  gleichmässig  blass  graubraunen  Farbe;  da¬ 
neben  waren  bei  genauestem  Zusehen  feinste  helle  Pünktchen  zu  er¬ 
kennen.  Mikrochemisch  wurde  das  die  Färbung  hervorrufende  Pig¬ 
ment  der  Mukosa  als  Melanin  identifiziert.  Vortr.  hat  mit  diesem 
Darm  Autolyseversuche,  wie  er  sie  in  seinem  Vortrag  besprochen 
hatte,  angestellt  und  dabei  eine  hochgradige  Dunklerfärbung  der 
Schleimhaut  erzielt,  die  jetzt  den  echten  Melanosefällen  in  jeder  Be¬ 
ziehung  gleicht,  besonders  auch,  weil  auf  dem  dunkeln  Untergrund 
die  hellen  Follikel  nun  deutlich  hervortreten.  Autolyse  mit  den 
zyklischen  Aminosäuren  wirkte  rascher  und  intensiver  als  die  mit 
einfacher  physiologischer  Kochsalzlösung.  Nebennierenpräparate  als 
Autolysenflüssigkeit  ergaben  das  gleiche  Resultat,  allerdings  nicht  in 
dem  Verhältnis,  wie  es  beim  normalen  Darm  zutage  trat. 

Herr  Igersheimer:  Krankendemonstration. 

Die  18  jährige  Patientin,  die  ich  Ihnen  demonstriere,  hat  vor 
allem  aus  2  Gründen  allgemeineres  Interesse.  Sie  wurde  am 
29.  V.  14  wegen  einer  linksseitigen  Iritis  luetica  in  die  Augenklinik 
aufgenommen  und  bot  auch  sonst  Symptome  sekundärer  Lues. 
WaR.  ++++.  Während  der  Augenhintergrund  in  den  ersten  Tagen 
der  Behandlung  normal  war,  zeigte  sich  am  3.  VI.  14  eine  P  a  p  i  1 1  i  - 
t  i  s  am  rechten  Auge,  die  ganz  das  Bild  der  Stauungspapille  ophth. 
darbot,  aber  mit  einem  relativen  zentralen  Scotom  einherging. 
S.  —  "U.  Schon  dieses  Skotom  sprach  gegen  eine  reine  Stauungs¬ 
papille  und  weiter  sprach  dagegen,  dass  bei  der  Lumbal¬ 
punktion  nur  ein  Druck  von  60  mm  gefunden  wurde.  Im  übrigen 
bestand  Lymphozytose,  positiver  Nonne  und  positive  WaR.  (bei 


1946 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  37. 


0,8  ccm)  im  Liquor.  Die  Prominenz  der  Papille  betrug  zwar  etwa 
3  Di.  und  war  also  nicht  durch  erhöhten  Hirndruck  bedingt.  Der 
2.  Punkt  von  Interesse  waren  die  in  der  Nacht  vom  4.  auf  5.  VI. 
plötzlich  eintretenden  erheblichen  Hämorrhagien  um  die  Papille 
herum.  Die  plötzliche  hochgradige  Veränderung  des  ophth.  Bildes 
war  sehr  frappant.  Mir  scheint  aber  weniger  das  ophth.  Bild  hier 
von  Bedeutung  als  vielmehr  die  Tatsache,  dass  die  Patientin  nicht 
mit  Salvarsan  behandelt  worden  war.  Sie  hatte  nur  einige  wenige 
Quecksilbereinreibungen  durchgemacht.  Wieviele  Autoren  hätten 
wohl  diese  Netzhauthämorrhagien  auf  eine  Wirkung  des  Arsens  be¬ 
zogen,  wenn  die  Patientin  ein  Arsenpräparat  erhalten  hätte! 

Tagesordnung:  1 

Herr  M.  Kochmann:  Ueber  die  Wirkung  von  Arznei¬ 
gemischen,  unter  besonderer  Berücksichtigung  der  Lokalanästhetika. 

K.  berichtet  über  Versuche,  die  er  mit  einer  Reihe  von  Mit¬ 
arbeitern,  besonders  Herrn  A.  Hoff  mann,  Oberarzt  an  der  chirur¬ 
gischen  Klinik  in  Greifswald,  angestellt  hat.  Es  wird  durch  die  am 
Tier  und  Menschen  unternommenen  Versuche  gezeigt,  dass  Chloro¬ 
form  und  Aether  im  Verhältnis  von  1  Teil  flüssigem  Chloroform  auf 
6—7  Teile  Aether  miteinander  gemischt  eine  Wirkungsverstärkung 
über  das  arithmetische  Mittel,  eine  Wirkungspotenzierung,  be¬ 
dingen,  während  Mischungen  von  1 : 2  und  1  : 8  eher  eine  Ab¬ 
schwächung  zur  Folge  haben. 

Schon  daraus  ergibt  sich,  dass  es  nicht  möglich  ist,  wie  B  ü  r  g  i 
es  tat,  allgemeine  Gesetze  über  die  Wirkung  von  Arzneigemischen 
aufzustellen,  sondern  es  muss  von  Fall  zu  Fall  experimentell  unter¬ 
sucht  werden,  in  \vclcher  Weise  sich  zwei  chemische  Substanzen  in 
ihrer  Wirkung  auf  den  Warmblüterorganismus  gegenseitig  beein¬ 
flussen;  ja  sogar  die  Mischungsverhältnisse,  also  die  verhältnis¬ 
mässige  Gabengrösse  kann  für  die  Wirkung  bestimmend  sein. 

ln  der  Reihe  der  Lokalanästhetika  lässt  sich  in  ebenso  ein¬ 
deutiger  Weise  zeigen,  dass  durch  Kombinationen  ganz  eigenartige, 
gar  nicht  im  voraus  zu  bestimmende  quantitative  Wirkungsände¬ 
rungen  eintreten  können,  denen  vorderhand  jede  Gesetzmässigkeit  zu 
fehlen  scheint.  Kokain,  Novokain,  Akoin  und  andere  wirkliche  Lokal¬ 
anästhetika  addieren  sich  lediglich  in  ihrer  lokalanästhetischen  Fähig¬ 
keit.  In  Verbindung  mit  den  gleichfalls  lokalanästhesierenden  Kali¬ 
salzen  ergibt  sich  jedoch,  dass  Kokain  +  Kaliumsulfat,  Novokain 
+  Kaliumsulfat  sich  gegenseitig  in  ihrer  Wirkung  potenzieren, 
Kokain  und  Novokain  in  Verbindung  mit  Kaliumnitrat  sich  nur 
addieren.  Weiter  ergibt  sich,  dass  Kaliumsulfat  in  Verbindung 
mit  anderen  Lokalanästheticis,  z.  B.  Stovain,  Alypin,  einen  negativen, 
mit  anderen  wieder,  z.  B.  Eukain,  nur  einen  additiven  Synergismus 
entfalten. 

Die  Kombination  Novokain  +  Kaliumsulfat  wurde  von  Hoff- 
mann  und  Krehmann  auch  klinisch  erprobt  und  gute  Erfolge  da¬ 
mit  erzielt.  An  Stelle  der  0,5proz.  Novokainlösung  genügt  eine 
0,25  proz.,  wenn  ausserdem  0,4  Proz.  Kaliumsulfat  zugesetzt  werden. 

Schliesslich  geht  der  Vortragende  auf  eine  einfache  Methode  der 
Wertbestimmung  der  Lokalanästhesie  ein,  der  folgender  Gedanke  zu¬ 
grunde  liegt:  Der  Wert  (W)  ist  umgekehrt  proportional  der  gerade 
noch  anästhesierenden  Konzentration  (K)  und  direkt  proportional  der 
letalen  Dosis  (L):  denn  je  geringer  die  Konzentration  ist,  die  noch 
anästhesiert,  desto  wertvoller  ist  ein  Lokalanästhetikum  und  das 
gleiche  tritt  ein,  je  grösser  die  Gabe  ist,  die  ein  Tier  tötet.  Es  er¬ 
gibt  sich  mithin  W  =  ^  •  L.  Es  wird  an  der  Hand  von  Kurven  dieser 

Wert  W  von  den  gebräuchlichen  Substanzen  dieser  Gruppe  demon¬ 
striert.  Am  geringsten  ist  W  für  Alypin,  am  grössten  für  die  Kom¬ 
bination  von  Kaliumsulfat  +  Novokain.  W  wird  in  einfachster  Weise 
durch  Quaddelversuche  am  Menschen  und  Feststellung  der  tödlichen 
Gabe  beim  Meerschweinchen  bestimmt.  So  lässt  sich  schnell  ein 
orientierendes  Urteil  darüber  gewinnen,  ob  ein  neues  Arzneimittel 
als  Lokalanästhetikum  in  die  Praxis  einzuführen  sich  verlohnt. 

Diskussion:  Herr  Härtel:  M.  H.l  Die  Lokalanästhesie  ist 
für  die  Chirurgie  von  immer  zunehmender  Bedeutung  geworden.  In 
der  hiesigen  chirurgischen  Klinik  wurden  im  letzten  halben  Jahr  von 
ca.  1000  klinischen  Operationen  41  Proz.  in  Lokalanästhesie,  7  Proz. 
in  Lumbalanästhesie  und  nur  noch  53  Proz.  in  Narkose  ausgeführt. 

Diese  zunehmende  Bedeutung  der  Lokalanästhesie  beruht  in 
erster  Linie  auf  der  Verbesserung  des  Injektionsmittels.  Wenn  nun 
auch  die  Einführung  der  isotonischen  suprareninhaltigen  Novokain¬ 
lösung  uns  ein  in  jeder  Hinsicht  brauchbares  Anästhetikum  an  die 
Hand  gegeben  hat,  so  sind  weitere  Versuche,  die  Wirksamkeit  des 
Mittels  noch  mehr  zu  steigern,  aufs  dankbarste  zu  begrüssen. 

Wir  haben  nun  in  letzter  Zeit  die  von  Kochmann  und  Hoff- 
mann  empfohlene  Lösung  versucht  und  bisher  über  100  Operationen 
damit  ausgeführt.  Ich  resümiere  unsere  Erfahrungen  wie  folgt: 

Die  Herstellung  der  Lösung  geschieht  nach  Braun  sehr  einfach 
so,  dass  man  zur  Lösung  der  Novokain-Suprarenintabletten  statt  der 
bisherigen  physiologischen  NaCl-Lösung  eine  Mischung  von  4  Kali 
sulf. :  7  NaCI:  1000  Wasser  verwendet. 

Ein  Herabgehen  mit  der  Novokainkonzentration  unter  0,5  Proz. 
können  wir  gleich  Braun,  auch  bei  erhöhtem  Suprareninzusatz, 
nicht  empfehlen,  weil  dadurch  die  Sicherheit  der  Anästhesie  leidet 
und  die  Zeit  des  Eintritts  der  Anästhesie  hinausgeschoben  wird. 

Dagegen  erscheint  es,  gestützt  auf  den  Zusatz  von  Kali  sulf. 
tunlich,  die  Verwendung  höherer  Konzentrationen  zur  Leitungs¬ 
anästhesie  einzuschränken  und  statt  der  2  proz.  mit  1  proz.  Lösungen 
zu  arbeiten.  So  konnten  wir  Leitungsanästhesien  des  N.  ischiadicus 


und  Femoralis  statt  wie  bisher  mit  2  und  4  proz.,  mit  gleichen  Mengen 
1  proz.  Lösung  durchführen  und  grosse  Knochenoperationen  am  Unter¬ 
schenkel  schmerzlos  ausführen. 

Im  ganzen  machten  wir  bei  der  Verwendung  der  Kali-sulf.-hal- 
tigen  Lösung  die  Wahrnehmung,  dass  die  Anästhesien  intensiver 
waren  und  länger  anhielten.  Auch  der  Nachschmerz  scheint  geringer 
und  seltener  zu  werden,  wenn  er  auch  jetzt  noch  nicht  immer  zu  ver¬ 
meiden  war. 

Unter  den  Operationen,  die  wir  mit  der  neuen  Lösung  anästhe¬ 
sierten,  sind  besonders  hervorzuheben:  Nierenfreilegung,  Laminek- 
tomie,  Trepanationen,  Amputatio  marmnae,  ein  Tonsillarsarkom  mit 
Kieferdurchtrennung  und  grosser  Drüsenausräumung,  neben  zahl¬ 
reichen  Strumen,  Hernien  und  Extremitätenoperationen.  Die  An¬ 
ästhesie  war  stets  vollständig. 

Nebenerscheinungen  wurden  nicht  beobachtet,  nur  bei  Verwen¬ 
dung  hoher  Dosen  der  2  proz.  Lösung  sahen  wir  in  3  Fällen  unerheb¬ 
liche  Allgemeinwirkungen,  so  dass  wir  raten,  bei  grossen  Leitungs¬ 
anästhesien  künftig  von  dieser  Konzentration  abzusehen  und  1  proz. 
Lösungen  zu  verwenden,  was  unter  Kali-sulf.-Zusatz  sehr  wohl  mög¬ 
lich  ist. 

Die  Erfahrungen  der  Praxis  decken  sich  somit  nicht  ganz  voll¬ 
ständig  mit  dem,  was  die  Theorie  verheisst,  aber  soviel  ist  sicher, 
dass  wir  in  dem  Zusatz  von  Kalium  sulfuricum  zum  Novokain  einen 
wesentlichen  Fortschritt  zu  erblicken  haben. 

Herr  Frese:  Es  ist  bisher  nur  von  der  Injektionsanästhesie 
berichtet»  worden.  Es  wäre  interessant,  ob  auch  bei  der  Schleim- 
h  a  u  t  anästhesie  eine  Verbesserung  der  Wirkung  zu  erzielen  wäre 
durch  Zusatz  von  Kal.  sulf.  Bisher  liegen  die  Verhältnisse  in  der 
Laryngologie  und  Rhinologie  so,  dass  das  Kokain  trotz  seiner  höheren 
Giftigkeit  durch  keines  der  neueren  Anästhetika  völlig  hat  ersetzt 
werden  können.  Es  dringt  schneller  in  die  Schleimhaut  ein  und  er¬ 
zeugt  in  geringerer  Konzentration  eine  stärkere  und  länger  anhaltende 
Unempfindlichkeit  als  die  anderen  Präparate. 

Herr  Heyne  mann  fragt  nach  etwaigen  Erfahrungen  mit 
Magnesiumsulfat,  das  von  den  Amerikanern  zur  Narkose  und 
Anästhesie  und  von  R  i  s  s  m  a  n  n  und  G  u  g  i  s  b  e  r  g  bei  der 
Eklampsie  in  Anwendung  gebracht  ist.  Veranlasst  durch  Kochers 
Erfolge  bei  der  Tetanusbehandlung  haben  sie  mehrere  Kubikzenti¬ 
meter  einer  15  proz.  Magnesiumsulfatlösung  intralumbal  injiziert,  um 
die  Krämpfe  bei  der  Eklampsie  zu  unterdrücken.  Das  Verfahren 
erwies  sich  aber  als  sehr  gefährlich  für  das  Atemzentrum. 

Herr  B  e  n  e  k  e  fragt  den  Herrn  Vortragenden,  ob  die  dargelegte 
Wirkung  des  Kalisulfates  eine  Funktion  des  Sulfates  sei  oder  aus 
welchen  physikalisch-chemischen  Verhältnissen  sie  zu  verstehen  sei. 

Herr  Kochmann  (Schlusswort):  Die  Anfrage  von  Herrn  Geh. 
Rat  Beneke  kann  ich  leider  nur  dahin  beantworten,  dass  unsere 
Versuche,  eine  Erklärung  für  die  beobachteten  Tatsachen  zu  geben, 
bisher  fehlgeschlagen  sind;  das  Sulfat-Ion  ist  dafür  aber  nicht  ver¬ 
antwortlich  zu  machen,  da  andere  schwefelsaure  Salze  sich  als  un¬ 
wirksam  erwiesen  haben  und  auch  das  Kaliumsulfat  nur  mit  einigen 
Anästhetika  einen  potenzierten  Synergismus  aufwies,  mit  anderen  aber 
eine  Abschwächung  bedingt.  Vielleicht  ist  die  schwere  Diffusibilität 
der  Sulfate  für  die  langandauernde  Wirkung  der  Anästhesie  zur  Er¬ 
klärung  heranzuziehen,  die  Herr  Härtel  als  einen  Vorzug  unserer 
Methode  angibt.  Ob  bei  der  Oberflächenanästhesie  der  Schleimhäute 
eine  Kombination  mit  Kaliumsulfat  eine  Verminderung  der  Kokain¬ 
menge  zulassen  würde,  diese  Anfrage  des  Herrn  Frese  muss  ich 
zu  meinem  Bedauern  dahin  beantworten,  dass  hier  nach  meinen  Ver¬ 
suchen  an  der  Konjunktiva  des  Kaninchens  die  Kombination  keinen 
Vorteil  gewährt.  Die  Möglichkeit,  auch  die  Wirkung  des  Magnesium¬ 
sulfats  durch  Zusatz  einer  anderen  Substanz  zu  potenzieren  und  da¬ 
durch  die  Gefahren  der  Anwendung  des  Magnesiumsulfats  zu  ver¬ 
ringern,  ist  bisher  noch  nicht  experimentell  geklärt  worden;  eigene 
Erfahrung  besitze  ich  nicht,  so  dass  ich  die  Anfrage  von  Herrn 
Heynemann  nur  dahin  beantworten  möchte,  dass  vielleicht  die 
entgiftende  Wirkung  von  Ca-Salzen  benutzt  werden  könnte,  um  die 
Gefahren  der  Magnesiumsulfatanwendung  zu  mindern. 

Herr  Lehnerdt  berichtet  über  einen  Fall  von  Lithiasls  im 
Säuglingsalter. 

Bei  einem  jetzt  1  Jahr  7  Monate  alten  Knaben  bestand  seil 
ca.  1  Jahr  eine  Zystitis;  ausserdem  litt  das  Kind  an  einer  schweren 
Rachitis  und  einer  chronischen  rezidivierenden  Pneumonie,  weshalb 
sich  das  Kind  mit  nur  relativ  geringen  Unterbrechungen  fast  die 
ganze  Zeit  hindurch  in  stationärer  Behandlung  befand.  Im  Urin 
wurden  sehr  reichlich  Leukozyten,  Blasenepithelien  und  Kolibazillen, 
dagegen  keine  Zylinder  gefunden.  Der  Leukozytengehalt  des  Urins 
wechselte  ziemlich  stark;  anfangs  gelang  es  unter  der  eingeleiteten 
Therapie  (Urotropin,  Salol,  Neohexal)  den  Urin  für  eine  zeitlang 
leukozytenfrei  zu  bekommen,  später  trotzte  die  Zystitis  jeder  Be¬ 
handlung.  Nachdem  die  Zystitis  schon  ein  Jahr  bestanden 
hatte,  trat  plötzlich  unter  hohem  Fieber  und  starkem  Verfall  des 
Kindes  eine  Urinretention  auf.  Das  Präputium  war  stark  geschwollen 
und  konnte  nicht  zurückgeschoben  werden.  Da  es  auch  md 
Sonde  und  Katheter  nicht  gelang,  das  Orificium  urethrae  zugänglich 
zu  machen,  wurde  das  Kind  zur  Phimosenspaltung  in  die  chirurgische 
Klinik  geschickt,  wo  nach  Spaltung  der  Phimose  in  der  Harnröhren¬ 
mündung  eingeklemmt  ein  länglicher  Stein  von  0,18  g  Gewicht  ge¬ 
funden  wurde.  Nach  Beseitigung  desselben  konnte  wieder  spontan 
Urin  gelassen  werden  und  alle  alarmierenden  Symptome  gingen  sofort 
zurück.  Die  chemische  Untersuchung  des  Steines  ergab,  dass  es  sich 


15.  September  191-4. 


MUkNCHeNKR  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1947 


um  einen  Harnsäurestein  handelte,  der  ausserdem  noch  Phosphate 
enthielt.  Vortr.  weist  darauf  hin,  dass  in  unserer  Gegend  die 
Lithiasis  im  Kindesalter  und  speziell  bei  Säuglingen  relativ  selten  ist. 
Weiter  ist  der  Fall  von  Interesse  wegen  der  Symptome,  unter  denen 
der  Steinabgang  erfolgt  war.  Das  Hindernis  der  Harnentleerung 
schien  zunächst  durch  eine  akut  entstandene  Phimose  vielleicht  ent¬ 
zündlicher  Natur  bedingt  zu  sein  und  erst  durch  die  Spaltung  des 
Präputiums  wurde  der  wahre  Sachverhalt  aufgedeckt.  Akute 
Schmerzanfälle,  Harnretention  oder  sonstige  Symptome,  die  für  das 
Vorhandensein  eines  Steines  hätten  sprechen  können,  waren  nie  beob¬ 
achtet  worden.  Was  die  Ursache  der  Steinbildung  in  dem  vor¬ 
liegenden  Fall  betrifft,  so  kann  die  Zystitis  das  Primäre  gewesen 
sein  und  zur  Steinbildung  Veranlassung  gegeben  haben.  Mehr  Wahr¬ 
scheinlichkeit  scheint  die  zweite  Möglichkeit  für  sich  zu  haben,  dass 
ein  Harnsäureinfarkt  der  Niere  die  primäre  Ursache  darstellt,  und 
dass  aus  der  Niere  verschleppte  Konkremente  die  erste  Grundlage 
zur  Steinbildung  abgegeben  haben.  Die  Zystitis  würde  dann  erst 
sekundär  durch  die  Steinbildung  bedingt  gewesen  sein. 

Diskussion:  Herr  David:  Das  Vorkommen  von  Blasen- 
steinen  bei  Kindern  jenseits  des  Säuglingsalters  ist  doch  nicht  ganz 
so  selten.  Wir  konnten  in  der  letzten  Zeit  in  der  med.  Klinik  5  Fälle 
bei  Kindern  zwischen  dem  3.— 10.  Jahre  beobachten  und  zwar  waren 
die  Kinder  sämtlich  männlichen  Geschlechts.  Bei  den  älteren  Kindern 
gingen  die  Beschwerden  vielfach  bis  in  das  frühe  Kindesalter  zurück 
Charakteristischerweise  beobachten  wir  die  Steine  häufiger  seitdem 
wir  systematisch  bei  allen  Kinderzystitiden  von  der  Blase  Röntgen¬ 
aufnahmen  hersteilen  lassen. 

Herr  Beneke  bestätigt  die  Angabe  des  Herrn  David  be¬ 
züglich  des  Vorkommens  von  Steinen  im  Kindesalter;  allerdings  beob¬ 
achtete  er  bei  den  Sektionen  der  letzten  3  Jahre  (ca.  2400)  keine 
Blasensteine,  wohl  aber  wiederholt  Steinbildung  im  Nierenbecken, 
einmal  auch  im  Ureter.  Diese  Steine  entstehen  unverkennbar  im 
Anschluss  an  die  Harnsäureinfarkte  der  Nierenpapillen,  welche  be¬ 
kanntlich  in  den  ersten  Lebenstagen  einzutreten  pflegen  und  bis¬ 
weilen  zu  Papillenspitzennekrose  führen.  Abgestossene  Spitzen¬ 
teilchen  dienen  dann  als  Kerne  für  Nierenbeckensteine,  welche  durch 
Anlagerung  von  Uraten  wachsen.  Dass  die  Steinbildung  nicht  häufiger 
ist,  beruht  wohl  auf  der  Lösung  der  einmal  ausgefallenen  Harnsäure¬ 
konkremente  durch  die  Einwirkung  des  normalen  Harns.  Diese 
Lösung  vermag  wohl  auch  grössere  Mengen  zum  spurlosen  Schwin¬ 
den  zu  bringen.  In  dieser  Beziehung  war  ein  kürzlich  beobachteter 
Fall  eines  mehrere  Monate  alten  Kindes  von  Interesse:  die  Papillen¬ 
spitzen  desselben  waren  deutlich  nekrotisch  bzw.  abgestossen,  boten 
also  das  gewöhnliche  Bild  der  Folgen  eines  hochgradigen  Harnsäure- 
Infarktes;  sie  zeigten  aber  keine  Spur  von  Harnsäure  mehr,  auch 
fehlten  Nierenbeckenkonkremente;  dagegen  waren  die  Papillenspitzen 
intensiv  gelb  gefärbt  durch  sehr  reichliche  grosse  Bilirubinkristalle, 
welche  unverkennbar  gleichfalls  —  wie  so  häufig  —  mit  der  Harn¬ 
saure  in  den  Papillen  zur  Ausscheidung  gelangt  und  kristallinisch 
gewachsen  waren,  während  die  Harnsäure  gelöst  wurde;  der  Unter¬ 
schied  ist  in  Anbetracht  der  Schwerlöslichkeit  der  Bilirubinkristalle 
leicht  verständlich. 

Herr  Veit  fragt  den  Vortragenden,  warum  er  nicht  die  ganze 
Krankheit  von  dem  Gesichtspunkte  der  Koliinfektion  betrachtet.  In 
der  jeburtshilfe  kennt  man  die  Kolipyelitis  und  nimmt  ihren  Ausgang 
vom  Darmkanal  an.  Warum  nicht  eine  gleiche  Genese  auch  hier 
angenommen  werden  muss,  scheint  doch  zum  mindesten  der  Er¬ 
örterung  wert.  Koliaufnahme  in  das  Nierenbecken,  Pyelitis,  stein- 
bildender  Katarrh  und  das  Krankheitsbild  mit  seinen  dunklen  Fieber¬ 
erscheinungen  etc.  ist  erklärt. 

Herr  Beneke:  Die  Annahme  des  Herrn  Kollegen  Veit,  dass 
Infektionen  bei  der  Nierenbeckensteinbildung  eine  wesentliche  Rolle 
spielen,  teile  ich  nicht;  sie  sind  wohl  von  Bedeutung  für  das 

c  1  s  e  n  eines  Harnsäuresteins  durch  Anlagerung  von  Nieder¬ 
schlagen  (Tripelphosphat  u.  ä.)  auf  zersetztem  Harn,  zur  Ent- 
„  ®  “  n  S  der  Harnsäuresteine  aber  nicht  erforderlich  und  tat¬ 
sächlich  auch  nicht  nachweisbar.  Natürlich  können  auch  einmal  durch 
und  Nierenentzündungen  bakterieller  Natur  Steine  bei 
Kindern  wie  bei  Erwachsenen  entstehen,  doch  scheint  dies  Vor¬ 
kommnis  relativ  seltener  zu  sein. 

i  werr  Lehn  er  dt  (Schlusswort)  erwidert  auf  die  Bemerkungen 
des  Herrn  Geheimrat  V  e  i  t,  dass  die  Möglichkeit  eines  infektiösen 
Ursprunges  der  Zystitis  von  ihm  sehr  wohl  erwogen  worden  ist, 
dass  aber  die  Frage,  welche  der  erwähnten  beiden  Möglichkeiten 
m  dem  vorliegenden  Fall  als  ätiologischer  Faktor  anzusehen  ist,  nicht 
entschieden  werden  kann.  (Schluss  folgt.) 


Biologische  Abteilung  des  ärztlichen  Vereins  in  Hamburg. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  19.  Mai  1914. 

Vorsitzender:  Herr  A  1 1  a  r  d. 

Schriftführer:  Herr  v.  E  n  g  e  1  b  r  e  c  h  t. 

I.  Demonstration. 

Herr  Stamm:  Zur  Melaena  neonatorum. 

Von  5  im  Wöchnerinnenheim  beobachteten  Fällen  von  Mel.  vera 
neonatorum  starb  ein  mittels  Zange  geborenes  Kind.  Die  Sektion 
_  rgab  ausser  Anämie  aller  Organe,  subpleuralen  und  epiduralen 
-Kchymosen  im  Duodenum,  1  cm  unterhalb  des  Pylorus,  ein  Schleini- 


hautulcus  von  0,5  cm  Länge,  das  mit  nekrotischen  Fetzen  bedeckt  war. 
Ob  dieses  Geschwür  die  alleinige  Blutungsquelle  abgegeben  und  den 
profusen  Charakter  der  Darmblutung  in  diesem  Falle  allein  erklären 
kann,  lässt  sich  ohne  weiteres  nicht  annehmen,  da  wenigstens  makro¬ 
skopisch  die  Arrosion  eines  grösseren  Gefässes  nicht  zu  erkennen 
war, 

Von  den  5  Fällen  betrafen  4  Knaben;  bis  auf  den  zur  Sektion 
gekommenen  Fall  war  bei  allen  die  Geburt  normal  verlaufen.  Das 
Einsetzen  der  Blutung  fand  statt  1  mal  am  1.  Tage,  1  mal  am  2.  Tage, 
-mal  am  3.  Jage  und  1  mal  am  4.  Tage  post  partum.  Blutbrechen 
OTeunur  .ln  ^  Lalle,  vorübergehende  Temperatursteigerung  bis 
ebenfalls  nur  in  1  Falle  beobachtet  bei  relativem  Wohlbefinden. 
Die  Blutentleerungen  dauerten  2—3  Tage. 

Sämtliche  Fälle  wurden  mit  Gelatine  (M  e  r  c  k)  per  os,  per 
Klysma  und  subkutan  behandelt.  Einzeldosis  10—20  g.  Auf  Grund 
des  befriedigenden  therapeutischen  Effektes  wird  die  Annahme  einer 
Stoiung  der  Koagulationsfähigkeit  des  Blutes  als  ätiologisches  Mo¬ 
ment  erörtert. 

Die  Melaena  stellt  eine  klinisch  einheitliche  Erkrankung  nicht 
dar  und  infolgedessen  muss  auch  die  Therapie  verschieden  sein:  bei 
denjenigen  Fällen  aber,  die  nicht  auf  allgemeiner  Sepsis  oder  Lues 
beruhen,  sollte  die  Gelatinetherapie  stets  angewandt  werden 

Diskussion:  Herr  E.  Fraenkel  fragt,  ob  das  Kind  Blut 
gebrochen  hat  und  ob  frisches  Blut  im  Stuhle  gewesen  ist.  Die 
Frage  wird  von  Herrn  Stamm  bejaht. 

Flerr  Simmonds:  Die  Melaena  neonatorum  ist  kein  einheit¬ 
liches  Krankheitsbild;  sie  kann  ganz  verschiedenen  Störungen  ihre 
Entstehung  verdanken.  In  einem  Falle  traf  ich  dabei  eine  Nabel¬ 
sepsis,  in  einem  anderen  eine  kongenitale  Atresie  des  Duodenum, 
m  einem  dritten  einen  angeborenen  schweren  Herzfehler,  in  einem 
vierten  multiple  hämorrhagische  Erosionen  des  Magens.  Auch  die 
Mitteilungen  in  der  Literatur  bestätigen  die  Mannigfaltigkeit  der 
Aetiologie.  Endlich  ist  an  die  Angabe  von  Gynäkologen  zu  erinnern, 
dass  übermässig  rasche  Abnabelung  der  Neugeborenen  bisweilen  an¬ 
zuschuldigen  ist. 

Herr  E.  Fraenkel:  Massenhafte  hämorrhagische  Erosionen  im 
Magen  genügen,  ein  Kind  anämisch  zu  machen.  Er  erwähnt  einen 
Fall,  bei  dem  die  Defekte  bis  auf  die  Muskularis  gingen.  Als  Ur¬ 
sache  hierfür  sieht  er  spastische  Kontraktionen,  Ischämie,  Nekrosen, 

Herren  Fahr,  Allard,  Simmonds  und  Stamm  (Schluss¬ 
wort). 

Herr  E.  Fraenkel:  Zur  chronischen  Wirbelsäulenversteifung. 

Erscheint  ausführlich  in  den  Hamb.  med.  Ueberseeheften. 

Herr  Weissbrem:  Ueber  einen  Fall  von  hochgradigem  Oedem 
mit  Pneumokokkenbefund. 

Vortr.  gibt  eine  kurze  Uebersicht  über  die  durch  Pneumokokken 
liervorgerufenen  erysipelatösen  Erkrankungen  und  berichtet  über  ein 
auf  der  medizinischen  Abteilung  des  Israelitischen  Krankenhauses  bei 
einem  84  jährigen  Manne  am  3.  Tage  einer  kruppösen  Pneumonie 
beobachtetes  hochgradiges  Oedem  des  Gesichtes  und  der  Lippen¬ 
schleimhaut.  Während  sich  das  Blut  bei  der  von  Herrn  Dr.  Plaut 
vorgenommenen  bakteriologischen  Untersuchung  als  steril  erwies, 
wurden  in  der  Oedemflüssigkeit  Reinkulturen  von  Pneumokokken 
nachgewiesen.  Der  Fall  erinnert  an  das  sehr  selten  beobachtete 
Pneumokokkenerysipel,  doch  fehlten  für  das  Erysipel  wichtige  dia¬ 
gnostische  Kriterien. 

Diskussion:  Herr  Reiche. 

Nach  dem  projizierten  Photogramm  handelt  es  sich  um  ein  Ery¬ 
sipel.  Rötung  und  scharfe  Abgrenzung  sind  nicht  immer  vorhanden. 

Herr  Korach. 

Herr  E.  Fraenkel  hält  die  Ausführungen  des  Herrn  Korach 
nicht  für  beweisend.  Er  würde  aus  diesen  nur  schliessen,  dass  ein 
durch  Pneumokokken  hervorgerufenes  Erysipel  andere  Erschei¬ 
nungen  macht  als  ein  durch  Streptokokken  bedingtes. 

Herr  Jacobsthal  und  Herr  Schillin  g-Hamburg  St.  Georg: 
Versuche  über  Resistenz,  Anpassungsvermögen  und  Durchgängigkeit 
roter  Blutkörperchen. 

Demonstration  folgenden  Versuches:  In  6 ccm  konzentrierte 
(30  proz.)  Kochsalzlösung  werden  je  2  Tropfen  einer  dicken  Emulsion 
mit  physiologischer  Kochsalzlösung  gewaschener  roter  Blutkörper¬ 
chen  getropft  und  zwar  wird  ein  so  getropftes  Röhrchen  sofort  um¬ 
geschüttelt,  ein  zweites  nach  einer  Minute,  ein  drittes  erst  nach 
5  Minuten  geschüttelt.  Im  ersten  Röhrchen  tritt  komplette  Hämolyse 
ein,  im  zweiten  nur  geringe  und  im  letzten  gar  keine.  Dieser  frap¬ 
pante  Unterschied  beruht  darauf,  dass  die  Blutkörperchen  sich  sehr 
schnellen  osmotischen  Schwankungen  offenbar  nicht  anpassen  können. 
Blutkörperchen  verschiedener  Tierarten  verhalten  sich  hierin  ver¬ 
schieden;  so  zeigen  Meerschweinchenblutkörperchen  das  Phänomen 
besonders  stark,  Menschenblutkörperchen  aber  weniger  ausge¬ 
sprochen. 

Die  Erfahrung  legt  die  Frage  nahe,  ob  auch  bei  weniger  konzen¬ 
trierten  Salzlösungen  durch  Vermeidung  starker  osmotischer  Schwan¬ 
kungen  eine  gewisse  Anpassung  erzielbar  wäre?  In  der  Tat  gelang 
es  durch  ganz  langsames,  durch  Stunden  fortgesetztes  Verdünnen 
physiol.  Kochsalzlösung  die  in  ihr  suspendierten  roten  Blutkörperchen 
ohne  allzu  starke  Hämolyse  in  eine  0,2  proz.  ja  0,18  proz.  Kochsalz¬ 
lösung  zu  überführen.  Die  Verdünnung  geschah  entweder  durch  Zu¬ 
fügen  niedrigprozentiger  Kochsalzlösung  mit  eingeschaltetem  Zentri¬ 
fugieren,  so  dass  die  Lösung  auf  0,875,  0,85  usw.  übergeführt  wurde, 
oder  durch  vorsichtiges  Auftröpfeln  von  destilliertem  Wasser  auf  die 


1948 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  37. 


Oberfläche  und  langsames  Mischen  durch  Drehen  und  Schwenken 
des  Gefässes,  dann  wieder  Hinzufügen  neuen  Wassers,  oder  durch 
automatisches  Zutröpfeln  von  Verdünnungsflüssigkeit  im  Schüttel¬ 
apparat  oder  durch  lange  fortgesetztes  Dialysieren  gegen  fliessendes 
Wasser.  Es  zeigte  sich,  dass  die  verschiedenen  Blutkörperchenarten 
sich  aucn  verschieden  verhalten.  Mit  Menschenblut  gelang  das  Ver¬ 
fahren  verhältnismässig  leicht,  mit  Hammelblut  kaum.  Die  ersteren 
sind  offenbar  leicht  durchgängig  für  Salze,  die  letzteren  kaum  oder 
gar  nicht.  Mit  den  so  „entsalzten“  Blutkörperchen  vom  Menschen 
in  0.2  proz.  Kochsalzlösung  sollte  nun  versucht  werden,  ob  sie  für 
Traubenzucker  durchgängig  war.  Sie  wurden  dazu  in  eine  etwas 
hypertonische  Traubenzuckerlösung  gebracht:  waren  sie  durch¬ 
gängig,  so  mussten  sie  bei  nachheriger  Ueberführung  in  die  0,2  proz. 
Kochsalzlösung  liämolysiert  werden,  waren  sie  undurchgängig,  so 
durften  sie  durch  0,2  proz.  Kochsalzlösung  nicht  geschädigt  werden. 
Das  Resultat  war  eine  partielle  Hämolyse,  d.  h.  also  eine  partielle 
Durchgängigkeit,  gegen  Traubenzucker.  Das  bedeutet  eine  Bestä¬ 
tigung  der  auf  anderem  Wege  erhobenen  Befunde  M  a  s  i  n  g  s.  Auf 
noch  andere,  einfachere  Art  geling  der  Beweis,  dass  die  Blut¬ 
körperchen  des  Hundes  für  Traubenzucker  und  Salz,  die  des  Hammels 
für  keines  von  beidem  durchgängig  sind.  Vergleicht  man  nämlich 
die  Blutkörperchenresistenz  dieser  Tiere  gegen  abfallende  Salz¬ 
lösungen,  vor  Nacheintragen  der  roten  Blutkörperchen  in  physio¬ 
logische  (5  proz.)  Traubenzuckerlösung,  so  sieht  man,  dass  die 
Hammelblutkörperchen  in  jeder  Beziehung  unverändert  geblieben 
sind.  Die  Blutkörperchen  des  Hundes  dagegen  werden  zwar  in  etwas 
durch  die  Traubenzuckerlösung  an  sich  geschädigt,  aber  ihre  Re¬ 
sistenz  gegen  Kochsalzlösung  ist  durch  die  Behandlung  mit  Trauben¬ 
zucker  beträchtlich  erhöht  worden,  so  dass  sie  jetzt  in  0,15  proz. 
Kochsalzlösung  nicht  einmal  völlig  isoliert  wurden.  Erklärung  des 
Phänomens:  die  Traubenzuckerlösung  entzieht  dadurch,  dass  das 
Salz  der  Hundeblutkörperchen  in  sie  hinein  defundiert,  diesen  das 
Salz.  Daher  sind  sie  bei  nachherigem  Einbringen  in  niedrigprozentige 
Kochsalzlösung  relativ  salzarm,  weswegen  kein  Grund  zu  einer 
Quellungshämolyse  vorhanden  ist.  Der  in  ihnen  vorhandene  Trauben¬ 
zucker  aber  ist  nicht  so  osmotisch  wirksam,  so  dass  es  nicht  zu  einer 
akuten  Quelle  kommt. 

Schliesslich  wurden  noch  je  2  Verdünnungsserien  von  Kochsalz¬ 
lösung  mit  Traubenzuckerlösung  mit  gewaschenem  Hammel-  resp. 
Hundeblutkörperchenbrei  betropft.  Die  Ablesung  nach  wenigen  Mi¬ 
nuten  ergab,  dass  die  roten  Blutkörperchen  des  Hammels,  viel  eher 
hämolysiert  wurden  als  die  des  Hundes.  Nach  18  Stunden  aber  war 
das  Bild  völlig  verändert.  Die  Hundeblutkörperchen  in  Trauben¬ 
zuckerlösung  werden  nun  nämlich  fast  völlig  hämolysiert.  Die  an¬ 
deren  Serien  waren  unverändert.  Wie  erklärt  sich  nun  die  Hämo¬ 
lyse  der  roten  Blutkörperchen  des  Hundes  in  „physiologischer“  und 
hypertonischer  Kochsalzlösung  ?  Eine  befriedigende  Erklärung  hier¬ 
für  ist  bisher  auch  von  Masing  nicht  gegeben.  Vielleicht  bringt 
uns  folgende  Ueberlegung  in  dieser  Beziehung  weiter:  wir  wissen, 
dass  bei  den  für  Traubenzucker  durchgängigen  Blutkörperchenarten 
der  Traubenzucker  zum  grössten  Teile  wenigstens  innerhalb  30  Mi¬ 
nuten  eingedrungen  ist,  ferner,  dass  die  durchgängigen  Blutkörper¬ 
chen  ein  glvkolytisches  Ferment  enthalten.  Da  nun  die  Hämolyse 
durch  physiologische  Traubenzuckerlösung  nicht  innerhalb  30  Minuten 
eintritt,  so  liegt  es  nahe,  diese  Hämolyse  mit  dem  glykolytischen 
Ferment  in  Beziehung  zu  bringen?  Wenn  z.  B.  Stärke  in  Zucker 
aufgespalten  wird,  so  sind  die  dadurch  entstehenden  kleineren  Mole¬ 
küle  osmotisch  wirksamer  als  die  Stärke.  So  könnten  auch  die  durch 
Glykolyse  aus  dem  Traubenzucker  entstehenden  Zersetzungspro¬ 
dukte  durch  ihre  osmotische  Wirksamkeit  die  Blutkörperchen  zur 
Quellung  bringen.  Ev.  könnten  auch  bei  der  Glykolyse  entstehende 
intermediäre  Abbauprodukte  (die  wir  bisher  allerdings  nicht  kennen), 
z.  B.  Alkohol  von  dem  Blutkörperchensubstanzen,  wie  z.  B.  dem 
Lipoid  im  Entstehen  sozusagen  abgefangen  werden  und  dadurch  zur 
Hämolyse  führen.  Weitere  Untersuchungen  sind  im  Gange.  Unter¬ 
dessen  haben  wir  durch  Einwirkung  von  Inaktivierungstemperaturen 
durch  Kälte  und  fermenthemmende  Reagentien  (Fluornatrium)  es 
ziemlich  sichergestellt,  dass  bei  der  Traubenzuckernachhämolyse 
Fermente  wirken. 

Diskussion:  Herren  Cohn  heim,  Kafka  und  Jacobs¬ 
thal  (Schlusswort) 


Aus  den  französischen  medizinischen  Gesellschaften. 

Soci6t6  francaise  de  Dermatologie  et  de  Syphiügrapliie. 

Sitzungen  vom  Mai  bis  Juli  1914. 

Zur  Wassermann  sehen  Reaktion. 

Milan  erhebt  sich  energisch  gegen  die  Schlüsse  von  Prof. 
Nicolas-  Lyon,  nach  welchem  39  Proz.  positiver  Seroreaktionen 
ausserhalb  der  Syphilis  vorkamen.  Er  hat  bis  jetzt  mehr  als  8000 
Reaktionen  ausgeführt  und  immer  ermöglichte  eine  positive  Reaktion 
die  Sicherung  der  Syphilisdiagnose. 

Goucher  hebt  gleicherweise  die  Tatsache  hervor,  dass  man 
positiven  Wassermann  bei  Leuten,  die  mit  irgend  einer  Affektion 
behaftet  sind,  beobachten  kann,  ohne  dass  aber  bei  diesen  Syphilis  in 
Abrede  gestellt  wird.  Die  Wassermann  sehe  Reaktion  ist  sicher 
eine  Methode  ersten  Ranges  zur  Diagnose  der  Syphilis. 

S  o  1 1  r  a  i  n  ist  ebenfalls  über  den  Prozentsatz  von  39  bei  nicht¬ 


syphilitischen  Kranken  erstaunt;  selbst  die  Fälle  von  Scharlach.  Lepra 
und  anderen  Spirillosen  eingerechnet,  bei  welchen  oft  die  Reaktion 
positiv  ist,  kommt  er  bei  mehr  wie  5000  Reaktionen  zu  keiner  so 
hohen  Verhältniszahl.  Vielleicht  hängt  dies  mit  der  Häufigkeit 
latenter  oder  unbekannter  oder  hereditärer,  erscheinungsloser  Sy¬ 
philis.  die  man  bei  den  Krankenhauspatienten  findet,  zusammen. 

Leredde  und  Rubinstein  glauben,  dass  die  Wasser¬ 
mann  sehe  Reaktion,  mit  peinlicher  Technik  ausgeführt,  in  klinischer 
Beziehung  spezifisch  ist,  nicht  aber  in  ätiologischer,  da  ausser  Sy¬ 
philis  mehrere  Krankheiten,  wie  Malaria,  Lepra,  Febris  recurrens, 
Scharlach,  eine  positive  Fixationsreaktion  geben  können.  Um  sich 
vor  jedem  Irrtum  in  der  Erklärung  der  Resultate  zu  hüten,  muss 
man  die  Fixationsreaktion  ebenso  mit  dem  erhitzten  wie  mit  frischem 
Serum  vornehmen;  nur  die  Verbindung  dieser  beiden  Methoden  er¬ 
möglicht,  den  positiv  schwachen  Reaktionen  eine  Bedeutung  zu  geben. 
Unumgänglich  notwendig  ist  auch,  die  Serumuntersuchung  nach 
Wassermann  erst  vorzunehmen,  wenn  man  sich  durch  vorherige 
Prüfung  vergewissert  hat,  dass  das  hämolytische  System  (Alexine. 
Ambozeptor,  rote  Blutkörperchen)  vollständig  in  Ordnung  ist;  inan 
titriere  das  Alexin  in  Gegenwart  der  Antigene  und  führe  die  Re¬ 
aktion  mit  mehreren  Antigenen  aus. 

Ikterus  infolge  von  Salvarsananwendung. 

M  i  1  i  a  n  glaubt,  dass  der  Ikterus,  den  man  zuweilen  nach  den 
Salvarsan-  und  Neosalvarsaninjektionen  auftreten  sieht,  keinswegs 
dem  Mittel  selbst  zuzuschreiben,  d.  i.  keineswegs  eine  toxische  Er¬ 
scheinung  ist,  sondern  von  der  Syphilis  herstammt,  wovon  er  ein 
Symptom,  ein  Rezidiv  ebenso  wie  die  nervösen  Erscheinungen  ist. 
Der  Ikterus  entwickelt  sich  dreimal  so  häufig  nach,  wie  während 
der  Kur,  etwa  in  der  8. — 10.  Woche  nach  der  letzten  Injektion,  oft 
gleichzeitig  mit  anderen  syphilitischen  Erscheinungen  vorkommend. 
Der  Ikterus  nach  Salvarsan  wird  besonders  bei  hartnäckigen  Fällen 
von  Syphilis  beobachtet  und  heilt  sehr  rasch  durch  antisyphilitische 
Behandlung. 

Q  u  e  y  r  a  t  glaubt,  dass  man  bezüglich  des  Ikterus,  der  ziem¬ 
lich  oft  nach  Salvarsananwendung  vorkommt,  wahren  und  Pseudo- 
ikterus  unterscheiden  muss.  Nicht  selten  beobachtet  man  den  von 
M.  beschriebenen  Ikterus,  aber  ziemlich  oft  auch  2—3  Tage  nach  der 
dritten  Injektion  eine  leichte  subikterische  Verfärbung  gleichzeitig 
mit  heftigen  Halsschmerzen  und  Schwellung  der  Mandeln:  Der  Urin 
ist  schwarz,  enthält  Pigmentfermente,  oft  nur  Urobilin,  Leber  und 
Milz  vergrössert  Diese  Erscheinungen  dürften  nicht  von  der  Sy¬ 
philis  an  sich  herstammen,  sondern  werden  bei  alten  Malariakranken 
oder  Alkoholikern,  deren  Leberzellen  schon  vorher  angegriffen  waren, 
beobachtet. 

F  e  r  n  e  t  sah  ähnliche  Formen  von  Ikterus  nach  Injektionen  von 
Zvanquecksilber  entstehen. 


Tagesgeschichtliche  Notizen 

siehe  „Feldärztliche  Beilage“. 


Uebersicht  der  Sterbefälle  in  München 

während  der  34.  Jahreswoche  vom  23.  bis  29.  August  1914. 

Bevölkerungszahl  640000. 

Todesursachen:  Angeborene  Lebensschwäche  einschl.  Bildungs¬ 
fehler  8  (13  H»  Altersschw.  (über  60  Jahre)  4(5),  Kindbettfieber  —  (3), 
and.  Folgen  der  Geburt  und  Schwangerschaft  —  (1),  Scharlach  —  (— ), 
Masern  u.  Röteln  —  (— ),  Diphtherie  u.  Krupp  1  (3),  Keuchhusten  2  (2), 
Typhus  (ausschl.  Paratyphus)  —  (— ),  akut.  Gelenkrheumatismus  —  (2), 
übertragbare  Tierkrankh.,  d.  s.  Milzbrand,  Rotzkrankh.,  Hundswut, 
Trichinenkrankh.  —  (—),  Rose  (Erysipel)  1  (1),  Starrkrampf  -  (— ), 
Blutvergiftung  1  (1),  Tuberkul.  der  Lungen  22  (23),  Tuberkul.  and.  Org. 
(auch  Skrofulöse)  4  (3),  akute  allgem.  Miliartuberkulose  —  (— ),  Lungen- 
entzünd.,  kruppöse  wie  katarrh.  usw.  6  (5),  Influenza  —  (— ),  veneri¬ 
sche  Krankh.—  (1),  and.  übertragbare  Krankh.:  Pocken,  Fleckfieber, 
Ruhr,  Genickstarre,  Strahlenpilzkrankh.,  Lepra,  asiat.  Cholera, Wechsel¬ 
fieber  usw.  —  ( — ),  Zuckerkrankh.  (ausschl.  Diab.  insip.)  6  ( — ),  Alkoholis¬ 
mus  —  ( — ),  Entzünd,  u.  Katarrhe  der  Atmungsorg.  1  (2),  sonst.  Krankh. 
d.  Atmungsorgane  —  (1),  organ.  Herzleiden  14  (14),  Herzschlag,  Herz¬ 
lähmung  (ohne  näh.  Angabe  d.  Grundleidens)  3  (4),  Arterienverkalkung 
2  (3),  sonstige  Herz-  u.  Blutgefässkrankh.  3  (8),  Gehirnschlag  9  (6), 
Geisteskrankh.  1  (— ),  Krämpfe  d.  Kinder  —  (1),  sonst.  Krankh.  d.  Nerven¬ 
systems  10  (2),  Atrophie  der  Kinder  5  (1),  Brechdurchfall  3  (— ),  Magen¬ 
katarrh,  Darmkatarrh,  Durchfall,  Cholera  nostras  13  (12),  Blinddarm¬ 
entzünd.  2  (3),  Krankh.  der  Leber,  Gallenblase,  Bauchspeicheldrüse  u. 
Milz  4  (3),  sonst.  Krankh.  der  Verdauungsorg.  9  (4),  Nierenentzünd.4  (4), 
sonst.  Krankh.  der  Harn-  u.  Geschlechtsorg.  1  (2\  Krebs  21  (17),  sonst. 
Neubildungen  3  (2),  Krankh.  der  äuss.  Bedeckungen  —  (3),  Krankh.  der 
Bewegungsorgane  1  ( — ),  Selbstmord  2  (7),  Mord,  Totschlag,  auch 
Hinricht.  —  (— ),  Verunglückung  u.  andere  gewalts.  Einwirkungen  9  (3), 
andere  benannte  Todesursachen  1  (4),  Todesursache  nicht  (genau) 
angegeben  (ausser  den  betr.  Fällen  gewaltsamen  Todes)  —  (— ). 

Gesamtzahl  der  Sterbefälle:  176  (168). 

')  Die  eingeklammerten  Zahlen  bedeuten  die  Fälle  der  Vorwoche. 


Redaktion:  Dr.  B.  Spatz, 
Mönchen,  Arnulfstrasse  26. 


MÜNCHENER 


Verlag  von  J.  F.  Lehmann, 
Mönchen,  Paul  Heysestr.  26. 


Medizinische  Wochenschrift. 


Nr.  37.  15.  September  1914. 


Die  ersten  Kriegsverletzungen  im  Reservelazarett  B 

in  München. 

Von  Dr.  A.  K  r  e  c  k  e,  Oberstabsarzt  a.  D. 

Im  Reservelazarett  B  München,  das  sich  in  den  Räumen 
der  Kriegsschule,  der  Kriegsakademie  und  der  Marsfeldschule 
befindet  und  im  ganzen  für  etwa  1100  Betten  eingerichtet  ist, 
sind  die  ersten  Verletzen  in  der  Nacht  vom  20.— 21.  August 
eingetroffen.  Ein  zweiter  Verwundetentransport  ist  in  der 
Frühe  des  23.  August  und  ein  dritter  am  25.  August  an¬ 
gekommen. 

Die  am  erstgenannten  Tage  angekommenen  Verletzten 
hatte  sämtlich  nur  leichte  Verwundungen  und  hatten  alle  im 
Sitzen  befördert  werden  können.  Die  Verletzungen  stammten 
aus  den  Gefechten  bei  Mülhausen  und  bei  Lagarde  Die  mit 
aen  Lazarettzügen  am  23.  und  25.  August  eingetroffenen  Ver¬ 
wundeten  zeigten  durchweg  schwere,  zum  Teil  sehr  schwere 
Verletzungen.  Diese  Verwundungen  stammten  sämtlich  aus 
der  grossen  Schlacht  vom  20.  August  in  den  Vogesen.  Ein 
grosser  Teil  der  Krieger  war  am  20.  August  vom  Schlachtfeld 
aufgelesen,  hatte  die  erste  Nacht  in  einem  notdürftig  her¬ 
gerichteten  Gebäude,  einer  Scheune  oder  einer  Kirche  zu¬ 
gebracht  und  war  dann  sofort  am  nächsten  Tage  nach 
München  befördert  worden.  Ein  Verletzter  mit  einer  Ober¬ 
schenkelzersplitterung  hatte  sogar  30  Stunden  auf  dem 
Schlachtfelde  gelegen,  bis  ihm  die  erste  Hilfe  zuteil  wurde. 
So  hatten  wir  Gelegenheit,  die  Verletzungen  fast  zur  selben 
Zeit  nach  der  Verwundung  zu  sehen,  wie  es  sonst  nur  im 
Feldlazarett  oder  im  Kriegslazarett  möglich  ist. 

Dadurch,  dass  das  Lazarett  B  dank  dem  Entgegenkommen 
des  Kollegen  Sielmann  mit  einem  Röntgenapparat 
ausgestattet  ist,  und  der  genannte  Kollege  uns  seine  grosse 
Erfahrung  in  liebenswürdigster  Weise  zur  Verfügung  gestellt 
hat,  war  es  möglich,  von  den  wichtigeren  Knochenver¬ 
letzungen  sofort  nach  der  Aufnahme  eine  Röntgenphotographie 
anzufertigen.  Das  Zusammenarbeiten  mit  einem  erfahrenen 
Röntgenologen  steigert  die  Freude  und  das  Interesse  an  der 
kriegschirurgischen  Tätigkeit  in  hohem  Grade. 

Der  allgemeine  Zustand  der  Schusswunden 
war  ein  recht  befriedigender.  Der  grösste  Teil  war  von  den 
Kameraden  mit  Hilfe  des  Verbandpäckchens  sofort  verbunden 
und  weiter  nicht  mehr  berührt  worden.  Nur  da,  wo  eine 
starke  Nachblutung  erfolgt  war,  war  ein  Verbandwechsel  am 
Verbandplatz  oder  im  Hilfslazarett  vorgenommen  worden. 
Eine  irgendwie  starke  Reaktion  zeigt  keine  der  so  ver¬ 
bundenen  Verletzungen.  Eine  entzündliche  Reizung  war  nur 
dort  nachweisbar,  wo  eine  der  Oeffnungen  des  Magendarm¬ 
kanals  oder  des  Harnapparates  aufgerissen  war,  so  bei  Ver¬ 
ätzungen  der  Mundhöhle,  das  Mastdarms,  der  Blase  und  der 
Harnröhre. 

Die  Immobilisierung  bei  Knochenverletzungen  war 
im  allgemeinen  eine  recht  befriedigende.  Flank  derselben 
waren  die  Frakturen  der  oberen  Extremität  durchweg  voll¬ 
kommen  reaktionslos.  Auch  bei  den  Oberschenkelfrakturen 
war  eine  grössere  entzündliche  Reizung  in  keinem  Falle  nach¬ 
weisbar.  Nur  einige  derselben  zeigten  eine  leichte  wässerig¬ 
eiterige  Sekretion  aus  der  Ausschussöffnung.  Nur  bei  einem 
musste  bisher  eine  Ausräumung  der  Knochensplitter  vorge¬ 
nommen  werden. 


Die  Weichteilverletzungen  durch  Infan¬ 
teriegeschosse  zeigten  durchweg  einen  durchaus  harm- 
losen  Charakter.  Die  Einschussöffnungen  sowie  die  Aus¬ 
schussöffnungen  waren  in  allen  Fällen  reaktionslos,  die  Ein¬ 
schussöffnungen  meist  ausserordentlich  klein,  die  Ausschuss- 
Öffnungen  etwas  grösser.  Nur  in  wenigen  Fällen  zeigt  sich 
die  Ausschussöffnung  stark  zerfetzt,  was  vielleicht  darauf 
zurückzuführen  ist,  dass  das  Geschoss  beim  Durchschlagen 
eine  Drehung  erfahren  hat.  Sehr  merkwürdig  war  eine  Ver¬ 
ätzung  der  Gesässgegend,  in  der  das  Geschoss  auf  der  linken 
Gesässseite  eingedrungen,  in  der  Afterspalte  ausgetreten  und 
dann  in  die  rechte  Gesässhälfte  eingedrungen  war  und  die¬ 
selbe  durchschlagen  hatte.  Auf  der  linken  Seite  war  Ein-  und 
Ausschuss  ganz  klein,  auf  der  rechten  Seite  über  markstück- 
gross. 

Wesentlich  schlimmere  Verhältnisse  zeigten  die  nicht 
sehr  zahlreichen  Granatspli. tterverletzungen  der 
Weichteile.  Die  so  entstandenen  Wunden  waren  oft  beträcht¬ 
lich  gross,  vielfach  zerfetzt.  Die  in  der  Tiefe  freigelegte  Mus¬ 
kulatur  war  weit  zerrissen  und  nekrotisch.  Die  Sekretion 
dieser  Wunden  war  einige  Male  eine  recht  beträchtliche  und 
übelriechende.  Eine  stark  entzündliche  Reaktion  der  um- 
gebenden  Teile  fehlte  aber  auch  in  diesen  Fällen. 

Sehr  schlimme  Weichteilverletzungen  sahen  wir  dann, 
wenn  der  Granatschuss  auch  zu  Knochenver¬ 
letzungen  geführt  hatte.  Am  rechten  Vorderarm  fand 
sLh  in  einem  solchen  Falle  die  Streckmuskulatur  in  mehr  als 


Abb.  1. 


Handtellergrösse  zer¬ 
rissen  und  der  Ra¬ 
dius  ausgedehnt  zer¬ 
trümmert  (Abb.  I). 

Bei  einer  Verletzung 
des  Gesichtes  fand 
sich  die  ganze  Ober¬ 
lippe,  ein  grosser  Teil 
der  Nase  und  der  Wange  vollkommen  zerstört  und  die  beiden 
Oberkiefer  bis  zum  weichen  Gaumen  nahezu  gänzlich  heraus¬ 
gerissen.  Eine  gleichzeitige  tiefe  Zerreissung  der  Zunge  gab  zu 
wiederholten  Nachblutungen  Anlass,  die  zunächst  mit  Koagulen 
und  später  mit  Unterbindung  beider  Linguales  bekämpft 


Abb.  la. 


1950 


Nr.  37. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


werden  mussten.  —  In  einem  dritten  Falle,  der  das  rechte 
Fussgelenk  getroffen  hatte,  waren  die  Weichteile  an  der 
Aussenseite  des  Gelenks  in  Zweimarkstückgrösse  zerstört, 
der  Grund  nekrotisch  belegt  und  die  gebrochenen  Knochen 
lagen  frei  in  der  Wunde. 

Derartige  schwere  Granatsplitterverletzungen  werden  in 
der  ersten  Linie  natürlich  noch  viel  häufiger  sein  als  in  den 
Lazaretten.  Bei  ihrem  Anblick  schwindet  die  so  oft  aus¬ 
gesprochene  Meinung  von  der  humanen  Wirkung  der  mo¬ 
dernen  Geschosse. 

Eine  ausgedehnte  Zertrümmerung  der  Weichteile  war  in 
zwei  Fällen  dadurch  zustande  gekommen,  dass  das  Infanterie¬ 
geschoss  auf  die  mit  Patronen  gefüllte  Hosen¬ 
tasche  des  betreffenden  Mannes  aufgeschlagen  war  und 
diese  Patronen  zur  Explosion  gebracht  hatte.  In  beiden 
Fällen  waren  die  Weichteile  an  der  Vorderseite  des  Ober¬ 
schenkels  bis  weit  in  die  Muskulatur  hinein  zerrissen. 

Von  Verletzungen  des  Schädels  kamen  bisher 
nur  zwei  Fälle  zur  Beobachtung. 

In  dem  einen  Falle  handelt  cs  sich  um  einen  Mann,  der  einen 
Tangentialschuss  in  der  Hinterhauptsgegend  er¬ 
litten  hatte.  Einschuss  oberhalb  der  Protuberantia  occipitalis  extern^, 
Ausschuss  10  cm  weiter  nach  vom  und  aussen.  Die  Einschussöffnung 
war  etwa  bohnengross,  ganz  reizlos,  mit  trockenem  Schorf  bedeckt. 
Die  Ausschussöffnung  war  etwa  markstückgross  und  mit  vorge- 
fallencn  breiigen  Gehirnmassen  und  einigen  Knochensplittern  ausge- 
fiillt.  Irgendwelche  Allgemeinerscheinungcn  fehlten.  Im  leichten 
Aetherrausch  wurden  beide  Wunden  durch  einen  Kreuzschnitt  er¬ 
weitert,  die  zahlreichen  Knochensplitter  und  vorgefallenen  Gehirn¬ 
massen  abgetragen.  Die  Rinne  des  knöchernen  Schädels  war  etwa 
8  cm  lang  und  1  cm  breit.  Der  Verletzte  ist  leider  (8  Tage  nach 
dem  Eingriff)  noch  nicht  ausser  Gefahr.  Es  besteht  noch  hohes 
Eieber  mit  ziemlich  starken  Erregungszuständen.  Die  Wunden  sind 
reizlos. 

In  einem  zweiten  Falle  bestand  ein  5cm  langer  oberfläch¬ 
licher  Schusskanal  auf  der  Höhe  des  linken  Schei¬ 
telbeines.  Der  Mann  war  8  Stunden  lang  bewusstlos  gewesen 
und  zeigte  noch  ziemlich  beträchtliche  allgemeine  Gehirnerschei- 
nungen:  heftige  Kopfschmerzen,  schwer  gedrückte  Stimmung,  Schlaf¬ 
losigkeit.  Pulsverlangsamung.  Eine  Revision  der  Wunde  ergab,  dass 
die  Galea  stark  zerrissen,  das  Periost  aber  intakt  war.  Zu  einer 
Eröffnung  des  Schädels  lag  keine  Veranlassung  vor. 

Von  den  Verletzungen  des  knöchernen  Gesichts- 
schädels  zeigte  eine  mit  ausgedehnter  Weichteilverletzung 
komplizierte  Verletzung  des  Oberkiefers  auffallend  geringe 
Reaktion. 

Eine  ziemlich  beträchtliche  phlegmonöse  Schwellung  der 
Zungenbasis  hatte  sich  bei  einer  Verletzung  der  Unterlippe 
entwickelt,  die  die  linke  Hälfte  der  Unterlippe  und  die  linke 
Zungenhälfte  aufgerissen  hatte  und  bei  der  das  Geschoss  im 
Gebiete  des  Nackens  stecken  geblieben  war.  Infolge  der  Er¬ 
schwerung  des  Schluckaktes  war  es  zu  einer  schweren  fieber¬ 
haften  Bronchitis  gekommen.  Der  Patient  befindet  sich  jetzt 
wohl. 

8  Verletzungen  der  Lunge  zeigten  die  aus  den 
zahlreichen  Veröffentlichungen  bekannten  Bilder.  Der  eine 
der  Verletzten  war  schon  am  3.  Tage  nach  dem  Schuss  nicht 
mehr  im  Bett  zu  halten;  bei  den  7  anderen  hatte  sich  ein 
Hämatothorax  entwickelt,  in  einem  Falle  leichter  Art,  in  den 
anderen  schwerer  Art  mit  ziemlich  beträchtlicher  Dyspnoe. 
Unter  konservativer  Behandlung  werden  voraussichtlich  auch 
diese  Fälle  reaktionslos  verlaufen. 

5  Bauchschüsse,  bei  denen  die  Penetration  des  Ge¬ 
schosses  durch  die  Peritonealhöhle  mit  Sicherheit  aus  dem 
Verlauf  des  Schusskanals  zu  schliessen  war,  zeigten  kaum 
eine  Spur  von  peritonealen  Reizerscheinungen. 

Bei  einem  Patienten  war  das  Geschoss  von  der  linken  Hüftseite 
aus  eingedrungen  und  war  röntgenologisch  oberhalb  der  Symphyse 
nachweisbar.  Bei  einem  anderen  Kranken  war  das  Geschoss  an  der 
Aussenseite  des  linken  Oberschenkels  eingedrungen,  hatte  den  linken 
Oberschenkel  zertrümmert  (Abb.  2),  war  dann  durch  die  seitliche 
Beckenwand  in  die  Bauchhöhle  eingedrungen  und  unter  den  Bauch¬ 
decken  rechts  von  der  Mittellinie  etwas  unterhalb  Nabelhöhe  liegen 
geblieben.  Es  wird  sich  hier  nach  einiger  Zeit  leicht  entfernen 
lassen. 

Bei  einem  anderen  Kranken  war  das  Geschoss  links  von  der 
Mittellinie  im  Epigastrium  eingedrungen,  der  Ausschuss  befand  sich 
im  rechten  10.  Interkostalraum  in  der  Skapularlinie.  Es  ist  wohl 
zweifellos,  dass  der  Magen  von  diesem  Geschoss  zweimal  und  viel¬ 
leicht  auch  die  Pleura  verletzt  worden  war.  Der  Patient  zeigte  keine 


Spur  von  Reizerscheinungen,  weder  von  seiten  des  Peritoneums  noch 
von  seiten  der  Lunge  oder  der  Pleura. 

Ein  Patient  mit  einem  Bauchschuss  rechts  oberhalb  der  bchoss- 
fuge  gab  an,  noch  am  Abend  der  Schlacht  auf  dem  1  ruppenverband- 
platz  Iaparotomiert  worden  zu  sein.  Ob  bei  der  Operation  eine 
Darmverletzung  festgestellt  worden  sei,  konnte  er  nicht  sagen.  Er 
kam  am  vierten  T;ige  nach  der  Verletzung  hier  an  und  zeigte  eine 
10  cm  lange  Operationswunde  in  der  rechten  Darmbeingrube.  Die 
Wunde  war  vollkommen  reaktionslos,  auch  zeigte  er  keinerlei  Reiz¬ 
erscheinungen  von  seiten  des  Bauchfelles. 

Trotz  des  günstigen  Verlaufes  dieses  Falles  bestätigen 
die  erfolgreich  konservativ  behandelten  Fälle  die  allgemein 
gültige  Regel,  dass  bei  Bauchschusswunden  ein 
abwartendes  Verfahren  unter  den  Verhält¬ 
nissen  des  Krieges  das  beste  ist. 

Ein  fünfter  Verletzter  mit  Bauchschuss  trat  am  5.  Tage  nach 
der  Verletzung  in  meine  Behandlung.  Einschuss  unterhalb  des 
rechten  Rippenbogens  in  der  Pararektallinie,  Ausschuss  in  der  rechten 
Lendengegend.  Er  hatte  die  ersten  Tage  gut  verbracht  (die  erste 
Nacht  im  Freien!)  und  hatte  erst  auf  der  Fahrt  hierher  heftige 
Schmerzen  und  Erbrechen  bekommen.  Der  Leib  war  ziemlich 
aufgetrieben,  die  Bauchdecken  leicht  gespannt,  nicht  besonders  emp¬ 
findlich.  Temperatur  38,1,  Puls  112.  Deutliche  Bauchdeckenatmung. 
Es  schien  uns  auch  in  diesem  Falle  gerechtfertigt,  die  bisherige 
konservative  Behandlung  fortzusetzen.  Bei  einer  frischen  ähnlichen 
Friedensverletzung  würde  man  natürlich  sofort  Iaparotomiert  haben. 
In  Anbetracht  der  schon  verflossenen  5  Tage  und  des  relativ  guten 
Allgemeinbefindens  schien  es  mir  besser  zuzuwarten.  Der  weitere 
Verlauf  hat  unsere  Erwartung  bestätigt. 

Einen  Uebergatig  zu  den  Becken  Verletzungen 
stellte  ein  Fall  dar,  bei  dem  die  Kugel  nach  hinten  vom  linken 
Hüftgelenk  eingedrungen  (Foramen  ischiadicum)  und  im 
Körper  stecken  geblieben  war.  Der  Verletzte  hatte  alsbald 
nach  dem  Schuss  Urindrang  verspürt  und  einen  leicht  blu¬ 
tigen  Urin  entleert.  Die  Urinbeschwerden  und  die  leicht 
blutige  Verfärbung  des  Urins  hielten  noch  einige  1  age  an.  Bei 
der  Röntgenuntersuchung  (Dr.  S  i  e  1  m  a  n  n)  sah  man  das 
Geschoss  zwei  Querfinger  oberhalb  der  Schossfuge,  und  man 
darf  wohl  annehmen,  dass  es  bis  zur  Blasenwand  vor¬ 
gedrungen  war,  dieselbe  aber  nur  gestreift  hatte. 

Eine  sehr  schwere  Verletzung  der  Becken¬ 
organe  wies  ein  Soldat  auf,  der  einen  Granatschuss  in  die 
Dammgegend  erhalten  hatte.  Der  Mastdarm  war  voll¬ 
kommen  abgerissen,  die  Harnröhre  in  der  Pars 
tnembranacea  durchgerissen;  der  kavernöse  Teil 
der  Harnröhre  hing  wie  ein  blutdurchsetzter  Tumor  in  die 
Wunde  hinein,  der  linke  absteigende  Schambeinast  und  der 
aufsteigende  Sitzbeinast  fanden  sich  eingeknickt.  Bei  der 
Ankunft  des  Kranken  im  Lazarett  bestand  eine  völlige  Urin¬ 
verhaltung,  die  Blase  bis  zum  Nabel  gefüllt  und  eine  aus¬ 
gedehnte  phlegmonöse  Schwellung  des  Dammes.  Die 
Buchten  der  grossen  Wunde  wurden  sorgfältig  gespalten,  das 
zentrale  Harnröhrende  aufgesucht  und  ein  Verweilkatheter 
eingelegt.  Der  Patient  hat  sich  gut  erholt  und  gibt  uns  Hoff¬ 
nung,  dass  er  am  Leben  bleiben  wird. 

Zwei  schwere  Verletzungen  betrafen  das  S  k  r  o  t  u  m 
und  die  Hoden.  In  einem  Fall  waren  beide  Hoden,  im 
anderen  nur  der  eine  durchschossen.  In  den  nekrotischen 
Hautwunden  lagen  die  betreffenden  1  estikel  zum  1  eil  gan¬ 
gränös  vor.  Die  ausgedehnten  Weichteildefekte  werden 
später  eine  Plastik  nötig  machen. 

Von  den  G  e  f  ä  s  s  -  und  Nervenverletzungen 
sind  vier  Lähmungen  des  Nervus  radialis  zu 
erwähnen,  die  sich  alle  gleichzeitig  mit  Frakturen  des  Ober¬ 
und  Vorderarmes  vorfanden.  Die  Radialisverletzungen  sind 
bekanntlich  eine  häufige  Beigabe  der  Armschussverletzungen. 
Die  Prognose  ist,  wenn  es  sich  nur  um  Quetschungen  oder 
teilweise  Zerreissungen  handelt,  nicht  ganz  schlecht.  Mit  den 
operativen  Eingriffen  soll  man  immer  mehrere  Wochen  zu¬ 
warten. 

Eine  Verletzung  der  Arteria  tibialis  postica 
fand  sich  gleichzeitig  mit  einer  Fraktur  der  Tibia.  Die  Ver¬ 
letzung  führte  zu  einer  Gangrän  des  Unterschenkels  bis  zum 
oberen  Drittel,  und  es  wurde  die  Absetzung  des  Gliedes  nach 
der  Methode  von  G  r  i  1 1  i  notwendig. 

Die  zahlreichsten  Verletzungen  stellten  die  Schuss¬ 
wunden  der  Extremitäten.  Von  den  Weichteilver¬ 
letzungen  zeigten  2  Wadenschüsse  die  auch  aus  anderen  Mit¬ 
teilungen  bekannten  heftigsten  Schmerzen.  Die  Ursache 


15.  September  1914. 


Fcldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


1951 


dieser  heftigen  Schmerzen  muss  in  den  ausgedehnten  Muskel- 
zerreissungen  bei  solchen  Wadcnschiissen  gesucht  werden. 

Die  Sc hussverletzungen  der  Knochen  wiesen 
die  mannigfachsten  Verhältnisse  auf.  Von  dem  einfachen 
Lochschuss  und  dem  einfachen  Schrägbruch  bis  zur  nahezu 
vollkommenen  Zertrümmerung  des  Gliedes  fanden  sich  alle 
möglichen  Uebergänge.  Ausgedehnte  Zertrümmerungen  und 
Zersplitterungen  bildeten  weitaus  die  Mehrzahl  der  Ver¬ 
letzungen.  sowohl  bei  Infanteriegeschossen,  wie  besonders  bei 
Jen  Granaten-  und  den  Schrapnellverletzungen.  Ein  reiner 
Loehschuss  fand  sich  nur  an  der  Epiphyse  des  Ellbogens,  die 
genau  oberhalb  des  Olekranons  von  dem  Geschoss  durch¬ 
schlagen  war  (Abb.  3). 

An  den  Fingein  sah  man  wiederholt  ausgedehnte  Zer¬ 
trümmerung  der  Phalangen  (Abb.  4).  Auffallend  war,  dass  in 


)er  Humerus  war  in  der  mannigfachsten  Weise  ge¬ 
brochen  und  zertrümmert.  Einen  relativ  einfachen  Bruch  stellt 
die  Abb.  8  dar.  In  6  zur  Beobachtung  gekommenen  Fällen 
waren  die  Hautwunden  völlig  reaktionslos,  die  Sekretion  war 
nur  in  2  Fällen  eine  stärkere. 

Von  den  Knochenverletzungen  der  unteren  Extremitäten 
fanden  sich  die  meisten  am  Femur  und  an  der  Tibia. 

Von  Femurschussverletzungen  haben  wir  zur¬ 
zeit  Id  in  Behandlung.  Sie  zeigen  die  mannigfachsten  Ver¬ 
letzungen  des  Knochens  an  den  verschiedensten  Stellen,  vom 
einfachen  Sprung  (Abb.  9)  bis  zur  schwersten  Zertrümmerung 
wie  sie  schon  in  Fig.  2  abgebildet  ist.  Fast  alle  kamen,  ob¬ 
wohl  sie  zum  Feil  nicht  geschient  waren,  in  einem  recht 
guten  Zustande  hier  an.  Nur  bei  einem  Patienten  mit  ziemlich 
giosscm  Ausschuss  hatte  sich  ein  leicht  entzündliches  Oedem 


Abb.  10. 


Abb.  12 


Abb.  3. 


'-•seu  Eällen  die  Festigkeit  des  Fingers  eine  recht  ordentliche 
ar<  was  wohl  daraus  zu  erklären  ist,  dass  das  Periost  seinen 
'■sammenhang  behalten  hatte. 

An  dem  Metakarpal  -  und  Metatarsalknochen 
men  wir  neben  einfachen  Schrägbrüchen  ohne  jede  Split¬ 
ting  ausgedehnte  Zertrümmerungen.  In  der  Abbildung  5 
vht  man  neben  der  Knochenverletzung  noch  das  Geschoss. 

Eine  sehr  ausgedehnte  Zertrümmerung  zeigten  mehrere 
-Nutzungen  des  Radius  und  der  Ulna,  von  denen  zwei 
ispiele  abgebildet  sind  (Abb.  6  und  7).  Beide  waren  durch 
tanteriegeschosse  zustande  gekommen.  Eine  ganz  ähnliche 
-rletzung  des  Knochens  fand  sich  bei  einem  in  Fig.  1  ab- 
bildeten  Schrapnellschuss,  der  eine  ausgedehnte  Verletzung 
r  Weichteile  hervorgerufen  hatte. 


der  Umgebung  gebildet.  Es  steht  zu  hoffen,  dass  dieses  ent¬ 
zündliche  Infiltrat  unter  der  ruhigstellenden  Behandlung  sich 
verliert. 

Nur  bei  2  Femurschüssen,  die  wohl  gut  geschient,  aber  erst 
10  läge  nach  der  Verletzung  hier  ankamen,  bestand  stärkere 
Eiterung. 

Zur  Behandlung  benutzten  wir  bei  den  meisten  Fällen  den 
Streckverband  und  verwendeten  dabei  mit  Vorteil  den  von 
der  Leipziger  Klinik  empfohlenen  Tri  kotschlauch,  der 
mit  Mastisol  angeklebt  wird.  Diese  sehr  zweckmässige  Art 
des  Streckverbandes  dürfte  für  die  Kriegspraxis  grosse  Be¬ 
deutung  gewinnen. 

Der  Streckverband  gestattet  eine  gute  Kontrolle  der 
Wunden.  Legt  man  einen  Gipsverband  an,  dessen  Zweck- 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  37. 


1952  - 

mässigkeit  gerade  bei  Schusswunden  ausser  Zweifel  steht,  so 
muss  man  eine  entsprechende  Fensterung  anbringen. 

Von  den  Verletzungen  der  Tibia  und  Fibula  kamen  die 
mannigfachsten  Formen  zur  Beobachtung  (Abb.  10).  Auch 
hier  zeigte  sich  wiederholt  nur  der  eine  Knochen  gebrochen 
und  daraus  erklärt  sich  die  in  diesen  Fällen  relativ  geringe 
Verschiebung  der  Bruchenden. 

Auf  eine  schwere,  durch  einen  Granatschuss  verursachte 
Zertrümmerung  der  ’I  ibia  und  Fibula  oberhalb  des  Fuss- 
gelenkes  wurde  schon  in  den  allgemeinen  Bemerkungen  hin¬ 
gewiesen. 

Von  den  nicht  gerade  häufigen  Fusswurzelver- 
letz ungen  sei  ein  Bruch  des  Kalkaneus  und  des  Talus 
erwähnt  (Abb.  11),  der  bei  einem  Patrouillenritt  durch  einen 
Querschuss  entstanden  war. 

Bei  den  in  der  Nähe  der  Gelenke  sitzenden 
Schussverletzungen  war  immer  ein  Erguss  in  dem 
betreffenden  Gelenke  nachweisbar.  Die  meisten  derartigen 
Verletzungen  betrafen  das  Kniegelenk,  das  auch  bei  zahl¬ 
reichen,  den  Knochen  intakt  lassenden  Schusswunden  ausser¬ 
ordentlich  häufig  beteiligt  war.  Zu  einer  operativen  Er¬ 
öffnung  des  Gelenkes  ergab  sich  bisher  keine  Veranlassung. 
Wenn  auch  das  Gelenk  sich  einige  Male  recht  heiss  anfiihlte, 
so  nahm  die  Reaktion  unter  einem  immobilisierenden  Ver¬ 
bände  immer  in  kurzer  Zeit  ab.  Es  kann  nicht  genug  auf  die 
Wichtigkeit  der  Immobilisierung  bei  allen  Gelenkverletzungen 
hingewiesen  werden,  mit  deren  Hilfe  sich  die  früher  so  sehr 
häufigen  Resektionen  werden  umgehen  lassen.  Einen  sehr 
schweren  Fall  von  Schrägschuss  durch  das  rechte  Kniegelenk 
stellt  die  Abbildung  12  dar;  sowohl  das  Femur,  wie  die  Tibia 
waren  in  ausgedehntem  Masse  zertrümmert. 

Die  ersten  Verwundetentransporte  haben  uns  schon 
ausserordentlich  zahlreiche  Verletzungen  der  mannigfachsten 
Art  gebracht.  Es  konnte  nur  kurz  über  das  wichtigste  be¬ 
richtet  werden,  da  noch  keine  Gelegenheit  war,  die  Fälle  so 
zu  sichten,  wie  es  erforderlich  wäre. 

Wenn  noch  eine  Allgemeinbemerkung  erlaubt  ist,  so  kann 
sich  keiner,  der  unsere  Soldaten  zu  behandeln  hat,  der  Be¬ 
wunderung  entziehen  für  die  Standhaftig¬ 
keit  und  Schmerzverachtung  unserer  wehr¬ 
fähigen  Männer.  Ich  habe  auch  nicht  einen  getroffen, 
der  geklagt  oder  irgendwie  sein  Schicksal  bejammert  hätte. 
Alle  nahmen  ihr  Schicksal  mit  wahrhaft  heldenmütiger  Er¬ 
gebung  hin  und  hatten  nur  den  einen  Wunsch,  bald  wieder 
gesund  zu  werden  und  zu  ihrem  Regiment  zurückkehren  zu 
können.  Einen  solchen  prächtigen  Menschenschlag  zu  be¬ 
handeln,  ist  eine  nicht  mindere  Auszeichnung,  wie  die,  ihn  in 
die  Schlacht  zu  führen. 


Kriegschirurgische  Erfahrungen  über  Pfeile  als  Wurf¬ 
geschosse*). 

Von  Unterarzt  Johannes  Volkmann. 

M.  H.l  Zu  den  mannigfachen  Waffen,  mit  denen  sich  die 
Völker  der  Jetztzeit  in  blutigem  Ringen  zu  bekämpfen  suchen, 
ist  als  der  neuesten  eine  das  Flugfahrzeug  getreten,  das  ja 
nicht  nur  zur  Aufklärung  dienen,  sondern  auch  Tod  und  Ver¬ 
derben  in  die  Reihen  der  Gegner  schleudern  soll.  Nahm  man 
bisher  an,  dies  geschähe  hauptsächlich  durch  Bomben,  so 
haben  doch  die  Ereignisse  gelehrt,  dass  man  in  Frankreich  und 
neuerdings  auch  in  Deutschland  ein  altes  Geschoss,  wenn  auch 
in  neuer  Form,  hat  aufleben  lassen:  ich  meine  den  Pfeil. 
Dadurch  reiht  sich  in  das  gewohnte  Bild  der  Kriegsverletzungen 
durch  Gewehr,  Granate,  Schrapnell  und  Bajonett  ein  neues 
ein,  das  zwar  an  sich  keine  grossen  Besonderheiten  etwa 
gegenüber  einfachen  Stichverletzungen  im  Frieden  zeigt,  aber 
doch  immerhin  mancherlei  Interessantes  in  der  Art  seiner 
Wirkung  bietet.  Eine  kurze  Mitteilung  darüber  machte  vor 
einigen  Tagen  die  Runde  durch  die  Zeitungen,  sie  wird  auch 
dem  einen  oder  anderen  von  Ihnen  aufgefallen  sein.  Heute 
bin  ich  nun  in  der  glücklichen  Lage,  über  13  derartige  Fälle 


*)  Nach  einem  am  kriegschirurgischen  Abend  des  Stuttgarter 
Aerztevereins  gehaltenen  Vortrag. 


berichten  zu  können,  von  denen  ich  4  an  hiesigen  Lazaretten 
selbst  zu  beobachten  dank  der  Liebenswürdigkeit  der  leitenden 
Aerzte  Gelegenheit  hatte,  während  mir  über  die  9  anderer 
nur  die  mündlichen  Berichte  zur  Verfügung  stehen. 

Lassen  wir  nun  zuerst  einmal  die  Betroffenen  selbst  vor 
dem  Vorgang  erzählen.  Sie  geben  etwa  folgendes  an: 

Unser  ....  Regiment  lag  am  1.  September,  nachm.  5  Uhr 
in  der  Nähe  von  L.  am  Rastplatz,  die  Bataillone  in  Kompagnie¬ 
front  mit  etwa  8  Schritt  Zwischenraum  zwischen  jeder  Kom¬ 
pagnie,  das  1.  Bataillon  in  der  Mitte,  das  2.  links  und  das  3 
rechts  davon,  während  zwei  Flieger  in  etwa  1200—1500  tr 
Höhe  über  uns  kreisten.  Plötzlich  fühlte  ich,  so  berichtet  der 
eine,  einen  stechenden,  Schmerz  im  rechten  Fuss  dicht  ober¬ 
halb  der  Ferse.  Im  ersten  Augenblick  glaubte  ich,  von  einen 
Nachbar  aus  Versehen  gestochen  worden  zu  sein,  wurde  aber 
sofort  eines  Besseren  belehrt;  denn  um  mich  herum  schrieer 
fast  gleichzeitig  noch  andere  auf,  auch  die  Pferde  eines  Pack¬ 
wagens  wurden  scheu.  Als  ich  meinen  Fuss  betrachtete,  steckte 
ein  eiserner  Pfeil  etwa  1  %  cm  darin,  den  ich  sofort  herauszog 
auch  ungefähr  15  Kameraden  um  mich  waren  von  denselbei 
Geschossen  getroffen  worden,  der  eine  durch  beide  Waden 
der  andere  wurde  mit  seinem  Fuss  dadurch  an  den  Bodei 
gespiesst,  einem  Dritten  war  der  Pfeil  in  die  Backe  und  der 
Mund  gegangen,  auch  ein  Pferd  war  dicht  über  dem  Äugt 
getroffen.  Nachdem  sich  unser  Erstaunen  etwas  gelegt  hatte 
konnten  wir  erst  entdecken,  woher  wir  beschossen  worder 
waren.  Wir  konnten  nur  von  den  Flugzeugen  aus  so  über 
schüttet  worden  sein.  Alle  unsere  Verwundungen  waren  nich 
schwer,  so  dass  wir  bald  verbunden  waren.  So  gut  es  ging 
kroch  nun  jeder  unter  die  Wagen,  um  sich  zu  schützen. 

Soweit  der  eine  Bericht.  Dazu  ist  aus  anderen  Er 
Zahlungen  noch  zu  entnehmen,  dass  etwa  50  Geschosse  nieder 
gingen,  die  vor  allem  das  am  weitesten  rechts  liegende  3.  Ba 
taillon  trafen,  dagegen  nur  einen  Mann  des  1.  Stimmt  dabe 
die  Angabe,  dass  etwa  15  Mann  verletzt  wurden,  so  ergäbt 
das  ein  Verhältnis  von  33  Proz.  Treffern,  doch  ein  sehr  be 
friedigendes.  Man  kann  also  diesen,  Geschossen,  wenn  sie  it 
dicht  gedrängte,  vor  allem  liegende  Abteilungen  treffen,  eint 
gewisse  Wirkung  nicht  absprechen,  die  zum  mindesten  bei  de 
Neuheit  der  Geschosse  sich  in  Verwirrung  äussern  muss,  ab 
gesehen  davon,  dass  auch  tödliche  Verletzungen  vorge 
kommen  .sind.  Versuche  über  die  Durchschlagskraft  uni 
Grösse  der  auftreffenden  Gewalt  anzustellen,  war  mir  leide 
wegen  der  Kürze  der  Zeit  nicht  möglich,  zumal  da  der  ein 
Pfeil  sofort  vom  Generalkommando  eingefordert  wurde.  Ei> 
anderer  kleinerer  wurde  mir  noch  in  letzter  Minute  freund 
liehst  von  Herrn  Dr.  P  f  e  i  f  f  e  r  -  Göppingen  zur  Verfügun; 
gestellt,  so  dass  ich  Ihnen  wenigstens  das  Corpus  delict 
zeigen  kann.  Es  handelt  sich,  wie  Sie  sehen,  um  einen  10  cn 
langen  Stift  aus  Pressstahl  von  8  mm  Dicke,  dessen  untere 
Drittel  massiv  ist  und  in  ein  fast  nadelspitzes  verjüngtes  End 
ausläuft,  während  die  beiden  oberen  nur  ein  Gerippe  voi 
4  dünnen  Stäben  stehen  lassen,  so  dass  sich  auf  dem  Quer 
schnitt  ein  sternförmiges  Bild  ergibt.  Durch  diese  Verminde 
rung  der  Metallmasse  an  ihrem  Ende  sausen  die  Pfeile  mit  de 
Spitze  vornweg  hinab  und  bestreichen  wohl  dank  de 
Schnelligkeit  des  Fahrzeugs  einen  verschieden  grossen  Raun 
der  sich  in  dem  einen  Fall  über  4  Kompagnien  erstreckte.  Si 
haben  ein  Gewicht  von  16  g  und  werden  wohl  kaum  in  s< 
grossen  Massen  neben  den  sonstigen  notwendigen  Dingen  in 
Luftfahrzeug  mitgefiihrt  werden  können,  dass  eine  wirksam 
Beschiessung  möglich  wäre.  Ausser  diesem  Pfeil  sah  ich  noc. 
einen  grösseren,  der  5  cm  länger  war,  sonst  aber  ähnlich 
Verhältnisse  bot.  Ob  diese  Geschosse  aus  einer  Art  Köche 
einfach  ausgeschüttet  werden  oder,  wie  von  anderer  Sei! 
mitgeteilt  wurde,  in  Bündeln  ausgestreut  werden,  ist  mir  ur 
bekannt.  Jedenfalls  wurde  hier  ausserdem  noch  eine  Batterie 
die  weiter  rückwärts  stand,  sowie  ein  zweites  Regiment  be 
schossen. 

Die  Verwundungen  bei  den  beiden  Infanterieregimentcr 
möchte  ich,  soweit  sie  mir  bekannt  wurden,  einzeln  anführei 

1.  J.  G.,  1.  Komp.  (Reservelazarett  II  Stuttgart).  Das  Geschoß 
durchbohrte  die  Wade  und  musste  durch  eine  Inzision  entfernt 
den.  Die  Wunde  sezerniert  jetzt  noch  ein  wenig;  keine  Entzündun, 
I  trockener  Verband. 


1953 


September  19 14. _  Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


2.  X.  K.,  10  Komp.  (Reservelazarett  II).  Stich  in  den  rechten  Fuss 
oberhalb  der  Ferse  von  aussen,  etwa  \'A  cm  tief;  Pat.  zog  den 
selbst  wieder  heraus.  Wunde  'bereits  verschorft. 

3.  F.  S.,  10  Komp.  (Ludwigsspital).  Eintritt  des  Pfeils  in  den 
n  Fuss  von  aussen  unterhalb  des  Knöchels  Durchbohren  der 
liteile  unter  der  Achillessehne  und  Ausschuss  innen  etwas  höher 
ier  Einschuss.  Hämatom  am  Einschuss,  geringe  Schwellung 
as  Geschoss  den  Fuss  vollständig  durchdrang,  verband  der  Sani- 
efreite  nur  die  Wunden. 

4.  L.  H„  12.  Komp;  (Ludwigsspital).  Einschuss  am  linken  Fuss 
dem  Knöchel,  Schwellung,  Entzündung  einiger  Fusswurzel- 

ke,  Jodanstrich. 

5.  1  Mann,  11.  Komp.:  Pfeil  in  den  Nacken, 
i.  1  Mann,  12.  Komp.:  Schuss  in  den  Arm; 

7.  1  Mann,  12  Komp.:  durch  beide  Unterschenkel  (Waden); 
je  I  Mann  durch  die  Kopfhaut,  ohne  den  Knochen  zu  ver- 

).  in  den  Schädel  an  der  linken  Schläfenseite,  Ausschuss  an  der 
en  Koronarnaht,  sofortiger  Exitus; 

10.  durch  die  Backe  in  den  Mund; 

11.  zwischen  Zeige-  und  Ringfinger; 

(2.  durch  einen  einzelnen  Finger  und 

3.  durch  die  Ferse.  Dieser  Mann  wurde  dadurch  an  den  Boden 
piesst,  zog  aber  sofort  den  mit  Erde  beschmutzten  Pfeil  durch 

■  unde  zurück  und  heraus:  die  ersten  4  Tage  ist  ihm  dies  gut  be- 
ien,  über  sein  weiteres  Befinden  war  nichts  zu  erfahren 
Vusserdem  wurde  ein  Pferd  über  dem  Auge  getroffen  ein 
es  in  den  Körper. 

'Joch  ein  Wort  zu  den  gesetzten  Wunden:  bei  den  vier, 
;h  2  bzw.  5  Tage  später  zum  ersten  Male  sah,  handelte 
ch  fast  durchweg  um  glatte  Weichteilwunden  mit  guter 
i.horfung,  kaum  dass  sich  in  der  nächsten  Umgebung  eine 
ge  Rötung  und  Schwellung  zeigte,  geschweige  denn 
ere  Reizerscheinungen,  die  an  eine  Vergiftung  der  Pfeile 
-n  Hessen,  etwa  wie  man  es  von  den  Infanterie- 
tossen,  durch  einen  Lackring  irregeführt,  anfangs  ver¬ 
te.  Grosse  Gefässe  oder  gar  Knochen  scheinen  selten 
tzt  worden  zu  sein,  nur  bei  dem  einen  Kopfschuss  trat 
:t  der  Tod  ein,  einmal  bildete  sich  am  Einschuss  ein 
itom,  während  in  einem  anderen  Fall  eine  Entzündung 
:r  Fusswurzelgelenke  hinzutrat.  Dass  überhaupt  die 
en  Extremitäten  mit  6  von  12  Wunden  bei  weitem  die 
en  Körperteile  übertreffen,  ist  vielleicht  zum  Teil  daraus 
rklären,  dass  die  Mannschaften  in  einer  halbliegenden 
ng  mit  etwas  aufgerichtetem  Oberkörper  waren. 

*ie  Behandlung  war  die  denkbar  einfachste:  ein  steriler 
ind;  nur  eine  Verletzung  wurde  mit  Jodtinktur  gepinselt, 

:r  Reihenversuche  von  trocken  und  mit  Jod  behandelten 
len  anstellen;  es  scheint  mir  schon  jetzt  fast,  als  heilten 
it  Jodtinktur  behandelten  besser  und  rascher,  doch  sind 
rgebnisse  noch  nicht  sicher  zu  verwerten, 
ergegenwärtigen  Sie  sich  noch  einmal,  m.  H.,  die  an- 
rten  Fälle,  so  bietet  sich  Ihnen  immerhin  ein  buntes  Bild 
Verletzungen,  die  vorläufig  vielleicht  weniger  ihrer 
■chirurgischen  Wertigkeit  als  ihrer  Neuheit  wegen  Inter- 
verdienen,  aber  doch  bei  häufigerem  Auftreten  auch 
Vorkommen  können.  Ich  möchte  deshalb  zum  Schluss 
tte  aussprechen,  mir  gegebenenfalls,  wenn  möglich,  eine 

■  Mitteilung  zukommen  zu  lassen,  besonders  wäre  ich 
:  ür  Uebersendung  eines  der  Pfeile  für  eingehendere  Ver¬ 
dankbar. 


isber  einige  chirurgische  Erfahrungen  aus  dem 
II.  Balkankriege. 

Von  Prof.  Dr.  R.  Klapp  in  Berlin. 

■  H.!  Zu  Beginn  des  zweiten  Balkankrieges  bin  ich 
ner  Anzahl  von  Aerzten,  und  zwar  den  Herren  Privat¬ 
en  Dr.  Adam,  Dr.  H  i  n  t  z  e,  Dr.  M  a  a  s  s,  Dr.  v.  Goe- 

■Br.  v.  Lukovicz  und  stud.  med.  Kohlrausch, 
■Belgrad  gegangen  und  habe  da  die  eine  Hälfte  des 
hospitals  übernommen,  die  mir  zur  Leitung  übertragen 

■  Die  andere  Hälfte  wurde  von  Herrn  Oberst  Dr. 
g  j  e  w  i  t  s  c  h  geführt.  Das  serbische  Sanitätswesen 
Ti  grossen  und  ganzen  ausgezeichnet  organisiert.  Zu 
1  Freude  kann  ich  sagen,  dass  uns  die  serbischen 

■  stern  sehr  gute  Dienste  geleistet  haben.  Sie  alle  haben 

■  in  den  I  ageszeitungen  und  den  medizinischen  Zeit¬ 
en  gelesen,  dass  die  Schwestern  im  Balkankriege  zum 


I  eil  nicht  gut  beurteilt  wurden.  Z.  B.  ist  die  Aeusserung  von 
dein  österreichischen  Stabsarzt  Dr.  B  r  e  i  t  n  e  r,  der  seine  Er¬ 
fahrungen  in  einem  anderen  Lande  gemacht  hat,  sehr  bekannt 
geworden,  der  geradezu  vom  „Debacle  der  Frau“  gesprochen 
hat.  Wir  können  nur  sagen,  dass  die  Damen  der  Belgrader 
Gesellschaft,  die  bei  uns  als  Kriegsschwestern  tätig  waren, 
mit  grösster  Pflichttreue  und  vorbildlicher  Hingabe  gearbeitet 
und  alles  das  geleistet  haben,  was  man  billigerweise  von 
ihnen  verlangen  konnte. 

Was  die  Wärter  angeht,  so  waren  diese  zunächst  ganz 
imgeschult.  Die  geschulten  Wärter  waren  mit  ins  Feld  ge¬ 
nommen,  und  was  von  Wärtern  da  war,  waren  gewöhnlich 
über  40  und  50  Jahre  alte  Leute,  Bauern  vom  Lande,  unter 
dtnen  sich  allerdings  auch  intelligente  Menschen  befanden, 
die  sich  als  sehr  brauchbar  erwiesen. 

Die  Patienten,  die  wir  bekamen,  stammten  weniger 
von  grossen  Transporten  her,  sondern  sie  gingen  uns  zumeist 
aus  den  35  Reservespitälern  zu,  die  in  Belgrad  ausser 
unserem  Hospital  bestanden.  In  diesen  Reservespitälern,  die 
in  Schulen  und  grösseren  Privathäusern  eingerichtet  waren, 
war  nicht  überall  Operationsgelegenheit.  Es  ziehen  bekannt¬ 
lich  auch  nicht  nur  Chirurgen  in  den  Krieg,  sondern  auch 
manche  andere  Aerzte  müssen  da  Chirurgie  treiben,  und  diese 
waren  gewöhnlich  froh,  wenn  sie  schwerere  chirurgische 
Fälle  los  wurden.  So  kam  es,  dass  wir  bald  ein  sehr 
schweres  Krankenmaterial  bekamen  und  eine  unverhältnis¬ 
mässig  grosse  Menge  von  Operationen  ausführen  mussten. 
Wenn  das  Material  nicht  in  der  beschriebenen  Weise  zu¬ 
sammengekommen  wäre,  wäre  das  nicht  möglich  gewesen, 
und  die  vielen  Operationen  würden  an  und  für  sich,  ohne  diese 
Fi  klärung  beti  achtet,  ein  falsches  Bild  von  der  chirurgischen 
Tätigkeit  im  Felde  geben. 

Die  Patienten  selbst  waren  ausserordentlich  bescheiden 
und  genügsam.  Sie  waren  leicht  zufrieden  zu  stellen,  wenn 
man  ihnen  nur  den  einen  Wunsch  erfüllte,  dass  sie  rauchen 
konnten.  Sie  waren  starke  Zigarettenraucher,  und  es  war  ein 
eigenartiges  Bild,  wenn  man  schwer  verletzte  Leute  mit 
Bauch-  oder  Rückenmarkschüssen,  mit  Lähmungen  von 
Blase,  Mastdarm  und  unterer  Extremität  ganz  gemütlich  im 
Bett  liegen  und  Zigaretten  rauchen  sah. 

Aus  den  Anamnesen  haben  wir  entnommen,  dass  viele 
von  diesen  Leuten  nach  der  Verwundung  noch  ganz  ausser¬ 
ordentliche  Leistungen  zustande  gebracht  haben.  Aus  dem 
russischen  Feldzuge  ist  es  ja  bekannt,  dass  Verwundete  nach 
Lungenschüssen  zum  1  eil  noch  lange  Zeit  marschiert  sind,  bis 
sie  die  erste  Hilfe  bekamen.  Dasselbe  haben  wir  auch  z.  B. 
bei  Bauchverletzungen  gesehen.  Ich  nenne  nur  kurz  folgende 
Beispiele: 

Ein  Mann  bekommt  eine  Kugel  aus  300  m  Entfernung  in  den 
Bauch.  Er  ist  dann  mit  dieser  Verletzung  noch  eine  Stunde  zu  Fuss 
gelaufen,  ist  dann  hingefallen  und  wurde  später  gefunden. 

Ein  zweiter  bekommt  einen  Schuss  in  den  Bauch,  2  Querfinger 
oberhalb  der  Spina  ant.  sup.  Er  wurde  später  mit  schwerer  Peri- 
tonitis  bei  uns  eingeliefert.  Nach  der  Verwundung  stürzte  er  zu 
Boden,  kroch  auf  allen  Vieren  100  m  zurück,  stand  wieder  auf  und  ging 
noch  5  Stunden,  bis  er  h infiel  und  von  Krankenträgern  gefunden 
wurde.  Dann  hat  er  noch  einen  ziemlich  schwierigen  Transport 
durchgemacht.  Er  wurde  im  Sanitätswagen  eine  ganze  Nacht  durch, 
dann  weiter  in  einem  Arbeitswagen  24  Stunden  lang  gefahren  Unter¬ 
wegs  bekam  er  zu  trinken  und  zu  essen:  Milch.  Thee,  Brot  und 
Kognak. 

Der  Mann,  der  wohl  am  meisten  durchgemacht  hat,  war  ein  Unter¬ 
offizier,  dem  eine  Granate  den  Unterschenkel  zerschmettert  hatte  und 
der  erst  nach  7  Tagen  gefunden  wurde.  Er  hatte  sich  wie  ein  ver- 
wundetes  Tier  zu  einer  Quelle  geschleppt,  wo  er  so  lange  gelegen 
hatte. 

Nun  fragt  es  sich:  sind  denn  die  Kriegsverletzten,  wenn 
sie  in  unsere  Hände  kommen,  gegenüber  den  chirurgischen 
Eingriffen  sehr  widerstandsfähig?  Das  ist  keineswegs  der 
Fall.  Ich  halte  die  Leute  für  ausserordentlich  labil,  wenigstens 
in  der  ersten  Zeit,  bis  sie  sich  ordentlich  ausgeschlafen  und 
erholt  haben  und  über  die  ersten  Schwierigkeiten  hinweg¬ 
gekommen  sind.  Sie  sind  durch  die  Strapazen,  die  den  Leuten 
im  Kriege  zugemutet  werden,  stark  heruntergekommen. 

Wenn  ich  Ihnen  den  ersten  Eindruck  schildern  soll,  den 
man  als  Friedenschirurg  in  der  kriegschirurgischen  Tätigkeit 
hat,  so  wundert  man  sich  über  die  ausserordentliche  Viel¬ 
gestaltigkeit  der  Krankheitsbilder,  die  man  zu  sehen  bekommt. 


1954  Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. _ _ Nn 


und  weiter  gelangt  inan  zu  einer  wachsenden  Bewunderung 
iiir  die  Leistungsfähigkeit  des  ganzen  Körpers.  Ich  habe 
Ihnen  vorhin  schon  gesagt,  dass  die  Leute,  die  man  in  die 
Hand  bekommt,  eigentlich  sehr  labil  sind.  Sie  können  spätere 
Blutverluste  z.  B.  gar  nicht  vertragen,  und  sie  weisen  doch 
bei  der  Wundheilung  Leistungen  auf,  über  die  man  sich  wun¬ 
dern  muss. 

ln  Belgrad  habe  ich  Gelegenheit  gehabt,  einmal  einen  Vor¬ 
trag  zu  halten  über  die  Grenzen  der  konservativen  Behand¬ 
lung.  Die  konservative  Behandlung  darf  entschieden  nicht 
übertrieben  werden.  C  1  a  i  r  in  o  n  t  hat  sich  darüber  einmal 
in  einer  Weise  ausgesprochen,  wie  sie  leicht  missverständlich 
ist.  Er  sagt:  „Wenn  sich  uns  bei  den  Verletzungen  aller 
übrigen  Körperregionen  das  konservative  Verfahren  unbedingt 
und  immer  bewährt  hat  und  kein  Abweichen  von  dieser 
Grundregel  gestattet  ist.  so  scheinen  beim  Schädel  mit  seinem 
Inhalt  doch  andere  Bedingungen  vorzuliegen.“  M.  H.,  das 
kann  leicht  zu  Missverständnissen  Veranlassung  geben.  Man 
soll  gewiss  im  Kriege  schematisieren,  aber  man  muss  auch 
wissen,  wann  man  davon  abzugehen  hat.  Z.  B.  bei  den  Bauch¬ 
schüssen,  die  doch  im  allgemeinen  als  die  Paradigmen  konser¬ 
vativer  Behandlung  zu  gelten  pflegen,  muss  man  hiervon  ganz 
entschieden  bei  gewissen  Gelegenheiten  abgehen,  und  man 
muss  sehr  aufpassen,  dass  man  den  richtigen  Zeitpunkt  der 
operativen  Inangriffnahme  nicht  versäumt.  Wir  haben  z.  13. 
gesehen,  dass  sich  die  peritonitischen  Abszesse  mit  einer  un¬ 
heimlichen  Latenz  entwickeln.  Zuerst  haben  wir  das  bei 
einem  Manne  gesehen,  der  einen  etwa  2  Liter  haltenden  Ab¬ 
szess  im  Douglas  bekam,  und  der,  obgleich  er  einen  voll¬ 
ständig  weichen  Bauch  hatte  und  weder  morgens  noch  abends 
Temperaturerhöhungen  aufwies,  doch  mehr  und  mehr 
herunter  kam.  Nachdem  wir  diese  Erfahrungen  gemacht 
hatten,  habe  ich  den  Ukas  ausgegeben,  jeden  B  a  u  c  h  ver¬ 
letzten  alle  zwei  Tage  rektal  zu  untersuchen. 
Wir  haben  dann  auch  noch  einen  weiteren  Bauchverletzten 
gefunden,  der  ebenfalls  grosse  Abszesse  hatte  und  dadurch 
gerettet  wurde,  dass  man  diese  rechtzeitig  vom  Douglas  in 
der  Flanke  aus  entleerte.  Also  ich  wollte  damit  nur  betonen: 
man  soll  .an  dem  konservativen  Prinzip  nicht  zu  starr  fest- 
halten,  sonst  steht  man  manchmal  vor  unangenehmen  Ueber- 
raschungen. 

Was  die  Infektionen  im  Krieg  angeht,  so  tut  man  gewiss 
gut,  nicht  jede  Sekretion  aus  dem  Schusskanal  als  eine 
schwere  Infektion  anzusehen.  Die  Infektionen  sind  —  ich 
möchte  sagen  —  beinahe  zu  99  Proz.  ganz  unschuldig.  Aber 
was  dann  übrig  bleibt,  sind  zum  Teil  ganz  ausserordentlich 
schwere  Infektionen.  Ich  habe  Gelcnkinfektionen  gesehen,  so 
schwer  wie  man  sie  kaum  im  Frieden  erlebt,  wo  nur  die 
radikalste  chirurgische  Inangriffnahme  zum  Ziele  geführt  hat. 

Wie  soll  man  sich  bei  infizierten  Splitterfrakturen  ver¬ 
halten?  Soll  man  da  von  vornherein  mit  grossen  Frei¬ 
legungen.  Spaltungen  vom  Trochanter  zum  Knie  herunter,  Vor¬ 
gehen.  oder  soll  man  mässigere  Schnitte  ausführen?  Wenn 
man  grosse  Inzisionen  macht,  dann  verzichtet  man  von  vorn¬ 
herein  auf  das  Einheilen  sämtlicher  Splitter.  Die  Splitter  sind 
zum  Teil  periostlos,  und  wenn  sie  von  Weichteilen  entblösst 
werden,  in  der  Wunde  frei  liegen  und  mit  den  Verbänden  in 
Berührung  kommen,  stossen  sie  sich  nekrotisch  aus,  und  wir 
bekommen  später  Pseudarthrosen.  Wir  sind  noch  am  weite¬ 
sten  gekommen,  wenn  wir  m  ä  s  s  i  g  e  Inzisionen  ge¬ 
macht  haben,  allerdings  so,  dass  der  Eiter  gut  entleert  wurde. 
Weiter  hat  sich  uns  die  Stauung  gut  bewährt,  vor  allen 
Dingen  bei  Gelenkinfektionen,  und  das  von  Dönitz  ange¬ 
gebene  Terpentinöl,  das  manchmal  überraschende  Wirkungen 
gehabt  hat. 

Es  ist  schon  häufig  die  Frage  aufgeworfen  worden,  ob 
es  sich  bei  den  Schussverletzungen  in  der  Hauptsache  um 
primäre  oder  um  sekundäre  Infektionen  handelt,  und  diese 
Frage  ist  früher  von  Bergmann  und  nachher  von  Bren¬ 
tano  u.  a.  bekanntlich  dahin  beantwortet  worden,  dass  die 
sekundäre  Infektion  eine  viel  grössere  Polle  spielt  als  die  pri¬ 
märe.  In  neuerer  Zeit  ist  das  bezweifelt  worden.  Man  hat 
gesagt:  wenn  das  in  der  Tat  der  Fall  wäre,  dann  müssten  die 
Verwundungen  mit  kleinem  Einschuss  und  Ausschuss  doch 
keine  Infektion  oder  nur  selten  Infektionen  aufweisen,  was 


aber  nach  den  Beobachtungen  einiger  nicht  zutrifft,  vor  al 
Dingen  nicht  nach  denen  von  Reyher  und  neuerdings  \ 
Meyer.  Wir  haben  diese  Infektionen  bei  kleinem  Einsclr 
und  Ausschuss  auch  gesehen.  Bei  schon  verklebtem  Einsclr 
und  Ausschuss  haben  wir  grosse  Abszesse  gesehen.  Ander 
seits  haben  wir  doch  die  grösseren  Infektionen  gesehen 
Leuten  mit  grossem  Ein-  und  Ausschuss.  Ich  glaube,  d, 
doch  die  Ansicht  von  Bergmann  und  Brentano 
Recht  besteht,  dass  die  sekundären  Infektionen,  die  dui 
mangelhaftes  Verbinden,  durch  langen  und  schlechten  Tra 
port  usw.  zustande  kommen,  die  grössere  Rolle  spielen,  wo 
auch  die  anderen  natürlich  nicht  auszuschliessen  sind, 
kommen  eben  beide  Infektionsmodi  in  Betracht.  Dass  ke 
Wunde  nach  der  Verletzung  wirklich  steril  ist,  ist  dabei  1 
selbstverständlich  anzusehen;  darauf  kommt  es  abei  wenn 
an,  als  auf  die  richtige  Feststellung,  dass  sie  primär 
weitaus  der  grössten  Zahl  praktisch  als  ase, 
tisch  anzusehen  sind.  In  diesem  modifizierten  Sii 
möchte  ich  mich  zu  v.  Bergmanns  Ansicht  bekennen. 

An  die  Besprechung  der  Infektionen  schliesse  ich  die  Besprech 
eines  Falles  von  Gasphlegmone.  Fs  handelte  sich  um  einen  Mc 
der  erst  etwa  am  13.  Tage  zu  uns  gelegt  wurde,  nachdem  er  bis  da 
in  einem  Belgrader  Reservehospital  gelegen  hatte.  Er  kam  am  letz 
Tage  zu  uns  und  starb  unmittelbar  darauf  am  selben  Tage.  Fs  h 
delte  sich  um  einen  Rinnenschuss  durch  die  Ferse.  Aus  der  i 
gelieferten  Krankengeschichte  ergab  sich,  dass  die  Wunde  ania 
sehr  schön  granuliert  hatte,  dass  die  Chirurgen  aber  —  es  hamh 
sich  um  eine  ausländische  Mission  —  es  nicht  hatten  fehlen  las 
an  Aetzmitteln  und  antiseptischen  Mitteln.  Eins  nach  dem  and 
hatten  sie  versucht,  bis  schliesslich  die  Gewebe  so  stark  chemisch 
schädigt  waren,  dass  eine  Gasphlegmone  sich  entwickeln  konnte, 
werde  Ihnen,  wenn  ich  nachher  noch  Zeit  haben  sollte,  die  bei 
Bilder  zeigen. 

Weiter  haben  wir  einen  merkwürdigen  Fall  von  langliegend 
Blutleere  gesehen,  der  uns  sehr  interessiert  hat.  Es  handelte  > 
um  einen  Komita,  der  einen  Schrapnellschuss  in  das  Kniegelenk 
halten  hatte.  Das  Gelenk  war  später  schwer  infiziert,  und  wir  habet 
breit  spalten  müssen.  Dem  Manne  war  nach  der  Verwundung 
sehr  stark  angezogener  Gummischlauch  oberhalb  des  Knies  her' 
gewickelt  worden.  Als  wir  später  den  Mann  sahen,  war  eine  nel 
tische  Zone  an  der  Stelle  sichtbar,  wo  die  Blutleere  gelegen  h; 
(Demonstration  des  Bildes).  Es  war  auch,  solange  der  Patient 
Blutleere  gehabt  hat,  keine  Blutung  aufgetreten.  Wir  vermuten  i 
halb,  dass  es  in  der  Tat  eine  richtige  Blutleere  gewesen  ist. 
hat  diese  Blutleere  28  Stunden  ohne  irgendwelche  Schädigung 
tragen.  Mancher  von  Ihnen  wird  den  Kopf  schütteln  und  sagen: 
ist  keine  Blutleere,  sondern  eine  Stauung  gewesen.  Dann  hätte 
aber  doch  weiter  bluten  müssen,  was  nicht  der  Fall  gewesen 

Ich  will  Ihnen  dazu  einen  parallelen  Fall  aus  der  Friedenschii 
gie  anführen.  Der  Oberwärter  einer  Klinik  hat  mir  vor  Jahren 
zählt,  dass  vor  einer  Reihe  von  Jahren  ein  Patient  zu  ihm  gckoim 
sei  mit  der  Frage,  ob  denn  das  Band,  was  er  seit  gestern  um 
Arm  hätte,  immer  noch  darum  bleiben  müsse.  Es  war  in  dem  F 
vergessen  worden,  die  Blutleere  abzunehmen.  Auch  dieser  Fall 
ohne  Schaden  verlaufen.  Es  ist  ganz  interessant,  solche  Fälle 
hören,  weil  es  auch  neuerdings  in  der  medizinischen  Literatur  n 
nicht  still  geworden  ist  von  Fällen,  die  schon  nach  kurzer  Blutle 
Ncrvcnschädigungen  aufgewiesen  haben 

Was  den  W  e  r  t  d  e  r  Extension  bei  der  Behandli 
von  Schussfrakturen  betrifft,  so  ist  dieser  neuerdings  ai 
angezweifelt  worden.  Man  hat  gesagt,  dass  die  Extensio 
behandlung  ganz  wegbleiben  könnte;  höchstens  wäre  sie 
einem  Standlazarett  am  Platze,  die  übrigen  Lazarette  kän 
jedenfalls  mit  Gipsverbänden  aus.  Ich  muss  sagen,  dass: 
die  Extensionsbehandlung  nicht  missen  möchte.  Wenn  ges 
wird,  dass  die  Oberschenkelfrakturen  und  auch  andere  Fr 
turen  keine  grosse  Dislokation  aufwiesen,  weil  die  ’l 
schmetterung  und  Zerreissung  der  Muskulatur  so  gross  w; 
dass  eine  Retraktion  nicht  zustande  käme,  so  können  wir 
nach  unseren  Erfahrungen  nicht  sagen.  Wir  haben  s 
anständige  Retraktionen  gehabt,  bis  zu  12,  13  cm,  und  W' 
man  diese  einfach  eingegipst  hätte,  wäre  kein  gutes  Resu 
dabei  herausgekommen.  Es  ist  doch  nicht  zu  vergessen,  d 
die  Retraktion  oder  die  Dislocatio  ad  longitudinem  nicht  al 
auf  der  .Kontraktion  der  Muskulatur  beruht,  sondern  auch 
entzündlicher  Retraktion.  Und  so  schwere  Zerreissung 
Muskulatur,  dass  sie  nicht  durch  Kontraktion  die  Fragme 
dislozieren  könnten,  sieht  man  gar  nicht  häufig. 

Eine  merkwürdige  Erfahrung  haben  wir  mit  der  Ko 
solidation  von  Frakturen  gemacht.  Wir  haben  z. 
Oberschenkelfrakturen  mit  starken  Splitterungen  sch 


15  September  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


li  .1  c  h  14  1  a  K  e  n  v  o  1 1  k  o  in  men  fest  werden  sehen. 
Ich  \\  eiss  nicht,  ob  das  in  früheren  Feldzügen  auch  schon  be¬ 
obachtet  ist;  jedenfalls  ist  es  merkwürdig.  Man  hat  immer 
gedacht,  die  starke  Zersplitterung  würde  zu  einer  Verlang¬ 
samung  der  Kallusbildung  führen.  Jedenfalls  geschieht  letz¬ 
teres  nicht  in  allen  Fällen,  sondern  manchmal  sieht  man  diese 
sein  irjihzeitige  Verknöcherung.  Fs  kommt  einem  beinahe  so 
vor,  als  ob  da  auch  kleine  Dosen  von  Infektion 
g cradezu  eine  n  Anreiz  für  die  Knochen  n  e  u - 
b  i  Idung,  für  die  Kallusbildung,  darböten,  ähnlich  wie  es  bei 
chemischen  Finflüssen  geschieht,  wo  kleine  Dosen  anregen 
grosse  aber  stark  schädigen  und  lähmen.  (Schluss  folgt.) 


1955 


Zur  intravenösen  Antitoxinbehandlung  des  Wundstarr¬ 
krampfes. 

Von  Dr.  Ludwig  Kirchmayr  in  Wien. 

,  .  Experimente  haben  es  zur  Gewissheit  gemacht,  dass  es 
bei  Deren  in  manchen  Fällen  gelingt,  bereits  ausgebrochenen 
letanus  durch  Seruminjektion  zu  heilen,  ln  Hinsicht  auf  die 
Wirksamkeit  der  Starrkrampfbehandlung  des  Menschen  mit 
Antitoxin  gehen  die  Meinungen  recht  sehr  auseinander.  Auf 
der  einen  beite  sind  eine  grosse  Zahl  von  Heilungen  nach 
S  e  ru  in  an  w  e  n  d  u  n  g  veröffentlicht  worden,  auf  der  anderen  Seite 
steht  eine  Reihe  erfahrener  Autoren,  welche  die  Antitoxin- 
behandlung  des  ausgebrochenen  Tetanus  beim  Menschen  für 
nutzlos  ha! t.  Fs  ist  gewiss  ungemein  schwer,  sich  über  eine 
ßehandhingsmethode  am  Menschen  ein  sicheres  Urteil  zu 
m. den,  da  die  ein  und  derselben  Behandlungsart  unterworfenen 
Falle  speziell  beim  Tetanus  so  ausserordentlich  verschieden 
schwer  sind.  _  Fast  alle  Autoren  stimmen  darin  überein,  dass 
jene  etanustalle  prognostisch  günstiger  liegen,  bei  welchen 
die  Inkubationszeit  eine  lange  ist,  die  nur  geringe  Temperatur¬ 
steigerungen  zeigen  und  bei  denen  die  Pulszahl  nicht  wescnt- 
lich  erhöht  erscheint.  Natürlich  sind  auch  Art  und  Zahl  der 
Anfälle,  sowie  das  Ausbreitungsgebiet  der  Zuckungen  resp 
der  Starre  von  grossem  Belang  für  die  Prognose. 

...  geltere  Autoren  z.  B.  Rose  [l]  berechnen  die  Mortalität 
rtu  den  Wundstarrkrampf  mit  84,4  Proz.  (103  Fälle)  und  für 
Tetanus  überhaupt  mit  88  Proz.  (716  Fälle).  Von  neueren  Ar¬ 
beiten  verzeichnen:  H  o  h  1  b  e  c  k  [2]  bei  14  Fällen  im  russisch¬ 
japanischen  Kriege  92,85  Proz.  Mortalität;  Man  dry  [3]  bei 
15  ohne  Serum  behandelten  80  Proz.,  bei  11  mit  Serum  be- 

undetceünoI3Tfr0Z-;,Fricker  [4>  bei  18  ohne  Serum  behan- 
delten  88,88  Proz.,  bei  22  mit  Serum  behandelten  59,09  Proz. 

ortahtät;  K  e  u  t  z  1  e  r  [5]  berechnet  für  564  mit  Serum  be¬ 
handelte  Fälle  eine  Sterblichkeit  von  36,88  Proz.  und  für  47 
wahrend  der  ersten  36  Stunden  mit  Serum  behandelte  mit  meist 
Kurzer  Inkubation  61,7  Proz.;  H  o  f  m  a  n  n  [6]  findet  bei  13  aus¬ 
schliesslich  subkutan  mit  Serum  behandelten  Fällen  53  Proz., 
<ei  16  subdural,  subkutan  und  endoneural  behandelten 
Sterblichkeit;  Koslowski  [7]  bei  19  Fällen 
n4,l6  t  roz.  bei  12  mit  Behringserum  behandelten  50  Proz.; 
'■lag  ula  L8J  bei  19  ohne  Serum  behandelten  73,68  Proz; 
,n£-nnecke  [9)  bei  14  Fällen  57,14  Proz.;  Huber  [10]  bei 
69  Fallen  77,5  Proz.  Mortalität,  wobei  er  sagt,  dass  trotz 
-  eriimanwendung  die  Sterblichkeit  nicht  geringer  geworden  sei. 

Die  grosse  Zahl  einzelner  Beobachtungen  von  Tetanus¬ 
heilung  durch  dieses  oder  jenes  therapeutische  Verfahren  ist 
w°hl  pur  in  der  statistischen  Reihe  verwertbar  und  auch  da 
nur  mit  Vorsicht,  da  die  Gegenwerte  fehlen.  Speziell  bei  jenen 
Fallen,  welche  eine  längere  Inkubationszeit  aufweisen,  wird 
man  sich  ohne  grosses  Material  kaum  ein  klares  Urteil  bilden 
können,  da  ja  schon  Rose  angegeben  hat,  dass  ihre  Mortalität 
■uich  ohne  Serumgabe  zwischen  53  und  50  Proz.  schwankt. 
Dabei  darf  man  nicht  vergessen,  dass  es  wohl  auch  von  Be- 
;a "g  lst*  ’n  welcher  geographischen  Breite  sich  der  Tetanus- 
all  ereignet,  da  wir  z.  B.  von  Italien  wissen,  dass  dort  die 
Mortalität  des  Tetanus  auch  ohne  spezifische  Behandlung 
-U  TToz.  kaum  übersteigt  (Rose).  Zweifellos  für  die  günstige 
irkung  der  Serumbehandlung  sprechen  nur  jene  Fälle,  bei 
i  T?-,dne  ras.cbe  und  auffallende  Veränderung  des  Krank- 
leitsbildes  vorliegt,  die  anderweitig  nicht  zu  erklären  ist.  Im 
folgenden  soll  eine  Krankengeschichte  berichtet  werden, 


welche  meines  Erachtens  die  Serumwirkung  bei  einem 
I  etanusfall  klar  aufzeigt. 

Josef  Tr.,  55  Jalirc  alt. 

Der  Kranke  hatte  mit  30  Jahren  einen  Typhus,  mit  45  Jahren 
einen  Gelenkrheumatismus  überstanden.  Am  22.  Juli  1913  stürzte 
!n„Uu  i  -u  uaclnnittags  von  einem  Wagen  so  unglücklich,  dass  ihm 
i"1  Kau  über  den  Kopf  ging.  Trotz  der  heftigen  Blutung  lenkte  er 
aen  Wagen  noch  selbst  heimwärts  und  machte  sich  kalte  Umschläge 
t  KmPf-  Dr-  Bartsch  sah  in  der  Wunde  Haare  und 

kleine  Kohlenstuckchen  und  spülte  die  Wunde  mit  mehreren  Litern 
lauer  Lysofonnlosung  aus.  Zirka  3  Stunden  nach  der  Verletzung 
mit  iSl.JfJ!  Kinken.  Status  praesens:  Kräftiger,  mittelgrosser  Mann 
mit  gesunden  Organen.  Auf  der  linken  Kopfseite  über  dem  Scheitel- 
peine  sieht  man  eine  stumpfwinkelige  Lappen  wunde  mit  der  Basis 
nach  hinten  und  oben,  deren  Schenkel  12:  10  cm  messen.  Die  Wund- 
fCtZ!K  z.eri;.is1sen’  1"  der  Tiefe  der  Wunde  sieht  man  stark 
FWmewC-htes’  “hwarzhch  gefärbtes  Gewebe.  Nirgends  sind  grössere 
sichtbar.  Das  Periost  des  Schädels  ist  abgerissen  und 
an  den  Rändern  stark  gequetscht,  so  dass  in  einem  etwa  kleinhand¬ 
tellergrossen  Bezirke  der  Knochen  freiliegt. 

,nnrnie  ^ wird  mit  sterilen  Tupfern  getrocknet  und  mit 
wh  h’  JTodtinktur  ausgiebig  bestrichen.  Durch  2  Situationsnähte 

TrockenerVerband'11  ^  b,ossliegenden  Knochen  zu  decken,  fixiert. 

ter  Verband  Starke  Anschwellung  der  linken  Gesichtshälfte.  Feuch- 

.  ^Tu!';  Gesicht  bis  zur  Unkenntlichkeit  angeschwollen.  Häma- 

LUer  links  Mittags  klagt  der  Kranke  über  Ziehen  in  der 
Gegend  der  Kaumuskeln. 

27.  Juli  Der  Kranke  hat  die  Nacht  über  geschlafen;  von  6  Uhr 
an  bemerkt  er,  dass  er  den  Mund  nicht  mehr  öffnen  kann 
und  klagt  über  heftige  krampfartige  Schmerzen  in  den  Kaumuskeln. 

Als  ich  den  Kranken  um  'A  2  Uhr  nachmittags  sah,  hatte  er  hef¬ 
tige,  schmerzhafte  Krämpfe  in  den  Masseteren  und  konnte  den  Mund 
nur  A-~ i  cm  weit  öffnen.  Die  Krämpfe  in  den  Kaumuskeln  wieder- 
lolen  sich  häufig,  ohne  äusseren  Anlass,  erscheinen  aber  jedesmal 
auf  Beklopfen  des  Muskels.  T.  38,6,  P.  86.  Es  werden  sofort  die 
w  Nahte  entfernt  und  der  Lappen  aufgeklappt.  Auf  Druck  entleert  sich 
von  der  Schlafe  her  etwas  dickflüssiger  Eiter,  der  einige  wenige 
lasblasen  führt.  Nachdem  nekrotisches  Gewebe  mit  Pinzette  ent¬ 
fernt  und  die  Wunde  trockengetupft  ist,  wird  ein  halbes  Fläschchen 
getrockneten  1  etanusserums  (für  70  ccm  aus  .dem  k.  k.  serotherap. 
Institute  Hofrat  Paltauf)  eingestreut  und  in  alle  Nischen  verteilt. 
Hierauf  werden  an  4  Stellen  um  die  Wunde  je  5  ccm  Pa  1  tauf - 
sches  I  etanusantitoxin  subkutan  und  intrakutan  eingespritzt  und 
30  ccm  in  eine  Vene  des  linken  Armes  injiziert.  ■ 

•  i  ‘/ub‘  4'  ^'5;  I.  38,1,  P.  88;  T.  38,5.  Die  Schwellung  des  Ge¬ 
sichtes  hat  stark  abgenommen.  Die  Kiefer  sind  krampfhaft  ge- 
scnlossen  und  können  nicht  geöffnet  werden.  Es  liegt  eine  periphere 
Fazialislähmung  links  vor.  In  der  Nacht  hatte  der  Kranke  starke 
"  i" ne1rzein  infolge  der  heftigen  Krämpfe  in  den  Kaumuskeln,  die  mit 
sekundenlanger  Dauer  in  Pausen  von  5—15  Minuten  auftraten.  Es 
waren  auch  heftige  Zuckungen  in  den  Extremitäten  zu  beobachten; 
gleichzeitig  klagte  der  Patient  über  Schmerzen  in  den  Bauchmuskeln. 

li  Kran  ,  'st  wje  gebadet  in  Schweiss  und  hat  gar  nicht  ge¬ 
schlafen.  Intravenöse  Injektion  von  50  ccm  Paltaufserum  in  den 
rechten  Vorderarm. 

29.  Juli.  T.  37,4;  T.  38,7,  P.  96;  T  38,5 

..  .  29.  Juli  T.  37,4;  1.  38,7,  P.  96;  T.  38,5.  Die  Schwellung  der 

mken  Gesichtshälftc  hat  weiter  abgenommen.  Die  Lähmung  des 
linken  Fazialis  unverändert.  Die  Krämpfe  in  den  Masseteren  sind 
!n  grösseren  Pausen  und  mit  geringerer  Heftigkeit  aufgetreten,  Zuk- 
MUngj  ni-in  Extremitäten  sind  nur  mehr  selten  zu  sehen.  Der 
.  Mund  lässt  sich  ca.  'A  cm  weit  öffnen.  Patient  schwitzt  sehr  stark 
am  £ailzen  Körper  und  ist  gänzlich  schlaflos.  Intravenöse  Injektion 
von  50  ccm  Paltaufserum  in  den  rechten  Vorderarm.  Abends  0,02  Mor¬ 
phium  subkutan. 

30.  Juli.  T.  38,8;  I.  39,5,  P.  96;  T.  38,8,  P.  90.  Schwellung  des 
Gesichtes  nur  mehr  gering.  Fazialislähmung  unverändert  Die 
Krämpfe  in  den  Kaumuskeln  und  die  Zuckungen  in  den  Extremitäten 
haben  völlig  aufgehört.  Der  Mund  kann  etwa  VA  cm  weit  geöffnet 
werden.  Der  Kranke  schwitzt  nur  mehr  wenig  und  hat  etwas  ge- 

.  schlafen.  Er  ist  eigenartig  apathisch,  gibt  auf  Fragen  keine  Antwort 
und  führt  Befehle  langsam  und  ungeschickt  aus. 

31.  Juli.  T.  36,6;  I.  37,3.  P.  100;  T.  36,1.  Patient  hat  etwas  ge- 
schlafen,  schwitzt  nicht  mehr  und  ist  frei  von  Schmerzen.  Der 
Mund  wird  etwa  2  cm  weit  geöffnet.  Die  Fazialislähmung  besteht 
unverändert  fort.  Abends  0,01  Morphium  subkutan. 

1.  August.  T.  37,5;  T.  37,6,  P.  104.  Der  Kranke  sitzt  völlig 
apathisch  da  und  stiert  vor  sich  hin.  Auf  Fragen  bleibt  der  Kranke 
stumm.  Lauten  Aufforderungen,  etwas  Bestimmtes  zu  tun,  kommt  er 
eigenartig  ungeschickt  nach.  Vom  Tetanus  ist  bis  auf  die  völlig  un¬ 
veränderte  Fazialislähmung  und  die  Starre  in  den  Kaumuskeln  jetzt 
und  in  der  Folge  nichts  mehr  nachzuweisen.  Am  3.  August  musste 
noch  ein  Abszess  ad  nates  gespalten  werden,  der  aus  einem  Häma¬ 
tom  entstanden  war.  Die  Stare  der  Masseteren  verschwand  völlig 
erst  nach  3,  die  Fazialislähmung  nach  5 — 6  Wochen. 

Am  27.  Oktober  sah  ich  den  Kranken  wieder.  Die  Wunde  am 
Schädel  ist  bis  auf  eine  3  zu  5  cm  messende  granulierende  Fläche 


1956 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  37. 


gut  vernarbt.  In  der  Tiefe  sieht  man  zwischen  den  Granulationen 
einen  Knochensequester.  Da  es  nicht  absolut  auszuschliessen  war, 
dass  sich  im  Sequester  oder  in  seiner  Umgebung  Tetanuskeime  vor¬ 
finden,  wurde  eine  subkutane  Injektion  von  10  ccm  Tetanusantitoxin 
Paltauf  in  den  linken  Vorderarm  gemacht.  Tags  darauf  liess  sich  ein 
lamellöser  Sequester  von  5: 2: 0,2  cm  leicht  aus  der  Wunde  ent¬ 
fernen,  die  sich  nun  rasch  völlig  schloss.  Zu  dieser  Zeit  war  weder 
von  der  Fazialislähmung,  noch  von  der  Muskelstarre  etwas  nach¬ 
weisbar.  Am  28.  Oktober  liess  ich  mir  auch  den  Wagen  zeigen, 
dessen  Rad  die  Verletzung  verursacht  hatte.  Es  war  ein  Leiterwagen, 
der  häufig  zum  Mistführen  verwendet  wurde.  An  den  Speichen  der 
Räder  und  an  der  Peripherie  des  Rades  war  massenhafter  Mist 
inkrustiert  und  man  konnte  Pferde-,  Kuh-  und  Gänsemist  deutlich 
erkennen.  Es  wurden  von  der  Peripherie  des  Rades  an  mehreren 
Stellen  Mistteilchen  mit  dem  Messer  abgeschabt.  Am  30.  Oktober 
Vi 8  Uhr  abends  machte  ich  2  weissen  Mäusen  eine  Inzision  an  der 
Rückenhaut  nahe  der  Schwanzwurzel  und  brachte  in  die  subkutane 
Hauttasche  je  eine  kleine  Messerspitze  der  gemischten  Mistproben 
ein  und  verschloss  die  Wunde  mit  einer  Klammer.  Die  erste  Maus 
verendete  am  1.  November  um  1  Uhr  mittags,  die  zweite  am  2.  No¬ 
vember  um  11  Uhr  nächst  an  typischem  Tetanus.  Zwei  weiteren 
weissen  Mäusen  wurden  in  gleicher  Weise  wie  oben  mehrere  Teil¬ 
chen  des  Sequesters  subkutan  eingebracht;  beide  Tierchen  blieben 
bei  vierwöchentlicher  Bobachtung  völlig  gesund. 

Im  vorliegenden  Falle  handelt  es  sich  also  um  einen,  nach 
nicht  ganz  5  tägiger  Inkubation  ausgebrochenen  Fall  von 
typischem  Kopftetanus.  Die  kurze  Inkubation,  sowie  die  er¬ 
höhte  Temperatur  Hessen  den  Fall  prognostisch  ungünstig  er¬ 
scheinen.  Die  Behandlung  bestand  nach  Ausbruch  des  Starr¬ 
krampfes  in  Trockenlegen  der  Wunde,  Einstreuen  und  genauem 
Verteilen  von  trockenem  Antitoxin  in  derselben,  weiter  in 
subkutaner  und  intrakutaner  Injektion  von  20  ccm  flüssigen 
Tetanusantitoxins  in  die  Wundumgebung  und  schliesslich  in 
intravenöser  Injektion  von  30  ccm  Antitoxin.  Innerhalb  der 
nächsten  2  Tage  wurden  je  50  ccm  Tetanusantitoxin  intravenös 
eingespritzt.  Nach  der  dritten  Injektion  waren  keine  Zeichen 
eines  noch  virulenten  Tetanus  nachweisbar;  die  schwere  Er¬ 
krankung  war  geheilt,  wenn  auch  Kieferklemme  und  Fazialis¬ 
lähmung  noch  fortbestanden.  Das  Pal  tauf  sehe  Tetanus¬ 
antitoxin  ist  mindestens  5  fach  normal.  Es  waren  demnach  in 
die  Wunde  ca.  150  Antitoxineinheiten,  intrakutan  100  und  intra¬ 
venös  650  eingebracht  worden. 

Die  prinzipielle  Frage,  ob  die  Antitoxinbehandlung  des  aus¬ 
gebrochenen  Tetanus  Aussicht  auf  Erfolg  habe  oder  nicht, 
wurde  sowohl  vom  theoretischen  Standpunkte,  als  auch  aus 
der  Erfahrung  verschieden  beantwortet.  Wilms  [  1 1  ],  Ull¬ 
rich  [121,  Mandry  [3],  Pochhammer  [13],  Huber  [10] 
u.  a.  fanden,  dass  sich  kein  günstiger  Einfluss  der  Antitoxin¬ 
behandlung  auf  die  Schwere  des  Krankheitsbildes  nachweisen 
lasse,  resp.  dass  nach  Ausbruch  des  Tetanus  ein  Nutzen  der 
Antitoxintherapie  nicht  zu  erwarten  sei.  Andere  Autoren  lesen 
aus  ihren  Erfahrungen  den  Schluss  heraus,  dass  in  vielen 
Fällen  ein  zweifelloser  Effekt  der  Serumtherapie  zu  erkennen 
sei;  dafür  scheint  auch  die  wesentlich  geringere  Mortalität  der 
eingespritzten  Fälle  in  grösseren  Statistiken  zu  sprechen. 

Die  Art  der  Serumeinverleibung  war  eine  sehr  ver¬ 
schiedene.  Intrazerebrale,  lumbale,  endoneurale,  intravenöse, 
subkutane  und  rektale  Injektionen  wurden  gemacht.  Von  den 
intrazcrebralen  Einspritzungen  steht  fest,  dass  sie  gefährlich 
und  anscheinend  nicht  wirksamer  sind  als  die  anderen.  Welche 
andere  Art  der  Einverleibung  man  wählen  wird,  hängt  wohl 
im  wesentlichen  von  der  Erfahrung  und  von  bestimmten  theo¬ 
retischen  Ueberlegungen  ab.  Betrachtet  man  die  Unter¬ 
suchungsresultate  von  B  ii  d  i  n  g  e  r  [14],  Schnitzler  [15], 
Fr  ick  er  [16],  Reinhardt  und  Assim  [17]  und  Poch¬ 
hammer  [18]  so  wird  man  daran  zweifeln  dürfen,  dass  die 
Hauptmenge  des  Tetanustoxins  auf  neuralen  Bahnen  weiter¬ 
schreitet.  Ueber  die  Art  der  Giftverankerung  ist  uns  auch 
noch  viel  zu  wenig  bekannt,  um  daraus  sichere  Schlüsse  ziehen 
zu  können  und  deshalb  entschied  ich  mich  für  die  intravenöse 
Serumanwendung.  E.  v.  G  r  a  f  f  s  [19]  Arbeit  hatte  mich  durch 
ihre  Erfolge  der  intravenösen  Antitoxintherapie  bei  Tieren 
auch  stark  nach  dieser  Richtung  hin  beeinflusst.  Unser  ganzes 
Trachten  bei  der  Behandlung  des  ausgebrochenen  Tetanus 
kann  wohl  nur  dahin  gerichtet  sein,  1.  das  Gift  am  Entstehungs¬ 
orte  abzufangen,  und  dadurch  den  Nachschub  unmöglich  zu 
machen,  2.  das  bereits  zirkulierende  Gift  zu  neutralisieren. 
Der  dritten  und  wesentlichsten  Forderung,  das  bereits  an 
Nervenelemente  gebundene  Toxin  unschädlich  zu  machen. 


können  wir  bisher  nicht  gerecht  werden.  Anscheinend  ist  es 
durch  Injektionen  von  Magnesiumsulfat  nach  Meitzer  und 
Auer  möglich,  die  Krämpfe  zu  beeinflussen  und  damit  dem 
Kranken  den  Zustand  wesentlich  zu  erleichtern,  und  vielleicht 
da  und  dort  sogar  lebensrettend  zu  wirken.  Die  erste  For¬ 
derung  an  die  Therapie  kann  man  nach  Behring  [20]  und 
C  a  1  m  e  1 1  e  [21 1  dadurch  zu  erfüllen  trachten,  dass  man  die 
Wunde  selbst  und  die  Wundumgebung  mit  Antitoxin  be¬ 
handelt.  Auch  Suter  [22]  hat  in  seinen  Fällen  trockenes  oder 
flüssiges  Serum  in  die  Wunde  eingebracht,  ln  unserem  Falle 
wurde  trockenes  Antitoxin  eingestreut  und  flüssiges  Antitoxin 
in  die  Wundumgebung  injiziert.  Die  Bindung  des  zirkulieren¬ 
den  Toxins  scheint  uns  am  vollkommensten  erreichbar  durch 
die  intravenöse  Injektion.  Knorr  [23]  schlägt  auf  Basis 
seiner  Tierversuche  vor,  8  Immunitätseinheiten  pro  Kilo  Kör¬ 
pergewicht  einzubringen.  In  unserem  Falle  betrug  die  Menge 
jedesmal  3,5,  im  ganzen  ca.  10  Einheiten  pro  Kilo  Körper¬ 
gewicht.  Was  mir  in  unserem  Falle  von  wesentlichster  Be¬ 
deutung  erscheint,  ist  der  Umstand,  dass  die  Injektion  bereits 
lYi  Stunden  nach  Auftreten  des  Trismus  erfolgte.  Wenn  die 
Ansicht  von  Beck  [24]  richtig  ist,  dass  die  Inkubationszeit 
von  der  Menge  der  eingebrachten  Keime  abhängt,  so  müsste 
man  sich  wohl  vorstellen,  dass  im  vorliegenden  Falle  eine 
grosse  Menge  Giftstoff  noch  in  der  Zirkulation  war  und  diese 
unschädlich  gemacht  wurde.  Irgendwelche  Schädigung  durch 
die  grossen  intravenösen  Serumgaben  wurden  nicht  be¬ 
obachtet,  der  Temperaturanstieg  auf  39,5  wird  wohl  auf  das 
Serum  zurückzuführen  sein,  war  aber  bedeutungslos.  Zweifel¬ 
los  erscheint  es  uns,  dass  in  dem  vorliegenden  Falle  das  rasche 
Verschwinden  der  Symptome  eines  virulenten  Tetanus  einzig 
auf  die  intravenöse  Serumbehandlung  zurückgeführt  werden 
kann,  welche  schon  sehr  bald  nach  Ausbruch  des  Starr¬ 
krampfes  eingeleitet  wurde. 

Literatur. 

1.  Rose:  Deutsche  Chir.  Lief.  8,  1897.  —  2.  Hohlbeck:  Ref. 
Zbl.  f.  Chir.  1907.  S.  289.  —  3.  Mandry:  Beitr.  z.  klin.  Chir.  53. 
S.  731.  —  4.  Fricker:  D.  Zschr.  f.  Chir.  88.  S.  429.  —  5.  K  e  u  t  z- 
ler:  B.kl.W.  1906  Nr.  38.  —  6.  Hof  mann:  Beitr.  z.  klin.  Chir.  55. 
S.  697.  —  7.  Koslowski:  Ref.  Zbl.  f.  Chir.  1910  S.  543.  — 
8.  Magula:  Ref.  Zbl.  f.  Chir.  1911  S.  237.  —  9.  Bennecke: 
Mitteil.  a.  d.  Grenzgeb.  d.  Med.  u.  Chir.  24.  H.  2.  —  10.  Huber: 
Bruns  Beitr.  z.  klin.  Chir.  77.  S.  139.  —  11.  Wilms:  M.m.W.  1901 
Nr.  6.  S.  213.  —  12.  Ulrich:  Mitteil.  a.  d.  ürenzgeb.  d.  Med.  u. 
Chir.  10.  S.  120.  —  13.  Pochhammer:  D.m.W.  1908  Nr.  16.  — 
14.  Büdinger:  W.kl.W.  1893  Nr.  16.  —  15.  Schnitzler:  Zbl. 
f.  Bakt.  u.  Parasitenkd.  1893  Nr.  21  u.  22.  —  16.  F  r  i  c  k  e  r:  D.  Zschr. 
f.  Chir.  88.  S.  429.  —  17.  Reinhardt  und  Assim:  Zschr.  f.  Bakt., 
Parasitenkd.  u.  Infektionskrankh.  49.  S.  44.  —  18.  Pochhammer: 
Zbl.  f.  Chir.  1909  S.  157.  —  19.  E.  v.  Gr  aff:  Miiteil.  a.  d.  Grenzgeb. 
d.  Med.  u.  Chir.  25.  H.  1.  —  20.  Behring:  Ther.  d.  Gegenw. 
März  1900.  —  21.  Calmette:  Ref.  Zbl.  f.  Chir.  1903  S.  920.  — 
22.  Suter:  Beitr.  z.  klin.  Chir.  52.  S.  671.  —  23.  Knorr:  M.m.W. 
1898  Nr.  11  u.  12.  —  24.  Beck:  Zschr.  f.  Hyg.  u.  Infektionskrankh.  19. 


Kriegsbriefe  aus  der  Kriegslazarettabteilung 
I.  Bayr.  Armeekorps. 

Von  Generalarzt  Prof.  Dr.  Klaussner. 

Erster  Brief  (8. — 28.  August). 

17.  August  1914. 

Am  8.  August,  abends  8/4  Uhr,  ging  unser  Zug  von 
München-Laim  ab,  um  uns  auf  dem  Umwege  Würzburg- 
Heidelberg  zunächst  nach  Zweibrücken  zu  bringen.  Dieser 
Umweg  musste  genommen  werden,  da  die  direkten  Bahnlinien 
für  die  Militärzüge  frei  zu  halten  waren.  Es  war  eine 
lange,  ermüdende  Fahrt,  aber  keiner  von  uns  hätte  sie  missen 
wollen.  Die  Begeisterung,  mit  der  wir  allerorts  empfangen 
wurden,  machte  auf  jeden  von  uns  einen  unauslöschlichen  Ein¬ 
druck;  überall  wehende  Fahnen,  brausende  Hochrufe,  die 
Plattform  der  Bahnhöfe  dicht  besetzt  von  Leuten,  welche  uns 
zuwinkten  und  zujubelten.  Dabei  Liebesgaben  in  Hülle  und 
Fülle. 

Nach  40  stündiger  Fahrt  in  Zweibrücken  angekommen, 
wurde  uns  hier  (12.  August)  nach  mehrtägigem  Aufenthalte 
der  Befehl  übermittelt,  sofort  in  die  Front  vorzurücken. 
Während  der  Fahrt  dorthin  wurde  uns  zum  erstenmal  der 


15.  September  1914. 


Fcldärztliche  Beilage  zur  Aliinch.  med.  Wochenschrift. 


1957 


Ernst  des  Krieges  zum  Bewusstsein  gebracht.  Ueberall  end¬ 
lose  Züge  mit  I  ruppen  und  Munition  auf  den  Landstrassen,  die 
Proviantkolonnen  mit  starker  Bedeckung,  an  jeder  Haltstelle 
die  wildesten  Gerüchte  von  Siegen,  Verlusten,  von  Greueltaten 

der  Franktireurs. 

*n . sahen  wir  zum  erstenmal  Verwundete.  Im 

Wartesaal  des  Bahnhofs  hatte  man  sie  auf  Stroh  gebettet. 
Junge  Leute,  noch  in  der  grauen  Felduniform,  so  lagen  sie  mit 
ihren  Notverbänden  auf  dem  Boden,  die  meisten  still  und 
ruhig,  einzelne  stöhnend  und  sich  umherwerfend.  Ein  Ver¬ 
wundeter  war  von  einem  Schrotschusse  ins  Gesicht  getroffen 
worden;  letzteres  war  mit  einem  Tuche  zugedeckt,  um  die 
furchtbare  Zerstörung  zu  verhüllen,  aber  auch  um  die  Fliegen 
abzuhalten,  welche  sich  in  diesem  fliegenreichen  Lande 
scharenweise  auf  jede  offene  Wunde  niederzulassen  pflegen 

Einen  sehr  kriegerischen  Eindruck  machte  der  Ort  ....  ! 
Aus  den  eingeschlagenen  Fenstern  sahen  die  Köpfe  von 
Pferden  heraus;  auf  der  Plattform  überall  aufgebrochene 
Kisten,  der  ganze  Boden  mit  Papierfetzen  bedeckt.  Der 
Ort  selbst  wimmelt  von  Soldaten  aller  Waffengattungen, 
alle  standen  noch  unter  dem  Eindrücke  der  letzten  Ge¬ 
fechte;  auf  jedem  Gesichte  war  Zuversicht  und  Kampfes¬ 
freude  zu  lesen.  Die  Restauration  dem  Bahnhof  gegenüber 
war  überfüllt  von  Offizieren,  das  Büfett  wurde  förmlich  ge¬ 
stürmt.  Hier  sahen  wir  auch  den  ersten  französischen  Ge¬ 
fangenen,  einen  jungen  Unteroffizier,  mit  den  historischen 
roten  Beinkleidern  und  kurzem,  schwarzem  Mantel. 

v°n . aus  brachte  uns  der  Zug  nach . . 

welches  wir  gegen  5  Uhr  abends  erreichten.  Vom  Bahnhof 
aus  sahen  wir  die  Dorfstrasse  hinunter;  linkerseits  ein  altes 
Schloss  mit  einem  weiten  Parke,  rechterseits  die  kleinen 
weissgetünchten  Häuser  sich  hinabziehend;  in  der  Mitte  der 
Strasse  ein  mit  Leichtverwundeten  beladener  Bauernwagen, 
eskortiert  von  Infanterie  mit  aufgepflanzten  Seitengewehren, 
im  Hintergrund  Kavallerie,  in  eine  Staubwolke  gehüllt,  von 
einer  Patrouille  zurückkehrend;  beiderseits  vom  Orte  dicht¬ 
bewaldete  Höhen.  Das  Ganze  überstrahlt  vom  Glanze  der 
untergehenden  Sonne;  ein  Bild,  wie  es  eindrucksvoller  nicht 
gedacht  werden  kann. 

In  .  ....  war  unseres  Bleibens  nicht  lange.  Der  Ort 
war  für  ein  Kriegslazarett  zu  nahe  der  fechtenden  Truppe. 
Schon  nach  zweistündigem  Aufenthalte  wurden  wir  wieder 

einparkiert  und  gelangten  um  1  Uhr  nachts  in . an; 

hier  endlich  konnten  wir  uns  ärztlich  betätigen.  Wir  über¬ 
nahmen  interimistisch  das  bisher  in  dankenswerter  Weise  von 
einigen  Zivilärzten  versorgte  Garnisonlazarett  sowie  die  be¬ 
nachbarte  Kaserne,  welche  für  Krankenzwecke  notdürftig 
eingerichtet  war.  Mit  Hilfe  von  zwei  ausgezeichneten 
Gelsenkirchener  Operationsschwestern,  die  wir  bereits  vor¬ 
fanden,  wurde  neben  dem  vorhandenen  Operationssaal  ein 
zweiter  eingerichtet.  In  der  Zeit  vom  12.— 14.  August  ver¬ 
sorgten  wir  etwa  1500  Verwundete.  Die  Räume  waren  be¬ 
reits  bei  unserer  Ankunft  stark  belegt.  Dazu  kamen  mehrmals 
im  Tage  neue  Transporte  von  Verwundeten;  so  hatten  wir  am 
1.  Tage  bis  tief  in  die  Nacht  hinein  zu  verbinden  und  not¬ 
wendige  Operationen  auszuführen;  inzwischen  mussten  trans¬ 
portfähige  Patienten  evakuiert  werden,  um  Platz  für  Neu¬ 
angekommene  zu  schaffen.  Gerade  diese  plötzliche  Ueber- 
flutung  mit  Verwundeten,  welche  in  möglichst  kurzer  Zeit 
unter  oft  ungünstigen  äusseren  Verhältnissen  in  befriedigender 
Weise  versorgt  werden  müssen,  ist  dasjenige  Moment, 
welches  die  grössten  Ansprüche  an  die  Nerven,  die  Ausdauer 
und  die  Aufopferungsfreudigkeit  des  Arztes  stellt. 

Als  es  endlich  gelungen  war,  Ordnung  in  das  bestehende 
Chaos  zu  bringen  und  sich  allmählich  die  Möglichkeit  eines  ge¬ 
ordneten  ärztlichen  Betriebes  in  der  Ferne  zeigte,  erreichte 
uns  die  Mitteilung,  dass . aus  taktischen  Gründen  ge¬ 

räumt  werden  müsse.  Mit  wirklich  schwerem  Herzen  trennten 
wir  uns  von  unseren  Verwundeten.  Eine  grosse  Beruhigung 
für  uns  alle  war  jedoch  der  Gedanke,  dass  wir  noch  vor 
unserer  Abreise  alle  Deutschen  heimatwärts  abtransportieren 

konnten.  In . wurde  ganz  unerwarteter  Weise  ein 

Iransport  Verwundeter  gemeldet.  Als  Lazarett  wurde 
das  Schulhaus  ausersehen,  ein  Raum  im  Erdgeschoss  1 
nächst  Jem  Eingänge  wurde  zum  Operationsraum  um¬ 


gewandelt:  zwei  lange,  schmale  Tische,  in  die  Mitte  des 
Raumes  gerückt,  und  mit  Matrazen,  Bettüchern  und  Kissen 
versehen,  wurden  für  Operationen  und  schwierigere  Verbände 
bestimmt.  An  die  eine  Wand  wurde  eine  lange  Bank  gestellt, 
auf  der  sich  unter  der  Obhut  einer  eigenen  Schwester 
Schüsseln  zum  Waschen  sowie  für  antiseptische  Lösungen  be¬ 
fanden.  Gegenüber  war  ein  grösserer  Tisch,  auf  dem  die  aus 
uer  Apotheke  requirierten  Verbandstoffe  ausgebreitet  wurden 
Zwei  Schwestern  waren  ausschliesslich  für  die  Verteilung  der 
Verbandstoffe  bestimmt.  Eine  Anzahl  von  Stühlen  diente  als 
Sitzgelegenheit  für  Leichtverwundete.  Die  Mannschaften  der 
Sanitätskolonne  hatten  zahlreiche  Schienen  aus  Pappe  und 
Holz  zu  improvisieren.  Mehrere  Schwestern,  welche  über 
den  Saal  verteilt  brennende  Lampen  hielten,  ersetzten  die 
fehlende  Beleuchtung;  als  Krankenzimmer  wurden  mehrere 
grössere  Räume  im  Schulhaus  und  in  Wirtshäusern  ein¬ 
gerichtet.  An  Stelle  der  fehlenden  Betten  wurden  im  Ort 
requirierte  Matrazen  und  Kissen  auf  den  Boden  gelegt;  event. 
musten  die  Betten  mit  Hilfe  von  Stroh  und  Latten  völlig  im¬ 
provisiert  werden. 

Auf  diese  Weise  vorbereitet,  gelang  es  uns,  im  Zeitraum 
von  3  Stunden  etwa  200  Verletzte  mit  den  notwendigsten  Ver¬ 
bänden  zu  versehen  (20.  August  1914). 

Am  22.  August  wurden  wir  abermals  nach . vor¬ 

geschoben.  Dieser  Platz  war  inzwischen  von  den  Franzosen 
besetzt  und  geräumt  worden.  Das  Stadtbild  hatte  sich  dabei 
wesentlich  verändert.  Schon  beim  Verlassen  des  Zuges  fiel 
ein  penetranter  Brandgeruch  auf.  Die  Gasleitung  funktionierte 
nicht  mehr  infolge  der  vorausgegangenen  Beschiessung.  An 
den  Wänden  der  Häuser  waren  vielfach  die  Spuren  der  Ge¬ 
schosse  zu  bemerken;  die  schon  erwähnte  Kaserne  war 
teilweise  niedergebrannt.  Die  Behandlung  der  ausnahmslos 
französischen  Verwundeten  im  Garnisonlazarett,  welch  letz¬ 
teres  wir  zu  übernehmen  hatten,  befand  sich  bei  unserer  An¬ 
kunft  noch  in  Händen  französischer  Militärärzte,  welche  mit 
ihrem  Personal  zurückgeblieben  waren.  Dieselben  wurden 
sofort  von  uns  abgelöst.  Die  hygienischen  Verhältnisse  im 
Lazarette  spotteten  jetzt  jeder  Beschreibung:  Sämtliche  Säle 
waren  auf  das  dichteste  belegt,  auf  den  Korridoren  lagen  die 
Verwundeten  auf  Mänteln  und  Stroh  ungeordnet  durch¬ 
einander,  der  Gestank  in  den  Sälen  und  auf  den  Gängen  war 
geradezu  unerträglich,  bedingt  durch  Schmutz  und  blutige 
Kleider,  durch  eiternde  Wunden,  durch  Urin  und  Exkremente, 
die  sich  überall  voifanden;  auch  die  Versorgung  der  Wunden! 
besonders  die  Schienung  der  Extremitätenschüsse,  liess  vieles 
zu  wünschen  übrig. 

Dem  unendlichen  Fleisse  unserer  Sanitätsmannschaften 
im  Vereine  mit  den  opferwilligen  Schwestern  war  es  zu 
danken,  dass  dieser  scheussliche  Zustand  innerhalb  zweier 
Tage  beseitigt  wurde  und  sich  wieder  ein  annähernd  sauberes 
Lazarett  gestaltete,  in  dem  der  Betrieb  wieder  einigermassen 
regelmässig  vor  sich  gehen  konnte. 

Mit  Genugtuung  können  wir  konstatieren,  dass  uns  von 
den  Verwundeten,  insbesondere  den  Franzosen,  viele  Dankes¬ 
worte  über  unsere  Behandlung,  Wartung  und  Pflege  ge¬ 
spendet  wurden,  während  die  Aeusserungen  über  ihre  eigenen 
Aerzte  keineswegs  schmeichelhaft  klangen. 

Wir  freuten  uns,  dass  nunmehr  ein  regulärer  Kranken¬ 
hausbetrieb  möglich  war,  dass  man  allmählich  sich  um  die  ein¬ 
zelnen  der  vielen  Verletzten  mehr  annehmen  konnte,  dass 
man  endlich  in  der  Lage  war,  Krankenbogen  anzulegen  und 
die  vielen  ärztlich  so  interessanten  Fälle  auch  klinisch  zu  be¬ 
obachten  und  wissenschaftlich  zu  verwerten,  den  Verletzten 
auch  menschlich  etwas  näher  treten  zu  können  —  siehe  da: 
all  diese  Freude  war  uns  nicht  vergönnt,  da  der  Befehl  ein¬ 
traf,  dass  das  Kriegslazarett  durch  das  Personal  des  Reserve¬ 
lazaretts  heute  abzulösen  sei;  damit  ging  der  ganze  organi¬ 
satorische  und  ärztliche  Betrieb  in  andere  Hände  über. 

Ueber  die  Anforderungen,  die  an  ein  Kriegslazarett  unter 
Verhältnissen  herantreten,  wie  wir  sie  hier  bei  unserer 
zweiten  Anwesenheit  in . vorfanden,  kann  sich  tat¬ 

sächlich  nur  derjenige  eine  Vorstellung  machen,  der  solche 
Situation  wirklich  miterlebt  hat. 

Obwohl  das  von  uns  abgelöste  Feldlazarett  schon 
am  22.  August  über  500,  zumeist  französische  Verwundete  in 


1958 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  37. 


Richtung  .  evakuiert  hatte,  mussten  in  den  ! 

weiteren  2  Tagen  —  23.  und  24.  August  —  unsererseits  wei¬ 
tere  ca.  700,  zum  grossen  Teil  Schwerverwundetc  und  zu¬ 
meist  wieder  französische  Verwundete  abtransportiert 
werden,  um  auch  dann  noch  die  gesamten  Gebäude  des  La¬ 
zarettrayons,  der  Stadthalle,  des  Gymnasiums  etc.  mit  schwer 
und  sehr  schwer  Verwundeten  bis  auf  das  letzte  Bett  belegt 
zu  haben. 

Die  hierin  begründete  überreiche  Arbeit  der  Aerzte  wurde 
uns  doppelt  fühlbar  unter  der  nebenbei  bestehenden  dringend¬ 
sten  Notwendigkeit,  aus  unbeschreiblichen  allgemeinen 
hygienischen  Zuständen  wieder  eine  wirkliche  Krankenanstalt 
zu  schaffen. 

Nach  dieser  kurzen,  die  Situation  im  allgemeinen  wieder¬ 
gebenden  Schilderung  soll  in  den  nächsten  Briefen  über  unsere 
speziellen  feldärztlichen  Erfahrungen  berichtet  werden. 


Referate. 

Der  Militärarzt. 

Aus  Nr.  17.  H  o  c  h  e  n  c  g  g  -  Wien:  Die  Scharpie  als  Verband- 
mittel. 

H.  hat  untersucht,  ob  bei  dem  ungeheuren,  kaum  zu  deckenden 
Verbrauch  an  Verbandstoffen  nicht  durch  geeignet  präparierte  Schar¬ 
pie  ein  teilweiser  Ersatz  geschaffen  werden  kann.  Die  ohne  jede 
Vorsicht  durch  Zerzupfen  von  alter  Leinwand  und  Perkal  ge¬ 
wonnene  Scharpie  erwies  sich  als  ein  verhältnismässig  keimarmes 
und  durchgehends  nur  mit  gutartigen  Saprophyten  behaftetes  Ma¬ 
terial,  das  durch  die  übliche  Sterilisierung,  auch  wenn  es  vorher 
mit  pathogenen  Mikroorganismen  infiziert  wurde,  vollkommen  keim¬ 
frei  wurde.  Bei  der  Verwendung  am  Verletzten  zeigte  sich  die 
Scharpie  infolge  ihrer  grossen  Elastizität  und  Anschmiegsamkeit  so¬ 
wie  ihres  grossen  Aufsaugevermögens  für  verschiedene  Sekrete  als 
ein  ausgezeichnetes,  als  Ersatz  der  weissen  Gaze  und  entfetteten 
Watte  sehr  geeignetes  Verbandmittel.  Um  das  Ankleben  der  Fäden 
zu  vermeiden,  soll  die  Scharpie  in  Gaze  eingeschlagen  als  „Bäusch- 
chen“  verwendet  werden.  Verf.  hofft  so  eine  grosse  Ersparnis  an 
Verbandstoffen  zn  erzielen  und  fordert  zur  Einsendung  möglichst 
grosser  Mengen  von  Scharpie  an  seine  Klinik  auf.  Damit  wird  der 
gemeinnützigen  Betätigung  von  Frauen  und  Kindern  ein  wichtiges 
Feld  geboten.  Ausserdem  soll  viel  alte  weiche  Leinwand  u.  ä. 
Material  eingesandt  werden  zur  Verwendung  für  Salbenverbände  bei 
Schusswunden 

Wiener  klinische  Wochenschrift. 

Aus  Nr.  36.  M.  Kahane-Wien:  Vorschläge  zur  Organisation  der 
spezialärztlichen  Dienstleistung  in  Kriegszeiten. 

Ausser  den  hauptsächlichen,  den  chirurgischen  Erkrankungen 
bringt  der  Krieg  auch  eine  grosse  Zahl  der  verschiedensten  Leiden 
mit  sich.  Auch  für  diese  soll  den  Soldaten  die  vollkommenste  Hilfe 
mit  Aufwand  aller  spezialistischen  Kunst  und  Heilbehelfe  zuteil 
werden.  Es  sollten  daher  in  den  grösseren  Städten  Uebersichten 
über  die  vorhandenen  Spezialärzte  und  der  Spezialheilanstalten  her¬ 
gestellt  werden.  Wo  es  der  Fall  erfordert,  soll  auf  Wunsch  der 
Lazarettärzte  den  Spezialisten  die  ganze  Untersuchung  und  Behand¬ 
lung  übertragen  werden,  in  anderen  Fällen  sollen  die  Spezialärzte 
zur  Konsultation  herangezogen  werden.  Schliesslich  sollen  geeignete 
Fälle  den  Spezialheilanstalten  auch  zur  ambulanten  Behandlung  zu¬ 
gewiesen  werden.  Zur  Durchführung  dieser  Massnahmen  könnte 
eine  besondere  Organisation  der  Spezialärzte  geschaffen  werden. 

Bergeat  -  München. 


Kleine  Mitteilungen. 

Das  deutsche  Feldsanitätswesen. 

Um  vielfachen  Anfragen  zu  entsprechen  wird  mitgeteilt:  Das 
Feldsanitätswesen  ist  im  ganzen  Reiche  einheit¬ 
lich  geregelt.  Der  Sanitätsdienst  beim  Feldheer  und  der  Etappe 
untersteht  dem  Chef  des  Feldsanitätswesens;  nur  der  Sanitätsdienst 
im  Heimatgebiet  dem  Kriegsministerium. 

Die  Zahl  der  bei  der  mobilen  Feldarmee  verwendeten  Aerzte 
ist  eine  planmässig  genau  festgelegte.  Alle  Stellen  sind  besetzt. 
Jeder  Abgang  wird  sofort  ersetzt. 

Bei  der  Stellenbesetzung  wird  genauestens  darauf  geachtet,  dass 
den  Anforderungen  des  Feldheeres  (an  Chirurgen,  Internisten, 
Hygienikern)  entsprochen  wird. 

Als  Ersatz  kommen  in  erster  Linie  vollkommen  felddiensttaug¬ 
liche  Aerzte  in  Betracht;  zunächst  die  in  einem  bestimmten  Militär¬ 
verhältnisse  stehenden  (Militärärzte  der  Reserve  und  Landwehr,  Er¬ 
satzreserve  und  landsturmpflichtige  Aerzte),  dann  erst  Zivilärzte 
ohne  militärisches  Verhältnis  (für  Verwendung  im  Heimatsgebiet  und 
bei  der  Etappe).  Als  Unterärzte  und  Feldunterärzte  ver¬ 
wendete  ältere  Medizinstudierende  werden  im  allgemeinen 
nur  unter  Aufsicht  von  Aerzten  verwendet. 

Die  Zahl  der  benötigten  Militär  apotheker  und  Zahn¬ 
ärzte  bei  der  mobilen  Armee  ist  ebenfalls  dem  Bedarf  entsprechend 


planmässig  festgelegt.  Bei  Ersatzbedarf  kommen  bei  den  in  grosser 
Zahl  zur  Verfügung  stehenden  Apotheken  nur  Militärapotheker  des 
Beurlaubtenstandes  in  Betracht.  Der  Ersatz  der  Zahnärzte  geschieht 
durch  Vermittlung  des  Vereins  bayerischer  Zahnärzte.  Inwieweit 
militärpflichtige  Dentisten  in  Reservelazaretten  mitverwendet 
werden  können,  entscheidet  nach  dem  auftretenden  Bedarf  der  stell¬ 
vertretende  Korpsarzt. 

Die  Ausstattung  der  Truppen  mit  Verbandmaterial  ist 
in  der  ganzen  deutschen  Armee  unter  Zugrundelegung  der  grössten 
Verluste  der  letzten  Feldzüge  einheitlich  geregelt  und  hat  ihre  Gren¬ 
zen  in  der  zulässigen  Grösse  der  Bagagen.  Das  verbrauchte  Ma¬ 
terial  wird  von  der  Etappe  (Etappensanitätdepots)  her  ersetzt;  die 
Vorräte  der  Etappe  werden  auf  Anfordern  fortwährend  vom  Heimat¬ 
gebiet  her  (Sanitäts-,  Hauptsanitätsdepots)  und  von  den  im  Etappen¬ 
gebiet  angelegten  Güterdepots  ersetzt.  Den  besonderen  Bedürfnissen 
für  Verwundetenversorgung,  wie  sie  die  Eigenheit  des  modernen 
Krieges  zeitigt,  wird  durch  Neubeschaffungen  von  Krankenauto- 
mobilen  etc.  entsprochen. 

Zur  Rückbeförderung  der  Verwundeten  in  das  Heimatgebiet 
stehen  Lazarettzüge,  Hilfslazarettzüge  und  Krankenzüge  zur  Ver¬ 
fügung. 

Die  Lazarettzüge  sind  geschlossene  Formationen  mit  stän¬ 
digem  Personal  und  schon  im  Frieden  vollständig  bereitgestellter  Ein¬ 
richtung.  Sie  unterstehen  dem  Chef  des  Feldsanitätswesens  und  einer 
Etappeninspektion. 

Die  Hilfslazarettzüge  sind  zur  vorübergehenden  Be¬ 
nützung  bestimmt,  werden  nach  Möglichkeit  aus  den  leer  zur  Heimat 
zurückkehrenden  Wagen  aufgestellt  und  mit  Geräten  des  Etappen¬ 
sanitätsdepots  für  den  Transport  auch  liegender  Verwundeter  ein¬ 
gerichtet.  Ausserdem  werden  Hilfslazarettzüge  planmässig  im  Hei¬ 
matsgebiete  aufgestellt  und  ähnlich  wie  Lazarettzüge  verwendet. 
Soweit  die  Hilfslazarettzüge  keine  Küchenwagen  haben,  geschieht  die 
Verpflegung  an  eigenen  Verpflegsstationen.  Den  genannten  Zügen 
ist  eine  entsprechende  Zahl  von  Aerzten.  Sanitätsunteroffizieren  und 
Militärkrankenwärtern  beigegeben.  In  Ausrüstung  und  Verwendung 
entsprechend  sind  die  Hilfslazarettzüge  der  freiwilligen  Kranken¬ 
pflege. 

Die  Kranken  züge  werden  nach  Bedarf  wenn  irgend  mög¬ 
lich  nur  aus  Personenwagen  zusammengestellt  und  dienen  dem  Trans¬ 
port  Leichtverwundeter  und  Leichtkranker.  Sie  haben  dement 
sprechend  keine  ärztliche  Begleitung.  Pflegepersonal  der  freiwilligen 
Krankenpflege  ist  beigegeben.  Verpflegung  auf  Verpflegsstationen. 
Nachts  wird  die  Fahrt  unterbrochen  in  eigenen  Uebernachtungs- 
stationen.  Etwa  notwendige  ärztliche  Hilfe  an  Verbandstellen  und 
auf  Veranlassung  der  Bahnhofkommandanturen  an  den  grösseren  Auf¬ 
enthaltsstationen. 

Die  Verpflegung  und  Behandlung  kranker  Kriegsgefan¬ 
gener  ist  die  gleiche  wie  die  der  Kranken  der  eigenen  Armee,  nur 
werden  unseren  eigenen  Leuten  naturgemäss  alle  Erleichterungen 
und  Vergünstigungen  vor  allen  zugewendet  . 

Frauen  als  Pflegerinnen  und  Helferinnen  können  im 
Operationsgebiete  überhaupt  nicht,  im  Etappen-  und  Heimatgebiet 
grundsätzlich  nur  im  Rahmen  der  Organisation  des  Roten  Kreuzes 
und  der  vom  Kriegsministerium  ausdrücklich  zugelassenen  Vereini¬ 
gungen  verwendet  werden.  Zur  Pflege  kranker  Kriegsgefangener 
wird  in  der  Regel  männliches  Pflegepersonal  verwendet. 

In  den  Reservelazaretten  ist  die  Zahl  der  verwendeten 
Aerzte  nach  der  Zahl  der  Kranken  festgesetzt.  Für  Zuweisung  von 
spezialistisch  ausgebildeten  Aerzten  sorgen  die  stellvertretenden 
Korpsärzte.  v.  S. 


Aus  Feldpostbriefen. 

Einem  Privatbrief  des  Herrn  Geheimrat  Lange  aus  seinem 
Etappenlazarett  entnehmen  wir  folgendes: 

„...  Endlich  ein  Wort  über  das  Verbinden  der  Wunden!  Eine 
gründliche  Desinfektion  der  Hände  ist  bei  dem  Massenandrang  von  Ver¬ 
letzungen  unmöglich.  Gummihandschuhe  sind  nur  spärlich  vorhanden. 
Sehr  bewährt  hat  sich  mir  folgendes  Verfahren:  Während  des  Ver¬ 
bindens  tragen  w:r  e  i  n  Paar  Gummihandschuhe,  um  unsere  Hände 
möglichst  sauber  zu  halten  Der  Verbandwechsel  wird  nur  mit  Schere 
und  Pinzette  vorgenommen,  das  schmutzige  Verbandzeug  wird  nur 
mit  Pinzette,  die  Wunde  nur  wenn  ein  besonderer  Anlass  ist,  mit 
dem  Finger  berührt.  Bei  jedem  Kranken  werden  frisch  ausgekochte 
Pinzetten  benützt  Auf  diese  Weise  lässt  sich  auch  in  den  Kranken¬ 
sälen  ohne  Waschgelegenheit  der  Verbandwechsel  in  einwandfreier 
Weise  vornehmen. 

Tatsächlich  sind  unsere  Wundresultate  ausserordentlich  befriedi¬ 
gend.  Ich  habe  hier  gegen  70  Knochen-  oder  Gelenkschüsse  in  Be¬ 
handlung.  1  Mann  ist  an  Tetanus  gestorben;  1  Mann  musste  wegen 
Tetanus  amputiert  werden  und  ist  jetzt  anscheinend  ausser  Gefahr 
einen  Mann  habe  ich  mit  schwerer  Sepsis  übernommen,  er  wird 
wahrscheinlich  derselben  erliegen;  alle  anderen  sind  fieberfrei  und 
es  besteht  die  beste  Aussicht  auf  Erhaltung  des  Lebens  und  der 
durchschossenen  Glieder.  Glänzend  hat  sich  die  sorgfältige  Fixierung 
der  Knochenschüsse  bewährt.  Temperaturen  von  39 — 40°  gingen 
2 — 3  Tage  nach  Anlegung  der  Schienen  zur  Norm  zurück.  P'e 
Schienen  haben  sich  als  erster  Verband  ausgezeichnet  bewährt. 
Noch  besseres  leisten  die  gefensterten  Gipsverbände,  die  wir  als 
Gehverbände  anlegen,  und  mit  denen  die  Patienten  auch  bei  starker 
Zertrümmerung  der  Knochen  sofort  völlig  schmerzfrei  stehen  können. 


:  September _1914. _ Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift 


1959 


Die  Zahl  der  Operationen  ist  viel  geringer,  als  ich  gedacht  hatte, 
habe  bisher  eine  Amputation,  eine  Unterbindung  der  Axillaris 
eine  Anzahl  Gegenöffnungen  wegen  Verhaltung  etc.  gemacht. 
.  uifalls  spielt  die  Orthopädie  —  d.  h.  das  Anlegen  eines  richtigen 
,  Kindes  bei  den  Schussfrakturen  —  numerisch  eine  viel  wichtigere 
i  i  als  die  Chirurgie  der  Operationen.  Sehr  wichtig  wird  auch  die 
•  jpädische  Nachbehandlung.  Wenn  die  Sanitätsbehörde  auf 
en  Vorschlag  eingeht  und  alle  Gelenkschüsse  nach  München  zur 
:  ibehandlung  in  die  orthopädische  Klinik  überweist,  so  werden 
bei  vielen  Gelenken  eine  Beweglichkeit  erzielen  können,  die 
1 1  sicher  versteifen. 

Wir  haben  viel  Arbeit,  aber  ich  habe  das  Gefühl,  dass  ich  mit 
i  ein  Freunde  I  r  u  in  p  p,  der  mich  treu  unterstützt,  zurzeit  an  der 

.  igen  Stelle  stehe.“ 


Verwundetentransport. 

Am  Bahnsteig  wartet  die  Kolonne  schon. 

Der  Zug  rollt  langsam  in  die  Station. 

Die  Männer  steh’n,  die  Bahren,  Schicht  bei  Schicht, 

Und  jeder  dient  in  Stille  seiner  Pflicht. 

Und  jeder  tut  das  Seine  unverwandt  , 

Mit  starken  Armen  und  mit  weicher  Hand. 

...  Dahinter  wogt  das  liebe  Publikum 

Und  schwatzt  und  renkt  sich  schier  die.  Hälse  krumm. 

Und  immer  neue  Gaffer  strömen  her, 

Als  ob  da  ein  Kamel  mit  Affen  war’. 

Als  böte, sich  ein  Festspektakel  dar. 

So  drängeln  sie  sich  um  die  TraggrscTiar. 

Die  alte  Menschenbestie  wittert  Blut,  •  •  <- 
Will  „etwas  seh’n“  und  „meint  es  ja  so  gut!“ 

.  .  0  seid  mir  doch  mit  eurem  „Mitleid“  still! 

Mitleid  ...  was  taugt’s,  wenn  es  nicht  helfen  will? 

Was  taugt  die  Phrase  der  Barmherzigkeit, 

Wenn  euch  die  Neugier  aus  den  Augen  schreit? 
s  dem  „Simplicissimus“.)  Dr.  O  w  1  g  1  a  s  s. 


Tagesgeschichtliche  Notizen. 

München,  den  14.  September  1914. 

-  Die  sechste  Kriegswoche  brachte  wichtige  Waffen- 
e  im  Osten  wie  im  Westen,  u.  a.  den  Fall  der  französischen 
lg  Maubeuge,  hauptsächlich  aber  diente  sie  der  Vorbereitung 
•:r  Entscheidungen,  die  bei  Lemberg  und  bei  Paris  demnächst 
warten  sind.  Mit  Ruhe  und  Zuversicht  sieht  man  diesen  Er- 
;sen  in  Deutschland  entgegen.  An  der  grossen  Zahl  von  Opfern 
‘  nschenleben,  die  der  Krieg  fordert,  scheint  der  Anteil  der  Aerzte 
erhältnismäsig  grosser  zu  sein.  Das  wird  Zusammenhängen 
er  mangelhaften  Beachtung,  welche  die  Bestimmungen  der 
ir  Konvention  Ln  diesem  Kriege  seitens  unserer  Gegner  finden. 

-  mpörende  Verletzung  völkerrechtlicher  Vereinbarungen  ist  auch 
iihrung  von  Dum-Dum-Geschossen,  die  der  französischen 
iglischen  Armee  jetzt  einwandfrei  nachgewiesen  ist.  Ob  Ver¬ 
engen,  die  auf  diese  Geschosse  mit  Sicherheit  zurückzuführen 
i  beobachtet  wurden,  ist  uns  nicht  bekannt;  jedenfalls  werden 
t!  Feldärzte  darauf  achten.  Eine  in  diesem  Kriege  zum  ersten- 

uftretende,  allerdings  harmlosere  Waffe  sind  die  Wurfpfeile, 

-  sich  die  französischen  Flieger  bedienen  und  über  deren  Wir- 
•  vir  an  anderer  Stelle  dieser  Nummer  die  erste  Mitteilung  brin- 
uebereinstimmend  heben  die  bisherigen  Berichte  den  guten  Zu- 
hervor,  in  dem  die  Verwundeten  in  die  Lazarette  kommen  und 
atten  Heilungsverlauf  der  meisten  Verletzungen.  Der  guten 

'  Versorgung  der  Wunden  mit  dem  deutschen  Verbandpäckchen 
;t  dabei  ein  beträchtliches  Verdienst  zuzukommen.  Nur  der  ■ 
etanus  bei  Granatverletzungen  ist  eine  leider  häufiger  vor- 
;nde  Wundkrankheit.  Angesichts  der  Preissteigerung  der  Ver- 
aterialien  und  der  Knappheit  der  vorhandenen  Baumwollvor- 
erdient  der  Vorschlag  Hocheneggs  (d.  Nr.  S.  1958),  die 
ark  in  Misskredit  gekommene  Scharpie  wieder  zu  verwenden, 

"  unf-  Es  ist  kein  Zweifel,  dass  die  heutige  Desinfektions- 
>.  leicht  in  der  Lage  ist  did  Scharpie  absolut  keimfrei  zu  machen; 

'  her  wäre  sie  wegen  ihrer  Weichheit,  ihrer  Aufsaugefähigkeit 
er  Billigkeit  ein  geradezu  idealer  Verbandstoff.  Die  Hilfstätig- 
|e  das  Los  unserer  Verwundeten  und  der  Hinterbliebenen 
r  Gefallenen  erträglicher  zu  gestalten  bestimmt  ist,  wird  im 
Reiche  mit  unverminderter  Energie  fortgesetzt.  Dazu  tritt 
>ch  der  Aufruf,  auch  zur  Stärkung  unserer  finanziellen  Kriegs- 
:  nach  Kräften  beizutragen.  Auch  dieser  Aufruf  wird  bei  den 
'■n  n*cht  ungehört  verhallen.  Wir  sind  kein  reicher  Stand, 
Oi  wird  fast  .jeder  von  uns  in  der  Lage  und  gewillt  sein,  mit 
en  oder  kleineren  Summen  sich  an  der  Kriegsanleihe  zu  bc- 
O  um  das  Reich  in  die  Lage  zu  versetzen,  den  Krieg  zum  glück¬ 
ende  zu  führen.  Auch  hier  soll  es  heissen:  der  ärztliche  Stand 
1  oran  an  Gemeinsinn  und  Opferfreudigkeit. 


Zur  Widerlegung  von  Gerüchten,  dass  die  Fabriken  chemisch¬ 
pharmazeutischer  Erzeugnisse  bedeutende  Preisaufschläge  ihrer  Pro¬ 
dukte  hatten  eintreten  lassen,  lässt  der  Verband  der  Fabriken 
von  Markenartikel  n  durch  seinen  Syndikus  Justizrat  Dr.  G  a  - 
b  r  i  e  |  erklären,  dass  eine  Erhöhung  der  Verkaufspreise  tiir  fabrik- 
massig  hergestellte  Zubereitungen  in  Originalpackung  nicht  vorge¬ 
nommen  wurde  Nur  drei  Firmen  hätten  die  Verkaufspreise  für 
einzelne  Artikel  wegen  ganz  enormer  Steigerung  der  Preise  der 
Rohmaterialien  erhöht. 

.  Die  Verteilung  der  Nobelpreise  wird  auch  in  diesem 

•lahre,  trotz  des  Krieges,  wie  gewöhnlich  stattfinden.  Nur  die  Aus¬ 
zahlung  der  Geldbeträge  wird  erst  im  Sommer  1915  erfolgen. 

—  Das  Bestehen  eines  Morphiummangels,  der  die  preuss 
Regiei  ung  veranlasst  hat,  die  Aerzte  zur  grössten  Zurückhaltung  bei 
der  Verordnung  von  Morphium  zu  ermahnen  (S.  1864),  wird  von  der 
Firma  L.  Me  r  c  k,  Darmstadt,  die  wohl  die  grösste  Morphiumprodu- 
zentin  in  Deutschland  ist,  bestritten.  Die  Firma  schreibt  in  der 
I  harm.  Ztg.  Nr.  69:  „Die  deutsche  Industrie  ist  in  der  Lage,  einen 
\\  eitgehenden  Bedarf  an  Morphium  und  Kokain  sowie  an  allen  anderen 
wichtigen  Arzneistoffen  zu  decken.  Es  bedarf  auch  nicht  der  Zufuhr 
durch  das  Ausland,  weil  etwa  unerhörte  Preissteigerungen  den  Bezug 
im  Inland  unmöglich  machten.  Die  in  Betracht  kommenden  Fabriken 
haben  keine  Preissteigerungen  eintreten  lassen,  die  nicht  nach  Lage 
der  Verhältnisse,  d.  h.  durch  Verteuerung  der  Rohstoffe  geboten  und 

als  normal  zu  bezeichnen  sind . Es  mögen  im  Zwischenhandel 

hier  und  da  Preissteigerungen  über  die  Norm  vorgekommen  sein;  viel- 
fach  werden  sie  ihre  Begründung  darin  gehabt  haben,  dass  vom 
Kleinhandel  eine  für  die  jetzige  Zeit  zu  weitgehende  Kreditgewährung 
in  Anspruch  genommen  worden  ist.  Es  darf  wohl  die  bestimmte 
Hoffnung  ausgesprochen  werden,  dass  die  Behörden  in  Reich  und 
Bundesstaaten  die  jetzt  so  schwer  belastete  Grossindustrie,  die  wahr- 
lich  auch  in  der  freiwilligen  Unterstützung  der  öffentlichen  und  pri¬ 
vaten  Hilfseinrichtungen  nicht  zurückgeblieben  ist,  mit  ihren  Mass- 
nahmen  fördern  und  nicht  schädigen,  wie  es  durch  das  geplante  Vor- 
gehen  des  preussischen  Ministeriums  (Morphium  aus  dem  Auslände 
zu  beziehen)  der  Fall  sein  würde.“ 

,  ..  T~  In,  Anlehnung  an  das  Deutsche  Zentralkomitee  zur  Be¬ 
kämpfung  der  Tuberkulose  hat  sich  bei  der  Zentralstelle  des 
Roten  Kreuzes' für  Kriegswohlfahrtspflege  ein  be¬ 
sonderer  Tuberkuloseausschuss  gebildet,  der  es  sich 
angelegen  sein  lässt,  nach  jeder  Richtung  hin  für  die  Aufrechterhai- 
tung  der  Tuberkulosefürsorge  während  der  Kriegszeit  zu  sorgen. 
Zunächst  hat  dieser  Ausschuss,  um  die  in  den  Heilstätten  und  Für¬ 
sorgestellen  durch  Abgaben  von  Personal  für  die  Kranken-  und  Ver¬ 
wundetenpflege  des  Heeres  entstandenen  Lücken  auszufüllen,  einen 
Nachweis  für  Aerzte,  Schwestern  und  sonstiges 
Pflegepersonal,  die  bereit  sind,  an  solchen  Stellen 
zu  arbeiten,  errichtet.  Anmeldungen  für  derartige  Stellen  sind 
an  die  Zentralstelle  für  Kriegswohlfahrtspflege, 

1  uberkuloseausschuss,  Berlin  NW.  7,  Reichstagsgebäude 
Portal  V  zu  richten. 

—  Der  Medizinalabteilung  des  Kgl.  Kriegsministeriums  wurden 
zur  Unterstützung  des  grossen  Liebeswerkes  von  der  chemisch-phar¬ 
mazeutischen  Fabrik  Kn  oll  &  Co.,  Ludwigshafen  ä/Rh„  grössere 
Mengen  des  bekannten  Beruhigungs-  und  Schlafmittels  Bromural 
im  Werte  von  über  20  000  M.  zur  Verwendung  im  Felde  und  zur  Be¬ 
handlung  und  Pflege  der  verwundeten  Krieger  als  Spende  zur  Ver¬ 
fügung  gestellt.  Mit  Zustimmung  des  Kriegsministeriums  und  nach 
Weisungen  des  kaiserlichen  Kommissars  für  die  freiwillige  Kranken¬ 
pflege  erfolgte  die  Verteilung  an  die  einzelnen  Plätze. 

—  Wir  werden  aus  Pest  um  die  Veröffentlichung  der  folgenden 
Zeilen  ersucht: 

Unter  dem  Protektorate  des  kaiserlich  deutschen  Generalkonsuls 
Grafen  Fürstenberg-Stammheim  hat  sich  ein  Komitee  ge¬ 
bildet  zur  Unterstützung  der  Familien  derjenigen 
Reichsdeutschen,  die  in  Ungarn  leben  und  die  zur  Ver¬ 
teidigung  des  Vaterlandes  einger  tickt  sind.  Die  gesamte 
ungarische  Kultur,  insbesondere  aber  die  ungarische  medizinische 
Wissenschaft  ist  der  mächtigen,  blühenden  deutschen  Wissenschaft 
vielen  Dank  schuldig.  Von  Jahr  zu  Jahr  schicken  wir  unsere  Söhne 
unsere  Schüler  nach  Deutschland,  um  ihren  Gesichtskreis  zu  er¬ 
weitern  und  aus  der  unerschöpflichen  Quelle  deutscher  Wissenschaft 
zu  schöpfen. 

Wir  glauben  unsere  Pflicht  zu  tun,  wenn  wir  dem  Aufrufe  des 
Komitees  folgend,  die  Sammlung  eröffnen  und  unsere  Landsleute,  in 
erster  Linie  unsere  Kollegen,  bitten,  unserem  Beispiele  zu  folgen. 

Gott  segne  unser  Bündnis,  welches  nun  mit  blutiger  Waffen¬ 
brüderschaft  befestigt,  für  ewig  befestigt  ist. 

Prof.  Baron  Koloman  Müller,  Prof.  Leo  v.  Liebermann,  Pro.f. 

Baron  Alexander  v.  Koran  yr  Prof.  Emil  v.  Grosz. 

Folgt  Verzeichnis  der  bisher  eingegangenen  beträchtlichen 
Spenden. 

—  Im  Kgl.  preuss.  Sanitätskorps  wurden  für  die  Dauer  des  mo¬ 
bilen  Verhältnisses  angestellt:  der  Geh.  Medizinalrat  Prof.  Dr.  Fried¬ 
rich  Kraus,  Direktor  der  zweiten  medizinischen  Klinik  der  Charitee 
in  Berlin,  als  Generalarzt;  Geheimer  Rat  Prof.  Dr.  Ludolf  v.  K  r  e  h  I. 
Direktor  der  medizinischen  Klinik  in  Heidelberg  und  Geh.  Medizinal¬ 
rat  Prof.  Dr.  Wilhelm  H  i  s,  Direktor  der  ersten  medizinischen  Klinik 
der  Charitee  in  Berlin,  als  Generaloberärzte.  Der  Oberstabsarzt  der 
Reserve  Prof.  Dr.  Erich  Hoffmann,  Direktor  der  Klinik  und  Poli- 


1960 


Feldärztliche  Beilage  zur  Miinch.  med.  Wochenschrift. 


Nr. 


klinik  für  Hautkrankheiten  in  Bonn  wurde  zum  Generaloberarzt  be¬ 
fördert.  (hk.) 

—  Das  Verbot  der  Ausfuhr  und  Durchfuhr  von  Ver¬ 
band-  und  Arzneimitteln  und  von  ärztlichen  Instrumenten 
und  Geräten  (s.  S.  1767)  hat  durch  eine  neue  Bekanntmachung  im 
Reichsanzeiger  eine  bedeutende  Erweiterung  erfahren.  Es  fallen 
jetzt  unter  das  Verbot:  Aloe,  Arekolin,  auch  bromwasserstoffsaures, 
Chinarinde,  Chinin,  auch  salzsaures  und  schwefelsaures,  Chloroform. 
Formaldehydlösungen,  Paraformaldehyd,  Galläpfel,  Gerbsäure,  Tan¬ 
nin,  ipecacuanhawurzel,  auch  emetinfreie,  Jod,  rohes  Jod,  Jodkalium 
und  Jodnatrium,  Jodoform,  Karbolsäure,  reine,  Phenol,  Kodein,  auch 
phosphorsaures,  Koffein,  Kresolseifenlösungen,  Lysol,  Mastix  und 
Mastixpräparate  wie  Mastisol,  Morphin,  auch  salzsaures  und  schwe¬ 
felsaures,  Opium  und  Opiumzubereitungen,  wie  Opiumpulver,  Opium¬ 
tinkturen,  Opiumextrakt,  Pantopon,  Quecksilber  und  Quecksilber¬ 
salze,  auch  in  Zubereitungen,  wie  Salben,  Sublimatpastillen, 
Salvarsan,  Neosalvarsan,  Simarubarinde,  Weinsäure,  Weinstein¬ 
säure,  Wollfett,  Lanolin,  Zitronensäure,  Verbandwatte,  Verband¬ 
gaze  und  andere  Verbandmittel,  Gummi  für  Gummischläuche,  Drai¬ 
nagen,  üummibinden  u.  ä.,  chirurgische  und  andere  ärztliche  Instru¬ 
mente  und  Geräte,  ausgenommen  geburtshilfliche  und  zahnärztliche, 
bakteriologische  Geräte,  Material  für  bakteriologische  Nährböden, 
wie  Agar,  Pepton,  Lackmusfarbstoff,  Schutzimpfstoffe  und  Immun¬ 
sera,  wie  Schutzsera,  Heilsera,  diagnostische  Sera,  Versuchstiere. 

—  Wegen  des  Krieges  fallen  die  im  Oktober  von  der  Berliner 
Dozentenvereinigung  für  ärztliche  Ferienkurse  geplanten  Herbst¬ 
kurse  aus. 

—  Cholera.  Russland.  Zufolge  Mitteilung  vom  30.  August 
ist  in  Warschau  die  Cholera  ausgebrochen. 

—  Pest.  Türkei.  In  Haiffa  wurde  am  29.  August  ein  tödlicher 
Pestfall  festgestellt.  —  Aegypten.  Vom  1.  bis  7.  August  erkrankten 
(und  starben)  6  (1)  Personen,  davon  3  (— )  in  Alexandrien  und  3  (1) 
in  Kafr  Ebri.  —  Cuba.  In  Santiago  vom  30.  Juni  bis  3.  August  7  Er¬ 
krankungen  und  1  Todesfall,  in  der  Umgegend  von  El  Caney  am 
4.  August  2  Erkrankungen. 

—  ln  der  34.  Jahreswoche,  vom  23.  bis  29.  August  1914,  hatten 
von  deutschen  Städten  über  40  000  Einwohner  die  grösste  Sterblich¬ 
keit  Metz  mit  36,2,  die  geringste  Berlin-Friedenau  mit  5,5  Todes¬ 
fällen  pro  Jahr  und  1000  Einwohner.  Mehr  als  ein  Zehntel  aller  Ge¬ 
storbenen  starb  an  Scharlach  in  Brandenburg,  an  Masern  und  Röteln 
in  Kolmar.  Vöff.  Kais.  Ges.A. 

(Hochschulnachrichten.) 

Berlin.  Der  Geh.  Medizinalrat  Dr.  Friedrich  Busch,  a.  o. 
Professor  der  Zahnheilkunde  an  der  Berliner  Universität,  beging  am 
9.  September  seinen  70.  Geburtstag,  (hk.) 

Bonn.  Dem  Privatdozenten  für  Psychiatrie  und  Mitgliede  des 
Medizinalkollegiums  der  Rheinprovinz  Prof.  Dr.  Robert  T  h  o  m  s  e  n 
ist  der  Charakter  als  Medizinalrat  verliehen  worden,  (hk.) 

Erlangen.  Als  Nachfolger  von  Prof.  H.  Merkel  ist  der 
Privatdozent  an  der  Universität  Königsberg  Dr.  Martin  Nippe  vom 
1.  Oktober  d.  J.  ab  zum  etatsmässigen  ausserordentlichen  Professor 
für  gerichtliche  Medizin  an  der  Universität  Erlangen  ernannt  wor¬ 
den.  (hk.) 

Halle  a.  S.  Als  Nachfolger  von  Prof.  Eugen  v.  Hippel  auf 
dem  Lehrstuhl  der  Augenheilkunde  ist  der  ordentliche  Professor 
Dr.  Franz  S  c  h  i  e  c  k  -  Königsberg  i.  Pr.  in  Aussicht  genommen,  (hk.) 

Leipzig.  Geheimrat  Prof.  Dr.  Hubert  Sattler  feierte  am 
9.  September  seinen  70.  Geburtstag,  (hk.) 

Lemberg.  Der  Privatdozent  Dr.  Ladislaus  Mazurkie- 
w  i  c  z  wurde  zum  a.  o.  Professor  der  Pharmakologie  ernannt. 

Prag.  Der  mit  dem  Titel  eines  a.  o.  Universitätsprofessors 
bekleidete  Privatdozent  Dr.  Vladislaw  Mladejovsky  wurde  zum 
a.  o.  Professor  für  Balneologie  und  Klimatologie  an  der  czechischen 
Universität  ernannt. 


Ehrentafel. 

Fürs  Vaterland  starben: 

Dr.  G  u  t  b  i  e  r,  Oberarzt  d.  Res.  im  Sächs.  Inf.-Reg.  Nr.  103. 

Ernst  Hellmuth,  Einj.-Freiw.  9.  b.  Inf.R.,  st.  med.,  20.  Aug. 

Dr.  Walther  Kern,  prakt.  Arzt  und  Bahnarzt  in  Windsbach, 
Oberarzt  d.  Res.,  am  5.  September. 

Dr.  Julius  Kramer,  Ass.-Arzt  d.  Univers.-Augenklinik  Berlin, 
am  26.  August. 

Dr.  Eduard  Müller,  Stabsarzt  im  Kgl.  bayer.  13.  Inf.-Reg., 
am  25.  August. 

Dr.  Martin  Neumeister,  Feldunterarzt  im  Untereis.  Inf.- 
Reg.,  am  20.  August. 

Dr.  Oluf  R  i  i  s,  Oberarzt  d.  Res.,  Arzt  i.  Tingleff  i.  Schleswig- 
Holstein. 

Dr.  Oskar  Schmitt,  Oberstabsarzt,  Germersheim,  am  5.  Sep¬ 
tember. 

Dr.  Max  S  t  a  m  e  r,  Ulanenregiment  19,  Arzt  in  Neresheim. 

Dr.  T'h  eien,  Marinestabsarzt,  mit  dem  Kreuzer  Magdeburg. 

Dr.  Otto  Wieck,  Oberarzt  d.  Res.,  Arzt  in  Berlin,  am 
25.  August. 

Arnold  Z  e  n  e  1 1  i,  c.  med.,  Vizewachtmeister,  München,  31.  Aug. 


Verlag  von  J.  F.  Lehmann  in  München  S.W.  2,  Paul  Heysestr.  26  — 


(T  o  d  e  s  f  a  1 1.) 

ln  Utrecht  ist  der  ordentliche  Professor  und  Direktor 
psychiatrisch-neurologischen  Klinik  der  dortigen  Reichsuniven 
Dr.  Karl  He  i  1  b  r  o  n  n  e  r,  im  44.  Lebensjahre  infolge  eines  H 
Schlages  gestorben.  Prof.  Heilbronner  war  ein  geborener  N 
berger,  Schüler  von  Prof.  W  e  r  n  i  c  k  e  an  der  psychiatriv 
Klinik  zu  Breslau,  (hk.) 


Amtliches. 

(Bayern.) 

Nr.  5285c  27.  München,  29.  August  19’ 

Kgl.  Staatsministerium  des  Innern. 

An  die  Bayerischen  Aerztekammern. 
Betreff:  Versorgung  mit  Arzneimitteln. 

Infolge  des  Darniederliegens  der  Einfuhr  müssen  die  Apothi 
ihren  Bedarf  an  Opium  und  seinen  Alkaloiden,  besonders  an  ! 
phium,  aus  den  Vorräten  des  Inlandes  decken.  Der  Preis  des 
phiurns  hat  durch  die  plötzliche  Steigerung  der  Nachfrage 
wesentliche  Erhöhung  erfahren.  Es  ist  daher  notwendig,  die  Vo: 
an  diesen  Arzneimitteln  tunlichst  zu  schonen. 

Die  Aerztekammern  werden  deshalb  ersucht,  auf  die  At 
dahin  einzuwirken,  dass  sie  Opium  und  dessen  Alkaloide,  beson 
Morphium,  nur  bei  unbedingter  Notwendigkeit  verschreiben,  un 
geeigneten  Fällen  Ersatzmittel  anwenden.  I.  A.:  Hei 


Bekanntmachungen. 

Zeichnet  die  Kriegsanleihen! 

Wir  stehen  allein  gegen  eine  Welt  in  Waffen.  Vom  neuti 
Ausland  ist  nennenswerte  finanzielle  Hilfe  nicht  zu  erwarten,  aucl 
die  Geldbeschaffung  sind  wir  auf  die  eigene  Kraft  angewiesen.  1 
Kraft  ist  vorhanden  und  wird  sich  betätigen,  wie  draussen  vor 
Feinde,  so  in  den  Grenzen  des  deutschen  Vaterlandes  jetzt,  w 
gilt,  ihm  die  Mittel  zu  schaffen,  deren  es  für  den  Kampf  um  s 
Existenz  und  seine  Weltgeltung  bedarf. 

Die  Siege,  die  unser  herrliches  Heer  schon  jetzt  in  West 
Ost  errungen,  berechtigen  zu  der  Hoffnung,  dass  auch  diesmal 
einst  nach  1870  71  die  Kosten  und  Lasten  des  Krieges  schlies 
auf  diejenigen  fallen  werden,  die  des  Deutschen  Reiches  Fri 
gestört  haben. 

Vorerst  aber  müssen  wir  uns  selbst  helfen. 

Grosses  steht  auf  dem  Spiele.  Noch  erwartet  der  Feind 
unserer  vermeintlichen  finanziellen  Schwäche  sein  Heil.  Der  E 
der  Anleihe  muss  diese  Hoffnung  zerstören. 

Deutsche  Kapitalisten!  Zeigt,  dass  Ihr  vom  gleichen  ü 
beseelt  seid  wie  unsere  Helden,  die  in  der  Schlacht  ihr  Her, 
verspritzen!  Deutsche  Sparer!  Zeigt,  dass  Ihr  nicht  nur  für  1 
sondern  auch  für  das  Vaterland  gespart  habt!  Deutsche  Kon 
tionen,  Anstalten,  Sparkassen,  Institute,  Gesellschaften,  die  Ihr  t 
dem  mächtigen  Schutze  des  Reiches  erblüht  und  gewachsen 
Erstattet  dem  Reiche  Euern  Dank  in  dieser  schicksalsschw 
Stunde!  Deutsche  Banken  und  Bankiers!  Zeigt,  was  Eure  glänz 
Organisation,  Euer  Einfluss  auf  die  Kundschaft  zu  leisten  veri 

Nicht  einmal  ein  Opfer  ist  es,  was  von  Euch  verlangt  v 
Man  bietet  Euch  zu  billigem  Kurse  Wertpapiere  von  hervorrage 
Sicherheit  mit  ausgezeichneter  Verzinsung! 

Sage  Keiner,  dass  ihm  die  flüssigen  Mittel  fehlen!  Durcl 
Kriegsdarlehenskassen  ist  im  weitesten  Umfang  dafür  gesorgt, 
die  nötigen  Gelder  flüssig  gemacht  werden  können.  Eine  vori 
gehende  kleine  Zinseinbusse  bei  der  Flüssigmachung  muss  1 
jeder  vaterländisch  gesinnte  Deutsche  ohne  Zaudern  auf  sich  neh 
Die  deutschen  Sparkassen  werden  den  Einlegern  gegenüber,  die 
Sparguthaben  für  diesen  Zweck  verwenden  wollen,  nach  Möglic 
in  weitherziger  Weise  auf  die  Einhaltung  der  Kündigungsfristen 
zichten. 

Näheres  über  die  Anleihen  ergibt  die  Bekanntmachung  un: 
Reichsbankdirektoriums,  die  heute  an  anderer  Stelle  dieses  Bl 
erscheint. 


Deutsche  Aerzte! 

Verschreibt  nur  deutsche  Präparate  und  Spezialitäte 


Die  „Feldärztliche  Beilage“  ist  bestimmt,  allen  im  Felde  st» 
den  oder  in  Militärlazaretten  beschäftigten  Aerzten  der  deuts 
und  österreichischen  Armee  und  Flotte  unentgeltlich  geliefert  zu 
den.  Herren,  welche  sie  nicht  erhalten,  werden  um  Angabe 
Adresse  ersucht.  . . 

Beiträge  für  die  „Feldärztliche  Beilage“  werden  nach  erm 
Sätzen  honoriert 

Selbstverständlich  wird  unseren  im  Feld  stehenden  Abonni 
auch  die  Wochenschrift  selbst  an  jede  uns  angegebene  Adresse  i 
geliefert.  J.  F  Lehmanns  V er IJ 

Druck  von  E.  Mühlthaler’s  Buch-  und  Kunstdruckerei  A.Q.,  München. 


Dif  Münchener  Medtxm*%chr  Woehentcbnft  erscheint  wöchentlich 


Zosendnngen  ifnd  zu  *drefs«ercnr 
Pürdie  Redaktion  Amulfstr.26.  Bürozeit  der  Redaktion  SV«  — i  (Jhr. 
Pflr  Abonnement  an  J.  P.  Lehmann*?  Verlag,  Paul  Mevsestra^e  2V 
Für  Inserate  und  Beilagen  an  Rudolf  Mössc,  riieatinerstrasse  i 


im  Umfang  von  durchschnittlich  7  Bogen.  •  Preis  der  einzelnen  %  Jf  VV  w  y  m  „ 

MÜNCHENER 

Medizinische  Wochenschrift. 

ORGAN  FÜR  AMTLICHE  UND  PRAKTISCHE  ÄRZTE. 


Nr.  38.  22.  September  1914. 


Originalien. 

Aus  der  Universitäts-Frauenklinik  zu  Strassburg. 

Resorptionsfieber  oder  Retentionsfieber*). 

Von  Privatdozent  Dr.  A.  Ham  m. 

Wenn  uns  Gynäkologen  manchmal  vorgehalten  wird,  dass 
wir  mit  unseren  Patientinnen  das  Schicksal  der  Unterwerfung 
unter  die  Mode  teilen,  so  gilt  dies  sicher  nicht  für  die  Ge¬ 
schichte  unserer  Lehre  vom  Kindbettfieber. 

Es  ist  merkwürdig  zu  sehen,  mit  welcher  Zähigkeit  auf 
diesem  Gebiete  an  dem  einmal  aufgestellten  Dogma  fest- 
gehalten  wird,  es  ist  geradezu  erstaunlich  zu  beobachten,  wie 
oft  neue  Entdeckungen  den  alten  Vorstellungen  angepasst 
\\  erden  sollen,  bloss  damit  das  so  bequeme  und  Heb  gewordene 
Schema  aufrecht  gehalten  werden  kann. 

Aehnlich  wie  Bondy  [l]  bereits  in  klarer  Weise  gezeigt 
lat.  dass  es  sich  bei  dem  alten  Streit  um  die  Möglichkeit  der 
.Selbstinfektion“,  grosse-nteils  vielmehr  um  einen  Streit  um 
Worte  als  um  Tatsachen  handelte,  scheint  auch  die  Lehre  von 
ier  puerperalen  Wundintoxikation,  vom  Resorptionsfieber,  in 
.'inen  Streit  um  Worte  auszuarten. 

Ich  glaubte  zwar  in  meiner  Monographie  „über  die  puer- 
)erale  Wundinfektion“  [2]  den  einwandfreien  Nachweis  dafür 
erbracht  zu  haben,  dass  wenn  die  Voraussetzung,  auf  der  die 
canze  Spiegel  berg-Duncan  sehe  Saprämielehre  auf- 
cebaut  war,  nämlich  das  Unvermögen  der  diese  Intoxikations- 
ustände  hervorrufenden  Keime,  ins  lebende  Gewebe  und  ins 
|lut  einzudringen  sowie  Metastasen  zu  bilden,  wenn  diese 
rämisse  als  fehlerhaft  und  unhaltbar  erwiesen  sei,  damit  auch 
!as  bisherige  Dogma  der  „putriden  Intoxikation“  in  sich  selbst 
usammenstürzen  müsse;  aber  durch  einige  seither  erschienene 
^blikationen  sehe  ich  mich  doch  veranlasst,  meinen  damals 
ertretenen  Standpunkt  nochmals  zu  präzisieren  und  aufGrund 
er  inzwischen  gemachten  experimentellen  Erfahrungen  über 
Vundinfektion  zu  rechtfertigen. 

W  enn  wir  als  wesentlich  für  den  Begriff  der  „Infektion“ 
egeniiber  dem  der  „Intoxikation“  daran  festhalten,  dass  bei 
er  In  f  e  k  t  i  0  n  die  Keime  ins  lebende  Gewebe  und  eventuell 
is  Blut  Vordringen,  während  die  reine  Wund  intoxikation 
adureh  zustande  kommen  soll,  dass  auf  der  Wundoberfläche, 
in  Wundsekret  sowie  im  abgestorbenen  Gewebsmaterial 
Mikroorganismen  wuchern,  denen  jegliches  Penetrationsver- 
lögen  abgeht,  die  aber  dadurch  giftig  wirken,  dass  ihre  Stoff- 
echselprodukte,  vielleicht  auch  die  durch  sie  erzeugten  Zer- 
dlsprodukte  der  abgestorbenen  Gewebszellen  trotz 
r  e  i  e  n  Abflusses  des  eitrig  jauchigen  Materials  und  trotz 
-•stehender  reaktiver  Entzündung  an  der  Uebergangszone  ins 
1  ende  Gewebe  hineindiffundieren,  so  lässt  sich  die  Frage, 

)  wir  eine  als  _r  eine  W  u  n  d  i  n  1 0  x  i  k  a  t  i  o  n,  als  puer- 
erales  „Resorptionsfieber“  im  bisherigen  Sinn  aufzufassende 
rkrankungsform  auch  heute  noch  anerkennen  können,  auf 
^derlei  Weise  beantworten,  nämlich  erstens  durch  die 

linisch-bakteriologische  Beobachtung,  die 
is  Aufschluss  darüber  verschafft,  ob  cs  tatsächlich  derartige 
ikroorganismen,  sog.  „Saprophyten“  gibt,  die  befähigt  sind, 

;n  menschlichen  Organismus  unter  natürlichen  Verhältnissen 
ank  zu  machen,  ohne  dabei  aber  auch  die  Fähigkeit  zu  he¬ 
tzen.  gegebenenfalls  ins  lebende  Gewebe  selbst  vorzudringen 
Kl  dort  weiterzuwachsen  —  zweitens  lässt  sich  jene  Frage 

)  Nach  einem  in  der  mittelrheinischen  Gesellschaft  fiir  Gynäko- 
L,le  zu  rrankfurt  a.  M.  am  3.  Mai  1914  gehaltenen  Vortrag. 

Nr.  38. 


beleuchten  durch  die  experimentell-biologische 
r  o  i  s  c  h  u  n  g,  vermöge  deren  wir  zur  näheren  Kenntnis  jener 
Bakteriengifte  gelangen,  von  denen  der  Kliniker  so  viel  spricht, 
c.ie  aber  experimentell  bisher  überhaupt  kaum  nachweisbar 
und  somit  ihrer  Natur  nach  nur  ungenügend'  bekannt  waren. 

Betreffs  der  ersten  Frage  glaube  ich  mich  kurz  fassen  zu 
können;  denn  durch  die  zahlreichen  Arbeiten  der  letzten  Jahre 
von  Jeannin,  S  c  h  o  1 1  m  ü  1 1  e  r,  Bondy,  Römer, 
Sachs,  mir  und  vielen  anderen  dürfte  der  endgültige  Be- 
weis  dafür  erbiacht  sein,  dass  all  die  Keime,  die  man  früher 
als  Ei  i  eger  der  „putriden  Intoxikation“  angesprochen 
natte,  gelegentlich  auch  im  Blut  sowie  in  nietastatischen  Ab- 
szessen  nachweisbar  sind;  sie  vermögen  also  nicht  bloss  auf 
totem  Nährmaterial  weiterzuwachsen,  sondern  unter  ge¬ 
eigneten  Umständen  gelangen  sie  auch  im  lebenden  Gewebe 
zu  so  üppiger  Entwickelung,  dass  sie  sich  dem  Organismus 
gegenüber  wie  echte  Parasiten  verhalten.  Da  aber  nach  d  e 
Barys  grundlegender  Nomenklatur  die  „Saprophyten“  da¬ 
durch  charakterisiert  sind,  dass  ihnen  die  Fähigkeit  der  Ver¬ 
mein  ung  im  lebenden  Organismus  abgeht,  ist  es  heutzutage 
nicht  mehr  angängig,  dieser  ganzen  Gruppe  von  Keimen,  meist 

Anaerobiern,  die  man  früher  —  bei  ungenügender  Methodik _ 

bloss  im  toten  Gewebsmaterial  nachweisen  konnte,  als  „Sapro¬ 
phyten"  eine  besondere,  prinzipiell  verschiedene  Stellung  im 
System  der  Wundinfektionserreger  zuweisen  zu  wollen.  Wir 
haben  vielmehr  bei  jeder  Wundinfektion,  auch  der  puerperalen, 
bloss  mit  einer  Kategorie  von  Keimen  zu  rechnen,  nämlich 
den  „pathogenen  Mikroorganisme  n“,  die,  wie 
gleich  noch  zu  erörtern  sein  wird,  allein  praktisch  als  krank- 
heitsauslösende  Keime  in  Betracht  kommen.  Damit  soll  die 
verschiedene  Bedeutung  der  einzelnen  Keimarten  für  die 
Pathogenese  der  Wundinfektion  selbstverständlich  in  keiner 
Weise  bestritten  werden,  bloss  dürfen  wir  nicht,  wie  das  bis¬ 
her  vielfach  üblich  war,  in  den  Fällen,  wo  es  beim  Nachweis 
von  pathogenen  Mikroorganismen  auf  einer  puerperalen 
Wunde  nicht  zur  manifesten  Infektion  dieser  Wunde  kommt, 
kurzweg  diese  Keime  zu  „Saprophyten“  stempeln  oder  gar  sie 
als  „obligate  Saprophyten“  hinstellen,  wir  müssen  uns  viel¬ 
mehr  immer  vergegenwärtigen,  dass  das  Zustandekommen  der 
Infektion  abhängig  ist  einmal  von  der  jeweiligen  Virulenz  des 
betreffenden  Bakterienstammes  und  ferner  von  der  lokalen 
und  allgemeinen  Disposition  des  befallenen  Individuums.  Fin 
klassisches  Beispiel  hierfür  hat  Walthard  [3]  seinerzeit  in 
'seinen  Beobachtungen  über  die  bakteriotoxische  Endometritis 
angeführt  (cf.  seine  Beobachtung  I:  Bei  einer  42  jährigen  Frau, 
die  vor  19  Jahren  geboren  hatte  und  damals  ein  fieberhaftes 
Wochenbett  durchgemacht  haben  soll,  wird  wegen  fixierter 
Retroflexio  mit  heftigen  dysmenorrhoischen  Beschwerden 
operiert.  Abdominale  Totalexstirpation  des  Uterus.  Am 
5.  Tage  post  operat.  Exitus  an  Peritonitis.  Im  Uteruskavum 
wie  im  Peritonealeiter  die  gleichen  Keime:  Streptococcus 
pyogenes  +,  Bacterium  coli  +,  ein  dem  Bacillus  oedematis 
maligni  ähnliches  Stäbchen.) 

Das  waren  nach  unserer  heutigen  Nomenklatur  keine  in¬ 
fektiös  gewordenen  „Saprophyten“,  die  seit  19  Jahren  in 
jenem  Uterus  ihr  Leben  gefristet  hatten,  sondern  echt  patho¬ 
gene  Keime,  die  bei  der  durch  die  Operation  geschaffenen 
Gewebsdispositiön  so  schnell  virulent  wurden,  dass  innerhalb 
5  Tagen  die  Frau  der  Infektion  erlag. 

Da  wir  heute  wissen,  dass  derartige  Keime  in  der  Vagina 
von  etwa  zwei  Drittel  der  Schwangeren  und  Kreissenden  und 
noch  etwas  häufiger  in  den  Scheiden-  und  Uteruslochien  vor- 

1 


1962 


f  MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  38. 


handelt  sind,  dürfen  wir  uns  eigentlich  nicht  mehr  darüber 
wundern,  worauf  W  a  1 1  h  a  r  d  mit  Recht  bereits  vor  über 
10  Jahren  hingewiesen  hat.  dass  trotz  aller  modernen  Asepsis 
und  Antisepsis  selbst  in  den  best  geleiteten  üebäranstalten 
die  Wochenbettsmortalität  immer  noch  10  bis  20  Proz.  be¬ 
trägt;  denn  wenn  das  Zusammentreffen  von  pathogenen 
Mikroorganismen  mit  den  Qeburtswunden  allein  schon  ge¬ 
nügte,  um  eine  Infektion  zu  setzen,  so  müssten  wir  folgerichtig 
bei  mindestens  75  Proz.  unserer  Wöchnerinnen  einen  fieber¬ 
haften  Wochenbettsverlauf  erwarten.  —  Die  Kürze  der  mir 
zu  Gebote  stehenden  Zeit  verbietet  mir  natürlich,  hier  noch 
näher  einzugehen  auf  die  mancherlei  Gründe,  die  zum  Aus¬ 
bleiben  der  Infektion  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  beitragen; 
das  Wesentliche  war  mir  zu  zeigen,  dass  die  mangelnde 
Virulenz  der  Keime  hierfür  nicht  als  einzige  Ursache  an¬ 
geführt  werden  darf,  besonders  aber  nochmals  zu  betonen, 
dass  wir  mit  dem  Begriff  des  „Saprophytismus“  der  Scheiden¬ 
keime  endgültig  aufräumen  müssen. 

Was  lehrt  nun  das  Tierexperiment  über  die  Wir¬ 
kung  der  Bakteriengifte,  was  sagt  die  biologische  For¬ 
schung  zu  der  vom  Kliniker  aufgestellten  Vermutung,  dass 
es  Bakterien  gibt,  sogen.  „Saprophyten“,  die  durch  ihr 
blosses  Wuchern  in  offenen  Körperhöhlen  oder  auf  granu¬ 
lierenden  Wundflächen  eine  Erkrankung  des  Organismus  ver¬ 
mittelst  der  von  ihnen  gebildeten  Gifte  herbeiführen? 

Es  dürfte  zur  Genüge  bekannt  sein,  dass  die  frühere 
strenge  Scheidung  der  Bakterien  in  echte  Toxinbildner,  die 
bloss  durch  ihre  Toxine  pathogen  wirken  (Bacillus  botulinus, 
Diphtherie-  und  Tetanusbazillen)  und  in  die  „Endotoxin- 
bildner“  heute  fallen  gelassen  ist,  und  dass  auch  für  die  Di¬ 
phtherie  neuerdings  durch  Beyer1)  der  einwandfreie  Beweis 
erbracht  werden  konnte,  dass  sie  „so  gut  wie  jede  andere 
Infektionskrankheit“  mit  einer  Bakteriämie  einhergeht. 

Andererseits  haben  die  durch  Friedberger  und  seine 
Mitarbeiter  inaugurierten  Forschungen  über  das  Bakterien- 
anaphylatoxin  ergeben,  dass  nicht  bloss  die  Parasiten, 
sondern  auch  die  echten  Saprophyten  beim  Kontakt  mit  kom¬ 
plementhaltigen  Körpersäften  (in  vitro  und  in  vivo)  ein  stark 
wirkendes  Gift,  eben  das  sogen.  „Anaphylatoxin“  liefern. 
A  priori  ist  also  auf  jeder  Wundfläche,  mag  sie  nun  mit  para¬ 
sitären  oder  mit  saprophytischen  Keimen  besudelt  sein,  die 
Gelegenheit  zur  Anaphylatoxinbildung  gegeben.  Ferner 
konnten  D  o  1  d  und  R  a  d  o  s  durch  ausserordentlich  exakte 
Versuche  im  U  h  1  e  n  h  u  t  h  sehen  Institut  nachweisem  dass 
sogar  im  normalen  Konjunktivalsack  dieses  Gift  in  Spuren 
vorhanden  ist,  und  dass  es  durch  Einbringen  abgetöteter  Bak¬ 
terien  in  den  Konjunktivalsack  vermehrt  werden  kann.  Die 
Giftwirkung  kommt  allerdings  erst  zur  Geltung  bei  Verletzung 
des  Auges,  wo  sie  dann  eine  ausgesprochen  entzündungs¬ 
erregende  Reizung  der  Wunde  verursacht. 

Es  steht  uns  leider  bisher  keine  Methode  zur  Verfügung, 
dasselbe  Gift  in  ähnlicher  Weise  auch  nachzuweisen  in  der 
Scheide,  deren  Schleimhaut  ja  mit  viel  zahlreicheren  Mikro¬ 
organismen  überzogen  ist  als  der  Konjunktivalsack  und  deren 
Sekret,  wenigstens  vom  Moment  des  Blasensprunges  an, 
sicher  genügend  wirksames  Komplement  enthält,  um  den 
fermentativen  Abbau  des  vorhandenen  Bakterieneiweisses  in 
die  Wege  zu  leiten.  Aber  am  Vorhandensein  von  Anaphyla¬ 
toxin  im  normalen  Lochialfluss,  und  zwar  wahrscheinlich 
sogar  in  grosser  Menge,  wird  man  keinen  Moment  zweifeln 
dürfen,  noch  viel  weniger  natürlich  am  Anaphylatoxingehalt 
des  Gewebssaftes  retinierter  Eireste  oder  des  infizierten 
Fruchtwassers. 

Auch  mir  lag  es  ferne,  die  Produktion  dieser  durch  fer¬ 
mentativen  Abbau  des  Bakterieneiweisses  entstehenden  gif¬ 
tigen  Zwischenprodukte  ausschliesslich  in  das  lebende  Ge¬ 
webe  verlegen  zu  wollen,  vielmehr  dachte  ich  dem  Gedanken 
Ausdruck  zu  verleihen,  dass  das  Bakterienanaphylatoxin  nur 
dann  im  Organismus  pathogene  Bedeutung  ge¬ 
winnt,  wenn  es  innerhalb  des  lebenden  Gewebes  selbst  ge¬ 
bildet  wird  und  so  in  den  Kreislauf  gelangt.  Auf  die  Be¬ 
rechtigung  dieser  in  der  Form  wohl  etwas  zu  weit  gefassten 
Anschauung  werde  ich  gleich  noch  zurückkommen. 


*)  M.m.W.  1913  S.  240. 


Hingegen  habe  ich  ausdrücklich  darauf  hingewiesen 
(S.  145).  dass  die  Endotoxine,  speziell  die  Streptokokkenendo¬ 
toxine  —  und  ich  berief  mich  dabei  auf  die  ausgedehnten 
Versuche  Zangemeisters  —  bloss  im  lebenden  Gewebe 
abgegeben  werden.  Auf  diesen  Unterschied  hat  auch  Bold 
dem  es  ja  jetzt  gelungen  ist,  die  Endotoxinwirkung  von  der 
Anaphylatoxin  Wirkung  sicher  zu  trennen,  jüngst  erneut  auf¬ 
merksam  gemacht.  Er  hebt  wörtlich  hervor  [4],  dass  zum 
Nachweis  der  Endotoxinwirkung  die  Endotoxine,  d.  h.  die 
Bakterienleibsubstanzen  einem  tierischen  Organismus  einver¬ 
leibt  werden  müssen,  so  dass  also  der  Gedanke  einer 
Resorption  von  Endotoxinen  von  totem  Ge- 
websmaterial  her  uneingeschränkt  und  end¬ 
gültig  aufzugeben  sein  dürfte. 

Schwieriger  gestaltet  sich  nun  die  Frage  der  Resorp¬ 
tion  des  Anaphylatoxin  s,  das  auf  den  puerperaler 
Wunden  zweifellos  in  nicht  unbedeutender  Quantität  gebildet 
wird.  Kann  dieses  Gift  nicht  vom  puerperalen  Endometrium 
ja  kann  es  nicht  vielleicht  sogar  schon  von  der  normaler 
Scheidenschleimhaut  resorbiert  werden?  Um  über  dies,. 
Frage  Aufklärung  zu  gewinnen,  stellte  ich  im  Laboratoriun 
von  Herrn  Geheimrat  Prof.  U  h  1  e  n  h  u  t  h  mit  gütiger  Unter 
Stützung  von  Herrn  D  o  1  d  Versuche  am  Meerschweinchen  ar 
derart,  dass  ich  zunächst  die  Resorptionskraft  der  Scheiden¬ 
schleimhaut  für  normales  Pferdeserum  prüfte,  um  dann,  nad 
dem  deutlich  positiven  Ausfall  dieser  Versuche,  die  Aufnahmt 
von  Bakterieneiweiss  von  der  Vagina  aus  festzustellen.  Auel 
diese  Versuche,  die  mit  Parasiten,  wie  mit  Halbparasiten,  wit 
mit  Saprophyten  angestellt  wurden,  führten  mit  Ausnahme 
der  Streptokokkenversuche  zu  einem  durchweg  einwandfrei 
positiven  Ergebnis:  die  durch  mehrmaliges  Einbringen  vor 
Bakterienaufschwemmung  in  die  unverletzte  Vagina  sensibili¬ 
sierten  Meerschweinchen  zeigten  bei  der  Reinjektion  in  dit 
Jugularvene  nach  6—10  Wochen  deutliche  anaphylaktische 
Symptome,  während  die  Kontrolltiere  nichts  derartiges  zi 
erkennen  gaben.  2  Tiere,  die  im  frisch  puerperalen  Stadiun 
sensibilisiert  worden  waren,  zeigten  keine  stärkere  Reaktior 
als  die  übrigen.  Wenn  also  schon  die  normale  Scheiden¬ 
schleimhaut  Bakterieneiweiss  zu  resorbieren  vermag,  so  wirc 
der  puerperalen  Vagina,  besonders  aber  dem  puerperaler 
Endometrium  erst  recht  diese  Fähigkeit  zuerkannt  werdet 
müssen. 

Die  Resorptionskraft  der  Scheide  für  chemische  Sub¬ 
stanzen  ist  ja  eine  seit  langem  bekannte  Tatsache.  Coei 
und  L  e  v  i  haben  bereits  vor  20  Jahren  nachgewiesen,  das* 
das  Resorptionsvermögen  der  Vagina  bei  Schwangeren 
Wöchnerinnen  und  Fiebernden  gesteigert  ist  unc 
M  e  n  g  e  s  konstatierte  eine  Steigerung  der  Resorption  durcl 
auftretende  Entzündung  der  Scheidenschleimhaut. 

Wir  stehen  also  jetzt  vor  der  Frage:  wie  kommt  es,  das; 
wir  nicht  häufiger  im  Wochenbett  die  Symptome  von  ßak 
teriengiftresorption  feststellen,  da  wir  doch  annähernd  u 
jedem  Lochialsekret  die  Anwesenheit  von  Bakterienanaphyla 
toxin  vermuten  und  andererseits  die  Möglichkeit  der  Re¬ 
sorption  dieses  Giftes  selbst  von  der  unverletzten  Schleim 
haut  aus  durch  meine  obigen  Versuche  experimentell  er¬ 
wiesen  ist? 

Die  Antwort  kann  bloss  eine  hypothetische  sein:  offen 
bar  gelangt  das  Gift  normalerweise  oben  doch  nur  in  so  ge 
ringer  Menge  zur  Resorption,  dass  der  Gesamtorganismm 
davon  unbeeinflusst  bleibt.  Dies  wird  besonders  immer  dam 
der  Fall  sein,  wenn  das  Wundsekret  völlig  freien  Abfluss  hat 
wenn  im  Sinne  der  bekannten  Experimente  F  r  i  e  d  r  i  c  h  ' 
über  die  Bedeutung  der  innergeweblichen  Drucks  für  das  Zu¬ 
standekommen  der  Wundinfektion  keinerlei  „Druck  um 
Gegendruck“  im  infizierten  Wundgebiet  stattfindet,  mit  einen 
Worte,  wenn  keinerlei  äussere  oder  innere  Stauung  des  ana 
phylatoxinhaltigen  Wundsekrets  besteht. 

Nicht  die  Möglichkeit  der  „Resorption“  ist  also  der  aus 
schlaggebende,  veranlassende  Faktor  für  die  Entstehung  jenei 
leichten  Temperatursteigerungen,  die  ausnahmsweise  woli 
auch  einmal  ohne  lokale  Gewebsentzündung  vorkommei 
mögen,  sondern  die  Retention. 

Ich  freue  mich,  feststellen  zu  können,  dass  ich  mich  prak 
tisch  hiermit  durchaus  der  Anschauung  nähere,  die  V/alt 


§??Lcnlhcr  |()l4'  MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1963 


li  a  i  il  U.  c.  -69)  früher  aussprach,  indem  er  schrieb:  „der 
klinische  v  erlauf  der  bakteriotoxischen  Endometritis  puer- 
peralis  ist  stets  ein  milder,  ja  bei  gutem  Abfluss  der 
Sekrete  sogar  ein  symptomlose  r.“ 

Es  genügt  also  die  Anwesenheit  der  Bakteriengifte  und 
deren  Resorbierbarkeit  ebenso  wenig  zur  Auslösung  von 
Krankheitssymptomen  wie  die  Gegenwart  von  Krankheits¬ 
erregern  und  deren  Penetrationsvermögen,  es  muss  vielmehr 
ein  disponierendes  Moment  die  Aufnahme,  die  krankmachende 
Resorption  in  den  Organismus  herbeiführen,  und  eines  dieser 
Momente  ist  eben  die  Behinderung  des  freien  Sekretabflusses 
die  Stauung,  die  Sekretretention. 

Es  scheint  mir  daher  logisch  und  zur  Vermeidung  von 
ruchtlosen  Wortgefechten  unumgänglich  notwendig,  den  Aus¬ 
huck  „Kesorptionsfieber  mit  seiner  historisch  eindeutig  fest- 
;elegten  Bedeutung  ganz  fallen  zu  lassen  und  derartige  Tem- 
leratm  Steigerungen  im  Wochenbett,  wie  z.  B.  bei  Pyometra, 
lie  nicht  als  direkte  Folge  einer  Entzündung,  sondern  lediglich 
ds  Folge  einer  Sekretretention  anzusehen  sind,  als  „Re- 
ent ionsfieber“  zu  bezeichnen;  denn  da  der  klassische 
jegriff  des  „Resorptionsfiebers“  mit  der  speziellen  Vorstellung 
erkniipft  war,  dass  es  sich  um  Resorption  von  Stoffwechsel- 
Hodukten  nicht  pathogener  Keime  handele,  während  wir 
leute  wissen,  dass  jene  sogen.  Saprophyten  zu  den  patho- 
;tnen  Mikroorganismen  gehören,  andererseits  aber  selbst  aus 
chten  Saprophyten  giftige  Abbauprodukte  des  körperfremden 
lakterieneiweisses  gebildet  und  resorbiert  werden  können, 
v  äre  die  Beibehaltung  des  Terminus  „Resorptionsfieber“ 
benso  gefährlich  und  irreführend,  wie  es  das  Festhalten  an 
em  Worte  „Selbstinfektion“  war. 

Nach  unseren  heutigen  Kenntnissen  lässt  sich  mit  dem 
usdruck  „Resorptionsfieber“  überhaupt  kein  typischer  Krank- 
eitsprozess  mehr  kennzeichnen;  werden  doch  bei  jeder 
ikalen  Entzündung  toxische  Stoffe  (D  o  1  d  s  „Phlogistine“) 
esorbiert  und  treten  u.  U.  in  solcher  Menge  im  Kreislauf 
uf,  dass  sie  an  anderer  Stelle  bei  geeigneter  Gewebs- 
isposition  eine  sterile  Entzündung  hervorrufen  können.  Die 
rt  der  primären  Entzündungserreger  scheint  dabei  a  priori 
anz  gleichgültig  zu  sein,  während  der  weitere  Verlauf  der 
ntzündung,  je  nach  der  Virulenz  und  je  nach  dem  Pene- 
ationsvermögen  des  Infektionserregers  sich  natürlich  ver¬ 
mieden  gestalten  wird.  Jedenfalls  lehren  die  Experimente 
3*n  Bold  und  Ra  dos  [5],  dass  bei  jeder  Infektion,  bei 
dem  Kampf  zwischen  lebendem  Gewebe  und  Mikroorganis- 
en  entzündungserregende  Stoffe,  wenn  wir  uns  allgemeiner 
isdrücken  wollen,  „Bakteriengifte“  in  den  Kreislauf  auf- 
mommen,  „resorbiert“  werden  und  zwar  gleichgültig,  ob 
eses  Gift  von  Putreszenz-  oder  Eiter-  oder  Sepsiserregern 
rrührt.  Diese  Versuche  liefern  den  experimentellen  Beweis 
r  die  klinisch  längst  anerkannte  Tatsache,  dass  „Infektion“ 
io 1  „Intoxikation“  immer  vergesellschaftet  sind:  „keine 
lfektion  ohne  Intoxikation!“ 

Und  ich  glaube  nicht  zu  weit  zu  gehen,  wenn  ich  be- 
upte,  dass  wir  für  unsere  klinischen  Vorstellungen  heute 
SSen  Satz  getrost  umkehren  dürfen  und  sagen:  „keine 
itoxikation  ohne  Infektion“;  denn  niemand  wird 
ignen  wollen,  dass  der  Wochenfluss,  der  Inhalt  einer  Pyo- 
-jtra,  das  Fruchtwasser  beim  Fieber  unter  der  Geburt,  end- 
h  die  retinierten  Eihaut-  und  Plazentarreste  infiziert 
‘id  und  dass  die  Intoxikationserscheinungen  lediglich  durch 
'*  Retention  dieser  infektiösen  Massen  ausgelöst  werden. 

Lassen  wir  daher  die  veralteten  Begriffe  des  „R  e  - 
r  p  t  i  o  n  s  f  i  e  b  e  r  s“,  der  „p  u  t  r  i  d  e  n  I  n  t  o  x  i  k  a  t  i  o  n“, 
r  „S  a  p  rämi  e“,  der  „Saprophy  thämi  e“,  der  „T  o  - 
nämie"  usw.  fallen  und  bezeichnen  wir,  mehr  aus  kli- 
sch-therapeutischen  als  aus  theoretischen  Griin- 
n,  mit  „Retentionsfieber“  jene  nicht  allzu  häufigen 
ankheitsformen,  die  lediglich  durch  Re¬ 
gion  infizierter  Massen  im  Organismus 
sgelöst  werden  und  die  nach  Beseitigung 
e  s  ®  r  Retention  glatt  a  b  h  e  i  1  e  n,  dann  werden 
r  für  jene  vielumstrittene  Frage  eine  Lösung  gefunden 
ben,  die  nicht  nur  unseren  theoretischen  Vorstellungen  so- 
e  den  Ergebnissen  unserer  experimentellen  Forschung  nicht 
nr  widerspricht,  sondern  die  auch  dem  Praktiker  eine  er-  j 


dürfte51^6  ^asis  fiir  sein  therapeutisches  Handeln  geben 

Literatur. 

Ion  m  ü^Boi^dAy:u,Zum  Problein  der  Selbstinfektion.  Zbl.  f.  Qyn. 
lir  io,,  ~ ■?'  h'  1,1 :  D,e  Puerperale  Wundinfektion.  J.  Sprin- 
7  i  Walt  har  d:  Die  bakteriologische  Endometritis 

di?  R.L?ebUr,Shi  ml  41;  S-  -’«•  -  Uold  und  Hanau:  Uebw 
uic  Beziehungen  des  Anaphylatoxins  zu  den  Endotoxinen.  Zsclir  f 
l.nmunTOTsch,  19  1913  S.  34.  -  5.  D  o  I  d  und  R  a  d  o  s:  Ueber  ent- 

,  J  L  lm  art'  und  körpereigenen  Serum  und  Oe- 

webssaft.  Zsch.  .f  d.  ges.  exp.  M.  2.  1913.  S.  192.  —  Dieselben- 

sierfmer  6  zSfh  syiTpathlsc*ie-  spezifische  und  unspezifische  Sensibili¬ 
sierung.  Zschr.  f.  Immun. Forsch.  20.  1913.  S.  273. 


uci  iiieuizimscnen  Klinik  zu  Wiirzburg. 

Zur  Entstehung  der  Oedeme  bei  der  Nephritis. 

Von  Priv.-Dozent  Dr.  E.  Magnus-Alsleben. 

Die  Ui  sache  der  bei  Nephritikern  vorkommenden  Reten- 
Uonen  wurde  früher  vorzugsweise  in  einer  Ausscheidungs- 
unfahigkeit  der  Niere  gesucht;  die  neueren  Forschungen  neigen 
dazu  die  Mitwirkung  extrarenaler  Momente  mehr  zu  betonen 
Für  die  Oedembildung  weist  Volhard1)  im  Gegensatz  zu 
der  Lehre,  welche  die  Oedeme  als  Folge  einer  renal  bedingten 
Kochsalzretention  ansieht,  nachdrücklich  auf  die  Rolle  der 
Kapillaren  hin;  in  deren  Funktionsstörung  sieht  er  die  aus¬ 
schliessliche  Ursache  der  Oedeme.  Ein  gestörtes  Wasseraus¬ 
scheidungsvermögen  der  Nieren  führe  nur  zu  einer  intravas- 
kularen  Wasserretention,  zu  einer  Hydrämie,  während 
Oedeme,  d.  h.  eine  extravaskuläre  Wasserretention,  auch  bei 
intakter  Wasserausscheidung  der  Nieren  Vorkommen.  Der 
ergleich  zwischen  dem  Ausfall  eines  Wasserversuches  d  h 
einer  einmaligen  grossen  Wasserzufuhr  per  os,  und  dem’  einer 
intravenösen  Wasserinjektion  erlaubt  hier  öfters  eine  Ent- 
Scheidung  zu  treffen  insofern,  als  nur  bei  intravenöser  Injek- 
ti°n  Zugeführte  sicher  an  die  Nieren  herankommt;  bei  Dar¬ 
reichung  per  os  kann  das  Wasser  schon  vorher  irgendwo  fest¬ 
gehalten  sein.  Wenn  also  im  letzteren  Falle,  d.  h.  bei  Applikation 
pei  os,  eine  Retention,  nach  intravenöser  Zufuhr  dagegen  eine 
Ausscheidung  erfolgt,  so  ist  damit  bewiesen,  dass  keine  Aus- 
scheidungsunfähigkeit  der  Nieren  vorliegt;  nur  wenn  es  in  beiden 
Fällen  retiniert  wird,  darf  man  die  Störung  in  die  Nieren  ver¬ 
legen.  Ueber  einige  derartige  Untersuchungen  möchte  ich 
berichten. 


So  fanden  wir  bei  einer  Patientin  mit  einer  akuten  Ne- 
phritis,  dass  1  Liter  Thee  quantitativ  retiniert  wurde,  während 
800  ccm  NaCl-Lösung  zürn  grössten  Teil  binnen  5  Stunden 
ausgeschieden  wurden. 


Wasserversuch  : 

Morgens  um  7 
Harnmenge 
ccm 

Uhr  1  Liter  Thee. 
Spezifisches 

Gewicht 

9  Uhr 

80 

1014 

H  „ 

60 

1013 

1  ,, 

95 

1014 

3  „ 

50 

1015 

NaCl 

Proz. 

0,36 

0,32 

0,30 

0,28 


Versuch  mit  intravenöser  Injektion: 

1  Uhr  800  ccm  NaCl-Lösung  intravenös. 


Harnmenge 

Spezifisches 

NaCl 

ccin 

Gewicht 

Proz. 

350 

1016 

0,55 

_ _ 

550 

1017 

0,58 

— 

d 

1,23 

1,19 


Das  gleiche  Verhalten  war  schon  in  einem  [v.Nonnen- 
br  u  chs)  publizierten]  Fall  beobachtet  worden;  dort  handelte 
es  sich  freilich  um  eine  Stauungsniere  bei  einem  dekompen- 
sieiten  Vitium  cordis.  wo  Oedeme  bei  intaktem  Wasseraus¬ 
scheidungsvermögen  bestanden;  hier  dagegen  konnte  das 
gleiche  auch  bei  einer  Nephritis  festgestellt  werden.  Doch 
darf  dies  sicher  nicht  als  ausnahmslos  gelten:  bei  einer  Kranken 
inii  ein onischer  Nephritis  trat  weder  nach  Wasserzufuhr  per 
os,  noch  nach  intravenöser  Injektion  eine  Vermehrung  der 
Harnmenge  auf.  Hier  darf  also  tatsächlich  eine  Störung  des 
Wasserausscheidungsvermögens  angenommen  werden. 

Kurz  erwähnt  sei  noch  folgende  Beobachtung:  Bei  einer 
Schrumpfnierenkranken  mit  leichtem,  diffusem  Hautödem  trat 


d  y°lhard  und  Fahr:  Die  B  r  i  g  h  t  sehe  Nierenkrankheit. 
Berlin  1914. 

-')  Arch.  f.  klin.  Med.  110.  1913.  S.  162. 


r 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  38. 


1964 


iin  Anschluss  an  eine  Konjunktivitis  ein  ganz  ausgedehntes,  ; 
starkes  Hautödein  auf,  wie  es  der  Geringfügigkeit  der  Augen- 
afrektion  durchaus  nicht  entsprach;  mit  dem  Abklingen  der 
Konjunktivitis  verschwand  es  wieder.  Es  wird  hier  wohl  die 
Konjunktivitis  den  Anstoss  zu  der  zirkumskripten  Oedem- 
bildung  gegeben  haben. 

An  eine  Reihe  anderer  Beobachtungen,  welche  Ger¬ 
hardt  schon  vor  einigen  Jahren  (Wiesbadener  Kongress 
1909  und  1911)  mitgeteilt  hatte,  sei  im  Zusammenhang  mit  diesen 
Fällen  noch  einmal  erinnert.  So  wurde  eine  analoge  Diver¬ 
genz  in  der  Ausscheidung  des  per  os  und  des  intravenös  Zuge¬ 
führten,  wie  es  die  obigen  Fälle  für  Wasser  dartun,  damals 
schon  für  Kochsalz  gezeigt:  ln  Fällen  akuter  Urämie  (bei 
Scharlachnephritis)  wurde  das  intravenös  injizierte  Salzwasser 
prompt  ausgeschieden,  während  sonst  die  Salzausscheidung 
stark  vermindert  war.  Ferner  wurden  beträchtliche  Unter¬ 
schiede  in  dem  Andauern  der  einzelnen  nephritischen  Stö¬ 
rungen  gefunden:  Fälle,  in  denen  die  Ausscheidungsunfähig¬ 
keit  für  Kochsalz  nur  1  oder  2  Tage,  die  Albuminurie  und 
Zylindrurie  aber  wochenlang  anhielt;  gelegentlich  blieb  die 
Erhöhung  des  Rest-N  und  die  abnorme  üefrierpunktsernied- 
rigung  unverändert  bestehen,  auch  wenn  alle  urämischen 
Symptome  für  Wochen  zurückgingen.  Alle  derartigen  Vor¬ 
kommnisse  weisen  darauf  hin,  dass  einzelne  Partialfunktionen 
der  Nieren  gesondert  gestört  sein  können  und  rechtfertigt  die 
Annahme,  dass  man  bei  der  Nephritis  auch  mit  ausserhalb  der 
Niere  gelegenen  Momenten  zu  rechnen  hat.  Und  in  dem 
Rahmen  der  Anschauungen,  die  jetzt  über  Nephritis  so  viel¬ 
fach  diskutiert  werden,  dürften  neben  den  obigen  neueren 
auch  diese  älteren  Beobachtungen  wieder  einiges  Interesse 
verdienen. 


Die  kolorimetrische  Eiweissbestimmung  als  exakte  analy¬ 
tische  Methode  und  ihre  Verwendung  fürAutenrieths 

Kolorimeter. 

Von  Dr.  M.  Claudius,  Oberarzt  am  Frederiksberg-Hospital 

in  Kopenhagen. 

In  Nr.  41  1912  der  M.tn.W.,  worauf  ich  in  betreff  der 
Einzelheiten  verweise,  habe  ich  eine  Methode  zur  kolori- 
metrischen,  quantitativen  Albuminbestimmung  veröffentlicht. 

Das  Prinzip  der  Methode  ist,  dass  das  Eiweiss  mit  einer 
Lösung  von  Trichloressigsäure  und  Gerbsäure  gefällt  wird, 
wozu  Säurefuchsin  gesetzt  ist.  Indem  das  gefällte  Eiweiss 
sich  einer  Menge  des  Säurefuchsins  bemächtigt,  die  in  einem 
bestimmten  Verhältnis  zur  Eiweissmenge  steht,  wird  die 
Farbenstärke  des  Filtrates  massgebend  für  die  Eiweiss¬ 
menge.  Die  Farbenstärke  wird  durch  Vergleich  mit  einer 
Standardfarbe  bestimmt,  indem  ein  bestimmtes  Volumen  des 
Filtrates  mit  einer  besonderen  „Verdünnungsflüssigkeit“  ver¬ 
setzt  wird,  die  mit  Pikrinsäure  gelb  gefärbt  ist,  bis  sie  die¬ 
selbe  Farbe  hat  wie  die  Standardfarbe.  Die  Eiweissmenge 
wird  direkt  an  dem  Glas  abgelesen,  in  dem  die  Verdünnung 
stattfindet. 

Zur  Ausarbeitung  dieser  Methode  führte  ich  ca.  200  Ge¬ 
wichtsanalysen  aus,  und  ich  habe  später  zahlreiche  Analysen 
ausgeführt,  wo  die  Albuminmenge  gleichzeitig  durch  Gewicht 
und  kolorimetrisch  bestimmt  wurde;  einige  der  Analysen  sind 
in  der  obengenannten  Nummer  der  M.m.W.  veröffentlicht. 
Nach  meinen  Erfahrungen  arbeitet  die  Methode  mit  einer  Ge¬ 
nauigkeit  von  XA  Prom.  Albumin.  Meine  Methode  ist  in  Ge¬ 
meinschaft  mit  anderen  Methoden  von  Emil  Pfeiffer 
(B.kl.W.  Nr.  15,  14.  IV.  1913)  umfassenden  und  vorzüglichen 
Versuchen  unterworfen  worden;  er  äussert  sich  sehr  aner¬ 
kennend  darüber.  Es  ist  Pfeiffers  grosses  Verdienst,  dass 
er  die  kontrollierenden  Gewichtsanalysen  in  Fresenius’ 
Laboratorium  unter  persönlicher  Leitung  der  beiden  berühmten 
Analytiker  Wilhelm  Fresenius  und  G  r  ü  n  h  u  t  ausführen 
liess;  die  Resultate  gewinnen  dadurch  die  absolute  Unangreif¬ 
barkeit,  welche  die  als  Chemiker  arbeitenden  Aerzte  der 
Sachlage  gemäss  ihren  Resultaten  nicht  verleihen  können. 

Pfeiffer  hebt  kräftig  hervor,  dass  es  auch  gewisse 
Grenzen  für  die  Gewichtsanalyse  gibt,  innerhalb  derer  ihre 
Zuverlässigkeit  schwankt,  was  der  Erinnerung  wohl  wert  ist. 

Er  hat  nun  kolorimetrische  Bestimmungen  der  Eiweiss¬ 


menge.  davon  einige  Parallelbestimmungen,  in  45  Harnproben 
ausgeführt,  deren  Inhalt  durch  das  Gewicht  bestimmt  worden 
war.  und  geht  man  von  der  Gewichtsanalyse  als  der  absolut 
richtigen  aus  (was  man  ja.  wie  oben  erwähnt,  nur  bis  auf 
einen  gewissen  Grad  tun  kann),  so  besass  die  kolorimetrische 
Bestimmung  eine  Genauigkeit  von  durchschnittlich  0,22  Prom. 
Albumin,  was  ja  so  genau,  wie  man  es  wünschen  kann,  mit 
meinen  Angaben  stimmt. 

Bei  meinen  Versuchen  zeigte  es  sich,  dass  die  Farben¬ 
absorption  ausser  von  der  Eiweissmenge  vom  spezifischen 
Gewicht  und  der  Reaktion  der  Lösun'g  abhängig  ist;  die 
Temperatur-  und  Zeitmomente  ergaben  sich  als  bedeutungslos. 
Die  Lösung  muss  deshalb  ganz  schwach  sauer  oder  neutral 
sein  und  ihr  spezifisches  Gewicht  ca.  1,015  betragen,  indem 
die  Methode  für  diesen  Wert  ausgearbeitet  ist.  Ich  habe  dies 
für  die  Klinik  annäherungsweise  zu  erreichen  gesucht  durch 
meine  Anweisung,  die  Albuminlösung  prinzipaliter  mit  dem 
gleichen  Volumen  einer  2  proz.  CINa-Lösung  zu  mischen,  die 
ja  ein  spezifisches  Gewicht  von  1,015  hat,  bevor  die  Be¬ 
stimmung  des  Eiweisses  stattfindet,  indem  man  aber 
das  spezifische  Gewicht  von  1,015  genauer 
überwacht,  wird  die  Methode  ganz  exakt. 

Dass  das  spezifische  Gewicht  und  nicht  der  osmotische 
Druck  entscheidend  ist,  liess  sich  leicht  nachweisen. 
Lösungen  von 

1  Proz.  CINa  +  2  Proz.  Traubenzucker 

1  „  CINa  +  2  „  Harnstoff 

3  „  CbMg 

2  „  KNOs 

2  ,,  CaCh 

2  „  NaCl 

6  „  Harnstoff 

haben  sehr  annäherungsweise  alle  das  spezifische  Gewicht 
1.015,  und  wenn  diese  Lösungen  die  gleiche  Menge  Albumin 
enthielten,  ergab  die  kolorimetrische  Analyse  auch  immer  das¬ 
selbe  Resultat. 

Das  spezifische  Gewicht  der  Albuminlösung  soll  also  be¬ 
stimmt  werden,  und  ist  es  höher  als  1,015,  verdünnt  man  mit 
Wasser;  die  Menge,  x,  die  in  dem  Falle  zu  1  Volumen  der 
Albuminlösung  gesetzt  werden  muss,  damit  das  spezifische 
Gewicht  der  Lösung  1,015  betragen  kann,  lässt  sich  leicht  aus 

der  Formel  ^4^  =  1,015  finden,  wo  A  das  spezifische  Ge¬ 
wicht  der  Albuminlösung  bezeichnet.  Ist  dagegen  A  kleiner 
als  1,015,  wird  mit  einer  3  proz.  CINa-Lösung  (spez.  Gew. 
1,022)  verdünnt  nach  der  Formel  A  +T-V2  x  —  1,015,  und  die 

in  diesen  derart  verdünnten  Lösungen  gefundene  Albumin- 
menge  mit  1  +  x  multipliziert,  ergibt  dann  den  Albumingehalt 
der  ursprünglichen  Lösungen.  Zu  empfehlen  ist,  ca.  20  bis 
25  ccm  der  verdünnten  Lösungen  zu  bereiten,  damit  man 
event.  Parallelbestimmungen  machen  kann.  Mit  der  Methode 
lassen  sich  nicht  grössere  Albuminmengen  als  5  Prom.  in  den 
bereiteten  Lösungen  bestimmen;  ist  der  Inhalt  grösser,  was 
ja  recht  selten  der  Fall  sein  wird,  verdünnt  man  die  bereitete 
Lösung  vom  spezifischen  Gewicht  1,015  noch  mehr  in  ein¬ 
fachen  Verhältnissen  mit  2  proz.  CINa-Lösung,  die  eben  ein 
spezifisches  Gewicht  von  1,015  hat. 

Die  kolorimetrische  Eiweissbestimmung  lässt  sich  mit  Vor¬ 
teil  in  Autenrieths  Kolorimeter  anwenden.  Die  Standard¬ 
farbe  ist  in  einem  der  gewöhnlichen  Keile  angebracht;  hinter 
diesem  ist  aber  ein  anderer,  ebenso  grosser  und  gleichförmiger 
Keil  gekittet  (angebrannt),  so  dass  sie  eine  Wand  gemein  haben 
und  die  Basen  in  entgegengesetzter  Richtung  kehren;  der 
andere  Keil  ist  mit  „Verdünnungsflüssigkeit“  gefüllt.  Dadurch 
erreicht  man,  immer  genau  auf  dieselbe  Nuance  einstellen  zu 
können,  indem  das  Licht  immer  dieselbe  Schichte  von  Ver- 
diinnungsflüssigkeit  passiert.  Bei  der  Bestimmung  wird 
folgendermassen  verfahren:  Zu  5  ccm  der  nach  den  oben 
beschriebenen  Prinzipien  verdünnten  Albuminlösung  werden 
5  ccm  des  Fällungsreagens  gesetzt;  die  Mischung  wird  einige¬ 
mal  energisch  geschüttelt,  und  wenn  man  sieht,  dass  das  ge¬ 
fällte  Albumin  sich  zu  deutlichen  Flocken  agglutiniert  hat. 
filtriert  man  durch  ein  trockenes  Filter  von  gewöhnlichem 
Filtrierpapier  ca.  10  cm  Durchmesser,  mischt  0,20  ccm  des 
Filtrates  mit  9,8  ccm  „Verdünnungsflüssigkeit“,  füllt  diese 
Mischung  in  den  Trog  des  Kolorimeters  und  stellt  nun  ein, 


22.  September  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1965 


bis  die  Farben  in  den  beiden  Fenstern  genau  dieselben  sind. 
Uni  eine  besonders  genaue  Bestimmung  zu  erhalten,  nimmt 
mau  gewöhnlich  die  mittlere  Zahl  mehrerer  Einstellungen.  Da 
nun  am  Massstabc  100  Einteilungen  der  ganzen  Länge  des 
Keiles  entsprechen  und  der  Zeiger,  wenn  er  auf  den  Nullpunkt 
zeigt,  angibt,  dass  die  Schneide  des  Farbenkeiles  sich  hinter 
dem  Fenstei  befindet,  werden  folgende  Zahlen  den  daneben 
verzeichneten  Albuminmengen  entsprechen. 


J0  .  .  . 

0,25  Prom.  Albumin 

42-43 

13  .  .  . 

.  0,5 

V 

40  . 

7  . 

.  0,75  „ 

37  . 

72  .  .  . 

•  1,00  „ 

»« 

34  . 

>7  .  .  . 

1,25  „ 

•» 

32 

>2  .  . 

1,50  „ 

11 

30  . 

17  .  . 

2  .  . 

•  1,75  „ 

11 

28  . 

2,00  „ 

11 

26 

8  .  .  . 

•  2,25  „ 

1  • 

24  . 

5  .  . 

•  2,50  „ 

11 

22  . 

2.75  Prom.  Albumin 

3,00  „  ,, 

3.25  ., 

3.50 

3.75 
4,00 

4.25 

4.50 

4.75 

5,00  „ 


Wenn  man  mit  der  genügenden  Genauigkeit  nach  den 
regebenen  Anweisungen  arbeitet,  ist  die  kolorimetrische  Ei- 
veissbestimmung  ebenso  genau  wie  die  Gewichtsanalyse  und 
labei  viel  schneller  und  leichter. 

Da  das  Säurefuchsin,  das  ja  aus  Mischungen  von  sauren 
Vinmonium-  und  Natriumsalzen  von  Rosanilin-  und  Para- 
osanilintr  isulfosäure  besteht,  sich  in  betreff  der  Farbenstärke 
ils  recht  variabel  ergeben  hat,  auch  wenn  man  es  aus  der- 
elben  Fabrik  bezieht,  und  da  man  deshalb  stets  dessen  Titer 
n  voraus  bestimmen  muss,  habe  ich,  um  sicher  zu  sein,  dass 
il  Reagentien  immer  dieselbe  Farbenstärke  haben,  der  be- 
aimten  Firma  Grübler  &.  Co.  in  Leipzig  die  Herstellung 
er  Reagentien  (Fällungsreagens,  Standardfarbe  und  Ver- 
iinmmgsfliissigkeit)  übertragen,  und  dieselben  sind,  in  gelben 
laschen  aufbewahrt,  gegen  das  Licht  geschützt,  im  prak- 
schen  Sinne  von  unbegrenzter  Haltbarkeit.  Die  für  Auten- 
.  e  t  h  s  Kolorimeter  bestimmte  Standardfarbe  trägt  das  Kenn¬ 
eichen  „für  Autenrieths  Kolorimeter“. 


us  dem  Invaliden-  und  Genesungsheim  Ichenhausen 
er  Landesversicheningsanstalt  Schwaben  (dirig.  Arzt: 

Dr.  Herrligkoffer). 

ine  einfache  Probe  zum  Nachweis  von  Gallenfarbstoff 
und  Hämoglobin  im  Harn. 

Von  Hans  L  i  p  p  -  Waldstetten. 

Der  Nachweis  des  Gallenfarbstoffes  kann  auf 
.rschiedene  Weise  geführt  werden.  Am  gebräuchlichsten  ist 
onl  die  Chloroform-  und  Gmelin  sehe  Probe.  Für  klinische 
vecke  eignet  sich  am  meisten  die  Jodprobe:  Man  über-, 
lnchtet  den  Harn  mit  verdünnter  Jodtinktur  (1  Teil  Jod- 
lktur  und  9  Teile  verdünnten  Alkohol).  Bei  Anwesenheit 
>n  Gallenfarbstoff  entsteht  an  der  Berührungsfläche  ein 
üner  Ring. 

Bei  Hä moglobinurie  wäre  es,  um  ganz  sicher  zu 
in,  gut,  in  erster  Linie  die  spektroskopische  Untersuchung 
•rzunehmen.  Denn  die  chemischen  Proben  sind  sehr  unzu¬ 
lässig,  weil  sie  nicht  eindeutig  sind  und  weil  ihre  An- 
-llung  absolut  peinliches  Arbeiten  erfordert.  Das  gilt  spe- 
; '11  von  der  beliebten  Guajakprobe,  welche  nicht  ohne  Vor- 
1  handlung  angestellt  werden  soll. 

Durch  Analogieschluss  ist  es  mir  nun  gelungen,  eine  Me- 
1  >de  ausfindig  zu  machen,  die  es  dem  Arzt  ermöglicht,  auf 
‘  s  c  hn  e  liste  und  sicherste  Weise  Gallenfarbstoff 
i  Hämoglobin  im  Harn  nachzuweisen.  Dabei  ging  ich  aus 
1  n,  der.  sehr  handlichen  Modifikation  der  Gmelin  sehen 
obe.  die  in  ihrer  Ausführung  einfach  ist: 

Man  bringt  auf  eine  Platte  aus  unglasiertem  weissen  Ton 
ige  Tropfen  Harn.  Während  die  Flüssigkeit  in  die  Platte 
dringt,  bleibt  das  Bilirubin  als  gelber  Belag  an  der  Ober- 
-he  und  gibt  beim  Betupfen  mit  dem  Salpetersäuregemisch 
s  bekannte  Farbenspiel.  Ich  benützte  nun  statt  der  Ton¬ 
te  eine  ca.  3 — 4  cm  dicke,  auf  einem  Teller  ausgebreitetc 
■  flicht  möglichst  weissen  Sandes  und  bringe  darauf  ein 
*  u°n-  dem  verdächtigen  Urin.  War  im  Harn  Farbstoff. 

‘  bleibt  in  dem  weissen  Sand  ein  Fleck  zurück,  der  bei 
imoglobingehalt  braun,  bei  Gallenfarbstoff 


ll!lt  c  1 ’’  e  m  S  t  ich  i  ns  grünliche  ausgezeichnet  ist.  Die 
Methode,  die  ich  die  Sandprobe  nennen  möchte,  ist  sehr 
zuverlässig  und  hat  den  grossen  Vorzug,  dass  sie  ohne  um¬ 
ständliche  Vorbereitung,  ohne  Chemikalien,  ohne  Filter  und 
ohne  Spektroskop  durchgeführt  werden  kann. 


Aus  der  inneren  Abteilung  des  städtischen  Krankenhauses 

Augsburg. 

Beitrag  zur  Pathologie  des  Paratyphus  abdominalis. 

Von  Dr.  W.  Glaser,  Sekundärarzt. 

In  den  Lehrbüchern  der  inneren  Medizin  und  der  patho¬ 
logischen  Anatomie  fanden  bisher  die  Paratyphuserkrankungen 
wenig  Berücksichtigung.  Daraus  darf  man  jedoch  nicht  etwa 
auf  die  Seltenheit  der  Infektion  mit  Paratyphusbazillen 
schliessen.  Die  Erkrankungen  an  Paratyphus  scheinen  nach 
unseren  Erfahrungen  häufiger  zu  sein,  als  gemeinhin  ange¬ 
nommen  wird.  Dies  erklärt  sich  aus  der  Tatsache,  dass  die 
auf  Paratyphusinfektion  beruhenden  Krankheiten,  wie  bekannt, 
unter  sehr  verschiedenartigem  klinischem  Bilde  verlaufen 
können  und  infolge  dieser  Vielgestaltigkeit  der  Erscheinungs- 
foimen  ihrer  Aetiologie  nach  wohl  des  öfteren  gar  nicht  fest¬ 
gestellt  werden. 

Abgesehen  aber  von  einer  ganzen  Anzahl  spezieller,  in 
der  Literatur  zerstreuter  Arbeiten  über  Klinik  und  Pathologie 
des  Paratyphus  B  J),  verfügen  wir  auch  über  eine  Reihe  zu¬ 
sammenfassender  Darstellungen,  unter  welchen  ich  die  Schil¬ 
derung  des  Paratyphus  von  H.  Schottmüller* 2)  besonders 
hervoi  heben  möchte.  Einen  guten  Ueberblick  namentlich 
über  die  Klinik  gewinnt  man  u.  a.  auch  aus  der  Monographie 
von  Meinertz3). 

Unter  den  gastrointestinalen  Paratyphuserkrankungen 
sieht  man  Fälle,  die  als  akute  Magendarmkatarrhe  ohne  er¬ 
hebliche  Temperatursteigerung  und  ohne  sonstige  bedrohliche 
Ei  scheinungen  verlaufen.  Sie  bieten  daher  wohl  selten  Ver¬ 
anlassung  zu  bakteriologischen  Untersuchungen.  Eine  be¬ 
sondere  Gruppe  bilden  die  ebenfalls  häufig  durch  den  Para¬ 
te  phusbazillus  verursachten  Fälle  von  Cholera  nostras.  Inner¬ 
halb  einiger  Jahre  sahen  wir  hier  von  4  derartigen  Fällen 
zwei  tödlich  enden.  Die  Sektion  ergab  ausser  der  auffälligen 
I  rockenheit  der  Muskulatur  keine  besonderen  Organver- 
ändei  ungen.  Eine  weitere  Gruppe,  vielleicht  die  wichtigste, 
stellen  die  Paratyphusinfektionen  dar,  die  mit  dem  Typhus 
abdominalis  die  grösste  Aehnlichkeit  haben.  Man  findet  in  der 
Literatur  vielfach  die  kurze  Angabe,  dass  der  „Paratyphus 
abdominalis  ,  wie  Schottmüller  diese  Krankheitsform 
nannte,  einem  leichten  oder  mittelschweren  Typhus  abdomi¬ 
nalis  gleiche.  Auch  wir  konnten  entsprechende  Fälle  mit 
günstigem  Verlauf  wiederholt  beobachten. 

Durch  die  Gutartigkeit  dieser  Fälle  wird  es  auch  be¬ 
gründet,  dass  pathologisch-anatomische  Befunde4)  von  Para¬ 
typhus  abdominalis  nur  in  verhältnismässig  geringer  Zahl  be¬ 
kannt  geworden  sind. 

Die  Angabe  Schottmüllers  aber,  dass  die  Pro¬ 
gnose  dieser  Krankheit  „eine  durchaus  gute“  ist,  scheint  durch 
die  4.  Fälle  von  Paratyphus  abdominalis,  die  während  des 
letzten  halben  Jahres  im  hiesigen  Krankenhaus  in  meine  Be- 
obachtung  kamen,  eine  gewisse  Einschränkung  zu  erfahren, 
wenn  auch  diese  Fälle  als  Ausnahme  von  der  Regel  ange¬ 
sehen  werden  mögen. 

Es  handelt  sich  um  zwei  sporadische  Erkrankungen  mit 
letalem  Ausgang.  Die  Diagnose  wurde  bei  beiden  Patienten 
durch  den  bakteriologischen  Befund  sichergestellt.  Die  Einzel¬ 
ergebnisse  der  bakteriologischen  Untersuchung  finden  sich  in 
den  Krankengeschichten  vermerkt.  Da  pathologisch-ana¬ 
tomische  Befunde  bei  Paratyphus,  wie  erwähnt,  bis  jetzt  nur 
in  ziemlich  geringer  Anzahl  beschrieben  wurden  und  auch  die 

)  Besonders  möchte  ich  auf  die  Arbeit  von  B  r  i  o  n  und 
Kays  er,  I).  Arch.  f.  klin.  M.  85,  verweisen. 

-)  Handb.  d.  inn.  Medizin  von  Mohr  und  S  t  a  e  h  e  I  i  n  Bd  1 
Berlin  1911  (hier  ausführliches  Literaturverzeichnis) 

•*)  Beiheft  zur  M.K1.,  VI.  Jahrg.,  H.  9. 

4)  Vergl.  M.  A  s  k  a  n  a  z  y  in  Patholog.  Anatomie  v.  L.  A  s  c  h  o  f  f 
Bd.  1.  Jena  1913;  ferner  W.  Rolle  und  H.  H  e  t  s  c  h,  Exper  Bak¬ 
teriologie  u.  Infektionskrankheiten,  Berlin-Wien  1911. 


1966 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  38. 


Klinik  dieser  Krankheit  in  weiteren  Aerztekreisen  noch  wenig 
bekannt  ist,  so  lasse  ich  die  Krankengeschichten  und  Ob¬ 
duktionsbefunde  dieser  beiden  sorgfältig  beobachteten  Fälle 
im  Auszug  hier  folgen. 

1  A  St  Dienstmädchen,  20  Jahre  alt,  wurde  am  4.  XII.  13  auf 
die  innere  Abteilung  aufgenommen.  Abgesehen  von  einem  Kropf,  der 
vor  einem  Jahr  operiert  wurde,  war  sie  nie  krank  gewesen.  5  rage 
vor  Eintritt  in  das  Krankenhaus  war  sie  mit  stechenden  Schmerzen 
in  der  linken  Brust-  und  Bauchseite  erkrankt,  konnte  ihre  Arbeit 
aber  noch  bis  zum  Tage  vorher  verrichten.  Bei  der  Aufnahme  hatte 
sie  wenig  Husten  und  Auswurf,  die  Atmung  war  sehr  schmerzhaft. 
Pat  fühlte  sich  matt,  klagte  über  Kopfschmerzen,  schlechten  Schlaf 
und  Appetitlosigkeit.  Seit  3.  XII.  hatte  sie  Durchfälle,  aber  kein  Er¬ 


brechen. 

Die  erste  Untersuchung  ergab  folgendes:  Guter  Ernährungs-  und 
Kräftezustand,  stark  gerötetes  Gesicht,  Nasenflügelatmen,  leichte 
Somnolenz.  Rötung  der  Konjunktiven  und  der  Rachenschleimhaut. 
Zunge  in  ihrer  hinteren  Hälfte  weiss  belegt.  An  Herz  und  Lungen 
keine  nachweisbaren  krankhaften  Veränderungen.  Puls  regelmässig, 
kräftig,  120.  Milz  nicht  palpabel,  Milzgegend  sehr  druckempfindlich. 
Leib  im  übrigen  weich.  Auf  der  linken  Bauchseite  2  kaum  linsen¬ 
grosse.  hellrote  Fleckchen  (Roseolen?).  Urin  eiweiss-  und  zucker¬ 
frei,  Diazo  negativ.  Leukozyten  6800;  Stuhl  dünnflüssig,  bräunlich, 
von  fäkulentem  Geruch,  mit  Schleim  vermischt.  Temperatur  39,7. 

5.  XII.  Diazo  positiv.  Milz  nicht  palpabel.  Agglutination  auf 
Typhus  negativ.  2  Durchfälle. 

6.  XII.  Zunehmende  Somnolenz,  zeitweise  unklar.  Puls  ziem¬ 
lich  weich.  Milz  nicht  palpabel.  Diazo  +.  3  Durchfälle 

7.  XII.  Im  Stuhl  vom  6.  u.  7.,  sowie  im  Blut  keine  Typhusbazillen. 

3  Durchfälle.  _  , 

8.  XII.  Auf  Rumpf  und  Oberschenkel  mehrere  Roseolen.  1  Durch¬ 


fall.  Agglutination  auf  Typhus  negativ. 

9.  XII.  Zahlreiche  Roseolen.  Kein  Stuhl.  Diazo  Eiweiss 
negativ.  Im  Blut  (Gallenanreicherung)  keine  Typhusbazillen. 

10.  XII.  Psychisch  etwas  frischer.  Kein  Stuhl.  Agglutination 
auf  Typhus  negativ,  auf  Paratyphus  B  positiv  (1:100,  makro¬ 
skopisch  sehr  stark). 

11.  XII.  Leukozyten¬ 
zahl  4700.  GeformterStuhl. 

12.  XII.  Körperlich 
und  geistig  wesentlich 
frischer, Puls  regelmässig, 
mässig  kräftig,  72. 

13.  und  14.  XII.  Puls 
weich,  64.  Keine  Klagen. 

15.  XII.  Nach  ruhigem 
Schlaf  bis  etwa  morgens 
4  Uhr  Erwachen  mit  Atem- 
beschwerden,Unruhe.Ver- 
fallenes  Aussehen,  kleiner 
weicher  Puls,  Exzitantien 
ohne  Wirkung.  Nach  V* 
Stunde  Exitus  letalis 
(unter  den  Erscheinungen 
der  Herz-  und  Vaso¬ 
motorenschwäche). 

Sektionsbefund:  Muskulatur  und  Fettpolster  gut  ent¬ 
wickelt.  Muskulatur  sehr  trocken.  Milz  etwas  vergrössert,  über¬ 
ragt  den  Rippenbogen  nicht.  Kapsel  glatt,  Gewebe  fest,  dunkelblau¬ 
rot.  Follikel  dick,  treten  auf  der  glatten  Schnittfläche  sehr  deutlich 
hervor.  Leber  gross,  schlaff,  Vorderrand  abgestumpft.  Linke 
Hälfte  mit  dem  Zwerchfell  fest  verwachsen.  Gewebe  braunrötlich, 
trüb,  brüchig.  Zeichnung  undeutlich.  Gallenblase  o.  B.  Nieren, 
U  r  e  t  e  r  e  n,  Blase,  Genitalien,  ohne  sichtbare  Veränderungen, 
ebenso  Nebennieren.  Mit  der  linken  Nierenkapsel  verwachsene 
haselnussgrosse  Nebenmilz.  Magen  enthält  gelblichen  Schleim, 
Schleimhaut  stark  gefaltet,  verdickt  und  gerötet.  Pankreas  o.  B. 
Mesenterialdrüsen  stark  geschwollen,,  z.  T.  hyperämisch. 
Schnittfläche  graurot.  Darm:  Schleimhaut  des  Dünndarms  gerötet 
und  mässig  geschwollen,  einzelne  vergrösserte  Follikel,  kein  Defekt. 
Im  Zoekum  und  im  Colon  transversum  mehrere  (nicht  zahlreiche) 
pfennigstückgrosse  runde  Geschwüre  mit  stark  vorspringenden,  wall¬ 
artigen  Rändern.  Kehlkopf,  Oesophagus  und  Trachea 
o.  B.  Schilddrüse  (operativ  entfernt):  Kleiner  Teil  des  linken  Lappens 
vorhanden.  Thymus:  Drüsengewebe  erhalten,  reicht  als  dünner 
Lappen  bis  auf  den  Herzbeutel  herab.  Tracheale  und  bron¬ 
chiale  Lymphdrüsen  stark  geschwollen.  Herzbeutel  ent¬ 
hält  Spuren  klarer,  gelber  Flüssigkeit.  Herz  nicht  vergrössert,  Mus¬ 
kulatur  rotbraun,  derb,  keine  Schwielen;  Klappen  intakt.  Aorta:  In¬ 
tima  zeigt  unregelmässige,  leicht  erhabene  gelbliche  Streifung.  Lun¬ 
gen:  Linke  Lunge  seitlich  flächenhaft  mit  der  Pleura  costalis  ver¬ 
wachsen.  Gewebe  beiderseits  gut  lufthaltig,  ziemlich  blutarm  und 
trocken.  Nirgends  Verdichtungen  oder  Einlagerungen.  Hirn: 
Weiche  Häute  zart,  durchsichtig.  Hirnsubstanz  teigig-fest,  trocken, 
spärliche  Blutpunkte. 


Die  bakteriologische  Diagnose  wurde  in  diesem  Fall  postmortal 
vervollständigt  durch  Züchtung  von  Paratyphus-B-Bazillen  aus  dem 
Blut,  sowie  aus  Stückchen  der  Darmschleimhaut  und  der  Milz. 


II.  Der  zweite  Krankheitsfall,  der  hier  aufgeführt  werden  soll, 
betraf  einen  18  Jahre  alten  Schmiedgehilfen  G.  K.  Ausser  Masern 
hatte  er  früher  keine  Krankheiten  durchgemacht.  4  Tage  vor  Eintritt 
in  das  Krankenhaus  war  er  mit  Appetitlosigkeit,  vorübergehenden 
Kopfschmerzen  und  Durchfällen  (täglich  4 — 5)  erkrankt.  Kein  Er¬ 
brechen,  keine  Leibschmerzen. 

Bei  seiner  Aufnahme  klagte  er  lediglich  über  allgemeine  Mattig¬ 
keit.  sowie  Trockenheit  im  Munde. 

Befund  (20.  IV.  14):  Körperbau  nur  mässig  kräftig,  geringes  Fett¬ 
polster,  blasse  Gesichtsfarbe.  Zunge  weisslich  belegt.  Atmung  ruhig, 
tief.  Herz  und  Lungen  ohne  krankhaften  Befund.  Puls  klein,  regel¬ 
mässig.  76.  Der  Leib  war  eingezogen,  rechts  etwas  druckempfindlich. 
Milz  nicht  fühlbar.  Urin  enthielt  Eiweiss.  Diazo  +.  Temperatui 
39.9. 

21.  IV.  Nicht  geschlafen,  grosse  Mattigkeit,  Durstgefühl.  Zwei 
Stühle:  dünnflüssig,  gelblich,  übelriechend,  enthalten  reichlich  Schleim. 

kein  Blut  _ 

22.  IV.  Leukozyten  8200.  Zwei  Durchfälle.  Viel  Durst,  zeit¬ 
weise  benommen.  Auf  der  Bauchhaut  einige  kleine  rote  Fleckchen 
(Roseolen?).  Milz  nicht  palpabel. 

23.  IV  Agglutination  auf  Typhus  und  Paratyphus  B  negativ. 
Ein  Durchfall. 

24.  IV.  Im  Stuhl  weder  Typhus-  noch  Paratyphusbazillen.  Zwei 
Durchfälle.  Einige  Roseolen. 

25.  und  26.  IV.  Grosse  Blässe,  Puls  klein,  weich,  unregelmässig, 
88.  Leib  flach,  links  etwas  schmerzhaft.  Milz  fühlbar.  Kein  Husten. 
Drei  bzw.  zwei  Durchfälle. 

27.  IV.  Klar.  Keine  besonderen  Klagen.  Puls  wieder  regel¬ 
mässig.  mässig  kräftig.  Auf  Brust  und  Bauch  linsengrosse  Roseolen. 
Diazo  +.  Agglutination  auf  Paratyphus  B  +,  auf  Typhus  negativ 
Zwei  Durchfälle. 

28.  IV.  Stechen  unter  dem  linken  Rippenbogen.  Leib  flach, 
etwas  gespannt.  Im  Blut  (Galleanreicherung)  Paratyphus¬ 
bazillen.  Drei  Durchfälle. 

29.  IV.  Leib  flach,  stark  druckempfindlich.  Milz  palpabel. 
Stechen  in  der  Milzgegend.  Vereinzelte  Roseolen.  Drei  Durchfälle 
mit  Blutbeimengung.  Grosse  Blässe. 

30.  IV.  Leib  flach,  diffus  druckempfindlich.  Gesicht  leicht  ge¬ 
rötet.  Puls  ziemlich  klein.  Im  Stuhl  Paratyphusbazillen 
(diese  Untersuchung  wurde  in  der  Kgl.  bakteriologischen  Unter¬ 
suchungsanstalt  in  München  ausgeführt).  Drei  Durchfälle. 

1.  V.  Keine  Durchfälle. 

2.  und  3.  V.  Keine  Schmerzen,  kein  Stuhl. 

4.  V.  Leib  nicht  druckempfindlich.  Milz  nicht  palpabel,  keine 
Roseolen.  Puls  regelmässig,  ziemlich  klein.  Eiweiss  negativ,  Diazo 
negativ.  Geformter  Stuhl. 

5.  V.  Leibschmerzen,  mehrere  Durchfälle.  Puls  klein  und  weich. 

6.  V.  Wiederholte  Darmblutungen.  Leib  eingezogen.  Puls  klein. 
Verwirrt,  halluziniert. 

7.  V.  Während  der  Nacht  mehrere  Darmblutungen.  Leib  stark 
eingezogen.  Haut  sehr  blass.  Wangen  eingefallen.  Puls  nicht  füM- 
oar.  Eiweiss  negativ.  Diazo  negativ,  Urobilinogen  positiv.  Be¬ 
nommenheit.  Ohne  weitere  Aenderung  des  Krankheitsbildes  gegen 
Abend  Exitus  letalis. 


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36° 

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4 

— 

.. 

60 

Kurve  2. 


Sektion 'S  befund:  Fettpolster  sehr  spärlich.  Muskulatur 
trocken,  braunrot.  In  der  Bauchhöhle  keine  freie  Flüssigkeit.  Zwerch¬ 
fellstand  rechts  und  links  5  Rippe.  Im  Herzbeutel  ca.  10  ccm  klare, 
gelbliche  Flüssigkeit.  Milz:  Wenig  vergrössert,  Oberfläche  mit  dem 
Zwerchfell  locker  verklebt.  Auf  der  unteren  Hälfte  findet  sich  eine 
talergrosse,  dicke  gelbliche  fibrinöse  Auflagerung,  in  der  Mitte  der 
Oberfläche  ein  ca.  markstückgrosser  Kapseldefekt,  der  in  eine  un¬ 
gefähr  kirschgrosse,  mit  grau-weisslichen,  weichen  Massen  aus- 
gefüllte  Höhle  führt  (erweichter  Infarkt).  Schnittfläche  der  Milz  jdah- 
dunkel  blaurot.  Das  Gewebe  ist  fest,  die  Follikel  sind  deutlich.  Le¬ 
ber:  (ilatte  Oberfläche.  Parenchym  leicht  getrübt,  rötlich-gelb. 
Zeichnung  erkennbar.  Konsistenz  kaum  vermindert.  Die  Gallen¬ 
blase  ist  prall  gefüllt  mit  flüssiger  dunkler  Galle,  die,  wie  Impfung  von 
Drigalskiplatten  ergab.  Paratyphusbazillen  B  in  grosser  Zaj i 
enthielt.  Nebennieren:  blutreich.  Nieren:  Kapsel  schlecht 
abziehbar.  Parenchym  gelb-braunrot,  trüb.  Rinde  und  Colutnnae 
Bertini  quellend.  An  Pankreas,  Ureteren,  Blase  kehle  sicht¬ 
baren  Veränderungen.  Magen  enthält  spärliche,  bräunliche  Flüssig- 


September  19 14, _ MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


keit.  Schleimhaut  leicht  diffus  gerötet,  deutlich  geschwollen  Mesen¬ 
terialdrüsen:  erbsen-  bis  bohnengross,  Schnittfläche  graurot.  D  a  r  m: 
Dünndarm  vereinzelte  Follikelschwellungen,  im  unteren  Ileum  mehrere 
insen-  bis  pfennigstückgrosse,  rundliche,  z.  T.  auch  unregelmässig 
gestaltete  Geschwüre  mit  dunkelroter  Grundfläche.  Die  rötlich  ver¬ 
erbten  Ränder  springen  teilweise  kaum  vor,  teilweise  sind  sie  dick 
ivulstig,  wallartig.  Der  Dickdarm  enthält  reichlich  eingedicktes  Blut 
)ie  Innenfläche  des  gesamten  Dickdarms  bis  zum  Rektum  hin  übersät 
,on  linsen-  bis  markstückgrossen  Geschwüren,  die  teilweise  weit  in 
lic  liefe,  einige  bis  auf  die  Serosa  eindringen.  Entsprechend  diesen 
etzteren  ist  die  Serosa  auf  der  Aussenseitc  fleckweise  blutig  im- 
'ibiert.  Kehlkopf,  I  rache  a,  Oesophagus  zeigen  keine 
.  eränderungen.  H  i  1  u  s  -  und  Bifurkationsdrüsen  erbsen- 
>is  bohnengross,  Schnittfläche  schwarz.  Thymus  4  cm  lang 
chmal.  Drüsengewebe  erhalten.  Schilddrüse:  Beide  Seitenlappen 
aubeneigross.  Lungen.  Keine  Adhäsionen:  Pleura  glatt  Gewebe 
■lut-  und  saftarm,  lufthaltig,  keine  Verdichtungen.  Herz-  Von  ent- 
prechender  Grösse.  Muskel  kräftig,  derb,  rotbraun.  Klappen  intakt 
vorta:  Innenfläche  glatt.  Hirn:  Weiche  Häute  an  Basis  und  Kon- 
exitat  tieck weise  leicht  milchig  getrübt.  Gefässe  der  Oberfläche 
eichlich  mit  Blut  gefüllt.  Ependym  der  Ventrikel  getrübt  Fliissig- 
eit  nicht  vermehrt.  Hirnsubstanz  fest. 

Wie  aus  dem  vorstehenden  Auszug  aus  den  Krankenge- 
chichten  und  Sektionsprotokollen  zu  ersehen  ist,  haben  wir 
Fälle  von  Paratyphus  abdominalis  vor  uns,  die  ihrem  Ver¬ 
tut  nach  mit  dem  gewöhnlichen  Unterleibstyphus  die  grösste 
vehnlichkeit  haben  und  nur  in  einigen  Erscheinungen  vom 
epischen  Typhus  abweichen.  Bei  beiden  Kranken  fanden 
’ir  im  Beginn  neben  Allgemeinerscheinungen  Appetitlosigkeit 
nd  Durchfälle,  die  im  einen  Fall  alsbald  durch  Obstipation 
bgelöst  wurden,  im  anderen  nur  von  einigen  Tagen  mit  Ver- 
.opfung  unterbrochen  bis  zum  tödlichen  Ende  der  Erkrankung 
nhielten.  Die  Stühle  waren  dünnflüssig,  meist  bräunlich  ge- 
irbt,  mit  Schleim  vermengt  und  im  Gegensatz  zu  diar- 
töischen  Typhusentleerungen  ausgesprochen  übelriechend, 
emerkenswert  waren  die  ausgeprägten  Schmerzen  in  der 
»ilzgegend.  Die  Milz  war  bei  Fall  I  kaum,  bei  Fall  II  etwas 
ergrössert  und  fühlbar.  Im  übrigen  fanden  sich  Roseolen 
ii  I  und  II.  Die  Leukozytenzahl  war  beidemale  im  Verlauf 
-r  Krankheit  vermindert.  Die  Diazoreaktion  war  positiv, 
as  Fieber  zeigte  bei  I  lytischen  Abfall,  bei  II  eine  Kontinua 
in  mehreren  Tagen  mit  plötzlicher  Temperatursenkung  zur 
dt  der  ersten  Darmblutung,  der  sich  dann  noch  unregel¬ 
ässiges  Fieber  anschloss. 

Der  anatomische  Befund  entspricht  ebenfalls  im  wesent- 
:hen  den  für  Typhus  charakteristischen  Veränderungen, 
ebereinstimmend  mit  früheren  Beobachtern  möchte  ich  auf 
e  ausgeprägten,  katarrhalisch  entzündlichen  Erscheinungen 
l  Magen  und  Darm  und  auf  die  mässige  Schwellung  der 
mphdrüsen  hinweisen.  Die  Mesenterialdrüsen  zeigten  auch 
diesen  Fällen  auf  der  Schnittfläche  rötliche  Farbe.  Im 
Fall  war  noch  auffallend  die  aussergewöhnlich  grosse  Zahl 
r  Darmgeschwüre  und  ihre  weite  Ausbreitung  im  unteren 
inndarm  und  im  gesamten  Dickdarm. 

Die  beiden  geschilderten  Fälle  lehren,  dass  der  Paratyphus 
dominalis  trotz  einiger  Besonderheiten  mit  dem  gewöhn- 
hen  Typhus  klinisch  und  pathologisch-anatomisch  in  so  weit- 
hender  Weise  übereinstimmen  kann,  dass  die  Diagnosen- 
-llung  mit  Sicherheit  nur  durch  Zuhilfenahme  der  bakterio- 
kischen  Untersuchung  möglich  ist. 


is  der  chirurgischen  Abteilung  des  städtischen  Kranken¬ 
hauses  zu  St.  Georg  in  Leipzig  (leit.  Arzt:  Prof.  L  ä  w  e  n). 

eber  den  Wert  intravenöser  Arthigoninjektionen  bei 
gonorrhoischen  Prozessen. 

in  Dr.  A.  Arnold  und  Dr.  H.  H  ö  1  z  e  1,  Assistenzärzten 

der  Abteilung. 

Die  von  Bruck  und  Sommer  [1,  2]  ausgearbeitete 
.•thode  der  intravenösen  Applikation  von  Gonokokken- 
'kzinen  zu  diagnostischen  und  therapeutischen  Zwecken  hat 
den  verschiedensten  Kliniken  und  Krankenhäusern  lebhaftes 
eresse  wachgerufen  und  Anlass  zu  weitgehenden  Nach- 
ifungen  gegeben.  Die  damit  erzielten  Resultate  klingen  auf 
einen  Seite  recht  günstig  (K  y  r  1  e  und  M  u  c  h  a  [3], 

■  w  i  n  s  k  i  [4j,  F  r  ü  h  w  a  I  d  [5],  Rost  [6l),  auf  der  anderen 
ite  wird  der  diagnostische  Wert  des  Verfahrens  mehr  oder 
niger  bestritten  (Klause  f7],  Schumacher  [8], 


1%7 


Asch  [9],  Habermann  [10]).  Auf  Anregung  von  Professor 
L  ä  w  e  n  haben  wir  kurz  nach  der  Publikation  der  Bruck 
imd  Sommer  sehen  Arbeit  mit  der  Nachprüfung  dieser  Me¬ 
thode  an^  dem  der  chirurgischen  Abteilung  des  Krankenhauses 
zu  St.  Georg  zur  Verfügung  stehenden  Materiale  begonnen. 
Die  an  den  ersten  26  Fällen  gemachten  Erfahrungen  hat  be¬ 
reits  Prof.  Läwen  im  Oktober  1913  auf  der  3.  Tagung  der 
Freien  Vereinigung  sächsischer  Chirurgen  besprochen1).  In¬ 
zwischen  hat  sich  unser  Material  wesentlich  vermehrt,  und 
wir  können  jetzt  über  84  Fälle  berichten,  bei  denen  266  In¬ 
jektionen  vorgenommen  wurden. 

Bei  den  Injektionen  hielten  wir  uns  im  wesentlichen  an  die 
Originalvorschrift  von  Bruck  und  Sommer  [1];  nur  in- 
sofern  wichen  wir  davon  ab,  als  wir  das  Arthigon  vor  der 
Injekuon  im  Verhältnis  von  1 : 5  mit  physiologischer  Koch¬ 
salzlösung  verdünnten  und  dann  je  nach  der  zu  verabreichen¬ 
den  Dosis  ein  entsprechend  grosses  Fliissigkeitsquantum  in¬ 
jizierten.  Wir  glaubten  bei  diesem  Vorgehen  eine  exaktere 
Dosierung  zu  erhalten.  Als  Anfangsdosis  wählten  wir  bei 
Männern  0,1,  bei  Frauen  gewöhnlich  0,05,  seltener  0,025  und 
0,075  Arthigon.  Die  Injektionen  wurden  in  den  frühen  Morgen¬ 
stunden  vorgenommen  und  die  Temperaturschwankungen 
stündlich  bis  zu  den  Abendstunden  des  nächsten  Tages  ver¬ 
folgt.  Die  damit  erzielten  Resultate  sind  auf  den  folgenden 
drei  Tabellen  wiedergegeben. 

In  der  ersten  Tabelle  handelt  es  sich  um  Fälle,  bei  denen 
mit  wenigen  Ausnahmen  der  Nachweis  von  Gonokokken  bak- 
tei iologisch  eibracht  wurde;  die  wenigen  Ausnahmen  boten 
klinisch  das  Bild  einer  sicheren  Gonorrhöe.  Auf  der  zweiten 
Tabelle  finden  sich  die  klinisch  wie  bakteriologische  sicher  nicht 
gonorrhoischen  Fälle,  während  die  dritte  Tabelle  all  jene  Fälle 
zusammenfasst,  in  denen  die  Genese  der  Erkrankung  zweifel¬ 
haft  war. 

Der  praktisch-diagnostische  Wert  der  Temperatur¬ 
erhöhung  nach  Arthigoninjektionen,  den  Bruck  und 
Sommer  als  erstes  und  wichtigstes  Merkmal  für  gonor- 
hoische  Prozesse  hervorheben,  dürfte  sich  aus  unseren  Ta¬ 
bellen  im  wesentlichen  bestätigen  lassen.  Wir  finden  bei  den 
sicher  gonorrhoischen  Fällen  stets  ausgesprochene  Tem¬ 
pel  aturerhöhungen  von  1,5  bis  4,5°;  nur  in  einem  Falle  er¬ 
folgte  auf  die  Anfangsdosis  von  0,05  Arthigon  eine  Temperatur¬ 
steigerung  um  1  0  —  es  handelte  sich  hier  um  eine  4  Monate 
ulte.,  schon  anderweitig  ausgiebig  behandelte  Coxitis  gonor¬ 
rhoica,  die  sonst  keinerlei  Zeichen  einer  manifesten  Gonorrhöe 
mehr  bot.  Bei  den  sicher  nicht  gonorrhoischen  Fällen  haben 
wir  nur  Reaktionen  gesehen,  die  unter  dem  von  Bruck  und 
Sommer  [l]  angegebenen  Grenzwert  von  1,5°  blieben. 

Nicht  ganz  so  günstig  liegen  die  Verhältnisse  bei  den  kli¬ 
nisch  zweifelhaften  Fällen.  Hier  haben  eine  Reihe  von 
Patienten  ziemlich  stark  mit  Temperaturanstieg  reagiert,  bei 
denen  sich  klinisch  keinerlei  Anhaltspunkt  für  das  Bestehen 
einer  Gonorrhöe  fand.  Ob  hierfür  vielleicht  der  Grund  in  der 
durch  anderweitige  Erkrankung  stark  geschwächten  Kon- 
stitution  (wie  Fall  2,  Tabelle  3)  oder  vielleicht  in  der  für  Frauen 
etwas  zu  hoch  gewählten  Anfangsdosis  von  0,075  Arthigon  zu 
suchen  ist,  mag  dahingestellt  sein.  Jedenfalls  haben  wir  nach 
diesen  Beobachtungen  den  Eindruck,  dass  die  vonBruck  und 
Sommer  [  1  j  angegebene  Grenze  der  Temperaturerhöhung 
um  1,5°  nicht  durchweg  so  scharf  gezogen  werden  darf,  son¬ 
dern  dass  vielmehr  in  den  zweifelhaften  Fällen  der  ganze 
Ablauf,  der  Reaktion  mit  all  seinen  Neben¬ 
erscheinungen  die  Diagnose  bestimmen  muss. 
Jugendliches  Alter,  geschwächter  Kräftezustand.  Bestehen 
irgend  einer  chronischen  Infektion  —  vorwiegend  Tuberku¬ 
lose  —  sind  zweifellos  Faktoren,  die  die  Temperaturreaktion 
in  positivem  Sinne  beeinflussen  können.  Unter  Berücksichti¬ 
gung  dieses  Gesichtspunktes  haben  wir  aber  auch  unter  diesen 
Fällen  recht  brauchbare  diagnostische  Resultate  gewonnen, 
namentlich  was  die  Differentialdiagnose  zwischen  gonor¬ 
rhoischer  Adnexerkrankung  und  subakut  verlaufender  Appen¬ 
dizitis  anlangt.  Wir  sehen  darin  ein  gerade  für  den  Chirurgen 
äusserst  wertvolles,  differentialdiagnostisches  Hilfsmittel,  was 
die  Indikationsstellung  zur  Operation  in  vielen  Fällen  be¬ 
stimmen  wird. 


*)  Vergl.  Zbl.  f.  Chir.  1914  Nr.  12. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  JS. 


1968 


Tabelle  1 .  Sichere  Fälle  von  Gonorrhöe. 


Z  Person 

Diagnose 

.22 

(A  " 

O 

•o 

o  C 

St 

'_E 

j 

S-o 

3  2 
f° 
ä.  e 

V 

JjC 

Ü 

n 

o 

a 

Allgemein¬ 

reaktion 

Herdreaktion 

<  |h 

') 

Q 

.  Mädchen 
i  19  J. 

Frische  gonorrhoische  Adnex¬ 
erkrankung 

0,075 

2,6 

+  I 

1 

stark 

stark 

,1  Frau 

2  32  J 

do. 

0,075 

0,025 

2,2 

3,5 

+ 

+ 

sehr  stark1) 
sehr  stark  t 

rst  b.  d  4. Inj.-J- 

_  Mädchen 

J  22  J. 

Coxitis  gonorrh., 
akute  Gonorrhöe 

0,075 

2.4 

+  | 

stark 

mässig  stark 

,  Mann 

4  V5J  ■ 

Gororrhöe,  Appendizitis 

0,1 

3,6 

+  | 

stark 

- 

,  Mann  1 

1  21  J. ,  1 

Arthritis  gon., 
Lvmphangitis,  Gonorrhöe 

0,1 

1,8  | 

-  1 

sehr  stark 

sehr  stark 

Mann 

6  24  J 

Gonorrhöe, 

Schussverletzung  am  Kopf 

0,1 

2,7 

- 

schwach  i 

— 

-  .Mädchen 

1  18  J.  1 

Bartholinitis  gonorrh. 

0,075 

2,4 

9 

(+)l 

mittel 

— 

„  Mädchen 

8  17  ]. 

Urethral  und  Zervlkalgonor-  1 
rhöe,  Bursitis  praepatellaris  ! 

0,075 

3,2 

+  1 

mittel 

- 

Q  Mädchen 
y  31  J. 

Pelveoperitonitis  gonorrh.,  1 
Cystitis 

0,075 

1,7 

+ 

mittel 

- 

,n  Mädchen 
10  18  j 

Coxitis  gonorrhoica 
(4  Monate  alt) 

0,05  1 
0,1 

1,0  1 
1,8 

+ 

schwach 

stark 

, ,  i  Mädchen 

11  24  J.  1 

Bartholinitis  gonorrh. 

0,05 

!|9  j 

(+) 

mittel 

ausgesprochene 

Leibschmerzen 

Mädchen 

1  21  J 

Urethral- u.Zervikalgonorrh., 
Gravidität 

0,05 

3,1 

+ 

mittel 

- 

Mädchen 
U|  25  J.  | 

Gonorrh.  Adnexerkrankung 

0,05 

4,5 

+  1 

stark 

— 

, . !  Mädchen 
14  22  J. 

Endometritis  gonorrh. 

0,05 

2,5 

+ 

stark 

— 

Frau 

15|  29  J. 

Peritonitis  gonorrh. 

0,025 

2,0 

(+) 

mittel 

— 

Frau 

I6i  30  J.  1 

Pyosalpinx,  Peritonitis  gon. 

0,05 

1,5 

+ 

sehr  schw. 

— 

Mädchen 
17  29  J. 

Tendovaginitis  gonorrh. 

0,075 

1,8 

- 

stark 

- 

J  Frau 

18  38  J. 

Gonorrh.  Adnexerkrankung 

0,05 

1,7 

+ 

mittel 

Mädchen 
19  19  J. 

Arthritis  gonorrh. 

(3  Monate  altl 

0,05 

1,7 

— 

mittel 

— 

*|  3  U. 

Peritonitis  gonorrhoica, 
Polyarthritis  rheum.,  Vitium 
cordis 

0,05 

1,8 

(+) 

mittel  (Herz- 
beschwerd.) 

oi  1  Frau 

21  24  J 

Peritonitis  gonorrh. 

(3  Monate  alt) 

0,05 

2,4 

— 

mittel 

bei  höheren 
Dosen  + 

'  Mann 

22  21  J. 

Akute  Gonorrhöe, 
Ptattfüsse 

0,1 

2,4 

+ 

- 

— 

Mädchen 
23|  22  J. 

Gonorrh.  Adnexerkrankung 

0,075 

2,6 

+ 

stark 

angedeutet 

Mädchen 
24|  22  ]. 

Appendizitis, 

Arthritis  gonorrhoica 

0,05 

2,3 

|(+> 

mittel  (Herz¬ 
störung) 

+ 

'i  Mädchen 
25!  20  J. 

Parametritis 

0,05 

2,6 

- 

mittel 

+ 

Mädchen 
2Ö|  20  J. 

Gonorrh.  Adnexerkrankung 

0,05 

1,5 

1 

mittel 

b.  höh.  Dosen 

1  + 

07  Frau 

27|  47  J 

Gonorrh.  Salpingitis 
und  Oophoritis 

0,05 

2,4 

1  + 

mittel 

- 

„c  Mädchen 
28  26  J. 

Peritonitis  gonorrh. 

0,05 

1,6  |  + 

mittel 

_ 

Mädchen 
19  J. 

Bartholinitis  gonorrh. 

1  0,05 

1,6 

(+) 

mittel 

— 

or,  Mädchen 
30l  26  J 

Endometritis, 
Salpingitis  gonorrh. 

0,05 

2,1 

|  + 

stark 

— 

, ,  Mann 

31  18  ]. 

Alte  Gonorrhöe, 
latente  Lues 

!  o,i 

2,0 

— 

schwach 

- 

Mädchen 
32  19  j. 

Peritonitis  gonorrh. 

0,05 

2,4 

1  — 

stark 

,,  Mädchen 
33  20  ]. 

Salpingitis  gonorrh. 

0,05 

1,8 

1  — 

— 

,.  Mädchen 
34  21  J. 

Retrofkxio  uteri, 
Salpingitis  gonorrh. 

0,05 

2,2 

1  + 

gering 

stark 

,,  Frau 

38  36  ]. 

do. 

0,05 

1  2,4 

|  + 

stark 

mittel 

»,  Mädchen 
30  22  J. 

Salpingitis  gonorrh. 

| 

0,05 

1,8 

I 

|  + 

stark  (Herz 
beschwerd. 
Cyanose) 

stark 

Mann 

37  21  J. 

Tendovaginitis  gonorrh. 

0,1 

2,0 

|  + 

stark 

1  + 

„„  Mädchen 
38  18  J. 

Gonorrh.  Adnexerkrankung 

|  0.03 

3,3 

sehr  stark 

+ 

Mädchen 
3J  21  |. 

Tendovaginitis  gonorrh 

0,025 

0,05 

1  1,1 

2.1 

1  + 
|  4- 

stark 

stark 

...  Mädchen 
40  24  J. 

do. 

0,05 

i,c 

— 

stark 

stark 

Mädchen 
4  2r  J 

Gonorrh.  Adnexerkrankung 

|  0,05 

2.C 

mittel 

stark 

. —  Mädchen 
42  12  j 

Salpingitis  gonorrh. 

0,05 

2,< 

|(+ 

)  sehr  stark 

— 

.,1  Mann 
43  25  ]. 

Bubo  inguinalis, 
akute  Gonorrhöe 

0,1 

1  2,1 

|(+ 

)  mässig 

— 

.  Mädchen  Endometritis  gonorrh., 

44  25  ).  periproktitischer  Abszess 

0,025 

2,8 

(-f )  |  sehr  stark 

- 

>1  Herzerscheinungen. 

)  Doppelzacke  angedeutet. 


Tabelle  2.  Sicher  nicht  gonorrhoische  Fälle. 


h 

z 

Person 

Diagnose 

Arthigondosis 

Temp. -Reaktion 

in  Grad 

Doppelzacke 

Allgemein¬ 

reaktion 

e 

o 

* 

E 

■o 

E 

V 

y 

1 

Mädchen,  18  J. 

Erysipelas  pedis 

0,075 

0,6 

0 

- 

- 

2  |  Mann,  22  J. 

Traumatische  Psychose 

0,1 

0,3 

0 

— 

— 

3 

Mann,  52  J. 

tuberkul.  des  Nebenhodens 

0,1 

1,2  l(+) 

— 

— 

4 

Mädchen,  25  J. 

Appendizitis  chron. 

0,05 

0,6 

0 

etwas  Kopiweh 

5 

Mädchen,  19  J. 

Appendizitis,  Obstipatio 

0,05 

0,8 

0 

— 

— 

6 

Mädchen,  23  j. 

Tendovag.  der  Fusstrecker 

0,075 

0,7 

0 

- 

- 

7 

Frau,  30  J. 

Retroflexio  uteri, 
Prolapsus  vaginae 

0,05 

0,2 

- 

- 

8 

Maden  en,  20  J. 

Haemorrhoiden 

0,05 

0,8 

0 

— 

- 

~ 9~ 

|  Mädchen,  20  J. 

Appendizitis 

1  0,05 

0,7 

0 

etwas  Unbehagen 

— 

10 

Mädchen,  24  |. 

Cystitis,  Pyelitis  (Coli) 

0,05 

1,2  |  0 

leichtes  Uebelsein 

— 

11 

Mädchen,  21  J 

Appendizitis  levis 

0,05 

0,5 

0 

— 

- 

12 

Mann,  18  J. 

Fractura  cruris 

0,1 

1,3  |  0 

— 

— 

13 

|  Mädchen,  25  J 

Appendicitis  subacuta 

0,05 

0,4 

0 

— 

- 

14 

|  Mädchen,  19  J. 

Appendizitis 

0,05  |  0,8 

0 

— 

- 

Was  die  Höhe  der  für  diagnostische  Zwecke  zu  verab¬ 
reichenden  Anfangsdosis  anlangt,  so  glauben  wir,  dass  die  von 
Bruck  und  Sommer  vorgeschlagene  Dosis  von  0,1  iiir 
Männer  und  0,05  für  Frauen  das  Richtige  trifft.  Zwar  haben 
auch  wir,  worauf  Ql  ingar  [12]  besonders  hinweist,  schon 
bei  Applikation  von  0,025  Arthigon  bei  Frauen  sehr  aus¬ 
gesprochene  Reaktion  gesehen  (Fall  2,  15,  44  der  Tabelle  1). 
glauben  aber  dies  nicht  verallgemeinern  zu  dürfen,  da  etwas 
ältere  gonorrhoische  Erkrankungen  weniger  stark  zu  reagieren 
scheinen,  ein  Umstand,  der  uns  veranlasste,  gelegentlich  bei 
den  Injektionen  mit  0,075  zu  beginnen.  Eine  nur  geringe  Re¬ 
aktion  zeigte  ferner  bei  der  diagnostischen  Injektion  ein  Fall 
von  wahrscheinlicher  Qonorrhöe,  die  anderwärts  wegen  Ar¬ 
thritis  des  linken  Ellbogengelenkes  ausgiebig  mit  Arthigon  be¬ 
handelt  worden  war  (Fall  11,  Tabelle  3).  Diese  Beobachtung 
bildet  ein  interessantes  Analogon  zu  den  von  uns  gar  nicht 
selten  gesehenen  Fällen,  wo  trotz  steigender  Arthigondosis  ein 
Qeringerwerden  der  Reaktion  in  ihrem  ganzen  Ablauf  zu  kon¬ 
statieren  war.  Bruck  erklärt  diese  Erscheinung  als  ein  Sym¬ 
ptom  der  eintretenden  Immunisierung  des  Körpers. 

Die  Auffassung  Haberm  a  n  n  s  [10],  dass  der  von 
B  ruck  und  Sommer  [l]  als  spezifisch  angesehene  prompte 
Temperaturanstieg  in  den  ersten  Stunden  nach  der  Injektion 
nichts  Spezifisches  für  Qonorrhöe  biete,  sondern  dass  vielmehr 
ein  diagnostischer  Wert  der  fieberhaft  erhöhten  Abend¬ 
temperatur  beizumessen  sei,  hat  sich  durch  unsere  Beob¬ 
achtung  nicht  bestätigen  lassen.  Wir  haben  diese  Art  des  all¬ 
mählichen  Temperaturanstieges  nur  recht  selten  gesehen 
(unter  den  44  sicheren  Qonorrhöefällen  5  mal),  die  meisten  Fälle 
stiegen  sehr  rasch,  innerhalb  der  ersten  drei  Stunden  post  in- 
jectionem  auf  ihr  Temperaturmaximum  meist  unter  Schüttel¬ 
frost  und  schwerer  Alteration  des  Allgemeinbefindens.  Da¬ 
gegen  erreichte  der  eine  Fall  von  Hodentuberkulose,  der  als 
sicher  nicht  gonorrhoisch  angesprochen  werden  muss,  seine 
Höchsttemperatur  von  38"  erst  gegen  Abend,  9  Stunden  nach 
der  Injektion,  obwohl  er  in  den  vorhergehenden  Tagen  nie 
gefiebert  hatte.  (Fall  3,  Tabelle  2.) 

Als  weiteres  diagnostisches  Merkmal  führen  Bruck  und 
Sommer  [l]  bei  intravenösen  Injektionen  das  Auftreten  dei 
sogen.  Doppelzacke  an.  Ueber  ihr  Zustandekommen 
äussern  dieselben  die  Vermutung,  dass  beim  Eintritt  des  Qono- 
kokkenvakzins  in  die  Blutbahn  eine  Abtötung  der  Gonokokken 
stattfindet,  worauf  der  kranke  überempfindliche  Organismus 
mit  dem  ersten  Temperaturanstieg  antwortet,  und  dass  dann 
diese  abgetöteten  Gonokokken  bei  ihrer  Resorption  gleichsam 
als  zweite  Vakzinedose  wirken  und  den  zweiten  Temperatur¬ 
anstieg  veranlassen.  Dieser  Theorie  zufolge  musste  der 
Doppelzacke  eine  hohe  diagnostische  und  therapeutische  Be¬ 
deutung  zukommen.  Wegen  der  Inkonstanz  ihres  Auftretens 
jedoch  wird  dieser  Wert  vielseitig  bestritten.  Während 
Bruck  und  Sommer  [l]  dieselbe  fast  regelmässig  hei 
gonorrhoischen  Erkrankungen  (unter  15  Fällen  13mal)  zu  ver¬ 
zeichnen  hatten,  sah  sie  Hab  ermann  [10]  nur  6 mal  unter 
32  sicheren  Qonorrhoikern,  B  a  r  d  a  c  h  [13]  nur  9  mal  bei  über 
160  Injektionen.  An  unserem  Material  wurde  sie  in  etwa  zwei 


22.  September  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1969 


1  Mädchen,  29  J 

2  Mann,  34  J. 

3  Mann,  30  J.  |  Balanitis,  traumat.  Hämatome  im  Muse,  pector 


Rechtsseitige  Adnexerkrankung 
Polyarthritis  deformans 


Mädchen,  25  J.  [  Adnexerkrankung,  Dysmenorrhöe 


i  Mädchen,  25  J.  | 


6  Mädchen,  25  J. 


Dysmenorrhöe,  Adnexerkrankung? 
Peritonitis,  Lues 


Mädchen,  23  J. 


Parametritis  exsudativa 


Frau,  38  J. 
Mädchen,  24  J. 
Mann,  21  J. 


Adnexerkrankung^Appendiritis  ?~ 


Bursitis  praepatellaris,  Schwellung  des 
entsprechenden  Kniegelenks 


11  Mädchen,  22  J. 


16 


17 


Mädchen,  22  J 

Mädchen,  24  J. 


^iubo  inguinalis 

Retroflexio  Uteri,  Fluor 
Adnexerkrankung 


Mädchen,  18  J. 
Mädchen,  19  J. 


Distorsio  pedis,  Scabies.  Endometritis 


Zystitis  (Koli) 


Mädchen,  17  J 


Adnexerkrankung 


Mädchen,  24  J. 


Adnexerkrankung  (?) 


Mädchen,  23  J.  | 


Adnexerkrankung 


Mädchen, 17  J.  | 


20  |  Mädchen,  21  J. 


Parametritischer  Abszess 

Adnexerkrankung  ? 


21 


Mädchen,  21  J. 


Adnexerkrankung 


Parametritis 


22  |  Frau,  32  J. 

23  |  Mädchen,  29  J. 


Salpingitis  (Appendizitis?) 


24 


I 


Frau,  40  J. 


Tuberculosis  genu  sin. 


Pyonephrose  (Koli) 


Mädchen,  22  J. 
Mädchen,  19  J. 


Adnexerkrankung 


Hydrosalpinx 


1,0 

2,0 


gering 


0 

(+) 


gering 


0,05 


0,8 


I  früher  angebl.  Eicheltripper,  bleibt  unklar 
I  bleibt  unklar 

'  klinisch  wahrscheinlich  Gonorrhöe 


0,075 


0,8 


gering 


gering 


0,05 

0,1 


1,3 

1,2 


(Leibschmerzen)j  bleibt  unklar 

klinisch  keine  Gonorrhöe 


klinisch  keine  Gonorrhöe 


I  0,05  |  2,0 


+ 

+ 


gering 


0,075 


0  |  ziemlich  stark  | 


2,2 


+ 


mittel 


I  0,1  |  1,5 


I  klinisch  wahrscheinlich  Oonorrhöe 
klinisch  keine  Gonorrhöe 


0,075 


0  _ |_ganz  gering 


1,1 


mittel 


bleibt  unklar  (im  Bubo  Eiter  Staphyloc.  aureus) 


+ 


0,05 


1.1  I  (+) 


mittel 


klinisch  wahrscheinl.  Gonorrhöe  (war  anderweitig 
mit  Arthigon  intramuskulär  vorbehandelt) 


0,05 


I  0,05  | 

I  0,05  f 


J,6_ 

1,3 

1,6 


0 

(+> 


stark 


I  bleibt  unklar 


T 


mittel 


klinisch  wahrscheinlich  Gonorrhöe 


| _ 0,05  |  0,2 


mittel 


J bleibt  unklar 


0,05  |  1,2  | 


0  |  ganz  gering 


I  klinisch  wahrscheinlich  Gonorrhöe 


0,05  [  1,2  | 


|  schwach  | 


klinisch  keine  Gonorrhöe 


I  0,05  |  1,0 


I 


mittel 


do. 


0,05 


stark 


I  1,7  | 


mittel 


+ 


do. 


do. 


0,05 

0,1 


I  0,05 


0,075 


1,0 
1,0 

1,8  |  0  f 


ganz  gering 


klinisch  wahrscheinlich  Gonorrhöe 


1,6  I  + 


stark 

mittel 


klinisch  keine  Gonorrhöe 


+ 


!  klinisch  wahrscheinlich  Gonorrhöe 


0,05 

0,1 


1,5 

1,4 


0 

+ 


0,05 


1,4 


mittel 

(Herzklopfen) 


klinisch  keine  Gonorrhöe 


0,05 


stark 


bleibt  unklar 


0,9 


I  gering 


wahrscheinlich  Gonorrhöe 


bleibt  unklar 


Drittel  der  sicheren  Gonorrhöefälle  —  wenn  auch  gelegentlich 
iur  angedeutet  —  beobachtet.  Ob  dieser  Doppelzacke  eine 
bsolute  Spezifität  zukommt,  möchten  wir  nicht  ohne  weiteres 
agen,  denn  wir  sahen  sie  auch  vereinzelt  in  typischer  Weise 
>ei  Patienten  auftreten,  die  klinisch  keinen  Anhaltspunkt  für 
jonorrhöe  boten.  Es  waren  dies  Fälle  von  Zystitis,  nicht 
onorrhoischer  Parametritis  und  Tuberkulose  (Fall  14,  7 
nd  23,  Tabelle  3).  Immerhin  muss  doch  betont  werden,  dass 
je  Doppelzacke  in  unseren  sicheren  Gonorrhöefällen  im 
legensatz  zu  den  anderen  Fällen  recht  häufig  beobachtet 
.  urde  und  dass  ihr  Auftreten  bei  der  Diagnose  der  Gonorrhöe 
me  beachtenswerte  Rolle  spielt.  Der  therapeutische  Effekt, 
er  nach  Bruck  und  Sommer  [l]  beim  Auftreten  der  Doppel-’ 
acke  besonders  eklatant  sein  soll,  war  nach  unseren  Be- 
bachtungen  nicht  grösser  als  bei  den  Fällen  ohne  Doppel- 
acke. 

Ziemlich  konstant  und  meist  auch  recht  ausgesprochen 
ihen  wir  bei  unseren  Gonorrhoikern  nach  den  intravenösen 
ljektionen  die  sogen.  Allgemeinreaktion.  Im  Gegen- 
itz  zu  den  Nichtgonorrhoikern,  welche  kaum  irgendwie  in 
(rem  Allgemeinbefinden  alteriert  wurden,  trat  hier  fast  regel- 
tässig  14—2  Stunden  nach  der  Injektion  prompt  die  Reaktion 
n  m‘t  Schüttelfrost,  Kopfschmerz,  Mattigkeitsgefühl  und 
ebelkeit,  gelegenlich  wurden  auch  Erbrechen,  Ohrensausen 
id  Störungen  von  seiten  des  Zirkulationsapparates,  wie  Herz- 
opfen  und  Pulsveränderungen  beobachtet.  Auf  letzteren 
unkt  kommen  wir  später  noch  einmal  zu  sprechen. 

Weit  seltener  wie  die  Allgemeinreaktion  fand  sich  unter 
iseren  Fällen  die  Herdreaktion,  d.  h.  das  Auftreten  von 
chmerzen  in  den  gonorrhoisch  erkrankten  Körperteilen,  eine 
rscheinung,  die  schon  bei  der  intramuskulären  Methode 
lunger  beobachtet  worden  war  (Reiter  [14]).  Diese  Herd¬ 
aktion  scheint  bei  den  frischeren  Gelenk-  und  Sehnen- 
neidenaffektionen  ausgesprochener  zu  sein  als  bei  den  Adnex¬ 
krankungen.  Besonders  lehrreich  war  nach  dieser  Richtung 
n  eine  Beobachtung,  die  wir  bei  einem  an  Tendovaginitis 
inorrhoica  erkrankten  Studenten  machen  konnten.  Hier 
aten  an  der  befallenen  linken  Hand  schon  kurze  Zeit  nach 
‘r  Injektion  ziehende  Schmerzen  und  ein  unangenehmes 
ärmegefühl  mit  Schweissausbruch  auf;  diese  Erscheinungen 
eiten  etwa  24  Stunden  an,  um  dann  vollkommen  zu  schwin- 
Jj-  Objektiv  war  nach  dieser  Zeit  ein  deutliches  Zurück- 
hen  der  Schwellung  und  Herabsetzung  der  Druckempfind- 
hkeit  an  der  Beugeseite  des  Handgelenkes  zu  konstatieren. — 

Nr.  3S. 


Unter  den  gonorrhoischen  Adnexerkrankungen  waren  es 
namentlich  die  frischeren  Fälle,  welche  die  Herdreaktion  in 
Eorm  von  Leibschmerzen  zeigten.  Wir  glauben  aber,  den 
Wert  dieses  Symptomes  insofern  etwas  einschränken  zu 
müssen,  als  man  dabei  zu  sehr  auf  die  subjektiven  Angaben 
der  Patienten  angewiesen  ist,  die,  namentlich  bei  Frauen  mit 
ihrem  häufig  recht  labilen  Nervensystem,  grossen  Schwan¬ 
kungen  unterworfen  sind. 

Bedeutungsvoller  als  diese  einfache  Herdreaktion  er¬ 
scheinen  uns  die  objektiv  nachweisbaren,  durch  die  Vakzine¬ 
behandlung  hervorgerufenen  Progressionen  und  P  r  o - 
pagationen.  Als  solche  sind  beschrieben  worden  das  Auf- 
treten  einer  Prostatitis,  Epididymitis  und  Tendovaginitis; 
Rost  [6]  sah  während  der  intravenösen  Kur  eine  Gelenk¬ 
schwellung  mit  Erguss  entstehen.  Wir  haben  etwas  derartiges 
bei  unseren  Fällen  n  i  e  beobachtet.  Das  einzige  was  wir 
sahen,  war  ein  Stärkerwerden  des  Ausflusses  im  Laufe  der 
Arthigonbehandlung.  Ein  Wiederauftreten  von  Gonokokken 
in  Sekreten,  die  längere  Zeit  hindurch  gonokokkenfrei  waren 
wurde  einigemale  einwandfrei  beobachtet.  Im  allgemeinen 
scheint  aber  dieser  Befund  recht  selten  zu  sein,  worauf  unter 
anderem  namentlich  Asch  [9]  hinweist.  Derselbe  hat  aus 
diesem  Grunde  eine  besondere  Methode  ausgearbeitet,  die  es 
ermöglicht,  die  durch  die  Vakzinebehandlung  hervorgerufenen 
Reaktionen  besser  auszunützen.  Er  verband  die  intramusku¬ 
läre  Injektion  mit  urethroskopischen  Untersuchungen  und  fand 
damit,  dass  in  Fällen  latenter  Gonorrhöe  meist  schon  nach 
24  Stunden,  manchmal  aber  auch  erst  3  Tage  nach  der  Injektion 
urethroskopisch-pathologische  Veränderungen  auftraten,  die 
eine  vorher  ganz  normale  Harnröhre  tiefgreifend  alteriert  er¬ 
scheinen  liessen. 

Dass  das  Arthigon  kein  ganz  so  unbedenkliches  und  harm- 
loses  Mittel  ist,  wie  Bruck  und  Sommer  [lj  hervorheben, 
zeigen  eine  Reihe  von  Fällen  in  der  Literatur,  bei  denen 
schwere  Schädigungen  von  seiten  des  Zirkulationssystems  be¬ 
obachtet  wurden.  So  sah  Föckler  [15]  nach  der  ersten 
intramuskulären  Arthigoninjektion  epileptiforme  Anfälle  auf¬ 
treten.  Fischer  [16]  berichtet  über  einen  Fall,  wo  sich  nach 
2,0  Arthigon  intramuskulär  ein  schwerer  Anfall  zerebraler  Er¬ 
krankung  einstellte;  Lewinski  [4]  bekam  nach  Applikation 
von  0,05  Arthigon  intravenös  bei  einem  Patienten  mit  Vitium 
cordis  bedrohliche  Herzinsuffizienzerscheinungen.  Auch  wir 
haben  dergleichen  Schädigungen  beobachten  können.  Bei  einer 
herzkranken  Patientin  traten  nach  der  ersten  Injektion  von 


1970 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  38. 


0,05  heftige  Schmerzen  in  der  Herzgegend,  verbunden  mit 
Tachykardie,  Dyspnoe  und  leichter  Zyanose  auf.  In  einem 
zweiten  Falle  sahen  wir  an  einem  klinisch  gesunden  Herz 
Geräusche  und  Insuffizienzerscheinungen  entstehen.  Wir 
geben  in  Kürze  die  Krankengeschichte  wieder: 

22  jähr.,  mittelkräftiges  Mädchen,  welches  am  26.  XI.  13  unter 
der  Diagnose  einer  akuten  Appendizitis  operiert  worden  war.  ln  dem 
gleichzeitig  bestehenden  Ausfluss  wurden  Gonokokken  nachgewiesen. 
10  Tage  post  operationem  traten  schmerzhafte  Schwellungen  an  den 
Fingergelenken  und  linkem  Ellbogengelenk  auf,  die  auf  die  gebräuch¬ 
lichen  Antirheumatika  (Aspirin-Pyramidon)  nicht  reagierten.  Am 
6.  XII.  13  wurde  eine  Dosis  von  0,05  Arthigon  intravenös  verabreicht; 
darnach  unter  Schüttelfrost  prompter  Temperaturanstieg  auf  38,5; 
gegen  Nachmittag  Abfall  der  Temperatur  zur  Norm.  Die  Temperatur 
stieg  dann  wieder  langsam  an,  um  am  nächsten  Tage  gegen  Mittag 
ihr  Maximum  von  39,2  zu  erreichen.  Zu  dieser  Zeit  klagte  Pat.  über 
starkes  Herzklopfen  und  Stechen  in  der  Herzgegend.  Der  Puls  betrug 
124  und  war  leicht  irregulär.  An  dem  früher  völlig  gesunden  Herzen 
fand  sich  ein  deutlich  vermehrter  Spitzenstoss  und  ein  lautes 
systolisches  Geräusch  an  der  Spitze  und  nach  der 
B  a  s  i  s  z  u.  Nach  etwa  24  Stunden  wieder  subjektives  Wohlbefinden; 
die  Geräusche  am  Herzen,  sowie  eine  ziemlich  leichte  Reiz-  und 
Erregbarkeit  des  Herzens  blieben  bis  zur  Entlassung  am  2.  II.  14 
konstant  bestehen. 

Wir  glauben  mit  ziemlicher  Bestimmtheit  annehmen  zu 
dürfen,  dass  es  sich  hier  um  eine  leichte  Endokarditis  ge¬ 
handelt  hat,  für  deren  Zustandekommen  die  Arthigoninjektion 
möglicherweise  als  auslösendes  Moment  in  Frage  kommt.  Wir 
haben  in  dem  beschriebenen  Fall  wegen  des  günstigen  thera¬ 
peutischen  Effektes  auf  die  Gelenkveränderung  mit  dem 
Arthigon  nicht  ausgesetzt,  sondern  nur  die  Dosis  reduziert, 
ohne  weiterhin  nennenswerte  Störungen  vom  Herzen  aus  zu 
beobachten.  —  In  3  weiteren  Fällen  traten  erst  bei  höheren 
Dosen  0,1 — 0,25  unangenehme  Herzstörungen  in  Form  von 
Herzpalpitationen,  Pulsbeschleunigung  mit  Irregularitäten  auf, 
die  uns  veranlassten,  die  Arthigonkur  auszusetzen.  Auf  Grund 
dieser  Beobachtungen  lässt  Prof.  L  ä  w  e  n  die  Arthigon- 
injektionen  nur  mehr  bei  herzgesunden  Individuen  vornehmen 
und  sobald  auf  die  erste  diagnostische  Injektion  eine  starke 
Reaktion  von  seiten  des  Herzens  erfolgt,  die  Dosis  reduzieren 
oder  die  Kur  abbrechen. 

Was  die  therapeutische  Wirksamkeit  des  Arthigons  an¬ 
langt,  so  haben  wir  entschieden  den  Eindruck,  dass  durch 
intravenöse  Injektionen  frischere  Adnexerkrankungen  und  Ge- 
lenkkomplikationen  günstig  zu  beeinflussen  sind.  Wir  nahmen 
die  Injektionen  in  Intervallen  von  4—7  Tagen  und  in  steigenden 
Dosen  vor,  nur  selten  häufiger  als  6 mal  bei  einem  Patienten; 
als  obere  Grenze  wählten  wir  wegen  der  nicht  abzuleugnenden 
Gefährlichkeit  des  Mittels  0,3  Arthigon.  Nebenher  wurden 
stets  die  sonstig  üblichen  therapeutischen  Massnahmen  er¬ 
griffen,  wie  Bettruhe,  Spülungen,  Kälte-  und  Wärmeapplikation 
sowie  Lokalbehandlung  mit  Argentum.  Bestehendes  Fieber 
haben  wir  im  allgemeinen  nicht  als  Kontraindikation  aufgefasst 
und  haben  hierbei  gerade  mitunter  recht  eklatante  Heilerfolge 
durch  die  Vakzinebehandlung  gesehen.  So  trat  z.  B.  bei  einem 
26  jährigen  Mädchen  mit  schwerer  Zervikalgonorrhöe  und 
rechtsseitiger  Adnexerkrankung,  welches  ca.  14  Tage  lang 
zwischen  38,5  und  39,2  gefiebert  hatte,  nach  der  2.  Injektion 
von  0,1  Arthigon  ein  prompter  Temperaturabfall  zur  Norm  ein. 
Die  vorher  dagewesenen  ziemlich  heftigen  Leibschmerzen 
schwanden  auffallend  rasch,  und  die  Temperatur  blieb  dauernd 
normal.  Einen  deutlichen  zerstörenden  Einfluss  aber  auf  die 
Gonokokken  haben  wir  entgegen  den  Beobachtungen  von 
Bruck  und  Sommer  [l]  weder  in  diesem  noch  in  ähnlichen 
Fällen  beobachten  können.  Inwieweit  die  intravenöse  Appli¬ 
kationsweise  des  Arthigons  in  therapeutischer  Hinsicht  einen 
wesentlichen  Fortschritt  gegenüber  der  intramuskulären  bietet, 
entzieht  sich  unserer  Beurteilung,  da  wir  ausschliesslich  intra¬ 
venös  injizierten;  in  diagnostischer  Hinsicht  hat  nach  unseren 
Erfahrungen  jedoch  die  Methode  im  wesentlichen  das  gehalten, 
was  sich  Bruck  und  Sommer  [l]  von  ihr  versprachen. 

Literatur. 

1.  Bruck  und  Sommer:  M.m.W.  1913  Nr.  22.  —  2.  Bruck: 
Med.  Kl.  1914  Nr.  2.  —  3.  K  y  r  1  e  und  Mucha:  W.kl.W.  1913  Nr.  43. 

—  4.  Lewinski:  M.m.W.  1913  Nr.  50.  —  5.  Frühwald:  82.  Vers. 
Deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  Wien  1913,  Derm.  Sektion.  — 
6.  Rost:  M.m.W.  1914  Nr.  13.  —  7.  K  1  a  u  s  e:  B.kl.W.  1913  Nr.  39. 

—  8.  Schumacher:  D.m.W.  1913  Nr.  44.  —  9.  Asch:  Zschr.  f. 


Urologie  1914  1.  Beiheft.  —  10.  Habermann:  M.m.W.  1914  Nr.  8 
UI1(j  9.  —  ii.  Läwen:  Zbl.  f.  Chir.  1914  Nr.  12.  —  12.  G  Ungar: 
Zschr.  f.  Urologie  1914,  1.  Beiheft.  —  13.  Bar  dach:  M.m.W.  1913 

Nr.  47.  _  14.  Reiter:  Sammelreferat  D.m.W.  1914  Nr.  43.  — 

15  Föckler:  Derm.  Wschr.  1912  Nr.  46.  —  16.  Fischer:  Derm. 
Wschr.  1913  Nr.  29, 


Kollargol  und  Arthigon  bei  gonorrhoischen  Komplikationen. 

Von  Marine-Stabsarzt  Dr.  Renisch. 

Durch  die  moderne  Behandlung  gonorrhoischer  Kompli¬ 
kationen  mit  Arthigon  scheint  das  Kollargol  als  Spezifikum  bei 
solchen  Erkrankungen  in  kurzer  Zeit  gänzlich  verdrängt  zu 
werden.  Es  erscheint  daher  zweckmässig,  auf  das  besondere 
Anwendungsgebiet  des  Kollargol  hinzuweisen,  wo  Arthigon 
unangenehme,  ja  oft  bedrohliche  Nebenerscheinungen  macht. 

Bekanntlich  reagieren  alle  mit  Arthigon  behandelten 
Patienten  mit  teilweise  recht  beträchtlichen  Temperatur¬ 
erhöhungen  und  mit  geringeren  oder  schwereren  Nebenerschei¬ 
nungen  wie  Mattigkeit,  Kopfschmerzen,  Uebelkeit,  Erbrechen, 
Herzklopfen,  Atemnot  usw.  Diese  Nebenerscheinungen  treten 
auf  infolge  der  spezifischen  Gewebsreaktion,  ob  man  nun  intra¬ 
venös  oder  intramuskulär  injiziert,  wenn  vielleicht  auch  bei 
der  letzteren  Methode  die  Reaktion  weniger  stürmisch  verläuft. 
Es  scheinen  sich  nun  in  letzter  Zeit  die  Misserfolge  zu  mehren, 
bei  denen  sich  infolge  der  zu  stürmischen  Herdreaktion  eine 
akute  gonorrhoische  Entzündung  eines  Gelenkes,  des  anderen 
Nebenhodens  oder  der  Prostata,  die  vorher  nicht  befallen 
waren,  anschliessen.  Bei  Samenstrang-  und  Samenbläschen¬ 
entzündung  sind  äusserst  heftige  Reizerscheinungen  des  Bauch¬ 
fells  beobachtet  worden.  Rost  erwähnt  sogar  einige  Fälle 
gonorrhoischer  Salpingitis,  die  an  der  sich  entwickelnden  Peri¬ 
tonitis  zugrunde  gegangen  sind. 

Infolgedessen  ist  man  jetzt  mit  der  Dosierung  des  Arthi¬ 
gons  immer  vorsichtiger  geworden  und  L  e  w  i  n  s  k  i  will 
dessen  Anwendung  sogar  nur  auf  sonst  körperlich  völlig  ge¬ 
sunde  und  kräftige  Individuen  beschränkt  wissen.  Rost  stellt 
die  Vorbedingung,  dass  bei  Anwendung  der  Vakzine  das  akute 
Stadium  der  Komplikation  seinen  Höhepunkt  überschritten 
haben  muss. 

Wie  soll  man  sich  nun  mit  der  Vakzine  in  die  entzündlich 
veränderten  Gewebe  gewissermassen  einschleichen,  ohne  allzu 
stürmische  Reaktionen  befürchten  zu  müssen?  Da  möchte 
ich  erneut  auf  die  schon  vielfach  empfohlene  Kollargolbehand- 
lung  frischer  Komplikationen  hinweisen.  Nach  Gennerich 
hat  sie  sich  aufs  glänzendste  bewährt  bei  gonorrhoischer 
Zystitis,  Prostatitis  und  Arthritis,  insbesondere  aber  bei  Epi- 
didymitis.  Herr  Marine-Oberstabsarzt  Dr.  Gennerich  war 
so  liebenswürdig,  mir  im  März  d.  J.  seine  zahlreichen  Fälle 
von  Epididymitis  vorzustellen,  bei  denen  sämtlich  ein  prompter 
Erfolg  der  Kollargolbehandlung  zu  verzeichnen  war.  Man  ist 
erstaunt,  wie  milde  sich  der  Verlauf  bei  Kollargolbehandlung 
gestaltet.  Früher  sah  man  faustgrosse  Hodentumoren  ent¬ 
stehen,  jetzt  gehen  die  Schwellungen  sofort  zurück,  der  Neben¬ 
hoden  bleibt  scharf  vom  Hoden  abgesetzt.  Alle  übrigen  Be¬ 
handlungsmethoden,  wie  Hodenpunktion,  Spaltung  der  Albu- 
ginea,  werden  überflüssig,  nur  in  den  allerseltensten  Fällen 
tritt  ein  Erguss  auf,  der  eine  Punktion  erforderlich  machte. 

Zur  Illustration  diene  in  Kürze  ein  Fall  von  doppelseitiger 
Epididymitis: 

Ein  Mann  erkrankte  3  Wochen  nach  seiner  Lazarettaufnahme 
wegen  Trippers  an  rechtseitiger  Nebenhodenentzündung.  2  Tage 
danach  erhielt  er  0,2  g  Kollargol  intravenös.  Prompter  Abfall  der 
Temperatur  von  39,2 0  auf  37,6  °.  Nachlassen  der  Schmerzen,  enorm 
schneller  Rückgang  der  ca.  hühnereigrossen  Schwellung.  Nach  einer 
wiederholten  Injektion  derselben  Dosis  nach  6  Tagen  völliger  Rück¬ 
gang  sämtlicher  Erscheinungen,  Nebenhodenkopf  nur  noch  derb  anzu¬ 
fühlen.  Pat.  konnte  bald  danach  aufstehen.  14  Tage  nach  dem  Auf¬ 
stehen  erkrankte  plötzlich  der  linke  Nebenhoden.  Eine  diesmal  sofort 
vorgenommene  Injektion  von  0,2  Kollargol  intravenös  bringt  Schwel¬ 
lung  und  Schmerzhaftigkeit  fast  augenblicklich  zurück,  ebenso  fällt  die 
Temperatur  von  38,2°  am  nächsten  Morgen  auf  36,6°.  Irgendwelche 
Reizerscheinungen  treten  nicht  auf. 

Reizerscheinungen  hat  Gennerich,  abgesehen  von  ge¬ 
ringen  anfänglichen  Temperatursteigerungen,  nie  auftreten 
sehen,  nachdem  zur  Vermeidung  des  Wasserfehlers  immer 
frisch  destilliertes  Wasser  zur  Lösung  verwendet  wurde.  Es 


22.  September  1914. 


MlJhNCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


ist  zudem  ein  Krosser  Vorteil  der  Kollargolbehandlung,  dass 
von  einer  antiseptischen  Lokalbehandlung  der  Harnröhre  aus 
keine  schädliche  Reizung  stattfindet.  Es  kann  natürlich  nicht 
Aufgabe  der  Kollargolbehandlung  sein,  den  entstandenen  Folge- 
zustand  zur  Norm  zurückzubringen.  Auch  nach  Beseitigung 
aller  Entzündungserscheinungen  bleiben  selbstverständlich  ge¬ 
wisse  Rückstände,  die  der  heissen  Kataplasmen-  etc.  Behand¬ 
lung  bedürfen. 

Es  scheint  heute,  wie  es  immer  mit  einem  neuen  Aufsehen 
erregenden  Mittel  gemacht  zu  werden  pflegt,  zu  sehr  kritiklos 
init  Vakzine  gearbeitet  zu  werden,  in  der  Annahme,  dass  jede 
lripperkomplikation,  auch  in  akutem  Zustande,  Feld  der 
Vakzinebehandlung  wäre.  Beide  Methoden,  Kollargol  wie 
\  akzine  sind  ausgezeichnet,  aber  beide  haben  ihre  bestimmte 
Indikation. 

.  Kollargol  ist  nur  am  Platze  bei  ganz  frischen  Kompli¬ 
kationen,  wo  es  durch  spezifische  Einwirkung,  im  Sinne 
Neissers,  die  Infektionserreger  abtötet  und  den  Rückgang 
der  akuten  Entzündungserscheinungen  besorgt.  Nach  Be¬ 
seitigung  dieser  hat  die  Kollargolbehandlung  ihre  Grenze 
erreicht. 

Vakzine  hat  vollen  Erfolg  nur,  wie  besonders  Gennerich 
betont,  wenn  der  akute  Entzündungszustand  durch  Kollargol 
intravenös  bekämpft  war.  Die  Verwendung  der  Vakzine 
kommt  demnach  in  Betracht 

1.  In  allen  älteren  Epididymitisfällen,  wo  nach  Kollargol 
seit  mehreren  lagen  keinerlei  Reizerscheinungen  mehr  be¬ 
stehen.  Da  Vakzinebehandlung  immer  zu  einer  entzündlichen 
Raktion  spezifischer  Art  an  dem  vorliegenden  Herd  führt, 
kommt  es  auch  nach  vorhergegangener  Kollargolbehandlung 
zu  dieser,  jedoch  verläuft  sie  sehr  milde,  und  es  erfolgt  darauf 
eine  ausserordentlich  starke  Abnahme  des  vorhandenen  Krank¬ 
heitszustandes. 

2.  Bei  einer  akuten  eitrigen  Prostatitis  kann  die  durch  die 
Vakzination  zunehmende  Entzündung  direkt  lebensbedrohlich 
sein,  wenn  es  zu  einem  Durchbruch  des  Eiters  nach  innen 
kommt.  Ist  dagegen  Kollargol  vorher  gegeben,  so  kommt  es 
innerhalb  24  Stunden  zu  einem  erstaunlich  schnellen  Rückgang 
der  Entzündung,  die  das  ganze  kleine  Becken  ausfüllt,  und  Ab¬ 
nahme  der  Beschwerden.  Ferner  kann  man  schon  am  folgen¬ 
den  1  age  mit  Massage  beginnen,  was  sonst  kontraindiziert 
wäre. 

3.  Bei  Samenstrang-  und  Samenbläschenentzündung  dürfte 
.‘S  nach  vorheriger  Kollargoldarreichung  infolge  der  Vakzi- 
lation  kaum  zu  einer  peritonealen  Reizung  mit  entsprechenden 
Beschwerden  kommen. 

4.  Kontraindiziert  ist  Vakzine  überhaupt  bei  akuten  gonor- 
hoischen  Prozessen  des  kleinen  Beckens,  speziell  der  Salpin¬ 
gitis,  wo  es  auch  trotz  Kollargolbehandlung  zu  einer  tödlichen 
Jeritonitis  kommen  kann. 

5.  Nur  bei  Arthritis  kann  man  unbeschadet  um  reaktive 
mtzündung  in  den  meisten  Fällen  mit  Vakzine  anfangen,  aber 
luch  hier  ist  es  zweckmässig,  mit  Kollargol  zu  kombinieren, 
im  besser  akut  entzündlichen  Vorgängen  entgegenzuarbeiten. 

6.  Die  Vakzine  hat  unbestritten  eine  grosse  diagnostische 

Bedeutung. 

In  Kürze  noch  die  Dosierung: 

Kollargollösung  wird  1  proz.  in  kaltem,  frisch  destilliertem 
Vasser  hergestellt,  dann  10  Minuten  im  Wasserbad  sterilisiert 
nd  nach  Abkühlung  5 — 10  ccm  jeden  Tag  8 — 14  Tage  lang 
ntravenös  injiziert. 

Arthigon  wird  bei  intramuskulärer  Injektion  mit  0,25  be- 
onnen  und  in  4  tägigen  Abschnitten  auf  2,0  gesteigert,  intra- 
enös  wird  von  0,025  auf  0,2  gegangen,  im  ganzen  höchstens 

Injektionen. 

Die  kombinierte  Kollargol-Arthigonbehandlung  dürfte  heut- 
utage  die  beste  Behandlungsmethode  gonorrhoischer  Kompli- 

ationen  darstellen. 


Die  Anzeigepflicht  bei  venerischen  Krankheiten  ist 
leicht  durchführbar! 

Eine  gut  durchgeführte  Anzeigepflicht  ansteckender  Krankheiten 
ist  eine  conditio  sine  qua  non  für  eine  kräftige  Bekämpfung  derselben, 
icn  habe  in  der  Hygienischen  Rundschau  1902  Nr.  14  eine  Methode 

angegeben,  wie  man  die  Anzeigepflicht  bei  venerischen  Krankheiten 
durchfuhren  kann. 

Leider  hat  dieser  Vorschlag  bis  jetzt  noch  keine  Beachtung  ge¬ 
rn”1'  <i7-  ■  \°  saf\*e  Bla  sch  ko  in  der  13.  Sektion,  Diskussion  Nr  3 
des  17.  internationalen  medizinischen  Kongresses  in  London  1913- 
..  »Eine  generelle  Anzeigepflicht,  wie  sie  bei  den  übrigen  Infek¬ 
te^  krailMheitenu  als  Ausgangspunkt  für  alle  weiteren  prophylak¬ 
tischen  Massnahmen  geübt  wird,  ist  bei  den  venerischen  Krank¬ 
heiten  aus  verschiedenen  Gründen  nicht  durchführbar.  (Selbst 

kffaN?i-Weegtn  u"d  DaJnemark<  wo  eine  solche  für  Patienten,  die  auf 
öffentliche  Kosten  und  in  öffentlichen  Krankenhäusern  verpflegt  wer¬ 
den,  besteht,  fehlt  sie  für  die  Privatklientel.)“ 
c  ,,  ln  ^?.te{.r.ei,ck  bereitet  sich  ein  neues  Epidemiegesetz  vor. 
Selbstverstandhch  soll  dasselbe  auch  auf  die  venerischen  Krankheiten 
Bedacht  nehmen.  Der  oberste  Sanitätsrat  beantragte  in  dem  Ge¬ 
setzentwürfe  die  Anzeigepflicht  für  venerische  Krankheiten  nicht, 
v  ui-  1S*  ^er  zweite  Grund,  warum  ich  noch  einmal  auf  meine 
Vorschläge  zu  sprechen  kommen  möchte.  Es  seien  also  meine  jetzi¬ 
gen  Bemerkungen  zum  Teil  auch  als  eine  Ergänzung  zu  meinen  An¬ 
gaben  aus  dem  Jahre  1902  aufgefasst. 

Was  die  Technik  anbelangt,  so  stehen  mir  hiefür  Erfahrungen 
zu  Gebote,  die  ich  vor  vielen  Jahren  im  Grazer  Stadtphysikate  er- 
worben  habe,  wo  mh  einige  Zeit  freiwillige  Dienste  leistete  und  spe¬ 
ziell  bei  der  Bekämpfung  von  drohenden  Blattern-  und  Masernepi¬ 
demien  wesentlich  mithelfen  konnte.  Ich  habe  die  dortigen  Einrich¬ 
tungen  als  äusserst  nachahmenswert  kennen  gelernt  und  meine  Vor¬ 
schläge  beruhen  wohl  auch  zum  Grossteil  auf  der  Annahme,  dass 
andere  Aemter  in  gleicher  Weise  vorgehen. 

Für  jede  der  ansteckenden  Krankheiten  sind  daselbst  einzelne 
Bücher  in  Verwendung,  die  sich  im  Laufe  der  Jahrzehnte  natürlich  zu 
Banden  reihten.  In  diese  Bücher  werden  die  einzelnen  Anzeigen  ge¬ 
nau  eingetragen.  Welch  enorme  Arbeit  das  mit  sich  bringt,  kann 
nur  der  ermessen,  der  beispielsweise  während  der  seinerzeitigen 
grossen  Influenzaepidemien  die  Eintragungen,  die  täglich  vor¬ 
genommen  wurden,  selbst  nachgesehen  hat,  oder  sie  gar  selbst  be¬ 
sorgen  musste.  Ausser  dem  Namen  und  dem  Alter  ist  auch  der  an¬ 
zeigende  Arzt  genannt;  es  ist  ferner  zu  ersehen,  ob  der  Erkrankte  zu¬ 
gereist  war,  ob  also  die  Erkrankung  in  der  Stadt  Graz  selbst  er¬ 
worben  wurde. 


Mein  Vorschlag  ging  nun  dahin,  für  die  venerischen  Krankheiten 
3  neue  Bücher  anzulegen.  Eines  für  die  Gonorrhöe,  ein  zweites  für 
che  Syphilis  und  ein  drittes  für  die  Helkosen.  Letzteres  Buch  wird 
natürlich  zuweilen  Fälle  von  Ulcus  Simplex,  zuweilen  auch  solche  von 
beginnender  Syphilis,  oder  von  vorgeschrittener  gummöser  Syphilis 
wahrscheinlich  auch  von  nicht  deutlich  erkannten  Sekundärfällen  ent¬ 
halten. 

Von  einer  Anzahl  von  Kranken  wird  die  .Anzeige  mit  vollem 
Namen  geschehen  können,  so  ganz  sicher  z.  B.  bei  Arrestanten 
Wahrscheinlich  aber  auch  bei  Spitalskranken;  zumindest  von  solchen" 
die  in  öffentlichen  Krankenhäusern  auf  öffentliche  Kosten  verpflegt 
werden.  Die  Nennung  des  Namens  verbürgt  natürlich  die  Verhütung 
einer  Doppelzählung. 

Alle  anderen  Kranken  —  und  das  ist  das  Wesentliche 
und  Durchführbare  meines  Vorschlages  —  können 
aber  vor  der  Behörde  in  einer  Weise  gekennzeichnet  werden,  dass 
erstens  Doppelzählungen  hintangehalten  werden;  zweitens,  dass  die 
Personen  gekennzeichnet  sind,  ohne  dass  man  ihren  Namen  oder 
Beruf  erführe;  und  drittens  kann  für  sie  eine  Einreihung  gefunden 
werden,  so  dass  man  sie  sofort,  ohne  ihren  Namen  zu  kennen,  in 
eine  gewisse  Folge  stellen  kann,  die  ähnlich  wie  die  alphabetische 
Einreihung  der  Namen  eine  leichte  Auffindbarkeit  gewährt. 

Die  Methode  beruht  auf  der  einfachen  Annahme,  dass  von  den¬ 
jenigen  Personen,  die  an  einem  bestimmten  Tage  in  einem  bestimmten 
Orte  geboren  werden,  kaum  je  in  einem  zweiten  Orte  2  wegen 
venerischen  Krankheiten  zur  Anzeige  gelangen  werden.  Ein  Beispiel: 
Von  den  am  26.  April  1890  zu  Pruggern  bei  Gröbming  in  Steiermark 
geborenen  Personen  dürften  in  der  Bezirkshauptmannschaft  Schwaz 
im  Jahre  1913  kaum  mehr  als  eine  Person  wegen  venerischer  Er¬ 
krankung  zur  Anzeige  kommen.  Um  das  Unterbleiben  von  Doppel¬ 
zählungen  nach  dieser  Methode  an  einem  Beispiele  festzustellen,  habe 
ich  im  Jahre  1902  von  2  Parallelklassen  eines  Gymnasiums  —  also 
ziemlich  gleichaltrige  Personen  und  noch  dazu  desselben  Geschlech¬ 
tes  —  die  Daten  gesammelt  und  bei  77  Schülern  glich  nicht  eine  An¬ 
gabe  der  anderen.  Es  waren  beispielsweise  wohl  2  Schüler  am 
16.  Januar  1890  geboren,  der  eine  aber  in  Graz  und  der  andere  in 
Wien.  In  grösseren  Städten  kann  überdies  noch  der  Geburtsbezirk 
zu  einer  Unterscheidung  verhelfen. 

Die  Einreihung  —  an  Stelle  der  alphabetischen  —  könnte  also 
im  Buche  zunächst  nach  den  12  Monaten  erfolgen.  Diesen  würde 
(auf  verschiedenen  Seiten)  der  Monatstag  folgen,  dann  auf  derselben 
Seite  das  Geburtsjahr,  der  Geburtsbezirk  und  das  Geschlecht. 

Der  Index  würde  aber  statt  der  Einteilung  in  Buchstaben  eine 
Einteilung  nach  den  12  Monaten  und  deren  Tagen  (365  Seiten)  geben. 


2* 


1972 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  38. 


Selbstredend  ist  einer  neugierigen  Seele  die  umständliche  Möglichkeit  I 
gegeben,  durch  Vermittlung  des  Pfarramtes  herauszubringen,  wie 
etwa  das  männliche  Kind  heisst,  das  am  22.  Juni  1887  zu  Grubbach 
bei  Riegersburg  in  Steiermark  geboren  wurde  und  das  im  Jahr 
1913  mit  Tabes  beim  Stadtphysikate  Olmütz  angezeigt  wurde.  Aber 
praktisch  dürfte  sich  dieser  Fall  wohl  nicht  ereignen. 

Ich  wiederhole  aus  meinen  Mitteilungen  des  Jahres  1902,  dass 
ich  blennorrhoische  Augenaffektionen  von  dieser  Statistik  ausschloss, 
dass  ich  genau  begründete,  warum  ich  mir  die  Anzeigepflicht  in  den 
3  genannten  Kategorien  am  zuverlässigsten  vorstelle  und  habe  an 
Beispielen  erörtert,  wie  etwa  die  betreffenden  Drucksorten  aus¬ 
zusehen  hätten. 

Es  wäre  zu  wünschen,  dass  mein  Vorschlag  Beachtung  finde  und 
dass  dadurch  eine  wesentliche  Eindämmung  der  venerischen  Krank¬ 
heiten  möglich  würde.  Prof.  Dr.  Ludwig  Merk-  Innsbruck. 


Bücheranzeigen  und  Referate. 

R.  Tigerstedt:  Handbuch  der  physiologischen  Methodik. 

L.eipzig,  S.  Hirzel.  Dritter  Band,  erste  Hälfte,  Abteilung  III  b. 
Geheftet  8  M. 

Mit  der  Ausgabe  dieser  Lieferung,  die  lang  genug  auf  sich  hat 
warten  lassen,  ist  das  Handbuch  der  physiologischen  Methodik  end¬ 
lich  zum  Abschluss  gelangt.  Wie  immer  in  einem  Sammelunter- 
nehtnen  sind  die  Teile  ungleich  in  Plan  und  Ausführung,  alle  aber 
nützlich  und  wertvoll.  Das  Werk  ist  eine  höchst  beachtenswerte, 
ja  unentbehrliche  Inventarisierung  der  physiologischen  Methodik  von 
heutzutage  und  der  Entwicklung,  die  sie  in  den  letzten  38  Jahren 
—  seit  Erscheinen  von  Cyons  Methodik  —  genommen.  Der  Unter¬ 
schied  gegenüber  dem  eben  genannten  Buche  ist  deutlich.  Damals 
standen  die  vivisektorischen  Eingriffe  im  Vordergrund  des  Interesses 
und  die  Beschreibung  von  Operationen  beherrscht  das  Buch.  Jetzt 
sind  die  Aufgaben  und  die  Mittel  zu  ihrer  Lösung  viel  reicher  und 
mannigfaltiger,  die  Methoden  des  Stoffwechsels,  der  Kalorimetrie,  der 
physikalischen  Chemie,  der  Sinnesphysiologie  und  Psychophysik  be¬ 
anspruchen  einen  breiten  Raum  und  die  Kritik  der  Instrumente,  da¬ 
mals  in  den  Anfängen,  ist  eine  sehr  eingehende  geworden. 

Die  vorliegende  Lieferung  enthält  zwei  Beiträge.  In  dem  ersten 
gibt  J.  R.  Ewald  eine  Darstellung  der  Operationsverfahren  zur 
Entfernung  des  ganzen  Labyrinths  sowie  zur  Ausschaltung  und  Rei¬ 
zung  einzelner  Teile  desselben.  Hauptversuchstier  ist  die  Taube.  An 
der  Ausbildung  dieser  Verfahrungsarten  ist  bekanntlich  der  Verfasser 
des  Beitrages  in  hervorragendem  Masse  beteiligt  gewesen. 

In  dem  zweiten  Beitrag  behandelt  K.  L.  S  c  h  a  e  f  e  r  die 
akustischen  Funktionen  des  Ohres.  Hiebei  wird  ausführlich  einge¬ 
gangen  einerseits  auf  die  Entwicklung  der  physikalisch-technischen 
Hilfsmittel  zur  Untersuchung  der  fraglichen  Funktionen  und  ander¬ 
seits  auf  alle  Vorsichtsmassregeln,  die  bei  ihrem  Gebrauch  zu  physio¬ 
logischen  und  otiatrischen  Zwecken  beachtet  werden  müssen.  Phy¬ 
siker,  Physiologen,  Psychologen  und  Ohrenärzte  werden  aus  dieser 
sehr  sorgfältigen  Darstellung  grosssen  Nutzen  ziehen  können. 

.  v.  F  r  e  y  -  Würzburg. 

Technik  der  speziellen  klinischen  Untersuchungsmethoden, 

Unter  Mitwirkung  von  Dr.  K.  Br  ahm -Berlin  —  Priv.-Doz.  Dr. 
W.  Frey-  Königsberg  i.  Pr.  —  Obering.  Fr.  Janus-  Berlin  —  Priv.- 
Doz.  Dr.  Fr.  Meyer-Betz  -  Königsberg  i.  Pr.  —  Prof.  Dr.  Fr. 
Müller-  Berlin  —  Prof.  Dr.  G.  Nicolai-  Berlin  —  Priv.-Doz. 
Dr.  J.  Pie  sch -Berlin  —  Prof.  Dr.  H.  Schade-Kiel  —  Prof. 
Dr.  J.  S  c  h  m  i  d  -  Breslau  —  Priv.-Doz.  Dr.  Th.  Stumpf-  Breslau  — 
Prof.  Dr.  W.  Weich  ardt  -  Erlangen  —  Dr.  G.  Wiedemann- 
Königsberg  i.  Pr.  herausgegeben  von  Prof.  Dr.  Theodor  B  r  u  g  s  c  h 
und  Prof.  Dr.  Alfred  Schittenhelm.  2  Teile.  1078  Seiten, 
574  Abbildungen.  Verlag  Urban  &  Schwarzenberg,  1914. 
Preis  geb.  40  M. 

Die  Verfasser  haben  in  der  1911  erschienenen  2.  Auflage  ihres 
Lehrbuches  klinischer  Untersuchungsmethoden  eine  Teilung  des 
Stoffes  vorgenommen,  indem  sie  „diejenigen  wissenschaftlichen  Me¬ 
thoden,  die  nur  in  gut  eingerichteten  Laboratorien  und  von  gelernter 
Hand  ausführbar  sind,  dem  Lehrbuch  entnommen  und  ihre  Darstellung 
für  eine  Ergänzung  jenes  Lehrbuches  unter  dem  Titel:  Technik 
klinischer  Untersuchungsmethoden  aufgespart  haben.“  Dieses  Werk 
ist  jetzt  als  2.  Bapd  des  genannten  Lehrbuches  in  2  Teilen  erschienen. 
Der  1.  Teil  enthält:  Hämodynamik,  Kymographik,  Pneumographik, 
Röntgenologie,  bakteriologische  Untersuchungsmethoden  und  Immuno- 
diagnostik,  die  wichtigsten  pathologisch-histologischen  Unter¬ 
suchungsmethoden,  optische  Untersuchungsmethoden.  Der  2.  Teil: 
Stoffwechselmethodik,  spezielle  chemische  Untersuchungsmethoden, 
Fermente  und  einige  klinisch  wichtige  experimentelle  Methoden, 
funktionelle  Untersuchung  des  vegetativen  Nervensystems,  Technik 
der  medizinisch  wichtigsten  physiko-chemischen  Untersuchungs¬ 
methoden,  Körpermessung.  —  Sachregister. 

Die  von  den  Verfassern  vorgenommene  Abtrennung  der  haupt¬ 
sächlich  für  das  Laboratorium  in  Betracht  kommenden  Methoden 
von  den  praktisch  allgemein  üblichen  erscheint  dem  Ref.  als  ausser¬ 
ordentlich  glücklicher  Griff.  Es  hat  dadurch  sowohl  die  Einheitlich¬ 
keit  des  1.,  1911  erschienenen  Bandes  als  auch  die  Vollständigkeit 
des  jetzt  vorliegenden  2.  Bandes,  der  auch  zurzeit  noch  in  Ent¬ 


wicklung  begriffene  Methoden  enthält,  wesentlich  gewonnen.  Die 
Verfasser  haben  nämlich  auch  derartige  Methoden  in  ihre  Darstellung 
aufgenommen,  da  sie  —  nach  Ansicht  des  Ref.  sehr  mit  Recht  — 
davon  überzeugt  sind,  dass  noch  in  Entwicklung  begriffene  bio¬ 
logische  Methoden  vorn  wissenschaftlich  arbeitenden  Kliniker  sehr 
gefördert  und  so  der  experimentellen  Pathologie  dienstbar  gemacht 
werden  können.  Die  Art  der  Darstellung  und  die  weitgehende  Heran¬ 
ziehung  physiologischer  Methoden  zu  klinischen  Zwecken  entspricht 
der  schon  in  der  1.  Auflage  des  Lehrbuchs  ausgesprochenen  Absicht 
der  Verfasser,  die  klinische  Diagnostik  nach  Möglichkeit  auf  den 
Lehren  der  Physiologie  aufzubauen  sowie  der  grundlegenden  Be¬ 
deutung,  welche  die  pathologische  Physiologie  jetzt  für  die  innere 
Medizin  besitzt.  Zur  Bewältigung  des  Stoffes  haben  die  Verfasser 
eine  Reihe  von  Mitarbeitern  herangezogen;  es  wurde  dadurch  mög¬ 
lich,  das  riesige  Material  in  gründlicher  und  übersichtlicher  Weise 
zur  Darstellung  zu  bringen.  Für  manche  Methoden  sind  nur  die 
Grundlagen  angegeben,  jedoch  unter  genügender  Anfügung  von 
Literatur,  so  dass  man  sich  leicht  und  rasch  orientieren  kann.  Das 
Verständnis  des  Textes  ist  durch  eine  grosse  Zahl  guter  Abbildungen 
erleichtert.  So  erscheint  die  Absicht  der  Verfasser,  mit  ihrer  „Technik 
der  speziellen  klinischen  Untersuchungsmethoden“  „ein  Novum  zu 
schaffen,  nämlich  die  Zusammenfassung  einer  Anzahl  Methoden  aus 
den  verschiedensten  Spezialdisziplinen  unter  dem  gemeinsamen 
Gesichtspunkte  ihrer  Zusammengehörigkeit  zur  wissenschaftlichen 
Klinik“  als  ausserordentlich  dankenswert  und  in  der  Ausführung 
glänzend  gelungen.  Toeniessen  -  Erlangen. 

W.  Bateson:  Mendels  Vererbungstheorie.  Aus  dem 

Englischen  übersetzt  von  Alma  W  i  n  c  k  I  e  r.  Mit  einem  Begleitwort 
von  R.  v.  Wettstein,  sowie  41  Abbildungen  im  Text  und  6  Tafeln 
und  3  Porträts  von  Mendel.  B.  G.  T  e  u  b  n  e  r  1914. 

Es  ist  ein  grosses  Verdienst,  dass  dieses  wichtige,  grundlegende 
Werk  über  die  Vererbungstheorien  endlich  ins  Deutsche  übersetzt  ist 
und  damit  einem  grösseren  Leserkreise  zugänglich  wird. 

In  klaren  Zügen  werden  die  Lehren  Mendels  entwickelt,  die 
Widerstände,  die  sich  ihm  entgegenstellten  und  sein  Werk  fast  ver¬ 
nichteten.  Wie  dann  die  beinahe  völlig  in  Vergessenheit  geratenen 
Ideen  später  doch  zu  ihrem  Rechte  kamen  und  grundlegend  wurden 
für  unsere  Anschauungen  über  die  Vererbungsgesetze.  Durch  ein? 
grosse  Anzahl  von  praktischen  Experimenten  im  Tier-  und  Pflanzen¬ 
reich  wird  vom  Verf.  immer  wieder  die  Richtigkeit  des  „Mendelns“ 
bewiesen,  auch  wenn  äusserlich  scheinbar  die  Sache  nicht  so  klar  auf 
der  Hand  liegt.  Zugleich  gewinnt  man  aus  allem  den  Eindruck,  dass 
noch  ungeheuer  viel  Arbeit  zu  leisten  ist,  um  alle  Fragen  auf  diesem 
Gebiete  restlos  zu  lösen.  Dennoch  kann  der  Tier-  und  Pflanzenzüchter 
schon  heute  aus  den  bisher  gewonnenen  Resultaten  sicher  Nutzen 
ziehen,  wenn  er  sich  nur  an  die  bis  jetzt  feststehenden  Tatsachen  hält 
und  nicht  unmögliches  verlangt.  Ein  kurzes  Kapitel  macht  uns  mit 
Mendels  Leben  bekannt.  Knapp  und  anschaulich  ist  geschildert, 
welche  äusseren  Einflüsse  für  die  Werke  des  Mannes  bestimmend 
waren,  dessen  Anschauungen  unser  Jahrhundert  beherrschen. 

Ueber  die  Uebersetzung  ist  nur  Lobenswertes  zu  sagen.  Sic  ist 
mit  Sorgfalt  durchgeführt  und  findet  stets  den  rechten  Ausdruck,  den 
Inhalt  dem  Leser  klar  zu  schildern.  Die  Abbildungen  und  Tafeln  sind 
von  grosser  Klarheit  und  bringen  vieles  dem  Verständnisse  naher. 
Das  Buch  wird  sicher  auch  in  Deutschland  bald  die  Anerkennung 
finden,  die  es  in  England  gefunden  hat.  H.  Koegel-Jena. 

F.  Müller-Lyer:  Soziologie  der  Leiden.  Verlag  Albert 

Langen,  München  1914.  22 6  Seiten.  Preis  geh.  M.  3. — ,  geb. 

M.  4.—. 

Miiller-Lyers  Gesellschaftslehre  weist  für  die  Entwicklung 
der  Kultur  ähnliche  Gesetze  nach,  wie  sie  uns  die  Naturwissen¬ 
schaft  für  die  Natur,  wie  sie  uns  besonders  H  a  e  c  k  e  1  im  bio¬ 
genetischen  Grundgesetz  gab.  Und  das  Kennen  führt  zur  sinnvollen 
Arbeit,  zur  Kulturbeherrschung.  Im  Gegensatz  zu  den  Lehren  der 
meisten  anderen  Soziologen  (S  i  m  m  e  t  etc.)  ist  Miiller-Lyers 
Soziologie  induktiv,  sie  ist  exakt  im  Sinne  der  Naturwissenschaft. 

In  der  Soziologie  der  Leiden,  der  Pathologie  des  Gesellschafts¬ 
körpers,  erkennen  wir  das  Leiden,  das  menschliches  Leben  störende 
und  mindernde  Element,  als  begründet  in  der  Entwicklung  der 
menschlichen  Kultur,  als  voraussehbar,  beherrschbar  und  in  letzter 
Ferne  vermeidbar.  Im  Gegensatz  zum  Leiden  stehen  die  natürlichen 
Widerstände,  die  nötig  sind  zur  Erhaltung  unserer  Kraft. 

Dem  Arzt  ist  das  Buch  ein  Spiegel  der  engen  Grenzen  seiner 
Kunst.  Doch  gerade  dadurch  zeigt  es  ihm  seinen  Ehrenplatz  im 
Kampf  gegen  menschliches  Leiden.  Es  weitet  seinen  Blick  und  führt 
ihn  wie  jeden  Leser  zu  einem  arbeitsfrohen  Optimismus. 

Koebner  -  München. 

Neueste  Journalliteratur. 

Zeitschrift  für  klinische  Medizin.  80.  Band,  3.  u.  4.  Heft- 

L.  Dünner:  Zur  Klinik  und  pathologischen  Anatomie  der  an¬ 
geborenen  Herzfehler.  (Aus  der  I.  med.  Abteilung  und  dem  pathol.- 
anatom.  Institut  des  städt.  Krankenhauses  Moabit  in  Berlin.) 

Der  Verfasser  beschreibt  2  Fälle  von  angeborenem  Herzfehler: 
der  erste  betraf  ein  10  Wochen  altes  Kind,  bei  dem  klinisch  Kurz¬ 
atmigkeit.  Oedeme  an  den  Augenlidern  und  an  den  Füssen  bestand 
i  neben  geringgradiger  Zyanose,  welche  im  Liegen  stärker  war  als 


22.  September  1914. 


MUFNüliFNER  MEDIZINISCHE  WQCM liNSCHRl  KT. 


1973 


hei  aufrechter  Haltung.  Die  Röntgenuntersuchung  ergab  eine  be¬ 
deutende  \  ergrosserung;  der  Verdacht  auf  ein  perikardiales  Exsudat 
wurde  durch  den  Ausfall  der  Probepunktion  nicht  bestätigt,  so  dass 
sc  1ICSS  IC..1  ni,r  ^ie  Annahme  eines  kongenitalen  Vitiums  übriß  blieb, 
dessen  nähere  Art  festzustellcn  unmöglich  war.  Die  Sektion  ergab 
dt‘!in„arUMh  V  u*mon?j.ven®n’  2  Foramina  ovalia,  1  gemeinsame  Ven- 
»«•  i  •ij  e’  jranip?1sitl0!1,d5r  Gefässe,  offenen  Ductus  arteriosus  Bot., 
Missbildung  der  1  nkuspidalis  und  Verlagerung  der  beiden  Herzohren, 
Befunde,  die  nur  auf  Störungen  in  der  Entwicklung  zurückzuführen 
sind.  Der  2.  Fall  betraf  ein  3  wöchentliches  Kind  mit  Broncho¬ 
pneumonie  und  starker  Zyanose,  welche  aber  erst  vom  Halse  ab¬ 
wärts  bestand,  den  Kopf  dagegen  freiliess.  Die  Diagnose  wurde  auf 
kongenitales  Vitium  oder  Endo-  und  Perikarditis  gestellt.  Die  Sek¬ 
tion  ergab  I  ersistenz  und  Erweiterung  des  Ductus  arteriosus  Bot., 

1  cisistenz  des  Foramen  ovale  und  Stenose  des  Isthmus  aortae  neben 
ausgedehnten  bronchopncumonischen  Herden.  Durch  diese  letzteren 
kam  es  zu  einer  Stauung  im  kleinen  Kreislauf,  welche  zu  einer  Mehr- 
beförderung  von  Blut  durch  den  Ductus  arteriös,  in  die  Aorta  und 
damit  zu  einer  Zyanose  der  vom  Hals  abwärts  gelegenen  Partien 
führte. 


C.  Sonne:  Ueht  das  Antithyreoidin  eine  spezifische  Wirkung 
gegenüber  dem  Morbus  Basedowii  aus?  (Aus  dem  Statens  Serum¬ 
institut  in  Kopenhagen.) 

Kaninchen  und  Meerschweinchen,  welche  mit  Pillen  aus  Schild¬ 
drüse  und  Blut  von  thyreoidektomierten  myxödematösen  Ziegen  ge- 
iittert  wurden,  zeigten  die  gleiche  Gewichtszunahme  wie  in  der  Zeit, 
ii  welcher  statt  des  Antithyreoidins  Blut  von  normalen  Ziegen  ge- 
iittei  t  wurde.  Es  hatte  die  Blutfütterung  überhaupt  keinen  Einfluss 
luf  die  I  hyreoideawirkung.  Fütterung  mit  Thyreoidea  ruft  nach 
i  u  n  t  bei  Mäusen  eine  erhöhte  Resistenz  gegen  Vergiftung  mit 
Azetonitrit  hervor.  Antithyreoidin  übte  gar  keinen  Einfluss  auf 
die  durch  das  Thyreoideapräparat  vergrösserte  tödliche  Dosis  aus 
‘  on  80  Basedowkranken,  welche  ebenfalls  mit  Antithyreoidintabletten 
>el  andelt  werden,  erhielten  23  neben  Tabletten  von  Serum  aus  thyreoi- 
iektomierten,  myxödematös  gewordenen  Ziegen  oder  Pferden,  auch 
I  abletten  von  Serum  von  operierten  Tieren,  die  trotz  der  Operation 
•esund  geblieben  waren.  Ein  Unterschied  in  der  Wirkung  der  beiden 
Mten  von  Tabletten  war  nicht  zu  beobachten.  Es  ist  somit  nicht 
celungen,  irgend  eine  spezifische  Wirkung  des  sog.  Antithyreoidins 
lachuzweisen. 

Karfunkel-  Breslau:  Einige  während  längerer  Beobachtungs- 
eit  festgestellte  elektrokardiographische  Veränderungen. 

Zu  einem  kurzen  Referate  nicht  geeignet. 

W.  I.ier:  Ueber  Neurofibromatose.  (Aus  der  II.  Abteilung  für 
laut-  und  Geschlechtskranke  im  Allgemeinen  Krankenhaus  in  Wien  ) 

Der  Verfasser  beschreibt  einen  Fall  von  universeller  Neurofibro¬ 
matose  bei  einem  9Vz i  jährigen  Knaben,  bei  welchem  ausserdem  die 
harakteristischen  Zeichen  einer  Hypophysenveränderung,  nämlich 
röhlichscher  Typus  (Dystrophia  adiposogenitalis,  Zurückbleiben 
es  Skelettwachstums,  Hypertrophie  des  subkutanen  Fettgewebes, 
(ypoplasie  der  Genitalien  bei  mangelnder  Scham-  und  Achselhöhlen- 
ehaarung)  mit  Sehnervenatrophie  nachweisbar  war  und  bei  dem 
,e  Röntgenuntersuchung  eine  deutliche  Depression  der  Sella  turcica 
rgab.  Die  Schilddrüse  war  auffallend  klein  und  es  bestand  auch 
ine  deutliche  Vermehrung  der  mononukleären  Leukozyten.  Der 
anze  Prozess,  die  Neurofibromatose,  samt  den  übrigen  Erschei- 
ungen  legt  die  Annahme  einer  kongenitalen  Systemerkrankung 
ahe.  bei  der  die  Störungen  der  inneren  Sekretion  auf  ein  Befallen¬ 
en  der  Hypophyse,  oder  des  chromaffinen  und  des  Sympathikus- 
V’stems  bezw.  auf  die  vikariierende  Beteiligung  der  endokrinen 
rüsen  zu  beziehen  sind. 

D.  I).  P  I  e  t  n  c  w  -  Moskau:  Ueber  den  Basedowsyndrom,  ein¬ 
etend  mit  akuten  infektiösen  Thyreoiditiden  und  Strumitiden. 

Im  Verlauf  verschiedener  Infektionskrankheiten  kommen  als 
nmplikation  akut  entzündliche  Erkrankungen  gesunder,  kropfig  ver- 
iderter  und  Basedowdrüsen  vor.  Die  entzündlichen  Veränderungen 
innen  sowohl  durch  rein  lokale,  als  auch  durch  thyreotoxische  Er- 
lieinungen  hervorgerufen  werden,  die  das  Basedowsyndrom  charak- 
risicren.  In  derartigen  Fällen  ist  nicht  von  Hyperthyreoidismus, 
■ndern  von  Dysthyreose  zu  sprechen.  Die  toxischen  Momente  üben 
igcnscheinlich  einen  Einfluss  aus,  nicht  nur  auf  die  Schilddrüse  allein, 
ndern  auch  auf  andere  Drüsen  mit  innerer  Sekretion,  so  dass  man 
derartigen  Fällen  eine  „Affection  pluriglandulaire“  der  französi- 
hen  Autoren  annehmen  kann. 

P  a  w  i  n  s  k  i  -  Warschau:  Ueber  den  Einfluss  unmässigen  Rau- 
iens  (des  Nikotins)  auf  die  Gefässe  und  das  Herz. 

Zu  einem  kurzen  Referate  nicht  geeignet. 

A.  Landau  und  A.  Reasnicki:  Klinische  Untersuchungen 
,er  die  Leistungsfähigkeit  des  Pankreas.  I.  Mitteilung.  (Aus  der 
iv.  Klinik  von  Grosglik,  Hertz  und  A.  Landau  in  Warschau.) 

Der  Mageninhalt  nach  dem  Probefrühstück  enthält  in  55  Proz. 
er  Fälle  nennenswerte  Mengen  von  Trypsin,  in  diesen  Fällen  ist 
rch  die  gewöhnliche  Magensondierung  eine  ausreichende  äussere 
kretion  des  Pankreas  festzustellen.  Der  Trypsinnachweis  gelingt 
er  bei  niedrigen  als  bei  hohen  Säurewerten  des  Mageninhaltes. 

>m  klinischen  Standpunkt  aus  sind  nur  positive  Untcrsuchungs- 
mltate  massgebend;  Nichtgelingen  des  Trypsinnachweises  im 
tgeninhalt  ist  kein  genügender  Beweis  für  krankhafte  Störungen 
|r  äusseren  Pankreassekretion.  In  Fällen,  in  welchen  im  Magen- 
lialt  wenig  oder  gar  kein  Trypsin  nachgewiesen  werden  kann,  ist 


die  Einhornsche  Duodenalsonde  einzuführen,  die  direkte  Unter¬ 
suchung  des  Duodenalinhaltes  auf  das  Vorhandensein  der  Pankreas- 
lermente  gibt  sicheren  Aufschluss  über  die  äussere  Pankreassekretion 
Ute  bekretion  von  Trypsin,  Diastase  und  Lipase  geht  im  Pankreas 
ment  gleichmassig  vor  sich,  es  muss  daher  bei  genauen  Unter¬ 
suchungen  der  Duodenalinhalt  auf  den  Gehalt  an  allen  drei  Fermenten 
geprüft  werden. 

...  A  Landau  und  A.  Reasnicki:  Klinische  Untersuchungen 
uber  ®  Leistungsfähigkeit  des  Pankreas.  II.  Mitteilung.  (Aus  der 
priv.  Khnik  von  Grosglik,  Hertz  und  A.Landauin  Warschau.) 

Versuche  mit  Pankreassekret,  das  von  einem  Fall  von  trau¬ 
matischer  I  ankreasfistel  stammte,  ergaben,  dass  die  Pankreas- 
mstase  in  der  gleichen  Weise  wie  die  Speicheldiastase  auf  Magen- 
f-i  /  o  Salzsäure  reagiert.  Eine  minimale  Menge  freier  HCl 
tuhrt  die  Diastase  in  den  inaktiven  Zustand  über  und  die  sofort 
ausgetuhrte  Neutralisation  ist  nicht  imstande,  diese  Inaktivierung 
zu  verhindern.  Die  Einwirkung  des  Magensaftes  ist  vom  physio¬ 
logischen  Standpunkte  aus  gleichbedeutend  mit  der  Vernichtung  der 
Diastase.  Man  ist  in  Fällen,  in  denen  man  im  Mageninhalt  Diastase 
findet,  nicht  imstande  zu  sagen,  woher  diese  Diastase  stammt,  aus 
ucmhpeicliel  oder  aus  dem  Pankreas.  Die  Untersuchung  des  Magen¬ 
inhaltes  auf  Diastase  behufs  der  Diagnostik  von  Pankreasaffektionen 
und  zum  Nachweis  einer  Regurgitation  von  Duodenalinhalt  entbehrt 
jeglicher  klinischen  Bedeutung. 

.  M.  Schatzmann:  Untersuchungen  über  die  Hämatologie  der 
Variola  und  der  Vakzine.  (Aus  der  med.  Klinik  in  Bern.) 

Schon  im  Inkubationsstadium  der  Variola  besteht  eine  jedenfalls 
polv  nukleäre  Leukozytose.  Im  Eruptionsstadium  (St.  papulosum  der 
Vanola)  ist  die  Zahl  der  Gesamtleukozyten  eher  vermindert;  vom 
vesikulösen  Stadium  an  findet  man  eine  mehr  oder  weniger  hoch¬ 
gradige  Gesamtleukozy tose,  vorwiegend  auf  einer  Vermehrung  der 
Lymphozyten  beruhend;  eine  relative  Lymphozytose  besteht  noch 
nach  Wochen  fort.  Ein  ausgesprochenes  Vorwiegen  der  poly¬ 
nukleären  Leukozyten  weist  im  allgemeinen  auf  eine  Komplikation 
hin  In  der  Rekonvaleszenz  sieht  man  zuweilen  die  eosinophilen 
Zellen,  die  nie  völlig  verschwinden,  sich  vermehren.  In  schweren 
Fällen  treten  T  ii  r  k  sehe  Reizungsformen,  Myelozyten  und  Erythro- 
bh.sten  auf;  als  prognostisch  ungünstiges  Zeichen  darf  das  Vor¬ 
kommen  einer  bedeutenden  Zahl  von  Myelozyten  und  kernhaltigen 
roten  Blutkörperchen,  namentlich  bei  einer  geringen  Gesamtleuko¬ 
zytose  angesehen  werden.  Die  langdauernde  Lymphozytose  kann  für 
die  retrospektive  Diagnose  von  Wert  sein.  Bei  Vakzine  findet  sich 
eine  im  allgemeinen  mässige  Vermehrung  der  Gesamtleukozyten 
während  der  ersten  Tage  nach  der  Impfung.  Zur  Zeit,  wo’  die 
lokalen  und  allgemeinen  Symptome  ihren  Höhepunkt  erreicht  haben, 
fällt  die  Gesamtleukozytenzahl  ab,  zuweilen  bis  auf  unternormale 
Werte.  Nach  dieser  Zeit  kommt  es  zu  einer  nochmaligen  Er¬ 
hebung  der  Gesamtleukozytenzahl.  Die  erste  Leukozytose  ist 
eine  polynukleäre,  die  zweite  beruht  auf  Vermehrung  der 
Lymphozyten.  Auch  bei  Vakzinierten  kommen  bei  früheren 
oder  späteren  Untersuchungen  am  häufigsten  in  der  zweiten 
Woche  T  ii  r  k  sehe  Reizungsformen  und  Myelozyten  vor,  aber  nur 
vorübergehend  und  in  geringer  Zahl.  Mit  dem  Ablauf  der  Blut¬ 
reaktionserscheinungen  kommt  es  zuweilen  zu  einer  leichten  Ver¬ 
mehrung  der  Eosinophilen.  Es  besteht  also  zwischen  dem  Blutbild 
der  Variola  und  demjenigen  der  Vakzine  eine  Analogie  sowohl  in 
bezug  auf  die  quantitativen  Verhältnisse  der  Gesamtleukozyten  als 
auch  in  bezug  auf  das  Verhalten  der  einzelnen  Zellarten.  Die  Unter¬ 
schiede  sind  nur  graduell.  Es  entspricht  das  der  Anschauung,  dass 
Variola  und  Vakzine  im  Wesen  dieselben  Prozesse  sind. 


O.  Roth:  Ueber  isolierte  linkseitige  Vorhofstachysystolie  (links¬ 
seitiges  Vorhofflackern).  (Aus  der  med.  Klinik  in  Zürich.) 

Zu  einem  kurzen  Referate  nicht  geeignet. 

G.  Brückner:  Ueber  die  sog.  granuläre  Form  des  Tuber¬ 
kulosevirus,  zugleich  ein  Beitrag  zum  Eiweissgehalt  des  Sputums. 
(Aus  dem  med.-poliklinischen  Institut  in  Berlin.) 

Die  modifizierte  Gramfärbung  zur  Darstellung  der  sog.  Mncli- 
schen  Granula  im  Sputum  ist  für  die  Diagnose  der  Lungentuber¬ 
kulose  nicht  zu  verwerten,  da  sie  zu  Täuschungen  Anlass  gibt; 
das  gilt  in  erster  Linie  für  den  Ausstrich,  aber  auch  für  die  An¬ 
reicherung.  Lediglich  Körnerreihen  in  deutlicher  Stäbchenform  sind 
im  Sputum  als  I  tiberkulosevirus  anzuerkennen.  Diese  fanden  sich 
aber  stets  nur  dann,  wenn  nach  Ziehl  färbbare  Tuberkelbazillen 
nachweisbar  waren.  Eine  besondere  neue  Form  des  Tuberkulose¬ 
virus  in  Gestalt  der  sog.  M  u  c  h  sehen  Granula  ist  nicht  anzuer¬ 
kennen.  vielmehr  sind  die  Körnerreihen  und  Körner  nichts  anderes, 
als  durch  eine  modifizierte  Gramfärbung  dargestellte  echte  Koc  fi¬ 
sche  Tuberkelbazillen.  Die  Eiweissreaktion  des  Sputums  steht  bei 
der  Lungentuberkulose  in  einem  gewissen  Verhältnis  zum  Grade 
der  Krankheit  und  ist  bei  den  vorgeschritteneren  Fällen  stark  positiv. 
Sie  kann  unter  Umständen  differentialdiagnostischen  Wert  gegenüber 
nichttuberkulösen  Lungenerkrankungen  besitzen,  da  diese  meist 
keine  oder  nur  eine  geringe  Eiweissreaktion  zeigen. 

G.  Guli:  Ein  Fall  von  leukämischer  Lymphomatöse  bei 
paroxysmaler  Hämoglobinurie.  (Aus  der  inneren  Abteilung  des 
Pester  Spitals.) 

Bei  einem  49  jährigen  Mann  fand  sich  neben  einer  typischen 
Kältehämoglobinurie  mit  positiver  D  o  n  a  t  h  -  L  a  n  d  s  t  e  i  n  e  r  scher 
Reaktion  eine  leukämische  Lymphomatöse  mit  vorwiegender  Ver¬ 
mehrung  der  kleinen  Lymphozyten.  Der  Verfasser  nimmt  an,  dass 


1974  MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. _ Nr.  38. 


die  paroxysmale  Hämoglobinurie  und  die  Leukämie  durch  denselben 
infektiös-toxischen  Prozess  hervorgerufen  sind. 

Lindemann  -  München. 

Zentralblatt  für  Innere  Medizin.  Nr.  30 — 36,  1914. 

Nr.  30.  Ohne  Originalartikel. 

Nr.  31.  J.  S.  Schwarzmann-Odessa:  Die  klinische  Be¬ 
deutung  der  Feststellung  des  systolischen  und  diastolischen  Blut¬ 
druckes  bei  Infektionskrankheiten. 

Hoher  diastolischer  Blutdruck  zeigt  bedeutende  Schwere  des 
Falles  an,  nämlich  paretischen  Zustand  der  grösseren  Abdominal- 
gefässe  mit  Ansammlung  der  Hauptmasse  des  Blutes  in  denselben. 

Abnahme  des  systolischen  Blutdruckes  bei  gleichzeitiger  Ab¬ 
nahme  des  diastolischen  Blutdruckes  zeigt  an,  dass  man  die 
Abnahme  des  systolischen  Blutdrucks  nicht  auf  Nachlassen  der  Herz¬ 
kraft,  sondern  auf  Nachlassen  des  Gefässtonus  zurückführen  muss. 

Abnahme  des  systolischen  Blutdrucks  bei  gesteigertem  diastoli¬ 
schem  Blutdruck  zeigt  Abnahme  der  Herzenergie  an. 

W.  Schoetz:  Sammelreferat  aus  dem  Gebiete  der  Otiatrie. 
(Januar  bis  Juni  1914.) 

Nr.  32.  Ohne  Originalartikel. 

Nr.  33.  Ohne  Originalartikel. 

Nr.  34.  O.  Seifert:  Sammelreferat  aus  dem  Gebiete  der 
Rhino-Laryngologie.  (April  bis  Juli  1914.) 

Nr.  35.  W.  Sternberg:  Der  Geschmack. 

Der  Geschmack  setzt  sich  aus  den  Qualitäten  von  drei  Sinnen 
zusammen:  Tast-,  Geruch-  und  Geschmacksinn.  Es  folgen  nähere 
Ausführungen,  in  welcher  Weise  die  Analyse  des  Begriffes  Geschmack 
zu  erfolgen  hat.  Die  Aufgabe  der  Küche  ist  es,  den  ärztlichen  An¬ 
forderungen  an  den  Geschmack  gerecht  zu  werden. 

Nr.  36.  Ohne  Originalartikel.  W.  Zinn-  Berlin. 

Beiträge  zur  klinischen  Chirurgie,  red.  von  P.  v.  D  r  u  n  s. 
93.  Band,  1.  Heft.  Tübingen,  Laupp,  1914. 

Erwin  Schwarz:  Eine  typische  Erkrankung  der  oberen 
Femurepiphyse. 

Schwarz  bespricht  eine  in  gewissem  jugendlichen  Alter  am 
Schenkelkopf  vorkommende,  häufig  an  ein  kleines  Trauma  (Fall  und 
Stoss)  sich  anschliessende,  mit  Hinken  einsetzende  Erkrankung,  die 
mit  einer  Abflachung  des  Kopfes  durch  subchondrale  Destruktions¬ 
herde  (Ernährungsstörung  im  Innern  des  Gelenkkopfes)  einhergeht 
und  klinisch  durch  deutliches  Hinken  und  beträchtliches  Hervortreten 
des  Trochanter  major  charakterisiert  ist,  sowie  durch  Hemmung  der 
Abduktion  und  gewisser  Drehbewegungen  bei  völlig  freier  Flexion 
und  Abduktion.  Das  positive  T  r  e  n  d  e  1  e  n  b  u  r  g  sehe  Symptom 
erklärt  die  Ursache  für  den  hinkenden  Gang  (Insuffizienz  der  pelvio- 
trochanteren  Muskelgruppe).  Zuweilen  geht  ein  schmerzhaftes, 
spastisches  Stadium  voraus,  jedoch  nur  von  kurzer  Dauer.  Die  un¬ 
gestörte  Flexion  lässt  diese  Affektion  von  Koxitis  leicht  unterscheiden. 
Das  Röntgenbild  lässt  im  Beginn  kleine  Aufhellungsherde  in  der  Epi¬ 
physe  erkennen,  die  allmählich  konfluieren.  Unter  dem  Druck  des 
Pfannendaches  wird  die  weich  und  nachgiebig  gewordene  Epiphyse 
stark  abgeflacht  und  nach  aussen  hin  über  dem  Schenkelhals  bis  nahe 
zum  Trochanter  Inn  ausgerollt  und  kann  durch  den  destruierenden 
Prozess  die  Kopfkappe  ganze  Partien  völlig  verlieren,  andere  können 
in  grössere  und  kleinere  Bruchstücke  oder  Knochenknäuel  zerfallen, 
die  sich  mitunter  durch  einen  verstärkten  Kalkreichtum  kennzeichnen. 
Im  Schenkelhals  kommt  es  zu  einer  leichten  Aufhellung  oder  Auf¬ 
lockerung  der  obersten  Partien,  die  sich  gegen  die  gesunden  unteren 
mit  sehr  deutlichen  scharfen  girlandenartig  angeordneten  Bogen¬ 
linien  abgrenzen.  Im  weiteren  Verlauf  verdickt  sich  der  Schenkel¬ 
hals,  verkürzt  sich  auch  etwas  durch  den  die  Juxtaepiphyse,  be¬ 
sonders  die  laterale  obere  Kollumecke  arrondierenden  Prozess  und 
biegt  sich  unter  dem  Drucke  der  Körperlast  etwas  zur  Coxa  vara  ab. 
—  Die  fortschreitende  Deformierung  der  Epiphyse  geht  keineswegs 
mit  einer  Verschlimmerung  des  klinischen  Bildes  Hand  in  Hand,  es 
kann  bei  zunehmender  Zerstörung  der  Kopfkappe  zu  einer  Besserung 
des  Ganges  und  der  Gelenkbeweglichkeit  kommen;  aus  dem  klini¬ 
schen  Bild  allein  kann  man  nie  auf  die  Schwere  der  pathologischen 
Veränderungen  schliessen.  Diese  Erkrankung  kann  nach  jahrelangem 
Bestehen  ganz  von  selbst  ausheilen  und  zwar  in  bestimmten  charak¬ 
teristischen  Formen  (lange,  flache,  den  dicken  Schenkelhals  in  weiter 
Strecke  überziehende  Kopfkappe,  flache  Pfanne)  —  oder  aber  sie 
kann  in  einen  Zustand  übergehen,  der  dem  Bilde  der  Arthritis  defor- 
mans  juvenilis  ähnlich  wird,  während  im  übrigen  diese  Erkrankung 
von  der  Arthritis  deformans  infantilis  zu  trennen  ist.  Die  Erkrankung 
ähnelt  in  ihrem  ganzen  Bilde,  auch  im  Röntgenbefund,  anderen  Hüft- 
erkrankungen  (tuberkulöser  Kollumherd,  Coxa  vara),  besonders  in  den 
Frühstadien  oft  so  sehr,  dass  die  Diagnose  oft  schwierig  und  das 
Röntgenbild  von  grösster  Bedeutung  ist  Die  Therapie  kann  durch 
Massage  und  gymnastische  Uebungen  den  Bewegungshemmungen 
entgegenarbeiten.  Im  schmerzhaften  Stadium  und  bei  Abduktions¬ 
kontraktur  sind  event.  Korrektion  in  Narkose  und  Gipsverband  oder 
Extensionsbehandlung  am  Platz.  Schw.  schildert  kurz  22  Fälle 
dieser  Erkrankung  und  gibt  die  schematischen  Röntgenbilder  in  den 
verschiedenen  Stadien  der  Erkrankung. 

P.  Kornew  gibt  aus  der  chir.  Klinik  des  med.  Instituts  für  Frauen 
(Prof.  Zeidler)  in  St.  Petersburg  eine  Arbeit  über  die  operative  Be¬ 
handlung  der  wahren  Unterkieferanchylosen  mit  Anwendung  der  freien 


Faszientransplantation,  bespricht  die  bisherigen  Methoden  hiebei 
(Anwendung  gestielter  Muskelklappen  etc.)  und  empfiehlt  im  An¬ 
schluss  an  3  mitgeteilte  Fälle  für  die  Behandlung  der  wahren 
knöchernen  Unterkieferanchylosen  die  Resektion  des  Köpfchens  mit 
darauffolgender  Interposition  von  frei  transplantierter  Faszie  (von  der 
Fascia  lata)  als  den  besten,  zweckmässigsten  und  einfachsten  Eingriff. 

Friedr.  Bode  gibt  aus  dem  allgemeinen  Krankenhause  Hom¬ 
burg  v.  H.  einen  Beitrag  zur  Aetiologie  des  runden  Magen-  und 
Duodenalgeschwürs.  B.  hat  sein  Material  darauf  hin  durchgesehen, 
ob  die  Anschauung  R  ö  s  s  1  e  s  betr.  Zusammenhang  dieser  Affektion 
mit  vorausgegangener  Appendizitis,  Hernieneinklemmung  etc.  zu¬ 
treffend  ist  und  teilt  16  betr.  Krankengeschichten  mit,  abgesehen  von 
5  Fällen  (2  mal  Typhus,  1  mal  Ohrenleiden,  rechtsseitigen  Leisten¬ 
bruch,  eine  nicht  operierte  Appendizitis)  Waren  von  den  16  an  11 
vor  dem  Auftreten  der  ersten  Erscheinungen  des  Ulcus  chirurgische 
Eingriffe  vorgenommen  (9  mal  an  Organen  der  Bauchhöhle  und 
Nieren),  in  einigen  Fällen  traten  die  Erscheinungen  unmittelbar  an¬ 
schliessend  an  die  vorausgegangenen  Affektionen  auf.  Zur  Erklärung 
hält  B.  bei  einen  Teil  der  Fälle  die  v.  E  i  s  e  1  s  b  e  r  g  sehe  Ansicht, 
dass  Verstopfung  der  Venen  durch  retrograde  Embolie  abgelöste 
Thrcmbosemassen  oder  fortgeleitete  Thrombosen  von  Netz  und  den 
Mesenterialvenen  eine  Rolle  spielen,  für  zutreffend,  bei  anderen  muss  er 
aber  auch  auf  Vagusschädigungen  etc.  hindeuten,  nachdem  es  experi¬ 
mentell  gelungen,  durch  Vagusreizung  typische  Erosionen  und  Ulze- 
ratienen  im  Bereiche  des  Magens  und  der  Duodenalschleimhaut  zu 
erzeugen. 

E.  Crone  berichtet  aus  der  Klinik  zu  Freiburg  i.  Br.  über 
Strumametastasen  und  fasst  im  Anschluss  an  6  in  Krankengeschichten 
mitgeteilte  Fälle  seine  Ansichten  dahin  zusammen,  dass  meta¬ 
statische  Tumoren  einer  nicht  krankhaften  Schilddrüse  bislang  nicht 
nachgewiesen,  dass  bei  allen  6  Strumametastasen  der  Kraske  sehen 
Klinik  ein  primärer  Tumor  der  Schilddrüse  nachgewiesen  wurde. 
Die  metastasierenden  Strumen  sind  meistens  ziemlich  hart  und  knotig 
und  weisen  klinisch  häufig  keine  ausgesprochenen  Symptome  für 
Malignität  auf.  3  mikroskopisch  untersuchte  Fälle  der  Kraske- 
schcn  Klinik  boten  alle  Zeichen,  die  für  Malignität  sprechen,  wenn 
auch  die  Bösartigkeit  histologisch  nicht  inner  leicht  nachzuweisen  ist. 
Nach  gründlicher  Exstirpation  der  Metastase  ist  ein  lokales  Rezidiv 
nicht  so  sehr  zu  befürchten,  daher  wird  schonendes,  operatives  Vor¬ 
gehen  angeraten.  —  Diese  Art  Strumen  mit  ihren  Metastasen  nehmen 
eine  Art  Mittelstellung  zwischen  benignen  und  malignen  Tumoren 
(ähnlich  dem  Riesenzellensarkom)  ein,  trotzdem  müssen  wir  sie  nach 
klinischem  und  histologischem  Verhalten  zu  den  Karzinomen  zählen 
und  dementsprechend  behandeln.  Für  den  primären  Tumor  will  Cr. 
die  v.  E  i  s  e  1  s  b  e  r  g  sehe  Bezeichnung  Adenokarzinom  beibehalten, 
für  die  Metastasen  schlägt  er  die  Bezeichnung  Strumametastase  oder 
„Tumor  thyreogener  Natur“  vor. 

Ed.  Bundschuh  gibt  aus  derselben  Klinik  Beiträge  zur 
Chirurgie  des  primären  Leberkarzinoms  und  bespricht  im  Anschluss 
an  2  näher  mitgeteilten  Fälle,  Aetiologie,  pathologische  Anatomie, 
klinische  Symptome  etc.  dieser  Affektion,  er  erklärt  die  schlechten 
Operationsresultate  dadurch,  dass  die  meisten  Fälle  zu  spät  erkannt 
und  operiert  wurden,  allerdings  kommt  für  die  Resektion  nur  die 
massive  und  knotige  Form  des  primären  Leberkrebses  in  Betracht, 
auch  die  Strahlentherapie  verdient  entsprechende  Anwendung. 

Joh.  Weiss  berichtet  aus  dem  Diakonissenhause  zu  Leipzig- 
Lindenau  über  den  Anus  anomalus  vulvo-vestibularis  und  seine 
chirurgische  Behandlung.  W.  bespricht  im  Anschluss  an  einen  durch 
Operation  geheilten  Fall  die  verschiedenen  Operationsmethoden 
dieser  Missbildungen  (Dieffenbach,  Riggoli,  Kroemer. 
N  i  e  s  s  n  e  r)  und  schildert  die  von  Sick  angewandte  Operation,  bei 
der  zunächst  an  Stelle  des  die  Afteröffnung  andeutenden  Grübchens 
eine  Inzision  gemacht,  der  Sphinkter  vorsichtig  gedehnt  und  das 
darunter  gelegene  Gewebe  stumpf  auseinander  gedrängt  wurde. 
Darauf  wurde  von  der  Vulva  aus  der  unterste  Abschnitt  des  Rektums 
vorsichtig  ringsum  isoliert  und  von  der  hinteren  Vaginalwand  ge¬ 
trennt,  dann  die  zwischen  der  normalen  Afterstelle  und  der  Vulva 
liegende  Brücke  unterminiert  und  mittelst  Gazestreifen  etwas  ab¬ 
gehoben,  dann  der  in  Gaze  gehüllte  und  mittels  Zangen  gefasste, 
losgetrennte  Mastdarmteil  nach  hinten  zu  verlagert  und  in  die  In¬ 
zisionswunde  mittels  Nähten  fixiert  (so  dass  der  Schleimhautrand 
etwas  iibersteht)  Verband  mit  Noviformsalbe. 

Hans  K  o  1  a  c  z  e  k  berichtet  aus  der  Tübinger  Klinik  über  die 
aktinomykotische  metastasierende  Allgemeininiektion  und  teilt  zwei 
operativ  behandelte  Fälle  dieser  Erkrankung  mit. 

H.  v.  Tappeiner  berichtet  aus  der  Greifswalder  Klinik 
Zur  Frage  der  Pylorusausschaltung  (experimentelle  Untersuchungen; 
und  kommt  durch  seine  experimentellen  Studien  zu  dem  Schluss,  dass 
Zweifel  an  der  Brauchbarkeit  der  Faszie  bzw.  Aponeurose  zur  Her¬ 
stellung  von  Strikturen  nicht  berechtigt  sind,  während  er  die  Ver¬ 
wendung  breiter  und  dicker  Fremdkörperligaturen  nicht  für  ratsam 
hält.  Es  entstehen  auch  keine  Verwachsungen,  wenn  man  den  strik- 
turierenden  Aponeurosenring  noch  mit  einer  einwandfreien  Serosa- 
bekleidung  versieht.  Da  der  Hundepylorus  sich  mit  ungeschniirten 
Aponeurosenstreifen  eng  genug  und  dauernd  stenosieren  lässt,  so 
lässt  sieh  auch  vom  menschlichen  dies  erwarten  (wie  klinische  Be¬ 
obachtungen  bestätigt  haben). 

Richard  W  e  1  z  e  1  gibt  aus  der  Prager  Klinik  (Prof.  Schloffer) 
eine  Arbeit  über  Rezidivhernien,  worin  er  über  die  in  der  betr. 
Klinik  1903 — 1911  beobachteten  77  Rezidivhernien  (64  Rezidiv^ bei 


22.  September  1914. _ MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


1975 


männ  hchen,  -  bei  weiblichen  Leistenhernien,  5  Doppelrezitlivc  bei 
männlichen  Hernien,  2  Rezidive  nach  Kruralhcrnien)  berichtet  und 
je  nach  den  verschiedenen  Operationsniethoden  (B  a  s  s  i  n  i  W  ö  1  f  - 
ler.  Kocher  etc.)  die  Fälle  bespricht  und  die  Ursachen  der  Rezi- 
di\e  erörtert  Unter  den  Rezidivoperationen  waren  69  nach  unge¬ 
störter  Wundheilung,  S  nach  Eiterung,  so  dass  die  Eiterung,  die  zum 
Verschluss  der  .  Bruchlücke  verwendeten  Gewebe  nicht  sehr  be- 
deutend  zu  schädigen  scheint.  Bei  den  p.  pritn.  Heilungen  ist  in 
34  der  balle  das  Rezidiv  innerhalb  der  ersten  9  Monate  aufgetreten. 
Betr.  der  lechnik  nach  Rückfallbrüchcn  sind  einfache  Massnahmen  am 
Platz,  I  lastikcn  kommen  nicht  zur  Anwendung.  Bei  Rezidiven  nach 
Bassi  ni  wird  der  Verschluss  durch  neuerliche  Naht  des  Muskels 
an  das  Leistenband  erreicht  oder  die  Lücke  verschlossen  und  auch 
der  Kcktus  noch  an  das  Lig.  Poup.  angenäht,  ersteres  besonders  in 
dem  Fall,  wo  die  erste  Bassininaht  zur  Hauptsache  nach  ge- 
halten  hat  und  das  Rezidiv  im  Bereich  des  Samenstrangs  entstanden. 
In  Fallen  mit  grossen  Bruchlücken  und  solchen  mit  schwacher  und 
leicht  nachgiebiger  Bassiniplatte  wurde  zum  Verschluss  stets  der 
Muse,  rectus  hinzugezogen,  der  M.  rectus  wurde  nach  vorheriger 
Naht  der  Lücke  entweder  über  den  Samenstrang  oder  zugleich  mit 
dem  M.  obl.  int.  unter  demselben  ans  P  o  u  p  a  r  t  sehe  Band  genäht 
Beide  Methoden  stellen  eine  Kombinatbnsnaht  der  Wölf  ler  sehen 
und  B  a  s  s  i  n  i  sehen  Radikaloperation  dar.  8  so  operierte  Fälle 
blieben  rezidiv-  und  beschwerdefrei.  Die  Bedingung  guter  End¬ 
resultate  liegt  meist  ausschliesslich  in  einer  exakten  Technik  vor¬ 
sichtigem  Vorgehen  und  exakten  Nähten. 

Theod.  Herrmann  berichtet  aus  dem  Augustakrankenhaus  zu 
Bochum  über  Luxationen  im  L  i  s  f  r  a  n  c  sehen  Gelenk,  teilt  2  betr. 
Fälle  mit  entsprechenden  Röntgenogrammen  mit,  ergänzt  die  bis¬ 
herige  Statistik  durch  Anführung  neuer  Fälle  aus  der  Literatur  und 
bespricht  sowohl  Einzelverrenkungen  als  solche  mehrerer  Mittelfuss- 
knochen.  H.  geht  auf  die  Resultate  der  nicht  reponierten  Fälle  und 
speziell  auf  die  operativen  Resultate  näher  ein,  danach  bietet  bei  Ver¬ 
gleich  der  Ergebnisse  die  operative  Behandlung  der  Li  sfr  an  c- 
schen  Luxationen  eine  sehr  aussichtsreiche  Behandlung  für  die  Fälle, 
die  sich  primär  nicht  reponieren  lassen  und  die  nach  Reposition  ein 
schlechtes  oder  nur  mässiges  Resultat  ergeben. 

Josef  \  i  e  r  h  e  i  1  i  g  gibt  aus  der  Würzburger  Klinik  eine  Arbeit 
nber  die  subkutane  Bronchuszerreissung  im  Anschluss  an  einen  mit 
Bronchusnaht  behandelten  Fall  von  Zerreissung  eines  Bronchial¬ 
astes  2.  Grades  bei  Lungenriss  eines  2V&  Kindes.  V.  geht  auf  die 
Entstehung  derartiger  Verletzungen,  deren  anatomisches  Bild,  Sym¬ 
ptome  und  Verlauf  ein  und  plädiert  in  ähnlichen  Fällen  für  die  von 
I  i  e  g  e  1  an  Tieren  erprobte  Bronchusnaht,  die  im  betr.  Fall  vom 
Rücken  aus  vorgenommen  wurde.  Um  das  Eintreten  eines  Span¬ 
nungspneumothorax  zu  verhüten,  empfiehlt  V.  eine  Dauerdrainage 
m  tiefster  Stelle  bis  ca.  8  Tage  und  rät  danach  die  Wunde  durch 
saht  zu  verschliessen  und  dann  mittelst  eines  an  anderer  Stelle  ein- 
;estochenen  Troikarts  die  noch  im  Innern  des  Pleuraraums  befind¬ 
liche  Luft  zu  entfernen.  Bei  der  schlechten  Prognose  der  Bronchus- 
'eireissung,  die  besonders  durch  die  Gefahr  des  Spannungspneumo- 
horax  und  die  der  inneren  im  Vordergrund  stehen,  erfordert  diese 
Iringend  die  Thorakotomie.  Sehr. 

Zentralblatt  für  Chirurgie.  1914.  Nr.  36. 

K.  H.  G  i  e  r  t  z  -  Stockholm :  Ueber  Exstirpation  von  Lungen  und 
. ungenlappen  mit  Versorgung  des  Bronchialstumpfes  durch  freitrans- 
lantierte  Fascia  lata. 

Verf.  berichtet  über  seine  an  Hunden  bis  zu  45  kg  Gewicht  an- 
estellten  Versuche,  eine  Lunge  zu  exstirpieren,  und  schildert  genau 
eine  Technik:  Die  Operation  erfolgt  bei  Morphium-Chloroform- 
arkose  in  Ueberdruck;  nur  bei  der  Naht  der  Brustwand  kommt 
nterdruck  in  Anwendung.  Nach  Unterbindung  der  Lungenarterie 
nd  -venen  mit  Seide  wird  der  nicht  freipräparierte  Bronchus  mög- 
chst  oral  durch  eine  federnde  Zange  abgequetscht  und  das  ge- 
uetschte  Wandstück  sehr  exakt  mit  feinen  Seidenmatratzennähten 
er  einigt.  Dann  wird  über  diese  Stumpfnaht  ein  freies  Faszienstück 
aus  der  Fascia  lata)  durch  Knopfnähte,  die  die  Bronchuswand  und 
eribronchiales  Bindegewebe  ganz  oberflächlich  fassen,  befestigt.  Nun 
>ird  der  Stumpf  in  das  mediastinale  Bindegewebe  versenkt  und  die 
leura  genau  über  ihm  vernäht.  Zuletzt  vollständige  Naht  der  Brust- 
and  *n  Etagen.  Die  Tiere  überstanden  den  Eingriff  auffallend  leicht 
nd  liefen  schon  am  Tage  nach  der  Operation  wieder  herum.  Weitere 
ersuche  folgen.  E.  Heim-  Oberndorf  b/Schweinfurt. 

Zentralblatt  für  Gynäkologie.  Nr.  35  u.  36,  1914. 

E.  G  e  r  s  t  e  n  b  e  r  g  -  Berlin-Wilmersdorf :  Konzentriertes  For- 
ialin,  das  am  schnellsten  und  sichersten  wirkende  chemische  Mittel 
ur  Behandlung  klimakterischer  Blutungen. 

•  schon  im  Jahre  1900  unverdünntes  Formalin  gegen  klimak- 

-rische  Blutungen  empfohlen.  Das  Mittel  hat  sich  seit  14  Jahren 
e\v  ahrt.  Er  benutzt  mit  Watte  umwickelte  Playfairsonden,  und 
war  in  einer  Sitzung,  die  zusammen  bis  zu  50  Sekunden  liegen  blei- 
tn.  Nach  Entfernung  der  Sonden  werden  für  3—12  Stunden  Tupfer 
,  Ta  vor  d*e  Portio  gelegt.  Der  einzige  Zufall,  den  G.  fürchtet, 
t  das  Ver  ieren  der  Watte  im  Uterus.  Koliken,  Ohnmächten,  In- 
•  Ktionen  oder  Stenosen  hat  er  nie  gesehen. 

G.  G  e  1 1  h  o  r  n  -  St.  Louis:  Ueber  Azetonurie  im  Gefolge  der 
Pinalanästhesie. 


G.  fand  unter  35  Fällen  33  mal  Azetonurie,  die  also  als  regel¬ 
massige  Folge  von  Operationen  in  Spinalanästhesie  angesprochen 
werden  kann.  In  lA  der  Fälle  war  die  Spinalanästhesie  mit  Aether 
kombiniert.  Die  Azetonurie  hielt  5  Tage  an  und  verschwand  dann 
spontan.  Eine  besondere  klinische  Bedeutung  kommt  ihr  hier  im 
Gegensatz  zum  Auftreten  bei  Diabetes  nicht  zu;  alle  33  Fälle  sind 
glatt  genesen.  J  a  f  f  6  -  Hamburg. 

Zeitschrift  für  Kinderheilkunde.  XI.  Band.  Heft  4.  1914 

Herbert  K  o  c  h  -  Chicago-Wien:  Die  Beziehungen  der  Masern 
zu  anderen  pathologischen  Prozessen. 

^*e.  Maserninfektion  hat  einen  oft  beobachteten  Einfluss  auf 
anderweitige  Kraukheitsprozesse;  während  das  durch  Leukopenie  ge¬ 
kennzeichnete  Prodromalstadium  vor  allem  solche  entzündlich-exsuda- 
uven  Charakters  (Eiterungen  etc.)  hemmend  beeinflusst,  macht  sich 
huITIftliS-chen,  Stadium  eine  Einwirkung  auf  allergische  Pro- 
j,?  u  • hnreaktion)  geltend;  die  postexanthematische  Periode 
n  d  1C .  1S*  charakterisiert  durch  eine  Resistenzverminderung  des 
,  rgamsmus,  die  die  Entstehung  und  Ausbreitung  sonstiger  patho¬ 
logischer  Prozesse  begünstigt. 

*  r  yssab°n-Berlin :  Ueber  Erythrocyturia  minima  im 
bauglmgs-  und  Kmdesalter. 

t1PiiPrMMLinf,°1S?  vo\lnfel<ten,  aber  auch  auf  der  Basis  dispositio¬ 
neller  Momente,  kommt  es  bei  gut  gedeihenden  Säuglingen  nicht  sel- 
r/1  +)Z-U  eine/  wochenlang  dauernden  Ausscheidung  spärlicher  roter 
Blutkörperchen  im  Urin;  sie  hat  augenscheinlich  in  leichtester  toxi- 
scher  Schädigung  der  Nieren  ihren  Grund,  wird  manchmal  auch  vor 

oder  nach  Pyelitiden  beobachtet  und  hat  mit  Morbus  Barlow  nichts 
zu  tun. 

.■ J'  Hl,ie  nekens-  Minneapolis-Berlin:  Die  Azidität  des 
Mageninhaltes  im  Säuglings-  und  Kindesalter  bei  milch-  und  fleisch¬ 
haltiger  Probenahrung. 

m;i  ^!^ei-*VOn,v  ^,0n.a,te.1?  b's  3  Jahren  (5  Versuchskinder)  ist  nach 
iilchmahlzeiten  die  Azidität  des  Mageninhaltes  sehr  gering,  etwas 
hoher  nach  einer  aus  Suppe  und  Gemüse  bestehenden  Probemahlzeit; 
nach  emer  Mahlzeit  aus  Suppe,  Fleisch  und  Gemüse  war  sie  bei 
den  Kindern  unter  1/?  Jahren  so  gering,  dass  eine  peptische  Ver- 
cauung  des  Fleisches  nicht  wohl  vor  sich  gehen  konnte. 

^U1  *  Morgenstern-  Strassburg:  Elektrokardiographische 
X",  frs/u®hunge?  über  die  Beziehungen  des  Herzmuskels  zur  Spasmo- 
philie  (Tetanie)  im  frühen  Kindesalter. 

Die  Untersuchungen  des  Verfassers  scheinen  zu  erweisen,  dass 
auch  der  Herzmuskel  bei  Spasmophilie  sich  abnorm  verhält-  bei  17 
spasmophilen  Kindern  war  im  Elektrokardiogramm  die  J  -a  -Zacke 
sehr  stark  ausgeprägt,  fast  so  gross  wie  die  J.-Zacke,  was  bei  ge¬ 
sunden  Kindern  nicht  der  Fall  ist.  Auch  F.  a.  ist  meist  stärker  als 
normal  ausgesprochen.  (Ableitung  von  beiden  Armen.) 
it  x  Erwb?  T  h  o  m  a  s  -  Berlin:  Ueber  die  Beziehung  chronischer 
Unterernährung  zur  Infektion  und  die  klinischen  Zeichen  der  herab¬ 
gesetzten  Immunität. 

Chronische  Unterernährung  allein  (Paradigma  :  Pylorusstenose 
ohne  Ernährungsstörung)  führt  nicht  zu  den  bekannten  Infektionen 
die  als  Zeichen  herabgesetzter  Immunität  gelten  (Hauteiterungen, 
boor,  Grippe  etc.);  Gewichtsstürze  an  sich  disponieren  nicht  zur 
Entstehung  von  Pneumonien. 

Bei  ta  E  r  I  a  n  g  e  r :  Zur  Kenntnis  des  angeborenen  lymphangiek- 
tatischen  Oedems. 

4  monatlicher  weiblicher  Säugling  mit  angeborenen  teigigen 
Schwellungen  der  Füsse,  Unterschenkel,  Hände,  sowie  Cutis  laxa 
am  Nacken  und  Rücken.  G  ö  1 1 


Archiv  für  Hygiene.  82.  Band,  5.-7.  Heft.  1914. 

r  ?  '  ^trassburg:  Geber  Schwefelwasserstoffbildung 

aus  Zystin  durch  Bakterien. 

Die  Ergebnisse  der  Untersuchungen  über  Schwefelwasserstoff- 
bildung  aus  Zystin  durch  Bakterien  werden  dahin  zusammengefasst 
dass  alle  zum  Versuch  benützten  Arten  aus  Zystin  Schwefel¬ 
wasserstoff  bildeten.  Aus  T  a  m  i  n  dagegen  wird  kein  Schwefel  ab¬ 
gespalten.  Der  Intensität  des  Wachstums  der  Bakterien  geht  die 
Menge  des  gebildeten  Schwefelwasserstoffes  parallel.  Aus  Zystin 
midet  sich  auch  in  sulfatfreien  Nährlösungen  Schwefelwasserstoff. 
Merkaptanbildung  konnte  nicht  beobachtet  werden. 

A.  Lode-  Innsbruck:  Ueber  die  Möglichkeit  der  Gewinnung  von 
I  rinkvv  asser  aus  den  Dohlen  der  Talsperren  der  Wildbachverbauung. 

Luter  Wildbach  verbauungen  versteht  man  Mauer- 
an  lagen  in  Felshöhlen  der  Alpen,  die  nach  Art  der  Talsperren 
aufgeführt  sind.  Sie  sind  aber  nicht  in  erster  Linie  errichtet, 
um.  wie  bei  unseren  üblichen  Talsperren  das  Wasser  auf¬ 
zustauen,  sondern  um  das  vom  Gebirge  in  grossen  Massen  herab¬ 
gespülte  Steinmaterial  aufzuhalten  und  die  Untcrlieger  vor  Ver¬ 
wüstung  und  Verschüttung  zu  bewahren.  Diese  Wildbach  Verbau¬ 
ungen  erreichen  im  Laufe  der  Zeit  unter  Umständen  eine  nicht 
unbedeutende  Höhe  und  das  Wasser,  welches  sich  oben  auf  die 
Verbauungen  ergiesst,  sickert  in  dieselben  hinein,  um  entweder  an 
der  Sohle  wieder  hervorzutreten  oder  aus  sog.  Dohlen,  Ent¬ 
wässerungskanälen  oder  Entwässerungsschlitzen  in  grösserer  Menge 
herauszusprudeln  und  dann  weiter  im  Tale  herabzufliessen.  Das 
Abflusswasser  ist  nun  kein  Oberflächenwasser  mehr,  sondern  kann 
eher  in  die  Kategorie  der  künstlichen  Grundwässer  eingereiht  wer- 


1976 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  38. 


den,  da  es  eine  Filtration  und  mehr  oder  weniger  weitgehende 
chemische  Veränderungen  durchgemacht  hat. 

Verf.  hat  eine  derartige  Verbauung,  die  Sperre  bei  Pont  a  1 1  o 
und  ihre  Vorsperre  alla  Madruzza  bei  Trient,  die  gegen  die 
Wildwässer  des  aus  dem  Fersentale  kommenden  Fersenbaches  er¬ 
richtet  ist,  zum  Objekt  seiner  Untersuchungen  gemacht  und  weist 
durch  chemische  und  bakteriologische  Analysen  genau  nach,  dass 
der  Reinigungs-  und  Filtrationseffekt  beim  Hinsickern  des  Wassers 
durch  das  angestaute  Gerolle  ein  sehr  vollkommener  ist.  Es  konnte 
mit  ziemlicher  Gewissheit  festgestellt  werden,  dass  das  Wasser  aus 
Grundwasser  des  Fersenbaches  und  aus  versickertem  Bachwasser 
sich  zusammensetzt.  Weitere  derartige  Untersuchungen  über 
Dohlenwasscr  aus  Wildbachverbauungen  sind  erwünscht,  um  auch 
über  die  hygienische  Bedeutung  ihres  Wassers  Kenntnis  zu  erhalten. 

Jean  Louis  B  u  r  c  k  h  a  r  d  t  -  Würzburg:  Untersuchungen  über 
Bewegung  und  Begeisselung  der  Bakterien  und  die  Verwendbarkeit 
dieser  Merkmale  für  die  Systematik.  I.  Teil.  Ueber  die  Veränder¬ 
lichkeit  von  Bewegung  und  Begeisselung. 

Es  wurden  in  ausführlichen  Untersuchungen  die  Verhältnisse  der 
Beweglichkeit  und  der  Begeisselung  der  Bakterien  studiert.  Neben 
einer  Reihe  spezieller  Ergebnisse  ist  die  Feststellung  von  Bedeutung, 
dass  die  beweglichen  Bakterien,  teils  infolge  von  sichtbaren  Schä¬ 
digungen,  teils  unter  Umständen,  die  für  uns  nicht  erkennbar  sind, 
ihre  Bewegungen  zeitweise  oder  —  anscheinend  —  dauernd  ein¬ 
stellen.  Weiterhin  ergab  sich,  dass  die  Beweglichkeit  und  die  Be¬ 
geisselung  eine  der  konstantesten  Eigenschaften  ist,  da  sie  bei  jahre¬ 
lang  fortgezüchteten  Stämmen  nur  sehr  selten  wechselt  und  offenbar 
fast  nur  bei  solchen,  welche  die  Bedingungen  unserer  Kulturen  schlecht 
ertragen.  Damit  zeigt  sich  auch  die  Bewegung  und  Begeisselung  als 
einer  der  beiden  Anhaltspunkte  für  die  Systematik.  Es  wird  betont, 
dass  man  ein  Bakterium  gar  nicht  lange  genug  unter  den  ver¬ 
schiedensten  Bedingungen  untersuchen  kann,  bevor  man  behaupten 
darf,  dass  es  unbeweglich  ist.  R.  0.  N  e  u  m  a  n  n  -  Bonn. 

Berliner  klinische  Wochenschrift.  Nr.  37,  1914. 

Friedrich  W  o  1 1  e  r  -  Hamburg:  Ueber  die  Rolle  der  Kontakt¬ 
infektion  in  der  Epidemiologie  der  Cholera.  (Auf  Grund  der  bisher 
über  das  Auftreten  der  Cholera  auf  dem  Kriegsschauplätze  des 
Balkankrieges  1912/13  vorliegenden  Berichte.) 

Nach  Ansicht  des  Verf.  ist  nicht  sowohl  die  Kontaktinfektion 
als  die  örtlich-zeitliche  Bedingtheit  der  Seuchenentstehung  das  ent¬ 
scheidende  Moment  für  das  epidemische  Auftreten  der  Cholera. 

H.  C  o  e  n  e  n  -  Breslau:  Hypernephrom  des  Zungengrundes. 

Kasuistischer  Beitrag. 

R  e  n  n  e  r  -  Breslau:  Behandlung  der  Blasentumoren  mit  Hoch¬ 
frequenzströmen.  (Vortrag,  gehalten  in  der  Sitzung  der  Schles.  Ges. 
f.  vaterl.  Kultur  zu  Breslau  am  26.  VI.  1914.) 

Verf.  glaubt  die  Behandlung  der  Blasentumoren  mit  Hoch¬ 
frequenzströmen  als  einen  Fortschritt  empfehlen  zu  können. 

Max  Kunreuth  er -Berlin:  Ueber  Methodik  der  Schwanger¬ 
schaftsunterbrechung  und  gleichzeitiger  Sterilisation  bei  Lungen¬ 
tuberkulose. 

Bei  dem  Zusammentreffen  von  Lungentuberkulose  und 
Schwangerschaft  ist  bei  Mehrgebärenden,  falls  eine  Verschlimmerung 
der  Lungenerkrankung  cingctreten  oder  zu  befürchten  ist,  die  Unter¬ 
brechung  der  Schwangerschaft  mit  gleichzeitiger  Sterilisation  indi¬ 
ziert.  Als  bestes  Verfahren  hierfür  ist  die  abdominale  hohe  supra¬ 
vaginale  Amputation  des  Uterus  unter  Zurücklassung  der  Adnexe  zu 
empfehlen. 

Piorkowski  -  Berlin:  Trockennährböden. 

Nach  Angaben  des  Verf.  hält  die  Deutsche  Schutz-  und  Heil- 
sci  umgesellschaft.  Berlin  NW.  6,  Luisenstrasse  45,  ein  Nährpulver 
vorrätig,  aus  welchem  sich  leicht  und  billig  Nährböden  herstellen 
lassen. 

0.  B.  M  e  y  e  r  -  Wiirzburg:  Nachtrag  zu  der  Abhandlung:  Ueber 
Neuralgia  brachialis  und  ein  eigentümliches  Symptom  bei  derselben. 

Algocratine  von  E.  Lancosme  -  Paris  ist  nichts  weiter  als  ein 
Gemisch  von  50  Phenazetin,  10  Koffein  und  40  Pyramidon.  Man 
wird  daher  nicht  mehr  das  teure  französische  Präparat,  sondern  die 
angegebene  Mischung  mit  dem  gleichen  Erfolge  verordnen. 

Dr.  Grassmann  -  München. 

Deutsche  medizinische  Wochenschrift.  Nr.  36,  1914. 

H.  Strauss  - Berlin :  Diätbehandlung  von  Hvperazidität,  Hyper¬ 
sekretion  und  Ulcus  pepticum. 

Klinischer  Vortrag. 

D.  Kulenkampff  -  Zwickau:  Neuere  Fortschritte  auf  dem  Ge¬ 
biet  der  Inhalationsanästhesie. 

Zusammenfassung:  Einen  Hauptfortschritt  der  allgemeinen  Nar¬ 
kosetechnik  bilden  die  Apparate,  welche  die  maximale  Dampfkonzen¬ 
tration  von  der  Willkür  des  Narkotisierenden  unabhängig  machen  und 
durch  kleine  luftdurchlässige  oder  mit  Atmungsventilen  versehene 
Masken  jede  Kchlensäureanhäufung  vermeiden.  Die  Hauptsache  ist 
freie  Luft-,  nicht  Sauerstoffzufuhr.  Am  sichersten  und  zweckmässig- 
sten  ist  die  Narkose  mit  Dampfgemischen:  Aethernarkose  mit  Chloro¬ 
formbeigabe  nach  den  Witzel-Hoffmann  sehen  und  Braun- 
schen  Vorschriften  mit  dem  Braun  sehen  Apparat,  in  der  Klinik 
auch  mit  dem  Roth-Dräger-Krönig sehen  Apparat.  Die  Nar¬ 
kosen  werden  durchgehends  oberflächlicher,  an  der  Grenze  des  Exzi¬ 


tationsstadiums  (v.  Brunn)  im  Stadium  der  Narkosenreife  (Koch- 
m  a  n  n)  gehalten:  intermittierende  Narkosen  mit  rasch  schwankender 
Dampfkonzentration  sind  zu  verwerfen.  Die  wichtigste  Vorbedingung 
einer  guten  ungefährlichen  Narkose  ist  gutes  Aussehen  und  freie 
Atmung  des  Patienten.  Bei  guter  Kontrolle  dieser  Zeichen  ist  die 
Kontrolle  des  Pulses  und  der  Pupillen  in  der  Regel  überflüssig  und 
unzweckmässig.  Die  innere  Ruhe  des  zu  Narkotisierenden  —  ev. 
durch  vorherige  Schlafmittel  oder  Morphium  zu  unterstützen  —  ist 
viel  wichtiger  als  die  „äussere“  Ruhe  der  Umgebung.  Die  beste 
und  einfachste  Rauschmethode  ist  die  alte  T  h  i  e  r  s  c  h  sehe  Unter¬ 
haltungsnarkose.  Sehr  wichtig  ist  die  jetzt  erreichte  weitgehende 
Möglichkeit,  bei  Bedenken  gegen  die  allgemeine  Inhalationsnarkose 
diese  durch  Lokal-,  Lumbal-  oder  Venenanästhesie  zu  umgehen. 

J.  T  sch  er  tk  off- Charlottenburg:  Indikanämie  und  Urämie 
(Azetonämie). 

Bei  Gesunden  und  bei  Kranken  ohne  Niereninsuffizienz  ist.  un¬ 
abhängig  von  der  Diät,  im  Serum  niemals  Harnstoffretention  oder 
Indikan  zu  finden.  Bei  Nierenkranken,  die  im  Serum  eine  erhebliche 
Harnstoffretention  haben,  findet  sich  regelmässig  Indikanämie.  Bei 
einem  Harnstoffgehalt  von  ca.  1,5  Prom.  ab  fehlte  sie  nie.  Bei 
chronischer  Nephritis  ist  Indikanämie  und  eine  Harnstoffretention  von 
1,5  Prom.  ab  ein  ungünstiges,  schwere,  nicht  ausgleichbare  Nicren- 
veränderung  anzeigendes  Symptom.  Als  einziges  Zeichen  der  Nieren¬ 
insuffizienz  bleibt  die  Indikanämie  auch  da  bestehen,  wo  die  Azeton¬ 
ämie  durch  äussere  alimentäre  Einflüsse  bis  zur  Norm  herabge¬ 
mindert  ist. 

G.  H  a  f  e  m  a  n  n  -  Beringhausen:  Ueber  den  Eiweissgehalt  itn 

Sputum  Tuberkulöser.  .  n. 

Die  Fortsetzung  der  von  Gelderblom  in  Nr.  41  der  D.m.W. 
1913  veröffentlichten  Untersuchungen  bestätigte  deren  Ergebnis.  Als 
Hauptregel  kann  gelten:  Enthält  das  Sputum  kein  Eiweiss,  so  sind 
keine  Bazillen  vorhanden,  enthält  das  Sputum  Bazillen,  dann  ist  auch 
Eiweiss  vorhanden  (bei  geschlossenen  Fällen  nur  Eiweiss).  Ziemlich 
allgemein  anerkannt  ist  bis  jetzt  auch  der  Satz:  .Ein  einmaliger 
positiver  Eiweissbefund  gestattet  noch  keine  sicheren  Schlüsse,  ein 
einmaliger  negativer  Befund  schliesst  Tuberkulose  aus.  Ausser  der 
Annahme,  dass  das  Eiweiss  im  Sputum  Serumalbumin  sei  und  aus  den 
feinen  Bronchial-  und  Alveolargefässen  stamme,  neigt  Verf.  noch  zu 
der  Annahme,  dass  das  Eiweiss  den  Stoffwechsel-  und  Zerfallspro¬ 
dukten  der  Bazillen  selbst  entstamme. 

R.  W.  R  a  u  d  n  i  t  z  -  Prag:  Erdnussmilch  statt  Mandelmilch. 

Zum  Ersatz  der  Mandelmilch  in  der  Behandlung  von  Säuglingen 
eignet  sich  die  sechsmal  billigere  geröstete  und  geschälte  Erdnuss 
und  zwar  die  chinesische,  javanische  oder  afrikanische  Art.  Die 
Mandel-  bzw.  Erdnussmilch  lässt  sich  gut  verwenden:  1.  bei  Neuge¬ 
borenen  wegen  Milchmangels  der  Mutter,  auch  alkalinisiert  bei  Gelb¬ 
sucht  der  Neugeborenen;  2.  bei  vorübergehendem  Mangel  verläss¬ 
licher  Tiermilch  für  den  Säugling:  3.  bei  allen  Durchfällen  der  Säug¬ 
linge  ohne  anhaltendes  Erbrechen  und  ohne  Vergiftungssymptomc 
nach  oder  ohne  vorherige  Wasserernährung.  Nach  Bedarf  wird 
Zucker,  Eichelkaffeeabsud,  Mehl,  Malzextrakt  zugesetzt,  durcl: 
steigenden  Zusatz  von  Tiermilch  wird  zur  gewöhnlichen  Ernährung 
zurückgekehrt. 

Aram-Köln:  Das  deutsche,  österreichische,  französische,  russi¬ 
sche  und  englische  Militärsanitätswesen.  (Schluss  aus  Nr.  35.) 

II.  Oesterreich-Ungarn. 

Feuilleton.  V.  C  z  e  r  n  y  -  Heidelberg:  Aus  Verwundeten¬ 
lazaretten.  Bergeat  -  München. 

Inauguraldissertationen. 

Universität  Rostock.  August  1914. 

Eymann  Leo:  Kontaktkarzinom  der  Conjunctiva  palpebrae  und  der 

Kornea.  , 

Reid  George:  Beiträge  zur  Kenntnis  der  chemischen  Natur  unü 
des  biologischen  Verhaltens  des  Rizins. 

Bulkowstein  Itzko  (Isaak):  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Wir¬ 
kungen  und  Bestandteile  der  Hauhechelwurzel. 

Stahnke  Ernst:  Tätigkeit  der  Niere  während  der  Geburt. 
David  Adolf:  Ueber  zwei  neue  Quecksilberverbindungen. 

Felke  Johannes:  Ueber  die  Giftstücke  der  Samen  von  Jatroplia 
Curcas  L. 

Hotzen  Adelbert:  Ueber  die  Dauererfolge  der  operativen  Therapie 
bei  Extrauteringravidität  auf  Grund  von  82  in  der  Rostocker 
Universitäts-Frauenklinik  operierten  Fällen. 

Pr  ein  Fritz:  Die  Entwicklung  des  vorderen  Extremitätenskelettes 
beim  Haushuhn. 

Heinrich  P(aul):  Einige  Beiträge  zur  Kenntnis  des  biologischen 
Verhaltens  von  Convolvulin  und  Jalapin. 

Hesse!  Ewald:  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Bestandteile  und  Wir¬ 
kungen  der  Strophanthusdrogen. 

Univerität  Würzburg.  August  1914. 

Hohmann  Adolf:  Ueber  Zysten  des  Larynx. 

Rabanus  Ernst:  Beitrag  zur  diffusen  Meningealkarzinose. 
Schulte  H.:  Ueber  die  Gefahr  einer  Quecksilbervergiftung  hei 
Zahnärzten. 

Suzuki  Shigenobu:  Zur  Frage  der  Selbständigkeit  der  Langer- 
hans  sehen  Inseln. 


22.  September  191-4. 


MUFNCHENFR  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1977 


Vereins-  und  Kongressberichte. 

Verein  der  Aerzte  in  Halle  a.  S. 

(Bericht  des  Vereins.) 

Sitzung  vom  24.  Juni  1914.  (Schluss.) 

Vorsitzender:  Herr  Bencke. 

Schriftführer:  Herr  S  t  i  c  d  a. 

Herr  Lehnerd  t:  Zur  Kenntnis  der  Rumination  im  Säuglings- 

iltcr. 

\ortr.  teilt  einen  Fall  von  Rumination  bei  einem  Säugling  mit, 
er  im  Altei  von  7  Monaten  mit  einem  Gewicht  von  nicht  ganz  3  kg 
ur  Aufnahme  kam.  Das  Kind  soll  sich  die  ersten  3  Monate  bei  Brust- 
rnährung  leidlich  entwickelt  haben,  doch  soll  schon  von  Geburt  an 
tuas  Erbrechen  bestanden  haben.  Nach  dem  Absetzen  von  der 
b.itterbrust  wurde  das  Kind  mit  Schweizermilch  ernährt;  bei  dieser 
lahrung  trat  fast  nach  jeder  Mahlzeit  Erbrechen  auf.  das  Kind  kam 
nrner  mehr  herunter  und  auch  ein  2  Monate  später  vorgenommener 
\echsel  der  Nahrung  konnte  das  Erbrechen  nicht  beseitigen  und  die 
irtschreitende  Atrophie  nicht  aufhalten.  Die  Untersuchung  ergab 
usser  der  hochgradigen  Atrophie  an  den  inneren  Organen  keine 
(esonderheiten.  .  Der  Bauch  war  eingesunken  und  auf  den  dünnen 
>auchdecken  zeichneten  sich  die  Konturen  der  Darmschlingen  ab. 
i  schcinungen  von  Pylorospasmus  (Pylorustumor,  Magenversteifung 
nd  von  links  nach  rechts  über  das  Abdomen  verlaufende  peristaltische 
y eilen)  wurden  nicht  beobachtet.  Nach  der  Aufnahme  auf  die  Säug- 
ngsstation  war  die  Nahrungsaufnahme  anfangs  sehr  schlecht.  Wir 
atten  zunächst  den  Eindruck,  dass  das  Kind  schlecht  schlucken 
onnte;  wie  die  Untersuchung  mit  der  Sonde  ergab,  lag  aber  ein 
indernis  nicht  vor.  Ausserdem  wurde  z.  T.  schon  während  des 
rinkens,  z.  T.  gleich  nach  der  Nahrungsaufnahme  fast  alles  Ge- 
assene  wieder  herausgebracht.  Eine  genaue  Beobachtung  ergab, 
ass  es  sich  dabei  nicht  um  ein  eigentliches  Erbrechen  handelte, 
indem  um  einen  Vorgang,  der  sich  am  besten  mit  dem  Wieder¬ 
auen  vergleichen  lässt.  Das  Kind  machte  kurze  Zeit  nach  der 
arhungsaufnahme  eigentümliche  Kaubewegungen,  bei  denen  der 
nterkiefer  mehrere  Male  stark  nach  abwärts  bewegt  wurde,  bis 
is  eben  Genossene  wieder  in  die  Mundhöhle  zurückgeflossen  war 
enn  das  Kind  bei  dem  geschilderten  Vorgang  auf  der  Seite  lag, 
i  floss  ein  Teil  des  Inhaltes  der  Mundhöhle  heraus,  der  Rest  des- 
Iben  wurde  unter  Kaubewegungen  allmählich  wieder  herunter- 
■schluckt.  Meist  trat  dieses  Wiederkäuen  sehr  bald  nach  der 
ahi  ungsaufnahme  auf,  seltener  erst  längere  Zeit  nach  derselben, 
it  dem  typischen  Erbrechen  hatte  dieser  Vorgang  nichts  gemeinsam: 
ne  Mitbeteiligung,  der  Bauchpresse  konnten  wir  nicht  beobachten. 

•  ist  klar,  dass  bei  diesem  Modus  ein  grosser  Teil  der  aufgenommenen 
ihrung  in  Verlust  ging  und  fast  gar  keine  Nahrung  in  den  Magen- 
rmkanal  gelangte.  Infolge  dieser  ganz  minimalen  Nahrungs- 
fnahme  war  die  Urinsekretion  sehr  gering  und  die  Stühle  zeigten 
s  Aussehen  und  die  Konsistenz  typischer  Hungerstühle.  Wir 
achten,  nun  einen  Versuch  mit  der  Zufütterung  breiiger  Nahrung  in 
r  Hoffnung,  durch  eine  festere  Konsistenz  der  Nahrung  das  stets 
hr  leicht  vor  sich  gehende  Zurtickfliessen  des  Mageninhaltes  in  den 
md  zu  verhindern  und  gingen,  als  tatsächlich  bei  dieser  konsisten- 
-en  Nahrung  das  Ruminieren  nachliess,  dazu  über,  durch  Zusatz 
n  Mondamin  auch  der  Flaschennahrung  eine  festere  Konsistenz  zu 
rleihen.  Unter  dieser  Therapie  stiegen  die  Trinkmengen  an,  das 
»rpergewicht  nahm  zu,  die  Stühle  wurden  besser  und  die  Urin- 
cretion  reichlicher.  Sehr  auffallend  war,  dass  es  gelang,  das  Kind 
rch  Drohen  am  Ruminieren  zu  verhindern.  Auch  an  dere  Beob- 
tungen  ergaben,  dass  es  sich  zweifellos  um  ein  neuropathisches 
id  handelte.  Trotz  der  zweifellosen  Besserung  ging  das  Kind,  das 
rch  die  seit  4  Monaten  bestehende  Ernährungsstörung  offenbar 
ion  zu  schwer  geschädigt  war,  nach  10  tägigem  Aufenthalt  in  der 
nik  an  einer  relativ  geringfügigen  Bronchopneumonie  zugrunde, 
i  der  Sektion  konnten  im  Oesophagus,  Magen  und  Dünndarm 
endwelchc  pathologische  Veränderungen  nicht  festgestellt 
rden.  Im  Anschluss  an  die  geschilderte  eigene  Beobachtung  be- 
icht  Vortr.  die  übrigen  14  bisher  in  der  Literatur  niedergelegten 
Je  von  Rumination  im  Säuglingsalter.  Das  eigentliche  Wesen  und 
Aetiologie  der  Säuglingsrumination  ist  noch  nicht  geklärt.  Vortr. 
eilte  mit  der  Mehrzahl  der  Autoren  die  sog.  Ruminatio  der  Säug¬ 
te  als  eine  in  ihrem  Wesen  noch  ungeklärte  Motilitätsneurose  des 
gens  auffassen. 

Herr  Beneke:  Ein  Fall  von  Pcnicillium  glaucum  in  der  Lunge. 

Die  Aspergillusmykosen  der  Lunge  sind  seit  langer  Zeit  bekannt; 

:h  andere  Pilzformen  (Mucor,  Oidina)  sind  gelegentlich  in  der 
ige  beobachtet  worden.  Ich  hatte  Gelegenheit,  kürzlich  eine 
'ke  Entwicklung  von  Penicillium  glaucum  in  einer  Lungengangrän 
sehen;  da  anscheinend  die  Literatur  einen  ähnlichen  Fall  noch 
1  nt  aufweist,  so  erlaube  ich  mir  ihn  hier  mitzuteilen. 

Es  handelte  sich  um  einen  59  jährigen  Arbeiter,  dessen  Körper 
Anschluss  an  Nephritis  und  chronischen  Darmkatarrh  hochgradig 
emagert  war.  Die  rechte  Lunge  enthielt  im  überlappen  einen 
I  s seren  Zerfallsherd  gangränöser  Beschaffenheit,  welcher  allem 
'Chein  nach  auf  Grund  einer  Embolie  der  zugehörigen  Lungen- 
tne  entstanden  war;  Infarzierung  der  Lunge  lag  nicht  vor.  Der 
d  bildete  eine  mässig  grosse  Kaverne  mit  fetzigen  Rändern;  dic- 
,e  enthielt  eigentümlich  dicke,  an  zusammengerollte  Pflaumen¬ 


schalen  erinnernde  dunkelgelbgraue  Ballen,  welche  unmöglich  in 
dieser  Grösse  durch  die  Bronchi  in  die  Kaverne  gelangt  sein  konnten. 
Ine  Diagnose  wurde  demgemäss  auf  Pilzwucherung  gestellt,  obwohl 
die  charakteristische  Aspergillusfärbung  nicht  vorlag.  Die  Ballen 
lagen  locker  auf  der  eiterreichen  Kavernenwand;  eine  Einwucherung 
in  das  Lungengewebe  bestand  nirgends.  An  anderen  Stellen  der 
Lungen  wurde  nichts  ähnliches  beobachtet. 

Hie  mikroskopische  und  kulturelle  Untersuchung  ergab,  dass  cs 
j1.,  l,m  ,  Penicillium  glaucum  handelte.  Ausserordentliche 
dichte  1  ilzrasen  bildeten  die  Ballen;  eine  Entwicklung  der  Pilze  in 
das  Lungengewebe  hinein  fand  sich  nirgends. 

Die  Beobachtung  bestätigt  die  bei  Äspergillenmykosen  von  mir 
regelmässig  festgestellte,,  auch  in  der  Literatur  mehrfach  hervorge- 
^obene  Beziehung  des  Schimmelpilzwachstums  zu  einer  vorherigen 
Schädigung  des  Lungengewebes  durch  Arterienembolie.  Wie  weit  im 
vorliegenden  Falle  die  eitriggangränöse  Entzündung  auf  die  Wirkung 
der  P’ilzrnassen  zurückzuführen  war,  Hess  sich  nicht  entscheiden. 
Dass  die  letzteren  von  Bedeutung  sein  konnten,  war  mir  nicht  wahr- 
scheinlich.  Denn  die  Pilzfäden  erinnerten  in  hohem  Masse  an  einen 
Fall  von  Fadenpilzmykose  des  Magens  (Geschwürsbildung),  welchen 
ich  vor  einigen  Jahren  beobachtet  habe  (Frankf.  Zschr.  f.  Pathol.  VII. 
1911),  und  welcher  ein  Pendant  zu  einem  gleichzeitig  von  Mar- 
chand  beschriebenen  Fall  (Verhdl.  d.  D.  pathol.  Gesellsch.  1910. 
AlV.)  darstellt.  Die  eitererregende  und  nekrotisierende  Wirkung  der 
Pilze  auf  das  Magenwandgewebe  fiel  damals  in  beiden  Fällen  auf; 
die  Natur  der  Pilze  war  beide  Male  kulturell  nicht  festgestellt  worden’. 
Die  mikroskopische  Aehnlichkcit  der  damals  beobachteten  Pilzfäden 
mit  den  Wucherungen  in  der  Lunge  ist  auffallend  genug,  um  die  Ver¬ 
mutung  einer  Identität  zu  rechtfertigen,  so  dass  der  Gedanke  nicht 
fern  liegt,  dass  die  in  das  durch  die  arterielle  Embolie  geschwächte 
Lungengewebe  gelangten  Pilzkeime  hier  den  Autor  zu  dem  eigen¬ 
tümlichen  gangränösen  Zerfall  gegeben  hätten. 

Dass  die  Lungenembolie  von  Bedeutung  für  die  Pilzwucherung 
war,  ist  mindestens  sehr  wahrscheinlich.  Sind  auch  die  Lungenab¬ 
schnitte  mit  arterieller  Embolie  scheinbar  meist  ganz  frei  von  ana¬ 
tomischen  Veränderungen,  vor  allem  Infarzierungen,  so  scheinen  doch 
chemische  Veränderungen  in  den  betr.  Gebieten  vorzukommen. 
Darauf  deuten  m.  E.  die  gerade  in  solchen  Gebieten  bisweilen  nach¬ 
weisbaren  sog.  Kalkmetastasen  der  Lunge;  die  lokalisierte 
Kalkablagerung  in  solchen  Fällen  deutet  wohl  auf  eine  besondere  che¬ 
mische  Attraktion  der  anämisierten  Gewebeteile.  Diese  Verände¬ 
rung  schafft  vielleicht  auch  einmal  für  die  Entwicklung  von  Pilzsporen 
günstigen  Boden. 


Naturwissenschaftl.-medizinische  Gesellschaft  zu  Jena. 

Sektion  für  Heilkunde. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  16.  Juli  1914  in  der  chirurgischen  Klinik. 

Vorsitzender:  Herr  Lexer: 

Schriftführer:  Herr  Berger. 

Vor  der  Tagesordnung: 

Herr  Berger:  Ueber  Gehirnfieber. 

Eine  26  jährige,  bis  dahin  gesunde  Arbeiterfrau  erkrankte  am 
30.  V.  14  unter  epileptiformen  Anfällen  und  wurde  am  9.  VI.  der 
psychiatrischen  Klinik  überwiesen.  Es  bestand  der  Verdacht  eines 
Tumor  cerebri,  und  auf  Grund  der  Perkussionsempfindlichkeit  und 
anderer  Lokalsymptome  wurde  zur  Klärung  der  Diagnose  für  eine 
eventuelle  Operation  am  4.  VII.  14  die  Hirnpunktion  über  dem  Stirn- 
hirn  ausgefiihrt.  Es  wurde  bei  der  Patientin  beiderseits  etwas  nach 
aussen  von  dem  Tuber  frontale  punktiert  und  je  ein  langer  Hirn¬ 
zylinder  gewonnen,  dessen  mikroskopische  Untersuchung  ein  nor¬ 
males  Aussehen  ergab.  Es  fand  sich  aber  bei  der  Punktion  eine 
ziemlich  beträchtliche  Flüssigkeitsmenge  im  Subarachnoidealraum, 
während  die  Ventrikel  nicht  erweitert  erschienen. 

Bei  der  Patientin,  die  bis  dahin  kein  Fieber  gehabt  hatte  und  am 
Abend  nach  der  Punktion  schon  37,4  in  der  Achselhöhle  mass,  stellte 
sich  am  nächsten  Morgen  hohes  Fieber  bis  zu  38,8  ein,  das  sich  auf 
ziemlich  gleicher  Höhe  erhielt  und  erst  am  Morgen  des  10.  VII.  (am 
6.  Tage  nach  der  Punktion)  rasch  zu  der  Norm  abgefallen  war. 
Während  des  Fiebers  bot  die  Patientin  keinerlei  meningitische  Er¬ 
scheinungen  dar,  und  bestanden  keine  sonstigen  körperlichen  Er¬ 
scheinungen,  die  das  Fieber  hätten  erklären  können.  Patientin  fühlte 
sich  im  Gegenteil  sehr  wohl,  so  dass  ich  immer  wieder  an  dem  Vor¬ 
handensein  des  Fiebers  zweifelte,  von  dem  ich  mich  aber  durch  die 
unter  allen  Vorsichtsmassregeln  ausgeführten  Thermometer¬ 
ablesungen  überzeugen  konnte. 

Bekannt  ist,  dass  im  Tierexperiment  der  sogen.  Wärmestich 
—  eine  Punktion  des  Nucleus  caudatus  —  die  Gehirnhyperthermie 
hervorruft.  Bei  der  Patientin  ist  auf  die  Hirnpunktion  auf  der  rechten 
Seite,  wo  tiefer  cingegangen  wurde,  um  die  Weite  der  Seitenventrikel 
festzustellen,  der  Nucleus  caudatus  getroffen  worden.  Der  daselbst 
genommene  Hirnzylinder  enthält  nämlich  auch  graue  Substanz,  deren 
Nervenzellen  bei  einer  Vergleichung  sich  unschwer  als  dem  Nucleus 
caudatus  zugehörig  erkennen  lassen.  Irgendwelche  Folgeerschei¬ 
nungen  haben  sich  bei  der  Patientin  nicht  eingestellt. 

Tagesordnung: 

Herr  Werner:  Ueber  den  fazialen  Typus  der  Leukämie. 

Vortr.  berichtet  über  einen  Fall  von  einseitigem  Exophthalmus, 
der  sich  im  Laufe  von  4  Wochen  entwickelte  und  bedingt  war  durch 


1978 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  38. 


einen  von  der  linken  Tränendrüse  ausgehenden  Tumor.  Die  Eltern 
der  5  jährigen  Patientin  hatten  erst  kurz  vor  der  Einlieferung  in  die 
Augenklinik  bemerkt,  dass  das  Kind  sehr  matt  und  ruhig  war  und 
auffallend  blass  aussah.  Das  Blutbild  zeigte  das  typische  Bild  einer 
akuten  lymphatischen  Leukämie:  40  Proz.  Hämoglobin,  1  648  000 
Erythrozyten,  33  400  weisse  Blutkörperchen,  davon  92  Proz.  Lympho¬ 
zyten,  6  Proz.  polymorphkernige  Leukozyten,  2  Proz.  Uebergangs- 
formen.  Unter  den  Lymphozyten  waren  nur  sehr  wenig  kleine  zu 
finden,  meist  waren  es  sehr  grosse  atypische  Zellformen  mit  sehr 
grossen  schwach  färbbaren  Kernen,  auch  waren  einzelne  Rieder¬ 
formen  vorhanden. 

Auffallend  war,  dass  ausser  dem  linksseitigen  Orbitaltumor  und 
einigen  sehr  kleinen  Drüsen  am  Hals  keine  Vergrösserung  der 
Drüsen,  auch  im  Röntgenbilde,  nachweisbar  waren.  Ebenso  waren 
Milz  und  Leber  nicht  nachweislich  vergrössert. 

Da  der  Exophthalmus  sehr  schnell  zunahm  und  die  Lider  den 
Bulbus  nicht  mehr  bedecken  konnten,  so  wurde  trotz  der  infausten 
Prognose  ein  operativer  Eingriff  vorgenommen,  um  das  noch  sehende 
Auge  vor  dem  Zugrundegehen  zu  schützen.  Es  wurde  die  linke 
Tränendrüse  und  der  grösste  Teil  des  Tumors  unter  Erhaltung  des 
Auges  entfernt,  so  dass  der  Bulbus  in  die  Orbita  zurückgelagert 
werden  konnte.  Der  Verlauf  der  Erkrankung  war  sehr  progressiv. 
Es  kam  zu  einem  rapiden  Kräfteverfall,  Purpura  ähnliche  Hämor- 
rhagien,  sowie  geringe  Drüsenschwellungen  am  ganzen  Körper  traten 
auf.  Die  Krankheit  verlief  unter  dem  Bilde  einer  pyogenen  Allgemein¬ 
infektion.  Der  Hämoglobingehalt  sank  bis  auf  15  Proz.,  während  der 
Zellgehalt  des  Blutes  fast  der  gleiche  blieb:  erst  einige  Tage  vor 
dem  Tode  trat  eine  myeloische  Metaplasie  auf.  10  Tage  ante  mortem 
waren  ausgedehnte  Netzhautblutungen  nachweisbar. 

Merkwürdig  war  der  histologische  Befund  des  exstirpierten 
Tumors.  In  einem  Teil  war  normales  Tränendrüsengewebe  mit 
starker  Hyperplasie  des  lymphatischen  Gewebes  yorhanden,  während 
der  eigentliche  Tumor  das  Bild  des  Epitheloidzellensarkoms  bot. 

Da  die  Eltern  das  Kind  gegen  unseren  Willen  aus  der  Klinik 
nahmen,  so  konnte  leider  der  Fall  nicht  bis  zuletzt  beobachtet  werden, 
vor  allem  fand  der  Zusammenhang  zwischen  Tumor  und  Blutbild 
keine  volle  Klärung.  Aber  man  ist  geneigt  nach  dem  hämatologischen 
und  histologischen  Befund  den  Fall  als  eine  Leukosarkomatose 
Sternbergs  aufzufassen.  Nach  Mitteilung  des  behandelnden 
Arztes  starb  das  Kind  wenige  Tage  nach  der  Entlassung;  die  Er¬ 
krankung  hatte  in  2  Monaten  zum  Tode  geführt. 

(Eine  ausführlichere  Mitteilung  wird  an  anderer  Stelle  er¬ 
scheinen.) 

Diskussion:  Herr  Stock:  Obgleich  die  Patientin  uns  aus 
der  Klinik  gegen  unseren  Willen  fortgeholt  worden  ist,  möchte  ich 
die  Mitteilung  des  Krankheitsbildes  doch  für  erlaubt  halten. 

Wenn  man  das  Krankheitsbild  der  Leukosarkomatose  (Stern¬ 
berg)  anerkennt,  so  gehört  dieser  Fall  ganz  sicher  in  diese 
Kategorie.  Zuerst  Tumor  in  der  Orbita  —  typisches  Sarkom  nach 
der  anatomischen  Untersuchung  —  bei  subjektivem  Wohlbefinden. 
Dann  Müdigkeit,  schlechtes  Aussehen,  also  Allgemeinsymptome  erst 
später.  Es  liegt  sehr  nahe  anzunehmen,  dass  das  Sarkom  in  die 
Blutbahn  eingetreten  ist  und  zu  einer  Sarkomatose  des  Blutes  ge¬ 
führt  hat. 

Herr  H  i  1 1  m  a  n  n:  Ueber  Vergiftungen  durch  Nitrosedämpfe. 

(Der  Vortrag  erscheint  als  ausführliche  Arbeit  an  anderer  Stelle.) 

(Schluss  folgt.) 


Medizinische  Gesellschaft  zu  Magdeburg. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  26.  März  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Habs. 

Herr  Kamann  demonstriert  ein  durch  Laparotomie  bei  einer 
21  jähr.  Frau  gewonnenes  mehrkammeriges  Cystadenoma  ovarii  von 
35  Pfund  Gewicht.  Die  Trägerin  hatte  8  Wochen  vorher  ein  reifes 
Kind  geboren. 

K.  berichtet  ferner  über  einen  Fall  von  Hämatokolpos  und  bis 
zum  Nabel  reichender  Hämatometra  ohne  Hämatosalpingen  bei  einem 
16  jährigen  Mädchen.  Laparotomie,  Inzision  der  vaginalen  Atresie. 
Heilung. 

Herr  Hilger:  Ueber  Suggestion.  Beeinträchtigt  die  Suggestion 
die  Freiheit  des  Urteils  und  des  Willens? 

I.  Vortr.  geht  von  der  Betrachtung  des  psychischen  Reflexes  aus. 
Unter  psychischem  Reflex  verstehen  wir  (im  Anschluss  an  R  i  c  h  e  t 
und  Moll)  eine  Reflextätigkeit,  die  nicht  durch  den  direkten  körper¬ 
lichen  Reiz,  sondern  durch  die  Vorstellung,  das  Erinnerungsbild  eines 
solchen  körperlichen  Reizes  hervorgerufen  ist.  Z.  B.  ist  die  Speichel¬ 
sekretion,  die  beim  Zerkauen  einer  Speise  entsteht,  im  wesentlichen 
auf  einen  körperlichen  Reflex  zurückzuführen,  während  die  Speichel¬ 
sekretion,  welche  beim  Anblick  einer  solchen  Speise  vor  sich 
geht,  einem  psychischen  Reflex  ihre  Entstehung  verdankt.  Nach  den 
Forschungen  von  J.  P.  P  a  w  1  o  w  und  seinen  Schülern  ist  das  Produkt 
der  Sekretion  —  der  entstandene  Speichel  —  in  beiden  Fällen  genau 
dasselbe.  Hierher  gehört  auch  folgender  Versuch  der  Pawlow- 
schen  Schule.  Man  liess  experimenti  causa  bei  jeder  Fütterung  der 
Versuchshunde  eine  Glocke  ertönen  Es  zeigte  sich  dann,  dass 
fernerhin,  auch  wenn  man  dem  Versuchshunde  keine  Speise  reichte 


oder  vorzcigte,  lediglich  durch  den  Ton  der  Glocke  eine  Speichel¬ 
sekretion  ausgelöst  wurde.  Die  Wahrnehmung  des  Glockentones 
hatte  sich  durch  die  Gewohnheit,  die  Einübung  so  fest  mit  der  Vor¬ 
stellung,  dem  Erinnerungsbild  der  Fütterung  verankert,  dass  diese 
Wahrnehmung  genügte,  um  das  Erinnerungsbild  der  Fütterung  an¬ 
zuregen  und  hierdurch  den  psychischen  Reflex  zur  Auslösung  zu  brin¬ 
gen.  Die  Wirkung  der  Gewohnheit  tritt  beim  Menschen  am  augen¬ 
fälligsten  hervor  bei  den  störenden  Gewohnheiten,  z.  B.  wenn 
jemand  die  Gewohnheit  hat,  nur  in  ganz  bestimmter  Umgebung,  im 
warmen  oder  im  kalten  Zimmer,  im  dunklen  oder  im  hellen  Zimmer 
zu  schlafen  und,  falls  diese  Bedingungen  nicht  erfüllt  sind,  absolut 
nicht  einschlafen  kann.  Oder  wenn  jemand  die  fatale  Gewohnheit 
hat,  etwa  nachts  seinen  Stuhlgang  verrichten  zu  müssen  oder  Urin 
zu  entleeren  usw.  Auch  bei  unseren  Bewegungsorganen  beobachten 
wir  die  Wirkung  schlechter  Gewohnheiten. 

Durchaus  analog  der  Gewohnheit  wirkt  das  Vorbild.  Das  all¬ 
täglichste  Beispiel  eines  durch  das  Vorbild  ausgelösten  psychischen 
Reflexes  bietet  die  „ansteckende“  Wirkung  des  Gähnens.  Der  An¬ 
blick  eines  gähnenden  Menschen  erweckt  in  uns  die  Vorstellung  des 
Gähnreflexes  und  diese  Vorstellung  löst  in  uns  den  Reflex  aus.  Das¬ 
selbe  gilt  unter  ähnlichen  Umständen  vom  Brechreflex,  vom  Husten¬ 
reflex  (s.  z.  B.  Czerny:  Ther.  Mh.  22.  H.  12),  von  der  „anstecken¬ 
den"  Wirkung  der  Chorea,  des  Stotterns. 

Das  Studium  der  psychischen  Reflexe,  speziell  auch  der  durch 
die  Gewohnheit,  das  Vorbild  ausgelösten,  ist  in  besonderem  Masse 
geeignet,  die  psychologische  Tatsache  zu  illustrieren,  dass  jedes  Er¬ 
innerungsbild,  jede  Vorstellung  bis  zu  einem  gewissen  Grade  die  Ten¬ 
denz  hat,  selbständig  ihre  Wirkung  zu  entfalten.  Toute  idee  tend  ä 
se  realiser  (Bernheim). 

Es  ist  wichtig,  bei  einer  Diskussion  über  die  Suggestion  sich 
dieser  Verhältnisse  zu  erinnern.  Es  ist  wichtig,  sich  klar  vor  Augen 
zu  halten,  dass  wir  hier  Reaktionen  vor  uns  haben,  die  durch  das 
Geistesleben  zustande  kommen,  die  aber  keineswegs  einer  Ueber- 
legung  oder  Willenstätigkeit  entspringen,  sondern  eben  durch  reine 
Assoziationswirkung  mechanisch,  automatisch  entstehen. 

Zugleich  ist  es  wichtig,  sich  daran  zu  erinnern,  dass  alle  diese 
Reaktionen  nicht  nur  als  Störungen  auftreten,  sondern  dass  es 
auch  gute  Gewohnheiten  (z.  B.  das  regelmässige  Auftreten  des 
Schlafes  zur  bestimmten  Stunde,  das  pünktliche  Auftreten  des  Stuhl¬ 
ganges  zur  bestimmten  Zeit  (unabhängig  oder  in  hohem  Grade  un¬ 
abhängig  von  der  genossenen  Nahrung)  und  gute  Vorbilder  (z.  B. 
das  „Vormachen“  des  Vorturners,  das  Verhalten  jedes  standhaften 
Menschen)  gibt,  und  dass  wir  diese  guten  Gewohnheiten  und  guten 
Vorbilder  zur  Behandlung  unserer  Patienten  zu  Hilfe  nehmen  können. 

II.  Dieselbe  Rolle  wie  bei  der  Auslösung  von  Reflexen  und  Be¬ 
wegungen  kann  das  Erinnerungsbild  bei  der  Bildung  eines  Urteils 
spielen.  Denken  wir  an  den  Fall  z.  B.  bei  dem  Mediziner  im  ersten 
Semester,  der  auf  dem  anatomischen  Institut  an  dem  Muskelfleisch 
der  stinkenden  Leiche  gearbeitet  hat  und  nun,  wo  er  zum  Frühstück 
stück  geht,  findet,  dass  das  rohe  Fleisch,  das  er  sonst  gerne  gegessen 
hat,  ihn  anwidert.  Oder  nehmen  wir  an,  es  setzt  uns  jemand  unsere 
Mahlzeit  in  einem  Geschirr  vor,  das  momentan  zwar  frei  von  frem¬ 
den  Bestandteilen  ist,  aber  für  gewöhnlich  unappetitlichen  Zwecken 
dient  (z.  B.  einem  Nachtgeschirr).  Nach  ihrer  objektiven  Beschaffen¬ 
heit  ist  unsere  Speise  genau  dieselbe  wie  vorher,  aber  das  wider¬ 
wärtige  Erinnerungsbild  (im  einen  Falle  der  Leiche,  im  anderen  Falle 
des  Urins  etc.)  ist  überwertig  geworden,  und  es  kann  so  stark  sein, 
dass  wir  nicht  bloss  sagen:  mir  ist  es,  als  wenn  die  Speise  widerlich 
wäre,  sondern  dass  wir  ganz  bestimmt  das  Urteil  aussprechen:  diese 
Speise  ist  mir  widerlich,  oder  dass  wir  sogar  behaupten,  dass  dies 
an  der  Speise  liegt  und  sagen:  die  Speise  ist  widerlich.  Ein  solches, 
durch  das  Erinnerungsbild  beeinflusstes  Urteil  nennen  wir  ein  sub¬ 
jektiv  bedingtes  oder  befangenes  Urteil,  im  Gegensatz  zu  dem  ob¬ 
jektiven  oder  freien,  unbeeinflussten  Urteil. 

Eine  besondere  Bedeutung  für  die  subjektive  Beeinflussung 
unseres  Urteils  hat  nun  die  Sprache.  Sie  ist  Träger  von  Erinnerungs¬ 
bildern.  So  wie  das  Glockensignal  bei  dem  zitierten  Versuche  der 
P  a  w  1  o  w  sehen  Schule  dem  Versuchstiere  die  Vorstellung  der  Füt¬ 
terung  ins  Bewusstsein  ruft,  so  rufen  Worte  wie  Leiche,  Urin  etc. 
die  Vorstellung  der  entsprechenden  widerwärtigen  Objekte  dem  In¬ 
dividuum  ins  Bewusstsein.  Deshalb  spricht  auch  ein  wohlerzogener 
Mensch  bei  Tische  nicht  von  solchen  Objekten.  „So  etwas  nimmt 
man  bei  Tische  nicht  in  den  Mund.“  Die  Sprache  bietet  uns  akustische 
Symbole,  sie  ist  Ausdrucksb'ewegung.  Sie  ist  aber  nicht  nur  Aus¬ 
drucksbewegung  für  die  Erinnerungsbilder  einzelner  Objekte,  sie  ist 
vielmehr  auch  Ausdrucksbewegung  für  ganze  psychische  Zustände. 
Der  klagende  Ton  des  Trauernden,  Leidenden,  der  wegwerfende  Ton 
dessen,  der  Abscheu  fühlt,  der  charakteristische  Ton  des  Gclang- 
weilten,  der  bestimmte  Ton  des  Ueberzeugten  resultieren  aus  Aus¬ 
druckbewegungen,  die  durchaus  analog  auf  uns  wirken,  wie  das 
Gähnen  des  gelangweilten  Gähnenden,  wie  das  Ausspeien  oder  gar 
Erbrechen  dessen,  der  Abscheu  od£r  Ekel  fühlt.  Diese  Ausdrucks¬ 
bewegungen  sind  dieselben,  die  wir  selbst  in  demselben  Geistes¬ 
zustände  äussern  würden  und  sie  sind  psychisch  in  uns  so  fest  mit 
den  entsprechenden  Vorstellungen  verankert,  dass  sie  imstande  sind, 
in  uns  den  entsprechenden  Geisteszustand  mit  derselben  oder  noch 
grösserer  Kraft  zu  erwecken,  wie  es  z.  B.  der  Anblick  eines  ent¬ 
sprechenden  Gegenstandes  tun  würde.  Das  ist  der  Kernpunkt  der 
Psychologie  der  verbalen  Suggestion. 


22.  September  1914. 


MUhNCHHNER  MEDIZINISCH!:  WOCH ENS  C  M  R I FT. 


1979 


Vortr.  schliesst  sich  hier  durchaus  der  Definition  von  Th.  L  i  p  p  s 
in:  „bin  suggeriertes  Urteil  ist  ein  Urteil  ohne  stichhaltige,  objektive 
aründe  .  (Uebngens  beabsichtigt  Vortr.  auf  die  Definition  des  Be- 
rriffcs  Suggestion  noch  in  einem  ferneren  Aufsatze  zurückzukommen.) 

Die  Suggestion  wirkt  also  durchaus  analog  der  Gewohnheit  (der 
::niibung).  Beide  wirken  lediglich  durch  Assoziation  automatisch, 
eilektonsch,  instinktiv.  Sie  gehören  beide  zum  sogen,  niederen 
ieistesleben.  Natürlich  können  wir  unser  höheres  Geistesleben, 
aisere  Kritik,  unseren  Verstand,  unsere  Logik  den  Einwirkungen  der 
Suggestion  entgegensetzen.  Dies  geschieht,  indem  wir  uns  „zu- 
ammennehmen  .  d.  h.  unsere  psychische  Kraft  den  Gegenvorstel- 
ungen  zuwenden,  also  in  unserem  Falle  der  Gegenvorstellung,  dass 
iie  Speise  doch  eine  gute  ist.  Immer  aber  werden  wir  mit  diesen 
aktoren  des  niederen  Geisteslebens  zu  rechnen  haben,  und  es  gibt 
alle,  wo  diese  Faktoren  des  niederen  Geisteslebens  stärker  sind 
:e  unsere  Logik,  wie  unser  Wille.  Selbstverständlich  können  aber 
uch  die  Ausdrucksbewegungen  anderer  unser  Urteil  zugunsten  einer 
•peise  beeinflussen.  Wenn  wir  andere  so  recht  mit  Behagen  eine 
•peise  verzehren  sehen,  oder  wenn  wir  sie  dieselbe  so  recht  von 
lerzen  lojen  hören,  so  kann  das  dazu  führen,  dass  wir  von  da  ab 
uch  selbst  oiese  Speise  gern  essen.  Dies  ist  sicher  mit  ein  Grund, 
/eshalb  es  Nationalgerichte  und  Provinzialgerichte  gibt  —  es  wird 
ben  das  Wohlgefallen  an  der  Speise  suggestiv  von  einer  Familie 
j  ^  m  von  einer  Generation  auf  die  andere  übertragen, 

nd  natürlich  können  wir  auch  diese  Tatsache  für  die  Behandlung 
nserer  I  atienten  verwerten.  Wir  können  eben  auch  einem  Men- 
:heii.  der  an  krankhafter  Abneigung  gegen  eine  für  seine  Ernährung 
otwendige  Speise  leidet,  diese  Speise  durch  gutes  Zureden  wieder 
nnehmbai  machen.  Wir  können  so  sein  durch  Idiosynkrasien  etc. 
efaiigenes  Ihteil  wieder  freimachen.  Aus  diesen  Ausführungen  folgt: 
ic  Freiheit  des  Urteils  kann  durch  die  Suggestion  beeinträchtigt 
erden,  sie  kann  aber  auch  durch  die  Suggestion  gefördert  werden 
-  es  kommt  darauf  an,  wie  und  was  suggeriert  wird. 

III.  Da  aus  unseren  Werturteilen  die  Motive  für  unsere  Willens- 
itigkeit  resultieren,  so  ist  mit  der  Beeinflussung  der  Werturteile 
;lion  eine  Beeinflussung  unseres  Willens  gegeben.  Unter  freiem 
ulen  \  erstehen  wir  einen  solchen  Willen,  bei  dem  die  höheren 
ertvolleren  Motive  frei  die  Willenshandlung  bestimmen,  unbeein- 
acntigt  durch  die  niederen,  minderwertigen  Motive,  unbeeinträchtigt 
)er  auch  ourch  schlechte  Gewohnheiten,  schlechtes  Vorbild,  mangel- 
1  teiL  ^  •  s*Yer^raueiE  Vorherrschen  der  niederen  minderwerti- 
.n  Motive  finden  wir  bei  dem  Trunksüchtigen.  Selbstverständlich 
erden  wir  bei  der  Behandlung  der  Leidenschaft  des  Trinkers,  die  ihn 
i  einem  unfreien  Menschen  macht,  an  das  höhere  Geistesleben  des 
identen  appellieren,  wo  immer  dies  nur  angeht.  Wir  werden  ihm 
ine  Flüchten  gegen  seine  Familie  etc.  ins  Bewusstsein  rufen,  wir 
er  Jen  ihn  über  die  Schädigungen  aufklären,  die  der  Alkohol  an- 
-r.ten  kann  und  schon  angerichtet  hat.  Wir  werden  mit  dieser 
n, Wirkung  auf  das  höhere  Geistesleben  in  manchen  Fällen  zum 
eie  kommen.  Da,  wo  wir  damit  nicht  zum  Ziele  kommen,  müssen 
ir  die  raktoren  des  niederen  Geisteslebens  anwenden.  Schon  wenn 
lr  den  Trinker  in  eine  Trinkerheilstätte  aufnehmen,  wenden  wir 
len  sehr  wesentlichen  Faktor  des  niederen  Geisteslebens,  die  Ge- 
ohnheit  an.  Wir  gewöhnen  den  Trinker  wieder  an  eine  alkohol- 
ue  Lebensweise.  Und  in  der  Trinkerheilstätte  oder  auch  in  einem 
istinenzverein  lassen  wir  gleichzeitig  auf  den  Trinker  das  Vorbild 
ier  alkoholfreien  Umgebung  wirken  —  wir  unterwerfen  ihn  sugge- 
yen  Einflüssen.  Daneben  können  wir  nun  auch  mit  besonderem 
tolge  die  verbale  Suggestion  anwenden.  Wir  können  durch  die  ver- 
le  Suggestion  dem  Trinker  den  Genuss  seines  narkotischen  Giftes 
ekt  verekeln.  Gleichzeitig  können  wir  aber  auch  durch  die  Sug- 
stion  das  Urteil  des  Trinkers  über  sich  selbst,  sein  Selbstvertrauen 
nstig  beein.lussen,  wir  können  ihm  Mut  machen. 

Wir  finden  also  auch  in  bezug  auf  den  Einfluss,  den  die  Sug- 
:stion  auf  die  Willenstätigkeit  ausüben  kann,  dass  es  ganz  darauf 
jkommt,  was  man  suggeriert.  Es  gibt  schlechte  und  es  gibt  gute 

•  ggestionen,  so  wie  es  schlechte  und  gute  Gewohnheiten  gibt.  Man 
nn  durch  schlechte,  böswillige  Suggestionen  die  Freiheit  des  Wil- 
is  bei  einem  Menschen  beeinträchtigen  und  man  kann  durch  gute, 
'hlwollende  Suggestionen  die  Freiheit  des  Willens  fördern. 

Einige  Autoren,  z.  B.  D  u  b  o  i  s  -  Bern,  haben  sich  befleissigt, 

; '  Ausdruck  Suggestion  nur  da  anzuwenden,  wo  es  sich  um  schlechte 
ggestionen,  z.  B.  pathogene  Autosuggestionen  handelt.  Dies  ist 
5  terminologische  Verirrung.  Man  kann  unmöglich  einer,  und  den- 
nen  psychischen  Mechanismus  mit  verschiedenen  Ausdrücken  be¬ 
kennen.  Wollte  man  nur  in  den  Fällen  von  Suggestion  sprechen, 

'  üer  suggestive  Einfluss  entgegen  den  Interessen  des  Individuums 
ne  Wirkung  entfaltet,  so  wäre  das  dasselbe,  als  wenn  man  nur 
jenigen  Gewohnheiten  als  solche  bezeichnen  wollte,  welche  einen 
’iaaiichen  Einfluss  auf  das  Handeln  des  Individuums  ausiiben  oder 
wenn  man  einem  Wasserlaufe  nur  dann  Strömung  zuerkennen 
‘  te-  wenn  man  sieht,  wie  er  imstande  ist,  der  Fahrt  eines  Motor- 
>  es  entgegenzuwirken  —  nicht  aber  dann,  wenn  das  Motorboot 
.  1  denJ  »trome  fährt.  Im  letzteren  Falle  ist  die  Wirkung  des 
-omes  kerne  so  auffällige  und  kleine,  schwächere  Strömungen  wer- 

•  a-r  da?  des  Laien  möglicherweise  nicht  sichtbar  werden, 

i.  wissensc^aftliche  Betrachtung  sind  aber  beide  Wirkungen 
h  Massgabe  der  Naturgesetze  absolut  gleich 


Pc  PCir  y^rtraK  wird  in  extenso  in  der  Zschr.  f.  Psychother.  u.  med. 
Psychol.  (F.  Enke,  Stuttgart)  erscheinen. 

Herr  Vogt:  Die  Behandlung  der  Lungentuberkulose  Im  Kindes¬ 
alter.  (Ist  erschienen  im  Juniheft  1914  der  Ther.  d.  Gegenwart.) 


Aerztlicher  Verein  München. 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzung  vom  10.  Juni  1914. 

Vor  der  Tagesordnung: 

Herr  Herzog:  Demonstration  eines  Falles  von  allgemeiner  Be¬ 
haarung  und  Frühreife  bei  3  jährigem  Kinde. 

Diskussion:  Herr  L  i  s  s  m  a  n  n,  Herr  Herzog. 

/*r  ,  err  v"  Notthafft:  Aus  der  modernen  Gonorrhöetherapie. 

(Vortrag  erscheint  in  der  M.m.W.) 

Poe  Pv^y.55^0";.  Herr  Nassauer  berichtet  in  Kürze  über  die 
Kesultate,  die  ihm  die  nunmehr  seit  6  Jahren  geübte  Pulverbehand- 
d!rr  w.e  1  bl.  Chen  Gonorrhöe  ergeben  hat.  Er  freut  sich,  dass 
nach  den  Ausfuhrungen  des  Redners  die  konservative  Behandlung 
tUhClSei  ,3er  Qonorrhöe  der  Männer  an  Ausbreitung  zuzunehmen 
Tnn  Ho  war  bei  der  Begründung  der  Pulverbehand- 

lung  der  weiblichen  Gonorrhöe  von  der  Bolus  alba  ausgegangen. 

Analog  den  Anschauungen  des  Vortragenden  hat  er  in  den  letzten 
“",etb  'en  anderen  auch  mit  den  Silberpräparaten  Versuche 

Ä  d  -Jq-iu61  deu.  (J°norrhöe  der  weiblichen  Kranken  und 
auch  Kinder  mit  Silberverbindungen  der  Bolus  sehr  gute  Resultate 
gezeiügt.  Er  verwendet  eine  von  der  Farbenfabrik  Bayer-  Elber¬ 
feld  hergestellte  Silberbolusverbindung,  die  unter  dem  Namen  Argobol 
2  proz.  in  den  Handel  gelangt.  Ausserdem  ein  Protargolkolloid  5  proz 
der  Verwertungsgesellschaft  für  Montan-  und  chemische  Industrie, 
Mainz.  Diese  feinen  Pulver  werden  mittels  des  S  i  c  c  a  t  o  r  s  in  die 
Scheide  zerstäubt.  Er  verweist  noch  auf  Kolloide  von  Holzessig; 
das  schon  bekannte  20  proz.  Lenizetboluspulver,  das  die  Wirkung  der 
essigsauren  Tonerde  zur  Geltung  bringt  und  viele  andere  Pulverver¬ 
bindungen.  In  nunmehriger  6  jähriger  Erfahrung  mit  der  von  ihm 
angegebenen  Pulverbehandlung  des  weiblichen  Ausflusses,  insbeson¬ 
dre  der  Gonorrhoe,  vermittels  des  Siccators  hat  Nassauer  die 
totale  Aushei  ung,  auch  der  Ansteckungsmöglichkeit  gesehen.  In 
einer  ausführlichen  Zusammenstellung  seiner  Erfahrungen  auf  dem 
Gebiete  der  weiblichen  Gonorrhöe  will  er  demnächst  berichten. 

h  r?-e7  v-‘  N  0  V  h  a  f  f  t  (Schlusswort)  stimmt  den  Ausführungen 
des  Diskussionsredners  zu. 

Aufgenommen  durch  Beschluss  der  Aufnahmekommission  die 
n^a  fy  e  ^  Prof-  Merkel,  Dr.  P 1  a  n  g  e,  Dr.  B  a  q  u  e  s,  Dr.  D  a  1 1  - 

Schluss  10/4  Uhr. 

Sitzung  vorn  23.  Juni  1914. 

Herr  v.  Notthafft:  Demonstration  (Paraffininjektion). 

Diskussion:  Herr  Hecht. 

Herr  Craemer:  Der  biologische  Unterricht  an  den  bayerischen 
Gymnasien  und  die  neue  Schulordnung.  (Erscheint  in  d  W ) 
Diskussion:  Herr  v.  R  o  m  b  e  r  g,  Herr  Reh. 

Herr  Dr  acht  er:  Die  Gaumenspalte  und  deren  operative  Be¬ 
handlung.  (Mit  Lichtbildern.)  (In  Nr.  29,  S.  1624  erschienen.) 

Durch  Beschluss  der  Aufnahmekommission  aufgenommen  die 
Herren:  Drachter,  Re  usch,  Bernhart. 


Münchener  Gesellschaft  für  Kinderheilkunde. 


tnigener  Bericht.) 

Gemeinsame  Tagung  mit  den  südwestdeutschen  Kinder¬ 
arzt  e  n  auf  deren  22.  Versammlung  in  Stuttgart,  5. — 7.  Juni  1914. 

AVU  ffenheiraer:  Gibt  es  einen  „schädlichen  Nahrungs¬ 
rest  beim  Säugling?  (Erscheint  in  dieser  Wochenschrift ) 
rrff  Diskussion:  Herren  M  o  r  o,  Grosser,  Lust  und 
Uffenheimer  (Schlusswort). 

Herr  Benjamin:  Weitere  Untersuchungen  zum  Eiweissnähr¬ 
schaden  des  Säuglings. 


v  jni0r (Ehrung  der  über  denselben  Gegenstand  in  der  Zschr.  f. 
Kindhlk.  X,  H.  2 — 4  mitgeteilten  Untersuchungen.  —  Die  groben  Kasein- 
klumpen  T  a  1  b  o  t  s  bedeuten  nur  eine  unter  dem  Einfluss  der  Roh- 
milchernährung  auftretende  Form  der  Ausscheidung  von  Nahrungs- 
eiweiss.  Es  ergab  sich  bei  einem  neuen  Stoffwechselversuch,  dass 
der  prozentische  N-Gehalt  des  Stuhles  annähernd  gleich  blieb,  wenn 
von  der  abgekochten  zur  rohen  Milch  übergegangen  wurde,  und 
wenn  damit  die  Entleerung  der  Klumpen  einsetzte.  —  Die  beim 
kranken  Säugling  beobachteten  grossen  N-Retentionen  beruhen 
n  i  c  h  t  auf  der  Unfähigkeit  der  Niere,  Schlacken  des  Eiweissstoff- 
wechsels  zu  eliminieren.  Funktionsprüfungen  mit  Harnstoff  ergaben 
ein  dem  gesunden  Erwachsenen  entsprechendes  Verhalten.  — 
Leberernährung  mit  Eiweiss  führte  bei  jungen  Hunden  zu  einer  durch 
die  Gesamtanalyse  der  Tiere  feststellbaren,  wenn  auch  nur  gering¬ 
gradigen  Verschiebung  der  chemischen  Körperzusammensetzung  im 
Sinne  einer  Wasseranreicherung.  —  Es  gibt  beim  Säugling  ein  durch 
grössere  Gaben  von  Plasmon  auslösbares  Ei  weissfieber. 


1980 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  38. 


Diskussion:  Herren  Nöggerath,  Grosser,  Camerer, 
Benjamin  (Schlusswort). 

Herr  Siegfried  W  o  1  f  f  -  Wiesbaden:  a)  Luftschlucken  als 
Todesursache. 

Es  handelte  sich  um  einen  3  Monate  alten  Säugling. 

b)  Zur  Behandlung  des  Skierems  der  Neugeborenen. 

Es  wird  eine  Ueberhitzung  der  Kinder  auf  40— 42 "  (bei  ge¬ 
nauester  Beobachtung  und  häufiger  Messung,  um  eine  länger 
dauernde  Hitzeschädigung  zu  vermeiden)  empfohlen.  Ueber  Heilung 
in  3  Fällen  wird  berichtet. 

Diskussion:  Herren  Ibrahim,  Koppe,  Sieger  t, 
W  o  1  f  f  (Schlusswort). 

Herr  Husler:  Beitrag  zur  Kenntnis  der  intermediären  Krampf¬ 
anfälle. 

Unter  „intermediären  Anfällen“  verstehen  wir  nach  Oppen¬ 
heim  jene  funktionellen  Krampfformen,  die  weder  genau  dem  Typus 
der  Epilepsie  noch  dem  der  Hysterie  entsprechen.  Wegen  der  Eigen¬ 
art  des  kindlichen  Organismus,  pathogene  Reize  bei  gegebener  endo¬ 
gener  Determinierung  mit  Krämpfen,  Bewusstseinsverlust  etc.  zu  be¬ 
antworten,  müssen  wir  den  Begriff  der  „intermediären  Anfälle“  sehr 
breit  fassen,  ln  diese  Sammelgruppe  rechnen  wir  ein  Syndrom,  das 
charakterisiert  ist  durch  die  Kombination  des  lordotischen  Sym- 
ptomenkomplexes  mit  Krampfzuständen  verschiedener  Art.  Wie  aus 
einer  Anzahl  Krankengeschichten  sich  erweisen  lässt,  ist  diese  Kom¬ 
bination  nicht  eine  zufällige  Koinzidenz,  sondern  beruht  auf  innerem 
Zusammenhang  der  Erscheinungen.  Epilepsie  lässt  sich  ausschliessen 
durch  das  Fehlen  jeglicher  degenerativer  Stigmata,  hereditärer  Be¬ 
lastung  und  geistiger  Defekte;  für  Hysterie  bestehen  keinerlei  see¬ 
lische  oder  körperliche  Anhaltspunkte.  Betroffen  sind  meist  Knaben 
im  Schul-  oder  Pubertätsalter.  Hereditäre  Belastung  und  Neuro¬ 
pathie  fehlen  fast  immer.  Stets  sind  es  vasomotorisch  labile  Indi¬ 
viduen,  die  zu  Krämpfen  und  Bewusstseinsverlust  neigen.  Die 
Kiämpfe  selten:  etwa  alle  paar  Wochen  bis  Monate,  setzen  nach 
stehender  Beschäftigung  ein,  aber  auch  ohne  ersichtliche  Ursache, 
ab  und  zu  auch  auf  psychischen  Anlass.  Therapeutisch  unbeeinfluss¬ 
bar  weder  durch  Brom  noch  Arsen.  Prognose  anscheinend  günstig. 

Diskussion:  Herten  Moro,  Sieger  t,  v.  Pfaundler, 
Rosenhaupt,  Rohmer. 

Herr  Börger:  Ueber  2  Fälle  von  Arachnodaktylie. 

Vergl.  die  Sitzungen  der  Gesellschaft  vom  28.  Nov.  1913, 
27.  Febr.  und  24.  April  1914.  Zusammenfassende  Uebersicht  über  das 
Krankheitsbild  mit  zahlreichen  Demonstrationen.  Es  handelt  sich  bei 
der  Arachnodaktylie  um  einen  angeborenen  und  partiellen  Riesen¬ 
wuchs,  der  durch  eine  mangelhafte  Anlage  und  vielleicht  frühzeitige 
Erschöpfung  des  Gesamtorganismus,  speziell  der  Blutdrüsen  und 
event.  des  Knochenmarks,  bedingt  ist. 

Diskussion:  Herren  S  i  e  g  e  r  t  und  Börger  (Schlusswort). 

Herr  R  o  h  m  e  r  -  Marburg:  Zur  Kenntnis  des  Asthma  cardlale 
beim  Kinde. 

Bericht  über  einen  Fall  (6  jähr.  Kind;  Mitralinsuffizienz,  Cor 
bovinum).  Auftreten  des  Asthmas  3  Tage  vor  dem  Tod.  Eigen¬ 
artiger  Sektionsbefund  in  einem  Herd  der  rechten  Lunge  (Ver¬ 
dichtung,  entstanden  durch  hyaline,  die  Wände  der  Alveolargänge 
auskleidende  Massen). 

Herr  Gött:  Zur  Klinik  der  postdiphtherischen  Lähmung. 

4  Fälle  von  postdiphtherischer  Polyneuritis  zeigten  neben  mehr 
oder  weniger  schweren  paretischen,  paralytischen  und  ataktischen 
Erscheinungen  ein  äusserst  lebhaftes  Fazialisphänomen  sowie  sehr 
gesteigerte  Bauchdcckcn-  und  vor  allem  Kremasterreflexe,  derart, 
dass  bei  Reizung  der  reflexogenen  Zone  des  Kremasterreflexes  eine 
intensive  Bauchdeckenkontraktion  eintrat.  Diese  Erhöhung  der 
reflektorischen,  vielleicht  auch  der  mechanischen  Erregbarkeit  be¬ 
stimmter  Nerven  ist  wahrscheinlich  parallel  zu  setzen  der  bei 
leichteren  Fällen  postdiphtherischer  Neuritis  bereits  beobachteten, 
der  Areflexie  vorausgehenden  Steigerung  der  Patellarreflexe,  und 
aufzufassen  als  Manifestation  einer  zunächst  noch  im  Sinne  eines 
Reizes  wirkenden  Beeinflussung  bestimmter  Nervengebiete  durch 
das  Diphtheriegift.  Wie  überraschend  häufig  diese  Diphtheriegift¬ 
wirkung  aber  ist,  ergibt  sich  aus  der  Tatsache,  dass  in  einem  grossen 
Prozentsatz  von  Fällen  ganz  glatter  Diphtherierekonvaleszenz  die 
nämlichen  Reflexsteigerungen,  auch  das  Fazialisphänomen,  für  kür¬ 
zere  oder  längere  Zeit  zur  Ausbildung  gelangen. 

Diskussion:  Herren  Lust  und  Goett  (Schlusswort). 

Herren  v.  M  e  1 1  e  n  h  e  i  m  e  r  -  G  ö  t  z  k  y  -  Frankfurt  >a.  M.: 
Lues  und  Schwachsinn. 

Bei  der  Untersuchung  von  275  Kindern  einer  Hilfsschule  in 
Frankfurt  wurden  10  Proz.  der  Kinder  als  kongenital  luetisch  krank 
befunden.  Um  diesen  Kindern  eine  notwendige  Behandlung  zu  teil 
werden  zu  lassen,  wurden  der  Schulbehörde  folgende  Vorschläge 
unterbreitet; 

1.  Bei  der  Untersuchung  aller  Volksschulen  ist  mehr,  wie  bisher, 
von  den  Schulärzten  auf  erbsyphilitische  Merkmale  zu  achten,  da 
es  darauf  ankommt,  die  Krankheit  so  früh  wie  möglich  zu  erkennen 
und  zu  behandeln.  Vor  allem  sind  die  anamnestischen  Daten  der 
Familien  möglichst  darauf  hin  zu  prüfen,  ob  Anhaltspunkte  für  Lues 
vorliegen.  (Polymortalität,  Aborte,  spezifische  Erkrankungen  des 
Nervensystems.) 

2.  Ganz  besonders  ist  bei  der  Aufnahme  der  Kinder  in  die  Hilfs¬ 
schulen  auf  Merkmale  luetischer  Erkankung  von  seiten  des  Hilfs¬ 
schularztes  zu  fahnden  event.  unter  Zuziehung  eines  Spezialarztes. 


Wünschenswert  wäre  die  Vornahme  der  Wassermannreaktion  bei 
allen  aufzunehmenden  Hilfsschülern  (unter  Mithilfe  einer  Schul- 
schwester  oder  einer  ähnlichen  geeigneten  Vertrauensperson). 

3.  Der  Hilfsschularzt  muss  das  Recht  und  die  Pflicht  haben, 
in  geeigneter  taktvoller  Weise  mit  den  Vätern  der  als  luetisch  er¬ 
kannten  Kinder  zu  sprechen,  eine  spezifische  Behandlung  anzuraten 
und  sich  die  Durchführung  einer  zweckentsprechenden  Kur  von  seiten 
eines  Arztes  bescheinigen  zu  lassen. 

Lässt  sich  dies  nicht  durchsetzen,  so  hat  eine  zwangsweise  Be¬ 
handlung  dieser  kranken  Kinder  einzutreten.  Die  Berechtigung 
hierzu  ist  herzuleiten  aus  §  1666  des  BGB.,  dessen  wesentliche  Vor¬ 
aussetzung  ist: 

].  die  vorliegende  Gefährdung  des  Kindes, 

2.  das  Verschulden  des  Vaters. 

Die  Kosten  der  Behandlung  muss  das  Armenamt  übernehmen, 
ohne  dass  der  Vater  dadurch  seine  bürgerlichen  Rechte  einbiisst. 
Die  Kinder  sind  als  „skrofulös“  den  Spitälern  zu  überweisen.  Dabei 
ist  möglichst  zu  vermeiden,  dass  Laien  Kenntnis  von  dem  Leiden 
dei  betreffenden  Kinder  erhalten. 

Diskussion:  Herren  Nöggerath,  Schlesinger, 

Koeppe,  v.  Metten  heim  er  (Schlusswort). 

Herr  L  u  s  t  -  Heidelberg:  Erfahrungen  mit  dem  Friedmaiin- 
sehen  Tuberkulosemittel. 

Vortr.  kommt  sowohl  auf  Grund  klinischer  Erfahrungen  als  theo¬ 
retischer  Ueberlegungen  zu  dem  Resultat,  dass  dem  Fried  mann- 
schen  Tuberkulosemittel  keinerlei  prophylaktische  oder  therapeutische 
Bedeutung  zuzuerkennen  ist.  Die  zuweilen  beobachteten  Besserungen 
im  Anschluss  an  die  Injektionen  waren  nicht  derartige,  dass  not¬ 
wendigerweise  ein  Kausalzusammenhang  angenommen  werden 
musste,  zumal  die  Fälle  mit  völlig  unverändertem  lokalen  Befund  in 
der  Ueberzahl  waren  und  nicht  selten  eine  frische  Aussaat  tuber¬ 
kulöser  Produkte  bald  nach  der  Injektion  beobachtet  wurde,  die  ein¬ 
mal  sogar  zu  einer  tuberkulösen  Meningitis  führte.  Der  Vortr.  be¬ 
zweifelt,  dass  den  Friedmann  sehen  Bazillen  überhaupt  ein  spezi¬ 
fischer  Einfluss  zuzuschreiben  ist,  da  Pirquetisierungen  mit  einein 
Schildkrötcnbazillentuberkulin  auch  bei  vorbehandelten  Kindern  stets 
negativ  ausfielen.  Daraus  ist  aber  der  Schluss  zu  ziehen,  dass  di* 
Fried  mann  sehen  Bazillen  gar  keine  Antigeneigenschaften  im 
menschlichen  Organismus  entfalten,  mithin  auch  zu  einer  An¬ 
reicherung  von  Tuberkulose-Antikörpern  gar  nicht  den  Anstoss  geben 
können.  Sie  sind  wohl  nichts  anderes  als  säurefeste  Stäbchen,  die 
dem  Menschen  gegenüber  nur  Saprophyteneigenschaften  besitzen, 
wie  sic  auch  früher  schon  aus  Kaltblütertuberkulosen  gezüchtet  wurden. 

Diskussion:  Herren  Noeggerath  und  Lust  (Schlusswort). 

Herren  Noeggerath  und  Z  o  n  d  e  k  -  Freiburg:  Ueber 
Nephropathien  im  Kindesalter.  (Erschienen  in  dieser  Wochenschrift 
Nr.  31  S.  1719.)  (Schluss  folgt.) 


Tagesgeschichtliche  Notizen 

siehe  „Feldärztliche  Beilage“. 


Uebersicht  der  Sterbefälle  in  München 

während  der  35.  Jahreswoche  vom  30.  August  bis  5.  September  1914. 

Bevölkerungszahl  640000. 

Todesursachen:  Angeborene  Lebensschwäche  einschl.  Bildungs¬ 
fehler  10  (8 1),  Altersschw.  (über  60  Jahre)  6(4),  Kindbettfieber  —  (-), 
and.  Folgen  der  Geburt  und  Schwangerschaft  — -  (— ),  Scharlach  —  (— ), 
Masern  u.  Röteln  —  (— ),  Diphtherie  u.  Krupp  —  (1),  Keuchhusten  3  (2), 
Typhus  (ausschl.  Paratyphus)  1  (— ),  akut.  Gelenkrheumatismus  -  (-), 
übertragbare  Tierkrankh.,  d.  s.  Milzbrand,  Rotzkrankh.,  Hundswut, 
Trichinenkrankh.  —  (— ),  gose  (Erysipel)  —  (1),  Starrkrampf  —  (-), 
Blutvergiftung  —  (1),  Tuberkul.  der  Lungen  15  (22),  Tuberkul.  and.  Org. 
(auch  Skrofulöse)  5  (4),  akute  allgem.  Miliartuberkulose  —  (— ),Lungen- 
entzünd.,  kruppöse  wie  katarrh.  usw.  3  (6),  Influenza  —  (— ),  veneri¬ 
sche  Krankh.  1  (— ),  and.  übertragbare  Krankh.:  Pocken,  Fleckficber, 
Ruhr,  Genickstarre,  Strahlenpilzkrankh.,  Lepra,  asiat.  Cholera, Wechsel¬ 
fieber  usw.  —  (— ),  Zuckerkrankh.  (ausschl.  Diab.  insip.)3(6),  Alkoholis¬ 
mus  _  ( — )t  Entzünd,  u.  Katarrhe  der  Atmungsorg.  2  (1),  sonst.  Krankh. 
d.  Atmungsorgane  4  ( — ),  organ.  Herzleiden  12  (14),  Herzschlag,  Herz- 
lähmung  (ohne  näh.  Angabe  d.  Grundleidens)  —  (3),  Arterienverkalkung 
4  (2),  sonstige  Herz-  u.  Blutgefässkrankh.  4  (3),  Gehirnschlag  7  (9), 
Geisteskrankh.  1  (1),  Krämpfe  d.  Kinder  8  (—),  sonst.  Krankh.  d.  Nerven¬ 
systems  6  (10),  Atrophie  der  Kinder  1  (5),  Brechdurchfall  5  (3),  Magen¬ 
katarrh,  Darmkatarrh,  Durchfall,  Cholera  nostras  13  (13),  Blinddarm- 
entzünd.  1  (2),  Krankh.  der  Leber,  Gallenblase,  Bauchspeicheldrüse  u. 
Milz  2  (4),  sonst.  Krankh.  der  Verdauungsorg.  2  (9),  Nierenentzünd.  *  (4), 
sonst.  Krankh.  der  Harn-  u.  Geschlechtsorg.  5  (1),  Krebs  19  (21),  sonst. 
Neubildungen  1  (3),  Krankh.  der  äuss.  Bedeckungen  2  ( — ),  Krankh.  der 
Bewegungsorgane  —  (1),  Selbstmord  4  (2),  Mord,  Totschlag,  auch 
Hinricht.  —  (— ),  Verunglückung  u.  andere  gewalts.  Einwirkungen  27  (9), 
andere  benannte  Todesursachen  4  (1),  Todesursache  nicht  (genau) 
angegeben  (ausser  den  betr.  Fällen  gewaltsamen  Todes)  2  (— ). 

Gesamtzahl  der  Sterbefälle:  185  (176). 

*)  Die  eingeklammerten  Zahlen  bedeuten  die  Fälle  der  Vorwoche. 


Redaktion:  Dr.  B.  Spatz, 
München,  AmuHstraase  26. 


MÜNCHENER 


Verlag  von  J.  F.  Lehmann, 

München,  Paul  Heysestr.  26. 


Medizinische  Wochenschrift. 


Nr.  38.  22.  September  1914. 


Feldärztliche  Beilage  Nr.  7. 


Aus  der  I.  medizinischen  Klinik  München. 

Die  Behandlung  des  Unterleibstyphus. 

Von  Ernst  R  o  m  b  e  r  g. 

Die  Verhütung  weiterer  Ansteckung  ist  im  Felde  die  wich- 
igste  Aufgabe  bei  Behandlung  des  Unterleibstyphus.  Durch 
lie  vorbeugende  Tätigkeit  der  Sanitätsoffiziere  und  der  be¬ 
atenden  Hygieniker  wird  es  hoffentlich  gelingen,  grössere 
ieuchen  durch  keimhaltiges  Trink wasser,  durch  Milch  u.  dergl. 
u  verhindern  oder  in  den  ersten  Anfängen  zu  ersticken.  Aber 
ast  noch  mehr  als  im  Frieden  gilt  im  Felde  der  Satz 
Kochs,  dass  der  einzelne  Kranke  oder  der  Keime  beher- 
ergende  Mensch  die  Hauptquelle  des  Unterleibstyphus  ist. 
lur  bei  der  Bekämpfung  der  Ansteckung  im  einzelnen  dürfen 
/ir  hoffen,  dass  unser  Heer  keine  zu  grosse  Zahl  von  Typhus- 
rkrankungen  aufweisen  wird.  Besonders  ist  der  Zustand  der 
ivilbevölkerung  auch  in  dieser  Beziehung  zu  beachten. 

Die  Art  der  wirksamen  Verhütungsmassregeln  will  ich  hier 
icht  besprechen.  Die  Schutzimpfung  wird  sich  kaum  all¬ 
emein  durchführen  lassen.  Ihre  Erfolge  sind  ja  ermutigend  ‘), 
:e  erfordert  aber  zu  viel  Zeit.  So  bleibt  die  Vernichtung  der 
om  Menschen  ausgeschiedenen  Keime  namentlich  in  den 
tuhlgängen  durch  Kalkmilch,  die  Vermeidung  des  Verschlep- 
ens  an  den  Händen  der  Aerzte  und  Wärter  durch  sorgfältiges 
\aschen  oder,  wenn  das  unmöglich,  durch  Ueberziehen  von 
andschuhen  bei  Beschäftigung  mit  den  Kranken,  sowie  ge¬ 
inte  Unterbringung  der  Kranken  event.  in  Seuchen- 
izaretten  am  wichtigsten. 

Die  Voraussetzung  wirksamer  Vorbeugung  ist  die  mög¬ 
est  frühzeitige  Erkennung  der  Krankheit.  In  den 
'sten  lagen  der  Erkrankung  scheiden  bereits  15,6,  in  der 
weiten  Woche  23,4,  in  der  dritten  33  Proz.  der  Kranken 
yphuskeime  mit  dem  Stuhl  aus  2). 

Bei  der  Unbestimmtheit  der  subjektiven  Beschwerden,  bei 
-m  Auftreten  der  klassischen  Typhuszeichen,  der  Milzschwel- 
ng  und  der  Roseola,  erst  am  Ende  der  ersten  oder  im  Beginn 
-*r  zweiten  Krankheitswoche,  bei  dem  oft  noch  späteren  Er- 
•heinen  oder  dem  nicht  seltenen  Fehlen  der  erbsensuppen- 
tigen  Durchfälle,  bei  den  vielen  Fällen  mit  uncharakte- 
stischem  Fieberverlauf  ist  es  notwendig,  an  die  Möglichkeit 
nes  Unterleibstyphus  bei  jeder  fieberhaften  Erkrankung  zu 
■nken,  bei  der  nicht  ein  eindeutiger  Befund  diese  Annahme 
isschliesst.  Ein  wichtiger  Hinweis  auf  Typhus  schien  mir 
-‘rsönlich  meist  das  Aussehen  der  Zunge.  Schon  in  der  ersten 
rankheitswoche  ist  sie  eigentümlich  dunkelrot,  geschwollen, 
esonders  an  der  Spitze  und  an  den  Rändern,  die  vom  Belag 
^nächst  frei  bleiben,  tritt  das  hervor.  In  der  späteren  Zeit, 
imentlich  wenn  in  der  dritten  Woche  bei  gut  gepflegten 
anken  der  Belag  sich  ablöst,  ist  das  Aussehen  der  Zunge 
eniger  typisch. 

I)as  sicherste  Kennzeichen  ist  aber  der  Nachweis  der  Ba¬ 
ien  im  Blute,  der  von  den  ersten  Fiebertagen  bis  gegen  Ende 
r  Krankheit  bei  richtigem  Vorgehen  fast  ausnahmslos  gelingt, 
mentlich  ist  es  möglich,  die  bakteriologische  Ausrüstung  der 

j)  Bis:  Med.  Kl.  1914  Nr.  37  S.  1464. 

.  ^  c  h  °  1 1  m  ü  1 1  e  r :  Mohr-Staehelins  Hb.  d.  inn.  Med.  1011. 


beratenden  Hygieniker  im  Etappengebiet,  der  Hygieniker  bei 
den  Korpsärzten  und  der  ins  Aufmarschgebiet  vorausbeförder¬ 
ten  Sanitätsoffiziere  weitgehend  für  die  Frühdiagnostik  des 
Typhus  nutzbar  zu  machen. 

Aus  einer  Armvene,  oder  wenn  das  unmöglich,  aus  dem  sorg¬ 
lich  gereinigten  Ohrläppchen  werden  etwa  2— 3  ccm  Blut,  bei 
niedrigem  Fieber  besser  mehr  entnommen  und  sofort  in  die  von 
M  e  r  c  k  -  Darmstadt  oder  L  a  u  t  e  n  s  c  h  1  ä  g  e  r  -  Berlin  gelieferten 
(jallerohrchen  gebracht.  Im  Notfall  kann  das  Blut  auch  in  einem 
sterilen  Olasröhrchen  geronnen  zur  Untersuchung  verschickt  werden. 
Bei  Aufbewahrung  irn  Brutschrank  oder  an  einem  sonstigen  ge- 
eigneten  Platz  mit  Körpertemperatur  sind  nach  etwa  24  Stunden  be¬ 
wegliche  Stäbchen  im  hängenden  Tropfen  nachweisbar,  deren  weitere 
bakteriologische  Bestimmung  natürlich  erwünscht  ist,  die  aber  doch 
die  Annahme  eines  Typhus  nahezu  sicherstellen. 

Viel  weniger  regelmässig  gelingt  der  Nachweis  der  Typhus¬ 
keime  in  den  Stuhlgängen  (s.  oben)  und  erst  nach  lVs— 2  Wochen 
fällt  die  Agglutination  positiv  aus. 

Bei  der  grossen  Häufigkeit  der  durch  Paratyphus-, 
besonders  Paratyphus-B-Keime  verursachten  ansteckenden 
Magendarmerkrankungen,  bei  der  Möglichkeit,  dass  diese 
Gastroenteritis  paratyphosa  bei  anderen  Menschen  wirkliche 
Allgemeinerkrankungen  an  Paratyphus  mit  allen  Erscheinungen 
des  echten  Typhus  hervorruft,  sind  auch  sie  sorglich  im  Auge 
zu  behalten.  Wurst-  und  Fleischwaren  sind  die  häufigsten 
Ueberträger.  Merkliches  rasch  eintretendes  Fieber,  sichere 
Milzschwellung  legen  den  Verdacht  nahe.  Auch  Herpes  und 
Gelbsucht  sind  dabei  häufig.  Die  Zunge  hat  hier  oft  nicht 
das  charakteristische  Aussehen.  Die  Keime  finden  sich  meist 
reichlich  in  den  Stuhlgängen,  aber  viel  seltener  im  Blute.  Die 
Entleerungen  verdächtiger  Kranker  sind  ebenso  wie  die 
Typhuskranker  zu  behandeln.  Aerzte  und  Wärter  haben  sich 
in  gleicher  Weise  wie  beim  Typhus  zu  verhalten. 

Auf  die  grosse  Bedeutung  der  Dauerausscheider 
und  der  völlig  gesunden  Keimträger  für  die  Verbreitung 
des  Typhus  und  des  Paratyphus  sei  nur  kurz  hingewiesen. 

Bei  der  Behandlung  des  einzelnen  Typhus¬ 
kranken  ist  die  genügend  reichliche  Ernährung 
für  den  Erfolg  geradezu  massgebend.  Es  muss  von  Anfang  an 
alles  aufgeboten  werden,  dem  Kranken  ausreichende  Nahrungs¬ 
mengen  beizubringen.  35  Kalorien  pro  Kilo  und  Tag  sind  das 
Mindestmass  der  erforderlichen  Zufuhr.  Wünschenswert  ist 
stets  die  Aufnahme  von  40,  50,  bisweilen  mehr  Kalorien.  So 
schwierig  die  Aufgabe  oft  ist,  so  ist  sie  doch  mit  Hilfe  einer 
intelligenten  Krankenpflege  fast  immer  zu  lösen.  Es  ist  er¬ 
staunlich,  wie  das  Bild  des  I  yphus  sich  dadurch  günstig  ver¬ 
ändert  hat.  Die  früher  so  gefürchtete  Gewichtsabnahme  ist 
viel  geringer  oder  fehlt  ganz,  auch  ohne  dass  eine  nennens¬ 
werte  Wasserzurückhaltung  im  Körper  erfolgt.  Dadurch  bleibt 
der  Kräftezustand  viel  besser.  Das  bedrohliche  Nachlassen 
des  Kreislaufs,  in  Wirklichkeit  oft  nur  die  Folge  unzureichender 
Ernährung,  schwerere  Erscheinungen  an  den  Lungen.  Durch¬ 
liegen,  Furunkel  sind  viel  seltener  als  früher.  Nachschübe  und 
Rückfälle,  Darmblutung  und  Bauchfellentzündung  sind  sicher 
nicht  häufiger.  Es  ist  das  Verdienst  von  Fr.  v.  Müller 3) 
und  von  Lenhartz4),  entsprechend  dem  Vorgehen  ausländi- 


)  Er.  v-  Müller:  Ther.  d.  Gegenw.  Jan.-Febr.  1904. 

)  Lenhartz:  Zitiert  nach  S  c  h  0  1 1  m  ü  1 1  e  r,  Mohr-Staehelin 
Hb.  d.  inn.  Med.  1911.  1.  S.  506. 


1982 


Nr.  38. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


scher  Aerzte,  auch  in  Deutschland  auf  die  Wichtigkeit  aus¬ 
reichender  Ernährung  hingewiesen  zu  haben. 

Die  erforderlichen  Kalorien  werden  nach  meinen  persön¬ 
lichen  Eindrücken  am  besten  in  flüssiger  oder  dünnbreiiger  Kost 
zugeführt.  Vor  allem  gibt  man  täglich  2 — 2/4  Liter  Milch, 
event.  dazu  %  Liter  Rahm.  4—5  Eier,  lässt  die  Milch  z.  T. 
mit  reichlichem  Mehl  verschiedener  Art  abrühren,  auch  dünne 
Breie  herrichten,  gibt  Zucker,  am  besten  Milchzucker,  zu  30  bis 
50  g  hinzu.  Der  Geschmack  der  Milch  kann  durch  Zusätze 
wechselnd  gemacht  werden.  Alkohol  ist  nur  bei  Menschen 
notwendig,  die  grössere  Mengen  gewohnheitsmässig  genommen 
haben. 

Aber  auch  gegen  gewiegtes  Fleisch,  eingeweichten  Zwie¬ 
back,  durchgetriebenes  grünes  Gemüse  habe  ich  keine  grund¬ 
sätzlichen  Bedenken.  Im  Darm  sind  alle  diese  Nahrungsmittel 
in  den  mechanisch  sicher  unschädlichen  Chymus  verwandelt. 
Nur  hatte  ich  bei  den  meisten  meiner  bisherigen  Kranken  den 
Eindruck,  dass  sie  derartige  Nahrungsmittel  schwieriger 
nehmen.  Hier  bestehen  aber  wohl  grosse  individuelle  und 
regionäre  Verschiedenheiten.  Die  Hauptsache  bleibt  stets  die 
genügende  Menge  von  Nahrung.  Ist  es  möglich,  gewichts- 
mässig  die  Zufuhr  zu  kontrollieren,  so  soll  das  geschehen. 

In  der  Erholung  von  der  Krankheit  kann  rasch  mit  der 
Nahrung  gestiegen  werden. 

Eine  gute  Mundpflege,  zweimaliges  Putzen  der  Zähne 
mit  der  Zahnbürste,  namentlich  am  Zahnfleischansatz  der  Vor¬ 
der-  und  Hinterfläche,  gründliche  Reinigung  der  Zunge  und 
der  Backentaschen  erleichtert  die  Ernährung  durch  Erhaltung 
des  Geschmacks  für  die  Speisen  bei  allen  nicht  schwer  be¬ 
nommenen  Kranken  wesentlich  und  beugt  der  unangenehmen 
Zahnkaries  nach  dem  Typhus  weitgehend  vor. 

Dass  grösste  R  u  h  e  für  den  Kranken  während  des  Fiebers 
und  in  der  ersten  Erholungszeit  erforderlich  ist,  dass  auch  Be¬ 
suche,  anhaltendes  Lesen  u.  dergl.  möglichst  zu  verbieten  sind, 
braucht  nicht  erwähnt  zu  werden.  Nach  schwerem  Typhus 
soll  der  Kranke  etwa  3  Wochen  fieberfrei  sein,  bevor  er  auf¬ 
steht.  Bei  leichteren  Erkrankungen  kann  diese  Zeit  verkürzt 
werden. 

Bei  schwerem  Typhus  mit  merklicher  Trübung  des  Be¬ 
wusstseins  ist  eine  gute  Lagerung  sehr  wichtig.  Wasser¬ 
kissen  werden  im  Feld  selten  zu  haben  sein;  dass  sie  nicht  ge¬ 
faltet  werden  dürfen,  muss  dem  Personal  immer  wieder  ein¬ 
geschärft  werden.  Luftringe  erfüllen  bei  unruhigen  Fieber¬ 
kranken  selten  ihren  Zweck.  Einen  vortrefflichen  Ersatz  bil¬ 
den  weich  gefüllte  Hirsekissen,  über  die  man  noch  ein  Rehfell 
legen  kann,  um  eine  möglichst  glatte  Unterlage  für  das  Bett¬ 
tuch  zu  bekommen. 

Die  Wasserbehandlung  spielt  heute  mit  Recht  für 
die  meisten  Aerzte  beim  Typhus  eine  geringere  Rolle  als  vor 
etwa  20 — 25  Jahren.  Sie  tritt  jedenfalls  hinter  der  Bedeutung 
ausreichender  Ernährung  zurück.  Die  Höhe  der  Körperwärme 
erscheint  uns  nicht  mehr  als  Grund  einer  Wasseranwendung, 
wenn  nicht  übermässige  Grade,  über  41,5°  erreicht  werden. 
Durch  vorübergehende  Herabsetzung  des  Fiebers  erzielen  wir 
keine  Verbesserung  des  Verlaufs  und  üben  keinen  nützlichen 
Einfluss  auf  die  bedrohlichen  Organveränderungen.  Die  durch 
Arzneien  herbeigeführte  Verminderung  der  Temperatur  wirkt 
sogar,  wenn  sie  anhaltend  durchgeführt  wird,  unmittelbar 
schädlich.  Dagegen  schätzen  wir  die  Wasserbehandlung  sehr 
hoch,  um  einen  Kranken  aus  seiner  Benommenheit  zu  er¬ 
wecken  und  um  bei  ausgedehnten  oder  stärkeren  Erkrankungen 
der  Bronchien  und  der  Lungen  die  Atmung  anzuregen  und  so 
der  weiteren  Ausdehnung  dieser  Störungen  entgegen  zu  wir¬ 
ken.  Diese  Anzeigen  für  die  Wasseranwendung  sind  oft  auch 
bei  mässigem  Fieber  und  nicht  immer  bei  hoher  Körperwärme 
gegeben. 

Am  wirksamsten  sind  Bäder  von  32 — 28°  C  und  5 — 15  Minu¬ 
ten  Dauer  mit  kurzem,  ganz  kaltem  Uebergiessen  von  Nacken, 
Kehlgegend,  Achselhöhlen,  Magengrube  am  Schluss.  Sind  Bä¬ 
der  nicht  zu  beschaffen,  oder  handelt  es  sich  um  sehr  schwäch¬ 
liche,  blutarme  Menschen,  erreicht  man  annähernd  dasselbe 
durch  halbstündige  Einpackungen  des  ganzen  Körpers,  unter 
Umständen  auch  nur  des  Rumpfes  in  nasse  Laken  von  der¬ 


selben  Temperatur  mit  einer  Wolldecke  darüber.  Auch  Ab¬ 
waschungen  können  als  mildeste  Einwirkung  verwendet  wer¬ 
den.  Mehr  als  1 — 2,  höchstens  3  Wasseranwendungen  am  Tage 
sind  fast  nie  erforderlich. 

Von  den  zahlreichen  Massnahmen,  welche  durch  b  e  - 
sondere  Erscheinungen  notwendig  werden  können 
will  ich  nur  wenige  wichtigere  hervorheben. 

Wird  der  Puls  schlecht,  so  spreche  man  nicht  gleich  vor 
Kreislaufschwäche,  sondern  überzeuge  sich  zunächst 
ob  es  sich  nicht  um  eine  Folge  von  Unterernährung  handelt 
Dann  ist  durch  sofortige  reichliche  Ernährung  auch  der  Kreis¬ 
lauf  am  wirksamsten  zu  verbessern.  Liegt  ein  Mangel  ir 
dieser  Beziehung  nicht  vor,  gebe  man  Coffeinum  natrobenzoi- 
cum  (subkutan  2 — 3  mal  täglich  0,1 — 0,2),  Kampferöl  (intra¬ 
muskulär  2— 3  mal  täglich  1,0)  oder  das  bisweilen  vortrefflich 
wirksame  Strophanthin  (intravenös  höchstens  alle  36 — 48  Stun¬ 
den  0,5 — 0,75  mg). 

Bei  schwachem  Herzen  gebe  man  von  vorneherein  3ma. 
täglich  0,05  Pulv.  fol.  Digital,  titrat.,  0,5  ccm  Digalen  odt-i 
M  Tablette  Digipurat. 

Bei  Darmblutung  ist,  wenn  möglich,  einen  Tag  nui 
Eismilch  in  geringer  Menge  zu  geben,  während  mehrerer  Tagt 
die  Nahrungszufuhr  zu  beschränken  und  sind  4 — 5  mal  täglich 
10 — 15  Tropfen  Opiumtinktur  zu  verabreichen.  Zu  anregender 
Mitteln  greife  man  nicht  sofort,  weil  die  erste  Blutung  fast  nie 
Gefahr  bringt  und  jede  Verstärkung  des  Kreislaufs  die  Blutung 
erneuern  kann.  Wirken  wiederholte  Blutungen  zu  schwä¬ 
chend,  mache  man  eine  intravenöse  oder  subkutane  Eingiessunt 
physiologischer  Kochsalzlösung,  umwickle  die  Glieder  unt 
lagere  Kopf  und  Rumpf  niedriger. 

Bei  Bauchfellentzündung  ist  so  rasch  wie  mög¬ 
lich  chirurgisch  vorzugehen.  Jedes  Zuwarten  verschlechten 
die  Aussichten,  die  allerdings  auch  bei  raschestem  Eingreifer 
zweifelhaft,  aber  doch  wesentlich  besser  sind. 

Die  quälende  Schlaflosigkeit  der  ersten  Wocher 
wird  durch  Kälteanwendung  auf  den  Kopf,  durch  0,3  Pyramiden 
0,25  Phenazetin  oder  Laktophenin  am  Abend  oft  sehr  wirk¬ 
sam  bekämpft.  Genügt  das  nicht,  können  kleine  Menge  Vero- 
nal,  Luminal  oder  dergl.  unbedenklich  gegeben  werden.  Be 
erregten  Trinkern  sind  2,0  Kal.  bromat.  mit  10  Tropfen  Opium- 
tinktur  ein  empfehlenswertes  Beruhigungsmittel. 

Von  spezifischen  Einwirkungen  oder  einei 
gegen  den  Typhus  als  solchen  gerichteten  arzneilichen  Be¬ 
handlung  ist  nichts  zu  erwarten. 

Das  dürften  die  wichtigsten  Gesichtspunkte  bei  der  Be¬ 
handlung  des  Unterleibstyphus  sein.  Möge  es  vor  allem  dei 
zielbewussten  Arbeit  der  Aerzte  gelingen,  durch  vorbeugende 
Massnahmen  die  gefährliche  Kriegsseuche  nicht  aufkommen  zi 
lassen. 


Differentialdiagnose  der  Ruhr  gegenüber  anderen 
ähnlichen  Darmkrankheiten. 

Von  Geh.  Rat  Prof.  Dr.  Ad.  Schmidt  in  Halle. 

Einem  Wunsche  der  Redaktion  folgend  will  ich  im  An¬ 
schluss  an  meinen  Aufsatz  über  „Prophylaxe  und  Therapk 
der  Ruhr  im  Felde“  (Nr.  36  dieser  Wochenschrift,  Feldärztl 
Beil.  Nr.  5)  noch  kurz  die  Differentialdiagnose  dieser  mit  Rech 
gefürchteten  Feldseuche  besprechen. 

Das  entscheidende  Merkmal,  die  bakterioskopische  Fest 
Stellung  des  Erregers,  erfordert,  wie  schon  in  jenem  Artike 
erwähnt,  eine  Reihe  von  Tagen,  selbst  wenn  auf  die  Fest 
Stellung  der  Wachstumsverhältnisse  des  aus  den  Fäzes  isolier 
ten  Stammes  verzichtet  und  lediglich  sein  Verhalten  gegeniibe: 
den  verschiedenen  (fertig  zu  beziehenden)  agglutinierende! 
Seris  geprüft  wird.  Schneller  auszuführen  ist  das  Widalver 
fahren  mit  dem  Serum  des  Patienten  selbst,  aber  es  gibt,  wk 
ich  mich  überzeugt  habe,  in  den  Anfangsstadien  ebenso  wk 
beim  Typhus  nicht  selten  zweideutige  Resultate.  Das  einfach« 
mikroskopische  Präparat  reicht  auch  dann  zur  Diagnose  nich 
aus,  wenn  es  Massen  von  Kurzstäbchen  erkennen  lässt.  Dann 
soll  natürlich  der  Wert  der  bakterioskopischen  Diagnostik  nich 
bestritten  werden.  Sie  auszuführen  ist  Sache  der  bakterio 


22.  September  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


logischen  Untersuchungsstationen,  aber  nicht  des  Feldarztes, 
der  vor  allem  dafür  zu  sorgen  hat,  dass  verdächtige  Fälle 

schnell  isoliert  werden. 

Der  Verdacht  wird  erweckt  durch  ziemlich  plötz¬ 
lich  einsetzende,  mit  heftigem  Tenesmus  ver¬ 
bundene  diarrhöische  Entleerungen,  die  sich 
in  kurzen  Zeiträumen  folgen,  aber  stets  nur 
wenig  Material  zutage  fördern.  Dieses  Ma¬ 
terial,  in  der  allerersten  Zeit  vielleicht  noch 
uncharakteristisch,  nimmt  alsbald  eine  eigen¬ 
tümliche  Beschaffenheit  an:  es  sind  flüssige 
durch  Blutbeimengung  hellrot  gefärbte,  oft 
nur  mit  spärlichen  Kotpartikelchen  ge¬ 
mischte  „Spritzer  ,  in  denen  weissliche  Flok- 
ken  auffallen,  die  gewöhnlich  als  kleine  „Ge- 
vvebsfetzen“  angesprochen  werden,  aber”  bei 
mikroskopischer  Betrachtung  als  Detritus 
nekrotisches  Epithel)  erscheinen.  Die  Stühle 
taben  einen  leimartigen  Geruch.  Die  Entleerungen  sind  völlig 
inabhängig  von  der  Nahrungsaufnahme  und  erfolgen  ohne 
lennensu  erte  Kolikschmerzen.  Wenn  über  Schmerzen  geklagt 
.vird,  so  handelt  es  sich  immer  nur  um  den  Stuhlzwang,  der 
i0  heft'£  werden  kann,  dass  er  die  Kranken  auch  in  den  Zwi- 
■chenzeiten  zwischen  den  Entleerungen  nicht  verlässt,  so  dass 
;ie  kaum  von  dem  Nachtgeschirr  herunterkommen,  Ueberfällt 
:r  sie,  während  sie  liegen,  so  bleibt  oft  nicht  die  Zeit  bis  zum 
Nachtgeschirr  zu  gelangen,  so  dass  häufig  die  Wäsche,  das 
iett  und  der  Fussboden  beschmutzt  werden. 

Fast  immer  fiebern  die  Kranken  gleichzeitig,  sie  brechen 
ber  in  der  Regel  nur  einmal  im  Anfang  und  der  Appetit  ist 
eineswegs  immer  in  erheblichem  Masse  beeinträchtigt.  Der 
-eib  ist  eingezogen,  nicht  oder  nur  ganz  wenig  in  der  Gegend 
er  Flexur  druckschmerzhaft.  In  schwereren  Fällen  ist  das 
jesicht  eingefallen  und  blass,  der  Puls  frequent  und  klein. 

Von  den  Krankheiten,  die  zur  Verwechslung  führen 
önuen,  lassen  sich  die  akuten  infektiösen  Gastro- 
n  t  e  r  i  t  i  d  e  n  (Brechdurchfall,  Sommerdiarrhöe,  akute  Para- 
v  phusinfektionen,  Cholera  nostras)  meistens  schon 
urch  die  Stuhlbesichtigung  unterscheiden: 
i  allen  diesen  Fällen,  und  auch  beim  Typhus  und  bei  der 
:hten  Cholera,  ist  der  Stuhl  zwar  ebenfalls  flüssig,  aber  meist 
eichlich  und  von  fäkulenter  resp.  wässeriger  Färbung.  Es 
eh  len  die  hellrote  Färbung  durch  verdünntes 
lut  und  die  weisslichen  Flocken;  es  fehlt 
erner  der  sehr  bezeichnende  Tenesmus.  Hier 
andelt  es  sich  eben  um  Dünndarmdiarrhöen,  während  bei  der 
uhr  die  Erkrankung  meistens  ausschliesslich  den  Dickdarm 
■greift,  und  zwar  in  Gestalt  einer  schweren  diffusen  Entzün- 
Jng,  deren  Produkte  in  den  Entleerungen  wieder  erscheinen. 

Schwieriger  abzutrennen  sind  folgende  Zustände: 

1.  Die  einfache,  nichtspezifische  Colitis 
c  u  t  a,  die  auch  mit  leichtem  Fieber  und  blutig  gefärbten  Ent¬ 
erungen  einhergehen  kann.  Sie  verrät  sich  durch  das  Vor- 
tndensein  mehr  oder  minder  reichlicher  Schleimbei- 
engungen  zum  Stuhl,  gelegentlich  besteht  der  ganze 
uhl  nur  aus  Schleim  von  stellenweise  blutiger  Färbung.  Bei 
t  echten  Ruhr  fehlen  grössere  Schleimmassen,  aus  dem  ein- 
chen  Grunde,  weil  das  schleimbildende  Epithel  nekrotisch  zu- 
unde  geht.  Das  Allgemeinbefinden  ist  bei  der  Colitis  acuta 
der  Regel  nicht  sehr  erheblich  gestört,  der  Tenesmus  fehlt 
tweder  oder  erreicht  doch  nicht  den  hohen  Grad  wie  bei 
r  Ruhr.  An  seine  Stelle  treten  kolikartige  Leibschmerzen 
n  den  Entleerungen. 

2.  Die  ebenfalls  un- spezifische  Colitis  sup- 
Urativ.a  (gravis,  ulcerosa).  Sie  ist  zwar  vornehmlich  ein 
'ronisches  Leiden,  kann  aber  auch  akut  einsetzen  und  stellt 
|nn  gewissermassen  eine  schwere  Form  von  akuter  Kolitis 
i  r~  Uie  Blutbeimengungen  zum  Stuhl  können  sehr  reichlich 
Tden,  daneben  ist  Schleim  und  weiterhin  als  entscheidendes 
|-rkmal  Eiter  in  mehr  oder  minder  erheblicher  Menge  im 
•uhl  vorhanden.  Die  Entleerungen  folgen  sich  nicht  so  schnell 
'e  bei  der  Ruhr,  ihre  Begleiterscheinungen  sind  dieselben  wie 
’i  der  akuten  Kolitis. 


198,3 


3.  Die  akute  Proktitis  ist  fast  immer  ein  sekundärer 
rozess,  bedingt  durch  sehr  harte  Kotballen,  Hämorrhoiden, 
Polypen,  Fremdkörper  etc.  Heftiger  Sphinkterkrampf  mit  Zu¬ 
rückhaltung  des  an  sich  normalen  Stuhles.  Dazwischen  Ab¬ 
sonderung  kleiner  Mengen  von  Entzündungsprodukten. 

Die  hier  genannten,  nichtspezifischen  Affektionen  des 
Kolons  treten  fast  immer  nur  vereinzelt  auf.  Von  den  in  ge¬ 
häufter  Form  vorkommenden  Affektionen  wäre  nur  noch  die 
Pseudodysenterieinfektion  zu  nennen,  die  sich  nur  auf  baktcrio- 
skopischem  Wege  von  der  Bazillenruhr  abtrennen  lassen. 


Zur  Behandlung  des  Darmprolapses  im  Felde. 

Von  Professor  F.  Rieding  er,  Generalarzt  ä  1.  s. 

^m.  GeSensatz  zu  den  weit  auseinander  gehenden  Ansichten 
über  die  primäre  Laparotomie  im  Felde,  die  noch  immer  eine 
ungelöste  Frage  darstellt,  zeigen  die  Prinzipien  über  die  Be¬ 
handlung  der  Verletzungen,  die  mit  Prolaps  von  Eingeweiden 
kompliziert  sind,  eine  erfreuliche  Uebereinstimmung.  Man  ist 
sich  darüber  klar,  dass  hier  unter  allen  Umständen  und  so 
schnell  wie  möglich  eingegriffen  werden  muss.  Der  Prolaps 
kommt  häufiger  bei  Schnitt-  und  Stichverletzungen  als  bei 
Schusswunden  vor.  Meist  hält  er  sich  in  bescheidenen  Gren¬ 
zen.  Bei  ausgiebiger  Verletzung  der  Bauchdecken,  wie  bei 
langentialschüssen  und  bei  Verletzungen  mit  Spreng¬ 
geschossen,  Granaten  etc.  kann  er  aber  auch  sehr  voluminös 
werden.  Desgleichen  bei  Querschlägern,  die  bei 
unserem  jetzigen  Geschoss  nicht  selten  sein  werden,  denn 
dieses  hat  die  Eigentümlichkeit,  dass  es  sich  durch  den  gering¬ 
sten  Widerstand  zu  drehen  versucht.  Infolge  der  eigenartigen 
langspitzigenForm  befindet  sich  die  Schwerpunktslage  bekannt¬ 
lich  hinter  der  Geschossmitte.  Was  anfangs  durch  die  ausser¬ 
ordentlich  hohe  Mündungsgeschwindigkeit  —  855  ms  gegen 
640  unseres  früheren  Gewehres  —  verhindert  wird,  stellt  sich 
im  weiteren  Weg  bei  relativ  geringen  Widerständen  ein, 
nämlich  die  Tendenz,  eine  günstigere  Schwerpunktslage  zu  er¬ 
zwingen,  also  die  Bodenfläche  schliesslich  nach  vorne  zu 
werfen.  Diese  Eigenschaft  führt  zu  den  sogen.  Querschlägern 
die  bei  Verletzungen  am  Unterleib  grosse  Zerreissungen  des 
Darmtraktus  bewirken  können,  besonders  wenn  er  gefüllt  ist 
und  die  hydrodynamische  Wirkung  zur  Geltung  kommt.  Nicht 
selten  bleibt  es  im  Körper  stecken.  Das  französische  Projektil 
ist  massiv,  besteht  aus  Kupfer  mit  geringem  Zinkgehalt,  hat 
eine  torpedoähnliche  Spitze,  ist  länger  als  das  deutsche  — 
39,9  gegen  27,8  mm  — ,  hat  ein  Kaliber  von  8,0,  wiegt  13,2  g, 
ist  also  schwerer  als  das  unsere,  hat  eine  geringere  Anfangs¬ 
geschwindigkeit  —  730  statt  860  ms  — ,  eine  minder  glatte  Ra¬ 
sanz,  ist  abei  flugbeständiger  und  auf  weitere  Entfernung  wirk¬ 
samer.  Querschläger  sind  deshalb  seltener.  Wie  weit  die  Ver¬ 
suche  mit  Wolfram  geführt  haben,  weiss  man  nicht.  Das 
russische  Geschoss  hat  ein  Kaliber  von  7,62,  das  englische  ein 
solches  von  7,7.  Beide  sind,  wie  das  unsere,  Mantelgeschosse 
und  habep  eine  Mündungsgeschwindigkeit  von  890  resp.  825, 
werden  also  beide  ähnliche  Wirkung  aufweisen1).  Der  Darm 
ist  gefährdeter  als  bei  den  früheren  Geschossen;  Ziegler 
fand  ihn  unter  10  Versuchen  8  mal  verletzt. 

Kein  Verwundeter  mit  einem  Prolaps  dürfte  eigentlich,  ohne 
dass  vorher  der  Darm  oder  das  Netz  reponiert  wurde,  auf  den 
Transport  kommen.  Die  Reposition  darf  aber  nur  vollzogen 
werden,  wenn  der  Darm  intakt  und  in  gutem  Zustand  ist  und 
die  Umstände  es  gestatten.  Es  ist  sehr  merkwürdig,  dass, 
obwohl  diese  Prozedur  nicht  selten  in  keineswegs  einwand¬ 
freier  Form  —  manchmal  von  den  Verletzten  selbst  _  vor¬ 

genommen  wurde,  vielfach  glatte  Heilung  erfolgte.  Beinahe 
ein  Hohn  auf  unsere  sonst  so  peinlichen  Vorsichtsmassregeln. 
Jedenfalls  sollte  der  Darm  vor  der  Reposition  exakt  gereinigt 
werden.  Ob  man  das  auf  dem  Truppenverbandplatz 
m  befriedigender  Weise  ausführen  kann,  ist  fraglich.  Von 
mancher  Seite  wurde  deshalb  geraten,  die  Reposition  des  pro- 
labierten  Darmes  auf  dem  Hauptverbandplatz  oder  erst  im 
Feldlazarett  zu  vollziehen.  In  der  Regel  wird  man  sich  mit 
dem  Abtupfen  mit  Gaze  begnügen  müssen.  Steht  allerdings 
warmes  sterilisiertes  Wasser  oder  eine  physiologische  Koch- 


‘)  cf.  Riedinger:  Ueber  Wirkung  moderner  Projektile,  1909. 


1984 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  38. 


Salzlösung  zur  Verfügung,  so  ist  die  Reinigung  damit  allem 
anderen  vorzuziehen.  Fieber  empfiehlt  neuerdings  3  proz. 
Wasserstoffsuperoxydlösung.  Durch  Jodtinktur  hat  er  Nekrose 
am  Darm  beobachtet.  Er  glaubt,  dass  dies  durch  Tiefen¬ 
wirkung  des  Mittels  resp.  durch  Thrombose  zustande  komme. 

Nicht  selten  entstehen  auch  wegen  des  Missverhältnisses 
zwischen  der  Darmschlinge  und  der  Oeffnung  in  der  Bauch¬ 
wandung  Schwierigkeit,  und  man  ist  gezwungen,  ein  Debride- 
ment  vorzunehmen.  Das  geschieht  am  besten  in  querer 
Richtung,  v.  O  e  tt  i  n  g  e  n  schlägt  für  den  Eingriff,  den  man 
tatsächlich  nicht  als  eine  Laparotomie  betrachten  soll,  die  Be¬ 
zeichnung  Freilegung  vor.  Ich  glaube  nicht,  dass  sich  das  ganz 
mit  dem!  was  man  unter  Debridement  versteht,  deckt  und 
meine,  man  sollte  die  alte,  wenn  auch  fremdsprachliche  Be¬ 
zeichnung  beibehalten  oder,  wenn  man  das  nicht  will,  das 
Wort  Erweiterung  wählen.  Vorgefallenes  Netz  geht  so  gut 
wie  nie  ohne  diesen  Ausweg  zurück.  Es  hat  die  Neigung, 
rasch  infolge  Stauung  anzuschwellen,  besonders  wenn  eine  Art 
Inkarzeration  in  der  Bauchdeckenöffnung  stattgefunden  hat. 
Bei  stärkerer  Veränderung  empfiehlt  es  sich,  dasselbe  en  masse 
oder  in  mehreren  Partien  mit  Katgut  zu  ligieren  und  abzu¬ 
tragen.  Es  ist  von  manchen  Seiten  auch  so  vorgegangen 
worden,  dass  man  das  Netz,  besonders  wenn  es  Neigung  zur 
Gangrän  zeigt,  liegen  liess,  bis  es  sich  von  selbst  abstiess.  In 
der  vorantiseptischen  Zeit  war  dieses  Vorgehen  beliebt  und  ein 
guter  Ausweg.  Die  Gangräneszierung  wurde  hart  an  der  Aus¬ 
trittsstelle  durch  Umschnürung  mit  einem  Faden  beschleunigt. 

Als  sehr  zweckmässig  erweist  sich,  wie  auch  v.  Oet- 
t  in  gen  erwähnt,  bei  der  Reposition  die  beiden  Wundränder 
mit  stumpfen  Haken  in  die  Höhe  zu  ziehen.  Die  Reposition 
vollzieht  sich  dann  besonders  bei  Beckenhochlagerung  nicht 
selten  ohneweitereNachhilfe.  Ichwar  damit  immer  zufrieden  und 
habe  es  auch  so  bei  meinen  Experimenten  gemacht.  Interessant 
ist  die  Mitteilung  v.  Oettingens  über  einen  Fall,  wo  die  Re¬ 
position  des  prolabierten  Darmes  unter  die  unterminierte  Haut 
gemacht  worden  war.  Ich  selbst  habe  gesehen,  dass  bei  einer 
Stichverletzung  in  der  linken  Bauchhälfte  das  prolabierte  Netz, 
von  dem  ein  Stück  unmittelbar  nach  der  Verwundung  abge¬ 
tragen  worden  war,  nicht  in  die  Peritonealhöhle  zurück¬ 
gebracht  wurde,  sondern  vor  dem  Schlitz  im  Peritoneum  vis¬ 
cerale  lag.  Es  hatte  sich  eine  allgemeine  eitrige  Peritonitis 
entwickelt.  Nach  30  Stunden  machte  ich  auswärts  unter  primi¬ 
tiven  Verhältnissen  die  Laparotomie  in  der  Linea  alba,  trug 
noch  einen  Teil  des  missfarbigen  Netzes  ab,  reponierte  den 
Stumpf,  tupfte  mit  Jodoformgaze  die  Nischen  aus  sowie  den 
Darm  ab  und  schloss  die  Wunde.  Die  Stichkanäle  eiterten,  es 
bildete  sich  nach  etwa  8  Tagen  ein  Abszess  in  der  rechten 
Inguinalgegend,  der  inzidiert  wurde.  Darnach  erfolgte  glatte 
Heilung  mit  guter  Narbenbildung  und  ohne  Hernie. 

Ist  der  vorgefallene  Darm  aber  verletzt,  so  darf  man  den¬ 
selben  natürlich  nicht  vor  der  Naht  event.  Resektion  repo- 
nieren.  Das  muss  im  Lazarett  gemacht  werden.  Ist  die  Oeff- 
nung  im  Darm  klein,  so  kann  man  nach  entsprechender  Reini¬ 
gung  desselben  die  Oeffnung  mit  einigen  Wundklammern 
provisorisch  verschliessen.  Liegt  Verdacht  vor,  dass  sich  die 
Schlinge  zurückziehen  könnte,  so  muss  sie  irgendwie  fixiert 
werden.  Das  ist  besonders  bei  ausgedehnteren  Wunden  der 
Bauchdecken  der  Fall,  wie  sie  bei  Querschlägern  vom  S-Ge- 
schoss  und  Granatsplittern  etc.  Vorkommen.  Ist  der  vor¬ 
gefallene  Darm  ausgiebig  zerrissen,  so  wird  zweckmässig  der 
zuführende  und  abführende  Teil  mit  Katgut  provisorisch  abge¬ 
bunden  und  ebenfalls  fixiert.  Das  geschieht  entweder  mit  zwei 
Nähten  oder  dadurch,  dass  man  durch  das  Mesenterium  zwi¬ 
schen  beiden  Schenkeln  mit  einer  Pinzette  einen  Gazestreifen 
oder  einen  Docht  durchschiebt,  den  man  an  beiden  Enden  mit 
Mastisol  (v.  0  e  1 1  i  n  g  e  n)  oder  mit  Leukoplast  festklebt. 
Diese  Fälle  müssen  sofort  nach  Einbringung  ins  Lazarett 
operiert  werden.  Eine  Sicherheit,  dass  nicht  auch  noch 
weitere  Verletzungen  anderer  Darmteile  vorliegen,  haben  wir 
leider  nicht.  Manchmal  ist  das  vorgefallene  Darmstück  nicht 
verletzt,  sondern  ein  Abschnitt  innerhalb  des  Peritonealraums. 
Eine  Revision  der  Bauchhöhle  durch  Erweiterung  der  Oeffnung 
in  den  Bauchdecken  ist  also  dringend  nötig.  In  einem  Fall  von 
Stichverletzung  des  Dünndarmes  habe  ich  nach  Naht  und 
Reinigung  die  Schlinge  reponiert,  nachdem  ich  sie  vorher  noch 


ziemlich  weit  vorgezogen  und  kontrolliert  hatte.  Der  Ver¬ 
letzte  ging  an  Peritonitis  zugrunde.  Bei  der  Obduktion  fand 
sich  eine  weitere  kleine  Oeffnung  im  Darm  ziemlich  weit  ent¬ 
fernt  von  der  ursprünglichen  Verletzung.  Der  Patient  wäre 
vielleicht  zu  retten  gewesen,  wenn  man  das  Loch  gesehen 
hätte. 

Manchmal  kommen  auch  Verletzte  an,  bei  denen  das 
prolabierte  Darmstiick  infolge  starker  Einschnürung  be¬ 
ginnende  Gangrän  oder  doch  starke  Ernährungsstörungen  zeigt. 
Hier  kann  auch  die  Frage  eines  Anus  praeternaturalis  in  Frage 
kommen,  wenn  man  es  nicht  vorzieht,  eine  Anastomose  beider 
Schenkel  nach  H  e  Lf  e  r  i  c  h  anzulegen. 

Zu  einem  baldigen  Eingriff  kann  auch  der  Austritt  einer 
Tänie  oder  eines  Spulwurms  veranlassen,  v.  Oettingen 
gibt  eine  anschauliche  Abbildung  einer  eigenen  Beobachtung, 
wo  eine  Tänie  aus  der  Oeffnung  in  den  Bauchdecken  heran - 
ragt.  Er  rät.  die  Tänie  auf  der  Bauchhaut  zu  fixieren,  aui 
dem  Hauptverbandplatz  aber  die  Wunde  in  der  Abdominal¬ 
wand  zu  erweitern,  die  Tänie  mit  dem  Finger  zu  verfolgen, 
den  verletzten  Darm  vorzuziehen  und  die  Oeffnung  zu  ver¬ 
nähen,  nachdem  man  den  Bandwurm  vorsichtig  entfernt  hat 

Auch  Fremdkörper,  die  in  der  Wunde  stecken  geblieber 
sind,  sollen  sobald  als  nur  möglich  entfernt  werden.  Ist  der 
Darm  verletzt,  so  muss  er  vorgezogen  und  vernäht  werden 

Ich  glaube,  es  wäre  besser,  wenn  wir  in  beiden  Fällen 
den  vorgelagerten  Darm  in  der  Wunde  fixieren  und  dann  im 
Feldlazarett  das  weitere  besorgen  würden. 

Wie  soll  man  nun  die  prolabierte  Darm¬ 
schlinge  während  des  Transports  bedecken? 
Am  gebräuchlichsten  ist  wohl  die  Bedeckung  derselben  mit 
steriler  Gaze,  die  man  in  der  Peripherie  des  Prolapses  mi' 
Mastisol  oder  mit  Leukoplast  fixiert.  Darüber  wird  mar 
zweckmässig  eine  Binde  wickeln. 

Nun  ist  es  aber  bekannt,  dass  trockene  Gaze  die  Seros; 
des  Darmes  stark  reizt.  Antiseptisch  imprägnierte  Verband¬ 
stoffe  tun  das  natürlich  noch  weit  mehr.  Es  ist  das  dann  be 
der  Reposition  oder  Operation  nicht  angenehm.  Ich  glaube 
dass  man  es  vermeiden  kann  und  bin  der  Frage  experimentel 
nähergetreten.  Der  Gang  der  Versuche  war  immer  dei 
gleiche.  Als  Versuchstiere  dienten  Kaninchen.  Ich  will  dk 
Ergebnisse  der  Versuche  in  aller  Kürze  mitteilen 

In  der  Linea  alba  etwa  in  der  Mitte  zwischen  Nabel  und  Sym¬ 
physe  wurden  nach  entsprechender  Vorbereitung  unter  aseptischo 
Kautelen  eine  etwa  2  cm  lange  Inzision  gemacht,  das  Peritoneun 
durchtrennt  und  dann  eine  Dünndarmschlinge  vor  die  Wunde  ge 
zogen.  Um  das  Zurückgleiten  zu  verhüten,  wurde  die  Inzisionswundi 
durch  ein  oder  zwei  Nähte  etwas  verkleinert. 

Dann  folgte  die  Bedeckung  des  Darms  mit  den  unten  anzuführen 
den  Mitteln.  Darüber  kam  ein  Schutzverband.  In  der  Regel  wurdi 
derselbe  mit  Kollodium  fixiert,  einigetnale  mit  Heftpflaster  und  dar 
über  eine  Gazebinde  gelegt.  Trotz  genauer  Applikation  rutschte  ue 
letztere  einmal  ab.  Dieses  Tier  ging  ein.  Bei  Kollodium  entstam 
einigemale  eine  oberflächliche  Hautgangrän  in  der  Peripherie,  an  de 
Stelle,  wo  das  Mittel  die  enthaarte  Bauchdecke  überzog.  Masuso 

ist  besser.  .  _  ... 

Nach  24  Stunden  wurde  der  Verband  entfernt,  die  Darmschhngi 
reponiert  und  die  Wunde  geschlossen.  Mit  wenigen  Ausnahmei 
wurden  die  Tiere  nach  8  Tagen  getötet.  Eines  ging  am  4.  tage 
eines  am  9.  und  eines  am  12.  Tage  ein. 

Versuche:  I.  Bedeckung  des  Darmes  mit  steriler  Gaze 
Bei  der  Reposition  erwies  sich  derselbe  als  stark  gerötet  und  gereizt 
Das  Kaninchen  wurde  nach  16  Tagen  getötet.  Es  fanden  sich  leicnt' 
Adhäsionen  des  Darmes  an  der  Wunde.  Sonst  war  alles  normal. 

II.  Bedeckung  mit  1  prom.  Kampferöl.  Am  anderen  Moigei 

hatte  sich  das  Kaninchen  den  Verband  (Bindenverband)  abgestrem 
Die  Schlinge  lag  einige  Zeit  frei,  wurde  aber  wieder  mit  Kampferöl 
gaze  bedeckt.  Der  Darm  war  stark  gereizt,  missfarbig,  stellenweisi 
mit  Fibrinbelag  versehen.  Reposition  nach  24  Stunden.  Eingiessei 
von  Kampferöl  in  die  Peritonealhöhle.  Das  Tier  geht  am  12.  lag' 
nach  der  Operation  ein.  ^  ,  ,  .  ni 

Sektion:  Trockener,  käsiger  Abszess  in  der  Bauchdeckc. 
Darmschlinge  ziemlich  ausgiebig  mit  der  Bauchdecke  verwachsen 
etwas  trübe  seröse  Flüssigkeit  in  der  Peritonealhöhle. 

III.  Nach  Eröffnung  des  Peritoneum  drängte  sich  eine  Dun 
darmschlinge  vor,  zog  sich  aber  sofort  spontan  zurück.  Daran 
wölbte  sicii  ein  Stück  Dickdarm  vor.  Nach  Reposition  desseine 
wird  dann  eine  Dünndarmschlinge  vorgeholt  und  wie  gewohniic 
fixiert.  Die  Bedeckung  geschah  diesmal  einer  Anregung  v.  Beste 
meyers  entsprechend  mit  Glyzerin.  Kollodiumverband, 
der  Reposition  sieht  der  Darm  tadellos  frisch  aus.  Nur  an  den  Ais 
trittsstellen  an  der  Bauchwand,  war  er  leicht  gerötet.  Bei  der  eu 
forcierten  Rücklagerung  platzte  die  Serosa.  Naht  derselben 


22.  September  1914. 


1 985 


j_cldürztliche  Beilage  zur  Muncli.  meü.  Wochenschrift. 


ragen.  Der  Riss 
auf  etwa  2  etn 


in  der  Serosa  verheilt, 
leicht  verlötet.  Alles 


Katgut.  Getötet  nach  8 
Das  lleum  und  Zoekutn 
andere  normal. 

|y.  Bedecken  der  Schlinge  mit  Vaseline.  Kollodiumver- 
hand.  Bei  der  Reposition,  die  sehr  glatt  vor  sich  ging,  sieht  der 
I  arm  sehr  gut  aus  und  ist  nur  leicht  gerötet.  Kaninchen  nach  8  Tagen 
getötet.  adelloser  Befund.  Die  vorgelagerte  Schlinge  ist  nicht 

mehr  zu  eruieren. 

■  u.'j  Bedecken  mit  .)  odofor  m  g  1  y  z  e  r  i  n.  Bei  der  Reposition 
Mcht  der  Darm  nicht  gut  aus,  ist  trocken,  an  einzelnen  Stellen  rniss- 
larbig.  An  der  Bauchdeckenöffnung  ist  er  stark  verklebt  Einge- 
g  mgen  am  9.  I  ag.  Bei  der  Obduktion  findet  sich,  dass  die  Wunde 
gut  vei  heilt  war  und  dass  die  Schlingenschenkel  miteinander  ver- 
klebt  sind,  ebenso  mit  anderen  anliegenden  Dünn-  und  Dickdarm- 
schlmgen  und  mit  der  Bauchwand.  Sonst  keine  besonderen  Ver¬ 
änderungen. 

Bedecken  mit  sterilem  Olivenöl.  Bei  der  Reposition 
rindet  sich  der  Darm  trocken,  welk,  samtartig  gewulstet,  an  der 
Wunde  verklebt.  Nach  8  Tagen  getötet. 

Ob  du  k  t  i  o  n:  Kleiner,  käsiger  Abszess  in  der  Wand.  Die  prohi¬ 
bierte  Schlinge  mit  sich  und  mit  benachbarten  Dünndarmpartien  ver¬ 
klebt.  Sonst  keine  besondere  Veränderung. 

VII.  Bedecken  mit  Wasserstoffsuperoxyd.  Bei  der 
Reposition  sieht  der  Darm  etwas  trocken  aus,  eingegangen  nach 
4  lagen. 

O  b  d  u  k  t  i-o  n:  Peritonitis. 

VIII  Bedecken  mitParaffinumliquidu  m.  Bei  der  Repo- 
ution  sieht  der  Darm  sehr  frisch  aus.  Getötet  nach  8  Tagen  Tadel- 
ose  Verhältnisse.  Die  Stelle  des  Prolapses  nicht  mehr  zu  eruieren. 

Von  den  3  Eingängen  darf  der  eine  auf  den  Umstand  zu- 
rückgeführt  werden,  dass  infolge  Abstreifens  des  Verbandes 
Jie  Schlinge  längere  Zeit  freilag  und  infiziert  wurde  (II.  Ex¬ 
periment,  Kampferöl). 


Das  Eingiessen  von  Kampferöl  vermochte  die  Schädigung 
licht  auszugleichen  und  den  letalen  Ausgang  abzulenken. 

Der  zweite  Fall  (Experiment  V,  Jodoformglyzerin)  ist  nicht 
tanz  aufgeklärt.  Die  Verlötung  der  Darmschlinge  kann  nicht 
ils  ausschlaggebend  für  den  letalen  Ausgang  betrachtet 
\  erden.  Der  dritte  Fall  (Experiment  IV,  Wasserstoffsuper¬ 
oxyd)  zeigte  ausgesprochene  Peritonitis.  Das  Mittel  trägt 
vohl  keine  Schuld,  wahrscheinlicher  ist  eine  Infektion  bei  der 
fperation.  Dieser  sowie  der  erste  hätten  vielleicht  vermieden 
verden  können. 


Was  den  Erfolg  anlangt,  so  sind  weitgehende  Schlüsse  aus 
len  wenigen  Experimenten  nicht  zu  machen.  Doch  darf  man 
äsen,  dass  die  Bedeckung  des  Darmes  vor  allein  mit  P  a  r  a  f  - 
in  um  liquidum,  das  auch  leicht  zu  beschaffen  ist,  dann 
nit  Glyzerin  und  Vaseline  als  gute  Mittel  sich  erwiesen. 
Graffinum  liquidum  ist  nun  auch  von  Chrysospathes 
ls  Wundverband  besonders,  mit  einem  Zusatz  von  2  bis 

Teilen  Jodoform  empfohlen  worden. 

Bei  den  Experimenten  besteht  der  Vorteil,  dass  die  Darm- 
chlingen  sofort  nach  der  Verletzung  versorgt  werden, 
rührend  dies  bei  den  Verletzungen  im  Felde  natürlich  erst 
päter  möglich  ist.  Ich  glaube  aber,  dass  auch  hier  die  Ver- 
orgung  mit  den  oben  angeführten  Mitteln  während  des  Trans¬ 
ortes  Gutes  leisten  könnte,  und  dass  ein  Versuch  damit  zu 
mpfehlen  wäre. 

Eine  besondere  Aufmerksamkeit  wird  in  diesem  Kriege 
uch  der  Frage  der  primären  Laparotomie  gewidmet  werden. 
>ie  kühne  Idee  Senns,  auf  dem  Schlachtfelde  zu  operieren, 
nd  der  Versuch  der  Japaner,  eigene  Laparotomiespitäler  zu 
1  richten  und  sie  so  weit  als  möglich  an  die  Front  vorzuziehen, 
nd  gescheitert.  Die  Japaner  haben  sämtliche  Operierte  ver- 
nen.  v.  Dettingen  hat  sich  über  das  organische  Kunst- 
tückchen  der  Japaner  lustig  gemacht  und  geraten,  das  dafür 
'igelegte  Geld  für  einen  besseren  'Transport  zu  verwenden, 
er  au°h  in  der  Tat  den  Kernpunkt  unserer  Tätigkeit  im  Feld 
stellt.  Er  ist  der  Ansicht,  das  mindesten  50  Proz.  der  Bauch- 
erletzungen  bei  der  streng  konservativen  Behandlung  und  Ruhe 
erettet  werden  können  und  MacCormacs  Ausspruch:  ein 
’irch  den  Bauch  Geschossener  stirbt,  wenn  man  ihn  operiert 
nd  bleibt  am  Leben,  wenn  man  ihn  in  Ruhe  lässt,  ist  zum  ge¬ 
iigelten  Wort  geworden. 

Diese  Ansicht  wird  nun  wohl  einer  Revision  unterzogen 
erden,  denn  die  Chirurgen  finden  sich  noch  nicht  gerne  mit 
esem  Standpunkte  ab.  Sie  werden  von  neuem  versuchen, 
e  Prinzipien  der  Friedenspraxis  auf  die  Feldtätigkeit  zu  iiber- 
‘igen.  Dazu  ist  aber  nötig,  dass  vor  allem  die  Verwundeten 
1  kürzester  Frist  —  manche  Chirurgen  nehmen  als  äusserste 


Gienze  nur  6  Stunden  an  —  in  das  Feldlazarett,  wo  die  La¬ 
parotomie  gemacht  werden  soll,  kommen.  Ob  dieses  Haupt- 
postulat  erfüllt  werden  kann,  ist  fraglich  und  damit  steht  und 
fällt  die  ganze  Angelegenheit.  Nicht  die  Verletzung  allein,  Ort 
und  Umstände  erweitern  oder  begrenzen  die  Indikationen  zur 
Laparotomie  (v.  S  e  y  d  e  1). 


Eine  Feldtrage. 

Von  Obergeneralarzt  Dr.  Reh. 

In  den  letzten  Kriegen  ist  das  Wort  geprägt  worden,  dass 
dei  erste  Verband  auf  dem  Schlachtfelde  in  sehr  vielen  Fällen 
das  weitere  Schicksal  des  Verwundeten  entscheidet.  So  sehr 
ich  von  der  Richtigkeit  dieses  Satzes  überzeugt  bin,  muss  ich 
coch  hinzufügen,  dass  die  Art  und  Weise  des  dem  Verband 
vorausgehenden  oder  ihm  folgenden  Transports  und  der 
Lagerung  hieran  in  hohem  Grade  beteiligt  ist.  Hiebei  stehe 
ich  nicht  allein,  schon  Generalstabsarzt  v.  Vogl,  unser  Alt¬ 
meister  Generalarzt  Port  und  in  allerletzter  Zeit  v.  Oet- 
t  i  n  g  e  n  haben  das  gleiche  gesagt;  letzterer  hat  hierüber  weit¬ 
gehende  Erfahrungen  gesammelt  und  sie  in  seinem  Leitfaden 
der  Kriegschirurgie  niedergelegt. 

Der  Rücktransport  Verwundeter  zum  Hauptverbandplatz, 

zu  den  Feldlazaretten  und  —  mit  Land-  und  Bahntransport _ 

zu  den  Reservelazaretten  erfordert,  da  das  vorhandene 
I  ragenmaterial  der  Sanitätsformationen  immer  wieder  für  die 
fechtende  Truppe  verfügbar  gemacht  werden  muss,  häufiges 
Umladen.  Dies  bringt  für  Verwundete  viele  Unannehmlich¬ 
keiten  mit  sich.  Hier  habe  ich  besonders  Schusswunden  des 
Schädels,  der  Brust,  des  Bauches,  sowie  Schussfrakturen  des 
Beckens  und  Oberschenkels  im  Auge.  Ich  enthalte  mich  aller 
weiteren  Ausführungen  und  sage  nur,  wenn  man  bedenkt, 
dass,  nachdem  eine  Sanitätskompagnie  nur  über  72  Tragen 
verfügt,  bei  einem  Gefechte  einer  Division  1000  und  mehr 
Verwundete  anfallcn  können,  die  liegend  transportiert  werden 
sollen,  so  gibt  das  eine  Vorstellung  von  der  Arbeit,  die  nötig 
ist,  diese  bis  zum  Feldlazarett  zu  bringen.  Angenommen  eine 
Division  hätte  4  Feldlazarette  zu  je  200  Betten,  bestehend  aus 
Strohsäcken  und  Decken,  so  sind  dies  800  Lagerstellen,  die  für 
den  Anfall  von,  Verwundeten  nach  grösseren  Gefechten  aber 
nicht  ausreichen.  Dazu  muss  berücksichtigt  werden,  dass  die 
Sti  ohsäcke  mit  Stroh,  Heu,  Moos,  Holzwolle,  Hobelspänen  usw. 
gefüllt  sein  müssen,  um  wirklich  eine  Lagerstelle  zu  sein.  Das 
Füllmaterial  ist  vielleicht  bei  der  ersten  Schlacht  noch  in  hin¬ 
reichender  Menge  vorhanden,  bei  der  zweiten  und  dritten  aber 
schon  nicht  mehr;  der  grösste  Teil  der  Verwundeten  wird 
also  ohne  genügende  Lagerstelle  sein.  Diese  bedauerlichen 
Zustände  nach  Möglichkeit  zu  mildern,  muss  unser  Be¬ 
streben  sein. 

Das,  was  mir  seit  langem  vorschwebt,  ist  eine  Kranken¬ 
trage,  auf  die  der  Verwundete,  wenn  möglich  schon  auf  dem 
Schlachtfelde  kommt  und  auf  der  er  bleibt,  bis  er  endlich  in 
der  Heimat  im  Reservelazarett  angekommen  ist.  Eine  solche 
I  rage  muss  leicht,  dabei  dauerhaft,  zusammenlegbar,  billig, 
rasch  herzustellen  und  bequem  für  den  Verwundeten  sein. 
Sie  muss  ihm  für  lange  das  Bett  ersetzen.  Diesen  Forde¬ 
rungen  kam  unsere  alte  bayer.  Feldtrage,  die  im  Jahre  1870 
noch  ihre  Dienste  leistete,  ziemlich  nahe,  ebenso  die 
v.  O  e  1 1  i  n  g  e  n  sehe  Trage,  die  nahezu  diese  alte  bayerische 
wiedergibt,  doch  ist  sie  weniger  stabil  und  die  Holmen  sind, 
wie  ich  aus  der  Zeichnung  schliesse,  zu  schwach,  sie  hat  aber 
Dettingen  nach  seinen  Berichten  hervorragende  Dienste 
geleistet.  Die  französische  Feldtrage  ist  aus  Eichenholz,  ziem¬ 
lich  ähnlich  konstruiert,  aber  zu  kurz;  doch  hat  auch  sie  bis 
jetzt  viel  geleistet.  Nach  reiflicher  Ueberlegung  schlage  ich 
nachstehende  Krankentrage  vor,  die  auch  nur  eine  Verbesse¬ 
rung  der  beiden  genannten  sein  soll. 

Die  I  rage  muss  eine  Länge  von  250  cm  und  eine  Breite  von 
57  cm  entsprechend  unserer  Feldtrage  haben.  Die  Holmen  oder  Trag¬ 
stangen  müssen  aus  astfreiem,  ganz  trockenem  Fichten-,  Tannen- 
Fohren-  oder  Lärchenholz  hergestellt  sein;  Hartholz,  wie  Eschen, 
Buchen,  ist  zwar  fester,  aber  zu  schwer;  Bambus  würde  sich  beztig- 
lieh  der  Iragfähigkeit  und  Leichtigkeit  ganz  hervorragend  eignen, 
wenn  es  keine  Knoten  besässe.  Der  Querschnitt  der  Tragstangen  ist 
quadratisch  mit  abgerundeten  Ecken  und  einem  Durchmesser  von 
5  cm,  die  Handgriffe  sind  aussen  und  innen  um  je  0,5  cm  scnwächer 


1986 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  38. 


und  scharfkantig  abgesetzt,  damit  Kopf-  und  Fussgestell  festhalten, 
wozu  noch  ein  Vorstecker  aus  0,5  cm  starkem  Draht  kommt.  Das 
Fussgestell  wird  ebenso  wie  das  Kopfgestell  aus  Latten  von  10  cm 
Breite,  57  cm  Länge  und  2—3  cm  Dicke  verfertigt.  An  den  beiden 
Enden  findet  sich  ein  rechteckiger  4  X  5  cm  Ausschnitt,  in  den  die 
Griffe  der  Holmen  genau  passen.  Der  Ausschnitt  sowie  die  beiden 
Gabelenden  werden  von  einem  2 — 3  cm  breiten,  2 — 3  mm  starken 
Bandeisen,  das  mit  etwa  4  versenkten  Holzschrauben  befestigt  wird, 
überspannt  (s.  Zeichnung!). 

Fuss-  und  Kopfgestell  erhält  je  2  nach  unten  aussen  gehende, 
30  cm  lange,  5  cm  breite  Füsse  mit  4  Holzschrauben  aufgeschraubt, 
deren  äusserer  unterer  Abstand  genau  57  cm  haben  muss.  Das  Kopf¬ 


gestell  erhält  ausserdem  genau  in  derselben  Weise  2  Latten  auf  der 
anderen  Fläche  befestigt,  die  nach .  aufwärts  sehen  und  an  ihrem 
oberen  Ende  eine  breitköpfige  Schraube  tragen.  Das  wäre  das 
leicht  auseinandernehmbare  Gestell. 

Nun  wird  aus  Drell,  Segel-  oder  Sackleinwand  oder  ähnlichem 
festen  Stoffe,  der  beim  Nasswerden  nicht  eingehen  und  durch  Zug 
nicht  nachgeben  darf,  die  Tragfläche  gefertigt,  so  dass  dieselbe 
eine  Länge  von  190  cm  bei  einer  Breite  von  57  cm  erhält.  Die  Breite 
des  Stoffes  muss,  um  einen  Schlauch  für  die  durchzusteckenden  Hol¬ 
men  zu  gewinnen,  ungefähr  45  cm  grösser  genommen  werden.  Durch 
feste  Naht  werden  diese  2  Schläuche  auf  160  cm  hergestellt;  der 
restliche  Teil  wird  zum  Kopfpolster  verwendet,  gesäumt  und  an  den 
beiden  oberen  Ecken  mit  Ringen  versehen,  die  in  die  Kopfschrauben 
des  oberen  Teils  des  Kopfgestells  eingehakt  werden. 

Soweit  wäre  die  Trage  von  der  alten  bayerischen,  der  v.  Oet- 
t  i  n  g  e  n  sehen  und  französischen  nicht  sehr  weit  verschieden.  Was 
wesentlich  abweicht  ist  folgendes:  Wenn  man  bedenkt,  dass  viele  j 
Schwerverwundete  zur  Verrichtung  ihrer  Notdurft  auf  die  Leib¬ 
schüssel  gesetzt,  also  aufgehoben  und  darnach  wieder  in  horizontale  ! 


Lage  gebracht  werden  müssen,  was  für  Verletzte  mit  Schussfrakturen 
der  unteren  Extremitäten  und  des  Beckens  sehr  schädlich  ist,  so 
kommt  man  unwillkürlich  auf  den  Gedanken,  dass  in  dieser  Richtung 
Abhilfe  geschaffen  werden  muss.  Und  es  kann  dies  geschehen:  Der 
Verletzte  muss  im  Liegen  den  Darm  entleeren  können  und  dies  er¬ 
reicht  man  dadurch,  dass  in  der  Gesässgegend,  also  in  einem  Ab¬ 
stande  von  70  cm  vom  unteren  Ende  des  Stoffes  ein  ovaler  Aus¬ 
schnitt  von  25  cm  Höhe  und  20  cm  Breite  hergestellt  wird.  Dieser 
Ausschnitt  muss  von  unten  her  durch  eine  etwa  30  cm  breite,  auf  der 
einen  Seite  festgenähte,  auf  der  anderen  abnehmbare  Klappe  aus  dem¬ 
selben  Stoffe  festgeschlossen  werden,  dass  sie  mittragen  hilft.  Dies 
geschieht  durch  3  je  3  cm  breite  Gurten  und  Schnallen.  Gerade  diese 
Vorrichtung  halte  ich  für  Verletzte  bei  erwähnter  Art  für  die  ersten 
Tage  für  sehr  wichtig  und  verspreche  mir  entschiedenen  Erfolg. 

Die  Herstellungskosten  dürften  sich  nach  meiner  Schätzung  auf 
höchstens  10  M.  per  Stück  erstellen,  während  das  Gewicht  einer 
solchen  T;age  nur  etwa  12—15  Pfd.  erreichen  wird.  Wenn  man  rnir 
einwirft,  dass  die  Feldtrage  infolge  ihrer  Eisenkonstruktion  unver¬ 
wüstlich  ist,  so  halte  ich  das  geringe  Gewicht  der  von  mir  aus¬ 
gedachten  Trage  gegenüber  und  sage,  dass  auf  einem  Leiterwagen 
etwa  100  Stück  mitgeführt  werden  können,  dass  diese  zusammen 
etwa  15  Ztr.  wiegen,  also  von  einem  Pferde  sogar  fortgebracht  wer¬ 
den  können.  Diese  Trage  hat  den  Vorteil,  dass  sie  ganz  auseinander¬ 
genommen,  rasch  zusammengesetzt,  gereinigt  und  desinfiziert,  dass 
ein  zerbrochener  Teil  leicht  ersetzt,  dass  die  Trage  aiich  improvisiert 
werden  kann.  Bedingung  ist,  dass  die  Trage  genau  nach  den  an¬ 
gegebenen  Massen  angefertigt  wird,  so  dass  jeder  Holm  in  jedes 
Kopf-  oder  Fussgestell  passt  und  umgekehrt;  dann  haben  wir  eine 
Einheitstrage,  die,  in  Massen  angefertigt,  ausserordentlich  segensreich 
wirken  kann. 

Ich  sehe  davon  ab  zu  beschreiben,  wie  sie  auf  Hilfs¬ 
lazarettzügen,  in  Feldlazaretten  usw.  Verwendung  findet,  ich 
möchte  nur  darauf  hinweisen,  dass  das  Etappensanitätsdepot 
grosse  Mengen  erhalten  und  diese  soweit  als  irgend  möglich 
nach  vorne  schieben  müsste.  Jede  Sanitätskompagnie  und 
jedes  Feldlazarett  müsste  1  oder  2  Leiterwagen  mit  je  etwa 
100  Tragen  erhalten. 

Für  jede  Trage  wäre  meines  Erachtens  noch  1  Decke  von 
160X100  cm  notwendig,  um  den  Verwundeten  das  Bett  zu 
ersetzen. 

Der  Transport  der  Tragen  erfolgt  am  besten  so,  dass 
Kopf-,  Fussgestell  und  Holmen  —  diese  in  den  Drellbezug  ge¬ 
rollt  —  zu  je  10  Stück  mit  Bindfaden  zusammengebunden,  auf¬ 
geschichtet  werden. 

Ich  vollende  dies  unter  dem  Donner  schwerer  Geschütze 
und  unter  dem  unvergesslichen  Eindrücke  des  Elends,  das 
ich  nach  dem  ersten  Gefecht  unserer  Armee,  in  dem  sich  auch 
unsere  bayerischen  Korps  befanden,  bei  Lagarde,  Bourdon- 
naye  und  Dieuze  gesehen.  Mögen  diese  meine  Zeilen  auf 
fruchtbaren  Boden  fallen  und  möge  eine  kräftige  Hand  meinen 
Ruf  nach  Krankentragen  bald,  recht  bald,  in  die  Tat  umsetzen; 
Hunderte  von  Aerzten,  Pfleger  und  Pflegerinnen  und  Tausende 
von  Verwundeten  werden  ihr  dankbar  sein. 


Zur  Anfertigung  von  Gipsschienen. 

Von  Privatdozent  v.  B  a  e  y  e  r  in  München. 

Eine  der  wesentlichsten  Tätigkeiten  des  Feldarztes  ist 
die  Fixierung  der  verletzten  Teile.  Den  besten  Halt  gibt  nach 
dem  Urteil  der  meisten  modernen  Kriegschirurgen  der  Gips¬ 
verband.  Die  zirkuläreForm  diesesVerbandes  bewährt  sich  u.  a. 
deshalb  nicht,  weil  durch  das  öftere  Wechseln  des  behandeln¬ 
den  Arztes,  wie  es  der  Krieg  mit  sich  bringt,  ein  Abnehmen 
des  Kontentivverbandes  nach  kurzer  Zeit  meist  vorgenommen 
wird.  Deshalb  ist  eine  gut  anliegende  und  abnehmbare  Gips- 
hohlrinne  entschieden  vorzuziehen,  vorausgesetzt,  dass  sie 
haltbar  und  billig  ist.  Da  in  diesen  Beziehungen  die  mir  be¬ 
kannten  Gipsrinnen  nicht  genügen,  so  schlage  ich  folgende 
einfache  Technik  vor. 

Will  man  eine  Schiene  z.  B.  für  das  Bein  machen,  so  schneidet 
man  sich  aus  Rupfen  2  Streifen.  Der  eine  ist  von  etwa  1 — 2  Hano 
breit  grösserer  Länge  und  Breite  wie  die  gewünschte  Schiene.  Dei 
andere  Streifen  ist  etwas  kürzer  und  schmäler  wie  der  erstere,  aber 
immer  noch  länger  und  breiter  wie  die  Schiene. 

Nachdem  man  die  beiden  Rupfenstreifen  gründlich  in  Wasser 
durchweicht  hat,  legt  man  den  grösseren  auf  den  zu  schienenden 
Körperteil  und  reibt  ihn  mit  Gipsbrei  ein.  Dann  kommt  der  zweite 
Streifen  auf  den  ersten,  und  zwar  so,  dass  überall  der  grössere 
noch  hervorragt.  Man  streicht  nun  auch  den  zweiten  Streifen  mit 
Gips  ein.  und  häuft  den  Ginsbrei  besonders  dort  in  dem  Falz  an. 
wo  der  spätere  Rand  der  Schiene  sein  soll.  Klappt  man  nun  die 


22.  September  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Miinch.  med.  Wochenschrift. 


1987 


Ränder  der  Rupfenstreiien  seitwärts  und  oben  und  unten  um  so 
erhält  man  eine  Hohlrinne  mit  verdickten,  festen  Rändern, 
jie  nicht  aufblättern  können  und  keine  weitere  Verarbeitung  brauchen 

Legt  man  in  den  Falz 
nach  dem  Einstreichen 
mit  Gips  und  vor  dem 

Umklappen  noch  ein  dtin-  /  r  ll.Strelfen 

nes Bandeisen,  so  wird  die  /  - — 7  / 

Schiene  so  fest,  dass  man  /  .11  J.öine/fen 

;ie  kaum  abbrechen  kann. 

Fenster  in  der  Schiene 

Falz 


Falz 


assen  sich  durch  Aufschneiden  des  Rupfens  vor  dem  Hartwerden  des 
lipses  und  durch  Umklappen  der  Ränder  ohne  Schwierigkeit  an 
eder  beliebigen  Stelle  anbringen.  Für  die  Anfertigung  der  Hohl- 
äume  für  das  Bein  lässt  man  meist  den  Patienten  sich  auf  den 
^atich  legen.  Will  man  eine  Armschlinge  hersteilen,  so  ist  es  zweck- 
nassig,  die  Rupfenstreifen  vor  dem  Anlegen  an  das  Glied  mit  Gips- 
»rei  zu  imprägnieren,  die  Ränder  umzuschlagen  und  dann  das  Ganze 
nit  einer  Mullbinde  am  Arm  und  Schulter  anzuwickeln. 

Diese  aus  billigstem  Material  schnell  herzustellenden,  nicht 
edernden  Schienen  (ganzes  Bein  in  4—5  Minuten,  Materialwert 
0  Pf.)  fixieren  sehr  gut,  weil  sie  jeder  Stellung  und  Konfiguration 
es  verletzten  Körperteiles  genau  auf  weite  Flächen  hin  entsprechen 
msserdem  sind  sie  sehr  fest  infolge  des  Randwulstes  und  können  an 
en  Rändern  nicht  aufblättern. 


Sanitätsmerkblatt  für  das  Verhalten  im  Seegefecht*). 

Von  Marineoberstabsarzt  Dr.  M.  zur  Verth. 

(Beim  Ausbruch  eines  Krieges  an  die  Mannschaft  zu  verteilen.) 

I.  Vor  dem  Gefecht. 

1  Halte  deinen  Körper  und  deine  Kleider  rein  vor  dem  Gefecht! 
on  unreinen  Kleidern  und  unreiner  Haut  gehen  Wundkrankheitskeime 
1  Verletzungen  über.  Lasse  im  Kriege  jede,  auch  die  kleinste,  Ver- 
.tzung  oder  Wunde  vom  Arzte  behandeln! 

2.  Trinke  keine  alkoholischen  Getränke  vor  dem  Gefecht!  Sie 
lachen  deinen  Geist  unklar,  deine  Sinne  unscharf  und  deine  Hand 
nsicher. 

3.  Fülle  deinen  Magen  nicht  zu  sehr  vor  dem  Gefecht!  Du 
rbeitest  ruhiger  bei  nicht  überfülltem  Magen.  Bauchverletzungen 
erlaufen  leichter,  wenn  der  Darm  leer  ist. 

II.  Während  des  Gefechtes. 

1.  Deine  erste  Pflicht,  zugleich  das  sicherste  Mittel  zu  deiner 
igenen  Erhaltung  ist  die  Vernichtung  des  Gegners. 

2.  Kleine  Verletzungen  achte  nicht,  bedecke  sie  mit  dem  Inhalt 
eines  Verbandpäckchens,  wie  du  es  gelernt  hat,  ohne  die  Ver- 
tzung  oder  das  bedeckende  Mullstück  mit  den  Händen  zu  berühren. 

3.  Ist  einer  bei  einer  schweren  Verletzung  nicht  mehr  auf  seiner 
efechtsstelle  zu  verwenden,  aber  noch  in  der  Lage,  sich  fortzu- 
.wegen,  so  holt  er  die  Erlaubnis  seines  Vorgesetzten  ein  und  ver- 
iclit  nach  erhaltener  Erlaubnis  sich  auf  den  Hauptgefechtsverband- 
atz  zu  begeben.  Sind  die  Zugangswege  geschlossen,  so  wartet  er 
1  geschützter  Stelle  in  Feuerluv  bis  zur  Gefechtspause. 

4.  Ist  einer  bei  einer  schweren  Verletzung  nicht  mehr  imstande, 
ch  fortzubewegen,  so  hilf  ihm  bis  zu  dem  nächsten  geschützten 
uitz  möglichst  in  Feuerluv,  an  dem  er  die  Gefechtstätigkeit  nicht 
ört. 

5.  Die  Wunden  werden  erst  auf  dem  Hauptgefechtsverbandnlatz 
munden.  Während  des  Gefechtes  hat  keiner  Zeit  dazu.  Auch  ist 
r  sofortige  Verband  in  den  meisten  Fällen  nicht  unbedingt  von 
itzen.  Versuche  nicht.  Geschosse  oder  Fremdkörper  aus  der  Wunde 

1  entfernen! 

6-  Wenn  die  Wunde  sehr  stark  blutet,  besonders  wenn  hell- 
>tcs  Blut  stossweisc  im  Strahl  herausspritzt,  so  schnüre  das 
utende  Glied  mit  der  Gummibinde  so  fest  ab.  bis  die  Blutung  steht. 

1  die  Gummibinde  zu  Ende  und  die  Blutung  hört  noch  nicht  auf, 
lose  sie  nicht  wieder,  sondern  lege  eine  zweite  darüber. 

,  J-  Eist  du  verwundet,  so  bedenke,  dass  dein  Heil  im  Heile  deines 
nirfes  liegt  und  bleibe  gefasst.  Je  ruhiger  du  dich  verhältst,  desto 
emger  störst  du  deine  kämpfenden  Kameraden. 

Nach  dem  Gefecht  oder  in  der  Gefechtspause. 

1.  Hilf  deinen  schwer  verwundeten  Kameraden,  die  nicht  im- 
andc  sind  zu  gehen,  wenn  du  nicht  am  Geschütz  gebraucht  wärst. 

*)  Zweiter,  auf  Grund  von  Anregungen  des  Marineoberstabs- 
z‘es  Vr-  M  ö  h  I  m  a  n  n  verbesserter  Entwurf.  Der  erste  Entwurf 
-nt  jn  Kapitel  IX  des  „Handbuchs  der  Gesundheits- 

C|^  C  m  11  ^  °-r  ^  v  0  n  Kriegsschiffen“.  Das  Merkblatt  ist 
1  der  Marine  in  mehreren  Tausend  Exemplaren  verteilt  worden. 


Halte  dich  nicht  damit  auf,  Wunden  zu  verbinden.  Nur  wenn  die 
wunde  beim  Transport  unmittelbar  mit  unsauberen  Gegenständen 
Uieck,  dein  Arm)  in  Berührung  kommt,  verbinde  die  Wunde  vor 

dem  1  ransport  mit  dem  Gefechtsverbandpäckchen,  wie  du  es  gelernt 
hc\st. 

r.  .  -•  Mle  Verletzten  werden  mittels  Handtransport  über  die 
uieitbahnen  auf  den  vorgeschriebenen  und  bezeichneten  Wegen  zum 
Hauptgefechtsverbandplatz  gebracht.  Nur  bei  Brüchen  der  Wirbel¬ 
knochen,  der  Unter-  und  Oberschenkelknochen  und  bei  Verletzungen 
der  Baucheingeweide  benutze  die  Transporthängematte.  Sei  beim 
li unsport  so  behutsam,  als  wenn  du  selbst  der  Verletzte  wärst  und 
doppelt  vorsichtig  bei  Verletzungen  des  Unterleibes. 

ri  *  am  s  c  h  w  e  r  s  t  e  n  Verletzten,  bei  denen  du  wegen  einer 

Blutung  die  Gummibinde  umlegen  musstest,  transportiere  zuerst! 
Oieb  dem  den  Vorrang,  dessen  Leben  für  das  Schiff  am  wert¬ 
vollsten  ist! 

4.  Für  Tote  sorge  zuletzt.  Sie  kommen  nicht  auf  den  Gefechts- 
vei  bandplatz.  Sie  werden  an  einen  besonders  bestimmten  Platz 
gebracht. 

5.  Bist  du  selbst  leicht  verwundet,  so  gehe  auf  den  Reservc- 
gefechtsverbandplatz;  dort  wird  deine  Wunde  verbunden. 

6.  Bist  du  schwer  verwundet,  aber  imstande  zu  gehen,  so  begieb 
dich  auf  den  Hauptgefechtsverbandplatz!  Du  bekommst  dort  vom 
Arzt,  nachdem  deine  Wunden  verbunden  sind,  weitere  Befehle. 


Kochsalzlösungen  zur  subkutanen  und  intravenösen  An¬ 
wendung,  hergestellt  aus  gewöhnlichem  Brunnen-  oder 
Leitungswasser  und  Kochsalz. 

Von  Dr.  Friedrich  Hercher,  Oberarzt  der  chirurgischen 
und  gynäkologischen  Abteilung  des  St.  Vinzenzhospitals  in 

Ahlen  i.  Westf. 

Nach  grossen  Blutverlusten,  bei  Erlahmen  der  Herzkraft,  zur 
schnellen  Ernährung  von  Patienten,  die  durch  Verletzungen,  grosse 
Operationen  oder  lange  schwere  Krankheit  stark  geschwächt  sind, 
wird  man  gern  zu  subkutanen  oder  intravenösen  Kochsalzinfusionen 
greifen.  Selbstverständlich  benutzt  man  in  der  Friedenspraxis  im 
Krankenhaus  oder  wenn  irgend  möglich  indifferente  isotonische  Koch¬ 
salzlösungen,  hergestellt  aus  destilliertem  Wasser  und  chemisch 
reinem  Kochsalz  mit  oder  ohne  Zusatz  von  Digalen,  Pituitrin,  Natrium 
bicarbonicum,  Traubenzucker  etc.  Da  wohl  auch  im  Felde  Indika¬ 
tionen  zu  Kochsalzinfusionen  genug  gegeben  sein  werden,  steriles, 
frisch  destilliertes  Wasser  und  chemisch  reines  Kochsalz  aber  manch¬ 
mal  fehlen  dürfte,  so  teile  ich  folgende  Erfahrung  mit.  In  der  Aussen- 
praxis  war  ich  einmal  bei  einer  Frau,  die  infolge  geplatzter  Eileiter¬ 
schwangerschaft  fast  völlig  ausgeblutet  war,  ein  anderes  Mal  bei 
einem  Manne,  der  durch  immense  Darmblutungen  infolge  eines  Duo- 
denalulcus  fast  moribund  war.  gezwungen,  aus  gewöhnlichem  Wasser 
und  Küchensalz  eine  Kochsalzlösung  herzustellen.  Ich  setzte  zu  einem 
Liter  Wasser  2  kleine  J  heelöffel  fein  pulverisiertes  Küchensalz,  liess 
die  Lösung  Yi  Stunde  kochen,  filtrierte  sie  durch  sterile  Watte  und  in¬ 
fundierte  sie  intravenös.  Mit  dem  Erfolg  war  ich  sehr  zufrieden; 
die  Patienten  vertrugen  diese  Lösungen  ohne  schädigende  Neben¬ 
wirkung  und  blieben  am  Leben.  Trotzdem  mir  die  Arbeiten  von 
Wechselmann  und  Ehrlich  über  den  sogen.  „Wasserfehler“ 
bei  intravenösen  Salvarsaninjektionen  bekannt  waren,  habe  ich  dann 
auch  wiederholt  im  Krankenhause  ohne  Schaden  abgekochtes  gewöhn¬ 
liches  Leitungswasser  zu  subkutanen  und  intravenösen  Infusionen  be¬ 
nutzt.  Es  trat  wohl  hin  und  wieder  eine  leichte  Fieberreaktion,  zu¬ 
weilen  auch  ein  leichter  Schüttelfrost  auf,  aber  diese  Erscheinungen 
treten  ia  auch  vereinzelt  nach  Infusionen  mit  frisch  destilliertem  stc- 
rilem  Wasser  auf.  Der  Zweck  dieser  Zeilen  ist,  darauf  hinzuweisen, 
dass  man  in  Fällen  der  Not  erstens  ohne  Scheu  zu  Kochsalzlösungen, 
auch  den  intravenösen,  gewöhnliches  Brunnen-  oder  Leitungswasscr 
benutzen  darf,  das  '{•  Stunde  gekocht  hat  und  dann  filtriert  ist  zwei¬ 
tens  dass  man  in  genannten  Fällen  auch  ohne  Schaden  eine  nicht 
ganz  genau  isotonische  Lösung  benutzen  darf.  Letzteres  steht  auch 
im  Einklang  mit  der  Erfahrung,  dass  man  seit  langer  Zeit  bei  Hämop¬ 
toen  mit  bestem  Erfolg  bis  3  mal  am  Tage  intravenöse  Injektionen 
von  10-15  proz.  Kochsalzlösung  verwendet. 


Reservelazarette  und  vorhandene  Krankenbetten. 

Von  Dr.  St  eimann  in  Dortmund. 

IJer  Krieg,  der  auf  allen  Gebieten  wie  mit  einem  Zauberschlage 
aller  Orten  Hilfsquellen  über  Hilfsquellen  erweckt  hat,  hat  wohl  jede 
Ciemeinde  und  mag  sie  noch  so  klein  sein  —  mit  wirklich  gross- 
ziigiger  Selbstverständlichkeit  ihr  Bestes  an  Menschen  und  Mittein 
geben  lassen.  Und  auch  weiterhin  wird  man  freudig  zu  weiteren  und 
grösseren  Opfern  bereit  sein,  denn  die  eigentlichen  Opfer  werden 
noch  erst  folgen,  vorläufig  gibt  noch  der  Ueberfluss. 

In  der  ersten  Freude  des  Gebens  und  Helfenwollens  ist  da  sicher¬ 
lich  auf  manchen  Gebieten  ein  Zuviel  geschehen,  das  um  dessentwillen 
zu  bedauern  ist,  weil  die  hier  aufgewandten  Mittel  zu  anderen  Zwek- 
ken  besser  verwandt  werden  konnten  oder  zum  Glück  noch  können. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  38. 


1 9iSS 

Wohin  man  hört  und  sieht,  kaum  eine  grössere  Gemeinde  hat 
oder  will  es  sich  nehmen  lassen  in  Schulen,  Sälen,  Turnhallen  Re¬ 
servelazarette  einzurichten.  Soviel  man  aus  einem  Vergleich  der 
Zeitungsnotizen  aus  verschiedenen  Orten  entnehmen  kann,  ist  das 
Verhältnis  etwa  so,  dass  Städte  —  es  sollen  hier  vorerst  nur  alle 
Stadtgemeinden  über  10  000  Einwohner  berücksichtigt  werden 
von  10—20  000  Einwohner  im  Durchschnitt  zur  Herrichtung  von 
100  Reservebetten  bereit  sind,  bzw.  diese  bereits  zur  Verfügung  ge¬ 
stellt  haben.  Rechnet  man  nun  für  je  10  000  Seelen  100  weitere 
Betten,  so  wird  sich  hier  zwar  zunächst  für  die  Städte  über  20000 
Einwohner  im  allgemeinen  ein  Zuviel  ergeben,  das  jedoch  für  das  End¬ 
resultat  nicht  allzu  erheblich  ins  Gewicht  fällt,  da  einmal  die  Anzahl 
der  Städte  mit  höherer  Einwohnerzahl  schnell  fällt  —  nach  der  Volks¬ 
zählung  vom  1.  XII.  1910  gibt  es  305  Städte  mit  10—20  Tausend  Ein¬ 
wohner,  98  mit  20—30  Tausend,  51  mit  30—40  Tausend,  18  mit 
40—50  Tausend  usf.  — ,  auf  der  anderen  Seite  für  die  wirkliche  Zahl 
der  vorhandenen  Reservebetten  alle  von  kleineren  Gemeinden  und 
auf  Land-  und  Schlossgütern  zur  Verfügung  gestellten  Betten  nicht 
mit  erfasst  sind.  Die  so  gefundene  Zahl  ergibt,  dass  in  deutschen 
Städten  an  neu  hergerichteten  Reservebetten  231  500  zur  Verfügung 
stehen  würden.  Annähernd  wird  diese  Zahl  den  tatsächlichen  Ver¬ 
hältnissen  entsprechen,  sie  soll  aber  weiterhin  mit  lediglich  200  000 
in  Anrechnung  kommen. 

Nun  sind  nach  dem  letzten  vorliegenden  Ausweis  aus  dem  Jahre 
1910  in  öffentlichen,  privaten  (soweit  sie  über  10  Betten  haben)  und 
Universitätsinstituten  (nicht  eingerechnet  sind  Irren-  und  Entbindungs¬ 
anstalten)  in  Deutschland  263  814  Betten  vorhanden.  Mit  dem  Zugang 
der  letzten  4  Jahre  —  der  durchschnittliche  Jahreszugang  der  letzten 
9  Jahre  hat  8097  betragen  —  sind  dies  rund  300  000  Betten,  von 
denen  zurzeit  —  gering  gerechnet  —  der  dritte  Teil  für  Zwecke  der 
Verwundetenpflege  bereitgehalten  wird. 

Weiter  stehen  die  ganzen  Betten  der  noch  nicht  einberechneten 
Militärlazarette  und  alle  im  Felde  vorhandenen  Betten  zur  Ver¬ 
fügung,  die  schätzungsweise  noch  einmal  mit  100  000  anzusetzen  sind, 
so  dass  sich  eine  Gesamtzahl  von  ca.  400  000  Betten  ergeben  würde. 

Wieviel  Betten  werden  nun  tatsächlich  demgegenüber  im  voraus¬ 
sichtlich  ungünstigstem  Falle  gebraucht  werden? 

Die  Etatsstärke  des  deutschen  Heeres  und  der  Flotte  beträgt 
nach  dem  Entwurf  des  Reichsbaushaltsetats  für  das  Rechnungsjahr 
1914:  880  003  Mann.  Unsere  Kriegsstärke  lässt  sich  naturgemäss  nur 
schätzungsweise  angeben,  es  dürften  aber  eben  6  Millionen  Mann 
bei  den  Fahnen  sein.  Sieht  man  nun  die  Statistik  des  Krieges  1870/71, 
sowie  die  des  Russisch-Japanischen  Krieges  1904/05  durch,  so  findet 
man,  dass  über  50  Proz.  der  Gesamtkopfstärke  allein  wegen  Krank¬ 
heit  behandelt  wurden.  Zeiten  und  Land  garantieren  diesmal  eine 
soviel  bessere  hygienische  Sicherung  des  Heeres,  dass  mit  dermassen 
exorbitanten  Zahlen  kaum  zu  rechnen  sein  wird.  25  Proz.  für  je 
4  Wochen  bettlägerig  Kranke  (nicht  Verwundete!)  dürften  bereits 
reichlich  hoch  gegriffen  sein.  Naturgemäss  muss  die  Zahl  der  Er¬ 
krankungen  auf  die  Gesamtdauer  des  Feldzuges  annähernd  gleich- 
mässig  verteilt  werden.  Bei  einer  mutmasslichen  Dauer  des  Feld¬ 
zuges  von  6  Monaten  würde  durch  Erkrankte  ein  Bedarf  von  200  000 
Betten  bedingt  werden.  Von  dem  6  Millionenheer  werden  schätzungs¬ 
weise  3  Millionen  wirklich  ins  Feuer  kommen  und  Verwundungen 
ausgesetzt  sein.  Der  nach  dem  Durchschnitt  der  letzten  grossen 
Kriege  sich  ergebende  Prozentsatz  an  Verwundeten  beträgt 
ca.  20  Proz.  Das  sind  600  000  Mann.  Die  Heilungsdauer  einer  Ver¬ 
wundung  soll  im  Durchschnitt  mit  6  Wochen  angesetzt  werden,  so 
dass  wieder  unter  Voraussetzung  einer  Feldzugsdauer  von  26  Wochen 
weitere  125  000  Betten  für  Verwundete  zur  Verfügung  stehen  müssten. 
Insgesamt  würde  sich  also  ein  Zuviel  von  ca.  100  000  Betten  ergeben. 
Dementsprechend  ist  hier  in  unserer  grossen,  mit  reichen  Hilfsmitteln 
versehenen  Stadt  auch  bereits  die  Einrichtung  einer  grossen  Schule 
als  Reservelazarett  abgelehnt  worden,  kleinere  Gemeinden,  noch  dazu 
weiter  im  Binnenlande,  werden  daher  gut  tun,  einstweilen  von  Ein¬ 
richtung  von  Reservelazaretten,  zumal  wenn  sie  ein  Krankenhaus  be¬ 
sitzen,  ganz  abzusehen.  Sie  können  sich  damit  zumindest  die  Ent¬ 
täuschung  ersparen,  die  man  empfindet,  wenn  man  für  Gäste  alles 
aufs  Beste  eingerichtet  hat,  die  aber  ausbleiben. 


Ueber  einige  chirurgische  Erfahrungen  aus  dem 
II.  Balkankriege. 

Von  Prof.  Dr.  R.  Klapp  in  Berlin. 

(Schluss.) 

Ich  komme  dann  zu  einer  kurzen  Besprechung  der  Qe- 
fässverletzungen.  Wir  haben  16  Aneurysmen  be¬ 
obachtet.  In  der  Einteilung  der  Aneurysmen  nach  Suh¬ 
lt  o  t  i  t  c  h  -  Belgrad,  die  mir  am  einfachsten  und  zweck- 
massigsten  erscheint,  gruppieren  sich  diese  16  Aneurysmen 
wie  folgt: 

An.  a  r  t.  circumscr. :  5  (Brachialis,  Iliaca  ext.,  Femoralis, 
Poplitea  2). 

An.  a  r  t.  diffusum:  6  (Femoralis  2,  Poplitea  2,  Inteross. 
antibr.,  Tibial.  post.). 

An  a  r  t.  -  v  e  n.  directum:  1  (Femoralis). 


An  art.-ven.  in  dir  ec  tum:  3  (Carotis  comm..  Femoralis, 
Profunda  fern.). 

V  a  r  i  x  aneurysmaticus:  V.  j  u  g  u  1.  int. 

~~  Zur  Behandlung  der  Aneurysmen  kommt  in  Betracht  die 
Ligatur  mit  Exstirpation  des  Aneurysma,  die  Ligatur  am 
Orte  der  Wahl,  die  Naht  und  schliesslich  die  Aneurysmo- 
rhaphie  nach  M  a  1 1  a  s.  Um  mit  der  letzteren  zu  beginnen, 
so  habe  ich  einmal  einen  Versuch  mit  der  Aneurysmorhaphie 
gemacht.  M  a  1 1  a  s  empfiehlt  sie  sehr,  und  die  amerikanischen 
Chirurgen  haben  gewiss  recht,  wenn  sie  die  Mattassehe 
Operation  häufiger  ausführen.  Ich  glaube,  der  von  mir 
operierte  Patient  war  ein  etwas  untauglicher  Fall.  Es  handelt 
sich  um  ein  aus  dem  Winterfeldzuge  stammendes  Aneurysma 
der  A.  brachialis.  Ich  habe  den  Aneurysmasack  zum  Teil 
abgetragen,  so  dass  sich  aus  dem  überstehenden  Rest  noch 
eine  gute  Wand  bilden  liess.  Sobald  ich  die  Höpfnerklemme  los- 
liess,  ging  der  Blutstrom  gut  durch  die  aneurysmorrhaphierte 
Stelle  durch.  Nur  in  einem  kleinen  Teile  des  Sackes,  der 
übrig  geblieben  war,  fing  sich  der  Blutstrom.  Da  ich  nicht 
sehen  konnte,  woran  das  lag,  habe  ich  aus  Sicherheitsgründen 
die  Resektion  angeschlossen  und  unterbunden.  Aber  ich 
möchte  glauben,  dass  die  Aneurysmorrhaphie  in  Zukunft  eine 
gewisse  Rolle  spielen  wird. 

Die  wichtige  Frage,  ob  man  ein  Aneurysma  exstirpieren 
und  unterbinden  oder  ob  man  es  nähen  soll,  ist  kürzlich  wieder 
abhängig  gemacht  worden  von  dem  sogen.  Kollateral- 
Zeichen.  Vor  allen  Dingen  hat  Coenen  neuerdings  auf 
das  Kollateralzeichen  wieder  aufmerksam  gemacht,  nachdem 
es  schon  früher  von  Lexer,  He  nie  und  auch  von  älteren 
Chirurgen  gebraucht  worden  war.  Unter  dem  Kollateral¬ 
zeichen  versteht  man,  kurz  gesagt,  folgendes  (Demonstration 
an  der  Tafel):  Wenn  man  oberhalb  und  unterhalb  des  Aneu¬ 
rysmas  unterbindet,  weiter  peripher  eine  Klemme  anlegt, 
zwischen  peripherer  Ligatur  und  Klemme  durchschneidet,  nun 
die  Klemme  einen  Moment  lüftet  und  es  dann  aus  dem  peri¬ 
pheren  Stamme  heraus  hellrot  blutet,  so  is  das  Kollateral¬ 
zeichen  nach  Coenen  u.  a.  positiv,  und  man  kann  ruhig  das 
Aneurysma  unterbinden  ohne  Gefahr  zu  laufen,  dass  das  Glied 
brandig  wird  oder  dass  Ernährungsstörungen  Vorkommen. 
Nun  fragt  es  sich:  ist  das  Zeichen  richtig?  Ich  möchte  da 
zunächst  auf  eine  Aeusserung  v.  Frisch’  eingehen,  der 
kürzlich  noch  ein  anderes  Zeichen  hinzugefügt  hat;  es  lassen 
s;ch  dann  beide  Zeichen  besser  zusammen  besprechen.  Er 
sagt:  erstens  sieht  man  bei  Operationen,  dass  es  aus_  dem 
peripheren  Ende  einer  durchschnittenen  Arterie  blutet.  Zwei¬ 
tens  beweist  nach  v.  Frisch  eine  mässige  arterielle  Blutung 
nicht,  dass  das  auf  kollateralem  Wege  einmündende  Blut  auch 
bis  in  die  Peripherie  der  Extremität  vordringt;  denn  tatsäch¬ 
lich  fand  er  vor  den  Operationen  keinen  Puls  an  den  peri¬ 
pheren  Arterien.  Er  legt  grosses  Gewicht  auf  eine  sicht¬ 
bare  Blutstauung  distal  der  abgeklemmten 
Hauptvene  und  glaubt,  dass  aus  dem  Kapillarbezirk  der 
Extremität  Blut  nachströmt,  dass  also  das  auf  kollateralem 
Wege  e  i  n  strömende  Blut  bis  in  die  Endverzweigungen  des 
Gefässes  vordringt,  und  „es  bedürfe  wohl  keiner  weiteren  Er¬ 
örterung,  dass  der  Nachweis  eines  venösen  Rückflusses  ein 
wesentlich  sichereres  Zeichen  für  die  periphere  Durchblutung 
darstelle,  als  die  arterielle  Blutung“. 

Das  soll  ein  zweites  Zeichen  für  genügende  Blutversor¬ 
gung  sein.  Dieses  zweite  Zeichen  von  v.  Frisch  ist,  glaube 
ich,  nicht  richtig.  Wir  sehen  eine  venöse  Rückstauung  doch 
sogar  bei  vollständigem  Fehlen  jeder  Zirkulation.  Z.  B.  ist 
es  von  der  E  s  m  a  r  c  h  sehen  Blutleere  bekannt,  dass  die  Ge¬ 
webe  das  noch  im  Gliede  vorhandene  Blut  in  die  grösseren 
Venenstämme  auspressen.  Dann  weise  ich  auf  folgendes  hin: 
wenn  Glieder  bis  auf  eine  schmale  Brücke  abgetrennt  sind, 
dann  leiden  sie  unter  einer  ungeheuren  Blutstauung,  so  dass 
sich  N  o  e  s  s  k  e  schon  genötigt  gesehen  hat,  Inzisionen  in  das 
Glied  hinein  zu  machen,  damit  es  sein  venöses  Blut  los  wird. 
Ich  kann  also  v.  Frisch,  was  dieses  venöse  Zeichen  anbe¬ 
trifft,  gar  nicht  beistimmen. 

Nun  fragt  es  sich:  wie  ist  es  mit  dem  arteriellen  Kollateral¬ 
zeichen?  Stimmt  das  für  alle  Fälle?  Nun,  ich  glaube,  dass 
v.  Frisch  insofern  recht  hat,  als  es  kein  Beweis  ist,  das> 
der  ganze  Gefässbaum  auch  wirklich  kräftig  durchblutet  wird. 
Wenn  man  bei  einem  gesunden  Hunde  die  Arteria  femoralis 


22.  September  1014. 


1  c  ldärztliche  Beilage  zur  Miinch.  med.  Wochenschi ift. 


reilegt  und  das  KoIIateralzeichen  einmal  prüft,  also  an  einer 
, stelle  unterbindet,  unterhalb  eine  Klemme  anlegt,  zwischen 
, i.ecd tut  und  Klemme  durchschneidet  und  daun  die  Klemme 
littet,  so  sieht  man,  dass  es  aus  dem  arteriellen  Kohr  u  n  t  e  r 
Milsation  hellrot  blutet.  Die  Pulsation  hat 
_,oenen  aber  nicht  verlangt.  Ich  würde  ohne 
veite res  zustimmen,  wenn  das  KoIIateralzeichen  so  ver¬ 
landen  würde,  dass  es  unter  Pulsation  hellrot 
'luten  muss.  Das  würde  eine  richtige  Triebkraft  der 
vollatcralen  voraussetzen.  Ich  glaube,  dass  sich  auch  fol- 
.endes  noch  gegen  dieses  KoIIateralzeichen  einwenden  lässt. 
•\  ir  haben  öfters  gesehen,  dass  bei  Wandverletzungen  der 
ietasse  und  Aneurysmenbildung  ein  Teil  des  Blutes  das 
uieuijsma  passiert  und  durch  dieses  hindurch  nach  unten  in 
!ie  peripheren  Gefässe  hinein  geht.  Das  haben  wir  nicht 
ur  bei  den  arteriellen  Aneurysmen,  sondern  auch  bei  arteriell- 
enösen  Aneurysmen  gesehen.  Ich  verweise  da  z.  B.  auf  die 
irbeit  \  on  Ney  ),  der  für  die  arteriell-venösen  Aneurysmen 
achgewiesen  hat,  dass  da  gewöhnlich  drei  Blutströme  zu- 
tande  kommen  (Demonstration  an  der  Tafel).  Von  der 
,rtciic  biegt  der  Hauptblutstrom  gleich  in  die  Vene  um.  Er 

■  ird  in  die  Vene  angesaugt,  so  dass  die  Vene  gewöhnlich 
usscroi  deutlich  dick  ist.  Dann  geht  ein  zweiter  Blutstrom 
i  den  peripheren  Venenteil. 

Man  hat  also  bei  vielen  Aneurysmen  noch  damit  zu 
sehnen,  dass  der  periphere  Arterienteil  durch 
as  Aneurysma  hindurch  gespeist  wird.  Unter- 
indet  man,  legt  die  Klemme  an  und  prüft  das  Kollateral- 
eichen,  so  kommt  beim  Lüften  der  Klemme  das  Blut  hellrot 
gratis.  Dai  aus  schliesst  man,  dass  das  KoIIateralzeichen 
ositiv  ist,  unterbindet  und  schneidet  damit  eine,  eventuell 
ich  eine  für  die  Ernährung  vielleicht  wichtige  Blutquelle, 
Imlich  die  Passage  durch  das  Aneurysma  ab. 

Also  sind  eine  Anzahl  von  Gründen,  die  gegen  dieses 
ollateralzeichen  sprechen.  Aber  auch  meinetwegen  ange- 
sinmen,  es  handle  sich  hier  wirklich  um  ein  wichtiges 
eichen,  man  soll  ruhig  unterbinden  können,  wenn  dies  Kol- 
teralzeichen  positiv  ist,  so  fragt  es  sich  doch:  ist  die  Ligatur 
ich  die  ^  beste  Behandlungsmethode  für  die  Aneurysmen 
irchweg?  Das  glaube  ich  doch  nicht.  Wenn  wir  das  Kol- 
teralzeichen  prüfen,  so  tun  wir  das  nur  am  ruhenden 
liede;  wir  prüfen  nur  anatomisch  —  wollen  wir  einmal 
gen  — ,  wir  wissen  aber  doch  genau,  dass  ein  funk- 
onierendes  Glied  sehr  viel  mehr  Blut  ge¬ 
bucht  als  ein  ruhendes.  So  habe  ich  mich  denn 
ich  gar  nicht  gewundert,  dass  ich  in  dem  vorigen  Kriege  in 
n  früheren  Kriegen  unterbundene  Aneurysmen  zum  Teil 

einem  wenig  guten  Zustande  gesehen  habe.  Die  Leute 
itten  Atrophien,  Parästhesien,  Anämie  und  wenn  sie 
0  Schritte  gegangen  waren,  so  bekamen  sie  ziemlich  er¬ 
bliche  Muskelkrämpfe.  Dann  haben  sie  nachher  ihr  Glied 
inalie  verwünscht.  Ich  glaube,  dass  wir  uns  jedenfalls  vor- 
hen  müssen,  ein  derartiges  Zeichen  einfach  ohne  jede 
eitere  Diskussion  in  das  Bewusstsein  der  Chirurgen  iiber- 
hen  zu  lassen.  Ich  meine,  dass  sich  vorher  noch  eine  ganz 
'liebliche  Kritik  mit  einem  solchen  Zeichen  beschäftigen 
iss;  denn  wenn  wir  jetzt  vor  einem  Kriege  ständen,  würden 
r  doch  ohne  weiteres  alle  nach  diesem  KoIIateralzeichen 
'gehen  und  würden  unterbinden.  Damit  würde  aber  jeden- 
’  ls  einer  ganzen  Reihe  von  Patienten  ein  gewisser  Schaden 
'  rursacht. 

Für  eine  gewisse  Anzahl  von  Fällen  kommt  doch  wohl 
;oh  die  Gcfässnaht  resp.  die  Aneurysmorrhaphie  in  Betracht, 
eiche  Fälle  kommen  da  in  Frage?  Von  vornherein  scheiden 
s  viele  diffuse  Aneurysmen.  Die  diffusen  Aneurysmen,  wie 
'  Hämatome  müssen  frühzeitig  in  Angriff  genommen  werden, 
mit  man  keine  von  den  bedrohlichen  Nachblutungen  be- 
mmt,  an  denen  man  sonst  die  Patienten  verliert.  Auch  hier 

■  d  Wandverletzungen,  wie  ich  gesehen  habe,  häufig  gut  mit 
-r  Naht  zu  behandeln.  Es  kommen  aber  mehr  die  zirkum- 
-  ipten  Aneurysmen  in  Betracht.  Die  aber  können  ruhig 
mten;  sie  können  sogar  in  die  Friedenszeit  übergehen,  sie 
'men  irgendwelchen  Chirurgen  zugeführt  werden,  die  die 


*)  E.  Ney:  Lieber  die  Bedeutung  der  Venen  bei  arteriell-venösen 
-urysmen.  Arcli.  f.  klin.  Chir.  lüü.  1913.  S.  531. 


1989 


Gcfässnaht  beherrschen,  und  sie  können  in  Verhältnisse  ge¬ 
bracht  werden,  wo  die  Gcfässnaht  ausgeführt  werden  kann. 

Von  der  Gefährlichkeit  der  Kriegsaneurysmen,  vor  allen 
Dingen  was  die  diffusen  Aneurysmen  angeht,  gibt  die  eine 
kleine  Niederschrift,  die  ich  mir  damals  gleich  in  meinem 
lagebuch  von  den  diffusen  Aneurysmen  und  den  grossen 
Hämatomen  gemacht  habe,  gerade  unter  dem  Eindruck  eines 
grossen  Hämatoms,  das  zu  mehrfachen  Nachblutungen  Ver¬ 
anlassung  gegeben  hatte,  ein  Bild.  Da  man  diese  Art  von 
Hamatomen  in  der  Friedenschirurgie  nicht  sieht,  möchte  ich 
kurz  voi lesen,  was  ich  damals  aufgeschrieben  habe: 

Das  Hämatom  wühlt  sich  in  der  Nachbarschaft  der  Ge¬ 
lasse,  rücksichtslos  in  die  Trümmerhöhle  der  Muskulatur  vor¬ 
dringend,  den  Knochen  oft  auf  lange  Strecken  freilegend,  ein 
nesiges  Bett.  Die  Weichteile  und  ihre  Gefässe  werden  zwi¬ 
schen  Haut  auf  der  einen  und  Hämatom  auf  der  anderen  Seite 
einem  grossen  Druck  ausgesetzt.  Wenn  man  unter  Blutleere 
das  Hämatom  ausräumt,  die  mehr  oder  weniger  derbe  Kapsel 
entfernt  und  die  Blutleere  abnimmt,  so  erwartet  man  nach 
den  Erfahrungen  der  Friedenschirurgie  eine  erhebliche  Blu¬ 
tung  aus  den  Wänden  der  grossen  Weichteilwunde.  Hier  ist 
man  erstaunt,  eine  diffuse  Blutung  aus  den  Wänden  der 
rrümmerhöhle  nicht  zu  finden.  Die  ganze  Weichteilwunde 
blutet  nicht,  da  alle  Gefässe  komprimiert,  zurückgezogen  und 
thrombosiert  sind.  Die  umgebenden  Gewebe  der  Bluthöhle 
sind  ausserordentlich  matschig  und  mürbe.  Auf  die  momen¬ 
tane  Blutstillung  ist  kein  Verlass.  Nach  und  nach,  oft  erst 
nach  Tagen,  stellt  sich  die  Zirkulation  wieder  her,  und  plötz¬ 
lich  gibt  es  eine  gewaltige  Nachblutung,  an  der  die  schon  ge¬ 
schwächten  Patienten  leicht  zugrunde  gehen. 

Derartige  Fälle  haben  wir  verschiedentlich  gesehen,  und 
ich  glaube,  wir  haben  sie  vielfach  gesehen,  weil  ich  in  einem 
Vortrag  in  Belgrad  mein  Interesse  gerade  für  diese  Aneurys¬ 
men  gezeigt  hatte  und  sie  uns  infolgedessen  von  allen  Seiten 
zugeführt  wurden. 

Wenn  ich  Ihnen  nun  kurz  die  Aneurysmen  schildern  will, 
so  kann  ich  im  Rahmen  dieses  Vortrags  natürlich  nicht  auf 
jeden  einzelnen  Fall  eingehen;  ich  möchte  aber  einzelne  ganz 
besonders  interessante  Fälle,  vor  allen  Dingen  auch  die  Todes¬ 
fälle  nach  der  Naht  hier  genauer  erwähnen.  In  einem  Falle 
handelte  es  sich  um  einen  Varix  aneurysmatieus  der  V.  jugu- 
laris  interna.  Ich  hatte  bis  dahin  niemals  einen  derartigen 
Varix  aneurysmatieus  gesehen,  und  ich  glaube,  die  Mehrzahl 
von  Ihnen  auch  nicht.  Der  Fall  lag  etwa  folgendermassen: 

Der  Einschuss  befand  sich  an  der  vorderen  Haargrenze  der  linken 
Nackengegend  nahe  dem  Ohrläppchen.  Der  Schuss  war  von  da  aus 
durch  den  einen  Mundwinkel  herausgegangen,  wobei  er  eine  Anzahl 
von  Zahnen  herausgeschlagen  hatte.  Es  bildete  sich  nun  hinter  dem 
Kieferwinkel  ein  äusserst  schmerzhaftes  Hämatom,  das  pulsierte, 
allerdings  kein  Schwirren  aufwies.  Wir  nahmen  an,  dass  es  sich  um 
ein  Aneurysma  eines  der  Karotidenäste  handelte.  Als  der  Mann  Blu¬ 
tungen  in  die  Mundhöhle  bekam,  legte  ich  erst  die  Carotis  communis 
dann  die  beiden  Aeste  frei,  fand  hier  aber  keine  Verletzung.  Als 
ich  min  auf  das  Hämatom  losging,  stürzte  mir  eine  dunkel  venöse 
Blutinenge  entgegen,  aus  der  es  unaufhaltsam  blutete,  und  zwar  lag 
die  Quelle  der  Blutung  hoch  oben  an  der  Schädelbasis.  Wie  es  bei 
den  Aneurysmenopcrationen  meistens  geht,  so  ging  es  mir  auch  hier: 
man  fährt  meist  mit  dem  tamponierenden  Finger  in  das  Loch  des  Ge¬ 
fäßes  hinein.  Hoch  oben  an  der  Schädelbasis  fand  ich  das  Loch 
in  der  V.  jugularis  int.  und  konnte  es  mit  dem  Finger  verstopfen  An 
Uinstechen  war  gar  nicht  zu  denken.  Ich  habe  eine  Klemme  in  die 
Höhe  geschoben,  die  Vene  gefasst  und  diese  5  Tage  liegen  lassen 
Der  Patient  ist  geheilt. 

Von  Aneurysmen  der  Halsgegend  habe  ich  noch  ein 
Aneurysma  der  Carotis  communis,  behandelt.  Ich  schildere 
diesen  Fall  ebenfalls  einigermassen  genau,  weil  Aneurysmen 
an  der  Carotis  communis  doch  immerhin  sehr  selten  sind  und 
mit  Glück,  glaube  ich,  kaum  einmal  genäht  sind. 

Es  handelte  sich  da  um  einen  Patienten,  bei  dem  der  Einschuss 
nahe  neben  dem  Kehlkopf,  der  Ausschuss  neben  dem  zweiten  Brust¬ 
wirbel  lag.  Er  kam  zu  uns  mit  einem  grossen  Aneurysma  der  Carotis 
communis,  das  ich  dann  mit  einem  muskuloplastischen  Lappen  unter 
lokaler  Anästhesie  freigelegt  habe.  Ich  will  hinzufügen,  dass  ich 
sämtliche  Aneurysmen  unter  lokaler  Anästhesie  oder  unter  Rücken¬ 
marksanästhesie  operiert  habe.  Diese  Verfahren  bieten  eine  grosse 
Erleichterung.  Ich  wüsste  nicht,  wie  ich  unter  Narkose  dieses  riesige 
Halsaneurysma  hätte  operieren  sollen.  Allerdings  war  der  Patient 
durch  das  Leiden  vollständig  stillgestellt.  Er  wurde  durch  das 
Sausen  und  Brausen  in  seinem  Kopfe  so  ungeheuer  verstört,  dass 


1990 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  38. 


u  wie  ein  verschüchtertes  !  ier  dalag,  ohne  überhaupt  eine  Bewegung 
zu  machen.  Ich  habe  die  Carotis  communis  unterhalb,  die  beiden 
Aeste  oberhalb  freigelegt  und,  weil  wir  nicht  genügend  Klemmen 
hatten,  mit  losen  Fäden  gesichert.  Dann  ging  ich  auf  das  Aneurysma 
los  und  fand  da  eine  Verletzung,  die  in  der  vorderen  Wand  lag.  Die 
Jugularis  war  ganz  durchschossen.  In  der  vorderen  Wand  der 
Arterie  war  ein  bohnengrosses  Loch.  Diese  Wandverletzungen  ziehen 
sich,  der  Längsrichtung  der  üefässe  entsprechend  lang,  so  dass  alle 
Lochschüsse  eine  ovale  Gestalt  haben.  In  der  Friedenschirurgie  kennt 
man  solche  Wandverletzungen  der  Arterien  mit  Defekt  weniger  als 
schlitzförmige  Wunden.  Fs  macht  grosse  Schwierigkeiten,  solche 
Wanddefekte  in  der  Längsrichtung  zu  nähen,  was  natürlich  geschehen 
muss.  Dieses  Zufiicken  der  Löcher  ist  m.  E.  schwerer  als  die  zirku¬ 
läre  Naht.  Aber  die  zirkuläre  Naht  war  wegen  des  kurzen  Stammes 
unmöglich.  Nun  musste  man  also  einmal  dieses  Loch  sehr  schön  frei¬ 
präparieren,  die  Adventitiafetzen  abschneiden,  und  dann  ging  die 
Näherei  los.  Gerade  an  einem  so  kurzen  Stück  ist  das  ganz  ausser¬ 
ordentlich  schwer.  Ich  habe  mit  lauter  Längsnähten  genäht,  nur  zum 
Schluss  musste  ich  eine  Quernaht  machen.  Nach  der  Operation 
ging  es  dem  Patienten  sehr  gut.  Wir  fühlten  sofort  den  Puls  an  der 
Ternporalis,  er  ist  auch  weiter  sehr  gut  geblieben.  Der  Mann  ist  ge¬ 
heilt. 

Im  ganzen  habe  ich  in  7  Fällen  von  Aneurysmen  genäht. 
Darunter  hatten  wir  2  Todesfälle.  Ueber  diese  möchte  ich 
Ihnen  gleich  berichten. 

In  einem  Falle  handelte  es  sich  um  einen  stark  ausgebluteten 
Mann  mit  einem  Aneurysma  der  Arteria  femoralis.  Er  kam  in  sehr 
schwerkrankem  Zustande  zu  uns  und  konnte,  da  er  halb  benommen 
war,  keine  genauen  Angaben  über  die  Art  seiner  Verletzung  machen. 
Von  ihm  und  seinen  Kameraden  wurde  folgendes  berichtet:  Er  war 
am  9.  VII.  13  bei  Kisselitza  durch  13  Schrapnellkugeln  verletzt  und 
hatte  sehr  viel  Blut  verloren,  da  seine  stark  blutende  Wunde  erst 
nach  3  Tagen  verbunden  wurde.  Bewusstlos  ist  er  bis  dahin  nicht 
gewesen.  Während  des  weitern  Transportes  soll  eine  starke  Blutung 
erfolgt  sein,  durch  die  er  für  längere  Zeit  bewusslos  wurde.  Am 
17.  VII.  bei  der  Aufnahme  macht  er  einen  schwerkranken,  müden, 
anämischen  Eindruck.  Er  fühlte  sich  benommen  im  Kopf,  klagte  über 
Schmerzen  in  der  Brust.  Puls  120,  Temperatur  39,5°.  Ueber  der 
rechten  Brustseite  bestand  Dämpfung,  verschärftes  Atmen,  verein¬ 
zeltes  Rasseln.  Bei  der  Abnahme  des  fest  einschnürenden  Verbandes 
im  oberen  Überschenkeldrittel  zeigte  sich  eine  starke  Schniirstelle 
und  inmitten  dieser  der  Einschuss.  Die  Zehen  waren  kalt  und  blau. 
Wir  haben  dann  dieses  fortwährend  wässrig-blutig  sickernde  Aneu¬ 
rysma  freigelegt,  reseziert  und  zirkulär  genäht,  was  ohne  weiteres 
sehr  gut  ging.  Die  Diastase  war  ziemlich  gross.  Aneurysma  und 
Naht  lagen  knapp  vor  dem  Abgänge  der  Profunda  femoris.  Es  er¬ 
folgte  dann  2  Tage  später  der  Exitus.  Bei  der  Sektion  fand  sich 
eine  Hepatisation  des  rechten  Ober-  und  Unterlappens,  Anschoppung 
im  rechten  Mittellappen,  Anämie  aller  inneren  Organe,  fettige  De¬ 
generation  der  Nieren.  Die  Gefässnaht  war  fest,  das  Gefäss  absolut 
durchgängig.  Von  der  Naht  ab  hat  es  auch  nicht  einen  Tropfen  ge¬ 
blutet.  M.  H.,  diesen  Fall  kann  man  nicht  der  Gefässnaht  in  die 
Schuhe  schieben.  Der  Mann  musste  trotz  des  schwerkranken  Zu¬ 
standes  operiert  werden,  weil  sein  Aneurysma  permanent  blutete. 
Ich  glaube  nicht,  dass  man  hier  mit  der  Unterbindung  mehr  erreicht 
hätte. 

Bei  dem  zweiten  Falle  von  Gefässnaht,  den  wir  auch  verloren 
haben,  handelte  es  sich  um  ein  Aneurysma  art.  diffusum  der  Arteria 
poplitea.  Als  wir  das  Aneurysma  freigelegt  hatten,  haben  wir  es  ge¬ 
näht,  was  auf  keine  Schwierigkeit  stiess.  Es  handelte  sich  um  eine 
Wandverletzung.  Als  wir  nun  die  Wunde  weiter  von  dem  Hämatom 
säubern  wollten,  brach  aus  der  Wade  unter  dem  Soleus  heraus,  wo¬ 
hin  ein  zweiter  Schrapnellschuss  gegangen  war,  eine  Eiterung  in  die 
Kniekehle  durch  —  natürlich  ein  sehr  unangenehmes  Vorkommnis. 
Das  ist  eine  Komplikation,  wie  man  sie  sich  schlimmer  gar  nicht  den¬ 
ken  kann.  Ich  hatte  den  Mann  unter  Rückenmarksanästhesie  operiert 
und  fragte  ihn,  ob  er  sich  das  Bein  abnehmen  lassen  wollte.  Dies 
verweigerte  er,  wie  das  meistens  geschah  (Die  Amputationsver¬ 
weigerung  war  geradezu  eine  grosse  Plage.  Wir  hätten  mehr  Leute 
dprchbringen  können,  wenn  sie  sich  rechtzeitig  zur  Amputation  ent¬ 
schlossen  hätten.  Diese  wurde  meist  verweigert  mit  der  Erklärung, 
sie  wären  Landleute  und  könnten  mit  einem  Bein  zu  Hause  nichts 
anfangen.  In  Bulgarien  ist  das  übrigens  auch  so  gewesen;  da  hat 
schliesslich  der  Generalstabschef  Fitscheff  den  Befehl  gegeben,  man 
solle  sich  um  diese  Einsprüche  nicht  kümmern,  sondern  mit  den 
Leuten  anfangen,  was  man  für  richtig  hielte.) 

In  dem  obigen  Falle  konnte  ich  nichts  anderes  tun  als 
schliesslich  den  Dingen  ihren  Lauf  lassen.  Ich  habe  den  Ab¬ 
szess  von  der  Wade  aus  drainiert  und  nun  bekam  der  Patient 
3  Tage  später  aus  der  Wade  eine  Blutung,  genau  wie  man 
sie  aus  einer  anderen  Abszesshöhle  auch  bekommt.  Auch  hier 
hatte  —  merkwürdigerweise,  muss  ich  sagen  —  die  Gefäss¬ 
naht  absolut  gehalten.  Es  ist  natürlich  sehr  schwer,  in  einem 
grossen  Krankenhause  zu  Kriegszeiten  die  Aufsicht  so  zu 
organisieren,  dass  jeder  Blutende  sofort  behandelt  wird.  Wenn 
man  den  Verdacht  der  Blutungsmöglichkeit  hat,  lässt  man 


natürlich  über  seinem  Bette  einen  Gummischlauch  hängen  und 
eine  Wache  aufstellen.  Unsere  Gummischläuche  waren  zum 
Teil  etwas  brüchig,  so  dass  wir  oft  zu  den  Hosenträgern 
greifen  mussten.  Das  war  noch  das  sicherste  Material. 

Meine  Herren,  das  sind  die  beiden  Todesfälle,  die  ich  bei 
der  Gefässnaht  gehabt  habe.  Ich  möchte  trotzdem  glauben, 
dass  die  Naht  in  den  zukünftigen  Kriegen  eine  gewisse  Rolle 
spielen  muss.  Erst  wenn  wir  die  für  die  Naht  passenden  Fälle 
auch  der  Naht  zuführen,  befinden  wir  uns  auf  einem  Boden, 
wie  er  dem  gegenwärtigen  Stande  der  Chirurgie  entspricht**). 

Was  die  Technik 'der  Gefässnaht  angeht,  so  kann 
die  einfache  C  a  r  r  e  1  sehe  Naht  bei  der  Brüchigkeit  der  Ge- 
fässe  infolge  von  Blutinfiltration  nicht  als  sicher  genug  gelten. 
Schon  die  Haltefäden  reissen  leicht  aus  und  schlitzen  die 
Wand  durch.  Ich  habe  deshalb  die  Gefässnaht  dadurch  mo¬ 
difiziert,  dass  ich  einen  Doppelstich  angewandt  habe,  der 
die  Wand  zweifach  durchsticht  und  niemals  ausgerissen  ist. 
Die  Nadeln  haben  wir  z.  T.  aus  einem  Manufakturwarenladen 
erworben,  z.  T.  haben  wir  feine  Sticknadeln  von  der  Gemahlin 
des  deutschen  Gesandten  bekommen.  Mit  diesen  sind  wii 
sehr  gut  ausgekommen.  Ich  habe  immer  mit  geraden  Nadeln 
und  ohne  Handschuhe  genäht. 

Zum  Schlüsse  möchte  ich  Ihnen  an  einem  Präparat  zeigen, 
wie  ich  vorschlage,  die  Nageiextension  im  Kriege  nachzi: 
ahmen.  Die  Nagelextension  ist  ja  im  Frieden  ein  sehr  brauch¬ 
bares  Verfahren.  Im  Kriege  scheitert  sie  daran,  dass  inan 
nicht  genügend  Nägel  oder  Bohrer  hat.  Da  habe  ich  zu  dem 
Mittel  der  Drahtextension  am  Knochen  gegriffen.  Ich 
möchte  das  ganz  kurz  skizzieren.  (Demonstration  an  der 
Tafel.)  Dabei  ziehe  ich  einen  Draht  quer  durch  den  Kalkaneus 
und  steche  die  Drahtenden  nach  der  Fusssohle  wieder  heraus, 
damit  man  nicht  beim  Zuge  an  den  Drahtenden  die  Hautteile 
einklemmt.  Sie  sehen  die  Drahtextension  hier  an  dem  Prä¬ 
parat  ausgeführt.  (Demonstration.)  Das  Instrumentarium  ist 
sehr  einfach.  Es  besteht  aus  einem  Bohrer  mit  genügend 
langem  Ansatz,  um  den  Kalkaneus  zu  durchbohren,  kräftigem, 
doppelt  zu  nehmendem  Draht  und  zwei  grossen  Nadeln.  Man 
kann  einen  sehr  starken  Zug  an  dem  Draht  ausüben  und  hat 
genau  die  Vorteile  der  Nagelextension.  Ich  glaube,  das  Ver¬ 
fahren  ist  insofern  vorteilhafter  als  ‘die  Nageiextension,  als  es 
keine  Fistelbildungen  gibt,  die  bei  der  letzteren  daher  kommen, 
dass  der  Nagel  oder  Bohrer  recht  dick  ist  und  Weichteil-  und 
Knochenkanal  in  einer  Ebene  liegen.  Hier  ist  aber  eine  recht¬ 
winklige  Knickung  vorhanden;  infolgedessen  kommt  eine 
Fistelbildung  nicht  zustande. 

Nachschrift.  Als  ich  vor  etwa  6  Wochen  den  obigen 
Vortrag  hielt,  dachte  noch  niemand  an  einen  uns  so  nahe 
bevorstehenden  Krieg.  Jetzt  können  wir  an  unseren  eigenen 
Verwundeten  verwerten,  was  wir  auf  fremdem  Kriegsschau¬ 
platz  gelernt  haben.  Der  Chirurg  kann  jetzt  mit  dem  er¬ 
hebenden  Bewusstsein  in  den  grossen  Krieg  ziehen,  dass  er 
imstande  ist,  in  ganz  anderer,  vollkommenerer  Weise  als  in 
früheren  Kriegen  zu  helfen  und  zu  heilen  zum  Segen  unseres 
teuren  Vaterlandes. 


Kleine  Mitteilungen. 

Die  Ernährung  der  deutschen  Zivilbevölkerung  im  Krieg. 

Der  Präsident  der  französischen  Republik  hat  in  den  letzten 
Tagen  in  einem  Aufrufe  an  das  französische  Volk  den  Plan  der 
Triple-Entente  enthüllt,  vermittelst  der  englischen  Flotte  die  Ver¬ 
bindungen  Deutschlands  und  Oesterreich-Ungarns  mit  der  übrigen 
Welt  abzuschneiden,  d.  h.  uns  auszuhungern.  Dank  der  ausgezeich¬ 
neten  Ernte  des  Jahres  1914  ist  dieser  Plan  nahezu  aussichtslos.  Bis 
zum  Jahre  1916  ist  ein  Nahrungsmangel  in  Deutschland  nicht  zu 
befürchten,  nichtsdestoweniger  ist  es  zweckmässig,  unsere  Reserven 
an  Nahrungsmitteln  zu  vermehren,  schon  deshalb,  weil  wir  dadurch 
in  der  Lage  sind,  grössere  Preissteigerungen  zu  verhindern.  Es 
könnte  ja  auch  möglicherweise  das  Jahr  1915  uns  eine  schlechte  Ernte 
liefern,  dann  würden  uns,  wenn  der  Krieg  noch  nicht  beendet  wäre, 
unsere  Reserven  sehr  nützlich  sein.  m 

Empfehlenswert  ist  jedenfalls  die  Einschränkung  des  Konsums 
von  Weizenmehl  (Weissbrot,  Semmeln,  Milch-  und  Mürbgebäcke). 
Deutschland  erzeugt  mehr  Roggen,  als  es  zu  seiner  Ernährung  not¬ 
wendig  hat,  dagegen  nur  etwa  zwei  Drittel  seines  Bedarfes  an 

**)  Es  werden  dann  eine  Reihe  von  Lichtbildern  demonstriert 
und  kurz  besprochen. 


22.  September  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Miinch.  med.  Wochenschrift. 


1991 


Weizen.  Bis  jetzt  hatten  wir  eine  erhebliche  Ausfuhr  von  Roggen, 
was  jetzt  wegfällt.  Unsere  Unterbilanz  in  bezug  auf  Weizenproduk¬ 
tion  wurde  im  Frieden  durch  die  Einfuhr  gedeckt,  die  jetzt  nicht 
mehr  stattfindet.  W  ir  müssen  also  mehr  oder  richtiger  fast  nur 
Kornbrot  geniessen.  Ein  Schaden  für  die  Gesundheit  entsteht  dadurch 
nicht,  im  Gegenteil,  für  die  Mehrzahl  der  gesunden  Menschen  ist  das 
Roggenbrot  gesünder,  da  es  die  Tätigkeit  des  Darmes  besser  an¬ 
regt.  Diese  günstige  Einwirkung  auf  die  Darmtätigkeit  kann  noch 
weiter  dadurch  gesteigert  werden,  dass  man  auch  die  Kleie  zum 
Backen  verwendet.  Bei  der  bisher  üblichen  Art  des  Mahlens 
wurden  20—30  Proz.  Abfälle  erzielt,  die  mit  dem  Namen  Kleie  be¬ 
zeichnet  und  zur  Viehfütterung  verwendet  wurden.  Diese  Kleie 
besitzt  infolge  ihres  Reichtums  an  Eiweisssubstanzen  einen  sehr 
grossen  Nährwert.  Einen  grossen  Teil  dieser  Kleie  kann  man  unter 
bestimmten  Voraussetzungen  zum  Backen  verwenden.  Wenn  wir 
also  ein  derartiges  kleienhaltiges  Vollbrot  statt  des  bisherigen  Brotes 
essen,  so  haben  wir  beträchtlich  mehr  Brot  im  Lande.  Das  kleien¬ 
hallige  Brot  kann  so  billig  wie  das  Kommisbrot  hergestellt  werden 
Es  ist  dieses  kleienhaltige  Brot  in  vielen  Gegenden  Deutschlands 
unter  dem  Namen  „Graubrot  schon  seit  vielen  Jahren  gebacken 
worden;  solche  Brote  wurden  schon  in  Friedenszeiten  verschiedent¬ 
lich  hergestellt  und  von  vielen,  namentlich  auch  von  wohlhabenden 
Leuten,  seit  langer  Zeit  gerne  gegessen.  Dunkle  Brotsorten  sollen 
nicht  frisch  genossen  werden,  sondern  mindestens  1—2  Tage  alt  sein. 
Derartige  Brotsorten  sollten  die  bisher  üblichen  Brote  soweit  möglich 
verdrängen.  Der  Verkauf  der  Kleie  zu  Zwecken  der  Viehfütterung  ist 
möglichst  einzuschränken.  Im  Falle  einmal  Mangel  an  Mehl  ein- 
treten  sollte,  werden  wir  uns  sehr  freuen,  wenn  wir  eine  Mischung 
von  Roggenmehl  mit  der  sog.  Kleie  herstellen  können.  Die  Bäcker 
sollen  veranlasst  werden,  in  diesem  Sinne  das  Publikum  zu  beein- 
rlussen,  Gastwirte  sollten  in  den  Gastwirtschaften  statt  des  Weiss¬ 
brotes  kleienhaltiges  Roggenbrot  aufstellen,  Weissbrot  sollte  nur 
auf  Verlangen  abgegeben  werden. 

Der  Verbrauch  von  Fleisch  hat  in  den  letzten  Jahrzehnten 
in  Deutschland  kolossal  zugenommen.  Wir  haben  nach  England 
Jen  grössten  Fleischkonsum  in  Europa.  Zurzeit  kommt  auf  den 
Kopf  der  Bevölkerung  per  Jahr  das  grosse  Quantum  von  107  Pfund. 
Oie  allzureichliche  Ernährung  mit  Fleisch  hat  gesundheitliche  Nach¬ 
teile  im  Gefolge  Es  empfiehlt  sich  deshalb,  in  aller;  Familien  den 
leischgenuss  auf  eine  Portion  pro  Tag  zu  verringern  und  auch  diese 
Portion  nicht  sehr  gross  zu  nehmen.  Es  ist  die  Pflicht  gerade 
lei  reichen  Leute,  hier  mit  gutem  Beispiel  voranzugehen.  Auch  in 
lotels  und  Restaurationen  sollte  bei  den  Speisenfolgen  nicht  mehr 
ds  höchstens  eine  Portion  Fleisch  abgegeben  werden.  Auch  für  die- 
enigen,  die  nach  der  Karte  speisen,  sollte  zu  einem  Stück  Fleisch 
-'in  grösseres  Quantum  Kartoffel,  breite  Nudeln  u.  dgl.  beigegeben 
■'■erden.  Der  Genuss  von  Kalbfleisch  sollte  während  des  Krieges 
:anz  oder  fast  ganz  aufhören.  Das  Kalbfleisch  kann  in  den  meisten 
*  allen  durch  Rindfleisch  oder  Schweinefleisch  ersetzt  werden;  in 
len  Gastwirtschaften  sollten  die  Kalbfleischgerichte,  die  aus  Kalb- 
leisch  bereiteten  Würste  etc.  gestrichen  werden.  Auch  das  Schlach- 
en  von  jungen  Schweinen  ist  eine  grosse  Verschwendung  und 
ollte  ebenfalls  vollständig  aufhören.  Eine  mässige  Verminderung 
es  Viehbestandes  durch  Schlachten  von  Stieren  und  Rindern  dürfte 
Ich  für  das  Jahr  1915  empfehlen.  Wir  können  dann  einen  Teil  der 
Jeefelder,  die  bisher  das  Viehfutter  erzeugten,  dazu  benützen,  Ge- 
reide  für  die  Menschen  anzubauen. 

In  vielen  Gegenden,  z.  B.  im  Allgäu,  ist  zurzeit  Käse  und 
ius lassbutter  in  grossen  Mengen  vorhanden  und  sehr  billig, 
s  ist  daher  zweckmässig,  das  zur  Ernährung  der  Menschen  not¬ 
wendige  Eiweiss  statt  aus  dem  teuren  Fleische  lieber  aus  dem 
illigen  Käse  zu  gewinnen,  denn  Kleienbrot,  Milch,  Käse  und  Kartoffel 
md  eine  ausgezeichnete  Ernährung.  Es  sollte  auch  mehr  Gemüse 
ngebaut  werden;  vor  allem  Bohnen,  Erbsen,  Linsen,  Kraut,  Wir- 
ng,  Kohlraben.  Spinat,  Endivien,  Feldsalat,  Blumenkohl,  Winterkohl, 
arotten,  rote  Rüben;  namentlich  Erbsen,  Linsen,  Bohnen  enthalten 
dchlich  Eiweiss  und  sind  ein  billiger  Ersatz  für  Fleisch.  Bezüglich 
der  dieser  Dinge  leistet  die  „Uebersicht  über  den  Anbau  der  wich- 
gsten  Gemüsearten“  von  dem  Kgl.  Landinspektor  für  Obst-  und 
Gartenbau  (zu  beziehen  durch  die  Buchdruckerei  Gotteswinter  in 
lünchen,  Theatinerstrasse  18,  pro  Stück  15  Pfg.)  gute  Dienste. 

Jetzt,  wo  die  Getreideernte  vorbei  ist,  sollte  auf  manchen  Ge- 
eidefeldern  Gemüse  gesät  werden.  Die  betreffenden  Felder 
iissten.  soweit  der  Boden  es  gestattet,  dann  zu  Frühlingsgetreide 
erwendung  finden.  In  den  Städten  sollte  auf  brachliegenden  Gründ¬ 
lichen  und  in  Privatgärten  Gemüse  gebaut  werden;  auch  die  Rasen- 
ldien  sollen  für  den  Bau  von  Wintergemüse  Verwendung  finden, 
e  Rasenflächen  sind  meist  fruchtbar,  das  ausgestochene  Gras  dient 
s  Dünger. 

Die  Verwendung  von  Mais  als  Viehfutter  soll  möglichst  einge- 
hränkt  werden.  Aus  Mais  lassen  sich  ausgezeichnete  Speisen  für 
;n  Menschen  bereiten.  In  vielen  südlichen  Gegenden  ist  ja  Mais 
is  Hauptnahrungsmittel.  Auch  wir  können  uns  daran  gewöhnen, 
ehrmals  wöchentlich  Polenta  zu  verspeisen.  Es  sollte  auch  mög- 
hst  rasch  dafür  gesorgt  werden,  dass  viel  Erbsen,  Linsen,  Bohnen, 
ais,  Reis,  Kastanien  etc.  aus  den  neutralen  Staaten  eingeführt  wer- 
:n’  denn  alle  diese  Nahrungsmittel  besitzen  einen  grossen  Nähr- 
ert. 

Kastanien  werden  als  Bratkastanien,  als  Kastanienpüree 
dergl.  eine  sehr  nahrhafte  Speise  darstellen.  Die  Verwaltungen 


der  Stadt  sollten  ebenso  wie  die  grossen  Kolonialwarenhandlungcn 
jetzt  grössere  Mengen  von  Erbsen,  Linsen,  Bohnen,  Mais,  Reis, 
Kastanien  usf.  ankaufen  und  für  den  Notfall  aufheben. 

Die  Fabrikation  von  Bier  sollte  wesentlich  verringert  werden. 
Die  Bevölkerung  muss  sich  daran  gewöhnen,  während  des  Krieges 
zur  Stillung  ihres  Durstes  in  der  Regel  Wasser  zu  trinken.  Dieses 
Opfer  ist  sehr  gering  im  Verhältnis  zu  dem,  was  unsere  Soldaten 
leisten  müssen.  Der  grössere  Teil  der  Gerste  sollte  zu  Ernährungs¬ 
zwecken  aufgehoben  werden.  Aus  Gerste  lassen  sich  sehr  nahr¬ 
hafte  Suppen,  Breie  usw.  hersteilen.  Gerstenmehl  lässt  sich  dem 
Roggenmehl  bei  der  Brotbereitung  beimischen  bis  10  Proz.,  ohne 
dass  es  besonders  den  Geschmack  verändert.  Es  würde  sich  dazu 
eine  kleine  Beimischung  von  Bohnenmehl  empfehlen,  die  das  bei 
Gerstenmehlzusatz  eintretende  Trockenwerden  des  Brotes  verhindert 
Auf  diese  Weise  wird  das  Roggenmehl  gespart. 

Reichlicher  Anbau  von  Kartoffeln  ist  besonders  erwünscht.  Die 
Mästung  des  Viehs  mit  Kartoffeln  sollte  zunächst  unterbleiben.  Die 
Verwendung  von  Kartoffeln  zur  Fabrikation  von  Spiritus  und  Schnaps 
soll  möglichst  eingeschränkt  werden.  Durch  den  Zusatz  von  Kar¬ 
toffelmehl  zum  Roggenbrot  lassen  sich  ebenfalls  sehr  gutschmeckende 
Brotarten  hersteilen.  Kartoffelmehl  unter  das  Brot  gemischt,  macht 
es  sehr  schmackhaft  und  hält  es  länger  frisch.  Auch  die  Verspeisung 
von  Kartoffelkuchen,  Kartoffelnudeln  usw.  ist  sehr  empfehlenswert. 

Wenn  wir  den  Verbrauch  unseres  Roggenmehles  durch  Zusatz 
von  Kleie,  ev.  von  Kartoffelmehl  und  Gerstenmehl  einschränken,  so 
können  wir  auf  diese  Weise  ungefähr  20  Proz.  des  heuer  geernteten 
Roggens  für  das  Jahr  1916  aufheben  und  hiedurch  die  Folgen  einer 
etwaigen  Missernte  im  Jahre  1915  ausgleichen.  Ein  Nahrungsmangel 
ist  dann  also  auch  in  den  kommenden  Jahren  nicht  zu  befürchten. 

Manche  Erläuterungen  zu  dem  Gesagten  finden  sich  in  dem 
Aufsatz  von  Prof.  Dr.  Max  Gruber  „Mobilisierung  des  Ernährungs¬ 
wesens“  im  Septemberheft  der  „Süddeutschen  Monatshefte“,  dessen 
Studium  dringend  empfohlen  wird. 

Dr.  H  e  c  h  t  Dr.  Hohmann  Prof.  Kerschensteiner 
Hofrat  K  r  e  c  k  e  Dr.  L  u  k  a  s  Dr.  S  c  h  o  1 1 
Aerztlicher  Kriegsausschuss  München. 

Hofrat  C  r  ä  m  e  r,  Hofrat  Decker,  Dr.  K  r  ii  c  h  e,  Geh.-R.  Prof, 
v.  Müller,  Hofrat  Oppenheimer,  Prof.  v.  Romberg,  Hofrat 
T  h  e  i  1  h  a  b  e  r,  Hofrat  Uhl. 


Dr.  med.  Georg  Kollibay,  Spezialarzt  für  Ohren-,  Nasen-, 
Halskranke  in  Glatz  schreibt  uns: 

Ich  fertige  mir  eine  Anzahl  von  kleineren  Instrumenten,  Sonden 
jeder  gebräuchlichen  Stärke,  Zungenspatel,  Haken  usw.  aus  dem  käuf¬ 
lichen  Nickelindraht  an,  Stärke  1—3  mm  (zu  haben  bei  K  1  e  i  n  i  g 
&  Blasberg,  Leipzig);  aus  umsponnenem  Nickelindraht  kleine 
Rheostaten.  Nickelindraht  ist  bedeutend  besser  als  Neusilberdraht, 
hat  gerade  die  richtige  Widerstandskraft,  lässt  sich  aber  durch  Glühen 
auch  weicher  machen,  falls  man  ihn  leicht  biegsam  braucht.  Lötung 
mit  dem  weichen  Silberlot  der  Zahnärzte  sehr  leicht  (nicht  mit  Zinn). 
Für  Kanülen  und  Drainröhren  lässt  sich  Zinnrohr  von  etwa  6  mm 
Durchmesser,  1  mm  Wandstärke  benutzen,  es  lässt  sich  oval  drücken, 
ich  habe  es  auch  schon  zu  Lufteintreibung  in  die  Luftröhre  benutzt, 
auch  zur  Narkose. 

Das  (meist  nicht  nötige)  Anrauhen  des  Nickelindrahts  geschieht, 
ausser  mit  dem  Stichel  oder  der  Feile,  durch  flüssige  Chromsäure 
oder  rauchende  Salpetersäure. 


Ausmerzung  fremdsprachiger  Fachausdrücke. 

Landauf,  landab  lesen  und  hören  wir,  dass  fremdsprachige  Be¬ 
zeichnungen  von  Geschäften  und  Sachen  ausgemerzt  werden  und  dass 
wir  uns  auf  unser  gutes  Deutsch  besinnen. 

Nur  auf  unserm  ureigensten  Gebiete  blüht  nach  wie  vor  der  Miss¬ 
brauch  solcher  Ausdrücke.  Manche  Arbeiten  wimmeln  davon. 

Wenn  schon  ein  Ding  in  reiner  Gelehrtensprache  bezeichnet  wer¬ 
den  soll,  so  greife  man  doch  zurück  auf  die  griechische  oder  latei¬ 
nische  als  in  der  ganzen  Welt  verständlich.  Man  erlasse  aber  den 
Lesern  den  Genuss  der  französischen,  englischen  usw.  Bezeichnungen, 
die  sich  recht  gut  in  bestem  Deutsch  wiedergeben  lassen. 

Die  betr.  Herren  Verfasser  wollen  sich  wohl  mit  dem  Mantel 
tiefster  Gelehrsamkeit  umgeben?  Sie  scheinen  nicht  zu  ahnen,  dass 
sie  durch  ihre  Manie  das  Gefühl  stärkster  Ablehnung  im  Leser  her- 
vorrufen  —  das  muss  einmal  offen  gesagt  werden. 

Also  meine  lieben  schriftstellernden  Kollegen:  schreibt  Deutsch 
und  notabene  möglichst  gutes  Deutsch!  F  u  o  s  s  -  Giengen  a/Brz. 

Die  Redaktion  der  M.tn.W.  war  schon  immer  bemüht,  in  den  ihr 
zugehenden  Manuskripten  die  eingemischten  französischen  und  engli¬ 
schen  Fachausdrücke  zu  verdeutschen.  Das  ist  jedoch  nicht  immer 
einfach.  In  vielen  Fällen  ist  es  schwer,  einen  deutschen  Ausdruck 
zu  finden,  der  den  Begriff  ebenso  gut  deckt  wie  der  zu  ersetzende 
fremdländische;  oft  sind  auch  die  Autoren  mit  solchen  Bestrebungen 
nicht  einverstanden  und  leisten  ihnen  Widerstand.  Der  einzelne  wird 
hier  nicht  viel  erreichen  können.  Um  eine  durchgreifende  Besserung 
zu  erzielen  wäre  es  nötig,  eine  Kommission  von  Fachmännern  zu 
bilden,  die  die  vorkommenden  neusprachigen  Fachausdrücke  syste- 


1992 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  38. 


ma tisch  zu  sammeln  und  Vorschläge  fiir  ihre  Verdeutschung  zu 
machen  hätte.  Diese  Vorschläge  wären  in  der  Fachpresse  zu  ver¬ 
öffentlichen  und  die  Autoren  zu  ersuchen,  sich  ihrer  zu  bedienen. 
Vielleicht  gibt  eine  der  grossen  deutschen  Fachgesellschaften,  etwa 
der  Kongress  fiir  innere  Medizin,  die  Anregung  zu  einem  solchen 
Unternehmen.  Red- 


Tagesgeschichtliche  Notizen. 

München,  den  21.  September  1914. 

—  Die  siebente  K  r  i  e  g  s  w  o  c  h  e  hat  die  Entscheidung  der 
grossen  Schlacht,  die  nordöstlich  von  Paris  zwischen  Oise  und 
Maas  tobt,  noch  nicht  gebracht;  doch  liegen  Teilerfolge  vor,  die 
einen  für  unsere  Waffen  glücklichen  Ausgang  zuversichtlich  erwarten 
lassen.  Im  Osten  hat  Oeneraloberst  v.  Hindenburg  sein  Ver¬ 
nichtungswerk  gegen  die  russische  Armee  fortgesetzt  und  vollendet, 
ganz  Ostpreussen  vom  Feinde  befreit  und  bereits  die  Offensive  im 
Feindesland  aufgenommen.  Die  dankbare  Universität  Königsberg  hat 
ihm  für  diese  Ruhmestat  die  Doktorwürde  ihrer  vier  Fakultäten  ver¬ 
liehen.  Im  Innern  versprechen  die  Zeichnungen  auf  die  Kriegsanleihe 
ein  glänzendes  Ergebnis;  auch  die  Aerzteschaft  hat  nach  ihrem  Ver¬ 
mögen  zu  dem  Erfolg  beizutragen  gesucht.  Wie  wir  hören,  haben  ge¬ 
zeichnet-  der  Aerztliche  Verein  München  30  000  M.,  der  Pensions¬ 
verein  für  Witwen  und  Waisen  bayerischer  Aerzte  30  000  M„  der 
Verein  zur  Unterstützung  invalider  Aerzte  30  000  M.,  der  Sterbe¬ 
kasseverein  bayerischer  Aerzte  10  000  M„  der  Münchener  Aerzte- 
Verein  für  freie  Arztwahl  30  000  M.  und  das  Herausgeber-Kollegium 
der  Münchener  Medizinischen  Wochenschrift  70  000  M.;  zusammen 
also  von  6  bayerischen  Vereinen  200  000  M.,  eine  ansehnliche  Leistung. 

Am  16.  ds.  fand  in  München  der  1.  Kriegschirur¬ 
gische  Abend  des  Aerztlichen  Vereins  statt.  Die  in  den  Mün¬ 
chener  Reservelazaretten  tätigen  Aerzte  (v.  St  üben  rauch. 
Kr  ecke,  Fessle  r,  Gebele,  Sielmann,  v.  Hösslin, 
Kästle  u.  a.)  berichteten  an  Hand  eines  sehr  grossen  Materials 
über  ihre  Erfahrungen  und  Beobachtungen.  Die  Vorträge  waren  von 
zahlreichen  ausgezeichneten  Projektionsbildern  begleitet.  Eine  ähn¬ 
liche  Veranstaltung  fand  in  Berlin  am  15.  ds.  statt;  Ministerial¬ 
direktor  Dr.  Kirchner  hielt  den  1.  Vortrag  über  ärztliche  Friedens¬ 
tätigkeit  im  Kriege. 

—  Mit  Bezug  auf  „Scharpie  als  Verba  n  d  m  a  t  e  r  i  a  1“ 
schreibt  uns  Herr  Med.-Rat  Dr.  (irassl  in  Kempten,  dass  auf  seine 
Veranlassung  Ende  der  90  er  Jahre  das  Bayer.  Rote  Kreuz  durch 
Hofrat  Dr.  B  r  u  n  n  e  r,  damals  chirurgischer  Oberarzt  im  Kranken¬ 
haus  München  r.  d.  I.,  Versuche  anstellen  liess,  die  ein  sehr  günstiges 
Ergebnis  hatten.  Es  sei  damals  auch  eine  Doktorarbeit  über  das 
Thema  erschienen.  Er  glaubt,  dass  die  Scharpie  ein  sehr  brauch¬ 
bares  Verbandmaterial  darstellt. 

Oesterreichische  Universitätsprofessoren 
als  Militärärzte.  Von  Kaiser  Franz  Joseph  wurden  im  öster¬ 
reichischen  landwehrärztlichen  Offizierskorps  auf  Kriegsdauer  er¬ 
nannt:  die  ord.  Professoren  für  Hygiene,  Obersanitätsrat  Dr.  Arthur 
Sc  hatten  froh  an  der  Wiener  Universität,  Dr.  Anton  B  u  j  w  i  d 
au  der  Universität  Krakau  und  Dr.  Paul  K  u  c  e  r  a  an  der  Universität 
Lemberg  zu  Oberstabsärzten  erster  Klasse,  der  a.  o.  Professor  der 
Chirurgie  an  der  Universität  Wien.  Primararzt  im  Allgem.  Kranken¬ 
hause,  Dr  Konrad  B  ü  d  i  n  g  e  r  zum  Oberstabsarzt  zweiter  Klasse, 
der  Ordinarius  der  Anatomie  an  der  Wiener  Universität  Prof.  Dr. 
Julius  Tandler  und  die  a.  o.  Professoren  daselbst  Dr.  Arthur 
Klein  (Interne  Medizin).  Dr.  Alexander  Pilcz  (Psychiatrie  und 
Neurologie),  Dr.  Karl  Sternberg  (Pathologische  Anatomie), 
Dr.  Egon  Ranzi  (Chirurgie),  Dr.  Erwin  Straus  ky  (Psychiatrie 
und  Neurologie),  Dr.  Walther  Pick  (Dermatologie  und  Syphilido- 
logie),  Dr.  Walter  Zweig  (Innere  Medizin),  Dr.  Robert  Christo- 
f  o  1  c  1 1  i  (Geburtshilfe  und  Gynäkologie),  Dr.  Hugo  Leischner 
(Chirurgie)  und  Dr.  Otto  Porges  (Interne  Medizin)  zu  Regiments- 
ärten,  schliesslich  die  Privatdozenten  an  der  Universität  Wien  Dr.  Karl 
Funke  (Chirurgie),  Dr.  Friedrich  Wechsberg  (Innere  Medizin), 
Dr.  Nikolaus  Ritter  v.  Jagic  (Interne  Medizin),  Dr.  Emil  Glas 
(Laryngo-  und  Rhinologie)  und  Dr.  Albert  Herz  (Interne  Medizin) 
zu  Oberärzten,  (hk.) 

Im  Aufträge  des  österr.  Ministeriums  des  Innern  begab  sich 
der  Professor  der  pathologischen  Anatomie  an  der  Prager  deutschen 
Universität,  Obersanitätsrat  Dr.  Anton  Gohn,  in  epidemiologischen 
Diensten  nach  Dalmatien.  Eine  zweite  wissenschaftliche  Expedition 
leitet  der  Hygieneprofessor  derselben  Hochschule,  Dr.  Oskar  Bail, 
der  in  Begleitung  der  Privatdozenten  Dr.  Edmund  Weil  und  Dr.  Wil¬ 
helm  Spät  mit  einem  mobilen  Feldlaboratorium  nach  dem  nörd¬ 
lichen  Kriegsschauplatz  abgegangen  ist.  (hk.) 

Geh.  Reg.-Rat  Prof.  Dr.  E.  S  c  h  m  i  d  t,  Professor  der  Pharma¬ 
kologie  an  der  Universität  Marburg  a.  L„  hat  die  ihm  seinerzeit  von 
englischer  Seite  verliehene  Goldene  Hanbury-Medaille,  die 
einen  Goldwert  von  500  M.  repräsentieren  soll,  dem  Roten  Kreuz  zur 
Verfügung  gestellt. 

Von  dem  „Handbuch  der  Gesundheitspflege  an 
Bord  von  Kriegsschiffen,  herausgegeben  von  zur  Verth, 
B  e  n  t  m  a  n  n,  D  i  r  k  s  e  n  und  Rüge  (Verlag  von  G.  Fischer  in 
Jena)  ist  jetzt  der  2.  Band:  „Krankheitsverhütung“  er¬ 
schienen.  Besprechung  folgt. 

Verlag  von  J.  F.  Lehmann  in  München  S.W.  2,  Paul  Heysestr.  26. 


In  der  35.  Jahreswoche,  vom  30.  August  bis  5  September 
1914,  hatten  von  deutschen  Städten  über  40  000  Einwohner  die  grösste 
Sterblichkeit  Trier  mit  66,7,  die  geringste  Barmen  mit  5,4  Todesfällen 
pro  Jahr  und  1000  Einwohner.  Mehr  als  ein  Zehntel  aller  Ge¬ 
storbenen  starb  an  Scharlach  in  Zabrze,  an  Diphtherie  und  Krupp 
in  Worms,  an  Keuchhusten  in  Flensburg,  M.-Gladbach. 

Vöff.  Kais.  Ges.A. 

_  Pest.  Niederländisch  Indien.  Vom  29.  Juli  bis  25.  August 

wurden  1004  Erkrankungen  (und  947  Todesfälle)  gemeldet.  —  Cuba, 
ln  Santiago  vom  4.— 13.  August  6  Erkrankungen  und  1  Todesfall. 

Brasilien  ln  Bahia  vom  26.  Juni  bis  11.  Juli  2  Erkrankungen 
und  2  Todesfälle. 

(Hoch  sch  ulnachrichten.) 

Breslau.  Die  Eröffnung  des  Wintersemesters  1914  15  erfolgt 
am  15.  Oktober.  Da  das  grosse  Universitätsgebäude  als  Lazarett 
eingerichtet  wird  und  die  meisten  Hörsäle  mit  verwundeten  und 
kranken  Soldaten  belegt  werden,  können  die  Vorlesungen  nur  in  den 
Hörsälen  der  naturwissenschaftlichen  und  medizinischen  Institute 
und  der  Technischen  Hochschule  aufgenommen  werden. 

F  r  e  i  b  u  r  g  i.  Br.  Dem  Privatdozenten  fiir  innere  Medizin. 
Dr.  Wilhelm  Hildebrandt,  ist  der  Titel  ausserordentlicher  Pro¬ 
fessor  verliehen  worden,  (hk.) 

Königsberg.  Der  Befreier  Ostpreussens,  Generaloberst 
v.  Hindenburg,  wurde  von  allen  vier  Fakultäten  der  Albertus- 
universität  zu  Königsberg  einstimmig  zu  ihrem  Ehrendoktor  promo¬ 
viert.  Diese  Ehrung  steht  in  der  Geschichte  der  Königsberger  Uni¬ 
versität  einzig  da. 

Münster  i.  W.  Aerztliche  Vorprüfung.  In  dem  ver¬ 
gangenen  Prüfungsjahr  (1.  Oktober  1913  bis  30.  September  1914 ' 
haben  im  ganzen  136  ärztliche  Vorprüfungen  stattgefunden.  Darunter 
waren  17  erste  Wiederholungsprüfungen  und  4  zweite  Wiederholungs¬ 
prüfungen.  Von  den  136  Prüflingen  haben  103  bestanden,  4  traten 
mit  genügender  Entschuldigung  von  der  begonnenen  Prüfung  zurück. 
Von  denen,  die  bestanden,  erhielten  das  Gesamtprädikat  sehr  gut  22. 
das  Gesamtprädikat  gut  55  Kandidaten,  die  übrigen  genügend.  — 
Zahnärztliche  Vorprüfung.  In  dem  vergangenen  Prüfungs- 
jahr  (1.  Oktober  1913  bis  30.  September  1914)  haben  im  ganzen  17 
zahnärztliche  Vorprüfungen  stattgefunden.  Darunter  waren  3  erste 
Wiederholungsprüfungen.  Von  den  17  Prüflingen  haben  13  bestanden. 
Das  Gesamtprädikat  sehr  gut  erhielten  8  Kandidaten,  die  übrigen  das 
Prädikat  gut. 

Würzburg.  Prof.  Hofrat  Dr.  Ferdinand  R  i  e  d  i  n  g  e  r.  K.  b. 
Generalarzt  ä  la  suite  des  Sanitätskorps,  feiert  am  19.  September 
seinen  70.  Geburtstag,  (hk.) 

Prag.  Dr.  Ottokar  Rybak  wurde  als  Privatdozent  Dir 
Pharmakologie  an  der  medizinischen  Fakultät  der  tschechischen  Uni¬ 
versität  zugelassen. 

Wien.  Dr.  Otto  Sachs  hat  sich  als  Privatdozent  für  Der¬ 
matologie  und  Syphilodologie,  Stabsarzt  Dr.  med.  und  phil.  Erhard 
Glaser  als  Privatdozent  für  Hygiene  und  Mag.  pharm,  und  med. 
Dr.  Richard  W  a  s  i  c  k  y  als  Privatdozent  für  Pharmakognosie  an  der 
med.  Fakultät  habilitiert. 


Ehrentafel. 

Fürs  Vaterland  starben: 

Dr.  D  e  h  m  e  1,  Stabsarzt  im  Inf.-Reg.  Nr.  30. 

Fritz  v.  Ewald,  cand.  med.,  Darmstadt. 

Erich  G  1  ä  s  e  1.  stud.  med.,  Einj.-Gefreiter  im  19.  bayer.  Inf.- 
Reg.  am  25.  August. 

Dr.  Werner  Mayer,  Stabsarzt  d.  L.,  Celle,  am  23.  August. 
Dr.  Molkenbuhr,  Einj.-Arzt  der  Marine. 

Dr.  Artur  Scherschmidt,  Stabsarzt,  am  3.  September 
Dr.  Franz  Seiler,  Stabsarzt  d.  Res.,  prakt.  Arzt  in  Gersheim 
(Pfalz),  in  Lüttich. 

Dr.  Seyberlich,  Marineassistenzarzt,  am  28.  August. 

Dr.  Strassner,  Marinestabsarzt,  mit  S.  M.  S.  Köln. 

Heinz  W  e  1  t  z,  Feldunterarzt. 

Dr.  Otto  Xylander,  Stabsarzt,  beratender  Hygieniker  beim 
Generalkommando  XII.  (durch  einen  Franktireurschuss  in 
Belgien). 


Deutsche  Aerzte! 

Verschreibt  nur  deutsche  Präparate  und  Spezialitäten! 


Die  „Feldärztliche  Beilage“  ist  bestimmt,  allen  im  Felde  stehen¬ 
den  oder  in  Militärlazaretten  beschäftigten  Aerzten  der  deutschen 
und  österreichischen  Armee  und  Flotte  unentgeltlich  geliefert  zu  wer¬ 
den.  Herren,  welche  sie  nicht  erhalten,  werden  um  Angabe  ihrer 
Adresse  ersucht. 

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Druck  von  E.  Mühlthaler's  Buch-  und  Kunstdruckerei  A.G.,  München. 


Die  MühOmer  MedlxiniKhe  Wochen. chrift  er.chemt  wöchentlich 
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Nummer  80  4.  .  Bezugspreis  in  Deutschland  vierteljährlich 
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Für  Inserate  und  Beilagen  an  Rudolf  Mosse,  Theatinerstrasse  i. 


MÜNCHENER 

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Medizinische  Wochenschrift. 


ORGAN  FÜR  AMTLICHE  UND  PRAKTISCHE  ÄRZTE. 


Originalien. 


Aus  dem  Zentralröntgenlaboratorium  im  k.  k.  allgemeinen 
krankenhause  in  Wien  (Vorstand:  Primararzt  Prof.  Holz¬ 
knecht). 

Vereinfachung  der  klinischen  Duodenalschlauch¬ 
untersuchung.  V 

Von  Holzknecht  -  Wien  und  Lippman  -  Chicago. 

Als  wir  ursprünglich  daran  gingen,  zum  Zwecke  der  Rönt¬ 
genuntersuchung  in  das  Duodenum  Kontrastmittel  durch  den 
Duodenalschlauch  einzuspritzen  *),  haben  wir  es  bald  sehr  stö¬ 
rend  empfunden,  dass  im  allgemeinen  eine  recht  ge¬ 
raume  und  dabei  ungemein  wechselnde  Zeit 
vergehen  muss,  bis  der  Schlauch  in  das  Duo- 
J  cii  u  m  ge  langt  ist,  d.  h.,  bis  aus  demselben  ausschliess- 
ich  neutrales  oder  alkalisches  Sekret  fliesst.  Damit  ist  aber 
he  Methode,  sowohl  für  diesen  Zweck  als  auch  im  allgemeinen 
ur  die  Untersuchung  der  Sekrete  und  des  übrigen  Duodenal- 
nhaltes  praktisch  auf  das  liegende  und  nicht  eilige  Material 
leschränkt  und  dadurch  in  ihrem  Werte  degradiert.  Bei  dem 
.  orwiegend  pathologischen  Material,  das  uns  zur  Röntgen- 
intersuchung  zugewiesen  wird,  haben  wir  die  Ursache  dieses 
ästigen  Umstandes  nebst  etwaigen  Fehlern  der  Technik  der 
schlaucheinführung  zunächst  den  pathologischen  Zuständen  in 
ue  Schuhe  geschoben  (Stenose,  Pylorusspasmus  etc.),  die  ja 
elbstverständlich  gelegentlich  die  Einführung  unmöglich 
Hachen  können;  bald  aber  mussten  wir  uns  überzeugen,  dass 
n  den  meisten  misslungenen  oder  nicht  in  kurzer  Zeit  ge- 
ungenen  Fällen  das  Hindernis  keineswegs  in  pathologischen 
erhältnissen  gelegen  war.  Wir  mussten  daher  unsere  Tech¬ 
nik  beschuldigen.  Bei  genauerem  Studium  der  in  der  Literatur 
liedergelegten  Techniken  ergab  sich,  dass  unsere  Schlauch- 
mführungsverfahren  einerseits  nicht  wesentlich  von  der  all¬ 
gemein  geübten  abweicht,  andererseits  dass  unsere  Einführungs¬ 
eiten  eigentlich  gar  nicht  länger  waren,  als  die  der  Autoren, 
um  grossen  Teile  sogar  kürzer,  und  dass  wir  bloss  Grund 
atten  mit  der  Dauer  des  Verfahrens  im  allgemeinen  unzu- 
rieden  zu  sein  und  dies  ist  begreiflich,  da  wir  ausschliesslich 
mbulantes  Material  zur  Verfügung  hatten.  Während  die 
lUtoren  angeben,  dass  sie  den  Schlauch  z.  B.  abends  einführen 
nd  morgens  untersuchten  oder  frühmorgens  einführen  um 
uttags  zu  untersuchen,  eine  Zeit,  die  sich  für  manche 
alle  nur  selten  auf  eine  Stunde  oder  darunter  herabdrücken 
isst,  mussten  wir,  für  die  die  Schlaucheinführung  nur  ein  vor- 
ereitender  Akt  sein  sollte,  kürzere  Zeiten  verlangen,  und  da 
'  ir  unsere  Versuche  nur  für  den  Fall  fortzuführen  gesonnen 
aren,  dass  sich  das  Verfahren  zu  einer  relativ  einfachen,  ins 
ietriebe  einer  Ambulanz  einfügbaren,  also  expeditiven  ge¬ 
lten  lässt,  in  der  langen  Dauer  der  Einführung  ein  bedenk- 
ches  Moment  sehen.  Wir  hätten  daraus  unsere  Konsequenzen 
•-zogen,  wenn  nicht  auch  wir  in  einzelnen  Fällen  ungemein 
isch  das  Duodenum  erreicht  und  angenommen  hätten,  dass  die 
1  diesen  Fällen  vorliegenden  Besonderheiten  vielleicht  in  allen 
ergestellt  werden  können,  wodurch  wir  unser  Ziel  erreicht 
aben  würden.  Wir  waren  uns  dabei  bewusst,  dass  mit  einer 
sichen  Vereinfachung  des  Verfahrens  nicht  nur  der  engere 
weck  der  Röntgenuntersuchung  des  Duodenums,  sondern 
u  c  h  d  i  e  Verwendung  desDuodenalsch  laue  h  es 

)  Diese  Methode  wird  seit  3  Jahren  in  Amerika  geübt  und 
ammt  nicht  von  David,  sondern  von  E.  H.  S  k  i  n  n  e  r.  (The  Arch. 
Internal  Medicine,  Nov.  1911,  Vol.  VIII..  S  574  ) 

Nr.  39. 


zui  diagnostischen  Gewinnung  von  Duodenal- 
sekret  und  zu  therapeutischen  Zwecken  ge¬ 
fordert  wäre,  welche  aus  einer  klinischen  in  eine 
ambulatonschc  umgewandelt  würde.  Es  ist  ja  nicht 
zweifelhaft,  dass  Kompliziertheit  des  Weges  in  einem  prak¬ 
tischen  Gebiete,  wie  die  Medizin,  sehr  häufig  auf  das  Ziel  ver¬ 
zichten  lässt,  auch  wenn  es  sehr  wichtig  ist.  Wir  selbst  hatten 
durch  Umfrage  Gelegenheit  zu  erfahren,  dass  schon  jetzt  die 
Duodenalschlauchuntersuchung  vielfach  eingeschränkt  und 
selbst  fallen  gelassen  wurde,  und  dass  als  Grund  die  Unzu- 
verlässlichkeit  der  wechselnden  kurzen  und  langen  Ein¬ 
führungszeiten  angegeben  wurden.  Wir  gingen  daher  mit 
unseren  Versuchen  sozusagen  an  den  Ausgangspunkt  derselben 
zTiiiick  und  haben,  weil  doch  über  den  Mechanismus  der  Be- 
fördeiung  der  Sonde  auf  ihrem  Wege  vom  Oesophagus  ins 
Duodenum  nichts  sicheres  bekannt  war,  das  Schicksal  der 
Sonde  ähnlich  wie  Skalier  auf  den  Schirm  verfolgt  und  da¬ 
bei  zu  erkennen  gesucht,  welches  die  wirklichen  treibenden 
Kräfte  seiner  Fortbewegung  und  welche  die  Hindernisse  sind. 
Die  dabei  gemachten  Beobachtungen  ergaben  sehr  bald,  dass 
die  treibende  Kraft  im  Oesophagus  die  Peristaltik,  im  Magen 
die  Schw  e  r  e  der  endständigen  Olive  des  Schlauches,  im 
Bereiche  des  Pylorus  ein  noch  nicht  klarer  wenig  differenter, 
rasch  arbeitender,  wohl  aktiver  Mechanismus  und  im  Duo¬ 
denum  wieder  die  Schwere  der  Olive  ist.  Als  wir  soweit 
hielten,  war  es  klar,  dass  das  massgeblichste  Moment  für  die 
Ueberwindung  der  einzelnen  bekanntlich  in  recht  verschie¬ 
denen  Richtungen  gelagerten  Abschnitte  die  L  a  g  e  r  u  n  g  des 
Kranken  ist.  Die  entsprechende  Lagerung  zu  finden,  dabei  den 
individuellen  Verschiedenheiten  (Rinderhorn-  und  Hacken¬ 
magen,  ptotisches  und  gut  getragenes  Duodenum  etc.)  Rech¬ 
nung  zu  tragen,  und  schliesslich  das  Ganze  zu  vereinfachen, 
indem  wir  versuchten,  an  Stelle  zweier  sich  ergebender  Lage- 
i  ungen  eine  einzige,  sozusagen  resultierende  zu  setzen,  war 
unsere  nächste  Aufgabe.  So  sind  wir  zu  einer  Technik  gelangt, 
welche  uns  fast  ohne  Niete  in  rund  25  Minuten  ans  Ziel  führt! 
und  die  auch  in  pathologischen  Fällen  von  der  absoluten  Un¬ 
möglichkeit  abgesehen,  gleich  gut  funktioniert.  Sie  wird  bei 
uns  von  einer  Krankenschwester  nach  einstündigem  Unter- 
Uchte  durchgeführt  und  dieselbe  kann  zwei  Patienten  zugleich 
und  zwölf  an  einem  Vormittag  besorgen. 

Wir  möchten  zunächst  die  Beobachtungen  schildern,  welche  den 
Mechanismus  der  Passage,  soweit  notwendig,  aufgeklärt 
haben.  Wir  bedienen  uns  hierzu  eines  Protokolls.  J.  K.  9.  X.  13  (30) 
25  jähr.  Mann,  früher  immer  gesund,  seit  6  Wochen  magenleidend, 
Magendrücken,  Druckgefühl,  leichte  Schmerzen  vor  und  eine  Stunde 
p.  c.,  Hungerschmerz,  essen  lindert  die  Schmerzen,  kein  Erbrechen, 
Stuhl  regelmassig,  Nikotin  +,  objektiv  nihil,  insbesondere  kein  Druck- 
punkt.  P.  F.  48—78,  zur  Röntgenuntersuchung  zugewiesen  von  der 
Abteilung  Prof.  Schütz,  die  uns  in  liberalster  Weise  in  unseren 
Bemühungen  unterstützt  hat,  mit  der  engeren  Fragestellung:  Röntgen¬ 
untersuchung  des  Magens  und  Duodenum.  Der  Röntgenbefund  war 
normal  bis  auf  sehr  ausgeprägte  Rinderhornform  (Hypertonie  des 
Magens.  Der  (i  r  o  s  s  sehe  Schlauch  (siehe  unten)  wurde  mit  der 
U  ive  in  den  Rachen  geschoben  und  die  grosse,  am  Schirm  sichtbare 
Olive  gelangte  unter  allmähligem  Nachfolgen  des  lose  gehaltenen 
Schlauches,  während  der  Patient  über  unsere  Anweisung  ständig 
schluckte,  langsam  in  die  Pars  cardiaca.  Dort  blieb  die  Olive  liegen 
bis  der  nachgeschluckte  Teil  des  Schlauches  eine  Schlinge  von  etwa 
drei  Fingerlängen  gebildet  hatte  und  nun  sah  man  bei  der  Durch¬ 
leuchtung  des  aufrechtstehenden  Patienten  die  Olive  plötzlich  fast 
so  schnell  wie  im  freien  Fall,  bei  nachträglicher  Schätzung  doch 
langsamer,  etwa  in  1  cm-Sekunden-Tempo  an  den  kaudalen  Pol  des 
Magens  fallen,  von  wo  sie  in  den  nächsten  Minuten,  die  damit  ver¬ 
gingen,  dass  wir  den  Patienten  Wismuthwasser  einspritzten,  an  die 
rechte  Begrenzung  der  Wismuthfüllung  des  Rinderhornmagens  ge- 

1 


1994 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  39. 


langte.  Nun  war  es  klar,  dass  die  Lokomotion  der  Olive  im  Magen 
mehr  durch  ihre  Schwere  gefördert  wird,  als  durch  die  Peristaltik  und 
wir  überlegten  schon,  dass  die  Peristaltik  umsoweniger  leisten  würde, 
je  weiter  das  Magenvolumen  und  je  weniger  tief  die  Wellen  sind. 
In  diesem  Sinne  konnten  wir  überzeugt  sein,  dass  im  Bereiche  des 
kaudalen  Sackes,  insbesondere  beim  Hackenmagen,  die  Peristaltik  ein 
meist  insuffizierter  Motor  für  die  Olive  ist,  wenn  nicht  gerade  in 
dem  betreffenden  Falle  hoch  beginnende  und  fast  vollkommen  ab- 
schnürende  (ballenförmige)  Peristaltik  besteht.  Tatsächlich  findet 
man  bei  Benützung  einer  sinkenden  Wismuthkapsel,  dass  die  Peri¬ 
staltik  die  am  kaudalen  Pole  liegenden  Kapseln  nach  Art  einer  Bagger¬ 
maschine  zwar  in  die  Nähe  des  Pylorus  bringt,  dass  sie  dann  aber 
offenbar  über  den  nun  schon  vertikal  liegenden  Gipfeln  der  Wellen 
in  den  kaudalen  Sack  zurückfallen.  Naturgemäss  werden  diese  Ver¬ 
hältnisse  umso  günstiger,  die  Magenperistaltik  vermag  die  Kapseln 
um  so  sicherer  zu  erfassen  und  vorwärts  zu  bringen,  je  mehr  wir  die 
Olive  des  Schlauches  mit  anderen  Mitteln  dem  Pylorus  nähern,  weil 
dort  das  Magenlumen  am  engsten,  die  Peristaltik  am  tiefsten  und 
die  Muskulatur  am  stärksten  ist.  Wir  haben  daher  dem  Patienten 
mit  Rücksicht  darauf,  dass  er  einen  Rinderhornmagen  hatte  und  dass 
nach  unseren  Kenntnissen  die  Pars  superior  duodeni  in  der  gleichen 
Horizontalebene  liegt  wie  die  Pars  pylorica  ventriculi,  dass  also  diese 
beiden  Strecken,  in  deren  Mitte  der  schwierigst  zu  überwindende 
Punkt  des  Pylorus  gelegen  ist,  einen  horizontal  gelegenen,  im  wesent¬ 
lichen  von  vorn  nach  hinten  ziehenden  Halbkreis  beschreibt,  dessen 
wichtigste  Strecke  schräg  von  links  vorne  nach  rechts  hinten  zieht,  in 
halbrechte  Seitenlage  gebracht.  Nach  5  Minuten  erhielten  wir  alkali¬ 
sches  Sekret,  das  nicht  wieder  sauer  wurde. 

An  dem  Prinzip,  die  Schwere  mittels  der  Lagerung  zu¬ 
gunsten  der  Lokomotion  zur  Geltung  zu  bringen,  festhaltend, 
haben  wir  überlegt,  dass  der  Rinderhornmagen  in  dieser 
Richtung  besonders  einfache  Verhältnisse  bietet.  Wir  haben 
ferner  konstatiert,  dass  in  den  bisherigen  Fällen,  in  denen  wir 
manchmal  nach  kurzer  Zeit  ins  Duodenum  gelangten,  manch¬ 
mal  nach  Stunden  noch  im  Magen  waren,  die  ersteren  meist 
Rinderhornmagen  hatten  und  wir  haben  daher  beschlossen, 
bei  Hackenmagen  nacheinander  aufrechte  Stellung,  rechte 
Seitenlage,  halbrechte  Seitenlage  und  schliesslich  Beckenhoch¬ 
lagerung  einnehmen  zu  lassen,  um  so  auch  bei  Hackenmagen 
an  das  vorläufige  Ziel  zu  kommen,  nämlich,  dass  die  Olive 
sich  dem  Pylorus  anlagert.  Der  Erfolg  blieb  nicht  aus.  Da 
wir  jedoch  von  Durchleuchtungen  im  Liegen  her  wissen,  dass 
jeder,  und  wäre  es  der.  elongierteste  Hackenmagen  im  Liegen 
durch  Emporrücken  des  ganzen  Bauchinhaltes  und  Erweite¬ 
rung  der  unteren  Thoraxapertur  sich  der  Form  eines  Ueber- 
gansmagens  nähert,  so  haben  wir  zwar  die  Beckenhoch¬ 
lagerung  beibehalten,  aber  den  Versuch  gemacht,  die  halb- 
rechte  Seitenlage  durch  die  Rückenlage  zu  ersetzen.  Dabei 
haben  wir  auch  bedacht,  dass  bei  elongierten  Hackenmagen  in 
allen  Rechtslagen  sich  nicht  nur  der  Inhalt  des  Magens  nach 
rechts  verschiebt,  sondern  der  ganze  Magen  mit  dem  Inhalt 
nach  rechts  wandert,  so  dass  dann  in  der  auf  der  rechten 
Seite  gelagerten  Patienten  die  Pars  pylorica  zum  Teil  wieder 
ein  steil  nach  aufwärts  ziehendes  Rohr  bildet,  was  natürlich 
ungünstig  wäre.  So  kamen  wir  zu  folgenden,  in  der  Reihe 
der  Ausführung  einander  folgenden  Lagen,  Einführung  in 
sitzender  Stellung,  hierauf  erklimmt  der  Patient  den  Tisch 
unter  Vorbeugen  des  Oberkörpers,  sozusagen  auf  allen  Vieren, 
wobei  das  Hindernis  der  nicht  seltener  Pseudosanduhrmägen 
(Krümmung  der  Achse  der  Pars  cardiaca  und  media  mit  nach 
hinten  unten  gerichteter  Konkavität)  überwunden  wird,  und 
begibt  sich  über  die  sitzende  in  die  rechte  Seitenlage  mit 
leicht  erhöhtem  Oberkörper,  wo  er  (wir  führen  hier  gleich  die 
aus  der  Praxis  gewonnenen  Zeiten  ein)  nach  Einführung  bis 
70  cm  noch  5  Minuten  bleibt  und  nimmt  hierauf  Rückenlage 
mit  Beckenhochlagerung  ein,  in  welcher  der  Patient,  ohne  sich 
aufzusetzen,  mittels  unterschieben  desselben  Keilpolsters, 
welches  in  der  ersten  Stellung  zur  Erhöhung  des  Oberkörpers 
diente,  gebracht  wird  (10  Minuten).  Diese  Technik  hat  sofort 
und  bis  heute  die  guten,  unten  näher  zu  schildernden  Resultate 
gegeben. 

Wenn  wir  die  Schlauchtechniken  der  Autoren  überblicken,  so 
ergibt  sich,  dass  Gross1)  einen  dünnwandigen  Schlauch  von  Nr.  20 
französisches  Kaliber  und  eine  schwere  grosse  Olive  im  Ende  des 
üummischlauches  (ca.  10  g  schwer  und  1,5  cm  lang)  verwendet.  Er 
lässt  die  Olive  nüchtern  im  Sitzen  schlucken,  bis  45  cm  des  Schlauches 
aufgezehrt  sind,  worauf  der  Patient  rechte  Seitenlage  einnimmt.  In 
dieser  schiebt  er,  ohne  dass  der  Patient  schluckt,  ganz  sachte  den 
Schlauch  hinein,  mehr  dem  fühlbaren  Zug  der  Metallkugel  folgend, 


bis  zur  Marke  70.  Bei  70  cm  hält  der  Patient  den  Schlauch  mit 
den  Zähnen  fest  und  bleibt  so  in  der  rechten  Seitcnlage  bis  '%  Stunden 
liegen  und  fängt  dann  an,  durch  Absaugung  vom  Sekret  auf  Alkales- 
zenz  zu  prüfen,  welche  in  normalen  Fällen  oft  schon  zu  dieser  Zeit 
besteht.  Wir  bemerken  hier,  dass  wir  in  Befolgung  dieser  Technik 
bei  vielen  auch  nicht  grob  pathologischen  Fällen  sehr  häufig  bis 
3  Stunden  und  auch  da  ohne  Resultat  zugewartet  haben.  Ein¬ 
horn--)  verwendet  eine  ca.  3  g  schwere  Olive  von  2  cm  Länge 
und  einen  dünnen  Schlauch  (Nr.  8  französisch)  mit  dickem  Rand  und 
daher  engem  Lumen.  Er  lässt  eine  X*  Stunde  nach  einem  kleinen 
Frühstück  schlucken  und  halbstündig  Thee  nachtrinken.  Die  Olive  soll 
meistens  nach  3  Stunden  im  Duodenum  sein,  ln  einer  anderen  Modi¬ 
fikation  lässt  Einhorn  den  Schlauch  abends  schlucken  und  aspiriert 
morgens.  Wir  bemerken  hier,  dass  wir  bei  Verwendung  eines  dem 
Einhorn  sehen  nachgebildeten  Schlauches  auch  sehr  lange  Zeiten 
erhielten,  jedenfalls  längere  als  mit  dem  Gross  sehen  Schlauch  mit 
seiner  schweren  Olive.  Wir  mussten  von  diesem  Schlauch  auch 
deshalb  abgehen,  weil  sein  enges  Lumen  bei  der  für  unsere  Zwecke 
notwendigen  Einspritzung  von  Kontrastmitteln  sich  nicht  allzu 
selten  verstopfte.  Auch  für  nicht  rein  flüssigen  Duodenalinhalt  wäre 
er  ungeeignet.  Skalier11 3)  verwendet  den  Einhorn  sehen 
Schlauch  und  die  Einhorn  sehe  Methode,  lässt  die  Patienten  aber 
fortwährend  schlucken  und  behauptet  nach  10—25  Minuten,  längstens 
bis  in  1  Stunde,  das  Duodenum  zu  erreichen,  allein  das  trifft  für  die 
meisten  der  häufigen  Hackenmägen  nach  unserer  Erfahrung  nicht  zu 

Wir  haben  den  grössten  Teil  der  Untersuchungen  mit  dem  Ori- 
ginal-Grossschen  Schlauch  gemacht,  dessen  schwere 
Kugel  unbedingt  beibehalten  werden  muss.  Erst  gegen  Ende  unserer 
Untersuchungen  haben  wir  das  Kaliber  des  Schlauches  etwas  redu¬ 
zieren  lassen,  aber  die  geringe  Wandstärke  und  den  weichen 
Kautschuk  des  Gross  sehen  Schlauches  beibehalten. 

Unsere  Schlauchdimensionen  sind  aussen  6,2  mm  (Ch.  18). 
in  Lichten  4,2  mm,  Wanddicke  1  mm.  Die  eiförmige  Blei¬ 
kugel  ist  die  Gross  sehe  mit  einer  grossen  distalen  und 
vielen  kleinen  siebförmigen  Durchbohrungen  mit  Kupfer  und 
Nickel  galvanisch  überzogen  (Instrumentenfabrik  Leiter, 
Wien  IX,  Mariannengasse).  Zubehör:  Aspirationsspritze  von 
75  ccm  Inhalt,  kongo  und  blaues  Lackmuspapier.  Ein  Keil¬ 
polster  zur  Erhöhung  des  Körpers,  20 — 25  cm  Rückenhöhe. 
Nützlich  eine  Minutenuhr  mit  Signalschlag. 

Palefsky4)  nimmt  von  Gross  die  grosse  schwere  Kapsel 
(7  g  schwer,  1  cm  lang)  und  von  Einhorn  den  dünnen  Schlauch 
(Nr.  8  französisch),  lässt  nüchtern  schlucken  und  in  rechter  Seitcn¬ 
lage  bis  50  cm,  dann,  wenn  er  nicht  gleich  Magensaft  bekommt,  den 
Schlauch  mehrmals  10  cm  zurückziehen.  Er  gibt  1 — 2  Stunden  als 
gewöhnliche  Zeit  für  normale  Fälle  an. 

Daraus  ergibt  sich,  dass  sowohl  unsere  Technik,  als  unsere 
Resultate  wesentlich  von  denen  der  Autoren  abweichen.  An 
Stelle  der  Zeit  über  Nacht  oder  drei  und  mehr  Stunden  haben 
wir  es  anfangs  auf  40  Minuten,  und  durch  Abkürzung  der  ein¬ 
zelnen  Perioden  auf  ca.  25  Minuten  gebracht.  Was  die  Tech¬ 
nik  anbelangt,  so  liegt  das  wesentliche  Neue  der  unseren  in  der 
Hinzufügung  der  Rückenlage  mit  Beckenhoch¬ 
lagerung,  und  diese  entsprang  der  Erkenntnis,  dass  die 
rechte  Seitenlage  zwar  sehr  geeignet  ist,  die  Olive, 
die  ihrer  Schwere  folgt,  die  kleine  Kurvatur  aller  Mägen 
herabgleiten  zu  lassen,  dass  sie  dadurch  aber  in  rechter  Seiten¬ 
lage  nur  bei  den  Rinderhornmägen  an  den  Pylorus  gelangt, 
bei  den  Hackenmägen  jedoch  im  kaudalen  Sack  liegen  bleibt, 
welcher  nämlich  in  rechter  Seitenlage  den  tiefsten  Punkt  des 
Magens  einnimmt;  dagegen  verläuft  die  Pars  praepylorica  bei 
Rückenlage  mit  Beckenhochlagerung  in  der  Richtung  der 
Körperachse  und  gegen  den  Pylorus  hin,  mehr  minder  schräg 
absteigend,  wozu  nicht  nur  die  Beckenhochlagerung,  sondern 
auch  die  Form  der  hinteren  Abdominalwand  im  Bereiche  der 
Wirbelsäule  und  seitlich  von  ihr  beiträgt.  Aus  dem  gleichen 
Grunde  fallen  schwere  Ingesten,  welche  die  Pars  pylorica  noch 
nicht  erreicht  haben,  in  Rückenlage  in  die  Pars  cardiaca  zurück. 
Die  Wirbelsäule  ist  eben  bei  Rückenlage  der  Wasserscheide 
gleich,  von  der  die  Gerinne  im  Magen  nach  rechts  und  links  sich 
verteilen.  Würde  man  daher  die  rechte  Seitenlage  nicht  ver¬ 
wenden  und  direkt  von  der  aufrechten  Stellung  in  die  Rücken¬ 
lage  mit  Beckenhochlagerung  übergehen,  so  würde  die  bei 
Uebergangs-  und  Hackenmägen  etwas  links  im  kaudalen  Pol 
liegende  Kapsel  in  die  Pars  cardiaca  zurückfallen.  So  sehen 
wir  in  der  Aufeinanderfolge  von  sitzender  Stellung, 
rechter  Seitenlage,  Rückenlage,  dann  diese 

2)  B.kl.W.  1910  Nr.  12  und  Med.  Record,  15.  Januar  1910. 

3)  B.kl.W.  1912  Nr.  45:  Zur  Technik  meiner  Behandlungsmethode 
des  Dünndarmes  mit  vernebelten  Medikamenten. 

4)  NewYork  Med.  Journal,  18.  Okt.  1913. 


O  M.m.W.  1910  Nr.  22  und  W.kl.W.  1912  S.  152. 


20.  September  1914 _ MUFNCHeNFR  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


mit  Beckenhochlager  11  n  g  ein  Verfahren,  welches 
allen  \  a  r  i  a  n  t  e  n  der  Magenform,  -grosse  und  -läge  gerecht 
wird,  und  es  möchte  scheinen,  dass  nur  noch  patho¬ 
logische  Verhältnisse  Schwierigkeiten  machen  können. 
I  rotzdein  haben  wir,  abgesehen  von  Stenosen,  auch  bei  vielen 
pathologischen  Fällen  die  gleichen  kurzen  Zeiten  bekommen, 
darunter  auch  bei  sehr  hohen  Säurewerten  und  sogar  bei 
Pj  lorusspasmus  und  vermutlicher  Stenose  mit  röntgenologisch 
nachgewiesener  hochgradiger  Motilitätsstörung. 

,  ^  l;'hr-  Mädchen,  21.  X.  13  (30).  Seit  1  Jahr  krank,  seit 

o  Wochen  Magenschmerzen,  1  Stunde  vor  dem  Essen,  auch  morgens, 
nie  nachts.  Essen  lindert  die  Schmerzen.  Erbrechen,  saures  Auf- 
stossen,  Stuhl  regelmässig,  nachträglich  gibt  sie  an,  einmal 
schokladefarbig  erbrochen  zu  haben.  In  der  Mitte  des  Epi- 
gastrium  eine  druckempfindliche  Stelle.  Probefrühstück  74—100. 
Morphologisch  normaler  Hackenmagen  bis  4  Querfinger  unterhalb  des 
Nabels  reichend,  6  Stunden  nachher  etwa  ein  Sechstel 
der  Mahlzeit  noch  im  Magen,  eine  nicht  bedeutende,  aber 
nicht  zu  vernachlässigende  Motilitätsstörung.  Schlauch 
nüchtern  bis  zu  45  cm  im  Sitzen,  in  rechter  Seitenlage  rasch  bis 
70  cm  10  Minuten  so  liegen  lassen,  dann  10  Minuten  Rückenlage, 
dann  Beckenhochlagerung.  Fast  augenblicklich  erscheint  galligsaurer 
Inhalt  auf  dein  Reagenzpapier  in  der  Schale,  die  sauere  Reaktion 
nimmt  ab  und  ist  in  10  Minuten  dauernd  alkalisch.  Durchleuchtung: 
Olive  in  der  ersten  Jejunumschlinge5).  Nach  Zurückziehen  in  der 
I  ars  inedia  (mittelst  Einspritzung  von  etwas  Kontrastmittel)  lokali¬ 
siert.  Auch  in  einem  Falle  vermutlicher  leichter  Stenose  (6  Stunden 
p.  c.  ein  Viertel  de.r  Mahlzeit  im  Magen,  bei  Wiederholung  mit 
Papavarin  0,06  ein  Sechstel  Rest)  bewirkt  in  offenkundiger  Weise  die 
Beckenhochlagerung  die  Entrierung  des  Pylorus.  Der  Pat.  hat  schon 
■Ji  Stunden  mit  rechter  Seitenlage  und  Rückenlage  verbracht  und 
bisher  stets  saueren,  klaren  Magensaft  geliefert.  Als  wir  dann  den 
Keilpolster  unter  sein  Becken  schoben,  kam  sofort  galliges  Sekret 
Auch  David  erwähnte  einen  Fall  von  gelungener  Sondierung  bei 
leichter  Stenose. 

In  der  Absicht,  auf  Verkürzung  der  Einführungszeiten  hatten  von 
allen  Mitteln  die  Beckenhochlagerung  den  grössten  Effekt.  Wir 
konnten  aber  die  Durchschnittszeit  von  35  Minuten  noch  um  weitere 
10  Minuten  abkürzen,  also  auf  25  Minuten  (meistens  17—23),  indem 
wir  nach  folgender  Ueberlegung  die  Verwendung  der  einfachen 
Rückenlage  beiseite  Hessen  und  von  der  rechten  Seite  mit  erhöhtem 
Oberkörper  direkt  iii  die  Rückenlage  mit  Beckenhochlagerung  über¬ 
gingen. 

Da  die  rechte  Seitenlage  die  Olive,  die  ihrer  Schwere  folgt,  schon 
bis  in  die  rechte  Hälfte  des  kaudalen  Sackes  bringt,  so  besteht  keine 
Gefahr  mehr,  dass  sie  bei  Beckenhochlagerung  wieder  in  die  linke 
Magenhälfte  zurückfällt,  sie  fällt  vielmehr  direkt  an  den  Pylorus.  Tat¬ 
sächlich  zeigte  es  sich,  dass  die  Rückenlage  entbehrlich  ist.  Hier 
zwei  Verlaufsbeispiele  der  Schlaucheinführung  mit  und  ohne  ein¬ 
fache  Rückenlage. 

Fall  16.  X.  13  (31).  Schlaucheinführung  im  Sitzen  bis  45  cm 
4  Minuten)  in  rechter  Seitenlage  bis  70  cm  (5  Minuten).  Kongo  und 
Liegenbleiben  (5  Minuten).  Rückenlage  (10  Minuten),  Becken¬ 
hochlagerung  (10  Minuten),  ständig  neutrales  Sekret.  Durchleuchtung 
im  Stehen:  Olive  im  Genu  inferius,  Gesamtzeit  34  Minuten. 

Fall  13.  XI.  13  (30).  Einführen  im  Sitzen  bis  45  cm  (5  Mi¬ 
nuten),  in  rechter  Seitenlage  bis  70  cm  (5  Minuten).  Kongo  und 
Liegenbleiben  (5  Minuten),  Beckenhochlagerung  (10  Minuten),  ständig 
alkalisch.  Durchleuchtung  im  Stehen.  Olive  im  Genu  inferius.  Ge- 
samtzeit  25  Minuten.  Die  kürzeren  Zeiten,  welche  sich  häufig  finden, 
entstehen  dadurch,  dass  schon  in  rechter  Seitenlage  oder  in  den  ersten 
Minuten  der  Beckenhochlagerung  ständig  alkalisches  Sekret  und  die 
Olive  im  Duodenum  gefunden  wird.  Das  Erstere  ist  insbesondere 
vei  Rinderhornmägen  der  Fall,  wie  wir  das  ja  erwarten  mussten,  da 
wir  die  Beckenhochlagerung  eben  für  die  Fälle  mit  Hackenmagen  in 
Jen  Gang  der  Einführung  eingefügt  haben.  Die  häufigen  Hacken- 
nägen  sind  es  daher  auch,  die  früher  den  Gang  der  ersten  Einführung 
»o  schleppend  gestaltet  haben. 

Eine  weitere  Verbesserung,  die  aber  keine  Verkürzung  bedeutet, 
latte  folgende  Ursache.  In  3  Fällen  hatte  die  Olive  nicht  das  Genu 
nierius  erreicht,  sondern  war  in  der  Pars  superior  geblieben.  In 
;inem  Falle  fiel  sie  sogar  auf  dem  Wege  vom  Einführungstisch  zur 
Jurchleuchtungsstelle  in  den  Magen  zurück  (konstant  neutrales  Se¬ 
kret,  dann  wieder  salzsaures  Sekret,  Durchleuchtung:  Olive  im 
nagen).  Zugleich  sah  man,  dass  die  Schlauchlänge  von  70  cm  ohne 
■wesentliche  Krümmungen  aufgebraucht  war.  70cm  schien  also  nicht 
tenügend  zu  sein.  Wir  haben  daher  weiterhin  nach  den  ersten  5  Mi¬ 
nuten  Beckenhochlagerung  den  Schlauch  auf  80  cm  eingeschoben  und 
Jamit  auch  diese  gelegentliche  Störung  vermieden.  Hier  ein  Verlaufs- 
>eispiel  der  Einführung  bis  70  und  80  cm. 

Fall  18.  XL  13  (30).  Einführung  im  Sitzen  bis  45  cm  (5  Minuten), 
n  rechter  Seitenlage  bis  70  cm  (3  Minuten),  Kongo  und  Liegenbleiben 
p  Minuten),  Beckenhochlagerung  ohne  weitere  Einführung  des 
Schlauches,  kein  konstant  alkalisches  Sekret  (durch  weitere  20  Mi¬ 
nuten),  jetzt  Nachschieben  des  Schlauches  auf  80  cm,  in  5  Minuten 
lauernd  alkalisches  Sekret. 


B)  1.  Studienreise  der  Deutschen  Röntgengesellschaft  nach  Wien. 


1995 


Zur  Ausbildung  der  Methode  haben  wir  auf  die  verschiedenen 
i  Hasen  der  Entwicklung  verteilt  120  Fälle  benützt,  welche  uns  in 
freundlicher  Weise,  besonders  aus  dem  reichen  Material  der  Ab¬ 
teilung  I  rof.  Emil  Schütz,  ferner  der  übrigen  Stationen  des  k.  k.  all- 
gemeinen  Krankenhauses  zugewiesen  wurden. 

Wir  wollen  aus  unseren  Schirmbetrachtungen  noch  zwei  Details 
hervorheben.  Praktisch  wichtig  ist  die  Beobachtung,  dass  bei  der 
Einführung  auf  80  cm  (meist  auch  bei  70  cm)  die  Olive  nach  dem  Auf¬ 
stehen  immer  im  Genu  inferius  duodeni  befunden  wird  und  diese 
Lage  im  Liegen  und  Stehen  bei  leerem  und  gefülltem  Duodenum  mit 
und  ohne  Peristaltik  desselben  dauernd  beibehält,  eine  irgendwie 
offenbar  mechanisch  begründete  Tatsache.  Man  kann  daher  bei  An¬ 
wendung  unserer  Methode  ziemlich  sicher  sein,  dass  man  Sekret 
aus  dem  Genu  inferius,  also  hinter  den  Einmündungsstcllen  der 
grossen  Drüsen  gewinnt,  der  Patient  soll  daher  nicht  liegen  bleiben. 
Bei  Herumgehen  wandert  die  Olive  weiter.  Oefters  freilich  bleibt  die 
]l‘ve  Genu  superius  und  in  einem  Teile  dieser  Fälle  (3  von 
120  Fallen)  kann  es  Vorkommen,  dass  man  fortdauernd  salzsaures 
-  ekret  bekommt,  wodurch  uns  während  der  Einführutlg  verborgen 
bleibt,  dass  die  Olive  schon  im  Duodenum  ist.  Auch  würde  die 
chemische  Verarbeitung  der  Sekrete  darunter  leiden.  Lässt  man  in 
diesem  Falle  sitzende  Stellung  einnehmen,  dann  fällt  die  Olive  ins 
Genu  inferius.  Nachher  lasse  man  die  Patienten  weiter  liegen,  da 
sie  im  Sitzen  zu  würgen  pflegen.  Auch  im  Stehen  würgen  sie  eben¬ 
sowenig  wie  im  Liegen.  Die  Ursache  der  Erscheinung  ist,  dass  die 
Olive  im  Bulbus  duodeni  bleibt,  und,  dass  offenbar  reichlich  Magen¬ 
sekret  in  das  Duodenum  geschafft  wird.  Interessant  ist  die  nicht 
seltene  Beobachtung  (siehe  auch  Fall  21  X.  13  (30),  dass  sofort  nach 
dem  Uebergehen  von  der  rechten  Seitenlage  in  die  Rückenlage  das 
Ausfhessen  des  Sekretes  von  saurer  Reaktion  in  neutrales  oder  alkali¬ 
sches  umschlägt,  die  Olive  also  förmlich  durch  den  Py¬ 
lorus  fällt  oder  wenigstens  sehr  rasch  durchgetrieben  wird 
Jedenfalls  ist  von  einer  selektiven  Zurückhaltung  dieses  groben 
Fremdkörpers  seitens  des  Pylorus  oder  des  Antrum  —  eine  ver¬ 
breitete  physiologische  Anschauung  —  keine  Rede  und  das  ist  wohl 
der  Hauptgrund,  warum  es  überflüssig  ist,  bei  Anwendung  der  rich¬ 
tigen  Lagen  lange  Wartezeiten  für  die  Schlaucheinführung  zu  ge¬ 
brauchen.  Mit  Gross  sind  wir  für  das  Einführen  im  nüchternen 
Zustand  und  empfehlen  die  Patienten  vorher  nicht  rauchen  zu  lassen 
Bei  der  Schlaucheinführung  empfiehlt  es  sich  bei  auftretendem 
Würgen  die  Patienten  durch  energische  Aufforderung  zu  taktmässigem 
Atmen  abzulenken  und  zu  beruhigen. 

Zusammenfassend  ergibt  sich  also: 

Man  erreicht  mit  dem  Schlauch  von  Gross  oder  dem 
unserigen  in  17—25  Minuten,  wenn  nicht  Stenosen  bestehen, 
das  Genu  inferius  duodeni,  wenn  man  folgendermassen  ver¬ 
fährt:  Der  Kranke  schluckt  nüchtern  unter  Nachhilfe  des 
Fingers  des  Arztes  die  Olive  des  eingeölten  Schlauches  i  n 
sitzender  Stellung,  abwechselnd  mit  taktmässigen 
tiefem  Atemholen  bis  zur  Marke  45  cm  und  klemmt  dann  den 
Schlauch  mit  den  Lippen  fest.  Hierauf  besteigt  er,  sich  vorn¬ 
überneigend,  sozusagen  auf  allen  Vieren  den  Tisch  und 
legt  sich  in  rechter  Seitenlage  mit  erhöhtem 
Oberkörper  (Keilposter).  Nun  schiebt  man  den  Schlauch 
sachte  mehr  dem  Gewichte  der  Olive  und  den  Atemzügen 
folgend  bis  zur  Marke  70  ein0),  aspiriert  etwas  Sekret  und 
bekommt  auf  Kongopapier  die  Reaktion  des  Magensaftes.  Nun 
lässt  man  den  Patienten  noch  5  M  i  n  u  t  e  n  mit  abgeklemmten 
Schlauch  liegen.  Dann  legt  er  sich  auf  den  Rücken,  der 
Keilpolster  wird  zur  Becken  h  o  c  h  1  a  g  e  r  u  n  g  verwendet 
und  nach  5  Minuten  wird  der  Schlauch  bis  80  cm  einge¬ 
schoben.  Der  Patient  liegt  so  noch  5  Minuten.  Jetzt  erhält 
man  alkalisches  oder  neutrales  Sekret.  Wenn  ausnahmsweise 
[3  Proz.  unserer  Fälle7)]  nach  15  Minuten  in  Beckenhoch¬ 
lagerung  noch  salzsaurer  Saft  erhalten  wird,  lasse  man  den 
Patienten  aufsetzen  und  nach  einigen  Sekunden  wieder 
hinlegen.  Bei  Entfernung  des  Schlauches  lasse  man  den 
Patienten  nicht  anfassen  und  lasse  ihm  bei  fühlbaren  Hinder¬ 
nissen  (Kardia,  Rachen)  schlucken. 

Will  man  für  andere  Zwecke  mit  dem  Duodenalschlauch 
oder  mit  anderen  Apparaten,  z.  B.  schwere  Kugeln  an  Fäden 
etc.  bloss  in  die  inhaltführenden  Teile  des 
Magens  gelangen,  so  verwendet  man  den  ersten  Teil 
unserer  Einführungstechnik  bis  an  die  dort  gekennzeichnete 
Stelle. 


*)  Für  Gewinnung  von  Mageninhalt  ist  nur  das  Bisherige  nötig. 
)  Unsere  diesbezüglichen  Fälle  waren  insoferne  schlecht,  als 
sie  nicht  nüchtern  waren,  was  die  Einführung  auch  sonst  sehr  ver¬ 
zögern  kann. 


1 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  39. 


1996 


Aus  dem  Institut  für  Krebsforschung  in  Heidelberg 
(Direktor:  Exzellenz  Czerny). 

Untersuchungen  mit  der  Meiostagminreaktion  (As coli 

und  Izar). 

Von  N  e  h  e  m  i  a  B  1  u  m  e  n  t  h  a  1  und  Dr.  Ernst  Frankel. 

I.  DiagnostischeVerwendbarkeit. 

Ueber  die  ersten  mit  der  Reaktion  ausgeführten  Unter¬ 
suchungen  am  hiesigen  Institut  wurde  bereits  vor  längerer  Zeit 
von  R  o  o  s  e  n  und  von  BlumenthaP)  berichtet.  Es  sei  im 
folgenden  kurz  das  Resultat  der  weiteren  Untersuchungen  zu¬ 
sammengefasst,  die  ausführlich  noch  von  Blumenthal  an 
anderer  Stelle  berichtet  werden.  Als  „Antigen“  diente  auch 
hier  wiederum  das  Gemisch  von  Linol-  und  Rizinolsäure 
(Schuchhardt),  meist  in  der  Menge  von  0,01.  Jedoch 
wurde  die  richtige  Mischung  und  die  Dosis  erst  durch  Aus¬ 
titrieren  mit  Normalserum  und  Aszitesflüssigkeit  festgestellt, 
wobei  sich  später  eine  Mischung  von  0,5  g  Linolsäure  und 
0,2  g  Rizinolsäure  in  10  ccm  Alkohol  absolut  als  vorteilhaft 
erwies.  Das  „Antigen“  wurde  alle  8  Tage  neu  gemischt,  da 
es  mitunter  sehr  rasch  unbrauchbar  wurde.  Untersucht 
wurden  318  verschiedene  Sera,  darunter  106  autoptisch  oder 
klinisch  sichere  Karzinome,  24  fragliche  Karzinome,  20  normale, 
31  Gravide  und  118  verschiedene  andere  Erkrankungen. 
Unter  den  letzteren  waren  19  Sarkome,  19  Tuberkulose, 
19  Luesfälle,  4  chronische  Knochenaffektionen,  Diabetes, 
Urämie  etc.  5  Sera  ohne  Diagnose  und  19  mit  einem  schwachen 
Antigen  untersuchte  seien  nur  nebenher  erwähnt. 

Die  folgende  Tabelle  gibt  Aufschluss  über  das  Ergebnis 
der  Meiostagminreaktion,  wobei  Ausschläge  von  1,5  Tropfen 
an  meist  als  schwach-positiv,  von  2  Tropfen  an  als  positiv 
gerechnet  werden.  T  „  h  „  , . i 


Diagnose 

Zahl 

der 

Fälle 

positive  -f- 

schwach  + 

negative  — 

Zahl 

Proz. 

Zahl 

Proz. 

Zahl 

Proz. 

Sichere  Karzinome  .  . 

106 

79 

74,5 

12 

11,3 

15 

14,2 

Fragliche  Karzinome  .  . 

27 

20 

88,3 

3 

2,5 

1 

4,2 

Gravidität  ... 

31 

29 

93,6 

1 

3,2 

1 

3,2 

Normale 

20 

0 

0 

1 

5,0 

19 

95,0 

Sarkome  ....... 

19 

4 

21,1 

5 

26,3 

10 

52,6 

Tuberkulose  ... 

19 

9 

47,9 

0 

0 

10 

52,1 

Lnes  .... 

19 

2 

10,5 

6 

31,6 

11 

57,9 

Andere  Erkrankungen  .  . 

59 

12 

20,4 

3 

5,1 

44 

74,5 

Unter  der  letzten  Rubrik  befinden  sich  folgende  Fälle  mit 
positiven  Reaktionen:  2  Verletzungen,  1  mal  Hautausschlag  mit 
gleichzeitigem  Bestehen  der  Menses,  1  mal  Luesverdacht, 
1  Urämie,  2  mal  Diabetes  mellitus,  2  mal  Cirrhosis  hepatis, 
1  Scharlach  und  1  malignes  Granulom.  Schwach  positiv  rea¬ 
gierte  eine  Pneumonie,  1  Prostatahypertrophie,  1  perniziöse 
Anämie.  8  verschiedene  Darmaffektionen  reagierten  negativ, 
ebenso  Hämorrhoiden,  Gallensteine  etc. 

Betrachten  wir  das  Ergebnis  der  Tabelle,  so  springt  be¬ 
sonders  die  diagnostisch  verwendbare  positive  Re¬ 
aktion  der  Gravidensera  in  die  Augen.  Bei  der 
Gravidität  dürfte  nach  unseren  Erfahrungen 
bereits  in  einem  sehr  frühen  Stadium  eine 
positive  Reaktion  zu  finden  sein,  die  beson¬ 
ders  in  Anbetracht  der  negativen  Reaktionen 
bei  den  normalen,  nicht  menstruierenden 
Frauen  von  Bedeutung  ist. 

In  pathologischen  Fällen  hingegen  wie  bei  Tuberkulose, 
Lues,  Stoffwechselerkrankungen  verliert  die  Reaktion  ihre 
praktische  Bedeutung  für  die  Diagnose,  weil  sie  bei  allen  diesen 
Erkrankungen  nicht  selten  ein  positives  Resultat  ergibt. 

Wie  stellt  sich  nun  die  Verwendbarkeit  der 
Reaktion  für  die  Tumordiagnose?  Die  nur  in  ge¬ 
ringem  Prozentsatz  (30 — 45  Proz.)  positiv  reagierenden  Sar¬ 
kome  fallen  dabei  von  vornherein  weg.  Trennt  man  dagegen 
die  sicherenKarzinome  (106  Fälle,  davon  74,5  Proz.  +, 
11,3  Proz.  +  — ,  14,3  Proz.  — )  in  mehrere  Gruppen,  so  finden 
wir,  dass  die  Hautkarzinome  nicht,  die  des  weib¬ 
lichen  Genitaltrakt  us  nur  schlecht,  und  die 
Mammakarzinome  mit  87  Proz.  positiven  Resul¬ 
taten  nicht  gerade  gut  mit  Hilfe  der  Reaktion  erkennbar  sind. 
Dagegen  finden  wir  unter  40  Karzinomen  des 


Magendarmtraktus  37  positive  =  92,5  Proz.  und 
nur  3  negative  =  7,5  Proz.  Dieses  Resultat  ist  um  so 
günstiger,  als  gerade  eine  Anzahl  der  hier  differential¬ 
diagnostisch  in  Betracht  kommenden  Er¬ 
krankungen  negativ  reagierte  (verschiedene 
Magenleiden,  Hämorrhoiden,  Gallensteine).  Bei  Verdacht  auf 
Leberzirrhose,  bei  Diabetes  etc.  dagegen  ist  die  Reaktion 
differentialdiagnostisch  nicht  zu  verwenden. 

Von  18  operierten  Karzinomen  waren  13  posi¬ 
tiv  (68,4  Proz.),  2  +  (10,5  Proz.)  und  4  negativ  (21,1  Proz.). 
Unter  den  letzteren  befanden  sich  2  operierte  Mammakarzi¬ 
nome  ohne  erkennbares  Rezidiv,  2  mit  beginnendem  Rezidiv. 
Dass  Tuberkulose  und  chronische  Knochenerkrankungen  häufig 
positiv  reagieren,  beeinträchtigt  den  diagnostischen  Wert  der 
Reaktion  sowohl  für  die  Graviditäts-  wie  für  die  Tumor¬ 
diagnose. 

II.  Theorie  der  Reaktion. 

Die  ursprüngliche  Antigen-Antikörpertheorie  der  Meiostag¬ 
minreaktion  verlor  ebenso  wie  die  der  Wasser mann- 
reaktion  ihren  Boden,  als  sich  Alkoholextrakte  aus  normalen 
Organen  als  brauchbares  „Antigen“  erwiesen.  Damit  fiel  auch 
die  Wahrscheinlichkeit  einer  Spezifität  fort,  und  es  blieb  die 
Möglichkeit  quantitativer  oder  qualitativer,  chemischer  oder 
physikalischer  Veränderungen  im  Serum  übrig.  Noch  mehr 
war  dies  der  Fall,  als  sich  gewisse  Fettsäuren  den  übrigen 
„Antigenen“  als  ebenbürtig,  ja  in  mancher  Hinsicht  als  über¬ 
legen  herausstellten.  Trotzdem  auch  bei  uns  meist  das  Linol 
Rizinolsäuregemisch  zu  den  diagnostischen  Untersuchungen 
verwendet  wurde,  schien  es  doch  von  Interesse  zu  sein,  da¬ 
neben  eine  Analyse  der  wirksamen  Bestandteile  bei  den  alko¬ 
holischen  Tumorextrakten  vorzunehmen* 2).  Es  stellte  sich 
heraus,  dass  bei  der  Trennung  der  Extrakte  aus  Kar¬ 
zinom  und  Sarkom  in  verschiedene  Fraktionen,  wie  sic 
von  Klein  und  Fränkel3)  bei  der  Wassermann¬ 
reaktion  angegeben  wurde,  im  wesentlichen  die 
antigenen  Eigenschaften  im  azetonlöslichen 
Teil  des  Aetherextraktes  enthalten  sind.  Aber 
auch  der  azetonunlösliche  Teil  und  die  beide  Teile  enthaltende 
ätherlösliche  Fraktion  aus  dem  alkoholischen  Extrakt  zeigte 
eine,  wenn  auch  schwächere,  antigene  Wirkung.  Dagegen 
erwies  sich  der  ätherunlösliche  Teil  meist 
als  völlig  unwirksam.  Wir  neigen  zu  der  Auffassung, 
dass  die  Wirksamkeit  des  azetonlöslichen  Teiles  vor  allen 
den  darin  enthaltenen  Fettsäuren,  vielleicht  auch  noch  in 
geringem  Masse  ihrer  Kombination  mit  Cholesterin  und  Phos- 
phatiden  zukommt.  Dass  die  azetonunlösliche 
Fraktion,  welche  im  wesentlichen  die  Phos¬ 
phat  i  d  e  enthält,  bei  der  Meiostagminreaktion 
als  schwächer  wirkend  gefunden  wurde,  ver¬ 
dient  hervorgehoben  zu  werden,  da  anderer¬ 
seits  die  antigene  Wirksamkeit  dieses  Ex¬ 
traktanteils  bei  der  WaR.  feststeht  (Noguchi. 
Klein  und  Fränkel).  Eine  ganz  exakte  Trennung  der 
lipoiden  Teile  von  der  ätherunlöslichen  Fraktion  (Salze,  Ei¬ 
weissabbauprodukte)  scheint  bei,  den  Tumorextrakten  aui 
Schwierigkeiten  zu  stossen  (Klei  n). 

Untersuchungen  über  die  Haltbarkeit  des  Linol- 
Rizinolsäuregemisches  ergaben,  dass  häufig  nach 
1  Monat  die  Wirkung  schwächer  wird,  dass  sich  aber  oft 
schon  in  5 — 8  Tagen  eine  Abschwächung  des  Antigens  ein¬ 
stellen  kann,  die  nur  durch  die  Mitführung  von  Kontrollsera 
erkennbar  ist.  Deshalb  empfiehlt  es  sich,  spätestens  alle 
8  Tage  eine  neue  Antigenmiscbung  herzustellen. 

Wie  nun  die  Wirkung  dieser  Fettsäuren  auf  das  Serum 
zu  deuten  ist,  steht  noch  nicht  absolut  fest.  Wir  glauben  am 
ehesten,  in  Analogie  mit  anderen  serologischen  Reaktionen, 
eine  Haftlockerung  der  Kolloide  im  Sinne  einer  Globulinfällung 
als  Ursache  der  Reaktion  annehmen  zu  dürfen.  Nachdem  von 
Blumenthal  angestellte  Versuche  über  den  Einfluss  des 
Cholesterins,  der  Peptone  des  Eiweisses  und  anderer  kapillar 
reaktiver  Stoffe  im  Serum  negative  Resultate  ergeben  hatte, 
zeigte  es  sich,  dass  wir  durch  verschiedene  Bedingungen  eine 

*)  Die  Anregung  hierzu  sowie  die  technische  Ausführung  ver¬ 

danken  wir  der  gütigen  Mitarbeit  von  Dr.  med.  et  phil.  W.  Klein. 

3)  M.m.W.  1914  Nr.  12. 


*)  D.m  W.  1914  Nr  12. 


29.  September  1914. _  MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


1997 


Erhöhung:  der  Tropfenzahl  des  Serums  allein  oder  der  Differenz  I 
heim  Zusatz  von  Fettsäuren  erzielen  konnten:  1.  durch  Er¬ 
höhung  der  H-Ionenkonzentration  im  Serum  beim  Zusatz  von 
organischen  oder  anorganischen  Säuren,  während  eine 
erhöhte  OH-lonenkonzentration  keine  Erhöhung,  sondern 
bisweilen  sogar  eine  Verminderung  der  Tropfenzahl  verur¬ 
sachte;  2.  durch  Verdünnung  des  Serums  mit  Wasser 
(Hydrämie)  während  Einengung  die  Tropfenzahl  herabsetzte: 

durch  Erhitzen  des  Serums  auf  54  0  3 4  Stunde  lang  und 
■}•  durch  Schütteln  des  Serums  bei  Zimmertemperatur  (X  bis 
6  Stunden).  In  dem  letzten  Falle,  der  die  physikalisch-chemi- 
sehe  Natui  der  Reaktion  am  deutlichsten  hervortreten  lässt, 
zeigte  sich  ebenso,  wie  bei  den  anderen  Massnahmen,  Erhitzen, 
Verdünnen  und  Ansäuerung  oft  schon  eine  Erhöhung  der 
Oberflächenspannung  und  Tropfenzahl  im  Serum  allein,  oft 
ober  erst  bei  Zusatz  der  Linol-Rizinolsäureniischung.  Es  liegt 
nahe,  bei  all  diesen  Vorgängen  als  gemeinsam  wirkenden 
Faktor  Veränderungen  im  physikalischen  Zustand  der  Kolloide 
inzunehmen  und  in  dieser  den  eigentlichen  Grund  für  das  Auf- 
reten  einer  erhöhten  Reaktionsfähigkeit  zu  erblicken.  Welche 
Rolle  dabei  die  Reaktion  und  speziell  der  CO^-Gehalt  des 
Serums  spielt,  müssen  weitere  Versuche  zeigen.  Wir  würden 
iann  auch  verstehen,  dass  die  Reaktion  nicht  spezifisch  sein 
;ann.  sondern,  dass  eine  Reihe  von  Veränderungen  im  Serum 
Hydrämie,  Abnahme  der  Alkaleszenz,  Erhöhung  des  Gehaltes 
in  Fettsäuren  etc.)  zu  dem  gleichen  Effekt  führen,  was  mit  den 
chmschen  Erfahrungen  gut  übereinstimmt.  Ein  quantitativer 
'der  vielleicht  sogar  qualitativer  Unterschied  der  Sera  scheint 
ich  beim  Verhalten  gegenüber  dem  Erhitzen  insofern  zu 
eigen,  als  bei  manchen  bereits  die  Tropfenzahl  des  Serums 
in  sich  erheblich  ansteigt,  die  Differenz  bei  Zusatz  von  Linol- 
«hzmolsäure  jedoch  die  gleiche  bleibt,  oder  doch  nur  unerheb- 
ich  wächst,  bei  anderen  dagegen  die  Tropfenzahl  des  Serums 
n  sich  nicht  so  sehr  ansteigt,  wie  die  Differenz  bei  Zusatz 
on  Linol-Rizinolsäure. 


ms  der  med.  Klinik  des  städtischen  Krankenhauses  zu  Frank- 
irt  a.  M.  (Direktor:  Professor  Dr.  Schwenkenbecher). 

leber  die  Bedeutung  der  von  Doehle  beschriebenen 
Leukozyteneinschlüsse  für  die  Scharlachdiagnose. 

Von  Dr.  R.  I  s  e  n  s  c  h  m  i  d  und  Dr.  W.  S  c  h  e  m  e  n  s  k  y. 

Seitdem  im  Jahre  1911  Doehle1)  darauf  hingewiesen 
at,  dass  sich  in  den  Leukozyten  der  in  den  ersten  Tagen 
ines  Scharlach  stehenden  Patienten  regelmässig  Einschlüsse, 
orperchen  von  verschiedener  Form,  durch  besondere  Färbe¬ 
erfahren  darstellen  lassen,  ist  eine  grosse  Zahl  von  Nach- 
ntersuchungen  veröffentlicht  worden. 

D  o  e  h  1  e  selbst  erklärte  im  folgenden  Jahre  2)  die  Kör¬ 
erchen  für  Spirochäten  und  für  Zerfallsprodukte  von  solchen, 
ach  dieser  Auffassung  wäre  ihre  diagnostische  Bedeutung 
esonders  gross,  würden  sie  doch  die  Anwesenheit  des  spezi- 
-chen  Erregers  beweisen,  der  Spirochaete  scarlatinae. 

Fast  alle  Nachuntersuchungen  haben  bestätigt,  dass  in 
-n  ersten  Tagen  des  Scharlachs  im  Protoplasma  der  poly- 
ikleären,  neutrophilen  Leukozyten  Körperchen  von  mannig- 
cher  Form  in  so  gut  wie  allen  Fällen  zu  finden  sind,  auch 
men  die  Untersuchungen  übereinstimmend  ergeben,  dass 
ch  ^  in  vielen  anderen  Krankheiten,  besonders  Infektions- 
ankheiten,  gleichgeformte  und  gleich  färbbare  Körperchen 
mehr  oder  weniger  grosser  Zahl  finden. 

Trotzdem  also  in  der  Hauptsache,  in  den  tatsächlichen 
^Stellungen,  Uebereinstimmung  herrscht,  gehen  die  Urteile 
;er  den  diagnostischen  Wert  der  Körperchen  so  weit  aus- 
nander,  als  es  überhaupt  möglich  ist.  Als  für  Scharlach 
tzifisch  werden  sie  allerdings  nur  von  vereinzelten  Unter- 
ehern  ■’)  angesehen.  Andere  ’)  leugnen  die  diagnostische 

_‘)  Leukozyteneinschlüsse  bei  Scharlach.  Zbl.  f.  Bakt.  61.  1911. 

(  Kieler  med.  Gesellschaft,  Mai  1912,  ref.  M.m.W.  1912  S.  1688. 

I  Gromski:  Pregled  pedgatigasny  4.  191 2,  ref.  Zbl.  f.  d.  gcs. 
^7.1913. —  Amato:  Sperimentale  Jg.  67,  1913;  ref.  Zbl.  f.  inn. 

*)  Iskender  Ahmed:  B.kl.W.  1912  S.  1232.  —  G  1  o  rn  s  e  t:  Journ. 
uifect.  dis.  1912  S.  468;  ref.  Zbl.  f.  d.  ges.  inn.  M.  4.  1912.  —  Pr  e  i  - 

eh:  Bkl.W.  1912  S.  771. 


Bedeutung  der  Einschlüsse  gänzlich.  Die  meisten  Autoren 
neigen  dazu,  ihnen  einen  gewissen  —  grösseren  oder  ge¬ 
ringeren  —  diagnostischen  Wert  beizumessen. 

Die  Untersucher  haben  verschiedene  Färbungen  benutzt. 
Die  von  Doehle  selbst  empfohlenen  Färbemethoden  sind 
auffallenderweise  nur  von  den  wenigsten  gebraucht  worden. 
Die  meisten  färbten  mit  Methylenblau  nach  Manson, 
während  andere  mit  der  Färbung  nach  Giemsa r’),  ja  auch 
mit  der  M  a  y -  Grünwald  sehen  °)  Färbung  zum  Ziele  ge¬ 
langten,  Färbungen,  deren  Brauchbarkeit  zu  diesem  Zwecke 
andere  Autoren  leugnen.  Wir  vermuteten  anfänglich,  dass 
die  grossen  Unterschiede  in  der  Beurteilung,  welche  zwischen 
den  einzelnen  Untersuchern  bestehen,  im  wesentlichen  auf 
den  Leistungsdifferenzen  der  verschiedenen  Färbemethoden 
beruhen  könnten. 

Aber  für  alle  Fälle  konnte  das  nicht  zutreffen.  Führte 
doch  ein  und  dieselbe  Färbeme^thdde  den  einen  zu  einer 
günstigen  Beurteilung ')  des  diagnostischen  Wertes,  andere 
zu  einem  verwerfenden  Urteil s). 

Da  es  uns  nicht  gelang,  uns  an  der  Hand  der  Literatur  mit 
ihren  vielen  widersprechenden  Angaben  ein  Urteil  über  die 
diagnostische  Brauchbarkeit  der  Doehle  sehen  Körperchen 
zu  bilden,  unternahmen  wir  eigene  Untersuchungen. 

Durch  die  Liebenswürdigkeit  des  Herrn  Professor 
Doehle  hatte  der  eine  von  uns  Gelegenheit,  an  Ort  und 
Stelle  Präparate  und  Färbetechnik  kennen  zu  lernen. 

Wir  benutzten  zu  unseren  Untersuchungen  vorwiegend 
zwei  Färbungen: 

1.  Da  sKarboI-Methylgrün-PyroninnachPappen- 

lieim-Unna.  Da  diese  Färbung  manche  Autoren,  z.  B.  K  r  e  t  s  c  h  - 
m  e  r,  nicht  befriedigt  hat,  wir  sie  aber,  wie  Doehle,  für  besonders 
brauchbar  halten,  wollen  wir  auf  die  Einzelheiten  kurz  eingehen. 
Die  lufttrockenen  Ausstriche  wurden  sofort  in  Aethyl-  oder  Methyl¬ 
alkohol  fixiert  und  gewöhnlich  etwa  2  Stunden  im  Brutschrank  bei 
37  in  der  Farblösung  stehen  gelassen.  In  höher  temperierten  Schrän¬ 
ken,  z.  B.  in  Paraffinöfen,  genügt  eine  kürzere  Färbung.  Die  Farb¬ 
lösung  bezogen  wir  direkt  von  Grübler,  Leipzig.  In  der  Apotheke 
hergestellte  Hess  uns  ausnahmslos  im  Stich,  während  die  aus  Leipzig 
bezogene  mit  Ausnahme  einer  einzigen  Flasche  sehr  gut  färbte.  Die 
Lösung  wird  unverdünnt  benutzt  und  kann  mehrmals  zur  Färbung 
dienen.  Woran  es  liegt,  dass  die  Farblösung  verschiedener  Pro¬ 
venienz  an  Wirksamkeit  ungleich  ist,  vermögen  wir  nicht  zu  sagen 
Jedenfalls  ist  nicht  das  Alter  der  Lösung  massgebend.  Gute  Lösung 
konnte  monatelang  immer  wieder  von  uns  benutzt  werden,  ohne  an 
Färbekraft  wesentlich  einzubüssen.  Die  Einschlüsse  färben  sich  leuch¬ 
tend  rot,  während  das  Protoplasma  ganz  blass  rosa  bleibt.  Die  Kerne 
werden  gewöhnlich  braun-violett,  ausnahmsweise  nehmen  sie  einen 
grünlichen  Ton  an. 

2.  Die  Färbung  mit  Borax-Methylenblau  nach 
Manson  benutzten  wir  neben  der  anderen  vor  allem,  weil  sie  so 
einfach  in  ihrer  Handhabung  ist  (mehrere  Sekunden  bis  Minuten,  je 
nach  der  Konzentration  der  angewandten  Lösung,  bei  Zimmertempera¬ 
tur  zu  färben)  und  sie  von  den  meisten  Autoren  bevorzugt  wurde 
Wir  empfehlen  diese  Methode  nicht,  jedenfalls  nicht  als  Normalver¬ 
fahren.  Bei  frischem  Scharlach  gibt  sie  allerdings  die  gleichen  Re¬ 
sultate  wie  das  Methylgrün-Pyronin,  an  späteren  Krankheitstagen  ist 
sie  dieser  manchmal  sogar  überlegen,  sie  färbt  aber  auch  bei  anderen 
Krankheiten  oft  mehr  Einschlüsse  als  die  Methylgrün-Pyroninlösung. 
Wenn  es  sich  also  um  Unterscheidung  des  Scharlach  von  anderen 
Krankheiten  handelt,  treten  die  Unterschiede  bei  der  Methylenblau- 
farbung  manchmal  weniger  deutlich  zutage  als  bei  der  Färbung  nach 
Pappen  heim- Unna.  Ein  weiterer  Nachteil  der  Methylenblau¬ 
färbung  liegt  darin,  dass  sie  sowohl  die  Einschlüsse  als  auch  die 
Kerne  blau  färbt.  Wenn  ein  Körperchen  dem  Kern  nahe  liegt,  kann 
es  für  einen  Bestandteil  desselben  gehalten  werden.  Der  Farbton 
in  welchem  Kern  und  Einschlüsse  sich  färben  ist  allerdings  auch  bei 
dieser  Färbung  für  die  genaue  Betrachtung  nicht  ganz  derselbe.  Es 
ist  deshalb  auffallend,  dass  so  manche  Untersucher5 * 7 8 9)  die  Doehle- 
schen  Einschlüsse  mit  recht  grosser  Bestimmtheit  für  Kernfragmente 
erklärten. 

Der  Gebrauch  der  Differentialfärbung  nach  Unna- 
Pappenheim,  welche  die  Einschlüsse  grell  rot,  die  Kerne 
gewöhnlich  bräunlich-violett  färbt,  lässt  den  Gedanken  an 
Kernfragmente  gar  nicht  aufkommen. 

Wir  haben  ungefähr  80  typische  frische  Scharlachfälle 
untersucht  und  die  Einschlüsse  in  den  neutrophilen  poly- 

5)  Nicol  1  und  Williams:  Arch.  of  ped.  29.  1912. 

°)  Beläk:  D.m.W.  1912  S.  2454. 

7)  Kretschmer:  D.m.W.  1912  S.  2163  und  B.kl.W.  1912 
S.  499 

8)  Bongartz:  B.kl.W.  1912  S.  2124  u.  a.  m 

)  Ahmed:  I.  c.,  Bongartz:  1.  c.,  u.  a. 


i 


1998 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  39. 


nukleären  Leukozyten  niemals  vermisst..  Die  Körperchen  sind  ; 
sehr  vielgestaltig  wie  die  meisten  Autoren  betont  haben.  Wir  | 
möchten  aber  auf  bestimmte  Formen  besonderes  Gewicht 
legen,  weil  wir  sie  viel  seltener  als  andere  Formen  bei  „Nicht¬ 
scharlachkranken“  angetroffen  haben.  Die  länglich  drei¬ 
eckigen,  bimförmigen,  in  einen  langen  Schwanz  auslaufenden 
Körperchen  sind  für  Scharlach  viel  charakteristischer  als  die 
auch  bei  dieser  Krankheit  in  grösserer  Zahl  vorkommenden  , 
kleinen  und  kleinsten  kugeligen  und  punktförmigen  Gebilde. 
Charakteristisch  sind  auch  Paare  von  kleinen  Körperchen, 
welche  eine  gewisse  Aehnlichkeit  mit  Diplokokken  aufweisen. 
Die  beiden  Körperchen  liegen,  im  Gegensatz  etwa  zu  Diplo¬ 
kokken,  nicht  auf  gleicher  Höhe,  sondern  sie  erscheinen  aus¬ 
nahmslos  gegeneinander  etwas  verschoben.  Auch  Paare  von 
nebeneinander  liegenden  Stäbchen,  die  ebenfalls  gewöhnlich 
eine  etwas  schräge  Lage  zueinander  einnehmen,  haben  wir 
bei  Scharlach  recht  häufig  angetroffen.  In  einigen  Fällen 
haben  wir  endlich  Gebilde  von  der  Form  langer  Fäden  mit 
zackigem  Rande  gesehen,  welche  uns  die  Frage  aufdrängten, 
ob  es  sich  vielleicht  um  etwas  veränderte  Spirochäten  han¬ 
delte.  Die  Form  dieser  Fäden  war  nie  eine  so  regelmässige, 
der  Rand  kein  so  scharfer,  dass  wir  sie  nicht  anders  denn  als 
Spirochäten  hätten  deuten  können.  Wir  dachten  dabei  eher 
an  Gerinnsel  im  Protoplasma,  die  vielleicht  bei  der  Fixation 
ausgefallen  sein  konnten.  Die  Form  dieser  Fäden  allein  konnte 
uns  weder  von  der  Spirochätennatur  überzeugen,  noch  gab  sie 
uns  anderseits  das  Recht,  diese  Auffassung  ohne  weiteres 
abzulehnen. 

Die  in  einer  D  o  e  h  1  e  sehen  Publikation  10)  abgebildete 
Spirochäte  ist,  anscheinend  durch  Unvollkommenheit  der  Re¬ 
produktion,  unkenntlich  geworden,  so  dass  sie  wohl  nicht 
viele  Leser  von  ihrer  Spirochätennatur  überzeugt  hat.  Herr 
Professor  D  o  e  h  1  e  hatte  aber  die  Freundlichkeit,  dem  einen 
von  uns  die  Photographie  eines  solchen  Präparates  zu  zeigen. 
Form  und  Begrenzung  dieses  Gebildes  waren  so  durchaus 
typisch  und  scharf,  dass  es  nicht  wohl  möglich  war,  an  seiner 
Spirochätennatur  zu  zweifeln. 

Eine  andere  Frage  ist,  ob  man  die  anders  geformten  Ein¬ 
schlüsse  als  Zerfallsprodukte  eines  solchen  Parasiten  auf¬ 
fassen  darf. 

D  o  e  h  1  e  machte  darauf  aufmerksam,  dass,  wenn  auch  die  Kör¬ 
perchen  bei  anderen  Krankheiten  Vorkommen,  es  sich  doch  meistens 
um  Krankheiten  handelt,  welche  Ulzeration  im  Verdauungstraktus 
aufweisen  (Anginen,  Diphtherien,  Darmtuberkulosen  etc.),  dass  also 
die  Möglichkeit  des  Uebertritts  von  Spirochäten  in  die  Blutbahn  immer 
Vorgelegen  hat.  Damals  war  aber  das  häufige  Vorkommen  bei  krup¬ 
pöser  Pneumonie  noch  nicht  bekannt.  Wir  werden  noch  darauf  zu¬ 
rückkommen,  möchten  hier  aber  betonen,  dass  uns  das  Vorkommen 
bei  kruppöser  Pneumonie  zu  verbieten  scheint,  die  Mehrzahl  der 
Körperchen  als  Umwandlungsprodukte  von  Spirochäten  aufzufassen. 
Sollten  nicht  eher  die  vereinzelten,  wirklichen  Spirochäten,  welche 
D  o  e  h  1  e  im  Scharlachblut  gesehen  hat,  zufällige  Nebenbefunde  sein, 
indem  etwa  banale  Mundspirochäten  durch  Ulcera  im  Rachen  den 
Weg  ins  Blut  gefunden  haben? 

Wir  unserseits  möchten  dazu  neigen,  die  Körperchen  für 
Verdichtungen  im  Protoplasma  der  Leukozyten  zu  halten,  zu 
deren  Bildung  die  infektiöse  Noxe  irgendwie  Veranlassung  gibt. 

Da  wir  die  Körperchen  bei  frischen,  typischen  Scharlach¬ 
fällen  ausnahmslos  gefunden  haben,  schliessen  wir  uns 
den  Autoren  an,  welche  dem  negativen  Befund  eine  diagno¬ 
stische  Bedeutung  beimessen.  Bei  Patienten,  die  erst 
vor  wenigen  Stunden  oder  Tagen  fieberhaft 
erkrankten,  schliesst  das  Fehlen  von  Doehle- 
schen  Einschlüssen  Scharlach  aus.  Man  muss 
dabei  allerdings  im  Auge  behalten,  dass  in  einzelnen,  besonders 
leichten  Scharlachfällen  die  Körperchen  spärlich  und  klein  sind. 
Aber  man  wird  immer  einzelne  von  den  oben  beschriebenen 
charakteristischen  Formen  unschwer  finden.  Findet  man  nur 
kleinste,  kugelige  und  punktförmige  Gebilde,  betrachten  wir 
den  Befund  als  negativ  und  schliessen  frischen  Scharlach  aus. 

Was  das  Verhalten  der  Körperchen  im  Verlauf  des  Scharlach 
betrifft,  so  können  wir  nur  die  Angaben  anderer  Autoren  bestätigen.  In 
uen  meisten  Fällen  werden  sie  vom  4.  bis  5.  Tage  an  spärlicher  und 
schlechter  —  d.  h.  blasser  —  färbbar,  auch  sind  sie  schon  weniger 
scharf  konturiert  und  verschwinden  in  den  folgenden  Tagen,  bald 
früher,  bald  später,  vollkommen.  In  einzelnen  Fällen  halten  sie  sich 

lü)  Zbl.  f.  Bakt.  65.  1912.  H.  1/3. 


mehrere  Wochen  lang,  auch  wenn  keine  Komplikationen  auftreten 
Durchschnittlich  haben  schwerere  Fälle  zahlreichere  und  grössere 
Einschlüsse  als  leichtere,  doch  haben  wir  schwere  Fälle  mit  wenigen, 
leichte  Fälle  mit  zahlreichen  Einschlüssen  angetroffen.  Dass  auch 
Fälle  ohne  Exanthem  und  bereits  Entfieberte  reichlich  Einschlüsse 
aufweisen  können,  haben  wir  zu  bestätigen.  Auch  mit  dem  Auftreten 
von  Urobilin  im  Harn  konnten  wir  kein  regelmässiges  Parallelgehen 
feststellen.  Reichliches  Auftreten  von  Urobilin  und  von  Körperchen 
ist  ja  allerdings  am  häufigsten  bei  schweren  Fällen  und  fällt 
deshalb  häufig  zusammen. 

Wir  haben  das  Blut  von  ungefähr  80  an  anderen  Krank¬ 
heiten  leidenden  Patienten  und  von  einigen  gesunden  Menschen 
untersucht. 

In  5  Fällen  von  kruppöser  Pneumonie  fanden  wir 
4  mal  reichlich  Einschlüsse  von  typischer  Form  und  Färbbar¬ 
keit,  So  dass  wir  nicht  daran  zweifeln  konnten,  dass  es  sich 
um  die  gleichen  Gebilde  wie  bei  Scharlach  handelte.  Wir  be¬ 
finden  uns  damit  in  voller  Uebereinstimmung  mit  anderen 
Autoren  “).  Gegenüber  kruppöser  Pneumonie  können  also 
positive  Befunde  von  Körperchen  zur  Differentialdiagnose  des 
Scharlachs  nicht  herbeigezogen  werden. 

Diphtherie  gibt  ja  besonders  häufig  Veranlassung  zu 
differentialdiagnostischen  Erwägungen  gegenüber  Scharlach. 
Die  Angaben  der  Autoren  über  Befunde  von  Einschlüssen 
gehen  aber  gerade  bei  dieser  Krankheit  besonders  weit  ausein¬ 
ander.  Wir  haben  16  frische  Diphtheriefälle  untersucht.  Nur 
in  einem  einzigen  Falle  fanden  wir  reichlich  typische  Ein¬ 
schlüsse  in  grosser  Zahl,  wie  wir  sie  bei  Scharlach  zu  sehen 
gewohnt  sind.  In  6  weiteren  Fällen  fanden  sich  in  geringerer 
Zahl  Einschlüsse,  die  zum  grössten  Teil  kleiner  waren,  zum 
geringen  Teil  aber  an  Form  und  Grösse  mit  den  bei  Scharlach 
vorkommenden  völlig  übereinstimmten.  Diese  6  Fälle  wiesen 
also  einen  Befund  auf,  wie  wir  ihn  in  leichtesten  Scharlach¬ 
fällen  ab  und  zu  gesehen  haben.  9  Diphtheriefälle  zeigten 
teils  keine  Einschlüsse  von  charakteristischer  Form,  teils 
überhaupt  keine  Körperchen. 

Zur  Differentialdiagnose  von  Scharlach 
gegenüber  Diphtherie  können  die  Körper¬ 
chen  also  nur  beitragen,  wenn  sie  ganzfehlen, 
—  Scharlach  ist  dann  ausgeschlossen  —  oder 
aber  wenn  sie  in  sehr  grosser  Zahl  vorhanden 
sind  — ,  Scharlach  ist  dann  viel  wahrschein¬ 
licher  als  Diphtherie. 

Aehnlich  verhalten  sich  gewöhnliche  lakunäre  An¬ 
ginen.  Von  13  Fällen  zeigten  zwei,  wenn  auch  in  sehr  ge¬ 
ringer  Zahl,  Einschlüsse  von  der  gleichen  Form,  wie  sie  bei 
Scharlach  zu  finden  sind,  die  anderen  11  zeigten  nichts  den 
D  o  e  h  1  e  sehen  Körperchen  ähnliches.  Bei  8  fehlten  Ein¬ 
schlüsse  ganz,  bei  dreien  waren  äusserst  kleine,  punktförmige 
Körperchen  vorhanden,  die  wir  nicht  als  positive  Befunde 
rechnen. 

Wir  vermuten,  dass  die  grossen  Unterschiede,  welche  zwischen 
den  Angaben  verschiedener  Autoren  über  die  Zahl  der  positiven  Be¬ 
funde  bei  Diphtherie  bestehen,  zum  guten  Teil  darauf  beruhen,  dass 
manche  auch  diese  kleinsten,  punktförmigen  Gebilde,  welche  beson¬ 
ders  mit  der  M  a  n  s  o  n  sehen  Färbung  in  vielen  Diphtheriefällen  allein 
zu  finden  sind,  als  positive  Befunde  rechnen,  während  andere  mit 
anderen  Färbungen  und  anderer  Beurteilung  zu  einer  geringeren  Zahl 
von  .positiven  Befunden  gelangen.  Geben  doch  Bongartz12)  und 
B  e  1  ä  k  13)  an,  in  allen  untersuchten  Diphtheriefällen  Einschlüsse  ge¬ 
funden  zu  haben,  während  Kretschmer14)  u.  a.  betonen,  dass 
die  bei  Diphtherie  auffindbaren  Körperchen  klein  und  weniger  poly¬ 
morph  sind  als  die  für  Scharlach  charakteristischen. 

Ros  an  off15),  welcher  die  grösste  Zahl  (144)  von  Diphtherien 
untersucht  hat,  gibt  38  Proz.  positive  Befunde  an.  Das  entspricht 
auch  ungefähr  unseren  Erfahrungen.  Wenn  man  aber  eine  solche 
Zahl  gelten  lässt,  muss  man  hinzufügen,  dass  darunter  nur  sehr  wenige 
sind,  welche  typisch  geformte  Einschlüsse  in  gleich  grosser 
Zahl  aufweisen  wie  ein  durchschnittlicher  Scharlachfall. 

In  6  Fällen  von  Röteln  haben  wir  stets  negative  Be¬ 
funde  gehabt.  Da  N  i  c  o  1 1 1B)  bei  40 — 50  Fällen  von  Röteln 


“)  Johanna  Schwenke:  M.m.W.  1913  S.  75 2.  —  Kretsch¬ 
mer:  B.kl.W.  1912  S.  499. 

’•-)  B.kl.W.  1912  S.  2124. 

13)  D.in.W.  1912  S.  2454. 

14)  D.m.W.  1912  S.  2163. 

15)  Arch.  f.  Kindhlk.  62.  1914.  S.  321. 

lß)  Arch.  of  pediatr.  30.  1913,  ref.  Zbl.  f.  d.  ges.  inn.  M.  < 
1913.  S.  60. 


1 999 


29.  September  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


ebenfalls  niemals  positive  Befunde  erhoben  hat,  ist  also 
der  positive  Befund  zur  Differential  <dia- 
snose  zwischen  Scharlach  und  Röteln  unbe¬ 
dingt  zu  verwerten. 

Wir  haben  9  Fälle  von  Masern  untersucht,  von  welchen 
einige  durch  Bronchopneumonien  kompliziert  waren  und 
haben  niemals  Einschlüsse  gefunden,  welche  wir  mit  den  bei 
Scharlach  vorkommenden  hätten  verwechseln  können.  Wir 
möchten  also  den  positiven  Befund  gegen  Masern  sprechen 
lassen.  Wir  können  aber  nicht  verschweigen,  dass  andere 
Untersucher  an  unserer  Klinik  in  einzelnen  Fällen  von  Masern 
Gebilde  angetroffen  haben,  die  von  den  D  o  e  h  1  e  sehen  Kör¬ 
perchen  nicht  zu  unterscheiden  sind.  Auch  haben  Ahmed, 
T r o m  s k  i,  Rosanoff,  Oranger  und  K  i  n  g s  1  e y, 
Pole17),  bei  Masern  bald  mehr,  bald  weniger  positive  Be- 
unde  erhoben.  Wir  möchten  trotzdem  die  Anwesenheit  von 
'ehr  reichlichen  typischen  Körperchen  als  Argument 
iir  Scharlach  und  gegen  Masern  gelten  lassen. 

Von  Keuchhusten  mit  und  ohne  komplizierende  Broncho- 
meumonie  haben  wir  in  8  Fällen  negative  Befunde  erhoben, 
benso  bei  5  Phthisen  ohne  Fieber.  Von  6  fieberhaften  Phthisen 
iagegen  zeigten  drei  in  geringer  Zahl  typisch  geformte  Ein- 
chlüsse.  Positive  Befunde  haben  wir  ferner  erhoben  in  einem 
ori  4  Fällen  von  Cholangitis,  in  einem  Fall  von  Pyelitis  und 
chliesslich  bei  einem  von  6  gesunden  Menschen. 

Negativ  waren  je  ein  Fall  von  Typhus  abdominalis,  von 
illgemeiner  Sepsis  (Streptokokken)  und  von  Basedow. 

Wir  führen  in  folgendem  einige  Fälle  an,  in  welchen  die 
’ntersuchung  auf  Leukozyteneinschlüsse  uns  erst  die  sichere 
)iagnose  ermöglichte. 

1.  A.  M„  9  jähriges  Mädchen,  lag  an  Diphtherie  erkrankt  auf  der 
»iphtherieabteilung.  Am  2.  Tag  nach  der  Aufnahme  zeigte  sich  eine 
vide  Verfärbung  des  Rachens  und  der  Zunge  mit  Papillenschwellung, 
b  wie  man  es  bei  Scharlach  zu  sehen  gewohnt  ist;  die  Temperatur 
ewegte  sich  um  38,5.  Da  wir  bei  dem  Befund  den  Verdacht  auf 
eginnenden  oder  schon  begonnenen  Scharlach  sine  exanthemate 
atten.  so  untersuchten  wir  das  Blut  auf  D  o  e  h  1  e  sehe  Körperchen, 
ie  Untersuchung  fiel  negativ  aus,  und  so  konnte  die  im  anderen 
alle  mangels  sicherer  Diagnose  wohl  durchgeführte  Isolierung  unter¬ 
leiben.  In  der  Folgezeit  traten  bei  dem  Kinde  auch  keinerlei  Zeichen 
ir  Scharlacherkrankung  auf. 

2.  Der  2.  Fall  betraf  ein  Kind,  das  uns  von  der  Ohrenklinik  zu- 
.'legt  wurde  wegen  Verdacht  auf  eine  exanthematische  Infektions- 
"ankheit.  Das  Kind  zeigte  auf  der  Brust  kleienförmige  Schuppen; 
rust  und  Rücken  schienen  am  Abend  bei  künstlicher  Beleuchtung  ein 
.'ringes,  kleinmakulöses  Exanthem,  jedoch  ohne  follikuläre  Anord- 
ing  zu  zeigen.  Am  nächsten  Morgen  war  nichts  mehr  davon  zu 
dien,  so  dass  das  Exanthem  in  suspenso  bleiben  musste.  Der  Rachen 
•'igte  eine  Angina  mit  Tonsillarbelägen,  jedoch  keine  livide  Verfär- 
ing.  Auf  diesen  Befund  hin  war  eine  bestimmte  Diagnose  jedenfalls 
cht  zu  stellen.  Der  daraufhin  auf  Doehlesche  Körperchen  unter¬ 
ste  Blutausstrich  ergab  positiven  Befund,  so  dass  wir  die  Diagnose 
;harlach  zu  stellen  wagten  und  das  Kind  im  Krankenhaus  zurück- 
ihielten  und  isolierten,  während  wir  es  im  anderen  Falle  nach  eini- 
:n  Tagen  sicher  entlassen  hätten.  Eine  weitere  Bestätigung  für  die 
chtigkeit  unserer  Diagnose  sahen  wir  am  Ende  der  3.  Woche,  als 

i  dem  Kinde  eine  hämorrhagische  Nephritis  auftrat,  so  wie  sie  für 
:harlach  in  Art  und  Zeit  des  Entstehens  charakteristisch  ist.  Auch 
er  gab  uns  also  der  Blutbefund  einen  wichtigen  diagnostischen  Fin- 
rzeig. 

3.  Der  markanteste  Fall  ist  wohl  der  3.  Ein  erwachsenes  Mäd- 
en  wurde  auf  unsere  nichtinfektiöse  Abteilung  aufgenommen  mit 
ober  um  40",  Kopfschmerzen,  Frostgefühl,  starken  Durchfällen.  Die 
Igemeinuntersuchung  Hess  eine  Diagnose  nicht  stellen,  man  konnte 
r  sagen,  dass  es  sich  wahrscheinlich  um  eine  Infektionskrankheit 
ndle.  Ein  Exanthem  war  nicht  zu  sehen,  der  Rachenbefund  jedoch 
t  seiner  lividen  Verfärbung  auch  des  weichen  Gaumens  und  den 
likulären,  gelbweissen  Belägen  der  Tonsillen  liess  in  uns  den  zu- 
chst  wenig  begründeten  Verdacht  auf  Scharlach  aufkommen.  Der 
raufhin  auf  D  o  e  h  I  e  sehe  Körperchen  untersuchte  Blutausstrich 
igte  massenhaft  tvpische  Einschlüsse,  woraufhin  Patientin  isoliert 
'rde.  Am  folgenden  Morgen  hatte  Pat.  ein  typisches  Scharlach¬ 
anthem. 

Zwei  weitere  Fälle  wurden  in  unsere  Klinik  mit  einem  scharlach- 
nlichcn  Exanthem  ohne  Angina  eingewiesen.  Wegen  des  negativen 
fundes  an  D  o  e  h  1  e  sehen  Körperchen  verlegten  wir  sie  nicht  auf 
“  Scharlachabteilung.  In  dem  einen  Falle  fand  sich  ein  tiefgelegener 
’szess  am  Oberschenkel,  im  andern  ein  Zahnabszess  als  einzige  Ur- 
-he  des  Fiebers,  vielleicht  auch  des  Exanthems,  ln  beiden  Fällen 
jc*b  Schuppung  aus,  so  dass  wir  den  einen  bald  entliessen.  den 
■dem  ohne  Empfehlung  von  Vorsichtsmassregeln  nach  der  chirur- 
! dien  Klinik  verlegen  konnten. 


,7)  Brit.  journal  of  child.  dis.  10. 


Aus  dieser  kleinen  Auslese  von  Fällen  geht  wohl  hervor, 
dass  den  D  o  e  h  1  e  sehen  Einschlüssen,  obschon  sie  nicht  spe¬ 
zifisch  sind,  in  bestimmten  Fällen  ein  diagnostischer  Wert 
zukommt. 

Die  wichtigsten  Ergebnisse  unserer  Untersuchung  für  die 
Diagnose  lassen  sich  in  die  folgenden  Sätze  zusammenfassen. 

Das  Fehlen  der  Doe hie  sehen  Körperchen 
bei  einem  fiebernden  Kranken  s  c  h  1  i  e  s  s  t 
frischen  Scharlach  aus. 

De  r  positive  Befund  von  Körperchen 

s  c  li  1  i  e  s  s  t  Röteln  aus  und  macht  Masern  un¬ 
wahrscheinlich. 

Diphtherie  und  lakunäre  Anginen  macht 
der  positive  Befund  nur  dann  unwahrschein¬ 
lich,  wenn  sich  typisch  geformte.  Einschlüsse 
in  sehr  grosser  Zahl  vorfinder.. 


Aus  der  Universitäts-Kinderklinik  Halle  a.  S. 

(Prof.  Dr.  S  t  o  e  1 1  z  n  e  r). 

Zur  Bewertung  des  Thymus-  und  Lymphdrüsenabbaus 
bei  Abderhaldens  Dialysierverfahren. 

Von  Dr.  H.  B  e  u  m  e  r. 

Abseits  von  der  Frage  der  Spezifität  der  Abderhalden- 
schen  Reaktion  im  allgemeinen  soll  hier  nur  im  Speziellen  die 
Frage  nach  der  Bewertung  des  Thymusabbaues,  d.  h.  des 
positiven  Ausfalles  der  Ninhydrinreaktion  im  Dialysierver¬ 
fahren  mit  Thymussubstrat  kurz  erörtert  werden.  Welche 
Schlussfolgerungen  ist  man  zu  ziehen  berechtigt  aus  einer  mit 
Thymusgewebe  positiv  ausfallenden  Reaktion?  Ist  der  posi¬ 
tiven  Reaktion  mit  Thymus  die  gleiche  Wertigkeit  beizu¬ 
messen  wie  der  positiven  Reaktion  mit  anderen  Organen,  aus 
der  man  mit  Wahrscheinlichkeit  eine  Schädigung  oder  Funk¬ 
tionsstörung  des  abgebauten  Organs  ableiten  darf?  In  dem 
Aufwerfen  dieser  Frage  liegt  schon  der  Zweifel  an  der  Spezi¬ 
fität,  zu  dem  die  meines  Erachtens  nach  bei  der  Thymus  be¬ 
sonders  gelagerten  Verhältnisse  Veranlassung  geben  müssen. 
Die  Abderhaldensche  Reaktion  ist  schon  wiederholt  dazu 
verwandt  worden,  das  Dunkel  mancher  pathogenetischer  Zu¬ 
sammenhänge,  insbesondere  die  der  innersekretorischen 
Drüsen  mit  Krankheitsprozessen  zu  durchleuchten.  Gerade 
die  Möglichkeit  einer  neuartigen,  unendlich  feinen  funktionellen 
Diagnostik,  die  diese  Methode  der  Klinik  zu  geben  versprach, 
erweckte  die  Hoffnung,  bei  den  Drüsen  der  inneren  Sekretion 
Störungen  und  Dysfunktionen  aufdecken  zu  können,  die  den 
chemischen  und  anatomischen  Prüfungen  nicht  zugänglich 
waren.  Im  Verfolg  dieser  Fragen  in  Bezug  auf  die  Patho¬ 
genese  der  Rachitis  und  Säuglingstetanie  kam  ich  häufig  in 
die  Lage,  eine  positiv  ausfallende  Thymusreaktion  bewerten 
zu  müssen.  Ich  hatte,  dank  dem  liebenswürdigen  Entgegen¬ 
kommen  Herrn  Professor  Abderhaldens,  Gelegenheit, 
die  Methodik  unter  der  freundlichen  Anleitung  seiner  Assi¬ 
stenten  in  seinem  Institut  zu  erlernen.  Mit  Hinsicht  auf  die 
bekannten  Arbeiten  von  Basch,  Klose  und  Vogt  und 
M  a  1 1  i,  die  bei  Thymusexstirpationen  der  Rachitis  sehr  ähn¬ 
liche,  wenn  nicht  identische  Krankheitsbilder  erzeugen 
konnten,  schien  zunächst  der  Thymusabbau  bei  Rachitis  und 
der  stets  mit  Rachitis  kombinierten  Tetanie  ein  willkommener 
Befund,  indem  der  naheliegende  Schluss  daraus  gezogen 
werden  durfte,  bei  diesen  Krankheiten  eine  Dysfunktion  des 
Thymus  anzunehmen,  was  mit  jenen  experimentellen  Arbeiten 
sehr  gut  übereingestimmt  haben  würde.  Der  positive  Befund 
erschien  um  so  angenehmer,  als  alle  übrigen  untersuchten 
endokrinen  Drüsen,  Schilddrüse,  Hypophyse,  Nebenniere, 
Hoden  und  Epithelkörperchen  durchgehend  negative  Reak¬ 
tionen  ergeben  hatten  J).  Es  zeigte  sich  jedoch  bald,  dass  bei 
der  Bewertung  der  Reaktion  mit  Thymusgewebe  einige  Vor¬ 
sicht  und  Einschränkung  beobachtet  werden  musste,  indem 
auch  rachitisfreie  Kinder  und  Erwachsene  mit  Thymus  positiv 
reagierten,  andererseits  schwerste  floride  Rachitiker  ganz 
negativ.  Auch  das  Studium  der  Literatur  mahnte  zur  Vor¬ 
sicht.  In  vielen  Arbeiten,  bei  denen  Thymussubstrat  Ver- 

‘)  Das  Dialysierverfahren  Abderhaldens  bei  Rachitis  und 
Tetanie.  Zschr.  f.  Kindhlk.  11.  H.  2. 


2000 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  39. 


Wendung  gefunden  hatte,  war  positiver  Reaktionsausfall  ver¬ 
zeichnet  bei  Fällen,  bei  denen  keine  manifesten  Symptome  auf 
eine  Störung  der  Thymusfunktion  schliessen  Hessen.  Einige 
speziell  dem  Thymusabbau  gewidmete  Arbeiten  kamen  zu 
dem  Ergebnis,  dass  Thymusgewebe  in  allen  Fällen  abgebaut 
wurde.  Man  glaubte,  hieraus  schliessen  zu  dürfen,  dass  die 
Involution,  d.  h.  der  Abbau  der  Thymus  bis  ins  Qreisenalter 
vor  sich  geht  und  also  andauernd  gegen  das  Thymusgewebe 
gerichtete  abbauende  Fermente  im  Serum  kreisen.  Auf  der 
anderen  Seite  wurde  der  Thymusabbau  als  Anzeichen  einer 
bestehenden  innersekretorischen  Störung  gewertet.  Beispiels¬ 
weise  schliesst  v.  Hippel  *)  aus  den  mittelst  des  Dialysier- 
verfahrens  gewonnenen  Resultaten  auf  einen  Zusammenhang 
zwischen  Keratokonus  und  Thymusdrüse.  Grete  Singer* * 3) 
beweist  mit  der  gleichen  Methode  die  funktionelle  Einheit  des 
thyreo-parathyreothymischen  Systems.  Andere  Autoren  regi¬ 
strieren  nur  ohne  Erörterung  neben  anderen  spezifischen 
Reaktionen  eine  scheinbar  unspezifische  Thymusreaktion,  wie 
es  z.  B.  in  der  sorgfältigen  Arbeit  von  Zimmermann 
geschehen  ist.  Es  gibt  aber  Lagen,  und  dazu  gehörte  die 
meine  bei  den  Untersuchungen  über  Rachitis  und  Tetanie,  die 
zu  einer  bestimmten  Stellungnahme  zwingen.  Die  Theorie 
von  der  ständig  in  Involution  begriffenen  Thymus,  an  der  also 
der  Körper  sein  ganzes  Leben  lang  abzubauen  hätte,  hat  zu¬ 
nächst  etwas  Bestechendes  und  Einleuchtendes.  Aber  es 
handelt  sich  doch  hier  um  ein  mit  aller  Gleichmässigkeit  ab¬ 
laufendes  physiologisches  Geschehen,  und  solche  Vorgänge 
scheinen  sich  doch  nach  den  übrigen,  auch  von  Abder¬ 
halden  geistvoll  erwiesenen  Erfahrungen  streng  innerhalb 
der  Organgrenzen  abzuspielen,  also  mehr  eine  Privatsache 
der  Organe  zu  sein.  Wäre  es  anders,  hätte  Flatow  recht, 
und  es  gäbe  keine  Abderhalden  sehe  Reaktion.  Als  einen 
dem  Thymusabbau  analogen  Vorgang  könnte  man  z.  B.  die 
im  Senium  erfolgenden  Involutionen  ansehen  und  müsste  er¬ 
warten,  auch  bei  diesen  Fermente  gegen  sehr  viele  Organe  im 
Serum  nachweisen  zu  können.  Dies  ist  meines  Wissens  nicht 
der  Fall  und  erst  nach  dem  Tode  fallen  die  Schranken,  mit 
denen  nach  Abderhalden  jedes  Organ  seine  Fermente 
einschliesst,  und  es  tritt  der  treffend  als  Anarchie  der  Fer¬ 
mente  bezeichnete  Zustand  hemmungslosen  Abbaues  ein. 

Auf  meine  Fälle  war  die  Theorie  des  dauernden  Thymus¬ 
abbaues  durch  Serumfermente  schon  deshalb  nicht  anwendbar, 
weil  mein  Material  sich  aus  Kindern  des  ersten  und  zweiten 
Lebensjahres  zusammensetzte.  Hier  konnte  also  von  Invo¬ 
lution  keine  Rede  sein,  da  das  Wachstum  der  Thymus  bis  zum 
Ende  des  2.  Lebensjahres  andauert,  dann  bleibt  das  Thymus¬ 
gewicht  stationär  und  erst  in  der  Pubertät  beginnt  die  all¬ 
mähliche  Involution. 

Die  Erklärung  für  den  mittelst  der  Abderhaldenreaktion 
so  häufig  nachweisbaren  Thymusabbau  muss  nun  meiner  An¬ 
sicht  nach  eine  ganz  andere  sein,  die  vor  allem  relative  Ein¬ 
fachheit  und  nicht  gewaltsame  Auslegung  der  Tatsachen  für 
sich  hat.  Es  ist  bekannt,  dass  Abderhalden  in  allen 
seinen  Erörterungen  über  die  Fehlerquellen  der  Methode  eins 
vor  allem  betont  als  Voraussetzung  eines  überhaupt  zu 
richtigen  Ergebnissen  führenden  Arbeitens:  Die  Freiheit  der 
abzubauenden  Substrate  von  Blutelementen.  Diese  Forderung 
ergab  sich  aus  der  Erfahrung,  dass  bei  bluthaltigen  Organen 
sehr  häufig  ein  unspezificher  Abbau  erfolgte,  woraus  gefolgert 
werden  konnte,  dass  im  Körper  oft  Fermente  gegen  Blut- 
eiweiss  vorhanden  sind,  was  durch  plötzlichen  Untergang  von 
Blutkörperchen  und  folgender  Resorption  kleiner  Blutextra¬ 
vasate  durchaus  plausibel  erscheint  und  die  Feinheit  der 
Methode  beweist,  indem  oft  selbst  kleinste  Reste  von  Blut¬ 
farbstoff  in  den  Abbausubstraten  zu  schlechten  Resultaten 
führen  können.  Es  muss  nun  die  Frage  gestellt  werden,  ob 
sich  ein  diesen  Forderungen  Abderhaldens  entsprechen¬ 
des  Substrat  aus  der  Thymus  überhaupt  herstellen  lässt.  Das 
Thymusgewebe  besteht  bekanntlich,  abgesehen  von  dem  reti¬ 
kulären  Bindegewebe,  aus  dem  eigentlichen  epithelialen 
Thymusgewebe  und  den  Thynnislymphozyten.  Die  Thymus¬ 
lymphozyten  aber  stammen  nach  den  fast  allgemein  akzep¬ 

Kongress  f.  innere  Medizin,  Wiesbaden  1914.  Referat  der 

jVLm-W.  1914  Nr.  20 

3)  Zschr  f.  Kindhik.  10.  H.  1. 


tierten  Arbeiten  Maximows  direkt  aus  dem  Blut  und  sind 
aus  diesem  in  die  Thymus  eingewandert.  Mithin  finden  sich 
also  in  der  Thymus  eine  reichliche  Menge  dieser  Elemente  aus 
dem  Blut;  jedenfalls  ist  es  nicht  gelungen,  chemische  und 
morphologische  Unterschiede  zwischen  Thymus-  und  Blut¬ 
lymphozyten  einwandfrei  sicherzustellen.  Eine  Trennung  der 
Thymuslymphozyten  vom  eigentlichen  Thymusgewebe  aber 
ist  ganz  unmöglich.  Im  Substrat  lassen  sich  immer  massenhaft 
Lymphozyten  erkennen,  es  sei  denn,  dass  man  lange  wäscht; 
dann  bleiben  nur  die  feinen  Bindegewebsfasern  übrig.  Bei 
einigermassen  ausdauerndem  Waschen  lässt  sich  leicht  eine 
Bindegewebsmasse  erzielen,  die  vollständig  frei  von  aller 
epithelialen  Elementen,  also  zur  Verwendung  bei  der  Abdcr- 
haldenreaktion  ungeeignet  ist.  Diese  Argumente  erscheinen 
ausreichend,  den  so  häufigen  positiven  Ausfall  der  Reaktion 
mit  Thymussubstrat  zu  erklären.  Es  lässt  sich  bei  einer  posi¬ 
tiven  Reaktion  nicht  entscheiden,  ob  ein  für  den  funktionellen 
Zustand  der  Thymus  nichtssagender  Lymphozytenabbau  oder 
ein  eine  Dysfunktion  anzeigender  Abbau  eigentlichen  Thymus- 
gewebes  stattgefunden  hat.  Für  die  Richtigkeit  dieser  An¬ 
schauung  sprechen  vielleicht  auch  die  Erfahrungen  über 
Lymphdrüsenabbau  von  G  r  o  t  h  e  und  Schulz  *).  Diese 
Autoren  suchten  einen  spezifischen  Lymphdrüsenabbau  bei 
Scharlach  festzustellen.  wie  er  bei  den  mit  dieser  Krankheit 
einhergehenden  Lymphadenitiden  zu  erwarten  war.  Sie 
fanden  aber  auch  bei  anderen  Krankheits-  und  physiologischen 
Zuständen  in  vielen  Fällen  Lymphdrüsenabbau.  Hierin  ist  nach 
obigen  Darlegungen  nichts  besonderes  zu  erblicken.  Bei  der 
Lymphdriise  liegen  die  Verhältnisse  noch  wesentlich  einfacher, 
als  sie  nur  aus  Bindgewebe  und  Lymphozyten  bestehen.  Man 
wird  also  bei  ihnen  nie  von  einem  spezifischen  Organabbau, 
sondern  nur  von  einem  Abbau  von  Blutelementen  reden 
können.  Die  Zusammensetzung  der  Lymphdriisen  einerseits 
aus  Lymphozyten  und  Bindegewebe,  der  Thymus  anderer¬ 
seits  aus  Lymphozyten,  Bindegewebe  und  eigentlichem 
Thymusgewebe  lässt  es  möglich  erscheinen,  in  gewissen 
Fällen  doch  einen  spezifischen  Thymusabbau  nachzuweisen. 
Setzt  man  beide  Organe  zugleich  an  und  erhält  mit  Thymus 
positive,  mit  Lymphdriise  negative  Reaktion,  so  ist  in  diesem 
Fall  vielleicht  die  Entscheidung  berechtigt,  dass  Abbau  spezi¬ 
fischen  Thymusgewebes  stattgehabt  hat,  dagegen  würde  der 
positive  Ausfall  beider  für  einen  nicht  verwertbaren  Lympho- 
zytenabbau  sprechen. 

Schlussfolgerung;  Aus  der  Thymus  lässt  sich  kein 
den  Anforderungen  für  die  Abderhaldenreaktion  gerecht 
werdendes,  von  Blutelementen  freies  Substrat  hersteilen. 

Der  positive  Ausfall  der  Reaktion  mit  Thymusgewebe 
ist  demnach  nicht  ohne  weiteres  im  Sinne  einer  Funktions¬ 
störung  der  Thymus  zu  verwerten. 

Der  Abbau  von  Lymphdriisen  ist  nicht  als  spezifischer 
Organabbau  anzusehen. 

Durch  Parallelversuche  unter  gleichzeitiger  Anwendung 
von  Thymus-  und  Lymphdrüsensubstrat  lässt  sich  vielleicht 
der  Nachweis  eines  spezifischen  Abbaues  von  Thymusgewebe 
ermöglichen. 


Aus  der  Augusta-Viktoria-Knappschaftsheilstätte  Beringhausen 
bei  Meschede  i.  W.  (Chefarzt:  Dr.  med.  F.  Windrath). 

Untersuchungen  mit  dem  Abderhaldenschen  Dialysier- 
verfahren  bei  Lungentuberkulose. 

Von  Dr.  med.  W.  Ammenhäuse  r,  I.  Assistenzarzt. 

Unsere  Versuche  erstrecken  sich. auf  die  Zeit  von  März 
bis  Juni.  Zur  Untersuchung  kamen  Blutsera  Lungenkranker 
aller  Stadien  mit  und  ohne  Bazillenbefund,  daneben  auch  Ge¬ 
sunder  zur  Kontrolle. 

Technisch  hielten  wir  uns  genau  an  die  Vorschriften 
Abderhaldens,  die  wir  im  physiologischen  Institut  zu 
Halle  zu  üben  Gelegenheit  hatten.  Aus  diesem  Grunde  sind 
wir  auch  nicht  auf  die  technischen  Schwierigkeiten  gestossen. 
die  von  anderer  Seite  wiederholt  betont  wurden,  wie  be¬ 
sonders  „eine  gewisse,  ganz  unerklärliche  Launenhaftigkeit 


M.m.W.  1913  Nr.  45. 


Wie  die  vor  jedem  Versuch  angesetzte  Organprobe  ergab, 
•lieben  die  genau  nach  Vorschrift  bereiteten  Organe  immer 
.ut,  d.  h.  frei  von  mit  Ninhydrin  reagierenden  Stoffen  und 
a'i irden  zu  sämtlichen  Versuchen  verwandt. 

Ebenso  zeigten  die  einmal  geprüften  und  für  gut  be- 
unduien  Hülsen  stets  Undurchlässigkcit  fiir  das  grosse  Ei- 
.veissmolekül  und,  von  geringen  Schwankungen  abgesehen, 
tleielmnissige  1  Durchlässigkeit  für  Pepton,  wie  eine  wieder- 
lolte  Kontrollprüfung  ergab. 

Das  Blut  wurde  den  Patienten  in  nüchternem  Zustand  ent- 
lommen,  und  nur  ganz  klares,  nicht  hämolytisches  Serum 
erwandt.  Als  Antigene  setzten  wir  an:  normale  Lunge, 
ubeikulöse  Drüsen,  die  wir  bei  Drüsenexstirpationen  er¬ 
heben,  Plazenta  und  tuberkulöses  Sputuminfiltrat 

Auf  die  Idee,  als  Antigen  Sputumfiltrat  anzusetzen,  sind 
vir  durch  unsere  Untersuchungen  über  den  Eiweissgehalt  des 
'Putums  gekommen,  die  in  unserem  Laboratorium  regel- 
nässig  angestellt  werden. 

Wir  fanden  nämlich,  dass  tuberkulöser  Auswurf  stets, 
uberkclbazillenfreier  Auswurf  nur  in  seltenen  F ä  1  - 
en  mehr  oder  weniger  Eiweiss  enthielt  und  erklärten  mit 
nderen  diese  Erscheinung  mit  dem  Auftreten  von  Serum- 
Ibumin  im  Sputum  2). 

:  Es  lag  aber  auch  nahe,  anzunehmen,  dass  die  Eiweiss- 

örper  im  Auswurf  Tuberkulöser  von  den  Stoffwechsel-  und 
erfallsprodukten  der  Tuberkelbazillen  herrührten  und  Tu- 
erkelbazilleneiweiss  zum  Teil  mit  enthielten.  Bekanntlich 
ilden  ja  die  I  uberkelbazillen  bei  ihrem  Stoffwechsel  und  Zer- 
dl  hochmolekulare  Eiweisskörper,  Nukleoalbumine  und 
ukleoproteine,  die  sich  zweifellos  im  Auswurf  wieder  finden 
lüssen. 

So  gelang  es  auch  schon  Weleminsky 3)  durch  eine 
estimmte  Züchtungsmethode  bei  zwei  daraufhin  untersuchten 
uberkelbazillenstämmen  die  Bildung  von  Eiweiss  und  Muzin 
stzustellcn.  Nach  ihm  sind  diese  Substanzen  spezifischer 
atur  und  stellen  Stoffwechselprodukte  der  lebenden  Ba¬ 
llen  dar. 

Nahmen  wir  nun  an,  dass  das  tuberkulöse  Sputum  auchTuber- 
.■Ibazilleneiweiss  enthielt,  so  konnten  wir  auch  ungezwungen 
lnehmen,  dass  das  Sputumeiweiss  durch  das  Serum  Tuber- 
i loser  abgebaut  würde,  zumal  die  Arbeiten  von  Abder- 
a  1  d  e  n  und  Andryewsky4 * * *),  F  r  ä  n  k  e  1  und  Q  u  m  - 
e  r  t  z  ),  Lampe0),  Jessen')  und  M  e  1  i  k  j  a  n  z 8)  schon 
wiesen  haben,  dass  im  Blute  tuberkulöser  Menschen  und 
iere  spezifische  proteolytische  Fermente  kreisen,  die  Tuber- 
•Ibazilleneiweiss  unter  Peptonbildung  zu  spalten  imstande  sind. 

Es  galt  nur  zu  prüfen,  ob  in  dem  Sputumeiweiss  dialy- 
ble  Stoffe  enthalten  sind.  Zu  diesem  Zwecke  setzte  ich  fol- 
ude  Versuche  an,  die  ich  16  Stunden  dialysieren  liess: 

:cm  destill.  Wasser  -f  0,5  ccm  Sputumfiltrat  (0,15  Alb.)  =  negativ 
"  »  4*  L0  ccm  „  .  =  negativ 

”  „  »  4-1,5  ccm  ,  =  negativ 

.cm  norm.  Serum  -j-  1,0  ccm  „  =  negativ 

1  ccm  »  »  4"  1,5  ccm  „  —  negativ 

Da  sämtliche  Dialysate  mit  0,2  ccm  Ninhydrin  nach  Vor- 
hrift  1  Minute  gekocht  keine  Spur  von  Violettfärbung 
igten,  war  dadurch  erwiesen,  dass  in  dem  tuberkulösen 
uitumeiweiss  keine  dialysablen  Stoffe  resp.  Eiweissabbau- 
odukte  enthalten  sind.  Es  war  dies  a  priori  schon  anzu- 
hmen,  da  ja,  wie  oben  erwähnt,  im  Sputum  nur  hochmole- 
lare  Eiweisskörper,  Serumalbumine  einerseits,  Nukleo- 
oteine  und  Nukleoalbumine  andererseits  enthalten  sind. 

Auch  zeigte  die  mit  jedem  Sputumfiltrat  vorher  angc- 
.‘llte  Biuretreaktion,  die  nach  Abderhalden  für  das 
asse  Eiweissmolekül  am  empfindlichsten  ist,  in  sämtlichen 
llen  einen  stark  positiven  Ausfall. 

’)  D.m.W.  1914  Nr.  27. 

*)  Gelderbio m:  D.m.W.  1913  Nr.  41 

3 )  D.m.W.  1912  Nr.  28. 

*)  M.m.W.  1913  Nr.  30. 

4  D.m.W.  1913  Nr.  33. 

")  D.m.W.  1913  Nr.  37. 

')  Beitr.  z.  Klin.  d.  Tbk.  27.  1913.  H  3. 

)  D.m.W.  1914  Nr.  27. 

Nr.  39. 


Von  diesen  Gesichtspunkten  ausgehend,  setzten  wir  als 
Antigen  zu  tuberkulösem  Serum  auch  tuberkulöses  Sputum- 
nitrat  an.  Bisher  wurden  zu  diesem  Zwecke  teils  abgetötete 
und  mit  Tetrachlorkohlenstoff  entfettete  Tuberkelbazillen,  teils 
Koch  sehe  Tuberkulinbazillenemulsion  verwandt. 

Ein  für  unsere  Versuche  brauchbares  Sputumfiltrat  er¬ 
hielten  wir  sein  einfach  auf  folgende  Weise:  Der  Patient  be¬ 
kam  eine  gründlich  gesäuberte  und  mit  destilliertem  Wasscr 
ausgespülte  Spuckflasche  mit  der  strikten  Weisung,  jede  Ver¬ 
unreinigung  des  Auswurfs  durch  Speisereste,  Kautabak  usw. 
zu  vermeiden.  Der  entleerte  Auswurf  wurde  dann  mit  der 
gleichen  Menge  destillierten  Wassers  gründlich  durchge- 
schüttelt  und  filtriert.  Das  Filtrat  war  stets  ganz  klar  und 
-  wurde  in  jedem  Falle  vor  Ansetzen  des  Versuchs  auf  seinen 
Eiwcissgehalt  geprüft.  Zur  Verwendung  kamen  nur  stark  ba- 
zillen-  und  eiweisshaltige  Sputa  (0,1— 0,2  Albumen  nach  Auf¬ 
recht).  Zusatz  von  Essigsäure  ist  zu  vermeiden,  da  hier¬ 
durch  das  Eiweiss  gefällt  wird  und  für  die  Fermente  nicht 
mehr  angreifbar  ist,  wie  wir  uns  selber  verschiedentlich  über¬ 
zeugen  konnten. 

Die  Versuchsanordnung  bei  unseren  Versuchen  war  kurz  fol¬ 
gende:  1,5  ccm  Serum  wurde  mit  Lunge,  Drüse,  Plazenta  und  1,5  ccm 
bputumfiltrat  angesetzt.  Ferner  wurde  in  jedem  Falle  je  1  5  ccm 
Serum  und  1,5  ccm  Sputumfiltrat  allein  zur  Kontrolle  mitangesetzt 
Die  Organe  wurden  vor  jedem  Versuche  geprüft.  Um  ohne  jede  Vor¬ 
eingenommenheit  an  die  Versuche  heranzutreten,  entnahm  ich  das 
Dlut  nicht  selbst,  sondern  untersuchte  das  Serum,  ohne  zu  wissen 
von  wem  es  stammte. 

Das  Resultat  unserer  Versuche  ist  aus  folgender  Tabelle 
ohne  weiteres  ersichtlich: 

Tabelle  1. 


F  1  =  schwach  positiv,  +  2  =  mittelstark  positiv,  +  3  =  stark  positiv. 


|Lfd.  Nr.ii 

Name,  Alter 

Klinische 

Diagnose 

Bazillen¬ 

befund 

Lunge 

Lymph- 

drüse 

Plazenta 

Sputum- 

Filtrat 

Sputum- 

Filtrat 

allein 

Serum 

allein 

Bemerkungen 

1 

V.  P.  33  I. 

Tbc.  pulm.  St.  II 

4-  3 

4- 

2 

H.  H.  32  1. 

do. 

--  3 

4- 

_ 

3 

4 

Z.  H.  48  J. 

A.  E.  31  1. 

Tbc.  pulm.  St.  III 
do. 

1 

--  2 

4-  3 

+  i 

. 

— 

— 

Hämoptoe 

5 

P.  H.  33  J. 

Tbc.  pulm.  St  11 

T  2 

_ 

do. 

6 

M.  A.  30  |. 

do. 

_ 

4-  2 

_ 

7 

K.  C.  30  j. 

Spitzenkatarrh 

— 

4-  i 

_ 

8 

D.  K.  34  1. 

o.  B. 

_ 

4-  l 

9 

K.  P.  40  J. 

Tbc.  pulm.  St.  II 

+  2 

-F  3 

T  i 

10 

C.  A.  23  J. 

do. 

--  3 

do. 

11 

B.  A.  45  J. 

Spitzenkatarrh 

— 

--  1 

— 

_ 

_ 

_ 

12 

A.  W.  25  J. 

o.  B. 

_ 

_ 

_ 

13 

L.  B.  33  J. 

do. 

_ 

_ 

_ 

14 

B.  A.  35  J. 

Tbc.  pulm.  St.  II 

+  2 

4-  3 

_ 

_ 

4-  2 

_ 

do. 

15 

]•  J-  42  J. 

Spitzenkatarrh 

T  2 

— 

_ 

_ 

16 

17 

D.  St.  29  I. 

S.  W.  20  ]. 

Tbc.  pulm.  St.  III 
o.  B. 

+  2 

4- 1 

-F  2 

+~1 

-M 

— 

— 

Tbc.  Drüse 

18 

L.  P.  19  J. 

Tbc.  pulm.  St.  111 

-I-  1 

4-  i 

_ 

4-  2 

_ 

19 

20 

J.  Z.  37  J. 

O.  A.  43  ]. 

do. 

do. 

--  3 

—  2 

4-  3 

+  3 

— 

h 

— 

- 

Hülsenprüfung 

21 

22 

J.  St.  25  J. 

V.  J.  28  J. 

do. 

Spitzenkatarrh 

+  2 

4-  l 

— 

— 

E-1) 

Pleuritisexsudat 

23 

24 

K.  A.  51  J. 

H.  K.  20  J. 

Tbc.  pulm.  St.  III 
o.  B. 

+  2 

+  2 

-T"2 

— 

+ 1 

— 

Kaverne 

25 

K.  F.  34  J. 

Tbc.  pulm. St.  III 

+  2 

4-  2 

4-  3 

_ 

4-  1 

_ 

26 

O.  A.  21  J. 

Tbc.  pulm.  St.  11 

--  2 

--  2 

+  3 

_ 

--  2 

_ 

do. 

27 

K.  A.  26  J. 

Tbc.  pulm.  St.  III 

--  2 

--  2 

_ 

4-  2 

28 

K.  P.  30  J. 

do. 

--  3 

4-  3 

4-  2 

_ 

--  1 

_ 

Kaverne 

29 

A.  F.  20  J. 

Spitzenkatarrh 

— 

4- 1 

— 

_ 

30 

H.  K.  22  J. 

Tbc.  pulm.  St.  II 

+  2 

-F  2 

4-  i 

— 

4-  2 

_ 

31 

D.  K.  34  J. 

o.  B. 

-F  i 

_ 

cfr.  Nr.  8 

32 

N.  C.  27  J. 

Spitzenkatarrh 

33 

R.  A.  32  J. 

Tbc.  pulm. St.  III 

+  3 

--  3 

— 

— 

+ 1 

— 

_ 

Kaverne 

34 

35 

B.  O.  47  J. 

L.  X.  21  J. 

do. 

Tbc.  pulm.  St.  II 

4-  2 

-F  3 
—  3 

4-  i 

4-  2 

— 

4-  2 

— 

— 

Hämoptoe 

Tbc.  Drüse 

36 

N.  C.  26  j. 

Tbc.  pulm.  St.  lÜ 

4-  i 

1 

_ 

4- 1 

37 

K.  F.  34  J. 

do. 

4-  2 

-  1 

4-  3 

_ 

_ 

38 

S  O.  33  J. 

do. 

--  2 

-  2 

t  3 

— 

4-  3 

— 

_ 

Halsdrüse 

39 

B.  H.  33  J. 

do. 

--  3 

*-  3 

4-  3 

— 

4-  1 

— 

_ 

Tbc.  Drüsen 

40 

M.  J.  31  J 

do. 

-  1 

-34-3 

— 

— 

— 

Hilusdrüsen 

41 

O.  J.  41  |. 

do. 

-  3 

— 

— 

— 

4-  i 

— 

_ 

Kaverne 

42 

43 

R.  J.  4/  J. 

O.  P.  29  J. 

Tbc.  pulm.  St.  II 
do. 

--  3 
--  1 

F  2  4-  i 
4-  2  — 

4-  3 

— 

— ■ 

Halsdrüse 

44 

P.  A.  41  |. 

Bronchitis  ehr. 

F  i 

_ 

_ 

45 

Z.  St.  25  J.  | 

Tbc.  pulm.  St.  II 

4-  2 

F  3 

F  2 

4-  i 

4-  2 

_ 

do. 

46 

P.  J.  19  J. 

Spitzenkatarrh 

“  ‘  1 

_ 

47 

J.  F.  18  J 

•  do. 

F  2 

_ 

_ 

_ 

48 

O.  W.  33  J. 

Tbc.  pulm.  St.  II 

— 

F  l 

_ 

_ 

_ 

49 

B.  W.  40  J. 

o.  B. 

_ 

_ 

_  | 

_ 

50 

L.  P.  19  J. 

Tbc.  pulm.  St.  II 

F  i 

F  i 

_ 

_  L 

F  i 

_ 

_ 

cfr.  Nr.  18 

51 

St.  j.  41  J. 

Spitzenkatarrh 

F  i 

— 

_ 

— 

_ 

_ 

52 

O.  j  25  J. 

o.  B. 

— 

— 

_ 

_ 

_ 

weiblich 

53 

R.  E.  19  J. 

do. 

_ 

_ 

_ 

_ 

_ 

_ 

do. 

54 

S.  J.  33  |. 

Tbc  pulm.  St.  II 

F  2 

F  2 

— 

F  i 

_ 

_ 

55 

M.  E.  18  J. 

o.  B.  -) 
do 

F  i 

F  l 

_ 

56 

Sch.  M.  17  J. 

57 

H.  H.  18  J. 

do. 

_ 

_ 

_ 

_ __ 

_ 

do. 

58 

H.  W.  32  J.  ; 

do. 

_ 

_ 

_ 

59 

L.  1.  25  j. 

do. 

_  1 

_ 

_ 

_ 

60 

Ü.  A.  20  J.  1  Tbc.  pulm.  St.  III 

F  il 

F-21 

-  4-2 

— 

-  1 

Tbc.  Drüse 

•)  E.  =  Exsudat.  —  -)  Die  vorgenommene  Untersuchung  ergab  Spitzenkatarrh  und 
Schwellung  der  rechten  Submaxillardrüse. 


29.  September  1014. 


Ml If :NCHENER  MEDIZINISCHE  W OCHENSCHR1FT. 


2001 


der  Organe  [B  i  s  g  a  a  r  d  und  K  o  r  s  b  j  e  r  g1)]  und  Unzuver- 
lässigkeit  der  Dialysierhülsen. 


2 


2002 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  39. 


Ueberblicken  wir  das  Ergebnis  unserer  Versuche,  so 
finden  wir,  dass  das  Blutserum  bei  der  Lungentuberkulose 
spezifische  Abwehrfermente  enthält,  die  Lungengewebe  und 
tuberkulöses  Sputumeiweiss  spalten,  dass  dagegen  bei  Lungen¬ 
katarrh  ohne  Bazillenbefund  nur  Lunge  und  kein  Tuberkel- 
bazilleneiweiss  abgebaut  wird. 

Von  Lungenkranken  im  3.  Stadium  mit  positivem  Ba¬ 
zillenbefund  zeigten  3  (Nr.  19,  41  und  60)  keinen  Abbau  von 
Lunge,  3  (Nr.  37.  40  und  43)  keinen  Abbau  von  Sputumeiweiss. 
In  sämtlichen  6  Fällen  handelte  es  sich  um  fortgeschrittene 
Lungentuberkidose  bei  sehr  massigem  Kräfte-  und  Er¬ 
nährungszustand. 

Zur  Erklärung  dieser  Fälle  möchte  ich  mich  der  An¬ 
schauung  Lamp  e  s B)  anschliessen,  dass  die  Fermente  im 
Blut  gegen  Tuberkelbazilleneiweiss  mit  Fortschreiten  der  In¬ 
fektion  verschwinden  können.  Dass  in  analoger  Weise  aber 
auch  die  Abwehrfermente  gegen  Lungengewebe  fehlen  können, 
zeigen  unsere  Versuche.  Der  Organismus  ist  dann  eben  durch 
das  lange  Siechtum  so  geschwächt,  dass  er  sich  nicht  mehr 
zur  Bildung  von  Abwehrfermenten  aufraffen  kann.  Auffallend 
bei  unseren  Untersuchungen  ist,  dass  e  i  n  spezifisches  Fer¬ 
ment  entweder  gegen  Lunge  oder  Sputumeiweiss  auch  in 
den  fortgeschrittensten  Fällen  stets  noch  nachzuweisen  war. 

In  einem  Falle  von  Lungentuberkulose  mit  Pleuritis  ex¬ 
sudativa  wurde  statt  Serum  Exsudat  angesetzt,  zeigte  aber 
keinerlei  fermentative  Wirkung  (cf.  Nr.  21).  Das  Exsudat  war 
allerdings  sehr  stark  hämorrhagisch  und  hatte  schon  2  Tage 
bei  Zimmertemperatur  gestanden. 

Tuberkulöses  Drüsengewebe  wurde  überall  da  abgebaut, 
wo  Drüsenerkrankungen,  sei  es  durch  Palpation,  sei  es  im 
Röntgenbild  (Hilusdrüsen)  schon  vorher  nachgewiesen  waren. 

In  3  Fällen  (Nr.  8,  9  und  17  [31  j)  zeigte  auch  Plazenta 
einen  geringen  Abbau.  Es  ist  dies  von  anderer  Seite  auch 
schon  wiederholt  beschrieben  worden  und  wird  mit  dem  Auf¬ 
treten  von  nicht  spezifischen  Fermenten  im  Blute  erklärt. 

Besonders  interessant  sind  Fall  7  und  55  der  Tabelle,  weil 
hier  zuerst  mittels  des  Abderhalden  sehen  Dialysierver- 
fahrens  die  Diagnose  auf  frische  Lungenaffektion  gestellt 
wurde. 

Im  ersten  Falle  handelte  es  sich  um  einen  Krankenwärter,  der 
vor  2  Jahren  einmal  an  einer  Spitzenaffektion  gelitten  hatte,  die  aber 
vollständig  ausgeheilt  war.  Trotzdem  zeigte  Lunge  bei  ihm  einen 
deutlichen  Abbau.  3  Tage  später  meldete  er  sich  krank  und  es 
wurde  wieder  ein  Spitzenkatarrh  festgestellt. 

Im  zweiten  Falle  handelte  es  sich  um  ein  Küchenmädchen,  die 
angeblich  immer  gesund  war,  deren  Blutserum  aber  Lunge  und  Drüse 
deutlich  abbaute.  Die  infolgedessen  vorgenommene  Untersuchung 
ergab  starke  Schwellung  der  rechten  Submaxillardrüsen  und  rechts¬ 
seitigen  Spitzenkatarrh.,  von  dem  sie  selbst  absolut  nichts  wusste. 

Normale  Sera  wurden  im  ganzen  13  untersucht.  Sämt¬ 
liche  bewirkten  abgesehen  von  2  Fällen,  wo  Plazenta  schwach 
positiv  war,  keinerlei  Abbau,  enthielten  also  sicherlich  keine 
spezifischen  Fermente. 

Interessant  war  es  nun  noch  zu  prüfen,  ob  die  Abwehr¬ 
fermente,  die  sich  infolge  ihrgendwelcher  Prozesse  im  Blut 
bilden,  auch  auf  Gesunde  übertragbar  sind,  ohne  ihre  Spezifität 
zu  verlieren  und  sich  in  deren  Blutserum  noch  nach  einiger 
Zeit  nachweisen  lassen. 

Zu  diesem  Zwecke  stellten  wir  3  Tierversuche  an: 

Meerschweinchen  A  wurde  nicht  vorbehandelt;  Meerschwein¬ 
chen  B  bekam  am  1.  V.  14  4  ccm,  Meerschweinchen  C'  am  22.  V.  14 
5  ccm  Blutserum  von  je  einem  Tuberkulösen,  deren  Blut  schon  vor¬ 
her  nach  Abderhalden  auf  Abwehrfermente  geprüft  worden 
w'ar  (cf.  Nr.  3  und  28  der  Tabelle)  intraperitoneal  eingespritzt.  Die 
Meerschweinchen  blieben  gesund  und  nahmen  an  Gewicht  zu.  Meer¬ 
schweinchen  B  wurde  4,  Meerschweinchen  C  6  Wochen  nach  der 
Injektion  entblutet.  Das  Blutserum  der  3  Meerschweinchen  wurde 
hierauf  mit  den  entsprechenden  Antigenen  wieder  angesetzt  und 
16  Stunden  dialysiert. 

Das  Resultat  der  Versuche  ist  aus  folgender  Tabelle  er¬ 
sichtlich: 


Tabelle  2. 


Meerschw. 

Entblutet  am 

1 

Lunge 

Drüse 

Plazenta 

Sputum-  i  Sektions¬ 

filtrat  Serum  ^  befund 

A 

25.  V.  14 

— 

_ 

—  normal 

B 

28.  V.  14 

+  3 

+  2 

— 

+  1  —  do. 

C 

7.  VII.  14 

+  3 

+  2 

— 

+  2  —  |  do. 

’)  D.in.W.  1913  Nr.  37. 


Während  demnach  das  Blutserum  des  nicht  vorbehandel- 
ten  Meerschweinchens  A  keinerlei  fermentative  Wirkung 
zeigte,  fanden  sich  in  dem  Blute  von  Meerschweinchen  B  und 
C  dieselben  Fermente  wieder,  die  ihnen  mit  dem  Serum  der 
beiden  Phthisiker  -3  resp.  6  Wochen  vorher  injiziert  waren. 

Da  nun  der  Sektionsbefund  in  beiden  Fällen  vollkommen 
normal  war  und  weder  Lunge  noch  Peritoneum  irgendwelche 
pathologische  Veränderungen,  die  auf  Tuberkulose  hin¬ 
deuteten,  zeigten,  ist  es  nicht  sehr  wahrscheinlich,  dass  die 
Fermente  von  den  Meerschweinchen  selber  gebildet  sind.  Fs 
ist  vielmehr  anzunehmen,  dass  die  Abwehrfermente  durch  das 
Serum  auf  die  Meerschweinchen  übertragen  wurden  und  auch 
hier  in  dem  fremden  Blut  ihre  Spezifität  nicht  verloren  haben. 

Diese  Versuche  lassen  wiederum  zweifellos  erkennen, 
dass  die  proteolytischen  Fermente  nur  gegen  das  Antigen 
wirksam  sind,  unter  dessen  Einfluss  sie  im  Körper  entstanden 
sind  und  liefern  demnach  wieder  einen  neuen  Beweis  für  die 
noch  von  manchen  angezweifelte  weitgehende  Spezifität  der 
Abwehrfermente. 

Da  der  Organismus  sicherlich  sogleich  bei  Beginn  irgend 
eines  krankhaften  Prozesses  mit  der  Bildung  von  Abwehr¬ 
fermenten  antwortet,  so  können  unter  Umständen  schon  z.  B. 
bei  beginnenden  Spitzenaffektionen  spezifische  Fermente  im 
Blut  gebildet  und  darin  nachgewiesen  werden,  bevor  aus  dem 
physikalischen  und  röntgenologischen  Befunde  eine  sichere 
Diagnose  gestellt  werden  kann.  In  Zweifelsfällen  kann  also 
das  Dialysierverfahren  in  diagnostischer  Beziehung  von  aus¬ 
schlaggebender  Bedeutung  sein. 

Schliesslich  lassen  die  Abwehrfermente  auch  eine  gewisse 
Deutung  bezüglich  der  Prognose  zu.  Ihr  Vorhandensein  kün¬ 
digt  an,  dass  der  Organismus  noch  imstande  ist,  sich  zu  ver¬ 
teidigen. 

Die  Ergebnisse  unserer  Untersuchungen  können  wir  in 
folgende  Sätze  kurz  zusammenfassen: 

1.  Sputumeiweiss  ist  zum  Teil  auch  Tuberkelbazillen¬ 
eiweiss. 

2.  Bei  der  Lungentuberkulose  enthält  das  Blut  spezifische 
Fermente,  die  Lunge  und  Tuberkelbazilleneiweiss  abbauen. 

3.  In  ganz  vorgeschrittenen  Fällen  können  diese  Fermente 
wieder  verschwinden,  was  auf  eine  ungünstige  Prognose 
schliessen  lässt. 

4.  Bei  nicht  spezifischem  Lungenkatarrh  wird  nur  Lunge 
abgebaut. 

5.  Bei  tuberkulösen  Drüsenerkrankungen  wird  auch  stets 
tuberkulöses  Drüsengewebe  abgebaut. 

6.  Im  Blutserum  Gesunder  befinden  sich  gewöhnlich  keine 
spezifischen  Abwehrfermente. 

7.  Zur  Frühdiagnose  von  Lungenaffektionen  kann  in 
Zweifelsfällen  das  A  b  d  e  r  h  a  1  d  e  n  sehe  Dialysierverfahren 
ein  wichtiges  diagnostisches  Hilfsmittel  sein. 


Ein  neues  Mittel  zur  Behandlung  der  Diplobazillen- 

konjunktivitis*). 

Von  L.  K.  W  o  1  f  f,  Augenarzt,  Assistent  am  Pathol.-anatom. 

Institut  der  Universität  Amsterdam. 

Im  vorigen  Jahre  hat  C.  Bruck1)  ein  neues  Mittel  be¬ 
schrieben  zur  Behandlung  der  Gonorrhöe,  nämlich  eine 
Fluoreszein-  (Uranin-)  Silberverbindung,  von  ihm  Caviblen  ge¬ 
nannt. 

Dieses  Präparat  lenkte  meine  Aufmerksamkeit  wieder  auf 
die  Fluoreszeinmetallverbindungen.  Ich  hatte  nämlich  früher 
schon  versucht,  eine  Fluoreszeinkupferverbindung  herzustellen 
für  die  Behandlung  des  Trachoms.  Diese  Verbindung  war 
aber  unlöslich  in  Wasser. 

Nach  Lesung  der  Mitteilung  des  Herrn  Bruck  habe  ich 
die  Sache  wieder  aufgenommen  und  versucht,  eine  Fluoreszem- 
zinkverbindung  darzustellen  in  der  Hoffnung,  dass  selbige  für 
die  Behandlung  der  Diplobazillenkonjunktivitis  Nutzen  bringen 
würde.  Dieses  ist  mir  in  der  Tat  gelungen.  Durch  doppelte 


*)  Nach  einem  Vortrag  in  der  Niederl.  Ophth.  Gesellschaft  zu 
Arnhem  am  14.  Juni  1914. 

’)  D.m.W.  1913  S.  2073. 


19.  September  1014. 


MUENCFIENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2003 


Umsetzung  von  Fluoreszeinkalium,  und  Zinksulfatlösung  be- 
am  ich  ein  rotgelbes  Pulver  mit  folgenden  Eigenschaften  -). 

Die  Löslichkeit  in  Wasser  bei  Zimmertemperatur  ist  un- 
efähr  Eins  auf  Tausend.  Das  Pulver  löst  sich  schnell  in 
Nasser  auf;  man  bekommt  dann  eine  rotgelbe,  fluoreszierende 
liissigküt,  welche  keine  Zinkionen  enthalt.  Mit  keinem  eili¬ 
gen  Reagens  auf  Zink  ist  dieses  Metall  in  der  Lösung  naeli- 
iweisen;  nur  nach  Veraschung  des  Pulvers  und  Lösung  der 
sehe  in  verdünnter  Salzsäure  kann  man  das  Zink  leicht  nach¬ 
eisen.  Die  Lösung  gibt  keine  Niederschläge  mit  Säuren, 
Ikalien,  mit  Serum  oder  sonstigen  Eiweisslösungen.  Sic 
ffundiert  leicht  durch  Pergament.  Injiziert  man  eine  grössere 
uantität  ins  Peritoneum  eines  Meerschweinchens,  so  kann 
an  leicht  die  grosse  Diffusibilität  konstatieren,  weil  der 
arn  schnell  nach  der  Injektion  fluoresziert  und  nach  Ein¬ 
impfung  und  Veraschung  eine  grosse  Quantität  von  Zink 
ithält. 

Mein  Präparat  enthält  15,8  Proz.  Zink  (berechnet  für 
iCmHioOs  16,4  Proz.). 

Ich  habe  dieses  Präparat  nun  angewandt  zur  Behandlung 
T  Diplobazillenkonjunktivitis  (Morax-Axenfeld).  Wie 
■kannt,  findet  man  diese  Konjunktivitis  als  eine  vielfache 
Implikation  bei  den  Trachomkranken  und  verursacht  deren 
osse  Unannehmlichkeiten.  Klinisch  ist  diese  Konjunktivitis 
cht  zu  erkennen  an  den  roten  feuchten  Augenwinkeln. 

Das  schwefelsaure  (salizylsaure)  Salz  des  Zink  ist  ein 
•rzügliches  Mittel  zur  Behandlung  der  Krankheit,  jedoch  in 
eien  ernsten  Fällen,  gerade  bei  Trachom,  ist  es  nicht  aus¬ 
gehend.  Vielleicht  ist  die  Nachlässigkeit  der  Patienten  dann 
d  wann  Schuld  daran,  aber  sicher  nicht  immer.  Viele 
■rzte  haben  denn  auch  nach  besseren  Mitteln  gesucht: 
rumtherapie  3),  Vakzination  nach  W  right4)  etc.  Alle 
ise  Mittel  sind  aber  ohne  Erfolg  geblieben  5). 

Nachdem  ich  mich  zuerst  bei  mir  selbst  und  bei  einer 
-h  dafür  freiwillig  anbietenden  Person  überzeugt  hatte  von 
r  Unschädlichkeit  des  neuen  Mittels,  habe  ich  dieses  bei 
.•inen  Patienten  mit  Diplobazillenkonjunktivitis  angewandt, 
ts  sehr  fein  geriebene  Pulver  brachte  ich  in  den  Kon- 
lktivalsack  und  verteilte  es  dort  soviel  wie  möglich  mittels 
nften  Reibens.  Ohne  Ausnahme  —  ich  habe  mehr  als 
Fälle  damit  behandelt  —  war  bei  der  folgenden  Sprech- 
inde  die  Konjunktivitis  ganz  geheilt  oder  wenigstens  so  ge- 
ssert,  dass  eine  nochmalige  Einpulverung  genügte  zur 
Higen  Genesung  des  Patienten. 

Zu  meinem  Bedauern  habe  ich  in  dieser  Zeit  keinen  ein- 
,en  Fall  von  Diplobazillenulcus  corneae  zu  behandeln  ge¬ 
bt  und  auch  in  der  Universitäts-Augenklinik  (Direktor  Prof. 
Straub),  wo  das  Mittel  auch  angewendet  wird,  ist  in  den 
zten  Monaten  solch  ein  Fall  nicht  vorgekommen.  Ich  kann 
o  über  den  möglichen  Erfolg  bei  dieser  Komplikation  nichts 
Iden.  Das  Präparat  hat  eine  kleine  Unannehmlichkeit, 
nlich  die  Farbe.  Die  Patienten  weinen  den  Tag  der  An- 
ndung  gelbgrüne  Tränen.  Ich  meine  aber,  dass  dieses  nicht 
n  grosser  Bedeutung  ist,  weil  das  Mittel  nur  ein-,  höchstens 
eimal  angewendet  zu  werden  braucht. 

Zweimal  habe  ich  nach  einigen  Monaten  ein  Rezidiv  ge- 
ien,  welches  aber  nach  einer  einmaligen  Einpulverung 
-der  verschwunden  war. 

Man  muss  natürlich  dafür  sorgen,  dass  das  Pulver  äusserst 
'i  verteilt  ist,  damit  die  Patienten  möglichst  wenig  Un- 
lehmlichkeiten  davon  empfinden. 

Ich  werde  jetzt  versuchen,  die  gute  Wirkung  des  Mittels 

erklären. 

Erstens  muss  genannt  werden  die  geringe  Löslichkeit  des 


■)  Herr  Dr.  Suy  ver,  Apotheker.  Amsterdam,  hat  es  auf  sich 
Rommen,  die  Verbindung  auf  Anfrage  zu  liefern.  Diejenigen,  welche 
1  }  räparat  selbst  bereiten  wollen,  müssen  daran  denken,  dasselbe 
1  Zimmertemperatur  schnell  zu  trocknen,  da  sonst  eine  Umsetzung 
1  -'ne  weniger  lösliche  Verbindung  entstehen  kann. 

7  v.  Reis:  Klin.  Mbl.  f.  Aughlk.  48  Bd.  2  1910. 

>  Allen:  The  Practitioner,  Mai  1908.  —  v.  Reis:  Klin.  Mbl. 
ughlk.  1.  c.  —  Tscherkowsky:  Klin.  Mbl.  f.  Aughlk.  Bd.  2 

‘)  Ueber  das  Gemisch  von  Anilinfarbstoffen  von  v.  Römer 
G  e  b  b,  Arch.  f.  Ophth.  Bd.  80,  sind  noch  keine  weiteren  Mit- 

mgen  erschienen. 


Präparates  (1 : 1000),  welche  die  Ursache  ist,  dass  eine  ge¬ 
sättigte  Lösung  davon  stundenlang  im  Konjunktivalsack 
bleiben  kann. 

Wir  wissen  aus  einer  Arbeit  von  Römer  und  G  e  b  b  ®), 
wie  schnell  eine  in  den  Konjunktivalsack  gebrachte  Lösung 
verdünnt  und  weggeführt  wird.  Es  kann  uns  alsQ  nicht  wun¬ 
dern,  dass  ein  so  wenig  löslicher  fester  Stoff  viel  besser  wirkt  als 
ein  ins  Auge  gebrachter  Tropfen  einer  Lösung.  Dazu  kommt 

’jdass  der  Stoff  nicht  ionisiert  ist  und  also  als  ganzer 
diffundieren  kann,  nicht  schädlich  ist  für  tierisches  Gewebe 
und  keine  Niederschläge  mit  Eiweisslösungen  gibt. 

Wir  haben  hier  also  eine  sehr  glückliche  Kombination 
von  Eigenschaften. 


Wie  wirkt  nun  der  Stoff  auf  die  Diplobazillen?  Zur  Be¬ 
antwortung  dieser  Frage  habe  ich  erst  untersucht,  inwiefern 
dei  Stoff  diiekt  die  Diplobazillen  tötet,  also  wie  seine  bak¬ 
terizide  Wirkung  ist.  Ich  habe  in  einige  Röhrchen  mit 
Aszitesbou  lllon  verschiedene  Quantitäten  Fluor,  zinci  (Sulf. 
zinci  etc.)  getan  und  nachher  in  jedes  Röhrchen  eine  Oese 
einer  verdünnten  Bouillonkultur  hinzugefügt  (24  Stunden  alt). 
Der  Stamm  war  von  Kral. 


Nach  5  Minuten, 
jedem  Röhrchen  eine 
platten  ausgestrichen. 

Diplobazillen  (Stamm  Kral) 


1  Stunde  und  24  Stunden  wurde  aus 
Oese  genommen  und  auf  Aszitesagar- 


I. 

II. 

III. 

IV. 

V. 

VI. 

VII. 


Üj5  ,,  do. 

0,25  „  do. 

Vsproz.  Sulf.  zinci 
lA  „  Salicyl.  zinci 
*/ s  „  do. 

Kontrolle 


nach  5  Min. 

1  St. 

24  St. 

g)  60  Kol. 

+  60 

0 

62 

22 

viel 

21 

15 

viel 

23 

0 

0 

34 

? 

0 

30 

9 

0 

90 

+  100 

sehr  viel. 

In  gesättigter  Lösung  finden  wir  also  beim  Fluor  zinci 
eine  deutliche  Wirkung,  bei  Sulfas  und  Salicyl.  zinci  in  den 
obengenannten  Konzentrationen  aber  eine  viel  stärkere.  Die 
Konzentration  des  Sulfas  und  Salicyl.  zinci  im  Konjunktival¬ 
sack  ist  aber  nur  eine  äusserst  kurze  Zeit  eine  so  hohe, 
während  mein  Präparat  längere  Zeit  in  gesättigter  Lösung 
wirken  kann. 

Die  Literatur  über  die  Wirkung  des  Zinksulfats  auf  die 
Diplobazillen')  hat  nun  gezeigt  —  und  meine  eigenen,  hier  nicht 
wiedergegebenen  Versuche  haben  dieses  bestätigt  — ,  dass  die 
Abtötung  der  Diplobazillen  nicht  direkt  vom  Zinksulfat  ver- 
ui  sacht  sein  kann,  da  hierfür  die  Konzentration  im  Konjunktival¬ 
sack  eine  viel  zu  niedrige  ist.  Man  hat  denn  auch  noch  andere 
Erklärungen  gesucht  und  Schneider* 7 8)  hat  wohl  die  beste 
gegeben. 

Schneider  brachte  bei  Kaninchen  Wattebäuschchen  in 
den  Konjunktivalsack,  nachdem  er  zuvor  die  Augen  mit 
Lösungen  von  Sulf.  zinci,  Nitr.  argenti  usw.  eingetropft  hatte. 
Dann  schloss  er  die  Augen  durch  Zunähen  der  Augenlider  und 
nahm  nach  einer  Stunde  die  Wattebäuschchen  heraus.  Diese 
waren  ganz  von  Tränenflüssigkeit  und  Konjunktival  s  e  k  r  e  t 
durchzogen.  Mittels  einer  Luftpumpe  sog  Schneider  das 
Sekret  aus  den  Bäuschchen  und  bestimmte  dann  von  dieser 
Flüssigkeit  die  bakterizide  Wirkung  auf  die  Diplobazillen.  Er 
nahm  natürlich  Kontrollversuche  mit  Sekret  aus  nicht  ein- 
geti  opften  Augen  und  fand  die  bakterizide  Wirkung  dieser 
letzten  Flüssigkeit  so  ungefähr  null,  während  sie  bei  den  ein¬ 
getropften  Augen  sehr  bedeutend  war.  Die  eingetropfte 
Flüssigkeit  wurde  stets  ausgewaschen,  bevor  das  Bäuschchen 
hineingelegt  wurde. 


Diese  Bakterizidie  leitet  Schneider  her  von  den  Se¬ 
kretionsprodukten  der  Leukozyten;  aus  dem  Plasma  (Serum) 
kann  sie  nicht  stammen,  weil  die  Flüssigkeit  ihre  Wirkung  be¬ 
hält  nach  Erwärmung  bei  56°,  während  die  Bakterizidie  des 
Serums,  wenn  anwesend,  thermolabil  ist. 

Ich  habe  versucht,  diese  Experimente  nachzumachen  und 
nun  auch  mit  Fluor,  zinci.  Dieser  letzte  Stoff  wurde  natürlich 
nicht  ausgewaschen. 

Bevor  ich  meine  Resultate  mitteile,  muss  ich  bemerken, 
dass  wir  es  hier  nicht  mit  ganz  natürlichen  Verhältnissen  zu 


v)  Arch.  f.  Ophth.  1.  c. 

7)  Siehe  hierfür  Axenfeld-Kolle  und  Wassermann: 
Handbuch  der  pathogenen  Mikroorganismen  (2)  5.  S.  608. 

8)  Arch.  f.  Ophth.  73.  1910. 


2 


Z004 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  39. 


Flüssigkeit  1  u.  2 
3  .  4 
..  5  ■  6 


tun  haben:  nach  einstündigeni Verweilen  desW attebäuschchens 
im  Konjunktivalsack  ist  ja  ein  starkes  Oedein  der  Konjunktiva 
entstanden.  Ich  habe  aber  keine  bessere  Weise  des  Experi- 
mentierens  finden  können. 

L.  Auge  R.  Auge 

Kaninchen  176  Sulf.  zinci  !/2  Proz.  Kontrolle 

„  191  Fluor,  zinci  1  Prom. 

193  do.  als  fester  Stoff  „ 

In  jedes  Auge  kommt  nach  einer  Viertelstunde  ein  Watte- 
bäuschchen,  welches  eine  Stunde  liegen  bleibt. 

L.  Auge  R.  Auge 

Kaninchen  177  Sulf.  zinci  ‘/s  Proz.  Kontrolle:  Flüssigkeit  7  u.  8 
145  Fluor,  zinci  1  Prom.  „  ,  9  „  10 

„  161  do.  als  fester  Stoff  „  :  „  11  »  12 

In  jedes  Auge  kommt  nach  5  Stunden  ein  Wattebäusch- 
chen,  welches  eine  Stunde  liegen  bleibt. 

Wir  bekommen  also  12  Flüssigkeiten.  In  jede  wurden 
Diplobazillen  getan  (eine  Oese  einer  verdünnten  Aszites¬ 
bouillonkultur)  und  nach  5  Minuten,  nach  4  Stunden  und  nach 
24  Stunden  geimpft  und  auf  Aszitesagar  gestrichen  (1—12  1, 
1—12  II,  1—12  III).  Nach  48  Stunden  wurden  die  Platten  ge¬ 
zählt. 


I. 

II. 

III. 


von  Be- 
aber  die 
an  den 
Wirkung 


Auf  allen  Platten  ±  100  Kolonien. 

„  ,  „  100—300  „  ,  ausgenommen  Platte  5 

(Fluor,  zinci  als  fester  Stoff),  welche  5  Kolonien  zählte. 
Auf  allen  Platten  oo  Kolonien,  ausgenommen  auf  Platte  5, 
welche  200—300  zählte. 

Wir  sehen  also,  dass  die  Flüssigkeit  aus  dem  Auge  des 
mit  festem  Fluor,  zinci  eingepuderten  Kaninchens  eine  deut¬ 
liche  Bakterizidie  besass,  im  Gegensatz  zu  sämtlichen  anderen 
Flüssigkeiten,  welche  diese  entbehrten.  Beim  Kaninchen  161, 
in  dessen  Auge  5  Stunden  nach  der  Einpulverung  ein  Watte- 
bäuschchen  gelegt  wurde,  war  die  Bakterizidie  schon  ver¬ 
schwunden.  Ich  habe  dieses  Experiment  noch  einmal  wieder¬ 
holt  und  genau  dasselbe  Resultat  bekommen,  nur  waren  jetzt 
Platten  5  II  und  III  ganz  steril. 

Ich  bin  also  nicht  glücklich  gewesen  beim  Nachmachen 
der  Experimente  von  Schneider.  In  meinen  Versuchen 
(auch  mit  Stapln  pyog.  aur.,  weiche  ich  hier  nicht  mitteile) 
habe  ich  keine  Bakterizidie  nach  Einträufeln  von  Sulf.-zinci- 
Lösung  auffinden  können.  Hiermit  will  ich  aber  nicht 
sagen,  dass  die  Experimente  des  Herrn  Schneider 
falsch  sind;  cs  könnten  ja  kleine  Unterschiede  bei  Aus 
führung  der  ziemlich  schwierigen  Experimente 
lang  sein.  Aus  meinen  Experimenten  kommt 
bessere  Wirkung  meines  Präparates  deutlich 
Tag.  Ich  bekam  den  Eindruck,  dass  diese 
genügend  geklärt  werden  konnte  durch  die  Auflösung  des 
Stoffes  bis  zur  Sättigung  in  die  Konjunktivalflüssigkeit.  Die 
Flüssigkeit  II,  wo  das  Bäuschchen  erst  5  Stunden  nach  der 
Einpulverung  des  Präparates  hineingelegt  wurde,  war  nicht 
mehr  bakterizid  und  zugleich  auch  nicht  mehr  von  Fluor, 
zinci  gesättigt;  sie  war  viel  weniger  dunkel  gefärbt.  Dass 
meine  Meinung  annehmbar  ist  und  nicht  nach  Sekretions¬ 
produkten  der  Leukozyten  gesucht  werden  muss  (in  meinem 
Fall),  geht  aus  dem  folgenden  Versuche  hervor: 

Einem  Kaninchen  wurden  Wattebäuschchen  in  beide  Augen  ge¬ 
legt,  einem  andern  ebenfalls,  nachdem  aber  erst  Fluor,  zinci  ein¬ 
gepudert  war.  Nach  einer  Stunde  wurden  die  Bäuschchen  aus¬ 
gedrückt  und  die  Flüssigkeiten  gesammelt.  Ich  nenne  sie  Flüssig¬ 
keit  I  (Kontrolle)  und  II  (Fluor,  zinci).  Von  I  wurde  die  Hälfte  mit 
Fluor,  zinci  gesättigt  (I  b)  und  bekam  dann  dieselbe  Farbe  als  II.  Die 
Hälfte  von  II  wurde  eine  halbe  Stunde  auf  56°  erwärmt. 

Die  4  Flüssigkeiten  wurden  mit  einer  Oese  einer  Diplobazillen- 
kultur  geimpft  und  nach  5  Minuten,  1  Stunde  und  24  Stunden  auf 
Aszitesagar  gestrichen. 

Nach  5  Min.:  nach  1  Stunde:  nach  24  Stunden 
la  63  ±  100  oo 

Ib  ±  150  +  100  0 

II  a  +  150  +  100  0 

Hb  50  ±80  0 

Die  Erklärung  der  Wirkung  des  Fluor,  zinci  auf  die  Diplo- 
bazillenkonjunktivitis  meine  ich  auch  in  vivo  einfach  aus  einer 
antibakteriellcn  Wirkung  des  Stoffes  auf  die  Bazillen  her¬ 
leiten  zu  müssen  9). 


9)  Nachdem  ich  diese  Arbeit  schon  abgeschlossen  hatte,  bekam 
ich  2  Arbeiten  aus  dem  Laboratorium  von  Mora  zu  lesen,  welche 


Bücheranzeigen  und  Referate. 

H.  W  1  n  t  e  r  s  t  e  1  n:  Handbuch  der  vergleichenden  Physiologie. 

Jena,  G.  Fischer.  Lieferungen  39-  44,  je  5  M. 

Von  diesem  gross  angelegten  Werke  sind  seit  Beginn  des  Jahres 
6  weitere  Lieferungen  erschienen.  Lieferung  39  (zur  2.  Hälfte  des 
1.  Bandes)  enthält  zunächst  den  Schluss  des  allgemeinen  Teils  über 
die  Atmung  der  Fische  mit  lesenswerten  Betrachtungen  über  die 
Tätigkeit  der  Kiemenatemzentren.  Es  schliessen  sich  an  Mitteilungen 
über  besondere  Atemmechanismen  und  der  spezielle,  die  einzelnen 
Ordnungen  behandelnde  Teil.  Endlich  enthält  sie  noch  einen  grös¬ 
seren  Abschnitt  über  die  Atmung  der  Amphibien,  insbesondere  des 
Frosches.  Die  Darstellung  ist  von  E.  Babäk. 

In  den  Lieferungen  40  und  41  (zur  2.  Hälfte  des  3.  Bandes)  bringt 
G  o  d  1  e  w  s  k  i  die  Physiologie  der  Zeugung  zum  Abschluss.  Gegen¬ 
stand  der  Darstellung  sind  die  Befruchtungsvorgänge  im  Ei  und  das 
Vererbungsproblem;  hiebei  finden  die  Versuche  über  künstliche 
Parthenogenese,  die  Vererbung  erworbener  Eigenschaften,  die  Frage 
nach  den  verschiedenen  Vererbungstypen  und  deren  Ursachen  ein¬ 
gehende  kritische  Würdigung.  Lieferung  41  enthält  noch  Titel,  In¬ 
haltsverzeichnis  und  Register  zur  2.  Hälfte  des  3.  Bandes. 

Die  Lieferungen  42—44  (zur  1.  Hälfte  des  3.  Bandes)  enthalten 
Fortsetzung  und  Schluss  des  von  R.  F.  Fuchs  bearbeiteten  Ab¬ 
schnittes  „Farbenwechsel  und  chromatische  Hautfunktion  der  Tiere“ 
und  die  ersten  (16)  Bogen  eines  Abschnittes  „Farbe  und  Zeichnung 
der  Insekten“  von  W.  B  i  e  d  e  r  m  a  n  n.  In  Lieferung  42  wird  die 
Darstellung  der  chromatischen  Hautfunktion  der  Fische  zum  Ab¬ 
schluss  gebracht;  dieselbe  und  Lieferung  43  behandeln  die  ent¬ 
sprechenden  Vorgänge  und  Einrichtungen  bei  Amphibien  und  Rep¬ 
tilien.  Die  merkwürdigen  Erscheinungen  haben  immer  wieder  das 
Interesse  der  Forscher  erweckt;  die  Zusammenfassung  der  festge- 
stellten  Tatsachen  zeigt  aber,  wie  verwickelt  die  Vorgänge  sind  und 
wie  schwer  es  ist,  zu  einem  befriedigenden  Verständnis  zu  gelangen. 
W.  B  i  e  d  e  r  m  a  n  n  weist  in  Lieferung  43  und  44  auf  die  Farben¬ 
pracht  der  Insekten  hin  und  ermuntert  die  Physiologen  dem  wich¬ 
tigen  und  reizvollen  Problem  mehr  Aufmerksamkeit  als  bisher  zu 
schenken.  Er  beginnt  mit  der  Besprechung  der  chemischen  Natur 
der  Pigmente  und  der  Abhängigkeit  ihrer  Verteilung  von  inneren 
und  äusseren  Einflüssen,  wobei  die  vielerlei  Versuche  über  die  Wir¬ 
kung  des  Lichtes,  der  Feuchtigkeit,  der  Temperatur  auf  die  Färbung 
und  die  anschliessenden  Erklärungsversuche  ausführlich  erörtert 
werden.  Er  beginnt  dann  die  Schilderung  der  Strukturfarben 
(optische  Farben)  der  Insekten,  insbesondere  der  Schillerfarben,  die 
aber  in  Lieferung  44  nicht  zum  Abschluss  kommt. 

v.  Frey-  Würzburg. 

Vorlesungen  über  Diätetik  (Lectures  on  Dietetics)  von  Prof.  Max 
Einhorn,  London,  H.  K.  L  a  r  c  i  s,  136  Gower-St.  W.  C.  1914. 

Das  kleine  Werk  in  englischer  Sprache  ist  aus  Vorlesungen 
hervorgegangen,  die  M  Einhorn  an  der  NewYork  Postgraduate 
Medical  School  über  Diätetik  zu  halten  pflegt.  Es  behandelt  ii 
8  Kapiteln  auf  verhältnismässig  beschränktem  Raum  die  wichtigster 
Gesichtspunkte  bezüglich  der  Ernährung  bei  den  verschiedenen 
Krankheitszuständen. 

In  der  1.  Vorlesung  werden  die  physiologischen  Grundlagen 
besprochen,  in  der  2.  die  Verdaulichkeit  der  Speisen,  die  Art  des 
Essens  und  der  Einfluss  derselben  auf  die  Verdauung,  dann  die  Diät 
bei  akuten  Krankheiten.  Die  3.  Vorlesung  gibt  Vorschriften  über  Diät 
bei  akuten  Krankheiten  von  längerer  Dauer  und  bei  chronischen 
Krankheiten  wie  Tuberkulose,  B  r  i  g  h  t  sehe  Krankheit.  Die  4.  Vor¬ 
lesung  ist  der  Diät  bei  chronischen  Affektionen  des  Verdauungstraktus 
gewidmet,  die  5.  behandelt  die  Diät  bei  chronischen  Diarrhöen,  die  6. 
die  Diät  beim  Diabetes  mellitus,  die  7.  enthält  die  bekannten  Diät¬ 
regimes  und  die  8.  gibt  die  Indikationen  für  die  Duodenalernährung 
und  die  Beschreibung  der  Methode. 

In  der  lebendigen  Ausdrucksweise  des  Vortragenden  (Einhorn 
hat  absichtlich  an  der  Form  nicht  gefeilt,  um  dem  Leser  den  Vorteil 
des  aktuellen  Zuhörers  zu  gewähren)  bringt  der  Verfasser  seine 
Anschauungen  über  die  zweckmässige  Ernährung  bei  den  einzelnen 
Affektionen  zur  Darstellung,  weniger  auf  Grund  von  theoretischen 
Erwägungen,  als  auf  seiner  reichen  klinischen  Erfahrung  fussend. 
Die  ausgezeichnete  kleine  Monographie  ist  besonders  dem  viel¬ 
beschäftigten  Praktiker  zu  empfehlen,  er  findet  hier  aus  berufenem 
Munde  alles  geschildert,  was  jeder  moderne  Arzt  über  das  wichtige 
Gebiet  der  diätetischen  Therapie  wissen  muss. 

Dr.  Frdr.  C  r  ä  m  e  r. 

Grundriss  des  Deutschen  Aerzterechts.  Für  Studierende,  Aerzte 
und  Verwaltungsbeamte.  Von  L>r.  H.  Joachim,  Sanitätsrat  und 
Dr.  A.  Korn,  Justizrat  Verlag  von  Gustav  Fischer,  Jena.  1914. 
220  S  Brosch.  6  M.,  gcb.  7  M.  JH 

Die  Verfasser  bringen  eine  übersichtliche  Zusammenstellung  der 
für  den  ärztlichen  Beruf  geltenden  Rechtsgrundsätze  unter  Berück¬ 
sichtigung  der  wichtigsten  Gesetze  und  Verordnungen  des  Reiche 
und  der  grösseren  Bundesstaaten.  Es  werden  u.  a.  behandelt  die 

über  die  Wirkung  des  Zinks  auf  die  Diplobazillen  handeln.  (D“' 
verrier,  Verry-Westphal:  Annal.  d’oeulistique,  Sept.  1913. 
S.  161  u.  165.)  Auch  dort  wird  noch  keine  endgültige  Erklärung  ge¬ 
geben  über  die  Wirkung  des  Zinks  auf  die  Diplobazillen. 


>9.  September  191-4. _ MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


orbedingung  der  Approbation  (ärztliche  Vorprüfung,  ärztliche  Prii- 
uiig.  praktisches  Jahr  usw  ),  die  Medizinalbehörden  (Kaiscrl.  Gesund- 
icitsamt,  Keichsgesundheitsamt  usw.),  der  beamtete  Arzt  in  der 
okalinstanz,  ferner  der  Arzt  im  öffentlichen  Rechte  (Steuerwescn 
tiaf recht,  1  rozessrecht,  Irrenwesen),  dann  der  Arzt  in  der  offen t- 
dien  Gesundheitspflege  (Hafenärzte,  Gewerbeärzte,  Polizeiärzte, 
iefangnisarztc,  Eisenbahn-  und  Postärzte,  städtische  Mcdizinal- 
camte  usw.),  Aerzte  an  öffentlichen  Heilanstalten  (Haftung  der  An- 
i.ilt.  Haftung  der  Aerzte),  Bekämpfung  ansteckender  Krankheiten 
l<eichsgesetz,  einzelne  Landesgesetze,  Schutzpockenimpfung  usw  ) 
lalirungsmittelhygiene,  Arzneimittelversorgung  (Verkehr  mit  Arznei- 
littcln  ausserhalb  der  Apotheken,  Abgabe  stark  wirkender 
rzneimittel,  Geheimmittel,  Gifte,  Dispensationsrecht  der  Homöo¬ 
athen  usv\ .),  Aerztliches  Hilfspersonal,  der  Arzt  iin  Privatrecht 
licnstvertrag,  ärztliches  Honorar  etc.),  Schadenersatzpflicht  wegen 
engelhafter  Sorgfalt,  Gebühren  der  Aerzte  für  privat-  und  amts- 
rztiiche  I  ätigkeit.  der  Arzt  in  der  Reichsversicherungsordnung  etc. 

Bei  der  ausserordentlich  umfangreichen  Materie  konnten  natur- 
emass  von  den  einzelnen  Bundesstaaten  nur  die  Verhältnisse  der 
rosseren  Berücksichtigung  finden  und  musste  auch  da  die  Behand- 
mg  eine  mehr  summarische  sein,  immerhin  wird  das  Buch  dem 
tudicrenden  der  Medizin  bzw.  dem  angehenden  Arzte  die  nötigsten 
uischlusse  geben,  wenn  er  sich  in  die  Verhältnisse  des  Aerzte- 
jehtes  etwas  einarbeiten  und  so  für  einen  immerhin  wichtigen  Teil 
.'ines  Berufslebens  vorbereiten  will.  Dr.  S  p  a  e  t  -  Fürth. 

Wilhelm  Ostwald:  Moderne  Naturphilosophie.  410  Seiten, 
kademische  Verlagsgesellschaft.  Leipzig  1914.  Brosch  12  M 
eb.  13.20  M. 

O  s  t  wa  1  d  s  „Vorlesungen  über  Naturphilosophie“,  die  im 
ihre  1902  erschienen,  kennt,  wird  aus  dem  vorliegenden  Buche 
nschwer  eine  sehr  wesentliche  Erweiterung  des  Horizontes  er- 
.'iinen,  welche  die  Arbeit  0  s  t  w  a  1  d  s  auf  dem  Gebiete  der  Philo- 
»phie  erfahren  hat,  andererseits  hat  seine  „Naturphilosophie“  in 
esem  Bande  dadurch  eine  Einschränkung  aufzuweisen,  dass  sich 
eselbe  auf  das  Grenzgebiet  zwischen  Logik  und  Mathematik  Ge¬ 
meldet.  Somit  haben  wir  es  nicht  mit  einer  umfassenden 
Naturphilosophie  zu  tun,  sondern  im  wesentlichen  mit  einer 
ysternatik  der  elementaren  Begriffe. 

Dementsprechend  umfassen  die  einzelnen  Vorlesungen:  die  Er- 
hrung.  die  Sprache,  die  Bildung  der  Begriffe,  die  zeitlichen  Sinne, 
e  Raumsinne,  die  Logik  oder  Gruppenlehre,  die  Reihen,  die  Zahlen, 
e  Grössen  und  ihre  Messung,  Raum  und  Zeit.  Es  sind  begriffliche 
nalysen,  die  hier  geboten  werden,  keine  End  punkte,  sondern  Aus- 
mgspunkte  einer  Naturphilosophie.  Das  lässt  denn  auch  den  Wunsch 
ge  werden,  dass  recht  bald  die  in  Aussicht  gestellten  weiteren 
iden  Teile  des  Gesamtwerkes:  Die  energetischen  Wissenschaften 
id  die  biologischen  Wissenschaften,  erscheinen  möchten. 

Ob  die  Arbeit  Ostwalds  eine  gründliche,  erschöpfende 
Naturphilosophie“  zu  schaffen  imstande  sein  wird,  lässt  sich  bisher 
eht  ohne  weiteres  entscheiden,  die  Flut  der  Gedanken,  wie  wir  sie 
veifellos  in  dem  hochbegabten  Naturwissenschaftler  antreffen, 
heint  mir  der  systematischen  Ordnung  gewisse  Schwierigkeiten  zu 
weiten;  der  unverkennbare  romantische  Zug  scheint  mir  ebenso 
cht  leicht  vereinbar  mit  philosophischer  Schärfe  und  umfassender 
alektik,  auch  ist  zu  fürchten,  dass  die  aller  Empirie  voranzu- 
cllende  Beherrschung  erkenntnistheoretischer  Disziplin  die  Ost- 
a  1  d  sehe  philosophische  Arbeit  nicht  in  vollem  Masse  überschattet; 
er  trotz  allem  haben  wir  es  mit  origineller  Schöpfung  zu  tun,  mit 
m  Werk  einer  markanten  Persönlichkeit,  die  in  ihrer  Auswirkung 
r  Welt  neue  Gedanken  zu  vermitteln  berufen  ist  und  gerade  durch 
-  persönliche  Note  Kulturwege  und  Forschung  befruchtet. 

F.  Köhler-  Holsterhausen. 

Neueste  Journalliteratur. 

Deutsches  Archiv  für  klinische  Medizin.  116.  Bd.,  3.  und 
Heft. 

J.  Goldberg  und  R.  Hertz:  Ueber  den  Einfluss  von  Natrium¬ 
karbonat  auf  die  Ausscheidung  der  Chloride  und  des  intravenös  ein¬ 
führten  Milchzuckers.  Ein  Beitrag  zu  den  Untersuchungen  der 

erenfunktionen.  (Aus  der  inneren  Abteilung  von  Primararzt 
•  1  a  n  o  w  s  k  i  im  Kindlein-Jesu-Krankenhaus  Warschau.) 

Gaben  von  10 — 20  g  Soda  innerlich  verursachten  eine  mehr  oder 
niger  ausgesprochene  Chlorretention  bzw.  verlängerten  die  Aus- 
icidungsdauer  von  intravenös  eingeführtem  Milchzucker,  vermut- 
™  infolge  Herabsetzung  des  Ausscheidungsvermögens  der  Niere. 

L.  B  o  r  e  1 1  i  und  P.  Girardi:  Versuche  über  den  Kochsalz- 
u  Wasserwechsel  beim  gesunden  Menschen.  (Aus  der  Kgl.  medi- 
1  sehen  Universitätsklinik  zu  Torino.) 

,  Per  Organismus  braucht  bei  einer  bestimmten  konstanten  Diät, 
ibhängig  von  ihrem  NaCl-  und  Hi*ü-Gehalt,  3 — 4  Tage  Zeit,  um 
eder  ins  Gleichgewicht  zu  kommen.  Das  erreichte  Gleichgewicht 
nie  ein  vollständiges,  sondern,  je  nach  den  Tagen,  Schwankungen 
Sinne  grösserer  oder  kleinerer  Ausscheidungen  unterworfen.  Es 
somit  für  das  Hl>0  wie  für  das  NaCl  keine  tägliche,  sondern  nur 
e  Gesamtbilanz  vorhanden,  die  von  Individuum  zu  Individuum 
j  Je  nach  der  Diät  veränderlich  ist.  Es  ist  eine  individuelle  Maxi- 
Igrenze  in  der  Konzentration  des  Harns  in  bezug  auf  NaCl  vor-  I 


2005 

handen.  Einer  reichlichen  eintägigen  NaCl-  und  HsO-Einfuhr  folgt 
last  stets  eine  Retention  beider  Elemente  mit  gleichzeitiger  Steige¬ 
rung  des  Körpergewichts.  Einer  reichlichen  1  tägigen  NaCl-  und  ge- 
i  mgen  Müssigkeitseinfuhr  folgt  eine  NaCl-Retention  und  eine  Zu- 
nahtne  der  Diurese.  Nach  Einnahme  eines  NaCl-Ueberschusses  ändert 
sich  die  Ausscheidung  nicht,  gleichgültig  ob  das  NaCl  fraktioniert  im 
Laufe  des  I  ages  oder  nur  während  der  Mahlzeiten  eingenommen 
'Vr  ,•  .  e  höchste  Kochsalzmenge  wird  jedoch  mit  dem  nach  den 
Mrin'u11  ausgeschiedenen  Harne  abgesondert.  Führt  man  den 
NaCLUeberschuss  bei  leerem  Magen  ein,  so  wird  er  langsamer  aus- 
geschieden,  als  wenn  er  w'ährend  der  Mahlzeit  eingenommen  wird. 
Wahrend  einer  NaCI-armen  Diät  nimmt  die  NaCI-Retention  sowohl 
rv-- .  u  jlr  e'ner  Zulage,  als  auch  bei  Fortdauer  der  kochsalzarmen 
Diät  bedeutend  zu;  diese  Retention  ist  nicht  andauernd  und  kann  von 
e*nfj.  j Perausscheidung  gefolgt  sein.  Während  einer,  nur  an  1  Tage 
stattfindenden  reichlichen  HsO-Einfuhr  scheidet  der  Organismus  nicht 
nur  keine  grössere  Menge  NaCl,  sondern  eine  geringere  aus,  beson¬ 
ders  bei  vorangegangener  knapper  Wasserdiät.  Dies  wird  bei  koch¬ 
salzarmer,  als  auch  bei  normal  kochsalzhaltiger  Diät  beobachtet. 
Durch  reichliche  und  wiederholte  Wassereinfuhr  wird  die  NaCl-Aus- 
Scheidung  gesteigert.  (Weitere  Ergebnisse  sind  nachzulesen.) 

A.  W.  Hewlett:  Reflexionen  der  primären  Pulswelle  im 
menschlichen  Arme.  (Mit  5  Kurven.) 

In  vielen  normalen  Kurven  tritt  eine  negative  Rückbewegung 
des  Blutes  in  der  A.  brachialis  sofort  nach  der  primären  Pulswrellc 
auf,  besonders  aber  in  gewissen  pathologischen  Fällen,  z.  B.  Nitro¬ 
glyzerinpuls,  Pulsus  celer  der  Aorteninsuffizienz,  dikrotem  Puls  von 
akuten  Infektionen.  Diese  Rückbewegung  ist  von  einer  Reflexion  der 
primären  Pulswelle  im  Arme  verursacht. 

ci-  M  a  i  0  r :  Ueber  den  Einfluss  der  Anaphylaxie  auf  den 

Stickstoffwechsel  bei  Kaninchen.  (Aus  der  II.  med.  Klinik  in  Mün¬ 
chen  und  dem  pathol.  Laboratorium  der  Stanford  Univcrsity  in  San 
Francisco.)  (Mit  5  Kurven.) 

Die  Anaphylaxie  hat  einen  bedeutenden  Einfluss  auf  den  Stick¬ 
stoffwechsel.  Gleich  nach  dem  anaphylaktischen  Schock  wird  oft 
eine  Herabsetzung  der  N-Ausscheidung  bemerkt,  die  aber  nicht  kon¬ 
stant  ist.  Kaninchen  gehen  oft  erst  mehrere  Tage  nach  dem  Schock 
zugrunde.  Während  dieser  Zeit  schwankt  die  Ausscheidung  des  N, 
die  liere  scheinen  die*  Fähigkeit  zu  verlieren,  sich  im  N-Gleich- 
gewicht  zu  halten.  Sie  erleiden  einen  bedeutenden  Gewichtsverlust, 
der  teilweise  aut  verminderte  Nahrungsaufnahme,  grösstenteils  auf 
Zerstörung  des  Körpereiweisses  zurückzuführen  ist.  Eine  anatomische 
Grundlage  für  diese  bemerkenswerten  Veränderungen  des  Stoff¬ 
wechsels  Hess  sich  nicht  finden. 

/.  U.  Weiser:  Eine  Mitteilung  über  Störungen  der  Herzautomatie. 

(Aus  der  I.  deutschen  med.  Klinik,  in  Prag.)  (Mit  7  Kurven.) 

Die  Arbeit  bringt  4  Fälle  von  Störung  der  Herzautomatie  bei 
Nervösen,  die  auf  Schwankungen  in  der  Reizbildung  im  Keith- 
rlack  sehen  Knoten  beruhen. 

d  unn?:  Ueber  die  Wirkung  des  Mikrokokkus  von 

rr.UCxr  (Melitensis)  und  seiner  Toxine  auf  das  periphere  und  zen- 
trale  Nervensystem.  Experimentelle  Untersuchungen.  (Aus  der 
'  m\r  ‘  i  lm  j  der-  kgl-  Universität  in  Neapel.)  (Mit  Tafel  I— IV.) 

Nach  subduraler  und  intravenöser  Injektion  des  lebenden  Mikro¬ 
kokkus  und  nach  subduraler  Injektion  von  sterilen  Kulturen  entstehen 
Veränderungen  am  Nervensystem,  die  recht  gut  mit  den  klinischen 
r r fahr un gen  beim  Maltafieber  übereinstimmen.  Die  klinisch  so  häu¬ 
fig  beim  Maltafieber  beobachteten  Neuritiden  sind  begründet  in  der 
zerstörenden  Wirkung  des  Mikrokokkus  auf  die  peripheren  Nerven, 
wahrend  die  pathogene  Wirkung  auf  das  Zentralnervensystem  eine 
weniger  intensive  ist. 

i  h'  ikatId.d:  Heker  ^ie  Palpabilität  der  Arterien.  (Aus  der 
1.  rned.  Klinik  der  Universität  zu  München.)  (Mit  4  Abbildungen  und 
5  Kurven.) 

Zwischen  dem  Tastbefund  der  Arterien  wand  und  ihrem  ana¬ 
tomischen  Zustand  bestehen  nur  sehr  lockere  Beziehungen.  Bei  einer 
grossen  Zahl  von  rigide  erscheinenden  Arterien  findet  diese  Rigidität 
durch  den  anatomischen  Befund  keine  Erklärung.  Bei  den  meisten 
Arterien,  welche  dickwandig  erscheinen,  ohne  sklerotisch  zu  sein, 
wird  die  Resistenz  nicht  durch  eine  Mediahypertrophie  bedingt, 
andererseits  scheint  die  Mediahypertrophie,  zumal  bei  Schrumpfniere, 
ein  raktor.  zu  sein,  den  man  bei  der  Beurteilung  des  Palpations¬ 
befundes  nicht  ausser  acht  lassen  darf.  Abgesehen  von  den  höchst- 
gradigen  „Gänsegurgelarterien“  ist  es  dem  tastenden  Finger  unmög- 
lich,  zu  scheiden  zwischen  einer  durch  Mediahypertrophie  und  einer 
■[  r.|{  f'0Sp  frose  bedingten  Verdickung  der  Arterienwand.  Erst 
mit  Hilfe  des  Sphygmogramms  lässt  sich  erkennen,  welche  unter  den 
dickwandigen  Arterien  anatomisch  sklerotisch  sind,  und  welche  durch 
Mediaverdickung  rigide  erscheinen,  wenn  auch  eine  absolute  Ueber- 
cinstimmung  weder  zwischen  Sphygmogramm  und  anatomischem  Ver¬ 
halten,  noch  zwischen  Pulskurven  und  Tastbefund  vorhanden  zu  sein 
scheint.  Was  als  vermehrte  Rigidität  fühlbar  ist,  ist  verursacht  durch 
eine  Veränderung  der  Eindrückbarkeit  der  Arterienwandung,  also 
ihrer  Harte.  Bei  den  wirklich  sklerotischen  Arterien  ist  diese  Härte¬ 
zunahme  bedingt  durch  eine  Schädigung  derjenigen  Gewebselemente, 
welche  bei  dem  jeweiligen  Gefässtypus  am  meisten  beansprucht  wer¬ 
den:  also  bei  den  muskulösen  Arterien  vorwiegend  in  einer  Degenera¬ 
tion  der  glatten  Muskulatur  der  Media,  bei  den  elastischen  Arterien 
mehr  in  einem  Untergang  elastischer  Fasern  und  ihrem  Ersatz  durch 


2006 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  39. 


funktionell  minderwertiges  Bindegewebe  zu  suchen.  Trotz  des  ver- 
schiedenen  anatomischen  Bildes  fühlen  wir  klinisch  nur  dieselbe  Ver¬ 
änderung  eine  Zunahme  der  Härte  der  Arterienwand,  die  wohl  als 
Ausdruck  der  verschlechterten  Dehnbarkeit  solcher  Arterien  anzu¬ 
sehen  ist.  Bei  den  Arterien,  die  anatomisch  nicht  sklerotisch  sind, 
klinisch  aber  rigide  erscheinen,  kann  die  fühlbare  Härte  nicht  ein¬ 
heitlich  erklärt  werden.  «... 

E.  Grafe:  Zur  Genese  des  Eiweisszerfalls  im  Fieber.  (Aus 

der  med.  Klinik  in  Heidelberg.) 

Eine  toxische  Steigerung  des  Eiweissumsatzes  durch  Ioxmwir- 
kung  und  Fieber  Hess  sich  beim  Kaninchen  nicht  nachweisen,  wenn 
man  das  Verhalten  des  N-Minimums  beim  infektiösen  Fieber  bei 
gleichzeitiger  starker  Kohlehydratzufuhr  verfolgt.  Für  den  Menschen 
ist  diese  Frage  noch  offen,  da  ein  Analogieschluss  vom  Kaninchen  un¬ 
zulässig  ist  und  grosse  Kohlehydratgaben  von  fiebernden  Menschen 
meist  nicht  genommen  werden. 

P.  Morawitz  und  A.  Zahn:  Untersuchungen  über  den  Koro¬ 
narkreislauf.  (Aus  der  med.  Poliklinik  in  Freiburg  und  der  med. 
Klinik  in  Greifswald.)  (Mit  5  Figuren,  8  Kurven  und  18  Diagrammen.) 

Die  angegebene  Methode  der  Sondierung  des  Koronarsinus  am 
lebenden  Tier  gestattet  es,  ein  zutreffendes  Bild  von  der  Durchblu¬ 
tung  des  Herzens  in  situ  zu  erhalten.  Die  Durchblutung  des  Herz¬ 
muskels  ist  vom  arteriellen  Druck  abhängig.  Steigerung  des  arteriel¬ 
len  Druckes  durch  Abdominalkompression,  Infusion  von  Blut  oder 
Kochsalzlösung  und  Adrenalin  vermehrt  die  Ausflussmenge  aus  den 
Kranzgefässen.  Ausserdem  wirkt  Adrenalin  noch  direkt  dilatierend 
auf  die  Koronargefässe.  Es  ist  das  wirksamste  Mittel,  eine  Ver¬ 
mehrung  der  Durchblutung  des  Herzmuskels  zu  erreichen;  trotzdem 
scheint  es  bei  der  menschlichen  Angina  pectoris  unwirksam  zu  sein. 
Stark  beschleunigte  Herztätigkeit  schafft  ungünstige  Bedingungen  für 
die  Durchblutung  des  Herzens.  Reizung  des  Accelerans  cordis  wirkt 
dilatierend  auf  die  Koronargefässe,  Reizung  des  Nervus  vagus  ver¬ 
mindert  meist  die  Ausflussmenge.  Im  Akzelerans  sind  Vasodilatatoren 
für  die  Kranzgefässe.  Ob  im  Vagus  Konstriktoren  verlaufen,  ist  noch 
nicht  sicher.  Pituitrin  und  Nikotin  verengen  die  Kranzgefässe. 

H.  Straub:  Dynamik  des  Säugetierherzens.  II.  Mitteilung. 
Dynamik  des  rechten  Herzens,  (Aus  der  I.  med.  Klinik  München.) 
(Mit  8  Kurven.) 

Für  die  Dynamik  des  rechten  Ventrikels  ist  bei  Konstanz  der 
Beschaffenheit  des  Muskels  die  Grösse  des  venösen  Zuflusses  der 
massgebende  Faktor.  Mit  Zunahme  des  Zuflusses  steigt  entsprechend 
der  diastolische  Druck.  Zunahme  des  Widerstandes  durch  Verenge¬ 
rung  der  Strombahn  des  Lungenkreislaufes  hat  bei  normalen  Lungen- 
gefässen  innerhalb  physiologischer  Grenzen  geringen  Einfluss  auf  die 
Dynamik  des  rechten  Ventrikels.  Die  Systole  des  rechten  Vorhofs 
wird  von  denselben  Gesetzen  beherrscht  wie  die  Systole  der  Kam¬ 
mern.  Der  Druckablauf  im  rechten  Vorhof  übt  massgebenden  Ein¬ 
fluss  auf  die  Strömungsgeschwindigkeit  in  den  grossen  Venen  aus. 
Bei  grossem  venösen  Zufluss  kann  in  bestimmten  Phasen  der  Herz¬ 
revolution  ein  vom  Herzen  weggerichtetes  Druckgefälle  im  venösen 
System  entstehen.  Die  Schwankungen  des  Druckgefälles  bewirken, 
dass  bei  geringem  venösen  Zufluss  die  Füllung  des  rechten  Herzens 
während  der  ganzen  Diastole  nahezu  kontinuierlich  erfolgt.  Bei 
grossem  venösen  Zufluss  erfolgt  die  Füllung  des. Vorhofs  vorwiegend 
in  den  frühen  Phasen  der  Diastole.  Während  der  späteren  Phasen 
der  Diastole  kann  infolge  der  starken  Abnahme  des  Gefälles  nur 
wenig  Blut  mehr  einströmen.  Der  Vorhof  ist  dadurch  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  vor  Ueberdehnung  geschützt.  Die  absolute  Höhe  des 
Pulmonalisdrucks  hängt  wesentlich  von  der  Höhe  des  venösen  Zu¬ 
flusses  ab.  Die  Dynamik  der  einzelnen  Herzabschnitte  wird  vor¬ 
wiegend  durch  das  Verhalten  der  angrenzenden  Teile  des  grossen 
Kreislaufs  bestimmt.  Für  die  Dynamik  des  linken  Herzens  ist  der 
Aortendruck  der  in  erster  Linie  bestimmende  Faktor:  er  reguliert 
Anfangsfüllung  und  Anfangsspannung  im  linken  Ventrikel.  Die  Dy¬ 
namik  des  rechten  Herzens  wird  vorwiegend  bestimmt  durch  die 
Grösse  des  venösen  Zuflusses.  Das  Verhalten  des  kleinen  Kreis¬ 
laufs  hat  für  die  Dynamik  des  Herzens  erheblich  geringere  Bedeu¬ 
tung  als  das  des  grossen  Kreislaufs.  Bamberger  - Kronach. 

Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie.  128.  Band.  5.  bis 
6.  Heft. 

A.  Hagentorn:  Ueber  Schussverletzungen  im  Frieden.  (Aus 
dem  städtischen  Krankenhause  in  Kowno,  Russland.) 

Ca.  200  Beobachtungen,  grösstenteils  aus  den  Revolutionsjahren 
1905  und  1906.  Nur  10  mal  lagen  Selbsmordverletzungen  vor  (6  Kopf¬ 
schüsse,  4  Brustschüsse),  über  100  Fälle  betreffen  Extremitäten¬ 
schüsse,  26  mal  Kopfschüsse,  40  mal  Brust-  und  Rückenschüsse,  16  mal 
Bauchschüsse  mit  3  Verletzungen,  1  Rückenmarkschuss,  3  Harn¬ 
röhrenschüsse,  1  Halsschuss.  9  mal  Schussverletzungen  grosser  Ge¬ 
lenke.  11  Bauchschüsse,  4  Kopfschüsse,  1  Brustschuss  verliefen  töd¬ 
lich,  2  Weichteilschüsse  und  eine  Schrotschusszerschmetterung  des 
Unterschenkels  starben  an  Sensis,  desgleichen  starben  2  Tetanus¬ 
infektionen  und  der  Riickenmarkschuss:  21  Todesfälle.  108  mal  lagen 
Revolver,  33  mal  Schrotschüsse,  7  mal  Sprengschüsse  voF,  2  mal  Bom¬ 
benverletzungen,  2  mal  Teschingschiisse.  Von  besonderem  Interesse 
Ist  das  Kapitel  der  Harnröhren-  und  Blasenschüsse. 

A.  Tiedemann:  Zur  Therapie  der  Tuberkulose  der  Mund¬ 
schleimhaut  und  des  Zahnfleisches.  (Aus  der  Hals-Nasen-Ohrenpraxis 
von  Sanitätsrat  Dr.  Kreutzberg  - Hannover.) 


Beschreibung  eines  Falles  von  Mund-  und  Zahnfleischtuberku¬ 
lose,  der  durch  Bestrahlung  mit  5  mg  Mesothor  (Anästhesierung  und 
Anämisierung  der  Schleimhaut  mit  10  proz.  Kokain-Suprarenin- 
Lösung,  Staniolfilter;  20  Bestrahlung,  je  2  pro  Woche)  zur  Heilung 

kam.  ,  , 

Hans  Finsterer:  Zur  Technik  der  Magenresektion.  (Aus 

der  chirurgischen  Klinik  Hofrat  Hochenegg  in  Wien.) 

F.  beschreibt  zunächst  seine  Methode  der  Magenresektion.  Da 
beim  Billroth  II  event.  die  Gefahr  vorliegt,  dass  der  eingestülpte 
untere  Bügel  der  Schnittfläche  die  Gastroenterostomie  verlegt,  so 
wurde  eine  Reihe  anderer  Verfahren  ersonnen:  Reichel -Polya, 
W  i  I  m  s,  Sasse.  F.  macht  nach  Mobilisierung  der  grossen  und 
kleinen  Kurvatur,  wobei  der  Mitentfernung  der  Drüsenmetastase  sehr 
sorgfältig  Rechnung  getragen  wird,  die  Durchtrennung  des  Duo¬ 
denums,  gibt  dann  die  oberste  .lejunumschlinge  durch  einen  Schlitz 
im  Mesokolon,  Durchtrennung  des  kardialen  Teils  entsprechend  einer 
Linie  Kardia  —  grosse  Kurvatur  bis  auf  die  unteren  5  cm.  Fixierung 
des  linken  Randes  des  Mesokolonschlitzes  an  der  hinteren  Magen¬ 
wand,  laterale  Anastomose  der  ersten  Jejunumschlinge  mit  dem  nicht¬ 
verschlossenen  Teil  der  Magenschnittfläche,  Deckung  der  Anastomose 
durch  den  vorderen  Rand  des  Mesokolonschlitzes.  Das  Verfahren 
ist  ähnlich  dem  Hofmeister  sehen,  die  Art  der  Fixation  des  Meso¬ 
kolonschlitzes  ist  neu. 

Beim  Uebergreifen  des  Karzinoms  auf  die  rechte  Oesophagus- 
wand  kann  die  Oesophagusnaht  durch  manschettenförmige  Umhüllung 
mit  dem  Magenfundus  gesichert  werden.  Die  (iesamtmortalität  unter 
27  Resektionen  beträgt  29  Proz.  Die  Indikationsstellung  kann  nach 
Ausschaltung  der  Allgemeinnarkose  wesentlich  erweitert  werden,  die 
Operabilität  kann  nur  durch  Probelaparotomie  festgestellt  werden, 
stets  ist  eine  exakte  Ausräumung  aller  regionären  Drüsen  durch¬ 
zuführen.  Auch  die  palliative  Resektion,  die  den  Kranken  von  dem 
jauchenden  Geschwür  entfernt,  hat  ihre  Berechtigung. 

Julius  Dollinger:  Suspension  und  Stützpunkte  künstlicher 
Glieder. 

Vorgetragen  und  demonstriert  am  Deutschen  Chirurgenkongres^ 
in  Berlin  1913.  (Vgl.  Referat  in  der  Mun.W.) 

Fritz  Kaspar:  Ueber  primäre  Karzinome  des  mittleren 
Jejunums.  (Aus  der  II.  Chirurgischen  Universitätsklinik  (Hofrat 
Hochenegg). 

Beschreibung  zweier  Fälle  von  echten  primären  Karzinomen  des 
mittleren  Jejunums  (Adenokarzinome,  der  2.  Fall  mit  Tendenz  zur 
Verschleimung). 

Fritz  Kaspar:  Ein  Zylindrom  des  Meckelschen  Divertikels. 

Ein  Zylindrom  am  Ende  eines  freien  Meckel  sehen  Divertikels, 
ein  Tumor,  der  am  Darm  erst  einmal,  am  Meckelschen  Divertikel 
noch  nicht  beobachtet  wurde,  hat  durch  Abknickung  des  Darm¬ 
anhanges  zu  Divertikulitis,  Perforation  und  sogen,  gedoppelter  In- 
vagination  des  Ileum  geführt.  Flörcken  - Paderborn. 

Archiv  für  Hygiene.  82.  Band.  8.  Heft.  1914. 

Josef  Rocek-Prag:  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Bildung  der 
Immunnräzipitine  im  Tierkörper. 

Aehnlich,  wie  Raysky  in  dieser  Zeitschrift  Bd.  82  berichtete, 
wurde  bei  den  vorliegenden  Untersuchungen  auch  festgestellt,  dass 
bei  der  Reimmunisation  selbst  nach  einer  kleinen  Serummenge  eine 
mächtige  Präzipitinbildung  eintritt  und  ferner,  dass  bei  der  Re- 
irnmunisation  eine  kleinere  Serumdosis  intensivere  Präzipitinbildung 
hervorrufen  kann,  als  es  bei  der  grösseren,  zur  vorherigen  Immuni- 
sation  benutzten  Dosis  der  .  Fall  war.  Das  Verfahren,  zwischen 
den  einzelnen  Immunisationsakten  lange  Ruhepausen  einzuschalten. 
scheint  gegenüber  dem  bisher  üblichen  wesentliche  Vorteile  zu 
bieten 

Wilhelm  Kulka-Graz:  Studien  zur  Frage  der  fäkalen  Aus¬ 
scheidung  darmfremder  Bakterien. 

Die  Fiage,  ob  nach  Immunisierung  von  Tieren  mit  körper¬ 
fremden  Bakterien  durch  nachherige  Einverleibung  derselben  per  os 
Bedingungen  geschaffen  würden,  die  ein  längeres  Verweilen  solcher 
Keime  im  Darmkanal  ermöglichten,  wurde  von  Raubitschek  be¬ 
jaht,  scheint  sich  jedoch  nach  den  Untersuchungen  vom  Verf.  nur 
ausnahmsweise  zu  bewahrheiten.  In  keinem  der  angeführten  Ver¬ 
suche,  weder  mit  B  a  c  t.  prodigiosum  noch-  mit  Vibrio 
Metschnikoff  war  es  gelungen,  eine  auch  nur  vorübergehende 
stärkere  fäkale  Ausscheidung  dieser  „körperfremden“  Bakterien  zu 
erzielen,  ganz  gleichgültig,  ob  der  intravenöse,  intraperitoneale  oder 
subkutane  Weg  der  Einverleibung  gewählt  wurde.  Fleisch-  und 
Pflanzenfresser,  sowie  der  Mensch  (Verf.  als  Versuchsobjekt)  ver¬ 
hielten  sich  gleich  refraktär. 

P.  S  c  h  m  i  d  t  -  Giessen:  Weitere  Erfahrungen  über  die  Brauch¬ 
barkeit  des  Berkefeidfilters  zur  Entgiftung  bleihaltigen  Leltungs- 

wassers. 

Bei  weiteren  Versuchen  zur  Entbleiung  des  Wassers  ergab  sich 
dass  bei  der  Dauerfiltration  das  im  Filtrat  allmählich  erscheinende 
Blei  zunächst  zunimmt  und  ca.  nach  22  Tägpn  und  3000  Liter  Fil¬ 
trationsmenge  ein  Maximum  erreicht.  Nachher  tritt  eine  stetige  deut¬ 
liche  Abnahme  ein,  welche  bei  unter  1  mg  —  den  gesundheitlich  noch 
zulässigen  Wert  —  geht.  Dabei  wird  offenbar  der  Filtriereffekt 
unterstützt,  wenn  das  Wasser  eine  Spur  eisenhaltig  ist,  da  das  Eisen 
auf  dem  Filter  eine  brauchbare  Filterschichte  bildet.  Das  abfiltrierte 
Blei  sammelt  sich,  ähnlich  wie  bei  der  Bakterienfiltration,  ganz  ober- 


2007 


-9i ^September J914. _ MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


flächlich  auf  der  Kerze  an,  während  das  Innere  der  Kerze  völlig  frei 
Kd) Heben  war  Das  Blei  dürfte  in  der  Hauptsache  im  Wasser  als 
Hydroxyd  vorhanden  sein.  R.  ().  Neuin  a  n  n  -  Bonn. 

Berliner  klinische  Wochenschrift.  Nr.  38,  1914. 

Eduard  Melchior  -Breslau:  Lieber  den  sog.  arterio-mesen- 
terialen  Duodenalverschluss  (Atonia  gastro-duoderialis  acuta)  (Vor- 

snÄ™“An,ÄSkH" d- sci,ics  tks  1  *»•« 

Schluss  folgt 

wr!  »  e.c^.arsuIIlm.er'1Be,rIin-Fric<Jrichshain:  Lieber  Belnleren. 
Wahrend  die  vollentwickelten  funktionstüchtigen  überzähligen 
Nieren  ihre  Selbständigkeit  auch  durch  ihre  von  den  beiden  anderen 
Nieren  weit  entfernte  Lage  dokumentieren,  bleiben  die  rudimentären 
oder  Beinieren  in  topographischem  Zusammenhang  mit  der  gleich¬ 
seitigen  Niere.  Hierin,  sowie  in  der  Tatsache,  dass  sie  jedesmal 
dem  oberen  Pol  aufs,  zen,  während  die  vollkommenen,  überzähligen 
Nieren  stets  beckenwärts  gelegen  sind,  könnte  eine  besondere  Ge¬ 
setzmassigkeit  hegen  Wie  andere  missgebildete  überzählige  Rudi- 
mentarorgane  neigen  auch  die  Beinieren  zur  Tumorbildung. 

W.  Lublinski:  Silbernitrat  oder  Silbereiweiss 
.  V^rf‘  i|t...durc.J  Untersuchungen  zu  dem  Resultate  gekommen, 
dem  ahen  S.Ibernitrat  treu  zu  bleiben;  die  Ersatzpräparate  haben 
nicht  seine  Kraft,  verderben  ausserdem  bei  längerem  Stehen  in  I  ö- 
sung  und  sind  im  allgemeinen  als  minderwertige  Surrogate  an 
Zusehen. 

H.  Roedcr- Berlin:  Ein  Hilfsmittel  für  sportliche  Diätetik  und 

I  ruppenhygiene. 

Das  Präparat  Maltyl  Mate  stellt  eine  Kombination  eines  Thee- 
alkaloids  mit  einem  trockenen  Nährstoff,  wie  dem  Malzextrakt  dar 
und  bereichert  unsere  Hilfsmittel  für  die  Zwecke  und  für  eine  Ver 
besserung  der  sportlichen  Diätetik. 

...  Emst  J  ege r- Breslau:  Der  gegenwärtige  Stand  der  Blutge- 

tasschirurgie.  (Vortrag  in  der  Sitzung  der  med.  Sektion  der  schles 
Ges.  f.  vaterl.  Kultur  am  12.  Juni  1914.) 

Schluss  folgt.  Dr.  Grassmarin  -  München. 


Deutsche  medizinische  Wochenschrift.  1914.  Nr.  37. 

A.  B  r  e  n  t  a  n  o  -  Berlin:  Die  Behandlung  der  Knochen-  und  Ge¬ 
lenk  schlisse. 

Besprochen  in  der  Feldärztlichen  Beilage. 

Schäfer:  Krlegschirurgische  Erfahrungen  im  russisch-japani¬ 
schen  Kriege. 

;  Abdruck  eines  im  Jahre  1905  in  der  D.m.W  veröffentlichten 

Berichtes. 

F.  Cr  on  er:  Trinkwassersterilisation  im  Felde. 

Einwandfreies  Trinkwasser  wird  in  Frankreich  und  Russland 
ncht  gar  häufig  anzutreffen  sein;  Röhren-  oder  Abessinierbrunnen 
assen  sich  vermutlich  eher  in  Russland  als  in  Frankreich  anlegen. 
-uiter  den  Arten  der  künstlichen  Wasserverbesserung  sind  dir 
cossen,  aus  Berkefeldfiltern  hergestellten  ..Armeefilter“  für  stationäre 
Anlagen  wohl  zu  empfehlen  und  haben  neben  gewissen  Nachteilen 
eH;-ujUg’  dass  -bei  der.  Filtration  das  Wasser  seine  Temperatur 
lenalt  oder  noch  kühler  wird.  Zur  sicheren  chemischen  Sterilisierung 
les  Wassers  eignet  sich  nur  das  Ozon,  doch  sind  die  Kriegserfah- 
•imgen  damit  bisher  noch  wenig  günstig  gewesen.  Die  sicherste 
5terihsierung  bietet  das  Abkochen.  Das  deutsche  Heer  ist  mit  einer 
crossen  Zahl  grosser  und  kleiner  fahrbarer  „Trinkwasserbereiter“ 
ler  Firma  Rud.  A.  Hart  mann  und  anderer  ausgerüstet. 

Hoene-  Mainz:  Ein  seltener  Fall  von  Bechterewscher 

vrankheit. 

Krankengeschichte  und  Abbildungen  eines  Falles,  bei  dem  ab¬ 
reichend  von  fast  allen  beschriebenen  Fällen  in  auffallend  kurzer 
eit  das  Symptomenbild  sich  voll  entwickelt  hat. 

K  r  o  m  a  y  e  r  -  Berlin :  Der  Fehler  in  der  Salvarsanbehandlung 

ler  Syphilis. 

Uas  häufig  im  Anschluss  an  eine  Salvarsanbehandlung  und  sonst 
ncht  beobachtete  Auftreten  von  schweren  Syphilisrezidiven,  be- 
°  ifr.s  Neurorezidiven  und  auch  von  Todesfällen  darf  nur  auf  die 
u  hohe  Dosierung  des  Salvarsans  und  nicht  auf  sonstige  unbe- 
eutende  technische  Fehler  zurückgeführt  werden.  Daher  empfiehlt 
-  nur  kleine  Dosen.  10—15  Gaben  von  je  0,1— 0.2.  in  4—6  Wochen 
isgesamt  2.0 — 3,0  g  Altsalvarsan  stehen  in  der  Wirkung  mindestens 
uier  intensiven  Quecksilberkur  gleich.  Unangenehme  Ncbcncrschci- 
ungen  fehlen,  es  wird  das  Allgemeinbefinden  vielmehr  günstig  hc- 
intlusst.  Neurorezidive  scheinen  auszubleiben.  Bei  ganz  vorsich- 

Dosierung  von  0,02  g  (Altsalvarsan)  an  beginnend  braucht  man 
•  kt®  VOn  Ehrlich  aufgestellten  Kontraindikationen  (Herz-,  Ge- 
iss-,  Nieren-  u.  Gehirnerkrankungen)  nicht  einzuhalten.  Die  Kur  ist 
or  oder  nach  einer  Quecksilberbehandlung.  nicht  aber  gleichzeitig 
"rzunehmen.  Bei  dieser  ..chronischen“  Anwendung  entfaltet  das 
alvarsan  alle  seine  guten  Eigenschaften  ohne  seine  Nachteile. 

0  r  1  o  w  s  k  i  -  Berlin:  Verursachen  sterile  Tripperfäden  weissen 

luss? 

O.  nimmt  nach  seinen  Untersuchungen  als  wahrscheinlich  an, 
ass  gonokokkenfreie  Tripperfäden  einen  baktcrienfreien  Zervix- 
atarrh  verursachen  können.  Bergeat  -  München. 


Französische  Literatur. 

P.  L.  Couchoud:  Der  Kubisagari  (G  e  r  1 1  e  r  sehe  Krankheit). 
(Revue  de  medecine,  April  1914.) 

9  c*  kubisagari  oder  G  e  r  1  i  e  r  sehe  Krankheit  kam  bis  jetzt  nur  an 
w .T teilen  der  Erde  zur  Beobachtung,  und  zwar  in  einem  französischen, 
nahe  der  Schweizer  Grenze,  nächst  dem  Genfersee  gelegenen  Orte 
(rerney- Voltaire)  und  in  einem  japanischen  Distrikte  (Aomori);  in 
diesen,  so  weit  voneinander  entfernten  Gegenden  hat  die  Krankheit 
endemischen  Charakter,  befällt  oft  eine  ganze  Familie,  und  zwar  zu 
gestimmten  Jahreszeiten,  indem  sie  im  Mai  und  Juni  beginnt,  beson¬ 
ders  stark  im  Juli  herrscht  und  fast  vollständig  im  Oktober  und 
November  verschwindet.  Die  Krankheit  besteht  darin,  dass  plötzlich 
•  r  .mitten  in  der  Arbeit  —  ein  Gefühl  der  Schwäche  in  Armen  und 
einen  auftritt,  der  Kopf  herabsinkt,  die  Lider  sich  schliessen  usw.; 
wenn  man  zu  gehen  versuchte,  schwankte  man  wie  ein  Berauschter 
und  wahrend  eines  solchen  Anfalles  fielen  die  Kranken  zu  Boden. 
Alle  Kranken  klagten  darüber,  dass  der  Kopf  wider  ihren  Willen  sich 
beugte  und  sie  ihn  nicht  mehr  erheben  konnten.  In  den  Fällen  des 
japanischen  Beobachters  war  diese  Krümmung  (unvollständige  Läh¬ 
mung  der  Halsmuskeln)  so  ausgeprägt,  dass  der  Krankheit  davon  der 
,..?.rne,  gegeben  wurde  (Kubisagari  =  Nackenkrümmung).  Die  An¬ 
talle  kommen  nur  bei  Tage  vor,  dauern  nicht  länger  als  etwa  10  Mi¬ 
nuten,  konnten  aber  rasch  einander  ablösen  oder  ineinander  über¬ 
gehen  und  treten  erst  auf,  wenn  bereits  eine  gewisse  Ermüdung  sich 
eingestellt  hat,  also  viel  häufiger  nachmittags  wie  morgens.  Ger- 
1  e  r  beobachtete,  dass  die  Krankheit  besonders  die  Dienstboten  und 
Arbeiter  befiel,  dass  sie  fast  vollständig  die  Hausvorstände  und  Frauen 
verschonte  und  für  die  Schäfer  eine  besondere  Vorliebe  hatte.  Nach 
der  Arbeit  des  japanischen  Forschers  handelt  es  sich  hier  um  eine 
Neurose,  die  wahrscheinlich  infektiösen  Ursprungs  und  neben  Tetanus 
l,  |  ,u.t  cinzureihen  ist:  sie  ist  durch  plötzliche  Lähmungsanfälle 
charakterisiert,  ohne  dass  Intelligenz  oder  Allgemeinbefinden  gestört 
sind,  zu  der  Haupterscheinung,  der  lähmungsartigen  Schwäche  ge¬ 
sellen  sich  noch  Gesichtsstörungen  und  der  spinale  Irradiations¬ 
schmerz.  Der  Verlauf  der  Krankheit  ist  ein  unregelmässiger:  bald 
kommen  die  Anfalle  jeden  Tag,  bald  alle  10—14  Tage:  die  Dauer  er¬ 
streckt  sich  auf  1 — 5  Monate  (der  heissen  Jahreszeit).  Kubisagari 
unterscheidet  sich  von  Tetanus  durch  seine  Gutartigkeit  und  seinen 
/„..?niscben,  Verlauf.  Die  Krankheit  kommt  auch  bei  Haustieren 
(Hühnern,  häufiger  Katzen),  aber  mit  Vorliebe  im  Winter,  vor 
Gouchard  unternahm  im  Jahre  1912  umfangreiche  klinische  und 
bakteriologische  Untersuchungen  in  den  japanischen  Hauptherden  des 
Leidens,  um  die  Hypothese  G  e  r  1  i  e  r  s  und  M  i  u  r  a  s  über  den  in¬ 
fektiösen  Ursprung  desselben  nachzuprüfen.  Er  fand  das  oben  be¬ 
schriebene  klinische  Bild  völlig  bestätigt  und  es  gelang  ihm  auch, 
einen  spezifischen  Mikroorganismus,  der  bei  2  Kranken  völlig  identisch 
war,  zu  finden;  dessen  morphologische  Eigenschaften,  ebenso  wie 
die  Reinzüchtung  und  Uebertragbarkeit  (auf  Katzen)  werden  genau 
beschrieben.  Während  das  klinische  Interesse  für  Kubisagari  kein 
sehr  erhebliches  sein  dürfte,  da  seine  Ausdehntingsherde  sehr  be- 
grenzte  sind,  so  glaubt  C„  dass  das  Studium  dieser  Krankheit  einen 
wichtigen  Beitrag  zur  Kenntnis  der  bakteriellen  Infektionen  liefern 
wird.  Ueber  das  zeitliche  Auftreten  der  Krankheit  (im  Sommer) 
waren  verschiedene  Theorien  noch  offenliegend:  entweder  ent¬ 
wickelte  sich  der  Mikroorganismus  besonders  in  der  heissen  Jahres¬ 
zeit  unter  speziellen  Temperaturbedingungen  oder  er  wird  besonders 
um  diese  Zeit  in  die  Ställe,  z  .B.  durch  frisches  Heu  gebracht  oder 
auch  er  entwickelt  sich  das  ganze  Jahr  hindurch  und  ruft  eine  latente 
Infektion  hervor,  die  sich  klinisch  bei  Gelegenheit  der  grossen  Som¬ 
merarbeiten  und  Ermüdungszustände  kundgibt.  Erst  die  Feststellung 
über  den  natürlichen  Aufenthaltsort  des  spezifischen  Erregers  wird  die 
Auswahl  zwischen  diesen  Hypothesen  ermöglichen 


J.  Mollard  und  Antoine  Dumas:  Das  galoppierende  Herz- 
gerausch  im  Verlauf  des  Typhus  abdominalis  und  in  der  Rekonvales¬ 
zenz  desselben  nach  einigen  persönlichen  Fällen,  (Ibidem.) 

Dieses  (galoppierende)  Herzgeräusch  kommt  fast  ausschliesslich 
1  in  Verlaufe  der  schweren  Typhusformen  vor  und  ist  mit  einer  leich¬ 
ten  Form  von  parenchymatöser  Myokarditis,  der  regelmässigen  Kom¬ 
plikation  jedes  langdauernden  und  schweren  Typhus  verbunden,  aber 
nicht,  wie  früher  angenommen  wurde,  das  Symptom  tödlich  enden¬ 
der  akuter  Myokarditis.  Gleichzeitig  ist  immer  verringerter  Blut¬ 
druck  vorhanden,  wofür  wohl  nicht  allein  die  geschwächte  Herzkraft, 
sondern  vielleicht  auch  die  Insuffizienz  der  Nebennieren  die  Ursache 
abgeben.  Bezüglich  der  Pathogenese  glauben  Verfasser,  dass  das 
galoppierende  Geräusch  nur  die  merkbare  LJebcrtragung  eines  nor¬ 
malerweise  nicht  erkennbaren  (insensiblen)  Vorganges  ist:  die  An¬ 
kunft  des  vom  Herzohr  in  den  Ventrikel  getriebenen  Blutes.  Wenn 
das  Geräusch  in  einer  vorgeschrittenen  Periode  eines  schweren,  sich 
lange  hinziehenden  Typhus  auftritt,  so  ist  der  Beweis  eines  ver- 
minderten  Herz-Gefäss-Druckes.  der  grossenteils  mit  Atrophie  des 
Myokards  zusammenhängt;  logischerweise  müsste  cs  Anfälle  von 
Synkope  oder  sogar  den  plötzlichen  Tod  vorahnen  lassen,  aber  in  den 
veröffentlichten  Fällen  wurde  nichts  dergleichen  gefunden.  Wenn 
das  Geräusch  im  akuten  Stadium  auftritt.  so  besagt  es  zwar  eine 
Affektion  des  Myokards,  aber  nur  den  ersten  Grad  derselben  und  wird 
erst  in  Zusammenhang  mit  anderen,  eventuell  später  sich  einsfellenden 
Zeichen  von  Herzschwäche,  wie  Dämpfung  der  Geräusche,  Embryo- 
kardie  usw.  eine  prognostische  Bedeutung  haben;  an  sich  ist  das 


jnns 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


galoppierende  Geräusch,  wie  L  c  p  i  n  e  schon  seit  langem  hervor¬ 
gehoben  hat,  nur  ein  Zeichen  ganz  relativer  Herzschwäche. 

A.  Therre- Vichy:  Die  Mineralwasserbehandlung  der  Gallen¬ 
steinkolik.  (Revue  de  inedecine,  Mai  1914.) 

Verfasser  rühmt  die  Erfolge  des  Vichywassers  bei  der  unkompli¬ 
zierten  Gallensteinkrankheit  und  erklärt,  die  Anwendung  der  alka¬ 
lischen  Wässer  sei  die  Methode  der  Wahl  bei  der  Behandlung  der¬ 
selben.  Seine  Statistik  umfasst  211  Fälle,  welche  nach  einer  einzigen 
Kur,  und  68  Fälle,  welche  nach  mehreren  (bis  zu  5)  Kuren  zur  Heilung 
gekommen  sind.  Th.  führt  weiterhin  Beispiele  an,  wo  Rheumatismus 
und  Arthritis  interkurrierend  mit  Gallensteinkolik  vorkamen  und  ein 
Zusammenhang  zwischen  diesen  beiden  Arten  von  Erkrankungen 
zweifellos  annehmen  Hessen.  Fs  wird  damit  die  Wichtigkeit  illu¬ 
striert,  bei  einem  Arthritiker,  der  Erscheinungen  von  Leber-Gallen-, 
Affektion  zeigt,  frühzeitig  mit  der  Darreichung  von  Alkalien  zu  be¬ 
ginnen,  um  seine  Leber  gegen  die  zahlreichen  Infektionserreger,  die 
unaufhörlich  sie  zu  befallen  drohen  (vom  Darme  oder  Blute  aus)  in 
Verteidigungszustand  zu  setzen;  um  zu  vermeiden,  dass  die  Krank¬ 
heit  sich  nicht  mit  schlimmen  Komplikationen  erneuere,  ist  wieder¬ 
holter  Gebrauch  der  Kur  notwendig. 

Hardouin;  Klinische  und  experimentelle  Studie  über  die  trau¬ 
matischen  Luxationen  des  Knies  nach  hinten.  (Revue  de  Chirurgie, 
Dezember  1913,  März  und  April  1914.) 

Monographische  Darstellung  dieser,  im  allgemeinen  seltenen 
Form  von  Luxation;  während  die  Luxation  des  Kniegelenkes  an  sich 
schon  selten  ist  (=  2,44  Proz.  aller  Luxationen),  kommt  diese  Varietät 
nach  einer  Statistik  von  C  r  a  m  e  r  auf  etwa  ein  Fünftel  der  Knie¬ 
gelenksluxationen.  Symptome,  Formen  (unvollständige  und  voll¬ 
ständige  direkt  nach  hinten  erfolgte,  nach  hinten  und  seitwärts,  nach 
seitswärts  mit  Rotation  gerichtete  und  schliesslich  alte  Luxationen), 
Komplikationen  (unmittelbare  und  später  auftretende),  Diagnose  und 
Behandlung  werden  genau  beschrieben.  Letztere  muss  bei  frischen 
Fällen  in  baldmöglichster  Reposition  bestehen  und  die  Methoden 
derselben  müssen  je  nach  dem  Falle  oft  wechseln.  Besondere  Schwie¬ 
rigkeiten  machen  die  irreponiblen  Luxationen  und  die  Frage,  welche 
Art  Operation  hier  anzuwenden  ist.  Von  Komplikationen  sind  die 
hauptsächlichsten  Frakturen,  Gefässzerreissungen,-  äussere  Gelenks¬ 
eröffnung  (blutige)  und  Zerreissung  des  Nervus  ischiadicus,  die  aller¬ 
dings  alle  nur  ganz  selten  Vorkommen,  und  als  spätere  Folgeerschei¬ 
nungen  Gelenksschlaffheit  und  rezidivierende  Luxation.  Die  79  aus 
der  Literatur  gesammelten  Fälle  werden  kurz  beschrieben  und  die 
Literatur  zusammengestellt. 

Jean  Walter-Sa  llis:  Die  Leber  bei  der  Appendizitis.  (Re¬ 
vue  de  Chirurgie,  Februar  und  Mai  1914.) 

Die  akute  oder  chronische,  rein  entzündliche  oder  eitrige  Appen¬ 
dizitis  vermag  im  Bereiche  der  Leber  —  sei  es  in  deren  Parenchym 
oder  in  ihrer  Umgebung  oder  in  ihren  Blut-  oder  Gallenwegen  — 
sehr  wichtige  und  ausserordentlich  verschiedene  Veränderungen  her¬ 
vorzurufen.  Sie  sind  auf  die  Toxiinfektion,  die  vom  Herde  des  Wurm¬ 
fortsatzes  ihren  Ausgang  nimmt  und  meist  ihren  Weg  durch  die  Pfort¬ 
ader  einschlägt,  zurückzuführen.  Die  Veränderungen,  welche  in  der 
Leber  gesetzt  werden,  weichsein  mit  dem  Grade  der  Toxiinfektion 
und  der  Widerstandskraft,  welche  das  Drüsengewebe  der  Leber  den 
schädlichen  Stoffen  bietet,  und  sind  anatomisch  durch  Zellnekrose, 
fettige  Degeneration  und  wirkliche  Eiterung  charakterisiert.  Klinisch 
zeigt  sich  die  Lebererkrankung  unter  der  Form  eines  vorübergehen¬ 
den,  gutartigen  oder  eines  schweren  Ikterus  oder  des  Eiterungspro¬ 
zesses  der  Leber,  seltener  der  Zirrhose.  Die  Prognose  all  dieser 
Leberkomplikationen  ist  eine  ernste,  bei  schwerem  Ikterus,  Eiterung 
sogar  meist  tödlich.  Da  die  Behandlung  der  verschiedenen  Formen 
von  Leberkomplikationen  (nach  Appendizitis)  noch  völlig  im  Dunkeln 
liegt,  Vorbeugen  auch  besser  ist  wie  heilen,  so  müssen  die  Kranken 
möglichst  bald  von  ihrer  Appendizitis  befreit  werden,  um  sie  gegen 
die  Leberkomplikationen,  die  ihnen  letal  werden  können,  zu  schützen. 

E.  Quönu:  Die  Sporotrichose  der  Brustdrüse.  (Revue  de  Chi¬ 
rurgie,  Mai  1914.) 

Qu.  bringt  als  vierten  bis  jetzt  veröffentlichten  dieser  scheinbar 
seltenen  Lokalisation  der  Sporotrichose  folgenden  selbstbeobachteten 
und  von  Gougerot  histologisch  untersuchten  Fall.  Derselbe  be¬ 
traf  eine  58  jährige  Frau,  welche  an  der  rechten  Brust  einen  etwa 
hühnereigrossen,  harten,  mit  der  Haut  teilweise  verwachsenen  Tumor, 
der  seit  ca.  6  Monaten  vorhanden  war  und  keinerlei  subjektive  Be¬ 
schwerden  verursachte,  zeigte.  Achseldrüsen  waren  nicht  ge¬ 
schwollen,  aber  es  waren  noch  am  rechten  Ellenbogen  und  am  Rücken 
(linken  unteren  Rand  des  Schulterblattes)  je  ein  ganz  ähnlich  ge¬ 
formter,  mit  der  Haut  verwachsener  Tumor,  beide  etwa  einen  Monat 
bestehend,  und  ausserdem  noch  am  linken  Hinterbacken  eine  ge- 
schwürige  Fläche  von  der  Grösse  eines  50  cm-Stückes  und  dem  Aus¬ 
sehen  eines  tuberkulösen  Geschwüres  zu  konstatieren.  Die  Indura¬ 
tion  der  Brust  ging  zwar  auf  Inzision  und  Kürettage  zurück,  aber  die 
kleine  (ca.  2  cm  lange)  Wunde  zeigte  wenig  Neigung  zu  Verheilung 
und  erst  energische  innere  Jodbehandlung  beschleunigte  die  Ver¬ 
narbung,  ebenso  wie  Rückgang  der  beiden  anderen  Geschwülste  und 
Heilung  der  Geschwürsfläche.  Differentialdiagnostisch  kommt  bei  der 
Lokalisation  an  der  Brust  vor  allem  Karzinom  —  was  beim  Vor¬ 
handensein  anderweitiger  ähnlicher  Geschwulstbildungen  im  vor¬ 
liegenden  Falle  Qu.  ausschliessen  konnte  —  in  Betracht,  aber  bei  der 
„Gumma“-ähnlichen  Form  der  Knoten  musste  man  auch  an  Syphilis 
und  an  Tuberkulose  denken.  Die  Unterscheidung  ist  nur  durch  den 


Nr.  39. 


mikroskopischen  Befund  in  derartigen  Fällen  möglich.  Derselbe  ist 
lür  den  vorliegenden  Fall  genau  beschrieben,  ebenso  eine  Zusammen¬ 
stellung  der  früheren  Fälle  beigefügt. 

Hayem:  Die  Wunden  des  Kniegelenkes  und  ihre  Behandlung 
(mit  Ausnahme  der  durch  Kriegswaffen  hervorgerufenen).  (Ibidem.) 

Auf  Grund  von  11  selbstbcobachteten  Fällen  tritt  H.  dafür  ein, 
dass  in  den  meisten  Fällen  von  penetrierender  (Schuss-,  Stich-  usw.) 
Verletzung  des  Kniegelenkes  sofortiger  blutiger  Eingriff  (Arthrotornie 
mit  Drainage)  angezeigt  sei;  bei  späterer  Operation  müsse  man  bei¬ 
nahe  regelmässig  mit  dem  Ausgang  in  Ankylose  rechnen. 

Laurent  M  o  r  e  a  u  -  Toulon:  Anatomisch-chirurgische  Unter¬ 
suchungen  über  die  Aponeurosen  der  Achselhöhle  in  ihren  Be¬ 
ziehungen  mit  den  Adenophlegmonen  dieser  Gegend.  (Revue  de  Chi¬ 
rurgie,  Juni  1914.) 

Die  von  den  verschiedenen  Autoren  gemachten  Beschreibungen 
über  die  Achselhöhlenaponeurosen  zeigen  beträchtliche  Unterschiede. 
Die  einen  lassen  keine  spezielle  Form  einer  Aponeurose  zu,  andere 
konzentrieren  ihre  ganze  Aufmerksamkeit  auf  das  Ligamentum  Sus¬ 
pensorium,  während  die  Untersuchungen  des  Verfassers  dazu  geführt 
haben,  die  ganze  Aponeurose  der  Achselhöhle  als  die  Fortsetzung 
der  mittleren  Halsaponeurose  anzusehen,  die  in  die  Achselhöhle  herab¬ 
steigt,  um  die  Gefässe  zu  stützen  und  sich  dann  mit  der  Scheide 
der  tiefen  Muskeln  der  vorderen  Brustwand  zu  vereinen.  Wenn  es 
auch  bei  den  zahlreichen  Lymphanastomosen,  welche  die  verschie¬ 
denen  Drüsengruppen  der  Achselhöhle  miteinander  verbinden,  schwie¬ 
rig  ist,  die  weitere  Entwicklung  einer  anfangs  auf  eine  bestimmte 
Gruppe  lokalisierten  Phlegmone  vorauszusehen,  so  glaubt  M.  doch, 
folgende  Regeln  aufstellen  zu  können.  Die  Adenophlegmonen,  welche 
auf  Kosten  der  brachialen  Gruppe  entstehen,  werden  Neigung  haben, 
gegen  den  Arm  unter  die  Aponeurose  sich  zu  verbreiten  und  manch¬ 
mal,  wenn  das  Septum,  welches  das  Langer  sehe  Foramen  schliesst. 
sehr  klein  ist  oder  fehlt,  unter  der  Haut  aufzubrechen.  Jene  Eite¬ 
rungen,  die  auf  Kosten  der  Brustgruppe  sich  bilden,  werden  in  vielen 
Fällen  Neigung  haben,  unter  dem  Pektoralis  weiter  zu  gehen  und  jene, 
welche  von  der  zentralen  oder  intermediären  Drüsengruppe  ausgehen, 
werden  den  Hohlraum  der  Achselhöhle  ausfüllen  und  können  den 
subpektoralen  Teil  der  Achselaponeurose  durchbrechen,  um  in  das 
Spatium  interpectorale  zu  gelangen  oder  noch  seltener  unter  die  Haut 
durch  die  Ocffnungen  des  horizontalen  Teiles  der  Achselaponeurose. 
auf  welcher  die  meisten  Drüsen  dieser  Gruppe  sitzen,  sich  zu  ver¬ 
breiten.  Eine  Anzahl  praktischer  Beispiele  illustrieren  diese  für  die 
Eiterungsprozesse  in  und  an  der  Achselhöhle  wichtigen  Schluss¬ 
folgerungen.  (Schluss  folgt.) 

Inauguraldissertationen. 

Universität  Heidelberg.  Juli  und  August  1914. 

Hass  Ulrich:  Medizinisch-wissenschaftliche  Leichensektionen  in 
ihrem  Verhältnis  zum  Recht.  *) 

Windel  Karl:  Ueber  Verbrennungen  des  Auges. 

Müller  Wilhelm  Anton:  Ueber  Epithelkörperchen  und  ihre  hoinoio- 
plastische  Transplantation. 

Rettig  Heinrich:  Zur  Frage  des  toxogenen  Eiweisszerfalls  bei  der 
Phosphorvergiftung. 

Wegerle  Otto:  Subakute  Leberatrophie  mit  knotiger  Hyperplasie 
auf  tuberkulöser  Grundlage  und  über  akute  Leberatrophie  iin  Kin¬ 
desalter  überhaupt. 

Büschel  Martin:  Ueber  schmerzlose  Geburtswehen. 
Eliasberg  Wladimir:  Anstaltsbummler. 

Gadomski  Heinrich:  Neun  Fälle  von  Hydrophthalmus  congcnitus 
an  der  Heidelberger  Universitäts-Augenklinik  (1.  Oktober  1910  bis 
1.  Juni  1913). 

Herberger  Elisabeth:  Ueber  die  in  der  Heidelberger  Augenklinik 
von  Oktober  1910  bis  Oktober  1913  vorgenommenen  Magnet¬ 
operationen. 

Häbler  Stefan:  Lokalanästhesie  und  Narkose  bei  Schädelopera¬ 
tionen.  (Statistik  aus  der  Heidelberger  chirurgischen  Klinik  vom 
Oktober  1910  bis  Oktoher  1912.) 

Molkenbur  Gerhard:  Ueber  die  Behandlung  des  Nachstares. 
Kögel  Eugen:  Die  operative  Behandlung  der  Vorderarmfrakturen 
mit  Dislokation. 

Ul  1  mann  Johanna:  Ein  Fall  von  metastatischem  Karzinom  der 
Chorioidea. 

Sit  zier  Oskar:  Ueber  Struma  ovarii. 

Bachrach  Moritz:  Die  Assimilationsbecken  der  Heidelberger  Uni¬ 
versitäts-Frauenklinik. 

Gürrbach  Emil:  Ueber  Hernia  obturatoria. 

Middeler  August:  Beitrag  zur  Kenntnis  der  solitären  Tuberkulose 
der  Chorioidea. 

Roosen  Rudolf:  Ueber  aseptisches  Kathcterisiercn. 

Rosenthal  Karl:  Versuche  zur  Verwendbarkeit  des  Amnions  als 
plastisches  Material  innerhalb  des  Bauchraumes. 

Posern  Fritz:  Pathologisch-anatomischer  Befund  bei  Feuerwerks¬ 
körperverletzung  am  Auge. 

Hirschmann  Bernhard:  Otitis  media  und  Hirntumor. 


*)  Ist  Dissertation  der  juristischen  Fakultät. 


29.  September  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


2009 


Vereins-  und  Kongressberichte. 

Verein  der  Aerzte  in  Halle  a.  S. 

(Bericht  des  Vereins.) 

Sitzungen  vorn  8.  und  15.  Juli  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Beneke. 

Schriftführer:  Herr  S  t  i  e  d  a. 

I. 

Herr  Abderhalden  (a„  G.):  Die  experimentellen  Beweise  fiir 
ias  Vorkommen  von  Abwehrfermenten  unter  verschiedenen  Bedin- 

uuigen.  (S.  d.  Wschr.  Nr.  36  S.  1897.) 

Diskussion:  Herr  Budde:  Im  folgenden  möchte  ich  Ihnen 
urz  meine  bei  über  200  Untersuchungen  gemachten  Erfahrungen  mit 
cm  Dialysierverfahren  berichten. 

Meine  Versuche  sind  zum  überwiegenden  Teil  zur  Klarstellung 
er  Beziehungen  zwischen  der  Beschaffenheit  der  Organe  und  dem 
■palt vermögen  der  Fermente  angestellt:  ich  kann  —  das  Resultat 
leiner  bisherigen  Arbeit  vorwegnehmend  —  sagen,  dass  meiner 
Überzeugung  nach  nicht  das  Fehlen  spezifischer 
er  mente,  sondern  eher  eine  zu  spezifische  Ein- 
t  e  1 1  u  ng  derselben  die  Fehlresultate  verursacht 
a  b  e  n,  ii  he  r  die  in  einer  Reihe  von  Arbeiten  seitens 
".  rer  Autoren  berichtet  wird.  Dass  die  schon  morpho- 
»gisch  so  verschiedenen  Gewebe,  die  wir  mit  dem  Sammelnamen 
arzinom  bzvv.  Sarkom  bezeichnen,  sich  chemisch  gleich  verhalten, 

.  h.  von  gleichartiger  molekularer  Struktur  und  daher  für  gleichartige 
ennente  angreifbar  sein  sollten,  war  mir  von  vornherein  unwahr- 
cheinlich. 

Ich  lasse  nun  zunächst  einige  allgemeine  Beobachtungen  und 
)dann  eine  kurze  Uebersicht  über  meine  Resultate,  unter  Hervor- 
ebung  einiger  besonders  interessanter  Fälle,  folgen. 

Uebergehen  muss  ich  hier  die  Forderung  des  Autors  bezüglich 
er  Beschaffenheit  der  Hülsen  und  des  Serums.  Im  Anfang  sind  mir 
inul  Fehldiagnosen  unterlaufen,  die  auf  Eiweissdurchlässigkeit  der 
urückzufiihren  waren;  später  konnte  ich  durch  häufigere 
achpriifung  diesen  Fehler  ausschalten.  Nicht  scharf  genug  dagegen 
mn  ich  Abderhaldens  Forderung  nach  genauer  Kenntnis  der 
stologischen  Struktur  der  benutzten  Organsubstrate  unterstreichen. 

Ganz  allgemein  spielt  besonders  bei  den  Tumorsubstraten  der 
indegewebsgehalt  eine  grosse  Rolle.  Als  wertvoll  für  die  Prüfung 
■r  Organe  hinsichtlich  ihres  Bindesubstanzgehaltes  erwies  sich  in 
stcr  Linie  Serum  von  Furunkulose,  Phlegmonen  und  Abszessen,  also 
rkrankungen,  bei  denen  Bindegewebe  zugrunde  geht.  Wenn  man 
B  Magen-  oder  Darmschleimhaut  präpariert,  so  bekommt  man 
e  Submukosa  und  das  Stroma  der  Zotten  mit  in  das  Präparat, 
ruft  man  diese  Substrate  mit  Serum  einer  der  erwähnten  Krank- 
■iten,  so  bekommt  man  stets  dann  eine  positive  Ninhydrinreaktion, 
din  die  Konzentration  der  Abbauprodukte  des  Bindegewebes  ge¬ 
igend,  d.  h.  die  fiir  den  Versuch  verwandte  Substratmenge  über 

ne..®,  re>  *ur  aie  einzelnen  Organe  sehr  verschiedene  Grenze  hinaus 

■wählt  ist. 

Glücklicherweise  liegt  diese  obere  Grenze  meist  weit  höher,  als 
e  tur  den  Versuch  geforderte  Menge  von  %— K  g.  Welchen  Schwie- 
gkeiten  man  aber  hier  gelegentlich  begegnen  kann,  erfuhr  ich  bei 
m  V  ersuch,  Material  von  Szirrhuskarzinom  zu  gewinnen. 

Ich  habe  6  derartige  Krebse  präpariert;  5  davon  ergaben  selbst 
'  Verwendung  geringer  Substratmengen  Abbau  mit  Serum  entzünd- 
her  Krankheiten.  Ein  einziger  Scirrhus  mammae,  der  sich  histo¬ 
risch  durch  einen  relativ  grossen  Gehalt  an  soliden  Zellzapfen  aus- 
ichnete,  erwies  sich  als  brauchbar.  Was  davon  aber  nach  der  Prä- 
ration  übrig  blieb,  reichte  kaum  für  5  Versuche,  von  denen  2  allein 
■ecks  Eichung  gegen  unspezifischen  Abbau  angestellt  werden 
assten. 

Da  man  nun  gerade  bei  parenchymarmen  Organen  gezwungen 
•  möglichst  grosse  Substratmengen  zu  verwerten,  so  habe  ich  mich 
•r  Misserfolgen  dadurch  zu  schützen  gesucht,  dass  ich  neben  dem 
luptversuch  einen  Kontrollversuch  mit  Seren  andersartiger  Erkran- 
ingen,  möglichst  solchen,  die  aus  den  angeführten  Gründen  eine 
itdeckung  etwaiger  Substratfehler  ermöglichten,  mitlaufen  Hess. 

Dm  Prüfung  der  Organe  auf  ihren  Gehalt  an  Blutbestandteilen 
schient  am  besten  mit  dem  Serum  eines  aseptischen  Hämatoms, 
|entalls  unter  Verwendung  grosser  Organmengen.  Halten  die 
gane  einer  strengen  Aichung  stand,  so  kann  man  selbst  dann  gute 
'»gnostische  Resultate  erzielen,  wenn  das  zu  untersuchende  Serum 
imolyse  zeigt.  Ich  habe  mehrfach  solche  hämolytische  Sera  zu  dia- 
ostischen  Zwecken  mit  guten  Resultaten  untersucht;  ein  besonders 
eressanter  Fall  sei  erwähnt,  weil  er  in  eklatanter  Weise  die  Re- 
.^n,z  °er  Abwehrfermente  gegenüber  pathologisch  veränderten 
Kulationsverhältnissen  zeigt.  Es  handelte  sich  um  eine  Frau  mit 
ier  -chussverletzung,  bei  der  ein  abgekapselter  Hämatothorax 
l„epn-  .ge  .ästenden  hatte,  und  als  stark  hämolytische,  lackfar- 
,le,  Flüssigkeit  durch  Punktion  entleert  wurde;  mit  dem  Punktat 
irden  eine  Rdhe  von  Versuchen  angestcllt.  Die  Dialysate,  die 
se  Flüssigkeit  allein  und  mit  mehreren  Organen  gab,  reagierten 
lieli  gleichmässig  positiv.  Nur  der  Versuch  mit  Plazenta  zeigte 
e  viel  intensivere  Blaufärbung.  Die  Sektion  ergab  das  Bestehen 
■  er  Gravidität. 


Bei  meinen  Karzinomversuchen  verwandte  ich  zunächst  ein  Sub¬ 
strat,  das  von  einem  sehr  zellreichen  Adenokarzinom  des  Magens 
'.h^  sanz  geringem  Stroma  stammte.  Das  sorgfältig  von  allen  Magen¬ 
bestandteilen  frei  präparierte  Krebsgewebc  hat  ausgezeichnete  Re¬ 
sultate  ergeben. 

Es  reagierte  deutlich  —  teilweise  sehr  stark  positiv  —  mit  einer 
Anzahl  von  Magenkarzinomen,  die,  soweit  sie  histologisch  untersucht 
sind,  auch  Adenokarzinome  waren.  Ferner  ergaben  2  Fälle  von 
Adenokarzinom  des  Rektums,  1  Fall  von  Adenokarzinom  der  Schild- 
Un^  e'ne  ^nza^  von  Mammakarzinomen  positive  Reaktion. 

-  Falle  von  ausgesprochenem  Scirrhus  mammae  reagierten  negativ. 

L'r  einc  von  diesen  konnte  mit  dem  vorher  erwähnten  Szirrhus- 
substrat  nachuntersucht  werden,  mit  dem  er  positiv  reagierte.  Ebenso 
verhielt  sich  ein  Magentumor,  der  auf  dem  Röntgenbild  in  ausser- 
0rC4j 1C^  Wpischer  Weise  das  Bild  eines  Schrumpfmagens  zeigte, 
und  dessen  Serum  mit  Zylinderzellenkrebs  vorher  2  mal  negativ 
reagiert  hatte. 

Da  übrigens  unter  den  mit  dem  Adenokarzinomsubstrat  positiv 
reagierenden  Mammakrebsen  sich  ebenfalls  mehrere  szirrhöse  Tu¬ 
moren  befanden,  so  möchte  ich  zur  Erklärung  dieses  verschieden¬ 
artigen  Verhaltens  nicht  unterlassen,  auf  die  Histologie  der  Szirrhen 
ninzuweisen.  Die  Zellformen  in  ein  und  demselben  Szirrhus  können 
sehr  mannigfaltig  sein.  Neben  Krebsen  mit  sehr  spärlichen  epithe- 
lalen  Anteilen,  die  sich  als  Bänder  und  Zapfen  von  platten  bis  kubi- 
e  en  zwischen  reichlichem  Stroma  finden,  kommen  häufig 
Mischformen  vor,  die  Uebergänge  zum  Adenokarzinom  mit  Zellen 
vom  lypus  der  Zylinderzellen  zeigen.  Manchmal  finden  sich  ja  auch 
Ti  en,  Drüsenmetastasen  üppige  Zellwucherungen,  vom  Typus  des 
Adenokarzinoms  in  den  Fällen,  wo  der  Primärtumor  typisch 
szirrhös  gebaut  ist.  Die  Entscheidung,  ob  dieses  wechselnde  Ver- 
halten  der  Morphologie  auch  von  Einfluss  auf  die  chemische  Aktivi- 
tat  der  Abwehrfermente  ist,  muss  weiteren  Untersuchungen  Vorbehal¬ 
ten  bleiben.  Ich  habe  auch  den  Eindruck,  dass  die  Intensität  des  Ab¬ 
baus  nicht  nur  von  der  Form,  sondern  auch  von  der  Lokalisation, 
d.  h.  von  dem  Mutterboden  der  betreffenden  Geschwülste  abhängt. 

..  Genaueres  wird  sich  darüber  erst  sagen  lassen,  wenn  es  ge¬ 
lingt,  eine  grössere  Anzahl  histologisch  gleichartiger  Tumoren  aus 
verschiedenen  Organen  zu  präparieren. 

Mit  meinem  Adenokarzinom  untersuchte  ich  noch  eine  Reihe 
anderer  Erkrankungen.  Es  reagierte  negativ  mit  entzündlichen  Er¬ 
krankungen,  mit  verschiedenen  Sarkomen  und  mit  5  Fällen  von  Plat¬ 
tenepithelkarzinom;  und  gerade  diese  negative  Reaktion  war  dia¬ 
gnostisch  mehrmals  von  Wert.  Leider  ist  es  mir  seither  nicht  ge¬ 
lungen,  ein  ähnlich  scharf  reagierendes  Adenokarzinomsubstrat  zu  er¬ 
halten.  Meine  Erfahrungen  mit  Plattenepithelkarzinomeiweiss  sind 
noch  mcht  sehr  gross,  doch  scheint  gerade  hier  eine  sehr  strenge 
Spezifität  vorzuliegen.  Als  Substrat  benutzte  ich  ein  Plattenepithel- 
Karzinom  der  Prostata  und  ein  grosses  verhornendes  Kankroid  der 
Haut.  Es  reagierten  damit  positiv:  1  Oesophagustumor,  1  Pharynx-  - 
turnor,  1  Lippenkarzinom,  1  Zungenkarzinom,  2  grosse  Kankroide. 
Bei  einem  kleinen  oberflächlichen  Ulcus  rodens  habe  ich  keine  Blau- 
tarbung  des  Dialysats  erhalten.  Sämtliche  Patienten  hatten  Platten¬ 
epithelkarzinome. 

Bemerkt  sei  noch,  dass  das  Zungenkarzinomserum  auch  mit 
Zylinderzeilenkrebs  schwachen  Abbau  ergab. 

Von  Sarkomen  stand  mir  Material  von  einem  sehr  malignen, 
rein  spindelzelligen  Angiosarkom  zur  Verfügung.  Es  reagierten  damit 
posdiv  5  Fälle  von  Spindelzellensarkom.  Bemerkenswert  ist,  dass 
bei  diesen  Versuchen  1  mal  die  Differentialdiagnose  gegen  Karzinom 
und  1  mal  gegen  Gumma  richtig  gestellt  wurde.  Von  2  Riesenzellen¬ 
sarkomen  ergab  eine  gutartige  Epulis  negativen,  ein  schnell  gewach¬ 
senes  Fasziensarkom  —  das  neben  Riesenzellen  auch  spindlige  Ele¬ 
mente  enthielt  —  positiven  Abbau.  Negativ  reagierte  das  Serum  eines 
sehr  kachektischen  Patienten  mit  einem  wohl  sarkomatösen  Tumor 
der  I  onsille,  sowie  das  Serum  eines  Patienten  mit  einem  sarkomatös 
entarteten  Lymphdrüsenpaket  einer  Axilla.  In  dem  2.  Fall  handelte 
es  sich  wahrscheinlich  um  ein  Rundzellensarkom:  leider  fehlen  mir 
i  Nahrungen  mit  Rundzellensarkomen  noch  völlig,  da  ich  erst  in  letz¬ 
ter  Zeit  Material  von  einem  solchen  erhielt. 

Von  seltenerem  Tumormaterial  stand  mir  dann  noch  1  knotiges, 
rein  adenomatöses  Hypernephrom  zur  Verfügung;  dasselbe  reagierte 
sehr  spezifisch  insofern,  als  es  von  Karzinomseren  nicht  angegriffen 
wurde,  ebenso  von  Seren  zweier  Patienten  mit  Verdacht  auf  Nieren- 
lumor.  Bei  beiden  ergab  die  Operation  entzündliche  Veränderungen 
der  Niere. 

I  ositive  Reaktion  erhielt  ich  1  mal  mit  dem  Serum  eines  Ham¬ 
mels,  dem  Hypernephromgewebe  injiziert  war;  dieses  Serum  hat 
übrigens  2  Karzinomsubstrate  nicht  angegriffen. 

Schliesslich  seien  noch  einige  Untersuchungen  mit  Drüsen  von 
wähnt8  *  *  n  SC^Cr  Krankheit  —  echter  Lymphogranulomatosis  —  cr- 

,.  Dieselben  reagierten  mit  Sarkomseren  stets  negativ.  2  mal  er¬ 
hielt  ich  durch  Nachuntersuchung  bestätigten  schwachen  Abbau  mit 
Karzinomserum.  Es  handelte  sich  beide  Male  um  Mammatumoren 
mit  ausgedehnten  Drüsenmetastasen. 

1  heoretisch  halte  ich  es  nicht  für  ausgeschlossen,  dass  infolge 
Zugrundegehens  lymphatischer  Elemente  beim  Wachstum  der  Kar¬ 
zinome  in  den  Lymphdriisen  Fermente  frei  werden,  die  das  örtliche 
Lymphozytenmaterial  der  Hodgkindriisen  zum  Abbau  bringen.  Kon- 


2010 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  39. 


stant  ist  dieses  Verhalten  jedenfalls  nicht;  dabei  möchte  ich  erwähnen, 
dass  mein  Hodgkinmaterial  sicher  sehr  viel  abbaufähige,  spezifische 
Substanz  enthielt,  denn  das  Serum  eines  klinisch  sicheren  Hodgkin- 
falles  ergab  eine  ungewöhnlich  starke  Ninhydrinreaktion,  trotzdem 
ich  absichtlich  eine  sehr  geringe  Menge  Material  verwandte. 

Meine  Aufzählung  wäre  unvollständig,  wenn  ich  nicht  noch  er¬ 
wähnen  wollte,  dass  ich  eine  Zeitlang  infolge  gänzlichen  Mangels  an 
eigenem  Material  gezwungen  war,  mit  Substraten,  die  mir  von 
anderer  Seite  zur  Verfügung  gestellt  wurden,  zu  arbeiten.  Herrn 
I)r.  Weinberg  verdanke  ich  Material  von  einer  Lebermetastase 
eines  Adenokarzinoms  des  Magens.  Dasselbe  hat  gut  reagiert,  doch 
musste  ich  relativ  grosse  Mengen  verwenden,  um  deutlichen  Abbau 
zu  bekommen. 

Mit  anderen  Karzinomen  hatte  ich  weniger  Glück;  z.  B.  wurde 
ein  Uteruskarzinom,  über  dessen  histologische  Beschaffenheit  ich 
nichts  erfahren  konnte,  von  mehreren  verschiedenen  Karzinomen,  dar¬ 
unter  einem  Gallenblasen-  und  einem  Rektumkarzinom  nicht  an¬ 
gegriffen.  Andererseits  wurde  z.  B.  ein  Sarkom,  dessen  Qualität  mir 
ebenfalls  unbekannt  geblieben  ist,  vom  Serum  eines  Mammakarzinoms 
angegriffen.  Mehrere  ähnliche  Fälle  könnte  ich  noch  anführen,  wo¬ 
bei  ich  nicht  zu  entscheiden  vermag,  ob  der  Gehalt  an  unspezifischem 
Gewebe,  der  Mangel  an  abbäufähigem  Parenchym  oder  endlich  die 
histologische  Verschiedenheit  des  untersuchten  und  des  zur  Unter¬ 
suchung  dienenden  Gewebes  die  Ursache  für  den  Misserfolg  war. 

Alle  diese  Versuche  haben  mich  jedenfalls  in  der  Ueberzeugung 
bestärkt,  dass  sich  verwertbare  Resultate  nur  mit  einwandfrei  unter¬ 
suchtem  und  geeichtem  Material  unter  Kontrolle  durch  das  klinische 
Bild  erreichen  lassen,  und  ich  möchte  meine  Ansicht  über  den  klinisch- 
diagnostischen  Wert  der  Abderhalden  sehen  Methode  in  folgen¬ 
den  Sätzen  zusammenfassen: 

1.  Abgesehen  von  der  einwandfreien  Beherrschung  des  rein 
technischen  muss  die  genaue  histologische  Untersuchung  der  Organe 
auf  das  peinlichste  durchgeführt  werden;  denn  die  Feststellung  der 
Kongruenz  bzw.  Inkongruenz  zwischen  dem  die  Abwehrfermente  her¬ 
vorrufenden,  und  dem  zur  Untersuchung  dienenden  Gewebe  ist  für 
die  Beurteilung  der  klinischen  Anwendbarkeit  der  Methode  von 
grösster  Bedeutung. 

2.  Sämtliche  Organe  müssen  unter  strengen  Bedingungen  geeicht 
werden. 

3.  Als  beweisend  kann  auch  bei  Beobachtung  dieser  Vorschriften 
nur  der  positive  Ausfall  einer  Reaktion  angesehen  werden;  bei  nega¬ 
tivem  Ausfall  stellen  wir  die  Diagnose  nur  per  exclusionem,  da  wir 
bei  der  anscheinend  sehr,  strengen  Spezifität  der  Abwehrfermente 
nicht  generell  sagen  können:  Karzinom  negativ  oder  Sarkom  negativ, 
sondern  unser  Urteil  nur  in  bezug  auf  Tumoren  von  analogem  Bau 
wie  die  zur  Untersuchung  dienenden  Substrate  fällen  können, 

4.  Es  müssen  möglichst  viele  Organsubstrate  für  die  Unter¬ 
suchung  verwandt  werden;  als  massgebend  für  die  Beurteilung  der 
Methode  sind  streng  genommen  nur  diejenigen  Fälle  anzusehen,  bei 

.  denen  die  histologische  Untersuchung  nach  Operation  oder  Sektion 
eine  sichere  Unterlage  für  den  Vergleich  zwischen  Ursache  und  Wir¬ 
kung  des  fermentativen  Abbaus  ermöglicth.  (Forts,  folgt.) 


Naturwissenschaftl.-medizinische  Gesellschaft  zu  Jena, 

Sektion  für  Heilkunde. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  16.  Juli  1914  in  der  chirurgischen  Klinik. 

Vorsitzender:  Herr  Lex  er: 

Schriftführer:  Herr  Berger. 

(Schluss.) 

Herr  Eden:  Neuere  Versuche  zur  biologischen  Wirkung  der 
Röntgenstrahlen. 

a)  ln  manchen  Fällen  maligner  Tumoren,  die  sich  gegen  die 
Wirkung  der  Röntgenstrahlen  resistent  verhalten,  bedürfen  wir  noch 
besonderer  chemischer  oder  physikalischer  Mittel  zur  Unterstützung 
der  Strahlenwirkung.  Voraussetzung  einer  Unterstützung  der 
Strahlentherapie,  die  gewissermassen  in  der  Nachahmung  ihrer  Wir¬ 
kung  auf  chemischem  oder  physikalischem  Wege  zu  geschehen  hätte, 
ist  aber  eine  bessere  Kenntnis  von  der  biologischen  Reaktion  und 
Veränderung  des  lebenden  Gewebes  nach  Einwirkung  der  Strahlen, 
als  wir  sie  bisher  besitzen. 

Vortr.  bespricht  die  neueren  Versuche  zur  Klärung  der  bio¬ 
logischen  Wirkung  der  Strahlentherapie  und  geht  besonders  auf  die 
in  diesem  Jahre  erschienene  Arbeit  Wermels  ein,  der  aus  seinen 
Versuchen  schloss,  dass  Blutserum  und  Blutkörperchen  Röntgen¬ 
energie  aufnehmen  können  und  diese  durch  Photoaktivität  verraten 

Wermels  Versuche,  die  Vortr.  hinsichtlich  ihrer  Anordnung 
und  ihrer  Ergebnisse  —  dieses  aus  klinischen  Gründen  —  nicht  ein¬ 
wandfrei  erschienen,  hat  er  zusammen  mit  Herrn  Dr.  Pauli,  Privat¬ 
dozenten  für  Physik,  in  erweiterter  und  physikalisch  einwandfreier 
Weise  nachgeprüft.  Es  ergab  sich  aus  zahlreichen  Versuchen,  deren 
Anordnungen  demonstriert  werden,  dass  den  Röntgenstrahlen  aus¬ 
gesetztes  Blut  gegenüber  dem  nichtbestrahlten  ein  nur  sehr  ge¬ 
ringes,  graduell  verschiedenes  Vermögen  zeigt,  photographische  Plat¬ 
ten  zu  schwärzen,  und  zwar  kommt  dem  bestrahlten  Blut  die  grössere 
Fähigkeit  zu.  Die  Schwärzung  der  photographischen  Platte,  die  seit¬ 
her  als  eine  Folge  einer  Eigenstrahlung  des  Blutes  angesehen  wurde, 


ist  auf  eine  chemische,  durch  die  Bestrahlung  beschleunigte  Reaktion 
zurückzuführen,  welche  ein  Gas  hervorbringt,  das  unter  der  Einwir¬ 
kung  des  Blutes  mit  dem  Sauerstoff  der  Luft  sich  bildet.  (Erscheint 
ausführlich  in  den  Fortschr.  a.  d.  Geb.  d.  Röntgenstr.) 

b)  Weiter  berichtet  Vortr.  über  Untersuchungen,  die  er  zu¬ 
sammen  mit  N  i  e  d  e  n  an  bestrahlten  Menschen  und  Tieren  mit  dem 
Abderhaldenverfahren  unternommen  hat.  Ziel  der  Untersuchungen 
war,  erstens  einen  Aufschluss  zu  gewinnen  über  den  Vorgang  des 
Zerfalles  direkt  bestrahlten  Gewebes  bzw.  über  sich  dabei  ab¬ 
spielende  fermentative  Prozesse,  und  zweitens  Kenntnis  zu  erhalten 
über  Allgemeinwirkung  der  Bestrahlung.  Es  war  denkbar,  dass  bei 
der  Bestrahlung  auch  dem  Orte  der'  Applikation  ferner  liegende 
Organe  —  vor  allem  kommen  hier  Keimdrüsen,  Leber,  Gehirn  und 
andere  besonders  empfindliche  Organe  in  Frage  —  mit  beeinflusst 
würden.  Wir  wissen,  dass  im  Körper  nach  der  Bestrahlung  Stoffe 
entstehen,  bzw.  die  Körperzellen,  Blut-  und  Körpersäfte  unter  dem 
Einfluss  von  Röntgenstrahlen  Umwandlungen  erfahren,  wodurch  sie 
spezifische,  die  Lebensvorgänge  beeinflussende  Eigenschaften  er¬ 
halten.  Die  beobachteten  Allgemeinerscheinungen  nach  Bestrahlung 
lehren  uns,  dass  solche  Umwandlungen  und  die  sogen.  Röntgentoxine 
nicht  isoliert  bleiben,  sondern  sich  im  Körper  ausbreiten.  Es  könnten 
daher  besonders  nach  intensiver  Bestrahlung  sehr  wohl  vermehrter 
Zerfall  oder  gar  Schädigungen  empfindlicher  Organzellen  entstehen, 
auf  die  der  Körper  mit  Bildung  spezifischer  Abwehrfermente  re¬ 
agieren  könnte.  Endlich  war  es  denkbar,  in  dem  Auftreten  oder  Fern 
bleiben  von  Lungengewebeabbau  bzw.  in  dessen  Grad  ein  Kriterium 
für  den  Erfolg  der  Bestrahlung  zu  finden. 

Es  wurden  im  ganzen  10  Patienten  und  3  Hunde  zu  verschiedenen 
Zeiten  nach  verschieden  intensiver  Bestrahlung  untersucht.  Es  han¬ 
delte  sich  um  Patienten,  die  wegen  chirurgischer  Tuberkulose  oder 
wegen  maligner  Tumoren  in  Behandlung  waren.  Charakteristische 
Aenderungcn  der  Abderhaldenreaktion,  die  irgendwelche  Schlüsse  in 
den  vorher  angegebenen  Richtungen  zuliessen,  traten  nicht  ein. 

c)  E  d  e  n  stellt  zum  Schluss  eine  Patientin  vor,  die  wegen  aus¬ 
gedehnter  Aktinomykose  der  linken  Gesichtshälfte  und  des  Kopfes 
mit  sehr  gutem  Erfolge  mit  Röntgenstrahlen  behandelt  wurde.  Die 
zunächst  eingeleitete  rein  chirurgische  Therapie  in  Verbindung  mit 
innerlichen  Gaben  von  Jodkali  brachte  die  Aktinomykose  nicht  zur 
Abheilung.  Die  Röntgenbestrahlung  war  erst  dann  von  schnellem 
Erfolg  begleitet,  als  die  anfänglich  sehr  geringen  Dosen  gesteigert 
und  die  Strahlen  filtriert  wurden.  Jodkali  wurde  während  der  Zeit 
der  Bestrahlung  nicht  gegeben.  Die  Patientin  ist  jetzt  vollständig 
geheilt  und  beschwerdefrei.  Die  Behandlungsdauer  war  4¥:  Monat: 
Patientin  wurde  11  mal  mit  zusammen  etwa  200  X  bestrahlt. 

Diskussion:  Herr  Nieden  geht  noch  weiter  auf  die  mit 
Eden  ausgeführten  Versuche  ein,  etwaige  Fermentveränderungen 
im  Blute  unter  dem  Einfluss  der  Röntgenbestrahlung  mit  Hilfe  der 
Abderhalden  sehen  Methoden  festzustellen.  Er  berichtet  zu¬ 
nächst  über  die  Versuchsanordnung,  nach  der  zunächst  die  10  Fälle 
(3  rezidivierende  Mammakarzinome,  1  Struma  und  6  chirurgische 
Tuberkulosen)  vor  der  Bestrahlung,  dann  teils  direkt  nach  den  Be¬ 
strahlungssitzungen,  teils  in  mehrtägigen  Pausen  nach  diesen  unter¬ 
sucht  wurden.  Die  Methodik  hielt  sich  sowohl  beim  Dialysiervcr- 
fahren  wie  bei  der  optischen  Methode  —  mit  der  letzteren  konnte 
nur  ein  Teil  der  Fälle  untersucht  wurden  —  an  die  von  Abder- 
li  aide  n  gegebenen  Vorschriften.  N.  bespricht  die  einzelnen  Fälle 
und  kommt  zu  dem  Ergebnis,  dass  die  Karzinomsera  durch  die  Be¬ 
strahlung  in  ihren  abbauenden  Eigenschaften  unverändert  blieben. 
Die  Tuberkulosen  zeigten  teilweise  schon  vor  der  Bestrahlung  - 
ohne  klinischen  Befund  —  Abbau  gegenüber  einzelnen  Organen.  Eine 
konstante  Veränderung  des  Fermentgehaltes  war  auch  hier  unter 
Röntgenbestrahlung  nicht  nachweisbar.  Bei  3  Versuchshunden,  bei 
denen  die  Keimdrüsen  mit  hohen  Dosen  bestrahlt  waren,  trat  bei  den 
Nachuntersuchungen  Gehirnabbau  auf.  N.  sieht  darin,  da  die  Hunde 
narkotisiert  worden  waren,  keine  Wirkung  der  Bestrahlung,  sondern 
eine  Folgeerscheinung  der  Narkose,  wie  sie  auch  von  Ähre  ns 
u.  a.  beobachtet  wurde.  Er  zeigt  endlich  die  Kurve  eines  optisch 
untersuchten  Serums,  das  Fermente  gegen  Plazentarpepton  enthielt 
Der  mit  50 — 60  X  bestrahlte  Teil  des  Serums  zeigte  die  gleiche  Kurve 
wie  das  imbestrahlte  Serum. 

Herr  Stromeyer:  Zur  Behandlung  chirurgischer  Tuberku- 

losen.  ?£. 

St.  hat  bis  jetzt  an  der  chirurgischen  Klinik  in  Jena  120  Fälle 
von  chirurgischer  Tuberkulose  mit  Röntgenstrahlen  behandelt. 

Die  Resultate  sind  äusserst  befriedigend  und  erlauben,  die  In¬ 
dikation  zur  konservativen  Behandlung  so  zu  erweitern,  dass  Resek¬ 
tionen  nur  in  den  seltensten  Fällen  nötig  werden.  (Demonstration 
von  ca.  15  geheilten  Fällen,  darunter  2  Koxitiden,  3  Kniegelenkstuber¬ 
kulosen,  3  Ellbogentuberkulosen,  Handgelenkstuberkulosen,  tuber¬ 
kulöse  Lymphome  usw.). 

St.  hebt  besonders  die  guten  funktionellen  Resultate  hervor  und 
verweist  an  der  Hand  von  Photographien  auf  die  schönen  kos¬ 
metischen  Resultate  selbst  ganz  veralteter  fistelnder  Drüsentuber¬ 
kulosen. 

Röntgenschädigungen  konnte  der  Vortragende  weder  an  der 
Haut  noch  an  den  Epiphysenlinien  beobachten,  was  er  auf  seine  vor¬ 
sichtige  Dosierung  und  starke  Filtrierung  der  Strahlen  zurückführt. 

Wegen  der  vorgeschrittenen  Zeit  konnte  St.  nur  ganz  kurz  aut 
die  anatomischen  und  biologischen  Veränderungen,  die  durch  die 
Röntgenstrahlen  erzeugt  werden,  eingehen. 


29,  September  1914.  MUENCHENHR  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Zum  Schlüsse  wird  eindringlich  darauf  hingewiesen,  dass  die 
Röntgenstrahlen  wohl  ein  bedeutender  Faktor  zur  Heilung  der  Tuber¬ 
kulose  seien,  dass  aber  eine  sorgfältige  chirurgische  Behandlung 
mit  fortwährender  Kontrolle  der  Bestrahlungsresultate  durch  das 
Röntgenbild  mit  der  Bestrahlungsbehandlung  Hand  in  Hand  gehen 
müsste,  um  schwere  Schädigungen  der  Patienten  zu  vermeiden. 

Disk  ussion:  Herr  Lex  er  warnt  vor  kritikloser  Anwendung 
der  Bestrahlungsbehandlung  bei  chirurgischen  Tuberkulosen  Chirur¬ 
gische  Ueberwachung  der  Fälle  ist  stets  notwendig.  Die  Bestrahlung 
ist  eine  ausgezeichnete  Beihilfe  der  bisherigen  konservativen  Me¬ 
thoden.  Die  verblüffenden  Resultate  der  bisher  gut  beeinflussten 
Fälle  müssten  natürlich  nach  entsprechender  Zeit  nachgeprüft  werden. 


Medizinische  Gesellschaft  zu  Magdeburg. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  9.  April  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Habs. 

Ilcir  Edgar  Meier:  Tracheoskopische  Demonstration  eines 
f  aticnten  mit  intratrachealer,  struinöser,  akzessorischer  Schilddrüse. 

Patient  61  Jahre  alt,  seit  114 — 2  Jahren  zunehmende,  jetzt  hoch¬ 
gradige  Atemnot,  viel  Husten  mit  Blutspuren,  geringe  Gewichts¬ 
abnahme.  Bei  Laryngoskopie  mehrere  Zentimeter  unter  den  Stimrri- 
bandern  an  der  vorderen  1  rachealwand  leicht  höckeriger  Tumor. 
Bei  I  racheoskopie  18  cm  von  der  Zahnreihe  mehr  als  haselnuss¬ 
grosser,  weicher  nicht  ulzerierter,  breitbasig  an  der  Vorderwand 
Jes  6.-8.  1  rachealringes  aufsitzender  Tumor,  das  Tracheallumen  fast 
.  erschhessend.  Exzidierte  Tumorstücke  von  Prof  R  i  c  k  e  r  unter- 
;u.?ht  .iB|f“.ndJ:  »Ueb erzogen  teils  mit  geschichtetem  Plattenepithel, 
eils  mit  Zylmderepithel,  also  subepitheliale  Geschwulst.  Sie  besteht 
mikroskopisch  aus  einem  engmaschigen  Kapillar-  und  Gefässnetz 
liest  mit  etwas  Kollagensubstanz,  fasriger  oder  nahezu  homogener. 
?«  Maschenräume  ausgefüllt  mit  zwischensubstanzlosen  (epi- 
helialen)  kleinen  Zellen  mit  sehr  regelmässigem  Aussehen  der  Kerne 
ind  des  gering  ausgebildeten  Protoplasmas.  Also  Bau  der  „Drüsen 
'hne  Ausführungsgang  und  zwar  eines  Epithelkörperchens  oder 
mch  einer  Schilddrüse.“  In  zweiter  Sitzung  Exzision  des  Tumors 
ns  auf  den  jetzt  demonstrierten  Rest.  Weiterbehandlung  mit  Röntgen- 
lefenstrahlen.  Jetzt  vollkommen  freie  Atmung  erreicht  Intra¬ 
racheule  Strumen^sind  sehr  selten.  Rudolf  Hoffmann  referierte 
909  in  Zschr.  f.  Ohrhlk.  LIX  16  histologisch  gesicherte  Fälle  von 
ntratrachealer  Struma. 

Herr  Blick  stellt  vor: 

1.  einen  an  Pseudoleukämie  (Hodgkin  scher  Krankheit)  leiden- 
len  lo  jährigen  Kranken,  der  am  6.  März  1914  auf  die  innere  Ab- 
ejlung  der  K  ah  lenberg  sehen  Stiftung  aufgenommen,  mit  Arsen- 
njektionen  und  mit  Röntgenbestrahlungen  behandelt  ist  Die  Be¬ 
zahlungen  wurden  vom  6.— 14.  März  täglich,  von  da  an  ambulant 
mal  wöchentlich  ausgeführt.  Die  Drüsentumoren  haben  sich  ganz 
•esentlich  verkleinert,  das  Allgemeinbefinden,  auch  die  Anämie  haben 
ich  gebessert. 

2.  einen  40  jährigen  Arbeiter,  der  am  9.  März  1914  auf  die 
uiere  Abteilung  der  Kahlenberg  sehen  Stiftung  kam.  bei  dem 
ieM-agn0Se  3U*  e*nen  Tumor  mediastini  gestellt  wurde.  Das  am 

März  aufgenommene  Röntgenphotogramm  wird  vorgelegt  und  zeigt 
inen  sehr  grossen  Tumor,  der  nach  links  hin  besonders  stark  ent- 
’ickelt  ist,  das  linke  Lungenfeld  sehr  stark  verkleinert  und  das  Herz 
a^  u2*en  und  aussen  disloziert  hat.  Patient  litt  an  ganz  erheb- 
clien  Druckerscheinungen:  starker  Dyspnoe,  Insuffizienz  der  Herz- 
itigkeit.  Kompressionserscheinungen  der  Arteriae  subclaviae  und 
chweren  Stauungserscheinungen  der  oberen  Hohlvene.  Diese 
tauungserscheinungen  fehlten  in  der  unteren  Körperhälfte. 

Der  Kranke  wurde  mit  Röntgenbestrahlungen  behandelt.  Ein 
m  15.  März  aufgenommenes  zweites  Bild  zeigt,  dass  der  Tumor  in 
len  Dimensionen  etwas  kleiner  geworden  ist. 

Ein  drittes,  am  7.  April  aufgenommenes  Bild  zeigt,  dass  der 
umor  ganz  wesentlich  verkleinert  ist.  Die  kugelige  Vorwölbung 
tsselben  nach  links  hin  ist  verschwunden.  Der  Durchmesser  des 
enattens  an  der  Stelle  dieser  Vorwölbung  betrug  bei  der  ersten 
ufnahme  17lla'cm,  letzt  dagegen  nur  12  cm.  Die  Druckerscheinungen 
nd  beseitigt.  Das  subjektive  Befinden  des  Kranken  ist  jetzt  gut. 

Herr  Hennig:  Die  Bedeutung  der  Serodiagnose  der  Syphilis 
r  d‘.e.  Erteilung  des  Heiratskonsenses. 

Für  die  Erteilung  des  Heiratskonsenses  an  Syphilitiker  waren 
slang  massgebend:  1.  das  Ergebnis  der  körperlichen  Untersuchung 
n  syphilitische  Erscheinungen,  2.  die  Angaben  des  Patienten  über 
citpunkt  der  Infektion,  über  Krankheits-  und  Behandlungsverlauf, 
eine  Reihe  empirisch  erprobter  Gesichtspunkte  wie  Zwischenraum 
vischen  Infektion  und  Eingehen  der  Ehe.  Auftreten  der  letzten  Er- 
heinungen,  Verlauf  und  Behandlung  der  Krankheit,  Lebensweise, 
-rufsart  und  allgemeiner  körperlicher  Zustand  des  Patienten,  Vor- 
mdensein  sonstiger  organischer  Erkrankungen.  Ein  absolut  sicherer 
-weis  über  erfolgte  Ausheilung  der  Syphilis  konnte  bislang  nicht 
bracht  werden:  somit  war  ein  neues  diagnostisches  Hilfsmittel,  die 
-•rodiagnose  willkommen.  Ihren  Wesen  nach  ein  vorläufig  noch 
tselhafter  Vorgang  ist  sie  auf  Grund  ca.  7  Jahre  langer  Erfahrungen 
ne  ’ür  Syphilis  spezifische  Reaktion  und  bei  Erteilung  des  Heirats- 
»nsenses  von  Wert  und  Bedeutung,  jedoch  nicht  in  dem  Sinne,  dass 
»sitive  Reaktion  unbedingt  von  der  Ehe  ausschliesst,  und  negative, 


selbst  wiederholt  negative,  zur  Ehe  disponiert.  Auf  Grund  tatsäch¬ 
licher  Erfahrungen  in  der  Praxis  mahnt  der  positive  Ausfall  zu 
grösster  Vorsicht  und  genauester  Prüfung  des  objektiven  Befundes 
und  aller  anamnestischen  Momente,  ebenso  aber  soll  der  negative 
Befund,  selbst  in  wiederholtem  Ergebnis,  nicht  überschätzt  werden. 
Alle  ehedem  vorgenommenen  Untersuchungsmethoden  und  Er¬ 
wägungen  haben  auch  heute  noch  ihre  Berechtigung.  Die  Wasser- 
m  » n  n  sehe  Serodiagnose  ist  ein  wertvolles  Hilfsmittel  für  die  Be¬ 
rn  teilung  der  Heiratsfähigkeit  eines  Syphilitikers,  aber  nicht  für  sich 
ahein,  sondern  nur  im  Verein  mit  den  bisher  geübten  und  durch  die 
Erfahrung  erprobten  Gesichtspunkte.  —  (Der  Vortrag  erscheint  aus¬ 
führlich  in  den  „Fortschritten  der  Medizin“.) 

c  ..  ßisliUssion:  Herr  Völsch  glaubt,  den  Personen  in  der 
opatlatenz,  welche  trotz  intensiver  Behandlung  positiven  Wasser¬ 
mann  behalten  haben,  von  der  Ehe  prinzipiell  abraten  zu  sollen, 
,  wahrscheinlich  gerade  diese  Personen  einen  wesentlichen 
le  u  ateÜaJs  für  die  schweren  spätsyphilitischen  und  meta- 

s>  plnlitischen  Erkrankungen  speziell  des  Nervensystems  abgeben. 
Gerade  die  von  Herrn  H  e  n  n  i  g  angezogene  Statistik  von  Mattau- 
schek  veranlasst  V.,  den  Prozentsatz  der  Luetiker,  welche  an 
schwerer  zentraler  Lues  oder  Metalues  erkranken,  auf  10,  vielleicht 
au‘  }f~] 15  Hroz.  zu  schätzen.  —  Die  Prüfung  der  Lumbalflüssigkeit 
auf  Wassermann  und  Zellgehalt  wird  in  manchen  Fällen  eine  latente 
Lues  aufdecken  können,  in  denen  das  Serum  negativ  reagiert. 

l  • er,r,  Hahn:  Ueber  L.eukäniiebehandiung.  (Erscheint  ausführ¬ 
lich  im  Maiheft  der  Ther.  Mh.) 

Herr  Sieden  topf  hält  seinen  Vortrag  über  Die  Strahlen- 
behaudlung  der  Myome  des  Uterus.  (Derselbe  wird  in  „Fortschr. 
d.  M.“  veröffentlicht  werden.) 


Aerztlicher  Verein  München. 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzung  vom  15.  Juli  1914. 

Herr  Borst:  Experimentelle  Untersuchungen  zur  Gelenkver¬ 
pflanzung. 

Diskussion:  Herr  F.  v.  Müller,  Herr  Borst. 
i r  Herr  Schmincke:  Ueber  die  Entstehung  der  Hämorrhoiden. 

(In  Nr.  32  S.  1769  d.  Wschr.  erschienen.) 

Diskussion:  Herr  Oberndorfer:  M.  H.!  Dass  bei  der 
Entstehung  der  Hämorrhoiden  der  Druck  bei  der  Defäkation  und  durch 
ihn  die  Erschwerung  der  Entleerung  der  Hämorrhoidalvenen  eine 
grosse  Rolle  spielt,  dagegen  wird  sich  wohl  kein  Widerspruch  er¬ 
heben  dürfen.  Ob  er  allein  in  Betracht  kommt,  ob  nicht  andere  aus¬ 
losende  Momente  mitwirken,  diese  Fragen  sind  meines  Erachtens 
noch  nicht  vollständig  erledigt.  Sprechen  doch  manche  Beobach¬ 
tungen  am  Lebenden  dafür,  dass  Reize  mannigfacher  Art,  abgesehen 
von  Defäkationsdruck,  hier  nicht  ganz  unwirksam  sind.  Doch  dies 
ist  ein  mehr  klinisches  Problem. 

Dafür  aber,  dass  die  Wirkung  der  sich  durch  den  Mastdarm 
durchpressenden  Kotsäule  auf  die  Venenfüllung  eine  sehr  beträcht¬ 
liche  ist,  scheinen  nicht  nur  die  Beobachtungen  an  den  Hämorrhoidal- 
venen,  sondern  auch  solche  an  dem  Venenplexus  der  Prostata  und 
der  Samenblasen  zu  sprechen.  Untersucht  man  sorgfältig  die  Venen 
dieser  Gegend,  so  findet  man  selbst  bei  verhältnismässig  jugendlichen 
Individuen  häufig  Thromben,  Venenerweiterungen,  Phlebolithen  und 
bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  dieser  Gefässe  ist  man  iiber- 
rascht  von. den  ausgedehnten  Veränderungen,  die  hier  vorhanden  sind 
Phlebosklerosen  höchsten  Grades  mit  frischen  und  älteren  organi¬ 
sierenden  Thromben  kommen  hier  vor  in  einer  Ausdehnung,  wie  sie 
kaum  in  einem  anderen  Gefässgebiet  festzustellen  sind.  Selbst  die 
Arterien  dieses  Gebietes  zeigen  häufig  besonders  frühzeitige  Verände¬ 
rungen.  Zur  Erklärung  muss  man  hier  die  gewaltigen  Druckschwan- 
kungen,  die  sich  bei  der  Defäkation  im  kleinen  Becken  abspielen, 
heranziehen.  W  enig  in  Betracht  kommen  die  physiologischen  Fül¬ 
lungsschwankungen  der  Gefässe  der  Sexualorgane,'  denn  sonst  müss- 
T.n ,^ir.  Weib  dieselben  Veränderungen  noch  stärker  finden;  tat¬ 

sächlich  sind  aber  die  Gefässveränderungen  der  Parametrien,  besonders 
von  1  rauen,  die  nicht  geboren  haben,  im  Vergleich  zu  den  Gefässen  der 
Prostataumgebung  bei  gleich  alten  Männern  sehr  viel  geringer  Von 
Bedeutung  ist  hier  offenbar  die  fixierte  Lage  der  Prostata,  an  der  sich 
der  Druck  im  Rektum  besonders  äussern  muss.  Die  gefässschädi- 
gende  Druckwirkung  bei  der  Defäkation  greift  also  über  die  Rektum¬ 
wand  hinüber  auf  das  perirektale  Gewebe  und  die  angrenzenden 
Sexualorgane. 

Herr  Schmincke:  Schlusswort. 

(Schluss  folgt.) 


Münchener  Gesellschaft  für  Kinderheilkunde. 

(Eigener  Bericht.) 

Gemeinsame  Tagung  mit  den  südwestdeutschen  Kinder¬ 
ärzten  auf  deren  22.  Versammlung  in  Stuttgart,  5. — 7.  Juni  1914. 

(Schluss.) 

Herr  S  i  e  g  e  r  t  -  Köln:  Zur  Diagnose  der  latenten  Thymus¬ 
hyperplasie. 

S.  bekämpft  mit  Schärfe  die  besonders  auch  von  F  i  n  k  e  1  - 
stein  vertretene  Lehre,  dass  es  keinen  „Thymustod“  gebe,  dass 


2012 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  39. 


cs  sich  vielmehr  bei  den  so  plötzlich  gestorbenen  Kindern  um  schwer 
im  intermediären  Stoffwechsel  durch  Ernährungsstörungen  ge¬ 
schädigte  handle,  die  im  kritischen  Moment  der  Ueberflutung  des 
kranken  Stoffwechsels  mit  Abbauprodukten  der  Nahrung  erliegen. 
Er  führt  eigene  Fälle  an,  die  einen  „Thymustod“  gestorben  sind  (ein 
bis  zwei  Tage  vor  dem  Exitus  blühendes  Brustkind,  dessen  gleich¬ 
falls  blühende  Schwester  ca.  7  Jahre  vorher  dem  Thymustod  erlag 
und  eine  zweite  ganz  ähnliche  Beobachtung).  Vollständiger  Status 
thymico-lymphaticus  (Paltauf-Escherich)  findet  sich  in  den 
ersten  3 — 4  Monaten  nie,  kommt  aber  schon  im  5. — 6.  Monat  vor. 
Hinweise  auf  die  Thymushyperplasie  sind:  Thymustod,  der  sich 
früher  in  der  engeren  oder  weiteren  Familie  ereignet  hat,  Dysphagie. 
Stridor,  Labilität  der  Herzleistung,  Neigung  zu  übermässiger  Ge¬ 
wichtszunahme  trotz  knappster  Ernährung  und  zur  Obstipation  bei 
zweckmässiger  Nahrung,  extremer  Dermographismus  und  übergrosse 
Erregbarkeit  —  aber  n  i  c  h-t  Spasmophilie.  Den  Beweis  für  die 
Thymushyperplasie  erbringen  Perkussion  und  Radioskopie  einwand¬ 
frei  (meist  beiderseits,  besonders  nach  links  das  Sternum  weit  über¬ 
schreitende  Dämpfung,  in  Inspiration  und  Exspiration  über  den  Herz¬ 
schatten  auf-  und  absteigend).  Die  Hyperplasie  ist  durch  Röntgen¬ 
therapie  ohne  Schaden  für  das  Kind  weitgehend  zu  beeinflussen.  — 
Die  demonstrierten  Photogramme  und  Radiogramme  entsprechen 
nur  Fällen  von  latenter  Thymushyperplasie.  —  S.  weist  mit  Nach¬ 
druck  auf  die  diagnostische  Wichtigkeit  beider  und  die  Förderung 
der  Frage  der  latenten  Thymushypertrophie  durch  recht  zahlreiche 
solche  Abbildungen  hin. 

Diskussion:  Herren  Moro,  Gött,  Götzky,  Benjamin, 
Lust,  Grosser,  Siegert  (Schlusswort). 

Herr  M  o  r  o  -  Heidelberg:  Ueber  Lebertrantherapie, 

Mitteilungen  über  neue  Versuche  von  Freudenberg  und 
Klocmann  betreffend  ihre  Theorie  der  Lebertranwirkung. 

Diskussion:  Herren  Grosser,  Tripke,  Koppe, 
v.  Pfaundler,  Moro  (Schlusswort). 

Herr  Pfaundler:  Ueber  Körpermasse  von  Schulkindern. 

Der  Vortragende  hat,  unterstützt  durch  einige  Mitarbeiter,  Er¬ 
hebungen  über  Körperlänge  und  Körpergewicht  von  Münchener 
Schulkindern  angestellt  und  die  gewonnenen  Daten  nach  den  Prin¬ 
zipien  der  Kollektivmasslehre  bearbeitet.  Er  legt  die  wichtigsten 
Ergebnisse  dieser  Studien  vor  und  verweist  Interessenten  auf  die  aus 
seiner  Klinik  und  im  Verlage  von  Rudolf  Müller  und  Steinicke  in 
München,  Lindwurmstrasse,  erschienenen  Dissertationen  der  Herren 
Riedel,  Skibinsky,  Dikanski.  Mat  usiewicz  und  Chose. 

Diesen  Vorträgen  folgten  am  nächsten  Tage  (7.  Juni) 
Führungen  und  Demonstrationen  innerhalb  der 
Hygieneausstellung,  die  an  dieser  Stelle  ja  bereits  von  A.  Fischer- 
Karlsruhe  eingehender  gewürdigt  wurde. 

Nach  einem  Führungsvortrag  durch  die  volkstüm¬ 
liche  Abteilung  „Kind“  demonstrierte  Herr  Camerer- 
Stuttgart  im  Lichtspielhaus  der  Ausstellung  zunächst 
einige  statistische  Tafeln  und  Tabellen,  die  sich  auf  die  verschiedenen 
Ursachen  der  Säuglingssterblichkeit,  die  Stilldauer,  die  Gründe  des 
Abstillens  in  einem  Industrie-  und  landwirtschaftlichen  Bezirk  be¬ 
ziehen,  ferner  Tabellen  über  den  Stoff-  und  Kraftwechsel  beim  Kind, 
sowie  Lichtbilder  von  Stuhlentleerungen  und  Magenaufnahmen.  Es 
folgten  hierauf  kinematographische  Vorführungen  eines 
Falles  von  Pylorospasmus  sowie  eines  Falles  von  extremen  inspira¬ 
torischen  Einziehungen  bei  einem  halbjährigen,  schwer  rhachitischen 
Kind  mit  Rippenfrakturen.  Sodann  wurden  Bilderstreifen  eines 
Kindes  mit  kongenitaler  Hüftgelenksluxation  sowie  eines  Falles  von 
Chorea  (aus  dem  Olga-Kinderspital,  Dr.  Fischer  und  Prof.  Müller) 
gezeigt,  und  endlich  die  ersten  Kriech-  und  Gehversuche  bei  mehreren 
Kindern  vorgeführt.  Hieran  schloss  sich  ein  Führungsvortrag 
von  Herrn  Camerer  durch  die  wissenschaftliche  Abteilung  „Säug¬ 
ling  und  Vorschulalter“,  von  Herrn  G  a  s  t  p  a  r  durch  die  Abteilung 
„Schulgesundheitspflege“  und  von  Frau  Dr.  I  n  g  e  1  f  i  n  g  e  r  durch  die 
Abteilung  „Ernährung“. 

Im  Lichtspielhaus  demonstrierte  schliesslich  noch 

Herr  S  i  p  p  e  1  -  Stuttgart:  Röntgendiapositive  aus  dem  Gebiet 
der  Orthopädie: 

a)  angeborene  Missbildungen  der  Wirbelsäule  in  grösserer 
Anzahl; 

b)  3  Fälle  von  angeborener  versteckter  Wirbelspalte,  Spina 
bifida  occulta.  Besonders  häufig  ergibt  sich  im  Röntgenbild 
Klaffen  der  Bogenteile  des  5.  Lendenwirbels.  Neben  der  knöchernen 
Missbildung  handelt  es  sich  um  eine  Missbildung  bzw.  Entwicklungs¬ 
hemmung  des  untersten  Rückenmarksabschnittes,  um  eine  kongenitale 
Dysplasie  desselben,  mit  wohl  charakterisiertem  Krankheitsbild.  In 
allen  3  Fällen  entwickelte  sich  langsam  fortschreitend  zwischen  dem 
5.  und  12.  Lebensjahr  eine  spastisch-atrophische  Lähmung  der  Beine, 
die  zur  Ausbildung  eines  Klauenhohlfusses  führte  und  mit  um¬ 
schriebenen  Sensibilitätsstörungen  und  Blasenschwäche  einherging. 
Der  späte  Beginn  und  die  chronische  Progredienz  sind  auf  das 
physiologische  Aufsteigen  der  Medulla  im  Rückenmarkskanal,  mit 
Zerrung  der  bereits  ausgebildeten  Nervenelemente  während  des  all¬ 
gemeinen  Körperwachstums  zurückzuführen.  In  Fällen,  in  denen 
eine  Leitungsunterbrechung  durch  Strangbildung  bzw.  eine  manifeste 
Drucklähmung  vorlag,  ist  schon  eine  kausale  Therapie  versucht  und 
die  operative  Lösung  von  Strängen  ausgeführt  worden. 

Aibert  Uffenheimer  -  München. 


Verschiedenes. 

Therapeutische  Notizen. 

•  Ueber  einen  Fall  von  durch  Salvarsan  besonders 
günstig  beeinflusster  Tabes  dorsalis  berichten  H.  B e- 
cher  und  R.  K  o  c  h  -  Frankfurt  a.  M.  Es  handelte  sich  um  einen 
rasch  progressiven  Fall  von  sog.  marantischer  Tabes,  die  erst  22  Jahre 
nach  der  Infektion  subjektiv  wahrgenommene  Erscheinungen  gemacht 
und  dann  schon  in  8  Monaten  zu  einem  schweren  Siechtum  geführt 
hatte.  Der  an  Armen  und  Beinen  vollkommen  paretischc  Patient 
wurde  in  der  Zeit  von  einem  halben  Jahre  2  Salvarsankuren  unter¬ 
worfen  und  in  der  Zwischenzeit  täglich  mit  4 — 5  g  Jodkalium  be¬ 
handelt.  —  Die  Besserung  war  sehr  augenscheinlich.  Der  bis  dahin 
bettlägerige  Patient,  der  des  Gebrauches  seiner  Hände  und  Beine 
beraubt  war,  konnte  ausser  Bett  sein  und  seine  Hände  gebrauchen 
und  machte  unter  fortdauernder  Besserung  so  gute  Fortschritte, 
dass  er  nach  Hoffnung  der  Aerzte  noch  einmal  vollkommen  arbeits¬ 
fähig  werden  wird.  (Therapeutische  Monatshefte  1914,  8.)  Kr. 

Ihre  Erfahrungen  mit  dem  Friedmannschen  T  u  - 
bcrkulosehcil  mittel  teilen  H.  Becker  und  H.  W  ä  g  e  1  c  r  - 
Frankfurt  a.  M.  mit.  Sie  behandelten  mit  dem  Mittel  5  Fälle  von 
schwerer  Tuberkulose.  In  3  Fällen  sahen  sie  überraschend  günstige 
Ei  folge.  In  2  Fällen  dagegen  kam  es  zu  einem  schnellen  tödlichen 
Ausgange  des  Leidens,  in  dem  einen  dieser  Fälle  trat  der  Tod  unter 
septischen  Erscheinungen  ein,  in  dem  anderen  wurde  er  durch  Herz¬ 
schwäche  herbeigeführt,  die  in  der  Nacht  nach  der  Injektion  akut 
einsetzte  und  sicher  auf  die  Injektion  zurückgeführt  werden  muss. 

Trotz  dieser  schlechten  Erfahrungen  können  sich  B.  und  W.  nicht 
entschliessen,  ein  Mittel  abzulehnen,  das  andererseits  so  gute  Erfolge 
zeitigen  kann,  wie  die  3  zuerst  beobachteten  Fälle.  Sie  verlangen 
aber,  dass  nur  solche  Präparate  in  den  Handel  kommen,  die  garantiert 
frei  von  Verunreinigungen  sind.  (Therapeutische  Monatshefte 
1914.  8)  Kr. 


Tagesgeschichtliche  Notizen 

siehe  „Feldärztliche  Beilage“. 


Korrespondenz. 

Die  Stimmgabelstethoskopmethode. 

Erklärung. 

Durch  Herrn  E.  F  u  1  d  -  Berlin  auf  die  Arbeit  Erich  Schle¬ 
singers:  „Die  indirekte  Phonometrie,  eine  exakte  Methode  zur 
Bestimmung  der  Organgrenzen  mittels  der  Stimmgabel“  (D.M.W. 
1908  S.  2063)  aufmerksam  gemacht,  stehe  ich  nicht  an,  zu  erklären 
dass  nicht  dem  Engländer  C  a  n  1 1  i  e,  sondern  Herrn  Schlesinger 
die  Priorität  zukommt.  Dr  O  1  p  p  -  Tübingen. 


Uebersicht  der  Sterbefälle  in  München 

während  der  36.  Jahreswoche  vom  6.  bis  12.  September  1914. 

Bevölkerungszahl  640000. 

Todesursachen:  Angeborene  Lebensschwäche  einschl.  Bildungs¬ 
fehler  6  (10 4),  Altersschw.  (über  60  Jahre)  7  (6),  Kindbettfieber  —  (—), 
and.  Folgen  der  Geburt  und  Schwangerschaft  2  (— ),  Scharlach  —  (—) 
Masern  u.  Röteln  1  ( — ),  Diphtherie  u.  Krupp  1  (— ),  Keuchhusten  4  (3), 
Typhus  (ausschl.  Paratyphus)  — (1),  akut.  Gelenkrheumatismus  2  (— ), 
übertragbare  Tierkrankh.,  d.  s.  Milzbrand,  Rotzkrankh.,  Hundswut, 
Trichinenkrankh.  —  (— ),  Rose  (Erysipel)  — ( — ),  Starrkrampf  —  (— ), 
Blutvergiftung  3  ( — ),  Tuberkul.  der  Lungen  24  (15),  Tuberkul.  and.  Org. 
(auch  Skrofulöse)  3  (5),  akute  allgem.  Miliartuberkulose  —  (— ),Lungen- 
entzünd.,  kruppöse  wie  katarrh.  usw.  7  (3),  Influenza  —  (— ),  veneri¬ 
sche  Krankh.  1  (1),  and.  übertragbare  Krankh. :  Pocken,  Fleckfieber, 
Ruhr,  Genickstarre,  Strahlenpilzkrankh.,  Lepra,  asiat.  Cholera, Wechsel¬ 
fieber  usw.  2  ( — ),  Zuckerkrankh.  (ausschl.  Diab.  insip.)  —  (3),  Alkoholis¬ 
mus  —  ( — ),  Entzünd,  u.  Katarrhe  der  Atmungsorg.  2  (2),  sonst.  Krankh. 
d.  Atmungsorgane  1  (4),  organ.  Herzleiden  16  (12),  Herzschlag,  Herz¬ 
lähmung  (ohne  näh.  Angabe  d.  Grundleidens)  4  ( — ),  Arterienverkalkung 
5  (4),  sonstige  Herz-  u.  Blutgefässkrankh.  4  (4),  Gehirnschlag  10  (7), 
Geisteskrankh.2(l),  Krämpfe  d.  Kinder  —  (8),  sonst.  Krankh.  d. Nerven¬ 
systems  3  (6),  Atrophie  der  Kinder  8  (1),  Brechdurchfall  2  (5),  Magen¬ 
katarrh,  Darmkatarrh,  Durchfall,  Cholera  nostras  17  (13),  Blinddarm- 
entzünd.  2  (1),  Krankh.  der  Leber,  Gallenblase,  Bauchspeicheldrüse  u. 
Milz  2  (2),  sonst.  Krankh.  der  Verdauungsorg.  3  (2),  Nierenentzünd.  3(2), 
sonst.  Krankh.  der  Harn-  u.  Geschlechtsorg.  1  (5),  Krebs  12  (19),  sonst. 
Neubildungen  2  (1),  Krankh.  der  äuss.  Bedeckungen  3  (2),  Krankh.  der 
Bewegungsorgane  1  (— ),  Selbstmord  1  (4),  Mord,  Totschlag,  auch 
Hinricht.  —  (—),  Verunglückung  u.  andere  gewalts.  Einwirkungen  21  (27), 
andere  benannte  Todesursachen  3  (4),  Todesursache  nicht  (genau! 
angegeben  (ausser  den  betr.  Fällen  gewaltsamen  Todes)  —  (2). 

Gesamtzahl  der  Sterbefälle:  191  (185). 


*)  Die  eingeklammerten  Zahlen  bedeuten  die  Fälle  der  Vorwoche. 


Redaktion:  Dr.  B.  Spat*, 
München,  Amulfstrasse  26. 


Verlag  von  J.  f.  Lehmann, 
München,  Paul  Heyseatr.  26. 


MÜNCHENER 

Medizinische  Wochenschrift. 


Nr.  39.  29.  September  1914. 


Feldärztliche  Beilage  Nr.  8. 


Ueber  Augenverletzungen. 

Von  Prof.  Heine  in  Kiel. 

Die  Weltlage  lässt  es  vielleicht  gerechtfertigt  erscheinen, 
me  kurze  Darstellung  der  Erkennung  und  Behänd- 
u  n  g  der  Augenverletzungen  zu  geben,  welche  nicht  für  den 
pezia listen  bestimmt  ist,  sondern  fiir  diejenigen,  welche  die 
erletzten  zuerst  in  die  Hände  bekommen,  damit  von  dieser 
eite  sofort  das  Mögliche  in  die  Wege  geleitet  werden  kann, 
lerade  bei  den  Augenverletzungen  kommt  es  vielfach  darauf 
11,  die  sachgemässe  Behandlung  möglichst  schnell  einzuleiten, 
a  sich  mit  jedem  Tag  die  Prognose  verschlechtert.  Eine 
.‘hrrciche  Tabelle  entnahm  ich  einer  in  meiner  Klinik  an- 
efertigten  Arbeit  A  Isens  (Klinische  Erfahrungen  über 
ugcnverletzungen :  D.  i.  1913,  p.  39), 


18 

21 

5 


13 

12 

18 


8 

11 

13 


46 

51 

42 


MV*  »  |  . 

2  —4.  Tage  nach  d.  Verletzung 
5.-14.Tage  nach  d.  Verletzung 

„Aus  diesen  Zahlen  erhellt  der  Wert  einer  möglichst 
ildigen  fachmännischen  Behandlung  nach  der  Verletzung 
iseres  wichtigsten  Sinnesorganes.  Eine  Umrechnung  obiger 
ihlen  in  Prozente  zeigt  dies  noch  deutlicher.  Besonders  in 
e  Augen  springend  ist  der  Unterschied  zwischen  den  gleich 
n  läge  der  Verletzung  behandelten  Fällen  gegenüber  den 
läge  später  kommenden.  Bei  ersteren  verblieb  39,3  Proz. 
“  Sehschärfe  von  U  und  mehr,  bei  letzeren  hingegen  nur 
»rroz.  Bei  17,4  Proz.  der  frisch  behandelten  Fälle  musste 
r  Bulbus  entfernt  werden,  hingegen  bei  30,9  Proz.  der  ver- 
hleppten  Falie.  Bei  den  seit  dem  1.  Tage  Behandelten  ist 
's  Verhältnis  der  Patienten,  die  eine  brauchbare  Sehschärfe 
hielten,  zu  den  Erblindeten  etwa  2:  1,  während  bei  den  erst 

14;  la&e  kommenden  sich  das  Verhältnis  auf  fast  U  1 

11t  (Alsen). 

Rechnen  wir  —  wie  es  doch  gerechtfertigt  erschein*  _ 

ch  das  Ulcus  corneae  serpens  als  Folgezustand  zu  den  trau- 
itischen  Afrektionen,  so  ist  eine  Tabelle  von  Roscher*) 
'U  Interesse,  welche  den  Wert  der  Frühbehandlung  schla- 

nd  demonstriert. 


Resultat 
der  Entlassung 

Aufgenommen 

am 

1.-3.  Tag 

27  Fälle 

Aufgenommen 

am 

4.-6.  Tag 

48  Fälle 

Aufgenommen 

nach 

dem  6.  Tag 

55  Fälle 

Datum 

unbekannt  oder 
bereits  ander¬ 
weitig  behandelt 
73  Fälle 

indang  .  , 
■ermögen 

1  =  3,7  Proz. 

2  =  4,2  Proz. 

12  =  21,8  Proz. 

10  =  13,7  Proz. 

unter  V100  .  . 

ermögen 

'/ioo  bis  >/io  .  . 

ermögen 

'/jo  bis  yt 
ermögen 
'■»  und  darüber 

0  7  =  14,6  Proz. 

8  =  29,6  Proz.  18  =  37,5  Proz. 
11  =40,7  Proz.  8  =16,7  Proz. 

7  =  26,0  Proz.  13  =  27,1  Proz. 

16  =  29,1  Proz. 

14  =  25,5  Proz. 

8=  14,5  Proz. 

5  =  9,1  Proz. 

21  =  28,8  Proz. 

22  =  30,1  Proz. 

13=  17,8  Proz. 

7  =  9,6  Proz. 

„Mir  scheinen  diese  Zahlen  eine  deutliche  Sprache  zu 
en.  Denn  wenn  von  den  frühzeitig  in  Behandlung  ge¬ 
nmenen  Fällen  3,7  Proz.,  von  den  nach  dem  6.  Tage  ge¬ 
nmenen  aber  51  Proz.,  über  die  Hälfte,  mit  einem  Seliver- 
sren  unter  ’/ioo  der  Norm  enden,  so  kann  man  einen  deut- 


Es  blieb  eine  Sehschärfe 

von 

3ei  Palienten,  welche  kamen 

Vs  und 
mehr 

Weniger 
als  >/3 

H.B.  vor  dem 
Auge  oder 
Amaurose 

Enukleation 

und 

Evakuation 

Summe 

v)  Festschrift  des  Schics.  V.  z.  H.  a.  A.  Breslau  1901. 


licheren  Beweis  für  die  ungeheure  Wichtigkeit  der  Früh¬ 
behandlung  dieser  gefährlichen  Krankheit  schwerlich  ver¬ 
langen4  (Roscher). 

P>e  wichtigste  Frage  betr.  einer  frischen  Augenverletzung 
ist  die,  ob  es  sich  um  eine  harmlose  oberflächliche,  event. 
aseptische,  innerhalb  von  1 — 2  Tagen  spontan  heilende  oder 
aber  um  eine  perforierende  oder  septische,  oder  endlich  um 
eine  Doppelpeiforation  handelt.  Die  Behandlung  ist  je  nach¬ 
dem  diametral  verschieden.  Wir  werden  sehen,  dass  die  Unter¬ 
scheidung  dieser  drei  Gruppen  durchaus  nicht  immer  leicht 
ist  und  oft  einen  erheblichen  Apparat  erfordert. 

Zunächst  ein  Wort  über  den  Wert  der  Anamnese; 

Auch  wenn  eine  Verletzung  strikt  in  Abrede  gestellt  wird 
verlasse  man  sich  einzig  auf  das  klinische  Bild.  Steht  beides 
nn  Widerspruch,  so  entscheidet  das  letztere.  So  kam  ein 
I  atient  zu  mir  wegen  einer  Altersbrille:  Er  zeigte  in  der 
Kornea  eine  lineare  perforierende  Narbe,  ein  Loch  in  der  Iris, 
eine  partielle  Linsentrübung  mit  einem  metallischen  glitzernden 
Punkt.  Eine  Verletzung  wurde  aber  bestimmt  inAbrede  gestellt 
obwohl  sie  zweifellos  stattgefunden  hatte.  Endlich  besann  sich 
I  atient,  dass  ei  vor  einer  Reihe  von  Jahren  bei  einer  Schiess¬ 
bude  vorbeigegangen  sei  und  damals  einen  momentanen 
stechenden  Schmerz  im  Auge  verspürt  habe.  Er  habe  darauf¬ 
hin  das  andere  Auge  verdeckt,  sich  überzeugt,  dass  mit  dem 
schmerzenden  Auge  doch  wohl  nichts  passiert  sei  und  sei 
beruhigt  weitergegangen.  In  einem  anderen  Fall  war  von 
ärztlicher  Seite  die  traumatische  Entstehung  einer  Katarakt  im 
„letzten  Auge“  in  Abrede  gestellt,  entgegen  der  Angabe  des 
Patienten,  obwohl  der  objektive  Befund  zweifellos  im  obigen 
Sinne  diese  Genese  bewies.  Man  muss  also  sehr  genau  zu¬ 
nächst  Kornea  und  Sklera  mit  dem  binokularen  Korneai- 
mikroskop  bei  seitlicher  Beleuchtung  im  Dunkelzimmer  unter¬ 
suchen  und  auf  den  kleinsten  verdächtigen  Strich  achten,  denn 
auch  der  kleinste  Fremdkörper  kann,  wenn  er  scharf  genug 
ist,  eine  Perforation  bedingen.  Ein  Fremdkörper  war  so  klein, 
dass  er  auf  einer  feinen  chemischen  Wage  keinen  Ausschlag 
gab.  Ich  hatte  ihn  mit  dem  Kontaktmagneten  extrahiert  da 
er  die  Verrostung  des  Augapfels  eingeleitet  hatte. 

Auf  gleiche  Weise,  wie  den  vorderen  Bulbusabschnitt 
und  man  auch  die  Bindehaut,  besonders  die  des  umgestiilpten 
oberen  Augenlides  untersuchen,  da  sich  Fremdkörper  mit  Vor- 
liehe  hiei  festsetzen  und  durch  Reiben  auf  der  oberen  Horn- 
uauiliälfte  Kiosionen  und  Geschwüre  erzeugen  können. 

Dass  es  nicht  immer  leicht  ist,  zu  entscheiden,  ob  ein 
Corp.  al.  oberflächlich  oder  tief  in  der  Kornea  sitzt,  leuchtet 
ohne  weitei  es  ein.  Das  binokulare  Mikroskop  erleichtert  hier 
sehr  die  Diagnose,  zumal  wenn  man  sich  die  durchsichtige 
Hornhautoberfläche  durch  aufgepudertes  Kalomel  (Cave:  Jod¬ 
kali)  sichtbar  gemacht  hat.  Man  erkennt  dann  z.  B.  auch,  ob 
ein  Fremdkörper  in  die  vordere  Kammer  hineinragt,  was  ganz 
besonders  vorsichtiges  Operieren  erfordert,  da  man  ihn  sehr 
leicht  in  die  Vorderkammer  hineinstossen  kann.  Seltener 
finden  sich  Fremdkörper  in  der  Vorderkammer  selbst.  In 
einem  Falle  hatte  sich  an  die  Verletzung  ein  Hornhaut¬ 
geschwür  angeschlossen  mit  erheblicher  Eiteransammlung  am 
Boden  der  Vorderkammer;  nachdem  diese  resorbiert  war, 
blieb  ein  Stein  an  derselben  Stelle  zurück,  der  reaktionslos 
verheilte.  Nicht  so  selten  finden  sich  Zilien  in  der  Vorder- 
kammer  durch  den  Fremdkörper  mit  hineinversprengt. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


201-4 


Nr.  39. 


Zeigt  die  Iris  ein  Loch  im  Stroma,  was  leicht  init  den 
physiologischen  Krypten  verwechselt  werden  kann,  so  müssen 
wir  mit  grösster  Wahrscheinlichkeit  eine  perforierende  Ver¬ 
letzung  annehmen,  wenn  nicht  spontane  Lochbildung  bei  glau¬ 
komatöser  oder  sonstiger  Irisatrophie  zu  diagnostizieren  ist. 
Gleichwohl  wird  man  nach  der  perforierenden  Hornhautwunde 
in  frischen  Fällen  gelegentlich  vergeblich  suchen,  da  eine 
frisch  verklebte  Wunde  kaum  zu  sehen  ist.  Sie  wird  deut¬ 
licher,  wenn  sie  durch  Vernarbung  weisslich  wird. 

Demnach  ist  die  Verletzung  also  bis  in  die  hintere  Kammer 
oder  gar  bis  in  die  Linse  vorgedrungen.  Wird  die  Linsen¬ 
kapsel  eröffnet,  so  entsteht  eine  Linsentrübung,  die  um  so 
schneller  total  wird,  je  jugendlicher  das  Individuum  und  je 
grösser  die  Wunde  der  Linsenkapsel  ist,  die  um  so  öfter  par¬ 
tiell  bleibt,  je  älter  der  Patient  und  je  kleiner  die  Wunde  ist. 
Kleinste  Fremdkörper  können,  zumal  im  Kern  der  Linse, 
reaktionslos  einheilen,  in  der  Peripherie  lösen  sie  sich  meist  mit 
der  Zeit  auf  und  bedingen  das  Bild  der  Cataracta  ferrea: 
bräunliche  subkapsulär  gelegene  Trübungen,  die  man  leicht  für 
Reste  hinterer  Synechien  halten  kann.  Durchsetzt  der  Fremd¬ 
körper  die  ganze  Linse,  so  ist  es  gleichwohl  möglich,  dass 
diese  ihre  Durchsichtigkeit  behält,  meist  wird  sie  sich  aber 
partiell  oder  total  trüben.  Gelegentlich  sieht  man  eine  leichte 
Trübung  die  Linse  kanalartig  durchsetzen,  und  nimmt  man 
nun  den  Augenspiegel  zur  Hand,  so  erblickt  man  in  der  Ver¬ 
längerung  der  Flugbahn  des  Fremdkörpers  die  Anschlagstelle 
in  der  Retina  z.  B.  eine  Blutung,  neben  der  der  Fremdkörper 
sichtbar  ist.  Die  Blutung  kann  aber  auch  ausgedehnter  sein 
und  in  Form  des  Hämophthalmus  int.  den  Einblick  verwehren. 
Nun  ist  es  ja  aber  nicht  unbedingt  nötig,  dass  bei  einer  der¬ 
artigen  Verletzung  ein  Fremdkörper  im  Bulbus  vorhanden  ist, 
denn  der  Stoss  oder  Stich  mit  einem  spitzen  Gegenstand  kann 
dasselbe  klinische  Bild  hervorrufen:  Ein  schnellendes  Draht¬ 
ende,  ein  längerer,  spitzer  Fremdkörper,  der  vom  Patienten 
selbst  oder  einem  Helfer  schon  wieder  herausgezogen  ist.  Im 
Spiel  hatte  ein  junges  Mädchen  einem  Herrn  ein  Wollknäuel 
ins  Gesicht  geworfen:  eine  in  diesem  steckende  Stopfnadel 
hatte  die  Sklera  am  Limbus  perforiert,  die  Verletzung  heilte 
glatt,  nur  trat  nach  einigen  Wochen  Amotio  ret.  auf.  Auch 
kann  ein  Fremdkörper,  der  in  den  Bulbus  eingedrungen  ist, 
wenn  er  genug  Durchschlagskraft  hat,  den  Bulbus  wieder 
verlassen  und  in  die  Orbita,  ja  selbst  ins  Gehirn  eindringen. 
Das  letztere  dürfte  freilich  nur  Fremdkörpern  in  einer  Grösse 
von  mindestens  mehreren  Millimetern  möglich  sein,  während 
Doppelperforation  der  Bulbushüllen  auch  kleinsten  Fremd¬ 
körpern  möglich  ist.  Sieht  man  mit  dem  Augenspiegel  die 
Anschlagstelle  in  der  Retina,  nicht  aber  den  Fremdkörper 
selbst,  so  kann  Doppelperforation  vorliegen,  es  kann  aber 
auch  der  Fremdkörper  in  der  Retina  oder  der  Aderhaut 
stecken.  Ist  er  von  Stein,  so  ist  aseptische  Einheilung  möglich, 
ist  er  von  Eisen,  so  führt  er  fast  immer  zur  Siderosis,  ist  er 
von  Kupfer  oder  Messing,  so  veranlasst  er  —  auch  wenn  er 
aseptisch  ist  —  auf  chemischem  Wege  Suppuration.  Da  dem¬ 
nach  auch  die  Therapie  eine  sehr  verschiedene  sein  muss,  ist 
es  wünschenswert,  zu  entscheiden:  welcher  Art  ist  der  Fremd¬ 
körper  und  wo  sitzt  er?  Zunächst  sei  auch  hier  nochmals 
gewarnt,  den  Angaben  des  Patienten  irgend  welchen  aus¬ 
schlaggebenden  Wert  beizulegen,  zumal  wenn  sie  mit  dem  ob¬ 
jektiven  Befund  in  Widerspruch  stehen.  Oft  wird  angegeben, 
der  Hammer  sei  untersucht  und  vollständig  intakt  befunden. 
Eisen  könne  es  also  nicht  sein.  Das  Stück  kann  ja  so  minimal 
sein,  dass  dem  Hammer  in  der  Tat  nichts  zu  fehlen  scheint. 
Die  Hilfsmittel,  die  uns  eine  objektive  Diagnose  gestatten,  sind 
Sideroskop  (Magnetnadel),  Riesenmagnet  und  Röntgen¬ 
strahlen.  Prinzipiell  ist  es  richtig,  jeden  Fremkörper  zu  lokali¬ 
sieren,  dann  erst  event.  therapeutisch  anzugreifen,  oder  auch 
als  tioli  me  tangere  zu  betrachten.  Gibt  das  Sideroskop,  dessen 
Handhabung  keine  geringe  Technik  verlangt,  an  einer  Stelle 
einen  gewissen  Ausschlag  oben,  unten,  rechts  und  links  davon 
aber  keinen,  so  ist  die  Ortsbestimmung  ausgeführt,  ein  so 
klares  Resultat  bekommt  man  aber  nur  dann,  wenn  der 
Fremdkörper  im  vorderen  Bulbusabschnitt  sitzt,  steckt  er  da¬ 
gegen  hinter  dem  Aequator,  so  nimmt  der  Ausschlag  zu,  je 
mehr  man  mit  dem  Ansatzrohr  über  den  Aequator  vorrücken 
kann  Man  kann  dann  doch  meist  entscheiden,  ob  er  oben 


oder  unten,  temporal  oder  nasal  zu  suchen  ist.  Spricht  die 
Magnetnadel  an,  so  ist  zugleich  erwiesen,  dass  es  sich  um 
Eisen  oder  Stahl  handelt.  Kupfer  und  Messing  beeinflusst  die 
Nadel  nicht.  Statt  des  Sideroskops  kann  nun  auch  sofort  der 
Riesenmagnet  benutzt  werden,  um  den  Zugschmerz  zur  Lo¬ 
kalisation  zu  benutzen.  Ich  halte  das  bei  frischen  Ver¬ 
letzungen  mit  relativ  grossen  Eisenstücken  (von  5 — 10  mm 
Grösse)  nicht  für  unbedenklich,  da  durch  die  plötzliche  Wir¬ 
kung  des  Magneten  das  Auge  erheblich  geschädigt  werden 
kann  (s.  unten).  Reagiert  die  Magnetnadel  nicht,  so  kann 
Kupfer,  Messing  u.  a.  oder  aber  Stein  vorliegen.  Telephoni¬ 
sche  Sonden  usw.  haben  sich  noch  nicht  praktisch  ein¬ 
gebürgert,  sind  auch  vielleicht  entbehrlich.  In  dubio  ist  ein 
metallischer  Fremdkörper  meist  wahrscheinlicher  als  ein 
steinerner,  da  ersterer  wegen  seiner  scharfen  Kanten  meist 
die  grössere  Durchschlagskraft  besitzen  dürfte.  Liegen  die 
klinischen  Zeichen  der  perforierenden  Verletzung  mit  Corp.  al. 
in  bulbo  vor,  so  müssen  die  Röntgenstrahlen  entscheiden,  oh 
dieser  Fremdkörper  nicht  vielleicht  bis  in  die  Orbita  —  oder 
weiter  —  vorgedrungen  ist.  Zu  diesem  Zwecke  sind  die  ver¬ 
schiedensten  Verfahren  vorgeschlagen,  deren  Beherrschung 
eine  erhebliche  Technik  voraussetzt,  denn  diese  Kopfauf¬ 
nahmen  gehören  zu  den  schwierigsten  Aufgaben;  dass  stets 
zwei  Aufnahmen  gemacht  werden  müssen,  um  sich  nicht  durch 
Plattenfehler  irreführen  zu  lassen,  ist  das  erste. 

Zweitens  ist  es  meist  nötig,  ausser  zwei  Seitenaufnahmen 
auch  eine  oder  zwei  Frontalaufnahmen  zu  machen,  um  zwei 
Richtungslinien  für  den  Fremdkörper  zu  gewinnen. 

Drittens  ist  es  empfehlenswert,  auf  jeder  Platte  zwei  oder 
drei  Aufnahmen  nacheinander  zu  machen.  1.  beim  Blick 
geradeaus,  2.  beim  Blick  nach  oben  oder  unten. 

Schliesslich  ist  es  gut,  den  Ort  der  Kornea  durch  ange¬ 
heftete  Bleimarken  oder  Bleiglasschalen  zu  markieren.  Ein 
Fremdkörper,  der  mit  Doppelaufnahmen  bei  Blicksenkung 
einen  zweiten  Schatten  weiter  rückwärts  gibt,  muss  in  der 
unteren  Bulbushälfte  liegen,  ein  solcher,  der  bei  Blicksenkung 
dagegen  einen  zweiten  Schatten  vor  dem  ersten  gibt,  muss 
oben  sitzen,  das  entsprechende  temporal  und  nasal.  Man  ver¬ 
gesse  aber  nicht,  dass  ein  Fremdkörper,  der  ausserhalb 
des  Bulbus  sitzt,  mit  diesem  aber  durch  einen  Narbenstrang 
in  Verbindung  steht,  oder  in  einem  Muskel  sitzt,  sich  ebenso 
verhalten  kann.  Der  Bulbus  müsste  durch  Röntgenstrahlen 
der  linearen  Projektion  wegen  vergrössert  erscheinen,  wenn 
er  überhaupt  einen  Schatten  gäbe.  Da  nun  der  normak- 
Bulbus  24  mm  lang  ist,  so  muss,  die  Vergrösserung  zu  10  Proz. 
gerechnet,  ein  Schatten  26  mm  hinter  dem  Schatten  der  Horn- 
hautmarkierung  für  Sitz  des  Fremdkörpers  im  Auge  sprechen. 
War  das  Auge  um  9  D.  myopischer,  so  kämen  noch  3  mm 
hinzu.  War  es  aber  hyperopisch,  so  könnte  schon  bei  einem 
Abstand  von  26  mm  der  Fremdkörper  retrobulbär  sitzen. 

Die  stereoskopische  Röntgenphotographie  und  stereo¬ 
skopische  Messung  haben  noch  kein  Verfahren  gezeitigt,  das 
einfach  genug  und  doch  zuverlässig  wäre. 

Ich  hoffe,  dargelegt  zu  haben,  dass  die  Unterscheidung 
einer  harmlosen  oberflächlichen  Verletzung  „Corp.  al.  corneae“ 
von  einer  perforierenden  „ferrum  in  bulbo“  nicht  immer  leicht 
ist  und  einen  recht  komplizierten  diagnostischen  Apparat  er¬ 
fordern  kann.  Da  es  nun  ein  praktisch  bewährter  Grundsatz 
ist,  immer  das  Schlimmste  anzunehmen,  um  nichts  zu  über¬ 
sehen,  und  durch  genauere  Untersuchung  ein  Verdachts¬ 
moment  nach  dem  anderen  zu  widerlegen,  so  kann  eine 
harmlose  Verletzung  gelegentlich  so  viel  Arbeit  erfordern, 
dass  deren  Erledigung  nur  im  Etappenlazarett  oder  noch 
weiter  rückwärts  möglich  ist.  Aus  der  sogleich  zu  be¬ 
sprechenden  Therapie  und  den  oben  wiedergegebenen  Ta¬ 
bellen  ergibt  sich  die  Notwendigkeit  schneller  Einlieferung 
solcher  Verletzungen. 

Behandlung. 

Die  Behandlung  der  Augenverletzungen  ergibt  sich  aus 
der  Untersuchung  in  dem  oben  dargelegten  Sinne  in  folgender 
Weise:  Ist  keinerlei  Anhaltspunkt  für  die  Annahme  einer  Per¬ 
foration  der  Augenhüllen  vorhanden,  sitzt  der  Fremdkörper 
oberflächlich  in  der  Hornhaut,  so  wird  er  unter  Kokain¬ 
anästhesie  mit  dem  Hohlmeissei  oder  der  Fremdkörpernadei 
entfernt.  Die  Hornhaut  ist  als  aseptisch  anzusehen,  das  hi- 


2015 


9.  September  1914. 


1  ekkirztliche  Beilage  /.nr  Miinch.  med.  Wochenschrift. 


trument  mit  Alkohol  oder  Hitze  zu  sterilisieren.  Keineswegs 
ind  aber  der  Bindehautsack  und  die  Iränenwege  als  keimfrei 
nzusehen.  Hat  man  eine  auch  nur  einigermassen  energische 
lanipulation  zur  Entfernung  des  Fremdkörpers  nötig  gehabt. 
>  streicht  man  eine  Hg-Sublimatsalbe  (1:10  000)  ein,  oder 
udert  Xeroform  oder  ähnliches  ein  und  macht  für  1—2  Tage 
erband.  <  irimdsätzlich  soll  man  dies  tun.  wenn  es  sich  um 
n  ..letztes  Auge  handelt. 

Sitzt  der  Fremdkörper  tief  in  der  Kornea,  ragt  er  gar  in 
e  Vorderkammer  hinein  —  da  die  Kornea  in  der  Mitte  ca. 
;5  mm  dick  ist,  handelt  es  sich  hier  um  geringe  Tiefen- 
rferenzen  — ,  so  ist  der  Riesenmagnet  das  geeignete  Hilfs- 
!ttel.  Es  kompliziert  die  Behandlung  nicht  unwesentlich 
enn  durch  ungeeignete  Versuche  mit  dem  Hohlmeissei,  den 
•erndkorper  zu  entfernen,  dieser  in  die  Vorderkamrncr  hinein- 
-■stossen  wird.  In  diesem  Falle  muss  die  Vorderkammer 
•rch  Lanzenschnitt  eröffnet  und  der  Fremdkörper  hier 
agnetisch  extrahiert  werden.  Ist  die  Kammer  vorher  ab- 
: flössen,  so  ist  das  sehr  schwierig  und  muss  event  auf 
verschoben  werden,  bis  sie  sich  wieder  hergestellt 
d.  Dies  hat  aber  für  den  Fall  erhebliche  Bedenken,  dass 
r  Fremdkörper  nicht  aseptisch  war.  So  kann  schon  der 
tsüzende  Hornhautfremdkörper  technisch  eine  nicht  ein- 
che  Aufgabe  darstellen.  Befindet  sich  der  Fremdkörper  in 
r  Vorderkammer,  so  muss  diese  durch  Lanzenschnitt  er- 
'rnet  und  der  Fremdkörper  mit  dem  Riesenmagneten  entfernt 
2  .  n,  wenn  er  von  Eisen  ist,  mechanisch,  wenn  er  von 
essing,  Stein,  Glas  oder  dergl.  ist. 

Sitzt  der  Fremdkörper  in  der  Linse,  so  müssen  wir  Unter- 
uede  machen,  je  nachdem,  ob  es  sich  um  eine  frische  oder 
hon  verheilte  Verletzung  handelt.  Kommt  die  Verletzung 
lerhalb  der  ersten  24  Stunden  in  Behandlung,  so  ist  sofort 
r  Riesenmagnet  in  Anwendung  zu  bringen,  da  wir  keine 
ue  Verletzung  setzen,  wenn  wir  den  Fremdkörper  durch 
n  noch  offenen  Kanal  wieder  herausziehen.  Ist  längere  Zeit 
rstrichen  oder  handelt  es  sich  nicht  um  Eisen,  so  ist  ab- 
irtend  zu  verfahren,  event.  erst  später  die  Linse  zu  ent- 
nen,  wenn  sie  sich  spontan  so  weit  getrübt  hat,  dass  das 
nere  Sehen  praktisch  aufgehoben  ist.  Auch  dann  erfordert 

■  txtractio  lentis  zwecks  Mitentfernung  des  Corp.  al.  eine 
sondere  Technik.  Sitzt  der  eiserne  Fremdkörper  in  Glas¬ 
ier  oder  Retina,  so  muss  er  möglichst  schnell  entfernt 
rden  15—30  Minuten  nachdem  der  Patient  die  Klinik  be¬ 
ten  hat,  soll  das  Eisen  aus  dem  Auge  entfernt  sein.  Be¬ 
irut  man  die  Verletzung  frisch  in  die  Hand,  so  lässt  sich 
'er  eiserne  Fremdkörper  extrahieren,  und  zwar  auf  dem- 
ben  Wege,  auf  dem  er  in  das  Auge  hineingelangt  ist.  Aber 
lon  nach  Stunden,  mehr  noch  nach  Tagen  verschlechtern 
h  die  Aussichten  dadurch,  dass  erstens  Keime,  die  durch 

i  Fremdkörper  in  das  Auge  hineingetragen  sind,  eine  In-  I 
1  tion  hervorrufen,  zweitens  dadurch,  dass  der  Fremdkörper 
wächst,  drittens  dadurch,  dass  der  Schusskanal  sich 
hesst,  und  besonders,  dass  die  Eintrittsstelle  vernarbt, 
r  sind  deshalb  vielfach  bei  Sekundäroperationen  ge¬ 
lungen,  das  Corp.  al.  auf  anderem  Wege  herauszuholen,  als 
hineingelangt  ist.  Wir  pflegen  es  am  liebsten  um  den 
jsenäquator  herum  in  die  Vorderkammer  zu  ziehen  und 
r  mit  Lanzenschnitt  zu  entfernen.  Gelingt  das  nicht,  sind 

■  gezwungen,  durch  eine  Skleralinzision  zu  extrahieren,  so 
grossem  wir  die  Wahrscheinlichkeit  der  sekundären  trau- 
hschen  Amotio  ret.,  die  noch  nach  Jahren  eintreten  kann. 
i  Magnetenansatz  in  den  Bulbus  selbst  per  scleram  ein- 
■ren  soll  man  nur,  wenn  es  dringend  nötig  ist  zur  Ent- 

■  lung  sehr  kleiner  eiserner  Fremdkörper,  die  Kontakt- 
kung  erfordern. 

Hat  der  Fremdkörper  auch  die  hintere  Bulbushälfte  durch- 
1  rt,  sitzt  er  also  in  der  Orbita,  so  ist  jeder  Eingriff  kontra- 
1  ziert,  und  das  ist  .  eben  die  praktische  Konsequenz  der 
erscheidung  von  einfacher  und  doppelter  Perforation. 

^Kleine  Kupfer-  oder  Messingstücke,  die  keine  magnetische 
isnschaft  haben,  sind  abwartend  zu  behandeln.  Sie  erregen 
i  chemischem  Wege  eine  (aseptische)  Eiterung,  die  zu  einer 
i.iullung  des  Fremdkörpers  führt.  Ist  dieser  Zustand  inner- 

■  >  von  einigen  Tagen  erreicht,  so  behandelt  man  den  Ab- 
:'S  nach  den  üblichen  Regeln,  d.  h.  man  inzidiert  ihn.  Dann 


senkt  sich  der  Abszess  auf  dem  Inzisionsweg  und  mit  ihm  der 
Fremdkörper  —  freilich  nicht  immer.  Man  wird  also,  wenn 
irgend  möglich,  in  der  unteren  Hälfte  des  Bulbus  operieren, 
um  die  Schwerkraft  auszunützen.  Einen  frisch  eingedrungenen 
Knptersphtter  sofort  mechanisch  aus  dem  Auge  zu  entfernen, 
mutte  sich  nur  ausnahmsweise  empfehlen,  besonders  im  hin¬ 
teren  Bulbusabschnitt  würde  man  wohl  meist  im  Trüben  fischen. 


nanaelt  es  sich  um  einen  grösseren  Fremdkörper,  d.  h. 
um  solche,  deren  Dimensionen  einige  Millimeter  übertreffen 
so  wird  oft  die  sofortige  Evakuation  der  Sklera  —  Entfernung 

!vS  H--.i?raiinh?ites  —  angezeigt  sein.  Uebertrifft  die  Wunde 
die  Haltte  der  Kornea,  liegt  die  Iris  breit  vor,  ist  die  Linse  ver- 
ictzt,  so  wird  eine  erhaltende  Behandlung  sich  oft  nicht  lohnen, 
da  doch  später  die  Evakuation  oder  Enukleation  zu  erfolgen 
.  ‘  '  ®  ?,a,ch,der  Qrösse  der  Verletzung  muss  sich  ein  Auge 

m-?~A  ™°chen  wiedei-  erholt  haben,  d.  h.  reizfrei  sein, 
wi  ngenfalls  ist  es  für  das  andere  Auge  nicht  ungefährlich. 
Kann  sich  der  Patient  nicht  dazu  verstehen,  seine  Einwilligung 
zur  Evakuation  zu  geben,  ist  das  verletzte  Auge  vielleicht 
sein  besseres  oder  einziges  (ultimus),  so  ist  es  ja  schon  eine 
bache  des  Taktes,  einige  Zeit  abzuwarten,  zumal  wenn  die 
Finanzlage  und  der  Zeitverlust  in  den  Hintergrund  treten,  bis 
sich  der  Patient  selbst  überzeugt,  dass  wohl  nichts  mehr  zu 
Porten  ist.  Ist  eine  akute  Infektion  eingetreten,  so  wird  die 
»Stimmung  zur  Evakuation  wegen  des  Schmerzes  relativ 
leicht  zu  erreichen  sein.  Ist  die  Infektion  aber  subakut  oder 
chronisch  so  ist  die  Gefahr  der  sympathischen  Ophthalmie 
um  so  näher  liegend.  In  solchen  Fällen  müssen  wir  auf  bald- 
moghehe  Entfernung  des  Auges  hindrängen,  sobald  wir  von 
der  Aussichtslosigkeit  der  Behandlung  überzeugt  sind  und 
zwar  kommt  nur  die  Enukleation  in  Frage,  d.  h.  die  Entfernung 
des  Auges  mitsamt  der  Sklera,  da  diese  Operation  den 
besseren  Schutz  gegen  sympathische  Ophthalmie  bietet.  Bei 
akuten  Infektionen  (Panophthalmie)  ziehen  wir  dagegen  die 
Evakuation  voi,  da  dabei  die  Gefahr  der  Meningitis  geringer 
ist  als  bei  der  Enukleation,  durch  welche  die  Sehnerven¬ 
scheiden  eröffnet  werden,  die  ja  in  offener  Kommunikation 
mit  dem  Subduralraum  stehen. 


Jede  Verletzung,  auch  die  geringste  und  oberflächlichste 
Kornealerosion  kann  sich  infizieren.  Da  das  geschichtete 
Epithel  dünner  als  Vio  mm  ist,  so  ist  klar,  dass  schon  eine 
gelinge  Gewalt  das  Stratum  corneae  freilegen  kann,  da  es 
bei  seiner  Gefässlosigkeit  einer  Infektion  wenig  Widerstand 
entgegenzusetzen  hat.  Der  Infektionserreger  kann  mit  dem 
verletzenden  Gegenstand  in  die  Kornea  gelangen,  so  z.  B.  mit 
der  Grane  der  Aspergillus;  er  kann  aber  auch  aus  der  Kon- 
junktiva  stammen,  da  sich  oft  in  der  normal  erscheinenden 
Konjunktiva  pathologische  Keime  finden,  oder  aber  er  stammt 
aus  den  Tränenwegen.  Infiziert  sich  ein  kornealer  Substanz¬ 
verlust,  so  injiziert  sich  die  Conjunktiva  bulbi,  die  Pupille  ver¬ 
engert  sich,  und  es  treten  Schmerzen  auf.  Kann  man  den 
Patienten  stationär  behandeln,  sieht  man  ihn  also  täglich 
zweimal,  so  darf  man  noch  abwarten;  selbst  wenn  sich  ein 
Hypopyon  bilden  sollte,  kann  man  durch  Einstreichen  von 
Sublimatsalbe,  Xeroform,  feuchten  Verband  noch  Heilung  er¬ 
zielen,  nur  darf  man  die  Behandlung  eines  etwa  vorhandenen 
Tränenleidens  nicht  vergessen.  Nimmt  der  Reizzustand  aber 
in  1—3  Jagen  nicht  ab,  sondern  zu,  so  ist  die  Kaustik  mit  der 
galvanischen  Schlinge  angezeigt.  Schwerer  wird  man  sich 
dazu  entschliessen,  wenn  das  Ulcus  traumaticum  gerade  die 
Hornhautmitte  befallen  hat.  Hier  wird  man  möglichst  lange 
medikamentös  auszukommen  suchen.  Neuerdings  wird  das 
Aethylhydrokuprein  dafür  sehr  empfohlen.  Bringt  man  mit 
einer  wiederholten  Kaustik  das  Ulcus  nicht  zum  stehen,  so 
ist  die  quere  Durchschneidung  oder  Spaltung  (nach  Sae- 
misch)  ein  gutes  Mittel,  wobei  man  aber  das  Schmalmesser 
möglichst  im  Gesunden  ein-  und  ausstechen  soll,  um  nicht  die 
Infektionserreger  in  die  Vorderkammer  einzuimpfen.  Greift 
die  Infektion  auch  auf  die  Iris  über  —  was  durch  das  Auf¬ 
treten  eines  (aseptischen)  Hypopyons  bekanntlich  noch  nicht 
erwiesen  ist  —  so  wird  es  oft  zur  Evacuatio  bulbi  kommen. 
Bilden  sich  Verwachsungen  zwischen  Iris  und  Hornhaut  oder 
Linse,  so  ist  die  Iridektomie  angezeigt,  tritt  durch  Linsen¬ 
quellung  Drucksteigerung  auf,  so  ist  die  Entbindung  der  Linse 
vorzunehmen. 


2016 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  39. 


Entwickelt  sich  die  Infektion  dadurch,  dass  die  Infektions¬ 
erreger  direkt  in  den  Glaskörper  hineingelangen,  so  hängt  es 
von  der  Menge  und  der  Virulenz  der  Keime  ab,  ob  Panoph- 
thalmie  mit  Vereiterung  des  Bulbusinhaltes  oder  Heilung  ein- 
tritt.  Ein  gutes  Mittel  sind  hierbei  die  subkonjunktivalen  In¬ 
jektionen,  Yi  Spritze  von  1 — 5  proz.  NaCl-Lösung. 

Auch  Punktionen  der  Vorderkammer  kann  man  vor¬ 
nehmen,  um  ein  zweites  eiweissreicheres  Kammerwasser  zur 
Absonderung  zu  bringen  und  so  die  Infektion  zu  bekämpfen. 

Endlich  ist  noch  die  intraokulare  Galvanokaustik  als 
ultimo  ratio  empfohlen.  In  der  Tat  kann  man  selbst  mit 
diesem  reichlich  brutalen  Vorgehen  in  verzweifelten  Fällen 
vielleicht  noch  dieses  oder  jenes  Auge  retten,  wenn  auch 
meist  eine  Amotio  ret.  sich  anschliessen  dürfte. 

Eine  besondere  Methode  der  Behandlung  sowohl  per¬ 
forierender  Verletzungen  wie  oberflächlicher  Korneal- 
ulzerationen  stellt  die  Konjunktivalplastik  dar:  einen  zungen¬ 
förmigen  Lappen  der  Bindehaut  präpariert  man  sich  frei  und 
fixiert  ihn  durch  geeignete  Suturen  über  der  zu  bedeckenden 
Stelle.  Der  leitende  Gedanke  ist  der,  die  Konjunktivalgefässe 
zur  Heilung  heranzuziehen,  da  die  Kornea  gefässfrei  ist  und 
Infektionserregern  den  Eintritt  durch  eine  offene  Wunde  zu 
verbieten.  In  geeigneten  Fällen  gibt  die  Methode  gute  Re¬ 
sultate,  doch  scheint  mir  ihr  Anwendungsgebiet  ein  relativ 
beschränktes. 

In  den  bisherigen  Besprechungen  handelte  es  sich  um 
Einwirkung  spitzer  oder  scharfer  Gewalten  mit  oder  ohne 
zurückbleibendem  Fremdkörper  und  mit  oder  ohne  Infektion. 
Dieses  Kapitel  der  Augenverletzungen  dürfte  das  wichtigste 
sein,  jedoch  gehören  Einwirkungen  stumpfer  Gewalt  keines¬ 
wegs  zu  den  Seltenheiten,  nur  erforderten  sie  sehr  viel 
weniger  aktives  Eingreifen. 

Trifft  eine  stumpfe  Gewalt  das  Auge,  so  sind  es  der 
Hauptsache  nach  zwei  Folgezustände,  die  uns  praktisch 
interessieren,  d.  i.  die  Rupturen  und  die  Linsen¬ 
luxationen. 

Erstens  die  Rupturen:  Die  Zerreissung  der  Bindehaut 
kann  an  der  Stelle  des  Stosses  oder  des  Gegenstosses  er¬ 
folgen.  Trifft  der  Stoss  das  Auge  da,  wo  es  am  wenigsten 
durch  den  Knochen  geschützt  ist,  nämlich  unten  aussen,  so 
erfolgt  die  Ruptur  entweder  an  eben  dieser  Stelle,  oder  oben 
innen.  4—5  mm  rückwärts  vom  Korneallimbus,  wo  ein  locus 
minoris  resistentiae  wegen  der  grössten  Dünnheit  der  Sklera 
vorhanden  ist.  Trifft  der  Stoss  das.  Auge  mehr  in  sagittaler 
Richtung,  so  kann  Sklera  event.  mit  Aderhaut  und  Retina  auch 
in  der  Gegend  des  hinteren  Pols  oder  am  Optikus  reissen,  so 
dass  ein  Hämophthalmus  int.  entsteht.  Bei  den  Rupturen  am 
Korneosklerallimbus  kann  die  Konjunktiva  mit  einreissen  oder 
intakt  bleiben,  ln  letzteren  Fällen  liegt  die  Gefahr  der  sym¬ 
pathischen  Ophthalmie  ja  dann  in  viel  weiterem  Felde.  Diese 
subkonjunktivalen  Rupturen  kombinieren  sich  nicht  so  selten 
mit  subkonjunktivalen  Linsenluxationen.  Eine  Kuh  hat  auf 
diese  Weise  ihren  Pfleger  vom  Star  befreit.  Die  Behandlung 
beschränkt  sich  auf  Verband,  bis  sich  das  Auge  beruhigt  hat, 
man  entfernt  dann  die  Linse,  wenn  sie  unter  der  Bindehaut 
liegt.  Der  Verlauf  ist  oft  erstaunlich  gutartig.  Ist  auch  die 
Bindehaut  rupturiert,  so  muss  sie  baldmöglichst  genäht 
werden,  um  Infektionen  zu  verhüten,  wenn  nicht  des  aus¬ 
sichtslosen  klinischen  Bildes  wegen  primär  evakuiert  werden 
muss. 

Die  traumatischen  Luxationen  der  Linse  oder 
Subluxationen,  gewöhnlich  nach  rückwärts  in  den  Glaskörper 
hinein,  kennzeichnen  sich  durch  Vertiefung  der  Vorderkammer, 
Erweiterung  der  Pupille  (Iridoplegie)  Entrundung  (wegen  der 
Sphinkterrisse)  und  Irisschlottern.  Oft  reagiert  das  Auge  auf 
einen  solchen  Insult  mit  Drucksteigerung,  die  man  durch 
feuchten  Verband,  Miotikum  event.  Punktion  der  Vorder¬ 
kammer  zu  bekämpfen  hat.  Iridektomie  u.  a.  kommt  wegen 
der  Gefahr  des  Glaskörperverlustes  hierbei  seltener  in  Frage. 
Meist  genügt  mehrfache  Punktion.  Wird  die  Extraktion  der 
—  sekundär  getrübten  —  Linse  nötig,  so  stellt  dies  meist  einen 
recht  diffizilen  Eingriff  dar.  Vollständige  Luxation  der  Linse 
in  die  Tiefe  des  Glaskörpers  führt  meist  zur  Erblindung  durch 
Drucksteigerung  und  zur  Enukleation. 

Abgesehen  von  den  Verletzungen  durch  spitze  und 


scharfe  Gewalt  mit  oder  ohne  Fremdkörper  und  abgesehen 
von  Schädigungen  des  Sehorgans  durch  stumpie  Gewalt 
wären  noch  besonders  die  Schussverletzungen  her¬ 
vorzuheben,  die  sich  indes  ihrem  klinischen  Bilde  nach  und 
was  die  Behandlung  anbetrifft,  teils  in  diese,  teils  in  jene 
Gruppe  einreihen  lassen. 

Endlich  wären  noch  chemische  und  thermische  Verbren¬ 
nungen  zu  erwähnen. 

Um  eine  kurze  Ueb  ersieht  über  das  Häufig¬ 
keitsverhältnis  der  verschiedenartigen  Verletzungen 

_ für  Friedenszeiten  —  zu  geben,  habe  ich  das  Material  der 

Kieler  Klinik  für  die  Zeit  von  3  Jahren  zusammenstellen  lassen. 
Aus  einem  poliklinischen  Material  von  ca.  20  000  Augen¬ 
kranken  wurden  stationär  behandelt  2704,  von  diesen  wegen 
Verletzungen  474  =  17,5  Proz.  und  zwar  424  Männer 
89.4  Proz.,  50  =  10,6  Proz.  weiblichen  Geschlechts. 

1.  Perforierende  Verletzungen  durch  spitze  und 
scharfe  Gewalt  wurden  81  beobachtet,  zur  Hälfte  bei  Kindern. 
Etwa  die  Hälfte  aller  dieser  Verletzungen  verlief  aseptisch.  7  von 
diesen  letzteren  endigten  durch  Enukleation,  in  32  Fällen  blieb  ein 
Visus  Wo — Y,  18  mal  Ya  und  besser.  Von  den  infizierten  perforieren¬ 
den  Verletzungen  endigten  23  mit  Exenteration  oder  Enukleation,  bei 
2  Pat.  blieb  Visus  Wo  und  besser.  Einer  dieser  Fälle  hatte  sym¬ 
pathische  Ophthalmie  im  Gefolge. 

2.  Fremdkörperverletzungen. 

a)  Von  127  Fällen  waren  nicht  nerforierend  70,  davon  33  i.  d. 
Kornea,  23  i.  d.  Konjunktiva,  5  sub  palp.,  3  in  Sklera  usw. 

b)  Von  127  Fällen  waren  perforierend  55,  davon  eiserne  im 
hinteren  Bulbusabschnitt  41.  Messing  und  Kupfer  6,  Fremdkörner 
i.  vord.  K.  und  Linse  je  2. 

c)  Von  127  Fällen  waren  doppelperforierend  2. 

Von  den  70  (sub.  a)  nicht  perforierenden  Fremdkörperver- 
letzungen  verliefen  30  nicht  aseptisch  und  hinterliesscn  entsprechende 
Schädigungen  des  Visus. 

Von  den  41  (sub  b)  perforierenden  Eisenverletzungen  mit  Fremd¬ 
körper  im  hinteren  Bulbusabschnitt  misslang  die  Magnetetraktion 
einmal  in  einem  Fall,  wo  ein  grosser  eiserner  Fremdkörper  im  Seh¬ 
nervenkopf  eingekeilt  war,  9  mal  wurde  die  Extraktion  nicht  versucht, 
da  sofort  evakuiert  wurde,  31  mal  gelang  die  Extraktion  mit  Visus 
Ai  und  mehr  8  mal,  Visus  V» — Wo  3  mal,  Visus  .Wo  Handbe¬ 
wegungen  in  1  m  5  mal,  Formerhaltung  7  mal,  Enukleation  8  mal. 

Von  den  Messing-  und  Kupferverletzungen  behielt  Visus  % 
1  mal,  Visus  Var,  1  mal.  Mit  Enukleation  oder  Evakuation  endigter:  4. 
Von  den  2  Poppelperforationen  behielt  die  eine  Visus  Wo,  die 
andere  “Vs. 


3  Schussverletzungen. 

Schussverletzungen  kamen  27  zur  Beobachtung,  5,7  Proz.  der 
Augenverletzungen,  16  davon  betrafen  Kinder,  der  Ausgang  wo' 
Enukleation  6  mal,  Formerhaltung  4mal,  Visus  Wo — Ya  13  mal,  Visus 
A  und  besser  4mal. 


4.  Schädigungen  durch  stumpfe  Gewalt. 
Beobachtet-  wurden  199  Fälle  =  42  Proz.  aller  Augerver- 
letzungen.  Der  Endausgang  ergibt  sich  aus  folgender  Tabelle: 


Verletzungen 
durch  stumpfe  Gewalt 

Sehschärfe  von 

Erblindung 

mit 

Formerhaltung 

Enukleation 

oder 

Exenteration 

Vs  und 
mehr 

Va-’/so 

<  V„o 

125  j  den  Bulbus  nicht  perfor. 

39 

41 

14 

9 

22 

56  direkte  Ruptur  .... 

13 

9 

10 

7 

17 

18  indirekte  Ruptur  .  .  . 

2 

2 

1 

3 

..Hieraus  ergibt  sich  die  interessante  Tatsache,  dass  bei  den 
nicht  perforierenden  Kontusionsverletzungen  etwa  Ya  der  Patienten 
volle  Sehschärfe  oder  bis  A  behielten,  von  den  mit  direkter  Ruptu: 
einhergehenden  Verletzungen  14,  hingegen  von  den  indirekte  Ruptur 
aufweisenden  Verletzten  nur  W  der  Betroffenen.  Auffallend  ist  auch 
die  grosse  Zahl  der  zur  Erblindung  bzw.  Enukleation  führenden  Ver¬ 
letzungen  mit  indirekter  Ruptur.  Es  sind  mehr  als  W.  Bei  den 
direkten  Rupturen  verloren  W  die  Sehkraft  oder  das  Auge,  bei  den 
nicht  perforierenden  Kontusionsverletzungen  hingegen  nur  *  der 


Verletzten. 

Wie  aus  der  Tabelle  hervorgeht,  wurde  die  Enukleation  bzw. 
Evakuation  49  mal  vorgenommen  und  zwar  20  mal  wegen  ran- 
ophthalmie,  1 1  mal  wegen  Phthisis  bulbi,  11  mal  wegen  Glaukoms 
und  7  mal  wegen  Amaurose  oder  Gefahr  der  sympathischen  UP1' 

Dreimal  kam  es  nach  Kontusionsverletzung  zur  sympathischen 
Ophthalmie  und  zwar  war  in  allen  drei  Fällen  die  BulbuskapNt'i 
perforiert  (A  1  s  e  n).“  . 

Drucksteigerungen  wurden  dabei  32  beobachtet,  11  davon, 
gesagt,  enukleiert.  Linsenluxationen  wurden  dabei  12  beobachte- 
6  davon  mit  Glaukom.  Linsensubluxationen  wurden  3,  Commoti'' 
retinae  2,  Ulcus  com.  spl.  u.  serp.  46  beobachtet.  Die  übrigen  stei 
mehr  oder  weniger  harmlos  verlaufene  Schädigungen  dar. 

5.  Chemische  Schädigungen.  ,. 

wMirHpn  ?4  F ü  1 1  o  5  rlnrrh  Säure.  16  dlircn  KulK,  ui 


übrigen  durch  Soda,  Terpentin,  Kunstdünger. 


September  1914. 


1  eldärztliche  Beilage  zur  Miinch.  med.  Wochenschrift. 


2017 


1;  1  mal  durch  „Säure  ,  1  mal  durch  Schwefelsäure,  3  mal  durch 
ilzsaure.  Bemerkenswerter  Weise  heilten  diese  Fälle  alle  ohne 
irkc  -  c  ha  di  Rungen  zu  verursachen,  obwohl  sich  auch  eine  „Jalousie“ 

runter  befand. 

2.  Von  den  16  durch  Kalk  verursachten,  z.  T.  doppelseitigen 
duu  mit  fast  voller  Sehschärfe  6  Augen,  X—1 1/30  8  Augen,  1  bis 
tigerzahlen  5  Augen,  0  oder  fast  0  4  Augen,  im  Ganzen  23  Augen, 
ivon  3  evakuiert  wurden. 

Hie  1  h  e  r  a  pi  e  beschränkt  sich  auf  mechanische  Reinigung, 
ter  besonderer  Berücksichtigung  der  Uebergangsfalten,  Ausspülen 
1 1  Zuckerlosung  spater  Ammonium  tartaricum  (5— lOproz.,  stündlich 
Tropfen)  Kokain-Atropinsalbe. 
b.  Verbrennungen. 

Verbrennungen  endlich  kamen  16  zur  Beobachtung  und  zwar 
aal  durch  glühendes  Eisen,  1  mal  durch  kochendes  Kolophonium, 
er.  bunken,  Olasexplosion  u.  a„  3  mal  blieb  die  Sehschärfe  normal, 

ma  ul- I  3  mal  sehr  gering.  1  mal  musste  evakuiert  werden 

'anophthalmie). 


Aus  dem  Hygienischen  Institut  der  Universität  München. 

Grotan  und  Festalkol  zur  Händedesinfektion. 

ui  Dr.  Karl  Süpfle,  Privatdozent  und  Assistent  am 

Institut. 

Bei  jeder  ambulatorischen  Tätigkeit,  namentlich  im  Feld, 
d  Desinfektionsmittel  in  fester  Form  von  besonderem  Wert, 
sie  leicht  zu  transportieren  und  bequem  anzuwenden  sind, 
ine  die  Bedeutung  und  Brauchbarkeit  anderer  bewährter 
sinfektionsmittel  verkleinern  zu  wollen,  erscheint  es  daher 
gebracht,  in  der  „Feldärztlichen  Beilage1'  auf  zwei  neuere, 
te.  fertig  dosierte  Desinfektionsmittel  aufmerksam  zu 
chen,  deren  Wirksamkeit  wir  in  eingehenden  Unter- 
. Innigen  studiert  haben.  Ueberdies  muss  in  Kriegszeiten 
dei  Möglichkeit  gerechnet  werden,  dass  einzelne  Anti- 
’tika  überhaupt,  oder  wenigstens  innerhalb  gewisser  Zeiten 
1  Orte  völlig  verbraucht  werden,  so  dass  die  rechtzeitige 
mtnis  geeigneter  Ersatzmittel  willkommen  sein  dürfte. 

„ü  r  o  t  a  n“  nennt  die  Firma  Schülke&Mayr,  Aktien- 
icllschaft  Hamburg,  eine  komplexe  p-Chlor-m-Kresolver- 
dung,  die  in  Tabletten  ä  1  g  in  den  Handel  kommt.  Dem 
itan  wird  von  M.  Schottelius  hohe  Wirksamkeit  bei 
:  völliger  Geruchlosigkeit,  geringer  Giftigkeit  und  Aetz- 
kung  nachgerühmt. 

Die  Tabletten  lösen  sich  in  warmem  Wasser  rasch  auf 
i  ergeben  eine  leicht  rosa  gefärbte,  tatsächlich  nur  schwach, 
Unfalls  nicht  unangenehm  riechende  Desinfektionsflüssig- 
!  •  Die  Behandlung  der  Hände  mit  wässrigen  Grotan- 
i  ingen  erzeugte  bei  unseren  Versuchen  weder  während 
1  h  nach  der  Einwirkung  irgendwelche  Relzempfindungen, 
lange  die  Konzentration  0,5  Proz.  nicht  überstieg.  Instru- 
nte  und  Gebrauchsgegenstände  werden  von  Grotan- 
1  ingen  nicht  angegriffen. 

Bei  unseren  Untersuchungen  über  die  bakterizide  Wirk¬ 
te1*  des  Grotans,  über  die  später  an  anderer  Stelle  aus- 
:  lieber  zu  berichten  sein  wird,  fanden  wir,  dass  eine 
oroz.  Grotanlösung  Suspensionen  von  Bact.  coli  innerhalb 
1  r  Minute  abtötet.  Staphylokokken,  deren  Resistenz  gegen 
loz.  Phenol  ca.  3  Stunden  betrug,  wurden  von  0,3  proz. 

■  tanlösung  nach  8  Minuten,  von  0,4  proz.  Grotanlösung  nach 
spätestens  nach  3  Minuten  abgetötet. 

Grotan  in  0,4  proz.  Lösung  kann  daher  für  alle  jene 
'e  als  rasch  wirksames  Desinfektionsmittel  empfohlen 
'den,  in  denen  Sublimat  oder  Sublimatersatzpräparate  an¬ 
endet  zu  werden  pflegen:  im  Seuchendienst  zur 
idedesinfektion,  zur  Desinfektion  infizierter  Gebrauchs- 
nstände  der  verschiedensten  Art,  sowie  zur  chirur- 
chen  Händedesinfektion,  unter  der  Voraus- 
'ung,  dass  die  Hände  mindestens  5  Minuten,  wie  üblich, 
der  Lösung  ausgiebig  gebürstet  werden.  Gegenüber 
i  imat,  dessen  bakterizides  Vermögen  in  1  prom.  Lösung 
|  neueren,  in  unserem  Institut  bestätigten  Untersuchungen 
äerordentlich  überschätzt  wird,  bietet  Grotan  noch  den 
'eil,  dass  es  Metalle  nicht  angreift. 

Die  Handelspackung  mit  12  'Tabletten  ä  1  g  wurde  bisher 
y  E—  verkauft.  Auf  unsere  Anfrage  teilt  uns  die  her- 
.nde  Firma  mit.  dass  sie  für  Kriegszwecke  je  1000  Grotan- 
'  tten  ä  1  g  in  Blechdosen  lose  verpackt  zum  Extrapreis  . 


von  15  M.  abgibt;  1  Liter  0,4  proz.  Grotanlösung  kostet  dem¬ 
nach  6  Pf. 

....  Ersatz  des  flüssigen  Alkohols  zur  chirurgischen 
landcdesinfektion  kann  die  feste  Alkoholseifenpasta  „Fcst- 
alkor  der  chemischen  Fabrik  Dr.  L.  C.  Marquart  in 
euel  a.  Rh.  empfohlen  werden.  Je  drei  der  zylindrischen 
b  ucke  Alkoholseife  im  Gesamtgewicht  von  ca.  17  g,  deren 
Alkoholgehalt  nach  Untersuchungen  in  unserem  Institut  im 
urclischnitt  80  Proz.  beträgt,  sollen  laut  Gebrauchsanweisung 
nach  Beendigung  des  Waschens  mit  Wasser  und  Seife  eines 
nach  dem  anderen  mit  den  noch  feuchten  Händen  zerdrückt 
und  sorgfältig  verrieben  werden.  Ein  Vorteil  ist  hierbei,  dass 
ue  1  rozedur  eine  gewisse  Zeit  (4 — 6  Minuten)  beansprucht, 
folglich  die  Desinfektionsdauer  automatisch  reguliert  wird. 

^ie  vorausgehende  Waschung  mit  Wasser  darf  nicht 
unterbleiben,  da  erst  die  an  den  Händen  haftende  Wasser- 
nienge  mit  dem  Alkohol  des  Festalkols  eine  bakterizide  Alko¬ 
holverdünnung  ergibt;  absoluter  Alkohol  ist  bekanntlich 
gegenüber  trockenen  Mikrobien  wirkungslos.  Bei  Ein- 
naltung  der  Gebrauchsanweisung  und  der  bezeichnten  Menge 
.  ilkoholseifenpasta  ist  die  bakterizide  Wirkung  von  Festalkol 
eine  sichere  und  rasche.  Wir  haben  uns  in  zahlreichen,  ander- 
warts  bereits  veröffentlichten  Versuchen  davon  überzeugt, 
dass  Wuchsformen  auch  widerstandsfähiger  Keime  (resistente 
btaphylokokken)  schon  innerhalb  34  Minute  abgetötet  werden. 

as  Hygienische  Institut  hat  daher  dem  bayer.  Ministerium 
restalkol  als  Ersatz  des  flüssigen  Alkohols  für  die  Heb¬ 
ammenpraxis  empfohlen,  ohne  im  übrigen  den  weiteren  vor¬ 
geschriebenen  Akt  der  Händedesinfektion  —  Bürsten  der 
Hände  mit  Lysollösung  —  fallen  zu  lassen. 

In  neuester  Zeit  sind  auch  von  anderer  Seite  so  günstige 
V  ei  Suchsergebnisse  über  die  Desinfektionswirkung  dieses  Prä¬ 
parates  in  der  Fachpresse  publiziert  worden,  dass  man  im 
Zweitel  sein  könnte,  ob  es  überhaupt  unerlässlich  sei,  der 
Alkoholbehandlung  noch  die  Anwendung  eines  weiteren  Des¬ 
infektionsmittels  folgen  zu  lassen.  Manche  Autoren  erachten 
ui  der  lat  die  durch  die  Alkoholseifeneinwirkung  erzielte 
1  »esinfektion  der  Hände  für  ausreichend  und  lassen  die  Hände, 
um  sie  von  dem  anhaftenden  Seifenüberzug  zu  befreien,  nur 
noch  in  sterilem  Wasser  abspülen.  Von  anderer  Seite  wird 
als  ein  Nachteil  einer  derartigen  ausschliesslichen  Alkohol- 
seifendesinfektion  gerügt,  dass  die  Desinfektion  der  Unter¬ 
nagelräume  und  Nagelfalze  unzureichend  bleibe,  da  beim  Ge- 
brauch  des  Festalkols  auf  die  unterstützende  mechanische 
Wirkung  des  Bürstens  —  im  Gegensatz  zur  Anwendung 
flüssigen  Alkohols  —  verzichtet  werden  müsse.  Allerdings 
sind  die  Nagelräume  überhaupt  sehr  schwer  zu  desinfizieren; 
die  Schwierigkeit,  eine  Desinfektionsflüssigkeit  mit  allen,  auch 
den  in  der  Tiefe  liegenden  Keimen  der  Haut  mit  Sicherheit 
in  Kontakt  zu  bringen,  ist  der  wunde  Punkt  aller  Händedes- 
infektionsverfahren  —  der  Hauptgrund  dafür,  dass  der  mo- 
derne  Chirurg  über  die  möglichst  sorgfältig  desinfizierten 
Hände  schliesslich  sterile  Gummihandschuhe  überzieht.  Immer¬ 
hin  sind  auch  wir  der  Meinung,  dass  man  sich,  von  Notfällen 
abgesehen,  nicht  auf  die  Desinfektion  mit  Alkoholseife  —  so 
Vorzügliches  sie  nach  unseren  Versuchen  leistet  —  be¬ 
schränken  sollte,  sondern  halten  es  im  Interesse  der  Sicherung 
des  beabsichtigten  Desinfektionseffektes  für  nötig,  im  An¬ 
schluss  an  die  Einwirkung  der  Alkoholseifenpasta  die  Hände 
mit  einer  geeigneten  Desinfektionslösung  unter  üblicher  An¬ 
wendung  einer  Bürste  zu  behandeln. 

Für  diesen  Zweck  kann  die  0,4  proz.  Grotanlösung  ge¬ 
wählt  werden.  Es  ist  hierbei  jedoch  erforderlich,  die  an  den 
Händen  nach  Anwendung  von  Festalkol  noch  haftende  Seife 
zuerst  mit  bakteriologisch  einwandfreiem  (abgekochtem) 
Wasser  abzuspülen,  ehe  Grotan  benutzt  wird,  damit  die 
Grotanlösung  nicht  seifenhaltig  wird.  Wir  fanden  nämlich, 
dass  die  Wirksamkeit  einer  0,4  proz.  Grotanlösung,  welche 
widerstandsfähige  Staphylokokken  innerhalb  einer  Minute,  im 
ungünstigsten  Falle  nach  3  Minuten  abtötet,  durch  Zusatz  von 
3  Stück  Alkoholseife  pro  1  Liter  soweit  herabgesetzt  wird, 
dass  die  Abtötung  nach  3,  im  ungünstigsten  Falle  erst  nach 
5  6  Minuten  vollendet  ist.  In  Grotanlösungen  höherer  Kon¬ 
zentration  macht  sich  die  desinfektionsvermindernde  Wirkung 
dieser  Seifenmenge  immer  weniger  geltend;  jedoch  ruft  eine 


2018 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Woclicnscliriit. 


Nr.  39. 


0,5  proz.  Grotanlösung  hei  Anwesenheit  der  bezeichneten 
Seifenmenge  schwache  Reizwirkungen  auf  der  Haut  empfind¬ 
licher  Personen  hervor. 

Sollte  es  mit  Rücksicht  auf  Zeit  und  Wassermangel  einmal 
nicht  durchführbar  sein,  die  Hände  nach  der  Festalkol- 
anwendung  in  Wasser  abzuspülen,  so  kommt  als  Ausweg  in 
Betracht:  Desinfektion  der  seifenbedeckten  Hände  in 
g  lös  seren  Mengen,  mindestens  in  \A  Litern  Grotan- 
lösung,  da  die  desinfektionsvermindernde  Wirkung  der  Seife 
um  so  geringer  ausfällt,  je  kleiner  die  Seifenmenge  im  Ver¬ 
hältnis  zur  Menge  der  Grotanlösung  gewählt  wird.  Auf  Grund 
unserer  Versuchsergebnisse  könnte  die  Kombination  der  Fest¬ 
alkoleinwirkung  mit  der  Grotandesinfektion  für  solche  Fälle 
in  der  Weise  empfohlen  werden,  dass  die  zur  Händedesinfek¬ 
tion  zu  benutzende  Menge  der  Grotanlösung  mindestens 
VA  Liter  beträgt.  Der  hierbei  eintretende  Seifengehalt 
setzt  einerseits  den  Desinfektionseffekt  nicht  wesentlich  herab 
und  ist  andererseits  sehr  wertvoll,  da  er  die  Grotanlösung,  die 
wie  jede  wässerige  Lösung  von  der  Haut  abrollt,  vorzüglich 
b  e  n  e  t  z  e  n  d  macht,  so  dass  die  Testierende  Grotanwirkung 
eine  tiefer  reichende  wird,  als  ohne  den  Seifenzusatz.  Fest- 
alkol  und  Grotan  können  sich  also  bei  geeigneter  Anwendung 
auf  das  willkommenste  ergänzen. 

Die  gegenwärtige  Handelspackung  besteht  in  Glasröhren, 
welche  die  zur  einmaligen  Hände-  und  Unterarmdesinfektion 
erforderlichen  3  Stück  Festalkol  unter  luftdichtem  Verschluss 
enthalten.  Je  100  solche  Röhrchen  Festalkol  werden  für 
Kriegszwecke  zum  Preis  von  M.  15. —  abgegeben  Für  eine 
Reihe  Verwendungsarten  des  Heeresgebrauches  wird  auf  eine 
derartige  Einzelverpackung  im  Interesse  der  Verbilligung  ver¬ 
zichtet  werden  können.  Auf  unsere  Anregung  ist  die  her¬ 
stellende  Firma  bereit,  billigere  Massenpackungen  zu  liefern, 
Flaschen  mit  je  110  Stück  Festalkol  zum  Preise  von  M.  3.50, 
so  dass  eine  Desinfektion  mit  3  Stücken  auf  ca.  9A  Pf.  zu 
stehen  käme;  bei  Rücksendung  der  Flaschen,  die  als  „Leergut, 
schon  gefüllt  die  Bahn  passiert“  versandt  werden  müssten, 
will  die  Firma  25  Pf.  für  jede  Flasche  vergüten.  Die  Flaschen 
sind  mit  einem  eingeschliffenen  Glasstopfen  versehen,  der  mit 
Lanolin  eingefettet,  fest  zugedreht  und  mit  einem  Lack  über¬ 
zogen  ist.  Nach  Oeffnung  der  Flasche  muss  natürlich  der 
Glasstopfen  sorgfältig  eingedrückt  und  zugedreht  werden, 
damit  der  Alkoholgehalt  der  nicht  benutzten  Festalkolstiicke 
erhalten  bleibt. 


Sparsam  mit  Ueberseedrogen! 

Von  Walther  Straub  in  Freiburg  i.  Br. 

Die  wichtigsten  Medizinaldrogen  kommen  aus  Ländern, 
mit  denen  wir  zurzeit  keine  Verbindung  haben  und  auf  Wegen, 
die  zu  betreten  die  Produzenten  das  Risiko  nicht  gerne  auf  sich 
nehmen  werden.  Was  noch  nicht  im  Lande  ist,  wird  schwer¬ 
lich  mehr  bis  auf  weiteres  hereinkommen,  denn  auch  die  Liefe¬ 
rung  durch  neutrale  Länder  ist  keine  sichere,  sie  haben  zum 
Teil,  wie  z.  B.  die  Schweiz,  jetzt  schon  Ausfuhrverbot  für  die 
wichtigsten  Medikamente. 

Inwieweit  sich  daraus  für  uns  eine  Kalamität  entwickeln 
kann,  ist  zurzeit  nicht  ersichtlich.  Dass  unser  Heer  mit  dem, 
was  es  in  einem  noch  so  langen  Kriege  braucht,  ausreichend 
versehen  ist,  darf  als  sicher  angenommen  werden,  um  so  mehr 
als  jetzt  auch  die  belgischen  u.  a.  Bestände  zugänglich  sind. 
Inwieweit  aber  die  Versorgung  des  zivilen  Restes  von  Deutsch¬ 
land  allen  Möglichkeiten  gerecht  werden  wird,  ist  eine  andere 
Frage.  Man  wird  die  Notwendigkeit,  sie  zu  lösen  zunächst 
durch  rationelle  Sparsamkeit  hinauszuschieben  trachten. 

Wir  Deutschen  befinden  uns  in  einer  vergleichsweise 
günstigen  Lage  dadurch,  dass  wir  die  leistungsfähigste  pharma¬ 
zeutisch-chemische  Grossindustrie  der  Erde  besitzen.  Dieser 
glückliche  Umstand  sichert  uns  einmal  als  alleinigen  Abnehmern 
die  Vorräte  der  Fabriken  und  Grossdrogenhäuser,  denn  Export 
findet  nicht  statt,  und  andererseits  hat  uns  eben  diese  Industrie 
eine  Fülle  von  Ersatzmitteln  durch  chemische  Synthese  ge¬ 
schaffen,  deren  Verwendung  gerade  jetzt  eine  erfreuliche 
Schonung  der  unentbehrlichsten  Ueberseedrogenbestände  er¬ 
möglicht.  Die  Elemente  dieser  Synthesen  bekommen  wir  in 


beliebigen  Quanten  Im  Lande,  z.  B.  Benzol  aus  den  Koke¬ 
reien,  Salpetersäure  aus  Luft,  Chlor  aus  den  Salzlagern,  kurz 
dieser  Teil  der  pharmazeutisch-chemischen  Industrie  ist  boden¬ 
ständig. 

Die  folgende  Zusammenstellung  bezieht  sich  auf  die  wich¬ 
tigeren  Ueberseedrogen  der  Pharmakopoe,  bei  denen  die  Mög¬ 
lichkeit  besteht,  dass  sie  im  Laufe  eines  längeren  Krieges  knapp 
werden  könnten.  Da  der  Arzt  in  Friedenszeiten  keine  Ver¬ 
anlassung  hat,  sich  mit  der  Provenienz  seiner  Medikamente  zu 
beschäftigen,  halte  ich  es  für  angebracht,  auf  diejenigen  hin¬ 
zuweisen,  mit  denen  sparsam  umzugehen  jedenfalls  angebracht 
ist.  Ich  bemerke,  dass  solche  Mahnung  für  Drogen  überflüssig 
erscheint,  von  denen  wir  Bestände  für  mindestens  ein  Jahr 
im  Lande  haben,  inwieweit  dies  bei  den  einzelnen  der  Fall  ist. 
entzieht  sich  meiner  Kenntnis,  und  für  manche  der  folgenden 
Aufzählung  ist  die  Mahnung  vielleicht  überflüssig.  Ich  wäre 
den  Fabriken  und  Grossdrogenhäusern  dankbar  für  Mitteilung 
ihrer  Bestände  an  Ueberseedrogen,  unter  der  Voraussetzung, 
dass  ich  sie  zur  weiteren  Aufklärung  an  dieser  Stelle  ver¬ 
werten  darf. 

Aloe  kommt  aus  Südafrika,  wird  von  den  Pillen  konsumieren¬ 
den  Engländern  so  geschätzt,  dass  sie  dieses  Abführmittel  sicher 
zurückhalteri  werden.  Als  Ersatzdroge  mit  nahe  verwandtem  wirk¬ 
samem  Bestandteil  (Anthrachinonderivaten)  könnte  Cortex  frangulac 
in  Frage  kommen.  Neuerdings  ist  unter  dem  Namen  Istizin  ein  syn¬ 
thetisches  Anthrachinonderivat  mit  Abfiihrwirkung  in  den  Handel  ge¬ 
bracht  worden.  Etwas  andersartig,  aber  auch  hierhergehörig,  ist 
die  Wirkung  des  Phenolphthalein  (Purgen  etc.). 

B  a  1  s  a  tn  u  rn  peruvianum  stammt  aus  Südamerika.  Bei 
seiner  grossen  Bedeutung  als  kriegschirurgisches  Mittel  zur  Anregung 
der  Wundheilung  empfiehlt  es  sich,  ihn  für  diese  Indikationen  zu 
reservieren.  Skabieskuren  können  auch  mit  Styrax  gemacht  werden 
Es  existieren  eine  Reihe  von  „Kunstbalsamen“  und  Ersatzmitteln, 
die  wohl  alle  im  wesentlichen  Bestandteil  Zimtsäureester  in  balsam- 
ähnlichen  Vehikeln  enthalten,  z.  B.  Peruscabin,  Peruol.  Diese  können 
synthetisch  gemacht  werden,  ob  sie  ein  vollwertiger  Ersatz  des 
Perubalsams  als  Wundmittel  sind,  entzieht  sich  meiner  Kenntnis. 
Also  jedenfalls  sparsam  mit  Perubalsam. 

C  a  m  p  h  o  r  a.  Da  der  künstliche  Kampfer  ebenso  wirksam  ist 
wie  der  natürliche  und  zudem  Kampfer  wegen  seiner  riesigen  Ver¬ 
wendung  in  der  Technik  in  grossen  Beständen  vorhanden  ist,  wird 
das  kleine,  medizinisch  verwendete  Quantum  immer  vorhanden  sein. 

Chinin.  Der  Stapelplatz  für  Chinarinde  ist  Amsterdam,  die 
Mehrzahl  der  Chininfabriken  sind  in  Deutschland,  an  Chinin  und 
seinen  sämtlichen  Abkömmlingen  wird  also  kein  Mangel  sein. 

Cocain  wird  wie  Chinarinde  via  Amsterdam  importiert,  jedoch 
nicht  ausschliesslich.  Wenn  auch  die  Fabriken  grosse  Bestände 
haben  werden,  so  ist  hier  eine  Erschöpfung  der  Vorräte  denkbar.  Da^ 
Unglück  ist  indessen  nicht  gross,  da  synthetisch  mehr  als  nötig 
Ersatzmittel  hergestellt  werden.  Man  denke  an  Eukain,  Novokain. 
Alypin  uam.  Ebenso  an  die  wasserunlöslichen  anästhesierenden 
Wundstreupulver  wie  Anästhesin,  Orthoform  etc. 

C  o  d  e  i  n  vergl.  Morphin. 

Coffein  wird  in  grossem  Umfange  synthetisch  aus  Harn¬ 
säure  u.  a.  hergestellt,  ist  also  stets  zu  haben,  das  Gleiche  gilt  % 
Theobromin,  Diuretin,  Theocin. 

Cortex  Condurango  wird  als  amerikanische  Droge  wohl 
knapp  werden,  doch  liegt  bei  der  Bedeutungslosigkeit  des  Medi¬ 
kamentes  nicht  viel  daran. 

Cortex  Simarubae.  Von  diesem  Ruhrmittel,  das  wichtig 
werden  könnte,  sollen  grosse  Lagerbestände  vorhanden  sein. 

Cubeben  kommen  aus  holländischen  Kolonien.  Die  Zahl  der 
Antigonorrhoica  ist  so  zahlreich,  dass  keine  Verlegenheit  aufkommeti 
wird 

Diazatylmorphin  s.  Morphin. 

Flores  Cinae  s.  Santonin. 

Flores  Kos  so  aus  Abessinien  sind  wenig  eingebürgert  und 
haben  in  den  Präparaten  aus  Filix  mas  erprobte  Stellvertreter. 

Folia  Sennae  stammen  aus  Südindien,  neue  Zufuhren  sind 
nicht  zu  erwarten.  Ueber  die  Grösse  der  Bestände  habe  ich  keine 
Vermutung.  Wegen  Ersatz  vergl.  oben  bei  Aloe. 

Gummi  arabicum  wird  zwar  nicht  mehr  importiert  werden, 
kann  aber  leicht  der  Technik  entnommen  werden. 

Hydra  stininum  wird  jetzt  synthetisch  dargestellt. 

.1  o  d  u  m  ward  zwar  importiert,  doch  ist  seine  technische  Ver¬ 
wendung  eine  so  ausgedehnte,  dass  die  für  medizinale  Zwecke  be¬ 
nötigten  Mengen  beschafft  werden  können. 

Kamala  wie  Flores  Kosso. 

Morphinum  hydrochloricum  wie  alle  anderen  Opium- 
alkaloide  und  deren  Abkömmlinge  werden  unbedingt  knapp  werden 
Die  Ernte  wäre  jetzt  ungefähr  importreif.  Alle  neutralen  Länder 
sichern  sich  ihre  Bestände  durch  Ausfuhrverbote.  Vielleicht  er¬ 
möglicht  die  weitere  Entwicklung  der  Lage  am  Balkan  einmal  die 
Einfuhr  der  in  Kleinasien  angestapelten  Bestände.  Mit  dieser  Droge 
muss  also  unbedingt  rationell  gewirtschaftet  werden.  Man  reser- 


).  September  191-4. 


Feldärztlichc  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


2019 


ere  Morphin  fiir  seine  Hauptindikation,  die  Schmerzstillung,  ver- 
dne  die  richtigen  Dosen  und  bedenke,  dass  verzettelte  kleine  Dosen 
_hts  nützen,  eher  exzitieren.  Für  reine  Schlafwirkung  sind  eine 
hr  grosse  Menge  von  synthetischen  Schlafmitteln,  Chloralhydrat, 
:ronal,  Neuronal  etc.  vorhanden.  Die  schmerzbetäubende  Wirkung 
s  Morphins  ist  durch  keine  andere  Substanz  zu  erzielen.  Morphin 
unersetzlich.  Ebenso  Codein. 

Oleum  R  i  c  i  n  i  wird  zwar  zum  grössten  Teile  in  Indien  pro¬ 
ziert,  doch  ist  auch  Italien  ein  ansehnlicher  Lieferant,  endlich  be- 
zt  auch  die  Technik  der  Lackfabrikation  grosse  Mengen  des  Oelcs, 
ndercr  Qualität  allerdings,  doch  im  Notfälle  noch  fiir  therapeutische 

vecke  zurichtbar. 

Oleum  Santali  aus  Indien.  Vermutlich  grosse  Bestände  in 

,‘utschland  auf  Lager. 

Opium  wie  Morphin.  Als  Ersatzmittel  bei  Durchfällen  Tann- 
lin,  Bolus  alba. 

Physostigminum  aus  der  afrikanischen  Kalabarbohne. 
egtn  der  starken  Wirksamkeit  und  der  einseitigen  Verwendung 
rften  die  Bestände  ausreichen. 

Pilokarpinuin  vielleicht  wie  Physostigmin. 

Radix  Ipekakuanhae  aus  Brasilien.  Die  Droge  ist  ein 
tropische  Dysenterie  bewährtes  Medikament;  sie  könnte  von 
tueller  Bedeutung  werden,  wenn  uns  diese  Krankheit  eingeschleppt 
:rden  sollte.  M.  W.  war  die  Droge  immer  knapp,  über  die  Grösse 
r  jetzigen  Bestände  bin  ich  nicht  orientiert.  Bei  Bakteriendysenterie 
id  man  sich  nicht  mit  Versuchen  mit  Ipekakuanha  oder  Emetin 
fhalten.  Bolus  alba  innerlich,  wie  auch  Klysmen  von  0,5  proz. 
tr.  salicylicum  werden  neuerdings  empfohlen.  Bei  Amöben- 
scnterie  ist  auch  an  Chininklysmen  zu  denken. 

Radix  Sarsaparillae  und 

Radix  S  e  n  e  g  a  e  wie  Cortex  Condurango. 

Resina  Jalapae  aus  Mexiko.  Eine  gleichwertige  ein- 
imische  Ersatzdroge  ist  nicht  vorhanden,  zur  Not  kann  Rizinus 
er  Phenolphthalein  verwendet  werden  (Purgen,  Laxin  etc.). 

Rhizoma  Hydrastis  vergl.  Hydrastinin.  Die  Droge 
mint  aus  Nordamerika,  sie  und  ihre  galenischen  Präparate,  wie 
üdextrakt  u.  a.  können  durch  das  synthetische  Hydrastinin  ersetzt 
:rden. 

Rhizoma  Rh  ei  aus  China.  Der  einheimische  Rhabarber  ist 
wirksam.  Vergl.  oben  Aloe. 

Santonin  um  und  Flores  Cinae  ist  ausschliessliches 
•nopol  einiger  südrussischer  Produzenten,  kommt  also  nicht  mehr 
Land.  Gegen  Askariden  hat  sich  neuerdings  das  Oleum  Cheno- 
dii  anthelminthici  sehr  bewährt 

Sekale  cornutum  kommt  meistens  aus  Spanien  und  Russ- 
d.  Es  ist  immer  ein  unsicherer  Artikel  gewesen  nach  Wirksamkeit 
i  Angebot.  Geber  die  Bestände  ist  mir  nichts  bekannt.  In  neuerer 
t  werden  einige  im  Mutterkorn  enthaltene  basische  Bestandteile 
ithetisch  hergestellt,  z.  B.  Tyrosinamin  (Uteramin).  Eingehend  er- 
•bt  sind  diese  aber  noch  nicht.  Die  Hypophysenpräparate  haben 
<anntlich  nicht  ganz  die  Indikationen  des  Mutterkorns. 

Strychnin  um  nitricum  ist  wohl  in  ausreichender  Menge 
-handen,  da  der  Hauptkonsument,  Australien,  die  fertigen  Export- 
ngen  z.  Z.  nicht  abnimmt. 

Styrax  aus  Kleinasien.  Bestände  mir  unbekannt. 
Strophanthin  und  Semen  Strophanthi  aus  Afrika.  Da 
h  grosse  deutsche  Fabriken  mit  der  Herstellung  von  Strophan- 
l  befassen,  dürften  auch  die  Strophanthinmengen  des  Weltexportes 
:h  zum  guten  Teil  im  Lande  sein.  Bekanntlich  sind  Folia  Digitalis 
1  deren  Abkömmlinge  kein  gleichwertiger  Ersatz  für  Strophanthin 
1  umgekehrt.  Speziell  in  der  militärärztlichen  Therapie  wird  die 
avenöse  Injektion  von  Strophanthin  (0,001  g  in  1  ccm)  oft  indiziert 
i,  da  sie  ihren  Effekt  sofort  schafft,  während  man  bei  Digitalis  mit 
er  vielstiindigen  Inkubation  rechnen  muss.  Das  neuerdings  ein- 
ührte  Cymarin  dürfte  dem  Strophanthin  gleichartig  wirken. 
Tropacocain  vergl.  Cocain. 

Die  Angaben  beziehen  sich  nur  auf  die  offizinellen  Drogen 
Pharmakopoe.  Die  nicht  erwähnten  Pharmakopöedrogen 
d  entweder  bedeutungslos  oder  leicht  beschaffbar.  Meine 
gaben  sind  unverbindlich,  da  ich  mir  eingehende  Informa- 
ten  bei  den  jetzigen  Zeiten  nicht  vorher  verschaffen  konnte. 


Zur  Seuchenprophylaxe. 

n  Dr.  Franz  Rosenthal  in  Berlin  (Krankenhaus 

Friedrichshain). 

In  letzter  Zeit  wurde  vielfach  darauf  hingewiesen,  dass 
e  Seuchengefahr  kaum  bestehe,  denn  erstens  sei  die  Grenze 
Jen  Russland,  von  wo  jetzt  die  Gefahr  der  Cholera  droht, 
arfer  abgesperrt  als  je  zuvor,  ferner  hätten  wir  die  Schutz- 
•fung  gegen  Cholera  und  Typhus  und  drittens  hätte  auch 
hrend  der  vorjährigen  Epidemien  in  Russland  die  Cholera 
Grenze  nie  überschritten. 

Alle  diese  Gründe  sind  aber  durchaus  nicht  stichhaltig, 
ii  einer  Grenzabsperrung  kann  gar  keine  Rede  sein,  im 


Gegenteil  war  die  Grenze  niemals  freier  als  jetzt,  wo  ständig 
unsere  Truppen  in  Feindesland  einmarschieren  und  ständig 
russische  Deserteure  und  Gefangene  die  Seuche  mit  nach 
Deutschland  bringen  können.  Auch  ist  es  nicht  ausgeschlossen, 
dass  unsere  Truppen  durch  Einrücken  in  verseuchte  Orte  in¬ 
fiziert  werden.  So  soll  in  Sosnowice,  das  jetzt  in  unseren 
Händen  ist,  eine  starke  Typhusepidemie *)  geherrscht  haben 
und  die  Cholera  kann  durch  die  russische  Mobilmachung  aus 
den  schon  vor  dem  Kriege  bekannten  Herden  in  unsere  Nach¬ 
barprovinzen  getragen  sein  und  dort  explosionsartig  auf- 
flackern.  Dass  sich  diese  Seuche  im  Innern  Russlands  mit 
Macht  ausdehnt,  ist  zweifellos;  so  wurden  jüngst  in  Moskau 
in  einer  einzigen  Woche  56 2  Todesfälle  an  „akuter  Magen¬ 
darmentzündung“  amtlich  gemeldet  *).  Dass  Deutschland  jetzt 
iin  Kriegszustand  den  Seuchen  einen  viel  günstigeren  Boden 
bietet  als  während  der  vorjährigen  Epidemien,  ist  evident  und 
eine  alte  Erfahrungstatsache.  Was  nun  die  prophylaktische 
Seruminjektion  anlangt,  so  ist  bekannt,  dass  diese  der  Pocken¬ 
schutzimpfung  durchaus  nicht  gleichwertig  ist  und  eine  mehr- 
tägige  Krankheit  mit  oft  sehr  hohem  Fieber  erzeugt.  Eine 
Anwendung  bei  I  ruppenteilen,  die  sofort  ins  Feld  und  gegen 
den  Feind  rücken  sollen,  ist  also  völlig  ausgeschlossen. 

Es  wäre  also  verderblich,  sich  in  Sicherheit  zu  wiegen 
und  auf  den  Grenzschutz  und  die  Immunität  des  Landes  zu 
bauen;  doch  ist  es  durchaus  nicht  Zweck  dieser  Zeilen,  die 
Bazillenangst  zu  schüren,  die  während  der  Balkankriege,  wie 
ich  als  Choleraarzt  in  Bulgarien  sah,  viele  unnütze  und  über¬ 
triebene  Massnahmen  zeitigte.  Vielmehr  will  ich  zweck¬ 
mässige  und  auch  praktisch  durchführbare  Ratschläge  an¬ 
geben,  die  ich  anderwärts *  2)  näher  begründet  und  ausgeführt 
habe. 

Zu  einer  wirksamen  Bekämpfung  der  Seuchen  hat  der 
Staat  schon  viele  Schritte  getan  und  wird  beim  Nahen  der 
Gefahr  sicherlich  noch  weitere  folgen  lassen;  zu  einer  erfolg¬ 
reichen  Abwehr  ist  aber  die  Mitwirkung  jedes  einzelnen  er¬ 
forderlich  und  dazu  können  besonders  die  Feldärzte  durch 
Aufklärung  im  Heer  sehr  viel  Gutes  stiften. 

Als  persönliche  Vorsichtsmassregeln  sind  anzuraten: 

1.  Das  Vermeiden  aller  ungekochten  Getränke  mit  Aus¬ 
nahme  von  Wein,  Bier  und  natürlichen  Mineralwässern. 

2.  Das  Vermeiden  disponierender  Momente,  wie  körper¬ 
licher  Exzesse,  Genuss  von  rohem  Obst. 

3.  Das  Ansäuern  im  Notfall  doch  roh  genossener  Getränke 
(Acid.  phosphoric.,  20  Tropfen  auf  K  Liter,  oder  Acid. 
citric.  1  Messerspitze  auf  K  Liter). 

4.  Gründliche  Säuberung  der  Hände  mit  Wasser  und  Seife 
vor  jeder  Mahlzeit. 

Von  staatlichen  Massnahmen  käme  noch  in  Frage: 

1.  Aufnahmezwang  jedes  an  profusen  Durchfällen  er¬ 
krankten  Soldaten  in  die  zur  Verfügung  stehenden  La¬ 
zarette. 

2.  Staatliche  Beaufsichtigung  der  Selterwasserfabriken. 
(Verbot  der  Verwendung  von  nicht  gekochtem  oder 
nicht  destilliertem  Wasser). 

3.  Einschränkung  des  Schnapsausschankes  und  Sclmaps- 
verkaufs. 

4.  Verbot  der  Verabreichung  von  ungekochtem  Wasser, 
Limonade  und  Gefrorenem  in  Cafes,  Restaurants  und 
auf  der  Strasse  innerhalb  von  gefährdeten  Bezirken. 

Es  ist  verständlich,  dass  wegen  der  Gleichartigkeit  der 
Krankheitsübertragung  diese  Massnahmen  für  die  Prophylaxe 
des  1  yphus,  der  Dysenterie  und  der  Cholera  von  gleich¬ 
grossem  Wert  sind. 

Typhus  und  Dysenterie  haben  schon  im  Feldzug  von 
1870/71  viele  Opfer  gefordert  und  schon  mit  Rücksicht  auf 
diese  beiden  Erkrankungen  wäre  eine  frühzeitige  Isolierung 
und  klinische  Behandlung  aller  an  Durchfall  erkrankten  Sol¬ 
daten  ein  erstrebenswertes  Ziel. 


')  Aerztl.  Sachverst.Zts.  1914  Nr.  16. 

2)  M.KI.  1914  Nr.  35. 


2020 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  39. 


Ein  improvisierbarer  Gipstisch. 

Von  Dr.  R.  Pürckhauer,  Stabsarzt  im  Reservelazarett 

Fürstenfeldbruck. 

Einen  ideal  einfachen,  in  jedem  Lazarett  und  Verbandplatz 
leicht  in  einigen  Minuten  improvisierbaren  Gipsverbandtisch 
habe  ich  mir  auf  meiner  Abteilung  des  hiesigen  Reservelaza¬ 
rettes  hergestellt. 

Von  einer  überall  in  Benützung  stehenden  einfachen  Tragbahre 
entferne  ich  das  Scgelleinen,  auf  welchem  die  Verwundeten  sonst 
liegen,  mit  Ausnahme  des  Kopfteiles,  spanne  einen  ebenfalls  im  Felde 
in  Benützung  stehenden  breiten  Trägergurt  quer  vor  einer  Längs¬ 
stange  zur  anderen  kräftig  an.  Auf  diesen  Quergurt  wird  der  Ver¬ 
wundete  mit  dem  Becken  gelagert,  während  das  Bein  auf  einen 
zweiten  Quergurt  gelegt  wird;  der  Verband  wird  ohne  Rücksicht 
auf  den  Quergurt  angelegt.  Nach  Fertigstellung  des  Qipsverbandes 
lässt  sich  der  Gurt  ohne  Mühe  aus  dem  Verband  ziehen.  Zur 
Extension  an  der  Extremität  wird  eine  Riedel  sehe  Schlinge  über 
dem  Fussrücken  angelegt;  der  grosse  freie  Raum  zwischen  den 
Längsbalken  lässt  Züge  zur  etwaigen  Korrektion  in  jeder  Richtung  zu. 


Ist  man  gezwungen  einen  starren  Verband  zur  Fixation  der 
Wirbelsäule  anzulegen,  so  entfernt  man  von  der  Tragbahre  auch 
noch  den  Kopfteil  und  spannt  einen  zu  den  Quergurten  senkrecht 
verlaufenden  Längsgurt  von  einem  Querbalken  zum  anderen,  den  man 
nach  Anlegung  des  Verbandes  ebenfalls  aus  demselben  ziehen  kann. 

Die  Tragbahre  wird,  um  das  lästige  Arbeiten  in  der  Tiefe  zu 
vermeiden,  auf  2  Stühle  gestellt. 

Die  Vorteile  des  von  mir  angegebenen  Verbandtisches  liegen 
in  der  grossen  Einfachheit,  der  raschen  Improvisationsmöglichkeit, 
der  ungehinderten  freien  Arbeitsmöglichkeit  und  der  ideal  einfachen 
Beckenstütze. 

Beiliegende  Abbildung  zeigt  den  einfachen  Gipstisch. 


Der  Wert  des  Feldbausch-Rothschen  NasenöfFners 
im  Kriege  beim  Ansaugen  der  Nasenflügel. 

Von  Sanitätsrat  Dr.  Franz  Bruck  in  Berlin-Charlottenburg. 

Eine  häufige,  aber  recht  oft  übersehene  Ursache 
behinderter  Nasenatmung  ist  das  inspiratorische  A  n  s  a  u  g  e  n 
mehr  oder  weniger  schlaffer  Nasenflügel  gegen  das 
Septum,  und  zwar  namentlich  bei  kräftigeren  Atemzügen. 
Dieses  Leiden,  das  entweder  für  sich  allein  auftritt  oder  zu¬ 
sammen  mit  einer  besonders  durch  Verbiegung 
oder  Verdickung  des  Septums  erzeugten  Stenose 
im  Naseninnern,  wird  sehr  leicht  durch  den  von 
Feldbausch  angegebenen,  von  Roth  etwas 
modifizierten  Nasenöffner  (s.  Abb.  1)  ge¬ 
hoben,  natürlich  nur  so  lange,  wie  dieser  Apparat  Abb  i. 
seine  Wirkung  auf  die  Nasenflügel  ausübt. 

Die  E  i  n  f  ü  h  r  u  n  g  des  Nasenöffners  geschieht  in  der 
Weise,  dass  man  die  beiden  Knöpfchen  vorn  in  die  hinter  der 
Nasenspitze  verborgenen  Taschen  bringt  und  dann  unter 
lieben  des  ganzen  Instrumentes  den  queren  Bügel  so  nach 
hinten  dreht,  dass  sich  dessen  nach  unten  abgebogener  Teil 
der  Oberlippe  anschmiegt  (s.  Abb.  2).  Der  kleine  Apparat 
muss  dann  genau  in  der  Mittellinie  liegen  und  darf  nicht  nach 
einer  Seite  hin  abweichen.  Er  muss  ferner  so  fest  sitzen,  dass 
eine  Verschiebung  bei  Kaubewegungen  ausgeschlossen  ist. 
Zur  leichteren  und  schmerzlosen  Einführung  ist  das  Instrument 
mit  einer  indifferenten  Salbe  mässig  einzufetten.  Eine  kurze 
Unterweisung  durch  den  Arzt  setzt  den  Patienten  in  den 
Stand,  den  Nasenöffner  jederzeit  eigenhändig  einzulegen.  In 
der  Regel  aus  Silber  hergestellt  —  Preis  Mk.  1.25  oder  1.50  — 
wird  er  von  den  meisten  Instrumentenmachern  in  3,  von 
einigen  in  5  Grössen  in  den  Handel  gebracht.  Gewöhnlich 
kommt  die  mittlere  Grösse  zur  Verwendung.  Hat  man  die 


für  die  Nase  geeignete  Nummer  ausgewählt,  so  muss  man  sie 
häufig  noch  besonders  für  den  vorliegenden  Fall  passend  zu¬ 
rechtbiegen.  Die  richtige  Biegung  zu  finden,  gelingt  jedoch 
nicht  immer  beim  ersten  Versuch.  In  wenigen  Tagen  aber 
kommt  man  damit  zum  Ziel.  Je  nachdem  der 
Apparat  drückt  oder  herausfällt,  muss  er  ent¬ 
sprechend  anders  gebogen  werden.  Auch  muss 
sich  der  Kranke  an  diesen  Fremdkörper  erst  all. 
mählich  gewöhnen  wie  an  eine  Zahnprothese. 
Drückt  der  Nasenöffner  anhaltend,  so  ist  er 
natürlich  zu  entfernen.  Etwaige  Druckspuren 
müssen  mit  einer  Salbe  beseitigt  werden,  ehe 
man  wieder  die  Einführung  vornimmt.  Wichtig 
ist  die  jedesmalige  Reinigung  nach  dem  Ge¬ 
brauch.  Wird  sie  versäumt,  so  trocknet  dae 
am  Instrument  haftende  Nasensekret  daselbs; 
fest  an  und  verursacht  durch  seine  Härte  beim 
Einlegen  des  Nasenöffners  Schmerzen  und  auch 
Läsionen.  Der  Apparat  muss  ferner  vor  dem 
Verbiegen  (Zusammendrücken)  geschützt  wer¬ 
den,  namentlich  wenn  er  sich  vorübergehend 
ausserhalb  der  Nase  befindet.  Beim  Schneuzen  ist  er  natürlich 
herauszunehmen,  nicht  dagegen  beim  Essen. 

Jeder  Feldarzt  kann  nun  leicht  durch  blosse  äussere 
Inspektion  das  Ansaugen  der  Nasenflügel  diagnosti¬ 
zieren,  wenn  er  den  Patienten  tief  und  kräftig  durch  die 
Nase  bei  geschlossenem  Munde  inspirieren,  also  das  tun  lässt, 
was  bei  körperlichen  Anstrengungen  geschieht.  Er  kann  sich 
auch  dann  sofort,  besonders  im  Zweifelsfalle,  von  der  Not 
wendigkeit  und  Leistungsfähigkeit  der  einzuschlagenden 
Therapie  überzeugen,  wenn  er  die  Nasenflügel  während  der 
Einatmung  mit  seinen  Fingerspitzen  von  der  Nasenscheide¬ 
wand  leicht  abzieht  und  dadurch  im  Augenblick  eine  freiere 
Inspiration  ermöglicht.  Nur  wenn  neben  dem  Ansaugen  der 
Nasenflügel  noch  eine  totale  Stenose  im  Naseninnern  besteht, 
wird  die  eben  angegebene  Manipulation  dem  Kranken  nichts 
nützen,  also  das  Einlegen  eines  Nasenöffners  überflüssig  sein. 

Die  durch  das  Ansaugen  der  Nasenflügel  er¬ 
schwerte  Nasenatmung  zeigt  sich  bekanntlich  in 
einem  grossen  Teil  der  Fälle  nur  bei  tiefer  Lage  des  Kopfes, 
also  im  Bett  (weil  sich  hierbei  die  Schwellkörper  der  Nasen¬ 
muscheln  allzuleicht  mit  Blut  füllen  und  dadurch  eine  oder 
beide  Nasenseiten  verstopfen,  wobei  also  zu  dem  schon  vor¬ 
handenen  noch  ein  neues  Hindernis  für  die  nasale  Atmung 
tritt),  und  ferner  bei  stärkeren  körperlichen  Anstrengungen, 
wo  die  Atmung  eine  vermehrte  Luftmenge  erfordert,  die  die 
verengte  Nase  nicht  aufzunehmen  imstande  ist.  Sie  macht  sich 
also  im  Frieden  in  der  Regel  nicht  am  Tage  bemerkbar,  so 
dass  also  der  Apparat,  da  er  sichtbar  ist,  glücklicherweise 
für  den  Patienten  in  Friedenszeiten  fast  nur  nachts  in  Frage 
kommt.  Im  Felde  dagegen  mit  seiner  beträchtlich  erhöhten 
Inanspruchnahme  der  Körperkräfte  tritt  das  Atmungshindernis 
beim  Ansaugen  der  Nasenflügel  auch  am  Tage  recht  häufig 
und  recht  lästig  auf.  Im  Kriege  sind  auch  naturgemäss  die 
bekannten  schädlichen  Folgen  der  Mundatmung  für  die  oberen 
und  tieferen  Luftwege  weit  verhängnisvoller  als  im  Frieden. 
Dazu  kommt,  dass  das  sichtbare  Instrument  im  Felde  keinen 
Anstoss  erregt.  Und  darum  ist  hier  der  Nasenerweiterer  nach 
Feldbausch-Roth  ein  unentbehrliches  Hilfsmittel  für 
die  Leistungsfähigkeit  des  mit  dem  Ansaugen  der  Nasenflügel 
behafteten  Soldaten  und  sollte  bei  der  Häufigkeit  dieses  Lei¬ 
dens  und  der  Leichtigkeit  der  Diagnose  seiner  prompten  Wir¬ 
kung  wegen  ausgiebige  Verwendung  finden. 

Ein  Wort  zugunsten  der  Behandlung  des  Operations¬ 
feldes  durch  Firnisse. 

Von  Dr.  Linken  he’ld  in  Barmen. 

In  der  Abhandlung  über  „Die  Behandlung  der  Schusswunden  ini 
allgemeinen“  in  Nr.  32  d.  W.  (F.  Beil.  Nr.  1)  findet  sich  der  Satz:  ,J> 
genügt  der  einfache  Anstrich  der  Wundumgebung  mit  Jodtinktur,  der 
sich  besser  bewährt  hat,  als  die  Verwendung  von  Mastixlösung  oder 
anderer  Mittel,  die  den  Schmutz  der  Haut  fixieren  sollen.“  Das  eine 
schliesst  das  andere  aber  nicht  aus.  Ich  bediene  mich  beider  Mine 
zu  gleicher  Zeit,  und  zwar  in  folgender  Weise;  Zuerst  Jodanstricn 
und  darauf  Bepinselung  der  jodierten  Stelle  gegebenen  Falles  noen 


9.  September  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  nied.  Wochenschrift. 


eit  darüber  hinaus  mit  der  Heusner  sehen  Klebeflüssigkcit,  die 
ilgcnde  Zusammensetzung  hat: 

Aether.  sulf. 

Colophon.  all  50,0 

Terebinth.  Venet.  1,0 

Auf  den  mit  diesem  Klebestoff  versehenen  Hautabschnitt  wird 
ne  einfache  Schicht  Verbandmull  gelegt  und  mit  Tupfern  fest- 
■strichen.  Die  V  erklebung  des  Mulls  mit  der  Haut  ist  eine  durch- 
is  feste  und  diese  Festigkeit  verliert  nichts  auch  bei  lange  dauern- 
n  Operationen.  VVill  man  sie  nach  Vollendung  derselben  —  was  bei 
eptischen  Operationen  nicht  nötig  ist  —  entfernen,  so  muss  man  die- 
lbe  Gewalt  anwenden,  wie  bei  gut  klebendem  Leukoplast.  Auch  an 
n  Wundrandern  —  der  Mull  wird  zugleich  mit  der  Haut  durch- 
hmtten  —  ist  die  Verklebung  eine  innige.  Die  Haut  ist  auf  diese 
eise  ausgeschaltet.  Die  Sicherheit  lässt  sich  noch  erhöhen,  wenn 
an  an  Stelle  des  maschigen  Mulls  Nesselstoff  wählt.  Man  muss 
nn  aber  den  Nachteil  mit  in  den  Kauf  nehmen,  den  ersten  Schnitt 
_ht  so  gut  übersehen  zu  können.  Bei  infizierter  Haut  könnte  man 
ch  Guttaperchapapier  verwenden,  das  sehr  gut  anklcbt  Ich  bin 
er  auch  in  diesen  Fällen  mit  Mull  ausgekommen 
Das  Firnissen  hat  2  Vorteile: 

1.  es  fixiert  den  Jodanstrich  und 

2.  es  fixiert  den  abdeckenden  Stoff  unverrückbar  fest  auf  der 

Haut. 

Dass  letzteres  vorteilhaft,  beiarf  keines  Beweises. 

Bezüglich  des  ersten  Grundes  führe  ich  die  Tatsache  an,  dass 
r  blosse  Jodanstrich  ohne  Fixierung  durch  Firniss  nicht  lange  vor- 
1t,  am  ende  auch  nicht  lange  dauernder  Operationen  ist  von  ihm 
mig  oder  nichts  mehr  zu  sehen. 

Bei  Bauchoperationen  ist  es  jedenfalls  nicht  erwünscht,  Jod  in 
Bauchhöhle  gelangen  zu  lassen.  Man  kann  den  Einwand  erheben, 

.  -ache  sei  besonders  für  den  Feldarzt  durch  das  Mitführen  zweier 
ttel  kompliziert.  Die  Tatsache  jedoch,  dass  sich  das  Heusner- 
’f  Mittel  sehr  gut  mit  Jodtinktur  mischen  lässt,  ohne  in  seiner 
Jbekraft  beeinträchtigt  zu  werden,  macht  auch  dieses  Bedenken 
ifällig 

Schädigt  dasselbe  die  Haut  nicht?  Ich  habe  bis  jetzt  in  keinem 
Ile  eine  Schädigung  beobachtet;  wohl  aber  bei  anderen  harzigen 
schungen,  z.  B.  Mastix,  Chloroform  und  Leinöl. 

Die  Zahl  der  Chirurgen,  welche  Jodtinktur  für  die  Herrichtung 
;  Operationsgebietes  als  ausreichend  ansehen.  ist  keine  geringe. 

selbst  habe  aus  Gefühlsgründen  die  Haut  vorher  mit  feuchten! 
ht  nassen  Benzintupfern  abgerieben.  Niemals  aber  gebrauche  ich 
hr  warmes  Wasser  und  Seife.  Benzin  entfernt  den  Schmutz  minde- 
ns  ebenso  gut  wie  ersteres,  es  hat  nicht  den  Nachteil,  die  Haut 
quellen  zu  lassen  und  die  Keime  aus  der  Tiefe  nach  der  Ober- 
:he  zu  locken. 

Warmes  Seifenwasser  und  hauthärtende  Mittel  sind  geradezu 

tagonisten. 

Ich  habe  früher  beobachtet,  dass  Jodtinktur  auf  mit  Wasser  vor- 
landeiter  Haut  Dermatitis  erzeugte.  Beim  Vorhandensein  von 
inden  hat  die  Wasserbehandlung  den  schwer  zu  vermeidenden 
enteil  der  Verunreinigung  der  ersteren  durch  die  Flüssigkeit 
Aus  diesem  Grunde  habe  ich  vorhin  betont,  dass  ich  mich  feuch- 
und  nicht  nasser  Benzintupfer  bediene.  Ohne  Veränderung  der 
stigen  aseptischen  Massnahmen  hat  sich  seit  Anwendung  des  Ver- 
rens  die  Heilung  der  Operationswunden,  besonders  derjenigen  der 
tchdecken,  in  sinnfälliger  Weise  gebessert. 

2  Darmresektionen  bei  schwer  infizierten  Bauchdecken  (Köt¬ 
el)  zeigten  durch  reaktionslosen  Verlauf,  dass  das  Verfahren  ge- 

Auch  bei  der  Herrichtung  meiner  Hände  und  Arme  bin  ich  denen 
3lgt.  die  ein  abgekürztes  Verfahren  befolgen.  Das  F  ü  r  b  r  i  n  - 
r  sehe  Verfahren  vertrugen  meine  Hände  nicht  gut.  Die  Haut 
uppte  mächtig  ab  und  wurde  rauh.  Es  ist  nun  Binsenwahrheit, 
s  in  rauher  Haut  leichter  Schmutz  und  damit  Infektionserreger 
i  festsetzen  und  dass  diese  sich  schwerer  entfernen  lassen  als 
glatter.  Es  ist  ferner  einleuchtend,  dass  die  Schuppen  eine  recht 
lhrliche  Beigabe  sind.  Ich  vermeide  aus  diesem  Grunde  die 
chen  scharfen  Handbürsten.  Ich  wickle  dieselben  in  Frottiertuch 
das  vorzüglich  mechanisch  reinigt.  Ich  vermeide  damit  auch  eine 
letzung  des  Unternagelraumes  durch  die  Borsten,  die  schon  man- 
m  Chirurgen  verhängnisvoll  geworden  ist. 

Um  eine  Quellung  der  Haut  zu  vermeiden,  wasche  ich  nur  ganz 
7-  mit  Wasser.  Wenn  es  die  Zeit  erlaubt,  lasse  ich  bis  zu  der 
enden  Zurichtung  %  Stunde  vergehen.  Darauf  folgt  Waschen 
^eitenspiritus  5  Minuten  lang  und  zuletzt  Eintauchen  in  1  proz. 
Spiritus. 

Im  Felde,  wo  alles  auf  Einfachheit  ankommt,  wird  man  sich  auf 
spiritus  beschränken  können,  der  bakterizide  Kraft  und  die  Fähig- 
.  die  Keime  zu  fixieren,  in  sich  vereinigt.  Das  Heusner  sehe 
benzin  haben  meine  Hände  nicht  vertragen. 

Sobald  der  Jodspiritus  verdunstet  ist,  ziehe  ich  Gummihand- 
ihe  an.  Abgesehen  von  allen  anderen  Vorteilen  schätze  ich  die- 
en  deswegen  hoch,  weil  die  Hände  während  der  Operation  nicht 
inreinigt  werden.  Besonders  auf  der  Haut  eingetrocknetes  Blut 
t  sich  nur  mühsam  entfernen.  Ferner  werden  die  Finger  vor 
issen  bewahrt,  die  beim  Schürzen  der  Fäden  entstehen.  Aus 
erem  Grunde  würde  ich,  wenn  Mangel  an  Gummihandschuhen 
"eten  sollte,  Fingerlinge  aus  Kondomgummi  gebrauchen. 


2021 


•t  ^llt.  Vorteil  habe  ich  als  Ersatz,  einem  Vorschläge  folgend,  ste¬ 
rile  Zwirnhandschuhe  gebraucht,  welche  mit  Alkohol  durchtränkt 
n:  ,D4urtch  wiederholtes  Eintauchen  der  so  behandschuhten 
Hände  in  letzteren  während  der  Operation  kann  man  eine  Dauer¬ 
hartung  der  Haut  erzielen. 

Ganz  Hervorragendes  leistet  die  Klcbeflüssigkeit  beim  Verbände 
an  “"sonstigen  Körperteilen,  z.  B.  der  Leisten-  und  Damm¬ 
gegend,  lasst  sich  ein  tadelloser  Abschluss  erzielen,  viel  besser  als 
durch  Pilaster. 

Referate. 

Deutsche  medizinische  Wochenschrift.  Aus  Nr.  35,  1914. 

Magnesiuminjektionen.*  L"'  Bel,a"dlun!  des  Tc,a"“s  s“bk“>»™" 

mfnrnni  lZ%SChTJen  Utld  leichteren  Fall  von  Tetanus  neo- 

natorum  hat  F.  mit  den  von  Meitzer  empfohlenen,  in  Deutschland 

eehähr^wrp-f61!?^ n  StUbMUt\1?n  ,Masnesiuminiektionen  guten  Erfolg 

In iekHnnJn  f  1914  S‘  1704)-  Durch  intralumbale 

Injektionen  wurden  durch  Stadler  im  Balkankrieg  von  5  sehr 

senweren  Fallen  2  am  Leben  erhalten  und  Verf.  verspricht  sich  von 
dieser  überall  anwendbaren  Methode  im  Felde  gute  Erfolge  Als 
Tagesdosis  können  8— 20  g  Magnesiumsulfat  gelten;  geeignet  sind  10 
DIS  25  Proz.,  am  wenigsten  reizend  anscheinend  30— 40  proz  Lö¬ 
sungen.  Die  Schmerzhaftigkeit  wird  durch  vorherige  Gaben  von 
Lhloral,  Pantopon  oder  Morphium  herabgesetzt.  Bei  der  Möglich- 
keit,  dass  nach  den  Injektionen  Atemstörungen  auftreten,  muss  Chlor¬ 
kalzium  (CaCL)  zur  intramuskulären  Injektion  (5  proz.)  bereit  gehalten 
werden,  das  in  kurzer  Zeit  rettend  wirkt.  Magnesium  sulfur.  cry- 
stallis.  puriss.  und  Oalc.  chlorat.  crystallis.  puriss.  können  leicht  in 
siert  werden  Fe  d  mitgeführt’  die  Lösungen  leicht  filtriert  und  sterili- 

W.For  net- Berlin;  Ueber  Fortschritte  in  der  Schutzimpfung 
gegen  Typhus  und  Cholera. 

Die  Schutzimpfung  gegen  Typhus  kann  dank  den  Fortschritten 
der  neueren  Zeit  durch  möglichst  schonende  Abtötung  der  Bazillen 
bei  53  .  ohne  erhebliche  Gesundheitsstörungen  durchgeführt  werden 
und  zwar  rmt  dem  Agarimpfstoff  Rüssel  ls  oder  mit  dem 
Bouillonimpfstoff  Leishmans.  Der  von  F  o  r  n  e  t  angegebene,  aber 
tur  die  Schutzimpfung  noch  nicht  genügend  erprobte  eiweissarme 
1  yphusimpfstoff  verspricht  fast  vollständige  Reizlosigkeit.  Die  In¬ 
jektionen,  bei  denen  in  10  tägigen  Pausen  erst  500,  dann  1000  Millionen 
nach  Le  i  sh  man  oder  erst  1000  und  dann  noch  zweimal  je  2000  Mil¬ 
lionen  Bazillen  nach  Russell  einverleibt  werden,  erfolgen  subkutan 
unterhalb  des  linken  Schlüsselbeines  oder  zwischen  den  Schulter¬ 
blättern.  Der  Erfolg  der  Schutzimpfung  ist  nach  den  Erfahrungen 
in  der  amerikanischen  Armee  ein  sehr  guter. 

Aehnlich  gute  Erfolge  werden  durch  die  (zweimalige)  Cholera¬ 
schutzimpfung  erzielt,  bei  der  gleichfalls  die  Abtötung  durch  mög¬ 
lichst  niedrige  Temperatur  (56  ev.  54°)  die  Reizlosigkeit  der  In¬ 
jektion  vermehrt. 

\  erf.  empfiehlt  die  möglichst  baldige  Schutzimpfung  wenigstens 
aller  an  grösseren  Krankenanstalten  tätigen  Aerzte  und  Pflege¬ 
personen.  Die  Lieferung  der  modernen  Impfstoffe  kann  jetzt  von 
der  Industrie  kaum  in  den  erforderlichen  Mengen  geleistet  werden¬ 
vorder  Verwendung  der  älteren,  d.  i.  stärker  erhitzten  Typhus-  und 
Choleraimpfstoffe  ist  dringend  zu  warnen.  Aerztevereinigungen 
Krankenhausverwaltungen  oder  Krankenpflegerverbände  sollten  die 
Herstellung  der  neueren  Impfstoffe  bei  den  chemischen  Fabriken  an¬ 
regen  oder  ev.  selbst  in  die  Hand  nehmen.  B  e  r  g  e  a  t. 

Medizinische  Klinik.  Aus  Nr.  33.  1. 

Brandenburg:  Ueber  Versorgung  der  Verwundeten  und 
Erkrankten  im  Kriege. 

B.  berichtet  zunächst  über  die  Einrichtung  der  Mili- 
tärlazarette  im  Operationsgebiet,  indem  er  uns  den 
Weg  verfolgen  lässt,  den  der  Verwundete  vom  Gefechtsfeld  bis  zum 
Ort  seiner  dauernden  Unterbringung  zurücklegen  muss. 

Die  ersten,  der  kämpfenden  Truppe  nächsten  Lazarette  sind  die 
Feldlazarette.  Sie  haben  die  Verwundeten  aufzunehmen,  die 
von  den  Truppen,  den  Hauptverbandplätzen  oder  direkt  vom  Schlacht¬ 
feld  gebracht  werden.  Der  Aufenthalt  dort  soll  nur  so  lange  dauern, 
bis  der  Zustand  des  Verletzten  den  Rücktransport  gestattet.  Dieser 
wird,  besonders  in  der  ersten  Zeit  des  Krieges  durch  die  Etappen¬ 
behörden  in  der  Weise  bewerkstelligt,  dass  zur  Entlastung  der  Feld¬ 
lazarette  jeder  Transportfähige  möglichst  weit  ins  Innere  des  Landes 
zurückgeschafft  wird.  In  der  Marschordnung  befinden  sich  die  Feld¬ 
lazarette  bei  den  Munitionskolonnen  des  Trains,  von  wo  sie  nach  Be¬ 
darf  weiter  vor,  event.  bis  an  das  Ende  der  Truppe  selbst,  doch  nicht 
in  das  unmittelbare  Gefechtsbereich  gezogen  und  am  zweckmässigsten 
in  passenden  Räumen  geeignet  gelegener  Ortschaften  eingerichtet 
werden.  Naturgemäss  werden  sie  in  der  Nähe  der  Hauptverband¬ 
plätze  errichtet.  Bei  der  Wahl  des  Ortes  ist  darauf  Bedacht  zu 
nehmen,  dass  die  durchschnittliche  Aufnahmefähigkeit  für  200  Ver¬ 
letzte  durch  Ausnutzung  örtlicher  Hilfsquellen  gesteigert  werden 
kann  und  dass  bei  Auswahl  der  Häuser  nicht  in  dauerndem  Gebrauch 
befindlichen  Gebäuden,  wie  Theatern,  staatlichen  Bauten,  Turnhallen, 
Fabriken  etc.  der  Vorzug  zu  geben  ist.  Dann  beginnen  sofort  die 


20 22 


Nr.  39 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  tned.  Wochenschrift. 


IWrichtungsarbeiten :  Krankem  auinc,  \  erbandzimmer,  \\  asser,  Bet¬ 
ten,  Strohsäcke  werden  bereitgestellt,  Instrumente  und  Sterilisier- 
apparate  gerichtet,  Oper,  tionsraum  und  Räume  zum  Sterilisieren  der 
Verbandstoffe.  Röntgcnzimme  und  Wäschedesinfektionsraum  bestellt. 
Genügen  die  vorhandenen  Räumlichkeiten  nicht,  so  werden  Baracken 

oder  Zelte  errichtet.  .  _  . 

Weiter  rückwärts  liegen  die  Kriegs-  und  ttappenlaza- 
rette.  Sie  dienen  dazu,  beim  Zusammenströmen  vieler  Verwunde¬ 
ter,  die  besonders  nach  grossen  Schlachten  in  den  Feldlazaretten  nicht 
mehr  untergebracht  werden  können,  aufzunehmen  und  durch  Ab¬ 
nahme  transportfähiger  Verletzter  die  Feldlazarette  in  der  Lage  zu 
erhalten,  den  Marsch  der  Truppen  immer  zu  begleiten  und  in  steter 

Bereitschaft  zu  sein.  _ 

Von  grosser  Bedeutung  sind  die  im  Gebiete  der  Etappen  ge¬ 
legenen  Scuchenlazarette.  Sie  werden  an  nicht  besetzten, 
aber  in  der  Nähe  der  Heerstrassen  gelegenen  Orten  errichtet  und  nach 
den  angewandten  Grundsätzen  der  Seucbenhygiene  eingerichtet  und 
geführt.  Getrennte  Räume  für  Kranke,  Krankheitsverdächtige  und 
Ansteckungsverdächtige,  Möglichkeit  leichter  Reinigung  und  Desinfek¬ 
tion  der  Krankenräume  sind  die  leitenden  Prinzipien.  Die  Genesenden 
werden  besonderen  Erholungsstätten  überwiesen,  das  Eigentum  der 
Entlassenen  wird  desinfiziert.  Bakteriologische  Untersuchungsstellen 
sollen  für  Verhütung  von  Krankheitsverschleppung  Sorge  tragen.  — 
Vielleicht  werden  gerade  im  gegenwärtigen  Kriege  die  Seuchenlaza¬ 
rette  auf  dem  russischen  Kriegsschauplatz  segensreich  zu  wirken  be¬ 
rufen  sein. 

In  der  folgenden  Abhandlung  „Gesundheitsschädi¬ 
gungen  auf  dem  Marsche“  bespricht  Verf.  als  erste  den 
H  i  t  z  s  c  h  1  a  g.  Er  erörtert  eingehend  die  bekannten  Gründe  für 
das  Auftreten  des  Hitzschlags  und  die  sich  daraus  ergebenden  pro¬ 
phylaktischen  Massnahmen.  Die  wichtigste  besteht  darin,  dass  eine 
locker  sitzende  oder  leicht  zu  lockernde  Kleidung 
ein  fortwährendes  Abströmen  der  an  der  Oberfläche  erwärmten  und 
durch  Schweissverdunstung  gesättigten  Luftschichten,  sowie  ein 
Nachströmen  frischer,  für  Wasserdampf  noch  aufnahmefähiger  Luft 
gestattet.  Eine  erhebliche  Rolle  spielt  beim  Zustandekommen  von 
Hitzschlägen  der  Herzmuskel,  was  aus  den  verhältnismässig  häufig 
zurückbleibenden,  organischen  sowohl  wie  funktionellen  Herzschädi¬ 
gungen  zur  Genüge  erhellt.  Als  kritischer  Punkt  gilt  das  Erlöschen 
der  Scliw'eisssekretion,  das  zugleich  die  allgemeine  Muskelermüdung, 
die  Ermüdung  des  Herzmuskels  und  der  Atemmuskeln  anzeigt. 

Für  die  Behandlung  sind  folgende  Gesichtspunkte  massgebend: 
Anregungsmittel  (Kampfer,  Aether,  Digalen  intravenös  oder  subkutan, 
Epirenan  subkutan),  Kältereize,  Lösung  beengender  Kleidungsstücke, 
erhöhte  Lage  von  Kopf  und  Oberkörper  sind  angezeigt.  Grösste  Be¬ 
deutung  kommt  dem  Aderlass  (200 — 300  ccm)  zu,  der,  rechtzeitig  vor¬ 
genommen,  lebensrettend  wirken  kann.  Zuführung  frischer  Luft, 
event.  künstliche  Atmung,  O-Inhalationen  sind  indiziert.  Die  Wasser- 
und  Salzverluste  werden,  wenn  eine  Flüssigkeitszufuhr  per  os  nicht 
möglich  ist,  durch  subkutane  oder  intravenöse  Einführung  von  iso¬ 
tonischer  Kochsalzlösung  und  Darmeingiessung  mit  0,6  Proz.  Koch- 
sa'zsodalösung,  der  auf  1  Liter  1 — 2  ccm  Epirenan  zuzusetzen  sind,  er¬ 
setzt.  Harnverhaltung  verlangt  Katheterismus  und  lauwarme  Bäder. 
Reizerscheinungen  des  Rückenmarks  werden  in  erster  Linie  wieder 
bekämpft  durch  Aderlass  und  subkutane  oder  intravenöse  Kochsalz¬ 
infusion;  ausserdem  kommen  Chloroform,  Morphium,  Chloralhydrat- 
einläufe  (4 — 6:  1000,0),  Chin.  mur.  und  Veronal  ää  0,5,  lauwarme 
Dauerbäder  in  Frage.  An  Hitzschlag  Erkrankte  sollen  noch  längere 
Zeit  überwacht  werden,  auch  bei  deutlicher  Besserung,  weil  noch 
tagelang  nach  dem  Anfall  Kollapse  und  Krisen  eintreten  können.  K. 


Kleine  Mitteilungen. 

Zur  Gesundheitspflege  im  Heere. 

Die  gewaltigere  und  schnellere  Kriegsführung  der  Neuzeit  führt 
zu  immer  grösseren  körperlichen  Anstrengungen  des  Heeres,  zu 
immer  grösseren  Anforderungen  an  die  moralischen  Kräfte  und  das 
Nervensystem,  zu  immer  grösseren  Entbehrungen  an  Ernährung, 
Nachtruhe,  Schutz  vor  Unbilden  der  Witterung. 

Es  ist  Tatsache,  dass  unser  Heer  heute  schon  schwer  an  nötigen 
Dingen  Mangel  leidet,  Tatsache,  dass  mancher  Krieger  heute  schon 
kein  Hemd  hat;  anderen  Strümpfe,  den  meisten  warme  Unterkleider 
fehlen. 

Der  Staat  hat  bisher  vieles  der  freiwilligen  Liebestätigkeit  zu¬ 
geschoben,  was  diese  bei  unseren  heutigen  Massenheeren  bei  der 
grössten  Opferwilligkeit  des  Volkes  nicht  mehr  in  vollkommener 
Weise  leisten  kann,  schon  deshalb,  weil  s  i  e  nicht  schnell  und  all¬ 
gemein  Jeden  ohne  Ausnahme  gleichmässig  versorgen  kann. 

Es  ist  Pflicht  des  Staates,  der  jene  Anforderungen  an  Körper 
und  Geist  nicht  mindern  kann,  wenigstens  zur  Erhaltung  der  Ge¬ 
sundheit  des  Heeres  alles  unbedingt  Notwendige  zu  leisten.  Seine 
bisherigen  Leistungen  genügen  aber  nicht  mehr,  wenn  die  Lasten 
des  Krieges,  wie  erwähnt,  immer  ausgedehnter,  drückender  und  für 
den  einzelnen  im  Felde  Stehenden  inmitten  der  Massen  immer  un¬ 
abwendbarer  werden. 

Zu  diesem  Notwendigen  gehört  ausser  genügender  Nahrung 
auch  genügende  Kleidung  und  zu  dieser  nicht  nur  die  Oberkleidung, 
Uniform  und  Schuhe,  sondern  auch  die  der  Jahreszeit  entsprechende 


Unterkleidung.  Der  Staat  hätte  sic  zu  liefern  nicht  nur  aus  Rücksich 
auf  den  einzelnen  Wehrmann,  sondern  auch  in  seinem  eigenen  Inter 
esse  aus  Rücksicht  auf  die  unumgänglichen  Forderungen  der  Ge 
siYndheitspflege  und  die  Kampftüchtigkeit  des  Heeres.  Genügend! 
Kleidung  ist  zur  Vermeidung  von  Krankheiten  und  Epidemien  ebenst 
nötig  wie  gesundes  Trinkwasser  und  gesunde  ausreichende  Nahrung 
Er  hätte  auch  Seife  u.  ä.  zu  stellen. 

Möge  das  Reich,  dem  bisher  unerhörte  Geldmittel  zum  Kriegt 
zur  Verfügung  gestellt  wurden  und  nach  Bedarf  wieaer  und  wiede 
gegeben  würden,  sich  seiner  Pflicht  bewusst,  auch  in  dieser  Sack 

ein  Muster  werden.  „  ,  .  . 

Es  brauchte  nicht  zu  fürchten,  dass  die  freiwillige  Liebestatig 
keit  zu  kurz  käme;  ihr  bliebe  noch  ein  unbegrenztes  Feld  zu  dank 
baren  Spenden  an  das  Heer  und  zur  Linderung  der  Not  im  Felde  un< 
daheim.  _ _  ^  0 '  b. 


Aus  der  neueren  militärärztlichen  Literatur. 

Koder  empfiehlt  nach  Klapp  die  Desinfizierung  eiternde 
Wunden  mit  rohem  Terpentin;  dieselbe  ist  schmerzlos  und  mach 
keine  Nierenreizung.  _ _ 

Chrysospathes  empfiehlt  bei  schweren  Wundinfektionen  di 
Behandlung  mit  Paraffinum  liquidum  rein  oder  mit  Zusatz  von  2  b. 
2.5  Proz.  Jodoform. 


In  der  antiseptischen  Wundbehandlung  wird  das  Sublimat  noc 
häufig  in  zu  starken,  z.  B.  1  prom.  Lösungen  verwandt;  es  genüge 
vollständig  und  sind  vorzuziehen  Lösungen  von  1 :  3000 — 5000. 


Wiederholt  wird  empfohlen,  zur  Wundbehandlung  die  Jodtinktu 
nicht  in  10  proz.,  sondern  5  proz.  Lösung  zu  gebrauchen. 


Ein  sehr  brauchbares  Mittel  bei  Diarrhöen  soll  Kognak  mit  ein' 
gen  Tropfen  Jodtinktur  sein. 

Bgt. 


Interne  Mittel  bei  Wundinfektion  und  Sepsis. 

Die  folgenden  Zeilen  sollen  ein  Mittel  wieder  in  Erinneruiv 
bringen,  das  infolge  der  Flut  neuer  Heilmittel  bei  den  meisten  Aerzte: 
in  Vergessenheit  geraten  ist,  und  das  besonders  im  Beginne  voi 
Wundinfektionen,  Lymphangitiden.  phlegmonösen  Entzündungen  eine: 
raschen  Rückgang  von  Schwellung,  Rötung,  Eiterung  und  Fieber 
temperatur  begünstigt:  das  sind  kleine  Gaben  von  Quecksilber,  an 
besten  in  Form  leicht  löslicher  Salze  wie  HgCls  (zur  Wegnahm 
des  metallischen  Beigeschmackes  in  Verbindung  mit  KJ.)  in  Gabe 
von  0,015-  -0,02  pro  die,  2—3 — 4  Tage  nacheinander;  mit  abnehmen 
der  Entzündung  kleinere  Tagesgaben  bis  0,075,  die  auch  länger  fort 
gegeben  werden  können;  bei  stärkerem  Fieber  vorübergehend  bi 
0,025  (0,03)  Tagesgabe.  Zwischen  den  Einzelgaben  etwas  Nah 
rungsaufnahme,  einen  Schluck  Milch  etc.  Z.  B.  Rp.  Hydrarg 
bichlor.  0,04,  Kali  jodat.  0,4,  Sir.  Cort.  Aur.  20,  Aqu.  dest.  ad  20f 
D.S.  2  stündl ,  oder  3  stiindl.  1  Esslöffel.  Einmal  wiederholen. 

Diese  kleinen  Gaben,  die  weit  unter  den  Maximaldosen  Heger 
sind  bekanntlich  auch  bei  kardialem  Hydrops  von  gutem  Erfolg  uni 
auch  bei  Infektionskrankheiten  wie  Diphtherie,  Typhus,  Pneuinoni 
von  guter  Wirkung  und  waren  speziell  bei  Diphtherie  vor  Einführun: 
der  Serumtherapie  sehr  viel  angewandt. 

Med.-Rat  Dr.  H.  v.  H  ö  s  s  1  i  n  -  Landau 


Aus  Feldpostbriefen. 

Aus  Feldpostbriefen  eines  bayerischen  Oberarztes  d.  L. 

II. 

Am  24.  August  ritten  wir  von  10  Uhr  vormittags  bis  4  Uh 
nachmittags  ohne  Pause  und  ohne  Essen  bei  grosser  Hitze  i 
Lothringen.  Das  Haus,  in  dem  wir  einquartiert  wurden,  hatte  sich  ei 
französischer  Oberst  nicht  ohne  einen  gewissen  Aufwand  gebaut 
Wir  wurden  freundlich  aufgenommen;  2  Tage  vorher  waren  di 
Franzosen  dagewesen.  Ich  erhielt  ein  köstliches  Bett,  das  beste  sei 
Kriegsbeginn,  eine  doppelte  Wohltat  nach  den  Zeltnächten.  Aber  acr 
um  11  Uhr.  als  ich  eben  2  Stunden  fest  geschlafen  hatte,  wurd 
alarmiert  und  um  Vs  12  Uhr  ritten  wir  schon  in  die  sternklare,  abe 
mondlose  Nacht  hinein,  an  Wachtfeuern,  schweigenden  Posten,  un 
endlichen  Wagenkolonnen  vorüber.  Um  5  Uhr  früh  waren  wir  in  L 
schon  längst  von  mächtigem  Kanonendonner  begleitet;  um  2  Uhr  nach 
mittags,  nach  15  ständigem  Ritt,  auf  unserem  vermeintlichen  Biwak 
platz.  Kaum  hatten  wir  aus  unserer  Feldküche  etwas  gegessen,  s 
kam  der  Befehl  zum  Errichten  eines  Hauptverbandplatzes.  Ais1 
schnell  wieder  aufs  Pferd!  Als  wir  uns  in  einer  halbzerschossenei 
Mühle  eben  etabliert  hatten,  wurden  wir  nach  einem  nahen  Dort' 
dirigiert.  Wir  hatten  gerade  unter  betäubendem  üeschützlärm  zi 
arbeiten  begonnen.  Wir  schlugen  dort  2  Zelte  auf  und  arbeiteten  u 
Hemdärmeln,  schweisstriefend,  während  vor  und  hinter  uns  du 
Granaten  in  den  Boden  schlugen,  dass  die  Erde  haushoch  emporflog 
Unser  Platz  mit  der  Flagge  des  roten  Kreuzes  wurde  aber  gänzlici 


29.  September  1914. 


Peklürztliclie  Beilage  zur  Münch,  mcd.  Wochenschrift. 


2023 


respektiert.  Icli  hatte  die  sog.  Empfangsabteilung,  wo  die  Ankoititnen- 
Jen  in  schwerverletzte,  Nichttransportfällige,  Leichtverletzte  und 
\  ersorgte  geschieden,  oder  wie  der  technische  Ausdruck  lautet,  sor- 
tiert  w  erden,  und  stand  in  einem  Hauten  von  stöhnenden,  blutigen, 
erschöpften  Menschen,  der  trotz  aller  Arbeit  statt  kleiner  immer 
grösser  wurde.  Als  besonders  unangenehm  empfand  ich,  dass  man 
•je  ^  erletzten  nirgends  hinsetzen,  nur  hinlegen  kann  (wir  waren  auf 
,‘iner  Wiese),  so  dass  mir  verschiedene  umfielen;  ferner  dass  es  kein 
Wasser  gab,  also  auch  kein  Händewaschen! 

(legen  Abend  begann  es  zu  regnen  und  als  wir  noch  mitten 
n  der  Arbeit  waren,  kam  der  Befehl  zum  Abbrechen,  da  der  Gegner 
vordringe.  (l  etzteres  erfolgte  aber  nicht.)  Hs  war  ein  böser 
Moment,  als  wir  in  5  Minuten  unsere  2  Verbandzelte  abbrachen,  die 
machen  in  die  Wagen  stopften,  die  massenhaften  Verwundeten  auf 
Jie  mitgebrachten  Leiterwagen  packten  und  abzogen.  Als  ich  meine 
ibgtlegten  Aachen  suciite,  waren  diese  im  Gewühl  verschwunden, 
jbenso  war  mein  Diener  und  mein  Pferd  nicht  auffindbar  (fanden 
•ich  aber  w  leder).  Ich  ging  also  ohne  Kopfbedeckung  und  in  Hemd- 
irinehi i  neben  der  Kompagnie,  bis  mir  ein  Kollege  Mütze  und  Mantel 
ieh.  etwa  um  9  Uhr  kamen  wir  nach  X,  alle  Strassen  vollgestopft 
nit  Krankenfahrzeugen,  überall  Fackelschein,  Befehlsrufe,  Pferde¬ 
rappeln.  Bis  nachts  3  Uhr  hatten  wir  damit  zu  tun  die  Ver- 
undeten  unterzubringen,  wobei  uns  die  aus  den  Betten  geholten 
nnwohner  bestens  unterstützten.  Nach  zweistündigem  Schlaf  (in 
refflichcm  Bett  bei  einem  älteren  Rentner)  mussten  die  unversorgt 
nitgenommenen  Leute  verbunden  werden,  womit  wir  bis  abends  zu 
un  hatten.  Ich  habe  dabei  ein  ganzes  Haus  von  oben  bis  unten 
rledigt.  Gegen  Abend  rückten  wir  dann  nach  B.  Die  Schlacht  geht 

nuner  noch  weiter .  Dass  ich  trotz  dieser  unerhörten  An- 

trengung  in  bester  Form  bin,  verdanke  ich  in  erster  Linie  meinem 
:uten  Magen.  Wer  nicht  alles  und  jegliches  zu  jeder  Tages-  und 
Nachtzeit  verträgt  und  dazwischen  auch  Hunger  und  Durst  aushält, 
,ann  nicht  existieren  Ausserdem  muss  man  imstande  sein,  jede 
reie  Minute  zum  Schlaf  zu  benutzen,  dann  findet  sich  alles  andere 
on  selbst. 

28.  August.  Ich  bin  also  seit  25.  d.  M.  ohne  Waffenrock,  Füll- 
ederhalter,  Helm,  Pistole,  Fernglas.  Ein  Kollege  hat  mit  einer 
ite\\  ka  ausgeholfen,  das  übrige  werde  ich  mir  von  Verwundeten  all- 
lählich  geben  lassen. 


Therapeutische  Notizen. 

Milzschuss,  durch  freie  Netztransplantation 
eh  eilt.  R.  Mühsam  berichtet  (aus  der  chir.  Abt.  des  städt. 
rankenhauses  Moabit  in  Berlin)  über  einen  Fall  von  Schussver- 
‘tzung  der  Milz,  der  2  Stunden  nach  der  Verletzung  zur  Operation 
am.  Bei  der  Laparotomie  zeigte  sich  die  Milz  schräg  von  vorn  nach 
inten  von  der  (Revolver-)  Kugel  durchbohrt,  aus  dem  Schusskanal, 
urch  den  man  2  Finger  hindurchführen  konnte,  floss  reichlich  frisch¬ 
stes  Blut.  Ein  grosses  Stück  Netz  wurde  abgebunden,  abgetragen 
id  mit  Hilfe  einer  Kornzange  durch  den  Schusskanal  der  Milz  hin- 
jrchgezogen.  Die  beiden  freien  Enden  des  Netztampons  wurden 
iteinander  vernäht,  so  dass  das  Netzstück  ringartig  die  Milz  um- 
ib  und  den  Schusskanal  keinesfalls  verlassen  konnte,  die  Wunde 
urde  durch  Etagennähte  verschlossen.  Der  Heilungsverlauf  war 
att.  Eine  Naht  der  Milz  wäre  unmöglich  gewesen;  gegenüber  der 
ilzexstirpation  war  der  Versuch  konservativer  Behandlung  wegen 
-r  blutstillenden  Wirkung  des  frei  transplantierten  Netzes  und  wegen 
-r  grossen  Einfachheit  des  Verfahrens  geboten.  Durch  die  Verkle- 
mg  des  Netzes  mit  der  Wundfläche  wird  die  Blutung  rasch  zum 
:ehen  gebracht.  (B.kl.W.  1914  Nr.  32.)  R.  S. 

In  der  Pharm.  Ztg.  1914  S.  725  wird  folgende  Vorschrift  für 
neu  Mastisolersatz  mitgeteilt: 

Mastix  20,0 

Kolophonium  20,0 

Ol.  Ricini  3,0 

Methyl,  salicyl.  1,0 

Benzol  56,0. 


Tagesgeschichtliche  Notizen. 

München,  den  28.  September  1914. 

—  Achte  Kriegswoche.  Noch  immer  dauert  auf  dem 
östlichen  Kriegsschauplatz  das  Ringen  der  in  befestigten  Stellungen 
der  Aisne  und  Oise  sich  gegenüberstehenden  deutschen  und  eng- 
ch-tranzösischen  Armeen  an;  eine  Entscheidung  konnte  bisher  nicht 
zielt  werden,  doch  scheint  sich  die  Wage  auf  die  Seite  der  deutschen 
anen  zu  neigen.  Der  Fall  des  ersten  Sperrforts  südlich  Verdun, 
r  „Römerschanze“,  und  die  Ueberschreitung  der  Maas  an  dieser 
eile  durch  die  deutschen  Truppen  dürfte  diese  Wendung  beschieuni- 
n.  Die  Ruhmestat  der  Woche  aber,  die  alle  deutschen  Herzen 
ner  schlagen  lässt,  fällt  diesmal  der  Flotte  zu;  es  ist  die  Ver- 
.ntung  dreier  englischer  Panzerkreuzer  durch  das  tapfere  Unter¬ 
zboot  U  9.  Wenn  diese  Tat  auch  noch  keine  wesentliche  Schwä- 
ang  unseres  gefürchtetsten  Gegners,  der  englischen  Flotte,  be¬ 
utet.  so  zeigt  sie  doch,  dass  auch  dieser  Feind,  trotz  seiner  Ueber- 
tenneit,  angreifbar  und  besiegbar  ist.  Im  Osten  sind  wichtige 
eignKse  nicht  zu  verzeichnen.  Der  Gesundheitszustand  der  Trup- 


l!)  ,  aIK*aljei-nd  gut,  doch  wird  erst  der  bevorstehende  Eintritt 
schlechten  und  kalten  Wetters  die  schädigenden  Wirkungen  des  Feld 
zugs  ganz  zur  Geltung  kommen  lassen.  Da  gewinnt  eine  Anregung. 

i  *Pr  Bezirksarzt  Kolb  an  anderer  Stelle  dieser  Nummer  mach: 

*  eüeAu“'nf;  Ausstattung  der  Truppen  mit  warmem  Zeug,  neben 
er  Abhaltung  der  Infektionserreger  der  beste  Schutz  gegen  Erkran- 
Kungen  sollte  nicht,  wie  es  jetzt  der  Fall  zu  sein  scheint,  der  Liebes- 
tätig k e i t  uberlassen  werden.  Dafür  zu  sorgen  wäre  eine  der  wichtig- 
i  Cn  ™aben  dcr  Beeresleitung.  Denn  nur  eine  gegen  die  Unbilden 
‘tterung,  soweit  dies  im  Felde  überhaupt  möglich  ist,  ge¬ 
schützte  und  darum  gesund  bleibende  Truppe  kann  die  Leistungen, 
vollbringen,  die  von  ihr  erwartet  werden. 

-  Der  Un  terricht  der  Mediziner  an  der  Uni- 
veisität  München  wird  in  allen  wichtigeren  Vorlesungen  und 
Nursen  in  normaler  Weise  aufgenommen  werden  können,  desgleichen 
der  Unterricht  in  den  Kliniken,  insbesondere  auch  an  jenen,  deren 
Kaume  zum  1  eil  gegenwärtig  als  Lazarette  dienen. 

—  Die  Tierärztliche  Hochschule  in  München  ist  durch  Kgl  Er- 
lass  vom  1  Oktober  d.  J.  an  als  selbständige  Staatsanstalt  auf¬ 
gehoben  und  der  Universität  als  tierärztliche  Fakultät  an¬ 
gegliedert  worden. 

Für  die  Dauer  des  mobilen  Verhältnisses  wurden  im 
Kgl  preuss.  Sanitätskorps  angestellt:  Prof.  Dr.  Heinrich  H  a  e  c  k  e  1, 
Chefarzt  der  chirurgischen  Abteilung  des  neuen  städtischen  Kranken¬ 
hauses  in  Stettin,  als  Generalarzt,  und  der  Geh.  Med.-Rat  Prof.  Dr. 
August  Borchard,  dirigierender  Arzt  der  chirurgischen  Abteilung 
des  Diakonissenhauses  in  Posen,  als  Generaloberarzt  (hk.) 

—  Das  Eiserne  Kreuz  erhielten : 

der  im  Felde  befindliche  Direktor  der  chirurgischen  Klinik  in 
Bonn,  Geheimrat  Prof.  Dr.  Gar  re; 

der  Stabs-  und  Regimentsarzt  im  bayer.  Res -Inf -Reg  Nr  2 
Bezirksarzt  Dr.  Becker-  München ; 

Dr.  B  ö  c  k  -  München ; 

der  Assistenzarzt  d.  Res.  Dr.  Max  Kirschner  aus  München, 
Ass.-Arzt  in  der  Prof.  Katzenstein  sehen  Klinik  in  Berlin  (als 
Grund  der  Auszeichnung  berichten  die  Blätter,  dass  Dr.  K.  bei  einem 
nächtlichen  Aufklärungsritt  aus  einem  brennenden  Hause  6  ver¬ 
wundete  Franzosen  mit  eigener  Lebensgefahr  rettete). 

—  Das  Sanitätsdepartement  des  k.  k.  österr.  Ministerium  des 
Innern  teilt  mit,  dass  in  Wien  ein  Fall  von  asiatischer  Cholera 
bei  einem  vom  nördlichen  Kriegsschauplätze  nach  Wien  gebrachten 
verwundeten  Offizier  konstatiert  wurde,  ln  der  Gemeinde  L  i  s  k  o 
des  gleichnamigen  Bezirkes  in  Galizien  wurden  zwei  Fälle 
asiatischer  Cholera  festgestellt. 

Pest.  Italien.  Im  Hafen  von  Catania  sind  am  5.  Sep¬ 
tember  ^3,  am  6.  September  4  pestverdächtige  Erkrankungen,  von 

denen  die  ersten  3  tödlich  verlaufen  sind,  festgestellt  worden.  _ 

Aegypten.  Vom  8. — 28.  August  erkrankten  (und  starben)  10  (3)  Per¬ 
sonen,  davon  1  ( — )  in  Abguig,  5  (2)  in  Alexandrien  und  4  (1)  in 
Port  Said. 

—  In  der  36.  Jahreswoche,  vom  6.  bis  12.  September  1914,  hatten 
von  deutschen  Städten  über  40  000  Einwohner  die  grösste  Sterblich¬ 
keit  Trier  mit  56,7,  die  geringste  Berlin-Friedenau  mit  5,5  Todesfällen 
pro  Jahr  und  1000  Einwohner.  Mehr  als  ein  Zehntel  aller  Gestorbenen 
starb  an  Scharlach  in  Königshütte,  an  Diphtherie  und  Krupp  in  Herne 

Rost°£k-  u  ,  ,  Vöff.  Kais.  Ges.A. 

(Hochschulnachrichten.) 

Frankfurt  a.  M.  Zum  Prosektor  am  anatomischen  Institut 
wurde  der  bisherige  Privatdozent  an  der  Züricher  Universität, 
Dr.  Hans  B  1  u  n  t  s  c  h  1  i,  berufen.  Er  tritt  zugleich  in  die  medi¬ 
zinische  Fakultät  als  Privatdozent  für  Anatomie  ein.  (hk.) 

Giessen.  Dem  Assistenzarzt  an  der  Klinik  für  psychische 
und  nervöse  Krankheiten  Dr.  jur.  et  med.  Matthias  Heinrich  G  ö  r  i  n  g 
wurde  die  venia  legendi  für  Psychiatrie  daselbst  erteilt  Seine 
Habilitationsschrift  handelt  über  „Die  Gemeingefährlichkeit  in  psych¬ 
iatrischer,  juristischer  und  soziologischer  Beziehung“,  (hk.) 

Halle  a.  S.  Als  Nachfolger  des  nach  Göttingen  berufenen 
Prof  Eugen  v.  Hippel  ist  Prof.  S  c  h  i  e  c  k  -  Königsberg  zum 
Direktor  der  Augenklinik  ernannt  worden.  Da  derselbe  zurzeit  rriili- 
tärisch  unabkömmlich  ist,  wird  bis  auf  weiteres  der  Oberarzt  Prof. 
Igersheimer  die  Leitung  der  Hallenser  Augenklinik  übernehmen. 

W  ü  r  z  b  u  r  g.  Prof.  Gerhardt  ist  als  Oberstabsarzt  und 
konsultierender  Internist  beim  2.  bayer.  Armeekorps  eingerückt. 

Lemberg.  Dr.  Eduard  Loth  hat  sich  als  Privatdozent  für 
Anatomie  und  Anthropologie  habilitiert,  (hk.) 

Prag.  Der  Titularprofessor  Privatdozent  Dr.  Franz  Sam- 
b  e  r  g  e  r  wurde  zum  a.  o.  Professor  für  Dermatologie  an  der 
tschechischen  Universität,  der  Privatdozent  Dr.  Franz  Luksch  zum 
a.  o.  Professor  für  pathologische  Anatomie  an  der  deutschen  Universi¬ 
tät  ernannt. 

(Todesfälle.) 

Irti  Alter  von  65  Jahren  ist  in  Prag  der  emer.  ord.  Professor  der 
Geburtshilfe  und  Gynäkologie  an  der  dortigen  böhmischen  Universi¬ 
tät,  Hofrat  Dr.  Karl  P  a  w  1  i  k,  gestorben,  (hk.) 

Im  Alter  von  82  Jahren  ist  in  Grabs  der  emer.  o.  Professor 
der  Augenheilkunde  an  der  Universität  Basel,  Dr.  Heinrich  S  c  h  i  e  s  s 
gestorben,  (hk.) 

In  Königsberg  i.  Pr.  ist  der  Privatdozent  für  Psychiatrie,  Di¬ 
rektor  a.  D.  Dr.  Eugen  H  a  1 1  e  r  v  o  r  d  e  n,  im  62.  Lebensjahre  ge¬ 
storben.  Er  war  von  1886 — 1891  Direktor  der  Irrenanstalt  Kortau 
(hk.) 


2024 


Nr.  3' 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Ehrentafel. 

Für?  Vaterland  starben: 

Dr.  W.  Arnold  aus  Leisnig  i.  Sa.,  Assistenzarzt  d.  Res.  im 
sächs.  Karabinier-Reg.,  am  13.  Sept.  im  Osten. 

Dr.  Rud.  Dorn,  Stabsarzt  d.  Res.,  prakt.  Arzt  und  Zahnarzt 
in  Saarlouis,  am  10.  Sept. 

Willy  Elbs,  cand.  med.,  Freiburg  i.  B. 

Dr.  Siegbert  Frost,  Assistenzarzt  d.  Res.,  Berlin. 

Christian  (iollwitzer,  Einj.-Unteroffizier  im  9.  bayer.  Inf.- 
Reg.,  appr.  Zahnarzt,  am  5.  Sept. 

Josef  He  ss  eit,  Einj.-Freiwill.  im  9.  bayer.  Inf. -Reg.,  stud. 
med.,  am  20.  August. 

Dr.  Werner  Meyer,  Stabsarzt  d.  L.,  Arzt  in  Burgwedel  bei 
Hannover.  Er  fiel  bei  einem  Angriff  auf  das  Lazarett  in 
Pont  de  Loup  bei  Namür  am  21.  August. 

Dr.  Emil  0  b  e  r  h  o  f,  Unterarzt,  5.  Landwehrreg.,  Kiel. 

Dr.  P  a  u  1  y,  Stabsarzt,  18.  Landwehrreg.,  Niedenburg. 

Aug.  P  u  1  s,  Vizefeldwebel  d.  Res.,  stud.  med.  aus  Pfalzburg, 
Lothringen. 

Dr.  Otto  Suchsland,  Oberarzt  d.  Res.  im  Gardegrena¬ 
dierreg.,  Arzt  in  Eisleben. 


(Berichtigungen.)  In  Nr.  37,  F.  Beil.  Nr.  6,  war  der  Tod  des 
Marinestabsarztes  Dr.  Th  eien  mit  dem  Kreuzer  „Magdeburg“  ge¬ 
meldet.  Wie  uns  zu  unserer  Freude  mitgeteilt  wird,  befindet  sich 
Herr  Dr.  T  h  e  1  e  n  wohl  und  munter  in  Wilhelmshaven.  Er  hat  sich 
bei  der  Sprengung  der  „Magdeburg“  durch  Schwimmen  auf  ein  Tor¬ 
pedoboot  retten  können. 

Geheimrat  Schmidt,  der  seine  goldene  Hanbury-Medaille  dem 
Roten  Kreuz  zur  Verfügung  gestellt  hat  (S.  1992),  ist  Professor  der 
pharmazeutischen  Chemie  (nicht  der  Pharmakologie)  in  Marburg. 


Eingesandt. 

Wir  werden  um  Abdruck  folgender  Anregung  ersucht: 

„In  vielen  Städten,  die  noch  keine  Verwundeten  in  ihre  bereit¬ 
stehenden  Lazarette  erhalten  haben,  gibt  es  eine  Anzahl  harrender 
Kollegen,  die  in  keinem  militärischen  Verhältnis  stehend,  in  der 
Heimatstadt  warten.  Und  dennoch  sind  sie  von  dem  innigen  Wunsch 
erfüllt,  ihr  ärztliches  Können  den  Verwundeten  zugute  kommen  zu 
lassen.  Wieder  in  anderen  Städten,  z.  B.  im  Eisass,  herrscht  Aerzte- 
mangel.  Es  wäre  deshalb  gewiss  sehr  wünschenswert,  wenn  in 
Ihrer  „Feldärztlichen  Beilage“  Listen  über  die  Lazarette,  an  denen 
noch  Aerzte  gebraucht  werden,  regelmässig  erscheinen  würden, 
etwa  wie  in  Friedenszeiten  vakante  Praktikantenstellen  mitgeteilt 
werden.  Ein  event.  Vermerk  über  freie  Station  oder  Honorierung 
wäre  ratsam.“ 

Wir  sind  gerne  bereit  uns  zugehende  Mitteilungen  kostenlos 
zu  veröffentlichen.  Red. 


Deutsche  Aerzte! 

Verschreibt  nur  deutsche  Präparate  und  Spezialitäten! 

Ein  Verzeichnis  der  mehr  oder  weniger  gebräuchlichen  aus¬ 
ländischen  Präparate  mit  gleichzeitiger  Angabe  der  inländischen,  zum 
mindesten  gleichwertigen  Ersatzpräparate  möge  hier  Platz  finden. 

Ausländische  Präparate.  Ersatzpräparate. 


1.  Alberts  Remedy 

2.  Allcock’s  Porous  Piaster 

3.  Allenburys  Black  currant  Pa- 
stils 

4.  Anesthyle  Bengue 

5.  Angiers  Emulsion 

6.  Anodyne,  Poulencfreres,  Paris 

7.  Antibilious  Pills  „Cockle“ 

8.  Antineuralgische  Aconitinpill. 
„Moraselle“ 

9.  Arsycodile  Inject  „LePrince“ 

10.  Tuckers  Asthmamittel  und 
Spray,  Burroughs,  Wellcome 
&  Co.,  London 

11.  Asthmazigaretten:  Chery,  Es- 
pic,  Exibard,  Grimault 

12.  Kola  „Astier* 

13.  Battles  Bromidia 

14.  Bengues  Mentholdragees 

15.  Bengues  Mentholbalsam 

16.  Bi-Pelotinoids,  Oppenheimer, 
Son  &  Co.,  London. 

17.  Bishops  Citrate  of  Magnesia 


1.  Colchicumpräparate 

2.  Deutsches  Capsicumpflaster 

3.  Hustenpastillen 

4.  Chloräthyl 

5.  Paraffin. -liqu.-Emulsion 

6.  Schmerzlindernde  Mittel  wie 
Phenacetin,  Aspirin  etc. 

7.  Kalomelpillen 

8.  Antineuralgica 

9.  Kakodylsaures  Natron 

10.  Inhalationsflüssigkeiten  aus 
Atropin  und  Natr.  nitros. 

11.  Holländische  Kräpelinzigaret- 
ten  und  vorzügliche  deutsche 
Fabrikate 

12.  Kola 

13.  Brompräparate  mit  Chloral- 
hydrat 

14.  Mentholpastillen 

15.  Mentholbalsam 

16.  Blaudsche  Pillen  in  gehärteten 
Gelatinekapseln 

17.  Magnes.  citric.  efferv. 


13.  Bisurierte  Magnesia 

19.  Brands  Essence  of  Beef 

20.  Brands  Essence  of  Chicken 

21.  Bromo  Seltzer  Emmerson 

22.  Browns  Bronchial  Tract 

23  Burrough,  Wellcome  &  Co., 
London,  Tabloids 


24.  Cachets  du  Dr.  Faivre 

25.  Califig,  Fasset  &  Johnson, 
London 

26.  Clins  Präparate 

27.  Cataplasme  Lelievre 

28.  Comprimees  Vichy 

29.  Crown  Lavender  und  Smel- 
ling  Salt 

30.  Eau  dentrifice  Botot,  Dr.  Jean, 
Dr.  Pierre 

31  Electrargol,  Clin,  Paris 

32.  Ellimans  Embrocation 

33.  Enesol,  Clin,  Paris 

34.  Enos  Fruit  Salt 

35.  Evianwasser 

36.  Eumyctine  „Le  Prince“ 

37.  Fellows  Compound  Syrup 

38.  Grains  de  sante  du  Dr.  Frank 

39.  Grillons  Tamar  Indien 

40.  Horlicks  Malzmilch 

41.  Lactobacilline,  „Le  Ferment“, 
Paris 

42.  Laville  Liqueur  et  Pilules 

43.  Listerine,  Lambert  Pharm.  Co. 
in  London 

44.  Moussette  Pillen,  Comar  Fils 
&  Co.,  Paris 

45.  New  Skin 

46.  Pears  Soap 

47.  Pilules  antidiabet.  Lejournet 

48.  Pinauds  Eau  de  Quinine 

49.  Poudre  de  Charbon  „Belloc‘, 

50.  Rami  Sirup 

51.  Ricqles  alcool  de  Menthe 

52.  Roger  und  Gallet-Präp. 

53.  Seabury  &  Johnsons  Pflaster 

54.  Stuarts  Dyspepsia  Tablets 

55.  Sunlight-soap 

56.  Traumatol,  Chevrier  &  Kraus 
in  Courbevois  bei  Paris 

57.  Tuberculin-Test,  Poulence 
freres-Paris 

58.  Valerianat  d’ammoniaque 
„Pierlot“ 

59.  Vin  Mariani 

60.  Vin  St.  Raphael 


61.  Xaxaquin,  Burroughs,  Welle. 
&  Co.,  London 

62.  Apollinariswasser 


63.  Apenta 


64.  Vichywasser 


18.  Gemisch  von  Natr.  bic..  Mag 
carb.  ää  30,0.  Bism.  carb. 

19.  I  Rindfleisch-  und  Hiihne 

gelee,  in  jedem  Hauslu 

20.  |  leicht  selbst  darzustellen 

21.  Brausendes  Bromsalz 

22.  Hustenpastillen 

23.  Deutsche  Präparate  in  de 
selben  Zusammensetzung  v< 
verschiedenen  deutschen  Fi 
men  (statt  „Tabloids“  ve 
schreibe  „Tabletten“!) 

24.  Antineuralgicum 

25.  Feigensaft  oder  andere  v  e  g 
tabilische  Abführmittel 

26.  Präparate  deutscher  Ap 
theker 

27.  Leinsamenkataplasmen 

28.  Biliner  Pastillen 

29.  Riechsalz 

30.  Deutsche  Zahnwässer  bess 
und  billiger 

31.  Collargol 

32.  Kampfer-Terpentin-Linimen 

33.  SalicylarsinsauresQuecksiib 

34.  Sandows  Fruchtsalz 

35.  Gieshüblerundanderedeutsc 
österreichische  MineraKväss 

36.  Urotropintabletten 

37.  Syr.  Hypophosph.  comp. 

38.  Pillen  aus  0,06  Aloe  d.  0; 
Gutti 

39.  Tamarindenkonserven 

40.  Grosse  Anzahl  deutscherMal 
und  Milchpräparate 

4L  Verschied,  deutsche  Joghut 
Präparate 

42.  Gichtpillen  (Colchicin) 

43.  Antisepticum,  im  wesentlich' 
aus  Benzoesäure  u.  Borsäu 

44.  Antineuralgicum,  bestehei 
aus  Aconitin  0,0002  und  Exi 
Chinae  0,05  pro  dosi 

45.  Kollodium-Heftpflaster 

46.  Glyzerinseifen 

47.  Antidiabetika 

48.  Haarwässer  verschiedenst 
Zusammensetzung 

49.  Kohlepastillen  verschieden 
Firmen 

50.  Sirup.  Bromoform.  comp 

51.  Spirit.  Menthae  (Deutsch 
Arzneibuch  5) 

52.  Parfüm-,  Toiletteartikel  v< 
schiedener  deutscher  Firm 

53.  Deutsche  Pflaster 

54.  Pepsin-Salzsäure-Pillen 

55.  Jede  bessere  Seife 

56.  Antisepticum, Jod-Kresylsäu 

57.  Tuberkulin  für  diagnostisc 
Zwecke,  Augenreaktion 

58.  Baldrianpräparate 

59.  Cocawein 

60.  Chinarindenwein,  dem  etu 
Fleischsaft  zugesetzt  werd 
kann 

61.  Acetylsalicylsaures  Chinin 

62.  Eine  grosse  Anzahl  deutsch 
und  österreichischer  Tah 
wässer 

63.  Friedrichshaller,  Hunyad 
Ofner-,  Franz  Josef-Bitte 

F*  wasser 

64.  Biliner  Wasser 


Die  „Feldärztliche  Beilage“  ist  bestimmt,  allen  im  Felde  stehe 
den  oder  in  Militärlazaretten  beschäftigten  Aerzten  der  deutsch 
und  österreichischen  Armee  und  Flotte  unentgeltlich  geliefert  zu  wt 
den.  Herren,  welche  sie  nicht  erhalten,  werden  um  Angabe  ihr 
Adresse  ersucht. 

Beiträge  für  die  „Feldärztliche  Beilage“  werden  nach  erhöht 
Sätzen  honoriert 

Selbstverständlich  wird  unseren  im  Feld  stehenden  Abonnent 
auch  die  Wochenschrift  selbst  an  jede  uns  angegebene  Adresse  nac 
geliefert.  J.  F.  Lehmanns  Verlag 


Verlag  von  J.  F.  Lehmann  in  München  S.W.  2,  Paul  Heysestr.  26.  —  Druck  von  E.  Mühlthaler’s  Buch-  und  Kunstdruckerei  A.Q.,  München. 


Preis  der  einzelnen  Nummer  80  4-  •  fiezugsnreis  in  Deutschland 
.  .  •  und  Ausland  siehe  unten  unter  Bezugsbedingungen.  •  •  • 

Inscratenschluss  am  Donnerstag  einer  jeden  Woche. 


MÜNCHENER 


Zusendungen  sind  zu  adressieren: 

Für  die  Redaktion  Arnullstr.  26.  Bürozeit  der  Redaktion  8k£ — 1  Uhr. 
Für  Abonnement  an  J.  F.  Lehmann’s  Verlag,  Paul  Heysestrasse  26. 
Für  Inserate  und  Beilagen  an  Rudolf  Mosse,  Theatmerstrasse  s. 


Medizinische  Wochenschrift. 

ORGAN  FÜR  AMTLICHE  UND  PRAKTISCHE  ÄRZTE 


^r.  40.  6.  Oktober  1914.  Redaktion:  Dr.  B.  Spatz,  Paul  Heysestrasse  26. 

 Verlag:  J.  F.  Lehmann,  Paul  Heysestrasse  26. 


61.  Jahrgang. 


Der  Verlag  behält  sich  das  ausschliessliche  Recht  der  Vervielfältigung  und  Verbreitung  der  ln  dieser  Zeitschrift  zum  Abdruck  gelangenden  Originalbeiträge  vor. 


Originalien. 

Aus  der  chirurgischen  Klinik  zu  Freiburg  i.  Br.  (Direktor: 
üeheimrat  Prof.  Dr.  K  r  a  s  k  e). 

!ur  Röntgentiefentherapie  bei  chirurgischen  Krankheiten, 
nit  besonderer  Berücksichtigung  der  chirurgischen 

Tuberkulose. 

>'on  Privatdozent  Dr.  J.  0  e  h  I  e  r,  I.  Assistenten  der  Klinik. 

Die  Strahlentherapie  wurde  an  unserer  Klinik  wie 
uch  anderwärts  in  früheren  Jahren  nicht  systematisch, 
■ondern  nur  gelegentlich  bei  inoperablen  oder  rezi- 
livierenden  malignen  Tumoren  oder  nach 
invollständigen  Operationen  derselben  ange- 
vandt,  jedoch  nur  selten  mit  gutem  Erfolge:  es  waren  un- 
.efilterte  Röntgenstrahlen,  welche  ulzerierte  Tumoren  bis¬ 
veilen  vorübergehend  günstig  beeinflussten.  Auch  b  e  i 
hirurgischer  Tuberkulose,  besonders  zur 
Jehandlung  von  p  o  s  t  o  p  e  r  a  t  i  v  e  n  oder  spon- 
an  entstandenen  Fisteln  bei  Knochen-  und 
ielenktuberkulose  hat  Verfasser  schon  vor  Jahren 
eben  der  sonst  üblichen  konservativen  Therapie  mit  gutem 
:riolg  Röntgenbestrahlung  angewandt. 

Mit  der  in  den  letzten  Jahren  rasch  fortgeschrittenen  Ent¬ 
wicklung  der  Bestrahlungstechnik  fand  auch  hier  die  Röntgen- 
lerapie  immer  ausgedehntere  Verwendung,  zunächst  be- 
onders  zur  Unterstützung  der  chirurgischen 
herapie  bei  malignen  Tumoren  und  bei  Tuberkulose,  wie 
-hon  früher,  aber  mit  ungleich  besserem  Erfolg.  Es  zeigte 
ich,  dass  die  Strahlentherapie  eine  überaus  wertvolle  Be¬ 
scherung  der  chirurgischen  Therapie  bei  diesen  Erkran- 
ungen  darstellt,  dass  sie  vor  allem  da,  wo  die  chirurgische 
herapie,  die  Operation  nur  wenig  gute  Resultate  aufzuweisen 
atte  oder  von  Rezidiven  gefolgt  war,  welche  erneut  einen 
perativen  Eingriff  nötig  gemacht  hätten,  helfend  eintreten 
onnte,  ja  oft  wahre  Glanzleistungen  vollbrachte.  Wir  nennen 
i  erster  Linie  die  tuberkulösen  Lymphome  des 
alses,  dann  die  tuberkulöse  Erkrankung  be- 
onders  der  kleinen  Knochen  und  Gelenke, 
ie  Spina  ventosa,  die  Handgelenkstuberku- 
3se,  Rippentuberkulose,  Tuberkulose  des 
ternoklavikulargelenks.  Die  zur  Beseitigung 
eser  Erkrankungen  früher  notwendig  gewesenen  Opera- 
onen,  welche  oft  nur  mit  Verstümmelung  einhergehen 
mnten  oder  sehr  häufig  von  Rezidiven  gefolgt  waren, 
urden  dadurch  überflüssig,  ebenso  die  Rezidivoperationen 
S  Lymphomen,  bei  Knochen-  und  Gelenktuberkulose,  und  vor 
lern  bei  1  umorrezidiven.  Und  die  Erfolge  waren  zum 
'ossen  1  eil  recht  gute,  weit  besser,  als  früher  die  opera- 
ven  Erfolge  in  solchen  Fällen  gewesen  waren.  Auch  heute 
»ch  betrachten  wir  die  Strahlentherapie  im  allgemeinen  unter 
esem  Gesichtspunkt,  einer  neuen  segensreichen 
herapie  für  die  bisher  hoffnungslosen  oder 
usserst  langwierigen,  häufig  rezidivieren- 
L'n,  oft  nur  unter  erheblicher  Verstiimmc- 
■ng  zur  Ausheilung  gebrachten  Fälle. 

Die  Strahlentherapie  ist  geeignet,  die  operative  Therapie 
1  ersetzen  zunächst  bei  allen  Lymphomen,  speziell  bei 
iberkulösen  Lymphomen.  Hier  stellt  sie  die 
herapie  der  „W  a  h  1“  dar.  Es  gibt  kein  Verfahren, 
elches  mit  solcher  Sicherheit  und  spielender  Leichtigkeit  die 
vmphome  zu  beseitigen  vermag.  Der  chirurgische  Eingriff 

Nr.  40. 


wird  die  Strahlentherapie  da  unterstützen,  wo  es  sich  um 
grosse  verschiebliche,  leicht  exstirpierbare  Lymphome  han¬ 
delt,  oder  mittels  Entleerung  von  Abszessen  oder  Entfernung 
von  Drüsensequestern,  wodurch  die  Behandlungsdauer  erheb¬ 
lich  abgekürzt  werden  kann.  Wir  können  nach  unseren  Er¬ 
fahrungen  bestätigen,  dass  die  Lymphdrüsentuberkulose  durch 
Bestrahlung  in  den  meisten  Fällen  fast  restlos  zu  beseitigen 
ist.  Die  oft  verbackenen  grossen  Drüsenpakete  schwellen 
meist  akut  nach  der  Bestrahlung  an,  lösen  sich  dann  aber  im 
Verlaufe  weniger  Wochen  auf  in  einzelne  verschiebliche 
Drüsen.  Letztere  verschwinden  bis  auf  einige  geschrumpfte 
kleine  harte  Drüsenknötchen,  welche  so  gut  wie  kein  spe¬ 
zifisches  Gewebe  mehr  oder  solches  nur  in  abgekapseltem 
Zustand  enthalten. 

Das  lymphoide  Gewebe  ist  der  elektiven  Wirkung  der 
Röntgenstrahlen  am  meisten  unterworfen.  Noch  rascher  als 
die  tuberkulösen  Lymphome  schmelzen  unter  der  Strahlen¬ 
wirkung  erfahrungsgemäss  die  pseudoleukämischen,  die 
Hodgkin  sehen  Lymphome.  Bei  den  tuberkulösen  Lym¬ 
phomen  reagieren  am  promptesten  die  hyperplastischen, 
„skrofulösen“  Lymphome.  Je  mehr  Verkäsung,  je  mehr  In¬ 
duration  eingetreten  ist,  um  so  langsamer  die  Wirkung. 
Rascher  geht  es  bei  Abszedierung:  wenn  die  Möglichkeit  der 
Verflüssigung  der  käsigen  Massen  und  des  Abflusses  vor¬ 
handen  ist.  Die  bisher  so  gefürchtete  Mischinfektion 
bei  Fistelbildung  hat  ihre  Schrecken  verloren;  sie 
scheint  keine  erhebliche  Erschwerung  der  Ausheilung  der 
Drüsentuberkulose  mehr  darzustellen,  ja  sie  befördert  viel¬ 
leicht  durch  Verflüssigung  des  verkästen  Materials  die  Heilung. 

Die  Bestrahlung  der  Lymphome  hat  den  Vorteil,  dass 
durch  sie  auch  die  kleinen  und  kleinsten  Driis- 
c  h  e  n  getroffen  werden,  welche  bei  der  Operation  oft  Zurück¬ 
bleiben  und  zu  den  so  häufigen  Rezidiven  Veranlassung  geben 
können. 

Als  weiterer  nicht  gering  anzuschlagender  Vorteil 
gegenüber  dem  früheren  operativen  Verfahren  ist  besonders 
beim  weiblichen  Geschlecht  das  Fehlen  von  Narben 
am  Hals  und  Gesicht  zu  betonen,  der  Narben,  welche 
bisher  jedem  Drüsenkranken  für  Lebenszeit  den  Stempel  der 
Tuberkulose  aufgedrückt  haben  und  dadurch  häufig  einen  er¬ 
heblichen  Schaden  für  sein  Fortkommen  etc.  gebracht  haben. 

Die  Lymphomoperationen  sind  auf  dem  jeweiligen  Opera¬ 
tionsplan  nicht  mehr  zu  finden.  Allein  dies  beweist  schon, 
welch  eine  erhebliche  Bereicherung  unser  Heilschatz  durch 
Einführung  der  Strahlentherapie  erhalten  hat.  Aber  nicht  nur 
das,  sondern  auch  auf  den  chirurgischen  Stationen  sind  fast 
keine  Lymphomkranken  mehr  zu  finden.  Die  stationäre  Be¬ 
handlung  ist  überflüssig  geworden.  Die  Patienten  werden 
ambulant  behandelt,  sie  bleiben  der  Familie  erhalten,  sie 
bleiben  arbeitsfähig,  da  sie  sich  meist  nur  in  3— 4  wöchent¬ 
lichen  Intervallen  kurzen  Bestrahlungssitzungen  unterziehen 
müssen;  ein  Vorteil,  der  vom  sozialökonomischen  Standpunkt 
ebenfalls  nicht  gering  anzuschlagen  ist. 

Irgendwelche  Nachteile  haben  wir  durch  die  Be¬ 
strahlung  nicht  gesehen:  in  manchen  Fällen  tritt  ein  mässiger 
„Röntgenkater“  auf,  bestehend  in  Kopfschmerzen,  allgemeinem 
Krankheitsgefühl,  Temperatursteigerung  (meist  nicht  über 
38,0°).  Schädigungen  der  bestrahlten  Haut  oder  Spätschädi¬ 
gungen,  wie  sie  I  sei  in  beschrieben  hat,  sind  hier  nicht  be¬ 
obachtet  worden. 

In  einem  Falle  von  ausgedehnten  tuberkulösen  Halslymphomen 
traten  nach  der  Bestrahlung  wiederholt  Schüttelfröste  auf.  Nach 
anfänglichem  negativen  Ausfall  der  Blutuntersuchung  bestätigte  sich 

1 


2026 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  40. 


bald  der  Verdacht  auf  Malaria.  Das  Auftreten  der  Malaria  in  | 
diesem  Falle  ist  um  so  auffallender,  als  dieselbe  seit  15  Jahren  latent 
geblieben  war,  und  wohl  auf  die  gewaltige  Umsetzung  im  Lymph- 
drüsensystem  des  Körpers  zurückzuführen.  Die  an  sich  interessante 
Tatsache  hindert  uns  in  diesem  Falle  leider  an  der  Fortsetzung 
unserer  mit  Erfolg  eingeschlagenen  Therapie 1). 

Kaum  weniger  glänzend  sind  die  Resultate  der  Röntgen¬ 
bestrahlung  bei  Knochen-  und  Gelenktuberkulose, 
und  zwar  sind  es  hier  besonders  die  kleineren  Knochen 
und  die  kleineren  Q  e  1  e  n  k  e,  welche  bei  tuberkulöser  Er¬ 
krankung  durch  die  Bestrahlung  ohne  Operation  der  Heilung 
zugeführt  werden  können.  Die  konservative  Behandlung  der 
Knochen-  und  Gelenktuberkulose  feiert  heute  ihren  Triumph 
in  der  Heliotherapie.  Wer  aber,  wie  die  meisten  dieser 
Patienten  aus  äusseren  Gründen  der  Heliotherapie  nicht  zu¬ 
geführt  werden  kann,  der  findet  in  der  Röntgenbestrahlung 
einen  vielleicht  nicht  vollwertigen  Ersatz  für  die  so  aus¬ 
gezeichneten  Erfolge  der  Heliotherapie  (von  welchen  sich 
Verfasser  selbst  bei  einem  Besuch  in  Le  y  sin  bei  Dr.  Rol¬ 
li  e  r  überzeugen  konnte),  aber  er  hat  gute  Chancen,  auch 
durch  Röntgenbestrahlung  geheilt  zu  werden.  Obgleich  es 
sich  bei  der  Röntgentherapie  nur  um  eine  lokale  Behandlung 
handeln  kann,  und  die  allgemeinen  Momente,  welche  bei  der 
Heliotherapie  im  Hochgebirge  für  die  Hebung  des  Allgemein¬ 
zustandes  in  Betracht  kommen,  meist  fehlen,  sind  die  Re¬ 
sultate  doch  vorzüglich  zu  nennen. 

In  Anbetracht  der  bekannten  Tatsache,  dass  die  Strahlen¬ 
wirkung  von  der  Hautoberfläche  nach  dem  Innern  zu  rasch 
abnimmt,  ist  ohne  weiteres  verständlich,  dass  kleine 
Knochen  und  kleine  Gelenke  von  oberfläch¬ 
licher  Lage  und  geringem  Durchmesser  am 
leichtesten  durch  die  Strahlen  zu  beeinflussen  sind.  Tatsäch¬ 
lich  wird  dies  auch  durch  unsere  und  Anderer  Beobachtungen 
bestätigt;  daher  die  guten  Bestrahlungserfolge  bei  Spina  ven- 
tosa,  bei  Handgelenks-,  bei  Rippentuberkulose.  Solche  Herd¬ 
erkrankungen  in  kleinen  Knochen  und  in  ihrer  Tiefenaus¬ 
dehnung  beschränkten  Gelenken  heilen  meist  sehr  rasch  aus: 
zunächst  verschwinden,  wodurch  die  Behandlung  zu  einer  für 
den  Patienten  und  Arzt  gleich  erfreulichen  wird,  die 
Schmerzen.  Mit  dem  Zurückgehen  der  Schmerzen  kehrt 
die  Funktion  wieder.  Sehr  früh  lässt  sich  eine  günstige 
Wirkung  auf  den  Allgemein  zustand  nachweisen.  Lang¬ 
samer  bildet  sich  der  lokale  Befund  zurück.  Der  Hei¬ 
lungsprozess  bei  Knochen-  und  Gelenktuberkulose  lässt  sich 
am  sichersten  mit  Hilfe  der  Röntgenaufnahmen  kon¬ 
trollieren:  wir  erhalten  analoge  Befunde  wie  bei  der  Helio¬ 
therapie.  Bei  beiden  werden  die  unscharfen  verwaschenen 
Konturen  ersetzt  durch  scharfe;  die  Struktur  des  Knochens 
wird,  wenn  auch  rarefiziert,  so  doch  deutlicher.  Es  entstehen 
deutlich  abgeschlossene  Knochenherde,  Defekte  oder  Höhlen 
auf  dem  Bilde,  welche  vorher  wegen  der  diffusen  Trübung 
nicht  deutlich  zu  sehen  waren.  So  kann  ganz  abgesehen  von 
den  klinischen  Erscheinungen  schon  aus  dem  Röntgenbilde  die 
fortschreitende  Heilung  festgestellt  werden. 

Auch  bei  der  Knochen-  und  Gelenktuberkulose  scheint 
uns  die  Gefahr  der  Mischinfektion  eine  viel  geringere  ge¬ 
worden  zu  sein;  auch  mischinfizierte  Knochenherde  sind  durch 
Röntgenstrahlen  recht  gut  zu  beeinflussen.  Die  Röntgenstrahlen 
scheinen  demnach,  ebenso  wie  die  Heliotherapie,  imstande  zu 
sein,  die  bisherige  grosse  Kluft  zwischen  geschlossener  und 
offener  Tuberkulose  hinsichtlich  der  Prognose  und  Therapie 
zu  überbrücken. 

Je  dicker  der  Knochen,  je  grösser  das  Gelenk,  um  so 
schwerer  ist  es,  mit  den  Strahlen  etwas  auszurichten.  Doch 
lassen  sich  auch  hier  bei  beginnenden  Fällen  oft  noch  recht  gute 
Resultate  erzielen,  welche  sich  sofort  durch  Nachlassen 
der  Schmerzen,  durch  Besserung  der  Funktion  zu  er¬ 
kennen  geben.  Besonders  gute  Resultate  haben  wir  gelegent¬ 
lich  am  Humeruskopf  und  Kniegelenk  gesehen.  Das  letztere 
lässt  sich  ja  leicht  von  den  verschiedensten  Seiten  bestrahlen. 
Am  schwersten  zugänglich  scheint  uns  das  Hüftgelenk.  Im 
ganzen  müssen  wir  sagen,  dass  unsere  Beobachtungszeit  noch 
zu  kurz  ist,  um  über  die  Bestrahlung  dicker  Knochen  und 
grosser  Gelenke,  deren  Behandlung  lange  Zeit  erfordert,  ein 

')  Der  vorliegende  Fall  wird  von  interner  Seite  noch  ausge¬ 
dehntere  Bearbeitung  erfahren. 


einigermassen  gültiges  Urteil  abgeben  zu  können.  Die  Re¬ 
sultate  an  der  oberen  Extremität  sind  durchschnittlich  besser 
ais  an  der  unteren  Extremität,  schon  aus  dem  Grunde,  weil  die 
Behandlung  der  Erkrankungen  der  oberen  Extremität  ausser 
Bett  und  daher  unter  gleichzeitiger  ausgiebiger  Anwendung 
der  Allgemeinbehandlung  vorgenommen  werden  kann, 
während  bei  der  unteren  Extremität  die  in  vielen  Fällen  not¬ 
wendige  Liegekur  der  Allgemeinbehandlung  unerwünschte 
Grenzen  auferlegt. 

Zur  Förderung  der  Heilung  werden  die  üblichen  konser¬ 
vativen  Massnahmen,  soweit  möglich,  mit  herangezogen: 
Punktion  und  Injektion  von  Jodoformglyzerin  (zumal  da  die 
Möglichkeit  vorliegt,  dass  wir  durch  das  deponierte  Jodoform 
eine  wirksame  Sekundärstrahlung  im  Krankheitsherd  selbst) 
erzielen!,  Sonne,  Solbäder,  Schmierseifenbäder,  Lebertran; 
ausserdem  die  orthopädische  Behandlung  in  Form  von 
Schienenapparaten,  Extension  etc.  Von  den  operativen  Me¬ 
thoden  wird  nur  in  Ausnahmefällen  Gebrauch  gemacht,  wenn 
es  sich  darum  handelt,  einen  Sequester  zu  entfernen  oder; 
einen  tuberkulösen  Herd  zu  beseitigen,  bei  welchem  die  Ge¬ 
fahr  der  Perforation  ins  Gelenk  vorliegt.  Die  Bestrahlung 
muss  bei  Kindern,  wenn  es  sich  um  die  langen  Röhrenknochen 
handelt,  wegen  der  Gefahr  der  Wachstumsstörung  mit  be¬ 
sonderer  Vorsicht  durchgeführt  werden.  Wir  haben  indessen 
bis  jetzt  keine  nachteiligen  Folgen  gesehen. 

Aehnlich  gute  Resultate  wie  bei  den  vorher  genannten 
Affektionen  haben  wir  bei  Sehnenscheidentuberku¬ 
lose  erzielt.  Doch  liegen  hierüber  erst  vereinzelte  Beob¬ 
achtungen  unsererseits  vor. 

Von  sonstiger  Tuberkulose  haben  wir  die  Peritoneal¬ 
tuberkulose  und  die  Nebenhodentuberkulose 
der  Strahlenbehandlung  unterzogen;  letztere  dann,  wenn  es 
sich  um  eine  doppelseitige  Nebenhodenerkrankung  oder  ein 
Rezidiv  nach  halbseitiger  Kastration  handelte.  Die  einseitige 
Tuberkulose  werden  wir  nach  wie  vor  durch  die  halb¬ 
seitige  Kastration  zu  beseitigen  suchen,  um  einem  eventuellen 
Fortschreiten  des  Prozesses  nach  der  Prostata,  Blase  etc.  vor¬ 
zubeugen.  Die  Bestrahlung  verspricht  auch  bei  diesem  Leiden 
Erfolg. 

Ferner  haben  wir  einen  Fall  von  Kieferaktinomy- 
kose  mit  gutem  Erfolg  bestrahlt  —  auch  wieder  ein  Gebiet, 
das  bisher  nur  gezwungen  operativ  angegriffen  wurde  und 
das  wir  gerne  der  Strahlentherapie  zuweisen,  ohne  natürlich 
auf  die  unterstützende  Jodkalibehandlung^  zu  verzichten. 

Unsere  Erfolge  bei  der  Röntgenbestrahlung  der  ma¬ 
lignen  Tumoren  sind  im  Verhältnis  zu  der  Skepsis,  mit 
welcher  wir  an  diese  Frage  herangetreten  sind,  auffallend  gut. 
Wir  haben  von  operablen  Karzinomen  bisher  nur  Kan- 
kroide  im  Gesicht  bei  alten  Leuten  bestrahlt;  der  Erfolg 
war  besonders  in  einem  Fall  vonKankroid  der  Ohr¬ 
muschel  ganz  ausgezeichnet.  Die  Operation  hätte  mit 
totaler  Entfernung  der  Ohrmuschel  einhergehen  müssen.  Der 
Patientin  ist  die  Ohrmuschel  völlig  erhalten  geblieben  und 
zwar  in  normaler  Form,  ohne  dass  eine  Narbe  zu  sehen  wäre. 
Ferner  haben  wir  Mammakarzinom  rezidive  in 
grösserer  Anzahl  bestrahlt.  Bei  4  Patienten,  welche  wir  noch 
in  Beobachtung  haben,  sind  die  Rezidivknoten  verschwunden. 
Es  zeigte  sich  bisweilen  wieder  eine  infiltrierte  Drüse,  welche 
jedoch  jedesmal  auf  Bestrahlung  wieder  prompt  zurück  ging. 
Besonders  die  Hautmetastasen  in  Form  des  „Cancer  eil 
cuirasse“  scheinen  auf  Bestrahlung  leicht  zurückzugehen. 

Es  liegen  bei  den  Karzinomen  zweifellos  ausserordent¬ 
liche  individuelle  Verschiedenheiten  vor.  Manche  Karzinome 
verhalten  sich  refraktär,  andere  „schmelzen“  weg.  Auch  bei 
unseren  inoperablen  Magenkarzinomen,  beson¬ 
ders  Pyloruskarzinomen,  bei  welchen  eine  Gastroenterostomie 
ausgeführt  wurde,  hatten  wir  den  Eindruck,  als  ob  sich 
derTumor  unter  der  Bestrahlung  verkleinere.  (Es  kann  sich  bei 
dieser  Verkleinerung  jedoch  auch  nur  um  den  Rückgang  der 
entzündlichen  Erscheinungen  handeln  infolge  der  Gastro¬ 
enterostomie,  entsprechend  der  Wirkung  der  Kolostomie  beim 
Rektumkarzinom.)  Bei  anderen  waren  wir  der  Meinung,  dass 
das  Wachstum  der  Geschwulst  zum  mindesten  aufgehalten 
wurde.  Bei  fast  allen  aber  war  eine  auffallende  Euphorie  vor¬ 
handen,  besonders  wegen  des  Rückgangs  der  Schmerzen;  die 


6.  Oktober  1914. _ MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Patienten  lebten  neu  auf,  sie  hofften  wieder;  und  schon  von 
diesem  Gesichtspunkt  aus  ist  die  Strahlentherapie  als  neuer 
therapeutischer  Eaktor,  auch  wenn  er  in  solchen  Fällen  wie 
bisher  keine  definitive  Heilung  bringt,  freudigst  zu  begriissen. 

Noch  mehr  als  bei  den  Karzinomen  können  wir  bei 
manchen  Sarkomen  von  direkt  heilender  Wirkung  der 
Strahlen  sprechen :  ein  von  der  Faszie  ausgehendes 
Sarkom  über  dem  linken  Schlüsselbein,  das 
nach  der  Operation  rezidiviert  war,  ein  „inoperables  Rezidiv“, 
konnte  durch  die  Bestrahlung  völlig  zum  Schwinden  gebracht 
werden,  so  dass  die  normalen  Konturen  der  bisher  von  Tumor¬ 
massen  ummauerten  Klavikula  wieder  nachzuweisen  sind. 
Andere  Sarkome  verhalten  sich  refraktär,  so  dass  auch  bei 
den  Sarkomen  im  allgemeinen  die  chirurgische  operative 
Therapie  immer  noch  im  Vordergrund  steht  und  stehen  muss. 

Wir  stehen  zunächst  auf  dem  Standpunkt,  dass  alle  in¬ 
operablen  malignen  Tumoren  und  die  Rezi¬ 
dive  derselben  nach  operativer  Behandlung 
bestrahlt  werden  müssen,  dass  aber  alle 
operablen  malignen  lumoren,  Karzinom  wie 
Sarkom,  abgesehen  von  den  Kankroiden  des 
Gesichts,  welche  ein  auffallend  günstiges  Be¬ 
strahlungsobjekt  darstellen,  auf  operativem 
Wege  beseitigt  werden  müssen,  dass  dann 
aber  die  Wundhöhle  bestrahlt  werden  muss, 
um  die  zurückgelassenen  Keime  zu  vernich¬ 
ten  und  dem  Rezidiv  Vorschub  zu  leisten.  Wir 
verstehen  nicht,  wie  gegenwärtig  immer  wieder,  besonders 
von  gynäkologischer  Seite,  betont  werden  kann,  dass  die  Re¬ 
sultate  der  operativen  Behandlung  der  malignen  Tumoren  so 
schlechte  seien.  Nicht  umsonst  wetteiferten  die  verschiedenen 
Kliniken  seit  Jahrzehnten,  um  möglichst  günstige  Statistiken 
bezüglich  der  Dauerheilung  der  Karzinome  aufstellen  zu 
sonnen  —  auch  wir  konnten  in  einer  jüngst  erschienenen  Ar¬ 
beit  •)  „U  e  b  e  r  die  Rektumkarzinome“  von  einer 
Tauerheilung  von  über  20  Proz.  nach  Rektumkarzinomopera¬ 
ion  berichten.  —  Jetzt  werden  die  Statistiken  der  operativen 
Jehandlung  der  bösartigen  Geschwülste,  zu  gunsten  der 
Mrahlentherapie  mit  den  schwärzesten  Farben  gemalt.  Dabei 
ehlt  doch  auf  der  anderen  Seite  immer  noch  das  Gegenstück, 

J.  h.  es  existieren  wegen  der  Kürze  der  verflossenen  Zeit 
loch  keine  Bestrahlungstatistiken,  welche  über  einen  ge- 
liigend  langen  Zeitraum  der  Dauerheilung  berichten  könnten. 
Statistiken  aber  über  die  chirurgisch  operative  Behandlung 
;xistieren  in  Menge;  nach  der  uns  zu  Gebote  stehenden 
-iteratur  sind  sie  nicht  so  schlecht,  wie  sie  jetzt  von  gynäko- 
ogischer  Seite  hingestellt  werden. 

Die  einzigen  Karzinome,  bei  welchen  auch  wir  die 
strahlentherapie  bei  chirurgischer  Therapie  vorziehen,  sind 
iie  Kankroide  des  Gesichts,  an  sich  relativ  gutartige  Tumoren, 
velche  sich  fast  ohne  Narbenbildungen  durch  Strahlentherapie 
inscheinend  definitiv  beseitigen  lassen. 

Wir  haben  dann  ausser  den  genannten  noch  ein  weiteres 
'apitel  der  Strahlenbehandlung  versuchsweise  unterworfen, 
lämlich  die  Strumen  und  zwar  zunächst  auch  wieder  Stru- 
nen,  bei  denen  es  wünschenswert  erschien,  ohne  Operation 
uszukommen,  besonders  Strumen  rezidive  und  Stru- 
nen  bei  Herzkranken.  Dabei  ist  zu  betonen,  dass  das 
'childdrüsenparenchym  auf  die  Bestrahlung  reagiert,  aber 
cider  wieder,  wie  auch  bei  den  anderen  konservativen  Ver¬ 
ehren  der  Strumenbehandlung,  weit  mehr  das  Parenchym,  als 
ie  Knoten.  Am  geeignetsten  sind  demnach  junge  par- 
nchymatöse  Strumen,  besonders  im  Pubertätsalter,  wenig  ge- 
ignet  dagegen  Kropfknoten,  mit  ihrer  so  häufigen  Begleit- 
rscheinung,  der  Kompression  und  Verdrängung  der  Luftröhre. 
las  nach  der  Bestrahlung  auch  hier  meist  einsetzende  Gefühl 
er  Erleichterung,  der  Atembefreiung,  beruht  auf  dem  Schwül¬ 
en  des  den  Knoten  umgebenden  Parenchyms. 

Der  gewöhnliche  Verlauf  ist  folgender:  die  Struma  wird 
leiner,  messbar  und  subjektiv  kleiner;  es  lösen  sich  bei  der 
nfangs  diffus  erscheinenden  Struma  durch  den  Rückgang  des 
’arenchyms  die  Knoten  heraus;  sie  bleiben  jedoch  bestehen. 
Lr  Bestrahlung  folgt  trotz  vorsichtigster  Anwendung  vielfach 
>ne  Art  Röntgenkater:  vorübergehende  Temperatursteige- 

•)  Bruns  Beitr.  z.  klin.  Chir.  87.  H.  3. 


2027 

l'ung,  Irockenheit  im  Halse,  Heiserkeit,  Hustenreiz  —  bis¬ 
weilen  Kopfschmerzen,  Abgeschlagenheit.  Diese  Erschei¬ 
nungen  gehen  nach  einem  oder  wenigen  Tagen  zurück.  Bei 
bestehender  I  rachealstenose  kann  aber  diese  Laryngitis  sicca 
wie  in  einem  unserer  Fälle  erhebliche  Beschwerden  machen. 
Die  T  emperatursteigerung,  welche  wir  im  Gefolge 
der  Strumenbehandlung  häufiger  gesehen  haben,  als  nach  Be¬ 
strahlungen  anderer  Organe  resp.  Tumoren,  z.  B.  der  Lym¬ 
phome,  wo  sie  auch  im  allgemeinen  in  bescheidenen  Grenzen 
blieb,  könnte  man  versucht  sein,  in  Parallele  zu  setzen  mit 
der  1  emperatursteigerung  nach  Strumaoperationen.  Das 
Fieber  ist  wohl  als  Resorptionsfieber  aufzufassen. 

Im  ganzen  haben  uns  die  Bestrahlungserfolge  bei  Strumen 
nicht  befriedigt.  Bei  einem  Teil  der  Fälle  war  der  Erfolg  nur 
voi  übergehend :  nach  Besserung  trat  wieder  Verschlimme¬ 
rung,  d.  h.  Zunahme  des  Kropfes  und  der  Kropfbeschwerden 
ein,  welche  auf  erneute  Bestrahlung  wieder  zurückgingen.  In 
einem  unserer  bestrahlten  Fälle  traten  nach  der  3.  Sitzung 
(36  X  unter  3  mm  Aluminiumfilter)  ausgesprochene  Basedow¬ 
symptome  auf  —  ein  merkwürdiger  Befund,  wenn  man  die 
bisher  berichteten  günstigen  Erfolge  der  Bestrahlung  der 
Basedowstruma  bedenkt  und  zunächst  noch  nicht  erklärbar. 
Eine  grosse  Zukunft  dürfte  der  Strahlenbehandlung  der  Struma 
im  allgemeinen  nicht  bevorstehen. 

Nach  unseren  Erfahrungen  wird  es  sich  empfehlen,  die 
Strahlenbehandlung  der  Strumen  für  die  oben  genannten  Fälle 
zu  resei  vieren,  d.  h.  in  solchen  Fällen,  welche  zur  Operation 
wenig  geeignet  sind,  wenigstens  einen  Versuch  der  Strahlen¬ 
behandlung  vorauszuschicken.  Im  übrigen  wird  man  auf  die 
Bestrahlung  der  Struma  am  besten  verzichten. 

Ueber  die  Verwendung  der  Strahlentherapie  bei  der 
Basedowstruma  fehlt  uns  noch  die  Erfahrung. 

Unsere  Bestrahlungstechnik  ist  kurz  folgende: 
Wir  benützen  den  Reformapparat  der  Veifawerke 
und  im  allgemeinen  die  A  m  r  h  e  i  n  sehe  Röhre.  Von 
anderen  Röhrentypen  hat  sich  uns  neben  dem  Müller- 
R  a  p  i  d  r  o  h  r  besonders  die  Stabilröhre  der  Radio¬ 
logiegesellschaft  bewährt.  Die  Bestrahlung  erfolgt 
gewöhnlich  unter  3  mm  Aluminiumfilter  bei  ca.  20  cm  Fokus¬ 
hautabstand  bei  3—5  M.A.  Belastung.  Die  Bestrahlungen 
werden,  wenn  möglich,  von  verschiedenen  Feldern  vor¬ 
genommen  —  bis  25  X  (nach  Kienböck  gemessen)  an  jedem 
Feld  —  und  alle  3  Wochen  wiederholt.  Wir  haben  abgesehen 
von  geringgradigen  Erythemen  nie  irgendwelche  lokale  Rei¬ 
zung  oder  Schädigung,  auch  keine  Spätschädigung  gesehen. 
Ganz  vorübergehend  ist  die  oft  im  Anschluss  an  Lymphom¬ 
bestrahlung  auftretende  lokale  Schwellung  und  Schmerzhaftig¬ 
keit.  Auch  die  Reaktionserscheinungen  von  seiten  des  All- 
gemeinzustandes  sind  nie  ernster  Natur  gewesen:  Kopf¬ 
schmerzen,  Temperatursteigerungen  (selten  über  38,0  oder 
38,5°  in  ax.),  Abgeschlagenheit,  bei  Bestrahlung  des  Ab¬ 
domens  gelegentlich  Erbrechen  sind  beobachtet  worden. 

Unsere  guten  Resultate  bei  der  chirurgischen  Tuberkulose 
und  besonders  die  Vermeidung  von  Schädigungen  glauben  wir 
der  Verwendung  der  hochgefilterten  Strahlung  zu  ver¬ 
danken:  die  gleichmässigere  Tiefenwirkung  und  der  bessere 
Hautschutz  sind  die  Vorteile,  welche  auch  Petersen11) 
gegenüber  der  allgemeiner  verbreiteten  1  s  e  1  i  n  sehen  Be¬ 
strahlungsmethode  hervorhebt. 


Aus  der  Kgl-  Universitäts-Kinderklinik  in  München 
(Vorstand:  Prof.  Dr.  M.  v.  Pfaundler). 

Gibt  es  einen  „schädlichen  Nahrungsrest“  beim  Säugling?*) 

Von  Privatdozent  Dr.  A.  U  f  f  e  n  h  e  i  m  e  r,  Laboratoriums¬ 
chef  der  Klinik. 

Der  Kinderheilkunde  wird  bekanntlich  —  und  nicht  ganz 
mit  Unrecht  —  vorgeworfen,  dass  sie  ihre  Lehrmeinungen  viel¬ 
fach  (und  oft  innerhalb  weniger  Jahre)  ändere,  ja  geradezu 
umkehre.  Dies  gilt  nicht  nur  für  Fragen  mehr  allgemeiner 

")  Petersen:  Erfahrungen  mit  der  Röntgenbestrahlung  der 
Lymphdrüsentuberkulose.  Strahlentherapie  6.  1914. 

U  Nach  einem  Vortrag,  gehalten  in  Stuttgart  auf  der  gemein¬ 
samen  Tagung  der  Vereinigung  südwestdeutscher  Kinderärzte  und 
der  Münchener  Gesellschaft  für  Kinderheilkunde. 


1* 


2028 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Natur  als  Beispiel  neune  ich  die  Infektionswege  der  Tuber¬ 
kulose  beim  Kind  oder  die  Gefährdung  des  Säuglings  durch 
die  Tuberkulose  selber  — ,  sondern  insbesondere  auch  für  das 
Ernährungsgebiet  des  Säuglings.  Es  gibt  Praktiker 
genug  ‘),  w  elche  durch  das  „fortwährende  Pendeln  zwischen 
den  Extremen“  kopfscheu  geworden,  sich  von  den  Fort¬ 
schritten  gerade  unserer  Säuglingsdiätetik  fernhalten  und 
lieber  in  der  altgewohnten,  dem  heutigen,  Stand  unserer  Er¬ 
kenntnis  nicht  mehr  entsprechenden,  schematisierenden  Art 
ihrer  Verordnungen  fortfahren.  Dabei  wird  leicht  übersehen, 
dass  so  vielfache  Aenderungen  unserer  Ansichten  zurückzu¬ 
führen  sind  auf  die  ausserordentliche  Arbeit,  welche  die 
Pädiater  auf  den  Ausbau  ihrer  jungen  Wissenschaft  verwenden 
und  auf  die  stetig  sich  verbessernde  Methodik,  die  oft 
genug  die  Ergebnisse  der  Vorjahre  durch  die  Ausgestaltung 
ihrer  Hilfsmittel  auf  den  Kopf  stellt. 

Noch  im  Jahre  1905  konnte  Biedert* 2)  von  seinem 
alten  „schädlichen  Nahrungsrest“  behaupten,  dass 
er  kaum  noch  von  unsicheren  Theorien  ange- 
zweifelt  werde.  Als  solchen  bezeichnete  er  die  un¬ 
verdauten  Rückstände  des  Kuhmilchkaseins 
bei  künstlich  ernährten  Säuglingen.  Er  nahm  an,  dass  diese 
einerseits  einen  mechanischen  Reiz  auf  den  durchwanderten 
Darm  ausiiben,  andererseits  aber  in  den  unteren  Darmab¬ 
schnitten  krankmachenden  Zersetzungen  anheimfallen 3).  Wir 
haben  es  alle  erlebt,  wie  stürmisch  die  Opposition  gegen  die 
Anschauungen  des  verdienten  Mannes  einsetzte,  und  wie  eine 
Zeitlang  beinahe  alles,  was  mit  seinem  Namen  verknüpft  war, 
vollkommen  abgelehnt  wurde. 

In  den  letzten  Jahren  beginnt  hierin  eine  gewisse  Aende- 
rung  einzutreten.  So  wird  von  der  Fettanreicherung 
der  Säuglingsnahrung,  selbst  bei  kranken  Kindern,  wieder 
mehr  und  mehr  Gelbrauch  gemacht  (Müller-Schloss, 
Feer.  Reinach  usw.),  trotzdem  wir  das  Fett  als  ein  be¬ 
sonders  böses  Agens  recht  fürchten  gelernt  haben  („Milch¬ 
nährschaden“  =  Fettnährschaden,  Czerny-Keller;  Ver¬ 
werfung  des  Fettes  bei  der  Therapie  der  Dekomposition, 
F  i  n  k  e  1  s  t  e  i  n).  Umgekehrt  erscheint  der  Lehrmeinung 
heute  das  Eiweiss  der  Kuhmilch  (mit  seinem  Hauptver¬ 
treter,  dem  Kasein)  als  etwas  verhältnismässig  unschul¬ 
diges.  Und  wenn  man  es  einmal  wagt,  einem  Pädiater  gegen¬ 
über  auszusprechen,  dass  diese  Meinung  doch  nicht  ganz 
richtig  sein  dürfte,  so  wird  man  mit  Nachdruck  auf  die 
Eiweiss  milch  von  F  i  n  k  e  1  s  t  e  i  n  und  Meyer  hinge¬ 
wiesen,  welche  ja  gerade  bei  den  schwersten  akuten 
Ernährungsstörungen  (der  „alimentären  Intoxikation“)  als 
Heilnahrung  verwendet  wird4 * *).  Ich  glaube  aber  nicht,  dass 
dieser  Schluss  a  priori  richtig  ist.  Im  Gegenteil.  Man  kann 
gerade  an  dem  Beispiel  der  Eiweissmilch  logisch  dartun,  dass 
die  verhältnismässige  Unschädlichkeit  dieser  Heilnahrung 
nichts  beweise  für  die  Unschädlichkeit  des  in  ihr  ent¬ 
haltenen  Eiweisses.  Nach  den  ersten  tastenden  Versuchen 
mit  der  Eiweissmilch,  die  zum  Teil  Misserfolge  waren,  sahen 
F  i  n  k  e  1  s  t  e  i  n  und  Meyer,  dass  sie  mit  dieser  Nahrung 
nur  dann  vorwärts  kommen  konnten,  wenn  sie  den  gerade 


*)  Vergl.  Halberstadt:  Die  moderne  Säuglingsdiätetik  und 
die  Praxis.  Mschr.  f  Kdhlk.  12.  1913.  N.  8. 

-)  Die  Kinderernährung  im  Säuglingsalter  etc.  Stuttgart,  Enke. 

3)  Die  „gefährliche“  alkalische  Zersetzung  im  Darm  entsteht 
nach  B.  nicht  nur  ektogen,  durch  Bakterienverderbnis  der  Milch, 
sondern  sie  tritt  eben  in  den  unteren  Darmabschnittten  nach  Auf¬ 
saugung  des  Zuckers  und  seiner  sauren  Abkömmlinge  wieder  oder 
neu  auf  in  dem  fäulnisfähigen  Material  des  dahingelangenden  Käses. 
Der  Gegensatz  zwischen  Verdauung  von  Frauenmilch  und  Kuhmilch 
wird  von  B.  (S.  59)  folgendermassen  dargestellt:  „Das  Brustkind 
bringt  zu  einem  sehr  geringen  Eiweiss-  einen  grösseren  Zucker- 
bzw.  Milchsäurerest  mit,  und  aus  einem  verhältnismässig  bedeuten¬ 
deren  Fettgehalt  spaltet  ihm  der  Kolonbazillus  reichlicher  Fettsäuren 
zur  Verlängerung  der  sauren  Reaktion  ab.  Beim  Kuhmilchkind 
überwiegt  in  der  Regel  das  noch  vorhandene  Kasein  und  stumpft 
mit  seinen  Kalksalzen  und  den  alkalisch  reagierenden  Ergebnissen 
seiner  leicht  fauligen  Gärung  die  Säuren  ab.“ 

4)  Es  darf  vielleicht  an  dieser  Stelle  bemerkt  werden,  dass  die 
Eiweissmilch  ihren  Namen  nicht  etwa  davon  hat,  dass  sie  eiweiss¬ 
angereichert  ist:  im  Gegenteil  sie  enthält  im  Liter  nur  27  g  Eiweiss 
(gegen  30  g  in  der  Vollmilch).  Wohl  aber  ist  der  Gehalt  an  Fett 
und  ganz  besonders  an  Zucker  wesentlich  gegenüber  der  Vollmilch 
reduziert. 


Nr.  40. 

bei  der  alimentären  Intoxikation  so  sehr  gefürchteten  Zucker 
in  nicht  geringen  Mengen  Zugaben.  Sie  kamen  auf  diese  Weise 
dazu,  der  Eiweissmilch,  welche  bei  der  von  Finkeistein 
und  Meyer  geübten  Herstellungsweise  im  Liter  14  g  Zucker 
enthält  (gegenüber  45  g  in  der  Vollmilch)  sogar  von 
vorneherein  noch  1  Proz.  Zucker  zuzusetzen.  Da¬ 
bei  erzielten  sie  viel  bessere  Erfolge  wie  mit  ihrer  ursprüng¬ 
lichen  Eiweissmilch.  Es  ist  heute  noch  nicht  erwiesen, 
warum  man  verhältnismässig  grosse  Mengen  des  Stoffes,  der 
doch  für  schwer  alimentär  intoxizierte  als  „Gift“  betrachtet 
werden  muss,  ruhig  zu  dieser  Heilnahrung  zugeben  kann  (bis 
10  Proz.!).  Man  hilft  sich  einfach  damit,  dass  man  sagt:  „Im 
Milien  der  Eiweissmilch“  ist  der  Zucker  verhältnismässig  un¬ 
schädlich  •’).  Selbstverständlich  kann  man  die 
gleicheErklärung  mit  demselben  Rechte  auch 
für  das  Eiweiss  der  Kuhmilch  geltend  machen. 
Seine  absolute  Unschädlichkeit  ist  also  auch  durch  die 
Erfolge  der  Eiweissmilch  nicht  erwiesen.  — 

Gibt  es  nun  wirklich  Tatsachen,  die  uns  heute  wieder 
zum  „schädlichen  Nahrungsrest“  Bieder  ts  hinüberleiten 
können? 

Meine  Untersuchungen,  die  ich  seit  dem  Jahre  1910  mit 
den  Herren  Takeno,  Liwschiz  und  T  sukamoto  aus¬ 
führe.  knüpften  an  den  schädlichen  Nahrungsrest  an.  Nach 
meiner  Meinung  war  es  notwendig,  zunächst  einmal  zu  prüfen, 
ob  es  in  den  Fäzes  künstlich  ernährter  Säuglinge  überhaupt 
noch  Kaseinnahrungsreste  gebe,  die  also  der  Tätig¬ 
keit  der  verdauenden  Sekrete  wie  der  eiweissspaltenden  Bak¬ 
terien  entgangen  sein  müssten.  Liessen  sich  solche  Reste  er¬ 
weisen,  so  war  erst  noch  zu  diskutieren,  inwiefern  sie  als 
schädlich  gelten  konnten. 

Bis  dahin  war  der  Nachweis  des  Kaseins  in  den  Fäzes 
auf  keine  Weise  möglich  gewesen  “)•  Auch  die  biologisclie 
Methodik  (Präzipitation:  Hamburger,  Knöpfelmacher) 
hatte  völlig  im  Stiche  gelassen.  Nur  von  den  damals  für  ein 
sehr  seltenes  Vorkommnis  gehaltenen  grossen,  zähen  Stuhl- 
brocken  erhielt  T  a  1  b  o  t  mit  Hilfe  eines  Laktoserums 
Präzipitation.  Inzwischen  ist  insbesondere  durch  die  Arbeiten 
von  Ibrahim,  Brenne  mann,  Monrad,  Bauer  und 
Benjamin7)  sichergestellt  worden,  dass  das.  Auftreten 
solcher  grober  Gerinnsel  bei  vielen  Säuglingen  durch  Ver- 
fiitterung  roher  Milch  willkürlich  erzeugt  werden  kann  und 
dass  es  von  der  Beigabe  des  durch  Labung  von  Rohmilch 
(oder  Magermilch)  gewonnenen  Käses  zur  Molke  abhängig  ist. 
Ein  Zweifel,  dass  dem  Kasein  bei  dem  Aufbau  dieser  Klumpen 
eine  nicht  unwesentliche  Rolle  zukommt,  ist  demnach  kaum 
mehr  möglich  —  und  es  darf  wohl  schon  bezüglich  dieser 
Bildungen  ausgesprochen  werden,  dass  sie  als  ein  vom  Magen¬ 
darmkanal  nicht  weiter  verarbeiteter  Nahrungsrest  an¬ 
gesehen  werden  müssen. 

Indessen  nicht  mit  diesen,  bei  der  landläufigen  Ernährung 
mit  gekochten  Milchmischungen  kaum  beobachteten  Stuhl 
beimengungen  befassten  wir  uns,  sondern  mit  den  kleinen, 
Stecknadelkopf-  bis  erbsengrossen  „Kaseinflöckchen“,  die  man 
sich  gewöhnt  hat  als  aus  Fettabkömmlingen  bestehend  an¬ 
zusehen  8). 


”')  Dass  als  ein  Faktor  dabei  der  Gegensatz  der  fäulnis-  resp. 

dei  gärungsfähigen  Substanzen  in  Betracht  kommt,  ist  natürlich  klar. 

“)  Vergl.  Uffenheimer  und  Takeno:  Der  Nachweis  des 

Kaseins  in  den  „sogenannten“  Kaseinbröckeln  des  Säuglingsstuhles 

mit  Hilfe  der  biologischen  Methodik,  insbesondere  der  Anaphylaxie. 

Zschr.  f.  Kdhlk.  Orignalien.  2.  1911.  S.  32. 

7)  Vergl.  die  einschlägigen  Zitate  in  der  demnächst  erscheinen¬ 
den  Dissertation  von  Tsukamot  o. 

G  Dies  sei  insbesondere  auch  gegenüber  den  soeben  erfolgten 
Ausführungen  T  o  b  1  e  r  s  (in  Briining-Schwalbes  Hb.  d.  allg.  Pathol.  u. 
path.  Anat.  d.  Kindesalters.  1.  Abt.  2.  S  782.  Wiesbaden  1914.  .1.  F- 
Bergmann n)  mit  allem  Nachdruck  hervorgehoben.  Tobler  irrt, 
wenn  er  meine  und  T  a  k  e  n  o  s  Untersuchungen  auf  die  grossen 
Kaseinklumpen  (Milchkoagel,  Wachsbröckel)  bezieht.  Wir  haben  uns 
vielmehr  in  allen  Publikationen  gerade  mit  den  kleinen  Gebilden,  die 
auch  Tobler  als  „Fettseifenklümpchen“  bezeichnet,  beschäftigt. 
Nach  dem  Resultat  unserer  früheren  Arbeiten  und  vor  allem  der  vor¬ 
liegenden  Publikation  dürfte  wohl  auch  Tobler  seine  Ansicht 
ändern,  dass  es  sich  bei  diesen  kleinen  Bröckelchen  um  ein  nach  der 
„Entstehungsweise“  so  völlig  von  den  groben  Klumpen  „verschie¬ 
denes“  Ausgangsmaterial  handle  und  dass  sie  nur  „sehr  geringe 
Mengen  Eiweiss“  enthalten. 


6.  Oktober  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCH!-:  WOCHENSCHRIFT. 


2029 


Ich  zog  zunächst  (mit  I  akerto)  die  anaphylaktische, 
dann  die  Präzipitationsmethode  zur  Untersuchung  heran  und 
fand  dabei  in  einer  nicht  geringen  Anzahl  von  Fällen0)  Kasein 
in  diesen  Flöckchen,  die  alle  von  kranken,  m  i  t  Kuh¬ 
milch  ernährten  Kindern  stammten. 

In  weiteren  Versuchen  mit  L  i  w  s  c  h  i  z  10)  gelang  es 
nicht,  zu  entscheiden,  ob  die  in  den  Bröckeln  nachgewiesene 
Substanz  Kasein  oder  Parakasein  sei.  Diese  Frage 
soll  daher  im  folgenden  gar  nicht  mehr  berücksichtigt  werden; 
ich  spreche  vielmehr  immer  schlechtweg  von  „Kasein“,  ohne 
damit  eine  ganz  sichere  Entscheidung  geben  zu  können, 
welcher  von  diesen  beiden  Körpern,  der  ursprünglich  in  der 
Milch  vorhandene  oder  der  durch  die  Labgerinnung  chemisch 
veränderte,  tatsächlich  nachgewiesen  ist.  Von  grosser  Wich¬ 
tigkeit  für  die  Frage,  die  uns  hier  hauptsächlich  beschäftigt, 
ist  diese  Feststellung  übrigens  nicht.  Denn  beide  Körper 
erweisen  sich  biologisch  als  Antigene;  es  ist  also  auch  das 
Parakasein  keineswegs  eingreifend  abgebaut  —  und  selbst 
wenn  es  nur  gelänge,  Parakasein  häufig  im  Stuhle  nachzu¬ 
weisen,  würde  man  von  einem  wesentlichen  Nahrungsrest 
sprechen  können.  Bereits  in  unserer  ersten  Publikation  habe 
ich  betont,  dass  man  streng  genommen  überhaupt  nur  vom 
Nachweis  von  „Rindereiweiss“  sprechen  dürfe,  da  eine  letzte 
Differenzierung  von  verschieden  konstituiertem  Eiweiss  der 
gleichen  Tierart  weder  mit  Hilfe  der  Ueberempfindlichkeits- 
noch  der  Präzipitationsreaktion  gelinge.  „In  unserem  Falle, 
wo  es  sich  um  Verdauungsreste  der  Kuhmilch  handelt,  wird 
dies  Rindereiweiss  ohne  weiteres  als  Kasein  bezeichnet 
werden  dürfen.“  In  diesem  Sinne  also  ist  künftig  hier  die 
Rede  von  dem  „Kasein“. 

Nachdem  schon  die  ersten  Untersuchungen  an  Bröckeln 
.011  Stühlen  kranker  Säuglinge  die  Anwesenheit  des 
vaseins  in  einer  bemerkenswerten  Zahl  von  Fällen  ergeben 
latte,  prüfte  ich  später  mit  L  i  w  s  c  h  i  z  solche  Gebilde,  die 
ius  den  Fäzes  gedeihender,  künstlich  ernährter  Säug- 
inge  gewonnen  waren,  nunmehr  beinahe  ausschliesslich  mit 
lilfe  der  Präzipitation.  Hier  nun  fanden  sich  bei  dem 
trössten  Teil  der  untersuchten  Stuhlproben 
»ositive^ Resultate A1).  Ich  glaubte  hieraus  den  Schluss 
iehen  zu  dürfen,  dass  das  Vorkommen  biologisch  nachweis- 
’aren  Kaseins  in  „Kaseinflöckchen“  aus  dem  Stuhle  gut  ge- 
ieihender  Säuglinge  ein  alltägliches  Ereignis  sei 
nd  dass  ein  (wenn  auch  vermutlich  nicht  bedeutender)  Anteil 
les  täglich  ausgeschiedenen  Stuhlstickstoffes  demnach  aus 
!em  als  Nahrung  aufgenommenen  Kasein  stamme.  Es  erschien 
lun  noch  nötig,  die  bisherigen  Ergebnisse  durch  umfang- 
eichere  Reihenuntersuchungen  zu  stützen. 

In  Herrn  Dr.  Tsukamoto  fand  ich  einen  fleissigen  Mit- 
rbeiter,  der  die  mühsame  T  e  c  h  n  i  k  mit  grosser  Geduld 
nwendete.  Mit  der  steigenden  Uebung  und  Erfahrung  war 
lieselbe  so  verfeinert  worden,  dass  die  positiven  Befunde 
nmer  zahlreicher  wurden.  War  in  den  Versuchen  mit 
a  k  e  n  o  (an  kranken  Kindern,  mit  einem  verhältnismässig 
ochwertigen  Laktoserum)  etwa  die  Hälfte  der  mit  der 
’räzipitationsmethodik  geprüften  Fälle  positiv,  so  ergaben 
ich  in  den  darauffolgenden  Arbeiten  mit  Liwschiz  (an  ge- 
eihenden  Kindern),  obwohl  nur  ein  ziemlich  geringwertiges 
aktoserum  zur  Verfügung  stand,  bereits  in  der  grösseren  An- 
ahl  aller  Proben  positive  Resultate.  Und  nunmehr,  wo 
i r  die  M  ethodik  vollkommen  durchgebildet 

D  Bei  9  von  22  mit  Kuhmilchmischungen  ernährten  Säuglingen 
ess  sich  (im  ganzen  26  mal)  durch  den  anaphylaktischen  Tierver- 
>ch  das  Kasein  in  diesen  Gebilden  nachweisen.  Die  Präzipitations¬ 
ethode  (mit  einem  Laktoserum  1 : 3000)  ergab  unter  37  Versuchen 
n  19  mit  Kuhmilchmischung  ernährten  Säuglingen  17  positive  Re¬ 
utat  e  bei  5  von  diesen  Kindern. 

Ju)  Vergl.  Uffenheimer:  Neuere  Untersuchungen  zur  Kasein- 
.'ge.  Mschr.  f.  Kdhlk.  Originalien.  12.  Nr.  11  und  Liwschiz:  Bio¬ 
gische  Untersuchungen  etc.  Inaug.-Diss.  München  1913.  R.  Miil- 
-  r  &  S  t  e  i  n  i  c  k  e. 

u)  Hegen  40  Untersuchungen.  „Bei  12  Kindern  im  Alter  von 
N  Monaten  fanden  18  Untersuchungen  statt,  deren  Kon- 
ollen  auch  nach  schärfstem  Zentrifugieren  nicht 
en  geringsten  Niederschlag  zeigten.  Fast  alle  diese  j 
toben  ergaben  mit  den  (ja  nicht  sehr  hochwertigen)  Antiseren 
ältliche  Präzipitation.“  NB.!  Die  meisten  dieser  Versuche  waren 
0  einem  Laktoserum  vom  Titer  1:320  und  mit  einem  Parakasein- 
ntiserum  vom  Titer  1:300  angcstellt! 


haben,  gelingt  es  in  den  Bröckeln  das  Kasein 
regelmässig  nachz  uw  eisen. 

Ehe  ich  Einzelheiten  über  den  Gang  und  die  Ausdehnung 
unserer  Untersuchungen  vortrage,  möchte  ich  daher  die 
Methodik  des  Kasein  nach  weises  selber  schildern. 

h  9.!?  «Kasclnbröckel“  werden  mit  der  Platinöse  oder  mit  einem 
nolzstabehen  aus  dem  übrigen  Stuhlbrei  herausgefischt  und  zunächst 
m  physiologischer  NaCl-Löstmg  deponiert.  Dann  wird  eine  Anzahl 
dieser  Brockel  **)  im  sterilen  Mörser  mit  tropfenweise  zugesetzter 

jo  -Natronlauge  ungefähr  eine  Viertelstunde  lang  sorgfältig  verrieben. 

Nachdem  das  Produkt  in  ein  kleines  steriles  Zentrifugenspitzglas 
gebracht  ist,  wird  es  dreimal  zentrifugiert  (und  darnach  dekantiert), 
bis  sich  kein  Niederschlag  mehr  zeigt.  Tritt  selbst  dann  noch  ein 
solcher  auf,  so  wird  die  Bröckellösung  filtriert  und  dannn  nochmals 
zentrifugiert.  Von  derselben  wird  0,1  ccm  mit  der  gleichen  Menge 
des  Antiserums  gut  gemischt  und  dann  —  samt  den  entsprechenden 
Kontrollen,  die  nie  fehlen  dürfen  —  in  den  kleinen  Gläschen  auf 
-  Stunden  in  den  Brutschrank  von  37°  gestellt:  während  dieser  Zeit 
erfohgt  öfteres  Umschütteln.  Dann  kommmen  die  Gläschen  für  ge¬ 
wöhnlich  auf  ein  paar  Stunden  in  den  „Frigo“  und  schliesslich  wer¬ 
den  sie  A  Stunde  lang  in  der  elektrischen  Zentrifuge  bei  stärkster  Ge¬ 
schwindigkeit  ausgeschleudert.  Bei  der  Ablesung  der  Resultate  wurde 
versucht,  jedes  subjektive  Moment  auszuschalten.  Wir  haben  beide 
jedes  Röhrchen  unabhängig  voneinander  untersucht  und  die  Wertung 
der  Resultate  gesondert  notiert:  es  ergaben  sich  nur  unwesentliche 
Differenzen.  Ich  wusste  hiebei  sehr  häufig  überhaupt  nicht,  welcher 
\  ersuch  in  den  einzelnen  Röhrchen,  deren  Resultat  ich  prüfte,  ange¬ 
stellt  worden  war.  Wo  sich  über  die  Art  des  Präzipitates  ein  Zweifel 
ergab,  wurde  die  mikroskopische  Prüfung  herangezogen. 
Ich  bin  nach  vielfältiger  Erfahrung  sicher,  dass  man  mit  Hilfe  des 
Mikroskopes  ein  echtes  spezifisches  Präzipitat  sehr  wohl  von  anderen 
Niederschlägen  kristallinischer,  bakterieller  oder  amorpher  Art  unter¬ 
scheiden  kann.  Ev.  (aber  dies  wird  nicht  nötig)  kann  man  sogar 
noch  eine  Methylenblaufärbung  zu  Hilfe  nehmen.  Im  frischen  Prä¬ 
parat  besteht  das  spezifische  Präzipitat  aus  feinsten  rundlichen  Körn¬ 
chen,  die  stets  in  mehr  oder  weniger  grossen  Häufchen  (10 — 30  In¬ 
dividuen  etwa)  nebeneinander  liegen.  Auch  bei  sehr  geringem 
zweifelhaftem  Niederschlag  kann  man  nach  Dekantierung  der  Flüssig¬ 
keit  den  Bodensatz  mit  einer  Kapillarpipette  aufnehmen  und  hat  dann 
genügend  Material  zur  mikroskopischen  Untersuchung.  Mir  ist  es 
nicht  begreiflich,  dass  Lust13)  die  mikroskopische  Betrachtung  des 
Sedimentes  ablehnt,  indem  er  sagt:  „Ich  habe  nicht  gefunden,  dass 
die  Deutung  von  Fällungen  dadurch  erleichtert  wird.“ 

Nach  diesen  technischen  Vorbemerkungen  möchte  ich  auf 
die  neuen  Versuche  eingehen,  die  ich  mit  Dr.  Tsukamoto 
unternommen  habe.  Ich  gebe  nur  die  wesentlichsten  Resultate 
wieder  und  verweise  bezüglich  aller  Einzelheiten  auf  die  bald 
erscheinende  Inauguraldissertation  Tsukamoto- s,  in  der 
auch  ein  ausführliches  tabellarisches  Material  niedergelegt  ist. 
Diese  letzten  Untersuchungen  umfassen  im  ganzen  281  P  r  ü  - 
fiingen  von  Stühlen,  welche  von  157  Personen, 
zumeist  Säuglingen,  stammten. 

Ich  berichte  zuerst  über  Untersuchungen  der  Fäzes  von 
Kindern,  die  mit  Frauenmilch  ernährt  wurden.  Es 
wurden  55  Prüfungen  vorgenommen,  zu  welchen  29  Säug¬ 
linge  das  Material  hergaben.  Von  diesen  29  Kindern  wäre 
a  priori  zu  erwarten  gewesen,  dass  ihre  Stühle  mit  den  Kuh- 
milchantiseris  (Laktoserum  und  Parakaseinantiserum)  kein 
Präzipitat  ergeben  hätten.  Bei  21  Kindern  zeigte  sich 
tatsächlich  ein  solches  Verhalten.  Bei  8  Säuglingen 
aber  trat  ein  zweifellos  spezifischer  Nieder¬ 
schlag  auf.  Zwei  von  diesen  müssen  für  sich  besprochen 
werden.  Die  übrigen  6  hatten  alle  vor  1—6  Tagen  noch 
Kuhmilchgemische  erhalten.  Vorausgesetzt  also,  dass  die  Me¬ 
thode  tatsächlich  in  unseren  Händen  völlig  zuverlässig  ge¬ 
arbeitet  hat  (und  das  wird  sogleich  erwiesen  werden),  ist 
damit  gesagt,  dass  Reste  des  verfütterten  Kaseins  trotz  mehr¬ 
tägigen  Aufenthaltes  im  Darm  noch  nach  einer  ganzen  Reihe 
von  Lagen  soweit  unverändert  bleiben  können,  dass  ihr  bio¬ 
logischer  Nachweis  gelingt. 

Bei  einem  Fall  von  Dekomposition  fand  sich  ein  solcher  Rest 
noch  2  Tage  nach  Verabreichung  von  650  g  Eiweissmilch,  bei  einem 
zweiten  Fall  von  Dekomposition  einen  Tag  nach  Verbitterung  von 
200  g  Drittelsmilch,  bei  schweren  Ernährungsstörungen  6  Tage  nach 
Abgabe  von  150  g  Halbmilch  resp.  2  Tage  nach  Verabreichung  von 
Schleimmilch,  bei  einer  Lues  congenita  3  Tage  nach  Verbitterung 

1  )  Ueber  die  quantitativen  Verhältnisse  spreche  ich  noch  an 
späterer  Stelle. 

'■)  Die  Durchlässigkeit  des  Magendarmkanals  für  heterologes 
Eiweiss  bei  ernährungsgestörten  Säuglingen.  Habil.-Schrift  Berlin. 
1913.  S.  Karge  r. 


2030 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  30. 


von  500  g  Drittelsmilcli  und  bei  einer  „Atrophie“  4  Tage  nach  Ab¬ 
gabe  einer  Fünftelsmilch.  Bei  all  diesen  Säuglingen,  ausser  dem 
letzten,  wurden  die  Untersuchungen  nach  1 — 3  Tagen  wiederholt.  Es 
fanden  sich  später  keine  Niederschläge  mehr.  Der  Darm  hatte  aiso 
entweder  mit  seinen  Säften  oder  mit  seinen  Bakterien  den  Kascin- 
rest  in  dieser  Zeit  erledigt. 

Von  den  beiden  übrigen  Kindern  wurde  eines  mit  Tetanie  ambu¬ 
latorisch  behandelt.  Die  Mutter  dieses  Kindes,  dem  wir  abgedrückte 
Frauenmilch  verabreichten,  wurde  aber  von  der  Fürsorgeschwester 
überführt,  dass  sie  zu  Hause  zufütterte.  Als  das  Kind  ganz  schwere 
Anfälle  hatte  und  die  Mutter  sehr  geängstigt  war,  Hess  sie  offenbar 
von  der  streng  verbotenen  Zugabe  ab,  und  in  dieser  Zeit  zeigten 
sich  auch  beim  Präzipitationsversuch  keine  Niederschläge.  Es  ist 
von  einem  gewisssen  Interesse,  dass  dieses  Kind  später,  als  es  mit 
unserer  Erlaubnis  einmal  täglich  Mehlmus  zur  Frauenmilch  er¬ 
hielt,  ebenso  wie  ein  zweites  neben  der  Brustmilch  einmal  täglich 
mit  Mus  gefüttertes  Kind,  kein  nachweisbares  Kasein  im  Stuhle  hatte. 

Von  grosser  Beweiskraft  ist  schliesslich  die  letzte  Beobachtung, 
die  der  Säuglingsstation  unserer  Klinik  entstammt.  Es  handelte  sich 
um  eine  junge  Frühgeburt,  die  bisher  angeblich  ausschliess¬ 
lich  mit  Frauenmilch  (und  zwar  bei  uns  abgedrückter 
Ammenmilch)  ernährt  worden  war.  Trotzdem  ergaben  die  ersten 
zwei  Untersuchungen  seines  Stuhles  mit  den  Antiseris  ein  echtes  Prä¬ 
zipitat.  welches  einmal  auch  mikroskopisch  identifiziert  wurde.  Hier 
war  also  (es  handelte  sich  um  Untersuchungen,  die  in  die  Frühzeit 
der  vorliegenden  Arbeit  fielen)  unsere  Methodik  ad  absurdum  ge¬ 
führt  —  oder  das  Kind  erhielt  neben  der  Frauenmilch  trotz  der 
Ueberwachung  der  Ammen  auf  der  Klinik  eben  Kuhmilch. 

Um  hierüber  Klarheit  zu  erhalten,  untersuchten  wir 
Reste  aus  den  Trinkflaschen,  in  welchen  dieser 
Säugling  seine  „Frauenmilch“  erhalten  hatte.  Die  erste  Unter¬ 
suchung  ergab  sehr  starke  Niederschlagsbildung,  auch  bei 
der  zweiten  zeigte  sich  noch  ein  positiver  Befund.  Die  dritte 
Untersuchung  aber  fand  keine  Niederschlagsbildung  mehr 
(3  Tage  nach  der  zweiten  vorgenommen).  Denn  inzwischen 
waren  wohl  die  Ammen  (oder  war  die  Amme)  durch  unsere 
wiederholten  Prüfungen,  aufmerksam  geworden.  Auch  die  nun 
folgenden  Fäzesuntersuchungen  ergaben  endlich  ein  Freisein 
der  Stühle  von  Kasein.  Hier  war  also  offenbar  durch 
d  i  e  A  m  m  e  n  i  n  d  e  r  K  1  i  n  i  k  d  i  e  E  r  a  u  e  n  m  i  1  c  h  d  u  r  c  h 
Kuhmilch  verfälscht  worden,  ein  Missbrauch,  der 
leider  auf  den  Stationen  öfter  entdeckt  wird. 

Um  nun  ganz  sicher  zu  gehen,  prüften  wir  die  Milch 
einer  Reihe  stillender  Mütter  ganz  analog  der  in 
den  Trinkflaschen  Vorgefundenen  Flüssigkeit. 

Bei  den  7  Frauen  der  Milchküche  Westend,  denen  wir  die 
Milch  selber  abspritzten,  war  keine  Spur  von  Präzipitation 
vorhanden.  In  einer  Flasche,  welche  einer  Stationsamme 
abgenommen  wurde,  fand  sich  einmal  ein  schwaches  Prä¬ 
zipitat;  in  der  dieser  Frau  vom  Abteilungsarzt  direkt  abge¬ 
spritzten  Milch  wie  in  der  ebenso  gewonnenen  Milch  der 
zweiten  Stationsamme  ergab  sich  wiederum  kein  Niederschlag 
mit  den  Milchantiseris. 

Es  besteht  also  kein  Zweifel,  dass  unsere 
Methodik  gänzlich  einwandfrei  war.  Sie  zeigte 
sich  sogar  sehr  geeignet,  Verfälschungen  der  Frauenmilch 
nicht  nur  in  dieser  selbst,  sondern  auch  im  Stuhle  des  mit  ihr 
gefütterten  Säuglings  nachzuweisen. 

Die  weiteren  Untersuchungen  erstreckten  sich  auf  künst¬ 
lich  ernährte  Säuglinge.  Unter  diesen  habe  ich  eine 
Reihe  von  Gruppen  unterschieden: 

1.  Säuglinge  mit  schweren  Ernährungs¬ 
störunge  n. 

Es  fanden  46  Untersuchungen  an  den  Stühlen  von  20  Kin¬ 
dern  statt.  Stets  ergab  sich  die  Bildung  eines 
spezifischen  Niederschlags.  Ich  möchte  gleich  hier 
einfügen,  dass  es  sich  bald  zeigte,  dass  nicht  nur  die  aus- 
gewählten  „Kaseinflöckchen“  mit  den  Antiseris15)  durch  Nieder¬ 
schlagsbildung  reagierten,  sondern  auch  beliebige  nicht 
ausgesuchte  Stuhlpartikel,  die  ganz  analog  den 
Bröckeln  verarbeitet  wurden.  Wir  haben  daher  in  der  Folge 
vielfach  auch  mit  derartigen  Stnhlpartikeln  gearbeitet.  Ganz 
allgemein  lässt  sich  sagen,  dass  das  Kasein  sich  zuverlässiger 
in  den  Bröckeln  selbst  findet.  So  kann  man  gelegentlich  bei 
Bröckeln  eines  Stuhles  mit  dem  Antiserum  Niederschlags- 

1!i)  Wir  kümmern  uns  hier  gar  nicht  darum,  ob  ein  Niederschlag 
mit  Laktoserum  oder  mit  Parakaseinantiserum  oder  mit  beiden  Seren 
erfolgte,  ebensowenig  wie  wir  von  der  Stärke  des  Präzipitats  im  ein¬ 
zelnen  Falle  Notiz  nehmen.  Alle  diese  Beobachtungen  wird  man  in 
Tsukamotos  Arbeit  finden. 


bildung  erhalten,  während  nicht  ausgesuchte  Stuhlpartikel, 
welche  aus  der  gleichen  Windel  stammen,  keine  Präzipitation 
ergeben.  Aus  solchen  Beobachtungen  lässt  sich  —  wohl 
nicht  mit  Unrecht  —  die  Anschauung  ableiten,  dass  zwar  das 
Kasein  in  den  Ausscheidungen  des  Säuglings  meist  ziemlich 
diffus  verteilt  ist.  dass  es  sich  aber  ganz  besonders  konzen¬ 
triert  in  den  „Flöckchen“  findet  —  und  deshalb  glaube  ich, 
dass  man  nicht  mehr  von  sogenannten  Kaseinflocken  zu 
sprechen  braucht,  sondern  ruhig  dieses  Epitheton  ornans  weg¬ 
lassen  kann.  Es  wird  wohl  kaum  der  ausdrücklichen  Kon¬ 
statierung  bedürfen,  dass  damit  nicht  gesagt  sein  will,  diese 
Flocken  oder  Brockel  bestünden  ausschliesslich  aus  Kasein¬ 
resten! 

Bei  den  weiteren  Besprechungen  werde  ich  in  der  Regel 
auch  nicht  mehr  berücksichtigen,  ob  die  Prüfungen  an 
Bröckeln  oder  an  nicht  ausgewählten  Stuhlpartikeln  angestellt 
wurden  (auch  hierüber  berichtet  Tsukamoto  erschöpfend). 

2.  Säuglinge  mit  leichteren  Ernährungs¬ 
störungen. 

Es  wurden  23  Untersuchungen  an  den  Stühlen  von  11  Kin¬ 
dern  vorgenommmen.  Auch  hier  ergaben  sich  überall 
Niederschlagsbildungen  mit  den  Antiseris. 

3.  Nichternährungsgestörte  Säuglinge,  die 
anderweitig  erkrankt  waren. 

Hier  fanden  43  Untersuchungen,  die  23  Kinder  betrafen, 
statt.  Auch  bei  dieser  Reihe  konnte  man  für  alle  Säug¬ 
linge  das  Vorhandensein  von  Kasein  im  Stuhle 
erweisen. 

4.  Gesunde  resp.  gedeihende  Säuglinge. 

Bei  dieser  Gruppe  kam  es  mir  auf  ein  möglichst  grosses 

Material  an;  denn  wenn  sich  das  Kasein  auch  in  den  Stuhl¬ 
ausscheidungen  der  gesunden  Säuglinge  regelmässig  nach- 
weisen  Hess,  so  war  damit  der  etwaige  Einwurf  ausgeschaltet, 
dass  es  zumeist  erst  sekundär  durch  eine  Dysfunktion 
der  geschädigten  Darmwand  bei  kranken  Kindern  zu  einem 
Versagen  der  vollkommenen  Aufspaltung  des  Kaseins  komme. 

Im  ganzen  wurden  in  dieser  Reihe  57  Stühle,  welche 
52  Säuglingen  10)  entstammten,  einer  Prüfung  unterzogen  (zu¬ 
meist  sogar  unausgewählte  Stuhlpartikel!).  Es  ergaben  sich 
wiederum  positive  Resultate  für  alle  unter 
suchten  Kinder.  Ein  einziges  Kind  (Joh.  A.,  Milchküche 
Westend)  zeigte  bei  der  ersten  Untersuchung  seiner  Stuhl- 
bröckel  keine  Präzipitation  mit  den  Antiseris.  Dies  waren 
überhaupt  die  einzigen  von  einem  mit  Kuh- 
milch  misch  ungen  ernährten  Säugling  stam¬ 
menden  Brockel,  welche  im  Verlaufe  dieser 
ganzen  Untersuchungen  mit  den  Antiseris 
keine  Niederschlagsbildung  ergaben.  Als  wir 
später  nochmals  Brockel  dieses  Kindes  untersuchten,  fand  sich 
das  gewohnte  positive  Resultat.  (Schluss  folgt.) 


Aus  dem  Sanatorium  Dr.  O.  Kohnstamm  in  Königstein  i  T. 

Zur  Kenntnis  der  Beeinflussung  vegetativer  Zentren 
durch  die  Hypnose. 

Von  Dr.  R.  M  o  h  r,  fr.  Arzt  des  Sanatoriums,  Assistenten  der 
med.  Universitätsklinik  zu  Leipzig,  zurz.  Kgl.  sächs.  Oberarzt. 

Dass  auch  die  dem  viszeralen  Nervensystem  unter¬ 
stehenden  vegetativen  Funktionen  des  Menschen  mehr  oder 
weniger  der  psychischen  Beeinflussung  unterliegen,  ist  eine 
wohl  allgemein  bekannte  Tatsache *  *).  Man  braucht  dabei  nur 
an  die  Abhängigkeit  der  Herzaktion,  der  Darmtätigkeit  von 
seelischen  Einflüssen  zu  denken.  Aber  selbst  anscheinend  so 
wenig  mit  den  psychischen  Funktionen  zusammenhängende 
Vorgänge,  wie  die  doch  eng  mit  der  Ovulation  verbundene 
Menstruation,  stehen,  wie  vor  allem  die  Versuche  von 
F  o  r  e  P)  gezeigt  haben,  unter  psychischem  Einfluss.  Be¬ 
sonders  erwähnenswert  ist  in  diesem  Zusammenhänge  ein  von 

10)  Es  handelte  sich  entweder  um  Frequentanten  von  Milch- 
kiiehen  oder  von  Säuglingsheimen;  so  weit  es  irgend  möglich  war, 
nahm  ich  hier  Kinder  herein,  die  in  der  Familie  gut  gediehen. 

*)  Vergl.  auch  O.  Kohnstamm:  Physiologie  und  Pathologie 
des  viszeralen  Nervensystems  in  Mohr-Staehelins  Handbuch 
der  inneren  Medizin. 

2)  Zit.  bei  Moll:  Der  Hypnotismus,  4.  Aufl.  1907,  S.  115. 


6.  Oktober  1914. _ MÜENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


2031 


Kohnstamm“)  beschriebener  Fall  einer  29jähr.  Patientin, 
bei  der  durch  Hypnose  nicht  nur  prompt  die  Periode  liervor- 
yerufen  und  eine  zu  lange  andauernde  Blutung  zum  Stillstände 
gebracht  werden  konnte,  sondern  auch  durch  eine  einmalige 
Suggestion  in  der  Hypnose  ihr  kalendermässiges  Auftreten 
am  1.  jeden  Monats  für  längere  Zeit  sichergestellt  werden 
konnte.  Auch  ein  Fall  von  puerperaler  Galaktorrhöc, 
der  bis  dahin  wie  gewöhnlich  allen  therapeutischen  Mass¬ 
nahmen  Widerstand  geleistet  hatte,  wurde  von  Kohn- 
stamm  durch  einmalige  hypnotische  Suggestion  fast  völlig 
und  dauernd  zum  Verschwinden  gebracht. 

Ein  vegetatives  Zentrum,  dessen  Abhängigkeit  von  psychi¬ 
schen  Einflüssen  bis  in  die  neueste  Zeit  völlig  unklar  blieb,  ist 
das  Temperaturzentrum.  Seit  langer  Zeit  hat  die  Frage  nach 
der  Existenz  eines  hysterischen  Fiebers  eine  grosse  Rolle  ge¬ 
spielt,  lange  Zeit  war  man  und  ist  man  oft  auch  jetzt  noch 
geneigt,  somatisch  unerklärliche  und  rasch  wieder  vorüber¬ 
gehende,  z.  T .  exzessive  Temperaturerhöhungen  auf  bewusste 
1  äuschungen  zurückzuführen.  Nach  den  Beobachtungen,  die 
wir  an  unserem  zu  publizierenden  Falle  zu  machen  Qelegen- 
leit  hatten,  ist  an  der  Existenz  eines  psychisch  bedingten 
Gebers  nicht  zu  zweifeln. 

Von  früheren  klinischen  Beobachtungen  in  diesem  Sinne,  die 
licht  häufig  sind,  will  ich  besonders  Sahli3 4)  erwähnen,  der  in  einem 
Alle  von  als  hysterisch  aufgefasstem  Fieber  wochenlang  Tempera¬ 
uren  bis  44  0  C  beobachtet,  und  Kauffmann5),  der  in  einem  Falle 
on  Hysterie  neben  zentral  bedingten  Störungen  der  Nierentätigkeit 
uch  psychisch  bedingtes  Fieber  beobachten  konnte.  0.  Fischer“) 
eobachtete  bei  einer  45  jährigen  Frau  mit  schwerem  negativistischen 
'tupor  eine  ca.  12  Tage  lang  dauernde  Temperatursteigerung  vom 
diarakter  einer  Febris  continua,  die  sich  durch  Antipyretika  nicht  be- 
influssen  liess.  Durch  eine  einmalige  Hyoszin-Morphiuminjektion 
-at  eine  prompt  entfiebernde  Wirkung  ein.  die  dauernd  blieb.  Auch 
ie  starke  Hyperhidrosis,  die  während  des  Fiebers  bestanden  hatte, 
ieb  aus.  Fischer  schliesst  besonders  aus  dem  Umstande,  dass 
l\oszin  und  Morphium  Gifte  sind,  die  auf  die  nervösen  Elemente 
ihmend  einwirken,  also  imstande  sind,  einen  etwa  vorhandenen  ab- 
ormen  Reiz  im  Wärmezentrum  zu  beseitigen,  dass  es  sich  um  ein 
erebrales  Fieber  gehandelt  hat.  Auch  die  experimentellen  Unter¬ 
teilungen  der  K  r  e  h  1  sehen  Schule 7)  haben  die  Abhängigkeit  der 
Wärmeregulation  vom  Zentralnervensystem  erwiesen. 

Allerdings  hält  Lewandosky  trotz  dieser  Beobachtungen 

i  seinem  eben  vorliegenden  Handbuche  der  Neurologie8)  die  Lehre 
orn  rein  psychogenen  hysterischen  Fieber  für  eine  noch  unsichere. 

Ein  Punkt,  auf  den  bei  der  Debatte  über  das  hysterische 
ieber  nicht  eingegangen  ist  und  der  uns  bei  der  Beantwortung 
er  Frage  nach  der  Existenz  eines  psychogenen  Fiebers 
ichtig  zu  sein  scheint,  ist  die  folgende  Fragestellung:  Wenn 
s  richtig  ist,  dass  bei  der  Hysterie  rein  psychogen  Fieber 
ntstehen  kann,  so  muss  es  umgekehrt  auch  möglich  sein, 
ieses  Fieber  durch  Suggestivwirkung  mit  oder  ohne  Hypnose 
um  Verschwinden  zu  bringen.  Ferner  müsste  es  a  priori 
uch  möglich  sein,  bei  einer  dazu  geeigneten  Person  durch 
utsprechende  Suggestion  einwandfrei  Fieber  zu  erzeugen. 

Wir  sind  in  der  Lage,  an  der  Hand  eines  solchen  Falles 
iseres  Erachtens  nach  völlig  eindeutige  Antwort  auf  diese 
ragen  zu  geben.  Es  dürfte  sich  um  so  mehr  lohnen,  näher 

ii  diesen  Fall  einzugehen,  als  ähnliche  Beobachtungen  an- 
heinend  nicht  vorliegen.  Wir  können  in  diesem  Zusammen- 
mge  nur  die  Versuche  von  K  r  a  f  f  t  -  E  b  i  n  g  8),  dem  es  bei 
ner  Versuchsperson  gelang,  beliebige  Körpertemperaturen, 

B.  36 0  C  hervorzurufen,  und  von  Mares  und  H  e  1 1  i  c  h  8), 
neu  es  öfter  gelang,  die  Körpertemperatur  einer  hypnoti- 


3)  Journ.  f.  Psych.  u.  Neurol.  7.  1906.  S.  221  und:  Ueber  hypno- 
che  Behandlung  von  Menstruationsstörungen  etc.,  Ther.  d.  Gegenw. 

4)  Lehrbuch  der  klin.  Untersuchungsmethoden.  5.  Aufl.  S.  58. 

’)  M.  Kauffmann:  Ueber  hysterisches  Fieber.  Zschr.  f  d. 

s.  Neurol.  5.  1911.  S.  706. 

")  Ein  Beitrag  zur  Frage  des  zerebralen  Fiebers.  Zschr.  f.  d. 
s.  Neurol.,  Origin.,  9.  1912.  S.  514. 

'  B-  Freund  und  R.  Strasmann:  Zur  Kenntnis  des  ner- 
sen  Mechanismus  der  Wärmeregulation.  Arch.  f.  exp.  Path.  u. 
arm.  69  1912.  S.  12 — 28.  —  R.  Isenschmidt  und  L.  Krehl: 
ner  den  Einfluss  des  Gehirns  auf  die  Wärmeregulation.  Ebenda  70. 
2.  S.  109 — 134.  —  H.  Freund  und  E.  Grafe:  Untersuchungen 
er  den  nervösen  Mechanismus  der  Wärmeregulation.  Ebenda  70. 
12.  S.  135—147. 

8)  Bd.  5  S.  707. 

*)  Zit ■  bei  Moll:  Der  Hypnotismus,  4.  Aufl.  1907  S.  110. 


sicrten  Person  in  dem  Zeiträume  von  24  Stunden  von  37°  auf 
•D,n  C  herabzusetzen,  anführen.  Unser  Fall  ist  aber  auch 
noch  aus  dem  Grunde  besonders  interessant,  weil  wir  an  ihm 
ausserdem  noch  die  psychogene  Beeinflussung  verschie- 
deiier  anderer  vegetativer  Funktionen  (Magensaftsekretion, 
Menstruation,  Nasensekretion)  zu  zeigen  imstande  sind. 

i  WEsmh^de,t  um  eine  38jährige  verheiratete  Frau 

ko  i  i,  \  nCn-  \ater  angeblich  rückenmarksleidend  war  (t  mit 
aSwSfJl  *  ?en0(?e  mit  11  Jahren-  dann  bis  zum  17.  Lebensjahre 
ausgesetzt,  sodann  immer  unregelmässig,  sehr  stark  und  mit  Schmer¬ 
zen  verbunden.  Patientin  wurde  in  ihrem  29.  Lebensjahre  deshalb 
hlndelf  ^listigem  Erfolge  von,  K  °  h  n  s  t  a  m  m  mittels  Hypnose  be- 
JänSlv.  InvhrerT  2j-  Lebensjahre  ein  normaler  Partus.  Keine  Fehl- 
Sinm/n^T01’«5^6  fahren  angeblich  einige  Tage  an  Blinddarm- 
B*ett  Kelej’e.n-,  Pie  Patientin  zeigt  seit  langen  Jahren 
die  verschiedensten,  gewöhnlich  unter  dem  Bilde  der  Hysterie  ver¬ 
einigten  Beschwerden  [Schizothymie  im  Sinne  Kohnstamms11)12)! 
SÄ*«"  |ie  b.ereits  öfters  hier  in  Behandlung  gestanden  hatte.’ 

sJt  das  Sanatorium  jetzt  hauptsächlich  wegen  Schlaflosigkeit  und 
Magenbeschwerden  auf,  die  seit  Jahren  bestehen  und  sich  vor  allem 
Ä  ^iMr  besonders  nach  dem  Essen,  und  durch  nach 
er  rechten  Seite  Inn  ausstrahlende  Schmerzen,  die  ebenfalls  nach 
dem  Essen  auftreten,  äussern.  Dazu  kam  öfters  Uebelkeit  und  Er¬ 
brechen  nach  dem  Essen.  Die  Röntgenuntersuchung  ergab  nur  eine 
geringe  Verziehung  des  Magens  nach  rechts  (Adhäsionen?),  die  Wis- 
mutmahlzeit  passierte  den  Magen  innerhalb  der  normalen  Zeit.  Nach 
Abläuf  einer  Influenza  fieberte  die  Pat.  noch  mehrere  Wochen  lang 
t  Se.kta.Itei"Peratur  von  ca.  38°  und  klagte  dabei  über  Fröstel- 
gefuhle.  Di  ein  tiefer  Hypnosegegebene  Suggestion 
„Temper  atu  rabfaH  unter  behaglichem  Wärmc- 
“  e  ,b  ®  *,}  pte  einen  sofortigen  Temperatur- 
a  b  f  a  1 1  auf  36,5  C,  aufweichem  Niveau  die  Tempera- 
|..a  r  a  u  cb  verblieb.  (Kurve  bei  a.)  Da  dieser  Abfall  auch  zu¬ 
fällig  um  diese  Zeit  mit  der  Suggestion  zusammengefallen  sein  konnte, 
suggerierte  Ko  h  nstamm  als  Gegenversuch  an  einem  der  folgenden 
läge  um  9  Uhr  morgens,  dass  um  10  Uhr  die  Temperatur  unter 
Frösteln  ansteigen  und  urn  12  Uhr  unter  behaglichem  WärmegefiihI 
wieder  abfallen  wurde.  Die  Bewegung  der  Temperatur 
von  36,5°  C  auf  38,3»  C  nach  oben  und  dann  nacl.  unten 
wurde  prompt  zur  bestimmten  Zeit  unter  genann¬ 
ten  Sensationen  realisiert  und  von  einer  zuver- 

f/rVwwiz  Schwester  bei  Rektalmessung  kontrol¬ 
liert1-’)  (Kurve  bei  b  u.  c.) 


Nicht  minder  interessant,  wenn  auch  auf  Grund  der  Pawlow- 
schen  Untersuchungen  leicht  verständlich,  war  die  durch  die  Hypnose 
erreichte  Aenderung  der  Magensekretionsverhältnisse  und  damit  der 
Beschwerden  der  Pat.  Das  L  e  u  b  e  sehe  Probefrühstück,  nach 
Z\  stunden  ausgehebert,  hatte  ebenso  wie  das  3  Tage  später  ver- 
abreichte,  aus  Sardellen-,  Wurst-  und  Käseschnittchen  bestehende 
Appetitfrühstück,  bei  der  Untersuchung  einen  schlecht  zerkleinerten 
einige  Schleimbeimischungen  enthaltenden  Speisebrei  gezeigt,  der 
keine  Spur  von  freier  Salzsäure  und  nur  eine  sehr  geringe  Gesamt¬ 
azidität  enthielt.  Am  18.  II.,  1  Uhr  mittags  Hypnose  (Dr.  Kohn- 
s  t  am  rri)  mit  der  Suggestion,  dass  die  Pat.  am  nächsten  Morgen 
das  rruhstuck  mit  grossem  Appetit  essen  würde.  In  der  Tat  isst  Pat. 
das  ihr  am  nächsten  Morgen  verabreichte,  aus  2  Tassen  Thee  und 
Sardellenschnittchen  bestehende  Appetitfrühstück  mit  grossem  Appetit 
und  bedauert,  dass  es  nicht  mehr  war.  Die  Ausheberung  Stunden 
spater  ergab  einen  Gehalt  an  freier  HCl  von  45  P  r  o  z. 
und  eine  üesamtazidität  von  74  Proz.  Auch  nach  dem 


)  Koh  nstamm  hat  den  Fall  kurz  bei  einem  Vortrage  im 
frankfurter  ärztlichen  Verein  (Referat  s.  M.m.W.  1914  Nr  11  S  624) 
erwähnt. 

...  Z  O-  Kohnstamm:  System  der  Neurosen  vom  psycho-biolog. 
Standpunkt.  Erg  d.  Inn.  M.  1912.  —  S.  auch  Schizothymie  und 
Zyklothymie.  B.kJ.W.  1914. 

)  M.  Fr  iedemann  und  O.  Kohnstamm:  Zur  Pathogenese 
und  sychotherapie  bei  Basedow  scher  Krankheit,  zugleich  ein 
Beitrag  zur  Kritik  der  psychanalyt.  Forschungsrichtung.  Zschr.  f  d 
ges.  Neurol.  23.  1914. 

Vergl-  auch  M.  Friedmann  und  O.  Kohnstamm  a.  a.  O 

o»  *5  /  y. 


Nr.  40 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


einige  Tage  später  gegebenen  gewöhnlichen  L  e  u  b  e  sehen  Probe¬ 
frühstück  (Thee  und  trockene  Semmel)  zeigte  die  Pat.  hohe  Aziditäts¬ 
werte  (freie  HCl  30  Proz..  Gesamtazidität  80  Proz.),  ein  Befund,  der 
mehrmals  erhoben  werden  konnte.  Ihre  subjektiven  Beschwerden 
waren  mit  dem  Auftreten  der  Salzsäure  nicht  unerheblich  gebessert. 

Ueber  die  Beeinflussung  der  Menstruationsanomalien  bei  dieser 
Patientin  ist  schon  früher  von  Kohnstamm  berichtet  worden 
(vergi.  Einleitung).  Nicht  unerwähnt  soll  aber  bleiben,  dass  auch  ein 
blühender,  zweifellos  katarrhalischer  Schnupfen,  den  sich  die  Pat. 
später  während  ihres  Aufenthaltes  im  Sanatorium  zuzog,  mit  reich¬ 
licher  Sekretion  und  Rötung  der  Nasenschleimhaut  auf  einfache  ver¬ 
bale  Suggestion  in  tiefer  Hypnose  spurlos  verschwand;  die  gerötete 
Nasenschleimhaut  war  gleich  nach  der  Hypnose  ganz  abgeblasst. 

Ueberblicken  wir  noch  einmal  den  Fall,  so  können  wir 
zusammenfassend  feststellen,  dass  wir  bei  einer  Patientin,  die 
mehr  der  Schizothymie  als  der  Hysterie  angehört,  einwand¬ 
frei  durch  hypnotische  Suggestion  eine  Reihe  von  vegetativen 
Zentren  beeinflussen  konnten  und  zwar 

1.  das  Temperaturzentrum.  Aus  unseren  Ver¬ 
suchen,  in  denen  wir  bei  Ausschluss  jeder  Täuschung  (rektale. 
Messung  von  der  Hand  der  Schwester!)  ein  von  einer 
früheren  Influenza  her  zurückgebliebenes  (fixiertes),  rein  zere¬ 
brales  (sogen,  hysterisches)  Fieber  durch  hypnotische  Sug¬ 
gestion  zum  dauernden  Verschwinden  bringen 
und  ebenso  wieder  hervorrufen  konnten,  geht 
hervor,  dass  Leitungsbahnen  von  der  Grosshirnrinde  zu  dem 
in  seinem  Sitze  noch  nicht  absolut  festliegcnden,  nach  Sachs- 
Aronsohns14)  Wärmestichversuchen  im  Nucleus  caudatus, 
nach  K  r  e  h  1 15)  zwischen  dem  frontalen  Ende  der  Thalami 
und  den  Vierhügeln  gelegenen  Temperaturzentrum  bestehen 
müssen,  dass  also  an  der  Existenz  eines  rein  zerebral  be¬ 
dingten  sogen,  hysterischen  Fiebers  nicht  mehr  gezweifelt 
werden  kann.  Bei  Erkrankungen  der  Hypophysis  und  des  In- 
fundibulum  werden  auffallend  häufig  Temperatursteigerungen 
beobachtet,  so  auch  von  Kohnstamm  in  einem  Fall  von 
Gumma  des  Infundibulum  (mündliche  Mitteilung),  der  von 
Reinhardt  seziert  wurde. 

2.  Die  ebenfalls  einem  vegetativen  Zentrum  unterstehende 
Magensaftsekretion.  Wir  konnten  bei  unserer  vorher 
anaziden  Patientin  durch  die  hypnotische  Suggestion,  dass 
Patientin  mit  Appetit  essen  würde,  die  Sekretion  von  reichlich 
Salzsäure  enthaltendem  Magensaft  hervorrufen,  die  auf  lange 
Zeit  anhielt,  ohne  dass  die  Hypnose  wiederholt  zu  werden 
brauchte.  Wenn  auch  diese  suggestive  Beeinflussung  der 
Magensekretion  an  und  für  sich  etwas  Naheliegendes  ist,  da 
es  ja  allgemein  bekannt  ist,  dass  schon  die  blosse  Vorstellung 
leckerer  Speisen  Sekretion  (Zusammenlaufen  des  Wassers  im 
Munde)  hervorzurufen  vermag,  also  sicherlich  Bahnen  von 
der  Grosshirnrinde  aus  zu  den  entsprechenden  Zentren  be¬ 
stehen  müssen,  so  ist  der  Fall  doch  insofern  interessant,  als  er 
unseres  Wissens  der  erste  ist,  in  dem  die  Hypnose  in 
diesem  Sinne  therapeutisch  angewandt  worden  ist.  Wir 
können  aus  der  Literatur  als  Gegenstück  nur  einen  Fall  von 
gesteigertem  Magensaftfluss  anführen,  bei  dem  Berg- 
mann16)  durch  hypnotische  Suggestion  einen  therapeutischen 
Einfluss  ausgeübt  und  den  Magensaft  normal  gemacht  zu  haben 
glaubt. 

3.  Aus  der  Beeinflussung  des  offenbar  echt  katarrhalischen 
Schnupfens  der  Patientin  durch  die  Hypnose  folgt  u.  a.,  worauf 
schon  K  o  h  n  s  t  a  m  m  in  seiner  Sympathikusbearbeitung  im 
Handbuche  der  inneren  Medizin  1T)  hingewiesen  hat,  dass  auch 
eine  echt  katarrhalische  Entzündung  eine  nervöse  Komponente 
haben  kann,  welche  den  Vorgang  in  entscheidender  Weise  be¬ 
einflussen  kann.  In  diesem  Sinne  fasst  Kohnstamm18) 
auch  die  Wirkung  des  Atropins  in  Fällen  von  Schnupfen  auf; 
nur  könnte  man  beim  Atropin  einwenden,  dass  die  Wirkung 
in  den  in  der  Schleimhaut  gelegenen  Endorganen  angriffe, 
also  gewissermassen  lokal  sei.  Anscheinend  verlaufen  eben 


14)  Aronson  und  Sachs:  Die  Beziehungen  des  Gehirns  zur 
Körperwärme  und  zum  Fieber.  Pflügers  Arch.  37.  1885.  —  Aron¬ 
sohn:  Ueber  den  Ort  der  Wärmebildung  in  dem  durch  Gehirnstich 
erzeugten  Fieber.  Virchows  Arch.  169. 

15)  Wesen  und  Behandlung  des  Fiebers.  Verh.  des  XXX.  Kongr. 
f.  innere  Medizin  S.  26. 

18)  Zit.  bei  Moll:  Der  Hypnotismus,  4.  Aufl.,  S.  113. 

17)  1.  c. 

1S)  Atropinbehandlung  des  Schnupfens.  Ther.  d.  Gegenw.  1906 
Nr.  11  S.  526. 


Fasern  von  der  Grosshirnrinde  zu  den  Zentren  des  vo 
Kohnstamm16)  in  seinem  Verlaufe  angegebenen  sogei 
„Erkältungsreflexes“  20),  so  dass  eine  psychische  Beeinflussun 
desselben  dem  Verständnis  zugänglich  wird. 


Aus  der  pathologisch-anatomischen  Abteilung  der  militärärzi 
liehen  Akademie  München. 

Myositis  ossificans  traumatica. 

Ein  kasuistischer  Beitrag. 

Von  Stabsarzt  Dr.  Hermann  Schöppler. 

Es  ist  den  Aerzten  schon  seit  langer  Zeit  bekannt,  da' 
Verletzungen  der  Muskulatur  häufig  dazu  führen  können,  das1 
in  derselben  Verknöcherungsvorgänge  sich  entwickeln.  S 
schreibt  z.  B.  Rokitansky  [10]  bereits  im  Jahre  1844,  das 
es  nicht  selten  sei,  dass  in  den  Muskeln  Knochenproduktione 
Vorkommen,  und  er  unterscheidet  bereits  zwischen  knocher 
erdigen  Konkretionen  und  wahren  Knochen  im  fibroiden  Gt 
webe  der  Muskulatur.  Er  macht  auch  darauf  aufmerksan 
dass  die  seltenere  Form  dieser  Knochenproduktion  der  wahr 
Knochen  ist,  der  „in  Form  rundlicher,  platt-,  länglich  runc 
licher  Bildungen  von  bald  spongiösem,  bald  mehr  kompaktei 
Gewebe“  sich  entwickelt.  Er  fügt  dieser  Schilderung  bei 
dass  hieher  auch  neben  dem  sogen.  Exerzierknochen  noej 
mancherlei  ähnliche  Knochenproduktionen  gehören.  Es  i: 
nun  eine  im  allgemeinen  und  den  Militärärzten  im  besondere 
bekannte  Tatsache,  dass  Verletzungen  des  Muskelgewebes,  s< 
es  durch  stumpfe  Gewalt,  sei  es  durch  Zerreissung  odt 
Zerrung  im  Muskel  nicht  selten  zu  Verknöcherungen  in  diesei 
Gewebe  führen.  Auch  G.  B.  G  r  u  b  e  r  [7]  weist  in  seind 
ausführlichen  und  grundlegenden  Veröffentlichungen  auf  dies 
Eigentümlichkeit  hin  und  sagt  davon  in  seiner  jüngsten  die: 
bezüglichen  Arbeit:  „Seit  langer  Zeit  ist  in  dieser  Hinsicht  d 
als  ,Reitknochen‘  oder  als  , Bajonettierknochen1  (Exerzici- 
knochen)  bekannte  Veränderung  in  viel  beanspruchten  Muskel 
von  Soldaten  bekannt“. 

Ueber  einen  Fall  von  Myositis  ossificans  traumatica,  dt 
im  Garnisonlazarett  München  zur  Beobachtung  kam,  kann  id 
nachstehend  berichten: 

Im  Februar  1913  zog  sich  der  E.-Fr.  Sehr,  der  7.  Kp.  1.  Inf.-Re 
beim  Turnen  beim  Anlauf  zu  einem  Weitsprung  infolge  Ausrutschei: 
und  Falles  auf  den  rechten  Arm  eine  Verrenkung  des  rechten  Urte 
armes  im  Ellenbogengelenk  zu.  Die  Röntgendurchleuchtung  zeigt  al 
Knochenkonturen  intakt.  Die  Einrenkung  Hess  sich  leicht  vornehme 
doch  ergab  die  Röntgendurchleuchtung  am  12.  IV.  13  bereits  eh 
ausgedehnte  Verknöcherung  im  Bezirk  des  Muse,  brachialis  intern) 
die  vom  Gelenkspalt  ca.  8  cm  nach  aufwärts  zog  und  ein  mechanisch* 
Hindernis  bei  Bewegungen  darstellte.  Da  die  Beugung  fast  bis  ; 
einem  rechten  Winkel,  die  Streckung  bis  zu  einem  Winkel  von  16< 
möglich  war,  Pro-  und  Supination  sich  unbehindert  erwiesen,  wun 
Sch.  gebessert  in  das  Revier  entlassen.  Bereits  Ende  April  war« 
jedoch  solche  Bewegungsbeschränkungen  eingetreten,  dass  vo 
Neuem  Lazarettaufnahme  erfolgte.  Die  Bewegungsexkursiom 
waren  nur  in  ganz  geringem  Masse  möglich,  verursacht  durch  eir 
im  Muse,  brachialis  internus  fühlbare  Knochenspange,  in  der  Läng 
von  etwa  !0  cm.  I 

Das  Röntgenbild  ergab:  Im  Muse,  brachialis  internus  verläuft  eil 
Knochenspange  von  ca.  2  cm  Höhe  und  1  Yi  cm  Breite,  die  mit  de 
unterliegendem  Knochen  in  festem  Zusammenhänge  steht,  nur  ob< 
verläuft  sie  in  einen  spitzen  Ausläufer,  der  mit  dem  Knochen  nid 
zusammenhängt.  Diese  Knochenspange  hat  die  Länge  von  ca.  8  c 
und  setzt  sich  direkt  an  den  Gelenkteil  des  Humerus  an. 

Durch  Operation  wurde  ein  etwa  4  cm  langes  Stück  des  vfl 
knöcherten  Muskels  entfernt.  Am  28.  V.  13  war  die  Streckung  b 
zu  einem  Winkel  von  135°,  die  Beugung  bis  zu  90°  möglich. 

Sch.  musste  am  23.  VII.  13  als  dienstunbrauchbar  entiassi 
werden. 

Mikroskopisch  wurde  folgender  Befund  erhoben:  Die  Muskulat 
erscheint  nicht  gleichmässig  gefärbt  und  sehen  die  Muskelfasern  a 
wie  wenn  sie  in  Schollen  zerfallen  wären.  Teilweise  wieder  mach* 
sie  den  Eindruck  der  Quellung.  Gegen  die  Verknöcherungszone 
werden  die  Muskelfasern  schmal.  Sie  erscheinen  hier  oft  wie  g 
wellt.  Eine  Querstreifung  lässt  sich  nicht  erkennen.  Gegen  die 
Auflösungszone  zu  sieht  man  dichtes  Bindegewebe  zwischen  c 

19)  Der  Reflexweg  der  Erkältung  und  der  Temperaturreize  übe 
haupt.  D.m.W.  1903  Nr.  16  S.  279. 

20)  Wahrscheinlich  liegen  die  Zentren  des  sogen.  Erkältung, 
reflexes  im  Hirnstamm,  wofür  die  Beobachtungen  Oppenhein 
(Lehrb.  d.  Nervenkrankh.,  6.  Aufl.  1913  S.  1336)  über  einseitigen  Au 
fall  derselben  bei  der  akuten  apoplektischen  Bulbärparalyse  sprecht 


6.  Oktober  1914. _  MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


Muskelfasern  eindringen.  Dieses  Bindegewebe  ist  zum  Teil  kernarm, 
während  an  anderen  Stellen  eine  reichlichere  Ansammlung  von  Rund¬ 
sellen  zu  sehen  ist.  Im  Bindegewebe  liegen  sodann  knochenähnliche 
schollen  und  Balken.  In  diesem  osteoiden  Gewebe  glaubt  man 
.!  mol  löse  Schichtung  zu  erkennen.  Ueberwiegend  ist  spongiöser 
(nochenaufbau  nach  dem  Typus  des  periostalen  und  Bindegewcbs- 
mochens  vorhanden. 

Die  Verknöcherung  der  Muskulatur  trat  also  als  unmittel¬ 
bare  Folge  einer  Ellenbogenluxation  auf.  Es  ist  nun  eine  be¬ 
kannte  latsache,  dass  gerade  bei  dieser  Art  von  Verletzungen 
m  Bereiche  eines  Gelenkes  Verknöcherungszustände  in  der 
anliegenden  Muskulatur  eintreten  können.  So  erwähnt 
vV  endt  [l3l  in  seiner  Arbeit  über  die  Verletzungen  des 
'lienbogengelenkes,  dass  er  in  80  Proz.  seiner  Fälle  von  Ellen¬ 
ogenluxationen  eine  Myositis  ossificans  vorfand.  Ebenso 
chreibt  Machol  [9],  dass  er  sie  in  90  Proz.  seiner  Fälle 
>ach  Luxationen  im  Ellenbogengelenk  auftreten  sah.  Auch 
'udeck  [l2l  gibt  auf  Grund  seiner  eigenen  Beobachtungen 
in,  dass  eineüssifizierung,  sei  es  in  grösserem  oder  geringerem 
Jmfange,  bei  Verletzungen  des  Ellenbogengelenkes  und  be- 
onders  bei  Luxationen  desselben  eine  keineswegs  so  seltene 
'rscheinung  ist,  als  vielfach  angenommen  wird. 

Man  hat  über  die  Entstehung  der  Myositis  ossificans  ver- 
chiedene  Erklärungsversuche  aufgestellt.  Ist  es  doch  aufge- 
allen,  dass  diese  Knochenbildungen  einzelne  Stellen  unseres 
vörpers  besonders  bevorzugen.  Auch  der  Moment  des  ein- 
naligen  Traumas  wurde  nicht  selten  der  Gegenstand  be- 
onderer  Beachtung.  Als  Erklärungsversuche  für  die  Ent- 
tehung  der  Ossifikation  sind  angegeben  worden:  Mnskel- 
uptur,  flächenförmige  Ausbreitung  der  in  Frage  kommenden 
luskeln,  stumpfes  Trauma  ohne  Knochenverletzung,  starke 
Jcizung  des  Muskels  fz.  B.  durch  Repositionsversuche),  früh- 
eitige  Massage  und  Gymnastik,  Hämatombildung  im  Muskel, 
inerhalb  und  unterhalb  des  Periosts  u.  a.  m.  Alle  diese  Ur- 
achen  bedingen  eine  mehr  oder  weniger  starke  Zerstörung 
es  getroffenen  Weichteilgewebes  und  auch  des  Knochens. 
>ieses  führte  auch  dazu,  dass  die  Entstehung  der  Myositis 
ssificans  zunächst  vom  verletzten  Periost  und  vom  Muskel- 
itidegewebe  hergeleitet  wurde,  was  wiederum  zur  Frage 
ihrte,  ob  wahre  Geschwulstbildung  bei  der  Myositis  ossificans 
tattfände  oder  nicht.  Ich  weise  hier  nur  auf  die  Arbeiten  von 
•üms  [5],  Cahen  [4],  Bremig  Hl,  Grawitz  [6],  van 
er  Br i eie  [2],  Busse  und  B  I  e  c  h  e  r  [3],  Schöppler  [ll] 

.  a.  m.  hin.  K  ü  1 1  n  e  r  [8]  nahm  bei  der  Bildung  der  Muskel- 
erknöcherung  sogen,  trophische  Störungen  an,  ein  immer 
och  dunkler  Punkt  in  dieser  Frage.  Auch  die  von  Sud  eck 
-1  aufgestellte  Annahme,  dass  die  Genese  der  Luxations¬ 
nochen  auf  Periost-  bzw.  Kapselläsion  allein  zuriiekzu- 
ihren  sei,  dürfte  genauerer  Prüfung  nicht  standhalten. 

Meiner  Ansicht  nach  handelt  es  sich  bei  allen  Fällen  von 
iyositis  ossificans  um  Schädigungen  in  den  Weichteilen,  in 
men  sich  der  Prozess  abspielt,  welche  dazu  führen,  dass  ein 
eil  dieses  Gewebes  zugrunde  geht,  so  z.  B.  Blutungen,  Zer- 
.‘issungen  von  Muskelgewebe,  Quetschungen  von  Periost, 
nochenabsprengungen  u.  a.  m.  Es  entwickelt  sich  nun  auf 
rund  dieser  Läsionen  junges,  zellreiches  Bindegewebe,  durch 
ts  der  Verkalkungsprozess  seine  Bedingungen  findet.  Ich 
aube  übereinstimmend  mit  G.  B.  G  r  u  b  e  r  [7],  dass  dieses 
a.kmaterial  aus  dem  Kalkbestand  des  Skelettes  bezogen  wird, 

•  dass  das  Problem  der  Myositis  ossificans  als  ein  Problem. 

:s  Kalkstoffwechsels  aufzufassen  ist.  Freilich  kommen  wir 
ich  damit  noch  nicht  über  die  uns  zurzeit  noch  unbekannte 
rosse  der  Disposition  oder  individuellen  Veranlagung  hinweg, 
ie  denn  auch  G  r  u  b  e  r  [7]  am  Schlüsse  seiner  eingehenden 
rbeit  noch  den  Satz  anfügen  muss,  die  erwähnte  Disposition, 
e  man  aus  klinischen  Gründen  —  und  bei  der  Betrachtung 
r  Aetiologie  —  als  einen  wichtigen  Faktor  der  letzten  Ur- 
chen  betrachtet  hat,  ist  für  jede  Form  von  Muskelver- 
■ocherung,  ja  überhaupt  für  heterotope  Verknöcherung  nicht 
icht  ganz  zu  umgehen. 

Literatur. 

1.  Bremig:  lieber  Myositis  ossificans  etc.  Inaug.-Diss.  Greifs- 
ud  1897.  —  2.  van  der  Briele:  Ein  Fall  von  Myositis  ossific. 
uim.  Inaug.-Diss.  Leipzig  1898.  —  3.  Busse  und  Blech  er: 
ber  Myositis  ossific.  Zschr.  f.  Chir.  73.  —  4.  Cahen:  Intermusk. 
teom.  D.  Zschr.  f.  Chir.  31.  1891.  —  5.  Dü  ms:  Hb.  f.  Militär- 
ankheiten  1.  Leipzig  1906.  —  6.  P.  Grawitz:  Atlas  der  patho-  ' 

Nr.  40. 


2033 


logischen  Gewebslehre.  —  7.  B.  G.  Grub  er:  lieber  Histologie  und 
Pathogenese  der  zirkumskripten  Muskelverknöcherung.  Jena  1913. 
Weitere  Beiträge  zur  pathologischen  Anatomie  der  umschriebenen 
Muskelverknöcherung.  Mitteil.  a.  d.  Grenzgeb.  d.  Med.  u.  Chir. 
Jena  1914.  —  8.  K  ü  1 1  n  e  r:  Die  Myositis  ossific.  circumsc.  Ergeh,  d 
Chir.  u.  Orthop.  1910.  —  9.  M  a  c  h  o  I:  Beitr.  z.  kl.  Chir.  56.  1908.  H.  3. 
--  10.  Rokitansky:  Hb  d.  nathol.  Anat.  Wien  1844.  —  11.  H 
Schöppler:  Ein  Beitrag  zur  Kasuistik  der  Myositis  ossificans  trau¬ 
matica.  Der  Militärarzt  1908.  —  12.  V.  Sud  eck:  Myositis  ossificans 
oder  parostaler  Kallus?  D.  Zschr.  f.  Chir.  108.  Leipzig  1911. 
lu.  E.  w  endt:  Die  Verletzung  des  Ellenbogengelenkes  im  Röntgeno¬ 
gramm.  Fortschr.  a.  d.  Geb.  d.  Röntgenstr.  23. 


Zur  Lehre  und  Behandlung  der  sogenannten  Median¬ 
stellung  der  Stimmlippe  bei  Rekurrensneuritis. 

Von  Dr.  Rudolf  Hoffmann  in  München. 

Als  ich  daran  ging,  die  Schluckschmerzen  der  Larynx- 
phthisiker  durch  Alkoholinjektion  in  den  Nervus  laryngeus 
superior  zu  beseitigen,  hegte  ich  lebhafte  Bedenken,  ob  nicht 
uie  Ausschaltung  eines  sensiblen  Nerven  mit  so  wichtigen 
t  eflektorischen  Aufgaben  wie  des  oberen  Kopfnerven,  für 
den  Patienten  unangenehme  Erscheinungen  zur  Folge  haben 
könnte,  vor  allem  Fehlschlucken  und  Störung  der  Motilität 
der  Stimmlippen.  Die  menschliche  Pathologie  gab  darüber 
keine  Auskunft,  ich  habe  in  der  Ausschaltung  jenes  Nerven 
keine  Vorgänger  gehabt,  dagegen  fand  ich  tierexperimen¬ 
telle  Untersuchungen  (Müller,  Exner,  P  i  n  e  1  e  s),  die 
nach  Durchschneidung  des  genannten  Nerven  Aenderung  in 
der  Stellung  der  Stimmlippen  gesehen  haben.  Jedoch  sind  die 
Befunde  der  Autoren  so  wechselnd,  dass  vom  Tierversuch 
keine  Aufklärung  über  die  Folgen  zu  erhoffen  ist,  die  eine  Aus¬ 
schaltung  des  Ramus  internus  des  Nervus  laryngeus  superior 
beim  Menschen  haben  könnte.  Versuche  am  Menschen,  die 
nun  in  sehr  grosser  Zahl  vorliegen  1),  ergaben,  dass  nach  Al¬ 
koholinjektion  Analgesie  und  Hypästhesie,  aber  keine  An¬ 
ästhesie  der  Larynxschleimhaut  auftritt  und  dass  die  Motilität 
der^Stimmlippen  keine  Beschränkung  erleidet.  Seinerzeit  schrieb 
ich 2) :  „Besteht  die  Annahme  von  v.  M  e  r  i  n  g  und  Z  u  n  t  z  zu 
Recht,  dass  nach  Durchschneidung  des  Nerv,  laryng.  sup., 
ebenso  wie  nach  Kokainisierung  der  Larynxmukosa  die 
Medianstellung  der  Stimmbänder  bei  Rekurrensschädigungen 
schwindet,  so  wäre  bei  doppelseitiger  Medianstellung  mit 
suffokatorischen  Erscheinungen  die  Alkoholinjektion  in  den 
N.  laryng.  sup.  (Ram.  int.)  zu  empfehlen.“ 

Ich  musste  aber  5  Jahre  warten,  bis  ich  eine  Median¬ 
stellung  der  Stimmlippen  beobachten  konnte 3). 

Ein  27  jähriges  Mädchen  erkrankte  an  Halsweh  auf  der  linken 
beite  mit  heftigen  Schluckbeschwerden,  nach  3  Tagen  tritt  eine 
schnei!  bedrohlich  werdende  Atemnot  auf,  welche  die  Ueberführung 
der  Patientin  ins  Krankenhaus  notwendig  macht.  Ich  sah  dort  die 
Patientin,  welche  mit  ziemlichem  Stridor  unter  Zuhilfenahme  der 
Nasenflügel  und  der  respiratorischen  Hilfsmuskulatur  atmete.  Die 
Einziehung  am  Jugulum  war  deutlich.  Eine  ausgesprochene  Zyanose 
war  nicht  vorhanden.  Links  neben  der  Trachea  war  eine  starke 
Druckempfindlichkeit  vorhanden,  am  vorderen  Rande  des  linken 
Kopfnickers  sassen  einige  kleine,  etwas  druckempfindliche  Lymph- 
drüsen.  Die  l'onsillen  waren  nicht  gerötet,  der  weiche  Gaumen 
stand  auffällig  entspannt.  Im  Kehlkopf  war  eine  unbedeutende 
Rötung  der  Stimmlippen  vorhanden,  die  beiderseits  ganz  nahe  der 
Mittellinie  standen,  die  sie  in  der  Phonation  erreichten,  um  dann 
wieder  in  die  ..Medianstellung“  zurückzukehren.  Die  Gegend  der 
Aryknorpel  sowie  der  Hypopharynx  waren  frei  von  Rötung.  Der  linke 
Sinus  piriformis  war  etwas  mehr  verstrichen  als  der  rechte.  Am 
Hals  war  die  vorzüglich  verheilte  Narbe  einer  vor  2  Jahren  ausge- 
fiihrtcn  Strumektomie  (Priv.-Doz.  Dr.  A  c  h)  sichtbar. 

Myo-  und  arthropathische  Prozesse  im  Larynx  waren  auszu- 
schliessen,  ebenso  zentrale  Störungen.  Hysterie  kam  kaum  in  Be¬ 
tracht,  denn  das  Krankheitsbild  war  das  einer  Sepsis  mit  Tem¬ 
peraturen  bis  zu  40,6 0  C,  Hyperleukozytose  und  folgenden  nephriti- 
schen  Störungen.  Die  Atemnot  bestand  ohne  Unterbrechung 
ca.  40  Stunden  lang.  Am  wahrscheinlichsten  erschien  mir  die  An¬ 
nahme,  dass  es  sich  um  einen  von  den  Speisewegen  ausgehenden 
entzündlichen  Prozess  infolge  eines  Fremdkörpers  handelte,  durch  den 
der  N.  recurrens  resp.  seine  Scheide  mit  getroffen  wurde.  Meine 
Diagnose  lautete:  beiderseitige  spastische  Kontraktur  der  Glottis- 
schliesser  bei  Rekurrensneuritis. 


*)  Camnitzer:  Inaug.-Diss.  1913. 

2)  Zschr.  f.  Ohrenheilk.  59.  S.  168. 

3)  Den  Fall  verdanke  ich  der  Liebenswürdigkeit  des  Herrn  Prof. 
Dr.  Brasch,  Oberarzt  im  Schwabinger  Krankenhaus. 


2 


2034 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  40 


Wie  bei  den  peripheren  Lähmungen  meist  zunächst  die  Exten¬ 
soren  ausfallen  und  eine  spastische  Kontraktur  der  Flexoren  eintritt, 
erscheinen  im  Larynx  bei  der  Neuritis  des  Vagus  resp.  Rekurrens 
die  den  Extensoren  entsprechenden  Oeft'ner  der  Stimmritze  paretisch, 
während  die  Glottisschliesser  sich  in  Kontrakturstellung  begeben, 
bei  deren  Zustandekommen  sensible  Sensationen,  die  von  der  Reiz¬ 
stelle  am  Rekurrens  ausgehen,  eine  Rolle  spielen  dürften. 

Nun  wäre  Gelegenheit  gewesen,  meinen  Vorschlag,  die  Median¬ 
stellung  der  Stimmlipen  durch  Alkoholinjektion  in  den  N.  laryng.  sup. 
zu  korrigieren,  auszuführen.  Der  Zustand  erschien  aber  derart  be¬ 
drohlich,  dass  ich  die  sofortige  Ueberweisung  der  Patientin  an  die 
chirurgische  Abteilung  empfehlen  musste.  Die  Patientin  erhielt  auf 
meinen  Wunsch  eine  Maske  zur  Einatmung  von  Menthol  und 
Kampfer,  die  ich  zu  Versuchen  bei  Pneumokokkeninfektionen  auf  der 
Abteilung  liegen  hatte.  Wie  mir  die  Krankenschwester  und  die 
Patientin  mitteilte,  war  ca.  10  Minuten  nach  dem  das  Mädchen  die 
Maske  aufgesetzt  hatte,  die  Atmung  frei  geworden.  Als  ich  die 
Patienten  3  Stunden  später  sah,  war  die  Respiration  und  die  Motilität 
der  Stimmlippen,  abgesehen  von  etwas  ataktischen  Bewegungen,  un¬ 
behindert.  Die  Patientin  trug  die  Maske  mit  kurzen  Unterbrechungen 
24  Stunden  und  legte  sie  dann  ab,  als  sie  sich  überzeugt  hatte,  dass 
die  Atemnot  nicht  mehr  auftrat.  Die  Schmerzen  blieben  noch  einige 
Zeit  so  lebhaft,  dass  die  Patientin  die  Nahrungsaufnahme  ver¬ 
weigerte.  Es  erfolgte  nach  4  Tagen  ein  Temperaturanstieg  über  40°, 
der  einen  ganzen  Tag  anhielt,  um  nach  einer  intravenösen  Injektion 
von  10  ccm  einer  2  proz.  Kollargollösung  unter  Schüttelfrost  abzu- 
fallen.  Das  Krankheitsbild  blieb  infolge  schwacher  Herzaktion 
noch  einige  Tage  ein  sehr  bedrohliches,  erst  1  Monat  nach  ihrem 
Eintritt  ins  Krankenhaus  konnte  die  Patientin  entlassen  werden. 

Epikrise:  Im  obigen  Falle  wurde  also  eine  spastische 
Muskelkontraktur  im  Larynx  durch  periphere  Anästhesierung 
der  Kehlkopfschleimhaut  gelöst.  Es  ist  auch  möglich,  dass  der 
in  der  Plica  nervi  laryng.  sup.  dicht  unter  der  Schleimhaut 
liegende  innere  Ast  des  oberen  Kehlkopfnerven  direkt  ge¬ 
troffen  wurde.  Eine  etwaige  zentrale  Wirkung  von  Kampfer 
und  Menthol  glaube  ich  vernachlässigen  zu  dürfen. 

Es  lag  nahe,  das  Resultat  am  Tiere  nachzuprüfen. 
Krause  hat  gezeigt,  wie  man  durch  Anbringung  entzünd¬ 
licher  Reize  am  Rekurrensstamme  „Medianstellung“  der 
Stimmlippen  erzeugen  kann.  Dass  diese  mittels  Durchschnei¬ 
dung  des  N.  laryng.  sup.  in  die  Kadaverstellung  überführt 
werden  kann,  wies  Richard  Wagner  nach,  jedoch  war 
seine  Erklärung  für  diesen  Vorgang  eine  falsche:  Nicht  der 
Ausfall  der  motorischen,  sondern  der  sensiblen  Funktion  jenes 
Nerven  lässt  die  Stimmlippe  in  die  sogen.  Kadaverstellung  zu¬ 
rücktreten.  Die  Versuche  von  v.  M  e  r  i  n  g  und  Z  u  n  t  z  wurden 
oben  erwähnt.  Ich  möchte  mich  aber  bezüglich  derWertung  des 
Tierexperimentes  den  Worten  des  Physiologen  Ewald  an- 
schliessen,  dem  wir  eine  vorzügliche  Darstellung  der  Inner¬ 
vation  des  Kehlkopfes  in  Heymanns  Handbuch  der 
Laryngologie  verdanken. 

„Für  die  physiologische  Untersuchung  bietet  die  Innervation  des 
Kehlkopfes  ganz  besonders  grosse  Schwierigkeiten.  Ebenso  wie 
anatomisch  offenbar  wesentliche  Verschiedenheiten  in  der  Inner¬ 
vation  des  Kehlkopfes  je  nach  der  Tierart,  auch  je  nach  dem 
Individuum  innerhalb  derselben  Art  Vorkommen,  so  unterliegt  auch 
der  Erfolg  der  Reizung  oder  der  Durchschneidung  vielfachen  Schwan¬ 
kungen,  deren  Ursache  man  bisher  nicht  genügend  kennt.  So  scheint 
die  Tierart,  das  Individuum,  sein  Alter,  die  Narkose,  die  Art  des 
Reizes  usw.  von  massgebendem  Einfluss  auf  den  Erfolg  des  physio¬ 
logischen  Experimentes  sein  zu  können.“ 

Ausserdem  möchte  ich  darauf  hinweisen,  dass  beim 
Menschen  die  kortikalen  Verhältnisse  eine  bedeutende 
Rolle  spielen  dürften.  Es  sei  auf  ein  Beispiel  hin¬ 
gewiesen:  Bei  Pferden  hatte  die  Durchschneidung  des 
N.  infraorbitalis,  die  P  i  n  e  1  e  s  in  Anlehnung  an  ähnliche  Ver¬ 
suche  von  Bell  und  M  a  g  e  n  d  i  e  ausführte,  Lähmungs¬ 
erscheinungen  in  der  Oberlippe  zur  Folge,  während  doch  die 
gleiche  Operation  am  normalen  Menschen  nie  Motilitäts¬ 
störungen  im  Fazialisgebiet  hervorruft  (dagegen  könnten  die 
Erscheinungen  von  Fazialislähmung  nach  Alkoholinjektionen  in 
den  Trigeminus,  die  bei  manchen  Patienten  beobachtet  worden 
sind,  in  Parallele  gesetzt  werden;  es  handelte  sich  wohl  um 
hysterische  Personen  mit  Neigung  zu  zentralen  Hemmungen, 
bei  denen  wir  ja  auch  im  Larynx  bei  Hypästhesie  der  Pha¬ 
rynx-  und  Larynxschleimhaut  Stimmbandparesen  auftreten 
sehen). 

Die  Sensibilität  der  Larynxschleimhaut  bedarf  noch  einer 
genaueren  Prüfung  und  zwar  aller  Qualitäten  derselben,  spe¬ 
ziell  der  Tiefensensibilität.  Im  Kehlkopf  liegen  ganz  besondere 
Verhältnisse  vor,  da  oft  direkt  unter  der  Schleimhaut  Mus¬ 
kulatur  liegt,  z.  B.  der  M.  arytaenoideus,  unter  dem  wiederum 


das  Crico-arytenoidealgelenk  ruht,  so  dass  eine  Herabsetzung 
der  Sensibilität  der  Schleimhaut  auch  den  Muskelsinn  und  da 
mit  den  Gelenksinn  beeinträchtigen  kann,  während  ander 
seits  eine  Störung  der  Qelenksensibilität  Störung  de 
Muskelstellung  hervorrufen  könnte,  z.  B.  bei  der  Tabes.  Be 
letzterer  sehen  wir  häufig  die  Postikuslähmung  infolge  neuri 
tischer  Veränderungen  am  Vagus  und  Rekurrens  auftreten 
So  lange  die  Sensibilität  der  Schleimhaut  intakt  ist,  bleibt  die 
spastische  Kontraktur  bestehen,  welche  erst  dann  in  die  Stel 
lung  der  kompletten  Lähmung  übergeht,  wenn  die  SensibUitä 
der  Schleimhaut  zu  Verlust  gegangen  oder  die  motorische  Lei 
tung  oder  die  Muskulatur  gänzlich  degeneriert  ist. 

Einer  Arbeit  in  der  Fachliteratur  bleibt  die  ausführliche 
Darstellung  des  Falles  und  die  Wertung  seiner  Bedeutung  fü; 
die  Physiologie  des  Larynx  Vorbehalten.  Sektionsberichtt; 
von  Postikuslähmungen  bei  gleichzeitiger  Degeneration  des 
entsprechenden  N.  laryng.  sup.  konnte  ich  in  der  Literatur 
nicht  finden.  Wünschenswert  wären  vor  allem  Unter 
suchungen  über  die  Beteiligung  des  Qlossopharyngeus  an  de 
sensiblen  und  motorischen  Innervation  des  Larynx.  Da* 
Weiterbestehen  einer  Sensibilität  der  Kehlkopfschleimhaut  be 
gleichzeitiger  Analgesie  infolge  Alkoholinjektion  in  den  oberer 
Kehlkopfnerven  spricht  dafür,  dass  Glossopharyngeusfaserf 
die  Tiefensensibilität  und  die  Schmerzempfindung  im  Kehlkopf 
vermitteln,  während  die  Berührungsempfindlichkeit  in  dei, 
Rekurrens-  resp.  Vagusfasern  geleitet  wird,  wie  ja  auch  in  an 
deren  von  sensiblen  Rekurrensfasern  versorgten  Organen,  wi» 
Trachea  und  Oesophagus,  unter  normalen  Verhältnissen  keinii 
Schmerzempfindungen  auftreten. 

Der  Musculus  arytaenoideus  muss  bezüglich  seiner  Inner 
vation  unser  ganz  besonderes  Interesse  in  Anspruch  nehmen 
da  er  wohl  der  einzige  Muskel  im  Körper  ist,  bei  dem  Ur 
Sprung  und  Insertion  auf  verschiedenen  Körperhälften  liegen 
Zuckerkandl  vermutet,  dass  er  vom  M.  glosso-pharyn 
geus  innerviert  wird. 

Zweck  dieser  Zeilen  soll  sein,  die  Nachprüfung  des  Re 
sultates  der  Schleimhautanästhesierung  bei  Medianstellung 
der  Stimmlippen  anzuregen,  da  der  Einzelne  nur  relativ  selten 
Gelegenheit  haben  wird,  solche  spastische  Kontrakturen  in, 
Kehlkopf  zu  beobachten.  Dass  die  spastische  Kontraktur  de: 
Kehlkopfschliesser  durch  Ausschaltung  der  peripheren  Sensi 
bilität  gelöst  werden  kann,  hat  nach  den,  Ergebnissen  de: 
Förster  sehen  Operationen  (Durchschneidung  der  hinterer 
Wurzeln  bei  spastischen  Kontrakturen)  nichts  Befremdendes 
Der  Erfolg  ermuntert,  zu  versuchen,  ob  nicht  auch  ändert 
spastische  Kontrakturen,  z.  B.  die  der  Extremitäten,  durcf 
periphere  Anästhesierung  resp.  Analgesierung  aufgehober 
werden  können. 

Beim  Menschen  wird  sich  die  spastische  Kontraktil 
im  Larynx  beseitigen  lassen  1.  durch  lokale  Anästhesie 
(Mentholkampfer),  2.  durch  Leitungsanästhesie  im  N.  laryng 
sup.,  3.  durch  reizlose  Durchschneidung  des  Rekurrens 
Nach  Durchtrennung  aller  motorischen  Fasern  muss  di» 
sogen.  Kadaverstellung  der  Stimmlippe  zustande  kommen 
ihr  Misserfolg  ist  auf  Reizung  des  Nerven  bei  der  Durchschnei 
düng  zurückzuführen.  Ich  möchte  deswegen  vorschlagen 
nach  dem  Beispiele  von  G  a  d  den  Nerven  durch  Abkühlum 
reizlos  auszuschalten  und  dann  die  vereiste  Stelle  vorsichti- 
zu  durchtrennen.  Handelt  es  sich  um  frische  infektiöse  ent¬ 
zündliche  Erscheinungen  am  Nerven,  so  wird  sich  die  1.  Me 
thode  empfehlen.  Bei  zentralen  Lähmungen  die  2.  und  be 
Rezidiven  event.  die  3.,  bei  der  zur  Vermeidung  der  Wieder 
Vereinigung  der  beiden  Enden  eine  parallele  Zurücknahme 
resp.  Versenkung  des  Stumpfes  zu  empfehlen  wäre.  Be 
spastischen  Kontrakturen  der  Extremitäten  stände  auch  dk 
Lumbalanästhesie  zur  Verfügung  (eventuell  Magnesiumsulfa 
lumbal),  besonders  als  differentialdiagnostisches  Hilfsmittel  be 
hysterischen  Kontrakturen. 

Die  von  mir  benützte  Lösung  war 

Menthol  1,0  (—3,0) 

Kampfer  3,0 

Aether  4,0  (—6,0). 

Von  dieser  wurden  ca.  7  Tropfen  auf  das  Drahtgeflecli 
des  Gestelles 4)  aufgetropft.  Nach  Verdunstung  des  Aether1 

’)  Zu  haben  bei  Katsch,  Instrumentenfabrik,  München,  Petten 
koferstrasse. 


6.  Oktober  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


wird  letzteres  vor  der  Nase  in  Position  gebracht.  Der  Patient 
soll  zunächst  durch  die  Nase  ein-  und  durch  den  Mund  aus- 
atmen.  Vor  der  Mentholanwendung  bei  Kindern  ist  gewarnt 
worden,  ich  glaube,  es  lag  ein  Beobachtungsfehler  zugrunde. 
Wenn  es  in  Salbenform  in  die  Nase  gebracht  wurde  und  da¬ 
nach  Glottisspasmen  auftraten,  so  beruhte  das  auf  der  Reiz¬ 
wirkung  des  auftragenden  Wattestäbchens  auf  die  Nasen¬ 
schleimhaut,  wie  ich  das  im  Tierexperiment  beobachten 
konnte. 

Ich  möchte  diese  einfache  Methode  auch  zur  Behandlung 
der  Larynxkrisen,-  bei  denen  ich  vor  Jahren  in  einem  Falle 
Alkoholinjektion  in  den  Nerv,  laryng.  sup.  erfolgreich  ver¬ 
wandte,  bei  Dysphonia  spastica,  bei  Keuchhusten  und  den 
Glottisspasmen  rhachitischer  Kinder,  sowie  zur  Kampfer¬ 
behandlung  der  Pneumokokkeninfektion  empfehlen.  Bei  letz¬ 
teren  hätten  sie  gegenüber  resp.  neben  intravenösen  In¬ 
jektionen  den  Vorteil  der  protrahierten  Wirkung  sowie  des 
gleichzeitigen  Effektes  auf  den  Olfaktorius  und  Trigeminus. 


Zum  Schutze  des  Arztes  bei  Röntgendurchleuchtungen. 

Von  Dr.  Leo  Moses  in  Frankfurt  a.  M. 

Seitdem  man  erkannt  hat,  dass  die  Röntgenstrahlen  auf  den¬ 
jenigen,  der  gezwungen  ist,  sie  häufig  anzuwenden,  schädliche  Wir¬ 
kung  ausüben,  hat  man  auch  begonnen,  nach  einem  vollständigen 
3trahlenschutz  der  Untersucher  und  des  Personals  zu  streben.  Man 
glaubte  früher,  die  Röntgenröhre  teile  den  Raum  in  zwei  Hälften, 
von  denen  die  eine,  Röntgenstrahlen  enthaltende,  gefährlich  sei,  die 
indere,  „röntgenstrahlenfreie“  aber  ungefährlich.  Heute  wissen  wir, 
lass  die  rückwärtigen  Glasstrahlen  teils  von  der  Rückseite  der  Anti¬ 
kathode  ausgehende  Röntgenstrahlen,  teils  den  Röntgenstrahlen  an 

Schädlichkeit  noch 
überlegene  Sekun¬ 
därstrahlen  (gefil¬ 
terte  Röntgen¬ 
strahlen)  sind. 

Es  wurden  dann 
auf  Grund  derbitte- 
renErfahrungen  der 
Pioniere  des  Spe- 
zialgebietesSchutz- 
wände  oder  Schutz¬ 
häuser  angewandt, 
oder  die  Röhre 
wurde  in  Schutz¬ 
kasten  eingeschlos¬ 
sen.  Man  muss 
heute  unbedingt 
Schutzverkleidung 
der  Röhre  und 
Schutzhaus  ver¬ 
langen.  Denn  die 
Röhrenkasten  sind 
wegen  derForm  der 
Röhre  und  Kabelzu¬ 
führung  sehr  weit 
davon  entfernt, 
strahlendicht  zu 

'ein.  und  die  Schutzwand  ist  zwar  ein  Schutz  gegen  die  direkten 
Mrahlen,  keineswegs  aber  gegen  die  vagabundierenden  Sekundär- 

trahlen. 

Nun  ist  ja  nicht  zu  leugnen,  dass  seit  Einführung  der,  wenn  auch 
invollkommenen,  Schutzvorrichtungen  die  schweren  Hautschädi- 
:ungen  und  die  Kinderlosigkeit  der  Rönt- 
ynologen  aufgehört  haben.  Ob  auch  die 
Veränderung  des  Blutbildes,  erscheint, 

;elinde  gesagt,  sehr  zweifelhaft.  Die  Ver- 
mderung  des  Blutbildes  erfährt  nur  der, 
ler  sie  wissen  will,  und  es  ist  leicht 
legreiflich,  wenn  auch  sehr  zu  bedauern, 
lass  in  diesem  Punkte  Vogelstrauss- 
»oliiik  getrieben  wird;  sehr  zu  bedauern, 
veil  es  doch  kein  gleichgültig  Ding  ist; 
ind  noch  mehr,  weil  die  fahrlässige  Un¬ 
kenntnis  und  Unterschätzung  des  nicht 
•vahrnehmbaren  Feindes,  ausser  für  die  ' 
ngene  Gesundheit  auch  für  die  Gesund¬ 
st  des  Personals  schädlich  ist,  und  so 
us  der  unangebrachten  Sorglosigkeit  so¬ 
wohl  gesundheitliche  als  auch  auf  dem 
\ege  der  immer  beliebter  werdenden  Haftpflichtprozesse  schwere 
wirtschaftliche  Nachteile  erwachsen  können. 

Die  grösste  Sorglosigkeit  hat  bisher  bei  den  Durchleuchtungen 
uit  Röntgenstrahlen  gewaltet.  Man  beachte  die  Gefährdung  der 
ntersucher  in  den  beiden  Skizzen  Eig.  1  und  Fig.  2. 


Fig.  1. 


Fig.  2. 


2035 


Jeder  erfahrene  Untersucher  weiss,  dass  neben  dem  hellen 
Bereich  des  direkten  Röntgenlichtes,  der  an  sich  bei  offener  Blende 
weit  grösser  ist  als  30  X  40,  noch  ein  halbhelles  Feld  entsteht,  das 
dem  Bereich  der  die  dünne  Bleiwand  durchdringenden  harten  Se¬ 
kundärstrahlen  ent¬ 
spricht. 

Und  ich  frage: 

Wieviel  Röntgen¬ 
ärzte  tragen  bei  der 
Durchleuchtung 
Handschuhe?  und 
wieviele  tragen 
überhaupt  einmal 
die  schwere  Schutz¬ 
schürze?  Aber 
selbst  wenn  sie  sie 
regelmässig  tragen 
würden,  so  würde 
dies,  wie  ein  Blick 
auf  die  Skizze  zeigt, 
keineswegs  ausrei¬ 
chen. 

Dem  unbedingt 
erforderlichen 
Strahlenschutz  zu 
genügen,  habe  ich 
eine  Durchleuch¬ 
tungsschutzwand 
konstruiert,  die  ge¬ 
stattet,  den  Schirm 
allseitig  zu  bewe¬ 
gen,  die  gleichzeitig 
als  Stützwand  für 
Aufnahme  des  ste¬ 
henden  Patienten 
benutzt  werden 
kann  und  schliess¬ 
lich  unter  voll¬ 
kommen  sicherem 
Strahlenschutz  den 
Patienten  während 
der  Durchleuchtung 
zu  dirigieren  und  zu 
palpieren  erlaubt. 

Die  Schutzwand  besteht  aus  einer  feststehenden,  etwa  2  m 
breiten  und  2(4  m  hohen,  mit  Blei  belegten  Holzwand,  die  einen 
grossen  Ausschnitt  trägt,  vor  welchem  sich  eine  zweite,  gleichfalls 
mit  Blei  belegte  und  mit  einem  Ausschnitt  versehene  Wand  horizontal 
bewegen  lässt.  Vor  dem  Ausschnitt  dieser  zweiten  lässt  sich  eine 
dritte  Wand  ver¬ 
tikalbewegen,  die 
ihrerseits  eine 
Oeffnung  für 
Schirm  resp.  Ka- 
sette  trägt.  Der 
ganze  Apparat  ist 
von  der  Firma 
Reiniger,  Geb- 
bert  &  Schall 
so  ausgeführt, 
dass  der  Schirm 
bezw.  die  Kasette 
stets  equilibriert 
aufgehängt  ist  und 
sich  trotz  der 
Schwere  d.  Wand 
leicht  bewegen 
lässt. 

Seitlich  und  un¬ 
terhalb  des  Schir¬ 
mes  befinden  sich 
Oeffnungen,  die 
Schutzärmel  mit 
Handschuhen  tra¬ 
gen,  so  dass  es 
möglich  ist,  strah¬ 
lengeschützt  den 
Patienten  zu  diri¬ 
gieren  und  zu 
palpieren.  Es  ist 
ausserdem  ein 
Markierungsnetz 
für  verschiedene 
Plattengrössen 
vorgesehen,  da¬ 


mit  kleinere,  am  Durchleuchtungsschirm  eingestellte,  zu  photographie¬ 
rende  Partien  nachher  sicher  auf  die  in  der  Kassette  an  gleicher  Stelle 
eingelegten  kleineren  photographischen  Platten  fixiert  werden  können. 

In  meinem  besonderen  Falle  habe  ich  die  Schutzwand  als  eine 
Wand  des  Schutzhauses  ausführen  lasssen.  Zur  Verständigung  mit 


2* 


2036 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  40. 


dem  Patienten  ausserhalb  des  Schutzhauses  ist  eine  der  Licht¬ 
schleuse  nachgebildete  Strahlenschleuse  angebracht. 

Es  ergibt  sich  hierbei  der  grosse  Vorteil,  dass  das  Schutzhaus 
für  sich  allein  verdunkelt  werden  kann.  Es  braucht  dann  zu  Durch¬ 
leuchtungen  das  Röntgenzimmer  nicht  verdunkelt  zu  werden,  und  es 
fällt  dann  bei  nervösen  und  schwächlichen  Kranken  und  bei  Kindern 
die  unangenehme  Beängstigung  weg.  Der  Arzt  braucht  bei  Durch¬ 
leuchtung  mehrerer  Personen  nacheinander  sich  nicht  für  ieden  Pa¬ 
tienten  neu  zu  akkommodicren,  da  er  in  dem  verdunkelten  Schutzhaus 
bleiben  kann. 

Die  Forderung  des  grösstmöglichen  Strahlenschutzes  ist  ent¬ 
sprechend  dem  heutigen  Stande  unserer  Wissenschaft  eine  unbedingt 
notwendige,  und  cs  sollten  sich  alle  Aerzte  und  Krankenhausleitungen 
angelegen  sein  lassen,  sowohl  im  Interesse  der  Angestellten,  als  auch 
im  eigenen  Interesse  den  gleichen  Schutz  zu  erstreben. 


Bücheranzeigen  und  Referate. 

M.  R  u  b  n  e  r,  M.  v.  G  r  u  b  e  r  und  M.  Ficker:  Handbuch  der 
Hygiene.  Leipzig  1913.  Verlag  von  S.  H  i  r  z  e  1. 

3.  Bd„  1.  Abt.,  VII  und  853  S.  8"  mit  146  Abb.,  Preis  27  M.; 

2.  Abt.  VII  und  536  S.  8°  mit  73  Abb.  und  25  färb.  Tafeln.  Preis  24  M,; 

3.  Abt.  392  S.  8°  mit  192  Abb.  und  32  färb.  Tafeln,  Preis  24  M. 

Der  gesamte  3.  Band  des  Handbuches  der  Hygiene  umfasst  die 
Infektionskrankheiten. 

Die  Einleitung  der  1.  Abteilung  bildet  eine  von  M.  Ficker 
gegebene  Darstellung  der  Geschichte  der  Lehre  von  den 
Parasiten,  welcher  die  Allgemeine  Morphologie  der 
Bakterien,  Hefen-,  Faden-  und  Schimmelpilze  von 
P.  Th.  Müller  folgt.  M.  Ficker  behandelt  dann  in  ausgezeichne¬ 
ter  Weise  die  allgemeine  Biologie  der  Mikroorgan is- 
m  e  n,  unter  kritischer  Verarbeitung  einer  reichlichen  Literatur. 

Einer  kurzen  Darstellung  über  qualitatives  und  quanti¬ 
tatives  Arbeiten  in  der  Bakteriologie  von  M.  N  e  i  s  s  e  r 
folgen  die  beiden  Artikel  von  E.  Gottschlich  über  allgemeine 
Epidemiologie  und  allgemeine  Prophylaxe  der  In¬ 
fektionskrankheiten.  Der  Verf.  zeigt  sich  als  vorzüglicher 
Kenner  der  epidemiologischen  Forschung  und  entsprechend  seiner 
grossen  Erfahrung  in  der  Fernhaltung  und  Bekämpfung  exotischer 
Seuchen  ist  das  Kapitel  über  allgemeine  Prophylaxe  mustergültig  be¬ 
arbeitet.  Von  M.  Grassberger  erhalten  wir  eine  Monographie 
der  modernen  Desinfektionslehre,  die  ca.  300  Seiten  umfasst 
und  von  U.  Friedemann  eine  Darstellung  der  Infektion  und 
Immunität.  Beide  Bearbeitungen  bieten  in  diesem  Rahmen  eine 
oräzise.  mit  der  Kenntnis  des  Fachmannes  ausgestattete  lehrreiche 
Uebersicht  der  gesamten  einschlägigen  Materie. 

Die  2.  Abteilung  bringt  die  pflanzlichen  Parasiten, 
d.  h.  die  spezielle  Darstellung  der  bakteriellen  Krankheitserreger. 
Ihnen  sind,  da  die  systematische  Stellung  der  Spirochäten  noch  un¬ 
sicher  ist,  das  Rückfallfieber,  die  Syphilis  und  die  Plaut- 
Vincen  tische  Angina  angereiht.  Es  folgen  die  patho¬ 
genen  Fadenpilze,  Schimmelpilze  und  Blastomyze- 
ten;  endlich  die  Infektionskrankheiten  zweifelhafter 
Aetiologie:  die  Pocken,  Masern,  der  Scharlach, 
Keuchhusten,  Trachom,  Hundswut,  Spinale  Kinder¬ 
lähmung,  Gelbes  Fieber,  Flecktyphus.  Als  Mitarbeiter 
dieses  in  sich  abgeschlossenen  und  einheitlich  durchgeführten  Bandes 
fungieren  C.  Fraenken,  E.  Friedberger,  H.  A.  Gins, 
E.  G  o  1 1  s  c  h  1  i  c  h,  P.  Th.  Müller,  M.  Neisser  und  E.  U  ti  g  e  r  - 
mann.  Einzelne  Infektionskrankheiten,  wie  Tuberkulose,  Typhus, 
Pest,  Cholera,  Diphtherie  haben  eine  weitgehende  und  erschöpfende 
Behandlung  erfahren. 

Die  3.  Abteilung  enthält  die  tierischen  Parasiten  in 
3  Abschnitten  bearbeitet.  Voraus  geht  als  Einleitung  eine  all¬ 
gemeine  Parasiten  künde  von  Th.  v.  Wasielewski;  so¬ 
dann  folgt  als  1.  Kapitel:  die  schmarotzenden  Protozoen 
von  demselben  Autor,  weiterhin  die  schmarotzenden  Wür- 
m  e  r  von  v.  Wasielewski  und  G.  W  ü  1  k  e  r  und  endlich  die 
schmarotzenden  Gliederfüssler  von  v.  Schuckmann. 
Als  Ergänzung  und  Erläuterung  sind  der  3.  Abteilung  32  farbige 
Tafeln  beigegeben. 

Dem  grossen  Gebiet  der  tierischen  Parasiten,  welches  bei  der 
modernen  hygienischen  Forschung  eine  so  bedeutsame  Rolle  spielt, 
ist  erfreulicherweise  ein  weiter  Raum  zur  Verfügung  gestellt  worden, 
so  dass  auch  die  verbreitetsten  und  wichtigsten  Protozoenkrank¬ 
heiten,  wie  die  Malaria,  die  Schlafkrankheit,  ebenso  die  Amöben¬ 
erkrankungen  etc .  eine  eingehende  Beschreibung  erfahren  konnten. 
Als  sehr  zweckmässig  werden  die  Literaturzusammenstellungen  am 
Schluss  ieden  grösseren  Abschnittes  empfunden  werden. 

4.  Band,  1.  Abteilung,  mit  92  Abbildungen.  Preis  15  M. 

In  der  1.  Abteilung  des  4.  Bandes  ist  enthalten: 

Otto  Heubner,  Hygiene  des  Kindesalters;  S.  Merkel, 
H.  Schmieden  und  J.  B  o  e  t  h  k  e,  Krankenhäuser;  Rudolf  Abel, 
Leichenwesen;  Karl  Kisskalt:  Arme,  und  ein  zweiter  Abschnitt 
Gefängnisse;  Karl  S  ü  p  f  1  e,  Hygiene  des  schulpflich¬ 
tigen  Alters;  Hugo  Räuber,  Organisation  des  Ge¬ 
sundheitswesens  durch  Staat  und  Gemeinde.  Ab¬ 
riss  der  wichtigsten  gesetzlichen  Bestimmungen. 


Ganz  ebenso  wie  in  den  bisher  erschienenen  Bänden  ist  auch 
hier  die  Darstellung  der  einzelnen  Kapitel  vortrefflich,  und  es  wird 
den  Fachmann  mit  Genugtuung  erfüllen,  dass  der  z.  T.  fernerliegende 
Stoff  in  sehr  übersichtlicher  und  kompletter  Form  dargeboten  wurde. 
So  dürfte  z.  B.  im  Kapitel  ..Krankenhäuser“  auch  für  den  Spe¬ 
zialisten  nichts  unberücksichtigt  gelassen  sein.  Die  nächst  grösseren 
Abschnitte  stellen  die  ..Hygiene  des  schulpflichtigen 
Alters“,  die  ..Hygiene  des  K  i  n  d  e  s  a  1 1  e  r  s“  und  das 
„L  eichenwesen“  dar,  Bearbeitungen,  die,  wie  auch  die  kurzen 
Artikel,  nach  Objektivität  und  Sachkenntnis  in  jeder  Weise  be¬ 
friedigen  müssen.  R.  0.  N  e  u  m  a  n  n  -  Bonn. 

R.  Kraus  und  C.  Levaditi:  Handbuch  der  Immunitäts- 
forschung  und  experimentellen  Therapie.  Mit  besonderer  Berück¬ 
sichtigung  der  Technik  und  Methodik.  1.  Lieferung.  G.  Fischer. 

Jena  1914.  5  M. 

Das  Handbuch  stellt  eine  neu  bearbeitete  und  erweiterte  zweite 
Auflage  des  vor  5  Jahren  erschienenen  Handbuches  der  Technik  und 
Methodik  der  Immunitätsforschung  dar  und  ist  auf  6  Bände  berechnet. 
Wie  bei  der  ersten  Auflage  sind  als  Mitarbeiter  die  besten  Autoren 
fast  aller  Nationen  und  auch  Vertreter  verschiedener  Schulen  ge¬ 
wonnen,  die  eine  Gewähr  dafür  bieten,  dass  der  Stand  der  gesamten 
Immunitätsforschung  und  der  internationalen  Literatur  wiedergegeben 
wird.  Neben  der  im  Vordergrund  stehenden  Technik  und  Methodik 
soll  auch  der  theoretischen  Darstellung  des  Stoffes  ein  breiter  Spiel¬ 
raum  eingeräumt  werden.  In  dem  ersten  Teil  wird  die  Ge¬ 
schichte  der  Immunitätsforschung  und  experimentellen  Therapie 
von  den  Begründern  der  Lehre  wiedergegeben.  Bordet  gibt  einen 
kurzen,  aber  umfassenden  geschichtlichen  Ueberblick,  v.  Behring 
schildert  die  Geschichte  der  Toxine  und  Antitoxine,  E.  Metschni- 
koff  die  der  Phagozytenlehre,  R.  Pfeiffer  der  Bakteriolysc, 
Dcnys  der  Bakteriotropine  und  M.  Grubej  die  Geschichte  der 
Entdeckung  der  spezifischen  Agglutination.  Diese  Beiträge  geben  dem 
Fachmann  und  dem  Historiker  wertvolles  und  authentisches  Material 
für  die  Geschichte  der  Immunitätslehre. 

Dicudonne  -  München. 

C.  Hamburger:  Ueber  die  Ernährung  des  Auges.  Mit 

26  Textabbildungen  und  8  farbigen  Tafeln.  Leipzig  1914.  Verlag  von 
Georg  T  h  i  c  m  e.  Preis  8  M. 

Die  herrschende  Lehrmeinung  geht  dahin,  dass  das  Vorder- 
kammerwasser  vom  Corpus  ciliare  abgesondert  wird,  durch  die  Pu¬ 
pille  in  die  Vorderkammer  Übertritt  und  das  Auge  auf  dem  Wege 
der  Filtration  in  die  Blutgefässe,  vornehmlich  den  Schleminschen 
Kanal  (Plexus  venosiis  Schl.)  verlässt.  Demgegenüber  verteidigt 
Hamburger  —  unter  zusammmenhängender  Aufführung  der 
Gründe  und  Gegengründe  der  Meinungen  —  die  (von  ihm  durch 
eigene  Arbeiten  gestützte)  Annahme,  dass  das  Corpus  ciliare  nicht 
die  Hauptquelle  des  Humor  aquaeus  sei,  sondern  dass  dieser  haupt¬ 
sächlich  von  der  Iris  abgesondert  werde;  der  Weg  zwischen  Hinter¬ 
und  Vorderkammer  durch  die  Pupille  sei  für  gewöhnlich  geschlossen; 
und  endlich  erfolge  der  Abfluss  nicht  nach  streng  hydrostatischen 
Ciesetzen  und  nicht  vornehmlich  durch  den  S  c  h  1  e  m  m  sehen  Kanal, 
sondern  hauptsächlich  durch  die  perivaskulären  Lymphräume  der 
Irisgefässe. 

H  s  Ausführungen  tragen  naturgemäss  vielfach  den  Stempel 
polemischer  Darstellungsweise;  sie  sind  im  Streit  der  Meinungen  als 
lesenswerte  und  anregende  Publikation  zu  charakterisieren;  sehr 
interessant  sind  z  B.  auch  die  Auslassungen  über  die  Wirkung  der 
Glaukomoperation.  Lohmann  -  München. 

Neueste  Journalliteratur. 

Zeitschrift  für  experimentelle  Pathologie  und  Therapie. 

16.  Band,  2.  Heft. 

L.  Fraenkel:  Wirkung  von  Extrakten  endokriner  Drüsen  aui 

die  Kopfgefässe.  (Aus  dem  pharmakol.  Institut  in  Breslau.) 

Die  Innervation  der  Kopfgefässe  lässt  sich  nach  der  von 
H  ü  r  t  h  1  e  angegebenen  Methode  prüfen,  wobei  der  Blutdruck  im 
zentralen  und  im  peripheren  Stumpf  einer  durchschnittenen  Karotis 

gleichseitig  aufgezeichnet  wird;  der  Quotient  2entra|er  Blutdruck  —  c 

wird  kleiner  bei  Erweiterung,  grösser  bei  Verengerung  der  Kopf¬ 
gefässe.  Reizung  des  Sympathikuskopfteils  bewirkte  dement¬ 
sprechend  bei  2  verschiedenen  Tieren  (Kaninchen  und  Hund)  über¬ 
einstimmend  eine  Zunahme  des  Quotienten;  Amylnitrit  und  Chloro¬ 
form  bewirkten  eine  Abnahme  desselben.  Rein  zentral,  d.  h.  das 
Herz  allein  treffende  Schwankungen,  wie  beträchtliche  Blutentnahme 
(von  40  ccm  bei  Kaninchen)  oder  Hinzufügung  isotonischer  Kochsalz¬ 
lösung  hatten  keinen  nennenswerten  Einfluss.  Schwankungen  des 
Quotienten  bei  Einwirkung  von  Substanzen  sind  somit  im  Sinne  einer 
Beeinflussung  der  Vasomotoren  des  Kopfes  zu  deuten.  Von  den  ver¬ 
schiedenen  zur  Prüfung  gelangenden  Substanzen,  gaben  der  ganze 
Eierstock,  das  Pankreas,  die  Thymus,  die  Thyreoidea,  die  Epithel¬ 
körperchen,  das  Corpus  luteum  mit  Kochsalz,  Salzsäure,  Alkohol. 
Pepsin  oder  Trypsin  extrahiert,  keine  konstanten  Wirkungen.  Da¬ 
gegen  bewirkte  das  von  F.  Hoffmann-La  Roche  &  Co.  bereitete  Luteo- 
glandol,  in  noch  stärkerem  Masse  das  Epiglandol  aus  der  Zirbeldrüse 
Kopfgefässerweiterung.  Stark  elektive  Wirkung  hatten  die  Hypo- 


6.  Oktober  1914. 


muünchener  medizinische  Wochenschrift. 


2037 


physe  und  die  Nebennieren.  Der  intermediäre  Abschnitt  der  Hypo¬ 
physe  bewirkte  enorme  Blutdrucksteigerung.  Bei  der  Katze  fielen 
2  Versuche  mit  Hypophysenpräparaten  negativ  aus. 

C.  U.  Bry.  Lieber  die  respirationserregende  Wirkung  von  Phe- 

nyläthylaminderivaten.  (Aus  dem  pharmakol.  Institut  in  Breslau) 

Die  Prüfung  der  von  der  Firma  F.  Hoffmann-La  Poche  &  Co.  zur 
Vertilgung  gestellten  Präparate  ergab,  dass  das  p-Oxyphenyläthyl- 
benzylainin,  das  p-Oxyphenyläthyl-3  methoxy-4  oxybenzylamin  das 
p-Oxyphcnyläthylpiperidin  und  das  Aminomethylhydrinden  sehr  stark, 
das  Phenyläthylamin,  das  p-Oxyphenyläthylamin,  das  Hexahydro- 
phen>  latnylamin,  das  dimethoxylierte  p-Oxyphenyläthylbenzylamin 
und  das  Hordenm  ziemlich  stark;  das  p-Oxyphenyläthyl-3-4 me- 
thylendioxy benzylainin,  das  3,5  Diamino-4  oxyphenyläthylamin  und 
das  Dispnenylathylendiamin  sehr  wenig,  das  Aminophenyläthylamin, 
das  Indolathylamin  und  das  Adrenalin  gar  nicht  respirationserregend 
wirken,  antagonistische  Versuche  mit  Chloralhydrat  einerseits  und 
p-Ox>  pheiij  läthyl-3  methoxy-4  oxybenzylamin  oder  Aminomethyl¬ 
hydrinden  andererseits  ergaben  ebenfalls  kräftig  erregende  Wirkung 
auf  die  Respiration. 

K.  Brandenburg  und  A.  Laqueur:  Ueber  die  Aende- 
rungen  des  Elektrokardiogramms  von  Herzkranken  durch  Kohlen- 

säuiebader.  (Aus  der  II.  inneren  Abteilung  und  dem  hydrothera¬ 
peutischen  Institut  des  Rudolf  Virchow-Krankenhauses  in  Berlin.) 

Die  Reaktionsweise  der  Kranken  wurde,  genügende  Kraft  des 
Herzmuskels  vorausgesetzt,  wesentlich  bestimmt  durch  die  Art  der 
Anspruchsfähigkeit  ihrer  kardialen  und  vasomotorischen  Reflexe.  Bei 
der  Analyse  des  Elektrokardiogramms  wurde  zu  unterscheiden  ver¬ 
sucht  zwischen  Veränderungen  durch  äussere  Bedingungen:  Wider- 
standszu-  oder  -abnahme  im  Ableitungskreis  und  Verschiebung  der 
Herzlage  durch  die  tiefere  Einstellung  des  Zwerchfells  und  zwischen 
Aenderungen  durch  innere  Bedingungen,  den  unmittelbaren  und  eigent¬ 
lichen,  durch  nervöse  Reflexmechanismen  am  Herzen  ausgelösten  Zu¬ 
ständen.  Der  Hautwiderstand  wurde  gegen  einen  konstanten  Strom 
von  1,5  Volt  Spannung  bestimmt,  Der  Einfluss  des  Wechsels  des 
Widerstands  liess  sich  somit  ausschalten,  dagegen  war  es  nicht  mög¬ 
lich,  den  Einfluss  der  Lageveränderung  bei  den  mannigfaltigen  Be¬ 
dingungen  zu  fassen,  die  bei  Drehung  und  Senkung  pathologisch  ver¬ 
änderter  Herzen  durch  tiefere  Einstellung  des  Zwerchfells  möglich 
sind.  Bei  der  Aufstellung  eines  Reaktionstypus  wurden  daher  die 
ralle  mit  unveränderten  unteren  Lungengrenzen  besonders  beachtet. 
Herzkranke  ohne  besondere  nervöse  Störungen  und  mit  zureichendem 
Herzmuskel  zeigen  etwa  10  Minuten  nach  dem  Bad  Blutdrucksteige¬ 
rung,  häufig  Tiefertreten  der  unteren  Lungengrenzen,  erhebliche  Zu¬ 
nahme  des  Leitungswiderstandes  der  Haut,  dementsprechend  Er¬ 
niedrigung  der  Vorkammerzacke  und  der  ersten  Kammerzacke,  da¬ 
gegen  Erhöhung  der  Endschwankung  der  Kammer.  Die  Voltzahlen 
sind  für  die  Vorkammerzacke  nahezu  unverändert,  für  die  Initialzacke 
ein  wenig  erhöht,  für  die  Finalschwankung  bedeutend  erhöht.  In 
diesem  Verhalten  der  Voltzahlen  kommt  die  unmittelbare  und  eigent¬ 
liche  Wirkung  des  Bades,  im  Elektrokardiogramm  zum  Ausdruck, 
“er her  gehört  auch  die  Verlangsamung  der  Schlagfolge  und  die  Ver¬ 
zögerung  der  Reizleitung  zwischen  Vorkammern  und  Kammern,  bei 
en  untersuchten  Kranken  waren  die  Reaktionen  durchaus  nicht 
miner  vollständig  ausgebildet;  wahrscheinlich  weniger  infolge 
etwaiger  organischer  Erkrankung  als  durch  eine  abweichende  nervöse 
xetlexerregbarkeit  bedingt.  Kranke  mit  rein  nervösen  Herzbeschwer¬ 
den  zeigten  etwa  10  Minuten  nach  dem  Bad  gewöhnlich  Erhöhung  des 
Hautwiderstandes,  manchmal  in  ungleicher  Stärke  an  Brust  und 
Vrmen,  zuweüen  tiefere  Einstellung  des  Zwerchfells;  in  der  Regel 
eh  en  Pulsverlangsamung  und  Blutdrucksteigerung.  Die  Kurve  des 
Elektrokardiogramms  zeigt  bei  Widerstandszunahme  eine  gleich- 
nassige  Erniedrigung  sämtlicher  Zacken  und  zumeist  kaum  ver- 
inderte  Voltwerte,  also  nur  mittelbare  Beeinflussungen  des  Elektro- 
«ardiogramms. 

-  ,  Roth:  Untersuchungen  über  die  Entstehung  der  nervösen 
xtrasystolen.  (Aus  der  med.  Klinik  in  Zürich.) 

Bei  einem  nach  dem  Ergebnis  der  physikalischen  Untersuchung 
•oiig  herzgesunden  18jährigen  Mann  mit  einem  angioneurotischen 
»edem  gelang  es  durch  Kombination  des  Vagusdruckversuches  mit 
wenalminjektionen  vorübergehend  ventrikuläre  Extrasystolen  (teils 
n  Form  von  Bigeminis,  teils  interpolierte  E.)  zu  erzeugen  Die  Blut- 
nucksteigerung  durch  das  Adrenalin  war  dabei  nicht  ausschlaggebend, 

-a  sie  in  2  Versuchen  erst,  nachdem  keine  Extrasystolen  mehr  aus- 
.eiost  werden  konnten,  auftrat;  es  muss  deshalb  eine  direkte  Ein¬ 
wirkung  des  Adrenalins  auf  den  Akzelerans  angenommen  werden,  die 
euoch  nur  bei  gleichzeitiger  Pulsverlangsamung  durch  Vagusreizung 
■ur  Extrasystole  führte;  der  Atropin  versuch  löste  keine  Extrasystolen 

Aennliche  versuche  an  anderen  herzgesunden  Individuen  ge¬ 
angen  nicht,  es  ist  wahrscheinlich,  dass  der  Patient  an  einer  laten- 
ui  Herzneurose  litt,  die  experimentell  zu  einer  manifesten  gemacht 
raen  konnte.  Bei  einem  an  spontan  auftretenden  Extrasystolen 
i  tachykardischen  Anfällen  leidenden  32  jährigen  Mann  schwanden 
iij-selben  unter  Atropinwirkung  völlig;  Adrenalininjektion  rief  eben- 
s  keine  Extrasystolen  hervor.  Die  Vagusausschaltung  durch 
wopm  hatte  die  rein  nervöse  Extrasystolie  zum  Verschwinden  ge¬ 
macht. 

C.  v.  Leersum  und  J.  R.  F.  Rassers:  Beitrag  zur  Kennt- 
»s  des  experimentellen  Adrenalinatheroms.  (Aus  dem  pharmakol. 
nstitut  in  Leyden.) 


8  Versuche  an  Kaninchen,  wobei  das  Adrenalin  in  einer  Verdün¬ 
nung  von  1:200  000,  um  Blutdruckerhöhung  zu  vermeiden,  eingespritzt 
wurde,  ergaben  keinerlei  Abweichung  an  den  Gefässen  oder  am 
Herz.  Die  sonst  nach  Adrenalininjektion  beobachteten  Gefässver- 
anderungen  beschränken  sich  grösstenteils  auf  die  Aorta  und  sind 
auf  die  Wirkung  der  starken  Blutdrucksteigerung  zurückzuführen. 

A.  J.  1  g  n  a  t  o  w  s  k  i  und  Ch.  Monossohn:  Untersuchungen 
über  die  Qallenabsonderung  beim  Menschen  unter  einigen  Nahrungs- 
und  Arzneimitteln.  (Aus  der  therapeutischen  Fakultätsklinik  in  War¬ 
schau.) 

Bei  einem  36  jährigen  Kranken  war  wegen  einer  bösartigen  Ge¬ 
schwulst  eine  äussere  Gallenblasenfistel  angelegt  worden.  Die  Unter¬ 
suchung  der  ausfliessenden  Galle  auf  ihr  spezifisches  Gewicht  und 
lvrfn  Cholesteringehalt  ergab,  dass  es  sich  nicht  um  Galle  aus  der 
Gallenblase,  sondern  um  direkte  Lebergalle  handelte.  Bei  reichlicher 
Kost  traten  die  Maxima  der  Gallenabsonderung  früher  auf  als  bei 
einer  Hungerdiät  und  waren  viel  beträchtlicher.  Bei  Ernährung  mit 
Plasmon  war  das  üallemiuantum  und  die  Menge  des  ausgeschiedenen 
Bilirubins  geringer  als  bei  gewöhnlicher  Kost,  bei  Ernährung  mit 
rleischpulver  dagegen  vermehrt.  Ernährung  mit  Roborat  wirkte 
mehr  ähnlich  der  Plasmonernährung  als  ejner  mit  Fleisch.  200  g 
Ulivenöl  hatten  eine  Vermehrung  der  Gallensekretion  mit  geringer 
Zunahme  des  Bilirubins  zur  Folge,  Na.  salicyl.  starke  Steigerung  der 
Gallensekretion  und  des  Bilirubingehaltes,  Karlsbader  Sprudel  eine 
Abnahme  der  Sekretion  und  des  Bilirubins  zur  Folge,  üvogal  hätte 
keine  deutliche  Wirkung,  ln  allen  Fällen  von  Leberreizung  mit  Poly- 
cholie  mit  Urobilin-  oder  Bilirubinikterus  sind  Karlsbader  Sprudel 
und  ähnliche  Mineralwässer  indiziert,  im  Gegensatz  dazu  sind  alle 
Cholagoga,  die  nach  dem  Typus  des  Na.  salicyl.  wirken,  die  sogen, 
bilio-secreteurs  (S  o  u  1  i  e  r)  kontraindiziert.  (Schluss  folgt ) 

Zentralblatt  für  Chirurgie,  Nr.  37  und  38,  1914. 

.  Ni.  37.  Adolf  Oberst-  Freiburg  i.  Br.:  Zur  Dauerdrainage  bei 
Aszites. 

Um  dauernd  eine  Ableitung  der  Flüssigkeit  aus  der  Bauchhöhle 
ins  Unterhautzellgewebe  zu  ermöglichen,  näht  Verf.  in  eine  kleine 
Laparotomieöffnung  unter  Lokalanästhesie  ein  Hautstück  ein,  damit 
die  gesetzte  Oeffnung  nicht  mehr  Zuwachsen  kann;  darüber  wird  dann 
die  schlaffe  Haut  exakt  wieder  vernäht,  so  dass  dauernd  der  Aszites 
ms  Unterhautzellgewebe  abfliessen  kann,  da  die  Ränder  der  Laparo¬ 
tomieöffnung  mit  dem  allseitig  von  Epidermis  bekleideten  Hautlappen 
nicht  verwachsen  können.  Das  Hautstück  kann  ein  gedoppelter  Lap- 
pen  sein  oder  Röhrenform  haben.  4  Skizzen  erläutern  die  einfache 
Methode. 

Nr.  38.  Z  i  e  m  b  i  c  k  i  -  Lemberg:  Beitrag  zur  Chirurgie  des 
grossen  Netzbeutels. 

Verf.  bespricht  kurz  die  interessante  Pathologie  des  grossen 
Netzbeutels  und  schildert  ausführlicher  2  Fälle  aus  eigener  Anschau¬ 
ung;  im  1.  Fall  handelte  es  sich  um  eine  grosse  Zyste,  die  sich  bei  der 
Operation  als  verlagerte,  prall  gefüllte  Gallenblase  erwies  (Ektopie 
der  Gallenblase);  die  Epikrise  ist  genauer  besprochen.  Der  2  Fall 
betraf  einen  Tumor  des  Netzbeutels,  der  sich  bei  der  Operation  mit 
dem  Magen  stark  verwachsen  zeigte;  es  handelte  sich  um  ein  fuso- 
zelluläres,  teilweise  zystisch  entartetes  Sarkom.  (Die  mitgeteilten 
interessanten  Fälle  verdienen  in  der  Originalarbeit  studiert  zu  wer¬ 
den,  da  sie  sich  wenig  für  ein  kurzes  Referat  eignen.) 

E.  H  e  i  m  -  Oberndorf  b/Schweinfurt. 


zentraioiatt  für  Gynäkologie.  Nr.  37  u.  38,  1914. 

Nr.  37.  E.  O  p  i  tz- Giessen:  Ueber  die  Gefahren  des  Intrauterin¬ 
stiftes. 

n  •  ^?r?iVass*  durch  die  Empfehlung  des  Intrauterinstiftes  von 
Rieck  (Nr.  30  des  Zentralbl.)  berichtet  O.  über  2  Fälle  mit  bedenk¬ 
lichen  Folgeerscheinungen. 

Bei  einer  39  jährigen  Frau  wurde  ein  F  e  h  I  i  n  g  sches  Röhrchen 
eingelegt,  wonach  sich  ein  faustgrosser,  entzündlicher  Adnextumor 
entwickelte,  der  wochenlange  klinische  Behandlung  zur  Rückbildung 
erforderte. 

In  einem  anderen  Falle  entstand  bei  derselben  Behandlung  eine 
mächtige  Infiltration  des  rechtseitigen  und  retrozervikalen  Binde¬ 
gewebes.  Später  entstand  im  Anschluss  hieran  Cholezystitis  und 
Cholangitis  acuta,  der  Pat.  am  6.  Tage  erlag. 

O.  warnt  vor  der  Anwendung  des  Intrauterinstiftes,  der  unter 
Umstanden,  wie  seine  Fälle  lehren,  schwere  Gefahren,  ja  sogar  den 
Tod  der  behandelten  Personen  im  Gefolge  haben  kann. 

Nr.  38.  J.  Fon  y  6 -Pest:  Ueber  das  Skopolamin. 

Ein  ausführliches  Referat  über  die  bisherigen  Erfahrungen  mit 
Skopolamin  in  der  chirurgischen  und  gynäkologischen  Praxis.  F.  gibt 
den  Kranken  2'A  Stunden  vor  der  Operation  noch  'A  g  Veronal  per  os 
Seine  eigenen  Erfahrungen  beziehen  sich  auf  154  Fälle.  Das  Er- 
gebnis  derselben  lässt  sich  dahin  zusammenfassen,  dass  Skopolamin 
m  seiner  aktiven  und  inaktiven  Form,  mit  Morphium  kombiniert, 
kein  so  zuverlässiges  Narkotikum  ist,  wie  man  bisher  glaubte.  Be- 
sonders  gefährlich  erscheint  es  bei  Inanitionszuständen  und  nach 
schwächenden  Blutverlusten.  Bei  guter  Ernährung  sind  die  ge¬ 
bräuchlichen  Dosen  nicht  toxisch.  Dagegen  in  Fällen,  wo  Störungen 
der  Atinungsorganc  vorliegen,  muss  man  auf  unliebsame  Ueber- 
raschungen  gefasst  sein.  J  a  f  f  e  -  Hamburg. 


2t»3Ö 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  40. 


Arbeiten  aus  dem  kaiserl.  Gesundheitsamte.  47.  Bd.  1914. 

4.  (Schluss)-Heft 


E.  H  a  i  1  c  r  -Berlin:  Gelingt  eine  Sensibilisierung  durch  Eiweiss- 

spaltprodukte  und  ist  sie  spezifisch? 

Verf.  fasst  seine  Ergebnisse  folgcndermassen  zusammen.  Das 
durch  artspezifischen  Aufbau  unspezifischer  Bausteine  charakteriserte 
Eiweissmolekül  zerfällt  beim  Abbau  in  seine  Bausteine.  Diese  ver¬ 
mögen  bei  ihrer  Verimpfung  einen  sensibilisierenden  Reiz  aut  den 
geimpften  Organismus  auszuiiben.  Die  Sensibilisierung  ist  aber  nicht 
spezifisch;  es  treten  nämlich  bei  der  Nachbehandlung  auch  mit 
heterologem  Eiweiss  typische  anaphylaktische  Erscheinungen  aut. 
Die  Un^pezifität  der  erzielten  Sensibilisierung  tritt  auch  dann  hervor, 
wenn  in  der  zur  Vorbehandlung  benützten  Lösung  neben  den  Eiweiss- 
spaltprodukten  noch  koagulierbares  (artspezifisches)  Eiweiss  vor¬ 
handen  gewesen  war.  # 

N  Pokschischewsky-  Berlin :  Ueber  die  Biologie  der 
Pseudoinilzbrandbazillen.  Beiträge  zur  Differentialdiagnose  der  Milz¬ 
brand-  und  Pseudomilzbrandbazillen.  .  . 

Es  handelte  sich  um  die  genaue  Untersuchung  eines  mizbrand- 
ähnlichen  Organismus  von  einem  Schwein,  das  an  milzbrandähnlichen 
Erscheinungen  erkrankt  und  geschlachtet  worden  war.  Der  aus¬ 
führende  Schlächter  war  unter  dem  klinischen  Bilde  des  Milzbrandes 
erkrankt.  Als  Hauptcharakteristika  des  betreffenden  „P  s  e  u  do  ¬ 
rn  i  1  z  b  r  a  n  d  e  s“  sind  zu  nennen:  Die  Beweglichkeit  in  jungen  Kul¬ 
turen;  eine  Kapsel  wie  beim  Milzbrand  lässt  sich  färberisch  nicht 
darstellen;  die  Sporenbildung  ist  weit  reichlicher  und  energischer  als 
bei  den  Milzbrandbazillen;  die  Kolonien  auf  der  Agarplatte  zeigen 
einen  weniger  lockenähnlichen  Aufbau;  in  Lakmusmolke  wird  Alkali 
gebildet;  auf  Kartoffelkulturen  entstehen  entweder  rötlichbraune  oder 
farblose  Rasen;  im  „Gelatinestich“  treten  entweder  dichtverzweigte 
Flechtwerke  auf  oder  knopfähnliche  Kolonien.  Nach  den  Wachstums¬ 
eigentümlichkeiten  auf  Kartoffeln  und  im  Gelatine-  und  Agarstich 
unterscheidet  Verf.  2  Arten:  1.  den  Typus  P  s  e  u  d  o  a  n  t  h  r  a  z  i  s 
und  2.  den  Typus  A  n  t  h  r  a  k  o  i  d  c  s.  Die  A  s  c  o  1  i  sehe  Präzipi¬ 
tation  fällt  positiv  aus  sowohl  beim  Milzbrand  als  auch  beim  Pseudo¬ 
milzbrand.  ist  also  nur  als  Gruppenreaktion  zu  betrachten;  ebenso 
die  Komplementbindungsreaktion.  Auf  Blutnährböden  zeigt  Pseudo¬ 
milzbrand  eine  deutliche  hämolytische  Wirkung.  Er  ist  höchstens  für 

Mäuse  pathogen.  .....  . 

E  K  a  1 1  e  r  t  -  Berlin:  Untersuchungen  über  Maul-  und  Klauen¬ 
seuche.  I.  Mitteilung.  Ueber  die  Bedeutung  der  v.  B  e  t  e  g  h  sehen 
Körperchen  in  der  Aphthenlymphe. 

Durch  eingehende  Nachuntersuchungen  des  Blaseninhaltes 
wurde  festgestellt,  dass  die  in  der  Aphthenlymphe  bei  Dunkelfeld¬ 
untersuchung  und  in  gefärbten  Ausstrichpräparaten  nachweisbaren 
Gebilde,  die  v.  B  e  t  e  g  h  als  die  Erreger  der  Maul-  und  Klauenseuche 
angesehen  hat,  auch  in  anderen  tierischen  Flüssigkeiten  (Exsudaten, 
Blutserum,  Sekreten  und  Exkreten)  Vorkommen.  Es  soll  damit  nicht 
gesagt  sein,  dass  unter  den  gesehenen  Körperchen  nicht  auch  der 
Erreger  der  Maul-  und  Klauenseuche  vorhanden  sein  könne,  die  jetzige 
Art  der  Dunkelfeldbeleuchtung  lasse  aber  keine  Unterschiede  zwi¬ 
schen  ihnen  und  den  gewöhnlichen  kolloidalen  Teilchen  erkennen. 

E.  K  a  1 1  e  r  t  -  Berlin:  Untersuchungen  über  Maul-  und  Klauen¬ 
seuche.  II.  Mitteilung.  Beiträge  zur  Histogenese  und  Histologie  der 
Maul-  und  Klauenseucheblase,  insbesondere  auch  zur  Frage  des 
Vorkommens  von  Einschlusskörperchen  in  den  spezifisch  veränderten 
Teilen  bei  Maul-  und  Klauenseuche. 

Die  Nachuntersuchungen  über  das  Vorkommen  von  Einschluss¬ 
körperchen  ergaben,  dass  „kein  Grund  vorliegt,  die  beschriebenen,  im 
Protoplasma  der  Zellen  des  Blasengewebes  auftretenden  Körperchen 
als  für  Maul-  und  Klauenseuche  charakteristische  Gebilde  anzusehen“. 

Zwick  und  Z  e  1 1  e  r  -  Berlin:  Zur  Frage  der  Umwandlung  von 
Säugetier-  in  Hühnertuberkelbazillen. 

Nach  neueren  Mitteilungen  von  O.  Bang  und  von  J.  Bongert 
soll  es  verhältnismässig  häufig  gelungen  sein,  Hühner  und  Tauben  mit 
Säugetiertuberkelbazillen  erfolgreich  zu  infizieren  und  im  Körper 
dieser  Tiere  eine  Umwandlung  der  Bazillen  in  solche  mit  den  Merk¬ 
malen  des  Hühnertuberkelbazillus  herbeizuführen.  Trotz  Einhaltung 
der  0.  B  a  n  g  sehen  Versuchsbedingungen  ist  dies  aber  dem  Verf. 
nicht  gelungen,  selbst  nicht  durch  Steigerung  der  Versuchsbe¬ 
dingungen,  die  einer  solchen  Umwandlung  förderlich  sein  sollen.  Auch 
die  Angabe  von  J.  Bongert,  dass  er  durch  intratracheale  Injektion 
von  Rindertuberkelbazillenkulturen  bei  Tauben  leicht  gelingt,  eine 
Umwandlung  dieser  Bazillen  in  den  Typus  gallinaceus  herbeizuführen, 
konnte  nicht  bestätigt  werden.  R.  0.  Neumann  - Bonn. 


Deutsche  medizinische  Wochenschrift.  1914.  Nr.  38. 


Nr.  38.  D.  v.  Hansemann:  Ueber  Krebsprobleme. 

In  den  Beziehungen  der  Krebsforschung  zur  Chirurgie  lassen  sich 
verschiedene  Perioden  aufstellen,  ln  der  ersten  hat  die  histologisch¬ 
morphologische  Forschung  die  Grundlagen  für  eine  möglichst  sichere 
Diagnose  des  Krebses  und  damit  für  die  Frühoperation  geschaffen. 
Die  biologischen  Reaktionen  werden  als  allgemeine  Körperreaktionen 
auch  bei  grösster  Vollkommenheit  immer  eine  gewisse  fortgeschrittene 
Entwicklung  des  Krebses  zur  Voraussetzung  haben.  Die  ätiologische 
Forschung  hat  ausser  manchen  Verirrungen  zwei  wichtige  Tatsachen 
zu  verzeichnen:  Die  Entstehung  von  Krebs  nach  Röntgenbe¬ 
strahlung  und  die  Entstehung  von  Krebs  bei  der  Ratte  durch  die 
Einwirkung  von  Parasiten  (F  i  b  i  g  e  r).  In  letzterer  Beziehung  ist 


vorerst  keineswegs  die  parasitäre  Natur  des  Krebses  selbst  erwiesen, 
sondern  nur  seine  Entstehung  auf  dem  Boden  einer  parasitären  Ent¬ 
zündung.  Die  experimentelle  Periode  der  Krebsforschung  hat  be¬ 
züglich  des  Mäusekarzinoms  viele  bedeutungsvolle  Aufschlüsse  ge¬ 
bracht  aber  diese  Mäusetumoren  sind  nicht  als  echte  Karzinome  an¬ 
zuerkennen  und  deshalb  auch  die  gewonnenen  Resultate  noch  lange 
nicht  auf  die  menschlichen  Karzinome  und  die  chirurgische  I  raxis 
zu  übertragen.  Speziell  für  die  therapeutischen  Bestrebungen  der 
Krebsforschung  ist  die  bei  dem  Mäusekarzinom  wirksame  Wasser- 
m  a  n  n  sehe  Methode  beim  Menschen  noch  recht  aussichtslos.  Die 
Strahlentherapie  des  Krebses  ist  eigentlich  eine  chirurgische,  da  sic 
ähnlich  wie  durch  Messer  oder  Aetzmittel  die  Zerstörung  des  Krebses 
anstrebt.  Die  anatomischen  Schädigungen  durch  Röntgenstrahlen 
werden  öfters  überschätzt;  zu  bedenken  bleibt  anderseits  immer  die 
Gefahr,  dass  durch  die  Bestrahlung  keine  Heilung  erzielt,  sondern 
eher  die  Weiterwucherung  des  Krebses  noch  mehr  angeregt  wird. 
Den  Heilungen  des  Krebses  durch  Arsen  steht  Verf.  skeptisch  gegen¬ 
über  und  bezweifelt,  dass  die  betr.  Geschwülste  —  nicht  nur  ana¬ 
tomisch,  sondern  auch  physiologisch  —  wirklich  Krebse  waren.  Im 
allgemeinen  kann  man  sagen,  eine  therapeutische  Heilung  ist  nur  bei 
solchen  Krankheiten  möglich,  die  auch  spontan  zur  Heilung  kommen 
können.  Eine  wirkliche  Spontanheilung  des  Krebses  ist  noch  niemals 
beobachtet  worden,  daher  wird  er  auch  kaum  je  durch  eine  interne 
Therapie  geheilt  werden. 

Ri  sei- Halle  a.  S.:  Die  Diagnose  der  Blattern. 

Verf.  beschreibt  ausführlich  die  im  Anfangsstadium  der  Blattern 
auftretenden  Exantheme  und  vor  allem  die  eigentümliche  Lokalisation 
der  Blattern  selbst  an  den  gewöhnlich  am  meisten  äusseren  Reizen 
ausgesetzten  Hautstellen,  welche  Lokalisation  charakteristische,  ge¬ 
nauer  erörterte  Unterschiede  gegenüber  der.  am  häufigsten  mit  Blat¬ 
tern  verwechselten  Varizellen  bietet. 

F.  G  1  a  s  e  r  -  Berlin-Schöneberg:  Salvarsaninfusioiien  bei  Schar¬ 


lach. 


Versuche  an  42  Fällen,  worunter  3  absolut  hoffnungslose  und 
15  solche  mit  zweifelhafter  Prognose.  In  etwa  der  Hälfte  der  Fälle 
folgte  der  Salvarsaneinspritzung  ein  kritischer  Temperaturabfall;  das 
Scharlachdiphtheroid  wurde  anscheinend  günstig  beeinflusst,  indem 
eine  raschere  Abstossung  der  Beläge  erfolgte,  die  Nekrose  aufgehalten 
wurde,  die  Geschwüre  schneller  heilten.  Die  schwersten  toxischen 
Fälle  zeigten  keine  Beeinflussung:  Scharlachkomplikationen  und  Nucti- 
krankheiten  wurden  nicht  verhindert.  Der  Ablauf  des  Exanthems 
wurde  nicht  beeinflusst.  Bei  mehr  als  der  Hälfte  der  Fälle  trat  vor¬ 
übergehend  nach  dem  Mittel  (0,1  g  auf  10  kg  Körpergewicht)  Schüttel¬ 
frost,  Erbrechen  und  Durchfall  auf. 

Lethaus-Hamm  (Westf.):  Ueber  die  Injektionsbehandlung 

der  Ischias. 

Die  Injektionsbehandlung  soll  nur  bei  Fällen  eingeleitet  werden, 
wo  die  Ischias  schon  4—6  Wochen  besteht  und  andere  Massnahmen 
vergeblich  waren,  ferner  nur  bei  Fällen  von  genuiner  rheumatischer 
Ischias,  nicht  da,  wo  ein  anderes  Leiden  von  ischiadischen  Erschei¬ 
nungen  begleitet  ist.  Die  möglichst  endoneurale,  häufig  nur  peri¬ 
neurale  Einspritzung  (100  ccm  1  prom.  ß-Eukainlösung  in  physio¬ 
logischer  Kochsalzlösung)  wird  am  zweckmässigsten  an  der  Aus¬ 
trittstelle  des  Nerven  aus  dem  Foramen  ischiadicum  zwischen  Iuber 
ischii  und  Trochanter  gemacht,  event.  mehrmals  wiederholt.  Bei 
aseptischer  Ausführung  fehlen  üble  Nebenwirkungen.  Bei  Versagen 
dieser  Injektionen  sind  oft  noch  die  epiduralen  Injektionen  (physio¬ 
logischer  Kochsalzlösung)  von  Erfolg,  besonders  in  solchen  Fällen, 
wo  Wurzelsymptome  der  5.  Lumbal-,  1.  und  2  Sakralwurzel  als  strei¬ 
fenförmige  Hyp-  und  Anästhesie  an  der  hinteren  Seite  des  Beines 
bestehen.  Die  vielfach  guten  Erfolge  der  beiden  genannten  Injektions¬ 
arten  lassen  deren  häufigere  Anwendung  wünschen. 

P.  K  o  r  b  -  Liegnitz:  Erfahrungen  mit  Jodprothämin. 

Nach  Verf.s  Erfahrung  ist  das  Jodprothämin,  da  es  gern  ge¬ 
nommen  wird  und  keine  unangenehmen  Nebenwirkungen  hat,  ein 
gut  verwendbares  Jodeiweisspräparat. 

Schuster-Berlin:  Einiges  über  die  Verluste  unseres  letzten 
Krieges  (s.  Feldärztl.  Beilage).  Bergeat 


Oesterreichische  Literatur. 


Wiener  medizinische  Wochenschrift. 


Nr.  28.  J.  R  o  s  n  e  r  -  Wien:  Die  Eröffnung  des  Kehlkopfes  in  der 

ersten  Hilfe.  ,. 

Auf  Grund  zahlreicher  Leichenversuche,  bei  denen  sich  für  die 
Interkrikothyreotomie  das  Denker  sehe  Instrumentarium  im  all¬ 
gemeinen  namentlich  bezüglich  der  Massverhältnisse  gut  bewährte, 
hat  Verf.  dasselbe  verändert  und  vereinfacht;  indem  das  in  einer 
Hülse  befindliche  Messer  durch  eine  Schraube  verschieden  gross  ein¬ 
gestellt  werden  kann  und  ein  gemeinsamer  Griff  für  4  Kanülen  her¬ 
gestellt  worden  ist,  ist  das  Instrumentarium  kleiner  und  handlicher 
geworden. 

Nr.  29.  A  s  c  h  -  Hamburg:  Ein  neues  Ventilschutzpessar. 

Das  hier-  beschriebene  Pessar  wird  mittels  Spiralfederdruckes 
unverschieblich  an  der  Zervix  festgehalten  und  gestattet  durch  ein 
am  vorderen  Ende  befindliches  Rückschlagsventil  allen  Sekreten  des 

Uterus  Abfluss.  . 

Nr.  30.  A.  Lorenz- Wien:  Ueber  die  Luxationsfrakturen  der 

Pfanne  und  ihre  Behandlung. 

4  ausführliche  Krankengeschichten. 


6.  Oktober  191-1. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  29/30.  V.  Baar-Wien:  Asthma  bronchiale  und  Luftdruck. 

9  Krankengeschichten.  Verf.  weist  auf  die  Notwendigkeit  hin, 
namentlich  bei  älteren  angeblich  asthmatischen  Kranken  sorgfältig 
auf  das  etwaige  Bestehen  einer  Tuberkulose  zu  achten.  Bezüglich 
Jci  noch  wenig  genau  bekannten  Zusammenhänge  von  Respirations¬ 
erkrankungen  mit  meteorologischen  Verhältnissen  beobachtete  Verf. 
iiei  Kranken  mit  Asthma  bronchiale  sehr  häufig  eine  Verschlechterung 
des  Befindens  und  Steigerung  der  Anfälle  zu  Zeiten  des  sinkenden 
und  tiefen  Barometerstandes. 

Nr.  30.  A.  Neumann- Wien:  Eine  seltene  Form  von  Epi- 
stropheusfraktur  mit  tödlichem  Ausgang. 

Die  Fraktur  wurde  bewirkt  durch  einen  etwa  zentnerschweren 
auf  das  Scheitelbein  herabfallenden  Heuballen. 

Wiener  klinische  Wochenschrift. 

Nr  37.  J.  C  s  i  1 1  a  g  -  Pest:  Beiträge  zur  Klinik  der  Erfrierung. 

Im  letzten,  sehr  kalten  Winter  beobachtete  Verf.  bei  3  Schlitt¬ 
schuhläuferinnen  an  den  Beugeseiten  der  Unterschenkel  oberhalb  der 
Schuhgrenze  livide  teigig-ödematöse  Infiltrate  mit  teilweiser  Blasen¬ 
bildung  und  Ablösung  der  Epidermis.  Die  Affektion  war  sicher  eine 
Erfrierung,  begünstigt  durch  die  Zirkulationshemmung  über  dem 
stark  geschnürten  Schuh  und  durch  den  mangelhaften  Schutz  der 
weiblichen  Kleidung. 

Weiter  verweist  Verf.  auf  die  Tatsache,  dass  bei  Arbeitern  Er- 
rierungen  der  Hände  und  Finger  ungleich  häufiger  die  linke  als  die 
echte  Seite  betreffen,  jedenfalls  infolge  der  vermehrten  Hyperämie 
der  rechten  Seite  durch  stärkere  Arbeit.  Schliesslich  wird  über 
:ine  schwere  Erfrierung  3.  Grades  der  Bauchhaut  bei  einer  anämi¬ 
schen  Frau  berichtet,  welche  den  Eisbeutel  6  Tage  unmittelbar  über 
Jem  dünnen  Hemd  liegen  hatte. 

Nr.  38.  S.  Federn:  Ueber  Tuberkulose. 

Zur  kurzen  Widergabe  ungeeignet. 

Nr.  39.  A.  F  r  ä  ti  k  e  1  -  Wien:  Einige  allgemeine  Bemerkungen 
ur  modernen  Kriegschirurgie.  (Schluss  folgt.) 

Bergeat  -  München 

Korrespondenzblatt  für  Schweizer  Aerzte.  1914.  Nr.  31— 35 

Nr.  31.  A.  M  a  c  h  a  r  d  -  Genf:  L’Osteosynthese  de  L  a  m  b  o  1 1  e 
lans  le  traitement  des  deviations  rachitiques. 

Genaue  Beschreibung  der  Methodik,  die  Verf.  in  einer  grösseren 
-ahl  von  Fällen  erprobt  hat. 

Nr.  32.  W.  R.  Hess-Zürich:  Ueber  die  funktionelle  Bedeu- 
leutung  der  Arterienmuskulatur. 

Verf.  lehnt  die  Annahme  eines  aktiven  Antriebs  des  Blutstromes 
ach  der  Peripherie  durch  die  Arterien  ab,  weil  im  Arterienrohr  ein 
Mechanismus,  der  die  einseitig  gerichtete  Strömung  gewährleisten 
ciirde,  fehlt.  Die  Arterienmuskulatur  dient  nur  dazu,  die  Anpassung 
n  die  lokalen  Schwankungen  des  Zirkulationsbedarfes  zu  ermög- 
chen,  so  dass  sie  von  der  Herzarbeit  unabhängig  werden  und  Herz- 
rbeit  gespart  wird. 

H.  H  e  r  z  o  g -  Solothurn:  Erstickung  infolge  Durchbruches  einer 
uberkulösen  Drüse  in  die  Trachea. 

Beschreibung  eines  Falles. 

Nr.  33.  0.  Steiger:  Pathologie  der  Leberfunktionen  und 

loderne  funktionelle  Prüfungsmethoden.  (Mediz.  Klinik  Zürich.) 
Schluss  folgt.) 

Nr.  34.  0.  S  t  e  i  g  e  r  -  Zürich:  Pathologie  der  Leberfunktionen 
nd  moderne  funktionelle  Prüfungsmethoden. 

Kritische  Uebersicht  des  heutigen  Standes  der  Frage  auf  Grund 
usführlicher  Diskussion  der  Literatur  und  der  Ergebnisse  bei  14 

igenen  Fällen. 

K.  B  o  1 1  a  g -  Basel:  Ulcus  gummosum  vaginae  et  vulvae. 

Ausführliche  Beschreibung  eines  Falles. 

E.  M  ü  1 1  e  r  -  Gersau:  Ein  Beitrag  zur  medikamentösen  Per- 
ussisbehandlung. 

Empfehlung  von  P  i  1  k  a  (=  Thymipin  Golaz)  von  dem  Verf.  gute 

rfolge  gesehen  hat. 

Nr.  35.  F.  d  e  0  u  e  r  v  a  i  n  -  Basel :  Die  Diagnose  des  Magen- 
nd  Duodenalgeschwüres.  (Fortsetzung  folgt.) 

E.  K  o  e  c  h  1  i  n  -  Zollbrück:  Eine  seltene  Erkrankung  des  Oeso- 

hagus. 

Beschreibung  eines  Falles  von  Oesophagitis  dissecans  superfic. 
ei  einer  30  jährigen  Frau  mit  Abstossung  einer  25  cm  langen  Mem- 
ran.  Heilung.  L.  J  a  c  o  b  -  Würzburg. 

Französische  Literatur. 

(Schluss.) 

Jules  R  o  u  v  i  e  n- Algier:  Neue  klinische  Beobachtungen  zur  Be- 
indlung  der  puerperalen  Eklampsie  mit  Morphium  und  seinen  Hilfs- 

itteln.  (Annales  de  gynecologie  et  d’obstetrique,  Juni  1914.) 

R.  tritt  warm  für  Behandlung  der  Eklampsie  mit  hohen  Mor- 
uumdosen  (5 — 10 cg)  ein;  wenn  dasselbe  zwar  hauptsächlich  zur 
nterdrückung  der  Anfälle  dient,  so  hat  es  ohne  Zweifel  noch  eine 
idere  Heilwirkung  und  zwar  durch  seinen  diuretischen  Einfluss.  Als 
eitere  Hilfsmittel  der  Eklampsiebehandlung  bezeichnet  R.  alle  jene, 
eiche  die  Wirkung  des  Morphiums  auf  den  Organismus  dadurch  er- 
wzen,  dass  sie  ihn  entweder  unmittelbar  oder  erst  sekundär  von 
-n  Ursachen  der  Intoxikation  befreien.  Diese  Ursachen  sind  die 
itte,  welche  im  Verdauungskanale  oder  im  Blutkreisläufe  vorhanden 


smd  und  die  funktionelle  Hemmung  der  Ausscheidungsorgane  (Harn¬ 
absonderung,  Drüsen  mit  innerer  Sekretion,  Leber,  Nebennieren- 
M-Psei  zur  F?!«e  llabcn.  In  erster  Reihe  stehen  unter  diesen 
Mitteln  Wasserdiät,  Magen-  und  Darmspülungen  (vom  Mastdarm  aus) 
und  Helmitol,  in  täglichen  Dosen  von  3 — 4  g;  noch  8  Tage  lang 
m  der  Rekonvaleszenz  fortgesetzt,  das  zugleich  diuretischen  und 
unzweifelhaften  antiseptischen  (auf  den  Darmkanal)  Einfluss  hat.  R. 
ist  überzeugt,  dass  mittelst  dieser  Behandlungsmethode  selbst  in  an¬ 
scheinend  schwersten  Fällen  von  Eklampsie  Heilung  zu  erzielen  ist 
und  mit  den  fortschreitenden  Kenntnissen  über  die  Entwicklung  dieser 
,?x^‘.e  Ullc*  se*ne  rationelle  Behandlung  die  Prognose  derselben  sich 
allmählich  zu  einer  günstigen  gestalten  wird. 

G  o  u  1 1  i  o  n- Lyon:  5  Fälle  von  Schwangerschaft  nach  Myom- 
ektomie.  (Ibidem.) 

Bei  der  Operation  der  Fibrome  gibt  es  bekanntlich  2  gegen¬ 
sätzliche  Gruppen  von  Chirurgen:  die  einen  sind  ausschliesslich  An¬ 
hänger  der  Hysterektomie,  während  die  anderen  der  Myomektomie 
fj1?. j11  gewissen  Platz  sichern  wollen,  und  zwar  vor  allem  bei  jungen 
Mädchen  oder  jungverheirateten  und  noch  kinderlosen  Frauen.  Als 
Beispiele  dieser  Art  führt  G.  5  Fälle  persönlicher  Beobachtung  an, 
wonach  die  Erfolge  der  Myomexstirpation  im  allgemeinen  befrie¬ 
digende,  die  Rezidive  selten  und  wenn  auch  die  spätere  Schwanger- 
schaft  nicht  sehr  häufig,  so  doch  die  Hoffnung  auf  eine  solche  nicht 
völlig  illusorisch  sind ;  die  einzige,  nicht  sehr  grosse  Gefahr,  die 
dabei  unterläuft,  ist  höchstens  die  Wiederholung  der  Operation  nach 
einer  Reihe  von  (etwa  10)  Jahren. 

Prof.  A.  Pinard:  Zeichen  und  Diagnose  der  normalen  Gebär¬ 
mutterschwangerschaft  während  ihrer  ersten  Hälfte.  (Annales  de 
gynecologie  et  d’obstetrique,  April  1914.) 

P.  spricht  aus  langjähriger  Erfahrung  die  Ueberzeugung  aus, 
dass  es  in  jedem  Falle  normaler  Schwangerschaft  mittelst  der  bi- 
manuellen  Untersuchung,  wie  sie  besonders  von  Puzos  angegeben 
wurde,  gelingt,  von  der  sechsten  Woche  ab  mit  nahezu  absoluter 
Sicherheit  die  Schwangerschaft  festzustellen  und  dass  weder  die  Me¬ 
thode  der  Komplementablenkung  noch  die  optische  oder  Dialysier- 
methode  von  Abderhalden  oder  jene  mit  dem  Kobragift  den 
Vorzug  vor  den  klinischen  Untersuchungsresultaten  verdienen.  Im¬ 
merhin  wünschte  auch  P.,  dass  es  bei  weiteren  Studien  mit  diesen 
Laboratoriumsversuchen  einmal  gelingen  möchte,  unumstösslich  den 
Beginn  des  Schwangerschaftszustandes  feststellen  zu  können. 

P.  B  e  r  t  e  n:  Die  gonorrhoischen  Knochenerkrankungen.  (Gazette 
des  hopitaux,  14.  Februar  1914.) 

B.  unterscheidet  je  nach  der  vorherrschenden  Art  der  Lokali¬ 
sation  3  Formen  von  gonorrhoischer  Knochenaffektion  (Osteopathien): 
1.  die  einfache  Periostitis,  2.  die  hypertrophische  Osteoperiostitis  und 
3.  die  Osteomyelitis.  Bei  der  einfachen  Periostitis  ist  ein  einziges 
funktionelles  Symptom,  der  Schmerz,  bei  der  hypertrophischen 
eine  ausgesprochene,  harte,  nahezu  schmerzlose  Verdickung  des  be¬ 
fallenen  Knochens  vorhanden.  Am  häufigsten  ist  der  Kalkaneus  be¬ 
fallen  und  sollte  bei  jedem  Gonorrhoiker,  der  einige  Zeit  hindurch  an 
„Talus“-Schmerzen  leidet,  eine  radiographische  Aufnahme  gemacht 
werden.  Bei  der  seltensten  Form,  der  akuten  blennorrhagischen 
Osteomyelitis,  sind  meist  Erscheinungen  von  Allgemeininfektion,  hohes 
Fieber  und  von  Lokalsymptomen  heftige  Schmerzen  und  phlegmonöse 
Beschaffenheit  der  Extremität  vorhanden.  B.  ist  überzeugt,  dass 
diese  gonorrhoischen  Komplikationen  häufiger  sind,  als  bisher  ’ ange¬ 
nommen  wurde,  und  ist  ätiologisch  immerhin  eine  lange,  hartnäckige 
und  rezidivierende  Form  der  Infektion  zur  Entstehung  derselben  not¬ 
wendig.  Das  männliche  Geschlecht  scheint  viel  mehr  dazu  disponiert 
zu  sein,  wie  das  weibliche;  speziell  kommt  die  Osteopathie  des 
Kalkaneus  fast  ausschliesslich  beim  männlichen  Geschlecht  vor.  Was 
die  Pathogenese  betrifft,  so  glaubt  B„  dass  es  sich  um  ein 
direktes  Uebergreifen  des  Gonokokkus  auf  die  Knochen  handelt  und 
nicht  um  nervösen  Ursprung,  so  brillant  auch  diese  Theorie  von 
J  a  q  u  e  t  und  Jeanselme  verteidigt  wurde.  Die  Behandlung 
wechselt  je  nach  der  Lokalisation.  Im  Allgemeinen  sind  Ruhe.  Immo¬ 
bilisierung,  antiphlogistische  Mittel  genügend,  chirurgische  Eingriffe 
nur  bei  Osteoperiostitis  der  Extremitäten  z.  B.  Pes  valgus  blenor- 
rhagicus  angezeigt,  vielleicht  könnte  bei  diesen  gonorrhoischen  Kom¬ 
plikationen  die  spezifische  Impfung  erfolgreiche  Anwendung  finden. 

H.  Rogen,  A.  Sartory  und  P.  J.  Menard:  Eine  neue, 
beim  Menschen  vorkommende  Mykosis,  die  Chalarose.  (Presse 
medicale,  21.  Februar  1914.) 

Die  Zahl  der  Pilze,  welche  fähig  sind,  bei  Menschen  oder  Tieren 
Krankheitserscheinungen  hervorzurufen,  nimmt  immer  mehr  zu.  Nach¬ 
dem  Verf.  bei  ihren  Untersuchungen  die  Häufigkeit  der  Oosporosen 
festgestellt  hatten,  bringen  sie  nun  eine  genaue  Beschreibung  zweier 
Fälle,  welche  durch  eine  neue  Gruppe  von  Pilzen,  Chalarose  benannt, 
verursacht  werden.  In  dem  einen  der  beiden  Fälle  handelte  es  sich 
um  eine  25  jährige  Frau,  in  dem  anderen  um  einen  20  jährigen  Sol¬ 
daten,  bei  welch  beiden  an  den  Unterextremitäten  kleine,  unter  der 
Haut  sitzende,  harte,  mit  zunehmenden  heftigen  Schmerzen  ver¬ 
bundene  Knötchen  sassen.  Inzission  in  einen  der  grösseren  Tumoren 
ergab  gelblich-schmutzigen  Eiter,  aus  dessen  Inhalt  ein  in  beiden 
Fällen  identischer  Pilz,  der  vorläufig  mit  dem  Namen  Chalara  pyo¬ 
genes  bezeichnet  wird,  in  Reinkultur  gewonnen  wurde.  Bei  der 
ziemlich  hartnäckigen  Affektion,  die  mehrere  Monate  bestanden  hatte, 
brachte  Jodkali  in  grossen  Dosen  (4  g  pro  Tag)  bald  Stillstand  der 
Eiterung,  Verkleinerung  der  Knoten  und  nach  30  resp.  17  Tagen  voll- 


2040 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  40 


ständige  Heilung.  Die  Inipiversuche  mit  den  (aui  M  a  r  t  i  n  scher  und 
gewöhnlicher  Bouillon  leicht  zu  erzielenden)  Reinkulturen  ergaben 
beim  Kaninchen  und  Meerschweinchen  ausser  (an  den  Impfstellen) 
diffusen  üedem  kleine,  harte,  gummiartige  Knötchen,  die  aber  rasch 
wieder  zurückgingen.  Die  gutartige  Natur  der  bei  den  Tieren  künst¬ 
lich  erzeugten  Erscheinungen  steht  demnach  in  völligem  Einklang 
mit  dem  relativ  günstigen  Verlauf  beim  Menschen.  Verf.  halten  daher 
ihre  Ansicht  über  die  pathogene  Rolle  des  von  ihnen  isolierten  Pilzes 
für  durchaus  erwiesen  und  obige  Schlussfolgerung  (über  eine  neue 
Mykosis  der  Haut  und  vielleicht  anderer  Organe)  für  berechtigt. 

A.  Calmette  und  C.  üuerin:  Beitrag  zum  Studium  der 
antituberkulösen  Immunität  bei  den  Rindern.  (Annales  de  l’institut 
Pasteur,  April  1914.) 

Die  vorliegenden  Untersuchungen  sollen  darüber  Aufschluss 
geben,  welche  Rolle  die  Hauptbestandteile  des  Tuberkelbazillus,  die 
Lipoide,  Tuberkuline  und  das  Bakterienprotoplasma  bei  der  Ent¬ 
stehung  des  relativen  Zustandes  der  Immunität  spielen.  Die  L  i  - 
p  o  i  d  e  haben  demnach  keinerlei  Einfluss,  die  Tuberkuline,  wie 
sie  gewöhnlich  in  den  Laboratorien  hergestellt  werden,  haben  zwar 
einen  ausgesprochenen  Einfluss,  der  aber  auf  eine  einfache  Verlang¬ 
samung  in  der  Entwicklungsdauer  der  Infektion  beschränkt  ist.  Die 
durch  Hitze  getöteten  Bazillen,  welche  vor  gewöhn¬ 
lichen  Reinkulturen  auf  Glyzerinnährböden  abstammen,  haben  nur  eine 
schwache  Präventivwirkung.  Das  intakte  Bazillenproto¬ 
plasma,  das  von  abgetöteten,  des  Tuberkulins  beraubten  Bazillen 
stammt,  ist  ohne  jede  immunisierende  Wirkung. 

Eine  letzte  Reihe  von  Experimenten  zeigte,  dass  alle  mit  klein¬ 
sten  Mengen  lebender  Tuberkelbazillen  geimpften  Färsen  in  ihren 
Bronchialdrüsen  solche  Bazillen  und  zwar  bis  zur  Dauer  von  18  Mo¬ 
naten  bewahrt  haben,  ohne  dass  sie  ihre  Anwesenheit  im  Organismus 
durch  irgendwelche  tuberkulöse  Veränderung  gezeigt  hätten;  auch 
die  Autopsie,  die  mit  grösster  Sorgfalt  bei  jedem  der  Tiere  aus¬ 
geführt  wurde,  liess  in  keiner  der  verschiedenen  Drüsengruppen  die 
geringste  Spur  von  Tuberkeln  ebensowenig  wie  in  den  verschie¬ 
denen  Eingeweiden  und  den  Lungen  nachweisen. 

T.  Yamanouchi:  Experimentelle  Untersuchungen  über  eine 
auf  Anregung  der  Phagozytose  beruhende  therapeutische  Methode. 
(Ibidem.) 

Das  Mykolysin,  ein  nach  verschiedenen  Versuchen  von  Doyen 
u.  a.  gewonnener  Extrakt  der  Bierhefe,  ist  sowohl  per  os  wie  in 
Form  von  Injektionen  anzuwenden.  Y.  gebrauchte  es  bei  seinen 
Untersuchungen  vor  allem  in  letzterer  Form  und  verglich  es  bezüglich 
der  Wirkung  mit  dem  Na.  nucleinicuin  und  dem  Argentum  colloidalc. 
Das  injizierbare  Mykolysin  erhöht  beim  Menschen  die  Leukozytose 
und  Phagozytose  und  zwar  auf  längere  Zeit,  wenn  man  50  ccm,  als 
wenn  man  20  oder  30  ccm  injiziert.  Die  Leukozytose  ist  bei  sehr 
alten  kachektischen  Individuen  weniger  ausgeprägt  als  bei  kräftigen 
Leuten  und  Kindern.  Beim  normalen  Kaninchen  hat  das  Mykolysin 
die  gleiche  anregende  Wirkung  auf  die  Leuko-  und  Phagozytose.  Die 
prophylaktische  Mykolysininjektion  (2  ccm  in  die  Venen)  verhindert 
beim  Kaninchen  die  Staphylokokkeninfektion  (die  künstlich  durch  sub¬ 
kutane  Injektion  von  1 — 5  ccm  einer  virulenten  Kultur  hervorgerufen 
wurde).  Die  Injektion  von  Mykolysin  bewirkt  die  Lösung  des  Sta¬ 
phylokokkenabszesses,  wenn  man  die  intravenöse  Injektion  in  der 
7. — 9.  Stunde  nach  der  Injektion  der  Staphylokokken,  d.  i.  genau  in 
der  Zeit,  wo  die  entzündliche  Infiltration  sich  kundzugeben  beginnt, 
vornimmt.  Die  prophylaktische  Injektion  von  Elektrargo!  und  nu¬ 
kleinsaurem  Natrium  hindert  nicht  die  Staphylokokkeninfektion.  Das 
gleiche  Experiment,  wiederholt  mit  zahlenmässiger  Schätzung  der 
Leuko-  und  Phagozytose  ausgeführt,  zeigt,  dass  die  durch  Mykolysin 
hervorgerufene  Reaktion  sehr  rasch  zunimmt,  sobald  die  Infektion  sich 
einstellt,  und  diese  beträchtliche  Hyperleukozytose  die  Resolution 
herbeiführt,  während  die  durch  Elektrargol  und  Na  nucleinicum  her¬ 
vorgerufene  Hyperleukozytose  eine  viel  geringere  ist  und  die  Abszess¬ 
bildung  nicht  verhindert.  Die  intravenöse  prophylaktische  Mykolysin¬ 
injektion  hat  gleicherweise  die  Mortalität  des  Kaninchens  verhindert, 
trotz  der  intravenösen  Injektion  von  50  Millionen  Staphylokokken,  die 
Kontrolltiere  innerhalb  24  Stunden  getötet  hat.  Die  prophylaktische 
Wirkung  des  Mykolysins  gegen  die  Streptokokkeninfektion  des  Ka¬ 
ninchens  ist  weniger  konstant  wie  jene  gegen  die  Staphylokokken¬ 
infektion.  Die  subkutane  prophylaktische  Mykolysininjektion,  2  Tage 
hindurch  wiederholt,  hat  3  weisse  Mäuse  von  5  gegen  die  Pneumo¬ 
kokkeninfektion  (in  das  Peritoneum)  geschützt,  während  die  5  Kon¬ 
trolltiere  innerhalb  24  Stunden  verstorben  sind.  Das  Mykolysin  übt 
keine  direkte  Wirkung  auf  die  Mikroben  aus:  weder  Agglutination 
noch  Sensibilisation,  es  wirkt  dadurch,  dass  es  die  opsonische  Kraft 
des  Serums  erhöht  und  die  Phagozytose  anregt. 

Peugnier  -  Amiens :  Die  Ambard  sehe  Konstante.  ( Ar- 
chives  provinciales  de  Chirurgie,  Mai  1914.> 

Die  Ambard  sehe  Konstante  drückt  algebraisch  die  physio¬ 
logischen  Gesetze  der  Urinsekretion  aus;  ihr  Studium  ermöglicht,  fest¬ 
zustellen,  ob  die  Funktion  der  Niere  normal  oder  fehlerhaft  ist.  Nach 
den  Untersuchungen  von  Chevassu  bietet  sie  daher  in  der  Nieren¬ 
chirurgie  wertvolle  Anhaltspunkte  über  die  Möglichkeiten  oder  Ge¬ 
fahren  der  Nephrektomie;  unter  0,110  wird  die  Operation  eine  Gefahr, 
da  die  ungenügende  Funktion  der  anderen  (am  Platze  gelassenen) 
Niere  zu  befürchten  ist.  Auch  P.  nahm  schon  mehrere  Male  Ge¬ 
legenheit,  die  Zuverlässigkeit  der  harnabsondernden  Konstante  zu 
erproben  und  sie  dünkt  ihm  eines  der  wertvollsten  Mittel  für  Arzt 


und  Chirurgen,  welche  die  genaue  Bilanz  der  Nierenveränderungen 
die  Lebensprognose,  die  Operationsindikationen  und  Kontraindiku 
tionen  feststellen  wollen.  Eine  genaue  Beschreibung  der  geistreiche! 
Methode  ist  angefügt. 

A.  Besredka  und  J.  Manoukhine:  Die  Fixationsreaktioi 
bei  den  Tuberkulösen.  (Annales  de  l'institut  Pasteur,  Juni  1914.) 

Nach  vorherigen  Versuchen  an  Meerschweinchen  (mit  Tuberkulii 
als  Antigen)  erprobten  Verfasser  die  Fixationsreaktion  an  eine, 
grossen  Anzahl  Tuberkulöser  der  verschiedensten  Stadien  und  kamei 
zu  folgenden  Schlüssen,  ln  der  ersten  Periode  der  Tuberkulose  is 
die  Fixationsreaktion  immer  positiv,  in  der  zweiten  in  der  grossei 
Mehrzahl  der  Fälle,  in  der  dritten  ist  sie  oft  nur  eine  partielle  oder 
negative,  in  welch  letzterem  Falle  sie  allgemein  einen  binnen  kurzen 
tödlichen  Ausgang  bedeutet.  Bei  allen  Nichttuberkulösen  ist  dii 
Fixationsreaktion  eine  negative  gewesen.  Es  ergibt  sich  aus  der 
Gesamtheit  der  hier  entwickelten  Tatsachen,  dass  Meerschweinchen 
und  Mensch  beinahe  in  gleicher  Weise  auf  die  tuberkulöse  Infektioi 
reagieren.  Diese  Reaktion,  die  sich  durch  Auftreten  eines  spezifische! 
Antikörpers  im  Serum  kundgibt,  kann  für  die  Diagnose  und  bis  zi 
einem  gewissen  Grade  zur  Prognose  der  Tuberkulose  benützt  werden 

Rougentzoff:  Die  Darmflora  der  mit  gelben  Rüben  ge 
iütterten  und  der  im  Hungerzustand  belassenen  Kaninchen.  (Ibidem. 

In  Fortsetzung  der  langen  Reihe,  aus  Metschnikows  Labo¬ 
ratorium  stammender  Versuche  über  die  Darmflora  und  den  Einfluss 
der  Ernährung  auf  dieselbe  beschäftigt  sich  R.  mit  der  Frage,  warunl 
der  mit  gelben  Rüben  ernährten  Kaninchen  niemals  Indoxyl,  jener 
der  hungernden  Tiere  aber  immer  dasselbe  in  ziemlich  grosser  Menge 
enthält;  er  kommt  jedoch  noch  zu  keiner  absolut  sicheren  Lösung 
dieser  Frage.  Vielleicht  bilden  sich  im  Darm  der  mit  gelben  Rübe; 
ernährten  Kaninchen  und  dank  der  Anwesenheit  von  Zucker  spezielle] 
Bedingungen,  welche  den  Bacillus  coli  verhindern  würden,  Indol  zi 
bilden.  Bei  den  Kaninchen,  welche  ohne  Nahrung  und  ohne  Zucke: 
in  derselben  sind,  scheint  der  Bacillus  coli  Indol  in  solch  grosse« 
Menge  zu  erzeugen,  dass  man  in  ihrem  Harne  dessen  Derivat,  da> 
Indian,  feststellen  kann.  Die  an  Eiweiss  reichen  Verdauungssäiti; 
müssen  zur  Bildung  von  Indol  im  Darme  der  hungernden  Tiere  bei¬ 
tragen,  die  Indol-  und  Indikanzunahme  muss  aber  ebenso  von  der 
stets  zunehmenden  Menge  des  Bac.  coli  in  deren  Darm  abhängen 
Alle  diese  Untersuchungen  führen  zu  der  Annahme,  dass  das  Indikai 
bei  im  Hungerzustand  befindlichen  Tieren  im  Darme  seinen  Ur¬ 
sprung  hat. 

P.  C  hausse:  Bazillengehalt  und  Zerstäubungsbedingungen  de* 
Speichels  und  tuberkulösen  Auswurfes  durch  den  Luftstrom.  (Ibidem. 

Diese  wichtige,  besonders  von  Flügge  und  seinen  Schülern  ir 
rein  positivem  Sinne  beantwortete  Frage  unterzog  Ch.  nochmals 
gründlicher  Prüfung  und  experimentellen  Untersuchungen.  Bei  einer 
Geschwindigkeit  des  Luftstromes,  die  unter  35  m  per  Sekunde  liegt 
ist  demnach  der  tuberkulöse  Auswurf  nur  sehr  schwer  zerstreubar 
und  lösen  sich  im  Allgemeinen  keine  Partikelchen  los,  die  inhaliert 
werden  können.  Je  stärker  nun  der  Luftstrom,  um  so  leichter  lösen 
sich  solche  Partikelchen  los,  so  dass  es  schliesslich  gelingt,  auf  diesen: 
Wege  alle  Meerschweinchen  tuberkulös  zu  machen.  Der  Speichel  ist 
sehr  schwer  verstaubbar,  selbst  unter  den  sehr  strengen  Versuchs¬ 
bedingungen,  unter  welchen  Ch.  gearbeitet  hat,  und  die  gewöhnlichen 
Luftgeschwindigkeiten  von  10 — 30  m  per  Sekunde  vermögen  nicht 
die  feinsten  bazillären  Partikelchen  von  ihm  zu  trennen.  Diese  Re¬ 
sultate  genügen  nicht,  um  vollständig  die  Theorie  von  Flügge  von 
der  Hand  zu  weisen,  sie  zeigen  nur,  dass  Bronchialschleim  und 
Speichel  viel  schwieriger  sich  zerstäuben  lassen,  als  dieser  Forscher 
und  seine  Schüler  annehmen.  Es  ist  ohne  Zweifel  möglich  mit 
schwächeren  Luftströmen,  als  sie  Ch.  angewendet  hat,  von  diesen 
Flüssigkeiten  Partikelchen  loszulösen,  die  eine  in  der  Nähe 
befindliche  sterile  Flüssigkeit  verunreinigen  könnten;  aber  man  müsste 
mit  grosser  Mühe  ganz  feine  Teilchen  loslösen,  damit  sie  eingeatmet 
werden  können  und  das  ist  das  Wichtigste.  Um  eine  endgültige  An¬ 
sicht  darüber  zu  gewinnen,  ob  von  Mensch  zu  Mensch  eine  An¬ 
steckung  durch  Einatmung  feinster  Tröpfchen  möglich  ist,  hält  es 
Ch.  für  unumgänglich  notwendig,  noch  andere  Untersuchungsmethoden 
heranzuziehen.  Stern. 

Inauguraldissertationen. 

Universität.  Göttingen.  Mai  bis  15.  August  1914. 

E  m  m  e  1  m  a  n  n  K.  E. :  Die  Behandlung  der  Placenta  praevia  mit  der 
Colpohysterotomia  anterior. 

Meyer  K.:  Bericht  über  die  von  1903—1913  in  der  Göttinger  Ohren¬ 
klinik  beobachteten  Fälle  von  Fazialislähmung. 

Mielke  F.:  Die  Spitzendämpfung  im  Kindesalter. 

O  u  a  n  z  E.:  Ueber  die  Bedeutung  des  Bacterium  coli  für  die  Wasser¬ 
beurteilung. 

Renner  A.:  Ueber  die  Temperaturabhängigkeit  der  Goldzahl  und 
der  Viskosität  von  kolloidalen  Lösungen  und  über  die  Temperatur¬ 
abhängigkeit  der  Quellung  von  Organen. 

Simon  M.:  Ueber  manuelle  Plazentarlösung. 

Bunnenberg  H.:  Ergebnis  der  Röntgentherapie  an  der  Göttinger 
Frauenklinik. 

Fiedler  F.:  Ueber  die  Ursachen  und  die  Bekämpfung  der  Herz¬ 
insuffizienz  bei  der  fibrösen  Pneumonie. 


6.  Oktober  191-4. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2041 


Vereins-  und  Kongressberichte. 


Verein  der  Aerzte  in  Halle  a.  S. 

(Bericht  des  Veieins.) 

Sitzungen  vom  8.  und  15.  Juli  1914. 
Vorsitzender:  Herr  B  c  n  e  k  e. 
Schriftführer:  Herr  S  t  i  e  d  a. 

II. 


^crr  berichtet  zunächst  über  die  Erfahrungen,  welche 

in  seiner  Klinik  mit  dem  Abderhalden  sehen  Dialysierverfahren 
bei  malignen  rumoren  der  L  u  f  t  -  und  Speise  w  ege  ge¬ 
macht  worden  sind. 

Bei  einem  I  u  m  o  r  in  dem  oberen  Teil  des  Oesophagus  fiel 
die  Probe  aut  Karzinom  negativ  aus.  Bei  der  Obduktion  zeigte  sich, 
cass  es  sich  nicht  um  Karzinom,  sondern  um  Sarkom  der  Speiseröhre 
gehandelt  hatte.  In  2  weiteren  Fällen  von  Speiseröhrenkrebs  be¬ 
stätigte  die  Obduktion  die  Richtigkeit  des  Resultates  der  positiv  aus¬ 
gefallenen  Dialysierprobe.  ln  einem  Falle  von  L  a  r  y  n  x  k  a  r  z  i  n  o  m 
konnten  mit  dem  Dialysierverfahren  Abwehrfermente  gegen  Karzinom 
festgestellt  werden.  Nach  halbseitiger  Exstirpation  des  Kehlkopfes 
war  die  Probe  später  negativ.  In  einem  2.  Falle  von  Larynx- 
Karzinom  stimmte  der  Ausfall  des  Dialysierverfahrens  überein  mit 
dem  Resultat  der  histologischen  Untersuchung  eines  exzidierten  Ge- 
u  ebsstückes.  In  einem  3.  Falle  von  Kehlkopftumor  ergab  die 
Probeexzision  nur  chronisch  entzündliches  Gewebe.  Bei  dem  Dia- 
jsier verfahren  ergab  sich  Abbau  von  Karzinom.  Eine  zweite 
Probeexzision  bestätigte  dieses  Ergebnis. 

n,  Jn  3-  fäJ,len  y°n  Kieferhöhlenkrebs  fiel  die  Dialysierprobe  auf 
Plattencpithelkarzinom  positiv  aus.  In  dem  einen  dieser  Fälle  hatte 
eine  1  robeexzision  von  einem  aus  der  Nasenhöhle  entnommenen  Ge- 
websstück  kein  positives  Resultat  ergeben;  die  auf  Grund  des  posi¬ 
tiven  Ausfalles  der  Dialysierprobe  vorgenommene  Radikaloperation 
bestätigte  die  Richtigkeit  der  Karzinomdiagnose. 

In  sämtlichen  untersuchten  Fällen  hat  demnach  das  A  b  d  e  r- 
ja  [den  sehe  Dialysierverfahren  ein  Resultat  ergeben,  welches  autop- 
tisch  oder  durch  die  Operation  durchaus  bestätigt  wurde.  In  2  Fällen 
bei  denen  die  Probeexzision  ein  negatives  Resultat  ergab,’ 
konnte  auf  Grund  des  Dialysierv  erfahrens  die  rieh 
tige  Diagnose  gestellt  werden. 


Denker  teilt  ferner  mit,  dass  er  bei  0  t  o  s  k  1  e  r  o  t  i  k  e  r  n 
Untersuchungen  auf  Abbau  von  Hypophyse  gemacht  habe.  Die  Ver¬ 
anlassung  für  diese  Untersuchung  liegt  in  der  Annahme  Denkers 
dass  möglicherweise  zwischen  der  Otosklerose  und  Ano¬ 
malien  der  Hypophyse  ein  ursächlicher  Zusammen- 

nang  besteht..  Denker  gelangt  zu  dieser  Annahme  durch  die 
'Utmals  zu  konstatierende  Koinzidenz  der  Gravidität  resp.  des  Puer¬ 
periums  mit  dem  Beginn  der  Otosklerose.  Die  regelmässig  auf¬ 
tretende  Vergrösserung  der  Hypophyse  lässt  sich  zurückführen  aui 
eine  herabgesetzte  Tätigkeit  des  Ovariums.  Zu  dieser  Ansicht  ist 
man  berechtigt,  weil  eine  Hyperplasie  der  Hypophyse  nach  der  Ka¬ 
stration  von  weiblichen  und  männlichen  Versuchstieren  auftritt  und 
terner,  weil  es  gelingt  durch  Zufuhr  der  Extrakte  von  Keimdrüsen  die 
nypophysenhyperplasie  zu  verhindern  oder  einzuschränken.  Es  ist 
ausserdem  bekannt,  dass  infolge  einer  gestörten  oder  gesteigerten 
nnersekretorischen  Funktion  der  Hypophysis,  die  als  Akromegalie 
jezeichneten  Knochenveränderungen  auftreten.  Dass  die  Akromegalie 
in  ursächlichem  Zusammenhang  mit  der  Hypophysenvergrösserung 
'‘ent,  scheint  dadurch  bewiesen,  dass  durch  die  Operation  des  Hypo- 
ßnysentumors  die  Akromegalie  beseitigt  werden  kann. 

Wenn  auch  die  Alterationen  der  Labyrinthkapsel  bei  Otosklerose 
licht  vollkommen  gleichzustellen  sind  mit  den  Knochenveränderungen 
Jer  Akromegalie,  so  ist  doch  das  zeitliche  Zusammentreffen  der  hypo- 
ihysar  bedingte  l  Knochenalteration  bei  Gravidität  mit  dem  Beginn 
jCr  Otosklerose  sehr  auffallend  und  lässt  einen  ätiologischen  Zu¬ 
sammenhang  zwischen  einer  Dysfunktion  der  Hypophysis  und  der 
-ntstehung  der  Otosklerose  vermuten. 

Um  diesem  Zusammenhänge  weiter  nachzuforschen,  hat  Deli¬ 
la1'  Y^fetfelst  des  Abderhalden  sehen  Dialysierverfahrens  nach 
mwehrfermenten  gegen  Abbauprodukte  der  Hypophyse  in  dem  Blute 
mn  Otosklerotikern  geforscht. 

Es  wurden  im  ganzen  22  Fälle  von  Otosklerose  und  13  Kontroll- 
alle  untersucht.  Von  den  22  Otosklerosefällen  wurde  17  mal  Hypo- 
>hyse  abgebaut,  während  5  mal  der  Versuch  negativ  ausfiel.  '  Bei 
3  Kontrollfallen  wurde  Hypophyse  4  mal  abgebaut,  9  mal  dagegen  fiel 

‘tr  \  ersuch  negativ  aus. 

Es  ergab  sich  demnach  das  interessante  Resultat,  dass  bei  Oto- 
’if  erotik  er  n  in  etwa  77  Proz.  der  Fälle  Hypophyse 
ifigebaut  wurde,  während  dies  bei  den  Kontrollfällen  nur 
11  ■  ,  ,oz;  der  Kall  war.  Wenn  man  auch  aus  diesen  Ergebnissen 
och  keine  allzuweitgehenden  Schlüsse  ziehen  darf,  so  scheint  das  ge¬ 
rn  ene  Resultat  doch  dafür  zu  sprechen,  dass  wahrscheinlich  der 
ypophyse  eine  ursächliche  Rolle  bei  der  Entstehung  der  Otosklerose 
omiTit,  und  man  ist  zu  dieser  Annahme  umsomehr  berechtigt,  als 
c  die  oben  angeführten  Gründe  Tür  den  supponierten  Zusammen- 
ang  zwischen  einer  Dysfunktion  der  Hypophyse  und  der  Otosklerose 
11  sprechen  scheinen.  Weitere  Untersuchungen  müssen  in  der  An¬ 
liegenheit  Aufklärung  schaffen. 


Herr  Zi  mmerman  n  berichtet  über  einige  interessante  und 
auch  allgemeines  Interesse  beanspruchende  Versuchsresultate,  die  er 
mit  Hilfe  des  Dialysierverfahrens  an  einem  grösseren  klinischen  Ma¬ 
terial  und  auf  Grund  zahlreicher  Tierversuche  gewonnen  hat,  aus  dem 
Wunsche  heraus,  die  neuesten  Ergebnisse  der  serologischen  Unter¬ 
suchungsmethoden  Abderhaldens  auch  für  die  Otologie  nutzbar 
zu  machen,  insbesondere  aber  zu  prüfen,  ob  diese  biologischen  Re¬ 
aktionen  uns  für  die  Klinik  und  Diagnostik,  besonders  aber  für  die 
I  herapie  der  otogenen  intrakraniellen  Komplikationen  neue  Gesichts- 
punkte  an  die  Hand  zu  geben  imstande  seien.  Neben  einer  grossen 
Reihe  der  verschiedensten  Fragestellungen  schienen  dem  Vortragen¬ 
den  besonders  folgende  4  von  Bedeutung  zu  sein: 

K  ^alt .  es  festzustellen,  ob  das  Plasma  gesunder  Individuen 
an  und  für  sich  schon  auf  Nervengewebe  eingestellte  Fermente  führt 
oder  nicht. 

2.  Wenn  nicht,  ob  und  unter  welchen  Umständen  derartige  Fer¬ 
mente  im  Plasma  auftreten,  und  ob  sich  etwa  in  ihrem  Erscheinen 
eine  immer  wiederkehrende  Gesetzmässigkeit  geltend  macht. 

3.  Sind  diese  Fermente  streng  organ-  bzw.  artspezifischer  Natur? 

d  '  .  .  möslich,  auf  Grund  des  Nachweises  solcher  Fermente 

lmi  v  elch  ,.s  zen‘rafen  ur*d  peripheren  Nervensystems  serologisch 
Lokalisationsdiagnosen  zu  stellen,  d.  h.  tragen  die  bei  Veränderungen 
topisch  bzw.  funktionell  differenter  Abschnitte  des  Nervensystems 
etwa  auftretenden  Fermente  einen  lokal-  bzw.  funktionsspezifischen 
Charakter;  gelingt  es  also  mit  anderen  Worten,  z.  B.  zerebrale  Pro¬ 
zesse  von  peripheren  Lähmungen,  Grosshirn-  von  Kleinhirnabszessen 
zu  unterscheiden  und  diese  wiederum  von  einer  Meningitis,  einem 
Extraduralabszess,  einer  Sinusthrombose  und  endlich  von  einer  un¬ 
komplizierten  Otitis  media  einwandfrei  zu  differenzieren  Die  ex¬ 
perimentellen  Untersuchungen  wurden  ausschliesslich  an  Kaninchen 
vorgenommen  und  im  ganzen  43  Einzelversuche  an  25  verschiedenen 
Deren  durchgeführt.  Nachdem  hierbei  zunächst  festgestellt  war  dass 
in  normaler  Weise  ernährte  und  gesunde  Tiere  in  ihrem  Plasma  auf 
Nervengewebe  eingestellte  Fermente  nicht  führen,  wurden  bei  den 
einzelnen  Tieren  die  in  Art  und  Wirkung  verschiedensten  lokalen  Ein¬ 
griffe  am  Gehirn,  seiner  Umgebung  und  am  peripheren  Nervensystem 
ausgefuhrt.  (Schleichende  interstitielle  Enzephalitis  durch  aseptisches 
iiauma,  stürmische  Aetzenzephalitis  und  typische  Vereiterung  durch 
Einbringung  von  Kausticis  bzw.  durch  Injektion  von  Streptokokken- 
j  •  ^fephylokokkenmaterial,  epidurale  Applikation  nichtinfizierter 
und  infizierter  Tampons,  Einfluss  der  Chloroform-  und  Aethernarkose 
mechanische  Verletzung  peripherer  Nerven  etc.)  Als  Wichtigstes  er¬ 
gab  die  serologische  Untersuchung  dieses  gesamten  Tiermaterials 
folgendes: 

1.  Jedesmal,  wenn  im  zentralen  und  peripheren  Nervensystem 
eine  substantielle  Läsion  irgend  eines  seiner  Teile  nachweisbar  vor¬ 
handen  oder  ad  hoc  gesetzt  war,  so  erschienen  regelmässig  und  schon 
nach  kurzer  Zeit,  frühestens  am  4.  Tage,  auf  Nervengewebe  ein¬ 
gestellte  Fermente  im  Blut,  die  sich  mit  Hilfe  der  Dialysiermethode 
regelmässig  feststellen  Hess. 

2.  Diese  Fermente  hatten  streng  organspezifischen  Charakter, 
Hessen  aber  eine  Artspezifität  vermissen;  es  wurden  vielmehr  die 
homologen  Organe  der  verschiedensten  Spezies  —  Mensch,  Kanin¬ 
chen,  Hund,  Schwein,  Kalb  —  in  unter  sich  atypisch  wechselnder 
Intensität  abgebaut. 

3.  Es  gelang  nicht,  innerhalb  des  zentralen  Nervensystems  Lokali- 
sationsdiagnosen  zu  stellen,  also  z.  B.  einen  Grosshirn-  von  einem 
Kleinhirnabszess,  je  nach  dem  Reaktionsausfall  zu  unterscheiden,  da 
bei  Grosshirnabszess  auch  Kleinhirnsubstrat  und  umgekehrt  ange¬ 
griffen  wurde, 

Z  bemerkt  ausdrücklich,  dass  gerade  letztere  Resultate  nur  für 
den  Dialysierversuch  und  die  von  ihm  gewählten  Versuchsbedin¬ 
gungen  Geltung  haben  und  weist  darauf  hin,  dass  uns  hier  vielleicht 
a!e  optische  Methode  noch  weiterbringen  kann,  da  sie  uns  einen  Ein¬ 
blick  in  den  qualitativen  Ablauf  der  Fermentation  gewährt  und  uns 
gestattet,  quantitative  Vergleiche  zu  ziehen.  Z.  glaubt  aus  seinen 
Befunden  schhessen  zu  dürfen,  dass  die  Seroreaktion  eine  recht 
empfindliche  Reaktion  auf  allerfeinste  materielle  Zustandsänderungen 
nn  jesamtnervensystem  darstellt.  Dass  sich  aber  andererseits  un¬ 
beschadet  der  grossen  Bedeutung,  die  dieser  Tatsache  als  solcher  zu- 
kommt,  gerade  aus  dieser  weitgehenden  Empfindlichkeit  für  die  prak¬ 
tisch^  mische  Verwendung  der  Reaktion  auf  dem  Gebiete  der  intra- 
kraniellen  Komplikationen  zweifellos  auch  gewisse  Schwierigkeiten 
herleiten  So  kann  uns  nämlich  der  positive  Ausfall  der  Reaktion 
nur  darüber  orientieren,  dass  überhaupt  irgendwo  im  Nervensystem 
eine  organische  Läsion  vorliegt.  Ob  es  sich  dabei  aber  in  dem  spe- 
ziellen  Falle  um  eine  vielleicht  ganz  unbedeutende,  spontan  rückbil- 
dungsfahige  einfache  Enzephalitis,  einen  ausgedehnten  Abszess  oder 
um  eine  periphere  Neuritis  handelt,  darüber  kann  uns  die  Seroreaktion 
(s.  v.j  nicht  informieren  und  uns  infolgedessen  nicht  in  den  Stand 
setzen,  eine  Indikation  zu  einem  operativen  Eingriff  am  Gehirn  selbst 
zu  gewinnen  Um  so  weniger,  als  auch,  wie  ich  feststellen  konnte 
extradurale  Abszesse,  Meningitiden  und  Sinusthrombosen  — -  wohl  in¬ 
folge  einer  konkomitierenden  Meningoenzephalitis  —  ebenfalls  einen 
positiven  Reaktionsausfall  bedingen  können.  Vielleicht  wird  uns  auch 
hier  der  negative  Ausfall  der  Reaktion  mehr  leisten  wie  der  positive 
weil  jener  das  Vorhandensein  eines  zerebralen  Prozesses  —  und  da¬ 
mit  auch  eines  Hirnabszesses  —  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  aus- 
schhessen  lässt  und  uns  somit  eventuell  davon  abhalten  kann,  er- 


2042 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  40. 


gebnislose  Eingriffe  am  Gehirn  selbst  zum  Schaden  unserer  Patienten 
vorzunehmen. 

Herr  Winternitz:  Nur  einige  Bemerkungen  vom  Standpunkt 
des  inneren  Mediziners.  Meiner  Ueberzeugung  nach  steht  und  fällt 
die  klinische  Bedeutung  der  Abderhalden  sehen  Reaktion  mit 
ihrer  Spezifität.  Wenn  das  Auftreten  der  Abwehrfermente  im  Blut 
nicht  spezifisch  ist,  dann  kommt  der  Reaktion  kein  grösserer  klinischer 
Wert  zu  wie  dem  Salzsäuremangel  für  die  Karzinomdiagnose.  Die 
Spezifität  schliesst  aber  Fehldiagnosen  natürlich  nicht  aus,  insofern 
Umstände  cintreten  können  —  wir  untersuchen  ja  immer  nur  in  einer 
bestimmten,  vorübergehenden  Phase  der  Erkrankung  — ,  die  den 
Uebergang  von  Fermenten  ins  Blut  hemmen  oder  ihre  Nachweisbar¬ 
keit  verhindern. 

Bei  meinem  Material  hat  es  sich  um  80  und  einige  Fälle  ge¬ 
handelt,  davon  34  sichere  Karzinome,  in  20  war  die  Diagnose  zweifel¬ 
haft,  7  Sarkome,  6  zweifelhafte  Sarkome  und  15  andere  Fälle  (Base¬ 
dow,  Tuberkulose,  Addison  etc.).  Unter  67  Fällen  mit  maligner  Neu¬ 
bildung  —  meist  Magentumoren  —  fiel  die  Reaktion  6  mal  negativ 
aus.  2  Fälle  scheiden  wegen  mangelhafter  Technik  aus,  in  einem 
Fall  wurde  das  Resultat  durch  die  Kontrolle  richtiggestellt,  es  zeigte 
sich,  dass  das  verwendete  Substrat  nicht  eingestellt  war.  In  3  Fällen 
konnten  keine  methodischen  Fehler  nachgewiesen  werden,  wir  müssen 
annehmen,  dass  es  sich  um  Fehldiagnosen  gehandelt  hat,  die  in  nicht 
näher  bekannten,  biologischen  Besonderheiten  der  Fälle  begründet 
waren. 

Statistische  Angaben  haben  geringen  Wert,  solange  es  nicht  mög¬ 
lich  ist,  zu  kontrollieren,  worauf  sich  die  Resultate  stützen,  dabei  ist 
fehlerlose  Technik  ohne  weiteres  vorausgesetzt.  Die  Möglichkeit  von 
Fehldiagnosen,  die  in  dem  biologischen  Charakter  der  Methode  be¬ 
gründet  sind,  lässt  keinen  Zweifel  darüber,  dass  die  Verwertung  der 
Reaktion  nur  im  Zusammenhang  mit  den  klinischen  Untersuchungs¬ 
ergebnissen  möglich  ist.  Am  einfachsten  liegen  die  Fälle,  wo  unsere 
Diagnose  mit  dem  Resultat  der  Abderhalden  sehen  Reaktion 
übereinstimmt,  sie  bilden  die  weitaus  überwiegende  Zahl  und  liefern 
gleichzeitig  den  Beweis  für  die  Spezifität  und  klinische  Brauchbarkeit 
der  Methode.  In  seltenen  Ausnahmen  haben  wir  klinisch  gesicherte 
Karzinomdiagnose,  Abderhalden  ist  trotzdem  negativ.  Hier  kann  mit 
Rücksicht  auf  das  klinische  Gesamtergebnis  der  Abderhalden- 
schen  Reaktion  nicht  das  Uebergewicht  eingeräumt  werden.  Dann 
haben  wir  klinisch  zweifelhafte,  karzinomverdächtige  Magenfälle  ohne 
Tumor,  wo  die  Abderhalden  sehe  Methode  berufen  ist,  in  posi¬ 
tivem  oder  negativem  Sinn  zu  entscheiden  und  dementsprechend  auch 
das  therapeutische  Handeln  zu  beeinflussen.  Aehnlich  liegen  die  Ver¬ 
hältnisse  bei  einem  Tumor  ad  pylorum,  wenn  klinisch  die  Entschei¬ 
dung  zwischen  Karzinom  und  kallösem  Ulcus  nicht  getroffen  werden 
kann.  Wichtig  ist,  dass  in  allen  Fällen  ohne  jede  Ausnahme  die 
Reaktion  streng  spezifisch  war  und  dass  daher  auch  bei  Fehldiagnosen 
die  Reaktion  negativ  ausfiel,  nicht  umgekehrt.  Nie  ergab  sich 
eine  Karzinomdiagnose,  wo  kein  Karzinom  vorhanden  war. 

Wir  stehen  erst  am  Anfang  der  Beobachtungen,  aber  es  ist  zu 
hoffen,  dass  uns  die  A  b  d  e  r  h  a  1  d  e  n  sehe  Methode  zum  Ziel  einer 
Frühdiagnose  maligner  Neubildungen  des  Magen-  und  Darmtraktus 
führen  wird. 


Biologische  Abteilung  des  ärztlichen  Vereins  in  Hamburg. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  16.  Juni  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Allard.- 
Schriftführer :  Herr  v.  Engelbrecht. 

Herr  Knack:  Blutbefunde  im  Dunkelfeld. 

Bei  Untersuchung  des  Blutes  im  Dunkelfeld  beobachtet  man 
feinste  3 — 40  ,u  lange  fädige  Gebilde,  die  in  lebhafter  grosswelliger 
Bewegung  zwischen  den  übrigen  Formbestandteilen  des  Blutes 
herumschwimmen.  Die  matten,  grauweisslichen  Fäden  sind  ß  und 
darunter  dick,  meist  homogen,  nur  in  seltenen  Fällen  körnig,  im 
Gegensatz  zu  Spirochäten  glatt,  ohne  Eigenwindungen.  An  den  Enden 
tragen  sie  je  ein  leuchtendes  Endkörperchen.  Diese  „Blutfäden“ 
(Haematarachnien)  wurden  zuerst  von  Rosenthal  (1906)  im 
Hiihneiblut,  dann  (1907)  von  Beer  im  Menschenblut  durch  Dunkel¬ 
felduntersuchung  nachgewiesen,  nachdem  schon  früher  In  gefärbten 
Blutpräparaten  wiederholt  fädige  Gebilde  gefunden  und  bald  als 
Kunstprodukte,  bald  als  Parasiten  beschrieben  worden  waren.  Die 
Blutfäden  finden  sich  ausser  bei  Mensch  und  Huhn  bei  üblichen 
Laboratoriumstieren  (Affe,  Hund,  Katze,  Kaninchen,  Meerschwein¬ 
chen,  Ratte,  Maus,  Taube),  in  anderen  Körperflüssigkeiten  (Lymphe, 
Lumbalpunktate,  Transsudate)  sind  sie  nur  bei  gleichzeitiger  Blutbei¬ 
mengung  vorhanden.  Bei  Scharlach,  Masern,  Röteln  sind  sie  im  Be¬ 
ginn  der  Erkrankung  stark  vermehrt,  bei  septischer  Lungentuber¬ 
kulose,  Miliartuberkulose  sind  sie  sehr  zahlreich,  bei  perniziöser  An¬ 
ämie,  hämolytischem  Ikterus  (Erythrozytenschädigung  nur  vereinzelt 
zu  finden  Fine  umfassende  Statistik  wird  vielleicht  brauchbare  Re¬ 
sultate  über  die  klinische  Bedeutung  der  Fäden  ergeben.  Die  Dar¬ 
stellung  gelingt  am  besten,  wenn  man  das  frisch  entnommene  Blut  in 
gleichen  Teilen  steriler  Merck  scher  Gelatine  auffängt,  bei  37°  auf¬ 
hebt  und  vom  Gemisch  1  Platinöse  auf  geschliffenem  Objektträger 
bringt,  mit  Deckglas  bedeckt  im  Dunkelfelde  betrachtet.  Statt  Gela¬ 
tine  kann  man  14  Proz.  sterile  Magnesiumsulfatlösung  unter  den 
gleichen  Bedingungen  verwenden.  Die  Färbung  gelingt  im  dicken, 


mit  Aetheralkohol  10  Minuten  fixierten  Ausstrich  mit  Eosin  extr.  B 
Höchst  1,0,  Methylalkohol  100,0,  Aq.  dest.  10,0.  Nach  15  Minuten 
abtropfen,  mit  Fliesspapier  trocknen.  Die  Bedeutung  der  Blutfäden 
ist  noch  ungeklärt,  da  sie  meist  als  Zerfallsprodukte  angesehen  und 
übergangen  worden  sind.  Dietrich  meint,  es  handle  sich  um 
Myclinfcimen,  die  beim  Zugrundegehen  der  phosphatidreichen  Ery¬ 
throzyten  frei  würden.  Er  stützt  seine  Ansicht  damit,  dass  die  Ge¬ 
bilde  oft  an  Erythrozyten  (aber  auch  an  Leukozyten.  Ref.l)  flot¬ 
tierend  hängen,  oft  die  Erythrozyten  von  dichten  Fadenfransen  rings 
umgeben  sind.  Vielleicht  werden  hier  Untersuchungen  Klarheit 
schaffen,  die  einmal  entscheiden,  ob  sich  die  Blutfäden  auch  prä- 
formiert  im  lebenden  Blute  finden,  und  dann,  ob  durch  mikrochemi 
sehe  Reaktion  eine  Differenzierung  möglich  ist.  Doppelbrechung  und 
Fettreaktion  zeigen  die  Fäden  jedenfalls  nicht.  Im  Anschluss  Demon¬ 
stration  einschlägiger  Präparate. 

Diskussion:  Herren  C  o  h  n  h  e  i  m  und  Plaut. 

Herr  Schottmüller:  Die  von  dem  Herrn  Vortragen¬ 
den  beschriebenen,  im  Dunkelfelde  erkennbaren  Fädchen  im 
menschlichen  Blute  haben  wir  schon  vor  mehr  als  14  Jahren 
gesehen  und  zwar  im  Blute  von  Gesunden  und  Kranken. 

Irgend  eine  spezifische  Bedeutung  haben  wir  ihnen  nicht  zu¬ 
erkennen  können,  die  Zahl  der  fädenförmigen  Gebilde,  welche  eine 
deutliche  molekulare  Bewegung  zeigen  und  auf  den  ersten  Blick  wohl 
Veranlassung  zur  Verwechslung  mit  irgendwelchen  spirochäten¬ 
artigen  Parasiten  geben  können,  ist  besonders  gross,  wenn  man  das 
Blut  Hochfiebernder,  aber  auch  gesunder  Menschen  nicht  in  Bouillon, 
sondern  in  Kochsalzlösung  verbringt  und  eine  Zeitlang  der  Brut¬ 
temperatur  aussetzt. 

Ueber  die  derartigen  Gebilde  können  wir  einen  sicheren  Auf¬ 
schluss  nicht  geben,  wir  haben  mit  der  Möglichkeit  gerechnet,  dass 
es  sich  um  Abkömmlinge  von  Fibrin  handelt,  obwohl  eine  spe¬ 
zifische  Färbung  der  Fädchen  nicht  erzielt  werden  konnte. 

Herr  S  i  m  m  o  n  d  s. 

Herr  Knack  (Schlusswort)  beantwortet  die  Fragen.  Um  Fi¬ 
brinfäden  handelt  es  sich  nicht.  Die  Fäden  finden  sich  auch  im 
Ammoniumoxalatblut,  sie  geben  keine  Fibrinfärbung.  Die  Anreiche¬ 
rung  auf  Nährböden  ist  wohl  nur  Sedimentierung.  Gleiche  Häufig¬ 
keit  bei  Untersuchung  sofort  nach  der  Blutentnahme  wie  nach  einiger 
Zeit.  Auch  im  Bouillonblut  sah  K.  die  Fäden  regelmässig. 

Herr  Reye:  Zur  Aetiologie  der  Endocardltis  verrucosa. 

Erscheint  ausführlich  in  der  M.m.W. 

(Schluss  folgt.) 


Medizinische  Gesellschaft  zu  Magdeburg. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  23.  April  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Habs. 

Herr  Hager  stellt  eine  Reihe  durch  spezifische  Behandlung 
geheilter,  auch  noch  in  Behandlung  begriffener  Fälle  von  Tuberkulose 
vor,  die  verschiedene  Typen  der  Krankheit  darstellen.  Er  hat  die 
spezifische  Behandlung  seit  1890  ausgeführt,  ist  an  derselben  auch 
zur  Zeit  der  absprechenden  Urteile  über  dieselbe  niemals  irre  ge¬ 
worden,  hat  nach  und  nach  alle  Koch  sehen  Tuberkuline,  auch  an¬ 
dere  spezifische  Präparate  erprobt:  namentlich  das  Tuberkulin 
Rosenbach  und  die  von  Prof.  A.  Möller  empfohlenen  Tuberkcl- 
bazillenemulsion  enthaltenden  Geloduratkapseln.  Besondere  Vorzüge 
sieht  er  in  der  ambulanten  Behandlungsmethode;  dieselbe  darf  nie 
schematisch  sein,  sondern  muss  dem  einzelnen  Falle  ^  angepasst 
werden,  starke  Reaktionen  sind  zu  vermeiden.  Auf  die  Entdeckung 
von  Frühfällen  latenter  und  larvierter  Tuberkulose  ist  das  Haupt¬ 
gewicht  zu  legen,  aber  auch  in  den  meisten  vorgerückten  Fällen  ist 
noch  Erfolg  zu  erzielen  durch  spezifische  Behandlung;  allerdings  er¬ 
fordert  hier  diese  spezifische  Behandlung  in  Etappen  eine  unver¬ 
wüstliche  Hartnäckigkeit  seitens  des  Arztes  und  der  Patienten. 

Die  Krankenhaus-  und  Anstaltsbehandlung  ist  in  der  überwiegen¬ 
den  Mehrzahl  nicht  geeignet  zur  Erprobung  der  Wirksamkeit  der 
spezifischen  Behandlung  und  vielfach  haben  die  Urteile  der  Kranken¬ 
hausärzte  der  allgemeinen  Einführung  des  spezifischen  Heilverfahrens 
nur  geschadet. 

Vortr.  huldigt  der  Ansicht,  dass  die  Möglichkeit,  die  Tuber¬ 
kulose  in  den  Kulturländern  durch  spezifische  Behandlung  auszu¬ 
rotten,  vorhanden  ist,  wenn  auch  die  Zeit  der  Vollendung  noch  fern 
sein  mag.  Allerdings  bedarf  es  dazu  der  Ueberzeugung  des  Gros 
der  praktischen  Aerzte  von  der  Wirksamkeit  der  prophylaktischen 
und  der  kurativen  Eigenschaft  der  spezifischen  Behandlung. 

Ob  die  neue  Entdeckung  Friedmanns  eine  wirksamere  und 
schnellere  Methode  der  spezifischen  Behandlung  darstellt,  ist  noch 
abzuwarten.  Das,  was  der  Vortr.  selbst  von  ihr  gesehen  hat,  scheint 
durchaus  zu  dieser  Hoffnung  zu  berechtigen. 

Zurzeit  scheint  auf  die  allgemeine  Mitwirkung  der  praktischen 
Aerzte  bei  der  spezifischen  Tuberkulosebehandlung  noch  nicht  zu 
rechnen  zu  sein. 

Heute  noch  ist  in  der  Bevölkerung  grosser  Industriezentren 
wegen  der  grossen  Zahl  verhältnismässig  gesund  sich  fühlender 
Bazillenverstreuer  der  Tuberkelbazillus  fast  als  ein  ubiquitärer  In¬ 
fektionsträger  anzusehen,  und  auch  in  ländlichen  Bezirken  gibt  es 
sehr  zahlreiche  Tuberkuloseherde,  die  nur  dem  praktischen  Arzte 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  2043 


6.  Oktober  1914. 


bekannt  sein  können.  Auf  diese  zu  fahnden  und  ihre  Gefahren  zu  be¬ 
seitigen  muss  die  Haupttätigkeit  der  praktischen  Aerztc  sein;  durch 
allgemeine  Hygiene  ohne  spezifische  prophylaktische  und  kurative 
Behandlung  ist  die  Seuche  nicht  auzurotten. 

Herr  Blencke:  Demonstration  eines  Falles  von  Little- 
scher  Erkrankung,  bei  dem  Bl.  wegen  der  hochgradigen  Spitzfiisse 
rechts  di e^  plastische  Verlängerung  der  Achillessehne  machte  und 
links  die  S  t  o  f  f  e  1  sehe  Nervenoperation.  Der  Spitzfuss  war  beim 
Erwachen  aus  der  Narkose  verschwunden  und  ist  es  auch  geblieben. 

BI.  stellt  einen  Patienten  vor,  der  einen  Bruch  des  Os  naviculare 
an  der  Hand  erlitten  hatte.  Die  eine  Hälfte  dieses  Knochens  war  mit 
dem  Os  lunatum  luxiert  und  deutlich  auf  dem  distalen  Ende  der 
Beugeseite  der  Speiche  zu  fühlen.  Es  handelte  sich  um  eine  alte 
Verletzung,  für  die  der  Patient  mit  15  Proz.  entschädigt  wurde.  Die 
Funktion  der  Hand  war  eine  gute.  Die  zur  Beseitigung  der  noch 
vorhandenen  Beschwerden  vorgeschlagene  Exstirpation  wurde 
verweigert. 

Herr  Wendel  demonstriert:  1.  eine  Patientin  mit  handflächen¬ 
grossem  syphilitischen  Schädeldefekt  im  Bereich  des  Hinterhauptes, 
welcher  seit  2  Jahren  bestand.  Wassermann  stark  positiv.  Im 
Defekt  liegt  die  pulsierende,  mit  schmierigen  Granulationen  bedeckte 
Dura  frei.  Zunächst  energische  Kur  mit  Quecksilber  und  Jod,  so¬ 
dann  operative  Deckung  mit  „Schällappen“  nach  Müller-König 
Völlige  Heilung. 

2.  Eine  plastisch  gedeckte  kolossale  Röntgengangrän  bei 
Leukämie.  64  jährige  Frau,  seit  Herbst  1912  Blutarmut,  Mattigkeit. 
Am  21.  IV.  13  Aufnahme  in  das  Krankenhaus  Sudenburg.  Befund: 
tierzdämpfung  erheblich  verbreitert,  Spitzenstoss  in  der  vorderen 
Axillarlinie,  systolisches,  sausendes  Mitralgeräusch.  Abdomen  vor¬ 
gewölbt,  Bauchdecken  schlaff,  Caput  medusae.  Grosser  Milztumor. 
Jntere  Grenze  handbreit  oberhalb  der  Symphyse.  Leber  vergrössert. 
Achsel-,  Leisten-,  Halsdrüsen  bis  bohnengross.  Hämoglobin  45  Proz 
Erythrozyten  2,7  Millionen,  Leukozyten  285  000.  Vereinzelt  kern¬ 
lose  rote  Blutzellen.  Behandlung  mit  Röntgenstrahlen,  Kakodyl, 
Riba-Malz,  später  Trinkkur  mit  Doramad  (Thor.  X).  Bestrahlt 
xurde  Milz,  Leber,  Lymphdriisen,  Knochenmark.  Dosis  täglich  10  X 
nit  3  mm-Filter.  Innerhalb  von  6  Wochen  sehr  erhebliche  Besserung, 
iämoglobin  56  Proz.,  Erythrozyten  3  600  000,  Leukozyten  6000  in  nor- 
nalem  \  erhältnis.  Leber  erheblich  verkleinert,  Milztumor  auf 
3  zurückgegangen. 

Bei  einer  Bestrahlung  der  Leber  vom  Rücken  her  am  24.  Mai  1913 
.yrgass  die  Schwester  bei  einer  Aenderung  an  der  Röntgenröhre  das 
-llter  wieder  vorzuschalten.  Die  Pat.  erhielt  9  X  ohne  Filter.  Sie 
•vurde  am  25.  Mai  1913  entlassen.  3  Wochen  später  stellte  sie  sich 
xieder  vor.  Sie  hatte  links,  wo  die  Milz  bestrahlt  war,  ein  hoch¬ 
gradiges  Erythem,  welches  aber  ohne  jede  Schädigung  zur  Heilung 
cam.  Dagegen  fand  sich  rechts,  wo  die  filterlose  Bestrahlung  vor¬ 
genommen  jvar,  ein  ganz  leichtes  Erythem,  ohne  Brennen  oder 
nicken,  so  dass  die  Pat.  selbst  noch  nichts  davon  gemerkt  hatte.  In 
Jen  nächsten  Wochen  entwickelte  sich  im  ganzen  Umfange  des 
-.rythems  eine  Gangrän  der  Haut.  Langsam  verschlechterte  sich 
las  Blutbild  wieder.  Am  13.  Februar  1913  war  die  Zahl  der 
"rythrozyten  zwar  normal,  Hämoglobin  aber  nur  50  Proz.,  Leuko- 
:yten  16  600,  am  11.  März  1914  Erythrozyten  3  000  000,  Leukozyten 
,00°0.  Die  Gangrän  brauchte  Monate,  um  sich  abzustossen.  Erst 
rn  März  1913  war  die  Wunde  völlig  gereinigt.  Lymphdrüsen- 
chwellungen  waren  nicht  mehr  da,  die  Milz  überragte  nur  in  rechter 
■'eitenlage  fingerbreit  den  linken  Rippenbogen.  Da  das  Blutbild  sich 
erschlechterte,  wurde  wieder  Röntgenbehandlung  aufgenommen  und 
war  nur  der  Extremitätenknochen  und  des  Sternums.  Am  23.  III.  14 
anden  sich  wieder  Erythrozyten  4  600  000,  Hämoglobin  (Sahli) 
>7  Proz.,  Leukozyten  nur  4500. 

Am  17.  März  1914  wurde  in  Narkose  der  grosse  Defekt  plastisch 
gedeckt.  Grosser  horizontaler,  viereckiger  Lappen  oberhalb  des 
Jefektes,  Basis  an  der  Wirbelsäule,  Spitze  an  der  rechten  Mamma. 
:r  reicht  nur  zu  2/*  zur  Deckung  des  Defektes.  Experimenti  causa 
Grd  der  Rest  des  Defektes  ebenso  wie  die  nicht  durch  Naht  und 
.usammenziehung  gedeckten  Reste  des  Lappendefektes  mit 
hierschschen  Pfropflappen  gedeckt.  Die  Plastik  gelang  vollkommen, 
'.ich  die  T  h  i  e  r  s  c  h  sehen  Lappen  heilten  sämtlich  an.  Vorstellung 
■er  völlig  geheilten  Patientin. 

3-  Eine  50  jährige  Frau  mit  Ulcus  ventriculi.  Nach  langer  Pause 
or  8  Wochen  schwerste  Blutung.  Nach  allmählicher  Erholung  jetzt 
,'uerresektion  der  Magenmitte  mit  einem  tiefen  Ulcus  der  kleinen 
'■urvatur.  Glatte  Heilung.  Demonstration  der  Patientin  und  des 

raparates. 

Herr  W essllng  zeigt  das  anatomische  Präparat  eines  Falles 
un  Invagination  des  Dünndarms  in  dem  Endteil  des  Dünndarms  und 
. n  Anfangsteil  des  aufsteigenden  Dickdarms,  hervorgerufen  durch 
in  Fibrom  des  Dünndarms  von  Kleinapfelgrösse.  Das  Präparat 
^urde  durch  Operation,  die  tödlich  verlief,  gewonnen.  Reseziert 
ur  v  — er  *  m  Dünndarm  und  ungefähr  25  cm  Dickdarm. 

Klinisch  verlief  der  Fall  unter  den  Anzeichen  des  chronischen 
eus  und  liegen  die  ersten  Erscheinungen,  die  seinerzeit  als  Magen- 
eschwür,  von  anderer  Seite  als  Nierensteinkolik  links  aufgefasst 
wurden,  über  2  Jahre  zurück. 

W.  hat  den  Fall  vor  Vi  Jahren  wegen  einer  gleichzeitig  be- 
tehenden  irreponiblen  Nabelhernie,  auf  die  das  Krankheitsbild  be¬ 
ugen  wurde,  natürlich  ohne  dauernden  Erfolg  operiert.  Die  Diagnose 
invagination“  wurde  wahrscheinlich  durch  einen  in  der  Fötalgegend 


gefühlten  wurstförmigen  Tumor,  —  vaginal  war  er  nicht  nachzu¬ 
weisen  —  durch  profuse  rektale  Blutungen,  1  Liter  und  mehr,  zeit¬ 
weise  starke  Koliken  und  trotz  dieser  Erscheinungen  ein  gutes  All¬ 
gemeinbefinden,  nie  Koterbrechen,  mässige  Darmblähung,  dauerndes, 
wenn  auch  erschwertes,  Abgehen  von  Winden.  Da  anfangs  die  Ope- 
rationserlmibnis  nicht  gegeben  wurde,  Hessen  sich  die  Erscheinungen 
mehrere  Tage  beobachten 

Die  histologische  Diagnose  wurde  seitens  des  pathologischen 
Anatomen  gestellt. 

Ferner  zeigt  er  Radius  und  Ulna  eines,  in  14  Tagen  nach  dem 
Bruch  des  distalen  Radiusendes  und  des  Griffelfortsatzes,  an  einer 
interkurrenten  Krankheit  verstorbenen  Mannes. 

Klinisch  bestand  keine  Bajonettstellung,  sondern  nur  eine  Ver¬ 
dickung  des  distalen  Radiusendes  und  geringe  Dorsalflektion  im 
Handgelenk. 

Auch  auf  dem  Röntgenbilde  sieht  der  Bruch  verhältnismässig 
harmlos  aus  und  doch  ist  die  Gelenkfläche  des  Radius  in  4  Teile,  die 
Epiphyse  insgesamt  in  8  Teile  gebrochen. 

Für  die  Behandlung  solcher  Fälle  dürfte  sich  eine  Schienen- 
tixierung  für  2 — 3  Wochen  und  dann  sofort  folgende  mediko-mechani- 
sche  Nachbehandlung  empfehlen. 

Herr  Hirt:  Ueber  Appendizitis  in  der  Gravidität. 

Erscheint  ausführlich  in  dieser  Wochenschrift. 


Aerztlicher  Verein  München. 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzung  vom  15.  Juli  1914.  (Schluss.) 

Herr  Schmincke:  Ueber  die  Teratome  der  Zirbeldrüse. 

Die  Zirbeldrüse  ist  ein  Organ,  an  dem  an  und  für  sich  Ge¬ 
schwulsterkrankungen  nicht  häufig  zur  Beobachtung  kommen.  Die 
Zahl  der  bisher  publizierten  Fälle 1)  von  Zirbeldrüsengeschwülsten 
überhaupt  beträgt  ungefähr  56.  Es  sind  dies  Psammome,  Gliome  und 
glioblastische  Sarkome,  Rundzellen-,  Spindelzellensarkome  und  angio- 
blastische  Sarkome  und  merkwürdigerweise  im  Verhältnis  zur  Zahl 
der  überhaupt  beobachteten  Fälle  von  Geschwulsterkrankung  des 
Organs,  relativ  häufig  Teratome,  nämlich  12,  Davon  sind  8  auf  Grund 
der  gegebenen  histologischen  Beschreibung  als  sichere  dreiblätterige 
Teratome  anzusprechen,  4  Fälle  sind  teratoide  Geschwülste,  welche 
einen  gemischten  Aufbau  aus  Geweben  nur  zweier  Keimblätter  auf¬ 
wiesen.  Besonderes  klinisches  Interesse  haben  die  Zirbeldrüsen¬ 
geschwülste  dadurch  bekommen,  dass  in  einigen  Fällen  bei  den  Ge¬ 
schwulstträgern  im  kindlichen  Alter  ein  eigenartiger  Symptomen- 
komplex  zur  Entwicklung  gekommen  ist,  den  P  e  i  1  i  c  c  i  mit  dem 
Ausdruck  der  Macrogenetosomia  praecox  bezeichnet  hat,  die  Ge¬ 
schwulstträger  zeigten  abnormes  Längenwachstum,  ungewöhnlichen 
Haarwuchs  und  dabei  eine  ihrem  Alter  weit  vorauseilende  sexuelle 
und  teilweise  auch  geistige  Reife;  bisher  wurde  diese  Makrogenito- 
somia  praecox  in  10  Fällen  beobachtet,  darunter  in  6  Fällen  von 
Teratom  (Gutzeit,  Ogle,  Oestreich,  Ilawyk,  Frankl- 
Hochwart,  Bailey-J  elliffe,  Takeya)  ein  Fall  (Ray¬ 
mond-Claude)  bei  einem  Neurogliom,  1  Fall  (P  e  1 1  i  c  c  i) 2), 

1  Fall  (H  o  1  z  h  ä  u  e  r)  Sarkom,  1  Fall  (G  o  i  d  z  i  e  h  e  r)  angio- 
blastisches  Sarkom. 

In  allen  Fällen  kam  es  bei  den  jugendlichen  männlichen  Ge¬ 
schwulstträgern  zu  einer  starken  Behaarung,  teilweise  des  ganzen 
Körpers,  besonders  aber  der  Genitalien,  zu  einer  starken  Grössen¬ 
entwicklung  des  Penis  und  überhaupt  der  äusseren  Genitalien.  Erek¬ 
tionen  traten  auf,  sowie  Ejakulationen  spermienhaltiger  Flüssigkeit; 
dafür  blieb  die  Psyche  der  Knaben  entweder  infantil,  oder  sie  war 
in  einer  dem  Alter  der  Kinder  vorauseilenden  Weise  entwickelt. 

Ueber  die  Erklärungsversuche  des  bemerkenswerten  Sym- 
ptomenkomplexes  kann  ich  mich  kurz  fassen:  Es  sind  im  wesentlichen 

2  Meinungen  vorhanden.  Die  eine  sieht  in  dem  geweblichen  Aufbau 
der  Geschwulst  das  ausschlaggebende,  auslösende  Moment;  die 
sexuelle  Präkozität  ist  eine  Funktion  der  Geschwulst;  sie  ist  onkogen; 
die  andere  zieht  die  durch  das  Geschwulstwachstum  gestörte  Funk¬ 
tion  der  Zirbel  und  den  Ausfall  des  Zirbelsekrets  im  Syndrom  der 
Drüsen  mit  innerer  Sekretion  (Hypo-  und  Apinealismus)  zur  Er¬ 
klärung  heran. 

Die  erste  Ansicht  hat  ihren  Hauptvertreter  in  Askanazy. 
Nach  ihm  soll  das  Vorhandensein  des  Geschwulstgewebes,  insbeson¬ 
dere  des  Teratomgewebes  im  Körper  eine  allgemeine  Steigerung  der 
sexuellen  Entwicklung  bedingen,  und  das  Teratom  eine  Art  Pseudo¬ 
schwangerschaft  darstellen,  wobei  die  Geschwulst  Stoffe  produziert, 
welche  auf  die  Entwicklung  der  Genitalien  von  Einfluss  sind.  Zur 
Stütze  seiner  Ansicht  führt  Askanazy  Versuche  Starlings 
und  den  Fall  von  S  a  c  c  h  i  ins  Feld.  S  t  a  r  1  i  n  g  injizierte  weiblichen 
Kaninchen  den  Presssaft  von  Kaninchenembryonen  und  beobachtete 
eine  der  Graviditätsperiode  entsprechende  Zunahme  der  Mammae. 
Im  Fall  von  Sacchi  handelte  es  sich  um  einen  9)4  jährigen  Knaben, 
der  bis  zum  5.  Jahr  ganz  normal  war;  dann  setzte  eine  rasche  Ent- 


0  Ausführliche  Literaturangaben  über  Zirbelgeschwülste  cf. 
Fukuo:  Ueber  die  Teratome  der  Gland.  pinealis.  Inaug.-Diss. 
München  1914. 

2)  Ueber  den  Charakter  der  Geschwulst  kann  ich,  da  die  Ori¬ 
ginalarbeit  mir  nicht  zugänglich  war,  keine  Angaben  machen. 


2044 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  40. 


Wicklung  des  Skelettes,  der  Muskulatur  ein,  Schamgegend  und  Gesicht 
wurden  behaart;  die  Stimme  veränderte  sich  und  zu  gleicher  Zeit 
vergrösserte  sich  der  linke  Hoden.  Bei  der  Untersuchung  konstatierte 
Sacchi,  dass  der  Knabe  eine  abnorme  Grösse  (1,43  cm),  abnormes 
Gewicht  (44  kg)  und  eine  ungewöhnliche  Muskelkraft  hatte,  ausser¬ 
dem  war  Behaarung  des  Gesichts,  der  Pubes,  der  Brust-  und  Beine 
vorhanden.  Die  Länge  des  Penis  betrug  im  schlaffen  Zustande  9  cm; 
Erektion  trat  leicht  ein,  doch  keine  Ejakulation.  Diese  Erscheinungen 
verschwanden  nach  der  Exstirpation  des  linken  Hodens  allmählich, 
und  der  Knabe  wurde  wieder  kindlicher.  Der  Tumor  wurde  von 
Sacchi  auf  Grund  der  mikroskopischen  Untersuchung  als  Karzinom 
betrachtet;  dagegen  vertritt  Askanazy  die  Ansicht,  dass  der 
Tumor  ein  Teratom  gewesen  ist. 

Die  zweite  Ansicht,  dass  die  Präkozität  der  sexuellen  Entwick¬ 
lung  bei  jugendlichen  Trägern  von  Zirbelgeschwülsten  zurückzuführen 
ist  auf  einen  Ausfall  der  durch  das  üeschwulstwachstum  geschädigten 
oder  vollständig  zerstörten  Zirbel  hat  ihren  Hauptveitreter  in  Mar¬ 
burg,  dem  sich  neuerdings  Goldzieher  auf  Grund  eines  eigens 
beobachteten  Falles  und  auch  B  i  e  d  1  angeschlossen  haben.  Eine 
Hauptstütze  erhalten  die  Ansichten  dieser  Autoren  in  Versuchsergeb¬ 
nissen  des  Italieners  F  o  ä. 

F  o  ä  entfernte  an  63  jungen  Hühnern  die  ganze  Zirbeldrüse. 
Einige  Monate  nach  der  Operation  zeigten  die  Hühner,  bei  denen  die 
Zirbeldrüse  herausgenommen  worden  war,  ein  geringes  Zurückbleiben 
des  Wachstums  und  eine  geringere  spontane  Beweglichkeit.  Im  Ver¬ 
lauf  dreier  Monate  holten  sie  jedoch  dieses  Wachstum  wieder  nach, 
so  dass  sie  sich  von  Kontrollhühnern  nicht  mehr  unterschieden.  Bei 
den  operierten  zirbellosen  Hähnen  Hessen  sich  in  dieser  Zeit  starke 
Entwicklung  der  Keimdrüsen  und  der  sekundären  Sexualmerkmale 
-  Krähen,  sexueller  Instinkt  —  beobachten.  Es  fanden  sich  bei  diesen 
Hähnen,  die  im  8.  bis  11.  Monat  nach  der  Operation  getötet  waren, 
eine  starke  Hypertrophie  der  Hoden  und  des  Kammes  gegenüber  den 
Kontrollhähnen.  Auf  Grund  der  Versuchsergebnisse  Foäs  lässt  sich 
die  Annahme  machen,  dass  der  Zirbelexstirpation  ein  Eintreten  von 
einer  frühzeitigen  sexuellen  Entwicklung  nachfolgt,  dass  also  die  Zir¬ 
beldrüse  die  physiologische  Funktion  hat,  die  Entwicklung  des  Hodens 
und  der  sekundären  Sexualcharaktere  direkt  oder  indirekt  zu 
hemmen. 

Im  folgenden  möchte  ich  Ihnen  nun  2  Fälle  von  Zirbeldrüsen¬ 
teratom  demonstrieren,  die  ich  in  der  relativ  kurzen  Zeit  eines  halben 
Jahres  zu  beobachten  Gelegenheit  hatte.  Die  eine  Geschwulst  stammt 
von  einem  19  Jahre  alten  Mann,  bei  welchem  sie  bei  einer  auswärts 
gemachten  gerichtlichen  Sektion  zufällig  im  3.  Ventrikel  gefunden 
worden  war;  sie  war  uns  zur  Untersuchung  zugeschickt  worden.  Die 
zweite  Geschwulst  war  bei  einem  22  jährigen  als  Hirntumor,  aller¬ 
dings  in  nicht  richtiger  topischer  Orientierung  intra  vitam  dagnosti- 
ziert  worden.  Bei  der  Sektion  wurde  sie  als  Zirbeldrüsengeschwulst 
erkannt.  In  beiden  Fällen  handelte  es  sich  um  grosswelschnussgrosse 
vielzystische  Geschwülste.  Die  erste  war  ein  typisches  Teratom  mit 
Geweben  aller  3  Keimblätter,  die  zweite  zeigte  Aufbau  aus  Binde¬ 
gewebe,  Gefässkomplexen  von  angiomatösem  Typ,  sowie  Zelllagern 
von  zum  Teil  rudimentär  entwickelten  Ganglienzellen  und  Neuro- 
epithelien  in  Form  und  Lagerung,  wie  sie  in  normaler  Zirbel  zur 
Beobachtung  kommen.  Die  Hauptmasse  der  Geschwulst  wurde  ge¬ 
bildet  von  verschiedenen  grossen  zystischen,  mit  einem  hohen 
schleimbildenden  Zylinderepithel  ausgekleideten  Hohlräumen.  Dieses 
zylindrische  Epithel  sah  durchaus  aus,  wie  entodermales  Epithel;  ob 
es  sich  hier  um  entodermale  Zysten  handelte,  erschien  jedoch  frag¬ 
lich,  da  in  der  Wandung  der  Zysten  nichts  von  glatter  Muskulatur 
aufgefunden  und  an  einzelnen  Stellen  ein  Uebergang  dieser  hohen 
Zellen  in  ein  als  Ependymepithel  anzusprechendes  Epithelgewebe  be¬ 
obachtet  werden  konnte.  Im  zweiten  Fall  ist  in  der  Anamnese  ein 
Trauma  des  Kopfes  durch  Fall  eines  Stammes  auf  die  Nackengegend 
ein  halbes  Jahr  vor  dem  ersten  Auftreten  von  klinischen  Symptomen 
eines  raumbeengendne  Prozesses  im  Schädel  erwähnenswert.  In 
beiden  Fällen  ergab  die  Anamnese  nichts  von  einer  Präkozität  der 
sexuellen  Entwicklung;  die  Pubertät  hatte  bei  beiden  Individuen  zur 
normalen  Zeit  eingesetzt. 

Herr  Hu  eck:  Demonstrationen  zur  Frage  der  experimentellen 
Atherosklerosis. 

Diskussion:  Herr  v.  R  o  m  b  e  r  g. 


Aus  den  englischen  medizinischen  Gesellschaften. 

Royal  Society  of  Medicine,  Section  of  Medicine. 

Sitzung  vom  28.  April  1914. 

Ueber  den  Kohlensäuregehalt  der  Lungenluft  bei  Diabetikern. 

E.  P.  P  o  u  1 1  o  n  berichtet  über  Beobachtungen,  welche  er  nach 
der  Methode  von  Fridericiabei  9  Fällen  von  diabetischem  Koma 
und  6  milderen  Diabetesfällen  in  bezug  auf  den  COs-Gehalt  der 
Alveolenluft  ausgeführt  hat.  Von  Beddard,  Pembrey  und  von 
S  p  r  i  g  g  s  ist  zuerst  darauf  hingewiesen  worden,  dass  der  Partiar- 
druck  der  Kohlensäure  in  der  Alveolenluft  bei  zunehmender  Azidosis 
ein  deutliches  Sinken  aufweist  und  im  Koma  auf  ein  Minimum  herab¬ 
geht.  Die  Darreichung  von  doppeltkohlensaurem  Natron  hat  ein 
Wiederansteigen  desselben  zur  Folge.  P.  konstatiert,  dass  man  mit 
dem  Apparat  von  F  r  i  d  e  r  i  c  i  a  binnen  10  Minuten  klinisch  verwert¬ 


bare  Bestimmungen  ausführen  kann.  Bei  gesunden  Individuen  erhält 
i^an  gewöhnlich  Werte  von  5 — 6  Proz.,  und  bei  gelinden  Formen  von 
Glykosurie  mit  geringer  Azidose  erhält  man  dieselben  Werte.  Auch 
bei  einer  Verminderung  auf  4  Proz.  ist  noch  zunächst  keine  Gefahr 
vorhanden,  aber  ein  weiterer  Abfall  unter  diese  Zahl  deutet  schon 
auf  drohendes  Koma.  Immerhin  dauerte  es  in  allen  Fällen,  welche 
Werte  zwischen  3  und  4  Proz.  aufwiesen,  noch  2  Tage,  ehe  be¬ 
drohliche  Erscheinungen  einsetzten,  aber  bei  Werten  zwischen  2  und 
2,5  Proz.  ist  Koma  schon  binnen  24  Stunden  zu  erwarten. 


Aus  den  französischen  medizinischen  Gesellschaften. 

Academie  de  medecine. 

Sitzung  vom  21.  Juli  1914. 

Die  Schmerzlosigkeit  in  der  Geburtshilfe. 

R  i  b  e  m  o  n  t-D  e  s  s  a  i  g  n  e  s  erklärt  nach  einem  kurzen  histori¬ 
schen  Ueberblick,  dass  die  so  sehnlichst  von  den  Geburtshelfern  ge¬ 
wünschte  Lösung  eines  bisher  als  unlösbar  angesehenen  Problems, 
nämlich  Unterdrückung  der  Schmerzen  mit  völliger  Erhaltung  der 
Kontraktionen,  ihm  gelungen  zu  sein  scheint.  Es  handelt  sich  hiebei 
um  ein  Mittel,  das  ein  Derivat  des  Morphium  hydrochloricum  (durch 
Einwirkung  von  Bierhefe  auf  eine  Lösung  desselben  gewonnen),  sub¬ 
kutan  in  Dosen  von  1 — 3  ccm  an  der  vorderen  äusseren  Oberschenkel¬ 
haut  zur  Zeit,  wo  die  Erweiterung  des  Muttermundes  etwa  fünfzig¬ 
pfennigstückgross  ist,  injiziert  wird.  Nach  5 — 6  Minuten  ist  voll¬ 
ständige  Schmerzlosigkeit  erzielt,  die  Frau  schläft  ein  oder  tritt  in 
ein  Stadium  leichter  Somnolenz,  der  Geburtsakt  nimmt  seinen  Fort¬ 
gang  und  geht  sogar  rascher  vor  sich.  Die  Kinder  kommen  zuweilen 
in  einem  Zustand  von  Apnoe,  der  aber  leicht  zu  beseitigen  und  sogar 
oft  günstig  für  das  Kind  ist,  zur  Welt.  Die  Folgen  der  Entbindung 
werden  günstig  beeinflusst  und  die  Rückbildung  der  Gebärmutter 
sogar  eine  sehr  frühzeitige,  wie  die  Erfahrung  an  112  Fällen  lehrte. 

P  i  n  a  r  d  bestätigt  diese  günstigen  Resultate  und  hebt  besonders 
2  Punkte  hervor:  1.  die  Leichtigkeit,  welche  dieses  Medikament  für 
die  künstliche  Entbindung  gibt  und  2.  die  Notwendigkeit  für  Aerzte 
und  Hebammen,  zu  wissen,  dass  bei  vielen  Kindern  infolge  der  In¬ 
jektionen  oft  Apnoe  vorhanden  ist,  aber  dass  man  sich  darum  nicht 
zu  kümmern  brauche,  vielmehr  die  Umgebung  darauf  aufmerksam 
machen  müsse;  die  eigentliche  Atmung  hiebei  vorzunehmen,  wäre 
gefährlich,  es  genügt,  einige  gewöhnliche  Hautreize,  Insufflation  von 
Mund  zu  Mund  usw.  vorzunehmen. 

Die  Anfrage  von  Bounquelot  und  Chantemesse  über 
die  genaue  Zusammensetzung  des  Mittels  und  dessen  Herstellung 
schien  ihnen  wenig  genau  beantwortet  worden  zu  sein. 


Tagesgeschichtliche  Notizen 

siehe  „Feldärztliche  Beilage“. 


Uebersicht  der  Sterbefälle  in  München 

während  der  37.  Jahreswoche  vom  13.  bis  19.  September  1914. 

Bevölkerungszahl  640000. 

Todesursachen:  Angeborene  Lebensschwäche  einschl.  Bildungs¬ 
fehler  7  (61),  Altersschw.  (über  60  Jahre)  1  (7),  Kindbettfieber  —  (— ), 
and.  Folgen  der  Geburt  und  Schwangerschaft  —  (2),  Scharlach  —  (—)> 
Masern  u.  Röteln  —  (1),  Diphtherie  u.  Krupp  2  (1),  Keuchhusten  1  (4), 
Typhus  (ausschl.  Paratyphus)  1( — ),  akut.  Gelenkrheumatismus  —  (2), 
übertragbare  Tierkrankh.,  d.  s.  Milzbrand,  Rotzkrankh.,  Hundswut, 
Trichinenkrankh.  —  (— ),  Rose  (Erysipel)  —  ( — ),  Starrkrampf  —  (— ), 
Blutvergiftung  3  (3),  Tuberkul.  der  Lungen  13  (24),  Tuberkul.  and.  Org. 
(auch  Skrofulöse)  1  (3),  akute  allgem.  Miliartuberkulose  —  (— ),  Lungen- 
entzünd.,  kruppöse  wie  katarrh.  usw.  5  (7),  Influenza  —  (— ),  veneri¬ 
sche  Krankh.  —  (1),  and.  übertragbare  Krankh.:  Pocken,  Fleckfieber,! 
Ruhr,  Genickstarre,  Strahlenpilzkrankh.,  Lepra,  asiat.  Cholera, Wechsel¬ 
fieber  usw. — (2),  Zuckerkrankh.  (ausschl.  Diab.  insip.)  1  (— ),  Alkoholis¬ 
mus  —  ( — ),  Entzünd,  u.  Katarrhe  der  Atmungsorg.  3  (2),  sonst.  Krankh. 
d.  Atmungsorgane  —  (1),  organ.  Herzleiden  16  (16),  Herzschlag,  Herz¬ 
lähmung  (ohne  näh.  Angabe  d.  Grundleidens)  6  (4),  Arterienverkalkung 
2  (5),  sonstige  Herz-  u.  Blutgefässkrankh.  3  (4),  Gehirnschlag  8  (10), 
Geisteskrankh.  —  (2),  Krämpfe  d.  Kinder  1  ( — ),  sonst.  Krankh.  d.Nerven- 
systems  3  (3),  Atrophie  der  Kinder  8  (8),  Brechdurchfall  4  (2),  Magen¬ 
katarrh,  Darmkatarrh,  Durchfall,  Cholera  nostras  26  (17),  Blinddarm¬ 
entzünd.  —  (2),  Krankh.  der  Leber,  Gallenblase,  Bauchspeicheldrüse  u. 
Milz  2  (2),  sonst.  Krankh.  der  Verdauungsorg.  5  (3),  Nierenentzünd.  3(3), 
sonst.  Krankh.  der  Harn-  u.  Geschlechtsorg.  2  (1),  Krebs  13  (12),  sonst. 
Neubildungen  2  (2),  Krankh.  der  äuss.  Bedeckungen  1  (3),  Krankh.  der 
Bewegungsorgane  —  (1),  Selbstmord  1  (1),  Mord,  Totschlag,  auch 
Hinricht.  —  ( — ),  Verunglückung u.  andere  gewalts.  Einwirkungen  15(21), 
andere  benannte  Todesursachen  1  (3),  Todesursache  nicht  (genau) 
angegeben  (ausser  den  betr.  Fällen  gewaltsamen  Todes)  —  (— •). 

Gesamtzahl  der  Sterbefälle:  160  (191). 


*)  Die  eingeklammerten  Zahlen  bedeuten  die  Fälle  der  Vorwoche. 


Redaktion:  Dr.  B.  Spati, 
München,  Arnulfstrasse  26. 


MÜNCHENER 


Verlag  von  J.  I*.  Lehmann, 
München,  Paul  Heysestr.  26. 


Medizinische  Wochenschrift. 


Nr.  40.  6.  Oktober  1014. 


Jeber  einige  praktisch  wichtige  Gesichtspunkte  in  der 

Tetanusfrage*). 

Von  Professor  Dr.  Kreuter  in  Erlangen. 

Der  Starrkrampf  ist  unstreitbar  die  gefürch- 
etste  Wundinfektion.  Sein  Vorkommen  ist  in 
riedenszeiten  glücklicherweise  nur  vereinzelt, 
.s  ist  daher  schwer  möglich,  als  Einzelner  grössere  Er- 
ahrungen  über  diese  Erkrankung  zu  sammeln.  Im  Gegensatz 
iazu  ist  es  eine  bekannte  Iatsache,  dass  der  Tetanus  zu 
.riegszeiten  ein  so  gehäuftes  Auftreten  zeigen  kann,  wie 
lau  es  sonst  nie  erlebt,  abgesehen  von  einigen  geburtshilf- 
chen  Erfahrungen,  die  unter  besonders  ungünstigen  Verhält- 
issen,  wie  in  den  Tropen,  gesammelt  worden  sind.  Es  ist 
aher  bedauerlicherweise  im  Augenblick  wieder  Gelegenheit 
egeben,  diesem  furchtbaren  Leiden  grössere  Aufmerksamkeit 
u  \y  idmen  und  sich  in  das  Studium  der  Erkrankung  mehr  zu 
ertiefen.  Die  aus  verschiedenen  Lazaretten  einlaufenden  Be- 
icntc  erzählen  fast  ausnahmslos  von  mehr  oder  weniger  zahl- 
Hohen  Erkrankungen  an  Starrkrampf.  Es  dürfte  deshalb  ge- 
iss  von  Interesse  sein,  über  dieses  Kapitel  einige  Worte  zu 
agen.  Mit  Rücksicht  auf  die  praktischen  Bedürfnisse,  be- 
jnders  des  Eeldarztes,  sollen  jedoch  nur  einige  wesentliche 
unkte  hervorgehoben  werden. 

Wie  bei  allen  Infektionskrankheiten  ist 
uch  beim  Wundstarrkrampf  die  Prophylaxe 
on  allergrösster  Bedeutung.  Sie  kann  eine  1  o  - 
a  1  e  und  eine  allgemeine  sein.  Die  lokale  Vor- 
;ugung  hat  sich  mit  der  Wunde  zu  beschäftigen.  Für 
riegsverletzungen  ist  erfahrungsgemäss  die  Verunreinigung 
irch  eingedrungene  Fremdkörper  und  Bestandteile  des 
r  d  b  o  d  e  n  s,  sowie  durch  P  f  e  r  d  e  m  i  s  t  besonders  gross, 
s  ist  eine  altbekannte  Tatsache,  dass  man 
iner  Wunde  niemals  ansehen  kann,  ob  sie  den 
rreger  des  Starrkrampfes  beherbergt  oder 
icht.  Ich  brauche  nicht  an  die  zahlreichen  Erfahrungen 
r  rriedenspraxis  zu  erinnern,  bei  welchen  harmlose  oder 
tr  nicht  beachtete  Verletzungen  den  Ausgangspunkt  der  Er- 
ankung  bilden,  selbst  nachdem  die  Wunden  schon  vernarbt 
1C*-  E s  >st  in  erster  Li  nie  zu  bedenken,  dass 
erTetanusbazillus  kein  Eitererreger  ist  und 
i  s  i  c  h  z  u  keinerlei  Störung  der  Wundheilung 
J  führen  braucht.  Die  primäre  Versorgung  der  Kriegs- 
rletzungen  wird  aber  mit  Rücksicht  auf  die  Tetanusgefahren 
ic  besondere  Beachtung  verdienen.  Hierbei  gelten  dieselben 
undsätze.  die  auch  für  die  Zertrümmerungen  von  Körper- 
■en  in  Friedenszeiten  massgebend  sind:  möglichste 
p  r  e  i  n  f  a  c  h  u  n  g  e  n  der  Wund  Verhältnisse,  B  e  - 
- 1 1  i  g  u  n  g  aller  Buchten  und  eingedrungenen 
''emdkörper  und  Sorge  für  einen  guten  A  b  - 
u  ss  der  Wundsekrete. 

Diese  Forderungen  sind  relativ  einfach  zu  erfüllen  und 
nen  aus  dem  Rahmen  allgemein  chirurgischer  Grundsätze 
1 1  wesentlich  hinaus.  Viel  schwieriger  ist  die  Frage  der 
gemeinen  Prophylaxe  zu  beantworten,  welche 
einer  frühzeitigen  Anwendung  des  H  e  i  I  - 
r  u  ms  zu  bestehen  hat.  Schon  die  Auswahl  der 

)  VorKetragen  in  der  1.  Sitzung  der  Freien  militärärztlichen 

euiigung  zu  Erlangen. 


Wunden  begegnet  grossen  Schwierigkeiten.  Die  Be- 
dmgungen,  unter  welchen  die  Kriegsverletzungen 
entstehen,  sind  ja  annähernd  die  gleichen.  Immerhin  dürfte  es 
doch  möglich  sein,  eine  gewisse  Einschränkung  in  bezug  auf 
1  !.e  Wunden  gelten  zu  lassen,  die  als  wundstarrkrampfver¬ 
dächtig  anzusehen  sind.  Als  solche  wären  zu  bezeichnen 
sämtliche  buchtigen  Weichteil  -  und  Knochen¬ 
zertrümmerungen,  wie  sie  besonders  durch  Gra¬ 
naten,  dann  durch  Querschläger  von  Infanterie¬ 
geschossen  und  schliesslich  durch  Schrapnells  ent¬ 
stehen.  Mitgerissene  Kleider-  und  Wäschefetzen,  aufgerissene 
und  in  die  Wunde  eingedrungene  Erde,  sowie  durch  Fäulnis- 
ei  reger  bedingte  Gasbildung  ist  besonders  verhängnisvoll. 
Wunden,  die  durch  Ueberfahrenwerden  entstanden 
sind,  sind  an  zweiter  Stelle  zu  nennen.  Endlich  kommen  alle 
Verletzungen  durch  Huf  sch  lag  in  Betracht.  Selbstver¬ 
ständlich  werden  ausser  diesen  grösseren  Gruppen  eine  Reihe 
von  kleineren  Nebenverletzungen  auch  gelegentlich  zur  In¬ 
fektion  mit  Wundstarrkrampf  führen. 

Dass  durch  die  Anwendung  von  Heilserum  in  prophylak¬ 
tischer  Beziehung  sehr  viel  geleistet  werden  kann,  ist  über 
jeden  Zweifel  erhaben.  Es  gibt  kaum  ein  Kapitel  der  experi¬ 
mentellen  Therapie,  bei  welchen  es  im  Tierversuch  mit  solcher 
Exaktheit  gelingt,  die  Erkrankung  zu  verhüten  wie  beim  Te¬ 
tanus..  Eine  Diskussion  üb  er  die  Berechtigung 
dei  prophylaktischen  Anwendung  des  Serums 
ist  nach  dem  heutigen  Stand  der  wissen¬ 
schaftlichen  Erkenntnis  überflüssig.  Praktische 
Schwierigkeiten  ergeben  sich  nur  bei  der  Frage  nach  der  B  e  - 
Schaffung  des  immerhin  kostspieligen  Heilmittels,  das 
natürlich  in  grössten  Mengen  zur  Verfügung  stehen  müsste. 
Ein  Ausweg  in  diesem  Dilemma  ist  vielleicht  auch  für  andere 
Orte  durch  denselben  Weg  möglich,  der  in  Erlangen  durch 
die  Initiative  des  Herrn  Generalarzt  P  e  n  z  o  1  d  t  eingeschlagen 
wurde:  Eine  kurze  orientierende  Bemerkung  in  den  Tages¬ 
blättern  hat  die  Aufmerksamkeit  der  allgemeinen  Liebes¬ 
tätigkeit  in  solcher  Weise  für  die  Tetanusfrage  erweckt,  dass 
in  kurzer  Zeit  hier  recht  ansehnliche  Summen  zur  Bekämpfung 
des  Wundstarrkrampfes  zur  Verfügung  stehen.  Es  ist  daher 
möglich,  bei  den  als  verdächtig  anzunehmenden  Wunden  eine 
aussichtsreiche  Behandlung  einzuleiten,  über  welche  dann 
auch  wertvolle  Erfahrungen  gesammelt  werden  können.  Was 
die  praktische  Anwendung  des  Heilserum  anlangt,  so  ist  diese 
selbstverständlich  noch  vor  Ausbruch  der  Erschei¬ 
nungen  durchzuführen.  Am  besten  würde  sich  empfehlen, 
die  schützenden  Einspritzungen  unter  die  Haut  zu 
machen,  da  auf  diesem  Wege  ein  Impfschutz  erzielt  werden 
soll,  der  etwa  2  Wochen  dauert.  Es  ist  dringend  zu  raten, 
n  i  ch  t  z  u  wenig  Serum  zu  geben,  da  nach  den  Erfahrungen, 
besonders  ausländischer  Autoren,  unbedingt  möglichst 
grosse  Serummen' gen  notwendig  sind.  Man  wird  also 
nicht  mit  20  Antitoxineinheiten  sich  beruhigen,  wie  sie  in  den 
Erläuterungen  der  käuflichen  Serumpräparate  empfohlen 
werden,  sondern  am  besten  mit  100  A.E.  beginnen.  Ob  es  ge¬ 
lingt,  den  Ausbruch  der  Erkrankung  dadurch  vollständig 
hintanzuhalten,  ist  eine  miissige  Frage.  Man  wird  jedesmal 
mit  der  Zahl  der  eingedrungenen  Keime  und  mit  ihrer  Viru¬ 
lenz  rechnen  müssen,  zu  deren  Beurteilung  uns  jeder  Mass¬ 
stab  fehlt.  Dass  1  e  i  c  h  t  e  r  e  Infektionen  dadurch  verhütet 


2046 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  40. 


werden  können,  steht  nach  den  Erfahrungen  im  Tierexperiment 
einwandfrei  fest.  Wenn  es  aber  bei  schweren 
Fällen  gelingt,  durch  frühzeitige  Serum  ein- 
spritzungen  den  Ausbruch  der  Erkrankung 
hinauszuschieben  oder  den  Verlauf  derselben 
zu  mildern,  so  ist  damit  für  diemenschliche 
Pathologie  ausserordentlich  viel  gewonnen. 

Ueber  den  Erreger  und  seine  biologischen 
Eigenschaften  brauche  ich  nicht  viel  Worte  zu  machen. 
Es  ist  bekannt,  dass  er  ein  obligater  Anaerobier  und 
reiner  Toxinbildner  ist.  Die  grösste  Mehrzahl  der 
Keime  bleibt  zweifellos  an  Ort  und  Stelle;  es  liegen  jedoch 
auch  Befunde  vor,  welche  die  Erreger  im  Blut,  in  Lymph- 
drüsen  und  parenchymatösen  Organen  fanden. 

Praktisch  von  grösster  Bedeutung  ist  die 
Art  der  Giftleitung  im  Organismus.  Wir  wissen 
aus  zahlreichen  Erfahrungen,  dass  das  Toxin  im  Blut,  im 
Liquor  und  in  der  Lymphflüssigkeit  vorhanden  sein 
muss.  Ebenso  sicher  ist  jedoch,  dass  die  Haupt¬ 
masse  des  Giftes  durch  die  Muskelnerven  ge¬ 
leitet  wird.  Besonders  die  neuen  Untersuchungen  von 
P  e  r  m  i  n  haben  ältere  Experimente  in  einwandfreier 
Weise  bestätigt.  Die  Giftleitung  geht  ausserordentlich  rasch 
im  Nerven  vor  sich,  so  dass  nur  die  periphersten  Abschnitte 
desselben  und  auch  nur  kurze  Zeit  nach  der  Infektion  im  Tier¬ 
versuch  noch  als  gifthaltig  nachzuweisen  sind.  Sowohl 
das  im  Nerven  geleitete,  wie  das  in  die  Körper¬ 
säfte  gelangte  Toxin  wird  im  Rückenmark 
verankert.  Diese  Verankerung  ist  infolge  der 
ausserordentlich  starken  Affinität  der  Vor¬ 
derhornzellen  zu  dem  Toxin  eine  sofeste,  dass 
sie  nach  dem  heutigen  Stand  unserer  Thera¬ 
pie  nicht  mehr  zu  sprengen  ist.  In  dieser  Tatsache 
liegen  auch  die  Grenzen  der  Leistungsfähigkeit 
unserer  Behandlungsmethoden  enthalten.  Die  Art,  in  welcher 
das  Rückenmark  auf  die  Vergiftung  reagiert,  ist  bekannt.  Für 
den  Menschen  entwickelt  sich  das  Symptomenbild  des  Starr¬ 
krampfes  in  der  Regel  in  derselben  Weise.  In  schweren 
Fällen  kommt  es  sehr  rasch  nach  den  ersten  Prodromen  zu 
dem  trostlosen  Krankheitsbild,  dessen  Einzelheiten  allgemein 
bekannt  sind. 

Hervorzuheben  sind  gewisse  Initialerschein un- 
g  e  n,  deren  Bedeutung  nicht  immer  entsprechend  gewürdigt 
werden.  Hier  sind  in  erster  Linie  zu  nennen,  die  fast  nie 
fehlenden  Schluckbeschwerden,  bei  vollkommen  nega¬ 
tivem  Befund  im  Rachen.  Sie  werden  sehr  häufig  als  eine 
beginnende  Angina  beurteilt  und  erst  wenn  die  bedrohlichen 
Erscheinungen  des  fortgeschrittenen  Tetanus  auftreten,  z  u 
spät  richtig  beurteilt.  Schluckbeschwerden  bei 
der  vorhandenen  Möglichkeit  einer  Tetanus¬ 
infektion  sind  daher  immer  sehr  ernst  zu  be¬ 
urteilen  und  erfordern  eine  unausgesetzte 
Ueb erwach  ung  des  Kranken  und  eine  sofor¬ 
tige  Einleitung  einer  energischen  Serum¬ 
behandlung.  Als  zweites  Symptom  ist  der  Trismus 
zu  erwähnen,  der  jedoch  schon  zum  Bild  des  a  u  s  ge¬ 
hr  o  c  h  c  n  e  n,  wenn  auch  beginnenden  Starrkrampfes 
gehört.  Entwickeln  sich  dann  rasch  allgemeine 
Krämpfe  und  die  unabhängig  von  diesen  vor¬ 
handene  M  u  s  k  e  1  s  t  a  r  r  e,  dann  ist  an  der  ganzen  Dia¬ 
gnose  auch  für  den  Unerfahrenen  kein  Zweifel  mehr  und 
kommen  unsere  Heilbestrebungen  bei  kurzer  Inkubation 
recht  häufig  zu  spät.  Bemerkenswert  ist  noch  eine 
Tatsache,  die  besonders  in  solchen  Fällen  beobachtet 
werden  kann,  bei  welchen  sich  der  Starrkrampf  nach 
längerer  Inkubation  oder  in  milderer  Form 
entwickelt.  Hier  sieht  man  Krämpfe  und  Starr¬ 
heit  der  Muskulatur  in  vollkommener  Be¬ 
schränkung  auf  die  verletzte  Extremität  oder 
auf  einzelne  Teile  der  Muskulatur.  Es  ist  dies 
das  Bild  des  lokalen  Tetanus,  das  viel  zu  wenig  be¬ 
kannt  und  beobachtet  ist,  das  wir  aber  bei  unseren  Fällen  im 
hiesigen  Reservelazarett  schon  wiederholt  mit  und  ohne  Tris¬ 
mus  beobachten  konnten.  Im  Tierexperiment  spielt  der 
lokale  Tetanus  eine  viel  grössere  Rolle  und  war  er  Ver¬ 


anlassung  zu  einer  Reihe  von  theoretischen  Erwägungen  und 
Diskussionen,  deren  Einzelheiten  hier  keinen  Platz^  haben. 
Beim  Menschen  wurde  sein  Vorkommen  lange  Zeit  be¬ 
zweifelt.  Es  ist  jedoch  ganz  sicher,  wie  auch 
unsere  Fälle  wieder  lehren,  dass  er  auch  hier 
vorkom  m  t.  Dass  er  bisher  so  selten  beobachtet  wurde, 
liegt  nur  daran,  dass  nicht  genügend  darauf  geachtet  wurde 
und  dass  er  in  den  schweren  Fällen,  wie  P  e  r  m  i  n  ganz 
richtig  hervorhebt,  sehr  rasch  im  allgemeinen  Krankheitsbild 
verschwindet. 

Die  Inkubation  des  Tetanus  ist  ausserordentlich  ver¬ 
schieden.  Es  kommen  Fälle  vor,  bei  denen  die  Verletzung  nur 
einige  Stunden  zurückliegt  und  unter  stürmischer  Auf¬ 
einanderfolge  der  Erscheinungen  in  ebenso  kurzer  Zeit  der 
Tod  erfolgt.  Im  allgemeinen  gilt  immer  noch  der  schon  längst 
bekannte  Grundsatz,  dass  je  k  ii  r  z  e  r  die  Pause  zwischen  dei 
Verletzung  und  dem  Ausbruch  der  Erkrankung  ist,  um  sc 
schwerer  der  Verlauf  derselben  sich  gestaltet  und  um  sc 
geringer  die  Aussichten  sind,  eine  Heilung  zu  erzielen 
Man  kann  sagen,  dass  alle  Fälle  mit  einer  In¬ 
kubation  unter  8  bis  10  Tagen  prognostiscl 
sehr  ungünstig  sind  und  eine  Sterblichkeitsziffer  vor 
durchschnittlich  80—90  Proz.  ergeben.  Jenseits  der  zweiter 
Woche  liegen  die  Verhältnisse  viel  günstiger,  allein  es  kommer 
auch  in  dieser  Gruppe  Fälle  vor,  bei  denen  eine  plötzliche 
Steigerung  der  Erkrankung  eintritt  und  ein  rascher  Tod  er 
folgt.  Während  die  Serumbehandlung  in  der  erster 
Woche  daher  keine  sehr  erfreuliche  Verbesserung  der  Mor 
talität  ergeben  hat,  sind  die  Resultate  der  Therapie  in  de: 
zweiten  Woche  schon  erheblich  besser  und  augenfälliger. 

Was  nun  die  B  e  h  a  n  d  1  u  n  g  des  Tetanus  anlangt,  so  ha 
sie  ebenfalls  eine  lokale  und  eine  allgemeine  zu  sein 
Die  örtliche  Behandlung  der  Wunden  im  allgemeinen  habei 
wir  bei  den  Erörterungen  über  die  Prophylaxe  kurz  in  der 
wesentlichsten  Punkten  skizziert.  Es  ist  namentlich  in  frühere 
Zeit  vielfach  empfohlen  worden,  die  Wunden  auszuschneiden 
die  Extremitäten  zu  amputieren  und  auf  diese  Weise  den  Er 
reger  radikal  zu  entfernen.  Schon  die  Erfahrung  der  F  r  i  e 
denspraxis  haben  gezeigt,  dass  wir  damit  in  der  Bekamp 
fung  schwerer  Infektionen  nicht  weiter  kommen.  NacI 
unseren  experimentellen  Erfahrungen  wissen  wir,  dass  di« 
Giftleitung  in  Nerven  so  rasch  und  gründlich  vor  sich  geht 
dass  wir  mit  verstümmelnden  Operationen  höchstens  di* 
weitere  Giftzufuhr  unterbrechen  können.  Dazu  geben  un 
jedoch  die  Massnahmen  kein  Recht,  die  es  uns  ermöglichen 
eine  Giftsperrung  auf  anderem,  rationellem  Weg' 
herbeizuführen.  Interessant  sind  in  dieser  Beziehung  Ver 
suche  amerikanischer  Autoren,  welche  bei  50  Meerschwein 
chen,  30  Hunden  und  10  Schafen  gemacht  wurden,  um  dei 
Wert  der  Amputation  als  solcher  festzustellen.  Sofort,  nach 
dem  die  ersten  Erscheinungen  von  Starrkrampf  auftraten,  ward 
den  Tieren  der  infizierte  Schweif  abgenommen  und  zwar  ohn 
jede  weitere  spezifische  Behandlung.  Tiere,  die  ampu 
t  i  e  r  t  wäre  n,  starben  in  derselben  Zeit  un’ 
unter  den  gleichen  Symptomen,  wie  solch, 
die  nicht  amputiert  waren.  Die  Operation  als  solch 
hat  somit  keinerlei  Einfluss  auf  den  Krankheitsverlauf  auf 
zuweisen.  Eine  gewisse  Berechtigung,  kleinere  Körperteil', 
wie  z.  B.  zertrümmerte  Finger  wegzunehmen,  wird  nieman 
leugnen.  Aber  auch  die  Erfahrungen  in  unserem  Reserve 
lazarett  haben  uns  wieder  gezeigt,  dass  in  zwei  schwere 
Fällen  auch  bei  sofortiger  Beseitigung  der  Infektionsstelle  de 
tödliche  Verlauf  der  Erkrankung  nicht  abzuwenden  wai 
Was  die  örtlichen  Einspritzungen  von  Heil 
serum  anlangt,  so  kann  man  sich  davon  nicht  mehr  Erfol 
versprechen  als  von  Injektionen  an  anderen  Körperstellet 
Die  Anwendung  von  Trockenserum  als  Streupulver  fü 
die  Wunden  und  von  Salben,  die  mit  Antitoxin  bereitet  situ 
verspricht  auch  wenig  Erfolg,  besonders  wenn  man  an  dt 
Zertrümmerungen  mit  starker  Eiterung  und  dem  starken  Saft 
ström  nach  aussen  denkt. 

Was  die  allgemeine  Behandlung  anlangt,  so  b 
zunächst  über  die  Art  der  Applikation  des  Serum 
einiges  zu  sagen.  Die  subkutane  Anwendung  ist  emi 
fchlenswert,  aber  in  allen  Fällen,  bei  denen  eine  rasche  un 


6.  Oktober  1914. 


Fcldärztliche  Beilage  zur  Miineh.  med.  Wochenschrift. 


intensive  roxinabsättigung  und  Giftsperrung  erwünscht 
ist.  durch  weit  bessere  Methoden  zu  ersetzen.  Wenn  wir 
uns  an  die  I  atsache  lmlten.  dass  das  (iift  nur  zum  geringe- 
ren  Teil  durch  die  K  ö  r  p  e  r  f  1  ü  s  s  i  g  k  e  i  t  e  n,  zum  weitaus 
grössten  Teil  du rch  die  Bahnen  der  Muskelner- 
ven  nach  den  Zentralorganeil  gelangt,  so  hat  die  Therapie 
zwei  Wege  einzuschlagen.  Die  Absättigung  des  im 
Kreislauf  zirkulierenden  Toxins  wird  am 
besten  durch  intravenöse  Einspritzungen 
garantiert.  Dafür  sprechen  auch  alle  günstigen  Er¬ 
fahrungen  neuerer  Autoren  in  hervorragendem  Masse  Die 
Einspritzung  soll  im  Einzelfall  nicht  unter  100  Anti- 
Einheiten  gehen  und  nach  Bedarf  mehrmals  täglich  wieder¬ 
holt  werden.  Ueber  die  Menge,  welche  schadlos  in  den 
Kreislauf  eingeführt  werden  kann,  belehren  uns  auch  wieder 
die  Mitteilungen  amerikanischer  Forscher,  welche  im  Verlauf 
von  wenigen  lagen  mehrere  100  000  Einheiten  verabreichten 
und  in  schweren  Fällen  dadurch  gute  Resultate  erzielten. 
Praktisch  sind  wohl  diese  Forderungen  für  unsere  Verhältnisse 
itn  allgemeinen  nicht  durchführbar,  da  sie  stets  an  der  Kosten¬ 
frage  scheitern  werden.  Das  artfremde  Serum,  das  mit  dem 
Tetanusantitoxin  einverleibt  wird,  kommt  aus  der  Blutbahn 
zweifellos  sehr  rasch  wieder  zur  Abscheidung. 

Handelt  es  sich  darum,  der  zweiten  Forderung  gerecht 
zu  werden,  und  die  Giftzufuhr  im  Nerven  zu  sper¬ 
re  n,  so  ist  dieser  Weg  experimentell  von  Mayer  und  R  a  n  - 
so m  u.  a.  mit  grösstem  Erfolg  beschritten  und  durch  Küster 
benn  Menschen  zum  erstenmal  als  Methode  empfohlen  worden. 
Ueber  die  theoretische  Berechtigung  dieser  endoneu- 
ralen  Antitoxinbehandlung  ist  gar  kein  Zweifel  möglich. 
Ebenso  so  sicher  ist  es  aber,  dass  sich  für  die  Praxis  un¬ 
überwindliche  Schwierigkeiten  entgegenstellen  können.  Man 
denke  an  die  Zertrümmerung  einer  Extremität,  bei  der  sämt¬ 
liche  Nervenstämme  als  Giftleiter  in  Betracht  kommen  und 
bei  der  es  unter  diesen  Voraussetzungen  nur  möglich  wäre, 
rationell  vorzugehen,  wenn  man  den  Plexus  mit  seinen  Wur¬ 
zeln  in  Angriff  nehmen  würde.  Für  menschliche  Verhältnisse 
bedeutet  dies  eine  Komplikation  von  unter  Umständen 
schweren  Folgen,  und  eine  Forderung,  die  aus  anatomischen 
Gründen  in  den  meisten  Fällen  kaum  so  zu  erfüllen  ist,  wie  man 
es  nach  den  Erfahrungen  im  Tierexperiment  verlangen  müsste. 
Nun  sind  wir  durch  Permins  ausgezeichnete  Unter¬ 
suchungen  in  der  Lage,  durch  die  intralumbale  An¬ 
wendung  des  Serums  eine  Sperrung  des  Gif¬ 
tes  an  den  N  e  r  v  e  n  w  u  r  z  e  1  n  des  Rückenmarks 
fu  erzielen,  welche  der  endoneuralen  Wir¬ 
te  u  n  g  o  f  f  e  n  b  a  r  gleichkommt.  Die  Wirksamkeit  der 
Einspritzungen  von  Serum  in  den  Rückenmarkskanal  ist  ge¬ 
wiss  schon  längere  Zeit  bekannt.  Es  fehlte  jedoch-  bisher  eine 
exakte  experimentelle  Begründung.  Nach  den  genannten 
Untersuchungen  kann  man  die  Duralinfusion  zur  Me¬ 
thode  erheben  und  ihre  Anwendung  in  gröss¬ 
tem  Umfangenurwarm  empfehlen.  Die  spärlichen 
bisher  vorliegenden  Erfahrungen  von  verschiedensten  Seiten 
lauten  zweifellos  g  ü  n  s  t  i  g. 

Was  die  Technik  dieser  Behandlungsart  betrifft,  so 
wird  man  in  den  meisten  Fällen  zur  Lumbalpunktion  eine 
leichte  Narkose  nicht  umgehen  können,  um  die  Starre  der 
Kückenmarksmuskulatur  zu  lösen.  Es  empfiehlt  sich  sodann 
nach  Entleerung  von  etwa  15  ccm  Liquor  mindestens  100  A.E. 
langsam  in  den  Wirbelkanal  einfliessen  zu  lassen.  Sehr 
wichtig  ist  es,  nach  der  Injektion  den  Kranken 
;s  0  z  u  lagern,  dass  der  Kopf  tief  und  die  Beine 
noch  liegen,  damit  eine  möglichst  ausgiebige 
Riffusion  des  Serums  im  Rückenmark  statt- 
tinden  kann.  Auch  diese  Injektionen  können  am  Tage,  je 
nach  der  Schwere  des  Falles  öfters  wiederholt  werden  oder 
bei  den  Einzeleinspritzungen  grössere  Dosen  zur  Verwendung 
kommen.  Eine  unmittelbare  Beeinflussung  der  Krämpfe 
und  der  Muskelstarre  kann  man  nicht  beobachten.  Man 
^ann  sie  jedoch  auch  nicht  erwarten,  weil  die  Injek¬ 
tionen  lediglich  die  Zufuhr  weiteren  Gift¬ 
stoffes  abzuschneiden  haben. 

Die  übrigen  Applikationsformen  des  Serums  treten  diesen 
■>eiden  durchaus  rationellen  Verfahren  gegenüber  vollkommen 


2047 


in  den  Hintergrund.  Nur  die  intramuskuläre  Einver¬ 
leibung  verdient  noch  eine  gewisse  Beachtung;  es  ist  jedoch 
fraglich,  ob  sie  mehr  leistet  als  die  intravenöse.  Nach  dem 
Ergebnis  der  Statistiken  muss  man  direkt  warnen  vor  intra¬ 
zerebralen  Einspritzungen,  welche  zweifellos  die  Sterblich¬ 
keitsziffer  erhöht  haben. 

Neben  der  Serumbehandlung  spielt  bei  der 
allgemeinen  Iherapie  des  Tetanus  eine 
grosse  Rolle  die  Bekämpfung  der  Krämpfe. 
Darüber  besteht  kein  Zweifel,  dass  die  meisten  Kranken  an 
Erschöpfung  zugrunde  gehen,  wenn  sie  nicht  an  Glottis¬ 
krämpfen  oder  Krämpfen  der  Atemmuskulatur  ersticken. 
Dass  das  Serum  keine  Heilwirkung  den 
Krämpfen  gegenüber  besitzt,  sondern  nur  zur 
Paralysierung  weiterer  Gift  mengen  dienen 
kann,  ist  ein  Punkt,  über  den  man  sich  tliera- 
p  e  u  t  i  sc  h  vollkommen  klar  sein  muss.  Was  nun 
zur  Bekämpfung  der  Krämpfe  herangezogen  wird,  bleibt  voll¬ 
kommen  der  Vorliebe  des  Einzelnen  überlassen.  Man  hat 
hici  von  der  Anwendung  der  Narkose  bis  zu  den  einfachen 
Morphium  injektionen  den  weitesten  Spielraum.  Wir 
pflegen  Morphium  2 — 3  stündlich  zu  verabreichen  und  für  die 
Nacht  ausserdem  5  g  Chloralhydrat  rektal  zu  geben.  Dass 
der  Kranke  zu  isolieren  und  von  allen  äusseren  Reizen  streng¬ 
stens  fern  zu  halten  ist,  ist  eine  alte  und  auch  heute  noch  voll¬ 
kommen  berechtigte  Forderung. 

Wenn  man  sich  im  ganzen  über  die  Leistung sfähig- 
keit  der  Serumbehandlung  des  ausgebroche¬ 
nen  Tetanus  Rechenschaft  ablegt,  so  sind  die  Resultate  für 
kurze  Inkubationszeiten  immer  noch  sehr  schlecht.  Man  kann 
daher  darüber  streiten,  ob  es  überhaupt  einen  Zweck  hat,  bei 
kurzfristigen  Erkrankungen  mit  Heilserum  vorzugehen.  In 
einer  Statistik  von  Per  min  wird  immerhin  angegeben,  dass 
auch  bei  einer  Inkubation  bis  zu  10  Tagen  durch  die  Serum¬ 
behandlung  die  Sterblichkeitsziffer  von  95  Proz.  auf  73  Proz. 
gedrückt  worden  ist.  Dass  bei  einer  Inkubation  über  10  Tage 
der  Einfluss  des  Heilserums  ein  weit  besserer  ist,  geht  aus  der 
gleichen  Statistik  hervor,  in  welcher  die  Mortalität  von 
70  Proz.  auf  40  Proz.  gesunken  ist. 

Zum  Schluss  noch  einige  Worte  über  zwei  besondere  Heil¬ 
bestrebungen,  welche  in  neuerer  Zeit  viel  von  sich  reden 
machen. 

Die  Magnesium  Sulfatbehandlung,  welche  von 
Meitzer  und  Auer  aufgebracht  und  empfohlen  wurde,  hat 
in  einzelnen  Fällen  sicher  eine  günstige  Wirkung  gezeitigt. 
Nach  meinen  persönlichen  Erfahrungen  kann  ich  sie  nicht 
sehr  empfehlen.  Wir  haben  ebenso  wie  andere  Autoren  zwar 
eine  gute  und  fast  augenblickliche  Beeinflussung  der 
Krämpfe,  andererseits  aber  so1  schwere  Atemstörun- 
g  e  n  gesehen,  dass  stundenlange  künstliche  Atmung  not¬ 
wendig  war.  Zur  Bekämpfung  derselben  ist  ja  die  Tracheo¬ 
tomie  und  Sauerstoffinsufflation  nach  Kocher  ein  Ausweg 
oder  die  Auswaschung  des  Lumbalsackes  nach  Arnd. 
Die  Methode  ist  noch  so  wenig  spruchreif,  dass  sie 
zur  allgemeinen  Anwendung  sich  nicht  recht  eignet.  Zu 
bemerken  ist,  dass  man  ja  von  ihr  keine  Heilwirkung  auf  die 
Tetanusinfektion  erwarten  kann,  sondern  lediglich  eine  Unter¬ 
brechung  der  Krämpfe,  die  durch  einfachere  und  weniger 
radikale  Mittel  erzielt  werden  kann.  Auch  im  Tierexperi- 
m  ent  zeigte  sich,  dass  die  meisten  Tiere  entweder  doch  an 
Starrkrampf  oder  an  Magnesiumsulfatvergiftung  sterben. 

Die  Karbolbehandlung  nach  Baccelli  verdient 
keine  ernste  Berücksichtigung.  Das  Phenol  kommt  als  Heil¬ 
mittel  ebenfalls  nicht  in  Betracht.  Seine  Wirksamkeit  als 
Sedativum  wird  zweifellos  von  allen  anderen  narkotischen 
und  hypnotischen  Mitteln  übertroffen.  Dass  cs  auch  im  Tier¬ 
experiment  vollkommen  wirkungslos  ist,  bedarf  keiner  Aus¬ 
führung.  Die  glänzenden  Statistiken,  namentlich  italienischer 
Beobachter,  sind  damit  zu  erklären,  dass  es  sich  meist  um 
Fälle  mit  verzögerter  Inkubation  handelt,  und  dass  der  Tetanus 
in  Italien  an  und  für  sich  viel  milder  verläuft,  da  dort  nach 
Rose  nur  eine  Mortalitätsziffer  von  20  Proz.  besteht.  Diese 
Zahl  bezieht  sich  auf  Beobachtungen,  welche  sogar  aus  einer 
Zeit  stammen,  in  der  das  Heilserum  noch  nicht  angewendet 
wurde. 


2048 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  40. 


Aus  der  chirurgischen  Universitätsklinik  zu  Zürich 
(Direktor  Professor  Dr.  F.  S  a  u  e  r  b  r  u  c  h). 

Die  Behandlung  schwerster  Atmungskrämpfe  beim 
Tetanus  durch  doppelseitige  Phrenikotomie. 

Von  Dr.  W.  J  e  h  n,  Assistenzarzt  der  Klinik. 

Eine  der  häufigsten  Todesursachen  bei  schweren  Formen 
des  Tetanus  ist  die  Erstickung.  Die  schwere  Allgemeinintoxi¬ 
kation  mit  ihren  Folgen  tritt  gegenüber  der  rein  mechanischen 
Wirkung  der  Krämpfe  der  Atemmuskulatur  zurück.  Das 
Zwerchfell  steht  krampfhaft  zusammengezogen  in  maximaler 
Inspirationsstellung,  die  Interkostalmuskulatur  und  die  vom 
Halse  an  den  Brustkorb  herantretenden  Hilfsmuskeln,  die  selbst 
tetanisch  kontrahiert  sind,  halten  den  knöchernen  Thorax  eben¬ 
falls  in  ausgesprochener  Inspirationsstellung  fixiert.  Aktive 
oder  reflektorische  Bewegungen  des  Zwerchfells  und  der 
Rippen  mit  entsprechender  Veränderung  des  Volumens  der 
Lunge  sind  somit  ausgeschlossen.  Der  Gasaustausch  wird 
unmöglich  und  die  Gefahr  der  Erstickung  tritt  ein. 

Zur  Bekämpfung  solcher  lebensbedrohenden  Zustände 
stehen  uns  eine  Reihe  von  narkotischen  Mitteln  und  vor  allen 
Dingen  die  künstliche  Atmung  zur  Verfügung.  Bei  voll¬ 
ständiger  Ausschaltung  der  Lunge  aus  ihrer  Tätigkeit  wirken 
die  Narkotika  zu  langsam  oder  zu  unsicher.  Eine  Allgemein¬ 
narkose,  die  bei  nicht  vollständiger  Fixation  des  Thorax  und 
noch  vorhandenen  kleinen  Atemschwankungen  den  Krampf 
noch  lösen  könnte,  wird  technisch  unmöglich,  wenn  eine  abso¬ 
lute  Thoraxstarre  eingetreten  ist.  Die  künstliche  Atmung, 
welche  bei  den  meisten  anderen  Formen  des  Atmungsstill¬ 
standes  uns  die  grössten  Dienste  leistet  und  in  selbst  ver¬ 
zweifelten  Fällen  das  Leben  erhalten  kann,  versagt  bei  diesen 
tetanischen  Atmungskrämpfen  vollständig. 

Aus  mechanischen  Gründen  ist  die  künstliche  Lüftung  der 
Lunge  bei  ihnen  unmöglich  geworden.  Die  krampfhafte  Kon¬ 
traktion  der  Atmungsmuskulatur  bewirkt,  dass  der  vorher  frei 
bewegliche  Thorax  starr  und  unnachgiebig  wird.  Seine  Wan¬ 
dungen  lassen  keine  Stellungsänderung  mehr  zu.  Das  Zwerch¬ 
fell  begrenzt  von  unten  wie  eine  starre  unbewegliche  Platte 
den  Brustkorb,  die  knöchernen  Teile  desselben  umschliessen 
die  Lunge  nach  oben  zu. 

Da  eine  jede  Volumsschwankung  der  Lunge  eine  Beweg¬ 
lichkeit  des  Thorax  bzw.  des  Zwerchfells  zur  Voraussetzung 
hat,  muss  bei  dieser  absoluten  Starre  der  Thorax  auch  die  ge¬ 
ringste  künstliche  Volumsveränderung  der  Lunge  ausge¬ 
schlossen  sein.  Selbst  unter  Anwendung  höchster  Druckwerte 
würde  die  Lunge  nicht  stärker  gebläht  werden  können,  da 
weder  Brustkorb  noch  Zwerchfell  eine  solche  Erweiterung  der 
Lunge  zulassen  werden.  Umgekehrt  ist  die  Rückkehr  aus  der 
Inspirationsstellung  in  die  Exspirationsstellung  ebenfalls  in¬ 
folge  der  Unbeweglichkeit  des  Brustkorbes  und  des  Zwerch¬ 
fells  ausgeschlossen.  So  ist  es  leicht  zu  verstehen,  dass  die 
künstliche  Atmung  bei  diesen  Zuständen  absoluter  Atem¬ 
lähmung  keinen  Nutzen  haben  kann.  Die  Kranken  gehen  an 
Erstickung  zugrunde. 

Die  Erkenntnis,  dass  der  Erstickungstod  selbst  dann  ein- 
treten  kann,  wenn  die  Gesamtintoxikation  keineswegs  so 
schwer  ist,  dass  der  Kranke  an  ihr  zugrunde  geht,  ist  für  die 
Behandlung  schwerster  Formen  von  Tetanus  von  grundlegen¬ 
der  Bedeutung.  Gelingt  es,  den  Krampf  zu  lösen,  so  ist  die 
Möglichkeit,  dem  Kranken  das  Leben  zu  erhalten,  gegeben. 

Wie  ich  schon  oben  ausführte,  versagen  die  gewöhnlichen 
Hilfsmittel  in  solchen  Fällen  stets.  Eine  wirksame  künstliche 
Atmung  kann  erst  dann  eintreten,  wenn  es  gelingt,  die  mecha¬ 
nischen  Vorbedingungen  für  eine  Lüftung  der  Lunge  zu 
schaffen,  d.  h.  die  Starre  des  Thorax  und  des  Zwerchfells  zu 
lösen. 

Im  Tierexperiment  würde  diese  Aufgabe  leicht  zu  erfüllen 
sein  durch  Mittel,  die  eine  Lähmung  der  Muskulatur  herbei¬ 
führen.  Kurare  ist  beim  Menschen  jedoch  nicht  zu  verwenden; 
Magncsiumsulfat  ist  unsicher  in  seiner  Dosierung  und  Wirkung. 
Wenigstens  haben  wir  an  unserer  Klinik  bisher  wohl  nur  vor¬ 
übergehenden  aber  keinen  dauernden  Nutzen  von  ihm  gesehen. 
Abgesehen  davon,  dass  diese  Mittel  in  ihrer  pharmakologischen 
Wirkung  unberechenbar  sind,  dass  sie  schwere  Zustände,  ja 
sogar  den  Tod  herbeiführen  können, ‘wird  man  ihren  Wert 


gegenüber  einem  schweren  akuten  Erstickungsanfall  deshalb 
nicht  zu  hoch  anschlagen  dürfen,  weil  ihre  Wirkung  erst 
nach  geraumer  Zeit  eintritt.  Hier  kommt  es  aber  darauf  an. 
in  kürzester  Zeit  eine  Lösung  des  Krampfes  zu  erzielen,  bzw. 
die  Bewegungen  der  Lunge  unabhängig  vom  Brustkorb  zu 
machen. 

Diese  letztere  Aufgabe  könnte  sehr  leicht  gelöst  werden 
durch  das  Anlegen  eines  einfachen  oder  doppelseitigen 
Pneumothorax.  Die  Lunge  würde  sich  zusammenziehen  und  in 
extremster  Exspirationsstellung  verharren.  Durch  Anwendung 
der  Ueberdruckatmung  würde  sie  künstlich  gebläht  werden 
und  so  durch  rhytmische  In-  und  Exspiration  der  Gaswechsel 
der  Lunge  während  des  Krampfes  der  Atemmuskulatur  auf¬ 
recht  erhalten  werden  können. 

Die  Nachteile  dieses  Verfahrens  liegen  auf  der  Hand. 
Nach  Herstellung  eines  doppelseitigen  Pneumothorax  würde 
die  spontane  Atmung  nachher  ungenügend  werden.  Es  müsste 
die  künstliche  Atmung  daher  auch  noch  nach  Lösung  der 
Krämpfe  fortgesetzt  werden.  Die  Nachteile  einer  solchen 
unphysiologischen  Atmung  sind  ausführlich  von  Sauer- 
b  r  u  c  h  beschrieben  worden. 

Auf  andere  Weise  jedoch  lässt  sich  unter  Beibehaltung 
des  normalen  Blähungszustandes  der  Lunge  ein  ähnlicher 
Effekt  erzielen.  Sobald  es  gelingt,  die  untere  starre  Be¬ 
grenzung  des  Thorax  durch  das  Zwerchfell  zu  beseitigen, 
muss  durch  Anwendung  der  Ueberdruckatmung  die  Lunge 
gebläht  werden  können.  Durch  einen  relativ  einfachen 
Eingriff,  die  Phrenikotomie,  gelingt  es,  diesen  Atemmuskel 
vollständig  zu  lähmen.  Sofort  nach  der  Durchschneidung 
des  Nerven  tritt  der  vorher  starre  Muskel  aus  der  In¬ 
spirations-  in  die  Exspirationsstellung  und  wird  in  eine 
schlaffe  Membran  umgewandelt.  Vom  intrapulmonalen 
bzw.  intrabronchialen  Drucke  hängt  stets  seine  Stellung  ab. 
Nimmt  der  Druck  in  der  Lunge  zu,  so  weicht  der  Muskel 
nach  unten  aus,  um  wieder  in  die  Höhe  zu  steigen,  sobald  der 
Druck  im  Innern  der  Lunge  fällt  (Stürtz,  Sauerbruch, 
Walther,  Schepelmann  und  Friedrich). 

Aus  diesen  Erwägungen  heraus  entstand  mein  Vorschlag, 
durch  doppelseitige  Phrenikotomie  bei  einem  Tetanus  mit 
schwersten  Atmungskrämpfen  das  Zwerchfell  erschlaffen  und 
so  durch  Ueberdruckatmung  während  der  Erstickungsanfälle 
die  künstliche  Atmung  durchzuführen.  Alle  theoretischen  Be¬ 
denken  gegen  ein  derartiges  Vorgehen  mussten  im  Hinblick  auf 
den  schweren  Zustand  der  Kranken  zurücktreten,  um  so  mehr 
als  experimentelle  Untersuchungen  Sauerbruchs  gezeigt 
hatten,  dass  die  beiderseitige  Durchschneidung  des  Phrenikus 
vom  Tier  ohne  Störungen  vertragen  wurde. 

Am  12.  IV.  14  mittags  3  Uhr  wird  der  8  Jahre  alte  Knabe  W.  B. 
auf  die  chirurgische  Klinik  mit  der  Diagnose  Diphtherie  gebracht.  Er 
soll  am  9  IV.  14  erkrankt  sein  mit  Fieber,  Halsschmerzen  und  Er- 
stickungsanfällen,  die  den  einweisenden  Arzt  die  Diagnose  „diph¬ 
therische  Larynxstenose“  stellen  lassen.  Der  aufnehmende  Arzt  der 
Klinik  erkennt  jedoch  sofort,  dass  es  sich  nicht  um  eine  Diphtherie, 
sondern  um  einen  äusserst  schweren,  mit  schwersten  Zwerchfell¬ 
krämpfen  einhergehenden  Tetanus  handelt.  Kiefersperre,  Risus 
sardonicus,  Opisthotonus,  Streckkrämpfe,  sowie  Steifigkeit  der  ganzen 
Bauch-  und  Körpermuskulatur  verbunden  mit  Dyspnoe  und  Zyanose 
unter  maximalster  Inspirationsstellung  des  Thorax  lassen  unschwer 
die  Diagnose  Tetanus  stellen.  (Sofortige  Ordination  10  A.  E.,  Tetanus- 
antitoxin  subkutan,  2  g  Chloralhydrat.) 

Die  kurze  Untersuchung  des  Knaben  ergibt,  dass  er  am  rechten 
Oberschenkel  oberhalb  der  Patella  eine  trockene,  mit  Borken  belegte 
Wunde  hat,  über  deren  Alter  sein  Vater  und  er  nichts  angeben  können. 
Ueber  beiden  Unterlappen  der  Lunge  etwas  bronchitisches  Rasseln. 

Noch  während  der  Untersuchung  stellen  sich  kurz  hintereinander 
zwei  äusserst  schwere  Anfälle  ein:  der  Knabe  bekommt 
plötzlich  einen  Streckkrampf,  der  Thorax  ist  in 
maximalster  Inspirationsstellung  fixiert,  die 
Halsmuskulatur  und  das  Abdomen  sind  bretthart 
Das  Gesicht  wird  von  Sekunde  zu  Sekunde  zyano¬ 
tischer.  bis  es  tiefblaue  Farbe  erhält.  Die  Atmung 
ist  vollkommen  sistiert,  der  Puls  klein  und 
unregelmässig.  Dieser  Zustand  erhält  lebens¬ 
bedrohenden  Charakter,  um  so  mehr,  als  auf  der 
Höhe  der  Anfälle  Bewusstlosigkeit  eintritt.  Sie 
dauern  je  3 — 4  Minuten.  Der  Knabe  erholt  sich  je¬ 
doch  wieder,  verliert  seine  Dyspnoe,  atmet  ober¬ 
flächlich  und  beschleunigt,  ist  im  ganzen  sehr 
matt.  Er  klagt  über  Angstgefühl  und  Schmerzen  im 
i  Oberbauch  und  in  der  Brust. 


Oktober  1914. 


Fekiarztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift 


2049 


Da  setzt  ein  dritter,  noch  heftigerer  Anfall  ein.  von  dem  v:h 
er  Krane  nur  langsam  erholt.  Es  wird  daher  sofort  die  Operation 

sgerür_ 

Operation  i Prof.  Sanerb  roch):  Jodalkohoidestnfektion,  ruhige 

arertropfnarkose. 

1  Stta*K  am  Hmterrar.de  des  rechten  '•temoklefdomastoidec'. 

•  *  ehe  der  Possa  supraclavicula.*  ;.  wird  durchtrennt.  In  der 

;*e  -.et:  man  normal  Terlaofend  dt"  Nerves  phrenicus.  Er  wird 
f  em  Schieniäkv.heti  genommen  und  durchtrennt.  Subkutannaht. 

.yntaftt- 

—  Schnitt  am  hinteren  Rande  des  .  oker  htemofcleidoniastoideu' 
"cs  tmd  technisches  Vorgehen  wie  rechts. 

Sofort  nach  der  Operation  ändert  -..*  bei  gutem  Pols  der  Atem- 
.  pss.  Die  abdominale  Atmung  ist  mir  ar.xedetrtet  and  zwar  wird 
ei  der  Inspiration  die  Banchmosk.Iatnr  ei-gezogen.  bei  der  Ex- 
taton  r getrieben ;  dagegen  ist  die  Atmung  ausgesprochen  thora- 

««  geschieht  enter  maximale-"  Heber  des  oberer.  Thorax  - 
Schnittes  ad  starker  Kontraktion  der  Halsmuskulatnr.  40  Atem- 
‘•h®  .Hinote..  Sitzwache.  Tiege'sc.ter  Leberdruckapparat  in 

Der  Knabe  stert  nach  der  Operation  bis  gegen  Abend  unter 
■  sc*w Trier g  der  Narkose.  Er  hat  keine  Krämpfe  mehr.  Hegt  bei 
’im  Ptus  mr:g  zu  Bett.  Atmung  um  30  Züge  pro  Minute,  von  aus- 

.  Tt-  tcheaert  thorakalem  Charakter. 

-t  --  -  Nacht  .  g  Chloral.  rm  Verlauf  der  Nacht  3  kurzdauernde 

ramsche  Anfälle  ohne  Zyanose  und  Dyspnoe. 

13.  IV.  14.  Par  schläft  ruhig.  Temperatur  37.6.  Puls  IW.  voll. 
Leber  beiden  Unterbppca  brr.- .  -  -  - . 

-  Musch  e.  Trachealrasseln.  Par  hustet  aut  Aufforderung  hin.  wenn 
..uh  etwas  erschwerr  aus.  Im  Verlauf  des  Morgens  zwei  leichte 

mm  Arm  :  :  *  j  T;  .*  •. 

Mittags  3  Uhr:  Par  hegt  mit  leichtem  Opisthotonus  und  an- 
.z.tgecen  Beinen  zn  Bern  Baucfadecken  bretthart  gespannr  Risus 
rPtuBCus.  Trotz  K  :etersperre  Schhjcken  trog  er.  Atmung  thorakal. 

8  Hg  pro  Kate.  Aas  irw  Zen":  heraus  plötzlich  Anftrete 
ino  hyast  sefargn  Irtmahi  Anfalles,  der  dadurch  noch  h 
"teri  recrohJch  wird.  dass  Par  tief  zyanotisch  ist  und  nicht  atmer 
"  :rax  □  lusoiraronsste. run  g  hx: er"  Puls  klein,  irregulär.  Sofort 
tränen  Sauerst  otr  unter  3  um  V.  asserüh  erdrück  gegeben* 

-  tue  Maske  des  Apparates  rhythmisch  auf-  und  abgesetzr  Schon 

-  — “en  An  setzen  der  Maske  ändert  sich  die  Gesichtsfarbe  bei 
nahendem  schwerstem  Allgem entkrampf.  Pat.  atmet  noch  nicht 
mtan.  Künstliche  Atmung  wird  fortgesetzt  und  etwa  nach  dem 

Aur setzen  cer  Maske  hat  das  Gesicht  wieder  normale  Farbe.  Jetzt 
-t  s:cu  der  Akgememkramr"  und  der  Knabe  fängt  wieder  an  zu 
”  -t  c:e  Nacht  erhält  Pat.  1  g  CcloraL  Er  bat  w  ährend 
-ser  r  tetamsche  Anfähe  ehre  Dyspnoe. 

F«.  14:  Ah gemetrneünden  leidlich  rat.  Puls  leicht  irregulär. 

er  uue  Inhaheren. 

Der  weitere  '»erlauf  der  tetanische-  .Anfähe  gestaltet  sich  ty- 
iscb.  Wätad  der  ri  *■-  ginnen  12 

—  Diese  stell  ec  zwei  Typen  dar.  9  davor  sind  äusserst  heftige. 

1  I — •?  Murrten  dauernde  tetaaische  Krampfanfalle  des  ganzen 

*>05  ohne  Zyanose  und  Dyspnoe.  Zwo  jedoch  bekommen  durch 
'ttpotind  Zyanose  eä  IrbrmhrrtinbTi  Aussehen  Der  Knu" 
-i’-tn:  benommen,  atmet  nicht.  Sein  Thorax  steht  in  Inspirations- 
i  i-  c:  un :se  unu  _  :  e  •  .  .  •  -  ;  ~  v-p  Seku-de  u : 

hunde.  Das  Bild  ändert  sich  ; edoch  fast  mit  einem  Schlage,  so- 
u  dem  Knaben  Sauerstoff  unter  Ueberdruek  von  3  cm  Wasser  in 
~  U;*  -  rsdicfeea  Atmung  gegeben  wird.  Die  Zyanose  schwindet 
st jMBMentan.  Der  Puls  bessert  sieb  und  das  Sensorium  wird 
näbhen  wieder  freL 

Am  eindrnckvollsten  wird  jedoch  das  Bild  am 
~-zlf  des  14.  ApriL  als  der  Stationsarzt  auf  die 
bteilang  gerufen  wird.  Wieder  hat  der  Knabe 
**sserst  schweren  Anfall  mit  hochgradig- 
e:  Zyanose  und  Benommenheit.  Kaum  fühlbarer 
*•  -  toraxinmaximalsterlnspirattonsstellung. 
"rüge  falscher  Yeutilstellung  am  L'eberdrack- 
:irat  vir  dem  Pflegepersonal  unmöglich  g  e  - 
es*k  sofort  die  künstliche  Atmung  durchzu-  | 
'  t  Der  Stationsarzt  erhält  den  Eindruck,  als 
Jer  Exitus  ucnaittelbar  be  Vorstände. 

Sofort  nach  Aenderung  der  falsch  gestellten 
jntile  Sauerstoff  unter  3  cm  Wasserüberdrnck 
*•  wlnstlicbe  Atmung.  Schon  beim  vierten  Ab- 
;ten  der  Maske  lässt  die  Zyanose  nach,  der  Puls 
e ***rt  sich.  Die  kinstliche  Atmnng  wird 
-setzt.  Der  Krampt  löst  sich.  Patient  atmet 
ic_er  >hOBtan  und  erholt  sich  allmihlic* 

15.  IV.  14.  Nacht  nach  c'"  ra:  ruhig.  Nur  einige  -  .  e  Anfl  e 
\  ^  Dyspnoe.  Temperatur  ste:gt  —  Ve-'auf  des  Tages 

*  2k  38L  Puts  jedoch  gut  und  v  hi.  >4  ReicMic 

et*  ganzen  Lauge.  Nach  Inhalieren  hustet  Patient  eitrige  Ballen 
‘UQmi  aus. 

DT.  14.  Temperatur  zur  Norm  gesu-ke-  Puls  >0.  voll. 

imissjg.  Atmu-g  30. 

^  D*.  14  Leber  den  »eiteren  Verlauf  de*  Krark’.e.t  :  s  zum 
Tage  ist  zn  sagen,  dass  Pat  im  Ve* 


[  .urchschnitthch  etwa  15  Anfälle  bekommt.  Der  grösste  Teil  davon 
I  dauert  nur  kurze  Zeit.  Er  verläuft  typisch,  jedoch  ohne  Dyspnoe 
u-p  Zyanose.  Zwei,  ja  auch  drei  davon  stellen  äusserst  schwere  Er- 
sticknngsanfälle  dar.  Der  Knabe  wird  unter  allgemeinen  Körper- 
krampfen  blau,  er  atmet  nicht,  der  Puls  ist  irregulär  und  klein.  Die 
Konturen  der  fest  kontrahierten  Halsmuskeln  treten  scharf  hervor. 
L  Anfälle  machen  jedesmal  einen  äusserst  bedrohlichen  Eindruck. 
Lm  so  eindrucksvoller  ist  die  Aenderung  dieses  Zustandes,  sobald 
Patent  mit  Tiegelapparat  in  Form  der  künstlichen  Atmung  Sauerstoff 
|  emäjt.  Schon  nach  wenigen  Augenblicken  lässt  die  Zyanose  nach. 

der  Puls  wird  voller  und  regelmässiger.  Das  Bewusstsein  kehrt,  so 
I  or*  es  gesunken  war.  zurück  und  Pat.  fängt,  sobald  der  Allgemein- 
krampf  vorüber  ist  w  ieder  ruhig  an  zu  atmen.  Auf  Befragen  erklärt 
er.  dass  er  sehr  starke  Atemnot  gehabt  habe,  ja  er  verlangt  sogar 
cmige  Male  die  ...Maske'*,  sobald  er  merkt,  dass  ein  neuer  schwerer 
Anfall  einsetzt.  Schmerzen  in  der  Brust  hat  er  jedoch  nicht  mehr. 

vV  ährend  der  folgenden  Beobachtungstage  erhält  Pat.  zweimal 
täglich  I  g  Chloral.  nach  dessen  Aufnahme  er  ruhig  schlummert. 
Leber  Zahl  und  Charakter  der  Anfälle  dieser  und  der  folgenden 
Tage  mag  die  nachfolgende  Tabelle  Auskunft  geben. 


Operationen  Datum 

Anfälle 

ohne 

Zyanose  and 
Dyspnoe 

Schwerste 
i  Erstickung  s- 
anfälle 

Ordination 

It'inp. 

u 

< 

Phrenikotomie  12. 

IV.  14 

0 

3 

10  I.-E.  Antitoxin, 

37,3 

99 

32 

2  g  Chloral 

!  13. 

IV.  lt 

5 

1 

do. 

37,6 

100 

40 

.  W. 

IV.  14 

9 

3 

do. 

37,8 

104 

34 

'  15. 

IV.  14 

8 

3 

do. 

33,9 

34 

38 

,  16. 

IV.  14 

7 

2 

do. 

37,1 

80 

30 

1  17. 

IV.  14 

9 

2 

do. 

36,4 

83 

36 

IS. 

IV  14 

7 

3 

do. 

36,9 

70 

24 

19. 

IV.  14 

14 

3 

do. 

36,1 

70 

30 

20 

IV.  14 

12 

5 

do. 

36,5 

80 

20 

21. 

rv.  u 

3 

3 

do. 

3-5,6 

60 

20 

22. 

IV.  14 

9 

2 

do. 

3\5 

70  1 

22 

Gastrostomie  23. 

IV  14 

68 

0 

2  mal  15  Tr.  Mo. 

38,1 

120 

40 

2t 

IV.  14 

30 

1 

do. 

37,3 

98 

20 

25. 

rv.  u 

50 

0 

do. 

36,6 

100 

22 

26. 

IV.  14 

50 

0 

2  g  Chloral 

36,2 

34 

20 

27. 

IV  14 

13 

0 

do 

36,3 

76 

22 

2S. 

rv.  u 

12 

0 

do. 

36,7 

SO 

20 

29. 

IV.  14 

3 

0 

do. 

35,3 

64 

19 

30. 

IV.  14 

I 

0 

do. 

36,4 

70 

20 

1. 

V  14 

1 

0 

do. 

36,6 

32 

18 

2 

V.  14 

2 

I 

do. 

36,4 

76 

20 

3. 

V.  M 

1 

1 

do. 

36,9 

SO 

18 

4. 

V.  14 

1 

1 

do. 

36,5 

74 

20 

5. 

V.  14 

2 

1 

do. 

36,7 

SÖ 

22 

6. 

V.  14 

1 

0 

Chloral  ibgesetzt 

36,5 

74 

20 

7. 

V.  14 

0 

0 

• 

36,7 

82 

18 

2'-1-  TV.  14.  \on  heute  an  scheinen  die  Anfälle  sowohl  der  Zahl 
als  auch  der  Intensität  nach  nachzulassen.  Nur  kurzdauernde  all¬ 
gemeine  tetanische  Anfälle,  daneben  zwei  Anfälle,  in  denen  Pat.  zwar 
auch  zyanotisch  ist,  jedoch  bei  weitem  nicht  so  sehr,  wie  in  den 
vorhergehenden  Tagen.  Trotzdem  wird  mit  künstlicher  Atmung  fort¬ 
gefahren. 

Puls  und  Temperatur  normal.  Atmung  an  Zahl  normal.  Charakter 
rein  thorakal  unter  paradoxer  Bewegung  des  Abdomens. 

22.  1\ .  14  Abends  ziemlich  plötzlich  Verschlechterung  insofern, 
als  Pat..  der  bis  dahin  sehr  gut  geschluckt  hat,  nicht  mehr  schlucken 
kann  In  der  Nacht  sehr  heftige  Allgemeinkrämpfe  ohne  Erstickungs¬ 
anfälle.  Zwecks  künstlicher  Ernährung  und  Vermeidung  der 
Aspiration  am 

23.  D.  14  Gastrostomie  (Prof.  Sauerbruch).  In  protra¬ 
hiertem  Aerherrausch  Eröffnen  des  Bauches.  Sofort  Vorpressen  von 
Darm,  de*  Magen  lässt  sich  kaum  vorziehen,  da  er  infolge  Zwerchfell- 
Pocnstandes  stark  in  die  Höhe  gerückt  ist.  Typische  Gastrostomie 
nach  Witzei  und  Darreichen  von  flüssiger  Nahrung  mit  Chloral 
II  g). 

per  ganzen  Tag  nach  der  Operation  äusserst  schwere  tetanische 
Anfälle,  ohne  Dyspnoe.  Gezählt  werden  68.  Temperatur  steigt 
a  ■  ...  Pa  s  1 2v.  Atmung  40.  Auf  15  Tropfen  Morphium  bekommt 

Pat.  Ruhe. 

24.  I\  14.  Die  schw  eren  Allgemeinkrämpfe  halten  an.  nur  ein 
E:s:.c sungsantaT.  der  durch  Sauerstofrüberdruckatmung  kupiert  wird. 

29.  IV.  14.  Allgemeinkrämofe  gehen  an  Quantität  und  Qualität 
zurück.  Pat.  steht  immer  noch  unter  Chloral. 

IV.  14.  Von  heute  an  nur  noch  täglich  1 — 2  Anfälle.  Tonus 
der  cesamten  Muskulatur  besteht  noch.  Risus  und  Trismus  des¬ 
gleichen.  Dann  klingen  die  Anfälle  allmählich  ab.  Vom 

7.  V.  14  kein  Anfall  mehr.  .Muskeltonus  noch  erhöht,  Kiefer- 
sperre  lässt  nach. 

15.  \.  14.  Bis  heute  Wohlbefinden.  Keine  Aniälle  mehr. 
Gastrostomieschiaach  entfernt,  da  der  Knabe  seit  2  Tagen  wieder 
schlucken  kann.  Massage  der  Beine. 

20.  V  14.  Wohlbefinden  hält  an.  Pat.  erholt  sich  schnell.  Er 
steht  heute  zum  ersten  Male  unter  ärztlicher  Kontrolle  auf. 

Pat.  ist  leicht  blass  und  etw  as  schwindlig.  Atmung  vollkommen 
ruh:  c.  vorwiegend  thorakal.  Keine  Dyspnoe.  24  Züge  pro  Minute, 
o'cls  .e  cht  beschleunigt  100 — l  4.  gleich  und  regelmässig.  Noch 
\cine  Gehe  ersuche 

2  3.  V  14.  Heute  die  ersten  Gehversuche.  Pat.  atmet  ruhig, 
reagiert  jedoch  auf  die  Anstrengung  mit  Pulse  t  bis  12t).  Auf  Bett¬ 
ruhe  gehen  sie  bald  wieder  zurück. 


2050 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  40. 


30.  V.  14.  Pat.  hat  sich  ausgezeichnet  erholt.  Risus  noch  ange¬ 
deutet.  Alle  sonstigen  Spasmen  verschwunden.  Pulse  nach  Be¬ 
wegung  um  100.  Atmung  gleich  und  regelmässig. 

Die  Untersuchung  der  Thoraxorgane  ergibt:  Thorax  etwas  breit, 
epigastrischer  Winkel  etwas  dumpfer  wie  normal,  obere  Thorax¬ 
partien  sehr  stark  vorgewölbt.  Atmung  ruhig,  vorwiegend  thorakal, 
unter  entsprechendem  Einziehen  des  Abdomens. 

Die  Perkussion  ergibt:  R.  v.  u.  Lungen-Lebergrenze  am  oberen 
Rand  der  6.  Rippe  kaum  verschieblich.  Ueber  beiden  Lungen  ist  der 
Perkussionsschall  über  dem  Unterlappen  vielleicht  etwas  gedämpft, 

tympamtisch.  Nir¬ 
gends  Rasseln. 
Atemgeräusch  1.  h. 
u.  leicht  hauchend. 
Stimmfremitus  nor¬ 
mal. 

Relative  Herz¬ 
grenzen  links  3,7  cm 
innerhalb  derMam- 
millarlinie;  rechts 
2,5  cm  ausserhalb 
des  Sternalrandes. 
Nach  oben  3.  Rippe. 
Absolute  entspre¬ 
chend  verschoben 
(s.  Fig.  1.). 

Töne  des  Her¬ 
zensrein.  Puls  voll, 
regelmässig,  gleich- 
mässig  um  100. 

Lebergrenze 
fällt  mit  dem  Rip¬ 
penbogen  zusam¬ 
men. 

Der  Magen  ist 
mächtig  nach  oben 
zu  erweitert.  Seine 
Perkussion  ergibt 
tympanitischen 
Schall,  der  sich  in 
einer  mit  ihrer  ober¬ 
sten  Kuppe  durch 
die  linke  Mammilla 
gehenden  Linie 
ziemlich  scharf  vom 
Lungengewebe  ab¬ 
grenzen  lässt.  Nach 
der  Medianlinie  zu 
reicht  dieTympanie 


Fig.  1.  Patient  am  Tage  seiner  Entlassung. 

Die  Konturen  des  epigastischen  Winkels,  die  Lebergrenze, 
sowie  die  relative  und  absolute  Herzgrenze  aufgezeichnet. 
Die  Orenzen  des  Magens,  soweit  sie  nachzuweisen,  sind 
gleichfalls  aufgezeichnet.  Man  erkennt  die  Phrenikotomie- 
und  Gastrotomienarben. 


bis  zur  Herzgrenze.  Nach  der  lateralen  Seite  hin  wird  sie  abge- 
grenzt  durch  die  Milzdämpfung. 

Spirometerversuche,  die  wiederholt  angestellt  werden,  ergeben, 
dass  der  Knabe  nur  200  ccm  Luft  in  den  Apparat  einblasen  kann. 

Husten  kann  er  sehr  gut.  Die  Bauchpresse  ist  normal. 

Die  Röntgenuntersuchung  des  Pat.  lässt  erkennen,  dass  die 
Interkostalräume  im  ganzen  etwas  weit  sind.  Das  linke  Zwerchfell 
steht  in  Höhe  der  6.  Rippe,  ist  nach  oben  konvex  gebogen  und  wird 
in  dieser  Stellung  gehalten  durch  die  grosse  Magenblase.  Das  rechte 
Zwerchfell  steht  in  Höhe  der  7.  Rippe.  Das  Herz  ist  sehr  stark  nach 


Fig.  2.  Röntgenbild  des  Patienten  nach  der  doppelseitigen  Phrenikotomie  (s.  Text). 

rechts  verlagert  (Fig.  2).  Die  Durchleuchtung  des  Knaben  lässt  er¬ 
kennen,  dass  das  rechte  wie  das  linke  Zwerchfell,  das  linke  aus¬ 
gesprochener,  Atemrekursionen  ausführt,  und  zwar  steigen  beide 
Zwerchfellhälften  bei  der  Inspiration  hinab,  bei  der  Exspiration  gehen 
sie  in  die  Höhe.  Die  Bewegungen  sind  zum  Teile  scheinbare,  dadurch 
vorgetäuscht,  dass  sich  die  Rippen  bei  der  Atmung  sehr  stark  heben 
und  somit  an  dem  Zwerchfell  vorbeistreichen,  zum  Teile  jedoch  sind 
sie  tatsächlich  bestehend.  Offenbar  wird  durch  die  Blähung  der  Lunge 
in  der  Inspiration  das  Zwerchfell  beiderseits  nach  der  Bauchhöhle  zu 
mechanisch  hinabgedrängt.  Die  Auffassung  gewinnt  dadurch  an 
grosser  Wahrscheinlichkeit,  dass  es  vor  dem  Röntgenschirm  gelingt, 
nachzuweisen,  dass,  wenn  der  Knabe  die  Atmung  anhält  und  man  ihm 


Sauerstoff  unter  Ueberdruck  gibt,  das  Zwerchfell  auf  beiden  Seiten 
sich  nach  unten  hin  bewegt. 

4.  IV.  14.  Puls  ist  heute  vollkommen  zur  Norm  zurückgekehrt. 
Subjektives  Wohlbefinden.  Die  Atmung  stets  gleich  und  regelmässig. 
Keine  Dyspnoe,  auch  nicht  nach  schwerster  Anstrengung.  Pat.  wird 
heute  geheilt  entlassen. 

Die  vorliegende  Beobachtung  hat  gezeigt,  dass  bei 
schweren  tetanischen  Atmungskrämpfen  die  doppelseitige 
Phrenikotomie  von  grossem  Nutzen  sein  kann.  Die  künstliche 
Atmung,  die  in  solchen  Fällen  an  der  Starre  des  Brustkorbes 
und  an  dem  Spasmus  des  Zwerchfelles  scheitert,  wurde  nach 
der  Lähmung  des  Muskels  technisch  möglich.  35  schwerste 
Erstickungsanfälle  konnten  auf  diese  Weise  bei  unserem 
Kranken  überwunden  werden.  Diese  Erfahrung  berechtigt  für 
Fälle  schwerster  tetanischer  Atmungskrämpfe  die  doppelseitige 
Phrenikotomie  mit  nachfolgender  künstlicher  Atmung  vorzu¬ 
schlagen. 

Dass  nur  schwerste  Formen  für  diese  Behandlung  in  Frage 
kommen,  liegt  auf  der  Hand.  Hier  aber  wird  durch  die  Läh¬ 
mung  des  Zwerchfells  erst  die  Voraussetzung  für  eine  erfolg¬ 
reiche  künstliche  Atmung  geschaffen.  Schliesst  die  Schwere 
der  Allgemeininfektion  eine  Heilung  des  Tetanus  nicht  aus,  so 
kann  diese  nach  Ueberwindung  der  Erstickungsgefahren  unter 
zweckmässiger  Allgemeinbehandlung  erreicht  werden. 

Neben  der  praktischen  Seite  dieser  Beobachtung  steht  ihr' 
allgemein-pathologische  Bedeutung.  Zunächst  ist  die  Fest¬ 
stellung  wichtig,  dass  die  doppelseitige  Phrenikotomie  keine 
Gefahren  in  sich  birgt.  Es  ist  vielmehr  auffallend,  wie 
gering  die  Ausfallserscheinungen  sind,  trotz  nennenswerter 
mechanischer  Verschiebungen  im  Thoraxraume.  Der  Hoch¬ 
stand  des  Zwerchfells,  der  namentlich  auf  der  linken  Seite  ein- 
tritt,  hat  nur  vorübergehend  eine  geringe  Aenderung  in  dem 
Ablauf  der  Herztätigkeit  hervorgerufen.  Besonders  deutlich 
'  wurde  an  unserem  Patienten  gezeigt,  dass  die  Auffassung,  dass 
das  Zwerchfell  für  die  Expektoration  besonders  wichtig  sei, 
unrichtig  ist.  Die  Expektoration  wird  eher  durch  die  Läh¬ 
mung  des  Zwerchfells  erleichtert,  wie  auch  aus  Beobachtungen 
an  Kranken  unserer  Klinik  hervorgeht,  an  denen  aus  anderer 
Indikation  heraus  die  einseitige  Phrenikotomie  ausgeführt 
wurde. 

Die  Tatsache,  dass  der  Patient  nur  200  ccm  Luft  in  das 
Spirometer  einblasen  konnte,  ist  nicht  die  Folge  einer  un¬ 
genügenden  Exspiration,  sondern  sie  erklärt  sich  daraus,  dass 
er  infolge  der  Lähmung  seiner  Inspirationsmuskeln  nur  eine 
geringe  Luftmenge  bei  jeder  Inspirationsphase  einatmete.  Es 
zeigt  somit  diese  Beobachtung,  in  Uebereinstimmung  mit  anderen 
klinischen  Beobachtungen,  dass  der  Gasaustausch  in  den 
Lungen  erheblich  verkleinert  werden  kann,  ohne  dass  hieraus 
Störungen  für  den  üesamtorganismus  resultieren.  Der  Or¬ 
ganismus  besitzt  eben  die  Fähigkeit,  sich  in  weitgehendem 
Masse  diesen  neuen  Veränderungen  anzupassen. 


Bolus  alba  bei  Diarrhoe,  Ruhr  und  asiatischer  Cholera. 

Von  Professor  Dr.  Julius  Stumpf,  Kgl.  Landgerichtsarzt, 
Kgl.  Medizinalrat  in  Würzburg. 

Nur  wer  mit  dieser  vorzüglichen  Therapie  noch  keine 
richtigen  Versuche  an  sich  selbst  und  an  Kranken  an¬ 
gestellt  hat,  kann  dieselbe  bei  den  genannten  Erkrankungen, 
bei  denen  sich  bis  jetzt  alle  anderen  Mittel  als  unzulänglich  er¬ 
wiesen  haben,  noch  weiter  unbenützt  lassen.  Sind  ja  doch  die 
Erfolge  der  Bolusbehandlung  nach  tausendfacher  Erfahrung 
die  denkbar  günstigsten. 

Wie  könnte  es  auch  anders  sein,  nachdem  bei  unserem 
Verfahren  in  der  grossen  Hauptsache  eine  mechanische 
Behinderung  der  Bakterienflut  auf  der  Schleim¬ 
haut  des  Verdauungsrohres  in  Betracht  kommt,  und  nachdem 
bekanntlich  ein  mechanisches  Verfahren  nur  dann 
versagen  kann,  wenn  es  in  ungenügender  Weise  zur  An¬ 
wendung  gelangt,  oder  wenn  es  sich  gelegentlich  als  unmög¬ 
lich  erweist,  das  Verfahren  in  genügender  Weise  anzuwenden. 

Gewisse  Schwierigkeiten  kann  z.  B.  die  genügende  Ueber- 
deckung  der  Darmschleimhaut  mit  Bolusaufschwemmung 
bieten  bei  der  asiatischen  Cholera  wegen  des  oft  ausser¬ 
ordentlich  starken  Erbrechens,  weshalb  wir  uns  bei  dieser  Er- 


.  Oktober  1914. 


Fcldarztliche  Beilage  zur  Münch.  nied.  Wochensclirift. 


2051 


rankling  unter  Aufbietung  aller  Energie  den  Kranken  gegeil¬ 
ter  bemühen  müssen,  trotz  noch  so  häufigen  Erbrechens 
nmer  wieder,  in  der  Stunde  etwa  1 0 mal.  kleinere  Quantitäten 
er  Bolusaufschwemmung,  und  sei  es  auch  nur  esslöffelweise, 
Jilucken  zu  lassen.  Es  will  mir  scheinen,  als  müsse  es  sich 
ei  manchem  und  vielleicht  bei  der  Mehrzahl  der  Fälle  der 
siatischen  Cholera  um  einen  wenigstens  zeitweise  bestehen- 
cn  Pyloruskrampf  handeln;  ist  dieser  überwunden,  d.  h. 
i  einmal  genügend  Bolusaufschwemmung  durch  den  Pförtner 
'  Jas  Darmrohr  hindurchgepresst,  dann  ist,  wie  ich  auf  Grund 
icinei  Erfahrungen  bei  etwa  70  Cholerakranken  sagen  muss, 
er  letztere  sicher  gerettet. 

Auch  bei  Speisevergiftungen  und  gewöhn- 
cli  e  n  C  h  o  1  e  r  a-n  ostras-Fällen  kann  manchmal  sehr 
eftiges  Erbrechen  bestehen;  dann  muss  gleichfalls  wie  bei 
er  asiatischen  Cholera  selbst  verfahren  werden,  d.  h.  wir 
irfen  uns  um  die  einzelnen,  noch  so  häufigen  Brechakte  gar 
cht  kümmern  und  immer  weiter  Bolus  verabreichen  bis  zum 
achlass  der  Erscheinungen. 

Da  die  bakteriengrossen  Kaolin-  oder  Boluskörperchen 
is  Daimepithel  nicht  im  allergeringsten  schädigen  und  reizen 
innen,  so  ist  bezüglich  der  B  o  1  u  s  m  e  n  g  e,  die  innerhalb 
ner  gewissen  Zeit,  sagen  wir  innerhalb  24  Stunden,  in  den 
arm  eingeführt  werden  darf,  eigentlich  gar  keine 
eschränkung  gegeben,  mit  anderen  Worten,  man 
a  r  f  u  u  d  muss  soviel  des  Ionpulvers  anwen- 
en,  als  zur  Bekämpfung  des  im  Verdauungs¬ 
akt  aufgetretenen  akuten  Bakterienpro- 
csses  eben  notwendig  ist.  Es  gibt  also  nicht  leicht 
n  „Zuviel“  bei  unserem  Mittel,  wie  ich  schon  immer  betont 
ibe.  Ich  verfüge  über  eine  Beobachtung  der  letzten  Zeit, 
■i  der  ein  von  den  Truppen  weg  ins  Lazarett  eingelieferter 
usketier  innerhalb  24  Stunden  bei  stark  fieberhaftem  ruhr- 
mlichen  Durchfall  600  g  Bolus  genommen  hat,  mit  bestem 
Verfolge.  Die  letzten  200  g  waren  missverständlich 
»ch  verabreicht  worden.  Auch  bei  diesen  600  g  war  gar 
me  Belästigung  des  Patienten  zu  beobachten1). 

Und  nun  noch  einige  nähere  Ausführungen  bezüglich  der 
irabreichung  des  Mittels  selbst. 

Das  Boluspulver  *)  kann  trocken  oder  mit  Wasser  vermischt 
i.cc. schwemmt)  gegeben  werden;  bei  der  trockenen  Anwendung 
mmt  man  mit  kleineren  Mengen  aus.  sie  hat  aber,  weil  immer 
r  ganz  kleine  Portionen,  kaum  %  Theelöffel  voll,  im  Munde  ver¬ 
leitet  werden  können,  mehr  Schwierigkeiten  und  kann  bei  Pa- 
ntcu  vor  allem  nicht  so  gut  überwacht  werden  wie  die  feuchte 
Wendung.  Die  trockene  Einführung  des  Pulvers  ist  vor  allem  auch 
i  Kindern  und  Säuglingen  wegen  der  möglichen  Einatmung  von 
uspulver  undurchführbar.  Ueber  die  trockene  Anwendung,  über 
?  r-  s  s  e  n  des  nicht  angefeuchteten  Boluspulvers  werde  ich  mich 
der  einmal  verbreiten.  Für  unsere  Zwecke  empfiehlt 
C"  weit  mehr  die  feuchte  Anwendung,  die  An- 
e  n  d  u  n  g  der  Bolusaufschwemmung,  weil  hier  sozu- 
?en  mit  einem  Schlage  die  notwendige  Bolusmenge  in  den 
rper  eingeführt  werden  kann. 

Zu  letzterem  Zwecke  bereitet  man  sich  die  Bolusaufschwemmung 
ts  im  Verhältnis  von  etwa  1:2.  Man  gibt  also  z.  B.  200  g  Bolus 
1  35  m  K  frisches  Wasser.  Es  darf  auch  eine  ganz  leichte 
ttne  )  Theeabkochung  verwendet  werden,  wenn  letztere  vor- 

')  In  den  weitaus  meisten  Fällen  vollzieht  sich  der  Abgang  der 
msmassen  in  oft  überraschend  kurzer  Zeit,  besonders  wenn  der 
rm  leer  war;  manchmal  aber  schieben  sich  die  Bolusmassen  in  der 
-pulle  des  Mastdarms  zusammen,  besonders  dann,  wenn  dem 
len  Stuhlbedürfnis  nicht  sofort  entsprochen  werden  Kann,  z.  B. 
weitem  etc.,  so  dass  sich  dann  „Verstopfung“  einstellt.  Diese 
>chemung  hat  nun  aber  absolut  nicht  das  geringste  Bedenkliche; 
n  warte,  wenn  der  erste  Versuch  zum  Stuhl  etwas  unbequem 
,  ’  nocb  einige  Zeit  ruhig  zu;  es  hat  gar  nichts  auf  sicn,  wenn  die 
usmasse  viele  Stunden  lang  im  Darm  liegen  bleibt.  Abführmittel 
>e  ich  in  vielen,  vielen  Fällen  meiner  Behandlung  als  langjähriger 
langnisärzt  noch  nie  anwenden  müssen.  Opiate  freilich  sollen 
ichzeitig  mit  Bolus  nicht  gegeben  werden,  weil  sie  ganz  unnötig 
u  und  die  Stuhlverhaltung  begünstigen  können. 

*)  Man  sehe  sich  vor,  dass  völlig  reine  Bolus  zur  Verwendung 
’itnt,  wie  sie  die  deutsche  Pharmakopoe  vorschreibt.  Wenn  auch 
ug  sterile  Bolus  für  den  innerlichen  Gebrauch  nicht  not- 
udig  ist,  so  hat  doch  die  Firma  E.  Merck  in  Darmstadt  durch 
Stellung  eines  solchen  Präparates,  das  in  letzterer  Zeit  erheblich 
billigt  wurde,  die  Verbreitung  unserer  Therapie  in  sehr  aan<-:ens- 
Ber  Weise  gefördert. 

3)  Es  ist  mir  schon  gesagt  worden,  in  gut  warmem  Wasser 
wecke  Bolus  besser  als  in  kaltem. 


banden  ist.  Es  müssen  genügend  weite  und  grosse  Gefässc  benützt 
werden,  damit  ein  recht  ausgiebiges  Umriihren  möglich  ist;  es  ist 
zweckmässig,  das  auf  geschüttete  Pulver  vor  dem  Umriihren  völlig 
untersinken  zu  lassen,  dann  erhält  man  nach  dem  ausgiebigen  Urn- 
rlihren  (mit  Löffel  oder  Holzstab)  eine  ganz  gleiehmässige  dick- 
rahmige  Flüssigkeit.  Diese  Flüssigkeit  —  richtiger  Bolusaufschwem¬ 
mung,  Suspension  -  sedimentiert  natürlich  sehr  stark  wegen  des 
erheblich  höheren  spezifischen  Gewichtes  der  Boluskörperchen  und 
muss  deshalb  unmittelbar  vor  dem  Trinken,  wenn  letzteres  in  Pausen 
geschieht,  immer  frisch  aufgerührt  werden. 

Für  die  drei  Bakterienprozesse  des  Darmes,  die  ich  hier 
m  diesen  Ausführungen  zunächst  berücksichtige,  wird  im  ein¬ 
zelnen  folgendes  zu  bemerken  sein: 

Beim  gewöhnlichen  diarrhoischen  Darmkatarrh,  ob 
fieberhaft  oder  nicht,  lässt  man  beim  Erwachsenen  200  g 
Bolus  in  400  g  Wasser,  womöglich  auf  einmal  trinken.  In 
weitaus  den  meisten  Fällen  sind  mit  der  einmaligen  200  g-Gabe 
alle  Erscheinungen  behoben  undi  es  kann  schon  nach  2  bis 
3  Stunden,  natürlich  mit  einiger  Vorsicht,  wieder  gewöhnliche 
Nahrung  gegeben  werden.  In  meiner  ersten  Veröffentlichung 
(1906)  über  Bolusbehandlung  bei  Brechdurchfall  und  asiati¬ 
scher  Cholera  habe  ich  gefordert,  dass  nach  Einführung  des 
Mittels  18  Stunden  nichts  genossen  werden  soll.  Von  dieser 
Forderung  bin  ich  längst  zurückgekommen.  Lässt  man  aber 
die  Patienten  allzubald  nach  der  Bolusaufnahme  wieder 
essen,  so  kann  der  Krankheitsprozess  nocheinmal  auf¬ 
lodern  und  es  kann  dann  der  Unerfahrene  geneigt  sein,  von 
einer  Unwirksamkeit  des  Mittels  zu  sprechen,  so  unzutreffend 
eine  solche  Auffassung  auch  wäre,  und  man  muss  eben  dann, 
wenn  sich  wieder  Krankheitserscheinungen  geltend  machen, 
abermals  200  g  oder  alle  3  Stunden  100  g  bis  zum  völligen 
Nachlass  verabreichen. 

Als  ein  sehr  wichtiger  Umstand  bei  der  Bolusbehandlung 
erscheint  folgender:  Gerade  bei  schweren  Darmkatarrhen 
und  besonders  auch  bei  Cholera  kann  man  die  häufige  Be¬ 
obachtung  machen,  dass  fast  unmittelbar  oder  wenigstens  als¬ 
bald  nach  der  ersten  Einführung  des  Mittels  in  der  mehr¬ 
erwähnten  grossen  Menge  wiederholt  neuerliche  diarrhoische 
Stuhlentleerung  erfolgt,  eine  Erscheinung,  die  der  Unerfahrene 
und  Aengstliche  leicht  als  eine  Verschlimmerung  seines  Zu¬ 
standes  auffassen  kann,  während  sie  im  Gegenteil  als 
günstig  und  als  erstes  durch  die  Boluseinfuhr  ver- 
anlasstes  Heilsymptom  zu  erachten  ist.  Es  beruht  diese  Er¬ 
scheinung  darauf,  dass  schwere  infektiöse  Darmkatarrhe  und 
besonders  auch  asiatische  Cholera  nicht  selten  mit  einem 
lähmungsartigen  Zustande  der  Darmmuskulatur  einhergehen 
-  Sistieren  der  Diarrhöen  bei  Fortbestand  des  Erbrechens  und 
anderer  schwerer  Symptome  ist  bekanntlich  bei  Cholera  und 
ähnlichen  Zuständen  schon  immer  als  ein  ominöses  Zeichen 
angesehen  worden  —  und  sobald  nun  die  Boluswirkung  ein¬ 
setzt,  ergibt  sich  zunächst  auch  eine  Wiederkehr  der  Darm¬ 
peristaltik  und  es  werden  nun  die  angesammelten  Schleim- 
mengep  der  unteren  Darmabschnitte  zunächst  unter  wieder¬ 
holtem  Stuhldrang,  vielleicht  auch  unter  leichten  kolikartigen 
Beschwerden  zutage  gefördert;  alsbald  tritt  dann  nach  ge¬ 
nügender  Boluszufuhr  weisser  Bolusstu-hl  auf  und  es  stellt 
sich  dann  ganz  überraschend  schnell  völliges  Wohlbefinden  ein. 

Bei  der  Bazillenruhr,  bei  der  die  Erscheinungen 
mehr  allmählich  auftreten  und  auch  der  Verlauf  ein  mehr  pro¬ 
trahierter  ist,  ist  es  notwendig,  auch  die  Bolusverabreichung 
etwas  länger  auszudehnen  als  beim  Brechdurchfall;  aber 
auch  hier  bei  der  Ruhr  muss  ich  dringend  emp¬ 
fehlen,  zu  Beginn  der  Behandlung  200  g  und 
dann  etwa  alle  3—4  Stunden  50  g  nehmen  zu 
I  a  s  s  e  n,  neben  entsprechender  Diät,  bis  zum  völligen 
Nachlass  der  Erscheinungen.  Dieser  völlige  Nach¬ 
lass  wird  nicht  lang  auf  sich  warten  lassen;  noch  in  den  jüng¬ 
sten  1  agen  sind  bei  mir  von  mehrfacher  und  sehr  autoritativer 
Seite  Mitteilungen  eingelaufen,  dass  schwere  bakteriologisch 
festgestellte  Ruhrfälle  mit  300—400  g  Bolus  prompt  geheilt 
wurden. 

Eine  so  grosse  sofortige  Dosis  von  200  g  Bolus  ist,  wie 
ich  wiederholt  betonen  will,  auch  bei  der  Bazillenruhr  sofort 
bei  Beginn  des  Verfahrens  notwendig,  damit  sich  eine  grosse 
breiige  Bolussäule  durch  den  Darm  einschieben  und  die  be¬ 
drohte  Schleimhaut  vor  weiterer  Zerstörung  (Gefässnekrose 
etc.)  schützen  kann. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  mcd.  Wochenschrift. 


Nr.  4( 


2052 


Die  Qualitätsfrage  des  hei  den  gemeinten,  häufig  so  per¬ 
niziösen  Darmerkrankungen  anzuwendenden  Mittels  ist  also, 
wie  ich  an  anderen  Orten  mehrfach  ausgeführt  habe,  schon 
längst  gelöst.  Es  konnte  sich  nur  noch  um  die  Quantität 
handeln  und  dieser  Punkt  war  ja  nur  durch  die  praktische 
Erfahrung  klarzustellen,  die  nunmehr  als  völlig  abgeschlossen 
bezeichnet  werden  darf. 

Mit  einem  Wort:  Die  Boluswirkung  ist 
Massenwirkung  der  Ton-  oder  Kaolinkörperchen 
auf  die  Bakterien. 

Wer  in  nicht  genügender  Kenntnis  des  hier  in  Frage 
kommenden  wissenschaftlichen  Prinzips  oder  unter  dem  Ein¬ 
fluss  einer  ganz  unbegründeten  und  in  unserem  Falle  sehr  be¬ 
denklichen  Aengstlichkeit  bei  den  genannten  Krankheiten  mit 
w  e  n  i  g  Bolus  auskommen  will,  kann  natürlich  nur  sehr  teil¬ 
weise  Erfolge  erzielen  und  wird  Enttäuschungen  erleben 
müssen.  So  kann  z.  B.  Adolf  Schmidt  in  Halle  ganz  selbst¬ 
verständlich  keinen  vollen  Erfolg  bei  seinen  Bolusversuchen 
bei  Ruhr  haben,  wenn  er,  wie  noch  in  Nr.  5  der  Feldärztl.  Bei¬ 
lage  d.  Wschr.  „Prophylaxe  und  Therapie  der  Ruhr  im  Felde“, 
in  erster  Linie  Ruhrserum  und  nur  „gegen  den  Tenesmus  und 
die  Stuhlentleerung“  dreimal  täglich  einen  Ess¬ 
löffel  Bolus  empfiehlt. 

Ich  möchte  Schmidt  herzlichst  bitten,  bei  nächster  Ge¬ 
legenheit  einen  Versuch  zu  machen  und  statt  „dreimal  täglich 
1  Esslöffel“  im  Verlaufe  eines  Tages  300  g  Bolus  zu  geben 
und  er  wird  sich  sicher  dann  überzeugen  können,  dass  er  auf 
diese  Weise  ganz  allein  der  Ruhr  samt  Tenesmus  und 
Diarrhöe  in  kürzester  Zeit  Herr  wird. 

Ich  muss  die  Boluswirkung  bei  akuten  Bakterienprozessen  des 
Darmes  für  derartig  zuverlässig  erachten,  dass  sie  sogar  in  diffe¬ 
rentialdiagnostischer  Hinsicht  Beachtung  verdient.  Ich 
geniesse  zur  Zeit  die  Freude,  in  einem  Vereinslazarett  des  Roten 
Kreuzes  tätig  sein  zu  können.  Schon  in  den  ersten  Tagen  meiner 
Tätigkeit  traf  ein  Münchener  Einjähriger  ein.  der  8  Tage  vorher 
einen  Steckschuss  in  die  linke  I.umbalgegend  erhalten  hatte.  Das 
Röntgeribild  zeigte  die  Kugel  3  Finger  breit  oberhalb  der  Harnblase. 
Der  Mann  hatte  seit  mehreren  Tagen  Diarrhöen  mit  leichten  Fieber- 
crscheimmgen  Handelte  es  sich  um  eine  katarrhalische  Darm¬ 
affektion,  so  musste  der  Prozess  unter  Bolusanwendung  in  kurzer 
Zeit  zum  Stillstände  kommen.  Die  Boluswirkung  blien  nun  trotz 
wiederholter  Gaben  völlig  aus  und  ich  musste  deshalb  bestimmt  an¬ 
nehmen,  dass  es  sich  um  eine  traumatische  Darmreizung  handelte. 
Nach  weiteren  10  Tagen  fühlte  sich  Patient  nach  mehrfacheren 
stärkeren  Stuhlentleerungen  er  hatte  trotz  Verbotes  in  der  Nacht 
das  Klosett  aufgesucht  —  plötzlich  auffällig  leichter.  Er  hatte  sofort 
selbst  vermutet,  dass  die  Kugel  auf  natürlichem  Wege  abgegangen 
sei:  in  einem  weiteren  Röntgenb'ld  war  das  Projektil  nicht  mehr 
festzustellen;  in  kürzester  Zeit  völlige  Heilung. 

Und  mm  noch  ein  ernstes  Wort  in  der  vorerörterten  Heil¬ 
frage  : 

Mein  Verfahren  der  Bekämpfung  akuter  und  akutester 
Bakterienprozesse  auf  der  Darmschleimhaut  —  in  diesen  Zeilen 
habe  ich  nur  diese  häufig  so  sehr  gefährlichen  Darmprozesse 
im  Auge  —  gewinnt  sich  mit  jedem  Tag  neue  Freunde.  Was 
mir  zurzeit  zur  besonderen  Genugtuung  gereichen  muss,  ist 
der  Umstand,  dass  zahlreiche  umsichtige  Militärärzte  und  dass 
vor  allem  auch  hervorragende  Bakteriologen  und 
Epidemiologen  die  schleunigste  Versorgung  unserer 
Truppen  mit  Bolus  sich  angelegen  sein  lassen.  Von  einem 
unserer  Pharmakologen  wurde  ich  direkt  aufgefordert, 
doch  sofort  in  meiner  Angelegenheit  bei  den  Sanitätsabteilungen 
der  Kriegsministerien  vorstellig  zu  werden.  Wer  Namen 
wissen  will,  kann  sie  bei  mir  erfahren. 

Aber  auch  alle  jene  Kollegen,  die  unserer  noch  etwas  neu¬ 
artigen  Methode,  die  so  manchem,  wie  wir  uns  wohl  am  besten 
ausdriieken,  wissenschaftlich  noch  nicht  recht  „liegt“,  noch 
nicht  ein  volles  Interesse  entgegenbringen  konnten,  bitte  ich 
dringend,  doch  jetzt  diesem  Heilverfahren  mit  ganzem  Ver¬ 
trauen  zu  begegnen.  Wenn  irgend  ein  Heilverfahren  auf 
wissenschaftlichem  Boden  steht,  so  trifft  dies  für  das  meinige 
zu.  Habe  ich  doch  meinen  Enthusiasmus  für  diese  wissen¬ 
schaftliche  Sache  aus  einem  recht  vornehmen  medizinisch¬ 
wissenschaftlichen  Rüstzeug  geschöpft,  aus  dem  Mikroskop. 
Wer  das  nicht  weiss,  der  möge  doch  meine  1906  erschienene 
grössere  Arbeit  einer  Durchsicht  würdigen. 

Nochmals  bitte  ich  dringend :  Greifen  wir  doch  zu; 
wir  vergeben  uns  wissenschaftlich  wirklich  durchaus  nichts, 


wenn  wir  unseren  so  sehr  gefährdeten  braven  Söhnen  un 
Brüdern  im  Felde  mit  unserem  doch  so  un  vergleich 
lieh  wirksamen  Mittel  zu  Hilfe  komme  n,  für  da 
das  Wort  des  grossen  Boerhaave  gilt:  Simplex  vei 
sigillum. 

lieber  die  Rückkehr  Leichtverwundeter  an  die  Fron 

Von  Generalarzt  Herhold,  stellvertr.  Korpsarzt  I.  Armee 

korps. 

Schnelle  Räumung  der  Lazarette  des  Operations-  und  Etappen 
gebietes  von  Verwundeten  und  Kranken,  deren  Wiederherstellung  i 
absehbarer  Zeit  nicht  zu  erwarten  ist,  wird  als  eine  der  wichtigste 
Aufgaben  des  Sanitätsdienstes  in  der  Kriegssanitätsordnung  be 
zeichnet.  Die  Anhäufung  von  Verwundeten  und  Kranken  verschlecli 
tert  die  Wundheilung  und  leistet  dem  Ausbruch  ansteckender  Krank 
heiten  und  Seuchen  Vorschub.  Auch  der  Nachschub  von  Sanitäts 
personal.  Munition  etc.  wird  dadurch  erschwert.  So  dringend  de 
rechtzeitige  Abschub  Schwerverwundeter  ist,  so  ist  es  andererseit 
ein  schwerer  Fehler,  wenn  Leichtverwundete,  di 
in  kurzer  Zeit  wieder  felddienstfähig  sind,  zu  wei 
hinter  die  Front  oder  gar  in  das  Heimatland  zu 
rückgeschickt  werden.  Die  Rückkehr  solcher  Leichtvcr 
wundeter  aus  den  heimischen  Reservelazaretten  erfordert  viel  Zer 
während  welcher  die  Geheilten  der  fechtenden  Truppe  nutzlos  ver 
loren  gehen.  Aus  den  Reservelazaretten  werden  sie  nach  ihrer  Hei 
lung  zunächst  ihren  Ersatztruppenteilen  überwiesen,  die  aber  nich 
immer  im  Standorte  der  Reservelazarette  liegen.  Bei  den  Ersatz 
truppenteilen  bleiben  sie,  bis  man  grössere  oder  kleinere  Truppen 
transporte  zusammengestellt  hat,  und  dann  gelangen  sie  endlich  nac 
langen  Umwegen  wieder  zur  Truppe,  die  ihrer  vielleicht  sehr  be 
dürft  hatte. 

Noch  verhängnisvoller  ist,  Leichtverwundet 
einzeln  aus  den  Lazaretten  auf  ihren  Wunsch  z 
entlassen  und  ihnen  zu  gestatten,  in  ihre  Hcima 
zu  fahren,  um  sich  dort  von  irgend  einem  Arzt  be 
handeln  zu  lassen.  Solche  Leute,  die  sich  naturgemäss  be 
ihren  Angehörigen  einquartieren,  werden  der  militärischen  Kontrolf 
entzogen,  sie  selbst  wissen  oft  kaum,  wohin  sie  sich  nac 
ihrer  Heilung  zu  wenden  haben,  und  so  gehen  sie  dem  Feldheer  zu 
nächst  verloren.  Derartige  Fehler  von  Entlassungen  Leichtvcr 
wundeter  sind  hauptsächlich  von  den  Vereinslazaretten  der  frei 
willigen  Krankenpflege  gemacht  worden.  Aber  auch  die  Führe 
von  Kranken-  und  Hilf  slazarettzii  gen  haben  ein 
zelnen  Verwundeten  gestattet,  den  Zug  vor  de 
Ankunft  am  Ziele  zu  verlassen.  Es  ist  Pflicht  alle 
Aerzte  und  aller  Krankenhäuser,  sich  einzelnen  zum  Verbinde 
meldende  Mannschaften  und  Unteroffiziere  dem  nächstgelegenen  Re 
servelazarett  oder  dem  nächsten  Bezirkskommando  unter  Anführun 
von  Regiment  und  Wohnort  des  Betreffenden  namhaft  zu  macher 

Ein  Wort  noch  darüber,  was  unter  Leichtverwundeten  zu  ver 
stehen  ist.  Als  Leichtverwundungen  sind  zu  be 
zeichnen:  Alle  Weich  teilwunden  der  Glied  masser 
welche  kleinen  Ein-  und  Ausschuss  haben  uni 
weder  mit  Lähmungserscheinungen  noch  mit  An 
Zeichen  der  Verletzung  eines  grösseren  arteriel 
len  Blutgefässes  einhergehen.  Ferner  alle  Streif 
schüsse  des  Kopfes  und  Rumpfes  und  endlich  all 
nicht  mit  Hämatothorax  einhergehenden  peri 
pheren  Brust  schüsse.  Diese  letzteren  heilen  selbst  danr 
wenn  einige  Tage  Blut  gespuckt  ist.  auffallend  gut  und  führen  inner 
halb  3  Wochen  wieder  zur  vollen  Felddienstfähigkeit. 

Die  grosse  Begeisterung  unserer  Jugend,  die  wir  bei  Ausbruc 
des  jetzigen  Krieges  erlebten,  gibt  uns  die  Gewähr,  dass  unser 
T.eute  nach  Verheilung  ihrer  Wunden  kampfesfreudig  wieder  an  di 
Front  gehen  werden.  Möge  jeder  durch  Beachtung  des  im  vorstehen 
den  Gesagten  mit  dazu  beitragen,  dass  sie  nicht  verloren  gehe. 

-  "  •  •  *  1  ■— o  •  « 

Nachruf  für  Prof.  Dr.  Ludwig  Kirchheim. 

Am  9.  September  fiel  Prof.  Kirchheim  bei  Vitry  fürs  Vater 
land.  Ein  junger  vielversprechender  Forscher  hat  ruhmvoll  geendet 
Die  Bedeutung  seiner  Arbeiten  rechtfertigt  es,  wenn  in  diese 
Wochenschrift  seiner  gedacht  wird.  Kirchheim  war  ein  Mant 
dem  wissenschaftliches  Arbeiten  ein  Bedürfnis  war.  Das  beweis 
sein  Lebenslauf.  Nachdem  er  einige  Jahre  Assistent  gewesen  war 
musste  er  aus  äusseren  Gründen  die  Praxis  seines  verstorbenei 
Vaters  übernehmen.  Nach  fünfjähriger,  ausserordentlich  erfolgreiche 
praktischer  Tätigkeit  legte  er  die  Praxis  nieder  und  trat  in  Köln  ai 
meiner  Abteilung  als  Assistent  ein.  Er  folgte  mir  dann  nach  Marburg 
habilitierte  sich  dort  und  erlangte  bereits  2  Jahre  später  den  Pro 
fessortitel.  Kirchheim  war  als  wissenschaftlicher  Forscher  voi 
unermüdlichem  Fleiss  und  grosser  Begabung.  Seine  klinischen  Ar 
beiten  über  das  Verhalten  der  Leberdämpfung  bei  abdominalen  Er 
Kränkungen,  über  den  Meningismus,  über  das  Fieber  bei  tertiärer  Lue 
und  eine  Reihe  kleinerer  Mitteilungen  zeigen  ihn  als  trefflichen  Be 


6.  Oktober  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  nied.  Wochenschrift. 


obaclitcr  am  Krankenbett.  Seme  zahlreichen  theoretischen  Arbeiten 
Jic  nn  Archiv  für  expcrnnentellc  Pharmakologie  und  Therapie  er- 
sJnenen  sind  .beschäftigen  sich  mit  dem  Problem  der  Trypsinwirkung 
auf  lebendes  Gewebe  mit  der  Immunität  gegen  diese  Wirkung  und 
haben  zweifellos  dazu  beigetragen,  unser  Wissen  über  dieses  schwie- 
/u  Cfdr'dei  nP  dlC  3  Kememe  behre  von  der  Immunität  wichtige  Kapitel 

Kir  chhe  im  war  ein  Arzt  von  gründlichem  Wissen  und  grosser 
Wahrung.  Ate  Mensch  ein  lauterer,  stets  hilfsbereiter  Charakter 
um  den  seine  Mitarbeiter  und  seine  Kranken  aufrichtig  trauern  Mir 
war  er  in  siebenjähriger  gemeinsamer  Arbeit  ein  treuer  Fremid  ge- 
vvorden-  M.  Matthes-Marburg 


2053 


Referate. 


Deutsche  medizinische  Wochenschrift.  Aus  Nr.  37,  i9M. 
Gelenkschiisseü  *  a  "  0  “  Ber^n  •  Beha„dlU„g  der  Knochen-  nnd 

a)  NichtinfizierteKnochen  -  und  Gelenkschüsse 
Tamponade  ist  bet  engen  Schusskanälen  zu  unterlassen  bei  Bin 
tung  aus  grosseren  Weichteilwunden  unter  Umständen  nfebt  zi  enl 
behren.  Fixierung  der  verletzten  Knochen  oder  Gelenke  mit  Ein- 
btziehung  der  zwei  Nachbargelenke  ist  schon  in  der  vordersten  Linie 
durchaus  notwendig,  wenigstens  in  provisorischer  Weise,  im  Feld¬ 
lazarett  durch  einen  dehnitiven  Verband,  der  ohne  Verbandwechsel 
den  Transport  aushalt.  Für  den  Transport  ist  nur  der  trockene,  nich 
der  feuchte  Verband  geeignet,  am  besten  der  gefensterte  Ginsver- 
band  Resektionen  sind  nicht  in  der  vordersten  Linie  zu  machen- 
Amputationswunden  sollen  picht  genäht,  sondern  ihre  Ränder  nur 
aurch  Binden  (nach  Crede)  möglichst  zusammengebracht  werden. 

■  fJensionsv  erb  an  d  e  s  1  n  d  für  den  Transport  nicht  angezeigt,  die  Kor¬ 
rektur  fehlerhafter  Stellung  ist  den  Reservelazaretten  zu  überlassen 
Operative  Eingriffe  werden  in  der  Regel  nur  erforderlich  bei 
,m  °ClMk  Stecke'’  nekrohsicreoS 

IV  Knochen-  und  Gelenkschüsse. 

„PinLn  o-W/mv  nfek  }0n-en’  £uch,  die  mit  Streptokokken,  sind  im  allge- 
n/pu  ^utarüger  als  im  Frieden,  Tetanus  ist  selten,  Erysipel  ver- 
i nzelt,  häufiger  ist  die  gefährliche  Gasphlegmone  und  die  lang- 
■uenge  Pyozyaneusmfektion.  In  den  meisten  Fällen  empfiehlt  sich 

li^Mnürt  7nrCRpecinem  län?eren  Transport,  konservatives  Abwarten! 
t  otiiugt  zur  Besserung  ein  neuer,  besser  fixierender  Verband  Mit 
\usnahme  der  Gasphlegmone  entwickelt  sich  die  Infektion  meist 
angsam  und  erfordert  erst  nach  6—8  Tagen  einen  Eingriff.  Zu  be- 
-üiten  ist,  dass  schwere  infektiöse  Allgemeinerscheinungen  nach 
nem  Eingriff  meist  nicht  sofort  schwinden;  deshalb  ist  nicht  schon 
n  kurzer  Zeit  ein  weiterer  Angriff  vorzunehmen.  Bei  solchen  In- 
Auonen  ruft  meist  jeder  Verbandwechsel  neues  Fieber  hervor;  der 
erbau d  ist  daher  möglichst  selten  zu  erneuern  mit  möglichst  ge- 
nger  Nerschiebung  der  betroffenen  Knochen  und  Gelenke  (ge- 
ensterter  Gipsverband).  In  Fällen  von  Wundinfektion  ist  das  Ge- 

r  !ÜfS  ZUoen,tfer"en'  Auf  d.ie  speziellen  sonstigen  Eingriffe  (Wund- 
rainage,  Behandlung  der  Hämatome,  Arthrotornie,  Amputation  usw  ) 
hier  nicht  einzugehen.  Besondere  Beachtung  verdienen  die  meta- 
tatiscben  Prozesse,  Drüsenabszesse,  Empyeme  u.  a. 

Aus  Nr.  38,  1914. 

Schuster-  Berlin:  Einiges  über  Verluste  unseres  letzten 

neues. 

i,  bierr  nrUr  e‘nige  Zahlen  über  die  Verlustverhältnisse  im 

anre  1870,71  aufgefrischt  werden:  Von  den  Deutschen  fielen  vor 

iälpreiüd?»/17  A55  ^.apn  1  21’2  Pi;om-  der  Kopfstärke),  starben 
dter  an  Wunden  11023  (13 'A  Prom.)  und  14  904  an  Krankheiten: 

"r  knfütVeriUSt  betrUR  43  182  (34-7  Prom-)-  D>e  Zahl  der  28  278 
irch  Waffen  Gestorbenen  erreicht  nach  Köhler  nicht  die  Zahl  der 
nrüch  in  den  wirtschaftlichen  Betrieben  Deutschlands  sich  ereignen- 
-n  lodesfalle.  An  Typhus  erkrankten  1870/71  74  205  und  starben 
4.  an  der  Ruhr  38  975  und  starben  2405.  An  Pocken  erkrankten 
n  lind  starben  297.  Dagegen  starben  1871  von  der  Bevölkerung 
Ilsens  allein  59  839  an  Pocken,  von  1870—1872  nicht  weniger  als 
1 1*  Menschen. 

An  deutschen  Aerzten  starben  im  Krieg  1870/71  77,  davon  8 

■rch  Wunden.  Bergeat. 

Vereine. 

Freie  militärärztliche^Vereinigung  in  Erlangen. 

(Eigener  Bericht.) 

L  Sitzung  vom  12  September  1914. 

Vorsitzender:  Generalarzt  Prof.  Dr.  Penzoldt. 

Herr  v.  K  r  y  g  e  r  berichtet  zunächst  über  den  Zustand  der 
n  de  n  bei  der  ersten  Untersuchung.  Die  einfachen 
ussoffnunge  n  und  Weichteilverletzungen  waren  alle 
CKen  verbunden,  meist  mit  .lodoforrngaze  oder  Perubalsam,  und 
I  n  zu™  «rossten  Teile  ein  gutes  Aussehen.  Weniger  g  ü  n- 
g  war  der  Befund  bei  den  schweren  Schussfrakturen: 


Bei  Om,  ’i  U  tindhohleii  waren  gefüllt  mit  gejauchten  Blutmasseu. 
•iri  /mid  nhpah  he  CEein  Zerschmetterungen  der  Knochen  am  Ober- 
1  b?h(enkel  zeugten  sich  die  Verbände  als  unzu- 

Verband  gef«  J!tC’S  r  Wami  Huftgele1P.k,Iund  Schultergelenk  nicht  vom 
kSÜ  rnnVl  k-’  ,die  1,1  wemgen  Fallen  bei  Femurfrakturen  ange- 
in^der  H  w.arenl  zu  schwach,  an  der  wichtigsten  Stelle 

vie?fachHverbwendp?lngebr0Chen'  Die  cv  o  1  k  m  a  n  n  sehe  Schiene,  die 
Äd  SdÄ  War'  m'm  nUr  '“r  **  V'riett««ep  am  Urner- 

die  \Vi,ndCh.La.m|retlllb,e'!l',,,\w  er  chirurgische  ii  Klinik  wird 
Öffnungen mif  iSÜIIt5  m  der  VV^1Se  Releitet-  dass  die  kleinen  Schuss- 
d ie  Verbandltni?  Ä? 3.ze..oder  pferubalsam  gedeckt  werden  und 
v,erDandstofte  mit  Kollodium  befestigt.  Die  grossen  jauchenden 
Wimdhohlen  werden  gereinigt,  durch  Auswischen  mit  Tupfern  lockere 

Rd5“oS?mirazenetf2nt’  ^  Ä  “^«Öffnung  angdegt  und'mit 
Joaotormgaze  tamponiert,  die  sich  unter  diesen  Verhältnissen 

der  Höhlen  erwehf' =  pT*'.  T  Jrockenlegung  u„”d  dSE 
selten  hc1  ir  -  Feuchte  Verbände  kommen  nur  ganz 

Schussf  aft“  ?^'  t"  ünu  ZUr  Anwendung-  Die  schweren 
cnussirakturen  des  Oberschenkels  werden  durch 

einen  grossen  Schienenverband,  der  vom  Rippenbogen  bis  zu  den 
Knöcheln  reicht,  gesichert;  dabei  werden  3-4  Finger  breite  knS 
1  cm  dicke  Brettschienen  verwendet.  Ein  solcher  Verband  macht 
TransP°rt’  das  Gmbetten,  fast  vollkommen  schmerzlos  Ver¬ 
letzte,  d.e  5  und  6  verschiedene  Verbände  im  Felde  und  während 
des  Iransportes  gehabt  hatten,  lobten  diesen  Holzschienenverband 
ds  den  wettaus  angenehmsten,  weil  das  Bein  darin  SS  S  liert 

der"  wailH  m  die^.em  Verband  den  so  häufig  notwendigen  Wechsel 
der  Wundverbandstoffe  unter  Schonung  des  Kranken  vornehmen 
indem  man,  wie  bei  einem  Gipsverband,  Fenster  ausschneidet  Nur 
die  Wunden  direkt  an  der  Aussenseite,  wo  die  Schiene  liegt  ver¬ 
langen  allerdings  einen  öfteren  Wechsel  des  ganzen  Verbandes 
Grundsatz  ist,  diese  schweren  Schussfrakturen  möglichst  kon¬ 
servativ  zu  behandeln  Nur  schwere  Blutungen,  septische  Er¬ 
scheinungen  bei  deutlichem  Kräfteverfall,  geben  die  Indikation  zur 
frühzeitigen  Amputation.  Die  Schussfrakturen  des  Ober¬ 
armes  werden  mit  Vorliebe  auf  dem  Mitteldorpfschen 
Iriangel  gelagert  der  Schulter  und  Ellenbogen  gut  feststellt 
uch  die  Lage  der  Bruchstücke  leidlich  sichert.  Einfachere  Frak- 

tpnCI1  dCS  ?beaSCueukeli  mit  kleinen  Schusskanälen  werden  im  Ex- 
tensionsverband  behandelt;  solche  des  Oberarmes  auch  auf  dem 
Triangel,  oder  wenn  sie  unterhalb  der  Mitte  liegen,  mit  einfachen 
Pappschienen  verbunden.  Die  Schüsse  durch  die  Lunge 
zeigten  einen  recht  günstigen  Verlauf;  in  einzelnen  Fällen  waren 
geringe  Blutergusse  in  die  Pleurahöhle  vorhanden.  Eigentliche  Ver¬ 
letzungen  der  Bauchhöhle  wurden  nicht  beobachtet.  Ein 
Kopfschuss  zeigte  bei  der  Aufnahme  hohes  Fieber,  schwere 
Allgememerscheinungen,  namentlich  starke  Benommenheit.  Die  Ein¬ 
schussöffnung  in  der  linken  Schläfengegend  liess  viel  eiteriges 
jauchiges  Sekret  austreten  und  einen  grünlichgelb  verfärbten  Hirn- 
piolaps  erkennen  Im  Röntgenbild  sah  man  eine  entsprechende  Lücke 
m  der  .  chuppe  des  Schläfenbeines,  darüber  einen  unregelmässigen 
bogenförmigen  Spalt  über  die  ganze  linke  Schädelhälfte  laufend  und 
vorne  eine  Stuckfraktur  des  Stirnbeines  mit  einem  kugelförmigen  Ge¬ 
schoss.  Die  Einschussöffnung  und  die  Stelle  des  Geschosses  wurden 
üurch  einen  grossen,  nach  oben  gerichteten  Bogenschnitt  verbunden, 
die  Knochenstucke  an  der  Einschussöffnung  entfernt;  unter  dem  Ge- 

War  f-mnfa  l  u-‘ne  ,.rVndliche  Tücke  mit  kleinen  Knochen- 
stuckchen  gefüllt,  auch  hier  fielen  kleinere  Gehirnmassen  vor  Ueber- 
ail  war  reichlich  dünner,  bräunlichgelber  Eiter  vorhanden.  Die 
Knochendefekte  wurden  mit  Jodoformgaze  bedeckt,  der  Lappen  zti- 

hr?ipS t  6  h*’  Tge,?.  ^ahten,  befestigt.  Die  Sekretion  liess  darauf 
bedeutend  nach,  das  Fieber  schwand  nach  2  Tagen.  Das  Sensorium 
winde  vollkommen  frei  so  dass  sich  der  Mann  vollkommenen  Wohl- 
.eins  erfreut.  Der  Vorfall  von  Gehirnsubstanz  erwies  sich  auch  hier 
wieder  als  gute  Schutzwehr  gegen  die  Infektion  der  Meningen. 

Geschosse  werden,  soweit  sie  leicht  erreichbar  sind 
entfernt:  grosse  Eingriffe  zu  diesem  Zwecke  nur  dann  vorge¬ 
nommen,  wenn  sich  ernstliche  Störungen  zeigen. 

Im  Anschluss  daran  spricht  Herr  Kreuter  über  seine  chi¬ 
rurgischen  Erfahrungen  an  dem  Material  des  Reservelazaret- 
e  s  E  i  1  a  n  ge  n.  Was  zunächst  die  Wundversorgung  an- 
™ngT  *°  war  d'ese  bei  den  einzelnen  Transporten  sehr  verschieden 
Zu  bedauern  war  entschieden,  dass  mehrfach  während  des  Auf¬ 
enthaltes  in  den  Zwischenstationen  feuchte  Verbände,  besonders  auf 
stark  eiternde  Wunden  angelegt  und  bis  zur  Ankunft  ln  Erlangen 
mehrere  Tage  liegen  geblieben  waren.  Alle  diese  Wunden  zeigten 
abscheuliche  Jauchung  und  zum  Teil  Eiterung  mit  Gasbildung 
Ebenso  verschieden  war  die  Versorgung  der  Schussfrakturen: 
bei  einzelnen  Lazarettzügen  absolut  nicht  ausreichend,  bei  anderen 
so  gut  und  allen  Regeln  der  Kunst  entsprechend,  dass  die  Gips- 
veibande  9"ni:  we|tcres  als  Dauerverbände  liegen  bleiben  konnten, 
nachdem  die  Röntgenuntersuchung  eine  günstige  Stellung  der  Bruch¬ 
stucke  ergeben  hatte.  Einzelne  dieser  Verbände  trugen  eine  förm¬ 
liche  Krankengeschichte  mit  zeichnerischen  Angaben  über  die  Stel¬ 
lung  der  Bruchstücke  und  sonstigen  durchaus  sachgemässen  An¬ 
weisungen.  Bezüglich  der  späteren  Wundbeha  n  d  i  n  n  g  hat  sich 
auch  die  Anwendung  der  .lodoforrngaze  am  besten  bewährt. 
Sehr  schlecht  aussehende  und  stark  absondernde  Wunden  reinigen 


2054 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  40. 


sich  in  kürzerer  Zeit  als  bei  der  Verwendung  von  Ersatzpräparaten 
des  Jodoforms.  Für  die  Schussfrakturen  gelten  dieselben 
Beobachtungen,  die  auch  in  den  Balkankriegen  gemacht  wurden,  dass 
die  relativ  geringe  Neigung  zur  Verschiebung  der 
Bruchstücke  haben.  Grössere  Defekte  des  Knochens  kamen 
wiederholt  vor;  lose  Splitter  wurden  entfernt,  wenn  stärkere 
Eiterung  bestand.  Die  Neigung  der  Frakturen  zur  Kon¬ 
solidierung  ist  sehr  gross.  Ein  Schuss  durch  den  Ober¬ 
arm  mit  starker  Fragmentierung  des  Knochens  ist  in  3  Wochen 
vollkommen  fest  geworden.  Auch  bei  grossen  Zertrümmerungen 
wird  nur  in  den  äussersten  Fällen  die  Amputation  ausgeführt. 
Für  die  obere  Extremität  haben  sich  zur  Immobilisierung  Gips- 
schienen  sehr  bewährt.  Für  die  untere  Extremität  werden 
Extensionsverbände  bevorzugt.  In  einem  Fall  mit  sehr 
starker  Verschiebung  der  Bruchstücke,  die  jedoch  nicht  durch  eine 
Schussverletzung  des  Knochens,  sondern  durch  einen,  im  Anschluss 
an  einen  Weichteilschuss  erfolgten  Sturz  zustande  gekommen  war, 
musste  zur  Nagelextension  gegriffen  werden.  Die  Schüsse  durch 
den  Brustkorb,  auch  mit  Verletzungen  der  Lunge,  ver¬ 
laufen  im  allgemeinen  harmlos.  Ziemlich  zahlreich  sind  Schä¬ 
digungen  der  Nerven  zu  konstatieren.  Es  kamen  kom¬ 
plizierte  Verletzungen  des  Plexus,  totale  Zerreissungen  ein¬ 
zelner  Nerven  und  namentlich  T  eilläsionen  der  grossen  Stämme 
mit  entsprechenden  Ausfallserscheinungen  zur  Beobachtung.  Von 
den  Schädelschüssen  sind  die  Tangentialverletzungen  be¬ 
sonders  interessant.  Nach  Spaltung  der  nicht  selten  stehen  bleiben¬ 
den  Hautbrücken  ist  man  stets  überrascht  von  der  Grösse  des  De¬ 
fektes  im  Knochen,  besonders  an  der  Tabula  interna,  ln  allen  Fällen 
war  ein  Prolaps  des  Gehirns  vorhanden.  Eine  Infektion  der  Hirn¬ 
häute  wurde  bisher  nicht  beobachtet,  dagegen  klagte  ein  Patient 
mit  einem  relativ  kleinen  Rinnenschuss  über  anhaltende  Kopf¬ 
schmerzen.  Die  Untersuchung  des  Augenhintergrundes  ergab  eine 
deutliche  Stauungspapille,  eine  Röntgenuntersuchung  noch  ein 
weiteres  Geschoss  im  Hinterhauptslappen  des  Grosshirns, 
welches  das  Gehirn  von  vorn  nach  hinten  ohne  jede  Ausfallserschei¬ 
nung  durchbohrt  hat.  Bezüglich  der  Bauchschüsse,  deren  sym¬ 
ptomloser  Verlauf  erstaunlich  ist.  kann  man  doch  auch  Ueber- 
raschungen  erleben.  Bei  einem  Kranken,  der  für  die  Entlassung  in 
ein  Genesungsheim  vorgesehen  war,  kam  es  plötzlich  umer  Schüttel¬ 
frösten  zu  schweren  Lokalerscheinungen  im  retroperitonealen  Raum. 
Bezüglich  der  im  Körper  steckenden  Geschosse  wiederholen  sich 
die  Erfahrungen  aus  der  Friedenspraxis.  Ihre  Entfernung  hat  sich 
meist  als  notwendig  erwiesen,  da  sie  Eiterung  und  Schmerzen 
verursachten.  Dies  gilt  besonders  von  den  Schrapnell-  und  Granat¬ 
verletzungen,  die  fast  alle  entfernt  werden  mussten  und  bei  denen 
sich  bisher  fast  stets  ein  Abszess  entwickelt  hatte.  Die  Schwie¬ 
rigkeit  der  Auffindung  der  Fremdkörper,  besonders  wenn  sie  in  der 
Muskulatur  liegen,  braucht  für  gewisse  Fälle  nicht  hervorgehoben 
zu  werden.  Auch  Geschosse,  die  im  Knochen  stecken,  mussten 
zum  grössten  Teile  herausgenommen  werden.  Arrosionsblu- 
t  u  n  g  e  n  sind  nicht  selten  und  machten  wiederholt  die  Unterbindung 
grösserer  Gefässstämme  notwendig. 

Herr  Kr  eut  er  hält  seinen  Vortrag  über  moderne  Gesichts¬ 
punkte  in  der  Behandlung  des  Wundstarrkrampfes. 

Erscheint  ausführlich  an  anderer  Stelle  dieser  Nummer. 

Diskussion:  v.  Kryger,  Weichardt,  Toeniessen, 
Hauser,  Specht,  Penzoldt.  Kreuter. 


Kleine  Mitteilungen. 

Das  russische  Feldsanitätswesen  findet  in  der  soeben  er¬ 
schienenen  Nr.  15  des  „Militärarzt“  eine  sehr  ungünstige  Beurteilung. 
Schädlich  wirkt  vor  allem  der  Dualismus  zwischen  der  technischen 
Hauptmilitärmedizinalverwaltung  und  dem  ausschliesslich  massgeben¬ 
den  Hauptmilitärsanitätskomitee;  dessen  Vorsitzender  ist  ein  General, 
drei  Beisitzer  sind  Generale  und  ein  Arzt,  so  dass  also  militärische 
Gesichtspunkte  weitaus  überwiegen.  Die  Folge  sind  zahlreiche  Inter¬ 
essen-  und  Kompetenzkonflikte.  Bei  der  Schwerfälligkeit  des  ver¬ 
alteten  Mobilmachungswesens  mit  seinen  vielen  Verzögerungen  und 
Unregelmässigkeiten  rücken  viele  Truppenkörper  von  vornherein 
nicht  mit  den  vollen  Sanitätsformationen  aus  und  werden  im  weiteren 
Lauf  der  Operationen  vielfach  überhaupt  von  ihren  Hospitaleinrich¬ 
tungen  getrennt.  Dazu  kommt  erschwerend  der  Mangel  einer  spe¬ 
ziellen  Ausbildung  der  Truppenärzte  im  Kriegswesen,  die  im  Frieden 
von  Schlachten,  Verbandplätzen,  Evakuation,  Etappenwesen  kaum 
etwas  zu  hören  bekommen.  Weit  besser  organisiert  und  ausgestattet 
ist  das  Rote  Kreuz,  weshalb  es  in  den  letzten  Kriegen  auch  stets 
einen  über  seinen  eigentlichen  Zweck  hinausreichenden  Wirkungskreis 
erhielt  und  z.  B.  das  ganze  Evakuations-,  Transport-  und  Etappen¬ 
wesen  in  seine  Hände  gelangte;  damit  wurde  das  offizielle  Feldsani¬ 
tätswesen  immer  mehr  abhängig  vom  Roten  Kreuz,  aber  wiederum 
eine  grosse  Zahl  von  Reibungen  und  Konflikten  geschaffen.  Ohne 
die  Uebergriffe  des  Roten  Kreuzes  wäre  aber  die  sanitäre  Lage  der 
Armeen  und  die  sanitären  Resultate  in  den  letzten  Kriegen  noch 
schlimmer  ausgefallen.  Im  ganzen  ist  das  russische  Feldsanitäts¬ 
wesen  noch  als  überaus  mangelhaft  und  der  Reform  dringend  be¬ 
dürftig  zu  bezeichnen.  Bgt. 


Aus  Feldpostbriefen. 

Aus  Feldpostbriefen  eines  bayerischen  Oberarztes  d.  L. 

III. 

31.  August.  Ich  liege  eben,  Vs 2  Uhr  mittags,  allein  und  faul 
unter  einem  Zelt  und  begucke  den  blauen  Himmel.  Ein  Tornister 
dient  als  Schreibunterlage  und  meine  Position  ist  so,  wie  die  Römer 
bei  Tisch  lagen  —  accumbere  nannte  man  das.  Kollege  V.  und  ich 
erhielten  am  27.  den  Auftrag,  wieder  nach  X  zu  reiten  und  den 
Transport  der  dort  befindlichen  Verwundeten  zu  überwachen.  Wir 
ritten  also  mit  einem  Meldereiter  3  km  weit,  schickten  dann  dem 
Divisionsarzt  die  Meldung,  dass  ca.  100  Verwundete  gezählt  seien  und 
erhielten  alsbald  18  Leiterwagen  geschickt.  Nun  begann  die  Wan¬ 
derung  durch  unsere  verschiedenen  improvisierten  Krankenhäuser 
im  ganzen  7  —  um  die  Transportfähigen  herauszusuchen.  Seit  dem 
Gefecht  waren  2  Tage  vergangen.  Verbandstoffe  und  Wäsche  waren 
mit  altem  Blut  durchtränkt  und  verbreiteten  bei  dem  warmen  Wetter 
einen  abscheulichen  Geruch.  Die  Fliegenplage  war  fürchterlich. 
Während  in  Friedenszeiten  jeder  gering  Verletzte  in  ein  peinlich 
sauberes  Bett  gesteckt  wird  und  man  sie  alle  paar  Tage  verbindet, 
lagen  hier  Leute  mit  Bauchschüssen,  Knochenzertriirnmerungen,  stark 
blutenden  Weichteilwunden  in  ihren  Kleidern  auf  Stroh.  Sogar  un¬ 
verbundene  waren  darunter.  Zu  essen  gab  es  nur,  was  die  bei  den 
Feldlazaretten  zurückgebliebenen  Kollegen  von  der  Bevölkerung  frei¬ 
willig  oder  durch  Requisition  erhielten;  alle  Feldküchen  und  Proviant¬ 
kolonnen  waren  abgerückt.  Nun  muss  man  aber  bedenken,  dass 
das  Städtchen  von  jeder  Verbindung  abgeschnitten  und  durch  die 
schon  mehrere  Tage  dauernde  Einquartierung  gänzlich  ausgegessen 
war.  Trotzdem  taten  die  Leute,  was  sie  konnten.  Sie  hatten  in  sehr 
geschickter  Weise  einen  Krankenpflegedienst  mit  Weibern  aller 
Altersklassen  in  den  einzelnen  Häusern  eingerichtet,  auch  für  Bahren 
und  Krankenträger  war  gesorgt  und  der  dort  ansässige  Dr.  Y.,  ein 
biederer  Landarzt,  half  nach  Kräften  mit.  In  Anbetracht  dieser  Um¬ 
stände  konnten  wir  die  Franzosen,  etwa  30,  ruhig  dalassen;  sie 
wünschten  es  auch  selbst.  Nur  ein  französischer  Hauptmann  mit  ge¬ 
brochenem  Oberschenkel  setzte  mir  in  sehr  vernünftiger  Weise  aus¬ 
einander,  dass  ihm  der  alte  Doktor  sein  Bein  verpatzen  würde, 
während  er  bei  uns  Deutschen  in  spezialistische  Behandlung  komme: 
lieber  werde  er  Gefangener,  als  dass  er  sein  Bein  verliere  und 
wenn  man  ihm  erzählt  habe,  vor  den  Deutschen  müsse  man  Furcht 
haben,  so  glaube  er  das  nicht.  Ich  stellte  ihm  die  6  Stunden  Fahrt 
auf  dem  L.eiterwagen  vor,  aber  vergeblich,  und  so  liess  ich  ihn  denn 
aufladen.  Ein  ehrenvolles  Zeugnis  für  uns! 

Unvergesslich  wird  mir  ein  anderer  Franzose  sein,  dem  ein 
Arm  fehlte.  Er  lag  gut  verbunden  ganz  allein  in  einem  Zimmer 
und  hatte  offenbar  eine  psychische  Störung,  denn  er  stiess  ununter¬ 
brochen  ein  fürchterliches  Geschrei  aus.  Der  gelbliche  Teint  und 
der  wochenlang  nicht  rasierte  schwarze  Bart  gaben  ihm  ein 
Aeusseres,  das  ich  nicht  mehr  loswerden  kann. 

Von  unseren  Deutschen  nehmen  wir.  fast  alle  mit  und  es  war 
eine  harte  Aufgabe,  einzelne  zuriiekzulasssen.  Ich  habe  im  letzten 
Augenblick  Leute  auf  die  Wagen  klettern  sehen,  denen  man  keinen 
Schritt  zugetraut  hätte.  Ein  deutscher  Leutnant  mit  einem  Bauch¬ 
schuss  musste  Zurückbleiben,  weil  er  mir  sicher  unterwegs  gestorben 
wäre  Als  ich  hinkam,  hatte  man  ihn  irrtümlich  die  Treppe  herunter¬ 
gebracht  und  ein  jüngeres  Weib,  das  sich  offenbar  in  ihn  ver’iebt 
hatte,  schwamm  in  Tränen  und  beruhigte  sich  sofort,  als  ich  ihn 
wieder  hinauftragen  liess. 

Nach  5  ständiger  schwerer  Arbeit  hatten  wir  die  Leute  glücklich 
expediert  und  der  brave  Dorfdoktor  bewirtete  uns  mit  einer  herr¬ 
lichen  Omelette,  einer  Flasche  vortrefflichen  Weissweines,  Obst, 
Zigaretten. 

Um  M.’IO  Uhr  ritten  wir  den  stockdunklen  Weg  nach  Hause. 

Der  Eindruck  von  all  dem  Elend,  gegen  das  wir  unter  den  ge¬ 
gebenen  Verhältnissen  so  wenig  machen  können,  ist  noch  lange 
nicht  verarbeitet.  Dabei  sind  wir  in  einem  reichen,  kultivierten 
Lande,  im  Sommer,  bei  einem  Sanitätswesen,  das  sicher  besser  ist, 
als  bei  anderen  Staaten.  Man  stelle  sich  dasselbe  bei  der  russischen 
Armee  vor  in  der  menschenleeren  Mandschurei  mit  bodenlosen 
Wegen,  bei  15°  Kälte  und  dazu  beim  Rückzug  eines  geschlagenen 
Heeres!  —  «  i 

Der  Anblick  eines  Schlachtfeldes  ist  verwunderlich,  man  hört 
das  Schiessen,  sieht  auch  Geschosse  krepieren,  aber  die  Geschütze 
sind  unsichtbar,  weil  sie  hinter  Hügeln  oder  Erdlöchern  stehen.  Auch 
die  Infanterie  sieht  man  absolut  nicht,  das  ganze  Terrain  ist  leer, 
ausgenommen  einige  Beobachtungsoffiizere  auf  Höhen;  beim  Sturm¬ 
angriff  sieht  man  mittels  Fernglas  einzelne  Männchen  weit  aus¬ 
einander  langsam  bergauf  gehen.  Von  der  Wirkung  eines  Geschosses 
schwerer  Fussartilleriegeschütze  sah  ich  als  Probe  einen  ca.  3  m 
tiefen,  5  in  im  Durchmesser  haltenden  Trichter  in  der  Erde.  NB.  sehr 
harter  Boden!  .... 


Herr  Dr  M.  K  1  a  r  -  München,  z.  Z.  Etappenlazarett  I.  Zwei¬ 
brücken  schreibt  uns:  Wenn  Herr  K  r  a  s  k  e  -  Freiburg  schreibt,  das' 
in  Form,  Grösse  und  Gewicht  und  Wirkung  kein  wesentlicher  Unter¬ 
schied  sei  zwischen  dem  deutschen  pnd  dem  französischen  Infanterie¬ 
geschoss,  so  trifft  das  nicht  zu.  Das  französische  Geschoss  ist 
30  mm  lang,  das  deutsche  nur  18  mm,  das  französische  ist  massig 
aus  Kupfer,  das  deutsche  ist  aus  Nickelstahlmantel  mit  Bleifüllung- 
Also  ein  prinzipieller  Unterschied:  M  a  s  s  i  v  geschoss  und  Mantel- 


6.  Oktober  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


9egS'Ch°Jnd  e?s*Sdleaw?rSÄ  wieKt, 15  g-  das  deutsche  nur 

l  m  e  Knnrh,  !  8  Das  franzos'sche  zerschmettert  in  der 

al,e  Knochen,  die  es  auf  seinem  Wege  trifft  das  deutsche 
(jeschoss  macht  meistens,  selbst  in  der  Tibia  noch  Platte 
heilende  Knochenkanäle!  Ich  berichte  Ihnen  auf  (irund  reichs^er 
Erfahrung  im  Etappenlazarett  I  Zweibrückern  und  in  3  hiesigen  Re¬ 
servelazaretten,  gemacht  in  6  arbeitsreichen  Wochen,  an  Deutschen 
und  an  Franzosen ...  In  die  Kriegs-  und  Etappenlazarette  ganz  vorn 
hm  gehören  tüchtige  Orthopäden!  Nur  so  können  viele  Ex 

S'ubÄf  Werde"'  die  S°"S'  d"  verfallen'  ÜS 


2055 


Das  Soldatenbuch. 

Von  unserem  Kollegen  Dr.  A.  Noder  —  A  De  Nora 
erschien  soeben  im  Verlage  L.  S  t  a  a  c  k  m  a  n  n  -  Leipzig  ein 
Büchlein  Soldatenlieder  •),  aus  dem  wir  mit  Erlaubnis  des  Verfassers 
einige  Proben  veröffentlichen.  Die  Kollegen,  die  dem  Be- 
grussungsabend  des  deutschen  Aerztetages  beiwohnten,  werden  sich 
noch  der  köstlichen  (jedichte  erinnern,  die  damals  vom  Dichter  selbst 
«orgetrasen,  alle  Zuhörer  in  die  iröhlichst^  Stimmung  verseilen 
)iese  Stimmung  auch  in  den  düster  und  ernst  genug  wirkenden  Krieg 
“  lragen,  ll"d.  unf.e.ren  Offizieren  wie  Soldaten  ein  wenig  Heimat- 
k'aI lg  u>  Heimathimmel  zu  bringen,  ist  das  Ziel,  welches  Autor 
jid  \  erlag  sich  bestimmten.  Sie  denken  sich  das  kleine  ca  40  I  ieder 
anhaltende,  von  E.  W  i  I  k  e  mit  einer  hübschen  Tite“eichnu„g  vem 
sehene  Büchlein  als  willkommene  Liebesgabe  für  die  draussen  stehen- 
den  Heere  umsomehr  ahs  bereits  ein  Teil  der  A.  De  N  or  a  sehen 

heb?  fst  Die  mnaarr  7y?riscben  Ar.mee  wohlbekannt  und  sehr  be- 
erklärlich  eScheinä.  S,1C,1,Ir0be"'  keben.  lassen  das 

DerneueSchatz.  » 

Mein  Schatz,  jetzt  hats  geschnackelt, 

Es  wird  nicht  mehr  gefackelt, 

Zerrissen  ist  der  Draht! 

Ich  muss  dich  jetzt  versetzen 
Wohl  für  ein  ander  Schätzchen, 

Wo  mich  noch  lieber  hat,  jawoi!, 

Wo  mich  noch  lieber  hat! 

Sie  liebt  mich  ohne  Massen, 

Sie  will  mich  gar  nicht  lassen 
Und  sagt,  ich  g’hör  ihr  ganz 
Mit  Haut  und  Haar  und  Knochen, 

Und  hat  mir  auch  versprochen 
Schon  ihren  schönsten  Tanz,  jawoi!, 

Schon  ihren  schönsten  Tanz! 

Den  Tanz  den  will  ich  tanzen. 

Dass  fliegen  alle  Franzen, 

Und  obs  mich  selber  drah’! 

Leb  wohl,  mein  Schatz,  für  heuer! 

Mein  andrer  Schatz,  mein  neuer, 

Schreibt  sich  Germania,  jawoi!, 

Schreibt  sich  Germania! 

Rekruten  - Abschied. 

Und  so  habens  mich  jetzt  genommen 
Und  so  trag  ich  den  Buschen  am  Hut. 

Zu  der  Kawallerie  bin  ich  ’kummen, 

Sie  sagens.  die  Haxen  die  krummen 
Sein  zum  Marschieren  nicht  gut. 

O  du  mein!  Kruzitürkenundsaxen! 

Zwegen  dem  und  da  weinens  wir  nicht. 

Ist  nicht  eins  wie  das  andre  gewachsen! 

Die  ein‘n  haben  schönere  Haxen 
Und  die  Andern  ein  schöneres  Gsicht. 

Und  sie  habens  doch  immer  gefalle 
Meinem  Schatz,  meiner  herzlieben  Dirn; 

Ja  so  Werdens  die  Herrn  Generalle, 

Offiziers  und  die  Herrn  Korporalle 
Meine  Haxen  wohl  auch  nicht  scheniern! 

Drum  sei  du  mein  Schatz  nit  zuwider 
Und  gräm  dich  nit  allweil  darum! 

Uebers  Jahr  und  so  sehn  wir  uns  wieder, 

Und  dann  bring  ich  dir  all  meine  Glieder 
Zurück,  ob  sie  grad  oder  krumm! 

Schwolischöh-Lied. 

Die  tapfern  Schwolischöh  mit  ihren  stolzen  Rossen 

Sie  kommen  aus  der  Höh  wie’s  Wetter  hergeschossen: 

Der  Donner  sind  die  Gäul', 

Die  Lanzen  sind  die  Blitzen! 

Mein  Lieber,  da  tust  spitzen, 

_ _  Schlagt  dich  der  Blitz  aufs  Mäul! 

.  ^  cP??  Soldatenbuch"  von  A.  De  Nora.  Neue  schöne  und 
vtige  Soldatenlieder.  Leipzig,  L.  Staackmanns  Verlag.  100  S. 

eis  geb.  60  Pf. 


Sie  fürchten  keinen  Feind  und  auch  nicht  das  Terrain, 
o  dass  sie  immer  seind,  sie  stürzen  mutig  drein; 
Fallt  einer  auch  in  Dreck, 

Scheniert  es  ihn  nicht  weiter: 

Er  steigt  auf  seinen  Häuter 
Und  reitet  wieder  weg. 

So  dienet  er  in  Trab  und  Treue  seinem  Land. 
ann  ßent  er  freudig  ab  in  den  Reservestand» 

Sagt  seinem  Ross  Ade 
Und  seinem  grünen  Kleid 
Und  bleibt  doch  allezeit 
Ein  tapfrer  Schwolischöh. 


Tagesgeschichtliche  Notizen. 

München,  den  5.  Oktober  1914. 

K  r  }  °ss  w  oc  h  e  hat  die  Entscheidung  in  den 
Kämpfen  in  Nordfrankreich  noch  nicht  gebracht,  wohl  aber  eine 

geführt  BDieSeVersg„fhr  ^  L£gC  der  deutschen  Armee  daselbst  herbei- 
getuhrt.  Die  Versuche  der  Franzosen  und  Engländer,  unseren  rechten 

fassen-  sind  als  gescheitert  zu  betrachten;  die  Verbiinde- 
n  '  byben  In  mehreren  Gefechten  schwere  Verluste  erlitten.  Die 
Pgen  y^duu  und  Antwerpen  schreiten  erfolgreich  fort. 
Im  Osten  haben  sich  deutsche  Armeekorps  mit  den  österreichischen 
^I-U'?Pje.n  y^m'gt.  Die  dadurch  bewirkte  Verstärkung  unserer  Macht 
vvird  die  baldige  Wiederaufnahme  der  Offensive  ermöglichen.  Ueber 

•  neS»iUt!  iheitJSZU>stand  der  deutschen  Armee  liegt  eine 
offizielle  Mitteilung  des  Generalstabs  der  Armee,  Exz  v  Schier 

Pi'ihrfüiL01"’^16  Sehir  gÜ7Stig  lautet  Die  Darmkatarrhe  und  leichten 
herein3  tSei^mnder  Abnahm<',  besnffen ;  Typhuserkrankungen  seien 
ril’  t°  0rgan,lsatr  des  Feldsanitätswesens  habe  sich  be- 

^üHi’rh  n7mannPOrurder  Verwundeten  sei  «ut  gegangen,  wenn  auch 
natürlich  nicht  allen  Wünschen  entsprochen  werden  konnte  Das  ein¬ 
zige  was  bisweilen  Schwierigkeiten  gemacht  habe,  war  der  Trans¬ 
port  vom  Schlachtfeld  zur  Etappe,  es  seien  aber  bereits  für  diesen 
Zweck  weitere  Transportmittel  in  grösserer  Zahl  beschafft  und  da 
nun  auch  der  Nachschub  von  Verbandmaterial  und  Arzneien  regel- 
massig  erfolge,  können  wir  zufrieden  sein.  Die  Zahl  der  im  Felde 
stehenden  Aerzte  wird  von  Sch.  auf  9000  angegeben. 

Eme  weitere  Aeusserung  des  Generalstabsarztes  betrifft  die 
Greueltaten  gegen  unsere  Verwundeten.  Exz.  v.  S  c  h  j  e  r  n  i  n  g  hat 
dem  Kaiser  folgende  Meldung  erstattet: 

„Vor  einigen  Tagen  wurde  in  Orchies  ein  Lazarett  von  Franc- 
tireurs  uberfallen.  Bei  der  am  24.  September  gegen  Orchies  unter¬ 
nommenen  Strafexpedition  durch  Landwehrbataillon  35  stiess 
dieses  auf  überlegene  feindliche  Truppen  aller  Gattungen  und 
musste  unter  Verlust  von  8  Toten  und  35  Verwundeten  zurück 

Cn  Iage,  ausPsandtes  bayerisches  Pionierbataillon 
stiess  auf  keinen  Feind  mehr  und  fand  Orchies  von  Einwohnern 
verlassen  Am  Orte  wurden  zwanzig,  beim  Gefecht  am  vorher- 
g7fnden  Tap  verwundete  Deutsche  grauenhaft  verstümmelt  auf- 
geiunden.  Ohren  und  Nasen  waren  ihnen  abgeschnitten,  und  man 
hatte  sie  durch  Einfuhren  von  Sägemehl  in  Mund  und  Nase  er¬ 
stickt.  Die  Richtigkeit  des  darüber  aufgenommenen  Befundes 
77  +  Vnn  i5wei  französischen  Geistlichen  unterschriftlich  be¬ 
stätigt.  Orchies  wurde  dem  Erdboden  gleichgemacht  “ 

ES2Ä&28S? ünserer  0eBner  ™ 

Auch  über  die  Gesundheitsverhältnisse  der  bayerischen  Truppen 
wird  eine  halbamtliche  Mitteilung  verbreitet.  Der  Gesundheits¬ 
zustand  bezüglich  ernster  innerer  Erkrankungen  sei  bis  jetzt  beim 
ersten  bayerischen  Armeekorps  ein  günstiger  zu  nennen.  Besonders 
verdient  erwähnt  zu  werden,  dass  die  seinerzeit  im  Russisch-jaoa- 
n  ischen  Kriege  so  häufig  beobachteten  nervösen  und  geistigen  Er- 

i7n^ngennb'She+r7UrJn  ganz  verschwindend  seltenen  Fällen  auf- 
g  re  enHS,n1j  fr"tzdern.:das  ruhige  tagelange  Aushalten  unserer  Trup- 
wLf'n  den  Schützengraben  unter  dem  schwersten  feindlichen  Artil- 

kraf/K  an  die  nervöse  Widerstands¬ 

kraft  des  Soldaten  stellte  —  ein  glänzendes  Zeugnis  für  die  Kraft  und 
Unverbrauchbarkeit  der  Nerven  unseres  Volkes. 

,  ~  Die  Familie  des  verstorbenen  grossen  ’  Physiologen  Emil 

7  T  7  °nn  d  7at  die  ibm  seinerzeit  verliehene  goldene 

Kn  v  fff/  rtipmH0  Z'Ki  LUr,g  im  ,Werte  von  1733  M-  der  National- 
•JS  n  ^  A  Unterbliebenen  der  im  Kriege  Gefallenen  zuge- 

jK+p  f  ln™  Ansch reiben  war  folgende  zur  Veröffentlichung  be- 
stimmte  Erk  arimg  angefugt:  „Mehrfach  sind  Orden  und  Ehrenpreise 
emdlicher  Nationen  zurückgesandt  oder  veräussert  worden.  Wenn 
dagegen  die  unserm  Vater  als  höchste  Anerkennung  wissen¬ 
schaftlichen  Verdienstes  verliehene  goldene  Helmholtz-Medaille  zum 
Besten  eines  nationalen  Zwxckes  zu  widmen  uns  entschlossen,  so  ge¬ 
schieht  es,  weil  wir  solchen  Schatz  auf  keine  Weise  höher  zu  ehren 

W 1 S  S  C 1 1 . 

Ministerialdirektor  Prof.  Dr.  Kirchner  hat  auf  die 
ihm  verliehenen  englischen  Auszeichnungen  eines  Honorary  Fellow 
des  Royal  Sanitary  Institute  und  des  Royal  Institute  of  Public  Health 


2056 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  tued.  Wochenschrift. 


Nr.  40. 


in  London  verzichtet.  Der  Nationalstiftung  für.  die  Hintei- 
hliebenen  der  irn  Kriege  Gefallenen  ist  von  Frau  Ge'neraloberarzt 
p  fühl  die  ihrem  Vater  Robert  Koch  von  dem  englischen  Royal 
Institute  of  Public  Health  verliehene  goldene  Harbenme- 

daille  gestiftet  worden.  , 

-  In  Amerika  ist  die  ehemalige  „Hamburg  der  Hapag  als 
Rotes- Kreuz-Schiff  zum  Dienste  in  Europa  ausgerüstet  worden.  Das 
Schiff  trägt  43  Aerzte,  125  Pflegerinnen  und  grosse  Mengen  von  Ver¬ 
bandstoffen  und  medizinischen  Gerätschaften.  —  Die  amerikanische 
Kolonie  in  M  ii  nchen  hat  ein  Haus  in  der  Prinz-Regent-Strasse 
als  Hospital  zur  Behandlung  und  Verpflegung  Verwundeter  einge¬ 
richtet.  , 

Durch  die  Vermittlung  des  deutschen  Gesandten  Iiess  der 
Kaiser  der  luxemburgischen  Regierung  seine  höchste  Anerkennung 
aussprechen  für  die  Leistungen  der  luxemburgischen 
Aerzteschaft  zum  Besten  der  dort  durchkommenden  Verwun¬ 
detentransporte.  . ,  , 

—  Die  Medizinische  Gesellschatt  Leipzig  hat 
10 000  Mark  ihres  Vermögens  zur  Zeichnung  der  Kriegsanleihe 
verwendet. 

—  Das  Eiserne  Kreuz  erhielten : 

Dr.  Jaques  B  e  n  a  r  i  o,  Stabsarzt,  aus  Frankfurt  a.  M.; 

Generalarzt  Prof.  Dr.  E  n  d  e  r  1  e  n,  Direktor  der  Chirurg.  Klinik 
in  Würzburg; 

Privatdozent  Dr.  Gilbert,  Assistent  d.  Univ.-Augenklimk  in 
München; 

Dr.  Paul  Graf  fr  en  der,  Elbing; 

Dr.  v.  Heuss,  Bataillonsarzt  in  1.  bayer.  Inf.-Reg.  (München); 

Dr.  Hevius,  Stabsarzt  d.  L.; 

Dr.  Oskar  Hornung,  Stabsarzt  d.  Res.  (Mindelheim); 

Dr.  Oskar  Köhl,  Stabsarzt  der  Landwehr  1.  Aufgeb.  (Hof); 

Stabsarzt  Dr  Josef  Langheld; 

Dr.  Lorenz  Lehmann,  Assistenzarzt  d.  Res.  (Hof); 

Dr.  Max  Mendelsohn,  Stabsarzt; 

Geh.  Med.-Rat  Prof.  Dr.  Müller,  Direktor  der  Chirurg.  Univ.- 
Klinik  in  Rostock; 

Dr.  R.  Pfeiffer,  Generalarzt,  Geh.  Med.-Rat,  Direktor  des 
hyg.  Instituts  in  Breslau,  z  Z.  in  Frankreich. 

Dr.  Willy  Pullmann,  Marinestabsarzt  d.  Res.,  Offenbach  a.  M.; 

Dr.  Rees,  Oberstabs-  und  Regimentsarzt  im  Wiirtt.  Gren.-Reg. 
Nr.  123,  Arzt  in  Albersweiler  (Pfalz); 

Dr.  Paul  R  e  y  h  e  r,  Stabsarzt,  Privatdozent  für  Kinderheilkunde 


111  U  wl  I1H  j  m 

Prof.  Sauerbruch,  Direktor  der  Chirurg.  Klinik  in  Zürich, 
z.  Z.  Leiter  des  Kriegslazaretts  in  Strassburg; 

Dr.  Paul  Unna,  Oberarzt  d.  Res.  (Aschaffenburg); 

Dr.  Wiener,  Assistenzarzt  d.  17.  Inf.-Reg.; 

—  Die  ostpreussische  Aerztekammer  gibt  bekannt,  aass  ein  be¬ 
sonderer  Notstand  dadurch  eingetreten  ist,  dass  es  in  den  kleinen 
Provinzstädten  Ostpreussens  an  Aerzten  mangelt.  Es 
wird  als  dringend  notwendig  bezeichnet,  dass  sich  Aerzte  finden,  die 
bereit  sind,  für  die  Zeit  der  Not  dort  ihre  Praxis  auszuüben. 

—  Die  Wahlen  zu  den  preussischen  Aerztekammer  n, 
die  im  November  dieses  Jahres  stattzufinden  hätten,  sind  aus  Anlass 
des  Krieges  bis  zum  Jahre  1915  verschoben  worden.  —  Die  baye¬ 
rischen  Aerztekammern  werden,  wie  aber  schon  vor  Kriegs¬ 
ausbruch  feststand,  in  diesem  Jahre  keine  Sitzungen  abhalten. 

—  Dr.  Turbans  Sanatorium  in  Davos-Platz  konnte  am 
8.  August  d.  J.  auf  eine  25  jährige  Wirksamkeit  zurückblicken.  Von 
einer  Feier  wurde  in  Anbetracht  der  Zeitumstände  abgesehen,  doch 
war  der  verdiente  Begründer  der  Anstalt,  Geheimrat  Turban, 
Gegenstand  mehrfacher  Auszeichnungen;  u.  a.  wurde  Ihm  Gas 
Ehrenbürgerrecht  von  Davos  verliehen.  Am  1.  September  d.  J.  ist 
die  Leitung  der  Anstalt  an  den  Kais.  Rat  Dr.  van  Voorweld 
übergegangen,  der  die  Anstalt  ganz  im  Sinne  und  nach  den  Grund¬ 
sätzen  ihres  Begründers  weiterführen  wird. 

—  Die  Pharm.  Ztg.  Nr.  77,  1914  bringt  folgende,  dem  „Matin“ 
entnommene  Notiz:  „Die  Liebig  Co.  bringt  zur  öffentlichen  Kenntnis, 
dass  sie  eine  1865  zu  London  unter  der  Firma  „Liebigs  Extract  of 
Meat  Company,  Ltd.,  gegründete  englische  Gesellschaft  ist.  Sie 
versorgt  gegenwärtig  die  französischen  und  englischen  Truppen  und 
deren  Sanitätspersonal  mit  Fleischextrakt,  Fleischkonserven  und 
Oxo-Bouillon.“  Die  Schlussfolgerung  für  deutsche  Verbraucher  er¬ 
gibt  sich  von  selbst. 

—  Infolge  Einberufung  zur  Armee  hat  Herr  Geheimrat  v.  Krehl- 
Heidelberg,  die  Redaktion  des  „Archivs  für  klinische  Me¬ 
dizi  n“,  Verlag  von  F.  C.  W.  Vogel,  Leipzig,  an  Herrn  Professor 
v  Romberg,  München,  Richard  Wagnerstr.  2,  übergeben,  wohin 
alle  zur  Aufnahme  für  das  Archiv  bestimmten  Arbeiten  einzureichen 
sind. 

—  Cholera.  Ungarn.  Laut  Mitteilung  vom  25.  September 
wurden  4  Erkrankungen  im  Dorfe  Tokod  (Kom.  Esstergom),  2  in  De- 
breczin  (Kom.  Hajdu)  sowie  je  1  Fall  in  Pest  und  Gomonna 
festgestellt.  Auch  in  den  Kriegsgefangenenlagern  in  Esstergom,  in 
Dunasserdahely  und  Somorja  (Kom.  Pressburg)  wurden  mehrere 
Cholerafälle  ermittelt. 

Pest.  Türkei.  Am  22.  August  ist  1  Erkrankung  ln  Smyrna 
festgestellt  worden.  Desgleichen  laut  Mitteilung  vom  8.  September 
2  Erkrankungen,  ln  Beirut  wurde  am  24.  August  ein  neuer  Pest¬ 
fall  festgestellt.  —  Griechenland.  Zufolge  Mitteilung  vom 


3.  September  ist  auf  der  Insel  Syra  ein  tödlich  verlaufener  Pestfall 
zu  verzeichnen  gewesen  —  Aegypten.  Vom  29.  August  bis  4.  Sep¬ 
tember  erkrankten  (und  starben)  4  (1)  Personen,  davon  2  (1)  in 
Alexandrien  und  2  (— )  in  Port  Said.  -  Cub  a.  In  Santiago  am 
14.  August  1  Erkrankung  und  1  Todesfall.  —  Brasilien.  In  Bahia 
vom  12.— 25.  Juli  4  Erkrankungen  und  2  Todesfälle. 

-  In  der  37.  Jahreswoche,  vom  13.— 19.  September  1914,  hatten 
von  deutschen  Städten  über  40  000  Einwohner  die  grösste  Sterblich¬ 
keit  Heilbronn  mit  61,8,  die  geringste  Berlin-Steglitz  mit  4,3  Todes¬ 
fällen  pro  Jahr  und  1000  Einwohner.  Mehr  als  ein  Zehntel  aller 
Gestorbenen  starb  an  Scharlach  in  Gleiwitz,  Königshütte,  Zabrze, 
an  Diphtherie  und  Krupp  in  Rostock.  Vöff.  Kais.  Ges.A. 

(Hochschulnachrichten.) 

(ireifswald.  Der  Prosektor  am  anatomischen  Institut 
Dr.  Wilhelm  v.  Möllendorff  hat  sich  für  das  Fach  der  gesamten 
Anatomie  habilitiert,  (hk.) 

Leipzig.  Der  ordentliche  Honorarprofessor,  Geh.  Mcdiztnal- 
rat  Dr.  Robert  Hermann  T  i  1 1  m  a  n  n  s,  chirurgischer  Oberarzt  am 
Kinderkrankenhause  und  Chefarzt  der  chirurgischen  Abteilung,  Gene¬ 
ralarzt  ä  la  suite  des  Kgl.  sächs.  Sanitätskorps,  begeht  am  3.  Okto¬ 
ber  seinen  70.  Geburtstag  Geheimrat  Tillmanns  stammt  aus 
Elberfeld,  (hk.) 

Münster  i.  W.  Das  anatomische  Institut  hat  kürzlich  durch 
Anbau  eines  Auditoriums  und  eines  Sezier-  resp.  Mikroskopiersaales 
eine  wesentliche  Vergrösserung  erfahren.  Das  neue  Auditorium  fasst 
ca.  230  Zuhörer,  während  der  neue  Seziersaal  260  Praktikanten  be¬ 
quem  Platz  bietet.  Beide  Anbauten  sind  nur  provisorisch,  da  der 
demnächstige  Neubau  eines  anatomischen  Instituts  in  der  Nähe  der 
zu  errichtenden  Universitätskliniken  ins  Auge  gefasst  ist.  Infolge 
des  Ausbruches  des  Krieges  musste  der  Beginn  des  Neubaues  der 
Universitätskliniken,  der  für  diesen  Herbst  in  Aussicht  genommen 
war,  zunächst  aufgeschoben  werden. 

(Berichtigung.)  In  dem  Referat  über  die  Demonstration  1. 
des  Herrn  Dr.  J.  Feuchtwanger  (Sitzungsbericht  des  Aerztl. 
Vereins  in  Frankfurt  a.  M.)  in  Nr.  36  S.  1913  d.  W.  muss  es  statt 
1970  g  heissen  1070. 


Ehrentafel. 

Fürs  Vaterland  starben: 

Dr.  Anger  mann,  Assistenzarzt,  Res.-Ulanen-Reg. 

Dr.  Eduard  G  o  r  t  a  n,  Unterarzt  d.  Res.  im  Res.-Inf.-Reg. 
Nr.  3,  aus  Berlin-Halensee,  am  11.  September. 

Dr.  Hans  Grimm,  Marineassistenzarzt  von  S.M.S.  „Köln“ 
beim  Seegefecht  vor  Helgoland  am  28.  August. 

Dr.  Kahler,  Unterarzt,  Graudenz. 

Dr.  Ludwig  K  i  r  c  h  h  e  i  m,  Prof ,  Assistent  der  med.  Klinik 
in  Marburg,  am  9.  September  bei  Vitry. 

Dr.  Alfred  K  o  r  s  c  h,  Generalarzt,  Korpsarzt  des  5.  Armee¬ 
korps,  in  Russland. 

Dr.  Paul  Kühl,  Unterarzt,  Wolgast  i.  Pom. 

Joachim  Melles,  stud.  med.  an  der  Kaiser-Wilhelms-Akademie 
in  Berlin. 

Dr.  F.  Meyer-Betz,  Oberarzt  d.  R.  im  4.  wtirtt.  Füs.-Reg. 
Nr.  122,  bei  Apremont  am  25.  September. 

Dr.  Emil  Mislowitzer,  Stabs-  und  Regimentsarzt  im 
49.  Inf.-Reg.,  aus  Schneidemühl,  am  16.  September. 

Dr.  Walter  M  u  1  s  o  w,  Off.-Stellvertreter  im  bayer.  Inf.-Leib- 
Reg.,  Assistent  am  Kgl.  Institut  für  Infektionskrankheiten 
in  Berlin,  am  29.  September. 

Dr.  Felix  Rosenberger,  Mülheim  a.  Mosel. 

Dr.  Hans  Rosenthal,  Oberarzt  d.  Res.  am  10.  September. 

Georg  Schäffler,  stud.  med.  an  der  Kaiser-Wilhelms- 
Akademie  in  Berlin. 

Vermisst  werden: 

Dr.  Fritz  B  a  u  m  a  n  n,  Marinestabsarzt  (aus  Passau),  S.M.S. 
Mainz. 

Arno  Kirsche,  Einj.-Freiw.-Marinearzt  (aus  Thüssdorf, 
Sachsen),  S.M.S.  Mainz. 


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und  österreichischen  Armee  und  Flotte  unentgeltlich  geliefert  zu  wer¬ 
den.  Herren,  welche  sie  nicht  erhalten,  werden  um  Angabe  ihrer 
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MÜNCHENER 


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Medizinische  Wochenschrift. 


ORGAN  FÜR  AMTLICHE  UND  PRAKTISCHE  ÄRZTE. 


Nr.  41.  13.  Oktober  1914. 


KcaaKtion:  Ur.  L>.  Spatz,  Paul  Heysestrasse  26. 
Verlag:  J.  F.  Lehmann,  Paul  Heysestrasse  26. 


61.  Jahrgang. 


Per  Verlag  behält  sich  das  ausschliessliche  Recht  der  Vervielfältigung  und  Verbreitung^  IrTdieser  zlits^tftTu^Abdruck  gelangenden  Originalbelträge'ToT 


.  Originalien. 

Rhythmische  Vorhoftachysystolie  und  Pulsus  irregularis 

perpetuus. 

Von  Prof.  H.  E.  H  e  r  i  n  g  in  Köln. 

Obwohl  wir  schon  recht  lange  wissen,  dass  die  Vorhöfe 
ind  die  Kammern  sich  verschieden  voneinander  verhalten 
vönnen,  so  pflegt  man  doch  noch  immer  sehr  häufig  von  Aende- 
ungen  der  Herz  tätigkeit  zu  sprechen,  wo  wir,  genau  ge- 
lommen,  von  Aenderungen  der  V  o  r  h  o  f  -  oder  Kammer- 
ätigkeit  sprechen  sollten.  So  pflegt  man  z.  B.  auch  heute  noch 
lie  Ausdrücke  Tachykardie  und  Bradykardie  zu  gebrauchen  in 
-allen,  in  denen  nur  die  Vorhöfe  oder  nur  die  Kammern  ab- 
lorm  häufig  oder  abnorm  selten  schlagen.  Um  dem  tatsäch- 
lchen  Verhalten  gerecht  zu  werden,  gebrauche  ich  schon  seit 
nehr  als  10  Jahren  die  Ausdrücke  Vorhoftachysysto- 
ie  und  Vorhofbradysystolie  bzw.  Kammer- 
achysystolie  und  Kammerbradysystolie,  Aus¬ 
gucke,  sie  seitdem  auch  in  der  Literatur  zu  finden  sind.’ 

Den  Begriff  Vorhoftachysystolie  habe  ich  1905  von 

•  Ri  hl* 1)  in  die  Literatur  einführen  lasen,  dem  ich  auch  die 
Veröffentlichung  der  3  ersten  Fälle  von  Vorhof- 
achysystolie  übertrug. 

Im  August  1911  hat  R  i  h  1 2 *)  dann  weitere  3  auf  meiner  Kli- 
lk  in  Prag  beobachtete  Fälle  veröffentlicht.  Die  Vorhoffre- 
uenz  betrug  in  den  ersten  3  Fällen  (geordnet  nach  der  Höhe 
er  Frequenz)  I.  108—120,  II.  136—143,  III.  150—187,  in  den 
‘tzten  3  Fällen  IV.  200—214,  V.  206—222  und  VI.  285—315. 

In  allen  6  Fällen  bestand  Kammersystolenaus- 
a  1 1.  Die  hierdurch  bedingte  K  a  m  m  e  r  Unregelmässigkeit 
a  es,  durch  welche  man  beim  Pulsfühlen  auf  die  Unregel- 
lässigkeit  aufmerksam  wird,  während  man  die  Aenderung 
er  Vorhoftätigkeit  erst  später  zu  erkennen  pflegt.  Wir  haben 
s  also  in  diesen  Fällen  mit  2  Abnormitäten  zu  tun,  mit  V  o  r  - 
oftachysystolie  und  Kammersystolenaus- 
al  l.  Beantworten  wir  zunächst  die  Frage,  ob  und  inwieweit 
i  diesen  Fällen  der  Kammersystolenausfall  die  Folge  der  Vor- 
oftachysystolie  ist? 

VV  ir  haben  uns  schon  im  Jahre  1904  damit  beschäftigt,  am  Hunde¬ 
rzen  durch  Reizung  der  Vorhöfe  mit  frequenten  Einzelinduktions- 
iilagcn  aurikuläre  Tachykardien  zu  erzeugen.  Die  Hunde  waren 
iraresiert,  die  Vagi  durchschnitten.  Steigerten  wir  die  natürliche 
>rhofirequenz  von  150  künstlich  auf  240,  dann  wurde  jede  Vorhof- 
^tole  von  den  Kammern  noch  beantwortet,  nur  Alternans  trat  auf. 

-i  einer  Steigerung  der  Frequenz  von  150  auf  270  löste  jedoch  nur 
ae  zweite  Vorhofsystole  eine  Kammersystole  aus,  es  kam  zum 
tinmersystolenausfall,  die  Kammerfrequenz  sank  von  150  auf  135 

•  big.  5  u.  6  in  der  Mitteilung  von  J.  R  i  h  1  *)].  Hier  haben  wir  es 
so  mit  der  gleichen  Erscheinung  zu  tun,  wie  in  den  Fällen  beim 
enschen,  \  orhoftachysystolie  mit  Kammersystolenausfall. 


')  Zschr.  f.  exper.  Path.  u.  Ther.  2.  1905.  S.  83.  Der  (im  Quart, 
arn.  of  med.  Vol.  2  p.  213,  6.  Jan.  1909)  von  Hertz  und  Good- 

1  r  t  erst  im  Jahre  1909  mitgeteilte  Fall  war  demnach  nicht  der 
ste,  wie  mehrfach  in  der  Literatur  angeführt  worden  ist. 

;)  Zschr.  f.  exper.  Path.  u.  Ther.  9.  1911.  S.  277. 
f  exper-  Path.  u.  Ther.  1.  1904.  S.  43.  P.  H  o  f  f  m  a  n  n 

dt.  Magnus-Alsleben  haben  auf  dem  letzten  Kongress  für 
iere  Medizin  angegeben,  dass  beim  Katzenherzen  A  600  mal, 
400  mal  schlagen  kann  und  das  Bündel  rechtläufig  400  mal,  rück- 
u:g  250 mal  leiten  kann.  —  Beim  Menschen  sind  bei  rhyth- 
14  c  h  e  r  Vorhoftachysystolie  höhere  Frequenzen  von  A  als  etwa 
335  bis  jetzt  nicht  beobachtet  worden. 

Nr.  41. 


Bezeichnen  wir  mit  Af  die  Vorhoffrequenz,  mit  Uf  die 
Ueberleitungsfrequenz,  so  hängt  die  Kammerschlagzahl  ab  von 
dem  Verhältnis  Af:  Uf.  In  diesem  Verhältnis  nehmen  normaler¬ 
weise  bei  der  Zunahme  der  Herzschlagzahl  beide  zu,  bei  der 
Abnahme  der  Herzschlagzahl  beide  ab.  So  z.  B.  bei  Muskel¬ 
tätigkeit  und  Ruhe,  bei  Abnahme  des  Vagustonus  und  bei 
Wiederherstellen  des  normalen  Vagustonus. 

Wie  gross  Af  beim  Menschen  werden  kann,  ohne  dass  es 
zum  Kammersystolenausfall  kommt,  wissen  wir  noch  nicht 
ganz  genau.  Im  Fall  III  beobachteten  wir  nach  subkutaner  In¬ 
jektion  von  0,001  Atropin  keinen  Vs-Ausfall  mehr;  das  ganze 
Herz  schlug  154  mal  pro  Minute.  Im  Fall  VI  war  die  höchste 
beobachtete  Kammerfrequenz  (ohne  dass  ein  Eingriff  gemacht 
worden  war)  150.  Diese  Zahlen  stimmen  mit  den  höchsten  mir 
bekannten  Tachykardien  nach  Vaguslähmung  beim  Erwach¬ 
senen  überein,  denn  diese  betragen  etwa  150—160. 

Eine  sicher  nachgewiesene  aurikuläre  Tachykardie,  die 
höher  als  180  wäre,  ist  mir  bis  jetzt  beim  Menschen  nicht  be¬ 
kannt,  wobei  es  noch  fraglich  ist,  ob  diese  Tachykardie  eine 
nomotope  war  4). 

Aus  diesen  Zahlen  geht  hervor,  dass  Uf  beim  Menschen  bis 
über  150  pro  Minute  betragen  kann,  woraus  sich  weiter  ergibt, 
dass  in  den  3  ersten  Fällen  (I,  II,  III)  die  Vorhoftachysystolie 
an  sich  nicht  den  Vs-Ausfall  bewirkt,  sondern  dass  letzteren 
noch  ein  besonderer  Koeffizient  mitbewirkt.  Dieser  Koeffizient 
ist  die  relativ  erschwerte  Ueberleitung,  d.  h.  re¬ 
lativ  mit  Bezug  auf  die  Vorhoffrequenz. 

Wir  haben  damals  auch  festgestellt,  worauf  diese  relativ 
erschwerte  Ueberleitung  beruht.  Da  Atropin  im  Fall  III  eine 
Tachykardie  von  154  bewirkte,  und  Vagusdruck  die  Vs-Aus- 
fälle  verstärkte,  ohne  dass  das  Atropin  oder  der  Vagusdruck 
die  Vorhoffrequenz  irgendwie  wesentlich  beeinflusst  hätte,  er¬ 
gab  sich  daraus,  wie  ich  es  nannte,  eine  e  1  e  k  t  i  v  e  Vagus¬ 
wirkung,  d.  h.  ein  Vorhandensein  des  dromotropen  Vagustonus 
für  die  Ueberleitung  von  den  Vorhöfen  zu  den  Kammern  bei 
fehlendem  chronotropen  Vagustonus. 

Ist  nun  die  Vorhoftachysystolie  eine  sehr  grosse,  wie  z.  B. 
in  Fall  VI,  wo  sie  285 — 315  betrug,  dann  beseitigt  die  Aus¬ 
schaltung  des  Vaguseinflusses  auf  die  Ueberleitung  nicht  mehr 
die  Kammersystolenausfälle,  sondern  vermag  sie  nur  zu  ver¬ 
mindern.  Hier  überwiegt  dann  wesentlich  Af,  die  auch  nach 
Ausschaltung  des  Vagustonus  für  die  Ueberleitung  noch  weiter 
Kammersystolenausfälle  bewirkt. 

Auf  die  oben  gestellte  Frage,  ob  und  inwieweit  der  Kam¬ 
mersystolenausfall  die  Folge  der  Vorhoftachysystolie  ist, 
können  wir  also  antworten,  dass  es  ganz  auf  das  jeweilige 
Verhältnis  von  Af :  Uf  ankommt,  ob  es  zum  Kammersystolen¬ 
ausfall  kommt  oder  nicht.  So  zeigten  die  Fälle  I  und  II  zeit¬ 
weilig  Tachykardien  bis  120  ohne  Kammersystolenausfall. 
Wurde  jedoch  im  ersten  Fall  der  Patient  aufgefordert,  den 
Atem  innezuhalten,  dann  kam  es  am  Ende  des  Atemstillstandes 


)  Die  atrioventrikulären  und  die  ventrikulären  Tachysysto- 
lien  kommen  an  dieser  Stelle  nicht  in  Frage,  da  es  sich  bei  diesen 
nicht  um  Ueberleitung  von  den  Vorhöfen  zu  den  Kammern  handelt.  Es 
sei  bei  dieser  Gelegenheit  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  nach 
den  bis  jetzt  vorliegenden  Erfahrungen  Kammerfrequenzen 
über  180  hinaus  vermuten  lassen,  dass  es  sich  nicht  um 
eine  aurikuläre,  sondern  atrioventrikuläre  oder  ventrikuläre  Tachy- 
systolie  handelt,  und  ferner,  dass  das  Maximum  der  Ueber¬ 
leitungsfrequenz  Uf  beim  Menschen  um  180  herum 
liegt,  wenigstens  nach  den  mir  bekannten  Erfahrungen. 

1 


2058 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  41. 


zu  Vs-Ausfällen,  da  die  dyspnoische  Vaguserregung  Uf 
nicht  aber  Af  beeinflusste. 

Als  in  den  Fällen  I  und  II  Digitalis  gegeben  wurde, 
kam  es  ebenfalls  zu  Kammersystolenausfällen;  auch  liier  nahm 
infolge  der  zentralen  Vaguserregung  Uf  ab,  nicht  aber  Af;  ja 
es  bewirkte  in  diesen  Fällen  die  Digitalis  eine  Zunahme 
von  Af. 

Letzteres  habe  ich  auch  beim  Experiment  beobachtet,  wenn  die 
Vaguswirkung  auf  die  Reizbildung  in  den  Vorhöfen  fehlt,  auf  die 
Ueberleitung  aber  erhalten  ist.  Dies  kann  man  z.  B.  auch  in  Fig.  7 
der  aus  meinem  Institute  im  Jahre  1906  erschienenen  Mitteilung  von 
v.  Tabora5)  ersehen,  die  Vorhoffrequenz  Af  des  vagotomierten 
Hundes  war  nach  Digitalisinjektionen  auf  330  gestiegen,  die  Kammer-  | 
frequenz  betrug  die  Hälfte.  Vagusreizung  hatte  nun  eine  elek- 
tive  Wirkung  auf  die  Ueberleitung,  denn  Af  wurde  nicht  geändert, 
während  der  bestehende  Vs-Ausfall  infolge  Aenderung  von  Uf  ver¬ 
stärkt  wurde  und  schliesslich  Dissoziation  auftrat. 

Im  Fall  IV  (Rihls  III.  Fall  der  II.  Mitteilung)  war  am 
Ende  unserer  Beobachtung  die  Vorhoftachysystolie  in  eine  Un¬ 
regelmässigkeit  übergegangen,  die  vollständig  dem  Bilde  des 
Pulsus  irregularis  perpetuus  (P.  i.  p.)  entsprach,  und  zwar  war 
letzterer  nach  einer  D  i  g  i  t  a  1  i  s  medikation  aufgetreten.  Das 
führte  zu  der  Frage:  Kann  dieVorhoftachysystolie 
beim  Menschen  in  einen  P.  i.  p.  übergehen  und 
welche  Beziehungen  bestehen  zwischen  bei¬ 
den  Unregelmässigkeiten? 

Experimentell  kann  diese  Frage  leicht  bejaht  werden;  es 
ist  ein  solcher  Uebergang  experimentell  schon  lange  bekannt 
und  jederzeit  leicht  demonstrierbar.  Beim  Menschen  war 
jener  Fall  IV  der  erste,  der  uns  Anlass  gab,  auf  die  Beziehung 
der  beiden  Unregelmässigkeiten,  der  Vorhoftachysystole  zu 
dem  P.  i.  p.  beim  Menschen  einzugehen.  R  i  h  1 2)  machte  da¬ 
mals  darauf  aufmerksam,  dass  bei  beiden  Unregelmässigkeiten 
frequente  Erregungen  vom  Vorhof  ausgehen,  bei  beiden  nur 
eine  Anzahl  dieser  Erregungen  eine  Kammersystole  auslösen, 
und  dass,  je  höher  die  Vorhoftachysystolie  wird,  desto  ähn¬ 
licher  sich  bei  ihr  die  Bedingungen  für  die  Erregung  der  Kam¬ 
mern  denen  beim  P.  i.  p.  gestalten.  Es  wies  R  i  h  1  ferner 
darauf  hin,  das  zu  jener  Zeit,  als  die  Unregelmässigkeit  dem 
Bilde  des  P.  i.  p.  entsprach,  die  Vorhöfe  wahrscheinlich  flim¬ 
merten. 

Im  Jahre  1911  haben  W.  A.  Jolly  und  W.  Ritchie6)  (ohne 
die  erste  Mittelung  von  R  i  h  1  aus  dem  Jahre  1905  zu  kennen)  einen 
Fall  von  Vorhoftachysystolie  (oder  Vorhofflattern,  wie  es  die  Autoren 
nach  Mc  Willi  am  nennen,  der  die  beim  Experiment  beobachtete 
sehr  rasche  Vorhoftätigkeit  1897  so  nannte)  beschrieben;  sie  fanden 
eine  Vorhoffrequenz  von  250 — 300  und  wiesen  zum  Unterschiede 
vom  P.  i.  p.  darauf  hin,  dass  bei  letzterem  das  Elektrokardiogramm 
irreguläre  Oszillationen  von  390 — 522  pro  Min.  zeige. 

Im  Juni  1912  hat  Lewis7)  einen  Fall  von  Vorhoftachysystolie 
(300  pro  Min.)  mitgeteilt.  Auf  Digitalismedikation  ging,  wie  in 
unserem  Falle  IV,  die  Vorhoftachysystolie  in  P.  i.  p.  über;  nachher 
kam  es  zu  regelmässiger  Herztätigkeit;  er  erwähnt  ausserdem  noch 
3  weniger  ausführlich  beobachtete  Fälle. 

Im  November  1912  veröffentlichte  Lewis8)  noch  einige  Fälle 
von  Vorhoftachysystolie;  als  höchste  Vorhoffrequenz  fand  er  335; 
er  spricht  sich,  wie  Ri  hl,  auch  dahin  aus,  dass  die  Vorhoftachy¬ 
systolie  mit  dem  Vorhofflimmern  eine  Verwandtschaft  zeige,  und 
dass  Uebergänge  Vorkommen. 

Fahr  en  kamp9 *)  kam  dann  1913  in  einer  Mitteilung  „Ueber 
das  Elektrokardiogramm  der  Arhythmia  perpetua“  auf  S.  311  zu  dem 
Schluss,  dass  das  Gemeinsame  eine  Störung  der  Vorhofstätigkeit  sei, 
wie  ich  es  schon  1903  angegeben  habe.  Diese  Vorhofstörung  besteht, 
sagt  Fahrenkamp  weiter,  nicht  in  Flimmern,  sondern  in  rhyth¬ 
mischer  oder  arhythmischer  Tachysystolie  der  Vorhöfe.“  Zu  diesem 
Schlusssätze  stimmt  seine  Angabe  auf  S.  327  nicht:  „Nur  bei  4  Kran¬ 
ken  konnten  wir  die  Diagnose  der  flimmernden  Vorhöfe  aufrecht  er¬ 
halten.“  Auf  derselben  Seite  sagt  der  Autor  weiter:  „Es  wäre  ja 

5)  Zschr.  f.  exper.  Path.  u.  Ther.  3.  S.  499.  Nov  1906. 

n)  Hearth  Vol.  II  S.  177,  10.  Mai  1911. 

)  lieart  Vol.  III  S.  279,  Juni  1912  (die  Mitteilung  von  Ri  hl  aus 
dem  Jahre  1905  ist  auch  Lewis  entgangen). 

8)  Heart  Vol.  IV  S.  171,  30.  Nov.  1912. 

")  Arch.  f.  klin.  M.  112.  1913.  S.  302.  —  Es  wäre  noch  eine  Mit¬ 
teilung  von  E.  D  o  n  z  e  1  o  t  et  C.  P  e  z  z  i  zu  erwähnen  (Soc.  med. 

des  Höpitaux,  Paris,  März  1914),  in  welcher  ein  Fall  von  Vorhof- 
tachysystolje  von  300  publiziert  ist,  der  mit  Dissoziation  kombiniert 

war.  Die  Autoren  erwähnen  einen  Fall  von  Vorhoftachysystolie 

von  360,  den  Lambry  und  P  a  r  o  n  veröffentlicht  haben.  Da  mir 

diese  Publikation  nicht  zugänglich  ist,  kann  ich  nicht  beurteilen,  ob  es 

sich  um  eine  rhythmische  Vorhoftachysystolie  oder  um  P.  i.  p. 

gehandelt  hat. 


denkbar,  dass  bei  zunehmender  Frequenz  eine  Arhythmie  der  Vor¬ 
höfe  an  die  Stelle  einer  rhythmischen  Tätigkeit  tritt  und  dass  die 
arhythmische  Tachysystolie  den  Uebergang  zum  Flimmern  darstellt." 
Wie  ich  schon  erwähnte,  ist  dies  experimentell  lang  bekannt  und  es 
ist  das  ein  Vorlesungsexperiment,  das  sich  jederzeit  leicht  detnon- 
I  girieren  lässt,  dass  bei  entsprechender  Steigerung  der  künstlichen 
elektrischen  Reizfrequenz  die  rhythmische  Vorhoftachysystolie  in 
eine  arrhythmische  und  diese  in  Flimmern  übergehen  kann.  Aus  den 
sehr  zahlreichen  Kurven  von  Hunden  und  Kaninchen,  die  ich  darüber 
besitze,  geht  z.  B.  auch  hervor,  dass  bei  Reizung  des  einen  Vorhofs 
der  nicht  direkt  gereizte  Vorhof  durchaus  nicht  immer  das  gleiche 
Verhalten  zeigt,  wie  der  direkt  gereizte. 

Es  wäre  ferner  zu  sagen,  dass  Fahrenkamp  die  Fälle  von 
rhythmischer  von  denen  mit  arhythmischer  Tachysystolie  nicht  ge¬ 
nügend  trennt  und  überhaupt  nur  einen  Fall  von  rhythmischer 
Vorhoftachysystolie  (es  ist  das  Fall  33,  der  den  Fällen  von  Ri  hl 
analog  ist),  elektrokardiographisch  zur  Abbildung  gebracht  hat,  alle 
anderen  abgebildeten  Fälle  entsprechen  dem  P.  i.  p.  Es  ist  daher  in 
seinem  Schlussatze  auch  nicht  zutreffend,  zu  sagen,  die  Vorhofstö¬ 
rung  des  P.  i.  p.  bestehe  in  rhythmischer  oder  arhythmischer  Vorhof¬ 
tachysystolie.  ,  ,  „ 

Wenn  man  will,  kann  man  das  Flimmern  als  einen  hohen  Grau 
von  arhythmischer  Vorhoftachysystolie  bezeichnen,  obwohl  es  besser 
erscheint,  den  Ausdruck  Vorhoftachysystolie  nur  bei  koordinierter 
Vorhoftätigkeit  zu  benützen. 

Ueber  das  elektrische  Flimmern,  d.  h.  das  auf  elektrische  Reizt 
hin  auftretende  Flimmern,  hat  sich  1903  Trendelen  bürg  "’)  am 
Grund  von  Versuchen  am  Froschherzen  geäussert.  Er  bezieht  sicli 
da  auf  die  schon  vorher  bekannte  und  von  ihm  nach  F.  B.  Hof- 
mann  (1901)  weiter  studierte  Tatsache,  dass,  wie  ich11 * * *)  es  1902 
auch  vom  menschlichen  Herzen  angegeben  hatte,  mit  zunehmen¬ 
der  Reizfrequenz  die  refraktäre  Phase  des  Herzens  sich  verkürzt 
und  dass  auf  die  hohe  Reizfrequenz  nicht  immer  alle  Muskelfaser! 
ansprechen,  so  dass  das  Flimmern  „als  Ausdruck  verschiedener  Kon¬ 
traktionsfrequenz  zu  deuten  wäre“.  Ich  stimme  mit  T  r  e  n  d  e  1  e  n  - 
bürg  darin  überein,  dass  es  bei  dem  elektrischen,  aber,  wie  ich 
meine,  auch  bei  dem  sogen,  überdauernden  oder  dem  spontaner 
Flimmern  sich  um  eine  Zunahme  der  Reizfrequenz  handelt,  dass  mii 
Zunahme  der  Reizfrequenz  sich  die  refraktäre  Phase  verkürzt,  unt 
dass  an  dieser  Verkürzung  der  refraktären  Phase  nicht  alle  Muskel¬ 
fasern  in  gleichem  Masse  teilnehmen. 

Es  kommt  nun  ganz  auf  das  Verhältnis  der  erhöhten  Reiz¬ 
frequenz  R  zu  der  Anspruchsfähigkeit  A  der  direkt  gereizten,  wie 
auch  der  auf  dem  Leitungswege  erregten  Muskelfasern  an,  ob  es  zi 
einer  rhythmischen  oder  arhythmischen  Tachysystolie  bzw.  Flimmert 
kommt.  Je  grösser  A  ist,  desto  grösser  kann  auch  R  sein,  ohm 
dass  es  zu  einer  arhythmischen  Tachysystolie  bzw.  Flimmern  kommt 
das  jedoch  eintritt,  wenn  R  im  Verhältnis  zu  A  zu  gross  bzw.  A  irr 
Verhältnis  zu  R  zu  klein  wird. 

Da  es  sich  beim  Flimmern  um  eine  arhythmischi 
Tätigkeit  des  flimmernden  Herzabschnittes  handelt,  lässt  siel 
bezüglich  des  P.  i.  p.  und  der  Vorhoftachysystolie  folgende; 
sagen: 

Dervon  mir  1 903  abgesonderte  Pulsus  irre 
gularis  perpetuus verdankt  seine  Entsteh  uni 
einer  hochgradig  arhythmischen  Vorhof 
tachysystolie  (Flimmern);  die  1905  zuerst  vor 
R  i  h  1  aus  meiner  Klinik  beschriebenen  Fällt 
von  Vorhoftachysystolie  einer  rhythmischer 
Vorhoftachysystolie. 

Beide  haben  unter  anderem  gemeinsam: 

1.  die  hohe  Reizfrequenz  (Tachyerethismus), 

2.  die  Heterotopie  der  Reizbildung, 

3.  den  Kammersystolenausfall. 

Sie  unterscheiden  sich  aber  dadurch,  dass  beim  P.  i.  p.  du 
Vorhoftätigkeit  eine  arhythmische  ist,  im  Gegensatz  zui 
rhythmischen  Vorhoftachysystolie. 

Daraus  ergibt  sich  des  weiteren,  dass  die  Kammer 
arhythrnie  beim  P.  i.  p.  nicht  lediglich  durch  dii 
Ueberleitungsstörung  an  der  Vorhof-Kammergrenzc 
sondern  ausserdem  auch  durch  die  Vorhof 
arhythrnie  bedingt  wird.  Es  zeigt  demnach  im  allgemeinei 
der  P.  i.  p.  einen  höhergradigen  pathologi 
sehen  Zustand  der  Vorhöfe  an  als  die  rhyth 
m  ische  Vorhoftachysystolie. 

So  wie  der  P.  i.  p.  ist  auch  die  Vorhoftachysystolie  sein 
oft  eine  p  e  r  p  e  t  u  e  1 1  e  1S);  beide  sind  sich  auch  in  diesen 
Punkte  ähnlich. 


“’)  Arch.  f.  Anat.  u.  Physiol.  1903  S.  271.  . 

“)  Pflügers  Arch.  89.  1902.  S.  283. 

12)  Dabei  sei  erwähnt,  dass  sich  manche  an  das  Attribut  per 
petuus  gestossen  haben;  da  der  P.  i.  p.  auch"  vorübergehend  vor 


13.  Oktober  1914. _  MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Ausser  den  genannten  Gemeinsamkeiten  hat  der  P.  i.  p. 
mit  der  Vorhoftachysystolie  auch  wohl  noch  den  Aus¬ 
gangsort  gemeinsam.  Ich  habe  schon  1909  darauf  hin¬ 
gewiesen,  dass  sich  beim  Pulsus  irreg  ularis  per- 
petuus  die  Ursprungsreize  vielleicht  in  der 
Gegend  des  I  awaraschen  Knotens  e  n  t  w  i  k  - 
kein,  worunter  ich  jene  Gegend  verstand,  die  A  s  c  h  o  f  f 
jetzt  Vorhofsteil  des  1  a  w  a  r  a  sehen  Knotens  nennt.  Von 
Gegend  sprach  ich,  da  der  Ort  ganz  in  der  Nähe  des  Ta- 
w  a  r  a  sehen  Knotens  lag;  Vorhofsystolen,  die  von  jenem 
Orte  ausgingen,  folgten  Kammersystolen  in  einem  klei¬ 
neren  Intervall  als  dem  normalen. 

Bezüglich  des  Ortes,  von  dem  die  rhythmische  Vorhof¬ 
tachysystolie  ausgeht,  gewinnt  man  Anhaltspunkte  durch  die 
Aufnahme  des  Elektrokardiogramms  bei  verschiedener 
Ableitung,  wie  dies  zuerst  in  der  Mitteilung  von  R  i  h  1 2)  an¬ 
gegeben  wurde.  Die  kombinierte  Venen-  und  Arterienpuls¬ 
schreibung  hatte  im  Falle  VI  schon  eine  gewisse  Verkürzung 
des  Intervalles  a— c  ergeben.  Die  Verschiedenheit  der  Vorhof¬ 
elektrokardiogramme  bei  verschiedener  Ableitung  (positiv  und 
sehr  klein  bei  Abi.  I,  negativ  14)  und  gross  bei  Abi.  III)  wies 
darauf  hin,  dass  in  diesem  Falle  der  Ausgangspunkt  der  Vor- 
hoferregung  gegen  die  Basis  der  supraventrikulären  Herz¬ 
abschnitte  verlagert  war.  Ich  habe  dann  im  Zusammenhang 
mit  meiner  obenerwähnten  Beobachtung  am  Hundeherzen 
1912  1  )  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  es  sich  wahrschein¬ 
lich  um  Koronarsinus  rhythmus  handelt,  da  Erlanger 
und  Blackmann  lft)  1907  angegeben  hatten,  dass  die  Region 
des  Koronarvenensinus  einen  relativ  hohen  Grad  von  Auto¬ 
matic  besitzt. 

Damit  stimmt  die  1913  erfolgte  experimentelle  Angabe  von  G  a  n  - 
ter  und  Zahn1')  überein,  dass  Vorhoftachykardien  mit  negativer 
\  orhofzacke  vom  obersten  Teil  des  Atrioventrikularknotens  aus¬ 
gehen,  worunter  sie  die  Gegend  der  Koronarveneneinmündung  ver- 
stehen.  .  Leider  fehlt  die  Angabe  über  die  Art  der  Ableitung,  die 
wichtig  ist;  auch  scheinen  sie  nur  eine  Ableitung  benützt  zu  haben; 
die  Frequenz  betrug  ca.  250;  es  fehlt  auch  die  Angabe,  an  welchen 
Säugetieren  sie  gearbeitet  haben. 

Da  die  Vorhoftachysystolie  in  P.  ii.  p.  übergehen  kann 
und  erstere  im  Bereich  des  spezifischen  Systems  vom  Koro¬ 
narvenensinus  bis  zum  Tawaraknoten  ihren  Ausgangspunkt 
zu  nehmen  pflegt,  so  spricht  auch  dies  für  den  gleichen  Ab¬ 
gangsort  des  P.  i.  p.  Es  ist  kaum  nötig  hinzuzufügen,  dass  der 
Ausgangspunkt  für  beide  Unregelmässigkeiten  nicht  unterhalb 
des  Tawaraknotens  liegt. 

Bei  dieser  Gelegenheit  sei  daran  erinnert,  dass  A.  L  o  h  m  a  n  n 1!) 
an  Jahre  1904  auf  S.  449  folgendes  angegeben  hat:  „Bei  einem  Munde 
wurden  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  die  Blockfasern  durch  einen 
Nadelstich  in  so  starke  automatische  Erregung  versetzt,  dass  sie 
etwa  eine  halbe  Stunde  anhaltendes  Flimmern  des  Herzens  be¬ 
wirkte.“ 

Dazu  sei  bemerkt,  dass  es  sich  nicht  um  Flimmern  des  Herzens, 
''Ondern  der  Vorhöfe  handelte,  und  ferner,  dass  aus  der  Beschrei¬ 
bung  und  Abbildung  der  Gegend  des  Stiches  und  auf  Grund  unserer 
aeutigen  Kenntnisse  der  spezifischen  Muskelsysteme  hervorgeht,  dass 
-ier  Stich  nicht  das  eigentliche  Bündel,  sondern  die  Gegend  zwischen 
Koronarsinus  und  Tawaraknoten  traf.  (Schluss  folgt.) 


rvommen  kann;  letzteres  ist  ganz  richtig  und  von  mir  auch  schon 
frühzeitig  angegeben  worden;  besteht  jedoch  die  Neigung  zum  P.  i.  p. 
'ei  einem  Patienten,  so  wird  er  bei  wiederholtem  Auftreten  gewöhn¬ 
en  ein  dauernder;  das  sind  die  so  häufig  zu  beobachtenden  Fälle, 
und  nach  der  Mehrzahl  dieser  Fälle  von  höhergradig  pathologischem 
-narakter  ist  der  Name  P.  i.  perpetuus  ganz  zutreffend.  Dabei  sei 
-r wähnt,  dass  mir  kein  Fall  bekannt  ist,  der,  nachdem  er  einige  Male 
urühergehend  P.  i.  p.  zeigte,  später  ihn  nicht  dauernd  gezeigt  hätte, 
orausgesetzt,  dass  er  nicht  zuvor  starb. 

,J)  M.m.W.  1909  Nr.  17. 

H)  Negative  P-Zacke  bei  Abi.  I  habe  ich  1909  (Pflügers  Arch. 

' •  (909  und  Zschr.  f.  exper.  Path.  u.  Ther.  7.  1909)  beschrieben; 

•s  se>  hier  erwähnt,  dass  P  bei  Abi.  II  bzw.  III  immer  negativ 
st’  wenn  die  Vorhöfe  rückläufig  von  den  Kammern  aus  erregt 
A  erden,  was  ja  auch  zu  erwarten  war.  Wo  der  Ausgangspunkt  ge- 
egen  ist,  wenn  P  bei  Abi.  I  negativ  ist,  steht  noch  nicht  fest. 

9  Pflügers  Arch.  148.  1912.  S.  184;  sowie  W.kl.W.  1912  Nr.  40. 

)  Americ.  Journ.  of  Physiol.  Vol.  19,  Juni  1907. 

)  Vcrhandl.  des  XXX.  D.  Kongr.  f.  inn.  M.  1913  S.  2 78. 

'  Arch.  f.  Anat.  u.  Physiol.  1904  S.  448. 


2059 

Ueber  die  sekundären  Veränderungen  („traumatische 
Malazie“)  nach  Frakturen  des  0s  lunatum  und  0s 

naviculare  carpi* *). 

Von  Dr.  v.  Gaza,  Chirurg  in  Leipzig-Gohlis. 

Es  ist  wohl  kein  Zufall,  dass  eine  Reihe  von  subtilen  Er¬ 
krankungen  an  Knochen  oder  Knochenabschnitten  des  Körpers, 
die  rein  spongiösen  Aufbaues  sind,  erst  jetzt  als  bestimmte 
Krankheitsbilder  klinisch  charakterisiert  worden  sind,  seitdem 
die  Röntgenstrahlen  auch  über  feinere  Veränderungen,  die  der 
äusseren  Untersuchung  früher  unzugänglich  waren,  Aufschluss 
zu  geben  vermögen.  Es  sei  hier  nur  erinnert  an  die  Spät¬ 
folgen  einer  Wirbelsäulenkontusion  (Kümmel Ische  Kyphose), 
an  die  krankhaften  Knochenprozesse  am  Oberschenkelhals  und 
-köpf  und  besonders  an  die  Erkrankungen  der  Fuss-  und 
Handwurzel,  wie  die  Köhler  sehe  Erkrankung  des  Os  navi¬ 
culare  pedis,  die  Handwurzelknochenbrüche  etc.  Die  meisten 
dieser  Erkrankungen  sind,  nachdem  sie  jetzt  klinisch  fest  cha¬ 
rakterisiert  worden  sind,  wenn  auch  über  ihre  ätiologische  und 
substantielle  Richtigkeit  eine  Menge  Streitfragen  offen  sind,  mit 
Wahrscheinlichkeit  zu  diagnostizieren,  falls  dem  Untersucher 
das  Krankheitsbild  überhaupt  nur  bekannt  ist.  Meist  sind  es 
chronische  Erkrankungen,  die  besonders  um  der  wichtigen 
Frage  der  Unfallfolgen  und  wegen  ihrer  schweren  klinischen 
Erscheinungen  anatomisch  aufzuklären  sind. 

Mir  sind  in  der  letzten  Zeit  2  Fälle  einer  verhältnismässig 
seltenen  Erkrankung  des  Os  lunatum  carpi  begegnet.  Der  eine 
wurde  von  dem  behandelnden  Arzt  wegen  der  Langwierigkeit 
der  Ei krankung  und  des  äusserlich  negativen'  Befundes  bei 
schweren  subjektiven  Beschwerden  zur  Röntgenaufnahme 
überwiesen,  den  anderen  hatte  ich  wegen  seiner  Unfallfolgen 
zu  begutachten.  Bei  beiden  war  das  Krankheitsbild  vorher  un¬ 
klar,  die  Röntgenaufnahme  wies  einen  krankhaften  Befund  im 
Mondbein  als  Ursache  der  Beschwerden  auf. 

Krankengeschichte  Fall  1. 

Anamnese;  31  jähriger  kräftiger  Mann,  der  früher  nie  ernst¬ 
lich  erkrankt  war,  keine  Knochenerkrankungen  (Rhachitis)  durch¬ 
gemacht  hatte.  Am  16.  VI.  1911  rutschte  er  beim  Tragen  eines 
Balkens  aus,  hielt  aber  den  Balken  fest  und  stürzte  mit  demselben  so, 
dass  das  Handgelenk  nach  unten  (volar)  und  nach  aussen  (ulnar) 
durchgedrückt  wurde.  Ein  heftiger  Schmerz  im  Handgelenk  hinderte 
ihn  doch  nicht,  noch  1  Stunde  weiter  zu  arbeiten.  Am  nächsten  Tage 
wurde  er  vom  Arzt  krank  geschrieben,  blieb  es  2M>  Monate,  trotzdem 
nur  eine  mässig  starke  Schwellung  der  Handgelenksgegend  eintrat; 
dann  hat  er  nur  versuchsweise  wieder  gearbeitet,  aber  seinen 
schweren  Beruf  als  Bauarbeiter  nicht  wieder  ganz  verrichten  können. 
Er  wurde  häufig  wieder  krank  geschrieben,  bezog  10  Proz.  Unfall¬ 
rente. 

Befund:  Der  Befund  am  Handgelenk  war  äusserlich  negativ, 
nur  in  der  Gegend  radial  dicht  neben  den  Beugesehnen  besteht  eine 
geringe  in  der  Tiefe  sitzende  Schwellung.  Die  Beweglichkeit  im 
Handgelenk  ist  nur  in  dorsaler  Richtung,  in  der  Streckung  etwas 
behindert  und  schmerzhaft.  Der  rechte  Unterarm  misst  im  Umfang 
2  cm  weniger  als  der  linke.  Für  die  von  dem  Mann  behaupteten 
starken  Schmerzen  am  ganzen  rechten  Arm  ergab  das  Röntgenbild 
folgenden  krankhaften  Befund  als  Ursache:  Das  Os  lunatum  ist  auf 
“/»  seiner  Grösse  zusammengesintert,  seine  Knochenbälkchenstruktur 
vollkommen  verschwunden  und  an  deren  Stelle  eine  unregelmässig 
fleckige  Strukturzeichnung  getreten.  Es  ist  nicht  die  eigentliche 
alveoläre  Aufhellung,  wie  man  sie  bisweilen  als  Inaktivitätsatrophie 
bei  Entzündung  oder  Verletzung  der  Hand  findet,  sondern  ganz  helle 
Flecke  liegen  neben  tiefdunklen  Verdichtungen,  als  ob  die  Kalksalze 
hin  und  her  gewandert  wären.  Das  Os  lunatum  ist  in  seitlicher  An¬ 
sicht  abgeflacht.  Erst  nach  mehreren  Röntgenaufnahmen  zeigt  eine 
derselben  eine  deutliche  Bruchlinie,  die  ungefähr  durch  die  Mitte  des 
Os  lunatum  geht.  Die  benachbarten  Gelenkflächen  des  Radius  sind 
unregelmässig,  wie  usuriert.  Im  Os  triquetrum  und  Os  capitatum 
bestehen  fleckige  Aufhellungsherde,  die  sekundär  zu  sein  scheinen, 
jedenfalls  mit  denen  des  Os  lunatum  nicht  zu  vergleichen  sind. 

Diagnose:  Es  handelt  sich  um  eine  traumatische  Affektion 
am  Os  lunatum,  die  wahrscheinlich  mit  der  in  seitlicher  Richtung 
sichtbaren  Frakturlinie  ätiologisch  in  Zusammenhang  steht  (trau¬ 
matische  Malazie  nach  Kienböck). 

Das  von  Finsterer  angegebene  Zeichen  des  Stauchungs¬ 
schmerzes  beim  Beklopfen  des  3.  Metakarpus  fand  sich  nach  Fest¬ 
stellung  der  Diagnose  auch  bei  diesem  Manne.  Er  wurde  auf  30  Proz. 
erwerbsunfähig  geschätzt.  Den  vorgeschlagenen  operativen  Eingriff 
lehnte  der  Mann  ab. 


VI )  A^or^trüK,  gehalten  in  der  Med.  Gesellschaft  zu  Leipzig  am 


1 


2060 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  41. 


Krankengeschichte  Fall  2.  (Hierzu  Fig.  1  u.  2.) 

Nach  einem  anscheinend  harmlosen  Unfall  blieben  dauernd 
starke  Beschwerden  zurück,  weswegen  der  Mann  vom  behandelnden 
Arzt  (Dr.  Peters)  zur  Röntgenaufnahme  überwiesen  wurde. 


Fig.  1  (zu  Fall  2)  Aufnahme  in  volar-dorsaler  Ansicht  Verschmälerung  und  Zerstörung 

des  Os  lunatum. 


Fig.  2  (zu  Fall  2).  Seitliche  Ansicht.  Querbruch  im  Os  lunatum ;  im  volaren  Bruchstück 

mehrere  Bruchlinien. 

Anamnese:  Der  39jährige  Bauarbeiter  St.  erlitt  am  5.  III.  14 
einen  Unfall;  ertrug  mit  3  anderen  Arbeitern  ein  12  Zentner  schweres 
eisernes  Rohr,  welches  plötzlich  wegrutschte,  so  dass  ihm  die  Hand 
nach  oben  und  nach  dem  Daumen  zu  weggerissen  und  das  Hand¬ 
gelenk  nach  unten  durchgedrückt  wurde.  Er  hatte  nur  geringe 
Schmerzen,  schonte  sich  2  Tage,  nahm  dann  die  Arbeit  wieder  auf 
und  arbeitete  fast  7  Wochen  lang.  Allmählich  verschlimmerten  sich 


die  anfangs  leichten  Schmerzen  im  linken  Handgelenk,  so  dass  er 
sich  am  25.  IV.  krank  meldete  und  seitdem  nicht  wieder  gearbeitet 
hat.  Jetzt  bestehen  starke  ausstrahlende  Schmerzen  am  ganzen 
linken  Arm. 

Befund:  Sonst  kräftiger  gesunder  Mann,  ohne  Anzeichen 
einer  anderweitigen  schweren  Erkrankung,  einer  Tuberkulose  oder 
Lues.  Am  linken  Handgelenk  ist  äusserlich  nicht  viel  zu  sehen,  nur 
etwas  distalwärts  von  der  Verbindungslinie  zwischen  dem  Griffel¬ 
fortsatz  der  Speiche  und  der  Elle  tritt  auf  dem  Handrücken  eine 
bohnengrosse  Anschwellung  hervor,  es  besteht  hier  eine  isolierte 
Druckempfindlichkeit  und  man  fühlt  bei  Bewegung  feines  Knarren  und 
Knacken.  Die  Bewegungen  am  Handgelenk  sind  wenig  eingeschränkt, 
stärker  nur  bei  der  Dorsalflexion.  Beim  Beklopfen  des  3.  Metakarpus 
werden  Schmerzen  im  Handgelenk  ausgelöst. 

Die  Röntgenaufnahme  zeigt  wieder  denselben  typischen  Befund 
einer  Verschmälerung  des  Mondbeines,  einer  fleckigen  Aufhellung  und 
Verdichtung  des  Knochenschattens  und  das  Fehlen  jeglicher  Struktur 
bei  der  Aufnahme  in  dorsal-ulnarer  Richtung.  Am  proximalen  Rande 
erscheint  ein  länglicher  dunkler  Schatten  wie  ein  Sequester.  Bei  der 
seitlichen  Aufnahme  sicht  man  ganz  deutlich  durch  die  Mitte  des 
Mondbeines  mehrere  Bruchspalten  hindurchgehen,  während  dagegen 
die  Hälften  nach  dem  Handrücken  und  der  Hohlhand  zu  eine  ziemlich 
gut  erhaltene  Knochenstruktur  aufweisen.  Es  fällt  auf,  dass  das 
volare  und  dorsale  Knochenende  sehr  weit  um  die  konvexe  Gelenk¬ 
fläche  des  Os  capitatum  herübergeschoben  sind.  Offensichtlich  ist  die 
schwere  Veränderung,  die  bei  der  Aufnahme  in  dorsal-ulnarer  Rich¬ 
tung  eine  vollkommene  Zerstörung  des  Knochens  vortäuscht,  so  zu 
erklären,  dass  die  gesunden  Teile  des  Os  lunatum  durch  ihre  kreis¬ 
förmige  Wanderung  in  den  Schatten  desOs  capitatum  gerückt  sind  und 
dass  die  quere  Frakturlinie  in  der  Mitte  des  Knochens,  wo  die  krank¬ 
haften  Veränderungen  hauptsächlich  sitzen,  die  normale  Struktur  voll¬ 
kommen  verdecken. 

Diagnose:  Fraktur  des  Os  lunatum,  sekundäre  atrophische 
Veränderungen  in  dem  Knochen. 

Nachuntersuchungen  bis  zum  4.  Monat  nach  dem  Unfall  ergaben 
auf  den  Röntgenbildern  keine  wesentlichen  Veränderungen  des  Be¬ 
fundes,  nur  war  der  Knochen  anscheinend  noch  mehr  zusammen¬ 
gedrückt.  Arthritische  Veränderungen  in  den  Nachbargelenken 
konnten  durch  das  Röntgenbild  nicht  mit  Sicherheit  festgestellt 
werden.  (Sie  werden  in  der  Folgezeit  angesichts  der  starken  Be¬ 
schwerden  des  Mannes  kaum  ausbleiben.) 

Ueber  die  Brüche  des  Mondbeins  war  vor  der  Entdeckung 
der  Röntgenstrahlen  wenig  bekannt,  wie  ja  überhaupt  die  iso¬ 
lierten  Brüche  einzelner  Karpalknochen  bis  dahin  meist  nur  als 
Zufallsbefunde  bei  Sektionen,  anatomischen  Untersuchungen 
(Pfitzner)  oder  Operationen  beobachtet  worden  sind.  Seit¬ 
dem  wissen  wir,  dass  die  Brüche  des  Kahnbeins  typisch  und 
gar  nicht  so  selten  sind,  während  dagegen  die  des  Mondbeins 
erst  in  etwa  50  Fällen  beschrieben  worden  sind.  Die  Fraktur 
des  Os  lunatum  ist  gewöhnlich  ein  Kompressionsbruch,  der  in 
Ulnarflexion  bei  jungen  Männern  zustande  kommt.  Bei  der 
Ulnarflexion  verlässt  das  Os  naviculare  die  Gelenkpfanne  des 
Radius,  so  dass  nunmehr  bei  schweren  Stauchungen  des  Hand¬ 
gelenkes  das  Os  lunatum  den  Puffer  darstellt.  Die  Rissfrak¬ 
turen  am  Os  lunatum  sind  sehr  selten,  meist  handelt  es  sich 
um  kleine  abgesprengte  Stücke,  die  wohl  mit  den  sie  fest¬ 
haltenden  Rändern  abreissen.  Während  mitunter  nur  ganz 
geringe  Gewalteinwirkungen  die  Fraktur  des  Mondbeins  her¬ 
beizuführen  scheinen,  handelt  es  sich  in  der  Regel  meist  um 
starke  Traumen.  Für  die  Symptomatologie  des  Mondeinbruchs 
kann  das  von  Finsterer  angegebene  Zeichen  des  Proximal- 
wärtsriieker.s  des  Metakarpus  III  von  Bedeutung  sein,  ebenso 
wie  der  Stauchungsschmerz  bei  Beklopfen  des  3.  Metakarpus, 
letzteres  besonders  in  Ulnarflexion  (Hirsch).  Mitunter  ist 
die  Volar-  und  Dorsalflexion  behindert,  während  sonst  die  Be¬ 
wegungen  im  Handgelenk  im  allgemeinen  nicht  stark  ein¬ 
geschränkt  sind.  Von  schlechter  Prognose  sind  mitunter  die 
Spätfolgen  der  Fraktur,  die  in  arthritischen  Veränderungen  des 
ja  im  hohen  Grade  ein  Ganzes  bildenden  Handgelenkes  be¬ 
stehen,  die  besonders  am  Radius  einzutreten  pflegen.  Aus 
ihnen  erklären  sich  die  ausstrahlenden  Schmerzen  im  ganzen 
Arm,  die  zur  hochgradigen  Behinderung  der  Erwerbsfähigkeit 
führen  können,  so  dass  Dauerrenten  von  30 — 40  Proz.  mitunter 
gewährt  werden  müssen. 

Die  ersten  Angaben  über  eine  Erkrankung  des  Os  lunatum, 
die  unserer  Frakturform  entspricht,  finden  wir  bei  Pfitzner, 
der  in  einer  grossen  anatomischen  Untersuchungsreihe  viermal 
eine  Veränderung  fand,  die  er  als  Lunatum  bipartitum  be¬ 
zeichnet.  Er  hielt  den  Befund  für  das  Produkt  eines  Zer¬ 
falls  der  Knochensubstanz  durch  bisher  noch  unbekannte  Ent¬ 
artungserscheinungen.  Wolf  hielt  diese  Auffassung  von  einer 
isolierten  Erkrankung  des  Os  lunatum  für  unwahrscheinlich.  Er 


13.  Oktober  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHFNSr.HPiFT 


2061 


"ahm  vielmehr  eine  primäre  Kompressionsfraktur  an,  die 
schliesslich  zu  den  pathologischen  Veränderungen  geführt  habe. 
Wir  sehen  also  hier  bereits  die  von  uns  für  richtig  gehaltene 
Annahme,  dass  primär  eine  Fraktur  vorliege,  vertreten 

.Nun  be_ri1g!?1tlet  Preis er  im  Jahre  1910,  dass  er  am  Os 
naviculare  5  Falle  von  fleckiger  Degeneration  beobachtet  habe, 
die  ihm  als  typisch  erschienen,  und  er  nahm  an,  dass  es  sich 
in  diesen  Fallen  um  eine  posttraumatische  Ostitis  handele,  da 
er  primäre  Frakturlinien  nicht  nachweisen  konnte,  sondern  erst 
in  späteren  Jahren  der  Erkrankung;  diese  seien  dann  Spontan¬ 
frakturen  m  dem  erkrankten  Knochen.  Er  rechnet  allerdings 
mit  der  Möglichkeit,  dass  immerhin  eine  bei  den  ersten  Auf¬ 
nahmen  nicht  nachweisbare  Infraktionslinie  dagewesen  sein 
sein  konnte.  Er  erklärt  die  Erkrankung  entstanden  durch 
eine  von  ihm  vermutete  Zerreissung  des  Ligamentum  radio- 
-arpale  (spez.  des  Lig.  dorsale  navitriquetrum)  mit  dem 
zugleich  die  das  Navikulare  hauptsächlich  versorgenden  Blut¬ 
gefässe  zerrissen  wären;  infolgedessen  entwickele  sich  die 
anämische  Nekrose  des  Knochens,  die  er  Ostitis  nennt. 

.  reis  er  fand  im  Os  naviculare  kreisrunde  und  ovale  Auf- 
lellungcn,  wie  sie  dann  später  für  das  Lunatum  beschrieben 
worden  sind. 

Kienböck  gebührt  dann  das  Verdienst,  kurze  Zeit 
>pater  zuerst  in  einer,  sehr  eingehenden  Abhandlung  auf  das 
.erhaltmsmässig  häufige  Vorkommen  einer  ganz  gleichen 
\ffektion  am  Os  Iunatum  wie  am  Os  naviculare  hingewiesen 
:u  haben.  Er  nimmt  für  seine  Fälle  ebenso  wie  P  r  e  i  s  e  r  die 
irimäre  Zerreissung  der  Bänder  mit  den  ernährenden  Blut¬ 
gefässen  an.  Die  sekundäre  Erweichung  und  Brüchigkeit  des 
mochens  führe  dann  später,  manchmal  nur  nach  geringen 
raumen,  zur  Spontanfraktur.  Er  stützt  sich  bei  seinen  Aus- 
uhrungen  rein  auf  röntgenologische  Befunde,  anatomische 
Nachprüfungen  konnte  er  mangels  operativer  Eingriffe  nicht 
nstellen.  Die  zahlreichen  von  ihm  gebrachten  Röntgenbilder 
eigen  den  üblichen  Befund  der  fleckigen  Degeneration  und 
er  mehr  oder  weniger  hochgradigen  Zerstörung  des  Os 
matum  am  proximalen  Ende.  Kienböck  lehnt  für  seine 
alle,  wie  für  eine  Reihe  von  Fällen  aus  der  Literatur,  die  er 
.untersucht  hat,  die  Hauptdiagnose  Fraktur  ab  und  benennt 
eine  Erkrankung  eine  traumatische  Malazie.  Die  mit  der- 
-’ben  einhergehende  Brüchigkeit  des  Knochens  gebe  Veran- 
issung  zur  Entstehung  späterer  Spontanfrakturen.  Leider 
.ssen  die  von  ihm  wiedergegebenen  Röntgenbilder  in  der  Ver¬ 
eiterung,  wie  sie  nun  einmal  bei  röntgenologischen  Repro- 
uktionen  in  unseren  Zeitschriften  üblich  sind,  in  der  seitlichen 
nsicht  keine  feineren  Einzelheiten  erkennen,  dass  man  einen 
ergleich  mit  unseren  Röntgenbildern  ziehen  könnte,  wo  selbst 
if  den  Originalplatten  die  Bruchspalten  nur  schwer  zu  er- 
mnen  sind.  Die  genauere  Beschreibung  aller  feineren  Ein- 
Ineiten  Flecken  und  Aufhellungen,  wie  sie  Kienböck  in 
mutloser  Weise  gibt,  halten  wir  für  zu  weitgehend,  da  ihr 
ne  praktische  Bedeutung  nicht  zukommt.  Ebenso  können 
ir  seine  apodiktischen  Zusatzbeschreibungen  zu  den  Röntgen¬ 
de™  anderer  Autoren  Leine  Berechtigung  zuerkennen. 

Gleich  nach  den  Veröffentlichungen  von  Pr  eis  er  und 
lenböck  beschrieb  Hirsch  eine  Form  der  Fraktur  des 
mnbeines  in  Art  einer  rundlichen,  zentralen  Aufhellung  im 
mper  des  Navikulare;  der  Arbeit  sind  klare  Röntgenbilder 
gegeben  und  vor  allem  in  seinen  beiden  Fällen  frisch,  gleich 
ch  Verletzung  pathologisch-anatomische  Befunde  erhoben 
°™en  (Schnitzler  steht  auf  dem  Standpunkt,  dass  bei 
aktur  des  Kahnbeines  die  sofortige  Exstirpation  des  Knochens 
2  beste  Behandlung  seil).  Beide  Male  fand  sich  bei  der 
x-ration  in  den  nächsten  Tagen  nach  dem  Trauma  im  Knochen 
je  rrakturlinie  und  um  dieselbe  herum  —  entsprechend  dem 
en  Fleck  auf  dem  Röntgenbild  —  eine  ausgedehnte  Zer- 
etschung  der  Knochenbälkchen  im  Zentrum  des  Knochens 
u  in  dieser  Zermalmungshöhle  ein  frisch-blutiger  Brei.  Die 
den  Hohlraum  einmündende  Bruchlinie  war  auf  den 
'ntgenbildern  nur  schwer  erkennbar  und  zwar  erst  nachdem 
verschiedenen  Richtungen  die  günstigste  Röhreneinstellung 
^probiert  worden  war. 

Hirsch  meint  auf  Grund  dieser  früher  autoplastischen 
unde  die  allzu  komplizierte  Erklärung  von 
eis  er  und  Kienböck  widerlegt  zu  haben:  „Eine  mehr 


oder  weniger  kreisrunde  zentrale  Aufhellung  im  Zentrum  des 
Kannbeines  mit  oder  ohne  deutliche,  in  die  Aufhellung  ein- 
m+-L.  6  Frakturlinie  entspricht  einer  typischen  intra- 

artikularen  Fraktur  des  Kahnbeins  mit  ausgedehnter  Zermal¬ 
mung  von  Knochenspongiosa“. 

Von  besonderem  Interesse  erscheint  uns  die  in  einer  Be- 
merkung  zur  Kienböck  sehen  Arbeit  enthaltene  Feststellung 
n  naenisch,  der  bei  der  Nachprüfung  der  Röntgenbilder 
von  Pr  eis  e  r  in  allen  Fällen  einen  feinen  Knochen¬ 
sprung  nachweisen  konnte.  Angesichts  dieses  späteren  Nach- 

uUT  uAr\ei  v?n  P  r  e  *  s  e  r  und  der  Befunde  von 
,,  scbeint  für  das  Os  naviculare  das  wesentliche 

e  e  Fraktur  zu  sein,  die  Aufhellung  dagegen  entweder  eine 
n  Kn,ocheDnze>-störung  nach  Hirsch,  oder  ein  sekun¬ 
därer  De-  oder  Regenerationsvorgang  im  Sinne  einer  Knochen¬ 
heilung  unter  ungünstigen  Bedingungen. 

Wollenberg  berichtet  ebenfalls  über  einen  in  späteren 
Radien  operierten  und  anatomisch  untersuchten  Fall  von 
Knochenzyste  im  Os  naviculare.  Er  glaubt  dass  eine 
unvollständige  Fraktur  oder  Infraktion  des  Navikulare  vorge- 
egen  habe,  trotzdem  das  Röntgenbild  eine  solche  nicht,  wohl 
d  süuküv  P  6  fleckige  Aufhellung  zeigte;  der  spätere 

M  ^PT6SS  i61,  W°hI  aUf  die  3lte  FraktUr  ZUrückzU- 
fuhren.  Mikroskopisch  lag  an  einigen  Stellen,  die  den  Knochen¬ 
necken  entsprachen,  fibrös-gallertiges  Markgewebe,  in  dem  die 
SpongioMbalkchcn  geschwunden  waren.  Riesenzellenanhäu- 
ungen  lagen  in  sarkomähnlicher  Anordnung  in  der  Gegend  der 
Bruchdache  dazwischen  nekrotische  Spongiosabälkchen;  an 
einer  Stelle  fand  sich  geringe  Kallusbildung.  Wollenberg 
glaube,  dass  der  Krankheitsprozess  analog  sei  der  Osteo- 
dystrophia  cystica  bei  Ostitis  fibrosa  nach  Mikulicz. 

Gegenüber  der  Auffassung  von  der  rein  osteomalazischen 
Natur  unseres  Krankheitsbildes  verhält  sich  Baum  ebenfalls 
ganz  ablehnend;  er  kommt  auf  Grund  seiner  anatomischen  Be¬ 
funde  bei  2  Fallen  von  traumatischer  Erkrankung  des  Os  luna- 
tum  zu  dem  Ergebnis,  dass  der  mikroskopische  Befund  ganz 
dem  he!  der  Kallusheilung  anderer  Frakturen  gleichzusetzen 
sei,  dass  die  ab-  und  aufbauenden  Vorgänge  in  der  Spongiosa¬ 
substanz  der  Handwurzelknochen  rein  sekundär  auf  die  Fraktur 
folgten.  Die  anatomischen  Veränderungen  bei  seinen  Fällen 
entsprechen  ganz  denen,  die  Wollenberg  am  Os  navi- 

w  ,.re  Pfunden  hatte>  dagegen  glaubt  Baum 'die  von 
Wollenberg  angenommene  Analogie  des  Krankheitspro¬ 
zesses  mit  der  Osteodystrophia  cystica  ablehnen  zu  müssen. 
...l11//  erste  Fall  von  B.  betraf  einen  jungen  Mann,  der  4  Jahre 

seh?  cHrbP^ifH’  anfan?s  wenig  Symptome  machenden  Verletzung, 
l,pchmerze1n  im  Handgelenk  bekam,  die  auch  den  Arm 
^  e]L  hatte  „keine  Ruhe  bei  Tag  und  Nacht“  Es 

Ki'ednhdna^tr  daS  Pk  Iuaaü™’  das  auf  dem  Röntgenbild  die  von 
K 1  e  n  b  oc  k  zuerst  beschriebene  fleckige  Veränderung  darbot  ex- 
stirpiert,  T°^z  vorsichtiger  Herausnahme  brach  der  Knochen 

Näcb.aJe„CaHer  Besch Ä“'01*'6  mi'  Sehr  £u,er  F"nk,,on  und 
,  m  ^'5  ,in  s^.V5m  .ei;st,en-  so  sassen  auch  im  zweiten  Falle  die  auf 

hauotsächli Mi*  r a H •  ,sic..ht.baj;en  Veränderungen  der  Knochensubstanz 
hauptsächlich  radialwarts  (s.  u.  unsere  Erklärung).  Auch  hier  traten 

die  Beschwerden  erst  nach  einigen  Monaten  so  stark  auf,  dass  die 
Exstirpation  des  Os  Iunatum  nach  11  Monaten  nötig  wurde,  die  dann 
nach  Interposition  eines  Fettlappens  völlige  Heilung  brachte.  An  dem 
exsiirpierten  Knochen  war  die  dem  Radius  zugekehrte  Gelenkfläche 
wie  bei  einer  Arthritis  deformans  weitgehend  zerstört,  der  Knorpel 
unregelmassig  höckerig,  usuriert,  an  einzelnen  Stellen  ganz  ver- 

B?ikXnen;n,ImripKn°rJen  fan£  sichu  eine  Neubi,dlin^  von  osteoiden 
Balkchen  aus  dem  fibrösen  Gewebe  der  alten  Zerstörungsstellen, 

MpUi  KnorPe,blIduos  und  Uebergänge  dieser  in  Knochengewebe. 
Nichts  sprach  für  einen  rem  osteomalazischen  Prozess.  Die  auch 
oi  u  v!-  e  n  b  e  r  g  gefundenen  Riesenzellen  fasst  B.  wohl  mit  Recht 
als  Reaktion  des  noch  lebenden  Knochengewebes  auf  die  ungewöhn- 
hch  ausgedehnte  aseptische  Knochennekrose  auf.  An  einzelnen 
Stellen  bestanden  ausgedehnte  Gewebsnekrosen  (2.  jüngerer  Fall) 
die  wohl  den  Zysten  auf  dem  Röntgenbild  entsprachen  und  wolkige 
losgeloste  Anhäufungen,  nekrotische  Knochensubstanz,  die  von 
Riesenzellen  umgeben  waren  (Knochenschatten!).  Auch  Stellen 
schleuniger  .Entartung  des  Narbengewebes  gehörten  wohl  zu  dem 
Bilde  eines  durch  ungünstige  Ernährungsbedingungen  verlangsamten 
oder  hintangehaltenen  Heilungsprozesses  einer  Zerquetschungs¬ 
fraktur  des  Mondbeines.  K 

Baum  achtete  bei  der  Operation  auf  event.  Anzeichen  für 
die  von  Preis  er  und'  Kienböck  angenommene  Zer¬ 
reissung  des  Ligamentum  dorsale  navitriquetrum,  fand  aber 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2062 


keine  Residuen  einer  solchen  früheren  Verletzung,  die  wohl 
auch  nur  bei  frisch  operierten  Fällen  nachzuwcistn  gewesen 
wären.  Hirsch  hat  gleichfalls  bei  seinen  sofort  operierten 
Fällen  von  einer  solchen  Bänderzerreissung  nichts  erwähm, 
obwohl  er  doch  sicher  nach  der  Arbeit  der  beiden  Autoren 
darauf  geachtet  haben  wird. 

Es  liegen  also  für  die  malazische  Erkrankung  des  Os 
lunatum  (und  naviculare,  die  wohl  als  jener  identisch  anzu¬ 
sehen  ist)  5  autoptische  Befunde  vor,  die  zum  Teil  genau 
mikroskopisch  nachuntersucht  worden  sind,  und  zwar  urteilten 
die  Kliniker,  die  Chirurgen  auf  Grund  dieser  Befunde,  dass  die  j 
malazische  Erweichung  die  unmittelbare  (Hirse  h)  oder  die 
sekundäre  Folge  einer  traumatischen  primären  Fraktur  sei. 
Im  Gegensatz  dazu  steht  die  Auffassung  der  Röntgeno¬ 
logen  P  r  e  i  s  e  r  und  Kienböck,  es  handle  sich  um  Zer- 
reissung  des  Lig.  carpi  dorsale  und  der  in  diesem  verlaufenden 
Gefäse,  wodurch  eine  malazische  Erkrankung  des  Knochens 
verursacht  würde,  die  dann  sekundär  zur  Spontanfraktur 
führen  könne;  dieser  Auffassung  hat  sich,  soweit  ich  die 
Literatur  kenne,  kein  Kliniker  weiter  angeschlossen. 

Es  soll  hier  gleich  erwähnt  sein,  dass  nach  den  Arbeiten 
von  Castruccios  die  Abreissung  des  Lig.  radiocarpale  nur 
nach  sehr  grossen  Gewalteinwirkungen  erfolgen  kann,  dass 
dagegen  geringe  Traumen,  wie  sie  doch  gerade  bei  den 
Brüchen  der  Handwurzelknochen  nicht  zu  selten  beobachtet 
werden,  kaum  zur  Abreissung  dieses  kräftigen,  mit  dem 
Periost  und  der  Knochensubstanz  fest  verbundenen  Bandes 
führen  dürften. 

Bei  der  Beurteilung  dieser  Streitfrage  sind  meines  Er-  | 
achtens  noch  2  Tatsachen  nicht  genügend  gewürdigt  worden. 
Es  ist  uns  einerseits  doch  seit  langem  bekannt,  dass  in  den 
Knochen  von  rein  spongiösem  Aufbau,  also  den  Karpal-  und 
Tarsalknochen,  eine  typische  fleckig-lakunäre  Aufhellung  nach 
verschiedenartigen  Schädigungen  (Trauma,  Infektion,  Inak¬ 
tivität)  beobachtet  wird,  die  durch  Resorption  und  Apposition 
von  Kalksalzen  in  regelloser  Weise  bedingt  ist;  ich  glaube  auch, 
dass  gewisse  Erkrankungen  der  Wirbelkörper  (K  ü  in  m  e  1 1  - 
sehe  posttraumatische  Kyphose)  und  des  Schenkelkopfes  und 
-halses  (Coxa  var.a)  jenen  analog  zu  setzen  sind;  wir  wissen 
ferner,  dass  sich  die  feine  architektonische  Struktur  in  diesem 
Knochen  nach  bestimmten  statischen  Gesetzen  regelt;  mit  dem 
Wegfall  der  statischen  Momente  durch  die  oben  erwähnten 
Ursachen  fällt  auch  die  Ursache  des  architektonischen  Auf¬ 
baues  fort,  und  regellose  Resorptionsvorgänge  setzen  ein. 
Der  Gallus  luxurians,  den  die  Natur  ohne  Kontrolle  statisch- 
funktioneller  Momente  aufbaut,  wird  ja  sonst  bei  Frakturen 
nach  der  Wiederaufnahme  der  Funktion  des  Gliedes  auch  zum 
grössten  Teil  resorbiert.  Also  die  fleckige  Aufhellung  bei 
traumatischen  Erkrankungen  der  Handwurzelknochen  er¬ 
scheint  mir  nicht  als  etwas  Neues  oder  Besonderes,  was  gegen 
Fraktur  spräche;  sie  ist  eine  Eigentümlichkeit  der  Knochen¬ 
spongiosennatur. 

Die  andere  Tatsache,  auf  die  ich  hinweisen  möchte,  ist 
folgende:  das  Os  lunatum  liegt  als  sichelförmiger,  länglicher 
Knochen  so,  dass  eine  Aufnahme  in  dorsalvolarer  Richtung  nur 
schwer  eine  Fraktur  nachweisen  kann,  die  in  der  grossen 
Mehrzahl  in  der  Mitte  des  Knochens  erfolgt:  die  Knochen¬ 
schatten  deckten  sich  hier  einfach.  Bei  Aufnahme  in  solcher 
Richtung  wird  man  auch  verleitet  anzunehmen,  dass  der  Zer¬ 
störungsprozess  eine  grössere  Ausdehnung  annimmt,  als  dies 
in  Wirklichkeit  der  Fall  ist;  denn  die  beiden  Enden  der  Sichel 
liegen  bereits  im  Schatten  des  Os  capitatum,  man  sieht  nur 
die  Mitte  des  Lunatum  projiziert  (besonders,  wenn  wie  bei 
meinen  Fällen  die  Enden  des  Lunatum  auseinandergedrängt 
werden  und  vor  das  Os  capitatum  wandern).  Es  ist  also  bei 
der  traumatischen  Erkrankung  des  Os  lunatum  unbedingt  zu 
fordern,  dass  durch  Aufnahme  in  radio-ulnarer  Richtung  ein 
wahrscheinlicher  Bruchspalt  zu  suchen  ist,  der  mitunter  erst 
nach  mehreren  Aufnahmen  in  günstiger  Aufnahmerichtung  ge¬ 
funden  wird.  Wie  solche  feine  Bruchlinien  übersehen  werden 
können,  zeigt  die  Bemerkung  von  Haenisch  zu  den  Röntgen¬ 
bildern  von  P  r  e  i  s  e  r  (s.  d.).  Es  wird,  wenn  auch  mitunter 
erst  nach  mehreren  Aufnahmen,  fast  ausnahmslos  gelingen,  die 
in  der  Mitte  der  Mondbeinsichel  liegenden  Zerstörungsherde 
und  Frakturspalten  zur  Darstellung  zu  bringen.  In  unseren 


beiden  Fällen  gelang  es  bei  dem  einen  sofort,  bei  dem  älteren 
nach  vielfachen  Aufnahmen,  die  Bruchlinien  unzweifelhaft  fest¬ 
zustellen;  dieselben  verlaufen  in  der  Richtung  der  Handfläche 
sind  beim  2.  Falle  mehrfach  und  gehen  hier  etwas  in  die 
volare  Hälfte  des  Knochens  hinein,  während  die  dorsale  Hälfti 
normal  ist.  In  dem  älteren  Falle  scheint  ebenfalls  der  Zer¬ 
störungsprozess  hauptsächlich  in  der  Mitte  des  Lunatum  zu 
liegen,  während  die  weiter  von  der  Bruchlinie  abliegender 
Knochenhälften  anscheinend  normal  strukturiert  sind.  Ici 
stelle  mir  den  Vorgang  bis  und  nach  dem  Trauma  folgender- 
müssen  vor: 

Das  Os  lunatum  wird  bei  seiner  Fraktur  in  der  Mitte  aus¬ 
einandergetrieben,  es  rückt  durch  den  Druck  des  Radius  mii 
den  Bruchenden  auseinander,  diese  treten  im  Sinne  einer  Kreis¬ 
bewegung  vor  und  hinter  den  Schatten  des  Os  capitatum  um 
verdecken  es,  andererseits  erscheint  dadurch  das  Os  lunatum 
abgeflacht,  ist  es  ja  auch  in  Wirklichkeit  und  der  sonst  ihn 
zugehörige  Raum  im  Handwurzelgefüge  verengt.  Ich  will  hie, 
nur  kurz  erwähnen,  dass  auch  Ebermayer  bei  einem  seiner 
Fälle  (50  jähr.  Bäcker)  die  Bemerkung  macht,  dass  da' 
Lunatum  in  zwei  Stücke  gesprengt  gewesen  ist,  von  denei 
das  eine  volar,  das  andere  dorsal  ausgewichen  war. 

Auf  der  Abbildung  2  erkennt  man  ohne  weiteres,  dass  he 
der  Aufnahme  in  dorsal-volarer  Richtung  die  beiden  Enden  de: 
Os  lunatum  von  dem  Knochenschatten  des  Os  capitulum  ver-! 
deckt  sein  müssen,  da  jene  weit  konvex  um  die  konvex  proxi 
male  Gelenkfläche  herumgreifen  müssen  und  ferner,  dass  die 
mit  dem  Radius  artikulierende  Gelenkfläche  des  Os  lunatun 
auf  der  Höhe  ihrer  konvexen  Fläche  frakturiert  ist;  daher  lieg 
auch  die  scheinbar  weitgehenste  Zerstörung  des  Knochen: 
gegen  die  üelenkfläche  des  Radius  zu. 

Zusammenfassung:  Die  als  traumatische  Malazii 
(ohne  primäre  Fraktur)  am  Os  lunatum  und  am  Os  naviculare 
beschriebene  Erkrankung  ist  eine  Infraktion  oder  Fraktui 
dieser  Knochen,  bei  der  entweder  primär  durch  Zermalmung 
der  Knochenbälkchen  um  die  Bruchlinie  herum  (navikulari 
Hirsch)  oder  sekundär  durch  Resorptions-  und  Appositions 
Vorgänge  der  Kalksubstanz  auf  dem  Röntgenbild  eine  flecki; 
lakunäre  Aufhellung  zu  sehen  ist.  Die  Frakturlinie  geht  beirr 
Os  lunatum  in  der  Regel  durch  die  Mitte  des  sichelförmigeij 
Knochens  und  kann  eindeutig  nur  durch  Aufnahme  in  rac’io 
ulnarer  Richtung  sichtbar  gemacht  werden. 

Die  schweren  Knochenveränderungen  in  späteren  Stadiei 
der  Monbeinfrakturen  sind  sekundärer  Natur;  sie  sind  über 
haupt  eine  typische  Erscheinung  am  spongiösen  Knochen  um 
kommen  als  solche  Spätfolgen  auch  anderswo  am  Knochei 
von  hauptsächlich  spongiösem  Aufbau  vor  (Coxa  vara  trauma 
tica,  Kümmel  Ische  Kyphose  der  Wirbelsäule,  Fersenbein 
hrüche  und  vielleicht  die  Köhler  sehe  Erkrankung  des  0 
naviculare  pedis). 

Die  Frakturen  machen  häufig  nach  einem  Latenzstadiun 
von  Monaten  und  Jahren  ausserordentlich  starke  Beschwerden 
die  durch  sekundär-arthritische  Veränderungen  besonders  in 
Radiokarpalgelenk  verursacht  werden.  Die  beste  Behandlmi; 
in  solchen  Fällen  ist  die  Exstirpation  des  Handwurzelknoclien 
mit  eventueller  Fettlappeninterposition  in  die  entstanden' 
Karpalliicke. 

Literatur. 

1.  Pf  it  zu  er:  Beiträge  zur  Kenntnis  des  Extremitätenskelett' 
Morphol.  Arbeiten  4.  1895.  —  2.  Wolf:  Frakturen  des  Os  naviculare 
D.  Zschr.  f.  Chir.  69.  1903.  —  3.  Ebermayer:  Ueber  isolierte  ver 
letzungen  der  Handwurzelknoclien.  Fortschr.  d.  Röntgenstr.  12.  1911, 
—  4.  Preiser:  Eine  typische  posttraumatische  und  zur  Spontan 
fraktur  führende  Ostitis  des  Os  naviculare  carpi.  Fortschr. 
Röntgenstr.  15.  1910.  —  5.  Kienböck:  Die  traumatische  Malazi 
des  Mondbeins.  Fortschr.  d.  Röntgenstr.  16.  1910.  —  6.  Hirsen 
Eine  besondere  Form  des  Kahnbeinbruches  im  Röntgenbild.  Fortscm 
d.  Röntgenstr.  15.  1910/11.  —  7.  Ders.:  Erg.  d.  Chir.  u.  Ortliop.  1 
1914.  —  8.  Wollenberg:  Knochenzyste  im  Os  naviculan. 
B.kl.W.  1910.  —  9.  Hänisch:  Bemerkung  zu  dem  Aufsatze  ..lern 
traumatische  Malazie“  von  Kienböck.  —  10.  Baum:  Ueber  m 
traumatische  Affektion  des  Os  lunatum  und  naviculare  carpi.  Beut 
z.  klin.  Chir.  87.  1913. 


M.  Oktober  1914.  _  MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2063 


Aus  der  Universitätsklinik  für  Hautkrankheiten  in  Bonn. 

Zweimalige  Abortivheilung  der  Syphilis  bei  Reinfektion 

nach  2  Jahren. 

Von  Erich  Hoff  m  a  n  n. 

In  meiner  letzten  Arbeit  über  den  Wert  des  Salvarsans 
für  die  Abortivheilung  der  Syphilis  (D.rn.W.  1914  Nr.  23)  habe 
ich  auf  ürund  meiner  eigenen  Erfahrungen  an  einer  Reihe 
sorgfältig  und  lange  beobachteter  Fälle  den  Standpunkt  ver¬ 
treten.  dass  durch  die  von  mir  empfohlene  kombinierte 
Hg-Salvars ankur  die  wirkliche  Heilung  der 
primären  Syphilis  in  fast  allen  Fällen  er¬ 
reicht  wird,  und  dass  bei  genügender  Stärke  der  Kur  auch 
die  frische  sekundäre  Erkrankung  sehr  oft 
ähnlich  günstig  beeinflusst  wird.  Als  ein  Zeichen 
dafür,  dass  die  Abortivheilung  gelungen  ist,  sehen  die  meisten 
Autoren  neben  negativer  WaR.  im  Blute  die  Feststellung  gut 
beobachteter  Reinfektionen  an.  Allerdings  ist  in  dieser 
Beziehung  eine  kritische  Betrachtung  vielen  der  bisher  ver¬ 
öffentlichten  Fälle  gegenüber  nur  zu  berechtigt,  da  der  Zeit¬ 
raum  zwischen  beiden  Infektionen  oft  recht  kurz  angegeben 
wird.  Denn  die  I atsache,  dass  Pseudoprimäraffekte, 
die  von  der  Anfangserscheinung  einer  wirklichen  neuen  In¬ 
fektion  nicht  unterscheidbar  sind,  nicht  ganz  selten  Vorkommen 
und  zu  1  äuschungen  Anlass  geben  können,  haben  im  An¬ 
schluss  an  mich  [Denn.  Zschr.  1905,  S.  491  *)]  besonders  Thal- 
mann  und  F  r  i  e  b  o  e  s  hervorgehoben.  Pseudoprimäraffekte 
stellen  sich  gewöhnlich  wenige  Monate  nach  dem  Abschluss 
ein,  entwickeln  sich  aus  den  der  Vernichtung  entgangenen 
Spirochätennestern  und  können  typische  Lymphdrüsen- 
'Chwellungen  und  später  auch  ein  Exanthem  zur  Folge  haben, 
le  grösser  der  Zwischenraum  zwischen  dem  Ab¬ 
schluss  der  ersten  Kur  und  dem  Auftreten  eines  neuen  Primär¬ 
affektes  ist,  um  so  wahrscheinlicher  wird  eine 
wirkliche  neue  Infektion  (Reinfektion),  um  so 
unwahrscheinlicher  andererseits  eine  Reinduration  oder  ein 
Chancre  redux.  Zahlreiche  Beobachtungen  haben  uns  gelehrt, 
dass  bei  misslungener  Abortivheilung  durch  Salvarsanqueck- 
ulberbehandlung  die  ersten  Rückfallserscheinungen  mit  ziem- 
iicher  Regelmässigkeit  etwa  5 — 6  Monate  nach  Kurschluss  auf- 
treten  und  nur  ganz  ausnahmsweise  später  noch  sich  ein¬ 
stellen.  Tritt  daher  ein  neuer  Primäraffekt  erst  %  bis  1  Jahr 
'ach  Abschluss  der  Abortivkur  auf,  so  ist  eine  zweimalige  An- 
-teckung  (Reinfektion)  äusserst  wahrscheinlich,  wenn  die 
WaR.  stets  negativ  geblieben  und  die  Gelegenheit  zu  einer 
leuen  Ansteckung  nachgewiesen  ist.  Wenn  aber  zwischen 
Jer  ersten  und  zweiten  Erkrankung  ein  Intervall  von  mehr 
ds  1—2  Jahren  liegt,  so  ist  ein  Zweifel  daran,  dass  wirklich 
.'ine  Reinfektion  vorliegt,  wohl  auszuschliessen.  Jedenfalls 
ölt  dies  meiner  Meinung  nach  sicher  für  den  von  mir  jahre- 
ang  genau  beobachteten,  hier  zu  berichtenden  Fall,  bei  dem 
■uch  die  zweite  Abortivkur  einen  vollen,  nun 
in  Jahr  anhaltenden  Dauererfolg  erzielt  hat. 

Derartige  Fälle  werden  wohl  auch  von  anderen  Autoren, 
Je  mehr  sichere  Reinfektionen  als  ich  beobachtet  haben,  ge- 
ehen  worden  sein;  sie  sind  aber  mit  Rücksicht  auf  die  Frage 
ier  endgültigen  Heilbarkeit  der  Syphilis  doch  so  interessant, 
’ass  eine  genaue  Wiedergabe  der  Krankengeschichte  gerecht- 
ertigt  erscheint,  zumal  da  der  Dauererfolg  auch  durch 
-iimbalpunktion  und  provokatorische  Salvarsaninjektion  kon- 
rolliert  worden  ist. 

G-,  39  jähriger  Kaufmann,  ist  bis  auf  eine  vor  15  Jahren  über- 
landene  Gonorrhöe  stets  gesund  gewesen.  Am  26.  III.,  2.  IV.  und 
6.  IV.  hat  er  mit  verschiedenen  Prostituierten  verkehrt;  am  27.  IV. 
emerkte  er  eine  wunde  Stelle,  die  ein  Spezialarzt  zuerst  für  harmlos, 
m  s.  V.  aber  für  einen  harten  Schanker  erklärte.  Am  9.  V.  gab  dieser 
im  eine  Hg.-salicyl.-Spritze  und  wollte  dann  Salvarsan  subkutan 
nwenden.  Am  13.  V.  11  suchte  der  Patient,  dem  diese  Methode 
icht  zusagte,  mich  auf. 

Ich  fand  bei  dem  recht  nervösen  und  blassen  Manne  einen 
oh  neu  grossen  Primäraffekt  (Sp.  p.  +)  im  Sulcus  coro- 
arius.  deutliche  Schwellung  der  Leistendrüsen  beiderseits,  geringe 
chwellung  der  Submaxillardrüsen,  kein  Exanthem  oder  sonstige  All¬ 
emeinerscheinungen.  Der  Urin  war  frei  von  Eiweiss  und  blieb  es 
uch  später. 


*)  Ucbcr  einen  Fall  von  z.  T.  gangränösen  Chancres  mixtes  ai 
ippe  und  Zunge  mit  später  auftretendem  Pseudoschanker 

in  Unterarm. 


Vom  13.  V.  bis  22.  VI.  erhielt  Pat.  24  Einreibungen  zu 
4  g  und  am  14.  V.  und  3.  VI.  je  0.3.  am  22.  VI.  nochmals 
0,22  Altsalvarsan.  Die  WaR.  wurde  bei  jeder  Infusion  geprüft 
und  war  stets  negativ.  Da  Pat.  sehr  ängstlich  war  und  über 
Kopfhitze  klagte,  liess  sich  die  Kur  nur  bis  zu  der  geringen 
Stärke  von  1  Hg.  -  salicyl.  -  Spritze  +  24  X  4  g  Ung. 
c  i  n.  +  3  x  Altsalvarsan  (2  X  0,3  und  1  X  0,22)  durchführen. 
Die  Erscheinungen  waren  völlig  geschwunden  und  auch  Drüsen¬ 
schwellungen  nicht  mehr  nachzuweisen. 

Die  regelmässig  alle  2  bis  3  Monate  wieder¬ 
holte  Blutprüfung  ergab  stets  ein  negatives  Re¬ 
sultat.  Nach  einer  am  3.  XII.  11,  also  fast  6  Monate  nach  Ab¬ 
schluss  der  Kur,  vorgenommenen  provokatorischen  In¬ 
fusion  von  0,4  Altsalvarsan  trat  keine  positive  Schwan¬ 
kung  auf  und  die  regelmässige  weitere  Beobachtung  zeigte  stets 
normale  Verhältnisse. 

Da  kam  der  Patient  am  20.  VIII.  1913,  also  2  Jahre  und 
2  Monate  nach  Abschluss  der  Abortivkur  zu  mir  und 
zeigte  eine  gut  linsen  grosse,  derbe,  mit  Schorf  be¬ 
deckte  Platte  am  äusseren  Vorhautblatt,  also  weit 
entfernt  von  der  Stelle  des  früheren  Primäraffekts.  Er  gab  zugleich 
an,  dass  er  am  10.  Juli  mit  einer  Prostituierten  ohne  Schutzmittel 
verkehrt  und  eine  kleine  wunde  Stelle  seit  dem  15.  VIII.  bemerkt 
habe.  Die  WaR.  war  am  20.  VIII.  glatt  negativ,  der  Spirochäten¬ 
befund  am  23.  VIII.  nach  Lösung  des  Schorfs  in  2  Präparaten  reich¬ 
lich  positiv.  In  der  linken  Leistengegend  fanden  sich  mehrere  deutlich 
geschwollene  harte  Drüsen,  sonst  keine  Erscheinungen.  Die  kreis¬ 
runde  Form  der  Erosion,  ihr  harter  Grund,  die  Schinkenfarbe  und 
seröse  Absonderung,  sowie  der  reiche  Gehalt  an  Sp.  p.  und  die 
typische  Drüsenschwellung  Hessen  an  der  Diagnose  Reinfektion 
keinen  Zweifel. 

Am  24.  VIII.  wurde  der  Primäraffekt  e  x  z  i  d  i  e  r  t,  im  Ge- 
webssaftpräparat  fanden  sich  wieder  reichlich  Spir.  pall.,  ebenso  im 
auch  sonst  typischen  histologischen  Präparat. 

24.  VIII.  0,35  Altsalvarsan,  WaR.  — ,  Schmierkur  zu  4  g. 

31.  VIII.  0,4  Altsalvarsan,  WaR.  H — h 

7.  IX.  0,4  Altsalvarsan,  WaR.  — . 

14.  IX  0.4  Altsalvarsan,  WaR.  — . 

28.  IX.  0,4  Altsalvarsan,  WaR.  — . 

10.  X.  Nun  auch  42  Einreibungen  beendet,  Gesamtstärke 
der  Kur  also  5  X  Altsalvarsan  (4  X  0,4,  1  X  0,35)  +  42  X  4  g 
Ung.  einer. 

Die  häufig  wiederholte  Blutprüfung  und  klinische  Beobachtung 
ergab  nie  etwas  Abweichendes,  nur  einmal  zeigte  das  Blut  am 
11.  IV.  14  eine  leichte  Hemmung  (WaR.  ++,  löste  aber  durch). 
Die  am  gleichen  Tage  vorgenommene  Lumbalpunktion  ergab 
aber  völlig  normale  Verhältnisse  und  die  am  1 9.  IV. 
wiederholte  W-aR.  fiel  ganz  negativ  aus;  ferner  zeigte  die  provo¬ 
katorische  Infusion  von  0,3  Altsalvarsan  bei  fünf¬ 
maliger  Blutprüfung  stets  schnelle  Hämolyse. 
Seitdem  ist  der  Kranke  weiter  beobachtet  und  auch  sein  Blut  stets 
frei  befunden  worden  (zuletzt  7.  X.  14).  Die  zweite  Kur  hat  er 
viel  besser  vertragen  als  die  erste  und  sich  danach  gut  erholt. 

In  dem  hier  beschriebenen  Falle  wurde  die  erste  syphi¬ 
litische  Infektion  im  primären  Stadium  bei  noch  negativer 
WaR.  durch  eine  schwache  kombinierte  Kur 
(0,82  Altsalvarsan  +  1  Hg.-sal. -Spritze  +  24  Einreibungen  zu 
4  g)  geheilt,  und  der  Dauererfolg  durch  sorgsame  klinische 
;  Beobachtung,  regelmässige  Untersuchung  der  WaR.  im  Blute 
und  provokatorische  Salvarsaninjektion  kontrolliert.  G  u  t 
2  Jahre  nach  Abschluss  der  ersten  Kur  trat 
etwas  verzögert  ein  auffallend  kleiner  Pri¬ 
märaffekt  weit  entfernt  von  der  Narbe  des 
ersten  bei  negativer  WaR.  auf,  nachdem  ein  Coitus 
impurus  die  Gelegenheit  zu  einer  abermaligen  Infektion  ge¬ 
boten  hatte.  Aus  dem  langen  freien  Intervall,  der  typischen 
Entwicklung  des  von  Drüsenschwellung  begleiteten  Primär¬ 
affekts,  dem  reichen  Spirochätengehalt  und  der  noch  negativen 
WaR.  im  Blute  konnte  auf  eine  neue  Ansteckung  mit 
Sicherheit  geschlossen  werden. 

Auch  die  geringe  positive  Schwankung  zu 
Beginn  der  Kur  unterstützt  diese  Auffassung;  denn  wenn 
es  sich  um  einen  Pseudoprimäraffekt  bei  alter  la¬ 
tenter  Lues  handelte,  wäre  ein  länger  dauernder,  und  deutlicher 
Umschlag  in  die  positive  Phase  zu  erwarten  gewesen.  Uebri- 
•  gens  scheint  mir  die  leichte  Hemmung  der  Hämolyse  nicht 
sicher  genug;  denn  derartige  Verzögerungen  der  Blutlösung 
kommen  auch  bei  Gesunden  und  erfolgreich  Behandelten  ge¬ 
legentlich  einmal  vor,  ohne  dass  sie  irgend  etwas  zu  bedeuten 
haben.  Auch  unser  Patient  zeigte  später  noch  einmal 
(11.  IV.  14)  eine  geringe  Hemmung  oder  besser  Verzögerung 
der  Hämolyse,  die,  wie  die  weitere  häufige  Untersuchung, 
auch  nach  provokatorischer  Salvarsaninfusion,  und  das  Er¬ 
gebnis  der  Lumbalpunktion  ergaben,  als  rein  zufällig  und 


2064 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  41. 


bedeutungslos  angesehen  werden  muss.  Da  ich  ähnliche  Be¬ 
obachtungen  bei  meinen  sehr  zahlreich  wiederholten  Blut¬ 
prüfungen  noch  in  einzelnen  anderen  Fällen  gemacht  habe,  so 
halte  ich  das  Streben  nach  zu  grosser  Verfeinerung  der 
W  a  R.  für  nicht  zweckmässig;  denn  dabei  werden 
derartige  Arzt  und  Patienten  unnötig  beunruhigende  leichte 
Hemmungen  der  Hämolyse  öfters  gefunden;  viel  besser  ist  es, 
bei  der  Originalmethodc  zu  bleiben  und  geringfügige  Hem¬ 
mungen  nur  insoweit  zu  beachten,  dass  man  die  Unter¬ 
suchungen  häufiger  wiederholt  und  event.  durch  provoka¬ 
torische  Salvarsaninjektion  verschärft. 

Die  zweite  Infektion  verlief,  wie  das  nach  Ausheilung  der 
ersten  zu  erwarten  war,  etwa  ebenso  wie  eine  erstmalige; 
nur  hat  der  Kranke  den  Primäraffekt  erst  36  Tage  nach 
dem  Coitus  impurus  bemerkt  und  dieser  war  45  Tage 
nach  der  Infektion  nur  gut  linsengross  und  von 
geringer  Drüsenschwellung  in  einer  Leiste  begleitet.  Ob  das 
ein  Zufall  ist  oder  eine  Folge  der  schon  einmal  überstandenen 
und  geheilten  Infektion,  lässt  sich  nicht  entscheiden.  Die 
zweite  Abortivkur  wurde  bei  dem  Kranken  absichtlich 
viel  stärker  als  die  erste  durchgeführt,  weil  es  nicht  unmöglich 
erschien,  dass  die  natürliche  Heilkraft  des  Organismus  durch 
die  erste  Infektion  gelitten  haben  könnte. 

Für  die  Ausheilung  der  zweiten  Syphilis¬ 
ansteckung  spricht  das  nun  ein  Jahr  lang  be¬ 
obachtete  Freibleiben  von  jeglichem  Sym¬ 
ptom,  der  stets  negative  Ausfall  der  WaR.  auch 
nach  provokatorischer  Salvarsaninjektion 
und  der  völlig  normale  Befund  des  Liquor  cere¬ 
brospinalis  6  Monate  nach  Abschluss  der  Kur.  Daher 
scheint  mir  schon  jetzt  der  Schluss  erlaubt,  dass  in  diesem 
Falle  eine  zweimalige  Abortivheilung  der  Sy¬ 
philis  mit  gut  2  j  ä  h  r  i  g  e  m  Intervall  zwischen 
beiden  Infektionen  gelungen  ist. 

Im  Anschluss  daran  möchte  ich  noch  hervorheben,  dass 
bei  diesem  Patienten  eine  schwache  kombinierte 
K  u  r  (0,82  Altsalvarsan  +  1  Hg-sal.-Spritze  +  24  Einreibungen 
zu  4  g  Ung.  ein.)  einen  vollen  Dauererfolg  erzielt  hat,  und 
hinzufügen,  dass  sich  unter  meinen  abortiv  geheilten  Fällen 
noch  einer  befindet,  bei  dem  die  Kur  noch  weniger  stark  war. 
Diese  Erfahrung  darf  aber  nicht  Anlass  geben,  die  Abortiv¬ 
kuren  zu  wenig  intensiv  zu  machen,  vielmehr  bleibe  ich  bei 
meinem  schon  mehrfach  ausgesprochenen  Rat,  in  jedem  Falle 
eine  möglichst  gründliche  Vernichtung  des 
syphilitischen  Virus  anzustreben  und  lieber  zu 
viel  als  zu  wenig  Salvarsan  und  Quecksilber  zu  geben.  Dass 
die  Kurve  der  WaR.  dabei  einen  gewissen  Anhalt  für  die 
individuelle  Bemessung  der  Kur  gibt,  habe  ich  früher  schon 
öfters  betont. 

Schliesslich  habe  ich  S  c  h  o  1 1  z  auf  eine  unnötig  scharf 
gehaltene  persönliche  Bemerkung  (B.kl.W.  1914  Nr.  33)  zu  er¬ 
widern,  dass  meine  Art  der  Kur  (etwa  alle  7  Tage  0,3  bis 
0,4  Altsalvarsan  neben  gründlicher  Schmierkur  unter  Beob¬ 
achtung  der  WaR. -Kurve)  dasselbe  leistet,  wie  die  später  von 
ihm  empfohlene  Häufung  der  Salvarsaninfusionen  zu  Beginn 
und  am  Schluss  der  Hg-Kur  und  wegen  ihrer  Einfachheit  den 
Vorzug  verdient.  Dass  schnell  wiederholte  Salvarsaninfusionen 
eher  Nebenerscheinungen  machen  können,  als  durch  längere 
Pausen  getrennte,  ist  wohl  auch  nicht  zu  bestreiten. 


Herzblock  und  Herzschuss. 

Von  Oberstabsarzt  Dr.  Koetzle  in  Strassburg  i.  Eis. 

Die  neueren  Forschungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie 
und  Physiologie  des  Herzens  haben  zwar  noch  keine  volle 
Klarheit  in  das  verwickelte  Getriebe  dieses  unermüdlichen 
Pumpwerkes  gebracht,  sie  haben  aber  unsere  Kenntnisse  be¬ 
sonders  der  neuro-muskulären  Elemente  und  des  Reizleitungs¬ 
systems  beträchtlich  gefördert.  Wie  bei  vielen  anderen  Fragen 
hat  auch  hier  die  Klinik  und  die  pathologische  Anatomie  die 
Physiologie  um  wertvolle  Erkenntnisse  bereichert.  So  ist  es 
mehrfach  gelungen,  klinische  Diagnosen  von  Reizleitungs¬ 
störungen  durch  anatomische  Befunde  zu  erhärten  und  damit 
die  grosse  Bedeutung,  welche  das  Reizleitungssystem  für  den 
Ablauf  der  Herzaktion  hat,  gewissermassen  experimentell'auch 


für  den  Menschen  zu  beweisen.  Diese  Fälle  sind  noch  nicht 
zahlreich  und  es  mag  daher  gerechtfertigt  erscheinen,  einen 
weiteren  Fall  mitzuteilen,  bei  dem  es  sich  um  eine  Reizleitungs. 
Störung  nach  einer  Schussverletzung  des  Herzens  handelt,  um 
so  mehr,  als  bisher  noch  keine  Beobachtung  einer  solchen  mit 
traumatischer  Aetiologie  bekannt  ist. 

Die  wichtigsten  Tatsachen  der  modernen  Herzforschung, 
wie  sie  zum  Verständnis  des  Falles  nötig  sind,  schicke  ich  vor¬ 
aus.  Viele  Punkte  sind  noch  Gegenstand  weiterer  Unter¬ 
suchungen  und  lebhafter  Kontroverse.  Meine  Ausführungen 
stützen  sich  im  wesentlichen  auf  die  Verhandlungen  der 
Deutschen  Pathologischen  Gesellschaft  1910  Q. 

Durch  Untersuchungen  von  G  a  s  k  e  1 1,H  i  s  jun.  u.  a.  wissen 
wir,  dass  in  die  quergestreifte  Herzmuskulatur  ein  System 
eigenartiger  Fasern  von  mehr  embryonalem  Charakter 
(Längsstreifung  statt  Querstreifung,  stärkerer  Glykogengehalt, 
grösserer  Sarkoplasmareichtum,  Schmalheit  der  Fasern)  ein¬ 
gebaut  ist.  Dieses  besondere  Muskelsystem  findet  sich  beim 
Menschen  an  folgenden  Stellen  des  Herzens: 

1.  Am  Uebergang  vom  Kavatrichter  zum  Sinus  des  rechten 
Vorhof,  das  oberflächlich  liegende  Wenckebach  sehe  Faser¬ 
bündel,  und  die  tiefer  liegenden  in  die  Ringmuskulatur  des 
Kavatrichters  ausstrahlenden  Koch  sehen  Fasern.  Ihre  Auf¬ 
fassung  als  Reizüberleitungssystem  von  Kava  zu  Vorhof  wird 
aber  von  A  s  c  h  o  f  f  u.  a.  angezweifelt. 

Unumstritten  sichergestellt  ist  das  Fasersystem  an  folgen¬ 
den  Punkten,  die  für  die  Herzfunktion  von  fundamentaler  Be¬ 
deutung  sind. 

2.  Das  Keith-Flacksche  Bündel  (auch  Sinus¬ 
knoten  genannt)  an  der  Grenze  zwischen  Hohlvenensinus  und 
rechtem  Vorhof.  An  dieser  Stelle  entsteht  wahrscheinlich  der 
„Herzreiz“.  Von  ihr  gehen  längsgestreifte,  sarkoplasmareichc 
Fasern  nach  allen  Richtungen  in  die  umgebende  Vorhof¬ 
muskulatur,  in  deren  quergestreifte  Fasern  sie  allmählich  über¬ 
gehen *  2). 

3.  Der  Tawara  sehe  Knoten  im  Septum  atriorum  an  der 
Wurzel  der  Aorta  unterhalb  der  halbmondförmigen  Klappe,  an 
der  keine  Koronararterie  entspringt.  Er  liegt  dicht  oberhalb 
des  Septum  fibrosum,  das  Vorhof  und  Kammer  trennt,  und  ist 
die  Ursprungsstätte  des  H  i  s  sehen  Bündels.  Dieses  wichtige 
Faserbündel,  das  gerade  bei  den  Reizleitungsstörungen  die 
Hauptrolle  spielt,  gabelt  sich  in  2  Schenkel,  die  in  der  Kammer¬ 
scheidewand  nach  abwärts  verlaufen,  bald  dicht  unter  dem 
Endokard,  bald  tiefer  in  die  Muskulatur  vergraben,  und  sich  in 
der  Muskulatur  beider  Ventrikel  bis  in  die  Papillarmuskeln  hin¬ 
ein  verteilen. 

Dieses  von  H  i  s  jun.  zuerst  beschriebene  Bündel  stellt  die 
einzige  muskuläre  Verbindung  zwischen  Vorhöfen 
und  Kammern  dar,  deren  Muskulatur  durch  den  Bindegewebs- 
ring  des  Septum  vollkommen  getrennt  ist.  Es  ist  am  mensch¬ 
lichen  Herzen  —  allerdings  nur  unter  grosser  Vorsicht  und 
nach  einiger  Uebung  —  durch  Präparation  als  dünner,  einem 
feinen  Nerven  ähnlich  sehender,  blassgelber  Strang  darzu¬ 
stellen  3). 

Nun  ist  es  eine  wichtige  anatomische  Tatsache,  dass  an 
diesen  besonders  strukturierten  Stellen  des  Herzens  zugleich 
die  Haupt-Ein-  und  Austrittspforten  der  Herznerven  sich  be¬ 
finden  und  in  ihrer  Nähe  Hauptanhäufungen  der  Herzganglien 
liegen,  und  dass  mit  dem  H  i  s  sehen  Bündel  Nervenfasern  bis 
in  die  Papillarmuskeln  und  die  Kammerwände  verlaufen 
(Asch  off).  Es  bestehen  somit  die  allerengsten  Beziehungen 
zwischen  dem  eigenartigen  Muskelfasernsystem  und  dem 
Nervensystem  des  Herzens. 

Welche  Bedeutung  und  Funktion  hat  nun  dieses  differen¬ 
zierte  Muskelsystem?  Nach  der  einen  Auffassung  ist  es 


')  Insbesondere  die  Vorträge  von  Aschoff,  Hering. 
Mönckeberg,  Thorei,  Mackenzie,  Sternberg,  Fahr. 
Ausführliches  Literaturverzeichnis  bei  Aschoff,  ferner  bei  van 
dem  Heuvel.  Dissertation  Groningen  1908  (holländisch). 

2)  Eine  Verbindung  zwischen  Sinusknoten  und  Ta  war  aschein 
Knoten  ist  m.  W.  bisher  noch  nicht  nachgewiesen,  muss  aber  ver¬ 
mutet  werden,  so  dass  das  Muskelsystem  des  Herzens  vom  Vorhof 
ab  bis  zur  Herzspitze  in  organischem  Zusammenhang  steht. 

*)  Für  die  Eigenart  des  Systems  spricht  auch  die  Tatsache,  dass 
es  weder  an  der  Hypertrophie  noch  an  der  Atrophie  des  erkrankten 
Herzmuskels  teilnimmt  (Aschoff). 


13.  Oktober  191-4. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


kardiomotorisches  Zentrum,  von  dem  jede  Herzbewegung  aus¬ 
geht,  nach  der  anderen,  vor  allem  von  K  e  i  t  h  und  M  a  cke  n  - 
z  i  e  vertretenen,  Hat  es  lediglich  die  k  o  o  r  d  i  n  i  e  r  t  c  T  ä  t  i  g- 
k  e  i  t  der  einzelnen  Herzabschnitte  zu  garantieren.  Letztere 
Annahme  hat  mehr  Wahrscheinlichkeit  für  sich.  Wird  doch 
auch  die  heute  für  das  Säugetierherz  wenigstens  allgemein 
anerkannte  myogene  Theorie  der  Herzbewegung  dahin  ver¬ 
standen,  dass  wohl  die  einzelnen  Herzabschnitte  —  selbst 
Muskelstücke,  die  sicher  keine  Ganglien  enthalten  —  auto¬ 
matischer  Kontraktion  fähig  sind,  dabei  aber  nervösen  Ein¬ 
flüssen  in  weitgehendem  Grade  unterworfen  sind.  Die 
Ansicht  Herings,  dass  die  extrakardialen  Nerven  (Vagus 
und  Sympathikus)  überhaupt  keine  motorischen  Nerven  für 
den  Herzmuskel  führen,  weil  es  im  Experiment  bisher  noch 
nicht  gelungen  war,  durch  Reizung  der  extrakardialen  Nerven 
eine  sofortige  Herzmuskelkontraktion  —  analog  dem  Skelett¬ 
muskel  bei  Reizung  seines  Bewegungsnervs  —  hervorzurufen, 
wird  durch  Wenckebachs  Versuche  mit  Vaguskompres¬ 
sionwiderlegt.  Auch  Erfahrungen  bei  Operationen4),  wo  durch 
Mitfassen  des  Vagus  in  Klemmen  schwere  Reizerscheinungen 
(Sinken  des  Blutdruckes,  Pulsverlangsamung  bis  zum  Herzstill¬ 
stand)  auftraten,  sprechen  unbedingt  für  motorische  Beeinfluss- 
barkeit  der  Herzbewegung  durch  das  extrakardiale  Nerven¬ 
system. 

Ohne  auf  weitere  Einzelheiten  einzugehen,  will  ich  in 
folgenden  Sätzen  zusammenstellen,  was  nach  den  Unter¬ 
suchungen  der  mehrfach  genannten  Forscher  heute  als  fest¬ 
stehende  Tatsache  gelten  kann: 

1.  Der  rechte  Vorhof  mit  seinem  Sinusknoten  (K  eith- 
F 1  a  c  k  scher  Knoten)  ist  der  besonders  automatisch  "tätige 
Teil  der  supraventrikulären  Herzabschnitte. 

2.  Der  Keith-Flack  sehe  Knoten,  sowie  der  Tawara- 
sche  sind  Stellen  mit  hoher  Reizbildungsfähigkeit. 

3.  Das  spezifische  Fasersystem  des  Herzens  besitzt  in 
erster  Linie  Reizleitungsfähigkeit  und  ist  dem  extra¬ 
kardialen  Nervensystem  untergeordnet.  Es  bewirkt  die 
Koordination  der  einzelnen  Herzabschnitte,  die  unter  beson¬ 
deren  Umständen  —  meist  pathologischen  Einflüssen  —  auto¬ 
matisch  tätig  sein  können. 

4.  Nach  Durchschneidung  des  H  i  s  sehen  Bündels  schlagen 
die  Kammern  automatisch. 

5.  Der  automatisch  tätige  Ventrikel  schlägt  viel  langsamer 
als  der  automatisch  tätige  Vorhof.  Die  automatische  Tätig¬ 
keit  erfolgt  in  bestimmtem  Rhythmus. 

Die  Durchschneidung  des  atrioventrikulären  H  i  s  sehen 
Bündels  hebt  die  Fortleitung  des  Herzreizes,  der  wahrschein¬ 
lich  in  der  Gegend  des  Sinusknotens  entsteht,  vom  Vorhof 
/um  Ventrikel  auf,  Durchschneidung  der  atrioventrikulären 
Nerven  bündel  dagegen  nicht.  Die  Erregung  wird  also  in 
den  Muskel  fasern  des  spezifischen  Systems  weitergeleitet. 

Eine  leichte  Abklemmung5)  des  H  i  s  sehen  Bündels  lässt 
Kammersystole  in  grösserer  Pause  auf  die  Vorhofsystole 
folgen,  bei  stärkerem  Druck  fällt  eine  Kammerkontraktion 
völlig  aus,  bei  Durchtrennung  schlagen  die  Kammern  ganz 
unabhängig  von  den  Vorhöfen  30 — 40  mal  und  in  der  Minute. 
Es  besteht  vollständiger  Herzblock. 

Genau  wie  im  Experiment  hat  man  diese  Reizüberleitungs¬ 
störungen  klinisch  beim  Menschen  beobachten  können,  von 
den  vorübergehenden  leichten  Graden  mit  dem  zeitweisen 
Kammersystoleausfall  (unvollständiger  Herzblock)  bis  zur  voll¬ 
kommenen  Automatie  der  Ventrikel.  Erstere  sind  beobachtet 
bei  Infektionskrankheiten  wie  Sepsis,  Influenza  (Wencke- 
b  a  c  h),  Gonorrhöe,  Typhus,  Pneumonie,  rheumatischen  Infek¬ 
tionen,  Nephritis  (W  e  n  c  k  e  b  a  c  h).  In  den  schweren  Fällen, 
wo  vollständige  Dissoziation  zwischen  Vorhof  und  Ventrikel 
Bestand,  war  das  Bündel  meist  in  seinem  Hauptstamm  zerstört. 
Bie  Obduktionsbefunde  ergaben  als  Ursache  Gummata,  Kalk¬ 
herde,  Schwielen  ®),  Aneurysma  der  rechten  Aortentasche  mit 


4)  Vgl.  Fritsch:  Bruns  Beiträge  70.  und  Reich:  Bruns  Bei¬ 
träge  56. 

5)  Experimentell  bei  Hunden  erzeugt  durch  mechanische  Insulte 
■nd  auch  durch  Jodinjektion  von  Erlanger  und  Blackmann 
Soc.  for  experimental  biologie  and  medicine  1906.  Vol.  III.). 

°)  z,  B.  im  Kammerseptum  (E  p  p  i  n  g  e  r  und  Rothberger 
iei  Asch  off  1.  c.,  ferner  bei  Fahr:  Verhdl.  d.  D.  pathol.  Gescllsch. 
1910). 

Nr.  41. 


Druck  auf  das  Bündel.  Der  letztere  Fall  ist  besonders  inter¬ 
essant,  weil  die  Druckstärke  je  nach  dem  Blutdruck  schwankte 
und  bald  die  Erscheinungen  unvollständigen  Herzblocks  mit 
vorübergehendem  Kammersystoleausfall  bestanden,  bald  totale 
Dissoziation.  Bei  Infektionskrankheiten  ist  die  Prognose  relativ 
günstig.  Durch  Rückgang  der  entzündlichen  Veränderungen 
kann  Besserung  eintreten  und  die  Reizleitungsstörungen 
können  verschwinden. 

Interessant  sind  auch  die  Beobachtungen  V  o  1  h  a  r  d  s  '), 
der  im  Experiment  nachwies,  wie  die  Dissoziation  häufig  im 
Moment  ihres  Eintretens  von  Ohnmachtsanfällen  begleitet  war, 
die  er  dadurch  erklärte,  dass  die  Ventrikel  nicht  sofort  nach 
der  Reizlehungsunterbrechung  anfingen  automatisch  zu 
schlagen.  Sobald  die  Dissoziation  dauernd  war,  hörten  die 
Anfälle  auf.  Es  ist  das  nichts  anderes  als  die  experimentelle 
Erzeugung  des  Adam-Stokes  sehen  Symptomenkomplexes 
(Bradykardie  mit  Anfällen  von  Ohnmacht). 

Ich  lasse  nun  den  von  mir  beobachteten  Fall  folgen: 

Bei  einem  Soldaten,  der  sich  in  selbstmörderischer  Absicht  eine 
Kugel  aus  einem  Revolver  .von  9  mm  Kaliber  in  die  Brust  gejagt  hatte, 
wm.ie8\nach  anfänglich  günstigem  Verlauf  infolge  Infektion  der 
Wunde“)  nach  etwa  3  Wochen  zu  einer  schweren  Perikarditis  und 
Pleuritis.  Als  ich,  wegen  eines  ev.  chirurgischen  Eingriffes  zur  Kon¬ 
sultation  gerufen,  den  Patienten  sah,  bestand  hochgradige  Dyspnoe 
bei  kleinem  fadenförmigen  Puls  zwischen  70  und  80  und  einer  Tem¬ 
peratur  von  37,5.  Dabei  bestand  Anasarka  der  unteren  Körperhälfte 
bis  zum  Brustkorb  und  Aszites. 

Die  Prognose  schien  höchst  infaust,  ein  chirurgischer  Eingriff 
kam  nicht  in  Frage.  Der  Patient  erholte  sich  aber  wtder  Erwarten 
und  wurde  sogar  wieder  dienstfähig.  Ein  Jahr  nach  dem  Selbstmord- 
versuch  untersuchte  ich  den  Mann,  der  nach  seiner  Entlassung  vom 
Militär  als  Pferdeknecht  arbeitete.  Er  sah  leicht  zyanotisch,  sonst 
aber  gesund  und  kräftig  aus,  beklagte  sich  aber  bei  körperlichen 
Anstrengungen  über  Atemnot.  Die  Herzdämpfung  war  nach  rechts 
und  links  verbreitert,  ab  und  zu  hörte  man  —  im  Liegen  —  ein 
systolisches  Geräusch.  Dazu  bestanden  Zeichen  von  Schwarten¬ 
bildung  im  rechten  Brustfellraum  und  Skoliose  der  Brustwirbelsäule, 

Bei  der  Röntgenuntersuchung  fand  sich  das  Geschoss  im  retro- 
kardiären  Raum  nahe  der  Wirbelsäule  und  dem  rechten  Vorhof  an¬ 
liegend.  Es  machte  die  Herzbewegungen  mit,  lag  aber  offenbar  extra¬ 
mural.  Bei  tiefer  Einatmung  lag  es  etwa  2  Querfinger  oberhalb  des 
Zwerchfells. 

Die  Untersuchung  des  Pulses  ergab  eine  dauernde,  gleichmässige 
Bradykardie  von  40  Schlägen  in  der  Minute.  Der  Puls  ist  dabei 
kräftig,  regelmässig.  Nach  körperlichen  Anstrengungen  (Laufschritt. 
Kniebeugen)  stieg  er  für  die  Dauer  einer  Minute  auf  48. 

Ich  habe  diese  auffallende  Pulsverlangsamung  als  Vagus¬ 
reizung  aufgefasst,  obwohl  ich  bei  längerer  Ueberlegung  auch 
an  eine  Reizleitungsstörung  gedacht  habe,  aber  mangels  Er¬ 
fahrung  auf  diesem  Gebiete  habe  ich  diese  Erklärung  als  die 
weniger  wahrscheinliche  bezeichnet.  Der  Sitz  der  Kugel  an 
der  Wirbelsäule,  in  der  Nähe  der  grossen  Gefässe  und  des 
Vagus  verführte  mich  dazu,  eine  Reizung  beider  Vagi  durch 
die  in  Narbengewebe  eingebettete  Kugel,  die  sich  zudem  noch 
mit  dem  Herzen  bewegte,  anzunehmen. 

Diese  Erklärung  gab  ich  auch  als  die  wahrscheinlichste  in 
einem  Vortrag,  den  ich  in  der  Strassburger  militärärztlichen 
Gesellschaft  über  Herzschüsse  hielt.  In  der  Diskussion  be¬ 
merkte  Professor  Wenckebach,  dass  die  niedrige  Puls¬ 
frequenz  von  40  gegen  eine  Vagusreizung  spreche.  Eine  der¬ 
artige  Verlangsamung  mache  eine  Dissoziation  wahr¬ 
scheinlich.  Gerade  das  Tempo  von  40  sei  das  der  automatisch 
schlagenden  Ventrikel.  Auf  seine  Anregung  veranlasste  ich 
den  Mann  zu  einer  8  tägigen  Aufnahme  in  die  Strassburger 
Medizinische  Klinik. 

Die  eingehende  Untersuchung  ergab  in  der 
Tat  das  Vorliegen  eines  vollständigen  Herz¬ 
blocks. 

Die  Aufnahme  mehrerer  Jugularvenenpulskurven,  welche 
über  die  Arbeit  des  rechten  Vorhofs  Aufschluss  geben,  er¬ 
wiesen,  dass  die  Vorhöfe  wie  beim  Gesunden  70—7 2  mal  in  der 
Minute  schlagen,  die  Ventrikel,  deren  Tätigkeit  gleichzeitig 
durch  Aufnahme  eines  Kardiogramms  registriert  wurde,  da¬ 
gegen  nur  40  mal.  Die  automatische  Kammerkontraktion  beim 
Herzblock  verläuft  langsamer,  als  die  auf  Reizleitung  hin  er¬ 
folgende,  ist  daher  ausgiebig  und  kräftig  —  vorausgesetzt. 


7)  Bei  A  s  c  h  o  f  f  1.  c. 

8)  Der  Mann  war  die  ersten  8  Tage  in  seinem  Heimatsort  be¬ 
handelt  worden.  —  Was  Asepsis  anlangt  offenbar  mangelhaft. 

2 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  41. 


2066 


dass  der  Herzmuskel  gesund  ist.  Nur  so  erklärt  sieh,  dass  ein 
Mensch  mit  vollkommener  Dissoziation  leben  und  sogar  ar¬ 
beiten  kann.  Ebenso  aber  lässt  sich  auch  begreifen,  dass  ein 
derartiges  Herz  über  keinerlei  Reservekraft  mehr  verfügt, 
weil  eine  raschere  und  ausgiebigere  'lätigkeit  beim  automatisch 
schlagenden  Ventrikel  ausgeschlossen  ist.  So  machen  sich  bei 
dein  Manne  in  dem  geschilderten  Falle  auch  schon  bei  geringen 
körperlichen  Anstrengungen  Zeichen  von  Insuffizienz  geltend, 
die  sicher  nicht  allein  auf  die  bestehende  Herzerweiterung  zu 
beziehen  sind. 

Interessant  ist  folgender  Versuch,  der  in  der  Klinik  mit 
dem  Manne  angestellt  wurde: 

Nach  Verabreichung  von  Atropin,  das  bekanntlich  den  Vagus 
lähmt  und  so  die  Herzaktion  beschleunigt,  schlugen  zwar  die  Vorhöfe 
schneller,  die  Ventrikel  behielten  aber  ihr  Tempo  von  40  in  der 
Minute  bei.  Damit  ist  erstens  bewiesen,  dass  Atropin  auf  die  Herz¬ 
nerven  wirkt  und  nicht  auf  den  Herzmuskel.  Denn  sonst  wäre  die 
Ventrikeltätigkeit  ebenfalls  beeinflusst  worden.  Zweitens  ist  damit 
bewiesen,  dass  die  Reizleitung  zum  Ventrikel  unterbrochen  ist.  Denn 
bei  intakter  Reizleitung  wird  der  zum  Sinusknoten  gelangende  ner¬ 
vöse  Atropinreiz  an  die  Kammern  auf  dem  Wege  des  atrioventriku¬ 
lären  Bündels  weitergegeben. 

Nach  alledem  unterliegt  es  keinem  Zweifel,  dass  eine  Reiz- 
leitungsstörung  die  Bradykardie  verursacht  hat  und  zwar  liegt 
eine  völlige  Unterbrechung  vor,  also  vollständiger  Herzblock. 
Wie  kann  nun  dieser  entstanden  sein? 

Nach  meiner  Ansicht  durch  das  Geschoss,  welches  das 
Herz  durchbohrt  hat  und  durch  Narbenprozess  in  der  Kammer- 
wand  das  H  i  s  sehe  Bündel  unterbrochen  hat. 

Ich  will  gleich  dem  Einwand  begegnen,  dass  eine  Herz- 
muskelverletzung  in  diesem  Falle  mit  Sicherheit  gar  nicht 
nachgewiesen  sei.  Es  ist  zuzugeben,  dass  der  exakte  Beweis 
ja  nur  durch  Autopsie  in  vivo  aut  in  mortuo  zu  erbringen  ist. 
Allein  ich  glaube  auch  ohne  diesen  Nachweis  ist  hier  ein 
Zweifel  kaum  möglich,  dass  das  Geschoss  das  Herz  durch¬ 
bohrt  hat.  Es  sind  Fälle  genug  bekannt 9),  wo  Herzschussver¬ 
letzungen,  sogar  Durchbohrungen  der  Kammerzwischenwand, 
auf  der  die  Bündelschenkel  verlaufen,  später  nicht  durch 
Operation,  sondern  auf  dem  Sektionstisch  nachgewiesen 
werden  konnten,  ohne  dass  die  Verletzung  den  Tod  herbei¬ 
geführt  hatte. 

Rekonstruiert  man  im  geschilderten  Falle  den  Schusskanal 
—  Einschuss  dicht  am  linken  Brustbeinrand  in  Warzenhöhe, 
Sitz  der  Kugel  hinter  dem  rechten  Vorhof  —  so  führt  er  mitten 
durch  Herz.  Dass  die  Kugel  nach  Art  der  sogen.  Kontur¬ 
schüsse  oder  Bardeleben  scher  Ringelschüsse  um  das  Herz 
hcrumgegangen  wäre,  ist  wohl  nicht  anzunehmen. 

Der  Verlauf  des  Schusskanals  lässt  ohne  weiteres  die  An¬ 
nahme  zu,  dass  das  Kammerseptum  verletzt  war.  Denn  nur 
so  ist  es  möglich,  dass  das  reizleitende  Bündel  alteriert 
wurde,  nicht  direkt  durchschossen.  Denn  dagegen  sprechen 
2  Gründe:  einmal  die  langsame  und  späte  Entwicklung  der 
Bradykardie  und  zweitens,  weil  plötzliche  Unterbrechung 
der  Reizleitung  wenigstens  im  Experiment  Herzstillstand  her¬ 
vorruft. 

Ich  denke  mir  den  Vorgang  daher  so,  dass  Narben¬ 
schrumpfung  in  der  Kammerzwischenwand,  vielleicht  auch 
sekundäre  degenerative  Prozesse  im  Bündel  selbst  dieses 
leitungsunfähig  gemacht  haben. 

Beim  Studium  der  Literatur  habe  ich  einen  Fall 10 *)  aller¬ 
dings  nur  vorübergehender  Pulsverlangsamung  nach  Herz¬ 
schuss  gefunden,  bei  welchem  man  ebenfalls  an  eine  Reiz¬ 
leitungsstörung  denken  muss. 

Einschuss  zwischen  Brustbein  und  rechter  Brustwarze.  Hei¬ 
lung  ohne  Operation.  Am  8.  Tage  Pulsverlangsamung  von 
40,  die  sich  zurückbildete.  Durchleuchtung  nach  4  Wochen  ergab 
Sitz  der  Kugel  im  Herzen,  nahe  der  Spitze.  Entlassung  beschwerde¬ 
frei  und  ohne  krankhafte  Veränderungen  an  den  Brustorganen. 

Zum  Schlüsse  will  ich  nicht  verfehlen,  Herrn  Professor 
Wenckebach  für  das  lebhafte  Interesse,  welches  er  dem 

9)  Ich  verweise  hier  nur  auf  die  bekannte  Arbeit  Fischers 
(Arch.  f.  klin.  Chir.  IX.  571.)  der  zu  dem  Resultat  kommt,  dass 
7- -30  Proz.  aller  Herzverletzungen  —  ohne  Operation,  die  man  da¬ 
mals  noch  gar  nicht  kannte  —  heilen,  ferner  auf  Bruns,  Berg- 
m  a  n  n,  Hb.  2.  S.  560  ff. 

10)  Krall:  Naturhistor.-Med.  Verein  Heidelberg,  Sitzung  vom 

22.  VI.  09. 


Fall  entgegenbrachte,  und  für  die  in  seiner  Klinik  durchgeführte 
eingehende  Untersuchung  desselben  meinen  herzlichsten  Dank 
auszusprechen.  _ 


Aus  der  Kgl.  Universitäts-Kinderklinik  in  München 
(Vorstand:  Prof.  Dr.  M.  v.  Pfaundler). 

Gibt  es  einen  „schädlichen  Nahrungsrest“  beim  Säugling? 

Von  Privatdozent  Dr.  A.  U  f  f  e  n  h  e  i  m  e  r,  Laboratoriums¬ 
chef  der  Klinik. 

(Schluss.) 

Aus  all  dem  Mitgeteilten  ersehen  wir,  wie  ausserordent¬ 
lich  konstant  sich  das  Kasein  in  den  Stühlen  mit  Kuhmilch 
ernährter  Säuglinge,  ebenso  gesunder  und  gut  gedeihender 
wie  kranker,  nachweisen  lässt,  ganz  besonders  in  den 
„Kaseinbröckeln“.  Wir  sehen,  dass  das  Kasein  sich  sogar  noch 
tagelang,  nachdem  man  bereits  zu  einer  anderen  Nahrung 
(Frauenmilch!)  übergegangen  ist,  in  den  Fäzes  vorfinden  kann. 

Kein  Zweifel,  dass  wir  vollkommen  be¬ 
rechtigtsind,  für  all  diese  Fälle  einen  Nalirungs- 
rest  a n z unehme n.  Nun  fragt  es  sich  aber,  ob  die  Zurück¬ 
behaltung  solcher  Nahrungsreste  nicht  vielleicht  gegenüber 
allen  möglichen  eiweisshaltigen  Nahrungen  für  den  Säuglings¬ 
darm  die  Norm  ist.  Wir  haben  wenigstens  nach  einer  Rich¬ 
tung  hin  einige  einschlägige  Versuche  angestellt.  Ein  grosser 
Teil  der  in  dem  Prinzessin  Arnulfhaus  verpflegten  Säuglinge 
wurde  mit  Griess  misch  ungen  ernährt.  Möglicher¬ 
weise  konnte  in  ihren  Stühlen  noch  der  Eiweissanteil  des 
Griesses  aufgefunden  werden.  Wir  stellten  uns  ein  Griess- 
antiserum  vom  Titer  1:1000  her17)  und  untersuchten  mit 
seiner  Hilfe  4  Stühle  solcher  Kinder  (3).  Es  fanden  sich 
keine  nachweisbaren  Reste  des  Griesses  mehr, 
während  das  Kasein  auch  hier  immer  wieder 
vorhanden  war.  Also,  allen  Stoffen  eiweissartiger  Natur 
gegenüber 18)  besteht  offenbar  diese  Unfähigkeit  des  Säug¬ 
lingsdarmes,  sie  restlos  zu  erledigen,  nicht. 

Nochmals  also,  das  stets  wieder  aufgefundene  Kasein  be¬ 
deutet  demnach  einen  wirklichen  Nahrungsrest. 
Gibt  es  nun  eine  Möglichkeit,  sich  eine  an¬ 
nähernde  Vorstellung  über  seine  Grösse  zu 
verschaffen? 

In  mehreren  Wägungen  ergab  sich  das  Gewicht  der  zur 
Prüfung  eines  Stuhles  auf  seinen  Kaseingehalt  verwendeten 
Stuhlpartikel  als  0,02 — 0,03  g.  Diese  Masse  wurde  verrieben 

und  dann  regelmässig  in  3,0  ccm  ^-NaOH  aufgeschwemmt. 

Wenn  wir  unseren  Berechnungen  als  Gewicht  eines  Stuhl- 
partikels  ruhig  sogar  0,03  g  unterlegen,  so  ergibt  sich  demnach: 

3,0  ccm  der  Aufschwemmung  enthält  0,03  g  Stuhl, 

1,0  „  „  „  „  0,01  „  „  und 

0,1  „  „  „  (so  viel  wurde  stets  für  die 

Prüfung  mit  dem  Antiserum  verwendet)  enthält  0,001  g 
Stuhl. 

Im  Durchschnitt  arbeiteten  wir  mit  einem  Laktoserum 
vom  Titer  1 :  1000;  dies  besagt,  dass  0,1  ccm  dieses  Serums 
zusammengebracht  mit  0,1  ccm  einer  Verdünnung  entrahmter 
Milch  1 :  1000  noch  einen  sichtbarem  Niederschlag  ergaben. 

1  ccm  dieser  Kuhmilch  enthält  aber  im  Durchschnitt  0,03  g 
Eiweiss;  in  1  ccm  einer  Kuhmilchverdünnung  1:1000  findet 
sich  demnach  0,00003  g  Eiweiss  und  in  0,1  ccm  dieser  Ver¬ 
dünnung  (so  viel  wurde  zum  Auswertungsversuch  benützt) 
dann  0,000003  g  Eiweiss. 


17)  Griessmehl  wurde  mit  Wasser  15  Minuten  lang  gekocht,  dar¬ 
nach  wurde  der  Brei  mit  tropfenweise  zugesetzter  -^-Natronlauge 

im  sterilen  Mörser  20 — 30  Minuten  lang  verrieben,  bis  er  ein  ganz 
feines  homogenes  Gemisch  darstellte.  Das  Kaninchen,  welches  das 
Antiserum  liefern  sollte,  wurde  viermal  in  fünftägigen  Inter¬ 
vallen  mit  diesem  Gemisch  eingespritzt.  Zur  Titration  des  Griess- 
antiserums  gingen  wir  aus  von  dem  Griessbrei,  von  dem  ein  Teil  mit 

vier  Teilen  ]0-NaOH  verrieben  worden  war.  Ein  Teil  von  diesem 

mit  9  Teilen  physiologischer  NaCl-Lösung  vermengt,  wurde  zur  Aus¬ 
wertung  des  Titers  1:10  verwendet  usf. 

1S)  Weitere  Versuche  in  dieser  Richtung  sind  in  Aussicht  ge¬ 
nommen. 


13.  Oktober  1914.  MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


Ergibt  sich  nun  bei  Benützung  eines  Laktoserums  vom 

i  ;tcr  1.  1000  gegenüber  der  Stuhlaufschwemmung  ein  noch 
Achtbares  I  inzipitat,  so  darf  vermutet  werden,  dass  die 
rtenge  des  niedergeschlagenen  Eiweisses  demjenigen  Milch- 
i!  an  tu  in  entspricht,  mit  welchem  ein  analog  aussehendes  Prä- 
ipitat  beim  Auswertungsversuch  erhalten  wurde. 

Wenn  also  mit  0,1  ccm  eines  Laktoserums  1  :  1000  noch 

ii  0,1  ccm  der  Fäzesaufschwemmung  (=  0,001  Fäzes)  ein 
ichtbarer  Niederschlag  auftrat,  so  entspricht  dieser  der  oben 
erechneten  Menge  von  0,000003  g  Milcheiweiss.  Nimmt  man 
n,  dass  ein  Säugling  pro  Tag  ca.  75  g  Kot 19)  entleert,  so  be- 
eutet  das: 

in  0,001  g  Fäzes  finden  sich  0,000003  Kuhmilcheiweiss, 
in  75  g  Fäzes  finden  sich  =  0,225  g  Kuhmi’lch. 

eiweiss. 

Wir  haben  demnach,  wo  wir  mit  einem  Laktoserum 
:  1000  arbeiteten,  beim  geringsten  sichtbaren  Niederschlag 
och  eine  Kaseinmenge  20)  von  etwa  XA  g  nachgewiesen.  Da 
s  sich  nun  bei  den  Kindern  mit  häufigen  Stühlen  vielfach  noch 
rn  grössere  Stuhlmengen  als  75  g  pro  Tag  handelte,  da  teil¬ 
eise  mit  anderen  Laktoseris  geprüft  wurde,  da  ferner  sehr 
ielfach  stärkere  Niederschläge  erhalten  wurden,  so  können 
ir  vielleicht  sagen,  dass  der  Nahrungsrest,  der  vom 
aseinstammend,  täglich  mit  dem  Säuglings- 
tuhlausgeschiedenwird,  etwa  %  — 1  gbeträgt. 
as  ist  eine  überraschend  hohe  Zahl,  wenn  man  bedenkt  (ich 
ge  auch  hier  wieder  die  Rubner-Heubner  sehen  Er- 
abnisse  zugrunde:  0,281g  N-Qehalt  des  Kotes  beim  7Hmonat- 
:hen  Kindel),  dass  etwa  4,5  g  Eiweiss  im  Kote  ausgeschieden 
erden. 

Ist  nun  dieser  erstaunlich  hohe  Nahrungs- 
=  st  auch  wirklich  ein  schädlicher  im  Sinne 

i  e  d  e  r  t  s? 

Die  Antwort  auf  diese  Frage  kann  man  natürlich  nicht 
efühlmässig  geben.  Es  genügt  auch  nicht,  etwa  alle 
e  Punkte  aufzuzählen,  welche  eine  derartige  Ansicht  unter- 
iitzen  könnten.  Man  muss  vielmehr  möglichst  posi- 
\es  Beweis  material  herbeizuschaffen  suchen. 

Lust*1)  hat  im  vergangenen  Jahr  energisch  Front  ge- 
acht  gegen  die  Verwendung  wässriger  Auflösungen  des  E  i  - 
ars,  bei  den  akuten  Ernährungsstörungen  der  Säuglinge, 
spricht  in  seiner  Publikation  die  Ueberzeugung  aus,  dass 
>n  allen  heterologen  Eiweissarten  keine  einen  auch  nur  an¬ 
kernd  gleichstarken  Reiz  für  die  Darmschleimhaut  bedeutet, 
e  gerade  das  Hühnereiweiss.  Er  geht  ja  auch  mit  noch  viel 
össerer  Leichtigkeit  als  die  anderen  Eiweissarten  durch  die 
irmwandungen  ins  Blut  über  „und  zwar  um  so  konstanter 
d  um  so  leichter,  je  akuter  und  je  schwerer  die  Darmstörung 
s  betreffenden  Säuglings  war.“  Im  E  i  e  r  k  1  a  r  müssen  wir 
mnach  (und  das  dürfte  heute  wohl  keine  ernste  Gegner- 
tiaft  finden)  einen  richtigen  Schädling  des  Säug- 
ngsdarmes  sehen.  Da  lag  es  nahe,  einmal  zu  prüfen, 
welcher  Weise  die  Darmschleimhaut  des  Säuglings  mit  ein- 
brachtem  Hiihnereiklar  fertig  wird  22).  Wir  fütterten  des- 
lb  10  Kinder  der  Säuglingsabteilung  mit  je  einem  Eiklar  pro 
g  und  nahmen  20  mal  Untersuchungen  ihrer  Stühle  mit 
iem  Antieiklarserum  (1 : 1000,  1 :  2000,  1 :  5000)  vor.  Wir 
gen  zu  diesen  Versuchen  Säuglinge  vom  verschiedensten 
•sundheitszustand  heran  (gedeihende  Kinder,  leichtere  Er¬ 
brungsstörungen,  Dekomposition,  Frühgeburten,  Lues  con- 


■  }  ^ie  ^a.bl  stammt  von  R  u  b  n  e  r  und  Heubner  (Zschr.  f. 
'Ogie  38),  die  bei  einem  angeblich  gesunden  7 Yz  Monate  alten 
lae  bei  einer  Aufnahme  von  durchschnittlich  995,6  g  Milch  Ent- 
rung  von  täglich  73,8  g  Kot,  d.  h.  7,4  g  pro  100  g  Alilch  fanden. 
.. *Jr  se‘bst  haben  die  Stühle  von  einigen  ernährungsge- 
orten  Säuglingen  (7 — 8  pro  Tag)  gewogen  und  fanden  dabei 
sentheh  höhere  Gewichte;  allerdings  bestand  die  Möglichkeit  von 
nten  Urinbeimengungen. 

“)  Ich  gebrauche  das  Wort  „Kasein“  ganz  in  dem  früher  ge- 

mzeichneten  Sinne. 

' )  Ueber  die  missbräuchliche  Verwendung  von  Eiweisswasser 
der  Behandlung  akuter  Ernährungsstörungen  von  Säuglingen. 

n.W.  1913  Nr.  49. 

')  Bei  einer  Reihe  von  Fällen,  nicht  bei  allen,  veränderte 
1  nacb  c'er  Eiklarverabreichung  der  Stuhlcharakter,  ohne  dass  es 

T  zu  extremen  Veränderungen  kam. 


2067 

senita,  Pemphigus  neonatorum  und  Spasmophilic).  Nur  bei 
einem  e  i  n  z  i  g  e  n  Kind,  bei  dem  aber  der  Stuhl  nur  einmal 
geprüft  werden  konnte  und  bei  dem  nur  ein  Antiserum  mit 
dem  Titer  1:1000  Verwendung  fand,  konnte  das  Eiklar  im 
Stuhle  nicht  nach  gewiesen  werden.  Bei  allen  übrigen 
neun  ergab  sich  ein  positiver  Ausfall  der  Präzipitat¬ 
probe.  Allerdings  liess  sich  das  Eiklar  nicht 
immer  schon  nach  der  ersten  Verfütterung 
au  ff  indem  Bei  zwei  Kindern  —  beide  waren  Früh- 
gebuiten,  das  eine  mit  Lues  congenita  —  gelang  es  vielmehr 
erst  nach  vier  Tagen,  d.  h.  nachdem  4  ganze  Eiklare 
verfuttert  worden  waren,  Spuren  davon  in  den  Fäzes  fest¬ 
zustellen. 

Es  bedarf  also  offenbar  bei  einer  Reihe  von  Säuglingen 
eist  einei  über  läge  hinaus  sich  erstreckenden  Reizung  der 
Darmschleimhaut,  bis  diese  so  weit  in  ihrer  Tätigkeit  beein¬ 
trächtigt  ist,  dass  sie  nun  nicht  mehr  vollkommen  mit  der 
Denaturierung  des  Eiklars  fertig  wird.  Bei  anderen  Säug¬ 
lingen  wieder,  und  sie  scheinen  in  der  Mehrzahl  zu  sein,  ge¬ 
nügt  bereits  die  einmalige  Verfütterung  des  Eiklars,  um  diesen 
Zustand  der  Schleimhaut  hervorzubringen. 

Für  das  Kasein  der  Kuhmilch  haben  wir  gefunden,  dass 
es  (in  den  Bröckeln  wenigstens)  in  jedem  Fall23)  nach¬ 
weisbar  ist.  Es  hat  demnach  den  Anschein,  dass  seine  Ver¬ 
fütterung  die  Darmschleimhaut  eher  mehr  beeinträchtigt 
als  die  des  Eiklars  —  und  nachdem  dieses  als  ein  wahrer 
Schädling  des  Darmes  bezeichnet  werden  konnte,  liegt  der 
Schluss  nahe,  auch  das  Kasein  als  solchen  anzusehen  und  in 
der  1  at  einen  schädlichen  Nahrungsrest,  wenn  auch  viel- 

1  e  icht  nicht  völlig  im  alten  Biedertschen 
Sinne,  anzunehmen. 

Allein,  ich  glaube,  ehe  man  so  weit  geht,  hat  man  doch 
noch  die  Pflicht  zur  Vornahme  einiger  weiterer  Feststellungen. 

Wie  verhält  sich  denn  das  Kasein  der 
Kuhmilch  gegenüber  der  Darm  schleim  haut 
grösserer  Kinder  oder  gar  Erwachsener? 

Zur  Beantwortung  dieser  Frage  untersuchten  wir  21  Stuhl¬ 
partikel  von  18  K  i  n  d  e  r  n  24)  im  Alter  von  1  %  bis  13  Jahren 
In  der  grösseren  Hälfte  der  Fälle,  nämlich  11  mal, 
ergab  sich  ein  negatives  Resultat,  einmal  ein  fragliches 
(an  diesem  Jage  war  keine  Milch  verabreicht  worden)  und 
9  mal  fand  sich  tatsächlich  Präzipitation.  Diese  positiven  Fälle 
stammten  von  7  Kindern  der  internen  Abteilung,  von  denen 

2  an  Darmerkrankungen  (Darmkatarrh,  Hirse hsprung- 
sche  Krankheit)  litten. 

Weiterhin  wurden  noch  die  Stühle  von  8  Erwach¬ 
se  n  e  n  zu  12  Untersuchungen  herangezogen.  Hier  war  der 
Ausfall  der  Präzipitationsprobe  9  mal  positiv,  nur  3  m  al  er¬ 
gab  sich  ein  negatives  Resultat.  Die  Trinkmengen 
überstiegen  dabei  in  der  Regel  nicht  einen  halben  Liter.  Ein 
Mädchen  hatte  nach  Verbrauch  dieser  Menge  kein  nachweis¬ 
bares  Kasein  im  Stuhle.  Daraufhin  wurde  das  Trinkquantum 
verdreifacht,  mit  dem  Erfolg,  dass  sich  nunmehr  ein  starkes 
Präzipitat  mit  den  Antiseris  bildete.  Nur  zwei  gesunde  kräf¬ 
tige  Männer,  deren  Fäzes  je  einmal  geprüft  wurden,  hatten 
ausserdem  einen  negativen  Befund.  Ein  28  jähriger  Mann, 
dessen  Stühle  stets  starke  Niederschlagsbildung  mit  den  Kuh- 
milchantiseris  zeigt,  nimmt  auch  seit  langer  Zeit  täglich  4  Eier 
zu  sich.  Aber  weder  bei  ihm,  noch  bei  den  anderen  Erwach¬ 
senen  oder  grösseren  Kindern  konnte  jemals  Eiklar  in  den 
Fäzes  nachgewiesen  werden. 

Was  soll  man  nun  aus  diesen  letzten  Resultaten 
schliessen?  Dass  auch  beim  grösseren  Kind  und  beim  Er¬ 
wachsenen  häufig  genug  ein  schädlicher  Nahrungsrest,  vom 
verzehrten  Kasein  stammend,  vorhanden  ist?  Das  hiesse  doch 
wohl  den  latsachen  Gewalt  antun.  Insbesondere  die  über¬ 
raschend  grosse  Anzahl  der  positiven  Befunde  an  den  Stühlen 
Erwachsener  zwingt  zu  grosser  Vorsicht  in  den  Schlussfolge¬ 
rungen.  Es  Hessen  sich  zwar  auch  hierfür  Erklärungen 
geben,  so  die  bekannte  J'atsache,  dass  viele  Erwachsene  den 
Milchgenuss  nicht  vertragen  können.  Ich  weiss  von  Personen, 


"*)  L  i  n  e  Ausnahme  bei  so  vielen  Versuchen! 

■')  Sie  hatten  ganz  wie  es  einer  normalen  Ernährungsweise 
dieser  Altersstufen  entspricht,  Milch  erhalten  (NB.!  Alle  waren 
Kranke  der  internen  Abteilung  der  Klinik!). 


2* 


2068  MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. _  Nr.  41. 


die  auf  eine  Tasse  Milch  mit  Durchfällen  reagieren.  Mir  ist 
ein  Fall  bekannt,  dass  eine  Dame,  die  bei  einer  Bergtour  in  | 
einer  Sennhütte  Milch  getrunken  hatte,  so  schwer  darnach  ' 
erkrankte,  dass  sie  von  Trägern  heruntergeschafft  werden 
musste. 

Ich  möchte  aber  nicht  den  Anschein  erwecken,  als  ob  ich 
in  irgendeiner  Weise  voreingenommen  wäre.  So  begnüge  ich 
mich  zunächst  mit  der  Feststellung,  dass  durch  das  regel¬ 
mässige  Auffinden  des  Kaseins  in  den  Stühlen  der  Säuglinge, 
vor  allem  in  den  Flöckchen,  das  Vorhandensein  eines 
Nahrungsrestes  zweifellos  erwiesen  ist.  Inwieweit  es 
ein  schädlicher  Nahrungsrest  ist,  lässt  sich  vor¬ 
läufig  noch  nicht  sicher  sagen.  Manches  spricht  (wie  wir  so¬ 
gleich  noch  sehen  werden)  für  das  tatsächliche  Auftreten 
eines  solchen.  Die  endgültige  Entscheidung  dieser  Frage  muss 
aber  künftigen  Forschungen  Vorbehalten  bleiben. 


Die  Schädlichkeit  des  Nahrungsrestes  ist  also  nicht  strikt 
erwiesen.  Aber  wir  können  uns  immerhin  Vorstellungen  da¬ 
rüber  machen,  nach  welcher  Richtung  hin  wohl  der  gefundene 
Nahrungsrest  (der  von  der  Kuhmilch  stammt)  Schaden  an- 
richten  könnte. 

Der  einfachste  Einwurf,  welcher  vorgebracht  werden 
kann,  ist  der:  Zunächst  ist  weiter  gar  nichts  bewiesen,  als 
dass  ein  mehr  oder  weniger  grosser  Teil  des  mit  der  Nahrung 
verabreichten  Kaseins  noch  im  Stuhl  der  Säuglinge  regel¬ 
mässig  vorgefunden  wird.  Er  ist  noch  nicht  denaturiert,  also 
ganz  unverändertes  Kasein  oder  Parakasein.  Was  soll  denn 
diese  Beimengung  zu  den  Fäzes  schaden? 

Diese  Logik  ist  aber  wohl  nicht  ganz  richtig.  Einerseits 
muss  dieses  Kasein  für  den  Darm  als  ein  Fremdkörper 
angesehen  werden.  Wir  können  wohl  auch  jetzt  noch  unter¬ 
schreiben,  was  Tob  ler  sagt:  „dass  die  Hauptmasse  des  im 
Stuhle  aufgefundenen  N  nicht  Nahrungsresten,  sondern  Pro¬ 
dukten  des  Darmkanals  entstammt.“  Das  Verhältnis  des  aus¬ 
geschiedenen  Nahrungs-N  zu  dem  übrigen  N,  welches  Darm¬ 
sekreten  oder  Darmbakterien  seine  Herkunft  verdankt,  dürfte 
nach  dem  oben  Gesagten  zwischen  1 : 4  und  1 : 20  ungefähr 
schwanken;  aber  auf  die  Grösse  der  beiden  Verhältniszahlen 
kommt  es  möglicherweise  gar  nicht  an:  Darmsekrete  und 
Darmbakterien  sind  (soweit  es  sich  um  eine  normale  Flora 
handelt)  sozusagen  „adäquater“  Inhalt  des  Intestinums;  nicht 
denaturiertes  Kasein  kann  aber  in  keinem  Fall  als  ein  solcher 
angesehen  werden;  und  je  nach  der  Empfindlichkeit  des  Dar¬ 
mes  (die  im  wesentlichen  vom  Alter  des  Säuglings  und  vom 
allgemeinen  Gesundheitszustand  abhängig  ist)  wird  wohl  auch 
die  Möglichkeit  einer  Schädigung  durch  Fremdkörperwirkung 
des  Kaseins  grösser  oder  kleiner  sein.  Es  ist  ja  auch  für  einen 
jungen  oder  geschädigten  Darm  nicht  gleichgültig,  wenn  man 
ihm  beträchtliche  Mengen  von  Zellulose,  die  selber  zum 
grössten  Teil  nicht  weiter  verändert  zu  werden  pflegt,  ein¬ 
verleibt. 

Andererseits  ist  durch  die  Konstatierung,  dass  so  und  so 
viel  nicht  verändertes  Kasein  in  der  Ampulla  recti  liegt,  natür¬ 
lich  nicht  gesagt,  dass  dieser  Stoff  für  die  Prozesse  der 
Verdauung  gleichgültig  ist.  Wir  wissen  ja  gar  nicht,  ob 
nicht  noch  ein  weit  grössererTeil  nicht  denaturierten  Eiweisses 
ursprünglich  vorhanden  war  und  auf  dem  Wege  zwischen 
Magen  und  Anus  für  den  Organismus  schädlichen  Verände¬ 
rungen  anheimgefallen  ist.  Das  Eiweiss  ist  fäulnis¬ 
fähige  Substanz,  und  es  scheint  mir  sehr  wahrscheinlich, 
dass  ein  Teil  des  nichtdenaturierten  Kaseins 
von  den  Fäulniserregern  des  Darms  ergriffen 
und  zersetzt  zu  werden  pflegt.  Während  im  Urin 
gesunder  Brustkinder  nach  Senator,  Hochsinger  und 
Zamfircsco  die  Indikanreaktion  fast  stets  negativ 
ausfällt,  finden  sich  nach  Momidlowski  und  Con- 
c  e  1 1  i 25)  im  Urin  künstlich  genährter  Kinder,  auch  wenn 
keine  Verdauungsstörungen  zu  konstatieren 
sind,  fast  konstant  kleine  Indikanmengcn.  Das  ist  doch  der 
beste  Beweis  für  das  Vorhandensein  von  Fäulnis¬ 
produkten  im  Darme,  auch  gedeihender,  künstlich  er- 


*"’)  Die  genannten  Autoren  zitiert  nach  Czerny-Kellers  Hb.  1 
S.  200. 


nährter  Säuglinge,  und  es  ist  bei  weitem  plausibler,  dass  sie 
dem  von  den  Fermenten  des  Magendarmkanales  nicht  auf¬ 
gespaltenen  Eiweiss  entstammen,  als  dessen  richtig  ver¬ 
arbeiteten  Spaltstücken. 

In  der  modernen  Pathologie  der  Säuglingsernährungs¬ 
störungen  spielen  die  Gärungen  eine  ganz  besonders 
grosse  Rolle,  dagegen  wird  der  pathogenen  Aktion 
der  Fäulnisprozesse  kaum  gedacht.  Zu  meiner  Ge¬ 
nugtuung  geschieht  dies  aber  neuerdings  durch  Tob  ler 
(a.  a.  O.).  Er  setzt  mit  der  Darmfäulnis  die  Er¬ 
scheinungen  der  chronischen  Ernährungs¬ 
störungen  in  Beziehung.  Damit  stellt  er  sich  in  be¬ 
wussten  prinzipiellen  Gegensatz  zu  Biedert,  „der  gerade 
die  Erscheinungen  der  akuten  Ernährungsstörungen  auf  die 
Produkte  der  Dannfäulnis  zurückführen  wollte“.  Seine  Argu¬ 
mentation  ist  aber  in  diesem  Punkt,  wie  er  selbst  zugibt,  nicht 
unbedingt  stichhaltig.  Ich  möchte  jedoch  aus  dem  gleichen 
Grunde,  aus  dem  er  eine  weitere  Erörterung  dieser  Frage  ab¬ 
lehnt,  von  irgendwelchen  Einwürfen  gegen  seine  Anschauung 
vom  Nichtzusammctihange  der  akuten  Ernährungsstörungen 
mit  der  Darmfäulnis  absehen. 

Mit  allem  Nachdruck  aber  will  ich  hervorheben,  dass  auch 
T  o  b  1  e  r  annimmt,  eine  länger  dauernde  stärkere  Darm¬ 
fäulnis  führe  zu  chronischen  Ernährungsstörungen.  Er 
sagt  hierüber  wörtlich:  „Verabreichen  wir  einem  Säugling  ein 
Nahrungsgemisch,  bei  dem  die  fäulnisfördernden  Komponenten 
gegenüber  den  gärungsfördernden  in  der  Weise  iiberwieger.. 
dass  im  Darme  ein  beträchtlicher  Grad  von  Darmfäulnis  resul¬ 
tiert,  so  sehen  wir  zwar  keine  akuten  Störungen  auftreten, 
wohl  aber  so  gut  wie  ausnahmslos  das  Kind  chronisch  nicht 
gedeihen.“  Tob  ler  weist  in  diesem  Zusammenhang  vor 
allem  auf  den  Milch  nährschaden  hin,  den  man  seither 
bekanntlich  als  Fettnährschaden  aufzufassen  geneigt  war,  für 
den  er  aber  annimmt,  dass  die  Darmfäulnis  eine  ätiologische 
Rolle  spielen  dürfte.  Ich  möchte  davon  absehen,  die  einzelnen 
Argumentationen  dieses  ausgezeichneten  Beobachters  hier 
wiederzugeben;  nur  das  eine  möchte  ich  noch  feststellen,  dass 
er  zwar  meint,  die  Wirkung  der  Darmfäulnis  könnte  wohl  nur 
auf  eine  Beeinflussung  des  intermediären 
Stoffwechsels  bezogen  werden;  dass  er  aber  anderseits 
von  Erlebnissen  am  Krankenbett  berichtet,  nach  denen  er 
es  selbst  nicht  für  ausgeschlossen  hält,  „dass  bei  sehr  inten¬ 
siver  Fäulnis  auch  eine  gewisse  Darmreizung  und  Peristaltik¬ 
beschleunigung  stattfindet,  eine  Wirkung,  die  manchen  Fäul¬ 
nisprodukten  2B)  zukommt.“ 

Was  will  man  mehr?  Liegt  nicht  in  all  dem  auch  von 
klinischer  Seite  eine  Bejahung  des  schädlichen 
Nahrungsrestes!  Sogar  die  Möglichkeit  akut  ein¬ 
tretender  Fäulnisschädigungen  wird  zugegeben  —  dieser  Vor¬ 
gang  entspräche  strikt  den  Biedertschen  Anschauungen  — , 
für  gewöhnlich  wird  allerdings  die  schädliche  Wirkung  des 
faulenden  Eiweissrestes  in  den  intermediären  Stoffwechsel 
verlegt.  Wenn  diese  Vorstellung  in  der  Tat  richtig  ist  (und 
vieles  spricht  dafür,  auch  die  neueren  Arbeiten  Ben¬ 
jamins  27),  dann  müssen  wir  nur  um  so  mehr  Furcht 
haben  vor  dem  fäulniserregenden  Eiweissrest.  Denn  was  erst 
den  intermediären  Stoffwechsel  pathologisch  verändert  hat. 
setzt  bedeutend  tiefergreifende  Schädigungen,  als  was  nur  die 
Darmschleimhaut  angegriffen  hat 28).  Finkeisteins  funk¬ 
tionelle  Diagnostik,  auf  der  seine  bekannte  Einteilung  der  ali¬ 
mentären  Ernährungstörungen  beruht,  baut  sich  auf  solchen 
Vorstellungen  auf. 

Gewiss  gibt  es  aber  noch  andere  Möglichkeiten 
der  Beeinflussung  des  Ablaufs  der  Er¬ 
nährungsprozesse  durch  den  aus  dem  artfremden 
Kasein  bestehenden  Nahrungsrest.  Freudenberg  und 
Schofmann  haben  soeben  aus  der  Heidelberger  Kinder¬ 
klinik  sehr  interessante  Untersuchungen  „über  den  Einfluss 


J")  Das  Skatol  wirkt  stark  darmreizend;  grosse  Dosen  des 
Indols  rufen  bei  parenteraler  Injektion  Vergiftungserscheinungen 
hervor. 

“)  Zschr.  f.  Kinderheilk.  1914  u.  Vortrag  auf  dieser  Tagung. 

JB)  Selbstverständlich  spreche  ich  nur  von  primär  alimen¬ 
tären  Schädigungen  und  lasse  die  infektiösen  Darmerkran¬ 
kungen  bei  Seite. 


13.  Oktober  191*4. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2069 


der  Molke  auf  das  Darmcpithel“  veröffentlicht29).  Die  beiden 
Autoren  konnten  zeigen,  dass  aus  F  r  a  u  e  n  m  i  1  c  h  mölke 
absolut  und  prozentual  wesentlich  geringere  Zuckermengen 
aus  dem  überlebenden  Kalbs  dann  verschwinden  als  aus 
Kuhmolke.  Es  konnte  aber  ein  Nutzeffekt  seitens  der  Kuh¬ 
molke  für  den  Kalbsdarm  ausgeschlossen  werden;  denn  er 
resorbiert  aus  Milchzuckerlösungen  fast  gerade  so  gut  wie 
aus  Kulimolke,  auch  aus  ei  weissfreier  Molke  so  gut  wie 
ans  genuiner.  Dagegen  konnte  erwiesen  werden,  dass  der 
Erauenmolke  ein  durch  Kaoünadsorption  entfernbares,  den 
Vorgang  der  Milchzuckerresorption  im  Kalbsdarni  schädi¬ 
gendes  Prinzip  anhafte;  und  Freudenberg  und  Schof- 
mann  nehmen  an,  dass  diese  schädigende  Wirkung  an  das 
Eiweiss  gebunden  sei.  Sie  fanden,  was  gleichfalls  hiefür 
weht,  dass  eiweissfreie  Frauenmilchmolke  für  den  Darm, 
bezüglich  der  Aufnahme  des  Milchzuckers  aus  ihr,  so  günstig 
*ei  wie  Kuhmolke.  Auch  verdaute  Molken  beiderlei  Art 
h essen  keine  Unterschiede  hervortreten. 

Diese  Versuche  ergeben  doch  (wenigstens  für  den  über¬ 
lebenden  Kälberdarm  30),  dass  es  für  die  Resorption  des  Milch¬ 
zuckers  aus  den  Milchen  nicht  gleichgültig  ist,  in  welchem 
Milieu  er  dargeboten  wird,  und  dass  der  überlebende  Darm 
vor  allem  aus  Nährlösungen,  in  denen  sich  nicht  d  e  na¬ 
tu  r  i  e  i  t  e  s  artfremdes  Eiweiss  befindet,  weniger 
Milchzucker  zu  entnehmen  vermag  als  aus  solchen,  die  un¬ 
verändertes  arteigenes  Eiweiss  enthalten  oder  die  ganz  ei¬ 
weissfrei  sind.  Auch  diese  Befunde  werfen  —  wie  auch  Moro 
in  der  Diskussion  zu  meinem  Vortrag  anerkannt  hat  —  ein 
iieues  Licht  auf  die  Wirkung  des  von  uns  bis  jetzt  nicht  ge- 
lügend  beachteten,  ja  nicht  gekannten  Nahrungsrestes. 

So  sind  wir  am  Schlüsse  unserer  Ueberlegungen  dabei 
ingelangt,  den  von  uns  regelmässig  gefundenen  Nahrungsrest 
ils  artfremdes  Eiweiss  zu  bezeichnen.  Während  in 
Jer  ersten  Zeit,  nachdem  Hamburger31)  diesen  Begriff  ge¬ 
prägt  hatte,  helle  Begeisterung  herrschte  und  die  Pädiatrie 
glaubte,  nunmehr  den  wesentlichen  Unterschied  zwischen 
latürlicher  und  künstlicher  Ernährung  gefunden  zu  haben,  ging 
'ie  bald  dazu  über,  das  neu  Errungene  wieder  zu  verwerfen. 

►  or  allem  L  a  n  gs  t  e  i  n32),  zum  Teil  zusammen  mit  B  a  h  r  d  t, 
•var  an  dieser  Meinungsänderung  schuld.  Ich  habe  im  Jahre 
908,  als  ich  in  meiner  „Physiologie  des  Magendarmkanales 
ieim  Säugling  und  älteren  Kind“ 33)  über  den  Stand  dieser 
"rage  berichtete,  mich  folgendermassen  geäussert 34): 

„Es  ist  —  um  kurz  zu  resümieren  —  durch  diese  (sc. 
-angstein  s)  Versuche  festgelegt,  dass  tatsächlich  der 
».agendarmkanal  des  Neugeborenen  das  Nahrungseiweiss  in 
ler  gleichen  Weise  bewältigt,  wie  der  des  Erwachsenen,  und 
lass  er  hierbei  keinen  Unterschied  macht,  ob  artgleiche  oder 
rtfremde  Nahrung  zugeführt  wird. 

Mit  dem  letzten  Satz  ist  bereits  eine  Entscheidung  ge- 
roffen,  durch  die  ein  heftiger  Streit  der  pädiatrischen  Schulen 
wenigstens  seine  vorläufige  Erledigung  ge- 

unden  ha  t.“ 

Es  war  vorsichtig,  nur  von  einer  „vorläufigen  Erledigung“ 
u  sprechen.  Die  Angelegenheit  muss  einmal  re¬ 
giert  werden.  Wenn  diese  Arbeit  hiezu  den  Anstoss 
L’ben  kann,  so  habe  ich  meinen  Zweck  völlig  erreicht. 


2  Jb.  f  Kinderheilk.  79.  H.  6.  S.  685. 

)  Wahrscheinlich  sind  die  Vorgänge  am  lebenden  Darm  analoge 
der  wenigstens  prinzipiell  ähnliche. 

•  11  Hamburger:  Arteigenheit  und  Assimilation.  Leipzig  und 
,ien-  Deuticke.  1903  —  und  zahlreiche  weitere  Arbeiten. 

'  Langstein:  Die  Eiweissverdauung  im  Magen  des  Säug- 
»gs.  Jb.  f.  Kinderheilk.  3.  F.  14.  1906.  S.  139.  —  Derselbe: 
■weissabbau  und  -aufbau  bei  natürlicher  und  künstlicher  Ernährung, 
oenda  S.  154.  —  Bahr  dt  und  Langstein:  Das  Verhalten  des 
tickstorfs  im  Magendarmkanal  des  neugeborenen  Kalbes  bei  art- 
leicner  Ernährung.  —  Ebenda.  17.  1908.  S.  1. 

*. )  Ergebnisse  der  inneren  Medizin  und  Kinderheilkunde  2. 
P  r  i  n  g  e  r,  Berlin. 

”)  Bei  diesem  Zitat  halte  ich  mich  nicht  an  die  Sperrungen 

-s  Uriginais. 


Bücheranzeigen  und  Referate. 

Dr.  Robert  Otto  Stein:  Die  Fadenpilzerkrankungcn  des  Men- 

^  Abbildungen.  J.  F.  Lehmanns  Verlag  in  München. 

10  M. 

Dieser  XII.  Band  der  Lehmann  sehen  Medizinischen  Atlanten 
bringt  eine  vollkommene  Zusammenstellung  unserer  heutigen  Kennt¬ 
nisse  der  pathogenen  Fadenpilze,  soweit  sie  für  den  menschlichen 
Organismus  eine  Rolle  spielen.  Nach  Moulagen  —  von  Dr.  Hen- 
I1..1  n  2  angefertigt  —  gibt  er  eine  grosse  Anzahl  im  Drei-  und 
Vierfarbendruck  hergestellter  Tafeln,  die  zur  Erleichterung  der  Dia¬ 
gnose  dem  Praktiker  von  Wert  sein  werden;  und  die  nach  der 
Natur  gemachten  Abbildungen  der  einzelnen  Riesenkolonien,  sowie 
ma fiche  Zeichnungen  der  einzelnen  Pilzindividuen  müssen  ihm  die 
Einreihung  der  aus  einer  Pilzerkrankung  gewonnenen  Pilze  ermög¬ 
lichen. 

Der  allgemeine  1  eil  beschäftigt  sich  mit  der  Morphologie;  der 
mikroskopischen  Untersuchungstechnik  (mit  genauen  Färbevorschrif- 
ten);  dem  Züchtungsverfahren;  dem  Tierexperiment;  der  Immunitäts¬ 
reaktion;  der  Darstellung  des  Trichophytins.  Unter  „Immunitäts¬ 
reaktion  wird  nicht  nur  die  Agglutination  und  die  Komplementablen¬ 
kung,  sondern  auch  die  Immunität  allgemeiner  Natur  und  lokaler  Art 
abgehandelt;  meiner  Ansicht  nach  das  interessanteste  Kapitel,  das 
durch  seine  klare,  einfache  Darstellung  sogar  von  einem  Laien  ver¬ 
standen  werden  muss. 

Der  spezielle  Teil  bespricht  die  Saprophyten  der  Haut  (Pityriasis 
versicolor,  Erythrasma)  und  der  Haare  (Trichomykosis  palmellina, 
Piedra;  die  Dermatomykosen  (Mikrosporia,  Trichophytia,  Favus); 
die  Blastomykosen  (Saccharomykosen,  Q  i  I  c  h  r  i  s  t  sehe  Mykose; 
die  Strahlenpilzmykosen  (Aktinomykosen,  Maduramykose);  die 
Sporotrichosen;  einige  seltene  Mykosen;  den  Soor;  die  Schimmelpilz¬ 
affektionen. 

Das  ganze  Buch  ist  in  sich  so  abgeschlossen,  und  ist  so  praktisch 
angelegt,  dass  jeder  Arzt,  der  sich  mit  diesem  Spezialgebiet  be¬ 
schäftigt,  es  stets  mit  Erfolg  um  Rat  angehen  kann. 

Karl  T  a  e  g  e  -  Freiburg  i/B. 

Dr.  med.  R.  Ohm,  Stabsarzt  an  der  Kaiser-Wilhelms-Akademie, 
Assistent  an  der  2.  med.  Klinik  der  kgl.  Charitee  zu  Berlin:  Venen¬ 
puls-  und  Herzschattenregistrierung  als  Grundlage  für  die  Beurtei¬ 
lung  der  mechanischen  Arbeitsleistung  des  Herzens,  nach  eigenen  Me¬ 
thoden.  Mit  einem  Vorwort  von  Prof.  Dr.  Friedr.  Kraus.  Mit 
61  Originalkurven  und  15  Zeichnungen  im  Text.  Berlin  1914.  Verlag 
von  Aug.  H  i  r  s  c  h  w  a  1  d.  186  Seiten. 

Nach  der  Methode  des  Verf.  erfolgt  die  Aufnahme  des  Venen¬ 
pulses  dadurch,  dass  die  Bewegungen  eines  auf  die  Vene  gelegten 
Stäbchens  mittels  eines  Spiegelchens  auf  ein  elektrisches  Kymo- 
graphion  übertragen  werden.  (Luft-  resp.  Schlauchübertragung  er¬ 
klärt  O.  für  einen  Kardinalfehler!)  Gleichzeitig  werden  die  durch  die 
Herztöne  bewirkten  Thoraxschwingungen  markiert,  zur  Bewertung 
der  zeitlichen  Verhältnisse  der  Kurvengipfel  und  -täler.  (Die  Methode 
der  gleichzeitigen  Registrierung  von  venösem  und  arteriellem  Puls 
resp.  Herzspitzenstossbewegung  für  letzteren  Zweck  erklärt  Verf. 
für  ungenügend.  Nach  seiner  Ansicht  „hat  die  Untersuchung  des 
arteriellen  Pulses  für  die  Herzdiagnostik  nur  einen  beschränkten 
Wert“  —  ein  Satz,  der  sehr  weit  über  das  Ziel  hinausschiesst.)  Die 
Markierung  der  Herztöne  erfolgt  mit  Hilfe  eines  sehr  dünnen  Gela¬ 
tinehäutchens  (Ohm).  Die  mittels  der  feinen  Methode  erhaltenen 
Kurven  sind  sehr  schön.  Verf.  erörtert  im  klinischen  Teil  seiner 
Studie  die  phasischen  Schwankungen  der  Kurven  und  untersucht  ihre 
diagnostische  Bewertung.  Es  ist  namentlich  das  rechte  Herz,  das 
an  Hand  der  Methode  beurteilt  werden  kann.  Die  Methode  dürfte 
sich  praktisch  kaum  einbiirgern,  sie  bleibt  Domäne  des  klinischen 
Laboratoriums,  der  Arzt  am  Krankenbett  und  in  der  Sprechstunde 
wird  weiter  die  alten  Methoden  herrschen  lassen  müssen. 

Dr.  Grassmann  -  München. 

H.  H.  Meyer  und  R.  G  o  1 1 1  i  e  b,  Professoren  der  Pharmako¬ 
logie  in  Wien  und  Heidelberg:  Die  experimentelle  Pharmakologie  als 
Grundlage  der  Arzneibehandlung.  III.,  neubearbeitete  Auflage.  Ver¬ 
lag  von  Urban  &  Schwarzenberg,  Berlin-Wien,  1914. 

Meyer-Gottliebs  Pharmakologie  liegt  in  dritter 
Auflage  vor.  Der  Aufbau  der  pharmakologischen  Wirkungen  auf 
physiologischer  Grundlage  und  die  hierdurch  bedingte  Einteilung  des 
Stoffes  nach  Organen,  sowie  die  Hervorhebung  des  Experimentes 
zur  Feststellung  und  Begründung  der  Arzneimittelwirkungen  unter¬ 
scheiden  das  Werk  von  anderen  pharmakologischen  Lehrbüchern. 

Wert  und  Bedeutung  dieses  Buches  ist  bei  den  Aerzten  und  den 
Studierenden  so  bekannt,  dass  weitere  Worte  hierüber  überflüssig 
sind.  Gegenüber  der  früheren  Auflage  (1911)  sind  die  Literatur¬ 
angaben  der  letzten  3  Jahre  und  die  hieraus  sich  ergebenden  Fort¬ 
schritte  unserer  pharmakologischen  Erkenntnis  neu  hinzugekommen. 

A.  Jodlbauer. 

J.  König:  Chemie  der  menschlichen  Nahrungs-  und  Genuss- 
mittel.  III.  Bd.  Untersuchung  von  Nahrungs-  und  Genussmitteln 
und  Gebrauchsgegenständen.  2.  Teil:  Die  tierischen  und  pflanzlichen 
Nahrungsmittel.  4.  Auflage.  260  Abbildungen  im  Text  und  14  litho- 


2070 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


Nr.  < 


graphische  Tafeln.  97 2  Seiten.  Verlag  von  Julius  Springer,  Ber¬ 
lin  1914.  Preis  36  M. 

ln  dem  neuen  vorliegenden  2.  1  eil  des  3.  Bandes  hat  der  aut 
dem  Gebiet  der  Nahrungsmittelchemie  allbekannte  grosse  Meister  mit 
Fachleuten  von  wohlklingenden  Namen,  wie  Beythien,  Börner, 
Hasenkamp,  Juckenack,  Neu  fei  d,  Scholl  und 
Spieckermann  wiederum  ein  Stück  Wissenschaft  in  eine  Form 
geschlagen,  die  Bewunderung  in  vollstem  Masse  verdient.  In  dem 
fast  1000  Seiten  umfassenden  Buche  steht  eine  solche  Menge  objek¬ 
tiv  verarbeitetes  Tatsachenmaterial,  dass  man  wohl  begreift,  dass 
bis  zum  Erscheinen  des  2.  Teils  einige  Jahre  vergehen  mussten.  Es 
handelt  sich  um  die  speziellen  Untersuchungsmethoden,  der  ge¬ 
samten  tierischen  und  pflanzlichen  Nahrungs¬ 
mittel,  welche  überhaupt  für  den  Menschen  in  Frage  kommen, 
nebst  ihren  Verunreinigungen  und  Verfälschungen. 
Alles  was  von  Fleisch  und  Fleischpräparaten,  Milch  und  Mol¬ 
kereiprodukten.  Getreide.  Mehl  und  Backwaren,  Gemüse 
und  Obst  irgendwie  zu  Nahrungs-  und  Genusszwecken  ver¬ 
wendet  wird,  ist  der  eingehendsten  Bearbeitung  unterzogen  und  die 
Ergebnisse  bilden  eine  unerschöpfliche  Fundgrube,  die  ihresgleichen 
nicht  hat.  Eine  wertvolle  Bereicherung  erfuhr  das  Werk  anderer¬ 
seits  durch  die  Besprechung  der  aus  dem  Nahrungsmittelgesetz  sich 
ergebenden  Rechtsfragen,  die  für  Sachverständige  von  besonderem 
Wert  sind.  Tafeln,  Skizzen,  Figuren,  Uebersichten  und  Tabellen, 
von  denen  als  Anhang  eine  ganze  Reihe  beigegeben  sind,  vervoll¬ 
kommnen  den  Wert  des  Buches.  Die  Einleitung  bildet  ein  Abschnitt 
über  die  reichsgesetzliche  Regelung  des  Verkehrs  mit  Nahrungs¬ 
mitteln,  Genussmitteln  und  Gebrauchsgegenständen.  Die  Neuerschei¬ 
nung  des  Buches  wird  überall  bei  den  Interessenten  die  lebhafteste 
Freude  hervorrufen,  besonders  da  jeder  weiss,  dass  man  sich  auf  den 
..König“  verlassen  kann.  Die  Ausstattung  ist  dem  Springer  sehen 
Verlag  entsprechend  vorzüglich  und  so  macht  das  Werk  auch  ihm 
alle  Ehre.  R.  O.  Neumann  -  Bonn. 

P.  S  i  ed  1  e  r:  Die  chemischen  Arzneimittel  der  letzten  113  Jahre. 

Verlag  Gebr.  Bornträger,  Berlin  W.  35.  161  Seiten. 

Wie  der  Verfasser  im  Vorwort  sagt,  hat  das  Büchlein  den 
Zweck,  die  chemischen  Arzneimittel  der  letzten  113  Jahre  entwick¬ 
lungsgeschichtlich  und  systematisch  vom  chemisch-therapeutischen 
Gesichtspunkte  aus  zu  behandeln,  um  auf  solche  Weise  zum  ersten 
Male  über  das  gesamte  grosse  Gebiet  eine  möglichst  vollständige 
Uebersicht  zu  gewinnen.  Der  Zweck  ist  durchaus  erreicht  und  der 
Inhalt  ist  recht  interessant  gestaltet,  das  Gebiet  ist  jedoch  ein  so 
umfangreiches,  dass  es  auf  den  161  Seiten  nur  sehr  kursorisch  durch¬ 
eilt  werden  konnte  und  man  oft  den  Wunsch  nach  grösserer  Aus¬ 
führlichkeit  hat.  Dr.  Max  W  i  n  c  k  e  1. 

Neueste  Journalliteratur. 

Zeitschrift  für  experimentelle  Pathologie  und  Therapie. 

16.  Band,  2.  Heft.  (Schluss.) 

St.  F 1  a  s  c  h  e  n  -  Wien:  Ein  Beitrag  zur  Aetiologie  der  multiplen 
Sklerose.  (Vorläufige  Mitteilung.) 

Auf  Grund  von  typischen  Befunden  an  18  Fällen  wird  die  von 
gewissen  Eigentümlichkeiten  der  multiplen  Sklerose  (das  überaus 
häufige  Auftreten  im  jugendlichen  Alter,  der  eigentümlich  wechsel¬ 
volle  Verlauf,  das  eine  Mal  schnell  abklingende  akute  Anfälle,  das 
andere  Mal  langdauernde  chronische  Perioden  mit  Remissionen  und 
Intermissionen)  weiterhin  gestützte  Möglichkeit  angenommmen,  dass 
dieselbe  einer  tuberkulösen  Infektion  ihren  Ursprung  verdankt. 

O.  Schwarz:  Untersuchungen  über  die  zuckersekretorische 
Funktion  der  Niere.  (Aus  der  urologischen  Abteilung  der  allgemeinen 
Poliklinik  und  dem  serotherapeutischen  Institut  in  Wien.) 

Bei  intravenöser  Applikation,  sei  es  einmalige  Injektion  oder  kon¬ 
tinuierliche  Infusion,  ist  für  Trauben-  und  Milchzucker  das  Verhältnis 
der  in  gleichen  Zeiten  ausgeschiedenen  Mengen  zu  dem  noch  im 
Körper  verbliebenen  Rest  konstant.  Weder  eine  Kochsalzdiurese 

oder  Infusion  einer  -jq- Salzsäure,  noch  Phlorhizinvergiftung  beein¬ 
flussen  den  Ausscheidungskoeffizienten  des  Milchzuckers  wesentlich. 
Die  A  m  b  a  r  d  sehe  Beziehung,  dass  der  Quotient 

im  Harn  ausgeschiedene  Menge 

Quadrat  des  Ueberschusses  der  Blutkonzentration  über  den  Schwellenwert 

konstant  ist.  gilt  für  den  Traubenzucker  nicht.  Bei  gleicher  Art  der 
Zufuhr  ist  der  Milchzucker  harnfähiger  als  der  Traubenzucker.  Das 
Verhältnis  ist  durchschnittlich  14.2:  11,7  Proz.  Dagegen  ist  der  Trau¬ 
benzucker  diuretischer  als  der  Milchzucker,  das  Verhältnis  der  Harn¬ 
konzentrationen  ist  3,82:9,41  Proz.  Bei  nicht  gesteigerter  Diurese 
war  das  Verhältnis  von  ausgeschiedenem  Zucker  und  Wasser  für  die 
Adrenalinglykosurie  in  10  Versuchen  konstant.  Bei  intravenöser  In¬ 
fusion  einer  Trauben-  bzw.  Milchzuckerlösung  ist  das  Verhältnis  von 
Zucker  und  Wasser  im  Harn  konstant:  für  Traubenzucker  ist  es 
wesentlich  niedriger  als  in  den  Adrenalinversuchen.  Es  scheint  dem¬ 
nach  die  Grösse  der  Glykosurie  ein  verlässlicherer  Indikator  für  die 
Grösse  eines  Zuckerüberschusses  im  Organismus  zu  sein,  als  die 
Konzentration  im  Blut.  Die  diuretiche  Wirkung  der  Salze  und  Zucker 
(wenigtens  für  Kochsalz.  Natriumsulfat,  Trauben-  und  Milchzucker) 
ist  eine  Funktion  der  Anzahl  der  im  Harn  ausgeschiedenen  Moleküle. 


E.  Münzer:  Ein  Fall  von  Morbus  Addisonii  mit  besondei 
Berücksichtigung  der  hämodynamischen  Verhältnisse  nebst  Bern« 
kungen  zur  Lehre  von  der  Azidose.  (Aus  dem  Prager  Handelsspit. 

Die  bei  einem  Fall  von  Addison,  der  zur  Sektion  kam,  vi 
genommenen  genauen  Untersuchungen  ergaben:  Der  76  kg  schwi 
Kranke  hatte  einen  Blutdruck  von  90—100/70  mm  Hg,  das  B 
75  Proz.  Hämoglobin,  dementsprechend  also  eine  Sauerstoffkapazi 
von  15  Volumprozent,  das  Minutenatemvolum  bei  17  Atemzügen  w 
auf  0°  und  760  mm  Druck  umgerechnet  8,1341  Liter,  der  einzel 
Atemzug  also  478,4  ccm.  Der  Umfang  der  Aorta  am  Abgang  w 
7.5  cm,  ihr  Querschnitt  also  4,47  qcm.  In  der  Minute  wurden  210,6  ci 
CQs  erzeugt  und  396,94  ccm  O2  =  5.36  ccm  pro  Kilo  verbraucht,  d 
respiratorische  Quotient  war  also  0,53.  Die  prozentische  Sättigu 
des  arteriellen  Blutes  an  O2  war  98,  des  venösen  75,  es  gingen  al 
23  Proz.  an  die  Gewebe  ab,  auf  Volumprozent  gerechnet  im  arteriell 
also  14,7,  im  venösen  11,25;  also  wurden  3,45  ccm  O2  aus  100  ccm  B 
an  die  Gewebe  abgegeben  (gegenüber  6,5  ccm  in  der  Norm).  In  c 
Minute  durchströmte  den  Körper  11,505  Liter  Blut  (=  155,47  cc 
für  1  kg  gegenüber  62 — 64  ccm  in  der  Norm).  Das  Schlagvolum 
des  linken  Ventrikels  betrug  127,8  ccm  gegenüber  55 — 59  ccm  in  c 
Norm;  die  Hubarbeit  der  Systole  des  linken  Ventrikels  betr 
0.1559  kgm,  beider  Ventrikel  0,2188  kgm,  in  der  Minute  19,65  kg 
gegenüber  9,27  in  der  Norm;  die  translatorische  Strömungsgeschw 
digkeit  betrug  200,2  cm,  gegen  42,4 — 69  cm  in  der  Norm.  Die  Sti 
mungsarbeit  beider  Ventrikel  in  der  Minute  betrug  0,483  ks 
2,4  Proz.  der  Hubarbeit  wie  normal.  Die  gesamte  Herzarb 
nur  19,65  +  0,48  =  20,13  kgm;  pro  Körperkilo  0,272  gegen  0.118  kg 
Für  1  Systole  betrug  die  gesamte  Herzarbeit  0,223  kgm.  Die  Kohlt 
säurespannung  im  venösen  Blut  war  stark  herabgesetzt;  die  im  Ha 
ausgeschiedenen  Ammoniakwerte  waren  aber  völlig  normal,  es  w 
daher  keine  Azidose  vorhanden. 

B.  Stüber:  Experimentelles  Ulcus  ventriculi.  Zugleich  ei 
neue  Theorie  seiner  Genese.  (Aus  der  med.  Klinik  in  Freiburg  i.  1 

Vergl.  d.  W.  Nr.  23,  S.  1265. 

F.  Re  ach:  Zur  Kenntnis  der  chronischen  Morphiumwirkui 

(Aus  dem  physiol.  Laboratorium  der  Hochschule  für  Bodenkultur 
Wien.) 

Bei  fortgesetzter  Verabreichung  einer  bestimmten  Dosis  Mt 
phium  war  an  dem  Versuchshunde  zu  beobachten,  dass  die  Verzöj. 
rung  im  Ablauf  der  Magendarmbewegungen  rasch  vorüberging,  oh 
dass  jedoch  die  Norm  erreicht  wurde.  Bei  Verabreichung  einer  t 
steigerten  Dosis  wiederholte  sich  dasselbe  Spiel.  Abstinenzersch 
nungen  waren  an  den  Magendarmbewegungen  nicht  zu  beobacht! 
wohl  aber  in  Betreff  der  Salivation.  Die  Magendarmbewegungen  z 
gen  natürlich  auch  beim  Hund  individuelle  Schwankungen;  es  si 
daher  die  gemachten  Beobachtungen  über  chronische  Morph 
Wirkung  noch  mit  Reserve  aufzunehmen,  zumal  da  sie  sich  auf  r 
ein  Tier  und  10  Injektionswochen  beschränken. 

K.  Dresel  und  A.  Peiper:  Zur  Frage  des  experimentell 
Diabetes.  Beeinflussung  der  Zuckermobilisation  durch  Adrenalin  11 
Pankreasextrakt  In  der  künstlich  durchbluteten  Leber.  (Aus  c 
II.  med.  Klinik  in  Berlin.) 

Die  Versuche  ergaben  deutliche  Steigerung  des  Zuckerspieg< 
nach  Adrenalinzusatz,  keinen  deutlichen  Einfluss  von  Pankreaspre: 
saft,  Pankreasextrakt  oder  Pankreasautolysat  auf  die  Zuckerkun 
Zusatz  von  Adrenalin  nach  vorhergehendem  wirkungslosen  Zus: 
von  Pankreaspresssaft  rief  eine  starke  Steigerung  der  Zuckerwei 
hervor.  Bei  3  weiteren  Versuchen  hatte  der  Zuckerspiegel  sowc 
vor  wie  nach  dem  Zusatz  von  Pankreasextrakt  (nach  J.  de  Mey 
hergestellt)  eine  zwar  geringe,  aber  deutliche  Neigung  abzunehrm 
durch  Zusatz  von  Adrenalin  wurde  dann  keine  weitere  Beeinflussu 
der  Kurve  erzielt.  Es  gelang  nicht  durch  verschiedene  Pankre; 
extrakte  ein  deutliches  Herabsinken  des  Zuckerspiegels  in  der  Dur 
blutungsflüssigkeit  und  damit  einen  Ansatz  von  Glykogen  in  der  Lei- 
sicher  festzustellen.  Das  Pankreasextrakt  übt  einen  hemmenden  E 
fluss  auf  die  Zuckermobilisierung  durch  Adrenalin  aus;  da  die  W 
kung  auch  mit  dem  auf  70  0  erhitzten  Pankreasextrakt  gelang, 
kann  es  sich  nicht  um  eine  Fermentwirkung  handeln. 

Lindemann  -  München. 

Zeitschrift  für  physikalische  und  diätetische  Therap 

1914,  Heft  7. 

W.  Becker  und  E.  Papcndieck  -  Bremen:  Die  Behandlu 

der  chronisch-rheumatischen  Gelenkerkrankungen  nach  den  Gesetz' 
der  Funktion  und  Statik. 

Verf.  hebt  vor  allem  die  Rolle  der  Muskulatur  bei  diesen  E 
krankungen  hervor,  zeigt,  dass  die  am  meisten  beanspruchten  Mu 
kein  am  schwersten  befallen  werden,  dass  ihre  Atrophie  zu  heftig' 
Schmerzen  und  Hyperfunktion  der  Antagonisten  führt  und  damit  : 
Kontrakturen  und  schweren  Gelenkschädigungen.  Er  gibt  für  d 
einzelnen  Gelenke  die  hauptsächlichsten  Veränderungen  an  und  d 
orthopädischen  Massnahmen,  die  ihnen  entgegenwirken  und  viel  nie 
angewandt  werden  sollten,  als  die  oft  nutzlosen  Bäder. 

H.  Determann:  Ueber  das  Wüstenklima.  (Schluss.) 

Ausführliche  Darstellung  der  Eigenschaften  des  Klimas,  sein' 
Einflusses  auf  Hauttätigkeit,  Blut,  Stoffwechsel,  Verdauung,  Herz  ui 
Gefässsystem,  Nervensystem,  Indikationsstellung,  schliesslich  B 
Schreibung  hauptsächlicher  Kurorte  und  Abbildung  zweier  Kolonii 
zum  Kuraufenthalt  in  der  Wüste. 


13.  Oktober  1914. 


MUENCHKNER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


F  H.  W  o  1  f  -  New  York:  Ein  Vergleich  der  Ataxiebehandlung 

nach  F  r  e  n  k  e  I  und  M  a  I  o  n  e  y. 

Das  Wesentliche  der  Behandlung  nach  MaUney  ist,  dass  die 
Reste'  der  Muskelsensibilität  unter  Ausschaltung  des  Gesichtssinnes 
geübt,  erhalten  und  neu  angeregt  werden.  Verf.  beschreibt  die 
Methode  im  Einzelnen  und  hebt  hervor,  dass  er  viel  bessere  Erfolge 
damit  erzielte  als  mit  der  von  F  r  e  n  k  e  1. 

A  bischer  und  L.  Katz- Berlin:  Zur  röntgenologischen  Be¬ 
stimmung  der  Verweildauer  vegetabiler  und  Kuhmilch  im  Magen 
nebst  einer  Kritik  der  Kapselmethode.  (Schluss.) 

Vegetabile  Milch  verlässt  infolge  ihres  höheren  Fettgehaltes 
langsamer  und  mit  geringerer  peristaltischer  Leistung  den  Magen. 
Die  Kapselinetliode  ergibt  insofern  keine  sicheren  Resultate,  als  sic 
?Vr-u!'e  Austreibung  der  Flüssigkeit  anzeigt,  wobei  unberücksichtigt 
bleibt,  dass  die  Kaseingerinnsel  der  Milch  resp.  eiweissreicher 
Flüssigkeiten  viel  länger  im  Magen  liegen  bleiben. 

L.  Jacob-  Wiirzburg. 

Zentralblatt  für  Chirurgie.  1914.  Nr.  39. 

Em‘  K  0  O.do  I  e  o  n  -  Athen:  Lyniphableltung  des  Skrotums. 

Eur  die  Falle,  wo  es  sich  um  reine  Lymphstauung  ohne  vor¬ 
geschrittene  Sklerose  des  Bindegewebes  handelt,  empfiehlt  Verf., 
die  tiefe  Faszie  zu  exzidieren  und  die  Tunica  vaginalis  der  Länge 
nach  zu  inzidieren  und  nach  aussen  umzustiilpen  (wie  bei  der  Hvdro- 
zelenoperation). 

b  Schoemaker-EIaag:  Zur  Technik  der  Uranoplastik. 

'.  aa*  an  der  Langenbeck  sehen  Methode  eine  kleine 
Modi.fikütion  angebracht,  die  ihm  einen  sofortigen  Verschluss  er¬ 
möglicht.  Um  die  Hautlappen  gut  verschieben  zu  können  und  iede 
Spannung  zu  beseitigen,  wird  auf  der  einen  Seite  die  vordere  Ver¬ 
bindungsbrücke  ganz  durchschnitten.  Aus  2  Skizzen  ist  das  Vorgehen 
des  Verf.s  leicht  ersichtlich.  Notwendig  ist  natürlich  eine  exakte  und 
aseptische  Naht,  weil  sich  sonst  bei  Eiterung  der  Hautlappen  zuriiek- 
ziehen  und  einen  unschönen  Defekt  setzen  könnte. 

E.  He  i  m  -  Oberndorf  b/Schweinfurt. 

Zentralblatt  für  Gynäkologie.  Nr.  39,  1914. 

S.  R  e  c  a  s  e  n  s  -  Madrid :  Die  totale  Gebärmutterabtragung  als 
Ersatz  für  den  Kaiserschnitt  in  Fällen  von  Infektion. 

Bei  einer  Frau  im  7.  Monat  mit  ausgedehntem  Zervixkarzinom 
machte  R.  die  Totalexstirpation.  Aus  dem  sofort  eröffneten  Uterus 
gelang  es,  ein  lebendes  Kind  zu  entfernen.  Dies  führte  R.  dazu,  das¬ 
selbe  Verfahren  in  einem  Falle  anzuwenden,  bei  dem  es  sich  um 
enges  Becken,  lebende  Frucht  und  Infektion  der  Mutter  handelte 
Wehen  bestanden  seit  2  Tagen,  die  Blase  war  seit  3  Tagen  ge¬ 
sprungen.  die  Temperatur  schwankte  zwischen  39  und  39,5.  Das 
zuerst  scheintote  Kind  wurde  wiederbelebt  und  blieb  am  Leben,  die 
Mutter  machte  eine  ungestörte  Rekonvaleszenz  durch. 

R.  will  die  Totalexstirpation  nicht  als  Operation  der  Wahl  bei 
jeder  Infektion  bezeichnen.  Er  glaubt  aber,  dass  besonders  bei 
hoher  Temperatur  die  Operation  geeignet  ist,  für  Mutter  und  Kind 
ein  günstiges  Ergebnis  zu  liefern.  .1  a  f  f  e  -  Hamburg. 

Gynäkologische  Rundschau.  Jahrg.  VIII,  Heft  12. 

Ludwig  Piskacek  -  Wien:  Aeussere  Doppelhandgriffe  zur  Stil¬ 
lung  von  atonischen  Post-partum-Blutungen.  (Aus  der  TII.  geburtsh. 
Klinik  der  k.  k.  Hebammenlehranstalf  in  Wien.)  (Mit  3  Figuren.) 

Mitteilung  von  3  Doppelhandgriffen.  Bei  dem  ersten  umgreift 
me  eine  Hand  die  Gegend  des  Uterus  unterhalb  des  Kontraktions- 
nnges.  Daumen  und  Mittelfinger  drücken  diese  Stelle  fest  zusammen, 
mit  der  gespreizten  anderen  Hand  wird  das  Corpus  uteri  nach  unten 
gedrückt  und  massiert.  Dieser  Handgriff  ist  ähnlich  dem  von  G  6  t  h 
Laios  1908  veröffentlichten  Handgriffe.  Die  beiden  anderen  Hand¬ 
griffe  bestehen  darin,  dass  die  Seitenkanten  des  Uterus  mit  den  Fin¬ 
gern  komprimiert  werden,  sie  sind  durch  Abbildungen  deutlich  ge¬ 
macht. 

Kurt  F  r  a  n  k  e  n  s  t  e  i  n  -  Köln  a/Rh. -Kalk:  Beitrag  zur  Versor¬ 
gung  des  bei  der  Operation  durchschnittenen  Ureters.  (Aus  der 
rrauenabteilung  des  neuen  Krankenhauses  Köln-Kalk.) 

Mitteilung  eines  selbstoperierten  Falles  (27  jährige  Frau,  bereits 
einmal  wegen  einer  linksseitigen  Ovarialgeschwulst  operiert,  jetzt 
Laparotomie  wegen  Genitaltuberkulose,  supravaginale  Amputation 
des  Uterus  und  Entfernung  eines  mannskopfgrossen  Adnextumors: 
hierbei  muss  ein  Stück  des  rechten  Ureters  reseziert  werden.  Dop- 
nelte  Unterbindung  und  Versenkung  des  zentralen  Ureterrandes. 
Drainage  der  Bauchhöhle  nach  oben  und  unten.  Glatte  Heilung. 

Besprechung  der  im  vorliegenden  Falle  gewählten  Operations¬ 
methode  und  des  Vorschlags  von  Kawasoy e,  einen  Ureterknoten  | 
anzulegen.  Verfasser  ist  der  Meinung,  dass  man  bei  nicht  ent¬ 
zündetem  Harntraktus  sich  mit  der  Unterbindung  des  durchschnit¬ 
tenen  Ureters  begnügen  kann,  bei  entzündetem  Nierenbecken  wird  an 
-teile  der  Unterbindung  stets  die  Nierenexstirpation  zu  treten  haben. 

A.  R  i  e  1  ä  n  d  e  r  -  Marburg. 

Monatsschrift  für  Kinderheilkunde.  Bd.  XIII,  1914.  Nr.  3. 

'  ^-.vai)  t’Hoff:  Ueber  Diphtheriebazillenträger.  (Aus  der 
kgl.  Lniv.-Kinderklinik  der  Cliaritee  zu  Berlin.) 

Fast  sämtliche  untersuchten  Kinder  (die  aus  der  Diphtherie- 
abtcilung  der  Charitee  als  geheilt  entlassen  waren  und  zy  Hause  im 


2071 

Proletariermilieu  regelmässig  weiter  untersucht  wurden)  sind 
ca.  5  Monate  Bazillenträger  gewesen.  Bei  einem  Teil  der  Kinder 
waren  noch  nach  8 — 10  Monaten  Bazillen  nachzuweisen.  Sic 
scheinen  sich  am  längsten  im  Lakuneninhalt  zu  finden. 

Reiser:  Zur  Therapie  des  Pylorospasmus  bei  Säuglingen. 

Empfehlung  systematischer  Sondenernährung  mit  Ammenmilch 
:  . 1  £  /  ,roz-  Natr.  bicarb.  nach  vorhergehender  Magenspülung. 
Guter  Erfolg  in  2  Beobachtungen. 

A.  B  o  o  k  m  a  n  -  New  York:  Der  Stoffwechsel  bei  Osteogenesis 
imperfecta  mit  besonderer  Berücksichtigung  des  Kalkumsatz.es.  (Aus 
der  padiatr.  Abt.  und  dem  Physiol.-chem.  Labor,  des  Mount-Sinai- 
Hospitals  in  New  York.) 

Schlussfolgerungen :  In  aktiven  Fällen  ist  die  Kalziumretention 
etwas  oder  ganz  bedeutend  unter  normal.  Es  ist  wahrscheinlich, 

Abweichungen  im  Verlauf  der  Krankheit  Aenderungen  in  der 
Kalkbilanz  bedingen.  Die  mangelnde  Kalziumretention  wird  an¬ 
scheinend  in  günstiger  Weise  durch  Phosphorlebertran  beeinflusst 
und  noch  stärker  durch  Kalziumlaktat. 

Richard  W  e  i  g  e  r  t  -  Breslau:  Kasuistische  Beiträge  zur  Ver- 
breitungsweise  des  Scharlachs. 

1.  Berührung  mit  infizierten  Gegenständen  kann  für  den 
Menscher,  gefährlicher  werden  als  das  Hineinbringen  des  Speichels 
MneSJL-MWer.en  Scharlachkranken  mit  nekrotischer  Angina  in  die 
Mundhöhle  eines  Gesunden  und  als  das  Zusammensein  mit  dem 
schwer  Erkrankten  selbst.  2.  Beobachtung  der  Uebertragung  des 
Scharlachvirus  durch  einen  infizierten  Gegenstand  (Kinderwagen) 
nach  einem  Zeitraum  von  8  Jahren. 

Richard  W  e  i  g  e  r  t  -  Breslau:  Ein  Fall  von  Meningozele,  eine 
seltene  Komplikation  des  Keuchhustens. 

Die  Meningozele  entstand  etwa  in  der  3.  Woche  des  Keuch¬ 
hustens  und  war  haselnussgross.  Sitz:  Stirnfontanelle. 

.  «  Erns!  E  reudenberg:  Beitrag  zur  Frage  des  Barlow-Schutz- 
stoffes.  (Aus  der  Heidelberger  Kinderklinik.) 

Benutzt  Wl!rc*e  ein  alkoholischer  Extrakt  aus  gelben  Rüben;  der 
Alkohol  wurde  ohne  Druckerniedrigung  abdestilliert.  In  2  Fällen  von 
Bar  low,  die  unter  Darreichung  einer  ihrer  Zusammensetzung  nach 
nicht  als  ungenügend  zu  bezeichnenden  Nahrung  entstanden  waren, 
wirkte  die  Darreichung  des  Extraktes  auf  Hämaturie  und  Knochen¬ 
prozesse  sichtlich  heilend  ein. 

Hans  Opitz:  Ueber  Wachstum  und  Entwicklung  untergewich¬ 
tiger  ausgetragener  Neugeborener.  (Aus  der  kgl.  Univ.-Kinderklinik 
in  Breslau  [Prof.  T  o  b  1  e  rl.) 

Bei  den  untersuchten  73  untergewichtigen  reifen  Kindern  spielten 
erbliche  Belastungsmomente  seitens  der  Eltern  nur  eine  untergeord¬ 
nete  Rolle.  Belastende  Krankheiten  konnten  nur  in  4  Fällen  ' nach¬ 
gewiesen  werden.  Die  Grösse  der  Eltern  hatte  keinen  bemerkens¬ 
werten.  Einfluss.  Die  Mehrzahl  der  untergewichtigen  reifen  Kinder 
weist  eine  den  normalgewichtigen  parallele  Wachstumskurve  auf,  ein 
kleiner  Teil  erzielt  sogar  ein  Wachstumsplus,  nähert  sich  also  im 
Laufe  der  Zeit  der  Norm.  Ein  Drittel  etwa  bleibt  in  beiden  Wachs- 
tumsqualitäten  hinter  den  Vergleichswerten  zurück.  Nur  wenige  von 
diesen  sind  lebhaft,  rundlich,  wohlproportioniert,  ohne  frühere  oder 
jetzige  Störungen  des  Wohlbefindens;  sie  sind  also  als  völlig  gesund 
zu  betrachten  (reine  Hypoplasten).  Bei  allen  übrigen  liegen  be- 
sondere  Gründe  für  das  Zurückbleiben  vor  (Kombination  der  Hypo¬ 
plasie  und  Hypotrophie).  Die  übrige  körperliche  und  die  geistige 
Entwicklung  ist,  wie  es  scheint,  nicht  anders  als  beim  normalen  Kind. 

Albert  Uffenheimer  -  München. 

Zeitschrift  für  Hygiene  und  Infektionskrankheiten.  1914. 
78.  Band,  1.  Heft. 

K  o  n  r  i  c  h  -  Berlin :  Ueber  die  Wirksamkeit  des  Weichardt- 
schen  Antikenotoxins  und  den  Nachweis  von  Kenotoxin  in  der  Luft 
mittels  des  isolierten  Froschherzens  und  im  Reagenzglase. 

Arth.  K  o  r  f  f  -  P  e  t  e  r  s  e  n  -  Berlin:  Untersuchungen  über  Keno¬ 
toxin. 

B.  L  a  n  g  e  -  Berlin :  Ueber  den  Nachweis  von  Giftstoffen  der 
Ausatmungsluft  am  isolierten  Froschherzen. 

Die  aus  dem  Flügge  sehen  Institut  hervorgegangenen  3  Arbei¬ 
ten  beschäftigen  sich  mit  der  Frage  der  Ermüdungsstoffe  und  laufen 
in  eine  Ueberprüfung  der  von  W  eichardt  angegebenen  Tatsachen 
über  das  Kenotoxin  und  Antikenotoxin  hinaus. 

K  o  n  r  i  c  h  fasst  seine  Ergebnisse  dahin  zusammen,  dass  sich  am 
Menschen  das  W  e  i  c  h  a  r  d  t  sehe  Antikenotoxin  sowohl  beim  Ver¬ 
schlucken  wie  beim  Versprühen  als  völlig  unwirksam  erwiesen  habe 
und  es  sei  in  bezug  auf  Ermüdungszustände  als  indifferentes  Mittel 
anzusehen,  demnach  entspräche  es  nicht  seinem  Namen.  Es  konnte 
nicht  bestätigt  werden,  dass  sich  Kenotoxin  in  der  Luft  mittels  der 
Blutguajakprobe  unter  Verwendung  von  Chlorkalzium  und  chemisch 
reinem  Glyzerin  nachweisen  Hesse. 

K  o  r  f  f  -  P  e  t  e  r  s  e  n  muss  ebenfalls  ,.den  W  e  i  c  h  a  r  d  t  sehen 
Angaben  über  sein  , Kenotoxin*  in  allen  Punkten  widersprechen“. 
Ein  Beweis  dafür,  dass  bei  der  Ermüdung  besondere  höhermolekulare 
Eiweissabbauprodukte  ursächlich  beteiligt  seien,  konnte  nicht  er¬ 
bracht  werden. 

Lange  konnte  in  der  Ausatmungsluft,  dem  Atcmluftwasch- 
wasser  und  dem  Atemkondensat  durch  Prüfung  am  isolierten  Frosch¬ 
herzen  giftige  Stoffe  nicht  finden.  Lediglich  die  ausgeatmete  Kohlen- 
saure  wirkte  herzschädigend. 


2072 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  41. 


S  c  h  u  s  t  e  r  -  Berlin:  lieber  die  Beeinflussung  der  Arbeits¬ 
leistung  am  Ergographen  durch  längeren  Aufenthalt  in  geschlossenem 

Raume.  , ,  _ 

Durch  einen  längeren  Aufenthalt  in  einem  geschlossenen  Raume 
und  durch  die  dabei  zustande  kommende  starke  Häufung  von  Exspi¬ 
rationsprodukten  konnte  eine  mittels  der  Arbeitsleistung  am  Ergo¬ 
graphen  messbare  ungünstige  Beeinflussung  des  körperlichen  Ver¬ 
haltens  nicht  beobachtet  werden. 

K.  F  r  a  n  z  -  Berlin:  Zur  Frage  der  Beurteilung  der  Belichtung 
von  Schulplätzen. 

Theoretische  Erwägungen  und  praktische  Untersuchungen  über 
den  P  1  e  i  e  r  sehen  Raumwinkelmesser  und  das  Weber  sehe  Rela¬ 
tivphotometer  führten  zu  Verbesserungsvorschlägen,  die  in  der  Arbeit 
ausführlich  begründet  werden.  Es  muss  dabei  auch  die  vom  Verf. 
in  Bd.  68  niedergelegten  Vergleichsversuche  zwischen  dem  Moritz- 
Weber  sehen  Apparat  und  dem  Thorner  sehen  Lichtprüfer  hin¬ 
gewiesen  werden. 

J.  J.  van  Loghem  und  N.  H.  Sw  eilengrebel  -  Malang 
in  Java:  Zur  Frage  der  Periodizität  der  Pest  auf  Java. 

Während  in  verschiedenen  Pestländern,  so  z.  B  in  Aegypten,  die 
Schwankungen  in  der  zeitlichen  Verbreitung  der  Pestepidemien  auf 
klimatische  Verhältnisse  zurückzuführen  sind,  fällt  dieser  Grund  in 
Java  weg,  weil  dort  das  Klima  Sommer  und  Winter  ausserordentlich 
gleichmässig  ist.  Wodurch  die  Unregelmässigkeiten  in  Java  aber  be¬ 
dingt  sind,  konnte  bisher  nicht  ermittelt  werden.  Ebenso  gelang  es 
nicht,  Aufschluss  darüber  zu  erhalten,  wie  die  regionäre  Immunität 
Surabayas  zustande  kommt.  Pestratten  und  Pestflöhe  mögen  eine  ge¬ 
wisse  Rolle  spielen:  In  der  pestfreien  Periode  1912  waren  in  Kediri 
Rattenvertilgung  und  Häuserassanierung  an  der  Tagesordnung,  wo¬ 
gegen  in  Tulungagung  nichts  getan  worden  war.  Trotzdem 
war  das  Resultat  ganz  dasselbe.  Verf.  warnt  daher,  den  Bekämp- 
fungsmassregeln  Erfolge  zuzuschreiben,  denen  tatsächlich  ganz  andere 
Ursachen  zugrunde  liegen. 

M.  R  a  y  s  k  y  -  Moskau:  Wiederholte  Immunisierung  als  Methode 
zur  Gewinnung  von  präzipitierenden  Sera. 

Im  Anschluss  an  frühere  Versuche  kommt  Verf.  zu  demselben 
Resultat,  dass  bei  wiederholten  Immunisierungen  intensive  Präzipi¬ 
tine  im  Blute  sich  ausserordentlich  rasch  bilden.  Sie  treten  schon  nach 
5 — 6  Tagen  auf  Es  ist  als  unrationell  zu  bezeichnen,  die  einmal  ver¬ 
wendeten  Tiere  ausbluten  zu  lassen,  weil  sie  später,  nach  einer  ge¬ 
wissen  Zwischenpause  schon  nach  der  Einverleibung  einer  sehr  ge¬ 
ringen  Antigenmenge  intensive  Präzipitine  liefern. 

Hermann  Dold  und  Max  B  ii  r  g  e  r  -  Strassburg:  Ueber  die 
Wirkung  des  sogen.  Anaphylatoxins  sowie  arteigenen  und  fremden 
Serums  auf  den  isolierten  Darm. 

Die  Sera  von  Kaninchen,  Meerschweinchen,  Hammel,  Pferd, 
Rind,  Schwein  bringen  frisch  oder  sterilisiert,  oder  mit  Bakterien  di¬ 
geriert,  aktiv  oder  inaktiv  auf  den  isolierten  Kaninchen-  und  Meer¬ 
schweinchendarm  eine  gleichmässige  tonussteigernde  Wirkung 
hervor.._D.aneben  kommt  es  in  den  meisten  Fällen  nach  einer  anfäng¬ 
lichen  Verkleinerung  der  Darmbewegung  zu  einer  erheblichen  Ver- 
grösserung  der  Ausschläge.  Das  mit  Bakterien  digerierte  Serum 
zeigt  in  unseren  Versuchen  gegenüber  sterilen  homologen  und  hetero- 
logen  Normalsera  auf  den  isolierten  Darm  keine  besondere  Wirkung. 

Rudolf  0  e  h  1  e  r  -  Frankfurt  a.  M.:  Der  Dimorphismus  des  Try¬ 
panosoma  Brucei  bei  experimenteller  Behandlung. 

Nach  den  Beobachtungen  O  e  h  1  e  r  s  sollen  die  Breitformen  der 
chronischen  Naganastämme  nichts  mit  Geschlechtsdifferenzierung  zu 
tun  haben,  sondern  die  Form  darstellen,  welche  das  Trypanosoma 
Brucei  annimmt,  wenn  es  der  Remission  entsprechend  aus  dem  Blute 
verschwindet.  R.  0.  Neumann  - Bonn. 

Berliner  klinische  Wochenschrift.  Nr.  39  u.  40,  1914. 

A.  L  o  e  v  y  -  Berlin:  Zur  Frage  nach  dem  Effekt  der  manuellen 
künstlichen  Atmung  beim  Menschen. 

Der  Zustand  der  Apnoe  ist  auch  beim  Menschen  ein  aktiver 
Zustand,  währenddessen  das  Zwerchfell  und  meist  auch  die  inspira¬ 
torisch  wirkenden  Thoraxmuskeln  sich  im  Zustand  der  Kontraktion 
befinden.  Der  apnoische  Zustand  ist  infolgedessen  nicht  geeignet, 
als  Ausgangspunkt  für  Respirationsversuche  zu  dienen,  welche  Auf¬ 
klärung  über  deren  Ventilationseffekt  am  erschlafften  Körper  geben 
sollen. 

Eduard  M  e  1  c  h  i  o  r  -  Breslau:  Ueber  den  sog.  arterl-mesenteri- 
alen  Duodenalverschluss  (Atonia  gastro-duodenalis  acuta).  (Schluss.) 

Kasuistischer  Beitrag. 

E.  Fuld- Berlin:  Die  Behandlung  von  Colitis  gravis  mittels 
Spülungen  von  der  Appendikostomie  aus.  (Vortrag,  gehalten  in  der 
Berl.  med.  Ges  am  8.  Juli  1914.) 

Cf.  S.  1589  der  M.m.W.  1914. 

B  r  e  1 1  n  e  r  -  Berlin:  Der  Kriegssanitätsdienst  in  Berlin. 

Weitere  Mitteilungen  folgen. 

Ernst  J  e  g  e  r  -  Breslau:  Der  gegenwärtige  Stand  der  Blutge¬ 
fässchirurgie. 

Sammelreferat. 

Nr.  40. 

Hans  V  i  r  c  h  o  w  -  Berlin:  Ueber  den  Situs  der  Thoraxeinge- 
weidc  bei  spitzwinkliger  Kyphose.  (Vortrag  in  der  Berl.  med.  Ges. 
am  22.  Juli  1914.) 

Cf.  pag.  1703  der  M.m.W.  1914. 


O.  K  o  h  n  s  t  a  m  in  -  Königsstein  i.  Taunus:  Schlzothymie  und 
Zyklothymie.  (Vortrag,  gehalten  auf  der  Badener  Wanderversamm¬ 
lung  südwestdeutscher  Neurologen  und  Irrenärzte.) 

Ci.  Spezialreferat  der  M.m.W.  1914. 

Ernst  Marcuse:  Der  röntgenologische  Nachweis  von  Dünn- 
darinstenosen. 

Die  charakteristischen  Symptome  der  Dünndarmstenose  sind: 
1.  Füllungsdefekt,  2.  Retention  in  den  zuführenden  Schlingen,  3.  ver¬ 
änderte  Peristaltik  der  zuführenden  Schlinge,  4.  Dilatation  derselben. 
Es  müssen  nicht  alle  Symptome  gleichzeitig  vorhanden  sein. 

P  Unna  jun.:  Neue  Erfahrungen  über  Pockennarbenbehandlung. 
Nach  den  Erfahrungen  des  Verfassers  wird  man  zuerst  chi¬ 
rurgisch  mit  Skarifikationen  nach  V  i  d  a  1  die  gröbsten  Entstellungen 
entfernen,  durch  Elektrolyse  einzelne  besonders  auffällige  Er¬ 
hebungen  beseitigen  und  ev.  durch  eine  Salizylschälung  die  Horn¬ 
schicht  im  ganzen  verdünnen.  Dann  setzt  die  Hauptbehandlung  ein: 
die  Hauptmasse  der  Vertiefungen  wird  durch  Kohlensäureschnee  ge¬ 
hoben,  wobei  die  Erhöhungen  gleichzeitig  erweichen.  Zur  selben  Zeit 
wird  durch  Fibrolysininjektionen  eine  ständige  Resorption  im  Gange 
erhalten.  Die  Nachbehandlung  mit  Pflastern  von  Salizylsäure  und 
die  akuter  wirkende  und  sehr  zu  empfehlende  Thiosinaminkata- 
phorese  beschleunigen  die  eingeleitete  Resorption.  Bei  den  Resten 
des  erweichten,  abgeflachten  Gewebes  tut  die  Poliermethode  das 
ihrige,  um  die  letzten  Ungleichheiten  zu  ebnen.  Den  Schluss  bilden 
daher  am  besten  abwechselnd  Salizylschälungen,  Thiosmaminkata- 
phoiese  und  Polituren.  Mit  dieser  Behandlung  sind  sogar  die  schlimm¬ 
sten  Pockennarben  einer  bedeutenden  Verbesserung  fähig. 

Dr.  Grassmann  -  München. 

Deutsche  medizinische  Wochenschrift.  1914. 

Nr.  39.  K.  B  o  n  h  o  e  f  f  e  r  -  Berlin:  Psychiatrie  und  Krieg. 
Besprochen  in  der  Feldärztlichen  Beilage. 

Th.  A  x  e  n  f  e  1  d  -  Freiburg  i.  Br.:  Krlegsophthalmologlsche  und 
organisatorische  Erfahrungen. 

Besprochen  in  der  Eeldärztlichen  Beilage. 

Gr  ob  er- Jena:  Zur  Feuerbestattung  im  Kriege. 

Besprochen  in  der  Feldärztlichen  Beilage. 

0.  B  ö  t  e  r  s  -  Zittau:  Die  Vakzinebehandlung  der  Gonorrhöe  und 
gonorrhoischer  Komplikationen. 

Die  Vakzinebehandlung  ist  wertvoll  bei  den  Komplikationen  der 
Gonorrhöe  (Prostatitis,  Epididymitis,  Parainetritis,  Adnexerkran¬ 
kungen)  und  den  gonorrhoischen  Metastasen.  Auch  bei  der  Nephritis 
und  Endokarditis  gonorrhoica  wird  ein  Versuch  angezeigt  sein. 
Diagnostisch  spricht  eine  eindeutige  Reaktion  nach  Arthigon  (Allge¬ 
meinstörungen;  höheres  Fieber)  bei  unkomplizierten  und  komplizierten 
Fällen  (hier  auch  der  positive  therapeutische  Erfolg)  für  die  gonor¬ 
rhoische  Aetiologie.  Bei  nicht  gonorrhoischen  Affektionen  fand  B. 
nach  Arthigon  (0,1  intravenös)  nur  Temperatursteigerungen  von  0,3 
bis  0,9°. 

Schuster  -  Berlin:  Aus  der  Organisation  des  Sanitätsdienstes. 

Fortsetzung  folgt. 

L.  D  r  e  y  e  r  -  Breslau:  Erste  kriegschirurgische  Eindrücke. 

Besprochen  in  der  Feldärztlichen  Beilage. 

B  e  r  g  e  a  t  -  München. 

Inauguraldissertationen. 

Universität  Kiel.  August-September  1914. 

Adolphi  Gerhard:  Ueber  Aggravation  bei  den  nach  Unfällen  ent¬ 
stehenden  Neuropsychosen. 

Alsen  Friedrich:  Klinische  Erfahrungen  über  Augenverletzungen 
aus  der  Zeit  vom  1.  April  1909  bis  31.  März  1912. 

Bock  Hans:  Zur  Lehre  von  den  nach  Unfällen  auftretenden  psychi¬ 
schen  Störungen. 

CI  aussen  Erwin:  Statistische  und  klinische  Mitteilungen  über 
das  Delirium  tremens 

Görski  Marian:  Beitrag  zur  Lehre  von  den  Psychosen  nach  akuten 
Infektionskrankheiten:  Amentia  nach  Sepsis  (multiple  Abszesse). 
Hampel  Max:  Ueber  Delirium  bei  Gelenkrheumatismus. 

Harms  Johann  Gerriet:  Vier  interessante  Fälle  von  Endokarditis 
der  Aortenklappen. 

Haupt  Adolf:  Ein  Beitrag  zur  Differentialdiagnose  zwischen  Enze- 
phalomalazie  und  Tumor  cerebri. 

Heinemann  Albert:  Ueber  den  Verschluss  von  Defekten  des 
knöchernen  Schädels  mit  besonderer  Berücksichtigung  der 
Garre-v.  Hacker-Durante  sehen  Plastik. 

Hild  Hans:  Ueber  Chylus-  und  Mesenterialzysten. 

Jordan  Erich:  Zur  Chirurgie  der  Hirntumoren  im  Bereiche  des 
Parietallappens. 

Kehrmann  Richard:  Ueber  die  Behandlung  der  Syphilis  mit 
Kontraluesin. 

Kindt  Ernst:  Beitrag  zur  Lehre  von  der  akuten  Bulbärparalyse. 
Klein  Wilhelm:  Zur  Symptomatologie  der  Kleinhirntumoren. 
Kohrs  Theodor:  Ueber  die  als  Sarkome  der  Extremitätenknochen 
behandelten  Fälle  der  Kieler  chirurgischen  Klinik. 

K  o  w  i  t  z  Hans  Ludwig:  Intrakranielle  Blutungen  und  Pachymenin- 
gitis  haemorrhagica  chronica  interna  bei  Neugeborenen  und  Säug¬ 
lingen. 

Külz  Wolfgang:  Beitrag  zum  Obstipationsproblem. 


13.  Oktober  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2073 


Vereins-  und  Kongressberichte. 

Verein  der  Aerzte  in  Halle  a.  S. 

(Bericht  des  Vereins.) 

Sitzungen  vom  8.  und  15,  Juli  1914. 
Vorsitzender:  Herr  Beneke. 

Schriftführer:  Herr  S  t  i  e  d  a. 

III. 


...  MLrr  einberg  (a.  ü.):  Ich  möchte  heute  einige  kurze  Mit¬ 
teilungen  über  die  1  echmk  des  Dialysicrverfahrens  machen,  die  auf 
den  Erfahrungen  aus  meinen  Untersuchungen  über  maligne  Tumoren 
beruhen,  hm  wichtiger  Punkt,  bis  jetzt  viel  zu  wenig  beachtet, 
he.rint  die  I  echmk  der  Substrate,  über  die  ich  Ihnen  etwas  aus¬ 
führlicher  berichten  will.  Sie  betrifft  weniger  die  Zubereitung  als 
vor  allem  die  einwandfreie  Anwendung  der  Substrate.  Ich  erhebe 
dabei  folgende  verschiedenen  Forderungen.  Zunächst  ist  unbedingt 
die  Einstellung  der  Substrate  zu  verlangen.  Jedes  Substrat  also 
“  ich  nehme  z.  B.  Karzinomsubstrat  —  ist  gegen  Karzinom-,  Sarkom-, 
Graviden-  und  Normalserum  zu  prüfen,  nicht  einmal,  sondern  vorteil¬ 
haft  in  mehreren  Kontrollversuchen.  Dann  ist  unbedingt  notwendig 
a  ke,ü  ,Subsitr?ti  verwendet  wird,  von  dem  nicht  der'  histologische 
Aufbau  bekannt  ist  wichtig  vor  allem  in  der  Frage  der  Spezifität 
der  rermente.  VVie  aus  anderen  Untersuchungen,  so  geht  auch  aus 
meinen  hervor,  dass  die  Spezifität  derart  streng  ist.  dass'  sie  sich 
anscheinend  bis  m  histologische  Details  erstreckt.  So  ergab  sich 
uass  Plattenepithelkarzinom-  und  Zylinderzellenkarzinomsubstrat  hier 
vom  v  erum  eines  I  atienten  mit  einem  Tumor  von  entsprechendem 
Zelltypus  angegriffen  wurden.  Aehnlich  verhält  es  sich  bei  Rund¬ 
zellen-  und  Spindelzellensarkom,  wenn  auch  die  Erscheinung  nicht 
bei  jedem  Falle  sich  zeigt.  So  trat  bei  einem  Patienten  mit  Oeso¬ 
phaguskarzinom  neben  starkem  Abbau  eines  Plattenepithelkarzinoms 
schwacher  Abbau  eines  Adenokarzinoms  des  Magens  auf.  Daraus 
ergaben  sich  Natürlich  Folgerungen  für  die  Einstellung  eines  Sub- 
atrates.  testen  prüft  man  ein  Tumorsubstrat  gegen  das  Serum 
des  I  atienten  von  dem  es  stammt  —  oder  gegen  das  Serum  eines 
Patienten,  bei  dem  durch  Operation  eine  Uebereinstimmung  im  histo- 
logischen  Aufbau  festgestellt  werden  konnte.  Eine  weitere  Folgerung 
bezieht  sich  auf  die  Anwendung  des  Tumorsubstrates,  sofern  es  sich 
um  eine  zweifelhafte  Diagnose  handelt.  Dann  ist  es  unbedingt  not¬ 
wendig  mit  Tumorsubstrat  von  verschiedenstem  Typus  zu  unter¬ 
suchen,  um  sicher  zu  sein,  dass  ein  entsprechendes  Substrat  im  Ver- 
suche  ist.  Eine  Reihe  von  Fehldiagnosen  lassen  sich  sicher  darauf 
zurucktühren,  dass  jegliches  Serum  —  unbekümmert  um  Sitz  und 
histoiogischen  Aufbau  des  fraglichen  Tumors  —  mit  einem  einzigen 
tuibstrat  geprüft  wurde  Wie  aber  soll  man  sich  verhalten,  wenn 
Material  nicht  zur  Verfügung  steht,  das  dem  Organ,  in  dem  die  Neu¬ 
bildung  sich  gebildet  hat,  entspricht.  In  diesem  Falle  lieber  auf  das 
entsprechende  Organ  verzichten,  als  auf  die  histologische  Ueberein- 
stimmung.  Wohl  erfolgt  bei  gleichartigem  Organsubstrat  etwas 
stärkerer  Abbau,  doch  ich  habe  auch  stets  Abbau  erhalten,  wenn  ich 
I  uHiorsubstrat  verwendete,  das  von  einem  anderen  Organ  herriihrte. 
Wird  kritiklos  Tumorsubstrat  verwendet,  das  von  einem  entsprechen¬ 
den  Organ  herrührt,  so  kann  unbemerkt  eine  Fehlerquelle  mit  unter¬ 
laufen.  Es  ist  nicht  notwendig,  tritt  aber  oft  genug  ein,  dass  das 
a!s  sc^c^es  abgebaut  wird.  ,  So  baute  eine  Struma  maligna 
Schilddrüse,  Schilddrüsenkarzinom,  Magenkarzinom  ab.  Ein  Fall  von 
Magenkarzinom  mit  Lebermetastasen  baute  Magenkarzinom,  Leber- 
nietastasen  aber  nicht  Leber  ab;  ein  anderes  dagegen  baute  auch 
Leber  ab.  ln  einem  Falle  traten  von  seiten  der  Leber  keinerlei 
klinisch  nachweisbaren  Erscheinungen  auf,  im  anderen  Falle  bestand 
hochgradiger  Ikterus,  im  Urin  reichlich  Gallenfarbstoffe.  Neben  einem 
Substrat,  das  von  einem  Organe  stammt,  das  für  die  fragliche  Neu¬ 
bildung  in  Betracht  kommt,  ist  noch  ein  „neutrales“  Organ  zu  ver¬ 
wenden,  d.  h.  von  einem  Organ  stammend,  das  keine  klinischen 
Erscheinungen  macht  oder  dafür  gar  nicht  in  Betracht  kommt.  Am 
besten  ist  es,  wenn  grundsätzlich  bei  diagnostischen  Untersuchungen 
die  entsprechenden  Normalorgane  im  Versuche  mitlaufen.  Die  be¬ 
rührten  Fragen  sollen  anderweitig  ausführlich  behandelt  werden. 
Leber  die  mit  dem  Dialysierverfahren  erhaltenen  Ergebnisse  ver¬ 
gleiche  d.  Wschr.  1914  Nr.  29  und  30. 

Herr  So  w  ade:  M.  H.!  Abderhaldens  Entdeckung,  dass 
ier  tierische  Organismus  auf  das  Eindringen  fremdartiger  abbau- 
ähiger  Stoffe  in  die  Blutbahn  unter  verschiedenen  Bedingungen  mit 
-er  Bildung  spezifischer  Fermente  antworten  kann,  stellt  uns  bezüg- 
ich  der  Infektionskrankheiten  2  Aufgaben: 

1.  Sind  Abwehrfermente  gegen  die  den  Körper  befallenden  Mikro- 
rganismen  vorhanden? 

2.  Wird  das  von  den  Infektionserregern  ergriffene  Gewebe  vom 

hutserum  abgebaut? 

Zunächst  allein,  dann  gemeinsam  mit  Herrn  Papendieck 
•abe  ich  mit  dem  Dialysierverfahren  diese  beiden  Fragen  bezüglich 
Tr  Syphilis  einer  Prüfung  unterzogen. 

ln  der  Literatur  existieren  meines  Wissens  bisher  2  Angaben 
Ter  versuche  auf  diesem  Gebiet.  Zunächst  hat  V  o  e  1  k  e  1  berichtet, 
ass  er  bei  Verwendung  von  Spirocliätenkulturen  in  Pferdeserum,  von 
.umrnösem  Gewebe  und  schliesslich  auch  von  koaguliertem  Blutserum 
yphilitischer  Individuen,  das  lege  artis  für  den  Versuch  vorbereitet 
'ar,  in  einigen  Fällen  den  Nachweis  erbringen  konnte,  dass  das  Blut¬ 


serum  von  Syphiliskranken  spezifische  Fermente  enthielt,  die  Spiro- 
chäteneiweiss  zu  zerlegen  vermochten. 

Weiterhin  hat  Reines  festgestellt,  dass  Luetikerserum  bei 
manifester  Lues  stets  luetisches  Organ  abbaut,  nie  aber  nichtluetische 
Substrate.  Dasselbe  Luetikerserum  reagierte  bei  seinen  Versuchen 
mit  kongenital-luetischen  Organen  viel  stärker  als  mit  Spirochäten¬ 
kulturen  oder  luetischen  Organextrakten. 

Unsere  eigenen  Versuche  sind  völlig  unabhängig  von  diesen 
beiden  Autoren  ausgeführt  worden. 

Zur  Prüfung  der  1.  Frage,  ob  Abwehrfermente  gegen  die  Spiro¬ 
chäten  selbst  nachweisbar  sind,  brauchten  wir  vor  allem  Pallida- 
spirochäten.  Es  standen  uns  dazu  Reinkulturen  zur  Verfügung,  die 
in  reinem  Pferdeserum  wachsen,  indem  sie  den  Nährboden,  ohne  ihn 
zu  verflüssigen,  in  allen  seinen  Teilen  durchsetzen.  Da  es  uns  nicht 
gelungen  ist,  den  koagulierten  Pferdeserumnährboden  aufzulösen,  um 
die  Spirochäten  von  dem  Nährsubstrat  zu  trennen,  also  reines  Pallida- 
eiweiss  zu  gewinnen,  mussten  wir  bei  unseren  Versuchen  Pferde- 
serurn  +  Spirochäten  verwenden.  Dadurch  wurde  bei  jedem  Versuch 
eine  Kontrolle  mit  entsprechend  vorbereitetem,  koaguliertem,  nicht- 
beimpften,  blutkörperchenfreiem  Pferdeserum  notwendig. 

Bezüglich  der  Technik  will  ich  nur  kurz  bemerken,  dass  wir 
uns  genau  an  die  Vorschriften  des  Autors  gehalten  haben,  dass  wir 
aber  anfangs  trotzdem  die  widersinnigsten  Resultate  erhielten.  Es 
stellte  sich  dann  heraus,  dass  wir  eine  grosse  Menge  Fehler  machten 
und  schliesslich  haben  wir  gelernt,  diese  Fehler  erkennen  und  damit 
vermeiden.  Mit  einem  Schlage  wurden  nun  unsere  Resultate  besser 
und  in  der  Regel  durchaus  eindeutig.  Ich  will  hier  nur  eine  Fehler¬ 
quelle  erwähnen,  die  uns  zeitweilig  geradezu  mutlos  gemacht  hat. 
Bei  einer  Versuchsserie  überraschte  uns  nämlich  die  Tatsache,  dass 
die  Kontrolle  mit  unbeimpftem  koagulierten  Pferdeserum  häufig  posi¬ 
tiv  ausfiel,  und  zwar  immer  bei  solchen  Patienten,  die  schon  einige 
Zeit  in  unserer  Behandlung  waren,  nie  bei  solchen,  die  unbehandelt 
bei  der  Aufnahme  in  die  Klinik  untersucht  wurden.  Auch  hier  kamen 
wir  schliesslich  hinter  die  Ursache  dieser  uns  zunächst  unverständ¬ 
igen  Reaktion.  Unser  unbeimpftes  Pferdeserum,  *  das  vollkommen 
klar  und  hellgelb,  aber  nicht  genügend  zentrifugiert  war,  enthielt 
nämlich  noch  Unmengen  roter  Blutkörperchen,  und  so  kam  es,  dass 
zwar  die  unbehandelten  Patienten  mit  der  Pferdeserumkontrolle  keine 
positiven  Resultate  gaben,  dass  aber  schon  nach  kurzem  Aufenthalt 
in  der  Klinik,  als  von  uns  neben  der  intravenösen  Salvarsanbehand- 
Iung  auch  die  intramuskuläre  Hg-Injektionstherapie  eingeleitet  war. 
eine  positive  Reaktion  mit  Pferdeserum  allein  festgestellt  wurde,  weil 
diese  Patienten  eben  nunmehr  wegen  der  bisher  bei  intramuskulären 
Injktionen  nie  zu  vermeidenden  Gewebsblutungen  zwar  nicht  das 
Pferdeserum  als  solches,  wohl  aber  die  darin  noch  enthaltenen  Blut¬ 
körperchen  abbauten. 

Was  unsere  Resultate  betrifft,  so  will  ich  heute  kurz  über  eine 
Versuchsserie  bei  55  Fällen  berichten.  Diese  Fälle  betreffen  Nicht¬ 
syphiliskranke,  Luetiker  aller  Stadien,  auch  Metasyphilitiker  und 
einen  Fall  von  kongenitaler  Lues. 

Bei  12  Nichtlueskranken  hatten  wir  2  Fehldiagnosen  mit  Spiro- 
chäteneiweiss,  nämlich  bei  einem  Fall  von  senilem  Korsakoff  mit  nega¬ 
tiver  WaR.  und  bei  einer  Aorteninsuffizienz,  bei  der  wir  leider  aus 
äusseren  Gründen  die  WaR.  nicht  mehr  ansfellen  konnten,  weil  der 
Patient  in  unsere  Beobachtung  nicht  wieder  zurückgekehrt  ist.  Die 
übrigen  10  Fälle  reagierten  absolut  negativ. 

14  Seren,  die  von  Patienten  mit  manifesten  Lueserscheinungen 
der  primären  und  sekundären  Periode  stammten,  reagierten  sämtlich 
mit  Spirochäten  einwandfrei  positiv.  In  einem  Falle  von  sekundärer 
Syphilis,  der  am  Schluss  einer  kombinierten  Ouecksilber-Salvarsan- 
Behandlung  untersucht  wurde,  war  sowohl  die  Abderhalden- 
sche  Reaktion  mit  Spirochäten  wie  auch  die  WaR.  negativ. 

Von  den  Metasyphilitikern  wiesen  alle  Spirochäteneiweissabbau 
auf,  die  eine  positive  WaR.  hatten.  2  Paralytiker  mit  fehlendem 
Spirochätenabbau  hatten  auch  eine  negative  Komplementbindungs¬ 
reaktion.  Das  Serum  eines  Tabikers  mit  negativem  Wassermann 
ergab  jedoch  einwandfrei  Abderhaldenreaktion  mit  Spirochäten¬ 
substrat. 

Der  Fall  von  Lues  congenita  ergab  ein  positives  Resultat,  des¬ 
gleichen  die  Fälle  tertiärer  Syphilis  bis  auf  einen  Fall,  den  wir  am 
Schlüsse  einer  Hg-Salvarsankur  untersuchten  und  dessen  WaR.  von 
Ai,  au^  1  heruntergegangen  war,  dann  übrigens  ohne  weitere 
Behandlung  negativ  geworden  ist. 

4  Patienten,  deren  Seren  wir  untersuchten,  hatten  vor  längerer 
Zeit  an  Lues  gelitten,  sie  waren  wiederholt  ausgieibg  mit  Hg  und 
Salvarsan  behandelt  worden,  und  die  WaR.  war  schon  lange  bei 
häufiger  Kontrolle  negativ,  so  dass  von  weiterer  Behandlung  abge¬ 
sehen  wurde.  Von  diesen  reagierten  2  negativ,  2  aber  deutlich  positiv 
nach  Abderhalden.  Wir  haben  uns  nicht  gescheut,  diesen  beiden 
eine  erneute  spezifische  Behandlung  anzuraten.  Nach  Abschluss  der¬ 
selben  werden  wir  die  A  b  d  e  r  h  a  1  d  e  n  sehe  Seroreaktion  bei  Ihnen 
wieder  ausführen. 

Ein  latent  Syphilitischer  mit  stark  positiver  WaR.  baute  in  ein¬ 
wandfreier  Weise  Spirochäteneiweiss  ab. 

Wie  zuverlässig  die  Reaktion  war,  mögen  folgende  beiden  Fälle 
illustrieren:  Ein  Pat.  mit  Sykosis  Simplex  sollte  als  Kontrolle  ein 
nicht  luetisches  Serum  liefern,  er  baute  jedoch  stark  Spirochäten¬ 
eiweiss  ab.  Die  darauf  vorgenommene  Untersuchung  ergab  eine 
Schankernarbe  am  Penis,  universelle  Drüsenschwellung  und  stark 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  -41 


207-4 

positive  WaR.  Ein  anderer  Fall  wurde  als  Lungensyphilis  in  die 
Klinik  aufgenommen.  Spirochätenabbau  blieb  aus,  die_  Luesanamnese 
erwies  sich  als  sehr  fraglich,  die  WaR.  war  negativ.  Es  handelte  sich 
klinisch  um  eine  floride  Phthise  mit  reichlichem  Tuberkelbazillen¬ 
befund. 

Bei  allen  unseren  Versuchen  wurde  von  derselben  Serum¬ 
menge  natürlich  stets  auch  die  WaR.  ausgeführt,  die  uns  ]a  als 
Prüfstein  für  die  Diagnose  zu  statten  kommen  musste.  Auffallend  war 
die  fast  regelmässige  Uebereinstimmung  der  WaR.  mit  der  Abder¬ 
halden  sehen  Seroreaktion.  Einige  Ausnahmen  erwähnte  ich  be¬ 
reits.  Hinzufügen  will  ich  nur  noch,  dass  ein  Pat.  mit  Dementia 
praecox,  der  eine  schwach  positive  Komplementbindungsreaktion 
hatte,  kein  Spirochäteneiweiss  abbaute.  In  einem  Falle  von  Primär¬ 
affekt  war  die  Abderhalden  sehe  Reaktion  entsprechend  der 
Wassermann  sehen  zunächst  negativ  und  wurde  nach  Beginn 
der  Behandlung  mit  dieser  gleichzeitig  positiv. 

Was  unsere  2.  Aufgabe  betrifft,  ob  das  von  den  Infektionserregern 
befallene  Gewebe  vom  Blutserum  abgebaut  wird,  so  haben  wir  meist 
nicht  das  klinisch  als  lueskrank  erkannte  Organ  geprüft,  sondern  den 
Nachweis  von  Abwehrfermenten  in  seiner  diagnostischen  Bedeutung 
zur  Prüfung  der  Funktion  der  einzelnen  Organe  herangezogen,  wir 
haben  also  eine  Reihe  von  Organen  mit  dem  Blutserum  angesetzt,  um 
auf  diesem  Wege  einen  Einblick  in  eventuelle  Veränderungen  innerer 
Organe  bei  den  verschiedenen  Stadien  der  Lues  zu  bekommen. 

Unsere  Organprüfungen  betrafen  bisher:  Leber,  Niere,  Milz,  Herz, 
Hoden,  Lunge  und  Grosshirn. 

Am  wenigsten  wird  es  auffällig  erscheinen,  dass  wir  bei  37  Lues¬ 
kranken  9  mal  den  Abbau  von  Lebereiweiss  nachweisen  konnten. 
Interessant  ist  indessen,  dass  3  von  diesen  Fällen  lediglich  einen 
Primäraffekt  aufwiesen,  allerdings  bei  schon  positiver  WaR.,  1  Fall 
zeigte  Sekundärsymptome:  die  übrigen  5  Fälle  waren  sämtlich  alte 
Luetiker,  von  denen  2  an  Paralyse  litten. 

3  Sekundärsyphilitiker  und  2  Spätsyphilitiker  bauten  Niere  ab. 
Milz-  und  Lungenabbau  wurde  nie  gefunden,  allerdings  auch  nicht 
immer  darauf  geprüft.  Einen  Abbau  des  Herzorgans  fanden  wir  bei 
2  Fällen  von  Sekundaria.  Hoden  baute  ein  Patient  mit  doppelseitiger 
Sarkozele  ab. 

15  mal  konnten  wir  bei  Luetikern  Abwehrfermente  gegen  Gross- 
hirneiweiss  ausfindig  machen.  Ziehen  wir  von  diesen  8  Metasyphi¬ 
litiker  ab,  so  bleiben  7  Fälle,  die  sich  auf  2  Fälle  von  Primäraffekt, 
1  Fall  von  Lues  II,  2  Fälle  von  Lues  III,  1  Fall  von  Lues  congenita 
und  1  Fall  von  scheinbar  geheilter  Lues  verteilen.  Der  kongenitale 
Luesfall  betraf  übrigens  ein  18  jähriges  Mädchen,  das  an  enileptischen 
Dämmerzuständen  litt  und  einen  schweren  psychischen  Defekt  auf¬ 
wies. 

Selbstverständlich  wurde  in  allen  Fällen,  in  denen  auf  Grund  der 
Abderhalden  sehen  Seroreaktion  diese  oder  jene  Organdysfunk¬ 
tion  vermutet  werden  musste,  eine  eingehende  klinische  Untersuchung 
angeschlossen,  die  aber  nicht  immer  eine  Bestätigung  brachte.  Eine 
Lebererkrankung  konnte  in  keinem  der  in  Betracht  kommenden  Fälle 
eruiert  werden,  ebensowenig  eine  Herzaffektion.  dagegen  gelang 
zweimal  der  Nachweis  von  granulierten  Zylindern  in  dem  Zentrifugat, 
des  mit  den  groben  Eiweissproben  negativ  reagierenden  Urins. 

Was  die  praktische  Bedeutung  der  Abderhalden  sehen  Sero¬ 
reaktion  für  das  Gebiet  der  Syphilis  betrifft,  so  käme  zunächst  das 
Dialysierverfahren  möglicherweise  als  Diagnostikum  für  Lues  in 
Frage.  Dass  mit  dem  Dialysierverfahren  bei  Verwendung  von  Spiro¬ 
chätenkulturen  die  Lues  in  allen  Stadien  diagnostiziert  werden  kann, 
haben  unsere  Versuche  erwiesen:  ob  die  A  b  d  e  r  h  a  1  d  e  n  sehe  Re¬ 
aktion  ebenso  zuverlässig  oder  vielleicht  noch  zuverlässiger  wie  die 
WaR.  ist,  wird  an  einem  umfangreichen  Material  sichergestellt  wer¬ 
den  müssen.  Bezüglich  unserer  Versuche  der  Prüfung  der  Organ- 
funktion  bei  Lues  wage  ich  heute  noch  kein  Urteil  über  Brauch¬ 
barkeit  und  Wert  des  Dialvsierverfahrens  abzugeben.  Durch  weitere 
Versuche,  mit  denen  wir  beschäftigt  sind,  werden  wir  dieser  Frage 
aber  nachgehen. 


Biologische  Abteilung  des  ärztlichen  Vereins  in  Hamburg. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  16.  Juni  1914.  (Schluss.) 

Vorsitzender:  Herr  A  1 1  a  r  d. 

Schriftführer:  Herr  v.  Engelbrecht. 

Herr  Trömne r:  Ueber  Paralysis  agitans. 

Herr  T  teilt  seine  Erfahrungen  über  36  in  den  letzten  15  Jahren 
beobachteten  Fällen  von  Paralysis  agitans  mit.  Als  Ursache  waren 
selten  Heredität,  niemals  körperliche  Traumen,  dagegen  oft  depres¬ 
sive  Erregungen  und  körperliche  Ueberanstrengungen  (zweimal  auf 
Infektionskrankheiten  folgend)  zu  erkennen.  Bei  Frauen  fiel  der  Be¬ 
ginn  mehrmals  ins  Klimakterium.  Den  motorischen  Kardinal¬ 
symptomen,  Zittern  und  Rigidität,  ging  in  mehreren  Fällen 
ein  neurasthenieähnliches  Prodromalstadium  mehrere  Jahre 
voraus,  in  einem  Falle  5  Jahre  (Herzklopfen,  Schlafstö¬ 
rungen,  Hitzegefühl.  Schweisse,  körperliche  Mattigkeit,  Glieder- 
parästhesie.  Schwindelgefühl  resp.  Schwindelanfälle,  seltener  rheu¬ 
matoide  Schmerzen  in  Nacken,  Schulter,  Armen.  Das  Zittern 
wurde  mehrmals  in  Zunge,  Mundfazialis  und  Orbicularis  oculi  be¬ 
obachtet:  einmal  in  sehr  schnellschlägiger  Form  in  den  Fingern,  vier¬ 
mal  als  deutlicher  Intentionstremor.  Zwischen  Tremor  und  Rigidität 


besteht  nach  T.  im  allgemeinen  ein  konträres  Verhältnis,  sofen 
Tremor  in  den  am  meisten  willkürlich  innervierten  Muskeln.  Rigiditä 
in  den  der  Statik  dienenden,  Rücken,  Schulter,  Beckenmuskel  aut 
tritt.  Für  erstere  dürften  kortikale,  für  letztere  kortiko-zerebellar 
Leitungswege  resp.  Zentren  als  Krankheitsort  in  Frage  kommet 
Konstante  Reflexanomalien  fand  T.  nicht;  bei  einem  durch  Rigidität 
der  Beine  ausgezeichneten,  sonst  aber  symptomreinem  Falle  wa 
deutliches  Babinski-  und  Oppenheimphänomen  vorhanden,  Bech 
tcrew-Mendel-,  Rossolimo-  und  Wadenphänomen  fehlten  dagegen 
Sensible  Störungen  objektiver  Art  fand  T.  nicht,  bezweifelt  auch  ih 
Vorkommen.  Die  nicht  selten  zu  findenden  sog.  bulbären  Pareset 
in  Fazialis-,  Zungen-  und  Schlundgebiet  sind  als  pseudobulbäre  anzu 
sehen,  und  auf  Schädigung  suprabulbärer  Innervationswege  zu  be 
ziehen.  Ebenso  die  Supersekretion  von  Speichel,  Sclnveiss.  Tränet 
und  manchmal  Hautfett.  Als  trophische  Störungen  sah  T.  Haut 
atrophie  einmal  mit  main  succulente  und  zweimal  die  F  r  ä  n  k  e  1  sek 
Hautsklerose  im  Nacken,  einmal  Runzclung  der  Fingernägel.  A! 
Hirnsymptom  besonderer  Art  demonstrierte  T.  früher  schon  einet 
Fall  mit  nächtlichen  Muskelzuckungen  und  drei  epileptiformen  An 
fällen.  Psychosen  sah  T.  zweimal  nach  deutlichem  Beginn  der  Krank¬ 
heit  auftreten,  einmal  eine  paranoide  Psychose  mit  Wahnideen  kör 
perlicher  Beeinflussung,  ähnlich  Kräpelins  präsenilem  Beeinträch 
tigungswahn.  Mit  den  von  König  und  U  b  a  u  d  zusammengestelltei 
Fällen  verglichen  hat  diese  Form  vielleicht  als  eine  Art  spezifische 
Parkinsonpsychose  zu  gelten. 

Diskussion:  Herr  Böttcher. 

Herr  Plate  erwähnt  das  Vorkommen  von  Arthritiden  bei  Para 
lysis  agitans,  wohl  bedingt  durch  die  mangelnde  Bewegung  und  dit 
Pressung  der  Gelenkflächen  gegeneinander  durch  die  Muskelrigidität 
Er  sah  Besserung  der  Affektion  durch  vorsichtige  passive  Be 
wegungen  in  den  erkrankten  Gelenken.  Weiter  erwähnt  P.,  das 
er  die  Leiche  einer  an  Paralysis  agit.  Verstorbenen  in  halbsitzende: 
Stellung  fand,  wie  das  auch  anderweitig  beschrieben  wurde. 

Herr  E.  Fraenkel. 

Herr  Kafka:  Da  wir  auch  bei  anderen  mit  schweren  Hirn 
Schädigungen  einhergehenden  Krankheiten  (Huntingtonsche  Cho 
rea,  Hirntumor  u.  a.)  ähnliche  Psychosen  sehen,  wie  die  von  Hem 
Trömner  geschilderten,  dürften  diese  letzteren  wohl  nicht  ah 
für  Paralysis  agitans  spezifische  anzusprechen  sein.  Auch  ist  wob 
das  Vorkommen  schwerer  psychischer  Erscheinungen  bei  Parkin 
s  o  n  nicht  häufig,  zumal  wir  in  den  Statistiken  der  grossen  Irren 
anstalten  diese  Erkrankung  sehr  selten  finden. 

Herr  Schottmüller:  Bezüglich  der  Bemerkung,  dass  voi 
manchen  Autoren  ein  Zusammenhang  angenommmen  wird  zwischei 
Paralysis  agitans  und  den  Epithelkörperchen,  möchte  ich  auf  folgend! 
Beobachtung  hinweisen. 

Um  mir  über  diese  Annahme  ein  eigenes  Urteil  zu  verschaffen 
hatte  ich  einer  Patientin  mit  Parkinsonscher  Krankhei 
eine  Zeitlang  ein  Präparat  von  Epithelkörperchen  hergestellt  vorab 
reicht.  Ohne  die  Patientin  über  die  Art  des  Mittels  aufzuklären,  gat 
mir  dieselbe  an,  obwohl  ich  ihr  gegenüber  nur  von  der  Möglichkei 
einer  günstigen  Wirkung  des  Mittels  gesprochen  hatte,  dass,  solang» 
sie  das  Mittel  nahm,  die  typischen  Beschwerden  der  in  Rede  stehen 
den  Krankheit,  Schmerzen  in  der  Muskulatur  und  Schwerbeweglich 
keit  usw.  Zunahmen,  während  hingegen  sofort,  nachdem  das  Mitte 
ausgesetzt  war,  die  Steigerung  der  Beschwerden  wieder  verschwand 

Gestützt  auf  diese  Beobachtung  glaubte  ich  mien  berechtigt,  ii 
einem  mittelschweren  Fall  von  Paralysis  agitans  dem  Patienten  dit 
Herausnahme  der  Epithelkörperchen  anzuempfehlen.  Der  Patient  er 
klärte  sich  mit  der  Operation,  die  nur  einen  Versuch  zur  Heilum 
darstellen  sollte,  einverstanden.  Alle  4  Epithelkörperchen  wurdet 
entfernt.  Die  Untersuchung  von  seiten  des  Herrn  Prof.  Fraenke 
ergab  irgend  eine  erkennbare  anatomische  Veränderung  nicht.  Dei 
Zustand  des  Patienten  blieb  nach  der  Operation  unverändert,  vor 
einem  Erfolg  konnnte  nicht  die  Rede  sein.  Die  Annahme,  dass  dit 
Epithelkörperchen  Schuld  an  der  Erkrankung  sind,  ist  daher  abzu- 
lehnen. 

Herr  Trömner  (Schlusswort)  gibt  die  Wichtigkeit  der  Ri¬ 
gidität  für  die  Diagnose  zu,  betont  aber,  dass  es  Fälle  gibt,  weicht 
nur  mit  Zittern  beginnen.  Die  Salivation  kann  nicht  von  Rigiditä 
abhängen,  da  sie  manchmal  selbst  im  Schlaf  so  stark  ist,  dass  dit 
Kranken  vom  Verschlucken  mit  Speichel  erwachen.  Ausserdem  be¬ 
stehen  ja  noch  andere  Supersekretionsanomalien.  Herrn  Plate  ent 
gegnet  er.  dass  chronische  Arthritis  auch  bei  Parkinsonkranken  vor- 
kommt,  dass  aber  ausgebreitete  Rigidität  ohne  Gelenkveränderunger 
häufiger  ist.  Nebenbei  werden  die  Arthropathies  parkinsoniennec 
französischer  Autoren  von  Oppenheim  mit  Recht  als  begleitende 
Arthritis  deformans  gedeutet.  Bei  Chorea  werden  häufiger  delirlös« 
und  manische  Psychosen  als  paranoide  der  hier  geschilderten  Ar: 
beobachtet.  Gleich  Herrn  Schottmüller  hat  auch  T.  mit  Para- 
thyreoidin  keine  Erfolge  gesehen. 


Würzburger  Aerzteabend. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  14.  Juli  1914. 

Herr  Enderlen  stellt  folgende  Fälle  vor: 

1.  Schussverletzungen  des  Bauches. 

a)  W.  G.,  16  J„  Hausbursche.  13.  VI.  14.  Schuss  aus  einem  in 
der  Tasche  getragenen  Terzerol.  Einschuss  neben  Appendikektomie- 


13.  Oktober  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2075 


narbe.  Laparotomie  3U  Stunden  nach  der  Verletzung:  Dünndarm 
an  i  .  te  en  perforiert;  Uebernähungen.  Mehrere  Kontusionen  des 
Darms  und  Mesenteriums.  An  3  Stellen  leicht  lösliche  Invaginationen 
des  Dünndarms.  Spülung  der  Bauchhöhle.  Drainage.  27  VI.:  Nach 
anscheinend  Primärer  Wundheilung  Fasziennekrose,  Aufplatzen  der 
Wunde;  v  ekundarnaht.  Heilung  ohne  weitere  Komplikationen. 

b)  Z.  B.,  31  J-,  Bauer.  11.  VI.  14:  Durch  Explosion  eines  Böllers 
beim  Fronleichnamsfest  Schussvcrletzung  in  der  rechten  Hiiftgcgcnd; 
Eisenstücke  und  Papierladung  sind  in  die  Wunde  eingedrungen.  Er¬ 
brechen,  schneller  Verfall.  2  je  fünfmarkstückgrosse  unregelmässige 
Einschüsse  in  der  rechten  Hüftgegend,  Hämatom  der  Lendengegend, 
Spannung  der  Bauchdecken,  besonders  rechts.  Laparotomie  11  Stun¬ 
den  nach  der  Verletzung:  Blut  im  Abdomen,  kein  Darminhalt.  Pfen¬ 
niggrosses  Loch  in  einer  Jejunumschlinge.  Uebernähung,  Verschluss 
der  Laparotomie.  Versorgung  der  Einschüsse.  30.  VI.:  Empyem  der 
rechten  Pleura,  Rippenresektion.  14.  VII.:  I  angsame  Besserung' 
seitens  des  Abdomens  keine  Störung. 


2.  Stumpfe  Verletzungen  des  Bauches. 

a)  Z.  M.,  58  J.,  Dienstknecht.  16.  III.  14:  Schlag  von  einer 
Deichsel  gegen  den  Bauch.  Laparotomie  5  Stunden  post  trauma. 
Darmperforation  am  Uebergang  vom  Jejunum  zum  Ileum,  Darminhalt 
in  der  ganzen  Bauchhöhle.  Doppelte  Uebernähung  der  Perforation, 
Spülung,  Verschluss  der  Laparotomie  ohne  Drainage.  24.  III.:  Fas¬ 
ziennekrose.  21.  IV.:  Seröse  Pleuritis  links.  16.  V.:  Empyem  der 
linken  Pleura,  Rippenresektion.  Pat.  erholt  sich  langsam. 

b)  Oe.  L.,  21  J.,  Trainsoldat.  19.  VI.  14:  Hufschlag  vor  den  Leib. 
Laparotomie  8  Stunden  p.  tr.  Darminhalt  und  peritonitisches  Ex- 
suuat  im  kleinen  Becken  und  in  den  seitlichen  Partien  der  Bauch- 
höhle.  Pfenniggrosse  Perforation  des  Dünndarms  ca.  50  cm  oberhalb 
des  Zoekums,  doppelte  Uebernähung,  Spülung,  Drainage.  8.  VII.:  Un¬ 
bedeutende  Fadeneiterung,  sonst  primäre  Heilung;  entlassen. 

c)  VV.  J.,  33  J.,  Landwirt.  8.  VII.  14:  Hufschlag  vor  den  Leib. 
Lapaiotomie  Ls  Stunden  p.  tr.  Peritonitis,  Perforation  der  untersten 
Ileumschlinge,  Uebernähung,  Spülung,  Drainage.  Bisher  keine  Kompli¬ 
kation. 


fj)  P/.'  ^  J"’  Schmied.  10.  V  II.  14:  Hufschlag  vor  den  Leib. 

Am  12.  VII.  mit  allen  Erscheinungen  der  Peritonitis  der  Klinik  über¬ 
wiesen.  Laparotomie  58  Stunden  p.  tr.  Gase,  Kot  und  Eiter  in  der 
Bauchhöhle,  diffuse  Peritonitis  am  stärksten  in  den  untersten  Par¬ 
tien;  Perforation  einer  sogleich  sichtbaren  Dünndarmschlinge.  Ueber- 
nähung,  Austupfung,  Drainage.  14.  VII.:  Exitus  an  Peritonitis.  (Sek¬ 
tion:  Keine  weitere  Verletzung  eines  Bauchorgans.) 

e)  B.  0.,  30  J„  Bäuerin,  erhielt  am  5.  VII.  14  beim  Melken 
Kuh  mehrere  Fusstritte  gegen  den  Leib.  Laparotomie  ca. 

36  Stunden  p.  tr.  'Starker  Bluterguss.  Langer  Einriss  an  der  Vordcr- 
tläche  des  linken  Leberlappens  im  Winkel  zwischen  Lig.  falciforme 
und  coronarium,  Tamponade,  Toilette  der  Bauchhöhle.  10.  VII. :  Paro¬ 
titis  links,  sonst  ungestörter  Verlauf. 

f)  Frau  B.,  67  J.  1907  Schenkelbruchop.,  Rezidiv  seit  einigen 
Jahren,  dazu  Leistenbruch.  Stoss  an  einer  scharfen  Tischkante  gegen 
den  Bruch;  heftiger  Schmerz.  Pat.  reponiert  den  Bruch  selbst,  er- 
bricht  aber  danach.  Zunehmende  Schmerzen.  Op.  20  Stunden  nach 
dem  Unfall.  Medianschnitt.  Peritonitis  des  Unterbauchs,  Dünndarm- 
perforation,  Uebernähung,  Spülung. 


3.  Pfählungsverletzung. 

H.  A.,  46  J.,  Forstaufseher,  fiel  am  20.  IV'.  14  beim  Ausreissen 
von  Gesträuch  rückwärts  und  setzte  sich  auf  eine  spitze  Wurzel, 
die  in  den  After  eindrang.  Seitdem  fliesst  Urin  durch  den  Mastdarm 
ab.  Aufnahme  in  die  Klinik  23.  IV.  14.  Zerreissung  des  Sphinkter 
am  an  der  Rückseite,  Perforation  der  Vorderwand  des  Rektums  und 
der  Prostata;  Rektovesikalfistel.  Dauerkatheter,  Stopfrohr;  Zystitis 
Eindringen  von  Darmgasen  in  die  Blase.  20.  V.:  Op.  Naht  der 
Vorderwand  des  Rektums  von  perinealem  Bogenschnitt  aus.  In  der 
rolgezeit  Abstossung  mehrerer  inkrustierter  Holzstückchen  aus  der 
Blase.  9.  VII.  mit  guter  Kontinenz  und  völlig  klarem  Urin  entlassen. 
Besprechungen  des  Zustandekommens  der  Richtung  und  Tiefe  von 
1  fählungsverletzungen,  ihrer  Komplikationen  und  ihrer  Behandlung. 

4.  Plastik. 

n  a)  Ghrplastik.  R.  J„  17  J.  Lehrling.  Grosses  traumatisches 
Uthamatom,  das  allmählich  unter  starker  Verunstaltung  der  Ohr¬ 
muschel  schrumpfte.  Exstirpation  des  Narbengewebes,  Entfaltung 
der  Ohrmuschel,  welche  durch  Implantation  eines  Knochenspans  aus 
der  I  ibia  ausgebreitet  gehalten  wird. 

b)  G.  B„  VA  jähriger  Junge.  Traumatische  ca.  pfirsichgrosse 
Zephalohydrozele  an  der  rechten  Seite  des  Hinterhaupts.  Op.  18.  VI. 
Deckung  des  3:1  cm  grossen  Schädeldachdcfektes  durch  dünnen 
•  eriostknochenspan  aus  der  Tibia. 

5.  Tumoren  der  Rückenmarkshäute. 

a)  Frau  R.,  44  J.  Seit  Februar  1913  Schwäche  im  linken,  später 
auch  im  rechten  Bein,  lanzinierende  Schmerzen.  Unregelmässigkeiten 
der  Stuhl-  und  Urincntleerung.  Seit  Weihnachten  1913  bettlägerig, 
rarese  der  Beine.  18.  III.  14:  Beiderseits  Pateüar-  und  Fussklonus, 
Babinski.  Ischuria  paradoxa.  Defäkation  wird  nicht  gemerkt,  er- 
m-u  T  au^  Abführmittel.  Sensibilitätsstörung  der  unteren  Körper- 
altte  bis  zur  Höhe  der  6.  bis  7.  Rippe.  Diagnose:  Kompression  des 
Rückenmarks  durch  Tumor  in  der  Höhe  des  7.  event.  6.  Dorsal¬ 
segmentes.  20.  III.  14:  Laminektomic  des  3.  bis  5.  Brustwirbcldorn- 
ortsatzes.  Erhöhter  Liquordruck.  Haselnussgrosse,  blaurote,  von 
der  Pia  ausgehende  Geschwulst  (Endotheliom)  an  der  rechten  Seite 


des  Duralraums,  stumpf  auslösbar.  Primärer  Verschluss  der  Wunde 
in  Etagen.  25.  III.:  Spontane  Entleerung  von  Stuhl  und  Urin. 

b)  Frau  Marie  Gr.,  31  .1.  Seit  Januar  1912  Schmerzen  und  Beuge- 
krampfe  in  beiden  Beinen,  Schwäche  und  schliesslich  Lähmung. 
,  11]-  ],3:  Spastische  Parese  der  unteren  Extremitäten,  Anästhesie 

der  unteren  Körperhälfte  bis  3  Finger  oberhalb  des  Nabels.  21.  III.  13: 
Lammektomie  des  6.  bis  8.  Brustwirbels;  zwischen  6.  und  7.  Brust¬ 
wirbel  walnussgrosser  Tumor  der  rechten  Seite  der  Dura.  Ent¬ 
fernung  mitsamt  der  Dura,  Etagennähte.  Nach  kurzdauernder  Liquor¬ 
fistel  glatte  Heilung. 

6.  Wiederholte  Darmresektionen. 

a)  Frau  W.,  59  J.  Rektumprolaps;  vielfacher  Ileus.  I.  1906 
wegen  Rektumprolap3 4 5  Kolopexie  am  Peritoneum  parietale, 
il.  29.  V1L  13  wegen  Prolapsrezidivs  Durchtrennung  der  Flexura  sig- 
moidea,  Heraufziehen  des  unteren  Teils,  Seit-zu-Seit-Anastomose, 
rixation  des  unteren  Teils  in  der  Laparotomiewunde.  Primäre  Hei¬ 
lung.  III.  5.  IX.  13:  Symptome  von  Darmverschluss.  6.  IX.:  La¬ 
parotomie.  Volvulus  einer  hohen  Jejunumschlinge,  Thrombose  der 
Mesenterialgefässe,  Resektion,  Seit-zu-Seit-Anastomose.  IV.  6.  XII. 
13:  Neuer  Darmverschluss.  Op.  Strangulation  des  Ileum  nahe  der 
klappe  durch  einen  von  der  rechten  Inguinalgegend  ausgehenden 
Narbenstrang.  Durchtrennung.  20.  XII.:  Geheilt  entlassen. 
V.  27.  V.  14:  3.  Darmverschluss.  Op.  Strangulation  eines  Dünn- 
uarmkonvoluts  unter  einem  Narbenstrang.  Resektion,  Seit-zu-Seit- 
Anastomose.  Resezierter  Dünndarm  75  cm  lang.  10  VI  14-  Ge¬ 
heilt  entlassen. 

b)  Karl  H„  17  J.  H  i  r  s  c  h  s  p  r  u  n  g  sehe  Krankheit.  22.  VII.  13: 
Resektion  der  enorm  erweiterten  und  verlängerten  Flexura  sigmoidea, 
-eit-zn-Seit-Anastomose  zwischen  Colon  descendens  und  Rektum 
Mehrere  Wochen  lang  regelmässig  alle  2  Tage  Stuhlgang,  dann  zu- 
nehmende  Obstipation,  zuletzt  nur  alle  8—10  Tage  Stuhlentleerung. 
22.  VI.  14:  Mächtige  Erweiterung  des  Rektum  und  des  übrigen  Dick- 
darms.  Nach  gründlicher  Entleerung  1.  VII.  Resektion  des  ganzen 
Dickdarms  und  Anastomose  zwischen  Ileum  und  Rektum.  11.  VII.: 
Heilung  p.  p.;  täglich  3  mal  dünnflüssiger  Stuhlgang  bei  gutem  Wohl¬ 
befinden. 

7.  Myxom  der  Bauchhöhle. 

Amalie  S„  21  Jahre.  Seit  Dezember  1913  beim  Gehen  und 
Pressen  Vorwölbung  am  Damm  und  aus  der  Vagina,  seit  Januar  1914 
Anschwellung  des  Leibes.  Mit  der  Diagnose  Hernia  perinealis 
posterior  zur  Op.  eingewiesen.  13.  VI.  14:  Mediane  Laparotomie. 
Mächtiges,  bis  unters  Zwerchfell  reichendes  Myxom  mit  extraperi¬ 
tonealem,  im  kleinen  Becken  rechts  gelegenem  Stiel.  Exstirpation, 
Drainage  des  kleinen  Beckens.  Nach  Ableitung  eines  postoperativen 
Hämatoms  glatte  Heilung. 

8.  Brustwandresektionen. 

a)  Frau  D.,  48  J.  18.  VIII.  13:  Amputatio  mammae  und  Aus¬ 
räumung  der  Achselhöhle  wegen  Carcinoma  medulläre.  Seit  Ende 
Mai  1914  Anschwellung  über  dem.  Brustbein.  Handtellergrosse  Karzi¬ 
nommetastasen  im  Corpus  sterni.  12.  VI.  14:  Op.  Bildung  eines  Haut¬ 
muskellappens  mit  Basis  links,  Resektion  des  Corpus  sterni  und  der 
angrenzenden  Rippen  beiderseits  bis  zur  4.  Rippe  aufwärts  unter 
Mitnahme  der  vorderen  rechten  Pleura.  Deckung  der  Wundhöhle 
durch  völlige  Vernähung  des  Hautmuskellappens.  Rechtsseitiger 
blutig-seröser  Pleuraerguss.  Punktion.  Heilung. 

’b)  Anton  H.,  30  J.,  Bauer.  Seit  einem  Jahr  Geschwulst  der 
unken  Brustseite,  seit  6  Wochen  starkes  Wachstum  und  lebhafte 
Schmerzen.  Kindskopfgrosse,  zum  Teil  knorpelharte  Geschwulst  in 
der  linken  vorderen  Achsellinie,  entsprechend  der  6.  bis  7.  Rippe. 
13.  V.:  Brustwandresektion.  Deckung  des  Defekts  durch  gestielten 
Hautlappen  vom  Rücken;  dort  Thierschsche  Plastik.  1.  VI.:  Lap¬ 
pen  gut  angeheilt,  Pat.  wird  auf  Wunsch  in  ambulante  Behandlung 
entlassen.  Histologischer  Befund:  Spindelzellensarkom,  zum  Teil 
Knorpel  und  Knochen  bildend. 

9.  Luxation  der  Halswirbelsäule. 

August  G„  43  J.,  Dienstknecht,  fiel  am  7.  V.  14  mit  einem 
schweren  Getreidesack  auf  der  Schulter  die  Treppe  herunter,  derart, 
dass  er  aufs  Gesäss  zu  sitzen  kam  und  der  Getreidesack  ihm  den 
Kopf  auf  die  Beine  herunterdrückte.  Luxation  zwischen  5.  und 
6.  Halswirbel.  9.  V.:  Narkose;  Repositionsversuch  (Lösung  der  Ver¬ 
hakung  erst  einer,  dann  der  anderen  Seite)  ohne  Erfolg.  14.  V.: 

Repositionsversuch  in  Narkose  durch  starke  Extension  in  der 
Längsrichtung.  Knacken.  Röntgenkontrolle:  Reposition  gelungen. 

10.  Epilepsiebehandlung  nach  Trendelen  bürg. 

Alfons  E.,  24  .1.,  Bauer.  Seit  dem  6.  Lebensjahr  Hemiparese 
rechts;  seit  3  Jahren  sich  häufende  epileptische  Anfälle  mit  beson¬ 
derer  Beteiligung  der  rechten  Seite.  Letzte  Anfälle  in  Intervallen  von 
4  Wochen,  zuletzt  vor  14  Tagen.  Spastische  Parese  des  rechten 
Beins.  Arms  und  rechten  N.  facialis  mit  Ausnahme  des  Stirnastes. 
Sprache  stolpernd,  langsam;  Sensibilität  ungestört.  Augenhinter¬ 
grund  normal.  26.  VI.:  Op.  Hautperiostlappen  über  den  linken  Zen¬ 
tralwindungen,  Pia  getrübt.  Unterschneidung  der  durch  elektrische 
Reizung  bestimmten  motorischen  Zentren  nach  Trendelenburg. 
Zunächst  kein  Anfall  mehr. 

Besprechung  der  operativen  Epilepsiebehandlung. 

Herr  Ernst  Müller  demonstriert  2  Fälle  von  Peniskarzinom, 
die  mit  Radium  behandelt  wurden. 

1.  L.  0.,  32  .1.,  Maurer.  Seit  Frühjahr  1912  schmerzlose  trockene 
warzenartige  Wucherung  an  der  Glans  penis,  die  mehrfach  (Nov.  1912, 
Juli  und  Nov.  1913)  exstirpiert  wurde,  seit  Anfang  1914  aber  wieder 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  41. 


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rezidivicrte  und  jetzt  zwetschgenkerngross  ist.  Mikroskopische 
Untersuchung:  Papilläres  Plattenepithelkarzinom.  17.  IV.:  Abtragung 
der  Hauptmasse  des  Tumors.  Radiumbestrahlung  durch  1-mm-Mes- 
singfilter  mit  Ausschaltung  der  Sekundärstrahlen.  Nach  822  mg-Stun- 
den  in  47  Tagen  völlige  Vernarbung  am  9.  V.  Heute  rezidivverdäch¬ 
tige  Stelle.  Inguinaldrüseninfiltration  zurückgegangen. 

2.  F.  M.,  48  J.,  Tüncher.  1900  Phimosenoperation.  In  der  Narbe 
mehrfach  Wucherungen,  die  exzidiert  wurden;  seit  1908  Vernarbung. 
Seit  3  Monaten  harte  blutende  Wucherung  an  Glans  und  Präputium. 
Ulzeration.  Mikroskopisch:  Plattenepithelkarzinom.  Radiumbromid. 
1617  mg-Stunden  in  17  Tagen,  Messingfilter  1,0  mm,  Abfilterung  der 
Sekundärstrahlen.  Schneller  Schwund  des  Tumors.  Reinigung  des 
Ulcus;  starke  seröse  Exsudation.  Oedem  des  Präputiums,  Rückgang 
der  Drüsen. 

Kurze  Besprechung  der  bisher  in  der  Chirurgie  geübten  An¬ 
wendung  des  Radiums,  seiner  Erfolge  und  Aussichten. 


Deutsche  Medizinische  Gesellschaft  in  Chicago. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  19.  März  1914. 

Vorsitzender;  Herr  Lieberthal. 

Schriftführer;  Herr  Reichmann. 

1.  Herr  Harry  S.  Gr  adle  hält  einen  Vortrag  über  die  neuere 
Therapie  der  Pnemokokkeninfektionen  des  Auges. 

Man  kann  Pneumokokkeninfektionen  des  Auges  in  zwei  Klassen 
teilen:  die  des  äusseren  Auges  und  der  Anhangsorgane  und  die  des 
Augeninneren.  Aber  es  darf  nicht  vergessen  sein,  dass  wir  hier  aus¬ 
schliesslich  mit  Pneumokokkeninfektionen  zu  tun  haben.  Das  kann 
man  zum  Teil  im  Ausstrichpräparat  bestimmen,  aber  viel  genauer 
ist  es  in  Serumbouillonkultur.  Dabei  kann  man  ein  wenig  von  der 
Virulenz  der  Organismen  kennen  lernen.  Der  Kultur  nach  sind 
Pneumokokken  in  3  Hauptgruppen  zu  teilen;  1.  echte,  graziöse  kleine 
Diplokokken,  die  langsam  wachsen,  aber  stark  virulent  sind;  2.  grö¬ 
bere  Diplokokken,  gewöhnlich  mit  Staphylokokken  gemischt,  von 
geringer  Virulenz:  und  3.  lange,  kettenbildende  Organismen  von  min¬ 
derwertiger  Virulenz. 

Aber  ehe  wir  von  Infektion  selber  sprechen,  möchte  ich  mir  er¬ 
lauben,  über  ein  neues  spezifisches  Mittel  gegen  Pneumokokken  zu 
berichten,  Aethylhydrocuprein.  Dieses  wurde  zuerst  von  Morgen- 
roth  in  1911  beschrieben  und  von  Goldschmidt  in  1913  in  die 
Augenheilkunde  eingeführt.  Es  ist  ein  Chininsubstitutionsprodukt  und 
wirkt  spezifisch  gegen  Pneumokokken  in  1  proz.  Lösung  oder  %  proz. 
Salbe. 

Pneumokokkeninfektion  des  Tränensacks,  mit  oder  ohne  Stenose, 
ist  sehr  häufig.  Aber  ehe  wir  dieses  Leiden  ätiologisch  behandeln 
dürfen,  müssen  wir  erfahren,  ob  der  Tränengang  durchgängig  ist. 
Wenn  so,  können  wir  uns  erlauben  mit  1  proz.  Aethylhydrocuprein 
nach  Kokainanästhesie  durchzuspülen.  Täglich  soll  dieses  Verfahren 
wiederholt  werden  und  innerhalb  3 — 7  Tagen  können  wir  den  Patien¬ 
ten  als  geheilt  entlassen.  Aber  leider  gehört  die  Majorität  der 
Tränensackblennorrhöen  nicht  in  diese  Klasse.  Gewöhnlich  ist  eine 
Stenose  vorhanden.  Dann  müssen  wir  versuchen,  ob  wir  mit  einer 
Sonde  durchkommen  können.  In  diesem  Falle  ist  das  Wessely  sehe 
Verfahren  indiziert.  Nach  kompletter  Kokainanästhesie  sind  einige 
Tropfen  gewöhnlicher  Jodtinktur  mittels  einer  W  e  s  s  e  1  y  sehen 
Spritze  sorgfältig  in  den  Saccus  lacrymalis  einzuführen.  Innerhalb 
4  Tagen  ist  das  Verfahren  zu  wiederholen,  und  gewöhnlich  genügen 
3 — 4  solche  Behandlui  °.n.  Ist  dagegen  eine  Stenose  vorhanden, 
dürfen  wir  die  erwähnten  Methoden  nicht  verwenden,  da  Absorption 
von  Aethylhydrocuprein  sehr  leicht  zu  einer  Chininamaurose  führen 
kann  und  da  Jodtinktur  in  einer  geschlossenen  Höhle  gefährlich  ist. 
Dann  müssen  wir  die  alten  Methoden  der  Tränensackbehandlung,  Son¬ 
dierung,  Ausspucken,  event.  Exstirpation,  wieder  verwenden. 

Pneumokokkeninfektion  der  Bindehaut  kommt  ziemlich  häufig 
vor,  ist  aber  leicht  durch  Einträufelung  von  1  proz.  Aethylhydro¬ 
cuprein  beseitigt.  Dasselbe  Resultat  ist  durch  1  proz.  Argentum 
r.itricum  zu  erreichen,  aber  nicht  so  rasch. 

Die  häufigste,  wichtigste  und  gefährlichste  Pneumokokkeninfek¬ 
tion  des  Auges  ist  das  Ulcus  serpens  corneae.  Hier  ist  die  Virulenz¬ 
bestimmung  des  Erregers,  wie  vorher  besprochen,  von  klinischer  Be¬ 
deutung  und  dabei  sind  die  3  obenerwähnten  Gruppen  zu  beachten. 
Doch  ist  die  Behandlung  während  der  ersten  24  Stunden  für  alle 
3  Gruppen  gleich.  Sie  besteht  aus  4  stündlichen  Einträufelungen  von 
1  proz.  Aethylhydrocuprein  oder,  wie  von  Goldschmidt  emp¬ 
fohlen  wurde.  Gebrauch  einer  Vi  proz.  Kuoreinsalbe;  Atropin  wird 
natürlich  auch  verwendet.  Die  anderen  Massregeln,  wie  Abführ¬ 
mittel,  heisse  Umschläge,  Schwitzen  etc.,  sind  nicht  zu  versäumen. 

Innerhalb  24  Stunden  kann  man  entscheiden,  zu  welcher  Gruppe 
das  Geschwür  gehört.  Ist  die  Virulenz  minderwertig,  genügt  die 
obenbeschriebene  Behandlung. 

Aber  leider  ist  das  nicht  sehr  oft  der  Fall  und  öfters  schreitet 
das  Geschwür  langsam  wie  eine  Schlange  vor:  daher  der  Name  „Ser¬ 
pens“.  Dann  sind  wir  gezwungen,  die  Krankheit  energischer  zu  be¬ 
handeln.  Der  Wessely  sehe  Dampfbrenner  ist  dann  am  Platz. 
Dieses  Instrument  besteht  aus  einem  dünnen  Rohre,  das  strömenden 
Dampf  durch  die  Spitze  des  Brenners  leitet,  so  dass  eine  konstante 
Temperatur  von  100°  erzielt  wird.  Damit  wird  das  Geschwür  ener¬ 


gisch  massiert  während  wenigstens  3  Minuten.  Zu  kurzer  Gebrauch 
dieses  Mittels  ist  gefährlicher  wie  zu  langer,  da  die  Bakterien  dabei 
nur  betäubt  werden  und  das  nicht  sehr  resistente  Kornealgewebe  ge¬ 
tötet  wird.  Zu  langer  Gebrauch  des  Kauters  mag  leicht  Hornhaut¬ 
nekrose  erzeugen.  Hiernach  werden  die  Einträufelungen  von  Aethyl¬ 
hydrocuprein  natürlich  fortgesetzt. 

Die  bösartigen  Geschwüre  bilden  die  3.  Gruppe.  Diese  werden 
nur  wenig  durch  das  genannte  Mittel  beeinflusst  und  innerhalb 
24  Stunden  ist  ihre  Malignität  leicht  zu  erkennen.  Dann  ist  der  Gal¬ 
vanokauter  sofort  zu  verwenden.  Im  allgemeinen  ist  dieser  ent¬ 
schieden  besser  wie  verschiedene  Formen  von  chemischer  Aetzung, 
da  wir  die  Wirkung  genauer  dosieren  können  und  da  die  entstehende 
Narbe  nicht  so  dicht  ist.  Eventuell  ist  der  alte  S  a  e  m  i  s  c  h  sehe 
Schnitt  zu  gebrauchen.  .  ^ 

Pneumokokkeninfektionen  des  Augeninneren  sind  auch  in  3  Grup¬ 
pen  einzuteilen.  Auf  diesem  Gebiete  ist  wenig  Neues  zu  erwähnen. 
Aber  prophylaktisch  lässt  sich  ziemlich  viel  tun. 

Die  1.  Gruppe  besteht  aus  den  Fällen  postoperativer  Iridozykli¬ 
tiden,  welche  beinahe  gänzlich  zu  vermeiden  sind  durch  gründliche 
präoperative  Bindehautreinigung.  Dieses  Verfahren  wurde  zuerst 
von  E  1  s  c  h  n  i  g  und  U  1  b  r  i  c  h  veröffentlicht. 

Die  2.  Gruppe,  bestehend  aus  Endophthalmitis  septica  nach  per¬ 
forierenden  Bulbusverletzungen,  und  die  3.  Gruppe  von  Panophthal- 
mitis,  sind  zum  Teil  zu  beseitigen  durch  frühzeitigen  Gebrauch 
grösserer  Dosen  Urotropin.  Dieses  Verfahren  habe  ich  vor  4  Jahren 
publiziert  und  nach  meinen  seitherigen  Studien  bin  ich  jetzt  imstande 
festzustellen,  dass  mehr  wie  50  Proz.  dieser  Fälle  vermieden  werden 
können  durch  grössere  Gaben  (2  g  und  mehr)  innerhalb  der  ersten 
Stunde  nach  der  Verletzung.  Diese  Erfahrung  wurde  in  letzterer  Zeit 
von  Goldschmidt  und  Igersheimer  bestätigt.  Die  meta- 
statische  Panophthalmie  können  wir  leider  nicht  beeinflussen. 

Epikrise:  Durch  das  neue  Mittel  Aethylhydrocuprein  sind  wir 
imstande  die  Pneumokokkeninfektionen  des  äusseren  Auges  mit 
besseren  und  schöneren  Resultaten  zu  behandeln.  Dagegen  können 
wir  die  Infektion  des  Augeninneren  nicht  beeinflussen,  wenn  sie  ein¬ 
mal  etabliert  ist.  Aber  sie  ist  in  vielen  Fällen  durch  frühzeitige  Be¬ 
handlung  zu  verhindern. 

Diskussion:  Herr  Abele  hat  keine  persönlichen  Er¬ 
fahrungen  über  das  Aethylhydrocuprein,  da  dasselbe  hier  nicht  zu  fe¬ 
schaffen  ist.  Nach  den  Berichten  in  der  Literatur  muss  dasselbe  sehr 
gute  Wirkung  haben.  Abele  behandelt  die  in  Rede  stehende  Er¬ 
krankung  noch  immer  mit  dem  Galvanokauter,  jedoch  auch  die 
Aetzung  mit  konzentrierter  Karbolsäure  führt  bei  Ulcus  serpens  zu 
sehr  guten  Resultaten. 

Herr  A.  Weis  bemerkt,  dass  das  Aethylh^»drocuprein  auch  in 
der  inneren  Medizin  bei  Pneumonien  angewandt  würde,  jedoch  waren 
die  Erfolge  nicht  sehr  ermutigend.  Das  Präparat  ist  auf  denselben 
Prinzipien  fussend  wie  Salvarsan. 

Herr  Gr  adle  bemerkt  im  Schlusswort,  dass  das  Präparat  spe¬ 
zifisch  auf  den  Pneumokokkus  einwirkt,  bemerkt  jedoch,  dass  seine 
Tiefenwirkung  eine  sehr  geringe  ist.  Gr  adle  legt  grossen  Wert 
auf  die  frühzeitige  Verabreichung  von  Urotropin  bei  allen  pene¬ 
trierenden  Augenerkrankungen. 

Referate  über  die  in  den  letzten  Nummern  der  M.m.W,  ent¬ 
haltenen  Arbeiten. 

Da  die  Herren  Herzog  und  Weis  sich  entschuldigt  hatten, 
referiert  der  Schriftführer  über  eine  ganze  Reihe  von  interessanten 
röntgenologischen  Arbeiten. 


Aus  den  französischen  medizinischen  Gesellschaften 

Societe  medicale  des  hopitaux. 

Sitzung  vom  24.  Juli  1914. 

Behandlung  der  Parasyphilis  mit  intralumbalen  Injektionen  von  Neo- 

salvarsan. 

Lortat-Jacob  und  Jean  P  a  r  a  f  haben  bei  3  mit  allgemeiner 
Paralyse  und  Tabes  behafteten  Individuen  3 — 5  mg  Neosalvarsan  in 
den  Rückenmarkskanal  injiziert,  aber  in  einem  Falle  Besserung, 
vielmehr  in  2  Fällen  heftige  Reaktionserscheinungen  beobachtet. 

D  u  f  o  u  r  glaubt  nach  seiner  persönlichen  Erfahrung,  dass  die 
intravenösen  Injektionen  gegenüber  der  intralumbalen  bei  Para¬ 
syphilis  den  Vorzug  verdienen,  da  bei  ersteren  die  Behandlung 
besonders  durch  ihre  Kontinuierlichkeit  wirksam  sei. 

Car  not  hat  2  Tabiker  mit  intralumbalen  Injektionen  ven 
Argentum  colloidale  behandelt  und  bedeutende  Besserung 
damit  erzielt,  aber  heftige  Allgemeinreaktion  (40°  Fieber)  und  Rück¬ 
kehr  der  lanzinierenden  Schmerzen  dabei  beobachtet. 


Tagesgeschichtliche  Notizen 

siehe  „Feldärztliche  Beilage“. 

Berichtigung  zu  der  Arbeit  Blumenthal  und 
Fränkel  Nr.  39  S.  1996  1914.  Die  Anmerkung  2,  welche  bei  der 
Korrektur  ohne  Wissen  der  Autoren,  unberechtigterweise  in  die 
Arbeit  hineinkam,  entspricht  nicht  den  Tatsachen. 


Redaktion:  Dr.  B.  Spatz, 
München,  Arnulfstrasse  26. 


MÜNCHENER 


Verlag  von  J  F.  Lehmann, 
München,  Paul  Heysestr.26. 


Medizinische  Wochenschrift. 

Nr.  41.  13.  Oktober  1014. 


Die  Bekämpfung  der  Kriegsseuchen  im  Felde*). 

Von  Obermedizinalrat  Prof.  Dr.  Nocht. 

M.  H.!  Als  der  Generalarzt  des  9.  Armeekorps,  Herr 
H  e  r  h  o  1  d,  vor  wenigen  I  agen  an  mich  das  Ersuchen  richtete, 
Ihnen  einen  Vortrag  über  die  Bekämpfung  der  Kriegsseuchen 
im  Felde  zu  halten,  habe  ich  mich  nicht  lange  besonnen,  son¬ 
dern  die  Aufgabe  übernommen,  obwohl  ich  mich  bisher  prak¬ 
tisch  nur  mit  der  Bekämpfung  der  Seuchen  im  Frieden  und 
in  bürgerlichen  Verhältnissen  beschäftigt  habe.  Ich  habe  aber 
die  Literatur  einigermassen  verfolgt,  besonders  die  der  letzten 
Feldzüge,  die  auch  auf  diesem  Gebiete  viel  Neues  brachten. 
Diese  Erfahrungen  sind,  wie  die  auf  allen  anderen  Gebieten, 
von  unserer  Heeresleitung  bei  der  Organisation  der  Seuchen¬ 
bekämpfung  in  vollem  Masse  ausgenutzt  worden.  Ich  habe 
aber  nicht  die  Absicht,  Ihnen  diese  Organisation  an  der  Hand 
der  Kriegssanitätsordnung  zu  schildern.  Sie  können  sich  dar¬ 
über  durch  Nachlesen  unterrichten  und  ich  müsste  fürchten, 
langweilig  zu  werden,  wenn  ich  die  einzelnen  darauf  bezüg¬ 
lichen  Bestimmungen  der  KSO.  hier  näher  erläutern  wollte. 

Ich  glaube  richtiger  zu  verfahren,  wenn  ich  einige  mir  be¬ 
sonders  wichtig  erscheinende  Einzelerfahrungen  der  letzten 
Feldzüge  und  die  daraus  zu  folgernden  Lehren  hervorhebe. 

Bis  zum  Feldzug  1870/71  galt  als  ausnahmslose  Regel,  dass 
die  \  erluste  durch  Krankheiten  im  Kriege  grösser,  und  zwar 
ganz  erheblich  grösser  sind  als  die  durch  Waffen  verursachten. 
Das  galt  schon  im  Altertum,  galt  aber  auch  für  die  modernen 
Kriege. 

Wenn  man,  wie  das  Kirchner  getan  hat,  die  Verluste 
durch  Waffen  —  1  setzt,  so  betrugen  die  Verluste  durch  Krank¬ 
heiten  im  Krimkriege  3,7,  also  beinahe  das  vierfache,  bei  den 
Engländern  in  Aegypten  5,7,  bei  den  Russen  1877/78  2,7. 

Diese  Verluste  waren  in  der  Hauptsache  durch  Infektions¬ 
krankheiten,  durch  Kriegsseuchen  verursacht.  Um  welche 
Zahlen  es  sich  dabei  handelt,  zeigen  Ihnen  folgende  Beispiele: 
Im  Krimkrieg  1853/56  starben  an  Flecktyphus  16  000  Engländer, 
^0  000  Franzosen,  800  000  Russen;  im  Amerikanischen  Sezes¬ 
sionskrieg  erkrankten  von  431  237  Mann  75  366  an  Typhus,  es 
-darben  davon  20  076. 

Im  Deutsch-Französischen  Krieg  1870/71  erkrankten  an 
iyphus  74  000  deutsche  Soldaten,  davon  starben  6965,  an  Ruhr 
erkrankten  39  000  deutsche  Soldaten,  es  starben  2000. 

Trotz  dieser  enormen  Verluste  war  der  Deutsch-Fran¬ 
zösische  Krieg  70/71  der  erste  grössere  Feldzug,  in  dem  die 
^ahl  der  an  Krankheiten  gestorbenen  Krieger  —  wenigstens  auf 
ieutscher  Seite  —  geringer  war  als  die  der  durch  Waffen  ver¬ 
pachten,  sie  betrug  nämlich  nur  die  Hälfte.  Es  wäre  aber 
ücht  richtig,  wenn  man  dies  günstigere  Verhältnis  als  einen 
.rfolg  moderner  Seuchenbekämpfungsmassnahmen  buchen 
wollte.  R.  Koch  erklärte  es  durch  den  günstigen  Zufall,  dass 
-holera  und  Flecktyphus  dem  Kriege  fern  blieben.  Im  Feldzug 
n  Deutsch-Südwestafrika  war  das  Verhältnis  noch  1:  1,  und 
nan  darf  wohl  sagen,  dass  erst  im  letzten  Russisch-Japanischen 
eldzuge  zur  Bekämpfung  der  Kriegsseuchen  die  wirksamen 


)  Vortrag,  gehalten  vor  den  einberufenen  und  in  der  Ausbildung 
»vgrirrenen  Militärärzten  und  anderen  Aerzten  in  Hamburg  im  tropen- 
iJ'gienischen  Institut  am  2.  September  1914. 


Mittel  der  modernen  Wissenschaft  bewusst  in  grösserem  Um¬ 
fange  und  mit  Erfolg  angewandt  wurden. 

Die  Infektionskrankheiten,  die  am  häufigsten  Kriegsseuchen 
hervorrufen,  sind  Abdominaltyphus,  Flecktyphus,  Ruhr,  Cholera 
und  Pocken. 

Welche  Aussichten  haben  diese  Kriegsgeissein  auf  den 
jetzigen  Kriegsschauplätzen,  auf  denen  Deutschland  um  sein 
Leben  kämpft? 

1870/71  waren  es  hauptsächlich  Typhus  und  Ruhr,  die  die 
deutschen  I  ruppen  heimsuchten.  Wir  dürfen  annehmen,  dass 
auch  jetzt  diese  Krankheiten  auf  dem  westlichen  Kriegsschau¬ 
platz  wieder  die  hauptsächlichste  Gefahr  bilden  werden.  Wir 
haben  ja  zwar  das  Aufmarschgebiet  an  der  französischen 
Grenze  in  unserem  eigenen  Lande  dank  der  rechtzeitigen 
Warnungen  von  R.  K  o  c  h  von  Typhus  zu  säubern  gesucht  und 
haben  darin  ja  auch  grosse  Erfolge  erreicht,  aber  unsere  Trup¬ 
pen  befinden  sich  jetzt  dort  überall  schon  im  Feindesland;  in 
Frankreich  aber  ist  die  Verbreitung  des  Typhus  fast  überall 
stäiker  als  bei  uns  und  gerade  in  einigen  Kohlen-  und  Industrie¬ 
gebieten,  die  unsere  Truppen  jetzt  zu  betreten  im  Begriffe  sind, 
ganz  besonders  stark.  Die  Karte,  die  ich  Ihnen  zeige,  be¬ 
stätigt  das;  sie  ist  zwar  nicht  neuen  Datums,  sie  stammt 
schon  aus  dem  Jahre  1863,  aber  im  grossen  und  ganzen  dürfte 
sie  noch  zutreffen.  Ich  entnehme  sie  dem  eben  erschienenen 
Werke  unseres  Hamburger  Kollegen  Dr.  Wolters  über  den 
Typhus  in  den  Kriegsjahren  1870/71.  Mit  den  in  diesem  Werke 
entwickelten  Ansichten  stimme  ich  übrigens  ganz  und  gar 
nicht  überein.  Die  alte  Pettenkofer  sehe  Grundwasser¬ 
theorie  muss  endgültig  als  überwundener  Standpunkt  gelten 
und  das  ist  gut  so;  denn  sie  würde  jedes  aktive  Vorgehen  im 
Feldzuge  gegen  die  Kriegsseuchen,  wie  Typhus,  Cholera,  Ruhr, 
lähmen  und  uns  der  Hoffnung  berauben,  diese  Kriegsseuchen 
durch  hygienische  Massnahmen  während  eines  Feldzuges  ein¬ 
dämmen  zu  können. 

Auf  dem  östlichen  Kriegsschauplatz  werden  wir  kaum  dar¬ 
auf  rechenen  können,  es  nur  mit  Typhus  und  Ruhr  zu  tun  zu 
haben.  Wir  können  dort  kaum  auf  den  Glückszufall  hoffen, 
von  Cholera  und  Flecktyphus  verschont  zu  bleiben.  Die 
Cholera  ist  wohl  in  den  letzten  22  Jahren  in  Russland  nie  ganz 
erloschen  gewesen,  sie  hat  dort  mehrfache  grosse  Epidemien 
(St.  Petersburg)  verursacht  und  herrscht  jetzt  in  Podolien  und 
in  Warschau  in  ziemlichem  Umfange. 

Der  Flecktyphus  hat  bekanntlich  im  letzten  Balkankriege 
eine  beträchtliche  Ausbreitung  hüben  und  drüben  erreicht. 
Vom  Hamburger  Staat  wurden,  als  die  Epidemie  in  Serbien 
ihren  Höhepunkt  erreichte,  im  Frühjahr  1913  die  Herren 
Dr.  H  e  g  1  e  r  vom  Eppendorfer  Krankenhause  und  Prof, 
v.  Prowazek  vom  tropenhygienischen  Institut  zum  Studium 
des  Flecktyphus  dorthin  entsandt;  sie  haben  bei  ihren  Unter¬ 
suchungen  über  die  Klinik  und  Aetiologie  der  Krankheit  sehr 
wichtige  Ergebnisse  erzielt.  Aus  Russland  werden  in  den  Ver¬ 
öffentlichungen  aus  dem  Kaiserlichen  Gesundheitsamt  noch  den 
ganzen  Juli  d.  J.  hindurch,  so  lange  wie  die  Mitteilungen  von 
Regierung  zu  Regierung  noch  gemacht  wurden,  fortdauernd 
einzelne  Fälle  von  Flecktyphus  aus  Petersburg,  Odessa, 
Moskau,  Warschau  usw.  gemeldet  und  aus  dem  österreichi¬ 
schen  Galizien  im  Laufe  des  Monats  Juli  fast  200  Erkran¬ 
kungen.  Auch  aus  Memel  wird  Ende  Juli  die  Erkrankung  einer 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  41. 


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Russin  an  Flecktyphus  gemeldet.  Auch  sollen  im  W  inter  und 
Frühjahr  in  Adrianopcl,  Konstantinopel  und  in  anderen  grossen 
türkischen  Garnisonen  viele  Erkrankungen  an  Flecktyphus  und 
Rückfallfieber  vorgekommen  sein.  Dass  im  W/inter  im  Osten 
wieder  eine  Epidemie  entbrennt,  scheint  mir  durchaus  nicht  un¬ 
wahrscheinlich.  Flecktyphus  ist  vorzugsweise  eine  Krankheit 
der  Winterfeldzüge,  und  wir  müssen  uns  auch  bei  dem 
jetzigen  Kriege,  der  ja  noch  lange  in  den  Winter  hinein  dauern 
kann,  darauf  gefasst  machen.  In  erster  Linie  sind  die  Oester- 
reicher,  die  die  Krankheit  ja  schon  in  Galizien  haben,  gefährdet. 
Auch  auf  Rekurrens  wird  man  sich  im  Osten  gefasst  machen 
müssen. 

Nun  will  ich  auf  einige  Einzelheiten  zunächst  für  T  y  p  h  u  s 
und  Ruhr  eingehen.  Ich  spreche  nur  von  der  Bazillenruhr, 
die  Amöbenruhr  ist  eine  sporadische  Krankheit  und  hat  als 
Kriegsseuche  nicht  einmal  in  den  Tropen  Bedeutung. 

Bazillenruhr  und  Typhus  haben  in  ihrer  Epidemiologie  sehr 
viel  Verwandtes,  auch  ihre  Erreger  gehören  ja  zu  derselben 
Gruppe  von  Mikroorganismen.  Man  kann  sie  als  Krankheiten 
bezeichnen,  die  hauptsächlich  auf  dem  Wege  des  indirek- 
t  e  n  Kontaktes  sich  verbreiten  —  als  Hauptwege  sind  bekannt 
die  Nahrungsmittel  und  Trinkwasser,  neuerdings  werden  auch 
die  Fliegen  beschuldigt.  Ich  will  mich  nun  nicht  über  das  all¬ 
gemein  Bekannte  wegen  des  Schutzes  der  Nahrungsmittel  vor 
Typhusinfektionen  verbreiten;  Sie  wissen,  dass  die. Reinlichkeit 
des  Küchenpersonals  bei  der  Zubereitung  und  der  Ge¬ 
nuss  frisch  zubereiteter  Speisen,  nicht  solcher,  die  lange  ge¬ 
standen  haben,  von  der  grössten  Wichtigkeit  sind.  Der  Gefahr 
wegen,  dass  Bazillenträger  unter  den  Köchen  usw.  sich  be¬ 
finden,  möchte  ich  dringend  empfehlen,  nicht  etwa  dass  man 
jeden  in  der  Feldküche  Beschäftigten  auf  Bazillen  untersucht, 
aber  dass  man  jeden  Mann  vom  Küchenpersonal  wenigstens 
fragt,  ob  er  Typhus  oder  eine  ähnliche  Krankheit  gehabt  hat 
und  die  Leute,  die  in  dieser  Beziehung  verdächtige  Angaben 
machen,  von  diesem  Dienst  ausschliesst.  Was  die  Gefahr 
durch  gestandene  Nahrungsmittel  anlangt,  so  hat  in  einigen 
neueren  Kasernenepidemien  Kartoffelsalat  eine  ursächliche 
Rolle  gespielt.  Dazu  warenKartoffeln  verwandt  worden,  die  am 
Tagevorher gekocht  undnachhervon  unsauberenBazillenträgern 
geschält  worden  waren.  Während  des  Aufbewahrens  der  ge¬ 
schälten  Kartoffeln  konnten  sich  die  Typhusbazillen  wie  in 
einem  Brutschrank  entwickeln  und  die  Kartoffeln  durch¬ 
wuchern,  so  dass  die  Säuerung  beim  Salatanmachen  nicht  ge¬ 
nügte,  um  die  Bazillen,  die  sich  in  den  tieferen  Schichten  der 
Kartoffeln  entwickelt  hatten,  abzutöten. 

Oft  gehen  den  ersten  Typhus-  und  Ruhrfällen  Verdauungs¬ 
störungen,  namentlich  Massenausbrüche  von  Durchfällen 
voraus.  Auch  das  ist  durch  Bazillenträger  besser  zu  er¬ 
klären  als  durch  die  Annahme  einer  besonderen,  durch  Durch¬ 
fälle  erzeugten  Disposition.  Diese  Durchfälle  bekommen  die 
Bazillenträger  genau  wie  die  gesunden  Soldaten  im  Hoch¬ 
sommer  nach  Erkältungen,  Obstessen  usw.  Während  nun  die 
Ausscheidungen  von  Bazillenträgern  mit  ganz  ungestörter  Ver¬ 
dauung  oft  gar  keine  oder  nur  sehr  wenig  Typhusbazillen  ent¬ 
halten,  scheiden  diese  Leute  oft  massenhaft  und  auch  in  ihrer 
Giftigkeit  gesteigerte  Typhusbazillen  bei  Verdauungsstörungen 
aus  und  geben  dadurch  vermehrte  Ansteckungsgelegenheiten. 

Von  grösster  Bedeutung  für  den  Typhus  und  die  Ruhr  im 
Kriege  ist  die  Tatsache,  dass  die  Typhus-  und  Ruhrgefahr  für 
eine  vorwärtsmarschierende,  in  raschem  siegreichen  Vorgehen 
befindliche  Truppe  verhältnismässig  gering  ist.  Die  Kranken 
bleiben  zurück,  die  der  Verseuchung  ausgesetzten  Brunnen, 
Ortschaften  usw.  werden  verlassen,  ehe  sie  sich  zu  Seuchen¬ 
herden  ausbilden  können.  Man  hat  das  treffend  als  „Selbst¬ 
reinigung“  der  Truppen  bezeichnet. 

Anders  aber  bei  längerem  Aufenthalt,  z.  B.  bei  Belage¬ 
rung  von  Festungen.  Die  bekanntesten  Beispiele  von  Typhus¬ 
epidemien  bei  Belagerungen  sind  Metz  und  Paris  1870/71.  Es 
kommt  bei  solchen  Belagerungen  viel  leichter  zur  Häufung  der 
Ansteckungsstoffe  und  dann  zur  Verseuchung  der  Brunnen, 
der  Quartiere,  der  Laufgräben  und  Verschanzungen,  in  denen 
die  Truppen  kampieren,  namentlich  solcher,  in  denen  die  Leute 
sehr  eng  liegen.  In  Betracht  zu  ziehen  ist,  dass  viele  Mann¬ 


schaften  nicht  gern  die  Latrinen  benutzen,  sondern  vorziehen, 
ihre  Notdurft  irgendwo  im  Freien  zu  erledigen,  dann  entwickeln 
sich  leicht  sehr  üble  Zustände:  ein  Kranz  von  Fäkalien  zieht 
sich  um  jedes  Gehöft,  um  jede  Scheuer,  längs  der  Umfassungs¬ 
mauern  der  Höfe,  Anhäufungen  davon  entstehen  in  den  Schan¬ 
zen  und  Laufgräben,  so  dass  es  nur  einiger  Regengüsse  be¬ 
darf,  um  einen  breitgetretenen  Fäkalmorast  zu  erzeugen,  der 
zur  Verschleppung  von  Typhus-  und  Ruhrkeimen  wie  ge¬ 
schaffen  ist.  Solche  Zustände  wurden  in  Deutsch-Ostafrika  auf 
Pflanzungen  beobachtet,  wo  sie  an  der  enormen  Ausbreitung 
der  Ankylostomiasis  schuld  waren  und  solche  Zustände  schil¬ 
dert  Eckart  als  für  die  Entstehung  der  Choleraepidemie 
unter  den  Bulgaren  in  dem  letzten  Balkankrieg  in  Betracht 
kommend.  Er  sagt:  „Die  bulgarischen  Lagerbestimmungen 
sehen  zwar  den  Bau  von  Latrinen  vor,  die  Bauern  sind  aber 
die  Benutzung  nicht  gewöhnt.  Sehr  bald  verwandelt  sich  die 
Umgebung  eines  Lagers  in  Morast.  Die  Mannschaften  waten 
hindurch,  kommen  ins  Lager  zurück,  ziehen  die  Stiefeln  aus 
und  essen  zumeist,  ohne  die  Möglichkeit  zu  haben,  sich  vorher 
zu  waschen.“  Natürlich  ist  es  nicht  erforderlich,  dass  diese 
üblen  Zustände  von  der  eigenen  Truppe  hervorgerufen  wurden, 
oft  genug  findet  man  sie  beim  Nachrücken  in  feindlichen  Biwaks 
und  Ortschaften  schon  vor,  in  denen  der  Feind  lange  Wider¬ 
stand  unter  ungünstigen  Verhältnissen  geleistet  hat.  Bekannt 
ist,  dass  Ruhr  und  Typhus  im  Südwestafrikanischen  Feldzug 
von  den  fliehenden  Hereros  auf  diese  Weise  auf  die  verfolgen¬ 
den  deutschen  Reiter  übertragen  wurden.  Bei  der  Spärlichkeit 
der  Trinkwasserplätze  bewegte  sich  der  Kampf  entlang  der 
Wasserstellen.  Von  einer  zur  anderen  wurden  die  Hereros 
vertrieben,  sie  hatten  aber  jede  Wasserstelle  mit  ihren  Fäzes 
—  an  denen  man  oft  genug  noch  deutlich  Ruhr-  oder  minde¬ 
stens  diarrhoische  Ausscheidungen  erkennen  konnte  —  ver¬ 
seucht.  Auch  aus  dem  Burenfeldzug  der  Engländer  werden 
ähnliche  Vorkommnisse  mitgeteilt,  ebenso  aus  dem  Ameri¬ 
kanischen  Sezessionskrieg. 

So  muss  es  also  als  höchst  gefährlich  bezeichnet  werden, 
ein  solches  verlassenes  Biwak  oder  Lager  zu  beziehen;  man 
braucht  aber  nicht  weit  zu  suchen:  ein  nicht  mit  Fäkalien  ver¬ 
unreinigtes,  freies  Feld  dicht  daneben  wird  als  einwandfrei 
gelten  können.  Auch  pflegen  Typhus  und  Ruhr  nachzulassen, 
wenn  die  Truppe  bei  längerem  Aufenthalt  an  derselben  Stelle, 
z.  B.  bei  Belagerungen,  aus  dicht  belegten  Ortschaften  heraus¬ 
gehen  und  Biwaks  beziehen.  Jedenfalls  wird  der  Truppenarzt 
der  Anlage  der  Aborte  und  Latrinen  und  der  Beseitigung  der 
Fäkalien  in  den  Ortschaften  wie  in  den  Biwaks  die  allergrösste 
Aufmerksamkeit  zuwenden,  auch  rechtzeitig  auf  Verlegung  der 
Lagerplätze  drängen  müssen. 

Auf  die  Trinkwasserversorgung  möchte  ich  nicht  näher 
eingehen.  Die  dabei  zu  beobachtenden  Dinge  sind  ja  allgemein 
bekannt,  auch  da  gilt  der  Erfahrungssatz,  dass  die  Brunnen 
der  Verseuchung  desto  mehr  ausgesetzt  sind,  je  länger  der 
Aufenthalt  der  Truppen  in  einer  Ortschaft  dauert  und  dass 
man  nicht  so  sehr  ängstlich  zu  sein  braucht  und  den  dürsten¬ 
den  Truppen  nach  einer  —  ich  möchte  sagen  akuten  —  offenen 
Feldschlacht  etwa  unter  allen  Umständen  Wasser  aus  nicht 
ganz  einwandfreien  Brunnen  verbieten  müsste.  Um  so 
strenger  muss  man  aber  bei  längerem  Aufenthalt  sein  und  mit 
allem  Einfluss,  den  man  aufbieten  kann,  für  Verbesserung  der 
Trinkwasserverhältnisse  sorgen. 

Auf  die  Gefahr  der  Verbreitung  des  Typhus  und  der  Ruhr 
durch  Fliegen  haben  besonders  Amerikaner  und  Engländer 
aufmerksam  gemacht;  in  den  Vereinigten  Staaten  sucht  man 
jetzt  auch  das  grosse  Publikum  für  die  Vernichtung  der  Fliegen 
zu  interessieren  u.  a.  auch  dadurch,  dass  man  der  Stuben¬ 
fliege  die  Bezeichnung  Typhusfliege  amtlich  beilegt. 
Es  gibt  eine  Reihe  von  Beobachtungen,  die  den  Einfluss  der 
Fliegen  für  die  Typhusverbreitung  mindestens  sehr  wahr¬ 
scheinlich  machen,  so  z.B.  dieBeobachtung,dass  in  einemLager 
während  des  Spanisch-Amerikanischen  Krieges  die  Kavallerie 
auffallend  mehr  unter  Typhus  litt  als  die  Infanterie.  In  dem 
Kavallerielager  waren  viel  mehr  Fliegen  vorhanden  als  bei 
der  Infanterie.  Die  Abortgruben  waren  im  übrigen  bei  der 
Kavallerie  nur  40  Fuss  vom  Küchenzelt  entfernt,  und  man 
konnte  an  den  weissen  Beinen  der  Fliegen,  die  sich  in  der 


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3.  Oktober  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


viiclie  anfhielten,  über  die  Nahrungsmittel  krochen  usw  cr- 
ennen.  dass  sie  erst  kürzlich  von  den  Latrinen,  die  mit  Kalk 
estreut  waren,  gekommen  waren.  Das  erinnert  mich  an 
en  grossartigen  Ausspruch  eines  Wirtes  in  einem  Nordscc- 
ade,  der  einem  Herrn  auf  seine  Beschwerde  über  die  vielen 
liegen  in  den  Klosetts  erwiderte:  „Gehen  Sie  doch  zur 
Mittagszeit  dorthin,  dann  sind  die  Fliegen  alle  im  Speisesaal.“ 
Von  englischen  Autoren  ist  darauf  aufmerksam  gemacht 
orden,  dass  gerade  die  1  yphuskranken  die  Fliegen  be- 
inders  anziehen.  So  wird  berichtet,  dass  im  südafrikanischen 
eldzuge  am  Modderriver  in  vielen  Krankenzelten  Typhus¬ 
ranke  und  an  schweiem  Sonnenstich  Erkrankte  zusammen- 
;gen.  Die  Fliegen  Hessen  die  Sonnenstichkranken,  die  oft 
;enso  apathisch  dalagen  wie  die  Typhuskranken,  in  Ruhe 
ad  belästigten  nur  die  1  yphuskranken.  Aehnliches  berichtet 
r  e  m  b  u  r  von  Ruhrkranken  in  Tsingtau,  die  enorm  unter 
;r  Fliegenplage  zu  leiden  hatten,  namentlich  beim  Stuhlgang, 
o  sich  die  Fliegen  in  dichten  Wolken  auf  das  entblösste  Gc- 
iss  und  die  oft  prolabierte,  entzündete  Anusschleimhaut 
ürzten. 

Es  ist  schwer,  der  Fliegenplage  im  Felde,  namentlich  auch 
Lazaretten,  Herr  zu  werden.  Von  grosser  Wichtigkeit  wird 
.  sich  erweisen,  dass  dafür  gesorgt  wird,  dass  die  Brutplätze 
-r  Fliegen  —  Düngerstätten,  namentlich  Ablagerungsstellen 
)n  Pferdemist,  Pfeideställe  —  möglichst  weit  entfernt  von 
n  Wohnungen  bleiben.  Zur  Abtötung  der  Fliegenmaden  im 
iinget  haben  sich  Kalk  und  Chlorkalk  nicht  bewährt,  wahr- 
heinlich  wegen  der  Schwierigkeit  gleichmässiger  Verteilung, 
n  wirksamsten  soll  sich  Durchtränkuug  des  Pferdedüngers 
it  einer  Lösung  von  Eisenvitriol  (1:4)  erwiesen  haben, 
e  Aborte  müssen  natürlich  möglichst  weit  von  den  Küchen 
tfernt  liegen.  Der  Inhalt  der  Aborte  und  Latrinen  sollte  wo- 
jglich  täglich  entfernt  und  vergraben,  mindestens  aber 

gelmässig  mit  Saprol  oder  dergleichen  überschichtet  werden 
egen  die  Fliegenplage  in  den  Stuben,  Küchen  etc.  hat  sich 
ispritzen  der  \\  ände  mit  dem  G  i  e  m  s  a  sehen  Mückenspray 
rksam  erwiesen. 

Zusammensetzung: 

rethrumtinktur  (herzustellen  aus  20  Teilen  gepulverten 
Pyrethrumblüten  und  100  Teilen  96  proz.,  mit  25  proz.  Me- 
thylalkohol  denaturiertem  Weingeist)  580  g 

liseife  (möglichst  geruchfreie  Oelseife)  180 

/zerin  240  g 

1000  g 

Bei  Bekämpfung  der  Mücken  ist  das  Gemisch  mit  der 
fachen  Menge  Wasser  zu  verdünnen.  Bei  Bekämpfung  der 
egen  ist  eine.  Verdünnung  1:10  zu  wählen. 

Jede  Gartenspritze,  die  einen  feinen  Sprühnebel  erzeugt, 
in  dazu  verwendet  werden. 

Weitere  Versuche  hierüber  sind  bei  uns  im  Gange.  Natür- 
i  ist  das  nur  ein  Palliativmittel,  es  muss  eventuell  täglich 
äderholt  werden.  (Schluss  folgt.) 


Es  ist  bekannt,  dass  das  Tetanusheilserum  desto  wirk¬ 
sanier  ist,  je  frühzeitiger  es  angewandt  wird.  Zur  prophylak¬ 
tischen  Impfung  genügen  20  Einheiten  Heilserums,  während 
nach  Ausbruch  der  ersten  deutlichen  Symptome  oft  auch  die 
grössten  Dosen  versagen.  Daher  werden  auch  an  den  chirur¬ 
gischen  Abteilungen  unseres  Krankenhauses  alle  mit  Erde  be¬ 
schmutzten,  mit  unterminierten  zerrissenen  Rändern  ver¬ 
sehenen  Wunden  vorsorgend  mit  Tetanusheilserum  gespritzt. 
p°  SII„  sc'*  Jahren  kaum  I  etanusfälle  bei  uns  vorgekommen. 
Es  wäre  von  grösster  Bedeutung,  wenn  dies  Verfahren  auch 
im  Kriege  Anwendung  fände,  d.  h.  wenn  wahllos  alle  Ver¬ 
letzten,  oder  zum  mindesten  alle  die,  deren  Wunden  zerklüftet 
und  mit  Erde  beschmutzt  sind,  der  prophylaktischen  Impfung 
würden.  Nun  scheint  das  in  Deutschland  zurzeit 
erhältliche  Heilserum  nicht  auszureichen,  obwohl  es  noch 
immer  fraglich  ist,  ob  es  nicht  besesr  angewandt  würde,  wenn 
es  m  kleinen  Dosen  im  eben  erwähnten  Sinne  auf  die  Ge- 
tahrdeten,  als  auf  die  doch  meistens  unrettbar  Verlorenen,  schon 
Erkrankten  verteilt  würde.  Es  ist  daher  dringend  notwendig 
dass  umgehend  an  möglichst  vielen  Orten  die  Herstellung  von' 
Heilserum  in  die  Hand  genommen  wird.  Aber  mir  scheint 
dass  in  diesem  besonderen  Fall  sich  nicht  nur  die  wenigen 
grossen  Serumwerke,  die  selbstverständlich  hierbei  in  erster 
Lime  am  Werke  sind,  beteiligen  sollen.  Vielmehr  liegt  hier 
auch  eine  Aufgabe  für  solche  Bakteriologen  vor,  die  sich  sonst 
nicht  berufsmässig  mit  Herstellung  von  Heilseris  befassen 
Sie  sollten  sich  bemühen,  von  sich  aus  Heilsera  herzustellen. 
Es  ist  ausgeschlossen,  dass  es  in  kurzer  Zeit  gelingt  so  hoch¬ 
wertige  Sera  herzustellen,  wie  sie  sonst  wohl  gebräuchlich 
sind  und  von  den  Serumprüfungsstellen  verlangt  werden.  Es 
kommt  jetzt  lediglich  darauf  an,  so  schnell  wie  überhaupt  nur 
möglich  ein  Tetanusserum  herzustellen,  dessen  Schutzkraft 
bekannt  ist.  Ob  wir  davon  zur  Schutzimpfung  im  Einzelfalle 
10,  20,  30  oder  40  ccm  brauchen,  ist  völlig  irrelevant.  Die  an 
sich  schon  kaum  vorhandene  Anaphylaxiegefahr  kommt 
gegenüber  der  Möglichkeit,  einen  Starrkrampf  zu  vermeiden, 
gar  nicht  in  Betracht.  Gewiss  ist  die  Herstellung  von  Tetanus¬ 
heilserum  ausserordentlich  schwierig  und  zeitraubend  und  man 
muss  damit  rechnen,  unangenehme  und  unerwartete  Tierver¬ 
luste  zu  haben.  Das  soll  uns  aber  nicht  abhalten,  die  wichtige 
Aufgabe  in  Angriff  nehmen.  Vielleicht  wird  es  sich  ermög¬ 
lichen  lassen,  dass  die  Militärbehörden  zuhause 
gebliebenen  Leitern  der  bakteriologischen 
Institute  geeignete  Pferde  zur  Verfügung 
stellen.  Die  Tiere  müssen  kräftig  sein,  aber  ein  Fehler,  wie 
eine  Sehnenzerrung  usw.  schadet  für  diesen  Zweck  nichts. 
Sicherlich  werden  die  amtlichen  Prüfungsstellen  in  dieser 
Ktiegsnot  bereit  sein,  die  notwendigen  Serumprüfungen  nach 
Kräften  zu  unterstützen.  Das  so  gewonnene  Serum  muss  den 
Lazaretten  im  Felde  zur  Verfügung  gestellt  werden.  Wo  das 
nicht  möglich  ist,  sollten  an  den  Abgangsstellen  der  Lazarett- 
ziige  oder  in  den  Lazarettzügen  Aerzte  bei  den  Gefährdeten 
die  Einspritzungen  vornehmen. 


s  dem  Allgemeinen  Krankenhause  St.  Georg  zu  Hamburg 
(Direktor:  Professor  Dr.  Th.  Deneke). 

Zur  Vorbeugung  des  Starrkrampfes  im  Heere. 

n  Dr.  E.  Jakobsthal,  Vorsteher  des  Bakteriologisch¬ 
serologischen  Laboratoriums. 

ln  unserem  Krankenhause  haben  sich  bei  den  Ver- 
ndeten,  die  uns  vom  Kriegsschauplätze  eingeliefert  worden 
ren,  eine  Anzahl  von  Tetanusfällen  ereignet.  Wie  man 
t,  sind  auch  an  anderen  Stellen  weit  mehr  Tetanusfälle  vor- 
ommen,  als  man  erwartet  hatte.  Die  Fälle  betrafen  nicht 
fier  ganz  schwer  Verletzte,  vorwiegend  aber  solche  mit 
'echt  aussehenden  zerfetzten  Wunden.  Es  war  charak- 
stisch,  dass  der  Starrkrampf  sogleich  in  den  ersten  Tagen 
h  der  Einlieferung  auftrat.  Daraus  lässt  sich  folgern,  dass 
Ansteckung  schon  länger  zurückliegt.  Was  der  Grund  für 
’C  vielen,  traurigen  Fälle  ist,  lässt  sich  hier  nicht  eut- 
Gden;jnag  sein,  dass  es  mit  der  jetzt  mehr  als  z.  B.  im 
-ge  1870/71  geübten  konservativen  Behandlung  zusammen- 
gt  und  mit  der  Anlegung  der  grossen  Erdarbeiten.  Jeden- 
1  >  erhebt  sich  die  dringende  Frage:  Was  kann  man  dagegen 

Ir 


_  •  h°  wle  hier  111  Hamburg  ein  vollständig  und  bequem  ein- 
genchteter  Lazarettzug  zur  Verfügung  steht,  könnte  man  unter  Um¬ 
standen  sehr  vohl  daran  denken,  auch  auf  bakteriologischem  We^c 
eine  beschleunigte  Tetanusdiagnose  zu  stellen.  Hierzu  müsste  wie 
mich  eigene  Untersuchungen  gelehrt  haben,  von  aen  verdächtigen 
Wunden  sogleich  beim  Transport  in  anaerobe  Bouillonkulturen  abge- 
lrnpft  und  nach  ca.  48  Stunden  ein  Tierversuch  angeschlossen  wer- 
den.  Die  dazu  nötigen  Einrichtungen  inklusive  der  Versuchsmäuse 
nehmen  kaum  Platz  weg  (höchstens  ein  halbes  Eisenbahnabteil). 
J euenfalls  wird  sehr  häufig  die  bakteriologische  Dia- 
g  n  o  s i  e  d  e  m  Ausbruch  des  Tetanus  vorauseilen  können 
und  die  so  festgestellten  Fälle  wird  man  zweckmässigerweise  ausser 
der  prophylaktischen  Impfung  noch  höher  immunisieren.  Zu  diesen 
Arbeiten  ist  allerdings  ein  geübter  Bakteriologe  notwendig. 


Hier  möchte  ich  noch  kurz  auf  eine  bisher  nicht 
beachtete  Quelle  des  Tetanus  hin  weisen. 
Diese  Quelle  liegt  nicht  in  der  Beschmutzung  durch  infizierte 
Erde,  sondern  sie  kann  sich  aus  dem  ärztlichen  Handeln  er¬ 
geben.  Unter  den  Blutstillungsmitteln  fungieren  auch  die 
unter  dem  Namen  Pengawar  Djambi  bekannten  Fasern 
ostindischer  Farne.  Im  Anschluss  an  zwei  genauer  zu  publi¬ 
zierende  Fälle  von  Tetanusinfektion  beim  Menschen,  bei 
denen  dieses  Mittel  in  tiefe  Wunden  zur  Blutstillung  ein¬ 
gestopft  wurde,  habe  ich  eine  Anzahl  Proben  auf  ihren  Gehalt 


2080 


Feldürztlichc  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  41. 


an  Tetanuskeimen  untersucht.  Fs  ist  mir  bisher  so  ge¬ 
lungen,  in  drei  von  sieben  verschiedenen 
Proben  von  Pengawar  Djambi  durch  An¬ 
reicherungsverfahren  1  etanuskeime  nach- 
üuweisen.  Für  gewöhnlich  wird  Pengawar  Djambi  nur  für 
oberflächliche  Wunden  benutzt  und  daher  kommt  es,  dass 
solche  Beobachtungen  bisher  nicht  vorliegen.  Jedenfalls 
möchte  ich  dringend  davor  warnen,  bei  tiefen  Wunden  un- 
sterilisiertes  Pengawar  Djambi  anzuwenden.  Untersuchungen 
über  Einwirkung  der  Desinfektion  auf  die  blutstillende  Kraft 
sind  im  Gange. 

Der  Hauptzweck  dieser  Zeilen  istaber  der, 
die  Mitwirkung  der  nicht  im  Felde  stehenden 
Bakteriologen  bei  Herstellung  von  Tetanus¬ 
heilserum  für  unsere  Verwundeten  anzu¬ 
regen.  _ 

Kriegsbriefe  aus  der  Kriegslazarettabteilung 
I.  Bayr.  Armeekorps. 

Zweiter  Brief. 

Von  Oberstabsarzt  Prof.  Dr.  Schloesser. 

Mehr  denn  in  Friedenszeiten  machen  sich  allgemeine  Ein¬ 
flüsse  bei  Kriegsverwundeten  geltend.  Wem  wäre  es  nicht 
bekannt,  wie  viel  gute  oder  wenigstens  genügende  Ernährung 
und  besonders  der  psychische  Zustand  der  Verletzten  bei  der 
Heilung  ausmacht?  Wie  viel  wohl  auch  die  Gesamtwider¬ 
standskraft  und  Regenerationsfähigkeit  im  Hinblick  auf  über¬ 
windbare  leichtere  Infektion  und  auf  Raschheit  der  Wund¬ 
heilung  variiert? 

Hier  macht  sich  ein  sinnfälliger  Gegensatz  geltend  zwi¬ 
schen  deutschen  und  französischen  Verwundeten  und  des¬ 
gleichen  zwischen  Truppen,  die  erst  kurze  Zeit  in  der  Front 
stehen,  und  solchen,  die  Tage  hindurch  im  Kampf  ausgehalten 
haben.  Unsere  deutschen  Soldaten,  auch  die  Landwehrleute, 
als  ausgewählt  gesunde  und  kräftige  Menschen,  kamen  mit 
gutem  Ernährungszustände  an  und  hatten,  wenige  Ausnahmen 
abgerechnet,  zumeist  auch  an  der  Kampfesfront  ausreichende 
Ernährung,  deren  Nachfuhr  auch  bei  raschestem  Vordringen 
der  Truppen  in  vom  feindlichen  Heere  ausgesogener  Gegend 
nicht  versagte;  die  Franzosen  dagegen  bieten  schon  a  priori 
minderwertiges  Menschenmaterial  dar  und  müssen  als  schon 
während  des  Aufmarsches  ungenügend  ernährte  Leute  be¬ 
zeichnet  werden.  Kann  es  auch  anders  sein?  Unsere  Deut¬ 
schen  bekommen  ihre  Ernährung  in  natura  geliefert,  während 
die  Franzosen  zumeist  Geldentschädigungen  erhalten  und  sich 
davon  selbst  beköstigen  müssen.  Wer  es  gesehen  hat,  wie 
rasch  die  Vorräte  einer  gut  ausgerüsteten  Verkaufsstelle  oder 
Wirtschaft  bei  grossem  Menschenandrang  versagen,  dem  er¬ 
hellt  sofort  unsere  diesbezügliche  bessere  Position. 

Sodann  der  psychische  Einfluss:  Wir  Deutsche  bis  zum 
letzten  Mann  in  gerechtem  Zorn  gegen  die  Vernichtung  planen¬ 
den  perfiden  Feinde  unserer  Nation,  in  vaterländischer  Hin¬ 
gabe  bestrebt,  unser  Bestes  zu  leisten,  mit  Vertrauen  auf 
unsere  Führer  und  unsere  Fürsten;  die  Franzosen  ohne  be¬ 
geisterndes  nationales  Streben,  vielfach  die  Kriegserklärung 
ihrer  Regierung  abfällig  kritisierend,  mit  wenig  Zutrauen  zu 
der  Kriegsleitung  und  ohne  jede  Begeisterung  für  das  den  Staat 
repräsentierende  Oberhaupt.  Bei  solchen  Differenzen  muss 
ceteris  paribus  schon  zu  Anbeginn  sich  die  Wage  nach  unserer 
Seite  senken  und  es  hat  sich  denn  auch  bisher  bei  den  be¬ 
sonders  schwierigen  Aufgaben  unseres  I.  bayer.  Korps  der 
Kampf  zu  unseren  Gunsten  glänzend  gestaltet. 

Am  sinnfälligsten  drückt  sich  die  Differenz  in  dem  Ver¬ 
halten  unserer  und  der  französischen  Verwundeten  aus.  Na¬ 
türlich  werden,  wenn  irgendwie  möglich,  diese  beiden  Kate¬ 
gorien  immer  geschieden.  Unsere  Verletzten,  auch  wenn 
etwas  wehe  tut,  wenn  sie  bei  dem  Transport  oder  bei  der  Um¬ 
lagerung  Schmerz  haben,  klagen  selten,  und  kaum  sind  die 
Schmerzen  vorüber,  sind  sie  auch  vergessen;  es  bilden  sich 
Gruppen,  die  sich  erzählen,  ein  jeder  hilft  dem  anderen,  selbst 
wenn  er  selbst  nur  mit  Hilfe  eines  Stockes  auf  einem  Bein 
hüpft,  ein  jeder  teilt  Speise  und  Trank  mit  dem  Leidens¬ 
genossen,  ja  manchmal  hört  man  heimische  Weisen  sogar 
mehrstimmig  und  herzliche  Fröhlichkeit,  alles  scheint  ver¬ 


gessen.  Die  Franzosen  hingegen  klagen  fast  alle  bei  der  ge¬ 
ringsten  Schmerzempfindung  laut,  wollen  Morphineinspritz¬ 
ungen  oder  Narkotisierung;  jeder  sorgt  nur  für  sich,  kümmert 
sich  selten  um  den  mitverwundeten  Landsmann,  sitzt  oder 
liegt  einsilbig  und  verzehrt  stumm,  was  er  bekommt. 

Bei  unseren  Leuten  hören  wir  Aerzte  so  oft:  „Wenn  ich  nur 
bald  wieder  geheilt  bin,  dass  ich  wieder  zu  meinem  Regiment 
komme  und  meine  Verletzung  den  Franzosen  heimzahlen 
kann.“  Bei  den  Franzosen  ist  oft  zu  hören:  „Wie  froh  bin  ich, 
dass  ich  jetzt  zu  essen  bekomme,  gut  behandelt  werde  und 
nicht  mehr  mitmachen  muss.“ 

Wir  können  unsere  allgemeinen  Eindrücke  dahin  zu¬ 
sammenfassen:  Der  Tod,  die  Verletzungen  und  all  das  Elend 
junger,  blühender  Leben  ist  entsetzlich,  aber  herrlich  und  er¬ 
hebend  die  Nichtachtung  alles  Persönlichen  bei  unseren  braven 
Leuten  und  der  innige  Zusammenschluss  aller  in  der  gemein¬ 
samen  hohen  vaterländischen  Aufgabe.  Man  ist  unter  Ver¬ 
wischung  des  Standesunterschiedes  sofort  herzlich  Freund  mit 
Leuten,  die  man  gar  nicht  kennt. 

Bevor  auf  das  spezielle  Gebiet  der  Verletzungen  ein¬ 
gegangen  wird,  muss  noch  eine  Angelegenheit  frank  und  frei 
besprochen  werden,  die  in  Friedenszeiten  kaum  eine  Rolle 
spielt,  aber  in  Kriegszeiten  von  fundamentaler  Bedeutung  ist. 
das  Krankentransportwesen.  Selbstredend  sind  alle  dies¬ 
bezüglichen  Bestimmungen  von  den  besten  Absichten  getroffen 
worden,  aber  leider  bewähren  sie  sich  nicht  alle. 

Von  der  richtigen  Anschauung  ausgehend,  dass  jeder  Ver¬ 
letzte  möglichst  bald  in  möglichst  günstige  Spitalverhältnisse 
gebrachten  werden  soll,  zeigt  sich  in  dem  bisherigen  Kriege 
das  allgemeine  Bestreben,  so  rasch  als  nur  irgend  angängig 
alle  Verwundeten  aus  der  Truppenstellung  nach  rückwärts  und 
von  da  in  das  innere  Land  zu  bringen.  Diesem  Bestreben 
stehen  aber  sehr  erhebliche,  manchmal  uniibersteigbare  Trans- 
Porthindernisse  im  Wege.  Der  Transport  aus  dem1  Gefecht  ge¬ 
schieht  durch  Sanitätspersonal  oder  Kameraden  zumeist  nach 
Anlegung  des  ersten  Verbandes  und  gewöhnlich  durch  requi¬ 
rierte  Fuhrwerke  kommt  der  Verletzte  in  ein  Feldlazarett 
Solche  Feldlazarette  sind  mobile  Formationen,  die  der  fech¬ 
tenden  Truppe  in  geringen  Abständen  nahe  bleiben  müssen: 
deshalb  sind  sie  auch  gezwungen,  ihre  Verwundeten  baldigst 
fortzuschaffen,  sie  müssen  eben  mobil  und  aufnahmsfähig  seir 
und  bleiben.  Aber  die  Verwundeten  werden  baldmöglichst 
zur  nächsten  Bahnstation  gebracht  und  müssen  manchmal  nur 
kurze,  gewöhnlich  aber  viele  Stunden  währende  Leiterwagen¬ 
fahrten  auf  Stroh  liegend  oder  sitzend  zurücklegen.  Danr 
kommt  die  Bahnstation,  wo  sich  naturgemäss  die  Verwundeter 
häufen  und  jetzt  beginnt  die  grosse  Misere. 

Als  raschere  Transportmittel  stehen  uns  Bahn  und  Auto¬ 
mobile  zur  Verfügung.  Die  erstere  hat  den  unbedingten  Vor¬ 
zug,  dass  sie  mit  langen  Zügen  grosse  Mengen  von  Ver¬ 
wundeten  aufnehmen  kann.  Ein  Lazarettzug,  eine  herrlich». 
Unterkunft  auch  für  Schwerstverwundete,  fasst  gegen  300  Ver¬ 
letzte,  ebenfalls  die  ebenso  vorzüglichen  Hilfslazarettzüge 
aber  wann  steht  so  etwas  zur  Verfügung?  Wir  haben  be 
einer  bisherigen  Transportbewältigung  von  ca.  6000 — 7000  Ver- 
wundeten  nur  dreimal  einen  solchen  Zug  bekommen  können 
Was  bildet  also  die  Regel?  Die  Regel  ist,  dass  auf  der  Station 
zu  der  die  Verwundeten  gefahren  werden,  ein  Zug  mit  Pack 
wagen  und  vereinzelten  Personenwagen  zusammengestellt  unt 
hier  hinein  auf  Stroh  oder  Heu  gelagert  die  Verwundeten  ge 
bracht  werden. 

Nun  macht  man  sich  aber  im  Heimatlande  gar  keine  Vor 
Stellung,  welche  enormen  Aufgaben  unseren  Bahnen  und  derei 
Betriebsleitern  und  Organen  gestellt  werden:  endlose  Zu 
transporte  von  Munition  und  Lebensmitteln,  Geschützen,  Pon 
tons,  Feldbahnmaterial  usw.  und  auch  leider  endlose  Abtrain 
Porte  von  Verwundetenzügen  und  hinter  der  Front  dislozierte: 
Truppenteilen,  und  das  alles  kurz  nach  telephonisch  oder  tele 
graphisch  eingegangenen  Befehlen.  Es  ist  staunenswert,  das 
die  Bahnen  dies  alles  fertig  bringen,  und  solche  Riesenleistum 
ist  nur  bei  glänzendster  Organisation  überhaupt  möglich. 

Zweckmässiger  noch  als  der  Abtransport  durch  Transport 
ziige,  deren  Zusammenstellung  notwendigerweise  längere  Zc: 
erfordert  und  die  auch  nur  langsam  fahren  können,  wäre  der 
jenige  durch  Krankenautomobile.  Aber  welche  Unmenge  solche: 


]3.  Oktober  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


2081 


Automobile  wäre  nötig,  in  die  Tausende!  Sie.  werden  sicher 
das  Transportmittel  für  einen  zukünftigen  Krieg,  vor  dem  uns 
das  v  clncksal  und  unsere  zu  erhoffenden  Erfolge  bewahren 
wollen,  sein.  Es  haben  uns  bisher  einmal  15  solche  Automobile 
zur  Verfügung  gestanden. 

Wenn  nun  ein  solcher  Krankentransportzug,  wenn  auch 
nach  langer  Fahrt,  bis  zu  einem  grossen  Ort  durchgeht,  der 
dauernde  Lazarettaufnahme  bis  zur  Heilung  bieten  kann,  ist  es 
£ut,  wenn  abei  nicht,  wird  noch  einmal  aufgenommen  und 
nach  wenigen  1  agen  dann  wieder  abtransportiert  werden 
müssen,  allerdings  dann  unter  etwas  günstigeren  Verhält¬ 
nissen,  denn  die  Zwischenstation  liegt  weiter  zurück  im  Lande. 

Bei  den  vorstehenden  Betrachtungen  drängen  sich  sofort 
r rügen  auf:  Fehlt  es  denn  an  ärztlichem  Personal  oder  an 
I  riegepersonal .  Durchaus  nicht.  Aerzte  sind  bei  der  grossen 
Menge  von  Kollegen,  die  nicht  im  Militärverhältnis  stehen  und 
sich  zur  Veriügung  gestellt  haben,  genügend  vorhanden  und 
1  tlegepersonal,  Sanitätsmannschaften  und  Schwestern  in  Hülle 
und  Fülle. 

Wenn  dem  so  ist,  warum  dann  der  Mangel  bei  den  Ver¬ 
wundeten  Die  Organisation  bringt  es  mit  sich,  dass  das 
I  rlegeperonal  in  grösseren  Trupps  unter  Führung  vereinigt  ist 
und  von  Zentralstellen  zumeist  den  Etappenformationen  zu- 
geteilt,  dirigiert  wird.  Das  muss  wohl  so  sein,  wie  könnte 
•nan  sonst  diese  Leute  einquartieren  und  verpflegen?  Wenn 
js  ferner  in  das  Belieben  ärztlicher  Stellen  oder  gar  einzelner 
Aerzte  gestellt  wäre,  Pflegepersonal  beliebig  abzuordnen  und 
m  verschicken,  wo  bliebe  die  Zentrale,  wie  könnte  die  leitende 
stelle  wissen,  wo  sich  die  einzelnen  befinden  und  wie  könnten 
'ich  die  Verschickten  wieder  zusammenfinden?  Hier  wäre  eine 
cweckmässige  Aenderung  der  jetzigen  Organisation  anzu- 
üreben. 

Nun  aber  noch  eines,  was  uns  Aerzten  iin  Feld  schwer  am 

lerzen  liegt. 

Es  ist  eine  medizinische  Binsenwahrheit,  dass  alles  gut 
ransportiert  und  auch  mehrfach  evakuiert  werden  kann,  selbst 
nele  Knochenverletzungen  ertragen  es  gut,  nicht  aber  die 
vopt-,  Brust-  und  Bauchschüsse;  für  diese  ist  möglichst  wenig 
iransportieren  unbedingtes  Gebot.  Es  steht  ausser  Frage, 
lass  nur  bei  ruhigem  Liegenbleiben  die  besten  Abheilungen 
ind  die  Mindestziffer  von  Verlusten  erreicht  wird.  Demnach 
nuss  für  diese  Verletzungen  jeweils  irgendeine  Sammelstelle 
Tnchtet  werden,  die  nicht  zuweit  (20—40  km)  hinter  der 
rontstellung,  an  der  die  Verletzung  erfolgte,  zu  wählen  ist, 
ait  einem  detachierten  Arzt  und  ein  paar  Pflegern  oder  Pfle- 
erinnen  versehen  werden  muss,  und  die  endlich  unbedingt 
labil  bleiben  muss,  selbst  auf  die  Gefahr  hin,  in  feindliche 
lande  zu  geraten.  Sollte  aber  das  letztere  zu  vermeiden  sein, 
ürfte  ein  Abtransport  nur  mit  Krankenautomobilen  erfolgen. 

Für  den  dem  Kriegsverletztenbetriebe  Fernstehenden  er- 
cheinen  die  vorstehenden  Vorschläge  sehr  umwälzend,  sie 
ind  es  aber  nicht,  sie  lassen  sich  leicht  der  derzeitigen  Ord- 
ung  aufpfropfen.  Eine  Neuorganisation  der  sonstigen  Ord- 
ung  wird  die  naturnotwendige  Folge  der  Kriegserfahrung 
ach  Beendigung  des  Feldzuges  sein. 


us  dem  Feldlazarett  4  des  I.  bayer.  Armeekorps  (Chefarzt: 

Oberstabsarzt  Dr.  T  ü  s  h  a  u  s). 

Die  erstmalige  Einrichtung  unseres  Feldlazarettes. 

on  Stabsarzt  der  Reserve  Dr.  Hans  Albrecht  in  München. 

Es  war  am  Nachmittag  des  20.  August,  als  die  Kolonne 
iseres  Feldlazaretts  auf  der  Höhe  VA  km  nördlich  von  Saar- 
tdorf  an  der  von  Rauweiler  nach  Saarburg  führenden  Strasse 
Alarmbereitschaft  stand  und  angesichts  der  vor  uns  toben- 
-n  Schlacht  des  Befehls  zur  Einrichtung  harrte.  Eine  Er- 
sung  war  es,  als  wir  nach  10  tägigen  Kreuz-  und  Quer- 
nrten  fern  von  der  Front  und  bar  jeder  Nachricht  endlich 
irgezogen  wurden  und  nun  mit  einem  Schlage  mitten  in  den 
reignissen  standen.  Die  bange  Ungewissheit  hatte  uns  die 
uge  her  arg  bedrückt  —  um  so  froher  atmeten  wir  jetzt  auf: 
■r  befanden  uns  im  Bereich  der  Schlacht  von  £  a  a  r  - 
urg.  Vor  uns  das  Saartal  wie  eine  einzige  grosse  Feuers- 
unst,  aus  deren  dicken,  langsam  und  schwer  emporwallenden 
auchsäulen  sich  die  Umrisse  der  Kirche  und  Häuser  Saar- 


nirgs  schattenhaft  abhoben;  soweit  das  Auge  reichte,  kein 
lebendes  Wesen,  nur  brennende  Gehöfte,  Rauch-  und  Feuer- 
scnein,  lagenweise  die  zierlichen  weissen  Wölkchen  platzender 
^  chrapnells  oder  die  gelbgrauen  Rauchschwaden  einschlagen- 
uer  Granaten.  Kein  Schlachtenbild,  wie  es  die  Schlachten- 
tna  er  von  1870  unserer  Vorstellung  und  Erwartung  geschaffen 
Hatten:  das  unausgesetzte,  ohrenbetäubende  Brüllen  der  Tod 
und  Verderben  speienden  schweren  Geschütze  und  der  in 
dunstiger  Ferne  von  den  Vogesen  begrenzte  rauchende  Kessel, 
dies  war  der  sichtbare  Rahmen,  in  den  unsere  Phantasie 
lineinschaute,  was  wir  klopfenden  Herzens  erhofften:  das  sieg¬ 
reiche  Vorwärts  unserer  Truppen  und  die  wilde  Flucht  des 
Feindes.  Und  noch  ehe  der  Tag  sich  neigte,  hatten  wir’s 
jubelnd  und  frohlockend  erlebt:  unser  war  der  Sieg. 
c„,in|tnfr(e  Erwartung,  dass  wir  noch  am  Abend  des  20.  nach 

du  vnHnnLZUn  befohlen  würden,  bestätigte  sich  nicht, 

°:]RU$g  nur  Feldlazarett  3  vorgezogen  wurde.  Als  wir  am 

ultHnrf  vormitta£s  A9  Uhr  unserem  Befehle  gemäss  Saar- 

altdorf  erreichten,  um  nötigenfalls  auch  einzurichten,  waren  bereits 

wundmJn  haUSh  dlCt  UKnd  die  umsebenden  Mauser  mit  Ver- 

lazS  3  uptsacbllch  Franzosen  —  überfüllt  und  das  Feld- 

S  vrnL  ?  111  VO  er  Arbeit:  Da  weitere  grosse  Nachschübe 
von  Verwundeten  aus  den  nachstliegenden  Schlachtfeldern  angesagt 
wurden,  gab  unser  Chefarzt  um  %10  Uhr  vormittags  den  B  e  f  e  h  l 
B  wl  ‘l"12'  °!e  sachgemässe  und  sofortige  Ausführung 

Fvima  Bef,ebls  ,lst  eiaer  der  Kernpunkte  des  Wesens  des  mobilen 

feruilPuat,tSH  Sf  Stedt  n.Icht  "ur  an  die  sanitätstaktische  Schlag- 
,  ^  und  Energie  des  Chefarztes  und  das  geordnete  ange- 

sh  engte  Zusammenwirken  des  gesamten  Personals  die  grössten  An- 
oraerungen,  sie  hat  zur  unumgänglichen  Voraussetzung  eine  bis  ins 
Kleinste  planmassig  geschehene  Vorarbeit  hinsichtlich  der  Etablie- 
rungsdisziplin:  vollkommenes  Vertrautsein  aller  in  Betracht  kommen- 
den  Hilfspersonen  mit  dem  Inhalt  der  einzelnen  Wägen  unter  Zu- 
grundelegung  der  Einteilung  in  3  Gruppen:  1.  Material  für  den 

ipn/m  'n  afI0”s,s^al  und  Verbandzimmer  (einschliesslich  Be¬ 
leuchtung.),  2.  Material  für  Unterbringung,  Bekleidung  und  Lagerung 
der  Verwundeten,  3.  Material  für  Verpflegung  der  Patienten.  Auf 
dieser  Grundlage  basiert  die  genaue  Disposition  der  Arbeitsteilung 
bei  der  Einrichtung  des  Feldlazaretts:  Erkundung  und  Festsetzung 
der  notigen  Räume  für  Versorgung  und  Unterbringung  der  Ver¬ 
wundeten,  Einrichtung  von  Operations-,  Verband-,  Sterilisations-  und 
Apothekenraum,  Bereitstellung  von  Lagerstellen  für  Verwundete 
(Herbeischaffen  von  Stroh,  Füllen  der  Strohsäcke  usw.),  sofortige 
Herstellung  von  Lebensmitteln  für  die  erschöpften  und  ausge¬ 
hungerten  Verwundeten  (Suppe,  Thee)  usw.  usw.  —  alle  die  Auf¬ 
gaben  bei  der  Einrichtung  sind  genauestens  in  der  K.S.O.  festge¬ 
setzt,  ihre  Ausführbarkeit  und  schleunigste  Ausführung  aber  hängt 
voll  und  ganz  ab  von  der  energischen  Durchführung  einer  wohlüber¬ 
legten  genauen  Arbeitsverteilung  durch  den  Chefarzt  und  einer 
strengen  Disziplin  bei  der  Einrichtung.  Nur  so  war  es  möglich, 
dass  wir  bereits  %  Stunde  nach  dem  Befehl  zur  Einrichtung  des 
eldlazaretts  die  erste  dringendste  Operation  (Laparotomie  wegen 
Darmprolaps)  unter  allen  erreichbaren  aseptischen  Kautelen  durch¬ 
fuhren  konnten.  Zur  Erfüllung  der  genannten  Voraussetzungen  ist 
auch  für  denjenigen,  der  bisher  vom  Feldlazarette  nicht  mehr  als 
den  Namen  kannte,  genügend  Zeit  und  Möglichkeit  gegeben,  sowohl 
wahrend  der  Mobilmachungstage  als  während  der  Zeit  des  Auf¬ 
marsches  an  Ruhetagen  und  in  Bereitschaftsstellungen.  Für  den 
operativen  Betrieb  von  besonderer  Bedeutung  ist  ein  genaues  Stu¬ 
dium  des  vorzüglichen  Feldsterilisieregerätes,  sowie  der  aufs  reichste 
ausgestatteten  Haupt-  und  Sammelbestecke,  ferner  eine  genaue  am 
besten  durch  Skizzen  vorausdisponierte  Einrichtung  des  Operations¬ 
und  Verbandraumes.  Als  nicht  hoch  genug  anzuschlagenden  Vorteil 
empfand  ich  die  Mitnahme  einer  grösseren  Anzahl  bereits  trocken 
sterilisierter  Handschuhe,  die  die  Schnelligkeit  und  Sicherheit  des 
operativen  Betriebes  unter  so  schwierigen  Verhältnissen  ganz  ausser¬ 
ordentlich  erleichtert. 

Mit  dern  Befehl  zur  Einrichtung  trafen  auch  schon  wagenweise 
verwundete  Franzosen  ein  und  es  wurde  ein  jüngerer  Sanitätsoffizier 
abgestellt,  dem  einzig  und  allein  die  Aufgabe  zufiel,  die  ankommen- 
den  \  erwundeten,  die  stöhnten  und  jammerten  oder  im  Schock  lagen, 
mit  einer  Morphiumatropininiektion  zu  versorgen,  gleichzeitig  die 
^  onderung  der  Schwer-  und  Leichtverletzen  und  der  deutschen  von 
den  tranzösischen  Verwundeten  durchzuführen,  um  unsere  Truppen 
zuerst  der  Wundversorgung  zuzuleiten;  endlich  fällt  diesem  Arzt 
auch  die  wichtige  Aufgabe  zu,  für  die  sofortige  Labung  der  Ver¬ 
wundeten,  soweit  sie  nicht  unbesinnlich  sind  oder  Bauchschüsse  er¬ 
litten  haben,  zu  sorgen.  Nebenher  und  jedenfalls  vor  der  Ein¬ 
bringung  der  Verwundeten  in  den  Operations-  und  Verbandraum 
müssen  durch  einen  Beamten  die  genauen  Personalien  ins  Haupt¬ 
krankenbuch  eingetragen,  die  Wundtäfelchen,  soweit  sie  das  Per¬ 
sonale  betreffen,  revidiert  bzw.  neu  ausgefüllt  werden,  so  dass  von 
dem  behandelnden  Arzt  nur  mehr  die  Diagnose  und  Behandlung  auf 
das  Wundtäfelchen  diktiert  zu  werden  braucht.  Die  Eintragung 
der  Diagnosen  von  dep  Wundtäfelchen  ins  Hauptkrankenbuch  ge¬ 
schieht  nach  unserer  Erfahrung  am  besten  bei  der  ersten  Visite  nach 
vollendeter  Versorgung  der  Verwundeten. 


2082 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  4! 


Wie  iiir  die  Einrichtung,  so  ist  auch  bei  dem  anfangs  schier 
endlosen  und  unübersehbaren  Ansturm  von  Verwundeten  ein 
schnelles,  zielbewusstes  Arbeiten  bei  der  Wund- 
Versorgung  unerlässlich.  Auch  hier  erwies  es  sich  uns  äusserst 
nützlich,  bereits  vor  der  ersten  Einrichtung  die  Richtlinien  und 
Indikationen  der  operativen  Massnahmen,  der  Handhabung  von 
Asepsis  und  Desinfektion  und  der  Art  und  Weise  der  einfachen 
Wundversorgung  und  der  Frakturbehandlung  bis  ins  Detail  sche¬ 
matisch  besprochen  und  festgelegt  zu  haben.  Als  ausgezeichnete 
Wegweiser  in  allen  einschlägigen  Fragen  lernten  wir  die  „Kriegs- 
chirurgie“  von  Dettingen  und  das  „Vademekum  für  den  Feldarzt“ 
von  S  c  h  ö  n  wert  h  kennen,  deren  reiche  Erfahrungen  wir  uns  in 
jeder  Hinsicht  nutzbar  machten. 

Fiir  die  Einrichtung  des  Operationszimmers  ist 
es  wichtig,  alles  Nötige  möglichst  übersichtlich  zu  gruppieren  und 
alles  Unnötige  fernzuhalten:  ein  schmaler  Operationstisch  in  der 
Mitte,  als  Unterlage  eine  weichgefüllte  Strohmatraze,  darauf  ein 
Leintuch  und  eine  Ueberdccke  von  Battist:  unter  dem  Operations¬ 
tisch  2  grosse  Kübel,  der  eine  für  noch  verwendbare  Tupfer-  und 
Verbandmittel,  der  zweite  für  zu  verbrennendes  Verbandmaterial: 
am  Kopfende  des  Operationstisches  ein  kleines  Tischchen  (event. 
Nachtkästchen)  mit  den  Instrumenten  für  Narkose.  Rechts  vom 
Operationstisch  ein  mittelgrosser,  mit  einem  Operationstuch  be¬ 
deckter  Instrumententisch:  auf  diesen  kommen  die  ausgekochten 
Instrumente  in  grosser,  mit  steriler  antiseptischer  Lösung  gefüllter 
Instrumentenschale,  das  sterile  Nahtmaterial,  sterile  Mullkompressen 
und  in  sterilem  Tuch  gesondert  ein  Tracheotomiebesteck,  sonst 
nichts:  ferner  stehen  auf  der  rechten  Seite  des  Operationstisches 
Stühle  mit  den  2  grossen  Emailkübeln,  in  deren  einem  Sublimat-, 
im  anderen  sterile  physiologische  Kochsalzlösung  (diese  Lösungen 
und  die  ausgekochten  Bürsten  herzurichten,  ist  die  erste  Aufgabe 
des  Apothekers)  bereitsteht;  ausserdem  eine  kleine  Waschschüssel 
mit  Sublimatlösung  zum  Händewaschen  während  der  Operation. 
Sämtliche  Schüsseln  werden  mit  Spiritus  ausgebrannt.  —  Ausserdem 
stellt  entfernt  vom  Operationsbereich  noch  ein  schmaler  Tisch,  auf 
welchem  1.  das  sonstige  Verbandmaterial  in  nicht  zu  grossen  Quan¬ 
titäten  (Polsterwatte,  Verbandwatte,  Mull-Steifgazebinden)  zurecht¬ 
gelegt  ist,  2.  Mastisol  und  Jodtinktur,  3.  Injektionsspritzen  in  Karbol¬ 
lösung  und  Morphium  und  Koffeinlösung,  4.  Katheter  in  Sublimat¬ 
lösung  bereitstehen.  Für  den  Operationsraumbetrieb  ist  unerlässlich, 
dass  alles  unbedingt  wieder  an  seinen  Platz  zurückgestellt  wird,  da 
bei  dem  Massenbetrieb  sonst  in  kürzester  Zeit  die  Ordnung  ver¬ 
loren  geht,  welche  die  erste  Bedingung  für  die  Schnelligkeit  des 
Arbeitens  ist.  In  einem  Vorzimmer  zum  Operationsraum  sind  auf 
einem  Tisch  ein  kleines  Besteck  in  Schale  mit  Karbollösung  und 
die  nötigsten  Verbandmaterialien  sowie  Mastisol  und  Jodtinktur 
bereitgestellt  für  die  gleichzeitige  Versorgung  von  Leichtver¬ 
wundeten:  in  einem  zweiten  Nebenraum  ist  das  Schienenmaterial 
übersichtlich  zurechtgelegt,  ferner  das  Haupt-  und  Sammelbesteck, 
endlich  sterile  Bürsten,  Schalen  zur  Händedesinfektion  und  Seifen¬ 
spiritus  sowie  sterile  Handschuhe  und  Operationsmäntel.  —  Das 
Feldstcrilisiergerät  richteten  wir  auf  dem  Küchenherd  ein  und  Hessen 
es  ständig  unter  Feuer;  endlich  ist  noch  nötig,  dass  der  Apotheken¬ 
raum  in  erreichbarer  Nähe  ist  ebenso  wie  der  Apotheker,  dem  die 
Aufgabe  zufiel,  die  Desinfizientien,  das  Naht-  und  Verbandmaterial 
ständig  nach  Verbrauch  und  Anforderung  zu  ergänzen. 

Zur  Händedesinfektion  benützten  wir  ausschliesslich 
Seifenspiritus  (5  Minuten  langes  Waschen).  Die  Reinigung  des 
Operationsgebietes  geschah  durch  Rasieren,  Abwaschen  mit  Seifen¬ 
spiritus,  Trocknen  mit  steriler  Kompresse  und  Aufpinseln  von  Jod¬ 
tinktur.  Die  Abdeckung  wurde  mit  sterilen  Kompressen  bewerkstelligt. 

Die  Wundbehandlung  wurde  durchwegs  so  durchgeführt, 
dass  nach  Entfernung  grober  Schmutzpartikel  mit  Pinzette  und 
feuchten  sterilen  Tupfern,  die  Wunde  mit  Jodtinktur  betupft,  die 
Umgebung  mit  Mastisol,  am  besten  mittels  Pinzette  und  Tupfer,  ge¬ 
pinselt,  eine  sterile  Kompresse  aufgedeckt,  darauf  sterile  Watte  und 
eine  Binde  gelegt  wurde;  zur  Sicherung  des  Verbandes  gegen  Zu¬ 
sammen-  oder  Abrutschen  ein  kleines  Streifchen  Heftpflaster  senk¬ 
recht  zur  Bindenrichtung.  Die  von  0  e  1 1  i  n  g  e  n  empfohlene  Ver¬ 
wendung  des  Mastisols  zur  Keimarretierung  und  zur  Fixation  des 
sterilen  Wundverbandes  hat  sich  auch  uns  in  jeder  Hinsicht  bewährt: 
es  erleichtert  die  Anlegung  des  Verbandes  und  gewährt  die  beste 
Sicherung  gegen  eine  allenfallsige  nachherige  Entblössung  der 
Wunde  bei  den  vielen  nötigen  Umparkierungen  der  Verwundeten. 

Ein  besonders  wichtiges  und  schwieriges  Problem  stellt  die 
Frakturbehandlung  dar.  Es  handelte  sich  fast  ausschliess¬ 
lich  um  komplizierte  Frakturen  mit  meist  grossen,  vielfach  bereits 
infizierten  Wunden;  dabei  sind  es  meist  Komminutivbrüche  mit  ent¬ 
sprechend  starkem  Bluterguss  und  Schwellung;  aus  letzterem  Grunde 
erschien  uns  die  für  den  baldigen  Transport  am  meisten  Sicherheit 
bietende  Fixation  durch  Gipsverband  meist  untunlich  —  abgesehen 
davon,  dass  bei  der  grossen  Anzahl  von  Frakturen  die  Anlegung 
des  Gipsverbandes  doch  zu  zeitraubend  gewesen  wäre.  Wir  be-  i 
schränkten  uns  durchwegs  damit,  die  Fixation  zu  erreichen  mit  I 
Schienen  oder  Hülsen  aus  Pappe.  Holz  und  Steifgazebinden;  so  lassen 
sich  auch  Oberschenkelfrakturen  durch  eine  genügende  Zahl  ent¬ 
sprechend  angelegter  Holzschienen  völlig  genügend  fixieren.  Dass 
bei  jeder  Fraktur  die  beiden  nächstliegenden  Gelenke  in  den  Fraktur-  i 
verband  mit  einbezogen  wurden,  ist  selbstverständlich. 


Eine  operative  Behandlung  von  B  a  uehschüsse  n  ist  nach  de 
übereinstimmenden  Ansicht  aller  Kriegschirurgen  im  Feldlazarett  ah 
solut  kontraindiziert.  Absolute  Ruhigstellung  des  Magendarmkanal: 
durch  Unterlassung  jeder  Nahrungs-  und  Getränkezufuhr,  Morphiun 
und  Ruhelage  mit  ev.  Auflage  von  Eisblase  oder  schweren  Sache: 
sind  die  gebotenen  Massnahmen.  Wir  haben  nur  eingegriffen  be 
Darm-  und  Netzprolaps  und  auch  hier  uns  nur  beschränkt  au 
Reinigung  der  prolabierten  Teile.  Erweiterung  der  Wunde,  Repo 
sition  und  breite  Drainage. 

Bei  Lungenschüssen  beschränkten  wir  uns  auf  Okklusiv 
verband  und  möglichste  Ruhigstellung  der  betroffenen  Seite  mittel' 
Heftpflaster  verband. 

Kopfschüsse  behandelten  wir  nach  gründlichster  Reinigun. 
der  Wundumgebung  ebenfalls  rein  konservativ,  beschränkten  un: 
auf  Entfernung  von  Schmutz  und  erreichbaren  Splittern,  halten  abt 
durchw'egs  die  Anlegung  eines  fixierenden  Kopfbrustverbandes  mi| 
Pappschienen  und  Steifgaze  für  nötig. 

Bezüglich  der  Schmerzlinderung  erwähnte  ich  schon,  das: 
alle  jammernden  Verwundeten  sofort  bei  ihrer  Einbringung  eine  Mor 
phiuminjektion  erhielten;  einen  von  einer  Reihe  von  Beobachten' 
konstatierten  Unterschied  zwischen  der  Schmerzäusserung  de: 
Sieger  und  Besiegten  konnten  wir  nicht  finden  —  auf  beiden  Seitcij 
gab  es  auffallend  starke  und  daneben  sehr  empfindsame  Verwundete 
Sämtliche  zu  operierenden  Verwundeten  wie  auch  alle,  bei  denen,  se 
es  wegen  der  Schwere  der  Verletzung  oder  wegen  besondere 
Schmerzempfindlichkeit,  die  Wundversorgung  dem  Verletzten  starke 
Schmerzen  verursachte,  erhielten  Narkose  und  zwar,  da  nu: 
Chloroform  zur  Verfügung  stand,  als  ChloroformtroDfnarkose.  Ditj 
erschöpften  und  ausgebluteten  Verwundeten  bedurften  durchweg 
ausserordentlich  geringer  Mengen,  auffallend  war  der  Mangel  iede; 
Exzitation,  der  fast  sofortige  Eintritt  der  Toleranz  und  der  Mange 
aller  Nacherscheinungen.  Lokalanästhesie  kommt  bei  der  Einfach¬ 
heit  der  Narkose  und  dem  Zeitmangel  kaum  in  Betracht.  Auch  iii 
die  Lumbalanästhesie,  die  wir  im  klinischen  Betrieb  ausserordentlich 
schätzen,  fanden  wir  keine  Möglichkeit  der  Anwendung,  trotzden 
wir  völlig  für  dieselbe  vorbereitet  waren.  Bei  den  für  die  An 
wendung  der  Lumbalanästhesie  in  Betracht  kommenden  Verletzungen 
—  komplizierte  Frakturen  der  Unterextremitäten  —  ist  jede  Um 
lagerung  ausserordentlich  schmerzhaft  und  zeitraubend,  ausserdem 
ist  die  Durchführung  der  unerlässlichen  Asepsis  hinsichtlich  Einstich 
stelle.  Auskochen  der  Spritze  und  Nadeln  bei  dem  Massenbetrieb  sc 
gut  wie  undurchführbar. 

Bevor  war  noch  eingerichtet  hatten,  war  bereits  die  ganze  Dorf 
strasse  voll  von  Wagen,  auf  denen  auf  Stroh  gebettet  fast  nun 
französische  Verwendete  lagen.  Der  erste  Anblick  der  Schwervcr 
letzten  ist  ein  entsetzlich  trauriger  und  unsere  Siegesfreude  wurdi 
verdrängt  durch  die  Empfindungen  des  Grauens  über  das  Niegc 
sehene  und  des  Mitleids  mit  den  armen  Opfern. 

Anfangs  kamen  durchwegs  schwerverwundete  Franzosen  de 
Inf.-Reg.  27  und  29,  schwere  Bauchverletzungen,  Schädelschüsse  mi 
Hirnvorfall,  Gesichtsschüsse  schwerster  Form,  schwere  Zertrütnme 
rungen  von  Extremitäten  Unsere  Verwundeten  kamen  zun 
grössten  Teile  am  ersten  Tage  von  einem  nahe  bei  Saaraltdorf  gc 
legenen  Schlachtfeld,  wo  offenbar  die  beiden  genannten  französische; 
Infanterieregimenten  aufs  schwerste  unter  unserem  Ar tillerieieuc 
gelitten  hatten.  Dementsprechend  lagen  auch  in  dem  Massengral 
bei  Saaraltdorf  gegen  240  französische  Tote,  darunter  13  Offiziere 
und  nur  25  deutsche. 

Ein  Auszug  aus  unserem  Hauptkrankenbuch  ergibt,  dass  wi 
im  ganzen  in  60  Stunden  350  Verwundete  versorgten,  darunter  wur 
den  stationär  aufgenommen  314  Verletzte,  126  deutsche,  d.  h.  baye 
rische  und  188  französische  Soldaten.  Sterbend  eingebracht  wurde: 
3  deutsche  und  9  französische  Verwundete,  die  noch  während  de 
ersten  Nacht  mit  Tod  abgingen.  Durchwegs  fiel  auf,  dass  die  An 
zahl  derSchwerverletzten  auf  französischerSeiti 
ausserordentlich  viel  grösser  war.  als  auf  bayc 
rischer  Seite;  unter  letzteren  hatten  wir  72  Proz.  Leichtverletzte 
unter  den  Franzosen  39  Proz.  Es  hängt  dieser  Unterschied  dami 
zusammen,  dass  die  Franzosen  unter  unserem  Artilleriefeuer  gar- 
erheblich  mehr  gelitten  haben  als  die  bayerischen  unter  dem  de: 
Gegners.  Wir  hatten  bei  den  Franzosen  58  Proz.  Artillerie-  um 
42  Proz.  Mantelgeschoss-,  bei  den  Bayern  nur  17  Proz.  Artillerie 
und  83  Proz.  Mantelgeschossverletzungcn  (Sturm!).  Die  vor 
wundeten  französischen  Offiziere  berichteten  auch  übereinstimmeni 
von  der  furchtbaren  Wirkung  der  Artilleriegeschosse  (eclat  obus.) 
während  uns  ein  bayerischer  verwundeter  Leutnant  erzählte,  dav 
er  mit  seinem  Zug  über  3  Stunden  in  feindlichem  Artiller ieteuc 
gelegen  sei  und  nur  ein  paar  Leichtverletzte  gehabt  habe,  da  du 
Geschosse  zu  einem  Drittel  überhaupt  nicht  explodieren  und  aucl 
falls  sie  explodieren,  nur  beschränkte  Wirkung  zeigen.  Dement 
sprechend  hatten  wir  auch  in  4  Proz.  der  französischen  Verletzte 
schwere  Abschüsse  gegen  0,7  Proz.  bei  den  Bayern. 

Unter  den  schweren  Verletzungen  nahmen  nach  der  Häufigke 
die  erste  Stelle  ein  die  komplizierten  Schussfrakturen 
wir  hatten  im  ganzen  48  schwere  komplizierte  Schussfrakturen 
.31  unter  den  Franzosen,  17  unter  den  Bayern.  Am  häufigsten  (je 
waren  Oberarm  und  Oberschenkel  betroffen.  Gelenkseh iisst 
mit  oder  ohne  nachweisbare  Fraktur  hatten  wir  27. 


13.  Oktober  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Miinch.  med.  Wochenschrift. 


2083 


An  zweiter  Stelle  der  Häufigkeit  standen  die  L  u  n  g  e  n  - 
schusse  (21),  es  folgen  Schädel-  (15)  und  Gesichts- 
schiisse  (9)  und  Bauchschüsse  (12).  Von  selteneren  Schuss¬ 
verletzungen  hatten  wir  3  Nierenschüsse  mit  Blutharnen, 
1  Wirbelsäulensteckschüsse  mit  Querschnittslähmung. 

Von  besonderem  Interesse  sind  5  zur  Beobachtung  gelangte 
Kontur  sch  ii  s  s  e,  von  welchen  4  die  linke  Brusthälfte  betrafen  — 
offenbar  matte  Kugeln,  welche  unter  stumpfen  Winkel  auf  eine 
Rippe  auftrafen  bei  Halblinkshaltung  des  Thorax.  Der  Weg  des 
Geschosses  war  fast  in  jedem  Falle  äusserlich  gekennzeiehnet  dureh 
streifenförmige  Sugillation  von  der  Einschussöffnung  angefangen  bis 
zu  der  Stelle,  an  der  das  Geschoss  unter  der  Haut  stak. 

Zu  den  scheusslichsten  Verletzungen  gehören  die  Abschüsse 
--  wir  hatten  deren  10,  vorwiegend  Abschuss  des  Vorderarmes, 
Fusses  oder  Unterschenkels,  2  völlige  Armabschüsse.  Sämtliche 
mussten  amputiert  werden,  in  einem  Falle  musste  die  Exartikulation 
im  Schultergelenk  vorgenommen  werden.  Die  Extremitätenstummel 
waren  bei  der  Einlieferung  ausnahmslos  bereits  in  fötider  Zersetzung 
und  verbreiteten  einen  entsetzlichen  Gestank,  die  Verletzten  boten 
meist  den  Eindruck  des  schwersten  Schocks  —  auffallend  war  die 
nach  der  Amputation  der  jauchenden  Stümpfe  durchwegs  rasch  ein¬ 
tretende  Erholung  dieser  Schwerverletzten. 

In  gleichem  Masse  abstossend  und  scheusslich  sind  die  schweren 
Gesichtsschüsse,  deren  wir  9  sahen,  darunter  2  Durchschüsse 
des  Augapfels,  mehrere  schwere  Zertrümmerungen  der  Kiefer, 
Durchschüsse  beider  Wangen  und  Zunge  usw.  Die  Pflege  der  Ge¬ 
sichtsschüsse  ist  eine  der  schwierigsten  und  zeitraubendsten  Auf¬ 
gaben,  schon  die  Fixation  der  Kieferbrüche  stellt  für  die  Improvi¬ 
sation  kein  leichtes  Problem,  weiter  der  häufig  nötige  Verband¬ 
wechsel,  die  Reinigung  und  die  nötige  künstliche  Ernährung  mit 
Schlundsonde. 

Schwerere  Verletzungen  des  Genitale  beobachteten  wir  2, 
emen  Durchschuss  des  Skrotums  mit  starkem  Bluterguss,  einen 
zweiten  Fall  von  Zerreissung  des  Skrotums  mit  Vorfall  und  Zer- 
reissung  des  Hodens,  den  ich  exstirpierte.  Der  Verwundete  hatte 
ausserdem  noch  verschiedene  Steckschüsse  und  eine  schwere  Schuss¬ 
fraktur  des  rechten  Armes. 

Viele  Verwundete  hatten  gleichzeitig  eine  Reihe  von  Ver¬ 
letzungen,  besonders  jene,  w'elche  im  Granatfeuer  gestanden  hatten 
--  andererseits  kam  es  vor,  dass  ein  Verwundeter,  der  in  der  Nähe 
einer  explodierenden  Granate  zu  Boden  geworfen  war,  nur  Brand¬ 
wunden  aufwies,  da  die  Sprengstücke  ihn  überflogen. 

Unter  den  leichten  Verletzungen  hatten  wir  111  Weich- 
teildurch-  und  -Steckschüsse.  Steckschüsse  beobachteten  wir  bei 
Schrapnellschüssen  doppelt  so  häufig  als  beim  Mantelgeschoss.  Eine 
Geschossentfernung  war  nur  in  einem  einzigen  Falle  nötig,  in  wel¬ 
chem  ein  mattes  Mantelgeschoss  neben  der  Luftröhre  im  Jugulum 
stak  und  heftige  Schluckbeschwerden  machte. 

Bezüglich  der  Geschosswirkung  kommt  die  furchtbarste 
verstümmelnde  Wirkung  den  Granaten  zu  und  wer  die  tiefen  und 
breiten  Erdtrichter  und  Verwüstungen  gesehen  hat,  die  die  Stellen 
einschlagendcr  Granaten  kennzeichnet,  der  bekommt  eine  Vorstellung 
von  der  unheimlichen  Wirkung  dieser  vernichtenden  Geschossart: 
Ausnahmlos  schwerste  Zertrümmerungen  und  Abschüsse.  An  zweiter 
Stelle  reihen  sich  die  Schrapnellschüsse  an:  Einschussöffnung  meist 
einpfennigstückgrosses,  oft  wie  ausgestanzt  aussehendes  Loch,  im 
übrigen  ebenfalls  schwere  Weichteilzertrümmerungen,  besonders  am 
Ausschuss  und  häufige  Schussfrakturen  Für  beide  genannten  Ge¬ 
schossarten  charakteristisch  ist  die  Häufigkeit  der  Wundinfektion, 
darauf  beruhend,  dass  sie  mehr  von  den  äusseren  Bedeckungen  mit 
in  die  Tiefe  reissen  und  ausgedehntere  Zertrümmerungen  machen. 

Die  humansten  Verletzungen  macht  das  Mantelgeschoss,  die 
Einschussöffnung  ist  hier  meist  nur  ein  kleiner,  ein  paar  Millimeter 
langer  Schlitz,  während  auch  hier  die  Ausschussöffnung  eine  aus¬ 
gedehnte  Zerreissung  der  Weichteile  zeigen  kann;  auch  sahen  wir 
im  ganzen  17  schwere  Schussfrakturen  durch  Mantelgeschosse. 

Wie  erwähnt,  waren  die  Granat-  und  Schrapnell  wunden  in 
einem  relativ  grossen  Prozentsatz  infiziert.  Die  schwerste  Infektion 
betraf  eine  komplizierte  Unterschenkelfraktur  mit  beginnender  Gas- 
phlegmone,  welche  in  ein  paar  Stunden  bereits  zur  vollständigen 
Gefässthrombose  und  Mortifikation  des  Unterschenkels  führte:  ich 
entschloss  mich  sofort  zur  Amputation  in  der  Mitte  des  Ober¬ 
schenkels  und  es  gelang,  den  Infektionsprozess  damit  aufzuhaltcn. 

Eine  weniger  gefährliche  aber  desto  ekelhaftere  Infektion  stellt 
die  durch  Maden  dar,  wie  wir  sie  in  einem  FaJle  beobachteten:  ich 
entfernte  die  in  grossen  Mengen  im  Verband  und  der  grossen, 
jauchig  stinkenden  Wunde  herumwimmelnden  Maden  mittels  Auf¬ 
träufeln  von  Chloroform,  spülte  dann  mit  Sublimatlösung  ab  und 
applizierte  einen  feuchten  Alsolverband  (0  e  1 1  i  n  g  e  n  empfiehlt 
Aufstreuen  von  Kalomel).  Wundrotlauf  sahen  wir  nur  in  3  Fällen, 
im  übrigen  handelte  es  sich  meist  um  lokalisierte  Wundinfektionen. 

Am  23.  VIII.  nachts  12  Uhr  hatten  wir  den  letzten  Verwundeten 
versorgt.  Die  Unterbringung  der  Verwundeten  hatte  grosse  Schwie¬ 
rigkeiten,  es  gelang  aber,  im  Pfarrhof  gute  Räume  zu  finden  zur 
Unterbringung  der  Offiziere  und  deutschen  Verwundeten,  die  übrigen 
konnten  nur  notdürftig  in  Scheunen  auf  Stroh  untergebracht  werden. 

Aeusserst  unangenehm  und  peinigend  war  die  grosse  Fliegen- 
plagc  und  der  bei  der  starken  Belegung  der  Scheunen  bald  auf¬ 
tretende  penetrante  Geruch  des  zersetzten  Blutes. 


Das  Benehmen  der  verwundeten  Franzosen  war  durchwegs 
ihrer  Lage  entsprechend  und  gab  zu  keinerlei  Klagen  Anlass;  sie  be¬ 
zeugten  sich  durchwegs  für  die  Hilfeleistung  und  Verpflegung  sehr 
dankbar:  umsomehr  erbitterte  uns  die  Erzählung  eines  verwundeten 
bayerischen  Chevaulegerleutnants,  der  auf  Patrouille  von  einer  fran¬ 
zösischen  Radfahrerabteilung  abgeschossen  worden  war,  dann  von 
französischem  Arzte  zwar  verbunden,  nachher  aber  völlig  ausge¬ 
raubt  wurde. 

In  den  ersten  3  Tagen,  bis  alle  Verwundeten  versorgt 
waren,  wurde  ein  Arzt  allein  damit  beauftragt,  die  Versorgten 
und  Unversorgten  ausserhalb  des  Verbinderaumes  zu  über¬ 
wachen,  Visite  zu  machen,  die  Morphiuminjektionen  zu  ver¬ 
abreichen  und  zu  katheterisieren. 

Inzwischen  waren  durch  den  Chefarzt  bereits  alle  Hebel 
in  Bewegung  gesetzt,  um  die  zweite  wichtige  Hauptaufgabe 
des  Feldlazaretts  möglichst  schnell  erfüllen  zu  können:  die 
Evakuation,  d.  h.  den  Rücktransport  der  Verwundeten  in 
die  Kriegslazarette.  Bereits  am  22.  war  es  möglich  gewesen, 
80  transportfähige  Leicht-  und  Schwerverwundete  weiter  zu 
transportieren;  weitere  23  Leichtverletzte  konnten  am  24.  mit 
Personenzug  befördert  werden  und  die  übrigen  wurden  ins¬ 
gesamt  am  25.  August  mittels  eines  Hilfslazarettzugs  in 
stationäre  Lazarettbehandlung  überführt,  so  dass  nach  vier¬ 
tägiger  Tätigkeit  unser  Feldlazarett  sich  am  Abend  des 
25.  August  wieder  als  marschbereit  melden  konnte.  Der  Zu¬ 
stand  der  Verletzten  beim  Abtransport  war  durchwegs  erfreu¬ 
lich  gut.  Leider  bleibt  der  mobilen  Sanitätsformation  bei  der 
nötigen  raschen  Evakuation  jede  weitere  Beobachtung  der 
versorgten  Verwundeten  entzogen,  so  dass  wir  über  den  wich¬ 
tigsten  Punkt,  den  Heilverlauf,  die  Heilungsaussichten  und  den 
Erfolg  bzw.  die  Zweckmässigkeit  der  primären  Wundver¬ 
sorgung  keine  Erfahrungen  sammeln  konnten.  Immerhin  war 
unsere  Aufgabe  erfüllt,  die  Verwundeten  nach  Möglichkeit  ver¬ 
sorgt  und  transportfähig  gemacht  zu  haben;  der  Abschied  von 
den.  Verwundeten  war  ein  herzlicher,  ihr  Dank  für  unsere 
Hilfeleistung  vereinte  sich  mit  unseren  Wünschen  für  gute 
Fahrt  und  baldige  Genesung. 


Explosiv-Geschoss  ähnliche  Wirkung  der  deutschen 
Infanterie-S-Munition  bei  Nahschuss. 

Von  Prof.  M.  Nippe,  zurzeit  Königsberg  i.  Pr. 

Nach  einer  vom  Wo  lff  sehen  Telegraphenbüro  am 
24.  September  1914  herausgegebenen  Zeitungsnotiz  wird 
offiziös  deutscherseits  bekannt  gemacht,  dass  aus  der  Art  der 
Verletzung  nicht  darauf  geschlossen  werden  darf,  dass  etwa 
eine  sogen.  Dum-Dum-Kugel  die  Verwundung  hervorgerufen 
hat.  Es  wird  einerseits  gesagt,  dass  sowohl  Querschläger  als 
auch  selbstverständlich  Granatstückverletzungen  Dum-Dum- 
Verletzungen  ähnliche  schwere  Zerstörungen  verursachen 
können,  eine  Ansicht,  welche  ebenfalls  auch  nach  einer 
Zeitungsnotiz  bereits  von  einem  französischen  Arzt  aus¬ 
gesprochen  worden  ist. 

Ich  bin  in  der  Lage,  über  einen  Fall  zu  berichten,  welcher 
diese  Erfahrung  durchaus  bestätigt.  Ich  würde  selbstverständ¬ 
lich  bei  der  Fülle  derartiger  Erfahrungen,  welche  unsere  im 
Felde  stehenden  Aerzte  dieser  Art  gemacht  haben,  darauf  ver¬ 
zichten,  das  Folgende  zu  berichten,  wenn  nicht  der  von  mir 
beobachtete  Fall  eine  mir  bis  jetzt  nicht  bekannte  Eigentüm¬ 
lichkeit  der  Deformierung  eines  deutschen  Infanterie-S-üe- 
schosses  dargeboten  hätte. 

Vor  wenigen  Tagen  verunglückten  zwei  Personen,  die  eine 
davon  sofort  tödlich,  auf  folgende  Weise:  Ein  mit  russischen  Ge¬ 
wehren  und  ähnlichen  Beutestücken  beladener  Wagen  hielt  auf 
offenem  Platze.  Der  Kutscher,  ein  deutscher  Infanterist,  hatte  sein 
Gewehr  auf  den  Kutscherbock  gelegt  und  sich  für  kurze  Zeit  ent¬ 
fernt.  trotz  seiner  Warnung,  dass  das  Gewehr  geladen  sei,  wurde 
vom  Publikum,  welches  sich  zahlreich  eingefunden  hatte,  daran  mani¬ 
puliert  und  es  entlud  sich  ein  Schuss.  Aus  einer  vernäftnismässig 
kleinen,  höchstens  10  m  betragenden  Entfernung  wurden  zwei  Per¬ 
sonen  derart  getroffen,  dass  ein  junger  Mann  eine  glatte  Durch- 
schiessung  der  Achsel  erhielt  und  ein  anderer,  älterer,  tödlich  ge¬ 
troffen  durch  eine  Halswunde  umsank. 

Die  Sektion  ergab  nun  eine  ausserordentlich  schwere  Zer¬ 
störung  des  gesamten  Halses.  Der  Einschuss  5  cm  lang.  zem  klaffend, 
verlief  parallel  2  cm  oberhalb  des  linken  Schlüsselbeins.  Die  Haut 
der  mehrfach  zerfetzten  Einschusswunde  wies  nur  angetrocknetes 
Blut,  keinerlei  Pulvereinsprengungen  oder  Schmauchbesudelung  auf. 


2084 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  41. 


hin  Ausschuss  war  nicht  vorhanden,  also  musste  man  ohne  weiteres 
aus  der  Beschaffenheit  der  Einschussöffnung  annehmen,  dass  es  sich 
um  einen  sog.  Querschläger  gehandelt  hatte.  Zerstört  waren  die  ge¬ 
samte  Muskulatur  der  linken  Halsseite,  sowie  grosse  Qefässe  und 
Nerven,  fetzig  durchtrennt  Speiseröhre  und  Luftröhre  una  vor  allem 
fand  sich  vollkommene  Zertrümmerung  des  7.-4.  Halswirbels.  Die 
Zertrümmerung  war  derart,  dass  die  grössten  Knochentragmente 
kaum  über  1  cm  Grösse  erreichten.  Es  war  also  der  gesamte  Hals 
inkl.  Halswirbelsäule  in  eine  vollkommen  mit  kleinen  Knochenfrag¬ 
menten  durchsetzte  riesenhafte  Wundhöhle  umgewanaelt. 

Sehr  merkwürdig  war  nun  die  Deformierung  des  S-Ge- 
schosses,  von  ihm  war  lediglich  die  Spitze  und  zwar  völlig 
unzerstört  erhalten,  vom  Bleikern  fand  sich  so  gut  wie  nichts, 
jedenfalls  nichts  im  Geschossmantel.  Es  wurden  nur  einige 
wenige,  gerade  für  das  blosse  Auge  noch  sichtbare  Blei¬ 
stäubchen  in  der  riesenhaften  Wundhöhle  gefunden.  Der 
Stahlmantel  des  Geschosses  war  an  einer  Seite  längs  voll¬ 
kommen  aufgerissen  und  hatte  sich  fächerförmig  von  der 
unversehrten  Spitze  aus  aufgerollt,  flachgedrückt.  Nebst 
diesem  Hauptfragment  des  Stahlmantels  fand  sich  noch  ein 
1  mm  breiter  und  etwa  2  cm  langer  Blechstreifen  vom 
Mantel  vor. 

Was  mir  an  Röntgenbildern  und  Beschreibungen  aus 
früheren  Kriegen  mit  der  modernen  S-Munition  bekannt  ge¬ 
worden  ist,  enthält  nach  einer  flüchtigen  Durchsuchung  der 
Literatur  keine  Angaben  über  eine  derartige  Zerfetzung  des 
Geschossmantels  und  feinster  stäubchenartiger  Zerstreuung 
des  Bleikerns.  Ob  ein  Fabrikationsfehler  im  Geschossmantel 
Vorgelegen  hat,  lässt  sich  natürlich  nicht  mehr  feststellen, 
jedenfalls  wird  aber  diese  riesige  Wundhöhle,  welche  angefüllt 
war  mit  einer  Unmenge  von  Knochenfragmenten  der  be¬ 
troffenen  Wirbelkörper  durch  diese  explosionsartige  Zer¬ 
fetzung  des  Geschosses  erklärt. 

Ich  wollte  den  Fall  vor  allen  Dingen  mitteilen,  um  viel¬ 
leicht  darüber  Aufklärung  zu  erhalten,  ob  bei  relativ  nahen 
Schüssen  die  entstandenen  grossen  Wunden,  wenn  es  sich 
um  Querschläger  handelt,  in  der  Hauptsache  durch  das  Weiter¬ 
rotieren  des  eindringenden  Geschosses  hervorgerufen  werden 
oder  ob  etwa  solche  explosionsartige  Zerreissungen  des  Ge¬ 
schosses  selbst  häufiger  sind  und  dann  solche  riesigen  Wund- 
kratcr  und  Zertrümmerungen  des  Knochens  in  feinste  Frag¬ 
mente  verursachen. 


Die  zahnärztliche  Therapie  der  Schussverletzungen 

der  Kiefer. 

Von  Hofzahnarzt  Dr.  Greve  in  München. 

Wenn  kein  geringerer  als  B.  v.  L  a  n  g  e  n  b  e  c  k  den  Aus¬ 
spruch  getan  hat,  er  werde  nie  mehr  in  einen  Krieg  als  Chirurg 
ziehen,  ohne  sich  der  nötigen  zahnärztlichen  Hilfe  versichert 
zu  haben,  so  dürfte  daraus  der  Wert  einer  solchen  an  sich 
schon  hervorgehen. 

Nun  sind  aber  —  mit  Rücksicht  auf  den  bestehenden  Krieg 
darf  man  sagen  leider  —  unsere  Erfahrungen  nicht  umfang¬ 
reich  genug,  um  ein  abschliessendes  Urteil  über  die  zahnärzt¬ 
lichen  Leistungen  bei  Schussverletzungen  der  Kiefer  zu  haben. 
Immerhin  lassen  aber  die  Unfallverletzungen  im  Frieden  und 
deren  Heilung  mittels  zahnärztlicher  Apparate  und  Bandagen, 
sowie  die  zahnärztliche  Unterstützung  bei  Geschwulst¬ 
operationen  und  deren  prothetische  Nachbehandlung  gewisse 
Schlüsse  zu,  wie  sich  der  Zahnarzt .  Schussverletzungen 
gegenüber  zu  verhalten  hat. 

Indessen  bestehen  hier  doch  gewisse  Unterschiede. 
Während  die  prothetische  Nachbehandlung  der  Defekte  nach 
Geschwulstoperationen  manche  Chirurgen  wegen  der  Rezidiv¬ 
gefahr  veranlassen,  nur  einen  mässigen  Gebrauch  von  der 
Prothese  zu  machen,  andererseits  auch  die  plastischen  Opera¬ 
tionen  eine  immer  grössere  Ausbreitung  gefunden  haben,  fällt 
bei  Schussverletzungen  der  erstgenannte  Gegenstand  weg. 
Bis  zu  welchem  Grade  auch  die  plastischen  Operationen  in 
der  Kriegschirurgie  eine  Einschränkung  erfahren,  entzieht  sich 
meiner  Beurteilung.  So  viel  ist  aber  sicher,  dass  die  ohne 
Zweifel  umfangreicheren  Splitterungen  im  grossen  ganzen  die 
Therapie  mehr  komplizieren,  als  wenn  es  sich  nur  um  Kiefer¬ 
brüche  handelt,  die  durch  Unfall  (Hufschlag,  Stoss  etc.)  ent¬ 
standen  sind.  Natürlich  lässt  sich  nicht  leugnen,  dass  es  auch 


im  Frieden  zu  sehr  umfangreichen  Verletzungen  kommen 
kann,  die  sogar  beide  Kiefer  betreffen.  Letzteres  dürfte  bei 
Schussverletzungen  weniger  häufig  Vorkommen,  sofern  es  sich 
eben  nur  um  reine  Schussverletzungen  handelt,  was  für  die 
Behandlung  ein  Vorteil  ist.  Dagegen  können  die  Verwun¬ 
dungen  durch  Granatsplitter  bekanntlich  ungeheure  sein. 

Da  bei  der  heutigen  Kampfesweise  Kopfschüsse  in  hoher 
Prozentzahl  zu  erwarten  sind,  und  speziell  die  Schussver¬ 
letzungen  des  Unterkiefers  unter  allen  Gesichtsknochen  die 
grössten  gewesen  sind  (sie  betrugen  im  nordamerikani¬ 
schen  Kriege  60,6  Proz.,  im  japanisch-chinesischen  Kriege 
40 — 60  Proz.),  so  dürfte  im  bestehenden  Kriege  vielleicht  mit 
einem  höheren  Prozentsatz  zu  rechnen  sein. 

Wie  dem  indessen  auch  sei,  jedenfalls  glaube  ich,  dass 
man  sich  bei  der  Behandlung  der  Kieferverletzungen  und 
namentlich  solcher  des  Unterkiefers  zahnärztlicher  Hilfe  mit 
allergrösstem  Vorteil  bedienen  wird. 

Ich  darf  es  wohl  offen  aussprechen,  dass  die  Erkenntnis 
von  dem  Wert  solcher  Hilfe  nicht  allen  Chirurgen  eigen  ist. 
Das  hat  seinen  Grund  darin,  dass  nicht  alle  Chirurgen  ge¬ 
schulte  zahnärztliche  Hilfe  zur  Hand  haben,  weil  derartige 
Leistungen  eben  seitab  der  gewöhnlichen  zahnärztlichen 
Praxis  liegen  und  deshalb  nur  von  einigen  Zahnärzten  geübt 
werden. 

Da  zahnärztliche  Hilfe  jedenfalls  im  Kriege  nicht  zu  ent¬ 
behren  ist,  so  hat  unsere  Heeresleitung  Vorsorge  getroffen  und 
eine  ganze  Anzahl  von  dienstpflichtigen  Zahnärzten  in  den 
Kriegssanitätsdienst  gestellt.  Wenn  ich  nun  persönlich  der 
Ansicht  bin,  dass  die  zu  erwartenden  Leistungen  teilweise 
überschätzt  werden,  und  zwar  aus  eben  genanntem  Grunde, 
so  soll  man  dieselben  auch  nicht  unterschätzen,  weil  ausser 
der  speziellen  Hilfeleistung  bei  Kieferverletzungen  wahr¬ 
scheinlich  auch  eine  ganze  Reihe  sonstiger  zahnärztlicher 
Patienten  in  den  Feld-  und  Kriegslazaretten  erscheinen 
werden,  wie  uns  der  Burenkrieg  gelehrt  hat.  Ausserdem 
wird  jeder  Zahnarzt  infolge  seiner  manuellen  Fertigkeit  sich 
mit  den  einfachsten  Schienungen  schnell  zurechtfinden  können. 

Im  übrigen  müsste  man  die  Hilfe  älterer,  nicht  dienst¬ 
pflichtiger  Zahnärzte,  die  sich  fast  alle  den  Sanitätsämtern 
zur  Verfügung  gestellt  haben,  für  die  Kriegs-  und  eventuell 
sogar  Feldlazarette  requirieren. 

Die  Behandlung  sämtlicher  Schussverletzungen  der  Kiefer 
durch  zahnärztliche  Hilfe  besteht  in  der  Schienung  der  Frag¬ 
mente  und  der  Fixation  derselben  untereinander. 

Der  erste  Notverband,  der  sogar  auf  dem  Truppen¬ 
verbandplatz  angelegt  werden  könnte,  besteht  in  der  Schie¬ 
nung  der  Fragmente  mittels  eines  einfachen  fertigen  Draht¬ 
bogens,  an  den  letztere  dadurch  herangezogen  werden,  dass 
um  die  Zähne  dünner  Ligaturdraht  geschlungen  wird,  der 
durch  einige  Umdrehungen  an  dem  Fixationsbogen  seine  Be¬ 
festigung  findet.  Um  denselben  bequem  durch  die  Interdental¬ 
räume  ziehen  zu  können,  wird  man  häufig  gezwungen  sein, 
vorhandenen  Zahnstein  zu  entfernen.  Stille  Voraussetzung  ist, 
dass  genügend  Zähne  zur  Befestigung  der  Ligaturen  vor¬ 
handen  sind.  Bei  sehr  schweren  Verletzungen  könnte  man 
grössere  Bruchstücke  mittels  Knochennaht  vereinigen.  Sollten 
einige  Zähne  verloren  resp.  abgeschossen  sein,  so  könnte  man 
einen  kleinen  Haken  an  der  entsprechenden  Stelle  des  Fixa¬ 
tionsbogens  mittels  „Tinol“  in  der  Spiritusflamme  anlöten,  um 
einen  durch  das  zahnlose  Kieferfragment  gezogenen  Ligaturen¬ 
draht  an  demselben  zu  befestigen.  Frakturierte  Zähne  sind, 
solange  sie  zur  Befestigung  dienen  können,  nach  Möglichkeit 
zu  erhalten.  Scharfe  Ränder  sind  mit  einer  Wurzelfeile  zu 
glätten,  und  freiliegende  Pulpen  mit  Karbolsäure  abzuätzen. 

Diese  Art  des  Drahtverbandes,  die  meines  Erachtens  auch 
von  jedem  nicht  zahnärztlich  geschulten  Arzte  ausgeführt 
werden  kann,  ist,  wie  gesagt,  im  allgemeinen  nur  als  Not¬ 
verband  zu  betrachten. 

Sicherer  und  vor  allen  Dingen  für  den  Patienten  hinsicht¬ 
lich  des  sofortigen  Gebrauchs  bequemer  sind  umfangreichere 
Apparate,  die  aber  fertig  vorhanden  sind  und  sofort  im 
Kriegslazarett  angelegt  werden  sollen.  Ueberhaupt  ist 
bei  der  hier  beschriebenen  Art  der  mechani¬ 
schen  Therapie  das  Bestreben  vorhanden, 


13.  Oktober  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Miinch.  med.  Wochenschrift. 


2085 


völlig  unabhängig  vom  zahnärztlichen  Vul¬ 
kan  i  s  i  e  r  k  e  s  se  1  und  von  fremder  technischer 
Hilfe  u  n  d  ohne  \  erwendung  von  sonstigen 
zahnärztlichen  Hilfsmitteln  zu  arbeiten.  Alle 
bisher  beschriebenen  und  noch  zu  erwähnenden  Apparate  sind 
(je^räuch  vorhanden.  Nur  kleine  Lötungen  mittels 
in  der  Spiritustlamme  sind  mitunter  nicht  zu  um- 
?ehen.  Auch  der  oft  schwer  zu  bewerkstelligende  „Abdruck“ 
ist  nicht  nötig. 


9'®.  mechanische  Iherapie  der  Schussverletzungen  hat 
grundsätzlich  zu  unterscheiden  zwischen  Kiefern  mit  genügend 
vorhandenen  Zahnen  und  zwischen  schlecht  bezähmten  oder 

<ahnlosen  Kiefern. 


A.  Betrachten  wir  zunächst  die  Fälle,  wo  genügend  Zähne 
■orhanden  sind,  was  bei  unseren  Verwundeten  infolge  ihres 
aiten  (lesundheitszustandes  und  ihrer  Jugend  sehr  häufig  zu- 
retfen  dürfte.  Es  können  allerdings  durch  Schuss  Zähne  ver- 
oren  gegangen  sein. 

Voru  eg  sei  noch  bemerkt,  dass  im  allgemeinen  immer 
om  Untcrkieter  gesprochen  wird,  weil  die  Verletzungen  des- 
elben  den  höchsten  Prozentsatz  ausmachen  und  die*  Konti- 
uitätstrennungen  am  ehesten  stattfinden.  Oberkieferver- 
etzungen  werden  in  analoger  Weise  behandelt. 

,  Am  einfachsten  gestaltet  sich  die  Behandlung,  wenn  die 
rakturlinien  im  Mittelstück  und,  zwar  nicht  über  den  zweiten 
lolaren  hinaus  liegen.  Der  oben  skizzierte  Drahtverband 
/ird  in  der  Weise  besser  gesichert,  dass  man  um  die  zweiten 
ventuell  auch  ersten  Molaren  Ringmuttern  legt.  Es  sind  das 
infache  Metallbänder,  die  an  der  bukkalen  Seite  Muttern 
agen,  durch  welche  eine  Schraube  geht,  mittels  der  die 
ander  festgezogen  werden.  Die  Schrauben  sind  nun  durch- 
0  j»  so  dass  ein  passender  Drahtbügel  hindurchgeschoben 
•erden  kann,  an  den  die  Zähne  resp.  frakturierten  Teile  des 
leters  herangezogen  werden.  Je  frischer  die  Brüche  sind 
esto  leichter  gelingt  es.  Ist  schon  eine  Dislokation  mit  Kallus- 
laung  vorhanden,  so  erfolgt  das  Heranziehen  durch  Gummi- 
nge  allmählich.  Stets  soll  man  bemüht  sein,  die  normale 
i  tikulation  wieder  herzustellen.  Bei  grösseren  Verschl¬ 
ingen  ist  man  mitunter  gezwungen,  einen  ebensolchen  Draht 
n  Oberkiefer  anzulegen,  so  dass  durch  Gummizüge  in  der 
mschiedensten  Richtung,  worauf  hier  nicht  näher  ein- 
.‘gangen  werden  kann,  eine  allmähliche  Reposition  erfolgt. 
Liegen  die  Frakturen  zwischen  den  letzten  Zähnen,  also 
unu  ui.  Molar,  oder  dahinter  im  Bereich  des  Kieferwinkels 
id  aufsteigenden  Astes,  kann  man  natürlich  mit  der  einfachen 
'hienung  nichts  ausrichten.  Um  in  solchen  Fällen  die  Dis- 
<ation  des  Kiefers  nach  der  verletzten  Seite  zu  vermeiden, 
tt  man  ebenfalls  die  Drahtschiene  an,  schiebt  aber  über  die- 
me  eine  sogen,  schiefe  Ebene  an  der  nicht  verletzten  Seite, 
ese  schiefe  Ebene  ist  nichts  weiter  als  eine  kräftige,  etwas 
ch  aussen  (bukkal)  gebogene  Metallplatte,  an  welcher  die 
hne  des  Oberkiefers  in  Fühlung  bleiben,  so  dass  beim 
ffnen  des  Mundes  der  Unterkiefer  nicht  aus  der  Arti- 
lationsstellung  herausrutschen  kann. 

Das  Anlegen  einer  solchen  schiefen  Ebene  wird  auch  not- 
•ndig  bei  zwischen  den  Zähnen  liegenden  Frakturen,  wenn 
s  eine  der  Fragmente  für  eine  sichere  Befestigung  nicht  aus- 

cht. 

In  beiden  Fällen  hat  man  Gelegenheit  die  Reponierung 
ch  intermaxilläre  Gummi-  oder  Federzüge  zu  unterstützen, 
-■selbe  erfolgt,  wenn  nicht  völlige  Narbenbildung  schon  ein- 
reten,  verhältnismässig  schnell.  Soweit  soll  es  eben  durch 
glichst  baldiges  Anlegen  der  hier  beschriebenen  Bandagen 
'  nicht  kommen. 

Noch  besser  und  sicherer  ist  Vereinigung  der  Kiefer  in 
iKulationsstellung  durch  Gleitschienen.  Voraussetzung  ist 
>ei  die  sofort  mögliche  vollständige  Einstellung.  Die 
itschienen  bestehen  aus  je  zwei  korrespondierenden  Teilen, 
am  Drahtbügel  des  Ober-  und  Unterkiefers  befestigt 
rc”n-  Dieselben  sind  fertig  zu  haben  und  so  gearbeitet, 
s  die  fixierten  Kiefer  beim  Oeffnen  des  Mundes  sich  nicht 
ler  Lage  verändern  können. 

Der  Vorteil  derartiger  Verbände  besteht  darin,  dass  einer- 
s  die  Fixation  der  Fragmente  die  denkbar  günstigste  ist, 


andererseits  die  Nahrungsaufnahme  bequem  erfolgen  kann. 
Da  sich  dieselben  bei  Unfallverletzungen  im  Frieden  bereits 
voll  und  ganz  bewährt  haben,  ist  anzunehmen,  dass  es  auch 
bei  Kriegsverletzungen  der  Fall  sein  wird,  trotzdem  die  Ver¬ 
hältnisse  kompliziertere  sein  werden. 

Selbstredend  sind  noch  eine  Reihe  von  Modifikationen 
möglich,  worauf  hier  nicht,  weiter  eingegangen  werden  soll. 
Ich  will  nur  erwähnen,  dass  man  im  Notfall  statt  der  Gleit- 
sc.luenen  auc*]  mit  zwei  schiefen  Ebenen  sich  wird  behelfen 
können  und  ferner,  dass  ich  eine  besondere  Kopfkappe  kon¬ 
struiert  habe,  an  der  eine  Kinnstütze  ganz  einfach  mit  Bändern 
befestigt  wird,  falls  bei  umfangreichen  Frakturen  eine  Ruhig- 
stellung  des  Kiefers  —  namentlich  des  frakturierten  Ober¬ 
kiefers  —  erwünscht  ist. 

D-  Wesentlich  anders  muss  verfahren  werden,  wenn 
schlecht  bezabnte  oder  zahnlose  Kiefer  vorhanden  sind,  oder 
wenn  eine  umfangreiche  Zertrümmerung  vorliegt,  die  die  Re¬ 
sektion  eines  I  eiles  des  Knochens  oder  des  ganzen  erfordert. 

Beim  Oberkiefer  kann  man  nach  der  Resektion  die  Hei¬ 
lung  abwarten.  In  den  meisten  Fällen  genügt  eine  gute  Tam¬ 
ponade.  Dagegen  erheischt  die  Kontinuitätstrennung  des 
Unterkiefers  ein  sofortiges  Eingreifen,  wenn  schwer  reponier- 
iare  Dislokationen  und  Entstellungen  vermieden  werden 
so  len.  Auf  welche  Weise  das  durch  zahnärztliche  Hilfe  ge¬ 
schieht,  soll  kurz  skizziert  werden. 

Geringe  Splitterungen  lassen  sich  durch  doppelte 
Knochennaht  vereinigen.  Ausgedehnte  Splitterungen,  bei 
denen  Teile  des  Unterkiefers  verloren  gegangen  sind,  werden 
durch  Einfügung  einer  Aluminiumschiene  derart  behandelt, 
dass  dadurch  die  aufgehobene  Kontinuität  wieder  hergestellt 
wird.  Die  Schienen  sind  fertig  vorhanden.  Man  sägt  mittels 
einer  kleinen  Metallsäge  den  entsprechenden  Abschnitt  heraus, 
hebt  die  Schleimhaut  mit  dem  Raspatorium  ab,  und  verbindet 
mit  Ligatur draht  Schiene  und  Knochen.  Die  Schiene  ent- 
spricht  der  lingualen  Seite  des  Unterkiefers,  wodurch  die 
eigentliche  Mundhöhle  vom  Vestibulum  abgeschlossen  ist  und 
die  Wundversorgung  von  vorne  gemacht  werden  kann. 
Nötigenfalls  kann  die  Zunge  an  der  Schiene  mittels  Fadens 
befestigt  werden.  Indessen  dürfte  eine  aufgerichtete  Lage  im 
Bett,  falls  der  übrige  Zustand  des  Verwundeten  es  zulässt 
diese  Massnahme  vielfach  unnötig  machen. 

Muss  eine  Hälfte  reseziert  werden,  bleibt  aber  noch  ein 
1  eil  des  Ramus  ascendens  stehen,  kann  man  ebenfalls  die  Be¬ 
festigung  mittels  der  Schiene  versuchen.  Wird  aber  die  ganze 
Hälfte  reseziert,  d.  h.  der  Gelenkkopf  exartikuliert,  dann  muss 
man  seine  Zuflucht  zu  dem  sogen.  Operationskiefer  nach 
S  c  h  r  o  e  d  e  r  nehmen.  Es  sind  das  fertige  Hartgummikiefer 
von  denen  das  entsprechende  Stück  abgesägt  wird,  worauf 
dann  mittels  Ligaturendraht  ganz  wie  bei  der  Knochennaht 
die  provisorische  Vereinigung  an  der  stehengebliebenen  Re¬ 
sektionsfläche  erfolgt.  Nach  Verheilung  wird  erst  die  de¬ 
finitive  zahntragende  Prothese  angefertigt.  Muss  der  ganze 
Unterkiefer  exartikuliert  werden,  so  wird  ein  ganzer  Hart¬ 
gummikiefer  eingelegt,  über  den  die  Weichteile  vereinigt 
werden. 

Diese  Schienen  und  Operationskiefer  sind  alle  so  ein¬ 
gerichtet,  dass  eine  bequeme  Wundversorgung  stattfinden 
kann.  • 

Der  Verfasser  hat  ein  Instrumentarium  mit  allen  Hilfs¬ 
mitteln  angegeben,  das  von  dem  Dentaldepot  Köhler  in 
München  geliefert  wird.  Arbeiten  Chirurg  und  Zahnarzt  zu¬ 
sammen,  so  können  schöne  Heilerfolge  erzielt  werden.  Vor 
allen  Dingen  aber,  das  möchte  ich  nochmals  betonen,  sind 
beide  in  den  entscheidenden  Momenten  nicht  auf  schwer  zu 
beschaffende  rein  zahntechnische  Massnahmen  angewiesen. 
Erst  die  Wundheilung  in  der  skizzierten  Weise,  dann  die  Pro¬ 
these.  Sogenannte  Immediatprothesen,  fertige  Kieferteile  mit 
daran  befindlichen  Zähnen,  sind  nicht  zu  empfehlen.  Das  Ein¬ 
legen  der  beschriebenen  Operationsprothesen  hat  den  Zweck 
die  äusseren  Formen  und  die  Funktionen  der  Kiefer  nach 
Möglichkeit  zu  erhalten,  die  Wundheilung  aber  nicht  unnötig 
zu  behindern. 


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2086 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  41. 


Friedrich  Meyer-Betz 


Bei  den  Kämpfen  in  den  Argonnen  ist  am  25.  September 
Dr.  Friedrich  Meyer-Betz,  Privatdozent  und  Oberarzt  an  der 
medizinischen  Klinik  in  Königsberg,  im  Alter  von  33  Jahren  fürs 
Vaterland  gefallen:  eine  Kugel,  die  die  linke  Schulter  und  die  Lumren- 
spitze  zertrümmerte,  führte  in  wenigen  Stunden  zur  Verblutung. 

Friedrich  M  e  ycr-Betz  war  kein  Durchschnittsmensch;  vor 
allem  verfügte  er  über  eine  unverwüstliche  Arbeitsfähigkeit  und 
eine  eiserne  Willenskraft.  W'o  es  etwas  zu  schaffen  gab,  da.  fühlte  er 
sich  angezogen,  und  er  gehörte  zu  den  Menschen,  die  alles,  was  sie 
anfassen,  fest  in  die  Hand  nehmen.  Er  würde  in  jedem  Berufe  Vor¬ 
treffliches  geleistet  haben;  für  den  ärztlichen  Beruf  war  er  durch 
seine  ausgezeichnete  Beobachtungsgabe,  für  den  akademischen  Stand 
durch  den  inneren  Drang  zu  lernen  und  zu  lehren,  besonders  ge¬ 
rüstet.  Kr  strebte  immer  zum  Ganzen;  er  hätte  sich  nie  damit 
begnügt  sich  dauernd  auf  ein  Detailgebiet  zu  beschränken.  Nach 
seiner  Approbation  (1905)  hat  er  sich  in  verschiedenen  Spezial- 
gebieten  umget&n,  in  der  (jynäkologic,  Psychiatrie,  Pathologie,  Hak- 
teriologie;  mit  besonderer  Dankbarkeit  gedachte  er  immer  seines 
Lehrers  Schmor  1  in  Dresden.  Als  Internist  war  er  zunächst  ein 
Schüler  von  Schmal  t  z.  Vom  Jahre  1909  bis  1912  war  er  Assistent 
an  der  medizinischen  Klinik  Friedrich  v.  Müllers  in  München. 
Während  dieser  Zeit  lernten  wir  die  ausserordentliche  Begabung  und 
die  jugendlichfrische  Tatkraft  unseres  Mitarbeiters  bewundern.  Auf 
seiner  Krankenstation  führte  er  ein  strenges  Regiment;  alles  musste 
in  bester,  in  militärischer  Ordnung  sein;  an  die  Leistungsfähig¬ 
keit  der  ihm  zugeteilten  jüngeren  Hilfskräfte  stellte  er  hohe  An- 
f orderungen;  aber  niemals  höhere  als  an  sich  selbst;  und  so  gelang 
es  ihm  seine  Arbeitsfreudigkeit  auf  das  Hilfspersonal  zu  übertragen, 
und  nicht  nur  die  Dankbarkeit,  sondern  auch  die  Zuneigung  und  Liebe 
seiner  Schüler  und  Patienten  zu  gewinnen. 

Als  Professor  Schittenhelm  im  Jahre  1912  die  Königs¬ 
berger  Klinik  übernahm,  konnte  er  bei  der  Neuorganisation  der  Klinik 
gewiss  keinen  geeigneteren  Helfer  finden  als  M  e  y  e  r  -  B  e  t  z.  | 
Meyer-Betz  warf  sich  in  Königsberg  auf  die  neuen  Aufgaben 
mit  seinem  gewohnten  Elan;  „die  Unruhe  der  Bienen,  die  im  alten 
Stock  die  neue  Wohnung  bauen  wollen“,  das  war.  wie  er  mir  schrieb, 
das  Milieu,  das  er  sich  gewünscht  hatte.  „Ich  habe  mir  die  erste 
•  Zeit  ziemlich  alles  aufgeladen,  von  dem  Prinzip  ausgehend,  alles 

damit  einmal  in  meine  Hand  zu  bekommen  .  .  .“ . wenn  nur  der 

Tag  länger  wäre“.  Die  Berichte  von  befreundeten  Kollegen,  die  ihn 
in  Königsberg  gleichzeitig  in  seiner  ärztlichen,  wissenschaftlichen. 
Ver waltungs-  und  Lehrtätigkeit  kennen  gelernt  haben,  sind  voll  stau¬ 
nender  Bewunderung. 

Sein  Drang,  sich  an  immer  neue  Aufgaben  heranzu wagen  und 
sich  neue  Arbeitsfelder  zu  erobern,  zeigt  sich  auch  in  seinen  Publi¬ 
kationen;  eine  vollständige  Aufzählung  kann  hier  nicht  gegeben 
werden;  sie  betreffen  sehr  verschiedene  Gebiete.  Seine  pathologisch¬ 
bakteriologische  Ausbildung  lieferte  ihm  das  Rüstzeug  zu  einer  Arbeit 
über  Kolipyelitis.  Die  Beobachtung  eines  seltenen  Falles  einer  an¬ 
fallsweise  auftretenden  Muskelerkrankung  mit  gleichzeitiger  Hämo¬ 
globinurie  führte  ihn  zu  Untersuchungen  über  die  Beziehungen  dieses 
merkwürdigen  Symptomenkomplexes  zur  „schwarzen  Harnwinde“ 
der  Pferde,  die  eine  eingehende  Durcharbeitung  der  veterinärmedi¬ 
zinischen  Literatur  zur  Voraussetzung  hatte.  Als  sich  ihm  die  Ueber- 
zeugung  von  der  Wichtigkeit  der  Stoffwechselforschung  für  die 
moderne  Klinik  aufdrängte,  warf  er  sich  mit  Eifer  auf  die  Arbeit  im 
chemischen  Laboratorium  und  bearbeitete,  grösstenteils  als  Mit¬ 
arbeiter  von  H.  Fischer,  das  schwierige  Kapitel  der  Derivate  der 
Blut-  und  ( lallenfarbstoffe.  Sein  besonderes  Interesse  erregten  dabei 
die  von  Hausmann  gefundene  Tatsache,  dass  Hämatoporphyrin- 
einspritzungen  imstande  sind,  Mäuse  gegen  Licht  zu  „sensibilisieren“, 
so  dass  sie  dann,  einer  starken  Lichtquelle  ausgesetzt,  schwere 
Krankheitserscheinungen  darbieten,  an  denen  sie  ev.  zugrunde  gehen. 
Aus  mancherlei  Gründen  war  es  von  Interesse,  ob  eine  derartige 
Sensibilisierung  auch  beim  Menschen  zustandekommt.  Diese  Frage 
aufwerfen  und  sofort  den  Entschluss  zum  Selbstversuch  zu  fassen, 
war  bei  Meyer  eines;  nur  mit  Mühe  konnte  ich  ihn  überreden, 
den  ersten  Versuch  wenigstens  nur  mit  einer  ganz  kleinen  Dose 
zu  unternehmen;  der  erste  Sonnenstrahl  wurde  benützt,  um  das  Ge¬ 
sicht  recht  ausgiebig  zu  belichten.  Den  Erfolg  —  ein  ganz  kolossales 
Oedem  des  ganzen  Gesichtes  —  zeigen  die  der  Publikation  beige¬ 
gebenen  Abbildungen  (D.  Arch.  f.  klin.  Med.  112).  —  Kaum  hatte  sich 
Meyer-Betz  in  die  chemische  Technik  eingearbeitet,  so  fühlte 
er  das  Bedürfnis,  auch  röntgenologisch  tätig  zu  sein.  In  einer  ge¬ 
meinsamen  Arbeit  mit  D.  Gebhardt  (M.m.W.  1912  Nr.  33/34) 
berichtet  er  über  die  Wirkung  der  Abführmittel  beim  Menschen,  nach 
Beobachtungen  mit  der  Röntgenmethode.  Diese  zeitraubenden  Unter¬ 
suchungen  waren  im  Rahmen  des  klinischen  Betriebes  nur  in  der 
Weise  durchführbar,  dass  Sonntag  um  Sonntag  zu  den  Serienbeob¬ 
achtungen  herangezogen  wurde.  In  Königsberg  setzte  er  neben 
seiner  vielseitigen  anderweitigen  Tätigkeit  seine  röntgenologischen 
Ai  beiten  fort.  Aber  schon  war  eine  neue  Technik  aufgetaucht,  die 
er  sich  ebenfalls  zu  eigen  machen  musste:  er  hat  sofort  die  Ab- 
d  e  r  h  a  1  d  e  n  sehe  Dialysiermethode  aufgegriffen,  um  ein  eigenes 
Urteil  über  ihre  Brauchbarkeit  zu  gewinnen;  er  kam  mit  seinen 
Mitarbeitern  zu  ziemlich  günstigen  Resultaten,  doch  hat  er  noch  am 
letzten  Kongress  in  Wiesbaden  eine  abwartende  Stellung  empfohlen. 

Im  persönlichen  Verkehr  war  Meyer  ein  angenehmer  Gesell¬ 
schafter  und  ein  stets  hilfsbereiter  Kollege.  Wenn  etwas  nicht  nach 


seinem  Kopfe  ging  oder  wenn  jemand  gar  den  ordentlichen  Betrieb 
seiner  Krankenstation  stören  wollte,  so  konnte  er  auch  einen  energi¬ 
schen,  rauhen  Ton  finden;  aber  das  war  nur  äussere  Schule,  im 
Grunde  besass  er  ein  liebenswürdiges  Wesen  und  bei  den  gemein¬ 
samen  Mahlzeiten  am  Assistententisch  wirkte  sein  launiger,  oft  mit 
Selbstironie  gewürzter  schwäbischer  Humor  erfreuend  und  belebend. 
Ein  Grundzug  seines  Wesens  war,  dass  er  trotz  der  grossen  Wert¬ 
schätzung.  die  er  genoss,  von  sich  immer  noch  höhere  Leistungen  ver¬ 
langte-  ein  einzigesmal  habe  ich  ihn,  glaube  ich,  mit  sich  selbst  zu- 
tr jeden  gesehen;  das  war  damals,  als  er  nach  der  Hämatoporphyrin- 
injektion  mit  dickverschwollenem  Gesicht  im  Dunkclzimmer  zu  Bette 

Die  in  seiner  Natur  begründete  Fähigkeit,  für  eine  gestellte  Auf¬ 
gabe  sich  mit  seiner  ganzen  Person  einzusetzen,  hat  er  auch  im 
Felde  bewiesen;  seine  heldenhafte  Pflichterfüllung  vor  dem  Feinde 
hatte  ihm  die  Anwartschaft  auf  das  eiserne  Kreuz  gesichert. 

Otto  Neubauer  -  München. 


Auswärtige  Briefe. 


Hamburger  Briefe. 

(Eigener  Bericht.) 


Die*  Hamburger  Bürgerschaft  hat  in  ihrer  letzten  Sitzung  am 
7.  Oktober  drei  Beschlüsse  gefasst,  die  auch  für  weitere  ärztliche 
Kreise  nicht  ohne  Interesse  sein  dürften.  Der  §  1274  der  RVO.  ge¬ 
stattet  bekanntlich  den  Landesversicherungsanstalten  mit  Genehmi¬ 
gung  des  Reichsversicherungsamtes  Mittel  aufzuwenden,  um  all¬ 
gemeine  Massnahmen  zur  Verhütung  des  Eintritts  vorzeitiger  Inva¬ 
lidität  unter  den  Versicherten  oder  zur  Hebung  der  gesundheitlichen  : 
Verhältnisse  der  versicherungspflichtigen  Bevölkerung  zu  fördern 
oder  durchzuführen.  Eine  ähnliche  Bestimmung  gestattet  den  Kran¬ 
kenkassen  (§  363  RVO.),  Mittel  für  allgemeine  Zwecke  der  Krank¬ 
heitsverhütung  aufzuwenden.  Dagegen  fehlen  derartige  Vorschriften 
in  der  Unfallversicherung  und  vor  allem  auch  in  dem  letzten  der  so¬ 
zialen  Gesetze,  der  Angestelltenversicherung.  Die  Bestimmungen  des ; 
§  1274  RVO  sind  vom  RVA.  in  grosszügigster  Weise  ausgelegt  wor¬ 
den  Es  genehmigte,  dass  die  Landesversicherungsanstalten  ihre 
reichen  Mittel  für  die  K  r  i  e  g  s  f  ii  r  s  o  r  g  e  bereitstellen  und  zweck¬ 
entsprechend  verwenden  können,  und  zwar  bis  zu  5  v.  H.  ihres  Ver¬ 
mögens.  Da  der  Buchwert  jener  Mittel  jetzt  rund  2  Milliarden  Mark 
beträgt,  so  kann  mit  einem  Höchstbetrage  von  etwa  100  Millionen 
Mark  gerechnet  werden.  Der  hamburgischen  Kriegshilfe  wurden  auf 
Grund  dieser  Vereinbarung  bereits  500  000  M.  von  der  Landesver¬ 
sicherungsanstalt  der  Hansestädte  überwiesen.  Demgegenüber  hat 
das  Direktorium  der  Reichsversicherungsanstalt  jede  Beihilfe  zur 
Kriegshilfe  abgelehnt,  indem  es  sich  darauf  berief,  dass  eine  solche 
Verwendung  seiner  Mittel  im  Gesetz  nicht  vorgesehen  sei.  Und  da¬ 
bei  verfügte  die  Reichsversicherungsanstalt  am  31.  Dezember  v.  J., 
also  nach  einem  Jahre,  bereits  über  ein  Vermögen  von  122  Millionen 
Mark,  das  sich  inzwischen  bedeutend  vermehrt  haben  muss.  Diesem 
Mangel  wollen  die  Antragsteller  durch  eine  Aenderung  der  Gesetz¬ 
gebung  abhelfen.  Sie  beantragen,  der  Senat  möge  beim  Reichskanzler 
und  Bundesrat  dahin  wirken,  dass,  erforderlichenfalls  auf  Grund  be¬ 
sonderer  gesetzgeberischer  Massnahmen,  auch  von  der  Reichsver¬ 
sicherungsanstalt  für  Angestellte  aus  ihrem  Vermögen  entsprechende 
Beträge  zur  Linderung  der  durch  den  Krieg  geschaffenen  Notlage  zur 
Verfügung  gestellt  werden,  dass  ferner  das  Heilverfahren  in  mög¬ 
lichst  weitem  Umfange  weiter  gewährt  wird,  und  dass  endlich  auch 
Grundstücksbelehnungen  in  geeigneten  Fällen,  namentlich  bei  ge¬ 
meinnützigen  Unternehmungen,  während  der  Kriegszeit  erfolgen,  ui 
der  Begründung  der  Anträge  wurde  besonders  hervorgehoben,  dass 
das  AVG.  in  erster  Linie  die  kaufmännischen  Angestellten  umfasst, 
in  deren  Kreisen  die  Arbeitslosigkeit  und  Not  mit  am  schlimmsten 
sei.  Ferner  habe  das  Direktorium  erklärt,  während  der  Kriegszeit 
müsse  die  Fortsetzung  eines  Heilverfahrens  ruhen,  weil  die  Aerzte 
eingezogen  seien,  während  es  doch  geradezu  dazu  dienen  soll,  die 
drohende  Berufsunfähigkeit  abzuwenden.  Daher  müsse  es  möglich 
gemacht  werden,  die  erforderliche  Untersuchung  und  Behandlung  von 
Personen  vorzunehmen,  die  der  Heilfürsorge  bedürftig  sind.  Eine 
Gesetzesänderung  sei  dahin  zu  beantragen,  dass  §  225  des  AVu. 
(„Eine  Anlage  des  Vermögens  der  Reichsversicherungsanstalt  ist  nur 
in  Wertpapieren,  in  anderer  Art  nur  für  Verwaltungszwecke,  zur 
Vermeidung  von  Vermögensverlusten  oder  für  Untersuchungen  zu¬ 
lässig,  die  ausschliesslich  oder  überwiegend  den  Versicherten  zugute 
kommen“)  im  Sinne  des  §  1274  RVO.  geändert  werde. 

Vom  ärztlichen  Standpunkte  aus  können  diese  Anträge  nur  auts 
wärmste  begrüsst  werden,  und  hoffentlich  gelingt  es,  mit  oder  ohne 
Uesetzesänderung,  auch  die  Reichsversicherungsanstalt,  die  es  bisher 
wenig  verstanden  hat,  die  allgemeinen  und  ärztlichen  Sympathien  zu 
erwerben,  zur  Beihilfe  bei  der  herrschenden  Not  heranzuziehen.  Der 
Vorwand,  dass  das  Heilverfahren  jetzt  ruhen  müsse,  weil  die  Aerzte 
eingezogen  seien,  ist  durchaus  hinfällig.  In  allen  Städten  finden  sich 
noch  immer  genügend  ärztliche  Kräfte,  junge  und  alte,  die  imstande 
sind,  das  Heilverfahren  einzuleiten,  und  ebensogut  wie  die  Kranken¬ 
kassen,  Berufsgenossenschaften,  Lungenheilstätten  etc.  auch  jetzt 
ihre  Tätigkeit  weiter  ausiiben,  darf  dasselbe  von  der  Reichsversiche¬ 
rungsanstalt  erwartet  werden.  An  dem  Mangel  an  Aerzten  liegt  es 
jedenfalls  nicht,  wenn  diese  Tätigkeit  eingestellt  wird.  K.  i- 


13.  Oktober  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


2087 


Vereine. 

Freie  militärärztliche  Vereinigung  in  Erlangen. 

(Eigener  Bericht.) 

2.  Sitzung  vom  18  September  1914. 

Vorsitzender:  Generalarzt  Prof.  Dr.  P  e  n  z  o  1  d  t. 

t*Ll  eiehardt  spricht  über  die  Serumtherapie  der  Dys- 

utene.  he  in  unseren  Breiten  auch  in  Kriegszeitcn  vorkommenden 
alle  von  R  u  h  r  sind  fast  ausnahmslos  bazilläre  Formen  Der 
irreger  ist  der  Bazillus  von  Kruse-  Sh  i  g  a.  Sein  Nachweis  ist 
in  besten  in  der  nachstgelegenen  Seuchenstation,  unter  Zuhilfenahme 
pezifischer  Nährboden  möglich.  Der  Vortragende  erörtert  zuerst  die 
:  n}  1  k  °.  r.p  e  r  b  1 1  d  u  n  g  bei  dieser  Infektion.  Von  den  Antikörpern 
md  praktisch-therapeutisch  die  Antitoxine,  welche  gegen  das 
’uhrtoxin  vom  Organismus  gebildet  werden,  wichtig.  Dass  solche 
oxine  auch  bei  der  Ruhr  als  wasserlösliche  Substanzen,  wie 
ei  der  iphtherie  abgeschieden  werden,  geht  aus  den  Versuchen 
on  Krau  s  s  und  K  o  1  1  e  hervor.  Cs  findet  also  bei  der  Dysenterie 
urch  das  entsprechende  Heilserum  eine  Toxi  nabsättig  uns 
ie  bei  der  Diphtherie  statt.  Das  Serum  ist  durch  die  Höchster 
a  r  b  w  e  r  k  e  und  das  Dresdener  Seruminstitut  zu  be- 
■  enen.  Der  Preis  beträgt  M.  2.80  für  je  10  ccm.  Die  Anwendun  g 
riolgt  in  der  Weise,  dass  in  leichteren  Fällen  10 — 20  ccm,  in  schwereil 
allen  100  ccm  einmal  unter  die  Haut  eingespritzt  werden  Bald 
ach  der  Injektion  wird  bei  den  Kranken  Euphorie  beobachtet, 
ic  Quälenden  I  enesmen  verschwinden,  die  Stühle  werden  wieder 
ikulent.  Das  Dysenterietoxin  ist  stabil,  durch  seine  Wirkung  an 
'ereil  genau  charakterisiert  und  gut  zu  dosieren.  Die  Darstellung 
nd  Auswertung  der  Dysenterieheilsera  wird  sodann  vom  Vortragen- 
en  besprochen.  Oeftere  Prüfung  der  Sera  ist  unbedingtes  Erforder- 

is,  da  oft  Abschwächungen  Vorkommen. 

Die  Statistiken  guter  Untersucher  zeigen  den  Nutzen  des 
\senterieheilserums.  Wir  haben  also  in  ihm  und  in  der  raschen 
akteriologischen  Diagnose  der  Dysenterie  wirkungsvolle  Waffen  im 
ampf  gegen  diese  Kriegsseuche. 

Zu  bemerken  ist,  dass  auch  bei  dieser  Infektion  Daueraus- 
wheidei*  Vorkommen,  die  noch  jahrelang  nach  überstandener 
rankheit  in  ihren  Stühlen  die  Bazillen  entleeren.  Dass  solche  Leute 
tie  ständige  Gefahr  für  ihre  Umgebung  bilden,  ist  ohne  weiteres 
ar.  Die  Art  der  Infektion  und  die  Infektiosität  ent¬ 
richt  im  allgemeinen  derjenigen  bei  Typhus. 

An  diese  Mitteilung  knüpft  Vortragender  einige  Bemerkungen 
ler  Befunde  nach  Schutzimpfung  gegen  Typhus. 

Manche  hohe  Agglutinationswerte  im  Serum 
an  zösischer  Kriegsgefangener,  welche  mit  dem  kli- 
schen  Befund  scheinbar  in  Widerspruch  stehen,  sind  wahrscheinlich 
'  zu  erklären,  dass  diese  Soldaten  gegen  Typhus  aktiv  immuni- 
ert  wurden.  Hier  ist  nur  der  Bazillenbefund  im  Stuhl  dafür  be¬ 
eisend,  ob  die  Krankheit  oder  ein  Dauerträgerzustand  besteht. 

Herr  Toeniessen  berichtet  kurz  über  einen  eigenartig  ver¬ 
wenden  Fall  von  Pneumohämothorax  durch  Schussverletzung.  Ver- 
tzung  am  23.  VIII.  Einschuss  unter  dem  linken  Schulterblatt,  Aus¬ 
nuss  unter  dem  linken  Schlüsselbein.  Einige  Tage  Hämoptoe.  Bei 
nlieferung  ms  Reservelazarett  (4.  IX.)  hochgradige  Dyspnoe  mit 
-‘rdrangungserscheinungen.  Durch  Röntgenbild  und  Probepunktion 
leumohämothorax  nachgewiesen.  Der  Bluterguss  (dunkelrot, 
c  h  t  gerinnend)  vollkommen  frei  beweglich,  Flüssigkeitsspiegel 
Höhe  der  2.  Rippe.  Infolge  der  bedrohlichen  Verdrängungserschei- 
ngen  Punktion  erforderlich;  am  6.  IX.  und  11.  IX.  jedesmal  un- 
tahr  100  ccm  Bluterguss  entleert.  Entsprechend  der  Entleerung 
r  Flüssigkeit  nahm  der  Gehalt  an  Luft  in  der  Brusthöhle  zu.  die 
ittreibung  der  linken  Brusthälfte  blieb  bestehen,  so  dass  ein  Ven- 
Ipneumothorax  angenommen  werden  muss.  Nach  den  Punk¬ 
ten  bedeutende  Besserung  der  Dyspnoe  und  der  Herztätig- 

it.  Am  17.  IX.  ziemlich  rasch  sich  entwickelnde  faustgrosse  Auf¬ 
ei  b  u  n  g  d  e  r  linken  Unterschlüsselbeingrube.  Int 
ehen  gedämpfter,  im  Liegen  laut  tympanitischer  Schall.  Der  In- 
h  des  Pneumothorax  hatte  sich  also  durch  die  Einschussöffnung  der 
rderen  I  horaxwand  einen  Weg  nach  aussen  unter  die  Haut  ge- 
nnt.  Die  Punktion  ergab  hellrote,  rasch  gerinnende  Fliissig- 
it.  Es  musste  also  eine  frische  Blutung,  vermutlich  aus  einem 
r  o  diciten  Interkostalgefäss  eingetreten  sein.  Die 
Handlung  ist  zunächst,  d.  h.  solange  keine  Zeichen  einer  be¬ 
glichen  Blutung  auftreten,  eine  konservative. 

Diskussion:  Herren  Kreuter,  Penzoldt,  Toenies- 
v.  K  r  y  g  e  r,  K  ö  n  i  g  e  r.  Kreuter 


Tagesgeschichtliche  Notizen. 

München,  den  12.  Oktober  1914. 

■  10.  Kriegs  woche.  Nach  langen  Wochen  aufregender 
aiinung  prangen  die  deutschen  Städte  wieder  im  Flaggenschmuck: 
twerpen  ist  gefallen,  die  belgische  Armee  vernichtet  und 
it  r,  c  ®rs*e  unserer  Gegner  niedergeworfen.  Die  ganze 
itsche  Streitmacht  im  Westen  kann  jetzt  zusammengefasst  werden, 
die  lange  erwartete  und  doch  nicht  mehr  zweifelhafte  Entschei- 
ig  im  Norden  Frankreichs  herbeizuführen.  Für  den  Gang  der  Er- 
msse  ohne  wesentliche  Bedeutung,  aber  doch  bezeichnend  für  die 
ischlossenheit  und  den  Mut  deutscher  Soldaten  selbst  auf  einem 


vu  loi  eilen  l  osten  ist  die  Verteidigung  von  Kiaiitschaii.  wo  eine 
.1  na  voll  deutscher  I  nippen  dem  Ansturm  der  vereinigten  Engländer 
und  Japanesen  jetzt  schon  länger  standhält,  als  die  „stärkste  Festung 
der  Welt  \  verteidigt  von  einer  starken  belgisch-englischen  Armee, 
dein  deutschen  Angriff  gegenüber  es  vermochte. 
v  .  Dass  der  geschäftliche  Betrieb  in  Deutschland  vom 
jvneg  weniger  schwer  gestört  ist,  wie  in  den  anderen  kriegführenden 
Landern,  zeigt  sich  u.  a.  auch  an  dem  Verhalten  der  medizini¬ 
schen  Fachpresse.  Wie  „II  Policlinico“  berichtet,  ist  ihm  von 
den  französischen  und  belgischen  Zeitschriften,  mit  denen  er  Tausch¬ 
verkehr  unterhält,  seit  Beginn  des  Kriegs  kein  Stück  mehr  zu¬ 
gegangen;  es  ist  anzunehmen,  dass  die  Blätter  nicht  mehr  erscheinen. 
Auch  die  englischen  Tauschexemplare  erhält  P.  nur  teilweise  und 
diese  in  stark  verkleinertem  Umfang;  P.  nimmt  Papiermangel  als 
Ursache  dieser  Erscheinung  an.  „Brit.  med.  Journal“  und  „I.ancet“ 
sind  in  den  letzten  Wochen  in  Rom  überhaupt  nicht  mehr  eingetroffen. 
Nur  die  deutschen  und  österreichischen  Zeitschriften  treffen  in  Rom, 
allerdings  bei  geringerer  Seitenzahl,  mit  einer  gewissen  Regelmässig¬ 
keit  ein  (wobei  das  pünktliche  Erscheinen  der  „Münchener“  beson- 
ders  hervorgehoben  wird).  Es  zeigt  also  auch  auf  diesem  Gebiet 
wie  m  der  ganzen  übrigen  Volkswirtschaft,  Deutschland  die  grössere 
VN  iderstandskraft  gegenüber  den  störenden  Einwirkungen  des  Krieges. 

In  den  Orten  Os  tpreussens,  wo  wegen  des  herrschenden 
A  e  r  z  t  e  m  a  n  g  e  1  s  Aerzte  vorübergehend  angestellt  werden,  er¬ 
halten  diese  seitens  der  Behörden  die  Erstattung  der  Reisekosten 
freie  Wohnung  und  25  M.  tägliche  Entschädigung.  Dafür  müssen  sie 
,  !llnPan  aklge  umsonst  behandeln.  Die  fraglichen  Orte  sind  be¬ 
hördlich  festgestellt.  Es  bleibt  Vorbehalten,  dass  während  der  Dauer 
der  Beschäftigung  ein  Wechsel  des  Aufenthalts  eintritt.  Auskünfte 
dui  ch  Reg.-Medizinalrat  Dr.  S  o  1  b  r  i  g  -  Königsberg. 

,  ,T‘  Pas  ?reuss-  Kriegsministerium  hat  sich  mit  einer  Anregung 

leschaftigt,  die  F  euerbestattung  im  Kriege  zur  Anwendung 
zu  bringen.  Die  Medizinalabteilung  des  Kriegsministeriums  erklärt 
dazu:  Der  Ausführung  der  Feuerbestattung  auf  dem  Schlachtfelde 
steht  besonders  der  Umstand  entgegen,  dass  —  im  Hinblick  auf 
die  im  Frieden  in  den  Krematorien  gemachten  Erfahrungen  —  die 
Feuerbestattung  zu  viel  Zeit  beansprucht.  Die  Notwendigkeit,  die 
Verbrennungsöfen  erst  auf  dem  Schlachtfelde  zu  errichten,  das 
Feuerungsmaterial  heranzuschaffen  und  die  Gefallenen  zu  den  Oefen 
zu  transportieren,  ist  eine  weitere  Schwierigkeit,  die  bei  der  Erdbe¬ 
stattung  nicht  in  Betracht  zu  ziehen  ist.  Transportable  Einäsche¬ 
rungsapparate  können  überhaupt  nicht  in  Frage  kommen.  Ob  die 
Feuerbestattung  in  Festungen  Verwendung  finden  wird,  hängt  von 
den  Umständen  ab;  im  übrigen  ist  auch  im  Felde  nach  der  Kriegs- 
saniiätsordnung  die  L  eichenverbrennung,  wenn  sich  eine  Notwendig¬ 
keit  ergibt,  vorgesehen.  Für  die  in  der  Heimat  Verstorbenen  sind 
hinsichtlich  der  Feuerbestattung  die  Bestimmungen  der  Landesge¬ 
setze  massgebend.“ 

—  Das  Wolf  sehe  Telegraphenbüro  meldet:  Es  hat  sich  das 
Bedürfnis  herausgestellt,  die  zur  Dienstleistung  bei  den  mobilen  und 
linn.1,0.hilen  Formationen  vertraglich  verpflichteten,  nichtgedienten 
Zivilarzte  als  zum  Heer  gehörig  kenntlich  zu  machen.  Für  diese 
Aerzte  wird  daher  folgende  Uniform  vorgeschrieben:  Graue  Joppe 
nach  Art  der  Litewka;  anstelle  der  bei  den  Sanitätsoffizieren  blauen 
Spiegel  beiderseits  einen  Aeskulapstab  ohne  Dienstgradabzeichen; 
am  Arm  die  weisse  Binde  mit  dem  roten  Kreuz;  Kopfbedeckung-  die 
Mutze  der  Sanitätsoffiziere;  lange  oder  Stiefelbeinkleider,  Wahl  frei¬ 
gestellt.  Als  Waffe  wird  die  Mauser-Selbstladepistole  7,63  mm  ge¬ 
stattet.  Diese  Bestimmungen  gelten  auch  für  die  landsturmpflich¬ 
tigen  Aerzte  ohne  Rücksicht  auf  ihren  Dienstgrad  und  soweit  sie 
nicht  zum  Tragen  einer  Sanitätsoffiziersuniform  berechtigt  sind. 


- —  Am  7.  ds.  fand  in  München  der  2.  Kriegschirur¬ 
gische  Abend  des  Aerztlichen  Vereins  statt.  Die  Herren  Prof 
G  K  1  e  i  n,  Hofrat  K  recke,  Prof.  A.  S  c  h  m  i  1 1  berichteten  über  ihre 
Erfahrungen  an  einer  grossen  Zahl  von  Verwundeten;  dabei  wurden 
besonders  die  zahlreichen  Fälle  von  Aneurysmen  und  von  Nerven¬ 
verletzungen  berücksichtigt.  Prof.  Oberndorfer  brachte  patho¬ 
logisch-anatomische  Demonstrationen.  Vom  ersten  Kriegschirur¬ 
gischen  Abend  sei  noch  die  Ansprache  erwähnt,  mit  der  der  II  Vor¬ 
sitzende  (der  I.  Vorsitzende,  Ober-Generalarzt  Dr.  R  e  h  ist  im 
Feld)  Hofrat  R.  v.  Hösslin  diese  Abende  einleitete.  Er  gedachte 
mit  warmen  Worten  der  im  Feld  stehenden  Kollegen,  gegen  deren 
unter  unsäglichen  Strapazen  und  vielfach  unter  grösster  Lebensgefahr 
vollbrachte  Arbeit  das,  was  wir  hier  in  unseren  modern  eingerichte¬ 
ten  Lazaretten  und  Krankenhäusern  mit  geschultem  Personal  leisten 
können,  verschwindend  gering  sei.  Er  entbot  den  Kollegen  im  Feld 
die  herzlichen  Grüsse  und  die  heissen  Wünsche  des  Vereins  für  Wohl¬ 
ergehen  und  erfolgreiche  Arbeit. 

—  Im  Stuttgarter  Aerztlichen  Verein  fand  am 
10.  September  der  1.  kriegsärztliche  Vorzeigungsabend  statt;  die 
Herren  V  o  1  k  m  a  n  n,  S  t  e  i  n  t  h  a  1,  Ulrich,  K  o  h  1  h  a  a  s, 
S  c  h  i  c  k  1  e  r  besprachen  an  der  Hand  von  Präparaten,  Röntgen- 
bildern  und  Krankenvorstcllungen  vor  einer  überaus  grossen  Ver- 
Sammlung  von  Aerzten  ihre  Erfahrungen  in  den  ersten  Wochen  der 
Kriegszeit.  Am  2.  Abend  (17.  September)  sprachen  die  Herren 
v.  Hofmeister,  A.  Zeller,  S  t  e  i  n  t  h  a  1  u  a.  über  Behandlung 
der  Schussfrakturen  u.  a.  Die  Abende  werden  von  jetzt  ab  jeden 
1.  und  3.  Donnerstag  abgehalten. 

—  Wir  werden  um  Aufnahme  der  nachstehenden  Zuschrift  er¬ 
sucht:  In  der  Kolonie  Grüne  wald  bei  Berlin  haben  mehrere 


2088 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


hundert  Villenbewohner  Raume  zur  Verfügung  gestellt,  wo  Offiziere, 
Offiziersdiensttuende,  Militärpersonen  und  Einjahrig-Freiwillige  un¬ 
entgeltlich  aufgenommen  und  verpflegt  w'erden,  um  sich  nach  Ver¬ 
wundungen  oder  Krankheiten  zu  erholen.  Es  besteht  auch  die  Ein¬ 
richtung  einer  mediko-mechanischen,  elektrischen  und  baineothera¬ 
peutischen  Nachbehandlung.  Die  Einrichtung  ist  besonders  dazu  ge¬ 
eignet,  Krankenhäuser  von  Rekonvaleszenten  und  Leichtverwunde¬ 
ten  zu  entlasten.  Aerztliche  Behandlung  steht  ebenfalls  unentgeltlich 
von  den  in  der  Kolonie  ansässigen  Aerzten  zur  Verfügung.  Die  Ver¬ 
teilung  in  die  einzelnen  Räume  erfolgt  durch  die  Zentrale  des  Er¬ 
holungsheims  der  Gemeinde  Grunewald  bei  Geh.  Medizinalrat  Prof, 
v.  Hanse  mann,  Grunewald,  Winklerstr.  27  (Fernsprecheramt 
Pfalzburg  527),  bei  dem  die  Anmeldungen  zu  erfolgen  haben  und  der 
auch  sonst  bereit  ist,  über  die  Einrichtung  jede  Auskunft  zu  erteilen. 
Mannschaften  können  nicht  aufgenommen  werden,  weil  bei  der  Ver¬ 
teilung  in  den  einzelnen  Villen  der  Kolonie  Grunewald  eine  diszipli¬ 
näre  Aufsicht  nicht  möglich  ist.  Die  Herren  Aerzte,  denen  die  Be¬ 
handlung  geeigneter  Militärpersonen  obliegt,  werden  gebeten,  die¬ 
selben  auf  diese  Einrichtung  hinzuweisen  und  selbst  zu  ihrer  Ent¬ 
lastung  davon  Gebrauch  zu  machen. 

—  Die  Firma  F  a  s  s  e  1 1  und  Johnson  in  Berlin  ersucht  uns 
darauf  hinzuweisen,  dass  die  in  der  Liste  ausländischer  Spezialitäten 
genannten  Präparate  „Angiers  Emulsion“  und  „Califig“  ameri¬ 
kanische  Produkte  sind.  Wir  kommen  diesem  Wunsche  gerne 
nach,  obwohl  das  neuerliche  Vorgehen  der  amerikanischen  Aerzte 
gegen  die  deutschen  Spezialitäten  eine  besondere  Rücksicht¬ 
nahme  auf  die  amerikanischen  Präparate  nicht  angezeigt  erscheinen 
lässt.  Hat  doch  das  Journal  der  American  Med.  Association  in 
seiner  Nummer  vom  22.  August  direkt  zur  Umgehung  des  deutschen 
Markenschutzes  aufgefordert  und  die  gesetzliche  Erschwerung  des 
Patentschutzes  für  Arzneipräparate  verlangt. 

—  Das  Eiserne  Kreuz  erhielten: 

Oberarzt  d.  Res.  Dr.  Ludwig  Bürger,  Hartha  i.  S. 

Stabsarzt  Dr.  Biirker,  3.  Bat.  Gen. -Reg.  Nr.  123,  Professor  in 
Tübingen 

Oberarzt  d.  Res.  Dr.  Ernst  Dünzelmann,  Leipzig. 

Stabsarzt  Dr.  Adolf  Frank. 

Stabsarzt  d.  Res.  und  Reg.-Arzt  Dr.  Richard  Gagzow-  Lübeck. 

Dr.  Gering,  Oberleutnant  der  Landwehr,  Privatdozent  der 
Psychiatrie  in  Giessen. 

Stabs-  und  Reg.-Arzt  Dr.  Rudolf  Grüner. 

Stabs-  und  Reg.-Arzt  Dr.  W.  G  r  u  n  e  r  t. 

Stabsarzt  d.  Res.  Dr.  Johannes  H  a  r  t  m  a  n  n,  Leipzig. 

Assistenzarzt  Herchner. 

Stabs-  und  Regimentsarzt  W.  Hinneberg,  Neukalen,  90.  Res.- 
Inf.-J^eg. 

Stabsarzt  Dr.  H.  K  a  y  s  e  r  (Altona),  Hygieniker  beim  General¬ 
kommando  IX.  Armeekorps. 

Stabsarzt  Dr.  M  a  a  s  s. 

Stabsarzt  und  Regimentsarzt  Dr.  Gottfried  M  e  s  s  m  e  r. 

Dr.  Karl  Scheiter,  Nürnberg. 

Stabsarzt  d.  Res.  Dr.  Otto  Schütz,  Hartheck  bei  Leipzig. 

Oberarzt  d.  Res.  Dr.  Theodor  Schwedenberg. 

üeneraloberarzt  Dr.  Sims,  Chemnitz. 

Dr.  John  T  h  i  e  s,  Leipzig. 

Assistenzarzt  Wilh  Weisenberg 

Der  akademische  Rat  der  Düsseldorfer  Akademie 
für  praktische  Medizin  hat  beschlossen,  die .  Herbst-  und 
Winterkurse  ausfallen  zu  lassen. 

Vom  „R  e  i  c  h  s  m  e  d  i  z  i  n  a  1  k  a  1  e  n  d  e  r“,  begründet  von 
Dr.  Paul  Börner,  herausgegeben  von  Geh.  San.-Rat  Prof.  Dr. 
Schwalbe  in  Berlin  (Verlag  von  G.  T  h  i  e  m  e  in  Leipzig)  ist  der 
I.  Teil,  Taschenbuch  in  Ledereinband,  nebst  Tages-Kalendarium  in 
4  Quartalsheften  und  2  Beiheften,  erschienen.  Der  Preis  für  den 
1.  Teil  beträgt  3  M. 

-  Cholera.  Oesterreich-Ungarn.  Am  23.  September  wurden 
in  Wien  1  und  in  Lisko  (Galizien)  2  Erkrankungen  bei  Militär- 
personen  festgestellt,  am  25.  September  1  weitere  Erkrankung  einer 
Militärperson  in  Wien  und  1  Fall  in  Brünn  (Mähren.  In  Ungarn 
wurden  je  1  Erkrankung  in  Bekescsaba  (Korn.  Bekes),  in  Munkacs 
(Kom.  Bereg)  und  in  Püspökladany  sowie  2  in  der  Stadt  Ungvar 
(Korn.  Hajdu)  gemeldet. 

—  Pest  Vereinigte  Staaten  von  Amerika.  In  NewOrleans 
wurden  vom  28.  Juli  bis  19.  August  5  neue  Pestfälle,  im  ganzen  bisher 
18  festgestellt.  Die  Zahl  der  gefundenen  Pestratten  belief  sich  auf 
insgesamt  55. 

—  In  der  38.  Jahreswoche,  vom  20. — 26.  September  1914,  hatten 
von  deutschen  Städten  über  40  000  Einwohner  die  grösste  Sterblich¬ 
keit  Metz  mit  36,2,  die  geringste  Solingen  mit  4,0  Todesfällen 
pro  Jahr  und  1000  Einwohner.  Mehr  als  ein  Zehntel  aller  Gestor¬ 
benen  starb  an  Scharlach  in  Gleiwitz,  Königshütte,  Zabrze,  an  Masern 
und  Röteln  in  Gladbeck.  Vöff.  Kais.  Ges.A. 

(Hochschulnachrichten.) 

Berlin.  Seinen  70.  Geburtstag  beging  am  11.  Oktober  der 
Geh.  Medizinalrat  Dr.  Ernst  S  a  1  k  o  w  s  k  i,  ord.  Honorarprofessor 
und  Vorsteher  des  chemischen  Laboratoriums  am  pathologischen 
Universitätsinstitut  in  Berlin,  (hk.) 

Bonn.  Für  das  Fach  der  inneren  Medizin  habilitierte  sich 
Dr.  med.  et  phil.  Heinrich  G  e  r  h  a  r  t  z  mit  einer  Probevorlesung 


Nr.  4t. 


über  „Die  Regulierung  der  Energieökonomie  des  Organismus"  und 
gleichzeitig  Dr.  med.  Julius  Veszi  für  das  Fach  der  Physiologie  mit 
einer  Probevorlesung  über  „Neuere  Untersuchungen  über  die  Rücken¬ 
marksreflexe“. 

Frankfurt  a.  M.  Die  Professoren  Dr.  Julius  R  a  e  c  k  e,  Ober¬ 
arzt  an  der  Städt.  Irrenanstalt,  und  Dr.  August  Knoblauch 
Direktor  des  Städt.  Siechenhauses,  wurden  zu  ausserordentlicher 
Professoren  in  der  medizinischen  Fakultät  der  Universität  Frank¬ 
furt  a.  M.  ernannt,  (hk.) 

Göttingen.  Habilitiert:  Dr.  Kurt  Blüh  dorn  als  Privat¬ 
dozent  für  Kinderheilkunde.  Die  Habilitationsschrift  trägt  den  Titel: 
„Biologische  Untersuchungen  über  die  Darmflora  des  Säuglings“,  (hk.) 


Ehrentafel. 

Fürs  Vaterland  starben: 

Werner  Bestehorn,  Einj.-Freiw.  im  1.  Garde-Reg.,  Zahn¬ 
arzt  in  Potsdam. 

Dr.  Otto  Brian,  Oberarzt  im  Rhein.  Pionier-Bataillon  Nr.  8, 
Assistenzarzt  am  Augusta-Hospital  zu  Köln. 

Dr.  A.  Dessauer,  Stabsarzt  d.  Res.  im  1.  bayer.  Feld- 
artillerie-Reg.  (München). 

Herbert  E  i  c  k  e,  cand.  med.,  Unterarzt  (Breslau),  auf  dem 
westl.  Kriegsschauplatz. 

Dr.  Rudolf  Fuchs  (Liegnitz),  Feldunterarzt  im  Res.-lnf.-Reg. 

Nr.  7,  am  23.  Sept.  vor  Verdun. 

Dr.  Karl  G  r  i  1 1  m  e  i  e  r,  Stabsarzt  und  Reg.-Arzt  im  2.  bayer. 

Inf.-Reg.  (München),  am  24.  Sept. 

Dr.  Wilh.  Hammer,  Ass.-Arzt  Inf.-Reg.  166. 

Dr.  Hei  mann  (Duisburg),  Unterarzt  Gren.-Reg.  110. 

Dr.  W.  Rudolf  Heusner,  Ass.-Arzt  d.  Res.  beim  3.  Bat. 
142.  Inf.-Reg.,  am  3.  Sept. 

Karl  Knopf,  cand.  med.  aus  Eilenburg  i.  S„  Kriegsfreiwilliger 
im  Inf.-Reg.  Nr.  110. 

Dr.  Hans  Kögel,  Oberarzt  d.  Res.  (Heilstätte  Albertsberg  i/V.), 
am  17.  Sept.  in  Frankreich. 

Dr.  Karl  Koch,  Stabsarzt,  Res.-lnf.-Reg.  102  (Brand-Erbis- 
dorf  i.  Sa.). 

Dr.  Max  Lichtenberge  r,  Oberarzt  d.  Res.  (Görwihl). 
Dr.  Hans  Mrugowsky,  Stabsarzt  4.  Garde-Reg.  z.  F. 
(Rathenow). 

Willy  N  i  e  f  a  n  g  e  r,  cand.  med.,  Einj.-Freiw.  im  bayer. 
1.  Inf.-Reg. 

Dr.  Arthur  Scherschmidt,  Stabsarzt  1.  San.-Komp. 
1.  Armeekorps. 

Dr.  Erwin  Schwarz,  freiwilliger  Bataillonsarzt  beim  17.  Res.- 
lnf.-Reg.,  Chefarzt  am  städt.  Krankenhause  zu  Idar,  Inhaber 
des  Eisernen  Kreuzes. 

Anton  Wernich,  stud.  med.,  Gefreiter  der  Res.  im  bayer. 
19.  Inf.-Reg. 

Dr.  Rudolf  Zorn  (Saarlouis),  am  10.  Sept. 


Bitte. 

Im  Verlaufe  des  Feldzugs  ist  von  zahlreichen  Fällen  vor 
Greueltaten  der  Feinde  gegen  unsere  Verwunde 
t  e  n  berichtet  worden.  Ausstechen  der  Augen,  Abschneiden  vor 
Ohren  und  Nasen  und  andere  Scheusslichkeiten  sind  vorgekommen 
Die  Verlagsbuchhandlung  von  J.  F.  Lehmann  in  München 
(Verlag  der  Münchener  medizinischen  Wochenschrift)  beabsich¬ 
tigt  die  Sammlung  und  spätere  Herausgabe  von  Dokumentei 
über  solche  Fälle  von  Verstümmelung  und  ersucht  für  diesen  Zweck 
um  Ueberlassung  geeigneten  Materials,  insbesondere  von  Photo¬ 
graphien.  Natürlich  können  nur  von  den  Einsendern  selbst 
beobachtete  Fälle  in  Betracht  kommen.  Die  Verlagshandlung  ver¬ 
gütet  für  jede  brauchbare  Photographie  5  M.  Das  eingehende  Ma¬ 
terial  wird  auch  in  der  M.m.W.  entsprechend  verwertet  werden. 

Die  Schriftleitung. 


Eingesandt. 

Das  „Eingesandt“  in  Ihrer  Nummer  39  veranlasst  mich  Sie 
zu  ersuchen,  in  die  geplante  Liste  auch  die  vakanten  Stellen  für 
Feld-  und  Etappenlazarette  sowie  Verwundetentransportzüge,  die 
vom  roten  Kreuz  ausgerüstet  werden,  aufzunehmen.  Bei  manchen 
Armeekorps  ist  der  Bedarf  an  Aerzten  zunächst  gedeckt  —  wie  um 
mitgeteilt  wurde  — ,  bei  anderen  fehlt  es  sicherlich.  Von  den 
Wunsche  beseelt,  zu  helfen,  ist  es  uns  gleich,  ob  wir  auf  den  w 
liehen  oder  östlichen  Kriegsschauplatz  oder  auch  zu  unserem  Bundes 
genossen  Oesterreich  geschickt  würden.  Ich  bitte  daher,  eine  diesbe 
zügliche  Anregung  in  Ihrer  nächsten  Nummer  zu  geben.  Dr.  S. 


Deutsche  Aerzte! 

Verschreibt  nur  deutsche  Präparate  und  Spezialitäten! 


Verlag  von  J.  F.  Lehmann  in  München  S.W.  2,  Paul  Heysestr.  26.  —  Druck  von  E.  Mühlthaler’s  Buch-  und  Kunstdruckerei  A.O.,  München. 


preis  der  einzelnen  Nummer  80  4.  •  Bezugspreis  in  Deutschland 
.  .  •  und  Ausland  s.ehe  unten  unter  Bezugsbedingungen  •  •  • 

Inscrnlenschluss  am  Donnerstag  einer  jeden  Woche. 


MÜNCHENER 


Zusendungen  sind  zu  adressieren: 

Für  die  Redaktion  Arnulfstr.  26.  Bürozeit  der  Redaktion  8K — 1  Uhr. 
Für  Abonnement  an  J.  F.  Lehmann’s  Verlag,  Paul  Fteysestrasse  26. 
Für  Inserate  und  Beilagen  an  Rudolf  Mosse,  Theatinerstrasse  8. 


Medizinische  Wochenschrift. 


ORGAN  FÜR  AMTLICHE  UND  PRAKTISCHE  ÄRZTE 


Nr.  42.  20.  Oktober  1914.  Redaktion:  Dr.  B.  Spatz,  Paul  Heysestrasse  26. 

_ _ Verlag:  J.  F.  Lehmann,  Paul  Heysestrasse  26. 

_ Verlag  behalt  sich  das  ausschliessliche  Recht  der  Vervielfältigung  und  Verbreitung  der  ln  dieser  Zeitschrift  zum  Abdruck 


61.  Jahrgang. 

gelangenden  Originalbelträge  vor. 


Originalien. 

Ueber  die  Behandlung  der  Fettsucht  mit  kolloidalen 
Platinmetallhydroxyden  (Leptynol). 

(III.  Mitteilung.) 

Von  Privatdozent  Dr.  M.  Kau  ff  mann  in  Halle. 

Nacli  meiner  ersten  Publikation  [l]  hat  Tissier1)  über 
günstige  Resultate  mit  wässerigen,  kolloidalen  Lösungen  von 
Platinmetallen  berichtet  und  so  meine  schon  vor  4  Jahren 
gemachten  Beobachtungen  bestätigt.  Tissiers  Präparat, 
welches  durch  Kohlehydrate  stabilisiert  wird,  ist  indessen  von 
geringerer  Haltbarkeit  wie  die  Paal  sehen  Hydrosole  und  vor 
allem  wie  das  von  mir  eingeführte  Amberger-Paal  sehe 
Organosol.  Die  von  Tissier  angewendeten  geringen  Mengen 
von  Metall  (wöchentlich  12,5 — 25  mg)  können  jedenfalls  bei 
schweren  Fällen  von  endogener  Fettsucht  kaum  eine  Wirkung 
erzeugen. 

Auf  Grund  jahrelanger  praktischer  Erfahrung  hatte  ich  gefunden, 
dass  nur  tiefe  Injektionen  des  Organosols  gut  resorbiert  werden, 
ähnlich  etwa  wie  die  Quecksilbersalze  bei  der  intraglutäalen  Injektion. 
Werden  Schwermetalle  zu  oberflächlich  deponiert,  so  tritt  leicht  von 
der  Haut  aus  eine  sekundäre  Infektion  ein.  Gerade  die  oberflächlichen 
Eettschichten  enthalten  wenig  Blutgefässe,  und  es  wird  die  Resorption 
des  Präparates  deshalb  eine  bessere  sein,  wenn  dieses  recht  tief  ein- 
geführt  wird.  Meine  Vorschrift,  tief  in  das  Bauchfett  zu  injizieren, 
ist  wiederholt  ganz  eigenartig  ausgelegt  worden.  Ueber  die  Stärke 
der  Fettschicht  bei  dicken  Personen  scheinen  ganz  eigentümliche 
Vorstellungen  zu  herrschen:  so  wurde  ich  wiederholt  darüber  inter¬ 
pelliert,  ob  denn  das  Einstechen  einer  Nadel  3-4  cm  tief  nicht  zu 
Verletzungen  des  Bauchfelles  führen  könnte! 

P'e  Einspritzungen  direkt  in  das  Fett,  die  ich  nach  jahrelanger 
Erfahrung  als  das  beste  Verfahren  erkannt  hatte,  haben  vor  allen 
längen  den  Zweck,  das  Metall  lokal  wirken  zu  lassen.  Diese  lokale 
Wirkung  tritt  nicht  bei  allen  Personen  gleichmässig  zutage.  Gewöhn¬ 
lich  bildet  sich  eine  Eindellung  der  Fettschicht  oberhalb  der  In- 
ektionsstelle. 

Eine  theoretische  Erklärung  hat  diese  lokale  Fettwirkung  durch 
Jie  Beobachtung  erhalten,  dass  Sesamöl,  welches  späterhin  als 
.ösungsmittel  des  kolloidalen  Palladiumhydroxyduls  angewendet 
"urde,  sich  stets  unter  chemischer  Bindung  des  Luftsauerstoffes 
'anzig  zersetzte,  obwohl  es  nach  einer  von  Amberger  angegebenen 
Viethode  vorher  entsäuert  war.  Das  kolloidale  Palladiumhydroxydul 
n  Sesamöllösung  griff  also  sein  eigenes  Lösungsmittel,  ein  Fett,  an. 
-äese  fettzersetzende  AVirkung  des  Palladiums  bzw.  Palladium- 
ijdroxyduls  hat  Prof.  Paal  in  seinem  Institut  näher  studiert:  Eine 
mgewogene  Menge  Sesamöl,  die  längere  Zeit  unter  einer  Glasglocke 
iei  Zimmertemperatur  sich  befand,  veränderte  ihr  Gewicht  fast  gar 
acht,  während  eine  andere  Menge  von  Sesamöl,  mit  kolloidalem 
alladiumhydroyydul  versetzt,  erst  minimal  an  Gewicht  abnahm  und 
ann  täglich  um  2  Proz.  an  Gewicht  gewann.  Das  Oel  wurde 
chliesslich  ganz  fest,  und  unter  beträchtlicher  Aufnahme  von  Sauer¬ 
stoff  bildete  sich  wahrscheinlich  Dioxy-Stearinsäure-Glyzerid  aus 
I  riolein. 

Die  ursprünglich  eingeführte  Paraffinlösung  des  Leptynols  wurde 
airch  eine  solche  des  Präparates  in  Sesamöl  ersetzt,  weil  ich  aus 
lcn  Berichten  der  Kollegen  zuweilen  den  Eindruck  bekam,  dass  das 
araffinlösliche  Präparat  oft  zu  langsam  resorbiert  wurde  und  dann 
'1!r  geringe  oder  gar  keine  Wirkung  erzeugte,  z.  B.  berichtet 
vosenfeld*)  bei  3  Fällen  von  Infiltrationen.  Wiederholt  waren 
'berdies  nach  den  Injektionen  des  paraffinlöslichen  Präparates 
vbszesse  beobachtet  worden.  Ich  selbst  habe  bei  Hunderten  von 
niektionen  niemals  eine  Abszessbildung  erlebt,  und  auch  Gorn  [3|, 
er  sich  vorher  bei  mir  über  die  Injektionstechnik  persönlich  orientiert 
at,  sah  bei  seinen  Injektionen  (über  4  cm  tief)  niemals  Komplikationen, 
hiss  solche  nur  auf  einer  ungenügenden  Technik  oder  auf  ungeeigneter 
Vahl  des  Injektionsortes  beruhen  konnten,  konnte  ich  mehrfach 

’)  Le  medecin  pract.  Nr  25,  1913,  Referat  im  Zbl.  f.  d.  ges.  Ther., 

1  10,  Jahrg.  31.  *)  B.kl.W.  1914  Nr.  6  S.  283. 

Nr.  42. 


konstatieren.  Patienten,  die  ich  selbst  erst  injiziert  hatte  und  nachher 
ihrem  Hausarzt  überliess,  bekamen  nur  nach  den  Injektionen  des 
Kollegen  Abszedierungen,  während  meine  Injektionen  reaktionslos 
vei  liefen.  Ich  habe  auch  wiederholt  Fälle  —  zum  Teil  vom  Aus- 
land  — -  mit  Erfolg  selbst  in  Behandlung  genommen,  bei  welchen  vor¬ 
her  durch  oberflächliche  Injektionen  Abszedierungen  vorgekommen 
waren.  Wiederholt  war  das  Mittel  nur  Yz  cm  tief  unter  die  Haut  ge¬ 
spritzt  worden.  Es  ist  klar,  dass  ein  ziemlich  lange  liegenbleibendes 
Depot  des  Leptynols  schon  durch  Druck  auf  die  darüberliegende 
Hautschicht  wirken  muss,  so  dass  eine  Art  innere  Gangrän  entsteht, 
bleibt  aber  das  Metallhydroxydul  lange  liegen,  so  wirkt  das  Metall 
zu  lange  lokal  und  erzeugt  durch  Fettverdauung  Ernährungsstörungen 
der  Haut;  dann  ist  die  Gefahr  der  Reduktion  durch  die  immer  in 
kleinen  Mengen  vorhandenen  reduzierenden  Substanzen  naheliegend 
So  erklären  sich  auch  die  Misserfolge  von  H.  Pollitzer3)  Die 
Abszedierungen,  die  Vogt  [5]  nach  Injektion  der  Paraffinöliösung 
beobachtete,  beruhen  darauf,  dass  er  die  äussere  Seite  des  Ober¬ 
schenkels  zu  seinen  Injektionen  wählte.  Das  L.eptynoldepot  wird 
durch  die  Bewegung  und  auch  durch  nachträgliches  Weiterwandern 
nach  der  Haut  zu  gereizt,  während  bei  tiefen  Injektionen  In  die  nicht 
abschüssige  Bauchgegend  oder  in  die  oberen  Partien  der  Brust  eine 
nachträgliche  Bewegung  des  Präparates  nach  der  Haut  zu  ausge- 
schlossen  ist.  Mehrfach  haben  sich  Kollegen  die  Injektionstechnik 
bei  mir  angesehen  bzw.  sich  selbst  darin  geübt,  und  ich  bin  immer 
gern  bereit,  Kollegen,  welche  Schwierigkeiten  mit  der  Injektions¬ 
technik  haben,  Gelegenheit  zu  geben,  sich  diese  bei  mir  anzusehen. 
Die  tiefen  Injektionen  in  das  Fettgewebe  schienen  manchen  Kollegen 
Schwierigkeiten  zu  bereiten,  vielleicht  weil  sie  Besorgnis  hegten,  die 
Nadei  abzubrechen.  Deshalb  habe  ich  unter  Benutzung  eines  schon 
vorher  vorhandenen  Modells  allgemein  eine  Nadel  eingeführt,  welche 
aus  biegsamem  Material  besteht  und  eine  Metallplatte  besitzt,  bis  zu 
welcher  (4  cm)  eingestossen  wird.  Wiederholte  Versuche,  die  Nadel 
abzubrechen,  ergaben  das  Resultat,  dass  diese  oberhalb  der  Platte  am 
Ansatz  brach,  so  dass  also  von  der  eingestossenen  Nadel  im  Falle  des 
Abbrechens  während  der  Injektion  immer  die  Platte  selbst  und  ein 
Stumpf  bis  zum  Ansatz  aus  der  Haut  hervorragen  würde.  Ich  habe 
bei  etwa  1500  Injektionen  von  Leptynol  niemals  das  Abbrechen  einer 
Nadel  beobachtet.  Seit  übrigens  die  beschriebene  Nadel  jeder 
Packung  beigelegt  wird,  sind  Klagen  über  Infiltrate  nicht  mehr  vor¬ 
gekommen,  wieder  ein  Beweis,  dass  nur  eine  falsche  Injektionstechnik 
längerdauernde  Infiltrate  verursacht  hatte.  Diese  Erörterungen  haben 
zwar  jetzt  nur  noch  theoretisches  Interesse,  weil  das  Paraffin-Lep- 
tynol  nicht  mehr  im  Handel  ist. 

Die  Sesamöllösung  hatte  sich  schon  aus  den  oben  angeführten 
Gründen  nicht  bewährt.  Die  fortwährende  Bildung  von  kleinen 
Mengen  freier  Fettsäuren  wirkte  lokal  reizend,  und  es  war  die  Mög¬ 
lichkeit  vorhanden,  dass  infolge  des  hohen  Gehaltes  des  Oels  an  unge¬ 
sättigten  Glyzeriden  das  Palladiumhydroxydul  zum  Teil  zu  Metall 
reduziert  wurde.  Deshalb  musste  ein  ganz  neues  Lösungsmittel 
gefunden  werden,  welches  keine  körperfremden  Stoffe,  sondern  nur 
leicht  resorbierbare  Substanzen  enthält.  Den  Bemühungen  des  Herrn 
Prof.  Paal  ist  es  schliesslich  gelungen,  ein  derartiges,  kokosfett¬ 
haltiges  Präparat  herzustellen,  dessen  komplizierte  nähere  Zusammen¬ 
setzung  Prof.  Paal  demnächst  selbst  publizieren  wird.  Dasselbe 
kann  durch  geringes  Erwärmen  leicht  verflüssigt  werden  und  bleibt 
dann  auch  längere  Zeit  ni  diesem  flüssigen  Zustande.  Ich  spritzte  mir 
je  1  ccm  des  neuen  Lösungsmittels  in  die  Vorderarme  und  beobachtete 
schon  nach  2  Tagen  ein  Aufhören  jeglicher  lokaler  Schmerzempfin¬ 
dung.  während  Injektionen  von  Olivenöl  noch  nach  8  Tagen  empfind¬ 
lich  blieben.  Das  Präparat  in  dem  neuen  Lösungsmittel  erzeugt 
so  gut  wie  gar  keine  lokalen  Reizerscheinungen  mehr.  Immerhin  mag 
es  Vorkommen,  dass  besonders  nervöse  Personen  nach  tiefen  In¬ 
jektionen  in  die  Bauchgegend  reflektorische  Darmerscheinungen,  auch 
Herzklopfen  bekommen.  Bei  solchen  Fällen  empfiehlt  es  sich,  mehr 
die  seitlichen  Hüftengegenden  oder  den  Rumpf  für  die  Injektionen 
zu  wählen.  Unter  den  fast  200  Fällen,  die  ich  mit  Leptynol  behandelte, 
habe  ich  nur  bei  3  Fällen  Darmstörungen  beobachtet,  die  aber  fast 
unmittelbar  nach  der  Injektion  auftraten,  also  reflektorisch  durch 
Reizung  der  tieferen  Bauchschicht  zu  erklären  sind.  Die  ausser¬ 
ordentlich  leichte  Resorbierbarkeit  dieses  neuen  Lösungsmittels  für 
Organosole  ermöglichst  nun  auch  eine  vollkommen  reaktionslose  Ein- 
veileibung  des  Leptynols. 


:l)  M.m.W.  1914  Nr.  13  S.  736. 


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2090 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Lang  andauernde  Versuche,  einen  grösseren  1  eil  des  Palladiums 
durch  Platin  zu  ersetzen,  haben  zu  keinem  befriedigenden  Resultat 
geführt,  weil  das  Organosol  des  Platinhydroxyduls  sich  in  Sesamöl 
als  viel  schwerer  resorbierbar  erwies.  Es  war  versucht  worden,  die 
Hälfte  des  Palladiums  durch  etwa  die  doppelte  Menge  von  Platin  zu 
ersetzen,  entsprechend  dem  fast  doppelt  so  hohen  Atomgewicht  dieses 
Metalls.  Ich  musste  mich  dann  aber  mit  einer  Kombination  beider 
Metalle  bescheiden,  welche  in  2  ccm  40  mg  Pd  und  15  mg  Pt  als 
Hydroxydule  enthält;  darin  war  also  nur  ein  Fünftel  des  Palladiums 
durch  die  VA  fache  Menge  von  Platin  ersetzt.  Diese  Kombination  er¬ 
gab  bessere  Resultate  als  die  frühere  reine  Palladiumlösung,  ins¬ 
besondere  setzte  sie  das  Nahrungsbedürfnis  stärker  herab,  worauf 
noch  weiter  unten  einzugehen  sein  wird.  Die  eben  erwähnte  Kom¬ 
bination  in  dem  neuen,  geradezu  idealen  Lösungsmittel  macht  eine 
etwaige  intravenöse  Applikation  wässeriger  Lösungen  der  Platin- 
metallkolloide  (T  i  s  s  i  e  r)  unnötig,  denn  die  Resorptionsfähigkeit  des 
Präparates  ist  eine  ausgezeichnete.  Auch  die  intragluteale  Injektion, 
die  bei  vielen  Fällen,  bei  welchen  lokale  Wirkung  nicht  erstrebt  wird, 
z.  B.  bei  Gicht  und  Diabetes  etc.  angezeigt  ist,  kann  mit  dem  neuen 
Präparat  ohne  jede  Komplikation  vorgenommen  werden. 

In  meiner  ersten  Mitteilung  [1]  hatte  ich  schon  kurz  über  die 
Wirkung  wässeriger  Lösungen  der  Paal  sehen  kolloidalen  sechs 
Platinmetallhydroxyde  berichtet.  Um  nun  auch  die  Wirkung  grosser 
Mengen  des  Platinhydroxydul-Hydrosols  im  Vergleich  Palladium- 
hydroxydul-Hydrosol  kennen  zu  lernen,  habe  ich  42 — 84  mg  Platin 
in  Form  des  kolloidalen  Hydroxyduls  in  wässeriger  Lösung  tief  in¬ 
jiziert.  Die  Injektionen  erzeugten  wohl  Fieber,  aber  keine  befrie¬ 
digenden  Gewichtsabnahmen.  Ausserdem  traten  an  den  Injektions¬ 
stellen  Nachschmerzen  auf,  die  allerdings  nach  24  Stunden  wieder 
verschwanden.  Jedenfalls  wirkt  die  wässerige  Platinhydroxydul¬ 
lösung  lange  nicht  so  energisch  wie  die  reine  wässerige  Palladium¬ 
hydroxydullösung.  Bei  zwei  2  kg  schweren  Kaninchen  wurden 
wiederholt  intrakardiale  Injektionen  von  wässeriger  Palladium¬ 
hydroxydullösung  gemacht,  wobei  mich  Kollege  Dr.  B  o  y  e  -  Halle 
unterstützte.  Das  Körpergewicht  sank  nach  mehrmaligen  Injektionen 
von  je  20  mg  unter  1400  g.  Bei  den  Tieren  war  das  Fett  —  soweit 
dies  durch  Palpation  nachzuweisen  war  —  vollkommen  geschwunden, 
dabei  bestand  gutes  Wohlbefinden  und  zum  Schluss  eine  ausser¬ 
ordentliche  Gehässigkeit.  Der  Urin  war  dauernd  einweissfrei. 

Da  wiederholt  nach  der  Einnahme  von  Salinen  Infiltrationen  an 
den  Injektionsstellen  beobachtet  worden  waren,  so  bestand  der  Ver¬ 
dacht,  dass  Sulfate  vielleicht  die  Tätigkeit  des  Leptynols  hemmen; 
indessen  habe  ich  häufig  Salinen,  wie  Marienbader-  und  Karls¬ 
badersalz,  verordnet  mit  gutem  Erfolg.  Vermutlich  sind  die  er¬ 
wähnten  Infiltrationen  nur  auf  schlechte  Technik  zurückzuführen. 

Das  Wesen  eines  positiven  Katalysators,  wie  ihn  das 
Lcptynol  vorstellt,  bringt  es  mit  sich,  dass  dre  Beschleunigung 
chemischer  Vorgänge  eben  von  der  Intensität  dieser  selbst  ab¬ 
hängt.  Gorn  [4]  konnte  bei  manchen  Patienten  bei  Bettruhe 
sogar  Gewichtszunahmen  mit  Leptynol  beobachten.  Reine, 
unkomplizierte  Fälle  von  exogener  Fettsucht  (die  übrigens  in 
Krankenhäusern  und  Kliniken  ganz  selten  zu  finden  sind),  bei 
welchen  nur  ein  Missverhältnis  besteht  zwischen  der  aufge¬ 
nommenen  Nahrung  und  ihrer  Bewältigung  durch  den  Orga¬ 
nismus,  leiden  an  keiner  Oxydationsstörung.  Es  ist  also  vor¬ 
auszusetzen,  dass  ein  positiver  Katalysator  bei  exogenen 
Fällen  energischer  wirken  wird,  als  bei  Fällen  von  endogener 
Fettsucht.  Ewald4)  bemängelt  bei  einigen  meiner  früher  ver¬ 
öffentlichten  Fälle,  dass  die  Abnahmen  in  langen  Zeitintervallen 
vor  sich  gingen.  Dieser  Umstand  war  aber  durch  das  Ver¬ 
halten  der  Personen  selbst  bedingt,  die  mich  nur  in  Zeit¬ 
intervallen  von  vielen  Wochen  aufsuchten.  Diese  Personen, 
welche  dem  Zwange  einer  geregelten  Diät  und  Behandlung 
durchaus  abhold  waren,  Hessen  sich  nur  hie  und  da  zu  Ein¬ 
spritzungen  bewegen.  Die  einzige  Aenderung  der  Lebens¬ 
weise,  die  ich  bei  solchen  exogenen  Fällen  anordnete,  war  die 
Vorschrift  von  etwas  Muskelarbeit,  über  deren  Bedeutung  noch 
weiter  unten  die  Rede  sein  wird;  jedoch  wurde  auch  diese 
Vorschrift  nicht  immer  befolgt. 

Leider  kann  ich  die  Krankengeschichten  meiner  Fälle  hier  nicht 
ausführlich  bringen.  Am  häufigsten  habe  ich  Fälle  von  gemischter 
Fettsucht  behandelt,  d.  h.  solche,  bei  denen  erbliche  Belastung  oder 
mangelnde  Funktion  der  Drüsen  mit  innerer  Sekretion  vorhanden 
waren,  und  die  sich  ausserdem  überernährten.  Vielleicht  ist  hier 
schon  diese  Tendenz  zur  Ueberernährung  krankhaft.  Ich  habe  ferner 
auch  mehrere  Fälle  von  Gicht  behandelt,  z.  B.  den  folgenden  Fall  von 
exogener  Fettsucht. 

R.,  Kommerzienrat,  54  Jahre,  litt  in  den  letzten  Jahren  an  Gicht, 
allerlei  nervösen  Beschwerden,  Gliederschmerzen.  Wiederholte 
Radiumkuren  brachten  keinen  Erfolg.  Depressionszustände.  Hat 
ziemlich  reichlich  gegessen  und  getrunken,  ca.  45  Kalorien  pro  Kilo¬ 
gramm  täglich,  dabei  wenig  Bewegung.  Während  der  Behandlung 


4)  Zschr.  f.  ärztl.  Fortbild.  1913  Nr.  15. 


Nr.  42 


mit  Leptynol  keine  Diät,  ausgezeichnetes  Wohlbefinden.  Die  Glieder 
schmerzen  sind  geschwunden.  Die  Stimmung  ist  sehr  gebessert. 

22.  V.  1913:  2,3  ccm,  94,0  kg.  28  V.:  2,3  ccm,  92,6  kg.  2.  VI 

2.4  ccm  91,2  kg.  10.  VI.:  89,8  kg. 

Bei  den  meisten  Fällen  musste  schon  deshalb  zu  einer  Nahrungs 
einschränkung  gegriffen  werden,  weil  sie,  von  ausserhalb  kommend 
sich  nur  kurze  Zeit  hier  aufhalten  konnten.  Bei  der  Nahrungsein 
Schränkung  trat  der  Wert  der  durch  das  Leptynol  bewirkten  Ver 
minderung  des  Nahrungsbedürfnisses  immer  hervor,  so  dass  zuweilei 
richtige  Hungerkuren  ohne  jede  Störung  des  Allgemeinbefinden 
durchgeführt  werden  konnten. 

Exogener  Fall:  Fräulein  N.,  40  Jahre,  tägliche  Nahrungsaufnahmt 
ca.  40  Kalorien  pro  Kilogramm.  Wenig  Besserung.  Hat  schon  ver 
schiedene  Kuren  gemacht.  Hat  einen  Tag  vor  der  Kur  schon  ziemlicl 
gehungert  und  wenig  getrunken. 

19.  VII.  1913:  1,5  ccm,  108,7  kg.  20.  VII.:  1,5  ccm,  105,7  kg 

21.  VII.:  1,5  ccm,  105,3  kg.  26  VII.:  1.5  ccm,  102,6  kg.  27.  VII. 

1.5  ccm,  102,2  kg.  28.  VII.:  1,5  ccm,  101,8  kg.  29.  VII.:  1,5  ccm 

101.5  kg. 

Während  der  Kur  nur  ca.  15  Kalorien  pro  Kilogramm  täglich 
Kein  Hungergefühl.  Ging  4 — 5  Stunden  täglich.  Nach  Berich: 
3  Wochen  später  fühlt  sie  sich  ausgezeichnet.  Das  Fett  war  sichtbai 
geschwunden.  Das  Jackett  z.  B.  war  um  ca.  14  cm  zu  weit  gewordei 
in  8  Tagen. 

Gemischter  Fall:  A.,  Gutsbesitzer,  41  Jahre,  hat  früher  stark  ai 
Gicht  gelitten.  Erblich  belastet.  Geht  sehr  viel,  soweit  ihm  die: 
seine  Gicht  erlaubt.  Isst  täglich  ca.  50  Kalorien  pro  Kilogramm.  Wai 
schon  wiederholt  in  verschiedenen  Bädern  ohne  dauernde  Wirkung 
Während  der  Kur  nahm  er  täglich  ca.  15  Kalorien  pro  Kilogramm  zi 
sich.  Reichliche  Bewegung. 

31.  VII.  1913:  1,5  ccm,  87,85  kg.  1.  VIII.:  1,5  ccm,  85,9  kg 
2.  VIII.:  1,5  ccm,  85,6  kg.  4.  VIII.:  1,6  ccm,  84,9  kg.  5.  VIII.  1,6  ccm 
85,0  kg.  6.  VIII.:  1,6  ccm,  85,0  kg.  7.  VIII.:  1,6  ccm,  83,75  kg.  8.  VIII. 

1.7  ccm,  83,35  kg.  9.  VIII.:  82,9  kg. 

Gemischter  Fall:  Frau  H.,  24  Jahre,  wurde  nach  der  erster 
Schwangerschaft  sehr  stark.  Tägliche  Nahrungsaufnahme  ca.  40  Ka¬ 
lorien  pro  Kilogramm,  macht  sich  wenig  Bewegung.  Hat  früher 
wiederholt  Milchkuren  gemacht,  ohne  wesentlichen  Erfolg.  Kam  zui 
Kur  zu  mir,  nachdem  sie  schon  2  Tage  hindurch  ziemlich  gehunger 
hatte.  Nimmt  während  der  Kur  pro  Kilogramm  täglich  nur  10  Ka¬ 
lorien  zu  sich. 

7.  VI.  1913:  2,2  ccm,  91,3  kg.  8.  VI.:  3,0  ccm,  89,65  kg.  12.  VI. 
3,0  ccm,  86,1  kg.  18.  VI. :  84,0  kg.  21.  VI.:  2,5  ccm.  24.  VI. :  2,5  ccm 

83.7  kg.  7.  VIII.:  Hat  keine  Diät  gehalten,  79,8  kg. 

Linke  Brustseite  bedeutend  kleiner  geworden  gegenüber  der 
rechten,  welch  letztere  wegen  Stosses  gegen  dieselbe  nur  einmal  zun 
Einspritzen  benutzt  werden  konnte.  Ausgezeichnetes  Wohlbefinden 

Bemerkenswert  ist  bei  diesem  Fall,  dass  nach  Aussetzen  der 
Injektion  die  Abnahme  noch  weiter  vor  sich  ging  und  zwar  ohne  Ein¬ 
halten  von  Diät. 

Manche  endogene  Fälle  nehmen  auch  bei  wesentlicher 
Einschränkung  der  Nahrungszufuhr  nicht  ab,  ja  —  man  be¬ 
hauptet  wohl  —  nicht  einmal  im  Hunger.  Man  pflegt  wohl  auch 
zu  sagen,  dass  das  Fett  nur  im  Feuer  der  Kohlehydrate  ver¬ 
brennt,  welche  Regel  viel  allgemeiner  durch  das  Gesetz  der 
gekoppelten  Reaktionen  von  O  s  t  w  a  1  d  ausgedrückt  wird. 
Bemerkenswert  ist  besonders  die  leichte  Anpassungsfähigkeit 
der  endogenen  Fettsuchtsfälle  an  die  geringe  Nahrungszufuhr 
Ob  sie  25  Kal.  oder  15  Kal.  täglich  pro  Kilogramm  erhalten, 
manche  Fälle  nehmen  kein  Gramm  ab.  Solche  Fälle,  besondere- 
weibliche,  hat  u.  a.  auch  Roemheld5)  mehrfach  beobachtet. 
Gärtner0)  konnte  seine  Patienten  ausnahmslos  durch  Diät 
und  sonstiges  Regime  allein  entfetten.  Ich  habe  aber  eine 
Reihe  von  Patienten  behandelt,  welche  auch  mit  der  Gärt¬ 
ner  sehen  Diät  keinen  Erfolg  hatten  oder  nur  einen  kurzen, 
vorübergehenden.  Ueberhaupt  hatten  die  meisten  meiner 
Fälle  schon  alle  möglichen  anderen  Diätkuren  etc.  versucht. 
Verschiedene  mit  der  Gärtn  ersehen  Diät  behandelte 
Patienten  haben  mir  übrigens  versichert,  dass  sie  dabei  stark 
an  Hungergefühl  gelitten  hätten. 

Oft  hatte  ich  bei  meinen  Fällen  den  Eindruck,  als  ob  die 
geringere  Nahrungsmenge  auch  besser  resorbiert  würde,  wie 
denn  ja  auch  schwerer  verdauliche  Nahrungsmittel  von  Ge¬ 
sunden  bei  starker  Unterernährung  viel  besser  ausgenutzt 
werden.  Es  ist  mir  wiederholt  entgegengehalten  worden,  dass 
manche  Erfolge  meiner  Leptynolkur  einfach  durch  die  Diät¬ 
beschränkungen  erklärt  werden.  Diese  Ansicht  ist  aber  mit 
Rücksicht  auf  das  oben  gesagte  zurückzuweisen.  Ich  habe 
bei  Fällen,  die  kompliziert  waren  durch  Neurasthenie,  ferner 

0  M.  Kl.  1914  Nr.  6  S.  243. 

)  Diätetische  Entfettungskuren,  Leipzig  1913,  S.  29. 


20.  Oktober  1914. 


MUENCHENEff  MEPfZIMSCHE  WOCHENSCpRIFt. 


209! 


bei  Derkum  scher  Krankheit  trotz  erheblicher  Einschränkung 
und  trotz  Leptynolinjektionen  anfangs  gar  keine  Gewichts¬ 
abnahmen  erzielt;  erst  im  weiteren  Verlauf  waren  diese  dann 
deutlich.  Nun  ist  zu  bedenken,  dass  gerade  bei  Derkum¬ 
scher  Krankheit  der  Wasserhaushalt  oft  sehr  gestört  ist  und 
man  muss  deshalb  auch  wasserentziehende  Mittel  anwenden. 
Vielleicht  wird  das  aus  dem  wasserstoffreichen  Fett  gebildete 
„endogene“  Oxydationswasser  leichter  rctiniert  als  das  per  os 
aufgenommene.  Dann  ist  die  Perspiratio  insensibilis  besonders 
bei  Derkum  scher  Krankheit  sehr  gehemmt,  wie  dies  auch 
bei  Frauen  während  der  Menstruationszeit  beobachtet  wird. 

Man  hat  neuerdings  gegen  die  Wasserentziehung  bei  Ent¬ 
fettungskuren  eingewendet,  dass  das  Wasser  keine  Brenn¬ 
werte  enthalte  und  dass  nur  der  Appetitverminderung  der 
günstige  Erfolg  der  Brunnenkuren  etc.  zuzuschreiben  sei. 
Richtig  ist,  dass  Abnahmen,  die  nur  durch  Flüssigkeitsent¬ 
ziehung  hervorgerufen  werden,  ohne  bleibenden  Wert  sind; 
dies  trifft  auch  häufig  bei  Milchkuren  zu.  Es  ist  jedoch  nicht 
von  der  Hand  zu  weisen,  dass  starke  Anfüllung  des  Körpers 
mit  Wasser  vielleicht  mechanisch  die  Ablagerung  von  Fett 
begünstigt.  Auf  die  theoretische  Bedeutung  der  Wasserent¬ 
ziehung  wird  weiter  unten  noch  eingegangen  werden. 

Der  folgende  Fall  ist  deshalb  instruktiv,  weil  der  Patient  im 
späteren  Verlauf  seiner  Kur  täglich  3  Liter  helles  Bier  trank,  da  er 
sehr  viel  schwitzte.  Trotzdem  er  die  feste  Nahrung  bedeutend  ein¬ 
schränkte,  so  dass  er  nicht  mehr  an  Kalorien  zu  sich  nahm  als  früher, 
gelang  es  nicht,  eine  weitere  Abnahme  bei  ihm  zu  erzielen. 

v.  K.,  Oberstleutnant  a.  D.,  ^5  Jahre,  hat  schon  verschiedene 
Diätkuren  gemacht  ohne  wesentlichen  Erfolg.  Klagt  besonders  über 
Herzbeschwerden.  Die  Herztöne  sind  leise,  dumpf.  Tägliche  Nah¬ 
rungsaufnahme  ca.  40  Kalorien  pro  Kilogramm,  Bauchumfang  116  cm. 

5.  VI.  1913:  3,75  ccm,  97,2  kg.  12.  VI. :  3,0  ccm,  93,9  kg.  23.  VI. 

3.2  ccm,  92,9  kg.  3.  VII.:  3,2  ccm  (Bauchumfang  110,7  cm),  91,2  kg. 
17.  VII.:  91,4  kg. 

Der  nachstehend  endogene  Fall  ist  dadurch  interessant,  dass  er 
mit  derselben  herabgesetzten  Nahrungsaufnahme,  mit  der  er  nicht 
weiter  abnahm,  bei  der  Leptynolbehandlung  ganz  erheblich  an  Ge¬ 
wicht  verlor.  Besonders  bei  diesem  Fall  war  die  Euphorie  auffällig. 

U.,  Holzhändler,  44  Jahre,  erblich  belastet.  Ursprünglich  177  kg 
-schwer.  Nach  verschiedenen  Kuren  bis  auf  151  kg.  Hat  seitdem 
immer  diät  gelebt  (nur  10  Kalorien  pro  Kilogramm  täglich).  Behält 
dieselbe  Nahrung  bei. 

17.  IV.  1913:  2,1  ccm,  154,1  kg  21.  IV.:  2,1  ccm,  152,25  kg, 
25.  IV.:  4,5  ccm,  151,5  kg.j  [5.  V.:  4,0  ccm,  147,1  kg.  20.  V.:  4,0  ccm. 
145,4  kg.  12.  VI.:  4,0  ccm,  143,5  kg.  21.  VII.:  6,0  ccm,  141,2  kg: 
27.  VII.:  6,0-jccm,  137,7  kg.  30.  VII.:  6,0  ccm,fT36,5  kg.  6.  VIII. 

134,3  kg. 

Das  Schlafbedürfnis  Hess  sehr  nach.  Die  Muskelarbeit  war  er- 
IcisJjtert.  Hat  10  Kalorien  pro  Kilogramm  beibehalten.  Ist  dabei  aber 
P4-— 3  Stunden  täglich  spazieren  gegangen.  Litt  nicht  unter  Hunger. 

Bei  verschiedenen  Fällen  mit  Dysmenorrhöe  beobachtete  ich  ein 
Zurückgehen  der  Beschwerden  unter  der  Leptonolbehandlung.  Bei 
verschiedenen  Fällen  von  Schilddrüsenschwellungen  gingen  letztere 
zurück.  Anbei  einige  hierhergehörige  Fälle. 

Frau  D.  L.,  41  Jahre,  Körpergrösse  161  cm.  Nahrungsaufnahme 
35 — 40  Kalorien  pro  Kilogramm  täglich.  War  früher  nicht  dick,  dann 
Schilddrüsenschwellung  und  Exophthalmus,  wurde  ziemlich  stark. 
Gewicht  ca.  87  kg.  Nach  Antithyreoidin  Moebius  verlor  sie  in 
4  Wochen  7  Pfund,  nahm  dann  wieder  stark  zu.  Verschiedene  Kuren, 
Bäder  ohne  Einfluss.  Hält  keine  Diät,  macht  sehr  reichlich  Spazier¬ 
gänge. 

24.  V.  1913:  1,0  ccm,  82,1  kg.  25.  V.:  2,2  ccm,  82,0  kg.  6.  VI.: 

2.2  ccm,  81,0  kg.  7.  VI.:  2,1  ccm,  80,3  kg.  28.  VI.:  2,5  ccm,  80,0  kg. 
29.  VI.:  79,8  kg.  17.  VII.:  2,0  ccm,  79,15  kg.  5.  VIII.:  2,0  ccm, 
77,55  kg.  6.  VI 11. :  3,2  ccm,  76.85  kg.  3.  X.:  76,3  kg.  4.  X.:  76,1  kg. 

Nahm  noch  weiter  ab  bis  75,5  kg.  Behielt  dieses  Gewicht  ziem¬ 
lich  bei  bis  vor  Weihnachten  1913.  Ging  dann  wenig  und  ass  sehr 
reichlich.  Exophthalmus  während  der  Kur  fast  ganz 
geschwunden.  Rechtsseitige  Schilddrüsenschwel¬ 
lung  vollständig  beseitigt. 

25.  III.  1914  rechtsseitige  Schilddrüsenschwellung  wieder  etwas 
vorhanden.  Exophthalmus  stärker.  Klagt  über  Frösteln.  Temperatur 
in  der  Achselhöhle  gewöhnlich  bloss  35,8  bis  36,2°.  Puls  stark  ar- 
rhythmisch. 

25.  III.  1914:  3,0  ccm,  81,2  kg.  26.  III.:  1,7  ccm,  80,5  kg.  27.  III: 
i,0  ccm.  80,3  kg.  29.  III.:  3,2  ccm,  79,75  kg.  30.  III.:  3,2  ccm,  79,5  kg. 
H.  III.:  3,2  ccm,  79,2  kg.  1.  IV.:  3,2  ccm,  78,9  kg.  2.  IV.:  3,2  ccm, 
'8,6  kg.  4.  IV.:  3,2  ccm,  78,3  kg.  19.  IV.:  75,3  kg. 

Während  der  Behandlung  wurde  der  Puls  regelmässig,  die  Tem¬ 
peratur  stieg  in  der  Achselhöhle  gemessen  bis  auf  37°.  Die  Puls¬ 
zahl  erhöhte  sich  von  54  auf  68  Schläge.  Die  rechtsseitige  Schild¬ 
drüsenschwellung  schwand  schon  nach  8  Tagen.  Exophthalmus  be¬ 
deutend  gebessert.  Das  Menstruationsblut  war  während  der  In¬ 
jektionen  graubraun  verfärbt. 


Der  folgende  Fall  ist  insofern  interessant,  als  die  Patientin  fast 
ohne  Kohlehydrate  auskäm. 

Fürstin  L.,  34  Jahre,  rechtsseitige  Schilddrüsenschwellung.  Früher 
schlank,  nach  dem  ersten  Kindbett  sehr  stark  geworden.  Schild- 
drüsenschwellung,  Störung  der  Korrelation  der  Drüsen,  Heisshunger. 
Kann  nicht  gehen  wegen  Gicht  in  den  Knien.  Hat  früher  ca.  35  Ka¬ 
lorien  pro  Kilogramm  täglich  zu  sich  genommen. 


3,0  ccm 
91,7  kg 


92,7  kg.  16.  XII.: 
21.  XII.:  3,2  ccm. 


3,0  ccm,  92,2  kg. 
23.  XII.:  3,2  ccm, 
3,2  ccm,  88,45  kg.  28.  XI!.:  3,2  ccm,  88,3  kg. 

30.  XII.:  3,2  ccm,  87,7  kg.  1.  I.  1914: 


15.  XII.  1913: 

18.  XII.:  3,2  ccm, 

90.2  kg.  26.  XII.: 

29.  XII.:  3,2  ccm,  88,2  kg. 

3.2  ccm,  86,35  kg. 

Hat  während  der  Kur  nur  etwa  20  Kalorien  pro  Kilogramm  täg- 
hch  zu  sich  genommen.  Nach  8  Tagen  schon  Gehfähigkeit  bis  zu 
2  Stunden  täglich.  Gichtische  Schmerzen  in  den  Knien  vollständig 
geschwunden.  Ausgezeichnetes  Wohlbefinden.  Konnte  früher  keine 
neppen  steigen;  während  der  Kur  vermochte  sie  leichte  Treppen  zu 
steigen  ohne  grössere  Beschwerden.  Der  Puls  stieg  von  50  auf 
70  Schläge.  Aussehen  am  Ende  der  Kur  frischer. 

Ein  Fall  von  hypophysärer  Fettsucht,  11  Jahre  alt,  nahm  nach 
wiederholten  Injektionen  7  kg  ab,  doch  musste  die  Kur  dann  abge¬ 
brochen  werden,  weil  der  Knabe  wegen  Optikusatrophie  wenig  gehen 
konnte. 


Zum  Schluss  noch  ein  Fall  von  Morphinismus: 

Leutnant  v.  K.,  23  Jahre,  früherer  Schutztruppenoffizier.  Wöchent¬ 
lich  mehrmals  Leptynol  in  die  Glutäalgegend.  Es  gelang  ohne 
Schwierigkeit,  bei  völliger  Arbeitsfähigkeit  den  Morphiumbedarf  von 
0,6  g  täglich  in  ca.  2  Monaten  auf  Null  herabzudrücken.  Besonders 
auffallend  war  die  rasche  Wiederkehr  der  sexuellen  Potenz.  Das 
Gewicht  nahm  nicht  ab.  Der  Patient  behauptete,  dass  besonders 
gegen  Schluss  der  Kur  die  Injektionen  eine  Art  Morphiumersatz  be¬ 
deuteten,  indem  sie  auch  in  geringerem  Masse  das  Wohlgefühl  wie 
nach  Morphiuminjektionen  hervorrufen.  Es  ist  möglich,  dass  gewisse 
Eiweisspaltprodukte,  welche  erst  den  Morphiumhunger  erzeugen,  zu¬ 
erst  durch  den  Katalysator  oxydiert  wurden,  daher  auch  keine  Ab¬ 
nahme 


Vielleicht  ist  die  „Fettverdauung“  auch  durch  die  Ver¬ 
mehrung  der  lipolytisches  Ferment  enthaltenden  Lymphozyten 
zu  erklären,  wie  E  s  s  e  r  7)  nachwies.  Ich  habe  früher  die  Mit¬ 
wirkung  der  Muskelarbeit  als  Erreger  von  leichten  Temperatur¬ 
erhöhungen  aufgefasst;  tatsächlich  tritt  bei  interkurrentem 
Fieber  während  der  Leptynolbehandlung  eine  viel  stärkere 
Wirkung  des  Mittels  ein;  die  Abnahmen  gehen  viel  rapider  vor 
sich,  weil  wahrscheinlich  die  erhöhte  Oxydation  die  Wirkung 
des  Katalysators  noch  steigert.  Vielleicht  besteht  der  Wert 
der  Muskelarbeit  auch  in  der  Erhöhung  der  Oxydationsvor¬ 
gänge,  die  dann  durch  den  Katalysator  noch  energischer  an¬ 
geregt  werden.  Nach  sehr  starken  Muskelanstrengungen 
konnte  ich  Abnahmen  bis  1,5  kg  täglich  beobachten,  die  durch 
Muskelarbeit  allein  nicht  erklärt  werden.  Bei  Fällen  von 
exogener  Fettsucht  habe  ich  Temperatursteigerungen  bis  zu 
38,9  o  beobachten  können.  G  o  r  n  [3]  hat  mich  missverstanden, 
wenn  er  meint,  ich  führe  die  Körpergewichtsabnahmen  allein 
auf  die  Temperaturerhöhungen  zurück.  Meine  Schlüsse  be¬ 
zogen  sich  auf  das  nach  Injektion  von  wässerigen  —  also  viel 
energischer  wirkenden  —  kolloidalen  Palladiumhydroxydul¬ 
lösungen  aufgetretene  Oxydationsfieber.  Da  bei  exogenen 
Fällen  die  Oxydationsverhältnisse  besser  sind  als  bei  endo¬ 
genen,  so  wird  nur  nach  diesem  Oxydationsfieber  auftreten, 
das  aber  nach  Injektion  des  Organosols  nicht  hoch  steigt. 

Unter  den  Platinmetallen  haben  das  Palladium  und  dann 
das  Platin  die  grösste  Affinität  zum  Wasserstoff.  Wäre  nun 
die  Leptynolwirkung  als  eine  reine  Oxydationsbeschleunigung 
aufzufassen,  so  müssten  Osmium  und  Rhutenium,  welche  ja 
unter  den  Platinmetallen  die  grösste  Affinität  zum  Sauerstoff 
haben,  am  besten  wirken;  dies  war  aber  nicht  der  Fall.  Unsere 
Anschauungen  über  den  Abbau  der  Nahrungsstoffe  haben  sich 
bedeutend  gewandelt  in  den  letzten  Jahren.  Das  Eiweiss  wird 
abgebaut  nicht  allein  durch  reine  Oxydation,  sondern  auch 
durch  Hydrolyse.  Es  gehen  also  hier  verschiedene  chemische 
Vorgänge  nebeneinander  her.  Vielleicht  ist  solches  bei  der 
Fettzerstörung  durch  Leptynol  auch  der  Fall;  denn  wäre  die 
Leptynolwirkung  eine  reine  Oxydation,  so  müsste  die  Sub¬ 
stanz,  welche  am  leichtesten  oxydierbar  ist,  nämlich  das  Gly¬ 
kogen,  zuerst  angegriffen  werden,  und  es  müsste  dann  Azeton- 
urie  entstehen.  Ich  habe  aber  bei  keinem  Fall  Azetonurie  nach- 
weisen  können,  selbst  bei  solchen  Fällen  nicht,  wie  dem  oben 
genannten,  welcher  fast  ohne  Kohlehydrate  lebte.  „Die  kata¬ 
lytische  Wirkung  des  Palladiums  oder  Platins  besteht  also 


:)  D.m.W.  1913  Nr.  39  S.  1017/19. 


1 


2092 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  42. 


nicht  darin,  dass  diese  Metalle  den  molekularen  Sauerstoff 
(unter  intermediärer  Bildung  von  Peroxyden)  aktivieren,  es 
handelt  sich  vielmehr  um  eine  durch  das  Metall  bewirkte 
Aktivierung  des  Wasserstoffes,  wie  sie  auch  bei 
der  Vereinigung  des  Knallgases  zum  Ausdruck  kommt“8). 
Es  gelang  Wieland  auch  Traubenzucker  bei  Ausschluss  von 
Sauerstoff  mit  Hilfe  von  Palladiumschwarz  allein  bei  niedrigen 
Temperaturen  weitgehend  zu  verbrennen.  Woker9)  neigt 
zu  der  Ansicht  Wielands,  dass  Oxydase  und  Reduktase 
dasselbe  Prinzip  sind.  Gegen  diese  Ansicht  wendet  sich  aller¬ 
dings  Bach  10 11).  G.  B  r  e  d  i  g  “)  hat  schon  früher  auf  die 
Dehydrierung  als  Prinzip  bei  den  anorganischen  Fermenten 
hingewiesen. 

Vielleicht  gehen  also  bei  der  Fettverbrennung  Dehydrie¬ 
rung  und  Oxydation  unter  Wasserbildung  nebeneinander  her, 
wodurch  die  wasserentziehenden  Methoden  in  das  rechte  Licht 
gerückt  werden.  Mir  erschien  jedenfalls  bei  manchen  Fällen, 
welche  reichlich  Flüssigkeit  aufnahmen  und  statt  abzunehmen 
eine  Gewichtszunahme  erkennen  Hessen,  eine  gewisse  Um¬ 
kehrung  der  Reaktion  eingetreten  zu  sein,  d.  h.  der  Dehydrie¬ 
rungsprozess  wurde  abgelöst  durch  eine  Hydrierung.  Dass 
das  Leptynol  wasserentziehend  wirkt,  beweisen  die  gewaltigen 
Gewichtsabnahmen  bis  zu  3  kg  pro  Tag.  Dabei  war  der  Urin 
meist  konzentriert,  es  musste  also  die  Perspiratio  insensibilis 
stark  erhöht  sein. 

Die  eigentümliche  Euphorie  erklärt  Weichardtin  einer 
neueren  Arbeit 12)  für  eine  Protoplasmaaktivierung.  Ich  bin 
mehr  geneigt,  sie  als  direkte  katalytische  Oxydation  der 
Kenotoxine  Weichardts  aufzufassen,  wofür  auch  spricht, 
dass  die  Euphorie  nach  starker  Muskelarbeit  deutlicher  wurde. 
Vielleicht  ist  auch  die  Herabsetzung  des  Hungergefühls  auf  die 
Beseitigung  von  gewissen  Eiweissspaltungsprodukten  zurück¬ 
zuführen,  die  normalerweise  das  Hungergefühl  auslösen,  unter 
der  Leptynolwirkung  aber  eliminiert  werden.  Wenn  auch  die 
Katalyse  durch  kleinste  Mengen  eines  Katalysators  eingeleitet 
wird,  so  gilt  auch  hier  das  Gesetz  der  Massenwirkung;  je 
grösser  die  Menge  des  Katalysators  ist,  um  so  grösser  ist  die 
.Oberfläche  an  wirksamem  Metallhydroxydul. 

Bei  Fällen,  welche  durchaus  keine  Diät  hielten  und  sich 
auch  keine  Bewegung  machten,  habe  ich  anfangs  täglich  3  bis 
4  ccm  Leptynol  injizieren  müssen,  bis  dann  die  fast  vollständige 
Aufhebung  des  Hungergefühls  und  der  Müdigkeitserschei¬ 
nungen  das  Signal  war,  weitere  Gaben  zu  unterlassen.  Viele 
meiner  Patienten  brauchten  nur  4 — 5  Stunden  Schlaf,  ohne 
müde  zu  sein.  Eigentümlich  war,  dass  bei  Drüsenstörungen 
erst  dann  eine  Gewichtsabnahme  eintrat,  wenn  z.  B.  die 
Schilddrüsenschwellung  zurückgegangen  war.  Ob  nun  hier 
der  Katalysator  erst  alle  körperfremden  Stoffe  oxydiert,  wie 
die  Schilddrüsentoxine,  oder  ob  die  Schilddrüse  gewisse  nega¬ 
tive  Katalysatoren  ausscheidet,  welche  durch  einen  positiven 
Katalysator  erst  überwunden  werden  müssen,  ist  vorläufig 
noch  völlig  ein  Problem.  Vielleicht  mag  das  Verschwinden 
der  Schilddrüsenschwellung  auch  darauf  beruhen,  dass  ein 
energischer  Katalysator  die  Funktionen,  welche  die  erkrankte 
Schilddrüse  nicht  zu  bewältigen  vermag,  übernimmt,  wodurch 
die  Drüse  entlastet  wird,  so  dass  sie  sich  wieder  erholen  kann. 

Bisher  von  anderer  Seite  angestellte  Respirationsversuche  haben 
keine  Resultate  ergeben,  aber  sie  waren  auch  nicht  richtig  angeordnet, 
nur  Arbeitversuche  können  Ausschläge  ergeben,  keine  Ruheversuche, 
was  ja  aus  dem  oben  über  die  Bedeutung  der  Muskelarbeit  Gesagten 
hervorgeht;  rein  theoretisch  betrachtet,  müsste  sogar  eine  Ver¬ 
minderung  der  Nahrungsaufnahme  (welche  den  Organismus  entlastet 
und  dadurch  seine  chemische  Energie  hebt)  mit  Leptynol  und  Muskel¬ 
arbeit  zusammen  eine  Steigerung  des  respiratorischen  Gasstoff¬ 
wechsels  hervorrufen! 

Ich  habe  bisher  auch  einige  Fälle  von  Gicht  erfolgreich 
behandelt  und  glaube  Voraussagen  zu  können,  dass  bei  einer 
richtigen  Versuchsanordnung  auch  bei  Fällen  von  Diabetes 
Erfolge  erzielt  werden  können  (inkl.  Coma  diabeticum),  zumal 
jetzt  ein  technisch  vervollkommnetes  Präparat  zur  Ver¬ 
fügung  steht. 


8)  H.  W  i  e  1  a  n  d :  Berichte  der  Deutsch.  Chem.  Ges.  46. 1913.  3327. 

”)  Berichte  der  Deutsch.  Chem.  Ges.  47.  1914.  1027. 

!0)  Berichte  der  Deutsch.  Chem.  Ges.  46.  1913.  3864. 

11)  Zschr.  f.  physik.  Chem.  70.  1909.  34. 

12)  Zschr.  f.  d.  ges.  Neurol.  u.  Psych.  22.  1914.  H.  4/5,  S.  586. 


Klinische  Arbeiten: 

1.  Kauf  f  mann:  M.m.W.  1913  Nr.  10.  —  2.  Kau  ff  mann: 
M.m.W.  1913  Nr.  23.  —  3.  G  o  r  n:  M.m.W.  1913  Nr.  35.  —  4.  G  o  r  n: 
Zschr.  f.  d.  ges.  Neurol.  20.  1913.  H.  3.  —  5.  V  o  g  t:  M.m.W.  1914  Nr.  19. 

- — j - 

Ueber  die  Höhe  des  Hirndruckes  bei  einigen 
Augenkrankheiten. 

(III.  Mitteilung.) 

Von  Prof.  L.  Heine  in  Kiel. 

Uvea  und  Meningen. 

(Lumbaldrucksteigerung  bei  Iritis  und  Chorioiditis.) 

(Vergl.  diese  Wschr.  1913  Nr.  24  u.  44.) 

Wenn  wir  die  Netzhaut  als  einen  vorgelagerten  Gehirnteil 
betrachten,  so  entspricht  den  Meningen  die  Uvea  des  Auges. 
Wenn  die  Uvea  durch  gewisse  Schädlichkeiten,  toxische  oder 
infektiöse,  in  Reizung  versetzt  wird,  Schädlichkeiten,  die  nicht 
örtlich,  sondern  von  innen  her,  auf  dem  Blutwege,  zur  Wir¬ 
kung  gelangen,  so  liegt  der  Gedanke  nicht  fern,  dass  diese 
Schädlichkeiten  auch  zu  den  Meningen  eine  gewisse  Affinität 
haben  könnten.  Der  erste  Ausdruck  einer  Meningealreizung 
scheint  mir  durch  Hirn-  resp.  Lumbaldrucksteigerung  gegeben, 
deshalb  unterwarf  ich  eine  grössere  Anzahl  von  Patienten  mit 
Uveitis  der  Lumbalpunktion. 

Was  die  Technik  der  Lumbalpunktion  anbetrifft,  so  ver¬ 
weise  ich  auf  das,  was  ich  in  der  Münch,  med.  Wochenschrift 
dargelegt  habe.  Ich  lege  ausschlaggebenden  Wert  darauf,  dass 
ich  nach  der  von  mir  angewendeten  Art  der  Punktion  eher  zu 
selten,  jedenfalls  nicht  zu  oft  Lumbaldruckerhöhung  gefunden 
habe,  denn  die  definitive  Ablesung  der  Druckhöhe  wurde  erst 
gemacht,  nachdem  Patient  sich  völlig  beruhigt  und  die  Nadel 
nach  der  Uhr  5  Minuten  gelegen  hatte.  Will  man  überhaupt 
einen  Schluss  ziehen  aus  isolierten  Lumbaldrucksteigerungen, 
so  muss  man  meines  Erachtens  die  von  mir  angegebenen 
Zahlen  anerkennen.  Andererseits  hoffe  ich  auch  durch  diese 
Zahlen  zu  beweisen,  dass  der  Lumbaldruck  etwas  ist,  was 
Berücksichtigung  verdient,  auch  wenn  sich  Albumine,  Globu¬ 
line  oder  Lymphozyten  nicht  vermehrt  finden.  Bisher  stehen 
mir  63  Fälle  von  Uveitis  in  dieser  Richtung  zur  Verfügung, 
von  denen  30  eine  Iridozyklitis,  33  eine  Chorioiditis  darstellen. 

Die  sogleich  darzulegenden  Ergebnisse  werden  —  hoffe 
ich  —  beweisen,  dass  konstante  Verhältnisse  zwischen  Uveitis 
und  Meningealreizung  bestehen. 

In  43  von  den  63  Fällen  fand  sich  Lumbaldruck  über  150,  und 
zwar  war  er:  14 mal  zwischen  150  und  200 

27  ,  „  200  „  300 

2  „  über  300 

Bedenkt  man,  dass  sich  darunter  viele  chronische  Fälle 
befanden,  wo  von  entzündlichen  Erscheinungen  eigentlich  nicht 
die  Rede  sein  konnte,  so  ergibt  sich,  dass  mindestens  in  3A  aller 
Fälle  von  Uveitis  eine  Meningealreizung  vorhanden  war. 

Ich  glaube  aber,  dass  es  bei  der  Natur  der  Krankheit  kaum 
möglich  ist,  zwischen  akuten  und  chronischen  Formen  zu 
unterscheiden;  ist  es  doch  gerade  für  die  Uveitis  charak¬ 
teristisch,  dass  sie  chronisch  und  exazerbierend  auftritt. 
Immerhin  scheint  auch  die  Lumbaldruckhöhe  in  einem  ge¬ 
wissen  Verhältnis  zum  akuten  oder  chronischen  Charakter  zu 
stehen,  indem  bei  akuten  Prozessen  höhere  Drucke  notiert 
sind,  als  bei  den  chronischen.  Dieses  tritt  bei  den  Iritiden 
deutlicher  in  Erscheinung  als  bei  den  Chorioitiden. 

Recht  bemerkenswert  erscheint  mir  die  weitgehende  Paral¬ 
lelität  zwischen  Iritis  und  Chorioiditis.  Von  den  30  Iritiden 
Hessen  nur  10  eine  Meningealreizung  vermissen.  Auch  von 
den  33  Chorioitiden  waren  10  frei  von  Lumbaldrucksteigerung. 
8  Iritiden  und  6  Chorioitiden  zeigten  geringe,  11  Iritiden  und 
16  Chorioitiden  mittlere  (200 — 300),  nur  1  Iritis  und  1  Chorioi¬ 
ditis  starke  Lumbaldrucksteigerung  (über  300). 

Die  höchste  Prozentzahl  würde  also  bei  beiden  (Iritis  und 
Chorioiditis)  auf  mittlere  Drucksteigerung  fallen.  Ver¬ 
mehrung  der  Albumine,  Globuline  und  Lymphozyten  fand  sich 
nur  in  dem  einen  Fall  von  Iritis  mit  hochgradiger  Drucksteige¬ 
rung  (315)  und  positivem  Wassermann  im  Punktat  und  im 
Blut.  Der  andere  Fall  von  starker  Lumbaldrucksteigerung 
(310)  betraf  einen  Patienten  mit  einseitiger  peripherer  syphi- 


20.  Oktober  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2093 


Iitische r  Chorioiditis,  der  '/  Jahr  später  zu  Hause  ad  exitum 

gelangte. 

Auch  diese  geradezu  auffallende  Parallelität  in  den  Druck¬ 
höhen  bei  Iritis  und  Chorioiditis  scheint  mir  dafür  zu  sprechen, 
dass  es  sich  hier  um  regelmässige  Wechselbeziehungen  zwi¬ 
schen  Uvea  und  Meningen  handelt. 

Von  den  30  Iritiden  betrafen  24  Männer,  6  Frauen 
»  „  33  Chorioitiden  „  24  9 

w  )  ^  »i 

Aetiologisch  waren  von  diesen  30  Iritiden  16  tuberkulös, 
5  syphilitisch;  Tuberkulose  und  Gonorrhöe  lag  2  mal,  Lucs  und 
Tuberkulose  und  Gonorrhöe  1  mal,  Gonorrhöe  1  mal,  Neben¬ 
höhlenerkrankung  1  mal,  allgemeines  Atherom  1  mal  vor.  In 
2  Fällen  konnte  keine  Aetiologie  gefunden  werden.  Von  den 
o3  Chorioitiden  waren  13  tuberkulös,  10  syphilitisch.  Atherom 
fand  sich  2  mal,  keine  Aetiologie  8  mal. 

Also  auch  in  bezug  auf  Geschlecht  und  Aetiologie  bestehen 
weitgehendste  Uebereinstimmungen. 

Einzig  was  die  Einseitigkeit  und  Doppelseitigkeit  anbetrifft, 
besteht  ein  auffallendes  Missverständnis,  denn  während  von 
den  3o  Iritiden  23  einseitig  und  7  doppelseitig  waren,  waren 
von  den  33  Chorioitiden  8  einseitig  und  25  doppelseitig. 

Bestimmte  Beziehungen  der  Lumbaldruckhöhe  zur  Aetio¬ 
logie  der  Uveitis  lassen  sich  höchstens  insofern  bei  den  Iritiden 
finden,  als  die  Lues  mehr  für  die  akute  Form  in  Frage  kommt, 
wo  die  Lumbaldrucksteigerung  deutlicher  ist,  die  Tuberkulose 
mehr  für  die  chronischen,  wo  die  Lumbaldrucksteigerung  ge¬ 
ringer  ist. 

Stärkere  Lumbaldrucksteigerung  würde  also  vielleicht 
mehr  für  syphilitische,  weniger  für  tuberkulöse  Aetiologie 
sprechen,  doch  sind  die  Zahlenreihen  für  solche  Schlüsse  viel¬ 
leicht  noch  zu  klein,  und  bei  den  Chorioitiden  verwischen  sich 
die  Unterschiede  noch  mehr. 


Teilt  man  die  Chorioitiden  nach  den  klinischen  Bildern  ein, 
unter  denen  sie  auftreten,  so  erklären  sich  von  den 


disseminierten  durch  Tuberkulose  8, 


zentralen  ,  „  0, 

peripheren  „  „  0, 

diffusen  „  „  1, 

zentr.  u.  periph.  ,  „  4, 


Lues  1,  dunkel  blieben  2 

>i  1 ,  *  v  2 

„  3,  Atherom  1,  unklar 

blieben  2 

„  3,  unklar  blieb  1 

„  2,  Atherom  1,  unklar 


blieb  l 


Aus  der  Universitäts-Frauenklinik  (Direktor:  Geheimrat 
Winter)  und  dem  Institut  für  gerichtliche  Medizin 

(Direktor:  Professor  Puppe)  zu  Königsberg  i.  Pr. 

Zum  Nachweis  der  Blutfreiheit  der  zur  Ab  der  halde  ri¬ 
schen  Reaktion  verwendeten  Substrate  und  Seren. 

Von  Privatdozent  Dr.  Fetz  er  und  Professor  Nippe. 

Es  ist  von  Abderhalden  selbst  mehrfach  als  ein  not¬ 
wendiges  Postulat  für  die  Anstellung  der  Fermentreaktion 
nittels  des  Dmlysierverfahrens  aufgestellt  worden,  dass  die 
verwendeten  Substrate  sowohl,  als  das  Serum  völlig  frei  von 
Blutbeimischungen  sind.  Das  ist  deshalb  notwendig,  weil 
'.ahlreiche  Patienten  Fermente  zu  besitzen  scheinen,  die  Blut 
ibzubauen  vermögen.  Dann  nämlich,  wenn  bei  ihnen  aus 
rgend  einem  Grund  (Quetschung,  subkutane  Blutung  etc.)  Ab¬ 
kömmlinge  des  Hämoglobins  als  plasmafremde  Stoffe  in  die 
Blutbahn  übergetreten  sind.  Zahlreiche  Fehlreaktionen  führt 
Abderhalden  auf  diese  Fehlerqelle  zurück.  Die  Fehl¬ 
eaktionen  brauchen  dann  nicht  einzutreten,  wenn  dem  Serum 
ler  zu  untersuchenden  Patienten  blutabbauende  Eermenite 
ehlen.  Deshalb  können  trotz  Verwendung  fehlerhafter,  hämo- 
dobinhaltiger  Substrate  doch  in  einer  Reihe  von  Fällen 
ichtige  Diagnosen  gestellt  werden.  In  letzter  Zeit  hat 
ampe  in  ausgedehnten  Versuchen  zeigen  können,  wie  durch 
las  Serum  solcher  Personen,  bei  denen  früher  ein  Hämatom 
'estanden  hat,  das  den  Substraten  anhaftende  Blut  abgebaut 
'  ird  und  dadurch  ein  Abbau  des  Substrats  vorgetäuscht  wird. 

Bei  der  Herstellung  der  Substrate  kommt  also  alles  darauf 
n,  sie  völlig  blutfrei  zu  bekommen.  Dabei  liess  man  sich 
ben  von  dem  makroskopischen  Aussehen  der  ausgewaschenen 
lewebe  leiten  und  betrachtete  die  Substrate  dann  als  blut- 
ei,  wenn  sie  schneeweiss  waren  und  auch  nach  dem  Kochen 
eine  merklich  dunklere  Färbung  bekamen.  Andere  unter¬ 


suchten  Teile  der  gewonnenen  Substrate  mikroskopisch  auf 
das  Fehlen  von  Blutschatten  hin.  Beide  Verfahren  sind  natür¬ 
lich  unsicher.  Wir  werden  nachher  zeigen,  dass  auch  in 
schneeweissen  Präparaten  Hämoglobinreste  noch  vorhanden 
sein  können,  die  man  durch  ■weiteres  Auswaschen  entfernen 
kann.  Man  soll  aber  auch  die  Gewebe  nicht  allzulange  aus- 
waschen  und  allzustark  zertrümmern,  sonst  verliert  man,  z.  B. 
bei  der  Plazenta,  leicht  allzuviel  von  dem  spezifischen  fötalen 
Gewebe  und  behält  ein  verhältnismässig  gefäss-  und  binde- 
gewebsreiches  Substrat  zurück.  Bei  Organen  mit  starker 
Eigenfärbung,  z.  B.  Leber  und  Niere  ist  das  makroskopische 
Aussehen  unzuverlässig,  weil  diese  Organe  überhaupt  nicht 
weiss  gewaschen  werden  können.  Konstatiert  man  mikro¬ 
skopisch  in  Proben,  dass  keine  Blutschatten  mehr  vorhanden 
sind,  so  beweist  das  natürlich  für  die  ganze  übrige  Masse  des 
Substrates  nicht  viel. 

Deshalb  ist  es  dringend  notwendig,  dass  das  hergestellte 
Substrat  mit  einem  Serum  geprüft  wird,  das  sicher  Hämoglobin 
abzubauen  vermag.  1  ritt  dann  kein  Abbau  ein,  so  ist  das 
Substrat  brauchbar.  Im  anderen  Fall  ist  es  unbrauchbar  und 
es  muss  von  neuem  mit  neuem  Gewebe  die  ganze  Prozedur 
wiederholt  werden,  wobei  man  aber,  wie  schon  erwähnt,  auch 
wieder  nicht  unnötig  lang  auswaschen  soll. 

Deshalb  wäre  es  wünschenswert,  eine  Methode  zu  be¬ 
sitzen,  die  es  uns  erlaubt,  während  der  Herstellung  der  Sub¬ 
strate  mit  Sicherheit  und  genügender  Empfindlichkeit  festzu¬ 
stellen,  wann  der  Moment  erreicht  ist,  in  dem  alles  Blut  aus 
dem  Gewebe  entfernt  ist.  Auch  zur  Prüfung  der  Seren,  die 
ebenfalls  hämoglobinfrei  sein  sollen,  wäre  eine  empfindlichere 
Probe  als  es  die  bisher  empfohlene  spektroskopische  ist, 
■wünschenswert. 

Wenn  man  nun  die  zahlreichen  Vorproben  und  Proben, 
die  zum  Blutnachweis  zur  Verfügung  stehen,  überblickt,  so 
scheiden  von  vornherein  alle  die  Proben  aus,  die  zum  Nach¬ 
weis  von  trockenem  Blut  dienen  oder  grössere  Mengen  von 
Blut  erfordern.  Weiter  solche,  die  nicht  spezifisch  für  Blut 
allein  sind,  sondern  wie  z.  B.  die  Guajaktinktur-Terpentin- 
ölprobe,  die  alte  Schönbein  sehe  Probe,  die  auch  mit  einer 
ganzen  Reihe  anderer  Stoffe  positiv  ausfällt.  Ebenso  fallen 
natürlich  die  Blutkristallproben  fort,  denn  zu  ihrer  Anstellung 
bedarf  es  immerhin  einer  wenn  auch  geringen,  so  doch  kon¬ 
zentrierten  Menge  eines  Hämoglobinderivates.  Es  sollen  hier 
nicht  die  Vor-  und  Nachteile  aller  Blutproben  erörtert  werden. 
In  Betracht  kommen  nur  solche  Proben,  die  an  flüssigen 
Medien  angestellt  werden  können,  die  sehr  scharf  und  dabei 
spezifisch  für  Blut  und  dabei  in  der  Handhabung  einfach  sind. 
Bis  jetzt  wmrde  aus  allen  diesen  Gründen  nur  die  Spektro¬ 
skopie  zum  Nachweis  des  Hämoglobins  benutzt.  Aber  die 
Spektroskopie  hat  mehrere  Nachteile.  Es  bedarf  guter  Instru¬ 
mente,  guter  Lichtquelle,  um  geringe  Mengen  Hämoglobin 
nachzuweisen.  Stets  empfiehlt  es  sich,  eine  blutfreie  Test¬ 
lösung  als  Kontrolle  mit  zu  durchmustern  und  endlich  muss  die 
Forderung  aufgesfellt  werden,  die  spektroskopisch  durchsuchte 
Flüssigkeit,  also  etwa  ein  Serum  zu  reduzieren,  denn  nur  wenn 
aus  dem  zw^eistreifigen  Oxyhämoglobinspektrum  das  redu¬ 
zierte  einstreifige  Härnoglobinspektrum  durch  Zusatz  eines 
Reduktionsmittels  entsteht,  ist  der  Nachweis  von  rotem  Blut¬ 
farbstoff  gelungen.  Der  spektroskopische  Nachweis  also,  dass 
wenig  oder  gar  kein  Hämoglobin  in  einer  Lösung  sich  be¬ 
findet,  ist  recht  umständlich.  Endlich  ist  auch  die  Spektro¬ 
skopie  der  jetzt  zu  erörternden  Probe,  die  von  uns  gewählt 
wurde,  an  Schärfe  unterlegen. 

Die  Leukobase  des  Malachitgrüns  (von  K  a  h  1  b  a  u  m 
zu  beziehen)  teilt  mit  anderen  Stoffen  die  Eigenschaft, 
bei  Anwesenheit  von  Blut  das  eine  Sauerstoffatom  einer 
Wasserstoffsuperoxydlösung,  welches  durch  das  Hämo¬ 
globin  katalytisch  abgeschieden  wird,  aufzunehmen  und 
dann  als  stark  färbender  Stoff,  in  diesem  Falle  eben  als 
Malachitgrün  zu  wirken.  Diese  Eigenschaft  des  Leuko- 
malachitgrüns  ist  zuerst  von  Franz  Michel1)  für  den  ge¬ 
richtlichen  Blutnachweis  benutzt  worden.  Michel  gibt  auch 
die  Angaben  über  die  Herstellung  der  L.-M.-Reagentien,  von 
denen  er  zwei,  ein  stark  und  ein  schwächer  wirkendes, 
beschreibt. 


J)  Cliemikerzeitung  35.  Nr.  43  S.  389. 


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MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  42. 


Wir  haben  beide  Reagentien  durchprobiert  und  kamen  zu 
dem  Resultat,  dass  das  L.-M. -Reagens  „Stark  keinen  wesent¬ 
lichen  Vorteil  vor  dem  Reagens  „Schwach  besitzt.  Dass  es 
dagegen  nur  wenig  haltbar  ist.  Zwar  kann  man  durch  Auf- 
schiitteln  mit  Chloroform  *)  die  etwaige  Eigengrünfärbung 
entfernen,  doch  ist  dieser  Kunstgriff  zeitraubender  als  die 
Neuherstellung  des  Reagens  selbst. 

Wir  haben  also  mit  folgendem  L.-M.-Reagens  gearbeitet: 
Von  der  Grundsubstanz,  die  auch  noch  brauchbar  ist,  wenn  sie 
etwa  einen  leicht  grünlichen  Farbenton  angenommen  hat  und 
die  sorgfältig  vor  Feuchtigkeit  und  Licht  geschützt  werden 
muss,  wiegt  man  0,1  ab,  löst  die  Substanz  in  25  ccm  30  proz. 
Essigsäure  bei  Zimmertemperatur  und  fügt  100  ccm  destil¬ 
lierten  Wassers  hinzu.  Sobald  vollständige  Lösung,  die  einige 
Zeit  in  Anspruch  nimmt,  eingetreten  ist,  ist  das  Reagens  eine 
völlig  wasserklare  Flüssigkeit  ohne  jede  Eigengriinfärbung. 

Zweckmässig  erschien  uns  folgende  Versuchsanordnung 
zunächst  beim  Ausprobieren  der  Empfindlichkeitsgrenze:  Von 
den  verschiedenen  Blutlösungen  wurden  in  gleichkalibrigen 
Reagenzgläsern  10  ccm  abgemessen  und  dazu  2  ccm  des 
L.-M.-Reagens  und  1  ccm  3  proz.  Wasserstoffsuperoxyd¬ 
lösung  gefügt.  Wir  ermittelten  durch  diese  Versuchsanord¬ 
nung,  dass  die  Empfindlichkeitsgrenze  bei  einer  Verdünnung 
von  1  : 1  000  000  liegt.  Bei  dieser  Verdünnung  einer  Blut¬ 
lösung  tritt  nach  Zusatz  der  Reagentien  eine  für  das  Auge  noch  , 
wahrnehmbare  Grünfärbung  auf.  Bei  höheren  Konzen¬ 
trationen  von  Blutlösungen  entstehen  Farbtöne  vom  dunkel¬ 
sten  Grün,  die  bei  schwächer  werdender  Konzentration 
auch  ganz  gleichmässig  heller  werden,  bis  eben  die  Empfind¬ 
lichkeitsgrenze  erreicht  ist.  Diese  Abstufung  der  Farbentöne 
ist  ein  besonderer  Vorzug  der  L.-M.-Reaktion.  Es  braucht 
nicht  hervorgehoben  zu  werden,  dass  eine  Blutlösung  etwa 
von  der  Konzentration  von  1  : 500  000  keinen  spektro¬ 
skopischen  Blutnachweis  mehr  gibt,  aber  noch  sehr  deutliche 
L.-M.-Reaktion. 

Das  einmal  hergestellte  L.-M.-Reagens  hält  sich  bei  Licht¬ 
abschluss  ca.  2  Wochen.  Zudem  ist  seine  Herstellung,  wie 
sie  oben  beschrieben  wurde,  so  wenig  zeitraubend,  dass  man 
es  vor  wichtigen  Reaktionen  bei  der  Prüfung  des  Wasch¬ 
wassers  der  Substrate  sich  neu  bereiten  mag  oder  es  an  einer 
Testblutlösung  auf  seine  Wirksamkeit  und  mit  destilliertem 
Wasser  auf  etwa  entstandene  Eigenfärbung  prüft. 

Von  Lochte  und  Fiedler2 3)  war  bereits  die  Spezifität 
des  L.-M.-Reagens  geprüft  worden.  Speichel,  Sperma,  Milch, 
blutfreier  Auswurf  und  Urin  sowie  eine  Reihe  anderer  Stoffe 
ergeben  die  Reaktion  nicht.  Galle  erst  nach  längerer  Zeit. 
Wir  stellten  durch  unsere  Vorversuche  fest,  dass  die  Reaktion 
allmählich  an  Intensität  zunimmt.  Man  muss  deshalb  für  die 
Entscheidung,  ob  Blut  vorliegt,  eine  kürzere  Zeit  die  Reaktion 
abwarten.  Tritt  sie  nach  wenigen  Minuten  nicht  ein,  sondern 
erst  später,  so  gilt  sie  als  negativ,  weil  nach  mehreren 
Stunden  das  Reagens  auch  ohne  Anwesenheit  von  Blut  nach 
Verdünnung  und  Versetzen  mit  H2O2  eine  Grünfärbung  an¬ 
nimmt.  Eine  weitere  Stütze  der  Spezifität  der  Reaktion  er¬ 
hielten  wir  dadurch,  dass  Versuche  mit  hocheiweisshaltigen 
Muskelaufschwemmungen  eines  hämoglobinfreien  aber  eisen¬ 
haltigen  Tieres,  des  Flusskrebses,  mit  dem  L.-M.-Reagens 
völlig  negativ  ausfielen  (s.  0.). 

Die  Ausführung  der  Reaktionen  gestaltet  sich  nun  wie 
folgt:  Von  der  zu  prüfenden,  möglichst  konzentrierten  Wasch¬ 
flüssigkeit  der  Organe  wurden  10  ccm  entnommen,  mit  2  ccm 
L.-M.-Reagens  versetzt  und  dazu  1  ccm  3  proz.  HaOs-Lösung 
zugefügt.  Die  Ablesung  erfolgt  nach  etwa  5  Minuten.  Doch 
können  auch  geringere  Mengen  Waschwasser  verwendet 
werden.  Bei  Seren  ist  man  ja  oft  gezwungen,  mit  wenigen 
Kubikzentimetern  auszukommen.  Von  den  Reagentien  fügt 
man  dann  nuj  die  halben  Quantitäten  hinzu. 

Wir  haben  nun  mit  der  Reaktion  folgende  Untersuchungen 
angestellt.  Zunächst  wurde  geprüft,  ob  ein  sicher  hämoglobin¬ 
haltiges  Waschwasser  eine  deutliche  Farbenreaktion  gibt, 

2)  Lochte:  Handbuch  der  gerichtsärztlichen  und  polizeiärzt¬ 
lichen  Technik,  Abschnitt  von  E.  Ziemke:  Untersuchung  von  Blut¬ 
spuren,  S.  172. 

3)  Aerztl.  Sachverst.Ztg.  1913  Nr.  21. 

*)  Vergl.  Baldoni:  Beitrag  zur  biologischen  Kenntnis  des 
Eisens.  Archiv  f.  exp.  Path.  u.  Pharm.  52.  1905.  S.  61. 


wobei  noch  festzustellen  war.  ob  diese  Reaktion  allein  auf 
das  Hämoglobin  zu  beziehen  ist  und  ob  nicht  andere  im  Sub¬ 
strat  enthaltende  Stoffe  gleiche  Farbenreaktion  hervorrufen 
können.  Ferner  wurde  geprüft,  ob  es  gelingt,  Substrate  so 
auszuwaschen,  dass  diese  empfindlichste  Reaktion  negativ 
wurde.  Weiter  wurde  die  Reaktion  auch  auf  die  Prüfung 
schon  fertiger  Präparate,  die  frei  von  Stoffen  waren,  die  mit 
Ninhydrin  reagieren,  ausgedehnt,  und  schliesslich  wurde  die 
Reaktion  auch  für  die  Prüfung  der  Sera  verwendet. 

Die  Versuche  hatten  folgenden  Verlauf:  Zunächst  wurde 
ein  Gewebe  —  es  wurde  Plazenta  verwendet  —  nach  den  be¬ 
kannten  Vorschriften  ausgewaschen,  von  Zeit  zu  Zeit  das  Sub¬ 
strat  mit  wenig  Wasser  in  der  Reibschale  zerrieben  und  mit 
dem  abfiltrierten  Wasser  in  der  beschriebenen  Weise  die 
Reaktion  angestellt.  Die  entstandene  Grünfärbung  wurde 
ganz  entsprechend  den  Fortschritten  beim  weiteren  Aus¬ 
waschen  allmählich  heller.  Es  ist  aber  bemerkenswert,  dass 
die  L.-M.-Probe  doch  noch  deutlich  positiv  war,  als  das  Sub¬ 
strat  schon  schneeweiss  gewaschen  war  und  nach  seinem 
Aussehen  nicht  mehr  zu  beanstanden  gewesen  wäre.  Es  ge¬ 
lang  aber  schliesslich,  das  Präparat  so  auszuwaschen,  dass 
auch  kleinste  Mengen  Waschwasser,  in  denen  das  Substrat 
in  der  Reibschale  intensiv  zerquetscht  worden  war,  negative 
Reaktion  gaben. 

Besonders  gut  gelang  das  nach  der  Auslaugung  des 
Präparates  und  Zerreibung  mit  festem  Kochsalz.  Es  versteht 
sich,  dass  das  dann  zur  Reaktion  verwendete  konzentrierte 
Waschwasser  kochsalzfrei  war.  Uebrigens  hindert  die  An¬ 
wesenheit  von  Kochsalz  die  Reaktion  nicht. 

Damit  war  gezeigt,  dass  es  gelingt,  ein  Substrat  so  aus¬ 
zuwaschen,  dass  mit  der  verwendeten  empfindlichsten  Probe 
kein  Hämoglobin  mehr  nachzuweisen  war.  Da,  wie  erwähnt, 
das  zur  Reaktion  verwendete  Waschwasser  nur  wenige 
Tropfen  betrug,  in  denen  noch  das  Substrat  mit  dem  Pistill 
lange  Zeit  und  energisch  verrieben  und  zerquetscht  wurde, 
so  waren  die  Bedingungen  für  die  Reaktion  die  denkbar 
schärfsten  und  es  darf  daraus  geschlossen  werden,  dass  nun 
im  ganzen  Substrat,  auch  nicht  im  Innern  oder  einzelnen 
Teilen  —  im  Gegensatz  zur  mikroskopischen  Prüfung  —  kein 
Hämoglobin  mehr  vorhanden  war.  Es  muss  besonders  betont 
werden,  dass  der  Moment  des  Nachweises  der  Hämoglobin¬ 
freiheit  beträchtlich  später  erreicht  wurde  als  das  makro¬ 
skopisch  schneeweisse  Aussehen  des  Substrats.  Daraus  darf 
geschlossen  werden,  dass  manches  für  blutfrei  gehaltene 
Präparat  diese  Eigenschaft  nicht  besitzt.  Durch  weitere  unten 
beschriebene  Untersuchungen  konnte  dies  in  der  Tat  nach¬ 
gewiesen  werden.  Es  ist  daher  unerlässlich,  Substrate,  die 
nicht  in  der  hier  angegebenen  Weise  auf  Hämoglobinfreiheit 
geprüft  worden  waren,  nach  der  Forderung  von  Abder¬ 
halden  vorher  einzustellen  mit  Seren,  die  gegen  Blut  ge¬ 
richtete  Fermente  besitzen. 

Um  nachzuweisen,  dass  nicht  etwa  andere,  schwerer  als 
Hämoglobin  auszuwaschende  Stoffe  die  L.-M.-Reaktion  er¬ 
zeugen,  wurde  mit  den  Organen  eines  hämoglobinfreien 
Tieres  dieselbe  Reaktion  angestellt.  Hierzu  wurden  Organe 
und  Muskelfleisch  des  Flusskrebses  verwendet.  Es  ergab  sich, 
dass  die  L.-M.-Reaktion  stets  und  von  Anfang  an  ohne  jedes 
Auswaschen  negativ  ausfiel.  Eine  positive  Reaktion  darf  also, 
wohl  in  der  Tat  auf  das  Hämoglobin  bezogen  werden. 

Es  wurde  nun  versucht,  mit  der  Methode  auch  schon 
fertige  Substrate,  die  also  nach  Vorschrift  ausgekocht  waren, 
bis  das  Kochwasser  keine  mit  Ninhydrin  reagierenden  Stoffe 
mehr  enthielt,  in  denen  etwaiges  Hämoglobin  nicht  mehr  in 
wasserlöslicher  Form  vorlag,  auf  Hämoglobinbeimischung  zu 
prüfen.  Zu  diesem  Zweck  wurden  Teile  der  Präparate  mit 
20  proz.  Essigsäure  gekocht  und  mit  dem  Kochwasser  die 
L.-M.-Reaktion  angestellt.  Es  zeigte  sich  in  der  Tat,  dass: 
Substrate,  die  mit  blutabbauenden  Seren  eingestellt  und  als 
brauchbar  erkannt  waren,  auch  mit  L.-M.  negative  Reaktion 
gaben.  Bei  anderen  Substraten  dagegen,  die  zwar  für  ein¬ 
wandfrei  gehalten,  aber  nicht  eingestellt  waren  und  die  uns 
von  anderer  Seite  überlassen  wurden,  haben  wir  zum  Teil 
noch  deutliche  L.-M. -Reaktionen  erhalten. 

Die  L.-M.-Reaktion  gibt  uns  nun  ein  Mittel  in  die  Hand. 

I  schon  bei  der  Herstellung  der  Substrate  mit  genügender 


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MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


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Sicherheit  zu  erkennen,  ob  sie  hämoglobinfrei  sind  oder  nicht. 
Die  Reaktion  zeigt  uns  deutlich  an,  wie  lange  wir  auszu- 
waschen  haben  und  erspart  uns  andererseits  auch  wieder  ein 
zu  langes  Auswaschen,  was,  wie  schon  erwähnt,  für  die 
Brauchbarkeit  der  Substrate  nicht  förderlich  ist.  Die  Prüfung 
während  der  Herstellung  mit  der  L.-M.-Reaktion  ist  natürlich 
Jer  nachträglichen  Prüfung  der  schon  fertigen  Präparate  nach 
Extraktion  mit  Essigsäure  vorzuziehen,  schon  deshalb,  weil 
die  letztere  natürlich  nicht  mit  dem  ganzen  Substrat,  sondern 
nur  mit  Proben  angestellt  werden  kann  und  der  Schluss  von 
Teilen  auf  das  ganze  immer  unsicher  bleibt. 

Endlich  wurden  auch  die  Seren  der  L.-M.-Reaktion  unter¬ 
worfen.  Dabei  zeigte  sich  zunächst,  dass  die  Reaktion  zwar 
der  spektroskopischen  Prüfung  wenigstens  unter  Verwendung 
der  gebräuchlichen  kleineren  Apparate  in  ihrer  Empfindlichkeit 
iberlegen  ist.  Sie  lässt  Hämoglobinbeimischungen,  die  spek¬ 
troskopisch  nicht  mehr  wahrnehmbar  waren,  noch  deutlich 
erkennen.  Immerhin  ist  im  Serum  der  Ausfall  nicht  so  scharf, 
ils  wenn  die  Reaktion  mit  wässerigen  Hämoglobinlösungen 
ingestellt  wird.  Bei  wässerigen  Hämoglobinlösungen  be¬ 
kommen  wir.  ganz  entsprechend  der  Verdünnung,  auch  ent¬ 
sprechende  Farbenabstufungen  mit  der  Reaktion.  Mit  Serum 
sind  diese  Unterschiede  viel  weniger  deutlich.  Es  mag  dahin¬ 
gestellt  bleiben,  ob  dabei  die  Eigenfarbe  des  Serums  stört 
>der  ob  kolloidale  Substanzen  hemmend  einwirken.  Denkbar 
wäre  auch,  dass  das  zur  Reaktion  beigegebene  Wasserstoff¬ 
superoxyd  von  anderen  Stoffen  des  Serums  an  sich  gerissen 
.vird  und  dadurch  die  Reaktion  an  Intensität  einbüsst.  Trotz- 
iem  scheint  uns  aber  die  L.-M.-Reaktion  auch  zur  Prüfung 
ies  Serums  die  empfindlichste  auf  Hämoglobin  zu  sein. 

Es  hat  sich  nun  bei  der  Prüfung  mit  L.-M.  gezeigt,  dass 
ille  Seren,  die  nicht  mit  der  peinlichsten  Vorsicht  behandelt 
vurden,  deutliche  L.-M.-Reaktionen  gaben.  Schon  ein  vor¬ 
sichtiges  Ablösen  des  Blutkuchens  etwa  mit  einem  dünnen 
ilasstab  z.  B.  genügt  vollkommen,  um  mit  der  Reaktion  ge- 
östes  Hämoglobin  im  Serum  nachweisen  zu  können. 

Es  ist  also  erforderlich,  dass  Blut  und  Serum  vom  Moment 
ler  Entnahme  ab  mit  der  grössten  Vorsicht  behandelt  wird. 
Jas  Serum  muss  spontan  absetzen.  Alle  weiteren  Mani- 
nilationen  erhöhen  den  Hämoglobingehalt.  Wir  haben  eine 
^eihe  von  Seren,  die  uns  von  anderer  Seite  als  einwandfrei 
:ewonnen  überlassen  wurden,  mit  der  L.-M.-Reaktion  nach- 
;epriift  und  dabei  zum  Teil  tiefgrüne  Färbungen  erhalten, 
du  besten  hat  sich  uns  das  spontane  Absitzenlassen  des 
ierums  in  sterilen  kleinen  Spitzgläsern,  die  mit  sterilen  Uhr- 
chalen  bedeckt  wurden,  bewährt.  Lässt  man  das  Serum  in 
.eschlossenen  Qefässen,  z.  B.  wie  das  vielfach  geschieht  in 
Erlenmeyerkolben,  absitzen,  so  kann  man  leicht  beobachten, 
lass  durch  Verdunstung  an  der  Glaswand  sich  kleine  Wasser- 
ropfen  niederschlagen.  Kommen  beim  Absitzen  des  Serums 
lann  rote  Blutkörperchen  mit  solchen  Wassertropfen  in  Be- 
ührung,  so  tritt  sofort  Hämoglobinlösung  ein.  Die  L.-M.- 
^eaktion  ergibt  dann  in  diesen  Fällen  starke  Grünfärbung. 

Trotzdem  die  Reaktion  im  Serum,  wie  schon  erwähnt, 
licht  so  exakt  eintritt  wie  mit  wässeriger  Hämoglobinlösung, 
o  gibt  uns  doch  die  Reaktion  ein  ausgezeichnetes  Mittel  an 
lie  Hand,  Fehlerquellen,  die  auf  hämoglobinhaltigem  Serum 
eruhen,  sofort  mit  Sicherheit  zu  erkennen  und  zu  eliminieren. 

Bei  der.  Gewinnung  des  Serums  sind  wir  schliesslich  so 
orgegangen,  dass  wir  das  Blut  aus  der  Vene  mit  dicker 
Vassermannkaniile  direkt  in  die  kleinen  sterilen  Spitzgläser 
laben  einlaufen  lassen,  wobei  wir  auch  jeden  Anprall  des 
hutstrahles  an  die  Glaswand  zu  vermeiden  gesucht  haben. 
Jas  Serum  Messen  wir  dann  bei  Zimmertemperatur  6  bis 
Stunden  ganz  spontan  absitzen,  gossen  es  vorsichtig  ab  und 
entrifugieren  in  sterilen  Röhrchen  lieber  mehrfach  und  nicht 
nit  allzu  hoher  Tourenzahl.  Jede  Beschleunigung  des  Ab- 
itzens  ist  zu  vermeiden.  Wenn  man  steril  arbeitet,  braucht 
ian,  auch  wenn  viele  Stunden  vergehen,  bis  das  Serum  sich 
bgesetzt  hat,  keine  bakterielle  Zersetzung  zu  fürchten. 

Die  so  gewonnenen  Seren  reagieren  mit  L.-M.  zum  Teil 
egativ.  Teilweise  allerdings  trat  auch  bei  diesen  eine  ganz 
chwache  positive  Reaktion  auf.  Es  scheint,  dass  eben  jede 
Zerstörung  von  Erythrozyten  bei  der  Gewinnung  und  Ver¬ 
leitung  des  Serums  nicht  in  allen  Fällen  völlig  vermieden 


werden  kann.  In  der  Kanüle  kommt  es  zu  Reibungen.  Auch 
bei  der  Berührung  des  Blutstrahles  mit  der  Glaswand  des 
Auffanggefässes  können  rote  Blutkörperchen  geschädigt 
werden.  Das  lässt  sich  eben  nicht  verhindern.  Dahingestellt 
mag  bleiben,  ob  unter  Umständen  Spuren  von  Hämoglobin 
schon  in  der  Blutbahn  gelöst  im  Serum  vorhanden  sind. 

Enthält  nun  das  Serum  blutabbauende  Fermente,  so 
können  natürlich  auch  diese  mit  der  L.-M.-Reaktion  eben 
nachweisbaren  Spuren  abgebaut  werden.  Die  Hämoglobin¬ 
mengen  sind  dann  aber  in  diesen  Fällen  so  geringe,  dass  die 
Abbauprodukte  unter  dem  Schwellenwert  liegen  und  mit  Nin- 
hydrin  keine  Reaktion  erzeugen.  Das  beweisen  die  Kontrollen 
mit  Serum  allein.  Addiert  sich  aber  nun  zu  dem  Hämoglobin¬ 
fehler  des  Serums  noch  ein  solcher  des  Substrats,  so  kann  der 
Schwellenwert  überschritten  werden.  Wir  erhalten  dann  eine 
Fehlreaktion  bei  Anwesenheit  von  blutabbauenden  Fermenten. 
Da  trotz  peinlichen  Arbeitens  das  Serum  nicht  immer  völlig 
hämoglobinfrei  erhalten  wird,  so  folgt  daraus,  dass  in  der  Tat 
minimalste  Blutbeimischung  zum  Substrat  Fehlreaktionen  er¬ 
zeugen  können.  Auch  aus  dieser  Ueberlegung  folgt,  dass  in 
der  Fat  die  absolute  Blutfreiheit  der  Substrate  unumgänglich 
notwendig  ist. 

Zusammenfassend  glauben  wir,  dass  wir  in  der 
L.-.M.-Reaktion,  angestellt  in  der  angegebenen  Form,  die 
schärfste  und  zuverlässigste  Prüfung  besitzen,  um  die  Hämo¬ 
globinfreiheit  der  Seren  und  Substrate  erkennen  und  nach¬ 
weisen  zu  können.  Unsere  Untersuchungen  haben  uns  ferner 
gelehrt,  dass  die  Fehlerquelle,  die  in  Verunreinigung  der 
Seren  und  Substrate  durch  Hämoglobin  zu  suchen  ist,  in  einer 
grösseren  Anzahl  von  Fällen  vorhanden  ist.  als  es  wohl  viele 
Untersucher  anzunehmen  geneigt  waren.  Die  L.-M.-Reaktion 
ist  geeignet,  Fehlerquellen  in  dieser  Richtung,  die  sonst  leicht 
verborgen  geblieben  wären,  rasch  und  sicher  aufzudecken. 


Aus  dem  Institut  für  Krebsforschung  in  Heidelberg 
(Direktor:  Exzellenz  Czerny), 

Ueber  die  Gerinnungshemmung  durch  Luessera 
(Hirschfeld  und  Klinger)  und  die  chemische 
Natur  des  Zytozyms. 

(Vorläufige  Mitteilung.) 

Von  Dr.  ErnstFränkel  und  cand.  med.  F  e  1  i  c  i  a  Th  i  e  1  e. 

Aeussere  Umstände  zwingen  uns,  über  die  noch  nicht  völlig 
abgeschlossenen  Versuche  zu  berichten  *).  Die  interessanten 
Untersuchungen  von  Hirschfeld  und  Klinger2)  über 
die  Beziehungen  zwischen  Gerinnungsphänomenen  und  Im¬ 
munitätsreaktionen  veranlässten  uns  zunächst  zu  einer  Nach¬ 
prüfung  der  von  ihnen  angegebenen  Luesreaktion.  Die  ge¬ 
naue  Beschreibung  der  Methode  wurde  uns  von  Hi  r  Seh¬ 
feld  freundlichst  überlassen  und  erleichterte  uns  das  Ein¬ 
arbeiten  sehr.  Das  Oxalatplasma  wurde  vom  Hammel  ge¬ 
wonnen,  dann  aus  einem  Teil  desselben  durch  Ausfällen  des 
Fibrins  mit  CaCh  das  Serozym  (Thrombogen)  dar¬ 
gestellt  und  als  Zytozym  Meerschweinchenherzextrakt  von 
Merck  (Thrombokinase)  in  Verdünnung  mit  NaCl  ver¬ 
wendet.  Das  Zytozym  (V20,  1Uo — Vigo  ccm)  wurde  mit 
V io  ccm  Luesserum  (1  Stunde  bei  50°  inaktiviert)  gemischt 
und  dann  1  Stunde  zusammen  gelassen.  Darauf  wurde  1  ccm 
einer  5  proz.  CaCL-Lösung  in  physiologische  NaCl  hinzu¬ 
gefügt  sowie  0,5  ccm  des  2  Stunden  vorher  auf  Vs  verdünnten 
Serozyms.  Eine  Viertelstunde  später  fügten  wir  als  Fi¬ 
brinogen  1  ccm  verdünntes  Oxalatplasma  (1  Teil  +  1  Teil 
Na-Oxalatlösung  +  3  Teile  physiologische  NaCl-Lösung)  hinzu 
und  beobachteten  den  Zeitpunkt  der  Gerinnung. 

In  Uebereinstimmung  mit  Hirschfeld  und  Klinger 
fanden  wir  nun  fast  stets  in  den  untersuchten  Fällen  (ca. 
70  Fälle)  eine  Uebereinstimmung  mit  der  Wassermann- 
schen  Reaktion,  d.  h.  bei  den  nach  Wassermann  positiv 
reagierenden  Fällen  war  ein  Ausbleiben  oder  eine  Verzöge¬ 
rung  der  Gerinnung  gegenüber  den  negativen  Fällen  nach- 

V  Die  Fortführung  der  Versuche  und  der  ausführliche  Bericht 
darüber  soll  durch  F.  Thiele  erfolgen 

2)  Zschr  f.  Immun. Forsch.  20  und  21.  D.  Kongr.  f.  inn.  Med. 
1914.  Ref.  M.m.W.  1914  Nr.  21  S.  1192. 


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zuweisen.  Hierbei  sind  diejenigen  Fälle  nicht  berücksichtigt, 
die  durch  nachweisbare  Fehler  ein  Fehlresultat  ergaben. 

Als  Fehlerquelle  sei  angeführt:  1.  Zytozymgehalt  des 
Scrozyms;  die  Kontrolle  mit  Serozym,  CaCh,  Oxalatplasma 
gerinnt  dann  ohne  Zytozymzusatz. 

2.  Zytozymgehalt  des  Patientenserums:  so  kann  ein  altes, 
nicht  steriles,  nicht  genügend  inaktiviertes  oder  nicht  völlig 
zellfrei  gemachtes  Serum  auch  Gerinnung  verursachen,  trotz¬ 
dem  es  sich  um  Lues  handelt. 

Ein  absolutes  Mass  für  die  Gerinnungszeit  zu  geben, 
scheint  uns  deswegen  nicht  zweckmässig,  weil  die  Ge¬ 
rinnungszeit  sehr  von  der  wohl  etwas  wechselnden  Stärke 
des  Serozyms  abhängt.  Jedoch  dürfte  in  den  meisten  Fällen 
die  als  Grenze  von  Hirschfeld  angegebene  Zahl  von 
15  Minuten  zutreffen.  Doch  empfiehlt  es  sich,  einige  sicher 
positive  und  sicher  negative  Sera  stets  mitzuführen  und  die 
Beurteilung  nach  dem  Ausfall  dieser  Kontrollen  zu  richten. 

Ebenso  gut  oder  besser  noch  als  das  Merck  sehe  Meer¬ 
schweinchenextrakt,  bewährte  sich  bei  uns  ein 
alkoholischer  Rinderherzextrakt  (1  g+  10  ccm 
Alkohol)  als  Zytozym.  Dagegen  misslangen  einige 
Versuche,  die  mit  alkoholischen  Karzinom-  und  Pla¬ 
zentaextrakten  angestellt  wurden,  um  eine  der  Kom¬ 
plementbindung  analoge  Reaktion  für  Karzinom  und  Gra¬ 
vidität  zu  erhalten. 

Auch  hier  stellte  sich  heraus,  dass  immer  wieder  Lues¬ 
sera  das  Zytozym  zerstörten  und  dadurch  die  Gerinnung  ver¬ 
hinderten. 

Wir  haben  nun  in  Analogie  zu  den  von  Klein  und 
F  r  ä  n  k  e  P)  angestellten  Untersuchungen  über  die  wirksamen 
Bestandteile  der  Wassermannantigene  bei  dem  alkoholischen 
Rinderherzextrakt  einige  Versuche  angestellt  und  gefunden, 
dass  die  Zytozymwirkung  der  ätherlöslichen  Fraktion  dieses 
Extraktes  zukommt,  der  die  Lipoide  (Phosphatide)  neben 
einem  von  Klein  und  F  r  ä  n  k  c  1  als  jekorinähnliche  Sub¬ 
stanz  bezeichneten  Körper  enthält.  Diese  Fraktion  hatte  ent¬ 
weder  dieselbe  oder  sogar  noch  eine  bessere  Zytozymwirkung 
als  der  Alkoholextrakt  selbst.  Auch  bei  ihr  zeigte  es  sich, 
dass  die  Wirkung  durch  Luesserum  zerstört  wurde,  durch 
Normalserum  nicht.  Dagegen  hatte  die  azetonunlösliche  Frak¬ 
tion  der  Aetherfraktion  eine  weit  schwächere  und,  wenn  sie 
mehrfach  mit  Alkoholfällung  gereinigt  war,  gar  keine  Zyto¬ 
zymwirkung.  In  dieser  Fraktion  aber  sind  die  Phosphatide *  4) 
vollständig  enthalten,  dagegen  der  jekorinartige  Bestandteil 
daraus  entfernt.  Schliesslich  konnten  wir  nachweisen,  dass 
der  jekorinhaltige  Bestandteil  allein,  der  nur  schwer  von  den 
Phosphatiden  zu  trennen  war,  die  volle  Zytozymwirkung 
hatte.  Zusatz  von  Cholestearin  zeigte  in  einigen  Versuchen 
(nicht  ganz  konstant)  eine  Verzögerung  der  Gerinnung  und 
der  Zytozymwirkung  in  der  ätherlöslichen  und  der  Jekorin- 
fraktion.  In  einem  Versuch  zeigte  auch  die  azetonunlösliche 
gereinigte  Fraktion  eine  schwache  Zytozymwirkung.  Jedoch 
konnte  diese  nur  als  eine  beschleunigende  Wirkung  gedeutet 
werden,  wie  die  Kontrolle  zeigt,  da  das  Serozym  selbst  eine 
Spur  Zytozym  enthielt  und  nach  3  Stunden  ohne  Zusatz  von 
Zytozym  gerann. 

Es  ergibt  sich  also  aus  unseren  Versuchen, 
dass  die  Zytozymwirkung  (Thrombokinase) 
im  wesentlichen  der  ätherlöslichen  Fraktion 
resp.  der  darin  enthaltenen,  jekorinähn liehen 
Substanzzukommt. 


Rhythmische  Vorhoftachysystolie  und  Pulsus  irregularis 

perpetuus. 

Von  Prof.  H.  E.  Hering  in  Köln. 

(Schluss.) 

Durch  meine  oben  geäusserte  Anschauung,  dass  der  P.  i.  p. 
vom  Vorhofabschnitt  des  atrioventrikulären 
Reizleitungssystem  ausgehen  kann,  rücken 

s)  M.m.W.  1914  Nr.  12. 

4)  Nach  Abschluss  unserer  Versuche  erschien  eine  Mitteilung 
von  Stüber  und  Heim:  M.m.W.  1914  Nr.  30,  welche  die  Thrombo- 
kinasewirkung  auf  Lipase  und  Fettsäuren  zuriiekführen.  Es  wird  nun 
festuzstellen  sein,  ob  diese  in  der  von  uns  als  jecorinähnlich  bezeich- 
ncten  Fraktion  enthalten  sind. 


auch  die  Ergebnisse  der  p  a  t  h  o  1  o  g  i  s  c  h  -  a  n  a  - 
tomischen  Untersuchungen  in  Fällen  von 
P.  i.  p.  in  ein  etwas  anderes  Licht. 

Das  Bestreben  der  pathologischen  Anatomen  ging  bis  jetzt 
immer  vorwiegend  dahin,  beim  P.  i.  p.  Veränderungen  des 
Sinusknoten  ausfindig  zu  machen.  Die  Untersuchungen 
von  K  e  i  t  h,  S.  .Schönberg,  W.  Koch,  H  e  d  i  n  g  e  r, 
Freund  und  1913  von  Berger19)  ergaben  unter  anderem, 
dass  „es  einen  P.  i.  p.  ohne  anatomisch  nachweisbare  Läsion 
des  Sinusknotens  gibt“.  Ich  *’°)  habe  schon  im  Oktober  1912 
folgendes  betont:  „Nach  meinen  Erfahrungen  am  Säugetier¬ 
herzen  hat  das  Vorhofflimmern,  auf  welchem  nach  Roth- 
b  e  r  g  e  r  und  Winterberg  sowie  Lewis  der  Irregularis 
perpetuus  beruht,  mit  dem  Sinusknoten  notwendigerweise 
nichts  zu  tun.  Ausser  dem  Sinusknoten  gibt  es,  wie  ich  immer 
hervorgehoben  habe,  sicher  noch  andere  supraventriku¬ 
läre  Stellen  besonderer  Reizbildungsfähigkeit;  eine  solche 
Stelle  ist  die  Vorhofbündelgegen  d.“ 

Es  sei  nun  hinzugefügt,  dass  die  Fälle  von  rhythmischer 
Kammerbradysystolie  bei  Vorhofflimmern,  auf  die  im  April 
1910  einerseits  ich21),  andererseits  Th.  Lewis  und  Garwin 
Mack 22)  aufmerksam  machten,  darauf  hinweisen,  dass  in 
diesen  Fällen  das  atrioventrikuläre  Reizleitungssystem  der  An¬ 
griffspunkt  des  pathologischen  Koeffizienten  ist23).  Es  sei  ferner 
erwähnt,  dass  von  Freund  „in  allen  Fällen  von  P.  i.  p.  sklero- 
sierende  Prozesse  im  atrioventrikulären  Reizleitungssystem 
gefunden  wurden.“ 

Wenn  ich  gesagt  habe,  dass  nach  unseren  Erfahrungen 
am  Säugetierherzen  der  Sinusknoten  mit  dem  P.  i.  p.  not¬ 
wendigerweise  nichts  zu  tun  hat,  so  heisst  das  so  viel,  als  dass 
Vorhofflimmern  auch  bei  anatomisch  intaktem  Sinusknoten  auf- 
treten  kann,  womit  die  Befunde  von  Berger  übereinstimmen. 
Damit  will  ich  aber  durchaus  nicht  ausschliessen,  dass  die  Er¬ 
krankung  des  Sinusknotens  das  Auftreten  von  Vorhofflimmern 
begünstigen  kann,  denn  wird  experimentell  oder  durch  patho¬ 
logische  Prozesse  die  Funktion  des  Sinusknotens  ausgeschaltet, 
so  schlägt  das  Herz  heterotop,  und  zwar  ist  dann  die  Ausgangs¬ 
stelle  der  Herzreize  zunächst  gewöhnlich  die  Vorhofbündel¬ 
gegend,  also  jene  Stelle,  die  ich  besonders  als' Ursprungsort 
der  Vorhoftachysystolie  wie  des  Vorhofflimmerns  ansehe.  Fs 
wäre  endlich  hinzuzufügen,  dass  ein  negativer  pathologisch¬ 
anatomischer  Befund  nicht  gegen  diese  Anschauung  verwertet 
werden  darf,  denn  wir  können,  was  ich  so  oft  schon  betont 
habe,  alleHerzunregelmässigkeiten  am  Säuge¬ 
tierherzen  hervorrufen,  ohne  dass  der  patho¬ 
logische  Anatom  mit  seinen  Mitteln  an  den 
betreffenden  Herzen  etwas  Pathologisches 
nachweisen  kann. 

Wie  ich21)  1912  besonders  ausführte,  sind,  wie  zu  jedem 
Geschehen,  auch  zum  Zustandekommen  des  Flimmerns  minde¬ 
stens  2  Koeffizienten25)  erforderlich:  die  Disposition  und 
die  Ä  u  s  1  ö  s  u  n  g.  Diese  beiden  Koeffizienten  lassen  sich 
natürlich  leichter  experimentell  studieren  und  trennen  als  kli¬ 
nisch. 

Nach  meinen  Erfahrungen  in  Prag  waren  es  (wie  schon 
in  früheren  Mitteilungen  erwähnt)  vorwiegend  Klap¬ 
penfehler  und  von  diesen  hauptsächlich  solche  des  linken 
venösen  Ostiums,  die  den  P.  i.  p.  zeigten;  nächstdem 
Koronarsklerose  und  Nephritis. 


19)  D.  Arch.  f.  klin.  M.  112.  1913.  S.  300.  Hier  die  übrige 
Literatur. 

->0)  W.kl.W.  1912  Nr.  40. 

21)  Vh.  d.  Kongr.  f.  inn.  M.  1910  S.  626;  siehe  auch  J.  R  i  b  '• 
Zschr.  f.  exper.  Path.  u.  Ther.  13.  S.  461;  ferner  Gerhardt,  Zbl. 
f  Herzkrankh.  1910  Nr.  10,  11. 

22)  Quart.  Journ.  of  Med..  April  1910  Vol.  3  Nr.  11  p.  273. 

23)  Bezüglich  der  Kombination  von  rhythmischer  Vorhoftachy- 
systolie  mit  rhythmischer  Kammerbradysystolie  verweise  ich  auf  den 
weiter  oben  erwähnten  Fall  von  D  o  n  z  e  1  o  t  und  P  e  z  z  i. 

2i)  M.m.W.  1912  Nr.  14  u.  15. 

25)  Obwohl  ich  mich  schon  so  oft  bemüht  habe,  darauf  hinzu¬ 
weisen,  dass  beim  Zustandekommen  der  Funktionsstörungen  des 
Herzens  immer  mehrere  Koeffizienten  beteiligt  sind,  wird  diese  so¬ 
zusagen  selbstverständliche  Tatsache  von  den  Aertzen  immer  noch 
viel  zu  wenig  beachtet  und  in  ihrer  Bedeutung  gewürdigt,  was  auch 
für  die  Beurteilung  der  pathologisch-anatomischen  Befunde  gilt. 


20.  Oktober  191 4. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2097 


Zwei  Umstände,  die  nach  meinen  experimentellen  Er¬ 
fahrungen  zum  Flimmern  disponieren,  die  Ausdehnu  n  g 
eines  Herzabschnittes  und  die  Dyspnoe M),  finden  wir  be¬ 
kanntlich  auch  bei  den  Herzkranken,  die  Ausdehnung  der  Vor- 
höfe  besonders  bei  den  Mitralfehlern.  Ferner  wissen  wir,  dass 
\  ag  userregung  zum  Flimmern  disponiert.  Zwischen  der 
Dyspnoe  und  der  Vaguserregung  besteht  wieder  eine  Be¬ 
ziehung,  indem  erstere  den  Vagus  stärker  erregt,  und  zwar 
nicht  nur  zentral,  sondern  auch  peripher. 

A^ch  wenn  von  Digitalis  Verabreichung  eine 

Vorhoftacnysy stolie  in  Vorhofflimmern  übergeht  (siehe  weiter 
oben)  wird  Vaguserregung  daran  Anteil  haben  (siehe  weiter 
unten).  Da  wir  beim  Menschen  feststellten,  dass  der  Vagus  bei 
rhythmischer  V  orhoftachysystolie  chronotrop  nicht  wirkt, 
scheint  dies  jenei  Ansicht  zu  widersprechen;  dies  ist  jedoch 
nicht  der  Fall,  da  der  Vagus  in  diesen  Fällen  auch  bei  fehlen¬ 
der  chronotroper  Wirkung  immer  noch  dromotrop  und  inotrop 
wirkte.  — 

Die  Frage  nach  dem  Ausgangsorte  des  Vorhofflimmerns 
berührt  auch  die  Frage  nach  dem  Ausgangsorte  des  K  a  m  - 
in  e  r  fl  immer  ns,  welches  ich  als  die  Ursache  ganz  plötz- 
!i£hS4er  Todesfälle  beim  P.  i.  p.  schon  seit  1906  an¬ 
sehe  )  u.  ).  Dieses  Kammerflimmern  dürfte  auch  von  dem 
Reizleitungssystem  ausgehen,  und  zwar  dürften  hier  die  Orte 
vom  sogen.  Kammerabschnitt  des  Tawaraknotens  bis  zu  den 
Verzweigungen  der  I awaraschenkel  in  Betracht  kommen. 


v  T  r  e  n  d  e  I  e  n  b  u  r  g  "’)  äusserte  bezüglich  des  überdauernden 
Kammerthmmerns  im  Anschluss  an  Froschherzversuche  1903  folgende 
erinutung.  „Ueberdauert  das  Flimmern  die  Reizung,  so  ist  dies 
vielleicht  dadurch  bedingt,  dass  Stromschleifen  die  venösen  Ostien 
erreichten  und  von  diesen  aus  dauernde  Reize  von  so  hoher  Fre¬ 
quenz  ausgehen. '  Diese  Vermutung  ist  für  die  Entstehung  des  Kam- 
tnerthmmerns  allerdings  nicht  zutreffend,  denn  beim  Kammerflimmern 
muss  der  Reizort  der  Kammer  näher  liegen. 

pi  F\B‘  Hof  mann28)  meinte  1905:  „Werden  bei  der  Reizung 
Elemente  mit  betroffen,  welche  die  Eigenschaft  besitzen,  einen  kurz¬ 
dauernden  Reiz  mit  anhaltenden  rhythmischen  Erregungen  zu  be¬ 
antworten.  so  kann  das  Flimmern  die  Reizung  überdauern.“  Er  ver¬ 
weist  da  unter  anderem  auf  den  Atrioventrikulartrichter  des  Frosch¬ 
herzens. 

Kürzlich  ist  L.  Haberlandt 29),  ein  Schüler  Trendelen- 
i  u  r  g  s,  ebenfalls  auf  Grund  von  Versuchen  an  Froschherzen  zu  der 
von  ihm  weiter  gestützten,  eben  erwähnten  Auffassung  gekommen, 
aass  das  den  Reiz  überdauernde  Wühlen  und  Wogen  der  Kammer 
vom  atrioventrikulären  Verbindungssystem  ausgeht. 

Wie  aus  meinen  Ausführungen  'hervorgeht,  stimme  ich  dieser 
Auttassung  auch  für  das  Säugetierherz  bei;  bei  ihm  ist  es  möglich, 
-■ine  weitergehende  Analyse  vorzunehmen,  da  das  Reizleitungssystem 
Jmerenzierter  ist  als  beim  Kaltblüterherzen.  Da  ich30)  1910  zeigen 
<onnte,  dass  die  Verzögerung  der  Erregungsüberleitung  von  den  Vor¬ 
boten  zu  den  Kammern  des  Säugetierherzens  im  T  a  w  a  r  a  sehen 
\noten  erfolgt,  bildet  dieser  demnach  gewissermassen  ein  Grenz- 
?,e  “ 1  e  H  oberhalb  desselben  können  die  Reizbildungsstellen 
y  o  r  h  o  f  flimmern,  unterhalb  jenes  Grenzgebietes  Kammer- 
litnmern  auslösen.  Dieses  Grenzgebiet  liegt  vielleicht  dort,  wo 
Asch  off  eine  Uebergangszone  von  dem  Vorhofabschnitt  zum 
vammerabschnitt  des  1  a  w  a  r  a  sehen  Knotens  beschrieben  hat. 


Im  Anschluss  an  den  Ausgangsort  des  Vorhof-  bzw.  Katn- 
nerflimmerns  sei  noch  die  Frage  erörtert,  ob  das  Flimmern 
uif  einer  monotopen  oder  polytopen  Reizbildung  be- 

'uht? 


Ich  habe  eine  polytope  Reizbildung  angenommen  und  für  das 
Ummerflimmern  auch  den  Beweis  1912  dadurch  geliefert,  dass  ich2'1) 
be  flimmernden  Kammern  grosser  Hundeherzen  in  eine  Anzahl  Teile 
erschnitt,  worauf  jeder  Teil  einige  Zeit  für  sich  weiter  flimmerte, 
i  ersuche,  die  ich  mit  gleichem  Erfolge  seitdem  wiederholte.  An  den 
►  ornofen  konnte  ich  diese  Durchschneidungsvcrsuche  deshalb  noch 
ucht  ausführen,  da  wir  kein  genügend  sicheres  Mittel  besitzen,  um 
.in  w ^sprechend  lang  andauerndes  Vorhofflimmern  hervorzurufen, 
vueh  kann  man  jene  Durchschneidungsvcrsuche  nur  an  solchen  Her- 
Erfolg  ausführen,  bei  welchen  die  Durchschneidung  nicht  ein 
>istieren  des  Flimmerns  zur  Folge  hat,  wie  dies  z.  B.  gewöhnlich  bei 
'anmehen  oder  Katzenherzen  zu  beobachten  ist. 


)  Auch  lokale  Gewebsdyspnoe  durch  Thrombosen  und  Em- 
’OJien  der  Koronargefässe  kommen  hier  in  Betracht.  Als  disponierend 
\aren  auch  Aenderungen  im  Salzgehalt  des  Blutes  und  des 
erz5-I\Sr^n‘c^lt  zu  versessen,  worauf  ich  schon  öfters  hinwies. 

)  Frag.  m.  Wschr.  38.  1913.  Nr.  38. 

Z\  Hagels  Handbuch  der  Rhysiol.  1.  1905.  S.  240. 

)  Zschr.  f.  Biol.  61.  N.  F.  43.  S.  1;  ferner  63.  N.  F.  45.  1913. 

\  305. 

**)  Pflügers  Arch.  131.  1910.  S.  572. 


Nr  42. 


Für  die  polytope  Reizbildung  beim  Flimmern  spricht  ferner  eine 
Erscheinung,  die  mir  in  den  Elektrokardiogrammen  flimmernder  Herz- 
abschnitte  atifgcfallcn  ist  und  die  an  jene  erinnert,  welche  in  der 
Akustik  als  S  c  h  w  e  b  u  n  g  e  n  bezeichnet  werden,  die  bekanntlich 
tturcli  die  Interferenz  von  Schwingungen  verschiedener  Schwin¬ 
gungszahlen  entstehen.  Zur  Analyse  dieser  Erscheinung  habe  ich  fol¬ 
genden  Versuch  gemacht:  Mehrere  ausgeschnittene  schlagende 
rroschlierzen  wurden  in  ein  mit  R  i  n  g  e  r  scher  Lösung  gefülltes 
J.  asKefass  gelegt  und  aus  der  Flüssigkeit  zum  Saitcngalvanomctcr 
abgeleitet.  Die  Kurven,  die  ich  nach  weiterer  Fortsetzung  der  Ver¬ 
suche  veröffentlichen  will,  waren  ähnlich  denen,  die  man  beim  Flim¬ 
mern  erhält,  und  enthielten  solche  Schwebungen  aus  der  Interferenz 
mehrerer  Rhythmen.  Uebrigens  habe  ich  solche  Interferenzschwe- 
yungen  a  u  c  h  an  den  mechanischen  Oszillationen  der  Suspen¬ 
sionskurve  flimmernder  Kammern  des  Hundeherzens  beobachtet31). 

Dabei  möchte  ich,  wie  schon  kürzlich  auf  dem  Kongress 
fiii  innere  Medizin,  davor  warnen,  aus  der  Osziillationsfrequenz 
im  Elektrokardiogramm  ohne  weiteres  auf  die  Reizfrequenz 
einen  Schluss  zu  ziehen,  besonders  dann  nicht,  wenn  die  Oszil¬ 
lationen  unregelmässig  sind.  So  erinnere  ich  daran,  dass  ich 
wiederholt  Spaltungen  der  Vorhofzacke  im  Elektrokardio¬ 
gramm  beschrieben  habe,  wo  zwei  Oszillationen  einem  Reiz 
entsprechen;  auch  im  Kammerelektrokardiogramm  kommen 
bekanntlich  solche  Spaltungen  vor.  Fasst  man  jede  Oszilla¬ 
tion  als  einem  Reiz  entsprechend  auf,  dann  kommt  man  zu 
abnorm  hohen  Reizfrequenzen. 

Eine  ziemlich  regelmässige  elektrische  Oszillationskurve  eines 
feinen  Ven  t  r  i  k  el  f  1  i  m  m  er  n  s  haben  z.  B.  J.  Rothberger 
Uüd  T  Winterberg  in  Fig.  4  ihrer  Mitteilung32)  vom  Jahre  1910 
abgebildet.  Die  Zahl  der  Oszillationen  beträgt  dort  nach  meiner 
Berechnung  13—14  pro  Sek.  bzw.  780—840  pro  Min.  Ob  dieser 
üszilationsfrequenz  jedoch  auch  eine  ebenso  hohe  Reiz  frequenz  ent¬ 
spricht,  möchte  ich  ganz  dahingestellt  sein  lassen. 

Wir  )  haben  beim  V  o  r  h  o  f  flimmern  des  Kaninchenherzens  an 
der  Venenpulskurve  mechanische  Oszillationen  von  780 — 820  in 
der  Minute  beobachtet,  eine  Zahl,  welche  zufällig  der  ebenerwähnten 
elektrischen  Oszillationsfrequenz  an  den  Kammern  der  Hundeherzen 
entspricht,  und  auch  der  Frequenz  von  700  gleicht,  die  Th.  Lewis31) 
im  Vorhofelektrogramm  beim  Flimmern  der  Vorhöfe  des  Hunde¬ 
herzens  beobachtete.  Ich  habe  aber  auch  noch  höhere  elek¬ 
trische  Oszillationsfrequenzen  beobachtet,  so  z.  B.  1200  Oszillationen 
bei  Vorhofflimmern  des  Hundeherzens  nach  Vagusreizung.  Diese 
hohen  Oszillationsfrequenzen  kann  ich,  so  lange  nicht  der  Nach¬ 
weis  geliefert,  nicht  als  den  Ausdruck  einer  so  hohen  Reizfrequenz 
einer  monotopen  Reizbildung  ansehen;  denn  auch  die  der  Fre¬ 
quenz  nach  etwa  übereinstimmende  Zahl  der  elektrischen  und  mecha¬ 
nischen  Oszillationen  liefern  dafür  keinen  Beweis.  Auch  folgendes 
spricht  nicht  dafür.  Ein  grobschlägiges  Flimmern  kann  z.  B.  durch 
Vagusreizung  zu  einem  feinschlägigen  werden,  bei  welchem  die  Oszil¬ 
lationsfrequenz  z  u  n  i  m  in  t,  z.  B.  bis  1200.  Vagusreizung  setzt  aber 
bekanntlich  die  Reizfrequenz  herab.  Wenn  nun  unter  dem  Einfluss 
der  Vagusreizung  die  Oszillationsfrequenz  zunimmt,  so  ist  das  mit 
der  negativ  chronotropen  Wirkung  der  Vagusreizung  nicht  vereinbar, 
wohl  aber  erklärbar  durch  ihre  negativ  dromotrope  und  inotrope 
Wirkung,  denn  der  negativ  chromotrope  Einfluss  begünstigt  die  Dis¬ 
soziation  und  durch  den  negativ  inotropen  Einfluss  wird  mit  der  Ab¬ 
schwächung  der  Kontraktionen  der  Muskelfasern  auch  ihre  refrak¬ 
täre  Phase  verkürzt,  eine  Tatsache,  die  am  Froschherzen  besonders 
F.  B.  Hof  mann35)  hervorgehoben  hat  und  die  nach  meiner  Er¬ 
fahrung  auch  für  das  Säugetierherz  gilt.  Da  bekannt  ist,  dass  Vagus¬ 
reizung  das  Auftreten  einer  heterotopen  Reizbildung  begünstigt,  wäre 
nach  den  Ausführungen  auch  daran  zu  denken,  dass  die  Vagusreizung 
auserdem  auch  die  Polytopie  der  Reizbitdungsstellen  beim  Flimmern 
fördert. 

Bezüglich  der  Täuschungen  aus  den  Oszillationen  die  Schlag¬ 
frequenz  zu  beurteilen,  sei  auch  darauf  hingewiesen,  dass,  wie  schon 
weiter  oben  erwähnt,  beim  Flimmern  die  beiden  Vorhöfe  (übrigens 
auch  die  beiden  Kammern)  sich  durchaus  nicht  immer  gleichartig 
verhalten,  sondern  z.  B.  Teile  der  Vorhöfe  koordiniert'  schlagen, 
andere  flimmern  können,  das  indirekt  abgeleitete  Elektrokardiogramm 
aber  den  elektrischen  Ausdruck  beiderlei  Aktionen  kombiniert  ent¬ 
hält. 

Da  das  Herz  im  Zusammenhang  mit  dem  übrigen  Organis¬ 
mus  zum  Unterschiede  von  dem  isolierten  neuromyo- 
g  e  n  3“)  schlägt,  scheint  es  mir  wichtig,  die  Beziehung  der 
Herznerven  zum  Flimmern  in  aller  Kürze  aus- 

31)  Die  Kurven,  die  an  anderer  Stelle  veröffentlicht  werden, 
stehen  den  Interessenten  zur  Einsichtnahme  zur  Verfügung. 

32)  Pflügers  Arch.  131.  1910.  S.  398. 

*3)  J-  Ri  hl:  Zschr.  f.  exper.  Path.  u.  Ther.  8.  Nov.  1910.  S.  448. 

M)  Heart  Vol.  I  Nr.  4  S.  306,  März  1910. 

3I>)  Pflügers  Arch.  84.  1901.  S.  130.  Auch  liegen  frühere  Be¬ 
obachtungen  von  Mc  William  (1888)  vor. 

30)  Die  neuromyogene  Herztätigkeit.  Zbl.  f.  Herz-  u.  Gefässkrkh 
4.  Jahrg.  März  1912  H.  3. 


2 


2098  MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. _ _ _ Nr.  42. 


einanderzusetzen.  Bekanntlich  haben  die  herzhemmenden 
Vagusfasern  eine  negative,  die  Akzeleransfasern  eine  positive 
chronotrope,  inotrope  und  dromotrope  Wirkung.  Da  nun^  das 
Flimmern  eines  H  e  r  z  a  b  s  c  h  n  i  1 1  e  s  einen  Zu¬ 
stand  darstellt,  in  welchem  die  Reizbildung 
positiv,  die  Kontraktionsstärke  und  die  Lei¬ 
tung  negativ  beeinflusst  ist,  kann  man  sich  leicht 
ableiten,  dass  der  Vagus  durch  die  negativ  ino¬ 
trope  und  dromotrope,  der  Akzelerans  durch 
die  positiv  chronotrope  Wirkung  das  Flim¬ 
mern  direkt  befördert.  Indirekt  begünstigt  der  Vagus 
das  Auftreten  des  Flimmerns  durch  seine  negativ  chronotrope 
Wirkung  auf  die  nomotope  Reizbildungsstelle,  indem  er  da¬ 
durch  die  heterotope  Reizbildung  fördert. 

Dass  der  Vagus  das  Flimmern  befördert,  ist  lange  bekannt; 
ich  erwähne  hier  nur  K  n  o  1 1 3T)  (1897)  und  Winterberg  38), 
der  sich  10  Jahre  später  mit  dem  Einfluss  der  Herznerven  auf 
das  Flimmern  beschäftigte. 

Im  Jahre  1905  habe  ich39)  angegeben,  dass  Akzele¬ 
rans  reizung  das  Kammer  flimmern  befördert,  was 
Winterberg  in  der  eben  genannten  Mitteilung  nicht  finden 
konnte,  hingegen  in  einer  späteren  Mitteilung  mit  Roth- 
b  c  r  g  e  r 10)  richtig  stellte,  in  der  die  Autoren  sich  auch  mit 
der  Erzeugung  von  Flimmern  durch  kombinierte  Akzelerans- 
Vagusreizung  beschäftigten.  Nach  der  oben  angeführten  Dar¬ 
legung  ist  es  einfach,  die  kombinierte  Wirkung  zu  erklären, 
indem  von  der  Vaguswirkung  die  negativ  inotrope  und  dromo¬ 
trope  sich  mit  der  positiv  chronotropen  Komponente  der  Ak- 
zeleranswirkung  kombiniert.  Da  beide  Nervenarten  schon  nor¬ 
malerweise  tonisch  auf  das  Herz  einwiirken,  ist  es  klar,  dass 
zum  Auftreten  des  Flimmerns  wenigstens  noch  ein  Koeffizient 
(siehe  weiter  oben)  hinzukommen  muss,  der  z.  B.  auch  in  einer 
entsprechenden  Stärke  der  Erregung  jeder  der  beiden  Nerven¬ 
arten  liegen  kann. 

Da  sich  die  Vorhöfe  etwas  anders  verhalten  als  die  Kammern,  be¬ 
kommt  man  das  Flimmern  an  den  Vorhöfen  auch  unter  zum  Teil 
anderen  Bedingungen  als  an  den  Kammern.  So  habe  ich  mich  z.  B. 
davon  überzeugt,  dass  Kalium  Kammer  flimmern  macht,  indem 
es  auf  die  Kammern  negativ  inotrop  und  dromotrop  und  positiv 
chronotrop  wirkt.  Geht,  wie  oben  erwähnt,  infolge  Digitalis¬ 
wirkung  die  rhythmische  Vorhoftachysystolie  in  Vorhofflimmern  über, 
dann  kommt  zu  der  bestehenden  Steigerung  der  Reizbildung  in 
diesen  Fällen  von  der  Vaguswirkung  nur  die  negativ  inotrope  und 
dromotrope,  nicht  aber,  wie  wir  hörten,  die  negativ  chronotrope 
hinzu,  wodurch  das  Auftreten  von  Vorhofflimmern  begünstigt  wird. 

Zum  Schluss  seien  zur  klinischen  Differentialdia¬ 
gnose  zwischen  rhythmischer  Vorhoftachysystolie  und 
F.  i.  p.  noch  folgende  Hinweise  gegeben.  Man  bedarf  hierzu 
der  Venenpulsaufnahme  bzw.  des  Elektrokardiogramms.  Auch 
bei  mehr  als  300  Vorhofsystolen  konnten  wir  diese  bei  der 
rhythmischen  Vorhoftachysystolie  der  Venenpulskurve  ent¬ 
nehmen.  Beim  P.  i.  p.  besteht  Kammervenenpuls  mit 
arhythmischen  Vorhofwellen  von  verschiedener  Fre¬ 
quenz  und  Grösse,  die  bei  nicht  guten  Aufnahmen,  bei  zu 
grosser  Kammerschlagzahl,  bei  starker  Ueberdehnung  des  Vor¬ 
hofes  und  zu  feinem  Fibrillieren  in  der  Kurve  auch  fehlen  bzw. 
weniger  gut  sich  ausprägen  können.  Ist  man  im  Zweifel,  ob  es 
sich  um  einen  P.  i.  p.  oder  eine  rhythmische  Vorhoftachy¬ 
systolie  handelt,  dann  ziehe  man  das  Elektrokardiogramm  zu 
Hilfe.  Ist  die  Vorhofzacke  scharf  begrenzt  und  rhythmisch 
wiederkehrend,  wie  in  dem  erwähnten  Fall  von  R  i  h  1,  dann 
handelt  es  sich  um  eine  rhythmische  Vorhoftachysystolie;  sind 
aber  im  Elektrokardiogramm  arhythmische  Vorhofoszil¬ 
lationen,  dann  handelt  es  sich  um  einen  P.  i.  p.,  auch  wenn 
diese  Vorhofoszillationen  sich  auf  eine  kurze  Strecke  anschei¬ 
nend  rhythmisch  folgen. 

Unter  Umständen  kann  man  zur  Differentialdiagnose  auch 
das  mechanische  Kardiogramm  heranziehen,  da  bei  rhyth¬ 
mischer  Vorhoftachysystolie  Vorhofserhebungen  im  Kardio¬ 
gramm41)  zum  Ausdruck  kommen  können;  auch  die  Auskul- 

Pilügers  Arch.  67.  1897.  S.  587. 

38)  Pflügers  Arch.  117.  1907.  S.  223. 

")  Zbl.  f.  Physiol.  19.  1905.  Nr.  5  S.  4  Anm. 

40)  Pflügers  Arch.  141.  1911.  S.  374. 

41)  Siehe  III.  Fall  der  zweiten  Mitteilung  von  Ri  hl  (1911), 
in  welchem  im  mechanischen  Kardiogramm  Vorhofserhebungen  zu 


tation  kann  man  zur  Unterscheidung  benützen,  denn  man  kann 
bei  rhythmischer  Vorhoftachysystolie  öfters  ganz  deutlich 
rhythmische  Vorhofstöne  oder  bei  Klappenfehler  ein  präsysto¬ 
lisches  Geräusch  hören,  welches  bekanntlich  beim  Auftreten 
eines  P.  i.  p.  verschwindet. 

Zusammenfassung. 

Der  Pulsus  irregularis  perpetuus  (P.  i.  p.)  unterscheidet 
sich  vor  der  rhythmischen  Vorhoftachysystolie  (rh.  V.)  da¬ 
durch,  dass  bei  ihm  eine  arhythmische  Vorhoftätigkeit  besteht, 
das  Vorhofflimmern. 

Die  Kammerunregelmässigkeit  beim  P.  i.  p.  ist  zum  Unter¬ 
schied  von  der  bei  der  rh.  V.  nicht  nur  durch  eine  Ueber- 
leitungsstörung  bedingt,  mit  anderen  Worten  nicht  nur  ab¬ 
hängig  von  dem  Verhältnis  Af:  Uf,  der  Vorhoffrequenz  zur 
Ueberleitungsfrequenz,  sondern  auch  mitbedingt  von  der 
Arrhythmie  der  Vorhoftätigkeit,  deren  Auftreten  von  dem  Ver¬ 
hältnis  R:  A,  der  Reizfrequenz  zur  Anspruchsfähigkeit  der  Vor¬ 
hofmuskulatur  abhängt. 

Der  P.  i.  p.  und  die  rh.  V.  haben  gemeinsam: 

1.  den  Tachyerethismus  (die  erhöhte  Reizfrequenz); 

2.  die  Heterotopie  der  Reizbildung; 

3.  die  Ueberleitungsstörung; 

4.  den  elektiven  Vaguseinfluss  auf  die  Ueberlcitung  (Digi¬ 
talis,  Vagusdruck,  Atropin); 

5.  wahrscheinlich  die  Ausgangsstelle,  die  wohl  im  Be¬ 
reich  des  spezifischen  Systems  vom  Koronarvenen- 
sintis  bis  zum  Tawaraknoten,  aber  sicher  nicht  unter¬ 
halb  des  letzteren  liegt. 

Die  rh.  V.  kann  in  P.  i.  p.  übergehen,  z.  B.  bei  Digitalis¬ 
medikation.  Dabei  verschwindet  ein  zuvor  bestehendes  prä¬ 
systolisches  Geräusch. 

Ob  beim  V  o  r  li  o  f  flimmern  die  Reizbildung  eine  monotone 
oder  polytope  ist,  bedarf  noch  der  Entscheidung;  für  letztere 
spricht: 

1.  die  von  mir  nachgewiesene  polytope  Reizbildung  beim 
Kammerflimmern  des  Hundeherzen; 

2.  die  beim  Flimmern  im  Elektrokardiogramm  wie  auch 
an  der  Suspensionskurve  flimmernder  Kammern  zu  be¬ 
obachtenden  Schwebungen,  die  auch  zu  beobachten 
sind,  wenn  man  gleichzeitig  von  mehreren  in  verschie¬ 
denem  Rhythmus  schlagenden  Herzen  ableitet; 

3. '  die  Zunahme  der  Oszillationsfrequenz  bei  Vagusreizung. 

Ob  der  so  hohen  Oszillationsfrequenz  beim  Flimmern  eine 

ebenso  hohe  Reizfrequenz  monotoper  Reizbildung  entspricht, 
ist  fraglich. 

Zum  Zustandekommen  des  Flimmerns,  welches  einen  Zu¬ 
stand  darstellt,  in  welchem  die  Reizbildung  positiv,  die  Kon¬ 
traktionsstärke  und  die  Leitung  negativ  beeinflusst  ist,  tragen 
immer  mehrere  Koeffizienten  bei. 

Auf  dem  Wege  der  Herznerven  wird  es  dadurch  befördert, 
dass  der  Vagus  durch  die  negativ  inotrope  und  dromotrope, 
der  Akzelerans  durch  die  positiv  chronotrope  Wirkung  das 
Auftreten  des  Flimmerns  direkt  begünstigt. 

Das  Flimmern  wird  ferner  begünstigt  durch  Dyspnoe 
(CO2)  (allgemeine  oder  lokale),  Ausdehnung  eines  Herz¬ 
abschnittes,  Verengerung  der  Strombahn  in  den  Koronar- 
gefässen  (Embolie,  Thrombose,  Sklerose),  gewisse  Gifte  (unter 
Umständen  auch  durch  Digitalis  und  Adrenalin)  und  gewisse 
Aenderungen  des  Salzgehaltes  (Kalzium,  Kalium). 

Zusätze  während  der  Korrektur. 

I.Rothberger  und  Winterberg  haben  in  Nr.  20  der 
W.kl.W.  eine  vorläufige  Mitteilung  experimenteller  Ergebnisse  „Ueber 
die  Pathogenese  der  Flimmerarrhythmie“  in  10  Sätzen  veröffentlicht, 
von  denen  ich  hier  nur  folgende  erwähnen  möchte.  So  von  Nr.  9: 
„Die  oft  vollkommene  Gleichmässigkeit  der  Oszillationen  spricht 
gegen  die  Bedeutung  der  multiplen  Reizbildung  für  die  Pathogenese 
des  Flimmerns“  Da  ich  nicht  weiss,  ob  die  Gleichmässigkeit  der 


beobachten  waren  zu  einer  Zeit,  während  welcher  in  keiner  der  auf¬ 
genommenen  Venenpulsationen  ein  sicherer  Anhaltspunkt  für  die  Vor¬ 
hoftätigkeit  gegeben  war.  Dieser  Fall  erscheint  auch  als  ein  kli¬ 
nischer  Beleg  für  die  obenerwähnte  experimentell  bekannte  Tatsache, 
dass  sich  die  beiden  Vorhöfc  etwas  verschieden  verhalten  können, 
denn  die  Vorhoftachysystolie  liess  sich  nur  links  nachweisen.  Es 
ist  dies  auch  der  Fall,  der  später  in  P.  i.  p.  überging. 


20.  Oktober  1014. 


MEENCHENER  MEPI Z1NISCHE  WO CHENSCHRIFT. 


2m 


Oszillationen  nur  für  kurze  oder  für  längere  Zeit  bestand,  möchte 
ich  mich  unter  Hinweis  auf  meine  Mitteilung  hier  nicht  weiter 
äussern,  nur  erwähnen,  dass  die  Autoren  in  Nr.  7  von  „gleichzeitiger 
Erregung  der  verschiedenen  rcizbildenden  Apparate“  beim  Flimmern 

sprechen. 


,f.ed?st  !?e'  s^ai"ker  Spannung  des  Fadens  auffallende  Höhe 
der  Oszillationsfrequenz  von  „3000—3500“  spräche  eher  für  eine 
polytope  Entstehungsweise  der  Oszillationen.  So  hohe  Oszilla¬ 
tionsfrequenzen  sind  meines  Wissens  bis  jetzt  von  anueren  Autoren 
noch  nicht  am  Säugetierherzen  beobachtet  worden 

„  Ro.tll  hat  im  Heft  3  lind  4  dcs  SO.  Bd.  der  Zschr.  f.  klin. 

Med.  „Ueber  isolierte  linkseitige  Vorhoftachysystolie“  berichtet.  Wie 
in  K  ü  h  1  s  o.  Fall  der  zweiten  Mitteilung  (1911)  vermochte  er  die 
V  orhof tach\ stolie  nur  links  nachzuweisen  und  zwar  verwendete  er 
hiezu  das  Oesophagogramm  und  die  Röntgenoskopie.  Als  Erklärung 
wäre  daran  zu  denken,  dass  bei  heterotroper  Reizbildung  der  rechte 
Vorhof  flimmert  oder  seltener  schlägt  als  der  linke,  oder  aer  rechte 
nomotop  und  der  linke  heterotop  schlägt.  Experimentell  sind  wie 
in  meiner  Mitteilung  oben  erwähnt.  Verschiedenheiten  in  dem  Ver¬ 
halten  der  beiden  Vorhöfe  in  Bezug  auf  Schlagen  und  Flimmern  bei 
Steigerung  der  Reizfrequenz  an  einer  Stelle  mir  wohl  bekannt,  wo¬ 
rauf  ich  hier  nicht  genauer  eingehen  kann. 


Fortbildungsvorträge  und 
Uebersichtsreferate. 

Zur  Diagnose  der  kindlichen  Tuberkulose*). 

Von  Dr.  Karl  Ernst  Ranke  in  München. 

M.  H.l  Sie  alle  wissen,  dass  die  Diagnose  der  Tuberkulose  des 
Menschen  zwar  oft  leider  nur  allzuleicht  ist,  dass  sie  aber  häufig 
auch  eine  sehr  schwierige  Aufgabe  darstellt,  so  dass  nur  mit  Heran¬ 
ziehung  aller  Hilfsmittel,  die  dem  Arzt  zu  Gebote  stehen,  der  für  das 
Handeln  nötige  Grad  der  Gewissheit  erreicht  werden  kann.  Die  Auf¬ 
gabe  wird  dadurch  um  so  schwieriger,  dass  gerade  die  frühzeitige 
Erkennung,  die  vom  Arzt  verlangt  werden  muss,  um  die  Zeit  der 
besten  Heilungschancen  für  die  Therapie  ausnützen  zu  können,  auch 
die  grössten  Schwierigkeiten  verursacht. 

Diese  Verhältnisse  gelten  schon  für  den  Erwachsenen;  sie  gel¬ 
ten  aber  in  noch  höherem  Grad  für  das  Kind,  bei  dem  alle  in  Betracht 
-iommenden  Verhältnisse  verwickelter  sind  als  beim  Erwachsenen. 
:s  sind,  um  nur  die  Hauptschwierigkeiten  zu  nennen,  die  Krankheits- 
3ilder  der  kindlichen  Tuberkulose  mannigfaltiger;  ihre  leichteren  und 
eichtesten  Formen  sind  noch  häufig  relativ  symptomarm,  unter  Um- 
'tänden  geradezu  symptomlos;  das  Kind  kann  die  subjektiven  Er¬ 
scheinungen  gar  nicht  oder  doch  nur  wesentlich  ungenauer  angeben; 
Jie  exakte  Untersuchung  wird  durch  die  Kleinheit  der  Organe  und 
lie  mangelnde  Mithilfe  erschwert;  auch  bestehen  im  Bild  gerade  der 
richtigsten  Organtuberkulosen  des  Kindes  weitgehende  Differenzen 
tegenüber  dem  geläufigen  Bild  der  gleichen  Erkrankungen  beim  Er¬ 
wachsenen.  Eine  Hauptschwierigkeit  liegt  schliesslich  noch  darin, 
lass  sich  beim  Kind  so  sehr  viel  leichteste  Tuberkulosen  anspinnen, 
lie  auch  ohne  Behandlung  ausheilen  werden,  so  dass  ihre  Diagnose 
»raktisch  belanglos  ist.  Durch  alle  diese  Dinge  wird  die  Diagnose 
icr  kindlichen  Inberkulose  oft  zu  einer  wahren  crux  medicorum. 

Im  Rahmen  eines  einstündigen  Vortrags  kann  selbstverständ- 
ich  das  ungeheure  Gebiet  der  kindlichen  Tuberkulose  nicht  erschöp- 
end  behandelt  werden.  Es  können  nur  einige  praktisch  besonders 
wichtige  oder  schwierige  Formen  herausgegriffen  werden.  Ich 
riöchte  deshalb  heute,  nach  einer  Uebersicht  über  die  Infektions- 
erhältnisse  und  die  Verteilung  der  Haupfformen  der  Tuberkulose  auf 
ie  Altersstufen,  nur  die  Diagnose  der  leichteren  Formen  der  Driiscn- 
uberkulose  und  Lungentuberkulose  des  Kindes  besprechen. 

Zunächst  ist  also  die  Frage  zu  behandeln:  Wie  tritt  die  Tuber- 
ulose  im  Kindesalter  auf?  Sie  ist  praktisch  so  wichtig  und  tlieo- 
etisch  so  interessant,  auch  trotz  vieler  Veröffentlichungen  aus  erster 
Und  und  zahlloser  Referate  noch  häufig  so  wenig  genau  verstanden, 
ass  wir  eine  kurze  Besprechung  nicht  entbehren  können. 

Ihnen  allen  bekannt  ist  die  Mortalitätskurve  der  einzelnen  Lc- 
ensalter,  bezogen  auf  die  Anzahl  der  Lebenden  (Fig.  1).  Sie  zeigt 
sehr  ausgesprochene  Maxima,  das  erste  im  1.  und  2.  Lebensjahr, 
ach  ihm  ein  ganz  auffallendes  Absinken  in  dem 
■  lter  von  3  bis  etwa  12  Jahren,  dann  ein  rasches  Ansteigen 
j  der  Pubertät  und  bald  nachher  das  bekannte,  sich  über  das  ganze 
jannesalter  bis  zum  Beginn  des  Greisenalters  hinziehende  zweite 
'aximum.  Es  lag  zunächst  sehr  nahe,  anzunehmen,  dass  diese  so 
ark  wechselnde  Häufigkeit  der  Todesfälle  im  wesentlichen  von  einer 
echselnden  Häufigkeit  der  Infektion  der  einzelnen  Altersstufen  ver¬ 
pacht  werde,  d.  h.  also,  dass  auch  die  Erstinfektion  mit  Tuber- 
alose  in  ähnlichen  Perioden  erfolge.  Es  wurde  demnach  eine  Haupt- 
nektionsperiode  im  Säuglingsalter  angenommen,  mit  dem  Gehen- 


)  Nach  einem  Vortrag,  gehalten  in  München  am  2.  Juli  1914  in 
Zyklus  „Die  Erkennung  und  Behandlung  der  Lungentuberku- 
$e“,  veranstaltet  vom  bayerischen  Landesverband  zur  Bekämpfung 

-r  Tuberkulose. 


lernen  sollte  die  Infektionsgefahr  sich  wesentlich  vermindern,  im 
Schulalter  ein  Minimum  haben  und  erst  mit  der  Schulentlassung  durch 
uie  Aufnahme  einer  Bcrufstätigketi  wieder  von  neuem  sehr  stark 
ansteigen. 

i  •.  9'es»„  frklänmg  ist  zweifellos  nicht  zutreffend.  Die  Abhängig- 
kcit  der  Mortalität  von  der  Infektion  hat  sich  vielmehr  als  viel  ver¬ 
wickelter  erwiesen. 


Zunächst  darf  doch  nicht  übersehen  werden,  dass  sich  die  bei¬ 
den  Hauptmaxima  der  Mortalitätskurve  sehr  wesentlich  durch  die 
Krankheitsbilder  unterscheiden,  die  ihnen  zugrunde  liegen. 

Sie  wissen,  dass  die  Tuberkulose  einmal  auftreten  kann  als  All¬ 
gemeinerkrankung,  in  ihren  Erscheinungen  etwas  dem  Typhus  oder 
der  Septikämie  ähnlich,  dann  als  im  ganzen  Körper  metastasierende 
Krankheit,  etwa  der  Pyämie  oder  einer  metastasierenden  Neubildung 
entsprechend,  und  schliesslich  als  rein  lokale  Erkrankung  der  Lun¬ 
gen  mit  weitgehender  allmählicher  Zerstörung  dieses  Organs,  ohne 
dass  in  den  typischen  Fällen  sich  aus  dieser  lokalen  Lungenerkran¬ 
kung  noch  einmal  das  Bild  der  Allgemeinerkrankung  oder  die  be¬ 
kannten  Mestastasen  im  grossen  Kreislauf  entwickeln.  Der 
typische  Phthisiker  stirbt  an  der  Lungenerkran- 
kung,  ohne  von  ihr  ausgehend  Drüseneiterungen 
oder  Gelenk-  und  Knochentuberkulosen  zu  be¬ 
kommen. 

Das  erste  Maximum  der  Todesfälle  enthält  ausschliesslich  all¬ 
gemeine  Tuberkulosen  meist  sehr  schwerer  Natur  (Fig.  2).  In  der 


— ■  11  Mortalität  an  Phthise  t 

-  Mortalität  an  generalisierter  Taberkulose  J  pro  ,00°00  Lebende  in  Bayern  1Q05. 

Zeit  des  Minimum  sind  die  allgemeinen  Tuberkulosen  zwar  auch  noch 
relativ  häufig  vertreten,  doch  mischen  sich  sehr  rasch  die  lokal¬ 
metastasierenden  Formen  bei.  Erst  gegen  die  Pubertät  beginnt  dann 
die  3.  Form,  die  lokale  Tuberkulose  der  Lungen,  häufig  zu  werden. 
Sie  verursacht  allein  das  zweite  Ansteigen  der  Tuberkulosesterblich¬ 
keit  und  im  voll  ausgebildeten  2.  Maximum  ist  die  Sterblichkeit  so 
gut  wie  ausschliesslich  durch  solche  „echte  Phthisen“  verursacht. 

Es  sind  uns  auch  sehr  wichtige  ursächliche  Differenzen  zwischen 
diesen  Hauptverlaufswcisen  der  Tuberkulose  bekannt.  Die  schwere 
allgemeine  Inberkulose  ist  die  unmittelbare  Folge  einer  schweren 
Erstinfektion.  Das  ist  von  der  experimentellen  Tiertuberkulose  be¬ 
kannt  und  gilt  ebenso  für  den  Menschen.  Leichtere  experimentelle 
Infektionen  führen  zu  chronischer  verlaufenden  Erkrankungen  mit  all¬ 
mählichem  Hervortreten  einzelner  grösserer  Lokalherde,  und  es  ge¬ 
lingt  nur  durch  sehr  sorgfältige  Beobachtung  komplizierter  Versuchs¬ 
bedingungen,  hauptsächlich  bei  Abschwächung  des  Virus  und  Siche¬ 
rung  eines  sehr  protrahierten  Verlaufes  ein  der  menschlichen  Phthise 
ähnliches  Krankheitsbild  experimentell  hervorzurufen. 

Uebertragen  wir  diese  Kenntnis  auf  die  Mortalitätskurve,  so 
zeigt  sie  uns  zunächst  das  rasche  Absterben  einer  grossen  Anzahl 


2* 


2100 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  42. 


schwer  infizierter  Kinder  an  der  typischen  Allgemeinerkrankung,  die 
einer  solchen  schweren  Erstinfektion  folgen  muss.  Diese  Formen, 
aus  denen  sich  das  erste  Maximum  ausschliesslich  zusammmensetzt, 
treten  dann  bald  an  Häufigkeit  zurück,  mit  dem  zunehmenden  Alter 
mischen  sich  die  Folgen  leichterer  Infektionen  mit  ihrem  langsameren 
Ablauf  bei.  Das  zweite  Maximum  ist  dagegen  beherrscht  von  einer 
Spätform  der  Tuberkulose,  deren  Endstadien  bei  ihrem  ganz  pro¬ 
trahierten  Verlauf  erst  lange  nach  der  Erstinfektion  auftreten  können. 

Damit  sind  nun  schliesslich  noch  die  Tatsachen  zusammcnzuhal- 
ten,  die  uns  über  die  zeitliche  Verteilung  der  Erstinfektion  beim 
Menschen  bekannt  sind.  Da  der  tuberkulosekranke  Mensch  einige 
Zeit  nach  der  Infektion,  wenn  er  nicht  allzuschwer  tuberkulosekrank 
ist,  auf  Tuberkulin  reagiert,  kann  man  aus  der  Zahl  der  positiv 
reagierenden  Menschen  einer  bestimmten  Altersstufe  einen  an¬ 
nähernden  Schluss  auf  die  Zahl  der  Infizierten  machen.  Annähernd 
deshalb,  weil  wir  die  Inkubationszeit  der  Reaktion  für  den 
Menschen  —  namentlich  bei  den  ganz  leichten  Infektionen  —  nicht 
kennen  und  weil  wir  nicht  wissen,  wie  lange  nach  der  Abheilung  die  Re¬ 
aktion  positiv  bleibt.  Man  pflegt  meist  stillschweigend  die  Annahme  zu 
machen,  dass  die  Reaktion  durch  das  ganze  Leben  fortbestehe,  wenn 
sie  einmal  erworben  ist,  und  dass  auch  bei  den  leichtesten  Infektionen 
die  Inkubation  nicht  so  lange  wird,  dass  sie  das  Bild  wesentlich  zu 
stören  vermag.  Für  eine  allgemeine  Uebersicht  werden  diese  An¬ 
nahmen  wohl  zutreffen,  und  mehr  wollen  wir  hier  auch  nicht  zu  geben 
versuchen.  Wir  werden  also  mit  dem  nötigen  wissenschaftlichen  Vor¬ 
behalt  die  Ergebnisse  der  Tuberkulinprüfung  heranziehen  können. 
Aus  den  bisherigen  Untersuchungen  lässt  sich  eine  Häufigkeitskurvc 
gewinnen.  Aus  dieser  ersehen  wir,  dass  die  Infektionskurve 
keinerlei  Aehnlichkeit  hat  mit  der  Kurve  der  Sterblichkeit,  die  zum 
Vergleich  in  gleichem  Massstab,  das  heisst  also  auch  bezogen  auf 
100  000  Lebende,  auf  der  gleichen  Figur  eingetragen  ist.  Die  Infek¬ 
tionskurve  zeigt  nicht  die  beiden  Maxirna,  sondern  sie  zeigt  ein 
gleichmässiges  Ansteigen,  so  dass  schon  in  der  Altersklasse  jenseits 
der  Pubertät  eine  praktisch  vollständige  Durchseuchung  eingetreten 
ist.  Die  beiden  Kurven  sind  übrigens  nicht  ohne  weiteres  vergleich¬ 
bar,  da  die  Kurve  der  auf  Tuberkulin  Reagierenden  die  Gasamtzahl 
der  jeweils  lebenden  Infizierten  enthält,  uns  also  —  unter  der  An¬ 
nahme,  dass  die  Reaktionsfähigkeit  nach  einmaliger  Infektion  durch 
das  ganze  Leben  fortbesteht  —  die  Summe  der  Infektionen  aller  zeit¬ 
lich  vorausliegenden  Altersstufen  angibt,  während  die  Werte  der 
Mortalitätskurve  sich  jeweils  nur  auf  die  Todesfälle  der  einzelnen 
Alterstufen  selbst  beziehen.  Wir  werden  noch  sehen,  dass  auch 
bei  dieser  Darstellung  die  wichtigsten  Differenzen  zwischen  der  In¬ 
fektionskurve  und  der  Mortalitätskurve  nicht  verschwinden.  Die  auf¬ 
fällige  Diskrepanz  —  zwischen  dem  raschen  Ansteigen  der 
Infektion  in  den  Altersklassen  vom  2.  bis  etwa  12.  Lebensjahr 
und  dem  gerade  in  dieser  Zeit  so  auffälligen  Zu¬ 
rückbleiben  der  Mortalität  hinter  der  Infektionshäufig¬ 
keit  —  bleibt  für  alle  Betrachtungsweisen  bestehen.  Es  kann  also 
gar  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  auf  eine  Periode 
schwerer  Infektion  mit  vergleichsweise  zahl¬ 
reichen,  rasch  tödlich  verlaufenden,  allgemeinen 
Tuberkulosen  eine  Infektionsperiode  folgt,  die 
ganz  überwiegend  langsam  verlaufenden,  auf 
Jahre  hinaus  nicht  zum  Tod  führende  Infektionen 
enthält.  Dieser  Schluss  wird  um  so  zwingender  dadurch,  dass 
ein  guter  Teil  der  an  sich  schon  auffallend  geringen  Mortalität  dieser 
Hauptinfektionsperiode  noch  auf  die  schweren  Infektionen  der  voran¬ 
gehenden,  aber  doch  nicht  schon  im  ersten  Lebensjahr  tödlich  ab¬ 
laufenden  Infektionen  der  vorangehenden  Jahre  zu  beziehen  ist. 

Um  Ihnen  noch  rasch  ein  Bild  der  Zahlenverhältnisse  zu  geben, 
möchte  ich  eine  Berechnung  Weinbergs  vorführen,  der  die  Zahlen 
der  Infektionskurve  auf  eine  Sterbetafel  (Berlin  1876 — 1900)  übertragen 
hat.  Nach  der  Tabelle  Weinbergs  werden  im  1.  Lebensjahre  von 
10  000  Lebenden  ca.  500  Kinder  infiziert.  In  der  Altersstufe  vom 
2. — 5.  Lebensjahre  steigt  die  Zahl  der  jährlich  infizierten  Kinder  noch 
wesentlich  an.  Wir  haben  zwar  auch  einen  durchschnittlichen  Zu¬ 
wachs  von  wenig  mehr  als  500  neu  infizierten  Kindern,  da  die 
mittlere  Zahl  der  Lebenden  aber  in  dieser  Altersstufe  von  ursprüng¬ 
lich  10  000  schon  auf  rund  6000  abgesunken  ist,  bedeutet  das  eine 
ganz  wesentliche  Zunahme  der  Infektionshäufigkeit  auf  das  Doppelte 
der  Infektionshäufigkeit  im  1.  Lebensjahr.  Auch  in  der  nächsten 
Periode,  vom  6. — 15.  Lebensjahr,  werden  die  hier  zugrunde  ge¬ 
legten  Prozentzahlen  als  richtig  angenommen  jährlich  noch  rund  200 
neu  infiziert.  Trotz  des  weiteren  Absinkens  des  Bestandes  an  nicht- 
infizierten  Lebenden  bedeutet  das  einen  deutlichen  Rückgang  in  der 
Exposition,  d.  h.  also  der  Infektionshäufigkeit.  Während  von  100  Le¬ 
benden  im  1.  Lebensjahr  ca.  6  Individuen  neu  infiziert  werden  und 
im  2. — 5.  etwa  12,  sinkt  diese  Zahl  im  Schulalter  (6. — 15.  Lebens¬ 
jahr  auf  rund  9  Neuinfizierte,  Ob  in  der  nun  folgenden  Altersstufe 
wieder  ein  Ansteigen  der  Exposition  auftritt,  wie  Weinberg  hier 
errechnet  hat,  lässt  sich  leider  noch  nicht  mit  Sicherheit  feststellen. 
Wie  Weinberg  selbst  angibt,  sind  gerade  für  dieses  Lebensalter 
die  Unterlagen  für  eine  Berechnung  am  wenigsten  ausreichend.  Es 
wäre  aber  von  allergrösster  praktischer  Wichtigkeit  für  die  Ver¬ 
hütung  der  Schwindsucht,  die  Verhältnisse  dieser  so  wichtigen  Alters¬ 
stufe  genauer  kennen  zu  lernen.  Es  ist  dazu  notwendig,  umfassende 
Untersuchungen  über  die  Art  der  Tuberkulinempfindlichkeit  dieser 
Altersstufe  anzustellcn.  Die  Beurteilung  wird  allerdings  meiner  Er¬ 


fahrung  nach  von  dieser  Altersstufe  an  schon  wesentlich  dadurch 
erschwert,  dass  der  Prozentsatz  der  ganz  leichten  und  der  zweifel¬ 
haften  Reaktionen  gegenüber  den  unteren  Altersstufen  beträchtlich 

angestiegen  ist. 

Vergleichen  wir  damit  die  Ergebnisse  der  Mortalitätsstatistik,  so 
erhalten  wir  für  das  1.  Lebensjahr  gegenüber  rund  400  überlebenden 
Infizierten  eine  Zahl  von  ebenfalls  rund  400  an  Tuberkulose  Ge¬ 
storbenen,  also  eine  Letalität  von  rund  50  Proz.  Aber  schon  in  der 
folgenden  Altersklasse  sinkt  die  Letalität  auf  nur  etwa  6 — 7  Proz., 
und  in  der  Altersklasse  vom  6. — 15.  Lebensjahr  beträgt  sie  nur 
mehr  1 — 2  Proz.  der  lebenden  Infizierten. 

Die  eine  Tatsache  ist  also  zweifellos  gesichert,  dass  die 
Lebenden  der  Altersstufen,  die  die  geringste  Mortalität  aufweisen, 
geradezu  erfüllt  sein  müssen  von  Individuen,  die  die  Folgen  einer 
geringfügigen  tuberkulösen  Infektion  aufweisen. 

Diese  zahlreichen  leichten  kindlichen  Tuberkulosen  sind  in  ge¬ 
wissem  Sinne  terra  nova  für  den  praktischen  Arzt.  Wir  haben  von 
ihrem  Vorhandensein  bis  vor  wenigen  Jahren  überhaupt  nichts  ge¬ 
wusst,  es  kaum  geahnt.  Ihre  Kenntnis  verdanken  wir  hauptsächlich 
der  Anwendung  der  Tuberkulinreaktionen.  Für  das  Handeln  des 
praktischen  Arztes  ist  aber  bei  der  Annahme,  dass  auch  abheilende 
und  selbst  abgeheilte  Tuberkulosen  positiv  reagieren,  mit  der  Dia¬ 
gnose  der  kindlichen  Tuberkulose  lediglich  mit  Hilfe  des  Tuberkulins 
gar  nichts  gewonnen.  Erst  im  Zusammenhalt  mit  einer  auch  ander¬ 
weitig  noch  nachweisbaren  tuberkulösen  Erkrankung  kann  die  Tuber¬ 
kulinreaktion  von  Wert  sein.  Wir  müssen  uns  demnach  nach  ander¬ 
weitigen  Erscheinungen  umsehen,  die  unser  Handeln  bestimmen  sollen. 
Nur  wenn  ein  tuberk ulin  reagierendes  Kind  auch 
nachweislich  tuberkulosekrank  ist,  ist  eine  ärzt¬ 
liche  Behandlung  nötig  und  berechtigt. 

Für  die  Verhütung  der  Tuberkulose  ist  allerdings  die  Erkenntnis 
von  grösster  Wichtigkeit,  dass  gerade  das  Entwicklungsalter  unter 
den  heutigen  Lebensverhältnissen  der  Infektion  mit  Tuberkulose  in 
so  hohem  Grade  ausgesetzt  ist.  Es  gehört  zu  den  wichtigsten  Auf¬ 
gaben  der  Tuberkulosebekämpfung,  für  unsere  ganze  Jugend  nach 
den  besten  hygienischen  Aufwuchsbedingungen  zu  srreoen.  Ein  ge¬ 
sund  aufwachsendes  Kind  hat  die  besten  Chancen,  die  Folgen  einer 
leichten  tuberkulösen  Infektion  ohne  jeden  weiteren  Schaden  zu  über¬ 
winden.  Alle  Jugendfürsorgebestrebungen  sind  demnach  auch  im 
Interesse  der  Tuberkulosebekämpfung  aufs  nachdrücklichste  zu 
fördern.  Die  Verbesserung  der  körperlichen  Erziehung,  die  Er¬ 
möglichung  des  Aufenthaltes  im  Freien  und  die  Verbesserung  der 
Wohnung-  und  Ernährungsbedingungen  kommen  dafür  in  erster  Linie 
in  Betracht. 

Die  schweren  Formen  der  kindlichen  Tuberkulose  pflegen  keine 
wesentlichen  diagnostischen  Schwierigkeiten  zu  machen.  Die  Miliar¬ 
tuberkulose  und  die  nach  Analogie  der  Pyämie  metastasierende  Form 
derselben  zeigen  wohlbekannte  klinische  Bilder.  Die  Schwierigkeiten 
der  Erkennung  steigen  aber,  je  chronischer  der  Verlauf  und  je  ge¬ 
ringer  die  lokalen  Manifestationen  sind.  Immer  aber  bleiben  zwei 
Symptomenreihen  von  besonderer  Wichtigkeit.  Es  sind  das  1.  die 
Erscheinungen  einer  chronischen  Allgemeinerkrankung  und  2.  lokale 
Veränderungen  im  Lymphdrüsensystem. 

Die  Allgemeinerscheinungen  sind  auch  bei  den  leichten  Formen 
von  den  bekannten  der  schweren  Erkrankungen  nur  gradweise  ver¬ 
schieden.  Sie  bestehen  in  ungenügender  Gewichtszunahme,  Appetit¬ 
losigkeit,  Blässe  der  Haut  und  der  sichtbaren  Schleiinnäute,  Verände¬ 
rungen  im  Wesen  des  Kindes,  hervorgerufen  durch  leichtere  Reizbar¬ 
keit  und  vor  allem  Ermüdbarkeit  und  Störungen  der  Körpertempe¬ 
ratur.  Ganz  wie  beim  Erwachsenen  zeigt  sich  beim  Kinde  diese  Stö¬ 
rung  der  Körpertemperatur  entweder  als  eine  dauernde  geringe  Er¬ 
höhung  oder  als  Labilität  der  Temperatur.  Die  Kinder  zeigen  dann 
nach  ausgelassenem  Spiel,  besonders  abends  vor  dem  Zubettcgehen, 
Temperatursteigerungen.  Um  diese  Verhältnisse  erkennen  und  rich¬ 
tig  beurteilen  zu  können,  muss  also  über  längere  Perioden  hinweg  die 
Körpertemperatur  genau  beobachtet  und  registriert  werden. 

Auch  beim  Kind  ist  die  normale  Temperatur,  im  Rektum  ge¬ 
messen,  nicht  höher  als  37.5.  Kinder,  die,  wenn  auch  für  lange 
Perioden  und  ohne  sonstige  Krankheitserscheinungcn,  höhere  Abend¬ 
temperaturen  haben,  sind  krank.  Unter  anderen  Ursachen  können 
kleinere  verkäsende  Drüsen  über  viele  Monate  eine  derartige  lem- 
peraturlabilität  unterhalten.  Bei  sorgfältiger  Messung  zeigen  sich 
dabei  nicht  selten  plötzliche  interessante  Fieberattacken  von  1  oder 
mehreren  Tagen,  die  nach  meiner  Erfahrung  mit  in  das  Bild  dei 
chronischen  Drüsentuberkulose  zugezogen  werden  müssen. 

Gegenüber  der  landläufigen  Auffassung  kann  gar  nicht  oft  und 
energisch  genug  darauf  hingewiesen  werden,  dass  Temperaturen  über 
37,8  auch  beim  Kinde  eine  Störung  der  Gesundheit  bedeuten,  nach 
deren  Ursache  gesucht  werden  muss.  Es  ist  dabei  selbstverständ¬ 
lich,  dass  nicht  jede  Temperatur  über  37,5  eine  latente  Tuberkulose 
sicherstellt,  ebenso  wie  die  gleiche  Annahme  für  die  beginnende 
Phthise  des  Erwachsenen  ganz  widersinnig  wäre,  obwohl  die  gleichen 
geringen  Temperaturstörungen  sehr  wesentlich  zum  Bilde  der  be¬ 
ginnenden  Phthise  gehören. 

Schon  diese  Allgemeinerscheinungen  allein  müssen  bei  positiver 
Tuberkulinreaktion  im  Kindesaltcr  als  strikte  Indikation  für  ärztliches 
Eingreifen  angesehen  werden.  Gesichert  wird  die  Diagnose  aber 


20.  Oktober  1914. 


MIJENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2101 


doch  erst  durch  den  Nachweis  lokaler  Veränderungen.  Bei  den  lcicli- 
testen  rönnen  pflegen  diese  Veränderungen  klinisch  sich  nur  im 
Lyrnphdrüsensystem  bemerklich  zu  machen.  Dabei  sind  zwei  Drüsen- 
gruppen  von  besonderer  Wichtigkeit  und  zwar  1.  die  Halsdrüsen  von 
dci  I  onsillc  abwärts  bis  zur  Fossa  supraclavicularis  (gl.  cerv.  lat. 
supertic.  et  prof.  sup.  et  inf.)  und  die  Drüsen  i in  Gebiet  der  Lungen- 
wurzcl  (die  gl.  tracheo-bronch.  et  broncho-pulm.). 

...  r)ie  Ha]sdrüsen  sind  dem  Finger  leicht  zugänglich.  Wir 
können  also  die  drei  für  die  Diagnose  der  Tuberkulose  wichtigsten 
Eigenschaften  -die  Konsistenz,  die  Grösse  und  F  o  r  m, 
u  n  d  das  V  erhalten  zu  der  Umgebung  —  stets  leicht  kon¬ 
trollieren. 

Die  zervikalen  Lymphdrüsen  zeigen  bald  nach  der  Infektion  eine 
zunächst  markige  Schwellung.  In  3  sicher  beobachteten  Fällen  habe 
ich  einzelne  Drusen  schon  4  Wochen  nach  einem  kurzen  Zusammen¬ 
leben  mit  einer  phthisischen  Hausgenossin,  —  also  etwa  4  Wochen 
nach  der  Infektion  haselnusTs-  und  etwa  mandelgross  gefunden, 
wahrend  ich  vorher  palpable  Drüsen  nie  wahrgenommen  hatte.  In 
diesen  Fallen,  in  denen  es  sich  nach  Ausweis  des  bisnerlgen  Ver¬ 
laufes  um  relativ  leichte  Infektionen  gehandelt  hat,  sind  die  Drüsen 
zunächst  während  etwa  eines  Jahres  auf  dieser  Grösse  stehen  ge- 
blieben,  um  erst  im  Verlauf  des  2.  Jahres  nach  der  Infektion  wieder 
langsam  abzuschwelien.  Bei  zweien  dieser  Kinder  hat  die  Rück¬ 
bildung  langsam  zum  fast  völligen  Verschwinden  der  Drüsen  geführt. 
Beim  dritten  Kind  sind  die  gleichen  Drüsen  dagegen  4  Jahre  nachher 
wieder  von  neuem  angeschwollen  in  einer  Zeit,  in  der  das  Kind  auch 
wieder  leichte  Allgcmeinstörungen  aufwies.  In  anderen  Fällen  be¬ 
obachtet  man  dieses  An-  und  Abschwellen  noch  sehr  viel  charakte¬ 
ristischer.  Die  markige  Schwellung  der  aktiven  Drüsentuberkulose 
wechselt  m  unregelmässigen  Perioden,  so  dass  manchmal  in  wenigen 
Wochen  sehr  wesentliche  Volumschwankungen  auftreten  können. 
Dieses  Wechseln  der  Schwellung,  wobei  mit  der 
Zunahme  der  Schwellung  eine  Steigerung  der  All- 
ge  mein  stör  ungen  einhergeht  und  umgekehrt,  ist 
ein  sehr  wichtiges  Symptom  einer  aktiven  Drüsen¬ 
tuberkulose. 

Der  weitere  \  erlauf  führt  nun  entweder  zur  Abszedierung  und 
zum  Durchbruch,  zunächst  durch  die  Driiscnkapsel,  schliesslich  aucii 
durch  die  äussere  Haut,  oder  zu  einer  langsamen  Rückbildung.  Da¬ 
bei  zeigen  sich  wieder  diagnostisch  sehr  wichtige  Veränderungen 
Ne  alle  kennen  die  typischen  Narben,  die  sich  nach  dem  Durchbruch 
einer  tuberkulösen  Drüse  ausbilden  und  die  auf  den  ersten  Blick  und 
Drift  die  sichere  Diagnose  einer  tuberkulösen  Veränderung  gestatten. 
Diese  Narben  sind  schlecht  vaskularisiert,  kallös,  d.  h.  also  voluminös 
und  hart,  wobei  die  harte  Hautnarbe  durch  derbes  Bindegewebe 
mit  den  Resten  der  Drüse  und  der  Drüsenkapsel  und  deren  Um¬ 
gebung  fest  verlötet  ist.  Es  ist  nicht  unwichtig,  zu  wissen,  dass 
Jiese  kallosen  Veränderungen,  die  sich  ganz  ebenso  z.  B.  auch  bei 
Jer  Gc.enktuberkulose  entwickeln,  und  dann  die  Versteifung  des  be- 
allenen  Gelenkes  verursachen,  bei  vollständiger  Heilung 
i.e  £  Tuberkulose  verschwinden.  Wir  wissen  das  mit 
Sicherheit  von  den  Resultaten  der  Behandlung  derartiger  Erkran¬ 
kungen  mit  Höhensonne.  Dabei  verschwinden  die  Reste  der  ent¬ 
zündeten  Drüsen,  das  narbige  Bindegewebe  wird  gut  vaskularisiert, 
erlicrt  seine  Härte  und  auch  vorher  fixierte  Gelenke  werden  wieder 
>eweglich.  Das  Vorhandensein  einer  derartigen  kallösen  Bindege- 
•vebsent Wicklung  deutet  also  auf  eine  zwar  abheilende  aber  doch 
acht  völlig  abgeheilte  tuberkulöse  Veränderung.  Die  gleiche  Binde- 
cewebsent Wicklung  zeigt  sich  auch  da,  wo  die  Abszedierung  aus- 
ileibt.  Bei  der  langsamen  Rückbildung  einer  tuberkulösen  Drüse 
nduriert  der  tuberkulöse  Anteil  und  seine  direkte  Umgebung,  soweit 
lie  perifokale  entzündliche  Durchtränkung  in  der  Drüse  oder  ihrer 
mgebung  gereicht  hatte.  Die  Drüsen  werden  also,  nach- 
lem  sie  eine  Zeitlang  markig  geschwellt  waren, 
leiner,  härter  und  verlieren  ihre  rundliche  Kon¬ 
ti  r.  Das  Verlieren  der  rundlichen  Kontur  ist  dabei  von  grösserer 
lagnostischer  Bedeutung  als  die  Härte  an  sich.  l)le  Häufigkeit 
icses  Symptoms  bei  längerem  Bestehen  der  Schwellungen  ist  so 
her  wiegend,  dass  sein  Fehlen  direkt  gegen  das  Vorhandensein  einer 
uberkulösen  Veränderung  sprechen  kann.  Drüsenpakete,  die  aus 
arten,  dauernd  gleichmässig  prall  geschwellten  Einzeldriisen  be¬ 
leben,  müssen  den  Verdacht  einer  anderen  Erkrankung,  einer 
ymphogranulomatose  oder  einer  bösartigen  Geschwulst  erwecken. 
Mise  Bindege websentwicklung  greift  dort,  wo  die  perifokale  Ent- 
undung  die  Drüsenkapsel  überschritten  hatte,  wo  also  das  Binde- 
ewebe  und  die  Drüse  eine  Zeitlang  serös  durchtränkt  und  klein- 
eilig  infiltriert  war,  auch  auf  die  Umgebung  der  Drüse  über.  D  i  e 
ich  rückbildende  Drüse  wird  dann  allmählich, 
hon  so  wie  die  geschilderte  skrofulöse  Narbe  nach 
cm  Drüsendurchbruch,  an  ihrer  Unterlage  oder 
en  benachbarten  Muskel-  und  Gefässscheiden 
■  x  ie  r  t,  eine  ebenfalls  durch  einfache  Palpation  sehr  leicht  fest- 
lellbare  Erscheinung. 

(Schluss  folgt.) 


Bücheranzeigen  und  Referate. 

..  .  L*  L  a  u  n  °  y;  Thyroides,  Parathyroides,  Thymus.  Paris, 
Bai  liiere  c  t  f  i  I  s,  1914.  405  S.  Preis  14  Frs. 

Während  wir  in  Deutschland  jetzt  mehrere  vortreffliche  Gesamt¬ 
darstellungen  unseres  Wissens  über  die  innere  Sekretion  besitzen, 
bringt  der  französische  Buchmarkt  gediegene  Einzeldarstellungen  in 
grosserer  Anzahl  heraus.  Die  neueste  solche  Erscheinung  ist  das  vor- 
uegende  W  erk  von  Launoy;  es  beschränkt  sich  auf  den  Thymus- 
.pitlielkorperchen-Schilddrüsenapparat.  Der  Verfasser  scheint,  trotz 
der  versuchten  Verteidigung  einer  besonderen  Zusammengehörigkeit 
dieser  Organe,  selbst  zu  fühlen,  dass  solche  Zusammenfassungen  von 
urgangruppen  etwas . willkürliches  an  sich  haben;  nach  unserer  An- 
sucht  hegt  weniger  ein  physiologischer,  als  wie  ein  topographischer 
und  historischer  Grund  vor,  Thyreoidea,  Parathyreoidea  und  Thymus 
von  den  anderen  Organen  ähnlicher  Funktion  abzutrennen  und  mono- 
graphisch  zu  bearbeiten.  Der  Verfasser  legt  aber  in  seiner  Dar- 
ste llung  den  Hauptnachdruck  auf  die  physiologische  Forschung;  das 
Klinische  tritt  zurück,  normale  und  pathologische  Anatomie  sind  mehr 
berücksichtigt.  Die  Literatur  ist  —  mit  Absicht  —  nicht  vollständig 

n-Auu-^reinend  Kleichmäss'S.  d.  h.  international  berücksichtigt. 
Die  Abbildungen  sind  für  unseren  verwöhnten  deutschen  Geschmack 
etwas  zu  reizlos.  An  vielen  Stellen  sind  die  Ergebnisse  eigener 
Untersuchungen  eingeflochten;  so  wird  von  Versuchen  über  die  Re¬ 
sistenz  thyrektomierter  Tiere  gegen  Infektionen  und  Gifte  (Arseno- 
benzol),  über  die  Folgen  der  Röntgenbestrahlung  für  den  Thymus, 
über  thymoprive  Idiotie,  über  die  Lebenswichtigkeit  des  Thymus  be¬ 
richtet.  Die  Frage  nach  dem  Wesen  der  parathyreopriven  Tetanie 
wird  dahin  beantwortet,  dass  cs  sich  nicht  um  eine  Intoxikation 
duich  ein  besonderes  Gift  handelt;  jedoch  ist  der  Zustand  als  eine 
parathyreoprive  Toxämie,  besonders  für  junge  Individuen,  durch  Ver¬ 
änderung  des  Stoffwechsels,  und  zwar  als  eine  „parathyreoprive 
Azidose  1  anzusehen.  Beim  Affen  bricht  die  Tetanie  nach  Äusschnei- 
dung  der  Epithelkörperchen  u.  U.  erst  nach  einer  längeren  Latenz¬ 
periode  aus.  Bei  der  Basedowschen  Krankheit  handelt  es  sich 
jedenfalls  nicht  um  eine  Hyperthyreoidisation,  sondern  eher  um  eine 
Hyperthymisation.  In  diesem  Sinne  wird  auch  die  fast  regelmässige 
Hypertrophie  der  Thymusdrüse  bei  Morbus  Bascdowii  aufgefasst. 

R  ö  s  s  I  e  -  Jena. 

R.  Le  Blage  und  H.  Guggenheim:  Manuel  pratique  de  Dia¬ 
gnostic  bacteriologique  et  de  Technique  appliquee  ä  la  determination 
des  Bacteries.  Paris,  Verlag  von  Vigot  Freres,  1914  8  Frs 

443  Seiten. 

Die  beiden  Autoren  haben  den  Versuch  gemacht,  das  gesamte 
bekannte  resp.  beschriebene  Bakterienmaterial  zu  diagnostischen 
Zwecken  in  Tabellenform  zu  bringen,  wie  es  auch  schon  Eisen- 
berg  und  Matzuschita  getan  hat.  Ob  mit  mehr  Erfolg  wie  die 
letztgenannten  Autoren,  muss  die  Praxis  lehren.  Um  solche  Tabellen 
für  den  diagnostischen  Bedarf  brauchbar  zu  machen,  muss  der  Ver¬ 
fertiger  derselben  alle  oder  wenigstens  die  meisten  der  Bakterien¬ 
stämme  selbst  genau  kennen,  da  die  Beschreibungen  anderer  leider 
so  vielfach  im  Stich  lassen,  weil  sie  viel  zu  ungenau  sind.  Inwieweit 
R.  Le  Blage  und  H.  Guggenheim  dieser  Forderung  gerecht 
geworden  sind,  ist  nicht  bekannt,  bei  Matzuschita  traf  es  jeden¬ 
falls  nicht  zu. 

Bei  der  Durchsicht  der  aufgestellten  Tabellen  zeigt  sich  aber, 
dass  die  Autoren  kritisch  vorgingen  und  sich  bemüht  haben,  durch 
weitgehende  Heranziehung  der  Originalliteratur  die  Sache  so  gut  wie 
möglich  zu  machen.  Es  steckt  jedenfalls  eine  enorme  Arbeit  und  viel 
Fleiss  darin,  da  auch  versucht  wurde,  so  viel  wie  möglich  Stämme 
in  die  Tabellen  aufzunehmen.  Freilich  weiss  man,  dass  viele  von 
diesen  in  Kultur  gar  nicht  mehr  existieren,  so  dass  eine  eventuelle 
Identifizierung  eines  neu  gefundenen  Stammes  mit  der  Originalkultur 
unmöglich  sein  würde.  Verf.  hat  die  Ueberzeugung,  dass  die  vor¬ 
liegenden  Tabellen  zu  den  besten  und  brauchbarsten  gehören,  die 
wir  zurzeit  besitzen. 

Das  Buch  ist  auch  in  seinen  anderen  Teilen  recht  gut.  Es  bringt 
die  1  echnik  der  Kulturen,  das  Isolieren  der  Bakterien,  das  Mikro¬ 
skopieren,  das  Färben  und  die  speziellen  Verfahren  bei  der  Diagnose, 
ebenso  eine  Anleitung  für  den  Gebrauch  der  Bestimmungsschlüssel. 
Ein  ausführliches  Sachregister  mit  allen  im  Buch  enthaltenen  Bak- 
terien  und  der  zugehörigen  Literatur  ist  eine  sehr  schätzenswerte 
Zugabe.  Jedenfalls  wird  das  kleine  Werk  dem  Diagnostiker  manche 
gute  Dienste  leisten  und  ist  zu  empfehlen. 

R.  0.  Ncum  a  n  n  -  Bonn. 

Schadenverhiiteiides  Wirken  in  der  deutschen  Arbeiterversiche¬ 
rung.  \  on  Dr.  jur.  et  med.  h.  c.  Paul  Kaufmann,  Präsident  des 
Reichsvcrsicherungsamts.  2.,  vermehrte  Auflage.  Berlin  1914  Ver¬ 
lag  von  F.  V  a  h  1  e  n.  Preis  5  M.  214  Seiten. 

Wir  haben  die  erst  vor  kurzem  erschienene  1.  Auflage  dieser 
interessanten  und  zugleich  der  Propaganda  unseres  sozialen  Riesen¬ 
werks  dienenden  Studie  hier  an  dieser  Stelle  eingehend  gewürdigt. 
Einzelne  Abschnitte  sind  in  dieser  2.  Auflage  erheblich  umgestaltet, 
das  Literaturverzeichnis  ist  bedeutend  erweitert  worden.  Wer  sich 
über  die  grundsätzlichen  Ziele  und  Mittel,  die  Leistungen  und  Wir¬ 
kungen  der  deutschen  Arbeiterversicherung  zuverlässig  unterrichten 
will,  dem  wird  das  autoritative  Werk  K.s  der  beste  Führer  sein. 

Dr.  Gr  assmann- München. 


AtUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2102 


Nr.  42. 


Karl  Sud  hoff:  Beiträge  zur  Geschichte  der  Chirurgie  im 
Mittelalter.  Graphische  und  textliche  Untersuchungen  in  mittelalter¬ 
lichen  Handschriften  I.  Teil  (Heft  10  der  Studien  zur  Geschichte  der 
Medizin).  Leipzig  1914  bei  J.  Ambrosius  Barth.  X  und  224  Seiten 
8"  mit  65  Tafeln  in  Lichtdruck  und  27  Textabbildungen.  38  M.  ungeb. 

Es  ist  bewunderungswürdig,  wie  unser  Generalfeldmarschall 
der  Medizingeschichte  in  planmässiger  Konsequenz  und  zäher,  vor 
keiner  Schwierigkeit  zurückschreckender  Arbeit  das  Gebiet  der  mit¬ 
telalterlichen  Medizin  sich  und  uns  neu  erobert  und,  an  allen  Punk¬ 
ten  der  Grenze  einbrechend,  Stück  für  Stück  unserer  Kenntnis  unter¬ 
wirft,  beharrlich  und  erfolgreich  dem  Ziele  zustrebend;  dem  Ziel: 
die  Ausgangspunkte  des  mittelalterlichen  Wissens  aufzuspüren  und 
bis  zur  Antike  zurückzuverfolgen,  dann  die  Masse  des  Guten  aufzu¬ 
decken,  die  das  Mittelalter  selbst  dazugetragen  hat.  Der  vorliegende 
Band  reiht  sich  den  nun  schon  zahlreichen  Arbeiten  Sudhof fs  an. 
in  den  Zusammenhängen  nachgespürt  wird.  Die  zielbewusste  und 
wieder  höchst  erfolgreich  geleistete  Arbeit  ist  erstaunlich.  Eine 
Menge  neuen  Materials  ist  durch  Sudhoffs  Findertalcnt  zu¬ 
sammengetragen  und  mit  subtiler  Gewissenhaftigkeit  durchgearbeitet. 

Der  wohlausgestattete  Band  besteht  zur  Hälfte  aus  Tafeln.  Das 
reiche  neue  Bildermaterial  zur  Chirurgie  des  Mittelalters  betrifft 
Operationen,  vor  allem  Staarstich,  Nasenoperationen,  Hämorrhoiden¬ 
schnitt.  Dann  folgen  Schemata  der  heilbaren  und  unheilbaren  Wun¬ 
den,  eine  reiche  Serie  von  Brennstellenbildern  (Anweisungen,  an  wel¬ 
chen  Stellen  Kauterien  bei  den  verschiedenen  Erkrankungen  gesetzt 
werden  müssen),  Schröpfschemata,  neue  Aderlass-  und  Ticrkreis- 
zeichenmänner.  Von  besonderem  Interese  sind,  um  nur  einiges  aus 
der  Fülle  des  Gebotenen  herauszuheben,  die  Bilder  aus  der  Chirurgie 
des  Roger  von  Salerno  (13.  Jahrh.)  und  die  Mastdarmfisteloperation 
bei  John  Ar  der  ne  (14.  Jahrh.).  Der  Text  beschränkt  sich  auf  das. 
was  mit  den  Bildern  in  unauflöslichem  Zusammenhang  steht,  die  Bil¬ 
dertexte  und  die  notwendigsten  bibliographischen  und  erklärenden 
Bemerkungen.  Neues  Textmaterial  und  eine  zusammenfassende  Dar¬ 
stellung  des  Ganzen  wird  in  einem  zweiten  Teil  folgen.  Er  ist  mit 
Spannung  zu  erwarten.  H.  Kerschensteine  r. 

Neueste  Journalliteratur. 

Zeitschrift  für  Iimnunitätsforscliung  und  experimentelle 
Therapie.  21.  Band.  6.  Heft.  (Auswahl.) 

Wilhelm  Spät-Kladno:  Untersuchungen  über  ein  Leukozyten- 
iinmunserum. 

L  e  s  c  h  k  e  hat  in  dem  Gedanken,  die  in  den  Leukozyten  ent¬ 
haltenen  bakteriziden  Stoffe  durch  ein  den  Zellkörper  auflösendes 
Immunserum  zur  Wirkung  gegenüber  einer  bakteriellen  Infektion  zu 
bringen,  ein  derartiges  Serum  hergestellt,  und  zwar  durch  Be¬ 
handlung  eines  Kaninchens  mit  Meerschweinchenleukozyten.  Verf. 
hat  nun  untersucht,  ob  ein  solches  Serum  nicht  vielleicht  auch  andere 
Körperzellen  auflöst,  und  er  hat  dabei  gefunden,  dass  es  tatsächlich 
Hämolysine  gegen  Hammelerythrozyten  enthält.  Im  übrigen  ist 
dieses  Immunserum  nicht  organspezifisch,  da  es  auch  mit  anderen 
Körperzellen  des  Meerschweinchens  gleichfalls  Immunitätsreaktionen 
eingeht. 

E.  Friedberger  und  Guido  Goretti-  Berlin ;  Bewirkt  art¬ 
eigenes,  „blutfremdes“  Eiweiss  bei  wiederholter  Zufuhr  Ueberemp- 
findlichkeit? 

In  neuerer  Zeit  ist  die  Frage,  ob  eine  Sensibilisierung  durch 
wiederholte  Injektion  eines  arteigenen  aber  blutfremden  Organs  mög¬ 
lich  ist,  zahlreichen  Untersuchungen  unterzogen  und  in  verschie¬ 
denem  Sinne  beantwortet  worden.  Ganz  besonders  wienug  ist  diese 
Frage  für  die  Abderhalden  sehe  Reaktion,  die  ja  auf  der  An¬ 
schauung  beruht,  dass  blutfremde  Körpersubstanzen  in  den  Kreislauf 
gelangen  und  dort  die  Abwehrfermente  hervorrufen.  Die  Gültigkeit 
der  bisherigen  Laboratoriumsversuche  mit  positivem  Resultate  be¬ 
streitet  der  Verfasser,  weil  die  primäre  Giftigkeit  der  Organextrakte 
bei  Normaltieren  nicht  genügend  berücksichtigt  wurue.  Er  verfuhr 
so,  dass  er  ein  Meerschweinchen  mit  arteigenen  Organen  vorbe¬ 
handelte  und  dann  nach  dem  bestimmten,  für  die  Ueberempfindlich- 
keitsversuche  günstigsten  Intervall  wiederum  das  gleiche  Organ¬ 
extrakt  reinjizierte.  Vor  dieser  Reinjektion  jedoch  wurde  bei  nor¬ 
malen  unvorbehandelten  Kontrolltieren  auf  das  Genaueste  die  töd¬ 
liche  Dosis  des  zu  reinjizierenden  Antigens  ermittelt.  Diese  Ver¬ 
suche  wurden  angestellt  mit  Plazenta.  Niere  und  Leber.  Die  Resul¬ 
tate  fielen  mit  ziemlicher  Eindeutigkeit  in  dem  Sinne  aus,  dass  eine 
Differenz  zwischen  den  verschiedenen  Serien  nicht  nacnzuweisen 
war,  und  dass  selbst  die  äusserst  empfindliche  Temperaturmessung 
keinen  nennenswerten  Unterschied  zwischen  vorbehandelten  und 
nicht  vorbehandeltcn  Tieren  ergab.  Verf.  zieht  daraus  den  äusserst 
wichtigen  Schluss,  dass  es  eine  Blutfremdheit  arteigenen  Eiweisses 
nicht  gibt.  L.  Saathoff  -  Oberstdorf. 

Zentralblatt  für  Chirurgie.  1914.  Nr.  40. 

C.  teil  Horn-  Helder  (Holland):  Zur  Diagnose  der  Appendizitis. 

Verf.  macht  darauf  aufmerksam,  dass  bei  akuter  Appendizitis 
der  Pat.  bei  Zug  am  rechten  Samenstrang  oberhalb  des  Hodens 
Schmerzen  äussert.  Dieser  Zugschmerz  gibt  also  eine  indirekte  Auf¬ 
klärung;  weniger  Bedeutung  dürfte  dem  Kremasterreflex  (Herab¬ 
setzung  des  rechtsseitigen  Reflexes)  beizumessen  sein. 


Friedrich  N  c  u  g  e  b  a  u  e  r  -  Mährisch-Ostrau:  Zur  Technik  der 
Magenresektion. 

Um  auch  hochsitzende  Ulzera  exzidieren  zu  können,  legt  Verf. 
den  Resektionsschnitt  möglichst  steil,  fast  tangential;  dadurch  wird 
der  Magen  verschmälert  und  schlauchförmig;  der  unterste  Zipfel 
eignet  sich  dann  sehr  gut  für  eine  Einpflanzung  nach  Reichel. 
Die  Lage  des  Resektionsschnittes  und  der  Magendarmnaht  wird  aus 
2  Skizzen  ersichtlich.  E.  Heim-  Oberndorf  b/Schweinfurt. 

Archiv  für  Gynäkologie.  Band  101,  Heft  3,  1914, 

Albert  Tassius:  Ueber  Wehemnittel.  (Aus  der  Provinzial- 

Frauenklinik  und  Hebammenlehranstalt  zu  Breslau.  Direktor: 
Dr.  Bau  m  in.) 

Chinin  dient,  um  bei  primärer  Wehenschwäche  kräftige  und  an¬ 
haltende  Wehentätigkeit  zu  erzielen,  sowohl  bei  Geburten  als  bei 
Aborten.  Pituglandol  wird  angewandt  bei  sekundärer  Wehenschwäche 
in  der  Austreibungsperiode,  um  schTielle  Wirkung  zu  bekommen,  in 
diesem  Sinne  wirken  auch  Pituitrin,  Glanduitrin  und  Coluitrin.  Seca- 
cornin  findet  fast  ausschliesslich  post  partum  Verwertung  zur  Be¬ 
kämpfung  der  Atonia  Uteri,  kombiniert  mit  Pituglandol.  Als  wehen¬ 
erregendes  Mittel  z.  B.  zur  Einleitung  der  künstlichen  Frühgeburt 
fand  nur  die  Dilatation  und  Einführung  der  Glyzerin-Hammelblase 
Anwendung. 

Rudolf  K  1  o  t  z  -  Dresden:  Ein  Fall  von  Acardius  aneneephalus 
mit  partiellem  Defekt  beider  Müller  sehen  Fäden.  (Aus  der  Uni¬ 
versitäts-Frauenklinik  zu  Tübingen.  Direktor:  Prof.  Seil  heim.) 

Die  obere  Körperhälfte  fehlte  und  damit  auch  Magen,  Dünndarm, 
Leber,  Milz,  Herz  und  Lunge. 

W.  Gar  dl  und:  Hypophysenextrakt  als  Wehenmittel.  (Mit 

teilung  aus  der  Geburtsklinik  „Allmaenna  barnbördshuset“  und  der 
Entbindungsanstalt  „Pro  Patria“,  Stockholm.) 

Der  Hypophysenextrakt  ist  ein  gutes,  aber  keineswegs  souve¬ 
ränes  oder  vollständig  zuverlässig  wehenanregendes  Mittel.  Bei  der 
subkutanen  Darreichung  von  normalen  Dosen  scheint  es  keine  lästige 
Folge  für  Mutter  oder  Kind  zu  haben. 

John  Willoughby  Miller:  Corpus  luteum,  Menstruation  und 
Gravidität.  (Aus  der  Heidelberger  Universitäts-Frauenklinik.  Direk¬ 
tor  :  Prof.  Meng  e.) 

Zwischen  Ovulation  und  Menstruation  besteht  ein  festes  Ab¬ 
hängigkeitsverhältnis,  und  zwar  geht  der  Follikelsprung  der  Blutung 
durchschnittlich  9  Tage  voraus.  Während  das  Ei  die  Tube  durch¬ 
wandert,  bildet  sich  das  Corpus  luteum.  Der  gelbe  Körper  ist  eine 
periodisch  sich  bildende  Drüse  mit  innerer  Sekretion;  sie  veranlasst 
die  zyklische  Umbildung  des  Endometriums  zur  Dezidua  —  das  Ei 
ist  hierzu  nicht  nötig  —  und  ermöglicht  so  die  Implantation  des  Ovu¬ 
lums;  sie  ist  das  trophische  Zentrum  für  den  Uterus.  Die  Schwanger¬ 
schaftstoxikosen  entstehen  möglicherweise  durch  eine  Unterfunktion 
des  Organs.  Als  geeignetster  Termin  für  die  natürliche  wie  die 
künstliche  Befruchtung  ergibt  sich  der  10.  Tag  vor  dem  berechneten 
Eintritt  der  neuen  Periode.  Zur  Implantation  gelangt  stets  das  Ovu¬ 
lum  der  zuerst  ausgebliebenen  Regel.  Die  Schwangerschaftsdauer  ist 
daher  um  19  Tage  zu  reduzieren. 

A.  B  o  r  t  k  i  e  w  i  t  s  c  h  -  St.  Petersburg:  Beitrag  zur  Kenntnis 
der  sogenannten  Adenomyome  des  weiblichen  Gcnitaltraktus.  (Aus 
dem  pathologischen  Institut  zu  Strassburg  i.E.  Direktor:  H.  Chiari.) 

Die  meisten  der  sogen.  Tuben-,  Uterus-  und  Vaginaladenomyome 
sind  keine  eigentlichen  Tumoren,  sondern  nur  Ergebnisse  der  auf  dem 
Boden  chronischer  Entzündung  entwickelten  Muskelhyperplasie.  Die 
schleimhautähnlichen  Inseln  in  solchen  Geschwülsten  stammen  ent¬ 
weder  von  dem  Serosaepithel  oder  noch  häufiger  von  der  Mukosa 
ab:  verhältnismässig  selten  stammen  die  Epitheleinschlüsse  vor, 
embryonal  versprengten  Teilen  der  M  ii  1 1  e  r  sehen  oder  Wolff- 
schen  Gänge  ab;  ausnahmsweise  kann  als  Ursprung  das  Zwischen- 
und  Nachnierenblastom  in  Frage  kommen. 

Erwin  Zweifel:  Erfahrungen  an  den  letzten  10  000  Geburten 
mit  besonderer  Berücksichtigung  des  Altersbildes.  (Aus  der  Uni¬ 
versitäts-Frauenklinik  zu  München.  Direktor:  Prof.  D  o  e  d  e  r  1  e  i  n.) 

Die  eingehende  Statistik  berücksichtigt  die  Verteilung  der  Ge¬ 
burten  auf  die  verschiedenen  Lebensperioden  und  das  jeweilige  pro¬ 
zentuale  Verhältnis  der  Geburtenkomplikationen.  Erst-  und  Mehr¬ 
gebärende  werden  gesondert  betrachtet. 

Paul  B  o  e  h  i:  Ein  Fall  von  Geburtshindernis,  bedingt  durch  iiber- 
mässige  Dilatation  der  fötalen  Harnblase  mit  gleichzeitiger  Ruptur 
derselben.  (Aus  der  Universitäts-Frauenklinik  zu  Zürich.  Direktor: 
Prof.  W  y  d  e  r.) 

23jährige  Erstgebärende;  erst  nach  Eröffnung  und  Entleerung 
der  kindlichen  Harnblase,  welche  ca.  3  Liter  Flüssigkeit  enthielt,  ging 
die  Geburt  spontan  vor  sich.  Missbildungen  und  sekundäre  Ver¬ 
änderungen  an  sämtlichen  Bauchorganen  des  Fötus. 

Paul  Werner:  Ueber  gleichzeitiges  Vorkommen  von  Karzinom 
im  Uterus  und  in  den  Adnexen.  (Aus  dem  Laboratorium  der  II.  Uni¬ 
versitäts-Frauenklinik  Wertheim  in  Wien.  Vorstand:  Prof.  Schott¬ 
in  e  n  d  e  r.) 

Unter  374  Radikaloperationen,  die  wegen  Karzinom  an  den 
inneren  Genitalien  vorgenommen  wurden,  fand  sich  14  mal  Karzinom 
im  Uterus  und  in  den  Adnexen  Aber  nur  in  3  von  diesen  14  Fällen 
liess  sich  die  gegenseitige  Unabhängigkeit  der  Tumoren  mit  einiger 
Sicherheit  feststellen.  Anton  H  e  n  g  g  e  -  München. 


20.  Oktober  1914. 


M UENCHENER  MEPIZ 1 N 1  SC H E  WOCHENSCHRIFT. 


Zentralblatt  für  Gynäkologie.  Nr.  40,  1914. 

l)eppe-Ta"Ka:  Frauenärztliches  aus  Deutsch-Ostafrika. 

D.  wollte  die  rrage  nachprüfen,  ob  es  richtig  sei,  der  Frau  ab- 
zurutui,  den  Mann  in  die  I  ropen  zu  begleiten.  Seine  Stellung  als  Re- 
gierungsurzt  in  I  anga,  einem  der  ungesundesten  Plätze  Deutsch-Ost- 
afrikas,  befähigte  ihn,  sich  aus  den  Medizinalberichten  und  den  Jour¬ 
nalen  des  rangaer  Krankenhauses  ein  Urteil  zu  bilden. 

Er  stellt  danach  zusammen  alle  bekannt  gewordenen  T  ödes- 
fälle  von  1  rauen,  ferner  die  in  den  Hospitälern  von  Daressalam  und 
T anga  beobachteten  Frauenkrankheiten,  endlich  die  in  den 
letzten  3  Jahren  im  I  angaer  Krankenhause  stattgehabten  E  n  t  b  i  n  - 
düngen  und  einige  von  ihm  behandelte  Fälle  von  sog.  Nervosi¬ 
tät  bei  Frauen.  Zu  den  letztgenannten  gehörten  2  Fälle  von  Hysterie 
und  3  r alle  nervöser  Beschwerden  bei  bestehendem  Prolapsus  utcri 
et  vaginae,  die  operativ  geheilt  wurden. 

Aus  seinen  allgemeinen  Schlüssen  seien  folgende  hervorgehoben: 
Die  Geburt  in  den  1  ropen  ist  von  kürzerer  Dauer,  doch  von  mehr  Zu¬ 
fällen  begleitet,  als  in  Deutschland.  Besonders  häufig  ist  vorzeitiger 
Blasensprung.  Die  Trooenkinder  sind  trotzdem  durchschnittlich 
schwerer  und  grösser.  Die  Entbindungen  bedürfen  noch  mehr  der 
Ueberwachung  als  daheim.  Wenn  möglich,  sollten  alle  in  besonderen 
Anstalten  stattfinden.  Psychische  Alterationen  vermögen  auch  im 
Tropenklima  auszuheilen. 

D.  glaubt  nicht,  dass  jede  Frau  davor  gewarnt  werden  müsse, 
in  die  Tropen  zu  ziehen,  wenigstens  soweit  Deutsch-Ostafrika  in 
Frage  kommt.  Die  Unterfrage  der  Dauer  des  Aufenthaltes  will  er  da¬ 
bei  beiseite  lassen.  J  a  f  f  e  -  Hamburg. 

Deutsche  Zeitschrift  für  Nervenheilkunde.  52.  Band,  1.  u. 

2.  Heft. 

A.  Bo  r  n  s  t  e  i  n  und  A.  S  a  e  n  g  e  r  -  Hamburg:  Untersuchungen 
über  den  Tremor  und  andere  pathologische  Bewegungsformen  mittels 
des  Saitengalvanometer. 

Die.  Zitterbewegung  entspricht  in  der  grossen  Mehrzahl  der 
raue  nicht  einem  einzelnen  Innervationsinipulse,  sondern  jeder 
I  remorstoss  beruht  auf  einer  Reihe,  nieist  3 — 6  einzelner  Inner- 
vationsimpulse.  so  dass  man  von  einem  Tetanus  sprechen  kann.  Bei 
echten  Reflexen  erfolgt  die  einzelne  Zuckung  im  allgemeinen  auf 
eine  einzelne  Erregung  hin.  Nur  bei  2  Fällen  von  Fussklonus  liess 
sich  feststellen,  dass  einem  Stoss  mehrere  Erregungen  zugrunde 
lagen.  Bei  einem  schweren  Spasmus  waren  überhaupt  keine  ’Aktions- 
ströine  im  Muskel  nachzuweisen. 

V.  R  e  i  c  h  in  a  n  n  -  Jena :  Ueber  zwei  unter  dem  Bilde  einer 
Hirngeschwulst  verlaufende  tuberkulöse  Hirnhautentzündungen,  nebst 
Bemerkungen  zur  Frage  über  die  Entstehung  und  Ausbreitung  der 
Meningitis  tuberculosa. 

Im  Anschluss  an  die  beiden  durch  die  Ueberschrift  gekenn¬ 
zeichneten  Fälle  bespricht  Verf.  die  Pathogenese  der  tuberkulösen 
Meningitis.  Fehlen,  wie  in  den  beiden  beschriebenen  Fällen,  alle 
stürmischen  Erscheinungen  und  ist  der  Verlauf  ein  so  ausserordentlich 
angsamer,  so  kann  man  sich  vorstellen,  dass  Tuberkelbazillen 
'amatogen  in  das  Hirn  verschleppt  wurden  und  hier  ganz  allmählich 
uif  lymphogenem  Wege  die  Hirnbasis  infizierten. 

E.  S  e  p  p  -  Moskau :  Ueber  die  Pathogenese  der  Tabes. 

Der  Nachweis  von  Spirochaeta  pallida  bei  Tabes  stellt  die  Aetio- 
ogie  derselben  fest  und  macht  die  Behauptung  möglich,  dass  Tabes 
ich  beim  Vorhandensein  von  manifester  oder  latenter  Syphilis  ent- 
vickelt.  obgleich  das  Auffinden  der  Spirochäte  an  der  einen  oder 
ler  anderen  Stelle  des  Nervensystems  uns  gegenwärtig  noch  kein 
<echt  gibt,  irgendwelche  Forderungen  bezüglich  der  Pathogenese 
ler  J  abes  zu  machen. 

Die  Tabes  stellt  eine  scharf  ausgedrückte  nosologische  Einheit 
ar  lJn<^  zur  anatomischen  Grundlage  einen  Degenerationsprozess, 
welcher  infolge  von  dauernder  Wirkung  der  in  der  Zerebrospinal- 
lüssigkeit  zirkulierenden  diffusibleti  syphilitischen  Toxine  entsteht, 
ngeachtet  der  Anwesenheit  von  Spirochäten  muss  man  die  Tabes 
och  für  eine  parasyphilitische  Krankheit  halten,  welche  sich  scharf 
cn  der  echten  Syphilis  klinisch  und  anatomisch  unterscheidet. 

O.  Roth-  Zürich :  Zur  Kenntnis  des  Oedema  angioneuroticum 
aroxysmale  (Quincke). 

Die  Untersuchung  des  vegetativen  Nervensystems  bei  einem 
all  von  Q  u  i  n  c  k  e  schem  (Jedem  ergab,  dass  der  das  Herz  ver¬ 
argende  Anteil  erhöht  erregbar  war.  Die  Vermutung,  dass  auch  der 
as  peripherische  Gefässsystem  versorgende  Teil  leichter  ansprech- 
ar  sei,  erschien  durch  die  Beobachtung  wahrscheinlich  gemacht,  dass 
ie  Haut  des  Kranken  auf  Histaminbehandlung  schneller  und  aus- 
■ehiger  reagierte  wie  bei  Kontrollpersonen. 

J.  M  o  r  a  w  s  k  i  -  Lodz:  Ein  Fall  von  Kohlenoxyd  Vergiftung. 

Kasuistik. 

G  u  e  n  s  e  I  -  Leipzig:  Posthemiplegische  Pseudomyotonie. 

Ein.  28  jähriger  Mann  erlitt  eine  sich  allmählich  ausbildende 
nksseitige  Hemiplegie  mit  halbseitiger  Empfindungsstörung,  Schmer- 
-n  und  rechtseitiger  Okulomotoriuslähmung.  Während  sich  die  Läh- 
ungserscheinungen  langsam  zurückbildeten,  traten  andere  Symptome 
azii;  von  denen  das  Auffälligste  Krampfanfälle  in  der  linken  Hand 
n?  im  linken  Arm  waren.  Und  zwar  handelte  es  sich  um  Aktions- 
lanipfe,  pathologisch  gesteigerte,  nachdauernde  und  ausgebreitete 
inervationsaffekte  bei  willkürlichen  Bewegungen.  Verf.  sieht  in  1 


210.3 


diesen  myotonischen  Erscheinungen  ein  vollwertiges  Lokalsymptom 
organischer  Entstehung. 

K.  H  e  d  d  e  -  Hamburg:  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Abdominal-, 
Kremaster-  und  Plantarreflexe. 

Statistische  Erhebungen  über  das  Fehlen  oder  Vorhandensein 
der  genannten  Reflexe  bei  verschiedenen  Nervenkrankheiten. 

D.  M.  K  a  p  1  a  n  -  NewYork:  Die  wassermannfeste  Tabes. 

Unter  wassermannfester  Tabes  versteht  Verf.  eine  Tabes,  deren 
oeium  eine  beständige  positive  Wassermannreaktion  zeigt,  gleich¬ 
gültig,  welches  Mittel  und  wie  oft  es  angewendet  wurde.  Nach 
seinen  an  einem  grossem  Material  gewonnenen  Erfahrungen  stellt 
diese  rorni  der  I  abes  nur  den  serologischen  Vorläufer  einer  allge¬ 
meinen  progressiven  Paralyse  dar,  die  allerdings  manchmal  erst 
nacli  Jahren  nachweisbar  ist. 

M  Friedman  n- Mannheim:  Beitrag  zur  Kenntnis  der  nicht- 
gewerbhehen  chronischen  Quecksilbervergiftung. 

•n  ^cr^'  konnte  hei  einer  Reihe  von  Postbeamten,  die  mit  Queck- 
s,i.  erappa raten i  zu  tun  hatten,  nervöse  Erscheinungen  beobachten, 
die  sich  auf  Quecksilbervergiftungen  zurückführen  Hessen,  zumal 
auch  andere  leichte  Vergiftungserscheinungen  bei  ihnen  festzu- 
stellen  waren. 

R.  G  e  i  g  e  1  -  Wiirzburg:  Meine  „Kompressionsreaktion“. 
i-  u  Ve[,‘  iat  vor  JM’ren  eine  Reaktion  mitgeteilt,  die  am  mensch¬ 
lichen  Nerven  nach  Kompression  von  Nerv  und  Gefässen  eintritt 
und  in  einer  Aenderung  des  normalen  Zuckungsgesetzes  besteht.  Es 
erfolgt  unter  dem  Einfluss  der  Kompression  eine  Steigerung  der 
Oenmingszuckungen,  am  auffallendsten  an  der  Kathode.  Unter  An¬ 
wendung  des  Blutdruckapparates  konnte  nun  Verf.  seine  früheren 
Beobachtungen  durch  die  Feststellung  erweitern,  dass  die  Steigerung 
der  Oefrnungszuckimg  von  der  Höhe  des  Druckes  abhängig  ist,  mit 
der  die  Kompression  ausgeübt  wird,  bis  mit  der  Höhe  des  Blut- 
uiuckwertes  tUich  die  bedeutendste  Steigerung  der  Oeffnungs- 
Zuckungen  erreicht  ist.  Demnach  scheint  die  einseitige  Uebererreg- 
barkeit  des  Nerven  gegen  die  Oeffnung  des  Stromes  nicht  durch 
Druck  auf  die  Nerven,  sondern  durch  schlechte  Blutversorgung  her- 
corgerufen  zu  sein:  und  zwar  verhält  sich  der  Nerv  im  künst¬ 
lich  blutleer  gemachten  Arm  und  im  hyperämischen  völlig  gleichartig. 

0.  Renner-  Augsburg. 

Archiv  für  experimentelle  Pathologie  und  Pharmakologie. 

77.  Band,  3.  u.  4.  Heft. 

P.  Gensler:  Ueber  die  Wirkung  der  Hypnotika  (Neuronal) 
bei  normalen  und  bei  psychisch  erregten  Zuständen.  (Pharmakol 
Institut  Zürich.) 

Hunde  zeigten  nach  Neuronaldarreichung  eine  auffallende  Kon¬ 
stanz  des  Neuronalgehaltes  des  Gehirns.  Bei  künstlich  hervorge- 
rufenen  Erregungszuständen  (durch  das  Monomethvl  des  ac-Tetra- 
hydro-/?-Naphthylamins)  blieb  Neuronal  wirkungslos,  war  jedoch 
reichlicher  im  Gehirn  nachzuweisen  als  bei  normalen  Tieren. 

0  Gros:  Ueber  die  letale  Dosis  des  Kurarin  für  das  Ka¬ 
ninchen  bei  intravenöser  oder  konjunktivaler  Applikation.  (Pharm 
Inst  Leipzig.) 

Die  letale  Dosis  beträgt  bei  deutschen  Kaninchen  0,13— 0,14  mg 
pro  kg.  bei  intravenöser  Injektion.  Entgegen  Claude  Bernards 
Versuchsergebnissen  kann  man  auch  konjunktival  die  Tiere  töten 
durch  1  proz.  Lösung  von  Kurarin;  bei  stärkerer  Konzentration 
braucht  man  eine  geringere  Gesamtmenge  des  Mittels 

M.  Loewit:  Anaphylaxiestudien.  7.  Mitteilung.  Die  Be¬ 
ziehung  des  anaphylaktischen  Schocks  zur  Dyspnoe  bei  Meerschwein¬ 
chen.  Ein  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Oxydasegranula  im  Herzen. 
(Pliarmak.  Institut  Innsbruck.) 

Doppelseitige  Vagusdurchschneidung,  starke  Streckreflexe  führen 
bei  Meerschweinchen  Atemlähmung  und  anaphylaxieähnliche  Er¬ 
scheinungen  herbei,  ebenso  Koblensäurezufulir.  Gleichzeitig  fehlten 
bei  diesen  Tieren  die  Oxydasegranula  an  vielen  Stellen. 

Kuno  Yas:  Ueber  die  Wirkung  der  einwertigen  Alkohole  auf 
den  überlebenden  Kaninchendarm.  (Pharniak.  Institut  Leipzig.) 

Ebenso  wie  auf  das  Herz  wirken  die  Alkohole  auch  auf  den 
Darm  der  Versuchstiere  umso  giftiger,  je  höher  ihr  Siedepunkt  liegt. 
Die  Wirkung  ist  teils  erregend  (Methyl-  und  Aethvlalkohol),  teils 
vorwiegend  lähmend  (Propyl-Butyl-Amvlalkohol)  bei  den  geringsten 
Dosen. 

L.  Czapski:  Ein  Fall  extremster  Azidosis  im  Verlauf  des 
Diabetes  mellitus.  (Krankenhaus  Friedrichshain  Berlin.) 

Bei  einem  16  jährigen  Kranken  wurden  in  10  Tagen  1085.5  g 
/3-Oxybutter säure  und  Azetessigsäure  im  Harn  gefunden,  also  durch¬ 
schnittlich  109  g  pro  die.  Zugleich  konnte  znm  ersten  Male  der 
Nachweis  für  freie  Oxybuttersäure  geführt  werden,  ca.  16  g  pro 
die.  Der  Ejweissverlust  betrug  pro  die  8,5  g  N  und  muss  zum 
Teil  auf  toxischen  Zerfall  zurückgeführt  werden. 

Derselbe:  Experimentelles  über  Alkalitherapie. 

4  proz  NaHCOs-Lösung  subkutan  6,5  ccm  pro  100  g  Ratte 
machte  keine  Erscheinungen,  16  ccm  pro  100  g  töteten  das  Tier. 
Eine  2,5  proz  Na^CO-i-Lösung  erzeugte  dagegen  schwere  Haut¬ 
nekrosen  und  tötete  schon  bei  7,8  ccm  pro  100  g  Tier.  Intravenöse. 
Injektion  bei  Kaninchen  führte  bei  gewissen  Dosen  zu  Atem-  und 
Zirkulationsstörungen,  die  das  Tier  töteten.  Betreffs  der  Ergebnisse 
über  Ausscheidung  der  Salze  und  ihr  Verhalten  im  Organismus  sei 
auf  das  Original  verwiesen. 


2104 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  42. 


R.  Kuenzer:  Ueber  Resorption  und  Ausscheidung  von  Strych¬ 
nin  nach  parenteraler  Einverleibung  der  Strychninbase  beim  A\eer- 
schweinchen.  (Pharmak.  Inst.  Freiburg  i.  B.) 

Feinst  verriebene  Strychninbasen  subkutan  injiziert,  vergiften 
selbst  bei  vielfach  tödlicher  Dosis  nicht,  führen  aber  zur  Ausschei¬ 
dung  messbarer  Mengen  mit  Harn  und  Kot. 

M  Cloetta  und  E.  Anderes:  Zur  Kenntnis  der  Lungen¬ 
vasomotoren.  (Pharmak.  Inst.  Zürich.) 

H.  Freund  und  E.  Schlagintweit:  Ueber  die  Wärme¬ 
regulation  kurarisicrter  Tiere.  (Med.  Klinik  Heidelberg.) 

Die  Kurarisicrung  hebt  die  Wärmeregulation  nicht  auf. 

A  Fröhlich  und  L.  P  o  1 1  a  k :  Ueber  Zuckermobilisierung  in 
der  überlebenden  Kaltblüterleber.  (Pharmak.  Institut  Wien.) 

Untersuchungen  über  die  Wirkung  des  Adrenalins,  die  Beein¬ 
flussung  der  Adrenalinwirkung  durch  zahlreiche  Substanzen  (NaCl, 
KCl,  CaCL  etc.)  und  über  die  Einwirkung  anderer  Körper  (Uran 
und  Chromsalze,  Nitrite,  Ketonsäuren,  Hypophysenextrakt  etc.)  auf 
die  Zuckermobilisierung.  Die  Ergebnisse  im  Einzelnen  müssen  im 
Original  nachgclesen  werden. 

Dieselben:  Steigerung  der  Zuckerbildung  in  der  Schild¬ 
krötenleber  als  Folge  der  Pankreasexstirpation. 

Die  Pankreasentfernung  führte  zu  einer  erhöhten  Empfindlich¬ 
keit  der  Lebcrzellen  gegenüber  Reizen  zum  Glykogenabbau  (Adre¬ 
nalin).  Vielleicht  können  so  schon  physiologische  Reize  zum  Gly¬ 
kogenabbau  zu  pathologischer  Zuckerausscheidung  führen. 

H.  Be  um  er:  Ein  Beitrag  zur  Chemie  der  Lipoidsubstanzen  in 
den  Nebennieren.  (Kinderklinik  Halle  a.  S.) 

Chemische  Untersuchung  der  Phosphatide  der  Nebennieren  von 
Hammeln  und  Ochsen  nach  der  Methode  von  Erlandscn. 

L.  Jacob-  Wiirzburg. 

Archiv  für  Hygiene.  83.  Band.  1.  und  2.  Heft.  1914. 

Leo  T  o  m  p  a  k  o  w  -  Basel:  Ueber  den  Wert  der  neuen  Con¬ 
rad  i  sehen  Verfahren  für  die  Diphtheriediagnose  (Pentan-Tellur-Ver- 
fahren). 

Die  Nachprüfung  erstreckte  sich  auf  117  Fälle  von  Diphtherie¬ 
verdacht  aus  Rachen-,  Nasen-,  Konjunktiva-  und  Harnblasenmatcrial. 
Es  wird  konstatiert,  dass  Diphtherie  und  Pscudodiphtherie  sich  auf 
der  Tellurplatte  unterscheiden,  indem  die  Kolonien  der  Diphtherie  im 
Gegensatz  zu  denen  der  Pseudodiphtheric  schwarz  erscheinen.  Letz¬ 
tere  sind  hellgrau  bis  weisslich.  „Erschwerend  für  den  praktischen 
Gebrauch  ist  der  Umstand“,  dass  die  Schwarzfärbung  der  Diphtherie 
bei  etwa  30  Proz.  der  Fälle  nach  20 — 24  Stunden  noch  nicht  deutlich 
ist.  Viele  Kokkenkolonien  wuchsen  ebenfalls  schwarz,  eine  Behinde¬ 
rung  für  die  Diphtheriediagnose,  welche  aber  z.  T.  durch  das  Pen¬ 
tanverfahren  aufgehoben  wird  Beide  Verfahren  aber,  die  Tellur¬ 
platte  und  das  Pentanverfahren  sind  zu  kompliziert  und  nehmen  viel 
Zeit  in  Anspruch,  so  dass  die  geringe  Mehrleistung  in  der  Auffindung 
von  Diphtheriekolonien  kaum  wett  gemacht  wird.  Die  Herstellung 
jener  Platten  ist  auch  mehr  als  doppelt  so  teuer. 

H.  S  c  h  u  1 1  e  -  Wiirzburg:  Ueber  die  Gefahr  einer  Quecksilber¬ 
vergiftung  bei  Zahnärzten. 

Zunächst  beschäftigte  sich  Verf.  mit  der  Methodik  der  quanti¬ 
tativen  Bestimmung  des  Quecksilbers  aus  Harn.  Seine  Resultate 
führten  noch  am  sichersten  zum  Ziele  mit  der  von  B  u  c  h  t  a  1  a  an¬ 
gegebenen  neuen  elektrolytischen  Methode.  Es  wurden  nun  die 
Harne  von  einer  grossen  Reihe  von  Zahnärzten  und  dort  jeweils  be¬ 
schäftigten  Personen,  welche  mit  Quecksilberamalgam  teils  mit  teils 
ohne  Handschuhen  arbeiteten,  untersucht  und  dabei  gefunden,  dass 
zwar  bei  allen  Untersuchten  Quecksilber  gefunden  wurde,  aber  doch  in 
recht  geringen  Mengen,  und  zwar  meist  nur  wenig  über  0,05  mg  in  der 
Tagesmenge.  Ob  das  Amalgam  dabei  mit  blossen  oder  geschützten 
Fingern  verarbeitet  worden  war.  spielte  keine  Rolle.  Daraus  durfte 
geschlossen  werden,  dass  das  Quecksilber  in  der  Hauptsache  doch 
durch  Einatmen  in  den  Körper  gelangt.  Die  aufgenommene  Menge 
war  dort,  wo  Kupferamalgam  zur  Verwendung  kam,  etwas  grösser, 
wahrscheinlich,  weil  vor  dem  Gebrauch  dasselbe  erhitzt  werden  muss 
und  mehr  Quecksilber  flüchtig  wird.  Die  Mengen  des  bei  den  Per¬ 
sonen  gefundenen  Quecksilbers  sind  so  gering,  dass  eine  Gefährdung 
der  Gesundheit  so  gut  wie  ausgeschlossen  ist. 

Kurt  S  c  h  e  r  n  -  Ames-Jowa:  Bemerkungen  zu  der  Arbeit  von 
Dr.  Heinz  Z  e  i  s  s  in  Bd.  82  dieser  Zeitschrift  „Ueber  einige  bei  Tier¬ 
krankheiten  gefundene  Erreger  aus  der  Gruppe  der  hämorrhagischen 
Septikämie. 

Es  wird  darauf  hingewiesen,  dass  der  von  M  i  e  s  s  n  e  r  und 
Schern  bei  Kanarienvögelnekrose  gefundene  „Bacillus  cana- 
riensis  necrophorus“  nicht  zur  hämorrhagischen  Septikämie, 
wie  Z  e  i  s  s  das  will,  gehöre.  Da  der  betreffende  Stamm  aber  nicht 
mehr  in  Kultur  vorhanden  ist,  so  lässt  sich  ein  endgültiges  Urteil  lei¬ 
der  kaum  mehr  feststellen.  R.  O.  Neumann  -  Bonn. 

Vierteljahrschrift  für  gerichtliche  Medizin  und  öffentliches 
Sanitätswesen.  1914.  3.  Heft. 

I.  Gerichtliche  Medizin. 

Die  Bedeutung  neuerer  Methoden  zur  Unterscheidung  mütter¬ 
lichen  und  fötalen  Blutes  für  die  gerichtliche  jMedizin.  Von  W.  V  o  1 1  - 
h  a  r  d  -  Kiel  (Aus  dem  Institut  für  gerichtliche  Medizin  der  Universi¬ 
tät  Kiel.) 


Die  Wichtigkeit  der  Blutdiagnostik  nicht  nur  für  die  Physiologie 
und  klinische  Medizin,  sondern  auch  für  die  gerichtliche  Medizin  ver¬ 
anlasst  Verf.  durch  eingehende  Untersuchungen  zu  prüfen,  ob  es  für 
den  ücrichtsarzt  möglich  sei,  Blutreste  und  Blutflecken 
von  mütterlichem  Blute  von  denen  zu  unterscheiden, 
die  vom  Fötus  bzw.  Neugeborenen  herriihren;  es 
kamen  dabei  vor  allem  2  Arten  in  Betracht,  die  Abderhaldcn- 
sche  Schwangerschaftsreaktion  und  eine  bio¬ 
chemische  Methode  nach  Herrmann  und  Neu  mann 

Was  nun  erstere  anlangt,  so  kommt  Verf.  auf  Grund  der  an- 
gestellten  Versuche  zu  der  Anschauung,  dass  diese  Methode  weder 
mit  älteren  sterilen  und  hämolytischen  Seren  noch  mit  Extrakten  aus 
Blutflecken  nur  cinigermassen  sichere  Resultate,  auch  nach  der  von 
Conim  angegebenen  Modifikation  gebe,  sie  sei  also  für  gerichtliche 
Medizin  bisher  unbrauchbar,  ausgeschlossen  sei  allerdings  nicht,  dass 
sie  vielleicht  später,  wenn  die  Natur  der  Abwehrfermente  näher  be¬ 
kannt  ist,  auch  für  die  gerichtliche  Medizin  verwendbar  gemacht 
werden  könne,  solange  man  aber  auch  nur  nicht  ganz  sichere  Re¬ 
sultate  bekomme,  sei  sie  für  so  wichtige  Entscheidungen,  wie  sie  die 
forensische  Medizin  zu  fällen  habe,  wertlos. 

Bezüglich  der  Ergebnisse  der  Untersuchungen  nach  Herrmann 
und  Neumann  (Unterschied  des  Blutes  von  Schwangeren  und 
Neugeborenen  in  bezug  auf  Fett-  und  Lipoidgehalt)  gibt  Verf.  an,  dass 
positiv  ausfallende  Proben  Bestimmtes  nicht  aussagen,  denn  das  Blut 
könne  von  schwangeren  oder  nichtschwangeren  Individuen  her¬ 
stammen,  auch  könne  kindliches  und  mütterliches  Blut,  wie  dies  bei 
der  Geburt  leicht  vorkomme,  zusammengcflossen  sein,  dagegen  könne 
man  mit  grosser  Gewissheit  annehmen,  dass  es  sich  um  kindliches 
Blut  handle,  wenn  die  Probe  negativ  ausfalle  oder  nur  eine  ganz 
schwach  opaleszierende,  eben  wahrnehmbare  Veränderung  bei  der 
Untersuchung  auf  den  Fett  bzw.  Lipöidgehalt  eintrete. 

Ueber  die  psychologische  Entstehung  sogen.  Unfallsneurasthcnien 
mit  vorwiegend  endogener  Verursachung.  Von  Dr.  A.  Kronfeld- 
Dalldorf. 

Kr.  schildert  in  eingehender  Darstellung  einen  fast  typischen  Fall 
von  Unfallncurasthcnie,  der  gewisse  psychologische  Zusammenhänge 
so  klar  zeigt,  wie  sic  selten  in  so  eindeutiger  und  durchsichtiger 
Form  bei  den  Unfall-  und  Rentenkampfneurosen  sich  zeigen.  Es  han¬ 
delt  sich  um  einen  Telegraphensekretär,  der  auf  einer  Eisenbahnfahrt 
mit  dem  Hinterkopf  an  die  Wagenwand  gestossen  worden,  dass  er 
augenblicklich  ganz  besinnungslos  geworden  sei.  Als  Folge  dieses 
Unfalls  haben  sich  angeblich  schwere  neurasthenische  Beschwerden 
eingestellt.  Wie  K.  ausführt,  lehre  der  Fall,  dass  es  Menschen  gebe, 
in  deren  seelischer  Anlage  und  Eigenart  es  liege,  zu  ihrem  Milieu 
in  einer  Art  von  ständiger  innerer  Opposition  zu  stehen  —  diese 
Eigenart  resultiere  aus  einem  Gegensatz  zwischen  dem  Geltungs¬ 
willen  der  Persönlichkeit  und  der  Uebermacht  der  Umwelt.  Da 
nun  das  Milieu  in  den  Grenzen  der  bürgerlichen  Berufe  eine  ein¬ 
schränkende  Bedingung  für  die  Expansion  der  Persönlichkeit  bildet, 
so  leidet  ein  derartiger  Charakter  an  seinem  Milieu  und  kann  er  nicht 
aus  diesem  heraus,  so  wird  er  jeden  sich  darbietenden  Moment  be¬ 
nützen,  um  sich  ausser  Gefecht  zu  setzen,  und  zwar  in  einer  Weise, 
unter  der  sein  Selbstgefühl  nicht  leidet,  die  Schuld  muss  etwas 
anders  auf  sich  nehmen.  Hierin  liegen  nun  die  affektiven  Wurzeln 
des  Querulantentums  und  der  schweren  langdauernden  Neurasthenien, 
ohne  dass  der  Unfall  als  solcher  für  die  Genese  derartiger  Neur¬ 
asthenien  von  wesentlicher  Bedeutung  ist:  wie  der  Querulant  sein 
Recht,  so  verfolge  der  Neurastheniker  dieser  Art  seine  Krankheit. 

Lungenschwindsucht  und  Geschlechtstrieb.  Von  M.-R.  Dr. 
W.  Gosse-  Dresden. 

Verf.  prüft  näher  die  Frage,  ob  wirklich,  wie  vielfach  an¬ 
genommen  wird,  tuberkulöse  Lungenkranke  sich  eines  lebhafteren  Ge¬ 
schlechtstriebs  erfreuen  und  im  Gegensatz  zu  ihrer  sonstigen  schlech¬ 
ten  körperlichen  Beschaffenheit  auf  dem  Gebiete  des  Geschlechtsver¬ 
kehrs  besonders  leistungsfähig  seien  und  kommt  zu  dem  Schluss, 
dass  auch  das  von  ihm  näher  verfolgte  Material  diese  Annahme  nicht 
bestätige,  wenn  auch  damit  diese  Frage  noch  nicht  endgültig  gelöst 
sei.  der  Schwerpunkt  sei  auf  die  klinische  Beobachtung  der 
Tuberkulösen  unter  Zugrundelegung  forensisch-psychiatrischer  Er¬ 
fahrung  zu  verlegen  —  ihm  haben  nur  kriminelle  Fälle  zur  Prüfung 
zur  Verfügung  gestanden. 

Phosgenvergiftungen.  Von  Dr.  A.  R  o  o  s.  (Aus  dem  patliol.- 

anat.  Institut  Basel.) 

Phosgen  —  auch  unter  dem  Namen  Chlorkalkoxyd.  Karbonyl- 
chlorid  oder  Kohlenoxydchlorid  bekannt  —  werde  durch  Vereinigung 
von  1  Volumen  Kohlcnoxydgas  mit  2  Volumen  Chlor  dargestellt,  oder 
in  neuerer  Zeit  dadurch,  dass  Kalk,  Chlorkalzium  und  Kalkgries  im 
elektrischen  Ofen  geglüht  werden,  wobei  sich  Phosgen  bilde.  Sein 
Hauptanwendungsgebiet  liege  in  der  Farbstoffchemie,  besonders  zur 
Fabrikation  der  sogen.  Azofarbstoffe,  dann  in  der  pharmazeutischen 
Chemie. 

Die  hauptsächlichsten  klinischen  und  pathologischen  Symptome 
seien:  Entstehung  akuter  Lungenblähung  und  heftiger  Hustenanfällc 
mit  zähem  schleimig-eitrigem  Sputum,  starke  Dyspnoe  bis  zu  lebens¬ 
bedrohenden  Erstickungsanfällen,  akute  Herzdilatation  mit  Kollaps¬ 
puls  und  Zyanose,  stark  eiweisshaltiger  Urin,  Stauungspolyzythämie, 
verbunden  mit  starker  Leukozytose,  multiple  kleinste  pneumonische 
Herde,  subpleurale  Blutungen,  akute  Bronchiolitis  und  multiple  Throm¬ 
bosen  der  Lungenartresien,  Verfettung  von  Leber  und  Nieren,  Hyper- 


20.  Oktober  191-4. 


MUENCHENEK  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


iiiose  des  Blutes  und  Bildung  multipler  Thrombose  in  den  ver¬ 
schiedensten  Organen,  wie  Gehirn,  Lungen,  Darm-  und  Beingefässen. 

I  le  llierapie  sei  im  wesentlichen  symptomatisch,  vor  allem  in 
Hwfkraft  bauerstoffzufuhr  bestehend,  ferner  Mittel  zur  Hebung  der 

Besprechungen,  Referate,  Notizen. 

Berliner  klinische  Wochenschrift.  Nr.  41,  1914. 

t?Ö^e«rt‘ilÖlti?.gen:  Beitrag  zur  Behandlung  der  Ruhr. 
tJ[-nLÄb.t-fur...die  a]imeptäre  Behandlung  der  Ruhr  folgende 
Anhaltspunkte,  im  allerersten  Anfang  ist  strengstes  Fasten  notwendig 
und  auch  spater  ist  jedes  Zuviel  und  alles  Unzweckmässige  in 
der  Nahrung  imstande,  den  Krankheitsverlauf  bösartiger  zu  machen 
Hungei.  auch  partieller,  bei  einseitiger  Kohlehydratkost,  verschlim- 
mert  un -  weiteren  Verlaufe  den  Zustand.  Nach  Beseitigung  der 
akuten  Ruhr  sind  vielfach  die  Verdauungsorgane  so  labil  dass 
sekundäre  Storungen,  z  B.  auch  motorische  Insuffizienz  des  Magens, 
den  Heilungsverlauf  unterbrechen. 

seKmg.)£,‘neScltenfo“tr  Krie8ssa"i,ä‘sdle"s'  Berlin.  (Fort- 

N  a  g  e  1  -  Berlin:  Ueber  einen  Fall  von  geheilter  Utero 
vesikalfistel  mit  abdominaler  Exstirpation  des  Uterus.  (Nach  einem 

anJtjn°;  Jub  1914  ®  der  geburtshilflichen  Gesellschaft  zu  Berlin  ge- 
haltenem  Vortrage.)  Kasuistischer  Beitrag. 

Ki  et  schmer  -  Berlin:  Ueber  wahren  Knochen  im  Auswurf. 
:,°,n  Ter  bestehenden  Wirbelkaries  ausgehender 

Abszess  schlug  den  verhältnismässig  seltenen  Weg  dnreh  die  Lunge 

uLn  T1“  --rach  w?.tir  d?.m  Bilde  eines  Lungenabszesses  durch.  Von 
Wirbelkorpern  stiessen  sich  nach  und  nach  kleine 
knochenstuckchen  ab,  die  beim  Passieren  durch  die  Lunge  stets 

Sta  'L  SnierZCnnl!nr1  durch  Verletzung  von  Gefässen  und  Lungen¬ 
gewebe  kleinere  Blutungen,  einmal  einen  starken  Blutsturz  verur- 

sacmen'  Dr.  Grass  mann- München. 

Deutsche  medizinische  Wochenschrift.  Nr.  40,  1914. 
Rubner-BerJin:  Die  Volksernährung  im  Kriege. 

7o!,1a  e*  « schildert  in  kurzen  Zügen  mit  Hilfe  des  notwendigsten 
.^nstoffes  die  Erzeugungs-  und  Verbrauchsverhältnisse  der  wich- 
£  Nahrungsmittel  111  Deutschland.  Trotz  der  immer  wiederholten 
Klagen  über  Fleischnot  lässt  sich  sagen,  dass  die  Viehzucht  in 
Deutschland  tatsächlich  dem  grossen  Fleischbedarf  gerecht  geworden 

Sr  Pi5eZr  hlln£  3n  letzteren  mögen  folgende  statistische  Angaben 
hier  Platz  finden.  Der  gegenwärtige  Verbrauch  von  Fleisch  ist  für 
Kopf  und  Jahr  in  Deutschland  52,3  kg,  in  England  47  6  Frank- 
33,6,  Belgien  und  Holland  34,3,  Oesterreich-Ungarn  29,10,  Russ- 
and  -1,8,  in  Italien  10,4  kg.  in  Deutschland  betrug  dieser  Verbrauch 

ßJHSl  kl  W6tkg’  \8r°  2166'  1873  29’5’  1892  32’5'  1900 

wl?  52)3  kg-  Weiter  erklärt  R.  mit  vollster  Sicherheit,  dass  an 
Veizen  und  Rogen  zusammen  unser  Bedarf  für  die  Mehl-  und  Brot- 
Bereitung  völlig  aus  dem  Inland  gedeckt  werden  kann  und  dass  tiber- 

915  g  einhfaner!l  Er"ähruns  darch  Vegetabilien  bis  zur  Ernte  von 
915  gleichfalls  durchaus  gesichert  ist.  Zur  Aufrechterhaltung  des 
gegenwärtigen  Tierbestandes  reichen  die  Bodenerträgnisse  wohl 
‘Chh‘  ff  auS’.  es  Wlrd  aber  vermutlich  durch  besondere  Mass- 
md  auch  ifil  PaH-i6"/  ™ef  nt.licher  Ausfall  sich  vermeiden  lassen 
licht  notwendig  werdm  S'ark  vermehrt“  Abschlachtnng 

in  die  Krlegschir,"Ä 

\\raJ  Die,  Grundlagen  der  heutigen  Kriegschirurgie. 
Zur  kurzen  Wiedergabe  nicht  geeignet, 
ur  ob  e  r- Jena:  Zur  Klinik  der  Bazillenruhr. 

;ehandlnn^Uheinrgehr,Ung  n"  P?tkologie  und  Klinik  sei  hier  nur  die 
™f?.  besprochen  Da  nicht  nur  anfänglich  lebensbedrohende 

nf raSche  ,Besserung  erfahren,  sondern  die  leichtesten 
-hhmmp rsch,e.!nungen  .m  wenig  Stunden  sich  aufs  schwerste  ver- 
'tro-faiH^  c  koKnnen-  sind  auch  unbedeutende  Symptome  von  Ruhr 
enim  hu  beachten.  Die  Behandlung  mit  dem  G  a  u  s  s  sehen 

2?  hÄSfan  Zl  20  CCm’  eVCnt  an  3  Tagen  hintereinander) 
pnn a  einzelnen  Kranken  eine  so  deutliche  und  rasche  Wirkung  er- 

SiS  w-  vrfolg  "icht  zu  leugnen  ist.  Dagegen  war  die  pro- 
üylaktische  Wirkung  des  Serums  bei  Gesunden  unsicher  (Verf 

i^Phrkrainki,tei  trot5  besseren),  und  es  traten  z.  T.  recht  un- 
lem  6  und  aIIgemeine  Erscheinungen  auf  (starkes  Exan- 

icT  u  ungen’  Darmbeschwerden  und  Durchfälle).  Trotz- 

besonders  wenn  eine  bakteriologische  Diagnose  vorliegt,  die 
Ä  Stn-ruhzeitlge-  Impfung  zu  empfehlen  (bei  fehlender  oder  un- 
en/et,  ^valentem  Serum).  Bezüglich  der  Serum- 

■n  SAKf~t,  d  d'e  beigegebenen  Vorschriften  genau  einzuhalten.  Von 
-2F«Sen(  bevorzugt  Verf.  mittlere  Mengen  von  Rizinusöl 

■n  n.ir  nf-  ii  aU  e,nr2a]^*,  ' on  den  Gerbsäurepräparaten  war  bei 
n  DurchfaHen  wenig  Erfolg  zu  sehen,  dagegen  wirkt  gekochter  Rot- 
f,ilr  ..;  zimmetzusatz  sehr  oft  wenigstens  subjektiv  sehr  günstig. 
fnrHAU  ZadaS  Dpmm,  oft  allerdings  erst  in  grossen  Dosen;  manchmal 
ordern  die  starken  Beschwerden  Morphium.  Gegen  den  Tenes- 

?m7u0iIU?pfc  (Zusatz  von  0,01—0,02  Extr.  Belladonn.  ist 
empfehlen)  öfters  befriedigenden  Erfolg,  öfters  versagen  sie. 
•gen  den  Singultus  können  Eispillen  (mit  Fruchtsäure  betropit)  ver- 

Nr.  42. 


21U5 


vvendet  werden,  oft  wirken  erst  die  Narkotika.  Manches  Gute 

150-?nn°n  dCr  ?duS  a,'ba  gPsehen  (3  Esslöffel  am  Tage  oder  auch 
vi  2,°  c<Lm  auj  einrnal  in  Wasser,  Wein  usw.),  oft  erregte  sie  aber 

unbee?JflJäWeiRen  U'?d  viel*  von  den  schweren  Fällen  blieben  ganz 
unbeeinflusst  Besonderen  Wert  legt  Verf.  auf  die  frühzeitige 

und  energische  Anwendung  von  Reizmitteln  beim  Auftreten  von 

ccm)°SrEnkblSWteilC|  kan”  durch  Kampfer  (bis  zu  zweistündlich 
werden  J  [  tagdang  bis  zur  Genesung  über  Wasser  gehalten 

bisher  an  l  deJ  Ernährung  der  Ruhrkranken  hat  Verf.  sich 

bisher  an  die  übliche  Zufuhr  von  Schleimsuppe,  Wein  Thee  Kakao 

fh-ra-gen  v^'i  geringem  Nährwert  gehalten;  er  beabsichtigt 

wertigen  ÄranV0"  Anfan£  a°  mv  einer  rcichlicheren  und  höher- 
'  ertigen  Ernährung  vorzugehen.  Zur  Verminderung  der  I  eih 

Krh!nZZCn  ^'erdcnv  feuchte  Umschläge  auf  den  Bauch  von  den  meisten 

&eievoSrferZogenhI,nend  emC,UDdw  »«■»'»«weise  “'it 

Zar  Verhütung  der  Ruhr  dienen  die  üblichen  allgemeinen  und 

Km?  ‘ Manche erfahj?'’  D^sinfekUons-  und  Absonderungsmass- 
dünm?-r  c7Ta  ••  erfahrenen  Jropenarzte  empfehlen  5  Tropfen  ver¬ 
nehmen.  -Sa  zsaure  in  irgendeiner  Flüssigkeit  bei  jeder  Mahlzeit  zu 

helfen  im  ‘  Kriege.^  ° " BerIin '  Die  Bekämpfung  der  Geschlechtskrank- 

R  ,  ..^er/-  bespricht  den  von  Haberling  soeben  in  der  Zschr  f 
ihm  UnI  dA  Geschlechtskrh.  erschienenen  Aufsatz  und  stimmt  mit 
m  in  der  Forderung  überein,  dass  die  den  Korpsärzten  beigegebenen 
Hygieniker  ein  ernstes  Augenmerk  auf  die  im  Kriegsgebiet  herr 
sehenden  Prostitutionsverhältnisse  richten  und  dort  die  in  den  Frie- 
ensgarmsonen  geübte  Ueberwachung  der  Prostitution  mit  Grösster 
trote^'bewLtefS  ISt  U'  auch  PrÄertk^hl 

strenge^z^bestrafen^'^Zu^befonen^ist^aber^dass'^auc^die  ^mhche 
ÄÄti  Ser  X 

p  wüLr  ks! 

furworten  und  überhaupt  den  Verzicht  auf  Geschlechtsverkehr  als 
kein  allzu  grosses  Opfer  der  Soldaten  betrachten.  Er  empfiehlt  ein 
von  dem  Gesamtausschuss  für  Verbreitung  von  Schriften  für  die  Sol 

welches"  d^Fmhaft  ,n  ^  4Zare“en  “erausSSbSSiMwkbtai' 
elches  die  Enthaltung  von  Alkoholexzessen  und  die  Fernhaltime- 

I  I°PLPr0S  ntU16r!ien  1°' idert  Wichtig  vor  adem  ist  auch  die  streHSf 
Ueberwachung  der  Soldaten  selbst  mit  Bestrafung  der  Verheimlichung 
von  Geschlechtskrankheiten  und  die  Abschiebung  der  schwereren 
akuten  Falle  hinter  die  Front.  Zum  Schluss  betont  Verf.  die  Qefah? 
dei  Arbeitslosiglteit  für  die  Ausbreitung  der  Prostitution  und  der  Ge 
schlechtskrankheiten  in  der  Heimat  und  die  Notwendigkdl  gerade 
jetzt  die  Geschlechtskranken  in  der  Heimat  in  die  Krankenhäuser"  zu 

tverkekrt’  sie  aas  dpn  Krankenhäusern  zu  enüassen 
um  Platz  für  Verwundete  zu  schaffen.  ’ 

sai,I«lswiseii!,"1'BerUn:  E'n  kurier  Ueberblick  über  das  Mariae- 
im  Ä'lwÄ*“  der  0r8a"i5a,io"  Sanitätsdienstes 

Russlsch-^Japanischen"  F?lSng;Da,Idori:  Psydhla'riscl'ds  aaa  d^ 

Mitteilungen  aus  der  in  der  Allg.  Zschr.  f.  Psychiatrie  1907  er 
schienenen  Arbeit  von  Awtokratow.  U/  er‘ 

Bergeat-München. 

Inauguraldissertationen. 

Universität  Kiel.  August-September  1914. 

d(fenen  ‘NetSop^chJsen'8“'201"“"8  d“  ”aCh  dera  Unfa"  “,s,a"- 
MaHpnKR!,:FUebfr  den  Schweis  von  Tuberkelbazillen  im  strömen- 
Tuberkulose.  ^  SpeZieller  Berncksichtigung  der  chirurgischen 

M78  Fällen1^'  ^  Beitrag  ZUr  Zyklodialyse  auf  Grund  von 
"Ä“  SBÄ  a”eBf«en,ialdiaE„0se  zwischen 

“iS,"  Im  taÄÄÄ“'1  der  E1— "chbehand. 

^  "rentialdia^^s^gegen^ber^  de^Demen^LT^raecox1?1111  derCn  DiffC’ 

Neumann  Kurt  Th.:  Ueber  Psychosen  nach  Influenza. 

1  1  sinnzustände."  Beitrag  zur  forensischen  Beurteilung  der  Schwach- 

R  hnii°ol! -AGKe  wg:  • Uebei:  C  O  n  r  a  d  i  s  elektive  Ausschüttelung  der 
Diphtheriebakterien  mit  Kohlenwasserstoffen. 

Sch  ack  wi  tz  Alex:  Wasserstofiionenkonzentrationen  im  Ausge¬ 
heberten  des  Sauglingsmagens. 

SCMandibufaKarl:  Ei°  Fab  V°n  doppelseitiger  Follikularzyste  der 
S  C  Riesen  Wuchses  Bdtrag  Zm  Kbnik  Und  PathoIogie  des  angeborenen 
SCHchen  Lebensalter"  0tt°'  Dementia  paraIytica  im  jugend- 


3 


21 06 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  -12. 


Vereins-  und  Kongressberichte. 

Verein  der  Aerzte  in  Halle  a.  S. 

(Bericht  des  Vereins.) 

Sitzungen  vom  8.  und  15.  Juli  1914. 

Vorsitzender:  Herr  B  e  n  e  k  e. 

Schriftführer:  Herr  S  t  i  e  d  a. 

IV. 

Herr  G  Ewald  (a.  G.):  Zu  meinem  Bedauern  ist  Herr 
Dr.  K  o  h  1  h  a  r  d  t  heute  verhindert  über  die  Resultate  zu  berichten, 
die  ich  gemeinsam  mit  ihm  unter  Anwendung  der  Abdcrhalden- 
schen  Reaktion  am  Krankenbett  erhalten  habe.  Da  ich  über  die  ge¬ 
naueren  klinischen  Angaben  nicht  verfüge,  so  muss  ich  mich  darauf 
beschränken,  einige  mehr  theoretische  Fragen  zu  erörtern  und  auf 
methodische  Punkte  einzugehen,  die  mir  während  der  letzten  2  Se¬ 
mester  bei  Anwendung  der  Abderhalden  sehen  Reaktion  be¬ 
sonders  entgegengetreten  sind.  Zuvor  aber  möchte  ich  über  einige 
Ergebnisse  berichten,  die  ich  mit  von  auswärts  eingesandten  Seren 
erhielt,  und  die  mir  deswegen  interessant  erscheinen,  weil  entweder 
dei  Ausfall  der  Reaktion  den  therapeutischen  Eingriff  entscheidend 
beeinflusste  oder  doch  wenigstens  für  den  betreffenden  Arzt  von 
grossem  Werte  war. 

Ich  habe  Gelegenheit  gehabt,  mich  auf  allen  Gebieten  der  Me¬ 
dizin  in  AR.  zu  versuchen,  dadurch,  dass  uns  sehr  zahlreiche  Seren 
von  auswärts  zur  Untersuchung  eingesandt  wurden,  und  es  konnte 
auf  diese  Weise  gleichzeitig  der  Beweis  erbracht  werden,  dass  es 
sehr  wohl  möglich  ist,  gut  sterilisierte  und  zentrifugierte  Seren  zu 
versenden  und  erst  nach  mehreren  Tagen  zu  untersuchen,  wenngleich 
es  natürlich  immer  besser  ist,  ein  Serum  bald  nach  der  Blutentnahme 
anzusetzen.  Ich  habe  ferner  Gelegenheit  gehabt,  mehr  als  200  Herren 
bei  der  Erlernung  der  Abderhalden  sehen  Reaktion  persönlich 
anzuleiten  und  habe  immer  wieder  gestaunt  über  die  relativ  doch 
recht  seltenen  Fehldiagnosen  selbst  der  Anfänger  und  über  die  oft  in 
überraschender  Weise  sich  herausstellenden  Uebereinstimmungen 
zwischen  klinischem  Befund  und  Reaktionsergebnis. 

Von  gynäkologischen  Fällen  will  ich  hier  2  anführen.  In  dem 
einen  Falle  wurde  mir  ein  Serum  einer  Frau  von  ca.  40  Jahren  mit 
einer  unklaren  Adnexerkrankung  zugesandt;  es  kam  eventuell  ein 
Karzinom  des  Ovariums  in  Betracht.  Das  Serum  wurde  mit  Ovarial- 
karzinomgewebe  und  mit  Ovarium  angesetzt.  Ersteres  wurde  sehr 
intensiv,  letzteres  nur  ein  klein  wenig  abgebaut.  Die  daraufhin  vor¬ 
genommene  Operation  förderte  ein  Ovarialkarzinom  zutage.  In  dem 
anderen  Falle,  der  mir  hier  aus  der  Stadt  zugesandt  wurde,  schwankte 
die  Differentialdiagnose  zwischen  Myom  und  Gravidität.  Bei  einer 
45  jährigen  Frau,  die  seit  vielen  Jahren  nicht  mehr  schwanger  ge¬ 
wesen  war,  bestanden  unregelmässige  Blutungen,  keine  eigentliche 
Amenorrhoe.  Der  etwas  vergrösserte  Uterus  fühlte  sich  merkwürdig 
hart  an,  so  dass  begründeter  Verdacht  auf  ein  Myom  bestand.  Da 
eine  Gravidität  jedoch  nicht  mit  absoluter  Sicherheit  ausgeschlossen 
werden  konnnte,  wurde  die  Abderhalden  sehe  Reaktion  zu  Rate 
gezogen  und  jeder  weitgehendere  Eingriff  einstweilen  unterlassen. 
Die  Reaktion  fiel  stark  positiv  aus  und  wenige  Wochen  später  abor¬ 
tierte  die  Frau. 

Von  Tumordiagnosen  möchte  ich  nur  2  erwähnen:  Bei  einem 
54  jährigen  Manne  waren  seit  einigen  Monaten  heftige  Magen¬ 
schmerzen  aufgetreten,  begleitet  von  heftigem  Erbrechen  kaffeesatz- 
ähnlicher  Massen;  das  Körpergewicht  nahm  dabei  stark  ab.  Da  eine 
chemische  Untersuchung  des  Mageninhaltes  zunächst  aus  äusseren 
Gründen  nicht  möglich  war,  so  wurde  Blut  zur  Anstellung  der 
Abderhalden  sehen  Reaktion  eingesandt.  Das  Resultat  war  ein 
absolut  negatives.  Da  die  spätere  chemische  Untersuchung  des 
Mageninhaltes  eine  Hyperazidität  mit  Vorhandensein  von  freier  HCl 
ergab,  der  Patient  sich  unter  geeigneter  Diät  rasch  erholte  und  an 
Körpergewicht  wieder  zunahm,  so  darf  wohl  mit  einer  an  Sicherheit 
grenzenden  Wahrscheinlichkeit  angenommen  werden,  dass  ein  Kar¬ 
zinom  bei  dem  Patienten  tatsächlich  nicht  vorliegt.  In  einem  anderen 
Falle  handelte  es  sich  um  eine  Patientin,  die  vor  10  Jahren  an  einem 
Mammatumor  operiert  worden  war.  Sie  war  seither  gesund  ge¬ 
wesen,  erst  in  der  letzten  Zeit  traten  häufig  Interkostalneuralgien 
auf.  Es  lag  dem  behandelnden  Arzte  natürlich  sehr  viel  daran,  ob 
für  diese  Neuralgien  eventuell  Karzinommetastasen  verantwortlich 
zu  machen  seien.  Die  vorgenommene  Serumuntersuchung  ergab  ein¬ 
deutig  Abbau  von  Karzinomgewebe.  Wenige  Wochen  später  ging 
die  Patientin  an  einer  Pleuritis  carcinomatosa  zugrunde.  Ueber  einen 
ähnlichen  Fall  von  Mammasarkom,  bei  dem  die  Abderhalden- 
sche  Reaktion  recht  behielt,  hat  Herr  Prof.  Abderhalden  bereits 
selbst  berichtet,  so  dass  ich  ihn  übergehen  kann. 

Eine  grosse  Zahl  ähnlicher  Resultate  scheinen  mir  doch  mit  aller 
Deutlichkeit  dafür  zu  sprechen,  dass  die  Abderhalden  sehe 
Reaktion  in  Graviditäts-  und  Tumordiagnose  eine  ausserordentliche 
Bedeutung  besitzt.  Aber  auch  in  der  Psychiatrie  vermag  sie  gewiss 
wichtige  Richtlinien  zu  geben.  Man  betont  neuerdings  immer,  dass 
man  sich  an  das  dunkle  Gebiet  der  psychischen  Erkrankungen  mit 
der  Reaktion  nicht  heranwagen  sollte.  Ich  meine  aber,  gerade  wo 
das  Gebiet  noch  so  dunkel  ist,  sollte  man  doch  einen  möglichen  Weg, 
der  einem  geboten  wird,  nicht  unversucht  lassen.  Gerade  z.  B.  in 
der  Frage,  ob  es  sich  um  eine  Dementia  praecox  oder  vielleicht  um 
eine  zyklische  oder  eine  funktionelle  Störung  handelt,  kann  der 


Abbau  von  Gehirn  und  Genitalorgan  sehr  wertvolle  Fingerzeige 
geben.  Ich  habe  eine  grosse  Anzahl  derartiger  Fälle  untersucht. 
Andererseits  konnte  ich  einem  Arzte  auch  mitteilen,  dass  das  Er¬ 
gebnis  der  Serountersuchung  ein  absolut  negatives  war  und  der 
weitere  Verlauf  —  soweit  die  Beobachtung  durch  einige  Monate 
einen  Schluss  zulässt  —  machte  es  dem  Arzte  auch  wahrscheinlich, 
dass  es  sich  bei  seinem  Patienten  nur  um  eine  funktioneile  Störung 
handelte. 

Die  meisten  Schwierigkeiten  machen  naturgemäss  interne  Fälle, 
da  es  oft  sehr  schwer  festzustellen  ist,  ob  und  wie  weit  ein  Organ 
verändert  ist.  namentlich  aber  welche  Organe  dabei  in  Mitleiden¬ 
schaft  gezogen  sind.  Bei  Basedow  wurde  stets  der  übliche  Abbau 
von  Thymus,  Schilddrüse  resp.  Basedow'schilddriise  und  auch  oft  von 
Genitalorgan  gefunden.  Interessant  ist,  dass  2  operierte  Basedowfälle 
später  nur  mehr  schwach  Thymus  abbauten,  Schilddrüse  und  Genital¬ 
organ  nicht  mehr.  An  anderen  inneren  Erkrankungen  wuirden  2  mul¬ 
tiple  Sklerosen  mit  absolut  negativem  Resultat,  1  Addison,  der  Neben¬ 
nierenabbau  zeigte,  Diabetiker  und  Herzfälle  untersucht.  Doch  sind 
die  Erfahrungen  noch  zu  gering,  um  ein  abschliessendes  Urteil  zu- 
zulassen.  Es  wurden  im  ganzen  ca.  120  Fälle  von  mir  untersucht 
und  soweit  es  sich  bis  jetzt  klinisch  oder  autoptisch  feststellen  liess, 
hatte  ich  keine  Fehlresultate.  Das  soll  aber  nicht  heissen,  dass 
Fehldiagnosen  niemals  vorgekommen  w'ären.  Aber  es  handelte  sich 
dann  immer  um  ganz  vereinzelte  Fälle,  bei  denen  von  vornherein  ein 
bestimmtes  Urteil  nicht  abgegeben  werden  konnte,  sei  es,  dass  der  Aus¬ 
fall  ein  unklarer  war,  oder  dass  eine  Unregelmässigkeit  in  der 
Methodik  vorgekommen  war  So  erhielt  ich  letzthin  ein  Serum 
aus  dem  hiesigen  Diakonissenhaus  zur  Untersuchung  auf  Gravidität. 
Das  Serum  war  etw'as  hämolytisch,  wurde  aber  trotzdem  zum  Ver¬ 
suche  angesetzt.  Ich  erhielt  eine  schwache,  aber  deutliche  Reaktion.  Nun 
stellte  sich  heraus,  dass  bei  schärfster  Prüfung  das  Organ  noch  mit 
Ninhydrin  reagierende  Substanzen  abgab.  Im  Hinblick  auf  diese 
beiden  Momente  wmgte  ich  nicht,  die  Diagnose  auf  Gravidität  zu 
stellen  und  glaubte,  dass  eine  Additionsreaktion  vorläge.  Es  wurde 
daher  ein  bestimmter  Bescheid  nicht  gegeben.  Nach  wenigen  Wochen 
wurde  eine  Schwangerschaft  manifest.  Solche  Unklarheiten  können 
Vorkommen,  sie  müssen  dann  eben  durch  wiederholtes  Ansetzen  der 
Reaktion  beseitigt  werden. 

ln  bezug  auf  die  Methodik  möchte  ich  kurz  auf  die  Verschärfung 
der  Organprüfung  hinweisen.  Nachdem  das  Organ  in  der  üblichen 
Weise  auf  eine  Ninhydrinfreiheit  geprüft  wurde,  wird  ein  Teil  des¬ 
selben  zum  Serum  gegeben,  ein  anderer  im  Reagenzglas  mit  5  ccm 
Wasser  überschichtet  und  für  die  Zeit  der  Dialyse  im  Brutschrank 
belassen.  Dann  wird  das  Bebrütungswasser  abfiltriert,  das  Organ 
nochmals  mit  der  5  fachen  Wassermenge  5  Minuten  lang  ausgekocht 
und  das  Kochwasser  zum  Bebrütungswasser  hinzufiltriert.  Dann 
wird  bis  auf  1  ccm  eingeengt,  mit  1  ccm  Ninhydrinlösung  versetzt 
und  nun  noch  1  Minute  gekocht.  Es  darf  keine  Spur  von  Blau¬ 
färbung  mehr  auftreten.  Diese  Verschärfung  der  Organprobe  hat  sich 
als  notwendig  erwiesen,  da  fast  alle  vorkommenden  Fehler  Organ¬ 
fehler  sind.  Hiilsenfchler  sind  selten,  sie  halten  sich  bei  sorgfältiger 
Behandlung  sehr  gut.  Ich  habe  selbst  noch  8  von  12  Hülsen,  die  ich 
im  September  1913  in  Gebrauch  nahm  und  die  noch  tadellose  Resul¬ 
tate  liefern 

Mit  dieser  scharfen  Probe  wird  aber  nur  der  Fehler  des  „Nicht- 
ninhydrinfreiseins“  beseitigt  Ein  anderer  liegt  in  der  Beschaffen¬ 
heit  des  Organes  selbst.  Nicht  nur  dass  es  „eingestellt“  sein  muss, 
es  m  uss  auch  histologisch  untersucht  werden.  Ich  hatte  seibst 
einmal  ein  Karzinomsubstrat,  das  aus  Drüsenmetastasen  gewonnen 
war  und  das  ganz  unregelmässigen  Abbau  gab,  einfach  weil  es  noch 
viel  Drüsengewebe  enthielt,  während  gleichzeitig  angesetzte  andere 
Karzinome  gute  Resultate  gaben. 

Wie  weit  nun  die  Spezifität  der  histologisch  verschiedenen 
Karzinomsubstrate  geht,  vermag  ich  nach  meinen  Erfahrungen  nicht 
zu  beantworten.  Es  liegen  ja  Beobachtungen  vor,  dass  Platten-  und 
Zylinderepithelkarzinom,  ebenso  wie  Rund-  und  Spindelzellensarkom 
sich  verschieden  verhalten.  Vielleicht  trifft  dies  aber  doch  nicht 
immer  zu.  Ich  sah  z.  B.  bei  einem  Plattenepithelkarzinom  auch 
zweifellos  Abbau  von  Adenokarzinom.  Ja,  ich  habe  sogar  eine 
Beobachtung,  wo  Sarkom  Szirrhusgewebe  abbaute.  Es  ist  vielleicht 
besser,  diese  Substrate  nicht  zum  Vergleich  nebeneinander  herlaufen 
zu  lassen.  Die  starke  bindegewebige  Proliferation  der  beiden  Ge¬ 
schwulstarten  dürfte  vielleicht,  was  Zellstoffwechsel  und  Bildung  von 
Abwehrfermenten  anlangt,  in  einer  gewissen  Beziehung  zueinander 
stehen,  so  dass  eine  scharfe  Trennung  nicht  immer  möglich  ist.  Gibt 
man  zu,  dass  histologisch  verschiedene  Karzinome  sich  nicht  immer 
völlig  trennen  lassen,  so  betont  man  dann  doch,  dass  das  ent¬ 
sprechende  Substrat  „am  stärksten“  abgebaut  wird.  Das  mag  oft 
wirklich  zutreffen.  Ich  glaube  aber,  dass  man  mit  diesem  graduellen 
Unterschied  sehr  vorsichtig  sein  muss.  Die  einzelnen  Substrate 
variieren  zu  sehr  in  ihrer  Angriffsfähigkeit  für  Fermente,  die  Menge 
des  Organs,  die  Grösse  der  Oberfläche,  der  Bindegewebsreichtum 
und  vielleicht  noch  andere  unbekannte  Faktoren  dürften  auf  die 
Intensität  der  Blaufärbung  einen  Einfluss  ausüben. 

Noch  auf  einen  Punkt  will  ich  kurz  eingehen,  es  ist  der  relativ 
sehr  häufig  beobachtete  Abbau  von  Thymusgewebe.  Bei  anscheinend 
ganz  normalen  Individuen  wurde  Thymus  in  Serienuntersuchungen 
von  6 — 10  Substraten  ganz  elektiv  stark  abgebaut,  bei  anderen  wieder 
nicht.  Abgesehen  von  Zuständen,  wie  z.  B.  bei  Basedow',  wo  Thymus 
mit  absoluter  Konstanz  abgebaut  wird,  glaube  ich,  muss  man  sehr 


20.  Oktober  1914. 


MUENCHENKR  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2107 


vorsichtig  damit  sein,  Abbau  von  Thymus  als  Charakteristikum  einer 
bestimmten  Erkrankung  anzusehen.  Der  Thymus  mag  viel  öfter  ge¬ 
stört  sein,  als  wir  klinisch  feststellen  können.  Dass  bei  den  mannig- 
Wachsten  Erkrankungen  eine  sog.  akzidentelle  Involution  des  Thymus 
einsetzt,  selbst  schon  bei  Ernährungsstörungen,  Hunger  und  Unter¬ 
ernährung,  ist  ja  bekannt.  Alle  diese  Zustände  mögen  zur  Bildung 
von  Abwehrfermenten  Anlass  geben,  ohne  klinisch  weiter  Erschei¬ 
nungen  machen  zu  müssen.  Wie  dem  auch  sei,  jedenfalls  möchte 
ich  gerade  in  diesem  elektiven,  so  sehr  in  die  Augen  springenden 
Abbau  \ on  1  h\ musgewebe  einen  schönen  Beweis  für  die  Spezifität 
der  Abwehrfermente  erblicken.  Warum  würde  sonst  in  grossen 
Serien  immer  und  immer  wieder  eben  nur  Thymusgewebe  abgebaut, 
warum  nicht  Plazenta,  Schilddrüse,  Nebenniere  und  andere  Organe, 
die  doch  alle  auf  ganz  die  gleiche  Art  zubereitet  worden  sind? 

Es  steht  ausser  Zweifel,  dass  der  Ausfall  der  Reaktion  manchmal 
nicht  eindeutig  ist,  dass  die  Färbung  nicht  intensiv  genug  ist  dass 
durch  Adsorption  Unklarheiten  entstehen  können.  Bei  welcher  bio¬ 
logischen  Methode  wäre  das  aber  nicht  der  Fall?!  Auch  die  Wasser- 
in  a  n  n  sehe  Reaktion  gibt  oft  genug  unklare,  selbst  unrichtige  Resul- 
tate.  Man  setzt  in  diesem  Falle  den  Versuch  eben  ein  zweitesmal 
an  Warum  man  das  nicht  tun  soll,  ist  nicht  einzusehen.  Wenn  die 
Reaktion  so  oft  wiederholt  würde,  bis  sie  „stimmt“,  so  wäre  das 
freilich  kritiklos  Eine  Wiederholung  wurde  nur  vorgenommen,  wenn 
das  Ergebnis  nicht  einwandfrei  war.  Ob  die  Diagnose  dann  richtig 
war.  stellte  sich  immer  erst  später  heraus.  Es  waren  die  Diagnosen 
in  den  \v  eitaus  meisten  Fällen  ja  nicht  nur  mir  unbekannt,  sondern 
auch  der  betreffende  Arzt  stand  vor  unüberwindlichen  diagnostischen 
Schwierigkeiten.  Gerade  wo  es  sich  bei  der  Abderhalden  sehen 
Reaktion  oft  um  Fälle  handelt,  wro  es  direkt  um  das  Leben  eines 
Patienten  gehen  kann,  kann  ich  nicht  verstehen,  dass  man  sich  von 
m?.I?c^en  ^e'^en  so  sträubt,  sie  als  letztes  Hilfsmittel  in  zweifelhaften 
Fällen  zu  Rate  zu  ziehen.  Man  sollte  sich  durch  unausbleibliche 
anfängliche  Misserfolge  nicht  so  schnell  entmutigen  lassen,  sondern 
lieber  etwas  zu  viel,  als  etwas  zu  wenig  tun. 

Meiner  Ansicht  nach  ist  es  keineswegs  verfrüht,  die  Abder¬ 
halden  sehe  Reaktion  in  der  Praxis  zu  verwerten.  Wenngleich 
theoretisch  noch  manches  der  Aufklärung  bedarf  und  manche 
herrschende  Ansicht  sich  vielleicht  noch  wird  ändern  müssen,  so 
kommt  nach  meinen  Erfahrungen  der  Reaktion  praktisch  zweifellos 
eine  sehr  grosse  Bedeutung  zu. 


Medizinische  Gesellschaft  zu  Leipzig. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  21.  Juli  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Marchand. 

Schriftführer:  Herr  Ri  ecke. 

Herr  Rille:  Demonstration  von  Psoriasis  vulgaris  bei  Vater  und 

Sohn. 

Herr  v.  Gaza:  Traumatische  Malazie  des  Os  lunatum  nach 

Kienböck.  (Erschien  in  Nr.  41  S.  2059  d.  Wschr.) 

D*s  u  U  S  S  '  0  n:  ^err  ^ilner  hat  folgenden  Fall  beobachtet: 
.....  rn  ,ro,tfr  Schlosser>  an  schwere  Arbeit  gewöhnt,  bekommt 
vi  I.  09  als  Soldat  bei  einem  strammen  Griff  „Gewehr  über“  einen 
Schmerz  im  rechten  Handgelenk,  der  ihn  zwang,  1  Tag  den  Dienst 
zu  versäumen.  Gleich  darauf  ins  Manöver  und  nach  1  Monat  ent¬ 
lassen  ohne  wieder  nennenswerte  Schmerzen  gehabt  zu  haben.  Bei 
□er  Schlosserarbeit  danach  zunächst  einige  Monate  gar  keine 
>chmerzen,  dann  aber  2  Jahre  lang  nach  besonders  heftigen  Anstren¬ 
gungen  seines  rechten  Handgelenkes  öfter  geringe  Schmerzen;  arbei- 
tet  ununterbrochen  bis  II.  12,  wo  nach  Abheben  eines  schweren 
rlaschenzuges  heftige  Schmerzen  entstanden,  die  ihn  nach  14  Tagen 
zu  mir  führten. 

Objektiv  geringe  Schwellung  des  Handgelenks  und  der  Lunatum- 
tegend,  die  ziemlich  druckempfindlich  ist,  mässige  Einschränkung  der 
iaSl‘-Y?n  Bewegungen,  besonders  der  Dorsalflexion.  Typisches  Rönt- 
genmld:  Lunatum  zusammengebrochen,  mit  unscharfem  Handgelenk- 
and  und  Sprung-  und  zystenähnlichen  Aufhellungen.  Geringe  Ar- 
l’rttis  deformans  der  Knochen  des  Brachiokarpalgelenkcs. 

Nach  6  wöchiger  konservativer  Behandlung  arbeitsfähig  und 
•weder  mit  nur  geringen  zeitweisen  Schmerzen  21 4  Jahr  gearbeitet. 

Wieder  bei  einer  Uebung  als  Unteroffizier  beim  Griff  „Gewehr 
iber  plötzlicher  Schmerz,  geringe  Schwellung,  Entlassung.  Rönt- 
tenbild  wie  vor  2%  Jahren. 

Vortr.  ist  überzeugt,  dass  es  sich  in  diesen  Fällen  um  Folgen 
on  Knorpel-  und  Knochensprüngen  des  Lunatum  handelt,  die  infolge 
>tt  zu  geringfügiger  äusserer  Einwirkungen  entstehen  und  nicht  zur 
lormalen  Ausheilung  kommen,  weil  wiegen  fehlender  Schmerzen  das 
telenk  weiter  bei  der  Arbeit  beansprucht  und  geschädigt  wird, 
enn  wenn  bei  den  Heilungsbestrebungen  des  Knochens  die  Resorp- 
'on  der  an  die  Fissura  anstossenden  nekrotischen  Knochenbälkchen 
intritt  und  die  benachbarten  Spongiosabälkchen  z.  T.  in  weichen 
ungen  Kallus  umgewandelt  sind,  so  ist  die  Tragfähigkeit  des  Kno- 
nens  noch  geringer  als  unmittelbar  nach  der  Verletzung  und  es 
reten  bei  der  Arbeit  leicht  immer  neue  Einbrüche  des  Knochens  und 
lutungen  ein,  wodurch  die  Ausheilung  immer  von  neuem  verhindert 
•'|rd.  So  entsteht  die  Verkleinerung  des  Lunatum  mit  den  unregel- 
lassigen  Rändern  und  sprung-  und  zystenähnlichen  Aufhellungen 


im  Innern.  Es  sind  dieselben  Vorgänge,  die  offenbar  der  sogen. 
K  u  m  m  e  I  sehen  Wirbelerweichung  und  der  Coxa  vara  traumatica 
zugrunde  liegen. 

Die  spätere  Folge  der  Lunatumverletzung  und  -Verkleinerung  ist 
eine  allmähliche  Arthritis  deformans,  hauptsächlich  an  den  das  Radio- 
Kar  pal  gelenk  bildenden  Knochen,  die  mit  der  eigentümlichen  Verände- 
,s  Lunatum  zusammen  nach  dem  Röntgenbild  zu  Verwechslung 
mit  1  uberkulose  führen  kann. 

\\enn  öfter  auch  von  scheinbar  leicht  verletzten  Handgelenken 
gute  Röntgenbilder  sofort  gemacht  würden,  könnte  man  die  Gefahr 
dieser  Krankheitsentwicklung  an  Schädigungen  der  Spongiosazeich- 
nung  des  Lunatum  wohl  oft  früh  erkennen  und  durch  genügende 
anfängliche  Schonung  verhüten. 

Vortr.  hat  einen  schweren  Fall  von  Arthr.  deformans  humeri  be¬ 
obachtet,  der  lange  Jahre  nach  einem  Sturz  als  Rheumatismus  be- 
n  and  ei  t  worden  war,  aus  dem  er  die  Ueberzeugung  gewonnen  hat, 
dass  hier  dieselben  Vorgänge  sich  abgespielt  haben  wie  bei  den  Luna- 
u^?‘I?.suren  •  durch  scheinbar  geringes  Trauma  schmerzlose  Knorpel- 
und  Knochenfissuren,  immer  neue  Einbrüche  bei  fortgesetztem  Ge- 
brauch  des  Arms  zur  Arbeit,  Verhütung  der  knöchernen  Festigkeit, 
Arthritis  deformans.  Ax  hausen  und  Goetjens  haben  ent¬ 
sprechende  Vorgänge  am  Kniegelenk  mitgeteilt. 

Derartige  Erfahrungen  an  grossen  Gelenken  kommen  sicher  öfter 
zui  Beobachtung,  wenn  man  an  diese  Möglichkeit  zu  denken  erst 
einmal  gelernt  hat,  was  für  Unfallbegutachtung  sowohl  wie  für  die 
Behandlung  frischer  Verletzungen  auch  grosser  Gelenke  wichtig  wäre 
Leider  werden  Röntgenbilder  von  den  grossen  Gelenken  als  Warner 
kaum  in  Betracht  kommen  . 

H,ei?  y-  Gaza:  In  der  Literatur  gelten  die  Arthritis-deformans- 
Falle  bei  der  Aftektion  als  sekundär. 

(Schluss  folgt.) 


Rheinisch-westfälische  Gesellschaft  für  innere  Medizin 
Nerven-  und  Kinderheilkunde. 

(Offizielles  Protokoll.) 

33  Versammlung  vom  17.  Mai  1914  zu  Bonn. 
Vorsitzender:  Herr  D  i  n  k  1  e  r  -  Aachen. 

Schriftführer :  Herr  Laspeyres  -  Bonn. 

I. 


Herr  M  ö  n  c  k  e  b  e  r  g  -  Düsseldorf :  1.  Zur  Frage  des  Elektro¬ 
kardiogramms  bei  angeborenen  Herzfehlern. 

Seitdem  Aug.  Hoff  mann,  Nicolai  und  Steriopulo  bei 
angeborenen  Herzfehlern  ein  Elektrokardiogramm  mit  negativer 
R-Zacke  beobachteten,  ist  dieser  Befund  von  verschiedener  Seite  be¬ 
stätigt  worden  und  man  glaubte,  in  der  Negativität  der  Initialschwan- 
kung  ein  wichtiges  differentialdiagnostisches  Merkmal  bei  kindlichen 
Herzaffektionen  zu  besitzen.  Es  lag  nahe,  die  abnorme  R-Zacke  mit 
Veianderungen  im  Verlaufe  des  Atrioventrikularsystems  in  Zu¬ 
sammenhang  zu  bringen,  da  man  ja  vielfach  annimmt,  dass  die  Zacke 
den  Ausdruck  der  Erregungsüberleitung  darstellt.  Nachdem  aber  die 
histologische  Untersuchung  eines  angeborenen  Herzfehlers,  bei  dem 
th.  Gr  o  edel  die  negative  R-Zacke  klinisch  festgestellt  hatte,  einen 
normalen  Verlauf  des  Systems  ergeben  hatte,  neigte  man  mehr 
zu  der  Annahme,  dass  Lageveränderungen  des  Herzens,  bedingt  durch 
die  bei  angeborenen  Vitien  so  häufige  Hypertrophie  des  rechten 
Ventrikels,  das  abnorme  Elektrokardiogramm  hervorrufen,  zumal 
man  die  negative  R-Zacke  auch  bei  erworbenen  Herzfehlern,  die  mit 
starker  iso herter  Hypertrophie  des  rechten  Ventrikels  einhergehen 
( 1  rikuspidalinguffizienz,  Mitralstenose),  fand.  Im  letzten  Jahre  haben 
Loh  mann  und  Eduard  Müller  den  experimentellen  Beweis  dafür 
erbracht  „cass  Lageveränderungen  des  Herzens  im  Sinne  einer 
Rotationsbewegung  imstande  sind,  eine  totale  Umkehr  der  R-Zacke 
im  Elektrokardiogramm  hervorzurufen“,  indem  sie  bei  Kaninchen 
das  Herz  künstlich  so  drehten,  dass  der  rechte  Ventrikel  nach  vorn 
und  mehr  nach  rechts  zu  liegen  kam.  Dieser  Beweis  lässt  sich  nun 
auch  durch  den  Nachweis  führen,  dass  angeborene  Herzfehler  ohne 
Hypertrophie  des  rechten  Ventrikels  ein  normales,  und  in  der  Kind- 
heit  erworbene  Herzfehler  m  i  t  isolierter  Hypertrophie  der  rechten 
Kammer  das  abnorme  Elektrokardiogramm  zeigen.  So  ergab  di^ 
Sektion  eines  8  Monate  alten  Mädchens,  bei  dem  klinisch  ein  nor¬ 
males  Elektrokardiogramm  mehrfach  aufgenommen  worden  war,  den 
sehr  seltenen  Befund  einer  totalen  Atresie  der  Trikuspi- 
dalis  mit  rudimentärem  rechten  und  exzentrisch 
hypertrophischem  linken  Ventrikel.  Das  Foramen 
ovale  war  weit  offen,  der  Ductus  Botalli  dagegen  geschlossen; 
zwischen  linker  und  rechter  Kammer  fand  sich  eine  Kommunikation 
in  Gestalt  eines  subaortalen  Septumdefektes,  der  zunächst  in  eine 
kleine,  dem  venösen  Abschnitt  des  rechten  Ventrikels  entsprechende 
Höhle  und  von  dieser  durch  ein  eben  für  eine  Sonde  durchgängiges 
Loch  in  den  rudimentären  Conus  arteriosus  dexter  führte.  (Demon¬ 
stration  von  Diapositiven.)  Andererseits  beobachteten  wir  bei  der 
Sektion  eines  15  jährigen  Mädchens,  das  klinisch  das  für  angeborene 
Herzfehler  angeblich  charakteristische  Elektrokardiogramm  mit  der 
negativen  R-Zacke  gezeigt  hatte,  eine  höchstgradige  schlauchförmige 
rein  e  Mitral  Stenose  zweifellos  endokarditischen  Ursprungs 
mit  geringer  konzentrischer  Hypertrophie  des  linken  Vorhofs,  starker 


2108 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  42. 


exzentrischer  Hypertrophie  des  rechten  Vorhofs  und  namentlich  des 
rechten  Ventrikels  und  Atrophie  des  linken  Ventrikels.  (Demon¬ 
stration  von  Diapositiven.) 

2.  Multiple  Rhabdomyome  des  Herzens. 

Bei  einem  14  monatlichen  Kinde,  das  nach  überstandenen  Masern 
unter  Symptomen,  die  auf  eine  Gehirnaffektion  hindeuteten,  gestorben 
war,  fanden  sich  multiple  subendokardiale  Knoten  von  hellbräunlicher 
Farbe.  Der  grösste  (von  etwa  Linsengrösse)  sass  dem  Ansatzrande 
der  Mitralis  da,  wo  medianes  und  laterales  Segel  vorn  zusammen- 
stossen.  halbkugelig  gegen  das  Vorhofslumen  sich  vorbuckelnd  auf. 
Weitere  kleinere  fanden  sich  im  Conus  arteriosus  dexter  und  reichten 
bis  an  den  Ansatzrand  der  Pulmonaltaschen  heran.  Ferner  war  der 
Ansatzrand  des  medianen  Trikuspidalsegelk  mit  mehreren  kleinen 
Knötchen  derselben  Beschaffenheit  besetzt.  Die  an  einer  Scheibe 
aus  dem  grössten  Knoten  vorgenommene  mikroskopische  Unter¬ 
suchung  zeigte  einen  Aufbau  aus  Elementen,  die  in  ihrer  Struktur 
und  in  ihrem  reichlichen  Glykogengehalt  den  Endausbreitungen  des 
Atrioventrikularsystems,  den  sog.  Purkinje  sehen  Fasern  durchaus 
glichen.  Am  Gehirn  konnte  makroskopisch  ausser  einer  etwas 
derberen  Konsistenz  der  Grosshirnrinde  nichts  Besonderes  nach¬ 
gewiesen  werden.  Im  Abdomen  wurde  eine  Agenesie  der  rechten 
Niere  und  des  rechten  Ureters  mit  völligem  Fehlen  der  rechtsseitigen 
Nierengefässe  festgestellt.  (Demonstration  von  Diapositiven.) 

Herr  S  c  h  u  1 1  z  e  -  Bonn  demonstriert  das  Röntgendiagramm 
eines  Falles  von  akuter  exsudativer  Perikarditis. 

Ausser  einer  auffallend  scharf  ausgeprägten  Begrenzungslinie  des 
Schattens  der  Herzbeutelgrenze  war  ein  deutlicher,  tieferer  Kern¬ 
schatten  nachweisbar,  der  seiner  Form  nach  auf  das  Herz  selbst  be¬ 
zogen  werden  musste.  Der  Herzleberwinkel,  der  auch  bei  der  Per¬ 
kussion  nicht  deutlich  abgeschrägt  war,  erwies  sich  im  Röntgenbilde 
sogar  als  leicht  spitzwinklig. 

An  der  Diagnose  der  Perikarditis  war  wegen  der  Anwesenheit 
aller  sonst  charakteristischen  Zeichen  der  Erkrankung  nicht  zu 
zweifeln. 

Diskussion:  Herr  H  u  i  s  m  a  n  s  -  Köln  bemerkt  dazu,  dass 
in  diesem  Falle  sicherlich  durch  die  Pericarditis  exsudativa  die 
Doppelkonturierung  des  Herzens  bewirkt  sei.  Ihn  interessiert  das 
Bild  deshalb  besonders,  weil  die  zum  Zwecke  der  Funktionsprüfung 
des  Herzens  mittelst  seines  Telekardiographen  hergestellten  doppel- 
konturierten  Bilder  als  durch  dieselben  oder  ähnliche  Verhältnisse 
im  Perikard  entstanden  angesehen-  werden  könnten.  Dem  ist  ent¬ 
gegenzuhalten,  dass  sich  bei  seinen  Bildern  bei  nicht  ganz  ruhiger 
Atmung  auch  eine  Doppelkonturierung  des  sich  bewegenden  Zwerch¬ 
fells,  ja  sogar  des  Flüssigkeitsspiegels  in  der  Magenblase  zeigt,  dass 
die  Verschiebung  des  linken  Herzrandes,  welche  sich  bei  zwei  Blitz¬ 
bildern  (am  Ende  der  Herzsystole  und  der  Herzdiastole)  auf  der 
Platte  zeigt,  gleich  der  auf  dem  Schirm  beobachteten  —  höchstens 
=  7  mm  —  ist,  dass  sie  sich  nicht  findet  bei  einem  Blitz,  manch¬ 
mal  halbseitig  ist,  und  bei  schlaffer  Dilatation  immer  fehlt,  da  sie 
proportional  der  Funktion  des  Herzmuskels  und  der  Ausdruck  der¬ 
selben  ist. 

Aus  den  englischen  medizinischen  Gesellschaften. 

Hunterian  Society. 

Sitzung  vom  25.  März  1914. 

Ursachen  und  Behandlung  des  hohen  arteriellen  Blutdruckes. 

F.  de  H.  Hall  weist  darauf  hin,  dass  der  arterielle  Blutdruck 
mit  zunehmendem  Lebensalter  normalerweise  steigt;  man  kann  die 
normale  Höhe  bei  einem  gegebenen  Individuum  ziemlich  richtig  in 
der  Weise  berechnen,  dass  man  der  Zahl  seiner  Lebensjahre  100 
hinzuzählt;  dies  ergibt  dann  die  Höhe  des  normalen  Blutdruckes  in 
mm  Hg.  Indessen  erhält  man  auf  diese  Weise  für  Personen,  die  das 
40.  Lebensjahr  überschritten  haben,  durchweg  zu  hohe  Zahlen.  Beim 
weiblichen  Geschlecht  ist  der  Druck  um  10  mm  niedriger  als  beim 
männlichen.  Redner  empfiehlt  den  Usus  von  manchen  amerikanischen 
Lebensversicherungsgesellschaften,  die  bei  jedem  Applikanten  von 
mehr  als  45  Jahren  eine  Blutdruckbestimmung  verlangen  und  bei 
mehr  als  150  mm  die  Prämie  erhöhen.  Als  Ursachen  der  Blutdruck¬ 
steigerung  sind  zu  nennen  in  erster  Linie  Nierenleiden,  ferner  Gicht, 
Bleivergiftung,  Malaria,  Syphilis,  septische  Zustände  der  Mundhöhle, 
geistige  Ueberanstrengung,  namentlich  aber  Ueberfütterung  und  Al¬ 
koholmissbrauch.  Das  Tabakrauchen  ruft  allerdings  eine  momentane 
Steigerung  hervor,  aber  Gewohnheitsraucher  haben  im  allgemeinen 
einen  niedrigen  Blutdruck.  In  therapeutischer  Hinsicht  ist  zu  be¬ 
merken,  dass  man  nicht  ohne  weiteres  jeden  abnorm  hohen  Blutdruck 
herabzusetzen  trachten  darf.  Bei  einem  Druck  von  200  mm  mit 
Zeichen  von  Ermüdung  am  Herzen  ist  absolute  Ruhe  indiziert;  an¬ 
dererseits  ist  gerade  eine  etwas  vermehrte  Muskeltätigkeit  bei 
solchen  Kranken  nötig,  deren  Leiden  durch  eine  gar  zu  ruhige  Le¬ 
bensweise  bedingt  sind.  Bei  vorhandener  Fettsucht  hat  Redner  von 
der  B  e  r  g  o  n  i  e  sehen  Methode  gute  Wirkungen  gesehen.  Die  Re¬ 
gelung  der  Diät  ist  wichtiger  als  die  Verabreichung  von  Medi 
kamenten;  immerhin  sind  die  Jodpräparate  in  kleinen  Dosen,  längere 
Zeit  hindurch  gegeben,  von  Nutzen.  An  ihrer  Stelle  können  eventuell 
Natriumnitrit  (0,05 — 0,1)  und  auch  Lithiumhippurat  in  der  gleichen 
Dosis  zweimal  täglich  gegeben  werden.  Die  Venaesektion  erweist 
sich  oft  von  ausgezeichneter  Wirkung. 


L.  Brown  konstatiert,  dass  im  Greisenalter  meist  ein  Abfall 
des  Druckes  erfolgt;  bei  Greisen  von  80  Jahren  und  darüber  findet 
man  meistenteils  nicht  mehr  als  140  mm.  Zur  prompten  Herabsetzung 
des  attackenweise  gesteigerten  Druckes  ist  das  Amylnitrit  am  meisten 
zu  empfehlen;  die  Wirkung  des  Erythrol  tetranitrat  (in  Dosen  von 
0,03)  hält  nur  6  Stunden  und  die  des  Nitroglyzerins  nur  40  Mi¬ 
nuten  vor. 

R.  Wells  betont  die  Bedeutung  der  diastolischen  Druckhöhe, 
indem  eine  starke  Steigerung  des  systolischen  Druckes  viel  von  ihrer 
schädlichen  Wirkung  verliert,  wenn  der  diastolische  Druck  in  ange¬ 
messenen  Grenzen  bleibt.  Er  hat  an  besonders  konstruierten  Kaut¬ 
schukröhren  experimentell  durch  Steigerung  des  diastolischen 
Druckes  bei  relativ  massigem  systolischem  Druck  Aneurysmen  her¬ 
vorgerufen,  während  ein  viel  höherer  systolischer  Druck  gut  er¬ 
tragen  wurde,  falls  die  diastolische  Pression  gering  gehalten  wurde. 

L.  C  a  1 1  h  r  o  p  weist  auf  die  guten  Erfolge  der  Brunnenkuren  in 
Woodhall  Spa  hin,  dessen  Wasser  als  einziges  in  England  Jodkalium 
enthält. 


Aus  den  französischen  medizinischen  Gesellschaften. 

Academie  de  medecine. 

Sitzung  vom  28.  Juli  1914. 

Der  Urin  der  Krebskranken. 

Albert  R  o  b  i  n  berichtet  über  neue  Untersuchungen  über  die 
Chemie  der  organischen  Veränderungen  bei  Krebskranken.  Die 
Azidität,  Pigmente,  Zersetzungsprodukte  können  zwar  nicht  dazu 
dienen,  über  die  Diagnose  oder  Stoffwechselveränderungen  Auf¬ 
klärung  zu  geben,  aber  immerhin  kann  man  daraus  relative  Schlüsse 
iibtr  den  Verlauf  und  Zufälle  der  Krankheit  ziehen.  Albuminurie, 
weniger  häufig  als  behauptet  wurde,  hängt  mit  Krebskomplikationen 
zusammen,  Azetonurie  spricht  nur  für  Fieber  und  Unterernährung, 
die  Veränderungen  an  Kalzium-,  Magnesium-,  Kalium-  und  Natrium¬ 
gehalt  sind  systematisch  nicht  zu  bestimmen,  ausser  bei  Knochen¬ 
krebs.  wo  die  Kalkausscheidung  eine  sehr  bedeutende  ist. 

Behandlung  der  chronischen  Gelenkaffektionen  und  speziell  des 
Tumor  albus  mittelst  aktiver  Hyperämie. 

G  e  n  d  r  o  n  und  Paul  Bauchet  haben,  selbst  bei  tuberkulöser 
Arthritis,  mit  aktiver  Hyperämie,  welche  die  Rückkehr  der  Be¬ 
wegungen  zum  Zwecke  hat,  vorzügliche  Resultate  erzielt.  Die 
Originalität  der  Methode  besteht  darin,  das  ergriffene  Gelenk  von 
Beginn  der  Behandlung  an,  wenn  der  Schmerz  nicht  sehr  gross  ist, 
nach  einer  kurzen  Immobilisation  (bei  starken  Schmerzen)  zu  mobili¬ 
sieren.  Anstatt  als  Heilungszweck  die  Ankylose  zu  erstreben,  ver¬ 
suchen  Berichterstatter  möglichste  Wiederherstellung  der  normalen 
Bewegungsfähigkeit  zu  erzielen.  Die  Methode  besteht  darin,  in  einer 
ersten  Zeit  sehr  heisse  Kompressen  (von  Salzwasser)  aufzulegen, 
dreimal  täglich  Reibungen  mit  alkoholischen  Abkochungen  von  harz¬ 
artigen  Substanzen  (Kampfer,  Terpentin  usw.)  und  Injektionen  um, 
später  in  das  Gelenk  solcher  Substanzen  alle  14  Tage,  auch  von 
isotonischem  Serum  (bei  60°)  vorzunehmen,  Heissluftbäder,  Sonnen¬ 
bäder.  In  einer  zweiten  Zeit  macht  man  baldige  Mobilisation  (pas¬ 
sive)  unter  Fortsetzung  der  obigen  Prozeduren  aktiver  Hyperämie 
und  in  einer  dritten  Zeit  aktive  Mobilisation,  unterstützt  durch  Mas¬ 
sage,  Mechanotherapie,  Faradisation  der  Muskulatur  und  immer  noch 
aktive  Hyperämie.  In  verschiedenen  Lebensaltern,  besonders  aber 
bei  Patienten,  die  über  30  Jahre  alt  sind,  wurden  in  12  Fällen  von 
Tumor  albus  des  Kniees,  4  des  Ellbogens,  1  der  Schulter,  8  Fällen 
von  chronischer  rheumatischer  oder  Gonokokkenarthritis  dauernde 
und  raschere  Resultate  erzielt  als  mit  jeder  anderen  Methode.  Diese 
Resultate  bestehen  in  einer  sehr  bemerkenswerten  Abkürzung  der 
Zeit  der  Immobilisation,  in  rascher  Stillung  des  Schmerzes,  Aus¬ 
trocknung  der  Fisteln  usw.  Jede  subakute  oder  chronische  Gelenk¬ 
entzündung  eignet  sich  für  diese  Methode,  die  nur  bei  sehr  akuter 
Arthritis  mit  sehr  schmerzhaften  Knochenpunkten  kontraindiziert  ist, 
aber  eine  peinlich  genaue  Ueberwachung  von  Seite  des  Arztes  und 
Geduld  von  Seite  des  Patienten  erfordert. 


Verschiedenes. 

Therapeutische  Notizen. 

Zur  Behandlung  des  Erysipels.  Das  Studium  zweier 
Arbeiten  von  O.  Polak  veranlasste  mich  zur  Nactiprüfung  der 
Verwendung  von  Diphtherieheilserum  bei  Erysipel,  ln  2  Fällen  von 
idiopathischem  Erysipel  schwerer  Natur  war  die  günstige  Wirkung 
geradezu  auffallend  und  zwar  schon  innerhalb  24  Stunden.  Be¬ 
dingung  ist  möglichst  frühzeitige  Injektion  mit  reichlich  hohen  Im¬ 
munisierungseinheiten;  falls  nach  24  Stunden  kein  erheblicher  Tem¬ 
peraturabfall  und  Stillstand  des  Erysipels,  nochmals  injizieren,  ev. 
am  dritten  Tage  nochmals.  Dr.  B  e  r  g  m  a  n  n  -  Hannover. 


Tagesgeschichtliche  Notizen 

siehe  „Feldärztliche  Beilage“. 


Redaktion:  Dr.  B.  Spatz, 

München,  Arnulfstrasse  26. 


Verlag  von  J.  F.  Lehmann, 
München,  Paul  Heysestr.  26. 


MÜNCHENER 

Medizinische  Wochenschrift. 


Nr.  42.  20.  Oktober  1014. 


Feldärztliche  Beilage  Nr.  11. 


Geisteskrankheiten  im  Kriege. 

\ on  Prof.  I)r.  W.  Weygandt  in  Hamburg-Friedrichsberg. 

Bei  der  so  gewaltig  überwiegenden  Bedeutung  der 
Jiirurgie  für  den  Krieg,  neben  der  zunächst  noch  die  Epi¬ 
demiologie  eine  regere  Aufmerksamkeit  erheischt,  kann 
eicht  übersehen  werden,  dass  eitle  gewisse,  freilich  wesentlich 
icscheidenere,  aber  doch  nicht  unwichtige  Polle  den  geistigen 
Erkrankungen  zukommt.  Dabei  ist  von  vornherein  zu  betonen, 
lass  zum  Teil  eigenartige  Störungen  Vorkommen,  die  im 
-rieden  nur  selten  zu  beobachten  sind,  auch  nicht  oft  bei  den 
Mannschaften  des  Heeres  zur  Friedenszeit,  so  sehr  auch  letz- 
eren  seit  mehreren  Jahren  psychiatrische  Rücksicht  ge- 
.vidmet  worden  ist. 

Die  Statistiken  über  das  Vorkommen  von  Psychosen  in 
ien  letzten  Kriegen  sind  anscheinend  ziemlich  unvollständig 
;nd  doch  von  mannigfachem  Interesse.  Die  einzelnen  Feld- 
:iige  ergeben  auffallende  Unterschiede,  die  sich  zum  Teil 
iaraus  erklären,  dass  die  ärztliche  Diagnostik  hinsichtlich 
isychischer  Störungen  auf  verschiedener  Höhe  stand.  An 
ich  müsste  man  im  allgemeinen  ein  Herabgehen  der  Psycho- 
enziffer  erwarten,  weil  im  Lauf  der  Jahre  schon  bei  der 
Aushebung  auf  psychische  Störung  und  Minderwertigkeit 
.enauer  Rücksicht  genommen  wird  und  auch  bei  etwaigem 
vusbruch  einer  Psychose  während  der  Dienstzeit  verständnis- 
’oller  geprüft  und  eingegriffen  wird,  als  in  den  alten  Zeiten, 
co  zweifellos  die  Neigung  zur  Simulantenriecherei  viel  aus- 
ebreiteter  war.  Im  allgemeinen  zeigt  sich  eine  Zunahme  des 
mteils  der  Psychosen  an  den  Feldzugserkrankungen.  Die 
lannigtachen  Untersuchungen  von  E.  Schultze1 * 3),  E.  Meyer*), 
t  i  e  r  ‘),  1 1  b  e  r  g 4),  Meitzer5),  insbesondere  auch  Heft  30 
er  Vöff.  Milit.Sanitätsw.  °)  „Ueber  die  Feststellung  regel- 
idriger  Geisteszustände  bei  Heerespflichtigen  und  Heeres- 
ngehörigen“,  auch  Lobedank')  u.  a.  haben  aufklärend  ge- 
irkt. 

Während  im  ersten  Halbjahr  1S70  in  der  preussischen  Armee 
37  Prom.  der  Kopfstärke  Geistesstörung  aufwies,  stieg  die  Ziffer 
,r  die  Zeit  des  Feldzuges  auf  0,54  Prom.  Im  2.  Halbjahr  1871 
i-irug  sie  0,51  Prom.,  aber  1872  war  sie  noch  auf  0,93  Prom.  erhöht 
nd  erst  1873  war  wieder  eine  geringere  Ziffer  von  0,2  Prom.  er- 
’icht.  Die  Erhöhung  nach  dem  Feldzug  ist  schwer  zu  deuten;  viel- 
icht  kommt  bei  den  noch  im  Heer  verbliebenen  Feldzugsteilnehniern 
ne  Nachwirkung  der  Feldzugsstrapazen  in  Betracht.  Im  Laufe  der 
nedenszcit  ist  die  Ziffer  wieder  angestiegen,  1882/87:  0,58  Prom, 
'*7/92:  0,58  Prom.,  1892/97:  0,76  Prom.,  1897/1902:  0,92  Prom.  und 
*06/07  betrug  sie  gar  1,3  Prom. 

*)  Ueber  die  Psychosen  bei  Militärgefangenen,  Jena  1905,  und 
eitere  psychiatrische  Beobachtungen  an  Militärgefangenen,  Jena 

>07. 

*)  Aus  der  Begutachtung  Marineangehöriger.  Arch.  f.  Psych. 

Nervenkrankh.  (39). 

3)  Ueber  Verhütung  und  Behandlung  von  Geisteskrankheiten  in 
■r  Armee.  Hamburg  1902.  Fürsorge  für  Geisteskranke  im 
mtschen  Heer.  Off.  Bericht  des  4.  internat.  Kongresses  zur  Für- 
rge  für  Geisteskranke.  Halle,  Mar  hold  1911. 

4)  Ueber  Geistesstörungen  in  der  Armee  der  Friedenszeit.  Mar- 
»ld.  Halle  1903 

s)  Abnorme  Geisteszustände  in  der  Armee.  Zschr.  f.  d.  Be- 
ndlung  Schwachsinniger,  1908. 

*)  Berlin,  Hirschwald  1905. 

‘)  Die  Mitwirkung  des  Offiziers,  insbesondere  des  Kompagnie- 
efs  und  des  Rekrutenoffiziers  bei  der  Ermittelung  regelwidriger 
-isteszustände  in  der  Armee.  Berlin,  R.  Eisenschmidt  1906. 


m  gUech*sch-tiirkischen  Feldzug  wurden  im  türkischen  Heere 
(Raschid  r  a  h  s  s  i  n)  2  Prom.  Geisteskranke  festgestellt. 

Im  amerikanischen  Heer  stieg  die  Zahl  von  0,8  Prom.  auf 
2,7  1  rom.  im  Kubafeldzug.  Im  englischen  Heer  fand  ein  Aufstieg 
von  1 ,4  Prom.  auf  2,5  Prom  im  Burenkrieg  statt. 

Bei  der  Chinaexpedition  wurden  8,44  Prom.  Fälle  von  Nerven¬ 
krankheiten  und  psychischen  Störungen  angegeben.  Bemerkenswert 
ist,  dass  im  süd westafrikanischen  Feldzug,  bei  dem  ein  psychiatrisch 
vorgebildeter  Stabsarzt  mitwirkte,  4,95  Prom.  Geistesstörungen  und 
untei  Hinzurechnung  von  60  Fällen  epileptischer  und  hysterischer 
Erkrankungen  insgesamt  8,28  Prom.  vorkamen. 

Eingehende  Darlegungen  existieren  über  den  russisch-japani¬ 
schen  Krieg  ).  Man  sah  sich  genötigt,  allerdings  auch  mit  Rücksicht 
auf  den  riesigen  Etappenweg,  zunächst  in  Charbin  eine  Irrenanstalt 
zu  improvisieren,  die  noch  unterstützt  wurde  durch  2  psychiatrische 
Etappenlazarette  in  Omsk  und  Krasnojarsk,  sowie  eine  Abteilung  für 
die  in  Sibirien  beheimateten  Kranken  zu  Tschita.  Während  vor 
dem  Krieg  im  russischen  Heer  0,7  Prom.  der  Koptstärke  geistes¬ 
krank  waren,  stieg  die  Ziffer  im  Feldzug  auf  1,9  Prom.  an  solchen 
Geisteskranken,  die  in  den  erwähnten  Lazaretten  Behandlung  fanden; 
auf  1000  verwundete  und  kranke  Soldaten  kamen  3,5  Geisteskranke’ 
Auch  im  japanischen  Heer  soll  die  Anzahl  der  Geisteskranken  wäh¬ 
rend  des  Feldzuges  unverhältnismässig  hoch  gewesen  sein. 

Im  Balkankrieg  (S  u  b  o  t  i  t  s  c  h)  sind  vom  serbisenen  Heer  als 
geisteskrank  in  die  Belgrader  Irrenanstalt  aufgenommen  worden 
97  Mann  =  0,25  Prom.  der  Kopfstärke.  Im  bulgarischen  Heer  sind 
0,33  Prom.  erkrankt,  im  montenegrinischen  Heer  0,25  Prom.  und  im 
gi iechischen  (Ö  konomakis)  nur  0,097  Prom.  Ueber  das  türkische 
Heer  liegen  keine  bestimmten  Zahlen  vor;  wohl  wird  angegeben”), 
dass  besonders  bei  einigen  Offizieren  epileptische  Dämmerzustände, 
Melancholie,  Paranoia,  auch  Apoplexie  vorkam,  unter  den  Soldaten 
noch  Hysterie,  Manie,  Stupor  usw.  Im  ganzen  aber  soll  die  Zahl 
nicht  gross  gewesen  sein,  kleiner  jedenfalls  als  zur  Zeit  der 
Revolution  gegen  Abdul  Hamid. 

Wie  man  sieht,  gehen  die  Statistiken  schon  ganz  beträcht¬ 
lich  auseinander.  Sicher  ist  zunächst  nur,  dass  die  Zahl  der 
Fälle  von  Psychose  in  der  Kriegszeit  fast  immer  steigt,  manch¬ 
mal  ganz  beträchtlich.  Wodurch  die  Verschiedenheit  der 
Zahlen  bedingt  ist,  lässt  sich  nicht  hinreichend  erklären.  Im 
wesentlichen  wird  die  Feinheit  der  psychiatrischen,  Diagnostik 
der  Militärärzte  den  Ausschlag  geben.  Es  kommt  natürlich 
auch  darauf  an,  inwieweit  schon  bei  der  Einstellung  psych¬ 
iatrisch  verdächtige  Personen  zurückgewiesen  oder  im  Lauf 
der  Ausbildungszeit  entlassen  werden.  Hinsichtlich  der  be¬ 
trächtlichen  Ziffer  von  Erkrankungen  im  südwestafrikanischen 
Feldzug,  für  den  die  Mannschaften  doch  noch  ganz  besonders 
auf  I  ropendienstfähigkeit  geprüft  waren,  kann  das  ausser¬ 
ordentlich  hohe  Mass  von  Strapazen,  insbesondere  der  Durst 
verantwortlich  gemacht  werden,  wie  es  ja  auch  von  Frenssen 
in  seinem  Buch  „Peter  Moors  Fahrt  nach  Südwest“  anschau¬ 
lich  geschildert  ist.  Besonders  das  Gefecht  bei  Gross  Nabas 
mit  seinen  riesigen  Strapazen  hatte  zahlreiche  Fälle  zur  Folge. 
Vielleicht  kann  man  aber  auch  angesichts  der  hohen  Ziffer  in 
dieser  wie  in  der^  Chinaexpedition  daran  denken,  dass  unter 
den  zahlreichen  Freiwilligen  sich  auch  eine  Reihe  besonders 
enthusiastischer,  aber  im  Zusammenhang  damit  gerade 

s)  Awtokratow:  Die  Geisteskranken  im  russischen  Heer 
während  des  japanischen  Krieges.  Aligem.  Zschr.  f.  Psych.  64. 

S.  286.  1907.  —  Bendixsohn:  Ueber  Psychosen  im  russisch¬ 
japanischen  Krieg.  D.m.YV.  1910  S.  506.  —  OserezKowski:  Rcf 
im  Milit.  Wochenblatt  1906  Nr.  140.  —  S  c  h  a  k  e  w  i  c  z:  Zbl.  f.  Psych. 
u.  Nerv.  1906.  —  Stieda:  Zbl.  f.  Psvch.  u.  Nerv.  1906.  —  Bo¬ 
ris  c  h  p  o  1  s  k  i :  Russ.  med.  Rdsch.  4.  i906. 

")  Vollbrecht  und  Wieting-Pascha:  Berlin  1915,  Fi¬ 
schers  medizinische  Buchhandlung,  H.  Kornfeld. 


21  in 


Peldärztliclie  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  42. 


psychisch  etwas  labiler  Persönlichkeiten  befand.  Im  russi¬ 
schen  Heer  in  der  Mandschurei  trug,  wie  die  Erhebungen  er¬ 
gaben,  zweifellos  der  Alkoholismus  zur  Erreichung  der  hohen 
Zahl  von  Erkrankungen  ganz  beträchtlich  bei. 

Die  Angaben  über  die  verschiedenen  Formen  von  Geistes¬ 
störungen  müssen  auch  mit  besonderer  Vorsicht  aufgenommen 
werden.  Zweifellos  sind  manche  Erkrankungsfälle  in  die 
Statistiken  überhaupt  nicht  eingereiht,  vor  allem  die  kurz 
dauernden  psychotischen  Zustände,  so  etwa  Kommotions- 
delirien,  wie  auch  die  bei  Gelegeheit  anderer  Erkrankungen 
auftretenden  Störungen,  wie  Infektionsdelirien. 

Hinsichtlich  der  Feststellungen  über  die  Art  der  Psy¬ 
chosen  sollen  hier  nur  noch  die  Erfahrungen  des  Man¬ 
dschureifeldzuges  und  des  Balkankrieges  erwähnt  werden. 

Unter  den  275  Offizieren,  die  in  der  Irrenabteilung  zu  Charbin 
vom  15.  Dezember  1904  bis  18.  März  1906  verpflegt  wurden,  stand 
der  chronische  Alkoholismus  an  erster  Stelle,  der  mehr  als  Ya  der 
Fälle  betrug;  dann  werden  die  Paralyse  und  das  neurasthenische 
Irresein  angegeben;  diesen  3  Formen  gehörten  75  Proz.  an.  Ver¬ 
wirrtheit  und  halluzinatorische  Paranoia  betrugen  nur  2  Proz.  Bei 
den  1052  Soldaten  standen  an  erster  Stelle  die  epileptischen,  dann 
die  alkoholischen  Geistesstörungen  und  darauf  die  Verwirrtheit.  Zu 
beachten  ist,  dass  nach  O  s  e  r  e  z  k  o  w  s  k  i  in  Friedenszeit  bei  den 
russischen  Offizieren  die  Paralyse  am  häufigsten  ist,  dann  der  chro¬ 
nische  Alkoholismus  und  an  dritter  Stelle  die  akuten  Alkohol¬ 
psychosen.  Traumatische  Psychosen  kamen  bei  den  geisteskranken 
Offizieren  in  3,1  Proz.,  bei  den  Soldaten  in  3,6  Proz.  vor.  Be¬ 
merkenswert  war,  dass  epileptische  Anfälle  bei  Soldaten  auftraten, 
die  nie  solche  Störungen  gehabt  hatten,  sondern  lediglich  in  der 
Kindheit  an  Enuresis  litten. 

Bei  den  103  in  Belgrad  behandelten  Teilnehmern  des  Balkan- 
Irieges  wurden  folgende  Diagnosen  gestellt:  Melancholie  14, 
Manie  48.  postfebrile  Psychosen  3,  halluzinatorisches  Irresein  5, 
Alkoholismus  1,  Dementia  praecox  6.  Paralyse  12,  Epilepsie  9,  Im¬ 
bezillität  3,  Typhus  abdominalis  1,  Typhus  exanthematicus  1.  An- 
flieinend  hat  im  serbischen  Heer  der  Alkoholismus  keine  grosse 
Rolle  gespielt.  Die  Psychosen  sind  zum  Teil  nicht  im  Kampf  oder 
sofort  hinterher  ausgebrochen,  sondern  erst  später,  als  die  Soldaten 
verwundet  oder  infektionskrank  in  den  Lazaretten  lagen.  Nur  ein¬ 
mal  kam  Kopfverletzung,  durch  Scheitelstreifschuss,  in  Betracht. 
31  sind  genesen,  21  gebessert  entlassen  und  18  gestorben.  Be¬ 
sonders  gross  war  die  Erschöpfung  bei  jenen,  die  den  Marsch  durch 
dasalbanische  Gebirge  nach  Durazzo  mitgemacht  hatten. 

Von  vornherein  muss  betont  werden,  dass  die  psychischen 
Störungen  im  Kriege  angesichts  der  eigenartigen  Schädlich¬ 
keiten  sich  nicht  decken  können  mit  den  Beobachtungen  zur 
Friedenszeit,  wenn  auch  eine  Kriegspsychose  sui  generis  von 
der  Hand  gewiesen  werden  muss.  So  wenig  auch  angesichts 
der  erörterten  Schwierigkeiten  eine  zahlenmässige  Ab¬ 
schätzung  der  mannigfachen  Formen  von  psychischer  Störung 
im  Feldzug  durchführbar  ist,  muss  doch  eine  klinische  Dar¬ 
legung  der  verschiedenen  Gruppen  versucht  werden. 

Vorerst  ist  noch  einzugehen  auf  die  spezielleren  Beob¬ 
achtungen  in  der  Friedenszeit.  Zu  bemerken  ist, 
dass  unter  den  Insassen  der  Festungsgefängnisse  und  der 
Arbeiterabteilungen  psychische  Erkrankungen  häufiger  Vor¬ 
kommen,  so  waren  die  Zahlen  in  Preussen  1907  für  die 
ersteren  68,4  Prom.,  für  die  letzteren  40,4  Prom.;  auch  in  der 
französischen  Armee  wurde  das  festgestellt,  so  von 
Pactet10).  Weiterhin  ist  auch  zuzugeben,  dass  der  Dienst 
in  der  Marine"),  vor  allem  bei  mehrjährigem  Borddienst,  viel 
mehr  Gelegenheit  zu  psychischen  Schädigungen  gibt  als  der 
Heeresdienst,  insofern  Unfälle  leichter  Vorkommen,  das 
Tropenklima,  insbesondere  tropische  Infektionskrankheiten, 
einwirken  können,  der  Aufenthalt  in  den  Kcsselräumen  unter 
Umständen  schädlichen  Einfluss  ausübt  und  auch  anderweitige 
spezielle  Faktoren,  wie  etwa  Petroldämpfe  in  den  Untersee¬ 
booten  in  Betracht  kommen. 

In  Friedenszeit  lässt  sich  unter  den  Gestellungspflichtigen  je¬ 
weils  eine  Anzahl  Schwachsinniger  auf  angeborener 
Grundlage  feststcllen.  Manchem  Imbezillen  gelingt  es,  unter  ent¬ 
sprechender  Nachhilfe  die  Schulen  zu  durchlaufen,  bis  erst  die  straffe 
Zucht  des  militärischen  Dienstes  lebhaftere  Konflikte  heraufbe¬ 
schwört,  auf  Grund  deren  eine  eingehende  Untersuchung  angeordnet 
und  die  krankhafte  Grundlage  des  Versagens  festgestellt  wird.  Früher 
war  es  mancherorts  üblich,  dass  man  bei  minderwertigen  Jugend¬ 
lichen  gerade  vom  Heeresdienst  eine  erzieherische  und  heilende  Ein¬ 
wirkung  auf  ihre  Defekte  erwartete,  was  natürlich  so  wenig  Erfolg 

J")  Revue  de  Psychiatrie  1906. 

")  Podest  a;  Xrch.  f.  Psych.  40  S.  651. 


haben  konnte,  wie  die  in  ähnlicher  Weise  mehrfach  ausgeübte  Ver¬ 
schickung  solcher  jungen  Leute  nach  Amerika.  Gerade  wegen  der 
häufigen  Schwierigkeit  einer  Feststellung  der  krankhaften  Grund¬ 
lage  stellen  die  Schwachsinnigen  ganz  besonders  unerwünschte  Sol¬ 
daten;  sie  erschweren  den  Dienst  nach  jeder  Richtung,  können  unter 
Umständen  die  Vorgesetzten  heftig  reizen,  sind  unselbständig,  zu 
jeder  individuellen  Erziehung  unbrauchbar,  unzuverlässig;  aus  ihnen 
rekrutieren  sich  auch  Selbstmörder  und  Fahnenflüchtige.  Manchmal 
wird  ihr  absonderliches  Benehmen  verkannt  und  für  Heimweh  an¬ 
gesehen.  Besonders  wenn  der  Defekt  vorwiegend  im  Bereich  der 
Willens-  und  Gefühlssphäre  vorliegt,  bei  den  sog.  moralisch  Schwach¬ 
sinnigen,  werden  infolge  von  mangelhafter  Führung,  Achtungsver¬ 
letzung.  Insudordination,  Urlaubsüberschreitung,  Unehrlichkeit,  Ver¬ 
logenheit,  Klatsch-  und  Verleumdungssucht  oft  schwere  Konflikte 
heraufbeschworen,  gegen  die  Strafen  natürlich  zwecklos  sind. 

Selbstverständlich  darf  nicht  jeder  Fall  eines  erstaunlich 
niedrigen  Bildungsgrades  und  lückenhaften  Wissens  in  der  Instruk¬ 
tionsstunde  als  Schwachsinn  aufgefasst  werden.  Wenn  auch  das 
deutsche  Heer  fast  keine  Analphabeten  aufweist  und  darin  höhe’- 
steht  als  die  Heere  aller  anderen  grossen  Staaten,  so  sind  doch 
Rundfragen  ’*)  veranstaltet  worden,  bei  denen  zahlreiche  Rekruten 
auf  manchmal  ziemlich  einfache  Fragen  aus  der  Allgemeinbildung 
versagt  haben.  Man  muss  wohl  annehmen,  dass  in  den  der  Ein¬ 
arbeitung  in  einen  Beruf  gewidmeten  Jahren  zwischen  der  Schul- 
und  der  Militärzeit  oft  recht  vieles  wieder  vergessen  wird;  weiterhin 
ist  aber  auch  zu  berücksichtigen,  dass  bei  jenen  Fragen  oft  infolge 
von  Emotionsstupor,  von  einer  gewissen  Verblüffung,  unrichtige  Ant¬ 
worten  gegeben  werden.  Wenn  man  mit  der  Diagnose  der  Im¬ 
bezillität  und  Debilität  auch  nicht  zu  freigebig  sein  darf,  so  ist  es 
doch  zweckmässig,  dass  bei  der  Musterung  und  in  der  ersten  Aus¬ 
bildungszeit  bereits  ein  immer  schärferes  Augenmerk  auf  die  Fälle 
eines  wirklichen  Schwachsinns  auf  angeborener  Grundlage  gerichtet 
wird;  gute  Dienste  kann  dabei  die  Mitteilung  seitens  der  Zivilhe- 
hörde  leisten,  dass  der  Betreffende  Insasse  einer  Hilfsschulklasse 
gewesen  ist. 

Augenscheinlich  ist  in  dieser  Richtung  schon  mancher  Erfolg 
zu  verzeichnen,  sind  doch  unter  den  32  Militärgefangenen,  die  Ernst 
Schnitze  1904  beschrieb,  5  Imbezille  und  unter  den  1907  be¬ 
schriebenen  51  Militärgefangenen  deren  4. 

Eine  beträchtliche  Rolle  ist  den  jugendlichen  V  e  r  h  1  6  - 
dungsprozessen  zuzuweisen.  Stier  hat  1905/b  nicht  weniger 
als  35  Proz.  der  von  ihm  berücksichtigten  Fälle  der  Gruppe  der 
Dementia  praecox  zugewiesen,  während  er  daneben  17,5  Proz.  der 
psvehopathischen  Konstitution,  12  Proz.  dem  epileptischen  Irresein, 
9,7  Proz.  der  Manie  und  Melancholie  angliederte. 

Sowohl  die  hebephrenische  wie  auch  die  katatonische  und  die 
paranoide  Form  kommen  in  Betracht.  Am  bedenklichsten  hinsicht¬ 
lich  rechtzeitiger  Diagnose  sind  neben  den  im  ganzen  seltenen  dis¬ 
simulierenden  Kranken  mit  Halluzinationen  und  Wahnideen  vor  allem 
die  Hebephrenen,  weil  ihr  läppisches,  passives  und  oft  ncgativistisch- 
renitentes  Wesen  leicht  verkannt  und  als  Ausdruck  bösen  Wille, is 
aufgefasst  werden  kann.  Die  Maniriertheitcn,  die  absonderlichen  Be¬ 
wegungen,  das  Grimassieren,  eine  unstillbare  Unruhe,  die  oft  sinn¬ 
losen  Aeusserungen  werden  bald  den  Verdacht  auf  eine  Krankheit 
wecken.  Leichter  wird  diese  Erkenntnis  für  die  Umgebung,  insbe¬ 
sondere  die  Vorgesetzten,  bei  den  intensiveren  katatonischen  Formen, 
beim  Stupor  und  vor  allem  der  Erregung  mit  ihren  oft  stereo¬ 
typen  und  inkohärenten  Bewegungen,  Haltungen  und  sorachlichen 
Aeusserungen,  insbesondere  der  manchmal  geradezu  blindwütigen 
Tobsucht. 

Manisch-depressives  Irresein  kann  selbstverständ¬ 
lich  auch  bei  den  Soldaten  auftreten.  Die  intensiveren  Fälle  werden 
wohl  bald  erkannt,  aber  eine  Hvpomanie  oder  eine  leichtere  De¬ 
pression  können  doch  geraume  Zeit  missverstanden  werden  Vor 
allem  die  leicht  manische  Unruhe  mit  Rededrang  pflegt  in  militäri¬ 
schen  Verhältnissen  ausserordentlich  störend  zu  wirken. 

Die  Epilepsie  fordert  in  besonderem  Masse  die  Aufmerk¬ 
samkeit  des  Militärarztes  heraus.  Während  die  klassischen  Krämpfe 
sofort  alarmierend  wirken  und  eine  Untersuchung  erheischen,  können 
die  Aequivalente  verkannt  werden  und  bedenkliche  Lagen  hervor- 
rufen.  Vor  allem  Ohnmächten  und  Dämmerzustände  könnten  im 
Kriegsfall  bei  einem  auf  Vorposten  stehenden  Epileotiker  geradezu 
heillose  Störungen  ermöglichen.  Umso  eher  werden  Dämmerzustände 
gelegentlich  übersehen,  als  der  Kranke  dabei  mehrfach  noch  Rede 
und  Antwort  stehen  kann  und  zunächst  keinen  pathologischen  An¬ 
schein  erweckt.  Ebenso  bedenklich  sind  2  andere  Symptome:  Die 
Reizbarkeit  des  Epileptikers,  die  Reibungen  veranlassen  und  sich 
dabei  zur  tobenden  Erregung  steigern  kann,  und  die  triebartigen 
Zustände,  insbesondere  der  Wandertrieb.  Unzweifelhaft  sind  Fälle 
von  Fahnenflucht  zum  grossen  Teil  diesem  Symptom  auf  Rechnunu 
zu  setzen,  selbst  lange  Reisen  können  dadurch  zustande  kommen 
und  es  ist  nicht  selten,  dass  ein  Epileptiker  in  derartig  triebhafter 
gereizter  Wanderstimmung  in  die  Fremdenlegion  verschlagen  wird. 
Der  Fall  Trömel  ist  bekannt;  unter  meinen  Hamburger  Patienten 
sind  mehrere  mit  der  Fremdenlegion,  einer  auch  mit  der  holländischen 


12)  Roden  wal  dt:  Aufnahmen  des  geistigen  Inventars  Ge¬ 
sunder  als  Massstab  für  Defektprüfungen  bei  Kranken.  Mschr.  f 
I  Psych.  u.  Neurol.  17  1905.  Ergänzungsheft,  S.  17. 


20.  Oktober  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Mihich.  med.  Wochenschrift. 


Kolcnialarmee  in  Berührung  gekommen.  Diagnostisch  bedeutsam  sind 
vielfach  die  plötzlich  unmotiviert  nuftrctendeii  Verstimmungen  Fpi- 
leptischcr  Schwachsinn  wird  ebenso  auffallen  wie  Imbezillität  Nicht 
zu  vergessen  ist  bei  allen  epileptischen  Störungen,  dass  sie  sich  öfter 
uicli  in  Fallen  finden,  die  von  Krampfanfällen  ganz  verschont  bleiben. 
Ks  ti  iitt  nicht  ganz  zu,  wenn  die  Dienstanweisung  vom  13.  Ok- 
i(>hci  1904  in  S  33,  4  sagt:  „Epilepsie  setzt  das  Vorkommen  wieder- 
mlter  Krampfe  mit  Bewusstseinsstörungen  oder  ihnen  an  Bedeutung 
gleichstehende  Anfälle  voraus“,  da  unter  Umständen  auch  c  i  n 
Krampfanfall  oder  Dämmerzustand  schon  zur  Diagnose  ausreicht  oder 
Jie  Diagnose  auch  durch  weniger  bedeutungsvolle  Symptome,  vor 
illcm  plötzliche  Verstimmungen  gestützt  werden  kann. 

Auch  ausgesprochene  Hysterie  findet  sich  mehrfach,  mit  typi- 
•clicn  Gcfiihlsstörungen,  lokaler  Hyperalgesie,  Gesichtsfeldeinengung, 
^cflexveränderungen,  subjektiven  Beschwerden,  Schlaflosigkeit,  auch 
gelegentlich  Anfällen.  Manchmal  wurden  auch  motorische  Störungen, 
:twa  eine  hysterische  Hemiplegie  oder  Sprachverlust  beobachtet, 
vein  psychisch  kommen  in  Betracht  hochgradige  Empfindsamkeit  Er- 
egungs-  und  Hemmungszustände  auf  Grund' äusserer  Reize,  förm- 
ithe  Wutanfälle,  ferner  Verstimmung  und  charakteristisch  liysteri- 
cher  Uiarakter.  Auch  Dämmerzustände,  Sinnestäuschungen  und  im- 
nilsives  I  ortlaufen  können  auf  dieser  Grundlage  höchst  störend 
n  Erscheinung  treten. 

Hier  und  da  handelt  es  sich  um  eine  traumatische  Hysterie  oder 

veurose. 

Ei  regung  und  Verwirrtheit  von  psychogener  Färbung  finden  sich 
in  Kriege  öfter  auf  Grund  degencrativer  Minderwertigkeit  ohne 
entliehe  hysterische  Zeichen. 

Alkoholische  Psychosen  und  chronischer  Alkohoiis- 
nus  spielen  in  unserem  Heer  erfreulicherweise  keine  Rolle.  Ge- 
.'gentliche  Exzesse  infolge  von  Angetrunkenheit  kommen,  wie  be- 
annt,  freilich  vor.  trotzdem  das  Militärstrafgesetzbuch  die  Ange- 
unkenheit  nicht  als  strafmildernd  ansieht.  Feldmarschall  H  ä  s  e  1  e  r 
oll  90  Proz.  der  Vergehen  gegen  die  Disziplin  als  durch  den  Alkohol 
edingt  bezeichnet  haben.  Manchmal  handelt  es  sich  allerdings  auch 
m  Alkoholintoleranz  und  pathologische  Rauschzustände  auf  psy- 
fiisch  abnormer  Grundlage.  Ein  Fall  Schultz  cs  war  nicht 
eniger  als  18  mal  wegen  Insubordination  vorbestraft. 

Ab  und  zu  wurden  unter  den  Soldaten  auch  Störungen  infolge 
on  Neurasthenie,  degenerativer  V eranlagung,  originärer  Ver- 
.'hrobenheit  uam.  festgestellt.  Bei  Simulationsverdacht  ist  stets  zu 
riifen,  ob  nicht  doch  eine  psychopathische  Basis  vorliegt,  insbe- 
ondere  Hysterie  oder  Imbezillität. 

Manche  Formen  geistiger  Erkrankung,  insbesondere  die  syste- 
atisierende  Paranoia,  kommen  kaum  in  Betracht;  natürlich  auch 
cht  die  Erkrankungen  vorgerückten  Alters.  An  Paralyse  sind  be- 
inntlich  mehrfach  Offiziere  erkrankt. 

Eingehendste  Prüfung  fanden  die  Fälle,  bei  denen  die  Militär- 
.'richte  eine  Begutachtung  veranlassten. 

E.  S  c  h  u  1 1  z  e  kam  bei  seinen  51  begutachteten  Fällen  zu 
Igenden  Diagnosen:  Manisch-depressives  Irresein  11,  Dementia 
aecox  15.  Imbezillität  9,  Epilepsie  21,  Hysterie  19,  degeneratives 
resein  2,  Psychopathie  1,  Alkoholintoleranz  1,  Neurastnenie  1,  patho- 
gische  Affektzustände  1,  originäre  Verschrobenheit  1,  Simulation  bei 
ychopathischer  Minderwertigkeit  1. 

Unter  den  von  E.  Meyer  begutachteten  24  Marineangehörigen 
nd  sich  folgendes:  Dementia  praecox  2,  Imbezillität  6,  Epilepsie  2, 
.rciacht  auf  Epilepsie  1,  Hysterie  4,  traumatische  Neurose  1,  patho- 
gische  Rauschzustände  4,  während  bei  vieren  keine  Psychose  fest- 
stelien  wai. 

Im  Krieg  liegen  die  Verhältnisse  von  vornherein  ganz 
iders.  Während  sich  aus  den  mitgeteilten  Statistiken  ergibt, 
iss  es  sich  bei  den  psychischen  Störungen  der  Heeres-  und 
arineangehörigen  in  Friedenszeit  fast  ausschliesslich  um  Fr¬ 
ankungen  handelt,  die  auf  einer  angeborenen  Anlage  he¬ 
ben,  treten  im  Feldzug  eine  Fülle  von  besonderen  Schädlich¬ 
sten  hinzu,  denen  von  vornherein  eine  ursächliche  Bedeutung 

geistige  Störungen  beizumessen  ist.  Zunächst  kommt 
ychischer  Schock  in  Frage,  angesichts  der  mit  ungeheurer 
acht  einstürmenden,  gefahrvollen  Eindrücke,  wie  solche  in 
iedenszeit  nur  ausnahmsweise  Vorkommen,  dann  Erschöp- 
'g  psychischer  und  körperlicher  Art,  insbesondere  infolge 
n  Ueberanstrengung,  Nahrungsmangel,  Schlafstörung  und 
ensiver  seelischer  Spannung.  Ferner  Schädelverletzungen 
r  mannigfachsten  Art,  weiterhin  Hitzschlag,  ausserdem  die 
:rkung  epidemischer  Infektionskrankheiten.  Schliesslich 
ren  auch  Schädlichkeiten  wie  Alkohol  und  Lues  zu  bertick- 
htigen. 

Vielfach  kommt  nicht  eine  einzige  Ursache  in  Betracht, 

■  dem  mehrere  stürmen  gleichzeitig  in  der  mannigfachsten 
-ise  ein.  Vor  allem  ist  auch  zu  prüfen,  inwieweit  solche 
lädlichkeiten  auf  Personen  einwirken,  die  an  sich  schon 
e  angeborene  oder  erworbene  Disposition  zu  einer  psychi- 
en  Erkrankung  besitzen. 


2!  11 


,  Nach  der  älteren  Psychiatrie  und  heute  noch  nach  Ansicht 
der  gebildeten  Laien  haben  psychische  Ursachen,  wie  Schreck, 
Kummer,  Todesangst,  Gewissensbisse,  Liebesgram  usw.  die 
grösste  Bedeutung  für  den  Ausbruch  geistiger  Störungen. 
W  issenschaftlich  ist  dieser  Standpunkt  verlassen,  da  man  bei 
sehr  vielen  Krankheiten  die  wirklichen  Ursachen  klar  erkannt 
hat.  wie  bei  Paralyse  die  Lues,  oder  wenigstens  ursächlichen 
Zusammenhängen  bestimmter  Art  auf  der  Spur  ist,  wie  etwa 
den  Stoffwechselstörungen  der  Dementia  praecox.  Ausserdem 
lut  man  aber  auch  nach  Prüfung  von  Vorkommnissen,  hei 
denen  psychische  Eindrücke  heftigster  Art  auf  zahlreiche  Men¬ 
schen  einwirkten,  feststellen  können,  dass  psychische  Stö- 
umgen  nur  in  beschränktestem  Mass  dadurch  bedingt 
wurden. 

.  Als  1896"  auf  dem  Chodinskifeld  bei  Moskau  während  der 
Kaiserkrönung  eine  Panik  unter  Zehntausenden  ausbrach  und 
viele  Menschen  zerquetscht  wurden,  sind  psychisch  nur  drei 
1  ersonen  erkrankt.  Gelegentlich  ist  dem  psychischen  Ein¬ 
druck  nur  scheinbar  eine  Bedeutung  zuzuerkennen:  So  wurden 
bei  einer  Gasometerexplosion  in  Hamburg  zahlreiche  Arbeiter 
getötet  und  andere  kamen  mit  Brandwunden  in  ein  Kranken¬ 
haus,  wo  sie  zum  Teil  nach  kürzester  Zeit  unter  Delirien 
starben,  so  dass  man  an  Schreckwirkung  denken  könnte; 
mehrere  aber  erholten  sich  von  der  Verwirrtheit  wie  auch  den 
Brandwunden  und  konnten  dann  klar  berichten,  dass  sie  im 
Feuer  der  beiden  Explosionen  durchaus  zweckmässig  ge¬ 
handelt  und  Deckung  vor  den  Flammen  gesucht  hatten,  ohne 
durch  den  Eindruck  der  Gefahr  selbst  verwirrt  zu  werden. 
Die  Delirien  waren  zweifellos  auf  Rechnung  toxischer  Ein¬ 
flüsse  infolge  der  ausgedehnten  Brandwunden  zu  setzen. 

Besonders  eingehende  Untersuchungen  über  die  Be¬ 
ziehungen  zwischen  psychischen  Insulten  und  Geistesstörung 
verdanken  wir  S  t  i  e  r  I  i  n  13).  der  die  Erfahrungen  an  den 
Ueberlebenden  von  6  katastrophalen  Ereignissen  geprüft  hat- 
vom  Eisenbahnunglück  in  Müllheim  17.  Juli  1911,  dem  Gruben¬ 
unglück  in  Courrierres  10.  März  1906,  dem  Grubenunglück  von 
Radbod  2.  November  1908,  dem  Brückeneinsturz  in  Brail 
29.  August  1911,  dem  Erdbeben  in  Valparaiso  16.  August  1906 
und  dem  Erdbeben  in  Messina  28.  Dezember  1908.  Psychosen 
als  Folge  jener  furchtbaren  Erlebnisse  fanden  sich  nur  ganz 
vereinzelt,  obwohl  manche  bei  den  Erdbeben  tagelang  ver¬ 
schüttet  waren  und  in  Courrieres  14  in  der  Grube  ein¬ 
geschlossene  Bergleute  erst  nach  3  Wochen  wieder  ans  Tages¬ 
licht  gelangten.  Es  handelt  sich  bei  den  wenigen  Fällen,  die 
übrigens  keineswegs  körperliche  Verletzungen  aufwiesen,  um 
Schi  eckpsychosen,  die  an  hysterische  oder  epileptische 
Dämmerzustände  erinnerten,  mit  schlafwandelartigen  Zu¬ 
ständen,  Verwirrtheit,  vor  allem  Apathie,  Sinnestäuschungen, 
Erregung,  sinnlosen  Handlungen  usw.;  allerdings  war  eine 
entsprechende  Prädisposition  dabei  nicht  nachweisbar.  Bei 
einigen  Personen,  die  die  Katastrophen  gar  nicht  miterlebt, 
aber  teure  Verwandte  dabei  verloren  hatten,  trat  eine  Art 
Emotionspsychose  auf.  Nach  mehreren  Tagen.  Wochen  oder 
Monaten  sind  diese  Störungen  wieder  vergangen,  meist  unte1, 
teilweiser  Amnesie  für  das  Erlebnis.  Die  langsamer  ge¬ 
nesenden  Fälle  erinnerten  an  Erschöpfungspsychosen  oder  den 
Korsakowkomplex.  Ausserdem  sind  in  Messina  mehrere  Per¬ 
sonen  an  schweren  Dauerpsychosen  besonders  hebephreni- 
scher  oder  katatonischer  Art  erkrankt,  wobei  der  Schreck 
offenbar  nur  eine  auslösende  Wirkung  ausgeübt  Hat. 

Die  meisten  Teilnehmer  der  Katastrophen  waren  in  der 
Gefahr  selbst  auffallend  ruhig,  ja  man  kann  von  einer  Art  Aus¬ 
löschung  aller  Affekte  sprechen.  Derartiges  wurde  auch  von 
B  ä  I  z  14)  bei  Erdbeben  in  Tokio  beobachtet:  Livingstone 
hat  es  in  ähnlicher  Weise  bei  sich  selbst  beobachtet,  als  er 
aus  dem  Schlaf  erwachend  sich  von  einem  Löwen  angefallen 
sah,  und  vielfach  sprechen  sich  auch  die  Selbstbeobachtungen 
der  Kämpfer  im  gegenwärtigen  Kriege  dahin  aus,  dass  im 
Kugelregen  alsbald  die  Affekte  ganz  zurücktreten.  Auch  bei 
anderen  Personen,  die  einer  plötzlichen  Lebensgefahr  ent¬ 
rannen,  so  bei  im  Gebirge  Abgestürzten,  wurde  ähnliches  fest¬ 
gestellt. 


1J)  Nervöse  und  psychische  Störungen  nach  Katastrophen. 
Dm.w,  mi]  s.  ?f)28. 

“)  Allgcm.  Zschr.  f.  Psycli.  58.  1901.  S.  717. 


2112 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  42 


Leichtere  nervöse  Symptome  wurden  anlässlich  der  er¬ 
wähnten  Katastrophen  häufiger  beobachtet,  so  kam  es  bei 
vielen  vor,  dass  noch  lange  Zeit  beim  geringfügigsten  Anlass 
heftige  Schreckzustände  erfolgten.  Bei  manchen  entwickelte 
sich  eine  Erwartungsangst  mit  Sinnestäuschungen,  Schlafstö¬ 
rung,  plötzlichem  Aufschrecken  usw.  Von  den  nach  den  Kata¬ 
strophen  von  Messina,  Courrieres,  Radbod  und  Müllheim 
untersuchten  Personen  hatten  25  Proz.  noch  monatelang 
Schlafstörungen.  Andere  waren  etwas  abgestumpft  oder 
leicht  euphorisch,  unter  Amnesie  nicht  für  das  Erlebnis,  son¬ 
dern  für  den  Affekt. 

Traumatische  Neurose  war  im  ganzen  sehr  selten;  die 
die  Erdbeben  Ueberlebenden  hatten  allerdings  auch  keinerlei 
Entschädigungsansprüche.  Vereinzelt  jedoch  kam  es  vor,  dass 
auch  Personen  ohne  Entschädigungsansprüche  doch  jahrelang 
noch  an  schwerer  Neurose  litten.  Ein  anderer  nervöser  Sym- 
ptomcnkomplex  kam  jedoch  in  Vs  bis  V*  der  Fälle  Stier- 
iins  zur  Beobachtung:  hohe  Pulsfrequenz,  Kniereflexsteige- 
rung,  Schlafmangel,  daneben  Störungen  des  Vasomotoriums, 
Kopfschmerz  und  Schwindel. 

Aelmliches  ergibt  sich  aus  den  Untersuchungen  von 
d'A  b  u  n  d  o 15)  über  das  Erdbeben  in  Messina,  ln  Siiddeutsch- 
land  wurden  anlässlich  des  Erdbebens  vom  16.  November  1911 
von  K  r  e  u  s  e  r 1H)  Untersuchungen  angestellt,  die  ergaben, 
dass  nicht  nur  bei  neuropathisch  veranlagten,  sondern  auch 
bei  bislang  widerstandsfähigen  Personen  sich  leichte  nervöse 
Störungen  einstellten,  vor  allem  Unbehagen  beim  Schlafen¬ 
gehen,  Schlafunterbrechung,  schreckhafte  Träume,  Kopf¬ 
schmerz,  Schwindel,  erhöhte  Empfindlichkeit  und  Schreck¬ 
haftigkeit  bei  Geräuschen,  Unsicherheit  des  Lagegefühls.  Psy¬ 
chosen  kamen  nicht  vor  und  die  bereits  Geisteskranken  in  den 
Irrenanstalten  haben  sehr  wenig  Notiz  vom  Erdbeben  ge¬ 
nommen. 

Insofern  kann  aus  rein  psychischen  Eindrücken  noch  eine 
erhebliche  schädigende  Wirkung  im  Feldzug  hervorgehen,  als, 
wie  aus  früheren  Kriegen  vielfach  bekannt,  unter  Umständen 
Paniken  auftreten,  bei  denen  eine  grössere  Anzahl  von  Sol¬ 
daten  ohne  ausreichenden  Anlass  und  ohne  hemmende  Ueber- 
legung  blindlings  depressiven  Affekten  folgten,  so  noch  im 
Balkankrieg  bei  Kirkilisse  und  Lüle  Burgas.  So  unheilvoll 
auch  eine  derartige  psychische  Infektion  wirken  kann,  so  ist 
die  Störung  bei  dem  Einzelnen  doch  gewöhnlich  nicht  von 
langer  Dauer.  Allerdings  finden  sich  unter  der  Menge  ge¬ 
legentlich  doch  psychopathische  und  prädisponierte  Naturen, 
die  vielleicht  den  ersten  Anlass  zur  Panik  geben  und  unter 
Umständen  auch  hinterher  noch  längere  Zeit  psychische 
Störungen  darbieten.  Auch  bei  zwei  Beobachtungen  psychi¬ 
scher  Epidemien  in  Süddeutschland  vor  einigen  Jahren  ragten 
aus  der  Schar  der  Mitläufer  einzelne  psychisch  schwer  Er¬ 
krankte  als  richtunggebend  hervor,  während  nach  deren  Aus¬ 
schaltung  die  übrigen  wieder  zur  Besonnenheit  zurück¬ 
kehrten  17).  (Schluss  folgt.) 


Aus  der  Kgl.  orthopädischen  Klinik  in  München. 

Die  Orthopädie  im  Kriege. 

Von  Prof.  Dr.  Fritz  Lange,  Oberstabsarzt  d.  L. 

II. 

Der  (iipsverband. 

Die  Schienen,  welche  in  Nr.  2  der  Feldbeilage  (d.  W. 
S.  1826)  beschrieben  worden  sind,  sollen  in  erster  Linie  den 
Transport  der  Knochen-  und  Gelenkschüsse  möglichst 
schmerzlos  und  ungefährlich  machen.  Sie  sollten  deshalb, 
wenn  es  die  Verhältnisse  gestatten,  schon  auf  dem  Haupt¬ 
verbandplatz  oder,  wenn  es  dort  unmöglich  ist,  im  Feld¬ 
lazarett  oder  im  Kriegslazarett  angelegt  werden,  wo  die  Ver¬ 
wundeten  nur  vorübergehend  bleiben.  In  den  weiter 
heimwärts  gelegenen  Lazaretten,  in  den  Etappen-  und  Re¬ 
servelazaretten,  können  sie  auch  mit  Nutzen  noch  verwendet 


ls)  Riv.  ital.  di  Nevropat.  Psich.  ed  Elettroterap.  2.  1909.  2. 

10)  Psychische  Wirkungen  des  Erdbebens  vom  16.  November 
1911,  Psych.-neurol.  Wschr.  1912/13  Nr.  32  S.  369. 

")  Weygandt:  Beitrag  zur  Lehre  von  den  psychischen  Epi¬ 
demien.  Halle  1905. 


werden,  wenn  z.  B.  eine  grosse  Anzahl  von  Schwerver 
wundeten  plötzlich  ankommt  und  wenn  die  Aufgabe  vorlieg 
möglichst  rasch  die  durchschossenen  Knochen  zu  schiene) 
Im  allgemeinen  wird  man  aber  in  diesen  Lazaretten,  wo  di 
Schwerverwundeten  längere  Zeit  verbleiben.  Methode 
anwenden  können  und  sollen,  welche  durch  eine  sorgfältiger 
individuelle  Anpassung  eine  stärkere  Korrektur  der  ver 
schobenen  Knochenfragmente  und  eine  sicherere  Fixierung  ge 
statten,  als  das  mit  Schienen  möglich  ist. 

Unter  den  Verhältnissen,  unter  denen  wir  in  Friedens 
Zeiten  arbeiten,  hat  sich  der  Streckverband  aus 
gezeichnet  bewährt.  In  Kriegszeiten  kann  dieser  Verband  ii 
Lazaretten,  die  ebenso  mustergültig  wie  unsere  Kliniken  um 
Krankenhäuser  eingerichtet  sind,  ebenfalls  Vortreffliche 
leisten;  das  hat  sich  im  zweiten  Balkankrieg  gezeigt.  Bei  den 
Lazaretten  aber,  die  in  Kriegszeiten  in  Schulgebäuden,  Kirchei 
oder  Fabriken  schnell  von  heute  auf  morgen  eingerichtei 
werden  müssen,  ist  vom  Streckverband  nichts  zu  erwarten! 
Unter  solchen  Verhältnissen  muss  man  froh  sein,  wenn  di. 
Kranken  zunächst  einmal  Strohsäcke  unter  sich  haben,  um 
wenn  dann  allmählich  auch  Betten  mit  Matratzen  dazu  kom 
men,  so  sind  dieselben  in  der  Regel  doch  nicht  derart,  das 
man  Streckverbände  in  wirksamer  Weise  anlegen  kann. 

Mit  solchen  Verhältnissen  muss  man  meist  in  der  Näh. 
der  Gefechtslinie  rechnen,  und  deshalb  ist  ein  Ersatz  de 
Streckverbandes  eine  dringende  und  wichtige  Aufgabe.  Gt 
lingt  er  nicht,  so  ist  zu  erwarten,  dass  die  Schussfrakturei 
mit  sehr  erheblichen  Verkürzungen  heilen  und  dass  scliwe 
deformierte  Glieder  das  Endresultat  unserer  Behandlung  sein 
werden. 

Der  einzige  Ersatz  des  Streckverbandes,  der  unter  solche) 
Verhältnissen  in  Frage  kommt,  ist  der  Gipsverband.  De 
Wert  des  Gipsverbandes  für  den  Krieg  ist  sehr  verschiede) 
beurteilt  worden.  Obwohl  schon  P  i  r  o  g  o  f  f  den  Gips  für  di. 
Kriegschirurgie  warm  empfohlen  hatte,  ist  der  Gipsverbam 
durch  Stromeyer  auf  Grund  seiner  Kriegserfahrungen  seh 
ungünstig  beurteilt  worden.  Dabei  darf  aber  nicht  ver 
schwiegen  werden,  dass  Stromeyer  auch  in  Friedens 
Zeiten  kein  besonderer  Freund  des  Gipses  war.  Er  zog  z.  ß 
nach  dem  Klumpfussredressement,  wo  heute  der  Gipsverbam 
allgemein  als  beste  Retentionsmethode  anerkannt  ist,  diij 
Schienenbehandlung  vor.  Wir  dürfen  auf  Stromeyer: 
Urteil  um  so  weniger  Wert  legen,  als  in  den  Händen  voi 
Anton  Vogl,  des  nachmaligen,  hochverdienten  Generalstabs! 
arztes  der  bayer.  Armee,  der  Gipsverband  im  Kriege  1870/7 
sich  ausgezeichnet  bewährt  hat  (Mitteilung  von  Oberstabsarz 
O  1 1)  und  im  Türkisch-Russischen  Krieg  bei  der  berühmt  gel 
wordenen  Behandlung  der  Knieschüsse  in  den  Händen  voi 
B  e  r  g  m  a  n  n  Glänzendes  geleistet  hat.  Und  wir  dürfen  un 
endlich  von  der  Verwendung  des  Gipsverbandes  auch  dadurch 
nicht  abschrecken  lassen,  dass  er  im  zweiten  Balkankrie; 
versagt  hat.  Es  kann,  wie  Friedrich  annimmt,  das  feucht 
warme  Klima  daran  schuld  gewesen  sein;  es  kann  aber  aucl 
der  zur  Verwendung  gelangte  Gips  nicht  einwandfrei  gewesei 
sein.  Guter  Gips  ist  deshalb  Vorbedingung  für  die  Anwendung 
des  Gipsverbandes. 

Ausgezeichnet  sind  die  fertigen  Gipsbinden  von  Albert  (her¬ 
gestellt  durch  C  h  o  s  a  k  in  Düsseldorf).  Sie  werden  in  kaltes  oder: 
lauwarmes  Wasser  ohne  jeden  Zusatz  gelegt  und  müssen  etwa 
4  Minuten  im  Wasser  gelegen  haben,  ehe  sie  benützt  werden  könnenj 
Notwendig  aber  sind  diese  Gipsbinden  nicht.  Man  kann  mit  jedci. 
guten  Alabastergips  (unsere  Bezugsquelle  ist  Walsers  Gipsmühlc 
München,  Kanalstr.  63)  eine  gute,  zweckentsprechende  Gipsbinde  siel 
selber  hersteilen,  wenn  man  nicht  Stärkegazebinden  nimmt,  wie  cv 
meist  noch  geschieht,  sondern  Binden  von  Mull  verwendet  und  dem 
warmen  Waser,  in  das  man  die  Gipsbinde  legt,  Alaun  (auf  2  Liter 
Wasser  25  g  Alaun)  zusetzt. 

Die  Hauptmasse  der  Verletzungen,  für  die  der  Gips 
verband  in  Frage  kommt,  sind  die  Extremitätenschüsse.  Pit- 
Technik  für  die  oberen  und  unteren  Extremitäten  muss  be¬ 
sonders  besprochen  werden: 

1.  Die  Gipsverbände  der  Armschüsse. 

a)  Für  Schüsse  des  Vorderarmes  bis  ein¬ 
schliesslich  des  Ellenbogengelenkes  genügt  oft 
eine  Gipsschiene,  deren  Herstellung  sehr  einfach  ist  und 
wenig  Zeit  beansprucht. 


?0.  Oktober  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


,  'Ve"n  es  dl®.  Wunden  erlauben,  legt  man  die  Scliienc  auf  die 
Mreckseite  von  Oberarm  und  Vorderarm  bei  rechtwinklig  gebeugtem 
■Jlerrbogengelenk  und  voller  oder  halber  Supinationsstellung  der  Hand 
,n.  Ein  Assistent  halt  den  Am,  in  dieser  Stellung  fest,  nachdem  auf 
he  ganze  Streckseite  des  Armes  eine  15  cm  breite  Lage  Polsterwatte 

gelegt  ist.  Am  Ellenbogen 
wird  durch  ein  zweites, 
handgrosses  Stück  aufge¬ 
legte  Watte  fiir  eine  sorg¬ 
fältige  Polsterung  des 
Olekranon  und  der  Kon- 
dylen  gesorgt.  Diese  Lage 
Watte  wird  durch  Rund¬ 
touren  mit  einer  Mull¬ 
binde  am  Arm  befestigt. 
Dann  wird  eine  zehnfache 
Lage  einer  lü— 15  cm  brei¬ 
ten  Gipsbinde  auf  die  Pol¬ 
sterwatte  gelegt,  welche 
von  der  Spina  scapulae 
bis  zu  den  Metakarpo- 
phalangealgelenken  reicht. 
Eine  zweite  Rundtour  von 
Mullbinden  wickelt  die 
Gipsschiene  an  den  Arm 
an.  In  5  Minuten  ist  die 
Schiene  erhärtet.  Der  Pa¬ 
tient  erhält  noch  eine  Mi- 


Fig.  1.  Gipsschiene  für  Vorderarmbrüche. 


telia  und  kann  in  der  Regel 
sofort  schmerzfrei  sich  be- 
,  ,  .  ,  ,  wegen.  Selbstverständlich 

nd  vor  dem  Anlegen  der  Gipsschienen  die  Wunden  mit  Verbandzeug 
ersorgt  worden.  Lässt  die  Lokalisierung  der  Wunden  die  Anpassung 
-r  Schiene  auf  der  Streckseite  nicht  zu,  so  muss  die  Schiene  auf  der 
mge-  oder  Ulnar-  oder  Radialseite  angelegt  werden.  (Fig.  1.) 


b)  Fiir  Schussfrakturen  des  Oberarmes  genügt  die 
sschriebene  Schiene  nicht,  namentlich  wenn  die  Fraktur  in 
er  Nähe  des  Schultergelenkes  liegt  oder  sogar  dieses  Gelenk 
Mitleidenschaft  gezogen  hat.  Hier  tritt  anstelle  der  Gips- 
.hiene  der  gefensterte  Gipsverband,  der  nicht  nur  den  ganzen 
™  zirkulär  umfasst,  sondern  auch  den  Thorax  einschliesst. 
ur  so  lässt  sich  bei  den  zu  winkligen  Abknickungen  neigenden 
berarmfrakturen  die  Extension  der  Fragmente  im  Verbände 
stzuhalten. 


Der  Verband  wird,  wie  die  Gipsschiene,  am  besten  an  dem 
.zenden  Patienten  angelegt.  Der  Oberarm  hängt  fast  senkrecht 
_  herab;  der  Vorder¬ 
arm  ist  im  Ellen¬ 
bogen  rechtwinklig 
gebeugt  oder,  wenn 
rechtwinklige  Beu¬ 
gung  Schmerzen 
verursacht,  leicht 
stumpfwinklig.  Die 
Hand  steht  in  Mittel¬ 
stellung  zwischen 
Supination  und  Pro¬ 
nation,  wie  es  am 
besten  vom  Patien¬ 
ten  vertragen  wird. 
Ein  Assistent  stützt 
den  Arm  an  der 
Hand  und  an  dem 
Ellenbogen  und 
achtet  darauf,  dass 
an  der  Frakturstelle 
keine  winklige  Ab¬ 
knickung  besteht  und 
dass  durch  das 
Eigengewicht  des 
Armes  eine  leichte 
Extension  an  der 
Bruchstelle  zustande 
kommt. 

Die  Wattepolste¬ 
rung,  die  am  Ellen¬ 
bogen  doppelt  gelegt 
wird,  umfasst  den 
ganzen  Arm,  den 
Thorax  von  der 
Axilla  bis  zum  un¬ 
teren  Rippenrand 
und  deckt,  entspre¬ 
chend  dem  Verlauf 
...  der  Hosenträger, 

n  die  beiden  Schultern.  Dabei  ist  die  Gegend  der  Fossa  supra- 
infraspinata  3  oder  4  fach  zu  polstern,  damit  der  Patient  nicht 


2.  Gipsverband  bei  stark  disloziertem  Oberarmbrucli. 


e!m  b'CKen  durch  den  Druck  des  Gipsverbandes  auf  die  Spina  sca¬ 
pulae  belästigt  wird.  Durch  Mullbinden  wird  die  Wattepolsterung 
km  und  trüber  kommen  dann  die  Gipsbindentouren.  Um  bei  dem 
rreilegen  der  Wunden  das  Fenster  im  Gipsverband  immer  an  der 
richtigen  Stelle  anzulegen,  zeichnet  man  am  besten  mit  einem  Ali- 
(Fig1S2)  dlC  StClIe  dei"  Wunden  auf  der  gesunden  Seite  vorher  an. 

Hie  Gipsverbände  der  Beinschüsse. 

,  ...  Wenn  d*c  Iechnik  der  Gipsverbände  der  Armschüsse  ver¬ 
hältnismässig  einfach  ist  und  von  jedem  Arzt  ausgeführt 
werden  kann,  der  überhaupt  einen  Gipsverband  anlegen  kann, 
so  wc!  den  die  Schwierigkeiten  bei  den  Beinschüssen  wesent¬ 
lich  grösser.  Wenn  es  sich  allerdings  um  einen  Schuss  des 
u  ss  es  oder  Unterschenkels  handelt,  die  Verkürzung 
unerheblich  ist,  und  nur  ein  Verband  angelegt  werden  soll,  der 

en  I ransport  im  Liegen  erlaubt,  so  ist  die  Technik  ziemlich 
einfach 


t«t!enr,Dient(  wird  in  Rückenlage  auf  einen  Tisch  gebracht,  so 
s  Kopf,  Rumpf  und  die  zentrale  Hälfte  des  Oberschenkels  auf  dem 
I  ische  aufruhen.  Der  gebrochene  Unterschenkel  wird  von  einem 
Ass.stenten  in  der  Weise  gehalten,  dass  die  rechte  Hand  von  unten 
her  die  Frakturstelle  stutzt,  damit  keine  Rekurvatur  entsteht;  die 
n  e  Hand  greift  am  Kalkaneus  an  und  übt  einen  mässigen  Zug  fuss- 
s  ,aus-  Pann  kann  der  Arzt  die  Wattepolsterung,  die  an  den 
Ma  eolen  und  dem  Knie  3  fach  sein  muss,  leicht  anlegen,  mit  einer 
Mullbinde  befestigen  und  die  Gipsbinden  darüber  führen.  Der  Gips¬ 
verband  reicht  in  diesen  Fällen  von  den  Zehen  bis  zur  Mitte  des 
Oberschenkels.  Die  Ferse  bleibt  bei  dieser  Technik  völlig  frei  von 
Gips.  Werden  trotzdem  Gipsbinden  über  die  Ferse  geführt,  so  sollte 
grundsätzlich  an  dieser  Stelle  ein  Fenster  ausgeschnitten  und  die 
berse  freigelegt  werden.  Das  ist  die  beste  Methode,  um  den  ge¬ 
fürchteten  Fersendekubitus  mit  Sicherheit  zu  vermeiden. 


Nun  bilden  die  Unterschenkelschüsse  die  Minderheit  unter 
den  Beinverletzungen  im  Kriege.  Die  überwiegende  Mehrzahl 
wird  von  Oberschenkelschüssen  geliefert,  und  diese 
bilden  die  wahre  crux  medicorum  im  Kriege.  Wirksame  Streck¬ 
verbände  sind  in  den  meisten  Lazaretten  unmöglich  und  nun 
liegen  nach  den  Schilderungen  von  Augenzeugen  die  Patienten 
auf  ihren  Strohsäcken  oder  den  schlechten  Betten  mit  sehr 
starken  Dislokationen  ihrer  Bruchenden  und  mit  Verkürzungen 
von  10  15  cm.  Und  wenn  da  nicht  der  Arzt  energisch  ein- 
gi  eift,  so  werden  schwer  deformierte  und  mehr  oder  minder 
unbrauchbare  Beine  das  Endresultat  sein.  Hier  liegt  eine  un- 
gemein  dankbare  Aufgabe  für  die  Orthopädie  vor,  und  hier 
kann  sie  ihre  allerwichtigste  Pflicht,  „Prophylaxe  des  Krüppel- 
tums“  zu  üben,  in  grosszügiger  Weise  erfüllen. 

Die  Aufgabe  ist  klar  vorgezeichnet.  Zuerst  muss  durch 
einen  Zug  für  eine  richtige  Stellung  der  Fragmente  gesorgt 
werden.  Die  Verkürzung  muss  soweit  als  möglich  ausge¬ 
glichen  werden,  und  dann  muss  ein  sorgfältig  modellierter 
Gipsverband  das  Resultat  der  Korrektur  dauernd  aufrecht  er¬ 
halten. 


Für  die  Fried. enspraxis  ist  das  Problem  längst  ge¬ 
löst:  Seit  15  Jahren  schon  gehen  wir,  wenn  wir  wegen  einer 
schlecht  geheilten  Fraktur  oder  einer  rachitischen  Kurvatur 
einen  Femur  durchmeisseln  mussten,  folgendermassen  vor: 
Nachdem  die  Wunde  versorgt  ist,  wird  der  Patient  auf  den 
früher  beschriebenen  Verbandtisch  gebracht  und  ein  Streck- 
verband  angelegt;  vermittels  einer  Schraube  wird  ein  starker 
Zug  auf  den  unterhalb  der  Osteotomiestelle  gelegenen  Teil  des 
Beines  ausgeübt  und  ein  Gipsverband  angelegt,  in  dem  die  Ex¬ 
tension  fortwirkt.  Einen  ähnlichen  Verband  hat  unabhängig 
von  meinem  eigenen  Verfahren  später  G  o  c  h  t  als  Gipsexten¬ 
sionsverband  beschrieben.  Und  auch  D  o  1 1  i  n  g  e  r  hat  seine 
Oberschenkelfrakturen  schon  seit  Jahren  im  Prinzip  ebenso 
wie  wir  behandelt.  Etwas  grundsätzlich  Neues  war  also  jetzt 
nicht  zu  schaffen.  Es  handelte  sich  nur  darum,  für  die  Kriegs¬ 
praxis  diese  Technik  so  umzugestalten,  dass  sie  mit  den  ein¬ 
fachen  Mitteln,  die  dem  Arzt  im  Felde  zur  Verfügung  stehen, 
ausgeführt  werden  kann. 

Zu  dem  Zwecke  haben  wir  ein  Gasrohrgestell  (Fig.  3  a) 
anfertigen  lassen,  das  140  cm  lang,  68  cm  breit  und  24  cm  hoch 
ist.  Dieser  Rahmen  wird  auf  einen  gewöhnlichen  Holztisch 
(Fig.  3  b)  gestellt,  der  eine  Länge  von  etwa  250  cm  hat.  Drei 
kräftige  Matratzengurten  (Fig.  3  c,  d,  e),  die  mit  Schnallen 
versehen  sind,  werden  von  dem  einen  Längsrohr  zu  dem 
anderen  ausgespannt.  Auf  diesen  Gurten  liegt  die  untere 
Hälfte  des  Patienten  in  Rückenlage,  die  obere  Hälfte,  Rumpf 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  42. 


2114 


und  Kopf,  ruhen  auf  einer  20  cm  dicken  Matratze  (Fig.  3f). 
Wenn  der  obere  üurt  zwischen  Trochanter  und  Spina,  der 


mittlere  unter  der  Frakturstelle  des  Oberschenkels  und  der 
unterste  in  der  Mitte  der  Wade  verläuft,  so  ist  eine  annähernd 
schmerzlose  Lage  des  Patienten  gesichert  und  Becken  und 
Beine  von  allen  Seiten  der  Hand  des  Arztes  leicht  zugänglich. 

Nun  folgt  die  zweite  Aufgabe:  DieAusübungderEx- 
t  c  n  s  i  o  n.  Das  muss  in  einer  Form  geschehen,  welche  mög¬ 
lichst  die  Gefahr  des  Dekubitus  ausschliesst  und  welche  das 
sofortige  Anlegen  des  Gipsverbandes  ermöglicht,  während  die 
Wirkung  der  Extension  fortdauert.  Wir  haben  schon  vor 
15  Jahren  in  dieser  Dichtung  zahlreiche  Versuche  gemacht, 
um  über  die  besten  Angriffspunkte  dieses  Zuges  Klarheit  zu 
schaffen.  Das  Resultat  war  die  Erfahrung,  dass  man,  um 
sicher  den  Dekubitus  zu  vermeiden,  nicht  an  der  meist  an¬ 
gewandten  und  bequemsten  Stelle,  am  Fussriicken  oder  ober¬ 
halb  der  Malleolen,  angreifen  darf,  sondern  dass  man  die 
ganze  Fläche  des  Unterschenkels  und  wenn  irgend  mög¬ 
lich  auch  die  distale  Hälfte  des  Oberschenkels  benutzen  muss 
als  Grundlage  für  die  Extension. 

Man  kann  an  dieser  Fläche  mit  einem  lege  artis  angelegten 
Heftpflaster-  oder  noch  besser  mit  einem  Klebroverband  an¬ 
greifen.  Aber  diese  Materialien  stehen  im  Kriege  nicht  immer 
in  der  nötigen  Menge  zur  Verfügung,  und  ausserdem  erfordert 
ein  solcher  Verband  Zeit  und  eine  gewisse  Fertigkeit,  und 
endlich  ist  er  —  namentlich  die  vorzügliche  Klebrobinde  — 
ziemlich  kostspielig.  Wir  sind  deshalb  in  den  letzten  Monaten 
zu  den  von  Heusner  empfohlenen  Filzstreifen,  die  wir 
früher  schon  jahrelang  angewandt  hatten,  zurückgekehrt. 

(Schluss  folgt.) 


Offene  Behandlung  eiternder  Wunden. 

Von  F.  S  c  h  e  d  e,  leitender  Arzt  (in  Vertr.  v.  Geh. -Rat  Lange) 
der  Station  I  des  Vereinslazaretts  Poliklinik,  orthopädische  Ab¬ 
teilung. 

Jeder,  der  Verwundete  mit  stark  eiternden  Wunden,  be¬ 
sonders  mit  infizierten  Schussfrakturen  zu  behandeln  hat,  kennt 
die  ausserordentlichen  Schwierigkeiten,  die  der  Verband¬ 
wechsel  und  die  Reinhaltung  bei  solchen  Patienten  bereiten. 
Mit  dem  Verbandwechsel  sind  Lageveränderungen  verbunden, 
die  dem  Patienten  Schmerzen  bereiten  und  der  Wunde  die 
Ruhe  stören,  die  sie  so  notwendig  braucht.  Die  Reinhaltung 
ist  eine  Sisyphusarbeit,  die  an  das  Personal  und  auch  an  die 
Materialvorräte  eines  Lazarettes  die  grössten  Anforderungen 
stellt,  ohne  dass  die  Aufgabe  jemals  wirklich  erfüllt  wird. 
Schon  nach  kurzer  Zeit  liegt  die  Wunde  und  ihre  Umgebung 
wieder  im  Eiter,  der  sich  zersetzt  und  stinkt,  die  Gipsverbände 
und  die  Bettwäsche  ruiniert  und  das  Pflegepersonal  infiziert. 
Unter  diesen  Umständen  ist  es  eine  Unmöglichkeit,  die  Hände 
des  Pflegepersonals  so  rein  zu  halten,  wie  es  im  Interesse 
seiner  selbst  und  der  anderen  Patienten  notwendig  erscheint. 

Ich  stelle  nun  die  Frage  auf:  Welchen  Zweck  hat  der  Ver¬ 
band  bei  solchen  Wunden  und  erfüllt  er  diesen  Zweck? 


Der  Körper  will  offenbar  die  infizierten  Wundsekrete  los¬ 
werden.  Er  empört  sich  und  reagiert  mit  Fieber,  wenn  er  sic 
nicht  entfernen  kann.  Warum  also  die  Wunden  in  ein  Dauer¬ 
bad  von  solchen  Sekreten  legen?  Soll  die  Wunde  dadurch 
gegen  Infektion  von  aussen  geschützt  werden?  Man  ist  längst 
zu  der  Ueberzeugung  gekommen,  dass  die  Gefährlichkit  der 
Luftkeime  bedeutend  überschätzt  wurde  und  weiss,  dass  die 
Granulationen  eine  grosse  Widerstandskraft  gegen  Bakterien 
besitzen.  Jedenfalls  sind  im  eiterdurchtränkten  Verband  mehr 
und  gefährlichere  Bakterien  als  in  der  Luft.  Für  die  aseptische 
Wunde  ist  der  Verband  ein  guter  Schutz,  für  die  eiternde  eher 
das  Gegenteil. 

Für  die  eiternde  Wunde  ist  die  Aufsaugung  und  die  Er¬ 
haltung  des  kontinuierlichen  Sekretstromes  die  wichtigste 
Leistung  des  Verbandes.  Es  ist  zweifellos,  dass  trockene  Gazei 
eine  starke  Saugkraft  besitzt.  Aber  diese  Fähigkeit  ist  durch 
physikalische  Gesetze  bekanntlich  ziemlich  eng  begrenzt.  Die 
Gaze  muss  sehr  oft  gewechselt  werden,  wenn  sie  ihre  Wir¬ 
kung  behalten  soll.  Den  allzu  häufigen  Wechsel  aber  verbieteti 
die  Rücksicht  auf  die  Ruhe  des  Patienten  und  auf  die  vor¬ 
handenen  Mittel.  Bleibt  der  Verband  länger  liegen,  so  ver¬ 
kehrt  sich  seine  Wirkung  in  das  Gegenteil.  Wie  oft  ist  inan 
jetzt  peinlich  überrascht,  zu  sehen,  dass  der  Verband,  mit  dem 
die  Verwundeten  ankommen,  eine  Sekretverhaltung 
verursachte. 

Liegt  es  nicht  näher,  zur  dauernden  Entfernung  von  Se¬ 
kreten  eine  Naturkraft  auszunutzen,  die  dauernd  wirkt,  wenn 
man  sie  nur  richtig  versteht  :  nämlich  das  Gewicht  des  Sekretes? 
Warum  gibt  es  keine  Verhaltungen  hinter  einer  tuberkulösen 
Fistel,  sofern  man  sie  in  Ruhe  lässt?  Weil  sie  am  tiefsten 
Punkt  des  Abszesses  liegt! 

Bei  der  eiternden  Schusswunde  verhält  es  sich  nicht 
anders.  Lege  ich  den  Patienten  so,  dass  die  Wundöffnung  den 
tiefsten  Punkt  der  Wundhöhle  bildet,  so  brauche  ich  in  der  Rege; 
keine  weiteren  Vorkehrungen,  um  den  dauernden  Abfluss  zu 
sichern.  Kann  ich  den  Patienten  nicht  so  lagern,  muss  die, 
Wunde  nach  oben  liegen,  so  ist  die  Anlegung  einer  Gegen¬ 
inzision  am  tiefsten  Punkt  der  Wundhöhle  sicherer  und  näher 
liegend  als  die  Aufsaugung  der  Sekrete  nach  oben.  Eine  solche 
Gegenöffnung  verhält  sich  wie  eine  Fistel,  wenn  sie  richtig  an¬ 
gelegt  ist.  Sie  heilt  nicht  zu.  solange  sie  vom  Sekretstrom 
bespült  wird,  ebensowenig  wie  sich  eine  Wunde  schliesst,  ehe 
sie  alle  infizierten  und  nekrotischen  Teile  abgestossen  hat,  die; 
sie  nicht  resorbieren  kann.  Für  eine  solche  Wunde 
brauche  ich  keinen  Verband. 

Das  sind  keine  neuen  Fragen  und  Forderungen,  viele) 
schon  sind  sich  ihrer  bewusst  gewesen  und  haben  versucht, 
ihnen  in  der  Praxis  gerecht  zu  werden.  So  haben,  wie  mir 
nach  meinem  ersten  Referat  über  die  folgenden  Versuche  be¬ 
richtet  wurde,  die  Chirurgen  der  vorantiseptischen  Zeit  die 
Amputationsstümpfe  ohne  Verbände  behandelt.  So  hat  in 
neuerer  Zeit  Bernhard  in  Davos  Wunden  aller  Art  erfolg¬ 
reich  mit  Sonne  und  Luft  behandelt. 

Ich  will  nun  im  folgenden  berichten,  wie  ich  versucht 
habe,  die  oben  geschilderten  Schwierigkeiten  zu  überwinden. 
Wie  oft  das  Anwachsen  von  Schwierigkeiten  erst  den  Anlass 
zu  ihrer  Ueberwindung  gibt,  so  zwang  auch  mich  ein  beson¬ 
ders  trostloser  Fall  zum  ernstlichen  Angriff. 

Es  handelt  sich  um  eine  Granatsplitterverletzung.  Die  ganze 
Gegend  der  Achillessehne  war  herausgerissen,  beide  Unterschcnkel- 
knochen  zertrümmert,  die  Art.  tibialis  lag  zutage.  Die  Wundhöhlen 
waren  mit  nekrotischen  Gewebsfetzen  erfüllt.  Die  Eiterung  war 
profus  und  verbreitete  einen  unbeschreiblichen  Gestank.  Der  Unter¬ 
schenkel  war  ödematös  und  gerötet.  Der  Pat.  fieberte.  Jeder 
Verbandwechsel  bereitete  ihm  starke  Schmerzen.  Nach  wenigen 
Stunden  schon  lief  der  Eiter  wieder  durch  den  Verband  in  das 
Bett.  Ich  habe  nun  folgenden  Verband  angelegt. 

Der  Gipsverband  geht  bei  leicht  gebeugtem  Knie  von  der  Mitte 
des  Oberschenkels  bis  zum  Euss.  Auf  der  Vorderseite  ist  er  kon¬ 
tinuierlich,  auf  der  Rückseite  ist  er  in  der  Wundgegend  unter¬ 
brochen  und  durch  Bandeisen  ersetzt  An  der  Fusssohle  ist  ein 
Träger  aus  Draht  eingegipst.  Die  Wunde  schwebt  nun  ca.  20  cm 
über  der  Bettf'.äche.  Unter  das  Knie  wird  ein  Kissen  geschoben, 
unter  die  Wunde  eine  Schüssel,  in  die  das  Sekret  tropft.  D>e 
Wunde  wird  nicht  verbunden!  Darüber  wird  ein  Gewölbe 
aus  Draht  gestellt,  wie  es  für  alle  Fussverletzungen  gebräuchlich 
ist  und  warme  Decken  rings  herumgelegt.  Die  Wunde  wird  sorg¬ 
fältig  vor  Kälte  geschützt.  Alle  2  Stunden  wird  sie  oberflächlich 
mit  einem  Zerstäuber  von  HsO*  3  Proz.  bespritzt.  (Abb.  1.) 


?0.  Oktober  19H. 


jeldärztliche  Beilage  zur  Mtinch.  med.  Wochenschrift. 


21  IS 


Der  Erfolg  war  nun  ganz  überraschend.  Der  Gestank  war 
ofort  verschwunden.  Das  Sekret  verlor  alsbald  seinen  eitrigen 
harakter  und  wurde  trüb  serös.  Schmerzen  hat  der  Patient  vom 
rsten  läge  an  nicht  mehr  gehabt.  Das  Eieber  fiel  ab  die  Schwel 

cUhnVerSC,ienkeis  verlor  «ich.  Die  nekrotischem  Gewebe 
urden  rasch  herausgestossen  und  nach  5  Tagen  war  die  Wundhöhle 
are.ts  um  die  Hälfte  verkleinert,  ihr  Grund  mit  frischen  kräftigen 
ranulatjonen  erfüllt  von  den  Rändern  her  begann  kräftige  Ueber- 
tutung.  L  leser  Erfolg  ermutigte  mich  zu  weiteren  Versucheil. 

Der  zweite  Fall  hatte  eine  noch  schwerere  Granatsplitterver- 
tzung  an  der  Vorderseite  des  Fussgelenkes.  Hier  bestand  eine  rieh- 

h  h!l!Llm,nfudter  ,Fmgebun?  bis  h°ch  am  Unterschenkel  hinauf. 
Ii  habe  zunächst  alle  nekrotischen  Splitter  entfernt  Es  entstand 
n  Knochendefekt  von  ca  10  cm.  Die  Wundhbhle  wurde  nach  unten 
n  draimert.  Darauf  fiel  das  Fieber  vorübergehend  ab.  Sobald  aber 
e  Unterlage  wieder  mit  Eiter  durchtränkt  war,  Hess  die  Wirkung 
eser  Dramage  ”ach-  Der  Verbandwechsel  war  sehr  schmerzhaft 
de  Bewegung  des  Fusses  verursachte  wieder  Temperaturanstieg' 
den  buss  in  ein  Dauerbad.  Das  sicherte  nun  zwar  den 

k  l^fd^dP«3^ ■ dl  +  PlXation  wlTde  noch  ungenügender  und  damit 
.  Leiden  des  1  atienten  grosser.  Schliesslich  behandelte  ich  diesen 
it.  nach  der  gleichen  Methode  wie  Fall  1.  Der  Gipsverband  den 
i  ihm  nun  anlegte,  war  im  Prinzip  der  gleiche  wie  beim  vorigen 
die.  Nur  war  er  um  das  Fussgelenk  herum  völlig  unterbrochen 

f  einem  nandeiSm  eiÄt;  das  unten  liegende  Bandeisen  war 
t  einem  Gummischlauch  überzogen,  um  die  Haut  vor  Druck  und 

s  Eisen  vor  dem  Sekret  zu  schützen.  Der  Fuss  wurde  soweit 
sammengeschoben,  dass  die  Tibiaspitze  auf  dem  Stumpf  des  Talus 

ln  Anbetracht  der  Verkürzung  wurde  leichter  Spitzfuss  gegeben 
i  ca.  3  cm  langes  Stuck  libia  lag  in  der  oberen  Wunde  frei.  Es 
nen  noch  leidlich  ernährt.  Die  Wunde  wurde  nicht  ver- 
1  q  5.n'  ,Dfr  Erfolg  war  der  gleiche.  Das  Fieber  fiel  ab,  das  in 
Schussel  tropfende  Sekret  wurde  serös,  die  Schmerzen  waren 
r  sch  wunden .  Der  Sekretabfluss  war  keinen  Augenblick  mehr  ge- 
rt.  Alsbald  begann  eine  kräftige  Granulation.  Nach  5  Tagen 
eits  war  das  freiliegende  Knochenstück  unter  den  Granulationen 
schwunden  Beide  Patienten  haben  seitdem  keine  Verbandstoffe 
Ihr  Wundsekret  hat  keines  Menschen  Hand  mehr 

I?  bewert  wördeT  'mmer  Sa“ber’  ihre  Frak,“re"  sind  nich< 
Dasselbe  Prinzip  habe  ich  mit  gleichem  Erfolg  auch  bei  Ober- 
enkelschussen  und  bei  Armschüssen  verwendet.  Der  Verband 
einer  suprakondylären,  schwer  infizierten  Zersplitterung  des 
ei  Schenkels  mit  Empyem  des  Kniegelenkes  folgt  hier  in  der  Ab- 


Die  Freilegung  der  Unterfläche  geschieht  sehr  einfach  durch 

•rgelegte  Holzkisten. 

Bei  diesen  schweren  Verletzungen  kann  die  Anlegung  eines 
fixierenden  Gipsverbandes  mit  Freilegung  aller  Wunden 
lchmal  technisch  sehr  schwer,  ja  unmöglich  werden.  Ich 
e  tür  diese  Fälle  Lagerungsapparate  hergestellt,  die  dem- 
hst  veröffentlicht  werden. 

Seit  6  Wochen  habe  ich  nun  eine  grössere  Zahl  verschie- 
ster  Verletzungen  nach  dem  gleichen  Prinzip  behandelt 
nn  zu  der  Ueberzeugung  gekommen,  dass  ich  auf  einem 

n  Wege  bin. 


Ich  will  hier  nur  noch  eine  Reihe  von  Erfahrungen  mit- 
teilcn,  die  ich  seitdem  gemacht  habe. 

I)ie  Heilung  wird  beschleunigt  durch  eine  Heissluftbehand- 
ung  der  Wunden.  Vorher  schmierig  belegte  Granulationen 
bekommen  einen  trockenen  Blutschorf. 

,m  weiteren  Verlauf  der  Heilung  wird  ein  Zeitpunkt  ein- 
icten,  nach  dem  man  die  Wunde  als  aseptische  behandeln 
muss,  wo  dann  also  ein  trockener  Gazeverband  keine  Ste¬ 
llingen,  sondern  Vorteile  und  Bequemlichkeiten  bringt.  Diesen 
Zeitpunkt  muss  man  erkennen  lernen.  Nur  bei  einem  schwer 
septischen  Patienten  (siehe  Abbild.  2)  trat  keine  Veränderung 
c.ei  Wunden  ein.  Sie  blieben  schmierig  belegt  und  das  Sekret 
blieb  dick  und  eitrig.  Ungeachtet  dessen  hatte  der  Patient 
wesent hche  Vorteile  von  meiner  Behandlung.  Abgesehen  von 
dei  völligen  Ruhe  und  Schmerzlosigkeit  und  ihrer  günstigen 
Wirkung  auf  das  Allgemeinbefinden,  liess  sich  die  Behandlung 
der  Wunden  und  ihrer  Umgebung  mit  einwandfreier  Asepsis 
urchfuhren.  Der  Pyocyaneus,  der  vorher  massenhaft  wuchs, 

aeru^Uft  S0A°,rt  verschwunden.  Die  Austrocknung 
scheint  Jedoch  diesen  Wunden  nicht  so  gut  zu  bekommen.  Ich 

habe  mir  dadurch  geholfen,  dass  ich  einen  Inhalationsaparat 
unter  das  Deckenzelt,  in  dem  sich  das  Bein  befand,  dampfen 
Hess.  Das  zähe,  dicke  Sekret  wurde  dadurch  wieder  dünner 
und  tiopfte  stärker  ab.  Die  feuchte  Wärme  wurde  von  diesem 
und  anderen  Patienten  sehr  angenehm  empfunden.  Das  ist 
also  ein  feuchter  Verband  ohne  seine  bekannten  Nachteile  des 
Luftabschlusses  und  der  Sekretverhaltung  *). 

Armverletzungen  kann  man  ambulant  behandeln,  indem 
man  den  Arm  so  fixiert,  dass  die  Hauptwunde  nach  unten 
sieht  darunter  ein  Becher  hängt,  und  das  ganze  mit  einem 
sterilen  Tuch.  locker  umgibt.  Zur  Unterstützung  der  Heil¬ 
tendenz  habe  ich  einen  Spray  von  Arg.  nitr.  1  : 2000  und  Peru¬ 
balsam  mit  Vorteil  angewandt. 

Den  Hauptvorzug  dieser  Methode  sehe  ich  darin  dass 
sie  uns  erlaubt  eine  Wunde  so  zu  behandeln  wie 
wir  es  für  r  i  c  h  t  ig  halten,  nicht  wie  wir  du  r  c  h 
äussere  Umstände  gezwungen  werden  Man 
kann  sie  je  nach  dem  Ergebnis  ärztlichen  Denkens  aseptisch 
oder  antiseptisch,  trocken  oder  feucht,  mit  oder  ohne  Verband 
behandeln.  Ich  bin  der  Ansicht,  dass  sehr  viele  eiternde 
Wunden  sich  fiii  die  verbandlose  Methode  besser  eignen.  E  s 
legt  mir  fern,  etwa  ihre  unbedingte  Ueber- 
efeuheit  zu  behaupten.  Das  wäre  ebenso 
falsch  als  es  das  schematische  Verbinden 
aller  Wunden  sicher  ist.  Welche  Wunden  verbunden 
werden  müssen  und  welche  nicht,  muss  die  weitere  Beob¬ 
achtung  lehren.  Ich  werde  eifrig  bemüht  sein,  Erfahrungen  zu 
sammeln,  und  der  Zweck  dieser  Anregung  wäre  erfüllt,  wenn 
auch  an  de!  e  sich  kritisch  mit  dieser  Frage  befassen  würden 

Die  von  mir  angewandte  Technik  ist  sehr  einfach  um' 
sehr  billig.  Ihr  Wesentliches  lässt  sich  fast  überall  improvi¬ 
sieren.  Etwas  Gipstechnik,  etwas  Fertigkeit  im  Anbiegen  der 
Bandeisen,  etwas  konstruktives  Denken,  das  sind  Grundlagen 
die  sich  jeder  schnell  verschaffen  kann. 

Die  Kosten  eines  solchen  Verbandes  betragen  ca.  3—10  M. 
Man  vergleiche  damit  die  Kosten,  die  ein  täglich  neuer,  reich- 
licher  Gaze-  und  Watteverband  bei  einer  Krankheitsdauer  von 
4  Wochen  verursacht.  Wenn  bei  längerer  Dauer  des  Krieges 
ein  Mangel  an  Baumwolle  eintritt,  so  wird  der  Preisunter¬ 
schied  noch  wesentlich  grösser  werden. 


Aus  der  bakteriologischen  Untersuchungsanstalt  der  Stadt 
Dresden  (Direktor:  Geh.  Med.-Rat  Prof.  Dr.  Schmorl). 

Lieber  das  Bierastsche  Verfahren  der  elektiven  Be¬ 
einflussung  von  Bacterium  coli  zum  Nachweis  von 
Typhusbazillen  im  Stuhl. 

Von  Dr.  H.  Schmitz,  Oberarzt  der  Anstalt. 

Nur  wenige  YVochen  sind  seit  Ausbruch  des  Krieges  verflossen 
und  schon  sind  viele  tausende  Gefangene,  meist  auf  unseren  Truppen- 
l  ungsplatzen,  untergebracht.  Wenn  bisher  weder  von  grösseren 
Epidemien  in  diesen  Gefangenenlagern  etwas  bekannt  geworden  ist 
noch  das  Auftreten  von  Kriegsseuchen  in  unserem  Feldheer  gemeldet 
wurde,  ist  doch  mit  dem  Auftreten  von  solchen,  vor  allem  wohl 
von  zahlreichen  Typhuserkrankungen  in  absehbarer  Zeit  zu  rechnen. 

*)  Der  Pat.  ist  unterdessen  geheilt. 


2116 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  42 


Wer  wie  Verfasser  sich  viele  Jahre  mit  dem  Nachweis  von 
T.>.  phusbazlllen  im  Stuhle  abgemüht  hat  -  eine  wenig  befriedigende 
mühsame  und  undankbare  Aufgabe  — ,  wird  daher  mit  Freuden,  zu¬ 
gleich  aber  mit  nicht  geringem  Zweifel  die  Veröffentlichung  von 
Bierast  über  die  clektive  Beeinflussung  des  Bacterium  coli  durch 
Petroläther  (C.  f.  B.  Orig.  74.  S.  348)  gelesen  haben. 

Bei  meinen  Vorversuchen  mit  künstlichen  Typhusstühlen  (deren 
Bedeutung  für  die  Beurteilung  des  Verfahrens  bei  Stuhlunter- 
suchungen  Tvphuskranker  ich  keineswegs  überschätze,  da  die  Ver¬ 
hältnisse  doch  von  denen  beim  Bebenden  nicht  unerheblich  ab¬ 
weichen)  war  ich  überrascht,  in  welch  hohem  Grade  das  B  i  e  r  a  s  t  - 
sehe  Verfahren  das  Wachstum  der  Kolikolonien  zu  hemmen  vermag; 
eine  völlige  Aufhebung  des  Wachstums  habe  ich  in  keinem  Falle 
gesehen. 

Im  August  d.  J.  gelang  es  mir  unter  10  Stühlen  (darunter  auch 
solche  von  nur  Tvphusverdächtigen)  in  2  Proben-  mit  dem  Petrol¬ 
ätherverfahren  Tvphusbazillen  nachzuweisen,  während  die  sonst 
hier  im  Institut  übliche  Untersuchungsmethode  ein  negatives  Er¬ 
gebnis  hatte.  Klinisch  waren  beide  Fälle  als  Typhus  angesprochen 
und  konnte  ich  im  Blute  beide  Male  Typhusbazillen  (durch  An¬ 
reicherung  in  Rindergalle)  ohne  weiteres  nachvveisen. 

Wenn  die  Methode  selbstverständlich  noch  weiterer  Prüfung 
bedarf,  glaube  ich  mit  Rücksicht  auf  die  gegenwärtigen  Kriegsver- 
hältnisse  eine  Anwendung  des  Verfahrens  schon  jetzt  empfehlen  zu 
können. 

Der  von  B  i  e  r  a  s  t  angegebenen  Technik  habe  ich  nichts  lunzu- 
zufügen,  nur  glaube  ich  auf  ein  recht  energisches  Umschütteln  nach 
dem  Zusatz  von  Petroläther  nochmals  besonders  hinweisen  zu 
müssen. 


Aus  dem  Reservelazarett  Ettlingen. 

Behandlung  von  Tetanus  traumat.  mit  serösem  Transsudat 

der  Bauchhöhle. 

Von  Dr.  Dur  lach  er  in  Ettlingen 

Die  Mitteilung  jedes  einzelnen  Tetanusfalles  erscheint  ge¬ 
rechtfertigt,  insbesondere  wenn  er  günstig  ausgeht  und  direkt 
nach  der  Behandlung  sofort  eine  auffallende  günstige  Beein¬ 
flussung  in  den  Symptomen  der  Erkrankung  herbeigeführt 
wird. 

Folgender  Fall  sei  daher  kurz  geschildert. 

Unteroffizier  der  Reserve  K.  wurde  am  25.  August  im  Gefechte 

bei . durch  einen  Granatsplitter  am  linken  Fussrücken  verletzt. 

Am  28.  VIII.  w'urde  unter  Spaltung  der  Haut  ein  Splitter  entfernt. 

Am  29.  VIII.  zeigten  sich  an  der  Plantarseite  des  Fusses  Er¬ 
scheinungen  von  Zellgewebsentzündung. 

Am  31.  VIII  Eröffnung  der  entzündeten  Teile  und  Trocken¬ 
verband. 

Am  3.  IX.  klagte  der  Pat.  über  ein  etwas  „steifes  Genick“.  Er 
müsse  sich  erkältet  haben,  da  er  an  der  Türe  liege.  Verbandwechsel. 

Am  5.  IX.  Isolierung  des  Verwundeten,  da  die  Steifigkeit  im 
Nacken  noch  vorhanden  war  und  Zeichen  von  Kieferklemme  auf¬ 
traten.  Der  Verdacht  auf  Tetanus  wurde  bestätigt.  Trismus  der 
Kaumuskulatur  stellte  sich  ein.  Die  Zahnreihen  konnten  kaum  2  mm 
voneinander  entfernt  werden.  In  den  nächsten  Tagen  kam  es  zu 
Opisthotonus  und  was  besonders  quälend  war,  zu  Krämpfen  der 
Brust-  und  Zwischenrippenmuskulatur.  Die  Atmung  war  hierdurch 
schwer  behindert.  Alle  paar  Minuten  traten  heftige  Zuckungen  im 
ganzen  Körper  auf.  Künstlich  mussten  die  Zahnreihen  zwecks  Nah¬ 
rungsaufnahme  auseinandergedehnt  werden.  Das  Schlucken  ging 
schlecht  Vielfach  trat  ein  Verschlucken  ein,  das  von  quälendem 
Hustenreiz  gefolgt  war.  Die  Physiognomie  des  Gesichtes  glich  einer 
Maske.  Die  Fusswunde  granulierte  schön.  Da  die  Anfälle  so  heftig 
waren,  wurde  Chloralhydrat  in  grösseren  Dosen  (4  mal  2  g  pro  die) 
gegeben. 

Trotzdem  bestanden  heftige  Jaktationen  und  Schmerzen,  ver¬ 
bunden  mit  starken  Schweissausbrüchen  am  ganzen  Körper.  Die 
Atmung  war  mühevoll,  35  in  der  Minute.  Die  Temperatur  schwankte 
die  ganze  Zeit  zwischen  36,6  und  37,6  in  Axilla. 

In  diesem  Zustande  wurde  dem  Kranken  am  14.  IX.  0,3  Liter 
seröses  Transsudat  in  den  Oberschenkel  mittels  Irrigator 
einverleibt.  Nach  der  Einspritzung  bekam  der  Verletzte  auffal¬ 
lend  rasch  Ruhe,  während  er  bis  zu  diesem  Momente  selbst 
auf  Chloralhydrat  ruhelos  war.  Er  schlief  ohne  Narkotika  mehrere 
Stunden,  auch  verlief  die  Nacht  sehr  gut  bei  4  Stuncien  anhalten¬ 
dem  Schlaf 

Am  15  IX.  zeigt  sich  ein  Aufstieg  auf  37,8°;  starke  Rötung  und 
Quaddelbildung  im  Gesicht  und  an  den  Beinen.  Die  Atmung  ist 
leichter.  Der  Mund  kann  auf  1  cm  geöffnet  werden.  Spontaner 
Schlaf  4  Stunden.  Abends  traten  erneut  Schmerzen  lm  Kreuze  und 
auf  der  Brust  auf.  Herztöne  sind  rein,  Puls  112.  2  g  Chloralhydrat, 
Digalen;  von  hier  ab  täglich  3  mal  3  Tropfen.  Ein  Verschlucken 
bei  Flüssigkeitszufuhr  ist  nicht  mehr  vorhanden. 

Am  16.  IX.  Rückenmuskulatur  und  Bauchmuskeln  hart.  Sehnen¬ 
reflexe  an  den  Knien  nicht  auszulösen.  Zahnreihe  kann  1(4  cm 
geöffnet  werden.  An  diesem  Tage  nochmalige  Infusion  von 
0,4  Liter  Transsudat  (12  Uhr  mittags).  Eine  sofortige  Ruhe 


wie  nach  der  ersten  Transfusion  trat  nicht  ein,  sondern  erst  bis 
6  Uhr  abends.  Puls  um  diese  Zeit  140,  Temp.  38,9°.  850  ccm  Urin 
von  24  Stunden,  frei  von  Eiweiss  und  Zucker.  Das  Gesicht  zeigt 
mehr  Ausdruck.  Es  ist  nicht  mehr  starr.  Am  deutlichsten  zeigt  sich 
dies  am  Lächeln  des  Verletzten. 

Am  17.  IX.  Temp.  37,3°,  Puls  116,  Atmung  leichter,  25  in  der 
Minute.  Nur  selten  Zuckungen  in  der  Schulter.  Zahnreihe  geht 
IV?;  cm  auseinander.  Die  Wunde  wird  mit  1  proz.  Arg.-nitr.-Lösung 
vor  dem  Verbandwechsel  abgespiilt.  Nachts  2  g  Chloralhydrat. 

Arn  18.  IX.  Atmung  22,  Puls  120,  Zuckungen  weniger.  Ohne 
Chloralhydrat. 

Am  19.  IX.  Viel  Schweiss,  trotzdem  weniger  Durst.  1  Liter 
Urin  in  24  Stunden.  Puls  132,  Temp.  37°.  Mittags  traten  heftige 
krampfartige  Schmerzen  in  der  Herzgegend  auf.  Schmerzhaftigkeit 
in  der  linken  Unterbauchgegend.  iHer  sind  die  Muskeln  bretthart 
Zunge  kann  über  die  Zahnreihe  hervorgestreckt  werden.  Ordination: 
Charta  sinapis.  über  das  Herz.  2  g  Chloralhydrat.  Auf  die  Nacht 
eine  Messerspitze  Bromsalz  mit  T.inct.  Val. 

Am  20.  IX.  Puls  128,  abends  138.  Bauchmuskulatur  hart  ge¬ 
spannt,  oesonders  links.  Auf  die  Nacht  2  g  Cholralhydrat. 

Am  21.  IX.  Zustand  an  der  Bauchmuskulatur  unverändert.  Sonst 
ist  am  ganzen  Körper  die  Muskulatur  frei  von  Krämpfen.  Die  Zunge 
kann  zur  Hälfte  herausgestreckt  werden.  Nachts  2  g  Chloralhydrat 
Eine  Messerspitze  Brom  mit  Tinct.  Val. 

Am  22.  IX.:  Letzte  Nacht  unruhig.  Krämpfe  in  der  Bauch¬ 
muskulatur  noch  heftig.  (412  Uhr  wird  wieder  0,5  Liter 

Transsudat  z.  T.  in  die  linke  Bauchdecke  und  z.  'I.  lm  rechter 
Oberschenkel  infundiert.  Es  tritt  sofort  beim  Verletzten  Ruhe  ein 
bis  mittags  4  Uhr.  Dann  traten  in  mässigem  Grade  in  längerer 
Intervallen  Krämpfe  an  der  linken  Unterbauchseite  ein.  Temp.  inor 
gens  37,7°,  nachmittags  39,5°,  abends  38,5°,  Puls  130.  Auf  die  Nacht 
wurde  nur  eine  Messerspitze  Brom  mit  Tinct.  Val.  gegeben. 

Am  23.  IX.  war  die  Nacht  ruhig.  Viel  Schlaf,  Temp.  37" 

Puls  116,  1200  ccm  Urin. 

Am  24.  IX.  sind  die  Bauchmuskeln  noch  hart.  Allgemeine 

Krämpfe  nicht  mehr  vorhanden.  Temp.  37,5,  abends  37,4°. 

Am  26  IX.  Leib  weich,  linker  Sternokleidomastoideus  hart 

Temp.  36,5,  abends  37,1.  2  g  Chloralhydrat,  ruhiger  Schlaf. 

Am  27.  IX.  Leib  weich,  Halsmuskel  noch  hart,  Schlucken  da¬ 
durch  etwas  erschwert.  Temp.  36,8,  abends  37,6,  Puls  118,  Harr 

1(4  Liter  pro  Tag.  i 

Am  28.  IX.  Krampfzustände  vollkommen  beseitigt,  alle  Muskeln 
weich.  Viel  Schlaf.  Allgemeinbefinden  gut.  Temp.  37,3,  abends  36.j 

Am  29.  IX.  Temperatur  36,3,  abends  36,8,  Puls  112.  Allgemein¬ 
befinden  sehr  gut.  Viel  Schlaf,  keine  Krämpfe. 

Am  30.  IX.  Temp.  36,8,  Puls  100,  fortgesetztes  Wohlbennden 

Am  1.  X  Temp.  36,8,  Puls  96,  guter  Schlaf  ohne  Medikament 

Am  2.  X.  Temp.  36,1,  Puls  98.  Allgemeinbefinden  sehr  gut 
Nahrungsaufnahme  gut. 

Wir  sehen  hier  einen  verletzten  Soldaten,  bei  dem  nach  7  hu 
8  tägiger  Inkubationsdauer  die  schweren  Erscheinungen  von  Tetanm 
auftreten  und  durch  seröse  Transsudatinfusionen  günstig  beeinfluss' 
wurden.  Der  Patient  befindet  sich  jetzt  im  Stadium  der  Rekonvahs- 
zenz,  eine  völlige  Wiederherstellung  ist  sicher  zu  erwarten  ). 

Am  auffälligsten  in  der  Krankengeschichte  ist  die  Beobachtung 
dass  nach  den  Infusionen  mit  dem  serösen  Irans- 
sudat  die  schweren  Krankheitssymptome  unmit¬ 
telbar  sich  besserten,  Ein  Kausalnexus  muss  vorhanden  sein 

Das  Transsudat  selbst  habe  ich  von  einer  an  inkompensierten 
Herzfehler  erkrankten  Patientin  aus  der  Bauchhöhle  gewonnen,  b 
wurde  unmittelbar  in  ein  steriles  Gefäss  gebracht,  das  durch  heisst 
Tücher  vor  einer  Abkühlung  bewahrt  wurde.  Etwa  5 — 10  Minute! 
später  wurde  es  dem  Verwundeten  infundiert.  Die  Tatsache,  eass 
von  Wundstarrkrampfkranken  Blutserum  Tetanuskranken  mit  Erfollj 
injiziert  wurde,  rief  in  mir  den  Gedanken  wach,  ob  nicht  das  Blut¬ 
serum  als  solches  eine  günstige  Einwirkung  hervorruten  müsse.  Ins¬ 
besondere  war  es  mir  nicht  einleuchtend,  dass  im  Blute  eines  senor 
vor  2  Jahren  abgelaufenen  Tetanuskranken  Eigenscharten  vorhandei 
sind,  die  nach  dieser  Zeit  noch  Immunitätswirkung  auf  ein  andere' 
Individuum  ausüben  sollten.  Daher  stellte  ich  folgenden  Gedanken 
gang  an.  Die  serösen  Transsudate  sind  reich  an  Lymphoidzellen  uni 
an  Albumin.  Werden  diese  in  das  Blut  gebracht,  so  muss  ein  Abbai 
von  Eiweissstoffen  eintreten,  die  als  Toxine  für  den  Körper  aulzu¬ 
fassen  sind.  Diese  Toxine  könnten  möglicherweise  als  Antitoxin 
gegen  das  Tetanusgift  wirken.  .  , 

Dass  der  Abbau  von  Eiweissstoffen  für  das  Blut  nlcnt  gieun- 
gültig  ist,  zeigen  die  erhöhte  Temperatur  und  die  Quaddelbiluung 
Erscheinungen,  die  in  der  Literatur  als  Serumkrankheit  bezeic  nc 

Wenn  ich  schon  vor  einigen  Tagen  Digalen  gab,  so  geschal 
dies  nur  prophylaktisch,  um  die  Herzkraft  zu  erhalten,  zum  bchlusst 
wäre  nur  noch  eine  Betrachtung  nötig.  Selbst  wenn  weitere  Beob¬ 
achtungen  günstige  Erfolge  zeigen,  so  würde  eine  Erschwerung  o 
Behandlung  eintieten  können  dadurch,  dass  die  Gewinnung  serös 
Transsudates  nicht  immer  möglich  ist.  Es  liegt  daher  _sehr  nahe. 
Frage  zu  ventilieren,  ob  nicht  auch  artfremdes  Transsudat 
verwerten  sei  In  erster  Linie  müsste  man  an  künstlich  erzeug 


*)  Bei  der  Korrektur  (10  Tage  später)  ist  der  Eintritt  de: 
völligen  Genesung  als  sicher  zu  bezeichnen. 


?Ü.  Oktober  191-1. 


Feldcii ztliclie  Beilage  zur  Miiiieli.  med.  Wochenschrift. 


r mssudat  bei  Hunden  denken.  Im  Jahre  1902/03  wurcien  aus  dem 
lathologischcn  Institut  Würzburg  experimentelle  Beiträge  zur  Friih- 
miputatiou  beim  Tetanus  geliefert,  wobei  sich  zeigte,  dass  gerade 
lande  relativ  unempfänglich  für  Tetanus  sind.  Daraus  dürfte  theo- 
c tisch  die  Schlussfolgerung  gerechtfertigt  sein,  dass  dieses  Blut 
tarke  Antitoxine  gegen  das  Tetanusgift  besitzt. 

Ich  bin  weit  davon  entfernt,  aus  eine  m  günstigen  Re- 
ultatc  allgemein  gültige  Schlussfolgerungen  ziehen  zu  wollen 

Der  mitgeteilte  Fall  dürfte  jedoch  dazu  anspornen,  die 
ngeregten  therapeutischen  Massnahmen  zu  erproben. 

Sind  in  mehreren  Fällen  dann  günstige  Erfolge  zu  ver- 
cichnen,  dann  dürften  wohl  die  theoretischen  Erwägungen 
urch  den  praktischen  Erfolg  gekrönt  sein. 


Aus  dem  Reservelazarett  Nürnberg. 

Dumdumgeschossverletzung. 

Von  Dr.  Kreitmai  r. 

Gg.  G.,  Unteroffizier  der  Landwehr  im  ...  bayer.  Reserve- 
.ianterieregiment;  verwundet  in  der  Nacht  vom  4.1 5.  September 
ei  Lüne ville  aus  30  m  Entfernung  durch  Infanteriegeschoss  am  rech- 
:n  Unterschenkel. 

Befund  (am  10.  September):  An  der  Aussenseite  des  rechten 
nterschenkels  beim  Uebergang  des  mittleren  zum  unteren  Drittel 
jhnpfennigstückgrosse  Einschussöffnung.  Auf  der  Innenseite,  gerade 
;genüber,  fünfmarkstückgrosse,  sich  trichterförmig  nach  der  Tiefe  zu 
erengernde,  den  zersplitterten  Knochen  freilegende  Ausschuss- 
fnung,  aus  der  sich  übelriechender  Eiter  entleert.  Die  Umgebung 
-r  Ein-  und  Ausschussöffnung  ist  stark  gerötet,  der  ganze  Unter- 
Henkel  geschwollen. 

Diagnose:  Schussfraktur  des  rechten  Unterschenkels. 

Die  Röntgenaufnahme  vom  27.  IX.  ergibt,  dass  das  Ge¬ 
noss  den  Schusskanal  noch  nicht  verlassen  hat,  sondern  noch,  von 
sgelösten  Knochensplittern  umgeben,  etwa  2  mm  tief  in  der  Tibia 
eckt,  deren  frakturierte  Teile  es  vor  sich  hergetrieben  hat.  Durch 


;  ’t4,  Ansicht  des  Geschosses  von  vier  Seiten,  zeigen  die  ringförmig  um  dasselbe 
tende  Emschmttsfurche,  welche  senkrecht  vier  je  2  mm  breite  Längseinschnitte  durch- 
schneiden,  so  dass  ringsum  vier  Kreuze  entstehen.  5  u.  6  Obenansichten. 


-  W  ucht  des  Anpralls  ist  die  obenbeschriebene  Korrespondenzwunde 
tstanden,  welche  die  Ausschussöffnung  vortäuschte.  Aus  dieser 
urde  unterm  10.  September  lediglich  ein  noch  im  Muskelfleisch 
itender,  die  Form  eines  menschlichen  Schneidezahnes  aufweisender 
iochcnsplitter  entfernt,  der  demgemäss  keineswegs  verursachend 
t  die  Form  dieser  2.  Wunde  wirken  konnte.  Diese  scheint  vielmehr 
t  die  spezifische  Explosivgewalt  des  Geschosses  zurückzuführen  zu 
in. 

Operation  am  2.  Oktober:  Inzision  und  Extraktion  des  Geschosses 
ter  Chloräthylanästhesie.  Das  aus  Kupferlegierung  bestehende  Ge¬ 
noss  (Fig.  1)  ist  etwas  gekrümmt  (annähernder  Winkel:  160"). 
'  der  konvexen  Seite  misst  es  2,5  cm,  auf  der  konkaven  Seite 
cm.  Das  obere  Drittel  des  Geschosses  ist  durch  eine  Ringfurche 
gegrenzt.  Das  obere  Ende  (lag  der  Tibia  an)  ist  vollständig  platt. 
i  rauher,  an  einer  Stelle  zu  einem  ca.  2  mm  langen  und  an  der 
sis  1  mm  breiten  Zacken  ausladender  Grat  überragt  ringsum  die 
S('0°sswand.  Die  Basalfläche  des  Geschosses  lässt  deutlich  die 
■  Metall  eingegrabene  Inschrift  erkennen  (Fig.  7). 

Aus  dem  Dargelegten  ergibt  sich  mit  Sicherheit,  dass  das  Ge- 
ioss  ein  Dumdumgeschoss  mit  abgeschnittener 
>  i  t  z  e  ist. 

Das  Geschoss  war  mit  einem  dicken,  scharf  riechenden  Grtin- 

mbelag  überzogen. 


Dumdumverletzung. 

Von  Geh.  San. -Rat  Dr.  Lenne. 

Vielleicht  hat  es  Interesse  für  die  Allgemeinheit  der  Kollegen, 
cn  typischen  Fall  einer  Verletzung  mit  Dumdumgeschoss  kennen 
lernen.  Der  Verletzte  kennt  weder  den  Namen  des  Ortes,  wo  er 
wundet  wurde,  noch  den  Namen  des  Militärarztes,  der  das  Gc- 
ioss  an  sich  genommen  hat.  Eingeliefert  wurde  der  Kranke  unter 
Bezeichnung  Verwundung  durch  Dumdum. 


ZI  17 


Der  Reservist  Ferd.  H.  vom  Füsilier-Reg.  Nr.  80  (v.  Gersdorff) 
wurde  am  22.  September  in  den  Gefechten  an  der  Marne  verwundet. 
Ani  25.  September  traf  er  im  hiesigen  Reservelazarett  ein  in  einem 
Zustande  näher  dem  Sterben  als  dem  Leben.  Der  Oberarm  bildete 
eme  grosse,  grauschwarze,  schmierige,  jauchigriechende  Masse,  trotz¬ 
dem  der  letzte  Verband  am  24.  September  vorgenommen  worden 
war.  Nachdem  die  Wundfläche  einigermassen  gereinigt  worden, 
habe  ich  am  30.  September  eine  photographische  Aufnahme  ver¬ 
anlasst,  welche  m.  E.  ein  recht  deutliches  Bild  der  furchtbaren  Ver¬ 
letzung  bietet,  zu  dessen  Vervollständigung  folgende  Zahlen  bei- 
tragen  mögen:  Die  grössere  Wunde  beginnt  10  cm  unterhalb  des 
Olekranon  und  reicht  bis  zur  Ellenbogenbeuge,  sie  hat  eine  Länge 


von  14  cm,  eine  Breite  von  11  cm  und  eine  Tiefe  von  etwa  4  cm. 
Die  kleinere  Wunde  an  der  Innenseite  des  Oberarms  hat  bei  Kreis¬ 
form  einen  Durchmesser  von  7  cm  und  bildet  jedenfalls  die  Einschuss¬ 
öffnung,  da  dieselbe  eine  glatte  Wundfläche  besitzt,  während  die  Vor¬ 
derwunde  vielfach  zerrissen  und  zerklüftet  ist.  Zwischen  beiden 
Wunden  befindet  sich  eine  etwa  4  cm  lange  und  zwischen  2  und 
3  cm  breite  brandige  Hautbrücke,  welche  den  Schusskanal  überdeckt 
(auf  den  Bildern  deutlich  erkennbar). 

Nach  mancherlei  Versuchen  wurde  der  verwundete  Arm  im 
Schwebeverband  mit  ständiger  Berieselung  behandelt.  Auf  diese 
Weise  hat  der  Verletzte  fast  gar  keine  Schmerzen  mehr,  die  vorher 
oft  unerträglich  waren,  und  das  Fieber  (Resorptionsfieber),  anfangs 
kontinuierlich  und  bis  39,6  abends  steigend,  ist  auf  normale  Tempera¬ 
tur  am  Morgen  und  auf  38,5  abends  gesunken,  zudem  ist  dem  Kranken 
die  grösste  Beweglichkeit  schmerzlos  ermöglicht.  Die  grossen  Haut¬ 
defekte  werden  wohl  später  durch  Transplantationen  bedeckt  wer¬ 
den  müssen,  obwohl  es  staunenswert  ist,  welch  riesige  Hautdefekte 
durch  Granulation  zur  Ausheilung  kommen. 


Scharpie  als  Verbandmaterial. 

Von  Krankenhausdirektor  Dr.  Fr.  Brunner,  Generalarzt  a.  1.  s. 

in  München. 

Schon  in  Friedenszeiten  ist  der  Verbrauch  an  Verbandstoffen, 
die  vornehmlich  aus  Baumwolle  bereitet  werden,  Watte  und  Gaze, 
ein  sehr  grosser,  um  so  mehr  jetzt  in  Kriegszeiten,  wo  schon  für  Her¬ 
stellung  der  Verbandpäckchen  für  die  Armee  in  viel  millionenfacher 
Zahl  der  Bedarf  an  Baumwolle  ein  ganz  enormer  geworden  ist;  weiter 
wird  aber  der  Bedarf  an  Baumwollverbandstoffen  noch  gesteigert 
durch  Versorgung  der  Lazarette  für  Behandlung  der  Tausende  von 
Verwundeten. 

Nicht  gering  an  Zahl  sind  die  Schussverletzungen,  wo  ein  Spitz¬ 
geschoss  die  Weichteile  von  Extremitäten  und  am  Rumpf  durch¬ 
dringt,  ohne  Knochen  oder  Blutgefässe  zu  treffen,  mit  kleinen  Ein¬ 
gangs-  und  Ausgangsöffnungen,  die  nicht  viel  Verbandschutz  bedürfen, 
sich  bald  mit  trockenem  Schorf  bedecken  und  heilen. 

Doch  viel  mehr  sind  es  die  schweren  Verletzungen  durch  Infan¬ 
terie-  und  Maschinengewehrgeschosse,  Schrapnellkugeln  und  Granat- 
sprengstücke  mit  ausgedehnten  Weichteilzerstörungen,  weit  offenen 
Knochenbrüchen,  die  im  beschmutzten  oder  infizierten  Zustand  zur 
Behandlung  kommen. 

Hier  ist  der  Bedarf  an  aufsaugendem  und  immobilisierendem 
Verbandmaterial  ein  ungeheuer  grosser. 

Es  kann  ja  in  solchen  Fällen  durch  zu  üppige  Verbandweise  ver¬ 
schleudert  werden,  aber  das  Sparsamkeitsbestreben  hat  seine  Gren¬ 
zen,  wenn  es  sich  darum  handelt,  einen  Verband  anzulegen  mit  aus¬ 
reichendem  Material  zum  ausgiebigen  Schutz  für  die  Wundflächen, 
zur  Aufsaugung  der  reichlichen  Absonderung,  um  dem  armen  Ver¬ 
wundeten  einen  allzu  häufigen,  mit  unvermeidlicher  Schmerzerregung 
verbundenen  Verbandwechsel  zu  ersDaren. 

Nach  Versicherung  von  Leuten,  die  es  wissen  können,  steht 
in  Deutschland  so  viel  Baumwolle  zur  Verfügung,  dass  ein  Mangel 
an  Verbandstoffen  in  absehbarer  Zukunft  nicht  zu  befürchten  ist:  auch 
hat  die  Fabrikation  von  Baumwollgeweben  zu  verschiedenem  anderen 
Gebrauch  durch  den  Krieg  gewaltigen  Abbruch  erlitten. 

Man  muss  aber  daran  denken,  ob  es  nicht  vielleicht  doch  not¬ 
wendig  werden  wird,  für  das  Wundverbandmaterial  aus  Baumwolle 
einen  entsprechenden  Ersatz  zu  schaffen.  Schon  in  den  siebziger 


2118 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  42. 


und  achtziger  Jahren  hat  man  im  Hinblick  auf  einen  Krieg  nach  Er¬ 
satzstoffen  für  Verbandmittel  gesucht  und  hat  verschiedene,  Flüssig¬ 
keit  aufsaugende  Stoffe  in  Verwendung  genommen:  Jutefasern,  Torf, 
Moos,  Sägespäne  in  frischem  und  getrocknetem  Zustand,  Holzwolle, 
Steinkohlenasche,  Seesand,  Asbestwolle  usw. 

Im  Jahre  1895  hat  der  prakt.  Arzt  Dr.  Qrassl  in  Vilshofen  an 
das  Zentralkomitee  des  bayer.  Landeshilfsvereins  vom  Roten  Kreuz 
den  Vorschlag  gebracht,  im  Kriegsfälle  wiederum  Scharpie,  aber  in 
sterilisiertem  Zustand,  als  Verbandmaterial  in  Verwendung  zu 
bringen.  (Vergl.  d.  W.  Nr.  38,  S.  1992.) 

In  den  früheren  Kriegen  spielte  die  Scharpie  aus  in  Fäden  zer¬ 
zupfter  gebrauchter  Leinwand  als  weiches,  Wundsekret  aufnehmendes 
Verbandmaterial  eine  grosse  Rolle;  sie  wurde  jedoch  mit  der  Ein¬ 
führung  des  L  i  s  t  e  r  sehen  antiseptischen  Wundverbandes  als  das 
gefährlichste  Verbandmaterial  in  Acht  und  Bann  getan. 

Der  Assistenzarzt  der  chirurgischen  Abteilung  des  Krankenhauses 
München  r/I.  Dr.  Jos.  Koller  hat  auf  meine  Veranlassung  ein¬ 
gehende  Untersuchungen  vorgenommen,  um  die  Scharpie  auf  ihre, 
den  zeitgemässen  Anforderungen  entsprechende  Brauchbarkeit  als 
Verbandmittel  und  Ersatz  für  Baumwollstoffe  zu  prüfen  und  hat  die 
gewonnenen  Resultate  in  einer  Doktordissertation  1896  veröffentlicht: 
„Ueber  Verwendbarkeit  von  Leinwandscharpie  als  Verbandmaterial“. 

Das  Untersuchungsergebnis  war,  dass  auch  die  auf  nicht  ganz 
einwandfreiem  Wege  mit  ungereinigten  Händen  gezupfte  Scharpie 
vollkommen  sterilisiert  werden  kann,  dass  die  Aufsaugungsfähigkeit 
der  lockeren  und  zusammengepressten  Scharpie  so  gross  ist,  dass 
sie  ihr  6  faches  Gewicht  an  Flüssigkeit  aufnehmen  kann,  und  dass 
das  Austrocknungsvermögen  der  Scharpie  ein  sehr  gutes  ist,  d.  h. 
dass  infolge  der  Porosität  der  Scharpie,  vermöge  deren  die  am  ver¬ 
bundenen  Körperteil  erwärmte  Luft  rasch  und  leicht  durch  den  Ver¬ 
band  an  die  Oberfläche  zu  dringen  vermag,  die  Durchfeuchtung 
des  auf  der  Wunde  liegenden  Verbandstoffes  mehr  und  mehr  ab¬ 
nimmt. 

Die  sterilisierte  Scharpie  ist  ein  reizloses,  weiches,  leichtes, 
elastisches  Verbandmaterial. 

Zur  Gewinnung  von  Scharpie  soll  nur  reine,  gebrauchte,  aus¬ 
gewaschene  Leinwand  genommen  werden. 

Vor  Beginn  der  Arbeit  müssen  die  Zupferinnen  Hände  und  Vor¬ 
derarme  mit  warmem  Wasser  und  Seife  mehrere  Minuten  lang  tüch¬ 
tig  reinigen.  Das  Zerzupfen  der  Leinwandstückc  soll  in  einem  rein¬ 
lichen,  staubfreien  Zimmer  auf  reiner  Unterlage  auf  Leinwandtüchern 
erfolgen,  in  welche  die  Scharpie  dann  zum  Versenden  an  die  SammeL 
stelle  eingeschlagen  wird. 

Dort  erst  wird  die  Dampfsterilisierung  und  weitere  Sicherung 
vorgenommen. 

In  der  gegenwärtigen  Zeit  steht  aber  nicht  mehr  so  viel  Lein¬ 
wand  zu  Gebote  wie  früher,  weil  im  Haushalt  mehrfach  statt  Lein¬ 
wand  stärkere  Baumwollstoffe  zur  Verwendung  kommen. 

Auch  diese  kann  man  wieder  in  Fäden  zerzupfen,  und  wenn  es 
nicht  mehr  manuell  geht,  so  kann  man  daran  denken,  die  Zerkleine¬ 
rung  maschinell  vornehmen  zu  lassen,  wie  man  alte  Wollstoffe  durch 
Maschinen  zerreisst,  um  aus  der  gewonnenen  Wolle  neue  Fäden  zu 
spinnen. 

Seid  sparsam  mit  den  baumwollenen  Verbandstoffen! 

Von  Prof.  Williger  in  Berlin. 

Das  starke  Anziehen  der  Preise  von  baumwollenen  Verband¬ 
stoffen  legt  uns  die  Pflicht  auf,  mit  diesen  unentbehrlichen  Verband¬ 
mitteln  so  sparsam  zu  wirtschaften,  als  wir  es  im  Interesse  der 
Verwundeten  verantworten  können.  Schon  hat  Hochenegg  an¬ 
geregt.  wieder  zum  Gebrauche  der  Scharpie  zurückzukehren. 
Scharpie  steht  von  Anno  70  her  bei  uns  im  wahren  Sinne  des  Wortes 
in  übelstem  Geruch.  Aber  wie  wurde  sie  auch  damals  hergestellt! 
Ich  sehe  noch  meine  Mutter  in  einer  staubigen  Schulstube  mit  den 
giösseren  Schulmädchen  sitzen,  deren  schmutzige  Finger  die  mehr 
oder  minder  schmutzigen,  von  den  Dorfbewohnern  gelieferten  Baum¬ 
wollstoffe  zerzupften.  Diese  Scharpie  wurde  höchst  mangelhaft  ver¬ 
packt  nach  Frankreich  gesandt  und  so  wie  sie  war,  zur  Versorgung 
der  Wunden  benutzt.  Die  üblen  Folgen  konnten  nicht  ausbleiben, 
aber  man  wusste  es  damals  nicht  besser.  Unter  den  heutigen  Um¬ 
ständen  kann  man  gewiss  gegen  den  Gebrauch  von  Scharpie  nichts 
mehr  einwenden.  Die  Voraussetzung  wäre  eben  nur,  dass  schon  bei 
der  Herstellung  die  peinlichste  Sauberkeit  walten  müsste.  Wenn 
sie  dann  ausreichend  sterilisiert  wird,  so  muss  sie  bei  ihrer  Schmieg¬ 
samkeit  und  Aufsaugefähigkeit  ein  ausgezeichnetes  Verbandmittel 
abgeben.  Selbstverständlich  würde  man  sie  vor  Anwendung  in 
Mullsäckchen  von  verschiedener  Grösse  füllen  und  auf  diese  Weise 
Verbandkissen  hersteilen. 

Wir  brauchen  aber  noch  nicht  zur  Scharpie  zu  greifen,  an  der 
immer  noch  ein  gewisses  Odium  haftet.  Wir  haben  andere  Ersatz¬ 
mittel  in  Hülle  und  Fülle.  In  dem  mir  unterstellten  Reservelazarett 
wird  fast  gar  keine  Watte  mehr  gebraucht,  weder  weisse  noch  graue. 
Zur  Schienenpolsterung  verwenden  wir  Jute  und  an  Stelle  der 
weissen  Watte  nehmen  wir  weissen  Zellstoff.  An  diesem  Stoff  kann 
es  uns  bei  unserem  Holzreichtum  niemals  fehlen.  Er  ersetzt,  nament¬ 
lich  bei  grossen  Verbänden,  weisse  Watte  nahezu  vollkommen,  zumal 
er  sicli  vorzüglich  sterilisieren  lässt.  Wir  lassen  ihn  in  lange  Streifen 
schneiden  und  aufrollen,  wir  fertigen  durch  Einnähen  in  Mull  daraus 


Verbandkissen  von  beliebiger  Grösse  und  Dicke,  und  wir  verwenden 
ihn  auch  zum  Ausfüttern  von  Verbandkissen  aus  Torfmull. 

Dieser  Torfmull  ist  ein  zu  Verbandzwecken  geeignetes  Material, 
von  dem  in  Deutschland  geradezu  unerschöpfliche  Mengen  zur  Ver¬ 
fügung  stehen.  Natürlich  lässt  er  sich  nur  in  Kissen  eingenäht  ver- 
v\  enden.  Zu  den  Kissen  muss  aber  eine  doppelte  Lage  von  Mull 
genommen  werden,  um  das  Durchfallen  der  Torfteilcnen  zu  verhüten, 
oder  man  muss  den  Mullsack,  wie  oben  schon  gesagt,  mit  Zellstoff¬ 
lagen  ausfüttern. 

Noch  besser  als  Torfmull  gefällt  uns  das  Moos.  Moos  kann 
man  lose  oder  in  Tafeln  gepresst  sehr  billig  erhalten.  Aus  dem  losen 
Moos  werden  mit  Hilfe  von  .Mullsäckchen  nach  beliebigen  Massen 
Kissen  angefertigt,  die  man  zweckmässig  in  bestimmten  Abständen 
durchsteppen  lässt.  Auch  die  Moostafeln  werden  in  Stücke  von 
zweckmässiger  Länge  und  Breite  geschnitten  und  in  Mull  eingenäln. 
Sie  sind  etwas  steif,  werden  aber  durch  das  Sterilisieren  schmieg¬ 
samer.  Grosse  dicke  Mooskissen  leisten  auch  ausgezeichnete  i 
Dienste  bei  Kranken,  die  unter  sich  lassen  oder  bei  denen  unfrei¬ 
williger  Harnabgang  stattfindet.  Bei  öfterem  Wechseln  der  Kissen 
macht  sich  der  unangenehme  Harngeruch  kaum  bemerkbar.  Man 
kann  sie  auch  wieder  trocknen,  Formalindämpfen  aussetzen  und 
wieder  von  neuem  zu  Unterlagen  verwenden. 

Mit  besonderer  Vorliebe  verwenden  wir  Mullabfall.  Die 
sauberen  Teile  gebrauchter  Mullbinden  werden  gewaschen  und  zer¬ 
schnitten.  Dasselbe  geschieht  mit  noch  brauchbaren  Teilen  von 
Mullkompressen.  Durch  Vermittlung  einer  im  Reservelazarett 
tätigen  Helferin  erhalten  wir  aus  einer  Verbandstoffabrik  grosse 
Mengen  von  Mullresten  als  Liebesgabe.  Meistens  sind  diese  Reste 
ganz  schmale,  aufgewickelte  Mullbindenteile.  Auch  diese  Reste  wer¬ 
den  klein  geschnitten,  mit  unserem  übrigen  sauberen  Mullabfall  in 
Mullsäckchen  eingenäht  und  zu  Mullkissen  verarbeitet. 

Nebenbei  bemerkt  fertigen  die  mit  der  Herrichtung  von  Ver-! 
bandmitteln  beschäftigten  Personen  aus  den  Mullabfallbinden  auch 
gehäkelte  Waschflecke  und  Schuhe  an.  Die  Herstellung  der  ver¬ 
schiedenen  Verbandkissen  betrachten  sie  als  eine  sehr  angenehme 
Aufgabe,  der  sie  sich  mit  dem  grössten  Eifer  unterziehen. 


Querschnitte. 

Von  Dr.  med.  H.  K  r  a  u  s  s  in  Ansbach. 

Der  Arzt  im  Felde  kann  sich  nicht  mit  Büchern  und  Atlan¬ 
ten  belasten.  Da  ist  es  vielleicht  manchem  Kollegen  nicht  un¬ 
erwünscht,  eine  Anzahl  von  Querschnitten  durch  Arm  und  Bein 
auf  einem  Blatte  beisammen  zu  haben.  Die  Querschnitte  sind 


M.  1.  biceps,  2.  brachialis  int.,  3.  triceps. 
A.  4.  brachialis,  5.  profunda  brachii.  V. 
6  basilica,  7.  cephalica.  N.  8.  ulnaris, 
9.  medianus,  10.  radialis,  11.  cutan.  brachii 
med.,  12.  cut.  brachii  extern. 


Vorderarm. 

M.  1.  flexor  digitorutn  profund,  et  pollicis 
long.,  2  flexor  digitorum  sublimis,  3  palmar, 
long.,  4.  flexor  carpi  radical.,  5.  flexor 
carpi  ulnaris,  6.  supmator  long.  brachiora- 
dialis,  7.  adductor  pollicis  longus,  extensJ 
pollic.  long  et  brevis,  ext.  digit.  indieis, 
8.  extensor  digilor.  communis,  9.  ext.  carpi 
radial  long.  et  brev-,  10.  ext.  carpi  ulnaris. 
A.  11.  radial.  12.  ulnaris,  13.  interossev 
volar.,  14.  interossea  dors.  N.  11.  radialis, 
15.  median  ,  12.  ulnar. 


Ellbogen. 

M.  1.  biceps,  2.  brachialis  int.,  3.  Supinator 
long.  et  brev  ,  4.  pronator,  5.  extensor  carpi 
radialis,  6.  tlexor  carpi  radialis,  7.  anconaeus 
quartus,  8.  Bursa  mucosa  olecrani.  A.  9.  bra¬ 
chialis.  V.  10.  cephalica,  11.  mediana,  12.  ba- 
silica.  N.  13.  radialis,  14.  medianus,  15.  ul¬ 
naris,  16.  cutan.  ext ,  17.  cutan.  med. 


Handgelenk. 

M.  1.  flexor  carpi  radialis,  2.  flexor  carpi 
.ulnaris,  3.  extensor  carpi  radialis  long 
brev.,  4.  extensor  carpi  ulnaris,  5.  flexor 
diigitorum  profund,  et  pollicis  long.,  6.  Oexoi 
d  gitorum  sublimis,  7  palmaris  longus, 
8.  Supinator  longus,  9.  abductor  poluci 
longus,  10  extensores  pollicis  et  digitoruni 
commun.  et  digiti  indieis  et  digiti  quinu 
A  11.  radialis,  12.  ulnaris.  N.  11.  radialis, 
12.  ulnaris,  13.  medianus. 


20.  Oktober  1914. 


Fcldärztliche  Beilage  zur  Miinch.  med.  Wochenschrift. 


2119 


Malleolenquersclinitt. 

I.  1.  tibiat.  antic.,  2.  extens.  hallnc., 
.  ext.  digit.  comm.  long.,  4.  tibial. 
ostic.,  5.  flexor  hallucis  long.,  6. 
exor  digit.  comm.  long.,  7.  peroneus 
>ng.  et  brev.,  8.  Tendo  Acliillea,  9. 
lantaris.  A.  10.  tibial.  antic..  11. 
bial.  postic.,  12.  peron.  post.  V.  13. 
iphen.  magn.,  14.  saphen.  minor. 
(.  11.  tibial.  postic.,  10.  peron.  pro- 
ind.,  13.  saphen.  major,  14.  suralis, 
15.  peron.  superficial. 


Kniequerschnitt. 

.  1.  gemelli  et  plantaris,  2.  sarlorius,  3. 
acilis,  4.  semimembratendinos.,  5.  biceps 
moris,  6.  Ligam.  cruciata.  A.  7.  poplitea, 
articular.  genu.  V.  9.  poplit.,  10  saphen. 
»gn.,  11  saphen.  minor.  N.  12.  tibial. 
ostic.,  13.  peroneus,  14.  saphen.  major. 


Unterschenkel. 

M.  1.  tibialis  antic.,  2.  extens.  halluc.  et 
digitor.  comm.,  3.  peron.  long.,  4.  tibial. 
postic.  et  popliteus,  5.  soleus,  6.  plantaris, 
7.  gastrocnemius.  A.  8.  tibial.  antic.,  9.  tibial. 
postic.  V.  10.  saphen.  magn.,  11.  saphen. 
minor.  N.  12.  tibial.  postic.,  13.  peron. 
superfic.,  14.  peron.  profund.,  15  saphen. 
major,  16.  cutan.  surae  exiern. 


eitgehend  vereinfacht,  um  dem  Gedächtnis  die  Einprägung 
erselben  zu  erleichtern.  Zusammengehörige  Muskelgruppen 
nd  als  ein  Muskel  gezeichnet;  von  den  Venen,  die  meist  zu 
weien  die  Arterie  begleiten,  ist  stets  nur  eine  gezeichnet.  Da- 
irch  soll  das  Bild  an  Uebersicht  gewinnen,  ohne  an  anatomi- 
:hem  Wert  zu  verlieren.  Alle  Querschnitte  zeigen  den  be¬ 
iglichen  Amputationsstumpf  der  rechten  Körperseite  und  ent¬ 
gehen  damit  zugleich  dem  distalen,  linken  Querschnittsbilde. 


Die  Bekämpfung  der  Kriegsseuchen  im  Felde. 

Von  Obermedizinalrat  Prof.  Dr.  N  o  c  h  t. 

(Schluss.) 

Ueber  den  grossen  Nutzen  der  Typhusschutz- 
n  p  f  u  n  g  herrscht  jetzt  kein  Zweifel  mehr.  Es  ist  durchaus 
i  empfehlen,  die  Truppen  in  einem  stark  mit  Typhus  durch¬ 
wehten  Lande  mit  Schutzimpfung  zu  versehen.  Leider  muss 
is  aber  vor  der  Mobilmachung  geschehen;  denn  es  dauert 
ehrere  Wochen,  bis  die  Schutzwirkung  eintritt.  Man  muss 
ich  den  neueren  Erfahrungen  dreimal  impfen,  wir  benutzen 
n  P  f  e  i  f  f  e  r  -  K  o  1 1  e  sehen  Impfstoff  —  0,5,  1,0,  1,5  — , 
nge  Kulturen,  die  durch  Temperaturen  bis  höchstens  58/60° 
»getötet  und  in  NaCl-Lösung  aufgeschwemmt  sind.  Da  wir 
einem  typhusarmen  Lande  leben  und  ein  friedliches 
alk  sind,  das  sich  nicht  vor  langer  Hand  vorbereitet,  über 
ine  Nachbarn  herzufallen,  so  hat  man  bisher  meiner 
isicht  nach  mit  Recht  —  davon  Abstand  genommen,  unsere 
'mee  zu  impfen.  Es  wird  aber  jetzt  doch  in  Frage  kommen, 
>  man  nicht  die  jetzt  einzustellenden  und  noch  friscli  in 
ehreren  Wochen  auszubildenden  Mannschaften  impfen  sollte. 


Die  Cholera  folgt  auch  im  Kriege  im  grossen  ganzen 
denselben  Wegen  wie  Typhus  und  Ruhr,  sehr  häufig  herrschen 
alle  drei  Seuchen  im  Kriege  zu  gleicher  Zeit  und  nicht  selten 
hat  man  bei  einem  und  demselben  Kranken  oder  Gestorbenen 
doppelte  und  dreifache  Infektionen  mit  diesen  Krankheits¬ 
stoffen  festgestellt.  Ein  sehr  lehrreiches  Beispiel  für  die  Art,  wie 
die  Cholera  auch  in  einem  modernen  Feldzug  gefährlich  werden 
kann,  zeigt  der  Ausbruch  der  Cholera  in  den  Kämpfen  um 
die  1  schataldschalinie  im  ersten  Balkankriege.  Die  ersten 
Cholerafälle  traten  in  der  türkischen  Armee  auf  und  zwar 
nach  der  Schlacht  von  Lüleh  Burgas,  die  ersten  Erkrankungen 
bei  syrischen  1  nippen  aus  Garnisonen  in  der  Gegend  von 
Damaskus  und  Adana  —  endemische  Choleraherde,  in  denen 
vom  Juli  bis  November  1912  518  Cholerafälle  vorgekommen 
waren.  Zunächst  war  man1  mit  der  Verwendung  der  Truppen 
aus  diesem  Herd  vorsichtig  gewesen,  man  hatte  die  ersten 
I  ruppen  in  Quarantäne  gelegt,  ehe  man  sie  auf  dem  Kriegs¬ 
schauplatz  verwandte.  Nach  den  Verlusten  von  Kirkkilisse 
wurden  sie  aber  in  grösseren  Mengen  und  ohne  Vorsichts- 
massregeln  herangezogen,  sie  kamen  zur  Ostarmee  —  nach 
8  10  Tagen  wurden  die  ersten  Cholerafälle  in  der  Ostarmee 
bekannt.  Nun  wurde  die  Schlacht  verloren.  An  eine  Iso¬ 
lierung  der  Erkrankten  war  nicht  mehr  zu  denken,  alles  ging 
im  Durcheinander  zurück.  Dazu  kamen  Regengüsse  und 
Ueberschwemmungen,  die  alles  Oberflächenwasser  infizierten. 
Innerhalb  weniger  Tage  hatte  die  türkische  Armee  über 
1000  Fälle,  dazu  kam  die  flüchtende  Bevölkerung,  alles  strömte 
durcheinander  nach  Konstantinopel  und  Stambul  statt  nach  den 
für  die  Cholerarücktransporte  bestimmten  Quanrantäne- 
anstalten. 

Nun  die  Bulgaren.  Sie  waren  bis  nach  der  Schlacht  von 
Lüleh  Burgas  ganz  seuchenfrei,  rückten  den  geschlagenen 
Türken  nach  in  die  von  ihnen  verlassenen  Stellungen  von 
J  schataldscha,  wo  sie  aus  politischen  und  militärischen  Grün¬ 
den  halt  machten.  Es  kam  dort  sehr  bald  zu  einer  enormen 
Häufung  der  Darmerkrankungen.  Am  18.  November  1700  Darm¬ 
erkrankungen  mit  900  Todesfällen,  bis  zum  30.  November 
29  626  Darmerkrankungen  mit  1849  Todesfällen.  Prädispo¬ 
nierend  wirkten  ungünstige  Witterungsverhältnisse  und  man- 
gelhafte Verproviantierung.  Die  Soldaten  mussten  sich  wochen¬ 
lang  in  Schützengräben  aufhalten,  die  in  Moräste  verwandelt 
waren.  Natürlich  waren  nicht  alle  Erkrankungen  Cholera¬ 
fälle,  die  Zahl  der  Cholerafälle  wird  aber  auf  5000  geschätzt. 
Nach  den  Berichten  der  Aerzte  ist  die  Zahl  der  Erkrankungen 
erst  dann  rapid  in  die  Höhe  gegangen,  nachdem  die  Soldaten 
F  1  u  s  s  wasser  getrunken  hatten,  man  fand  im  Flusswasser 
u.  a.  Leichen  von  Türken.  Diese  Vorgänge  könnten  sich 
meiner  Annahme  nach  jetzt  im  Osten  sehr  leicht  wiederholen, 
bei  den  Oesterreichern  wie  bei  uns,  wenn  nicht  scharf  auf¬ 
gepasst  wird.  Es  gelang  dann  allerdings  bald,  der  Epidemie 
Herr  zu  werden. 

„Es  wurden  zunächst  die  strengsten  Befehle  an  die  einzelnen 
Kommandos  ausgegeben  und  ausführliche  Anweisungen  erlassen,  in 
welchen  genau  die  Gefahr  des  Genusses  von  ungekochtem 
Wasser  dargetan  wurde.  Der  Genuss  eines  solchen  Wassers 
wurde  verboten  und  nur  der  eines  abgekochten  gestattet.  '  Um  dieser 
Msssregel  bei  der  Tschataldschalinie  einen  besonderen  Nachdruck 
zu  geben,  wurden  die  Truppen  durch  Schwur  zur  Einhaltung 
der  Befehle  besonders  veranlasst:  eine  Anordnung,  die,  wie  alle 
Zeugen  bestätigen,  als  ausserordentlich  wirksam  sich  bewies. 

Eine  weitere  Massregel,  welche  ebenfalls  auf  die  Epidemie  gün¬ 
stigen  Einfluss  gehabt  haben  dürfte,  war  die  schon  in  der  Linie  durch- 
geführte  Trennung  der  Kranken  und  der  Verwundeten. 
Es  wurden  zunächst  die  bestehenden  Divisionsspitäler  in  Infek¬ 
tions-  und  Blessiertenspitäler  derart  eingeteilt,  dass  die 
Schwerkranken  von  der  Gefechtslinie  direkt  in  Infektions¬ 
spitäler  gebracht  werden  konnten,  die  Schwerblessierten  also  auf 
ihrem  Transport  in  die  Verwundetenspitäler  (Divison)  mit  diesen 
gar  nicht  in  Berührung  kommen  sollten. 

Es  wurde  also  danach  eine  sofortige  Sonderung  der  Cholera¬ 
kranken  und  auch  der  verdächtigen  Kranken  von  den  un- 
v  e  rdächtigen  Blessierten  durchzuführen  getrachtet,  um  auf 
diese  Weise  die  Verwundetenspitäler  vor  der  Gefahr  der  Infektion 
zu  schützen.  Nach  diesem  Prinzip  wurden  auch  die  Massnahmen  für 
den  Iransport  der  Verwundeten  und  Verdächtigen  in  die  Feld-  und 
Etappenspitäler  organisiert  (Krauss  und  W  i  n  t  e  r).“ 

Nicht  wenig:  zur  Unterstützung  dieser  Massnahmen  trug 
der  inzwischen  eingetretene  Waffenstillstand  bei.  der  die 
Durchführung  der  erforderlichen  Bekämpfungsmassnahmen 


2120 


Feldärztliche  Beilage  zui  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  4 2 


wesentlich  erleichterte.  Fs  gelang  auch,  Bulgarien  selbst  vor 
schwererem  epidemischen  Ausbruch  der  Cholera  zu  bewahren, 
insbesondere  Sofia  blieb,  was  für  unsere  in  der  Nähe  der 
russischen  Grenze  belegenen  grösseren  Städte  besonders  be¬ 
ruhigend  ist,  von  der  Gefahr,  selbst  ein  Seuchenherd  zu 
werden,  verschont.  Es  sind  in  Sofia  über  800  Cholerafälle 
eingeschleppt  worden,  dazu  traten  aber  nur  sehr  wenige 
hinzu,  die  in  Sofia  selbst  erkrankt  waren,  weil  Sofia  gut  kanali¬ 
siert  ist  und  eine  vorzügliche  Wasserversorgung  besitzt. 

Auch  in  unseren  Gefangenenlagern  wird  man  der  Cholera - 
gefahr  besondere  Beachtung  widmen,  für  sofortige  bakterio¬ 
logische  Untersuchung  jeden  verdächtigen  Durchfalls,  rasche 
Isolierung  der  Kranken  usw.  sorgen  müssen. 

I )ie  Fliegenplage  scheint  bei  der  Choleraverbreitung 
nicht  die  Bedeutung  wie  beim  Typhus  und  der  Ruhr  zu  haben. 
Eckert  berichtet  darüber  folgendes: 

„  Bei  der  Lage  des  Spitals  zwischen  einem  städtischen  Abfuhr¬ 
platz  und  dem  Schlachthaus  war  die  Fliegenplage  eine  ganz  enorme. 
In  dichten  Scharen  bedeckten  sie  die  Wände,  Betten,  das  Geschirr, 
und  wir  müssen  gestehen,  dass  unser  Kampf  gegen  die  Fliegen  wenig 
erfolgreich  gewesen  ist.  Fliegenfenster  verschlimmerten  die  Sache 
und  hielten  die  Fliegen  im  Zimmer  zurück,  Formalin  bewährte  sich 
nicht,  die  Patienten  waren  empfindlicher  dagegen  als  die  Fliegen. 
Den  besten  Erfolg  hatten  wir  noch,  wenn  wir  mehrmals  am  Tage 
Türen  und  Fenster  öffnen  und  dann  die  Leichtkranken  mit  Tüchern 
die  Fliegen  verjagen  Hessen.“ 

Trotzdem  kamen  keine  Uebertragungen  auf  das  Kranken¬ 
pflegepersonal  und  die  Verwundeten  vor. 

Die  Diagnose  der  Cholera  ist  ja  mit  Sicherheit  nur 
bakteriologisch  zu  stellen,  es  wäre  aber  von  der  grössten 
Wichtigkeit,  wenn  wir  ein  Mittel  hätten,  um  auch  einen 
leichten  Choleraanfall  klinisch  —  wenigstens  mit  einer 
gewissen  Wahrscheinlichkeit  —  von  einer  akuten  Enteritis 
anderer  Aetiologie  zu  trennen.  Die'  Aussicht  auf  ein  solches 
einfaches  diagnostisches  Mittel,  das  nur  die  Mithilfe  eines 
Mikroskops  erfordert,  scheint  sich  nach  den  Beobachtungen 
von  Rosentha  1,  die  er  in  der  B.kl.W.  1914  Nr.  8  veröffent¬ 
licht  hat,  zu  eröffnen.  Er  fand  bei  insgesamt  30  Kranken,  die 
sich  bei  der  bakteriologischen  Untersuchung  als  echte  Cholera 
erwiesen,  ein  durchaus  eindeutiges  und  charakteristisches  Blut¬ 
bild,  nämlich  eine  ausgesprochene,  oft  hochgradige  Leuko¬ 
zytose.  Dabei  fehlten  namentlich  in  den  ersten  Tagen  die 
Eosinophilen  ganz  oder  fast  ganz.  Auch  leichte  Fälle,  die  in 
wenigen  Tagen  heilten,  zeigten  ausgesprochene  Leukozytose. 

Man  wird  also  gut  tun,  bei  gehäuften  Durchfällen  auf 
dem  russischen  Kriegsschauplatz  diese  Leukozytenzählungen, 
die  ja  nur  wenige  Minuten  in  Anspruch  nehmen,  zu  machen 
und  bei  der  Isolierung  und  der  bakteriologischen  Unter¬ 
suchung  in  erster  Linie  die  Fälle  mit  Leukozytose  zu 
berücksichtigen.  Dadurch  würden  auch  die  bakteriologischen 
Untersuchungsstellen  in  wünschenswerter  Weise  entlastet. 

Was  die  Cholera  t  h  e  r  a  p  i  e  anlangt,  so  sind  ebenfalls 
gerade  in  neuester  Zeit  eine  Anzahl  neuer  therapeutischer  Ge¬ 
sichtspunkte  gewonnen  worden.  Zur  Desinfektion  des  Darm¬ 
kanals  wird  Jodtinktur  3  X  5 — 8  Tropfen  täglich  in  je  1  Glas 
Wasser,  ferner  saure  Limonade,  Yoghurt,  das  die  Darmflora 
umstimmen  soll,  empfohlen.  Eine  therapeutische  Wirkung 
scheint  die  Jodtinkturtherapie  zu  haben.  Ihr  prophylak¬ 
tisch  e  r  W  e  r  t  ist  noch  nicht  erwiesen.  Dann  sind  Lö¬ 
sungen  von  Kal.  permanganat.  (I  prorn.)  empfohlen  worden. 
Die  Soldaten  tranken  im  Balkankrieg  das  „tote  Wasser“  ohne 
grossen  Widerwillen,  einen  Einfluss  auf  die  Sterblichkeit 
scheint  cs  aber  nicht  gehabt  zu  haben.  R  o  g  e  rs  u.  a.  haben 
anscheinend  mit  gutem  Erfolge  Infusionen  von  hypertonischer 
NaCl-Lösung  angewandt  (1/4—2  Liter  L35proz.  NaCl  auf 
370,  später  15  g  NaCl,  0,45  CaCL  und  0,7  KCL’  auf  1000  FLO). 

Ganz  besonders  möchte  ich  Ihnen  aber  die  Bolus  alba 
empfehlen.  Sie  ist  von  Stumpf  mit  zauberhaftem  Erfolge 
gegen  die  Cholera  angewandt  worden  (M.m.W.  1914  Nr.  14). 
Das  Mittel  scheint  selbst  in  ganz  schweren  Fällen  nicht  zu 
versagen,  je  eher  angewandt,  desto  besser  natürlich.  Es 
kommt  noch  dazu,  dass  die  Cholerabazillen  nach  Bolus  alba 
sehr  bald  aus  dem  Stuhl  verschwinden,  während  die  Kranken 
sonst  ja  noch  wochenlang  Cholerabazillen  ausscheiden.  Den 
Tropenärzten  ist  die  grossartige  Wirkung  von  Bolus  alba  bei 
akuten  und  chronischen  Ruhrfällen  schon  lange  bekannt,  auch 


bei  jedem  einfachen  Durchfall  wirkt  das  Mittel  sehr  prompt 
Seine  Anwendung  ist  ungeheuer  einfach.  200  g  Bolus  alb; 
werden  in  etwa  die  doppelte  Menge  Wasser  eingerührt  um 
möglichst  auf  einmal  getrunken.  Man  kann  diese  Gabe  öfte 
wiederholen.  Die  Bolus  alba  wird  von  der  Firma  E.  Merck 
Darmstadt,  in  sehr  einfacher  Verpackung  ä  200  g  in  doppeltet 
Papierbeuteln  geliefert,  so  dass  die  Mitführung  grosse; 
Mengen  im  Felde  dadurch  ermöglicht  ist.  Ich  möchte  jeden 
Truppenarzt  raten,  sich  mit  grossen  Mengen  des  Mittels  zi 
versehen,  Es  gibt  kein  einfacheres  und  wirksameres  Mittel 
um  akuten  Durchfällen  zu  begegnen  und  bei  Cholera-  um 
Ruhrgefahr  die  weitere  Ausscheidung  und  Verbreitung  voi 
Ruhr-  und  Cholerabazillen  zu  verhindern.  Simamba  uni 
Emetin  sind  bei  Bazillenruhr  ohne  spezifische  Wirkung. 

Auf  die  Symptomatologie  des  Flecktyphu 
kann  ich  hier  aus  Mangel  an  Zeit  nicht  eingehen,  ich  kann  dm 
Herren  aber  nicht  dringend  genug  empfehlen,  sich  damit  be¬ 
kannt  zu  machen.  Sie  finden  das  Erforderliche  ausser  in  dm 
grossen,  bekannten  klinischen  Werken,  insbesondere  in  de 
klassischen  Abhandlung  von  Griesinger  über  den  Fleck 
typhus,  jetzt  auch  in  modernen  Berichten  über  eigene  Be 
obachtungen,  so  in  den  Berichten  von  Brauer  über  die  in 
Eppendorfer  Krankenhause  beobachteten  Flecktyphusfälle  (ii 
den  Hamburgischen  Ueberseeheften),  und  in  dem  vorläufige:1 
Reisebericht  von  H  e  g  1  e  r  und  v.  P  r  o  w  a  z  e  k  in  der  B.kl.W 
1913  Nr.  44).  Was  uns  heute  besonders  am  Flecktyphus  inter 
essiert,  ist,  dass  er  durch  die  Kleiderlaus  und  zwar  an 
scheinend  nur  durch  die  Kleiderlaus,  kaum  durch  Kontakt  -J 
selbst  Verletzungen  bei  Sektionen  haben  nach  den  moderne: 
Berichten  keine  Infektion  zur  Folge  gehabt  —  übertragen  wird 

Nun  ist  aber  die  Gefahr  der  Läuseplage,  auch  der  Kleider 
läuse,  in  Feldzügen  immer  besonders  gross.  Ich  erinnert 
daran,  dass  selbst  unsere  reinlichen  Truppen  im  Winterfeld 
zuge  1870/71  stellenweise  stark  und  wochenlang  verlaus 
waren  und  man  muss  R.  K  o  c  h  auch  jetzt  noch  auf  Grumi 
unserer  neueren  Kenntnisse  beipflichten,  dass  es  nichts  wi< 
Glückszufall  war.  dass  der  Flecktyphuskeim  damals  in  Frank 
reich  nicht  vorhanden  war.  Nun,  in  Russland  und  den  an 
grenzenden  Ländern  ist  er  vorhanden  und  wir  müssen 
zumal  während  des  Winters,  mit  der  Läuseplage  und  de 
Flecktyphusgefahr  bei  unseren  Truppen  und  auch  bei  dei 
Gefangenen  rechnen. 

Im  türkischen  Heere  nun  wurden,  wie  mir  Professo 
v.  Prowazek  freundlichst  berichtet  hat,  folgende  Vorsichts 
massregeln  mit  Erfolg  angewandt: 

Die  verlausten  Leute  wurden  möglichst  im  Freien  voll 
kommen  rasiert,  mit  Schmierseife  und  harter  Bürste  schar 
abgerieben,  ihre  Kleider  im  strömenden  Dampf  desinfizier 
und  die  Soldaten  kamen  dann  auf  längere  Zeit  aus  der  Ka 
serne  in  Zelte  (bei  den  Serben  [1913]  mussten  die  Soldate: 
die  desinfizierten  Kleider  auf  einer  Wiese  hinter  den  Barackci 
anlegen,  damit  die  Kleider  nicht  eventuell  wieder  verunreinig 
werden). 

Der  Schutz  für  das  Pflegepersonal  in  der 
Lazaretten  bestand  in  folgendem:  Die  Kranken  durften  nich 
auf  dem  Boden  liegen,  da  die  Läuse  die  fiebernden  Leute  ver] 
lassen  und  überall  herumkriechen;  im  allgemeinen  gehe! 
sie  nicht  über  die  eisernen  Bettgestelle  hinunter.  Das  Per 
sonal  durfte  keine  weiten  Mäntel  tragen,  um  die  Insekten  nich 
abzustreifen.  Die  Knöchel  wurden  durch  Gummiringe  ge¬ 
schützt.  Die  Kranken  durften  nicht  beieinander  liegen. 

Die  Therapie  besteht  in  frischer  Luft,  möglichst  viel 
Sonne  und  Herzmitteln.  Die  Türken  gaben  in  kritische 
Fällen  auch  etwas  Alkohol  (von  russischen  und  bulgarische: 
Aerzten  verpönt),  ln  einigen  Fällen  war  Rekonvaleszenten1 
serum  wirksam  (Su  lei  man  N  u  m  a  n).  Unwirksam  wäre 
—  im  Gegensatz  zum  Rekurrens  —  Salvarsan,  Arsaiyi 
Chinin  etc. 

Ueber  Pocken  brauche  ich  nicht  viel  Worte  zu  ver; 
lieren.  Unser  Heer  und  unsere  Zivilbevölkerung  ist  gegen  di- 
Pockengefahr  durch  die  Durchführung  der  Pockenschutz 
impfung  und  Wiederimpfung  geschützt.  Was  wir  zu  fürchte 
hätten,  wenn  der  unablässige  Kampf  unverständiger  Men 
|  sehen,  der  Impfgegner,  unter  denen  sich  leider  auch  Aerzts 
I  wenn  auch  nur  ganz  vereinzelt,  befinden,  erfolgreicher  ge 


?0.  Oktober  191-4. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


2121 


.vesen  wäre,  als  bisher,  zeigen  Ihnen  einige  Zahlen  aus  dem 

'eldzuge  1870/71. 

Der  Gesamt  Verlust  der  französischen  Armee  in  diesem 
eldzuge  an  I  ocken  ist  in  einem  Bericht  des  Kriegsministers 
n  den  Präsidenten  der  Republik  vom  17.  Juni  1889'  auf 
3400  rodesfälle  angegeben.  Gesamtverlust  des  Landes 
nooo.  Unter  den  372  918  in  Deutschland  untergebrachten 
Kriegsgefangenen  waren  1-4  000  an  Pocken  erkrankt 

Im  ganzen  deutschen  Heere  erkrankten  4855  Mann  an 
’oeken;  in  dem  in  Paris  eingeschlossenen  Teile  der  fran- 
ösischen  Armee  allein  kamen  aber  7578  Fälle  vor.  Es  starben 
on  deutschen  Soldaten  278. 

1870/71  hatten  wir  noch  keine  Wiederimpfung  im  13  Le- 
ensjahre.  Die  immerhin  nicht  unbeträchtliche  Zahl  der  Erk¬ 
rankungen  der  deutschen  Truppen  ist  wohl  diesem  Umstande 
uzuschreiben,  da  ein  grosser  leil  der  eingezogenen  Re- 
erven  1870  ungeimpft  ins  Feld  ziehen  musste.'  Auf  die  Ge¬ 
angenen  wird  natürlich  sehr  geachtet  werden  müssen, 
-h  denke,  man  wird  sie  in  ihren  Lagern  alle  impfen. 

Nun  noch  ein  Wort  über  die  Pest.  Es  ist  da  sehr 
:hwer.  eine  Prognose  zu  steilen,  aber  ich  glaube,  dass  wir 
ns  nicht  allzu  sehr  davor  zu  fürchten  brauchen.  Eine  so 
jsartige  Pestepidemie  wie  vor  einigen  Jahren  in  der  Man¬ 
schurei  kommt  doch  nur  durch  allerengste  Berührung  wie 
3mals  im  strengsten  Winter,  wo  die  Kulis  wie  die  Heringe 
Kcdrangt  bei  einander  schliefen  und  unter  den  aller— 
igünstigsten  hygienischen  Verhältnissen  zustande;  Flöhe  und 
ideres  Ungeziefer  haben  dabei  anscheinend  keine  Rolle 
^spielt.  Ob  es  allerdings  den  Russen  gelingt,  sich  dauernd 
3n  Lungenpest  freizuhalten,  scheint  mir  sehr  fraglich,  ich 
eine  aber,  dass  die  Gefahr  des  Ueberspringens  auf  uns,  wenn 
li  die  Gefangenen  geachtet  wird,  lange  nicht  so  gross  ist 
ie  beim  Flecktyphus. 

Und  damit  bin  ich  am  Schluses  meiner  Ausführungen.  Die 
Juchenbekämpfung  in  diesem  Kriege  ist  eine  ungemein  um- 
ngreiche,  vielseitige  und  sehr  schwere  Aufgabe,  sie  er- 
rdert  umfassende  Vorbereitungen  und  das  Verständnis  und 
e  Bereitschaft  eines  jeden  Arztes  im  Felde  wie  in  der  Heimat, 
ir  dürfen  aber  das  Vertrauen  haben,  dass  auch  auf  diesem 
sbiete  alles  geschehen  ist  und  geschehen  wird,  was  die 
issenschaft  zur  Verhütung  und  Bekämpfung  dieser  Gefahr 
r  Verfügung  gestellt  und  dass  dieser  grösste  Krieg,  den  die 
eit  gesehen  hat,  unseren  heldenmütigen  Kriegern  und 
serem  Vaterlande  nur  verhältnismässig  geringe  Verluste 
rch  Kriegsseuchen  bringen  wird. 


Referate. 

Blessures  de  Guerre.  Conseils  aux  Chirurgiens,  par  le  Medecin 
^pectcur  general  Edmond  D  e  I  o  r  m  e,  Membre  de  1‘Academie  de 
•decine.  Communication  faite  ä  FAcademie  des  Sciences  le 

aout  1914. 

B’®  pachstehend  besprochene  Schrift  des  bekannten  französi- 
ien  Chirurgen  war  bestimmt,  allen  französischen  Feldärzten  als 
leitung  für  ihre  Tätigkeit  in  die  Hand  gegeben  zu  werden.  Mit 
l  1  «st  fiel  sie  unseren  Truppen  in  die  Hände  und  wurde  der 
iriftleitung  d.  W  von  einem  Kollegen  im  Felde  dankenswerter- 
ise  zur  Verfügung  gestellt. 

Das  Hauptprinzip  der  Kriegschirurgie  ist  eine  konservative  Be- 
ldlung  aller  Schusswunden.  Zumal  in  der  vorderen  Linie  muss  die 
londlung  derselben  eine  möglichst  einfache  sein.  Die  glatten 
achten  wunden  heilen  unter  dem  Schutze  der  Verbandpäckchen 
ie  Störung.  Wunden  durch  Querschläger,  Granatsplitter  und 
irapnellkugeln  erfordern  sorgfältigere  Beobachtung.  Die  grösste 
unerksamkeit  ist  den  Schussfrakturen  der  langen  Röhrenknochen 
tiwenden.  Für  sie  gilt  besonders  die  konservative  Behandlung: 
ind\erband,  Schienen,  Vermeidung  der  Entfernung  von  Fremd- 
pern  und  Knochensplittern.  Schussfrakturen  sollen  auf  grosse 
Meinungen  nicht  transportiert  werden.  Gelenkschüsse  mit  kleinem 

und  Ausschuss  heilen  in  der  Regel  ohne  Störung.  Die  Behänd¬ 
es  der  Aneurysmen  und  der  Nervenverletzungen  soll  den  Heimat- 
aretten  überlassen  werden.  Bei  Schädelschüssen  ist  die  Ent- 
ttcrung  empfehlenswert.  Nach  Geschossen  soll  nicht  gesucht 
|  den  Lungenschüsse  verlangen  aseptischen  Verschluss  und  völlige 
'?.•  Bei  Bauchschüssen  ist  die  Laparotomie  zu  verwerfen,  ihre  Be- 
dlung  bestehe  in  völliger  Ruhe,  Entziehung  der  Nahrung,  rektalen 
Ktionen,  Opium,  F  o  w  I  e  r  scher  Lage  in  halbsitzender  Stellung. 

Kr. 


P,Jrof^riedländer:  Nerven-  und  Geisteskrankheiten  im 
relde  und  Lazarett.  Wiesbaden,  Bergmann,  1914.  1  M. 

Der  Verfasser  hat  sich  der  an  sich  dankenswerten  Aufgabe 
unterzogen,  den  nicht  neurologisch  und  psychiatrisch  gebildeten  Feld- 
azarettarzten  in  knapper,  übersichtlicher  Form  das  Wesentliche  über 
diese  Gebiete  zusammenzufassen.  Es  geschieht  dies  in  4  Abschnitten, 
die  i.  Erste  Hilfe,  2.  Nervenkrankheiten,  3.  Geisteskrankheiten. 

Kriegspsychosen  überschrieben,  und  denen  ein  gutes  Unter- 
siictumgsschema  und  einige  therapeutische  Bemerkungen  angefügt 
p"',  'Venn  sich  auch  gegen  die  Ausführung  manches  einwenden 
!..  fe. ;so  besonders  die  Auswahl  des  Stoffes,  die  nicht  ganz  dem  Be- 
tumusse  entspricht,  indem  wohl  jedem  Mediziner,  auch  wenn  er 
licht  Internist  oder  Psychiater  ist,  das  Allermeiste  des  Gebotenen  be- 
Kannt  sein  durfte  —  dagegen  praktisch  wichtige  Dinge  fehlen,  wie 

•  die  Beurteilung  und  Behandlung  bei  peripheren  und  zentralen 
Lähmungen,),  so  mag  doch  mancher  einigen  Nutzen  daraus  ziehen. 
Nicht  verständlich  ist  die  Gleichstellung  von  Nervenkrankheiten  und 
Neurosen  im  2.  Abschnitt. 

Im  ganzen  scheint  die  Sichtung,  Anordnung  und  Darstellung  des 
dem  Zweck  ‘?oc!l  nictlt  genügend  angepasst,  was  wohl  auf 
Kosten  der  beschleunigten  Abfassung  zu  setzen  ist. 

Dr.  v.  Stauffenberg. 

Deutsche  medizinische  Wochenschrift.  Aus  Nr.  39,  1914. 

K.  B  o  n  h  o  e  f  f  e  r  -  Berlin:  Psychiatrie  und  Krieg. 

Psychische  Störungen  treten  während  des  Krieges  —  und  be- 
Ä  11  r Anschluss  an  die  Kriegszeit  —  im  Heere  in  erhöhter  Zahl 
aut,  ihre  Bedeutung  hegt,  wie  einige  Beispiele  der  letzten  Zeit  zei¬ 
gen  yor  allem  in  der  Gefährdung  der  Disziplin.  Schon  deshalb  ist 

AusbrurhrnQhyvXh  d'  <?;~die  Fernhaltung  aller  Leute,  bei  denen  der 
Ausbruch  psychischer  Storungen  zu  befürchten  ist,  von  der  Truppe 

Kr?eS)0SSnahpW?t  hU  fIeSen  (Au^ebung-  und  Musterung  vor  dem 
°uh  dlu  Bestimmung,  dass  Personen,  die  Geisteskrank- 
he  ten  durchgemacht  haben,  zum  Heeresdienst  überhaupt  nicht  zu- 

Fn  fpnop  werdf "  solle"-  ^wa  stattgehabte  Aufenthalte  in  Irren-  oder 
pi  eptikeranstalten,  Psychopathenheim,  Fürsorgeanstalten,  der  Be- 
such  von  Hilfsschulen,  erlittene  Vorstrafen  müssen  als  wichtige  Hin- 

ZtrZl  nt11  ZUJ  S^mrolle  der  Ersatzkommission  angezeigt 
werden.  Obwohl  auch  bei  der  jungen  Mannschaft  alle  verdächtigen 
Eigentümlichkeiten  im  Verhalten  verfolgt  werden,  so  lassen  sich  doch 
nicht  vorher  alle  Elemente  entfernen,  die  der  andauernden  Affekt¬ 
spannung  im  Krieg  nicht  gewachsen  sind  und  aus  dem  labilen  Gleich- 
gewic  .  gebracht  werden.  Spezifische  Typen  von  Psychosen  schafft 
der  Krieg  nicht,  nur  mehr  Erkrankungen,  mehr  Reaktionen  auf  Grund 
psychopathischer  Konstitution.  So  werden  hysterische  Zufälle,  wie 
Ohnmächten  mit  funktionellen  Krämpfen,  funktionelle  Abasie  Angst¬ 
zustande,  Erbrechen,  Schlaflosigkeit  mit  Angst,  Phobien  aller  Art 
hysterische  Delirien  ausgelöst,  weiter  depressive  Beeinträchtigungs¬ 
und  Beziehungsvorstellungen,  epileptoide  Verstimmungen  und  impul- 
sive  Dammerhandlungen,  welch  letztere  besonders  die  Disziplin 
schädigen.  Bei  längerer  Kriegsdauer  kommt  die  körperliche  Ueber- 
anstrengung  und  Erschöpfung,  Hyperästhesie,  emotionelle  Schwäche 
krankhafte  Sinnestäuschungen  mit  Apathie,  Angst,  Persistenz  der 
1  ageserlebmsse  im  Schlaf  usw.  Bei  dem  Auftreten  von  Infektions¬ 
krankheiten  werden  Delirien,  Amentialbilder,  oft  das  Korsakow¬ 
sche  Syndrom  zur  Beobachtung  kommen.  Der  chronische  Alkoholis¬ 
mus  hat  sich  schon  während  der  Mobilmachung  u.  a.  durch  das  Auf¬ 
treten  von  Delirium  bei  älteren  Landwehrleuten  unter  dem  Einfluss 
der  vorgeschriebenen  Alkoholabstinenz  geltend  gemacht.  Zahlreiche 
Lalle  von  Dementia  praecox  werden  wahrscheinlich  durch  den  Krieg 
manifest  werden,  ähnlich  werden  bei  älteren  Leuten  die  Erschei¬ 
nungen  einer  beginnenden  progressiven  Paralyse  deutlicher  zum  Vor¬ 
schein  kommen.  Ob  die  „Inkubationszeit“  der  Paralyse  durch  die 
Kriegsverhältnisse  eine  Abkürzung  erfährt,  werden  genauere  Be- 
obachtungen  zeigen  müssen.  Ein  besonderes  Hervortreten  der  Gruppe 
der  Manisch-Depressiven  hat  sich  bis  jetzt  in  dem  Kriege  noch  nicht 
erkennen  lassen. 

Die  Behandlung  besteht  vor  allem  im  Interesse  der  Truppe  in 
möglichst  rascher  Entfernung  der  Erkrankten,  wobei  im  Notfall  natür¬ 
lich  auch  die  Anwendung  von  Gewalt,  Fesselung  u.  dgl.  nicht  ganz 
zu  umgehen  sein  wird.  Das  humanste  und  sicherste  Mittel  ist  Skopola¬ 
min  hydrobrom.  0,0005—0,001  zusammen  mit  0,01—0,02  Morphium. 
Moi  phium  allein  pflegt  nicht  auszureichen.  Oft  handelt  es 
sic.!  bei  den  plötzlichen  Ausbrüchen  um  vorübergehende  Störungen 
die  sich  bald  beruhigen  lassen.  Der  Kranke  soll  aber  darauf  keines¬ 
falls  zur  Iruppe  zurückkehren,  sondern  ins  Feldlazarett  und  baldigst 
zur  Etappenstation  gebracht  werden.  Im  Etappengebiet  ist  die  Er¬ 
richtung  gut  ausgestatteter  Stationen  für  Geisteskranke  vorgesehen. 

Ih  Axen  fei  d- Freiburg  i.  Br.:  Kriegsophthalmologische  und 
organisatorische  Erfahrungen. 

An  den  Erfahrungen  der  Freiburger  Klinik  legt  Verf.  die  Not¬ 
wendigkeit  dar,  bei  Verletzungen  der  Augen  eine  möglichst  frühzeitige 
speziahstische  Untersuchung  und  Behandlung  herbeizuführen:  er  hat 
auch  erreicht,  dass  alle  Reservelazarette  des  badischen  Armeekorps 
den  Auftrag  erhielten,  alle  Augenverwundungen,  auch  wenn  noch 
andere  Körperteile  verletzt  sind,  sogleich  in  die  Augenkliniken  der 
Universitäten  und  grösseren  Städte  verbracht  werden.  Dasselbe 
so  lte  überall  und  auch  auf  den  Etappenlinien  geschehen.  Ausserdem 
sollten  künftig  hinter  dem  vorrückenden  Heere  besondere  voliaus- 


2122 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  42. 


gerüstete  Lazarettabteilungen  für  Augenverwundete  eingerichtet 
werden;  ohne  diese  Ausrüstung  können  die  bei  den  Iruppen  befind- 
liehen  Augenärzte,  auch  die  konsultierenden  Ophthalmologen  nicht 

das  Entsprechende  leisten. 

Grob  er- Jena:  Zur  Feuerbestattung  im  Kriege. 

Gegenüber  manchen  Bestrebungen  für  die  Feuerbestattung  im 
Kriege  verneint  Verf.,  dass  gegen  die  Erdbestattung,  wie  sie  auf 
deutscher  Seite  sorgfältig  geübt  wird,  irgendwelche  Bedenken  be¬ 
stehen  und  spricht  aus  praktischen  und  ethischen  Gründen  gegen  die 
Feuerbestattung,  wie  sie  etwa  mit  Hilfe  fahrbarer  Krematorien 
durchgeführt  werden  und  jedenfalls  auf  die  Truppen  nur  einen  un¬ 
günstigen  Eindruck  machen  müsste. 

L.  D  r  e  y  e  r  -  Breslau:  Erste  kriegschirurgische  Eindrücke. 

Der  Andrang  von  Verwundeten  bei  den  vordersten  Sanitäts¬ 
formationen  und  Feldlazaretten  war  so  gross,  dass  die  Aerzte  der 
Sanitätskompagnien  z.  B.  keine  Zeit  zur  Anlegung  von  Gipsverbänden 
hatten;  ausserdem  waren  sie  zur  möglichsten  Sparsamkeit  mit  dem 
Verbandmaterial  gezwungen;  dann  war  aber  wegen  Blutungen  bald 
eine  Erneuerung  des  Verbandes,  also  im  ganzen  nur  ein  grösserer 
Materialaufwand  notwendig.  Die  notdürftigen  Verbände  rutschten 
auch  leicht.  Sehr  zweckmässig  würde  daher  die  ausgiebige  Ver¬ 
wendung  von  Mastisol  sein.  Manche  Missstände  wurden  auch  durch 
die  Ueberzahl  von  Verwundeten  in  den  Feldlazaretten  bewirkt,  in¬ 
dem  sie  in  die  vordere  Linie  zur  Unterstützung  der  Sanitäts¬ 
kompagnien  vorrücken,  an  ungeeigneten  Plätzen  eingerichtet  wurden 
und  die  Verwundeten  allzu  frühzeitig  wieder  abgeben  mussten. 

B  e  r  g  e  a  t. 


Vereine. 

Versammlung  der  Sanitätsoffiziere  des  9.  Armeekorps 
und  der  Etappeninspektion. 

(Eigener  Bericht.) 

C  h  a  u  n  y,  am  5.  Oktober  1914. 

Vorsitzender:  Generalarzt  Witte,  Korpsarzt  IX.  Korps. 

Herr  Generalarzt  Prof.  Kümmell:  Infolge  des  raschen  Vorgehens 
unserer  1.  Armee  war  es  nicht  möglich,  dauerndes  Beobachtungs¬ 
material  zu  sammeln,  da  die  Kollegen  die  Verwundeten  nur  1 — 2  Tage 
sahen.  Eine  Ausnahme  bildeten  die  Kollegen  der  Kriegslazarette,  die 
mitunter  ihre  Verwundeten  tagelang  sehen,  ln  Aachen,  wohin  im 
Anfang  des  Feldzuges  die  Verwundeten  sehr  bald  in  spezialärztliche 
chirurgische  Behandlung  überführt  wurden,  habe  er  bei  konservativer 
Behandlung  der  Bauchverletzungen  sehr  günstige  Resultate  gesehen. 
Dass  bei  Bauchverletzungen  aber  auch  viele  Opfer  gefordert 
würden,  sei  selbstverständlich;  ebenso  klar  sei  es  auch,  dass  Laparo¬ 
tomien  bei  Bauchverletzungen  wegen  der  Dauer  ihrer  Ausführung 
nicht  immer  möglich  seien.  Die  Erfolge  unserer  Armee  verdankten 
wir  unserem  raschen  Vormarsch,  unseren  Feldküchen  und  unserem 
1.  Verband  auf  dem  Schlachtfeld  mit  dem  Verbandpäckchen,  das  alles 
andere  übertreffe. 

Herr  Generalarzt  Prof.  Müller:  Wie  verhalten  wir  uns  bei  der 
ersten  möglichst  raschen  Versorgung  der  Verwundeten?  Hat  sich 
hierbei  das  Verbandpäckchen,  die  Jodtinktur,  das  Mastisol  bewährt? 
Ist  der  Jodtinktur  oder  dem  Mastisol  ein  Vorzug  einzuräumen? 
Redner  hat  speziell  das  Jod  bei  Gewehrschüssen  kennen  gelernt.  Bei 
Jod  lässt  sich  der  Verband  später  wieder  rasch  entfernen,  was  bei 
Mastisol  nicht  der  Fall  ist.  Unser  Verbandpäckchen  ist  dem  unserer 
Gegner  weit  überlegen. 

Herr  Brie:  Unser  Verbandpäckchen  sitze  am  Kopf  und  am 
Rumpf  sehr  gut.  Bei  Schulter  und  Gesässverbänden  sitze  es  jedoch 
schlecht,  da  es  hier  leicht  verrutsche.  Ein  Mastisolverband  sei  hier 
besser.  Ferner  halte  er  das  belgische  Verbandpäckchen  bei  grossen 
Ausschussöffnungen  wegen  der  Grösse  seines  Mullstückes  für  besser. 

Herr  Schreiber:  Das  französische  Verbandpäckchen  besteht 
aus  2  losen  Binden,  1  paar  Nadeln  und  1  Stück  losem  Verbandstoff. 
Bei  In-Gebrauch-nehmen  des  Verbandpäckchens  falle  alles  aus¬ 
einander;  er  habe  viele  Infektionen  an  Franzosen  im  Kriegslazarett 
gesehen. 

Herr  Generalarzt  Prof.  Müller:  Es  sei  richtig,  dass  ein  Ver¬ 
bandpäckchen  nicht  für  alle  Teile  gleich  gut  sein  könne.  Der  Vorzug 
unseres  Verbandpäckchens  sei  seine  Handlichkeit  und  seine  Anord¬ 
nung.  Bei  der  Anwendung  falle  es  nicht  auseinander;  lege  man  noch 
einen  Heftpflasterstreifen  über  einen  Verband  mit  ihm,  so  sässe  auch 
ein  sonst  loser  Verband  fest. 

Herr  Trepplin:  Auf  Truppenverbandplätzen  würden  und  soll¬ 
ten,  wie  es  auch  befohlen  sei,  Verbandpäckchen  nicht  gebraucht;  sie 
seien  für  den  1.  Verband  in  der  Feuerlinie  da,  zumal  ihre  Anzahl 
stets  eine  beschränkte  sei.  Die  Frontärzte  arbeiteten  daher  auf 
ihrem  Trupenverbandplatz  nur  mit  Verbandstoff,  Binde  und  Pflaster. 
Die  französischen  Verbandpäckchen  hätten  dann  noch  den  Nachteil, 
dass  sie  zugenäht  seien;  es  sei  daher  für  einen  am  Arm  Verwunde¬ 
ten  sehr  schwer,  es  zu  öffnen. 

Herr  Generalarzt  Witte:  Wenn  vorher  erwähnt  sei,  dass  bei 
grossen  Verletzungen  unsere  Verbandpäckchen  zu  klein  seien,  so 
erinnere  er  daran,  dass  unsere  Krankenträger,  die  ja  die  Verwunde¬ 
ten  auf  dem  Schlachtfeld  aufsuchten,  100  g  sterilen  Mull  sowie 
Kambrikbinden  bei  sich  führten.  Der  Mull  sei  so  gepresst  und  ver¬ 


packt,  dass  einzelne  Stücke  unter  Beobachtung  der  Sterilität  ab¬ 
geschnitten  werden  können.  Trotzdem  halte  aber  auch  er  dieses 
sterile  Mullstück  nicht  für  etwas  Ideales,  da  man  immer  bei  seinem 
Gebrauch  Messer  oder  Scheere  brauche.  Unser  Verbandpäckchen 
habe  sich  gut  bewährt;  vor  allem  sei  seine  einfache  Oeffnung  durch 
Abstreifen  des  Fadens  zu  loben. 

Herr  Ramm  in:  Bei  seiner  Sanitätskompagnie  habe  er  einen 
Fall  gesehen,  wo  ein  durch  Munitionsexplosion  sehr  schwer  verletzter 
Artillerist  mit  Verbandpäckchen  von  seinen  Kameraden  so  ideal  ver¬ 
bunden  worden  sei,  dass  man  sich  gescheut  habe,  die  Verbände  ab¬ 
zunehmen. 

Herr  Hauck:  Bei  Wunden  am  Rumpf  sässen  Verbände,  die  nur 
mit  Verbandpäckchen  gemacht  wären,  schlecht;  sie  verrutschten 
leicht. 

Herr  Generalarzt  Prof.  Kümmell:  Verschiebung  eines  Ver¬ 
bandes  des  Verbandpäckchens  sei  möglich;  ob  aber  dem  Verband¬ 
päckchen  noch  ein  Heftpflasterstreifen  hinzugefügt  werden  solle,  sei 
fraglich.  Der  einfache  Soldat  könne  dann  das  Verbandpäckchen  nicht 
so  handhaben,  der  1.  Verband  aber  sei  massgebend.  Er  habe  ge¬ 
funden,  dass  unser  Verbandpäckchen  zur  Heilung  der  Wunden  ein 
ganz  vorzügliches  Mittel  sei;  bei  grossen  Risswunden  durch  grössere 
Geschosse  brauche  man  natürlich  grössere  Verbände. 

Herr  Generalarzt  Prof.  Müller:  Infolge  der  Eigentümlichkeiten 
des  Krieges  erhielten  wir  die  Wunden  in  den  denkbar  ungünstigsten 
Verhältnissen.  Wenn  irgend  möglich  sollten  auf  den  Truppenverband¬ 
plätzen  die  umgebenden  Haare  einer  Wunde  abrasiert  und  dann  erst 
Jodtinktur  gebraucht  werden.  Eine  Wunde  solle  nie  mit  Fingern 
berührt  werden;  den  besten  Wundverlauf  hätten  die  unberührten 
Wunden  gezeigt.  Eine  Wunde  mit  trockenem  Blutschorf  brauche 
nicht  frisch  versorgt  zu  werden,  wohl  aber  eine  feuchte  Wunde. 

Ueber  die  Anwendung  von  Jod  und  Mastisol  entspinnt  sich  eine 
längere  Diskussion.  Kümmell  hält  die  Anwendung  des  Mastisol  im 
Felde  für  zu  zeitraubend. 

Herr  Generalarzt  Prof.  Müller:  Wann  soll  konservativ  be¬ 
handelt  werden  und  wann  radikal?  In  Aachen,  wo  die  Verwundeten 
sehr  bald  in  spezialistische  Hände  kamen,  wurde  sehr  wenig  ampu¬ 
tiert.  Bei  schweren  Verwundungen,  Zerreissen  von  Muskeln  durch 
schwere  Geschosse  (Maschinenverletzungen  im  Frieden)  soll  ampu¬ 
tiert  werden.  Auf  Verbandplätzen  soll  auch  nach  Redners  Ansicht 
keine  Naht  gelegt  werden.  Eine  lokalisierte  Nekrosenbildung  sei 
keine  Indikation  für  Amputation;  es  seien  dann  breite  Inzisionen 
nötig;  ebenfalls  gelinge  es  durch  breite  Inzisionen  bei  Temperatur¬ 
anstieg  und  Pulsfrequenz  ein  Glied  noch  zu  retten. 

Herr  v.  Rothe:  In  Abteilung  Croix  rouge  des  Kriegslazarett 
Chauny  wurden  durch  breite  Inzisionen,  gute  Drainage  und  Ruhig¬ 
stellung  des  Gliedes  sehr  gute  Erfolge  erzielt.  Bewegungen,  Um¬ 
betten  der  Kranken  sind  möglichst  zu  vermeiden,  weil  hierbei  Lyniph- 
bahnen  eröffnet  werden.  Ferner  sollen  möglichst  lange  Stümpfe 
gebildet  werden;  wie  ein  Stumpf  wird,  ist  ganz  gleich,  nur  soll 
er  möglichst  lang  sein,  damit  später  eine  Plastik  geschaffen 
werden  kann  und  Pat  eine  Prothese  tragen  kann. 

Herr  Generalarzt  Witte  regt  die  Frage  zur  Diskussion  an,  wo¬ 
durch  in  letzter  Zeit  die  im  Etappenlazarett  beobachteten  Infektionen, 
namentlich  Tetanus,  entstanden  sind. 

Herr  Bender:  Nach  seiner  Ansicht  tritt  Tetanus  bei  Verwunde¬ 
ten  auf,  die  lange  draussen  gelegen  haben.  Ferner  habe  er  von 
hiesigen  französischen  Kollegen  gehört,  dass  in  dieser  Gegend  Tetanus 
einheimisch  sei  und  dass  auch  von  Serum  kein  Erfolg  beobachtet 
sei.  ln  Noyon  kennen  sogar  die  Einwohner  Tetanus  als  Krankheit; 
französische  Kollegen  in  Noyon  hätten  erzählt,  dass  sie  in  25  Jahren 
50  Fälle  von  Tetanus  beobachtet  hätten.  In  Cambray  spritzen  die 
französischen  Kollegen  vor  jeder  Operation  Tetanusserum  ein.  Eid¬ 
lich  kämen  die  beobachteten  Infektionen  daher,  dass  ohne  Gummi¬ 
handschuhe  teilweise  operiert  werde  und  man  gezwungen  sei,  bald 
septische  bald  aseptische  Operationen  hintereinander  auszuführen. 
Redner  empfiehlt  den  Gebrauch  dicker  Gummihandschuhe,  die  dauer¬ 
hafter  als  dünne  seien  und  sich  durch  Abreiben  mit  Spiritus  leicht 
desinfizieren  Hessen. 

Herr  Generalarzt  Prof.  Kümmell:  Nach  seinen  Erfahrungen 
wurden  Infektionen  beobachtet  bei  1.  Fällen,  die  lange  draussen 
gelegen  haben,  2.  bei  verschobenen  Verbänden,  3.  wenn  die  Verbände 
feucht  waren  und  so  die  Infektion  von  aussen  eindrang.  Man  ge¬ 
winne  allerdings  den  Eindruck,  als  ob  jetzt  mehr  Infektionen  vor¬ 
kämen,  als  früher;  es  sei  aber  zu  berücksichtigen,  dass  bei  den  jetzi¬ 
gen  schweren  Verletzungen  durch  die  schweren  Geschütze^  Infek¬ 
tionen  auch  häufiger  seien,  als  bei  kleineren  Verletzungen.  Er  habe 
schon  mitunter  18  Stunden  nach  der  Verletzung  einen  süsslichen  Ge¬ 
ruch  beobachtet;  er  empfiehlt  bei  Temperatursteigerung  sofortige 
Amputation,  und  zwar  einfache  Amputation  ohne  jede  Künstelei, 
ferner  absolut  offene  Wunde,  grossen  Amputationsstumpf.  Später 
könne  eine  sekundäre  Amputation  vorgenommen  werden. 

Herr  v.  Rothe  hat  öfters  unter  einem  trockenen  Wundschon 
einen  mit  Eiter  gefüllten  Schusskanal  gefunden:  er  habe  bisher  noch 
niemals  nach  einem  Schrapnellschuss  eine  sterile  Wunde  gesehen. 
Er  empfiehlt  peinlichste  Temperaturmessung,  frühzeitige  Amputation 
und  breite  Inzision. 

Herr  Generalarzt  Prof.  Kümmell  empfiehlt  unbedingt  Fixation 
der  komplizierten  Verwundungen,  auch  er  hält  den  Gebrauch  von 
dicken  Gummihandschuhen  beim  Operieren  für  nötig.  Man  gewöhne 


?0.  Oktober  1914 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


212.3 


als 


.ich  an  sie  bald,  ihre  Desinfektion  ginge  rascher  und  sicherer 

lic  der  Hände. 

Herr  v.  Rothe  empfiehlt  im  allgemeinen  trockene  Nachbehand- 
;inK  der  Amputationen.  Bei  üasphlegmone  sah  er  sehr  gute  Erfolge 
nit  Wasserstofrsuperoxydbehandlung  ;die  Gasphlegraonen  waren  alle 
•eigen  von  SchrapnellvcrletzunKcn. 

..  ^cr.r;.^  c  *,..u  *  z  e:  *.?c'  Verwundeten,  die  lange  auf  den  Verband- 
latzen  hatten  liegen  müssen,  sei  die  Wunde  mit  einem  feuchten  Blut- 
uJien  \ erschlossen.  Bei  Iransport  kämen  nun  sehr  leicht  die  feuch- 
en  Verbände  mit  dein  Stroh  in  Berührung  und  so  entstände  eine 
itektion.  Eine  rasche  Evakuierung,  wenn  möglich  durch  Sanitäts- 
Utos  könne  diese  Infektion  verhindern. 

Herr  Eiche  1  empfiehlt  als  Schienenmaterial  im  Feldlazarett 
nd  aut  dem  Hauptverbandplatz  Stores  der  Fenster  zu  benützen 

Herr  Generalarzt  Witte:  Frühzeitiger  Abtransport,  gutes 
ch.enenmaterial  seien  wichtige  Punkte.  Da  die  Mitnahme  von  Sani- 
itsmaterial  aber  beschrankt  sei,  müsse  improvisiert  werden;  er  habe 
aher  stets  darauf  hingewirkt,  dass  zum  Sanitätspersonal  möglichst 
andwerker  genommen  würden.  Im  übrigen  habe  die  Etappe  Chauny 
ut jhren  Autos  zum  Abtransport  der  Verwundeten  sehr  gut  geholfen- 
1  I  a  wurde‘?  sämtliche  Verwundete  von  den  Truppen-Haupt- 
erbandplatzen  und  heldlazaretten  abgeholt,  so  dass  jetzt  nur  noch 
J  Verwundete  in  diesen  lägen. 

Herr  Generalarzt  Prof  Müller:  Man  muss  unterscheiden  zwi- 
.hen  örtlicher  Infektion  (Abszessbildung)  und  progressiver  all- 
-niemer  Infektion.  Diese  Unterscheidung  ist  wichtig,  im  Felde  aber 
egen  Zeitmangels  öfters  schwierig.  Bei  örtlicher  Phlegmone  breite 
zision;  ferner  warnt  Redner  vor  Tamponade,  die  Abfluss  verhindere 
ld  Abszesse  schaffe.  Bei  breiter  Freilegung  solle  man  nur  die 
nochensplitter  entfernen,  die  vom  Periost  vollständig  entblösst  sind, 
rainieren  sei  etwas  anderes  als  „tamponieren“.  Drainieren  sei 
iaubt,  Drainage  mit  Glasröhren  oder  Gummischläuchen. 

, e  nun  anschliessende  Erörterung  und  Vortrag  des  Herrn 
en cra  urzt  V  it  te,  Generalarzt  Prof.  Kümmell  und  Generalarzt 
r°f-  Müller  über  die  Wirkung  unseres  Geschosses,  sowie  über 
e  Verwendung  von  Dumdumgeschossen  bei  unseren  Gegnern  und 
re  v\  irkung  ist  zurzeit  des  Feldzuges  als  Referat  nicht  geeignet 
n  zu  verhindern,  dass  unsere  Feinde  Nachricht  davon  erhalten. 

Dr.  Hübner,  Stabsarzt,  Bataillonsarzt  Regiment  Hamburg. 


Kleine  Mitteilungen. 

Aus  Feldpostbriefen. 

Septembertage  in  Sedan. 

Als  unser  Lazarett  am  25.  VIII.  hinter  Bouillon  die  französische 
enze  überschritt,  da  wuirde  uns  allen  zur  Gewissheit,  was  wir 
mn  lange  gehofft,  wir  sollten  den  2.  September  an  Ort  und  Stelle 
ern.  Zunächst  ging  es  uns  wieder,  wie  wir  hinter  der  Truppe 
trsclnerenden  es  schon  gewohnt  waren.  Als  Quartier  wurde  uns 
1  Dörfchen  bestimmt,  das  bei  unserer  Ankunft  wegen  der  Be- 
hgung  der  Einwohner  an  den  Feindseligkeiten  in  Flammen  stand 
zogen  wir  das  Biwak  zwischen  den  brennenden  Dörfern  La  Cha- 
le  und  Givonne  natürlich  vor.  Am  26.  und  27.  August  konnten 
r  von  diesen  sanften  Höhen  westlich  der  Maas  den  Artillerie- 
mpf  um  Sedan  beobachten.  Unsere  braven  Truppen  wurden  auch 
in  t inziehen  in  Sedan  wieder  aus  dem  Hinterhalt  beschossen, 
i  Stadt  musste  sich  durch  eine  stattliche  Summe  von  der  Feuer- 
afe  loskaufen  und  so  konnten  wir  am  27.  abends  dort  unseren 
izug  halten.  Schule,  Pfarrhaus,  Kirche  und  Kloster  von  Sedan- 
rev  wurde  sofort  für  unsere  Kranken  eingerichtet  und  nachts 
Uhr  konnten  wir  mit  den  notwendigsten  Operationen  beginnen, 
^en  doch  auf  dem  Bahnhofe  schon  Hunderte  von  Verwundeten, 
wundernsw'ert  trug  die  Mehrzahl  der  französischen  und  deutschen 
eger  ihre  Schmerzen.  Gerade  die  Rheinländer,  aus  denen  in  der 
hrzahl  sich  unser  VIII.  Reservekorps  zusammensetzt,  wurden 
■r  von  den  Franzosen  an  Standhaftigkeit  im  Ertragen  der 
imerzen  übertroffen.  Dagegen  waren  wir  alle  entsetzt  über  den 
imutz,  von  dem  viele  Franzosen  geradezu  starrten.  Auch  das 
ize  Städtchen  Sedan  machte  einen  unvorteilhaften  Eindruck, 
se  Klosettanlagen  sind  der  „grossen  Nation“  unwürdig  und  das 
nisonlazarett  übertraf  nach  Aussage  eines  Arztes,  der  den 
kankrieg  mitgemacht  hatte,  an  Schmutz  und  Alter  seiner  Ein¬ 
itungen  selbst  die  schlimmsten  türkischen  Militärhospitäler. 

Die  ersten  Tage  arbeiteten  wir  mit  Ablösung  Tag  und  Nacht 
ch,  um  wenigstens  den  notwendigsten  ärztlichen  Dienst  bei  den 
ner  von  neuem  zuströmenden  Verwendeten  zu  erledigen  und 
•r  Verpflegung  gerecht  zu  werden.  Ohne  die  reichlichen  Liebes- 
tm,  die  in  Luxemburg  für  uns  gesammelt  wurden,  wäre  das 
m  möglich  gewesen,  denn  an  Mehl,  Eiern,  Butter,  Tabak  fehlte 
gar  bald  in  Sedan.  Und  gerade  Tabak  wrar  für  die  Kranken 
:en  der  entsetzlichen  Fliegenplage  so  notwendig. 

Bis  zum  2.  September  war  der  erste  Hauptansturm  der  Arbeit 
ältigt,  viele  leichter  Verwundete  in  die  Heimat  geschickt  und 
konnten  wir  daran  denken,  den  Sedantag  festlich  zu  begehen, 
aals  hatten  die  Hauptkämpfe  diesseits  der  Maas  srattgetunden, 
Schädel-  und  Gebeinesammlung  im  Gewölbe  des  Friedhofes  Ba- 
es  spricht  heute  noch  deutlich  davon.  Der  alte  Friedhofaufseher 


erzählte,  dass  dieses  Jahr  zum  ersten  Male  am  2.  September  der 
Mdiiz  mit  der  blauweissen  Schleife  ausgeblieben  sei,  doch  hing  der 
vorjährige  noch  da.  Jetzt  hatte  die  Eroberung  der  westlichen  Höhen 
aas  meiste  Blut  gekostet.  Die  Spuren  des  Artillerie-  und  Infanterie- 
Kamptes  waren  auf  dein  Westufer  überall  zu  sehen.  In  ülaise  war 
Kaum  ein  Haus  vom  Granatenfeuer  unversehrt  geblieben  und  leider 
war  auch  das  historische  Schlösschen  Bellevue  bei  Donchery 
stark  mitgenommen.  Diesem  idyllisch  inmitten  alten  Parkes  ge¬ 
legenen  Schlösschen  galt  natürlich  mein  Morgenritt  am  2.  September, 
vor  dem  Schlosseingang  liegt  ein  am  26.  VIII.  gefallener  deutscher 
Lttizier  und  2  deutsche  Krieger  begraben,  als  sollten  sie  an  Ort 
und  Stelle  dafür  zeugen,  dass  M  o  1 1  k  e  recht  gehabt,  dass  erst 
ein  zweiter  Krieg  uns  ruhige  Ernte  des  1870  Errungenen  verschaffen 
könne.  Die  Ausstattung  des  historischen  Raumes,  wo  die  Kapitu- 
lationsverhandlungen  unterzeichnet  wurden,  ist  noch  unverändert, 
wie  jeder  sie  von  dem  berühmten  Bilde  her  kennt.  Nur  waren  die 
Spuren  des  Kampfes  auch  hier  im  Innern  auf  Schritt  und  Tritt  zu 
sehen.  Die  vornehme  alte  Dame,  die  das  Elend  des  Krieges  schon 
einmal  mitgemacht  hatte,  ging  plan-  und  ziellos  durch  die  ver¬ 
wüsteten  Räume  umher. 

Der  Hauptkampf  hatte  aber  jetzt  weiter  südlich  um  Wadelin- 
y°urt  “d  Noyers  getobt.  Noyers  liegt  auf  den  westlichen  Höhen 
der  Maas  gerade  gegenüber  Bazeilles.  Hier  haben  jetzt  wieder  an 
die  2000  Deutsche  und  Franzosen  ihr  Grab  gefunden.  Die  kleine 
Kirche  des  Ortes  war  auch  Schauplatz  heftigen  Kampfes  gewesen. 
Ein  deutscher  Major,  dort  oben  gefangen,  wurde  hineingebracht  und 
sah  einen  deutschen  Arzt  dort  an  der  Arbeit.  Die  einschlagenden 
Granaten  töteten  zwei  der  eben  verbundenen  Franzosen.  Die 
Wiedereroberung  des  Ortes  durch  unsere  unaufhaltsam  von  der 
Maas  hinaufstürmenden  Truppen  gab  Major  und  Arzt  die  Freiheit 
wieder. 

In  Sedan  selbst  war  es  nun  ruhig  geworden.  Wir  konnten 
ungestört  unserer  Feststimmung  freien  Lauf  lassen.  Die  Wacht  am 
Rhein  und  Kaiserhoch  am  Sedanstage  in  Sedan,  wer  hätte  das  vor 
kurzem  noch  gedacht.  Der  Soldatenhumor  hatte  inzwischen  sich 
auch  des  Stadtbildes  bemächtigt.  Dem  Marschall  Turenne-Standbild 
im  Mittelpunkt  der  Stadt  hatten  sie  die  deutsche  Flagge  in  die 
Hand  gedrückt.  Das  Blau  der  französischen  Schilderhäuser  war 
sofort  schwarz  übermalt  worden  und  Schwarz-Weiss-Rot  war 
Trumpf. 

Während  unsere  Truppen  in  immer  neuen  Nachschüben  weiter 
südwestlich  zogen,  konnten  wir  nun  unseren  Kranken  mit  Hilfe  der 
Einwohner  immer  bessere  Unterkunft  verschaffen  und  sie  von  den 
Strohsäcken  auf  schnell  gezimmerte  Bettstellen  lagern.  Nur  von  der 
Zudringlichkeit  der  Myriaden  von  Fliegen  konnten  wir  sie  nicht 
befreien,  da  genügend  Fliegenpapier  nicht  aufzutreiben  war.  Wer 
daheim  jetzt  für  unsere  Kranken  sammelt,  der  möge  dies  nicht 
vergessen.  Die  Fliegen  sind  nicht  nur  eine  Plage,  sondern  auch 
eine  Gefahr  für  unsere  verwundeten  Helden. 

Dr.  Gilbert,  Stabsarzt  b.  Res.-Feldlazarett  37,  Privatdozent  an 
der  Universität  München. 


i  agesgeschichtiiche  Notizen. 

München,  den  19.  Oktober  1914. 

—  12.  Kriegswoche.  Nach  dem  Fall  von  Antwerpen  haben 
die  deutschen  Truppen  die  Reste  der  belgischen  Armee  zum  Teil  zum 
Uebertritt  auf  holländisches  Gebiet  gezwungen,  z.  T.  geschlagen  und 
vor  sich  hergetrieben.  Die  englischen  Truppen,  die  das  sinkende 
Schiff  von  Antwerpen  rechtzeitig  verlassen  hatten,  haben  sich  zum 
grösseren  Teil  über  Ostende  in  ihre  Heimat  zu  retten  gewusst.  Mit 
der  Besetzung  von  Brügge  und  Ostende  ist  fast  ganz  Belgien  in 
deutscher  Gewalt.  Im  Osten  sind  die  deutschen  und  österreichischen 
Heere  in  raschem  Vormarsch  und  unter  wiederholter  Zurückweisung 
feindlicher  Vorstösse  bis  vor  Warschau  belangt.  Die  Verluste,  mit 
denen  die  Erfolge  unserer  Truppen  erkauft  werden,  sind  notwendiger¬ 
weise  sehr  gross  und  es  liegt  in  der  Natur  der  modernen  Krieg¬ 
führung,  dass  auch  das  Sanitätspersonal  daran  stärker  beteiligt  ist, 
als  in  früheren  Feldzügen.  In  der  Tat  dürfte  der  Anteil  der  Aerzte 
an  der  Verlustliste  kaum  geringer  sein,  als  der  der  übrigen  Truppen¬ 
teile.  Der  erhöhten  Gefahr,  der  die  Aerzte  in  diesem  Feldzuge  aus¬ 
gesetzt  sind,  entspricht  auch  die  grosse  Zahl  der  ihnen  zufallenden 
Auszeichnungen;  die  Brust  vieler  Kollegen  schmückt  bereits  das 
Eiserne  Kreuz.  Aber  nicht  nur  Gefahren,  sondern  auch  ungeheuere 
Anstrengungen  haben  unsere  Kollegen  draussen  zu  ertragen.  An 
blutigen  Tagen  genügt  offenbar  die  Zahl  der  an  den  Verbandplätzen 
und  in  den  Feldlazaretten  vorhandenen  Aerzte  nicht.  Auch  aus 
Etappenlazaretten  wird  uns  von  herrschendem  Aerztemangel  be¬ 
richtet.  Andererseits  gibt  es  Reservelazarette,  in  denen  für  eine 
nur  geringe  Zahl  von  Verwundeten  ein  überflüssig  grosser  Stab  von 
Aerzten  zur  Verfügung  steht.  Es  scheint,  dass  die  Verteilung  der 
ärztlichen  Kräfte,  ihre  Heranbringung  an  den  Ort  des  grössten  Be¬ 
darfs,  zu  wünschen  übrig  lässt.  Bei  der  grossen  Zahl  von  Aerzten 
in  Deutschland,  die  darauf  brennen,  ihre  Dienste  dem  Vaterlande  zu 
widmen,  sollte  jeder  fühlbare  Aerztemangel  vermieden  werden 
können.  Leider  hat  die  in  Nr.  39  u.  41  d.  W.  gegebene  Anregung, 
einen  Nachweis  für  offene  Stellen  an  Militärlazaretten  einzurichten, 
bisher  keinen  Erfolg  gehabt. 


2124 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  4 


—  Eine  mit  Rücksicht  auf  den  Aerztemangel  in  einigen  Teilen 
Deutschlands  gemachte  Eingabe  des  Leipziger  Verbands  an  das 
preuss.  Kriegsministerium  um  Befreiung  von  appr.  Aerzten  und  nicht- 
appr.  Medizinern  von  der  L  a  n  d  s  t  u  r  m  p  f  1  i  c  h  t  ist  abschlägig 
beschieden  worden.  Es  erscheine  unter  allen  Umständen  geboten, 
zunächst  den  Bedarf  an  Aerzten  für  die  Armee  zu  decken;  eine  Be¬ 
freiung  von  der  Einberufung  könne  daher  nur  ausnahmsweise  im  Ein¬ 
zelfalle  unter  Berücksichtigung  der  örtlichen  und  ärztlichen  Verhält¬ 
nisse  in  Frage  kommen. 

—  Der  Vorstand  der  Aerztekammer  für  die  Provinz 
Brandenburg  und  den  Stadtkreis  Berlin  hat  sich  als  Zentral¬ 
stelle  aufgetan  zur  Prüfung  solcher  Fälle,  in  denen  Wünsche  auf  un¬ 
entgeltliche  und  verbilligte  ärztliche  Hilfe  an  die  Aerzte  herantreten. 
Der  Kammervorstand  will  in  weitem  Masse  die  Humanitätspflichten 
der  Aerzte  anerkennen,  andererseits  aber  unberechtigte  Ansprüche 
an  die  Aerzte  im  Interesse  der  Kollegen  und  von  deren  Familien 
zurückweisen.  Die  Aerzte  des  Kammerbezirks  werden  ersucht,  Pri¬ 
vatpersonen  oder  öffentliche  Organisationen,  die  sich  mit  solchen 
Wünschen  an  sie  wenden,  an  den  Kammervorstand  zu  verweisen. 

Die  Errichtung  eines  bayerischen  Sanitäts-Kraft- 
fahrer-Korps  wurde  genehmigt.  Die  Organisation  des  Korps  ist 
dem  Kartell  bayerischer  Automobilklubs  (Sitz  Nürnberg)  übertragen. 
Die  Mitglieder  des  Korps  haben  Offiziersrang,  die  Mechaniker  Unter¬ 
offiziersrang.  Man  hofft,  die  erste  Abteilung  von  25  Wagen  bereits 
in  2  Wochen  ausrücken  lassen  zu  können. 

Das  amerikanische  Rote  Kreuz  in  Breslau. 
Die  amerikanische  Abordnung  des  Roten  Kreuzes  unter  Leitung  von 
Dr.  B  r  e  a  d  b  u  r  y  traf  am  13.  Oktober  von  Berlin  aus  in  Breslau  ein. 
Als  Vertreter  des  deutschen  Roten  Kreuzes  begleitete  sie  Graf 
Talleyrand.  Sie  besteht  aus  12  Aerzten  und  52  Pflegerinnen, 
von  denen  die  Hälfte  Breslauer  Lazaretten  zugeteilt  wurde;  die  andere 
Hälfte  setzte  die  Fahrt  nach  Wien  fort.  4  mit  Verbandmaterial  ge¬ 
füllte  Waggons,  welche  sie  in  ihrem  Sonderzuge  mitgeführt,  blieben 
in  Breslau. 

—  Der  Tuberkuloseausschuss  der  Zentralstelle 
für  Kriegs  Wohlfahrtspflege  des  Roten  Kreuzes  in  Berlin 
vermittelt  Arztstellen  in  Lungenheilstätten.  Zurzeit  sind  6 — 8  offene 
Assistenzarztstellen  zu  besetzen.  Meldungen  an  den  Tuberkulose- 
ausschüss  im  Reichstagsgebäude. 

_ Dr.  A.  Bacmeister,  Privatdozent  an  der  Universität  Frei¬ 
burg  i.  Br.  hat  seit  dem  1.  Oktober  1914  als  Nachfolger  des  Medizinal¬ 
rats  Dr.  Sander  die  ärztliche  Leitung  des  Sanatoriums  für  Lungen¬ 
kranke  in  St.  Blasien  übernommen. 

Der  Professor  für  innere  Medizin  an  der  Akademie  für  prakt. 
Medizin  in  Düsseldorf  Dr.  Aug.  Hoff  mann  wurde  zum  beratenden 
inneren  Mediziner  der  I.  Armee  unter  Beförderung  zum  General¬ 
oberarzt  ernannt. 

—  Das  Bad  Brückenau  hat  den  Elisabethbau,  den  seiner¬ 
zeit  die  Kaiserin  Elisabeth  von  Oesterreich  während  ihres  Kur¬ 
aufenthaltes  bewohnte,  als  Kriegslazarett  mit  85  Betten  ausgestattet 
der  Heeresverwaltung  zur  Verfügung  gestellt.  Den  Betrieb  wird  das 
Rote  Kreuz  übernehmen.  Ferner  wurde  dem  Roten  Kreuz  in  Wiirz- 
burg  ein  Waggon  Wasser  unentgeltlich  zur  Verfügung  gestellt. 

(Hochschulnachrichten.) 

Frankfurt  a.  M.  Dr.  Robert  Isensch  rn  i  d,  Sekundararzt 
am  städtischen  Krankenhaus  zu  Frankfurt  a.  M.,  hat  einen  Ruf  als 
Professor  für  experimentelle  Physiologie  am  Medico-Chirurgical 
College  in  Philadelphia  erhalten  und  abgelehnt. 

Kiel.  Der  bisherige  wissenschaftliche  Assistent  an  der  Kieler 
Universitäts-Augenklinik,  Privatdozent  Dr.  Beier,  wurde  zum 
1.  Assistenten  ernannt  und  erhielt  den  Titel  Oberarzt. 

Zürich.  Als  Privatdozenten  wurden  mit  Beginn  des  Winter¬ 
semesters  1914/15  zugelassen:  Dr.  W.  v.  G  o  n  z  e  n  b  a  c  h  für  Hygiene, 
Dr.  Otto  Steiger,  erster  Assistent  an  der  medizinischen  Klinik,  für 
innere  Medizin,  speziell  für  funktionelle  Diagnostik,  (hk.) 

—  Das  Eiserne  Kreuz  erhielten:  O.St.A.  Dr. 
v.  Ammon  im  Kriegsministerium  (München).  —  Gen.A.  Prof.  Dr. 
v.  Anger  er  (München).  —  Bat.A.  Dr.  Friedr.  Baum  (Arnstadt, 
Thür.).  —  St.A.  d.  Res.  Dr.  Heinrich  Berge  mann  (Husum).  — 
St.A.  d.  L.  Dr.  Kurt  Berger  (Dresden).  —  St.A.  d.  L.  Dr.  Brau  n 
(Solingen).  —  O.St.A.  Dr.  Buhler,  20.  bayer.  Inf.-Reg.  —  St.A.  d. 
Res.  Dr.  E.  Carl  (Augsburg).  —  O.St.A.  Caudinus,  1.  Chev.-Reg. 

—  St.A.  Dr.  Dreifuss  (Hamburg).  —  Dr.  Dünzelmann,  Ass.- 
Arzt  d.  Univ.-Kinderklinik  Leipzig.  —  St.A.  D  u  p  r  e,  19.  bayer.  Inf.- 
Reg.  —  O.A.  Dr.  Eisenreich,  3.  bayer.  Feld-Art.-Reg.  — 
Dr.  Christian  Engel  (Minden  i.  W.).  —  O. Gen.A.  Dr.  Eyerich, 
Korpsarzt  d.  II.  bayer.  Armeekorps.  —  Ass.A.  Fritze.  —  O.A.  Dr. 
G  e  i  g  e  n  b  e  r  g  e  r,  5.  bayer.  Inf.-Reg.  —  Ass.A.  d.  Res.  Dr.  Friedr. 
Giffhorn  (Baruth).  —  O.A.  d.  Res.  Dr.  J.  Göbel  (Göda).  — 
Gen.A.  Prof.  Dr.  Graser  (Erlangen).  —  O.St.A.  Dr.  H  a  h  n, 
7.  Chev.-Reg.  —  O.St.A.  Dr.  H  a  u  e  n  s  c  h  i  1  d,  10.  bayer.  Feld-Art.- 
Reg.  —  Dr.  Hebenstreit,  Ass. Arzt  d.  3.  reit.  Batt.  1.  sächs.  Feld- 
Art.-Reg.  Nr.  12.  —  U.A.  Dr.  Hebenstreit,  1.  Feld-Art.-Reg. 

—  O.A.  d.  Res.  u.  Bat.A.  Dr.  Karl  Herbrand  (Werdau  Sa.)  — 
Ass.A.  Herchner.  —  O.A.  d.  Res.  Dr.  Martin  Hirschberg  (Kur¬ 
haus  Schloss  Tegel).  —  St.A.  d.  Res.  Med.-Rat  Dr.  Holz  (Leipzig). 

—  St.A.  Dr.  Hans  Hübner.  —  St.A.  Dr.  H.  K  a  y  s  e  r  (Altona), 
Hygieniker  beim  Generalkommando  IX.  Armeekorps.  —  St.A.  Dr. 
Hans  Kick  ton  (südwestafr.  Schutztruppe).  —  O.A.  d.  Res.  Dr. 


Martin  K  i  r  s  c  h  n  e  r.  III.  B.  A.  K.,  Professor  in  Königsberg.  —  Bat./ 
Dr.  Herrn.  Klages  (Hannover).  —  Dr.  Fritz  Knauer  (Buthelstedt 

—  Gen  O  A  Dr.  Max  Kolb,  Divisionsarzt.  —  O.A.  d.  Res.  Dr.  Frai 
Kraus  —  St.A.  d.  Res.  Dr.  Max  Krüger-Franke  (Kottbus). 
Dr.  Fritz  Laup  (Minden  i.  W.).  —  St.A.  Dr.  L  e  h  1  e,  4.  bayer.  Inf 

Keg  _  Reg.A.  Dr.  Wilhelm  Lehmann  (Stettin).  —  O.St.A.  d.  I 

Prof  Dr  R  Lennhoff  (Berlin).  —  O.A.  d.  Res.  Dr.  Karl  Lexe 
Privatdozent  d.  Chir.  in  München.  —  St.A.  Dr.  Bruno  Mäder. 
Ass  A  d  Res.  Dr.  Max  Margulies.  —  Prof.  Dr.  Max  Marten 
(Berlin)  —  O.St.A.  Dr.  Martins,  Reg.A.  1.  bayer.  Inf.Reg.  —  O.St./ 
Dr  Megele,  4.  bayer.  Feld-Art.-Reg.  —  Dr.  Max  Meyer  (Han 
born-Bruckhausen).  —  MarineSt.A.  Dr.  Meyr  (München),  S.M.: 
Stettin.  —  St.A.  d.  Res.  Dr.  R.  M  ö  1 1  e  n  b  e  r  g  (Lützen 

—  O.A.  d.  L.  Dr.  Ferd.  Müller  (Andernach).  —  St.A.  d.  Res.  I) 
Joh  Müller  (Zittau),  Landw.-Inf.-Reg.  102.  —  U.A.  Dr.  Rie 
Neuendorff  (Bernburg).  —  O.A.  Dr.  N  o  h  1.  —  St.-  u.  Reg./ 
Dr  Rud.  Paderstein,  Augenarzt  in  Berlin.  —  St.A.  d.  L.  D 
A.  Pape  (Herford  i.  W.).  —  Gen.A.  Dr.  P  1  e  y  e  r,  Divisionsarzt. 
O.A.  d.  Res.  Dr.  Ludw.  Pomy  (Oslebshausen).  —  O.Gen.A.  Dr.  Rel 
Armeearzt  der  6.  Armee  (München).  —  Dr.  Max  Reinhard  (Soll 
b  München).  —  Prof.  Dr.  Riese  (Gr.-Lichterfelde).  —  O.St.A.  D 
Renner,  11.  bayer.  Inf.-Reg.  —  MarineSt.A.  Dr.  Rösche 
SMS  Frauenlob.  —  Prof.  Dr.  S  c  h  1  a  y  e  r  (München),  XIII.  Anna 
korps  —  St.A.  Dr.  Schlemmer.  —  O.St.A.  Dr.  Schliej 
13  bayer  Inf.-Reg.  —  O.St.A.  Dr.  Schmidt,  6.  bayer.  Feld-Art 
Keg.  —  O.St.A.  Dr.  W.  Ch.  Schulz,  Inf.-Reg.  109.  —  Dr.  Günthf 
Seefisch,  dir.  Arzt  am  Lazarus-Krankenhaus  Berlin.  —  Gen./! 
Dr.  Sönning,  Korpsarzt  des  III.  Armeekorps.  —  Dr.  A.  Steg' 
mann,  Nervenarzt  (Seefrieden  b.  Moritzburg).  —  O.A.  Dr.  Konruj 
reicher,  19.  bayer.  Inf.-Reg.  (Hof).  —  Prof.  T  h  i  e  m  i  c  h,  Di 
d  Univ.-Kinderklinik  Leipzig.  —  St.A.  Dr.  Thomschke  (Met? 
Sächs.  Mörser-Reg.  12.  —  St.A.  Dr.  Paul  Ullmann,  Ass.  am  patli 
anat.  Institut  in  Berlin.  —  O.St.A.  F.  Voigt.  —  O.A.  d.  L.  Dr.  Ka: 
Wenzel  (Köln).  —  O.A.  d.  Res.  Dr.  Rieh.  Wolf  (Pudewitz). 
Gen. O.A.  Dr.  W  o  1  f  f  h  ii  g  e  I,  Reg.A.  2.  Schw.  Reiter-Reg.  —  Gen./ 
Dr.  Würdinger,  Korpsarzt  des  1.  bayer.  Armeekorps.  —  Prof.  D 
W  u  1 1  s  t  e  i  n  (Bochum),  beratender  Chirurg  des  7.  Armeekorps, 


Ehrentafel. 

Fürs  Vaterland  starben: 

Dr.  Josef  Diebitsch,  Ass.-Arzt  d.  Res.,  Jägerbat.  5  (Rotten¬ 
bach  Schles.),  am  1.  Oktober  im  Lazarett  Chatel  Chehery. 

Dr.  Rudolf  Dorn  (nicht  Zorn,  s.  vor.  Nr.),  Stabsarzt  d.  Res. 
und  Reg.-Arzt  im  5.  bayer.  Inf.-Reg.  (Saarlouis). 

Dr.  Rud.  Fuchs,  Feldunterarzt  (Liegnitz). 

Hermann  Fürst,  stud.  med.,  am  7.  Oktober. 

Rudolf  Graf,  cand.  med.,  Einjährig-Freiwilliger  im  1.  bayer. 
Inf.-Reg.,  am  25.  September. 

Georg  Herrenschneider,  Feldunterarzt  aus  Mül¬ 
hausen  i.  E.,  am  1.  Oktober. 

Dr.  Alexander  H  ö  r  d  e  r,  Leutnant  d.  Res.  im  18.  Fuss-Art.- 
Reg.,  früher  Assistenzarzt  der  med.  Univ.-Poliklinik  in  Bonn, 
vor  Antwerpen. 

Oesterreich-Ungarn. 

Reg.-Arzt  Dr.  Bernhard  M  u  n  d,  19.  L.I.R. 

Oberarzt  Dr.  Nikolaus  Ruczka,  51.  I.R. 

Reg.-Arzt  Dr.  Lazar  Stern,  19.  L.I.R. 


Amtliches. 

(Bayern.) 

Nr.  5154  a  32.  München,  1.  Oktober  1914. 

Abdruck. 

Kgl.  Staatsministerium  des  Innern. 

An 

die  Kgl.  Regierungen,  Kammern  des  Innern 
Betreff: 

Apothekerkammern  und  Aerztekammer  n. 

Auf  Grund  Allerhöchster  Ermächtigung  wird  bestimmt, 

1.  dass  die  im  Jahre  1914  fälligen  Wahlen  zu  den  Apotheker 
kammern  bis  nach  Beendigung  des  Krieges  verschoben  wer 
den  und  dass  die  Kammern  bis  dahin  in  der  derzeitigen  /i 
sammensetzung  ihre  Tätigkeit  fortführen, 

2.  dass  für  das  Jahr  1914  von  der  Einberufung  der  Apotheker 
kammern  und  der  Aerztekammern  zu  den  verordnungsniässi 
gen  Jahresversammlungen  abgesehen  werde,  wenn  nicht  n 
weiteren  Verlaufe  dieses  Jahres  noch  unverschiebliche  Be 
ratungsgegenstände  hervortreten. 

Die  Anerkennung  der  Kostenabrechnungen  der  Kammern  für  191 
sowie  die  Aufstellung  der  Voranschläge  für  1915  kann  im  Wege  de 
Umlaufs  durch  schriftliche  Abstimmung  erfolgen. 

I.  A.:  gez.  v.  He  nie.  J 


Verlag  von  J.  F.  L  e h  m  a n  n  in  München  S.W.  2,  Paul  Heysestr.  26.  —  Druck  von  E.  Mühlthaler’s  Buch-  und  Kunstdruckerei  A.O.,  München. 


Preis  der  einzelnen  Nummer  80  J,  _  _ ...  jJL,, 

•  •  •  und  Ausland  siehe  unten  unter  Bezugsbedingungen 

Inseratcnschluss  am  Donnerstag  einer  jeden  Woche. 


Bezugspreis  in  Deutschland 

ibc  ' 


MÜNCHENER 


Zusendungen  sind  zu  adressieren: 

Für  die  Redaktion  Arnulfstr.  26.  Bürozeit  der  Redaktion  854 _ 1  Uhr. 

Für  Abonnement  an  J.  F.  Lehmann’s  Verlag,  Paul  Heysestrasse  26. 
Für  Inserate  und  Beilagen  an  Rudolf  Mosse,  Theatinerstrasse  8. 


Medizinische  Wochenschrift. 

_  ORGAN  FÜR  AMTLICHE  UND  PRAKTISCHE  ÄRZTE. 


Originalien. 

Aus  dem  k.  k.  serotherapeutischen  Institut  in  Wien,  chemische 

Abteilung  (Vorstand:  Hofrat  Prof.  Dr.  R.  Pal  tauf). 

Experimentelle  Untersuchungen  über  die  Spezifität  der 
Abwehrfermente  mit  Hilfe  der  optischen  Methode. 

Von  Dr.  Hermann  Jaffe  und  Privatdozent  Dr.  Ernst 

P  r  i  b  r  a  m. 

Eine  der  wichtigsten  Fragen,  welche  über  die  Brauchbar¬ 
keit  dei  von  Abderhalden  in  die  Diagnostik  ein- 
gefiihrten  Methoden  für  die  menschliche  Pathologie  in  Betracht 
kommt,  ist  die  Frage:  Sind  die  Abwehrfermente,  welche  bei 
parenteraler  Einverleibung  hochmolekularer  Stoffe  im  Kreis- 
aiJ  entstehen,  spezifisch  oder  nicht.  Während  Abder- 
falden  mit  einer  jeden  Zweifel  ausschliessenden  Bestimmt¬ 
heit  Grund  eines  reichhaltigen  Materials  die  spezifische 
Wirkung  der  Abwehrfermente  bejaht,  wenden  sich  zahlreiche 
orscher  gegen  diese  seine  Ansicht.  Nur  wenige  von  diesen 
Arbeiten  behandeln  experimentelle  Untersuchungen,  die 
neisten  stützen  sich  auf  die  in  der  Klinik  gewonnenen  Re- 
uiltate.  Die  Frage  lässt  sich  aber  experimentell  entscheiden 
nid  kann,  wie  wir  glauben,  zunächst  nur  im  Tierversuch  ge¬ 
hst  werden.  Nur  dort  ist  es  möglich,  die  Versuchsbedingungen 
•o  exakt  zu  gestalten,  dass  man  eindeutige  Schlüsse  zu  ziehen 
lerechtigt  ist.  Derartige  experimentelle  Untersuchungen  sind 
«ereits  wiederholt  angestellt  worden,  ohne  dass  die  Resultate 
bereinstimmen  würden. 

So  konnten  Heilner  und  Petri1),  Lichtenstein 
nd  Hage*")  keine  ausgesprochene  Spezifität  der  Abwehr- 
.rmente  feststellen.  Andere  Autoren  [Fuchs3),  Mayer4) 

.  a  f  k  a 5),  Hirsch8),  Rosenthal  und  B  i  b  e  r  s  t  e  i  n  7)j 
alten  auf  Grund  ihrer  Untersuchungen  die  proteolytischen 
•erumfermente  für  spezifisch.  Der  Grund,  weshalb  die  ein¬ 
einen  Untersucher  zu  verschiedenen  Resultaten  gelangen, 
egt  zweifellos  daran,  dass  verschiedene  Methoden  zur  An¬ 
endung  kamen.  Bis  auf  einige  Versuche  von  Hirsch  (1.  c.) 
Tirden  alle  angeführten  Untersuchungen  mit  dem  Dialysier- 
erfahren  ausgeführt.  Die  optische  Methode  wurde  unseres 
Gssens  im  I  ierexperiment  bisher  in  ausgedehnterem  Masse 
icht  verwendet.  Wir  zogen  in  unseren  Versuchen  in  letzter 
eit  die  optische  Methode  dem  Dialysierverfahren  vor.  Sie 
Jt  bei  einiger  Uebung  keine  Fehlerquellen,  ist  lange  nicht  so 
sträubend  und  mühsam  und  gibt  zahlenmässig  feststellbare 
esultate. 

Methodik:  Als  Versuchstiere  dienten  Kaninchen.  Das 
lut  wurde  aus  der  Karotis  oder  Femoralis  entnommen.  Durch 
n Wendung  trocken  sterilisierter,  vorgewärmter  Glaskanülen, 
^gewärmter  kleiner  Spitzgläser,  spontanes  Absetzenlassen 
.  nachfolgendes  oftmaliges  scharfes  Zentrifugieren  erzielten 
*r  Gn  auch  spektroskopisch  absolut  hämoglobinfreies  Serum, 
er  Blutentnahme  ging  stets  ein  24  ständiges  Fasten  d#s  Ver- 
'Chstieres  voraus,  auf  das  wir  besonderes  Gewicht  legen, 
is  Seidenpepton  und  Plazentapepton  wurde  von  den  Höch- 
er  Farbwerken  bezogen;  ausserdem  stellten  wir  uns  Pla- 


)  Heilner  und  Petri:  M.tn.W.  1913,  Nr.  28. 

)  Lichten  stein  und  Hage:  M.m.W.  1914  Nr.  17. 

'  Fuchs:  M.m.W  1913  Nr.  40. 

)  Mayer:  M.m.W'.  1913  Nr.  52. 

J  Kafka:  Med.  Klin.  1914  Nr.  4. 

)  Hirsch:  D.m.W.  1914  Nr.  6. 

')  Rosenthal  und  Biberstein:  M.m.W.  1914  Nr  ’6. 

Nr.  43. 


zentapepton  und  Karzinompepton  genau  nach  den  Angaben 
Abderhaldens  dar.  Die  Peptone  wurden  vor  den  Ver- 
s^en  nach  den  Abderhalden  sehen  Vorschriften  ge¬ 
eicht  ).  Die  Ablesungen  wurden  an  einem  grossen  Polari¬ 
sationsapparat  von  Schmidt  und  Haensch  in  Berlin  aus¬ 
geführt,  der  die  Drehung  auf  Hundertstelgrade  genau  angibt. 
Es  wurde  der  Mittelwert  aus  4  Ablesungen  genommen“).  Als 
l  olansationsrohre  dienten  die  Wassermantclröhren  von 
S  c  h  m  i  d  t  und  Haensch  mit  2  ccm  Fassungsvermögen. 

i  ^  *,P  e  r  i  m  e  n  t  e  1 1  e  r  I  e  i  1:  Eine  grössere  Anzahl  nor¬ 
maler  Kaninchensera  wurde  auf  ihren  Gehalt  an  proteolyti¬ 
schen  Fermenten  untersucht.  Niemals,  auch  bei  Ausdehnung 
der  Untersuchungsdauer  auf  36  Stunden,  wurde  die  Anfangs¬ 
drehung  deutlich  geändert  (vergl.  Abderhalden  und 
wald  E  Kjaergaard11)  will  aus  der  Drehungsände- 
i  ung  des  Gemisches  Plazentapepton  und  Normalserum  (Men¬ 
schenserum)  um  0,03 — 0,04  0  innerhalb  24  Stunden  schliessen 
dass  normales  Serum  proteolytische  Fähigkeit  besitze.  Diese 
Zahlen  liegen  innerhalb  der  Fehlergrenzen. 

Tabelle  1. 


Stunden : 
1 
3 
6 

8  ' 
10 
24 


Plazentapepton 

0,80 

0,80 

0,83 

0,82 

0,82 

0,82 


von  Karzinompepton 
0,60 
0,60 
0,60 
0,60 
0,60 
0,60 


Nach  diesen  Voruntersuchungen  gingen  wir 
Fermentgehalt  des  Serums  nach  der  parenteralen 
Zellemulsion  zu  prüfen. 


Seidenpepton 

0,48 

0,49 

0,50 

0,50 

0,50 

0,48 

daran, 
Zufuhr 


den 

von 


Das  zui  Injektion  gelangende  Gewebe  (Plazentagewebe 
und  Karzinomgewebe  aus  der  Lebermetastase  eines  Magen¬ 
karzinoms)  wurde  möglichst  blutfrei  gewaschen  und  mit 
physiologischer  Kochsalzlösung  verrieben.  Von  diesen  Emul¬ 
sionen  wurden  den  Versuchstieren  wiederholt  2  ccm  intra¬ 
peritoneal  eingespritzt.  Die  Blutentnahme  zur  Untersuchung 
auf  den  Gehalt  an  proteolytischen  Fermenten  erfolgte  zwi¬ 
schen  dem  4.  und  8.  Tag  nach  der  letzten  Injektion.  Nach 
unseren  Erfahrungen  ist  der  günstigste  Zeitpunkt  der  4.  und 
5.  Tag;  nach  dem  6.  Tage  nimmt  die  spaltende  Kraft  des 
Sei  ums  rasch  ab  und  ist  nach  dem  8.  Tage  fast  ganz  ge¬ 
schwunden.  Auch  das  in  der  Kälte  aufbewahrte  Serum  ver¬ 
liert  nach  einiger  Zeit  seinen  Fermentgehalt. 


T  abelle  2.  Spaltung  von  Plazentapepton  durch  das  Serum  eines 
m.t  Plazentagewebe  yorbehandelten  Tieres;  keine  Spaltung  von 
^  eidenpepton,  keine  Spaltung  von  Karzinompepton. 


Drehung  nach 
Stunden 
1 
3 
7 
9 
11 
23 
26 
31 


I  ccm  Serum  -j-  1  ccm  einer  lOproz.  Lösung  von 
Seidenpepton  Plazentapepton  Karzinompepton 

0.56  0,70  0.58 

0,55  0,70  0,58 

O,55  0,65  0,58 

0.55  0,73  0,57 

0.55  0,70  0,57 

0-53  0,64  0,58 

0.54  0,62  0,57 

0,55  0,60  0,57 


)  D.  h.  die  Peptone  wurden  von  normalem  Menschenserum  nicht 
angegi  iften,  das  Karzinompepton  wurde  vom  Serum  eines  Karzinom- 
kianken,  das  I  Iazentapepton  vom  Serum  Schwangerer  abgebaut 
Abderhalden:  Abwehrfermente.  4.  Auflage.  Berlin  1914. 

u)  Fehlergrenze  0,04;  alle  Ablesungen  wurden  von  beiden  Be¬ 
obachtern  unabhängig  voneinander  ausgeführt. 

m  ima  ^  r  11  a  *  d  e  n  und  Ewald:  Zschr.  f.  phvsiol.  Chemie. 
91.  1914.  S.  94. 

11 )  Kjaergaard:  Zschr.  Immunitätslehre  21.  41.  1914. 

1 


2126 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  43. 


Dieses  Kaninchen  (Nr.  178,  2800  g)  hatte  in  der  Vorprobe  keine 
proteolytischen  Fermente  im  Serum.  Es  erhielt  im  ganzen  5  Injek¬ 
tionen  von  2  ccm  Plazentaemulsion  intraperitoneai;  Aderlass  am 
5.  Tage  nach  der  letzten  Injektion. 

Zieht  man  den  Durchschnitt  aus  diesen  und  anderen  analog 
angeordneten  Versuchen,  so  beträgt  die  Aenderung  der  An¬ 
fangsdrehung  des  Plazentapeptonserumgemisches  im  Durch¬ 
schnitt  0,13  Proz.  Zuweilen  nahm  die  Drehung  in  den  ersten 
Stunden  ab,  stieg  dann  wieder  bisweilen  über  den  Anfangs¬ 
wert,  um  dann  langsam  zu  sinken;  man  muss  also,  wenigstens 
in  den  ersten  10  Stunden,  oft  ablesen. 

Tabelle  3.  Spaltung  von  Karzinompepton  durch  das  Serum  eines 
mit  Karzinomgewebe  vorbehandelten  Tieres,  keine  Spaltung  von 


Drehung  nach 

Plazentapepton. 

1  cctn  Serum 

1  ccm  einer  lOproz.  Lösung 

Stunden : 

Karzinompepton 

von  Plazentapepton 

1 

0,49 

0,74 

3 

0,47 

0,75 

6 

0,44 

0,73 

8 

0,42 

0,75 

10 

0,39 

0,75 

24 

0,38 

0,74 

Kaninchen  Nr.  1211,  2900  g.  Im  Serum  vor  der  Behandlung  keine 
proteolytischen  Fermente,  4  Injektionen  von  je  2  ccm  Karzinom¬ 
emulsion.  Aderlass  am  5  Tage  nach  der  letzten  Injektion. 

Wir  fanden  in  keinem  der  von  uns  experimentell  unter¬ 
suchten  Fälle  Abbau  von  Plazentagewebe  durch  das  Serum 
eines  mit  Karzinom  vorbehandelten  Kaninchens.  Immerhin 
kommt  es,  wie  aus  anderen  in  unserem  Laboratorium  an- 
gestellten  Untersuchungen  hervorgeht,  in  der  menschlichen 
Pathologie  gelegentlich  vor,  dass  das  Serum  eines  Karzinom¬ 
kranken  nicht  nur  Karzinompepton,  sondern  auch  Plazenta¬ 
pepton  abbaut.  Dies  dürfte  besonders  dann  der  Fall  sein,  wenn 
ein  Tumor  stark  zerfällt,  und  auf  diese  Weise  viel  plasma¬ 
fremdes  Material  in  den  Kreislauf  gelangt.  Ein  ähnlicher  Fall 
lag  beispielsweise  bei  einem  Serum  vor,  das  von  einem 
Patienten  stammte,  der  eine  Fraktur  des  Femurknochens  er¬ 
litten  hatte;  dieses  Serum  baute  Plazentagewebe  ab. 

Auch  die  histologische  Struktur  des  Tumors  ist  zu  berück¬ 
sichtigen.  Bei  einem  langsam  wachsenden  Tumor,  dessen 
Zellelemente  nur  wenig  von  der  normalen  Zellstruktur  des 
Muttergewebes  abweichen,  werden  vielleicht  andere  und  auch 
weniger  Fermente  im  Serum  zu  finden  sein,  als  bei  einer  stark 
anaplastischen  Neubildung. 

Vielleicht  bringt  die  Untersuchung  verschiedener  Tumoren 
und  die  Untersuchung  experimenteller  Geschwulstbildungen 
mit  Hilfe  dieser  Methode  Neues,  und  wir  behalten  uns  vor,  auf 
diese  Fragen  später  zurückzukommen. 

Eine  zweite  Versuchsreihe  verfolgte  die  Aufgabe,  den  Ver¬ 
suchstieren  Peptone  verschiedener  Provenienz  parenteral  ein¬ 
zuverleiben,  und  die  Spezifität  der  im  Serum  entstandenen 
Fermente  zu  prüfen.  Abderhalden  gibt  an,  dass  sich 
durch  Peptone  keine  spezifischen  Fermente  erzeugen  lassen. 
„Ein  Versuchshund  erhielt  3  ccm  einer  10  proz.  Seidenpepton¬ 
lösung  subkutan.  Das  Serum  dieses  Tieres  spaltete  daraufhin 
Seidenpepton,  aber  auch  Gelatine.“  Wir  injizierten  wiederholt 
(3 — 7  mal)  je  1  ccm  einer  10  proz.  Plazentapeptonlösung  einem 
Kaninchen  intraperitoneal.  Regelmässig  zeigte  es  sich,  dass 
das  Serum  dieses  Tieres  ausser  Plazenta-  auch  Seidenpepton 
und  zwar  beide  ziemlich  gleichstark  abbaute.  Wichtig  er¬ 
scheint  uns  die  Tatsache,  dass  dabei  niemals  ein  Abbau  von 
Karzinompepton  zu  beobachten  war.  Ein  Versuch  mit  einem 
Di.peptid  (Glyzyltryptophan  von  Kalle)  war,  wie  voraus¬ 
zusehen,  negativ. 

Tabelle  4.  Abbau  von  Plazentapepton  und  Seidenpepton  durch 
das  Serum  eines  mit  Plazentapepton  vorbehandelten  Kaninchens. 


Drehung  nach 

1  ccm 

Serum  -f-  1  ccm  einer  lOproz.  Lösung  von 

Stunden : 

Glyzyltryptophan 

Karzinompepton 

Plazentapepton 

Seidenpepton 

1 

0,21 

0,50 

0,80 

0,55 

3 

0,21 

0,50 

0,80 

0,53 

6 

0,20 

0,49 

0,76 

0,52 

8 

0,20 

0,49 

0,72 

0,48 

10 

0,19 

0,50 

0.70 

0,45 

24 

0,20 

0,50 

0,70 

0,43 

Das  Tier  (Kaninchen  Nr.  1276,  1770  g)  hatte  im  Vorversuch  kein 
proteolytisches  Ferment  im  Serum.  Es  erhielt  4  Injektionen  von 
je  1  ccm  einer  10  proz.  Plazentapeptonlösung  intraperitoneai.  Ader¬ 
lass  4  Tage  nach  der  letzten  Injektion. 


Ganz  anders  war  das  Resultat,  wenn  das  Tier  mit  dem 
einfacher  gebauten  Seidenpepton  vorbehandelt  worden  war. 
Das  Serum  eines  derart  vorbehandelten  Kaninchens  änderte 
nur  die  Drehung  des  Seidenpeptons,  nicht  aber  die  von  Pla¬ 
zenta-  oder  Karzinompepton. 

Tabelle  5.  Abbau  von  Seidenpepton  durch  das  Serum  eines  mit 
Seidenpepton  vorbehandelten  Kaninchens,  kein  Abbau  von  Plazenta¬ 
pepton,  kein  Abbau  von  Karzinompepton. 


Drehung  nach  I  ccm  Serum  -|-  1  ccm  einer  lOproz  Lösung  von 


Stunden: 

Glyzyltryptophan 

Seidenpepton 

Plazentapepton 

Karzinompepton 

1 

0,19 

0,60 

0,78 

0,52 

3 

0,17 

0,56 

0,76 

0,50 

6 

0,16 

0,55 

0,76 

0,50 

8 

0,18 

0,50 

0,76 

0,50 

10 

0,18 

0,48 

0,76 

0,50 

24 

0,18 

0,48 

0,76 

0,50 

Das  Serum  dieses  Kaninchens  (Nr.  1993,  2200  g)  enthielt  vor  der 
Behandlung  keine  peptolytischen  Fermente.  Der  Aderlass  wurde 
am  4.  Tage  nach  der  7.  Injektion  von  je  1  ccm  einer  lOproz.  Lösung 
von  Seidenpepton  vorgenommen. 

Diese  Versuche  zeigen,  dass  bei  Anwendung  von  zu  tief 
abgebautem  Gewebe  zum  Nachweis  proteolytischer  Fermente 
leicht  die  Spezifität  der  Reaktion  verloren  gehen  kann. 

Zusammenfassend  können  wir  sagen,  dass  die  von 
Abderhalden  festgestellte  Organspezifität  der  Abwehr¬ 
fermente  im  Tierversuche  eindeutig  nachweisbar  ist,  wenn 
man  die  Versuchsbedingungen  so  wählt,  dass  die  Verhältnisse 
der  Physiologie  und  Pathologie  nachgeahmt  werden. 


Aus  der  Psychiatrischen  und  Nervenklinik  Königsberg. 

(Dir.;  Geh.  Med. -Rat  Prof.  Dr.  Meyer). 

lieber  die  Bedeutung  der  kaseinspaltenden  Fermente. 

Von  Dr.  Max  Kastan,  I.  Assistent  der  Klinik. 

ln  Nr.  27  bzw.  30  der  M.m.W.  haben  Flatow  und 
L  i  n  d  i  g  ihre  Untersuchungsergebnisse  über  die  kasein¬ 
spaltenden  Fermente  mitgeteilt.  Lindig  arbeitete  mit  dem 
Polarisationsverfahren.  Er  fand,  dass  Gravide  und  Puerperale 
in  ihrem  Serum  Abwehrfermente  gegen  Kasein  aufwiesen. 
Er  spricht  von  der  Aufstellbarkeit  einer  proteolytischen  Kurve, 
während  Flatow,  der  zum  Nachweis  des  Spaltungsprozesses 
die  mikrochemische  Methode  anwandte,  zwar  bei  Normalen 
ebenfalls  kaseinspaltende  Fermente  vorfand,  aber  die  Unter¬ 
suchung  des  Serums  gegen  Kasein  zur  Bestimmung  des  pro¬ 
teolytischen  Index  für  wertvoll  hält,  da  das  Serum  Gravider 
mehr  solcher  Fermente  enthalte.  Ich  selbst1)  habe  mich  seit 
längerer  Zeit  mit  den  kaseinspaltenden  Fermenten  beschäftigt, 
um  den  Einfluss  des  Puerperiums  auf  die  Entstehung  gewisser 
Psychosen  eingehender  studieren  zu  können.  Ohne  die  Er¬ 
gebnisse  F  1  a  t  o  w  s  nach  irgend  einer  Richtung  hin  bestreiten 
zu  wollen,  glaube  ich,  dass  man  den  Nachweis  der  kasein¬ 
spaltenden  Fermente  für  praktische  Zwecke  so  wird  aus¬ 
gestalten  müssen,  dass  nur  unter  gewissen  Bedingungen  eine 
Reaktion  auftritt,  nämlich  nur  dann,  wenn  der  proteolytische 
Index  eine  erhebliche  Höhe,  die  von  anderen  Verhältnissen 
absolut  abweicht,  erreicht. 

Die  von  den  beiden  Autoren  angewandten  Methoden 
scheinen  zu  fein  zu  sein  für  den  angegebenen  Zweck,  man  darf 
sie  daher  ebensowenig  anwenden,  wie  man  etwa  aus  dem 
positiven  Ausfall  der  Sulfosalizylprobe  nicht  eine  Nephrite 
diagnostizieren  kann,  obwohl  auch  sicher  dann  der  Eiweiss¬ 
nachweis  geglückt  ist.  Ich  habe  daher,  indem  ich  pulveri¬ 
siertes  Kasein  aus  Vollmilch  verwandte,  mich  des  Dialysier- 
verfahrens  bedient  und  mit  Hilfe  der  Ninhydrinreaktion  fol¬ 
gende  «Resultate  erhalten. 

Tabelle  1. 

Serum  allein  Serum  -)-  Kasein 
Puerpera  I  — 


0  Arch.  f.  Psych.  u.  Nervenkrankh.  54,  3.  Sitzungen  des 
Vereins  iür  wissenschaftliche  Heilkunde  Königsberg  am  26.  I-  D 
und  des  Deutschen  Vereins  für  Psychiatrie  vom  24.  IV.  14. 


?7.  Oktober  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Tabelle  1  zeigt,  dass  das  Serum  der  Puerperalen  Kasein 
,tark  ab  laut,  die  Sera  waren  sämtlich  von  Frauen  entnommen, 
he  kurz  vorher  in  der  hiesigen  Frauenklinik  2)  eine  Entbindung 
lurchgemacht  hatten  und  deren  Puerperium  normal  verlief. 

Tabelle  2. 


2127 


.  .  .  .  1  uv,^waic>  “uui  wenn  sie  psycmscn 

rank  sind,  in  ihrem  Serum  kaseinspaltende  Fermente  auf- 

eisen. 

Tabelle  3. 


Sc  S 


co  a  <S)  -J 


g+s  2+1 


(_  co 


S  .H  E 

3  10 


3  10 
.  “I“  tfi 

rc 

* 


£  -j-j= 
»  o 
co  o 


E  c  g  |  E 

=  4_n  £  3 

m  v 

O  tl  ^  j  CO 


Je  E 

o  >- 

—  B! 

Q-o 


Bemerkungen 


+ 


~  +-? 


Normalehrau,  nicht  gra¬ 
vide,  nicht  puerperal. 
+  —  Epileptischer  Mann. 

Man  -depr.  Mann. 
Anfälle  degenerativ? 
Katatonisch  ? 

Tabelle  3  zeigt,  dass  Personen,  selbst  wenn  sie  Abwehr- 
rmente  gegen  andere  Organe  im  Blutserum  besitzen,  keine 
iseinspaltende  Fermente  haben,  wenn  kein  Puerperium  vor- 

Tabelle  4. 


Serum  Se?lm  Serum  Serum  Serum  i  .Senim  i  Serum 

allein  Thyteo-  +  +.  +  C"^t,v)  (.nakl.v) 

i  idea  Ovar  j  Qehirn  j  Kasein  Ka+irl  |  Q+irn 


Bemerkungen 


—  ,  Gravida  5.  Monat,  em- 

bolische  Aphasie,  spä- 

I  I  i  !  ter  habitueller  Abort. 

Tabelle  4  zeigt,  dass  in  der  ersten  Hälfte  der  Gravidität 
me  Abwehrfermente  gegen  Kasein  mit  der  Ninhydrinreaktion 
chzuweisen  sind. 

Tabelle  5. 


Serum 

allein 

Serum  -j- 
Kasein 

Serum  + 
Ovar 

Serum  + 
Thyreoidea 

vida  (VIII. 
„  (VIII. 
„  (IX. 

..  (IX. 

„  (IX. 

Monat 

” 

. . . . 

.  . 

1  !  1  1  1 

1  1  1  1  1 

+ 

+ 

1  i  1  1  1 

Tabelle  5  zeigt,  dass  Gravide  auch  in  den  späteren 
»naten  der  Gravidität  (die  Sera  entstammten  Patientinnen  der 
tuenklinik)  keine  mit  der  Ninhydrinreaktion  nachweisbaren 
rmente  gegen  Kasein  besitzen. 

Nach  all  diesen  Resultaten  hat  es  den  Anschein,  als  ob  es 
der  Ninhydrinreaktion  gelänge,  die  Spaltung  des  Kaseins 
iei  puerperalen  oder  laktierenden  Frauen  nachzuweisen. 
s  ~erum  gravider  Frauen,  das  Serum  von  Männern  und 
malen  Frauen  zeigte  niemals  Spaltungserscheinungen  mit 
erwähnten  Farbreaktion.  Hierbei  war  es  ganz  gleich- 
hg,  ob  die  Puerperalen  völlig  normal  waren  oder  ein 
chisches  oder  organisches  Nervenleiden  aufwiesen.  Es 
re  deshalb  interessant  und  wertvoll,  mit  dem  mikrochemi- 
en  Verfahren  die  Sera  Puerperaler  daraufhin  zu  unter- 
nen,  ob  bei  ihnen  der  proteolytische  Index  gegen  Kasein 
onders  hoch  ist.  . 


der  Kgl.  Universitätsklinik  für  Gemüts-  und  Nervenkrank¬ 
heiten  Tübingen  (Direktor:  Prof.  Dr.  Gau  pp). 

Zur  Frage  der  Bromtherapie. 

Von  Dr.  K.  John. 

Ihre  allgemein  anerkannte  sedative  Wirkung  ist  es,  die 
z  der  vielen  unangenehmen  Nebenwirkungen  den  anor- 
ischen  Bromsalzen  ihren  Platz  bei  der  Behandlung  der 
nkheiten  des  Nervensystems  stets  an  erster  Stelle  bewahrt 

\  Für  Beschaffung  der  Sera  sage  ich  Herrn  Cieh.-Kat  Winter 
an  dieser  Stelle  meinen  besten  Dank 


Serum 

allein 

Serum 

"f“ 

Kasein 

Serum 

Gehirn 

Serum 

Ovar 

Serum 

Neben¬ 

niere 

Serum 

~b 

Thyreo- 

idea 

Serum 

Dünn¬ 

darm 

Bemerkungen 

1. 

0. 

r. 

— 

+ 

t 

+ 

+ 

Dem.  praec.,  ausgelöst 
in  der  Laktation. 
Puerperale  Psychose. 

Spätepilepsie,  entstanden 
in  frühem  Puerperium. 
Intervall  nach  puerpe¬ 
ralen  Paroxysmen. 

hat,  wenn  es  galt,  krankhaft  gereizte  animalische  und  psychi¬ 
sche  Funktionen  zu  beruhigen  oder  eine  gesteigerte  Erreg¬ 
barkeit  der  sensiblen  und  motorischen  Hirngebietc  und  ins¬ 
besondere  reflektorische  Vorgänge  im  Nervensystem  zu  be¬ 
kämpfen.  Diese  Wirkung  der  Bromsalze  betrifft  nach 
Schnuedeberg  (Grundriss  der  Pharmakologie  5,  1906) 
lauptsachhch  die  von  den  taktilen  Hautreizen  und  von  anderen 
-mneserregern  abhängigen  Reflexvorgänge  und  die  Funktions¬ 
gebiete  des  Mittelhirns,  während  die  Gebiete  der  Grosshirn- 
iinde  erst  nach  grösseren,  längere  Zeit  fortgesetzten  Gaben 
beeinflusst  werden,  und  dementsprechend  stellt  Schmiede- 
berg  die  Indikation  zur  Anwendung  des  Mittels  gegen  Krank- 
heitsvorgange,  die  ihren  Ursprung  in  tiefer  gelegenen  Hirn¬ 
abschnitten  haben  über  diejenige  bei  von  der  Grosshirnrinde 
ausgehenden  Erscheinungen,  wie  z.  B.  beim  epileptischen  An- 
fa.l.  Seit  den  Experimenten  von  A  1  b  e  r  t  o  n  i,  die  die  Herab- 
- ctzung  dei  Erregbarkeit  der  Grosshirnrinde  für  elektrische 
pC!f c  na  d' ,  ^rom  direkt  beim  Hunde  nachwies  (Arch.  f.  exper. 

,  a  J1'  p  ..^karm:  15)  &ilt  jedoch  gerade  die  Epilepsie  als  der 
beste  Prüfstein  für  die  Wirksamkeit  eines  Brompräparates,  zu- 
ma  .  uns  hier  durch  die  Beobachtung  der  Anfälle  Zeichen  ob¬ 
jektiver  Natur  zur  Verfügung  stehen,  während  wir  sonst  doch 
in  den  meisten  Fallen  fast  vollständig  auf  die  subjektiven  An¬ 
gaben  der  Kranken  angewiesen  sind. 

Wir  wissen  jetzt,  dass  es  Vorbedingung  für  die  Brom¬ 
wirkung  ist,  dass  ionisiertes  Brom  im  Blute  kreist  und  da  dies 
7e\  01  ^anischen  Brompräparaten  wie  Bromipin,  Bromural, 
Zebromal  und  ähnlichen  nur  in  ungenügender  Weise  der  Fall 
ist,  wie  Amann  (D.m.W.  1913  Nr.  23)  nachgewiesen  hat,  weil 
bei  diesen  Präparaten  das  organisch  gebundene  Brom 
grösstenteils  untersetzt  ausgeschieden  wird,  so  ist  hieraus 
sehr  einleuchtend  deren  zweifelhafte  Wirksamkeit  zu  erklären 
Nach  der  heute  vorwiegenden  Ansicht  sollen  die  in  den  Körper 
eingeführten  Bromionen  die  Chlorionen  substituieren,  so  dass 
nach  einer  bestimmten  Dauer  und  Menge  der  Bromver¬ 
abreichung  der  Körper  kochsalzärmer  wird  und  sich  ein  Brom¬ 
depot  ansammelt.  Dann  steht  die  Bromzufuhr  in  einem 
direkten  Zusammenhang  bzw.  Antagonismus  zur  Kochsalzver¬ 
armung.  Dieses  Verhalten  von  Chloriden  und  Bromiden  im 
Organismus  ist  bisher  noch  nicht  nach  allen  Seiten  aufgeklärt, 
jedoch  geht  aus  den  Untersuchungen  von  Laudenheimer 
- ’ur'  f  ;fsych-  ^4.  S.  1082)  mit  Bestimmtheit  hervor,  dass  tat¬ 
sächlich  das  Brom  an  Stelle  des  Chlors  tritt.  Ebenso,  wie  nun 
aber  bei  Bromretention  vermehrt  Kochsalz  (also  Chlor)  aus¬ 
geschieden  wird,  so  wird  auch  bei  vermehrter  Kochsalzzufuhr 
die  Bromausscheidung  beschleunigt  und  hieraus  folgt  einer¬ 
seits,  dass  bei  absoluter  Kochsalzentziehung  event.  eine  Ueber- 
ladung  mit  Brom  und  sehr  schwerer  Bromismus  auftreten 
muss,  wahrend  eine  geeignete  Kochsalzzufuhr  diesen  zu  be¬ 
seitigen  imstande  sein  muss.  Laudenheimer,  de  Wyhs 
und  U  1  r  i  c  h  haben  hierauf  ihre  Theorie  des  Bromismus  auf- 
gebäut,  der  nach  ihrer  Ansicht  entweder  in  einer  Verarmung 
des  Blutes  an  Chlor,  oder,  da  ja  nach  den  Versuchen  von 
K  U  Eromzufuhr  die  Chlorwasserstoffsäure  des 

Magensattes  durch  Bromwasserstoffsäure  ersetzt  wird  und  die 
sonst  chlorreichsten  Gewebe  am  meisten  Brom  enthalten,  in 
Anstauung  von  Brom  in  den  Körpersäften  und  dadurch  Er¬ 
höhung  des  osmotischen  Druckes  derselben  seine  Ursache  hat 
Die  erstere  Form  werden  wir  auf  Grund  der  obigen  Er¬ 
wägungen  durch  Kochsalzzufuhr  erfolgreich  bekämpfen  die 
letztere  durch  Steigerung  der  Diurese. 


...  Sät  Toulouse  und  Rieh  et  aus  der  Erkenntnis  der 
Wechselwirkung  des  Chlors  und  Broms  heraus  im  Jahre  1899 
oas  inetatrophische  Verfahren  vorgeschlagen  und  gezeigt 
haben,  wie  sich  damit  eine  Steigerung  der  Bromwirkung  er¬ 
reichen  lässt,  hat  die  Verabreichung  kochsalzfreier  bzw.  koch- 
salzarmer  Kost  bei  Brommedikation  die  verschiedensten 
Wandlungen  duichgemacht,  aber  bis  vor  kurzem  trotz  der 
immer  wieder  zu  findenden  befriedigenden  Mitteilungen  in  der 
einschlägigen  Literatur  keine  übereinstimmende  Anerkennung 
erlangt.  Insbesondere  war  es  die  Abneigung  der  Kranken 
gegen  die  salzarme  Kost,  die  die  grössten  Schwierig¬ 
keiten  bereitete,  und  oft  waren  schon  die  Versuche  mit  der 
neuen  Methode,  die  sich  nur  auf  einige  Wochen  erstreckten, 
selbst  in  Krankenhäusern  nicht  zu  Ende  zu  führen,  da  die 

1* 


2128 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  43. 


Patienten  sich  der  Kost  widersetzten.  Die  Applikations-  | 
methode  des  Broms  in  der  E'orm  von  Bromopan  (Bai  int,  | 
Z  i  r  k  e  I  b  a  c  h,  R.  Mayer),  des  Spasmosil  (Schnitzer) 
und  ähnlicher  Mittel  brauche  ich  nicht  im  einzelnen  erwähnen, 
sondern  verweise  auf  die  einschlägige  Literatur  (Steffen, 
lnaug.-Diss..  Zürich:  „Die  salzarme  Kost  in  der  Behandlung  der 
Epilepsie“);  alle  diese  Methoden  befriedigten  zuletzt  doch 
nicht  und  erst  von  Ulrich  wurde  erstmals  ein  gangbarer 
Weg  eingeschlagen,  indem  er  im  sogen.  Sedobrol  ein  Brom¬ 
präparat  herstellen  liess,  das  in  Wasser  gelöst  ohne  weiteres 
eine  schmackhafte  Brombouillon  gab  und  indem  er  durch  Aus¬ 
schaltung  der  gesalzenen  Suppe  aus  dem  Speisezettel  der  be¬ 
treffenden  Kranken  gerade  die  Speise  entfernte,  in  der  bisher 
am  meisten  Salz  zugeführt  wurde  (10 — 20  g  pro  die).  Dadurch, 
dass  er  ausserdem  noch  in  anderen  Speisen  die  Kochsalzmenge 
verminderte,  konnte  er  die  Tagesmenge  Kochsalz  auf  etwa 

g  herabsetzen.  Ulrich  hat  seither  ausgedehnte  Unter¬ 
suchungen  mit  dieser  Methode  angestellt  und  seine  Erfolge 
veröffentlicht  (M.m.W.  1912  Nr.  36/37),  andere  sind  seinem 
Beispiel  gefolgt  und  rühmen  mehr  oder  weniger  die  Erfolge 
der  Sedobroltherapie  bei  Epilepsie  und  anderen  nervösen 
Krankheiten,  z.  B.  B  ö  s  s,  der  das  Sedobrol  bei  Epilepsie  auch 
ohne  völlige  Entziehung  des  Kochsalzes  empfahl  (Allg.  Zschr. 
f.  Psych.  70.  H.  3  u.  4)  und  es  für  nötig  hält,  die  Kochsalz¬ 
menge  bei  einer  laktovegetabilen  Kost  möglichst  einzuschrän¬ 
ken  und  dann  empirisch  die  Toleranz  für  Brom  zu  bestimmen 
und  Felix  Deutsch  (Ther.  d.  Gegenw.  9),  der  Sedobrol  als 
Würzsalz  bei  der  salzarmen  Ernährung  Nierenkranker  pries, 
da  es  imstande  sei,  die  molekulare  Konzentration  der  Säfte  zu 
regeln,  indem  es  von  der  kranken  Niere  nicht  so  stark  zurück¬ 
gehalten  werde  wie  das  Chlor  und  ausserdem  die  Entchlorung 
und  Entwässerung  des  Körpers  anrege. 

Auch  in  der  Tübinger  Klinik  für  Gemüts-  und  Nerven¬ 
krankheiten  wurden  eine  Zeitlang  Versuche  mit  Sedobrol  ge¬ 
macht,  jedoch  befriedigten  die  Erfolge  nicht  in  gewünschtem 
Masse,  und  namentlich  wenn  wir  das  Mittel  Kranken  ausser¬ 
halb  der  Klinik  verordneten,  wo  die  Sedobrolwürfel  nicht 
dauernd  gut  unter  Verschluss  gehalten  wurden,  machte  sich 
die  hygroskopische  Eigenschaft  derselben  bemerkbar,  die 
Würfel  lösten  sich  schwerer,  das  Brom  wurde  ungenau  dosiert 
und  die  Wirkung  unsicher.  Diesem  Uebelstande  abzuhelfen, 
war  nun  die  med.-chem.  Fabrik  Dr.  Haas  &  Co.,  Stuttgart- 
Cannstatt,  bemüht,  ein  Brom  zu  finden,  das,  der  salzlosen 
Suppe  beigefügt,  diese  schmackhaft  machen,  daneben  aber 
seinen  Aggregationszustand  nicht  verändern  und  ohne  grosse 
Schwierigkeit  genauer  dosierbar  sein  sollte  und  es  gelang  dies 
nach  unseren  vorläufigen  Erfahrungen  in  vorzüglicher  Weise 
in  Form  der  Sasedanwürze  von  Dr.  Haas. 

Nach  den  Mitteilungen  von  Dr.  Haas  besteht  die  Sasedanwürze 
aus  konzentriertem,  künstlichem,  genuines  Albumin  und  Fleischalbu- 
mosen  in  beträchtlicher  Menge  enthaltendem  Fleischsaft. 

5  ccm  Sasedanwürze  entsprechen  genau  1,0  g  Bromsalze  neben 
0,15  Chlornatrium. 

„Die  Bromsalze  selbst  sind  eine  geschickte  Modifikation  der 
bekannten  Erlenmeyer  sehen  Mischung.  Sie  bilden  Bromide 
des  Natriums,  Ammoniums  und  Kalziums  in  rationellen,  konstanten, 
therapeutisch  sehr  wirksamen  Verhältnissen.  Ihrer  ganzen  Zu¬ 
sammensetzung  nach  ist  die  Sasedanwürze  nicht  nur  ein  spezifisches 
Antiepileptikum,  Sedativum  und  Hypnotikum,  sondern  auch  ein  kräfti¬ 
ges,  nutritive  Reize  auslösendes  Stomachikum  und  Korrigens.“ 

Die  Versuche,  die  nunmehr  seit  über  einem  halben  Jahr 
an  der  Tübinger  Klinik  für  Gemüts-  und  Nervenkrankheiten 
damit  angestellt  wurden,  sind  zwar  noch  keineswegs  abge¬ 
schlossen,  aber  ein  gewisses  Urteil  über  seine  Brauchbarkeit 
dürfen  wir  uns  wohl  schon  bilden  und  so  sei  hier  in  Kürze  das 
Hauptsächlichste  davon  mitgeteilt:  Entsprechend  der  Er¬ 
fahrung,  dass  die  Epilepsie  der  beste  Prüfstein  für  die  Wirk¬ 
samkeit  eines  Brompräparates  ist,  wurden,  soweit  das  kli¬ 
nische  Krankenmaterial  Gelegenheit  dazu  gab,  bei  dieser 
Krankheit  in  erster  Linie  Versuche  angestellt.  Die  epilep¬ 
tischen  Kranken  wurden  regelmässig  nach  der  Aufnahme  in 
die  Klinik  zunächst  einige  Zeit  ohne  Therapie  beobachtet,  bis 
die  Diagnose  gesichert  und  die  Art  und  Häufigkeit  ihrer  An¬ 
fälle  festgestellt  werden  konnte,  alsdann  bekamen  sie  zunächst 
mittags  und  abends  in  der  salzlosen  Suppe  je  5  ccm  Sasedan¬ 
würze  (=  2  mal  1,0  Brom),  nach  einigen  weiteren  Tagen  2  mal 
10  ccm  (=  2  mal  2,0  Brom),  dazu  zunächst  gewöhnliche  Kost 


unter  Weglassung  stark  geräucherter  und  gesalzener  Speisen. 
Nötigenfalls  konnte  dann  die  Kost  noch  kochsalzärmer  ge¬ 
staltet  werden,  indem  ausser  dem  Fleisch  noch  Käse,  Butter, 
Saucen  und  ähnliche  stark  gewürzte  Speisen  entzogen  wurden, 
und  wir  erreichten  so  unseren  Zweck,  ohne  die  Mannigfaltig¬ 
keit  und  Güte  der  Kost  zu  beeinträchtigen.  Eventuell  erhöhten 
wir  die  Sasedandosis  auf  2  mal  15  ccm.  Sowie  Zeichen  von 
Bromismus  auftraten,  wurde  zunächst  etwas  mehr  Kochsalz 
zugeführt  und  dann  nötigenfalls  noch  die  Sasedandosis  lang¬ 
sam  erniedrigt.  Stärkere  Bromakne  beobachteten  wir  übri¬ 
gens  bei  keinem  der  so  behandelten  Kranken,  geringe  Grade 
Hessen  sich  leicht  mit  Hg-Salbe  behandeln.  Der  Erfolg  der 
Behandlung  war  bei  den  5  an  genuiner  Epilepsie  im  Anfangs¬ 
stadium  leidenden  Kranken  bisher  durchweg  ein  guter:  Die 
Anfälle  traten  schon  nach  wenigen  Tagen  seltener,  weniger 
schwer,  bzw.  in  anderer  Form  oder  gar  nicht  mehr  auf  und 
zwar  waren  zur  Erreichung  dieses  Erfolges  zum  Teil  estaun- 
lich  geringe  Dosen  genügend  (durchschnittlich  2  mal  10  ccm). 

Z.  B.  bei  einer  Anfang  November  1913  behandelten  Kranken,  die 
zuvor  häufig  schwere  Anfälle  mit  jedesmaligem  postparoxysmaler. 
Dämmerzuständen  hatte,  trat  schon  nach  8  Tagen  kein  Anfall  mehr 
auf,  sondern  leichte  Schwindelanfälle  ohne  jegliche  psychomotorische 
Erregung  waren  bis  zur  Entlassung  der  Kranken  das  einzige  Ueber- 
bleibsel  der  Krankheit,  und  die  Dosis  2  mal  10  ccm  Sasedan  musster 
wir  bald  auf  2  mal  5  ccm  reduzieren  und  etwas  mehr  Kochsalz 
als  zu  Beginn  zuführen,  da  die  Kranke  bei  höherer  Dosis  gleich 
Zeichen  des  beginnenden  Bromismus  aufwies,  namentlich  auffallend 
apathisch  und  schläfrig  wurde.  Auch  zu  Hause  nimmt  nun  diese 
Kranke  in  derselben  Weise,  obgleich  sie  aus  rein  bäuerlichem  Milieu 
stammt,  ohne  weiteres  ihre  Medizin  weiter,  die  Zubereitung  der 
Suppe  macht  keine  Schwierigkeit,  auch  empfindet  sie  das  Einnehmen 
keineswegs  lästig  und  hat  sich  uns  vor  kurzem  in  gleich  befriedigen¬ 
dem  Zustand  wieder  vorgestellt. 

Unter  den  Versuchen  bei  Epileptischen  befinden  sich  bisher 
zwei  Versager: 

Der  eine  ist  bei  einem  kleinen  Jungen  mit  Epilepsia  cursoria, 
die  andere  Kranke  litt  seit  mehreren  Jahren  an  schwersten  epilep¬ 
tischen  Anfällen  und  Dämmerzuständen  und  ist  schon  in  hohem  Orade 
intellektuell  und  gemütlich  defekt  geworden.  Der  erstere  Fall  war 
übrigens  in  jeder  Hinsicht  atypisch,  reagierte  anfangs  gut,  später  sehr 
mangelhaft  auf  Brom,  ausserdem  hafteten  dem  Krankheitsbild  auch 
sehr  viel  psychogene  Züge  an;  und  wären  nicht  klassische  epilep¬ 
tische  Anfälle  ab  und  zu  vom  Arzt  selbst  bei  dem  Jungen  beobachtet 
worden,  so  hätte  man  wohl  an  der  Richtigkeit  der  Diagnose  zwei¬ 
feln  können.  Beim  zweiten  Fall,  der  schon  vor  der  Behandlung 
grosse  Tendenz  zum  Fortschreiten  gezeigt  hatte,  dürfen  wir  wohl 
schwerere  organische  Hirnveränderungen  vermuten.  Immerhin  sind 
auch  hier  die  Anfälle  bei  Sasedanwürze  leichter  und  kürzer  geworden, 
Dämmerzustände  sind  ausgeblieben,  mehr  liess  sich  in  der  6  w  öchi¬ 
gen  Behandlungszeit  hier  nicht  erreichen.  Bei  einem  anderen  älteren 
Epileptiker,  der  auch  früher  dauernd  mit  gutem  Erfolg  Brom  in  ge¬ 
wöhnlicher  Form  als  anorganisches  Salz  in  der  Erlenmeyer  sehen 
Mischung  bekommen  hatte,  erzielten  wir  denselben  Erfolg  bei  der 
um  2  g  reduzierten  Bromdosis  in  der  Sasedanwürze. 

Um  nun  aber  auch  bei  den  psychisch  Kranken  und  Nerven¬ 
kranken  den  Unterschied  der  Sasedanbehandhmg  im  Gegen¬ 
satz  zur  früheren  Brommedikation  kennen  zu  lernen,  schlossen 
wir  auch  bei  Hysterischen  jeder  Art,  manisch  Erregten,  kata¬ 
tonischen  Kranken,  agitierten  Depressionen,  neurasthenischen 
Kranken  und  insbesondere  bei  einigen  Patienten,  die  über  er¬ 
schwertes  Einschlafen  klagten,  Versuche  an.  ln  der  Schilde¬ 
rung  der  Resultate  bei  diesen  Kranken  kann  ich  mich  kurz 
fassen,  denn  bei  klaren  und  geordneten  Kranken  machten  wir 
ganz  allgemein  die  Erfahrung,  dass  schon  geringe  Dosen,  wie 
z.  B.  2  mal  5  ccm  pro  die  (also  im  ganzen  2  g  Brom)  denselben 
Effekt  erzeugten,  wie  bedeutend  grössere  Dosen  der  gewöhn¬ 
lichen  Brommedikation  ohne  salzarme  Diät;  aber  selbstver¬ 
ständlich  waren  wir  eben  hauptsächlich  auf  die  subjektiven 
Angaben  der  Kranken  angewiesen. 

Bei  einer  zirkulären  Kranken,  die  sehr  lebhaft  halluzinierte  und 
infolge  der  höhnenden  und  spottenden  Stimmen  immer  wieder  von 
neuem  erregt  wurde,  während  sie  sonst  sich  ganz  ruhig  verhalten 
konnte,  gelang  es  uns,  mit  dieser  Brombehandlung  ein  aus¬ 
gesprochenes  Zurücktreten  der  Gehörshalluzinationen  zu  bewirken 
und  ihren  Zustand  subjektiv  wie  objektiv  zu  bessern;  bei  schwerer 
manischer  Erregung,  bei  agitierter  Depression  oder  vollends  bei  kata- 
tonen  Erregungszuständen  erwiesen  sich  auch  höhere  Dosen  von 
Sasedanwürze  als  ungenügend;  und  wenn  auch  zuweilen  vorüber¬ 
gehend  ruhigere  Tage  bei  solchen  Kranken  zu  verzeichnen  waren, 
so  konnten  wir  diese  nicht  auf  die  medikamentöse  Therapie  zurück- 
führen,  da  trotz  Fortsetzung  der  Behandlung  doch  wieder  neue  hr- 
regungszustände  auftraten  und  die  vorhergehende  Besserung  wohl  ml 


7.  Oktober  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


ahmen  der  bei  diesen  Krankheitsformen  bekannten  Schwankungen 
jleuen  war.  Unwirksam  erwies  sich  die  Sasedantherapie  bei  allen 
allen  von  Hysterie  mit  Anfällen,  wenn  jegliche  andere,  namentlich 
,i.c«eMi\  be  undlung,  unterblieb,  während  wir  bei  Schreckneurosen 
iu  ähnlichen  psychogenen  Erkrankungen  in  der  Sasedantherapie 
ne  wirksame  Unterstützung  der  übrigen  psychischen  Beliandlungs- 
eise  erblicken  konnten.  Infolge  seiner  einfachen  Anwendungsweise 
id  der  prompten  \\  irkungen  der  Sasedanwiirze  bei  epileptischen. 
:m.,  ,?r f?Kcn,^.^ei  hysterischen  Anfällen,  konnte  man  zuweilen  bei 
eeitelhafter  Diagnose  der  Erkrankung,  ob  Hysterie  oder  Epilepsie, 
e  Behandlungsmethode  geradezu  als  differentialdiagnostisches  Mit- 
I  verwenden,  denn  die  Methode  ermöglicht  eine  Applikation  des 
oms  in  einer  \\  eise,  die  der  Kranke  unter  Umständen  gar  nicht  be- 
erkt,  wenn  nämlich  die  Sasedansuppe  in  der  Küche  fix  und  fertig 
bereitet  dem  Kranken  gereicht  wird.  Wird  nun  der  betreffende 
•anke  vorerst  in  keiner  Weise  suggestiv  beeinflusst  und  erhält 
me  ^uppe,  ohne  dass  er  deren  Inhalt  kennt,  so  können  wir  bei  Epi- 
Jtischen  baldige  Besserung  und  Wegfall,  bei  Hysterischen  Fort- 
uer  der  Anfalle  beobachten.  Dass  diese  Differentialdiagnose  frei- 
h  keine  absolut  untrügerische  ist,  sind  wir  uns  vollkommen  be- 
isst. 


Welche  Faktoren  dem  Brom  in  der  Anwendungsweise  der 
isedansuppen  die  ausgesprochene  Erhöhung  der  Wirksam- 
it  verleihen,  ob  es  einzig  und  allein  die  gleichzeitige  Koch- 
lz\  erminderung  der  Nahrung  ist,  oder  damit  zusammen- 
ngt,  dass  das  Brom  in  starker  Verdünnung  und  vorzüglich 
löst  dem  Organismus  zugeführt  wird  und  die  Resorption 
rch  die  im  Sasedan  enthaltene  W  ürze  noch  erleichtert  wird, 
rmögen  wir  jetzt  noch  nicht  mit  Sicherheit  zu  sagen,  zumal 
r  Stoffwechseluntersuchungen  bei  unseren  behandelten 
anken  noch  nicht  angestellt  haben;  immerhin  mögen  diese 
wägungen  hier  angedeutet  sein. 

Angeregt  durch  die  Arbeiten  von  Bürgi-Bem  (M.  Kl. 
14  Nr.  14  u.  15)  über  die  Wirkung  von  Arzneigemischen,  in 
nen  er  zu  dem  Resultate  gelangt  ist,  dass  Arzneien  der 
ichen  Reihe,  die  also  denselben  pharmakologischen  Angriffs- 
lkt  haben,  bei  Kombination  ihre  Wirkung  addieren,  dass 
-r  Arzneien  derselben  Reihe,  die  verschiedene  pharmako- 
ische  Angriffspunkt  besitzen,  bei  Kombination  einen  poten- 
rten  Gesamteffekt  zeigen,  haben  wir  da,  wo  die  einfache 
>edanbehandlung  uns  nicht  befriedigte,  durch  entsprechende 
mbination  eine  Steigerung  der  Wirkung,  womöglich  einen 
enzierten  Gesamteffekt  zu  erreichen  gesucht.  Dass  wir  im 
loralhydrat  ein  wesentliches  Unterstützungsmittel  der 
)msalze  zur  Bekämpfung  epileptischer  Attacken  haben,  hat 
on  Steffen  in  seiner  Dissertation  berichtet  und  auch 
■enmeyer  empfahl  (B.kl.W.  1913  Nr.  18)  die  Verbindung 
i  Chloralhydrat  und  Opium,  sowie  Luminal  und  Baldrian 
Unterstützung  der  Bromsalzkur.  Bei  unseren  Versuchen 
rde  namentlich  ein  Opiumpräparat,  Laudopan  Dr.  Haas, 
wir  in  seiner  Brauchbarkeit  schon  längere  Zeit  schätzen 
-*rnt  haben,  und  das  wir  wegen  seiner  weniger  grossen 
ährlichkeit  dem  Pantopon  vorzogen,  verwendet.  Die 
umalkaloide  lähmen,  wie  B  ü  r  g  i  selbst  angibt,  Grosshirn, 
tel-  und  Kleinhirn,  sowie  Medulla  und  wirken  erregend  auf 
Rückenmark,  während  die  Bromverbindungen  die  Erreg¬ 
theit  der  I  räger  aller  seelischen  Qualitäten  dämpfen.  Der 
.riffspunkt  ist  somit  ein  verschiedener  und  gerade  von  der 
bindung  der  Opiumpräparate  mit  Brom  verspricht  sich 
lalb  B  ü  r  g  i  eine  potenzierende  Wirkung,  wenn  er  auch 
5t  den  zweiten  Teil  seiner  Regel  nicht  ohne  Einschränkung 
echt  erhält.  Das  Laudopan  wurde  von  uns  in  2proz. 
ung  in  langsam  steigenden  Dosen  mehrmals  täglich  teils 
immen  mit  der  Sasedanwürze  in  der  Suppe,  teils  getrennt 
ibreicht  (Höchstdosis  3  mal  20  Tropfen  einer  2proz.  Lö- 
?).  Die  erhoffte  Verstärkung  der  Wirkung  im  Sinne  eines 
nzierten  Effektes  wurde  von  uns  in  keinem  der  bisher  be- 
d eiten  Fälle  beobachtet;  in  einem  Falle  einer  agitierten  De¬ 
sion  machten  wir  sogar  die  Beobachtung,  dass  das  Be¬ 
stsein  eher  stärker  getrübt  und  durch  Wegfall  weiterer 
unungen  der  Zustand  eher  verschlimmert  wurde.  Im  all¬ 
einen  sahen  wir  eine  Steigerung  der  Bromwirkung  durch 
Kombination,  aber  nicht  über  das  arithmetische  Mittel 
usgehend  und  stimmen  in  dieser  Erfahrung,  wie  ich  sehe, 
dem  Resultat  der  Nachprüfungen  der  B  ii  r  g  i  sehen  Ex- 
'nente,  die  Professor  Dr.  Martin  Kochmann  (D.m.W. 

Nr.  34)  angestellt  hat,  überein. 

Weiteren  Untersuchungen  wird  es  Vorbehalten  sein,  die 
<ung  der  Sasedanwürze  bei  anderen  nervösen  Zuständen 


als  den  von  uns  bisher  herangezogenen  zu  erproben;  wir 
denken  dabei  namentlich  an  die  Zustände  bei  Basedow,  ferner 
nuvöse  Kopfschmerzen,  Neuralgien,  Migräne,  nervöses 
Asthma,  Chorea,  Pertussis  und  nicht  zuletzt  in  Anbetracht  der 
Eigenschaft  des  Broms  als  Antaphrodisiakum  bei  allen  Zu¬ 
ständen  sexueller  Ueberreizung,  und  wenn  nicht  alle  Aus¬ 
sichten  trügen,  haben  wir  in  der  Sasedanwürze  ein  Mittel,  das 
un  Arzneischatz  des  Nervenarztes  eine  bedeutende  Rolle  zu 
spielen  berufen  sein  wird. 

Zusammenfassend  habe  ich  zu  wiederholen: 

,  .  Sasedanwürze  Dr.  Haas  ist  geeignet,  die  Brommedi- 

\ation  in  der  borm  einer  schmackhaften  Bromsuppe  bei  salz- 

aimer  Diät  als  Dauerdiät  mit  Leichtigkeit  durchführen  zu 
Lei  s  s  0  n . 

2.  Der  therapeutische  Effekt  muss  noch-  durch  weitere  aus¬ 
gedehnte  Versuche  geprüft  werden;  die  bisherigen  Versuche 
lassen  erwarten,  dass  mit  wesentlich  kleineren  Bromdosen 
eine  bedeutend  stärkere  Bromwirkung  ohne  wesentliches 
nervortreten  von  Intoxikationserscheinungen  erzeugt  wird, 
besonders  bei  der  genuinen  Epilepsie. 

3  Wegen  seiner  einfachen  Anwendungsweise  eignet  sich 
das  Mittel  auch  zur  Behandlung  psychisch  Kranker,  die  auf 
diese  Weise  event.  unwissentlich  Brom  bekommen  können,  da 
diese  Bromsuppe  sich  kaum  von  einer  gewöhnlichen  salz¬ 
haltigen  Suppe  im  Geschmack  unterscheidet. 

...  4-  Bisher  hat  sich  namentlich  auch  die  Anwendung  des 
M dt eks  bei  Formen  von  Neurasthenie,  allgemeiner  Ueberreizt- 
heit,  Schreckneurosen,  leichteren  halluzinatorischen  Zuständen 
nervösem  Kopfweh,  nervöser  Schlaflosigkeit  (Nichteinschlafen- 
kemnen)  bewährt,  während  es  bei  hysterischen  Anfällen  und 
schweren  psychischen  Erregungen  unwirksam  bzw  zu 
schwach  wirksam  ist. 

r*  5‘  Die  B  ü  r  g  i  empfohlene  Arzneikombination  von 
brom  und  Opium  zur  Erreichung  einer  potenzierten  therapeuti¬ 
schen  Gesamtwirkung  hat  bei  unseren  Versuchen  bisher  keinen 
über  die  summierte  Wirkung  hinausgehenden  Erfolg  gezeitigt 


Aus  der  medizinischen  Universitätsklinik  zu  Marburg 
(Direktor:  Geheimrat  M  a  1 1  h  e  s). 

Zur  Kenntnis  des  Asthma  cardiale  beim  Kinde. 

Von  Dr.  P.  Rohmer,  Privatdozent  für  Kinderheilkunde. 

Nebst  einem  pathologisch-anatomischen  Beitrag 

von  Professor  L.  J  o  r  e  s. 

Bei  Herzkranken,  namentlich  bei  Koronarsklerose,  finden 
sich  bekanntlich  plötzlich  auftretende  Anfälle  von  Atemnot, 
welche  von  der  gewöhnlichen  Dyspnoe  Herzkranker  streng  zu 
trennen  sind,  und  die  man  als  „Asthma  cardiale“  bezeichnet. 
Häufig  gesellen  sie  sich  zum  Bild  der  Angina  pectoris,  gehören 
abei  nicht  zu  der  leinen  Form  derselben,  welche  neben  den 
objektiven  Erscheinungen  von  seiten  des  Herzens  nur  durch 
die  subjektive  Angst-  und  Schmerzempfindungen  charakteri¬ 
siert  ist.  Diese  Anfälle  von  Herzasthma  verlaufen  manchmal 
leicht  und  dauern  nur  wenige  Stunden,  sie  können  aber  auch 
ein  bis  mehrere  Tage  fortbestehen  und  mit  heftiger  Atemnot 
und  höchstem  subjektiven  Angstgefühl  einhergehen;  das  Ge¬ 
sicht  ist  gewöhnlich  bleich,  mitunter  auch  tief  zyanotisch;  der 
Puls  ist  selten  verhältnismässig  gut,  meistens  klein,  weich, 
ungleich  und  unregelmässig.  Gewöhnlich  kommt  es  in  den 
schweren  Anfällen  unter  hinzutretendem  Lungenödem  zum 
tödlichen  Ausgang. 

Beim  Kinde  sieht  man  Asthma  cardiale,  wie  schon  die 
Ietztei  em  gewöhnlich  zugrunde  liegende  Arteriosklerose  ver- 
stündlich  macht,  naturgemäss  sehr  selten;  es  wird  auch  in  den 
gebräuchlichen  Darstellungen  der  kindlichen  Herzpathologie 
nicht  erwähnt.  Dies  ist  insofern  zu  bedauern,  als  es  wichtig 
ist,  dass  die  Möglichkeit  seines  Vorkommens  auch  beim  Kinde 
gekannt  und  der  Symptomkomplex  sofort  bei  seinem  Auftreten 
richtig  diagnostiziert  wird,  um  ein  rechtzeitiges  therapeutisches 
Eingreifen  zu  ermöglichen.  Deshalb  sei  nachstehend  folgende 
einschlägige  Beobachtung  mitgeteilt,  welche  auch  patho¬ 
logisch-anatomisch  ein  interessantes  Unikum  darstellt. 


2130 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  43. 


Auszug  aus  der  Krankengeschichte: 

lT.  Ottilie,  6  Jahre  alt,  aufgenoinincn  am  28.  November  1913. 

Seit  Juli  1913  leidet  Pat.  an  häufig  rezidivierendem  Gelenk¬ 
rheumatismus.  14  Tage  vor  der  Aufnahme  trat  Aszites  auf. 

Bei  der  Aufnahme  zeigte  das  blasse,  abgemagerte  Mädchen 
eine  stark  verbreiterte  Herzdämpfurig  von  4:11cm;  verbreiterter, 
starT  hebender  Spitzenstoss  in  der  vorderen  Axillarlinie.  Lautes, 
schabendes  systolisches  (jeräusch;  verstärkter  zweiter  T  ulmonalton. 
Orthopnoe;  Aszites;  liydrothorax.  Oedeme  an  Beinen,  Bauch,  Brust 
und  Rücken.  Slauungsleber. 

Geringe  Beschwerden  in  einigen  Gelenken. 

Unter  entsprechender  Behandlung  des  bis  dahin  unbehandelten 
Kindes  (Punktion  des  Aszites,  Digitalis,  Diuretin,  Salizylsäure,  salz¬ 
arme  Diät)  bildeten  sich  die  Stauungserscheinungen  auffallend  rasch 
zurück,  und  das  Kind  war  in  der  Folge  vollständig  frei  von  Be¬ 
schwerden 

Ganz  unerwartet  und  ohne  Vorboten  trat  am  Nachmittag  des 
6.  1.  14  eine  hochgradige  Kurzatmigkeit  auf,  eine  tiefe,  jagende 
Atmung,  welche  mit  dem  übrigen  negativen  Untersuchungsbefunde 
auffallend  kontrastierte.  Das  Gesicht  war  bleich;  das  subjektive  Be¬ 
finden  schien  nicht  nennenswert  gestört.  An  den  beiden  folgenden 
Tagen  dauerte  der  Zustand  mit  einigen  leichten  Remissionen  un¬ 
verändert  an.  Die  Temperatur  war  normal,  der  Puls  regelmässig, 
ziemlich  voll,  weich,  ca.  104  pro  Minute;  die  Atmungsfrequenz 
zwischen  44  und  59  pro  Minute.  Die  Lungengrenzen  standen  rechts 
vorn  ar,  der  7.  Rippe,  hinten  beiderseits  am  12.  Proc.  spinös.  Die 
Lungengrenze  war  rechts  gar  nicht,  links  nur  wenig  verschieblich. 
Kein  Erguss.  Perkussionsschall  normal;  Atemgeräusch  vesikulär. 

9.  I.  Temperaturen  38,1 — 38,8,  Puls  128,  Respiration  68.  Ver¬ 
schlimmerung  des  Allgemeinzustandes.  Nachmittags:  Ueber  der 
rechten  Lunge  reichliches  Knisterrasseln.  Links  normaler  Befund. 
Aderlass. 

10.  1.  vormittags  Temperatur  39,5,  Puls  144.  AtmungsTrequenz  62, 
Exitus  letalis 

Anatomischer  Befund 

von  Professor  L.  J  o  r  e  s. 

1.  Auszug  aus  dem  Sektionsprotokoll: 

Herz:  Nach  Eröffnung  der  Brusthöhle  liegt  der  Herzbeutel  in 
ganzer  Ausdehnung  zutage.  Lungen  zurückgesunken,  pesonders 
links  stark.  Linke  Lunge  oben  strangförmig  verwachsen,  Pleuren 
beiderseits  leer.  Im  Herzbeutel  80  ccm  wässerige,  klare,  farblose 
Flüssigkeit.  Perikard  und  Epikard  glatt  und  glänzend,  nur  an  der 
Hinterwand  des  Herzens  ganz  feine  Auflagerungen,  die  nicht  fest  an- 
haften.  Herz  stark  vergrössert,  ist  mehr  als  doppelt  so  gross  als 
die  Faust.  Hypertrophie  betrifft  beide  Abschnitte.  Grösste  Länge 
10  cm,  Breite  IOV2  cm,  Dicke  5  cm.  Bei  Eröffnung  der  Pulmonal¬ 
arterie  entleert  sich  flüssiges  Blut.  Die  Pulmonalarterie  enthält  kein 
Gerinnsel.  Rechter  Vorhof  weit,  enthält  nur  geringe  Speckhaut- 
gerinnsel,  ebenso  in  der  rechten  Kammer,  die  ziemlich  weit  ist, 
Konus  arteriosus  und  venosus  mittelweit.  Klappen  dünn  und  zart, 
glatt.  Linker  Vorhof  weit,  mit  locker  geronnenem  Cruor  prall  ge¬ 
füllt.  Wand  ziemlich  dick.  Innenfläche  glatt,  weisslich.  Klappen  der 
Mitralis  verdickt,  weisslich,  von  glatter  Oberfläche.  Besonders  die 
vordere  Klappe  verdickt.  Sehnenfäden  nur  in  geringem  Masse  ver¬ 
dickt.  Aortenklappen  nur  in  den  basalen  Abschnitten  verdickt,  sonst 
glatt  und  leicht  beweglich.  Linker  Ventrikel  weit.  Muskulatur 
kräftig.  Herz  Heisch  blass  braunrot  ohne  Herderkrankungen.  Ab¬ 
gänge  der  Koronararteriendurchgänge  nicht  besonders  weit.  Aorten¬ 
innenfläche  überall  auch  an  Stellen  der  Koronarabgänge  glatt.  Auch 
Innenfläche  der  Koronararterien  von  glatter  Wandung.  Lumen  ist 
leer. 

Lungen:  In  den  Hauptbronchien  schaumige  Flüssigkeit. 
Rechte  Lunge  gross,  fühlt  sich  hart  an,  so  dass  die  3  Lappen  wie 
ausgegossen  erscheinen.  An  der  Oberfläche  finden  sich  fleckenförmige 
Blutungen  und  starke  Gefässzeichnung.  Auf  der  Schnittfläche  ist 
das  Gewebe  wenig  lufthaltig  und  hat  eine  graurötliche,  körnige 
Konsistenz,  sow  ohl  im  Ober-  als  auch  im  Unterlappen.  Konsistenz 
und  Beschaffenheit  sehen  nicht  der  gewöhnlichen  Hepatisation  ähnlich. 
Das  Gewebe  ist  aber  auch  nicht  lufthaltig,  sondern  hat  eine  feste 
Konsistenz.  Nur  an  den  Rändern  wenige  weiche  Stellen,  aus  denen 
sich  schaumige  Flüssigkeit  entleert.  Die  Lymphdrüsen  am  Hilus  ge¬ 
schwellt  und  auf  dem  Durchschnitt  von  grauroter,  derber  Konsistenz. 
Ebenso  verhalten  sich  die  trachealen  und  bronchialen  Lymphdrüsen. 
Linke  Lunge  klein.  Blassgraue  spiegelnde  Oberfläche.  Die  punkt¬ 
förmigen  Blutungen  finden  sich  nicht,  dagegen  wohl  die  Gefässzeich- 
nung,  wenn  auch  weniger.  Lungengewebe  blassbraunrot,  überall 
lufthaltig.  Herdei  krankungen  nicht  vorhanden.  Lymphdrüsen  im 
Hilus  wenig  geschwellt.  Lungenvenen  der  rechten  Lunge  leer,  haben 
glatte  Wandungen,  ebenso  die  Arteria  pulmonalis.  Bronchien  glatte, 
blasse  Schleimhaut,  sind  ebenfalls  leer. 

Pathologischanatomische  Diagnose:  Hypertro¬ 
phie  und  Dilatation  des  Herzens.  Endocarditis  fibrosa  der  Mitralis. 
Vergrösserung  und  Starre  der  rechten  Lunge.  Lungenödem  gering. 
Stauungscrgane.  Tuberkulöse  Lymphadenitis  im  Mesenterium. 
Hydroperikard. 

2.  Mikroskopischer  Befund  der  rechten  Lunge: 

Die  Alveolargänge  sind  ausgekleidet  mit  einer  ca.  1,5  ß  breiten 
Schicht  homogenen  Materials;  nur  an  wenigen  Alveolargängen  er¬ 


scheint  sie  schmäler  oder  andererseits  auch  wieder  bedeutend  dicker. 
In  die  Alveolen  setzt  sich  die  homogene  Schicht  nicht  fort,  sondern 
schliesst  dieselbe  gegen  den  Alveolargang  gerade  ab  oder  macht 
eine  kleine  Ausbuchtung  nach  der  Alveole  zu.  Manchmal  ist  sie 
auch  lückenhaft,  wie  zerbröckelt.  Im  Inneren  des  Alveolargange^ 
finden  sich  häufig  fädige  oder  nur  homogene,  aber  weniger  kompakt', 
mehr  wolkig  fädige  Massen,  die  von  dem  homogenem  Randsaum  ge¬ 
trennt  sein  können  oder  in  Brücken  und  Fortsätzen  an  die  innere 
Seite  der  Randschicht  anstossen.  Während  die  homogene  Rand¬ 
schicht  in  allen  Alveolargängen  der  ganzen  Lunge  vorhanden  ist. 
fehlen  die  weniger  kompakten  zentralen  Massen  in  vielen  Alveolar¬ 
gängen  gänzlich,  in  anderen  sind  sie  gering,  in  anderen  reichlich 
vorhanden.  Bei  Hämatoxylin-Eosinfärbung  erscheinen  sie  blauer  als 
die  das  Eosin  mässig  aufnehmenden  homogenen  Randschichten.  Die 
letzteren  färben  sich  bei  v.  Gieson  bräunlich.  Beide  Arten  von 
homogener  Substanz  geben  keine  Fibrin-  und  keine  Amyloidfärbung. 
Die  homogene  Randschicht  hat  Zellen  in  spärlicher  Zahl  in  sich  ein¬ 
geschlossen;  meist  so.  dass  11m  die  Zellen  eine  kleine  Zone  frei > 
bleibt.  Atanchmal  ist  nur  der  Kern  der  eingeschlossenen  Zelle  be¬ 
stimmbar..  Es  finden  sich  häufig  grössere,  blässere  Kerne,  die,  wenn 
ihr  Protoplasma  erkennbar  ist,  einen  grossen  Zelleib  aufweisen  und 
den  in  Alveolen  reichlich  vorhandenen  abgestossenen  Alveolarepi- 
thelicn  gleichen.  Dieselben  Zellen  liegen  auch  häufig  der  homogenen 
Schicht  vom  Alveclenlumen  aus  zahlreich  an.  Ein  kleiner  Teil  der 
in  der  homogenen  Randschicht  eingeschlossenen  Zellen  entsprechen, 
ihren  Kernen  nach  zu  urteilen,  Lymphozyten.  In  den  wolkig  fädigen, 
zentral  im  Alveolargang  gelegenen  Massen  sind  zahlreiche  Zellen 
eingefügt  oder  angelagert  und  zwar  grösstenteils  polynukleären 
Leukozyten  und  zum  geringen  Teil  Lymphozyten  und  Alveolar-' 
epithelien. 

Die  Alveolargänge  sind  an  manchen  Stellen  erheblich  erweitert, 
die  Alveolen  meist  klein.  Letztere  sind  teils  leer;  häufig  enthalten 
sie  abgestossene  Alveolarepithelien,  die  etwas  diffus  bräunliche  Fär¬ 
bung  besitzen,  aber  kein  deutliches  Pigment  enthalten,  nur  selten 
Lymphozyten  und  Leukozyten  in  grösseren  Anhäufungen. 

Die  kleinen  Bronchien  sind  entweder  leer,  oder  sie  enthalten 
dieselben  fädig-wolkigen  Massen  wie  die  Alveolargänge.  Die  Bron¬ 
chialwand  ist  unverändert. 

Die  beschriebenen  homogenen  und  fädigen  Substanzen  in 
den  Alveolargängen  sind  als  geronnenes  Eiweiss  zu  deuten. 
Aehnliche  Niederschläge  sieht  man  bei  Lungenödem,  jedoch 
mit  einer  diffusen  Anordnung  in  den  Alveolen  selbst.  Auch  ist 
der  homogene  Randsaum  der  Alveolargänge  offenbar  älter,  er 
erinnert  in  seinem  kompakten  Gefüge  an  die  hyalinen  Eiweiss¬ 
zylinder  der  Niere.  Ob  seine  Entstehung  auf  früher  bestan¬ 
denes  Oedem  oder  auf  eine  Pneumonia  serosa  zurückzuführen 
ist,  mag  diskutabel  erscheinen.  Im  ersteren  Falle  würden! 
die  jetzt  hauptsächlich  im  Alveolargang  vorhandenen  Leuko¬ 
zyten  auf  eine  hinzugetretene  entzündliche  Reaktion  schliesser 
lassen. 


Es  handelt  sich  also  in  unserem  Falle  um  eine  bei  einen 
dekompensierten  Herzfehler,  welcher  durch  die  Behandlung 
kompensiert  worden  war,  plötzlich  und  ohne  Vorboten  ein¬ 
setzende  schwere  Dyspnoe,  welche  bei  zunächst  negativen 
sonstigen  Befunde  mehrere  Tage  anhielt  und  schliesslich  unter 
Lungenödem  zum  Tode  führte. 

Zum  richtigen  Verständnis  dieses  als  „Herzasthma"  be- 
zeichneten  und  durch  seinen  typischen  Verlauf  wohl  charak¬ 
terisierten  Krankheitsbildes,  welches  sowohl  von  der  gewöhn¬ 
lichen  dauernden  kardialen  Dyspnoe  bei  inkompensierter 
Herzfehlern  als  auch  von  der  nervösen  Tachypnoe  bei  ge¬ 
wissen  Herzaffektionen  wohl  zu  unterscheiden  ist,  sei  folgende: 
kurz  rekapituliert. 

Die  Anfälle  von  kardialem  Asthma  entstehen  nach  dei 
allgemeinen  Ansicht  in  den  meisten  Fällen  durch  akutt 
Schwäche  des  linken  Ventrikels  bei  kräftig  weiterarbeitenden 
rechten  Herzen,  wodurch  es  zur  Blutstauung  in  der  Lunge  und 
zu  verminderter  Stromgeschwindigkeit  in  derselben  kommt 
R  0  m  b  e  r  g  [l]  gibt  an,  dass  es  sich  anatomisch  gewöhnliel 
um  eine  ausgebreitete  Koronarsklerose  des  linken  Ventrikel; 
handelt,  auf  deren  Grundlage  aus  irgend  einem  Grunde  ein» 
vorübergehende  oder  dauernde  mangelhafte  Blutzufuhr  zt 
demselben  eintritt,  im  Gegensatz  zu  der  nahe  verwandten  un- 
häufig  mit  Herzasthma  kombinierten  Angina  pectoris,  wo  siel 
meist  zirkumspripte  Veränderungen  einzelner  Gefässpartiei 
finden.  In  der  Lunge  enstehen  abnorme  Bedingungen  dei 
Atmungsmechanik  und  des  Gasaustausches,  durch  welche  dk 
Dyspnoe  ausgelöst  wird.  Nach  der  Lehre  v.  Baschs  unc 
seiner  Schule  (Grossmann  u.  a.)  sollte  es  infolge  Ueber- 
1  füllung  der  Lungenkapillaren  zu  einer  Dehnung  der  Alveolar- 


27.  Oktober  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Wandungen  und  somit  zu  einer  Blähung  und  Starre  der  Lungen 
kommen.  Nach  neueren  Untersuchungen  (S  i  e  h  1  e  [2],  R  o  - 
m  a  n  o  f  f  13J)  trifft  dies  jedoch  nur  im  Experiment  bei  offener 
Pleurahöhle  zu;  bei  geschlossenem  Pleuraraum  dagegen  wird 
die  Lunge  zwar  starr,  die  Alveolarwände  werden  aber,  ent¬ 
sprechend  der  aUen  1  raub  eschen  Lehre,  nach  innen  ein¬ 
gedrückt.  Die  Gesamtkapazität  der  Lunge  ist  also  nicht  er¬ 
höht,  sondern  vermindert,  der  Blutstrom  durch  die  Lunge  ver¬ 
langsamt  und  ihre  Elastizität  erheblich  eingeschränkt.  Diese 
mechanischen  Momente  einerseits,  die  mangelhafte  Funktion 
aes  Alveolarepithels  und  des  Endothels  der  Lungenkapillaren 
andererseits  bedingen  eine  Erhöhung  der  COs-Spannung  im 
Blute  und  lösen  wahrscheinlich  durch  zentrale  Reizung  des 
Respirationszentrums  die  verstärkte  Tätigkeit  der  Atem¬ 
muskulatur  aus.  I  rotz  derselben  ist  die  Atmung  in  typischer 
Weise  verflacht  —  im  Gegensatz  zu  der  Hyperpnoe  bei  der 
gewöhnlichen  kardialen  Dyspnoe. 

Asthma  cardiale  kann  übrigens  in  seltenen  Fällen  auch 
durch  ein  plötzliches  Versagen  des  rechten  Herzens,  z.  B.  bei 
Emphysem  und  bei  Kyphoskoliose,  ausgelöst  werden  (R  o  m - 

b  e  r  g). 

Es  ist  eine  bekannte  klinische  Tatsache,  dass  die  gleichen 
Ursachen,  welche  Asthma  cardiale  hervorrufen,  in  ihrer 
weiteren  Entwicklung  zu  Lungenödem  führen.  In  manchen 
hallen  kann  es  sich  um  ein  reines  Stauungsödem  handeln,  wie 
es  Cohn  heim  im  Tierexperiment  hervorrief  und  wie  es 
auch  klinisch  bei  bis  dahin  Herzgesunden  bei  plötzlicher 
schwerer  mechanischer  Schädigung,  z.  B.  der  Aortenklappen, 
beschrieben  worden  ist.  Es  ist  nicht  zweifelhaft,  dass  die 
schon  vorher  bestehende  Zirkulationsstörung  in  den  Lungen 
Veränderungen  setzen  kann,  welche  die  Entstehung  eines 
Stauungsödems  auch  schon  bei  weniger  hochgradigen 
Schwächezuständen  des  linken  Ventrikels  möglich  erscheinen 
assen.  Daneben  kommen  aber  Lungenödeme  anderer  Aetio- 
ogie  vor,  welche  die  gleichen  klinischen  —  auch  asthmati¬ 
schen!  —  Symptome  hervorrufen,  z.  B.  ein  als  toxisch  auf- 
retendes  Oedem  bei  Schrumpfniere.  Auch  an  die  Bedeutung 
lervöser  Einflüsse  (neurotisches  Lungenödem  von  J  o  r  e  s  [4] 
sei  in  diesem  Zusammenhang  erinnert.  Namentlich  hat  aber 
5  a  h  1  i  [5]  schon  vor  längerer  Zeit  auf  die  entzündliche  Ent¬ 
stehung  der  meisten  Fälle  von  Lungenödem  mit  Nachdruck 
angewiesen.  Er  hebt  hervor,  dass  das  Lungenödem  gewöhn- 
ich  in  umschriebenen  Herden  vorgefunden  wird,  dass  an  den 
deichen  Stellen  entzündliche  Veränderungen  namentlich  Stau- 
mgsbronchitis,  besteht,  dass  die  Lungen  meist  blass  sind,  dass 
las  Oedem  oft  ganz  akut  auftritt  und  ohne  erhebliches  Sinken 
.es  Blutdrucks  und  ohne  Erscheinungen  von  Hirnanämie  ver- 
äuft.  Alle  diese  Zustände  lassen  sich  klinisch  nicht  auseinander 
iahen,  nur  dass  der  Puls  be>  Asthma  und  Lungenödem  auf 
meumonischer  Grundlage  nach  R  o  m  b  e  r  g  manchmal  anf¬ 
allend  gut  ist.  Im  übrigen  gehen  entzündliche  und  Stauungs- 
rscheinungen  ohne  scharfe  Grenze  in  einander  über;  aus 
ledemsputum  wird  Pneumoniesputum;  häufig  finden  sich 
allerlei  Uebergänge  von  Oedem  zu  eigentümlichen  Arten  von 
’neumonie“  (K  r  e  h  1  [6]),  welche  ihrerseits  fieberfrei  oder  nur 
üt  geringfügigen  Temperatursteigerungen  verlaufen  können. 

Welche  merkwürdige  anatomische  Bilder  dabei  entstehen 
önnen,  beweist  der  vorliegende  Fal],  dessen  restlose  be¬ 
ledigende  Erklärung  durchaus  nicht  ohne  weiteres  möglich 
>t.  Der  Umstand,  dass  an  den  beiden  ersten  Tagen  die  Tem- 
eratur  normal  blieb,  um  erst  am  dritten  Tage  anzusteigen, 

•  iirde  für  ein  primäres  Staunngstranssudat  sprechen,  dessen 
yaline  Umwandlung  durch  die  lange  Dauer  des  Prozesses 
egünstigt  wurde  und  zu  welchem  sich  später  ein  entzünd- 
cher  Prozess  hinzugesellte.  Sehr  eigentümlich  ist  der  nor- 
lale  Befund  der  linken  Lunge!  Letztere  war  durch  das 
rosse  Herz  zweifellos  in  ihrer  Exkursionsfähigkeit  etwas  be- 
chränkt.  Ob  hier  ebenfalls  ein  Oedem  bestanden  hat  und 
ieder  resorbiert  worden  ist,  lässt  sich  bei  dem  gänzlich  nega- 
ven  klinischen  Lungenbefund  nur  vermuten. 

Mir  lag  vor.  allem  daran,  durch  die  Veröffentlichung  des 
alles  auf  das  tatsächliche  Vorkommen  von  typischem  Asthma 
irdiale  auch  beim  Kinde  hiermit  hingewiesen  zu  haben,  um 
cm  Symptom  den  ihm  in  der  kindlichen  Herzpathologie  ge- 
ührenden  Platz  zu  wahren. 


Literatur. 

,,  ...  ^  Roniberg:  Lehrbuch  der  Krankheiten  des  Herzens  und  der 
uetasse.  —  2.  Sichle:  Experimentelles  und  Kritisches  zur  Lehre 
von  der  L  ungerischwellung  und  Lungenstarrheit  (v.  Bosch- 
urossmann).  Zschr.  f.  klin.  Med.  66.  1908.  —  3.  Ro  man  off- 
Lxperimente  über  Beziehungen  zwischen  Atmung  und  Kreislauf 
Arch.  f.  exper.  Path.  u.  Pharm.  64.  1911.  —  4.  Jores:  Ueber 
«7PCinnrie,ltc  .  neurotisches  Lungenödem.  D.  Arch.  f.  klin.  Med. 
■i  --  5.  S  a  h  1  i:  Zur  Pathologie  und  Therapie  des  Lungen¬ 

ödems.  Arch.  f.  exper.  Path.  u.  Pharm.  19.  1885  und:  Zur  Patho- 
logie  des  Lungenödems.  Zschr.  f.  klin.  Med.  13.  1888.  —  6.  Krehl- 
Pathologische  Physiologie  VII.  Aufl.  1912  und:  Erkrankungen  des 


Aus  der  medizinischen  Klinik  Wiirzburg. 

Durstkur  bei  Oedemen  nicht-renal-kardialer  Natur. 

(Kurze  Mitteilung.) 

Von  Wilhelm  Nonnenbruch. 

ln  der  Behandlung  von  schweren  Kreislaufstörungen  mit 
Oedemen  spielt  die  Durstkur  schon  seit  langer  Zeit  eine  Rolle. 
Durch  die  Flüssigkeitsbeschränkung  kommt  es  zu  einer  Er¬ 
leichterung  des  Kreislaufes  und  zu  einer  Ausschwemmung  der 
Oedeme.  Meist  wird  gleichzeitig  eine  Verminderung  der  Salz- 
und  Kalorienzufuhr  damit  verbunden,  und  man  hat  gerade  diese 
Salzentziehung  als  wesentlich  betont.  Am  bekanntesten  ist 
die  K  a  r  e  1 1  sehe  Milchkur  geworden,  deren  Wirkung  durch 
Lenhartz,  Jacob  und  H  e  g  1  e  r  ausführliche  Bearbeitung 
fand. 

Auch  die  nephrogenen Hydropsien  wurden  schon  frühzeitig 
mit  Wasserentziehung  behandelt.  Neuerdings  ist  vor  allem 
V  o  1  h  a  r  d  dafür  eingetreten  auf  Grund  seiner  Auffassung, 
dass  die  Oedeme  des  Nephritikers  extrarenal  bedingt  seien, 
welche  Auffassung  wir  mit  unseren  Versuchen  an  Nieren¬ 
kranken  bestätigen  konnten  [Magnus-Alsleben  *)]. 

Weniger  bekannt  ist  die  Anwendung  der  Durstkur  bei 
Oedemen,  die  ihre  Ursache  nicht  in  einer  Herz-  oder  Nieren¬ 
störung  haben.  Aber  auch  hier  sind  schon  früher  günstige 
Wirkungen  verzeichnet  worden.  So  hat  H  i  s  -)  die  exsudative 
Pleuritis  mit  der  Karellkur  behandelt.  Einige  günstige  Be¬ 
obachtungen,  die  wir  in  dieser  Richtung  machen  konnten, 
sollen  im  folgenden  mitgeteilt  werden. 

..  ,  ) - ,  Lall.  A.  F.,  53  Jahre  Lymphatische  Leukämie.  Seit  1  Jahr 
Mattigkeit.  Seit  Mi  Jahr  Oedem  des  linken,  seit  3  Wochen  auch 
Oedem  des  rechten  Beines.  Weisse  Blutkörperchen  600  U00.  Dicke 
Di  iisenpaketc  in  beiden  Leistengegenden.  Sehr  starke  Anschwellung 
des  linken  Beines,  des  Skrotums  und  des  Penis,  geringe  Anschwel¬ 
lung  des  rechten  Beines,  leichtes  Oedem  in  den  tieferen  Teilen  des 
Rückens.  Herz:  leises  systolisches  Geräusch  an  der  Spitze  und 
Pulmonalis,  sonst  o.  B.  Puls  70—80.  Die  Oedeme  wurden  teils 
als  marantische,  teils  als  durch  den  Druck  der  Drüsenpakete  auf  die 
Venen  der  Schenkelbeuge  bedingte  aufgefasst.  Dass  auch  eine  kar¬ 
diale  Komponente  mitgespielt  hat,  ist  nicht  abzuleugnen,  das  Wesent¬ 
liche  war  sie  sicher  nicht.  In  der  ersten  Zeit  der  Beobachtung  wurde 
die  Flüssigkeitsaufnahme  nicht  besonders  berücksichtigt.  Bei  Urin¬ 
mengen  von  110— 1200  ccm  mit  spezifischem  Gewicht  1017—1020  stieg 
das  Körpergewicht  von  74,3  kg  auf  78,2  kg  (17.— 23.  VI.  14).  Es 
wurde  nun  die  Flüssigkeitsaufnahme  beschränkt  und  zwar  zunächst 
ohne  strenge  Kontrolle  und  ab  3.  VII.  so,  dass  die  gesamte  Flüssig¬ 
keitsaufnahme  genau  bestimmt  wurde.  Pat.  erhielt  eine  Milch-  und 
Breikost. 


Datum 

Urinmenge 

Spezifisches 

Oewicht 

Flüssigkeits¬ 

aufnahme 

Körpergewicht 
in  kg 

23.  VI. 

1200 

1020 

78,2 

3  VII. 

2100 

1015 

900 

72,5 

4.  VII. 

1900 

1020 

1000 

5.  VII. 

1800 

1020 

1100 

6.  VII. 

1700 

1020 

900 

7.  VII. 

1200 

1018 

700 

71.1 

8.  VII. 

1100 

1020 

6.  0 

9.  VII. 

1030 

1020 

600 

10.  VII. 

1020 

1020 

600 

70,3 

11.  VII. 

1300 

1020 

600 

12.  VII. 

1400 

1020 

600 

13  VII. 

1200 

1020 

800 

14.  VII. 

1500 

1020 

600 

66,2 

Die  Wasserausscheidung  überstieg  also  bei  weitem  die 
Flüssigkeitsaufnahme,  so  dass  einer  Aufnahme  von  600  bis 
1000  ccm  eine  Ausscheidung  von  1200  bis  2000  ccm  ent¬ 
sprachen.  Die  Oedeme  verschwanden  dabei  fast  völlig,  ohne 
dass  sich  die  drückenden  Drüsenpakete  unter  der  gleichzeitig 


D  Magnus-Alsleben:  Deutscher  Kongr.  f.  inn.  Med.  1914. 
')  His:  Chariteeannalen  34.  1910. 


2132 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  43. 


betriebenen  Radiotherapie  bisher  merklich  verkleinert  hatten. 
Patient  fühlte  sich  wesentlich  erleichtert  und  konnte  wieder 
gehen.  Ausser  Arsen  und  spärlichen  Narkoticis  war  an  Medi¬ 
kamenten  nichts  gegeben  worden. 

2.  Fall.  K.  K..  25  .Jahre.  Pleuritis  exsudativa.  Eintritt  3.  VII.  14, 
Gewicht  7h  kg.  6.  Vli.  Punktion:  Entleerung  von  1000 ccm  serösen 
Exsudats.  Gewicht  nach  der  Punktion  74,6  kg.  Bei  gewöhnlicher 
Kost  stieg  das  Körpergewicht  bis  zum  13.  VII.  wieder  auf  75,1kg. 
Nun  wurde  eine  Durstkur  eingeleitet.  Die  nachfolgende  Tabelle  gibt 
Aufschluss  über  die  Wirkung.  Pat.  erhielt  eine  kalorienreiche 
Trockenkost  neben  insgesamt  nur  500 — 800  ccm  Flüssigkeit  in  Form 
von  Milch  und  Wasser.  


Datum 

Urinmenge 

Spezifisches 

Gewicht 

Flüssigkeits¬ 

aufnahme 

Körpergewicht 

in  kg 

13.  VII 

1900 

1020 

500 

75,1 

14.  VII. 

1800 

1021 

500 

15.  VII. 

1600 

1025 

600 

16.  VII. 

1200 

1028 

600 

73,3 

W.  VII. 

1400 

1025 

800 

18.  VII. 

1500 

1028 

600 

73,0 

Es  kam  also  zu  einer  beträchtlichen  Mehrausscheidung 
von  Flüssigkeit  gegenüber  der  Aufnahme  und  zu  einem  Sinken 
des  Körpergewichtes.  Klinisch  war  die  Vermindung  des  Ex¬ 
sudates  dabei  nicht  sehr  deutlich,  machte  sich  aber  immerhin 
in  einem  Sinken  der  Dämpfungszone  und  in  einem  Deutlicher¬ 
werden  des  Atemgeräusches  bemerkbar.  Auch  subjektiv  trat 
eine  Erleichterung  ein. 

3.  Fall.  Frau  B.  Neoplasma  ventriculi.  Marasmus.  Eintritt 
27.  III.  14.  Bei  ungehinderter  Flüssigkeitsaufnahme  hielt  sich  das 
Körpergewicht  8  Wochen  lang  zwischen  41,5 — 43  kg,  dann  stieg  es 
innerhalb  1  Woche  von  43  auf  46  kg.  Dabei  hatte  Pat.  Urin¬ 
mengen  zwischen  1200  und  2000  ccm,  und  es  machte  sich  zusehends  am 
ganzen  Körper  ein  auffallender  Wasserreichtum  der  Haut  bemerk¬ 
bar.  Namentlich  das  Gesicht  und  die  Augenlider  waren  von  diesem 
marantischen  Oedem  befallen.  Keine  Höhlenergüsse.  Urin  o.  B. 
Am  5.  VI.  wurde  eine  Durstkur  begonnen.  Pat.  bekam  500  ccm  Milch 
und  zwei  Teller  Brei  pro  Tag.  Dabei  ging  das  Gewicht  von  46  kg 
(2  VI.  14)  in  wenigen  Tagen  auf  43  (9.  VI.  14),  dann  in  1  Woche 
auf  40,6,  in  der  folgenden  auf  40,0  kg  (22.  VI.  14)  herunter,  bei 
die  Flüssigkeitsaufnahme  weit  übersteigender  Flüssigkeitsausschei¬ 
dung  (Harnmengen  von  1500— 2000  ccm)  und  Pat.  fühlte  sich  sehr  viel 
wohler.  Die  Oedeme  waren  geschwunden. 

4.  Fall.  Frl.  S.,  43  Jahre.  Ovarialkystom,  hochgradiger  Aszites. 
Pleuritis  Eintritt  19.  V.  14.  Gewicht  82,3  kg.  Sie  wurde  sofort 
auf  Trockenkost  gesetzt,  so  dass  sie  neben  ihrer  kalorienreichen 
Nahrung  nur  200— 600  ccm  Flüssigkeit  aufnahm.  Dabei  sank  das 
Körpergewicht  auf  77,0  kg  bei  Urinmengen  von  500— 1600  ccm  mit 
spez.  Gew.  1015-  1025,  und  der  Leibesumfang  verringerte  sich  von 
118  auf  112  cm. 

Am  7.  VI.  wurden  durch  Punktion  12  Liter  entleert.  Pat.  fühlte 
sich  wohl  und  bei  dauernd  beschränkter  Flüssigkeitszufuhr  blieb  das 
Körpergewicht  auf  65  kg.  Als  aber  versuchsweise  etwas  mehr  Flüssig¬ 
keit  erlaubt  wurde,  kam  es  alsbald  wieder  zur  Retention,  die  durch 
erneute  Durstkur  nur  langsam  korrigiert  werden  konnte.  Leider 
wurde  diese  Besserung  durch  eine  tödliche  Lungenembolie  jäh  unter¬ 


brochen. 


Datum 

Urinmenge 

Spezifisches 

Gewicht 

Flüssiekeits- 

aufnahme 

Körpergewicht 

in  kg 

8.  VI. 

600 

1025 

400 

9.  VI. 

400 

1026 

300 

10.  VI. 

500 

1025 

450 

11.  VI. 

550 

1026 

400 

12.  VI. 

650 

1024 

700 

65 

13.  VI. 

600 

1024 

700 

14.  VI. 

450 

1030 

700 

15.  VI. 

450 

1027 

200 

16.  VI. 

351 

1029 

150 

67,6 

17.  VI.  ' 

450 

1026 

200 

18.  VI. 

450 

1030 

200 

19.  VI. 

450 

1030 

200 

20.  VI. 

520 

1028 

200 

69 

21.  VI. 

550 

1026 

300 

22.  VI. 

550 

1028 

350 

Das  Studium  dieser  Fälle  genügt,  um  zu  zeigen,  dass  auch 
bei  Oedemen,  die  ihre  Ursache  nicht  in  einer  kardial  bedingten 
Stauung  und  nicht  in  einer  durch  ein  hypothetisches  Nierengift 
bedingten  Gefässschädigung  haben,  eine  verminderte  Flüssig¬ 
keitszufuhr  zum  Aufsaugen  der  Oedeme  führen  kann.  Der 
Mechanismus  ist  wahrscheinlich  der  gleiche  wie  bei  den  renal¬ 
kardial  bedingten  Oedemen,  soweit  bei  diesen  keine  renale 
Insuffizienz  der  Wasserausscheidung  vorliegt.  Das  Blut  sucht 
sich  auf  seinem  optimalen  Wassergehalt  zu  halten,  der  einer¬ 
seits  durch  die  renale  und  sonstige  Wasserausscheidung  eine 
beständige  Verminderung,  andererseits  aus  dem  Oedetnwasser 
einen  Ersatz  erfährt. 


Kasuistischer  Beitrag  zur  Behandlung  der  Basedow¬ 
schen  Krankheit  mittels  Röntgenbestrahlung. 

Von  Dr.  Richard  Sielmann  in  München. 

Die  Basedowsche  Krankheit,  klinisch  charakterisiert 
durch  die  Hauptsymptome  Struma,  Exophthalmus  und  Tachy¬ 
kardie,  ist  noch  sehr  unvollkommen  erforscht.  Während  die 
einen  eine  Erkrankung  des  Sympathikus  annehmen,  schuldigen 
die  anderen  eine  Hypersekretion  der  Thyreoidea  an.  Daneben 
kommen  auch  funktionelle  Störungen  anderer  Drüsen  mit 
innerer  Sekretion  vor,  so  z.  B.  des  Ovarium,  der  Hypo¬ 
physe  etc.  So  erklärt  es  sich,  dass  wir  kein  einheitliches  Bild 
der  Erkrankung  vor  uns  haben,  dass  nicht  alle  Symptome 
gleich  stark  ausgeprägt  sind,  was  zur  Aufstellung  der  sogen. 
„Formes  frustes“  geführt  hat. 

Die  Vorstellung,  dass  die  Thyreoidea  beim  M.  B.  zu  viel 
Schilddrüsensekret  produziere  und  dem  Organismus  dadurch 
toxische  Substanzen  zuführe,  hat  die  Röntgentherapie  die  Wege 
geebnet,  war  doch  gleich  zu  Beginn  der  Aera  der  Röntgen¬ 
therapie  von  verschiedenen  Seiten  experimentell  der  Beweis 
erbracht  worden,  dass  gerade  drüsige  Organe  ausserordent¬ 
lich  radiosensibel  seien. 

Die  ersten,  die  die  Röntgentherapie  bei  Basedow  ver¬ 
suchten,  waren  Williams,  Mayo,  Stegmann,  Beck, 
Krause  u.  a. 

Es  würde  den  Rahmen  dieser  Abhandlung  weit  über¬ 
schreiten,  wollte  ich  alle  auf  diesem  Gebiete  erschienenen  Ar¬ 
beiten  hier  zitieren.  Von  solchen  grösseren  Stils  seien  nur 
noch  die  von  Dohan,  Schwarz,  Rieder  und  Rave  er¬ 
wähnt. 

Schwarz  sah  bei  seinen  40  Fällen  während  einer  durchschnitt¬ 
lichen  Behandlungsdauer  von  3  Monaten  stets  eine  Besserung  der 
nervösen  Symptome.  Die  Tachykardie  wurde  in  90  Proz.  der  Fälle, 
die  Abmagerung  bei  zwei  Drittel,  der  Exophthalmus  bei  der  Hälfte, 
die  Struma  bei  einem  Fünftel  der  Patienten  gebessert. 

Rieder  sah  bei  seinen  22  Basedowfällen  2  mal  vollständige 
Heilung,  in  7  Fällen  allgemeine  Besserung,  Beeinflussung  der  Struma, 
des  Exophthalmus  und  der  Herzbeschwerden,  bei  weiteren  7  Patien¬ 
ten  subjektive  und  objektive  Besserung,  5  blieben  refraktär. 

Rave  stellte  aus  der  Literatur  321  Basedowfälle  zusammen  und 
konstatiert,  dass  sich  43  Patienten  =  14  Proz.  refraktär  verhielten, 
273  =  °/ 7  der  Gesamtzahl  günstig  durch  die  Röntgentherapie  beein¬ 
flusst  wurden,  bei  16  Basedowkranken  vollständige  Heilung  erfolgte. 
Er  kommt  zu  dem  gerechtfertigten  Schluss,  dass  bei  M.  B„  wenn 
keine  zur  Operation  drängenden  Erscheinungen  vorhanden,  die  Rönt¬ 
genbehandlung  als  gleichwertig  mit  allen  übrigen  therapeutischen  Me¬ 
thoden  anzusehen  ist.  Es  wird  sowohl  eine  Verkleinerung  der  Schild¬ 
drüse  als  auch  ein  Zurückgehen  der  spezifischen  Basedowsymptomc, 
Besserung  des  Allgemeinbefindens  und  Gewichtszunahme  erreicht. 
Kommt  es  im  Anschluss  an  eine  Operation  nicht  zur  schnellen  Besse¬ 
rung,  so  kann  die  Röntgentherapie  zur  Unterstützung  mit  Erfolg 
herangezogen  werden. 

Grosses  Aufsehen  erregte  Ende  des  Jahres  1909  die  Basedow¬ 
debatte  in  der  Wiener  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte,  in  der  Holz¬ 
knecht  mit  Röntgenstrahlen  behandelte  Fälle  von  Struma  und  Base¬ 
dow  vorstellte  und  den  von  Eiseisberg  angenommenen  Zu¬ 
sammenhang  zwischen  den  gefundenen  Verwachsungen  und  der  Rönt¬ 
gentherapie  auf  das  Entschiedenste  bestritt.  Das  Resultat  dieser  De¬ 
batte  war,  dass  die  Röntgenbehandlung  bei  Strumen  abgelehnt,  die 
des  M.  B.  dagegen  von  verschiedenen  Seiten  empfohlen  wurde. 

Von  ausländischen  Autoren,  die  warm  für  die  Röntgentherapie  bei 
M.  B.  eintreten,  möchte  ich  noch  M  i  c  h  a  i  1  o  w  und  Pereschiw- 
k  i  n,  sowie  Ledoux-Lobard  und  B  e  I  o  t  nennen.  Sie  berichten 
von  ihren  Basedowkranken,  dass  durch  Röntgenbestrahlung  die 
Struma  verkleinert,  die  nervösen  Symptome  in  fast  allen  Fällen  be¬ 
seitigt  bezw.  gebessert,  eine  Gewichtszunahme  erfolgt  und  der  Ex¬ 
ophthalmus  deutlich  geschwunden  sei.  B  e  1  o  t  insbesondere  be¬ 
zeichnet  die  Röntgentherapie  als  eine  mächtige  Waffe  gegen  die 
Basedowschen  Symptomenkomplexe.  Indem  sie  auf  die  Sekretion 
der  Thyreoidea  wirkt,  vermindert  und  sistiert  sie  die  Bildung  von 
toxischen  Produkten,  welche  den  Körper  überschwemmen.  Die  Re¬ 
sultate,  welche  sie  gibt,  können  trotz  der  gegenteiligen  Behauptung 
einiger  Autoren  den  Vergleich  mit  allen  anderen  therapeutischen  .Me¬ 
thoden,  ja  sogar  der  chirurgischen  aushalten. 

Die  historische  Entwicklung  der  Röntgentherapie  bei  M.  B.  wäre 
unvollständig,  wollte  ich  nicht  zum  Schluss  eines  neuen  Weges  zur 
Heilung  dieser  Krankheit  gedenken,  der  von  M  a  n  n  a  b  e  r  g  -  Wien 
versucht  wurde  und  zwar  durch  Bestrahlung  der  Ovarien.  Bei  seinen 
10  Fällen  sah  er  in  der  Hälfte  den  Exophthalmus  geringer  werden, 
einmal  ganz  verschwinden,  die  Pulsfrequenz  nahm  ab,  subjektiv  stellte 
sich  Besserung  ein. 

Aus  eigener  Erfahrung  verfüge  ich  über  21  Fälle  von 
M.  B.,  die  in  den  letzten  5  Jahren  in  meinem  Institute  mittels 


27.  Oktober  1914. _ MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2133 


Röntgenstrahlen  behandelt  wurden.  Die  grösste  Zahl  der¬ 
selben  sind  echte  Basedowfälle  mit  den  charakteristischen 
Symptomen,  die  kleinere  umfasst  die  sogen.  „Formes  frustes“. 

Ausser  allgemeinen  diätetisch-hygienischen  Vorschriften 
wurde  unter  Fortlassung  jeglicher  medikamentöser  oder 
sonstiger  lherapie  nur  die  Behandlung  mittels  Röntgenstrahlen 
in  Anwendung  gebracht.  Ich  bediente  mich  hierbei  des  Poly- 
phosuniversalinduktors  mit  Simonunterbrecher,  einer  Poly- 
phostherapie-  oder  Müller  sehen  Wasserkühlröhre. 

Röhre  stets  hart,  parallele  Funkenstärke  14—24  cm,  als  Filter 
wurde  früher  Leder  von  0,5  cm  Dicke  benutzt,  seit  ca.  1%  Jahr 
3-mm-Aluminium,  im  primären  Stromkreis  6—8  MA„  im  sekundären 
im  Durchschnitt  0,5  MA.  Bestrahlt  wurde  mittels  Dr.  Rosenthal- 
scher  Kompressionsblende,  je  nach  Schwere  des  Falles,  entweder 
die  Thyreoidea  in  toto  —  Tubus  von  Lumenweite  9—12  cm  —  oder 
in  3  Segmenten  (Tubus  von  6  cm  Lumenweite),  Mitte  und  die  beiden 
Seitenlappen  unter  genauester  Abdeckung  der  jeweils  nicht  zur  Be¬ 
strahlung  kommenden  Teile  durch  Müller  sehen  Schutzstoff  in 
doppelter  Lage.  Bei  etwas  ängstlichen  Patienten  bedienten  wir  uns 
zur  Abdeckung  mit  Vorteil  der  Leukoplastbleifolie.  Hautabstand 
24 — 28  cm.  Jede  Stelle  erhielt  8 — 10  x,  gemessen  nach  Holz- 
knecht-Sabouraud;  Pause  von  3  Wochen. 

Die  Dauer  der  Behandlung  schwankt  zwischen  6  Wochen 
und  6  Monaten,  bei  den  nicht  selten  auftretenden  Rezidiven 
erneute  Bestrahlung,  die  dann  kürzer  sein  darf.  Ich  habe  bei 
dieser  Iechnik  niemals  eine  Röntgendermatitis  gesehen,  nicht 
einmal  Bräunung  der  doch  sonst  so  empfindlichen  Halshaut. 
Demnach  scheint  die  Gefahr  für  die  Haut  nicht  sehr  gross  zu 
sein.  Gegen  die  Röntgentherapie  des  M.  B.  wird  verschiedent¬ 
lich  ins  Feld  geführt,  dass  Verwachsungen  entständen,  die  eine 
später  etwa  notwendige  Operation  komplizieren.  Nun  scheint 
aber  nicht  in  allen  Fällen  diese  Verwachsung  einzutreten,  denn 
wir  sahen  früher  nach  erfolgloser  Röntgenbehandlung  Strumen 
operieren,  die  keine  Verwachsungen  zeigten.  Von  meinen 
21  Fällen  erforderte  einer  —  es  wird  später  auf  denselben 
zurückzukommen  sein  —  die  Operation,  die  trotz  lange  Zeit 
fortgeführter  Röntgenbehandlung  ohne  Komplikation  vor  sich 
ging. 

Die  Besserung  der  einzelnen  Symptome  erfolgte  zuweilen 
»ehr  schnell,  schon  nach  3—4  Bestrahlungen.  Das  ist  vielleicht 
>o  zu  erklären,  dass  die  angehäuften  toxischen  Stoffe  in  der 
1  hyreoidea  schnell  zerstört  und  so  einer  weiteren  Vergiftung 
les  Organismus  vorgebeugt  wurde.  Dann  folgt  ein  Stillstand 
m  Fortschreiten  der  Besserung  und  erst  nach  längerer  Zeit  — 
/ielleicht  erst  nach  Zerstörung  eines  Teils  der  hypersezer- 
tierenden  Thyreoidea  —  war  der  Erfolg  wieder  zufrieden¬ 
stellend.  Nur  wenige  Patientinnen  (nur  um  solche  handelt  es 
ich  bei  meinen  Fällen)  klagten  über  Schwindel  oder  sonstige 
inangenehme  Symptome  nach  der  Bestrahlung. 

Von  den  21  Basedowfällen  zeigte  sich  nur  einer  gegen 
Röntgenbestrahlung  vollständig  refraktär.  Ein  zweiter  besserte 
ich  anfangs,  dann  aber  verschlimmerten  sich  die  Symptome, 
o  dass  von  weiteren  Bestrahlungen  Abstand  genommen 
verden  musste.  Als  vollständig  geheilt  darf  ich  wohl  4  Fälle 
nsehen,  darunter  2  seit  4'A  Jahren,  2  seit  2  Jahren.  Von  den 
estierenden  15  Fällen  haben  sich  7  bedeutend  gebessert,  so 
ass  kaum  noch  Symptome  der  Erkrankung  übrig  geblieben 
ind,  während  8  nur  zeitweilige  Besserung  zeigten.  Monate- 
ing  sind  sie  allerdings  beschwerdefrei,  dann  tritt  wieder  ein 
eil  des  belästigenden  Symptomenkoniplexes  auf,  der  aber  auf 
inige  kürzere  Bestrahlungen  prompt  zurückgeht.  In  den 
leisten  Fällen  erfolgte  Körpergewichtszunahme.  Den  Hals- 
mfang  sah  ich  um  2 — 4  cm  sich  verkleinern.  Die  Tachykardie 
erschwand  bzw.  besserte  sich  in  fast  allen  Fällen,  am  längsten 
ielt  sich  bei  den  echten  Basedowfällen  der  Exophthalmus, 
och  sah  ich  auch  diesen  in  5  Fällen  vollständig  zurückgehen. 

Ohne  auf  die  einzelnen  Krankengeschichten  hier  des 
äheren  einzugehen,  möchte  ich  2  Fälle  herausgreifen,  die  ganz 
esonders,  wenn  auch  nach  verschiedenen  Richtungen  hin,  den 
utzen  der  Röntgenstrahlen  bei  M.  B.  dokumentieren  sollen. 

In  dem  ersten  Falle  handelt  es  sich  um  ein  20  jähriges  junges 
ädchen,  das  seit  dem  8.  Jahre  an  Herzklopfen  leidet.  Starke  Blässe 
;s  Gesichts  und  der  Schleimhäute  insgesamt.  Starker  Tremor, 
-ichte  Ermüdbarkeit  der  Muskeln,  Beschwerden  beim  Gehen,  ge- 
hwollcne  Füsse,  Herzdilatation.  Struma,  Halsumfang  42  cm,  Ex- 
'hthalmus,  Tachykardie,  120 — 160  Pulsschläge  p.  M.  Nach  4  Rönt- 
nbestrahlungen  hat  die  Müdigkeit  nachgelassen,  Halsumafng  ist  auf 
cm  zurückgegangen.  Nach  dreimonatlicher  Behandlung  —  drei- 

Nr.  43. 


wöchige  Pausen  eingeschaltet  —  ist  der  Puls  auf  80—84  p.  M.  ge¬ 
sunken.  Patientin  macht  bereits  grössere  Spaziergänge.  Nach  Ver¬ 
lauf  eines  weiteren  Vierteljahres  ist  der  Halsumfang  38  cm;  Puls 
80  p.  M„  es  werden  sogar  kleinere  Bergtouren  ohne  Beschwerden 
ausgeführt,  der  Exophthalmus  ist  verschwunden.  Die  Teleaufnahme 
des  Cor  vor  und  nach  der  Behandlung  lässt  eine  Differenz  von  2  bis 
3  cm  erkennen.  Patientin  hat  ein  blühendes  Aussehen,  ist  körperlich 
und  geistig  leistungsfähig  geworden.  Der  ganze  Verlauf  der  Erkran¬ 
kung  wurde  von  dem  Hausarzte  der  selbst  2  mal  wegen  M.  B. 
strumektomiert  werden  musste,  mit  grösstem  Interesse  verfolgt  und 
bis  in  die  kleinsten  Details  beobachtet,  unter  voller  Bestätigung  obi¬ 
ger  Angaben. 

Der  zweite  Fall  dokumentiert  nach  einer  anderen  Richtung 
hin  die  günstige  Wirkung  der  Röntgenstrahlen  bei  M.  B. 

Es  handelt  sich  hier  um  ein  51  jähriges  Fräulein,  deren  Be¬ 
schwerden  1  Jahr  zurückdatieren  und  anscheinend  mit  dem  Klimak¬ 
terium  zusammenfallen.  Puls  130—150  p.  M.,  Struma  mittlerer 
Grösse,  39 Y>  cm  Halsunifang.  Exophthalmus,  starker  Tremor,  starke 
Herzbeschwerden.  Nach  10  Bestrahlungen  Puls  100  p.  M„  Hals¬ 
umfang  37  '/>  cm,  Exophthalmus  weniger  stark  ausgebildet.  Nach  wei¬ 
teren  6  Bestrahlungen  fühlt  sich  Patientin  vollkommen  gesund.  Puls 
80  p.  M.,  Halsumfang  35 Vi  cm.  Die  Besserung  hält  nur  4  Monate  an, 
dann  plötzlich  Auftreten  stürmischer  Erscheinungen,  schlimmer  als  zu 
Beginn  der  Erkrankung.  Patientin  verlangt  und  erhält  die  Operation. 
Nach  der  Strumektomie  ein  halbes  Jahr  lang  vollkommen  arbeits¬ 
fähig,  dann  wiederholt  sich  das  Spiel,  der  ganze  Symptomenkomplex 
stellt  sich  wieder  ein,  Iachykardie,  Jremor  etc.  Einige  Röntgen¬ 
bestrahlungen,  zu  denen  Patientin  nun  wieder  mehr  Vertrauen  hat, 
bringen  bedeutende  Besserung  ihres  Zustandes.  Patientin  ist  wieder 
arbeitsfähig  geworden. 

Aus  diesem  Falle  können  wir  zweierlei  lernen: 

Erstens,  dass  die  Operation  nicht  immer  zum  Ziele  führt, 
was  ja  nur  natürlich  ist,  da  ich  schon  einleitend  bemerkte,  dass 
bei  M.  B.  ausser  der  Hypersekretion  der  Thyreoidea  auch 
funktionelle  Störungen  anderer  Drüsen  mit  innerer  Sekretion 
nebenhergehen  können  und  eine  Strumektomie  auf  etwaige 
Veränderungen  eines  Ovars  oder  der  Hypophyse  natürlich 
keinen  Einfluss  haben  kann. 

Zweitens  aber  sehen  wir,  dass  nach  erfolglos  ausgeführter 
Operation  der  M.  B.  durch  Röntgenstrahlen  noch  günstig  zu 
beeinflussen  ist. 

Wir  sind,  den  Verlauf  der  Erkrankung  bei  unserer 
Patientin  verfolgend,  wohl  zu  der  Annahme  berechtigt,  dass 
die  Röntgenstrahlen  allein  nicht  imstande  waren,  die  Hyper¬ 
sekretion  der  Thyreoidea  und  damit  die  in  den  Organismus 
eingedrungenen  toxischen  Substanzen  zu  beseitigen.  Ebenso¬ 
wenig  wurde  durch  die  Operation  allein  Erfolg  erzielt.  Nach 
Ausführung  der  Strumektomie  dagegen  vermochten  die 
Röntgenstrahlen  die  vielleicht  auf  die  Hälfte  oder  ein  Drittel 
ihres  Volumens  reduzierte  Thyreoidea  in  ihrer  Hypersekretion 
soweit  zu  beschränken,  dass  toxische  Stoffe  nicht  mehr  produ¬ 
ziert  wurden  und  der  ganze  Symptomenkomplex  des  M.B.  ver¬ 
schwinden  konnte.  Diesem  Gedankengang  hat  Beck  schon 
im  Jahre  1905  Ausdruck  verliehen,  indem  er  bei  leichten  Fällen 
neben  allgemeiner  Therapie  eine  energische  Röntgenbehand¬ 
lung,  in  schwereren  Fällen  nach  halbseitiger  Schilddrüsen¬ 
exstirpation  postoperative  Röntgenbehandlung  anriet.  Bezüg¬ 
lich  der  letzteren  ist  Rave,  wie  schon  vorhin  ausgeführt,  der¬ 
selben  Ansicht. 

Aus  meinen  Ausführungen  dürfte  zur  Genüge  hervorgehen, 
dass  die  Röntgentherapie  bei  M.  B.  gefahrlos  zur  Anwendung 
gelangen  kann,  und  zwar  nicht  nur  bei  leichten,  sondern  auch 
in  schwereren  Fällen.  Jedenfalls  ist  sie  vor  Ausführung  der 
Strumektomie  versuchsweise  in  Anwendung  zu  bringen,  da 
diese  Operation,  auch  in  der  Hand  eines  erfahrenen  Chirurgen, 
immerhin  ein  gewisses  Risiko  in  sich  schliesst. 

Zusammenfassung. 

1.  Jeder  Fall  von  M.  B.  ist,  nach  Versagen  der  medikamen¬ 
tösen  und  sonstigen  Behandlung,  der  Röntgentherapie 
zuzuführen,  da  bei  Beherrschung  der  Technik  Haut¬ 
schädigungen  mit  grösster  Wahrscheinlichkeit  zu  ver¬ 
meiden  sind  und  etwaige  Verwachsungen,  die  eine  nach¬ 
folgende  Operation  komplizieren,  nicht  in  jedem  Falle 
aufzutreten  brauchen. 

2.  Bei  Versagen  der  Röntgentherapie  tritt  die  Operation  in 
ihre  Rechte. 

3.  Hat  auch  die  Operation  keinen  vollen  Erfolg,  ist 
wiederum  Röntgentherapie  indiziert. 


2 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  43. 


J1 34 


Literatur. 

Bcck-Nevv  York:  B.kl.W.  1905  Nr.  20.  —  B  e  1  o  t  -  Baris: 
Strahlentherapie  3.  1913.  H.  2.  —  D  oh  an- Wien:  Verh.  d.  D.  Rönt¬ 
genges.  3.  1907.  —  H  o  I  z  k  n  e  c  h  t  -  Wien:  Fortschr.  d.  Röntgenstr. 
3.  1907.  —  lwano  w:  Russky  Wratsch  1909  Nr.  25;  Ref.  Fortschr.  d. 
Röntgenstr.  14.  H.  6.  —  Michailow:  Praticzesky  Wratsch  1910 
Nr.  10,  11;  Ref.  M.m.W.  1910  Nr.  32.  —  M  a  n  n  a  b  e  r  g- Wien: 
W.klAV.  1913  Nr.  18.  —  Pereschinski:  Russky  Wratsch  1911 
Nr.  35;  Ref.  D.m.W.  1911  Nr.  44.  —  Rave  -  Berlin:  Zschr.  f.  Röntgenk. 
13.  1911.  H.  2  u.  3.  —  S  c  li  w  a  r  z  -  Wien:  W.kl.W.  1908.  Nr.  38; 
Zschr.  f.  Röntgenk.  12.  H.  3;  Fortschr.  d.  Röntgenstr.  15.  H.  5. 


Aus  dem  Sanatorium  für  innere  und  Nervenkrankheiten  in 
Konstanz  (Dr.  Büdingen). 

Ueber  isolierte  Perichondritis  des  Prozessus  ensiformis. 

Von  Dr.  Edgar  R  u  e  d  i  g  e  r,  Oberarzt. 

Im  Verlauf  einiger  Jahre  habe  ich  in  drei  Fällen  eine 
isolierte  Perichondritis  des  Processus  ensiformis  beobachtet, 
die  von  keinerlei  sonstigen  Erkrankungen  der  Rippen  oder'  des 
Brustbeins  begleitet  war,  auch  waren  solche  nicht  voraus¬ 
gegangen.  Die  Falle  waren  durchaus  verschiedenartig,  so 
dass  die  Genese  der  Veränderung  nicht  ohne  weiteres  zu 
deuten  war.  In  der  mir  zugänglichen,  allerdings  nicht  sehr 
reichhaltigen  Literatur  fand  ich  etwas  ähnliches  nicht  und  gebe 
deshalb  im  folgenden  nur  ganz  kurz  die  Befunde. 

Frau  X.,  48  Jahre  alt.  Schon  seit  Jahren  bestehende  schwere 
Myokarditis,  in  den  letzten  Monaten  reichlich  Stauungserscheinungen,  j 
Cor  perkutorisch  im  Transversaldurchmesser  ca.  18  cm,  der  Puls  j 
meist  über  110  bis  zu  140,  stark  arhythmisch,  inäqual.  Dyspnoe,  i 
Aszites,  starke  Leberstauung  mit  subikterischer  Verfärbung  des  gan¬ 
zen  Körpers,  besonders  des  Gesichts,  Transsudate  in  beiden  Pleuren. 
Die  Pat.  klagte  eines  Tages  über  einen  unangenehmen,  seit  einigen 
l'agen  bestehenden  Schmerz  im  Angulus  cpigastricus,  sogar  den  Druck 
der  Decke  könne  sie  nicht  ertragen.  Die  Palpation  ergab  eine  sehr 
starke  Druckempfindlichkeit  in  der  Fossa  epigastrica,  die  in  Aus¬ 
dehnung  dem  Prozessus  ensiformis  entsprach,  eine  Gestaltverände¬ 
rung  konnte  ich  durch  die  reichlich  starken  Bauchdecken  hindurch 
nicht  wahrnehmen.  Der  Druckschmerz  erreichte  nach  einigen  Tagen 
den  Höhepunkt  und  klang  dann  im  Verlauf  von  2  Wochen  ab. 

Im  2.  Falle  handelte  es  sich  um  einen  Arbeiter,  der  wegen  einer 
Geschwulst  am  Magen,  „die  man  deutlich  fühlen  könne“,  in  die 
Sprechstunde  kam.  Bei  dem  28  jährigen  mageren  Pat.  konnte  man 
deutlich  einen  sehr  langen  Processus  ensiformis  fühlen,  der  einen  sehr 
dünnen  Hals  hatte,  so  dass  das  Korpus,  das  in  diesem  Falle  entzünd¬ 
lich  geschwollen  war,  leicht  als  selbständige  Geschwulst  imponieren 
konnte.  Auch  hier  bestand  starke  Druckschmerzhaftigkeit,  äusser- 
lich  war  keine  Veränderung  zu  sehen,  insonderheit  keine  Spur  eines 
Traumas;  der  Pat.  hatte  vor  ca.  8  Monaten  Syphilis  akquiriert, 
zeigte  noch  deutliche  Drüscnschwellung,  besonders  der  Kubitales. 
Auch  in  diesem  Falle  heilte  die  Perichondritis  in  einigen  Tagen  ab 
tPinselung  mit  Jodtinktur). 

Im  3.  Fall  handelt  es  sich  um  einen  Pat.  der  Anstalt.  Akademi¬ 
ker,  48  Jahre  alt,  vor  25  Jahren  Lues,  die  sehr  lange  und  gründlich 
behandelt  wurde.  Vor  4  Jahren  leichte  stenokardische  Anfälle,  die 
seit  einem  Jahr  viel  heftiger  geworden  sind.  Bei  den  Anfällen 
schmerzhafte  Ausstrahlungen  in  den  linken  Arm  bis  ins  Handgelenk. 
Im  Anfall  hilft  Nitroglyzerin  ziemlich  prompt.  Inunktionskur,  Jod. 
Während  des  Aufenthaltes  in  der  Anstalt  klagt  Pat.  eines  Tages 
über  Druckschmerz  im  Angulus  epigastricus.  Die  Palpation  ergab 
auch  hier  ein  langes  Kollum  des  Processus  ensiformis,  welches  in 
einen  rundlichen  Tumor  übergeht.  Die  Haut  über  diesem  Tumor  war 
nicht  verändert.  Die  Entzündung  lief  nach  einer  Woche  allmählich 
ab.  Am  Herzen  war  gar  kein  abnormer  Befund  zu  erheben,  ab¬ 
gesehen  von  einem  etwas  paukenden  1.  Ton  an  der  Spitze  und  einem 
sehr  leisen  2.  Aortenton. 

Der  Pat.  ging  ca.  6  Wochen  später  an  Lungenödem  zugrunde, 
bei  der  Sektion,  die  anderen  Orts  ausgeführt  wurde,  fand  sich  eine 
Aortitis  luetica  mit  vollkommenem  Verschluss  des  Lumens  der  rech¬ 
ten  Arteria  coronaria. 

Bezüglich  der  Entstehung  der  Erkrankung  kann  ich  keine 
Angaben  machen.  Während  im  2.  Fall,  in  dem  es  sich  um 
einen  Gasarbeiter  handelte,  eine  Verletzung  wohl  möglich  ist, 
ist  sie  doch  nicht  sehr  wahrscheinlich,  da  die  Arbeiter  unter 
dem  Einfluss  unserer  Unfallgesetzgebung  jedes  und  auch  das 
kleinste  Trauma  sehr  prompt  registrieren.  Im  1.  und  3.  Fall 
war  ein  Trauma  vollkommen  auszuschliessen,  da  die  Patientin 
(Nr.  1)  bereits  monatelang  zu  Bett  lag  und  so  jede  Ver¬ 
anlassung  zu  einer  Verletzung  fehlte,  der  3.  Patient  aber  be¬ 
fand  sich  ebenfalls  schon  mehrere  Wochen  im  Sanatorium  in 
Beobachtung  und  stellte  jedes  Trauma  ganz  bestimmt  in 
Abrede. 


Im  2.  und  3.  Fall  war  Lues  vorausgegangen,  allerdings  lag 
sie  im  zweiten  nur  wenige  Monate,  im  dritten  25  Jahre  zurück. 
Im  1.  Fall  der  schweren  Myokarditis  war  eine  syphilitische 
Infektion  nach  der  Anamnesis  mariti  et  matrimonii  auch  nicht 
unwahrscheinlich. 

Man  könnte  somit  immerhin  an  eine  syphilitische  Pro¬ 
venienz  der  beschriebenen  Veränderung  denken,  doch  möchte 
ich  diese  Aetiologie  nicht  als  absolut  sicher  bezeichnen.  Viel¬ 
leicht  stehen  anderen  Ortes  ähnliche  Beobachtungen  zur  Ver¬ 
fügung. 

Auffallend  häufig  findet  man  auch  Gestaltsveränderungen 
des  nicht  entzündlich  veränderten  Schwertfortsatzes,  starke, 
nach  vorn  konvexe  oder  konkave  Wölbung  und  merkwürdige 
Torsionen,  welche  vielleicht  auf  früheren  Perichondritiden 
zurückzuführen  sind. 


Fortbildungsvorträge  und 
Uebersichtsreferate. 

Zur  Diagnose  der  kindlichen  Tuberkulose. 

Von  Dr.  Karl  Ernst  Ranke  in  München. 

(Schluss.) 

Diese  Symptomtrias  —  die  Härte,  das  Verlieren 
der  rundlichen  Kontur  und  die  Fixation  an  der  Um¬ 
gebung  —  sind  auch  unabhängig  von  der  Grössefür 
eine  ablaufende  Drüsentuberkulose  charakte¬ 
ristisch.  Sie  kommen  den  übrigen  Drüsenerkramuingen  meiner 
Erfahrung  nach  nicht  zu.  Sie  fehien  z.  B.  bei  den  Drüsen  nach 
Scharlach  oder  bei  Pedikulosis.  Am  ehesten  zeigen  sich  verwandte 
Erscheinungen  an  der  direkt  unter  der  Tonsille  gelegenen  Drüse  bei 
der  chronischen  Tonsillenhypertrophie.  Der  andauernde  entzündliche 
Reiz  scheint  hier  ähnliche  Verhältnisse  zu  schaffen  —  ob  mit  oder 
ohne  latente  Tuberkulose  ist  natürlich  nicht  zu  entscheiden.  Doch 
ist  dann  meiner  Erfahrung  nach  nur  die  oberste  subtonsillare  Drüse 
allein  induriert.  Aus  anderer  Ursache  markig  geschwellte  Drüsen 
werden  bei  der  Rückbildung  sehr  rasch  welk  ohne  zu  indurieren. 
und  zeigen  auch  keine  Fixation. 

Von  grösstem  klinischen  Interesse  ist  ferner  der  Nachweis  einer 
Schwellung  im  Bereich  der  bronchopulmonalen  Drüsengruppe.  Diese 
Drüsen  sind  dem  palpierenden  Finger  nicht  zugänglich,  ihre  Ver¬ 
änderungen  sind  daher  viel  schwerer  nachweisbar.  Am  leichtesten 
und  sichersten  lassen  sie  sich  auf  dem  Röntgenschirm  oder  der 
Röntgenplatte  kontrollieren.  Die  dafür  charakteristischen  Röntgen¬ 
bilder  werden  Ihnen  im  Laufe  dieses  Kurses  eingehend  vorgefübrt 
werden.  Ich  kann  daher  hier  nur  die  Aufgabe  haben,  die  physi¬ 
kalische  Diagnose  zu  besprechen. 

Es  ist  selbstverständlich,  dass  die  eben  für  die  Halsdrüsen  ge¬ 
schilderten  Veränderungen  sich  auch  in  •  den  bronchopulmonalen 
Drüsen  wiederholen.  Das  für  die  physikalische  Diagnose  Wichtigste 
ist  dabei  die  Volumenzunahme  der  Drüsen  selbst  und  die  Erschei¬ 
nungen  der  entzündlichen  Durchtränkung  der  Umgebung. 

Schon  bei  mässiger  Schwellung  (kontrolliert  durch  das  Röntgen¬ 
bild)  lässt  sich  das  Auftreten  kompakter  Gebilde  in  der  Hilusgegend 
ohne  besondere  Schwierigkeit  als  Dämpfung  nachweisen.  Allerdings 
bedarf  es  dazu  eines  ganz  ruhigen  Raumes  und  einer  genauen  Kennt¬ 
nis  der  topographischen  Perkussion  der  Lunge. 

Wenn  wir  am  Rücken,  von  unten  angefangen,  nach  oben  per- 
kutieren,  so  erhalten  wir  schon  wenig  über  der  untersten  Grenze 
des  Lungcnschalls  bei  gesunder  Lage  einen  tiefen,  vollen  Ton,  der  sich 
nach  oben  zunächst  nur  wenig  verändert.  Haben  wir  ein  ganz 
gesundes  Kind  vor  uns  (die  Verhältnisse  beim  Erwachsenen  sollen 
später  noch  berührt  werden),  so  setzt  sich  dieser  tiefe  und  volle  Ton 
nach  aufwärts  fort  bis  zur  Höhe  der  Spina  scapulae.  Es  ist  not¬ 
wendig,  dabei  auf  den  tiefsten  Ton  zu  achten,  der  in  dem  Tongemisch 
überhaupt  enthalten  ist.  Dieser  tiefste  Ton  bleibt  also,  wenn  er  auch 
nach  oben  etwas  leiser  wird  und  dadurch  im  Klangcharakter  etwas 
zurücktritt,  doch  bis  zur  Spina  scapulae  hörbar.  Hier  erfolgt  dann 
ein  plötzlicher  Umschlag  der  Tonqualität;  der  Ton 
wird  wesentlich  heller,  ohne  wirklich  gedämpft  zu  werden;  er  bleibt 
also  relativ  voll,  nur  sind  die  tiefsten  Töne  aus  ihm  fortgefallen. 
Man  hört  den  Unterschied  sofort,  wenn  man  zuerst  nur  unten,  dann 
gleich  über  der  Spitze  perkutiert.  Der  Unterschied  ist  bei  jeder 
Perkussion  wahrnehmbar,  die  den  bestimmenden  Bedingungen  ent¬ 
spricht,  also  unabhängig  von  der  Stärke  der  Perkussion.  Eine  ge¬ 
wisse  musikalische  Schulung  ist  für  die  Wahrnehmung  der  Tonu.üer- 
schiede  sehr  förderlich;  doch  bleiben  sie  auch  dem  Nichtmusikalischen 
ohne  weiteres  demonstrierbar.  ^ 

Wenn  wir  auf  der  Rückenfläche  von  unten  nach  oben  perku- 
tieren.  entsteht  also  eine  typische  Tonfolge,  die  mit  einem  vollen  und 
tiefen  Ton  beginnt,  der  in  der  interskapulären  Gegend  durch  die 
Zwischenlagerung  der  Schulterblattmuskeln  zwar  eine  geringe  Ab¬ 
nahme  dieser  Qualitäten  zeigt,  aber  ohne  dass  die  tiefsten  Töne  ganz 
in  Wegfall  kommen  und  der  erst  an  der  Spina  scapulae  plötzlich  in 


Oktober  l$14. 


MUHNCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIF' 


einfn  böseren,  aber  trotzdem  nicht  gedämpften,  vergleichsweise 
vol,en  °"  «mschlagt.  Es  entsteht  so  eine  Art  von  Melodie,  die 
man  am  normalen  Kind  sich  gut  herausperkutieren  und  einprägen 

,ka"n  Prerf.  n?nUT,SCi,laK  Crf0lKt  scllr  häufiK  rechts  etwas  irüher  als 
hnks.  Er  fallt  örtlich  zusammen  -  abgesehen  von  einer  Aenderung 
der  Perkuss.onsnchtung-  mit  der  Grenze  zwischen  Überlappen  und 
Unterlappen  und  wir  wollen  daher  —  ohne  jede  Präiudiz  für  HiV 
wirkliche  Ursache  des  Tonunterschieds  —  den  unteren  tiefen  als  den 
Lnterlappenton,  den  oberen  hellen  als  den  Oberlappenton  bezeichnen. 
Durch  die  genaue  Kenntnis  dieser  Verhältnisse  wird  man  in  der 
Perkussion  unabhängig  von  der  sog.  symmetrischen  Perkussion,  die 
b's' ienr  ™  klinischen  Unterricht  fast  ausschliesslich  gelehrt  zu  wer- 

tiz  -’  d'  u'-«lS0  vo51  Ver5leich  c,es  Tones  symmetrischer  Stellen 
beider  Körperhaften.  Es  wird  damit  möglich  geringfügige  Verände¬ 
rungen,  auch  wenn  sie  auf  beiden  Seiten  gleich  weit  oder  nahezu 
gleichweit  ausgebildet  sind,  zu  erkennen. 

.  !s,l.f?cun  ®in.e  ausgesprochene  Veränderung  der  bronchopulmo¬ 
nalen  Di  usen  beim  Kinde  vorhanden,  so  ergibt  sich  eine  leicht  wahr- 

nS?nerA?nderUl1S  dtlc,ser.: normalen  Melodie.  Auf  den  normalen 
v°lea  Lnterlappenton  folgt  in  der  Interskapulargegend  eine  relativ 

•-mC’  difren  7?.n  die  tiefsten  Komponenten  des  Unter¬ 
lappentons  nicht  mehr  enthalt.  Bei  reinen  Hilusveränderungen  folgt 
ui"n  ul?er  der  gedampften  Partie  der  normale  Oberlappenton.  Das 
Wesentliche  ist  also,  dass  bei  Schwellung  der  Hilusdrüsen  der  Um- 

Äih  PrwtT  cUnt,erIapPenton.  den  Oberlappenton  nicht  mehr 
plötzlich  erfolgt,  sondern  dass  sich  zwischen  beide  eine  Region  mit 
relativ  gedampften  Perkussionston  einschiebt.  Es  ist  selbstverständ¬ 
lich,  dass  diese  Erscheinung  nur  dann  diagnostisch  verwertbar  ist 
wenn  sie  ganz  deutlich  wahrgenommen  werden  kann. 

In  den  leichteren  Fällen  ist  diese  Hilusdämp- 
t  u  n  g  auf  demRücken  des  Kindes  nicht  von  einer 
D a mp fung  neben  dem  Sternum  begleitet.  Es  entspricht 
das  durchaus  den  anatomischen  Verhältnissen.  Die  leichteren 
Lungendrusentuberkulosen  beschränken  sich  meist  auf  die  Hilus- 
gegend  und  führen  nicht  zu  einer  nennenswerten  Veränderung  im 
voideien  Mediastinum.  Veränderungen  in  dem  normalerweise  papier- 
dünnen  vorderen  Mediastinum,  die  bis  zu  einer  Verdrängung  der 
vorderen  Lungenränder  führen,  pflegen  sich  nur  bei  ganz  schweren 
Drusenerkrankungen  einzustellen. 

Die  geschilderte  reine  Hilusdämpfung  ist  kein 
Zeichen  einer  aktiven  Tuberkulose.  Wo  sie  allein  vor¬ 
handen  ist  also  anderweitige  perkutorische  Veränderungen  und  aus¬ 
kultatorische  Erscheinungen  ganz  fehlen,  ist  sie  vielmehr  ein  Zeichen 
einer  abgelaufenen  oder  doch  inaktiven  Erkrankung.  Beim  Erwach¬ 
senen  gehört  eine  geringe  Hilusdämpfung  zur  normalen  Melodie.  Bei 
ihm  ist  also  der  plötzliche  Umschlag  an  der  Spina  scapulae  nicht 
mehr  die  Regel.  Wo  er  vorhanden  ist,  ist  er  ein  willkommenes 
Zeichen  einer  auch  im  Hilusgebiet  noch  unveränderten  Lunge.  Ge- 
mge  interskapuläre  Dämpfungen  aber  sind  beim  Erwachsenen  ledig- 
ich  das  Korrelat  der  wohlbekannten  Hilusschatten  und  -stränge,  die 
a  auch  zum  normalen  Röntgenbild  des  Erwachsenen,  gehören,  und  die 
■nit  einiger  Wahrscheinlichkeit  mit  indurierenden  Prozessen  anthra- 
kotischei  Herkunft  oder  abgelaufenen  tuberkulösen  Prozessen  Zu¬ 
sammenhängen. 

,,  ,  kann  hier  nur  nebenbei  bemerkt  werden,  dass  ausser  der 
luberkulose  auch  der  Keuchhusten  typische  Hilusdämpfungen  macht, 
sie  hat  aber  dann  stets  einen  sehr  deutlichen  tympanitischen  Bei- 
slang,  der  sich  aus  der  stets  nachweisbaren  Lungenblähung  beim 
Keuchhusten  ergibt  und  bei  tuberkulöser  Hiluserkrankung  fehlt.  Diese 
ympanitische  Hilusdämpfung  bei  Keuchhusten  findet  sich  bei  Er¬ 
wachsenen  wie  bei  Kindern  ganz  gleichartig.  Sie  ist  so  charakte¬ 
ristisch,  dass  mir  mehrfach  die  Diagnose  schon  allein  aus  dieser 
-rscheinung  möglich  war.  Eine  aktive  Hilustuberkulose  zeigt  ausser 
ler  Hilusdämpfung  noch  weitere  Veränderungen.  Die  noch 
risch  entzündeten  Drüsen  verursachen  in  ihrer 
Jm  ge  bring  eine  entzündliche  Kongestion.  Dadurch 
vird  mcht  nur  die  Hilusdämpfung  vermehrt,  sondern  es  wird  meist 
iuch  die  Atmung  der  oberen  Lungenpartien  behindert,  die  deshalb  die 
-eichen  der  geringeren  Durchlüftung  und  Erschlaffung,  d.  h.  also  eine 
geringe  diffuse  relative  Dämpfung  mit  tympanitisenem  Beiklang, 
eigen  können,  ohne  dass  sie  selbst  erkrankt  zu  sein  brauchen.  Zum 
o  l  entwickelten  Bild  gehören  aber  auch  sehr  charakteristische  aus- 
;ultatorische  Erscheinungen. 

Wir  finden  dann  die  Symptome  einer  chronischen  Bron- 
hitis  vorwiegend  der  grossen  Bronchien  im 
G  lusgeb1  et,  ein  bisher  nicht  beschriebenes  Krankheitsbild,  dem 
:h  den  Namen  Hiluskatarrh  gegeben  habe.  Man  hört  dann 
n  Interskapularraum,  also  vorwiegend  im  Bereich  der  geschilderten 
ampfung  Giemen  oder  mittelblasiges  oder  grobblasiges  Rasseln, 
iuch  das  Qiemen  stammt  dabei  nach  Tonhöhe  und  Klangcharakter 
us  den  grösseren  Bronchien  des  Hilusgebietes.  Bei  geringgradigen 
eränderungen  ist  nur  dieses  Giemen,  und  auch  dieses  ausschliesslich 
71  J ’|ys*ensf°ss  hörbar.  Eine  Lungenuntersuchung  ist  demnach 
uch  beim  Kinde  erst  dann  vollständig,  wenn  an  jeder  Lungenpartie 
.  t  und  ohne  Husten  auskultiert  wurde.  Bei  ganz  jungen  Kindern, 

noch  nicht  auf  Verlangen  zu  Husten  vermögen,  kann  deshalb  eine 
ir  alle  Eventualitäten  zureichende  Lungenuntersuchung  überhaupt 
icht  vorgenommen  werden. 

Ausser  diesen  Zeichen  einer  katarrhalischen  Sekretion  in  den 


Bronchien  des  Hilusgebiets  findet  man,  wie  schon  erwähnt,  sehr 
nautig,  dass  sich  die  Bronchitis  vom  Hilus  her  nach  oben  oder  nach 
unten  gegen  die  Peripherie  zu  fortsetzt.  Wir  haben  dann  ausser  der 
amusen  Dampfung  die  Erscheinungen  einer  katarrhalischen  Affektion 
tuiemen,  Rasselgeräusche,  rauhes  Atmen)  auch  über  diesen  Partien. 
,  s  lst  ni(j}ff  unwahrscheinlich,  dass  diese  Symptome  von  seiten  der 
i-unge  selbst  zum  Teil  dadurch  verursacht  sind,  dass  in  diesen  Par- 
n!fn*-  -ure  Lungenherde  verborgen  sind,  die  eine  entzündliche  Kon- 
gestion  ihrer  Umgebung  verursachen.  Theoretisch  ist  eine  reine 
nilusdrusenerkrankung  ohne  Lungenherd  schwer  denkbar,  nach 
unseren  bisherigen  anatomischen  Kenntnissen  auch  nicht  sehr  wahr- 
scnemlich.  Dass  die  zugehörigen  Lungenherde  so  sehr  häufig  kli¬ 
nisch  nicht  nachweisbar  sind,  kommt  wohl  daher,  dass  diese  Herde, 
wenigstens  bei  den  leichteren  Hiluserkrankungen,  oft  sehr  gering- 
ugig  sind.  Die  bronchitisch  erkrankten  Lungenpartien  zeigen,  wie 
sciion  erwähnt,  sehr  häufig  neben  rauhem  Atmen  eine  leichte  Ab- 
schwachung  des  Perkussionstons  mit  tympanitischem  Beiklang.  Sie 
sind  also  neben  der  entzündlichen  Kongestion  auch  erschlafft.  Auch 
das  nm-e !?*  e^enfalls  zu,  beobachtende  Nachschleppen  beweist,  dass 
,iei der  Atmung  SiCu  nur  ungenügend  beteitigen.  Es  muss  nicht 
ntitfV  „eiIlzel,nen  namentlich  wenn  keine  Röntgenplatte  er- 
IpKa  h  offengelassen  werden,  ob  man  diese  ungenügende  Lüftung 
neben  der  entzündlichen  Kongestion  durch  kleine  Lungenherde  auch 
durch  eine  Behinderung  der  Luftzufuhr  durch  das  Vorhandensein  von 

HUnJtJ"  nCn  zufuhreLnden  Bronchien,  d.  h.  also  dem  eigentlichen 
Hiluskatarrh  verursacht  wird.  Sind  Lungenpartien  derart  in  Mit- 
eidenschaft  gezogen,  so  hört  man  auch  meist  über  ihnen  „fortgeleitet“ 
das  sonst  nur  interskapular  direkt  über  dem  Hilusgebiet  hörbare 
Giemen  Die  Hi  usbronchitis  setzt  sich  dann  also  in  diese  Partien 
hinein  kontinuierlich  fort,  ein  typisches  Bild,  das  auch  dem  ana¬ 
tomischen  Befund  entspricht. 

oli  ,  Lbdiso  wie  wir  es  für  die  Halsdrüsen  beschrieben  haben,  kann 
auch  der  Hiluskatarrh  seine  Intensität  periodenweise  wechseln  In 
den  ausgesprochenen  Fällen  bleibt  aber  auch  in  den  ruhigeren  Perio¬ 
den  ein  Rest  der  katarrhalischen  Erscheinungen  über  lange  Perioden 
nachweisbar  und  mit  ihm  der  anhaltende  Hustenreiz,  der 

d  Ue  Sfe  1  u  s~ua}.  arJh_,e  so  charakteristisch’  ist. 
Dieser  Hustenreiz  quält  die  Kinder  und  beängstigt  die  Eltern  und  ist 
meist  der  Grund,  der  die  Kinder  zum  Arzt  führt.  Schwere  Hilus- 
tuberkulosen  führen  häufig  zu  einem  ganz  exzessiven  Hustenreiz  so 
dass  sogar  Verwechslungen  mit  Keuchhusten  möglich  werden  Auch 
asthmaahnhehe  Zustände  können  sich  ausbilden.  Das  alles  ist  sehr 
wohl  verständlich,  denn  wir  haben  es  mit  einer  dauernden  Entzün¬ 
dung  in  der  Nahe  der  Bifurkation,  d.  h.  also  gerade  der  Gegenden  des 
öronchialbaums  zu  tun,  die  den  heftigsten  Hustenreiz  auszulösen 
vermögen.  Die  weiteren  Veränderungen  sind  dann  auch  an  den 
nilusdrusen  ganz  die  gleichen,  wie  wir  sie  schon  für  die  Halsdrüsen 
beschrieben  haben.  Es  tritt  also  entweder  die  Abszedierung  und  der 
Durchbruch  durch  die  Drüsenkapsel  ein,  wobei  die  Entleerung  meist 
in  einen  Bronchus  stattfindet,  oder  die  Drüsen  bilden  sich  allmählich 
zurück,  wobei  sie  mehr  oder  weniger  fest  mit  der  Umgebung  ver¬ 
lötet  werden.  Solche  Hilusdrüsendurchbrüche  sind  durchaus  nicht  so 
selten  als  sie  diagnostiziert  werden;  sie  können  sich  auch  ohne  be¬ 
sonders  stürmische  klinische  Erscheinungen  ausbilden,  und  sie  können 
ebenso  wie  der  Durchbruch  irgendeiner  anderen  skrophulösen  Drüse 
auch  in  der  Lunge  zur  Heilung  oder  zu  der  Ausbildung  von  Bron- 
chiektasien  im  Hilusgebiet  führen.  Ebenso  wie  bei  abszedierenden 
und  ausheilenden  skrophulösen  Drüsen  habe  ich  auch  bei  solchen  gut¬ 
artig  ablaufenden  schweren  Hiluskatarrhen  die  Tuberkulinreaktion 
einige  Male  ganz  besonders  intensiv  gefunden. 

Das  pathognomonische  Bild  der  aktiven  tuberkulösen  Erkran¬ 
kung  der  Lungenwurzeldrüsen  beim  Kinde  setzt  sich  demnach  zu¬ 
sammen. 

1.  aus  der  typischen  Hilusdämpfung  und 

2.  aus  dem  beschriebenen  Hiluskatarrh. 

Bei  ihrer  Kenntnis  bietet  die  Diagnose  keine  wesentlichen 
Schwierigkeiten.  Sie  ist  keinesfalls  schwieriger  als  diejenige  der 
beginnenden  Phthise  des  Erwachsenen.  Ihre  Erkennung  ist  aber  des¬ 
wegen  so  ganz  besonders  wichtig,  weil  diese  Kinder  durch  ihre 
luberkulose  doch  erheblich  mehr  gefährdet  sind  als  bei  völligem 
Freibleiben  der  Lungen.  Solange  die  Hilusdrüsen  klinisch  allein  er¬ 
krankt  sind,  ist  übrigens  die  Prognose  auch  des  Hiluskatarrhes  im 
allgemeinen  eine  günstige.  Der  Verlauf  ist  zwar  immer  ein  langwieri¬ 
ger,  doch  ist  die  Abheilung  unter  einigermassen  günstigen  Verhält¬ 
nissen  die  Regel. 

Wesentlich  verschlechtert  wird  die  Prognose  durch  das  Vor¬ 
handensein  von  nachweisbaren  Lungenherden.  Es  ist  deshalb  not¬ 
wendig,  hier  noch  einige  Worte  über  ihren  Nachweis  zu  sagen. 
Der  Hauptunterschied  gegenüber  den  phthisischen  Erkrankungen  des 
Erwachsenen  ist  durch  die  viel  stärkere  Mitbeteiligung  der  Um¬ 
gebung,  also  die  stärkere  perifokale  Entzündung  in 
der  Lunge  verursacht.  Während  kleine  phthisische  Veränderungen 
nahezu  reizlos  in  gut  atmendem  Gewebe  liegen  können,  findet  man 
bei  der  kindlichen  Tuberkulose  stets  eine  diffuse  Bronchitis  in  der 
weiteren  und  häufig  katarrhalisch  pneumonische  Veränderungen  in 
der  näheren  Umgebung  des  Herdes.  Mit  der  Abheilung,  aber  auch 
dem  Inaktivwerden,  treten  diese  perifokalen  Entziindungserschei- 
nungen  wieder  ganz  zurück.  Der  physikalische  Lungenbefund  ist 
deshalb  in  kurzen  Perioden  bei  der  Kindertuberkulose  sehr  viel 
grösseren  Schwankungen  unterworfen  als  beim  Erwachsenen.  Man 


2136 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  43. 


findet  nicht  selten,  dass  ein  Kind,  bei  dem  anscheinend  ein  ganzer 
Lappen  von  der  Tuberkulose  ergriffen  war,  nach  einer  relativ  kurzen 
Kur  auch  im  physikalischen  Befund  ganz  erstaunlich  gebessert  ist. 
In  solchen  Fällen  ist  dann  die  perifokale  Entzündung,  die  in  einer 
Periode  der  Aktivität  sehr  stark  ausgebildet  war  mit  der  Einleitung 
der  Heilung  wieder  verschwunden,  ganz  ähnlich  den  Schwankungen 
des  Volumen  und  des  Grades  der  Entzündung  in  der  Umgebung  tuber¬ 
kulöser  Drüsen. 

Kinder  mit  nachweisbaren  Lungenherden  bedürfen  sofort  einer 
energischen  Behandlung.  Für  sie  ist  eine  klimatische  und  Sana¬ 
toriumsbehandlung  das  Beste.  Solche  Kinder  müssen  auch  oft  über 
längere  Perioden  im  Bett  gehalten  werden.  Für  sie  ist  überhaupt, 
allgemein  gesprochen,  etwa  die  Behandlung  der  beginnenden  Phthise 
das  Richtigste.  Ganz  anders  liegen  die  Verhältnisse  aber  bei  der 
Drüsentuberkulose.  Ein  Kind  mit  einer  leichten  Drüsentuberkulose, 
sei  es  auch  im  Hilusgebiet,  kann  durch  eine  allzu  schonende  Behand¬ 
lung  aufs  schwerste  geschädigt  werden,  nicht  nur  in  seiner  Entwick¬ 
lung,  sondern  direkt  in  seiner  Widerstandskraft  gegen  die  Infektion. 
Auch  die  geschilderten  geringen  Temperatursteigerungen  dürfen  — 
im  Gegensatz  zur  echten  Phthise  keine  Indikation  zur  zu  weit  gehen¬ 
den  Schonung  abgeben.  Diese  Kinder  gehören  ins  Freie  und  müssen 
sich  bei  ausreichender  körperlicher  Bewegung  in  der  Sonne  und  in 
der  frischen  Luft  die  Kräfte  erwerben,  die  sie  zum  Kampf  gegen  ihre 
Infektion  benötigen.  Dabei  sind  alle  Massnahmen,  die  die  Hauttätig¬ 
keit  erhöhen,  von  besonderem  Wert.  Eine  eingehendere  Besprechung 
der  Behandlung  der  Kindertuberkulose  gehört  nicht  in  den  Rahmen 
des  Vortrags.  Ich  wollte  aber  doch  auch  hier  kurz  auf  die  grosse 
Gefahr  einer  allzu  weitgehenden  Schonung  und  Verzärtelung  der 
Kinder  hinweisen,  weil  damit  in  missverstandener  Analogie  mit  der 
Behandlung  der  Phthise  des  Erwachsenen  Kinder  nicht  selten  ganz 
unwiderbringlich  geschädigt  werden.  Ein  Kind,  das  in  der  Auf¬ 
wuchszeit  sich  nicht  kräftig  entwickelt  hat,  kann  das  Versäumte 
im  späteren  Alter  nie  mehr  nachholen,  und  das  tuberkulosegefährdete 
Kind  bedarf  gerade  der  allerbesten  Aufwuchsbedingungen,  um  einer 
späteren  Lungentuberkulose  zu  entrinnen.  Es  sei  hier  nur  erwähnt, 
dass  der  typische  Hiluskatarrh  durchaus  nicht  nur  im  Kindesalter  zu 
finden  ist.  Er  wird  durchaus  nicht  selten  beim  Erwachsenen  be¬ 
obachtet  und  dann  fast  stets  verkannt,  d.  h.  entweder  für  eine  Phthise 
oder  eine  chronische  Bronchitis  gehalten. 

Ich  habe  Ihnen  heute  nur  in  grossen  Zügen  das  für  den  Prak¬ 
tiker  Wichtigste,  für  die  Diagnose  weniger  häufiger  Formen  der  kind¬ 
lichen  Tuberkulose  geschildert.  Ich  bin  fest  überzeugt,  dass  bei  eini¬ 
ger  Uebung,  einige  Zeit  lang  darauf  gerichteter  Aufmerksamkeit  und 
steter  sorgfältiger  Röntgenkontrolle  jeder  von  Ihnen  ohne  Schwie¬ 
rigkeit  die  einer  Behandlung  bedürftigen  Hilusdrüsenerkrankungen 
diagnostizieren  kann.  Sie  müssen  sich  dabei  aber  immer  vor  Augen 
halten,  dass  nur  wirklich  ausgesprochene,  ganz 
sicher  wahrnehmbare  Erscheinungen  die  Diagnose  und 
nur  eine  wirkliche  Erkrankung  die  Behandlung 
rechtfertigen.  Eine  leichte  Drüsentuberkulose,  unter  der  das 
Kind  nicht  leidet,  bedarf  keiner  Behandlung.  Ihre  Erkennung  ist  eben 
wegen  der  Gefahr  der  Verzärtelung  schon  manchem  Kind  direkt 
schädlich  gewesen.  Die  ausgesprochenen  Lungendrüsenerkran¬ 
kungen,  vor  allem  die,  bei  denen  auch  Lungenpartien  mit  an  der  Er¬ 
krankung  beteiligt  sind,  müssen  dagegen  viel  energischer  therapeu¬ 
tisch  in  Angriff  genommen  werden,  als  das  heute  noch  zu  geschehen 
pflegt.  Ich  bin  überzeugt,  dass  damit  ein  sehr  wichtiger  Schritt  auch 
für  die  Bekämpfung  der  Lungentuberkulose  des  Erwachsenen  getan 
sein  wird;  denn  ein  guter  Teil  der  weiteren  Phthisen  entwickelt  sich 
nachweislich  aus  derartigen  Erkrankungen  im  Kindesalter.  Wir  wer¬ 
den  also  häufig  in  der  Lage  sein,  mit  der  Heilung  einer  Kindertuber¬ 
kulose  auch  den  Erwachsenen  vor  einer  sehr  viel  schwereren  Er¬ 
krankung  zu  beschützen.  Jede  verhütete  Phthise  bedeutet  auch  eine 
Verminderung  der  Infektionsgelegenheit  für  die  künftigen  Genera¬ 
tionen. 


Bücheranzeigen  und  Referate. 

W  e  y  1  s  Handbuch  der  Hygiene.  Herausgegeben  von 
C.  Fraenken.  Verlag  von  J.  A.  Barth.  Leipzig  1912 — 1914. 
Lieferung  5 — 20. 

Das  gross  angelegte  Handbuch  von  W  e  y  1,  welches  unter  dem 
bekannten  rührigen  Herausgeber  C.  Fraenken  und  dem  glänzen¬ 
den  Stabe  sachverständiger  Mitarbeiter  sich  weiter  entwickelt, 
wächst  allmählich  zu  einem  einzig  dastehenden,  die  gesamten  hygie¬ 
nischen  Wissenschaften  umfassenden  Werke  heran.  Was  dem  Hand¬ 
buch  seine  praktische  Bedeutung  verleiht,  ist  das  Zusammenarbeiten 
von  Spezialisten  aus  dem  Gebiete  der  reinen  Hygiene,  der  Physio¬ 
logie,  Heilkunde,  Technik,  sozialen  Fürsorge.  Gewerbe-  und  Militär¬ 
hygiene.  Es  bildet  ein  zusammenhängendes  Ganzes  und  doch  wieder 
eine  in  Einzelfragen  sich  auflösende  Materie,  welche  von  Fach¬ 
männern  in  vollkommenster  Weise  dargestellt  ist.  Soweit  es  irgend¬ 
wie  denkbar  war,  haben  die  Autoren  alles  auf  den  Spezialgebieten 
Wichtige  und  Neue  herangezogen  und  eine  bisher  unerreichte  Voll¬ 
ständigkeit  aller  Fragen  auf  dem  Gebiete  der  Gesundheitslehre  ge¬ 
liefert.  Die  beim  Erscheinen  des  Werkes  ausgesprochene  Erwar¬ 
tung,  dass  das  Werk,  nach  den  ersten  Lieferungen  zu  urteilen,  eine 
glänzende  Leistung  sein  würde,  hat  sich  bisher  durchaus  erfüllt. 


In  der  5.  Lieferung  bringt  Th.  Weyl  einen  Ueberblick  über 
die  historische  Entwicklung  der  Städtereinigung 
bis  zur  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  und  L.  A  s  c  h  e  r  und 
E.  Kobbert  einen  Artikel  über  die  Verhütung  von  Rauch 
und  Russ  in  den  Städten.  Ihm  folgt  in  Lief.  6  die  Art  und 
Menge  der  städtischen  Abfallstoffe  von  Th.  Weyl, 
Leichen  wesen  und  Feuerbestattung  von  J.  K  r  a  1 1  e  r 
und  Abdeck  er  wesen  von  J.  Goltz.  Wohnung  und  Ge¬ 
sundheit  behandelt  in  Lief.  7  F.  Hüppe,  Wohnungsauf¬ 
sicht  A.  R  o  t  h.  In  Lief.  8  ist  die  Kinderfürsorge  zusammen¬ 
gefasst  von  ü.  Tugend  reich,  W.  Birk  und  F.  R  o  1  f  f  s,  in 
Lief.  9.  die  Hygiene  der  Bergarbeiter  von  M.  Herold 
und  Lindemann,  die  Hygiene  der  Arbeit  in  kompri¬ 
mierter  Luft  von  Th.  Silberstern.  Einzel-  und 
Massenernährung  bearbeitete  W.  Schumburg  in  Lief,  lt» 
und  die  Hygiene  des  Alkoholismus  in  Lief.  11  A.  Del¬ 
brück.  Lief.  12  und  13  bringen  die  Hygiene  der  Hütten¬ 
arbeiter  von  0.  S  a  e  n  g  e  r,  neubearbeitet  von  E.  Günther, 
und  die  Hygiene  der  Müller,  Bäcker  und  Konditoren 
von  J.  Z  ä  d  e  c  k.  ln  Lief.  14  wird  die  Beleuchtung  von 
H.  Reichenbach,  das  Leuchtgas  in  den  Städten  von 
W.  Bertelsmann,  die  Elektrizität  in  den  Städten  von 
K.  Kuhlmann  behandelt.  Gemeinsam  von  Th.  Weyl,  Max  Ber- 
1  o  w  i  t  z  und  M.  H  o  1 1  i  n  g  e  r  findet  sich  in  Lief.  15  Lüftung  und 
Heizung  besprochen.  Ebenso  ist  gemeinsam  von  J.  Stübben 
und  J.  Brix  die  Hygiene  des  Städtebaues  in  Lief.  16  be¬ 
arbeitet.  Von  Agnes  Blum  stammt  der  Artikel  in  Lief  17  über 
Hygienische  Fürsorge  für  Arbeiterinnen  und 
deren  Kinder,  von  Karl  H  a  r  t  m  a  n  n  die  Bearbeitung 
der  Reinhaltung  der  Luft  in  Arbeitsräum  en  in  Lief.  19. 
Die  20.  Lieferung  bringt  Allgemeine  Gewerbepathologie 
und  Gewerbehygiene  von  Fr.  K  o  e  I  s  c  h. 

Wie  in  den  ersten  Lieferungen  sind  auch  hier  eine  sehr  grösst 
Anzahl  Abbildungen  beigegeben,  welche  wesentlich  zur  Erläuterung, 
besonders  der  technischen  Auseinandersetzungen  beitragen.  Durch 
abgeschlossene  Sachregister  für  jedes  Kapitel  wird  das  Auffinden 
auch  unbedeutenderer  Dinge  sehr  erleichtert.  Es  ist  zu  hoffen,  dass 
die  letzten  Lieferungen  nicht  mehr  allzulange  auf  sich  warten  lassen. 

R.  0.  Neumann  -Bonn. 

H.  Vollbrecht  und  J.  Wieting-Pascha:  Kriegsärztliche 

Erfahrungen,  Berlin  1915,  Kornfeld.  Preis  18  M. 

Ein  lebendiges  Bild  von  den  Leistungen  des  türkischen  Militär- 
Sanitätswesen  während  der  Balkankriege  wird  uns  von  den  beiden 
Verfassern,  den  verdienstvollen  Reorganisatoren  des  türkischen 
Heeressanitätsdienstes,  in  musterhafter  Darstellung  vorgeführt.  Wenn 
man  staunend  liest,  dass  bei  Beginn  des  Feldzuges  die  Sanitätseinrich¬ 
tungen  für  die  türkische  Armee  wenig  mehr  als  2  Jahre  alt  waren, 
und  dann  den  in  dem  vorliegenden  stattlichen  Bande  niedergelegten 
Bericht  über  die  militärärztlichen  Leistungen  überblickt,  so  muss  man 
der  Arbeit  und  Energie  der  beiden  deutschen  Aerzte,  die  unter  den 
schwierigsten  Verhältnissen  Hervorragendes  geleistet  haben,  die 
höchste  Anerkennung  zollen. 

An  der  Spitze  der  allgemeinen  Bemerkungen  steht 
der  Satz,  dass  die  moderne  Kriegschirurgie  konservative  Chirurgie 
ist.  Die  operative  Tätigkeit  in  den  vorderen  Linien  tritt  gegen  die 
Verbindekunst  zurück.  Diese  Sätze  dürfen  auch  unseren  Heeresärzten 
immer  wieder  ins  Gedächtnis  gerufen  werden.  Verbindekunst!  Wie 
oft  muss  man  sehen,  dass  der  gute  alte  D  e  s  a  u  1 1  sehe  Verband  nahe¬ 
zu  unbekannt  ist.  Die  operative  Tätigkeit  tritt  erst  hinter  der  Front 
in  den  Vordergrund.  In  der  Hauptsache  ist  sie  eine  Chirurgie  der 
Eiterungen. 

Die  Verbandpäckchen  haben  ausserordentlich  segensreich  ge¬ 
wirkt.  Für  grössere,  besonders  für  Artilleriewunden  empfiehlt  sich 
ein  grösseres  Päckchen,  das  in  den  Behältnissen  vom  Sanitätstornistcr 
aufwärts  enthalten  sein  muss. 

Der  Lazarettbetrieb  leidet  unter  der  grossen  Zahl  der  Eiterungen. 
Sorgfältiger  Schutz  der  Hände  vor  der  Berührung  mit  dem  Fiter, 
baldige  Vernichtung  der  eitrigen  Verbandstoffe,  genaue  Beaufsichti¬ 
gung  des  Hilfspersonals  sind  die  wichtigsten  Hilfsmittel,  um  die  Ueber- 
tragung  der  Infektion  zu  verhindern.  Eine  vernünftige  Antisepsis 
lässt  sich  kaum  umgehen.  Die  beste  Anästhesie  bietet  der  Aether- 
rausch. 

Unter  den  1584  im  Krankenhaus  Gülhane  behandelten  Ver¬ 
letzungen  stellten  die  grösste  Zahl  die  Weichteilverletzungen  der 
Extremitäten  mit  446  Fällen.  Die  Knochenschüsse  der  Diaphysen 
weisen  349  Fälle  auf.  80  Verletzungen  betrafen  den  Schädel,  102  den 
Bauch,  44  die  Wirbelsäule,  201  die  Gelenke,  35  die  Nerven  und  40  die 
Gefässe. 

Von  den  Schädelschüssen  sollen  die  Tangentialschüsse  und  die 
tunnelierten  Kleinkalibertangentialschüsse  möglichst  frühzeitig  ope¬ 
riert  werden.  Bei  diametralen  Durchschüssen  sind  schwere  Eingriffe 
nicht  zu  rechtfertigen. 

Für  Lungenschüsse  gilt  im  allgemeinen  die  konservative  Behand¬ 
lung  bis  zum  letzten  Augenblick.  Bei  schwerer  Blutung  hat  nur  der 
Geübte  das  Recht  einzugreifen. 

Bei  Bauchschüssen  liesse  sich  eine  Laparotomie  nur  bei  Blutung 
unmittelbar  nach  der  Verletzung  rechtfertigen.  Wegen  abdomineller 
Blutung  wurde  im  ganzen  Kriege  auf  türkischer  Seite  kein  einziges 
Mal  laparotomiert. 


27.  Oktober  1914. 


MIJENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Bei  .  chussverletzungen  der  Wirbelsäule  ist  ein  Eingriff  dann  ent¬ 
schieden  berechtigt,  wenn  das  Geschoss  durch  das  Röntgenbild  nach¬ 
weisbar  111  der  Wirbelsäule  steckt.  Bei  Kompression  durch  Knochen- 
splitter  soll  dann  ein  Eingriff  gemacht  werden,  wenn  in  den  ersten 
2  Wochen  keine  Besserung  ein  tri  tt,  oder  wenn  die  Besserung  Halt 
macht  oder  zurückgeht. 

Für  das  Schicksal  der  Schussfrakturen  der  Extremitäten  ist  ent¬ 
scheidend  der  erste  \  erband  und  der  Iransport.  Dem  Deckverband 
soll  der  Stützverband  sofort  folgen.  Für  die  unteren  Extremitäten 
zumal  für  die  Oberschenkelfrakturen,  ist  Gips  am  besten  Bei  Infek¬ 
tion  spare  man  nicht  mit  ausgiebigen  Spaltungen. 

infizierten  Gelenkschüssen  zögere  man  nicht  zu  lange  mit 
radikalen  Eingriffen  (atypische  Resektion  oder  Amputation). 

Bei  der  Behandlung  der  Aneurysmen  bevorzugen  die  Verff.  die 
Mäht  der  verletzten  Gefässe,  wo  dieselbe  möglich  ist.  Im  anderen 
Falle  muss  das  Gefäss  doppelt  unterbunden  werden. 

Bei  Nervenverletzungen  ist  zunächst  die  aseptische  Heilung  des 
Wundkanales  abzuwarten.  Eine  Naht  soll  nicht  vor  dem  Ablauf  von 
1—6  W  ochen  vorgenommen  werden.  — 

Für  die  internen  Krankheiten,  denen  im  Kriege  im  all¬ 
gemeinen  ein  geringes  Interesse  entgegengebracht  wird,  fordern  die 
lern,  mit  Recht  eine  grössere  Bewertung.  Die  Durchbildung  der 
\erzte  und  des  Pflegepersonals  in  der  Seuchenbehandlung  muss  eine 
reit  tiefere  werden.  Die  von  dem  Verf.  mitgeteilten  Erfahrungen 
iber  die  Bekämpfung  der  Cholera,  der  Dysenterie,  des  Typhus  sind 
on  höchstem  Wert. 

Der  kurze  Ueberblick  über  den  Inhalt  des  Buches  gibt  nur  eine 
chwache  Vorstellung  von  der  Fülle  der  Anregungen,  die  darin  nieder- 
.elegt  sind.  In  der  jetzigen  ernsten  Zeit  wird  mancher  Kollege  in 
lern  Werke  wichtigen  Rat  und  bedeutungsvolle  Belehrung  finden. 

K  r  e  c  k  e. 

Dr.  phiL  Theodor  Heller,  Direktor  der  heilpädagogischen  An- 
talt  Wien-Grinzing:  Pädagogische  Therapie  für  praktische  Aerzte. 
Aus  der  Enzyklopädie  der  klinischen  Medizin.)  Mit  3  Textabbil- 
ungen.  Berlin  1914.  Verlag  von  Julius  Springer  Preis  8  M 

ebunden  M.  10.50. 

Das  vorliegende  Bucfy  ist  eine  Ergänzung  der  vor  einigen  Mona- 
m  vom  Ref.  an  dieser  Stelle  besprochenen  Grundrisses  der  Heil- 
adagogik  des  gleichen  Verfassers.  Der  Schilderung  der  Therapie 
er  verschiedenen  geistigen  Schwächezustände  resp.  der  nervösen 
nd  psychopathischen  Konstitutionen  geht  jeweils  eine  vorzügliche 
sychologisch-pädagogische  Betrachtung  dieser  Krankheitsbilder 
oraus.  Alles,  was  zum  Lobe  des  Grundrisses  der  Heilpädagogik  ge¬ 
igt  wurde,  gilt  auch  für  diese  neue  schriftstellerische  Leistung 
e  1 1  e  r  s.  Der  Wunsch  des  Autors,  sie  möge  denjenigen,  die  sich 
af  heilpädagogischem  Gebiete  praktisch  betätigen,  ein  Führer  und 

•  egweiser  sein,  wird  sicherlich  in  Erfüllung  gehen. 

Albert  Uffenheimer  -  München. 

Energie,  Leben  und  Tod.  Vortrag,  gehalten  in  der  Wiener 
rania  am  7.  II.  1914  von  F.  T  a  n  g  1,  Professor  an  der  Universität 
est.  Berlin,  Verlag  von  Julius  Springer,  1914.  58  Seiten. 

.  1.60. 

Im  Rahmen  eines  populären  Vortrages  behandelt  der  Verfasser 
iter  Vermeidung  aller  Einzelheiten,  welche  eingehendere  Kenntnisse 
if  chemischen,  physikalischen  und  biologischen  Gebieten  erfordern, 
mächst  das  Wesen  der  Energie  von  dem  von  Ostwald  vertre- 
nen  Standpunkt  aus.  Dann  werden  die  wichtigsten  Eigenschaften 
■r  Lebewesen  und  die  hauptsächlichsten  Lebenserscheinungen  be¬ 
rochen,  dabei  gezeigt,  dass  sich  aile  Lebensvorgänge  als  Energie¬ 
nwandlungen  auffassen  lassen,  und  auf  das  Problem  von  Tod  und 
;fruchtung  eingegangen.  Es  ist  nur  zu  wünschen,  dass  das  anregend 
schriebene  Büchlein  einen  sehr  ausgedehnten  Leserkreis  findet. 

Li  ti  de  mann  -  München. 

Neueste  Journalllteratur. 

Zeitschrift  für  experimentelle  Pathologie  und  Therapie. 

•  Band,  3.  Heft. 

E.  H  o  f  f  m  a  n  n:  Die  Toleranz  gegen  Galaktose  in  der  Norm  und 

ihrend  der  Menstruation.  (Aus  dem  med.-poliklinischen  Institut  in 

;rlin.) 

Die  Untersuchungen  ergaben:  Beim  Kaninchen  liegt  die  Toleranz- 
enze  für  Galaktose  schon  bei  1  g.  Von  Dextrose,  Galaktose  und 
ktose  erzeugen  schon  ganz  kleine  Dosen  eine  Hyperglykämie  beim 
ninchen,  während  von  Lävulose  relativ  hohe  Dosen  vertragen 
-'rden.  Beim  Menschen  liegt  die  Toleranzgrenze  für  Galaktose 
Tt,  wie  bisher  angenommen,  bei  40,0,  sondern  wahrscheinlich  schon 
i  etwa  15,0  g.  Während  der  Menstruation  ist  die  Toleranz  gegen 
laktose  erhöht.  Diese  Toleranzerhöhung  scheint  sich  auch  auf 
dere  Zuckerarten  zu  erstrecken.  Die  Hormone  der  Ovarien  stehen 
Beziehung  zum  Zuckerstoffwechsel. 

K.  Dresel:  Ueber  den  Einfluss  von  Extrakten  aus  Drüsen  mit 
lerer  Sekretion  auf  den  Blutzucker.  (Vorläufige  Mitteilung.)  (Aus 
r  II.  med.  Klinik  in  Berlin.) 

Der  Verf.  konnte  die  Angabe  Stenströms,  dass  ein  Extrakt 
s  dem  Hypophysenhinterlappen  die  Adrenalinhyperglykämie  hemmt 
1  bei  höheren  Dosen  von  einer  gewissen  Grenze  an  ganz  zu  unter- 


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drucken  vermag,  bestätigen.  Allein  injiziert  hatte  das  Extrakt  aus 
dem  Hypophysenhinterlappen,  das  Pituglandol,  in  den  meisten  Ver¬ 
suchen  eine  deutliche  Senkung  des  Zuckerspiegels  zur  Folge.  Die 
Injektion  von  Glandularextrakt  (aus  dem  Hypophysenvorderlappen), 
von  rhyreoglandol,  Ovoglandol,  Pankreoglandol.  Epiglandol  (Epi¬ 
physenextrakt),  Entcroglandol  (Darmschleimhautextrakt),  Plazentol 
beeinflusste  den  Blutzucker  nicht  deutlich.  Bei  gleichzeitiger  Injck- 
uon  von  0,0001  g  Adrenalin  war  die  sonst  ziemlich  konstante  Er¬ 
höhung  des  Blutzuckerspiegels  durch  die  Einwirkung  von  11  ccm 
ulandularextrakt  resp.  Ovoglandol,  Pankreoglandol,  Thyreoglandol 
erheblich  geringer,  noch  geringer  als  bei  Injektion  von  Pituglandol; 
dagegen  vermochten  die  übrigen  3  Extrakte  nicht  die  Adrenalin- 
hyperglykamie  zu  beeinflussen. 

C.  Kays  er:  Klinische  und  experimentelle  Studien  zur  Kalk¬ 
therapie,  speziell  beim  Asthma  bronchiale.  (Aus  der  II.  med.  Ab- 
teuung  und  dem  physiol.-chem.  Laboratorium  des  Krankenhauses  im 
Lriedrichshain  in  Berlin.) 

Durch  10  g  Calcium  lacticum  täglich  gelang  es,  die  Erscheinungen 
des  Jodismus  in  mehreren  Fällen  zu  beseitigen.  Bei  hämorrhagischen 
Nephritiden  wurde  durch  Calcium  lacticum  kein  entsprechender  Rück- 
gang  der  Hämaturie  erzielt.  Bei  einem  Fall  von  orthostatischer  Albu- 
minurie  dagegen  wurde  durch  10  g  Calc.  lactic.  Verminderung  der 
oc  c^!nurie  unc*  ^er  nervösen  Symptome  erzielt.  Bei  22  von 
25  Lallen  von  Asthma  bronchiale  wurde  durch  Kalkmedikation  eine 
Besserung,  besteticnd  in  Aussetzen  der  Anfälle  für  viele  Monate  und 
Abnahme  des  Sputums  sowie  der  physikalischen  Erscheinungen  auf 
den  Lungen,  sowie  Hebung  des  Allgemeinbefindens  und  des  Körper- 
gewichtes  erzielt.  Als  praktische  Medikation  empfiehlt  sich:  Calcium 
chlorat.  puriss  sicc.  20,0,  Sirup,  simpl.  40,0,  Aq.  ad  400,0,  zweistiind- 
lieh  1  Esslöffel  in  Wasser  oder  Milch.  Zur  Verbesserung  des  Ge- 
schmackes  können  noch  4,0  Acid.  hydrochlor.  dilut.  zugesetzt  werden, 
lierversuche,  bei  welchen  Kaninchen  zur  Verminderung  bzw.  Unter¬ 
drückung  des  durch  Pituitrininjektion  hervorgerufenen  Zwerchfell¬ 
krampfes  und  Atemstillstandes  Kalziumgelatine  injiziert  wurde,  er¬ 
gaben  eine  deutliche  Beeinflussung  der  Atemkurve  in  günstigem 
Sinne  gegenüber  nicht  mit  Kalzium  behandelten  Tieren;  Magnesium 
sulfur.  an  Stelle  der  Kalziumgelatine  hatte  keinen  Einfluss  auf  die 
durch  Pituitrin  hervorgerufene  Veränderung  der  Atmung;  es  muss 
sich  sonach  um  einen  spezifischen  Einfluss  des  Kalziums  handeln. 

P.  Zagoro  wsky:  Experimentelle  Untersuchung  über  den  Ein¬ 
fluss  der  Resektion  des  Plexus  coeliacus  auf  die  Veränderung  der 
Langerhans  sehen  Inselchen  des  Pankreas.  (Aus  dem  pathol  La¬ 
boratorium  in  Kiew.) 

Die  Versuche  des  Verfassers  ergaben:  Nach  der  Resektion  des 
Plexus  coeliacus  bemerkt  man  in  den  Zellen  der  Langerhans- 
schen  Inseln  deutliche,  recht  charakteristische,  mikroskopische  Ver¬ 
änderungen,  welche  die  innere  Struktur  des  Protoplasmas  und  der 
Kerne  der  Inselzellen  betreffen  und  auf  eine  Verminderung  der  Gra¬ 
nulation  des  Protoplasmas  und  eine  Schrumpfung  der  Kerne  zurück¬ 
zuführen  sind. 

Ken  Kure,  T.  Hiramatsu  und  H.  Naito:  Zwerchfelltonus 
und  Nervi  splanchnici.  (Aus  der  med.  Klinik  in  Tokio.) 

Die  Untersuchungen  an  Kaninchen  und  Hunden,  Äffen  und  Katzen 
ergaben,  dass  die  den  Tonus  des  Zwerchfells  vermittelnden  Fasern 
nicht  im  Phrenikus  verlaufen,  sondern  durch  die  N.  splanchnici  zum 
Plexus  coeliacus  ziehen;  der  Phrenikus  versorgt  nur  die  Bewegung 
des  Zwerchfells,  für  den  Tonus  ist  er  von  ganz  untergeordneter  Be- 
deutung;  die  N.  intercostales  haben  weder  mit  der  Bewegung  noch 
mit  dem  Tonus  des  Zwerchfells  etwas  zu  tun.  Das  Zwerchfell  hat 
physiologisch  die  Funktion,  den  negativen  Druck  in  der  Thoraxhöhle 
zu  bekämpfen,  der  Phrenikus  setzt  das  Zwerchfell  in  Bewegung,  um 
den  negativen  Druck  in  der  Thoraxhöhle  aktiv  zu  bekämpfen,  wäh¬ 
rend  die  N.  splanchnici  den  Tonus  des  Zwerchfells  steigern,  um  da¬ 
mit  passiv  dem  negativen  Druck  im  Thorax  zu  widerstehen.  Bei 
einem  Fall  von  Myelitis  transversa  des  Brustmarks  ergab  die  Rönt¬ 
genuntersuchung  normale  Zwerchfellbewegung;  durch  Druck  auf  den 
Unterleib  liess  sich  die  beiderseits  gleich  hoch  stehende  Zwerchfell- 
kuppel  beträchtlich  nach  oben  verschieben;  es  bestand  also  Zwerch- 
fellatonie;  bei  einem  Fall  von  Hirntumor  fand  sich  neben  allgemeiner 
Hypotonie  auch  Hypotonie  des  Zwerchfells  bei  völlig  normaler  Be¬ 
weglichkeit.  Man  muss  also  Zwerchfellatonie  und  Zwerchfcllparalyse 
scharf  voneinander  trennen. 

A.  Galambos  und  E.  Schill:  Ueber  das  Wesen  der  Phlo¬ 
ridzinwirkung.  Die  Wirkung  des  Phloridzins  auf  die  Verbrennung 
des  Traubenzuckers.  (Aus  der  III.  med.  Klinik  in  Pest.) 

Die  Versuche  wurden  an  Hunden  angestellt.  Wenn  das  Phlorid¬ 
zin  in  genügender  Menge  gegeben  wurde  (0.02—0.04  g  pro  Kilo  Kör¬ 
pergewicht)  und  der  Traubenzucker  erst  VA — 2  Stunden  später  in¬ 
jiziert  wurde,  wodurch  der  Phloridzinwirkung  Zeit  zur  Entwicklung 
gelassen  wurde,  dann  war,  wie  die  Respirationsversuche  mit  Be¬ 
rechnung  des  respiratorischen  Quotienten  ergaben,  die  Verbrennung 
des  Zuckers  gänzlich  aufgehoben.  Bei  gleichzeitiger  Anwendung  oder 
bei  Anwendung  zu  geringer  Dosen  wird  die  Verbrennung  des  Trau¬ 
benzuckers  nur  vermindert,  nicht  aufgehoben.  4  Versuche  an  Dia¬ 
betikern  ergaben  bei  einer  Dosis  von  0,02  Phloridzin  keine  die  Trau¬ 
benzuckerverbrennung  vermindernde  Wirkung,  bei  einer  Dosis  von 
0,2— 0,5  g  war  sie  dagegen  ausgesprochen,  je  nach  der  Grösse  der 
Dosis  kann  die  eine  oder  die  andere  der  beiden  Hauptwirkungen  des 
Phloridzins,  die  Glykosurie  oder  die  Störung  der  Zuckerverbrennung 
zur  Geltung  kommen.  Man  kann  daher  mit  kleinen  Phloridzindosen 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. _ Nr.  43. 


die  diabetische  Hyperglykämie  zu  therapeutischen  Zwecken  herab¬ 
setzen.  Nach  vorheriger  Nierenexstirpation  ist  die  durch  das  Phlo¬ 
ridzin  bewirkte  Verminderung  der  Zuckerverbrennung  noch  deut¬ 
licher,  da  hier  das  Ausbleiben  des  Steigens  des  respiratorischen 
Quotienten  nicht  auf  erhöhter  Durchlässigkeit  der  Nieren  für  Trau¬ 
benzucker  beruhen  kann. 

F  o  c  k  e  -  Düsseldorf:  Weitere  Schritte  zur  Gleichmässigkeit  der 
offizinellen  Digitallspräparate. 

Da  eine  chemische  Kontrolle  der  Digitalisblätter  noch  nicht  mög¬ 
lich  ist,  ist  die  physiologische  Kontrolle  um  so  nötiger.  In  Deutsch¬ 
land  sind  hiefür  Temporarien  am  geeignetsten.  Die  für  Digitalis¬ 
blätter  an  Temporarien  gefundenen  Wertunterschiede  gelten  auch  für 
den  Menschen,  dagegen  kann  eine  aus  verschiedenartigen  Präparaten 
der  Digitalisgruppe  am  Frosch  gewonnene  Aequivalenzreihe  auf  den 
Menschen  nicht  übertragen  werden.  Neben  der  unbekannten  Blätter¬ 
probe  ist  jedesmal  eine  von  bleibender  Stärke  als  Testobjekt  zu  prü¬ 
fen,  am  besten  die  Folia  Digitalis  titrata.  Durch  geeignete  Vorberei¬ 
tungen  muss  dafür  gesorgt  werden,  dass  die  Tiere  sich  jedesmal  im 
Zustande  einer  guten  mittleren  Reaktionsfähigkeit  befinden.  Für  den 
grössten  Teil  des  Jahres  sind  die  hierzu  geeigneten  Massregeln  be¬ 
kannt.  Die  Prüfung  am  isolierten  Herzen  ist  trotz  aller  Verbesse¬ 
rungen  noch  schwierig.  Die  Prüfung  am  ganzen  Tier  kann  entweder 
geschehen,  indem  man  die  Mindestdosis  aufsucht,  welche  pro  1  g 
Froschgewicht  noch  typischen  Kammerstillstand  in  ungefähr  1  Stunde 
hervorruft,  oder  es  kann  nach  Benutzung  mittlerer  Dosen  aus  der 
Dosis,  aus  den  Tiergewichten  und  den  genaueren  Stillstandszeiten 
der  Valor  (V)  berechnet  werden.  Die  erstere,  die  Mindestdosen¬ 
methode  ist  für  Digitalisblätter  von  jeder  Stärke  verwendbar,  sie 
verbraucht  aber  einschliesslich  der  Testprüfung  20 — 24  Tiere;  die 
letztere  Methode  reicht  nur  für  Werte  oberhalb  V  =  3,3  aus,  was 
aber  für  praktische  Zwecke  vollauf  genügt;  sie  erfordert  einschliess¬ 
lich  der  Testprüfung  nur  10 — 12  Tiere  und  wird  sich  für  grössere 
Versuchsreihen  am  besten  einrichten  lassen.  Ein  prinzipieller  Unter¬ 
schied  zwischen  den  beiden  Methoden  besteht,  soweit  es  sich  um 
Digitalisblätter  handelt,  nicht.  Die  Resorptionszeit  spielt  auch  bei 
der  kurzzeitigen  Methode  der  mittleren  Dosen  keine  nachteilige  Rolle, 
falls  Digitalisinfuse,  keine  Reinpräparate  verwendet  werden.  Bei  bei¬ 
den  Methoden  am  ganzen  Tier  bestehen  die  Reaktionszeiten  im 
wesentlichen  aus  den  Wirkungszeiten.  Die  Reaktionszeiten  erleiden 
bei  der  Mindestdosenmethode  eine  noch  grössere  Streuung  als  bei 
den  mittleren  Dosen.  Wenn  die  Stärke  der  Digitalisblätter  wie  ge¬ 
wöhnlich  zu  klinischen .  Zwecken  gemessen  werden  soll,  so  ist  es 
weder  nötig  noch  wünschenswert,  das  Extrakt  durch  völlige  alko¬ 
holische  Erschöpfung  der  Blätter  zu  gewinnen,  sondern  man  stellt  am 
besten  schwach  alkalische,  5 — lOproz.  Infuse  ohne  Alkohol  her,  weil 
diese  Extraktionsform  der  im  Darm  vor  sich  gehenden  am  nächsten 
steht.  Die  Aktivstoffe,  auch  die  sonst  wasserunlöslichen,  wie  das 
Reindigitoxin,  gehen,  wenn  auch  etwas  weniger  als  in  verdünntem 
Alkohol,  in  den  wässrigen  Auszug  durch  Vermittlung  der  indifferenten 
Begleitstoffe  über. 

W.  B.  Soper:  Ueber  das  Verhalten  des  retikulo-endothelialen 
Zellapparates  gegenüber  der  Bestrahlung  und  der  Transplantation. 

(Aus  dem  pathol.  Institut  in  Freiburg  i.  B.) 

Der  retikulo-endotheliale  Apparat  der  Milz  und  der  Lymphknoten 
verhält  sich  der  Bestrahlung  mit  y-Strahlen  gegenüber  auffallend 
widerstandsfähig  und  unterscheidet  sich  dadurch  wesentlich  von  dem 
mit  ihm  räumlich  eng  verbundenen  lymphatischen  Apparat.  Während 
die  Lymphozten  relativ  schnell  und  leicht  geschädigt  werden,  lassen 
sich  derartige  Schädigungen  für  die  histiozytären  Elemente  über¬ 
haupt  nicht  oder  nur  in  geringem  Umfang  nachweisen;  bei  länger¬ 
dauernder  intermittierender  Bestrahlung  tritt  eine  Reizung  derselben 
auf  in  dem  Sinne,  dass  sie  stärker  als  sonst  allerlei  Zellelemente 
phagozytieren.  Dieser  Reizzustand  geht  bei  kontinuierlicher  starker 
Bestrahlung  in  einen  Lähmungszustand  über.  Selbst  bei  Nachbestrah¬ 
lung  mit  relativ  hohen  Dosen.  50  mg  Radiumbromid,  wurde  eine 
wesentliche  Veränderung  des  Blutbildes  nicht  beobachtet;  auch  die 
Tiere  verhielten  sich  auffallend  resistent  dagegen;  erst  bei  tagelang 
fortgesetzter  kontinuierlicher  Nahbestrahlung  zeigte  sich  eine  Schädi¬ 
gung  des  Gesamtorganismus.  Das  verschiedene  Verhalten  der  reti- 
kulo-endothelialen  Elemente,  zu  welchen  auch  die  Pulpazellen  ge¬ 
hören,  einerseits  und  der  lymphozytären  Elemente  andererseits  Hess 
sich  auch  an  den  Lymphknoten  bei  Zufuhr  körperlicher  Substanzen 
durch  den  Lymphstrom  feststellen,  indem  sich  nur  die  retikulo-endo¬ 
thelialen  Elemente,  aber  nicht  die  Lymphozyten  an  der  Aufnahme 
beteiligten.  Bei  homologen  und  heterologen  Transplantationen  er¬ 
weisen  sich  die  retikulo-endothelialen  Elemente  im  ganzen  weniger 
widerstandsfähig  als  die  lymphozytären  Zellen.  Bei  dem  Untergang 
der  genannten  Zellen  wurden  die  von  ihnen  gespeicherten  Farbstoffe 
frei  und  von  dem  von  dem  Körper  des  Empfängers  gebildeten  Granu¬ 
lationsgewebe  resorbiert.  Die  Unterscheidung  zwischen  den  unter¬ 
gehenden  retikulo-endothelialen  Elementen  des  Empfängers  konnte 
bei  differenter  Vitalfärbung  der  beiden  Tiere  leichter  wie  mit  den  bis¬ 
herigen  Methoden  durchgeführt  werden.  Es  zeigte  sich,  dass  selbst 
bei  homoplastischcr  Transplantation  eine  Wiederbelebung  des  Milz- 
Lymphdrüsengewebes  nicht  oder  nur  vorübergehend  in  den  Lympho¬ 
zyten  zustande  kommt,  während  die  retikulo-endothelialen  Elemente 
regelmässig  zugrunde  gehen. 

H.  Boruttau:  Ueber  Vergleichung  der  Wirksamkeit  von  Ver¬ 
bindungen  des  Hexamethylentetramins.  (Aus  dem  physiol.-chem. 
Labor,  des  städt.  Krankenhauses  im  Friedrichshain  in  Berlin.) 


Die  Kombinierung  des  Hexamethylentetramins  mit  Salizylsäure 
bzw.  Phthalsäure,  Camphorsäure  verstärkt  die  harnantiseptische  Wir¬ 
kung  des  Hexamethylentetramins  bei  innerlicher  Medikation  erheb¬ 
lich,  während  die  Kombination  mit  Borsäure  die  freie  Base  an  Wirk¬ 
samkeit  kaum  übertrifft.  Dagegen  sind  die  Salze  mit  der  Anhydro- 
methylenzitroncnsäure  und  der  Zitronensäure  sehr  stark  antiseptisch 
wirkend;  namentlich  in  Verbindung  mit  Borsäure  und  Phthalsäure 
wirkt  die  letztere  besonders  erhöhend  auf  die  allgemeine  harnantisep¬ 
tische  Wirkung.  Das  Lösungsvermögen  des  Harns  für  Harnsäure  wird 
verstärkt  gegenüber  der  freien  Base  durch  die  Verbindung  derselben 
mit  Zitronensäure,  Borsäure,  Borzitronensäure  und  Phthalzitronen- 
säure  sowie,  wenn  auch  weniger  stark,  mit  der  Sulfosalizylsäure  in 
der  Kombination  mit  einem  Molekül  Hexamethylentetramin,  während 
ihre  Verbindung  mit  2  Molekülen  hierin  zurücksteht.  Das  phenyl¬ 
cinchoninsaure  Salz  bewirkt  eine  Steigerung  der  Harnsäureausschei¬ 
dung.  offenbar  von  der  Phenylcinchoninsäure  herrührend;  die  lösungs¬ 
begünstigende  Wirkung  scheint  wenig  ausgesprochen,  aber  doch  vor¬ 
handen  zu  sein.  Eine  antineuralgische  und  sedative  Wirkung  scheint 
demselben,  in  hohem  Masse  jedoch  namentlich  dem  sulfosalizylsauren 
Hexamethylentetramin,  dem  Hexal,  zuzukommen.  Diuretisch  scheinen 
am  meisten  zu  wirken  die  Verbindungen  mit  Zitronensäure,  Anhydro- 
methylenzitronensäure,  Borzitronensäure  und  Phthalzitronensäure  in 
Dosen,  welche  1  g  der  Base  entsprechen,  das  Hexal  in  Halbgramm¬ 
dosen. 

J.  Z  i  e  g  1  e  r  -  Kiefersfelden:  Zur  Harnsäurebestimmung  im  Blut¬ 
serum. 

Der  Verfasser  betont,  dass  seine,  speziell  für  Rinderblutserum 
ausgearbeitete  Methode  richtige  Werte  liefert,  wenn  die  von  ihm  ge¬ 
gebenen  speziellen  Vorschriften  genau  eingehalten  werden. 

L.  Kristeller:  Eine  einfache  Methode  zur  Harnstoffbestlm- 
mungen  in  ganz  kleinen  Blutmengen.  (Vorläufige  Mitteilung.)  (Aus 
der  II.  med.  Klinik  in  Berlin.) 

0,1  ccm  Serum  werden  im  Reagenzglase  mit  1  ccm  destilliertem 
Wasser  und  0,4  ccm  einer  1  proz.  Soja-Ureaselösung  (aus  einem  nach 
dem  Verfahren  von  M.  .1  a  k  o  b  y  hergestellten  Dauerpräparat)  ver¬ 
setzt.  Nach  halbstündigem  Stehen  ist  der  Harnstoff  in  Ammoniak 
übergeführt,  worauf  mit  15  ccm  destilliertem  Wasser  und  1  ccm 
N  e  s  s  1  e  r  s  Reagens  versetzt  und  gut  durchgemischt  wird.  Als  Ver¬ 
gleichsflüssigkeit  dient  ein  Gemisch  aus  0,1  ccm  Serum.  0,1  ccm  einer 
Ammonchloridlösung,  welche  0,02  g  N  in  100  ccm  enthält,  16,3  ccm 
dest.  Wasser  und  1  ccm  N  e  s  s  1  e  r  s  Reagens,  die  Vergleichung  er¬ 
folgt  am  besten  im  Kolorimeter  von  Dubosq  Bei  einem  Gehalt 
des  Serums  an  Harnstoff,  dessen  N  0,1  g  in  100  ccm  Serum  ent¬ 
spricht,  tritt  eine  Trübung  ein,  welche  durch  Verdünnung  auf  die 
Hälfte  vermieden  werden  kann. 

E.  Leschke:  Histochemische  Untersuchungen  über  die  Harn¬ 
stoffbildung  in  der  Leber.  (Aus  der  II.  med.  Klinik  in  Berlin.) 

Der  histochemische  Nachweis  des  Harnstoffs  in  der  Leber  ge¬ 
schieht  durch  Fällung  mit  Merkurinitrat  und  darauffolgende  Ueber- 
führung  in  Quecksilbersulfid  durch  Behandlung  der  Schnitte  mit 
Schwefelwasserstoffwasser.  Auf  der  Höhe  der  Verdauung,  sowie 
nach  Einführung  von  Harnstoffbildnern  (Ammoniaksalzen,  Amino¬ 
säuren)  zeigt  die  Leber  einen  starken  Harnstoffgehalt,  und  zwar  sind 
alle  Leberzellen  gleichmässig  an  der  Harnstoffbildung  beteiligt.  Die 
Ausscheidung  des  Harnstoffs  in  Lymphe  und  Blut  erfolgt  jedoch  nicht 
direkt  von  den  Leberzellen  aus,  sondern  durch  Vermittlung  der 
K  u  p  f  f  e  r  sehen  Sternzellen;  durch  diese  Regulationsvorrichtung 
werden  die  starken  Schwankungen  des  Eiweissstoffwechsels,  die  der 
Eintritt  grösserer  Harnstoffmengen  in  den  Kreislauf  bedingt,  ge¬ 
mildert.  Die  K  u  p  f  f  e  r  sehen  Sternzellen  sind  demnach  nicht  allein 
ein  Schlammfang  für  körperfremde  Stoffe  und  ungelöste  Partikelchen, 
sondern  haben  auch  eine  Bedeutung  für  die  Regulation  des  Ueber- 
tritts  der  normalen  Stoffwechselprodukte  der  Leberzellen  in  den 
Kreislauf.  In  den  andern  Organen  Hess  sich  eine  Harnstoffbildung 
auch  auf  histochemischem  Wege  nicht  nachweisen. 

Lindemann  -  München. 

Zentralblatt  für  Chirurgie.  1914.  Nr.  41. 

Wilh.  Danielsen  -  Beuthen:  Zur  Behandlung  der  Luxatio  cla- 
viculae  praesternalls. 

Um  das  reponierte  Ende  der  Klavikula  dauernd  zurückzuhalten, 
legt  Verf.  den  Verband  so  an,  dass  die  Schulter  vorgezogen  wird: 
so  bleibt  die  Luxation  reponiert;  die  Heilung  verläuft  ungestört  ohne 
Beeinträchtigung  der  Funktion. 

Dr.  William  Levy- Berlin:  Die  Ausführung  der  osteoplastischen 
Amputatio  suprarnalleolaris  im  Kriege. 

Verf.  hat  die  Pirogoffsche  Methode  für  die  Kriegschirurgie 
in  felgender  Weise  abgeändert:  zuerst  wird  der  Fuss  im  Sprung¬ 
gelenk  durch  Zirkelschnitt  exartikuliert  und  die  Wunde  lose  ger¬ 
einigt.  Ist  der  Stumpf  fast  verheilt,  dann  wird  er  durch  Osteoplastik 
tragfähig  gemacht;  es  wird  um  den  inneren  Knöchel  ein  zungen¬ 
förmiger  Lappen  Umschnitten;  ein  halber  Zirkelschnitt  umkreist  von 
seinen  Endpunkten  aus  den  äusseren  Umfang  des  Unterschenkels; 
1  cm  distal  von  diesem  Zirkelschnitt  werden  Weichteile  und  Knochen 
durchtrennt,  damit  die  Naht  später  oberhalb  der  Tragfläche  des 
Stumpfes  liegt.  An  5  Abbildungen  ist  die  Methode  des  Verfassers 
anschaulich  gemacht.  E.  Heim-  Oberndorf  bei  Schweinfurt. 


27  Oktober  191-4. 


MUENCHHNER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


21.39 


Zentralblatt  für  Gynäkologie.  Nr.  41,  1914. 

dar  l^amMarl»dHaiatlon.am^Urff;  A"WC"',UI«  Endcter,™ 
bine  Infektionsgefahr  durch  die  Laminariaeinführung  gibt  C.  /u 
Dieselbe  kommt  aber  nicht  durch  den  Stift  selbst  oder  Sekretstauung 
zustande,  sondern  durch  den  Reiz  des  Fremdkörpers  und  dadurch 
ausgelöste  Kontraktionen,  die  eine  latente  Infektion  manifest  machen 
\iher  ist  bei  festgestellten  oder  vermuteten  Infektionen  der  Stift  zu 
verwerfen. 

,  Zur  Entfernung  des  Stiftes  wendet  C.  folgenden  Handgriff  an: 
Ja"  fasst  den  Stift  mit  einer  kräftigen,  grossen  Klemme,  die  vordere 
Muttermundslippe  mit  einem  Muzeux,  zieht  den  Stift  vulvawärts 
mt  der  linken  Hand  und  schiebt  mit  der  rechten  Hand  die  Haken- 
•ange  energisch  bauchwärts. 

!\’  *  li  K  a  ise  r- Amsterdam :  Kurzer  Rückblick  auf  die  Ge- 
>c  luchte  des  Kraiikheitsbildes  der  Asthenieenteroptose. 

Ein  rein  historischer  Artikel,  der  sich  zum  Referat'nicht  eignet. 

J  a  f  f  e  -  Hamburg. 

Zeitschrift  iür  Hygiene  und  Infektionskrankheiten  78  Bd‘ 
Heft.  1914. 


die  Bedeutung  des  Bac- 


Ernst  0  u  a  n  t  z  -  Güttingen :  Uebcr 
-rium  coli  für  die  Wasserbeurteilimg. 

Auf  Grund  seiner  Untersuchungen  kommt  der  Verf.  zu  dem 

iUSSmd<fSS  ^aS  »  ^CtJ  Coli  eil?  wasserfremder  Organismus  sei; 
aber  müsse  der  Befund  von  Koli  im  Grundwasser  auf  eine  Ver- 
lrenugung  durch  oberflächliche  Zuflüsse  oder  auf  ungenügende  Fil- 
ation  hmweisen.  Die  Frage  jedoch,  ob  das  Vorhandensein  von 

■i  ,'icrn liT  en!e  gefährliche  Verunreinigung,  eine  Verun- 

migung  mit  Fakalien  beweise,  müsse  verneint  werden.  Verf  legt 
ert  auf  den  Befund  von  sog.  typischem  Koli,  der  im  wesentlichen 
am  Bact.  coli  commune  entspricht.  Wenn  diese  Arten  auch  im 
öden  weit  verbreitet  sind,  so  könne  doch  aus  einer  gefundenen 
■osseren  Anzahl  derselben  auf  eine  „gefährlichere“  Verunreinigung 
.'schlossen  werden.  Die  „Koliprobe“  ist  als  eine  wertvolle  Er- 
inzung.  aber  nicht  als  Ersatz  für  die  Lokalbesichtigung  anzusehen. 

Z  ^  e  'Lausanne:  Können  im  Blute  kreisende  Bakterien 
ircli  die  Darmwand  ausgeschieden  werden? 

Die  Versuche  wurden  mit  Prodigiosuskulturen  angestellt.  Es 
.kte  sic fi,  dass  nach  Injektion  einer  verhältnismässig  grossen  Menge 
■rselbcn  ins  Blut  von  Kaninchen  etwa  1  Stunde  darauf  die  Ans- 
tieidung  der  Keime  mit  der  Galle  in  den  Darm  beginnt.  Im  Magen 
nnten  niemals  Prodigiosuskeime  nachgewiesen  werden.  Meistens 
«den  sich  die  Bakterien  im  Ileum  und  Zoekum.  seltener  im  Kolon, 
enn  der  Darm  gereizt  wurde,  trat  eine  Vermehrung  der  Pro- 
uosusstabchen  in  den  tieferen  Schichten  des  Darmes  auf.  Weitere 
“.suche  bewiesen,  dass  die  Keime  direkt  durch  die  Darmwand  ins 
men  ausgeschieden  wurden.  Den  Transport  der  Bakterien  Über¬ 
holen  Leukozyten. 


Arthur  Korff-Petersen-Berlin:  Untersuchungen  über  die  Licht- 
rteilung  in  Klassenräumen  bei  Verwendung  von  Metallfaden- 

npen. 

Als  prinzipiell  wichtiges  Ergebnis  kann  die  Feststellung  ange- 
len  w  erden,  dass  die  zur  Verfügung  stehende  Kerzenzahl  auf  eine 
ossere  Anzahl  von  Lampen  zu  verteilen  ist,  so  dass  z.  B.  8 
kerzige  Metallfadenlampen  geeigneter  sind  wie  6  32  kerzige.  Für 
1  ine  Klassen  reichen  8  25  kerzige  Metallfadenlampen  aus,  wenn  sie 
J  ht  hoher  als  2,3  m  über  dem  Fussboden  aufgehängt  sind  und  die 
nster  durch  Vorhänge  aus  hellem  Stoff  verhangen  werden.  Für 
osse  Klassen  genügen  10  25  kerzige  Metallfadenlampen.  Blenden 
vorderen  Lampen,  so  kann  man  das  Licht  durch  Mattglasbirnen 
ndern.  Schatten  lassen  sich  durch  indirekte  Beleuchtung  mittels 
ralampen  vermeiden. 

Erich  F  i  s  c  h  e  r  -  Berlin;  Ueberlegungen  und  Untersuchungen 

Frage  des  Vorkommens  von  Tuberkelbazillen  im  strömenden 

I  ite. 


Zufolge  der  noch  immer  sich  widersprechenden  Angaben  über 
, 1  Blutbefund  bei  Tuberkulose,  stellte  Verf.  erneute  Versuche  mit 
"sehen-  und  I  ierblut  an.  Es  zeigte  sich,  dass  die  mikroskopische 
tersuchung  des  Blutes  tuberkulöser  Tiere  und  Menschen  in  allen 
len  negativ  ausfiel.  Nur  mittels  des  Tierexperimentes  Hessen  sich 
Gerkelbazillen  nachweisen;  aber  auch  da  ist  der  Prozentsatz  nicht 
r  hoch  und  beträgt  bei  Meerschweinchenblut  nur  4 — 8  Proz.  Im 
de  tuberkulöser  Menschen  Hessen  sich  in  den  Versuchen  keine 
wrkelbazillen  nachweisen.  Ein  Mobilisieren  der  Tuberkelbazillen 
ch  Tuberkulin  konnte  nicht  erwiesen  werden. 


W.  A.  U  g  I  o  w  -  Petersburg;  Ueber  „das  Rauschbrot“. 

Das  Rauschbrot  ist  eine  Erkrankung  des  Getreidekorns, 
Iche  sowohl  im  europäischen  als  auch  im  asiatischen  Russland 

I  annt  ist  und  zu  Krankheiten  der  Bevölkerung  Veranlassung  gibt. 

wahre  Ursache  der  Kornkrankheit  ist  nach  den  bisherigen  Er- 
telungen  in  erster  Linie  zurückzuführen  auf  einen  Pilz  F  u- 
fiumrosenm  Link.  Wahrscheinlich  nebenbei  auch  auf  Cla- 
sporium  herbarum  Link  und  Saccharomyces  r  o  - 

II  m\  D!c  Untersuchungen  des  Verf.  beziehen  sich  auf  die  Chemi¬ 
en  Veränderungen  des  durch  diese  Pil  2  veränderten  Weizens 

den  Kreisen  Im  an  und  Nikolsk  und  zeigen,  dass  alle  wert- 
len  Bestandteile  der  Körner  eine  Verminderung  erfahren;  Zellu¬ 


lose,  die  Säuren,  die  weniger  wichtigen  Pentosanen  und  die  Asche 
dagegen  sich  vermehren.  Durch  Veränderungen  der  Eiweisssub¬ 
stanzen  wird  das  Brot  fest  und  bekommt  einen  schlechten  Ge¬ 
schmack.  Die  Keimfähigkeit  des  Kornes  wird  wesentlich  herabge¬ 
setzt. 

Gurt  K  r  ö  c  h  e  r  -  Berlin:  Versuche  mit  Salvarsan  bei  der  Be¬ 
handlung  der  Hundestaupe. 

i5  ^rsilc*ie  mit  Salvarsan  ergaben  keine  ermutigenden 

Resultate,  denn  es  konnten  weder  bessernde  noch  heilende  Wir- 
kungeii  gegenüber  der  Staupe  erzielt  werden.  Für  die  Anwendung 
j  *»5S,,  a, va.rsans  beim  Hunde  eignete  sich  am  besten  die  intravenöse 
Methode  in  die  Vena  jugularis.  In  Dosen  von  0,01  bis  0,025  g  pro 
Kilogramm  Körpergewicht  in  einer  Verdünnung  von  0,1:25  bis  40 
",  im  a  malischer  Reaktion  wurde  das  Mittel  im  Allgemeinen  ohne 
Nachteil  vertragen.  Bei  grösseren  Gaben  traten  Vergiftungserschei¬ 
nungen  auf. 

Walter  L  ö  w  e  n  s  t  e  i  n  -  Hamburg-Barmbeck:  Zur  Frage  der 
VVchnungsdesinfektion  mit  Formaldehyd. 

•  den  Versuchsergebnissen  mag  hervorgehoben  werden,  dass 
bei  der  Herstellung  der  Testobjekte  die  betreffende  Bakterienart  nur 
in  d  e  s  t  i  1 1  i  e  r  t  e  m  Wasser  aufzuschwemmen  ist,  da  auch  Koch¬ 
salzlösung  schädigend  wirkt.  Die  Desinfektionsdauer  von  4  Stun¬ 
den  reicht  aus,  um  oberflächlich  sitzende  Keime  von  Staphylokokken, 
Typhusbazillen,  Diphtheriebazillen,  Tuberkelbazillen,  Streptokokken 
abzutöten.  Sporen  werden  im  trockenen  Zustande  bei  12  Stunden 
dauernder  Einwirkung  und  bei  gesteigerter  Formalinmenge  in 
50  Proz.  der  Fälle,  in  feuchtem  Zustand  in  88  Proz.  der  Fälle 
abgetötet.  Sehr  schwer  werden  .Bakterien  vernichtet,  wenn  sie  in 
der  nächsten  Nähe  von  Heizkörpern  sich  befinden. 

R.  O.  Neumann  -  Bonn. 

Vierteljahrschrift  für  gerichtliche  Medizin  und  öffentliches 
Sanitätswesen.  1914.  3.  Heft. 

II.  Oeffentliches  Sanitätswesen. 

Zinkgehalt  einer  Gemüsekonserve.  Gutachten  der  wissen¬ 
schaftlichen  Deputation  für  das  Medizinalwesen.  Ref.:  Geh.  M.-R. 
Dr.  H  e  f  f  t  e  r  und  Geh.  O.-M.-R.  Dr.  A  b  e  1. 

In  Konserven  finde  sich  wegen  der  Löslichkeit  der  das  Eisen¬ 
blech  überziehenden  Zinnschicht  in  saurer  und  alkalischer  Flüssigkeit 
gewöhnlich  Zinn  in  einer  Menge  von  durchschnittlich  100—150  mg 
auf  1  kg  Konserven,  in  Einzelfällen  bei  Spargel  auf  400,  bei  Spinat 
auf  500  mg  steigend;  in  dem  der  Deputation  zur  Begutachtung  vor¬ 
gelegten  Falle  handelte  es  sich  um  Tomatenmus  mit  einem  Zinngehalt 
von  13,6  mg  in  100  g  Tomaten  (also  136  mg  auf  1  kg).  Das  Gutachten 
spricht  sich  daher  dahin  aus,  dass  dieser  Zinngehalt  kein  ausser- 
gewöhnlich  hoher  sei  und  infolgedessen  zu  einer  Beanstandung  keinen 
Anlass  gebe. 

Wenn  nun  auch  chronische  Zinnvergiftungen  an  Menschen  durch 
reichlichen  Konservengenuss  bisher  noch  nicht  beobachtet  worden 
seien,  so  wäre  es  doch  im  Interesse  der  öffentlichen  Gesundheits¬ 
pflege  zu  begrüssen,  wenn  die  Konserven  in  einer  Weise  verpackt 
werden  könnten,  die  die  Möglichkeit  einer  Zinnlösung  ausschliessen  — 
der  zu  diesem  Zweck  gewählte  Lacküberzug  auf  der  Innenfläche  ge¬ 
währe  diesen  Schutz  nur  Y* — 14  Jahr,  dann  werde  der  Lack  zer¬ 
stört. 

Gewerbliche  Vergiftungen  durch  Tetrachloräthan.  Gutachten  der 
wissenschaftlichen  Deputation  für  das  Medizinalwesen.  Ref.:  G.  M.-R. 
Dr.  Heffter  und  G.  M.-R.  Dr.  Kraus. 

Tetrachloräthan  wird  als  Lösungsmittel  für  Fette,  Harze  u.  dgl. 
verwendet;  ein  Streichlack  —  „Ariatol“  genannt  — ,  der  zum  Im¬ 
prägnieren  der  Tragflächen  von  Luftfahrzeugen  verwendet  wurde 
und  Azetylenchlorid  oder  Tetrachloräthan  enthielt,  verursachte  mehr¬ 
fache  Erkrankungen  der  Arbeiter  —  Uebelkeit,  Brechreiz,  Erbrechen, 
allgemeines  Unbehagen.  Schmerzen  im  Leib,  starke  Gelbsucht  mit 
Leberschwellung,  teilweise  nervöse  Erscheinungen,  wie  starkes  Zit¬ 
tern  der  Hände,  Taubheitgefühl  und  Kribbeln  in  Händen  und  Füssen, 
Schwinden  oder  Herabsetzung  der  Kniesehnenreflexe,  Kopf-  und  Gc- 
Ienkschmerzen,  übermässige  Schweissabsonderung. 

Die  wissenschaftliche  Deputation  kommt  zur  Anschauung,  dass 
fragliche  Erkrankungen  durch  die  Tetrachloräthandämpfe  verursacht 
werden  und  dass,  da  eine  ergiebige  Ventilation  mit  Rücksicht  auf 
die  Empfindlichkeit  des  Lacks  im  Betriebe  nicht  möglich  ist,  ein 
striktes  Verbot  der  Verwendung  von  Imprägnierungsmitteln,  die 
Tctrachloräthan  enthalten,  sich  empfehle. 

Sieben  Jahre  Säuglingsfürsorge  der  Stadt  Aachen  und  ihre 
Organisation  im  gleichnamigen  Regierungsbezirke.  Von  M.-R  Dr 
Schwabe  -  Aachen. 

Verf.  gibt  eine  eingehende  Darstellung  über  den  Gang  der  Säug¬ 
lingssterblichkeit  und  die  verschiedenen  Einrichtungen  zu  deren  Be¬ 
kämpfung  etc.,  die  sich  in  dem  allgemein  üblichen  Rahmen  bewegen. 
Bezüglich  der  Einzelheiten  muss  auf  das  Original  verwiesen  werden. 

Die  Bedeutung  der  Rachitis  für  die  Volksgesundheit  und  die 
Mittel  zu  ihrer  Verhütung  und  Bekämpfung.  Von  Dr.  E  b  e  r  t  -  Kassel. 

Die  Bedeutung  der  Rachitis  für  die  Volksgesundheit  werde  durch 
die  Prognose  der  Krankheit  bedingt,  da  leichte  Formen  der  Rachitis 
ausheilen  und  von  untergeordneter  Bedeutung  für  die  Volksgesund¬ 
heit  seien.  Der  Tod  durch  rachitische  Komplikationen  und  die  damit 
verbundene  Dezimierung  des  Nachwuches  sowie  die  durch  Rachitis 
bedingte  Krüppelhaftigkeit  beeinflussen  die  Volksgesundheit  vor  allem 


2140 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  43. 


nachteilig.  Die  bedenklichsten  Dauerfolgen  seien  Beckenanomalien 
und  Kyphoskoliosen.  Bleibende  rachitische  Deformitäten  machen 
15  Proz.  aller  Krüppelhaften  aus:  dadurch  werden  Arbeitsfähigkeit 
und  Wehrkraft  herabgemindert  und  nationales  Vermögen  geschädigt. 
Die  Entstehung  der  Krankheit  müsse  durch  Bekämpfung  des  Pauperis¬ 
mus,  Beseitigung  der  respiratorischen  Schädlichkeiten  und  Förderung 
einer  geeigneten  Säuglingsernährung  bekämpft  werden,  notwendig  sei 
ausgedehnte  Aufklärung  der  breiten  Volksmassen,  Beaufsichtigung 
der  Kleinkinderwelt.  Verbesserung  der  Wohnungsverhältnisse,  Ent¬ 
fernung  des  Kindes  aus  schlechten  Wohnungsverhältnissen,  Errich¬ 
tung  von  Rachitisheilstätten  (Wald-,  Qebirgs-,  Seeluft),  orthopädische 
Behandlung  von  Krüppelhaften  (diese  soll,  abgesehen  von  Kypho¬ 
skoliose,  in  der  Regel  nicht  vor  dem  5.  Lebensjahr  einsetzen,  da  bis 
dahin  oft  Spontanheilung  erfolge),  Errichtung  orthopädischer  Kliniken 
und  Polikliniken. 

Die  Algenkalamität  in  der  Wasserversorgung  der  Provinzial- 
Heil-  und  Pflegeanstalt  Kortau  bei  Allenstein.  Von  Dr.  Schröder- 

Kortau. 

Die  Anstalt  bezieht  Wasser  aus  dem  Kortsee,  das  eine  Filter¬ 
anlage  passiert.  In  den  Wintermonaten  1913  zeigte  sich  eine  eigen¬ 
tümliche  Veränderung  des  Wassers  —  trübes,  grünliches  Aussehen, 
in  der  Badewanne  nach  Ablassen  des  Wassers  deutlich  grün-grau 
gefärbter  Rückstand,  eigenartig  fader,  fauliger  Geruch  des  Wassers. 
Das  Wasser  zeigte  sich  bei  näherer  Besichtigung  im  Becherglas 
durchsetzt  von  unendlich  vielen  kleinen  Fäden  (., Pilzfäden“),  die  sich 
bei  mikroskopischer  Untersuchung  als  Algen  —  Oscillaria  agardhii  — 
erwiesen,  auch  „Schwingfäden“  genannt,  weil  sie  jede  geringste 
Strömung  des  Wassers  in  oszillierender  Bewegung  mitmachen.  Diese 
Algen  kamen  aus  dem  Kortsee  infolge  Defektes  im  Filter  in  die  Lei¬ 
tung,  es  wurde  deshalb  ein  V  o  r  f  i  1 1  e  r  in  Aussicht  genommen,  in 
welchem  die  Algen  durch  geeignete  Chemikalien,  wie  Kalkhydrat  und 
Aluminiumsulfatlösung,  zum  Verschwinden  gebracht  werden  können, 
so  dass  in  die  eigentlichen  Filterabteile  nur  reines,  algenfreies  Wasser 
kommen  kann  und  so  der  beobachteten  Kalamität  der  Verfilzung  der 
Filter  vorgebeugt  wird. 

Besprechungen,  Referate,  Notizen. 

III.  Amtliche  Mitteilungen. 

Dr.  Spa  et- Fürth. 

Berliner  klinische  Wochenschrift.  Nr.  42,  1914. 

W.  W  e  i  n  t  r  a  u  d  -  Wiesbaden:  Zur  Behandlung  des  Tetanus 
init  besonderer  Berücksichtigung  der  Magnesiumsulfattherapie. 

Verfasser  fordert: 

Prophylaktische  Schutzimpfung  mit  Tetanusserum  bei  allen  Ver¬ 
wundungen,  die  einer  Verunreinigung  mit  Erde  verdächtig  sind. 

Aufmerksame  Beobachtung  der  Verletzten  auf  Frühsymptome 
und  auf  lokalen  Tetanus. 

Sachgemässe  Wundbehandlung. 

Nach  Auftreten  von  Tetanussymptomen  umgehende  Anwendung 
einer  Heildosis  des  Tetanusserums  (100  A.-E.)  und  Wiederholung 
dieser  Dosis  in  den  nächsten  Tagen,  event.  intralumbale  Anwendung 
von  50 — 100  A.-E.  Tetanusserum. 

Sofortiger  Beginn  mit  konsequenter  Magnesiumsulfatanwendung 
intralumbal  oder  subkutan,  mit  Dosen,  die  im  Sinne  einer  Narkose 
dem  Patienten  prompt  Erleichterung  durch  Muskelerschlaffung 
bringen. 

Verwendung  von  Narkoticis  in  freigebiger  Weise. 

Ernst  U  n  g  e  r  -  Berlin:  Zur  Behandlung  des  Tetanus. 

Verf.  empfiehlt,  das  Tetanusserum  durch  einen  Ureterkatheter, 
den  man  von  der  Art.  ulnaris  aus  bis  in  den  Aortenbogen  einführt, 
möglichst  zentral  zu  injizieren. 

Die  Gefahr  der  Atemlähmung  bei  Verwendung  des  Magnesium¬ 
sulfats  lässt  sich  durch  Sauerstoffinsufflation  nach  Meitzer  ver¬ 
meiden. 

Felix  H  i  r  s  c  h  f  e  1  d  -  Berlin:  Die  Kost  der  Arbeiter  und  die 
Grundsätze  der  Ernährung. 

Die  Notwendigkeit  einer  bestimmt  hohen  Eiweissmenge  in  der 
täglichen  Nahrung  ist  nicht  erwiesen.  Sorgt  man  bei  der  Feststellung 
bestimmter  Kostsätze  nur  für  die  Deckung  des  Gesamtstoffver¬ 
brauches,  für  ein  angemessenes  Gewicht  und  Volumen  und  für  Ver¬ 
daulichkeit,  so  wird  hierbei  der  Eiweissbedarf  des  Körpers  vollständig 
befriedigt  werden. 

Hans  Wienskowitz  -  Wiesbaden :  Ueber  die  angeborene 
Wassersucht.  (Schluss  folgt.) 

Arthur  A  I  e  x  a  n  d  e  r  -  Charlottenburg:  Die  modernen  Methoden 
der  Lupusbehandlung. 

Sammelreferat.  Dr.  Grassmann  -  München. 

Korrespondenzblatt  für  Schweizer  Aerzte.  1914.  Nr. 36 — 38. 

Nr.  36.  T  i  e  c  h  e  -  Zürich:  Ein  Beitrag  zur  Differentialdiagnose 
von  Variola  und  Varizellen  mit  Hilfe  der  kutanen  Allergie. 

Verf.  berichtet  über  einige  neue  Fälle,  bei  denen  er  mit  seiner 
Methode  der  Hautimpfung  die  Differentialdiagnose  zwischen  Variola 
und  Varizellen  sichern  konnte.  Bei  den  Fällen  von  Varizellen  trat  bei 
Impfung  mit  dem  5  Minuten  auf  60 — 70°  erhitzten  Pustelinhalt 
keine  Hautreaktion  der  Versuchspersonen  auf,  bei  den  Pocken¬ 
fällen  jedoch  regelmässig  Man  kann  die  Lymphe  auch  durch  Aether 
oder  Kohlensäureschnee  in  ihrer  Virulenz  abschwächen. 


F.  de  Quervain:  Die  Diagnose  des  Magen-  und  Duodenal¬ 
geschwürs.  (Fortsetzung.) 

Nr.  37.  H  a  u  s  w  i  r  t  h  -  Bern:  Ein  neues  apparatloses  Formal¬ 
dehyd  verdampfungsverfahren. 

'  Molekulare  Mengen  von  KClüs  und  metallisches,  fein  verriebenes 
Eisen  werden  mit  einer  gewissen,  der  Grösse  des  Raumes  ent¬ 
sprechenden  Menge  CaCOs  versetzt,  das  Ganze  verrieben  und  pro 
Kubikmeter  Raum  20  ccm  Formalin,  dann  eine  berechnete  Menge 
HiSÜ«  in  Kieselgur  zugefügt.  Es  entstehen  starke  wolkenartige 
Mengen  von  Formaldehydwasserdampf.  Die  Desinfektionswirkung 
ist  sehr  gut.  wie  Versuche  beweisen,  die  Verpackung  wird  so  her¬ 
gestellt,  dass  jeder  Laie  das  Verfahren  anwenden  kann,  der  Preis 
für  100  cbm  Raum  beträgt  5—6  M. 

F.  de  Quervain:  Die  Diagnose  des  Magen-  und  Duodenal¬ 
geschwürs.  (Schluss.) 

Verf.  diskutiert  in  seinem  Referat  ausführlich  folgende  Fragen: 
1.  Welche  Formen  von  Magen-  und  Duodenalgeschwür  können  wir 
heute  sicher  diagnostizieren  und  welche  entziehen  sich  noch  unseren 
diagnostischen  Hilfsmitteln?  2.  Wie  lassen  sich  Verwachsungen  er¬ 
kennen?  3.  Wie  können  wir  die  krebsige  Entartung  erkennen  oder 
ausschliessen?  4.  Welche  Schlüsse  erlaubt  uns  die  heutige  Unter¬ 
suchungstechnik  in  Bezug  auf  die  Indikation  zur  Operation  und  die 
Wahl  der  Methode?  5.  Welchen  Nutzen  gewährt  die  Röntgen¬ 
diagnostik  für  die  Beurteilung  der  unmittelbaren  Operationsfolgen  und 
der  Endresultate? 

Nr.  38.  S  t  r  e  b  e  1  -  Luzern:  Zur  Analyse  der  Doppelbilder. 
Ausführliche  Darstellung  der  Methoden  und  Vorschläge  zu  ihrer 
Vereinfachung. 

K.  S  c  h  1  ä  p  f  e  r  Miinsterlingen:  Ueber  einen  durch  Operation  ge¬ 
heilten  Fall  von  Gallensteinileus. 

Beschreibung  eines  Falles  und  Diskussion  ähnlicher  Fälle  der 
Literatur. 

E.  F  e  e  r  -  Zürich:  Die  kleinpapulösen  Hauttuberkulide  beim  Kind. 

Zusammenfassende  Darstellung  und  Mitteilung  von  8  eigenen 
Fällen. 

O.  Bernhard- St.  Moritz:  Ein  Fall  von  Kontusion  des  Kehl¬ 
kopfes  beim  Schlittelsporte. 

Schwere  Kontusion  mit  Blutungen  in  die  Schleimhaut  des  Larynx 
und  Pharynx  und  ödematöser  Schwellung  der  Stimmbänder.  Heilung. 

L.  Jacob-  Würzburg. 

Inauguraldissertationen. 

Universität  Freiburg  i.  B.  September  1914. 

Hillger  Hedwig:  Ueber  die  Leukozytenresistenz  bei  Karzinom¬ 
kranken. 

Hillger  Hermann:  Resultate  mit  Morphium-Skopolamin-,  Panto- 
pon-Skopolamin-,  Narkophin-Skopolamin-Dämmerschlaf  zur  Ein¬ 
leitung  von  gynäkologischen  Operationen. 

Hornmel  Wilhelm:  Die  Syphilis  der  Trachea  und  der  Bronchien 
und  ihre  Diagnose  durch  die-  Tracheobronchoskopie. 

Wehrle  Walter  Otto  Michael:  Die  Bedeutung  des  Arthigons  für 
Diagnose  und  Therapie  der  Gonorrhöe  und  deren  Komplikationen. 
Wrede  Martin:  Paralysis  agitans  post  trauma. 

Universität  Kiel.  August-September  1914. 
Schulte-Tigges  Hugo:  Ueber  septische  Endokarditis. 
Schulte-Vennbur  Hermann:  Zur  Symptomatologie  der  Bulbär- 
paralyse. 

Sch  wiek  er  Hans:  Beitrag  zur  klinischen  Diagnostik  der  akuten 
Pankreasnekrose  und  Fettgewebsnekrose. 

Sehn  Alfred:  Ueber  das  Vorkommen  religiöser  Wahnbildung  bei 
Psychosen,  besonders  bei  Paranoia. 

Seyler  Conrad:  Beitrag  zur  Statistik  und  Symptomatologie  der 
peripheren  Fazialislähmung. 

Siel  aff:  Arthur:  Zur  Differentialdiagnose  zwischen  Erweichungs¬ 
herd  und  Gehirntumor.  Zugleich  ein  Beitrag  zur  Lehre  vom 
Zittern  bei  Hirntumor. 

Steffensen  Hans:  Ueber  die  Indikationen  zu  operativen  Ein¬ 
griffen  bei  subkutanen  .Nierenverletzungen. 

Strauss  Arnold:  Zur  forensischen  Beurteilung  von  Brandstiftung 
durch  Geisteskranke. 

Tcbbe  Wilhelm:  Ueber  Pyonephrosen  und  infizierie  Hydro- 
nephrosen  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  chirurgischen 
Therapie. 

Thomas  Gerhard:  Ueber  den.  kongenitalen  ossären  Schieflials 
Voll  har  dt  Walter:  Die  Bedeutung  neuerer  Methoden  zur  Unter¬ 
scheidung  mütterlichen  und  fötalen  Blutes  für  die  gerichtliche 
Medizin. 

Vollmer  Karl:  Ein  Beitrag  zur  Lehre  vom  induzierten  Irresein. 
Wree  Hans:  Ein  Fall  von  Tumor  cerebri  (der  grossen  Ganglien). 

Habilitationsschriften. 

Lin  zenmeier  Georg:  Der  Verschluss  des  Ductus  Botalli  nach 
der  Geburt, 

Stern  Felix:  Die  psychischen  Störungen  bei  Hirntumoren  und  ihre 
Beziehungen  zu  den  durch  Tumorwirkühg  bedingten  diffusen  Hirn¬ 
veränderungen. 


27.  Oktober  1914. 


MUFNCHFNER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Vereins-  und  Kongressberichte. 

Verein  der  Aerzte  in  Halle  a.  S. 

(Bericht  des  Vereins.) 

Sitzungen  vom  8.  und  15.  Juli  1914. 

Vorsitzender:  Herr  B  e  n  e  k  e. 

Schriftführer:  Herr  S  t  i  e  d  a. 

V. 

Herr  J.  Veit:  Seit  der  Herr  Vortragende  liier  in  unserem  Verein 
zuerst  seine  Methode  der  Schwangerschaftsdiaguostik  uns  vortrug, 
hat  sich  mein  Standpunkt  der  Methode  gegenüber  nicht  geändert:  ich 
trete  auch  heute  noch  ebenso  wie  früher  für  die  Spezifizität  ’  der 
Fermente  der  Gravidität  und  für  die  Methode  der  Schwangerschafts¬ 
diagnostik  ein;  abweichende  Ergebnisse  führe  ich  auf  Fehler  in  der 
lechnik  und  auf  einzelne  noch  weiter  zu  studierende  Verhältnisse  zu¬ 
rück.  Daher  erklärt  es  sich,  dass  in  meiner  Klinik  weniger  darüber 
gearbeitet  ist,  ob  die  Methode  richtig  ist,  sondern  darüber,  welche 
weiteren  Fortschritte  können  dadurch  gewonnen  werden;  die  Arbeit 
von  Asch  n  er  über  die  Differentialdiagnose  der  „Schwangerschafts¬ 
niere“  von  der  Nephritis  in  der  Schwangerschaft  ist  Ihnen  bekannt, 
lerr  Kollege  Linde  mann  wird  nachher  weitere  Ergebnisse  unserer 
<!inik  vortragen. 

Ebenso  stehe  ich  der  Krebsdiagnose  gegenüber;  die  Unter¬ 
teilungen  aus  meiner  Klinik  sind  ausführlich  veröffentlicht  worden- 
las  Ergebnis  ist  im  wesentlichen  eine  Bestätigung  der  Anschauungen’, 
Jie  wir  dem  Herrn  Vortragenden  verdanken.  Dass  beim  Krebs  aus- 
lahmsweise  auch  Plazentarpepton  abgebaut  wurde,  halte  ich  für 
meinen  Beweis  der  gegen  die  Auffassung  der  Spezifizität  angeführt 
.yerden  könnte,  sondern  nur  für  einen  Beweis  der  technischen  Scliwie- 
igkeiten;  auch  negative  Diagnosen  sind  bei  der  Verschiedenheit  der 
listologischen  Herkunft  der  Karzinome  leicht  verständlich. 

Damit  muss  man  natürlich  auch  die  Organspezifizität  anerkennen; 
lur  liegen  hier  die  technischen  Schwierigkeiten  klar  auf  der  Hand, 
-s  kann  nicht  Sache  aller  Kliniken  sein,  nun  jeden  dunklen  Fall  auf 
tbbau  aller  verschiedenen  Organe  zu  studieren;  in  systematischer 
Vrbeit  der  verschiedenen  Kliniken  müssen  die  einzelnen  Krankheits- 
rscheinungen  festgestellt  werden,  um  dann  diejenigen  Organe  zu  be- 
timmen,  welche  als  erkrankt  erkannt  werden  könnten.  Ich  weiss 
acht,  ob  der  Herr  Vortragende  auch  die  Ergebnisse  der  Krebsserum- 
’ehandlung  erwähnt  hat  —  ich  konnte  bei  dem  Vortrag  leider  nicht 
ugegen  sein  —  aber  ich  wollte  doch  berichten,  dass  neben  einer 
leihe  von  wenig  günstigen  Resultaten  ich  in  einem  Falle  neben  der 
ladiumbehandlung  von  der  10  Tage  lang  durchgeführten  Serumein- 
pritzung  gutes  gesehen  habe. 

Von  grösster  Wichtigkeit  scheint  mir  jetzt  gegenüber  den  ver- 
inzelten  Zweiflern  die  Untersuchung  der  Umstände,  unter  denen  die 
’eaktion  nur  schwach  oder  unsicher  erfolgt.  Aber  an  der  grossen 
'edeutung  der  Feststellungen  des  Herrn  Vortragenden  kann  für  mich 
ein  Zweifel  bestehen.  Grösser  noch  als  der  praktische  Wert  ist  die 
issenschaftliche  Bedeutung,  welche  uns  alle  noch  Jahre  hinaus  mit 
euer  Arbeit  versehen  hat. 

Herr  v.  Hippel  bespricht  unter  Uebergehung  rein  ophthalmo- 
■gischer  Probleme  folgende  allgemeineren  Fragen: 

1-  Einstellung  der  Objekte:  in  vollem  Umfang  ist  dieselbe  nur 
ei  Plazenta  und  Tumoren  möglich,  nicht  aber  bei  den  inneren  Or- 
anen.  Hier  muss  man  sich  auf  sorgfältige  Präparation,  Kontrolle 
ach  den  verschärften  Vorschriften  sowie  auf  Kontrolle  während  des 
ersuches  durch  gleichzeitiges  Ansetzen  mindestens  zweier  Sera  be- 
:hränken. 

2.  In  seltenen  Fällen,  wo  kein  Grund  vorliegt,  Versuchsfehler  an- 
lnehmen,  scheint  das  Serum  desselben  Individuums  zu  verschiedenen 
eiten  mit  dem  gleichen  Organ  verschieden  reagieren  zu  können, 
alche  Fälle  machen  der  Beurteilung  Schwierigkeiten;  sie  bedürfen 

eiterer  Untersuchung. 

3.  Die  gleichzeitige  Untersuchung  desselben  Serums  mit  der 
fischen  Methode  und  dem  Dialysierverfahren  wurde  durch  Ab¬ 
erhalden  und  v.  H.  ausgeführt:  a)  gegenüber  Linse  in  22  Fällen 
m  Cataracta  senilis.  Ergebnis  17  Fälle  negativ,  3  positiv  mit  beiden 
ethoden.  1  positiv  mit  der  optischen  Methode,  negativ  beim  Dialy- 
erversuch.  1  positiv  mit  der  optischen  Methode,  Protokoll  des 
ialysierversuches  verloren,  b)  Gegenüber  Thymus  in  11  Fällen 
«’ird  fortgesetzt).  Negative  sowie  positive  Ergebnisse  bei  beiden 
ethoden  in  voller  Uebereinstimmung.  Die  Feststellungen  der  Er¬ 
bnisse  wurden  von  beiden  Untersuchern  ohne  Kenntnis  des  anderen 
sultates  gemacht  und  erst  nachträglich  vergliche.n 

4.  Alle  Dialysierversuche  wurden  mit  einer  grossen  Zahl  von 
ganen  angesetzt.  Thyreoidea  und  Thymus  (zusammengerechnet) 
agierten  in  155  Einzelversuchen  66  mal  positiv,  sämtliche  anderen 
'gane  in  265  Einzel  versuchen  14  mal  positiv.  Von  diesen  14:  1  mal 
ere  bei  Retinitis  albuminurica,  1  mal  Leber  bei  diffuser  Leberhyper- 
aphie,  2  mal  Ovarium  bei  Basedow.  Die  übrigen  10  Fälle  klinisch 
aht  sicher  aufgeklärt.  Leber  und  Niere  wurden  ca.  50  mal  angesetzt, 
ber  nur  in  dem  erwähnten,  Niere  noch  in  einem  anderen  Falle 
sitiv. 

Schon  die  angeführten  Zahlen  beweisen,  dass  von  einem  wähl¬ 
ten  Abbau,  wie  mehrfach  behauptet  ist,  keine  Rede  sein  kann. 

5.  Die  Häufigkeit  von  Schilddrüsen-  und  Thymusabbau  veran- 
Oste  eine  genaue  klinische  Untersuchung  der  Fälle,  die  an  sich  gar 

Nr.  43. 


2141 


keine  Verdachtsmomente  für  eine  Erkrankung  jener  Organe  boten. 
Das  Ergebnis  (Palpatorischer  Befund,  Sternaldämpfung,  Lympho¬ 
zytose,  Röntgenschatten  über  der  Aorta)  war  wider  alles  Erwarten 
eine  derartige  erstaunliche  Uebereinstimmung  mit  dem  serologischen 
Befund,  dass  der  letztere  trotz  seiner  Häufigkeit  mit  Sicherheit  auf 
pathologische  Veränderungen  geringfügiger  Art  an  den  betreffenden 
Organen  bezogen  werden  darf.  Ein  zur  Autopsie  gekommener  Fall 
friste  bei  einer  38  jährigen  Frau  eine  riesige  Thymuspersistenz. 
(Abderhalden  positiv,  Sternaldämpfung,  Röntgenschatten,  Lympho¬ 
zytose.) 

6.  Es  besteht  die  Möglichkeit,  die  Reaktion  durch  Organpräparate 
zu  beeinflussen.  Verwendet  wurde  Thymin.  Bisher  ist  in  8  Fällen 
(2  Basedow)  die  positive  Reaktion  nach  etwa  vierwöchentlichem  Ge¬ 
brauch  von  Ihymin  für  kürzere  oder  längere  Zeit  in  eine  negative 
verwandelt  worden. 

,.  .  ^*5  eigenen  Beobachtungen  sprechen  ausnahmslos  für  eine  Spezi- 
iizitat  der  Abwehrfermente. 

Herr  Mohr:  Auch  in  meinem  Institut  ist  das  Dialysierverfahren 
bei  einer  grösseren  Zahl  von  Erkrankungen  (ca.  120  Fälle)  ange¬ 
wendet  worden.  Unsere  Erfahrungen  über  den  Wert  der  Methode 
bei  Karzinom  und  Schwangerschaft  sind  zu  gering  an  Zahl,  um  hier 
erwähnt  zu  werden.  In  den  wenigen  Fällen  von  Karzinom  haben 
wir  fast  ebensoviel  Versager  als  positive  Resultate  gehabt.  Es  mag 
dies  daran  liegen,  dass  unsere  Substrate  nicht  in  der  Weise  einge¬ 
stellt  sind,  wie  Abderhalden  und  B  u  d  d  e  es  verlangen.  Dagegen 
verfüge  ich  über  eine  grössere  Versuchsreihe  bei  innersekretorischen 
Störungen,  speziell  bei  der  Fettsucht.  Ich  habe  über  einen  Teil  der 
Versuche  schon  auf  dem  diesjährigen  Kongress  in  Wiesbaden  be- 
richtet.  Inzwischen  sind  nun  noch  einige  Fälle  hinzugekommen,  so 
dass  ich  im  ganzen  über  26  Fälle  von  Fettsucht  verfüge,  die  nach 
der  Dialysiermethode  untersucht  worden  sind.  Es  erscheint  mir  sehr 
wichtig,  hier  hervorzuheben,  wie  ich  dies  auch  an  anderer  Stelle 
schon  getan  habe,  dass  die  ganze  Fragestellung  nicht  darauf  hinzielte, 
zu  untersuchen,  ob  man  bei  der  Fettsucht  mit  Rücksicht  auf  die  Be¬ 
deutung  innersekretorischer  Störungen  mit  der  Abderhalden- 
schen  Methode  differentielle  Diagnosen  stellen  kann,  sondern  die 
Fragestellung  war  zunächst  darauf  gerichtet,  ob  auch  durch  eine 
klinische  Beobachtung  bei  Fettsucht,  deren  endogene  Natur  wahr¬ 
scheinlich  war,  Zeichen  von  seiten  der  in  Betracht  kommenden  Or¬ 
gane  (Schilddrüse,  Hypophyse  etc.)  vorhanden  sind,  die  einen  Schluss 
auf  Veränderungen  an  ihnen  gestatteten.  Dabei  stellte  es  sich  heraus, 
dass  in  der  Tat  in  einem  hohen  Prozentsatz  sich  durch  klinische 
Methoden  nachweisbare  Veränderungen  der  Schilddrüse,  des  Thymus, 
der  Genitalien,  der  Speicheldrüsen,  fanden,  und  dass  auch  in  einzelnen 
Fällen  Hypophysiserkrankung  durch  den  abnormen  Röntgenbefund  an 
der  Sella  turcica  wahrscheinlich  würde.  Ich  betone,  dass  die  Unter¬ 
suchung  sich  im  wesentlichen  auf  Fettsüchtige  erstreckte,  die  nicht 
den  hypophysären  Charakter  durch  Sehstörungen  oder  andere  zen¬ 
trale  Störungen  oder  ausgesprochene  myxödematöse  Erscheinungen 
aufwiesen,  sondern  um  solche,  die  zunächst  nur  Fettleibigkeit  dar¬ 
boten. 

Ich  habe  daraus  gefolgert,  dass  die  Zahl  der  Fälle  von  endogener 
Fettsucht  häufiger  ist  als  im  allgemeinen  angenommen  wird. 

In  bemerkenswerter  Weise  ergab  nun  die  Dialysiermethode  eine 
auffallende  Uebereinstimmung  zwischen  dem  anatomisch-klinischen 
und  serologischen  Befund. 

Wenn  Sie  mir  gestatten,  will  ich  Ihnen  einige  solcher  Versuche 
demonstrieren.  Ich  halte  es  für  die  Beurteilung  des  Wertes  der  Me¬ 
thode  für  unumgänglich,  dass  man  neben  dem  Dialysierbefund  die 
klinische  Geschichte  des  einzelnen  Falles  kennt.  Denn  wie  auch  A  b  - 
derhalden  schon  öfter  gesagt  hat,  haben  tabellarische  Zusammen¬ 
stellungen  über  die  Häufigkeit  positiver  oder  negativer  Befunde  ohne 
Kenntnis  der  Einzelfälle  keinen  Zweck.  Wenn  die  Methode  wirklich 
so  spezifisch  ist,  wie  wir  gehört  haben,  ist  ihre  Beurteilung  nur  unter 
Kenntnis  aller  begleitenden  Details  möglich. 

Sic  ersehen  hieraus:  1.  Die  Häufigkeit  von  Veränderungen  an 
den  Organen,  deren  Funktion  für  den  Fettstoffwechsel  von  Bedeu¬ 
tung  ist. 

2.  Die  ganz  auffallende  Tatsache,  dass  so  ausserordentlich  häufig 
objektive,  wohl  pathologische  Organbefunde  und  Serumausfall  über¬ 
einstimmen.  Um  naheliegende  Einwände  auszuschliessen,  kann  ich 
gleich  anführen,  dass  Parallelversuche  mit  Seris  von  anderen  Per¬ 
sonen  — —  Gesunden  und  Kranken  —  mit  den  gleichen  Substraten  an 
dem  gleichen  Tage  angestellt,  keinen  Abbau  dieser  Substrate  ergeben 
haben,  dass  z.  B.  nie  Speicheldrüsen  abgebaut  wurden,  wenn  die 
Drüsen  nicht  eben  vergrössert  nachweisbar  waren.  Merkwürdiger¬ 
weise  auch  nicht  bei  Mumps  (3  Fälle).  In  einigen  Fällen  fehlte  auch 
der  Abbau  von  Schilddrüse  und  Speicheldrüse,  obwohl  die  Organe 
vergrössert  waren.  Eine  Erklärung  für  dieses  letztere  Verhalten 
lässt  sich  zurzeit  nicht  geben.  Jedenfalls  aber  möchte  ich  noch 
einmal  die  ausserordentlich  frappante  und  für  die  Beurteilung  des 
Wertes  des  Abderhalden  sehen  Verfahrens  wichtige  Ueberein¬ 
stimmung  zwischen  klinischem  Befund  und  Ergebnis  des  Dialysier- 
verfahrens  hervorheben.  Es  geht  daraus  unzweifelhaft  hervor,  dass 
mit  Hilfe  des  Dialysierverfahrens  bestimmte,  in  ihrem  Wesen  aller¬ 
dings,  wie  ich  hervorheben  möchte,  noch  ungeklärte  Veränderungen 
des  Blutserums  in  einer  ganz  bestimmten  Richtung  nachgewiesen  wer¬ 
den  können..  So  bestimmt  ich  an  der  Formulierung  meiner  bisherigen 
Befunde  festhalten  muss,  so  energisch  möchte  ich  auf  der  anderen 
Seite  aber  doch  betonen,  dass  die  Diagnose  eines  Komplexes  von 


21-12 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Krankheitserschcinungen  mit  Hilfe  des  Dialysierverfahrens  nicht  mög¬ 
lich  ist.  Denn  wie  wir  eben  gehört  haben,  ist  in  den  Fällen,  die 
Herr  v.  Hippel  eben  referiert  hat,  ebenfalls  die  Uebercinstirnmung 
zwischen  klinischem  Befunde  und  Ausfall  des  Dialysierverfahrens 
eklatant.  Die  Krankheitsbilder  aber  sind  doch  ganz  andere.  Ein 
Beispiel,  das  diese  Dinge  ohne  weiteres  illustriert,  ist  der  Ausfall  des 
Dialysierverfahrens  bei  Basedow  und  myxödematösen  Zuständen.  In 
beiden  finden  wir  Abbau  normaler  und  pathologischer  Organe  (Base- 
dowschilddriise).  Man  ist  in  dieser  Beziehung  mit  dem  Abder¬ 
halden  sehen  Verfahren  in  derselben  Lage  wie  mit  der  Wasser- 
mannschen  Reaktion  und  der  biologischen  Tuberkulosediagnostik. 
Eine  spezielle  Lokaldiagnose  ist  auch  durch  die  letztere  Methode  nicht 
möglich.  Ich  halte  es  deshalb  auch  nicht  für  richtig,  von  der  Me¬ 
thode  die  Beantwortung  der  Frage  zu  verlangen,  ob  etwa  in  einem 
Falle  von  Magenkarzinom  Lebermetastasen  vorhanden  sind,  weil  in 
solchen  Fällen  Leber  abgebaut  wird.  Der  Abbau  von  Leber  ist  sehr 
vieldeutig  und  kann  niemals  beweisen,  dass  im  speziellen  Fall  dort 
Karzinommetastasen  sind.  Der  Nachweis,  dass  ein  Organ  abgebaut 
wird,  kann  nach  dem  bisher  Bekannten,  wie  es  scheint,  nur 
einen  Hinweis  geben,  dass  Veränderungen  und  Funktions¬ 
störungen  bestimmter  Organe,  z.  B.  der  Schilddrüse,  des 
Thymus,  der  Ovarien,  der  Leber  usw.  vorhanden  sind.  Damit 
wäre  allerdings  schon  ein  ausserordentlicher  Gewinn  für  das 
Verständnis  pathologischer  Vorgänge  gegeben.  In  welch  frap¬ 
panter  Weise  das  zu  sein  scheint,  geht  auch  aus  anderen  Beobach¬ 
tungen  hervor,  die  wir  bisher  allerdings  nicht  systematisch  durchge¬ 
führt  haben.  So  verfügen  wir  über  zwei  Fälle  von  kongenitalen 
Herzerkrankungen,  bei  denen  nichts  anderes  als  Herz  vom  Serum  ab¬ 
gebaut  wurde,  ln  dem  einem  Falle  lag  wahrscheinlich  ein  Ductus 
Botalli  persistens  nach  perkussorischem,  auskultatorischem  sowie  dem 
Röntgenbefunde  vor.  Gleichzeitig  war  die  Wassermann  sehe  Re¬ 
aktion  ++H — h  Der  15  jährige  Pferdeknecht  kam  mit  wahren  rheu¬ 
matischen  Klagen  zur  Untersuchung.  Sein  Serum  sollte  als  Normal¬ 
serum  dienen,  da  ausser  den  Herzveränderungen  zunächst  keine  auf 
Lues  hindeutenden  Veränderungen  gefunden  wurden.  Als  das  Dialy- 
sierverfahrer.  beim  Ansetzen  von  9  verschiedenen  Organen  nur  Herz¬ 
abbau  ergab,  wurde  der  Fall  röntgenologisch  und  serologisch  unter¬ 
sucht  und  es  stellten  sich  die  für  den  Ductus  Botalli  typischen  Ver¬ 
änderungen  an  der  Pulmonalis  und  die  positive  Wassermann  sehe 
Reaktion  heraus.  Aehnlich  verhielt  sich  ein  zweiter  Fall  bei  einem 
ebenfalls  15  jährigen  Mann,  bei  dem  eine  Dilatation  und  Hypertrophie 
des  ganzen  Herzens  und  röntgenologisch  ein  Kugelherz  gefunden 
wurde.  Ueber  dem  Herzen  war  ein  lautes  systolisches  Geräusch 
mit  dem  Punct.  max.  im  Präkordium.  laute  zweite  Basaltöne  zu  hören, 
die  peripheren  Gefässe  eng,  strickartig.  Die  Diagnose  schwankte 
zwischen  Septumdefekt  mit  oder  ohne  gleichzeitiger  Angustie  der 
Aorta.  Auch  hier  war  die  W  a  s  s  e  r  m  a  n  n  sehe  Reaktion  bei  zwei¬ 
maliger  Untersuchung  positiv.  Das  Dialysierverfahren  ergab  unter 
8  Organen  sehr  starken  Herzabbau.  Wir  haben  noch  eine  Reihe  von 
den  verschiedensten  Herzaffektionen  (Myokarderkrankungen,  Klap¬ 
penfehler)  untersucht  ohne  die  eben  erwänhten  Befunde.  Dagegen 
fanden  wir  bei  erworbener  Lues  des  Herzens  und  der  Aorta  in 
drei  Fällen  positiven  Abbau,  in  einigen  anderen  dagegen  keinen  Abbau 
des  Herzens.  Bei  Leberlues  haben  wir  gleichfalls  in  4  Fällen  Leber¬ 
abbau  gefunden,  während  andere  gleichzeitig  angesetzte  Organe  bei 
demselben  Fall  und  andere  Sera  an  demselben  Versuchstage  mit  der 
gleichen  Leber  keinen  Abbau  ergaben.  Sehr  bemerkenswert  scheint 
mir  folgender  Fall,  der  zusammen  mit  unseren  gesamten  Beobach¬ 
tungen  doch  zeigt,  „dass  an  der  Methode  etwas  dran  ist“,  und 
unsere  Auffassung,  dass  krankhafte  Veränderungen  von  Organen  .sich 
mit  Hilfe  des  A  b  d  e  r  h  a  1  d  e  n  sehen  Verfahrens  wohl  nachweisen 
lassen,  als  berechtigt  erscheinen  lässt.  In  dem  Fall  von  Lungen¬ 
tumor  ergab  das  Dialysierverfahren  in  vordialysiertem  Serum  nur 
mit  Lunge  stärksten  Ausfall  der  Ninhydrinreaktion.  Ich  möchte  Ihnen 
keine  weiteren  Einzelheiten  aus  meiner  immerhin  doch  relativ  reichen 
Erfahrung  mit  dem  Abderhalden  sehen  Dialysierverfahren 
bringen  und  nur  meiner  Ueberzeugung  Ausdruck  geben,  dass  es  sich 
hierbei  nicht  um  Zufallsreaktionen  handelt  und  sicherlich  auch  nicht 
um  Täuschungen,  die  in  der  Methodik  selbst  gelegen  sind.  Es  ist 
von  allen  Seiten  hier  betont  worden,  dass  diese  eine  nicht  geringe 
Anzahl  von  Fehlerquellen  birgt.  Die  selbstverständlichen  Fehler 
(Hülsenfehler,  unsauberes,  nicht  steriles  Arbeiten,  schlecht  zubereitete 
Organe  etc.)  können  in  der  Diskussion  als  selbstverständlich  ver¬ 
meidbare  und  zu  vermeidende  Dinge  nicht  näher  erörtert  werden. 
Von  Wichtigkeit  scheint  mir  aber  zu  sein,  die  Berücksichtgung,  dass 
im  Serum  selbst  ninhydrinreagierende  Stoffe  vorhanden  sind,  die  be¬ 
sonders  dann  die  Ursache  für  falsche  Resultate  werden,  wenn  die  zur 
Kontrolle  dienende  Serummenge  zu  gross  genommen  wird.  Man  sollte 
auch  meiner  Meinung  nach  unbedingt  den  schon  früher  von  S  c  h  1  i  m  - 
p  e  r  t  und  neuerdings  auch  von  Abderhalden  gemachten  Vor¬ 
schlag,  eine  Vordialyse  des  zu  prüfenden  Serums  vorzunehmen,  aus- 
fiihren.  Wir  haben  neuerdings  eine  Zahl  von  vergleichenden  Unter¬ 
suchungen  mit  vordialysiertem  Serum  gemacht  und  dabei  manchmal 
Unterschiede  zwischen  den  beiden  Dialysaten  gefunden.  Ein  Fall  ist 
bemerkenswert,  bei  dem  klinisch  endogene  Fettsucht  mit  doppel¬ 
seitiger  Speicheldrüsenhyperplasie  vorlag.  Vom  nichtdialysierten 
Serum  wurde  ausser  Parotis  und  Pankreas  noch  Leber  und  Övarium 
abgebaut,  vom  dialysierten  hingegen  nur  Parotis  und  Pankreas.  Man 
muss  ja  allerdings  zugeben,  dass  möglicherweise  mit  der  Vordialyse 
ein  neuer  Fehler  in  die  Methode  hineinkommt,  der  aber  zuungunsten 


Nr.  4 


der  Methode  ausfällt,  indem  die  Zahl  der  positiven  Resultate  ve 
mindert  wird.  Wie  mir  scheint,  ist  die  manchmal  vorhandei 
Differenz  zwischen  vordialysiertem  und  genuinem  Serum  die  Ursacl 
für  die  von  Herrn  v.  Hippel  erwähnten  Befunde,  dass  ein  Seru 
manchmal  abbaut  und  gelegentlich  dasselbe  Organ  nicht  abbaut.  B 
züglich  der  Einstellung  der  Organe  glaube  ich,  dass  man  mit  de 
Ansetzen  von  Kontrolluntersuchungen  mit  verschiedenen  Seren  au 
kommen  wird. 


Medizinische  Gesellschaft  zu  Leipzig. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  21.  Juli  1914. 

Vorsitzender:  Herr  March  and. 

Schriftführer:  Herr  Riecke. 

Herr  O  eil  er:  Ueber  den  klinischen  Wert  der  Abderhal 
den  sehen  Blutfennentreaktionen. 

Der  Vortragende  berichtet  über  die  Resultate,  die  er  in  Gemeii 
schaft  mit  Stephan  mit  Hilfe  des  Abderhalden  sehen  Dialysiei 
Verfahrens  bei  der  Untersuchung  von  ca.  500  Seren  erhalten  ha 
Ursprünglich  wurde  hauptsächlich  die  klinische  Verwertbarkeit  de 
Dialysierverfahrens  zur  Diagnose  der  malignen  Neubildungen  gepriif 
doch  wurde  auch  eine  grosse  Reihe  anderer  Seren,  Seren  von  Gr; 
viden,  Normalseren  und  namentlich  auch  verschiedenartige  pathe 
logische  Seren  untersucht.  Die  Resultate,  die  sich  bei  Verwendun 
der  Originalmethode  Abderhaldens  ergaben,  waren  weder  zt 
Diagnose  der  malignen  Neubildungen  noch  zur  Diagnose  der  Gravid 
tat  klinisch  irgendwie  verwertbar.  Es  wurden  daher  späterhin  weil 
gehende  Verschärfungen  der  Methode  durchgeführt,  die  namentlich  i 
der  Führung  zahlreicher  Kontrollen  bestanden  (vor  allei 
Führung  der  inaktiven  Kontrollen,  doppelte  Versuchsanordnung 
Aber  auch  mit  diesen  Erweiterungen  waren  klinisch  brauch 
bare  Ergebnisse  nicht  zu  erzielen. 

Zusammenfassend  gestalteten  sich  die  Resultate  etwa  folgende! 
massen:  In  Gravidenseren  kreist,  wenn  auch  nicht  regelmässig,  s 
doch  in  einem  sehr  hohen  Prozentsatz  der  Fälle  ein  Körper,  der  koa 
guliertes  Plazentaeiweiss  zu  spalten  vermag,  er  ist  aber  in  de 
Abderhalden  sehen  Versuchsanordnung  sicher  nicht  spe 
zifisch;  denn  Karzinom-  und  Luesseren,  Seren  von  Hochfieberi 
den  etc.  bauen  ebenfalls  Plazenta  ab.  Normalseren  lassen  diese 
Körper  in  der  gewählten  Versuchsanordnung  meist  vermissen,  doc 
wird  auch  manchmal  eine  fragliche  Reaktion  mit  Normalserum  un 
Plazenta  als  Substrat  erzielt.  Weiter  ist  manches  Serum  von  Nor 
malgraviden  imstande,  Karzinom-  und  Sarkomgewebe,  drüsig 
Organe,  wie  Thymus,  Leber,  Nebenniere,  abzubauen.  Aehnlich  sin 
die  Resultate  bei  den  Karzinomuntersuchungen:  Karzinomseren  baue 
relativ  häufig  Karzinomsubstrat,  selten  Sarkomsubstrate  ab,  doc 
häufig  auch  eine  grosse  Reihe  anderer  Organe,  ohne  dass  mit  de 
Metastasierung  gerechnet  werden  könnte.  Ein  Organ,  das  vo 
Karzinomseren  namentlich  leicht  abgebaut  wird,  ist  die  Plazenta. 

Eine  absolute  Spezifität  der  nachgewiesenen  Fer 
mente  besteht  also  sicher  nicht;  ab  und  zu  hat  man  aller 
dings  den  Eindruck  einer  relativen  Spezifität,  da  es  mitunter  unver 
kennbar  ist,  dass  die  spezifischen  Seren  die  spezifischen  Antigen 
leichter  abbauen  als  die  unspezifischen. 

Man  muss  daher  auf  Grund  des  grossen  Untersuchungs 
materials  das  Abderhaldensche  Dialysierverfahre: 
für  die  Klinik  ablehnen,  da  es  mit  der  Original 
methode  sicher  nicht  möglich  ist,  Gravide  vo 
Nichtgraviden,  Karzi'no  in  kranke  von  Nichttumor 
trägern  auch  nur  annähernd  sicher  zu  unterschei 
den. 

Eine  grosse  Reihe  weiterer  Untersuchungen  zwingt  aber  weiter 
hin  ganz  allgemein,  die  Vorstellung  von  der  Spezifität  der  Abw'ehr 
fermente  fallen  zu  lassen;  denn  durch  eine  ganz  einfache  Modifika 
tion  der  Originalmethode  kann  gezeigt  werden,  dass  jedes  Normal 
serum  sowie  die  meisten  pathologischen  Seren  eine  grosse  Reiht 
von  Organsubstraten  zu  spalten  vermögen,  und  dass  der  Unter 
schied  in  der  Abbaufähigkeit  der  einzelnen  Sereii 
nur  ein  quantitativer  ist.  Doch  kann  auch  dieser  quanti 
tative  Unterschied  nicht  zu  einer  spezifischen  Diagnose  verwand 
werden,  ähnlich  wie  es  z.  B.  bei  Agglutinationsversuchen  der  Fall  ist; 

Der  klinische  Wert  des  A  b  d  e  r  h  a  1  d  e  n  sehen  Dialysierver 
fahrens  in  der  jetzigen  Form  kann  also,  wie  einschlägige  eigen; 
Untersuchungen  zeigen,  mit  dem  Wert  der  Resultate  der  „Anti 
trypsinbestimmung“  nach  Brieger-Trebing  ver¬ 
glichen  werden.  Mit  dem  Abderhalden  sehen  Dialysierverfahrer 
weist  man  eine  an  sich  völlig  un  spezifische  Ferment 
Steigerung  nach  bei  Graviden,  Karzinomkranken 
bei  Nephritiden  etc.,  also  bei  Zuständen,  bei  dener 
sich  erfahr  ungsgemäss  eine  erhöhte  Hemmung  dei 
Kasein-Trypsin  Verdauung  nach  Brieger-Trebin? 
findet,  bedingt  durch  den  vermehrten  Gehalt  der 
betreffenden  Seren  an  Spaltprodukten. 

Neuere  Untersuchungen  haben  dann  weiterhin  ergeben,  dass  mar 
sich  überhaupt  von  der  Vorstellung  freimachen  muss,  dass  bei  dei 
Gravidität  oder  in  pathologischen  Seren  Fermente  im  Sinne  Ab- 
derhaldens  kreisen.  Seit  den  Feststellungen  von  Stephan 
die  von  Abderhalden  selbst  bestätigt  wurden,  ist  erwiesen; 


27.  Oktober  191-4. 


MLHNCHHNKR  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


das.s  diejenigen  Körper  in  Gravidenseren,  die  von 
Abderhalden  als  spezifische  Fermente  a  n  g  e  - 
sprochen  wurden,  überhaupt  keine  Fermente  sind 
sondern  den  Bau  von  Antikörpern  besitzen,  die  in 
Verbindung  m  1 1  dem  Komplement  Fermenteigen¬ 
schaften  annehmen. 

Die  Zahl  der  Untersuchungen  mit  einer  daraufhin  neu  aus¬ 
gearbeiteten  Dialysiermethode  (Inaktivierung  der  Seren  Reakti¬ 
vierung  durch  Meerschweinchcnkomplement,  quantitative  ’  Verwen¬ 
dung  von  Organeiweissextrakten  als  Antigen)  ist  noch  zu  gering,  um 
über  die  Spezifität  der  Qraviditätsantikörper  bestimmt  urteilen  zu 
können  Die  bisherigen  Ergebnisse  lassen  annehmen,  dass  die  schon 
von  früheren  Untersuchern  im  Gravidenserum  vermuteten  Antikörper 
eine  weitgehende  Spezifität  besitzen  können 

Zur  Erweiterung  und  Kontrolle  der  Ergebnisse  mit  der  Reakti- 
werungsmethode  im  Dialysierverfahren  kann  man  auch  andere  bio¬ 
logische  Methoden  heranziehen,  so  namentlich  die  Komplement- 
bindungsmethode  Die  bisher  damit  erzielten  Resultate  bei 
der  Diagnose  der  Gravidität  mit  Plazentaextrakten  als  Antigen  er¬ 
mutigen  auch  auf  diesem  Gebiete  zur  Wiederaufnahme  früher  schon 
untersuchter  I  robleme  und  zur  Fortsetzung  der  Versuche,  da  Gra¬ 
videnserum  sehr  häufig  und  meist  sehr  starke  Komplementbindung 
eingehen  Da  aber  eine  Reihe  anderer  Seren,  meist  allerdings  in 
wesentlich  schwächerem  Grade,  ebenfalls  mit  Plazentaextrakten  Kom¬ 
plementablenkung  zeigen,  so  wird  man  auch  durch  die  Resultate 
dieser  Methode  darauf  hingewiesen,  dass  die  hier  bei  der 
Gravidität  und  bei  pathologischen  Zuständen  in 
Frage  kommenden  Antikörper  nicht  so  hoch  spe¬ 
zifisch  sind  wie  die  experimentell  erzeugten,  und 

dasssie  deshalb  Gruppenreaktionen  geben  können. 

Ob  es  überhaupt  je  gelingen  wird,  diese  Gruppenreaktion  völlig 
auszuscheiden,  erscheint  von  vornherein  als  nicht  besonders  wahr¬ 
scheinlich;  denn  diese  Antikörper  verdanken  ihre 
Entstehung  einer  Autosensibilisierung  des  Orga- 
nismus  in  i  t  Zellstoffwechselprodukten,  die  auch 
in  ihrer  b  1  o  logischen  Wirkung  von  den  hochmole¬ 
kularen  Eiweisskörpern  unterschieden  werden 
müssen. 

Da  es  erfuhrungsgemäss  auch  im  Experiment  nur  schwer  oder 
Kaum  gelingt,  mit  Eiweissspaltprodukten  hochwertige  Antikörper  zu 
erzielen,  so  muss  man  auch  damit  rechnen,  dass  die  bei  Gravidität 
und  pathologischen  Prozessen  entstehenden  Antikörper  keine  absolute 
bpezintät  besitzen,  sondern  Qruppenreaktionen  geben  können. 

Diskussion:  Herr  Mass:  Die  zunehmende  Ablehnung  der 
Dialysiermethode  in  ihrer  jetzigen  Form  für  die  Klinik  ist  darauf 
zuruckzuführen,  dass  auch  trotz  Erfüllung  aller  Vorschriften  noch  mit 
einer  Reihe  von  Fehlerquellen  gerechnet  werden  muss,  welche  den 
Kesultaten  dieser  Methode  nur  einen  bedingten  Wert  geben.  Organ- 
und  Hülsenbeschaffenheit  sind  hier  hauptsächlich  zu  nennen.  Eine 
ganze  Reihe  von  Voraussetzungen  für  das  Dialysierverfahren  sind 
uurch  die  Untersuchungen  von  C.  Lange,  Mosbach  er  und 
r  o  r  t,  v.  Dom  a  r  u  s  und  Barsieck  u.  a.  anfechtbar  geworden. 

der  Unsicherheit  der  Dialysiermethode  kann  die  Richtigkeit  der 
i  b  „  r,"  a  1  d  e  n  schen  Anschauungen  für  die  verschiedenen  Gebiete 
der  Medizin  und  ihre  praktische  Nutzbarmachung  für  letztere  vor¬ 
läufig  nicht  entschieden  werden. 

Ob  dies  mit  Hilfe  der  Komplementfixation  (Stephan,  Haupt- 
m  a  n  n)  oder  des  Loewe-Zeiss  sehen  Flüssigkeitsinterferometers 
mir  sch)  möglich  sein  wird,  bleibt  abzuwarten. 


21-43 


Rheinisch-westfälische  Gesellschaft  für  innere  Medizin 
und  Nervenheilkunde. 

(Offizielles  Protokoll.) 

33.  Versammlung  vorn  17.  Mai  1914  zu  Bonn. 

Vorsitzender:  Herr  D  i  n  k  1  e  r  -  Aachen. 

Schriftführer:  Herr  L  a  s  p  e  y  r  e  s  -  Bonn. 

II. 

Herr  L  e  n  z  m  a  n  n  -  Duisburg:  Weitere  Erfahrungen  über  die 
jehandlung  des  Scharlach  mit  Salvarsan. 

,  Nach  meinen  ersten  —  auf  der  Naturforscherversammlung  in 
varlsruhe  veröffentlichten  —  Versuchen  der  Behandlung  des  Schar- 
ach  mit  Salvarsan  sind  mehrere  Mitteilungen  über  diesen  Gegen¬ 
wand  erschienen,  so  von  Felix  Klemperer,  Schreiber, 
-orey,  Lippmannu.  a.  Im  ganzen  sind  aber  nur  wenige  Autoren 
icser  neuen  Behandlungsmethode  des  Scharlach  geneigt  gewesen, 
as  hat  wohl  seinen  Grund  in  zwei  Momenten.  Zunächst  in  der 
'cheu  das  Salvarsan  bei  fieberhaften  Krankheiten  anzuwenden. 
iese  Scheu  muss  als  überwunden  betrachtet  werden,  seitdem  wir 
ie  hervorragenden  Erfolge  des  Salvarsan  bei  Malaria  und  Rekurrens 
.ennen.  Sodann  in  der  verschiedenen  Beurteilung  des  Scharlach 
ezuglich  des  Ernstes  der  Erkrankung.  Es  gibt  Kollegen,  die  das 
Iluck  üdiabt  haben,  fast  nur  leichte  Fälle  zu  sehen.  Sie  betrachten 
eshalb  den  Scharlach  als  eine  relativ  ungefährliche  Erkrankung  und 
0  n'cbt  für  notwendig,  eine  besondere,  immerhin  doch  etwas 

mstandliche  Behandlungsmethode  einzuführen.  Dieser  Auffassung 
es  Scharlach  als  einer  relativ  leichten  Erkrankung  kann  ich  auf 


Grund  meiner  Erfahrung  nicht  beistimmen.  Der  Scharlach  ist  meines 
cinrC-L.ernste  Erkrankung,  die  zu  den  schrecklichsten  Krank- 
hutsbildern  fuhren  und  in  ernsten  Epidemien,  sowie  in  schweren 
Lmzelfanen  viele  Opfer  fordern  kann.  Zu  trauen  ist  keinem  Schar¬ 
lach.  Wenn  wir  deshalb  ein  Mittel  kennen,  das  den  Decursus  morbi 
zu  beeinflussen  imstande  ist,  dann  sollten  wir  doch  mit  beiden  Händen 

machtlos"  Srei  en'  Bis  ietzt  war  unsere  Therapie  beim  Scharlach 

rrje'ne  Erfahrungen,  die  ich  hier  vortrage,  nur  bei 
rc^e,n.  Scharlachfallen  gesammelt.  Unter  schwerem  Scharlach 
HnilicF-  K  '  Erkrankungen,  die  mit  grosser  Prostration  einhergingen, 
bCr  (m'ndes,tens  nahe  an  40°,  zum  grossen  Teil  auch  noch 
«<’hu^rJreA1Pe-raturei1- ’  raschen  Puls,  feuriges  Exanthem  und  meistens 
._c  Anginen,  die  zum  Teil  schon  nekrotisch  waren,  zeigten. 

^9  schweren  mit  Salvarsan  behandelten  Scharlachfällen,  unter 
aenen  2  mit  hämorrhagischem  Exanthem  waren,  sind  2  gestorben. 

«ÄH«  -3  C',”ern  10  jährigen  Patienten  mit  Scarlatina  fulminans, 
delsr  05  ^.ngel'efert  wurde.  Er  zeigte  das  charakteristische,  auf 
ra,dlge  Herzschwäche  hindeutende  zyanotische  Exanthem. 
Ich  mochte  derartige  schwere  Fälle  für  unbeeinflussbar  halten.  Sie 
tiagen  von  vornherein  den  Stempel  der  unrettbaren  Vergiftung  an 

5jähurige  —  wurde  uns  am  3.  Tage  des  Exanthems 
mit  schwerer  nekrotischer  Angina  und  brettharter  Adenitis  einge- 
hefert.  Er  ging  an  Streptokokkensepsis  zugrunde.  Von  den  45  Ge- 
r^f,nC-n  •  beLamen  2  eine  Otitis  media,  dagegen  kamen  Nephritis, 
[/^,UrrRei-end£  Lymphadenitis,  Gelenkerscheinungen,  Eiterungen  nicht 
oi.  Bei  schweren  Fallen  ist  die  Beeinflussung  durch  Salvarsan  um 
o  wahrscheinlicher,  je  früher  sie  in  Behandlung  kommen.  Man  wird 
selbstverständlich  in  den  meisten  Fällen  erst  dann  die  Behandlung 
eginnen  können,  wenn  die  Diagnose  beim  ersten  Erscheinen  des 
Exanthems  gesichert  ist.  In  Epidemien  wird  es  wohl  möglich  sein, 
schon  im  Prodromalstadium  die  Behandlung  zu  beginnen 

Die  Wirkung  des  Salvarsan  beim  Scharlach  zeigt  etwas 
1  ypisches.  Gerade  weil  sich  dieser  typische  Erfolg  immer  wieder¬ 
holte  wurde  ich  bestärkt  in  der  Annahme,  dass  die  Salvarsanbehand- 
lung  den  Decursus  morbi  günstig  beeinflusst. 

•  .  lmnieI  w|eder  eintretende  Erfolg  einer  Salvarsaninjektion 
ist  ein  Anstieg  der  Temperatur  in  den  nächsten  2—4  Stunden  Diesem 
Anstieg  folgt  ein  rasches  Sinken,  das  —  je  nach  der  angewandten 
uosis  —  0,8— 1,5  betragen  kann.  Der  Temperaturabfall  erreicht 

seinen  tiefsten  Punkt  nach  etwa  6 — 8  Stunden,  dann  steigt  die  Körper¬ 
warme  wieder.  Sie  erlangt  aber  —  wenn  die  erste  Dosis  nicht  zu 
gering  war  —  nicht  wieder  die  frühere  Höhe.  Man  hat  den  Eindruck, 
als  ob  eine  Flamme  zunächst  gedämpft  würde,  dann  aber  —  nachdem 
das  dampfende  Moment  ausser  Wirkung  gekommen  ist  —  wieder 
autlodere.  Injiziert  man  nun  bei  dem  zweiten  Anstieg  der  Tem¬ 
peratur  wieder,  dann  wiederholt  sich  dasselbe  Spiel,  nur  mit  dem 
Unterschied,  dass  die  zweite  Injektion  meistens  eine  intensivere  Wir¬ 
kung  zeigt.  So  gelingt  es,  die  Temperaturkurve,  die  bei  der  un¬ 
beeinflussten  Skarlatina  ja  doch  in  den  ersten  4  Tagen  eine  Kontinua 
ist  und  den  Ausdruck  eines  auf  der  Höhe  bleibenden  Infektions¬ 
prozesses  darstellt,  in  eine  treppenförmig  abfallende  Kurve  zu  ver¬ 
wandeln  und  die  Temperatur  schon  in  den  ersten  3—4  Tagen  in  die 
Abszisse  37—38  hinunterzubringen.  Selbstverständlich  ist  diese  Dar¬ 
stellung  nur  für  die  grosse  Mehrzahl  der  Fälle  gültig.  Es  gibt  auch 
Ausnahmen.  So  kann  der  Infektionsprozess  ein  so  intensiver  sein, 
einer  ersten  Injektion  die  Temperatur  überhaupt  nicht 
fällt,  dass  erst  die  zweite  Injektion  eine  Wirkung  —  und  auch  nicht 
einmal  eine  sehr  deutliche  —  erkennen  lässt.  Man  wird  in  einem 
solchen  Falle  abzuwägen  haben,  ob  man  die  Dosis  verstärken  darf, 
oder  ob  man  sich  mit  dem  geringen  Erfolg  schon  begnügen  soll. 

Eine  zweite  typische  Erscheinung  der  Wirkung  der  Salvarsan¬ 
injektion  ist  die  Besserung  des  Allgemeinbefindens.  Diesen  Erfolg 
haben  alle  Autoren  beobachtet.  Der  Patient  wird  ruhiger  und  zeigt 
nicht  immer  die  Wirkung  des  schweren  Krankheitsgefühls.  Der  Puls 
nimmt  an  Zahl  ab.  Die  Zunge  reinigt  sich. 

Ein  dritter  Erfolg  ist  ebenfalls  von  sämtlichen  Autoren  beob¬ 
achtet  worden  die  günstige  Beeinflussung  der  Rachenaffektion. 

Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  die  Halserscheinungen  sich  rascher 
zuruckbilden.  Die  Schluckbeschwerden  besserten  sich,  die  ominöse 
zähe  Schleimabsonderung  ging  zurück.  Ich  habe  den  Eindruck,  dass 
es  sehr  oft  gelingt,  eine  Nekrose  zu  verhüten,  auch  bereits  bestehende 
nekrotische  Prozesse  und  ihre  Folgen  zur  Rückbildung  zu  bringen, 
üb  dieser  Erfolg  in  allen  Fällen  erreicht  wird,  wage  ich  nicht  zu 
entscheiden.  Darüber  müssen  uns  erst  noch  weitere  Beobachtungen 
besonders  schwerer  Fälle  belehren. 

Ich  halte  diese  Wirkung  des  Salvarsan  für  besonders  wichtig. 
Schweres  langes  Siechtum,  das  unter  Umständen  dauernde  Schä¬ 
digungen  des  Organismus  zur  Folge  haben  kann,  ist  auf  die  Strepto- 
kokkeninvasion  zurückzuführen,  der  unglückliche  Ausgang  des  Schar¬ 
lach  ist  in  den  bei  weitem  häufigsten  Fällen  die  Folge  septischer 
Prozesse.  Die  Todesfälle,  die  dem  Scharlachgift  selbst  zur  Last  zu 
legen  sind,  wie  etwa  bei  einer  Scarlatina  fulminans  oder  bei  der 
durch  das  Scharlachgift  bewirkten  Nephritis,  treten  gegen  die  durch 
Streptokokkeninvasion  bewirkten  Todesfälle  um  ein  Bedeutendes 
zurück.  Wenn  es  uns  gelänge,  die  Streptokokkensepsis  zu  verhüten, 
dann  würde  der  Scharlach  einen  grossen  Teil  seiner  Schrecken  ver¬ 
loren  haben.  Der  Streptokokkus  wandert  aber  zweifellos  fast  immer 
durch  die  Rachenorgane,  besonders  die  Tonsillen,  in  den  Organismus 
ein  Er  siedelt  sich  auf  der  —  durch  das  Scharlachgift  geschädigten _ 


2144 


Nr.  43. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Tonsille  besonders  gern  an.  Die  hier  sich  entwickelnde  Nekrose 
entspringt  offenbar  einer  komplexen  Einwirkung.  In  den  nekrotischen 
Partien  habe  ich  neben  Streptokokken  fusiforme  Bakterien  und  Mund¬ 
spirochäten  gefunden.  B  1  ii  h  d  o  r  n  u.  a.  haben  denselben  Befund 
erhoben.  Wenn  es  uns  gelingt,  durch  eine  energische  Beeinflussung 
und  rasche  Beseitigung  des  nekrotischen  Prozesses  das  Eingangstor 
des  Streptokokkus  zu  schliessen,  dann  haben  wir  ganz  gewiss  viel 
gewonnen. 

Ich  möchte  diese  —  von  allen  Autoren  bestätigte  —  Salvarsan- 
wirkung  erklären  durch  die  Annahme,  dass  das  Salvarsan  den  uns 
noch  unbekannten  Erreger  direkt  beeinflusst.  Diese  Erklärung  wird 
nicht  allseitig  anerkannt.  Andere  Autoren  wollen  nur  die  Salvarsan- 
wirkung  auf  die  Rachenaffektion  anerkennen  und  diese  Wirkung  da¬ 
durch  erklären,  dass  das  Salvarsan  die  Mundspirochäten  und  fusi- 
formen  Bakterien  tötet.  Diese  Annahme  würde  uns  aber  nicht  über 
die  Salvarsan  Wirkung,  die  wir  auch  bei  nicht  hochgradig  ausge¬ 
sprochenen  Rachenaffektionen  beobachten,  aufklären,  z.  B.  die  Herab¬ 
setzung  des  Fiebers,  die  deutliche  Beeinflussung  des  Allgemein¬ 
befindens. 

Nun  noch  ein  Wort  zur  Methode  der  Anwendung.  Ich  habe  im 
letzten  Jahr  nur  noch  Neosalvarsan  gegeben.  Ich  habe  mich  nicht 
überzeugen  können,  dass  das  Neosalvarsan  besonders  toxisch  wirkt, 
wie  .1  ochmann  hervorgehoben  hat.  Es  hat  dieselbe  Wirkung, 
wie  Salvarsan,  ist  aber  in  seiner  Anwendung  ausserordentlich  be¬ 
quem.  Ich  löse  0,15  Neosalvarsan  in  etwa  5  ccm  steriler  0,4proz. 
Kochsalzlösung  auf,  bei  Verwendung  von  0,3  oder  0,45  Neosalvarsan 
ist  die  Menge  des  Lösungsmittels  entsprechend  grösser.  Die  An¬ 
wendung  geschieht  nur  intravenös  vermittels  einer  5  ccm  fassenden 
L  i  e  b  e  r  g  sehen  Glasspritze.  Ist  —  wie  in  einzelnen  Fällen  bei 
kleinen  Kindern  —  eine  intravenöse  Applikation  nicht  möglich,  dann  I 
gebe  ich  das  Mittel  intramuskulär  (in  der  D  u  h  o  t  sehen  Linie),  nehme 
aber  dann  die  doppelte  Menge  des  Lösungsmittels.  Ich  habe  niemals 
grosse  Dosen  gegeben  und  möchte  hier  nochmals  den  kleinen  Dosen 
das  Wort  reden.  Im  allgemeinen  darf  man  sagen:  Je  schwerer  das 
Krankheitsbild,  je  höher  das  Fieber,  je  stärker  die  Prostration,  je 
rascher  der  Puls,  desto  kleiner  die  Anfangsdosis.  Ich  halte  es  für 
besser,  die  kleinen  Dosen  nach  kurzer  Zeit  —  nach  etwa  8 — 12  Stun¬ 
den  —  zu  wiederholen,  als  mit  einer  grossen  Dosis  in  einer  Injektion 
vorzugehen.  Bei  3 — 8  jährigen  Kindern  gebe  ich  als  höchste  Dosis 
0,15  Neosalvarsan,  bei  Patienten  von  8 — 15  Jahren  kann  man  auf  0,3 
gehen,  höhere  Dosen  gebe  ich  bei  Erwachsenen  für  gewöhnlich  auch 
nicht,  ausnahmsweise  gehe  ich  bis  0,45  und  immer  erst  dann,  wenn 
ich  die  höchste  Temperatur  durch  kleine  Anfangsdosen  herunter¬ 
gedrückt  habe.  Jedenfalls  beginne  ich  in  der  letzten  Zeit  —  auch 
bei  Erwachsenen  —  mit  0,15  g.  Wird  diese  Dosis  gut  vertragen, 
d.  h.  zeigt  sich  kein  Erbrechen  und  keine  Diarrhöe,  ist  die  reaktive 
Temperatursteigerung  nur  mässig,  wird  das  Allgemeinbefinden  ein 
besseres,  dann  gebe  ich  schon  nach  12  Stunden  die  zweite  Dosis, 
bei  Erwachsenen  event.  0,3  g.  Jedenfalls  darf  man  nicht  locker 
lassen.  Man  muss  einen  —  dem  ersten  Temperaturabfall  folgenden  — 
Anstieg  immer  wieder  mit  einer  erneuten  Injektion  dämpfen,  damit 
man  eine  treppenförmig  abfallende  Kurve  erzielt.  Mehr,  als  0,8  Neo¬ 
salvarsan,  wird  selten  verwandt  werden  müssen.  Ich  habe  —  falls 
ich  diese  Dosis  bei  Erwachsenen  gebraucht  hatte  —  meistens  nicht 
mehr  injiziert,  selbst  wenn  die  Temperatur  noch  einmal  über  38  stieg. 
Ich  habe  mich  mit  dem  Erfolg  begnügt  und  dem  Organismus  den 
weiteren  Kampf  überlassen. 

Ich  habe  bei  meiner  vorsichtigen  Anwendung  des  Mittels  irgend 
eine  unangenehme  Nebenwirkung  nicht  erlebt.  Ich  verdanke  aber 
einer  privaten  Mitteilung  des  Herrn  Kollegen  Lossen-  Bochum, 
dass  er  die  Anwendung  des  Salvarsan  bei  Status  thymo-lymphaticus 
für  gefährlich  hält.  Auch  von  anderer  Seite  (Rindfleisch)  ist 
der  Status  thymo-lymphaticus  als  eine  Kontraindikation  gegen  die 
Anwendung  des  Salvarsan  überhaupt  hervorgehoben  worden.  Es  hat 
nun  gerade  beim  Scharlach  seine  grossen  Schwierigkeiten,  einen 
Status  thymo-lymphaticus  zu  diagnostizieren.  Man  wird  da  immer 
auf  Vermutungen  angewiesen  sein.  Jedenfalls  würde  ich,  wenn  die 
Anamnese  den  Patienten  als  des  Status  thymo-lymphaticus  ver¬ 
dächtig  erscheinen  lässt,  mit  der  ersten  Dosis  besonders  vorsichig  sein. 

Ist  nun  durch  die  —  von  allen  Autoren  bestätigten  —  Erfolge 
der  Salvarsantherapie  beim  Scharlach  für  die  Praxis  etwas  ge¬ 
wonnen?  Diese  Frage  ist  angesichts  der  Machtlosigkeit  unserer 
bisherigen  Therapie  leicht  mit  Ja  zu  beantworten.  Ich  will  nicht 
einmal  so  weit  gehen,  anzunehmen,  dass  auch  der  schwere  toxische 
Scharlach,  der  bis  jetzt  immer  zum  Exitus  kam,  günstig  durch  Sal¬ 
varsan  beeinflusst  würde,  wenngleich  Jochmann  unter  4  der¬ 
artigen  Fällen  3  bei  Salvarsanbehandlung  genesen  sah,  was  er  als 
einen  Erfolg  des  Salvarsan  bezeichnet.  Ich  will  diese  immerhin 
seltenen  Fälle  einmal  vorsichtig  ausnehmen,  da  bleiben  die  Fälle 
übrig,  in  denen  die  schweren  Rachenerscheinungen  durch  Salvarsan 
günstig  beeinflusst  werden.  Ob  hier  stets  die  Komplikationen,  die 
durch  die  Einwanderung  des  Streptokokkus  entstehen,  vermieden 
werden  können,  will  ich  nicht  entscheiden,  jedenfalls  ist  ein  Erfolg 
zu  verzeichnen,  der  diese  Komplikationen  um  ein  Wesentliches  herab¬ 
setzt.  Es  ist  auch  weiterhin  zu  erwarten,  dass  die  rekurrierenden 
Erkrankungen  —  die  später  auftretenden  Lymphdrüsenentzündungen, 
die  Scharlachnephritis,  der  sog.  Scharlachgelenkrheumatismus  wesent¬ 
lich  reduziert,  wenn  nicht  ganz  beseitigt  werden.  So  viel  steht  für 
mich  fest,  dass  ich  nach  den  bis  jetzt  schon  vorliegenden  Erfolgen 
einen  einigermassen  ernsten  Scharlachfall  mit  Salvarsan  behandeln 


werde.  Der  Scharlach  ist  meines  Erachtens  in  die  Reihe  der  Infek¬ 
tionskrankheiten  zu  setzen,  die  chemotherapeutisch  angegrifien 
werden  können,  darüber  besteht  für  mich  kein  Zweifel  mehr,  nicht 
in  dem  hervorragenden  Masse,  wie  die  Rekurrens  und  die  Malaria, 
aber  immer  doch  so  aussichtsvoll,  dass  ich  persönlich  die  Behandlung 
des  Scharlach  mit  Salvarsan  nicht  mehr  unterlassen  würde. 


Aus  den  französischen  medizinischen  Gesellschaften, 

Societ6  de  Chirurgie. 

Sitzung  vom  1.  und. 8.  Juli  1914. 

Zur  Lokalanästhesie. 

R  e  c  1  u  s  erinnert  wiederholt  daran,  dass  er  diese  Methode 
bereits  vor  27  Jahren,  auf  111  Beobachtungen  gestützt,  empfohlen 
hat.  Inzwischen  hat  er  das  Kokain  mit  Novokain  und  Adrenalin, 
deren  anästhetische  Wirkung  ebenso  gross  und  ohne  jede  Gefahr 
ist  und  folgende  Formel  hat:  physiologische  Kochsalzlösung  100,0. 
Novokain  0,5,  Adrenalin  (1:  1000)  gtt  XXV,  vertauscht.  R.  hebt  noch 
hervor,  dass  die  Lokalanästhesie  die  Spätzufälle  des  Chloroforms 
vermeiden  lässt.  Obwohl  es  möglich  ist,  Dosen  von  150— 200  ccm 
obiger  Lösung  anzuwenden,  hält  es  R.  für  unnötig,  so  hoch  zu 
gehen:  mit  einer  Menge  von  weniger  als  100 ccm  erzielt  man  viel¬ 
mehr  ein  Operationsfeld,  das  völlig  genügt,  um  fast  alle  Operationen 
(Explorativlaparotomien,  Leberzysten,  Hernien,  Gastrostomien,  künst¬ 
lichen  After  usw.)  vorzunehmen,  unter  der  Bedingung,  dass  man 
wartet,  bis  völlige  Unempfindlichkeit  vor  der  Operation  einge¬ 
treten  ist. 


Verschiedenes. 

Therapeutische  Notizen. 

Zur  Behandlung  der  Keratitis  ex  Acne  rosacea 
rät  L.  P  i  c  k  -  Königsberg  einen  Versuch  mit  direkter  Röntgenbe¬ 
strahlung  der  erkrankten  Augen  verbunden  mit  gleichzeitiger  Be¬ 
strahlung  des  Gesichtes  zu  versuchen. 

Durchschnittlich  sollen  4—6  Sitzungen  von  je  einer  geringen 
Erythemdosis  in  4—8  tägigen  Intervallen  genügen,  um  selbst  pro¬ 
gressive  und  nekrotisierende  Infiltrate  zum  Verschwinden  zu  bringen. 
Den  Augen  selbst  sollen  diese  Dosen  von  Röntgenstrahlen  nie  ge¬ 
schadet  haben.  (Therapeutische  Monatshefte  1914,  8.)  Kr. 

Auf  eine  einfache  Behandlung  des  Mastdarm¬ 
vorfalls  macht  R  o  u  x  -  Lausanne  aufmerksam.  Die  von  ihm  an¬ 
gegebene  Methode  besteht  darin,  dass  nach  Reduktion  des  Prolapses 
und  Reinigung  der  Umgebung  des  Afters  der  linke  Zeigefinger  so 
hoch  wie  möglich  in  den  Mastdarm  eingeführt  wird.  Danach  wird 
eine  6— 10cm  lange  Pravazsche  Nadel  eingesteckt  und  zwar 
parallel  mit  der  Darmwand  und  dicht  an  der  äusseren  Darmschicht. 
Sodann  werden  eine  halbe  bis  eine  ganze  Spritze  absoluten  Alkohols 
beim  Zurückziehen  der  Nadel  in  das  pararektale  Bindegewebe  ein¬ 
gespritzt.  Roux  wendet  diese  Methode  seit  bald  20  Jahren  ohne 
einen  Misserfolg  an.  Er  hat  auch  bei  ganz  kleinen  Kindern  2 — 6  ccm 
absoluten  Alkohol  ohne  irgendwelche  Nachteile  eingespritzt.  (Thera¬ 
peutische  Monatshefte  1914,  8.)  Kr. 


Tagesgeschichtliche  Notizen 

siehe  „Feldärztliche  Beilage“. 


Weihnachtsgabe  für  arme  Arztwitwen  in  Bayern. 

Die  Witwenkasse  des  Vereins  zur  Unterstützung  invalider  hilfs¬ 
bedürftiger  Aerzte  in  Bayern  tritt  wieder  wie  alljährlich  bittend  an 
alle  bayerischen  Kollegen  heran. 

Die  Schrecken  des  Krieges  haben  das  Los  unserer  Witwen  und 
Waisen  wenn  irgend  möglich  noch  verschlimmert. 

Deshalb  bitten  wir  die  Kollegen  in  Stadt  und  Land  der  armen 
Witwen  und  Waisen  unseres  Standes  zu  gedenken. 

Die  aus  Beiträgen  und  Zinsen  anfallenden  Mittel  sind  bei  weitem 
nicht  ausreichend,  um  allen  an  unsere  Kasse  gestellten  Anforde¬ 
rungen  Genüge  zu  leisten.  , 

1913  wurden  71  Witwen  und  10  Waisen  fortdauernd  unterstützt 
und  1914  hat  sich  diese  Zahl  wieder  erschreckend  vermehrt. 

Weihnachten  1913  haben  wir  dank  der  Opferwilligkeit  unserer 
Kollegen  und  deren  Gattinnen  24  Witwen  und  Waisen  mit  Gaben 
von  je  50 — 100  M.  erfreut. 

Weihnachten  1914  warten  viele  viele  Witwen  und  insbesondere 
Waisen,  da  letztere  satzungsgemäss  nur  bis  zur  Volljährigkeit  unter¬ 
stützt  werden  dürfen,  auf  ein  Geschenk. 

Gaben  nimmt  dankbarst  entgegen: 

Der  Kassier  des  ärztlichen  Invalidenvcreins,  Abteilung  Witwenkasse: 

Dr.  Hollerbusch,  Fürth,  Mathildenstrasse  1. 

Gabenverzeichnis:  Herausgeberkollcgium  der  Münch 
med.  Wochenschrift  300  M.  —  Dr.  B.  Spatz  20  M. 


Redaktion:  Dr.  B.  Spatz, 

München,  Arnulfstrasse  26. 


Verlag  von  J.  F.  Lehmann, 
München,  Paul  Heysestr.  26. 


MÜNCHENER 

Medizinische  Wochenschrift. 


Nr.  43.  27.  Oktober  1914. 


Feldärztliche  Beilage  Nr.  12. 


lieber  Schussverletzungen  des  Darmes. 

Von  Generalarzt  Enderlen  (Würzburg),  11.  bayer.  Armee¬ 
korps. 

In  den  Feldärztlichen  Beilagen  ist  von  den  Bauch- 
schussverletzungen  mehrfach  die  Rede  (v.  Angerer, 
Kraske,  Payr).  Am  günstigsten  beurteilt  sie  Payr] 
\velcher  sich  bei  dem  kleinkalibrigen  Geschoss  eine  rasche 
\  erklebung  verspricht;  er  gibt  deshalb  nur  wertvolle  Winke 
iiir  die  spätere  Behandlung  von  Beckenabszessen,  v.  Angerer 
ist  weniger  optimistisch;  er  fürchtet  ausgedehntere  Darmver¬ 
letzungen.  Kraske  spricht  von  glatten  Darmschüssen;  er 
sah  3  Operierte,  deren  Zustand  am  3.  Tage  nach  der  Wund- 
versorgung  günstige  Aussichten  versprach. 

Hieran  möchte  ich  meine  bisherigen  bescheidenen  Be¬ 
obachtungen  anschliessen. 

Ich  sah  mehrere  24  Stunden  alte  Verletzungen,  bei  denen 
nan  nach  Einschuss  und  Ausschuss  zu  urteilen  ein  Durch¬ 
gingen  der  Bauchwand  fast  annehmen  musste;  es  fehlte  aber 
lie  Bauchdeckenspannung  und  das  Erbrechen;  der  Puls  war 
tut,  die  Darmtätigkeit  funktionierte,  der  weitere  Verlauf  war 
einstig. 

Einmal  (8  Stunden  p.  tr.)  war  der  Einschuss  am  Rücken, 
iahe  der  Wirbelsäule,  der  Ausschuss  kurz  unterhalb  des 
Jabels.  Es  bestand  starke  Spannung  der  ganzen  Bauchwand, 
.rbrechen,  Verhaltung  von  Stuhl  und  Blähungen;  der  Puls  war 
elativ  gut.  Bei  der  Operation  war  reichlich  Blut  im  Abdomen, 
velches  aus  einem  Risse  im  Mesenterium  stammte.  Der  Darm 
var  unverletzt;  die  Blutung  war  unschwierig  zu  stillen.  Aehn- 
ich  verhielt  es  sich  bei  anderen  Patienten,  bei  welchen  das 
jeschoss  das  Abdomen  in  transversaler  Richtung  durchsetzt 
latte.  Sie  kamen  6 — 7  Stunden  nach  der  erlittenen  Verletzung 
i  die  Behandlung.  Alle  drei  erholten  sich  rasch. 

Wichtig  wäre  es,  diese  Traumen  von  denen  mit  extra- 
•eritonealer  Perforation  des  Darmes  oder  schwerer  Blutung 
nterscheiden  zu  können  1). 

Die  „freie“,  den  Ort  wechselnde  Gasblase  vermisste  ich 
i  mehreren  Fällen  von  Darmperforation. 

In  Friedenszeiten  könnte  man  kurze  Zeit  unter  sorgfältiger 
Beobachtung  abwarten,  ob  der  Puls  leise  schlechter  und  das 
dlgemeinbefinden  weniger  gut  wird.  Im  Feldlazarett  ist  dies 
icht  stets  ausführbar,  weil  dieses  unter  Umständen  rasch  ab- 
ebrochen  werden  muss.  Einmal  musste  ich  - —  obwohl  ich  der 
’erforation  sicher  war  —  5  Stunden  warten;  der  Verletzte 
uisste  noch  3  km  transportiert  werden.  Das  Allgemein¬ 
efinden  hatte  sich  inzwischen  bedeutend  verschlechtert 
14  Stunden  p.  tr.).  Obwohl  nur  ein  zweimarkstückgrosser 
’iss  im  oberen  Jejunum  vorhanden  war,  ging  der  Patient 
n  seiner  Peritonitis  doch  zugrunde.  Ohne  den  notge- 
"ungenen  Aufschub  wären  die  Aussichten  wesentlich  gün- 
:iger  gewesen. 

Von  14  mit  Darmverletzung  komplizierten  Bauchschüssen 
rächte  ich  nur  2  durch,  die  8 — 10  Stunden  vor  ihrer  Ankunft 
etroffen  worden  waren.  Ausserdem  sah  ich  2  gute  Fälle,  die 
on  anderer  Seite  nach  2  bzw.  8  Stunden  operiert  wurden. 


,  Extraperitoneale  Verletzungen  des  Zoekum  bzw.  Colon  asc. 
erliefen  günstig,  ebenso  einige  Streifschüsse  des  Darmes  mit  Fistel- 

Idung. 


Ein  Bauchstich  mit  Darmverletzung  und  starker  Mesenterial¬ 
blutung,  der  2Vi  Stunden  nach  erlittenem  Trauma  von  mir 
nn  Feldlazarett  operiert  wurde,  verlief  ebenfalls  gut.  Es 
handelte  sich  um  kleinere  und  grössere  Löcher  des  Darmes, 
bei  reichlichem  Exsudat  in  der  Bauchhöhle.  Dieses  wurde 
trocken  ausgetupft;  von  einer  Spülung  konnte  keine  Rede  sein. 

Bei  den  übrigen  waren,  bis  sie  zur  Untersuchung  kamen, 
13—15  Stunden  verflossen.  Der  Allgemeinzustand  war  der¬ 
artig,  dass  man  einen  Eingriff  noch  wagen  konnte.  Diese 
zeigten  zum  Teil  ausgedehnte  Einreissungen  des  Darmrohres, 
welche  die  Resektion  erforderten,  und  einige  wiesen  noch 
Leberverletzungen-  auf.  Die  Peritonitis  war  weit  vorge¬ 
schritten.  Einige  starben  bald  nach  dem  Eingriffe,  die  anderen 
nach  einigen  Tagen.  Ob  die  letzten  zu  Hause  bei  aller  zur 
Verfügung  stehenden  Pflege  besser  verlaufen  wären,  wage  ich 
nicht  zu  entscheiden.  Nach  einem  Ablauf  von  18  Stunden 
operiei  te  ich  nicht  mehr,  auch  wenn  die  Patienten  dringend 
darum  baten.  Sie  bekamen  reichlich  Morphium. 

Es  werden  immer  missliche  Verhältnisse  vorliegen,  welche 
einer  erfolgreichen  Behandlung  entgegenstehen.  Die  Patienten 
sind  zui  Zeit  der  Verletzung  oft  ziemlich  stark  mitgenommen 
(manche  lagen  tagelang  in  den  Schützengräben);  bis  sie  auf¬ 
gefunden  und  transportiert  werden  können,  vergeht  kostbare 
Zeit;  das  Herbeischaffen  stellt  ebenfalls  Anforderungen  an  die 
Kräfte  des  Verwundeten;  dazu  kommt  dann  noch  der  Schock 
des  Eingriffes,  welchen  wir  leider  in  Chloroformnarkose  vor¬ 
nehmen  mussten,  da  uns  nichts  anderes  zur  Verfügung  stand. 
Oben  wurde  bereits  erwähnt,  dass  ein  Aufschieben  des  Ein¬ 
griffes  nicht  zu  umgehen  ist  (zu  grosser  Andrang,  Abtrans¬ 
port)  usw. 

Die  Vorbereitungen  für  den  Eingriff  entsprechen  freilich 
nicht  den  Anforderungen,  welche  wir  zu  stellen  gewohnt  sind. 
Sie  können  aber  einigermassen  befriedigend  durchgeführt 
werden.  Auf  Spülungen  muss  man  leider  verzichten  und  sich 
mit  trockenem  Austupfen  und  Drainage  begnügen.  Die  Nach¬ 
behandlung  ist  ebenfalls  nicht  nach  Wunsch  durchzuführen. 
Die  Verwundeten  müssen  dann  und  wann  schon  1  Stunde  oder 
1—2  Tage  nach  ausgeführter  Operation  wegen  der  Gefahr  der 
Beschiessung  des  Lazarettes  abtransportiert  werden;  dies  trifft 
aber  auch  für  die  nicht  Operierten  zu. 

Ich  möchte  auf  Grund  des  vorliegenden  kleinen  Materiales 
keine  Vorschläge  machen,  sondern  nur  anführen,  was  ich 
künftig  zu  tun  beabsichtige;  sollte  ich  zu  anderer  Anschauung 
bekehrt  werden,  so  werde  ich  nicht  verfehlen,  dies  mitzuteilen. 

Bei  den  meist  schweren  Verletzungen  des  Darmes  kann 
ich  mir  von  Ruhe  —  die,  wie  oben  erwähnt,  vielfach  nicht 
durchführbar  ist  —  von  Opium  und  Hungern  nichts  ver¬ 
sprechen.  Deshalb  werde  ich  auch  fernerhin  operieren,  falls 
der  Zustand  des  Patienten  nicht  schlecht  ist;  letzteres  dürfte 
nach  Ablauf  von  16 — 18  Stunden  immer  der  Fall  sein. 

Am  günstigsten  scheint  mir  die  Prognose  innerhalb  der 
ersten  8  Stunden  zu  sein,  falls  nicht  schwere  Komplikationen 
(Zerreissungen  von  Dünn-  und  Dickdarm,  Leber-,  Milz¬ 
ruptur  etc.)  vorliegen.  Von  diesem  Zeitpunkt  ab  nehmen  die 
Aussichten  auf  einen  günstigen  Verlauf  rapide  ab. 

PL 


2146 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  4,1 


Zur  Behandlung  des  Tetanus. 

Von  Prof.  Fr.  Voelckcr  in  Heidelberg. 

Während  man  in  Friedenszeiten  nur  verhältnismässig 
selten  (ielegenheit  hat,  das  gefährliche  Krankheitsbild  des 
Tetanus  zu  beobachten,  mehren  sich  jetzt  unter  den  Ver¬ 
wundeten  die  Tetanusfälle  in  erschreckender  Weise.  Ob  die 
Infektion  schon  im  Moment  der  Verletzung  durch  mitgerissene 
Staub-  und  Erdpartikel,  geschieht,  oder  ob  durch  die  Lagerung 
und  den  Transport  der  Verwundeten  auf  Stroh  und  in  Vieh¬ 
wagen  die  Infektion  nachträglich  passiert,  kann  nicht  festge¬ 
stellt  werden.  Das  häufige  Vorkommen  von  Tetanussporen  in 
Pferdeexkrementen  ist  bekannt,  wurde  z.  B.  von  Lukas,  der 
bei  17  untersuchten  Pferden  16  positive  Befunde  hatte,  nach¬ 
gewiesen. 

Die  Diagnose  des  Tetanus  macht  meistens  keine  Schwierig¬ 
keiten.  Charakteristisch  ist  der  tonische  Kaumuskelkrampf 
(Trismus),  die  tonische  Starre  der  Körpermuskulatur  (Opistho¬ 
tonus)  und  die  klonischen  Zuckungen  des  ganzen  Körpers. 
Häufig  finden  sich,  diesen  vorausgehend,  lokalisierte  Zuckungen 
an  der  verwundeten  Extremität. 

Erwähnen  möchte  ich,  dass  ich  vor  einiger  Zeit  einen  Fall 
sah,  in  dem  die  Diagnose  zwischen  Tetanus  und  Poly¬ 
arthritis  rheumatica  schwankte.  Befallensein  der  Kiefer¬ 
gelenke  täuscht  Trismus  vor  und  Zuckungen  in  den  Extremi¬ 
täten  sind,  offenbar  von  den  schmerzhaften  Gelenken  bei  ge¬ 
ringen  Lageverschiebungen  ausgelöst,  möglich. 

Berge  und  Pernet  (Bull,  et  mem.  soc.  med.  de  Paris  1913 
S.  571)  beschreiben  einen  Fall,  der  als  Tetanus  diagnostiziert  und 
behandelt  wurde  (Trismus,  Opisthotonus,  Zuckungen).  Bei  der  Sek¬ 
tion  erwies  es  sich  als  eine  Granularatrophie  der  Nieren.  Die 
Muskelerscheinungen  waren  also  urämischer  Natur. 

Für  die  Praxis  wichtiger  ist  die  Therapie.  Man  muss 
unterscheiden: 

1.  die  Behandlung  mit  Tetanusantitoxin, 

2.  die  symptomatische  Behandlung  a)  mit  Narcoticis, 
b)  mit  Magnesiumsulfat,  c)  mit  Karbolsäureinjektion, 

3.  die  Behandlung  der  Wunde. 

Am  wirksamsten  und  theoretisch  am  besten  begründet  ist 
die  prophylaktische  Tetanusantitoxininjektion.  Leider  ist  ihre 
Anwendung  dadurch  beschränkt,  dass  man  nur  schwer  oder 
gar  nicht  beurteilen  kann,  welche  Wunden  mit  Tetanus  infiziert 
sind.  Die  bakteriologische  Untersuchung  des  Wundsekretes 
ist  zu  unsicher.  Vielleicht  gelingt  es,  das  Toxin  im  Blute  vor 
Ausbruch  der  Krankheit  selbst  festzustellen.  McClintock 
und  H  u  t  c  h  i  n  g  s  (Journ.  of  infect.  diseases  13  S.  309)  konnten 
bei  mit  Tetanus  infizierten  Schafen  4  Tage  vor  dem  Einsetzen 
der  klinischen  Erscheinungen  das  Toxin  im  Blute  nachweisen. 
Vorläufig  sind  wir  beim  Menschen  leider  noch  nicht  so  weit. 

Ueber  den  Wert  der  Antitoxintherapie  des  ausgebrochenen 
Tetanus  ist  man  noch  nicht  ganz  einig.  Im  ganzen  über¬ 
wiegen  aber  in  der  Literatur  die  günstigen  Urteile.  Der  Wert 
dieser  Behandlung  geht  z.  B.  sehr  deutlich  aus  einer  Statistik 
hervor,  welche  P  e  r  in  i  n  (Mitt.  Grenzgeb.  27)  aus  dänischen 
Krankenanstalten  gibt.  Bei  190  nicht  mit  Serum  behandelten 
Fällen  betrug  die  Mortalität  79  Proz.;  bei  330  mit  Serum  be¬ 
handelten  Fällen  nur  62,1  Proz.  Die  meisten  Autoren  emp¬ 
fehlen  grosse  Dosen. 

Als  Applikationsort  des  Antitoxins  wurden  verschiedene 
Stellen  gewählt.  Am  besten  begründet  ist  die  intradurale  und 
endoncurale  Injektion.  Daneben  wird  die  subkutane,  intra¬ 
venöse,  perineurale,  intramuskuläre  Injektion  empfohlen,  ferner 
die  Injektion  in  die  Nachbarschaft  der  Wunde  und  das  Ein¬ 
streuen  pulverförmigen  Antitoxins  in  die  Wunde. 

Die  symptomatische  Behandlung  mit  Narkoticis  (Chloral, 
Paraldchyd,  Opium,  Pantopon,  Morphium  etc.)  spielt  mit  Recht 
eine  grosse  Rolle  und  kann  in  der  Praxis  nicht  entbehrt 
werden. 

Die  Behandlung  mit  Magnesiumsalzen  wurde  von  Meitzer 
und  Auer  auf  Grund  von  Tierversuchen  in  der  Praxis  ein¬ 
geführt.  Sie  konnten  durch  Magnesiumsalze  einen  tiefen 
Schlaf  mit  gänzlicher  Anästhesie  und  völliger  Erschlaffung  der 
willkürlichen  Muskeln  und  Ausschaltung  der  Reflexe  erzeugen. 
Wurden  mehr  als  2  g  pro  Kilo  Körpergewicht  gegeben,  so 
trat  eine  Lähmung  des  Atemzentrums  ein. 


Th.  I<  o  c  h  c  r  hat  diese  Methode  in  Deutschland  bekannt  ge¬ 
macht.  Die  erste  Empfehlung  stammt  aus  Amerika.  Er  empfahl  eine 
10-15  proz.  Lösung  von  Magnesiumsulfat  in  Mengen  von  ca.  5ccm 
intradural  oder  intramuskulär  oder  intravenös  anzuwenden.  Die 
intradurale  und  intravenöse  Injektion  ist  gefährlicher  als  die  sub¬ 
kutane.  Bei  eintretenden  Atemstörungen  kann  Physostigmin  oder 
Chlorkalzium  als  Gegengift  gegeben  werden. 

Die  mitgeteilten  Resultate  sind  ermutigend,  wenn  auch  die 
Dosierung  des  Mittels  und  die  Applikationsweise  noch  nicht 
genügend  ausgeprobt  sind.  Kocher  hat  von  7  Fällen  6  ge¬ 
heilt.  Am  d,  Powers,  Miller,  Fox,  Johnson,  Pate r- 
son  und  andere  berichten  über  geheilte  Fälle.  Smithson 
allerdings  über  2  Fälle  mit  tödlichem  Ausgang  an  Atem¬ 
lähmung. 

In  Deutschland  verhältnismässig  wenig  geübt  ist  die  Be¬ 
handlung  mit  subkutanen  Karbolinjektionen  nach  Baccelli 
(B.kl.W.  1911  Nr.  23).  Sie  beruht  auf  der  sedativen  Wirkung 
der  Karbolsäure.  Die  Statistik,  welche  Baccelli  veröffent¬ 
licht,  gibt  geradezu  verblüffende  Resultate.  Er  berechnet  auf 
Grund  von  190  Fällen  die  Mortalität  bei  den  sehr  schweren 
Fällen  auf  20  Proz.,  bei  den  schweren  Fällen  auf  2  Proz.,  also 
insgesamt  unter  20  Proz.  Ich  habe  in  meinen  weiter  unten 
mitgeteilten  Fällen  diese  Methode  zur  Unterstützung  der  Anti¬ 
toxintherapie  angewandt,  und  zwar  mit  gutem  Erfolge. 
Irgendwelche  störende  Nebenwirkungen  habe  ich  nicht  erlebt; 
dass  man  den  Urin  kontrolliert  und  beim  Eintritt  dunkler  Fär 
bung  oder  Albuminurie  mit  der  Dosis  zurückgeht,  ist  selbst¬ 
verständlich.  Man  benutzt  2  proz.  Karbolwasser  und  injiziert 
subkutan  an  irgend  einer  Stelle  des  Körpers  jedesmal  5  ccm. 
Das  entspricht  0,1  g  Karbolsäure.  Man  beginnt  mit  1  oder  2  In¬ 
jektionen  pro  die  und  steigt  allmählich  an  bis  zu  5  oder  6  In¬ 
jektionen  pro  die.  Ebenso  geht  man  entsprechend  der  Besse¬ 
rung  der  tetaniseben  Erscheinungen  wieder  bis  auf  1  Injektion 
zurück. 

1.  Musketier  Kaspar  D.,  verwundet  am  25.  VIII.  14,  aufgenommen 
Genesungsheim  Rohrbach  27.  VIII.  Vielfache  Granatsplitterver¬ 
letzungen  an  der  rechten  Hand,  zwei  am  rechten  Arm,  eine  am 
linken,  eine  an  der  Wade  und  am  Rücken.  Die  Splitter  wurden 
extrahiert.  Die  Wunden  heilten,  Pat.  zählte  zu  den  Geheilten  und 
verrichtete  Hausarbeit. 

Am  8.  IX.  plötzlich  Trismus.  Zähne  bis  Fingerbreite  von 
einander  entfernt.  Es  ist  durchaus  unklar,  welche  von  den  vielen 
Wunden  die  Ursache  des  Tetanus  ist.  Sie  sind  alle  geheilt.  Weil 
die  am  linken  Oberarm  etwas  schmerzhaft  ist  und  man  ein  kleines 
Knötchen  unter  der.  Haut  fühlt,  wird  diese  Stelle  inzidiert.  Man 
findet  ein  kleines  Hämatom,  keinen  Eiter,  keinen  Fremdkörper. 

Injektion  von  100  A.-E.  Antitoxin  perineural  im  linken  Oberarm. 

10.  IX.  Zähne  können  nicht  mehr  von  einander  entfernt  werden. 
Stossweise  Zuckungen  des  Körpers.  100  A.-E.  subkutan  rechter 
Oberarm. 

11.  IX.  Deutlicher  Opisthotonus.  Schluckbeschwerden.  100  A.-E. 
subkutan.  Karbol  0,2. 

12.  IX.  100  A.-E.  subkutan.  Karbol  0,2. 

In  den  nächsten  Tagen  Karbol  bis  0,3  pro  die.  Daneben  reich¬ 
lich  Morphiuminjektionen.  Das  anfangs  leichte  Krankheitsbild  wurde 
allmählich  schwerer. 

14.  IX.  Heftige  Zuckungen.  Hohes  Fieber.  Oefters  Schweisse. 
Urinverhaltung  Katheter. 

Vom  19.  IX.  ab  Besserung.  Nachlassen  der  Krämpfe.  Aus¬ 
setzen  der  Karbolbehandlung.  Ausgang  in  Heilung.  Anfang  Oktober 
macht  Pat.  die  ersten  Gehversuche. 

2.  Schütze  W.  Reservelazarett  Neuenheim.  Verwundet  am 

3.  IX.  Mittel-,  Ring-  und  Kleinfinger  der  rechten  Hand  zerfetzt.  Auf¬ 
nahme  am  5.  IX.  Exartikulation  dieser  Finger.  Die  Wunde  bleibt  offen. 

14.  IX.  Trismus.  Von  der  rechten  Hand  steht  noch  Daumen 
und  Zeigefinger,  daneben  die  eiternde  Exartikulationswunde.  Man  ist 
versucht,  die  Hand  zu  amputieren,  mit  Rücksicht  auf  den  grossen 
Wert  von  Daumen  und  Zeigefinger  entschliesse  ich  mich,  die  Hand 
zu  erhalten  und  ätze  in  Narkose  die  Wunde  sehr  energisch  mit 
Acid.  carbol.  liquefactum.  100  A.-E.  intradural. 

Das  Krankheitsbild  des  Tetanus  erreichte  in  der  Zeit  vom  17. 
bis  20.  IX.  seinen  Höhepunkt.  Von  da  ab  allmähliche  Besserung. 

Am  18.  IX.  nochmals  100  A.-E.  intradural.  Daneben  subkutane 
Karbolinjektionen.  Beginn  am  15.  IX.  2  mal  5  ccm  2  proz.  Karbol¬ 
säure.  Täglich  5  ccm  mehr. 

Von  18.—  20.  IX.  täglich  5  mal  5  ccm.  Von  da  allmählich  zurück¬ 
gehend  bis  25.  IX.  Im  ganzen  185  ccm  2  proz.  Karbolsäure  oder 
3,7  g  reiner  Karbolsäure. 

Die  Wunde  der  Hand  hatte  sich  nach  der  Karbolätzung  sehr 
gut  gereinigt,  sie  wurde  mit  Bädern  behandelt  und  kam  zu  guter 
Granulation.  Ausgang  in  Heilung. 

3.  Musketier  B.  Verletzt  am  4.  IX.,  Aufnahme  11.  IX.  (Vereins¬ 
lazarett  Prof.  V  o  e  1  c  k  e  r).  Linke  Wade  in  Ausdehnug  einer  Hand 
sehr  schwer  zerfetzt.  Tibia  und  Fibula  gebrochen.  Wunde  eitrig 


7.  Oktober  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


2147 


elegt.  übelriechend.  Faszien-  und  Muskelnekrosen  werden  abge- 
ragen.  Fieber.  14.  IX.  Ziehende  Schmerzen  in  der  Kaumuskulatur. 

15.  IX.  Insmus.  Zuckungen  im  verletzten  Beine.  Actzen  der 

unde  mit  Acid.  carbol.  liquefactum.  100  A.-K.  c  p  i  d  u  r  a  1  2  mal 

ccm  2  proz.  Karbolsäure  subkutan. 

16.  IX.  3  mal  5  ccm  2  proz.  Karbolsäure. 

17.  IX.  4  mal  5  ccm  2  proz.  Karbolsäure. 

Oie  Stosse  welche  sich  vom  linken  Bein  allmählich  auf 
cn  Körper  foi  t&csctzt  hätten,  hsben  zwar  etwäs  nuchgcltisscii  die 
.mputation  des  Beines  Hess  sich  aber  nicht  umgehen.  Denn  bei 
■Jer  Zuckung  rieben  sich  die  Knochenfragmente  gegeneinander  Die 
eniperatur  war  40  °. 

Amputatio  femeris  supracondylica.  100  A.-E.  intradural  20  A -E 
ndoneural  in  den  N.  ischiadicus  (bei  der  Amputation)  80  A -E 

abkutan 

In  den  folgenden  Tagen  deutliches  Nachlassen  der  Zuckungen 
Karbolinjektionen  täglich,  allmählich  ansteigend  bis  5  X  5  ccm 
proz.  Karbol wasser.  Vom  20.  IX.  ab  wieder  zurückgehend  Aus- 
esetzt  am  26.  IX.  Im  ganzen  175  ccm  2  proz.  Karbolsäure  =:  3,5  ccm 

einer  Karbolsäure. 

Die  Ampututionswunde  heilt  abgesehen  von  einem  kleinen, 
acliti  äglicli  cröfineten  Abszess  per  primam.  Ausgang  in  Heilung. 

4.  Musketier  K.  Reservelazarett  Neuenheim.  Verwundet  1.  IX. 
erfetzte  Fleischwunde  am  linken  Unterschenkel.  Durchschiessung 
es  linken  Oberschenkels.  Aufnahme  hier  8.  IX.  Tetanus  ausge- 
rochen  am  11.  IX.  mit  lokalen  Muskelkrämpfen  im  linken  Bein  und 
ichtem  Irismus.  100  A.-E.  perineural  in  den  N.  ischiadicus. 

12  IX.  Aetzung  der  Unterschenkelwunde  mit  Acid.  carbolic. 
juefactum,  Inzision  des  Oberschenkels,  Entleerung  von  Blutkoagula 
is  einer  gut  faustgrossen  Muskelhöhle.  Energische  Aetzung  dieser 
ölile  mit  Acid.  carbol.  liquefactum.  100  A.-E.  epidural.  Subkutane 
arbolinjektionen  2X5  ccm. 

13.  IX.  Starker  Trismus,  Opisthotonus,  heftige  Stösse.  Sub- 
itan  20  A.-E.  3  X  5  ccm  2  proz.  Karbolsäure. 

14.  IX.  Subkutan  20  A.-E.  3X5  ccm  2  proz.  Karbolsäure. 

15.  IX.  4X5  ccm  2  proz.  Karbolsäure.  Die  Zuckungen  im  linken 
.■in  sind  besser.  Trismus  und  Schluckbeschwerden  noch  stark 

16.  IX.  Nochmals  100  A.-E.  intradural.  4X5  ccm  2  proz.  Karbol- 
ure 

20  IX.  Die  tetanischen  Erscheinungen  gehen  langsam  zurück, 
e  täglichen  Karbolinjektionen  werden  reduziert. 

22.  IX.  Karbolsäure  ausgesetzt.  Opisthotonus  und  Zuckungen 
rschw  unden.  Trismus  besser.  Ausgang  in  Heilung.  Im  ganzen 
0  A.-E  165  ccm  2  proz.  Karbolsäure  =  3,3  g  Karbolsäure. 

In  allen  diesen  4  Fällen  waren  auf  der  Höhe  der  Erkrankung 
ichliche  Gaben  von  Narkotizis  (Chloral  und  Morphium)  zur  An- 
mduug  gekommen. 

Man  kann  vielleicht  gegen  diese  Fälle  einwenden,  dass  in 
inem  derselben  die  Inkubationszeit  unter  8  Tagen  war,  dass  sie 
i0.  von  vornherein  eine  gute  Prognose  hatten.  Immerhin  handelt 
sich  um  Erkrankungen,  die  einen  sehr  schweren  Eindruck  machten. 

Was  die  Behandlung  der  Wunde  anbetrifft,  so  zielt  unser 
erapeutisches  Bestreben  auf  die  Vernichtung  der  Tetanus- 
itne  in  der  Wunde  ab,  um  den  Nachschub  neuer  Toxine  in 
n  Kreislauf  zu  hindern.  Das  radikalste  Mittel  ist  die  Am¬ 
tation.  In  einem  unserer  Fälle  (1)  kam  sie  überhaupt  nicht 
Frage,  denn  bei  den  vielfachen,  zum  Teil  den  Rumpf  be¬ 
henden  Veränderungen  war  nicht  festzustellen,  von  welcher 
unde  der  Tetanus  ausging.  In  zwei  Fällen  (2  u.  4)  waren 
r  in  starker  Versuchung,  die  verletzten  Glieder  zu  ampu¬ 
ren.  Wir  haben  aber  doch  der  konservativen  Therapie  den 
»rzug  gegeben  und  haben  an  Stelle  der  Amputation  eine 
ergische  Aetzung  der  durch  Hilfsschnitte  breit 
öffneten  Wunden  mit  Acid.  carbolicum 
duefactum  herangezogen.  Dieses  Vorgehen  hat  sehr  zu 
;cr  raschen  Reinigung  der  Wunden  beigetragen  und  die  Kar¬ 
lätzung  dringt  bekanntlich  viel  mehr  in  die  Tiefe  der  Ge¬ 
be  ein,  weil  sie  keinen  festen  Schorf  erzeugt  wie  andere 
tzmittel  und  damit  ihre  eigene  Wirkung  in  die  Tiefe 
ht  begrenzt.  In  einem  Falle  (3)  liess  sich  die  Amputation 
•r  nicht  umgehen.  Die  infizierte  Unterschenkelfraktur  mit 
tiefen  Zerfleischung  der  Wadenmuskulatur  brachte  einen 
rken  Einschlag  septischer  Erscheinungen  in  das  Krankheits- 
J  und  bei  jeder  Muskelzuckung  rieben  sich  die  Fragmente 
Knochen  gegen  einander  und  erzeugten  unerträgliche 
imerzen. 

Ich  glaube,  auf  Grund  dieser  Erfahrungen  darf  die  an- 
•vandte  Behandlung,  welche  charakterisiert  ist  durch  I  n  - 
ktion  von  Antitoxin  (intradural),  Injektion 
n2proz.  Karbolsäure  (subkutan)  und  Aetzung 
r  W unde  mit  konzentrierter  Karbolsäure, 
pfohlen  werden. 


Aus  dem  Städtischen  Krankenhaus  Ludwigshafen  a.  Rh. 

Ueber  Tetanus  nach  Schussverletzungen. 

V on  Dr.  Kurt  Werner  Eunike. 

Die  Gefahr  der  Wundinfektion,  einerlei  ob  primäre  oder 
sekundäre,  ist  im  Krieg  sehr  gross.  Insbesondere  scheint  die 
Infektion  mit  Tetanus  verhältnismässig  häufig  zu  sein.  Dies 
erscheint  auch  einleuchtend,  wenn  man  bedenkt,  dass  die  Be¬ 
kleidung  wohl  stets  mit  Erde,  die  derartige  Keime  enthalten 
kann,  verunreinigt  ist.  Wenn  ja  auch  das  direkte  Geschoss  steril 
ist,  so  gilt  dies  nicht  von  den  Prallschüssen,  die  durch  ihr  vor- 
h enges  Aufschlagen  infiziert  worden  sein  können.  Besonders 
wichtig  erscheint  mir  aber  —  nach  den  Anamnesen  beurteilt  — 
die  Sekundärinfektion,  für  die  reichlich  Gelegenheit  besteht. 
Diese  kann  entweder  direkt  nach  der  Verwundung,  wenn  z.  B. 
oer  Verwundete  kriechend  Deckung  sucht,  stattgefunden 
haben,  oder  erst  auf  dem  Transport. 

Bis  heute  sind  am  hiesigen  Krankenhaus  10  Fälle  von 
ietanus  beobachtet.  Nur  bei  einem  Fall  war  die  Verwundung 
durch  Infanteriegeschoss  entstanden,  bei  den  anderen  handelte 
es  sich  um  Granat-  oder  Schrapnellschüsse.  Diese  beiden 
letzteren  setzen  meist  grössere  und  zerfetztere  Wunden,  die 
zur  Sekundärinfektion  weit  fähiger  sind.  Ob  eine  solche  nun 
ausschliesslich  für  das  Auftreten  des  Tetanus  verantwortlich 
zu  machen  ist,  lässt  sich  mit  Sicherheit  natürlich  nicht  sagen; 
doch  sprechen  die  meisten  Anamnesen  hierfür.  Ich  will  im 
folgenden  einige  anführen. 

1.  Reservist  P.  J.  Verwundet  am  20.  VIII.  durch  Granatschuss 
m  die  rechte  Wade.  Grosse  Weichteil  wunde.  Keine  Beteiligung  der 
Knochen.  Er  fiel  nach  dem  Schuss  zu  Boden,  kroch  in  eine  Acker- 
turche  und  von  hier  eine  grosse  Strecke  weiter,  bis  ihn  ein  Kamerad 
verband  (Verbandpäckchen).  Von  hier  kam  er  in  ein  Feldlazarett 
wo  ihm  der  erste  regelrechte  Verband  angelegt  ward  und  von  wo 
aus  er  ins  Heimatsgebiet  transportiert  wurde.  Am  Abend  des 
80.  August  klagte  er  über  krampfartige  Schmerzen  im  Bein  und  nach 
einigen  Stunden  über  Beschwerden  beim  Essen. 

2.  F.  G.  Verwundet  am  24.  VIII.  durch  Schrapnell  an  der  rech¬ 
ten  Wade,  ohne  Beteiligung  der  Knochen.  Er  erhielt  den  Schuss  im 
Liegen  auf  einem  frisch  gepflügten  Acker  und  ward  erst  nach  Stun¬ 
den  im  Feldlazarett  verbunden.  Er  kam  dann  ins  Heimatsgebiet  in 
ein  Reservelazarett.  Am  9.  IX.  klagte  er  über  Beschwerden  beim 
Essen  und  späterhin  über  Krämpfe  in  dem  verwundeten  Bein. 

3.  Reservist  F.  W.  Verwundet  am  24.  VIII.  durch  Granatschuss; 
beide  Fusse.  Er  kroch  ein  grosses  Stück  auf  denn  Acker,  bis  ihn 
ein  Kamerad  verband  (Verbandpäckchen).  Nach  einigen  Stunden  kam 
er  in  ein  Feldlazarett  und  ward  von  dort  in  ein  Reservelazarett  des 
Heimatsgebietes  transportiert.  Am  5.  IX.  zeigte  sich  deutlicher 
Trismus. 

4.  R.  R.  Verwundet  am  25.  VIII.  durch  Schrapnell.  Rechte 
Hand.  Abschuss  des  2.  bis  5.  Fingers.  Nach  ungefähr  2  Stunden 
verband  ihn  ein  Kamerad  (Verbandpäckchen).  2  Stunden  ging  er 
noch  mit  ins  Gefecht  und  blieb  dann  über  Nacht  auf  dem  Feld  bei 
einigen  anderen  Verwundeten  liegen.  Am  folgenden  Tag  kam  er  in 
ein  Feldlazarett  und  ward  von  dort  ins  Heimatsgebiet  transportiert, 
wo  er  in  3  verschiedenen  Reservelazaretten  untergebracht  war  und 
in  dem  letzteren  operiert  ward.  Am  Tage  nach  der  Operation  spürte 
er  leichte  krampfartige  Schmerzen  in  dem  betreffenden  Arm  und 
nach  2  Tagen  ein  allmählich  steigendes  Spannungsgefühl  beim  Essen. 
Er  selbst  macht  Zugluft  für  die  Beschwerden  verantwortlich  und 
meinte,  es  sei  eine  „Erkältung“.  Bald  darnach  trat  Steifigkeit  im 
Nacken  auf. 

Bei  diesen  Fällen  ist-  nach  der  Anamnese  eine  sekundäre 
Infektion  wahrscheinlicher  als  eine  primäre,  obwohl  man  dies 
mit  Bestimmtheit  nicht  nachweisen  kann.  Die  Inkubationszeit 
aller  10  Fälle  —  gerechnet  vom  Tage  der  Verwundung  — 
liegt  zwischen  9  Tagen  und  3  Wochen.  Die  Mehrzahl  kam 
zwischen  12  und  18  Tagen  zum  Ausbruch.  5  Fälle  kamen  ad 
exitum.  3  von  ihnen  wurden  schon  in  sehr  trostlosem  Zustand 
eingeliefert,  waren  nur  1  oder  2  Tage  in  Behandlung  und 
zeigten  steile,  bis  auf  40,5  0  ansteigende  Temperaturen,  allge¬ 
meine  Krämpfe  der  Muskulatur  mit  starkem  Opisthotonus. 
Der  4.  Fall  wurde  4,  der  5.  8  Tage  behandelt.  Bei  allen 
übrigen  Fällen  zeigte  die  Temperaturkurve  keinen  regel¬ 
mässigen  Iypus,  doch  hielt  sich  bei  diesen  zur  Heilung  ge¬ 
langenden  Fällen  die  Temperatur  in  mässigen  Grenzen  (38°). 
Allen  Fällen  war  therapeutisch  Antitoxin  zu  wiederholten 
Dosen  von  je  100  A.E.  gegeben,  bei  einigen  Fällen  intradural, 
bei  anderen  subkutan  ohne  bemerkenswerte  Differenz  des 
therapeutischen  Erfolges.  Symptomatisch  kam  Morphium  und 
Chloralhydrat  zur  Anwendung,  wobei  wir  regelmässig  die 


2148 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  43. 


Beobachtung  machten,  dass  die  Wirkung  des  Chloralhydrats 
prompter  und  nachhaltiger  war,  wie  diejenige  des  Morphiums. 
Ueber  die  Behandlung  mit  Magnesiumsulfat,  das  wir  in  10  proz. 
Lösung  intradural  geben,  liegen  noch  keine  genügenden  Be¬ 
obachtungen  vor,  um  ein  Urteil  fällen  zu  können.  Es  soll  dies 
in  einer  der  nächsten  Nummern  nachgeholt  werden.  Bei  allen 
grösseren  Zermalmungen,  besonders  dann,  wenn  nach  der 
Anamnese  Infektionsmöglichkeit  nahelag,  geben  wir  prophy¬ 
laktisch  20  A.E.  subkutan  und  wiederholen  diese  Dosis  zwei¬ 
mal  in  wöchentlichen  Intervallen,  so  dass  im  ganzen  60  A.E. 
gegeben  werden. 

Da  der  Tetanus  eine  im  Frieden  nicht  allzu  häufige  Er¬ 
krankung  ist,  so  werden  möglicherweise  die  ersten  Symptome 
unbeachtet  gelassen  oder  verkannt,  besonders  da  der  Patient 
sich  anfangs  nicht  schwer  krank  fühlt  und  so  könnte,  zumal 
wenn  der  Patient  irreführende  Angaben  macht  wie  in 
Anamnese  IV  beschrieben,  der  sich  anfänglich  nur  als  leichtes 
Spannungsgefühl  dokumentierende  Trismus  als .  „rheumatisch“ 
aufgefasst  werden  und  es  erscheint  wichtig,  besonders  darauf 
hinzuweisen,  um  sofort  die  richtige  Therapie  einzuschlagen, 
da,  wenn  in  solchen  Fällen  Aussicht  auf  Heilung  besteht,  dies 
nur  bei  ganz  früh  einsetzender  Therapie  überhaupt  möglich 
erscheint. 

Interessant  dürfte  auch  sein,  den  Prozentsatz  der  tetani- 
schen  Infektion  festzustellen  und  es  wäre  wünschenswert, 
wenn  von  möglichst  vielen  Seiten  ziffernmässige  Angaben  ge¬ 
macht  würden. 

Die  hiesigen  10  Fälle  entsprechen  einer  Verwundetenzahl 
von  ca.  3000  (0,33  Proz.)  bis  zum  10.  September. 


Aus  dem  Städtischen  Krankenhaus  zu  Schwenningen  a.  N. 
(Direktor:  Dr.  K  o  1  b). 

Ueber  die  ersten  Kriegsverletzungen  im  Vereinslazarett 

Schwenningen  a.  N.1 

Von  Karl  Kolb. 

Wenn  man  als  Chirurg  plötzlich  vor  die  Aufgabe  gestellt 
wird,  Kriegschirurgie  zu  treiben,  so  merkt  man  sehr  rasch, 
dass  sie  eine  ganz  andere  Chirurgie  ist  als  die,  welche  man 
zu  Friedenszeiten  gewohnt  ist.  Wer  stets  den  Grundsatz  des 
„nil  nocere“  befolgt  hat,  der  wird  in  manchem  Falle  im  Zweifel 
sein,  welchen  therapeutischen  Weg  er  einschlagen  soll,  um 
einen  Erfolg  zu  sehen.  Von  der  Vielseitigkeit  der  Kriegs¬ 
chirurgie  kann  man  sich  schon  bei  den  ersten  Verwundeten 
überzeugen.  Wenn  ich  im  folgenden  über  unsere  Verwundeten 
berichte,  so  geschieht  es  deswegen,  um  einerseits  über  unser 
vielseitiges  Material  Aufschluss  zu  geben,  andererseits  einige 
interessante  Fälle  des  näheren  zu  beleuchten. 

Der  erste  Verwundetentransport  kam  bei  uns  am  29.  August  an 
und  brachte  uns  227  Verwundete.  Von  diesen  fanden  60  Aufnahme 
im  städtischen  Krankenhause,  98  in  der  erst  vor  einigen  Jahren  er¬ 
bauten  Gartenschule,  die  sich  infolge  ihrer  grossen  Räume  mit  ihren 
grossen  Fensterflächen,  Dampfheizung  und  Badeeinrichtungen  zur 
Umwandlung  in  ein  Lazarett  als  besonders  praktisch  erwies.  Der 
Rest,  nur  leichter  Verwundete,  bezog  Privatquartiere.  Ihn  gaben 
wir  schon  nach  3  Tagen  nach  Schramberg  ab.  Dieser  erste  Trans- 
portzug  brachte  uns  sehr  viele  Schwerverwundete,  die.  sämtlich  im 
städtischen  Krankenhause  Unterkunft  fanden,  während  die  leichter 
Verwundeten  die  Gartenschule  bezogen.  Beide  Lazarette  unter¬ 
stehen  meiner  Leitung. 

Der  zweite  Verwundetentransport  kam  am  17.  September  an. 
Er  brachte  uns  meist  nur  Leichtverwundete,  40  an  der  Zahl,  die  in 
die  inzwischen  frei  gewordenen  Betten  einrückten. 

Die  Verwundeten  des  ersten  Transportes  kamen  aus  der  Gegend 
von  Luneville  und  Lagarde.  Sie  waren,  bis  sie  zu  uns  kamen,  4  bis 
5  Tage  unterwegs,  schon  unter  dem  zweiten,  dritten  oder  sogar 
vierten  Verband.  Verbände  mit  Verbandpäckchen  sahen  wir  daher 
auch  nicht.  Die  Wunden  waren  meist  oberflächlich  infiziert;  auch 
einige  Phlegmonen  und  erysipelatöse  Entzündungen  waren  dabei. 
Der  zweite  Transport  brachte  uns  fast  durchweg  Leichtverwundete, 
die  meist  in  sehr  gutem  Zustande  waren  und  meist  schon  48  Stunden 
nach  der  Verletzung  in  unsere  Behandlung  kamen.  Die  Ver¬ 
wundeten  kamen  aus  der  Gegend  von  Verdun. 

Bei  unserem  Material  waren  besonders  zahlreich  die  Schuss¬ 
verletzungen  im  Bereich  der  Fiisse  und  des  Unter¬ 
schenkels,  meist  nur  harmlosere  Weichteilverletzungen  mit 
kleinem  Einschuss  und  grösserem  Ausschuss,  hervorgerufen  durch 
Infanteriegeschosse.  Erkundigte  man  sich  bei  den  Verletzten  nach 
dem  Grunde,  warum  sie  gerade  so  oft  an  den  Füssen  getroffen  seien, 


so  hörte  man  fast  immer,  dass  sie  der  zweiten  Schützenlinie  angehört 
hätten.  Da  die  Franzosen  nun  durchweg  zu  weit  geschossen  hätten, 
also  über  die  erste  Schützenlinie  hinaus,  so  hätten  sie  bei  einem 
Sprung  nach  vorne  die  Verletzungen  in  die  Füsse  erhalten.  Die 
Verletzungen  waren  meist  leichter  Art,  so  weit  keine  Knochen  ge¬ 
troffen  waren.  Grössere  Verletzungen  am  Ausschuss  sahen  wir  nur 
dann,  wenn  das  Geschoss  durch  einen  Knochen  abgelenkt  war. 
Auch  einige  Streifschüsse  waren  zu  verzeichnen;  Querschläger 
hatten  naturgemäss  grössere  Weichteilverletzungen  verursacht. 

Besonders  erwähnt  seien  noch  zwei  Verletzungen  durch  ein 
Infanteriegeschoss.  Bei  einem  Verwundeten  war  der  Einschuss  an 
der  Aussenseite  direkt  unterhalb  des  Knies.  Ein  Aussctiuss  fehlte. 
Man  fühlte  deutlich  hinter  dem  inneren  Knöchel  eine  Anschwellung, 
die  sehr  empfindlich  war  und  in  der  das  Geschoss  lag.  Die  Arteria 
tibialis  postica  war  nicht  verletzt  worden.  Entfernung  der  Kugel 
in  lokaler  Anästhesie.  Diese  Verletzung  war  wie  die  folgende  beim 
Sprung  aus  einem  Schützengraben  entstanden.  Beim  zweiten  Falle 
fand  sich  ein  kleiner  Einschuss  an  der  Hüfte  etwas  oberhalb  des1 
Trochanter  major  und  etwas  nach  innen  zu.  Die  Kugel  fühlte  man 
unter  einer  leicht  geröteten  Stelle,  die  direkt  oberhalb  der  Patella, 
lag.  In  lokaler  Anästhesie  Inzision  und  Extraktion  des  Geschosses. 
In  beiden  Fällen  war  der  lange  Schusskanal  nicht  infiziert. 

Zahlreich  waren  auch  die  Weichteilverletzungen 
durch  Granatsplitter  und  Schrapnellkugeln,  die 
durchweg  ausgedehnter  waren.  Die  Schrapnellkugefn  hatten  meistens' 
nur  noch  die  Kraft,  grössere  Hautwunden  zu  setzen  und  die  Musku¬ 
latur  aufzureissen.  Tiefer  drangen  sie  nur  selten  ein.  Ein  Fall 
sei  hier  besonders  erwähnt,  bei  dem  die  Schrapnellkugel  seitlich 
unterhalb  des  Trochanter  major  eindrang;  der  Wundkanal  führte  vor 
den  Oberschenkelgefässen  her,  ging  dann  in  dem  Unterhautfett¬ 
gewebe  des  Bauches  weiter  und  endete  blind  etwas  nach  innen 
von  der  Spina  iliaca  anterior  der  anderen  Seite.  Dort  fühlte  man 
die  Kugel  direkt  unter  der  Haut,  wo  sie  sich  leicht  in  lokaler  An¬ 
ästhesie  entfernen  Hess.  Ueber  einen  Fall  von  Granatverletzung  sei 
auch  noch  berichtet.  Einem  Infanteristen  krepierte  eine  Granate 
zwischen  den  beiden  Oberschenkeln  Es  entstand  dadurch  an  den 
Innenseiten  beider  Oberschenkel  eine  doppelhandtellergrosse,  tiefe 
Wundfläche.  Die  Haut  fehlte  vollständig  beiderseits.  Links  fanden 
sich  die  darunter  liegenden  Muskeln  wie  bei  einem  Muskelpräparat 
daliegend.  Der  Sartorius  zog  mitten  durch  die  Wunde.  Rechts 
ging  die  Verletzung  tiefer.  Die  Muskeln  waren  teilweise  stark  zer¬ 
rissen  und  die  Muskelinterspatien  eröffnet.  Die  Oberschenkel¬ 
knochen  waren  nicht  verletzt.  Man  muss  sich  geradezu  wundern, 
dass  durch  die  Granate  keine  stärkere  Verletzung  hervorgerufen 
wurde.  Unter  feuchten  Verbänden  granulierten  beide  Wunden  so; 
gut,  dass  in  einigen  Tagen  bereits  daran  gedacht  werden  kann,  Haut 
zu  transplantieren.  Erstaunlich  ist  auch,  dass  beide  Wunden  nur 
ganz  oberflächlich  infiziert  waren. 

Wie  ich  schon  sagte,  fanden  sich  unter  unseren  Verletzten  sehr 
viele  Wunden,  die  oberflächlich  infiziert  waren.  Ein  Verwundeter 
mit  tamponierter  Wunde  war  nicht  darunter.  Trotzdem  sahen  wir 
in  der  Folgezeit  einige  Phlegmonen  auftreten,  die  durch  grosse 
Inzisionen  der  Heilung  entgegengeführt  wurden.  Ueber  eine  schwere 
Erysipelinfektion  im  Anschluss  an  eine  kleine  Schussver¬ 
letzung  des  Fusses  ist  auch  zu  berichten.  Obwohl  die  Infektion1 
einen  bedrohlichen  Charakter  annahm,  gingen  die  septischen  allge¬ 
meinen  und  lokalen  Erscheinungen  langsam  zurück.  Pyo- 
zyaneusinfektionen  sahen  wir  nicht.  Als  eine  schwere  In¬ 
fektion,  mit  der  wir  von  vorneherein  rechneten,  ist  die  Tetanus¬ 
infektion  anzusehen.  Am  6.  September  konnten  wir  gleichzeitig 
zwei  Fälle  beobachten.  In  diesen  Fällen  bestanden  leichte,  durch 
Infanteriegeschosse  verursachte  Fusswunden,  die  sich  die  Verletzten 
am  25.  bzw.  26.  August  geholt  hatten.  In  beiden  Fällen  wurde 
Tetanusantitoxin  sofort  nach  Beschaffung  (zwei  Tage  später)  ge¬ 
spritzt.  Während  der  eine  Fall  von  Anfang  an  sehr  schwerer  Natur 
war  und  auch  nach  4  Tagen  seinem  Leiden  erlag,  haben  wir  den 
zweiten  Fall  noch  14  Tage  nach  Ausbruch  der  tetanischen  Erschei¬ 
nungen  am  Leben.  Die  Krämpfe  haben  in  den  letzten  Tagen  sowohl 
an  Intensität  als  auch  an  Zahl  abgenommen,  so  dass  wir  hoffen, 
den  Verwundeten  durchbringen  zu  können,  besonders  da  sich  auch 
jetzt  die  Nackenstarre  zeitweilig  löst  und  die  Schluckbeschw'erden 
geringer  geworden  sind  *). 

Schussverletzungen  von  Knochen  finden  sich  unter 
unseren  Verwundeten  auch  recht  reichlich.  Drei  Schussfrak¬ 
turen  des  Oberschenkels  verdienen  besondere  Erwähnung; 
denn  alle  kamen  u  n  geschient  in  unsere  Behandlung. 
Alle  drei  Verwundeten  sagten  übereinstimmend  aus,  dass  die  vier¬ 
tägige  Eisenbahnfahrt  hierher  für  sie  geradezu  unerträglich  gewesen 
sei.  Bei  jedem  Stoss  des  Eisenbahnwagens  wären  starke  Schmerzen 
aufgetreten.  Sehen  wir  unsere  Verwundeten  an,  so  handelte  es  sich 
bei  zwei  dieser  Verletzten  um  einen  ganz  kleinen  Einschuss  an  der 
Vorderseite  des  Oberschenkels  und  einen  etwas  grösseren  Ausschuss 
an  der  Hinterseite  mit  Verletzung  des  Knochens  im  Bereich  der 
Diaphyse.  Die  Beine  waren  in  beiden  Fällen  nach  aussen  rotiert 


*)  Anmerkung  bei  der  Korrektur.  Der  zweite  Fall 
ist  inzwischen  genesen.  Ein  dritter  Fall  starb  am  4.  Tage  nach 
Auftreten  der  Krämpfe  an  einer  septischen  Pneumonie.  Es  lag  bei 
ihm  eine  Schussverletzung  der  Hand  vor. 


27.  Oktober  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


2149 


und  der  Fuss  lag  mit  seiner  Kleinzehenseite  der  Unterlage  auf  Die 
Diagnose  war  damit  eigentlich  auf  den  ersten  Blick  za  stellen,  Kreoi- 
tation  war  bei  genauerer  Untersuchung  leicht  auszulösen.  Man 
muss  sich  nur  wundern,  dass  bei  diesen  zwei  Diaphysensplitterfrak- 
uiren  '"folge  der  ständigen  Reibung  der  Knochenfragmente  nicht 
stärkere  Nekrosen  eingetreten  sind  und  Infektionen  der  Weg  ge- 

1:a  nt„Ä^Dieiem^e.ratU,.ren-  die  bei  diesen  Verletzten  bei  der 
Ankunft  zwischen  38—39  schwankten,  gingen  im  Verlauf  weniger 
1  age  zurück.  b)'e  V  erwundeten  liegen  jetzt  in  den  Extensionsverbänden 
nach  B  a  r  cl  e  n  h  e  u  e  r.  Bei  dem  dritten  Verw  undeten,  einem  Fran¬ 
zosen,  handelt  es  sich  um  einen  Schuss  in  die  distale  Epiphyse 
des  Femur,  die  stark  zersplittert  ist.  Ein  Kniegelenkserguss  musste 
punktiert  weiden  Auch  in  diesem  Falle  lag  nur  ein  kleiner  Ein¬ 
schuss  vor.  Wir  waren  anfangs  sehr  erstaunt,  dass  uns  diese 
Frakturen  ungesclnent  zugingen;  wenn  man  aber  den  kleinen  Ein¬ 
schuss  sieht  so  kann  man  wohl  verstehen,  dass  auf  dem  Schlacht- 
leld  oder  auf  dem  Verbandplatz,  wenn  das  Getriebe  sehr  gross  ist 
solche  Knochenschussverletzungen  übersehen  werden  können.  Im 
Gegensatz  zu  diesen  Verletzungen  waren  die  übrigen  Knochen- 
schussv  erletzungen  alle  geschient:  Zwei  Oberarmschüsse,  eine 
schussverletzung  des  Unterkiefers,  mehrere  Schussverletzungen  der 
Metakarpalknochen  und  der  Unterschenkelknochen.  Auch  einen 
Bruch  aer  Ulna  sahen  wir,  der  beim  Schlachten  einer  Kuh  durch 
;iiien  Fl  ufrritt  entstanden  war.  Eine  Unterschenkelfraktur  war  mit 
s\vei  uui  Ji  Watte  gepolsterten  Brettchen  von  3  cm  Breite  und  18  ein 
.änge  geschient.  Wir  möchten  bei  dieser  völlig  unzulänglichen 
schienung  dieser  Fraktur  nur  an  die  von  Kollegen  Arthur  W.  M  e  y  e  r 
,om  Balkankrieg  mitgeteilte  Schienung  einer  Schussfraktur  des 
'berschenkels  durch  gespaltene  Aestchen  erinnern,  die  durch  e'nen 
lulgarischen  Kollegen  vorgenommen  worden  war.  Wir  sind  mit 
iem  Fleilungsverlauf  unserer  Frakturen  recht  zufrieden  bis  auf  eine 
'diussverletzung  des  Oberarmknochens,  bei  der  eine  Vereiterung 
les  ganzen  Oberarmknochens  eingesetzt  hat.  Für  die  im  Felde 
Gehenden  Kollegen  sind  unsere  vorstehenden 
Mitteilungen  besonders  wichtig,  da  sie  zeigten, 
lass  aie  Schienung  der  Knochen schussfrakturen 
o  c  h  n  ichtin  genügendem  Masse  ausgeführt  wurde, 
sei  Knochenschussfrakturen  muss  unbedingt  die 
'Chienung  mit  Einbegreifen  des  distalen  und  pro- 
malen  Gelenkes  gefordert  werden.  Auch  ist  zu 
e achten,  dass  hinter  kleinen,  unscheinbaren  äus- 
eren  V  erletzungen  schwere  Knochenverletzungen 
ich  verbergen  können. 


Von  Schussverletzungen  im  Bereich  des  Schädels  sind  nur  drei 
c  h  ä  d  e  1  s  t  r  e  i  f  s  c  h  ü  s  s  e  zu  erwähnen,  bei  denen  die  Knochen 
icht  verletzt  waren.  Verletzungen  des  Gesichts  haben 
ir  drei  beobachtet.  Bei  dem  einen  Fall  handelte  es  sich  um  einen 
•treifschuss,  der  vor  dem  linken  Ohr  in  der  Längsrichtung  des 
örpers  verlief  und  nur  die  Flaut  verletzt  hatte.  Ein  zweiter  Fall 
ar  wesentlich  schwerer.  Hier  handelt  es  sich  um  eine  grosse 
ieischwunde  vor  dem  Ohr.  Die  Muskeln  des  Mundes  und  der 
ase  waren  gelähmt,  so  dass  der  untere  und  mittlere  Ast  des  Nervus 
icialis  verletzt  sein  muss.  Bei  der  stark  eiternden  Wunde  war 
a  den  Versuch  der  Nervennaht  nicht  zu  denken.  Dazu  bestand 
ich  noch  eine  äussere  Parotisfistel,  die  sich  aber  bereits  nach 
nigen  1  agen  geschlossen  hatte.  Bei  einem  weiteren  Fall  hatte  das 
uanteriegeschoss  den  einen  Backen  durchschlagen,  auf  der  Zunge 
ne  oberflächliche  Rinne  gesetzt  und  am  Mundwinkel  der  anderen 
eite  nach  Verletzung  des  oberen  Eckzahns  die  Mundhöhle  wieder 
.'nassen.  Von  Halsschüssen  sahen  wir  nur  einige  Streifschüsse,  die 
it  zugranulieren. 

In  zwei  Fällen  waren  wir  gezwungen  ein  A  u  g  e,  das  völlig  zer- 
ümmert  war,  wegen  der  Gefahr  der  sympathischen  Ophthalmie  zu 
mkleieren.  Unter  lokaler  Anästhesie  Hess  sich  der  Eingriff  schmerz- 
s  durchführen.  Die  Heilung  des  Wundbettes  erfolgte  ohne  jede 

orung. 


Lungenschüsse  gehören  zu  den  häufigeren  Kriegsver- 
izungen,  und  es  ist  ganz  erklärlich  daher,  dass  auch  in  unserem 
aterial  derartige  Verletzungen  zu  finden  sind.  Wie  wir  im  voraus 
warteten,  kamen  zu  uns  nur  die  leichteren  Fälle,  denen  im  voraus 
pW  ei"e  günstige  Prognose  gestellt  werden  konnte,  da  die  schweren 
He  wohl  nicht  die  langdauernde  Reise  vertragen  hätten.  Unsere 
er  Verletzten  kamen  in  ganz  gutem  Zustand  an.  Hämoptoe  zeigte 
'h  in  keinem  Falle.  Kleinere  Exsudate  waren  festzustellen,  die 
igsarn  zurückgingen.  Nur  in  einem  Falle  trat  nach  zehntägiger 
lege  bei  uns  unter  Temperatursteigerung  eine  Vergrösserung  des 
sudates  ein.  Da  die  Probepunktion  ein  blutig-seröses,  keim- 
ei  es  Exsudat  ergab  und  die  Temperatur  langsam  zurückging, 
aen  wir  bis  jetzt  vom  Ablassen  des  Exsudates  ab. 


Von  Bauch  -  und  Beckenschüssen  sind  nur  zwei  Fälle 
erwähnen.  Im  einen  Falle,  bei  einem  Franzosen,  handelt  es  sich 
i  eine  Bauchdeckenureterfistel,  sicher  eine  seltene  Ver¬ 
jüng.  Der  eiterhaltige  Urin  kommt  aus  der  Fistelöffnung  heraus 
d  wird  auch  durch  den  Weg  über  die  Blase  durch  die  Harnröhre 
tieert.  Eine  Infektion  des  gleichseitigen  Nierenbeckens  konnten 
r  bis  jetzt  nicht  bemerken.  Die  Nierengegend  ist  nicht  druck- 
ipfindlich.  Die  Fistel  hat  sich  im  Verlauf  der  Behandlung  etwas 
schlossen,  und  der  Urin,  durch  die  Blase  entleert,  ist  auch  klarer 
worden,  so  dass  wir  zu  einem  Eingriff  uns  zurzeit  nicht  befugt 


halten.  Der  andere  mitzuteilende  Fall  ist  ein  Beckenschuss,  bei  dem 
aas  Infanteriegeschoss  in  der  Mitte  der  linken  üesässbacke  seinen 
Eingang  gefunden  hatte.  Ein  Ausschuss  war  nicht  vorhanden.  Der 
erwundete  fühlte  sich  wohl;  auch  Hessen  sich  keine  Verletzungen 
von  Beckenorganen  nachweisen.  Der  Urin  war  klar,  frei  von  Blut, 
einige  läge  nach  der  Aufnahme  trat  bei  dem  Verletzten  plötzlich 
in  aer  Nacht  eine  Harnverhaltung  ein,  so  dass  man  zum  Katheter 
gleiten  musste.  Man  fühlte  beim  Einführen  des  Katheters  vor  der 
i-ars  prostatica  einen  kleinen  Widerstand,  der  dem  Katheter  nacli- 
,  V.  i”mi  an<??ren.  Morgen  fühlte  man  an  der  Wurzel  des  Penis 
atuthcli  das  längliche  Infanteriegeschoss,  das  sich  nicht  aus 
Harnröhre  herausziehen  liess.  ln  lokaler  Anästhesie  wurde 
retlirotorme  vorgenommen  und  das  Geschoss  extrahiert. 

Patient  ist  bereits  geheilt  entlassen  worden. 

Während  wir  Schussverletzungen  von  Gefäs$en  nicht  sahen, 
können  wir  über  einige  Schussverletzungen  von  Nerven 
berichten.  Der  eine  Fall  ist  bereits  oben  bei  den  Gesichtsver- 
letzungen  erwähnt  (Fazialislähmung).  In  einem  anderen 
Fa  le  handelt  es  sich  um  eine  Peroneuslähmung  bei  einem 
Schuss  in  den  linken  Nates.  Da  die  Einschussöffnung  in  diesem  Falle 
sehr  stark  eiterte,  habe  ich  mich  zur  Freilegung  des  Nerven  noch 
nicht  entschhessen  können.  Es  bestand  auch  keine  direkte  Indikation 
dazu,  da  die  neuralgischen  Schmerzen  im  Bereich  des  motorisch  aus¬ 
gefallenen  Gebietes,  obwohl  anfänglich  sehr  stark,  jetzt  naclige- 
Iasssen  haben  **). 


der 

eine 

Der 


Bei  einigen  Schulterschüssen  haben  wir  leichte  Schä¬ 
digung  von  Armnerven  wahrnehmen  können.  Es  ist  aber  in  keinem 
I  alle  em  Nerv  funktionell  ganz  ausgefallen,  so  dass  wir  vorerst  von 
einme  Freilegen  des  Nerven  Abstand  nahmen. 

Säbelwunden  oder  Bajonettverletzungen  sahen  wir  nicht.  Ein 
rall  \on  Dum-Dum-Ver  letzung  kam  beim  zweiten  Ver¬ 
wundetentransport  in  unsere  Behandlung.  Die  breite  und  in  der 
liefe  stark  zerfetzte  Wunde  befindet  sich  in  der  Lendengegend.  Sie 
ist  oberflächlich  infiziert,  reinigt  sich  unter  den  feuchten  Verbänden 
sehr  schön.  Dass  es  sich  wirklich  um  eine  Verletzung  mit  einem 
Dum-Dum-Geschoss  handelt,  dürfte  aus  folgenden,  schriftlich  nieder- 
gelegten  Sätzen  des  Verwundeten  hervorgehen:  „Ich  machte  leider 
den  Sturmangriff  nicht  ganz  mit,  weil  ich  von  einem  Dum-Dum- 
Geschoss  in  den  Rücken  getroffen  wurde.  Es  zerriss  mir  den  Leib¬ 
riemen  und  den  Rock  und  verursachte  eine  grosse  Fleischwunde  am 
Rücken.  Noch  im  Felde  wurde  ich  von  einem  Sanitätsunteroffizier 
notdürftig  vei  bunden.  Als  ich  dann  auf  der  Krankensammelstelle 
vom  Arzt  verbunden  wurde,  fiel  bei  der  Entkleidung  das  Dum-Dum- 
( jeschoss  heraus.  Der  Arzt  behielt  das  Geschoss  zurück  ***). 

Ein  Fall,  der  uns  unter  der  Diagnose  „Enteritis“  (auf  dem 
Krankenzettel  vermerkt)  zuging,  erwies  sich  als  eine  Appendi¬ 
zitis.  Die  sofort  nach  dem  Eintreffen  vorgenommene  Operation 
ergab  ein  Empyem  des  Wurmfortsatzes,  das  gerade  vor  dem  Durch¬ 
bruch  stand.  Patient  ist  jetzt  bereits  zu  seinem  Ersatztruppenteil 
zurückgekehrt,  da  die  Wundheilung  per  primam  erfolgte.  Zwei  Sol¬ 
daten  wurden  wegen  Beschwerden  infolge  von  Leistenhernien 
zu  uns  geschickt.  Die  Brüche  wurden  operativ  beseitigt. 

Wir  wollten  durch  diese  Zeilen  nur  kurz  über  unsere  Fälle 
Mitteilung  machen  und  seltenere  Fälle  des  näheren  betrachten. 
Die  Hauptsache  für  uns  war,  darauf  hinzu- 
weisen,  dass  bis  jetzt  nicht  alle  Schussver¬ 
letzungen  der  Knochen  zu  uns  geschient 
kamen.  Wir  dürfen  wohl  annehmen,  dass  derartige  Beob¬ 
achtungen  auch  anderwärts  gemacht  wurden,  und  möchten 
daher  an  alle  draussen  im  Felde  stehenden  Kollegen  appel¬ 
lieren,  ihr  Augenmerk  besonders  auf  die  Kno¬ 
chenschussfrakturen  zu  lenken  und  die 
Schien  ungin  der  nötigen  Weise  vorzu  ne  h  me  n. 
Sie  mildern  dadurch  nicht  nur  bei  den  Ver¬ 
letzten  die  Gefahr  der  Infekt  io  n,  sondern  be¬ 
freien  sie  auch  von  den  geradezu  unerträg¬ 
lichen  und  aufdie 'Dauer  erschöpfend  wirken¬ 
den  Schmerzen. 


**)  A  n  m  erkung  bei  der  Korrektur.  Ich  habe  in¬ 
zwischen  die  Operation  vorgenommen.  Freilegung  des  Nervus 
ischiadicus  und  des  Kreuzbeins.  Es  zeigte  sich,  dass  das  Geschoss, 
wie  wir  röntgenologisch  wussten,  das  Kreuzbein  durchschlagen  hatte. 
Einige  Knochensplitter  waren  in  den  lateralen  Teil  des  Nerven  ein- 
gedrungen.  Entfernung  der  Knochensplitter  und  Loslösen  des  Nerven 
aus  der  Narbe,  die  ihn  umgab.  Heilung  per  primam. 

***)  Anmerkung  bei  der  Korrektur.  Ich  habe  in¬ 
zwischen  vergeblich  versucht,  den  Arzt  ausfindig  zu  machen,  der  das 
Dum-Dum-Geschoss  extrahierte.  Der  Verwundete  beschreibt  das 
Geschoss  so  genau,  dass,  wie  ich  glaube,  kein  Zweitel  an  der  Dum- 
Dum-Verletzung  bestehen  dürfte.  „Die  Spitze  des  Geschosses  fehlte; 
von  dem  abgestumpften  Teil  ging  ein  Hohlraum  nach  innen  etwa 
Vs  cm  tief.“ 


2150 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Erlebnisse  und  Beobachtungen  im  Felde. 

Von  Feldunterarzt  Curt  Thomalla  -  Ohlau. 
(Bataillonsarzt:  Oberarzt  Dr.  N  a  t  o  r  p  -  Myslowitz.) 

Am  20.  VIII.  überschritt  unser  Regiment  die  Grenze  und  sofort 
sollten  wir  manche  Bestätigung  des  vielfach  vernommenen  Gerüchtes 
erhalten,  dass  die  französische  Zivilbevölkerung  in  edlem  Wettstreit 
mit  der  belgischen  in  ihrem  heimtückischen  Franktireurkampf  auch 
vor  den  Trägern  des  Genfer  Abzeichens  und  vor  wehrlosen  Ver¬ 
wundeten  nicht  Halt  macht.  Es  interessiert  vielleicht,  zu  erfahren, 
wie  oft  wir,  die  Aerzte  eines  Bataillons,  also  eines  verschwindend 
kleinen  Truppenteils,  hiervon  betroffen  wurden,  zumal  die  Gegner 
für  die  angeblich  vereinzelten  Fälle  solcher  Ausschreitungen  die 
„gründe  nation“  nicht  verantwortlich  gemacht  wissen  wollen.  Ich 
will  nur  ganz  kurz  die  erlebten  Tatsachen  mitteilen. 

Wir  sind  knapp  eine  Stunde  in  Feindesland,  marschieren  eben 
durch  das  Dorf  V.,  die  beiden  Aerzte  des  Bataillons  hinter  der  letzten 
Kompagnie,  von  fern  der  Kanonendonner  von  L.  her.  Plötzlich  ein 
Schuss  aus  einem  Hause  rechts  vor  uns,  das  Pferd  links  neben  mir 
scheut,  drei  Schritte  hinter  uns  schlägt  die  Kugel,  den  Strassen- 
schmutz  hoch  aufwirbelnd,  ein.  Das  war  die  Begrüssung.  Am  näch¬ 
sten  Tage,  nachdem  wir  in  unserer  Unerfahrenheit  mit  dem  Sanitäts¬ 
wagen  mitten  ins  Gefecht  geraten  und  auf  freiem  Felde  vor  unserer 
Artilleriestellung  drei  Stunden  im  Infanterie-,  Granat-  und  Schrapnell¬ 
feuer  gelegen  haben,  errichten  wir  Truppenverbandplatz  in  dem 
Dorf  B.  Die  wenigen  Weiber,  die  sich  sehen  lassen,  geben  mit 
freundlichster  Bereitwilligkeit  Wasser,  Handtücher  etc.,  aber  fast  alle 
Häuser  sind  verschlossen  und  verrammelt,  so  dass  wir  eine  Scheune 
erbrechen  müssen,  um  Lagerstätten  für  die  Verwundeten  herzurich¬ 
ten.  Ich  werde  ins  Gefecht  zu  einem  Schwerverwundeten  geholt. 
Unterwegs  treffe  ich  einen  Feldwebel  bei  einem  anderen  schwer¬ 
verletzten  Offizier,  in  der  Nähe  die  Leiche  eines  erschossenen  Weibes. 
Der  Offizier  hatte  sich  ausdrücklich  verbeten,  dass  jemand  bei  ihm 
bleibe,  um  der  Truppe  keinen  Kämpfer  zu  entziehen;  sofort  hatte  sich 
das  Weib  herangeschlichen  und  den  Wehrlosen  ausgeräubert.  Durch 
den  Feldwebel  ereilte  sie  auf  der  Stelle  die  verdiente  Strafe.  Nach 
der  ersten  Versorgung  des  Hauptmanns,  zu  dem  ich  geholt  wurde, 
sehe  ich  auf  dem  Rückwege  (kriechend  und  von  Deckung  zu  Deckung 
springend),  dass  aus  dem  eben  erstürmten  Walde  auf  der  Höhe  einige 
Kompagnien,  heftig  von  feindlicher  Artillerie  beschossen,  zurück¬ 
fluten;  wie  ich  später  erfuhr  nur  zur  Sammlung  und  bis  zum  Ein¬ 
treffen  von  Verstärkungen.  Im  Dorfe  B.  treffe  ich  alles  in  grosser 
Erregung,  man  hält  die  obenerwähnte  Bewegung  für  allgemeinen 
Rückzug,  die  Türen  und  Fenster  der  Häuser  sind  auf  einmal  geöffnet, 
männliche  Zivilbevölkerung  auf  der  Strasse,  schon  krachen  Schüsse 
im  Dorf.  Wir  haben  gerade  noch  Zeit,  die  Schwerverletzten  auf 
schnell  requirierten  Wagen  abzuschieben,  können  selbst  nicht  einmal 
die  Verbandschürzen  ablegen  und  die  Uniformen  anziehen,  da  hallt 
auch  schon  Schuss  für  Schuss  aus  den  Häusern.  Weiber  lehnen  sich 
weit  aus  den  Fenstern  und  schiessen  mit  Karabinern,  da  haben  unsere 
Krankenträger  auch  schon  das  bewährteste  Abwehrmittel  ergriffen 
und  prasselnd  schlägt  das  Feuer  über  die  Dächer.  Zwei  unserer 
Krankenträger,  unbewaffnet  und  mit  der  Roten-Kreuz-Binde  am  Arm, 
verloren  wir  an  diesem  Tage.  Am  Abend  desselben  Tages,  wir 
hatten  uns  inzwischen  nach  siegreichem  Vordringen  unserer  Truppen 
in  dem  Dorfe  L.  eingerichtet,  verbanden  wir  bei  spärlicher  Kerzen¬ 
beleuchtung  am  Sanitätswagen  eine  Anzahl  Leichtverwundeter. 
Ringsum  war  alles  dunkel.  Plötzlich  krachten  aus  nächster  Nähe 
hinter  einer  Weissdornhecke  hervor  eine  Anzahl  Schüsse,  wir  hörten 
das  inzwischen  wohlbekannte  Schwirren  der  Geschosse  um  und  über 
uns,  eine  Kugel  schlug  krachend  gegen  einen  Eisenteil  des  Wagens. 
Wir  brachten  den  Wagen  und  uns  noch  schnell  in  Deckung,  Patrouil¬ 
len  verjagten  die  Attentäter.  In  demselben  Dorfe  wurde  am  nächsten 
Tage  ein  Jäger  am  hellen  Tage  in  einem  Hofe  von  vier  Franktireurs 
angeschossen  und  durch  einen  Axthieb  getötet,  der  den  Kopf  fast  vom 
Rumpfe  trennte.  Aber  alle  vier  wurden  auf  frischer  Tat  erwischt 
und  fanden  auf  der  Stelle  ihren  Lohn.  Ein  Verwundeter  erzählte,  wie 
er  auf  dem  Wege  von  der  Truppe  zum  Verbandplatz  unerwartet  von 
bewaffneten  Zivilisten  umstellt  wurde,  deren  einer  auf  seinen  Kopf 
zielte.  Als  er  überrascht  und  abwehrend  beide  Hände  hob,  deren 
Finger  zerfetzt  herumhingen,  schoss  der  Franktireur  denn  doch  nicht, 
aber  sämtliche  Taschen  und  den  Brustbeutel  durchräuberten  sie  dem 
Wehrlosen. 

Derartige  Beobachtungen  über  das  unmenschliche  Verhalten  der 
Zivilbevölkerung  gegenüber  den  Verwundeten  und  das  Angreifen  von 
Sanitätsoffizieren  und  -mannschaften  haben  wir  später,  weiter  von 
der  Grenze  entfernt,  nicht  mehr  gemacht.  Ob  die  Grenzbevölkerung 
nun  besonders  aufgehetzt  war  oder  ob  die  rauchenden  Schutthaufen 
an  den  Stellen  der  blühenden  Dörfer  als  warnendes  Beispiel  wirkten, 
das  entzieht  sich  unserer  Beobachtung.  Jedenfalls  machten  wir  bei 
der  französischen  Armee  nicht  bessere  Erfahrungen  als  bei  der  Zivil¬ 
bevölkerung,  wenn  wir  uns  auch  nur  auf  die  Angaben  Verwundeter, 
die  vorübergehend  in  französische  Hände  gerieten,  stützen  können. 
Zunächst  jedoch  einige  Mitteilungen  über  die  Ausrüstung  der 
Gegner,  soweit  sie  für  Aerzte  interessant  ist. 

Die  französische  Infanterie  hat  nicht  Rock  und  Mantel  getrennt, 
sondern  ein  dicker,  dunkelblauer,  bis  an  die  Knie  reichender  Mantel 
vertritt  beides.  Er  ist  grobwollig,  sehr  warm  und  wird  beim  Marsch 
über  den  Knien  zurückgeschlagen.  Ausserdem  hat  jeder  Soldat  ein 


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kurzes  dunkelblaues  Unterjäckchen,  auch  mit  den  Regimentsabzeicher 
versehen,  im  Tornister.  Diese  Jacken  fanden  wir  beim  Vormarsch 
zu  Hunderten  rechts  und  links  der  Strassen  liegen,  die  Fliehender 
hatten  sie  fortgeworfen  und  mancher  deutsche  Soldat  trägt  sie  jetzt 
als  Weste,  bei  der  nasskalten  Witterung  der  vergangenen  Wochen 
eine  willkommene  Beute.  Sehr  schlecht  ist  das  Schuhwerk.  Ab¬ 
gesehen  davon,  dass  wir  viele  Verwundete  mit  unvollkommenen  Zivil- 
schuheti  sahen,  kennt  der  Franzose  nur  Schnürschuhe  und  ganz 
niedrige,  kaum  etwas  über  handbreite  Gamaschen,  die  nicht  Schmutz 
und  Regen  abhalten,  sondern  nur  die  Hosen  beim  Marschieren  Zu¬ 
sammenhalten  sollen,  Bei  nasser  Witterung,  in  feuchten  Schützen¬ 
gräben,  selbst  in  taufrischem  Gras  bieten  sie  nicht  den  geringsten 
Schutz.  Unterkleidung  scheint  die  Militärverwaltung  nicht  oder  nicht 
ausreichend  zu  stellen,  denn  nicht  nur  zerfetztes,  völlig  untaugliches 
Zeug  fanden  wir  in  Menge  an  Toten  und  Verwundeten,  auch  Zivil¬ 
hosen  und  -westen  hatten  sie  vielfach  unter  der  Uniform.  —  Die  Ver¬ 
bandpäckchen  sind  unpraktischer  als  unsere,  mit  einem  Griff  zu 
öffnenden  und  alles  notwendige  in  einem  Stück  enthaltenden.  Sie 
sind  vernäht,  nicht  wie  die  unsrigen  durch  einen  dünnen  Faden  ge¬ 
halten;  in  zweiter  Schicht  ist  Billrothbattist,  fest  verklebt  an  den 
Rändern,  die  abermals  erst  geöffnet  werden  müssen.  Das  eigentliche 
Verbandpäckchen  besteht  aus  drei  getrennten  Teilen,  steriler  Watte, 
Verbandmull  und  einer  Binde.  Wenn  wir  auch  auf  unseren  Verband¬ 
plätzen  diese  in  grosser  Zahl  erbeuteten  Verbandstoffe  gut  ge¬ 
brauchen  und  beim  Vorhandensein  wenigstens  der  primitivsten  Hilfs¬ 
mittel  gut  verwerten  konnten,  so  ist  es  doch  klar,  dass  auf  dem  Felde 
zur  ersten  eiligen  Hilfe  durch  Kameraden,  also  Ungeschulte,  unser 
Verbandpäckchen  bei  weitem  den  Vorzug  verdient.  —  Ausser  den 
Verbandpäckchen  sehen  wir  bei  Verwundeten  und  Toten  sehr  häufig 
kleine  praktische  Salizyltalgdosen  und  auffallenderweise  auch  kleine 
Flaschen  mit  Jodtinktur.  Ob  die  Verwundeten  sich  selbst  oder  gegen¬ 
seitig  sofort  eine  Jodpinselung  der  Wundumgebung  machen  sollen?1 
Auch  scharfen  belebenden  Pfefferminzlikör  sah  ich  in  gleicher  Packung 
des  öfteren,  so  dass  auch  dieser  an  die  Mannschaften  offiziell  verteilt 
zu  werden  scheint.  —  Ueber  die  Tätigkeit  des  französischen  Sanitäts¬ 
personals  konnten  wir  nur  das  denkbar  Schlechteste  erfahren.  Nord¬ 
westlich  Verdun  lagen  sich  z.  B.  vor  kurzem  unsere  Truppen  und 
die  Franzosen  auf  wenige  hundert  Meter  gegenüber.  Das  Dorf  F. 
war  von  den  Franzosen  besetzt.  Am  21.  IX.  versuchten  sie  e:nen 
Sturmangriff;  unsere  Leute  Hessen  sie  bis  auf  50  Schritt,  ohne  zu 
feuern,  herankommen.  Dann  aber  sanken  sie  im  Schnellfeuer  reihen¬ 
weise  nieder,  auch  im  Dorf  wirkten  die  wohlgezielten  Schüsse  unserer 
Artillerie.  Tote  und  Schwerverwundete  bedeckten  in  Menge  das 
Feld  vor  dem  Schützengraben;  da  die  Franzosen  nach  ihrem  flucht¬ 
artigen  Rückzüge  ins  Dorf  auf  unsere  Krankenträger  schossen,  die 
versuchten,  die  feindlichen  Verwundeten  vor  unserer  Linie  fort¬ 
zuholen,  Hessen  wir  dieselben  von  Gefangenen  hinter  die  Schützen¬ 
gräben  zurückholen.  Nach  2  Tagen  wurde  das  Dorf  F.  von  unseren 
Truppen  besetzt  und  immer  noch  lagen  die  Verwundeten,  die  in  dem 
Dorfe  gefallen  waren  oder  sich  bis  hin  geschleppt  hatten,  unversorgt 
und  ohne  die  geringste  Fürsorge  an  den  Stellen,  wo  sie  hingesunken 
waren.  Auf  die  Frage  nach  den  französischen  Krankenträgern  und 
Aerzten  ein  mattes  Lächeln:  „Die  sind  hinten,  die  haben  Furcht!“  —  j 
Viel  traurigere  Erfahrungen  machten  wir  mit  der  Behandlung 
deutscher  Verwundeter  durch  Franzosen.  In  den  Kämpfen  bei  ferme 
de  la  M.,  in  waldreicher  Gegend,  war  ein  Regiment  in  stürmischem 
Vordringen  zu  weit  vorgerückt,  mit  Rücksicht  auf  die  ganze  Gefechts¬ 
lage  musste  es  einige  hundert  Meter  zurückgezogen  werden  und 
etliche  Verwundete  wurden  bei  dem  unübersichtlichen  Gelände  in  der 
Dunkelheit  nicht  gefunden.  Einen  von  diesen  fanden  wir  am  nächsten 
Morgen  nach  weiterem  Vorrücken  unserer  Truppen.  Er  hatte  einen 
harmlosen  Beinschuss,  ausserdem  aber  eine  dicke  Beule  am  Kopf 
und  Zerschmetterung  zweier  Finger  durch  stumpfe  Gewalt.  Er  er¬ 
zählte,  dass  die  Franzosen  das  Schlachtfeld  abgesucht  und  jeden 
deutschen  Verwundeten  mit  Kolben  totgeschlagen  hätten.  Als  sie 
ihn  fanden,  suchte  er  mit  vorgehaltener  Hand  den  Kopf  zu  schützen 
und  erhielt  den  Schlag  auf  linke  Hand  und  Kopf  zugleich,  dann  aber 
stellte  sich  ein  Geistlicher  zwischen  ihn  und  die  Soldaten,  konnte 
aber  nur  mit  Mühe  und  nach  langem  Zureden  den  begleitenden  fran¬ 
zösischen  Offizier  bewegen,  den  Aermsten  unbehelligt  liegen  zu, 
lassen.  —  Den  krassesten  Fall,  der  auch  medizinisches  Interesse  hat, 
sah  ich  bei  Chateau  les  M.  Fast  zwei  Tage  nach  einem  furcht¬ 
baren,  verlustreichen,  aber  auch  von  Erfolg  gekrönten  Nachtangriff 
kam  ein  Unteroffizier  auf  zwei  Mann  schwer  gestützt  zu  unserem  be¬ 
reits  abgebrochenen  Truppenverbandplatz,  wo  ich  gerade  die  letzten 
Schwerverletzten,  meist  Franzosen,  verlud.  Da  in  den  letzten  zehn 
bis  zwölf  Stunden  kein  Schuss  gefallen  war,  fragte  ich  ihn  sehr  er¬ 
staunt  über  seine  Verletzung  aus.  Er  erzählte,  dass  er  bei  dem  Nacht¬ 
angriff  schwer  verwundet  in  Gefangenschaft  geriet,  trotz  seiner  Ver¬ 
letzung  laufend  mitgeschleppt  wurde,  in  dem  französischen  Lager 
aber  trotz  seiner  Bitten  nicht  verbunden  und  sein  Verlangen  nach 
Wasser  oder  Brot  mit  Hohnlachen,  ja  mit  Faustschlägen  abgewiesen 
wurde.  Im  Schutze  der  Dunkelheit  hatte  er  sich  wieder  davon¬ 
gemacht  und  war,  ganz  langsam  gehend,  unter  unsagbaren  Schmerzen 
wirklich  bis  in  unsere  Schützenlinien  zurückgekommen.  Und  das  er¬ 
staunlichste:  der  Mann  hatte  einen  Schrapnellschuss,  liegend  ge¬ 
troffen,  der  im  Rücken  neben  der  Wirbelsäule  eingedrungen  und  mit 
grosser  Ausschussöffnung  neben  dem  Nabel  ausgetreten  war.  Beide 
W'unden  sezernierten  stark  und  übelriechend,  Stoffreste  lagen  zer¬ 
fetzt  in  der  Wunde,  entzündliche  Rötung  war  trotzdem  minimal,  Er- 


21.  Oktober  1914. 


2151 


Feldärztliche  Beitage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


brechen  war  nicht  erfolgt,  auch  kein  Brechreiz  vorhanden.  Der 
Mann  hatte  den  ganzen  I  ag  vor  dem  Nachtangriff  und  auch  seitdem 
nichts  gegessen,  er  fühlte  sich,  abgesehen  von  dem  Schmerz  an  den 
Wunden  und  allgemeiner  Schwäche,  ganz  wohl.  Ist  es  nicht  geradezu 
ein  Verbrechen,  dass  die  Franzosen  diesen  Mann,  der  bei  sofortiger 
Versorgung,  nach  dem  vorliegenden  Befund  zu  urteilen,  gerettet  wer¬ 
den  konnte,  einfach  dem  elendesten  Tode  Preisgaben?  Unserer  wei¬ 
teren  Beobachtung  entzog  sich  natürlich  der  Fall  mit  der  sofortigen 
Ucberführung  in  das  nächste  Lazarett. 

So  wie  dieser  Fall  entgeht  selbstverständlich  fast  jeder  der 
weiteren  Behandlung  und  Beobachtung  der  Truppenärzte.  Trotzdem 
sind  wir  in  der  Lage,  einige  ganz  interessante  Beobachtungen  mit- 
zuteilen.  Zunächst  etwas  von  der  Geschosswirkung  im  allgemeinen: 
Da  s_  französische  Infanteriegeschoss  ist  länger  und 
schmäler  als  das  deutsche,  Querschäger  sahen  wir  recht  häufig.  Der 
Lackring,  den  man  an  ganzen  Patronen  an  der  Uebergangsstelle  von 
Hülse  zum  Geschoss  sehen  kann,  wurde  anfangs  von  den  Mann¬ 
schaften  für  Gift  gehalten,  ist  jedoch  offenbar  nur  zum  Schutz  gegen 
Feuchtigkeit  angebracht.  Stets  fanden  wir  an  Geschossen,  die  wir 
aus  dem  Körper  entfernten  — -  was  natürlich  nur  bei  ganz  oberfläch¬ 
lich  liegenden  geschah  — ,  die  Spitze  verbogen,  selbst  wenn  das  Ge¬ 
schoss  nur  Weichteile  zu  durchschlagen  hatte.  Mehrfach  sahen  wir 
bei  Extremitätenschüssen  auf  der  einen  Seite  kleinen  Einschuss,  auf 
der  anderen  das  Geschoss  mit  umgebogener  Spitze  oder  ganz  ejuer- 
liegend  direkt  unter  der  Haut.  Entsprechend  der  modernen  Gefechts¬ 
weise  sind  Kopfschüsse  besonders  häufig,  ferner  Verletzungen  der 
linken  Hand  und  des  linken  Unterarmes,  die  beim  Schiessen  im  Liegen 
oder  aus  Schützengräben  vor  allem  exponiert  sind.  Ein  Nahschuss, 
bei  dem  das  Geschoss  unmittelbar  die  den  Lauf  festhaltende  Hand 
traf,  zeigte  furchtbare  Zerreissung  und  Zerschmetterung.  Belustigend 
bei  diesem  Fall  war,  dass  die  beiden  Franzosen,  die  unseren  Mann 
allein  überfielen,  sofort  ausrissen,  als  derselbe  mit  seiner  übrig¬ 
gebliebenen  Hand  das  Gewehr  von  der  Schulter  zu  nehmen  versuchte. 
—  Wenig  gute  Erfahrungen  machten  wir  bei  Verwundungen,  die  bei 
der  Truppe  weiter  verblieben.  Es  lässt  sich  trotz  aller  Vorsichts- 
massregeln  nur  in  ganz  vereinzelten  Fällen  eine  Sauberhaltung  und 
-'in  Schutz  der  Wunde  gegen  Reibung  und  andere  schädliche  Einflüsse 
durchführen.  Ein  Oberleutnant  z.  B.  hatte  durch  ein  Infanterie¬ 
geschoss,  das  das  umgehängte  Gewehr  zersplitterte,  leichte  Weich- 
eilwunden  und  grössere  Hautabschürfungen  durch  Holzsplitter  er- 
lalten.  Obwohl  wir  auch  ihn  dem  Feldlazarett  überweisen  wollten, 
Hieb  er  wegen  der  enormen  Offizierverluste  bei  seiner  Kompagnie 
md  entzog  sich  unserer  Beobachtung  und  Behandlung.  Trotzdem  nun 
iie  wirklich  leichten  Verletzungen  kurz  nach  der  Verwundung  sach- 
gemäss  behandelt  und  seitdem  der  Verband  nicht  geöffnet  noch  ver¬ 
ascht  war,  zeigten  sich  bei  endlich  erfolgter  Krankmeldung  ziem- 
ich  heftige  entzündliche  Rötungen  und  Temperatursteigerung.  Be¬ 
zeichnend  für  unsere  Offiziere  ist,  dass  wir  auch  jetzt  noch  fast  Zwang 
inwenden  mussten,  um  ihn  der  Lazarettbehandlung  zuzuführen.  Ein 
mderer  Fall,  ein  Unteroffizier  der  Maschinengewehrkompagnie,  hatte 
ine  am  Knie  erlittene  Schrapnellkugelverletzung  überhaupt  nicht  ge¬ 
neidet,  sondern  sich  mit  Verbandpäckchen  selbst  behandelt.  Da  er 
ahren  konnte  und  so  das  Bein  schonte,  schleppte  er  sich  auch  lange 
nit,  bis  er  schliesslich  mit  einem  tüchtigen  Abszess  doch  zum  Re- 
aerdienst  kam.  Dieser  Fall  heilte  freilich  nach  Inzision  schnell  bei 
ier  Truppe  aus.  Noch  günstiger  verlief  ein  anderer  Fall:  Während 
vir  einem  Mann  die  zerschossene  Hand  verbanden,  erzählte  er  seelen- 
uliig,  das  erstemal  wäre  es  ihm  besser  gegangen,  da  habe  eine 
dhrapnellkugel  den  Stiefelschaft  durchschlagen  und  sei  nur  etwas 
ts  Fleisch  gegangen;  er  habe  die  Kugel  gleich  mit  einem  Nagel  raus- 
ekratzt.  Ich  Hess  mir  die  Stelle  zeigen  und  fand  eine  ganz  ansehn- 
che,  aber  offenbar  reaktionslos  verheilte  Wunde,  die  erkennen  Hess, 
ass  die  Kugel  doch  mit  ihrer  ganzen  Breite  unterhalb  der  Haut  ge¬ 
igen  haben  musste.  Ueberhaupt  ist  die  Wirkung  der  Schrap- 
ellkugeln  meist  eine  ziemlich  geringe,,  da  die  Franzosen  sehr 
och  schiessen  und  die  Kugeln  offenbar  nicht  mit  voller  Kraft  ein- 
chlagen.  Wenigstens  sind  die  Tornister,  Kochgeschirre,  Schanz- 
euge,  Stiefelschäfte,  in  die  Schrapnellkugeln  eindrangen,  sehr  häufig, 
hne  weiterhin  den  geringsten  Schaden  anzurichten,  auch  der  Helm 
d  offenbar  ein  wirksamer  Schutz  dagegen.  Unter  dicht  belaubten 
äumen  ist  man  vor  Schrapnells  einigermassen  sicher;  ich  selbst  lag 
Menfalls  einmal  unter  einem  Baum,  in  dessen  Krone  ein  Schrapnell 
latzte;  einige  Aeste  sausten  herab,  die  Kugeln  selbst  fielen  matt  und 
raftlos  zur  Erde,  ohne  sich  überhaupt  einzubohren.  Unser  Haupt- 
iann  trug  in  seiner  Kartentasche  eine  Schrapnellkugel,  die  sämtliche 
arten  durchschlagen  hatte,  aber  nicht  mehr  die  Kraft  besass,  die 
mere  Hülle  zu  durchschlagen.  Auffallend  häufig  sind  auf  fran- 
isischer  Seite  die  Ausbläser  bei  den  Schrapnells  —  d.  h.  Geschosse, 
je  nicht  selbst  zerspringen,  sondern  infolge  schlechter  Pulver- 
eschaffenheit  nur  die  Ladung  auspuffen  —  und  vor  allem  die  Ver- 
iger  bei  den  Granaten.  Diese  sind  vor  allem  in  lehmigem  Boden 
dir  häufig,  die  Granaten  bohren  sich  ein,  krepieren  entweder 
tr  nicht  oder  reissen  nur  ein  metertiefes,  oft  mehrere  Meter  im 
urchmeser  betragendes  Loch;  die  Sprengstücke,  von  Lehmklumpen 
-Schwert,  fallen  kraftlos  herum,  kleinere  Splitter  und  Erdklumpen 
egen  umher,  ohne  wesentlichen  Schaden  anzurichten.  Käme  auf 
de  französische  Granate  auch  nur  ein  Toter,  so  müssten  an  man- 
ien  Tagen  Hunderte,  ja  Tausende  das  Feld  bedeckt  haben,  denn  die 
■anzosen  treiben  eine  unerklärliche  Munitionsverschwendung, 
•irchtbar  ist  freilich  die  Granatwirkung  bei  Volltreffern,  die  die  Kör¬ 


per  in  der  schcussiichsten  Weise  zerfetzen  und  die  Körperteile  oft 
Hunderte  von  Metern  auseinanderschleudern,  ferner  in  Gebäuden  und 
auf  hartem  Boden,  vor  allem  Chausseen,  die  die  Franzosen,  nach  der 
Karte  berechnend,  geradezu  meisterhaft  beschiessen.  Auf  freiem 
Leide  und  im  Wald  ist  die  moralische  Wirkung  der  Artillerie,  vor 
allein  der  schweren,  eine  bei  weitem  grössere  als  die  tatsächliche. 
Es  gehören  eben  so  eisern  disziplinierte  Mannschaften,  wie  die 
unserigen,  dazu,  um  ein  derartiges  Feuer  nicht  nur  auszuhalten,  son¬ 
dern  noch  vorzugehen;  die  Franzosen  jedenfalls  halten,  nach  ihrer 
eigenen  Aussage,  unserem  Artilleriefeuer  nicht  stand. 

Zum  Schluss  noch  einige  Bemerkungen  über  einen  frühzeitig  aus 
der  Lazarettbehandlung  entlassenen  Fall:  Ein  Vizefeldwebel  hatte 
einen  Oberarmschuss,  anscheinend  nur  Fleischwunde,  und  war  auf 
sein  Drängen  hin  bald  wieder  zur  Truppe  entlassen  worden,  konnte 
den  Arm  ausreichend  gebrauchen,  schonte  ihn  jedoch  noch  etwas.  In 
einem  Stall  stösst  er  sich  ganz  geringfügig  und  kommt  mit  deutlich 
zu  diagnostizierendem  Spiralbruch  zu  uns.  Krepitation  ist  an  der 
Stelle  der  alten  Schusswunde  aussen  und  etwa  eine  Handbreit  tiefer 
innen  sicher  zu  fühlen.  Der  Schuss  hatte  seinerzeit  offenbar  eine 
Fissur  im  Sinne  des  Spiralbruches  bewirkt,  die  unerkannt  und  un¬ 
behandelt  bei  dem  ganz  geringen  Trauma  nach  mehreren  Wochen  zum 
vollkommenen  Spiralbruch  führte.  —  Endlich  möchte  ich  noch  über 
einen  sicher  festgestellten  Fall  von  der  Art  berichten,  die  Geheimrat 
K  ü  1 1  n  e  r  in  seinen  kriegschirurgischen  Vorlesungen  aus  den  letzten 
Wochen  vor  der  Mobilmachung  in  das  Märchenreich  verwies:  die  an 
der  Rippe  entlang  gleitende  Kugel.  Hauptmann  G.  hatte  Hegend 
unterhalb  des  Schulterblattes  rechts  eine  Schrapnellkugel  in  den 
Rücken  erhalten,  die  auf  der  siebenten  Rippe  vorn  auf  der  Brust 
unmittelbar  unter  der  Haut  steckt  und  mit  Leichtigkeit  entfernt  wird. 
Sie  ist  etwas  deformiert.  Es  besteht  nicht  die  geringste  Hämoptoe, 
dagegen  Schonung  de'r  rechten  Thoraxhälfte  bei  tiefer  Inspiration, 
wohl  infolge  der  Schmerzen  durch  die  verletzte  Rippe;  über  den 
untersten  Partien  Dämpfung  des  Lungenschalls,  a>so  wohl  ein  ge¬ 
ringer  Erguss  in  den  Pleurasack.  An  der  Rippe  entlang,  vom  Ein¬ 
schuss  bis  zum  Ausschuss,  ist  deutlich  heftiger  Schmerz  bei  Palpation 
auszulösen.  Somit  muss  man  die  Möglichkeit  derartiger  Ver¬ 
letzungen,  wenigstens  für  Schrapnellkugeln,  wohl  zugeben. 


Tödliche  Verletzung  durch  Fliegerpfeil. 

Von  Oberarzt  d.  R.  Dr.  Q  r  ü  n  b  a  u  m,  II.  San.-Komp.,  6.  A.-K. 

Den  Fliegerpfeilverletzungen  von  V  o  1  k  m  a  n  n  (Nr.  37  S.  1952) 
kann  ich  einen  Fall  beifügen,  der  die  Gefährlichkeit  dieser  eigenartigen 
Kriegswaffe  zeigt.  Der  Leichtverwundetensammelstelle  in  B  . . .  t 
wurde  ein  Unteroffizier  des  . .  Infanterieregiments  zugeführt,  der  an¬ 
gab,  er  habe  vor  einer  halben  Stunde  einen  plötzlichen  starken  Stich 
an  der  Schulter  verspürt,  als  er  vor  dem  Hause  sitzend  einen  Rapport 
schrieb,  seitdem  habe  er  Schmerzen  beim  Atmen.  Die  Untersuchung 
ergab:  Das  äussere  rechte  Ohr  durch  Hautreizung  blutunterlaufen, 
in  der  rechten  Supraklavikulargrube,  im  äusseren  Drittel,  direkt  über 
der  Klavikula  eine  rundliche,  nicht  ganz  pfenniggrosse  Einstichöffnung, 
die  sofort  aseptisch  verbunden  wurde.  Kurzatmigkeit,  leichte  Zya¬ 
nose,  Schmerzen  in  der  Lebergegend.  Leib  besonders  rechts  druck¬ 
empfindlich,  gespannte  Bauchmuskulatur.  Gleichzeitig  kam  ein 
anderer  Mann,  der  gleichen  Kompagnie  zugehörig,  der  in  derselben 
Minute  verletzt  wurde,  dadurch,  dass  ein  Fliegerpfeil  durch  den 
Stiefel  hindurch  den  Fuss  an  die  Erde  festspiesste.  Der  Pfeil  war 
ihm  von  Kameraden  herausgezogen  und  von  ihm  mitgebracht  worden. 
Er  entspricht  genau  der  V  o  1  k  m  a  n  n  sehen  Beschreibung:  ca.  12  cm 
lang,  mit  massivem  unteren  Drittel,  das  in  eine  feine  Spitze  ausläuft, 
während  oben  durch  4  Kanellierungen  der  Schwerpunkt  des  Ge¬ 
schosses  nach  unten  verlegt  ist.  Wie  man  den  Pfeil  auch  wirft,  er 
senkt  sich  mit  der  Spitze  immer  nach  unten.  Während  die  Fussver- 
letzung,  solange  ich  sie  beobachtete,  keinerlei  Symptome  machte,  ver¬ 
schlechterte  sich  das  Befinden  des  Unteroffiziers  von  Stunde  zu 
Stunde.  Man  konnte  mit  Sicherheit  einen  Hämopneumothorax  fest¬ 
stellen.  Die  Schmerzen  im  Leibe  Hessen  mit  Wahrscheinlichkeit  an¬ 
nehmen,  dass  der  Pfeil  durch  das  Zwerchfell  hindurch  in  die  Bauch¬ 
höhle  eingedrungen  war.  Bei  dem  schlechten  Allgemeinbefinden,  der 
zunehmenden  Zyanose,  dem  schlechten  Puls,  war  ein  operatives  Vor¬ 
gehen  ausgeschlossen.  Unter  zunehmender  Schwäche  und  Schmer¬ 
zen  im  Leib,  die  durch  ruhige  Lage  und  Morphium  gelindert  wurden, 
trat  36  Stunden  nach  der  Verletzung  der  Exitus  ein.  Aus  äusseren 
Gründen  war  eine  Sektion  nicht  möglich;  durch  einen  post  mortem 
vorgenommenen  Bauchschnitt  konnte  ich  konstatieren,  dass  eine  fou- 
droyante  Peritonitis  eingetreten  war,  und  die  Vermutung,  dass  der 
durch  die  Supraklavikulärgrube  eingedrungene  Pfeil  durch  die  rechte 
Lunge,  Pleura  und  Zwerchfell  hindurch  in  die  freie  Bauchhöhle  hinein¬ 
sauste,  zu  Recht  bestand. 


Verbandstoffe  sparen! 

Von  Oberstabsarzt  a.  D.  Kr  ecke. 

Es  ist  kein  Zweifel,  dass  der  jetzige  Krieg  nicht  nur  absolut 
sondern  auch  relativ  weit  grössere  Verluste  aufweisen  wird,  als  die 
früheren  Kriege.  Hatten  wir  im  Jahre  1870/71  eine  Verlustzahl  von 
18  Proz.,  so  hatten  die  Russen  im  Russisch-Japanischen  Kriege  schon 


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Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


29  Proz.  und  die  Japaner  sogar  40,9  Proz.  Verluste.  In  dem  jetzigen 
Kriege  werden  die  Verluste  zum  Teil  noch  w'eit  grössere  sein.  Hören 
wir  doch,  dass  manche  Regimenter  mit  3000  Mann  jetzt  schon  einen 
Abgang  von  1700  aufzuweisen  haben.  Wir  dürfen  demnach  wohl  mit 
einer  Verlustziffer  von  nahezu  50  Proz.  rechnen.  Auf  2  000  000  Strei¬ 
ter  gäbe  es  demnach  eine  Verlustzahl  von  1  000  000.  Mit  der  Steige¬ 
rung  der  Zahl  der  Kämpfenden  wird  auch  die  Verlustziffer  ansteigen. 
Wie  viel  Verwundete  sich  unter  diesen  Zahlen  befinden  werden,  ist 
noch  nicht  recht  abzusehen.  Es  ist  aber  gewiss  nicht  übertrieben, 
wenn  man  zunächst  mit  einer  Verwundetenzahl  von  einer  halben  Mil¬ 
lion  im  Verlaufe  des  ersten  Kriegsjahres  rechnet. 

Bei  dieser  ganz  enormen  Anzahl  der  Verletzungen  muss  der 
Verbandstoffverbrauch  ins  ungemessene  steigen,  und  es  ist  gewiss 
eine  der  wichtigsten  Aufgaben  der  Heeresverwaltung  beizeiten  zur 
sparsamen  Verwendung  der  Verbandstoffe  aufzufordern.  Die  von 
uns  in  der  Hauptsache  benutzte  Baumwolle  kommt  vom  Auslande, 
und  zwar  bisher  namentlich  von  England.  Wenn  auch  durch  die 
neutralen  Staaten  eine  gewisse  Einfuhr  möglich  ist,  so  müssen  wir 
damit  rechnen,  dass  unsere  Baumwollevorräte  nach  und  nach  sehr 
erheblich  zusammenschrumpfen  werden,  ganz  abgesehen  davon,  dass 
die  Preise  weiter  erheblich  in  die  Höhe  gehen  werden. 

Zur  Erzielung  einer  grösseren  Sparsamkeit  sind  mancherlei  Um¬ 
stände  in  Betracht  zu  ziehen: 

1.  Die  erste  Pflicht  ist  Sparsamkeit  im  allgemeinen. 
Tatsache  ist,  dass  viele  Aerzte,  zumal  die  jüngeren,  mit  den  Verband¬ 
stoffen  direkt  verschwenderisch  umgehen.  Dieser  Vorwurf  trifft  zu¬ 
mal  die  eben  von  der  Universität  oder  aus  den  grossen  Kranken¬ 
anstalten  kommenden  Kollegen.  Man  kann  es  nur  zu  oft  sehen,  dass 
eine  einfache  Fingerverletzung  oder  eine  Qesichtswunde  mit  einem 
dickgepolsterten  Verband  von  Gaze  und  Watte  bedeckt  wird,  wo  ein 
kleines  Stückchen  Mull  und  ein  Heftpflaster  vollkommen  genügt 
hätten.  Es  ist  die  Pflicht  der  jungen  Kollegen,  sich  selbst  zur  Spar¬ 
samkeit  zu  erziehen,  und  ec  ist  die  Aufgabe  der  älteren,  die  jungen 
auf  die  Grundsätze  der  Sparsamkeit  hinzuweisen.  Da,  wo  ein  grosser, 
reichlicher  Polsterverband  notwendig  ist,  wie  vor  allem  bei  Schuss¬ 
frakturen,  soll  er  natürlich  gemacht  werden.  Eine  einfache  Weichteil¬ 
verletzung  kann  aber  in  bester  Weise  mit  einem  gewöhnlichen  Gaze¬ 
bausch  versorgt  werden.  Es  dürfte  nicht  übertrieben  sein,  wenn 
man  die  auf  diese  Weise  mögliche  Einsparung  an  Verbandstoffen 
auf  V#  des  jetzigen  Verbrauches  berechnet. 

2.  Es  ist  möglichst  viel  von  Klebe-  und  Pflasterver¬ 
bänden  Gebrauch  zu  machen.  Der  vorzügliche  Mastisolver- 
band  ist  immer  noch  viel  zu  wenig  bekannt  (s,  auch  D  r  e  y  e  r, 
D.m.W.  1914  Nr.  39).  ln  jedem  Lazarett  und  in  jeder  Feldausrüstung 
sollten  reichliche  Mullbäusche  vorhanden  sein,  die  einfach  mit  Hilfe 
des  Mastisols  auf  die  Umgebung  der  Wunden  aufgeklebt  werden. 
Der  grösste  Teil  der  Weichteilwunden  lässt  sich  damit  in  bester 
Weise  bedecken.  Bindenverbände  sind  möglichst  einzuschränken. 
Wenn  auch  im  Friedensbetriebe  die  gewöhnlichen  Mullbinden  wieder 
abgewickelt  und  sterilisiert  werden  können,  so  wird  das  bei  dem 
enormen  Kriegsbetrieb  kaum  möglich  sein.  An  manchen  Körper¬ 
stellen,  wie  an  Bauch  und  Oberschenkel,  ist  der  Bindenverband  be¬ 
sonders  ungeeignet,  da  die  Binden  sehr  leicht  sich  verschieben  und 
dadurch  einen  ausserordentlich  häufigen  Verbandwechsel  nötig 
machen.  Ein  Mastisol-  oder  Heftpflasterverband  ist  weit  schneller 
und  um  die  Hälfte  oder  noch  billiger  herzustellen. 

3.  Bei  Schussfrakturen,  bei  denen  eine  lämrere  eitrige  Se¬ 
kretion  besteht,  sollen  die  Schienenverbände  möglichst  vermieden  und 
durch  gefensterte  Gipsverbände  ersetzt  werden.  Ein 
solch  gefensterter  Gipsverband  kann  auch  bei  stark  eiternden  Wun¬ 
den  14  Tage  oder  noch  länger  liegen  bleiben.  Abgesehen  davon,  dass 
der  Patient  durch  den  Verbandwechsel  viel  weniger  belästigt  wird, 
ist  die  Verbandstoffersparnis  eine  ganz  ausserordentliche.  In  das 
Fenster  braucht  man  nur  das  entsprechende  gut  aufsaugende  Ver¬ 
bandmaterial  hineinzupressen  und  hat  kaum  nötig,  es  mit  einem  Ver¬ 
band  zu  fixieren.  Der  Verbandwechsel  vollzieht  sich  mit  einer 
ausserordentlichen  Einfachheit,  Sicherheit,  Schnelligkeit  und  Spar¬ 
samkeit.  Ein  täglich  ein-  oder  mehrmals  gewechselter  Schienenver¬ 
band  verschlingt  ganz  ausserordentliche  Mengen  von  Verbandstoffen, 
ganz  abgesehen  davon,  dass  er  den  Kranken  jedesmal  die  heftigsten 
Schmerzen  bereitet.  Falls  eine  besondere  Befestigung  der  Verband¬ 
stoffe  in  dem  Fenster  notwendig  ist,  so  kann  das  in  einfachster  Weise 
mit  einem  Tuch  geschehen. 

4.  Wir  müssen  uns  bemühen,  die  im  eigenen  Lande  ge¬ 
winnbaren  Verbandstoffe  an  Stelle  der  ausländischen  zu 
verwenden.  Dahin  gehören  in  erster  Linie  die  Zellstoffprä¬ 
parate.  Fichtenholz  haben  wir  in  nicht  zu  erschöpfender 
Menge  zur  Verfügung.  Die  von  der  bayerischen  Heeresver¬ 
waltung  gelieferten  Zellstoffrollen  lassen  sich  nach  Art  einer  Binde 
an  dem  Glied  befestigen  und  verlangen  keine  weitere  Bedeckung  mit 
einer  Mullbinde.  Auch  die  durch  Verarbeitung  des  Zellstoffes  mit 
Watte  gewonnenen  und  unter  dem  Namen  Holz  watte,  Zellu¬ 
lose  w  a  1 1  e  gehenden  Präparate  verdienten  grössere  Berücksichti¬ 
gung.  Der  Verfasser  verwendet  schon  seit  Jahren  ein  Gemisch  von 
Zellulose  und  Watte,  das  als  aufsaugendes  Material  sich  ganz  vor¬ 
trefflich  bewährt  hat.  Auch  das  in  den  letzten  Jahren  ausser  Ge¬ 
brauch  gekommene  Moos  sollte  mehr  Verwendung  finden.  Zumal 
für  stark  eiternde  Wunden  liefert  es  ein  geradezu  ideales  Verband¬ 
material,  das  gut  sterilisiert  werden  kann  und  sich  des  besonderen 
Vorteiles  der  Billigkeit  erfreut.  — 


Nr.  4 


Das  sind  einige  von  den  Grundsätzen,  die  sicherlich  von  jede 
kriegschirurgisch  tätigen  Kollegen  eingehend  beachtet  zu  werdi 
verdienen.  Auch  die  Sparsamkeit  mit  dem  Verbandmaterial  ist  zu 
zeit  eine  ernste  vaterländische  Pflicht. 


Geisteskrankheiten  im  Kriege. 

Von  Prof.  Dr.  W.  Weygandt  in  Hamburg-Friedrichsber 

(Schluss.) 

Wir  können  angesichts  dieser  Erörterungen  den  psych 
sehen  Eindrücken  des  Krieges,  so  lebhaft  und  gewaltig  s 
auch  im  Gefecht  und  ganz  besonders  in  der  Seeschlacht  se 
können,  doch  eine  sehr  weitreichende  Wirkung  hinsichtlic 
der  Entstehung  von  geistiger  Erkrankung  bei  voll  Normalt 
nicht  beimessen.  Um  so  weniger  bedenklich  werden  s 
wirken,  je  sorgfältiger  die  Truppenmengen  vorher  schon  hii 
sichtlich  psychopathisch  veranlagter  Naturen  durchgesie 
worden  sind. 

Eine  andere  Frage  ist  die,  ob  nicht  bei  einer  Prädispositk 
zu  einer  Psychose  der  Ausbruch  durch  psychischen  Schoc 
herbeigeführt  werden  kann.  Dass  dies  bei  hysterischer  Ai 
läge  in  weitem  Masse  zutrifft,  bedarf  keiner  weiteren  Au 
führung.  Hier  bedarf  es  nicht  einmal  eines  besonders  lei 
haften  Reizes.  Schon  während  der  Mobilmachung  und  Uebur 
der  Reservemannschaften  sind  mehrere  Fälle  dieser  Art 
die  Hamburger  Anstalt  überwiesen  worden. 

Ein  Fall  zeigte  sich  verworren,  sass  wie  träumend  da,  griff  f| 
der  Wand  herum,  zeichnete  Figuren  in  die  Luft.  Auf  Fragen  an 
wertete  er  ausweichend,  etwas  maniriert.  Die  Orientierung  fehlt 
Die  Stimmig  war  euphorisch.  Er  sprach  davon,  dass  er  „Stimme 
gesehen“  habe,  dass  er  aus  einem  Scheinwerfer  etwas  höre.  Zei 
weise  reagierte  er  besser,  doch  erschlaffte  er  bald  wieder,  f 
sprach  davon,  er  werde  gesucht,  man  müsse  vor  Gott  ein  guti 
Gewissen  haben,  er  soll  der  Sündenbock  sein  für  alle,  die  drausst 
liegen.  Es  bestand  Pulsbeschleunigung,  Rcflexsteigerung,  Zittern. 

Ein  anderer  Fall,  der  früher  schon  bei  besonderen  Gelegenheiti 
mehrtägige  Ausnahmezustände  gezeigt  hatte,  erkrankte  plötzlic 
während  eines  Uebungsmarsches  unter  Reaktionslosigkeit.  Er  w; 
mehrere  Tage  benommen,  äusserte  Angst,  er  habe  seinen  Truppei 
teil  verpasst,  er  wolle  vors  Kriegsgericht,  er  höre  singen  ur 
sprechen;  hatte  später  mangelhafte  Erinnerung,  wurde  aber  bald  wi> 
der  besonnen  und  orientiert.  Der  Rachenreflex  fehlt,  die  Kniereflei 
sind  lebhaft,  die  Hände  zittern,  die  Dermatographie  ist  lebhaft,  d; 
linke  Gesichtsfeld  verengert. 

Von  den  übrigen  Psychosen  kommt  am  ehesten  d; 
manisch-depressive  oder  periodische  Irresein  in  Betrach 
dessen  einzelne  Anfälle  durch  psychischen  Schock  gelegen 
lieh  zur  Auslösung  gelangen.  Nicht  so  sicher  steht  es 
dieser  Hinsicht  mit  der  Gruppe  der  Dementia  praecox.  Al 
lehnend  muss  ich  mich  gegen  die  Annahme  der  Auslösun 
einer  Paralyse  bei  einem  durch  Lues  Prädisponierten  infol.c 
eines  psychischen  Traumas  verhalten,  wiewohl  im  Bereich  dt 
Unfallgesetzgebung  gelegentlich  einzelne  Gutachter  einen  de 
artigen  Zusammenhang  konstruieren  zu  können  geglaul 
haben.  Anders  steht  es  jedoch  mit  der  Epilepsie.  Gegen  d 
Auslösung  epileptischer  Symptome,  insbesondere  der  Kramp 
anfälle,  durch  Schreck  verhalten  sich  die  meisten  Forsch» 
skeptisch,  höchstens  für  das  frühe  Kindesalter  wird  eit 
Schreckepilepsie  zugegeben.  Aber  auch  bei  Erwachsenen  i 
die  Möglichkeit  der  Auslösung  epileptischer  Anfälle  durch  he 
tige  psychische  Eindrücke  nicht  von  der  Hand  zu  weiser 
freilich  kommen  ja  im  Krieg  auch  noch  andere  erschöpfend 
Umstände  hinzu.  Nach  dem  Sanitätsbericht  über  den  Krie 
1870/71  wurden  in  12  Fällen  epileptische  Krämpfe  bei  Poste 
beobachtet,  die  früher  nie  entsprechende  Symptome  gezei.. 
hatten,  zu  jener  Zeit  allerdings  auch  starke  Märsche  zurück 
gelegt  hatten. 

Der  körperlichen  Erschöpfung  ist  zweifellos  ein  höhere 
Grad  von  Einfluss  auf  psychische  Störungen  beizumessen  a 
den  psychischen  Eindrücken.  Als  einzelne  Faktoren  körpet 
licher  Erschöpfung  sind  zu  berücksichtigen  äusserste  Ai 
strengung  des  Körpers,  mangelhafte  Ernährung  und  unzi 
reichende  Erholung  durch  knappen  und  gestörten  Schla 
ausserdem  wirkt  zweifellos  auch  starke  geistige  Anstrengung 
insbesondere  seelische  Anspannung,  wie  sie  z.  B.  der  Wacl 
dienst  mitbringt,  auch  auf  den  Körper  erschöpfend  ein.  h 
allgemeinen  wird  man  auf  Grund  mannigfacher  Beobachtunge 
und  Versuche  die  grösste  Bedeutung  dem  Mangel  an  Erholun 


?7.  Oktober  1914. 


Fcldärztlichc  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift 


2153 


Inreh  einen  hinreichenden  Schlaf  beimessen,  wenn  schon  das 
unendliche  Gehirn  in  dieser  Hinsicht  sehr  viel  widerstands- 
ähigrer  ist,  als  das  Hirn  im  mittleren  und  vorgeschrittenen 
ebensalter.  Am  wenigsten  psychisch  angreifend  wirkt 
MiiRclIidttc  Nctlii  ungsaufnahme,  auch  langer  dauernde  Unter 
rnährung.  Vor  allem  werden  die  Erscheinungen  einer  hoch- 
rsQigen  Neurasthenie  mit  Reizbarkeit,  Schlafstörung  Hirn 
nick.  Abspannung  usw.  hervorgerufen,  aber  sehr  wohl  kann 
s  auch  in  ausgesprocheneren  Fällen  von  Erschöpfung  zu  einer 
rschöpfungspsychose  im  engeren  Sinne  kommen.  Unter  ge- 
öhnlichcn  fiicdlichen  Verhältnissen  wird  man  echte  Fr- 
.höpfimgspsychosen  recht  selten  zweifellos  feststellen.  Ini 
rieg  aber  kamen  sie  doch  mehrfach  zur  Beobachtung,  so 
-reits  1870/71.  Insbesondere  beim  südwestafrikanischen 
eldzug  wurden  öfter  infolge  der  Dauerermüdung,  Strapazen 
(Sonderheit  auch  der  Wassernot,  akute  Erschöpfungs- 
chosen  beobachtet,  auch  in  der  Schlacht  können  solche 
ustände  ausbrechen,  so  bei  Gross  Nabas.  Es  handelt  sich  bei 
esen  amentiaartigen  Störungen  um  delirante  Unruhe  und  Er- 
•gung,  halluzinatorische  Verwirrtheit  mit  traumhaften  Zügen, 
anchmal  auch  um  Hemmung,  Stupor  unter  Apathie  und 
ngst.  Sic  können  Stunden,  läge  oder  Wochen  dauern, 
uch  itn  russisch-japanischen  Krieg  wurden  vielfach  derartige 
rkrankungen  beobachtet,  dort  möglicherweise  noch  durch 
m  Alkohol  beeinflusst. 

Auf  solcher  Grundlage  können  noch  eher  Massensug- 
.‘Stion  und  psychische  Infektion  auftreten,  wie  es  u  a  bei 
ukden  beobachtet  wurde.  1870/71  kam  es  vor,  dass  eine 
Steilung  der  Armee  Bourbakis  abends  abgehetzt  und 
ingrig  in  eine  Kirche  gelangte  und  die  Soldaten  dabei  ins- 
■samt  die  Sinnestäuschung  hatten,  dass  die  Madonna  ihnen 
tgegenleuchte  und  Schutz  verspreche.  Scharf  angespannter 
achdienst,  auch  auf  See,  kann  zu  simultanen  Illusionen 
hren. 

Mehr  noch  als  durch  psychisches  Trauma  kann  infolge 
(er  erschöpfenden  Einflüsse  bei  belasteten  und  prädis- 
nierten  Naturen  die  Anlage  zu  einer  Psychose  zum  Aus- 
uch  gedrängt  werden.  Bei  manisch-depressiven  Fällen,  wie 
ch  bei  solchen  aus  der  Gruppe  der  Dementia  praecox  ist 
-ses  bestimmt  zuzugeben,  aber  auch  für  Paralyse  und  Epi- 
xsie  lässt  es  sich  nicht  in  Abrede  stellen,  Während  hyste- 
che  und  Erschöpfungspsychosen  mitten  im  Kampf  aus- 
echen  können,  kommt  es  vor,  dass  jene  ausgelösten  endo- 
nen  Psychosen  geraume  Zeit  nach  den  schlimmsten  Stra- 
zen  ausbrechen,  so  bei  Verwundeten  nach  der  Ueberführung 
ein  heimisches  Lazarett. 

Selbstverständlich  können  im  Krieg  auch  bei  schweren 
idemisch-infektiösen  Erkrankungen  noch  psychische  Stö- 
lgen  ausgelöst  werden,  die  Fieber-  und  Infektionsdelirien, 
nen  jedoch  eine  grössere  praktische  Bedeutung  nicht  zu- 

mmt. 

Von  hervorragender  Wichtigkeit  für  den  Krieg  sind  jedoch 
Beziehungen  zwischen  Trauma  und  Psychose 1S). 
ter  den  Irrenanstaltsinsassen  gehören  einwandfreie  trau¬ 
tische  Psychosen  zu  den  Seltenheiten,  wenn  auch  die  Un¬ 
gesetzgebung  nach  Schädeltraumen  häufiger  nervöse  End- 
;tände  einer  Hirnerschütterung  zur  Untersuchung  gelangen 
st,  vielfach  freilich  unter  Kombination  mit  traumatisch- 
Terischen  Symptomen. 

Direkte  Hirnverletzungen,  die  C  o  n  t  u  s  i  o 
r  e  b  r  i,  an  sich  im  Feldzug  nicht  selten,  gehören  im 
sentlichen  in  den  Bereich  der  Chirurgie.  Erst  die  Folge¬ 
rnde.  unter  denen  sich  Lähmungen  durch  Verletzung  der 
torischen  Zentren,  aber  auch  traumatischer  Schwachsinn 
•en.  gehen  in  die  neurologisch-psychiatrische  Sphäre  über. 
Ij-'n  Verwundeter  mit  Kopfschuss  kam  ins  Rcservelazarett;  die 
•VuS^nu.nK  am  Hinterhaupt  rechts  heilte  bald  zu,  links  war  eine 
Wölbung  sichtbar;  bald  fielen  psychische  Symptome  auf,  leichte 
ummenheit,  worauf  Ueberweisung  nach  Friedrichsberg  erfolgte. 

[  entstand  Verdacht,  dass  das  Geschoss  noch  im  Schädel  steckte, 
h  wurde  Stauungspapille  festgestellt,  worauf  der  Verwundete 
Tt  auf  eine  chirurgische  Abteilung  verlegt  wurde.  Operativ  ent- 
te  man  nun  am  Hinterhaupt  links  ein  Geschoss;  hierauf  besserte 
der  Zustand  sofort  ausgezeichnet. 

1  '  Kölpin:  Die  psychischen  Störungen  nach  Kopftrauma. 

nrranns  klinische  Vorträge  Nr.  418. 


Auch  der  Hirndruck,  die  Compressio  cerebri 1#), 
verlangt  zunächst  chirurgische  Behandlung.  Neben  der  be¬ 
kannten  allmählichen  Entwicklung  einer  Bewusstseinstrübung 
bis  zum  Koma  ist  aber  zu  berücksichtigen,  dass  manchmal  im 
eginn  auch  Unruhe,  Erregung,  Schreien,  fernerhin  im  Lauf 
du  Bewusstseinstrübung  eine  Erschwerung  der  Auffassung, 
,  C1  Assoziationen  und  des  sprachlichen  Ausdrucks  auftreten 
kann.  Auch  halluzinatorische  Erregung  und  deliriöse  Zustände 
können  bei  chronischem,  nicht  gerade  Sopor  bedingendem 
Hirndruck  Vorkommen. 

Bedeutsamer  noch  ist  die  Commotio  cerebri,  die 
H  1 1  n  e  r  s  c  h  ü  1 1  c  r  u  n  g,  die  ja  infolge  von  Schüssen, 
leben,  Stossen,  Stürzen,  die  den  Schädel  treffen,  im  Krieg 
ungemein  häufig  ist.  Eine  scharfe  Grenze  zwischen  ihr  und 
der  Lontusio  ist  nicht  möglich,  denn  auch  bei  der  Hirn¬ 
ei  schutterung  bilden  anatomische  Veränderungen  der  Hirn¬ 
substanz,  wenn  auch  meist  weniger  lokalisiert,  die  Grundlage. 
Untersuchungen  und  auch  Experimente,  wie  sie  u.  a.  von 
.1  a  k  o  b  * )  ausgeführt  sind,  zeigen  vor  allem  punktförmige 
namorrhagien  in  der  Rinde,  mehr  noch  in  der  Oblongata  und 
uem  oberen  Halsmark,  besonders  in  der  grauen  Substanz, 
rerner  Quetschherde  mit  folgender  Randdegeneration;  die 
Ganglienzellen  sind  in  mannigfacher  Weise  krankhaft  ver¬ 
ändert,  sekundäre  Degeneration  schliesst  sich  an. 

Mit  dem  Irauma  ist  der  Höhepunkt  der  Erscheinung  sofort 
ua,  das  Bewusstsein  ist  getrübt  oder  vollständig  erloschen, 
je  nach  dem  Grad  des  Traumas,  wobei  freilich  äussere  Ver¬ 
letzungen  fehlen  können;  dazu  treten  bulbäre  Symptome,  Ver¬ 
langsamung  der  Atmung  bis  zum  Stillstand;  bei  schwerem 
Irauma  infolge  starker  Reizung  des  Vaguszentrums  Herzstill¬ 
stand  unter  Blutdrucksenkung,  doch  kann  auch  dann  noch  Er¬ 
holung  erfolgen.  Es  tritt  Erbrechen  ein,  ferner  Temperatur¬ 
veränderung  und  Inkontinenz,  die  Pupillenweite  ist  verändert, 
manchmal  ist  die  Reaktion  mangelhaft.  Allmählich  kann  das 
Erwachen  einsetzen,  meist  unter  retrograder  Amnesie,  oft  ist 
tagelang  die  Merkfähigkeit  noch  gestört;  länger  bestehen 
Schwindel,  Kopfschmerz,  Uebelkeit  und  ataktische  Symptome. 

Es  können  nun  aber  infolge  einer  Hirnerschütterung  auch 
noch  ausgesprochenere  psychische  Störungen  eintreten,  eine 
sogen.  Kommotionspsychose;  nach  dem  Erwachen 
aus  der  Bewusstlosigkeit  stellt  sich  manchmal  psychische  Er¬ 
regung  ein,  unter  Delirien,  Verwirrtheit,  Dämmerzuständen, 
sowie  Auffassungs-  und  Merkfähigkeitsstörung,  dem  Korsakow- 
komplex  entsprechend;  gelegentlich  herrscht  das  Bild  de- 
liriösen  Stupors  vor.  Eine  derartige  Erkrankung  kann  noch 
zur  Heilung  kommen,  doch  bleiben  gelegentlich  auch  psychi¬ 
sche  Defekte  zurück,  so  dass  es  zu  einer  Dementia  post¬ 
trau  matica  kommt.  Hier  und  da  kann  ein  solcher  End¬ 
zustand  vielfach  Aehnlichkeit  mit  einer  dementen  Paralyse 
aufweisen. 

Nach  leichterer  Hirnerschütterung  bleibt  häufig  eine  trau¬ 
matische  Neurose  zurück,  unter  Kopfschmerz,  Schwindel,  Ab¬ 
spannung,  Reizbarkeit  gegen  Lärm,  Parästhesien,  dabei  be¬ 
steht  ein  hypochondrisches,  wehleidiges  Wesen,  vielfach  auch 
Alkoholintoleranz. 

Bei  entsprechender  Hirnrindenverletzung  kann  nach 
Schädeltrauma  bekanntlich  auch  eine  traumatische  Epi¬ 
lepsie  auftreten,  die  nicht  nur  Anfälle,  sondern  auch  Aequi- 
\  alente  verschiedener  Art  aufweist,  letztere  manchmal  noch 
häufiger  als  die  genuine  Epilepsie.  Die  Verblödung  erreicht 
dabei  mehrfach  recht  tiefe  Grade. 

Während  es  praktisch  wenig  ausmacht,  ob  im  Feldzug 
sofort  eine  Differentialdiagnose  auf  manische  oder  kata¬ 
tonische  oder  paralytische  Erkrankung  usw.  gestellt  wird,  ist 
es  höchst  wichtig,  bei  den  auf  Gehirnläsionen  beruhenden 
Störungen  sofort  durch  sorgfältige  Diagnose  der  Behandlung 
die  Wege  zu  weisen.  Die  Üontusio  und  Compressio  verlangen 
Ruhe  und  eventuell  chirurgischen  Eingriff.  Bei  Commotio  ist 
längere  Ruhe  absolutes  Erfordernis,  bei  bulbären  Symptomen, 


1 ')  Hauptmann:  Hirndruck,  in  der  Neuen  deutschen  Chi¬ 
rurgie  von  Bruns.  Stuttgart  1914. 

*")  Experimentelle  Untersuchungen  über  die  traumatischen  Schä¬ 
digungen  des  Zentralnervensystems.  Histologische  und  histopatho- 
logische  Arbeiten  über  die  Grosshirnrinde,  herausgegeben  von 
Nissl  und  Alzheimer  1912. 


2154 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  < 


insbesondere  Herz-  und  Atemlähmung,  ist  künstliche  Atmung 
nötig,  während  gegen  die  etwaigen  Erregungszustände  medi¬ 
kamentös  wie  bei  anderweitiger  psychischer  Unruhe  vor¬ 
gegangen  werden  kann.  Im  Gegensatz  zu  den  endogenen 
Psychosen  sind  die  Fälle  einer  frischen  traumatischen  Geistes¬ 
störung  meist  nicht  als  transportfähig  zu  bezeichnen.  Noch 
geraume  Zeit  nach  einer  Commotio  kann  eine  Spätapoplexie 
erfolgen,  die  am  besten  durch  völlige  Ruhigstellung  des  Ver¬ 
letzten  verhütet  wird. 

Eine  gesonderte  Berücksichtigung  verdient  der  Schock 
aut  Grund  reflektorischer  Lähmung  des  Vasomotorenzentrums 
bei  einer  Einwirkung  des  Traumas  auf  die  sensiblen  Nerven. 
Hier  ist  es  ratsam,  dem  Hirn  rasch  Blut  zuzuführen,  am  besten 
mittels  Autotransfusion,  der  Tieflagerung  des  Kopfes,  dem 
Einwickeln  der  Beine  und  des  Unterleibs,  sowie  Wärme¬ 
anwendung. 

Mehrfach  wurde  im  Krieg  beobachtet,  dass  ein  Soldat  fällt, 
wenn  ein  grosses  Geschoss  lediglich  an  ihm  vorbeiflog,  offen¬ 
bar  infolge  des  Luftdrucks,  der  eine  solche  schwere  Schock- 
crscheinung  hervorbrachte.  Der  Betreffende  ist  gewöhnlich 
völlig  apathisch,  reagiert  kaum  noch  auf  Anruf,  die  Extremi¬ 
täten  sind  schlaff  gelähmt,  der  Puls  ist  verlangsamt  und 
flatternd,  die  Temperatur  ist  unternormal,  die  Gliedmassen 
sind  schlaff  gelähmt,  ebenso  besteht  Schlucklähmung,  sowie 
Inkontinenz.  Nach  mehreren  Stunden  tritt  gewöhnlich  der 
Tod  ein. 

Auch  bei  zunächst  wegen  interner  Krankheit  in  Behand¬ 
lung  genommenen  Feldzugsteilnehmern  kann  das  Bild  durch 
eine  gleichzeitig  vorhandene  Schockwirkung  stark  beeinflusst 
werden. 

So  gut  wie  die  körperliche  Erschöpfung  kann  gelegentlich 
auch  das  Schädeltrauma  eine  auslösende  Wirkung  ausüben 
bei  vorübergehender  Disposition  zu  einer  schweren  Psychose. 
Selbst  die  Paralyse  ist  davon  nicht  prinzipiell  auszunehmen, 
doch  bedarf  es  in  Begutachtungsfällen  der  Vorsicht,  ob  nicht 
vorher  bereits  Symptome  Vorlagen,  ob  das  Thema  eine  ent¬ 
sprechende  Erheblichkeit  hatte  und  ob  nicht  die  Zwischenzeit 
unwahrscheinlich  kurz  oder  lang  ist. 

Psychische  Störungen  im  Feldzug  können  auch  entstehen 
auf  Grund  von  H  i  t  z  s  c  h  1  a  g 21).  Es  ist  bereits  ein  ärztlicher 
Kollege  auf  dem  westlichen  Kriegsschauplatz  einem  Hitz- 
schlag  erlegen.  Die  frühere  Unterscheidung  zwischen  Sonnen¬ 
stich  infolge  meningitischer  Reizung  und  Hitzschlag  infolge 
von  Wärmestauung  ist  nicht  mehr  aufrecht  zu  erhalten.  Es 
handelt  sich  stets  um  eine  Wärmestauung  auf  Grund  einer 
Meningitis  serosa,  mehrfach  mit  Hirnhämorrhagien  verbunden. 
Zu  den  bekannten  Symptomen,  Blutandrang,  Uebelkeit, 
Schweissausbruch,  Kopfschmerz,  Parästhesien,  Hinfälligkeit, 
Bewusstseinstrübung,  Ohnmacht,  Koma,  Erlöschen  der  Re¬ 
flexe,  Inkontinenz,  Temperatursteigerung,  treten  nun  aber 
vielfach  auch  noch  psychiatrische  Symptome:  Die  Hälfte  der 
Fälle  weist  krampfartige  Zustände,  meist  typische  epilepb- 
forme  Konvulsionen  auf,  dabei  auch  Muskelkrämpfe  verschie¬ 
dener  Art,  Nystagmus,  Zittern.  Ferner  kommen  bei  etwa  K 
der  Fälle  auch  Delirien  vor,  mit  Verwirrtheit,  Illusionen  und 
Halluzinationen,  Inkohärenz,  Angstzuständen,  heftigem  Be¬ 
wegungsdrang  und  gelegentlich  Wahnvorstellungen.  Weniger 
häufig  sind  Dämmerzustände,  die  zu  Delirium  und  Koma  über¬ 
leiten  oder  auch  mit  Amnesie  vorübergehen  können. 

Bekanntlich  tritt  der  Hitzschlag  am  ehesten  beim  Mar¬ 
schieren  in  geschlossener  Kolonne  auf.  Seine  Mortalität 
wurde  in  unserem  Klima  auf  11,6  Proz.  berechnet,  höher  ist 
sie  (3ü,l  Proz.)  bei  den  deliranten  Formen.  In  der  Erholung 
findet  sich  manchmal  psychische  Apathie  oder  Aengstlichkeit. 
Bei  %  der  sich  erholenden  Fälle  stellen  sich  allmählich 
hysterische  Symptome  ein.  Manchmal  kommt  es  aber  auch 
zu  einer  postkalorischen  Demenz  mit  Charakter¬ 
veränderung,  geistigem  Verfall,  Gedächtnisschwäche,  Angst, 
Zornmütigkeit  oder  Apathie,  gelegentlich  Pupillenstarre,  Re¬ 
flexveränderungen,  Zittern  und  Spracherschwerung. 

Die  Therapie  sei  nur  insoweit  berührt,  als  dringend  zu  be¬ 
tonen  ist,  dass  der  Transport  solcher  Kranker  mit  grossen 
Gefahren  verknüpft  ist. 


21 )  Generalarzt  Stein  hausen:  Nervensystem  und  Insolation 
Berlin  1910. 


Die  Frage  der  alkoholischen  Psychosen  ist  kurz  zu  t 
örtern,  weil  ja  hocherfreulicherweise  vom  Augenblick  d 
Mobilmachung  ab  auf  die  Gefahren  des  Alkoholgenusses  stre 
Rücksicht  genommen  wurde.  Auch  beim  Aufenthalt  in  wei 
reichen  Gegenden  wird  hoffentlich  scharfe  Aufsicht  geübt, 
der  Marine  wird  seit  geraumer  Zeit  auf  Enthaltsamkeit  hi 
gearbeitet22).  Bekanntlich  besteht  in  der  amerikanisch 
Marine  das  Alkoholverbot,  ebenso  wird  in  Heer  und  Floi 
Norwegens  scharf  vorgegangen  und  neuerdings  wurde  sog 
im  russischen  Heer  für  den  Feldzug  der  Alkohol  verboten  u 
anscheinend  wird  das  Verbot  auch  beachtet.  Tatsächlich 
für  die  Lage  unseres  Heeres,  die  ein  Höchstmass  körperlich 
und  geistiger  Leistungsfähigkeit  erfordert,  die  Alkoholei 
haltung  ganz  ausserordentlich  bedeutungsvoll,  die  sch 
M  o  1 1  k  e  und  H  ä  s  e  1  e  r  befürwortet  haben  und  für  die  b 
kanntlich  der  Kaiser  1910  in  seiner  Ansprache  in  Mür\ 
energisch  eintrat:  „Diejenige  Nation,  die  das  geringste  Qua 
tum  Alkohol  zu  sich  nimmt,  die  gewinnt!“ 

Die  Therapie  eingehend  zu  besprechen,  liegt  ausserha 
der  Aufgabe  dieser  Zeilen,  nur  die  wichtigsten  Grundlag 
seien  erwähnt.  Schleunige  Entfernung  des  psychisch  E 
krankten  aus  dem  Gefecht  ist  selbstverständlich,  sei  es  auc 
dass  Zwang  und  Fesselung  angewandt  werden  müsste,  i 
übrigen  ist  zu  unterscheiden,  ob  es  sich  um  eine  psychisc 
Störung  durch  Trauma,  Schock  oder  Hitzschlag  handelt  od 
um  eine  Psychose  im  engeren  Sinne.  In  jenem  Fall  ist  Ruhi 
lagerung  unerlässlich,  während  bei  den  eigentlichen  Psychos 
die  Indikation  der  Transportfähigkeit  sehr  weit  gestellt  werd 
kann.  Freilich  bei  ausgesprochenen  Erschöpfungspsychos 
ist  zunächst  eine  gewisse  Ruhezeit  empfehlenswert.  Neue 
dings  sind  die  Güterdepots 2S)  mit  zahlreichen  Einrichtung 
gegenständen  für  eine  bei  einem  Etappenlazarett  zu  t 
richtende  psychiatrische  Abteilung  wohl  versehen,  ab 
zweckmässiger  noch  erscheint  der  möglichst  baldige  Tran 
Port  in  die  Heimat.  Der  mechanischen  Ruhigstellung  auf  de 
Transport  vorzuziehen  ist  gewöhnlich  eine  subkutane  Ei 
spritzung  von  Hyoscin  (0,001  bis  0,002)  mit  etwas  Morphiu' 
Mancher  Fall  von  leichterer  Hirnerschütterung  oder  Hit 
schlag  kann  sich  wieder  trefflich  erholen  und  wenigste 
garnisondienstfähig  werden.  Bei  den  Psychosen  im  enger 
Sinne,  auch  bei  ausgeprägter  Epilepsie  und  schwerer  Hyster 
muss  das  Ziel  die  Entlassung  aus  dem  Heeresverband  se 
da  auch  im  Falle  einer  Heilung  von  Epilepsie,  manisc 
depressivem  Irresein  usw.  doch  die  Gefahr  von  Rückfall 
besteht.  An  diesem  Grundsatz  ist  festzuhalten,  natürlich  seb 
in  der  Friedenszeit,  wenn  auch  die  preussisclie  Geschichte  e 
glänzendes  Beispiel  der  Kriegstüchtigkeit  nach  früher 
Psychose  enthält:  Feldmarschall  Blücher  hat,  wie  aus  d 
Erinnerungen  von  B  o  y  e  n  24)  und  den  Aufzeichnungen  sein 
Leibarztes  B  i  e  s  k  e  25)  unzweifelhaft  hervorgeht  und  neue 
i  dings  von  Kreuser26)  erörtert  wurde,  vom  Sommer  18 
|  ab  geraume  Zeit  an  schweren  psychischen  Störungen  n 
hypochondrischen  Ideen,  sinnlosen  Einbildungen,  Sinne 
täuschungen  und  Erregungszuständen  gelitten.  Trotzdem  h 
er  in  voller  Frische,  mehr  als  70  Jahre  alt,  die  Feldzüge  1813. 
geführt,  freilich  nicht  ohne  gelegentlich  und  auch  später  wied 
psychisch  krankhafte  Symptome  zu  zeigen.  Es  war  t 
seltener  Ausnahmefall;  wie  Scharnhorst  von  Blücht 
sagte:  „Das  ist  eine  ganz  besondere  Natur.“ 

Auch  abgesehen  vom  Bereich  psychischer  Krankheit' 
ist  es  im  Krieg  doch  von  ganz  wesentlicher  Bedeutung,  ' 
ein  guter  oder  ein  schlechter  Geist  im  Heere  herrscht.  U 
jenen  hochzuhalten,  kommt  es  nicht  allein  auf  psychiatriscl 
Prophylaxe  an,  wie  z.  B.  in  bezug  auf  den  Alkohol,  sonde 
die  gesamte  Volksstimmung  schon  von  der  Mobilmachung  ; 
stellt  die  gesunde  Grundlage  dar,  insbesondere  das  Zutraii' 
zur  gerechten  Sache  und  zuverlässigen  Führung.  Erhebe: 


22)  Marineoberstabsarzt  Buchinger:  Die  Alkoholfrage  in  d 
Marine,  in  Verth-Benthmann-Dirksen-Ruge,  Hb.  d.  GesundbekspiK 
an  Bord  von  Kriegsschiffen.  Jena  1914. 

23 )  Stier:  Off.  Bericht  des  4.  internat.  Kongresses  zur  Et 
sorge  Geisteskranker.  Halle,  Mar  hold  1911. 

L'4)  Herausgegeben  von  N  i  p  p  o  1  d  2.  1889.  S.  106. 

25)  G.  L.  Blücher  v.  Wahl  statt  1862. 

20)  lieber  Geistesstörungen  im  höheren  Lebensalter  und  il' 
Genesungsaussichten,  Allgcm.  Zschr.  f.  Psych.  71.  1914.  S.  1- 


27.  Oktober  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch.  mcd.  Wochenschrift. 


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wirkt  die  Kunde  von  baldigen  Erfolgen.  In  dieser  Hinsicht 
darf  sich  unser  Heer  ja  der  trefflichsten  Vorbedingungen  des 
rechten  kriegerischen  Geistes  erfreuen.  Wir  sind  nicht  an¬ 
gewiesen  auf  Lügenmeldungen,  wie  unsere  Feinde,  die  derart 
den  depravierten  Geist  ihrer  Truppen  künstlich  zu  heben 
suchen.  Man  kann  zweifeln,  ob  jenen  Verlogenheiten  und  Ver¬ 
drehungen.  kriminalpsychologisch  betrachtet,  lediglich  eine 
hysterisch-degenerative  Phantasie  zugrunde  liegt  oder  nicht 
zum  Teil  auch  bewusster,  kalt  berechneter  Betrug  oder  Ver¬ 
leumdung,  wie  es  zum  Handwerk  des  Gewohnheitsverbrechers 
gehört.  Für  den  psychologischen  Satz,  dass  die  Volksseele 
keineswegs  nur  die  restlose  Summe  der  Einzelseele  darstellt, 
dass  eine  Vereinigung  der  Menschen  niemals  dasselbe  Er¬ 
gebnis  liefert,  wie  die  Summe  der  I  ätigkeit  jedes  einzelnen, 
sondern  infolge  geistiger  Wechselwirkung,  auf  Grund  einer 
schöpferischen  Synthese,  wie  Wundt  es  ausdrückt,  durch 
das  geistige  Zusammenwirken  einer  Vielheit  von  Einzel¬ 
wesen  Neues  und  Höherwertiges  geschaffen  wird,  dafür  liefert 
die  einmütige  Erhebung  des  gesamten  deutschen  Volkes  ein 
herrliches  Beispiel.  Dass  diese  Wirkung  sich  voll  entfalte, 
dazu  bedarf  es  der  psychischen  Tüchtigkeit  des  Volksganzen.  Ein 
leistungsfähiges,  rüstiges  Zentralnervensystem  ist  die  wesent¬ 
liche  Grundbedingung  eines  nachhaltigen  Kriegserfolges.  Dem 
entspricht  es,  wenn  es  in  der  Miirviker  Rede  lautete:  „Der 
nächste  Krieg  und  die  nächste  Seeschlacht  fordern  gesunde 
Nerven  von  Ihnen.  Durch  Nerven  wird  er  entschieden.“ 


Aus  der  Kgl.  orthopädischen  Klinik  in  München. 

Die  Orthopädie  im  Kriege. 

Von  Prof.  Dr.  Fritz  Lange,  Oberstabsarzt  d.  L. 

(Schluss.) 

Die  Technik  ist  folgende: 

Zuerst  wird  von  den  Knöcheln  aufwärts  bis  zur  Mitte  des  Ober¬ 
schenkels  das  Bein  mit  Fi nck scher  Masse  bestrichen  (Terebinth.  60,0. 
Mastix  48,0,  Colophon.  100,0,  Resina  32,0,  Spiritus  90proz.  720,0). 
Stellt  diese  nicht  zur  Verfügung,  so  kann  man  auch  Mastisol  oder 
Mastisolersatz  oder  die  Heusner  sehe  Masse  (Venetian.  Terpen¬ 
tin  50,0,  Spiritus  100,0)  verwenden.  Die  Fi  nck  sehe  Masse  wird 
nach  unserer  Erfahrung  von  allen  diesen  Flüssigkeiten  am  besten  ver¬ 
tragen  und  hält  auch  relativ  am  längsten.  Dann  werden  zwei  50  cm 
lange,  8  cm  breite,  0,5  cm  dicke  Streifen  von  weissem  Filz, 
deren  Ränder  mit  dem  Messer  etwas  abgeschrägt  sind,  und  auf  deren 
Mitte  der  Länge  nach  ein  2  cm  breites,  sehr  festes  Leinenband  fest¬ 
genäht  ist,  von  den  Knöcheln  bis  zur  Mitte  der  Oberschenkel  an¬ 
gelegt  und  mit  Filzbinden  von  7  cm  Breite  unter  festem,  aber  gleich- 
massigem  Zuge  angewickelt  (Fig.  4).  Die  über  das  untere  Ende  der 


Fig.  4.  Befestigung  der  Filz-(extensions-)streifen  mit  Filzbinde. 


filzstreifen  herausragenden  Leinenbänder  von  50  cm  Länge  werden 
zusaminengekniipft,  über  das  Querrohr  des  Gasrohrrahmens  (Fig.  5a) 
geleitet  und  an  dieser  Bandschlinge  ein  Eimer  mit  Wasser  von  etwa 
i'1— 15  kg  Gewicht  gehängt.  Damit  der  Patient  infolge  dieses  Zuges 
sich  nicht  verschiebt,  muss  vorher  ein  filzgepolsterter  Gegenzug 
•  s.  Fig.  5b)  über  das  Tuber  ischii  der  verletzten  Seite  geführt  und 
am  Kopfende  des  Tisches  befestigt  werden. 

Leichte  Verkürzungen  kann  man  auf  diese  Weise  ohne  Narkose 
ungleichen:  bei  starken  Verkürzungen  und  bei  erheblichen  Schmer¬ 
len  empfiehlt  sich  die  Anwendung  der  Narkose. 

Ist  auf  diese  Weise  die  richtige  Stellung  der  Fragmente  und  die 
Ausgleichung  der  Verkürzung  erreicht,  so  wird,  während  die  Exten- 
uon  fortdauert,  das  ganze  Bein  von  den  Knöcheln  bis  zum  Nabel 
nit  Pol  st  er  watte  umwickelt.  Stellen,  die  des  natürlichen  Fett¬ 
polsters  entbehren,  wie  das  Knie,  der  Trochanter  major,  die  Darm- 
»einkämme  und  die  Kreuzbeingsgend,  werden  mit  einer  3 — 4  fachen 
uige  Watte  bedeckt;  sonst  genügt  eine  1 — 2 fache  Lage  Watte.  Die 
'V  attepolsterung  wird  mit  Mullbinden  festgewickelt.  Damit  der  Gips 
im  Leib  nicht  zu  eng  anliegt,  wird  zwischen  Wattepolsterung  und 
laut  ein  32  cm  langes.  20  cm  breites  und  10  cm  dickes  Wattekissen 
.‘ingelegt,  das  nach  Fertigstellung  des  Verbandes  wieder  entfernt 
•vird. 


Schliesslich  wird  über  die  Wattepolsterung  der  Gipsverband 
angelegt.  Um  das  Gewicht  des  Verbandes  möglichst  gering  zu  halten, 
kommt  es  darauf  an,  dass  die  Gipsschicht  überall  gleichmässig  dick 
ist.  Das  erreicht  man  am  besten  durch  reichliche  Verwendung  von 
Gipslanguetten  in  der  ganzen  Länge  des  Verbandes.  Wird  es  wegen 
der  Wundbehandlung  notwendig,  grössere  Fenster  im  Verband  an¬ 
zubringen,  so  muss  die  zwischen  den  Fenstern  stchenbleibende  Brücke 
besonders  durch  Gipslanguetten  oder  durch  Bandeisen  verstärkt 
werden. 


Und  nun  kommt  der  schwierigste  und  wich¬ 
tigste  Teil  des  Verbandes,  die  Anbringung  des  Sitz¬ 
ringes.  Am  Tuber  ischii  muss  jeder  Verband,  ganz  gleich,  ob  man 
den  Patienten  mit  einem  durchschossenen  Oberschenkel  gehen  lassen 
oder  liegend  transportieren  will,  gut  anliegen,  sonst  kann  im  Verband 
eine  neue  Verschiebung  der  Fragmente  eintreten.  Der  Gegenhalt  am 
Tuber  ischii  darf  aber  nicht  hart  sein,  sondern  er  muss  eine  gewisse 
Elastizität  besitzen,  da  sonst  ein  Dekubitus  an  dieser  empfindlichen 
Stelle  sicher  eintritt.  Die  Herstellung  dieses  Sitzringes  erfordert  eine 
so  grosse  Aufmerksamkeit,  dass  man  denselben  nicht  gleichzeitig  mit 
dem  übrigen  Gipsverband,  sondern  nachträglich  allein  ausarbeitet. 

Man  schneidet  von  der  Gipsschicht  so  viel  weg,  dass  eine  7 — 8  cm 
breite  Fläche  unter  dem  Tuber  ischii  gipsfrei  ist,  legt  an  dieser  Stelle 
zwei  Lagen  besten  Sattlerfilzes  ein  (Fig,  6a  u.  b),  presst  durch  ein 
mit  Filz  gepolstertes  Leinenband  (Fig.  6c),  das  der  Assistent  hält, 
die  Filze  so  gegen  den  Tuber  ischii,  dass  sie  unterhalb  desselben  sich 
rechtwinklig  umbeugen  und  führt  nun  eine  Anzahl  Gipsbinden  über 
die  beiden,  der  hinteren  Seite  des  Oberschenkels  sich  anschmiegenden 
Filzlagen  hinweg  (Fig.  7a).  Dann  werden  die  senkrecht  empor¬ 
ragenden  Teile  der  beiden  Filzlappen  heruntergeschlagen,  so  dass  sie 
auf  die  eben  herumgewickelte  Gipsbindenschicht  zu  liegen  kommen, 
und  werden  wieder  durch  eine  Anzahl  Gipsbindentouren  befestigt. 
Dadurch  entsteht  ein  über  daumendicker  Filzwulst  (Fig.  8),  dessen 
Druck  vom  Tuber  ischii  vertragen  wird. 

Die  Herstellung  dieses  Sitzringes  lässt  sich  nur  zum  Teil  be¬ 
schreiben.  Die  nötige  Fertigkeit  muss  durch  eigene  Versuche,  wenn 
dieselben  auch  zunächst  fehlschlagen,  erworben  werden.  Zu  lösen  ist 


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Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  raed.  Wochenschrift. 


die  Aufgabe  in  jedem  Falle,  bei  dem  die  Haut  des  Tuber  ischii  unver¬ 
letzt  ist.  Dann  wird  der  Gipsverband  ausgeschnitten.  Besonders 
zu  beachten  ist  dabei,  dass  der  Rand  des  Qipsverbandes  mindestens 
auf  Daumenbreite  vom  Arcus  pubis  entfernt  bleibt.  Denn  an  dieser 
Stelle  wird  nicht  der  geringste  Druck  vertragen. 


Fig.  6.  Anlegung  des  Sitzringes.  Einlegen  der  beiden  Filzplatten  und  des  gepolsterten 

Zuges  in  die  Olutäalfalte. 


Fig.  7.  Anlegung  des  Sitzringes.  Eingipsen  des  gepolsterten  Zuges. 


Nachdem  der  Sitzring  erstarrt  und  dartiit  ein  fester  Gegenhalt 
geschaffen  ist,  muss  dafür  gesorgt  werden,  dass  die  Extension 
auch  nach  Entfernung  des  Wassereimers  im  Gips- 
verbande  fortdauert.  Zu  diesem  Zwecke  fasst  der  Arzt  die 

Leinenbänder  der  Filz¬ 
streifen,  übt  einen  kräf¬ 
tigen  Zug  daran  fuss- 
wärts  aus,  der  Assistent 
schneidet  den  Knoten  der 
Bänder  durch,  entfernt 
den  Wassereimer  und 
der  Arzt  schlägt  nun, 
während  er  immer  wei¬ 
ter  kräftig  an  den  Bän¬ 
dern  extendiert,  diesel¬ 
ben  um  den  unteren 
Rand  des  Gipsverbandes 
nach  oben  hin  um,  wo 
sie  der  Assistent  durch 
einige  Gipsbindentouren 
befestigt. 

Damit  ist  das  Resultat 
der  Korrektur  bis  auf  die 
Rotation  gesichert. 
Um  nun  auch  die  unteren 
Fragmente  in  der  ge¬ 
wünschten  mittleren  Ro¬ 
tationsstellung  zu  fixie¬ 
ren,  und  um  gleichzeitig 
dem  Patienten  ein  schmerzloses  Auftreten  zu  ermöglichen,  wird  noch 
ein  F  u  s  s  t  e  i  1  angebracht. 

Zu  dem  Zwecke  wird  der  bis  dahin  unbedeckte  Fuss  mit  einer 
Wattepolsterung  versehen,  die  besonders  sorgfältig  am  Fussrticken 
und  an  den  Knöcheln  sein  muss.  Auf  die  Fusssohle  kommt  eine  fünf- 


Fig.  8.  Der  fertige  Sitzring. 

Der  obere  Teil  der  Filzplatten  ist  nach  unten  über 
den  eingegipsten  Polsterzug  umgeschlagen  und  in 
dieser  Stellung  durch  Gips  befestigt. 


Nr.  43. 

fache  Lage  Watte;  denn  der  Verband  muss  mindestens  5  cm  länger 
sein,  als  das  Bein  des  Patienten.  Nur  in  solchen  Verbänden  ist  ein 
Schweben  des  gebrochenen  Beines  möglich.  Selbstverständlich 
würde  die  Sohle  eines  solchen  Verbandes  aber  bald  durchgetreten 
sein,  wenn  sie  nicht  besonders  verstärkt  würde  Das  geschieht  am 
besten  durch  einen  langen  Gehbügel  aus  Stahldraht  von  0.5  cm 
Dicke  (Fig.  9) 

Ist  dieser  Bügel 
angewickelt  und  sind 
die  Ränder  des  Ver¬ 
bandes  zugeschnitten, 
so  erfolgt  sofort  die 
Prüfung,  ob  der 
Verband  richtig 
angelegt  ist.  Der 
Patient  wird  vom  Ti¬ 
sche  heruntergehoben, 
zunächst  auf  das  ge¬ 
sunde  Bein  gestellt, 
und  aufgefordert,,  das 
kranke  Bein  allmählich 
zu  belasten.  Ist  das  schmerzfrei  möglich,  so  muss  er  das  ge¬ 
sunde  Bein  hochheben,  um  das  ganze  Körpergewicht  auf  das 
kranke  Bein  oder,  genau  gesprochen,  auf  den  Oipsverband 
zu  verlegen.  Ist  das  Stehen  in  dieser  Weise  vollkommen 
schmerzfrei  möglich,  so  ist  der  Beweis  erbracht,  dass  der 
Verband  seinen  Zweck  erfüllt. 

Der  Patient  muss  nun  im  Bett  so  gelegt  werden,  dass  der 
Verband  gut  trocknen  kann;  deshalb  muss  er  abwechselnd 
Bauch-  und  Rückenlage  einnchmen.  Unter  den  Beckenteil 
des  Verbandes  kommt  ein  Hirsenspreukissen,  damit  nicht  der 
Verband  einbricht.  Am  folgenden  oder  nächstfolgenden  Tage, 
wenn  die  Gipsschicht  getrocknet  ist,  wird  die  Wasser¬ 
glasverstärkung  vorgenommen.  Dieselbe  ist  unbedingt 
notwendig,  um  eine  längere  Haltbarkeit  des  Gipsverbandes  zu 
erzielen  und  trägt  wesentlich  dazu  bei,  um  das  Gewicht  eines 
so  grossen  Gipsverbandes  in  erträglichen  Grenzen  zu  halten. 

Zu  dem  Zwecke  wird  eine  6 — 10  fache  Lage  Mullbinden,  zum 
feil  in  Languettenform,  zum  Teil  in  Rundtouren,  an  der  ganzen  Ober¬ 
fläche  des  Gipsverbandes  angebracht,  mit  Wasserglas  (auf  V*  Liter 
Wasserglas  kommt  ungefähr  eine  Handvoll  Schlemmkreide)  be¬ 
strichen  und  durch  trockene  Mullbinden  festgewickelt.  In  24  Stunden 
ist  in  der  Regel  die  Wasserglasverstärkung  trocken  und  der  Patient 
beginnt  mit  dem  Stehen  und  Gehen.  Dasselbe  wird  wesentlich  er¬ 
leichtert,  wenn  man  die  Schuhsohle  auf  der  gesunden  Seite  durch  Filz¬ 
auflage  um  5  cm  erhöht,  und  wenn  man  dem  Patienten  zunächst  die 
Benützung  von  Krücken  erlaubt. 

Ich  möchte  ausdrücklich  hervorheben,  dass  im  Felde  nicht 
der  eigentliche  Zweck  dieses  Verbandes  etwa  der  ist,  dass  die 
Patienten  mit  ihrem  Bein  umhergehen  können.  So  angenehm 
und  wertvoll  in  Friedenszeiten,  namentlich  für  alte  Leute,  die 
ambulante  Behandlung  der  Knochenbrüche  ist,  so  unbedingt 
wäre  die  ganze  umständliche  Technik  des  Gipsverbandes  im 
Kriege  zu  verwerfen,  wenn  es  sich  nur  um  eine  Art  „Kunst¬ 
stückorthopädie“  handelte.  Der  Zweck  des  Geh ver- 
bandes  ist  vielmehr,  die  Fragmente’  in  rich¬ 
tiger  Stellung  zu  erhalten,  einen  gefahr  -  und 
schmerzlosen  Transport  zu  ermöglichen,  und 
er  wird  nur  deshalb  angewendet,  weil  mit 
anderen  Verbänden  sich  dieser  Zweck  nicht 
erreichen  lässt. 

Als  ich  meine  Absicht,  im  Kriege  Gehverbände  zu  machen, 
äusserte,  wurden  manche  Bedenken  dagegen  laut.  Es  wurde 
gesagt:  Für  die  Verhältnisse  des  Krieges  ist  die  ganze  Technik 
viel  zu  umständlich  und  ausserdem  kann  sie  nur  von  Aerzten 
ausgeübt  werden,  die  eine  gewisse  technische  Fertigkeit  haben. 
Das  ist  gewiss  richtig.  Aber  wenn  der  Beweis  erbracht  wird, 
dass  man  im  Felde  Gehverbände  erfolgreich  machen  kann, 
dann  müssen  unter  anderen  auch  solche  Aerzte  in  das  Feld, 
welche  diese  Technik  beherrschen,  und  das  sind  die  Ortho¬ 
päden.  Sie  sind  dann  berufen,  das  nach  Friedrichs  Worten 
bisher  ungelöste  Problem  des  Transportes 
der  Schussfrakturen  in  Angriff  zu  nehmen.  Gelingt 
es,  dann  wird  sich  die  Orthopädie  im  Kriege  als  ebenso  segens¬ 
reich  wie  die  Chirurgie  erweisen. 

Die  Kosten  eines  solchen  Gehverbandes,  die  etwa  10  bis 
15  M.  betragen,  spielen  gar  keine  Rolle  gegenüber  den  Tau- 


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Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


, enden,  die  an  In\ alidenpcnsionen  dem  Staate  gespart  werden 
yenn  die  Deformierung  und  Verkürzung  der  durchschossenen 
vnochen  vermieden  wird. 

Mit  dem  Gipsverband  allein  ist  die  orthopädische  Behand- 
ung  der  Selmssfrakturen  nicht  erschöpft.  Bei  allen  Schüssen 
u  der  Nähe  der  Gelenke  droht  die  Gefahr  der  Gelenkver- 
teifu  ii  g,  wenn  nicht  nach  der  Verbandabnahme  eine  sorg- 
ältige  orthopädische  Nachbehandlung  eingeleitet  wird.  Das 
st  in  den  Lazaretten  in  der  Nähe  des  Schlachtfeldes  unmög- 
ich,  und  deshalb  sollten  alle  Verwundeten,  bei  denen  die  Ge- 
ahr  der  Gelenkversteifung  besteht,  frühzeitig  in  die  Heimat 
.eschafft  und  der  Behandlung  von  Orthopäden  überwiesen 
verden. 

Es  ist  zu  hoffen,  dass  die  mustergültigen  Einrichtungen, 
celche  unsere  Staatsregierung  in  der  orthopädischen  Klinik 
nd  Poliklinik  geschaffen  hat,  gemeinsam  mit  den  vortrefflichen 
rthopädischen  Privatanstalten  Zusammenarbeiten  werden,  um 
ie  Fortschritte  unserer  Wissenschaft  unseren  tapferen  Ver¬ 
wundeten  zum  Segen  werden  zu  lassen. 

Nachtrag  während  der  Drucklegung. 

Unsere  Ausführungen  sind  durch  die  bisherigen  Er- 
ihrungen  vollauf  bestätigt  worden.  Tatsächlich  bleibt  die 
iipsbehandlung  der  Schussfrakturen  —  beson- 
ers  gilt  das  vom  Bein  —  unter  den  Verhältnissen,  die  in  einem 


2157 

derseite  des  Oberschenkels  sich  befand,  war  erfüllt  mit  einem 
schokoladebraunen  Sekret,  das  einen  nicht  zu  beschreibenden,  wider¬ 
lich  süsslichen  Brandgeruch  hatte.  Der  Patient  lag  in  seinem  Bette, 
weinte  fortwährend  und  bat,  dass  man  ihn  nicht  anrühre.  Ein  Bild 
des  Elends,  wie  es  selbst  unter  den  vielen  Schwerverwundeten  un¬ 
gewöhnlich  war.  Ich  entschloss  mich  unter  diesen  Verhältnissen  zur 
sofortigen  Narkose,  Anlegung  einer  Gegenöffnung  auf  der  Unterseite 
des  Oberschenkels,  Einführung  eines  Gummidrains,  Ausräumung  des 
jauchigen  Sekretes  und  der  losgelösten  Knochensplitter  und  Anlegung 
eines  Gipsverbandes. 

?  Stunden  später  lag  der  Patient  in  seinem  Bett,  schmerzfrei, 
las  die  Zeitung  und  rauchte  mit  grossem  Behagen  eine  Zigarette.  Das 
war  der  schnellste  und  grösste  Wechsel  in  dem  Befinden  eines  Men¬ 
schen,  den  ich  je  in  meiner  ärztlichen  Tätigkeit  erlebt  hatte.  In 
einigen  Tagen  wurde  die  Temperatur  normal  und  die  Erhaltung  des 
Lebens  und  Beines  darf  als  gesichert  gelten. 

Seitdem  habe  ich  es  mir  zur  Regel  gemacht,  möglichst 
bald  f ii r  Fixierung  der  durchschossenen  Knochen  zu  sorgen. 
Ist  der  Patient  fieberfrei  und  das  Sekret  an  der  Wunde  nicht 
übelriechend,  so  wird  die  Wunde  nur  mit  Jodtinktur  betupft 
und  mit  Perubalsam  verbunden.  Besteht  aber  Fieber  und 
Sekretverhaltung,  und  ist  das  Sekret  übelriechend,  so  wird 
sofort  eine  Gegenöffnung  angelegt,  ein  Gummirohr  eingeführt, 
die  Wundhöhle  mit  Wasserstoffsuperoxyd  durchgespült  und 
freie  Knochensplitter  entfernt.  Die  Hauptsache  aber 
bleibt,  dass  sofort  hinterher  eine  richtige 
Schiene  oder  ein  gefensterter  Gipsverband 
angelegt  wird.  Bei  dieser  Behandlung  erlebt  man  grosse 


Fig.  io. 


hnell  eingerichteten  Etappen-  oder  Reservelazarett  herr- 
hen,  das  einzige  Mittel,  um  stärkere  Verkürzungen  und 
hwere  Deformierungen  der  durchschossenen  Glieder  zu 
rhüten.  Die  Gipsbehandlung  sichert  aber  nicht  nur  in  for- 
aler  Hinsicht  gute  Endresultate,  sondern  sie  beeinflusst  den 
iilungsverlauf  in  ausserordentlich  günstiger  Weise.  Der 
akturschmerz,  unter  dem  der  Patient  am  meisten  leidet,  wird 
der  Regel  durch  den  Gips  sofort  und  dauernd  be- 
itigt;  besonders  bedeutungsvoll  ist  aber  die  Beeinflussung 
s  \\  undheilverlaufes  unter  der  sorgfältigen  Fixierung.  Unter 
n  80  Knochen-  oder  Gelenkschüssen,  die  ich  bisher  in  Be- 
ndlung  gehabt  habe,  fanden  sich  eine  ganze  Anzahl,  bei 
neu  das  Sekret  jauchig  war,  und  bei  denen  Temperaturen 
’n  39  und  40 "  bei  Beginn  der  Behandlung  bestanden.  Ich 
tte  anfangs  Bedenken,  bei  diesen  Patienten  eine  Korrektur  in 
r  Stellung  der  Fragmente  in  Narkose  vorzunehmen,  auf 
und  der  Erfahrungen,  die  man  in  Friedenszeiten  früher  mit 
m  Redressement  von  fistelnden  Koxitiden  und  Gonitiden  ge¬ 
teilt  hatte.  Es  hat  sich  aber  gezeigt,  dass  die  Knochen-  und 
lenkschiisse  desto  besser  verlaufen,  je  früher  sie  immobili- 
rt  werden. 

Besonders  lehrreich  war  folgender  Fall: 

Ein  Mann  hatte  3  Tage  lang  hilflos  unter  Toten  auf  dem  Schlaclit- 
1  gelegen  und  wurde  mit  durchschossenem  Oberschenkel  in  das 
sarett  gebracht.  Temperatur:  39,3.  Die  Wunde,  die  auf  der  Vor¬ 


freude  an  den  Knochen-  und  Gelenkschüssen,  und  man 
braucht,  wenn  der  Verlauf  stets  so  ist,  wie  der  meiner  ersten 
80  meist  sehr  schweren  Fälle,  nur  mit  einer  Mortalität  von 
2 — 3  Proz.  zu  rechnen. 

Auch  die  Zahl  der  Amputationen  wird  dadurch  wahr¬ 
scheinlich  beeinflusst.  Ich  habe  bisher  nur  in  einem  Falle  eine 
Amputation  vornehmen  und  von  anderen  grösseren  Opera¬ 
tionen  nur  einmal  die  Axillaris  und  einmal  die  Poplitea  (mit 
bisher  gutem  Resultat)  unterbinden  müssen.  Diese  Zahl  gilt 
abei  nur  für  die  im  Laufe  der  Behandlung  in  einem  Etappen¬ 
lazarett  notwendig  werdenden  Amputationen.  Die  von  vorn¬ 
herein  verlorenen  Glieder  werden  in  der  Regel  schon  im  Eeld- 
oder  Kriegslazarett  amputiert. 

Auf  meinem  Arbeitsgebiet  der  Knochen-  und  Gelenk- 
schüsse  spielen  zweifellos  richtige  Verbände  eine  viel  grössere 
Polle  als  die  Operationen.  Dass  sich  einwandfreie  Gipsver¬ 
bände,  auch  der  Oberschenkelfrakturen,  unter  den  Verhält¬ 
nissen  eines  Etappenlazaretts  machen  lassen,  ist  erwiesen. 
Wir  haben  bisher  bei  20  Patienten  mit  Oberschenkelfrakturen 
Gehverbände  angelegt  und  bei  allen  ausnahmslos  ein  sofortiges 
schmerzfreies  Stehen  erreicht.  Eine  Gruppe  von  solchen 
Patienten  zeigt  das  Bild  (Fig.  10). 

- - -  •  »irr.  •  - 


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Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  43. 


Oswald  Loeb- Göttingen  f. 

Prof.-O.  Loeb  aus  Göttinnen  ist  als  Militärarzt  auf  dem  Wege 
ins  Feindesland  in  Metz  infolge  eines  Sturzes  vom  Pferde,  34  Jahre 
alt,  gestorben  Wenn  auch  nicht  von  Feindeshand  gefallen,  so  hat 
er  doch  wie  so  viele  Kollegen  den  Flcldentod  im  Dienste  des  Vater¬ 
landes  erlitten  Die  medizinische  Wissenschaft  und  insbesondere  sein 
Wissensgebiet,  die  Pharmakologie,  verliert  einen  schon  bewährten 
und  vielversprechenden  Forscher.  Seine  früheren  Arbeiten  aus  den 
pharmakologischen  Instituten  in  Heidelberg  und  Göttingen,  die  sich 
vorwiegend  mit  dem  Einfluss  verschiedener  Gifte  und  Arzneistoffe 
auf  das  Herz  beschäftigen,  sichern  ihm  bereits  einen  guten  Namen 
in  der  Geschichte  seiner  Disziplin.  Berechtigtes  Aufsehen  haben 
seine  letzten  Arbeiten  zur  Aufklärung  der  Entstehungsweise  der 
Atherosklerose  gemacht. 

Was  den  Verstorbenen  gerade  dem  Schreiber  dieser  Zeilen 
nahegebracht  hat  und  die  Veranlassung  zu  diesem  Nachruf  gewesen 
ist,  das  war  der  grosse  Eifer  und  die  ideale  Begeisterung,  mit  der 
L  o  e  b  sich  an  den  Bestrebungen  zur  Bekämpfung  des  Arznei- 
mittelunwesens  beteiligt  hat.  Als  Geschäftsführer  und  später  als 
Mitglied  der  Arzneimittelkommissicn  des  Deutschen  Kongresses  für 
innere  Medizin  hat  er  eine  aufopfernde,  überaus  mühevolle  Tätigkeit 
durch  3  Jahre  hindurch  entwickelt,  hartnäckige  Kämpfe  mit  den 
Gegnern  unserer  Grundsätze  durchgeführt  und  einen  grossen  Teil 
der  schliesslichen  Erfolge  durch  sein  ebenso  energisches  wie  ge¬ 
rechtes  Vorgehen  erreicht.  Wenn  in  Friedenszeiten  dieser  gerechte 
Kampf  gegen  das  „Heilmittelunheil“,  wie  es  der  Lehrer  L  o  eb  s,  Wolf¬ 
gang  H  e  u  b  n  e  r,  mit  Recht  genannt  hat,  wie  wir  hoffen  wieder  auf¬ 
genommen  wird,  so  werden  wir  unseren  kraftvollen  Mitstreiter 
schwer  vermissen. 

Diese  kraftvolle  innere  Wahrhaftigkeit  der  Natur  Oswald 
L  o  e  b  s  war  es,  die  ihm  bei  allen,  die  ihn  kannten  und  verstanden, 
nicht  nur  Weitschätzung,  sondern  auch  wirkliche  Zuneigung  ein¬ 
trugen.  Was  er  einmal  als  richtig  erkannt  hatte,  das  verfocht  er 
auch,  ohne  sich  darum  zu  kümmern,  ob  es  ihm  schaden  könnte  oder 
nicht.  Er  war  nicht  „liebenswürdig“  im  landläufigen  Sinne  des 
Wortes  und  doch  war  er  ein  liebenswerter  Charakter  in  des 
Wortes  eigentlichster  Bedeutung. 

Deshalb  trauern  an  der  Bahre  des  so  früh  und  so  jäh  Dahinge¬ 
schiedenen  nicht  nur  das  Vaterland  und  die  medizinische  Wissen¬ 
schaft,  es  trauern  auch  seine  Freunde  und  vor  allem  die  treue  Gattin, 
die  Mutter  seines  Kindes,  und  seine  ganze  Familie. 

Möge  das  bescheidene  Denkmal,  das  diese  Zeilen  dem  Forscher 
und  Menschen  setzen  sollten,  auch  den  um  ihn  trauernden  Hinter¬ 
bliebenen  ein  schwacher  Trost  sein!  P  e  n  z  o  1  d  t. 


Referate. 

Deutsche  medizinische  Wochenschrift.  Aus  Nr.  40.  1914. 

V.  C  z  e  r  n  y  -  Heidelberg:  Einleitung  in  die  Kriegschirurgie. 

Verf.  übt  eine  gewisse  Kritik  an  der  Organisation  des  Kriegs¬ 
sanitätswesens  und  wünscht  vor  allem,  dass  die  zentralen  Behörden 
den  lokalen  Delegierten  vom  Roten  Kreuz  freiere  Hand  lassen  möch¬ 
ten,  z.  B.  in  Heidelberg  bezüglich  der  Frage  der  Erholungsheime 
und  Privatpflegestätten  zur  Entlastung  der  sehr  an  Bettenmangel 
leidenden  Spitäler.  Ebenso  wäre  es  wohl  genügend,  wenn  die  Ent¬ 
scheidung  über  die  Dienstfähigkeit  der  Rekonvaleszenten  nach  An¬ 
trag  des  behandelnden  Arztes  dem  Bezirkskommando  (Garnisonsarzt) 
und  nicht  dem  Generalkommando  zustehen  würde.  Eine  Verminde¬ 
rung  des  Schreibwerkes  wäre  sehr  erwünscht. 

Auffallend  ist  der  Unterschied  des  guten  Aussehens  der  Ver¬ 
bände  und  der  Wunden  der  Verwundeten,  welche  nur  einen  kurzen 
Transport  hinter  sich  haben  und  welche  in  einem  guten  Sanitäts¬ 
zug  gereist  sind,  gegenüber  dem  Zustand  bei  denen,  welche  tage¬ 
lang  und  welche  in  Notsanitätszügen  (notdürftig  in  Stroh  und  in  un¬ 
reinen  Gepäckwagen)  transportiert  worden  sind.  Manchen  solchen 
Zügen  ist  kein  Arzt,  kein  Sanitätspersonal,  nicht  einmal  ein  Führer 
beigegeben.  Man  muss  als  Regel  verlangen,  dass  für  je  50  Ver¬ 
wundete  ein  Heilgehilfe  und  eine  Krankenschwester  und  für  jeden 
Zug  ein  Arzt  abgestellt  wird.  Am  besten  würden  die  D-Züge  nach 
einigen  nicht  allzu  schwierigen  Abänderungen  zu  Verwundetentrans¬ 
porten  verwendet.  Um  in  aller  Ruhe  die  —  sonst  oft  kaum  mög¬ 
liche  —  zweckmässige  Verteilung  der  Verwundeten  vornehmen  zu 
können,  sollten  an  den  grösseren  Etappenorten  eigene  Passanten¬ 
lazarette  eingerichtet  werden.  In  Heidelberg  wurden  bis  15.  Sep¬ 
tember  13  600  Verwundete  am  Bahnhof  versorgt,  3390  in  die  Spitäler 
aufgenommen,  1858  wieder  evakuiert. 

Verf.  erörtert  weiter  die  Verhältnisse,  welche  gegen  früher  eine 
günstigere  Gestaltung  der  Wundheilung  bedingen:  die  vermehrte 
Zahl  und  bessere  Einrichtung  der  Spitäler,  die  Verbesserung  der  dia¬ 
gnostischen  Hilfsmittel,  der  Operations-  und  Verbandstechnik,  die 
Aenderung  der  Geschosse. 

An  Tetanus  treffen  auf  27  Todesfälle  der  Heidelberger  Spitäler 
bereits  8  (von  17  Erkrankten,  die  z.  T.  noch  in  Behandlung  stehen), 
Fälle  von  längerer  Inkubation  scheinen  auch  hier  wieder  relativ 
günstiger  zu  sein.  Ob  der  bis  jetzt  günstige  Prozentsatz  auch  dem 
auf  die  verschiedenste  Weise  eingespritzten  Tetanusserum  zu  danken 
ist,  steht  noch  dahin.  Von  v.  Behring  wird  empfohlen,  das  pulver¬ 


förmige  Antitoxin  in  die  Wunden  einzustäuben.  Von  den  17  Fällen 
waren  13  durch  Granatsplitter  verletzt,  alle  Fälle  waren  in  schlechten 
Güterwagen  und  mit  schlecht  aussehenden  Wunden  angekommen. 
Es  erscheint  eine  vorherige  Desinfektion  der  für  den  Krankentrans¬ 
port  bestimmten  Güterwagen  als  erforderlich.  Bergeat. 


Kleine  Mitteilungen. 

Sanitätshunde. 

Die  Sanitätshunde,  mit  denen  z.  Z.  in  der  deutschen  Armee  Ver¬ 
suche  angestellt  werden,  haben  sich,  nach  einer  Mitteilung  de' 
Deutschen  Vereins  für  Sanitätshunde,  bisher  sehr  gut  bewährt.  Es 
sind  schon  mehrere  Fälle  bekannt, 
in  denen  die  Hunde  versteckt 
liegende  Verwundete  aufgefunden 
und  vor  dem  Tode  durch  Ver¬ 
bluten  oder  Entkräftigung  ge¬ 
rettet  haben.  Es  sind  z.  Z.  200 
Hunde  tätig.  Am  besten  sollen 
Dobermanns  für  den  Zweck  ge¬ 
eignet  sein.  Auch  für  die  baye¬ 
rische  Armee  sind  vor  kurzem 
Hunde  angekauft  worden.  Sie 
werden  von  der  Zentralkriegs¬ 
sanitätskommission  feldmässig  aus¬ 
gerüstet.  Sie  erhalten  einen  Leib¬ 
gurt  mit  zwei  zu  beiden  Seiten 
befindlichen  ziemlich  grossen  Ta-  Bayerischer  Sanitätshund, 

sehen.  Die  eine  davon  enthält 

Verbandzeug.  Heftpflaster,  Schere,  Bindfaden  und  anderes  zur  Selbst¬ 
hilfe  für  den  ersten  Augenblick  nötiges  Material.  In  der  zweiten 
Tasche  befinden  sich  Labemittel,  wie  kalter  Thee,  Kaffee,  ein  kleines 
Fläschchen  Wein  und  Rum,  Zucker  und  Schokolade.  Alle  diese 
Sachen  sind  wohl  verpackt  und  mit  Aufschriften  versehen.  Die  An¬ 
wendung  von  Sanitätshunden  stammt  aus  der  Schweiz,  wo  man  vor 
etwa  10  Jahren  die  ersten  Versuche  bei  den  Manövern  machte  und 
befriedigende  Resultate  erzielte. 


Therapeutische  Notizen. 

P  e  1 1  i  d  o  1  s  a  1  b  e.  Ich  möchte  nicht  unterlassen,  auf  ein  üeber- 
häutungsmittel  hinzuweisen,  das  sich  mir  bei  der  Behandlung 
grösserer  Wunden  sehr  bewährt.  Pellidolsalbe,  der  Ersatz  der  Bieb- 
richer  Scharlachrotsalbe,  die  aber  vor  letzterer  den  grossen  Vorteil 
bietet,  keine  so  unangenehmen  roten  Flecken  in  Verbandstoffen  und 
Wäsche  zu  hinterlassen.  Selbst  sehr  grosse  Wunden  mit  ganz  ge¬ 
ringer  Heilungstendenz  beginnen  nach  den  ersten  Tagen  der  Pellidol¬ 
behandlung  schon  kleine  Epithelinseln  zu  zeigen,  von  denen  aus 
dann  die  Epithelisierung  langsam,  aber  immer  noch  erheblich  schneller 
wie  sonst  fortschreitet,  so  dass  der  Heilungsprozess  bedeutend  ab¬ 
gekürzt  wird.  Pellidolsalbe  hat  ausserdem  den  Vorzug  grosser  Billig¬ 
keit.  Dr.  med.  B  S  a  I  f  e  1  d  -  Wiesbaden. 

Tierkohle  bei  Ruhr.  Im  Anschluss  an  seine  Mitteilung 
in  Nr.  34  S.  1863  d.  Nr.  empfiehlt  Dr.  E  k  s  t  e  i  n  -  Budweis  Tier¬ 
kohle  insbesondere  bei  Ruhr.  Ein  in  der  letzten  Zeit  von  ihm  be¬ 
handelter  Fall  von  akutem,  ruhrartigem  Durchfall,  der  vor  Behandlung 
10 — 15  Stühle  täglich  (durch  8  Tage)  hatte,  habe  sich  nach  Einnahme 
von'  nur  30  g  einer  lOproz.  Tierkohlelösung  derart  gebessert,  dass 
bereits  der  2.  Stuhlgang  nicht  mehr  diarrhoisch,  sondern  geformt  war. 


Tagesgeschichtliche  Notizen. 

München,  den  24.  Oktober  1914.*) 

—  13.  Kriegswoche.  Ereignisse  von  entscheidender  Be¬ 
deutung  hat  die  vergangene  Woche  nicht  gebracht,  doch  haben  in  den 
letzten  Tagen  an  verschiedenen  Punkten  der  nordfranzösischen 
Schlachtlinie,  namentlich  bei  Lille,  erfolgreiche  Angriffe  unserer 
Truppen  stattgefunden.  Im  Osten  wird  siegreiches  Vorgehen  der 
Oesterreicher  in  Galizien  gemeldet;  Ungarn  ist  vom  Feinde  befreit. 
Die  wiederholten  Verletzungen  der  Genfer  Konvention 
durch  Franzosen  und  Belgier  sind  schon  früher  von  uns  erwähnt 
und  damit  auch  die  hohen  Verlustziffern  der  Aerzte  in  Zusammen¬ 
hang  gebracht  worden.  Authentisches  Material  hierüber  enthält  eine 
Denkschrift,  welche  die  deutsche  Regierung  der  französischen 
hat  zustellen  lassen.  Was  hier  an  rücksichtsloser  Nichtachtung  der 
Genfer  Flagge  und  an  grausamer,  unmenschlicher  Behandlung  von 
Gefangenen  und  Verwundeten  einwandfrei  festgestellt  ist,  schreit  zum 
Himmel.  Die  Scheusslichkeiten  von  Orchies  waren  durch  die  amt¬ 
liche  Darstellung  Exz.  v.  Schjernings  schon  bekannt.  Man 
konnte  sie  für  vereinzelte  Untaten  entmenschter  Bestien  halten.  Sie 
sind  es  nicht;  ähnliche  Greuel,  Ausstechen  der  Augen,  Abschneider 


*)  Die  vorliegende  Nummer  musste  wegen  des  Reformations¬ 
festes  mit  Rücksicht  auf  die  über  Leipzig  gehende  Auflage  früher 
fertiggestellt  werden.  Die  Schriftleitung. 


7.  Oktober  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


2159 


>n  Fingern  und  andere  Verstümmelungen  sind  auch  anderswo  Vor¬ 
kommen.  Vor  allem  aber  ist  das  Absuchen  des  Schlachtfeldes  und 
edermachcn  der  aufgefundenen  deutschen  Verwundeten  durch  frän¬ 
kische  Offiziere  und  Soldaten  eine  nicht  länger  zu  bezweifelnde 
itsache.  nie  deutsche  Regierung  hat  gegen  diese  unerhörten  Ver- 
izungen  eines  von  allen  Kulturstaaten  geschlossenen  Weltvertrags 
ierliche  Verwahrung  eingelegt.  Dass  diese  einem  Volke  gegenüber, 
is  solcher  Schandtaten  überhaupt  fähig  ist,  Eindruck  machen  wird, 
:  zu  bezweifeln.  Es  muss  daher  Sache  ernster  Erwägung  sein, 
eiche  Gegenmassregeln  von  deutscher  Seite  zu  ergreifen  sind.  Der 
-danke,  dass  Deutsche  soweit  herabsteigen  könnten,  hier  Gleiches 
,t  gleichem  zu  vergelten,  ist  dabei  von  vornherein  abzuweisen 
iss  die  Franzosen  mit  der  Ermordung  deutscher  Verwundeter  sich 
s  die  gelehrigen  Schüler  der  Engländer  erweisen,  ist  bekannt, 
ich  der  Schlacht  bei  1  el  el  Kebir  hat  der  damalige  ausgezeichnete 
iegsberichterstatter  der  Köln.  Ztg.  (u.  W.  Dr.  Zöllner)  als  Augen- 
uge  berichtet,  dass  nach  der  Schlacht  sämtliche  ägyptische  Ver- 
undete  von  den  Engländern  niedergemacht  wurden.  Die  Fest- 
-Ihing  hatte  seinerzeit  einen  Wutausbruch  der  englischen  Presse 
r  Folge,  an  der  I  atsache  konnte  aber  nicht  gerüttelt  werden.  Wenn 
in  sich  dieser  Gesinnung  unserer  Gegner  erinnert,  so  kann  man 
:h  auch  nicht  wundern,  dass  neuerdings  ein  deutsches  Lazarett- 
'iiff  unter  Bruch  der  internationalen  Verträge  von  den  Engländern 
kapert  wurde. 

Während  so  die  deutsche  Armee  gegen  moralisch  minderwertige 
gner  streitet,  suchen  die  Regierungen  im  Innern  in  grosszügiger 
eise  dem  Kriegselend  zu  begegnen.  Die  preussische  Regierung  hat 
len  Kredit  von  1500  Millionen  Mark  verlangt  zur  Deckung  der 
rch  den  Krieg  bedingten  Ausfälle  in  den  Staatseinnahmen  und  zur 
ueitung  einer  weitgehenden  Hilfsaktion.  Fürsorge  für  die  staat- 
hen  Lohnangestellten,  Notstandsarbeiten,  Erleichterung  der  Ver- 
rgung  bestimmter  Gebiete  mit  Nahrungsmitteln,  Erhaltung  des 
-hbestandes,  Vermehrung  der  Nahrungs-  und  Futtermittel,  Einkauf 
n  Nahrungsmitteln  aus  öffentlichen  Mitteln,  Förderung  der  Feld¬ 
stellung,  Hilfe  für  Ostpreussen  etc.  sind  ins  Auge  gefasst.  Beide 
user  des  preussischen  Landtags  haben  der  Vorlage  einmütig  ihre 
Stimmung  gegeben.  Viel  Kriegsnot  wird  durch  sie  gemildert 
rden. 

—  Auf  eine  Eingabe  des  Verbandes  der  Aerzte  Deutschlands 
das  Auswärtige  Amt  und  das  Preussische  Kriegsministerium  hin, 
durch  Vermittlung  der  Botschaft  der  Vereinigten  Staaten  von 

lerika  der  grossbritannischen  Regierung  vorgeschlagen  worden,  den 
derseitigen  Aerzten,  auch  wenn  sie  sich  im  wehrpflichtigen  Alter 
inden,  die  Abreise  in  ihre  Heimat  zu  gestatten.  Ob  dieser  Schritt 
l  Erfolg  sein  wird,  bleibt  abzuwarten. 

—  In  Berlin  wird  die  Medizinische  Gesellschaft 
nnächst  ihre  Sitzungen  aufnehmen.  Dagegen  wird  der  Verein  für 
ere  Medizin  und  Kinderheilkunde  vorerst  nicht  tagen. 

—  Man  schreibt  uns  aus  H  a  m  b  u  r  g,  15.  Oktober  1914:  Wir  be¬ 
iteten  in  Nr.  41  d.  Wschr.  über  Beschlüsse  der  Hamburger  Bürger¬ 
aft,  auch  die  Reichsversicherungsanstalt  zur  Lin- 
ung  der  durch  den  Krieg  geschaffenen  Notlage  mit  oder  ohne 
iderung  der  Gesetzgebung  heranzuziehen.  Schneller,  als  man 
fen  durfte,  sind  die  Wünsche,  die  in  den  genannten  Beschlüssen 
l  Ausdruck  gelangten,  wenigstens  zum  grössten  Teil  in  Erfüllung 
angen.  Der  Verwaltungsrat  der  Reichsversicherungsanstalt  war 
i  12.  Oktober  einberufen  und  hat  bereits  einen  Beschluss  ge- 
d,  der  nicht  nur  den  Wünschen  der  Bürgerschaft  Rechnung  trägt, 
dem  noch  weit  über  das  hinausgeht,  was  man  von  einem  so  jun- 

Unternehmen,  wie  die  Reichsversicherungsanstalt,  die  am 
anuar  1914  1  Jahr  existiert,  erwarten  darf.  Von  dem  in  der  Biir- 
schaft  erwähnten  Vermögen  von  122  Millionen  Mark  konnte  eine 
Glligung  nicht  in  Frage  kommen,  da  es  sich  hierbei  lediglich  um 
Prämienreserve  handelt,  also  nur  um  einen  Teil  des  Vermögens 
Rcichsversicherungsanstalt,  über  den  auch  gesetzgeberische 
'Snahmen  nicht  hätten  verfügen  dürfen.  Der  einzige  Vermögens- 
der  Reichsversicherungsanstalt,  der  für  Linderung  der  durch  den 
'g  geschaffenen  Notlage  in  Frage  kam,  war  die  Rücklage  für  das 
verfahren,  und  diese  hat  der  Verwaltungsrat  ganz  und  auch  von 
event.  zu  erwartenden  Rücklage  aus  dem  laufenden  Jahre  einen 
bewilligt.  Es  sind  von  dem  Standpunkte  aus,  vorbeugende  Mass- 
nen  für  das  Heilverfahren  zu  treffen,  aus  den  Reserven  des  Heil- 
ahrens  bis  zu  10  Millionen  Mark  zur  Verfügung  gestellt.  End¬ 
ist  beschlossen  worden,  das  Heilverfahren,  welches  infolge  des 
ges  wegen  Aerzte-  und  Sanatorienmangels  eingestellt  werden 
ste,  nunmehr  in  vollem  Umfange  wieder  aufzunehmen.  Vor¬ 
ende  Angaben  entstammen  einer  Mitteilung  des  Herrn  Direktor 
1  ü  1 1  e  r,  Mitglied  des  Verwaltungsrates  der  Reichsversicherungs¬ 
alt.  Wir  Aerzte  begrüssen  am  meisten,  dass  die  Anstalt  die 
he  von  einem  „Aerzte-  und  Sanatorienmangel“  jetzt  fallengelassen 
und  hoffen,  dass  eine  weitere  Unterbrechung  des  Heilverfahrens 
ukunft  nicht  mehr  stattfindet.  K.  J. 

—  In  dem  Zeitraum  von  1901  bis  1910  betrug  der  Bevölke- 
gs  Zuwachs  in  Europa  für  Russland  mit  Finnland 
Proz.,  Serbien  15,83,  Rumänien  14,38,  Bulgarien  14,12,  Deutsch- 
13,14,  Holland  12,79,  Schweden  6,99,  Norwegen  6,69,  Italien  6,05, 
ugal  5,92,  Spanien  4,70  und  Frankreich  1,45.  Die  Zahlderab- 
chlossenen  Ehen  betrug  auf  10  000  in  Serbien  202,  in  Bul¬ 
in  195,  Rumänien  185,  Ungarn  175,  Belgien  158,  Oesterreich  und 
kreich  je  155,  Italien  und  England  je  154,  Schweiz  150,  Spanien 


149,  Holland  147,  in  Norwegen  119.  Der  Geburtenkoeffizient 
war  in  Russland  465,  in  Bulgarien  418,  in  Rumänien  401,  Oesterreich- 
Ungarn  355,  Spanien  344,  Deutschland  323,  England  268,  Frankreich 
nur  215.  In  allen  europäischen  Ländern  ausser  Irland,  Bulgarien, 
Serbien,  Rumänien  und  Italien  dauerte  der  seit  1890  begonnene  Rück¬ 
gang  an.  Die  Sterblichkeit  betrug  auf  10  000  in  Russland  298, 
Rumänien  256,  Oesterreich-Ungarn  243,  Serbien  236,  Bulgarien  231, 
Spanien  224,  Italien  215,  Frankreich  193,  Deutschland  184,  Bel¬ 
gien  164,  Grossbritannien  163,  Schweiz  150,  Holland  149,  Schwe¬ 
den  147,  Norwegen  und  Dänemark  je  140.  Die  Sterblichkeit  ging  in 
der  Beobachtungsperiode  überall  zurück  ausser  in  Frankreich,  wo  sie 
nahezu  stationär  blieb.  Der  Geburtenüberschuss  betrug  in 
dem  Zeitraum  von  1906  mit  1910  in  Frankreich  7  auf  100  000,  87  in 
Be  gien,  115  in  Italien,  116  in  England,  141  in  Deutschland,  152  in 
Holland.  (II  lavoro  1914  Nr.  17.) 

---  Ein  Kriegsatlas  1914,  24  Karten  (13  Hauptkarten  und 
r  Nehenkarten)  auf  12  Blättern,  ist  soeben  im  Verlag  von 
r  A.  Brockhaus  in  Leipzig  erschienen.  Er  bietet  Uebersichten 

..  ,aIle  Knegsschauplätze  und  zeichnet  sich  durch  billigen  Preis 
(1  M.)  aus. 

—  Cholera.  Oesterreich-Ungarn.  Vom  20.  bis  26.  September 
wurden  in  Oesterreich  26  Erkrankungen  (und  2  Todesfälle),  durch¬ 
weg  bei  Militärpersonen,  festgestellt,  und  zwar  in  Wien  2  (1),  in 
Brünn  1(1),  in  Galizien  33.  —  In  Ungarn  wurden  vom  25.  September 
.  Oktober  183  Cholerafälle  gemeldet.  —  Russland.  Zufolge 
Mitteilung  vom  3.  Oktober  ist  in  Kiew  die  Cholera  ausgebrochen.  - — • 
Oesterreich-Ungarn.  In  der  Woche  vom  27.  September  bis  3.  Ok¬ 
tober  wurden  in  Oesterreich  98  Erkrankungen  (und  32  Todesfälle) 
festgestellt  und  zwar  in  Wien  9  (2),  in  Steiermark  in  1  Gemeinde  1  (1), 
Krain  in  2  Gern.  2  (1),  Böhmen  in  1  Gern.  1  (1),  Mähren  in  3  Gern.  5 

-  davon  in  Brünn  3  (— ),  in  Schlesien  in  4  Gern.  16  (2)  —  davon  in 
Teschen  7  (1),  Bielitz  7  (— ),  Galizien  in  8  Gern.  64  (25).  In  1  Falle 
(Brodze  in  Mähren)  handelte  es  sich  um  einen  Hausgenossen  einer 
aus  Galizien  heimgekehrten  Militärperson,  bei  der  trotz  Krankheits¬ 
erscheinungen  Cholera  bakteriologisch  noch  nicht  festgestellt  werden 
ko:  ,rte,  im  übrigen  um  Personen,  die  vom  nördlichen  Kriegsschau¬ 
plätze  eingetroffen  sind.  Ferner  ist  laut  Mitteilung  vom  16.  Oktober 
in  Hohenems  (Vorarlberg)  1  Cholerafall  festgestellt  worden.  In 
Ungarn  wurden  in  derselben  Zeit  231  Erkrankungen  gemeldet. 

—  Pest.  Türkei.  In  Smyrna  ist  am  5.  September  1  tödlich 
verlaufener  Pestfall  zur  Anzeige  gelangt.  In  Saloniki  wurden  nach 
Mitteilung  vom  12.  September  7  Pestfälle  (darunter  3  bei  Soldaten) 
festgestellt.  Nach  weiteren  Meldungen  'hat  sich  die  Pest  auch  auf 
die  Bezirke  Seres,  Drama  und  einige  Ortschaften  um  Kawalla  aus¬ 
gedehnt.  —  Niederländisch  Indien.  Vom  26.  August  bis  22.  September 
wurden  1344  Erkrankungen  (und  1180  Todesfälle)  gemeldet.  Für  die 
Zeit  vom  29.  Juli  bis  25.  August  wurden  nachträglich  aus  dem  Be¬ 
zirke  Malang  noch  23  Erkrankungen  (und  19  Todesfälle),  aus  Mage- 
tan  —  (2)  mitgeteilt,  ferner  aus  Kediri  für  die  Zeit  vom  29.  Juli  bis 
22.  August  noch  424  (382).  —  Portugal.  Zufolge  Mitteilung  vom  9.  Ok¬ 
tober  sind  in  Lissabon  8  Fälle  von  Lungenpest  festgestellt  worden. 

—  Brasilien.  In  Pernambuco  vorn  16.— 31.  Juli  1  Todesfall,  in  Bahia 
vom  2.  bis  22.  August  3  Erkrankungen  und  2  Todesfälle.  —  Peru. 
Vom  9.  Februar  bis  22.  März  nachträglich  im  Bezirk  Ancachs  (in 
Casrria)  2  Erkrankungen,  vom  24.— 30.  März  in  dem  Bezirke  Libertad 
in  Pichipampa)  4  Erkrankungen,  vom  23.  März  bis  2.  Mai  in  Caja- 
marca  (in  Contumaza)  3,  Lambeyeque  4  (in  Chiclayo  3,  Guadelupe  1), 
Libertad  25  (davon  in  Santiago  de  Chuco  16,  San  Pedro  8,  Sala- 
verry  1),  Piura  (in  Catacaos)  3,  vom  23.  März  bis  30.  Mai  in  Lima 
(in  Surco)  4,  Piura  (in  Piura)  7,  vom  23.  März  bis  7.  Juni  in  Arequipa 
(in  Mcllendo;  12,  Libertad  (in  Trujillo)  16,  Lima  (in  Lima)  15. 
Ausserdem  herrschte  die  Seuche  um  diese  Zeit  in  Chimbote,  Ouar 
huay  und  Samanca  (Bezirk  Ancachs)  und  in  Huacamarca  (Libertad) 
Vom  8.  Juni  bis  5.  Juli  wurden  sodann  gemeldet  im  Bezirke  Piura  7 
(in  Piura  5,  Catacaos  und  La  Huaca  je  1),  in  Lima  9  (Lima  2,  Surco  7) 
und  in  Arequipa  (in  Mollendo)  2  Erkrankungen. 

—  In  der  39.  Woche,  vom  27.  September  mit  3.  Oktober  1914, 
hatten  von  deutschen  Städten  über  40  000  Einwohner  die  grösste 
Sterblichkeit  Elbing  mit  29,1,  die  geringste  Berlin-Wilmersdorf  mit 

6.2  Todesfällen  pro  Jahr  und  1000  Einwohner.  Mehr  als  ein  Zehntel 
aller  Gestorbenen  starb  an  Scharlach  in  Königsberg,  Königshütte, 
Posen,  an  Diphtherie  und  Krupp  in  Bottrop,  Buer,  Hamm,  an  Keuch¬ 
husten  in  Altenessen.  —  In  der  40.  Jahrswoche,  vom  4. — 10.  Oktober 
1914.  hatten  von  deutschen  Städten  über  40  000  Einwohner  die  grösste 
Sterblichkeit  Heilbronn  mit  65,3,  die  geringste  Remscheid  mit 

5.3  Todesfällen  pro  Jahr  und  1000  Einwohner.  Mehr  als  ein  Zehntel 
aller  Gestorbenen  starb  an  Scharlach  in  Berlin-Lichterfelde,  Buer. 
Gleiwitz,  Königsberg,  an  Diphtherie  und  Krupp  in  Hamborn,  an 
Unterleibstyphus  in  Frankfurt  a.  0.,  Landsberg  a.  W„  Tilsit 

,  Vöff.  Kais.  Ges.A. 

(Hochschulnachrichten.) 

Münster  i.  W.  Der  medizinisch-propädeutische  Unterricht 
wird  an  der  hiesigen  Universität  am  15.  Oktober  aufgenommen  und 
im  kommenden  Wintersemester  ebenso  vollständig  abgehalten  wer¬ 
den,  wie  in  den  früheren  Jahren  zur  Friedenszeit,  da  die  Institute 
für  den  Unterricht  zur  Verfügung  stehen  und  sämtliche  für  die  Vor¬ 
lesungen  und  Kurse  der  Mediziner  in  Betracht  kommende  Profes¬ 
soren  und  Dozenten  anwesend  sind;  auch  ist  für  den  Unterrichts¬ 
apparat,  insbesondere  auch  für  das  Sezieren,  ebenso  gesorgt  worden, 
wie  früher.  Selbstverständlich  werden  auch  die  ärztlichen  und' 


2160 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  4c 


zahnärztlichen  Vorprüfungen  in  gleicher  Weise,  wie  bisher,  ab¬ 
gehalten. 


—  Das  EiserneKreuzI.  Klasse  erhielt  Qeheimrat  Werner 
K  ö  r  t  e  -  Berlin.  Diese  seltene  Auszeichnung  wurde  im  Jahre  1870 
von  Aerzten  nur  an  Lange  nbeck  und  W  i  1  m  s  verliehen. 


Das  Eiserne  Kreuz  erhielten:  O.A.  d.  Res. 
li.  A  r  o  n.  —  O.A.  Georg  A  t  z  r  o  1 1,  Gren.-Reg.  Nr.  5.  —  St.A.  Karl 
13  ä  r  t  h  1  e  i  n,  Gen. Korn.  d.  1.  bayer.  Armeekorps.  —  Heinr.  Barth. 

Reg.A.  B  e  1  o  w.  —  U.A.  Berlin.  —  U.A.  d.  Res.  B  e  u  m,  Inf.- 
Reg.  106,  111.  Bat.  —  Biberstein  (Breslau).  —  Birnbach  (Bit¬ 
burg.  —  B  1  c  n  c  k  e  (Magdeburg),  Reg.A.  i.  Feld-Art.-Reg.  Nr.  4.  — 
Feldunterarzt  B  I  ü  m  e  n  e  r.  —  St.A.  d.  Res.  Borchardt  (Char¬ 
lottenburg).  —  Reg.A.  B  r  e  s  1  e  r,  Drag.-Reg.  4  (Red.  Psych.-neurol. 
Wschr.).  —  G.O.A.  B  ii  x  (Bayreuth).  —  St.-  u.  Bat.A.  Cartsburg 
(Schandau),  Res.-lnf.-Reg.  61.  —  O.O.A.  Döbbelin  (Düsseldorf). 

Reg.A.  Driesen  (Bocholt),  Res.-lnf.-Reg.  13.  —  St.A.  Ehr¬ 
mann  (Adlershof).  —  St.A.  d.  Res.  Hermann  G.  Engel.  —  Karl 
Feiler  m  eye  r,  cand.  med.,  3.  bayer.  San. -Komp.  —  Fritz  Frän- 
k  e  1  (Chemnitz).  —  St.A.  d.  L.  Dr.  G.  Fr.  Frey.  —  O.A.  F  u  t  h 
(Wolfenbüttel).  —  Gebauer  (Wittenberge).  —  Feldunterarzt 
A.  E.  ü  e  r  1  a  c  h  (Berlin-Steglitz),  Res.-lnf.-Reg.  —  Giersbach 
(Siegen  i.  W.).  —  Ass.A.  d.  Res.  G  r  a  e  t  z.  —  St.A.  d.  Res.  Grape 
(Salzwedel).  —  St.A.  Groos  (Remscheid),  Ers.-Abt.  Feld-Art.- 
Reg.  80.  —  E.  Günther,  Truppenassistenzarzt  d.  Res.  19.  bayer. 
Inf.-Reg.  —  St.A.  Hanns  H  a  u  p  t,  k.  s.  Gren.-Reg.  101  (Tharandt).  - 
St.A.  Heine  (Wilmersdorf).  —  Ass.A.  d.  Res.  M.  H  e  n  i  u  s.  —  St.A. 
A.  H  e  n  s  c  h  e  1,  24.  L.-Inf.-Reg.  —  Ass.A.  H  o  d  i  e  s  n  e  (Leipzig), 
Inf.-Reg.  165.  —  Bat.A.  1 1 1  a  m  e  i  e  r,  bayer.  Res.-K.  —  Ass.A. 
d.  Res.  E  Juliusburger.  —  St  A  d.  Res.  Reg.-A.  K  a  p  u  s  t  e 
(Ratibor),  Stab  d.  Hus.-Reg.  6.  —  O.A.  d.  Res.  Friedr.  Keller 
(Schlegel).  —  St.A.  Dr.  K  i  s  s  1  i  n  g,  1.  bayer.  Armeekorps. 

F.  Klopstock  (Wilmersdorf).  —  St.A.  Knape  (Rothenburg  O.L.). 

—  St.A.  u.  Reg.A.  W.  Köhne  (Weidenau  i.  W.),  Res.-lnf.-Reg.  17. 

—  O.St.A.  d.  Res.  Königsberger  (Charlottenburg).  —  Prof. 
H.  Koppe  (Giessen).  —  St.A.  Koschel.  —  Ass.A.  Krüger  (Ber- 
lin-Weissensee).  —  O.St.A.  Phil.  Kuhn  (Strassburg).  —  St.A. 
Kuno.  —  Ass.A.  d.  Res.  K  w  o  t  z  e  k  (Oppeln).  —  St.A.  Fritz 
Lämmerhirt  (Oberschöneweide).  —  O.A.  d.  Res.  L  a  u  f  f  s  (Leip¬ 
zig),  preuss.  Pionier-Rcg.  23,  19.  sächs.  Armeekorps.  —  St.A.  d.  L. 
u.  Reg.A.  Liebenow  (Offenbach  a.  M.),  Landw.-Inf.-Reg.  118.  — 
O.A.  Gottfr.  Lieschke.  —  U.A.  Hans  Lieschke.  —  St.A. 
Lincke.  —  O.A.  d.  Res.  A.  Lindemann.  —  St.A.  Lissner 
(Bautzen),  Inf.-Reg.  103.  —  St.A.  d.  Res.  Lueken  (Oldenburg).  — 
St.A.  d.  Res.  Martins  (Karstadt),  Feld-Art.-Reg.  39.  —  Ass.A.  d. 
Res.  Marcell  Meyer  (Strassburg  i.  E.),  Inf.-Reg.  132,  15.  Armee¬ 
korps.  —  O.A.  d.  Res.  W.  Massmann  (Frechen  b.  Köln),  2.  Pio- 
nier-Bat.  16,  1.  Res.-Komp.  —  O.St.A.  M  o  r  s  a  k,  1.  bayer.  Feld-Art.- 
Reg.  —  O.St.A.  Joh.  Müller  (Spandau).  —  St.A.  Hugo  Neumann. 

O.A.  Nickol  (Daaden),  1.  San.-Komp.  8.  Armeekorps.  —  St.A. 
N  u  s  h  e  1  m.  —  O.A.  d.  Res.  Pagels  (Sterkrade).  —  Gen.A.  Geh.  R. 
Payr  (Leipzig).  —  St.  u'.  Bat.A.  Re-ipen  (Siegen  i.  W.).  —  O.St.A. 
d.  Res.  Prof  O.  Römer  (Strassburg).  —  Willi.  S  a  1  b  e  r  g  (Steele). 

Bat.A.  S  a  m  u  e  1  (Köln).  —  St.A.  d.  Res.  Heinr.  Scheuer  (Char¬ 
lottenburg),  1.  San.-Komp.  3.  bayer.  Armeekorps.  —  St.A.  Schie- 
k  o  f  e  r,  23.  bayer.  Inf.-Reg.  —  St.A.  d.  Res.  S  c  h  i  r  o  w  (Har¬ 
burg  a.  E.).  —  O.A.  Fr.  J.  Schmidt,  1.  bayer.  Inf.-Reg.  —  St.A. 
d.  Res.  H.  Schmidt  (Berlin).  —  San.-R.  Ludw.  Schmidt  (Wil¬ 
mersdorf),  Reg.A.  Reg.  Nr.  48.  —  Ass.A.  S  c  h  ö  p  p  e  r  1,  1‘2.  bayer. 
Res.-lnf.-Reg.  —  St.A.  Schöppler.  —  St.A.  Wilh.  S  c  h  u  1 1  z  e 
(Apolda).  —  St.A.  Hans  Schulz.  —  St.A.  Fr.  Schwarz  (Stettin). 

-  Mar.O.St.A.  S  e  i  f  f  e,  Marinediv.  in  Belgien.  —  St.A.  Dr.  Max 
S  e  n  a  to  r  (Berlin),  Füs.-Reg.  Nr.  34.  —  St.A..  d.  Res.  Siew- 
czynski.  —  O.A.  Sigl,  1.  bayer.  Armeekorps.  —  St.A.  d.  Res. 
u.  Reg.A.  Stähl  er  (Siegen  i.  W.),  Res.-lnf.-Reg.  18  —  Einj.-Freiw. 
Marinearzt  Stoppel.  —  O.St.A.  Prof.  Stuertz  (Köln)  —  St.A. 
Sy  ring,  Inf.-Reg.  21.  —  Ass.A.  Walter  Thinius.  —  Ass.A.  W. 
To  en  nies  (Borna),  Karabinier-Reg.  —  St.  u.  Reg.A.  Wegen  er 
(Chemnitz),  Inf.-Reg.  104.  —  O.A.  d.  Res.  u.  Bat.A.  Weih  (Köln). 
Inf.-Reg.  28,  8.  Armeekorps.  —  O.A.  d.  Res.  Welzel  (Saabor).  — 
Ass.A.  Wiechman  n  (Hannover).  —  O.  u  Bat.A.  Gottfr.  gen.  Fr. 
Windelschmidt  (Köln),  Res.-lnf.-Reg.  28.  —  Ass.A.  Z  e  c  h  1  i  n, 
Füs.-Reg.  80.  —  Ass.A.  d.  Res.  Zimmermann.  —  O.St.A.  Zuber. 


Ehrentafel. 

Fürs  Vaterland  starben: 


Dr.  Brock  m  an  n.  St.-A.  d.  Res.,  Augenarzt  in  Tilsit. 

Dr  Oswald  L  o  e  b  -  Göttingen,  Prof.  d.  Pharmakologie  und 
Mitglied  der  Arzneimittelkommission  des  Kongresses  für 
innere  Medizin,  Stabsarzt  im  224.  Res.-Inf.  (+  14.  X.  14  auf 
dem  Wege  ins  Feindesland  in  Metz  durch  Sturz  vom  Pferd). 

Dr.  Starke-  Friedeburg,  Regimentsarzt  im  Res.-lnf.-Reg.  78. 

Dr.  Wiechmann  - Hannover,  Assistenzarzt,  vor  Reims  am 
23.  September. 

Hans  Zech,  cand.  med.,  Unteroff.  d.  Res.,  Feld.-Art  -Reg  39 
(Eltmann). 


(T  o  d  e  s  f  a  1 1.) 

ln  München  starb  Hofrat  Dr.  v.  Pfistermeister  im  Alte 
von  64  Jahren,  ein  Kollege,  der  sich  namentlich  im  Gemeindedienst 
er  gehörte  viele  Jahre  dem  Gemeindekollegium  und  dem  Magistr;: 
an,  dann  durch  seine  Förderung  der  Bestrebungen  des  Roten  Kreuze 
und  der  freiwilligen  Sanitätskolonne  grosse  Verdienste  erworben  hat 


Amtliches. 

(Bayern.) 

Militär-Sanitäts-Orden. 


im  Verordnungsblatt  des  Kriegsministeriums  wird  mit 
geteilt,  dass  der  König  bestimmt  hat,  dass  an  Stelle  de 
von  König  Max  Joseph  I.  mit  Armeebefehl  vom  8.  No 
vember  1812  gestifteten  Militär-Sanitäts-Ehrenzeichens  eii 
neuer  Orden,  der  „Militär-Sanitäts-Orden1 
tritt.  Die  Satzungen  des  Ordens  sind: 


Artikel  I.  Der  Militär-Sanitäts-Orden  soll  dazu  dienen,  aus 
gezeichnete  Verdienste,  die  sich  Sanitätsoffiziere  der  mobilen  Armet 
in  der  mit  eigener  Lebensgefahr  verbundenen  Versorgung  und  Be 
handlung  verwundeter  und  kranker  Offiziere  usw.  und  Mannschaftei 
auf  Schlachtfeldern  und  in  Lazaretten  des  Operationsgebietes  wäh¬ 
rend  eines  Krieges  erwerben,  zu  belohnen. 

Artikel  II.  Der  Militär-Sanitäts-Orden  kann  von  allen  Sa 
nitätsoftizieren  der  bayerischen  Armee  erworben  werden.  Er  kam 
ausserdem  auch  Sanitätsoffizieren  anderer  Armeen  verliehen  werden 

Artikel  III.  Der  Militär-Sanitäts-Orden  besteht  auf  zwe 
Klassen.  Das  Ordenszeichen  ist  ein  weiss  emailliertes  Kreuz,  da; 
bei  der  1.  Klasse  aus  Gold,  bei  der  2.  Klasse  aus  Silber  besteht 
Das  blau  emaillierte  Mittelstück  trägt  in  beiden  Klassen  auf  dei 
Vorderseite  ein  goldenes  „L“  mit  der  Krone  und  auf  dem  weis; 
emaillierten  Rande  die  Jahreszahl  1914  in  Gold,  auf  der  Rückseitt 
die  Inschrift  „Für  Verdienste  im  Kriege“.  Beide  Auszeichnunger 
werden,  wie  bisher  das  Militär-Sanitäts-Ehrenzeichen,  am  Bande 
des  Militär-Max-Joseph-Ordens  auf  der  linken  Brust  vor  dem  Militär 
Verdienst-Orden  getragen. 

Artikel  IV.  Die  Verleihung  der  1.  Klasse  soll  in  der  Rege 
durch  den  Besitz  der  2.  Klasse  bedingt  sein.  Bei  Verleihung  de; 
Militär-Sanitäts-Ordens  1.  Klasse  wird  das  vorher  verliehen  ge¬ 
wesene  Oi  denskreuz  2.  Klasse  abgelegt  und  zurückgegeben.  Ebensi 
wird  nach  dem  Tode  des  Inhabers  der  Orden  an  das  Kriegsministeriuir 
zurückgeliefert. 

Artikel  V.  Gesuche  um  Verleihung  des  Ordens  oder  dei 
höheren  Klasse  des  Ordens  müssen  in  der  Regel  von  dem  betreffen¬ 
den  Sanitätsoffizier  selbst  mit  einer  ausführlichen,  auf  Pflicht  und 
Ehre  abgegebenen  Darstellung  der  erworbenen  Verdienste  an  der 
Vorsitzenden  einer  Kommission  eingereicht  werden.  Diese  Kom¬ 
mission  soll  aus  dem  Korpsarzt  als  Vorsitzenden  und  4  Sanitäts¬ 
offizieren  vom  Stabsarzt  aufwärts  bestehen  und  hat  durch  Zeugen¬ 
vernehmungen  und  ihr  sonst  sachdienlich  erscheinende  Erhebungen 
den  Tatbestand  festzustellen.  Das  Gutachten  dieser  Kommission 
ist  vom  zuständigen  kommandierenden  General  zu  bestätigen,  der 
es  dem  Kriegsministerium  für  Herbeiführung  Unserer  Entscheidung 
in  Vorlage  bringt.  Steht  zur  Verleihung  des  Ordens  ein  Korpsarzt 
in  Frage,  so  gehen  die  Befugnisse  der  Kommission  an  ein  anderes 
Armeekorps  über.  Nichtbayerische  Sanitätsoffiziere,  die  sich  im 
Sinne  des  Artikels  I  um  Angehörige  der  bayerischen  Armee  Ver¬ 
dienste  erwarben,  können  selbst  um  den  Orden  nicht  nachsuchen, 
sie  werden  auf  Vorschlag  der  Korps-  usw.  Aerzte  durch  die  komman¬ 
dierenden  Generale  für  Verleihung  des  Militär-Sanitäts-Ordens  heim 
Kriegsministerium  beantragt,  das  Unsere  Entscheidung  einholt. 

Artikel  VI.  Mit  dem  Besitze  des  Ordens  sind  für  bayerische 
Inhaber  lebenslängliche  Zulagen  verbunden,  die  bei  der  1.  Klasse 
600  M„  bei  der  2.  Klasse  300  M.  jährlich  betragen  und  in  monatlichen 
Teilbeträgen  im  voraus  bezahlt  werden.  Der  Bezug  der  Zulage  er¬ 
lischt  mit  dem  Ende  des  Monats,  in  dem  der  Ordensinhaber  mit  Tod 
abgeht. 

Artikel  VII.  Bei  einer  gerichtlichen  Verurteilung,  mit  der 
der  Verlust  von  Orden  und  Ehrenzeichen  von  Rechts  wegen  ver¬ 
bunden  ist,  wird  die  Dekoration  eingefordert  und  vernichtet.  Des¬ 
gleichen  bleibt  es  Unserer  Entscheidung  Vorbehalten,  die  Einziehung 
und  Vernichtung  des  Ordens  zu  befinden,  wenn  der  Inhaber  sich 
schwerer  Verfehlungen  gegen  die  Gebote  der  Ehre  und  Recht¬ 
schaffenheit  schuldig  gemacht  hat.  In  beiden  Fällen  erlischt  der 
Bezug  der  Zulage  mit  dem  Ende  des  Monats,  in  dem  der  Verlust 
des  Ordens  cintritt. 

Artikel  VIII.  Alle  Ausfertigungen  über  Verleihungen  des 
Militär-Sanitäts-Ordens  erfolgen  durch  Unser  Kriegsministerium,  das 
auch  alle  auf  diesen  Orden  bezüglichen  Akten  und  Schriftstücke  auf¬ 
bewahrt  und  ein  Verzeichnis  der  Beliehenen  (Ordensmatrikel)  führt. 
Im  Militärhandbuch  werden  die  Inhaber  des  Ordens  gesondert  vor¬ 
getragen 

A  r  t  i  k  e  1  IX.  Die  bisherigen  Inhaber  des  Militär-Sanitäts-Ehren¬ 
zeichens  tragen  dieses  unverändert  mit  den  bisherigen  Recnten  fort. 


Deutsche  Aerzte! 

Verschreibt  nur  deutsche  Präparate  und  Spezialitäten! 


Verlag  von  J.  F.  L  e  li  in  a  n  11  in  München  S.W .  2,  Paul  Heysestr.  26.  —  Druck  von  E.  Mühlthaler’s  Buch-  und  Kunsidruckerei  A.O.,  München. 


Preis  der  einzelnen  Nummer  80  J,.  -  Bezugspreis  in  Deutschland 
•  •  •  und  Ausland  siehe  unten  unter  Bezugsbedingungen  •  •  • 

Inseratenschluss  am  Donnerstag  einer  jeden  Woche. 


MÜNCHENER 


Zusendungen  sind  zu  adressieren: 

Für  die  Redaktion  Arnulfstr.  26.  Bürozeit  der  Redaktion  8% — 1  Uhr. 
Für  Abonnement  an  J.  F.  Lehmann’s  Verlag,  Paul  Heysestrasse  26. 
Für  Inserate  und  Beilagen  an  Rudolf  Mosse,  Theatinerstrasse  8. 


Medizinische  Wochenschrift. 


ORGAN  FÜR  AMTLICHE  UND  PRAKTISCHE  ÄRZTE. 


Nr.  44.  3.  November  1914. 


Redaktion:  Dr.  B.  Spatz,  Paul  Heysestrasse  26. 
Verlag:  J.  F.  Lehmann,  Paul  Heysestrasse  26. 


61.  Jahrgang. 


Der  Verlag  behält  sich  das  ausschliessliche  Recht  der  Vervielfältigung  und  VerbreitungTeTiT^es^eitschrift  zum  Abdruck  gelangenden  Originalbeiträge  vor. 


Originalien. 

Aus  dem  Pathologischen  Institute  der  Städtischen  Kranken¬ 
anstalten  in  Dortmund. 

Der  angeborene  Status  thymo-lymphaticus. 

Von  Prof.  Dr.  Herrn.  S  c  h  r  i  d  d  e. 

h'iir  die  Beurteilung  des  Status  thymo-lymphaticus  ')  der 
Kinder  und  der  Erwachsenen  ist  es  selbstverständlich  von 
grosser  Wichtigkeit,  ob  wir  diese  Anomalie  als  einen  ange¬ 
borenen  oder  als  einen  erst  im  späteren  Leben  erworbenen 
Zustand  zu  betrachten  haben.  Gleich  bedeutungsvoll  ist  die 
weitere  Frage,  ob  es  schon  im  intrauterinen  Leben  einen 
Status  thymo-lymphaticus  gibt,  oder  ob  nur  allein  die  Anlage 
vorhanden,  ist,  aus  der  sich  dann  durch  besondere  äussere 
Einwirkungen  im  späteren,  extrauterinen  Leben  diese  so  ge¬ 
fahrbringende  Abweichung  von  der  normalen  Konstitution  ent¬ 
wickelt. 

Es  liegen  ja  bereits  Veröffentlichungen,  die  für  eine  solche 
Erörterung  verwertbar  sind,  vor.  Ich  nenne  ausser  den 
besonders  wichtigen  Untersuchungen  von  Hedinger  auch 
die  Arbeiten  von  Kayser,  Flügge,  Soinma  und 
D  u  r  a  n  t  e.  Die  meisten  der  in  diesen  Veröffentlichungen  er¬ 
wähnten  Beobachtungen  sind  jedoch  aus  verschiedenen  Grün¬ 
den  nicht  als  beweisend  heranzuziehen.  Meistens  fehlt  die 
Angabe  des  Thymusgewichtes,  und  es  wird  allein  die  Grösse 
des  Organes  angegeben,  die  nur  unsichere  Schlüsse  zulässt. 
Ferner  ist  fast  stets  nur  der  Thymus  bei  der  Beurteilung  des 
Falles  berücksichtigt,  da  er  durch  seine  Grösse  in  den  Vorder¬ 
grund  des  Obduktionsbefundes  trat.  Es  wird  weiter  durchweg 
bis  auf  drei  Beobachtungen  von  Hedinger  und  Kayser, 
die  ich  kurz  anführen  will,  die  Untersuchung  des  lymphatischen 
Apparates  des  Körpers  vermisst. 

In  dem  Falle  von  Kayser  handelt  es  sich  um  ein  ausgetragenes 
Jeugeborenes,  das  12  Stunden  nach  der  Geburt  starb.  Der  Thymus 
war  5  cm  lang,  5  cm  breit  und  2  cm  dick.  Es  fand  sich  ferner  eine 
Vergrösserung  der  Milz,  eine  Schwellung  der  Lymphknoten  an  der 
1  eilungsstelle  der  Luftröhre  und  des  Mesenteriums  und  eine  Ver¬ 
grösserung  der  Darmlymphknötchen.  Unter  den  12  Fällen  H  e  - 
i  i  n  g  e  r  s  kommen  hier  folgende  in  Betracht.  In  dem  einen  handelte 
iS  sich  um  einen  unausgetragenen  Fötus  von  43  cm  Länge  und  1805  g 
ue wicht.  Das  Gewicht  des  Thymus  betrug  12  g.  „Die  Follikel  der 
nilz  waren  zahlreich  und  gross.“  Bei  einem  anderen,  kurz 
nach  der  Geburt  gestorbenen  Kinde  von  50  cm  Länge  und 
5500  g  Gewicht  wog  der  Thymus  21  g.  Die  Milz  „zeigte  in  der 
chwarzroten  Pulpa  deutlich  graue  Follikel.  Die  Follikel  des  Diinn- 
ind  Dickdarmes  sind  deutlich,  aber  nicht  vergrössert,  die  Peyer- 
ichen  Plaques  sind  nicht  kenntlich.“  Die  mikroskopische  Unter¬ 
suchung  der  Milz  ergab:  „Die  Follikel  sind  klein  und  bestehen  nur 
ius  Lymphozyten.“ 

Ausser  den  vorstehend  erwähnten  pathologisch-anatomi- 
chen  Untersuchungen  finden  sich  in  der  Literatur  auch  klini- 
che  Beobachtungen,  die  wohl  für  ein  Angeborensein  des  Status 
Drechen  können,  die  aber  deshalb  nicht  ohne  weiteres  be¬ 
weisend  sind,  weil  hier  die  Einwirkung  von  äusseren  Ein- 
lüssen  des  extrauterinen  Lebens  nicht  abgestritten  werden 
unn.  Ich  lasse  sie  daher  ausser  Betracht. 

So  kommt  es  denn,  dass  heutzutage  noch  der  Streit  darüber 

errscht,  ob  die  in  Rede  stehende  Anomalie  als  solche  ange- 

— - - 

')  An  Stelle  des  meiner  Ansicht  nach  sprachlich  nicht  richtig 
cbildeten  Wortes  thymico-lymphaticus  habe  ich  stets  die  angeführte 
»ezcichnung  gebraucht  Ich  bemerke  das  hier,  weil  M  a  r  t  i  u  s  in 
einem  Buche  „Konstitution  und  Vererbung“  die  von  mir  benützte 
Fortbildung  als  unrichtig  anzusehen  scheint. 

Nr.  44. 


boicn  sei  oder  nicht.  Wenn  auch  von  einigen  Seiten  eine 
kongenitale  Hyperplasie  des  Thymus  anerkannt  yvird;  so  gibt 
es  auf  dei  anderen  Seite  Stimmen,  die  einen  angeborenen 
Status  lymphaticus  gänzlich  leugnen  und  damit  natürlich  auch 
einen  Status  thymo-lymphaticus. 

Diese  ganze  Unsicherheit  liegt  darin  begründet,  dass 
vergleichende  Untersuchungen  mit  normalen  Neugeborenen 
bei  denen  die  vorliegenden  Gesichtspunkte  ganz  besonders 
beachtet  sind,  völlig  fehlen.  Meiner  Ansicht  nach  ist 
die  Entscheidung  auf  diesem  Gebiete  nur  dadurch  zu  treffen, 
dass  eine  grosse  Anzahl  von  Föten  bis  zur  Reife  unter¬ 
sucht  wird,  die  unter  der  Geburt  gestorben,  bei  denen  also 
äussere  Einflüsse  vollkommen  ausgeschaltet  sind.  Es  müssen 
hier  natürlich  alle  solchen  Fälle  ausgeschieden  werden,  bei 
denen  die  Mütter  irgendwelche  besonderen  Krankheiten  wie 
Tuberkulose,  Syphilis  usw.  aufweisen,  und  ferner  solche,  bei 
denen  an  den  Geborenen  Missbildungen  vorhanden  waren,  oder 
bei  denen  es  sich  um  Zwillinge  und  Drillinge  oder  um  über¬ 
tragene  Kinder  handelt.  Es.  ist  ferner  unbedingt  zu  fordern, 
dass  alle  hier  in  Betracht  kommenden  Befunde  mikroskopisch 
festgestellt,  und  dass  auch  die  Merkmale,  die  für  den  Status 
des  Erwachsenen  bedeutungsvoll  sind,  Berücksichtigung  er¬ 
fahren.  Ob  alle  diese  Eigentümlichkeiten  allerdings  bei  den 
Föten  schon  gefunden  werden,  ist  aus  verschiedenen  Gründen 
fraglich,  da  sich  beispielsweise  die  Endokardsklerose  der 
Aortenausflussbahn  erst  im  Laufe  der  Jahre  entwickeln  kann, 
also  eine  Folgeerscheinung  darstellt. 

Es  muss  bei  den  Untersuchungen  an  Totgeborenen  natür¬ 
lich  zuerst  gesucht  werden,  herauszufinden,  was  als  normal 
zu  bezeichnen  sei.  Wir  werden  sehen,  dass  sich  bei  dieser 
Frage  Schwierigkeiten  ergeben,  und  dass  die  Breite  des  Nor¬ 
malen  in  grossen  Grenzen  schwankt.  So  werden  denn  nur 
solche  Fälle  schliesslich  als  beweisend  gelten  können,  die  weit 
jenseits  der  Grenze  liegen,  und  die  Folge  wird  sein,  dass  ihre 
Anzahl  auch  bei  grossem  Material  nur  klein  sein  kann.  Allein 
wenn  auch  nur  ein  einziger  Fall  als  unzweifelhaft  anerkannt 
würde,  so  wäre  das  doch  schon  eine  einwandfreie  Ent¬ 
scheidung. 

Von  den  mir  zur  Verfügung  stehenden  185  Totgeburten 
habe  ich,  um  allen  Einwürfen  begegnen  zu  können,  126  aus¬ 
geschieden  und  nur  59  Fälle  zur  Untersuchung  herangezogen. 
Bei  diesen  Beobachtungen  hat  sich  ausser  den  besonderen,  hier 
in  Rede  stehenden  Befunden  weder  bei  der  Obduktion,  noch 
bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  der  Organe  irgend  ein 
pathologischer  Befund  ergeben. 

Aus  den  bis  jetzt  vorhandenen  Untersuchungen  über  das 
Gewicht  der  Thymusdrüse  in  den  fötalen  und  extrauterinen 
Lebenszeiten  ist  bekannt,  dass  hierbei  erhebliche  Schwan¬ 
kungen  Vorkommen.  Diese  Untersuchungen  sind  allerdings 
nicht  als  völlig  zuverlässig  zu  betrachten,  da  die  konsequente 
mikroskopische  Untersuchung  fehlt,  die  allein  entscheiden  kann, 
ob  der  I  hymus  pathologisch  gebaut  ist,  ob  nicht  vielleicht  eine 
Markhyperplasie  vorliegt.  Es  seien  hier  jedoch  die  Durch¬ 
schnittszahlen  die  Hammar  und  Sury  für  den  Neugeborenen- 
thymus  angeben,  angeführt,  die  14,4  g  und  13,26  g  betragen. 

Für  die  vorliegende  Untersuchung  werde  ich  mich  jedoch 
allein  auf  die  von  mir  erhaltenen  Zahlen  beziehen,  da  in  jedem 
Falle  der  Thymus  genau  mikroskopisch  untersucht  wurde,  und 
so  einmal  alle  pathologischen  Thymusdrüsen  ausgeschieden, 
andererseits  die  hier  in  Betracht  kommenden  Eigentümlich¬ 
keiten  des  Thymus  erkannt  und  bei  der  Beurteilung  bewertet 
werden  konnten.  In  den  Tabellen,  die  nach  männlichen  und 

1 


2162 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  44. 


weiblichen  Individuen  geordnet  wurden,  sind  ausser  den  Ge¬ 
wichten  des  Thymus  auch  die  der  Milz  mit  eingetragen,  da  es 
mir  zugleich  darauf  ankam,  auch  über  die  üewichtsverhält- 
nisse  der  beiden  Organe  Aufklärung  zu  erhalten.  Um  einen 
grösseren  Ueberblick  zu  erhalten  und  zu  sehen  ob  auch  schon 
im  früheren  fötalen  Leben  sich  gewisse  Befunde  erheben  lassen, 
sind  alle  einwandfreien  Totgeburten  von  40—55  cm  Länge  be¬ 
rücksichtigt  worden. 

Es  muss  noch  hervorgehoben  werden,  dass  bei  der  Obduktion 
besonders  auf  das  Verhalten  der  Zungenbalgdrüsen,  Gaumen¬ 
mandeln,  Lymphknötchen  der  Milz  und  des  lymphatischen 
Apparates  des  Darmkanales  geachtet  wurde.  Da  ich  die 
Uebersicht  der  Tabelle  möglichst  klar  anlegen  wollte,  habe 
ich  von  einer  Eintragung  dieser,  in  Tabellenform  ja  auch  sehr 
schwer  wiederzugebenden  Befunde  abgesehen.  Nach  den 
Untersuchungen  muss  es  aber  als  feststehend  gelten,  dass 
normalerweise  im  fötalen  Leben  bis  zur  Geburt  makroskopisch 
weder  die  Lymphknötchen  der  Milz  noch  die  des  Darmes  deut¬ 
lich  in  Erscheinung  treten.  Wenn  im  Darme  und  besonders 
in  der  Milz  in  allen  in  der  Tabelle  aufgeführten  Fällen  auch 
lymphatisches  Gewebe  schon  vorhanden  ist,  so  ist  es  doch 
so  gering  entwickelt,  dass  es  mit  dem  unbewaffneten  Auge 
nicht  erkannt  werden  kann.  Die  Methode  ist  also  sehr  ein¬ 
fach,  hier  festzustellen,  ob  ein  normaler  oder  ein  pathologischer 
Befund  vorlegt.  Sie  muss  selbstverständlich  durch  das  Mikro¬ 
skop  nachgeprüft  werden.  Hinsichtlich  der  Gaumenmandeln 
ist  zu  bemerken,  dass  sie  bei  normalen  Neugeborenen  zu 
sehen  sind,  und  dass  es  recht  schwer  ist,  aus  ihrer  Grösse 
Schlüsse  zu  ziehen.  Ich  hatte  gehofft,  durch  mikroskopische 
Untersuchungen  weiter  zu  kommen,  da  meine  Schülerin 
A.  Goslar  nachgewiesen  hat,  dass  erst  nach  der  Geburt  sich 
in  den  Mandeln  Keimzentren  finden.  Ich  glaubte  nun,  dass 
vielleicht  beim  Status  lymphaticus,  falls  er  beim  Neugeborenen 
vorkommt,  hier  schon  solche  Keimzentren  zu  beobachten 
wären.  Es  hat  sich  jedoch  sowohl  an  den  Mandeln  wie  an 
dem  lymphatischen  Gewebe  der  Milz  und  des  Darmes  gezeigt, 
dass  niemals  im  fötalen  Leben  Keimzentren  entstehen,  son¬ 
dern  dass  sie  sich  stets  erst  im  extrauterinen  Leben  ausbilden. 
Das  ist,  so  weit  meine  Erfahrungen  reichen,  sowohl  unter  nor¬ 
malen  wie  unter  pathologischen  Verhältnissen  der  Fall, 

In  der  jetzt  folgenden  Tabelle  sind  die  Länge  des  Neu¬ 
geborenen  und  die  Gewichte  des  Thymus  und  der  Milz  auf¬ 
geführt.  Es  sind  nur  Werte  in  ganzen  Grammen  angegeben,  da 
einmal  tatsächlich  eine  feinere  Auswiegung  für  die  in  Betracht 
kommenden  Fragen  keinen  grossen  Wert  hat,  und  zweitens, 
weil  ja  doch  der  reine  Parenchymwert  nicht  bestimmt  werden 
kann,  auch  die  Angaben  in  Milligrammen  ebenfalls  Fehler  auf¬ 
weisen.  Ganz  die  gleichen  Voraussetzungen  treffen  auch  für 
die  Länge  der  Neugeborenen  zu. 


Männliche  Weibliche 

Totgeburten. 


Länge 

Thymus 

Milz 

Länge 

Thymus 

Milz 

40 

5 

3 

40 

5 

3 

40 

15 

4 

40 

5 

5 

41 

7 

3 

41 

7 

2 

42 

3 

4 

•  42 

4 

3 

42 

11 

7 

43 

5 

2 

43 

5 

4 

45 

7 

5 

45 

9 

5 

45 

8 

4 

45 

12 

6 

45 

15 

7 

46 

8 

8 

46 

4 

3 

46 

14 

5 

47 

4 

3 

47 

4 

7 

47 

11 

5 

47 

10 

10 

48 

7 

10 

48 

7 

15 

48 

9 

9 

48 

10 

7 

Männliche  Weibliche 

Totgeburten. 


Länge 

Thymus 

Milz 

Länge 

Thymus 

Milz 

48 

19 

11 

50 

11 

7 

50 

10 

7 

50 

13 

10 

50 

19 

7 

51 

11 

11 

51 

11 

16 

51 

12 

10 

51 

14 

27 

51 

15 

22 

52 

13 

12 

52 

10 

15 

52 

19 

12 

52 

14 

13 

52 

20 

14 

52 

15 

8 

53 

12 

9 

53 

8 

4 

53 

10 

15 

53 

12 

15 

53 

13 

15 

53 

16 

14 

54 

10 

9 

54 

10 

15 

54 

10 

9 

54 

12 

8 

54 

12 

8 

54 

16 

14 

Aus  den  vorstehenden  Tabellen  ergibt  sich  verschiedenes, 
das  ich,  bevor  ich  zu  meinem  eigentlichen  Thema  übergehe, 
kurz  besprechen  möchte.  Es  zeigt  sich  einmal,  dass  die  Werte 
in  ziemlich  weiten  Grenzen  schwanken,  und  dass  die  weib¬ 
lichen  Thymusdrüsen  im  Durchschnitte  geringer  an  Gewicht 
sind  als  die  männlichen.  Wenn  man  die  ganz  besonders  hohen 
Gewichte,  die  scheinbar  bei  männlichen  Föten  ziemlich  häufig 


Vorkommen,  ausnimmt,  so  ist  es  doch  besonders  auffällig,  dass 
beispielweise  Föten  von  45  cm  Länge  dasselbe  Thymus¬ 
gewicht  aufweisen  wie  ausgetragene  Neugeborene  von  52  und 
54  cm  Länge.  Auch  bei  Föten  der  gleichen  Länge  finden  sich 
grosse  Verschiedenheiten,  so  bei  42  cm  Länge  die  Gewichte 
von  3  und  11  g.  bei  46  cm  von  8  und  14  g,  bei  47  cm  Länge 
von  4  und  11  g.  Und  doch  handelt  es  sich,  wie  oben  schon 
gesagt,  um  normale  Föten,  wie  das  die  Anamnese,  die  Ob¬ 
duktion  und  die  mikroskopische  Untersuchung  der  Organe  be¬ 
stätigt  haben.  Es  liegen  also  ausgesprochen  individuelle  Ver¬ 
schiedenheiten  bei  den  menschlichen  Föten  vor,  wie  das  in 
ähnlicher  Weise  F  u  1  c  i  jüngst  für  die  Kaninchenföten  ge¬ 
zeigt  hat. 

Es  sei  ferner  auf  das  auffällige  Verhalten  der  Milzgewichti 
hingewiesen.  Hier  möchte  ich  allerdings  betonen,  dass  dabei 
die  Ausbildung  der  Lymphknötchen  keinen  nennenswerten  Ein¬ 
fluss  hat,  sondern  dass  die  oft  beträchtliche  Gewichtshöhe  fast 
ausschliesslich,  wie  das  die  mikroskopische  Kontrolle  zeigt, 
durch  das  Pulpagewebe  bedingt  ist  (Herrman  n).'  Das  lym¬ 
phatische  Gewebe  entwickelt  sich  allmählich  bis  zum  normale;’ 
Ende  des  fötalen  Lebens  hin,  und  nur  in  den  noch  zu  be¬ 
sprechenden,  besonderen  Fällen  weist  seine  Ausbildung  eine 
quantitative  Abweichung  auf. 

Die  Milz  des  normalen  Neugeborenen  soll  nach  den  bisher 
vorliegenden  Angaben  im  Mittel  10,8  g  (V  i  e  r  o  r  d  t)  wiegen 
In  der  vorliegenden  Tabelle  sehen  wir  aber  schon  bei  einem 
Föten  von  48  cm  Länge  eine  Milz  von  15  g  Gewicht,  bei  Föten 
von  51  cm  Länge  ja  sogar  von  22  und  27  g,  obwohl  nichts  den 
Anhaltspunkt  für  irgend  eine  Erkrankung,  auch  nicht  der 
Mutter  gegeben  hat.  Es  zeigt  diese  Zusammenstellung  also, 
dass  an  einem  grossen,  auch  mikroskopisch  untersuchten 
Materiale  Klarheit  geschaffen  werden  muss,  wenn  ich  auch 
glaube,  dass  wir  sehr  mit  individuellen  Schwankungen  zu 
rechnen  haben. 

Ich  erwähne  diese  Milzgewichte  aber  vor  allem  auch  des¬ 
halb,  weil  sie  lehren,  dass  man  auf  keinen  Fall  allein  aus  der 
Grösse  der  Milz  auf  die  geringere  oder  grössere  Mächtigkeit 
des  lymphatischen  Gewebes  schliessen  darf.  Das  ist  besonders 
wichtig  bei  der  Beurteilung  des  Status  thymo-lymphaticm. 
Hier  ist  nur  entweder  die  sichtbare  Grösse  und  nachfolgende 
mikroskopische  Untersuchung  oder  allein  die  mikroskopische 
Untersuchung  ausschlaggebend.  Es  ist  selbstverständlich 
richtig,  dass  durch  eine  Vergrösserung  der  zahllosen  Lymph¬ 
knötchen  in  der  Milz  eine  gewisse  Zunahme  des  Organ- 
volurnens  hervorgerufen  wird. 

Nach  diesen  Vorbemerkungen  sei  nun  an  die  Haupt¬ 
frage  der  vorliegenden  Arbeit  herangetreten,  ob  es 
einen  angeborenen  Status  thymo-lymphati- 
cus  gibt.  Ich  habe  schon  oben  gesagt,  dass  zum 
Beweise  nur  solche  Fälle  herangezogen  werden  können, 
die  weit  ausserhalb  der  Grenzen  der  gewöhnlichen  Be¬ 
obachtungen  stehen.  Um  diese  Forderung  zu  erfüllen, 
habe  ich  auch  in  der  ersten  Tabelle  Fälle  mit  so  hohen 
Werten  untergebracht,  dass  sie  sicher  die  alleräussersten 
Grenzen  einnehmen.  Wenn  wir  nach  Hammar  als  Mittel¬ 
wert  für  den  normalen  Neugeborenenthymus  14,4  g  oder  auch 
15  g  annehmen,  so  braucht  es  wohl  keiner  Auseinandersetzung, 
dass  die  Gewichte  von  15  g  bei  einem  40  cm  langen  Fötus, 
von  19  g  bei  einem  48  cm  langen,  von  19  und  20  g  bei  Föten 
von  52  cm  Länge  sehr  weit  vom  Mittel  entfernt  sind.  Ich  be¬ 
merke  jedoch  gleich,  dass  ich  diese  Fälle  trotz  der  hohen 
Werte  in  die  Tabelle  aufgenommen  habe,  weil  die  mikro¬ 
skopische  Untersuchung  am  Thymus  keine  besonderen  Ab¬ 
weichungen,  und  die  Obduktion  und  das  Mikroskop  am  ge¬ 
samten  lymphatischen  Parenchym  keine  Hyperplasie  fest¬ 
gestellt  haben. 

Die  folgenden  Fälle,  deren  eingehendere  Beurteilung  erst 
nach  Schilderung  der  Einzelheiten  erfolgen  soll,  betrachte  ich 
jedoch  als  vom  Normalen  abweichend,  als  pathologisch. 

Fall  1.  S.-Nr.  237/1912.  54cm  lange  männliche  Tot¬ 
geburt  mit  Perforation  des  Schädels. 

Das  Fettpolster  gut  entwickelt,  über  den  Bauchdecken  4 mm 
dick.  Das  Gewicht  des  Thymus  19  g. 

Milz:  Gewicht  29  g.  Die  Ma  1  p  i  g  h  i  sehen  Körperchen  deut¬ 
lich  zu  erkennen.  Ausserdem  waren  4  ungefähr  erbsengrosse  Neben- 
milzen  vorhanden. 


November  1914. _ MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2163 


D  u  n  ii  d  a  r  m :  Die  Peyer  sehen  Haufen  und  die  Lymph- 
lötclien  deutlich  zu  sehen. 

Zungcnbalgdrüsen  und  Gaumenmandeln  wenig  ent- 

ickelt. 

Leber:  Gewicht  200g. 

Nieren:  Deutliche  embryonale  Lappung. 

Nebennieren:  Linke  7  g,  rechte  5  g. 

Schilddrüse:  Gewicht  7  g. 

Mikroskopische  Untersuchung: 

'1  hymus:  Mark  deutlich  verbreitert.  Wenige,  ziemlich  grosse 
a  s  s  a i sehe  Körperchen. 

Milz:  Sehr  reichlich  entwickeltes  lymphatisches  Gewebe 

ine  Keimzentren. 

Leber:  Reichlich  Blutbildungsherdc  sowohl  in  den  Läppchen 
e  im  periportalen  Gewebe. 


Lall  2.  S.-Nr  236/1913.  54cm  lange  männliche  Tot¬ 
bur  t.  unter  der  Geburt  abgestorben 
Auffällig  fettes  männliches  Neugeborenes.  Das  Fettgewebe 
er  der  hi  ust  5  mm,  am  Oberschenkel  5 — 6  mm  dick,  weisslich-gelb. 
Hals:  etwas  kurz. 

Haare:  Hellblond,  bis  3,5  und  4cm  lang. 

Thymus:  Auffällig  gross,  24g. 

Zungenbalgdrüsen:  Nur  mässig  entwickelt. 

Die  ganze  Rachenschleimhaut  von  kleinen 
m p  h  kn öt chen  durchsetzt 

Milz:  Gewicht  15g  Die  Lymphknötchen  sind  sehr  deutlich 

erkennen. 

Dünndarm:  Lymphatisches  Gewebe  kaum  zu  sehen 
Leber:  Gewicht  240  g. 

Linke  Niere:  Gewicht  15  g. 

Rechte  Niere:  Gewicht  20g,  beide  deutliche  embryonale 

ipung. 

Linke  Nebenniere:  Gewicht  6,5g. 

Rechte  Nebenniere:  Gewicht  6  g. 

Mikroskopische  Untersuchung: 

1  hymus:  Deutliche  Markhyperplasie. 

Milz:  Reichlich  entwickeltes  lymphatisches  Gewebe 
Leber:  Mässig  reichlich  Blutbildungsherde. 

Fall  3.  S.-Nr.  152/1914.  55cm  lange  männliche  Tot¬ 
bur  t.  4500  g.  Unter  der  Geburt  abgestorben. 

Haut  von  weisslich-gelber  Farbe,  sehr  zart. 

Fettpolster  der  Bauchdecken  auffallend  stark  entwickelt, 

8  mm  dick. 

Thymus:  Linker  Lappen  grösser  als  der  rechte.  Gewicht  26  g. 
Zungenbalgdrüsen  treten  nicht  besonders  stark  hervor, 
i  kann  jedoch  lymphatisches  Gewebe  in  Gestalt  kleiner  Knöt- 
n  bis  zum  Kehldeckel  verfolgen. 

Gaumenmandeln:  Gut  entwickelt. 

Milz:  16g  Auf  dem  Durchschnitt  treten  die  Lymphknötchen 
r  deutlich  hervor. 

Dünndarm:  Die  Lymphknötchen  sinJ  gut  ausgebildet,  die 
yer  sehen  Haufen  treten  in  geringerem  Masse  hervor 
Leber:  Gewicht  210g. 

Linke  Niere:  Gewicht  19  g. 

Linke  Nebenniere:  Gewicht  2,5  g. 

Mikroskopische  Untersuchung: 

Thymus:  Deutliche  Markhyperplasie  mit  einzelnen,  grossen 
ss  a  Ischen  Körperchen,  die  ausgesprochenen  Zellzerfall  auf- 

$en, 

Milz:  Reichlich  entwickeltes  lymphatisches  Gewebe,  zum  Teil 
>n  richtige  Knötchenbildung,  jedoch  keine  Keimzentren. 

Leber:  Reichlich  Blutbildungsherde  in  den  Läppchen,  weniger 
periportalen  Gewebe.  Mässiger,  flecken  weiser  Fettgehalt  der 
erzellen  und  der  K  u  p  f  f  e  r  sehen  Sternzellen. 

Niere:  Vereinzelte  hyaline  Glomeruli.  Ziemlich  reichlich  kleine 
en. 

Dieser  letzte  Fall  beansprucht  deshalb  ganz  besonderes 
resse,  weil  am  gleichen  Tage  die  Mutter,  die  an  Eklampsie 
orben  war,  zur  Obduktion  kam.  Ich  gebe  hier  aus  dem 
luktionsprotokolle  nur  die  in  Betracht  kommenden  Be- 
le  wieder. 

S.-Nr.  151,1914  22 jährige  Frau. 

Die  Obduktion  ergab  eine  typische  Eklampsieleber  mit 
"osen  und  Blutungen. 

Ausserdem  fand  sich  ein  Status  thymo-lymphaticus: 
iser  Habitus,  kurzer  Hals,  mässige  Hypertrophie  des  linken  Herz- 
rikels,  Hypoplasie  der  Gefässe,  stark  entwickelte  Zungenbalg¬ 
en  mit  Verbreitung  auf  den  Pharynx,  grosse  Milz  (189  g)  mit 
sen  Lymphknötchen,  langer  Wurmfortsatz  (16  cm),  embryonale 
>ung  der  grossen  Nieren,  Gewicht  der  linken  Nebenniere  7  g, 
stehende  Lymphknötchen  in  der  Magenschleimhaut,  mässig  zahl- 
e  Lymphknötchen  im  unteren  Teile  des  Ileum  und  Colon  ascen- 
■  t,  •  Thymus  wog  21  g  und  zeigte  reichlich  Substanz  mit  auf¬ 
breitem  Marke,  in  dem  grosse,  kernlose  H  a  s  s  a  1  sehe  Körper¬ 
sich  zeigen.  Die  Rinde  bestand  aus  kleinen,  knopfförmigen 
"ken 


Die  Obduktionsbefunde  der  Totgeborenen 
zeigen  in  erster  Linie,  dass  es  sich  um  auffällig  grosse 
Kinder  von  54  und  55  cm  Länge  handelt.  Bemerkenswert 
ist  weiter  die  starke  Ausbildung  des  Unterbaut- 
fettgewebes,  das  in  zwei  Fällen  als  weisslich-gelb 
bezeichnet  wird.  In  der  letzten  Beobachtung  wird  auch  auf 
die  Zartheit  der  Haut  hingewiesen.  Der  Thymus  ist 
immer  s  e  h  r  s  t  a  r  k  v  e  r  g  r  ö  s  s  e  r  t,  19,  24,  ja  26  g  schwer 
und  weist  mikroskopisch  eine  Markhyperplasie  auf. 
Bei  allen  drei  Kindern  sind  die  Lymphknötchen  in  der 
Milz  so  stark  entwickelt,  dass  sie  schon  mit  unbewaffnetem 
Auge  aufs  deutlichste  erkannt  werden.  Die  mikroskopische 
Untersuchung  bestätigt  diese  Hyperplasie  und  bemerkt  beim 
letzten  Falle,  dass  hier  schon  richtige  Knötchenbildung  vor¬ 
handen  ist.  ln  der  ersten  und  dritten  Beobachtung  treten  im 
Darme  die  Lymphknötchen  deutlich  hervor,  während 
dies  bei  der  zweiten  nicht  der  Fall  ist. 

Wenn  man  diese  Befunde,  die  auffällige  Grösse  der  fett¬ 
reichen,  pastösen  Kinder,  den  weit  über  die  äussersten  Grenzen 
vergrösserten  Thymus  mit  seiner  Markhyperplasie,  die  starke 
Entwicklung  der  sonst  im  uterinen  Leben  makroskopisch  über¬ 
haupt  nicht  erkennbaren  Lymphknötchen  der  Milz  und  des 
Darmes,  übersieht,  und  sie  mit  unseren  Feststellungen  bei  Er¬ 
wachsenen  mit  Status  thymo-lymphaticus  vergleicht,  so  ist 
wohl  kein  Zweifel  vorhanden,  dass  diese  Bilder  sich  völlig 
gleichen.  Es  handelt  sich  auch  hier  um  einen 
echten  Status  thymo-lymphaticus  und  zwar 
um  einen  angeborenen. 

Es  fehlen  natürlich  bei  diesen  I  otgeboreneii  eine  Reihe 
von  bestimmten  Merkmalen,  die  allerdings  beim  Erwachsenen 
auch  nicht  konstant  sind,  die  aber  vielleicht  auch  erst  später 
im  Leben  sich  ausbilden.  Andere  wieder  werden  bei  den  vor¬ 
liegenden  kleinen  Verhältnissen  gar  nicht  zu  erkennen  sein, 
wieder  andere  sind,  da  die  Organe  noch  in  der  Entwicklung 
begriffen,  jetzt  überhaupt  noch  nicht  festzustellen.  Ich  weise 
nur  auf  die  embryonale  Lagerung  der  Nieren  hin,  die  beim 
Erwachsenen  ein  bestimmtes  Kriterium  darstellt,  die  aber  beim 
Neugeborenen  eine  regelrechte  Erscheinung  darstellt,  von  der 
man  abei  nicht  behaupten  kann,  ob  dieser  Zustand  normaler¬ 
weise  verschwindet  oder  ob  er  bestehen  bleibt.  Auch  hin¬ 
sichtlich  der  Nebennieren  bin  ich  hier  noch  zu  keinem  Schluss 
gekommen.  Es  mag  das  an  der  kleinen  Anzahl  der  Fälle 
liegen. 

Auf  einige  andere  Feststellungen,  die  mir  bemerkenswert 
erscheinen,  möchte  ich  jedoch  aufmerksam  machen.  Es  ist 
.  hier  vor  allen  Dingen  das  hohe  Gewicht  der  Leber  zu 
nennen,  die  gegenüber  dem  Durchschnittsgewicht  von  142  g 
(V  i  e  r  o  r  d  t)  sehr  hohe  Werte  von  200,  210  und  240  g  auf¬ 
weist.  In  diesen  drei  Lebern  fanden  sich  nun  mehr  oder  minder 
reichlich  Blutbildungsherde.  Da  im  allgemeinen  die  An¬ 
schauung  gilt,  dass  die  Blutbildung  am  Ende  des  uterinen  Le¬ 
bens  in  der  Regel  aus  der  Leber  verschwunden  ist,  so  glaubte 
ich  in  solchen  Befunden  für  die  Beurteilung  ein  gewisses 
Kriterium  erhalten  zu  haben.  Die  Untersuchung  an  Lebern 
von  13  normalen  Neugeborenen  von  52—54  cm  Länge  ergab 
jedoch,  dass  in  jeder  Leber  noch  Blutbildung,  oft  in  ziemlich 
reichlichem  Masse  vorhanden  war.  Es  handelt  sich  also  um 
eine  normale  Erscheinung.  Ferner  erscheint  mir  der  Befund 
in  den  Nieren  des  letzten  Falles  erwähnenswert,  die  mikro¬ 
skopisch  vereinzelte  hyaline  Glomeruli  und  ziemlich  reichlich 
kleine  Zysten  darboten.  Es  ist  in  Zukunft  meiner  Ansicht  nach 
auf  diese  ja  bekannten  Missbildungen  zu  achten,  ob  sie  nicht 
vielleicht  doch  für  die  vorliegende  Frage  von  Wert  sind. 

Zum  Schlüsse  möchte  ich  noch  im  besonderen  auf  meinen 
dritten  Fall  eingehen,  der  mir  in  verschiedener  Hinsichl 
von  Wichtigkeit  zu  sein  scheint.  Einmal  zeigt  er  das  überaus 
hohe  Th  y  musgewicht  von  26  g.  Aber  ganz'  besonders 
ist  er  deshalb  bedeutungsvoll,  weil  dieses  Kind  von  einer 
M  u  1 1  e  r  stammt,  die,  wie  die  Obduktion  erwies,  eben¬ 
falls  einen  ausgesprochenen  Status  thymo- 
lymphaticus  hatte.  Wenn  ja  auch  nach  den  Unter¬ 
suchungen  H  e  d  i  n  g  e  r  s  und  durch  klinische  Beobachtungen 
ein  familiäres  Auftreten  dieser  Konstitutionsanomalie 
bekannt  ist,  so  liegt  hier  ein  autoptisch  erwiesener  Fall  von 
hereditärem  Status  thymo-lymphaticus  vor. 


r 


2164 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  44 


Die  vorstehenden  Untersuchungen  haben  also  zwe|  Fragen 
beantwortet,  dass  es  einen  angeborenen  Status 
thymo-lymphaticus  gibt,  und  dass  diese  Kon¬ 
stitution  sano  in  alie  erblich  ist. 

Literatur. 

A  Goslar:  Dars  Verhalten  der  lymphozytären  Zellen  in  den 
Gaumenmandeln.  Zieglers  Beitr.  56.  —  E.  Hedinger:  Mors  thy- 
mica  bei  Neugeborenen.  Jb.  f.  Kinderhlk.  N.F.  63.  —  J.  Wiesel: 
Pathologie  des  Thymus.  Ergebnisse  der  allgem.  Pathol.  1912.  51. 

Th.  Herrmann:  Das  Gewicht  der  Neugeborenenmilz.  Anat. 
Anzeiger  47.  1914. 


Aus  Prof.  Unnas  Dermatologikum  in  Hamburg. 

Die  Entfernung  des  Frauenbartes. 

Von  Dr.  Karl  Unna. 

Von  den  zahlreichen  Methoden  der  Epilation,  welche  im 
Laufe  der  letzten  Jahrzehnte  angegeben  sind,  werden  heute 
wohl  nur  noch  die  Epilation  mittels  des  elektrischen  Stromes 
und  die  mit  der  Kromayer  sehen  Stanze  geübt.  Beide 
Methoden  setzen  langjährige  Uebung  voraus,  sie  stellen  an  das 
Auge  und  das  Handgeschick  des  Arztes  hohe  Anforderungen, 
sie  nehmen  die  Geduld  und  die  Ausdauer  von  Arzt  und  Patient 
stark  in  Anspruch  und  im  Zusammenhang  damit  auch  das 
Portemonnaie  des  letzteren.  Oft  haben  wir  es  erlebt,  dass  das 
einzelne  Haar,  dass  scheinbar  für  immer  epiliert  war,  wieder 
nachwuchs.  Andrerseits  bildete  sich  in  einigen  Fällen  dort, 
wo  früher  ein  Haar  sass,  trotz  vorsichtigsten  Vorgehens,  eine 
entstellende  Narbe,  besonders  bei  solchen  Patienten  oder 
Patientinnen,  welche  schon  früher  zur  Keloidbildung  neigten. 

Die  Unannehmlichkeiten  und  die  Gefahren  dieser  Methoden 
brachten  es  mit  sich,  dass  wir  sie  zu  vermeiden  suchten,  wo 
wir  konnten.  Dies  ist  vor  allem  möglich  bei  einer  grossen 
Gruppe  von  Frauen,  nämlich  denen,  deren  Gesichtsbehaarung 
weniger  wegen  der  Dicke  der  einzelnen  Haare  auffallend  ist, 
sondern  lediglich  wegen  ihrer  schwarzen  Farbe.  Der  kos¬ 
metische  Effekt  nämlich  kann  hier  leichter  erreicht  werden 
durch  blosse  Depigmentation  der  Haare  als  durch  das  Entfernen 
Hunderter  oder  Tausender  von  ihnen.  In  unserer  Klinik 
wurden  schon  Ende  der  90  er  Jahre  diese  Fälle  mit  Natron- 
superoxydseifc  behandelt.  Der  Schnurr-  und  Backenbartflaum 
dieser  Frauen  wurde  von  der  Krankenschwester  ein-  bis  zwei¬ 
mal  täglich  mit  einem  festen  Wattebausch,  der  steigend  mit 
2,  5,  10  und  20  proz.  Natronsuperoxydseife  armiert  war,  ein¬ 
geseift  und  dieses  Seifen  dauerte  für  einen  ganzen  Frauenbart 
etwa  2 — 5  Minuten  lang,  nämlich  so  lange  wie  es  vertragen 
wurde,  ohne  dass  sich  die  Haut  entzündete.  Zweimal  täglich 
wurde  die  Prozedur  nicht  von  allen  Patienten  vertragen,  so 
dass  sic  längere  Zeit  hindurch  nur  einmal  täglich  eingeschäumt 
werden  konnten,  ln  allen  Fällen  war  hinterher  die  Gesichts¬ 
haut  stark  gerötet,  beruhigte  sich  aber  immer  bald  nach  dem 
Aufträgen  von  Gelanthcreme.  Gewöhnlich  war  der  kosmetische 
Effekt  in  etwa  14  Tagen  erreicht.  Dann  war  statt  des  dunklen 
Bärtchens  ein  hellerer,  weniger  auffallender  Flaum  vorhanden. 
Die  Patientinnen  wurden  weiterhin  angewiesen,  das  Ein¬ 
schäumen  nur  ein-  bis  zweimal  wöchentlich  zu  wiederholen. 
Nur  selten  hatten  wir  nötig,  die  Kur  ganz  auszusetzen,  weil 
das  Seifen  und  Einschäumen  nicht  vertragen  wurde.  Stärkere 
Reizungen  wurden  durch  Einbinden  des  Gesichts  mit  Zink¬ 
ichthyolsalbenmull  während  der  Nacht  stets  prompt  beseitigt. 

Die  Frauen,  welche  mit  Ausdauer  eine  solche  Kur  durch¬ 
machten,  waren  stets  mit  dem  kosmetischen  Effekt  zufrieden. 
Der  Einwand,  der  oft  zu  Beginn  gemacht  wurde,  ob  nicht  viel¬ 
leicht  die  Haare  zwar  depigmentiert  würden,  jedoch  durch  den 
Reiz  des  Einschäumens  stärker  wüchsen,  erwies  sich  nicht 
nur  als  hinfällig,  sondern  wir  machten  die  sehr  erfreuliche  Be¬ 
obachtung,  dass  gerade  das  Gegenteil  der  Fall  ist.  Behandelt 
man  die  Haare  zwecks  Depigmentation  lange  Zeit  mit  Sauer¬ 
stoffseifen  wie  Pernatrolseife,  so  wird  der  Haarwuchs  allmäh¬ 
lich  spärlicher.  Es  ist  dies  eine  Erfahrung,  welche  wir  bei 
allen  Patientinnen  ohne  Ausnahme  in  den  letzten  Jahren 
machen  konnten.  Nach  einer  intensiven  Anfangskur  genügte 
später  wöchentlich  bis  vierzehntägiges  einmaliges  Behandeln, 
um  die  Haarentwicklung  zunächst  zu  verlangsamen,  allmählich 
aber  unter  Kleiner-  und  Brüchigwerden  der  Haare  den  Nach¬ 
wuchs  stark  zu  beschränken. 


Soweit  waren  wir  im  Ersatz  der  instrumentellen  Epi 
lationsmethoden  gelangt,  als  wir  die  Methode  von  Fra 
Dr.  Schwenter-Trachsler  -  Bern  kennen  lernten.  Di 
Kollegin  zeigte,  dass  einfaches,  methodisch  ausgeführtes  „Po 
lieren“  der  zu  enthaarenden  Stellen  allmählich  den  ge 
wünschten  Erfolg  zeitigt.  Diese  mechanisch  zerstörende  Me 
thode  haben  wir  sofort  in  den  mannigfachsten  Abänderungei 
angewandt  und  konnten  die  guten  Resultate  von  Frai 
Dr.  Schwenter-Trachsler  durchaus  bestätigen.  D; 
der  gewöhnliche  Bimstein  zu  scharfkantig  ist  und  zu  ungleich 
Flächen  besitzt,  liess  auf  Anregung  meines  Vaters  Dr.  Meriai 
aus  Lapis  pumicis  pulverisatus  zusammengepresste  handlich: 
Stücke  fabrikmässig  formen.  Unter  diesen  haben  sich  zue 
Formen  bewährt:  1.  kreisrunde  Platten  mit  Griff  und  2.  wetz 
steinförmige  Stücke1).  Diese  wurden  nass  gemacht  und  zun' 
Polieren  verwandt,  hatten  aber  den  Nachteil,  dass  ihre  duren 
Pressen  hergestellte  Oberfläche  zu  glatt  war.  Deshall 
tauchten  wir  den  angefeuchteten  Polierstein  in  Polierpulve 
(Pulvis  cutifricius)  und  wiesen  die  Patientinnen  an,  jede; 
Abend  einmal  und  zwar  so  lange,  bis  die  Haut  sich  rötete,  diij 
behaarten  Stellen  unter  sanftem  Druck  zu  polieren  (2—5  Mi 
nuten).  Noch  schonender  wurde  bei  empfindlichen  Häuten  da: 
Polieren  mit  einem  Wattebausch  ausgeführt,  welcher  vorhe 
nass  in  Pulvis  cutifricius  getaucht  worden  war.  Neben  diese 
Hauptmethode  wurde  auch  folgende  Modifikation  angewandt 
Polieren  mit  dem  in  Pulvis  cutifricius  getauchten  Finger.  Beide 
Modifikationen  verwendeten  wir  für  die  Fälle,  wo  die  Polier 
steine  nicht  vertragen  wurden.  Die  für  die  Patientinnen 
schonendste,  für  die  Wärterinnenhand  allerdings  angreifendi 
Methode,  welche  jedoch  bis  zu  10  Minuten  vertragen  wurde 
war  die  mit  dem  trockenen  Finger  und  Pulvis  cutifricius. 

Etwa  8 — 14  Tage  nach  Beginn  der  Behandlung  pflegtet 
alle  wegpoliert  zu  sein  und  dann  wurde  die  Behandlung  ir 
milderer  Form  fortgesetzt,  so  dass  die  Haut  fortdauernd  ge 
schont  blieb.  Eintretende  Reizungen  beseitigte  prompt  de 
Zinkichthyolsalbenmull  bei  nächtlicher  Anwendung. 

Es  lag  nun  nahe,  diese  Poliermethode,  deren  Prinzip  du 
mechanische  Zerstörung  der  Haare  ist,  mit  unserer  Sauerstoff¬ 
methode,  deren  Prinzip  in  erster  Linie  die  Depigmentation  um, 
erst  in  zweiter  Linie  die  haarzerstörende  ist,  zu  kombinieren 
Und  so  hat  sich  im  letzten  Jahre  folgendes  Verfahren  bei  um 
eingebürgert. 

1.  Zum  Einschäumen,  was  2 — 10  Minuten  lang  vertraget 
wird,  dient  jetzt  nur  noch  die  feste,  in  Stücke  gepresste! 
Natronsuperoxydseife  (Pernatrolseife). 

2.  Die  eingeschäumten  und  noch  feuchten  Hautpartic: 
werden  sodann  mit  dem  Polierstein  (ohne  Zuhilfenahme  voi 
Pulvis  cutifricius)  poliert  und  zwar  die  Wangen,  Arme,  Hai: 
mit  dem  runden  Polierstein  mit  Handgriff,  die  Gegend  un 
Nase  und  Mund  und  zwischen  den  Augenbrauen  mit  dem  wetz¬ 
steinförmigen  Polierstein.  Diese  Prozedur  dauert  2  bis  5  Mi¬ 
nuten. 

3.  Die  Haut  wird  dann  trocken  abgewischt  und  sofort  inii 
Gelanthcreme  bedeckt. 

Ausserordentlich  verschieden  sind  die  Fälle  von  Gesichts- 
behaarung  des  weiblichen  Geschlechtes,  wegen  derer  der  Arzt 
in  Anspruch  genommen  wird.  Handelt  es  sich  um  nur  einige 
wenige  kräftige  lange  Haare,  wie  wir  sie  am  Mundwinkel,  am 
Kinn  und  an  der  Backe  älterer  Frauen  finden,  die  sonst  keim 
Hypertrichose  zeigen,  so  war  früher  die  Elektrolyse  immer 
noch  die  beste  Methode.  Dasselbe  lässt  sich  sagen  von  den 
Frauen,  welche  eben  die  Pubertät  beendet  haben  und  meist 
aus  stark  behaarten  Familien  stammen  (die  Väter  haben  meist 
starke  Schnurr-  und  Backenbärte  und  auffallend  starkes  Haar), 
die  zu  uns  kommen,  um  einzelne  kräftige  Haare  in  der  Ver¬ 
bindungslinie  der  beiden  Augenbrauen  entfernen  zu  lassen  und 
auch  meist  vereinzelte  starke  Haare  in  der  Schnurrbartregior 
aufweisen.  Auch  hier  wurde  früher  elektrolysiert,  jetzt  nur 
noch  mit  Sauerstoffseife  poliert. 

Ebenso  Hessen  sich  die  Achselhaare  und  die  der  Areolae, 
wegen  deren  Entfernung  Schauspielerinnen,  Tänzerinnen, 
Artistinnen  die  Aerzte  aufzusuchen  pflegen,  früher  nur  durch 
Elektrolyse  oder  die  Kromayer  sehe  Stanzmethode  ent¬ 
fernen.  Doch  sind  beide  Methoden  schmerzhaft.  Sie  werdet' 

’)  Dieselben  sind  in  der  Schwanapotheke,  Hamburg,  vorrätig- 


November  19H. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2165 


zt  ersetzt  durch  Einschäumen  mit  Wattebausch  und 
ilvis  cutifricius  an  der  Mamma,  in  der  Achselhöhle  ebenso, 
er  zweckmässigerweise  hier  nach  vorhergehender  Epilation 

it  Baryumsulfid. 

Nun  gibt  es  eine  grosse  Gruppe  von  Fällen,  in  denen  das 
iar  dicht  und  gleichmässig  das  ganze  Gesicht  der  Frauen 
deckt  und  deren  Schnurr-  und  Backenbärte,  von  feinstem, 
um  sichtbarem  Flaum  bis  zum  stattlichen  Männerbart 
riiert.  Sie  kommen  meist  in  die  Sprechstunde  des  Dermato- 
,ren,  nachdem  sie  schon  alles  mögliche  probiert  haben:  Die 
ästen  rasieren  sich  täglich  selbst  oder  epilieren  sich  1—2  mal 
jchentlich  mit  einem  Epilationspulver  (BaS  oder  CaS),  oder 
■  kommen,  weil  sie  von  Aerzten  oder  Laien  schon  mit 
jktrolyse  ohne  Erfolg  (schlechte  Technik)  oder  mit  schlech- 
n  Erfolg  (wulstige  Narben)  behandelt  worden  sind.  Man 
nn  diese  gleichmässig  im  Gesicht  Behaarten  in  3  Abteilungen 
heilen,  je  nach  Beschaffenheit  der  Haare: 

1.  Solche,  die  einen  ganz  leichten  Flaum  als  Gesichts- 
haarung  tragen.  Die  Härchen  sind  gleichmässig  lang,  sehr 
rz,  stehen  aber  sehr  dicht,  sind  ganz  pigmentlos  und  werden 
n  einer  unbefangenen  dritten  Person  nicht  leicht  wahr- 
nommen;  die  Haare  ähneln  sehr  den  Härchen  von  Salbei- 
ittern.  Sie  kommen  meist  bei  Roten  oder  Rotblonden  vor, 
ren  pigmentarme  Haut  oft  zugleich  zu  Ephelidenbildung 
igt,  namentlich  vom  mittleren  Alter  au,  etwa  mit  den  30  er 
iren  beginnend.  Hellblonde  dagegen  zeigen  sehr  selten  nur 
sen  flaumigen  Behaarungstypus.  Elektrolytische  Mass- 
hmen  waren  hier  immer  unmöglich,  da  das  Haar  viel  zu 
ht  steht  und  das  Einzelhaar  zu  schwach  und  kurz  ist.  In 
sen  bisher  überhaupt  nicht  angreifbaren  Fällen  feiert  die 
rnatrol-Poliermethode  bei  einiger  Ausdauer  ihre  grössten 
umphe.  Es  möge  an  dieser  Stelle  nur  kurz  erwähnt  werden, 
is  wir  in  mehreren  Fällen  (Schauspielerinnen)  in  eben  der¬ 
ben  Weise  auch  einen  dichten  Flaum,  der  Arme  und  Beine 
leckte,  entfernt  haben. 

2.  Die  zweite  Gruppe  bilden  die  dunkelblonden  und  brü¬ 
ten  Frauen,  die  eine  mehr  oder  minder  kräftige  Behaarung 
nentlich  der  Backen  oder  des  Kinns  aufweisen.  Die  Haare 
hen  lange  nicht  so  dicht  wie  bei  der  ersten  Gruppe,  sind 
nchmal  untermischt  mit  einzelnen  kräftigeren  Haaren;  die 
are  sind  etwas  pigmentiert.  Bei  diesen  Fällen  haben  wir 
'>  früher  mit  Erfolg  darauf  beschränkt,  die  kräftigeren  Haare 
ktrolytisch  zu  entfernen,  während  wir  auf  Entfernung  des 
ten  Flaums  verzichteten  oder  ihn  mit  Pernatrolseife  be- 
tdelten.  Die  Patientinnen  waren  meist  schon  zufrieden, 
nn  wir  die  paar  Hundert  der  stärkeren  Haare  dauernd  ent- 
it  hatten.  Jetzt  haben  wir  für  diese  Fälle  die  Elektrolyse 
iz  aufgegeben  und  lassen  die  Frauen  den  gesamten  Haar- 
chs  ohne  Unterschied  mit  Pernatrolseife  polieren. 

3.  Die  dritte  Gruppe  bilden  die  dunkel  pigmentierten  bis 
warzbehaarten  Frauen,  die  an  einer  allgemeinen  Hyper- 
hosis  des  Gesichtes  leiden;  Schnurrbart  wie  Backenbart 
i  in  gleicher  Weise  befallen.  Schon  zu  Beginn  der  Pubertät 
nmen  derartig  behaarte  junge  Damen,  meist  Südländerinnen, 
uns,  um  gegen  den  wachsenden  Schnurrbart  etwas  zu  tun, 
hrend  ihr  Backenbart  erst  etwa  vom  25.  Lebensjahre 
genstand  der  Behandlung  wird.  Wieder  war  früher  die 
<trolytische  Methode  dann  angezeigt,  wenn  es  sich  um 
rke  Haare  in  nicht  allzugrosser  Anzahl  handelte,  während 

die  Behandlung  der  grossen  schwarzen  Frauenbärte  über- 
Pt  verzichtet  wurde.  Jetzt  weichen  auch  diese  Fälle  sicher 
ausdauernder  Behandlung  der  kombinierten  Pernatroi- 
iermethode. 

Ich  möchte  dieses  Behandlungsverfahren  durch  eine 
inkengeschichte  aus  früherer  und  eine  aus  der  letzten  Zeit 

iutern. 

Fall  1.  M.  S.,  Kontoristin,  23  Jahre  alt,  war  stets  gesund; 
13  Jahren  menstruiert,  hatte  sie  damals  schon  einen  schwarzen 
nurrbart  und  beginnenden  Backenbart.  Schwarzes  üppiges  Haupt- 
r  13.  Februar  1012  erster  Besuch  beim  Arzt.  Gleichmässige 
aarung  mit  starken  Haaren  über  Backe.  Kinn,  Schnurrbartregion 
i  erstreckend.  Auf  der  linken  Wange  sieht  man  einen  etwa 
ergrossen,  weniger  behaarten  Fleck,  der  Erfolg  einer  Vs  jährigen 
mit  Elektrolyse.  Pat.  gibt  an,  dass  dieses  Verfahren  1.  zu  lange 
erte,  da  sie  des  Schönheitsfehlers  wegen  im  Kontor  nicht  fehlen 
te  und  höchstens  einmal  wöchentlich  den  Arzt  aufsuchen  könne: 
s  sei  für  sie  zu  kostspielig  und  3.  ziemlich  schmerzhaft.  An  Stelle 


der  elektrolytischen  Kur  hätte  ihr  Verlobter  sie  jeden  zweiten  Tag 
bisher  rasiert.  Verordnung:  Polierstein  und  Polierpul ver  an  Backe 
und  Kinn  Der  Schnurrbart  soll  jeden  Abend  mit  5  proz.  Natronsuper- 
oxydseifc  geschäumt  werden. 

v  ^  ^12.  .  erscheint  wieder  in  der  Sprechstunde.  Sie  war 

,  Hiebt  wieder  gekommen,  „weil  sie  nun  zufrieden  gewesen 
sei  .  Tatsächlich  ist  von  den  Haaren  des  Backenbartes  nichts  mehr 
zu  sehen  und  statt  des  schwarzen  auffallenden  Schnurrbarts  sieht 
mail  kaum  noch  die  jetzt  weissen,  kleinen  Härchen,  Das  Polieren 
und  das  Schäumen  war  in  diesem  Falle  sehr  gut  von  Anfang  an  ver¬ 
tragen  worden.  Ich  Iiess  nun  beides  zugleich  anwenden,  so  dass 
alternierend  einen  lag  mit  Polierstein  poliert,  den  zweiten  Tag  mit 
20  proz  Seife  geschäumt  wurde,  ohne  dass  wir  nötig  hatten,  wie 
in  manchen  anderen  Fällen,  am  3.  Tage  noch  einen  Nichtbehandlungs¬ 
tag  einzuschalten.  Dieses  Verfahren  wurde  wieder  Vs  Jahr  fortge¬ 
setzt  Vom  1.  Dezember  1912  bis  15.  Mai  1913  setzten  wir  die 
ganze  Kur  aus:  Nur  einige  wenige,  dürftige  Härchen  kamen  langsam 
zum  Vorschein.  Bis  heute  setzt  die  Pat.  die  kombinierte  Methode 
fort  und  zwar  nur  noch  alle  8  Tage  wird  je  einen  Tag  poliert  und 
einen  Tag  geschäumt  mit  dem  Erfolg,  dass  das  kosmetische  Re¬ 
sultat  dem  erhofften  Erfolg  vollkommen  entspricht. 

I  a  U  -•  Frau  0.  sucht  die  Klinik  auf  wegen  Alopecia  sebor¬ 
rhoica  und  rosacea.  Zugleich  ist  sie  Besitzerin  eines  gut  gepflegten 
dunkelblonden  Backenbartes.  Dieselbe  wurde  ohne  Unterbrechung 
der  sonstigen  Kur  in  5  Wochen  durch  zweimaliges  tägliches  Ein¬ 
schäumen  mit  Pernatrolsttickseife  und  Polieren  mit  dem  runden  Polier¬ 
stein  mit  Griff  von  ihrem  Barte  befreit  Als  sie  die  Klinik  verliess, 
sah  man  nichts  mehr  vom  Barte  Die  Pat.  setzte  zu  Hause  das 
Polieren  in  derselben  Weise  fort,  allmählich  immer  grössere  Intervalle 
einschiebend. 

Die  Beseitigung  des  Bartes  fand  im  Mai-Juni  1913  statt. 
Bis  jetzt  —  über  1  Jahr  —  ist  das  Resultat  gut  geblieben.  Die 
Pat.  braucht  die  Seifenpolitur  noch  1—2  mal  die  Woche.  Bei  diesem 
seltenen  Gebrauche  tritt  eine  Empfindlichkeit  der  Haut  überhaupt 
nicht  mehr  ein. 

Das  Endergebnis  dieser  Mitteilungen 
dürftedahin  zusammen  zu  fassen  sei  n,  dass  das 
Problem  der  Beseitigung  des  Frauenbartes 
durch  die  Kombination  der  Sauerstoff¬ 
methode  meines  Vaters  und  der  Polier¬ 
methode  von  Frau  Dr.  Schwenter-Trachsler 
in  zufriedenstellender  Weise  gelöst  und 
gleichzeitig  sehr  vereinfacht  worden  ist. 


Aus  der  inneren  Abteilung  des  städt.  Krankenhauses  St.  Rochus 
zu  Mainz  (dirig.  Arzt:  Dr.  Hans  Curschmann). 

Tödliche  Filixvergiftung  bei  einem  klinisch  latenten 
Morbus  Addisonii. 

Von  Dr.  F  e  r  d.  Schotten,  Assistenzarzt. 

Zur  Abtreibung  der  Darmparasiten,  der  Bandwürmer, 
Taenia  solium,  Taenia  mediocannelata,  botriocephalus  latus, 
des  Spulwurms,  Ascaris  lumbricoides  und  der  Oxyurcn  ge¬ 
brauchen  wir  empirisch  gefundene  Substanzen,  die  zu  den  Des¬ 
infektionsmitteln  zu  rechnen  sind.  Es  sind  dies  die  Anthel- 
mintica. 

Wie  die  Desinfektionsmittel,  so  sind  auch  die  Anthel- 
mintika  Zellgifte  und  als  solche  können  sie  natürlich  auch  dem 
menschlichen  Körper  gefährlich  werden.  Daher  muss  man  von 
ihnen  ausser  der  Wirkung  auf  die  Parasiten  noch  eine  schwere 
Resorbierbarkeit  vom  Darm  aus  verlangen,  die  auch  schon 
deshalb  geboten  ist,  weil  sich  die  Entozoen  in  den  tieferen  Ab¬ 
schnitten  des  Darmes  aufhalten. 

Die  Parasiten  brauchen  nun  durch  das  Mittel  bekanntlich 
nicht  getötet  zu  werden,  sondern  die  Anthelmintika  betäuben 
sie  oft  nur,  so  dass  sie  sich  mit  ihren  Saugnäpfen  nicht  mehr 
an  der  Darmwand  festhalten  können,  sondern  in  die  unteren 
Darmabschnitte  getrieben  werden.  Dann  entfernt  man  sowohl 
die  Würmer  als  au,ch  den  noch  unresorbierten  Teil  des  Giftes 
durch  ein  Abführmittel. 

Wir  besitzen  heute  eine  grosse  Zahl  von  Wurmmitteln.  Von  den 
eigentlichen  Anthelminthicis  ist  nicht  jedes  bei  allen  Parasiten  wirk¬ 
sam.  Das  gegen  Bandwürmer  seit  Jahrzehnten  besonders  empfohlene 
Mittel  und  wohl  auch,  das  wirksamste  Mittel  ist  das  Ex  tr  actum 
filicismarisaethereum.  Es  wird  durch  Ausziehen  der  Farn¬ 
wurzel  mit  Aether  und  nachfolgender  Eindampfung  hergestellt.  Es 
ist  ein  dünnes,  durch  Chlorophyll  lebhaft  grün  gefärbtes  Extrakt. 
Die  Wurzel  darf  nicht  älter  als  ein  Jahr  sein.  Die  Wirksamkeit  ist 
verschieden,  je  nach  dem  Standort  der  Pflanze  und  der  Jahreszeit 
und  dem  Verfahren  der  Herstellung  des  Extraktes. 

In  den  letzten  Jahren  versuchte  man  den  ätherischen  Extrakt 


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MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  44. 


in  einzelne  charakteristische  Substanzen  zu  zerlegen.  Dies  ist  be¬ 
sonders  Poulsson,  Kraft  und  Böhm  geglückt.  0  m  e  i  n  e  r 
gibt  an,  dass  sich  aus  den  Untersuchungen  ergeben  hätte,  dass 
85—90  Proz.  des  Filixextraktes  aus  fettem  Oel  und  Chlorophyll  be¬ 
stehen,  die  beide  für  die  antheimintische  Wirkung  nicht  in  Betracht 
kommen.  Der  Rest  von  10—15  Proz.  ist  ein  Gemisch  saurer  Körper, 
vor  allem  die  F  i  1  i  x  s  ä  u  r  e  (Filicin),  die  in  frischem  Extrakt  in  einer 
amorphen,  wirksamen  Form  vorkommt,  ausserdem  Flavaspidsäure, 
Albaspidin  und  Aspidinol.  Kraft  entdeckte  eine  amorphe  Säure, 
das  Aspidinolfilicin.  das  den  Handelsnamen  ..Filmaron“  erhalten 
hat.  Diese  Substanzen  sollen  in  dem  Extrakt  die  wurmtreibende  Wir¬ 
kung  haben. 

Was  die  Dosierung  des  Extractum  filicis  betrifft,  so  verordnet 
H  a  r  n  a  c  k  2,0 — 4,0  g  auf  2 — 3  mal  zu  nehmen  in  Pillenform  oder 
in  Gallertkapseln.  Tappeiner  gibt  7—10  g  an,  Meyer  und 
G  o  1 1 1  i  e  b  8 — 10  g  (10,0  g!  Dosis  max.  pro  dosi,  sowie  auch  pro  die 
D.  A.  1911).  Strümpell  will  die  Dosis  von  10 — 12  g  niemals  über¬ 
schritten  haben  wegen  Vergiftungsgefahr. 

L  e  n  h  a  r  t  z  sagt  im  Lehrbuch  von  Penzoldt-Stintzing: 
„Die  gewöhnliche  Dosis  des  Extractum  filicis  maris  aethereum  für  Er¬ 
wachsene  beträgt  6 — 8  g,  für  Kinder  2 — 3 — 4  g  und  die  Dosis  von 
10  g  sollte  niemals  überschritten  werden.  Matthes  gibt  die  ge¬ 
wöhnliche  Dosis  für  Erwachsene  mit  10  g  an.  Mehr  als  15  g  sollte 
wegen  der  Vergiftungsgefahr  nicht  gegeben  werden.  Aus  diesen  An¬ 
gaben  ersieht  man,  dass  man  bis  10  g  geben  kann. 

Trotz  der  genannten  Neuerungen  (z.  B.  des  Filmaron)  hat 
sich  in  der  Praxis  der  Gebrauch  des  Extractum  filicis  maris 
aethereum  unter  anderem  auch  in  Gestalt  des  sehr  bequemen 
Pieterich -  Helfenberg sehen  Bandwurmmittels  meist 
erhalten. 

Seit  langer  Zeit  wird  bekanntlich  davor  gewarnt, 
Filixextrakt  und  Rizinusöl  zusammen  zu  ver¬ 
abreichen.  Eine  ganze  Reihe  der  führenden  Kliniker  hat  sich 
gegen  diese  Kombination  ausgesprochen.  Es  sind  auch  in  der 
Literatur  Todesfälle  und  Fälle  von  schwerer  Intoxikation  be¬ 
kannt  geworden,  die  auf  die  Kombination  von  Rizinusöl  und 
Filixextrakt  zurückgeführt  wurden. 

v.  Jak  sch  gibt  an,  dass  bei  Verabreichung  von  Rizinusöl  die 
Gefahr  der  Intoxikation  sehr  wesentlich  steigt. 

In  einem  Falle  von  Schlier  traten  die  Erscheinungen  der 
Vergiftung  9  Stunden  nach  Verabreichung  von  7,5  g  frisch  bereite¬ 
tem  Extractum  filicis  maris  und  einem  Löffel  Ricinusöl  auf. 

H  a  r  n  a  c  k  rät  ebenfalls,  kein  Rizinusöl  nach  Verabreichung 
des  Filixextraktes  zu  geben. 

Auch  Drenkhahn  warnt  vor  der  üblichen  Darreichung  von 
Rizinusöl,  das  er  durch  Kalomel  ersetzt.  Er  geht  von  der  Annahme 
aus,  dass  die  Filixsäure  der  wirksame  Bestandteil  des  Farnwurzel¬ 
extraktes  ist  und  dass  dieser  Körper  in  Alkalien  und  Fetten  leicht 
löslich  ist.  Er  sucht  deshalb  den  Magen-Darmkanal  von  Alkalien 
und  Fetten  möglichst  frei  zu  halten  und  verwirft  deshalb  das  Rizinus¬ 
öl  als  Abführmittel. 

K  o  b  e  r  t  nimmt  an,  dass  die  Butanone  im  Extractum  filicis  maris 
die  Wirkung  bedingen.  Da  nun  die  Butanone  sich  sehr  leicht  in  Oel 
lösen  und  so  nicht  nur  wurmwidrig,  sondern  bei  grösseren  Dosen 
auf  den  Wirt  der  Tänie  sehr  giftig  wirken,  so  rät  K  o  b  e  r  t,  während 
und  gleich  nach  der  Kur  kein  überschüssiges  Oel.  insbesondere  kein 
Rizinusöl  zu  geben,  falls  man  die  Resorptionsgefahr  vermeiden  will. 

O  u  i  r  1 1  hat  mit  Extractum  filicis  maris  an  Kaninchen  Versuche 
angostellt  und  gefunden,  dass  erstens  ein  direkter  Einfluss  auf  die 
Magen  und  Darmschleimhaut  stattfindet  und  dass  zweitens  vom  Darm 
ins  Blut  aufgenommene  Substanzen  toxisch  auf  das  Zentralnerven¬ 
system  wirken  können.  Er  gibt  an,  dass  das  Gift  nur  langsam 
wirke,  da  es  vom  Darmkanal  nur  langsam  resorbiert  werde. 
O  u  i  r  1 1  gibt  weiter  an,  dass  die  Resorption  des  Mittels  durch  ölige 
Substanzen  beschleunigt  und  dadurch  die  Gefährlichkeit 
des  Mittels  erhöht  wird. 

P  e  n  z  o  1  d  t,  der  zwar  selbst  nie  Nachteile  gesehen  hat,  warnt 
auch  vor  der  Darreichung  von  Rizinusöl  zum  Filixextrakt,  da  es  eine 
erhöhte  Resorption  der  Filixsäure  zu  begünstigen  scheint. 

Einzelne  andere  Autoren  halten  die  Schädlichkeit  des  Rizinusöls 
für  zu  stark  übertrieben. 

L  e  n  h  a  r  t  z  scheint  die  Warnung  vor  der  gleichzeitigen  Verbin¬ 
dung  des  Extraktes  mit  Fetten,  namentlich  vor  der  Anwendung  des 
Rizinusöls  zur  Nachkur  für  durchaus  unberechtigt. 

Matthes  gibt  ruhig  Rizinusöl.  Die  Warnung  vor  gleichzeitiger 
Verabreichung  von  Extractum  filicis  maris  und  Rizinusöl  sei  rein 
theoretisch,  aber  praktisch  unbegründet. 

Jaquet,  der  viele  Jahre  hindurch  Bandwurmkuren  vor¬ 
genommen  hat,  will  trotz  Verordnung  von  Rizinusöl  als  Abführmittel 
keine  unangenehme  Nebenwirkung  zu  beklagen  gehabt  haben. 

Den  Autoren,  die  gegen  die  Kombination  von  Filix¬ 
extrakt  und  Rizinusöl  sind,  scheint  ein  von  uns  beobachteter 
Fall  Recht  zu  geben,  den  ich  im  folgenden  mitteilen  will. 

Es  handelte  sich  um  eine  27  Jahre  alte  Frau,  die  am  6.  Oktober 
1913.  abends  11  Uhr  in  bewusstlosem  Zustand  eingeliefert  wurde. 
Die  Mutter,  die  mitkam,  machte  folgende  Angaben: 


Meine  Tochter  suchte  am  3.  Oktober  ihren  Hausarzt  auf,  da  sie 
angeblich  einen  Bandwurm  hätte.  Der  Arzt  verordnete  ihr  das  all¬ 
bekannte  Helfenbergsche  Bandwurmmittel.  In  der  Schachtel,  die  sie 
bekommen  hatte,  seien  15  Kapseln  gewesen,  von  denen  8  schwarz 
und  7  weiss  ausgesehen  hätten.  Da  sie  am  3.  Oktober  noch  zur  Arbeit 
hätte  gehen  wollen,  die  sie  noch  gut  ausführen  konnte,  hätte  sie  mit 
der  Kur  erst  am  4.  Oktober  begonnen,  nachdem  sie  am  Abend  vor¬ 
her  Häringe  gegessen  hätte.  Am  5.  Oktober  abends  nahm  sie 
5  weisse  Kapseln,  am  6.  Oktober,  früh  4  Uhr  8  schwarze  Kapseln 
und  später  am  Nachmittag  noch  die  letzten  2  weissen  Kapseln. 

Den  ganzen  6.  Oktober  soll  sie  sich  wohlgefühlt  haben.  Der 
Bandwurm  soll  zum  Teil  abgegangen  sein.  Da  sie  Hunger  hatte, 
hätte  sie  Kaffee  und  Suppe  getrunken.  Am  Abend  desselben  Tages 
zeigten  sich  Brechreiz,  Mattigkeit  und  Müdigkeit,  aber  keine  Schmer¬ 
zen.  Stuhl  dünn.  Am  7.  Oktober  morgens  hätte  sie  teilnahmslos 
dagelegen,  ausserdem  hätte  ein  krampfartiger  Zustand  bestan¬ 
den  und  die  Sprache  wäre  verschwunden  gewesen.  Der  sofort  her¬ 
beigeholte  Arzt  hätte  Rotwein,  warme  Umschläge  und  Baldrian  ver¬ 
ordnet. 

Wegen  Mangel  an  häuslicher  Pflege  Einlieferung  ins  Kranken 

haus. 

Nachzutragen  wäre  noch,  dass  Pat.  am  29.  März  1913  schon 
einmal  hier  im  Krankenhaus  war.  Damals  klagte  sie  über  rheuma¬ 
tische  Beschwerden  in  Armen  und  Beinen,  die  schon  4  Wochen  be¬ 
standen  haben  sollten.  Ausserdem  will  sie  seit  14  Tagen  gelb  sein. 
Appetit  angeblich  gut.  Stuhl  unverändert.  Gröbere  organische  Er¬ 
scheinungen  fehlten  damals,  es  bestand  der  Verdacht  auf  einen  Duo¬ 
denalkatarrh  und  eine  Gallenblasenaffektion.  Die  Pigmentation  der 
Frau  erweckte  aber  schon  damals  ausserdem  den  Verdacht  der  Mög¬ 
lichkeit  einer  Nebennierenaffektion. 

Status  praesens:  Bei  der  Aufnahme  liegt  die  Frau  in 
somnolentem  Zustand  da.  Auf  Berührung  reagiert  sie,  doch  fehlt 
ihr  vollkommen  die  Sprache,  sie  bewegt  nur  ganz  wenig  die  Lippen 
Kein  Fieber,  kühle  Extremitäten,  kein  Schweiss. 

Bei  Betrachtung  fällt  eine  starke,  dunkelbraune  Pigmentation  des 
Gesichts,  beider  Unterarme  und  Hände,  der  Brustwarzen  und  des 
Mons  veneris  auf.  Die  Frau  ist  sehr  schlecht  genährt.  Muskulatur 
und  Fettpolster  mässig  entwickelt.  Der  Mund  ist  fest  geschlossen. 
Eine  Inspektion  des  Rachens  ist  deshalb  unmöglich. 

Lungen:  In  normalen  Grenzen,  reines  Vesikuläratmen. 

Herz:  Spitzenstoss  innerhalb  der  Mammillarlinie.  Keine  Ge¬ 
räusche.  Puls:  Beschleunigt,  90,  sehr  klein  und  weich. 

Abdomen:  In  den  unteren  Teilen  schmerrzempfindlich. 

Urin:  Eiweiss  stark  positiv.  Azeton  und  Azetessigsäure 
sehr  stark  positiv.  Zucker:  Negativ.  Mikroskopisch: 
Keine  Zylinder. 

Stuhl  nach  Einlauf  dünn,  gelbbraun  gefärbt.  Keine  Bandwurm¬ 
glieder  zu  finden. 

Pupillen  reagieren  prompt  auf  Licht  und  Konvergenz.  Kor- 
nealreflexe  auslösbar.  Patellarreflexe  wenig  gesteigert. 
Achillessehnenreflexe  vorhanden;  keine  Lähmungen. 

Therapie:  In  der  ersten  Nacht  Eisblase  auf  den  Kopf.  2 mal 
1  Spritze  Kampfer.  Am  8.  Oktober  750  ccm  Kochsalzlösung 
+  10  Tropfen  Adrenalin  subkutan.  Stündlich  Kampfer,  Koffein  und 
Digitalysatum. 

Am  nächsten  Tag  erfolgte  5  Uhr  früh  der  Exitus  letalis. 

Die  klinische  Diagnose  lautete:  Akute  Vergiftung  mit 
Extractum  filicis  maris  und  Rizinusöl:  ausserdem 
bestand  der  Verdacht  einer  Nebennierenaffektion, 
vielleicht  Tuberkulose  der  Nebennieren. 

Die  Sektion  wurde  gerichtlich  ausgeführt. 

Sektionsprotokoll: 

A.  Aeussere  Besichtigung:  Leiche  einer  grazil  gebauter 
weiblichen  Person.  Farbe  im  Gesicht,  am  Hals,  an  den  beiden  Vor¬ 
derarmen  bis  in  die  Ellenbeugen  gelblich-braun,  nahezu  bronziert, 
an  den  übrigen  Teilen  der  Leiche  graugelb  bis  hellbraungelb,  am 
Rücken  mit  Ausnahme  der  Druckstellen,  am  Nacken  und  an  der  Innen¬ 
fläche  der  Oberschenkel  durch  Leichenflecken  blaurötlich  diffus  ver¬ 
färbt. 

An  der  nasalen  Seite  der  Bindehaut  des  linken  Augapfels  sowie 
an  der  Schläfenseite  der  Bindehaut  des  rechten  Augapfels  ist  eine 
grauschwarze,  annähernd  dreieckige  (Basis  des  Dreiecks  narb  dem 
Augapfel  gekehrt),  von  der  Umgebung  gut  abgegrenzte  Verfärbung, 
welche  am  linken  Auge  bündelförmig  angeordnete  Gefässstämmchen. 
die  bis  zur  halben  Rundung  etwa  gefüllt  sind,  zeigt. 

Lippenschleimhaut  ist  blass,  feucht,  lässt  nirgends  besondere 
Veränderungen  erkennen. 

B.  Innere  Besichtigung:  Das  Herz  entspricht  annähernd 
der  Grösse  der  geballten  Faust  der  Leiche.  Die  linke  Herzhälfte. n4 
gut  zusammengezogen.  An  der  Aussenfläche  ist  wenig  gelbEches 
Fett. 

An  der  Gefässfurche  eine  isoliert  stehende  punktförmige  Blut- 
austretung  unter  dem  Ueberzug.  an  der  Rückseite  der  linken  Herz- 
hälfte  nach  dem  Herzgrund  zu  und  an  den  Wandungen  der  grossen 
Gefässe  sind  zahlreiche,  vereinzelte,  zum  Teil  zusammenfliesseude 
dunkelrote  Blutaustretungen  von  rundlicher  Form. 

Die  beiden  Nebennieren  werden  mit  Rücksicht  auf  die  auf¬ 
fallende  braune  Gesichtsfarbe  herauspräpariert  und  erscheinen  die- 


.  November  19H. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCH RIFT. 


eiben  nahezu  doppelt  vergrössert,  vollständig  verkäst,  so  dass  nir- 
ends  die  normale  Zeichnung  zu  erkennen  ist. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  (Prof.  Boström- 
icsscn)  ergab,  dass  beide  Nebennieren  total  tuberkulös  waren 
is  auf  kleine  Reste  der  Nebennierenrinde,  die  allein  erhalten  waren, 
erner  fand  sich  eine  hyperplastische  Beinebenniere, 
e  keine  Spur  einer  Verkäsung  zeigte. 

Der  Magen  ist  gefüllt  mit  glasigem  Schleim.  Die  Schleimhaut 
t  gelockert  und  hat  an  der  hinteren  Magenwand  sowie  in  der  Gegend 

Pförtners  infolge  zahlreicher  punktförmiger  Blutaustre- 
n  n  g  e  n,  welche  an  mehreren  Stellen  in  Gruppen  stehen,  ein  dunkel- 
>t  gesprenkeltes  Aussehen. 

Im  Dickdarm  und  in  den  unteren  Schlingen  des  Leerdarms  ist 
e  Schleimhaut  stellenweise  mit  blutig  gefülltem  Schleim 
.‘deckt.  Im  Grimmdarm  und  im  Zwölffingerdarm  zeigen  sich  keine 

eränderungen. 

Auf  die  Schnittflächen  der  weichen  Schädeldecken  treten  nur 
:reinzelt  aus  den  durchschnittenen  Gefässen  Blutpunkte  hervor. 

Zur  Beurteilung  der  Todesursache  lässt  sich  auf  Grund 
iS  klinischen  Verlaufes  und  des  anatomischen  Befundes  fol- 
mdes  sagen:  Zwei  Krankheitszustände  kommen  in  Betracht, 
rstens  derjenige  der  Vergiftung,  zweitens  die  (klinisch 
sher  latente)  Addisonsche  Krankheit  der 
atientin. 

Dass  nicht  nur  klinisch,  d.  i.  aus  dem  akuten  Ein¬ 
te611  der  kurzen  tödlichen  Erkrankung  nach  Einnehmen  des 
vtractum  filicis  und  dem  darauf  folgenden  typischen  Krank - 
itsverlauf,  sondern  auch  anatomisch  die  Annahme  einer 
ergiftung  gerechtfertigt  ist,  zeigten  die  Blutungen  am  Herzen, 
i  den  Abgangsstellen  der  grossen  Gefässe,  insbesondere  in 
■r  Magenwand  und  in  den  weichen  Hirnhäuten;  auf  Grund 
:s  anatomischen  Befundes  wurde  denn  auch  vom  gerichts- 
ztlichen  Obduzenten,  Herrn  Med. -Rat  Sch  äff  er,  die  Dia- 
i°se  einer  Intoxikation  gestellt.  In  der  Tat  entsprechen  die 
fundenen  Veränderungen  ganz  denen,  die  v.  Jak  sch  als 
pische  Zeichen  der  Filixvergiftung  schildert;  auch  der  kli- 
sche  Verlauf  deckt  sich  in  allen  Phasen  mit  demjenigen,  wie 

in  den  tödlich  verlaufenden  Fällen  der  Literatur  be- 
hrieben  wird,  insbesondere  denjenigen,  in  denen  Rizinusöl 
m  Filixextrakt  gegeben  wurde. 

Trotzdem  ist  bei  der  Beurteilung  der  Todesursache  die 
age  aufzuwerfen:  Ist  der  Tod  der  Patientin  nicht  doch'  etwa 
lein  durch  die  bei  der  Obduktion  gefundene  Nebennieren- 
krankung  oder  wenigstens  durch  das  Zusammen- 
i  r  k  e  n  von  Addison  scher  Krankheit  und  Filixvergiftung 
erklären? 

Was  die  erstere  Farge  anbelangt,  so  möchte  ich  sie  ent- 
hieden  verneinen.  Es  gibt  allerdings  Fälle  —  und  diese 
itsache  gibt  uns  vielleicht  ein  Recht,  diese  Frage  überhaupt 
fzuwerfen  — ,  die  mit  den  Hautveränderungen  des  Morbus 
Idison  behaftet,  aber  sonst  noch  bei  leidlicher  Gesundheit 
:mlich  plötzlich  im  Koma,  also  einem  einer  exogenen  In¬ 
dikation  ähnlichen  Zustand,  zugrunde  gehen. 

Die  Fälle,  in  denen  die  Nebennierenerkrankung  einen  der- 
tigen  Verlauf  nimmt,  sind  aber  sicher  ungeheuer  selten, 
lermeist  wird  der  perakute  Ausgang  der  Addison  sehen 
ankheit  ohne  Kachexie  durch  irgend  ein  exogenes  Mo- 
:nt.  eine  Infektion  (oder  möglicherweise  auch  Intoxikation) 
wirkt  werden. 

H.  Curschmann  teilte  mir  den  Fall  eines  ihm  nahe- 
henden  Kranken  mit,  der  nach  jahrelanger  Pigmentation 
ne  wesentliche  Abnahme  des  Körperbestandes,  der  Kräfte 
d  der  Arbeitsfähigkeit  blieb,  bis  dann  eine  leichtere  Er- 
Itung  mit  nachfolgender,  klinisch  ebenfalls  leichter  akuter 
phritis,  ohne  den  Patienten  bettlägerig  zu  machen,  zu  einem 
ma  führte,  dem  der  Kranke  in  wenigen  Stunden  erlag. 

Der  eben  genannte  Fall,  auf  dessen  Einzelheiten  ich  nicht 
her  eingehen  möchte,  lag  ähnlich  wie  der  unsrige,  nur  war 
zweifellos  bezüglich  der  Addisonveränderungen  der  Haut 
d  auch  des  vorausgehenden  subjektiven  Krankheitsgefühls 
ch  weit  schwerer.  Ich  möchte  bei  ihm  die  Komponente 
ddison“  auch  bezüglich  der  Kausalität  des  Todes  wesentlich 
her  einschätzen  und  die  andere  Komponente  der  exogenen, 
s  Ende  beschleunigenden  Infektion  dementsprechend  ge- 
ger,  als  dies  in  unserem  Falle  anzunehmen  ist.  Unsere 
tientin  war,  das  ist  nicht  zu  vergessen,  bis  zum  Einnehmen 
>  Filixextraktes  in  praxi  völlig  arbeitsfähig,  wenn  auch 
t  allerlei  allgemeinen  körperlichen  und  nervösen  Be¬ 


schwerden  behaftet.  Der  Umstand,  dass  trotz  vorgeschrit¬ 
tener  Verkäsung  beider  Nebennieren  eine  eigentliche  Kachexie 
fehlte  und  ein  leidlich  guter  Kräftezustand  erhalten  blieb,  ist 
ja  auch  anatomisch  als  der  Befund  einer  hyperplastischen 
(also  wohl  vikariierender  tätig  gewordenen)  Beinebenniere  er¬ 
klärt  worden. 

Bei  diesem  klinischen  Status  (der  Arbeitsfähigkeit)  und 
uem  anatomischen  Befund  müssen  wir,  scheint  mir,  an  dem 
Postulat  festhalten,  dass  nicht  die  Nebennierenerkrankung 
allein,  sondern  zum  mindesten  das  Zusammen¬ 
wirken  dieser  —  bisher  klinisch  ziemlich  latenten  —  Ne¬ 
bennierenveränderung  und  der  Filixvergiftung  als  Todes¬ 
ursache  anzusprechen  ist.  Die  Vergiftung  hat  eben  eine  durch 
eine  vitale  Organschädigung  bereits  mürbe  gewordene  Kon¬ 
stitution  rasch  völlig  gebrochen. 

Unser  Fall  enthält  einen  nicht  unwichtigen  Beitrag  zum 
Kapitel  der  Kontraindikationen  bzw.  zur  bedingten  und>  vor¬ 
sichtigen  Indikationsstellung  einer  Filixkur.  Die  bisher  be¬ 
kannten  Kontraindikationen  beziehen  sich  ebenfalls  meist  auf 
allgemein  schwächende  Krankheiten  und  deren  Folgen.  Es 
seien  genannt  die  Folgen  eines  Abdominaltyphus  oder  anderer 
akuter  Infektionen,  überstandene  Appendizitis,  Peritonitis,  ins¬ 
besondere  operativ  behandelte  Bauchaffektionen.  Auch  sehr 
hohes  Alter,  grosse  allgemeine  Schwäche,  Verdacht  auf 
Magen-  und  Darmgeschwüre  sind  mit  Recht  Kontraindi¬ 
kationen,  ebenso  apoplektische  Anfälle,  schwere  Herzfehler. 
Neigung  zu  Lungenblutungen  u.  a.  m.  Von  Wichtigkeit  sind 
endlich  Schwangerschaft  und  Wochenbett  als  Gegenanzeige 
zu  nennen. 

Zu  diesen  —  in  der  Praxis  übrigens  noch  viel  zu  wenig 
beachteten  —  Kontraindikationen  tritt  nun  die  Addison- 
sche  Krankheit,  bzw.  schon  Krankheitszustände,  die  mit  Pig¬ 
mentanomalien  verlaufen  und  so  den  entfernten  Verdacht  einer 
Nebennierenerkrankung  erwecken  können.  Es  ist  der  Hin¬ 
weis  auf  diese  Kontraindikation  praktisch  nicht  so  unwichtig 
oder  „ausgefallen“,  als  man  vielleicht  denkt;  denn  man  erlebt 
es  auffallend  häufig,  dass  Kranke  mit  chronisch  kachekti- 
sierenden  Leiden  ihre  Zuflucht  zur  Diagnose  Bandwurm 
nehmen  und  nach  einer  Wurmkur  verlangen  oder  sie  gar 
selbst  (auf  Grund  von  Kurpfuscherannoncen)  einleiten. 

Die  spezielle  Ursache,  weswegen  gerade  eine  Erkrankung 
der  Nebennieren  zur  tödlichen  Vergiftung  durch  Filixsäure 
disponieren  konnte,  möchte  ich  in  zwei  Momenten  suchen: 
erstens  kommt  wohl  die  allgemeine  Giftschock¬ 
wirkung,  wie  bei  jeder  anderen  Vergiftung,  in  Betracht. 
Noch  mehr  aber  scheint  mir  die  ausgesprochen  nieren¬ 
schädigende  Wirkung  des  Filixextraktes  bei  einer  be¬ 
stehenden  Nebennierenerkrankung  von  ominöser  Wichtigkeit. 
Denn  nach  Beobachtungen  von  Hans  Curschmann  scheint 
es,  dass  bei  bestehender  Erkrankung  und  Insuffizienz  der 
Nebennieren  auch  anatomisch  leichte  Schädigungen  der  Niere 
selbst  ausserordentlich  schwere  Zustände,  selbst  den  raschen 
Jod,  zur  Folge  haben  können.  Man  kann  sich  dabei  des  Ein¬ 
drucks  nicht  erwehren,  als  ob  die  Nebenniere  bei  auftretender 
Nierenschädigung  eine  innersekretorische  Funktion  zu  leisten 
habe,  der  sie,  insuffizient  geworden  (wie  beim  Morbus  Addi- 
sonii),  eben  nicht  mehr  nachkommen  kann. 

Wir  können  es,  um  auf  -den  toxikologischen  Ausgangs¬ 
punkt  unserer  Betrachtungen  zurückzukommen,  nicht  von  der 
Hand  weisen,  dass  auch  in  unserem  Fall  die  Kombination  des 
Lilixextraktes  mit  Rizinusöl  die  tödliche  Vergiftung  ver- 
anlasste,  bzw.  schwerer  gestaltete. 

Es  darf  nicht  als  Zufall  angesprochen  werden,  dass  die 
in  der  Literatur  bisher  bekannt  gewordenen  tödlichen 
Filixvergiftungen  fast  sämtlich  durch  Extractum  filicis  mit 
Rizinusöl  hervorgerufen  wurden.  Wir  müssen  darauf  aufs 
neue  und  energischste  die  Warnung  derjenigen  Autoren  (s.  o.) 
unterstützen,  die  vor  dieser  Kombination  als  lebensgefährlich 
warnen. 

Es  ist  dringend  wünschenswert,  dass  diese  Kombination, 
auch  wenn  sie  in  tausend  Fällen  ohne  Schaden  genommen 
wurde,  weil  sie  eben  in  einem  oder  zwei  Fällen  zu  tödlicher 
Vergiftung  führte,  aus  dem  Arzneischatz  gestrichen  wird,  dass 
sich  also  auch  die  Chemische  Fabrik  Helfenberg  A.G.  vorm. 
Eugen  Dieterich  in  Helfenberg  entsch’iesst.  aus  i  h  r  e  p> 


2168 


MUENCHFNER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  44. 


Bandwurmmittel  das  Rizinusöl  prinzipiell 
wegzulassen.  Tut  sie  dies  nicht,  so  muss  nachdrücklich 
vor  diesem  Mittel  gewarnt  werden. 

Literatur. 

Qm  ein  er:  Klinische  Untersuchungen  über  das  Filmaron,  als 
wirksamen  Bestandteil  der  Wurmfarnwurzel.  D.  tierärztl.  Wschr. 
15.  Jahrg.  Nr.  37  u.  38.  —  Harnack:  Lehrbuch  der  Arzneimittel¬ 
lehre  und  Arzneiverordnungslehre.  1883.  —  Tappeiner:  Lehr¬ 
buch  der  Arzneimittellehre.  1910.  —  Strümpell:  Lehrbuch  der 
speziellen  Pathologie  und  Therapie  der  inneren  Krankheiten.  Leip¬ 
zig  1902.  —  Penzoldt-Stintzing:  Handbuch  der  gesamten 
Therapie  2.  1909.  —  Mering:  Lehrbuch  der  inneren  Medizin.  Jena 
1905.  —  v.  Jak  sch:  Die  Vergiftungen.  Wien  1897.  —  Schlier: 
M.m.W.  37.  1890.  S.  553.  —  Kobert:  Lehrbuch  der  Pharmako¬ 
therapie.  Stuttgart  1908.  —  Penzoldt:  Lehrbuch  der  klinischen 
Arzneibehandlung.  Jena  1908.  —  Jaquet:  M.m.W.  1911  Nr.  48 
S.  2564. 


Aus  dem  Röntgenlaboratorium  der  Frauenklinik  der  Universität 
Tübingen  (Direktor:  Professor  Dr.  Seilheim). 

Die  vergleichende  Messung  der  Wirkung  von  Röntgen¬ 
strahlen  und  /-Strahlen. 

Von  Dr.  rer.  nat.  Walther  Gerlach. 

In  letzter  Zeit  sind  in  dieser  Wochenschrift  eine  Reihe  von 
Abhandlungen  publiziert,  die  sich  mit  dem  Vergleich  der 
therapeutischen  Wirkung  von  Röntgcnstrahlen  und  y-Strahlen 
des  Radiums  und  Mesothoriums  befassen.  Einige  der  Autoren 
geben  Versuche  rein  physikalischer  Art  an,  deren  Ergebnisse 
sie  mit  biologischen  Erfahrungen  vergleichen  oder  auf  bio¬ 
logische  Vorgänge  anwenden.  Es  werden  hier  oft  die  physi¬ 
kalischen  Grundlagen  der  Erörterung  mit  grosser  Bestimmt¬ 
heit  ausgesprochen,  so  dass  Gefahr  .vorliegen  dürfte,  sie 
möchten  als  gesicherte  Tatsachen  in  die  medizinische  Literatur 
eingehen,  während  es  sich  vielfach  nur  um  Hypothesen  oder 
sehr  zweifelhafte  Erklärungsversuche  handelt.  Es  sei  mir 
daher  gestattet,  einige  Bemerkungen  zu  machen,  die  den 
Zweck  haben  sollen,  allgemein  auf  grösste  Vorsicht  bei 
Schlussfolgerungen  aus  einzelnen  selbst  quantitativen  Ver¬ 
suchen  hinzuweisen,  denn  die  Schwierigkeiten  der  Erklärung 
der  bei  der  Durchdringung  und  Absorption  von  X-  und  y- 
Strahlen  und  ihrem  Energieumsatz  auftretenden  Erscheinungen 
sind  so  grosse,  dass  sich  bis  heute  noch  lange  nicht  alle  Be¬ 
obachtungen  befriedigt  verstehen  lassen. 

Je  durchdringender,  d.  h.  je  härter  eine  Strahlung  ist,  desto 
weniger  wird  von  ihrer  Energie  in  der  durchstrahlten  Schicht  ab¬ 
sorbiert.  Eine  Wirkung  verlangt  aber  eine  Absorption:  das  gilt  in 
vollem  Masse  für  die  direkte  Wirkung  der  Strahlen,  bei  der  man  es 
mit  einem  Energieumsatz  zu  tun  hat  (Wärmewirkung,  chemische  Wir¬ 
kung,  elektrische  Wirkung,  primäre  Verbrennungserscheinungen), 
wie  auch,  in  allerdings  beschränktem  Masse,  für  eine  Wirkung  von 
Sekundärstrahlungen,  die  selbst  durch  die  primäre  Strahlung  in  einem 
Umsetzungs-  oder  Auslösungsvorgang  erzeugt  sind.  Allgemein  muss 
d  i  e  Strahlung  am  meisten  wirken,  die  in  dem  Gebiet,  in  dem  ein 
Effekt  erzielt  werden  soll,  am  stärksten  absorbiert  wird.  Es  handelt 
sich  hier  im  wesentlichen  um  folgende  4  Punkte: 

1.  Die  Erzeugung  der  sekundären  Strahlung,  die 
unter  gewissen  Bedingungen  bei  dem  Durchgang  von  Röntgenstrahlen 
und  Radiumstrahlen  durch  Materie  entstehen,  kann  erfolgen  entweder 
durch  einen  Energieumsatz  oder  durch  eine  Auslösung  oder  durch 
beides.  Dabei  versteht  man  unter  Energieumsatz  die  Absorption 
eines  Feiles  der  primären  Röntgenstrahlenenergie  und  die  Umwand¬ 
lung  dieser  Energie  in  eine  neue  Energieform,  also  z.  B.  der  pri¬ 
mären  Röntgenstrahlenenergie  in  die  a  priori  nicht  gleichartige 
Energieform,  wie  sie  durch  die  Sekundärstrahlung  dargestellt  wird. 
Der  Auslösungsvorgang  besteht  darin,  dass  eine  durch  andere  Kräfte 
angesammelte  —  gewissermassen  potentielle  —  Energiemenge  durch 
einen  äusseren  Anstoss  frei  wird.  Dabei  muss  zwischen  der  Energie 
dieses  Anstosses  und  der  freiwerdenden  Energie  kein  quantitativer 
Zusammenhang  bestehen.  Im  ersten  Fall  (Umsatz)  muss  die  neue 
Energieform  quantitativ  gleich  der  primären  sein  (Gesetz  von  der 
Erhaltung  der  Energie),  während  im  zweiten  Fall  (Auslösung)  auch 
durch  eine  sehr  kleine  Energie  ein  beliebig  grosser  Energievorrat 
zur  Entbindung  gebracht  werden  kann. 

2.  Eine  Schwierigkeit  in  der  therapeutischen  Anwendung  der 
Röntgenstrahlen  liegt  darin,  dass  die  Absorption  im  Gewebe 
relativ  gross  ist,  also  bei  sehr  tiefliegenden  Tumoren  schon  ein 
grosser  Betrag  der  Gesamtenergie  verloren  gegangen  ist,  nutzlos 
oder  sogar  schädigend. 

3.  Die  grosse  Penetrationsfähigkeit  der  y-Strahlen  von 
Radium  C  und  Mesothorium  sollte  vom  Standpunkt  des  Energie¬ 
umsatzes  aus  eine  geringere  Wirkung  als  durch  Röntgenstrahlen 


erwarten  lassen:  eine  etwaige  selektive  Wirkung  der  y-Strahlen 
ist  hierbei  natürlich  ausser  acht  gelassen. 

4.  Der  Mechanismus  der  Einwirkung  der  Röntgen- 
und  Radiumstrahlen  ist  nicht  bekannt;  ebensowenig  wissen  wir,  ob 
die  biologischen  Wirkungen  beider  Strahlenarten  quantitativ  oder 
qualitativ  gleich  oder  verschieden  sind,  und  ob  ihre  physikalische 
Wirkung  oder  ihre  chemische  Wirkung  der  biologischen  Wirkung 
analog  ist.  Schon  allein  die  Behauptung,  dass  es  röntgensensible  und 
radiumsensible  Tumoren1)  gibt,  deutet  auf  wesentliche  biologische 
Unterschiede  beider  Strahlenarten  hin.  Der  Vergleich2)  mit  dem 
Unterschied  zwischen  rotem  und  violettem  Licht  liegt  nahe,  entbehrt 
aber  innerer  Begründung.  Er  kann  höchstens  als  Analogon,  nicht 
aber  als  Erklärungsversuch  angeführt  werden. 

Kürzlich  haben  Bumm  und  Warnekros3)  quantitative  Ver¬ 
suche  über  die  Tiefenwirkung  von  Röntgenstrahlen  und  harten 
y-Strahlen  mitgeteilt.  Krönig4)  hat  darauf  hingewiesen,  dass  die 
Schlüsse  aus  ihren  Resultaten  nicht  verallgemeinerungsfähig  sind. 
Auch  ihre  rein  physikalischen  Versuche  konnten  keine  allgemeinen 
Resultate  geben,  da,  wie  im  folgenden  gezeigt  werden  soll,  ihnen 
keine  einheitlichen  und  einwandfreien  Versuchsmethoden  zugrunde 
liegen. 

B  u  in  m  und  Warnekros  finden  in  grösseren  Tiefen  als 
2 — 3  cm  kaum  eine  Wirkung  der  y-Strahlen  des  Radiums.  Als 
Reagentien  dienen  ihnen  sowohl  Schwärzung  der  Kienböckstreifen 
und  Ionisation  einer  Luftkammer  wie  biologische  Einflüsse.  Das 
negative  biologische  Resultat  hat  seinen  Grund  in  dem  in¬ 
homogenen  Strahlungsfeld  des  Radiumpräparates,  d.  h.  also  im 
wesentlichen  in  der  Art  ihrer  Strahlung  und  Anwendung,  der  Be¬ 
strahlungsanordnung.  Wenn  die  Verfasser  mit  grösseren  Dosen  und 
längeren  Bestrahlungszeiten  schwere  äussere  Nebenschädigungen  bei 
nur  geringem  Erfolg  in  der  Tiefe  erhalten,  so  liegt  das  nicht  etwa  an 
einer  besonderen  Eigenschaft  der  Radiumstrahlen  (qualitativ  andere 
Eigenschaften  der  y-Strahlen  in  der  Nähe  des  Präparates  als  in  eini¬ 
ger  Entfernung),  sondern  vielmehr  daran,  dass  die  relativ  kleine, 
dazu  immer  gleiche  Einfallspforte  von  viel  zu 
viel  Strahlen  durchlaufen  wird,  wegen  der  In¬ 
homogenität  des  Bestrahlungsfeldes  aber  in  einer 
grösseren  Tiefe  nur  eine  geringe  Flächendichte 
der  Strahlung  herrscht.  Durch  die  grosse  Strahlungsdichte 
an  der  Einfallspforte  wird  die  Erythemdosis  schon  erreicht  sein,  ehe 
in  einer  gewissen  Tiefe  eine  für  eine  Beeinflussung  genügende 
Strahlenmenge  die  Gewebe  durchdrungen  hat. 

Diese  Nachteile  der  Radiumbestrahlung  fallen  bei  der  Ver¬ 
wendung  von  Röntgenstrahlen  nicht  weg.  Im  Gegenteil,  sie  sind 
wegen  der  hier  vorhandenen  sehr  weichen  Strahlung  noch  viel  mehr 
zu  befürchten,  aber  die  Technik  der  Röntgenstrahlen  ist  physikalisch¬ 
theoretisch  und  medizinisch-praktisch  so  weit  ausgebildet,  dass  die 
Nebenbeschädigungen  auf  ein  Minimum  reduziert  werden  können. 
Die  Röntgenbestrahlung  erfolgt  eben  nach  einer  richtigen  Methode. 

Bumm  und  Warnekros  vergleichen  physikalisch  die  Wir¬ 
kung  von  Röntgenstrahlung  und  y-Strahlung  durch  Messung  der 
Schwärzung  der  Kienböckstreifen  (photochemische  Reaktion)  und  der 
Ionisation  der  Luft  (elektroskopische  Reaktion). 

Als  erste  Bedingung  für  die  Berechtigung  einer  solchen  Ver¬ 
gleichsmessung  muss  die  gestellt  werden,  dass  die  beiden  in  Frage 
stehenden  Wirkungen  überhaupt  vergleichbar  sind. 

Will  man  quantitative  Vergleichsmessungen  anstellen,  so 
muss  die  Art  der  Einwirkung  auf  das  Reagens  qualitativ  dieselbe 
sein.  Diese  hängt  aber  in  hohem  Masse  von  der  Härte  der  Strahlen 
ab.  Es  muss  also  vor  allem  verlangt  werden,  dass  nur  Röntgen¬ 
strahlen  mit  solchen  y-Strahlen  des  Radiums  verglichen  werden,  die 
dieselbe  Härte  haben.  Dieser  Punkt  ist  bei  den  Versuchen  der  Ver¬ 
fasser  nicht  berücksichtigt  worden.  Weiterhin  hängt  der  geringe 
Effekt,  den  Bumm  und  Warnekros  durch  y-Strahlen,  ver¬ 
glichen  mit  Röntgenstrahlen,  finden,  auch  von  der  Filterung  ab.  der 
die  Strahlen  bis  zu  der  Stelle,  an  der  ihre  Wirkung  gemessen  wird, 
unterworfen  waren.  Auch  in  bezug  auf  die  Homogenität  resp.  die 
Strahlungsgemische  müssen  die  Strahlengattungen  gleichartig  sein, 
wenn  sie  quantitativ  verglichen  werden  sollen. 

So  folgt  auch  aus  den  Angaben  der  viel  grösseren  Neben¬ 
schädigungen  durch  die  y-Strahlen  als  durch  Röntgenstrahlen,  dass 
die  Erythemdosis  für  Röntgenstrahlen  nicht  die  gleiche  ist  als  wie  für 
y-Strahlen,  obwohl  sie  in  dem  „gleichen“  Masse,  Anzahl  der  X 
gemessen  ist. 

Diese  Einwände  beziehen  sich  in  gleicher  Weise  auf  die  beiden 
Messmethoden,  denn  auch  die  Ionisation  der  Luft  ist  von  der  Härte 
der  Strahlen  abhängig,  und  zwar  wird  die  Luft  um  so  mehr  ionisiert, 
je  weicher  die  Strahlung  ist:  denn  sie  wird  mehr  absorbiert.  Dabei 
ergeben,  wie  aus  eigenen  Versuchen,  die  noch  nicht  abgeschlossen 
sind,  folgt,  die  photochemische  und  elektroskopische  Reaktion  neben¬ 
einander  ausgeführt  nicht  übereinstimmende  Resultate,  selbst  wenn 
man  Röhren  exakt  gleicher  Härte  unter  gleichen  Bedingungen  be¬ 
nutzt. 

Zu  diesen  Einwänden,  die  gegen  die  Ausführung  der  Versuche 
selbst  zu  erheben  sind,  kommt  noch  ein  weiterer  hinzu,  der  die  An- 


U  z.  B.:  B.  Krönig,  M.m.W.  1914  Nr.  31. 

2)  z.  B.:  B.  Krönig.  1.  c. 

3)  Bumm  und  Warnekros:  M.m.W.  1914  Nr.  29. 

4)  B.  K  r  ö  n  i  g,  1.  c. 


November  1914. 


MUFNCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


en düng  der  Resultate  auf  biologische  Vorgänge  betrifft.  Nur  wenn 
e  biologische  Wirkung  der  photochemischen  oder  elektroskopischen 
eaktion  parallel  geht,  können  aus  einwandfrei  ausgeführten  Mes- 
ngen  Schlüsse  nach  dem  Vorgang  von  B  u  m  m  und  Warnekros 
l  die  er\vendbarkeit  der  Röntgen-  und  y-Strahlung  gezogen  wer- 
n.  as  ist  aber  eine  unbewiesene  Voraussetzung.  Man  darf  nach 
e  en  bekannten  \  ersuchsergebnissen  wohl  annehmen,  dass  man 
bei  der  Wirkung  der  Rontgenstrahlen  und  y-Strahlen  sowohl  mit 
ne,a ,  -'’crgieumsatz  als  auch  mit  einem  Auslösungsvorgang  zu 
n  ba. '  Pa,s.  g!  in  gleicher  Weise  für  die  biologischen  wie  für  die 
n  Pjiysikal ischen  Einwirkungen  der  Röntgenstrahlen.  Denn  keine 
ysikahsche  Theorie,  die  sich  nur  auf  den  Energieumsatz  stützt, 
rmag  b'sher  alle  Erscheinungen  bei  dem  Durchgang  der  Röntgen- 
d  y-^trahlung  durch  Materie  zu  erklären.  Die  physikalischen  Rc- 
tionen  sind  aber  gerade  lediglich  auf  der  Messung  eines  speziellen 
.ergieumsatzes  aufgebaut. 

Die  Fortschritte  der  D  e  s  s  a  u  e  r  sehen  Arbeiten  und  die  Ver- 
sserung  der  Rontgeninstrumentarien  durch  die  Veifawerke  zur 
zeugung  einer  durchdringenden  homogenen  Röntgenstrahlung  sind 
n  ausserordentlicher  Bedeutung.  Es  darf  aber  hier  nicht  übersehen 
.rden,  dass  mit  einer  stärker  penetrierenden  Strahlung  allein  noch 
:ht  alles  erreicht  ist.  Die  Durchdringungsfähigkeit  darf  nur  so 
ige  gesteigert  werden,  als  tatsächlich  auch  eine  Vergrösserung  der 
Aschen  Wirkung  mit  ihr  Hand  in  Hand  geht.  Das  hängt  aber 
von  der  Tiefe,  in  die  man  die  Strahlung  in  einem  speziellen  Fall 
n?.e.P  ,W1  ’  and  V0.P  ,c!em  Zweck,  den  man  erreichen  will,  d.  h.  ob 
Wirkung  hauptsächlich  durch  primäre  Einflüsse  (Absorption  der 
ahlung)  oder  durch  sekundäre  Einflüsse  (Erregung  der  Sekundär- 
ahlung  z  B  erfolgen  soll.  Das  Ideal  wäre:  für  jeden  ein- 
Inen  Fall  eine  Strahlung  solcher  Märte  und 
i  s  a  in  m  ensetzung  zu  erzeugen,  dass  möglichst 
el  Energie  bis  zum  Tumor  kommt,  davon  ein 
aximum  !m  Tuinor  zur  Wirkung  gelangt  und  da- 
i  doch  in  dem  Härtebereich  zu  bleiben,  der  die 
iut  möglichst  wenig  schädigt  und  die  wirksamen 
kundaren  Strahlungen  des  zu  beeinflussenden 
iwebes  zu  erregen  fähig  ist. 

Zum  Schluss  möchte  ich  auf  ein  recht  gefährliches  Versehen  in 
zitierten  Abhandlung  von  B  u  m  m  und  Warnekros  hinweisen 
•  Absorption  von  71,3  Proz.  der  Strahlung  in  12  cm  Gewebs- 
lcht  wird  auf  eine  Absorption  von  5,94  Proz.  in  1  cm  geschlossen, 
h.  die  Prozent, ge  Absorption  wird  einfach  durch  die  Dicke  der 
ucht  dividiert.  Die  Absorption  der  Röntgenstrahlen  erfolgt  aber 
h  einer  viel  komplizierteren  (logarithmischen)  Funktion.  Bei  der 
achen  Ableitung  der  Absorptionsformeln,  die  in  vielen  Lehrbüchern 
finden  ist,  wird  allerdings  die  in  den  einzelnen  Schichten  ent- 
lende  Sekundärstrahlung  nicht  berücksichtigt;  sie  setzt  ferner 
aus,  dass  die  Strahlung  vollkommen  homogen  ist.  Beides  gilt  aber 
die  primären  Röntgenstrahlen  nicht,  so  dass  man  nur  von 

unter  ganz  genau  zu 
ezjjaüsi  er  enden  Bedingungen  sprechen  kann 
s  heute  als  „Rontgenstrahlen“  in  den  technischen  Röhren  und 
m  Betrieb  und  als  „y-Strahlen“  in  den  Radium-  und  Mesothorium- 
paraten  zur  Verfügung  steht,  sind  Strahlungsgemische;  jedes 
ih  ungsgemisch  enthält  Strahlen  verschiedener  Härte  (gleiche 
ihlenarten  selbstverständlich  vorausgesetzt).  Es  ist  sehr  wahr- 
«mlich,  dass  sich  in  physikalischer  Beziehung  die  y-Strahlen  von 
Rontgenstrahlen  nur  durch  die  Härte  unterscheiden,  etwa  so 
weiche  und  harte  Röntgenstrahlen.  Hiermit  kann  aber  keines- 
:s,  wie  schon  oben  betont,  gesagt  werden,  dass  diese  Differen- 
ung  auch  biologisch  richtig  ist.  Um  hierfür  oder  für  das  Gegen¬ 
sichere  Anhaltspunkte  zu  gewinnen,  muss  zunächst  die  Möglich¬ 
gegeben  sein,  überhaupt  mit  definierten  Strahlen  zu  arbeiten, 
hierzu  ist  der  erste,  zum  Teil  schon  erfolgreiche,  Annäherungs- 
>uch  von  Dessauer  durch  schrittweise  Erfüllung  der  Forde¬ 
ren  seiner  „Homogenstrahlungslehre“  gemacht5).  Hieraus  ergibt 
aber  auch  ein  wesentlicher  praktischer  Vorteil,  der  durch 
möglichst  homogene  Röntgenstrahlung  geschaffen  würde;  eine 
eutend  grössere  mögliche  Sicherheit  bei  der  Dosierung  der 
trah  en  unter  Berücksichtigung  der  Körpertiefe  der  zu  bestrahlen- 
btelle  durch  die  Kenntnis  des  richtigen  Absorptionskoeffizienten 
verschiedenen  Gewebsschichten.  Erst  einwandfreie  Messungen 
diesem  Gebiete  werden  die  Frage  nach  dem  Mechanismus  der 
hlenwirkung  ihrer  Lösung  näher  bringen. 


2169 


t  es  einen  schädlichen  Nahrungsrest  beim  Säugling? 

ze  Bemerkung  zu  meiner  obigen  Arbeit  in  dieser  Wochen¬ 
schrift  Nr.  40  und  41. 

In  der  genannten  Arbeit  habe  ich  das  gemeinsame 
k  von  Tob  I  er  und  Bessau  „Krankheiten  durch  abnormen 
mt  der  Ernahrungsvorgänge  und  des  Stoffwechsels“  (Brüning- 
■valbes  Hb.  d.  allg.  Pathol  u.  path.  Anat.  d.  Kindesalters  i.  Abt.  2 
sbaden  1914)  mehrfach  zitiert.  Herr  Kollege  G.  Bessau  in 
■lau  hatte  nun  die  Freundlichkeit,  mich  darauf  aufmerksam  zu 

5)  S.  die  zusammenhängenden  Ausführungen  von  F.  Dessauer 
:r  Strahlentherapie  H.  11. 

Nr.  44. 


machen,  dass  die  Abschnitte  Bakteriologie  des  Magens,  bakterio¬ 
logische  Vorgänge  im  Darm  und  Immunität  und  Ernährung  in  diesem 
Werke  von  ihm  bearbeitet  sind  und  sein  alleiniges  und  ausschliess¬ 
liches  geistiges  Eigentum  darstellen,  was  sich  auch  aus  Fussnoten 
an  Handbuchtext  ergibt.  Ich  bringe  dies  gerne  an  dieser  Stelle 
zur  Kenntms.  Es  kommt  demnach  das  Zitat  auf  S.  2028  d.  Wschr 
tatsächlich  auf  1  o  b  1  e  r  s  Konto,  während  auf  S.  2068  für  den  Namen 
i  o  o  l  e  r  s  stets  der  seines  Mitarbeiters  Bessau  einzusetzen  ist. 

A.  Uffenheimcr. 


Fortbildungsvorträge  und 
Uebersichtsreferate. 

lieber  die  physikalischen  Grundlagen  der  Radiumtherapie  *). 

(Mit  Lichtbildern  und  Experimenten.) 

Von  Prof.  Kohlrausch  in  Freiberg  i/S. 

Auf  Ersuchen  Ihres  Vorstandes  werde  ich  mir  erlauben,  Ihnen 
PnHinnW-rZ-t^  Ppberblick  über  die  physikalischen  Grundlagen  der 
f  S?vre  ZU  Keben’  um  dann  an  der  Hand  so  gewonnener 

Medizin  7«h^rhMH^enntmSSe  dlf,  BedeutunS  der  Radioelemente  für  die 
4  f  schildern.  Ihnen  allen  ist  noch  in  frischer  Erinnerung  der 

und  hHPrAnf|Sat7U  der  BrHanatlonsbehandlung  im  geschlossenen  Raume 
p'otzbche  Niedergang,  als  im  Januar  1913  in  der  Berliner 

diese^Rphandi3656  -SC^aft  pachgewiesen  wurde,  dass  die  Grundlagen 
dieser  Behandlung  irrige,  dass  im  besonderen  eine  6— 8  fache  An¬ 
reicherung  im  Blute  der  Patienten  zu  Unrecht  behauptet  worden  war 

u,Pr ,w,CSa  unzaTeffetnd®P  Beobachtungen  können  nur  so  gedeutet 
werden,  dass  die  physikalischen  Messmethoden  in  der  Hand  des 
Mediziners  versagten.  Von  weit  grösserer  Bedeutung  scheint  aber 
fj"!  Bewegung  zu  sein,  die  erst  Anfang  1913  besonders  in  Deutsch- 
land  einsetzte  und  die  von  so  erheblichen  Erfolgen  der  Radiumbe¬ 
strahlungstherapie  bei  Karzinom  und  bösartigen  Tumoren  zu  be- 

"S“  Wj?ste,’..dafs  in  aben  grösseren  Gemeinwesen,  so  auch  in 
Dresden,  die  Mittel  zur  Anschaffung  grösserer  Radiummengen  zur 
Verfügung  gesteht  wurden.  Aber  auch  hier  sehen  wir  schon  Tm 
rHeibft  1913  auf  der  Wiener  Naturforscherversammlung  grosse  Zu¬ 
rückhaltung,  insbesondere  Mitteilungen  über  schwerwiegende  Ver¬ 
brennungen  und  Todesfälle.  s  ver 

;,KAriXerf°lg*  ma£  nup  die  neuere  Literatur,  so  kommt  man  zu  dem 

üh^  H^hew-ev  Ergebnis-  dass  über  die  Grundlagen  der  Behandlung, 
über  die  Wirkung  der  durchdringenden  Strahlung,  über  die  Ver- 
wendung  der  Absorptionsfilter  noch  vollkommene  Unsicherheit 

ct  Jni  aoT11  erb  1  jk~n  in  der  sog-  durchdringenden  Gamma¬ 
strahlung  des  Radiums  und  Thoriums  das  eigentlich  wirkende  Agens 
andeJje  W1.ede,r  m  den  Sekundärstrahlen,  die  durch  die  Gamma-’ 
Strahlung  in  den  Geweben  hervorgerufen  wird.  Nach  der  anderen 
Anschauung  sollen  die  Sekundärstrahlen,  die  in  den  Bleifiltern  er¬ 
zeugt  werden,  die  schweren  Verbrennungen  hervorrufen,  nach  einer 
anderen  sollen  gerade  sie  mit  zu  den  Heilfaktoren  zählen. 

Es  erscheint  deshalb  unerlässlich,  immer  wieder  die  Grund¬ 
elemente  der  Radiophysik  so  klar  als  möglich  herauszuheben.  Sehr 
lehrreich  erscheint  der  geschichtliche  Entwicklungs-  und  Werdegang 
der  radioaktiven  Elemente,  weshalb  er  der  eigentlichen  Radiophysik 

V0Il?,n^eSte  tjW»jrden  mag‘  Ben  Schluss  bilden  alsdann  die  Mess- 
methoden  und  Messinstrumente. 

Die  Erscheinungen  der  Radioaktivität  können  als  ein  hervor¬ 
ragendes  Beispiel  für  die  Bedeutung  wissenschaftlicher  Hypothesen 
angesehen  werden.  Eine  so  rasche  und  stürmische  Entwicklung 
e!n4er.iv.0‘lkomme„nen1neaen  Erkenntnis  der  Materie,  wie  sie  die  Radio- 
ltat.  u.ns  gebracht  hat,  ist  noch  niemals  in  der  Naturwissenschaft 
beobachtet  worden.  Bis  zum  Jahre  1896  waren  alle  radioaktiven 
Erscheinungen  völlig  unbekannt,  und  heute  kennen  wir  nicht  weniger 
als  37  strahlende,  d.  h.  radioaktive  Elemente. 

Diesen  einzigartigen  Werdegang  verdanken  wir  der  Hypothese 
von  Rutherford  und  Soddy  (Phil.  Mag.  Sept.-Nov.  1902)  die 
schon  1902  im  ersten  Entwicklungsstadium,  als  nur  einige  wenige 
unzusammenhangende  Beobachtungen  Vorlagen,  den  fruchtbaren  Ge- 
danken  aussprachen,  dass  die  Atome  radioaktiver  Substanzen  unbe- 
standig  sind,  dass  m  jeder  Sekunde  ein  bestimmter  Bruchteil  der 
vorhandenen  Atome  seine  Stabilität  verliert  und  mit  explosions- 
a„tlgff  .Qewalt  kr  allt,  ein  Vorgang,  der  als  Begleiterscheinung  eine 
ununterbrochene  Strahlung  zeigt.  Der  Rest  eines  solchen  zerfallen¬ 
den  Atoms  erscheint  um  einen  bestimmten  Bruchteil,  d.  h.  um  das 
ausgeschleuderte  Teilchen  leichter  als  das  unversehrte  bisherige 
Atom.  Der  zuruckbleibende  Rest  des  Atoms  wird  Zerfallsprodukt 
genannt.  Er  schliesst  sich  sofort  zu  einem  neuen  Atomgebilde  zu¬ 
sammen,  das  von  der  Muttersubstanz  in  chemischer  und  phvsi- 
kähscher  Beziehung  völlig  verschieden  ist.  Während  das  ursprüng- 
hche  Element  einen  festen  Körper  darstellte,  kann  sein  Zerfalls- 
produkt  beispielsweise  gasförmig  sein,  es  kann  die  Umwandlung  des 
einen  Elementes  in  tausenden  von  Jahren  vor  sich  gehen,  die  seines 
Kindes  oder  Enkels  in  Tagen  oder  Minuten. 

»«*2  VprAr^g  ,mit  Lichtbildern  und  Experimenten,  gehalten  am 
14.  Marz  1914  in  der  Gesellschaft  für  Natur-  und  Heilkunde  zu  Dresden. 

2 


2170 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  44. 


Was  versteht  man  nun  eigentlich  unter  Radioaktivität?  Zu¬ 
nächst  nichts  anderes  als  die  Eigenschaft  bestimmter  Elemente,  spon¬ 
tan  Strahlen  auszusenden,  welch  letztere  allerdings  besondere  Eigen¬ 
schaften  besitzen,  indem  sie  andere,  sonst  undurchlässige  Körper, 
wie  Metalle  u.  dergl.  mit  Leichtigkeit  durchdringen,  Eigenschaften, 
die  wir  an  den  bis  dahin  bekannten  Strahlungserscheinungen  wie 
Licht-  und  Wärmestrahlen  nicht  kennen. 

Während  das  19.  Jahrhundert  im  wesentlichen  dem  Physiker 
und  Chemiker  das  Wesen  der  Materie  erweitern  half,  indem  es  die 
äusseren  Eigenschaften  der  Atome,  die  atomistische  und  molekulare 
Architektur,  und  das  Studium  zusammengesetzter  Gebilde,  der  Mole¬ 
küle,  vermittelte,  so  brachte  das  Ende  des  Jahrhunderts  uns  mit  der 
Erkenntnis  der  Radioaktivität  etwas  ganz  neues.  Bisher  waren  die 
Atome  dem  Naturwissenschaftler  das  Gleiche  wie  die  Bausteine  dem 
Architekten:  die  Einheiten  für  sein  Gebäude,  die  in  unbegrenzter 
Mannigfaltigkeit  zu  immer  neuen  Formen  und  Verbindungen  zu¬ 
sammengeschlossen  werden  konnten.  Erst  der  radioaktiven  Forschung 
war  die  Erkenntnis  Vorbehalten,  dass  das  chemische  Atom  doch  nicht 
das  kleinste  unteilbare  Ganze  sein  könne,  wie  der  Name  „äiufxos“ 

eigentlich  verlangt. 

Die  Radioaktivität  brachte  den  Einblick  in  die  innere  Struktur 
der  alten  Bausteine,  sie  zeigte  uns  ein  Innenleben  dieser  Gebilde,  mit 
dem  gewaltige  Energien  verknüpft  scheinen.  Das  Atom  müssen 
wir  uns  als  ein  kleines  Weltall  für  sich  denken,  in  dem  eine  un¬ 
geheure  Zahl  kleinster  Massenteilchen  elektrischer  Energie  vereinigt 
ist,  die  sich  in  oszillatorischer  oder  kreisförmiger  Bewegung  be¬ 
finden. 

Diese  Energie  der  Atome  wird  bei  den  radioaktiven  Umwand¬ 
lungen  frei,  indem  jedesmal  Strahlen  in  den  Raum  hinaustreten. 

Die  Geschichte  der  Radioaktivität  geht  zurück  auf  das  Jahr  1895 
und  hat  ihren  Ausgangspunkt  in  der  Entdeckung  der  X-Strahlen 
durch  Röntgen,  die  in  engem  Anschluss  an  die  bekannten  Erschei¬ 
nungen  G  e  i  s  s  1  e  r  scher  Röhren  gefunden  wurden,  nachdem  der 
Kieler  Physiker  L  e  n  a  r  d  die  von  ihm  zuerst  beobachteten  Kathoden¬ 
strahlen  der  Vakuumröhre  experimenteller  Forschung  zugänglich  ge¬ 
macht  hatte.  Die  grosse  Bedeutung  der  Röntgenstrahlen  ist  heute 
unbestritten.  Ihre  merkwürdigen  Eigenschaften,  sie  traten  durch  die 
Glaswand  heraus,  durchdrangen  die  Metalle  etc.,  lenkten  die  Augen 
der  ganzen  wissenschaftlichen  Welt  auf  sich.  Die  angestellten  Unter¬ 
suchungen  erstrebten  Aufschluss  über  die  Eigenschaften  dieser  Strah¬ 
len,  also  auch  über  ihre  Natur  und  ihren  Ursprung.  Man  fand  den 
Zusammenhang  zwischen  den  Kathoden-  und  Röntgenstrahlen.  Im 
Jahre  1897  konnte  J.  J.  Thomson  endgültig  den  Nachweis  er¬ 
bringen,  dass  die  Kathodenstrahlen  aus  einem  Strom  von  Partikeln 
bestehen,  die  negativ  geladen  sind  und  sich  mit  grosser  Geschwindig¬ 
keit  bewegen. 

Diese  Teilchen  haben  eine  scheinbare  Masse  von  nur  Visoo  der¬ 
jenigen  des  Wasserstoffatoms  und  stellen  somit  die  kleinsten  bisher 
bekannten  Körper  dar  —  wir  bezeichnen  sie  als  Korpuskeln  oder 
Elektronen.  Sie  sind  offenbar  ein  Bestandteil  aller  Materie  und  aus 
ihnen  können  wir  uns  die  Atome  zusammengesetzt  denken. 

Nun  fand  man  leicht  eine  Hypothese  für  das  Wesen  der  Röntgen¬ 
strahlen. 

Prallen  die  negativ  geladenen  Kathodenstrahlen,  d.  h.  die  eben 
gezeichneten  Elektronen  mit  ihrer  ungeheuren  Geschwindigkeit,  die 
200  000  bis  300  000  Kilometer  per  Sekunde  beträgt,  auf  die  Glaswand 
—  also  Materie  —  oder  die  Antikatode  auf,  so  wird  der  umgebende 
Aether  in  Erschütterung  versetzt.  Es  werden  ihm  eine  Reihe  un¬ 
regelmässiger  Impulse  aufgezwungen,  die  wir  als  Röntgenstrahlen 
wahrnehmen.  Die  Impulse  sind  nicht  periodisch.  Die  weiteren  Folge¬ 
rungen  dieser  Hypothese  der  Aetherimpulse  zur  Erklärung  der  Rönt¬ 
genstrahlen  waren  ein  ausserordentliches  Durchdringungsvermögen 
der  Strahlen,  das  Fehlen  der  direkten  Reflexion,  der  Brechung  und 
Polarisation. 

Diese  neue  wissenschaftliche  Erkenntnis  hatte  unvermutet  noch 
wichtigere  Folgen  in  ganz  anderer  Richtung.  Unmittelbar  nach  der 
Entdeckung  stellte  man  die  Vermutung  auf,  dass  die  Aussendung  und 
Bildung  der  Röntgenstrahlen  im  Zusammenhang  stände  mit  der  Phos¬ 
phoreszenz,  die  durch  die  Kathodenstrahlen  auf  den  Wänden  der 
Vakuumröhre  erzeugt  wird.  Man  kam  auf  die  Idee,  dass  vielleicht 
alle  die  Körper,  die  unter  dem  Einfluss  des  Lichtes  phosphoreszieren, 
die  Eigenschaft  besitzen  könnten,  solche  X-Strahlen  auszusenden. 
Und  so  hielt  man  systematisch  bei  all  diesen  Körpern  nach  solchen 
X-Strahlen  Umschau. 

Im  Jahre  1896  fand  der  französische  Physiker  Becquerel, 
als  er  unter  anderen  eine  phosphoreszierende  Uraniumverbindung 
untersuchte,  und  zwar  das  Urankaliumsulfat,  dass  dieses  auf  eine 
lichtdicht  eingewickelte  Platte  einwirkte.  Es  zeigte  sich  bald,  dass 
die  Schwärzung  der  Platte  einer  Strahlung  zugeschrieben  werden 
musste,  die  imstande  war  eine  Materie,  d.  h.  das  schwarze  Papier, 
zu  durchdringen,  die  für  gewöhnliches  Licht  undurchlässig  ist. 

Mit  der  Phosphoreszenz  der  Uranverbindung  konnte  jedoch  diese 
Strahlung  nicht  in  Zusammenhang  gebracht  werden,  -weil  die  Strah¬ 
lung  auch  dann  vorhanden  war,  wenn  das  Salz  in  der  Dunkelkammer 
längere  Zeit  aufbewahrt  wurde,  d.  h.  also  fern  von  den  Lichtstrahlen, 
die  die  Phosphoreszenz  anzuregen  hatten. 

Vor  allem  konnte  aber  deshalb  die  Phosphoreszenz  nicht  die 
Ursache  sein,  weil  die  Strahlen  von  allen  Uranverbindungen  aus¬ 
gingen,  also  auch  solchen,  bei  denen  niemals  eine  Phosphoreszenz 
beobachtet  wurde,  dahin  gehört  auch  das  metallische  Uran  selbst. 


Die  Strahlen  bezeichnete  man  nach  ihrem  Entdecker  als  Becque¬ 
relstrahlen. 

Die  Untersuchungen  Becquerels  wurden  aufgenommen  durch 
das  spätere  Ehepaar  Curie,  die  systematisch  alle  Mineralien  und 
Verbindungen  untersuchten.  Sie  fanden,  dass  auch  die  Thorverbin¬ 
dungen  oder  thoriumhaltigen  Mineralien  ähnliche  Strahlungserschei¬ 
nungen  zeigten.  Kurz  vor  ihnen  hatte  G.  C.  Schmidt  diese  Er¬ 
scheinungen  beim  Thorium  beobachtet. 

Bei  der  Untersuchung  der  Mineralien  kam  Madame  Curie  zu 
einem  unerwarteten  Resultat.  Sie  untersuchte  die  Einwirkung  der 
Strahlen  nach  der  elektrischen  Methode  in  der  Weise,  dass  sie  zwei 
parallele  Platten  von  8  cm  Durchmesser  in  Abständen  von  3  cm  ein¬ 
ander  gegenüberstellte.  Die  untere  Platte  wurde  mit  der  feingepul- 
verten  Uran-  oder  Thorverbindung  in  dünner  Schicht  bedeckt  und 
nun  der  Strom  untersucht,  welcher  infolge  der  Strahlung  zwischen 
den  beiden  Platten  überging. 

Dieser  Stromübergang  wird  durch  Bild  1  veranschaulicht.  Durch 
die  radioaktive  Strahlung  werden  die  neutralen  Luftpartikelchen  in 
positive  und  negative  Ionen 

zerlegt,  die  nun  entsprechend  * Elektrometer 

ihrer  Ladung  und  der  An¬ 
ziehungskraft  der  positiven 
oder  negativen  Platte  an 
diese  Platte  wandern.  Nach  \ 

dem  Fundamentalsatze,  dass  ®  © 

gleichnamige  Elektrizitäten  J 

sich  anziehen,  während  un¬ 
gleichnamige  sich  abstossen,  — ~ - ünmiinw 

entsteht  sonach  ein  Strom, 
der  bei  gleichbleibender  Span¬ 
nung  lediglich  von  der  Stärke 

der  strahlenden  Substanz  ab-  Bild  l. 

hängig  ist.  Indem  Madame 

Curie  stets  die  gleiche  Menge  der  zu  untersuchenden  Sub¬ 
stanz  prüfte,  erhielt  sie  somit  eine  Reihe  von  Stromwerten, 
deren  Grösse  im  absoluten  Verhältnis  der  jeweiligen  Strahlungs¬ 
intensität  des  Minerals  stand.  Hierbei  zeigte  es  sich,  dass  einige 
Mineralien  einen  höheren  Stromwert,  also  grösseres  Strahlungsver- 
mögen  aufwiesen  als  das  metallische  Uran  selbst.  Aus  der  folgenden 
geschichtlich  wertvollen  Tabelle  der  Madame  Curie: 


B 


.Batterie.. 


.  Erde 


Pechblende  von  Johanngeorgenstadt  8,3-10  11 


„  „  Joachimsthal  ...  7,0  , 

„  „  Przibram . 6,5  „ 

„  ,  Cornwall . 1,6  , 

Cleweit  . 1,4  „ 

Chalkolith . 5,2  „ 

Autonit . 2,7  „ 

Carnotit . 6,2  „ 

Thorit . 0,2— 1,4  , 

Orangit  . 2,0  v 

Uran,  welches  etwas  Kohle  enthält  2,3  , 

Schwarzes  Oxyd  des  Urans  ....  2,6  „ 

Grünes  Oxyd  des  Urans . 1,8  „ 


Sulfat  des  Urans  und  des  Kaliums  .  0,7 
Acetat  des  Urans  und  des  Kaliums  0,7 
Phosphat  des  Kupfers  und  Urans)  i-  0,9 


Ampere 


ergibt  sich,  dass  einige  Uranmineralien  eine  4  mal  grössere  Strah¬ 
lungsaktivität  zeigten  als  das  Uran  selbst. 


Nun  hatte  Madame  Curie  bereits  vorher  nachgewiesen,  dass 
die  Aktivität  einer  Uranverbindung  lediglich  von  dem  Urangehalt  ab¬ 
hängig  sei,  ganz  gleichgültig,  in  welche  chemische  Verbindung  das 
Uran  gebracht  wurde.  Wenn  also  Uranmineralien  existierten,  die 
ein  grösseres  Strahlungsvermögen  aufwiesen  als  dem  Prozentgehalt 
an  Uran  entsprach,  so  musste  die  Ursache  darin  gesucht  werden,  dass 
in  diesen  Uranmineralien  noch  weitere  strahlende  Materie  vorhanden 
war. 

Es  ist  nun  das  grosse  Verdienst  der  Madame  Curie,  diese 
Hypothese  nicht  bloss  ausgesprochen,  sondern  sich  das  Ziel  gesetzt 
zu  haben,  dieses  unbekannte  Strahlende  zu  finden.  Und  so  unternahm 
sie  den  kühnen  Versuch,  aus  den  Uranmineralien  diese  hypothetische 
Materie  chemisch  abzuscheiden.  Dank  dem  Entgegenkommen  des 
österreichischen  Arbeitsministeriums  konnte  sie  eine  Tonne  Uranrück¬ 
stände  aus  Joachimsthal  in  Böhmen  für  ihre  Versuche  verwenden. 
Es  waren  dies  die  Rückstände  der  Pechblende,  des  Uranits,  welche 
auf  Uran  bereits  verarbeitet  waren.  Nach  mühsamer  langjähriger 
Arbeit  gelang  es  ihr,  zwei  Elemente  abzuscheiden,  von  denen  eines 
mit  dem  Wismut  ausfiel,  sie  nannte  es  ihrer  Heimat  zu  Ehren  Polo¬ 
nium,  während  sie  das  andere,  das  dem  Barium  folgte,  mit  dem  Worte 
Radium,  „das  Strahlende“,  belegte.  Die  Wahl  des  Namens  war  sehr 
glücklich,  weil  sich  sehr  bald  herausstellte,  dass  die  so  abgeschie¬ 
denen  neuen  Elemente  das  Uran  an  Strahlung  bedeutend  überlrafen. 
so  das  Radium  um  das  zweimillionenfache. 

Besonders  mühsam  war  die  Trennung  des  Radiums  vom  Barium. 
Sie  gelang  auch  damals  nicht  bis  zur  völligen  Reinheit  und  so  wurde 
das  Atomgewicht,  das  Madame  Curie  zu  225  bestimmte,  etwas 
zu  niedrig  befunden. 

Das  Spektrum  des  Radiums  wurde  zuerst  von  Demarcay 
untersucht.  Schon  1  Jahr  nach  der  Entdeckung  des  Radiums  und 
Poloniums  fand  Debierne  in  den  Uranrückständen  ein  radioaktives 


November  1914. 


M  UHNCHeNER  MEDIZI  NISCHE  W()CH  ENSCH  R I  FT. 


21  fl 


mit  der  Eisengruppe  ausficl  und  dem  Thorium  vcr- 
'  andtc  Eigenschaften  zeigte,  dem  es  an  Strahlungsvcrmögen  icdoclt 
.•eit  überlegen  war.  Dieses  Element  wurde  AkSm  SSt. 

Während  Madame  C  u  r  i  e  die  Trennung  des  Radiums  vom 
larium  nach  der  Methode  der  fraktionierten  Kristallisation  der 
rhl  o  r  1  d  exornahm,  zeigte  Giesel  1902,  dass  durch  die  Verwen- 
iing  der  Bromide  die  Kristallisation  sehr  erleichtert  wurde  und 
ass  schon  6  Kristallisationen  nahezu  genügten. 

nH<.tDmanhmmHAnheTi^etailS  d<^  .Aufarbcitl,nK  der  Uraiiriickstände 
r ,  f”rheS^  PTeS'  ™,Ia  bacultd  des  Sciences  1913“  von 
ndd  rVc  h  e’  f  rner  in  den  ”Wiener  Berichten“  von  Haitinger 

.1903  konnte  Marek  w  a  1  d,  als  er  eine  polierte  Wismutplatte 
.eine  geeignet  präparierte  Radiumlösung  tauchte,  ein  Element  ab- 

eShne/wurdl  ^  T°  UF  verbunden  schien  und  Radiotellur 

Später  konnte  aus  dem  physikalischen  Verhalten  dieses  Elemen- 
s  ohne  irgendeine  Kenntnis  seiner  chemischen  Eigenschaften,  ohne 
iss  es  jemals  wagbar  in  die  Erscheinung  trat,  gefolgert  werden, 
iss  es  mit  dem  1  olonium  der  Madame  Curie  identisch  sein  musste.’ 
eide  Elemente  waren  von  derselben  kurzen  Beständigkeit,  d.  h. 
e  verwandelten  sich  nach  136  Tagen  zur  Hälfte  in  ihre  Zerfalls- 
odukte  und  nur  hieraus  wurde  ihre  Identität  gefolgert 
Den  Untersuchungen  Hahns  um  1905  und  den  folgenden  Jahren 
.rdanken  wir  die  Kenntnis  des  Mesothoriums  und  Radiothoriums 
s  Zerfallsprodukte  der  Thoriumreihe. 

Im  Jahre  1907  entdeckte  Boltwood  das  Vorhandensein  einer 
eiteren  radioaktive,,  Substanz  in  den  Uranm?neraHen die Tr  Ionium 
.nnte.  Sie  lasst  sich  vom  Thorium  nicht  trennen  und  konnte  später 
s  der  direkte  Vorfahre  des  Radiums  nachgewiesen  werden. 

Erst  im  Jahre  1911  gelang  es  der  Madame  Curie  reines  metal- 
ches  Radium  abzuscheiden.  Sie  unterwarf  eine  bestimmte  Menge 
idiumchlond  der  Elektrolyse,  indem  sie  metallisches  Quecksilber 
’  ^atAhL°^e  .verwendete,  es  bildete  sich  ein  Radium-Arnaleam 
irch  Abdestillieren  des  Quecksilbers  gelangte  sie  schliesslich  dahin 

fElem  ebSrtWRadieummeta  NiederschIag  zurückblieb,  es  war 

ii,'nHe.KgeSnChichtl^7e  ?/eber.fic,lt  sowie  eine  Zusammenstellung  der 
tuptlehrbucher  und  Zeitschriften  findet  sich  am  Ende  der  Abhand- 

nnDiernVnJ0lgende  Einführung  in  die  Physik  der  Radioelemente 
nn  natürlich  nur  in  grossen  Zügen  einen  Ueberblick  gestatten,  dem 

ederteSjstreibUng  dCF  Messmstrumente  und  Messmethoden  ange- 

Die  Radiumphysik  kennt  heute  nicht  weniger  als  37  strahlende 
miente,  die  in  enger  Verwandtschaft  miteinander  verknüpft  sind, 
der  Spitze  steht  das  Urelement  Uran  mit  dem  Atomgewicht  238. 
;ses  Element  verwandelt  sich  über  einige  Zwischenprodukte,  im 
Tierei!  aber  ,das.  bekannte  Ionium  in  das  von  Madame  Curie 
~  re  1898  gefundene  Element  Radium,  dessen  Atomgewicht  226 
ragt.  Das  Zerfallsprodukt  dieses  wichtigen  Elementes  ist  ein  gas- 
miger  Körper,  die  Radiumemanation  mit  dem  Atomgewicht  222 
;se  wieder  verwandelt  sich  in  kurzer  Zeit  in  weitere  Elemente! 

als  feste  Niederschläge  unter  dem  Namen  Radium  A-F  be- 
mt  sind.  Das  Radium  F  ist  identisch  mit  dem  ebenfalls  von  Ma¬ 
rie  C  u  r  i  e  1898  gefundenen  Element  Polonium,  und  dieses  wandelt 
1  voraussichtlich  wieder  in  das  gewöhnliche  Element  Blei.  Eine 
iz  ähnliche  Abstufung  und  Umwandlung  ist  bei  zwei  weiteren 
loaktiven  E  ementen,  dem  Thorium  und  Aktinium,  bekannt.  Die 
roaktiven  Elemente  in  ihren  Abstufungen  besitzen  verschiedenes 
imgewicht  und  spezielle  chemische  Eigenschaften.  Ihr  wesent- 
ister  Unterschied  charakterisiert  sich  durch  ihr  verschiedenes 
ahlungsvermogen,  das  nicht  bloss  durch  grundverschiedene  Strah- 
gsarten  in  die  Erscheinung  tritt,  sondern  vielmehr  auch  durch 
e  wechselnde  Reichweite  gleichgearteter  Strahlungskomplexe, 
unterscheiden  sich  ferner  sehr  wesentlich  durch  eine  Zeitkonstante 
zum  Ausdruck  bringt,  innerhalb  welcher  Zeit  die  Umwandlung 
Elemente  zur  Hälfte  vor  sich  geht.  In  einer  Tabelle  sind  alle  bis 
te  bekannten  Radioelemente,  ihre  Eigenschaften  und  Konstanten 
n  den  neuesten  Angaben  zweckentsprechend  zusammengestellt. 
Die  Umwandlung  der  Elemente  lässt  sich  nach  der  grundlegen- 
,.°I.ie  von  Rutherford  und  Soddy  dadurch  erklären, 

S  t,die  t/  ernen*e  0'nem  dauernden  Atomzerfall  unterworfen  sind, 
eher  Vorgang  bei  dem  einen  Element  rascher,  bei  dem  anderen 
isamer  verläuft.  Während  das  Uran  sich  zur  Hälfte  in  Millionen 
ren,  das  Radium  in  2000  Jahren  umwandelt,  kennen  wir  Zerfalls- 
oukte,  die  in  wenigen  Tagen  —  so  die  Radiumemanation  in 
lagen  —  oder  solche,  die  in  wenigen  Sekunden  —  wie  die  Thor- 
na  IOf  ^  Sekunden  —  zur  Hälfte  in  ihre  weiteren  Abkömm- 
c  zerfallen.  Dieser  Wandlungsvorgang  geschieht  nun  mit  einer 
trugen  Stosskraft,  dass  das  jeweils  betroffene  Atom  vollkommen 
■prengt  wird  und  weiter  mit  einer  solchen  Energie,  dass  unsere 
Tuschen  und  physikalischen  Machtmittel  diesem  Vorgänge  voll- 
imen  hilflos  gegenüberstehen.  Wir  können  den  Umwandlungs- 
■tang  weder  beschleunigen,  etwa  durch  Anwendung  grösster  Tem- 
ituren,  noch  langsamer  gestalten  durch  Anwendung  grösster 
egrade.  Mit  eherner  Gleichmässigkeit  gelangt  die  im  Atom  auf- 
’eicherte  Energie  zum  Durchbruch;  die  ursprünglichen  Atome 
euaern  winzige  Strahlenteilchen  heraus  und  die  verbliebenen 


scl'J.lcssclli  sicb  sofort  zu  einem  neuen  Energiezentrum, 
d prC7 prftn6!!  zusammen.  Besonders  auffallend  ist  es,  dass 

tripivh™."  -  der  J^d'oaktiven  Elemente  nicht  bloss  von  einer  einzigen 
üihlmdSI!!rn  Strahlung  begleitet  ist,  sondern  dass  neben  positiv 
U  a^enen,.R°.rpu5ku,aJ'stra,llen  auch  noch  negative  Elektronen  frei 
beJÄt  ^inHini  deriRe.Kei  von-  ,weiteren  Strahlungserschütterungen 
£Ie^  ?md>  dlp  als  dritte  wichtigste  Strahlenart  in  der  Therapie 

nnLr^ahf-,d°*T1"i,di,-ei  Hauptrol!e  zu  spielen  berufen  scheint.  Man 
und6 y-sfrahlen3^11  *Ch  W1C  lm  Röntgenrobr  3  Strahlenarten:  a-,  ß- 

sammenge^el'l'r.  1  ^  diC  Eigenschaften  der  3  Strahlenarten  zu- 


Strahlen 

Grosse 

Geschwindigkeit 

Natur 

(X 

ß 

y 

Wasserstoffatom 

V 1800  des  Wasser- 
stoffatomes 

. 

20  000  km  pro  Sek. 

200  000  -300  000  km 
pro  Sek. 

Heliumatome  (4) 
(materielle  Natur) 
Elektronen 

Aetherimpulse 

positiv 

negativ 

Bild  2. 


Wir  erkennen,  wie  die  a-Strahlen  nichts  anderes  als  Helium¬ 
atome  sind,  bewaffnet  mit  positiver  Ladung  und  dem  Atomgewicht  4 

elementSShSteUsomitnS  emeS  S°'Chen  Heliumatoms  au^  dem  Radium- 
die  Verringerung 
des  jeweiligen 
Atomgewichtes  um 
die  Zahl  4  zur 
Folge. 

Entsprechend 
ihrer  verschie¬ 
denen  Natur  lassen 
sich  die  3  Strahlen¬ 
arten  im  Magnet¬ 
felde  auseinander¬ 
ziehen,  wie  Bild  2 
erkennen  lässt. 

Da  die  Strah¬ 
len  entsprechend 
ihrer  verschieden 
grossen  Energie 

auch  ein  ungleiches  Durchdringungsvermögen  gegenüber  anderen 
Körpern,  wie  Luft,  Metallen  etc.,  besitzen  müssen,  so  kann  man  sie 
mit  Hilfe  von  Metallfiltern  aussieben.  Während  die  a-Strahlen  be¬ 
reits  von  Luft-,  Papier-  oder  feinsten  Metallschichten  absorbiert 
werden,  können  die  negativen  ^-Teilchen  noch  bis  zu  2  mm  Blei¬ 
schichten  durchdringen,  ehe  sie  vollkommen  aufgehoben  sind.  Hin¬ 
gegen  haben  die  y-Strahlen  dann  erst  einen  Bruchteil,  etwa  18  Proz., 
ihier  Energie  eingebüsst.  Will  man  z.  B.  ein  Radiumpräparat  nur 
hinsichtlich  seiner  y-Strahlen  messen,  so  braucht  man  zwischen  Mess¬ 
instrument  und  Präparat  lediglich  einen  Bleifilter  von  der  Stärke 
einiger  Milimeter  aufzustellen,  wie  dies  unten  genauer  beschrieben 
wird. 

Durch  derartige  Bleifilter  wird  dann  die  gesamte  a-  und  ^-Strah¬ 
lung  absorbiert.  Da  bei  der  Bestrahlungstherapie  in  der  Hauptsache 
nur  mit  den  y-Strahlen  operiert  wird,  so  ist  es  wichtig,  die  Energie 
der  einzelnen  Strahlenarten  zur  Gesamtenergie  eines  Präparates 
festzulegen.  Das  Verhältnis  kann  ungefähr  wie  folgt  angesetzt  wer¬ 
den:  90  Proz.  müssen  wir  der  cc-Strahlung,  9  Proz.  der  /J-Strahlung 
und  nur  1  Proz.  der  y-Strahlung  zuschreiben,  wenn  das  Ra¬ 
diumsalz  vollkommen  unbedeckt,  also  ohne  jeden 
Filter  untersucht  wird. 

Man  ersieht  ohne  weiteres,  dass  schon  aus  diesem  Grunde  für 
Bestrahlungszwecke  speziell  bei  Tumoren  sehr  starke  Präparate  zur 
Verfügung  stehen  müssen,  meist  100  mg,  weil  unter  Benutzung  ledig¬ 
lich  der  y-Strahlung  ja  nur  1  Proz.  der  Gesamtenergie  zur  Wirkung 
gelangt.  Benutzt  man  noch  die  härtesten  ^-Strahlen,  so  erhöht  sich 
die  Ausnutzung  doch  nur  um  wenige  Prozent.  (Schluss  folgt) 


Bücheranzeigen  und  Referate. 

J.  R  o  s  m  a  n  i  t,  Chefarzt  der  österreichischen  Südbahn  in 
Wien:  Anleitung  zur  Feststellung  der  Farbentüchtigkeit.  Mit  8  Ab¬ 
bildungen  im  Text  und  6  lithographischen  Tafeln.  Leipzig  und  Wien 
Franz  Deut  icke,  1914.  Preis  7  M. 

Die  Anleitung  Rosmanits  stellt  ein  Buch  von  193  Seiten  dar. 
Es  werden  in  einer  theoretischen  Einführung  die  verschiedenen  Far¬ 
bensysteme:  die  dichromatischen,  das  normale  und  die  anomalen 
trichromatischen  Systeme  besprochen.  Insbesondere  geht  R.  auf  die 
anomale  Trichromasie  ein :  auf  die  Geschichte  ihrer  Erkenntnis  und 
insbesondere  auch  auf  ihre  für  die  Diagnose  und  die  Praxis  wichtigen 
sekundären  Merkmale.  Ein  grosser  Teil  des  Werks  ist  der  Be¬ 
schreibung  des  Nagel  sehen  Anomaloskops  und  der  Anweisung  zum 
Gebrauche  desselben  gewidmet,  wobei  der  Verfasser  auf  reiche  eigene 
Erfahrung  zurückgreifen  kann.  Eine  spezielle  Methodik  der  Farben¬ 
sinnprüfung  mit  Zuhilfenahme  der  verschiedensten  Untersuchungs¬ 
methoden,  die  praktische  Beurteilung  der  Farbensinnstörungen,  die 
Bewertung  der  S  t  i  1 1  i  n  g  sehen  und  Nagel  scheu  Tafelproben  sind 

2* 


2172 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  44, 


besonders  wertvoll  für  die  Praxis  der  Untersuchung  auf  Farben- 

störungen.  ,  .  .  , 

Das  Werk  ist  besonders  für  Spezialisten  geschrieben,  die  sich 
eingehender  mit  der  schwierigen  Untersuchung  von  Farbensinnstö¬ 
rungen  zu  befassen  haben  und  wird  insbesondere  durch  die  Berück¬ 
sichtigung  der  Untersuchung  mit  dem  N  a  g  cl  sehen  Anomaloskop 
für  diese  von  grossem  Werte  sein.  F  1  e  i  s  c  h  e  r  -  Tübingen. 

Handbuch  der  Gesundheitspflege  an  Bord  von  Kriegsschiffen. 

Hcrausgegeben  von  Marineoberstabsarzt  Dr.  M.  zur  Verth,  Ma¬ 
rineoberstabsarzt  Dr.  Bentmann,  Marinegeneralarzt  Dr.  Dirk- 
sen  und  Marinegcneralarzt  Prof.  Dr.  Rüge.  Jena.  Verlag  von 
Gustav  Fischer.  1914.  2  Bände,  Preis  40  M. 

Das  vorliegende,  in  2  stattlichen  Bänden  erschienene  Werk  ist 
bestimmt,  eine  empfindliche  Lücke  in  der  medizinischen  Literatur 
auszufüllen.  Bei  der  Wichtigkeit  des  Gegenstandes  ist  eine  ein¬ 
gehende  Würdigung  durchaus  am  Platze. 

Eingeleitet  wird  das  Handbuch  durch  einen  Abriss  der  Geschichte  j 
der  Schifishygiene,  der  den  bekannten  Rüge  als  Verfasser  hat.  In  | 
fesselnder  Weise  führt  uns  der  Verfasser  ein  in  die  Zustände  an 
Bord  während  der  vergangenen  Jahrhunderte.  Aus  den  nicht  reich¬ 
lich  ilicsscnden  Quellen  hat  der  Verfasser  mit  grossem  Fleisse  alles 
das  herausgesucht,  was  uns  ein  Bild  von  dem  damaligen  Bordleben 
zu  geben  vermag.  Wir  lernen  die  Verpflegung  und  Unterbringung 
von  Gesunden  und  Kranken  kennen.  Furchtbar  sind  die  Verluste, 
die  fast  alle  Schiffe  bei  längeren  Fahrten  durch  die  Schiffsseuchen 
erlitten.  Furchtbarer  umsomehr,  als  sie  zu  einem  grossen  Teile  zu 
vermeiden  waren,  wenn  einige  bedeutende  Schiffsärzte  mit  ihren  aus¬ 
gezeichneten  Vorschlägen  im  Kampfe  gegen  Gleichgültigkeit  und  Un¬ 
verständnis  der  Behörden  siegreich  gewesen  wären.  Besonders  reiz¬ 
voll  wird  das  Kapitel  dadurch,  dass  in  ausgiebiger  Weise  Aerzte  der 
verschiedensten  Zeiten  selbst  zu  Worte  kommen. 

Auf  den  nächsten  320  Seiten  hat  der  Marinegeneralarzt  Dr.  D  i  r  k- 
s  e  n  das  moderne  Kriegsschiff  als  Wohn-  und  Arbeitsraum  behandelt. 
Auch  nur  andeutungsweise  den  Inhalt  dieses  Kapitels  wiederzugeben, 
ist  im  Rahmen  eines  Referates  unmöglich.  Ich  kenne  aber  keinen 
Zweig  dieses  so  umfangreichen  Gebietes,  der  nicht  auf  das  ein¬ 
gehendste  besprochen  worden  ist.  Ja  an  manchen  Stellen  möchte 
man  sagen,  dass  weniger  vielleicht  mehr  gewesen  wäre,  ich  denke 
dabei  besonders  an  den  Abschnitt  über  Maschinen.  Doch  dürfte  durch 
diesen  kleinen  Schönheitsfehler  der  Wert  der  ganzen  Arbeit  nicht 
beeinträchtigt  werden,  umsoweniger,  als  zahlreiche  Angaben  über 
wichtige  hygienische  Fragen  den  Niederschlag  eigener  nichtveröffent- 
lichter  Untersuchungen  darstellen.  Durch  zahlreiche  Abbildungen, 
Kurven  und  Tabellen  wird  das  Verständnis  dieses  ebenso  wichtigen 
wie  schwierigen  Kapitels  erleichtert. 

Hygienisch  sehr  wichtig  sind  die  beiden  nächsten.  Sie  haben 
als  Verfasser  den  Marineoberstabsarzt  Dr.  Riegel.  Das  erste  ist 
der  Luft  im  Kriegsschiff  und  den  Belüftungseinrichtungen  gewidmet, 
während  im  zweiten  Heizung,  Beleuchtung,  Wasserversorgung,  Bade- 
und  Wascheinrichtungen,  Eisbereitung  und  Kälteerzeugung,  Beseiti¬ 
gung  der  Abfallstoffe  und  die  Ungeziefervertilgung  besprochen  sind. 
Auch  diese  beiden  Kapitel  haben  eine  sehr  eingehende  und  sorg¬ 
fältige  Bearbeitung  erfahren.  Ihr  gründliches  Studium  scheint  mir 
für  jeden  Schiffsarzt  unerlässlich,  zumal  es  durch  eine  fesselnde 
Schreibweise  sehr  erleichtert  wird. 

Dasselbe  lässt  sich  auch  von  dem  Kapitel  über  die  Hygiene  des 
Dienstes  an  Bord  von  Kriegsschiffen  mit  Marinegeneralarzt  Dr.  U  t  h  e- 
m  ann  als  Verfasser,  sowie  den  Anhängen  zu  diesem  Kapitel  über 
Torpedoboots-  und  Unterseebootshygiene  von  dem  Marinestabsarzt 
Dr.  Wessel  und  über  Taucherhygiene  von  dem  Marinestabsarzt 
Dr.  Valentin  sagen.  Durch  diese  Aufsätze  wird  der  Neuling  in 
das  weitverzweigte  Getriebe  des  Bordlebens  eingeführt  und  lernt 
die  Anforderungen  kennen,  die  in  jedem  Dienstzweig  gestellt  wer¬ 
den  müssen. 

Im  6.  Kapitel  behandelt  der  amerikanische  Marinearzt  Dr.  Beyer 
die  Ernährung  an  Bord  von  Kriegsschiffen,  ein  Kapitel,  das  den 
Schiffsarzt  in  seiner  Eigenschaft  als  Mitglied  der  Verpflegungskom- 
mission  besonders  angeht.  Berücksichtigt  sind  die  Physiologie  der 
Ernährung,  die  Zusammensetzung  und  der  Wert  der  verschiedenen 
Nahrungs-  und  Genussmittel,  die  Zubereitung  von  Konserven  und 
vieles  andere  mehr,  alles  Fragen,  die  an  einen  Schiffsarzt  jederzeit 
herantreten  können.  Eine  Zusammenstellung  der  Beköstigungs¬ 
portionen  sämtlicher  Marinen  der  Erde  bildet  den  Abschluss  und 
ermöglicht  die  Anstellung  interessanter  Vergleiche. 

Bei  der  Alkoholfrage  in  der  Marine  haben  die  Herausgeber 
einen  Anhänger  der  gemässigten  Richtung  (Beyer)  und  einen  völlig 
abstinenten  (Marineoberstabsarzt  Dr.  Buchinger)  zu  Worte  kom¬ 
men  lasse«.  Wenn  erfreulicherweise  der  Alkohol  in  den  täglichen 
Rationen  nicht  mehr  zu  finden  ist,  auch  der  wirkliche  Wert  des 
Alkohols  kaum  noch  überschätzt  werden  dürfte,  so  ist  die  doppelte 
Besprechung  dankbar  zu  begrüssen,  weil  die  Worte  eines  völlig 
Abstinenten  bei  sehr  vielen  schwerer  Gehör  finden  wie  die  eines 
der  gemässigten  Richtung  angehörenden  Vertreters.  Das  Resultat 
in  der  Wertschätzung  des  Alkohols  ist  bei  beiden  das  gleiche.  Be¬ 
sonders  der  kurze,  ernste  und  ruhige  Aufsatz  von  Dr.  Beyer  ver¬ 
dient  eine  eingehende  Würdigung.  Erfreulich  für  uns  Deutsche  ist 
das  Ergebnis  der  seinen  Ausführungen  beigegebenen  Tabelle,  in  der 
die  Erkrankungen  und  Todesfälle  infolge  Alkoholmissbrauch  in  den 


Marinen  von  Deutschland,  England  und  Amerika  zusammengestellf 
sind.  Die  Besprechung  der  Bekleidung  an  Bord  von  Kriegsschiffen 
hat  ein  Hygieniker  von  Fach,  Prof.  Dr.  P.  Schmidt,  übernommen 
dem  über  dieses  Gebiet  eigene  Beobachtungen  und  Erfahrungen  zui 
Verfügung  stehen.  Schon  dadurch  ist  für  die  Güte  der  Arbeit  Gewähr 
geleistet.  Im  nächsten  Kapitel  behandelt  Marineoberstabsarzt  Dr 
Stab  y  den  Krankendienst  an  Bord  von  Kriegsschiffen.  Wir  lernen 
nicht  nur  die  Einrichtungen  eines  Schiffslazarettes  kennen,  sondern 
auch  die  Schwierigkeiten,  den  am  besten  geeigneten  Platz  für  seine 
Unterbringung  zu  finden.  Vermisst  habe  ich  nur  ein  Eingehen  aui 
Dinge,  die  an  sich  unerheblich,  für  den  Schiffsarzt  aber  von  grosser 
Bedeutung  sind,  ich  erwähne  nur  die  Konservierungsmethoden  der 
leicht  verderblichen  Ausrüstungsgegenstände. 

In  den  jetzigen  Zeiten  besonders  wertvoll  ist  das  9.  Kapitel.  Ir 
ihm  bespricht  Marineoberstabsarzt  zurVerth  den  Gefechtssanitäts¬ 
dienst  an  Bord  von  Kriegsschiffen,  die  allgemeine  Seekriegschirurgie 
Nach  einer  Schilderung  der  in  Frage  kommenden  Geschosse  erfahret 
in  erster  Linie  die  Ergebnisse  des  russisch-japanischen  Krieges  an  der 
Hand  zahlreicher  Tabellen  und  Abbildungen  eine  eingehende  Wür¬ 
digung.  Auf  Grund  dieser  Erfahrungen  gibt  der  Verfasser  dem 
Schiffsarzt  Ratschläge  darüber,  wie  er  am  besten  seine  Vor¬ 
bei  eitungen  für  ein  Seegefecht  zu  treffen  hat.  Ein  Merkblatt  für  die 
Mannschaft  über  ihr  Verhalten  im  Gefecht  hat  bereits  dadurch  seine 
Anerkennung  von  seiten  des  Reichsmarineamtes  gefunden,  dass  e> 
in  zahlreichen  Exemplaren  unter  die  Mannschaft  verteilt  worden  ist 
Ebenso  dankenswert  ist  es,  dass  ein  Sonderabdruck  des-ganzei 
Kapitels  mit  seinen  Anhängen  in  grosser  Zahl  unter  die  Marine¬ 
sanitätsoffiziere  verteilt  worden  ist.-  Diese  Massregel  war  ums< 
erfreulicher,  als  bisher  im  Gegensatz  zur  Landarmee  die  Marine 
eine  Kriegschirurgie  nicht  besitzt.  In  den  erwähnten  Anhängen  liai 
die  Einrichtung  eines  Lazarettschiffes,  die  Genferkonvention  und  Sa¬ 
nitätsrecht  im  Seekrieg  und  endlich  die  freiwillige  Krankenpflege  in 
Seekriege  Besprechung  gefunden. 

Den  Schluss  des  ersten  Bandes  bildet  ein  Kapitel  über  Sanitäts¬ 
dienst  bei  Landungen  und  Expeditionen,  besonders  in  den  Tropen 
von  den  Marineoberstabsärzten  Dr.  S  t  a  b  y  und  zur  Verth.  Auel 
sein  Inhalt  wird  gerade  in  jetziger  Zeit  dem  Sanitätsoffizier  wert¬ 
volle  Dienste  leisten,  da  es  alles  enthält,  was  für  ihn  zu  wisssen 
wert  ist. 

Der  ganze  zweite  Band  ist  der  Krankheitsverhütung  an  Bord 
von  Kriegsschiffen  gewidmet. 

Im  ersten  Kapitel,  dem  allgemeinen  Teil,  hat  Marineoberstabs¬ 
arzt  Dr.  Bentmann  in  einer  Reihe  von  Tabellen  und  Kurven  die 
gesundheitlichen  Verhältnisse  in  der  Marine  von  allen  Seiten  be¬ 
leuchtet.  Aus  der  Fülle  der  Tatsachen  sei  nur  die  erwähnt,  dass  für 
die  Mortalität  in  der  Marine  auch  heute  noch  die  Tuberkulose  die 
erste  Rolle  spielt,  dass  sie  aber  als  Entlassungsgrund  durch  die  Herz- 
und  Gefässerkrankungen  völlig  in  den  Hintergrund  gedrängt  ist.  Mil 
scharfer  Kritik  sind  dann  die  gesundheitlichen  Verhältnisse  in  der 
verschiedenen  Marine«  gegenübergestellti  eine  Kritik,  die  umsc 
nötiger  ist,  als  ja  die  Gesundheitsberichte  der  verschiedenen  Mariner 
natürlich  nicht  von  denselben  Gesichtspunkten  bearbeitet  werden 
Besprochen  werden  die  Krankheiten  und  Krankheitsursachen  an  Bore 
vor,  Kriegsschiffen,  endlich  die  allgemeinen  Gesichtspunkte  für  die 
Krankheitsverhütung.  Besonders  werden  die  Momente  berücksichtigt 
auf  die  bei  der  Einstellung  und  bei  der  Untersuchung  auf  Bord-  und 
Tropendienstfähigkeit  zu  achten  ist. 

Die  weiteren  Kapitel  sind  der  speziellen  Krankheitsverhütung  ge¬ 
widmet.  Um  dieses  Referat  nicht  zu  umfangreich  werden  zu  lassen 
muss  ich  mir  versagen,  näher  auf  die  einzelnen  Kapitel  einzugehen  und 
werde  nur  den  Inhalt  mit  dem  Namen  der  Verfasser  wiedergeben. 
Alle  aber  sind  so  geschrieben,  dass  der  Schiffsarzt  sämtliche  Fragen 
beantwortet  findet,  die  an  ihn  herantreten  können. 

Verhütung  von  übertragbaren  Krankheiten  an  Bord  von  Kriegs¬ 
schiffen  von  Marineoberstabsarzt  Dr.  Bentmann. 

DiQ  Desinfektion  an  Bord  von  Kriegsschiffen  von  Marineober¬ 
stabsarzt  Dr.  Riegel.  i 

Verhütung  von  Krankheiten  der  Ernährungsorgane,  von  Stoff¬ 
wechsel-  und  Blutkrankheiten  und  von  Vergiftungen  von  Marine¬ 
oberstabsarzt  Dr.  Weber. 

Verhütung  der  Tuberkulose,  der  Krankheiten  der  Atmungsorgane, 
der  Kreislaufs-  und  Harnorgane  von  Marineoberstabsarzt  Dr.  Wiens. 

Verhütung  von  Nerven-  und  Geisteskrankheiten  von  Marine¬ 
oberstabsarzt  Dr.  Auer. 

Verhütung  der  mechanischen  Verletzungen,  der  chirurgischen  In¬ 
fektionskrankheiten  und  der  Krankheiten  der  Bewegungsorgane  von 
Marineoberstabsarzt  Dr.  zur  Verth. 

Verhütung  von  Haut-  und  Geschlechtskrankheiten  von  Marine¬ 
oberstabsarzt  Dr.  Rost. 

Verhütung  der  Krankheiten  des  Auges  von  Marineoberstabsarzt 
Prof.  Dr.  0  1  o  f  f.  V-y 

Verhütung  der  Krankheiten  des  Gehörorganes  von  Marineober¬ 
stabsarzt  Dr.  Huss. 

Grundzüge  der  Fleischbeschau  an  Bord  bei  der  Schlachtung  ein¬ 
heimischer  und  tropischer  Schlachtticre  von  Obertierarzt  Prof.  Dr. 
Ginge.  ~  ;|4.J 

Fasse  ich  mein  Urteil  über  das  vorliegende  Werk  zusammen,  so 
kann  ich  es  am  besten  durch  den  Wunsch  zum  Ausdruck  bringen, 
dass  es  nicht  allein  in  Aerztekreisen,  sondern  auch  in  allen  anderen 


3.  November  1914. 


MüKNCHKNKR  MEDIZINISCHE  WOCH ENSC H R I F'l 


Maiinekreisen,  sowohl  der  Kriegs-  wie  der  Handelsmarine,  die  Be¬ 
achtung  und  Verbreitung  finden  möge,  die  es  verdient.  Ich  bin 
überzeugt,  dass  das  Werk  sehr  bald  zum  eisernen  Bestände  jedes 
Kriegsschiffes  gehören  wird.  Vielleicht  gelingt  es  ihm,  Verständnis 
und  Interesse  für  hygienische  Fragen  auch  in  solche  Kreise  hinein¬ 
zutragen,  die  ihnen  bisher  im  besten  Falle  gleichgültig  gegenüber¬ 
stehen.  Bohne-  Hamburg. 

Neueste  Journalliteratur. 

Zeitschrift  für  Iinniunitätsforsciuing  und  experimentelle 
Therapie.  22.  Band.  1.  Heft.  (Auswahl.) 

S.  Kjaergaard-Kopenhagcn:  Ueber  Abderhaldens 
Qra\ iditätsreaktion,  ihre  Methodik  und  Spezifität,  Untersuchungen 
von  gesunden  Frauen  post-  und  prämenstruell. 

Verf  hat  mit  der  verbesserten  Technik  Abderhaldens  seit 
dem  Frühjahr  1913  Sera  von  ungefähr  300  Personen  untersucht.  Er 
kommt  zu  dem  Schlüsse,  dass  jedes  Serum  proteolytische  Eigen¬ 
schaften  für  Plazentagewebe  hat  und  dass  daher  der  Unterschied  in 
Jer  Abderhalden  sehen  Reaktion  zwischen  Graviden  und  Nicht¬ 
graviden  quantitativer  Natur  ist.  Bei  den  Versuchen  ist  deshalb 
grosses  Gewicht  auf  die  Reaktionszeit,  auf  die  Menge  von  Plazenta 
und  auf  die  Menge  und  die  Konzentration  des  Serums  zu  legen 
Wahrend  der  Gravidität  findet  eine  merkbare  Erhöhung  der  proteo¬ 
lytischen  Eigenschaft  des  Serums  statt,  jedoch  gibt  es  eine  Reihe  von 
Leiden  (Krebs,  Achylie  etc.),  bei  denen  die  Proteolyse  gesteigert  ist, 
so  dass  Serum  von  solchen  Patienten  stärker  reagieren  kann  als 
die  am  schwächsten  abbauenden  Sera  von  Graviden.  Eine  negative 
Reaktion  nach  16  ständiger  Dialyse  spricht  stark  gegen  progressive 
Gravidität.  Ein  positiver  Ausfall  ist  jedoch  aus  den  obigen  Gründen 
von  weit  geringerem  diagnostischem  Wert. 

E.  Levy  und  H.  D  o  1  d -  Strassburg:  Weitere  Versuche  über 
Immunisierung  mit  desanapliylatoxiertem  Bakterienmaterial. 

Die  Verfasser  haben  in  Band  19  d.  Zschr.  gezeigt,  dass  man 
:ine  wirksame  Immunisierung  erzielen  kann  mit  Bakterien,  denen 
iurch  wiederholte  Aufschwemmung  in  frischem  Meerscnweinchen- 
erum  die  Anaphylatoxine,  die  zweifellos  an  den  krankhaften  Be¬ 
gleiterscheinungen  der  aktiven  Immunisierung  schuld  sind,  entzogen 
vurden.  Da  sich  Typhusbazillen  jedoch  erst  durch  10  maligen 
;erumwechsel  desanaphylatoxieren  Hessen,  so  haben  sie  nach  dem 
’organg  von  D  o  1  d  und  A  o  k  i  spezifisches  Serum  verwendet,  wo- 
lurch  der  Prozess  wesentlich  abgekürzt  wird.  Die  Prüfung  der  so 
:ewonnenen,  in  Granula  zerfallenen  Bakterien  ergab  im  Tierexperi- 
uent  eine  sehr  befriedigende  Ausbeute  an  bakteriziden  und  agglu- 
inierenden  Antikörpern.  Aus  diesem  Grunde  hielten  die  Verfasser 
ich  wiederum  für  berechtigt,  dieses  Material  zur  Schutzimpfung 
on  Menschen  zu  verwenden.  Die  Resultate  waren  msoferne  sehr 
efriedigend,  als  nur  sehr  geringe  Folgeerscheinungen  mit  leichten 
’emperatursteigerungen  zu  bemerken  waren.  Vorläufig  hat  der 
mpfstoff  noch  den  Nachteil,  dass  er  jedesmal  ad  hoc  hergestellt 
.erden  muss  und  sich  dadurch  zu  Massenimpfungen  noch. nicht 
ignet.  L.  Saathoff  -  Oberstdorf. 

Zeitschrift  für  physikalische  und  diätetische  Therapie. 
314,  Heft  9. 

C.  Rose-Erfurt:  Eine  Grundursache  der  Harnsäureiibersätti- 

ung  beim  Menschen. 

Verf.  hat  an  sich  selbst  sehr  ausgedehnte  und  mühsame  Unter¬ 
teilungen  angestellt  über  die  Abhängigkeit  der  Harnsäuremenge  und 
es  Harnsäurelösungsvermögens  des  Harnes  von  der  Nahrung.  Er 
nd,  dass  beide  in  innigem  Wechselverhältnis  zum  Basengehalt  der 
ahrung  stehen,  gleichgültig,  ob  es  sich  um  tierische  oder  pflanzliche 
ahrungsmittel  handelt.  Massgebend  ist  allein  der  Ueberschuss  von 
lorganischen  Säuren  oder  Basen.  Mit  einseitiger  Brotnahrung  kann 
an  ebenso  eine  Gicht  hervorrufen  wie  mit  einseitiger  Fleischnahrung, 
ja  Gegensatz  dazu  sind  die  basenreichen  Kartoffeln  und  Bananen 
iradezu  Heilmittel  für  Gicht-  und  Harnsäurediathese.  Purinarm 
aucht  die  Nahrung  nicht  zu  sein,  wenn  nur  ihr  Basengehalt  gross 
t.  Denn  wenn  auch  die  absolute  Harnsäureitienge  steigt,  so  sinkt 
ich  nicht  die  Harnsäurelöslichkeit  und  ein  Gichtanfall  bleibt  aus. 

L.  Jacob-  Wiirzburg. 

Zeitschrift  für  Tuberkulose.  Band  22,  Heft  6. 

.1  o  b  1  i  n  g  und  Petresen  -  New  York:  Ueber  die  Ursache  der 

berkulösen  Verkäsung. 

Ein  kurzer  Bericht  über  Ergebnisse  von  experimentellen  Arbeiten 
er  Fettsäuren  in  Tuberkelbazillen  und  in  verkästem  Drüsenmaterial, 
e  Einzelheiten,  die  für  den  Bakteriologen  mehr  Interesse  haben  als 
"  den  Praktiker,  sind  nachzulesen. 

Lau- Berlin:  Ueber  menstruelle  Temperatursteigerungen  bei 
mgentuberkulose. 

Die  Untersuchungen  des  Verf.,  gemacht  in  der  Lungenheil- 
itte  Ruppertshain,  führten  zu  dem  Ergebnisse,  dass  menstruell  auf- 
itendes  Fieber  keinen  diagnostischen  Wert  hat. 

A.  F  a  g  i  u  o  1  i  -  Catania :  Versuche  einer  doppelseitigen  Pneumo- 

iraxbehandlung. 

Bericht  über  die  im  Titel  genannten  Versuche.  „Die  gleichzeitige 
legung  des  Pneumothorax  auf  beiden  Seiten  hat  niemals  irgend- 


2173 


welche  Störungen  gebracht,  abgesehen  von  einer  geringen  Atemnot, 
die  besonders  im  Beginn  der  Behandlung  zu  beobachten  war.“ 

M  a  n  n  h  e  im  e  r  -  New  York:  Ergänzender  Bericht  über  Patien¬ 
ten,  die  vor  über  einem  Jahre  mit  Injektionen  der  Friedmann- 
sehen  Vakzine  behandelt  wurden. 

Der  Bericht  bestätigt  das  jetzt  wohl  allgemeine  Urteil,  dass 
das  r  riedmann  sehe  Mittel  nicht  empfohlen  werden  kann. 

S  t  e  r  n  -  1  annenberg:  Zur  Frage  der  Disposition  zur  Lungen¬ 
tuberkulose. 

P®r  Verf.  sucht  auf  2K  Seiten  nachzuweisen,  „dass  die  tuberku¬ 
löse  Infektion  primär  sich  auf  derjenigen  Seite  entwickelt,  wo  eine  ge¬ 
wisse  Degeneration,  sei  es  eine  primäre  Bildungsanomalie,  wie  Nävi, 
Verrucae,  oder  eine  erworbene  pathologische  Veränderung,  wie 
Irauma,  Drüsenerkrankung,  sich  findet.“ 

Liebe-  Waldhof  Elgershausen. 

Beiträge  zur  klinischen  Chirurgie,  red.  von  P.  v.  Bruns. 
93.  Band,  2.  Heft.  Tübingen,  Laupp,  1914. 

Aus  der  chirurgischen  Klinik  zu  Leiden  referiert  J  H.  Zaaijer 
über  ein  Dauerresultat  einer  autoplastischen  Nierentransplantation 
bei  einem  Hunde  und  berichtet  darin  über  seine  Methode  dieser 
Operation  und  über  einen  Hund,  der  nun  mehr  als  6  Jahre  in  voll¬ 
kommener  Gesundheit  mit  der  einen  transplantierten  Niere  lebt. 

.  Aus  der  Baseler  Klinik  gibt  H.  Heinz  eine  Arbeit  über  Poly- 
posis  recti.  H.  bespricht  sowohl  die  reinen  Schleimhautpolypen,  als 
die  von  mehr  adenoidem  Bau  und  schildert  einen  Fall  von  Polyposis 
ventr.  aus  de  0  u  e  r  v  a  i  n  s  Klinik,  bei  dem  die  Diagnose  gestellt, 
der  1  umor  exstirpiert  und  makroskopisch  und  mikroskopisch  näher 
untersucht  werden  konnte.  Die  Röntgenuntersuchung  erscheint  für 
I  die  Erkennung  dieser  hauptsächlich  im  unteren  Drittel  des  Magens 
und  vorwiegend  bei  jüngeren  Leuten  vorkommenden  Geschwülste 
besonders  bei  solitär  gestielt  auftretenden  von  diagnostischem  Wert. 
Anschliessend  berichtet  K.  über  einen  Fall  typischen  Zylinderkrebses, 
der  in  polypöser  Form  aufgetreten  und  auch  typisches  Röntgenbild 
lieferte. 

Aus  der  v.  A  ti  g  e  r  e  r  sehen  Klinik  bespricht  Alwin  Ach  die 
Pathogenese  und  Therapie  des  Prolapsus  ani  und  geht  besonders 
auf  die  Therapie  näher  ein,  bei  der  er  die  Methode  mit  Ver¬ 
engerung  des  Sphinkter  resp.  Stärkung  des  Beckenbodens  (Ka¬ 
re  w  s  k  i,  Thiersch  scher  Silberdrahtring,  Dieffenbach)  von  den 
Resektionsmethoden  (Rehn-Delorme  etc.)  und  den  Suspensions¬ 
methoden  (Kolopexiemethode  von  Verneuil,  König  etc.)  unter- 
scheidet.  A.  rät,  zunächst  bei  jedem  Prolaps  einen  Versuch  mit 
der  1  h  i  e  r  s  c  h  sehen  Silberdrahtmethode  zu  machen.  Während  auch 
die  Rehnsche  Methode  gute  Resultate  gibt,  sind  die  Resektions¬ 
methoden  im  allgemeinen  wenig  zu  empfehlen  und  auch  die  bis¬ 
herigen  Suspensionsmethoden  lassen  56  Proz.  Rezidive  verzeichnen 
(da  kein  richtiges  Fixationsmaterial  und  keine  entsprechenden  Fixa¬ 
tionspunkte  gegeben).  Ach  empfiehlt  deshalb  eine  neue  Art  der 
Rektopexie  mit  Benützung  eines  frei  transplantierten  Lappens  der 
Fase,  lata  und  Fixation  am  Lig.  Cooperi.  Nach  suprasymphysärem 
Schnitt  legt  er  bei  Beckenhochlagerung  und  Anziehung  des  Colon  pelv. 
den  Douglas  frei  und  mobilisiert  nach  Inzision  des  Peritoneum  rings 
um  das  Rektum  sehr  weit  nach  unten  (bis  in  die  Nähe  des  Sphinkter) 
und  dringt  zwischen  Vagina  und  Rektum  nach  unten  vor.  Nach 
Entnahme  eines  ca.  25  cm  langen,  8  cm  breiten  Lappens  der  Fase, 
lata,  der  unten  längsgespalten  wird,  führt  A.  den  einen  Lappen  um 
das  Rektum  zirkulär  herum  und  fixiert  ihn  mit  einer  grösseren 
Zahl  von  Nähten  am  Rektum,  den  anderen  bringt  er  zwischen  Rektum 
und  Vagina  weit  nach  unten  und  fixiert  ihn  am  Rektum  und  an  der 
oberen  Hälfte  der  Vagina,  der  Streifen  wird  dann  extraperitoneal 
gelagert,  indem  das  Peritoneum  nach  Herauspräparieren  und  Zurück¬ 
lagern  des  Urether  durch  das  rechte  Lig.  lat.  bis  zum  horizontalen 
Schambeinast  unterminiert  wird  und  hier,  nachdem  durch  starkes 
Anziehen  des  Faszienstreifens  Rektum  und  Vagina  soweit  als  möglich 
nach  oben  gezogen,  mit  einer  Reihe  von  Knopfnähten  am  Cooper- 
schen  Ligament  fixiert,  während  der  freie  Rand  extraperitoneal  in  die 
Bauchdecken  gelagert  und  hier  an  die  Muskulatur  mit  Nähten  be¬ 
festigt  wird. 

Der  gleiche  Autor  berichtet  aus  der  Münchener  Klinik  über  sub¬ 
kutane  Nierenrupturen,  speziell  die  Indikationsstellung  zur  operativen 
Behandlung.  Eine  Reihe  von  Fällen  müssen  auf  Grund  des  Allge-: 
meinzustandes  und  der  objektiven  Erhebungen  der  Operation  zuge¬ 
führt  werden,  in  anderen  muss  man  mit  allen  klinischen  Unter¬ 
suchungsmethoden,  besonders  Zystoskopie  und  Uretherkatheterismus 
über  die  Art  und  Schwere  sich  Klarheit  zu  verschaffen  suchen. 
Doch  bleibt  der  Prozentsatz  nicht  klein,  in  dem  letztere  versagen 
und  man  lieber  operieren  soll  als  warten  bis  Urininfiltration  oder 
Infektion  eingesetzt  haben.  A.  hält  operatives  Vorgehen  mit  mög¬ 
lichst  konservativer  Tendenz  für  einen  gangbaren  und  sicheren  Weg. 

In  2  Fällen  gelang  es  ihm  selbst  totale  Querrisse  mit  breiter  Eröffnung 
des  Nierenbeckens  durch  Naht  und  Uebernähen  mit  dem  umgebenden 
Bindegewebe  zur  Heilung  mit  unveränderter  Funktion  zu  bringen. 

Weiterhin  berichtet  Ä.  A  c  h  über  die  operative  Behandlung  der 
Wanderniere.  Der  operative  Eingriff  ist  absolut  indiziert  bei  den 
höchsten  Graden  der  Wanderniere  (Ren  migrans),  bei  denen  die 
Niere  tief  unten  auf  die  Fossa  iliaca  oder  ins  kleine  Becken  tritt, 
ein  förmliches  Mesoren  sich  bildet  (durch  die  Entwicklung  der  Niere 
in  den  Peritonealsack  hinein),  zumal  wenn  es  zu  Schmerzanfällen, 


2174 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


Nr.  44. 


Stauungserscheinungen,  H.vdronephrose  kommt  und  diese  Zustände 
durch  Rückenlage  oder  Repositionsmanöver  sich  nicht  beseitigen 
lassen.  Bei  der  einfachen  Wanderniere  ist  zunächst  Konservative 
Therapie  zu  versuchen  und  wenn  diese  versagt,  zu  operieren;  ge¬ 
wisse  Vorsicht  ist  besonders  in  den  Fällen  am  Platz,  wo  die  Wander¬ 
niere  mit  den  Erscheinungen  allgemeiner  Gastroenteroptose  einhei- 
geht,  die  Pat.  schwere  Nervensymptome  darbieten,  so  dass  nach 
einer  Nephropexie  oft  noch  andere  Eingriffe  (Appendektomie,  Be¬ 
handlung  des  Coec.  mobile  etc.)  in  Frage  kommen.  —  Die  bisherigen 
Methoden  der  Nephropexie  kranken  fast  alle  daran,  dass  die  richtige 
Fixationsmöglichkeit  nicht  gegeben  ist.  A.  benutzt  deshalb  die  Fascia 
lata  zur  Fixation  und  geht  in  der  Weise  vor,  dass  er  nach  Frei¬ 
legung  der  Niere  durch  Simon  sehen  Lendenschnitt  und  Luxation 
derselben  an  der  vorderen  und  hinteren  Seite  durch  die  Capsula 
fibrosa  eine  ca.  7  cm  lange  Inzision  anlegt  und  von  einer  zur 
anderen  die  Kapsel  stumpf  über  die  Konvexität  der  Niere  ablöst, 
dann  einen  ca.  20  cm  langen,  6  cm  breiten,  dem  Oberschenkel  ent¬ 
nommenen  Fascia-lata-Lappen  von  einer  Inzision  zur  anderen  durch¬ 
zieht  und  nun  die  Inzisionen  vernäht  (indem  er  dabei  gleichzeitig  den 
Fascia-lata-Zügel  an  das  tiefe,  wie  das  oberflächliche  Blatt  der 
Capsula-fibrosa-Sack  eingehiillte  Niere  wird  reponiert  und  die  beiden 
Fascia-lata-Zipfel  an  das  tiefe,  wie  das  oberflächliche  Blatt  der 
Fascia  lumbo-dorsalis  fixiert.  In  17  Fällen  fand  A.  diese  Methode 
bewährt. 

Ueber  die  Technik  bei  Kropfoperationen  referiert  A.  A  c  h  des 

weiteren  aus  der  Münchener  Klinik.  Die  betreffenden  Pat.  erhalten 
abends  vor  der  Operation  V2 — 1  g  Veronal,  1  Stunde  vor  der  Opera¬ 
tion  0,02  Pantopon  subkutan,  von  Morphium-Skopolamin  ist  man  in 
der  v.  Angerer  sehen  Klinik  abgekommen,  die  Lokalanästhesie 
(zum  Hautschnitt  3 — 4  ccm  %  proz.  Kokainlösung)  wird  bevorzugt. 
Bei  einseitigem  Kropf  wird  bei  Frauen  Kragenschnitt,  bei  Männern 
und  bei  sehr  grossen  Kröpfen  fast  immer  Winkelschnitt  gewählt, 
selbst  die  kleinsten  Gefässe  werden  nach  Durchtrennung  von  Haut 
und  Platysma  unterbunden,  Jugul.  ant.  und  obliquae  vor  der  Durch¬ 
trennung  doppelt  ligiert,  die  vorderen  Halsmuskeln  durchtrennt,  bei 
grossen  Kröpfen  wird  Sternokleidomastoideus  eingekerbt,  die  äussere 
Kropfkapsel  wird  stumpf  eingerissen  bis  zu  den  Venae  accessor.  ab¬ 
gelöst,  nach  doppelter  Unterbindung  der  V.  access.  der  Kropf  luxiert, 
nach  oben  hervorgehoben,  die  V.  thyreoid.  inf.  etwas  entfernt  vom 
Kropf  unterbunden,  dann  die  Thyr  sup.  freigelegt  und  im  Stamm 
oder  den  beiden  Aesten  ligiert,  hierauf  die  Struma  medial  verlagert 
und  nun  ausserhalb  der  äusseren  Kapsel  die  V.  thyreoid.  inf.  extra- 
faszial  unterbunden.  Nun  wird  mit  2  Pinzetten  durch  die  äussere 
Kropfkapsel  der  Nv.  recurrens  freigelegt  (vor  oder  hinter  der  Art. 
thyreoid.  inf.,  meist  durch  die  Gabel  der  Thyr.  inf.  ziehend).  A.  hält 
es  für  geboten,  sich  über  den  Verlauf  des  Nv.  recurrens  zu  infor¬ 
mieren,  da  er  sonst  leicht  bei  der  Luxation  nach  oben  gezogen 
und  leicht  durchschnitten  oder  bei  der  Ligatur  geschädigt  wird.  — 
Nach  Unterbindung  der  Arterie  und  Freilegung  des  Nerven  schneidet 
A.  am  oberen  Pol,  hart  am  Kropf  die  äussere  Kapsel  ein  und  geht 
(sich  hart  an  die  Caps,  propr.  des  Kropfes  haltend)  mit  stumpfer 
Schere  zwischen  Kropf  und  Trachea  vor  und  löst  die  Caps,  propr. 
neben  der  Trachea  los  —  exakteste  Blutstillung,  mit  dünnstem  Kat- 
gut,  Naht  der  Muskeln,  Faszie  und  Platysma  nach  Einlegung  eines 
Zigarettendrains  — ,  Vereinigung  der  Wunde  mit  Michelklammern. 
Bei  doppelseitigem  Kropf  bevorzugt  A.  die  Kocher  sehe  einseitige 
Resektion  (je  nach  dem  Resultat  der  Röntgenuntersuchung)  und  auf 
der  anderen  Seite  wird  entweder  in  Keilform  reseziert  oder  bei 
retrosternalem  Kropf  der  untere  Pol  entfernt  und  Unterbindung  der 
Thyr.  inf.  vorgenommen.  Tetanie  hat  A.  danach  nie  gesehen.  Bei 
retrosternalem  Kropf  wird  in  allen  Fällen  der  Kragenschnitt  bevor¬ 
zugt,  partielle  Durchtrennung  eines  oder  beider  Sternokleidomastoidei 
vorgenommen.  Die  Auslösung  beginnt  mit  der  Unterbindung  der 
oberen  Gefässe,  hierauf  wird  die  Inf.  unterbunden  und  der  Nerv  frei¬ 
gelegt,  der  Kropf  von  der  Trachea  abgelöst,  worauf  durch  Zug  am 
oberen  Pol  der  retrosternal  gelegene  Teil  der  Struma  sich  ent¬ 
wickeln  lässt  —  Bei  sehr  grossen  retrosternalen  Kröpfen  stellt  man 
sich  zu  Häupten  des  Pat..  mobilisiert  mit  dem  eingeführten  Zeige¬ 
finger  den  Kropf  und  hebelt  ihn  sukzessive  mit  Zuhillenahme  des 
zweiten  Zeigefingers  heraus,  ev.  entbindet  man  den  Kropf  mit  Zu¬ 
hilfenahme  der  Kropffasszange  unter  seitlichen  Bewegungen.  Die 
Anwendung  des  Kropflöffels  vermeidet  A.  Bei  Basedowstrumen  ver¬ 
meidet  er  Jodanstrich  der  Haut,  wählt  immer  den  Winftelschnitt  als 
Zugang  zum  Kropf,  da  er  das  Gebiet  sehr  breit  freilegt  und  eine 
Abkürzung  der  Operationszeit  ermöglicht,  bei  doppelseitigem  Kropf 
beschränkt  er  sich  auf  die  Ektomie  auf  einer  Seite,  höchstens 
Arterienunterbindung  auf  der  anderen  Seite,  niemals  Resektion  oder 
Enukleation  (da  Sekret  in  der  Wunde  zur  Resorption  kommen 
könnte).  Bei  schwerem  Basedow  sah  A.  enorme  Anhäufung  von 
Epithelkörperchen  in  Fällen,  in  denen  keine  Thymusdrüse  vorhanden 
war.  Es  legt  dies  die  Frage  nahe,  ob  dieser  Befund  nicht  ev.  den 
mangelhaften  Erfolg  mancher  Basedowoperation  erklären  lässt. 

(Schluss  folgt.) 

Zentralblatt  für  Chirurgie.  1914.  Nr.  42. 

Dr.  S  t  e  i  n  t  h  a  1  -  Stuttgart:  Zur  Symptomatik  und  Behandlung 
der  Patellarfraktur. 

Verf.  berichtet  ausführlich  über  einen  Fall  von  Patellarfraktur, 
bei  der  er  die  Beobachtung  von  Dreyer  bestätigt  fand,  wonach 


durch  Anlegung  eines  Streckverbandes  bei  Ausschaltung  der  Quadri- 
zepswirkung  geprüft  werden  kann,  ob  der  Streckapparat  völlig  durch¬ 
gerissen  ist.  Die  Behandlung  bestand  in  blutiger  Vereinigung  beider 
Bruchstücke  durch  Katgutnaht  und  Anlegung  eines  Streckverbandes 
nach  Dreyer.  Am  3.  Tage  nach  der  Operation  wird  die  Kausch- 
sche  Schlinge  angelegt  und  mit  Beugeversuchen  begonnen.  Nach 
15  Tagen  steht  Pat.  auf  und  geht  mit  Stöcken,  nach  30  Tagen  ist 
der  Gang  kaum  hinkend  auf  ebenem  Boden,  Streckung  völlig  frei. 
Beugung  bis  100°  (im  Kniegelenk).  Den  auffallend  günstigen  Hcilver- 
lauf  schreibt  Verf.  der  Kombination  des  Dreyer  sehen  Streckver¬ 
bandes  mit  der  Kausch  sehen  Schlinge  zu  und  empfiehlt  diese  Me¬ 
thode  zur  Nachprüfung.  E.  H  e  i  m  -  Oberndorf  b.  Schwcinfurt. 

Zentralblatt  für  Gynäkologie.  Nr.  42,  1914. 

R.  S  c  h  r  ö  d  e  r  -  Rostock:  Ueber  Anatomie  und  Pathologie  des 

Menstruationszyklus.  (Kurze  Mitteilung.) 

Aus  dem  regelmässigen  Parallelgehen  von  Wachstum  und  Blüte 
des  Corp.  luteum  und  Sekretion  im  Endometrium  schliesst  S.  auf  die 
Abhängigkeit  der  Sekretion  vom  Corp.  luteum.  Statt  Post-  und  Prä¬ 
menstruum  und  Intervall  solle  man  entsprechend  der  Biologie  des 
Zyklus  von  einer  proliferativen  (5. — 15.  Tag)  und  sekretorischen 
Phase  (15. — 28.  Tag)  reden.  Sch.  hat  709  Fälle  anatomisch  unter¬ 
sucht.  139  Fälle  zeigten  Entzündungszentren  von  akutem,  rezidi¬ 
vierendem  Charakter  mit  normalem  Zyklus,  84  chronische  Basal¬ 
infektionen,  21  Oberflächeninfektionen  ohne  Störungen  des  Zyklus- 
ablaufcs,  33  schwerere  Infektionen  mit  solchen  Störungen,  ferner  54 
diffuse  Hyperplasien,  wo  das  Zyklusbild  völlig  verwischt  war. 
Letztere  kommen  besonders  in  Pubertät  und  Klimax  vor  und  erklären 
die  hier  häufigen  Uterusblutungen. 

Ausführlicheres  soll  in  einer  demnächst  erscheinenden  Arbeit  ge¬ 
bracht  werden. 

A.  G  0  e  n  n  e  r  -  Basel:  Zur  Frage  der  Intrauterinstifte. 

G.  hat  im  Gegensatz  zu  Opitz  (Zbl.  f.  Gyn.  Nr.  42)  keine 
schlechten  Erfahrungen  mit  Intrauterinstiften  gemacht.  Allerdings 
soll  man  sie  nicht  im  Anschluss  an  eine  grössere  Operation  ein- 
legen  G.  verwendet  Metallstifte  mit  grossen  Seitenöffnungen.  Sie 
sind  besonders  bei  gewissen  Formen  von  Sterilität  und  bei  Dys¬ 
und  Amenorrhoe  infolge  von  schlecht  entwickelten  Geschlechtsteilen 
von  Nutzen.  J  a  f  f  e  -  Hamburg. 

Berliner  klinische  Wochenschrift.  Nr.  43,  1914. 

L.  L  i  c  h  t  w  i  t  z  -  Göttingen:  Zur  Behandlung  der  Cholera. 

Im  Stadium  algidum  der  Cholera  scheint  eine  intravenöse 
Adrenalinkochsalzdauerinfusion  besonders  empfehlenswert  zu  sein. 
Als  bestes  Adsorbens  hat  sich  die  Blutkohle  bewährt.  Das  Mittel 
soll  nicht  prophylaktisch  angewandt  und  nur  eine  Stunde  nach  der 
Nahrung  gegeben  werden. 

R.  du  Bois-Reymond  -  Berlin :  Ueber  die  Anwendbarkeit 
des  Gesetzes  der  korrespondierenden  Geschwindigkeiten  auf  die 
Gangbewegung  von  Menschen  und  Tieren.  (Nach  einem  Vortrag  in 
der  physiol.  Ges.  zu  Berlin  am  10.  Juni  1914.) 

Soweit  die  angeführten  Zahlenreihen  als  beweiskräftig  gelten 
können,  zeigen  sie,  dass  das  Gesetz  der  korrespondierenden  Ge¬ 
schwindigkeiten  auf  die  Ortsbewegung  des  Menschen  nicht  passt, 
sondern  dass  grosse  und  kleine  Menschen  bei  gleicher  Anstrengung 
gleich  schnell  gehen. 

L.  Newmark-San  Franzisko:  Ueber  im  Anschluss  an  die 
Lumbalpunktion  eintretende  Zunahme  der  Kompressionserscheinungen 
bei  extramedullären  Rückenmarkstumoren. 

Zur  Bekräftigung  der  lehre,  dass  bei  Verdacht  auf  kompr- 
mierende  Rückenmarksgeschwulst  die  Lumbalpunktion  nicht  ohne 
zwingenden  Grund  vorgenommen  werden  sollte,  führt  der  Verf.  zwei 
Fälle  an,  in  welchen  im  Anschluss  an  den  Lendenstich  die  Läh¬ 
mungen  eine  erhebliche  Zunahme  erfuhren. 

Viktor  M  a  n  d  1  e  r  -  Wien:  Uteramin  in  der  Praxis. 

Das  Uteramin  Zyma  stellt  das  salzsaure  Salz  des  Paraoxy- 
phenyläthylamin  dar,  eines  Hauptvertreters  der  wirksamen  Sub¬ 
stanzen  des  Mutterkorns.  Es  erwies  sich  in  der  Praxis  als  brauch¬ 
bares  Styptikum.  Den  Sekalepräparaten  gegenüber  hat  es  als  Vor¬ 
züge  die  wasserhelle  Durchsichtigkeit  der  Lösung,  den  leicht  salzigen 
Geschmack  und  die  Ungiftigkeit.  Es  reizt  die  Injektionsstelle  nicht. 

Hans  K  e  r  n  -  Rummelsburg:  Ueber  die  Anwendung  der  epi- 
faszialen  (bzw.  intramuskulären)  Neosalvarsaninjektionen  nach 
W  e  c  h  s  e  1  in  a  n  n  im  Kindesalter. 

Verf  ist  mit  der  epifaszialen  oder  intramuskulären  Methode  der 
Salvarsaninjektion  sehr  zufrieden;  sie  ermöglicht  oft  erst  die  An¬ 
wendung  des  Neosalvarsans.  Darin  besteht  ihr  grosser  Wert  für  das 
kindliche  Alter.  Sie  ist  zu  benützen,  wenn  intravenöse  Injektionen 
nicht  am  Platze  sind  oder  aus  technischen  Gründen  nicht  gemacht 
werden  können.  Die  Bildung  von  Infiltraten  lässt  sich  bei  einiger 
Uebung  fast  immer  vermeiden. 

Hans  W  i  e  n  s  k  0  w  i  t  z  -  Wiesbaden:  Ueber  die  angeborene 
Wassersucht.  (Schluss.) 

Der  angeborene  Hydrops  mit  fötaler  Anämie,  von  dem  der' Verf. 
ein  typisches  Beispiel  rezidivierender  Art  beschreibt,  ist  offenbar  die 
Folge  einer  toxischen  Einwirkung  auf  die  fötale  Blutbildung,  höchst¬ 
wahrscheinlich  von  seiten  der  Mutter. 


3.  November  1914. 


MUHNCHHNER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2175 


Coenen- Breslau:  Der  Pfeil  als  Fliegerwaffe 
Der  Verf.  beschreibt  in  Wort  und  Bild  französische  Fliegerpfeile 
Verletzungen  durch  dieselben  konnte  er  selbst  nicht  beobachten.  Sie 
dürften  keinen  besonderen  Wert  haben. 

Hr.  (i  r  a  s  s  in  a  n  n  -  München. 


Deutsche  medizinische  Wochenschrift.  Nr.  41  u.  42.  1914. 

E  v.  Behring:  Indikationen  fiir  die  serumtherapeutische  Te- 

niiusbekampfung. 

Das  erste  Erfordernis  bei  Tetanus  ist  die  lokale  chirurgische  und 
lok.a  e  antitoxische  Behandlung  des  Brutherdes  des  Tetanusvirus 
iei  W  unden  mit  übelriechendem  Sekret  empfiehlt  Verf.  das  Jodoform 
n  grobkristallmischer  Form,  bei  gutartig  aussehenden  Wunden  die 
rngation  mit  Jodtrichloridlösiing  (0,1—  0.5  proz.).  Ausserdem  ist  bei 
verdächtigen  Wunden  die  prophylaktische  Seruminiektion  angezeigt 
y  aber  das  vom  Pferd  stammende  antitoxische  Serumprotein  aus 
e'rl  menschlichen  Organismus  bald  verschwindet  und  deshalb  öfter 
.er  Ausbruch  des  Tetanus  nicht  völlig  verhindert,  sondern  nur  ver- 
ugert  wnd.  empfehlen  sich  wiederholte  Injektionen. 

Fälle  von  anaphylaktischer  Vergiftung  sind  dabei  bis  jetzt  nicht 
leobachtet,  aber  doch  bei  der  zunehmenden  Zahl  der  Fälle  nicht 
uszuschhessen;  daher  stellen  die  Behringwerke  nun  Serumpräparate 
c.''  wc  .  e  _die  Gefahr  der  anaphylaktischen  Sensibilisierung  und  Ver- 
ittung  in  viel  vermindertem  Grade  haben  (schwach  giftiges  Immun- 
erum):  dem  Serum  wird  eine  genaue  Gebrauchsanweisung  beige¬ 
ren  werden. 

.1.  Scheresche  wsk  y  -  Marburg:  Primäraffekt  und  Keratitis 
larenchymatosa  beim  Kaninchen,  bewirkt  durch  Reinkulturen  von 
*yrhilisspirochäten. 

Zusammenfassung .  Die  Soirochätenkulturen  Sch.s  bewirken  am 
loden  und  Auge  von  Kaninchen  syphilitische  Veränderungen  in  einer 
ein  Gewebsvirus  gleichen  Weise.  Spirochätenreinkulturen  können 
ei  37  und  nachträglich  bei  Zimmerwärme  viele  Wochen  rein  und 
iii  lent  erfüllten  werden.  Die  Exzision  einer  Kaninchensklerose  war 
on  einer  neuen  Sklerose  gefolgt.  Das  Sperma  des  Tieres  enthielt 
auernd  Spirochäten  vom  Typus  der  Pallida. 

(i.  Otto,  und  G.  B 1  u  m  en  t  h  a  1  -  Berlin:  Erfahrungen  mit  dem 
bderhalden sehen  Dialysierverfahren. 

Dem  durch  Gravidenserum  fast  regelmässig  bewirkten  Abbau  der 
lazenta  kommt  nur  eine  beschränkte  diagnostische  Bedeutung  zu, 
a  auch  andere  Sera,  vor  allem  auch  die  von  Karzinomkranken,  mit 
lazenta  positive  Ninhydrinreaktion  geben;  die  negative  Reaktion 
iricht  mit  starker  Wahrscheinlichkeit  gegen  Gravidität.  Das  Serum 
on  an  Dementia  praecox  leidenden  Männern  reagiert  ziemlich  regel- 
aässig  positiv  mit  Hoden,  oft  mit  Gehirn,  stets  auch  mit  Plazenta, 
aller  ist  die  positive  Reaktion  mit  Hodensubstrat  auch  nur  von 
ischranktem  diagnostischem  Wert,  unter  Umständen  vielleicht  diffe- 
intialdiagnostisch  verwertbar.  Eine  Spezifizität  der  A  b  der  h  al¬ 
ogischen  Abwehrfermente  Iiess  sich  nicht  .erweisen.  Fiir  die  allge- 
eine  Praxis  lässt  sich  die  Reaktion  wegen  ihrer  Fehlerquellen  nicht 
npfehlen. 

A.  F.  d  e  r  -  Berlin :  Ueber  die  Abderhalden  sehe  Schwanger¬ 
haftsreaktion. 


Der  negative  Ausfall  der  Reaktion  lässt  nach  E.s  Untersuchungen 
k  allergrösster  Wahrscheinlichkeit  eine  Schwangerschaft  aus- 
hüessen.  Die  positive  Reaktion  kann  aber  auch  durch  Karzinom, 
ies  oder  eitrige  Prozesse  bewirkt  werden. 

W.  v.  M  ö  1 1  e  n  d  o  r  f  f  -  Greifswald :  Vitalfärbung  mit  sauren 
irbstoffen  und  ihre  Abhängigkeit  vom  Lösungszustand  der  Farb- 
offe.  Zur  kurzen  Wiedergabe  nicht  geeignet. 

G r  o  e no  u  w  -  Breslau:  Augenerkrankungen  im  Krieg. 

Nach  kürzerer  Besprechung  der  wichtigsten  Erkrankungen  und 
netzungen  gibt  G.  den  Rat,  mit  Ausnahme  der  nötigsten  äusseren 
inigung  und  allenfalls  der  Abtragung  vorgefallener  oder  ganz  zer- 
sener  1 eile,  sich  vollständig  auf  die  Anlage  des  Schutzverbandes 
beschränken  und  den  Verletzten  baldigst  der  augenärztlichen  Be- 
ndlung  in  einem  Kriegslazarett  oder  Krankenhaus  zuzuführen. 

D  i  c  c  k  -  Berlin:  Die  Aufgaben  des  Zahnarztes  im  Kriege. 

Vor  dem  Ausmarsch  ins  Feld  sollte  eine  genaue  Untersuchung 
r  Zahne,  wenn  möglich  die  Plombierung,  bei  erkrankten  Wurzeln 
-  Extraktion  stattfinden.  Die  Militärsanitätsverwaltung  hätte  ein 
osses  Interesse  an  der  prophylaktischen  Schulzahnpflege.  Emp- 
ueiiswert  wäre  es,  nicht  nur  wie  bisher  den  Kriegslazarettabtei- 
igen.  sondern  auch  den  mobilen  Feldformationen  Zahnärzte  beizu- 
hen.  Fiir  die  Behandlung  der  Kieferschussfrakturen  kommen  ic 
ch  den  Verhältnissen  des  Einzelfalles  Fixierungsschienen  oder  die 
mediatschicnung  durch  Knochennaht  oder  Kombinationen  mit  Draht¬ 
gelverbänden  in  Betracht. 

S  c  h  u  s  t  e  r  -  Berlin:  Aus  der  Organisation  des  Sanitätsdienstes 
Kriege.  Schluss. 

H.  M  u  c  h  -  Hamburg:  Von  einer  ägyptischen  Reise. 

Fortsetzung  folgt. 


Nr.  42  E.  v.  B  e  h  r  i  n  g  -  Marburg:  Experimentelle  Analyse 
i  Theorie  der  anaphylaktischen  und  apotoxischen  Vergiftung. 

Zur  kurzen  Wiedergabe  nicht  geeignet. 

Mathias  und  B  1  o  h  m  k  e  -  Königsberg  i.  Pr.:  Beitrag  zur 
tliologie  und  Klinik  des  menschlichen  Milzbrandes. 

Bemerkenswerte  Krankengeschichte  und  Sektionsbefund.  Diener  1 


m  einer  Häutehandlung.  Primärer  Infektionsherd  Nase,  Schnupfen 
mit  profusem  Nasenbluten,  regionäre  Submaxillardrüsenschwellung, 
lymphatische  Verbreitung  nach  den  Rachenorganen  in  die  Neben- 
10 Iilen ,  Leptomeningitis.  Durch  Verschlucken  des  Schleimes  Infektion 
ues  Darmkanales  mit  Ulzerationen,  Peritonitis,  hämorrhagische 
Lymphdrusenschwellung,  Uebertritt  durch  den  Ductus  thoracicus  in 
die  Zirkulation.  Die  Erkrankung  wurde  als  Folge  eines  Betriebs¬ 
unfalles  anerkannt. 

1..  G.  D  r  e  s  e  I  -  Heidelberg:  Zur  Aetioiogic  und  klinischen  Dia¬ 
gnose  der  Aktinomykose. 

Besprochen  M.m  W  1914  S.  1649. 

0  J  uli  us  berger- Berlin-Steglitz:  Zur  Thiokoltheraple. 

T. .  i  i  .n »  c^'e  wiederholt  beschriebene  gute  Verwendbarkeit  des 
tuokois  bei  Magen-  und  Darmstörungen  bestätigt,  so  z.  B.  bei  den 
die  Morphiumentziehung  häufig  begleitenden  Diarrhöen;  bei  den  ver¬ 
schiedensten  Störungen  tat  es  (2— 3  mal  2  Tabletten)  gute  Dienste, 
ev.  nach  Darreichung  eines  Abführungsmittels  oder  neben  Darmaus¬ 
spulungen  mit  Kamillenthee.  Das  Mittel  hat  den  Vorzug,  dass  es 
nicht  wie  das  Opium  die  Psyche  alteriert  und  keine  nachträgliche 
Obstipation  bewirkt. 

C  li  r  i  s  t  i  a  n  -  Berlin:  Die  Organisation  der  Lazarettzüge. 

C.  Neuberg  -  Berlin :  Ernst  S  a  I  k  o  w  s  k  i  zum  70.  Geburtstag. 

.  ,  Schlüsse  der  Nummer  findet  sich  eine  Mitteilung  des  preus- 
sisclien  Kriegsministeriums  zur  Aufklärung  der  einzelnen  von 
U  z  er  n  y  in  Nr.  40  gemachten  Bemerkungen  über  den  Transport 
der  Verwundeten:  dieselben  seien  zwar  gut  gemeint  und  theoretisch 
gi  osstenteils  richtig,  unter  den  praktischen  Verhältnissen,  wenigstens 
im  Anfänge  des  Krieges,  grossenteils  nicht  durchführbar. 

Nr.  43.  Joch  m  atin-  Berlin :  Wundinfektioiiskrankheiten. 

Klinische  Vorträge.  I.  Tetanus. 

S  c  h  u  s  t  e  r  -  Berlin:  Die  Marschkrankheiten,  ihre  Entstehung, 
Verhütung  und  Behandlung. 

K  u  h  n  -  Berlin-Schöneberg:  Feld-  und  Lazarettapparat  für  Lokal¬ 
anästhesie  in  Massenanwendung. 

Der  Apparat  besteht  (Abbildung)  aus  einer  Handluftdrucknumpc 
mit  Windkessel,  wodurch  aus  einem  Vorratsgefäss  die  % — 1  proz. 
Novokain-Adrenalinlösung  mittels  Unterbrechungsvorrichtung  dis¬ 
kontinuierlich  der  Injektionsnadel  zugeführt  wird.  Der  allen 
modernen  Erfordernissen  entsprechende  Aooarat  (Karl  Dankert, 
Berlin-Schöneberg,  Hauptstrasse  48)  erleichtert  sehr,  eine  grössere 
Anzahl  von  Verwundeten  in  Serien  mit  Lokalanästhesie  zu  behandeln. 

M  o  m  b  u  r  g  -  Bielefeld:  Ersatz  von  Verbandmitteln  im  Kriege. 

Verf.  empfiehlt  sehr  den  Gebrauch  der  vorzüglich  aufsaugenden 
Scharpie  zum  Ersatz  der  ungerecht  verteuerten  Verbandstoffe,  und 
beabsichtigt  auch  ihre  künftige  dauernde  Verwendung. 

A.  B  u  s  c  h  k  e  -  Berlin:  Die  Bekämpfung  der  Geschlechtskrank¬ 
heiten  im  Kriege. 

Bemerkungen  zu  dem  Aufsatz  von  A.  B 1  a  s  c  h  k  o  in  Nr.  40. 

F.  Cahen-Köln:  Eine  neue  Methode  der  Transplantation  bei 
Nervendefekten. 

C.  hat  bei  einem  grossen,  durch  Entfernung  eines  Neurofibroms 
entstandenen  10—12  cm  grossen  Defekt  im  Nerv,  ulnaris  ein  Stück 
des  sensiblen  N.  cutaneus  antibrachii  medialis  zwischen  die  beiden 
Enden  des  N.  ulnaris  durch  Naht  eingeschaltet.  Nach  Freilegung  des 
Nerven  vor  der  Vena  axillaris  lateral  vom  N.  ulnaris  wird  er  in 
der  Höhe  des  peripheren  Ulnarisstumpfes  durchtrennt,  das  zentrale 
Ende  des  Cutaneus  perineural  auf  das  periphere  Ende  des  Ulnaris 
aufgepflanzt  und  das  zentrale  Ende  des  Ulnaris  an  den  Stamm  des 
Kutaneus  angeheftet.  Die  typischen  Erscheinungen  der  Ulnaris¬ 
lähmung  gingen  unter  Elektrisieren  auffallend  rasch  zurück;  schon 
in  der  5.  Woche  funktionierten  die  Muse,  interossei  wieder.  Dem¬ 
nach  kann  ein  sensibler  Nerv  zur  Leitung  motorischer  Imoulse  heran¬ 
gezogen  werden.  Eine  Wiederherstellung  der  sensiblen  Funktion  des 
Nerv,  ulnaris  fand  nicht  statt. 

H.  Ep  s  t  e  i  n  -  Prag:  Foligan  ..Henning“. 

In  der  Volksmedizin  (Frankreich)  wird  ein  Orangenblätteraufguss 
zur  Beruhigung  schlafloser  Kinder  gebraucht,  medizinisch  fanden  die 
Blätter  als  Amarum  aromaticum  oder  als  Bestandteil  eines  Nerven- 
thees  (gegen  Kolik  u.  dgl.)  Verwendung.  Das  neue  Präparat  Foligan, 
auf  Veranlassung  des  Verfassers  von  der  Firma  Henning  herge¬ 
stellt.  enthält  die  wirksamen  Stoffe  der  Blätter  und  ist  nach  den  Be¬ 
obachtungen  von  Walko  in  Gaben  von  0.1— 1  g  ein  brauchbares 
Sedativum,  in  Gaben  von  1 — 1,5  ein  in  der  Regel  prompt  wirkendes 
Schlafmittel,  ungiftig,  billig,  gut  schmeckend,  frei  von  unangenehmen 
posthvpnotischen  Erscheinungen  und  Nebenwirkungen. 

C.  B  r  e  u  e  r  -  Berlin-Friedenau:  Die  DurchschreibpacRung  für 
Röntgennegativpapier. 

Die  neue  Packung  (N.P.G.),  welche  u.  a.  auch  den  Vorteil  hat, 
mit  einer  Durchleuchtung  zugleich  mehrere  gleichwertige  Kopien  zu 
erhalten  und  durch  praktische  Kennzeichnung  Verwechslungen  zu 
vermeiden,  wird  dazu  beitragen,  die  Trockenplatten  noch  mehr  durch 
das  Röntgennegativpapier  zu  ersetzen. 

H  M  u  c  h  -  Hamburg:  Von  einer  ägyptischen  Reise.  (Schluss.) 

Tagebuchskizzen  aus  der  Zeit  des  Kriegsausbruches. 

B  e  r  g  e  a  t  -  München. 


2176 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Vereins-  und  Kongressberichte. 

Reservelazarett  II  Tübingen,  Universitätskliniken. 

Kriegschirurgischer  Abend,  Chirurgische  Klinik, 
Dienstag,  den  6.  Oktober  1914. 

Herr  Reich: 

1.  Vortr.  demonstriert  einen  leichten  Fall  von  Zehenerfrierung 
bei  einem  Soldaten,  der  weder  an  Nahrungsmangel  noch  an  Darm¬ 
krankheiten  gelitten  hatte  oder  leidet  und  auch  im  übrigen  völlig 
gesund  ist.  Pat.  hatte  während  einer  längerdauernden  Regenperiode 
36  Stunden  in  einem  wassergefüllten  Schützengraben  gelegen,  doch 
hatten  bei  weitem  niemals  Temperaturen  von  0°  und  darunter  be¬ 
standen.  Nach  der  Ablösung  auf  dem  8  km  langen  Rückmarsch  ins 
Quartier  musste  Pat.  sich  marschunfähig  melden  wegen  heftiger  Fuss- 
schmerzen.  Die  Schädigungen,  welche  der  Pat.  nach  5  Tagen  noch 
bot,  waren  Gefühllosigkeit  der  Qrosszehe  und  Parästhesien  in  der¬ 
selben.  Die  Zehenhaut  war  glänzend,  glatt.  Ausgang:  völlige  Er¬ 
holung.  Es  werden  die  Erklärungen  für  derartige  Kälteschädigungen 
bei  Temperaturen  über  0°  besprochen  und  Vortr.  pflichtet  der  An¬ 
schauung  von  W  i  e  t  i  n  g  bei,  dass  tatsächlich  die  Kältewirkung 
das  Wesentliche,  andere  zirkulationsschädigende  Wirkungen  ver¬ 
schiedenster  Art  das  unterstützende  Moment  in  solchen  Fällen  sind. 
Es  ist  mit  einer  Häufung  solcher  Fälle  in  Zukunft  zu  rechnen.  Mög¬ 
lichst  konservative  Behandlung  erscheint  angezeigt. 

2.  Demonstration  von  Schädelschüssen. 

Im  Reservelazarett  II  Tübingen,  Abt.  Chirurgische  Klinik,  wur¬ 
den  bisher  12  Impressionsbrüche  und  Rinnenschüsse  des  Schädels 
durch  Kleinkalibcr,  Schrapnell  und  Granatschüsse  behandelt.  Es  ist 
ein  Fall  an  Gehirnkontusion  und  Hirnhautentzündung  gestorben,  wäh¬ 
rend  die  anderen  Verletzten  teils  als  geheilt  teils  als  in  Behandlung 
stehend  vorgestellt  werden  unter  Mitteilung  der  Krankengeschichten. 
Zu  den  interessantesten  gehört  ein  Fall  von  rinnenförmiger  Impres¬ 
sionsfraktur,  bei  welcher  die  Splitter  das  Bein-  und  Fusszentrum 
beiderseits  geschädigt  hatten  und  ein  Splitter  im  Sinus  longitudinalis 
steckte,  so  dass  die  Beherrschung  der  Sinusbildung  bei  der  Operation 
wie  späterhin  erhebliche  Schwierigkeiten  machte. 

Im  Vordergrund  des  praktischen  Interesses  steht  die  Indikations¬ 
stellung  zum  chirurgischen  Eingreifen.  Die  allgemein  anerkannte 
Forderung,  Schädelbrüche  genannter  Art  in  frischem  Zustand  opera¬ 
tiv  zu  versorgen,  kann  im  Felde,  wie  auch  Herr  Generaloberarzt  Prof. 
Perthes  privatim  berichtet,  nur  ausnahmsweise  unter  genügend 
günstigen  Bedingungen  erfüllt  werden.  So  kommen  die  Fälle  4  Tage 
und  später  erst  in  die  Behandlung  der  heimatlichen  Krankenhäuser. 
In  diesem  sekundären  Stadium  der  Schädelschussfrakturen  mit  Ge¬ 
hirnschädigung  gehen  aber  die  Ansichten  bezüglich  der  Indikations¬ 
stellung  auseinander.  In  der  Tübinger  Klinik  wurden  kleine  um¬ 
schriebene  zentrale  oder  periphere  Depressionsfrakturen  mit  oder 
ohne  Ausfallserscheinungen,  da  virulente  Infektion  nicht  bestand,  erst 
der  Heilung  der  meist  kleinen  Wunden  zugeführt  und  dann  mit  gutem 
Erfolg  operiert.  In  der  Behandlung  der  ausgedehnten  Impressions¬ 
splitterfrakturen  mit  Gehirnverletzung  und  bei  den  Rinnenschüssen 
sprechen  die  bisherigen  Erfahrungen  für  ein  aktives  Vorgehen  auch 
im  Sekundärstadium,  obgleich  2  Fälle  gezeigt  werden  konnten,  die 
ohne  operative  Behandlung  trotz  Gehirnvorfall  vorerst  in  Heilung  be¬ 
griffen  sind.  Zwar  sind  die  Gehirnzerstörungen  nicht  wieder  herzu¬ 
stellen,  nur  die  Wirkungen  von  Blutung  und  Oedem  können  zurück¬ 
gehen.  In  einem  grossen  Teil  der  Fälle  wird  aber  im  Verlauf  der 
ersten  2  Wochen  noch  eine  virulente  Infektion  mit  ihren  Komplika¬ 
tionen  cintreten.  Dieser  vorzubeugen  und  zugleich  das  gedrückte  und 
ödematöse  Gehirn  zu  entlasten,  ist  Aufgabe  des  chirurgischen  Han¬ 
delns,  auch  bei  nicht  mehr  ganz  frischen  Fällen.  In  Verfolgung  dieses 
Standpunktes  hat  sich  gezeigt,  dass  grosse  Gehirnabszesse  und  um¬ 
schriebene  Meningitis  schon  vorhanden  sein  können,  ohne  charakte¬ 
ristische  Symptome  zu  machen.  Erkennbare  meningeale  Erschei¬ 
nungen  bilden  keine  unbedingte  Gegenindikation  gegen  die  Wund¬ 
versorgung,  denn  in  2  Fällen  sind  diese  nach  der  Operation  zurück¬ 
gegangen.  Nur  bei  schweren  allgemeinen  Gehirnerscheinungen  wird 
abgewartet,  bis  diese  entweder  zuiückgehen  oder  durch  ihre  Fort¬ 
dauer  zeigen,  dass  ein  Eingriff  nichts  nützen  kann.  Spätblutungen, 
die  gleichfalls  chirurgisch  anzugreifen  wären,  wurden  bisher  nicht 
beobachtet,  ebensowenig  diametrale  Durch-  und  Steckschüsse. 

Herr  Schloessmann:  Ueber  Gasphlegmone  und  Gasgangrän. 

Unter  den  Wundinfektionen  der  Kriegsverletzungen  drängt  sich, 
neben  dem  Tetanus,  besonders  die  Gasinfektion  dem  Interesse  des 
behandelnden  Arztes  auf.  Auch  dem  Chirurgen  ist  sie  gewisser- 
massen  ein  Novum,  das  er  in  Friedenszeiten  nur  äusserst  selten  sieht 
und  über  dessen  Krankheitscharakter,  Verlauf  und  Behandlungsmög¬ 
lichkeit  er  selbst  erst  Beobachtung  und  Versuche  machen  muss.  Es 
scheint,  so  viel  bis  jetzt  bekannt  ist,  zweckmässig,  2  Formen  der 
gasbildenden  Wundinfektion  zu  unterscheiden:  die  Gasphleg¬ 
mone  und  die  Gasgangrän.  Die  bakteriologischen  Unterschiede 
beider  Formen  sind  noch  nicht  einheitlich  geklärt.  Man  neigt  zur 
Ansicht,  dass  Gasphlegmonen  vorzüglich  bei  Mischinfektion  von  An¬ 
aeroben  mit  Eitererregern  entstehen,  während  die  Gasgangrän  von 
dem  Bacillus  aerogenes  capsulatus  hervorgebracht  wird.  Jedoch  sind 
weitere  bakteriologische  Untersuchungen  an  dem  sich  jetzt  leider  so 
reichlich  bietenden  Material  dringend  nötig. 

In  bezug  auf  Verlauf  und  Prognose  ist  die  Gasphlegmone  zwei- 


Nr.  44. 

fellos  die  gutartigere  Erkrankung.  Das  Allgemeinbefinden  ist  weni¬ 
ger  schwer  beteiligt.  Verhältnismässig  langsam  fortschreitende  ent¬ 
zündlich  phlegmonöse  Hautveränderungen  mit  Hautknistern,  nicht 
selten  eitrige  Gewebseinschmelzung  und  Bildung  gashaltiger,  jauchiger 
Abszesse.  Durch  geeignete  Inzisionsbehandlung  lassen  sich  diese 
Gasphlegmonen  meist  erfolgreich  bekämpfen.  Anders  mit  der  Gas¬ 
gangrän!  Ihr  Charakteristikum  ist  der  mit  widerlichem  Fäulnis¬ 
geruch  einhergehende  gangränöse  Zerfall  alles  ergriffenen  Gewebes, 
das  unheimlich  rasche  Fortschreiten  nach  allen  Seiten  (Gangröne  fou- 
droyante)  und  die  schwere  Störung  des  Allgemeinzustandes.  In  den 
phlegmonösen,  deutliches  Luftknistern  zeigenden  Hautgebieten  ent¬ 
steht  durch  fortschreitende  Hämolyse  eine  ganz  typische,  gelbliche 
bis  kupferbraune  Verfärbung,  während  die  befallene  Muskulatur  als 
schmutziggelbe,  morsche  und  zunderweiche  Masse  daliegt.  Aus  allen 
Geweben  quillt  trübbraune,  gashaltige  Flüssigkeit.  Richtige  Eiteruni: 
fehlt  bezeichnenderweise. 

Unter  den  Gasinfektionen  der  Kriegswunden  ist  leider  die  Gas¬ 
gangrän  die  weit  häufigere.  Meist  handelt  es  sich  um  Verletzungen, 
die  Tage  und  Nächte  lang  unverbunden  geblieben  waren  und  so 
schwer  infiziert  wurden.  Die  Prognose  der  Gasgangrän  ist  immer 
sehr  ernst,  am  meisten,  je  näher  sie  am  Rumpfe  sitzt  und  je  fort¬ 
geschrittener  sie  ist.  In  den  dicken  Muskelmassen  der  Gesäss-  und 
Oberschenkelgegend  vermag  sie  sich  besonders  bösartig  einzunisten. 
Für  die  Behandlung  kommt  selbstverständlich  nur  rücksichtslose  Er¬ 
öffnung  der  kranken  Gebiete  in  Frage.  Hilft  diese  nicht  alsbald,  so 
darf  an  den  Extremitäten  mit  der  Absetzung  nicht  lange  gezögert 
werden.  Es  handelt  sich  ja  um  das  Leben  der  Kranken,  die  nur  zu 
leicht  septisch  werden.  Die  Amputationen  müssen  ebenfalls  rück¬ 
sichtslos  weit  im  Gesunden  erfolgen,  will  man  das  Wiederauftreten 
der  Gasinfektionen  im  Stumpf  vermeiden. 

Im  Speziellen  sind  nach  den  bisherigen  Erfahrungen  des  Redners 
noch  folgende  Punkte  für  Operation  und  Nachbehandlung  der  Gas¬ 
gangrän  vielleicht  von  Bedeutung.  Die  von  der  Anaerobeninfektion 
befallenen  Gewebe  sollten  aufs  Ergiebigste  mit  der  Luft  in  Be¬ 
rührung  gebracht  werden,  um  das  Bakterienwachstum  zu  hemmen. 
Dazu  ist  wünschenswert,  dass  die  Haut  am  besten  in  Form  mehrerer 
grosser  Lappen  nach  allen  Seiten  von  dem  phlegmonösen  Gebiete 
abpräpariert  und  zurückgeschlagen  wird.  Das  Verfolgen  des  phleg¬ 
monösen  Prozesses  in  die  Tiefe  zwischen  die  Muskulatur  sollte  mög 
liehst  stumpf,  nur  mit  den  Fingern  geschehen.  Scharfe  Eröffnung 
von  Blut-  und  Lymphgefässen  ist  möglichst  zu  vermeiden.  Der  Gan¬ 
grän  verfallene  Muskelstränge  werden  ohne  Rücksicht  auf  eventuellen 
Funktionsausfall  entfernt.  Dadurch  wird  für  die  tieferliegenden,  erst 
teilweise  infizierten  Gewebsschichten  der  Luftzutritt  begünstigt. 
Keine  Tamponade!  Die  Tampons  verkleben  sehr  rasch  und  innig  mit 
dem  toten  Gewebe  und  bilden  einen  luftdichten  Abschluss  nach 
aussen.  Dagegen  Einführen  möglichst  vieler  Drainstücke  zwischen 
die  Gewebsspalten.  Redner  hat  in  letzter  Zeit  den  Versuch  mit  voll¬ 
kommen  offener  Wundnachbehandlung  gemacht,  unter  Vermeidung 
jedes  Verbandes.  Dabei  trocknen  die  Wunden  überraschend  schnell 
aus,  der  Wundgeruch  verschwindet  augenblicklich  und  die  Heilungs¬ 
resultate  waren  in  so  behandelten  Fällen  von  anfänglich  ganz  schiecn- 
ter  Prognose  sehr  gute.  Das  Behandlungsprinzip  ist  in  der  Schaffung 
reichlichsten  Luftzutrittes  zum  Infektionsherd  und  in  der  Umwand¬ 
lung  der  feuchten  Gangrän  in  die  trockene  Nekrose  zu  erblicken. 
Versuche,  zu  dieser  Behandlungsmethode  noch  reinen  Sauerstoff  zu 
Hilfe  zu  nehmen,  wurden  biher  noch  nicht  gemacht. 

Herr  Hartert  spricht  über  die  Lokalisierung  des  Sitzes  von 
Fremdkörpern  spez.  Geschossen  mit  Hilfe  des  Röntgenverfahrens  und 
zeigt  einen  grossen  stereoskopischen  Apparat  zur  Demonstration  sol¬ 
cher  Fremdkörper  vor,  der  in  der  Tat  ganz  Vorzügliches  leistet. 

Kriegs  medizinisch  er  Abend.  Medizinische  Klinik. 

9.  O  k  to  b  e  r  1914. 

Herr  Otfried  Müller  stellt  folgende  aus  dem  Felde  zugegangene 

Patienten  vor: 

1.  einen  hartnäckigen  Muskel-  und  Gelenkrheumatismus,  der 

durch  intramuskuläre  Injektionen  mit  Antipyrin  geheilt  ist.  Er  emp¬ 
fiehlt  zugleich  auch  intravenöse  Salizylinjektionen  für  Fälle,  die  der 
gewöhnlichen  Behandlung  nicht  zugänglich  sind. 

2.  eine  Bronchialdrüsentuberkulose,  die  im  Felde  aktiv  gewor¬ 
den  ist. 

3.  einen  im  Abklingen  begriffenen  Tetanus,  der  700  Antitoxin¬ 
einheiten  bekommen  hat  und  bei  dem  gegen  Ende  der  Behandlung 
2  mal  anaphylaktische  Schocks  zu  beobachten  waren. 

4.  eine  Tetragenussepsis. 

5.  eine  Endo-Myokarditis  nach  Pneumonie. 

6.  2  Fälle  von  typischem  Typhus  abdominalis,  welche  die  sämt¬ 
lichen  Instanzen  des  Rücktransportes  unerkannt  durchgemacht  haben. 
Dabei  werden  Diagnose  und  Therapie  des  Typhus  eingehend  be¬ 
sprochen. 

Herr  N  a  e  g  e  1  i  stellt  ebenfalls  Kranke  aus  Reserveiaza- 
rett  II  vor: 

1.  Erworbenen  hämolytischen  Ikterus  bei  akuter  Polyarthritis. 
Besprechung  der  Theorie  des  hämolytischen  Ikterus  und  der  dabei 
notwendigen  Untersuchungen. 

2.  2  Fälle  von  Hämatothorax  als  Gegenbeispiele  des  Nicht- 
auftretens  von  Ikterus  trotz  grossen  Blutverfalles  wegen  normaler 
Leberfunktion. 


3.  November  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


,  .  A  .Patient,  mit  enormem  Gewichtsverlust  und  Bluteindickung 
bei  Durchfall  und  raschem  Ersatz  der  Körperflüssigkeit  (+  10  Pfd 

in  7  Tagen). 

4.  1  Fall  von  typischer  Ruhr  (S  higa-Kruse). 

5.  2  zunächst  atypische  lyplien  und  Besprechung  der  abortiven 
und  ambulatorischen  Typhusfälle. 


Freie  militärärztliche  Vereinigung  in  Erlangen. 

(Eigener  Bericht.) 

3.  Sitzung  vom  3.  Oktober  1914. 

Vorsitzender:  Prof.  Dr.  Penzoldt. 

Herr  K  ii  m  in  e  1 1  spricht  über  die  bisher  beobachteten  Kriegs- 
verw undungen  des  Sehorganes,  die  meist  mit  anderen  Verletzungen 
kompliziert  sind,  ln  3  Fällen  war  es  durch  ein  Infanteriegeschoss  nur 
zu  isolierter  und  z  1.  umschriebener  Eröffnung  des  Auges  gekommen, 
von  Bedeutung  ist  die  Sprengwirkung,  durch  welche  der  Aug- 
aptel  stark  zertrümmert  wird.  Zur  Vermeidung  der  sympathischen 
Ophthalmie  ist  sorgfältige  Entfernung  des  zerfetzten  Bulbus  nötig. 
Orbitale  Ouerschüsse  können  teils  durch  Sprengwirkung  zu  einer 
Herausschleuderung  von  Teilen  des  Orbitalinhaltes  führen,  teils 
kommt  es  zu  schweren  Kontusionswirkungen  am  hinteren  Augenpol 
(Zerreissung  der  Netz-  und  Aderhaut,  Blutungen  etc.,  später  Re¬ 
tinitis  proliferans).  So  kommen  auch  Rupturen  des  Bulbus  zustande; 
Durchscluessungen  des  Sehnerven  sind  nicht  allzu  selten. 

Während  die  Augenverletzungen  im  Kriege  von  1870/71  nur 
0,86  Proz.  aller  \erletzungen  und  8,5  Proz.  aller  Kopfverwundungen 
betrugen,  hat  das  prozentuale  Verhältnis  in  den  neueren  Kriegen 
erheblich  zugenommmen,  so  dass  z.  B.  auf  japanischer  Seite  1904/05 
die  Verwundungen  des  Auges  2,22  Proz.  sämtlicher  und  21,91  Proz 
der  Kopfverletzungen  betrugen. 

Herr  v.  K  r  y  g  e  r  und  Herr  Kreuter  projizieren  eine  grosse 
Anzahl  von  Röntgendiapositiven,  vorwiegend  von  Extremitäten¬ 
schüssen. 

In  der  D  i  s  k  u  s  s  i  o  n  fragt  Herr  Generalarzt  Penzoldt  an, 
ob  sich  Anhaltspunkte  für  Dumdumschüsse  ergeben  haben,  was 
von  beiden  Rednern  verneint  wird.  Kreuter. 


Verein  der  Aerzte  in  Halle  a.  S. 

(Bericht  des  Vereins.) 

Sitzungen  vom  8.  und  15.  Juli  1914. 

Vorsitzender:  Herr  B  e  n  e  k  e. 

Schriftführer:  Herr  Stieda. 

VI. 

Herr  Abderhalden  (a.  ü.):  Die  experimentellen  Beweise  für 
das  Vorkommen  von  Abwehrfermenten  unter  verschiedenen  Bedin¬ 
gungen.  (S.  d.  Wschr.  Nr.  36  S.  1897.) 

Herr  Lindemann:  Die  Diskussionsbemerkungen  erstreckten 
sich  bisher  in  der  Hauptsache  auf  die  Beeinflussung  der  Abder¬ 
halden  sehen  Reaktion,  die  durch  das  Substrat  zustande  kommen 
kann,  obgleich  von  dem  Autor  der  Reaktion  selbst  die  Ansicht 
geäussert  worden  ist,  dass  auch  einmal  das  Serum  den  Ablauf  der 
zugrundeliegenden  Fermentation  atypisch  gestalten  könne. 

Ein  Beispiel  dafür  glaube  ich  erbringen  zu  können.  Bei  der  Be¬ 
schäftigung  mit  der  Abderhalden  sehen  Reaktion  fiel  mir  auf, 
dass  dieselbe  mit  fortschreitender  Schwangerschaft  schwächer  aus¬ 
fällt.  Den  stärksten  Ausfall  der  Ninhydrinprobe  erhielt  ich  stets  in 
der  Mitte  der  Gravidität  im  5 — 6  Monat  und  dann  nahm  ihre  Intensität 
bis  gegen  Ende  ab. 

Dass  hieran  eine  geringere  Produktion  von  Plazenta  abbauendem 
Ferment  schuld  wäre,  schien  mir  wenig  wahrscheinlich,  denn  es 
vergrößert  sich  ja  die  mit  dem  mütterlichen  Blute  kommunizierende 
Oberfläche  des  Choriums  mit  fortschreitender  Schwangerschaft  stän¬ 
dig  und  es  müsste  eher  eine  vermehrte  Produktion  von  Ferment  ein- 
treten. 

i  _  Es  konnte  sich  daher  eigentlich  nur  um  Substanzen  handeln,  die 
dch  im  Blute  der  Mutter  vermehren  und  die  Fermentation  im  Sinne 
-iner  Hemmung  beeinflussen. 

Von  den  hier  in  Betracht  kommenden  Körpern  habe  ich  das  Ver¬ 
alten  der  Fette  einer  näheren  Betrachtung  unterzogen. 

Durch  meine  früheren  Untersuchungen  konnte  ich  nämlich  fest- 
hellen,  dass  vvährend  der  Gravidität  eine  Vermehrung  des  Fettes  und 
J.er  fettähnlichen  Substanzen  progredient  stattfindet.  Es  vermehrt 
>ich  nicht  nur  das  Gesamtneutralfett,  sondern  auch  das  Cholesterin 
iowohl  in  freier  als  in  Esterform. 

Es  hat  sich  nun  herausgestellt,  dass  das  Cholesterin  die  Eigen- 
•chaft  besitzt,  die  der  Abderhalden  sehen  Reaktion  zugrunde¬ 
iegende  Fermentation  zu  hemmen. 

Wenn  man  dem  zu  prüfenden  Serum  eine  geringe  Menge  einer 
terilen  Cholesterinemulsion  zusetzt,  so  fällt  die  Ninhydrinprobe  deut- 
ich  schwächer  aus  und  kann  bei  grösserer  zugesetzter  Menge  voll- 
tändig  negativ  werden. 

Die  nähere  Versuchsanordnung  ist  in  der  Zschr.  f.  exper.  M. 
eröffentlicht,  weswegen  ich  mir  ein  näheres  Eingehen  darauf  an 
leser  Stelle  ersparen  kann. 

Nr.  44. 


Von  Wichtigkeit  scheint  mir  die  Feststellung  für  die  Theorie  der 
Eklampsie  zu  sein.  Hier  wurde  oft  ein  schwacher  Ausfall  der 
A  b  d  e  r  h  a  I  d  e  n  sehen  Reaktion  beobachtet.  In  quantitativen 
Analysen  konnte  ich  nun  früher  feststellen,  dass  gerade  bei  Eklampsie 
eine  starke  Vermehrung  des  Cholesterins  stattfindet.  Es  ist  möglich, 
dass  auch  hier  diese  I  atsache  bei  dem  schwachen  Ausfall  der  Re¬ 
aktion  eine  Rolle  spielt  und  wir  sind  demnach  nicht  zu  der  Annahme 
gezwungen,  dass  bei  der  Eklampsie  eine  mangelhafte  Produktion  von 
Ferment,  wie  R.  Freund  behauptet,  stattfindet. 

Es  soll  nun  nicht  die  Meinung  vertreten  werden,  dass  das  Chole- 
sterin  a  1 1  e  i  n  es  wäre,  welches  die  schwache  Abderhalden- 
sche  Reaktion  gegen  Ende  der  Schwangerschaft  bedingt,  es  mögen 
dies  auch  noch  andere  Faktoren  tun,  z.  B.  Reaktion  des  Serums. 
Ebenso  müssen  die  Neutralfette  noch  einer  genaueren  Prüfung  in 
dieser  Hinsicht  unterzogen  werden. 

Einen  direkten  Beweis  dafür,  dass  ein  hoher  Fettgehalt  des 
ß  utes  die  Reaktion  negativ  beeinflusst,  kann  man  durch  Fettfütte¬ 
rung  erbringen. 

Wenn  man  2  Stunden  nach  einer  Fettmahlzeit  das  Serum  zur 
Keaktion  ansetzt,  so  bekommt  man  eine  bedeutend  schwächere  Nin- 
hydrinreaktion  als  im  nüchternen  Zustande  der  Person. 

Ich  mochte  auch  hierbei  hervorheben,  dass  in  der  Verdauungs¬ 
periode  nicht  nur  das  Neutralfett,  sondern  auch  das  Cholesterin  in 
ireier  und  Esterforrn  sich  im  Blute  vermehrt. 

(Demonstration  zweier  Ninhydrinreaktionen  von  einer  Schwan- 
geren  rni  6.  Monat  nüchtern  und  2  Stunden  nach  Fettfütterung.) 
a  u  ri  S  u  zu,  saf^n>  dass>  allgemein  gesprochen,  das  Fett  die 

^dTe-rh-aid^n,SC?e.ReJaktion  zu  hemmen  imstande  ist  und  dass 
das  „Lipoid  -Cholesterin  diese  Fähigkeit  im  Speziellen  besitzt 

leb  mochte  darauf  hinweisen,  dass  diese  Feststellung  bei  allen 
Ä  ,.dl<r  zu  einer  Lipämie  führen,  die  meist  auch  mit  einer 
Cholesterinamie  verbunden  ist,  berücksichtigt  werden  muss.  Es  ist 
nicht  ausgeschlossen,  dass  manche  Fermentation  die  an  und  für  sich 
schon  schwach  war,  durch  Ursachen,  die  in  der  Lipämie  begründet 
sind,  unterdrückt  werden  kann. 

Herr  Willige:  Von  unseren  ersten  Versuchsserien  soll  nur 

GehSlfh?,,  bferiC)hteL  w*rden-  tass  sich  bei  Paralytikern  meistens 
,  er!  ™akbau  fand,  oft  aber  auch  Abbau  von  anderen  Organen.  In 
2  Fallen  von  Hypophysenaffektion  fand  sich  deutlicher  Abbau  von 
Hypophysensubstanz. 

_  Lassen  wir  diese  ersten  Versuchsreihen  und  alle  die  Versuche 

deH-ni  ^«anweisbarer  technischer  Fehler  (zweifelhaftes 
Organ,  Hulsenfehler  usw.)  vorlag,  beiseite,  so  bleiben  100  und  einige 
einwandfreie  Versuche  übrig,  die  nach  den  letzten  verschärften  Vor- 
innv”  Abderhaldens  ausgeführt  wurden.  Ueber  diese 
100  Versuche  soll  berichtet  werden. 

Von  34  Paralytikern  ergaben  26  Gehirnabbau,  8  nicht;  von 
chesen  8  war  bei  3  die  Diagnose  zweifelhaft.  Hodenabbau  wurde 
in  8  Paralysefa  len  gefunden.  5  mal  wurde  Schilddrüse  abgebaut, 

1  mal  Leber.  Plazenta  wurde  nie  abgebaut. 

V°n  18  untersuchten  Kranken  der  Katatoniegruppe  waren 
q  f-uüC?’  welche  beide  Gehirn  und  Ovarien  abbauten,  eine  auch 
Schilddrüse.  Hoden  wurden  von  beiden  nicht  abgebaut.  Die  16  männ- 
hchen  Katatoniker  zeigten  in  10  Fällen  Gehirnabbau,  in  12  Fällen 
Hodenabbau  (in  7  von  den  Gesamtfällen  der  männlichen  Patienten 
fand  sich  sowohl  Gehirn-  wie  Hodenabbau),  Thyreoidea,  Ovarien  und 
Plazenta  wurden  nicht  abgebaut. 

Bei  14  Epileptikern  fand  sich  in  6  Fällen  Gehirnabbau,  2  mal 
wurden  Hoden  abgebaut,  1  mal  Schilddrüse.  Plazenta  wurde  nie 
abgebaut.  Wir  haben  bei  Epileptikern  oft  auch  mit  Bandwurm¬ 
substrat  dialysiert,  besonders  in  den  Fällen,  wo  die  Möglichkeit  einer 
Zystizerkose  vorlag,  haben  aber  nie  einen  Abbau  von  Bandwurm- 
erhalten.  Es  stand  nun  allerdings  nur  Taenia  saginata  zur 
Verfügung.  Uebrigens  ergaben  auch  zweifellose  Bandwurmträger 
(Taenia  saginata)  keinen  Bandwurmabbau. 

5  manische  und  melancholische  Kranke  zeigten  keinerlei  Abbau 
(Gehirn,  Thyreoidea,  Ovarien,  Hoden);  nur  bei  einer  alten  manischen 
Frau  fand  sich  ein  schwacher  Abbau  von  Plazenta,  der  sich  weder 
durch  einen  nachweisbaren  Versuchsfehler  noch  durch  bestehende 
Schwangerschaft  erklären  liess. 

,  t*  Beiuuiner  graviden  Paranoischen  Kranken  fand  sich  ein  zweifel¬ 
hafter  Abbau  von  Gehirnsubstanz  und  ein  deutlich  positiver  Plazenta¬ 
abbau. 


1  Fall  von  akuter  Halluzinose  baute  Gehirn  und  Hoden  ab. 

v°n  ?  Fällen  von  R  e  c  k  1  i  n  gh  a  u  s  e  n  scher  Krankheit  zeigte 
einer  Gehirn-  und  Hodenabbau,  der  andere  schwachen  Thyreoidea¬ 
abbau,  andere  Organe  wurden  nicht  abgebaut  (Nebenniere,  Pankreas 
Hypophyse). 

. , ,  Alle  Fälle  von  Hysterie,  die  untersucht  wurden,  ergaben  keinerlei 
Abbau  (Gehirn,  Hoden,  Ovarien,  Thyreoidea,  Plazenta). 

.  Auch  bei  sämtlichen  Kontrolluntersuchungen  von  Blutserum 
klinisch  nicht  kranker  Personen  wurde  kein  Organabbau  von  uns 
gefunden. 

Erwähnt  sei  noch,  dass  unsere  bisherigen  Parallelversuche  mit 
gefärbten  Substraten  (Karminfärbung)  mit  den  Ergebnissen  der  Dia- 
lysierversuche  übereinstimmten,  es  handelt  sich  allerdings  vorläufig 
nur  um  eine  geringe  Anzahl  solcher  Versuche. 

Aus  unseren  Erfahrungen  mit  dem  A  b  d  e  r  h  a  1  d  e  n  sehen  Dia- 
lysierverfahren  und  den  Mitteilungen  der  psychiatrischen  Literatur 
ziehen  wir  vorläufig  folgende  Schlüsse: 


3 


2178 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  *14. 


1.  In  der  überwiegenden  Mehrzahl  der  Fälle  von  progressiver 
Paralyse  findet  sich  Abbau  von  Gehirneiweiss  im  Dialysatversuch. 

2.  Die  Kranken  der  Katatoniegruppe  zeigen  oft  Abbau  von 
Geschlechtsdrüsen  und  Gehirn. 

Weitere  Schlüsse  aus  den  bisherigen  Befunden  zu  ziehen  er¬ 
scheint  uns  verfrüht,  insbesondere  bezüglich  der  Ursachen  und  des 
Wesens  der  Psychosen. 

Nach  unserer  Ansicht  hat  die  Abderhalden  sehe  Reaktion 
auch  für  die  Psychiatrie  eine  grosse  wissenschaftlich-theoretische 
Bedeutung,  und  ihre  weitere  Anwendung  ist  nicht  nur  gerechtfertigt, 
sondern  durchaus  notwendig.  Es  muss  aber  vorläufig  dringend  davor 
gewarnt  werden,  sie  zu  praktisch-diagnostischen  Zwecken  anwenden 
zu  wollen  und  besonders  ihr  eine  ausschlaggebende  Bedeutung  in 
differentialdiagnostischer  oder  gar  forensischer  Beziehung  zu  geben. 

Herr  Anton:  Ich  habe  zunächst  die  Resultate  des  Herrn 
Kollegen  Dr  Willige  vollauf  zu  bestätigen,  und  ich  kann  ver¬ 
sichern,  dass  die  Untersuchungen  nach  längerer  Uebung  und  Er¬ 
fahrung  unter  Weglassung  zweifelhafter  Fälle  vor  sich  gingen. 

Ich  will  daraus  zunächst  den  vorsichtigen  Schluss  ziehen,  conform 
dem  Kollegen  Mohr,  „dass  an  der  Reaktion  Abderhaldens 
etwas  Reales  sein  muss.“  Die  klinischen  Fragestellungen  sind  der¬ 
zeit  noch  nicht  so  weit  gediehen,  dass  wir  in  den  vorhandenen 
Publikaiionen  sprechen  können:  „Exakte  Fragestellung  nach  klini¬ 
schen  Gesichtspunkten  hat  allgemein  gültige  und  verwendbare  Er¬ 
gebnisse  gebracht.“ 

ln  der  Psychiatrie  werden  wir  in  erster  Linie  verwiesen  auf 
die  Frage  nach  der  Konstitution:  aus  dieser  heraus  entwickeln  sich 
die  verschiedenen  Krankheitsformen.  In  der  Lehre  von  den  Ent¬ 
wicklungsstörungen  muss  wohl  jeder  Fall  an  und  für  sich  durchdacht 
werden.  Wir  können  mit  dem  Röntgenbilde  aufdecken,  wie  ver- 
schiedengestaltig  der  Aufbau  des  Schädels  vor  sich  geht,  wie 
wechselvoll  der  Ausdruck  der  Entwicklungsstörungen  t  in  der  Kind¬ 
heit  und  in  der  Pubertät  am  Schädel  und  Skelett  sich  gestaltet. 

Der  Ausdruck  „Dementia  praecox“  bezeichnet  nicht  einen  ein¬ 
heitlichen  Zustand  und  kann  nicht  als  eine  scharfe  Diagnose  gelten. 
Es  muss  ausgesagt  werden,  dass  wir  hier  ein  Schlagwort  für  sehr 
verschiedenartige  Zustände  gebraucht  sehen. 

Bei  den  Entwicklungsstörungen,  die  ja  mit  Recht  mit  verbauten 
Schiffen  verglichen  werden,  sind  auch  die  abnormen  Driisenbefunde 
schwer  zu  beurteilen  bezüglich  der  Frage:  Welche  Störung  im  poly¬ 
glandulären  Apparat  ist  die  primäre,  und  welche  ist  Folgezustand? 

Um  ein  Beispiel  herauszugreifen,  so  sehen  wir  bei  verschiedenen 
Entwicklungsstörungen  und  Epilepsien  Thymus  persistens.  Die 
gleichen  Zustände  können  aber  auch  ohne  abnorme  Grössenentwick¬ 
lung  des  Thymus  vorhanden  sein.  In  meinem  Falle  mit  zystischen 
Nebennieren  war  der  Thymus  auffällig  gross  mit  allen  3  Arterien 
noch  erhalten.  In  diesem  Falle  bestand  Hypertrophie  des  Gehirnes. 
Andererseits  scheint  es  aus  den  Experimenten  an  Tieren  hervor¬ 
zugehen,  dass  bei  Exstirpation  beim  Fehlen  des  Thymus  das  Gehirn 
abnorme  Gewichtszunahme  erfährt.  Wir  werden  in  solchen  Fällen 
recht  tun,  weder  das  Fehlen  der  Thymusdrüse  noch  des  fort¬ 
bestehenden  grossen  Thymus  als  Ursache  der  Gehirnhypertrophie  an¬ 
zusehen. 

Auf  meiner  Klinik  ist  eine  Familie  in  Evidenz,  in  welcher  6  Mit¬ 
glieder  zur  Pubertätszeit  schwere  Kyphoskoliose  erfuhren,  gleich¬ 
zeitig  schwere  zerebellare  Ataxie.  Bei  allen  ist  die  Pubertätszeit  der 
kritische  Moment.  Trotzdem  fand  sich  gerade  bei  solchen  Mit¬ 
gliedern  der  Familie  kein  Abbau  des  Hodens.  Aber  auch  der  so 
häufige  positive  Befund  von  Hodenabbau  muss  entschieden  vor¬ 
sichtiger  in  der  Schlussfolgerung  verwertet  werden.  Wir  wissen 
nicht  einmal,  ob  der  positive  Befund  einer  Disfunktion  oder  Hyper¬ 
funktion  der  Hodendrüse  entspricht.  Abderhalden  meint,  dass 
die  Hyperfunktion  hiefür  ausreicht.  Doch  auch  hier  ist  die  Deutung 
nicht  so  einfach.  Es  kann  keineswegs  daraus  etwa  schon  ein  solenner 
Protest  gegen  das  Zölibat  gefolgert  werden.  Auch  wäre  es  ein  vor¬ 
schneller  Schluss,  auf  Hodentoxine  zu  schliessen,  durch  welche  der 
gleichzeitige  Gehirnabbau  und  der  vorzeitige  geistige  Verfall  ursäch¬ 
lich  bewirkt  wird. 

Hier  ist  auch  die  Deutung  zulässig,  dass  die  Abderhalden- 
sehe  Reaktion  dazu  dient,  ein  bereits  vorhandenes  Unver¬ 
mögen  des  Organismus  zu  entlarven,  einen  Mangel  der 
Selbstregulierung  des  Stoffwechsels,  Mangel  einer  rechtzeitigen  Ent¬ 
fernung  von  blutfremden  Stoffen,  wie  sie  durch  Nieren,  Schweiss- 
driisen  und  andere  Organe  regulär  geleistet  wird:  also  eine  indi¬ 
viduelle  Illustrierung  dessen,  was  wir  als  Konstitution  des  Organis¬ 
mus  bezeichnen,  nicht  aber  Aufdeckung  des  entscheidenden  ursäch¬ 
lichen  Momentes. 

Es  hat  nur  den  Wert  eines  Beispiels,  wenn  ich  darauf  verweise, 
wie  durch  die  Reaktionsstärke  auf  Phlorogluzin  der  auftretende 
Diabetes  eine  Disposition  zu  diabetischer  Erkrankung  evident  machen 
kann. 

Die  Anwendung  der  Methode  Abderhaldens  bei  den  epi¬ 
leptischen  Erkrankungen  ist  entschieden  verheissungsvoll, 
doch  muss  gleichzeitig  auf  Grund  der  interessanten  Untersuchungen 
von  Binswanger  hinzugefügt  und  bestätigt  werden,  dass  es  uns 
bisher  noch  nicht  gelungen  ist,  durch  diese  Reaktion  die  maligneren 
d.  h.  zur  Demenz  führenden  Fälle  von  den  gutartigen  zu  trennen,  also 
durch  den  positiven  oder  negativen  Gehirnabbau.  Der  Gehirnabbau 
nach  epileptischen  Anfällen  muss  wohl  mit  grösster  Vor¬ 
sicht  beurteilt  werden;  denn  der  epileptische  Anfall  ist  ein  so  brutales 


körperliches  Geschehnis,  auch  oft  mit  Trauma  verbunden,  so  dass  eine 
Abbaureaktion  möglicherweise  durch  die  andere  gedeckt  wird,  abge¬ 
sehen  von  der  allgemeinen  Veränderung  der  Organfunktionen. 

Zur  Vorsicht  der  klinischen  Folgerungen  fordern  auch  heraus 
die  sehr  verschiedenen  Befunde  von  Organabbau  bei  Melancholie 
(Binswanger,  Kafka,  Wegner).  ln  unseren  Fällen  hat  sich 
gar  kein  Abbau  ergeben.  Es  wird  sich  bei  vorsichtigem  Abwarten 
auch  für  diese  widersprechenden  Resultate  ein  Reim  finden.  Be¬ 
sonders  werden  wir  mehr  als  bisher  auf  die  Alterskategorie 
Bedacht  nehmen.  Das  ganze  Driisenlebcn  ist  gewissermassen  Ur¬ 
sache  und  Folge  zugleich  des  jeweiligen  Alterszustandes.  Gerade  die 
Alterskategorien  heben  sich  in  ihrem  Drüsenleben  gut  begrenzbar 
voneinander  ab.  Die  artfremde  Entwicklung  lässt  sich  von  da  aus 
oft  gut  begründen,  so  die  artfremde  Persistenz  des  kindlichen  Zu¬ 
standes  in  geistiger  und  körperlicher  Beziehung,  und  die  Frage  wird 
sich  dabei  bald  sichten  lassen :  Welche  Befunde  kommen 
bei  den  Abbaureaktionen  der  Alterskategorie  als 
solcher  in  typischer  Weise  zu? 

Noch  einmal  die  sog.  Dementia  praecox!  Wir  brauchen  nach 
dem  Gesagten  möglichst  genaue  klinische  Befunde,  wobei  die  Rönt¬ 
genbilder  des  Schädels  nicht  fehlen  dürfen.  Wir  können  dabei  jeder¬ 
zeit  sehen,  wie  enorm  verschieden  die  Entwicklungsstörungen 
und  ihre  weiteren  Folgen  geistig  und  körperlich  sich  zum  Ausdrucke 
bringen.  Es  geht  nicht  an,  so  verschieden  gestaltige  Zustände  mit 
einer  Vignette  zu  bezeichnen  und  wertlose  Statistik  zu  machen. 
Vielleicht  ist  es  noch  aussichtsvoller,  den  wohl  bewährten  Begriff  der 
„sekundären  Psychose“  dabei  festzuhalten. 

Die  Entscheidung  der  Frage,  wann  nach  akuten  Psychosen  eine 
dauernde  psychische  Schwäche  diagnostiziert  werden  darf,  ist  eine 
recht  schwierige,  und  mit  Recht  haben  die  besten  Psychiater  daran 
Scharfsinn  und  psychiatrisches  Urteilsvermögen  geübt.  Bisher  wurde 
dies  meist  psychologisch-klinisch  angegangen,  und  es  besteht  vor¬ 
läufig  die  Hoffnung,  dass  gerade  durch  .die  Abbaureaktionen  sich  ein 
stetiger  körperlicher  Befund  eruieren  lässt. 

Was  nun  den  Wert  der  Reaktion  selbst  betrifft,  so  wurde 
derselbe  gewiss  durch  die  vielen  vorliegenden  Arbeiten  vertieft  und 
in  seiner  Gesetzmässigkeit  immer  wahrscheinlicher  gemacht.  Es  geht 
nicht  mehr  an,  diesen  Fortschritt  ohne  eigene  Untersuchungen  zu 
negieren.  In  dieser  Auffassung  wurde  ich  auch  bestärkt  durch  den 
kompetenten  medizinisch-chemischen  Fachmann  Pregl,  welcher 
durch  die  Untersuchungsergebnisse  eines  sehr  geeigneten  Materials 
in  der  Steiermark  energisch  für  die  Spezifität  der  Abderhaldenreaktion 
eintrat. 

Herr  L  o  e  n  i  n  g :  Gestatten  Sie  auch  mir  einige  kurze  Bemerkungen. 
Wir  haben  an  meiner  Abteilung  im  Diakonissenhaus  seit  dem  Herbst 
vorigen  Jahres  die  Serumreaktionen  angewandt.  Herr  Dr.  v.  Roh¬ 
den  hat  sich  in  die  Methode  eingearbeitet.  Ich  kann  aber  doch  aus 
dem  kleinen  Material,  ca.  40  Fälle,  die  für  eine  Beurteilung  in  Be¬ 
tracht  kommen,  einiges  Wichtige  mitteilen. 

Die  Methode  war  uns  in  einzelnen  besonders  diagnostisch  schwie¬ 
rigen  Fällen  von  Wert  und  hat  uns  gerade  in  diesen  nicht  im  Stich 
gelassen.  So  hat  sich  die  Methode  bewährt  in  Fällen,  bei  denen 
die  Frage  aufgeworfen  wurde,  ob  neben  einem  Magenkarzinom  noch 
Lebermetastasen  Vorlagen  oder  nicht.  Wir  haben  z.  B.  einen  der¬ 
artigen  Fall,  bei  denen  die  nur  mit  der  Methode  festgestellten  kleinen 
Lebermetastasen  bei  der  späteren  Sektion  gefunden  wurden.  In  einem 
anderen  Fall  handelte  es  sich  um  die  Differentialdiagnose  zwischen 
Cholelithiasis  und  Karzinom.  Die  Diagnose  wurde  ebenfalls  mit  Hilfe 
der  Reaktion  gestellt.  Bei  der  Operation  fand  sich  die  mit  Steinen 
prall  gefüllte  Gallenblase,  das  Karzinom  griff  in  die  Leber  über. 

Dann  findet  sich  unter  unseren  Untersuchungen  ein  Fall,  bei  dem 
die  histologische  Untersuchung  den  Verdacht  auf  Karzinom  des  Uterus 
zu  stützen  schien,  die  Serumreaktion  war  aber  negativ.  Die  Opera¬ 
tion  ergab  dementsprechend  Myom  ohne  jeden  Anhaltspunkt  für  Kar¬ 
zinom.  Ich  glaube,  dass  Ihnen  die  Fälle  zeigen,  dass  die  Methode 
wohl  imstande  ist  unsere  klinische  Diagnostik  zu  sichern.  Allerdings 
gehört  dazu  auch  eine  Beurteilung,  auf  was  die  Organe  untersucht 
werden  müssen  und  deshalb  glaube  ich,  dass  der  Kliniker  grosse  Ver¬ 
anlassung  hat,  sich  mit  der  Methode  näher  zu  beschäftigen,  und  zwar 
die  Dinge  selbst  zu  bearbeiten,  da  bei  der  Vielseitigkeit  der  Methode 
nur  auf  diese  Weise  ein  Urteil  gewonnen  werden  kann. 


Medizinische  Gesellschaft  zu  Leipzig. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  21.  Juli  1914  (Schluss). 
Vorsitzender:  Herr  Marchand. 

Schriftführer :  Herr  R  i  e  c  k  e. 

Herren  Rausch  und  Schilder:  Demonstration  zweier  Fälle 
von  Pseudosklerose. 

Es  handelt  sich  um  2  Schwestern,  von  denen  die  eine  seit 
17  Jahren  krank  jetzt  43,  die  andere  seit  4 K  Monat  krank,  jetzt 
33  Jahre  alt.  ist. 

Die  Symptomatologie  des  Leidens  besteht  in  folgendem: 

1.  Erkrankung  der  Leber: 

2.  eigenartige  Pigmentierung  der  Hornhaut; 

3.  ein  nervöses  Leiden,  das  eine  gewisse  Aehnlichkeit  mit  der 
multiplen  Sklerose  hat. 


3-  November  1914. _ MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Die  Erkrankung  der  Leber  ist  in  dem  frischen  Falle  palpatorisch 
eststellbar,  die  Leber  reicht  3  Querfinger  über  den  Rippenbogen. 
)ie  Milz  ist  palpabel.  In  beiden  Fällen  besteht  alimentäre  Lävu- 
osurie.  Beide  Kranken  zeigen  eine  grüngelbliche  Verfärbung  der 
’eripherie  der  Hornhaut,  sie  ist  ausgesprochener  bei  dem  älteren 
'alle. 

Die  nervösen  Symptome  sind  bei  dem  akuten  Falle  folgende: 

1.  Grobschlägiger  Wackeltremor,  der  bei  Fixation  und  Intention 
auftritt,  eine  erhebliche  Frequenz  hat  und  auf  einem  Wechsel¬ 
spiel  der  Agonisten  und  Antagonisten  beruht.  Das  linke  Bein 
ist  relativ  wenig  betroffen. 

2.  Es  besteht  Unfähigkeit,  rasch  aufeinanderfolgende  Impulse  ab¬ 
zugeben,  die  sog.  Adiadochokinese  B  a  b  i  n  s  k  i  s.  Unseres 
Erachtens  liegt  ein  Versagen  der  Innervation  vor. 

3.  Es  besteht  skandierende  Sprache. 

4.  Lachen  ist  sehr  leicht  auslösbar. 

Keine  Hypertonien,  keine  Augenhintergrundsveränderungen,  kein 

Jystagmus. 

Bei  der  seit  länger  erkrankten  Schwester  ist  der  Tremor  ge- 
inger,  die  Adiachokinese  ausgesprochener.  Hypertonie  fehlt.  Rumpf- 
nd  Extremitätenbewegungen  deutlich  ataktisch.  Das  Skandieren  ist 
ehr  ausgeprägt.  Die  Mimik  hat  etwas  Regungsloses.  Sie  ist  affek- 
;v  ubererregbar  und  intellektuell  eingeschränkt.  Wassermann  bei 
eiden  Schwestern  negativ. 

Nun  zur  Deutung:  Pathologisch-anatomisch  ist  bekannt, 
ass  dje  Leberveränderungen  eigenartig  sind,  möglicherweise 
egen  Entwicklungsstörungen  vor.  Die  Veränderungen  am  Gehirn 
ind  nach  Alzheimer  durch  die  Bildung  merkwürdiger  grosser 
iliaelemente  charakterisiert.  Diese  Störung  findet  sich  vorwiegend 
i  den  subkortikalen  motorischen  Ganglien.  Es  gibt  Erkrankungsfälle, 
i  denen  vorwiegend  der  Linsenkern  betroffen  ist.  In  diesen  Fällen 
nden  sich  jedoch  fast  stets  Hypertonien  (Wilson). 

Es  ist  derzeit  noch  am  wahrscheinlichsten,  dass  die  Leber  Toxine 
bgibt,  welche  das  Gehirn  schädigen,  doch  kann  es  sich  auch  um  ko- 
rdinierte  Störungen  der  Leber  und  des  Gehirns  handeln.  Die  Natur 
es  Pigmentes  ist  noch  nicht  völlig  aufgeklärt.  Die  Pigmentierung 
er  Hornhaut  ist  nicht  in  allen  Fällen  beschrieben.  Jedenfalls  fällt 
e  Erkrankung  in  das  Gebiet  der  Heredodegeneration. 

Die  Differentialdiagnose  in  unseren  Fällen  ist  leicht.  Der  Horn- 
autring  und  die  Leberveränderungen  sichern  die  Diagnose.  Doch 
äre  diese  auch  auf  Grund  des  neurologischen  Bildes  zu  stellen, 
egen  Paralysis  agitans  spricht  die  Eigenart  des  Schiittelns  und  das 
ehlen  der  Spannungen. 

Gegen  multiple  Sklerose  und  die  verwandte  diffuse  Sklerose 
•rechen  u.  a.  der  Mangel  aller  Erscheinungen,  welche  auf  Pyra- 
idenbahnläsion  hin  weisen,  und  damit  kommen  wir  zu  dem  wichtigen 
unkte,  dass  sich  die  Erkrankung  als  eine  solche  des  subkortikalen 
otorischen  Apparats  darstellt. 

Die  Ataxie,  die  Adiadochokinese  (auf  die  Wichtigkeit  dieser  im 
'ankheitsbild  verweisen  wir  besonders),  das  Schütteln  sind  auf  Lä- 
on  dieser  zu  beziehen.  Sind  Spannungen  vorhanden,  so  tragen  sie 
eichfalls  nicht  den  Charakter  der  Spasmen  nach  Pyramidenbahn¬ 
sion. 

Der  subkortikale  motorische  Apparat  ist  in  diesen  Fällen  mehr- 
ch  getroffen  und  in  seiner  Kompensationsfähigkeit  gestört.  Die 
»-ramidenbahn  ist  wenigstens  im  wesentlichen  intakt. 

Diese  Fälle  zeigen,  dass  der  subkortikale  motorische  Apparat  für 
e  präzise  Durchführung  einer  Bewegung  von  entscheidender  Wich- 
ikeit  ist. 

(Ausführliche  Veröffentlichung  in  der  D.  Zschr.  f.  Nervhlk.) 

Herr  Harzer  demonstriert  einen  Fall  von  Myasthenia  gravis 

eudoparalytica. 

Bei  dem  17  jährigen  Patienten  C.  S.  begann  ohne  besondere  Ur- 
che  das  Leiden  vor  1A  Jahren  mit  rascher  Ermüdbarkeit  der  Arme 
im  Turnen.  A  Jahr  später  dieselben  Beschwerden  in  Armen  und 
■inen  bei  der  Arbeit  als  Maschinenschlosser.  Vor  A  Jahr  rasche 
miidung  beim  Kauen  fester  Speisen,  näselnde,  unverständliche 
•rache  nach  längerem  Sprechen. 

,  Die  klinische  Untersuchung  ergibt  bei  willkürlicher  Innervation 
ringen  Lagophthalmus,  der  nach  öfters  wiederholtem  Lidschluss 
•vas  stärker  wird  und  in  geringem  Grade  auch  nachts  besteht,  typi- 
ies  „Nasenlächeln“  (G  o  w  e  r  s),  rasche  Ermüdbarkeit  der  Gaumen¬ 
gelmuskulatur,  speziell  des  Tensor  veli  palatini.  Beim  Vorlesen 
rd  nach  1  A  Minute  die  Sprache  deutlich  nasal.  In  der  Extremi- 
enmuskulatur  findet  sich  eine  abnorm  rasche  Ermüdbarkeit  der 
tensoren  der  Finger.  Nach  mehrfach  wiederholtem  willkürlichen 
amen  und  Schliessen  der  Hände  können  der  4.  und  5.  Finger  beider- 
ts  nicht  mehr  vollständig  gestreckt  werden  und  bleiben  in  leichter 
ugestellung  zurück.  Dieselbe  Erscheinung  einer  abnorm  raschen 
schöpfbarkeit  zeigt  sich  im  M.  deltoideus  beiderseits  bei  öfters 
ederholtem  seitswärts  Hochheben  der  Arme. 

Bei  der  elektrischen  Untersuchung  findet  sich  deutliche  myasthe- 
|  che  Reaktion  in  der  vom  mittleren  Fazialisaste  versorgten  Ge- 
|  ntsmuskulatur  bei  Reizung  mit  dem  faradischen  Strome.  Keine 
|  tartungsreaktion.  Der  übrige  körperliche  Befund  des  sehr  muskel- 
•ftigen  Pat.  ergibt  nichts  Besonderes.  Klinisch  und  röntgenologisch 
me  Anhaltspunkte  für  substernale  Struma.  Sensibilität  intakt, 
ine  Reflex-  oder  Blasen-Mastdarmstörungen,  weder  Atrophien  noch 
!"illäre  Zuckungen.  Blut:  Hgb.  90  Proz.,  Erythrozyten  5  200  000, 


2179 


:  Leukozyten  7200,  darunter  70  Proz.  polynukleäre,  25  Proz.  Lympho¬ 
zyten,  3  Proz.  Eosinophile,  2  Proz.  mononukleäre  Leukozyten. 


Rheinisch-westfälische  Gesellschaft  für  innere  Medizin 
und  Nervenheilkunde. 

(Offizielles  Protokoll.) 

33.  Versammlung  vom  17.  Mai  1914  zu  Bonn. 

Vorsitzender :  Herr  D  i  n  k  1  e  r  -  Aachen. 

Schriftführer:  Herr  L  a  s  p  e  y  r  e  s  -  Bonn. 

III. 

d  .  H5.r  r  Denzmann-  Duisburg:  Weitere  Erfahrungen  über  die 
Behandlung  des  Scharlach  mit  Salvarsan.  (Vergl.  Nr.  43  S.  2143.) 

,.  Diskussion:  Herr  S  c  h  u  1 1  z  e  -  Bonn:  Wir  haben  in  Bonn 
bis  je^zt  aus  zwei  Gründen  das  Salvarsan  bei  Scharlach  nicht  ver- 
sucht.  Vor  allem  ist  der  Verlauf  bei  unseren  Krankheitsfällen  ein 
sehr  günstiger,  so  dass  wir  trotz  lange  andauernder  Epidemien  nur 
em  b^ar  Prozent  Todesfälle  haben  und  auch  keine  stärkeren  Nach- 
Kiankheiten  sehen.  Es  ist  das  gleiche,  wie  bei  der  Diphtherie,  die  so 
milde  verläuft,  dass  früher  sogar  von  einem  Bakteriologen  bezweifelt 
wurde,  dass  es  sich  um  echte  Diphtherie  handle.  Es  hat  aber  Herr 
Prot.  St  rasburger  stets  auch  bei  den  leichten  Fällen  L  o  c  f  f  1  e  r- 
sche  Diphtheriebazillen  nachweisen  können. 

Sodann  erschien  uns  das  Mittel  doch  nicht  ungefährlich  genug 
Die  günstigen  Erfahrungen  des  Herrn  Vortr.  ermutigen  allerdings  zu 
weiteren  Versuchen.  Besonders  der  von  ihm  gesehene  Einfluss  auf 
die  nekrotische  Angina  ist  sehr  bemerkenswert.  Weniger  Gewicht 
möchte  ich  auf  das  zeitweilige  Sinken  der  Körpertemperatur  legen 
Ich  erinnere  an  eine  ähnliche  Wirkung  des  Kalomel  bei  Typhus 
abdominalis,  eine  Wirkung,  die  zu  der  früheren  Meinung  Veranlassung 
gab,  das  Kalomel  sei  ein  Spezifikum  gegen  diese  Krankheit. 

Bedenklich  ist  der  Umstand,  dass  bei  gleichzeitigem  Vorhanden¬ 
sein  eines  Status  thymo-lymphaticus  das  Salvarsan  zum  Exitus  führen 
kann.  Der  Herr  Redner  hob  selbst  hervor,  dass  man  leider  bei 
einem  Schwer-Scharlachkranken  diesen  Status  nicht  mit  Sicherheit 
feststellen  könne.  Man  sollte  meiner  Meinung  wenigstens  durch 
Perkussion  und  Röntgenuntersuchung  festzustellen  versuchen,  ob 
eine  vergrösserte  Thymus  vorhanden  ist.  Leider  ist  eine  solche 
Feststellung  nicht  mit  Sicherheit  zu  machen,  weil  eine  Dämpfung 
oder  ein  Schatten  in  der  Gegend  des  oberen  Teiles  des  Sternum 
auch  andere  Ursachen,  z.  B.  eine  Struma  haben  kann. 

Herr  C  o  s  s  m  a  n  n  -  Duisburg:  Wie  bereits  Herr  Lenzmann 
erwähnt  hat,  habe  ich  Scharlach  ebenfalls  mit  Salvarsan  behandelt. 
Bestätigen  kann  ich,  dass  das  Salvarsan  die  nekrotisierende  Angina 
günstig  beeinflusst.  Nicht  folgen  aber  kann  ich  Herrn  Lenz  mann 
in  dem,  was  er  über  die  Beeinflussung  der  Temperatur  durch  Sal¬ 
varsan  gesagt  hat.  Es  ist  richtig,  dass  gewöhnlich  nach  einer  Sal- 
varsaneinspritzung  ein  Temperaturabfall  beobachtet  wird,  meist  folgt 
aber  wieder  ein  Anstieg.  Das  sind  aber  Beobachtungen,  welche  man 
auch  dann  macht,  wenn  keine  Salvarsaneinspritzungen  vörgenommen 
worden  sind.  Um  zu  entscheiden,  ob  wirklich  die  Temperaturkurve 
durch  das  Salvarsan  in  günstigem  Sinne  beeinflusst  wird,  müsste 
man  bei  derselben  Epidemie  zwei  Reihen  von  Scharlachkranken  in 
der  Weise  behandeln,  dass  man  bei  der  einen  Reihe  Salvarsan  ein¬ 
spritzt,  bei  der  anderen  nicht.  Das  ist  selbstverständlich  mit  Erfolg 
nur  möglich  bei  sehr  grossem  Material,  bei  meinem  kleinen  Material 
habe  ich  dieses  Verfahren  eingeschlagen  und  dadurch  ist  jedenfalls 
schon  festgestellt,  dass  der  Temperaturverlauf  bei  Scharlach  nie  ein 
so  typischer  ist,  wie  es  meist  in  den  Lehrbüchern  dargestellt  wird. 
Die  Temperaturtabellen,  welche  ich  Ihnen  hier  herumgebe,  zeigen 
das  deutlich,  bei  der  ersten  Temperaturtabelle  handelte  es  sich  um 
eine  Patientin,  welche  andauernd  hoch  fieberte,  so  dass  ich  schon  in 
Erwägung  zog,  ob  ich  sie  nicht  doch  zu  der  Reihe  der  mit  Salvarsan 
zu  Behandelnden  nehmen  sollte.  Als  ich  die  Einspritzung  machen 
wollte,  war  die  Temperatur  von  39,4  auf  36,6  gefallen. 

Herr  M  e  n  z  e  r  -  Bochum:  Während  des  letzten  Jahres  hatte 
ich  Gelegenheit,  in  Bochum  etwa  200  Scharlachfälle  im  Krankenhause 
zu  beobachten.  Die  Epidemie  war  schwer.  In  der  Stadt  war  die 
Mortalität  in  manchen  Monaten  15—20  Proz.,  und  nicht  geringer  war 
sie  im  Krankenhause. 

Aus  den  Todesfällen  hebe  ich  vor  allen  Dingen  diejenigen  heraus, 
bei  denen  die  Kinder  mit  schweren  phlegmonösen  Drüsenschwel¬ 
lungen  zu  beiden  Seiten  des  Halses  eingeliefert  werden  und  von  vorn¬ 
herein  einen  schwerseptischen  Eindruck  machen.  Diese  Kinder  sind 
wohl  für  jede  Therapie  als  verloren  zu  betrachten.  Dann  beobachtet 
man  nicht  selten  Fälle,  die  scheinbar  leicht  einsetzen  und  plötzlich 
— -  auch  bei  Bettruhe  —  einen  bösartigen  Charakter  annehmen,  indem 
eine  schwere  Nephritis,  metastatische  Eiterungen  sich  entwickeln 
u.  dgl.  m.  Auch  hier  wird  die  Therapie  nicht  selten  machtlos  sein. 
Die  eigentlichen  Scharlachfälle,  die  mit  anfänglicher  hoher  Tem¬ 
peratur,  stärkerer  Pulsbeschleunigung,  lebhaftem  Ausschlag  u.  dgl. 
einhergehen,  sind  nun  gerade  ein  Ausdruck  der  lebhaftesten  Abwehr¬ 
reaktion  der  betreffenden  Organismen  gegen  die  Krankheitserreger. 
Wer  gerade  diese  Fälle  als  geeignet  für  eine  besondere  Therapie 
bezeichnet  und  daraus  Schlüsse  auf  die  Heilwirkung  eines  Mittels 
ziehen  will,  der  sucht  sich  eben  das  prognostisch  günstigste  Krank¬ 
heitsmaterial  aus,  bei  dem  man  auch  mit  einfacher  physikalischer 


2180 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  4 


Behandlung  gute  Erfolge  erzielt.  Wenn  hier  davon  gesprochen  ist, 
dass  wir  dem  Scharlach  gegenüber  bisher  gar  nichts  leisten,  so  muss 
ich  mit  allem  Nachdruck  daran  festhalten,  dass  eine  konsequente  Be¬ 
handlung  mit  lauen  Bädern  (3 — 4  mal  täglich)  auch  bei  schweren 
Scharlachfällen  in  Kombination  mit  Exzitantien  und  guter  Pflege  aus¬ 
gezeichnete  Wirkung  hat. 

Anders  steht  es  mit  den  Fällen,  die  unter  starker  Benommenheit, 
blaurotem  Ausschlag  event.  mit  vielfachen  Blutaustritten,  sehr 
schlechtem  und  beschleunigtem  Puls  usw.,  also  mit  schwerstem 
toxischen  Scharlach  eingeliefert  werden.  Diese  können  wir  meist 
nicht  retten.  Leider  will  aber  Herr  Lenzmann  gerade  diese  Fälle 
nicht  als  geeignet  für  die  Salvarsantherapie  bezeichnen.  Ferner  soll 
der  Status  thymico-lymphaticus  eine  Kontraindikation  für  das  Sal- 
varsan  bieten.  Ja  wie  soll  ich  das  an  meinen  Krankheitsfällen 
klinisch  so  schnell  feststellen?  Wieviele  blieben  denn  überhaupt 
übrig  für  die  Salvarsantherapie,  da  bei  den  schweren  Scharlach¬ 
fällen  die  lymphatische  Konstitution  so  ausserordentlich  häufig  ist. 

Wie  bei  allen  akuten  Krankheiten,  so  ist  auch  bei  Scharlach  das 
Urteil  über  etwaige  therapeutische  Erfolge  sehr  unsicher.  Ich  habe 
schwere  Scharlachfälle  teils  mit  Streptokokkenserum,  teils  mit 
Rekonvaleszentenserum  behandelt,  in  manchen  Monaten  habe  ich 
dabei  ganz  vereinzelte  Todesfälle  nur  gehabt  und  war  sehr  erfreut 
über  die  erfolgreiche  Therapie,  bis  ich  dann  einige  Monate  später 
wieder  trotz  der  gleichen  Behandlung  eine  grössere  Zahl  von  Fällen 
verlor.  Das  Bild  des  Scharlachs  ist  eben  ein  wechselndes  und  vor 
allen  Dingen  abhängig  von  der  Witterung  und  von  der  Konstitution 
der  Kinder.  Je  mehr  diese  schon  durch  schlechte  soziale  Lebens¬ 
bedingungen  geschädigt  sind,  desto  schwerer  erkranken  sie  auch  an 
Scharlach.  Diese  oft  weit  zurückliegenden  Konstitutionsschädigungen 
wird  bei  einmal  ausgebrochenem  Scharlach  keine  Therapie  mehr 
wettmachen  können.  Das  gleiche  gilt  auch  von  der  Diphtherie. 

Herr  Lenzmann  hat  ferner  die  Streptokokkentheorie  des 
Scharlachs  so  unbedingt  abgelehnt.  Ich  muss  demgegenüber  be¬ 
tonen,  dass  ich  auf  ganz  anderem  Standpunkte  stehe.  Meiner  Ansicht 
nach  ist  der  Scharlach  nur  ein  Symptomenkomplex,  der  eine  be¬ 
sonders  lebhafte  Reaktion  des  meist  jugendlichen  Organismus  auf 
eingedrungene  Bakterien  und  ihre  Toxine  darstellt. 

Stets  findet  man  auf  den  Tonsillen  massenhaft  Streptokokken, 
zu  denen  sich  sehr  häufig  Staphylococcus  aureus  in  reichlicher 
Menge,  ferner  auch  Diphtheriebazillen,  gewöhnliche  Fäulnisbazillen, 
Kolibakterien  usw.  gesellen. 

In  metastatischen  Eiterungen  konnte  ich  stets  Streptokokken, 
meist  in  Reinkultur  nachweisen,  in  dem  Eiter  der  phlegmonösen 
Drüsen  waren  nicht  selten  noch  hämolytischer  Staphylococcus  aureus 
und  gelegentlich  auch  Kolibakterien  enthalten.  Das  Blut  von  Kranken, 
die  an  Scarlatina  gravissima  gestorben  waren,  enthielt  regelmässig 
spärliche  Streptokokkenkolonien,  daneben  mehrfach  Staphylococcus 
aureus,  in  einem  Falle  konnte  ich  eine  Kolonie  des  Staphylococcus 
aureus  züchten.  Die  geschwollenen  Drüsen  am  Halse  bis  in  den 
Thorax  hinein  stecken  ebenfalls  voll  von  Bakterien  aus  der  Gruppe 
der  Eitererreger,  so  dass  in  Analogie  zu  den  Exanthemen  bei 
schwerer  Wundsepsis  der  Schluss  ein  nicht  allzukühner  ist,  der 
Scharlachausschlag  sei  eine  besonders  heftige  Reaktion  des  jugend¬ 
lichen  Organismus  auf  banale  Krankheitserreger,  also  nur  eine  Angina 
mit  besonders  heftigen  Begleitsymptomen. 

Dabei  ist  es  durchaus  nicht  nötig,  dass  nur  Streptokokken  die 
alleinigen  Krankheitserreger  sind,  vielfach  wirken  Streptokokken, 
Staphylokokken,  Diphtheriebazillen,  gewöhnliche  Fäulniserreger  zu¬ 
sammen,  um  den  als  Scharlach  bezeichneten  Symptomenkomplex  aus¬ 
zulösen.  Der  Scharlach  ist  also  ein  ätiologisch  nicht  einheitliches 
Krankheitsbild. 

Auch  die  Vorstellung  von  der  abnormen  Kontagiosität  des 
Scharlachs,  der  starken  Flüchtigkeit  des  hypothetischen  Scharlach¬ 
erregers,  ist  meiner  Ansicht  nach  eine  irrige. 

Bei  engem  Zusammenleben  von  Kindern  in  schlechten  Woh¬ 
nungen  steckt  Scharlach  natürlich  an,  wie  dies  auch  gewöhnliche 
Anginen  tun,  dagegen  haben  wir  in  einem  gut  geleiteten  Kranken¬ 
hause,  wo  einfach  die  Vorschriften  der  Reinlichkeit  beachtet  werden, 
auch  ohne  besondere  Desinfektionsmassnahmen  mit  einer  Ansteckung 
von  Bett  zu  Bett  bzw.  zu  anderen  Krankenzimmern  meiner  Erfahrung 
nach  nicht  zu  rechnen.  Alle  die  Berichte  über  Krankheitsfälle,  bei 
denen  z.  B.  im  Krankenhause  zu  Masern  oder  Keuchhusten  Scharlach 
hinzutritt,  sind  mit  Vorsicht  aufzufassen  und  auch  einer  anderen 
Deutung  fähig. 

Nach  alledem  komme  ich  zu  dem  Schluss,  dass  die  Salvarsan- 
behandlung  des  Scharlachs  weder  theoretisch  begründet  ist,  noch  ihre 
Erfolge  irgendwie  überzeugend  sind.  Jedenfalls  müssen  wir  uns 
dagegen  wehren,  wenn  Herr  Lenzmann  hier  die  Nichtanwendung 
des  Salvarsans  in  schweren  Scharlachfällen  fast  als  einen  Kunst¬ 
fehler  zu  betrachten  geneigt  ist. 

Herr  L  e  i  c  k  -  Witten:  Nach  dem  hier  Vorgetragenen  und  nach 
den  in  der  Literatur  niedergelegten  Berichten  glaube  auch  er,  dass 
man  bei  schweren  Fällen  von  Scharlach  mit  kleinen  Dosen  von  Neo- 
salvarsan  in  vorsichtiger  Weise  einen  Versuch  machen  könnte.  Man 
möge  aber  doch  auch  so  viel  Kritik  üben,  um  offen  einzugestehen, 
dass  bisher  noch  keinerlei  sicherer  Beweis  für  die  Wirksamkeit  des 
Salvarsan  beim  Scharlach  erbracht  worden  sei.  Das  sei  ja  auch  gar 
nicht  zu  verwundern.  Das  Bild  des  Scharlachs  sei  so  wechselvoll, 
dass  ein  sicheres  Urteil  in  prognostischer  Hinsicht  in  den  meisten 
Fällen  unmöglich  sei.  Wie  oft  komme  es  vor,  dass  aus  einem  an¬ 


scheinend  schweren  Scharlachfall  in  einigen  Tagen  auch  ohne  Sa! 
varsan  ein  leichter  würde  und  umgekehrt.  Man  möge  also  in  gc 
eigneten  Fällen  in  sehr  vorsichtiger  Weise  das  Salvarsan  versuchei 
sich  aber  bewusst  bleiben,  dass  der  Beweis  seiner  heilsamen  Wirkun 
beim  Scharlach  erst  noch  geliefert  werden  müsse. 

Herr  Lenzmann  (Schlusswort):  Es  ist  in  der  Diskussion  ai 
die  Gefahren  des  Salvarsan  hingewiesen  worden.  Ich  bin  der  letzt» 
der  sie  unterschätzt  Ich  bin  der  Ansicht,  dass  derjenige,  der  Sai 
varsantherapie  treiben  will,  sich  mit  dem  Mittel  genau  vertrau 
machen  muss.  Ich  habe  noch  keinen  Unglücksfall  erlebt.  Für  mic 
ist  es  kein  Zweifel,  dass  in  allen  Fällen,  in  denen  Todesfälle  be 
obachtet  sind,  die  Regeln  der  Kontraindikation  arg  vernachlässig; 
wurden,  vor  allem  aber  zu  hohe,  ja  geradezu  brutale  Dosen  angt; 
wandt  worden  sind.  Ich  habe  überall,  wo  ich  in  Wort  und  Schrili 
mich  über  die  Salvarsanbehandlung  ausgelassen  habe,  vor  z 
grossen  Dosen  gewarnt.  Ich  habe  mit  kleinen  und  häufiger  wieder 
holten  Dosen  dieselben  Erfolge  erzielt. 

Der  Todesfall,  den  Herr  Lossen  erlebt  hat,  war  doch  wohl  ei 
schwerer  toxischer  Scharlach.  Ich  habe  bereits  hervorgehoben,  das 
ich  diese  Fälle  von  der  Salvarsanwirkung  vorläufig  noch  ausschaltc 
möchte  trotz  der  Beobachtung  von  Jochmann,  der  von  4  Fälle 
3  genesen  sah. 

Auf  die  Anfrage  des  Herrn  Ungar,  wie  lange  die  behandelte- 
Scharlachfälle  auf  Nachkrankheiten  beobachtet  sind,  erwidere  ich 
dass  wir  die  Patienten  immer  bis  zur  Beendigung  der  Abschuppun 
—  durchschnittlich  6  Wochen  —  im  Krankenhaus  behalten  habet 
Nach  dieser  Zeit  tritt  wohl  eine  Nachkrankheit  nicht  mehr  au 

Ich  muss  gegenüber  Herrn  Bauer  doch  daran  festhaltei 
dass  der  Scharlach  eine  heimtückische  und  unter  Umständen  ein* 
sehr  gefährliche  Erkrankung  ist.  Der  Arzt,  der  längere  Zeit  in  de 
Praxis  steht,  wird  diese  Beobachtung  auch  gemacht  haben.  Ich  hab« 
beobachtet,  dass  in  einer  Familie  die  ersten  Fälle  sehr  leicht  ver¬ 
liefen  —  und  dann  kam  ein  weiterer  Fall,  der  die  schwersten  Kompli 
kationen  zeigte,  die  nur  denkbar  waren.  Das  hat  mich  beim  Scharl 
lach  doch  sehr  bedenklich  gemacht.  Ich  habe  allen  Respekt  vor  eine 
Skarlatina,  selbst  wenn  sie  scheinbar  harmlos  beginnt. 

Ich  halte  doch  entgegen  Herrn  M  e  n  z  e  r  den  Scharlach  für  ein< 
einheitliche  Erkrankung.  Ich  kann  mir  kaum  eine  Krankheit  denken 
die  ein  so  charakteristisches  Gepräge  zeigt.  Wenn  in  späteren  Stu 
dien  die  Krankheit  in  verschiedener  Weise  verläuft,  so  ist  dies» 
Tatsache  auf  das  Konto  der  Sekundärinfektion  mit  ihrem  verschie1 
denen  Gesicht  zu  setzen. 

Jm  Uebrigeti  will  ich  doch  nicht  unterlassen,  hier  ausdrücklicl 
zu  bemerken,  dass  meine  Anschauung,  der  Scharlach  sei  mit  Sal 
varsan  zu  behandeln,  eine  rein  persönliche  ist,  zu  der  ich  auf  Grüne 
meiner  Erfahrungen  und  der  Erfahrungen  anderer  mich  für  berechtig 
halte.  Ich  gehe  selbstverständlich  nicht  so  weit,  dass  ich  es  als 
einen  Kunstfehler  bezeichne,  wenn  auf  Grund  des  bisherigen  Stande: 
unserer  Kenntnisse  ein  Kollege  einen  schweren  Scharlach  nicht  mi 
Salvarsan  behandelt.  Ich  hoffe  aber,  dass  die  Salvarsanbehandlun: 
des  Scharlach  allmählich  weiter  verfolgt  und  Allgemeingut  der  Kol 
legen  wird.  Ich  habe  mich  in  diesem  Sinne  auch  ausgedrückt.  IcH 
habe  durch  meine  Darlegungen  eine  Anregung  zu  weiteren  Ver 
suchen  geben  wollen. 


Verein  deutscher  Aerzte  in  Prag. 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzungen  vom  Mai  und  Juni  1914. 

Herr  W.  Altschul  berichtet  über  seine  Röntgenuntersuchunger 
bei  Enuresis  nocturna.  Im  ganzen  kamen  25  Fälle  zur  Untersuchung 
in  8  derselben  fand  sich  ein  normaler  Befund,  in  5  Fällen  wai; 
nur  eine  Verkümmerung  der  Dornfortsätze  und  Verschmälerung  den 
Wirbelbogen  vorhanden  und  10  mal  konnte  die  Missbildung  nicht 
klar  gedeutet  werden. 

Herr  Luksch  zeigt  die  Leiche  eines  totgeborenen  Kindes,  mit 
einer  Reihe  von  Missbildungen,  Krötenkopf  mit  einem  kindskopf¬ 
grossen  Sack  am  Okziput,  einer  Encephalocele  occipitalis.  ln  der 
Kreuzbeingegend  eine  Rhachischisis  mit  schön  entwickelten  3  Zonen.' 
darüber  ein  mit  einem  Haarkranze  umgebenes  Grübchen.  An  der 
Vorderseite  der  Brust,  in  deren  Mitte  eine  ziemlich  tiefe  Grube,  die 
linke  untere  Extremität  fehlt  vollständig,  ebenso  die  linke  Becken-j 
hälfte,  äusseres  Genitale  und  Anus  normal  und  an  normaler  Stelle. 
Im  Abdomen  unregelmässige  gelappte  Leber,  Magen  und  Enddarrn 
sind  im  Bauchraume,  während  der  übrige  Darm  durch  eine  Zwerch¬ 
fellhernie  in  die  linke  Brusthöhle  eingetreten  ist.  Uterus  unicornis 
dexter  mit  gut  ausgebildetem  Ovarium  und  ebensolcher  Tube,  von 
dem  Uterushorne  zieht  sich  nach  links  ein  Ligament,  an  dem  sich 
ein  Ovarium  und  eine  rudimentäre,  proximal  blind  endigende  Tube 
findet.  Dieselbe  Missbildung  konnte  der  Vortr.  vor  kurzem  ar.  der 
Leiche  einer  erwachsenen  Frau  zeigen,  bei  der  ausserdem  ein  Defekt 
der  linken  Niere  bestand,  bei  vollständigem  Fehlen  einer  Tuben¬ 
anlage 


Tagesgeschichtliche  Notizen 

siehe  „Feldärztliche  Beilage“. 


Redaktion:  Dr.  B.  Spatz, 

München,  Amulfstrasse  26. 


MÜNCHENER 


Verlag  von  J.  P.  Lehmann, 

München,  Paul  Heysestr.  26. 


Medizinische  Wochenschrift. 


Nr.  44.  3.  November  1914. 


Feldärztliche  Beilage  Nr.  13. 


Nervöse  Erkrankungen  bei  Kriegsteilnehmern*). 

Von  R.  Wollenberg  in  Strassburg. 

Dem  folgenden  Bericht  liegen  Beobachtungen  zugrunde, 
welche  ich  in  den  ersten  6  Wochen  des  gegenwärtigen  Krieges 
gemacht  habe.  Meine  Mitteilungen  beziehen  sich  also  auf 
einen  verhältnismässig  kleinen  Abschnitt  des  Kriegsschau¬ 
platzes,  und  mein  Material  ist  insofern  einseitig,  als  es  nur 
die  einem  grossen  Sammelplatz  wie  Strassburg  zuströmenden, 
nicht  aber  die  in  der  Front  selbst  vorkommenden.  Krankheits¬ 
fälle  berücksichtigt;  in  quantitativer  wie  qualitativer  Beziehung 
bedarf  dieses  Material  also  der  Ergänzung.  Freilich  scheint 
es  aus  Gründen,  die  weiter  unten  dargelegt  sind,  von  vorn¬ 
herein  nicht  wahrscheinlich,  dass  sich  dabei  prinzipiell  Neues 
ergeben  wird.  Andererseits  können  unsere  Beobachtungen, 
wenigstens  zum  Teil,  gegenüber  denen  von  anderen  Teilen  des 
Kriegsschauplatzes  vielleicht  gerade  deshalb  ein  besonderes 
Interesse  beanspruchen,  weil  sie  sich  nicht  auf  offene  Feld¬ 
schlachten,  sondern  auf  unendlich  schwierige,  aufregende  und 
\  erlustreiche  Gebirgskämpfe  beziehen,  welche  wohl  gewisse 
individuelle  Sonderwirkungen  erwarten  lassen. 

Die  Erfahrungen  der  letzten  Kriege,  besonders  des 
russisch-japanischen,  haben  zu  der  Annahme  geführt,  dass  die 
Zahl  der  psychisch  Erkrankten  in  einem  modernen  Kriege  eine 
sehr  hohe  sein  werde.  Aus  diesem  Grunde  hatte  man  in 
Strassburg  bei  den  kriegssanitären  Vorbereitungen  von  vorn¬ 
herein  ausser  der  psychiatrischen  Klinik  ein  besonderes  La¬ 
zarett  für  Militärpsychosen  in  Aussicht  genommen.  Ich  will 
gleich  hier  bemerken,  dass  diese  Erwartung  sich  bis  jetzt 
nicht  bestätigt  hat,  wenn  wir  von  den  Mobilmachungstagen 
ubsehen.  Was  die  Zukunft  bei  langer  Dauer  eines  strapazen- 
;nd  verlustreichen  Krieges  in  dieser  Beziehung  noch  bringen 
wird,  lässt  sich  nicht  Voraussagen,  vielleicht  liegen  die  Ver¬ 
hältnisse  auch  an  anderen  Orten  anders;  jedenfalls  hat  aber  die 
<Iinik  bis  jetzt  für  die  Unterbringung  der  Geisteskranken 
zollkommen  ausgereicht.  Dagegen  hat  sich  die  Einrichtung 
-ines  besonderen  Lazaretts  für  Nervöse  als  notwendig  er- 
■viesen.  ^  Ich  verstehe  unter  „Nervösen“  die  sämtlichen  psychi- 
>chen  Grenzzustände,  die  ich  hier  als  bekannt  voraussetze, 
äir  diese  Fälle  und  ausserdem  für  Nervenkranke  im  neurologi¬ 
schen  Sinne  ist  mir  eine  der  schönen  Volksschulen  Strassburgs 
Thomasschule)  als  Festungslazarett  zur  Verfügung  gestellt 
vorden.  Weil  von  vornherein  darauf  verzichtet  wurde,  hier 
''.ich  Geisteskranke  unterzubringen,  sind  keine  wesentlichen 
»aulichen  Aenderungen  nötig  geworden.  Von  den  vorhandenen 
80  Betten  ist  aber  meist  nicht  viel  mehr  als  etwa  der  dritte 
eil  mit  Nervenkranken  in  obigem  Sinne  belegt.  Im  übrigen 
'efmden  sich  hier  auch  innerlich  Kranke  und  leicht  Ver¬ 
wundete.  Diese  Mischung  hat  sich  als  sehr  zweckmässig  er¬ 
wiesen,  weil  ein  Lazarett,  das  Nervöse  gewissermassen  „in 
Reinkultur  enthält,  mit  grossen  inneren  und  äusseren 
'Chwierigkeiten  zu  kämpfen  hat,  auf  welche  ich  hier  nicht 
inzugehen  brauche. 

Die  von  mir  beobachteten  Fälle  lassen  sich  nach  ihrer  Be¬ 
lebung  zu  den  kriegerischen  Ereignissen  in  drei  Gruppen 
rdnen.  Die  erste  Gruppe  umfasst  die  während  der  Vor- 
ereitung  des  Krieges,  also  schon  in  der  Mobilmachungs- 

*)  Nach  einem  in  der  Strassburger  kriegsärztlichen  Vereinigung 

shaltenen  Vortrag. 


Periode,  zugegangenen  Fälle;  die  zweite  Gruppe  die 
während  der  kriegerischen  Operationen  selbst  zum  Ausbruch 
gekommenen  Erkrankungen;  die  dritte  Gruppe  die  ner¬ 
vösen  Störungen  des  Wundbettes  und  Krankenlagers. 

Obwohl  die  in  jeder  dieser  Perioden  einwirkenden  Schäd¬ 
lichkeiten  sich  nicht  ohne  weiteres  vergleichen  lassen,  gibt 
doch  die  Zugehörigkeit  zu  dieser  oder  jener  Gruppe  einen 
gewissen  Massstab  für  die  Widerstandsfähigkeit  des  betr.  Indi¬ 
viduums.  Diese  ist  offenbar  am  grössten  bei  den  Angehörigen 
uer  dritten,  am  kleinsten  bei  jenen  der  ersten  Gruppe. 

Verweilen  wir  zunächst  bei  den  Erkrankten  der 
M  o  b  i  1  m  a  c  h  u  n  g  s  p  e  r  i  o  d  e,  so  ist  es  lehrreich,  zu 
sehen,  mit  welcher  Sicherheit  und  Schnelligkeit  der  Organis¬ 
mus  des  Heeres  sich  dieser  seiner  untüchtigsten  Glieder  sofort 
entledigte.  Dies  ist  verständlich,  wenn  man  bedenkt,  dass  in 
Elsass-Lothringen  der  Landsturm  sofort  mit  aufgeboten,  und 
damit  eine  Anzahl  gesundheitlich  und  sozial  unsicherer  Ele¬ 
mente  plötzlich  in  ganz  ungewohnte  Verhältnisse  versetzt 
worden  war.  Vom  1.  Mobilmachungstage  an  ergoss  sich  dem¬ 
entsprechend  über  die  psychiatrische  Klinik  eine  wahre  Sturm¬ 
flut  von  aufgeregten  Kranken,  während  auf  den  anderen  Ab¬ 
teilungen  des  Bürgerspitals  noch  die  friedlichste  Ferienruhe 
herrschte.  Die  Verhältnisse  gestalteten  sich  für.  uns  um  so 
schwieriger,  als  das  erprobte  männliche  Pflegepersonal  zum 
grössten  Teil  einberufen  war,  und  auch  die  Aerzte  der  Klinik 
bis  auf  zwei  sofort  haben  einrücken  müssen 1).  Es  kam  dazu, 
dass  uns  die  Kranken  meist  ohne  jede  Anamnese  durch  Mann¬ 
schaften,  die  gar  nichts  von  ihnen  wussten,  zugeführt  wurden 
und,  wenigstens  im  Anfang,  um  Platz  zu  gewinnen,  oft  schon 
nach  wenigen  Tagen  evakuiert  werden  mussten.  So  ging  es 
anfangs  in  der  Klinik  etwas  lebhaft  zu,  und  die  Beobachtungen 
waren  nicht  sehr  eingehend.  Indessen  gelang  es  mit  Hilfe 
einiger  tüchtiger  Studenten  der  verschiedensten  Fakultäten 
bald,  den  Dienst  wieder  ordnungsmässig  durchzuführen. 

Was  die  verschiedenen  Krankheitsformen  dieser  Gruppe 
betrifft,  so  sehe  ich  ab  von  den  Fällen,  in  denen  die  Kriegs¬ 
ereignisse  nur  den  Anstoss  zum  Ausbruch  einer  Psychose 
gegeben  hatten,  die  auch  sonst  bei  entsprechender  Gelegenheit 
aufgetreten  wäre,  also  von  Anfällen  manisch-depressiven  Irre¬ 
seins,  von  paranoiden  und  schizophrenen  Erkrankungen  etc. 
Unter  den  übrigbleibenden  Fällen  heben  sich  besonders  ab  ein¬ 
mal  die  Alkoholdelirien,  sodann  gewisse  mehr  epi¬ 
sodenhafte  Erregungszustände  bei  Psycho¬ 
pathen-).  Die  Alkoholdelirien,  waren  meist  aus¬ 
gezeichnet  durch  besonders  tiefe  Bewusstseinsstörung  und 
sehr  starke  motorische  Erregung,  während  die  charakteristi¬ 
schen  Tierhalluzinationen  fehlten,  ferner  war  in  den  Fällen, 
die  gut  ausgingen,  nachher  meist  volle  Amnesie  vorhanden. 
Ein  nicht  geringer  Teil  der  Fälle  endigte  aber  schnell  tödlich, 
infolge  von  Herzschwäche. 

Die  zu  zweit  erwähnten  Erregungszustände 
zeichneten  sich  meist  durch  schweren  Angstaffekt  aus,  zu¬ 
weilen  mit  religiös  exaltierter  Färbung  und  pathetischer  Rede- 


)  Es  sind  dies  die  Herren  Rosen  fei  d,  Pfersdorf  f, 
Steiner,  S  c  h  a  r  n  k  e  und  Anhalt.  Dr.  Leva  ist  als  Oberarzt 
des  mir  unterstellten  Festungslazarettes,  Dr.  Edzard  als  einziger 
Assistenzarzt  der  Klinik  zurückgeblieben. 

")  Gewisse,  wohl  auf  Erschöpfung  beruhende  Dämmerzustände 
habe  ich  vorläufig  nicht  berücksichtigt. 


218  2 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  44. 


weise.  Der  Gedanke,  für  einen  Spion  gehalten  und  erschossen 
zu  werden,  spielte  dabei  eine  grosse  Holle.  Die  Erregung, 
auch  wenn  sie  sehr  hochgradig  war,  lief  meist  rasch  ab;  die 
Kranken  wurden  überraschend  schnell  ruhig  und  klar.  Sie 
erwiesen  sich  dann  als  nach  verschiedener  Richtung  krankhaft 
veranlagt:  also  als  habituell  ängstliche,  zu  paranoider  Eigen¬ 
beziehung  geneigte,  emotive,  vielfach  mehr  oder  weniger 
schwachsinnige  Individuen.  Auch  in  diesen  Fällen  war  als 
Nebenursache  Alkoholmissbrauch  oft  im  Spiel. 

Die  zweite  der  oben  unterschiedenen  Gruppen  ent¬ 
hält  zunächst  einige  Fälle,  in  denen  die  Aufregungen  und 
Schrecknisse  des  Kampfes  ganz  unmittelbar  psychische  Stö¬ 
rungen  hervorgerufen  hatten.  Hier  handelte  es  sich  einmal 
um  hysterische  Schreckpsychosen  mit  dramatischer  Repro¬ 
duktion  gewisser  Schlachterlebnisse  oder  um  Zustände  von 
„Attonität“  mit  stark  herabgesetzter  Reaktion,  wie  man  sie 
auch  sonst  nach  schweren  Katastrophen  beobachtet.  Natür¬ 
lich  fehlten  auch  Fälle  paroxysmaler  und  monosymptomati¬ 
scher  Hysterie  (Aphonie,  Dysbasie,  Monoparesen  etc.)  nicht. 

Ein  besonders  grosser  Raum  kommt  sodann  den  Fällen 
zu,  in  denen  die  psychisch-nervösen  Störungen  auf  Er¬ 
schöpfung  beruhten.  Abgesehen  von  den  bekannten 
geistigen  und  körperlichen  Zeichen  der  Uebermiidung  ist  hier 
das  Auftreten  von  optischen  Sinnestäuschungen  zu  er¬ 
wähnen.  So  erzählte  mir  ein  Kollege,  der  zunächst  bei 
der  Truppe  war,  dass  bei  ihm  und  ebenso  bei  verschiedenen 
Offizieren  seines  Bataillons  nach  sehr  ermüdenden  Märschen 
übereinstimmend  die  Vision  weisser  Häuserreihen  am  Strassen- 
rande  aufgetreten  sei.  Ein  anderer  Offizier  berichtete  mir, 
dass  er  nach  sehr  anstrengenden  Kampftagen  Gesichtshalluzi- 
nationen  gehabt  habe,  die  ihn  sogar  beinahe  zu  falschen  Mel¬ 
dungen  und  unzweckmässigen  Anordnungen  veranlasst  hätten; 
er  glaubte  nämlich,  in  einer  Mulde  des  vor  ihm  liegenden  Ge¬ 
ländes  feindliche  Kavallerie  sich  aufstellen  und  dann  ein  Luft¬ 
schiff  niedergehen  zu  sehen,  aus  welchem  eine  blauweissrote 
Fahne  herabgeworfen  wurde,  alles  dies  befand  sich  in  eigen¬ 
tümlich  fliessender  Bewegung. 

In  anderen  Fällen  hatte  ein  plötzlich  eintretender  Anfall 
von  Ohnmacht  oder  Bewusstlosigkeit  ein  neurasthenisches 
Krankheitsbild  eingeleitet.  Die  betreffenden  Leute  sprachen 
dann  meist  von  H  i  t  z  s  c  h  1  a  g,  doch  war  die  Schilderung  des 
Anfalles  meist  so  wenig  genau,  dass  man  nicht  sicher  be¬ 
urteilen  konnte,  ob  diese  Bezeichnung  gerechtfertigt  war. 
In  mehreren  Fällen  handelte  es  sich  in  der  Tat  um 
die  von  S  t  e  i  n  h  a  u  s  e  n  3)  als  komatös  bczeichnete  Form. 
In  anderen  Fällen  lag  aber  wohl  überhaupt  kein  Hitzschlag. 
sondern  nur  ein  Ohnmachtsanfall  aus  Schwäche  vor.  Zwei 
der  bestbeobachteten  Fälle  betrafen  Offiziere,  die  im  Gefecht 
nach  erheblichen  Anstrengungen  und  bei  schwüler  Hitze  das 
Bewusstsein  verloren  und  erst  nach  Stunden  wieder  erlangt 
hatten.  Im  Anschluss  daran  stellte  sich  ein  neurasthenischer 
Symptomenkomplex  ein,  bei  dem  besonders  die  allgemeine 
Mattigkeit  mit  bleierner  Schwere  in  den  Beinen,  ferner  Miss- 
empfindungen  im  Kopf  und  akustische  Reizerscheinungen 
(Glockenläuten)  unangenehm  hervortraten.  In  einem  dieser 
Fälle  entwickelte  sich  infolge  der  erzwungenen  Untätigkeit 
eine  schwere  seelische  Depression,  die  den  Betreffenden  in 
halbgenesenem  Zustand  wieder  hinaustrieb.  In  dem  anderen 
Falle  zeigten  die  erwähnten  nervösen  Erscheinungen  eine 
ausserordentliche  Hartnäckigkeit,  und  es  besteht  jetzt  nach 
Monaten  noch  insbesondere  eine  ausserordentliche  Müdigkeit 
und  dadurch  bedingte  Erschwerung  des  Gehens.  —  Eine 
andere  Entstehung  haben  die  wohl  zweckmässig  als  „Granat- 
kommotion“  zu  bezeichnenden  Fälle,  in  denen  die  Leute  durch 
den  Luftdruck  platzender  Granaten  zu  Boden  geworfen 
wurden,  ohne  zunächst  erkennbaren  Schaden  zu  nehmen;  auch 
da  wurde  noch  nach  Wochen  über  ähnliche  Folgeerschei¬ 
nungen  geklagt. 

Besonders  hervorzuheben  ist  in  dieser  Gruppe  der 
neurasthenischen  Störungen  ein  Krankheitsbild,  das  am  besten 
als  neurast henische  Depression  zu  bezeichnen  ist 
und  übrigens  im  Russisch-Japanischen  Kriege  von  Awto- 


:|)  Steinhausen'  Nervensystem  und  Insolation.  Bibliothek 
von  C  o  1  e  r,  30. 


k  r  a  t  o  w  ’)  ganz  ebenso  beobachtet  zu  sein  scheint.  Diese 
Patienten  hatten  sämtlich  sehr  schwere,  meist  wochen¬ 
lang  fortgesetzte  Kämpfe  im  Gebirge  hinter  sich.  Sie 
waren  die  ganze  Zeit  über  kaum  zur  Ruhe  gekommen,  hatten 
sich  nicht  genügend  ernähren  können  und  dabei  einen  ausser¬ 
ordentlich  verschlagenen  Feind  vor  sich  gehabt,  dem  sie 
jeden  Schritt  Terrain  verlustreich  abgewinnen  mussten.  Sie 
waren  bei  der  Aufnahme  meist  vollkommen  niedergebrochen, 
nicht  imstande,  mit  anderen  zu  verkehren,  vollkommen  schlaf¬ 
los,  von  qualvollen  Erinnerungen  Tag  und  Nacht  gequält  und 
nicht  selten  auch  nervösen  Angstanfällen  unterworfen. 
Wochenlang  konnten  sie  die  Vorstellungen  des  Schlachtfeldes 
nicht  los  werden,  hatten  die  Empfindung,  als  käme  immer  je¬ 
mand  hinter  ihnen,  als  sähen  sie  die  Laternen  heranschleichen¬ 
der  Feinde  etc.  Die  verzweifelte,  mehrfach  bis  zum  Lebens¬ 
überdruss  gehende  Stimmung  besserte  sich  nach  einiger  Zeit, 
eine  ausgesprochene  krankhafte  Uebererregbarkeit,  quälender 
Kopfdruck  und  andere  neurasthenische  Symptome  sowie  Stö¬ 
rung  des  Schlafes,  bestanden  aber  fort.  Auf  körperlichem 
Gebiet  war  hier,  wie  übrigens  auch  sonst  bei  vielen  unserer 
„Nervösen“,  also  beim  Fehlen  organischer  Affektionen,  öfters 
der  volle,  gespannte  und  stark  verlangsamte  Puls  bemerkens¬ 
wert;  diese  Erscheinung  schwand  meist  nach  einiger  Zeit. 

Eine  grosse,  aber  wenig  erfreuliche  Sondergruppe  stellen 
endlich  die  Fälle  von  Neurasthenie  dar,  die  bei  sehr  geringen 
objektiven  Erscheinungen,  wie  Zittern  der  Finger,  gesteigerten 
Sehnenreflexen  und  Dermographie,  sehr  lebhaft  und  aufdring¬ 
lich  vorgebrachte  subjektive  Beschwerden  aufweisen. 
Diese  waren  übrigens  auch  unter  den  Kranken  der  Mobil¬ 
machungsperiode  zahlreich  vertreten. 

Die  Fälle  der  dritten  oben  unterschiedenen  Grupp;' 
zeigen  bis  jetzt  eine  grosse  Einförmigkeit,  insofern  sie  nur 
solche  Kranke  betreffen,  die  im  Zusammenhang  mit  einer  Ver¬ 
wundung  eine  ausgesprochene  Hyperästhesie  aufweisen. 
Es  handelte  sich  dabei  nach  meiner  Erfahrung  meist  um  Ver¬ 
letzungen  der  peripheren  Nerven.  Dem  Arzt  wird  dadurch 
erschwert,  den  Grad  der  objektiv  begründeten  Beschwerden 
richtig  zu  beurteilen. 

Versuchen  wir,  aus  dem  Vorstehenden  einige  Schluss¬ 
folgerungen  zu  ziehen,  so  ergibt  sich  zunächst,  dass  es 
eine  besonders  für  den  Krieg  spezifische 
Psychose  oder  Neurose  nicht  gibt.  Die  An¬ 
strengungen,  die  Gemütsbewegungen,  der  ungenügende 
Schlaf,  die  unregelmässige  und  oft  ungenügende  Er¬ 
nährung,  alles  dies  sind  Schädlichkeiten,  die  uns  auch  sonst 
als  wesentliche  Ursachen  der  psychisch-nervösen  Erkran¬ 
kungen  wohlbekannt  sind;  sie  treten  im  Kriege  nur  durch  ihre 
besondere  Intensität  und  Extensität  hervor.  Ebenso  sind  auch 
die  durch  sie  hervorgerufenen  Krankheiten  an  und  für  sich 
nicht  von  den  im  Frieden  beobachteten  Formen  verschieden, 
sondern  nur  durch  eine  gewisse  Kriegsfärbung  modifiziert. 
Auch  die  obenerwähnten  Fälle  von  Schreckpsychosen  und  von 
neurasthenischer  Depression  haben  nichts  besonderes. 

In  praktischer  Beziehung  müssen  auch  die  psychisch¬ 
nervösen  Erkrankungen  der  Kriegsteilnehmer  zunächst  unter 
dem  Gesichtspunkt  betrachtet  werden,  ob  und  auf  welche 
Weise  die  Felddienstfähigkeit  am  schnellsten  wieder 
hergestellt  werden  kann.  In  dieser  Beziehung  scheiden 
alle  Psychosen  von  vornherein  aus,  weil  überstandene  Geistes¬ 
krankheit  nach  der  Dienstanweisung  Dienstunbrauchbarkeit  be¬ 
dingt.  Dasselbe  gilt  von  nachgewiesener  Epilepsie  und  muss  auch 
ausgedehnt  werden  auf  schwerere,  nicht  monosymptomatische 
Fälle  von  Hysterie,  insbesondere  auch  auf  die  mit  aus¬ 
gesprochenem  Krampftypus.  Die  Fälle  von  Alkoholdelirium 
fallen  selbstverständlich  auch  unter  obigen  Gesichtspunkt;  es 
braucht  sich  dabei  nicht  um  ein  ausgesprochenes  Alkohol¬ 
delirium  gehandelt  zu  haben,  sondern  auch  die  chronischen 
Alkoholisten  mit  Neigung  zu  Trugwahrnehmungen  sollten 
völlig  vom  Dienste  ausgeschlossen  werden,  weil  es  zu  gefähr¬ 
lich  ist,  ihnen  eine  Waffe  in  die  Hand  zu  geben.  Auch  Indi¬ 
viduen  mit  ausgesprochen  psychopathischer  Veranlagung 
sollte  man  ohne  weiteres  ausschalten,  wenn  eine  Neigung  zu 
krankhaften  Erregungen  und  Verstimmungen  erweislich  ist. 

*)  Awtokratow:  Die  Geisteskranken  im  Russischen  Heere 
während  des  Japanischen  Krieges.  Allgem.  Zschr.  f.  Psych.  1907. 


3.  November  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch.  med.  Wochenschrift. 


2183 


Besonder  s  hartnäckig  erweisen  sich,  wie  schon  oben  erwähnt, 
die  Fälle  von  neurasthenischer  Depression  und  die  Neur¬ 
asthenien  nach  Hitzschlag,  schwerem  nervösen  Schock  und 
(iranatkomrnotion.  Ob  hier  auch  volle  Garnisondienstfähig- 
keit  zu  erreichen  sein  wird,  scheint  mir  nach  den  bisherigen 
Erfahrungen  zweifelhaft.  Die  Prognose  stimmt  überein  mit 
derjenigen  anderweitiger  schwerer  Unfallneurosen. 

Gegenüber  diesen  schweren  Erkrankungen  bildet  endlich 
die  grosse  Schar  der  Neurastheniker  unbestimmter  Farbe  eine 
wahre  Crux  der  Lazarette.  Sie  unterscheiden  sich  in  nichts 
von  jenem  unerfreulichen  I  yp  der  traumatischen  Neurosen, 
der  jedem  Gutachter  bekannt  ist,  nur  dass  die  Begehrungsvor¬ 
stellungen  hier  nicht  wie  bei  den  letzteren  auf  die  Erlangung 
einer  Rente,  sondern  auf  die  Befreiung  von  der  militärischen 
Dienstpflicht  gerichtet  sind.  Hier  ist  es  oft  nötig,  gegen  den 
deutlich  erkennbaren  Widerstand  der  Kranken  auf  Wiederauf¬ 
nahme  des  Dienstes  zu  dringen,  freilich  wohl  selten  mit 
dauerndem  Erfolge. 


Ueber  Fleckfieber  und  Rückfallfieber  *). 

/on  Marineoberstabsarzt  Prof.  Dr.  P.  M  ü  h  1  e  n  s  in  Wil¬ 
helmshaven. 

Unter  den  Seuchen,  deren  Bekanntschaft  wir  vielleicht 
m  gegenwärtigen  Kriege  machen  müssen,  sind  Fleck- 
y phus  und  Rückfallfieber  wohl  den  meisten  deut- 
chen  Aerzten  in  der  Praxis  noch  nicht  begegnet.  Daher 
lochte  ich  kurz  die  Aufmerksamkeit  auf  diese  beiden  Kränk¬ 
elten  lenken,  die  bekanntlich  noch  in  den  letzten  Balkan¬ 
riegen  ganz  ungeheure  Verluste  in  den  Balkanstaaten  und  in 
er  Türkei  verursacht  haben,  nicht  nur  während  des 
.rieges,  sondern  auch  noch  nachher.  Ich  sah  selbst  noch 
n  Mai  dieses  Jahres  zahlreiche  Flecktyphus-,  Rekurrens-  und 
yphuskranke  in  vielen  Lazaretten  der  Türkei.  Im  Juni  hörten 
ann  die  Flecktyphuserkrankungen  ziemlich  plötzlich  auf. 

Unter  den  Kriegsseuchen  spielen  zweifellos  die  sogen, 
typhösen^  Fieb  er“  die  wichtigste  Rolle.  Der  Name 
Fy phu s“  (rvcpng  =  Rauch,  Dunst)  kennzeichnet  das  Haupt- 
ymptom  dieser  Erkrankungen:  die  Umnebelung  der  Sinne, 
v  ährend  man  in  älteren  Zeiten  alle  typhösen  Zustände  unter 
em  Namen  „Typhus“  zusammenfasste,  gelangte  man  später 
j  der  Erkenntnis,  dass  unter  diesen  Krankheiten  mindestens 
rei  ursächlich  verschieden  und  daher  von 
nander  scharf  zu  trennen  sind,  nämlich:  1.  Typhus  ab- 
ominalis,  Unterleibstyphus,  Ileotyphus,  oder  auch 
an  uns  Deutschen  schlechtweg  „Typhus“  genannt,  2.  Ty- 
h  u  s  exanthematicus,  petechialer  Typhus,  Fleck - 
Phus>  Fleckfieber  (von  Franzosen  und  Engländern 
lyphus“1)  genannt),  3.  Typhus  recurrens,  Rekurrens, 
ii  c  k  f  a  1 1  f  i  e  b  e  r. 

Das  Fleckfieber. 

Epidemiologie:  Das  Krankheitsbild  ist  bereits  seit 
nfang  des  16.  Jahrhunderts  genauer  beschrieben.  Damals 
•H  die  Seuche  sich  zum  ersten  Male  über  den  europäischen 
antinent  ausgebreitet  haben.  Das  Fleckfieber  ist  eine  der 
furch tetsten  Kriegsseuchen.  Weil  Flecktyphus  und  Kriege 
•iher  fast  stets  mit  einander  verknüpft  waren,  so  hat  man  die 
ankheit  auch  als  Pestis  belli  oder  Tj^phus  bellicus  be- 
ichnet.  Um  nur  ein  Beispiel  zu  nennen:  Im  Krimkriege 
53/56  sollen  an  Flecktyphus2)  gestorben  sein:  16 000  Engländer 
000  Franzosen  und  800  000  Russen.  Auch  im  30  jährigen 
iege,  während  der  napoleonischen  Feldzüge  und  im  letzten 
ssisch-türkischen  Kriege  verursachte  Flecktyphus  unzählige 
adesfälle. 

Als  „hauptsächlichste  Brutstätte“  des  Fleckfiebers  und 
ester  bekannter  Herd  gilt  Irland,  daher  die  Bezeichnung 


Nach  einem  am  19.  IX.  in  der  Marineärztlichen  Gesellschaft 
Wilhelmshaven  gehaltenen  Vortrag. 

’)  Dadurch^  ist  die  Behauptung  entstanden,  dass  die  Deutschen 
Krieg  1870/71  an  Flecktyphus  gelitten  hätten,  offenbar  weil  in 
'Cren  Berichten  die  Bezeichnung  „Typhus“  (französisch  dem  Fleck- 
>hus  entsprechend)  gebraucht  ist. 

)  Vielleicht  sind  darunter  auch  andere  typhöse  Fieber  mitge- 

hnet 


„irischer  Typhus“.  Ferner  ist  die  Krankheit  in  Russland, 
namentlich  in  den  russischen  Ostseeprovinzen  und  Polen,  zu 
Hause.  Die  zu  Anfang  des  vorigen  Jahrhunderts  aus  Russland 
zurückkehrende  geschlagene  napolconische  Armee  litt 
stark  unter  Flecktyphus  und  verbreitete  die  Seuche  über 
Europa.  Die  1  ürkei  und  der  Balkan,  ebenso  Teile  von 
Oe  sterreich-Ungarn  (besonders  Galizien)  sind 
offenbar  von  Russland  her  infiziert,  während  bekanntlich 
irische  Auswanderer  die  Seuche  häufig  in  überseeische 
Länder  verschleppt  haben.  Auch  Schiffsepidemien 
.  .i*  s spielten  früher,  namentlich  zur  Zeit  der  Segel¬ 
schiffahrt  ein  grosse  Rolle. 


Eine  kleine  Schiffsepidemie  aus  neuerer  Zeit  wurde  im 
vongen  Jahre  von  Mar  kl  -  Triest  beschrieben:  Ein  österreichischer 
Lloyddampfer  hatte  zwischen  dem  14.  und  20.  V.  1912  etwa  2800 
türkische  boldaten  von  Valona  und  Semeni  nach  Konstantinopel  trans- 
P°rtI,ert-  ,,Die  pol,daten  waren  fast  alle  elend,  200  ausgesprochen 
Tank.  Man  glaubte,  es  handele  sich  um  „Erschöpfungszustände“, 
ffenbar  aber  müssen  Flecktyphuskranke  an  Bord  gewesen  sein,  wie 
auch  die  Folge  zeigte.  30  Mann  starben  auf  der  Ueberfahrt.  Nach 
der  Ausschiffung  der  Soldaten  ging  der  Dampfer  nach  Triest.  Da¬ 
selbst  wurde  die  Hälfte  der  Besatzung  ausgewechselt.  Ende  Mai  und 
anfangs  Juni  erkrankten  nun  von  den  Ausgeschifften  und  den  an 
“ord  Gebliebenen  im  ganzen  40  Mann  an  Flecktyphus  mit  15  Proz 
Mortahtat.  —  In  dem  Berichte  ist  noch  erwähnt,  dass  die  öster¬ 
reichische  Besatzung  während  der  Ueberfahrt  stark  verlaust  war. 
Nachdem  später  eine  Entlausung  vorgenommen  war,  erfolgte  keine 
Uebertragung  mehr. 


Ausser  in  Kriegen  haben  Fdecktyphusepidemien  sich  auch 
oft  in  Zeiten  sozialer  Not,  namentlich  bei  Hungersnot 
(„Hungertyphus“)  ausgebreitet,  z.  B.  grosse  Epidemie  in  Irland 
und  Grossbritannien  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts.  Ein 
weiterer  günstiger  Boden  ist  da,  wo  Menschenanhäu- 
f  n  n  g  e  n  in  engen  schmutzigen  Räumen  stattfinden,  so  z.  B. 
in  Herbergen,  Gefängnissen,  früher  auch  in  Kasernen,  Irren¬ 
anstalten  und  Hospitälern.  In  den  alten  Hospitälern  wurden 
auch  häufig  Aerzte  und  Pflegepersonal  infiziert,  ferner  Des¬ 
infektoren  und  Wäscherinnen,  die  die  Krankenwäsche  be¬ 
sorgten. 


Im  Jahre  1853  entstand  in  Giessen  eine  Gefängnisepi- 
denue  durch  Einschleppung.  Nach  Räumung  des  Gefängnisses 
kamen  die  Schwerkranken  in  die  Giessener  medizinische  Klinik.  Da¬ 
selbst  erfolgten  zahlreiche  Ansteckungen  von  Pflegepersonal  und 
anderen  Kranken,  ausserdem  im  Lande  in  fast  jedem  Dorfe,  in  dem 
Entlassene  aus  dem  Gefängnis  zugezogen  waren. 

Der  Flecktyphus  ist  vorwiegend  eine  Erkrankung 
der  sozial  am  schlechtesten  gestellten  Be¬ 
völkerungsklassen. 


In  den  letzten  Jahren  ist  der  Flecktyphus  (der  vor 
2  Jahi zehnten  noch  in  Oberschlesien  vorkam  und  im  vorigen 
Jahrhundert  wiederholt  in  unseren  verschiedensten  Landes¬ 
teilen  epidemisch  aufgetreten  ist)  meines  Wissens  in 
D  e  u  t  s  c  h  1  a  n  d  nicht  mehr  endemisch,  vielleicht  aber  gegen¬ 
wärtig  schon  von  Russen  eingeschleppt.  Eingeschleppte 
Fälle  sind  nicht  selten,  so  noch  vor  Kriegsausbruch  4  Fälle 
m  Hamburg  (russische  Auswanderer)  und  im  Juli  1  Fall  in 
Memel  (Russin).  —  In  Russland  sind  noch  in  neuerer  Zeit 
Epidemien  aufgetreten,  so  kürzlich  gemeldet  aus  dem  Gou¬ 
vernement  P  o  d  o  1  i  e  n  (östlich  von  Galizien)  und  aus  vielen 
anderen  Gegenden.  Leider  sind  auch  einige  Gebiete  von 
Oesterreich-Ungarn  nicht  frei  von  Flecktyphus  ge¬ 
blieben.  Am  meisten  leidet  Galizien:  in  den  Jahren  1901 
bis  1913  jährlich  1747  bis  4176  Fälle;  vom  1.  Januar  bis 
1.  August  dieses  Jahres  schon  rund  1700  Fälle  in  gewissen 
Bezirken,  in  Bukowina  etwa  60  Fälle  in  derselben  Zeit, 
feiner  einige  in  Dalmatien  und  anderen  Küstenländern  in 
diesem  Jahre  berichtet.  —  Ausser  den  russischen,  galizischen, 
türkischen  und  Balkanepidemien  sind  in  neuerer  Zeit  noch  Epi¬ 
demien  in  Nordafrika  (I  unis,  Algier,  Tripolis  und  vielleicht 
auch  Marokko),  sowie  in  Japan  (mehrere  tausend  Falle  seit 
Februar  1914)  für  uns  von  besonderem  Interesse.  Ueber  Ir¬ 
land  bin  ich  zurzeit  nicht  unterrichtet.  Doch  sollen  im  Jahre 
1912  Dublin  und  Belfast  noch  Flecktyphus  gehabt  haben. 

Die  mitgeteilten  Tatsachen  zeigen  zur  Genüge  die  uns 
gegenwärtig^  namentlich  von  den  hunderttausenden  verlausten 
russischen  Gefangenen  her  bedrohende  Gefahr. 

Die  meisten  Flecktyphuserkrankungen  pflegen,  so  auch  in 
Galizien  und  früher  in  Deutschland,  im  Frühjahr  bzw.  in 


2184 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  4*4 


in  der  ersten  Hälfte  des  Jahres  aufzutreten,  vielleicht  im  Zu¬ 
sammenhang  mit  der  Läuseentwicklung  bzw.  -aktivität. 

Das  klinische  Bild  hat  manche  Aehnlichkeiten  mit  den 
anderen  „typhösen“  Krankheiten,  bietet  aber  in  ausge¬ 
sprochenen  Fällen  auch  einige  besondere  Eigentümlichkeiten. 

Im  folgenden  kurz  die  w  i  c  h  t  i  g  s  t  e  n  M  e  r  k  m  a  1  e.  Als 
Inkubationsdauer  werden  3—21  Tage  angegeben. 
Meist  nach  mehrtägigen  Vorerscheinungen  (Appetit¬ 
losigkeit,  Erbrechen,  Kopfschmerzen,  Schwindel)  setzt  die 
Krankheit  in  der  Regel  plötzlich  mit  Schüttelfrost 
oder  wiederholtem  Frieren  ein,  dem  sogleich  hohes  Fieber 
folgt.  Die  Temperaturkurve  steht  etwa  zwischen  Ab¬ 
dominaltyphus-  und  Rekurrenskurve:  etwa  8—17  Tage  lang 
anhaltendes  hohes  Fieber  zwischen  39,5  und  41°  und 
selbst  mehr  (Fieber  bei  Typhus  länger  dauernd  und  meist  nicht 
so  hoch,  bei  Rückfallfieber  ebenso  hoch,  aber  von  kürzerer 
Dauer).  Der  meist  am  12. — 14.  Krankheitstage,  innerhalb  12 
bis  36  Stunden,  selten  langsamer  erfolgenden  kritischen 
Entfieberung  geht  nicht  selten  eine  Perturbatio  critica 
mit  Anstieg  bis  42°  und  höher  voraus;  der  Abfall  geht  häufig 
bis  zur  subnormalen  Temperatur  (35°  und  weniger).  —  Puls 
im  Gegensatz  zum  Abdominaltyphus  stets  beschleunigt 
(110 — 140),  weich,  nicht  gespannt,  oft  kaum  fühlbar,  selten 
dikrot,  mitunter  unregelmässig.  —  Allgemeinerschei¬ 
nungen  meist  von  vornherein  recht  schwer  und  schnell 
zunehmend:  heftige  Kopf-,  Glieder-  und  Muskelschmerzen, 
Abgeschlagenheit,  quälende  Schlaflosigkeit,  rasch  einsetzende 
Benommenheit,  Delirien,  oft  Aufregungs-  und  Depressions¬ 
zustände  (Selbstmordversuche).  —  Bezeichnend  ist  vor  allem 
der  Ausschlag,  der  am  3. — 6.,  meist  am  4.  oder  5.  Krank¬ 
heitstage  beginnt:  Stecknadelkopf-  bis  linsengrosse  rote,  flache 
Fleckung,  auf  Fingerdruck  verschwindend,  manchmal  spärlich, 
häufig  aber  sehr  ausgebreitet,  meist  am  Rumpf  (Brust-  und 
oberer  Bauchgegend)  beginnend,  dann  oft  auch  auf  Glied¬ 
massen,  jedoch  in  der  Regel  nicht  auf  Gesicht  und  Hals  über¬ 
gehend  (Unterschied  von  Masern).  Die  Haut  kann  bei  reich¬ 
lichem  Ausschlag  eine  livide  Verfärbung  annehmen.  Der  Aus¬ 
schlag  wird  besonders  typisch,  wenn  die  sog.  „petechiale 
Umwandlung“  eintritt  infolge  von  kleineren  und  grösseren 
Ekchymosen,  die  eine  dunkel-  bis  blaurote  Verfärbung  im  Zen¬ 
trum  und  eine  mehr  bräunliche  an  der  Peripherie  zur  Folge 
haben.  Diese  petechialen  Stellen  verschwinden  meist  lang¬ 
samer  als  die  anderen,  höchstens  3 — 8  Tage  sichtbaren  roten 
Flecken.  Grössere  Hautblutungen  sind  selten,  jedoch  kommt 
hämorrhagische  Diathese  vor.  In  der  Genesung  häufig  kleien¬ 
förmige  Abschilferung.  Brauer  machte  kürzlich  auf  das 
sog.  „Radiergummiphänomc n“  im  Spätstadium  oder 
nach  Abklingen  der  Erscheinungen  aufmerksam: 

„Streicht  man  mit  einem  Finger  leicht  reibend  über  die  Haut  der 
Kranken,  so  sieht  man  die  oberen  Epidermisschichten  sich  abstossen 
und  als  dichte  feine  Schuppung  einen  zarten,  leicht  geröteten  Unter¬ 
grund  decken.  Das  Ganze  erweckt  den  Eindruck,  als  habe  man  mit 
einem  weichen  Gummi  radiert  und  als  seien  nun  die  kleinen  Papier- 
und  Gummifasern  aufgelagert.“  Ob  dies  Phänomen  nicht  auch  bei 
anderen  exanthematischen  Krankheiten  vorkommt,  ist  nicht  gesagt. 

Die  kürzlich  von  Eugen  Fraenkel  als  spezifisch  beschriebenen 
Veränderungen  an  den  Hautarterien  in  exzidierten  Roseolen  kommen 
für  die  Frühdiagnose  im  Felde  wohl  kaum  in  Betracht. 

Das  Exanthem  ist  im  Gegensatz  zu  den  in  der  Regel  schub¬ 
weise  auftretenden  Abdominaltyphusroseolen  meist  bald  be¬ 
endet.  Die  Vollendung  ist  aber  dann  nicht  wie  bei  den  akuten 
Exanthemen  der  Beginn  der  Besserung  im  Befinden;  viel¬ 
mehr  setzen  nun  häufig  schnell  die  tödlichen  Symptome  ein. 
In  den  typischen  schweren  Fällen  liegen  die  teilnahm- 
losen,  soporösen,  anscheinend  schwerhörigen  Kranken  da  mit 
hochrotem,  gedunsenem  Gesicht,  geröteten  Augenbindehäuten, 
halboffenem  Munde,  trockener  dickschmutzig-gelblich  bis 
bräunlich  belegter  Zunge  und  ausgesprochenem  Exanthem. 
Häufig  auch  Husten  und  bronchitische  Erscheinungen.  Milz 
meist  deutlich,  nicht  sehr  gross,  in  manchen  Epidemien  kaum 
geschwollen  (wie  ich  z.  B.  im  April  1914  bei  einer  Gefängnis¬ 
epidemie  in  Jerusalem  feststellen  konnte).  Häufig  besteht 
Albuminurie  mit  Nephritis.  Andere  besonders  gefürchtete 
Komplikationen  sind:  Blutungen,  Pneumonie,  eitrige 
Parotitis  oder  Otitis  media,  ferner  Dekubitus  und  Gangrän  mit 
Verlust  von  Gliedmassen.  Im  Mai  lernte  ich  in  Konstantinopel 


einen  türkischen  Militärarzt  kennen,  der  infolge  einer  solchei 
Gangrän  eine  Hand  verloren  hatte. 

In  den  akut  schwer  verlaufenden  Fällen  erfolgt  dit 
Krise  gewöhnlich  gegen  Ende  der  2.  oder  anfangs  dei 
3.  Krankheitswoche.  Dies  sind  überhaupt  die  gefährlichste 
Tage:  es  kann  infolge  von  Herzschwäche  oder  von  Korn 
plikationen  der  Tod  eintreten,  oder  es  erfolgt  der  Uebergain 
in  eine  oft  durch  Schwächezustände,  starke  Blutarmut,  nervöse 
Erscheinungen  oder  durch  Komplikationen  verzögerte  Re¬ 
konvaleszenz. 

Nicht  alle  Epidemien  verlaufen  gleichartig  und  gleich- 
mässig  schwer.  Der  Verlauf  richtet  sich  nicht  nur  nach  der. 
Endemie-  bzw.  Immunitätsverhältnissen  durch  früheres  Ueber- 
stehen  der  Krankheit,  sondern  auch  nach  den  begleitenden 
namentlich  sozialen  Verhältnissen  (Elend,  Hunger).  Manche 
Epidemien  sind  gutartig  (nur  flüchtiges,  geringes  oder  gai 
überhaupt  kein  Exanthem),  andere  bösartig.  Dementsprechend 
werden  Sterblichkeitsziffern  zwischen  5  und 
50  Proz.  (Durchschnitt  15 — 25  Proz.)  angegeben.  Kindei 
sterben  im  allgemeinen  seltener  als  Erwachsene  una  ältere 
Leute. 

Eine  spezifische  medikamentöse  Behandlung  kennen 
wir  noch  nicht.  In  Jerusalem  hörte  ich,  dass  Jodtinktur, 
tropfenweise  in  Wasser  gegeben,  mitunter  scheinbar  günstig 
gewirkt  habe  (Dr.  Hallaby).  Wie  mir  ferner  türkische 
Militärärzte  in  Konstantinopel  kürzlich  mitteilten,  sollen  m 
einigen  Fällen  gute  Erfolge  durch  Injektion  von  Rekon¬ 
valeszentenserum  erzielt  sein  (auch  früher  schon  von. 
N  i  c  o  1 1  e  berichtet  und  zur  Prophylaxe  empfohlen).  Ich 
selbst  versuchte  in  einigen  schweren  Fällen  Arsalyt- 
therapie  (s.  auch  unter  Rückfallfieber)  ohne  jeden  Erfolg.  Ich 
bezweifle  daher,  dass  Salvarsan  günstig  wirken  soll.  Die  Be¬ 
handlung  ist  also  vorläufig  eine  rein  symptomatische. 

Dabei  ist  besonders  die  Herztätigkeit,  vor  allem  vor, 
während  und  nach  der  Krise,  im  Auge  zu  behalten  und  durch 
Digalen,  Kampher,  Koffein  u.  dgl.  anzuregen.  Laue  Bäder  und 
Einpackungen  sind  mitunter  von  wohltuendem  Einfluss.  Als 
Antipyretikum  wird  vielfach  Chinin  gegeben. 

Nach  Ueberstehen  tritt  eine  hochgradige  Immunität 
ein,  die  aber  Wiedererkrankungen  nicht  immer  völlig  aus- 
schliesst.  Rückfälle  wie  bei  Rekurrens  kommen  nicht  vor. 

Die  Ursache  des  Flecktyphus  ist  noch  nicht  sicher  erkannt. 
Viele  Forscher  haben  Mikroorganismen  beschrieben,  so  am  häufigsten 
Diplobazillen  (von  M.  Rabinowitsch  „Diplobacillus 
exanthematicus“  genannt),  deren  ursächliche  Bedeutung  aber 
noch  nicht  allgemein  anerkannt  ist.  Die  von  v.  Prowazek  be¬ 
schriebenen  roten  Granula  in  nach  G  i  e  m  s  a  gefärbten  mehr- 
kernigen  weissen  Blutkörperchen  sind  vielleicht  differentialdia¬ 
gnostisch  verwertbar.  N  i  c  o  1 1  e  und  seine  Mitarbeiter  halten  die 
Leukozyten  für  die  Virusträger. 

Uebertragbarkcit  auf  Affen  und  Meerschwein¬ 
chen  durcli  intraperitoneale  Blutüberimpfung  ist  nachgewiesen. 
Rabinowitsch  berichtet  auch  über  gelungene  Uebertragungen 
mit  dem  Diplob.  exanthematicus  auf  junge  Ferkel. 

Die  natürliche  Uebertragung  des  Flecktyphus  geschieht  durch 
Läuse,  hauptsächlich  Kleider-,  aber  auch  Kopfläuse.  Dafür 
sprechen  nicht  nur  die  sämtlichen  epidemiologischen  Beob¬ 
achtungen,  viele  Beispiele  (die  geschilderte  österreichische 
Schiffsepidemie),  sondern  auch  die  gelungenen  tierexperimen¬ 
tellen  Uebertragungen  N  i  c  o  1 1  e  s  und  seiner  Mitarbeiter  in 
Tunis  (seit  1909)  sowie  amerikanischer  Forscher  in  Mexiko, 
die  auch  die  Identität  des  „T  a  b  a  r  d  i  1 1  o“  in  Mexiko  mit 
Flecktyphus  nachwiesen.  Auch  die  sog.  Brill  sehe  Krank¬ 
heit  in  New  York  ist  mit  Flecktyphus  identisch.  Die  Ueber¬ 
tragung  erfolgt  entweder  durch  den  Stich  selbst  oder  dadurch, 
dass  Läuse  beim  Stechen  zerquetscht  werden  und  ihr  Inhalt 
durch  Kratzen  und  Reiben  in  die  Haut  gelangt.  Selbst  die 
Nachkommenschaft  einer  infizierten  Laus  soll  die 
Krankheit  übertragen  können. 

Da  wir  den  Erreger  noch  nicht  im  kranken  Menschen  be¬ 
kämpfen  können,  so  ist  der  Kampf  und  die  Prophylaxe  gegen 
Flecktyphus  vor  allem  gegen  die  Läuse  zu  richten. 
Es  gilt  in  erster  Linie,  die  Läuse  von  den  Kranken,  aus  ihren 
Kleidern  und  aus  den  von  ihnen  bewohnten  Räumen  zu  ent¬ 
fernen  und  sie  auch  weiterhin  von  ihnen  fernzuhalten.  In 
der  Türkei  wurden  im  April  und  Mai  dieses  Jahres  ganze 
Armeekorps  mit  grossem  Erfolg  entlaust:  Die  Kasernen 


3.  November  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  ined.  Wochenschrift. 


2185 


wurden  geräumt,  die  Läuse  im  Freien  vom  Körper  durch 
gründliche  Abwaschungen  mit  Bürste  und  Seife,  event.  nach 
Rasieren  behaarter  Körperteile  entfernt.  Einreibungen  mit 
grauer  Salbe  waren  sehr  wirksam.  Die  Kleider  wurden  durch 
Dampfdesinfektion,  die  Kasernenräume  durch  gründliches  Aus¬ 
schwefeln  gereinigt,  ln  Russland  reinigt  man  zum  Teil  die 
Räume,  Bettstellen  usw.  mittels  strömenden  Wasserdampfes, 
Jer  in  transportablen  Kesseln  entwickelt  wird.  Der  sicherste 
Schutz  für  Aerzte  und  Pflegepersonal  ist  die*  Entlausung 
ier  Kranken  vor  der  Aufnahme  in  den  reinen  Kranken- 
>aa!.  In  dem  mustergültig  geleiteten  Militärhospital  „Gürnül 
,S  u  j  u  in  Konstantinopel  kamen  alle  Verdächtigen  zunächst 
n  besondere  Räume  und  dann  erst  nach  gründlichster  Ent- 
ausung  in  die  Krankensäle.  So  wurden  daselbst  Ueber- 
ragungen  vermieden.  Aerzte  und  Pflegepersonal 
(önnen  sich  beim,  Besuch  von  nicht  entlausten  Kranken 
schützen  durch  Kleider  (Ueberröcke)  mit  festanschliessendem 
\ermelschutz,  gutem  Abschluss  an  Hals  und  Beinen,  ferner 
iurch  Einstreuen  von  reichlich  Insektenpulver  daselbst.  Auf 
;olche  \\  eise  blieb  ich  selbst  bei  Untersuchung  von  vielen 
mndert  Kranken,  mit  deren  Körper,  Kleidern,  Entleerungen, 
Hut  bei  Untersuchungen  usw.  ich  stellenweise  (z.  B.  im  Ge- 
ängnis  in  Jerusalem)  wiederholt  und  längere  Zeit  ohne  Des- 
nfektionsmöglichkeit  in  Berührung  kam,  frei  von  Flecktyphus. 
)er  Schutz  vor  Läusen  scheint  also  am  besten  vor  der  In- 
ektion  zu  bewahren. 

Wie  bei  allen  Infektionskrankheiten  ist  es  für  die  Ver- 
liitung  der  Weiterverbreitung  auch  von  der  grössten  Wichtig- 
:eit,  dass  die  ersten  Fälle  gleich  erkannt  und  iso- 

i  e  r  t  werden. 

Bei  der  Diagnose  (Differentialdiagnose  siehe  später)  ist  es 
-  ebenso  wie  bei  dem  so  häufig  übersehenen  Leberabszess  — 
ie  Hauptsache,  dass  man  an  die  Krankheitsmöglichkeit  denkt, 
mf  sie  besonders  aufmerksam  zu  machen,  ist  Zweck  meiner 

Vorte. 

Unsere  Soldaten  können  und  müssen  wir  auch  jetzt 
chon  vor  eventueller  Epidemiegefahr  schützen,  dadurch, 
ass  wir  Militärärzte  sorgfältig  darauf  achten, 
ass  sich  bei  den  Truppenteilen,  namentlich 
ei  den  im  Osten  stehenden,  keine  Läuse  ein¬ 
isten.  1870/71  sollen  ganze  Armeekorps  verlaust  gewesen 
ein.  Glücklicherweise  blieb  damals  Flecktyphus  fern.  Es  sei 
och  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  gegenwärtig  nicht  nur 
i  Russland  selbst  Infektionen  unserer  Truppen 
löslich  sind,  sondern  auch  im  eigenen  Lande  durch  erkrankte 
jssische  Gefangene  veranlasst  werden  können,  so  z.  B.  event. 
i  Eisenbahnwagen,  in  denen  Russen  infizierte  Läuse  hinter¬ 
issen  haben.  Ich  halte  daher  die  Desinfektion 
olcher  Wagen  durch  Ausschwefelung  und  Lysol¬ 
aschungen  für  unbedingt  notwendig,  zumal  auf  dieselbe 
^eise  (durch  Läuse)  auch  noch  eine  zweite  von  Russland  her 
lohende  Gefahr,  das  Rückfallfieber,  übertragen  wird. 

(Schluss  folgt.) 


Wasserstoffsuperoxyd  und  seine  Präparate  in  der 
Wundbehandlung. 

on  Prof.  Dr.  Walther  in  Giessen,  zurzeit  Chefarzt  des 
Reservelazaretts  I  Giessen. 

Wohl  zu  keiner  Zeit  hat  die  Frage  der  Wundheilung  ein 
1  aktuelles  Interesse  gehabt,  wie  gerade  jetzt,  wo  tagtäglich 
lenthalben  Verwundete  vom  Schlachtfelde  heimkehren,  die 
cht  nur  einer  sorgfältigen  Nachbehandlung  für  die  erste  Zeit 
■  dürfen,  sondern  auch  einer  Wiederherstellung  ihrer  Arbeits- 
nigkeit  für  spätere  Zeiten.  Gerade  von  diesem  Gesichts- 
inkte  aus  muss  die  Wundheilung  immer  wieder  diskutiert 
erden  und  scheint  mir  jeder,  auch  der  bescheidenste  Beitrag 
:r  Beachtung  wert  zu  sein.  In  diesem  Sinne  mögen  die 
Igenden  Mitteilungen  aufgefasst  werden,  insofern  sie  über 
ne  in  den  mir  unterstellten  Lazaretten  mit  ausgezeichnetem 
folge  geübten  Wundbehandlung  —  nämlich  diejenige  mit 
asserstoffsuperoxyd  bzw.  den  hochprozentigen 
asserstoffsuperoxydpräparaten  —  einen  Beitrag  liefern 
llen. 

Die  Zeit  der  übertriebenen  Antisepsis  der  Wunde  ist  gott¬ 


lob  schon  lange  überwunden  und  durch  die  streng  durchgeführte 
Asepsis  längst  überholt.  Die  ausgezeichneten,  meiner  Ansicht 
nach  sehr  beachtenswerten  Grundsätze,  wie  sie  in  dieser  Bei¬ 
lage  von  Angerer,  neuerdings  von  Graser  und  Kirschner1) 
aufgestellt  wurden,  lassen  ja  durchblicken,  dass  wir  in  der  asep¬ 
tischen  Wundbehandlung  im  konservativen  Sinne  ein  vortreff¬ 
liches  Heilmittel  besitzen,  nach  dem  Prinzip,  welches  (ähnlich 
unseren  geburtshilflichen  Grundsätzen)  obenan  gesetzt  werden 
muss:  die  Wunde  als  ein  noli  me  tangere  anzusehen.  Immer¬ 
hin  sind  antiseptische  Mittel  nicht  ganz  auszuschalten;  un¬ 
bedingt  zu  unterlassen  sind  unnütze  Irrigationen  mit  giftigen, 
eicht  resorbierbaren  Mitteln  —  von  Karbol,  das  überhaupt 
wohl  nirgends  mehr  genannt  wird,  gar  nicht  zu  reden;  auch 
Subhmatlösungen  sollten  ferngehalten  oder  nur  in  starker  Ver¬ 
dünnung  gebraucht  werden.  Für  die  seltenen  Irrigationen 
breiter  Wundflächen  habe  ich  Phobrol-Roche  (=  Chlormeta- 
kresol)  als  ein  vortrefflich  wirkendes  Antiseptikum  in  der 
btarke  von  5  ccm  in  1  Liter  Wasser,  sehr  schätzen  gelernt. 
Dagegen  besitzen  wir  in  dem  offizinellen  Hydrogenium 
peroxydatum  ein  Mittel,  welches,  an  sich  ungiftig,  ohne 
die  Wunde  zu  reizen,  ohne  die  Granulationsbildung  zu 
stören,  unbeschadet  zur  Reinigung  der  Wunde  sehr  gut  be¬ 
nützt  werden  kann.  Es  hat  dabei  den  grossen  Vorteil,  dass 
das  unsinnige,  gerade  so  schädliche  „Auswischen“  der  Wunde 
durch  die  schäumende,  also  mechanische  Wirkung  sich  er¬ 
übrigt,  also  dass  ihm  dadurch  vorgebeugt  wird  2) 

WacA1S  im  Jahre ,1905  für  die  Gynäkologie  und  Geburtshilfe  das 
Wasserstoffsuperoxyd  empfahl,  tat  ich  dies  auf  Grund  der  vortreff¬ 
lichen  Resultate,  die  ich  gelegentlich  meiner  Stabsarztübung  im  hiesi- 
gen  Garmsonslazarctt  mit  Perhydrol- Merck,  später  auch  mit  dem 
offizmellen  Wasserstoffsuperoxyd  in  der  Wundbehandlung  er¬ 
zielt  hatte.  Das  Mittel  war  damals  noch  nicht  etatsmässig,  ist  aber  spä¬ 
ter  etatmassig  geworden  und  seit  derZeit  meines  Wissens  in  allen  Mili- 
Szare^n  eingeführt.  Die  früher  noch  üblichen,  mitunter  doch 
ment  ungefährlichen  Karbol-  oder  Sublimatverbände  sind  glücklicher- 
weise  dadurch  gänzlich  verdrängt  worden.  Damals  verwendete  ich 
zunächst  das  Perhydrol-Merck,  bekanntlich  ein  33— 34  proz.  säure- 
rdes  Wasserstoffsuperoxyd,  später  das  offizinelle,  für  grösseren  Be- 
ar^uatUr  billigere  Präparat.  Der  Vorteil  der  Wasserstoffsuper¬ 
oxydbehandlung  der  Wunde,  sei  es  der  in  Verheilung  begriffenen. 
sei,es  ~Z  W£ls  gerade  fetzt  eine  besondere  Rolle  spielt  —  der  primär 
und  auch  sekundär  verunreinigten  Wunde  scheint  mir  gerade  in  der 
Einwirkung  dieses  Präparats  auf  die  Wunde  zu  liegen,  wie  sie  oben 
schon  angedeutet  wurde:  zunächst  vollzieht  sich  ganz  spontan  eine 
mechanische  Reinigung  der  Wunde,  dadurch,  dass  bei  Aufgiessen 
wässrigen  Lösungen  (selbst  noch  in  Lösung  1  HsOs  auf 
.  i”  leile  Wasser)  ein  Aufschäumen  entsteht  und  hierdurch  Ge¬ 
rinnsel,  nekrotische  und  andere  Fetzen  schonend  weggerissen  werden 
Die  schaumende  Wirkung  entsteht  dadurch,  dass  durch  Berührung  der 
Wundfläche  mit  Wasserstoffsuperoxyd  eine  Abspaltung  von  Sauer- 
stoff  in  statu  nascendi  zur  Einwirkung  kommt,  welche,  wie  schon 
v.  Bruns  hervorhebt,  zweifellos  einen  stimulierenden  Einfluss  auf 
die  Gewebe  ausübt  und  ihre  Reaktionserscheinungen  stärkt.  Es  ver¬ 
bindet  sich  mit  dieser  mechanischen  Reinigung,  welche,  um  es  noch 
f'nmal  zu  wiederholen,  das  früher  übliche,  höchst  überflüssige  Tupfen 
Wischen,  Spulen  überflüssig  macht,  zweifellos,  wie  die  Unter- 
suchungen  von  v.  Bruns,  H  o  n  s  e  1 1,  D  e  c  i  u  s  u.  a. 3*)  mit  Sicher- 

ll  yf  die  Feldärztl.  Beilage  Nr.  1  u.  5  (M.m.W.  Nr.  32  u.  36). 

■  u  müchte  an  dieser  Stelle  einen  Irrtum  vorwegnehmen,  dem 

ich  auffallenderweise  recht  oft  begegnet  bin,  nämlich  dass  Wasser¬ 
stoffsuperoxyd  zu  teuer  sei.  Gerade  das  Gegenteil  ist  der  Fall.  Das 
Kilo  kostet  im  En-gros-Preis  50  Pf.!  Gerade  deshalb  ist  es  ja  unter 
die  etatsmässigen  Arzneimittel  in  der  militärärztlichen  Praxis  eben 
eingefuhrt  worden.  Natürlich  ist  das  offizinelle  Wasserstoffsuperoxyd 
nicht  identisch  mit  dem  Perhydrol,  einem  10  mal  so  starken  Präparat, 
welches  aber  recht  teuer  ist.  Das  offizinelle  Wasserstoffsuperoxyd 
ist,  wie  festgestellt  ist,  auch  in  lOfacher  Verdünnung  wirksam,  also 
gerade  ein  ausserordentlich  billiges  Antiseptikum! 

3)  Walther:  Wasserstoffsuperoxyd-Merck  (Perhydrol)  in  der 
gynäkologischen  Praxis.  Vgl.  M.K1.  1905  Nr.  3.  Ich  habe  das  HsO* 
in  der  Gynäkologie  und  Geburtshilfe  sehr  schätzen  gelernt.  Zu  Spü¬ 
lungen  (3  Esslöffel  des  offiz.  H2O2  in  1  Liter  Wasser)  bei  frischen 
Kolpitiden  ist  es  unübertrefflich,  ebenso  zu  Eingiessungen  bei  jauchen¬ 
dem  Abort,  falls  das  Ovum  oder  eine  retinierte  Plazenta  in  der 
Scheide  liegt  und  ebenso  bei  submukösen,  in  partu  befindlichen 
Myomen,  schliesslich  bei  jauchendem  Karzinom  und  Sarkom 

>  v;BrunsÄB-kLW-  1900  Nr.  19.  -  Honsel  1:  Beitr.  z.  klin. 
Lhir.  27.  1900.  —  Guttmann:  Aerztl.  Praxis  1901  Nr.  1.  —  De¬ 
el  u  s:  Inaug.-Diss.,  Halle  1902.  —  Die  gleichen  günstigen  Erfahrungen 

m; ,  ,Swb?m „  xt*  C ln  d  1  6  V  Wien  veröffentlicht,  dessen  Aufsatz 
(W.kl.W.  1914  Nr.  30  u.  31)  mir  während  der  Drucklegung  erst  be¬ 
kannt  wurde.  Er  bezeichnet  Wasserstoffsuperoxyd  geradezu  als  das 
souveräne  Spülmittel  für  chirurgische  Zwecke  auf  Grund  seiner 
reichen  Erfahrungen  im  serbisch-bulgarischen  Kriege  1913.  Auch 


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Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  ttied.  Wochenschrift. 


Nr.  44. 


Iieit  ergeben  haben,  eine  antiseptische,  schliesslich  aber  auch, 
was  gerade  für  jauchende  Weichteilverletzungen  in  Betracht  kommt, 
eine  desodorisierende.  Ich  wüsste  kein  einziges 
antiseptisches  Mittel,  welches  in  gleich  schonen¬ 
der  Weise,  gleich  ungiftig,  gleich  geruchlos  eine 
Wundfläche  zu  reinigen  imstande  wäre!  Dazu  kommt, 
dass  die  Reinigung  vollkommen  schmerzlos  und  reizlos  ist, 
und  —  worauf  ich  einen  besonderen  Wert  lege  —  auch  die  Umgebung 
der  Wunde  nicht  ätzt,  sowie  die  üranulationsbildung  nicht  stört,  son¬ 
dern  gerade  anregt.  Man  vergleiche  damit  die  früher  üblichen,  selbst 
verdünnten  Karbol-,  auch  Sublimatverbände,  wie  hier  etwa  die  Haut 
der  Umgebung  unsinnig  malträtiert  und  die  Wundheilung  gestört 
wurde. 

Die  von  anderer  Seite  hervorgehobene  hämostyptische  Wirkung, 
habe  ich  nicht  so  sehr  beobachten  können,  möchte  sie  aber  nicht  be¬ 
streiten;  doch  erscheint  eine  mit  Wasserstoffsuperoxyd  übergossene 
Wundfläche  erheblich  frischer,  was  vielleicht  auf  die  Veränderung 
des  Hämoglobins  zurückzuführen  sein  dürfte. 

Zur  Anwendung  kommt  in  der  Regel  das  reine  Wasserstoffsuper¬ 
oxyd,  angeblich  3  proz.,  wie  Untersuchungen  ergeben  haben,  schwankt 
indessen  der  Gehalt  etwa  zwischen  0,8  und  2  Proz.  Nichtsdesto¬ 
weniger  sehen  wir  sowohl  bei  dieser  Anwendung,  als  auch  bei  Ueber- 
giesen  einer  verdünnten  Lösung  (z.  B.  wie  ich  es  versuchte:  1  Teil 
Wasserstoffsuperoxyd,  2  Teile  2  proz.  Borsäurelösung)* * * 4)  fast  die 
gleiche  Wirkung :  intensive  Reinigung  der  Wunde 
ohne  Reizung  der  Umgebung!  Im  übrigen  wird  — 
falls  die  Umgebung  der  Wunde  vorher  gereinigt  war  (Ra¬ 
sieren,  Reinigen  mit  Benzin  oder  Alkohol,  Bestreichen  mit 
Jodtinktur)  —  die  Wunde  weiter  aseptisch  behandelt:  Verband  mit 
aseptischer  Gaze,  Verbandwechsel,  je  nach  dem  Einzelfall,  erst  nach 
einigen  Tagen.  Wird  der  aseptische  Trockenverband  im  allgemeinen 
bevorzugt,  so  lasse  ich  den  feuchten  Verband  nur  ausnahms¬ 
weise  anwenden,  lediglich  bei  entzündlicher  Infiltration  des  um¬ 
gebenden  Gewebes  auf  einige  Tage,  und  zwar  wiederum  mit  Wasser¬ 
stoffsuperoxyd-Borsäurelösung  (1:2).  Im  Prinzip  habe  ich  aber 
feuchte  Verbände  nur  ganz  ausnahmsweise  machen  lassen  und  in  der 
Mehrzahl  der  Fälle,  übereinstimmend  mit  Punkt  7  der  Graser  sehen 
Vorschläge  den  trockenen  aseptischen  Wundverband  durchführen 
lassen,  der  nach  Möglichkeit  lange  liegen  bleibt.  Etwaiger  Wund¬ 
oder  Blutschorf,  der  sich  gebildet  hat,  löst  sich  bei  der  so  schonenden 
Uebergiessung  mit  Wasserstoffsuperoxyd  ganz  von  selbst  und  er 
stösst  sich  später  spontan  ab.  Es  kann  gar  nicht  genug  davor  ge¬ 
warnt  werden,  solchen  Wundschorf,  der  eben  doch  einen  Schutz 
gegen  sekundäre  Wundinfektion  gibt,  entfernen  zu  wollen! 

Waren  die  Resultate  bei  diesem  billigen,  allenthalben  anwend¬ 
baren  Mittel  ganz  vortreffliche,  insofern  die  Wunde  sich,  ohne  in 
Uebertreibung  zu  fallen,  vorzüglich  reinigte,  die  Jauchung  ver¬ 
schwand,  die  Granulationswirkung  angeregt  wurde,  so  drängte  sich 
mir  doch  der  Gedanke  auf,  ob  es  nicht  möglich  wäre,  das  Präparat 
in  fester  Form  nicht  nur  in  Lazaretten,  sondern  gerade  draussen, 
in  einer  Form,  die  man  jederzeit  sozusagen  in  der  Tasche  mit  sich 
führen  kann,  anzuwenden.  Hier  bot  sich  für  mich  eine  ganz  vor¬ 
treffliche  Gelegenheit  dadurch,  dass  die  Firma  Bayer  &  Co.,  Lever¬ 
kusen  mir  für  gynäkologische  Zwecke  gegen  Zervixkatarrh,  Ero¬ 
sionen,  Kolpitis,  Dekubitalgeschwüre  bei  Prolapsen  u.  ä.  Ortizon 
in  fester  Form  zur  Verfügung  gestellt  hatte.  Dieses  etwa  30  proz.  Prä¬ 
parat  —  ähnlich  dem  Perhydrit-Merck  eine  Verbindung  von  Wasser¬ 
stoffsuperoxyd  mit  Karbamid  [Harnstoff]  (welch  letzterer  an  sich  be¬ 
kanntlich  antibakterielle  Eigenschaften  besitzt)  —  hat  den  Vorteil, 
dass  es  in  fester  Form,  da  leicht  löslich  in  Wasser,  zur  Ex-tempore- 
Herstellung  frischer  Lösungen  dienen  kann.  An  Stelle  des  offizineilen 
nicht  ganz  säurefreien  Hydrogenium  wandte  ich  daher  in  einer 
Serie  von  Fällen  nur  die  Ortizonlösung  an,  sowie  zur  Wei¬ 
terbehandlung  der  auf  diese  Weise  gereinigten  Wundflächen  sogen. 
Ortizonstifte,  die  ich  ursprünglich  für  Zervikalkatarrh  u.  ä.  (s.  o.) 
mir  habe  konstruieren  lassen.  Bezüglich  der  wässrigen  Ortizon¬ 
lösung  (5  g  granuliertes  Ortigon  in  3  Esslöffel,  möglichst  in  warmem 
[35 — 40°]  Wasser  gelöst)  konnte  ich  die  oben  beschriebene  schäumende, 
mechanisch  reinigende  Wirkung  des  offizinellen  H2O2  noch  in  wesent¬ 
lich  erhöhtem  Masse  feststellen.  Das  Ortizon  hat  übrigens  wie  die 
anderen  bekannten  hochprozentigen  Ha02-Präparate  (Perhydrol- 
Merck,  Perhydrit-Merck,  Pergenol-Byk,  Peraquin-Henning)  den 
grossen  Vorteil,  dass  es  absolut  rein  und  säurefrei  ist,  dass  es  dauernd 
haltbar  und  schliesslich  seine  Anwendung  sehr  bequem  ist.  Gerade 
in  letzterer  Hinsicht  scheinen  mir  die  Ortizontabletten  für  die  rasche 
Herstellung  einer  H202-Lösung  äusserst  empfehlenswert  (3  Ortizon¬ 
tabletten  in  100  g  =  7  Esslöffel  Wasser),  auch  draussen  im  Felde. 
Eine  geradezu  glänzende  Wirkung  entfalteten  aber  die  Ortizonstifte  — 


nach  ihm  kann  die  0,3ptoz.  Lösung,  die  noch  „schäumend“  wirkt, 

noch  angewandt  werden,  wobei  eben  die  Verdünnung  des  3  proz. 

Originalpräparats  in  der  Stärke  von  1:  10  Wasser  in  Betracht  kommt. 

4)  Die  gleiche  Zusammensetzung  findet  sich  in  dem  sogen.  Per- 
genol  pulv.  medicinale  von  Dr.  Byk,  insofern  dieses  einer  12 proz. 
Wasserstoffsuperoxyd  und  einer  22  proz.  Borsäure  entspricht.  2  g 

1  gestrichener  Theelöffel  Pergenol  in  100  g  Wasser  gelöst  ergibt 
ein  0,25  proz.  Wasserstoffsuperoxyd,  zugleich  mit  0,5  proz.  Borsäure. 
1  Esslöffel  des  gleichen  Pulvers  gibt  mit  100  g  Wasser  etwa  ein 
1  proz.  Wasserstoffsuperoxyd  und  gleichzeitig  eine  2  proz.  Borsäure¬ 
lösung 


meines  Wissens  neuerdings  erst  im  Handel,  aber  leider  noch  zu  wenig 
bekannt!  -  :  ich  liess  die  mechanisch  mit  der  Ortizonlösung  ge¬ 
reinigte  (wohlgemerkt  „abgeschäumte“)  Wundfläche  mit  den  Ortizon- 
stäbchen  etwas  tuschieren  und  habe  gerade  durch  diese  Anwendung 
bei  den  schlimmsten,  jauchigen  Wunden  eine  geradezu  staunen¬ 
erregende  Reinigung  der  Wunde  von  der  Tiefe  heraus  beobachtet. 
Weichteilschüsse,  grössere  Weichteilverletzungen  durch  Artillerie¬ 
geschosse,  wie  ich  sie  gerade  bei  den,  in  meinem  Lazarett 
internierten  Franzosen  sah,  befinden  sich  trotz  einer  anfänglich 
bestandenen  Jauchung  jetzt  in  vortrefflicher  Heilung.  Eine  geradezu 
unbeschreibliche,  jauchende  Weichteilverletzung  fast  der  gesamten 
Oberschenkelmuskulatur  (Granatschuss),  mehrere  Wadenmuskulatur¬ 
verletzungen,  eine  Zerreissung  der  Schulter-  und  Oberarmmuskula¬ 
tur  der  Franzosen  (primär  mit  dem  französischen  Verbandpäckchen 
verbunden)  befinden  jetzt  sich  in  ausgezeichneter  Verheilung.  Aut 
Einzelheiten  kann  ich  aus  Mangel  an  Raum  leider  nicht  eingehen. 

Noch  ein  Ortizonpräparat  muss  ich  in  diesem  Zusammenhang  noch 
erwähnen,  da  es  gleichfalls  eine  geradezu  überraschende  Wirkung 
äusserte  —  die  Ortizon-Mundwasserkugeln.  Es  handelte  sich  um 
mehrere  Fälle  von  Mundschüssen:  bekanntlich  muss  man  in  der  Mund¬ 
höhle  mit  Desinfektionsmitteln  sehr  vorsichtig  sein.  Die  Anwendung 
dieser  wie  auch  der  Ortizonlösung  zu  Mundspülungen  führte  zu 
glatter  Verheilung  schwerer,  mit  ulzerierenden  Wunden  und  schwerer 
Stomatitis  einhergehenden  Verwundungen.  Die  gleiche  Wirkung 
werden  wohl  die  Perhydrol-Mundwassertabletten  erzielen,  die  mir 
leider  nicht  zur  Verfügung  standen. 

Was  ich  bezüglich  des  Ortizons,  das  mir  in  grösseren  Mengen 
zur  Verfügung  stand,  mitteilte,  konnte  ich  in  gleicher  Weise  bezüg¬ 
lich  des  Perhydrits-Merck  beobachten.  Bezüglich  der  Trocken¬ 
behandlung  der  Wunde,  die  in  beginnender  Granulation  sich  befindet, 
möchte  ich  schliesslich  noch  ein  ausgezeichnetes,  örtlich  reinigend 
und  desinfizierend  wirkendes  Mittel  erwähnen:  das  Zink-Perhy- 
drol-Merck:  Aufstreuen  ganz  geringer  Mengen,  Auflegen  des  sterilen 
Mulls  befördert  durch  die  adstringierende  Wirkung  des  Zinksuper¬ 
oxyds  und  diejenige  des  H2O2  die  Wundheilung  in  bestem  Masse. 
Gerade  das  H2O2  in  fester  Form  bewirkt  durch  die  katalytische  Wir¬ 
kung,  wie  auch  Steindel  hervorhebt,  eine  intensive  Sauerstoffwirkung. 
Das  Zinkperhydrol  hat  übrigens  noch  eine,  nicht  zu  unterschätzende 
anästhesierende 5)  und  auch  hämostatische  Wirkung.  Es  verursacht 
im  Gegensatz  zu  anderen  Antisepticis  keine  Gerinnung  des  Gewebs- 
eiweisses,  ruft  eine  Ausscheidung  von  Leukozyten  hervor  und  be¬ 
günstigt  somit  die  Phagozytose.  Uebrigens  ist  auch  dieses  absolut 
reizlos,  ungiftig  und  haltbar.  Die  gerade  hier  erreichten  Resultate 
sind  sehr  gute  gewesen.  Neuerdings  mache  ich  Versuche  mit  Orti- 
zonpulver,  das  mit  Talkum  und  Bolus  sterilisata  zu  gleichen  Teilen 
gemischt  ist.  Die  Resultate  sind  sehr  befriedigend. 

Schliesslich  möchte  ich  nicht  unerwähnt  lassen,  dass 
schon  das  billige  offizineile  H2O2  die  meines  Erachtens  für 
Wunden  nicht  einwandfreie  essigsaure  Tonerdelösung,  da  sic 
nach  einigen  Tagen  sich  zersetzen  kann,  mit  Recht  verdrängen 
wird;  diese  kommt  lediglich  für  Umschläge  ohne  Wunden  in 
Betracht;  sie  leistet  hier  gewiss  sehr  gute  Dienste,  während  ich 
die  mitunter  noch  in  der  Kassenpraxis  übliche  Verwendung  bei 
offenen  Wunden  nicht  wagen  möchte. 

Alles  in  allem  erblicke  ich  in  dem  Wasserstoffsuper¬ 
oxyd,  wie  ich  es  1905  für  die  Gynäkologie  und  Geburtshilfe 
empfohlen  und  hier  in  vielen  Fällen  erprobt  habe,  auch  nach 
meinen  jetzigen  Beobachtungen  bei  den  Verwundeten  (mehr 
als  800  bis  jetzt!)  ein  vortreffliches  Mittel  in  der  Wundbehand¬ 
lung,  welches  gerade  in  der  Form  der  hochprozentigen  neuen 
Wasserstoffsuperoxydpräparate  geradezu  überraschende  Ten¬ 
denz  zur  Heilung  zeigt.  Mögen  diese  Mitteilungen  Anregung 
geben  zur  Anwendung  des  offizinellen  Wasserstoff¬ 
superoxyds,  wenn  die  Mittel  es  gestatten,  auch  der  hoch¬ 
prozentigen  Präparate,  zu  Nutz  und  Frommen  unserer  tapferen 
braven  Verwundeten,  wobei  auch  mich  der  Grundsatz  leitet, 
gerade  für  sie  nicht  das  Billigste,  sondern  das  Beste  zur 
Wiederherstellung  ihrer  Dienstfähigkeit  und 
ihrer  späteren  Arbeitsfähigkeit  zu  benutzen. 


Beiträge  zur  Heilserumbehandlung  des  Tetanus. 

Von  Dr.  A.  Heddäus,  Spezialarzt  für  Chirurgie  in  Heidel¬ 
berg,  zurzeit  Chefarzt  des  Reservelazarettes  Schulhaus  W. 

Ueber  die  wirksamste  Behandlung  des  Tetanus  ist  trotz 
zahlreicher  Publikationen  der  Neuzeit  noch  keine  Einheitlich¬ 
keit  erzielt.  Vor  allem  sind  auch  die  Ansichten  über  den 
Wert  des  Heilserums  geteilt.  Während  ein  Teil  der  Autoren 
auf  vollkommen  ablehnendem  Standpunkt  steht,  ist  der  andere 
geneigt,  ihm  einen  realen  Wert  zuzuschreiben.  Ich  rechne  mich 

zu  den  letzteren  und  gründe  meine  Ansicht  auf  frühere  Be- 

-  \ 

5)  Hauschmidt:  Fortschr.  d.  M.  1911  Nr.  42. 


3,  November  19H. _ _ Feldärztliche  Beilage  zur 


Pachtungen  (vgl.  diese  Woehensclir.  1898  No.  11,  12,  Id)  und 
uif  die  Erfahrungen  an  bis  dato  8  Fällen  seit  Beginn  des 
vrieges.  In  6  Fällen  gelang  es  mir  Heilung  zu  erzielen 
=  75  Proz.).  Es  scheint  mir  dies  nach  den  anderweit  ge- 
nachten  schlechten  Erfahrungen  ein  aussergewöhnlich  guter 
’rozentsatz  zu  sein.  Dass  dies  blosser  Zufall  sein  sollte,  ist 
uir  unwahrscheinlich.  Ich  halte  es  deshalb  im  Interesse  der 
Ulgemeinheit  für  angebracht,  die  von  mir  geübte  Behandlungs- 
nethode  mitzuteilen. 

Ich  habe  ausser  der  intravenösen  und  subduralen  (ban¬ 
alen)  Anwendung  noch  einen  anderen  Weg  eingeschlagen, 
ausgehend  von  der  Ueberlegung,  dass  die  hauptsächliche  Ver- 
■ftung  wohl  nach  übereinstimmendem  Urteil  zerebraler  Lo- 
alisation  ist,  habe  ich  den  Weg  gewählt,  der  am  kürzesten 
um  ( iehirn  führt  »und  am  sichersten  alle  Feile  des  Gehirns 
rreicht,  den  i  n  t  r  a  a  r  t  e  r  i  e  1 1  e  n,  und  habe  ihn  meist  in 
.ombination  mit  der  subduralen  Methode  an- 
ewandt,  um  so  den  Feind  von  zwei  Seiten  zu  fassen.  Die 
echnik  ist  kurz  folgende:  man  legt  die  Karotis  (entweder  in 
arkose  oder  in  Lokalanästhesie,  je  nach  Art  des  Falles)  frei 
nd  spritzt,  die  Nadel  schräg  in  der  Richtung  des  Blutstromes 
inführend,  die  entsprechende  Menge  Heilserum  ins  Blut.  Es 
-i  vorweg  bemerkt,  dass  ich  in  keinem  Falle  irgend  eine  un- 
tigenehme  Nebenerscheinung  dieser  Applikation  gesehen 
abe.  Die  kleine  Hautwunde  wird  mit  3—4  H  e  r  f  f  sehen 
lainmern  geschlossen. 

Die  von  mir  gemachten  Erfahrungen  mit  den  i  n  t  r  a  - 
rteriellen,  subduralen  und  teilweise  auch  intra- 
e  n  ö  s  e  n  Antitoxinanwendungen  sollen  an  folgenden  6  Fällen 
ustriert  werden.  ■ 

Fall  t,  H.  (Franzose).  Am  20.  Aug.  14  Gewehrschuss  auf  der 
capula.  Ein-  und  Ausschuss  verbunden  durch  kleine  Hautbrücke, 
nkend.  Brücke  wird  durchtrennt,  darunter  stinkendes  nekrotisches 
.'webe.  Tuchfetzen!  Verband  mit  Perubalsam.  Verlauf: 
unde  reinigt  sich. 

29.  Aug.  9.  Tag  (!)  Trismus,  zunächst  keine  Mitteilung  an  den 

zt. 

1.  Sept.  Erst  am  12.  Tag  Meldung.  Befund:  Hochgradiger  Tris- 
is,  Mund  nur  2  mm  zu  öffnen,  Risus  sardonicus,  Opisthotonus  mit 
ka  alle  Minuten  folgenden  heftigen  Stössen,  Schluckbeschwerden, 
hlingkrämpfe. 

Therapie:  Heilserum  7,5  subdural  zwischen  2.  und 
Lendenwirbel  +  7,5  intraarteriell  in  die  Art.  car.  dextra.  Ausser- 
m  6 stündlich  je  4  g  Chloralhydrat  als  Klystier.  Nach 
'.wachen  aus  der  Narkose  sehr  selten  Krampf- 
össe  leichter  Art,  etwa  innerhalb  2  Stunden 
S  t  o  s  s  (Beobachtung  der  sehr  zuverlässigen  Schwester,  die  am 
tte  sitzt).  Anhaltende  Besserung  bis  zum  anderen  Abend.  Dann 
rschlimmerung  durch  Geräusche  (Glocken,  psychische  Erregung), 
'd.:  Chloralhydrat 

3.  Sept.  Am  3.  Tag  erneute  Stösse:  nochmals  Heilserum,  dies- 
G  ganze  Dosis  sub  dural  (lumbal).  In  der  Nacht  wenig  Stösse 
'arkotikum  nebenbei).  Am  nächsten  Tag  Aussetzen  der  Narkotika 
[d  Einschaltung  von  Magnesiumsulfat  10  g  pro  die  sub- 
tan.  Nach  den  ersten  Injektionen  Eindruck  von  Besseiung,  später 
ie  Einwirkung.  Rückkehr  zu  den  Narkoticis. 

8.  Sept.  10.  lag.  Bis  heute  Wechsel  im  Befinden,  Trismus  und 
isthotonus  ohne  nennenswerte  Veränderung.  Ab  und  zu  Stösse. 
hrungsaufnahme  (flüssig)  im  ganzen  sehr  gut.  Heute  subjektive 
sserung.  Objektiv  Risus  geringer. 

9.  Sept.  11.  Tag.  Erneut  heftige  Stösse  Heilserum  beabsichtigt, 
in  wegen  Besserung  aufgegeben. 

H.  Sept.  13.  Tag.  Trismus  besser,  aber  heftige  opisthotonische 
'sse.  Heilserum  7,5  lumbal,  7,5  intravenös. 

15.  Sept.  17.  Tag.  In  den  letzten  Tagen  zunehmende  Besserung. 
Ismus  schwindet.  Opisthotonus  noch  wenig  verändert.  Ab  und  zu 
Stoss.  Heute  Kopf  wieder  beweglich.  Allgemeinbefinden  sehr 
1  •  Fortschreitende  Heilung. 

20.  Sept.  Patient  kann  als  geheilt  betrachtet  werden.  Geht 
um  und  bedient  die  im  selben  Zimmer  liegenden,  noch  schwer- 
nken  deutschen  Tetaniker.  Der  Trismus  ist  fast  vollkommen  ge¬ 
wunden,  noch  leichte  Starre  im  Rücken. 

Fall  2,  G.  Am  26.  Aug.  14.  Zerfetzung  des  rechten 
erarms durch  Granatschuss.  Exartikulation  sofort  nach 
Iieferung  am  2.  Tag  nach  der  Verletzung.  Schmierige,  nekro- 
■  he,  stinkende  Wunde,  verunreinigt  durch  Steine  und  Tuch- 
zen.  Verlauf  zunächst  gut,  Fieber,  Reinigung  der  Wunde. 

4.  Sept.  9.  Tag  (!).  Trismus  und  Nackensteifigkeit, 
s  u  s. 

Therapie :  Zunächst  prophylaktische  Dosis  intra- 
nös,  da  die  Heildosis  nicht  zur  Hand.  Am  Abend  Heilserum 
* lze  Dosis  =  100  AE.)  subdural  (lumbal).  Chloralhydrat 
P.  cl.  Nacht  gut,  keine  Stösse. 


■  med.  Wochenschrift.  2187 


5.  Sept.  10.  l  ag.  Zunahme  des  Trismus  und  Opisthotonus.  Nar- 
kotica  (C  h  1  o  r  a  1  mit  O  p.,  S  k  o  p.  -  M  o  r  p  h.). 

6.  Sept.  11.  Tag.  Höchster  Trismus  und  Opistho- 
f.0 11 11  s-  Krampfstösse  mit  zunehmender  Heftigkeit,  schliess¬ 
lich  alle  3  Minuten  und  öfter.  Daher  Heilserum  intraarte- 
l  iell  'i,  intravenös  'A.  Auch  in  tiefer  Narkose  vollkommene 
Starre  der  ganzen  Rückenmuskulatur. 

Wirkung:  In  der  Nacht  kein  einziger  starker 
Krampfstoss,  ab  und  zu  ein  leichter,  nur  vom  Patient  empfun¬ 
dener,  nicht  von  der  Schwester  beobachteter  Stoss.  Während  der 
Nacht  kein  Narkotikum. 

7.  Sept.  12.  lag.  Trismus  und  Opisthotonus  un¬ 
verändert.  Keine  Stösse  mehr.  Pat.  hat  Hunger  und 
trinkt  sehr  fleissig  flüssige  Nahrung. 

G-  Sept.  19.  lag.  In  den  letzten  Tagen  objektiv  keine  auf¬ 
fallend^  Veränderung,  schmerzhafte  lokale  Krämpfe  in  der  Wunde 
l  esp.  Schultermuskulatur  Keine  allgemeinen  Stösse,  nur  einmal  ein 
kurz  andauernder  während  der  Visite  Trismus  heute  geringer 
Mund  etwa  1  mm  zu  öffnen.  Seit  Tagen  subjektives  Befinden'  wesent¬ 
lich  besser. 

15.  Sept.  20.  Tag  1  rismus  weiter  schwindend.  Opithotonus 
scheinbar  unverändert.  Allgemeinbefinden  sehr  gut.  Fortschreitende 
Heilung. 

20  Sept.  Trismus  geht  sehr  langsam  zurück.  Mund  kann  heute 
etwa  X-  cm  geöffnet  werden.  Patient  nimmt  breiige  Nahrung. 
Opisthotonus  noch  deutlich,  doch  kann  der  Kopf  wieder  nach  allen 
Seiten  bewegt  werden,  am  wenigsten  nach  vorn.  Risus  besteht  noch. 
Die  Wunde  granuliert,  sondert  wenig  ab,  riecht  kaum  mehr.  All¬ 
gemeinbefinden  und  psychische  Stimmung  sehr  gut.  Pat.  kann  als 
geheilt  betrachtet  werden. 

Fall  3,  D.  Am  25.  Aug.  14  Schrapnellverletzung  an 
der  Innenseite  des  rechten  Knies.  20  cm  lange  schmie¬ 
rige  Wunde  mit  Tuchfetzen. 

4.  Sept.  10.  Tag.  Leichte  Kieferklemme,  Risus  (?).  Zunächst 
unklarer  Fall,  erinnert  an  Mumps. 

7.  Sept.  Zunahme  des  Trismus,  zunächst  prophylaktische 
Injektion  intravenös. 

8.  Sept.  Trismus  vermehrt,  Risus  desgl.  Beginnende 
Nackensteifigkeit,  tonischer  Krampfzustand  des 
verletzten  Beines  mit  sehr  intensiven  Krampf- 
stössen,  bei  denen  Pat.  vor  Schmerz  aufschreit.  Bei  jeder  Be¬ 
rührung,  besonders  beim  Verbinden  heftige  Stösse. 

Therapie:  Heilserum  lumbal  3A,  intravenös  34. 

Wirkung:  Vollkommenes  Aufhören  der  Krampf¬ 
stösse.  Tonus  bleibt,  nimmt  gegen  Abend  ab.  Nachts  Chloral  4,0. 

9.  Sept.  Risus  geringer,  Trismus  unverändert.  Urinverhaltung 
(Bauchstarre),  Katheterismus. 

10.  Sept.  16.  Tag.  Trismus  wesentlich  besser.  Oeffnung  des 
Mundes  etwa  34  cm.  Retentio  urinae.  Katheterismus.  Krampfstösse 
nicht  mehr  aufgetreten. 

15.  Sept.  Beim  V.W.  leichter  tonischer  Krampf  des  Beines. 
Trismus  weiter  gebesert.  Oeffnung  des  Mundes  ca.  34  cm. 

20.  Sept.  Ab  und  zu  noch  Krampfstösse  im  Bein,  die  aber  vor¬ 
sichtig  durch  langsame  Streckung  des  Beines  überwunden  werden 
können.  Wunde  reinigt  sich,  riecht  kaum  mehr.  Trismus  bis  auf 
2  cm-Oeffnung  geschwunden.  Kann  feste  Nahrung  kauen.  Allgemein¬ 
befinden  sehr  gut. 

Kann  als  geheilt  betrachtet  werden. 

Fall  4,  L.  Am  7.  Sept.  14  Streifschuss  auf  der  linken 
S  t  i  r  n  e,  8  cm  lange,  1  cm  breite  Wunde  an  der  Haargrenze.  Schorf 
aus  geronnenem  Blut. 

11.  Sept.  4.  Tag.  Bei  der  Einlieferung  Trismus,  Mund  1  cm 
weit  zu  öffnen,  Nackenstarre,  heftige  Kopfschmerzen.  Gibt  an,  dass 
die  genannten  Symptome  bereits  gestern  (also  am  dritten  Tag) 
angefangen  haben.  Es  wird  sofort  Antitoxin  injiziert,  und  zwar  bei 
dem  Prävalieren  der  zerebralen  Symptome  %  der  Heil- 
dosis,  also  75  AE.  intraarteriell  in  die  linke  Carotis  in¬ 
terna,  der  Rest  in  die  V  e  n.  m  e  d.  c  u  b  i  t  i.  Die  Wirkung  äussert 
sich  in  einem  Stillstand  des  tetanischen  Prozesses 
für  diesen  Tag  und  die  nächste  Nacht.  Stösse  sind  nicht  aufgetreten. 

12.  Sept.  Am  nächsten  Tag  ausgesprochene  Besserung  subjek¬ 
tiver  und  objektiver  Art. 

14.  Sept.  Fortschreitende  Besserung.  Trismus  schwindet, 
Opithotonus  ebenfalls.  Allgemeinbefinden  sehr  gut,  noch  Kopfschmerz. 

20.  Sept.  Pat.  fühlt  sich  wohl,  sitzt  täglich  im  Sessel  und  liest. 
Trismus  und  Nackensteifigkeit  kaum  mehr  nachweisbar.  Kopf  wird 
immer  noch  etwas  steif  gehalten,  Kopfschmerzen  nicht  ganz  ge¬ 
schwunden.  Allgemeinbefinden  sehr  gut.  Patient  kann  als  geheilt 
betrachtet  werden. 

Fall  5,  D.  (Franzose).  Am  29.  Aug.  a)  Gewehrschuss  durch 
die  rechte  Brust,;  b)  Schussfraktur  der  rechten  Tibia 
in  der  Mitte  mit  starker  Splitterung,  in  der  Wunde 
zahlreiche  Kleiderfetzen  und  losgelöste  Knochensplitter,  Wunde 
im  ganzen  schmierig  belegt  und  übelriechend 

11.  Sept.  14.  Tag  (!).  Trismus.  Deshalb  gleich  am  näch¬ 
sten  Tag  ins  hiesige  Lazarett  verlegt.  Rasche  Zunahme  des  Tris¬ 
mus  und  Auftreten  sehr  heftiger  lokaler  Krämpfe  im  verletzten  Bein. 
Das  Bein  wird  dabei  in  rechter  Beugung  im  Kniegelenk  gehalten.  Alle 
Beinmuskeln  sind  in  starrer  Kontraktion  Eine  Streckung  ist  aus¬ 
geschlossen.  Jede  Berührung  löst  neue  Krämpfe  aus. 


2188 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  44. 


Therapie:  Subdurale  (lumbale)  Injektion  von  %  der 
Heildosis  des  Antitoxins,  des  Restes  in  die  Vena 
mediana  cubiti.  Die  Einwirkung  ist  zunächst  gering,  so  dass 
am  Abend  Narkotikum  (Chloralhydratklysma  4  g)  gegeben  wird. 
Daraufhin  nachts  etwas  Ruhe.  Stösse  aber  immer  noch  sehr  häufig. 

13.  Sept.  Hochgradigster  Trismus,  zunehmen¬ 
der  Opisthotonus  und  Bauchstarre.  Wieder  Narkotika  (Sko¬ 
polamin-Morphium). 

14.  Sept.  Keine  Besserung.  Heftige  Schmerzen  in  der  Wunde. 
Deshalb  heute  1  Uhr  mittags  Antitoxin  intraarteriell  in 
die  Carotis  dextra.  Am  Nachmittag  noch  keine  deutliche  Verände¬ 
rung  und  viel  Stösse.  Am  Abend  deutliche  Besserung: 
Stösse  seltener  und  weniger  heftig.  Trismus  unver¬ 
ändert,  Opisthotonus  nicht  mehr  so  starr.  Allgemeinbefinden  gut. 
In  der  gleichen  Narkose,  die  für  die  intraarterielle  Injektion  statt¬ 
hatte,  wird  die  Wunde  gründlich  nachgesehen,  die  zersplitterte  Tibia 
von  zahlreichen  Knochensplittern  und  Kleiderfetzen  gereinigt  und 
Gipsverband  in  Streckstellung  des  Knies  angelegt  mit  grossem  Fen¬ 
ster  über  der  Wunde. 

20.  Sept.  Seit  dem  14.  Sept.  langsam  fortschreitende  Besserung. 
Als  Narkotikum  wird  seither  das  früher  als  wirksam  befundene  Opium 
subkutan  verabfolgt.  Tct.  op.  spl.  3  Teilstriche. 

23.  Sept.  In  der  letzten  Nacht  bekam  Fat.  nach  bereits  im 
Laufe  des  Tages  sich  einstellenden  Vorboten  einen  schweren  Anfall 
von  Delirium  alcoholicum,  der  mit  grossen  Dosen  Opium  bekämpft 
wird.  Die  genauere  Nachforschung  ergibt,  dass  Pat.  bereits  seit 
langem  grosse  Dosen  Alkohol  zu  sich  zu  nehmen  gewohnt  war. 
Dabei  wird  auch  bekannt,  dass,  ganz  im  Gegensatz  zu  dem  Verfahren 
bei  uns,  während  der  Mobilmachungstage  auf  Bahnhöfen  in  Frankreich 
die  Soldaten  mit  Alkohol  in  jeder  Form  in  übermässiger  Weise  regu¬ 
liert  wurden. 

25.  Sept.  Pat.  hat  sich  wieder  gut  erholt.  Beim  Verbinden  noch 
deutliche  Krämpfe  in  der  Wunde.  Trismus  bis  zu  1  cm  Mundöffnung 
gebessert.  Opisthotonus  sehr  wesentlich  gebessert.  Fortschreitende 
Heilung. 

Fall  6,  Sch.  Am  7.  Sept.  Schrapnellverletzung  an 
der  rechten  Hand,  dem  rechten  Knie,  dem  linken 
Ober-  und  linken  Unterschenkel.  Rechter  Daumen  und 
4.  und  5.  Finger  zerfetzt,  werden  amputiert,  plastische  Deckung  mit 
Haut  aus  der  Umgebung.  Am  rechten  Knie  ist  die  Vorderseite  mit 
Patella  und  Kapsel  zertrümmert.  Einlieferung  hier  am  11.  Sept.  mit 
Notverbänden,  die  seit  dem  1.  Verband  nicht  gewechselt  wurden, 
f in  Gelenk  liegt  Schmutz,  Kleiderfetzen  etc. 

Patella  wird  teilweise  entfernt,  Gelenk  beiderseits  seitlich  drai- 
niert.  Desinfektion  mit  Jodtinktur.  Fixation  mit  gefenstertem  Gips¬ 
verband.  Aluminium-Gipsbügel  am  Gelenk.  Am  linken  Oberschenkel 
(Innenseite)  ein  zehnpfennigstückgrosser  Einschuss  ,  schmierig,  kein 
Ausschuss,  keine  Fraktur.  An  der  Innenseite  des  linken  Schienbeines, 
handbreit  unter  dem  Gelenk,  eine  gleiche  Wunde,  Einschuss  ?,  kein 
Ausschuss.  Knochen  jedenfalls  verletzt,  keine  Dislokation.  Gelenk 
gut  beweglich. 

14.  Sept.  7.  Tag.  Bei  der  Abendvisite  Klage  über  Schluck- 
besch  werden  Mundöffnung  etwas  erschwert.  In  der  Nacht 
Zunahme  der  Beschwerden,  vor  allem  des  Trismus  und  heftige 
lokale  Krämpfe  im  rechten  Bein.  Der  Ausgangspunkt  des 
Tetanus  ist  demnach  in  das  schwerverletzte  rechte  Knie  zu  verlegen. 

15.  Sept.  8.  Tag.  Bis  zur  Ankunft  der  Heildosis  in  der  Frühe 
prophylaktische  Dosis  intravenös.  Opisthotonus. 
Lokale  Krämpfe  von  grosser  Heftigkeit,  Pat.  schreit  vor  Schmerzen. 
Am  Mittag  subdurale  (lumbal)  Applikation  der  gesamten 
Heildosis  (100  AE.).  Von  dem  flott  abfliessenden  Liquor  werden 
in  unbestimmter  Vorstellung  einer  event.  Wirkung  6  ccm  sofort  in 
die  Armvene  injiziert,  ohne  Reaktion.  Wirkung?  Nach  der  lum¬ 
balen  Injektion  wird  das  untere  Bettende  hochgestellt,  um  das  Serum 
zerebralwärts  zu  leiten;  es  treten  in  dieser  Stellung  aber  solche 
Schmerzen  im  Knie  ein  ,dass  ein  Narkotikum  (Skopolamin-Mor¬ 
phium)  gegeben  werden  muss.  Am  Abend  lokal  wesentliche  Besse¬ 
rung,  dagegen  häufig  Krämpfe  der  Schling-  und  Atem- 
muskulatur.  Der  Versuch  zu  schlucken  löst  heftiges  Ver¬ 
schlucken  mit  krampfhaftem  beängstigendem  Husten  aus,  so  dass 
die  Gefahr  der  Erstickung  naheliegt,  ln  der  Nacht  ein  Erstickungs¬ 
anfall,  später  Chloralhydrat  per  Klystier. 

16.  Sept.  9.  Tag.  Lokale  Krämpfe  gebessert,  selten 
und  wenig  schmerzhaft;  Schluck-  und  Atemkrämpfe  un¬ 
verändert.  Pat.  ist  ausserstande  etwas  zu  geniessen.  Nähr¬ 
klystier.  Mit  Rücksicht  auf  die  Zunahme  und  Heftigkeit  der  zere¬ 
bralen  Vergiftungserscheinungen  wird  eine  intraarterielle  In¬ 
jektion  der  ganzen  Heildosis  (100  AE.)  in  die  Karotis  gemacht.  Eine 
deutliche  Einwirkung  ist  im  Laufe  des  Tages  nicht  zu  bemerken. 
Durch  Narkotika  wird  Pat.  in  leichtem  Dusel  erhalten.  Am  späten 
Abend  wieder  viel  Atem-  und  Schlingkrämpfe,  ab  und  zu  Stösse  im 
Bein.  Wasserzufuhr  mit  Tröpfelapparat. 

17.  Sept.  10.  Tag.  In  der  Frühe  Zustand  der  gleiche.  Tct.  opii 
subkutan  3  ccm.  Nachmittags  fortwährende  Zwerchfellkrämpfe. 

18.  Sept.  Kniewunde  sieht  recht  septisch  aus.  In  der  Annahme, 
dass  ein  gewisser  Grad  septischer  Infektion  bei  dem  schweren  Krank¬ 
heitsbild  (hohes  Fieber)  mitwirkt,  werden  5  ccm  Elektrargol  intra¬ 
venös  appliziert,  ohne  Reaktion  und  Wirkung.  Lokale  Krämpfe 
verhältnismässig  selten,  die  zerebralen  unverändert,  so 
dass  Pat.  alle  Flüssigkeit  per  os  verweigert. 


19.  Sept.  Allgemeinbefinden  schlechter,  zeitweise  Bewusstseins¬ 
störungen.  Nochmalige  Antitoxin  dosis  intravenös,  ohne 
deutliche  Einwirkung.  Am  späten  Abend  vollkommene  Somnolenz, 
kleiner  rascher  Puls.  Ein  Aderlass  von  ca.  200  g  und  nach¬ 
folgende  intravenöse  Injektion  von  600  ccm  p  h  y  s  i  o  1. 
Kochsalzlösung  hat  den  Erfolg,  dass  der  Pat.  wieder  erwacht, 
spricht,  zu  trinken  versucht  und  Yi  Tasse  Tee  nach  und  nach  schluckt, 
Puls  wieder  kräftig.  Im  Laufe  der  Nacht  leidlicher  Zustand. 

20.  IX.  Früh  erneute  Verschlimmerung,  nochmals  intravenöse 
Infusion  und  sonstige  Exzitantien,  ohne  Erfolg.  Um  12  Uhr  Exitus. 

Die  Autopsie  ergab  neben  der  beschriebenen  Kniewunde  eine 
quere  Fraktur  des  Femur  suprakondylär,  ferner  eine  Jauchehöhle 
von  Eigrösse  im  linken  Oberschenkel  mit  Granatsplitter  und  eine 
Splitterfraktur  der  linken  Tibia  durch  einen  an  der  Wade  ein-  und 
durch  die  Tibia  ausgetretenen  Schrapnellschuss. 

F  a  1 1  7,  B.  (Franzose).  21  Sept.  14  Granatschussverletzung  der 
Hinterseite  des  rechten  Oberschenkels.  Haut  fehlt  in  der  halben  Zir- 
kumferenz  von  der  oberen  Grenze  des  mittleren  Drittels  bis  zur  Mitte 
der  Kniekehle,  Wunde  schmierig  belegt,  stinkend,  Ränder  unter¬ 
miniert,  nekrotische  Gewebspartien,  Muskeln  zerrissen.  Bei  der 
Einlieferung  keine  Anzeichen  von  Tetanus. 

1.  Okt.  10.  Tag.  Trismus,  rasch  zunehmend,  geringe  Nacken¬ 
starre,  leichte  Zwerchfellkrämpfe,  eingenommener  Kopf.  Am  Abend 
intraarterielle  Antitoxininjektion  in  beide  Ar- 
teriae  carotis  in  Lokalanästhesie,  ungefähr  die  Hälfte  der  Heil¬ 
dosis  beiderseits.  Pat.  erklärt  unaufgefordert,  dass  er  sich  im  Kopf 
wieder  ganz  frei  fühle.  Im  übrigen  ist  eine  nennenswerte  Beein¬ 
flussung  des  Tetanus  nicht  zu  konstatieren. 

2.  Okt.  In  der  Nacht  Zunahme  des  Trismus  und  besonders  der 
Zwerchfellkrämpfe.  2  mal  Erstickungsanfälle.  Mund  kann  heute  früh 
nicht  mehr  geöffnet  werden.  Gegen  Morgen  Skopolamin-Morphium 
subkutan.  Am  Vormittag  wird  angesichts  der  Verschlimmerung  auch 
sub  dural  (lumbal)  die  ganze  Heil  dosis  verabreicht.  Bis 
zum  Abend  leidlicher  Zustand,  dann  kurz  nach  Chloralhydratklysma 
um  7  Uhr  ein  Erstickungsanfall  von  grösster  Heftig¬ 
keit  unter  enormen  opisthotonischen  Stösse  n. 
Durch  eine  alsbald  eingeleitete  Chloroformnarkose  gelang  es  mir, 
des  Anfalls  Herr  zu  werden. 

Von  nun  an  wurde  Pat.  durch  Narkotika  in  beständigem  Dusel 
erhalten,  abwechselnd  durch  Pantopon,  Veronal-Kodein,  Skopolamin- 
Morphium.  Sobald  er  erwachte  und  Zwerchfellkrämpfe  oder  stär¬ 
kere  opisthotonische  Stösse  eintraten,  wurde  irgendein  Narkotikum 

gegeben. 

8.  Okt.  Auf  obige  Weise  gelang  es  mir,  bis  dato  den  Pat.  in 
leidlich  gutem  Zustand  zu  erhalten.  Eine  ziemlich  starke  Bronchitis 
machte  dem  Pat.  in  den  letzten  Tagen  viel  zu  schaffen.  Bei  den  zur 
Entfernung  des  Schleims  gemachten  Anstrengungen  wurden  sehr 
leichte  Zwerchfellkrämpnfe  ausgelöst,  die  die  Expektoration  sehr  er¬ 
schwerten. 

Der  Trismus  ist  im  Rückgang,  der  Opisthotonus  bedeutend  ge¬ 
ringer  und  Krampfstösse  im  Rücken  treten  kaum  mehr  auf.  Pat  kann 
sich  zum  Verbandwechsel  allein  herumdrehen,  ohne  Krampfstösse  zu 
bekommen.  Im  Bein  sind  keine  lokalen  Krämpfe  aufgetreten. 

Der  Pat.  ist  nach  meinen  Erfahrungen  als  gerettet  zu  betrach¬ 
ten,  so  dass  ich  ihn  zu  den  geheilten  rechne.*) 

F  a  1 1  8,  J.  (Franzose).  Am  20.  Sept.  14  Granatsplitterverletzung 
des  Thorax.  Zersplitterung  der  9.  und  10.  Rippe  in  der  hinteren 
Axillarlinie.  Bei  der  Einlieferung  29.  Sept.  hochgradige  Dyspnoe 
durch  Hämothorax.  Sofort  Operation:  Eröffnung  eines  jauchi¬ 
gen  Hämatothorax,  Schusskanal  durch  das  Zwerchfell  in  die  Leber, 
Leberabszess,  Peritoneum  verklebt.  Scheinbar  Senkungsabszess  in 
der  rechten  Peritonealseite,  abgekapselt,  zunächst  ohne  Bedeutung, 
Drainage  von  Pleura  und  Leber. 

1.  Okt.  11.  Tag.  Bei  der  Abendvisite  ohne  Vorboten  starke 
opisthotonische  Stösse  beim  Aufsitzen  zum  Verbinden. 
Sofort  Heilserum  intraarteriell  in  beide  Karotiden 
(in  Lokalanästhesie),  rechts  7,  links  9  ccm.  Die  Freilegung  der 
Arterien  erschwert  durch  hochgradige  Venenstauung,  die  Injektion 
durch  forcierte  Atmung  und  häufige  tetanische  Krampfstösse. 

Unmittelbar  nach  der  Injektion  scheinbar  vollkommenes  Wohl¬ 
befinden,  hält  ca.  1  Stunde  an.  Im  2.  Teil  der  Nacht  wieder  Zunahme 
der  Krampfstösse,  häufig  ausgelöst  durch  die  Unruhe  eines  anderen 
im  Zimmer  liegenden,  etwas  unleidlichen  Patienten  (Fall  5). 

Im  2.  Teil  der  Nacht  ziemliche  Ruhe  und  Schlaf  bis  6  Uhr  früh. 
Von  da  an  wieder  Verschlimmerung. 

2.  Okt.  Bei  der  Morgenvisite  hochgradiger  Trismus.  Häufige 
Stösse.  Die  Art  der  Stösse  in  diesem  Fall  ausgezeichnet  durch  grup¬ 
penweises  Auftreten  von  jedesmal  5 — 6  Stössen  hintereinander,  dann 
Pausen  von  2 — 3  Min. 

Ehe  es  zu  der  beabsichtigten  lumbalen  Injektion  kommt,  um 
9  Uhr  früh  plötzlich  unvermittelt  Exitus  letalis  durch  Herz¬ 
schwäche. 

Wegen  Raummangels  muss  ich  es  mir  versagen,  auf  eine 
epikritische  Besprechung  der  einzelnen  Fälle  einzugehen, 


*)  Anmerkung  bei  der  Korrektur:  Eine  nochmalige  Zunahme  der 
opisthotonischen  Krämpfe  veranlasst  eine  erneute  lumbale  Antitoxin¬ 
injektion.  Seitdem  auffallend  rascher  Rückgang  aller  tetanischen  Er- 
i  scheinungen.  Tetanus  nunmehr  definitiv  geheilt. 


November  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Miinch.  med.  Wochenschrift. 


2189 


2nn  auch  dabei  die  persönlichen  Beobachtungen  sich  besser 
edergeben  lassen  als  bei  der  meist  schematischen  Auf¬ 
innig  der  I  atsachen  in  der  Krankengeschichte.  Anderseits 
rken  die  letzteren  objektiver.  Vor  allem  möchte  ich 
)  e  r  h  e  r  v  o  r  h  e  b  e  n,  d'  a  s  s  *i  c  h  mich  nicht,  wenig- 
-fis  in  7  von  den  8  Fällen,  auf  die  alleinige  An- 
e  n  d  u  n  g  des  Antitoxins  beschränkt  habe, 
udern  dass  ich  gleichzeitig  ausgiebigen 
e  b  r  a  u  c  h  von  N  a  r  k  o  t  i  c  i  s  gemacht  habe.  Dadurch 
natürlich  das  Urteil  über  das  Heilserum,  wie  ich 
r  nicht  verhehle,  kein  ganz  einwandfreies.  Ich 
’lt  mich  aber  nicht  für  berechtigt,  bloss  auf  das  in  seiner 
irkung  seither  nicht  sicher  anerkannte  Heilserum  zu  ver- 
uen,  sondern  glaubte,  im  Interesse  der  Kranken  die  er- 
iirungsgemäss  sehr  beruhigend  wirkenden  Narkotika, 
e  Chloralhydrat,  Opium  resp.  Fantopon,  Skopolamin-Mor- 
i  in,  Veronal  mit  Kodein,  nicht  ausser  Betracht  lassen  zu 
rfen.  Diesem  Prinzip  werde  ich  auch  weiter- 
;n  huldigen  in  der  Ueberzeugung,  dass  das 
Uilserum  allein  kein  Allheilmittel  ist.  Und 
glaube,  dieser  Kombination  von  spezifisch 
d  symptomatisch  wirkenden  Mitteln  meine 
r  folge  zu  verdanken.  Der  einzige  Fall,  in  dem  ich 
die  ersten  12  Stunden  zur  Beobachtung  der  Antitoxin- 
> -kung  auf  Narkotika  verzichtete  (Fall  8),  ging  nach 
I  Stunden  an  akuter  Herzschwäche  zugrunde.  Dass  er  aller- 

•  ?s,  ebenso  wie  der  zweite  letal  endende  Fall  (Fall  6),  auf 
und  der  schweren  Verletzung  an  sich  die  Berechtigung 
:n  Exitus  hatte,  soll  nicht  ausser  acht  gelassen  werden. 

Zusammenfassung:  Mein  Urteil  über  die  Ein- 
kung  des  Antitoxins  beim  Tetanus  möchte  ich  dahin  zu- 
i  imenfassen,  dass  meines  Erachtens  eine  Einwirkung  ausser 
:  eifei  steht.  Haben  meine  Fälle  auch  an  sich  als  Tetanus- 
;  rankungen  keine  letale  Prognose  ergeben,  so  war  doch  die 
.  u irkung  von  mindestens  4  von  den  6  Fällen  eine  solche, 
>:  man  sie  ohne  spezifische  Einwirkung,  beispielsweise  bloss 
Narkoticis,  nicht  zu  beobachten  gewohnt  ist.  Ob  meine 
n  ersten  Male  geübte  Anwendung  der  intra- 
teriellen  Applikation  eine  vorzugsweise  Einwirkung 
1  ■  ,wa£e  ich  nach  den  wenigen  Erfahrungen  nicht  zu  ent- 
■  eiden.  Jedenfalls  ist  sie  der  Nachprüfung  wert,  vor  allem 
der  gleichzeitigen  Kombination  mit  sub- 
raler  Einspritzung,  welch  letztere  ich  stets  als  be- 
1  ders  wirksam  erkannte.  Die  kombinierte  Art  der  An- 
‘  ldung  däucht  mir  nach  dem,  was  wir  von  der  Lokalisation 
tetanischen  Vergiftung  und  ihren  Verbreitungswegen 
-sen,  rationell. 

Während  ich  anfangs  nur  einseitig  injizierte,  machte  ich 
|den  beiden  letzten  Fällen  die  Einspritzung  •  doppelseitig, 
nn  auch  anzunehmen  ist,  dass  eine  so  strenge  Scheidung 
<  Gefasssystems  nicht  besteht,  dass  nicht  das  Antitoxin  auch 
.  der  anderen  Seite  gelangt,  so  dürfte  für  eine  gleich- 
l.sige  Wirkung  die  beiderseitige  Anwendung  doch  wohl  an- 
'  rächt  sein,  zumal,  wenn  es  sich  nicht  bloss  um  lokale  Ex- 
nitätenkrämpfe,  sondern  um  zerebrale  Allgemeinerschei¬ 
tgen  handelt. 

Im  übrigen  habe  ich  die  Ueberzeugung,  dass  das  T  e  - 
[,usgift  ähnlich  wirkt  wie  eine  Apoplexie¬ 
werden  Zerstörungen  an  Zellkomplexen  im  Gehirn  und 
kenmark  erzeugt,  die  längere  Zeit  zu  ihrer  Regeneration 

•  inen.  Daraus  erklärt  sich  die  lange  Dauer  der  Erkrankung 
ihr  ganz  allmähliches  Abklingen  im  Laufe  langer  Wochen. 

'  werden  demgemäss  nicht  imstande  sein,  mit  irgend 
ir  Medikation  sofort  den  ganzen  Symptomenkomplex  aus 
-  Welt  zu  schaffen,  sondern  nur  dem  Fortschreiten  der  Er- 
ikung  Einhalt  zu  tun,  indem  wir  weitere  Giftwirkungen 
i  eben. 

Damit  stimmt  überein  die  Beobachtung,  dass  die  Ampu- 
'ii  \  on  Gliedern  mit  Tetanuswunden  oder  die  Ausrottung 
I Bischer  Herde  keine  Garantie  für  den  günstigen  Ausgang 
Metanus  gibt.  Dagegen  ist  es  wichtig,  dass  die  vor- 
i  lenen  Gifte  neutralisiert  und  damit  unschädlich  gemacht 
•den,  sei  es  durch  Bildung  von  Gegengiften  im  Körper 
M,  sei  es  durch  Einführung  von  fertigen  Gegengiften,  wie  ! 
as  Antitoxin,  wie  es  vielleicht  auch  Magnesiumsulfat  und  1 
Karbolsäure  sind.  I 


Die  Prognose  wird  um  so  besser  sein  müssen,  je 
eher  der  Giftwirkung  Einhalt  getan  wird.  Deshalb  wird 
es  von  grösster  Bedeutung  sein,  dass  wir  mög¬ 
lichst  frühzeitig  unser  ganzes  antitetanisches  Geschütz 
auffahren,  um  zu  verhüten,  dass  irreparable  Einwirkungen 
auf  lebenswichtige  Zentren  stattfinden.  Aus  diesem  Grunde 
werden  wir  auch  der  prophylaktischen  Antitoxin- 
einspritzung  besonderen  Wert  beilegen  müssen  und  sie 
häufiger  anwenden  als  bisher.  Schwierig  ist  dabei  nur  die 
Abschätzung  der  Möglichkeit  der  Entwicklung  des  Tetanus 
nach  der  Art  der  Wunde.  Die  Art  der  Beschmutzung  gibt  uns 
abei  gewisse  Anhaltspunkte.  Disponierend  sind  nach  meiner 
Erfahrung  vor  allem  Kleiderfetzen,  ferner  sandige  Bei¬ 
mengungen  mit  kleinen  Steinchen.  Die  Erfahrung  der  Tier¬ 
ärzte,  die  den  Tetanus  bei  Pferden  fast  ausschliesslich  bei 
Vei  letzung  des  Hufes  durch  Nägel  beobachten,  lehrt  nach  mir 
gewordenen  persönlichen  Mitteilungen,  dass  die  prophy¬ 
laktischen  immunisierenden  Einspritzungen 
von  Antitoxin  sich  sehr  bewähren. 


Leitsätze  für  die  erste  Behandlung  von  Seekriegs¬ 
verletzungen  1). 

Von  Marineoberstabsarzt  Dr.  M.  zur  Verth. 

Allgemeines. 

Händereinigung: 

1.  Händereinigung  ist  für  Anlegung  des  fertigen  Verbandes2)  un¬ 
nötig,  erübrigt  sich  daher  auf  der  Empfangsabteilung. 

2.  Für  Eingriffe  drei  Akte: 

a)  Kurzes  Waschen  mit  Wasser,  Seife  und  Bürste,  wenn  mög¬ 
lich  warmem  Wasser.  Wasser  wechseln! 

b)  Gründliches  Abreiben  der  Hände  mit  reinem,  besser  sterilem 
Tuch. 

c)  Kräftiges  Scheuern  der  Hände  mit  70  proz.  Alkohol  (3  bis 
4  Minuten);  es  genügt  denaturierter  Spiritus. 

3.  Wenn  vorhanden,  sterilisierte  Zwirn-  oder  Gummihandschuhe  an- 
legen.  Möglichst  Berührung  von  Wunden  mit  den  Fingern  ver¬ 
meiden! 

Wundversorgung. 

4.  Vor  jeder  Wundversorgung  wahllos  jedem  Verletzten  Morphium 
0,02 — 0,03  unter  die  Haut! 

5.  Auf  jede  Wundreinigung  wird  unter  jeder  Bedingung  verzichtet! 
Bei  grossem  Jodtinkturvorrat  ist  sparsame  Jodtinkturbestreichung 
(5  proz.)  der  Wundränder  (nicht  der  Wunden  selbst)  erlaubt,  aber 
nicht  erforderlich! 

6.  Wesentlicher  als  alles  andere  ist  die  sichere  sterile 
W  u in  d  b  e  d  e  c  k  u  n  g.  Das  beste  Mittel  dazu  sind  die  fertigen 
Verbände2).  Die  sterile  trockene  Wundbehandlung  ist  bei  den 
meisten  Verletzungen  die  einzige  Aufgabe  des  Arztes! 

7.  Der  Verband  darf  nicht  scheuern,  er  muss  schulgerecht  angelegt 
werden.  Sind  Verbandpäckchen  nicht  vorhanden,  so  wird  steriler 
Mull  mit  Heftpflaster  befestigt  und  darüber  eine  Binde  gewickelt. 

8.  Bei  Knochenbrüchen  und  schweren  Muskel-  und  Sehnenver- 
letzungen  sind  unter  allen  Umständen  Stützverbände  (fixierende 
Verbände)  anzulegen!  Die  sichere  Feststellung  ist  entscheidend 
für  den  weiteren  Verlauf,  oft  über  Leben  und  Tod. 

9.  Der  gut  angepasste  Gipsverband  ist  der  beste  Stützverband.  Zug- 
veTbände  (Extensionsverbände)  sind  an  Bord  nicht  brauchbar. 

10.  Uftene  Knochenbrüche  sind  steril  abzudecken  und  mit  Stützver¬ 
banden  zu  versehen.  Beide  benachbarten  Gelenke  feststellen' 
Nicht  reinigen!  Nicht  rasieren. 

11.  Zur  Wundversorgung  gehört  in  gewissen  Fällen  die  Entfernung 
von  der  Nekrose  geweihtem  Gewebe  mit  Pinzette  und  Schere 
oder  Messer.  Grundsätzliche  Ausschneidung  der  Wundränder 
und  der  Wundhöhle  ist  nicht  angängig.  Finger  weg  von  der 
Wunde!  Niemals  tamponieren!  Nur  in  breite,  völlig  zerfetzte 
Wunden  sterilen  Mull  einlegen! 

12.  Steckschüsse  sind  überaus  häufig.  Fremdkörper  sind  überall  zu 
entfernen,  wo  sie  ohne  Durchtrennung  von  Gewebslagen  durch 
Auseinanderziehen  der  Wundränder  mittels  Wundhaken  zu  er¬ 
reichen  sind.  Vermeide  auch  hier  möglichst  den  Gebrauch  von 
-  °nde  und  Finger.  Langes  Suchen  ist  nicht  gestattet. 


)  Durchgearbeitete  Fassung.  In  der  ersten  Fassung,  von  der 
die  mitgeteilten  Leitsätze  etwas  abweichen,  wurden  sie  vervielfältigt 
und  in  der  Marine  verteilt. 

)  Die  fertigen  Verbände  der  deutschen  Marine  werden  in  drei 
verschiedenen  Grössen  angefertigt.  Sie  bestehen  aus  sterilisierten 
“in,Ven>  tauf  ,  nalie  dem  äusseren  Ende  eine  vielfache  Lage  von 
Mull  aufgenaht  ist.  Dieses  Mullpaket  misst  in  der  Fläche  bei  den 
grossen  Verbanden  20  X  30  cm,  bei  den  mittleren  15  X  20  cm,  bei  den 
kleinen  10  \  13  cm.  Demgemäss  ist  die  Binde  der  grossen  20  cm 
der  mittleren  15  cm,  der  kleinen  10  cm  breit,  bei  einer  Länge  von 
i  m,  7  m  und  5  m.  Die  aufgerollte  Binde  ist  in  Zwirntuch  ein- 
geschlagen,  das  mittels  Bindfaden  zugebunden  ist. 


2190  Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. _  _  _ Nr.  4- 


Chirurgische  Eingriffe: 

13.  Operationen  sind  auf  das  unbedingt  Nötige  zu  beschränken. 

14.  Kein  Eingriff,  auch  keine  schmerzhafte  Wundversorgung  darf  ohne 
Schmerzbetäubung  vorgenommen  werden.  Das  beste  Mittel  ist 
die  Allgemeinbetäubung  (Aetherrausch,  Chloräthylrausch,  Chloro- 
formrausch.  Chloroformnarkose);  Aether  ist  feuergefährlich! 
Auch  Chloräthyl  ist  nicht  ganz  ungefährlich. 

15.  Der  chirurgische  Standpunkt,  was  Gliedabsetzungen  anlangt,  ist  i 
konservativ,  ohne  gegebenenfalls  bei  der  Schwere  der  Seekriegs¬ 
verletzungen  vor  Absetzen  zurückzuschrecken.  Meist  werden  nur 
noch  Weichteilbrücken  zu  durchschneiden  sein. 

16.  Spritzende  Gefässe  sind  ohne  Zögern  zu  unterbinden.  Sehnen 
und  Nerven  sind,  wenn  möglich,  zu  nähen.  Luftröhrenschnitt  und 
Harnröhrenschnitt  können  nötig  werden. 

Nachbehandlung: 

17.  Stille  den  Durst  der  Verletzten!  Bauchverletzte  und  Verletzte 
mit  Eröffnung  der  Speiseröhre  dürfen  weder  Nahrung  noch  Flüs¬ 
sigkeit  geniessen.  Aus  wischen  des  Mundes  mit  feuchtem  Mull! 
Wiederholte  kleine  Einläufe  oder  Tropfeneinläufe! 

18.  Unnützer  Verbandwechsel  schadet  und  vergeudet  Material. 

19.  Bei  nicht  fiebernden  und  nicht  besonders  schmerzenden  Wunden 
wird  der  erste  Verbandwechsel  am  achten  Tage  vorgenommen. 

20.  Für  Stuhlentleerung  muss  besonders  bei  fiebernden  Kranken  ge¬ 
sorgt  werden  (Rizinusöl). 

Besonderes.3) 

I.  Kopf. 

A.  Schädel. 

21.  Bei  jedem  Schädelschuss  Haare  kurz  schneiden,  Rasieren  ist  meist 
unnötig. 

22.  Furchungsschüsse  des  knöchernen  Schädeldaches  (Tangential¬ 
schüsse)  baldigt  (möglichst  in  den  ersten  24  Stunden)  freilegen 
und  säubern! 

23.  Steckschuss  bedarf,  wenn  nicht  in  extremis,  meist  sofortiger 
operativer  Behandlung. 

24.  Durchschüsse  bei  starker  Sülitterung  und  Blutung  und  bei  Ver¬ 
letzung  des  Augenzentrums  (Hinterhaupt)  operieren,  sonst  konser¬ 
vativ  behandeln. 

25.  Vorsicht  beim  Transport  des  Schädelschusses!  Wenn  angängig, 
weiteren  Transport  in  der  ersten  Woche  vermeiden! 

B.  Gesicht. 

26.  Bei  Weichteilschüssen  meist  Naht  erforderlich.  Blutung  stillen! 

27.  Bei  Kieferbrüchen  Stützverband!  Bei  Schüssen  am  Mundboden 
Luftröhrenschnitt. 

II.  Hals. 

28.  Bei  Blutungen  Gefässe  beiderseits  abbinden.  Tamponade  genügt 
meist  nicht. 

29.  Bei  allen  Kehlkopf-  und  Luftröhrenschüssen  Kanüle  einführen 
(gelingt  oft  ohne  Luftröhrenschnitt  von  der  Wunde  aus). 

30.  Eröffnung  der  Speiseröhre  zunähen  oder  Wundränder  an  die  Haut 
nähen!  Keine  Nahrung  verabreichen. 

31.  Verletzungen  grosser  Nerven  nähen. 

III.  Wirbelsäule. 

32.  Wirbelsäulenbrüche  auf  Trage  oder  Gipsbett  ohne  Umbettung 
lagern.  Wenn  nötig,  steril  katheterisieren!  Bei  Transport  Dauer¬ 
katheter!  Darmlähmung  gegebenenfalls  bekämpfen  (Abführ¬ 
mittel,  Glyzerinspritzen)!  Gegen  Wärme  und  Kälte  schützen! 

IV.  B  r  u  s  t. 

33.  Brustschüsse  nicht  angreifen!  Ruhe  und  Morphium  ist  das  beste 
Heilmittel! 

34.  Bei  starkem  Emphysem  kann  der  Luftröhrenschnitt  nötig  werden. 
Lässt  sich  eine  Verletzung  der  Speiseröhre  nachweisen,  Ent¬ 
haltung  von  jeder  Nahrung  und  Flüssigkeit! 

V.  Bauch. 

35.  Bauchschüsse  mit  Eingeweideverletzung  durch  See  kriegs- 
geschosse  sind  meist  nur  durch  Operation  zu  retten.  Dagegen 
spricht  von  seiten  des  Kranken  Schock  und  schneller  Verfall,  der 
das  Ueberstehen  des  Eingriffes  unwahrscheinlich  macht,  von  seiten 
des  Arztes  Arbeitsüberhäufung.  Die  Operation  ist,  wenn  über¬ 
haupt,  sofort  auszuführen.  Eingriff  nach  1 — 2  Tagen  k^rnrnt  zu 
spät  oder  für  die  Lokalisierung  des  Abszesses  zu  früh  (v.  Oet- 
fingen). 

36.  Bei  Eröffnung  der  Bauchhöhle  mit  Vorfall  von  Netz  oder  un- 
eröffneten  Darmschlingen  sind  die  vorgefallenen  Eingeweide  stets 
zurückzulagern,  wenn  nötig  unter  Erweiterung  der  Oeffnung  in 
den  Bauchdecken. 

37.  Bei  Eröffnung  der  Bauchhöhle  mit  Vorfall  von  verletzten  Ranch¬ 
schlingen  Schlinge  steril  einhüllen  und  vor  dem  Bauch  befestigen 
(gegebenenfalls  Serosanähte)  oder  nach  allen  chirurgischen  Ge¬ 
setzen  vernähen,  versorgen  und  zurücklagern! 


3)  Bei  der  Eigenart  der  Marineverletzungen  (meist  Artillerie  und 
Mine)  weichen  die  besonderen  Leitsätze  hie  und  da  bewusst  ab  von 
dem  Verfahren  am  Lande.  Siehe  zur  Verth:  Seekriegschirurgie 
und  kriegschirurgische  Dogmen;  Feldärztl.  Beilage  H.  3  u.  4. 


38.  Bei  allen  Bauchverlctzten  mit  Verdacht  auf  Verletzung  der  Dam 
wege  in  den  ersten  4  Tagen  Enthaltung  von  jeder  Nahrung  un 
Flüssigkeit.  Flüssigkeitszufuhr  unter  die  Haut!  Reichliche  Moi 
phiumbehandlung.  Bauchverletzte,  wenn  angängig,  in  den  erste 
5  Tagen  nicht  transportieren! 

VI.  Harn-  und  Geschlechtsorgane. 

39.  Nierenschüsse  zunächst  konservativ  behandeln!  Sekundäre  Nal 
oder  bei  schweren  Zerreissungen  —  Nierenexstirpation  kan 
wegen  andauernder  Blutung  (Darmlähmung)  oder  wegen  Vci 
eiterung  in  Frage  kommen. 

40.  Blasenschüsse  werden  konservativ  behandelt,  wenn  der  Ur| 
leicht  nach  aussen  abfliesst  (durch  Harnröhre  oder  Blasenwunde 
sonst  äusserer  Harnröhrenschnitt,  dem,  wenn  erforderlich,  di 
Blasenpunktion  vorausgeht. 

4L  Beim  ersten  Zeichen  von  Harninfiltration  ausgiebige  Einschnitt! 
in  das  infiltrierte  Gewebe  und  äusserer  Harnröhrenschnitt. 

42.  Bei  Harnröhrenschüssen  Dauerkatheter,  gegebenenfalls  vo 
äusserem  Harnröhrenschnitt  aus.  Gelingt  die  Einführung  nicb  j 
Punktion  der  Blase. 

VII.  Gliedmassen. 

A.  Arm. 

43.  Weichteilwunden  steril  bedecken!  Gefässe  unterbinden!  Sehne 
und  Nerven  alsbald  nähen!  Bei  schweren  Unterarm-  und  Hand 
Verletzungen  schienen,  auch  wenn  Knochenbruch  nicht  vorliegt. 

44.  Jeder  verletzte  Arm  gehört  in  ein  Armtragetuch,  dessen  dauernde1 
Tragen,  ausser  bei  Bettruhe,  mit  aller  Schärfe  zu  überwachen  isj 

45.  Knochenbrüche  gut  polstern  und  fixieren!  Bestes  Mittel  Gips 
schiene,  auch  Pappschienen. 

B.  Bein. 

46.  Weichteilwunden  steril  bedecken!  Sie  machen  dienstunfähig  un 
fesseln  ans  Lager.  Gefässe  unterbinden!  Sehnen  und  Nerve 
alsbald  nähen!  Schwere  Verletzungen  am  Unterschenkel  schienen 
Unterschenkelwunden  neigen  zur  Vereiterung! 

47.  Knochenbrüche  eingipsen!  Bei  offenen  Knochenbrüchen,  besor 
ders  am  Unterschenkel.  Fenster  schneiden  in  den  Ginsverband! 

48.  Den  verletzten  Fuss  hochlagern!  Bei  Verdacht  auf  Phlegmoni 
nicht  sofort  einschneiden,  sondern  abwarten. 


Röntgenuntersuchungen^im^Kriege. 

Von  Dr.  med.  Gustav  Loose,  Spezialarzt  für  Röntgend 

logie  in  Bremen. 

Die  nachfolgenden  Zeilen  mögen  dazu  dienen,  auch  deil 
röntgenologisch  weniger  geübten  Kollegen  einige  Anhalts, 
punkte  bei  Röntgenuntersuchungen  im  Felde  oder  im  Lazare; 
zu  bieten.  Aus  den  Erfahrungen  des  Russisch-Japanische 
Krieges,  der  Balkanwirren,  sowie  aus  den  bereits  vorliegende 
Berichten  aus  den  jüngsten  Schlachten  ergibt  sich  in  übereir 
stimmender  Weise,  welch  grosse  Fortschritte  die  modern 
Kriegführung  auf  humanitärem  Gebiete  gewährleistet.  Vc 
allem  ist  dies  auf  der  einen  Seite  die  Tendenz,  den  Gegnc 
kampfunfähig  zu  machen,  ohne  ihn  zu  zerreissen  und  zu  zer! 
trümmern  (moderne  Infanteriegeschosse),  auf  der  andere 
Seite  eine  grosszügig  angelegte  und  durchgeführte  Vej 
sorgung  der  Verwundeten  (Heeressanitätsdienst).  Bei  letz 
terer  wird  die  Röntgenuntersuchung  eine  wichtige,  in  viele 
Fällen  massgebende  Rolle  zu  spielen  berufen  sein.  Es  frag 
sich  nun,  wann  resp.  wo  und  vor  allem'  wie  können  wir  un 
den  Röntgenapparat  am  besten  dienstbar  machen? 

Auf  dem  Schlachtfelde  selbst,  sowie  in  der  Frot: 
(Truppenverbandplatz,  Hauptverbandplatz)  wird  die  Röntgeri 
Untersuchung  nicht  in  Frage  kommen,  da  einmal  keine  App; 
rate  vorhanden  sind,  andererseits  die  chirurgische  Versorgun 
die  Hauptsache  ist.  Günstiger  liegen  die  Verhältnisse  bereif 
in  den  grossen  Feldlazaretten  (je  12  auf  ein  Armeekorps  für 
200  Betten),  für  die,  wenn  ich  recht  orientiert  bin.  Feie 
Röntgenwagen  (Siemens  &  Halske)  vorgesehen  sind;  wij 
viele  zurzeit  zur  Verfügung  stehen,  entzieht  sich  meine 
Kenntnis;  wo  sie  vorhanden  sind,  werden  sie  die  beste 
Dienste  leisten.  Die  Hauptarbeit  auf  röntgenologischem  Gc 
biete  wird  und  muss  naturgemäss  den  Haupt-,  Reserve-  un 
Hilfslazaretten  der  Etappe  (Bindeglied  zwischen  Armee  unj 
Heimat)  und  denen  der  Heimat  selbst  zufallen.  Glückliche! 
weise  steht  auch  hierin  Deutschland  wohlgerüstet  da.  indet 
wohl  alle  zu  Kriegszwecken  herangezogenen  Krankenhäust 
bis  zu  den  kleineren  und  Privatkliniken  abwärts  mit  gute 
Röntgenapparaten  ausgerüstet  sind  und  in  der  Lage  sei 
dürften,  röntgendiagnostischen  Anforderungen  gerecht  A 
werden. 


3.  November  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


2191 


Wie  soll  nun  eine  Röntgenuntersuchung  vor  sich  gehen? 
Sie  hat  sich  in  jeder  Weise  den  modernen  chirurgischen  For¬ 
derungen  (aseptischer  Wundverband,  Fixation  des  verletzten 
Feiles)  anzupassen,  so  dass  es  in  der  grossen  Mehrzahl  der 
Fälle  nicht  nötig  sein  wird,  die  Verbände  zu  lösen.  Bei  dem 
heutigen  Stande  der  Röntgentechnik  sind  wir  durchaus  in  der 
Lage,  durch  die  meisten  Verbände  hindurch  gröbere  Dia¬ 
gnosen  zu  stellen,  vor  allem,  ob  Fremdkörper  vorhanden  sind, 
und  ob  Knochen  verletzt  sind  oder  nicht. 

Zu  den  Verbandmitteln,  die  gar  nicht  stören,  gehören  alle 
aseptischen  und  feuchten  Verbände.  Ausserordentlich  hindern 
können  Verbände,  die  in  Salbenform  Mctallsalze  enthalten 
(z.  B.  Zinksalbe)  oder  deren  Gaze  mit  schattengebenden  Sub¬ 
stanzen  imprägniert  sind  (z.  B.  Jodoform,  Dermatol,  Vioform 
11  sw.).  Zum  Glück  ist  die  Antisepsis  durch  die  Asepsis  über¬ 
wunden. 

Zu  den  Fixationsmitteln,  die  gar  nicht  oder  wenig  stören, 
gehören  alle  Stärke-  und  die  meisten  Gipsverbände.  Ferner 
alle  Schienen  aus  Pappe,  Filz,  Holz,  Metalldraht.  Einzig  und 
allein  hindern  vollkommen  Metallschienen,  besonders  in  der 
gebräuchlichen  emaillierten  oder  lackierten  Form.  Es  ist 
deshalb  dringend  zu  empfehlen,  schon  auf  den  Verbandplätzen 
Rücksicht  auf  die  kommende  Röntgenuntersuchung  zu  nehmen 
und  bei  Verbänden  möglichst  alle  Stoffe  zu  vermeiden,  die 
später  stark  stören  oder  hindern. 

Ich  persönlich  pflege  so  die  Röntgenuntersuchungen  vor¬ 
zunehmen,  dass  ich  unsere  Verwundeten,  so  wie  sie  mir  ge¬ 
bracht  werden,  im  Sitzen  oder  Rückenlage  mit  dem  Leucht¬ 
schirm  untersuche,  um  im  groben  festzustellen,  wo  ungefähr 
Geschosse  oder  Geschosssplitter  sitzen,  sowie  ob  gröbere 
Knochenverletzungen  vorliegen.  Von  der  betreffenden  Partie 
mache  ich  im  Anschluss  hieran  ein  Röntgenogramm,  einmal 
um  eine  Art  Urkunde  von  dem  Befunde  zu  haben,  ferner  aber 
auch,  um  kleinere  Metallsplitter  und  feinere  Knochenläsionen, 
die  sich  der  Leuchtschirmuntersuchung  entziehen  können,  mit 
Hilfe  der  Platte  sicher  zu  diagnostizieren. 

Die  bisherigen  Betrachtungen  dienten  der  allgemeinen 
Röntgendiagnostik.  Ganz  besondere  Aufmerksamkeit  bedarf 
das  Kapitel  der  Lokalisation  von  Fremdkörpern,  resp.  die  hier¬ 
mit  in  engstem  Zusammenhang  stehende  Frage:  Sollen  Fremd¬ 
körper  entfernt  werden  oder  nicht?  Leicht  zu  beantworten 
ist  diese  Frage  bei  Verwundungen  mit  breiter  Einschuss¬ 
öffnung  und  ausgedehnten  Gewebszerreissungen,  wie  sie  z.  B. 
durch  Granatfeuer  oder  in  Seeschlachten  hervorgerufen 
werden.  Die  chirurgische  Versorgung  dieser  Wunden  allein 
wird  wohl  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  die  gleichzeitige  Ent¬ 
fernung  grosser  Geschosssplitter  leicht  ermöglichen.  Dasselbe 
gilt  von  Geschossen,  die  ganz  oberflächlich  sitzen  und  von 
aussen  durchzufühlen  sind.  Ganz  anders,  ja  genau  gegenteilig, 
''egen  die  Verhältnisse  bei  der  grossen  Masse  der  Schussver¬ 
letzungen  mit  kleinem  Einschuss  (Infanteriegeschoss,  Granat¬ 
splitter),  bei  denen  wir  über  den  Sitz  des  Geschosses  ganz 
m  Unklaren  sind.  In  all  diesen  Fällen  fordert  schon  allein 
ansere  moderne  chirurgische  Ueberzeugung,  nihil  nocere  durch 
sondieren  oder  dergleichen:  aber  auch,  wenn  wir  uns  durch 
lie  oben  beschriebene  Art  der  Röntgenuntersuchung  eine  Vor¬ 
stellung  im  groben  von  dem  Sitz  einer  Kugel  gemacht  haben, 
\'ann  nicht  dringend  und  nicht  scharf  genug  davor  gewarnt 
verden,  jetzt  schon  nach  ihr  zu  suchen,  vorausgesetzt,  dass 
lie  klinischen  Verhältnisse  dies  nicht  unbedingt  erfordern.  Es 
ässt  sich  auf  Grund  einer  Röntgenplatte  eben  nur  sagen, 
lass  eine  Kugel  vorhanden  ist,  nicht  aber,  an  welcher  Stelle 
•ie  genau  liegt.  Ganz  sicher  werden  alle  diejenigen,  die  auf 
irund  einer  ungenügenden  Röntgenuntersuchung  sich  ver- 
citen  lassen,  operativ  einzugehen,  zum  Nachteil  unserer  Ver¬ 
wundeten  die  grössten  Enttäuschungen  erleben. 

Wie  lässt  sich  nun  der  genaue  oder  wenigstens  annähernd 
.enaue  Sitz  einer  Kugel  bestimmen?  Lokalisationsmethoden 
ind  so  alt,  wie  die  Röntgenuntersuchung  selbst,  und  es  würde 
u  weit  führen,  sie  hier  alle  aufzuzählen.  Einen  gewissen  An¬ 
walt  gewinnt  man  schon  durch  Drehung  des  Patienten  und 
Untersuchung  in  zwei  senkrecht  zu  einander  liegenden 
-benen.  Einen  weiteren  Fortschritt  bedeuten  die  Methoden, 
ie  mit  Röhrenverschiebung  arbeiten,  so  dass  durch  die  Ver- 
ehiebung  der  Fremdkörperschatten  sich  die  Tiefenlage  des 


Fremdkörpers  selbst  berechnen  lässt.  Alle  diese  erfordern 
eine  ausserordentlich  exakte  und  komplizierte  Technik  und 
sind  dadurch  zeitraubend  und  ungenau.  Die  beste,  durch  ihre 
Einfachheit  und  Genauigkeit  konkurrenzlos  dastehende  Me¬ 
thode  ist  heute  die  stereoskopische.  Sie  gewährleistet  nicht 
nur  einen  direkt  körperlichen  Einblick  in  das  Untcrsuchungs- 
objekt,  sondern  sie  gibt  auch  dem  Operateur  dadurch,  dass  er 
den  Fremdkörper  vor  seinem  Auge  schweben  sieht,  einen, 
ich  möchte  sagen,  automatischen  Wegweiser  für  sein  Vor¬ 
gehen,  zumal  er  es  in  der  Hand  hat,  je  nach  Einstellung  der 
latten,  aus  verschiedenen  Richtungen  in  das  Objekt  hinein¬ 
zusehen  und  sich  so  ausserordentlich  leicht  eine  genaue  Vor¬ 
stellung  von  der  Tiefenlage  zu  machen.  Wesentlich  erleich¬ 
tern  'lässt  sich  die  Bestimmung  noch  dadurch,  dass  man  auf 
der  Haut  beliebige  Punkte  markiert,  die  auch  während  der 
Operation  die  Anhaltspunkte  für  ein  richtiges  Eingehen  bilden. 
Ich  glaube,  dass  jeder,  der  zum  erstenmal  mit  dieser  Methode 
Fremdkörper  bestimmte  und  suchte,  überrascht  gewesen  ist. 
wie  einfach,  sicher  und  exakt  sie  arbeitete.  Ich  glaube,  nicht 
zu  viel  zu  sagen,  dass  mit  Hilfe  der  Stereographie  die  Ent¬ 
fernung  von  Kugeln  und  Geschossen  zu  einer  Art  von  chirur¬ 
gischem  Sport  wird.  Dennoch  kann  man  geteilter  Ansicht  da¬ 
rüber  sein,  ob  man  Fremdkörper,  die  in  günstiger,  d.  h.  für 
seinen  Träger  ungefährlicher  Position  liegen,  die  keine  Be¬ 
schwerden  machen  und  reaktionslos  einheilen,  entfernen  soll 
oder  nicht.  Vom  rein  ärztlichen  Ermessen  aus  ist  der  konser¬ 
vative  Standpunkt  wohl  der  richtige;  aber  ich  glaube,  neben 
dem  rein  ärztlichen  soll  man  nicht  ganz  die  Psyche  des 
Patienten  ausser  acht  lassen.  Der  Laie  verbindet  mit  Fremd¬ 
körper,  ganz  gleich,  ob  Nadel,  Eisensplitter  oder  Kugel,  stets 
den  Begriff  des  Krankhaften  und  kann  sich  nicht  so  leicht  mit 
dem  Gedanken  vertraut  machen,  dies  als  gleichgültig  ruhig 
sitzen  zu  lassen.  Schon  in  Friedenszeiten  habe  ich  mich  oft 
davon  überzeugen  können,  dass  der  Patient  sich  erst  wieder 
völlig  gesund  fühlt,  wenn  der  Fremdkörper  heraus  ist.  Diese 
Ueberzeugung  ist  auf  Grund  der  Erfahrungen  an  unseren 
Kriegsverwundeten  noch  fester  geworden.  Der  Soldat  fühlt 
sich  viel  eher  wieder  feldfähig,  wenn  er  „seine“  Kugel  an  der 
Uhrkette  oder  im  Geldbeutel  bei  sich  trägt  und  bewundern 
lassen  kann,  als  wenn  er  weiss,  „es  ist  noch  etwas  drin“.  Ich 
neige  mich  deshalb  der  Ansicht  zu,  dass  man  da,  aber  auch 
nur  da,  wo  die  nötigen  Einrichtungen  zur  Verfügung  stehen, 
lieber  den  kleinen  Eingriff  bei  günstigen  Objekten  ausführen 
soll,  um  mit  der  Entfernung  der  Kugel  auch  die  Psyche  des 
Verwundeten  heilend  zu  beeinflussen.  Ich  bin  der  letzte,  der 
in  irgend  einer  Weise  den  Charakter  unserer  Soldaten  in  ein 
schiefes  Licht  stellen  möchte;  aber  wir  sind  alle  Menschen 
und  leben  in  der  Zeit  der  Versicherung  und  der  Renten.  Auch 
von  diesem  Gesichtspunkt  aus  glaube  ich,  soll  man  mit  der 
Entfernung  der  Geschosse  nicht  zu  ängstlich  sein. 

Nach  dem  Gesagten  möchte  ich  meine  Ansicht  dabm  zu¬ 
sammenfassen  und  folgende  Anwort  auf  die  obigen  Fragen 
geben : 

1.  Röntgenuntersuchungen  zu  rein  diagnostischen  Zwecken 
(ob  Kugel,  ob  Knochenverletzung)  möglichst  bald  durch 
den  Verband  hindurch. 

2.  Röntgenuntersuchungen  zwecks  Lokalisation  und  Ent¬ 
fernung  einer  Kugel  ohne  die  nötigen  Hilfsmittel  nur  in 
dringenden  Fällen.  In  allen  anderen  lieber  auf  sie  ver¬ 
zichten  und  sie  späteren  günstigeren  Verhältnissen 
überlassen. 

3.  Bei  günstigen  röntgenologischen  Verhältnissen  und  bei 
einigermassen  günstiger  Lage  lieber  eine  Kugel  operativ 
entfernen  als  einheilen  lassen. 


Schiessbrillen. 

Von  Sanitätsrat  Dr.  Fritz  Schanz,  Augenarzt  in  Dresden. 

Es  ist  eine  bekannte  Tatsache,  dass  sich  bei  hellem  Himmel 
an  sonnigen  Tagen  die  Schiessresultate  verschlechtern.  Bei  bedeck¬ 
tem  Himmel  sind  dieselben  günstiger.  Das  helle  Licht  des  Himmels 
wirkt  rasch  ermüdend  auf  die  Augen,  aber  auch  schon  für  das  nicht- 
ermiidete  Auge  macht  sich  der  störende  Einfluss  des  intensiven  Tages- 
ichtes  geltend.  Die  Ursache  für  diese  Störungen  liegt  an  dem  Ge- 
halt  des  I  ageslichtes  an  Strahlen,  die  dem  Auge  nicht  direkt  als  Licht 
wahrnehmbar  sind,  die  aber  indirekt  das  Auge  reizen  und  rasch  er- 


2192 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  44. 


müden.  Wenn  man  das  Tageslicht  durch  ein  Prisma  zerlegt  und  auf 
einer  photographischen  Platte  auffängt,  so  erhält  man  ein  Spektrum, 
das  noch  einmal  so  lang  ist  als  das  Spektrum,  das  man  mit  den 
Augen  wahrnehmen  kann.  Die  Differenz  der  Spektren  wird  durch 
die  besonders  kurzwelligen  Strahlen  erzeugt,  die  die  Netzhaut 
unseres  Auges  nicht  mehr  zu  erregen  vermögen,  die  aber  auf  die 
photographische  Platte  besonders  intensiv  einwirken.  Am  Auge  wer¬ 
den  diese  Strahlen,  bevor  sie  zur  Netzhaut  gelangen,  in  der  Augen¬ 
linse  zum  Teil  vollständig  absorbiert,  zum  Teil  in  Licht  grösserer 
Wellenlänge  verwandelt.  Die  Linse  fluoresziert  sehr  lebhaft  unter 
der  Einwirkung  dieser  Strahlen.  Sie  erzeugen  hinter  der  Pupille 
gleichsam  das  Glühen  eines  Glühwürmchens.  Man  kann  das  Leuchten 
dieses  Glühwürmchens  bei  geeigneter  Anordnung  auch  bei  Tageslicht 
am  eigenen  Auge  wahrnehmen.  Zu  diesem  Zweck  bringt  man  in  der 
Seitenwand  eines  Kastens1)  ein  dunkelblaues  Glas  und  an  der  Rück¬ 
wand  einen  Spiegel  an.  Hält  man  diesen  Kasten  wie  ein  Stereoskop 
vor  das  Gesicht  und  lässt  durch  das  blaue  Glas  Tageslicht  auf  das 
Auge  fallen,  so  sieht  man  in  dem  Spiegel  an  der  Rückwand  seine 
Pupille  grau  erscheinen.  Selbst  bei  bedecktem  Himmel  ist  dies  dem 
helladaptierten  Auge  wahrnehmbar  und  bei  einer  Beleuchtung,  bei 
der  noch  alle  Einzelheiten  am  Auge  deutlich  erkennbar  sind.  Scheint 
die  Sonne  durch  das  blaue  Glas  auf  das  Auge,  so  leuchtet  das  Fluo¬ 
reszenzlicht  besonders  deutlich  aus  der  Pupille  heraus.  Dieses  Fluo¬ 
reszenzlicht  zieht  sich  wie  ein  leuchtendes  Band  durch  die  ganze 
Linse,  erleuchtet  diffus  das  ganze  innere  Auge  und  erregt  die  Netz¬ 
haut.  Dieselbe  nimmt  es  wahr  als  diffusen  Lichtnebel,  der  sich  vor 
das  Auge  legt.  Ich  habe  in  einer  Arbeit,  die  im  v.  Graefeschen  Archiv 
86.  H.  3.  S.  549  abgedruckt  ist,  ein  einfache  Vorrichtung  beschrieben, 
mittels  der  man  zeigen  kann,  wie  dieser  Lichtnebel  das  Sehen  be¬ 
einträchtigt.  Wenn  man  bei  dem  dort  angegebenen  Versuch  das 
Pupillenspiel  beobachtet,  so  kann  man  auch  sehen,  wie  diese  Strahlen, 
die  das  Fluoreszenzlicht  erzeugen,  auch  eine  sehr  lebhafte  Pupillen¬ 
verengerung  veranlassen.  Ein  Reiz,  der  einen  deutlich  wahrnehm¬ 
baren  Lichtnebel  vor  dem  Auge  zu  erzeugen  vermag,  der  eine  leb¬ 
hafte  Pupillenreaktion  auszulösen  imstande  ist,  vermag  auch  die  Netz¬ 
haut  rasch  zu  ermüden,  zumal  er  sich  im  Gegensatz  zu  dem  Reiz,  den 
die  sichtbaren  Strahlen  auslösen,  immer  auf  die  ganze  Netzhaut  er¬ 
streckt.  Es  kann  daher  kein  Zweifel  mehr  sein,  dass  die  direkt  nicht 
sichtbaren  Strahlen  des  intensiven  Tageslichts  den  Sehakt  nachteilig 
beeinflussen,  und  dass  sie  erheblich  an  den  Blendungserscheinungen 
und  der  raschen  Ermüdung  der  Augen  beteiligt  sind.  Zu  den  Strahlen, 
die  Fluoreszenz  der  Augenlinse  erzeugen,  gehören  auch  Strahlen  aus 
dem  Wellenlängenbereich  der  blauen  und  violetten  Strahlen.  Ich 
habe  ein  Glas,  das  Euphosglas,  angegeben,  welches  so  abgepasst 
ist,  dass  es  diese  nicht  direkt  sichtbaren  Lichtstrahlen  möglichst  voll¬ 
ständig  absorbiert,  dabei  aber  die  sichtbaren  Strahlen  möglichst  wenig 
schwächt.  Wegen  dieser  Eigenschaft  eignet  es  sich  ganz  besonders 
zu  Schiessbrillen  und  wild  von  keinem  im  Handel  befindlichen  Glas 
in  dieser  Eigenschaft  erreicht.  Die  meisten  anderen  Gläser,  die  als 
Schiessbrillen  Verwendung  finden,  absorbieren  die  nicht  direkt  sicht¬ 
baren  Strahlen  in  geringerem  Grade,  oder  schwächen  gleichzeitig  die 
sichtbaren  mehr,  als  dies  nötig  ist.  Da  auch  Strahlen  aus  dem 
Wellenlängenbereich  der  blauen  und  violetten  an  den  störenden  Wir¬ 
kungen  beteiligt  sind,  müssen  auch  diese  von  einem  solchen  Schutz¬ 
glas  absorbiert  werden.  Das  Glas  sieht  daher  gelbgrün  aus. 

Aber  diese  nicht  direkt  sichtbaren  Strahlen  haben  bei  hoher 
Intensität  noch  eine  andere  Störung  am  Auge  zur  Folge.  Sie  setzen 
die  Erregbarkeit  der  Netzhaut  in  der  Dämmerung  herab.  Schützt 
man  an  sonnigen  Tagen  sein  Auge  durch  eine  Euphosbrille  von  den 
Wirkungen  dieser  Strahlen,  so  hat  man  am  Abend  in  der  Dämme¬ 
rung  ein  besseres  Sehen.  Dazu  kommt  noch,  dass  durch  die  gelb¬ 
grüne  Farbe  die  Kontraste  in  der  Natur  gesteigert  werden.  Die 
bläulichen  Töne  erscheinen  durch  eine  solche  Brille  schwarz,  dadurch 
treten  die  Teile,  auf  denen  noch  rötliches  und  gelbliches  Licht  liegt, 
besser  hervor.  Man  kann  noch  Ziele  erkennen,  die  das  unbewaffnete 
Auge  nicht  mehr  zu  unterscheiden  vermag. 

Man  kann  die  Vorteile,  die  eine  solche  Brille  durch  Abhaltung 
des  Fluoreszenzlichtes  bietet,  an  sonnigen  Tagen  auf  dem  Schiess¬ 
stand  feststellen.  Ich  habe  durch  meine  Versuche  mit  dem  Spiegel¬ 
visier  häufig  Gelegenheit,  auf  dem  Schiessstand  zu  schiessen;  man 
merkt  ganz  deutlich,  wie  sich  mit  der  Abhaltung  der  nicht  direkt 
sichtbaren  Lichtstrahlen  durch  ein  Euphosglas  die  Schiessleistungen 
erhöhen.  Auch  an  hellen  Tagen  auf  der  See  habe  ich  diese  Vorteile 
wahrgenommen.  Ich  fuhr  an  einem  sonnigen  Morgen  auf  See.  Die 
ferne  Küste  erschien  bald  nur  noch  als  matter,  blauer  Hauch,  in  dem 
Einzelheiten  nicht  mehr  zu  erkennen  waren.  Mit  einer  lichten  Euphos¬ 
brille  erschien  sie  mir  dunkler,  und  es  traten  Einzelheiten  hervor,  die 
ich  vorher  nicht  zu  erkennen  vermochte.  Ich  habe  auf  derselben  See¬ 
fahrt,  wie  schon  früher  einmal,  Beobachtungen  gegen  den  Sonnen¬ 
reflex  auf  dem  Wasser  angestellt.  Ich  habe  vor  allem  Schiffe  be¬ 
obachtet.  die  am  fernen  Horizont  in  den  Sonnenreflex  kamen.  Mit 
dem  freien  Auge  verschwanden  Objekte,  die  dem  Auge  sichtbar 
waren,  wenn  man  von  ihm  die  nicht  direkt  sichtbaren  Strahlen  ab¬ 
hält. 

Hierher  gehören  auch  die  Beobachtungen  von  Major  Meyer2), 
die  derselbe  gelegentlich  einer  Uebung  auf  einem  Torpedoboot  ge¬ 


')  Zu  haben  bei  R.  W  urach  in  Berlin  C.,  Neue  Promenade  5. 
2)  Wschr.  f.  Hyg.  u.  Ther.  d.  Auges  16.  Jahrg.  Nr.  37. 


macht  hat:  „Zunächst  beobachtete  ich  über  See  anhaltend  gegen  die 
Reflexe  des  Sonnenlichtes.  Ich  war  imstande,  ohne  Ermüdung  und 
ohne  Schmerzen  längere  Zeit  über  die  blendende  Fläche  hinweg  — 
die  aber  dem  mit  Euphos  bewaffneten  Auge  keine  blendende  mehr 

ist _  zu  beobachten.  Welchen  wohltätigen  Einfluss  dieses  Glas  auf 

das  Auge  hat,  zeigt  die  folgende  Beobachtung.  Ich  fuhr  vom  Lande 
weg  in  die  See  hinaus,  und  die  Sonne  stand  uns  direkt  im  Rücken. 
Mit  blossem  Auge  sah  man  der  Blendung  wegen  die  rechts  und  links 
liegenden  Konturen  der  Küste  in  der  Mitte  nicht  zusamnienfliessen. 
sobald  ich  die  Euphosbrille  aufsetzte,  ergab  sich  trotz  des  Sonnen¬ 
reflexes  das  einheitliche  und  vollständige  Bild  der  Küste.“  Marine¬ 
stabsarzt  Gross3)  konnte  mit  „Euphoslicht  B  eine  volle  Stunde 
gegen  den  blendenden  Sonnenreflex  der  See  beobachten,  ohne  Blen¬ 
dungsgefühl  oder  andere  Beschwerden  zu  bekommen.  Man  kann 
wahrnehmen,  dass  die  einzelnen  glitzernden  Reflexstreifen  des  be¬ 
wegten  Wassers  schmäler  werden  (Wegnahme  des  Lichtscheins)  und 
sieht  vor  allem  deutlich  die  Konturen  des  Horizontes  im  Reflexgcbiet. 
ebenso  Schifte,  die  sich  in  diesem  befinden.  Gegen  Scheinwerferlicht 
kann  man  ohne  Belästigung  beobachten,  zielen  und  richten.“  Es  ist 
dies  dasselbe,  was  auch  schon  Major  Meyer  festgestellt  hat. 
Es  wird  dies  erreicht  durch  Abhaltung  der  nicht  direkt  sichtbaren 
Lichtstrahlen,  die  im  Auge  die  Fluoreszenz  und  die  rasche  Ermüdung 
des  Auges  veranlassen. 

Diese  Strahlen  sind  es,  die  in  intensiver  Einwirkung  auch  die 
Erscheinungen  der  Schneeblendung  und  Schneeblindheit  erzeugen, 
die  wir  bei  Wanderungen  auf  Schneefeldern  im  Hochgebirge  am  häu¬ 
figsten  beobachten.  Ganze  Heere  sind  schon  bei  Uebergängen  über 
beschneite  Pässe  an  so  heftigen  Augenentzündungen  erkrankt,  dass 
sie  lediglich  durch  solche  Lichtstörungen  in  ihrem  Fortkommen  be¬ 
hindert  worden  sind.  Die  Ursache  liegt  nicht  in  der  grossen  Hellig¬ 
keit  des  Lichtes,  sondern  in  dem  grossen  Reichtum  des  Lichtes  im 
Hochgebirge  an  solchen  nicht  direkt  sichtbaren  Lichtstrahlen.  Ehe 
das  Licht  in  die  Tiefebene  gelangt,  wird  ein  Teil  dieser  Strahlen 
von  der  Luft  absorbiert.  Unsere  Flieger  werden  auch  bei  Hochfahrten 
durch  solche  Strahlen  belästigt.  Wie  guten  Schutz  dabei  das  Euphos¬ 
glas  bietet,  lehrt  die  Beobachtung,  über  die  Dr.  Flemming  be¬ 
richtet.  Er  hatte  eine  Ballonhochfahrt,  bei  der  er  über  8000  m  hoch 
gekommen  war,  ausgeführt.  Er  hatte  eine  lichte  Euphosbrille,  sein 
Begleiter  eine  dunkelgraue.  Er  war  von  den  Erscheinungen  der 
Blendung  verschont,  sein  Beg'eiter  hatte  sehr  heftig  darunter  zu 
leiden.  Gläser,  die  die  sichtbaren  Strahlen  schwächen,  sind  nicht 
nötig,  weil  über  Beschwerden  durch  die  sichtbaren  Strahlen  nicht 
geklagt  wird.  Sie  sind  nachteilig,  weil  sie  das  scharfe  Beobachten 
beeinträchtigen.  Die  Flieger  verlangen  die  Höchstleistung  ihres  Seh¬ 
organes  bei  anhaltender  intensiver  Lichteinwirkung.  Wer  auf  See 
gezwungen  ist,  sich  viel  dem  blendenden  Licht  auszusetzen,  wer  gegen 
Wasserreflexe  anhaltend  zu  beobachten  hat,  wird  die  sichtbaren 
Strahlen  nicht  von  seinem  Auge  abhalten,  wenn  es  genügt,  die  nicht 
direkt  sichtbaren  Strahlen  fernzuhalten,  um  dem  Licht  die  blendende 
Wirkung  zu  nehmen.  Beim  Schiessen  wird  man  erst  recht  die  sicht¬ 
baren  Strahlen  nicht  schwächen,  wenn  es  genügt,  die  nicht  direkt 
sichtbaren  abzuhalten,  um  die  Schiessresultate  bei  intensiver  Tages- 
beleuchtung  zu  verbessern. 

Wie  gut  diese  Etmhosgläser  die  Augen  schützen,  zeigt  auch  der 
Versuch,  den  A  m  u  n  d  s  e  n  bei  Gelegenheit  seiner  Südpolrcise  aus¬ 
führte.  Er  wollte  bei  dieser  Gelegenheit  die  Schutzbrillenfrage  klä¬ 
ren.  Er  hatte  deshalb  seine  Expedition  mit  den  verschiedenartigsten 
Schutzbrillen  ausgerüstet.  Er  hatte  auch  2  lichte  Euphosbrillcn  bei 
diesen  Versuchen  verwandt.  Wie  er  in  seiner  Reisebeschreibung  be¬ 
richtet,  sind  nur  2  von  der  Expedition  von  den  Erscheinungen  der 
Schneeblendung  verschont  geblieben,  er  selbst  und  Helmer  Hansen, 
die  die  beiden  Euphosbrillen  trugen.  Alle  andern  hatten  erheblicn 
unter  Blendung  zu  leiden. 

Unsere  Heere  stehen  im  Feld,  die  Marine  steht  auf  der  Wacht, 
da  gilt  es  die  Augen  zu  schärfen.  Heller  Sonnenschein  lag  im  Anfang 
der  Kriege  auf  dem  Kampfplatz,  die  blendenden  Schneeflächen  werden 
den  Augen  der  Kämpfenden  noch  lästig  werden.  Es  dürfte  daher  jetzt 
mehr  als  sonst  angebracht  sein,  darauf  hinzuweisen,  wie  man  in 
solchen  Lagen  sein  Auge  am  besten  schützt. 

Als  Schiessbrille  dürften  sich  für  das  Landheer  bei  Sonnenschein 
die  Euphoslicht-B-Gläser  am  besten  eignen,  für  die  Marine  und  bei 
Truppen,  die  in  schneebedeckten  Gebirgen  werden  zu  operieren 
haben,  dürfte  Euphoslicht-C  angebracht  sein.  Was  die  Form  der 
Brillengläser  betrifft,  so  sind  grosse  runde  etwas  durchgebogene  Glä¬ 
ser  am  besten  geeignet.  Was  das  Brillengestell  betrifft,  so  sind  die 
Horngestelle,  die  bei  Jägern  allgemein  beliebt  sind,  zu  meiden.  Sie 
sind  für  den  Soldaten  zu  zerbrechlich.  Ein  festes  Nickelgestell  ist 
das  geeignetste.  Sogen.  Schiessbrillengestelle,  welche  durch  ein 
Scharnier  an  den  Bügeln  gestatten,  das  Glas  etwas  schräg  zu  stellen, 
sind  für  Truppen,  die  meist  im  Liegen  zu  schiessen  haben,  anderen 
vorzuziehen. 

Bei  der  Marine  kommen  Blendungen  durch  künstliche  Licht¬ 
quellen,  Scheinwerfer  etc.  bei  Blendung  in  Frage.  In  solchen  Fällen 
kann  man  sein  Auge  mit  Euphos  g  r  a  u  gläsern  schützen,  die  auch 
in  3  Abstufungen  im  Handel  sind 


3)  D.  militärärztl.  Zschr.  1914,  H.  4. 


3'  November  19M. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Chirurgische  Beobachtungen  und  Erfahrungen  im  Felde. 

Von  Geheimen  Medizinalrat  Prof.  l)r.  Schlange,  General¬ 
arzt  und  beratendem  Chirurgen  beim  X.  Armeekorps. 

Her  "\a  n  *  Gi  t  s  d  i  e  n  s  t  war  durch  die  anhaltenden  anstrengen- 
den  Marsche  des  Korps  lind  die  zahlreichen  blutigen  Kämpfe  —  am 

19.  August  bei . 22.-24.  August  bei  ...  .,  28.— 30.  August 

bei  •,•••’  5.-9.  September  am  ....  und  vom  12.  September  bis 
10.  Oktober  iast  ununterbrochen  bei  ....  auf  eine  ausserordentlich 
harte  I  robe  gestellt.  Besonders  erschwerend  wurde  die  Tatsache 
empfunden,  dass  die  grossen  Schlachten  immer  mehrere  Tage  hinter¬ 
einander  stattfanden,  stets  bis  spät  in  die  Nacht  hinein  andauerten 
und  zwar  so,  dass  die  Stellungen  zunächst  im  wesentlichen  gehalten 
wurden,  was  das  Aufsuchen  und  Sammeln  der  Verwundeten  umso¬ 
mehr  erschwerte,  als  die  Krankenträger  vom  Feind,  wo  irgend  mög¬ 
lich,  beschossen  wurden.  Irotzdem  haben  die  Krankenträger  ihre 
Pflicht  gut  erfüllt  und  es  lässt  sich  wohl  annehmen,  dass  die  Ver¬ 
wundeten  mit  wenigen  Ausnahmen  stets  am  Abend  resp.  in  der  Nacht 
nach  dem  Kampf  den  Hauptverbandplätzen  oder  den  Feldlazaretten 
zugeführt  wurden.  Hier  war  die  Arbeit  in  der  Regel  eine  ausser¬ 
ordentlich  grosse  und  anstrengende.  Sie  wurde  aber  stets  ordnungs- 
massig  erledigt  dank  der  grossen  Hingebung  der  Aerzte,  die  mit 
äusserster  Aufbietung  ihrer  Kräfte  die  ganzen  Nächte  hindurch  ar¬ 
beiteten  Wo  die  Zahl  der  Aerzte  in  den  Lazaretten  gegenüber  der 
sich  schnell  häufenden  Masse  der  Verwundeten  nicht  auszureichen 
schien,  fanden  sich  stets  Aerzte  anderer  Formationen  zur  Mitarbeit 
bereit,  so  dass  eine  bedenkliche  Stockung  in  der  Abfertigung  der 
Verletzten  nirgends  eintrat. 

habe,  wo  ich  irgend  konnte,  die  Hauptverbandplätze  und 
Feldlazarette  besucht  und  oft  die  Nächte  hindurch  mitgeholfen,  stets 
aber  den  erfreulichen  Eindruck  gewonnen,  dass  der  Wille  zur  hin¬ 
gebungsvollen  Mitarbeit  bei  allen  Organen  des  Sanitätskorps,  Aerzten 
wie  Krankenträgern,  in  schönster  Weise  vorhanden  war,  dass  mit 
gutem  Verständnis  auf  meine  etwaigen  Ratschläge  eingegangen  und 
mit  bestem  Erfolge  gearbeitet  wurde. 

i  v  Tätigkeit  der  Aerzte  finde  ich  im  allgemeinen  sehr 
lobenswert.  Zunächst  muss  ich  hervorheben,  dass  die  ersten 
verbände  auf  dem  Schlachtfelde  von  den  Truppenärzten  und  unter 
deren  Anleitung  von  dem  untergeordneten  Sanitätspersonal  im  ganzen 
ausserordentlich  gut  angelegt  waren.  Sie  lagen  sehr  häufig  durchaus 
zweckentsprechend  und  nicht  selten  so  vorzüglich,  dass  ein  Wechsel 
nicht  erforderlich,  ja  direkt  schädlich  erscheinen  musste.  Das  be¬ 
traf  insbesondere  die  Gewehrschüsse  aus  nicht  zu  naher  Entfernung, 
wo  auch  der  Ausschuss  nicht  besonders  gross  war.  Hier  bewährte 
sich  das  im  Besitz  iedes  Soldaten  befindliche  Verbandpäckchen  ausser¬ 
ordentlich.  Der  Verband  deckte  gut  die  kleinen  Hautwunden,  er  be¬ 
gann  beim  Eintritt  des  Mannes  ins  Lazarett  bereits  auszutrocknen, 
klebte  damit  fest  an  der  Haut  in  der  Umgebung  der  Wunde  und 
bildete  so  eine  sichere  Schutzdecke,  unter  der  die  weitere  Heilung 
erfahrungsgemäss  sehr  sicher  und  schnell  sich  vollzieht.  Jede  Stö¬ 
rung  dieses  Schutzes  durch  unnötiges  Wechseln  des  Verbandes  wäre 
ils  eine  mindestens  nicht  ungefährliche  Prozedur  anzusehen. 

Die  ersten  Verbände  grösserer  Wunden  konnten  demgegenüber 
natürlich  nur  einen  mehr  provisorischen  Charakter  tragen;  ihre  starke 
Durchblutung  und  die  Notwendigkeit,  die  Wunde  selbst  näher  zu 
intersuchen  fiir  die  Bestimmung  des  weiter  einzuschlagenden  Heil¬ 
verfahrens,  machte  einen  Verbandwechsel  in  der  Regel  erforderlich. 
4ber  auch  diese  ersten  Verbände  entsprachen  gewöhnlich  ihrem 
'Lveck  —  dem  ersten  Wundschutz.  Wo  gleichzeitig  Knochenbrüche 
Vorlagen,  war  stets  versucht  worden,  das  betreffende  Glied  durch 
mprovisierte  Schienung  —  mittels  Seitengewehr,  Strohbündel,  Holz- 
>täben  u.  dergl.  —  genügend  festzustellen,  ln  vereinzelten  Fällen 
varen  die  Verbände  zu  fest  angelegt.  Das  war  offenbar  geschehen 
n  der  guten  Absicht,  durch  festes  Anziehen  der  Binde  der  Blutung 
ntgegenzuwirken.  Der  Erfolg  war  aber  leider  öfter  die  Verursachung 
■in  Stauung  und  damit  vermehrter  venöser  Blutung. 

Die  Sanitätskompagnien  und  Feldlazarette  funk- 
lomerten  ausgezeichnet.  Im  Bedarfsfälle  waren  sie  stets  und  ln 
usreichender  Anzahl  zur  Stelle,  auch  stets  gut  und  zweckmässig  an- 
'v'G'T  so  nahe  am  Schlachtfeld,  dass  die  Zufuhr  der  Verwundeten 
löglichst  erleichtert  war.  Trotz  der  grossen  und  in  den  stets  mehr- 
agigen  Schlachten  sich  ausserordentlich  häufenden  Zahl  von  Ver¬ 
wundeten  hat  eine  anhaltende  Ueberfüllung  der  Lazarette  in  der 
vrt.  dass  eine  ordnungsmässige  Versorgung  nicht  möglich  gewesen 
■  are.  nicht  stattgefunden.  Dafür  sorgte  der  nie  versagende  Pflicht- 
«fer  der  Aerzte  und  der  erfreuliche  Umstand,  dass  schon  immer 
e,lr  bald,  oft  schon  am  nächsten  Tage  nach  der  Einlieferung  eine 
rosse  Anzahl  transportabler  Verletzter  —  und  zwar  nicht  nur  leicht 
erletzter  —  unbesorgt  auf  der  Etappenstrasse  weiterbefördert  wer- 
en  konnte.  Der  ausserordentliche  Wert  der  Krankenautomobile 
cigte  sich  hierbei  in  hellem  Licht. 

Die  Ausstattung  der  Sanitätskompagnien  und  Feldlazarette 
rwies  sich  als  durchaus  zweckmässig  und  reichhaltig.  Das  1  n  - 
trumentarium  ist  in  Friedenszeiten  mit  grosser  Umsicht  zu- 
unmengestellt  und  enthält  wohl  alles,  was  man  für  die  im  Felde 
i  Frage  kommenden  Operationen  unbedingt  gebraucht.  Einzelne 
istrumente  wird  ja  mancher  Operateur  je  nach  seiner  früheren 
ewohnheit  vermissen  oder  anders  wünschen;  ein  wirklicher  Mangel 


2193 


an  notwendigen  Instrumenten  ist  aber  kaum  hervorgetreten.  Immer¬ 
hin  werden  die  Kriegserfahrungen  veranlassen,  einzelne  Wünsche  für 
besondere  chirurgische  Eingriffe  in  Zukunft  zu  berücksichtigen.  Die 
Verbandstoffe  sind  ausgezeichnet  sowohl  in  bezug  auf  ihre 
Vorbereitung  wie  Verpackung;  ich  habe  den  Eindruck,  dass  sie  als 
durchaus  sicher  und  zuverlässig  zu  betrachten  sind,  wie  das  auch 
dem  günstigen  Heilungsverlauf  der  Wunden  entspricht.  —  An  die 
Menge  der  Verbandstoffe  wurden  nicht  selten  bei  den  mehrtägigen 
Kämpfen  sehr  grosse  Anforderungen  gestellt.  Dabei  traten  natürlich 
gelegentlich  Momente  ein,  wo  eine  Beschränkung  im  Verbrauch  der 
Vei  bandstoffe  auf  das  notwendigste  Mass  verlangt  werden  musste. 
Die  wunden  haben  indessen  unter  dieser  Massnahme  nicht  zu  leiden 
gehabt  Ein  wirkliches  Ausgehen  der  Verbandstoffe  ist  jedenfalls  nie- 
’nal?...eir.lgetret.en>  ^a  es  stets  gelang,  durch  Vermittelung  anderer 
Sanitatsiormationen  oder  auf  dem  Etappenwege  für  genügenden  Er¬ 
satz  rechtzeitig  zu  sorgen. 

I  iir  die  Fixierung  gebrochener  Knochen  kommen  m.  E.  in  erster 
Reihe  ca.  6  cm  breite,  genügend  lange  Streifen  starker  Pappe  in  Frage 
Sie  haben  den  grossen  Vorteil,  dass  sie  für  alle  Formen  von  Frak¬ 
turen,  insbesondere  auch  für  Oberschenkelbrüche,  sehr  gut  ver¬ 
wendbar  und  dass  sie  gut  transportabel  sind,  und  dass  ihre  Benutzung 
leicht  auch  von  weniger  geübten  Aerzten  zu  erlernen  ist.  Das  ist  ein 
sehr  grosser  Vorteil  gegenüber  den  Gipsverbänden,  die  nur  von  ge- 
ü b t c Händen  gut  angelegt  werden  können.  Diese  habfen  ausserdem 
das  Missliche,  dass  der  Gips  in  feuchter  Luft  leicht  verdirbt  und  dass 
seine  Anwendung  die  Anwesenheit  von  warmem  Wasser  in  ge¬ 
nügender  Menge  sehr  oft  mindestens  wünschenswert  macht.  Die 
Sanitätsformationen  führten  grosse,  zum  Zerschneiden  in  passende 
Streifen  geeignete  Papptafeln  in  ziemlich  ausreichender  Menge  mit. 
Aber  auch  anderes  Schienenmaterial,  wie  Volkmann  sehe  Blech¬ 
schienen  und  Schienen  aus  Drahtgeflecht  standen  in  genügender 
Menge  zur  Verfügung  und  fanden  häufig  Verwendung. 

Fiir  die  Etablierung  der  Feldlazarette  und  Hauptver- 
bandplatze  gelang  cs  stets  zweckentsprechende  Räumlichkeiten  in 
Schlössern,  Kirchen,  Schul-  und  Privathäusern  zu  finden.  Die  Um- 
sieht,  welche  die  verantwortlichen  Oberstabsärzte  bei  der  Wahl  der 
Platze  und  weiter  für  die  Ordnung  und  Sauberkeit  im  Lazarett  und 
für  die  Verpflegung  der  Verwundeten  betätigten,  verdient  wohl  die 
vollste  Anerkennung.  Schwierigkeiten  bereitete  mitunter  nachts  die 
Beleuchtung.  Doch  liessen  sich  auch  diese  durch  guten  Willen  und 
Bescheidenheit  in  den  Ansprüchen  genügend  überwinden. 

.  P1?  W“ ndversorgung  erfolgte  nach  ziemlich  feststehenden 
Prinzipien,  für  deren  möglichst  gleichmässige  Befolgung  im  Korps  ich 
nach  Möglichkeit  eintrat.  Gewehrschüsse  mit  kleinem  Ein-  und  Aus¬ 
schuss  erhielten,  wenn  ein  Verbandwechsel  überhaupt  vorgenommen 
wurde,  einen  einfachen  leichten  Deckverband  nach  vorheriger  Be- 
streiclung  der  Wunde  und  ihrer  Umgebung  mit  einer  5 — 10  proz. 
Jodaikohollösung.  Sie  zeigten  eine  fast  sichere  Neigung  zu  schneller 
primärer  Verheilung,  sowohl  die  reinen  Weichteilschüsse  wie  auch  die 
Knochen-  und  Gelenkschüsse,  w'enn  diese  gut*  geschient  waren. 

Sehr  günstig  verliefen  auch  die  Brustschüsse.  Wer  mit  einem 
ßrustschuss  noch  lebend  und  in  leidlichem  Zustande*  ins  Lazarett 
gebracht  wurde,  hatte  grosse  Chancen,  am  Leben  zu  bleiben  Der 
Heilungsverlauf  selbst  gestaltete  sich  freilich  ie  nach  der  Schwere 
der  Verwundung,  wobei  Grösse  der  Thoraxwunde,  Rippenver¬ 
letzungen,  Hämo-  und  Pneumothorax  eine  grosse  Rolle  spielten  sehr 
verschieden. 

Ich  habe  Grund  zu  der  Annahme,  dass  auch  Herzschüsse  zur 
Heilung  gelangten,  ohne  dass  besonders  auffallende  Herzstörungen 
nachweisbar  waren. 

Mehrfach  sah  ich,  dass  quer  durch  den  Schädel  gedrungene 
Gewehrschüsse  nach  einigen  Tagen  gewissermassen  „geheilt“  waren 
—  d.  h.  bis  auf  Ausfallserscheinungen,  die  in  der  Folgezeit  immer 

mehr  zurücktraten.  Nach  der  Schlacht  bei  .  fand  ich  einen 

Mann,  der  mit  querdurchschossenem  Kopf  und  bewusstlos  eingeliefert 
war,  am  3.  Tage  im  Garten  unter  einem  Baum  sitzend;  auf  die 
Hirnverletzung  wies  nur  ein  gegen  sonst  wohl  gesteigerter  Grad 
von  Stumpfsinn  hin. 

Einen  hohen  Prozentsatz  von  Todesfällen  zeigten  leider,  wie  zu 
erwarten  war,  die  Bauchschüsse.  Sie  operativ  zu  behandeln,  scheint 
inir  aber  trotzdem  entschieden  nicht  ratsam  ( —  von  einzelnen  Aus- 
nahmen  abgesehen  — ).  Dazu  fehlen  zunächst  alle  unerlässlichen 
Vorbedingungen  an  Zeit,  Beleuchtung,  Assistenz,  Sicherheit  der 
Aseptik  usw.  Auch  ist  zu  bedenken,  dass  die  nicht  seltenen  schweren 
Fälle  mit  ausgedehnter  Zerreissung  der  Eingeweide  auch  durch  die 
beste  Operation  nicht  zu  retten  sein  würden,  während  die  leichteren 
Fälle  mit  einfacher  Darmperforation  sehr  wohl  die  Aussicht  auf  einen 
günstigen  Ausgang  —  ohne  Operation  —  durch  primäre  Verklebung 
der  Verletzungsstellen  zulassen.  Tatsächlich  sehen  wir  auch  eine 
nicht  geringe  Anzahl  von  Bauchschüssen  zur  Genesung  gelangen, 
entweder  in  ganz  kurzer  Zeit  ohne  irgendwelche  Störung  des  Wund¬ 
verlaufes,  mitunter  langsamer  unter  Bildung  von  abgekapselten  Abs¬ 
zessen,  auf  deren  rechtzeitige  und  zweckmässige  Eröffnung  sehr  zu 
achten  ist.  So  glaube  ich  bestimmt,  dass  bei  zuwartender  Behand¬ 
lung  weit  mehr  Bauchschüsse  heilen,  wie  das  bei  einer  konsequent 
durchgeführten  operativen  Behandlung  geschehen  würde.  Diese  hat 
sich  m.  E.  auf  die  Behandlung  von  Eingeweideprolapsen  sowie  auf 
ganz  besondere  Indikationen  (wie  Blasen-,  Nieren-  und  Milzver¬ 
letzungen)  zu  beschränken,  zu  der  sich  öfters  Gelegenheit  findet 


2194 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  44. 


Nacli  den  Nachtgefechten,  insbesondere  bei  Reims,  sehen  wir 
oiters  Gewehrschüsse  mit  dem  gewöhnlichen  kleinen  Einschuss,  aber 
mit  einer  Ausschussöffnung  von  2-  3-Markstückgrösse:  die  zunächst 
den  Verdacht  erregen  konnten,  dass  es  sich  um  die  Wirkung  von 
Dumdumgeschossen  handle.  Eine  nähere  Aufklärung  der  Fälle  er¬ 
gab  indessen,  dass  die  Verletzungen  stets  in  Nahgefechten  ent¬ 
standen  waren  in  Entfernungen  von  100  m  und  wenig  mehr.  Ich 
glaube,  dass  hierauf  die  ungewöhnliche  Form  des  Schusskanals  zu¬ 
rückzuführen  ist. 

Ungünstiger  wie  bei  den  Gewehrschüssen  gestaltet  sich  der 
Heilungsverlauf  bei  den  Schrapnellverletzungen,  was  sich  wohl  daraus 
erklärt,  dass  der  Schusskanal  von  Anfang  an  ein  grösserer  ist, 
weniger  den  Charakter  einer  Stichverletzung  wie  der  Gewehrschuss, 
sondern  schon  mehr  den  einer  Quetschwunde  trägt;  auch  bleiben 
die  Kugeln  nicht  selten  im  Körper  sitzen.  Nachträgliche  Entzündungen 
dieser  Wunden  beobachtet  man  deshalb  öfters,  mitunter  gleichzeitig 
unter  dem  Bilde  der  schnell  fortschreitenden  Gasphlegmone. 

Weitaus  die  schwersten  und  leider  sehr  häufige  Verletzungen  i 
verursachen  die  Granatsplitter.  Die  Kraft  dieser  Eisenstücke  ist  eine 
ganz  gewaltige.  Auch  die  kleinsten  Splitter  dringen  meist  sehr  tief 
in  den  Körper  ein  und  machen  dort  unberechenbare  Zerreissungen; 
die  grösseren  verursachen  die  fürchterlichen  Zerstörungen  der  Weich- 
tcile  und  Knochen.  Die  Heilung  dieser  unregelmässigen,  zerfetzten 
Wunden  wird  sehr  erschwert  dadurch,  dass  sie  meist  sehr  ver¬ 
schmutzt  sind,  noch  mehr  aber  dadurch,  dass  es  sich  immer  um 
ausgesprochene  Quetschwunden  handelt,  bei  denen  eine  mehr  oder 
weniger  tiefe  Schicht  der  Wundfläche  seiner  Ernährung  beraubt  ist 
und  damit  der  Nekrose  verfällt.  Die  Abstossung  dieser  nekrotischen 
Teile  vollzieht  sich  sehr  oft  unter  heftigsten  Entzündungserschei¬ 
nungen  mit  Eiterung,  Jauchung,  Nachblutungen  usw.  Wo  es  angeht, 
dürfte  es  sich  deshalb  m.  E.  empfehlen,  gleich  primär  die  ober¬ 
flächlichen  Wundschichten  operativ  zu  entfernen.  Auch  diesen 
schweren  Granatverletzungen  gegenüber  habe  ich  den  Standpunkt 
vertreten,  zunächst  versuchsweise  recht  konservativ  zu  verfahren: 
wo  die  Zirkulation  im  Fuss  oder  in  der  Hand  erhalten  war,  wurde 
von  einer  Amputation  des  Beines  resp.  Armes  in  der  Regel  einst¬ 
weilen  Abstand  genommen. 

Von  Wundinfektionskrankheiten  haben  wir  eitrige  Entzündungen, 
Phlegmonen  und  die  sog.  Gasphlegmone  natürlich  öfters  beobachtet; 
dagegen  habe  ich  ein  Erysipel  bisher  nach  meiner  Erinnerung  nicht 
gesehen. 

Trismus  und  Tetanus  kamen  bei  ....  in  ca.  10  Fällen  zur  Be¬ 
handlung,  von  denen  die  Hälfte  Deutsche,  die  andere  Franzosen  be¬ 
trafen.  Die  Art  der  Verletzung,  gross  oder  klein,  schien  auf  die 
Entstehung  der  Infektion  keinen  Einfluss  gehabt  zu  haben.  Der  Ver¬ 
lauf  war  meist  ein  ungünstiger  trotz  Anwendung  der  üblichen,  aber 
auch  in  der  Friedenspraxis  sehr  unsicher  wirkenden  Heilmittel.  Chro¬ 
nisch  verlaufende  Fälle  haben  eine  leidliche,  akut  verlaufende  eine 
schlechte  Prognose. 

Was  die  P  f  1  e  g  e.  d  e  r  V  erletzten  in  den  Lazaretten  betrifft, 
so  ist  sie  nach  meinen  Eindrücken  verhältnismässig  sehr  gut.  Die 
Chefs  der  Lazarette  sind  ausnahmslos  aufs  eifrigste  bestrebt,  in  dieser 
Beziehung  alles  aufs  beste  für  ihre  Kranken  herzurichten. 

Die  Kost  ist  sehr  gut,  zweckmässig  und  reichlich;  Ordnung  und 
Sauberkeit  sind  in  den  Krankenräumen,  sobald  der  erste  Andrang 
überwunden  ist,  mustergültig. 

Das  Pflegepersonal  hat  sich  allmählich  immer  mehr  ein¬ 
gelebt.  Es  ist  ja  nicht  möglich,  wirklich  durchgebildete  Kranken¬ 
pfleger  in  ausreichender  Zahl  in  Friedenszeiten  für  den  Krieg  vorzu¬ 
bereiten,  und  dieser  Mangel  mag  nach  den  ersten  verlustreichen 
Schlachten  natürlich  hier  und  da  empfunden  sein.  Aber  die  brauch¬ 
baren  Leute  haben  im  Kriege  ihre  Aufgaben  für  den  Krieg  schnell 
begriffen,  und  so  ist.  wie  mir  scheint,  jetzt  in  allen  Lazaretten  eine 
genügende  Anzahl  von  intelligenten  und  tüchtigen  Pflegern  heran¬ 
gebildet,  die  ihren  schönen  Beruf  mit  Liebe  und  Verständnis  erfüllen. 

Eine  Feldtrage. 

Nachtrag  zu  dem  Artikel  in  Nr.  38  d.  W. 

Von  Obergeneralarzt  Dr.  Reh. 

Der  Beschreibung  der  Feldtrage  (Lochtrage)  wäre  noch  beizu¬ 
fügen:  Ein  im  Felde  (St.  Qu.)  innerhalb  2  Tagen  hergestelltes 
Muster  dieser  Trage  ergab,  dass  die  Defäkationsöffnung  nur  20cm 
lang  und  15  cm  breit  sein  darf.  Der  Defäkationslappen  muss  45  cm, 
also  nahezu  die  Breite  der  Trage  zwischen  den  Holmen  haben  und 
um  je  5  cm  nach  oben  und  unten  über  die  Oeffnung  hinausragen,  also 
30  cm  hoch  sein.  Derselbe  erhält,  um  gleichmässig  tragen  zu  helfen, 

4  (nicht  3  wie  in  der  früheren  Zeichnung)  5  cm  breite,  70  cm  lange 
Gurten,  die  auf  den  Lappen  gleichmässig  verteilt  an  dessen  Unter¬ 
seite  angenäht  werden  und  zwar  auf  45  cm  Länge  —  entsprechend 
der  Breite  des  Lappens  (s.  Fig ).  Diese  Gurten  werden  durch  4  um¬ 
säumte  Löcher  —  5  X  1  cm  ■ — ,  die  sich  ganz  nahe  an  einem  Schlauche 
des  Bezugs  finden,  um  den  Schlauch  bzw.  Holm  herum  nach  unten 
durch  4  an  der  Unterseite  der  Naht  des  Schlauches  befestigte  kräftige 
Mcssingschnallen  —  eiserne  Schnallen,  auch  lackiert,  rosten  bald  — 
kräftig  gezogen  *).  Zum  Zwecke  der  Stuhlentleerung  wird  der 
Lappen  gelockert  und  der  flache,  etwa  10  cm  tiefe,  20 — 25  cm  im 
Durchmesser  haltende  Nachttopf  —  ohne  nach  innen  überspringenden 


Rand  aus  Papiermache  (weil  leicht  und  unzerbrechlich)  hinein¬ 
gestellt  und  durch  Anziehen  der  Gurten  gegen  das  Gesäss  gepresst. 
Zu  jeder  Trage  gehört  ferner  eine 
Ente  aus  dem  gleichen  Material. 

Für  den  Winter  erhält  die 
Trage  eine  warme  Decke,  die  in 
Leinen  oder  Baumwollstoff  einge¬ 
näht  wird  und  einen  Ausschnitt  in 
der  Grösse  20x15  cm  besitzt  — 
entsprechend  der  Defäkations¬ 
öffnung.  Die  Ausmasse  dieser 
Decke  sind  50X180  cm.  Zum  Zu¬ 
decken  des  Verwundeten  ist  un¬ 
bedingt  eine  sog.  abgenähte  Decke 
nötig,  wie  sich  diese  hier  im  Felde 
in  den  Kriegslazaretten  bereits 
vorzüglich  bewährt  haben.  Die 
Grösse  dieser  abgenähten  Decken 
ist  I  :  1,50  m.  Sie  werden  aus 
Wolle  als  Füllmaterial,  im  Notfälle 
aus  Watte  oder  ähnl.  und  farbigen 
Baumwollstoff  hergestellt,  der  in 
quadratischen  Feldern  aufgenäht 
wird.  Unsere  Wolldecken  eignen 
sich  nicht  zum  Zudecken,  sie  sind 
zu  schwer,  wenn  doppelt  zu- 
sammengclegt  und  halten  doch 
nicht  warm.  Der  Defäkationslappen 
wird  ohnehin  mit  Polsterwatte  bedeckt  aus  Reinlichkeitsgründen, 
hält  also  selbst  warm.  Das  Holz  der  Trage  soll  mit  Leinölfirnis 
od.  ähnl.  getränkt  werden,  um  durch  Feuchtigkeit  nicht  zu  quellen. 
Die  Vorstecker  müssen,  damit  sie  nicht  verloren  gehen,  durch  Kett¬ 
chen  oder  Riemen  mit  dem  Kopf-  bzw.  Fussgestell  verbunden  bleiben. 
Durch  freundliches  Entgegenkommen  von  interessierter  Seite  wird  in 
nächster  Zeit  eine  grössere  Zahl  meiner  Tragen  in  Gebrauch  kommen. 
Wird  die  Trage  in  Kriegslazaretten  etc.  verwendet,  so  wird  sie  auf 
2  aus  Latten  gefertigte,  65  cm  hohe,  Schrägen  gestellt  zur  Bequem¬ 
lichkeit  des  Pflegepersonals  und  des  Kranken. 


Grotan  und  Festalkol  zur  Händedesinfektion. 

Eine  Bemerkung  zu  dein  gleichnamigen  Artikel  von  Dr.  Karl 
S  ü  p  f  1  e  auf  S.  2017  d.  Wschr. 

Von  O.  Prym  in  Bonn. 

Für  die  häufigen  Fälle,  wo  zum  Abspülen  und  Abtrocknen  der 
Hände  nach  der  Desinfektion  mit  Seifenspiritus  oder  mit  Festalkol 
steriles  Wasser  und  auch  ein  steriles  Waschbecken  zur  Aufnahme 
des  sterilen  Wassers  und  sterile  Tücher  nicht  zur  Verfügung  stehen, 
hat  sich  mir  seit  Jahren  in  Poliklinik  und  Klinik  das  folgende  Ver¬ 
fahren  bewährt:  Ehe  man  anfängt  sich  zu  waschen,  legt  man  in  die 
in  einem  reinen,  nichtsterilen  Waschbecken  befindliche  Sublimat¬ 
lösung,  die  ich  dazu  bisher  benutzte,  oder  in  die  empfohlene  Grotan- 
lösung  zwei  grosse  Bäusche  entfetteter  Watte.  Die  Watte  braucht 
nicht  steril  zu  sein,  da  etwa  in  ihr  vorhandene  Keime  während  der 
Zeit,  in  der  man  sich  die  Hände  mit  dem  Seifenalkohol  wäscht,  ab¬ 
getötet  werden.  Ist  die  Seifenalkoholwaschung  beendet,  greift  man 
vorsichtig,  d  h.  so  dass  möglichst  wenig  Seife  in  die  Sublimat-  oder 
Grotanlösung  gelangt,  einen  Wattebausch  heraus  und  lässt  die  von 
ihm  abtriefende  Flüssigkeit  ausserhalb  des  Waschbeckens,  also 
so,  dass  sie  nicht  in  das  Waschbecken  zurückläuft,  über  die  Hände 
laufen  und  wischt  unter  allmählichem  Ausdrücken  des  Wattebausches 
die  Seife  möglichst  von  den  Händen  ab  und  legt  den  benutzten 
Wattebausch  fort.  Dann  geht  man  mit  den  Händen  in  den  Rest 
der  Sublimat-  oder  Grotanlösung,  spült  die  Hände  darin  nochmals 
ab,  oder  bürstet  sie  nach  Süpfles  Vorschlag  mit  dem  Desinfiziens, 
ergieift  den  zweiten  Wattebausch,  drückt  ihn,  jetzt  über  der  Wasch¬ 
schüssel,  sehr  fest  aus  und  wischt  mit  ihm  die  Hände  trocken. 

Der  Vorteil  dieser  Methode  ist,  dass  man  ohne  steriles  Wasser, 
ohne  steriles  Waschbecken,  ohne  steriles  Handtuch  durchaus  sicher 
geht  und  nur  Va  Liter  desinfizierende  Flüssigkeit  gebraucht. 


Kleine  Mitteilungen. 

Aus  Feldpostbriefen. 

....  Wir  glauben  uns  für  die  freundliche  Uebersendung  der 
Feldärztlichen  Beilage  nicht  besser  bedanken  zu  können,  als  indem 
wir  Ihnen  die  Schilderung  einer  Situation  übermitteln,  in  die  unser 
Feldlazarett  vor  kurzem  geraten  war.  Am  11.  Oktober  wurde  unser 
Feldlazarett  auf  dem  südöstlichen  Kriegsschauplatz  damit  beauftragt, 
den  Hauptverbandplatz  einer  Sanitätskompagnie  zu  übernehmen.  Wir 
fanden  in  einem  Komplex  von  3  Häusern  ungefähr  300  frisch  Ver¬ 
wundete  vor,  deren  Zahl  infolge  der  unmittelbaren  Nähe  des  Schlacht- 

*)  Sehr  erwünscht  wäre  es,  wenn  an  Stelle  der  Schnallen  eine 
einfache  Klemmvorrichtung  angebracht  würde,  etwa  wie  wir  sie 
an  Jalousien  sehen. 


Defäkationslappen. 


).  November  1914. 


2195 


Feldärztliche  Beilage  zui  Münch,  med.  Wochenschrift. 


eldcs  sich  innerhalb  der  nächsten  Stunden  verdoppelte.  Im  Laufe 
les  auf  die  Einrichtung  folgenden  Tages  geriet  das  Lazarett  in  das 
iranatfcucr  der  Russen.  Um  die  Verwundeten  vor  der  Gefahr  des 
/erbrennens  im  Stroh  zu  retten,  wurde  die  Anordnung  getroffen,  sic 
us  den  Häusern,  die  den  Mittelpunkt  des  feindlichen  Feuers  bildeten, 
u  eine  gesichertere  Stellung  zu  bringen.  Während  das  ganze  Per- 
anal  einschliesslich  aller  Offiziere  und  Beamten  bei  dieser  schwie- 
igen  und  gefahrvollen  Tätigkeit  war,  schlug  eine  Granate  in  eines 
nserer  Häuser  ein.  tötete  2  unserer  Sanitätsunteroffiziere  und  einen 
ussischen  Verwundeten  und  verletzte  6  weitere  Insassen  des  La- 
arettes  T  rotz  dieser  Katastrophe  und  trotzdem  die  Geschosse 
veiter  um  uns  herum  niederprasselten,  gelang  es  uns,  die  Ver¬ 
wundeten  bis  auf  den  letzten  Mann  zu  bergen.  Am  folgenden  Tage 
'  urde  das  Lazarett  durch  die  Verleihung  von  20  eisernen  Kreuzen 
n  Offiziere  und  Mannschaften  ausgezeichnet,  eine  Ehrung,  wie  sie  in 
er  Geschichte 'des  Sanitätskorps  wohl  vereinzelt  dasteht. 


Drahtgeflechte  als  Scliienenmaterial. 

Allen  I  cldsanitätsformationen  sei  die  Beschaffung  von  Drahtgc- 
eclitcn,  gewöhnlich  der  mittleren  und  feineren  Sorte,  wie  sie  zu 
.bgrcnzungsz wecken  dienlich,  allenthalben  erhältlich  sind,  bestens 
mpfohlen.  Bei  bequemer  Beschaffungsgelegenheit  in  Heimat  und 
eindesland  stellen  sie  ein  schmiegsames,  bequem  zu  adaptierendes, 
acht  zu  verpackendes  Schienenmaterial  dar.  Erheblich  verstärkt 
erden  diese  Verbände  noch  durch  einfache  Blechstreifen.  Auch 
ieser  Verbandstoff  ist  ebenso  leicht  zu  beschaffen,  wie  mit  Blech- 
chere  zurechtzuschneiden.  Seine  scharfen  Kanten  stören,  dem 
rahtgeflechte  aufruhend,  nicht,  während  sonst  Blechstreifen  natür- 
ch  gut  gepolstert  sein  müssen. 

Wir  haben  bei  der  Kompagnie  mit  diesen  Verbänden  die  besten 

rfahrungen  gemacht. 

berstabsarzt  Widmann,  Chefarzt  der  3.  San.-Komp.,  III.  bayer. 

Armeekorps. 


Tagesgeschichtliche  Notizen. 

München,  den  2.  November  1914. 

—  Obwohl  seit  langem  vorausgesehen,  hat  der  Ausbruch  der 
cindseligkeiten  zwischen  Russland  und  der  Türkei  doch  wie  eine 
tberraschung  gewirkt.  Die  Tragweite  dieses  Ereignisses  ist  nicht 
izusehen  Aber  selbst  wenn  ein  Uebergreifen  auf  andere  Völker  des 
lams  nicht  stattfinden  sollte,  werden  Heer  und  Flotte  der  Türkei  sich 
iseren  Feinden  fühlbar  genug  machen.  Die  Energie,  mit  der  die 
rkische  Flotte  in  den  Kampf  eingetreten  ist,  berechtigt  zu  den 
:sten  Hoffnungen.  In  Belgien  und  Frankreich  haben  die  deutschen 
"uppen  am  Yserkanal  und  bei  Lille,  ferner  bei  Verdun,  langsame 
irtschritte  gemacht.  In  Polen  hat  das  Auftreten  neuer  überlegener 
ssischer  Streitkräfte  unser  Vordringen  gegen  Warschau  zunächst 
ifgehalten.  Im  Seekrieg  haben  neue  Taten  unserer  U-Boote  und 
euzer,  vor  allem  der  schneidigen  „Emden“,  bei  den  Freunden  Be- 
underung,  bei  den  Feinden  Schrecken  erregt. 

Der  Gesundheitszustand  der  Truppen  ist  andauernd  gut. 
ährend  man  hört,  dass  in  Russland  Krankheiten,  namentlich  die 
lolera,  beträchtliche  Opfer  fordern,  ist  es  gelungen,  im  deutsch- 
terreichischen  Heere  die  Cholera  bisher  auf  einzelne  Fälle  zu  be- 
hränken:  auch  sonstige  Seuchen  sind  in  nennenswertem  Umfange 
:ht  aufgetreten.  Ueber  den  Gesundheitszustand  des  bayer.  I.  Armee- 
rps  ist  soeben  folgender  amtliche  Bericht  ausgegeben  worden: 
>er  Gesundheitszustand  der  Truppen  des  I.  bayerischen  Armee- 
rps  ist  fortgesetzt  ein  sehr  günstiger.  Trotz  der  herbstlichen  Witte¬ 
ng  und  der  grossen  Anstrengungen  der  Mannschaften  sind  nur 
uiige  Fälle  von  Erkältungskrankheiten  vorgekommen.  Infektions- 
ankheiten  wurden  nur  in  vereinzelten  Fällen  beobachtet.  Für 
s  stellvertretende  Generalkommando:  Der  Chef  des  Stabes:  Dep- 
r  t.“  Vom  Funktionieren  des  deutschen  Sanitätsdienstes  im  Felde 
:>t  ein  an  das  Kgl.  preuss.  Kriegsministerium  erstatteter,  an  anderer 
-Ile  dieser  Nummer  abgedruckter  Bericht  des  Generalarztes  Prof. 

•  Schlange  ein  sehr  befriedigendes  Bild. 

—  Man  schreibt  uns  aus  Breslau:  Ihre  Majestät  die 
userin  weilte  vom  23.  bis  26.  Oktober  früh  in  Breslau;  ihr 

•  such  galt  einzig  und  allein  den  Verwundeten  und  der  Besichtigung 

Einrichtungen  für  die  Pflege  der  Verwundeten  und  für  die  Ver¬ 
dung  der  I  ruppen  mit  Liebesgaben.  Die  Kaiserin,  welche  die 
;ile  der  Hilfstätigkeit  im  Kriege  geworden  und  ihren  fördernden  und 
ebenden  Antrieb  überall  in  deutschen  Landen  eingesetzt,  konnte 
Hi  überzeugen,  dass  in  den  Breslauer  Lazaretten  alles,  was  Men- 
lenkraft  und  Aerztekunst  zu  leisten  vermag,  geschehen  ist  und  ge- 
tieht.  Ihre  Majestät  besuchte  der  Reihe  nach  das  Augusta- 
1  spital,  das  Diakonissenkrankenhaus  „Bethesd  a“, 
^Israelitische  Krankenhaus,  die  Chirurgische 
liversitätsklinik  (letztere,  da  Geheimrat  Küttner  im 
'de  weilt,  unter  Führung  des  Rektors  Geheimrat  Küstner); 
Hier  besuchte  die  Kaiserin  das  Garnisonlazarett  und  die 

*  ttnersche  Privatklinik.  Am  Sonntag  besuchte  sie  das  Kranken- 
is  Bethanien  und  das  Kloster  der  Barmherzigen 
üder.  Ueberall  sprach  die  hohe  Frau  mit  jedem  einzelnen  der 
"wundeten,  für  jeden  hatte  sie  ein  gütiges  Wort  und  jeder  erhielt 

Ce  Blumenspende.  Von  den  Offizieren  erhielt  ausserdem  jeder 


eine  Ansichtskarte  mit  dem  Bildnis  des  Kaiserpaares  und  dem  eigen¬ 
händig  auf  die  Vorderseite  gesetzten  Namenszug  „Victoria  1914“. 
unter  den  Offizieren  befanden  sich  auch  einige  Oesterreicher,  auf 
welche  die  Huld  der  Kaiserin  tiefsten  Eindruck  machte,  ln  wie 
mütterlicher  Weise  sie  sich  mit  dem  einzelnen  unterhielt,  erhellt  aus 
ihrer  ^gelegentlichen  Bemerkung:  „Auch  ich  habe  fünf  Jungen  im 
i'elde  .  Die  Kaiserin  hatte  im  Schloss  Wohnung  genommen;  am 
26.  früh  verliess  sie  Breslau,  um  Posen  einen  Besuch  abzustatten. 

Die  Deutsche  Medizinschule  für  Chinesen  in 
Shangai,  über  die  anlässlich  der  Besprechung  des  Jahresberichtes 
über  das  5.  Schuljahr  1912/13  in  1914  Nr.  15  d.  Wschr.  ausführlich 
berichtet  wurde,  versendet  ihren  Bericht  über  das  6.  Schuljahr  vom 
Februar  1913  bis  Januir  1914.  Danach  hat  sich  das  Areal  auf 
ca.  32  000  qm  vergrössert,  die  begonnenen  Bauten  gehen  der  Vollen- 
dung  entgegen,  die  neue  I  urnhalle  wurde  bezogen,  ebenso  das  Lehr¬ 
gebäude  für  Pathologie.  Im  Klinikum  wurden  insgesamt  17  Schüler 
unterrichtet,  davon  11,  die  das  Vorexamen  1913  bestanden  hatten; 
das  yorklinikum  hatte  12  alte  und  8  neue  Studenten,  die  Sprachschule, 
v'er^Dssig  eingerichtet  wurde,  hatte  im  Sommersemester 
9i3  183,  im  Wintersemester  1913/14  170  Schüler,  die  neuerrichtete 
IV.  Klasse  musste  in  3  Parallelabteilungen  mit  zusammen  111  bzw. 
109  Schülern  geführt  werden.  Die  Vorprüfung  bestanden  alle  (11) 
alten  Schüler  des  Vorklinikums,  die  sich  ihr  unterzogen,  die  nächste 
Approbationsprüfung  soll  im  Februar  1915  stattfinden. 

Die  das  Mastisol  herstellende  Firma  Gebr.  Schubert 
in  Berlin  schreibt  uns,  dass  ihr  nicht  allein  der  Name  „Mastisol“  ge¬ 
schützt  sei,  sondern  auch  das  Verfahren  zur  Herstellung  solcher 
stark  klebenden  Mastixlösungen  mittels  Zusatzes  von  flüssigen  Estern 
ai  omatischer  Säuren.  Durch  die  Herstellung  eines  „Mastisol“-Er- 
satzes,  wie  er  jetzt  öfters  angegeben  wird,  würden  sich  die  Dar¬ 
steller  also  einer  Patentverletzung  schuldig  machen,  gegen  die  die 
Firma  mit  allen  gesetzlichen  Mitteln  vorgehen  müsste. 

Auch  die  Firma  Louis  Ritz  &  Co.,  Generalvertreterin  der 
Firma  Seabury  &  Johnson  für  den  europäischen  Kontinent,  legt  Wert 
darauf  festzustellen,  dass  es  sich  bei  Seabury  &  Johnsons 
P  fl  a  s  t  e  r  um  ein  amerikanisches  und  nicht  um  ein  englisches 
I  räparat  handelt.  Wir  verweisen  auf  das  in  Nr.  41  S.  2088  Gesagte. 

—  Für  den  Sanitätsdienst  am  Bahnhof  der  Stadt 
Halle  a.  S.  hat  Prof.  E.  Abderhalden,  der  mit  der  Leitung 
des  1  runsportes  der  am  Bahnhof  Halle  ankommenden  Verwundeten 
nach  den  Lazaretten  beauftragt  ist,  eine  Instruktion  herausgegeben. 
Die  Stellung  Halles  als  Eisenbahnknotenpunkt  bringt  es  mit  sich,  dass 
fortwährend  zahlreiche  verwundete  und  kranke  Soldaten  ankommen, 
die  teils  die  Reise  fortsetzen,  teils  in  den  dortigen  Lazaretten  bleiben! 
Ls  musste  daher  ein  I  ag  und  Nacht  funktionierender  Sanitätsdienst 
am  Bahnhof  eingerichtet  werden.  Da  die  von  Prof.  Abderhalden 
gelrcffenen  Einrichtungen  sich  sehr  gut  bewährten,  ist  die  Bekannt¬ 
gabe  der  Instruktion  an  weitere  Kreise  zu  begrüssen.  (Druck  und 
Verlag  von  Otto  Hendel  in  Halle  a.  S.) 

Friedrich  v.  Esmarchs  Leitfaden  für  Samariterschulen: 
„Die  erste  Hilfe  bei  plötzlichen  Unglücksfällen“ 
ist  jetzt  in  30.  (unveränderter)  Ausgabe  erschienen  (146.  bis 
151.  Tausend,  Leipzig,  Verlag  von  F.  C.  W.  Vogel).  Es  bedarf 
keiner  besonderen  Erwähnung,  dass  das  klassische  Buch  in  der  jetzi¬ 
gen  Zeit  wieder  erneute  Bedeutung  gewonnen  hat. 

—  Cholera.  Oesterreich-Ungarn.  Vom  4  bis  10.  Oktober 
wurden  in  Oesterreich  160  Erkrankungen  (und  22  Todesfälle)  fest¬ 
gestellt,  und  zwar  in  Wien  11  (4),  in  Steiermark  in  1  Gemeinde 
(Graz)  1,  Kärnten,  Krain  und  Vorarlberg  in  je  1  Gern.  1,  Mähren  in 
6  Gern.  16  (4)  —  davon  in  Brünn  2  (1)  — ,  in  Schlesien  in  4  Gern  8  (4) 
—  davon  in  Teschen  3  (1)  — ,  Galizien  in  16  Gern.  121  (10)  —  davon 
in  Krakau  11  (4).  Von  sämtlichen  Erkrankungen  betrafen  17  die  ein¬ 
heimische  Bevölkerung.  Bei  2  Erkrankungen  in  Wien  handelte  es 
sich  um  Matrosen  von  Schleppschiffen,  die  aus  Ungarn  eingetroffen 
waren.  Alle  übrigen  Fälle  kamen  bei  Personen  vor,  die  vom  nörd¬ 
lichen  Kriegsschauplatz  angelangt  waren,  und  zwar  bei  135  Militär¬ 
personen  und  bei  6  aus  Galizien  zugereisten  Ortsfremden.  In  Ungarn 
wurden  in  derselben  Zeit  238  Erkrankungen  angezeigt,  davon  in  den 
Städten  Arad  1,  Pest  66,  Debreczen  1,  Grosswardein  11,  Hermann¬ 
stadt  2,  Kaschau  2,  Klausenburg  3,  Komorn  1,  Miskolcz  3,  Pressburg  1 
Stuhlweissenburg  2,  Szegedin  3,  Temesvar  1.  In  Slavonien  wurde 
im  Komitat  Syrmien  1  Erkrankung  mit  tödlichem  Verlauf,  in  Bosnien 
im  Kreise  Banjaluka  1  Erkrankung  gemeldet. 

—  Pest.  Griechenland,  ln  Piräus  hat  die  Zahl  der  in  der  Zeit 
vom  22.  Juli  bis  4.  September  bakteriologisch  festgestellten  Pestfälle 
9  betragen.  Seither  sind  zufolge  Mitteilung  vom  29.  September  wei¬ 
tere  Erkrankungen  nicht  gemeldet.  —  Niederländisch  Indien.  Vom 
23.  September  bis  6.  Oktober  wurden  866  Erkrankungen  (und  734 
Todesfälle)  gemeldet.  Für  die  Zeit  vom  26.  August  bis  22.  September 
wurden  nachträglich  noch  37  Erkrankungen  (und  32  Todesfälle)  mit¬ 
geteilt.  —  Cuba.  In  El  Alceite  bei  El  Caney  vom  27.  Juli  bis  2.  August 
2  neue  Erkrankungen,  in  Santiago  am  17.  und  23.  September  je  1  Er¬ 
krankung,  darunter  1  mit  tödlichem  Ausgang.  —  Ecuador.  In  Guaya- 
quil  im  Juli  1  tödlich  verlaufener  Pestfall. 

—  In  der  4L  Jahreswoche,  vom  11.  bis  17.  Oktober  1914,  hatten 
von  deutschen  Städten  über  40  000  Einwohner  die  grösste  Sterblich- 
keit  Regensburg  mit  33,8,  die  geringste  Lehe  mit  3,8  Todesfällen  pro 
Jahr  und  1000  Einwohner.  Mehr  als  ein  Zehntel  aller  Gestorbenen 
starb  an  Scharlach  in  Königsberg,  Königshütte,  Zabrze,  an  Diphtherie 
und  Krupp  in  Bottrop,  Gotha,  Lübeck,  an  Unterleibstyphus  in  Frank- 
furt  a-  °-  Vöff.  Kais.  Ges.A. 


2196 


Feldärztliche  Beilage  zur  Miincli.  med.  Wochenschrift. 


Nr.  • 


(Hochschulnachrichten.) 

Bonn.  Dr.  Q.  A.  Rost,  Oberarzt  der  Hautklinik,  hat  sich 
Ende  des  vorigen  Sommersemesters  an  der  Universität  Bonn  für 
Dermatologie  habilitiert. 

E  r  a  n  k  f  u  r  t  a.  M.  Die  Medizinische  Fakultät,  deren  Lehrer 
zum  grossen  Teil  im  Heere  stehen,  hat  Fürsorge  getroffen,  dass  nahe¬ 
zu  in  allen  Fächern  ein  geordneter  Unterricht  stattfinden  kann,  (hk.) 
—  Mit  der  Leitung  der  chirurgischen  Klinik  an  der  dortigen  Uni¬ 
versität  an  Stelle  des  im  Felde  stehenden  Geh.  Med.-Rats  Prof.  Dr. 
L.  R  e  h  n  für  dieses  Wintersemester  wurde  der  ordentliche  Honorar¬ 
professor  für  orthopädische  Chirurgie  daselbst,  Dr.  Karl  L  u  d  1  o  f  f, 
Direktor  der  orthopädischen  Heil-  und  Erziehungsanstalt,  betraut,  (hk.) 

Halle.  Privatdozent  Dr.  W.  Schürmann  aus  Bern,  der  zu 
diesem  Winterhalbjahr  nach  Halle  an  das  Hygienische  Institut  über¬ 
siedeln  wollte  ist  durch  den  Ausbruch  des  Krieges  an  der  Verwirk¬ 
lichung  dieser  Absicht  verhindert  worden  und  kann  daher  erst  nach 
Beendigung  des  letzeren  seine  neue  Stellung  antreten.  —  Priv.-Doz. 
Dr.  Karl  J  u  s  t  i  ist  für  das  Wintersemester  mit  der  Vertretung  des 
Ordinariats  für  pathologische  Anatomie  an  der  Universität  Breslau 
beauftragt  worden. 

Heidelberg.  Dem  ordentlichen  Honorarprofessor  und  Leiter 
der  Nervenabteilung’ und  Nervenambulanz  an  der  medizinischen  Klinik 
Dr.  Johann  Hoff  mann  ist  die  etatsmässige  ausserordentliche  Pro¬ 
fessur  für  Neuropathologie  übertragen  worden,  (hk.)  —  Der  Wirkl. 
(ich.  Rat  Prof.  Dr.  Erb  feierte  am  27.  Oktober  sein  goldenes 
Doktorjubiläum. 

Pest.  Der  Ordinarius  und  Direktor  der  chirurgischen  Klinik, 
Hofrat  Prof.  Dr.  Julius  D  o  1 1  i  n  g  e  r,  wurde  zum  Generalstabsarzt 
ernannt  (hk.) 

(Todesfälle.) 

Am  20.  Oktober  starb  als  ein  Opfer  seines  Berufes  der  diri¬ 
gierende  Arzt  des  St.  Josephshospitals  in  Beuel,  Privatdozent  für 
innere  Medizin  an  der  Bonner  Universität,  Prof.  Dr  Josef  Esser, 
im  Alter  von  41  Jahren,  (hk.) 

In  Bonn  starb  am  26.  d.  M.  der  Medizinalrat  Prof.  Dr.  Robert 
Thomse  n,  Privatdozent  für  Psychiatrie  an  der  dortigen  Univer¬ 
sität,  dirigierender  Arzt  und  Leiter  der  Dr.  Hertz  sehen  Privat-, 
Heil-  und  Pflegeanstalt,  Mitglied  des  Medizinalkollegiums  der  Rhein- 
prt  vinz,  im  Alter  von  56  Jahren,  (hk.) 

Im  Alter  von  64  Jahren  ist  der  Privatdozent  für  medizinische 
Statistik  an  der  Universität  Pest,  Dr.  Moriz  Szalardi  de  Rakos- 
falva,  Direktor-Chefarzt  des  Landes-Findelhausvereins  des  Weissen 
Kreuzes  und  ehemaliger  Direktor-Stellvertretr  des  Kgl.  ungarischen 
staatlichen  Kinderasyls,  gestorben,  v.  Szalardi  war  der  Be¬ 
gründer  der  ungarischen  Säuglingsschutzbestrebungen,  (hk.) 

Die  Liste  der  mit  dem  Eisernen  Kreuze  Ausgezeichneten  be¬ 
findet  sich  auf  dem  Umschlag  dieser  Nummer. 


Ehrentafel. 

Fürs  Vaterland  starben: 

Dr.  Heinrich  Bart  h,  Unterarzt,  am  18.  Okt. 

Dr.  Ernst  Alfr.  E  h  r  1  e,  St.A.  d.  Res.  aus  Freiburg  i.  Br.,  in 
Frankreich  an  Typhus  gestorben. 

San.-R.  Elgnowski,  Lazarett  Kom.  Orteisburg. 

Dr.  Hermann,  St.  u.  Reg.A.,  üardekürassiere,  durch  eine 
Fliegerbombe  am  9.  Okt. 

Dr.  E.  Hildenstab,  O.A.  d.  L.,  Bezirksassistenzarzt. 

Stud.  med.  Walter  Hösel,  Einj.-Freiw. 

Stud.  med.  Friedr.  Jahn,  Kriegsfreiwilliger,  Inf.-Reg.  106. 

Feldunterarzt  Dr.  Georg  Link  (Offenburg),  3.  Bat.,  112.  Inf.- 
Reg.,  am  12.  X.  bei  la  Bassee. 

Stud.  med.  Werner  Magnus  (Berlin),  Kriegsfreiwilliger, 
3.  Garde-Art.-Reg. 

St.A.  d.  L.  M  a  i  w  e  g  (Langendreer),  Res.-Feldart.-Reg.  Nr.  14, 
Münster,  Stab. 

Dr.  Karl  Heinz  Müller  aus  Köln,  Unterarzt  im  Jägerbat.  8, 
am  12.  Okt. 

Dr.  Richard  Schlüter,  O.A.,  5.  San.-Komp.,  5.  bayer.  Res.- 
Korps. 

Dr.  Hans  Schulz,  Unterarzt  des  Füsilierbat.  Grenadier-Reg. 
Kronprinz,  am  7.  Okt. 

Stud.  med.  Walter  Servatius  (Freiburg),  Einj.-Freiw.  im 
Inf.-Reg.  113,  am  23.  Okt. 

Dr.  Walter  S  t  e  u  d  e  1 1,  Leutnant  d.  Res. 

Dr.  Richard  Stumpf,  Privatdozent  f.  path.  Anatomie  in  Bres¬ 
lau,  am  17.  Oktober  auf  dem  östlichen  Kriegsschauplatz. 

Assistenzarzt  Curt  Weichsel,  Inf.-Reg.  102. 

Cand.  med.  Wenzel  (Berlin),  Offiziersstellvertreter. 

Stud.  med.  Benno  Ziegler,  Einj.-Freiw.-Gefreiter  im  Inf.- 
Reg.  113. 

Berichtigung.  Herr  Stabsarzt  Dr.  Dehme  1,  der 

in  Nr.  38  als  gefallen  aufgeführt  war,  ist  am  22.  August  in  der 

Schlacht  bei  Audun  le  Roman  nur  verwundet  worden. 


Korrespondenz. 

Zur  Frage  der  Dumdumgeschosse 

entnehmen  wir  dem  Privatbrief  eines  hervorragenden  schweb 
rischen  Hochschullehrers  folgende  Bemerkungen: 

„  . . .  Auch  die  Frage  der  Dumdumgeschosse  harrt  noch  der  I 
ledigung.  Freilich  herrscht  darüber  Unklarheit,  was  ein  Dumdu 
geschoss  ist.  Solche  können  nur  aus  Geschossen  hergestellt  werd> 
die  aus  einem  Metallmantel  mit  einem  B  1  e  i  k  e  r  n  besteln 
z.  B.  aus  dem  deutschen,  schweizerischen  Stahlmantelgeschoss,  al 
auch  aus  dem  englischen.  Man  braucht  nur  die  Spitze  des  Met; 
mantels  irgendwie  zu  entfernen.  Hingegen  kann  man  aus  dem  Vol 
geschoss  der  französischen  Armee  keine  Dumdum  machen,  w 
sie  keinen  Bleikern  enthalten.  Das  was  in  der  Literatur  als  fr; 
zösisches  Dumdum  bezeichnet  wird,  ist  nichts  anderes  als  Zie 
in  u  n  i  t  i  o  n  —  „Stand“munition.  Jedes  bessere  Wörterlexikon  zei 
dass  unter  „stand“:  Schiessstand  zu  verstehen  ist.  Kein  Zweii 
dass  einzelne  französische  Einheiten,  vielleicht  aus  Mangel  an  Krietj 
munition  und  sicher  hinter  dem  Rücken  der  oberen  Befehlshab 
solche  Zielmunition  angewandt  haben.  Im  Eisass  ist  derartiges  siel 
nicht  vorgekommen.  Diese  Munition  ist  natürlich  kein  Dumdum,  v 
solches  in  der  letzten  Nummer  der  Feldärztl.  Beilage  behauptet  \m 
den  ist.  Die  Frage  ist  ja  sehr  schwer  zu  entscheiden,  weil  ja  ü 
Aussehen  der  Wunde  keinen  Beweis  für  Dumdum  abgibt,  wie  ich  a 
eigenem  Augenschein  bei  Franzosen,  die  von  deutschen  K| 
geln  getroffen  worden  waren,  bestätigen  kann.  Ueberdies  habe  i! 
ein  deutsches  Stahlmantelgeschoss  gesehen,  das  nach  Durcj 
schlagen  eines  Hindernisses  so  aufgeplatzt  ist  resp.  deformiert  wur«, 
dass  man  ein  Dumdum  vermuten  könnte.“ 


Aerzte  gesucht. 

Unter  Bezugnahme  auf  das  „Eingesandt“  teile  ich  ergebenst  ir, 
dass  in  den  Reserve  lazaretten  des  I.  Armeekorps  noch  ei: 
Anzahl  Zivilärzte  vertraglich  verpflichtet  werden  können  (täglic) 
Entschädigung  18  M.  und  Naturalquartier,  freie  Hinreise,  everi 
nach  längerer  Beschäftigung  auch  Rückreise).  Meldung  beim  S 
nitätsamt  I.  A.-K.  in  Königsberg,  Königstr.  82. 

Dr.  v.  M  i  e  1  e  c  k  i,  Generalarzt 


Amtliches. 

(Bayern.) 

Nr.  5285  c  66.  M  ü  n  c  h  e  n,  27.  Oktober  1914^ 

Kgl.  Staatsministerium  des  Innern. 

Betreff :  Preise  für  Arzneimittel  und  Verbandstoff. 

Beratungen,  die  auf  Veranlassung  des  Reichsamts  des  Innern  ; 
Kaiserlichen  Gesundheitsamte  mit  den  Vertretern  der  Verbandst» 
industrie  geführt  worden  sind,  haben  ergeben,  dass  der  Vorrat 
Baumwolle  in  Deutschland  knapp,  der  Bedarf  an  Verbandstoffen  ui 
Verbandwatte  dagegen  ausserordentlich  gross  ist.  Es  wird  desln 
auf  die  Verwendung  von  Ersatzmitteln  aus  Zellstoff  zurückgegriff 
werden  müssen.  Als  solche  werden  empfohlen  Holzwollscharpie  u 
Zellstoffwatte.  Diese  sollen  sich  zwar  nicht  dazu  eignen,  um  unmitn 
bar  mit  den  Wunden  in  Berührung  gebracht  zu  werden,  aber  sie  wd 
den  als  Polster-  und  Aufsaugemittel,  wie  verlautet,  schon  verschi 
dentlich  verwendet  und  sollen  bereits  in  einer  Reihe  von  Kranke 
häusern  in  Gebrauch  sein.  Das  Gesundheitsamt  hat  vom  gesun 
heitspolizeilichen  und  hygienischen  Standpunkt  aus  gegen  die  Ve 
wendung  solcher  Stoffe,  falls  sie  nicht  mit  den  Wunden  unmittelb 
in  Berührung  gebracht  werden,  keinen  Einwand  zu  erheben. 

Wenn  auch  die  Verwendung  dieses  Verbandstoffersatzes  viel 
Aerzten  schon  bekannt  sein  wird,  so  empfiehlt  es  sich  doch,  Aerz 
und  Krankenhäuser  auf  die  von  jeder  Verbandstoffhandlung  beziel 
baren  Ersatzstoffe  für  Baumwollverbandsachen  aufmerksam 
machen.  Durch  die  vermehrte  Verwendung  dieser  Stoffe  würde  si 
ein  verminderter  Verbrauch  der  Verbandstoffe  aus  Baumwolle  sow 
eine  sparsame  Benutzung  des  Baumwollverbandstoffes  für  jene  Fä> 
erzielen  lassen,  in  denen  dieser  durch  andere  nicht  ersetzt  werden  kari 

Eine  Fabrik  führt  an  Ersatzmitteln  für  Baumwollverbandsacti' 
in  ihrer  Preisliste  folgende  auf:  Zellstoffbaumwolle,  Zellstoffwatt 
Zellstoffwattemull,  Zellstoffwatteunterlagen,  Zellstoffwindeln,  Hol 
faserscharpie  und  eine  Reihe  anderer  Holzfaser-,  Holzmehl-,  Holzfil 
und  Holzwollpräparate. 

Bei  den  Besprechungen  wurde  ausserdem  noch  mitgeteilt,  da 
die  Behörden  und  Verbände  bedeutende  Ersparnisse  erzielen  würde, 
wenn  sie  ihre  Lieferungen  unmittelbar  leistungsfähigen  Firmen,  Ve. 
bandstoffabriken  oder  Verbandstoffhändlern  übertragen  und  dav« 
absehen  würden,  Mittelspersonen  heranzuziehen,  die,  wie  dies  vo, 
gekommen  sei,  nicht  einmal  sachverständig  seien  und  nur  zur  Ve 
teuerung  der  Waren  beitrügen. 

Dieser  Rat  bezog  sich  nicht  etwa  auf  denjenigen  gewerb 
mässigen  Zwischenhandel,  gegen  den  sich  nach  Lage  der  Verhältnis 
nichts  einwenden  lässt,  wohl  aber  auf  Kommissionsaufträge  an  solcl 
Personen,  die  sich  ohne  selbst  sachverständig  zu  sein,  unnötigerwei 
bei  den  Verbandstofflieferungen  als  überflüssiges  Zwischenglied  zw 
ochen  Erzeuger  und  Verbraucher  einschieben. 

I.  V.:  v.  Kahr. 


Verlag  von  J.  F.  Lehmann  in  München  S.W.  2,  Paul  Heysestr.  26.  —  Druck  von  E.  Mühlthaler’s  Buch-  und  Kunstdruckerei  A.Q.,  München. 


Preis  der  einzelnen  Nummer  80  J,.  •  Bezugspreis  in  Deutschland 
.  •  •  und  Ausland  siehe  unten  unter  Bezugsbedingungen  •  •  . 

Inserotenschluss  am  Donnerstag  einer  jeden  Woche. 


MÜNCHENER 


c-  j-  -  ,  .  Zusendungen  sind  zu  richten 

Für  die  Schnftleitung:  Arnulfstr.  26  (Sprechstunden  8V£  —  1  Uhr) 
Für  Bezug:  an  J.  F.  Lehmann’s  Verlag,  Paul  Heysestrasse  26 
rur  Anzeigen  und  Beilagen:  an  Rudolf  Mosse,  Theatinerstrasse  8. 


- «vuagtH.  au  ivuuuii  musst-,  i  iieaunerstrasse  c 

Medizinische  Wochenschrift. 

ORGAN  FÜR  AMTLICHE  UND  PRAKTISCHE  ÄRZTE. 


Sr.  45.  10.  November  1914. 


Originalien. 


Ins  dem  Zentral-Röntgeninstitut  des  k.k.  allgemeinen  Kranken- 
hauses  m  Wien  (Vorstand:  Holzknecht). 

Fremdkörperlokalisation. 

Von  Primararzt  Prof.  Holzknecht  in  Wien. 

Die  zwei  Hauptleistungen  der  Röntgenuntersuchung  bei 
oiegsv  erletzungen  finden  uns  vom  Frieden  her  verschieden 
ut  vorbereitet.  Die  Frakturen  zeigen  zwar  eine  überraschende 
.igeiiart,  die  vom  Mangel  des  Nachdruckes  der  brechenden 
jewalt  herruhrt  und  deshalb  die  im  Frieden  gewohnten 
rossen  Dislokationen  der  Fragmente  vermissen  lässt,  dafür 
ber  reichliche  Splitterung  zeigt.  Ueberall  wird  der  tref- 
mde  Vergleich  vom  Spiegel  gefunden,  der  vom  Steinwurf 
ersphttert  wird,  dessen  Fragmente  aber  vom  schwachen 
ahmen  iestgehalten  werden.  Aber  diese  Eigenart  bedarf 
jntgenologisch  keines  anderen  Vorgehens  als  im  Frieden: 
nt  zwei  tunlichst  aufeinander  senkrechten  Aufnahmen  an  den 
'rten  der  äusseren  Vv  undöffnungen  und  der  Beschwerden  ist 
len  Indikationen  genügt.  Auch  die  Beurteilung  der  Bilder 
t  dabei  nicht  schwer  und  verhängnisvolle  Täuschungen  sind 
uteu.  im  Durchleuchten  Geübte  können  unter  Verzicht  auf 
nen  kleinen  Prozentsatz  bedeutungsloser  Absprengungen 
ich  mit  der  Durchleuchtung  allein  das  Auslangen  finden 
aher  soll  hier  über  die  Radiologie  der  Knochenschussver- 
tzungen  nicht  weiter  gesprochen  werden. 

Anders  stellt  es  mit  den  Fragen  der  Fremdkörper:  Ge- 
iss,  die  die  Geschosse  betreffenden  Massnahmen  stellen  nicht 
e  Hauptaufgabe  der  Kriegschirurgie  dar,  aber  es  zeigt  sich 
eltach  wider  Erwarten,  dass  das  „Quieta  non  movere“  doch 
hr  häufig  nicht  zutrifft.  Durch  oberflächliche,  zwischen  Haut 
id.  Skeletteilen  liegende,  den  Sehnen  oder  Gelenken  und 
ichtigen  Organen  nahe  Projektile  werden  Schmerzen,  Be- 
merungs-  und  Ausfallserscheinungen  bedingt  und  in  infizierten 
.■reichen  ist  der  Fremdkörper  ein  unliebsamer  Gast.  Dazu 
'inmt,  dass  noch  längst  vor  Stellung  einer  chirurgischen 
uikation  die  Frage,  ob  ein  Teil  der  zahlreichen  Beschwerden 
rch  das  in  einer  der  obigen  Beziehungen  stehende  Geschoss 
dingt  ist,,  diagnostisch  von  Bedeutung  ist.  Dazu  die  Un- 
’  Hässlichkeit  der  Angaben  und  Befunde  über  Steck-  oder 
»irchschuss,  über  geschehene  Fremdkörperentfernungen,  die 
;h  meist  als  unvollständig  erweisen  und  nur  kleinere  ober- 
cnlicn  stecken  gebliebene  Fragmente  betreffen,  die  Häufig- 
t,  mit  der  wir  die  z.  B.  am  Schultergürtel  eingetreteuen 
_  schosse  in  den  Organen  der  Brust-  und  Bauchhöhle  finden, 
e  rolge  der  Bauchlage  in  der  Schwarmlinie.  Also  auch 
'vor  noch  an  einen  Eingriff  gedacht  wird,  ist  der  Nach- 
k-is  und  die  Lokalisation  von  Bedeutung. 

Der  erster e  ist  leicht,  jede  gute  Platte  zeigt  die 
isten  Splitter  mit  Evidenz.  Scheinbar  ebenso  evi- 
n  t  zeigt  sie  leider  auch  eine  scheinbare  Lage 
n  erhalt  beim  Betrachten  der  Bilder  den  Eindruck, 
H  dAS  Pr  °jek  til  in  der  Ebene  des  ihm  zu- 
nst  liegenden  Skeletteiles  liegt  und  von  ihm 
die  im  Bild  sichtbare  Strecke  entfernt  ist1).  Nun  weiss 
I  e  jeder  Arzt,  dass  dieser  Eindruck  falsch  ist  und  dass  eine 
eite  Aufnahme  in  anderer  Richtung  eine  andere  Scheinlage 
tousclrh  Leider  aber  glauben  fast  ausnahmslos  alle,  auch 


T  beruh t  auf  einer  optischen  Täuschung  psychischer  Provenienz: 
>ung  von  den  verschiedenen  nicht  unterscheidbaren  Möglich¬ 
en  dir.  einfachste  und  bequemste  anzunehmen. 

Nr.  45. 


die  sonst  im  Röntgengebiet  einigermassen  Bewanderten,  dass 
aus  zwei  solchen  Aufnahmen  die  Lage  des 
,  0  ]  e  k  t  i  i  es  erschlossen  werden  kann.  Das  ist 
aber  falsch  und  zwar  so  falsch,  dass  daraus  mit  Not¬ 
wendig  ke  i  tz  a  h  1 1  o  s  e  grobe  Irrtümer  entstehen 
müssen.  Trotzdem  werden  so  die  meisten  Fremdkörper- 
lokahsationen  gemacht,  und  Chirurgen,  die  über  Verwundeten¬ 
versorgung  sprechen  und  natürlich  die  Radiologie  zu  ihrem 
Ressort  rechnen,  preisen  diesen  unheilvollen  Satz  wie  eine  un- 
verherbare  Errungenschaft  an  und  finden  speziellere  Methoden 
überflüssig.  Daneben  steht  nun  die  Tatsache,  die  heute  nach 
mehrwochentlicher  kriegssanitärer  Tätigkeit  allgemeine  Zu¬ 
stimmung  erlangen  dürfte,  dass  die  Chirurgen  in  Wirklichkeit 
neim  praktischen  Finzeifall  mit  der  röntgenologischen  Fremd- 
korperlokalisation  recht  unzufrieden  sind.  Ein  sehr  grosser 
Prozentsatz  Fehlaufsuchungen  und  grosse  Unsicherheit  und 
Unlust  im  operativen  Vorgehen  treten  überall  zutage. 

Zunächst  sei  der  Beweis  erbracht,  dass  der  obige  Satz  falsch 
ist.  Fig.  I,  1,  Schädel  von  der  Seite  und  Fig.  I,  2,  Schädel  von 
vom  gesehen,  zeigen  die  Schatten  eines  Fremdkörpers.  Die  über- 


1.u"d  .?  Röntgenbilder  eines  Projektes,  trotz  zweier  Aufnahmen  scheinbar  in 

h,Tp  'iegHendc  lUJ'r  41  Das  ProJek,il  ist  mi*  Heftpflaster  der  Haut  aufgeklebt 

d,e  Projektion  m  das  Schadelinnere  ist  eine  scheinbare:  Auch  mehrere  Aufnahmen 
genügen  nicht  zur  Lokalisation. 

wiegende  Mehrzahl  der  Betrachter  werden  diagnostisch  einen  Fremd¬ 
körper  in  der  Hirnoberfläche,  in  der  Schläfenstirnübergangsgegend 
diagnostizieren.  Einzelne  lassen  sich  —  ich  habe  die  Probe  oft 
gemacht  -  sogar  auf  den  Gyrus  näher  ein.  Allein  ich  habe  den 
Fremdkörper  mit  Heftpflaster  auf  den  Haarwinkel  zwischen  Stirn 
und  Schlafe  meines  Assistenten  aussen  aufgeklebt.  Es  ist  auch  ganz 
natürlich,  dass  er  beidemale  scheinbar  im  Schädel  liegen  muss,  wie 
sich  aus  der  Fig.  I,  3  und  I,  4  und  den  eingezeichneten  Projektions- 
linien  ergibt. 

Die  Ursache  dieses  Fehlers  ist  ganz  die  gleiche  wie  bei  Be¬ 
trachtung  eines  Bildes,  man  macht  eben  zwei  willkürliche  Aufnahmen 
aber  diese  grössere  Kompliziertheit  ist  eben  keine  Gewähr  für  die 
Richtigkeit  Das  Richtige  ist  auch  nicht  einfach,  aber  anders  kom¬ 
pliziert.  hin  Fremdkörper  liegt  nicht  dann  innerhalb  eines  Hohl- 
raumes,  wenn  er  in  zwei  oder  drei  Projektionsrichtungen  innerhalb 
liegt,  sondern  wenn  er  in  keiner  einzigen  von  allen 
möglichen  ausserhalb  liegt.  Alle  möglichen  Projek¬ 
tionsrichtungen  können  aber  nicht  mittels  Aufnahmen  hergestellt 
sondern  nur  mittels  der  Durchleuchtung  gewonnen  wer- 

1 


2198 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  45 


den;  mit  dieser  allerdings  leicht  nnd  rasch.  Das  gleiche  Resultat 
haben  alle  anderen  lokalisatorischen  Erwägungen. 

Ich  kenne  nur  drei  praktisch  brauchbare  Hauptmethoden 
der  Lokalisation: 

I.  Die  Durchleuchtung  bei  stetiger  Rotation  des  Körper¬ 
teils  zur  Ermittlung  a)  des  fremdkörpernächsten  Hautpunktes 
oder  b)  des  fremdkörpernächsten  Knochenpunktes ä). 

II.  Die  Durchleuchtung  in  zwei  einander  schräg  kreuzen¬ 
den  Richtungen  mit  Markierung  der  vier  Hautpunkte  an  der 
Durchtrittsstelle  der  fremdkörperabbildenden  Strahlen2 3). 

III.  Die  Doppelaufnahme  auf  eine  Platte  nach  Wachtel, 
eine  neue  instrumenteile  Lokalisationsmethode,  welche  die 
komplizierten  älteren  an  Genauigkeit  übertrifft  und  dabei  ein¬ 
fach  in  der  Ausführung  ist.  Vorrichtung  durch  Sommer- 
Wien  VII. 

Nach  dem  oben  Gesagten  sollen  hier  die  beiden  ersten  4) 
zur  Darstellung  gelangen. 

Leiden  ist  die  Durchleuchtung  gemein.  Sie  ist  notwendig, 
weil  sie  „im  Handumdrehen“  alle  Richtungen  liefert  und  weil  sie 
die  Uebertragung  auf  die  Haut  gestattet.  Ihr  Resultat  sind 
Hautpunkte  und  Angaben  über  Richtung  und  Tiefe, 
z.  B.:  „Liegt  in  dem  und  dem  Organ,  hier  hinein,  senkrecht  5  cm 
tief!“,  nicht  aber  zwei  Bilder  als  Nahrung  für  die  Imagination5 6). 

Was  die  Bedenken  der  „Gefährlichkeit  der  Durch- 
1  e  u  c  h  t  u  n  g“  überhaupt  und  besonders  so  zahlreicher  Durchleuch¬ 
tungen,  wie  sie  jetzt  nötig  sind,  anlangt,  so  ist  wiederum  zu  sagen, 
dass  unsere  einfachen  und  handlichen  Durchleuchtungseinrichtungen 
(Beclercstativ,  Klinoskop,  Wiener  Modelle)  so  gearbeitet  sind,  dass 
sie  einen  völlig  zureichenden  Schutz  bieten.  Vom 
direkten  Licht  lassen  Hängeblende  und  Blendenkästchen  nur  einen 
Lichtkegel,  der  den  Patienten  trifft,  hindurch.  Das  aus  ihm  aus¬ 
tretende  Licht  wird  vom  Bleiglas  des  Durchleuchtungsschirmes  auf¬ 
gefangen.  Der  Arzt  wird  von  Sekundärstrahlen  und  wenigem 
das  Bleiglas  penetrierendem  Licht  getroffen.  Es  ist  nicht  wahr,  dass 
er  dadurch  geschädigt  wird.  Alle  Schädigungen  sind  durch  sinnloses 
Belichten  mit  direktem  Licht  entstanden,  in  der  ersten  Zeit,  aus  Un¬ 
kenntnis  der  Wirkungen.  Dass  einige  Pioniere  des  Faches  ohne 
alle  Schutzmassnahmen  Schaden  gelitten  haben  und  dass  diese  Schä¬ 
digungen  naturgemäss  jetzt  ihre  schlimmen  Spätfolgen  zeigen,  darf 
für  uns  kein  Grund  sein,  die  zureichenden  jetzigen  Schutzmassregeln 
zu  verdächtigen,  den  Schutz  zu  übertreiben  und  dabei  technische 
Einrichtungen  zu  schaffen,  welche  die  Arbeit  hindern  oder  fast  un¬ 
möglich  machen.  In  der  Nummer  vom  6.  X.  14  der  M.m.W.  hat 
Moses  in  ganz  unzutreffenden  Ausführungen  durch  mehrfache  un¬ 
richtige  Angaben  und  Abbildung  einer  unglaublich  schlechten  Be¬ 
nützung  der  Durchleuchtung  diese  jetzt  so  wichtige  Methode  dis¬ 
kreditiert  und  durch  Angabe  einer  neuen  Einrichtung  für  die  ^Nicht- 
besitzer  derselben  unheimlich  gemacht,  statt  dass  er  den  Un¬ 
kundigsten  den  einfachen  Rat  wiederholt  hätte,  die  Blende  immer 
so  eng  zu  halten,  dass  der  ganze  direkte  Strahlenkegel  vom  Schirm, 
der  ihn  zeigt,  aufgefangen  wird.  Denn  nur  darin  wird  gefehlt.  Solche 
Irrtiimer  finden  leider  viel  Anklang,  denn  sie  unterstützen  die  Ab¬ 
lehnung  der  Durchleuchtung  seitens  jener,  welche  sich  keine  Uebung 
in  derselben  erworben  haben.  Die  Zahl  dieser  ist  gross;  denn  da  das 
Anschauen  der  Röntgenbilder  leicht  ist,  besitzt  unser  Fach  90  Proz. 
Dilettanten,  die  natürlich  durch  das,  was  sie  nicht  wissen,  nicht  ge¬ 
hindert  werden,  sich  für  sachkundig  zu  halten.  Ich  gelte  als  ein  Lieb¬ 
haber  der  Durchleuchtung,  es  ist  aber  nur  das,  dass  ich  sie  kenne. 

Welche  Methode  wendet  man  im  Einzelfall  an?  Zuerst  wird 
in  jedem  Falle  die  erste  (Rotation)  angewandt.  Sie  ist  meistens 
anwendbar  und  dann  sind  die  anderen  überflüssig.  Ist  sie  nicht  an¬ 
wendbar,  dann  wird  die  zweite  (4  Punkte)  gebraucht.  Ist  diese 
wegen  der  grossen  Zahl  oder  Kleinheit  der  Fremdkörper  oder  wegen 
der  Lebenswichtigkeit  der  fraglichen  Organe  nicht  genau  genug,  dann 
die  dritte  (Doppelaufnahme  nach  Wachtel). 

1.  Durchleuchtung  bei  stetiger  Rotation. 

Durchleuchtung  am  stehenden  oder  sitzenden  Patienten  für  Kopf, 
Hals,  Thorax,  Abdomen  und  obere  Extremität  oder  am  Untertisch 
für  untere  Extremität  oder  Schwerkranke.  Licht  wie  bei  Tiefen¬ 
therapie,  an  zweifelhaften  Stellen  und  bei  allen  Markierungen  enge 
Blende.  Wir  erblicken  den  Fremdkörper,  drehen  den  Körperteil 
(Fig.  I,  1 — 3)  und  sehen  entweder  (a),  dass  der  Fremdkörper  in 
manchen  Richtungen  nahe  an  die  Körperoberfläche  herantritt  oder  (b), 

2)  Zuerst  von  Holzknecht  und  G  r  ü  n  f  e  1  d  t  angegeben. 

3)  Zuerst  von  S.  E  x  n  e  r  angegeben. 

*)  Die  Dritte  soll  unten  vom  Autor  selbst  dargestellt  werden.  Sie 
tritt  an  die  Stelle  der  in  der  Literatur  enthaltenen  exakt  messenden 
Methoden,  welche  sich  sämtlich  —  ich  will  sie  nicht  aufzählen  — 

wegen  ihrer  Kompliziertheit  im  grossen  Betriebe  des  Krieges  als 
praktisch  nicht  durchführbar  erwiesen  haben.  Die  neueste  von 
Robinsohn,  in  der  Ausführung  wirklich  einfach,  bedarf  einer  Ab¬ 
änderung  unserer  Durchleuchtungseinrichtungen. 

6)  Auch  stereoskopische  bieten  nicht  das,  was  der  Diagnostiker 

und  der  Chirurge  braucht. 


dass  er  in  der  Nähe  des  Skelettes“)  bleibt.  Danach  entschliessei 
wir  uns  der  Diagnostik  der  (1.)  zur  Lokalisation  auf  die  Hau 
oder  (2.)  auf  Haut  und  Skelett. 

La  Lokalisation  auf  die  Haut:  Die  am  Schirm  sicht 
bare  Distanz  zwischen  Fremdkörperschatten  u n <1 
Hautkontur  im  Auge  behaltend,  wenden  wir  den  Körpertei 
drehend  hin  und  her  (Fig.  II,  1—3)  und  verfolgen  diejenige  Dreh 
richtung.  bei  welcher  die  Hautfremdkörperdistanz  kleine 
wird.  Jene  Stellung,  in  der  sie  am  kleinsten  ist  (z.  B.  Fig.  11,  2) 
halten  wir  fest,  sie  gibt  die  wahre  Hautdistanz  des  Fremd 
körpers7)  Dreht  man  über  diese  Stellung  in  der  gleichen  Richtum 
hinaus,  so  wird  die  Distanz  wieder  grösser,  man  kehrt  also  zur  ge 
fundenen  wieder  zurück“).  Wir  zeichnen  nun  die  Hautgeschoss| 

distanz  mit  Fettstift  auf  den  Schirm  ( - ).  Die  Körpersteiluni 

aber  halten  wir  fest,  denn  wir  wissen  jetzt  zwar  die  senkrecht 
Distanz  (Tiefe),  aber  nicht,  von  welchem  Hautpunkte  aus  si<[ 
gilt.  Dieser  Punkt  wird  am 
Körper  gefunden,  indem  wir 
eine  stiftförmige  Marke B) 
an  die  Körperoberfläche 
(Verband)  berührend 
heranbringen  und  auf  ihm 
gleitend  bald  näher  zum 
Schirm,  bald  näher  zur 
Röhre  bewegen.  Dabei 
sehen  wir  ihn  mit  seiner 
Spitze  meist  im  Schatten 
der  Weichteile  (Fig.  II,  4) 
und  nur  in  einer  einzigen 
Gleitlage  in  ganzer  Länge 
bis  zur  Spitze  frei10)  (Fig.  II, 

5).  Diese  Stellung  des  Stif¬ 
tes  halten  wir  fest,  denn 
jetzt  bezeichnet  seine  Spitze 
jenen  Hautpunkt,  für  den  die 
obige  Distanz  (Tiefe)  gilt; 
senkrecht  unter  ihm,  in  der 
früher  gefundenen  Tiefe, 
liegt  das  Geschoss.  Lapis¬ 
punkt;  Uebertragung  vom 
Verband  auf  die  Haut  beim 
Verbandwechsel;  bei  wei¬ 
chen  Verbänden  durch  Fest¬ 
halten  der  Stelle  mit  einem 
Finger,  während  der  übrige 
Verband  weggeschnitten 
wird,  bei  starren  Verbän¬ 
den  durch  Stehenlassen 
eines  den  Punkt  enthalten¬ 
den  Ringes.  Tiefe  mit  La¬ 
pis  auf  die  Haut  schreiben. 

Die  Haut  vorher  mittels  ge¬ 
stieltem  Tupfer  mit  photo¬ 
graphischem  Entwickler  befeuchten. 

Ist  der  Punkt  markiert,  so  fügt  man  immer  noch  den  Yersucl 
hinzu,  von  ihm  aus  durch  stärkeres  Eindrücken  des  Stiftes  M  i  t  b  e 
wegungen  des  Fremdkörpers  zu  erzielen11).  Dadurcl 
findet  man  oft  noch  einen  genaueren  Punkt  in  der  nächsten  Umgebum 
des  ersteren  (Ort  der  grössten  Mitbewegung).  Schliess 
lieh  versucht  man,  ob  der  Fremdkörper  nicht  an  der  gefundene! 
Stelle  p  a  1  p  a  b  e  1  ist,  was  hauptsächlich  von  den  Unterlagsverhalt 
nissen  abhängt.  _  , 

I,b.  Lokalisation  auf  das  Skelett  oder  ein  sicht 
bares12)  tiefes  Organ.  Das  gleiche  Verfahren.  Wir  drehet 


Fig.  II.  1,  2,  3:  Rotation  bis  zur  kürzeste 
Fremdkörper-Hautdistanz  (7)  4,  5:  Bei  unvei 

änderter  Stellung  wie  2  gleitet  der  schaben 
gebende  Stift  auf  der  Haut  bis  er  frei  sichtbs 
ist.  3  Auf  Verband  im  grössten  Hautabstand. 


°)  Oder  in  der  Tiefe  der  Eingeweide. 

7)  Bloss  ein  wenig  durch  die  Divergenz  der  Strahlen  vergrössert 

Wird  vernachlässigt  oder  einfach  und  zweckmässig  nach  Robi" 
sohn  folgendermassen  berücksichtigt:  Der  Farbstift,  welcher  dei. 
Hautpunkt  bezeichnet,  wird  mit  einem  kurzen  Blechrohr  umhüllt,  da: 
auf  ihm  verschoben  werden  kann.  Nach  Auffinden  des  Hautpunkte 
wird  das  Röhrchen  so  weit  an  die  Haut  herangeschoben,  bis  sein« 
Distanz  von  der  Haut  ebenso  gross  ist,  wie  diejenige  des  Fremd 
körpers  von  der  Haut.  Ohne  Röntgenlicht  betrachtet  gibt  jetzt  du 
Distanz  des  Röhrchens  von  der  Bleistiftspitze  die  fehlerfreie  Fremd 
körpertiefe.  .  , 

8)  Beim  Lesen  dieses  Teiles  der  Arbeit  empfiehlt  sich  als  Modei 
des  Körpers  ein  leeres  Wasserglas  mit  einem  fix  hineingehaltenei 
Bleistift.  Ein  Uebungsmodell  aus  Zelluloid  für  Lampen-  statt  Röntgen 
licht  fertigt  Sommer,  Werkstätten  für  Wiener  Röntgenmodelk 
Wien  VII. 

°)  Die  roten  Fettstifte  haben  eine  gut  sichtbare  Füllung  (Zin 
nober).  . 

10)  Bei  Vorhandensein  eines .  Verbandes  sogar  vom  Weichten 
kontur  entfernt. 

n)  Natürlich  nur,  wo  keine  starren  Wände  (Schädel,  Thorax 
über  ihm  liegen.  .J 

12)  Ev.  auf  einen  sichtbar  gemachten  Teil  des  Verdauungs-  ode. 
Harntraktus. 


).  November  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2199 


n  Körperteil  nach  jener  Richtung  weiter,  bei  der  der 
r  e  m  d  K  0  1  p  c  r  s  c  hatten  sicli  vom  Skelettschatten 
1 1  f  e  r  n  t.  1 )  i  e  grösste  so  gewonnene  Distanz  ist  die 
a  h  i  e,  z.  B.  1  cm.  Sie  wird  notiert,  die  Stellung  aber  festgchalten, 
nn  wir  haben  ja  noch  den  Überflächenpunkt  des  Knochens  fest¬ 
stellen,  der  jetzt  dem  Geschossschatten  zugewandt  ist,  z.  B. 
s  Planum  popliteum,  5  cm  oberhalb  des  Epicondylus  externus13). 
ir  fügen  auch  den  Oberflächenpunkt  und  die  Tiefe  nach  dem 
.-rfahren  I  a  hinzu. 

Wir  können  mit  vielem  Nutzen  noch  den  sog.  Gegenpunkt 
lzufügen,  wenn  wir  den  gefundenen  Hautpunkt  (Kreuz: Inzision)  mit 
r  sichtbaren  I  ettstif tspitze  bedecken  und  dann  den  Körper  so 
ehen,  dass  Marke  und  Projektil  sich  decken.  Jetzt  markieren  wir 
s  Projektil  auf  der  dem  Hautpunkt  entgegengesetzten  Körperseite 
mg  :  Scheibe,  Ziel).  Schliesslich  fügen  wir  unsere  Vorstellung  über 
s  Organ  oder  den  Organabschnitt  hinzu,  in  welchen  wir  den  Fremd- 
iper  sicher  oder  mutmasslich  verlegen.  Ein  solcher  Befund  würde 
nn  beispielsweise  lauten:  3,5  cm  senkrecht  unter  dem  Lapispunkt 
gt  ein  nicht  deformiertes  Gewehrgeschoss.  Vom  Planum  popli- 
im  (5  cm  oberhalb  des  Epic.  ext.)  ist  es  2  cm  entfernt.  Vom  Lapis- 
euz  in  der  Kniekehle  4  cm  nach  der  Richtung  des  Lapisringes  auf 
r  Patella  bei  gestrecktem  Knie.  Region  der  Gefäss-  und  Nerven- 
imme. 

Diese  und  andere  Details  lassen  sich  leicht  hinzufügen,  wenn 
ui  einmal  das  Prinzip  erfasst  hat.  Z.  B.  kann  man  ein  Projektil 
ch  auf  die  innere  Schädeloberfläche  lokalisieren.  Die  dabei  ge- 
ichten  Tiefenangaben  haben  für  den  Neurologen  und  Chirurgen 
:hr  Wert  als  die  auf  die  geschwollenen  Weichteile  bezogenen, 
in  verfährt  wie  bei  der  Lokalisation  auf  die  Haut,  die  kleinste 
danz  ist  die  wahre.  Alle  diese  Dinge  sind  mittelst  der  Auf- 
h  m  e  n  unmöglich. 

Noch  ein  paar  selbstverständliche  Konsequenzen:  Ein  Projektil 
Krt  ausserhalb  eines  sphärischen  Hohlraumes  (Schädelkapsel, 
orax,  Haut,  Knochenoberfläche),  wenn  es  auch  nur  in  einer  ein¬ 
en  Körpcrstellung  ausserhalb  desselben  gesehen  wird.  Es  liegt 
erhalb  desselben,  wenn  es  in  sämtlichen  Richtungen  (nicht  einigen 
Grundfehler  der  Plattenlokalisation)  innerhalb  gesehen  wird.  Der 
lachte  Hohlkörper  muss  dabei  überall  von  innen  konkaven  oder 
nen  Flächen  begrenzt  sein;  wenn  seine  Begrenzung  irgendwo  nach 
-sen  konkav  ist  (Lungenraum  am  Zwerchfell),  dann  gilt  das  obige 
ht  und  es  muss  nach  der  gleichen  Regel  auf  den  kugeligen  (hier 
.  Abdomen)  lokalisiert  werden. 

Wenn  wir  bei  der  ersten  Methode,  der  Durchleuchtung  mit 
tiger  Rotation,  der  Drehung  der  Körperteile  noch  vor  der  sicheren 
itmdiing  der  kleinsten  Haut-  oder  der  grössten  Knochengeschoss¬ 
tanz  auf  eine  Durchleuchtungsrichtung  stossen,  in  welcher  der 
:mdkörper  nicht  sichtbar  ist  (Rumpf  quer  oder  schlechtes 
:ht)  und  auch  hinter  dieser  Drehstellung  nicht  deutlich  eine 
inste  resp.  grösste  Distanz  finden,  dann  ist  das  Verfahren  mit 
tiger  Drehung  nicht  anwendbar  und  wir  verlassen  es  und  gehen 
;r  zu 

II.  Durchleuchtunginzweieinanderschrägkreu- 
nden  Richtungen  mit  Markierung  der  4  Haut¬ 
et e-  Sie  kann  auch  mit  Vorteil  den  nach  I,b  gelungenen  Lokali- 
donen  (tiefer  Sitz)  als  Kontrolle  hinzugefügt  werden. 

Von  den  bei  der  Drehung  (Methode  I)  versuchten  Durchleuch- 
gsrichtungen  sucht  man  zwei  aus,  welche  beide  den  Fremdkörper 
itlich  erkennen  lassen  und  deren  Winkel  zu  einander  möglichst 
'S$  ist  (möglichst  nahe  einem  rechten).  Oft  sind  aber  z.  B.  nur 
Winkelgrade  möglich,  dann  kommt  eben  eine  Drehstellung,  in  der 
Fremdkörper  verschwindet.  Man  nimmt  nun  zuerst  die  eine 
zwei  Richtungen  vor,  durchleuchtet,  mahnt  den  Kranken,  sich 
iz  ruhig  zu  halten,  wozu  man  auch  manuell  mancherlei  beitragen 
in,  und  entlässt  ihn  nicht  früher  aus  dieser  Stellung,  bevor  man 
it  sowohl  vorn,  hinter  dem  Schirm,  als  auch  an  der  entgegen- 
etzten  Körperseite  den  Ort  auf  der  Haut,  wo  Fremdkörper- 
atten  und  Bleistiftspitze  sich  decken,  markiert  hat,  z.  B.  mit  zwei 
uzen.  Manche  wollen  hier  den  rückwärtigen  Punkt  nach  Um¬ 
rung  des  Patienten  malen,  damit  sie  den  Farbstift  besser  sehen; 
h  ist  dann  ja  nicht  die  gleiche  Durchleuchtungsrichtung  garantiert. 

;i  wendet  man  sich  zur  zweiten  Durchleuchtungsrichtung  und  ver- 
rt  ebenso  (zwei  Ringe).  Es  ist  gut  sie  zu  überprüfen,  indem  man 
Bleistifte  an  die  eine  Marke  setzt,  jetzt  den  Fremdkörper  mit 
zur  Deckung  bringt  und  den  Bleistift  hinten  wie  zur  Anbringung 
zweiten  Marke  aufsetzt  und  nachsieht,  ob  er  wirklich  auf  aen 
ier  gezeichneten  fällt.  Ebenso  bei  der  anderen  Richtung.  Das 
ultat  siehe  an  dem  Schulterquerschnitt  (Fig.  III,  1). 

Die  gewonnenen  vier  Hautpunkte  verwertet  man  a)  zur 
ätzung  der  Fremdkörperlage  nach  dem  Augemnass,  b)  zur  Be- 
imung  derselben  nach  der  Querschnittszeichnung,  c)  zur  Er- 
telung  der  Aufsuchungsrichtung  und  Tiefcnlage  von  einem  be¬ 
igen  Inzisionsorte  aus.  (Siehe  Fig.  III.) 

Ad  a).  Schon  beim  Betrachten  der  vier  Punkte  oder  der  an 
>elben  angelegten  Finger  ergibt  sich,  wenn  man  die  zusammen- 
örigen  Punktpaare  im  Geiste  durch  zwei  Linien  verbindet,  ein 
eil  über  die  Lage  des  Kreuzungspunktes  der  Linien,  in  welchem 

lf)  Dazu  wählt  man  sowohl  röntgenologisch  gut  sichtbare  als 
:h  palpatorisch  gut  zugängliche  Skelettpunkte. 


der  Fremdkörper  liegt.  Diese  Ueberlegung  kann  dadurch  sehr  unter¬ 
stützt  werden,  dass  man  vier  Stäbe  (Bleistiftstäbe  etc.)  an  die 
vier  Punkte  setzt  und  sic  so  im  Raum  richtet,  dass  sie  durch  den 
Körper  hindurch  nach  ihrem  Gegenpunkt  zeigen. 


Fig.  III.  Erläuterung  der  4  Punkt-Methode  und  ihrer  Verwertung  an  Schulterquerschnitten 
Die  freien  bedeuten  das  Objekt  selbst  mit  den  Hautmarken,  die  eingerahmten  das  Zeichen¬ 
blatt  mit  seinen  Eintragungen.  X  =  Inzisionsort,  O  =  Gegenpunkt,  s  =  Schirm,  Res. 

=  Resultat. 

Ad  b).  Die  Querschnittszeichnung  (Fig.  m,  2 — 9). 

Dazu  verwendet  man  einen  grossen  Zirkel 14).  Mit  diesem  nimmt 
man  die  Distanz  zweier  benachbarter  Punkte  ab  und  trägt  sie  auf 
Papier  auf  (Fig  II,  2),  dann  nacheinander  die  Distanzen  dieser  beiden 
Punkte  zu  dem  dritten  und  vierten,  also  vier  Distanzen,  setzt  auf 
der  Zeichnung  jedesmal  auf  dem  ersten  oder  zweiten  Punkt  auf  und 
beschreibt  mit  dem  anderen  Zirkelschenkel  einen  Kreisbogen 
(Fig.  III,  3). 

Die  zwei  Schnittpunkte  der  vier  Kreisbogen  entsprechen  dem 
dritten  und  vierten  Hautpunkt.  Nun  ergänzt  man  die  zwischen  den 
vier  auf  dem  Papier  gezeichneten  Hautpunkte  durch  die  Körper¬ 
kontur,  indem  man  einen  biegsamen  Blechstreifen15)  von  Haut¬ 
punkt  zu  Hautpunkt  legt,  ihn  überall  dem  Körper  anpassend  (Fig.  III,  4), 
diesen  Abdruck  der  Körperkontur  auf  die  gleichbedeutenden  Punkte 
der  Zeichnung  auflegt  und  mit  Bleistift  nachfährt  (Fig.  III,  5).  Nun 
liegt  die  in  Betracht  kommende  Körperkontur  mit  den  eingetragenen 
4  Punkten  vor  (Fig.  III,  6).  Wenn  man  dieselben  mit  einem  Lineal 
kreuzweise  verbindet  (Fig.  III,  7)  erhält  man  den  Fremdkörperort  als 
Schnittpunkt.  Seine  Entfernung  von  jedem  Punkte  der  Oberfläche 
kann  nun  mittelst  eines  Massstabes  überall  abgemessen  werden. 

Ad  c).  Es  ist  nur  ein  besonderer  Fall  davon,  wenn  nun  der 
Chirurge  nach  Kenntnisnahme  von  der  Lage,  die  ihm  die  Quer- 
schnittszeichnung  und  die  vier  mittelst  Lapis  dauerhaft  gemachten 
Hautpunkte  vermitteln,  den  Patienten  nochmals  zuweist,  damit  für 
eine  bestimmte  von  ihm  gewählte  Inzisionsstelle  (Fig.  III,  8,  J)  Tiefe 
und  Richtung  angegeben  werde.  Man  verfährt  ohne  neuerliche 
Röntgenuntersuchung  so,  dass  man  (Fig.  III,  9)  mit  dem  Zirkel  oder 
Bleistreifen  die  Distanz  des  neugewählten  Punktes  von  einem  seiner 
alten  Nachbarpunkte  abmisst  und  in  die  Zeichnung  überträgt,  von 
diesem  aus  nun  die  Verbindungslinie  einerseits  zum  Fremdkörper 
(Kreuzungspunkt)  zieht,  andererseits  in  entgegengesetzter  Richtung 
über  die  Körperkontur  hinaus  verlängert.  Die  Verlängerung  ergibt 
die  Richtung,  in  der  eingedrungen  werden  muss.  Die  Tiefe  kann  mit 
dem  Massstab  direkt  abgemessen  werden.  Die  Chirurgie  bevorzugt 
senkrecht  zur  Oberfläche  gelegene  Richtungen  ihres  Eindringens  in 
den  Körper.  Gelegentlich  nimmt  sie  aber,  wenn  dadurch  eine  ge¬ 
ringere  liefe  desselben  möglich  ist  oder  aus  anatomischen  Rück¬ 
sichten  mit  schrägen  Richtungen  vorlieb.  In  diesem  Falle  und  auch 


14)  Schulkreidezirkel  und  Tafel  oder  schwarzes  Papier.  Eine  der 
als  Spitäler  eingerichteten  Schulen  kann  mit  ihren  vakanten  Zirkeln 
alle  Röntgenlaboratorien  versorgen.  Ein  gynäkologischer  Zirkel 
mit  mittelst  Heftpflaster  befestigtem  Bleistift  tut  den  Dienst  noch 
besser 

1B)  Am  besten  Bleiblech  3  mm  dick,  2  cm  breit  und  50  cm  lang. 

1* 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  4! 


2200 


sonst,  wo  ,. senkrecht“  bei  den  mannigfaltigen  Oberflächenforma¬ 
tionen  ein  schwankender  Begriff  ist,  soll  die  Richtung  vom  Inzisions¬ 
ort  zum  Fremdkörper  näher  definiert  werden.  Sie  wird  am  ein¬ 
fachsten  durch  den  „Oegcnpunkt"  auf  der  entgegengesetzten 
Körperoberfläche  ang-egeben  (siehe  I,  b) l0). 

111.  Die  Doppelaufnahme  nach  Wachtel,  über  welche,  wie 
gesagt,  der  Autor  selbst  berichten  wird. 

Die  Methoden  I  und  II  sind  in  allen,  auch  den  bescheiden¬ 
sten  und  improvisierten  Röntgenzimmern  anwendbar.  Zeit¬ 
aufwand  einige  Minuten.  Immer  sollen  wir  uns  vor  Augen 
halten,  dass  wir  für  den  rein  diagnostischen  Zweck  Organ  und 
Organteil  kennen  lernen  wollen,  in  welchen  der  Fremdkörper 
liegt,  für  den  chirurgischen  Zweck  aber  ausserdem  ganz  un¬ 
abhängig  vom  anatomischen,  rein  geometrisch  einen  zweck¬ 
mässig,  eventuell  gemeinsam  mit  dem  Chirurgen  gewählten 
Punkt  ermitteln  müssen,  von  welchem  aus  und  eine  Richtung 
nach  welcher  hin,  sowie  eine  Tiefe,  in  der  der  Fremdkörper 
zu  finden  ist.  Zu  diesem  Ende  müssen  wir  aber  alle  verfüg¬ 
baren  Mittel  gebrauchen  und  dürfen  uns  nicht  mit  den  allgemein 
verständlichen  begnügen. 


Aus  der  Chirurgischen  Universitätsklinik  Jena  (Geh.  Rat  Prof. 

Dr.  E.  L  e  x  e  r.) 

Zur  Methodik  des  Abderhald enschen  Dialysier- 

verfahrens. 

Von  Dr.  Herrn.  Nieden,  Assistenzarzt  der  Klinik,  zurzeit 
Feldlazarett  No.  1,  XI.  Armeekorps. 

Dem  Wunsch  Abderhaldens,  den  er  nach  der  aus¬ 
führlichen  Bekanntgabe  seiner  Untersuchungsmethoden  aus¬ 
sprach,  dass  jetzt  die  Verfahren  in  der  Hand  der  Kliniker  an 
ihrem  klinischen  Material  einer  Prüfung  unterzogen  werden 
möchten,  ist  im  Laufe  des  letzten  Jahres  in  ausgedehnter  Weise 
nachgekommen  worden.  Ein  ungewöhnlich  umfangreiches 
Untersuchungsmaterial  aus  den  verschiedensten  Spezial¬ 
gebieten  ist  inzwischen  bearbeitet  worden;  der  weitere 
Wunsch  Abderhaldens,  der  sich  daran  schloss,  dass 
dadurch  eine  Klärung  der  Frage  der  klinischen  Verwertbarkeit 
der  Methode  bald  herbeigeführt  werden  möchte,  ist  bisher  noch 
unerfüllt  geblieben.  Im  Gegenteil  ist  von  verschiedener  Seite 
bezweifelt  worden,  ob  überhaupt  eine  Spezifität  der  Abwehr¬ 
fermente  vorhanden  ist,  wie  sie  von  Abderhalden  ange¬ 
nommen  wird. 

Die  Vorbedingungen  einer  einheitlichen  Beurteilung  der 
mit  der  Dialysiermethode  gewonnenen  Resultate  ist  eine  mög¬ 
lichst  grosse  Einheitlichkeit  der  Methodik,  da  sonst  von  vorne- 
herein  eine  solche  Reihe  von  Fragestellungen  und  Einwänden 
auftauchen,  dass  ein  Ueberblick  ausserordentlich  erschwert 
wird.  Dieser  Vorbedingung  ist  auch  von  der  Mehrzahl  der 
Nachuntersucher  nachgekommen  worden.  Fast  stets  wird 
betont,  dass  sich  die  Methodik  streng  an  die  von  Abder¬ 
halden  gegebenen  Originalvorschriften  angeschlossen  hat. 
Wenn  dabei  von  den  Einzelnen  gewisse  Ergänzungen  dieser 
Vorschriften  hinzugefügt  sind,  oder  die  Kontrollen  wie  z.  B. 
durch  Verwendung  inaktivierter  Sera  erweitert  sind,  so  ist 
dadurch  noch  nicht  die  einheitliche  Beurteilung  beeinträchtigt. 

Abderhalden  selbst  hat  nun  für  die  Verschieden¬ 
artigkeit  der  Ergebnisse  bei  manchen  Nachuntersuchern  die 
Fehlerquellen,  die  in  der  Methodik  liegen  können,  schuldig  ge¬ 
macht  und  darunter  in  erster  Linie  die  drei  Kardinalfehler: 
Mangelhaftigkeit  der  Dialysierhülsen,  ungenügende  Zu¬ 
bereitung  der  Organe  und  hämolytisches  Serum. 

Diesen  Hauptpunkten  ist  dann  von  anderen  eine  Reihe 
kleinerer,  aber  unter  Umständen  nicht  weniger  ausschlag¬ 
gebender  Fehler  hinzugefügt  worden,  so  erinnere  ich  an  die 
von  D  e  e  t  j  e  n  und  F  r  ä  n  k  e  1  hervorgehobene  Bedeutung 
des  Glases,  aus  dem  die  Reagenzgläser  bestehen,  für  den 
Ausfall  der  Ninhydrinreaktion  (M.m.W.  1914  No.  9),  ferner 
an  die  von  Plaut  beobachteten  Adsorptionserscheinungen,  in 
denen  andere  allerdings  lediglich  Hülsenfehler  sehen  (M.m.W. 
1914  Nr.  6),  oder  endlich  die  vor  kurzem  gemachte  Beob- 


16)  Statt  der  improvisatorischen  Zeichnung  mittels  Zirkel  und 
Bleiblechstreifen  findet  an  stabilen  Arbeitsstätten  der  Zeiger¬ 
rahmen  nach  Moscovicz  (Otto  Sommer,  Wien  VII)  ge¬ 
eignete  Verwendung. 


achtung,  dass  bei  zu  hoher  Stcrilisationstemperatur  der  Watt 
ninhydrinreagierende  Stoffe  auftreten  können. 

Ich  selbst  möchte  in  dieser  Mitteilung  auf  eine  Beobachtun 
hinweisen,  die  ich  beim  Arbeiten  mit  der  Dialysiermethod 
machen  konnte,  die  ebenfalls  auf  eine  mögliche  und  —  wie  ic 
mich  überzeugt  habe  —  sehr  wesentliche  Fehlerquelle  hin 
weist. 

Während  ich  mich  im  allgemeinen  bei  den  Dialysicrver 
suchen  ausschliesslich  trocken  sterilisierter  Glasinstrument 
bediente,  war  ich  bei  der  Wiederholung  einer  angesetzten  Nin 
hy drinprobe  gezwungen,  statt  eines  trocken  sterilisierten,  ei 
gereinigtes  Reagenzglas,  das  mit  Alkohol  und  Aether  aus 
geschwenkt  wurde,  zu  verwenden. 

Die  Reaktion  zeigte  einen  so  auffallend  starken  Ausfal1 
dass  ich  nachprüfte  und  schliesslich  die  Ursache  der  Ver 
Stärkung  in  dem  zurückgebliebenen  Aether  feststellen  konnte 

Ich  lasse  die  daraufhin  angesetzten  Versuche  über  de- 
Einfluss  des  Aethers  folgen.  Ich  bemerke,  dass  ich  dabei  de’ 
von  Merck-  Darmstadt  hergestellten  Aether  reinst  p.  n.  ver, 
wendete,  dass  also  nicht  irgendwelche  Verunreinigungen  ii 
Frage  kommen. 

Versuch  I. 

1.  Reagenzglas.  10  ccm  einer  stark  verdünnten  Eiweisslösuii! 
+  1  ccm  Aether  pur.  +  0,25  Ninhydrin. 

2.  Reagenzglas.  10  ccm  der  gleichen  verdünnten  Eiweisslösun: 
4-  0,25  Ninhydrin. 

3.  Reagenzglas.  10  ccm  Aqu.  dest.  4"  1  ccm  Aether  pur 
4-  0.25  Ninhydrin. 

Nach  2  Minuten  langem  Kochen  folgende  Reaktion: 

1.  R  4-4*4-  (dunkel  violett). 

2.  R.  4*  (schwach  violett). 

3.  R.  — . 

Versuch  II. 

1.  Reagenzglas.  10  ccm  Aqu.  dest.  +  0,1  ccm  einer  lOproz.  Qe 
hirnpeptonlcsung  +  0,3  ccm  Ninhydrin. 

2.  Reagenzglas.  Reagenzglas  mit  Aether  ausgespült,  dann  übe 
der  Flamme  erhitzt.  Nach  Abkühlen  10  ccm  Aqu.  dest.  4-  0,1  ccrr 
der  gleichen  Gehirnpeptonlösung  +  0,3  ccm  Ninhydrin. 

3.  Reagenzglas.  10 ccm  Aqu.  dest.  4*  1  ccm  Aether  4*  0,3ccn 
Ninhydrin. 

Nach  2  Minuten  langem  Kochen  folgende  Reaktion: 

1  R.  — . 

2.  R.  4*. 

3.  R.  — . 

Versuch  III. 

P.  Ernst,  Pyelonephritis. 

Jede  Hülse  1,5 ccm  Serum. 

10  ccm  Dialysat  allein  mit  Niere  1  mit  Niere  1 

0,25  Ninhydrin  —  —  — 

Das  gleiche  Dialysat  bei  Zusatz  von  0,5  ccm  Aether  ergab: 
allein  mit  Niere  1  mit  Niere  2 

schwach  positiv  stark  positiv  stark  positiv 

( — ?)  C++)  '  C++). 

Es  geht  aus  dem  Vorstehenden  hervor,  dass  nicht  durcl 
den  Aether  allein  eine  positive  Ninhydrinreaktion  hervor 
gerufen  werden  kann,  dass  aber  schon  Aether  in  äusserst  ge 
ringen  Mengen  beim  Vorhandensein  ninhydrinreagierendei 
Stoffe  die  Reaktion,  die  sonst  negativ  ausfallen  würde,  in  eine 
stark  positive  umwandelt. 

Abderhalden  hat  zwar  darauf  hingewiesen,  dass  die 
Gläser  trocken  zu  verwenden  seien,  da  bei  Zurückbleiben  vor 
Wasser  eine  Verdünnung  und  damit  eine  Veränderung  in  der 
Reaktionsstärke  auftreten  würde.  Einen  Hinweis  auf  die  Bc 
einflussung  der  Reaktion  durch  den  Aether  habe  ich  —  sowei- 
ich  die  Literatur  übersehe —  nicht  finden  können.  Ich  halb, 
aber  die  Beobachtung  auch  dieser  möglichen  Fehlerquelle  fiii 
wichtig. 


Aus  der  Kgl.  dermatologischen  Poliklinik  zu  München 
(Vorstand:  Prof.  Dr.  Leo  v.  Zumbusch). 

Superinfektion  bei  Tabes  dorsalis. 

Von  Dr.  A.  P  ö  h  1  m  a  n  n,  Assistenzarzt. 

Die  Anschauung,  dass  die  Syphilis  analog  anderen  In¬ 
fektionskrankheiten  eine  dauernde  Immunität  hinterlasse,  galt 
den  meisten  älteren  Forschern  als  feststehende  Tatsache,  odei 
man  leugnete  überhaupt  ihre  Heilbarkeit,  wie  H  e  b  r  a  es  tat 
Der  prinzipielle  Nachweis,  dass  die  Syphilis  heilbar  war,  und 
dass  die  durch  das  Ueberstehen  der  Syphilis  erworbene  Im- 


0.  November  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


tiunität  nur  eine  zeitlich  begrenzte  sein  konnte,  lieferte 
)  i  d  a  y,  als  er  1863  die  ersten  einwandfrei  beobachteten  Fälle 
on  syphilitischer  Reinfektion  publizierte.  In  neuerer  Zeit 
.urde  dann  vor  allem  durch  die  bekannten  experimentellen 
tudien  von  Finger  und  Landsteiner  und  N  eis  sei* 
nd  seiner  Mitarbeiter  eine  eingreifende  Wandlung  in  unseren 
nschauungen  über  die  Immunitätsvorgänge  bei  der  Syphilis 
erbeigeführt. 

Wir  wissen  jetzt,  dass  es  bei  der  Syphilis  eine  echte 
mnunität  nicht  gibt;  nach  der  Heilung  ist  vielmehr  der 
»rganismus  ebenso  empfänglich  für  eine  neue  Infektion  wie 
n  Körper,  der  noch  nie  mit  syphilitischem  Virus  in  Berührung 
jiu.  Nur  so  lange  als  der  Körper  selbst  noch  Spirochäten 
eherbergt,  besteht  Unempfänglichkeit  gegen  Neuinfektion, 
iir  diesen  Zustand  des  Refraktärseins  infolge  Parasiten- 
-'rsistenz  hat  S  i  e  b  e  r  t  den  Begriff  der  „Anergie“  eingeführt 
.Halbimmunität“  Ehrlich).  Diese  Anergie  bei  der  Syphilis 
t  jedoch  nur  eine  relative,  denn  während  des  Nochbestehens 
;r  Krankheit  —  auf  jeden  Fall  im  Endstadium  der  Erkran- 
ing  —  sind  Superinfektionen  möglich. 

Wir  haben  also  zwei  Arten  der  Neuinfektion  strenge  von 
nander  zu  trennen  und  sprechen  von  Reinfektion  bei 
ner  Neuinfektion  nach  vollständigem  Ablauf  und  Heilung  der 
sten  Erkrankung,  während  wir  Neuinfektionen  bei  schon 
id  noch  syphilitischen  Menschen  als  Superinfektion 
■zeichnen. 

Echte  Reinfektionen  sind  kein  zu  seltenes  Ereignis.  John 
•t  1909  in  seiner  bekannten  Monographie  322  Fälle  von  Re¬ 
aktionen  aus  der  Weltliteratur  zusammengestellt  und  davon 
9  als  einwandfrei  anerkannt.  Durch  die  Erfolge  der  Abortiv¬ 
handlung  und  der  kombinierten  chronisch-intermittierenden 
g-Salvarsanbehandlung  ist  der  Ablauf  der  Syphilis  weiterhin 
idifiziert  und  gekürzt  worden,  so  dass  Benario  aus  einer 
•riode  von  nur  wenigen  Jahren  112  Fälle  zusammenstellen 
nnte. 

Im  Vergleiche  zur  Reinfektion  ist  das  Beobachtungs- 
i  iterial  über  Superinfektion  ausserordentlich  spärlich. 

Deshalb  und  weil  ein  meiner  Beobachtung  entsprechender 
Hl  noch  nicht  bekannt  ist,  halte  ich  die  Mitteilung  einer 
Lenen  Beobachtung  für  geboten. 

Krankengeschichte  (gekürzt):  63  jähriger  Patient.  Im 
ore  1878  harter  Schanker,  im  gleichen  Jahre  Roseola,  Plaques  im 
nde  und  Iritis.  Behandlung  nur  mit  Kal.  jodat.  (Den  seinerzeit 
sandelnden  Arzt  kann  Pat.  nicht  mehr  angeben,  auch  nicht  die 
L-calisation  des  ersten  Schankers.)  Weiterhin  frei  von  Erschei- 
lgen.  Erst  1888/89  2  gründliche  Schmierkuren  auf  Anraten  von 
'rn  Prof.  K.  K  o  p  p.  Januar  1913  wegen  Gehörbeschwerden  bei 
•rn  Prof.  Heine,  im  selben  Jahre  auch  wegen  Herzbeschwerden 
i  Jehandlung.  Damals  Wassermann  sehe  Reaktion  (Dr.  K  ä  m  - 
i  rer)  negativ. 

Am  10.  III.  14  Coitus  condomatus  in  einem  Bordell,  am  20.  III.  14 
<  tus  ohne  Vorsichtsmassnahmen  mit  unbekannter  Frauensperson 
i  der  Strasse.  Anfang  April  bemerkt  Pat.  am  inneren  Vorhaut- 
Ht  eine  wunde  Stelle,  der  er  zunächst  keine  besondere  Beachtung 
;  enkt,  da  er  öfters  an  Herpes  an  gleicher  Stelle  gelitten  hat.  Da 
■  Affektion  jedoch  diesmal  nicht  äbheilt,  konsultiert  er  Herrn  Kur- 
11  Dr.  Re  sch -Tölz,  welcher  mir  den  Pat.  zur  spezialärztlichen 
ersuchung  überwies. 

Status  vom  9.  IV.  14:  Grosser,  etwas  hager  aufgeschossener 
mn.  Fettpolster  gering,  Ernährungs-  und  Kräftezustand  mittel- 
1  >sig.  Keine  Drüsenschwellungen.  Die  sichtbaren  Schleimhäute 
meinen  normal  injiziert.  An  den  Ober-  und  besonders  an  den 
'  erschenkeln  ausgedehnte  Varizen,  jedoch  keine  Geschwürsbildung. 
.Genitalien:  Am  inneren  Präputialblatt  findet  sich  dorsal 
*:  rundlich  ovale  (3:5  mm  Durchmesser),  etwas  elevierte  weiche 
■el,  welche  ganz  oberflächlich  erodiert  ist,  aber  frei  von  Belag 
1  a^f  Druck  nur  wenig  schmerzt.  Spirochäten  im  Tuschpräparat 
*ii  Burri  negativ.  Keine  Lymphadenitis  inguinalis.  Trockener 
■utzverband,  Blutentnahme.  Die  W  a  s  s  e  r  m  a  n  n  sehe  Reaktion 
tene  Untersuchung)  ergibt  mit  4  Antigenen  negatives  Resultat. 

'h  fallt  die  zeitlich  sehr  verlangsamte  Lösung  des  Serums  auf 
"athämolyse)! 

15.  IV.  Die  Papel  präsentiert  sich  heute  deutlich  elevierter  und 
Jt  sich  auch  etwas  härter  an.  Die  oberflächliche  Erosion  ist  un- 
undert,  ihre  Begrenzungslinien  bilden  ein  der  Form  der  Papel 
:  prechendes  Oval  (im  Gegensatz  zu  der  polyzyklischen  Begren- 
p»  herpetischer  Erosionen!),  nur  geringe  seröse  Sekretion.  Spiro- 
en  negativ.  Keine  Lymphadenitis  inguinalis.  Trockener  Schütz¬ 
end.  Der  sehr  intelligente  und  gebildete  Pat.  lässt  sich  von  der 
•vendigkeit  noch  längerer  Beobachtung  ohne  jede  differente  Bc- 
Hlung  leicht  überzeugen.) 

25.  IV.  Während  bei  der  Jr<*nektion  die  Papel  nicht  vergrössert, 


2201 

nur  noch  elevierter  erscheint,  lässt  sich,  zwischen  die  Finger  ge¬ 
nommen,  eine  direkt  knorpelharte  Induration  der  ganzen  Gcwebs- 
partie  konstatieren.  Noch  geringe  Sekretion  aus  der  oberflächlichen 
Erosion,  kein  Belag.  Keine  Lymphadenitis  inguinalis.  Blutentnahme. 
Die  Seroreaktion  (eigene  Untersuchung)  ergibt  mit  4  Antigenen 
(cholestearin.  Meerschweinchenherzextrakt,  cholestearin.  Rinderherz¬ 
extrakt  nach  S  a  c  h  s,  alkoholischem  luetischen  Leberextrakt  und 
künstlichem  Antigen  nach  Desmouliere)  fast  komplette  bis  kom¬ 
plette  Hemmung  der  Hämolyse,  also  ein  stark  positives  Resultat. 
Porgesreaktion  und  Perutzreaktion  negativ. 

25.  IV.  mit  20.  VI.  Pat.  erhält  in  dieser  Zeit  11  Mercinolinjek- 
tionen  (7 — 12  Teilstriche  der  Z  i  e  1  e  r  sehen  Spritze)  und  5  intra¬ 
venöse  Neosalvarsaninfusionen  (1  mal  dos.  II  und  4  mal  dos.  III),  so¬ 
wie  lokal  zuerst  Kalomel  und  später  Hg-Pflaster.  Unter  dieser  Be¬ 
handlung  nur  sehr  langsame  Abheilung:  erst  am  25.  IV.  ist  die 
Erosion  epithelisiert  und  nach  Beendigung  der  Behandlung  ist  immer 
noch  ein  minimales,  vielleicht  nur  stecknadelkopfgrosses  hartes  Knöt¬ 
chen  fühlbar. 

Interner  Befund  (Dr.  Grandau  er.  Assistent  der 
kgl.  med.  Poliklinik): 

Heber  den  Lungen  etwas  hypersonorer  Schall;  die  Grenzen 
etwas  tiefer  als  normal,  aber  beiderseits  gut  verschieblich. 

Ueber  sämtlichen  Lungenabschnitten  reines  Vesikuläratmen  ohne 
Beimischung  von  irgendwelchen  Rasselgeräuschen. 

Das  Herz  erweist  sich  nach  rechts  und  links  etwas  verbrei¬ 
tert  (der  Spitzenstoss  ist  nur  nach  körperlicher  Anstrengung  sichtbar, 
und  zwar  ein  Finger  ausserhalb  der  Mammillarlinie  im  6.  Interkostal¬ 
raum).  Ueber  allen  Ostien  ein  leises,  systolisches  Geräusch,  am 
stärksten  über  der  Mitralis  vernehmbar  (muskulär  bedingt).  Keine 
Akzentuation  des  2.  Pulmonal-  und  2.  Aortentons. 

Die  Aa.  radiales  etwas  rigide,  nicht  geschlängelt. 

Der  Puls  weich,  äqual,  regelmässig.  In  der  Ruhe  65,  nach  An¬ 
strengung  80—90.  Fusspulse  sind  beiderseits  normal  fühlbar. 

Das  Blutdruckmaximum  (Riva-Rocci)  schwankt  zwischen 
105  und  110. 

Das  Abdomen  ist  leicht  eingesunken. 

Die  Leber  reicht  3  Finger  breit  unter  den  rechten  Rippen¬ 
bogen  herab,  ist  weich;  die  Oberfläche  ziemlich  erheblich  druck¬ 
empfindlich. 

Die  Milz  ist  nicht  palpabel.  Keine  Druckempfindlichkeit  des 
übrigen  Abdomens,  keine  Tumoren. 

Der  Urin  reagiert  sauer,  hat  ein  spezifisches  Gewicht  von  1022, 
enthält  weder  Eiweiss  noch  Zucker.  Im  Sediment  nichts  Patho¬ 
logisches. 

Die  Röntgenuntersuchung  der  Thoraxorgane  stellt  ein 
leichtes  Lungenemphysem  fest.  Ausserdem  besteht  eine  gleich- 
mässige  Verbreiterung  des  Herzschattens  nach  rechts  und  links.  Das 
Aortenband  ist  erheblich  verbreitert  (über  5  Finger),  sowohl  im 
Bereich  der  Aorta  ascendens  und  descendens  als  auch  des  Arcus 
aortae;  jedoch  besteht  keine  aneurysmatische  Erweiterung  des  Ge- 
fässes.  (Fernphotographie!) 

Blutuntersuchung:  Hämoglobingehalt  (nach  Sahli) 
72  Proz.  Rote  Blutkörperchen  3  400  000.  Keine  Leukozytose  (spe¬ 
ziell  keine  Lymphozytose).  Die  Blutausstriche  ergeben  keinen  patho¬ 
logischen  Befund. 

Neurologische  Untersuchung:  Die  Reflexe  an  den 
oberen  Extremitäten  sind  normal  auslösbar,  rechts  =  links. 

Die  Patellarreflexe  sind  normal  auslösbar,  rechts  =  links. 

Von  den  Achillessehnenreflexen  ist  der  linke  nur  mit 
Zuhilfenahme  des  Jendrassik  sehen  Kunstgriffes  manchmal 
äusserst  schwach  auslösbar.  Der  rechte  Achillessehnenreflex 
ist  auf  keine  Weise  auszulösen. 

Skrotal-  und  Bauchdeckenreflexe  sind  vorhanden, 
desgleichen  Konjunktival-,  K  o  r  n  e  a  1  -  und  W  ü  r  g  r  e  f  1  e  x. 
Die  Pupillen  sind  beiderseits  gleich  rund  und  reagieren  prompt 
auf  Licht  und  Konvergenz. 

Die  Sensibilitätsprüfung  ergibt  an  den  beiden  unteren 
Extremitäten  folgendes:  Watteberührung  wird  fast  ausnahmslos  rich¬ 
tig  angegeben  und  lokalisiert;  spitz  wird  an  der  Aussenseite  des 
linken  Unterschenkels  in  einem  Bezirk  von  Handbreite  als  stumpf 
empfunden.  Desgleichen  wird  hier  die  Schmerzempfindung  als  deut¬ 
lich  herabgesetzt  angegeben. 

Warm  resp.  heiss  wird  an  der  Aussenseite  des  linken  Unter¬ 
schenkels,  und  zwar  vom  unteren  Rand  des  Kniegelenkes  nach  ab¬ 
wärts  nur  als  Berührung —  an  der  Innenseite  von  der  Mitte  ab 
ebenfalls  nur  als  indifferente  Berührung  empfunden.  Die  gleichen 
Verhältnisse  bestehen  für  k  a  1 1.  Auf  der  rechten  Seite  werden  warm 
und  kalt  von  der  Mitte  des  Unterschenkels  ab  —  ganz  besonders 
im  Bereich  der  Innenseite  —  nur  als  Berührungsempfindung  an¬ 
gegeben. 

In  den  übrigen  Körperabschnitten  Sensibilität  für  alle 
Hautsinnesarten  intakt  (keine  Zonen). 

Die  Ataxieversuche  fallen  an  den  oberen  und  unteren 
Extremitäten  negativ  aus. 

R  o  m  b  e  r  g  sches  Phänomen  negativ. 

Keine  Lageempfindungsstörungen. 

A  b  a  d  i  e  sches  Phänomen  negativ. 

Ulnarisphänomen  negativ. 

Diagnose:  Herzhvpertrophie  auf  arteriosklerotischer  Basis 
Aortitis  (wahrscheinlich  auf  luetischer  Basis).  Leichte  Insuffizienz 


2202 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  45. 


des  Herzens,  leichte  (sekundäre)  Anämie.  Beginnendes  Lungen¬ 
emphysem;  Varizen.  Tabes  dorsalis  incipiens. 

Die  ophthal  mologische  Untersuchung  (Geh.  Rat 
v.  H  e  s  s)  ergibt,  dass  Sehschärfe,  Pupillenreaktion  und  Hintergrund 
völlig  normal  sind;  cs  besteht  beiderseits  Myopie,  rechts  etwas  mehr 
als  links. 

Ich  darf  nochmals  zusammenfassen: 

Lin  63  jähriger  Herr,  der  sich  vor  36  Jahren  syphilitisch  infiziert 
hatte  und  ganz  ungenügend  behandelt  worden  war,  leidet  jetzt  an 
Aortensklerose  und  beginnender  Tabes.  Bei  diesem  Herrn  trat 
ca.  12  Tage  nach  einer  Infektionsgelegenheit  am  innern  Präputialblatt 
eine  Erosion  auf,  aus  der  sich  eine  elevierte  Papel  und  unter  all¬ 
mählicher  Induration  bis  ca.  zum  30.  Tage  post  infectionem  ein  knor¬ 
pelharter  oberflächlich  erodierter  Knoten  entwickelte.  Die  anfangs 
negative  WaR.  wurde  mit  Ausbildung  der  Induration  komplett  positiv. 
Die  Affektion  heilte  erst  auf  eine  energische  kombinierte  Mercinol- 
Salvarsanbehandlung  ab,  und  zwar  sehr  träge:  erst  3  Wochen  nach 
Einleitung  der  spezifischen  (auch  lokalen)  Therapie  war  die  Erosion 
überhäutet,  und  nachdem  der  Patient  11  Mercinolinjektionen  und 
5  Neosalvarsaninfusionen  erhalten  hatte,  war  immer  noch  ein  mini¬ 
males  hartes  Knötchen  zurückgeblieben. 

Dass  es  sich  hier  um  einen  syphilitischen 
Primäraffekt  gehandelt  hat,  kann  heute  nach  ab¬ 
geschlossener  genauer  Beobachtung  nicht  mehr  zweifelhaft 
sein.  Die  Entwicklung  des  Affektes  mit  typischer  Inkubations¬ 
zeit  nach  einer  Infektionsgelegenheit,  die  allmähliche  In¬ 
duration  einer  anfänglich  weichen  erodierten  Papel  bis  zur 
Knorpelhärte,  die  geringe  Sekretion,  das  charakteristische 
Verhalten  der  Seroreaktion  und  endlich  die  Abheilung  dieses 
pathologischen  Produktes  erst  unter  spezifischer  Therapie,  all 
diese  Momente  zusammen  genommen,  dürften  die  Diagnose 
„Primäraffekt“  wohl  zur  Genüge  erhärten! 

Auf  das  charakteristische  Verhalten  der  WaR.  darf  ich 
nochmals  genauer  eingehen. 

Die  WaR.  war  im  Januar  1913  negativ  gewesen  (Dr.  Käm¬ 
me  r  e  r)  und  war  es  auch  noch  am  9.  IV.  14  (erste  eigene  Unter¬ 
suchung).  Doch  fiel  bereits  damals  auf,  dass  das  Serum  auffallend 
langsam  löste.  Diese  sogen.  Späthämolyse  kommt  nun  zwar  auch  bei 
Seren  von  latenten  oder  behandelten  Patienten  vor,  die  nur  noch 
wenig  Reagine  besitzen,  muss  hier  aber  doch  zweifellos  als  der  Be¬ 
ginn  des  Positivwerdens  der  Reaktion  als  Folge  der  Infektion  am 
20.  III.  14  angesehen  werden.  Denn  wollte  man  die  positiv  gewordene 
WaR.  auf  die  alte  Syphilis  des  Patienten  beziehen,  so  müsste  man 
einmal  ein  spontanes  Umschlagen  derselben  und  dann  gerade  zwi¬ 
schen  dem  9.  IV.  und  dem  25.  IV.  14  annehmen.  Weiter  sind  jedoch 
im  Gegensatz  zur  Friihlatenz  in  den  spätesten  Stadien  der  Syphilis 
solche  plötzliche,  spontan  ohne  vorausgegangene  Therapie  erfolgende 
Reaktionsumschläge  etwas  Aussergewöhnliches.  In  meinem  Falle 
hiesse  es  jedenfalls  den  Verhältnissen  direkt  Zwang  antun,  wollte  man 
die  positive  WaR.  nicht  auf  die  neue  Infektion  beziehen.  Die  WaR. 
verhielt  sich  vielmehr  hier  genau  wie  bei  einer 
frischen  Infektion:  Sie  war  3  Wochen  post  infectionem  noch 
negativ,  doch  deutete  die  Späthämolyse  bereits  den  Anstieg  zur  posi¬ 
tiven  Reaktion  und  das  Auftreten  von  Reaginen  an,  und  wurde  dann 
bis  zum  25.  IV.  14  (2.  eigene  Untersuchung),  also  5  Wochen  post  inf. 
und  gleichzeitig  mit  der  vollendeten  Induration  des  Primäraffektes 
komplett  positiv. 

Dass  in  diesem  Primäraffekt  Spirochäten  nicht  gefunden  wurden, 
spricht  meines  Erachtens  eher  für  als  gegen  eine  Superinfektion.  Auf 
dem  tertiärsyphilitischen,  umgestimmten  Terrain  konnten  sich  die  bei 
der  Infektion  eingebrachten  frischen  Spirochäten  nicht  halten  und  ihre 
grosse  Mehrzahl  ging  durch  die  im  Gewebe  als  Folge  der  ersten  In¬ 
fektion  vorhandenen  Immunstoffe  zugrunde.  Auch  bei  3  von  N  e  i  s  - 
s  e  r  beobachteten  Superinfektionen  gelang  der  Spirochätennachweis 
in  keinem  Falle.  Endlich  wurden  auch  bei  den  bei  tertiärer  Lues 
durch  Inokulation  mit  spirochätenhaltigem  Material  experimentell 
(N  ei  ss  er)  erzeugten  Syphilomen  Spirochäten  nie  gefunden  und 
verliefen  Impfversuche  auf  Affen  negativ! 

Das  Ausbleiben  regionärer  Drüsenschwellung  in  meinem  Falle 
kann  nach  keiner  Richtung  hin  verwertet  werden.  Denn  einmal 
kommen  nicht  zu  selten  erste  frische  Syphilisinfektionen  zur  Be¬ 
obachtung,  bei  denen  die  regionäre  Lymphadenitis  ausbleibt,  und 
andererseits  tritt  dieselbe  meist  erst  4—5  Wochen  post  inf.  auf  (erst 
nach  Eintritt  +  WaR.),  also  zu  einer  Zeit,  als  ich  bereits  mit  der 
spezifischen  Behandlung  begonnen  hatte.  Eine  Exzision  war  aus 
äusseren  Gründen  nicht  möglich,  doch  hätte  die  histologische  Unter¬ 
suchung  im  besten  Falle  nur  zur  Differentialdiagnose  gegenüber  re¬ 
zidivierendem  Gumma  oder  sekundärer  Spätpapel  verwertet  werden 
können  und  glaube  ich  den  wesentlich  grösseren  Vorteil  dafür  ein¬ 
getauscht  zu  haben,  dass  ich  das  Verhalten  des  fraglichen  patho¬ 
logischen  Produktes  gegenüber  der  spezifischen  Therapie  genau  be¬ 
obachten  konnte. 

Die  Diffcrentialdiagnose  hat  sowohl  nichtspezifische  Affektionen 
als  auch  spezifische  syphilitische  Manifestationen  auszuschliessen,  so¬ 
weit  sie  mit  einem  Primäraffekt  verwechselt  werden  könnten. 

So  beweist  die  lokale  Induration  an  und  für  sich  noch  nicht  eine 
frische  Infektion,  denn  bei  noch  syphilitischen  Individuen  können  her¬ 


petische  Erosionen.  Follikulitiden,  Ulccra  mollia  verhärten  (vielleicht 
infolge  zurückgebliebener  Gefässveränderungen!),  besonders  in  der 
Nähe  der  Corona  glandis.  Ja  gelegentlich  mag  vielleicht  sogar  eine 
durch  mechanische  (Trauma)  oder  chemische  (Medikament)  Reize 
bewirkte  lokale  Induration  bei  einem  noch  Syphilitischen  primär¬ 
affektähnlich  werden.  In  solchen  Fällen  handelt  es  sich  jedoch  meist 
um  eine  Sklerosierung  des  Walles  einer  vorher  entstandenen  Ulzera- 
tion,  cs  bilden  sich  ferner  diese  nichtspezifischen  indurierten  Efflores- 
zenzen  bei  indifferenter  Behandlung  rasch  zurück  und  die  WaR.  wird 
nicht  positiv! 

Schwieriger  gestaltet  sich  die  Abgrenzung  gewisser  spezifischer 
Luesprodukte  von  der  Superinfektion. 

Da  in  meinem  Falle  der  erste  Primäraffekt  ohne  Narbe  verheilt 
ist  und  seine  Lokalisation  nicht  mehr  angegeben  werden  kann,  muss 
vor  allem  der  sogen.  Chancer  redux  (Hutchinson)  ausgeschlossen 
werden.  Die  Differentialdiagnose  ist  in  meinem  Falle  leicht,  denn 
während  es  sich  beim  Chancre  redux  um  die  Reinduration  eines  erst 
vor  Tagen  bis  Monaten,  und  zwar  nicht  ganz  restlos  abgeheilten 
Primäraffektes  handelt,  indurierte  bei  meinem  Patienten  nach  einem 
freien  Intervall  von  36  Jahren  eine  zunächst  ganz  weiche  Erosion. 
Nach  F  o  u  r  n  i  c  r  ist  auch  die  Grösse  der  Reinduration  charakte¬ 
ristisch,  die  die  des  ursprünglichen  Initialaffektes  weit  überträfe,  so¬ 
wie  ihre  schnelle  Zurückbildung  unter  spezifischer  Behandlung.  In 
meinem  Falle  war  die  vollständig  ausgebildete  knorpelharte  Papel 
nur  klein  und  bildete  sich  unter  der  energischen  Therapie  nur  sehr 
allmählich  zurück. 

Die  merkwürdigen,  zuerst  von  Hutchinson  und  dann  von 
F  o  u  r  n  i  e  r  beschriebenen  indurierten  Pseudoschanker  sind  sicheren 
tertiären  Charakters.  Neisscr  hat  1898  diese  Frage  ausführlich 
erörtert  und  dargelegt,  dass  die  Fälle,  in  denen  sich  harte  Knoten  in 
gummöse  Ulzerationen  umwandeln,  die  auf  Jod  schnell  heilen,  als 
tertiäre  Erscheinungen  zu  deuten  sind,  die  Knoten  aber,  die  mit  In¬ 
kubation  nach  einer  Infektionsgelegenheit  auftreten  und  ohne  Hg  nicht 
heilen,  war  er  schon  damals  geneigt  auf  Neuinfektionen  zurückzu¬ 
führen,  auch  wenn  Sekundärerscheinungen  nicht  auftraten.  Wie  beim 
indurierten  Pseudoschanker  erweicht  auch  beim  gewöhnlichen  Gumma 
ein  bereits  bestehendes  Infiltrat.  Das  völlig  andersartige  Verhalten  des 
pathologischen  Produktes  in  meinem  Falle  braucht  nicht  nochmals 
ausgeführt  zu  werden. 

Auch  die  sekundären  Spätsyphilide  (F  o  u  r  n  i  e  r)  sind  vom  Pri¬ 
märaffekt  leicht  zu  unterscheiden.  Sie  bieten  die  geläufigen  klinischen 
Merkmale  der  Sekundärpapeln,  das  Vorkommen  in  der  Mehrzahl,  die 
stärkere  Sekretion,  eventuell  Ulzeration,  positive  WaR.,  leichten 
Spirochätennachweis  und  leichte  Beeinflussbarkeit  durch  die 
Therapie. 

Die  Papeln  des  Sekundärstadiums  selbst  können  in  seltenen 
Fällen,  besonders  wenn  eine  intensive  (vor  allem  Salvarsan-)  Be¬ 
handlung  vorausgegangen  war,  Merkmale  aufweisen,  wie  wir  sie 
sonst  nur  bei  Sklerosen  zu  sehen  gewöhnt  sind.  Nach  Ehrlich  ist 
es  der  Ausschluss  jeder  Konkurrenz,  der  bei  der  Sterilisatio  fere 
completa  das  energische  Wachstum  solcher  Einzelherde  auslöst. 
Diese  „chancriformen“  Papeln  (hierher  gehören  die  „Frührezidive" 
(Bettmann),  die  „Monorezidive“  (Gennerich),  die  „Pseudo¬ 
primäraffekte“  (F  r  i  b  o  e  s)  und  die  „Solitärsekundäraffekte“  (Thal- 
m  a  n  n)  treten  demnach  im  Gegensatz  zu  meinem  Falle  nur  im  Se¬ 
kundärstadium.  und  zwar  meistens  nach  einer  abortiven  Behandlung 
auf,  sie  sind  ferner  meist  viel  grösser  und  mit  anderen  klinischen 
Symptomen,  wie  Exanthem  oder  +  WaR.,  kombiniert. 

Ich  glaube  damit  die  Reihe  der  differentialdiagnostisch 
wichtigen  Affektionen  erschöpft  zu  haben  und  auch  per  ex- 
clusionem  das  fragliche  pathologische  Produkt  in  meinem  Falle 
nur  als  einen  Primäraffekt  ansprechen  zu  können. 

Nun  ist  bei  meinem  Patienten  die  früher  erworbene 
Syphilis  noch  nicht  ausgeheilt,  denn  er  leidet  an  Aortensklerose 
und  beginnender  Tabes,  Affektionen,  welche  wir  jetzt  als 
aktive  luetische  Prozesse  bewerten  müssen,  nachdem  der 
Spirochätennachweis  in  der  erkrankten  Aortenwand  (Reuter. 
Schmorl,  Wright,  Richardson)  und  in  neuester  Zeit 
auch  im  Rückenmark  bei  Tabes  (Noguchi)  gelungen  ist. 
(Die  syphilitische  Natur  der  Aortensklerose  kann  ja  nicht  mit 
Sicherheit  bewiesen  werden,  erscheint  aber  im  ganzen  Zu¬ 
sammenhänge  und  besonders  wegen  der  charakteristischen 
Koinzidenz  mit  Tabes  wohl  nicht  zweifelhaft!) 

Noch  syphilitisch,  noch  unter  dem  Einfluss  der  Spirochäten 
der  ersten  Infektion  stehend,  hat  sich  mein  Patient  eine  neue 
Infektion  mit  Syphilis,  also  eine  Superinfektion  zugezogen. 

Von  massgebender  Bedeutung  für  die  Gestaltung  dieses 
Superinfektionsherdes  war  der  Grad  der  Umstimmung  des 
Terrains,  auf  dem  er  sich  etablierte.  Die  Beeinflussung  des 
1  errains  durch  Umstimmung  und  Anergie  war  nur  noch  gering, 
auf  jeden  Fall  war  die  tertiäre  Umstimmung  des  Gewebes 
nicht  mehr  erhalten,  denn  die  neue  Spirochäteninvasion  rief 
keinen  den  Erscheinungen  tertiärer  Syphilis  entsprechenden 
Prozess  hervor.  Doch  war  die  kutane  Immunität  nicht  voll- 


10,  November  19N. _  MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  2203 


ständig  abgeklungen  und  lag  kein  absolut  jungfräulicher  Boden 
für  die  neue  Infektion  vor.  denn  in  der  Kleinheit  des  patho¬ 
logischen  Produktes,  vielleicht  auch  in  der  etwas  verkürzten 
Inkubationszeit  und  dem  Fehlen  der  regionären  Lymphadenitis 
dokumentierte  sich  der  Einfluss  einer  noch  vorhandenen  rela¬ 
tiven  Immunität.  Gegen  die  Deutung,  dass  es  sich  hier  nur 
um  eine  spezifische  Kutanreaktion  und  nicht  um  eine  Spiro- 
chätcn-SuperinokuIation  gehandelt  habe,  spricht  schon  zur  Ge¬ 
nüge  die  wesentlich  längere  Inkubationszeit. 

Nach  den  gemachten  Ausführungen  muss  meine  Be¬ 
obachtung  wegen  des  gegenwärtigen  Befundes  zweier  nicht 
gleichzeitiger  Infektionen  als  eine  echte  Superinfektion  auf¬ 
gefasst  werden.  Dabei  erscheint  es  mir  von  Interesse,  dass 
die  Immunitätsverhältnisse  in  diesem  speziellen  Falle  derart 
gelagert  sind,  dass  er,  wenn  ich  mich  so  ausdriieken  darf,  dort 
zu  rubrizieren  ist,  wo  die  Superinfektionsmöglichkeit  eben  noch 
besteht,  ganz  nahe  der  Grenze,  wo  die  echte  Reinfektion  be¬ 
ginnt. 

Literatur. 

Diday:  Histoire  naturelle  de  syplii!.,  Paris  1863,  und:  de  la 
Reinf.  syphilitique.  — -  Finger:  Allgemeine  Pathologie  der  Syphilis 
in  Handbuch  der  Geschlechtskrankheiten,  Wien  1912.  —  Land¬ 
steiner:  Experimentelle  Syphilis.  Ebenda.  —  Neisser:  Bei¬ 
träge  zur  Pathologie  und  Therapie  der  Syphilis  1911.  —  Bruck: 
Immunität  bei  Syphilis  in  Kolle-Wassermann.  Hb.  d.  pathog.  Mikroorg. 
Bd.  VII.  —  John:  Rcinfectio  syphilit.  Volkmann  Vortr.,  Leipzig 
1909.  —  Benario:  Die  Reinfektionen  bei  Syphilis.  Samml.  zwangi. 
Abhandl.  usw.  3.  H.  3/5.  —  Jadassohn:  Syphilidologische  Beiträge. 
Arch.  f.  Dcrm.  u.  Syph.  86.  —  Lipschitz:  Superinfectio  syphilitica. 
Ebenda  109.  - —  Schleicher:  Reinfectio  syphilitica  vom  Stand¬ 
punkte  der  modernen  Syphilisforschung.  Derm.  Zschr.  1914  H.  5. 


Welche  Harzlösungen  sind  für  Verbandzwecke  geeignet? 

Von  Privatdozent  Dr.  K.  Dieterich,  Direktor  der  Chemischen 
Fabrik  Helfenberg,  A.-G. 

Dass  die  meisten  der  Harze  eine  bedeutende  Klebkraft 
besitzen,  ist  eine  Tatsache,  die  man  sich  schon  im  Altertum 
zunutze  gemacht  hat.  Es  war  also  nicht  verwunderlich,  dass 
die  Technik  später  aus  dem  gewöhnlichen  Pflaster,  dem  Em- 
plastrum  Lithargyri  simplex,  welches  eine  Mischung  von  öl¬ 
sauren  Bleiverbindungen  darstellt,  durch  Zusatz  von  stark 
Klebendem  Kolophonium  und  Terpentin  das  „Heftpflaster“  her¬ 
stellte  und  aus  der  wenig  klebenden  Grundmasse  ein  nunmehr 
svohl  klebendes  Verbandmaterial  schuf.  Freilich  lag  die 
Chemie  der  Harze  damals  noch  vollkommen  darnieder,  so  dass 
nan  sich  nicht  wundern  konnte,  dass  man  als  Endziel  nur  das 
gute  Kleben  des  Pflasters  zu  erreichen  suchte,  ohne  Rücksicht 
iarauf,  ob  das  betreffende  Harz  grosse  Mengen  Harzsäuren  ent¬ 
lieh,  die  dann  auch  prompt  die  unvermeidlichen  Hautreizungen 
icrvorriefen.  Aus  diesem  Grunde  brachte  in  den  70  er  Jahren 
ies  vorigen  Jahrhunderts  Eugen  Dieterich  ein  sogen, 
eizloses  Heftpflaster  „Emplastrum  adhaesivum  mite“  in  den 
Jandel.  bei  dem  durch  weitere  Zusätze  einer  Reizung  durch 
ias  Pflaster  möglichst  vorgebeugt  wurde.  Heute  ist  dieses 
.Emplastrum“  fast  ausschliesslich  durch  das  moderne  „Collem- 
ilastrum“  verdrängt.  Auch  bei  diesem  Präparat  werden 
ifters  Reizungen  beobachtet,  die  einerseits  auf  ungeeignete 
larzzusätze,  anderseits  auf  die  Verwendung  von  Kautschuk- 
Jenzinlösungen  und  die  damit  verbundenen  Zersetzungspro- 
iukte  zurückzuführen  sind.  Die  Herstellung  reizloser  und 
tut  klebender  haltbarer  Kautschukpflaster  muss  deshalb  der 
Technik  Vorbehalten  bleiben,  da  nur  die  maschinelle  Arbeit, 
licht  die  Vorschriften  im  Kleinen,  z.  B.  nach  dem  D.A.V. 
lauernd  brauchbare  Resultate  zeitigen. 

Unterdessen  hat  man  sich  mit  Erfolg  für  Schnellverbände  wieder 
len  Harzlösungen  zugewendet  und  hat  speziell  eine  Lösung  von 
lastix  in  Chloroform  gewählt.  Derartige  Harzlösungen  für  Verband¬ 
wecke  sind  ebenfalls  schon  alt  und  hatten  ihre  Vorläufer  in  dem 
üssigen  Englischen  Pflaster,  das  Ausgang  des  vorigen  Jahrhunderts 
on  Oesterreich  in  den  Handel  gebracht  wurde.  Dieses  flüssige 
Pflaster  war  in  kleine  Fläschchen  abgefüllt,  etwas  Stoff  beigegeben 
nd  das  Ganze  in  kleinen  Blechhiillen  untergebracht.  Ebenso  wie 
eim  modernen  Mastixverband  wurde  die  Wunde  mit  der  Harzlösung 
epinselt  und  dann  mit  dem  Stoff  überdeckt.  Man  sieht,  dass 
er  Harz  verband  durchaus  nichts  Neues  ist,  wenn- 
leich  damit  das  Verdienst  derjenigen  Aerzte  nicht  geschmälert  wer- 
en  soll,  die  die  Anwendung  in  der  Form  der  Mastixlösung  wieder 


aufleben  liessen  und  dieselbe  in  moderne  Bahnen  lenkten,  insbesondere 
hierbei  die  Fixierung  der  Bakterien  gleichzeitig  verfolgten. 

Eigentümlich  ist  es  nun,  dass  man  bei  dem  Bestreben,  Harz¬ 
lösungen  für  V  erbandzwecke  wieder  einzuführen,  gerade  auf  Mastix 
und  Chloroform  zurückgekommen  ist.  Der  Harzchemiker  schüttelt 
ebenso  wie  der  Kaufmann  den  Kopf,  den  Mastix  ist  ein  säurereiches 
Harz  und  muss  in  der  Lösung  bei  empfindlichen  Kranken  Reizungen 
hervorbringen,  wie  ja  wiederholt  in  der  Literatur1)  festgestellt  worden 
ist.  Ausserdem  ist  das  Harz  ebenso  wie  das  zum  Lösen  verwendete 
Chloroform  sehr  teuer,  ganz  abgesehen  davon,  dass  der  Geruch  der 
Lösung  nicht  sehr  verlockend  am  Krankenbett  ist. 

In  Rücksicht  darauf,  dass  ich  mich  seit  mehr  als  2  Dezennien 
eingehend  mit  der  Analyse  der  Harze  beschäftige2),  sei  es  mir  ge¬ 
stattet,  die  Reihe  der  klebenden  Harze  einer  kritischen  Sichtung  zu 
unterziehen  und  diejenigen  Produkte  herauszugreifen,  welche  sich 
für  Verbandzwecke  besonders  eignen  oder  deren  Verwendung  von 
vornherein  ungeeignet  erscheint.  Besonders  die  Säurezahlen,  weiter¬ 
hin  auch  die  Löslichkeit,  der  Gehalt  an  indifferenten  Stoffen  geben 
uns  hier  gute  Fingerzeige,  welches  Produkt  den  Vorzug  verdient. 
Zuvor  möchte  ich  diejenigen  Anforderungen  festlegen,  die  wir  an 
eine  moderne  Harzlösung  für  Verbandzwecke  stellen  dürfen.  Eine 
Harzlösung  für  Verbandzwecke  muss 

L  keine  zu  dunkle  Farbe  haben,  damit  die  hellen  Verbandstoffe 
nicht  unnötig  gefärbt  erscheinen, 

2.  muss  eine  möglichst  gute  und  schnelle  Klebkraft  zeigen, 

3.  darf  keinen  zu  starken  Geruch  haben  oder  nach  dem  Ver¬ 
dunsten  einen  solchen  hinterlassen, 

4.  muss  möglichst  frei  von  Harzsäuren  sein  oder  sie  in  neutrali¬ 
sierter  Form  enthalten,  damit  Reizerscheinungen  möglichst  ausge¬ 
schaltet  sind, 

5.  muss  sowohl  in  Bezug  auf  das  Harz  selbst  wie  auf  das  Lö¬ 
sungsmittel  und  die  Art  der  Herstellung  möglichst  billig  sein. 

Von  klebenden  Harzen  müssen  wir  folgende  berücksichtigen: 
Kopaiva-,  Kanada-,  Mekka-,  Tolubalsam,  Benzoesorten,  Kolophonium, 
weiche  rezente  Kopale,  Dammar,  Elemi,  Mastix,  Olibanum,  Sandarak, 
Schellack,  Terpentin  und  Fichtenharze. 

Betrachten  wir  die  Zusammensetzung,  Löslichkeit  und  Azidität 
dieser  Balsame  und  Harze,  wozu  auf  die  obengenannten  Literatur¬ 
stellen  verwiesen  sei  und  berücksichtigen  die  Preise,  so  ergibt  sich 
folgendes: 

Die  Balsame  kommen  nur  in  kleineren  Zusatzmengen  als  Ab- 
stimmungsmittel,  wie  bei  den  Lacken,  in  Frage;  es  spielt  also  hier 
Preis  und  Azidität  nicht  eine  so  grosse  Rolle.  Immerhin  dürfte  der 
teure  Kanada-  und  Mekkabalsam  ausscheiden.  während  Kopaiva-  und 
Tolubalsam  sehr  hohe  Säurezahlen  zeigen,  also  ohne  weiteres  nicht 
in  grösserer  Menge  verwendet  werden  können,  wenn  man  Reizungs¬ 
erscheinungen  ausschalten  will.  Von  den  Harzen  muss  die  teure 
Benzoe  Siam  ausscheiden  und  Olibanum  wegen  seines  hohen  wasser¬ 
löslichen  Gummi-  und  Bassoringehaltes,  der  das  Gummiharz  nur  teil¬ 
weise  löslich  macht.  Vom  Standpunkt  der  relativen  Billig¬ 
keit  aus  und  dem  geringen  Gehalt  an  Harzsäure  hebt 
sich  Dammar  heraus  mit  der  von  allen  Harzen  niedrigsten  Säure¬ 
zahl,  hohem  Gehalt  an  indifferenten  Resenen  und  einer'  relativ  guten 
Löslichkeit  Elemi  ist  als  Abstimmungsmittel  sehr  brauchbar,  enthält 
wenig  Säure,  aber  sehr  viel  stark  riechendes  Oel,  was  seiner 
alleinigen  Verwendung  entgegensteht.  Sehr  billig  ist  das  in  der 
Pflastertechnik  am  meisten  gebrauchte  Kolophonium  und  sein  Aus¬ 
gangsmaterial,  die  Terpentine.  Alle  diese  letzteren  Harze  haben 
grosse  Mengen  Harzsäuren  und  können  nur  in  möglichst  neutrali¬ 
sierter  Form,  wie  ich  zeigen  werde,  Verwendung  finden.  Die  Kopale 
kommen  wegen  ihrer  relativ  schweren  Löslichkeit  und  der  hohen 
Säurezahl  weniger  in  Frage,  die  Preise  sind  teilweise  hoch  und 
schwankend. 

Sandarak  ist  nur  in  einisren  Lösungsmitteln  und  zwar  gerade 
den  teueren,  löslich,  in  den  billigeren  zumeist  nur  teilweise  löslich. 
Der  Säuregehalt  ist  ziemlich  hoch. 

Schellack  ist  nur  in  dem  teuren  Alkohol  gut  löslich,  wenngleich 
seine  I  ösung  eine  niedrige  Säurezahl  zeigt.  Mastix,  das  jetzt  als 
Grundlage  für  die  Harzlösungen  ausschliesslich  verwendet  wird,  ist 
jedenfalls  von  den  Harzen  dasjenige,  das  recht  wenig  ge¬ 
eignet  erscheint.  Dasselbe  gilt  von  dem  billigen  „künstlichen“ 
Mastix  des  Handels,  der  ebenfalls  eine  stark  saure  Lösung  gibt. 
Beim  echten  Mastix  ist  der  Gehalt  an  Säure  ziemlich  hoch,  worauf 
die  Reizerscheinungen  zurückzuführen  sind  und  dann  ist  der  Preis  ein 
sehr  hoher,  augenblicklich  ein  unerschwinglicher,  von  über  20  M. 
pro  Kilo.  Die  Lösung  ist  recht  dunkel  und  das  Chloroform  doch 
relativ  teuer.  Jedenfalls  stellen  die  Mastixlösung  und  die  Mastix  ent¬ 
haltenden  Handelsformen  durchaus  nicht  das  Ideal  der  Harzlösung  für 
Verbandzwecke  dar.  sondern  sind  verbesserungsfähig. 

Vor  allem  möchte  ich  das  Augenmerk  auf  das  Datnmarharz 
lenken,  das  gut  und  sehr  hell  löslich,  viel  billiger  wie  Mastix  ist 


*)  Vergl.  neueste  Literatur:  Oberarzt  Dr.  Hey  mann,  Pharm. 
Ztg.  1914  Nr.  82. 

•’)  Vergl.  K.  Dieterich.  Analyse  der  Harze.  Julius  Sprineer- 
Berlin,  Abderhalden,  Biochemisches  Handlexikon,  Abteilung 
Harze,  bearbeitet  von  K.  Dieterich  und  Lunge,  Chemisch-techn. 
Untersuchungsmethoden,  Abteilung  Harze,  bearbeitet  von  K.  Diete¬ 
rich  usw. 


2204 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  4 


und  eine  ganz  geringe  Menge  Harzsäure  und  eine  erhebliche  Menge 
indifferenter  Resene  enthält.  Dammar  ist  also  viel  geeig¬ 
neter  als  Mastix. 

Nun  zu  den  Lösungsmitteln!  Diese  sollen  möglichst  hell  und 
geruchlos  sein,  nicht  zu  schnell  und  zu  langsam  verdunsten,  die 
Harze  gut  und  dauernd  klar  lösen  und  vor  allem  keinen  penetranten 
Geruch  zeigen:  vor  allem  aber  müssen  sie  billig  sein  und  indifferent 
an  und  für  sich.  Alles  das  kann  man  dem  Chloroform 
nicht  nachsagen!  Chloroform  kostet  per  Kilo  2  M. 

Der  starke  Aethylalkohol,  der  Aether,  Essigäther  kommen  schon 
wegen  des  hohen  Preises  nicht  in  Frage.  Terpentinöl  riecht  zu  stark 
und  Chloroform  ist  bereits  als  ungeeignet  bezeichnet.  Azeton  ist 
nicht  ganz  billig,  ebensowenig  Methylalkohol.  Petroläther  und 
Benzin  lösen  die  Harze  nur  teilweise. 


Der  Tetrachlorkohlenstoff  ist  noch  zu  teuer  und  sehr  stark 
riechend,  auch  trüben  die  Lösungen  nach.  Es  bleibt  nur  noch  ein 
sehr  gutes,  indifferentes  Lösungsmittel  für  Harze:  das  Benzol,  das 
ausserdem  noch  sehr  billig  ist  und  fast  allen  oben  gestellten 
Anforderungen  entspricht.  Benzol  (das  90  proz.  Handels- 
benzoi,  das  auch  für  Motore  verwendet  wird)  kostet  nur  35  Pfg. 
per  Kilo.  Verwendet  man  an  Stelle  von  Mastix  Dammar  nnd  nimmt 
statt  Chloroform  Benzol,  so  stellen  sich  die  Selbstkosten  wie 
folgt: 


Alter  Preis 
M.  4.50  per  Kilo 
250  g  Mastix  *  M.  1.15 
30  g  Rizinusöl  M.  —.30 
720  g  Chloroform  M.  1.45 
5  gtt  Birnenäther  M.  — .01 


Jetziger  Preis 
M.  20. —  per  Kilo 
M.  5.— 

M.  —.30 
M.  1.45 
M.  —.01 


Mastixlösung:  per  Kilo  M.  2.91  per  Kilo  M.  6.76 


250  g  Dammar  (Kilo  M.  1.80) .  45  Pfg. 

30  g  Rizinusöl . 30 

720  g  Benzol  . 25  ” 

5  gtt  Birnenäther .  1  " 

Dammarlösung  per  Kilo  101  Pfg. 


Die  Dammarbenzollösung  ist  der  Mastix-Chloroformlösung  vor¬ 
zuziehen.  Sie  ist  viel  weniger  sauer,  klebt  ebenso  gut  und  ist 
augenblicklich  5  m  a  I  so  billig  wie  die  Mastixlösung  im  Selbst¬ 
kostenpreis,  gar  nicht  zu  reden  von  dem  Preis,  der  für  fertige  Mastix¬ 
spezialitäten  jetzt  angelegt  werden  muss. 

Noch  viel  billiger  und  von  noch  grösserer  Kleb¬ 
kraft  ist  nun  das  Kolophonium  und  die  Terpentine.  Wie 
können  diese  trotz  der  hohen  Azidität  verwendet  werden?  Die 
Harzsäuren  smd  im  allgemeinen  schwache  Säuren,  die  natürlich  nicht 
in  allen  Fällen  zu  reizen  brauchen;  das  hängt  von  der  Säure  selbst 
und  der  betreffenden  Haut,  auf  der  sie  angewendet  werden,  ab.  Jeden¬ 
falls  reagieren  alle  diese  Harzlösungen  stark  sauer,  wenn  man  auf 
blaues,  vorher  mit  Alkohol  befeuchtetes  Lackmuspapier  einen  Tropfen 
Mastix-Dammar-Kolophonlösung  bringt.  Die  Existenz  aller  dieser 
Harzsäuren  ist  durch  die  sog.  fraktionierte  Ausschiittelung  mit  Ka¬ 
lium-  und  Ammonkarbonatlösung  nacheinander  festgestellt  worden. 
Ich  habe  infolgedessen  ähnliche  Wege  eingeschlagen,  wobei  ich  aber 
die  Säuren  nicht  entferne,  sondern  abstumpfe,  da  sich  zeigte,  dass 
die  entsprechenden  Salze  eine  zum  Teil  erhöhte  Klebkraft  wie  das 
Ausgangsmaterial  zeigten  und  die  Löslichkeit  in  Benzol  nicht  ein- 
büssten.  Eine  Entfernung  der  Säuren  würde  auch  einen  zu  grossen 
Materialverlust  und  damit  eine  Verteuerung  hervorrufen.  Zur  direkten 
Neutralisation  und  teil  w  eisen  Ueberführung  der  Harz- 
sauren  in  benzollösliche  Natronverbindungen 
eignet  sich  am  besten  eine  schwache  Base  und  zwar  das  pulver- 
förmige  Natrium  bicarbonicum.  Kalium  und  Natrium  carbonicum, 
ebenso  Laugen  geben  sehr  bald  bei  der  Aufbewahrung  alkalisch  rea¬ 
gierende  Harzlösungen,  Bleioxyd  solche,  die  sofort  nach  dem  Aufstrei¬ 
chen  hart  werden  und  schlecht  kleben,  und  Zinkoxvd  solche  Mischungen, 
die  sehr  schlecht  filtrieren.  Man  braucht  die  obige  Lösung  von  250 
bis  300  g  Dammar  in  700—750  Benzol  nur  mit  50  g  doppelkohlen¬ 
saurem  Natron  zu  versetzen  und  unter  Umschütteln  ein  paar  Tage 
in  Zimmei  temperatur  stehen  zu  lassen,  um  nach  dem  Filtrieren  eine 
neutrale  (Prüfung  wie  oben!)  oder  manchmal  amphoter,  also  ganz 
schwach  sauer  und  alkalisch  reagierende,  jedenfalls  von  der  sonst 
üblichen  sauren  Harzlösung  prägnant  unterschiedene,  ganz  helle  und 
nur  eine  Spur  nach  Birnenäther  riechende  und  gut  klebende  Harz¬ 
lösung  zu  erhalten.  Nach  diesem  Verfahren  kann  man  auch  Kolo¬ 
phonium  und  Terpentin  abstumpfen  und  hervorragend  gut  klebende 
Harzlösung  von  neutraler  Reaktion  herstellen.  Kolophonium 
kostet  nur  45  Pfg.  per  Kilo,  so  dass  das  Kilo  der  gan¬ 
zen  Lösung  mit  dem  Natrium  bicarbonicum  zu- 
sammenauf  ungefähr75Pfg  Selbstkosten  zu  stehen 
kommt! 

Ich  stelle  folgende  Vorschriften,  die  alle  viel  billigere  Präparate 
wie  die  übliche  Mastixlösung  ergeben  und  die  eine  fast  neutrale  Re¬ 
aktion  erstreben  —  hierdurch  wird  einer  Reizung  auf  der  Haut  mög¬ 
lichst  entgegengearbeitet  — ,  zur  Verfügung  mit  der  Bitte,  diese 
neuen  Harzlösungen,  die  man  sich  selbst  ganz  bequem  bereiten  oder 
sich  in  der  Apotheke  hersteilen  lassen  kann,  in  der  Praxis  zu  nro- 
bieren  3). 


1  „Abgestumpfte“  Mastix-Chloroformlösung: 

30U  g  Mastix,  30  g  Rizinus-  oder  Leinöl,  700  g  Chlorform.  5t 

Natrium  bicarbonicum.  Man  lässt  unter  öfterem,  starkem  Schütti 
in  Zimmertemperatur  einige  Tage  stehen,  bringt  dann  nach  d 
Lösung  des  Harzes  die  gut  aufgeschüttelte  Lösung  auf  ein  vorh 
mit  dem  Lösungsmittel  befeuchtetes  Filter  und  filtriert.  E 
schlechtem  Filtrieren  setzt  man  noch  etwas  Talkum  vor  dem  Ai 
giessen  auf  das  Filter  zu,  schüttelt  gut  um  und  filtriert  unter  t 
Ersatz  des  verdunsteten  Lösungsmittels.  Das  Filtrat  wird  auf  1 
eingestellt,  falls  zuviel  Lösungsmittel  verdunstet  ist.  Man  setzt  no 
einige  Tropfen  Birnenäther  zu  und  hebt  die  Lösung  wohlverschloss 
auf. 

2  „Abgestumpfte“  Mastix-Benzollösung: 

300  g  Mastix,  30  g  Rizinus-  oder  Leinöl,  700  g  Benzol.  50  g  N 
trium  bicarbonicum,  einige  Tropfen  Birnenäther.  Herstellung  u 
bei  1.  Selbstkosten  pef  Kilo  ca.  3  M. 

3.  „Abgestumpfte“  D  a  m  m  a  r  -  B  e  n  z  o  1 1  ö  s  u  n  g: 

250  g  Dammar,  30  g  Rizinus-  oder  Leinöl,  700  g  Benzol,  50 
Natrium  bicarbonicum,  einige  Tropfen  Birnenäther.  Herstellung  w 
bei  1.  Selbstkosten  per  Kilo  ca.  1  M. 

4  „Abgestumpfte“  Kolophonium-Benzollösun 

300  g  helles  Kolophonium,  20  g  venetianischer  Terpentin,  lü| 
Rizinus-  oder  Leinöl,  700  g  Benzol,  60  g  Natrium  bicarbonicum.  eine 
Tropfen  Birnenäther.  Herstellung  wie  bei  1.  Selbstkosten  per  Ki 
ca.  75  Pfg. 

Die  Vorschrift  Nr.  1  gibt  ein  ganz  teueres,  Vorschrift  Nr.  2  e 
schon  billigeres,  Nr.  3  ein  billiges  und  Nr.  4  ein  ganz  billiges  Präpar. 

Zusammenfassung:  Die  übliche  Mastix-Chlor, 
formlösung  und  die  nach  ihr  bereiteten  Handelsprodukte  en 
sprechen  nicht  den  Anforderungen,  die  man  nach  dem  Star 
der  Wissenschaft  an  eine  solche  Harzlösung  für  Verbam 
zwecke  zu  stellen  berechtigt  ist;  sie  sind  viel  zu  teuer  un 
enthalten  vor  allem  zu  viel  freie  Harzsäuren,  so  dass  die  Gt 
fahr  der  Reizung  auf  der  Haut  besteht.  Von  den  uns  bt 
kannteren  Harzen  dürften  sich  vor  allem  Dammar,  Kolophoniui 
und  die  Lerpentine,  letztere  nur  in  abgestumpfter  Form,  fi 
\  erband-HarzIösungen  eignen  und  zwar  unter  Verwendun 
des  Benzols  als  Lösungsmittel. 

Ohne  behaupten  zu  wollen,  dass  meine  heute  angegebene 
Vorschriften  schon  die  idealen  Endpräparate  darstellen,  hoff 
ich  doch,  als  Pharmakochemiker  den  Weg  gezeigt  zu  habei 
der  uns  zu  rationelleren  und  billigeren  Präparaten  wie  bishe 
führt. 


Der  Betrieb  eines  Reservelazarettes. 

Von  Professor  Dr.  Herrn.  S  c  h  r  i  d  d  e,  derz.  ärztlichem  un 
Verwaltungsdirektor  der  Städtischen  Krankenanstalten  i 

Dortmund. 

Erfahrung  zeigt,  ist  in  den  einzelnen  Reservelazarette 
die  Handhabung  des  Anstaltsbetriebes,  der  sich  natürlich  in  vieler 
von  dem  in  Friedenszeiten  üblichen  unterscheidet,  ein  recht  ver 
scruedener  Das  ist  vielfach  sogar  in  den  Reservelazarettabteilunge, 
ein  und  derselben  Stadt  der  Fall,  obwohl  es  wünschenswert,  rieh 
tiger  und  erspriesslicher  wäre,  wenn  überall  nach  bestimmte. 
Giundsatzen  gehandelt  würde.  Einige  hauptsächliche  Bestimmunge 
sind  ja  schon  vom  Generalkommando  getroffen  worden.  Allein  e 
sind  doch  noch  mancherlei  Dinge  vorhanden,  die  im  Interesse  de 
jetzigen,  veränderten.  Anstaltsbetriebes  zu  ordnen  sind,  und  di. 
bisher  der  eine  so,  der  zweite  anders  anfasst.  Ich  halte  es  dahe' 
fiir  angebracht  und  nützlich,  die  Erfahrungen,  die  ich  bis  jetzt  in  den 
Reservelazarette  der  Städtischen  Krankenanstalten  gesammelt  habe 
auch  wenn  die  Zeit  dazu  eine  beschränkte  war,  in  kurzen  Striche, 
aufzuzeichnen.  Vielleicht  wird  dieses  und  jenes  noch  einer  Aende 
jung  und  \  erbesserung  bedürfen.  Aber  gerade  deshalb  wird,  wk 
ich  glaube,  eine  öffentliche  Aussprache  am  ehesten  Nutzen  bringet' 
Die  hauptsächlichste  Abteilung  der  Städt.  Krankenanstalten  stell 
im  Augenblicke  natürlich  die  chirurgische  Klinik  dar,  wäh 
rend  die  innere  Station  bis  heute  weniger  mit  erkrankten  Soldatei 
belegt  ist.  Als  eine  sehr  wichtige  Abteilung  hat  sich  die  Klinik  fii? 
Haut  -  und  Geschlechtskranke  erwiesen.  Zur  Zeit  besitz 
sie  60  Reservelazarettbetten,  wird  aber  binnen  kurzem  auf  eine 
Bettenzahl  von  100  gebracht  werden.  Die  Zuweisung  von  Krankei 
ist  so  gross,  dass  die  Station  stets  voll  belegt  ist,  und  dass  wegei 
augenblicklichen  Platzmangels  Anfragen  zurückgewiesen  werden 
müssen.  Die  Bedeutung  dieser  Abteilung  besteht  darin,  dass  es  hier 
durch  eine  fachmännische  Behandlung  gelingt,  die  erKrankten  Sol 
daten  auf  viel  schnellerem  Wege  zu  heilen,  als  das  in  gemischter 
Lazaretten  möglich  ist.  Es  erscheint  deshalb,  zumal  die  Geschlechts 
kranken  eine  nicht  geringe  Zahl  der  erkrankten  Soldaten  ausmachen, 
in  hohem  Grade  wünschenswert,  dass  dort,  wo  Hautabteilungen  an 


3)  Der  Zusatz  von  aromatischen  Estern  ist  wertlos;  er  erhöht 
weder  Klebkraft  noch  Reizlosigkeit,  sondern  verteuert  nur  und  ver¬ 
leiht  einen  unangenehmen,  aufdringlichen  Geruch. 


November  1914. 


MLENCHENEff  MftfjfZfNfsCHF  WOCHENSCHRIFT. 


2205 


i^iaaacalten  bestehen,  diese  für  Reservdazarettzweckr  , 

.  dmat  ansgenützt  werden.  cwzareuzw  ecfce  nach 

Lazarett  Spezialärzte  für  ttalv 

Ofcr«»k«nkhe.ten  rur  A  ...  ;  f ir  Zahn-  und  Mund- 

frfnzu»*-  Endlich  sind  auch  noch  eine  Nerven- 

™  rUf  beuehen'  d“;  bl  letzt  noch  nicht  m 

Jang  fc.  '.mmen  sind,  eingerichtet. 

*■*  irZtti-CfcC  yüs°r*u"Z  hat  leider  durch  die  Einbe- 
os.se  Lucken  erhalten  Die  Leiter  der  chirurgischen,  m- 
inS  gynäkologischen  Abteilungen  ,tehen  im  Felde  oder  sind 
caza  re  trenzuze  wiesen  Von  19  Assistenten  sind  16  einze¬ 
ln  der  ciMTirzischen  Abteilung  ist  kein  Assistent  geblieben, 
snern  eu.  rar  die  Dauer  des  Krieges  angesteilten  Ober- 

-  *«^hen  hier  jetzt  zwei  Feldunterärzte  den  Dienst.  Wir 

-  da»  «  uns  gelingt.  ihnen  in  Bälde  noch  einen  Assistenten 

~-  zd  zu  steilen. 

r''  ®t  hier  nicht  der  Platz  und  es  ist  jetzt  auch  nicht  die 
m  sm^ocfaeH.  °°  «  ncfatiz  zew  esen  ist.  die  Krankenanstalten 
-nz  von  emgearbeiteten  Aerzten  zu  entbldssen.  Das  aber 
--  -cn  nerv  erheben,  dass  ärztlich  zut  versorgte  Reserve- 
-™  Krieze  einen  nicht  zu  unterschätzenden  Dienst 
uen  ü.nnen.  Denn  dass  hier  die  Behandlung  und  Pflege 
:  besonders  gm  und  erfolgreich  sein  müssen,  und  die 

-  ■*«;  de?  vorzüglichen  Bedingungen  die  raschesten  Fort- 
j  itte  jtac.it.  dass  weiter  die  Mehrzahl  der  verwundeten  und 
i  xes  Soldaten  in  den  Reservelazaretten  umergebracht  werden 
Cxricer  bedan  es  wohl  keiner  Auseinandersetzung, 
is  Jim  die  Einrichtung  des  Lazarettes  anbetrifft,  so 
-« .'inkenraume  von  den  anderen,  für  Zivilkranke  bestimm- 
~jc  abgesondert,  und  ebenso  ist  mit  Ausnahme  der  Aerzte 

-  :-r  teraöonsschwestern  das  Personal  für  das  Reservelazarett 
:  -  minderes.  Ausser  Schwestern  und  eigenen  Krankenwärtern 
it.-icu  noch_eine  Anzahl  von  Militärkrankenwärtern  nebst  einem 

-  ..-sunterotnzier  Dienst. 

:c  den  Räumen,  die  für  unsere  erkrankten  Krieger  bestimmt 
-  -äe  -immer  für  Gefangene  scharf  getrennt 

> teilen,  unter  besonderer  Bewachung. 

BcsMias  wichtig  halte  ich  die  Anordn  ig  .  ;  bei  der  Ein- 
f  ^  -L 1  5  -  in  Krankentransporten  angewendet  wird. 

een  deutschen  Soldaten  wie  den  Gefangenen  w  erden  sogleich 
Bcihtr  Gräeiernag  die  Kleidung  und  die  Wäsche  a  b  - 
JJien  und  sorgfältig  desinfiziert.  Auf  diese 
1  ::  zrösstmöglichste  Schatz  gegen  Einschleppung  von 

*  tegeoen.  Die  gereinigte  Kleidung  und  Wäsche  werden 
r  Anstritte  der  Kranken  aus  dem  Lazarette  auf  einer 

•  .  derkammer  aufbewahrt.  und  die  W  äsche  w  ird  aus  Liebes- 
reder  ergänzt. 

'  erweist  sich  ferner  als  dringend  notwendig,  ganz  besonders 

-  :  ra  echte-,  ob  die  Soldaten  oder  Gefangenen  irgendwelche 
nieten  ansteckender  Krankheiten  aufweisen.  Für  de  Zukunft 
w  es  sch  weiter  sehr  empfehlen,  sogleich  bei  der  A  n  - 

-Jg  von  Verwundetenzügen  mitzuteilen,  ob 
rate  aus  verseuchten  Gegenden  oderHeeres- 
-gteilen  stammen. 

*  ranken  erhalten  ferner,  nachdem  sie  gleich  nach  ihrer  Ein- 
~  rir  Rac  genommen  haben  oder  gewaschen  worden  sind. 

-  tsw  äsche  und  Anstaltskleidung.  Durch  die  An- 
. es  auch  am  besten,  u  e  So  dateil  von  un- 

-  len  Entfernen  aus  dem  Krankenhausgelände  abzuhalten,  und 


kf-nar  m  ™  berbeizutphren-  Das  wird  aber  am  sichersten  in  Kran- 

i/'  rij  X  i  Cf!ieiChen  iSein' td,e  ein  «eschu!tes  Personal  besitzen 
f-  '  die  arfztll?he.  Behandlung  und  für  die  sachgemässe 

f  zen  (  h  VV  H  ?  erforderlichen  Einrichtungen  und  Mittel  ver- 
und  em!  meinen  Forderungen  sogar  noch  weiter  gehen 

rr  dglich  i-t  e,  r°  r  d  n  u  n  *  wünschen,  nach  der,  wenn  es  überhaupt 
g  seht  n  f  nUr  ein‘germassen  schweren  c  h  i  r  u  r- 
I  errf.n  H-ä  *  nur  Krankenhäusern  überwiesen 
e  nt  n  r  *  dhU/en’  d,eden  genannten  Anforderungen 
h  e  l[zen 'hp  •  tnd-  e,nAen  ausgebildeten  Chirurgen 
„  -  Z  Jtr  “ meiner  Ansicht  nach  geradezu  unverantwortlich, 

h^-.r  .n  tros, .stadten  in  den  ausserhalb  der  eigentlichen  Kranken- 
■ ;  >' '  _r  e,ngenchteten  Lazarettabteilungen,  in  denen  von  einer  wirk- 
Iich  einvandrreien  ärztlichen  Einrichtung  nur  selten  die  Rede  sein 

n'n unter  *anz  primitiven  Verhältnissen  ohne  Not  grössere 
Operationen  vorgenommen  werden.  Wenn  derartiges  im  Felde  ge- 

nur  durch  die  Lage  gezwungen.  Sind 
u  ^tadt  Krankenhäuser  mit  allen  erforderlichen  Einrich- 
tu.^en  vorhanden,  so  ist  es  eine  ärztliche  und  menschliche  Pflicht, 

dujri  man  ‘5L  fe  die  mehr  oder  minder  schweren  Verwundungen 
überweist.  Daher  wäre  es  auch  sehr  erstrebenswert,  wenn  gleich 
S«*  dv  ^  J r  1  e  1 1  p  l  der  verwundeten  und  kranken 
-Oii-  aten  darauf  Rücksicht  genommen  würde,  dass 
die  chirurgisch  Kranken  und  die  Schwerkran- 
k  e  n  s ok  .eich  den  Krankenhäusern  zugeteilt  wer¬ 
den,  wahrend  die  leichter  Kranken  den  ausserhalb 
der  Krankenanstalten  eingerichteten  Lazarett- 
abteilungen  zuzufiihren  sind. 

Von  allgemeinen  ärztlichen  Massnahmen  ist  endlich  noch  die 
-cfiutzpockenimpfung  zu  nennen.  Ihr  werden  nach  mini¬ 
sterieller  Anordnung  die  Gefangenen  sofort  nach  ihrer  Einlieferung 
untcrworten.  An  den  Dortmunder  Krankenanstalten  ist  ferner  bald 
nach  Ausbruch  des  Krieges  das  gesamte  ärztliche,  Pflege-  und  Wirt- 
schaftspersonal.  auch  die  Beamten  der  Verwaltung,  geimpft  worden 
Ich  halte  diese  Massnahme,  die  alle  Angestellten  und  ment  nur  das 
Personal,  das  direkt  mit  den  Kranken  in  Berührung  kommt,  einbe- 
greift,  in  einem  Reservelazarette  für  unbedingt  erforderlich  aus 
*  münden,  die  ich  einem  ärztlichen  Kreise  wrohl  nicht  airseinander- 
zusetzen  brauche 

Ich  komme  nun  auf  die  rein  wirtschaftlichen  Anord¬ 
nungen  zu  sprechen,  die  natürlich  in  einem  Lazarette  ebenfalls 
Abweichungen  von  dem  gewöhnlichen  Betriebe  zeigen,  und  deren 
Kenntnis  zur  Zeit  auch  nicht  ohne  Wichtigkeit  ist.  Hinsichtlich  der 
riiiege  und  Behandlung  sind  besondere  Vereinbarungen  getroffen 
worden  Die  städtischen  Krankenanstalten  sind  hierin  zusammen 
mit  den  anderen  hiesigen  Krankenhäusern  vorgegangen. 

Die  im  Lazarette  untergebrachten  Soldaten,  die  wie  die 
anderen  Kranken  der  Hausordnung  unterstehen,  erhalten,  wie  schon 
gesagt,  uie  \  erpflegung  dritter  Klasse.  Ganz  die  gleiche 
Beköstigung  bekommen  auch  die  Gefangenen,  die  auch  sonst 
Hinsichtlich  der  Krankenräume  und  der  ganzen  Pflege  vollkommen 
gleich  wie  unsere  Verwundeten  und  Kranken  behandelt  werden 
tm  Unterschied  wird  nur  betreffs  der  Liebesgaben  (Esssachen, 
Rauchwaren.  Unterhaltungsspiele,  Lesestoff)  gemacht,  von  denen 
nichts  ihnen  zugeteilt  w  i  r  d.  Weiter  ist  von  Anfang  an  das 
Betreten  der  Gefangenenkrankensäle  für  Unbefugte  verboten  ge¬ 
wesen,  wie  das  ja  neuerdings  auch  das  Generalkommando  an  ge¬ 
ordnet  hat. 


ac'  Möglichkeit  einer  ev.  Flucht  von  Gefangenen 

■  *.  -IjTltll. 

<Se  deatsefeen  Soldaten  oder  die  Gefangenen  eingeliefert 

nd  Air  notwendige  fantMcbe  ive-s:  w  --j 

Ei-c  dem  C  h  e  f  a  r  z  t  des  Lazarettes  schriftlich  Bericht 
-e  s  ingebrachten  Kranken  erstattet.  Ausser  uen 
chikhema  finftägigen  Meldungen  gehen  ferner  jeden  Morgen 
u  cem  C -et'arzt  Mitteilungen  darüber  zu.  wieviel  Betten 
wie  riei  frei  sind,  und  weiter  wird  er  täglich  davon 
cjrgr.  »eiche  Kranken  in  den  nächsten  Tagen  entlassen 
tinnen.  Gerade  auf  die  Beschleunigung  der  Ent- 
L  *  K  Cekübei  oder  kurz  vor  der  völligen  Genesung  stehender 
besonderer  Wart  nt  lagen,  damit  möglichst  schnell 
e men  für  neu  etnzu weisende  Verwundete  frei  werden,  und 
•o*  dem  Staate  unnütze  K  sten  erspart.  Denn  viele  Ge~ 
icnner  bc  ihren  Ersatztruppenteilen  oder  bei  ihren  Ange- 
t  •  vöfige  Wiederhersteflnag  ab  warten  Es  wäre  deshalb 

Ha^se  wünschenswert,  wenn  alle  Formsachen  und 
b  b e I  der  Eatla s s u n g  i  n  j  e  d e  r  W e  i  s  e  a 
>:e  erledigt  würden. 

ciesen  Zweck  noch  mehr  zu  erreichen,  und  um  weiter  die 

•***  Bebandhng  eines  modern-  \  .nhauses 

**•  Krieger  in  weitgehendstem  Masse  ai  s . en,  sehe 

yfcr  Wgg  an»  besten  man  Ziele  zu  \ 

ausserhalb  der  Krankenans 
kk bs  Reservelazarettes  bat  aesc  t  Küche  die 
'  'V' i .  •..bernorrtme"  Sc-  s.  ri 

Ge  zu.  saug  eatgegengebenden  deutschen  S 
-ne  so  in  Jen  Krankenanstalten  wieder  Bette  ’  tur  neue 
resorce-s  Sc1"'  er% .  ■  --ccic.  "c  nachen  Denn 

•Xk  es  in  allererster  l  -ie  ankOMwen.  Jie  Meilur.  -  nell 


Die  Gefangenen  dürfen  ferner  ohne  Beaufsichtigung  ihre  Säle 
nL^j.  v erlasssen.  Den  Soldaten  ist  jedoch  die  Benutzung  der  Garten- 
aulagtn  des  Krankenhauses  gestattet.  Ausserhalb  des  Krankenhaus- 
^eländes  ist  der  Aufenthalt  verboten.  Das  Verlassen  der  Kranken¬ 
anstalten  wird  auch  schon  dadurch  in  wirksamer  Weise  verhindert 
dass  die  Soldaten,  wie  oben  schon  erwähnt,  Anstaltskleidung  tragen’ 

Das  Betreten  der  Verwundetenabteilung  bedarf 
Jet  jedesmaligen  Genehmigung  der  Verwaltung.  Grundsätzlich  ist  es 
nur  den  Angestellten  der  Krankenanstalten,  die  dort  ihren  Dienst  zu 
versehen  haben,  gestattet.  Für  die  Soldaten  sind  besondere  Be¬ 
suchsstunden  angesetzt  und  zwar  Mittwochs  und  Sonntags 
nachmittags  von  2 — 4  Uhr.  Es  werden  hier  nur  Angehörige  zuge¬ 
lassen.  Diese  Bestimmung  ist,  wie  das  ja  eigentlich  selbstverständ¬ 
lich.  ist.  sowohl  im  Interesse  der  Kranken,  ihrer  Ruhe  und  der  unge¬ 
störten  Genesung  wie  eines  geordneten  Krankenhausbetriebes  an 
sich  schon  unbedingt  notwendig.  Sie  hat  sich  als  umso  erforderlicher 
erwiesen,  als  es  vielfach  versucht  wird,  aus  reiner  Neugierde  in  die 
\  erw  undetensüle  zu  gelangen. 

Aus  dem  gleichen  Grunde  ist  es  auch  untersagt,  dass  ausser  den 
dazu  von  der  Verwaltung  besonders  bestellten  Personen  irgend 
jemand  Liebesgaben  direkt  an  die  Verwundeten  verteilt.  Auch  von 
der-  Angehörigen  wird  gefordert,  dass  sie  Liebesgaben,  besonders 
Obst.  Ess-  und  Trinksachen  bei  der  Wirtschaitsinspektion  abgeben, 
die  füi  die  richtige  Zuwendung  an  die  Soldaten  sorgt.  Es  können 
sich  ja  leicht  die  grössten  Missstände  einstellen,  wenn  die  in  grossen 
Mengen  gebrachten  Essachen  von  den  Soldaten  in  den  Nachttischen 
und  Schränken  verstaut  werden  und  hier  dann  schliesslich  in  Ver¬ 
derbnis  übergehen.  Es  ist  ferner  zu  bedenken,  dass  durch  über¬ 
mässigen  Genuss  von  Obst  und  Kuchen  den  Heilverlauf  schädigende 
Parmstörungen  hervorgerufen,  oder  durch  Obst  Krankheiten  wie 
l'yphus  eingeschleppt  werden  können. 


2 


2206 


Als  erspriesslich  hat  es  sich  für  eine  bestimmte  Art  von  Lie¬ 
besgaben  herausgestellt,  dass  ich  an  den  Krankenanstalten  eine 
eigene  Sammelstelle  eingerichtet  habe.  Es  handelt  sich  hier 
um  Bücher,  Zeitschriften,  Schreibsachen,  Unter¬ 
haltungsspiele,  Rauchwaren  jeder  Art  und  Leib¬ 
wäsche  (Hemden,  Unterhosen,  Strümpfe,  Leibbinden)  für  die 
zur  Entlassung  kommenden  Soldaten.  Damit  die  Mildtätigkeit 
auf  die  Dauer  nicht  erlahmt,  bringen  die  hiesigen  Zeitungen 
in  entgegenkommender  Weise  ungefähr  alle  14  Tage  kleine, 
von  mir  verfasste  Aufrufe,  in  denen  ich  die  Einwohnerschaft  an  das 
Spenden  der  Liebesgaben  erinnere.  Die  Bücher  und  Zeitschriften 
müssen  natürlich  ir.  völlig  einwandfreiem,  sauberem  Zustande  sein. 
Bis  jetzt  haben  wir  ungefähr  4000  Bücher  und  20  000  Zeitschriften 
erhalten.  Sowohl  von  diesen  wie  von  den  anderen  genannten 
Liebesgaben  werden  nach  Möglichkeit  auch  die  anderen  Lazarett¬ 
abteilungen  Dortmunds  versorgt.  Die  Verwaltung  dieser  Sammel¬ 
stelle  habe  ich  der  Einfachheit  halber  und,  damit  ich  stets  über 
alle  Angelegenheiten  hierbei  Bescheid  weiss,  meiner  Frau  übertragen, 
der  auch  die  Verteilung  dieser  Liebesgaben  an  die  Soldaten  obliegt. 
Ich  möchte  weiter  noch  hervorheben,  dass  auf  meine  Bitte  hin 
die  sämtlichen  hiesigen  6  Zeitungen  ungefähr  200  Stück  ihrer  täg¬ 
lichen  Ausgaben  dem  Lazarette  zur  Verfügung  stellen,  und  dass,  um 
auch  sonst  den  Verwundeten  den  Aufenthalt  im  Krankenhause  mög¬ 
lichst  erfreuend  zu  gestalten,  ein  Teil  des  hiesigen  Philharmonischen 
Orchesters  zweimal  in  der  Woche  Konzerte  veranstaltet. 

Wenn  die  im  Vorstehenden  geschilderten  Anordnungen  und  Mass¬ 
nahmen  im  Hinblick  auf  die  Soldatenfürsorge  getroffen  sind,  so  haben 
wie  anderorts  so  auch  hier  die  Krankenanstalten  die  Aufgabe  über¬ 
nommen,  Helferinnen  für  das  Rote  Kreuz  auszubil¬ 
den.  Da  auch  die  Erfahrungen  in  dieser  Hinsicht  manches  Be- 
meikenswerte  ergeben  haben,  so  seien  sie  noch  kurz  angeführt. 

Zu  Anfang  waren  uns  eine  recht  grosse  Anzahl  von  Damen 
zugewiesen  worden.  Hierunter  fand  sich  eine  nicht  geringe  Zahl, 
die  entweder  körperlich  oder,  weil  ihnen  die  strenge  Arbeitserfüllung 
nicht  zusagte,  oder  auch  aus  anderen  Gründen  sich  nicht  als  ge¬ 
eignet  erwies.  Es  zeigte  sich  weiter,  dass  eine  wirklich  gute  Aus¬ 
bildung  nur  zu  erzielen  war,  wenn  die  Teilnehmerzahl  eine  be¬ 
schränkte  war.  Deshalb  nehmen  wir  jetzt  im  Einvernehmen  mit 
dem  Vaterländischen  Frauenvereine  nur  noch  20  Schülerinnen  auf, 
deren  Auswahl  in  jeder  Beziehung  eine  besonders  strenge  ist.  Alle 
sich  meldenden  Damen  werden  auch  vor  ihrem  Eintritt  ärztlich  unter¬ 
sucht,  Schwächliche  und  irgendwie  Kranke  werden  zurückgewiesen, 
und  solchen,  die  an  stärkeren  Menstruationsbeschwerden  zu  leiden 
haben,  der  Rat  gegeben,  an  dem  Kurse  nicht  teilzunehmen. 

Die  Helferinnen  haben  von  morgens  8  Uhr  bis  abends  7  Uhr 
Dienst  zu  tun  und  iede  Arbeit,  die  ihnen  übertragen  wird,  auszu¬ 
führen.  Sie  erhalten  ferner  von  den  Oberärzten  der  chirurgischen 
und  inneren  Abteilung  theoretischen  und  von  einer  Oberschwester 
praktischen  Unterricht  in  der  Verwundetenpflege  und  -behandlung. 
Bei  dieser  strengen  Durchführung  der  Ausbildung  hat  es  sich  gezeigt, 
dass  die  Zahl  der  Schülerinnen  nach  und  nach  kleiner  wird.  Aber 
die,  die  übrig  bleiben,  haben  damit  bewiesen,  dass  sie  in  jeder 
Beziehung  geeignet  sind,  das  Amt  einer  Helferin  und  Pflegerin  aus¬ 
zuüben  Und  das  ist  ja  auch  das  Erstrebenswerte,  denn  nur  dann 
kann  das  Vaterland  von  ihnen  Nutzen  haben. 


Fortbildungsvorträge  und 
Uebersichtsreferate. 

Ueber  die  physikalischen  Grundlagen  der  Radiumtherapie. 

Von  Prof.  Kohlrausch  in  Freiberg  i/S. 

(Schluss.) 

Neben  der  Kenntnis  der  Eigenschaften  und  Bedeutung  der  ein¬ 
zelnen  Strahlen  ist  für  das  Arbeiten  mit  radioaktiven  Substanzen, 
im  besonderen  für  klinische  Versuche,  die  Eigenschaft  und  Stufenfolge 
der  Elemente  als  solcher  von  grösster  Bedeutung.  Zwar  verwandeln 
sich  die  neuen  Elemente,  wie  wir  gesehen  haben,  nach  ganz  bestimm¬ 
ten  Gesetzen  und  doch  bietet  gerade  diese  Umwandlung  ungeahnte 
Schwierigkeiten  für  den  Versuch,  weil  die  Elemente  uns  in  ihren 
Umwandlungen  nicht  einzeln  entgegentreten,  sondern  weil  wir 
immer  mit  einer  übereinandergelagerten  Gruppe  nachfolgender  Ver¬ 
wandlungsstufen  zu  arbeiten  haben.  Nicht  so  sehr  aus  einer  Un¬ 
kenntnis  der  Messmethoden  oder  Messinstrumente  sind  die  vielen  kli¬ 
nischen  Beobachtungsfehler  zu  erklären,  als  aus  einer  nicht  richtig 
kritisierten  Schätzung  der  Beobachtungsresultate.  So  ist  es  viel¬ 
fach  in  der  Bestrahlungstherapie  ganz  unbekannt,  dass  man  gar  nicht 
mit  den  Strahlen  des  Radiums  oder  der  Radiumemanation  arbeitet, 
sondern  mit  den  y-Strahlen  des  Radiums  B  und  des  Radiums  Ci. 
Es  ist  ferner  in  der  ganzen  bisherigen  Literatur  oder  in  der  An¬ 
wendung  der  bisherigen  Bestrahlungspräparate  viel  zu  wenig  Wert 
darauf  gelegt,  dass  die  Präparate  emanationsdicht  eingeschlossen 
sein  müssen,  wenn  man  die  volle  Strahlungsenergie,  d.  h.  die  Summe 
der  überhaupt  verfügbaren  y-Strahlen  verwenden  will.  Die  vielen 
früher  gebräuchlichen  Präparate,  z.  B.  in  Hartgummikapseln  hinter 
Glimmerscheiben  etc.,  zeigen  keineswegs  eine  völlige  Emanations- 


Nr.  45. 


dichte.  Jede  entweichende  Emanationsmenge  vermindert  aber  die 
y-Strahlungsfähigkeit  des  Präparates.  Denn  es  ist  einleuchtend, 
dass,  wenn  die  Radiumemanation  in  dem  Präparat  nicht  aufgespei¬ 
chert  wird,  sich  auch  die  Zerfallsprodukte,  im  besonderen  die  Gamma¬ 
strahlenträger  Radium  B-  und  Radium  Ci  nicht  ansammeln  können. 
Haben  wir  beispielsweise  ein  Präparat,  dem  dauernd  50  Proz.  Ema¬ 
nation  entweichen,  was  immerhin  möglich  ist,  so  würde  dieses  Prä¬ 
parat.  das  z.  B.  100  mg  Substanz  repräsentieren  möge,  in  seiner 
Strahlungsfähigkeit  nur  50  mg  gleichwertig  sein  unter  der  Voraus¬ 
setzung,  dass  das  zum  Vergleich  benutzte  50-mg-Präparat  emana¬ 
tionsdicht  eingeschlossen  ist.  So  kommt  es  vor,  dass  Präparate  bei¬ 
spielsweise  für  die  Messung  und  Eichung  im  Laboratorium  in  einem 
Glasröhrchen  luftdicht  eingeschlossen  werden.  Ihre  volle  Strahlungs¬ 
stärke  wird  alsdann  richtig  gemessen,  sei  es,  dass  man  aus  2  an¬ 
steigenden  Beobachtungsintervallen  den  Endwert  des  radioaktiven 
Gleichgewichtes  berechnet,  sei  es,  dass  man  dieses  radioaktive 
Gleichgewicht,  das  nach  etwa  4  Wochen  erreicht  wird,  abwartet,  wie 
es  z.  B.  die  physikalisch-technische  Reichsanstalt  für  ihre  Messungen 
verlangt. 

Die  Reichsanstalt  hat  für  die  Eichung  radioaktiver  Präparate  be¬ 
stimmte  Normen  aufgestellt,  die  auf  Wunsch  jedem  Interessenten  zur 
Verfügung  gestellt  werden. 

Nach  denselben  Grundsätzen  prüft  auch  das  Freiberger  Radiuns- 
institut,  das  vom  Kgl.  sächs.  Finanzministerium  erhebliche  Mittel  zur 
Anschaffung  eines  sog.  Radiumstandards  erhalten  hat. 


Tabelle  der  radioaktivenEle  mente  undKonstanten. 


£ 

AO 

ho 

£ 

3 

<L) 

-  s 

£  u 

Absorption 

<u 

U 

'S 

£  £ 

2  g 

£  <i>  w  ~ 
o'0  a 

/I-Strahlen 

y-Strahlen 

Chemischer 

’C 

(X 

Substanz 

bfl 

E 

o 

’£  </> 

£  e 

? 

u 

c7$ 

s  °?  3 

OS  ö  c 

D 

f4 

cm  1 

D 

Charakter 

< 

r* 

0° 

15° 

Al 

Al 

pb 

Pb 

Uran  I 

238 

5 . 10»a 

a 

2,37 

2,50 

. 

_ 

_ 

_ 

Gewöhnliches 

Uran. 

Uran  Y 

230 

1  05  d 

ß 

— 

— 

ca.  300 

0,002 

— 

— 

Unbekannt. 

Uran  Xx 

234 

24,6  d 

ßy 

— 

— 

510 

0,001 

0,72' 

0,96 

Identisch  mit, 

Thorium 

Uran  X4 

234 

1,15m 

ß 

— 

— 

14,4 

0,048 

— 

Nächst  Analo- 

gon:  Tantal. 

Uran  II 

234 

2  .  10«a 

a 

2,75 

2,90 

— 

— 

— 

— 

Identisch  mit 

Utan. 

Ionium 

230 

2.  10r'  a 

a 

2,85 

3,00 

— 

— 

— 

— 

Identisch  mit 

Thorium. 

Radium 

226 

1750  a 

aß 

3,13 

3,30 

312 

■0,002 

— 

— 

Nächst.  Analo- 

gon:  Barium. 

Emanation 

222 

3,85  d 

a 

3,94 

4,16 

— 

— 

— 

— 

Edelgas. 

£ 

a 

(Ntton) 

4,50 

4,75 

Radium  A 

218 

3  m 

a 

— 

— 

— 

— 

Radium  B 

214 

26,7  m 

ßy 

— 

— 

13  u. 

0,05  u 

4-6 

0,18b. 

91 

0,007 

0,12 

Radium  Cj 

214 

19,5  m 

aßy 

— 

— 

13,5 

0,053 

0,5 

1,39 

Identisch  mit 

Wismut. 

Radium  Ca 

210 

1,4  m 

ß 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

Identisch  mit 

Thallium. 

Radium  C' 

214 

10— 6  s 

a 

6,57 

6,94 

— 

— 

— 

— 

Identisch  mit 

Polonium. 

Radium  D 

210 

16,5  a 

ß 

— 

— 

130 

— 

— 

— 

Identisch  mit 

Blei. 

Radium  E 

210 

5,0  d 

ß 

— 

— 

43,3 

— 

— 

— 

identisch  mit 

Wismut. 

Radium  F 

210 

136  d 

a 

3,58 

3,77 

— 

— 

— 

— 

Nächstes  Ana- 

(Polonium) 

log. :  Tellur. 

Aktinium 

226 

_ 

ohne 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

Nächst. Analu- 

Str. 

gon :  Lanthan. 

Radio- 

226 

19,5  d 

aß 

4,36 

4,60 

170 

0,004 

— 

— 

Identisch  mit 

aktinium 

4,40 

Thorium. 

Aktinium  X 

222 

1 1 ,6  d 

a 

4,17 

— 

— 

— 

— 

Edelgas. 

E 

Emanation 

218 

3,9  s 

a 

5,40 

5,70 

— 

— 

— 

— 

3 

Aktinium  A 

214 

0,002  s 

a 

6,16 

6,50 

— 

— 

— 

— 

Identisch  mit 

Polonium. 

< 

Aktinium  B 

210 

36,1  m 

ß 

— 

— 

sehr 

weich 

— 

— 

Identisch  mit 
Blei. 

Aktinium  C 

210 

2,15  m 

a 

5,12 

5,40 

— 

— 

— 

— 

Identisch  mit 

Wismut. 

Aktinium  D 

206 

4,7  m 

ßy 

— 

— 

29 

0,024 

1,2  bis 

0,58  b 

Identisch  mit 

1,8 

0,39 

1  hallium 

Thorium 

232 

al.3,1010 

a  a 

2,58 

2,72 

_ 

_ 

_ 

_ 

Element  der. 

IV.  Gruppe 
(=  gewöhnl 

Thorium). 

Meso- 

228 

5,5  a 

ohne 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

Identisch  mit 

thorium  I 

Str. 

Radium, 

Meso- 

228 

6,2  h 

ßy 

— 

— 

20,2 

0,034 

0,53 

1,31 

Identisch  mit! 

thorium  11 

bis 

0,018 

Aktinium. 

38,5 

Radio- 

228 

737  d 

a 

3,67 

3,87 

— 

— 

— 

— 

Identisch  mit 

thorium 

Thorium 

E 

Thorium  X 

224 

3,64  d 

aß 

4,08 

4,30 

? 

— 

— 

Identisch  mit 

3 

*C 

o 

Radium. 

Emanation 

220 

53  s 

a 

4,74 

5.00 

— 

— 

— 

— 

Edelgas 
Identisch  mit 

JZ 

f— 

Thorium  A 

216 

0,14  s 

a 

5,40 

5,70 

— 

— 

— 

Polonium. 

Thorium  B 

212 

10,6h 

ß 

— 

— 

110 

0,005 

— 

— 

Identisch  mit) 

Blei. 

Thorium  C, 

212 

55  m 

aß 

4,55 

4,80 

? 

? 

— 

— 

Identisch  mit 

Wismut. 

Thorium  C 

212 

10— «  S 

a 

8,16 

8,60 

— 

— 

— 

Identisch  mit 

Polonium. 

Thorium  D 

208 

3,1  m 

ßy 

_ 

15,7 

0,044 

0,46 

1,51 

Identisch  mit. 

Thallium. 

Kalium 

30,15 

— 

ß 

— 

30 

0,023 

— 

— 

Rubidium 

85,5 

— 

ß 

— 

300 

0.0023 

— 

— 

a  bedeutet  Jahre;  d  —  Tage;  h  =  Stunden;  m  —  Minuten;  s  =  Sekunden. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


0.  November  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2207 


Nach  einer  jeden  Prüfung  wird  das  Präparat  in  den  meisten 
a||en  aus  dem  vorerwähnten  Ülasröhrchen  wieder  herausgenommen, 
m  für  Bestrahlungszwecke  verwendet  zu  werden.  Dabei  zeigt  sich 
ann  häufig  infolge  ungenügender  Emanationsdichte,  dass  die  Strah- 
ingsenergie  therapeutisch  nicht  annähernd  den  Wert  besitzt  wie  bei- 
pielsweise  ein  Radiumpräparat,  das  vollkommen  in  einem  Platin- 

eschlosse^bleiM  Cma  UF  BestrahlunSszwecke  emanationsdicht  ein- 

Dieses  einfache  und  lehrreiche  Beispiel  zeigt,  dass  die  Kenntnis 
er.  BnVvand!Hn2  der  Elemente  von  grösster  Bedeutung  ist.  Dieser 
er/.all  bzw.  diese  Umwandlung  geschieht  nach  Gesetzen,  die  mathe- 
lignrchfn  •"  Exponentialkurven  sich  darstellen  lassen.  Ein 
nfaches  Beispiel  möge  den  mathematischen  Begriff  erläutern. 

•  e?n  "L3",.2'  B'  eiaer  Radiumquelle  emanationshaltiges  Wasser 
it nimmt  und  dieses  auf  eine  Reihe  von  Flaschen  verteilt,  die  Iuft- 
Jit  erschlossen  werden,  und  diese  in  bestimmten  Zeitintervallen 
ektroskopisch  prüft,  so  findet'  man,  dass  eine  Flasche,  die  4  Tage 
ng  gestanden  hat,  gerade  noch  halb  soviel  Emanation  aufweist 
ic  eine  Masche,  die  sofort  nach  der  Entnahme  aus  der  Quelle  der 
essung  unterworfen  wurde.  Prüft  mail  entsprechend  eine  Reihe 
ilcher  Flaschen,  also  beispielsweise  die  eine  nach  24  stündiger  die 

nthmLnHn/p^l,ÜndiSerwerSchl0Ssener  Aufbewahrung  usw„  so  er- 
ilt  man  eine  Reihe  von  Werten,  die  mit  den  zugehörigen  Zeiten  auf- 

*bei?Cn  daS  nac^° gende  BiJd  3  (Radiumemanationsabnahme)  er- 


■too 


Bild '  3. 


-16  Tage 


Diese  Verringerung  der  Emanation  beruht  lediglich  darauf,  dass 

dHI'JUiw1  •  abge^hl?ssenen  Flasche  das  Gas  sich  weiter  ver- 
mdelt  hat  in  seine  Zerfallsprodukte  Radium-A,  -B,  -C,  -D  -E  und 
Die  Zeit,  in  welcher  sich  die  Radioelemente  zur  Hälfte  um- 
tndeln,  bezeichnet  man  als  ihre  Halbwertsperiode. 

Auch  das  Thorium  und  das  Aktinium  besitzen  ein  gasförmiges 
rtallsprodukt,  die  Thor-  bzw.  Aktiniumemanation,  deren  Halbwerts- 
node  jedoch  nur  53  oder  gar  3,9  Sekunden  beträgt. 

Die  im  Bild  3  A  gezeichnete  Radiumzunahme  erklärt  sich  daraus 
;>s  ein  frisch  bereitetes  Radiumsalz  zunächst  emanationsfrei  ist' 
öS  dieses  Salz  aber,  wenn  es  trocken  ist  oder  besser  luftdicht 
i  geschlossen  wird,  eine  allmähliche  Aktivitätszunahme  aufweist 
.  durch,  dass  die  sich  stets  bildende  Emanation  in  dem  Salz  auf- 
^ichert  und  dass  sich  damit  auch  alle  weiteren  Zerfallsprodukte 
Radium  A — F  ansammeln  können. 

Die  Kenntnis  der  physikalischen  Grundgesetze  der  Radioaktivität 
naturgemass  von  Bedeutung  für  die  chemische  Darstellung  und 
Scheidung  radioaktiver  Elemente.  Eine  ausführliche  Beschreibung 
chemischen  Gewinnung  des  Radiums  findet  sich,  wie  schon  ein- 
•igs  gesagt  m  den  Berichten  der  Akademie  der  Wissenschaften 

■  enH,n7’  Ja  ^l1"-  619>  1908’  wo  Haitinger  und  Ulrich  die 
zelheiten  beschreiben. 

,  Wir  ersehen  daraus,  wie  neben  der  rein  chemischen  Analyse 
I  Radiumerze  die  physikalische  Messung  den  richtigen  Weg  zur 
•>cheidung  des  Radiums  gewiesen  hat.  Diesen  Weg  hat  schon 
dame  Curie  im  Jahre  1898  beschritten,  indem  sie  Niederschlag 
r  WM*™*  ]ede9  )veiteren  Behandlung  elektroskopisch  prüfte  und 
teststellte,  in  welcher  der  beiden  Bestandteile  die  grösste  Menge 
Kadiums  enthalten  war.  Dieser  Bestandteil  wurde  dann  jeweilig 
1  ter  verarbeitet.  Wie  mühsam  die  Herstellung  des  Radiums  ist 
ennt  man  aus  der  Berechnung,  wieviel  Tonnen  Pechblende  er- 
Jerlich  sind,  um  ein  Gramm  Radium  zu  extrahieren.  Diese  Be- 
’hnung  lässt  sich  aus  der  Lebensdauer  der  Radioelemente  speziell 
Urans  leicht  herleiten.  Nehmen  wir  an,  dass  1000  kg  Joachims- 
e.j",  ?,  e  zur  Verfügung  stehen,  diese  mögen  im  Durch- 

""jt  6S0kg  Uran  enthalten.  Wieviel  Gramm  Radium  können  maxi- 
daraus  gewonnen  werden?  Ursprünglich,  als  die  Pechblende  in 
logischer  Vergangenheit  vor  Millionen  Jahren  an  ihrer  Lagerstätte 
'tand,  enthielt  sie  vielleicht  nur  das  Anfangsglied  der  Reihe-  das 
l*r  s£ofort  begann  aber  auch  schon  der  Zerfall  desselben,  und 
i:d  auf  Glied  der  Reihe  der  Umwandlungsprodukte  musste  sich 
en.  Im  selben  Masse  jedoch  wie  diese  wieder  weiter  zerfielen 
unzten  sie  sich  durch  Nachschub  aus  den  vorhergehenden  Gliedern 
'  *«[?,«•  un<?  so  musste  sich  schliesslich  ein  Gleichgewichtszustand 
•lusbilden,  in  welchem  Zerfall  und  Neubildung  einander  eben  aus- 
inen.  Je  langsamer  ein  radioaktives  Element  zerfällt,  umso  länger 
iewissermassen  seine  Lebensdauer,  um  so  mehr  wird  von  ihm  bei 
nchung  des  Gleichgewichtszustandes  vorhanden  sein  können. 
>e  Ueberlegungen  lehren,  dass  der  Gehalt  eines  Uranerzes  an  den 


einzelnen  radioaktiven  Stoffen  der  Uranreihe  direkt  proportional 
aer  Lebensdauer,  also  umgekehrt  proportional  der  Zerfallgeschwin- 
üigkejt  der  Linzeielemente  ist,  und  man  gewinnt  so  eine  Grundlage 
lur  die  Berechnung,  wieviel  Radium  in  einem  Erz  vorhanden  sein 
muss,  das  eine  bekannte  Menge  Uran  enthält. 

Die  mittlere  Lebensdauer  des  Urans  ist  rund  3  Millionen  mal  so 
gross  wie  diejenige  des  Radiums,  folglich  ist  der  Radiumgehalt  eines 
Ulanerzes  immer  nur  —  wie  oben  ausgeführt  —  der  dreimillionste 
1  eil  des  im  Erz  vorhandenen  Elementes  Uran.  1000  kg  Joachimsthaler 
.,9.  lende  mit  680  kg  Uran  können  somit  im  Höchstfälle  ein  Drei- 
millionstel  von  680  kg  — -  o,22g  Radiumelement  enthalten,  von  denen 
jedoch  nur  ein  Teil  chemisch  rein  zu  gewinnen  ist.  Man  kann  un- 
SC  j  rnAiü  i  .en’  dass  zur  Herstellung  von  1  g  metallischen  Radiums 
rund  10000  kg  bester  Joachimsthaler  Pechblende  erforderlich  sind.  Der 
Preis  von  M.  400  000  pro  lg  Radiumbromid  ist  deshalb  wohl  ver¬ 
ständlich.  Metallisch  reines  Radium  ist  nicht  vorhanden,  geschweige 
denn  im  Handel  befindlich,  sondern  lediglich  Radiumverbindungen,  die 
entsprechend  ihrem  Molekulargewicht  hier  aufgeführt  werden: 


Radiummetall . 

Radiumkarbonat  (Ra  COa) 

Radiumchlorid  (Ra  CI*) . 

Radiumsulfat  (Ra  S04)  .....’ 
Radiumbromid  (Ra  Br*)  ’ 

Radiumbromid  +  Wasser  (RaBr*  +  2H*Ö) 


.  226  Molekulargewicht 


.  286 
.  297 
.  322 
.  386 
.  422 


»» 


♦  » 


Die  Zahlen  lassen  sich  leicht  berechnen,  wenn  man  die  ent¬ 
sprechenden  Atomgewichte  der  einzelnen  Elemente  zugiunde  legt. 
Die  Preise  sind  dementsprechend. 

Neben  dem  Radium  und  seinen  Zerfallsprodukten  hat  in  erhöhtem 
Masse  das  Mesothorium  und  seine  Derivate  das  Auge  der  Mediziner 
auf  sich  gelenkt.  Das  Mesothorium  iet  das  erste  Umwandlungs¬ 
produkt  des  Thoriums,  vergleiche  Tabelle.  Es  sendet  ß-  und  y- 
Strahlen  aus  und  verwandelt  sich  in  rund  5,5  Jahren  zur  Hälfte, 
wobei  wir  Mesothorium  I  und  II  der  Einfachheit  halber  zusammen 
betrachten.  Das  nächste  Zerfallsprodukt  führt  den  Namen  Radiothor 
und  verwandelt  sich  nach  rund  2  Jahren  zur  Hälfte  in  Thorium  X. 
Das  Mesothorium  und  seine  Zerfallsprodukte  werden  neuerdings  in 
den  Thorfabriken  aus  den  Rückständen  ihrer  früheren  Produktion  er¬ 
schlossen.  Im  besonderen  dient  als  Ausgangsmaterial  der  Brasiliani¬ 
sche  Monazitsand.  Die  Gewinnung  selbst  ist  kaum  billiger  als  die 
Herstellung  von  Radium.  Sie  erfordert  erhebliche  Mengen  Schwefel¬ 
säure  und  Wasser.  Gleichwohl  ist  der  Preis  gegenüber  dem  Radium, 
da  die  Ausgangsmaterialien  billiger  sind,  bedeutend  geringer.  Das 
Milligramm  wurde  mit  150  M.  bewertet,  ist  jedoch  in  der  letzten  Zeit 
auf  200  M.  und  mehr  gestiegen.  Wenn  trotzdem  in  den  meisten 
Fällen  der  Ankauf  von  Radium  vorgezogen  wird,  so  ist  das  be¬ 
greiflich,  wenn  man  bedenkt,  dass  das  Radium  in  Jahrzehnten  kaum 
einen  Bruchteil  seines  Wertes  und  damit  seiner  Energiestrahlung  ein- 
büsst,  während  das  Mesothorium  nach  etwa  10  Jahren  nur  noch  etwa 
die  Hälfte  seines  ursprünglichen  Wertes  besitzt.  Wir  haben  nämlich 
beim  Mesothorium  mit  der  Tatsache  zu  rechnen,  dass  ein  frisch 
hergestelltes  Mesothoriumpräparat  zunächst  noch  einen  Anstieg  über 
den  ursprünglichen  Wert  zeigt,  derart,  dass  das  Maximum  der  Aktivi¬ 
tät  nach  ungefähr  3  Jahren  erreicht  wird,  und  erst  nach  10  Jahren 
geht  der  Abbau  des  Präparates  mit  seiner  Zerfallskonstante  von 
534  Jahren  vor  sich.  Diese  Zahlen  gelten  unter  der  Voraussetzung, 
dass  ursprünglich  vollkommen  reines  (also  nicht  mit  anderen  radio¬ 
aktiven  Substanzen  vermischtes)  Mesothorium  vorliegt. 

Nun  enthält  aber  das  technisch  hergestellte  Mesothorium  immer 
einen  bestimmten  Prozentsatz  Radium.  Die  Menge  des  Radiums 
richtet  sich  nach  dem  Urangehalt  des  Ausgangsmaterials.  In  den 
meisten  Fällen  ist  das  Verhältnis  vom  Mesothor  zum  Radium  etwa 
3:1.  Es  werden  also  in  technischem  Mesothor  von  100mg  Aktivität 
75  mg  vom  Mesothor  und 
25  mg  vom  Radium  her¬ 
rühren.  Dementspre¬ 
chend  ist  auch  die  Strah¬ 
lung  eine  kombinierte 
und  wechselt  je  nach 
dem  Alter  des  Präpa¬ 
rates,  und  die  Abklingung 
erfolgt  bei  diesem  tech¬ 
nischen  Mesothor,  wie  es 
anders  im  Handel  nicht 
zu  haben  ist,  nach  be¬ 
liebigen  Zeiten  immer 
langsamer,  als  der  Peri¬ 
ode  des  Mesothor  ent¬ 
spricht,  weil  die  25  Proz. 

Radium  während  dieser 
Zeit  so  gut  wie  gar  nicht 
abklingen.  Daraus  folgt, 
dass  nach  10  Jahren 
die  Aktivität  noch  etwas  stärker  ist  als  zur  Zeit  der  Her¬ 
stellung  und  nach  20  Jahren  ungefähr  halb  so  stark  und  schliess- 
iibri  W6nn  Ä  CS  Mesothor  zerfallen  ist,  bleiben  die  25  Proz.  Radium 

Deshalb  wird  es  auch  für  Bestrahlungszwecke  immer  von  Be¬ 
deutung  sein,  zu  wissen,  welches  Alter  ein  derartiges  Präparat  seit 
seiner  Herstellungszeit  besitzt. 


% 


2 


2208 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  45. 


Ganz  ähnliche  Erscheinungen  müssen  wir  beim  Thorium  X,  Beweglichkeit  der  Quarzfäden  modifizieren.  Big.  4  b  zeigt  das  In¬ 
dem  Zerfallsprodukt  des  Radiothoriums,  berücksichtigen.  Man  ge-  I  strument  von  aussen, 
winnt  das  Thorium  X.  indem  man  Radiothor¬ 
salze  mit  ganz  schwach  gesäuertem  destillier¬ 
tem  Wasser  übergiesst,  und  erhält  so  eine 
wässerige  Thorium-X-Lösung,  die  für  Trink¬ 
kuren  und  Injektionszwecke  verwandt  werden 
kann.  Auch  hier  finden  wir  zunächst  einen  An¬ 
stieg  derart,  dass  nach  iVz  Tagen  der  Ur¬ 
sprungswert  erreicht  ist,  von  dem  ab  der  Zer¬ 
fall  mit  einer  Halbwertszeit  von  3,7  Tagen  ein¬ 
setzt.  Vergl.  Fig.  3  a. 


a 

Bild  4  b. 


a  Bild  5.  bj 


Das  Thorium  X  liefert  die  Thoremanation, 
von  der  man  sich  gleiche  Wirkungen  wie  von 
der  Radiumemanation  verspricht.  Da  die  Thor¬ 
emanation  in  53  Sekunden  zur  Hälfte  zerfällt, 
so  ist  ihre  Anwendung  analog  der  Radium¬ 
emanation  unmöglich.  Man  ist  immer  darauf 
angewiesen,  dem  Organismus  die  Muttersub¬ 
stanz,  also  das  Thorium  X  mit  einzuverleiben, 
so  dass  dieses  im  Organismus  selbst  die  Thor¬ 
emanation  zur  Produktion  bringt.  Die  Er¬ 
kenntnis  all  dieser  für  die  Anwendung  wich¬ 
tigen  Regeln  verdanken  wir  den  gut  durchge¬ 
bildeten  Messinstrumenten  und  dem  Ausbau 
der  Messmethodik. 


Bild  4  a. 


2.  Messmethoden  und  Messinstrumente. 

An  dieser  Stelle  können  natürlich  nur  die  einfachen  Messungen 
an  Beispielen  erläutert  und  auch  nur  die  Messinstrumente  erwähnt 
werden,  die  sich  in  der  Praxis  erfolgreich  eingebürgert  haben.  Dazu 
gehört  das  Elektrometer  nach  Th.  Wulf  und  das  Fontaktoskop  nach 
C.  En  gl  er  und  H.  Sieveking  oder  in  verbesserter  Form  nach 
Mache  und  Meyer. 

Jedes  vollständige  Instrument  zur  Messung  der  Radioaktivität 
besteht  im  wesentlichen  aus  2  Teilen,  dem  eigentlichen  Messinstru¬ 
ment  und  dem  Ionisationsraum. 

Alle  Messinstrumente  benutzen  die  bekannte  Eigenschaft  der 
Elektrizität,  dass  sich  elektrisch  geladene  Körper  gleichen  Vorzeichens 
abstossen,  ungleichen  Vorzeichens  aber  anziehen.  Ein  Aluminium¬ 
blättchen  wird  an  einem  Metallstab  befestigt  und  das  Ganze  isoliert 
aufgestellt.  Wird  mit  Hilfe  eines  durch  Reiben  elektrisierten  Hart¬ 
gummistabes  oder  durch  direkte  Berührung  mit  einem  Zelluloidstab 
dieser  Vorrichtung  eine  elektrische  Ladung  erteilt,  so  spreizt  sich 
das  Blättchen  und  bleibt  in  einer  Lage  stehen,  die  ein  Mass  für  die 
Menge  der  heraufgebrachten  Elektrizität  abgibt.  Wird  eine  sorgfältig 
isolierte  Metallstange  mit  Elektrizität  geladen,  so  ist  in  trockener 
Luft  kein  nennenswerter  Verlust  an  Ladung  wahrzunehmen,  und  die 
Stange  behält  stundenlang  ihre  Ladung,  weil  die  neutralen  Luft¬ 
partikelchen  ein  Weiterleiten  der  Elektrizität  in  ihrer  Eigenschaft 
als  schlechte  Leiter  nicht  zulassen.  Wird  nun  ein  radioaktiver  Körper 
in  ihre  Nähe  gebracht,  so  werden  durch  die  von  ihm  ausgeschleuderten 
Strahlen  oder  Teilchen  die  umgebenden  Luftpartikelchen  ionisiert, 
d.  h.  elektrisch  leitend  gemacht.  Die  Blättchen  fallen  allmählich  zu¬ 
sammen  und  zwar  umso  rascher,  je  stärker  das  Radiumpräparat 
ist  oder  je  näher  es  herangeführt  wird. 

Die  Ablesung  des  Zusammenfalles  der  Blättchen  wird  mit  Hilfe 
einer  sich  spiegelnden  Skala,  Ablesemikroskop  oder  Vergrösserungs- 
glas,  genau  verfolgt  und  zeitlich  mit  Hilfe  einer  Stoppuhr  fixiert. 

Alle  Instrumente  sind  mit  einer  Eichtabelle  oder  Kurventafel 
versehen,  aus  welcher  sich  ergibt,  wieviel  Aufladespannung  notwendig 
ist,  um  die  Blättchen  bis  einem  bestimmten  Punkte  auseinander 
zu  spreizen,  so  dass  man  umgekehrt  jederzeit  zu  einer  bestimmten 
abgelesenen  Blättchenstellung  die  zugehörige  Spannung,  d.  h.  Volt¬ 
zahl,  ablesen  kann. 

a)  Das  Fadenelektrometer  von  Th.  Wulf. 

Dasselbe  besitzt  wie  Bild  4  zeigt,  2  Quarzfäden  F,  die  einige 
Zentimeter  lang,  etwa  0,001  mm  dick  sind  und  durch  Kathoden¬ 
zerstäubung  elektrisch  leitend  gemacht  sind.  Die  Fäden  sind  durch 
leitende  Verbindung  mit  dem  Zerstreuungskörper  Z  verbunden  und 
werden  an  ihrem  unteren  Ende  durch  die  isolierten  Quarzbügel  Q 
gespannt.  Der  Zerstreuungskörper  ragt  nach  oben  in  eine  aufgesetzte 
Metallglocke  A  hinein  und  kann  von  aussen  direkt  aufgeladen  werden. 
Der  ganze  Luftraum  im  Innern  der  Glocke  konzentrisch  um  diesen 
Zerstreuungsstab  herum  bis  an  die  seitlichen  Metallwände  stellt  den 
Ionisationsraum  dar,  welcher  im  ganzen  oder  auch  in  allen  seinen 
Teilen  die  Fortführung  der  Elektrizität  über  die  Metallwände  zur 
Erde  zu  übernehmen  hat. 

Im  Normalzustände  setzen  die  nichtleitenden  Luftteilchen  der 
Ableitung  der  Elektrizität  vom  Stabe  rings  zur  Glocke  ein  Hindernis 
entgegen.  Treffen  Radiumstrahlen  auf  die  Luftteilchen,  so  lassen 
diese  den  Uebergang  der  Elektrizität  zu. 

Bringt  man  eine  Ladung  auf  das  Instrument,  so  stossen  sich  die 
beiden  Fäden  bogenförmig  ab.  Die  Grösse  der  Abstossung  wird  mit 
Hilfe  eines  Mikroskopokulars  abgelesen.  Die  Empfindlichkeit  des 
Instrumentes  kann  nach  Bedürfnis  abgeändert  werden,  da  die  Quarz¬ 
fäden  von  2  Kondcnsatorplatten  S  S  umgeben  sind,  die  durch  die 
Zuleitung  K  beliebig  geladen  werden  können  und  dadurch  die 


b)  Das  Fontaktoskop  nach  C.  Engler  und  H.  Sieve¬ 
king. 

Nicht  so  empfindlich  wie  das  Wulf  sehe  Elektrometer  ist  das 
Fontaktoskop  nach  C.  Engler  und  H.  Sieveking.  Aber  auch 
hier  kann  man  mit  beträchtlicher  Genauigkeit  noch  geringe  Aktivi¬ 
täten  messen. 

Das  Fontaktoskop  besteht  aus  folgenden  Teilen:  einem  Elektro- 
skop  mit  Zerstreuungsstab  Z  und  einer  2  Liter  bzw.  10  Liter  fassen¬ 
den  Blechkanne  J,  welche  den  Ionisationsraum  in  sich  birgt.  (Ver¬ 
gleiche  Bild  5.) 

Das  Elektroskop  zeigt  im  wesentlichen  einen  vorn  und  hinten 
mit  Glasscheiben  bedeckten  Kopfteil,  in  dessen  Innenraum  zentrisch 
eine  Metallstange  von  oben  nach  unten  verläuft,  welche  in  einer 
Bernsteinplatte  isoliert  eingelassen  ist.  An  den  Metallstab  sind  oben 
2  Aluminiumblättchen  befestigt,  die  in  der  Ruhe  durch  2  seitlich  be¬ 
wegliche,  einschiebbare  Schutzbacken  S  geschützt  werden  können. 
Der  Metallstab  ist  nach  unten  verlängert  durch  den  schon  bekannten 
Zerstreuungsstab  Z,  welcher  eingeschoben  wird  und  dann  in  die 
Messkanne,  d.  h.  den  Ionisationsraum  durch  die  Oeffnung  des  Metall- 
fusses  hineinragt.  Die  Bewegung  der  Blättchen  wird  durch  eine 
Lupe  beobachtet,  während  gleichzeitig  die  Blättchenstellung  an  einer 
sich  spiegelnden  Messskala  fixiert  wird.  Diese  Skala  hat  von  der* 
Mitte  betrachtet  nach  jeder  Seite  20  Teilstriche  —  in  Summa  also  40. 
Der  Nullpunkt  wird  in  die  Mitte  der  Skala  gelegt  gedacht. 

Zu  den  Messkannen  gehört  ein  Gummistopfen,  um  für  das 
Schütteln  die  Kannen  luftdicht  zu  verschliessen,  denn  die  Emanations¬ 
prüfung  wird  dadurch  erreicht,  dass  die  herausgeschüttelte  Emanation 
die  Luft  elektrisch  macht,  welche  sich  zwischen  dem  in  die  Kanne 
ragenden  Zerstreuungsstab  und  den  ringsumgebenden  Kannenwan¬ 
dungen  befindet.  Mit  Hilfe  einer  Stoppuhr  wird  beobachtet,  wie  rasch 
die  Elektrizität  vom  Elektroskop,  d.  h.  vom  Zerstreuungsstab  über 
die  leitenden  Luftteilchen  zur  Kanne  und  damit  zur  Erde  abfliesst. 

c)  Für  die  Ausführung  von  Messungen,  besonders  für  die  Eichung 
starker  Radiumpräparate  ist  es  von  grösster  Bedeutung  geworden, 
dass  man  Ende  1913  ein  internationales  Standardpräparat  geschaffen 
hat,  das  in  Sevres  bei  Paris  aufbewahrt  wird  und  welches  in  Ueber- 
einstimmung  befunden  wurde  mit  österreichischen  Präparaten,  die  im 
Wiener  Radiuminstitut  deponiert  sind.  Auf  diese  Standardpräparate 
sind  eine  ganze  Reihe  von  Präparaten  eingestellt  worden,  die  wieder 
als  Unterstandard  bei  den  einzelnen  Regierungen  aufbewahrt  werden, 
so  z.  B.  in  Berlin  in  der  Physikalisch-Technischen  Reichsanstalt 
und  in  Freiberg-Sachsen  im  Radiuminstitut  der  Kgl.  Bergakademie. 
Es  kann  aber  natürlich  auch  jedes  Institut  und  jeder  Privatmann  sein 
Radiumpräparat  entsprechend  eichen  lassen,  das  dann  als  Standard 
Verwendung  finden  kann  unter  der  Voraussetzung,  dass  an  dem 
emanationsdichten  Verschluss  keine  Veränderung  vorgenommen  wird. 
Die  Messung  aller  Bestrahlungspräparate  erfolgt  nun  in  der  ein¬ 
fachsten  Weise,  indem  man  das  Wulf  sehe  Elektrometer  oder  auch 
ein  anderes  Messinstrument  in  eine  genau  fixierte  Lage  bringt 
und  dass  man  das  zu  untersuchende  Präparat,  wie  auch  das  Standard 
selbst,  in  einem  bestimmten  Abstand  hinter  Bleiplatten  verborgen  auf 
das  Messinstrument  einwirken  lässt.  Die  Voraussetzung  ist,  dass 
alle  Präparate  emanationsdicht  eingeschlossen  sind.  Die  Prüfung  auf 
Emanationsdichte  geschieht  wie  folgt: 

Man  löst  bei  einer  2  bzw.  10  Liter  Messkanne  den  Boden  des 
Gefässes  ab,  so  dass  die  Kanne  unten  offen  ist.  Man  bestimmt  bei 
der  so  hergerichteten  Kanne  den  Normalverlust.  Alsdann  schiebt  man 
das  Radiumsalz  unter  die  Kanne  und  lässt  es  eine  Minute  oder  länger 
dort  liegen.  Nach  dieser  Zeit  hebt  man  die  Kanne  vorsichtig  auf, 
nimmt  das  Radium  darunter  fort  und  setzt  die  Kanne  dann  rasch 
und  sorgsam  wieder  nieder.  Nunmehr  beobachtet  man,  ob  der  Nor¬ 
malverlust  der  Kanne  angestiegen  ist.  Wenn  dies  der  Fall,  dann  ist 
das  Präparat  nicht  dicht  verschlossen,  muss  also  neu  gedichtet 


in.  November  191-4. 


MUENCHENKR  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


v’ erden.  Es  ist  selbstverständlicli,  dass  alle  anderen  Radiumpräpa- 
ate  aus  dem  Zimmer  entfernt  werden,  ehe  die  Messung  erfolgt. 

Nunmehr  wird  das  Standardpräparat  hinter  den  Bleiplatten 
xiert,  welche,  je  nach  der  Stärke  des  Präparates.  20—50  cm  vom 
nstrument  entfernt  sein  können.  Es  wird  mit  Hilfe  einer  Stoppuhr 
eobachtet,  wie  rasch  die  Entladung  über  eine  bestimmte  Strecke  vor 
ich  geht.  Beim  Wulf  sehen  Elektrometer  empfiehlt  es  sich,  auf 
twa  75  Skalenteile  beiderseits  aufzuladen  und  dann  den  Abfall  von 
P  auf  50  zeitlich  festzulegen.  Dies  entspricht  nach  der  zugehörigen 
abclle  etwa  einem  Voltabfall  von  59.  Beobachtete  man  diesen 
pannungsabfall  von  59  Volt  beispielsweise  in  36  Sekunden,  so  würde 
as  pro  Stunde  einen  Voltabfali  von  5900  Volt  bedeuten.  Von 
i  es  ein  Spannungsabfall  ist  der  sogen.  Leerabfall  oder  Normalverlust 

1  Abzug  zu  bringen,  das  ist  derjenige  Spannungsverlust,  der  bei 
‘dem  Instrument  beobachtet  wird  und  der  auf  die  Emanation  der 
rdoberfläche  oder  andere  Vorgänge  zurückgeführt  wird.  Dieser 
pannungsabfall  beträgt  bei  neuen  Instrumenten  pro  Stunde  nicht 
iehr  als  10 — 50  Volt.  Man  beobachtet  ihn  vor  der  eigentlichen 
lessung,  indem  man  z.  B.  während  10  Minuten  den  Spannungsabfall 
es  Instrumentes  abliest,  das  natürlich  fern  von  jedem  radioaktiven 
toffe  aufgebaut  sein  muss.  Der  6  fache  Wert  des  Beobachteten  gibt 
ann  den  Normalabfall  pro  Stunde.  Nunmehr  bringen  wir  genau  an 
e  Stelle  des  zu  untersuchenden  Präparates  unser  Standardpräparat, 
is  beispielsweise  10  mg  Radiurrtbromid  enthalten  möge.  Wir  be¬ 
dachten  wieder  die  gleiche  Strecke  von  70  auf  50  und  finden,  dass 
ese  Strecke  bei  unserem  Standardpräparat  in  72  Sekunden  durch- 
ufen  wird.  Wir  finden  also,  dass  unser  Standardpräparat  59  X  50 

2950  Volt  pro  Stunde  entspricht.  Der  Normalverlust  möge  in  bei- 
?n  Fällen  50  Volt  betragen.  Unter  Abzug  des  Normalverlustes  haben 
ir  sonach  für  unser  unbekanntes  Präparat  einen  Spannungsabfall 
)n  5850  Volt,  für  das  Standardpräoarat  einen  Spannungsabfall  von 
'00  Volt  gefunden.  Wir  erhalten  also: 

Unser  unbekanntes  Präparat  x  verhält  sich  zu  dem  Standard- 
äparat,  dessen  Schalt  10mg  Radiumbromid  beträgt,  wie  5850:2900. 

ir  erhalten  also  die  Gleichung:  x:  10  =  5850:2900.  x  = 

20,02  mg  Radiumbromid.  Bei  dieser  Gelegenheit  sei  darauf  hin¬ 
wiesen,  dass  beim  Ankauf  von  Radiumpräparaten  die  grösste  Vor- 
:ht  geboten  ist.  Vielfach  werden  Präparate  angeboten,  die  nicht 
5  Radiumbromid,  sondern  als  Radiumbromid  +  Wasser  (RaBr» 

2  H;Q)  deklariert  sind. 

Radiumbromid  enthält  allgemein  2  Moleküle  Kristallwasser.  Da 
ch  der  früheren  Tabelle  das  Molekulargewicht  für  Radium- 
omid  (RaBrs)  386  beträgt,  so  kommt  für  RaBra  +  2  HaO,  d.  h.  plus 
asser.  ein  Molekulargewicht  von  422  heraus;  für  Waser  ist  das 
alekulargewicht  18  zu  setzen,  für  2  Moleküle  Kristallwasser  also 

Wird  beispielsweise  RaBra  +  2  HaO.  wie  das  besonders  in  Frank- 
ch  beliebt  ist,  sagen  wir  zu  M.  340  offeriert,  so  kostet  tatsächlich 
«s  Milligramm  Radiumbromid  ,  gleich  rund  372  M.  Es  emp- 

:hlt  sich,  wenn  irgend  möglich,  sich  den  Preis  für  Radiummetall 
;  geben  zu  lassen,  weil  man  dann  sicher  ist,  dass  man  nur  die  strah- 
iide  Materie,  das  Radium,  selbst  bezahlt.  372  M.  für  Radiumbromid 

Beben  auf  Radiummetall  berechnet  — —  =  635  M. 

d)  Für  die  Prüfung  von  Quellwässern  oder  Salzen,  die  in  Wasser 
-er  in  Säuren  löslich  sind,  verfährt  man  in  der  Weise,  dass  die 
1  tivität  der  Emanation  aus  der  Lösung  durch  Kochen  ausgetrieben 
;rd  und  in  einem  geeigneten  Messzvlinder  mit  der  Emanation  einer 
i  derselben  Weise  behandelten  Radiumnormallösung  verglichen 
'rd.  Auf  Grund  dieser  Messungen  wird  der  Emanationsgehalt  der 
1  ersuchten  Lösung  in  Millicurie  angegeben.  1  Millicurie  ist  der 
t  sendste  Teil  von  einem  Curie,  d.  h.  von  derjenigen  Emanations- 
r  nge,  welche  sich  mit  einem  Gramm  Radium  im  radioaktiven  Gleich- 
‘ -vicht  befindet.  Die  Messgenauigkeit,  die  bei  dieser  Methode  er- 
■;ht  werden  kann,  beträgt  etwa  5  Proz.  Unter  Verwendung  des 
Q  H.  Mache  und  St.  Meyer  angegebenen  Reduktionsfaktors 
I  Millicurie  —  2.7  X108  Mache-Einheiten)  kann  der  in  Millicurie 
uegebene  Emanationsgehalt  ausserdem  auch  in  Mache-Einheiten  an- 
-ceben  werden. 


Bücheranzeigen  und  Referate. 

Emil  Abderhalden  -  Halle  a.  S. :  Abwehrfermente.  Das  Auf- 
ten  blutfremder  Substrate  und  Fermente  im  tierischen  Organismus 
1  er  experimentellen,  physiologischen  und  pathologischen  Be¬ 
dungen.  Vierte,  bedeutend  erweiterte  Auflage.  Berlin  1914. 
Lus  Springer.  Preis  12  Mark. 

Innerhalb  zweier  Jahre  jetzt  die  vierte  Auflage  und  ein  An- 
'chsen  des  Buches  von  110  auf  404  Seiten!  Eine  Tatsache,  die 
;  Genüge  für  die  ausserordentliche  Arbeit  spricht,  die  in  dieser 
'  zen  Zeitspanne  auf  diesem  Gebiete  geleistet  ist,  aber  auch  von 
bi  Interesse,  mit  dem  die  ganze  medizinische  Welt  die  neuen  Er¬ 
lösungen  verfolgt. 

Inzwischen  hat  der  letzte  Wiesbadener  Kongress  eine  mündliche 
bsprache  gebracht  und  wohl  jeder  Teilnehmer  ist  überrascht  ge- 
^sen  durch  die  geradezu  frappierende  Gegensätzlichkeit  der  Urteile 
br  Wert  und  Unwert  der  Methode,  wie  sie  kaum  je  in  wlssen- 
1  aftlichen  Dingen  erhört  gewesen  ist.  Der  Kernpunkt  dieser  Un- 
1  icrheit  liegt  zweifellos  in  der  ausserordentlich  grossen  Rolle, 


die  dem  subjektiven  Urteil  in  der  Deutung  der  Reaktion  zugewiesen 
ist,  und  so  konnte  der  unbeteiligte  Hörer  nicht  anders,  als  für  sich 
ein  stilles  „non  liquet“  sprechen.  An  dem  früher  hier  schon  ausge¬ 
sprochenen  Werte  des  Studiums  des  ganzen  erst  durch  Abder¬ 
halden  erschlossenen  Forschungsgebietes  ist  jedoch  trotz  aller 
Zweifel  nicht  zu  rütteln.  L.  Saat  hoff  -  Oberstdorf. 

p..  Lipo  wsk  1,  Chefarzt  der  inneren  Abteilung  der  städt. 
Diakonissenanstalt  in  Bromberg:  Kompendium  der  Arzneimittellehre 
mit  besonderer  Berücksichtigung  der  neuen  Arzneimittel,  der  Or¬ 
ganotherapie,  Serologie  und  Nährpräparate.  Verlag  von  Urban  & 
Schwarzenberg.  Berlin-Wien  1914.  256  Seiten.  Preis  ge¬ 

bunden  5  Mark. 

L  i  p  0  w  s  k  i,  der  1908  eine  Anleitung  zur  Beurteilung  und  Be¬ 
wertung  der  wichtigeren  neueren  Arzneimittel  schrieb,  hat  nun  die 
Arzneimittellehre  in  kurzer  Form  bearbeitet. 

Die  Einteilung  des  Stoffes  richtet  sich  dem  praktischen  Bedürfnis 
entsprechend  im  grossen  und  ganzen  nach  den  Organen,  die  in 
erster  Linie  therapeutisch  beeinflusst  werden.  Die  Auswahl  der 
Arzneimittel,  insbesondere  der  neueren,  die  nur  insoweit  berück¬ 
sichtigt  sind,  als  ihr  Wert  einwandfrei  sichergestellt  ist,  ist  dem 
Verfasser  gut  geglückt.  Trotz  der  Kürze  der  Darstellung  sind 
manche  praktische  Winke  eingeflochten.  Ein  Ueberblick  über  Organo¬ 
therapie,  Serologie  und  Nährpräparate  bildet  den  Schluss.  Nur  in 
den  als  Anhang  beigefügten  chemischen  Formeln  dürfte  der  Stellung 
der  Kohlenstoffe  in  der  aromatischen  Reihe  etwas  mehr  Sorgfalt 
gewidmet  sein. 

Die  frische,  leicht  verständliche  Darstellung,  die  Berücksich¬ 
tigung  der  modernen  Anschauungen  über  Wirkungsmechanismus 
sichern  dem  Buche  einen  ausgedehnten  Leserkreis. 

A.  Jodlbauer. 

Oesterreichisches  Bäderbuch.  Offizielles  Handbuch  der  Bäder, 
Kurorte  und  Heilanstalten  Oesterreichs.  Ueber  Veranlassung  und  mit 
Unterstützung  des  k.  k.  Ministeriums  des  Inneren  auf  Grund  des 
amtlich  eingeholten  Materiales  verfasst  und  herausgegeben  vom 
kaiserl.  Rat  Dr.  Karl  D  i  e  m.  Mit  2  Karten.  Verlag  von  Urban 
&  Schwarzenberg,  Berlin  und  Wien  1914.  Preis  geh.  40  M. 
816  Seiten. 

Das  vorliegende,  unter  Mitwirkung  namhafter  Gelehrten  ent¬ 
standene  Werk  ist  das  Ergebnis  einer  zehnjährigen,  mühseligen 
Riesenarbeit  des  Verfassers  und  darf  als  völlig  ebenbürtig  dem 
deutschen,  1907  erschienenen  Bäderbuch  an  die  Seite  gestellt  werden. 
Wie  dieses  gliedert  es  sich  in  einen  allgemeinen  und  einen  speziellen 
Teil. 

Eine  kritische  Besprechung  der  wissenschaftlichen  Arbeiten  des 
allgemeinen  Teiles  erübrigt  sich;  es  seien  nur  —  um  zu  zeigen,  wie 
reichhaltig  und  vielseitig  dieser  Abschnitt  ist  und  welch  glänzende 
Namen  sich  unter  den  Bearbeitern  dieses  Teils  finden  —  die  Arbeiten 
einzeln  angeführt:  Landeskundliche  Skizze  von  Oesterreich  von 
N.  K  r  e  b  s.  Die  geologischen  Verhältnisse  der  Heilquellen  Oester¬ 
reichs  von  R.  Schubert.  Die  klimatischen  Faktoren  vom  balneo- 
logischen  Standpunkte  und  allgemeine  Uebersicht  über  die  klima¬ 
tischen  Bezirke  Oesterreichs  von  J.  Hann.  Ueber  die  chemische 
Zusammensetzung  der  Mineralwässer  und  ihre  Klassifikation  von 

E.  Ludwig.  Pharmakologische  Gesichtspunkte  in  der  Balneologie 
von  Hans  H.  Meyer.  Die  praktische  Anwendung  der  Mineral¬ 
wässer  von  N.  O  r  t  n  e  r.  Hydrotherapie  in  Wasserheilanstalten  und 
Kurorten  von  A.  Strasse  r.  Wechselwirkungen  zwischen  Baineo¬ 
technik  und  Balneotherapie  von  A.  Loebel.  Radiumtheraoie  von 

F.  Dautnik.  Die  Radioaktivität  der  Heilquellen  und  die  Technik 
ihrer  Verwertung  von  J.  T  u  m  a.  Grundzüge  der  Mineralquellen¬ 
technik,  Topik,  Physiographie  und  Statik:  Fassung.  Behandlung  und 
Verwendung  von  Mineralquellen  von  J.  K  n  a  1 1.  Kurorthygiene  von 
K.  Zörkendörfer.  Die  volkswirtschaftliche  Bedeutung  der  Kur¬ 
orte  von  J.  S  1  0  k  a  r. 

Im  speziellen  Teil  werden  die  Kurorte,  eingeteilt  in  Mineral¬ 
quellen,  Moorbäder,  Seebäder  und  Luftkurorte,  einzeln  besprochen. 
Die  chemischen  Analysen  der  verschiedenen  Quellen  sind  in  der  glei¬ 
chen  Weise  wie  im  deutschen  Bäderbuch  in  Form  der  Berechnung  auf 
Ionen  (Metalle  und  Säurereste)  dargestellt,  und  dazu  kommen  An¬ 
gaben  über  die  geographischen  und  geologischen  sowie  die  klima¬ 
tischen  Verhältnisse.  Ein  eigener  Abschnitt  bringt  dann  noch  die 
verschiedenen  Heilanstalten  Oesterreichs  (Sanatorien,  Wasserheil¬ 
anstalten,  Ambulatorien  etc.).  Den  für  die  wissenschaftliche  Be¬ 
urteilung  erforderlichen  Daten  reihen  sich  an  Angaben  über  Ver¬ 
pflegung,  Unterkunft.  Aerzte.  Apotheker.  Vergnügungen  und  Sport¬ 
gelegenheiten,  beiläufige  Kurkosten.  Verkehr  u.  a. 

Dass  das  Werk  eine  empfindliche  Lücke  in  bester  Weise  ausfüllt 
und  als  Nachschlagewerk  für  viele  Zwecke  unentbehrlich  sein  wird, 
braucht  wohl  nicht  eigens  hervorgehoben  zu  werden. 

Lindemann  -  München. 

Neueste  Journalliteratur. 

Beiträge  zur  klinischen  Chirurgie,  red.  von  P.  v.  B  r  11  n  s. 
93.  Band,  2.  Heft.  Tübingen,  Laupp,  1914.  (Schluss.) 

Wilhelm  Pettenkofer  gibt  ebenfalls  aus  der  Münchener 
Klinik  einen  Beitrag  zur  operativen  Behandlung  zweiseitiger 
Strumen.  Er  plädiert  für  präliminare  Unterbindung  der  Art.  thyreoid. 


2210 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  4: 


im.  und  sup.,  Fortnahme  des  Isthmus  mit  nachfolgender  Resektion, 
indem  er  zum  Schutz  des  Nv.  recurrens  und  des  unteren  Epithel¬ 
körperchens  stets  einen  Drüsenrest  zurücklässt.  Diese  Operation  in 
18 — 19  Fällen  systematisch  ausgeführt,  hatte  vorzügliches  kos¬ 
metisches  Resultat.  P.  hat  alle  seine  Fälle  in  Narkose  operiert 
und  glaubt  nicht,  dass  die  vorsichtige  Aethernarkose  melir  schädigt 
als  der  psychische  Schock  bei  Verzicht  auf  Allgemeinnarkose.  Post¬ 
operative  Erscheinungen  von  Insuffizienz  der  Epithelkörperchen  hat 
P.  nie  beobachtet.  Die  durchschnittliche  Heilungsdauer  beträgt  fünf 
Wochen. 

Fritz  Genewein  berichtet  aus  der  chirurgischen  Poliklinik 
in  München  über  „Selbstheilung“  eines  traumatischen  Aneurysma 

und  schildert  unter  Beigabe  von  Abbildungen  einen  Fall  traumati¬ 
schen  Aneurysmas  der  Axillaris  näher,  der  mit  hochgradigen  Folge¬ 
erscheinungen  den  Arm  zu  einem  gebrauchsunfähigen  und  lästigen 
Körperteil  machte,  der  aber  (da  Operation  verweigert  wurde) 
schliesslich  ohne  jede  Therapie  durch' Thrombosierung  des  aneu- 
rysmatischen  Sackes,  Rückgang  der  Venenstauung  etc.  wieder  zu 
annähernd  normalem  Aussehen  und  Gebrauchsfähigkeit  für  grobe 
Arbeit  gelangte. 

P.  L.  Friedrich  bespricht  aus  der  Königsberger  Klinik  die 
dekompressive  Thoraxsprengung  durch  longitudinale  Sternotomie  bei 
die  Luftwege  komprimierendem  Aneurysma  und  Tumoren  des  Me¬ 
diastinums  und  teilt  eine  Reihe  von  betreffenden  Fällen  näher  mit 
(u.  a.  2  Fälle  sehr  ausgedehnter  mediastinaler  Tumoren,  in  denen 
hiedurch  die  drohende  Lebensgefahr  behoben  und  Zeit  für  Röntgen¬ 
tiefenbestrahlung  gewonnen  wurde).  Bei  tiefem  Sitz  der  Stenose 
der  Trachea  oder  Hauptbronchen  ist  die  Tracheotomie  aufzugeben 
und  die  dekompressive  Thoraxsprengung  durch  transversale  oder 
longitudinale  Sternotomie  auszuführen. 

Hans  B  o  i  t  berichtet  aus  der  gleichen  Klinik  über  die  Be¬ 
deutung  und  die  Schädigung  des  Pleuraendothels  bei  Operationen 
und  beim  künstlichen  Pneumothorax  und  kommt  durch  seine  Tier¬ 
versuche  zu  dem  Schluss,  dass  die  Endothelzellen  der  Pleura  hoch¬ 
organisierte  Zellen  sind,  welche  die  Pleurahöhle  weitgehend  gegen 
Infektion  zu  schützen  vermögen,  andererseits  aber  sehr  leicht  lädiert 
und  vernichtet  werden  können,  dass  selbst  die  physiologische  Koch¬ 
salzlösung  nicht  als  eine  indifferente  Flüssigkeit  anzusehen,  so  dass 
bei  therapeutischen  Massnahmen,  besonders  in  der  Brust-  und  Bauch¬ 
höhle,  die  Forderung  berechtigt  erscheint,  sie  durch  eine  physio¬ 
logischere  (Ringer  sehe  Lösung)  zu  ersetzen.  —  Durch  operative 
Läsion  und  durch  die  Einwirkung  von  Luft  und  Oasen  wird  das 
Pleuraendothel  (das  durch  Phagozytose  und  bakterizide  Kräfte  Bak¬ 
terien  zu  vernichten  vermag)  geschädigt  und  zerstört  und  damit 
das  wesentliche  Moment  für  das  Zustandekommen  einer  Infektion 
von  aussen  oder  von  der  Lunge  her  gegeben. 

Der  gleiche  Autor  berichtet  über  die  Anästhesierung  des  Plexus 
braehialis  nach  Kulenkampff  auf  Grund  von  über  200  Fällen.  Von 
160  selbstbeobachteten  Pat.  hatte  keiner  eine  länger  dauernde  oder 
bleibende  Schädigung  durch  die  Plexusanästhesie  behalten.  Er  stimmt 
mit  IT  a  e  r  t  e  1  und  K  e  p  p  1  e  r  überein,  dass  bei  manifesten  Stö¬ 
rungen  seitens  des  Plexus  die  Kulenkampff  sehe  Anästhesie  nicht 
anzuwenden  ist  und  bestätigt  deren  Angabe,  dass  Phrenikuslähmung 
nicht  selten  derselben  folgt;  in  der  Regel  war  sie  aber  nach  3  bis 
4  Stunden  geschwunden.  Nie  hat  B.  danach  bronchiale  oder  Lungen¬ 
komplikationen  gesehen.  Ist  bei-  Lungenaffektionen  ein  ohne  An¬ 
ästhesie  nicht  ausführbarer  Eingriff  nötig,  so  ist  die  Plexusanästhesie 
trotz  der  vorübergehenden  Phrenikuslähmung  als  die  harmlosere  Me¬ 
thode  der  Allgemeinnarkose  vorzuziehen,  falls  nicht  die  Oberst- 
sche  Anästhesie  oder  die  Umspritzung  möglich  ist  B.  empfiehlt  zur 
Vermeidung  traumatischer  Läsion  des  Plexus  die  Braunschen 
feinen,  kurz  abgeschliffenen  Hohlnadeln. 

Martin  Jastram  berichtet  aus  der  Königsberger  Klinik  über 
Aneurysmenbildung  der  Art.  carotis  externa  und  teilt  mit  Beschrei¬ 
bung  des  Präparates  einen  Fall  walnussgrossen  Aneurysmas  mit,  das 
bei  vollständigem  Fehlen  der  Pulsation  für  einen  entzündlichen 
Tumor  angesehen  worden  urd  inzidiert  worden  war. 

W.  Carl  bespricht  (ebenfalls  aus  der  Königsberger  Klinik)  die 
Immobilisierung  und  Schrumpfung  der  Lunge  durch  einseitige  Phre¬ 
nikusresektion  und  deren  Einfluss  auf  die  experimentelle  Lungen¬ 
tuberkulose  und  kommt  nach  seinen  Tierversuchen  unter  eingehender 
Beschreibung  der  Versuchsprotokolle  und  der  Röntgenogramme,  Ab¬ 
bildungen  und  Präparate  zu  dem  Schluss,  dass  durch  die  Ausschal¬ 
tung  des  Zwerchfells  eine  Schrumpfung  des  knöchernen  Thorax  her¬ 
vorgerufen  wird,  dass  die  Einengung  des  Volumens  der  Lunge  in 
einzelnen  Fällen  eine  äusserst  hochgradige,  die  Schrumpfung  des 
Lungengewebes  nicht  in  allen  Fällen  gleich  stark  gewesen. 

Rud.  Linke  gibt  aus  der  gleichen  Klinik  einen  Beitrag  zur 
Kenntnis,  Kasuistik  und  Therapie  der  akuten  atoniscnen  Magen  - 
dilatation  und  teilt  3  Fälle  der  Friedrich  sehen  Klinik  näher  mit, 
in  denen  das  charakteristische  Symptomenbild  (plötzlich  eintretendes 
starkes  Erbrechen  gewaltiger  schwärzlicher  bzw.  schwarzgalliger 
flüssiger  Massen,  rasch  eintretender  Kollaps  und  enorme  Erweiterung 
des  Magens)  typisch  vorhanden  war  und  geht  auf  die  Erklärungs¬ 
versuche  desselben  (arteriomesenterialer  Darmverschluss  durch  Ab¬ 
knickung  des  Duodenums  infolge  Verlagerung  des  Duodenums  ins  kleine 
Becken),  funktionelle  Störungen  der  Magenmuskulatur  durch  mecha¬ 
nische  und  toxische  Einwirkungen  näher  ein  und  neigt  sich  auch  der 
Auffassung  zu,  dass  zentralnervöse  Einflüsse  (Stieda,  v.  Herff)  hie¬ 


bei  eine  Rolle  spielen,  wie  auch  die  Bedeutung  der  Narkose  hic 
von  grosser  Wichtigkeit  ist,  indem  durch  Tierversuche  nach  de 
Narkose  eine  Magenblähung  konstatiert  werden  konnte  und  bei  de 
meisten  Patienten  unmittelbar  nach  dem  Ausklingen  einer  Narkos 
eine  deutliche  Atonie  und  Erweiterung  des  Magens  in  Erscheinun: 
tritt.  Eine  Lähmung  der  Magenmuskulatur  ist  wohl  in  den  meiste) 
Fällen  Ursache  der  akuten  Magendilatation,  sie  kann  verursacht  seii 
durch  zentrale,  die  periphere  durch  mechanische  und  toxisch  in 
fektiöse  direkte  Schädigung  der  Muskelfasern,  vielleicht  auch  durcl 
Störung  der  inneren  Sekretion.  Betreff  der  Therapie  ist  die  voi 
Schnitzler  empfohlene  Bauchlage,  die  von  Bäum  ler  emp 
fohlene  Knieellenbogenlage,  ev.  rechte  Seitenlage  (S.  Müller)  wie 
derholte  Entleerung  des  Magens  mit  dem  Magenschlauch  und  Dauer 
drainage  des  Magens  zu  raten.  Die  von  K  u  n  d  r  a  t  und  anderei 
empfohlene  Gastroenterostomie  ist  bei  akuter  Magenblähung  zweckloti 
und  aus  der  Therapie  derselben  zu  streichen  und  der  Standpunkt 
derer  gerechtfertigt,  die  vor  jeder  operativen  Behandlung  des  Leiden- 
warnen.  L.  gibt  eine  Uebersicht  über  173  Fälle  (für  die  sich  54  Proz: 
Mortalität  berechnet).  Frühzeitige  Diagnose  ist  hier  das  wichtigste! 
Die  Gesamtzahl  der  Mitteilungen  beträgt  über  200.  Nach  Opera¬ 
tionen  und  Narkose  wurden  105  Fälle  (mit  45,7  Proz.  Mortalität! 
beobachtet.  — 

Aus  der  chirurgischen  Klinik  und  Kinderklinik  des  Johns  Hop 
k  i  n  s  sehen  Spitals  in  Baltimore  geben  Walter  E.  Dandy  und  Kenetl 
D.  B  1  a  c  k  f  a  n  eine  experimentelle  Arbeit  über  Hydrocephalus  in¬ 
ternus  (eine  experimentelle  klinische  und  pathologische  Untersuchung),! 
die  mit  zahlreichen  instruktiven  Abbildungen  ausgestattet,  über 
eingehende  Versuche,  Hydrozephalus  experimentell  zu  produzieren 
(durch  Verschluss  des  Aquaeduct.  Sylvii  und  solchen  mit  nachfolgen¬ 
der  Exstirpation  des  Plexus  chor.  beider  Seitenventrikel),  berichtet,: 
die  erwiesen,  dass  ein  einfacher  mechanischer  Verschluss  des  Aquae¬ 
ductus  Sylvii  regelmässig  zu  Hydroceph.  int.  führt,  und  dass  den 
Aquaeduct.  Sylvii  zur  Ableitung  der  Zerebrospinalflüssigkeit  nötig! 
ist.  Des  weiteren  werden  Versuche  über  die  Unterbindung  der  Vena 
magna  Galeni  und  deren  Effekt  berichtet  und  das  Problem  der  Bil¬ 
dung  der  Zerebrospinalflüssigkeit  ,die  Art  der  Bildung  derselben,  die 
Resorption  derselben  etc.  auf  Grund  bestimmter  Versuche  eingehend 
besprochen.  In  einem  zweiten  Teile  geben  die  Autoren  unter  Be¬ 
sprechung  zahlreicher  Fälle  klinisch-pathologischer  Studien  über  Hy- 
drocephalus  int.  und  zwar  in  zwei  Gruppen,  nämlich:  1.  Hydro¬ 
cephalus  int.  mit  Verschluss  des  Austrittskanals  aus  den  Ventrikeln, 
2.  Hydroc.  int.  mit  freier  Kommunikation  zwischen  den  Ventrikeln 
und  dem  Subarachnoidealraum;  sie  gehen  auf  die  Beziehungen  der 
Meningitis,  der  venösen  Stauung  etc.  zu  Hydroc.  int.  näher  ein. 
Die  Art  der  etwaigen  chirurgischen  Behandlung  hat  sich  nach  der 
vorliegenden  Varietät  von  Hydroc.  int.  zu  richten.  Beim  obstruk-i 
tiven  Typus  muss  das  Hindernis,  wenn  möglich,  entfernt  werden, 
beim  kommunizierenden  Typus  müsste  man  das  Areal  der  zur 
Flüssigkeitsresorption  dienenden  Fläche  vergrössern.  Sehr. 

Zentralblatt  für  Chirurgie.  1914.  Nr.  43. 

Dr.  Joh.  K  u  m  a  r  i  s  -  Athen:  Zur  Beseitigung  des  Aszites. 

Verf.  berichtet  kurz  über  eine  Heilung  von  Aszites  dadurch,  dass 
er  eine  grosse  Partie  des  parietalen  Peritoneums  aus  der  Bauch¬ 
höhle  entfernte  und  so  reichliche  Verwachsungen  zwischen  Bauch¬ 
wand  und  Eingeweiden  hervorrief.  6  Monate  nach  der  Operation 
waren  Oedeme  und  Aszites  nicht  wieder  aufgetreten. 

Dr.  Georg  Wilhelm  S  c  h  i  e  1  e  -  Naumburg  a.  S.:  Hochprozentige 
Karbol-Kampferspiritusinjektionen  gegen  Phlegmonen  in  Gelenken 
und  Sehnenscheiden. 

Verf.  empfiehlt  folgende  Lösung  zur  Behandlung  von  Gelenk- 
und  Sehnenscheidenphlegmonen:  Acid.  carbol.  liquefact.  30,0,  Camphor. 
trit.  50,0,  Spirit,  vin.  8,0.  Davon  spritzt  er  1  mal  oder  öfters  je  5  ccm 
in  das  kranke  Gelenk  ein.  Seine  Erfolge  damit  sind  sehr  gute,  wie  er 
an  5  Beispielen  kurz  erläutert:  die  Gelenke  oder  Sehnen  blieben  er¬ 
halten  und  behielten  ihre  normale  Funktion. 

E.  Heim-  Oberndorf  b.  Schweinfurt. 

Zentralblatt  für  Gynäkologie.  Nr.  43,  1914. 

A.  M  a  y  e  r  -  Tübingen:  Ueber  den  Geburtmechanismus  bei  durch 
traumatischen  Pfannenbruch  und  zentrale  Luxation  des  Oberschcnkel- 
kopfes  verengtem  Becken. 

M.  beobachtete  2  Fälle  von  Spontangeburt  bei  der  an  sich  schon 
sehr  seltenen,  in  der  Ueberschrift  näher  bezeichneten  Komplikation 
und  beschreibt  deren  Geburtmechanismus  genauer.  Es  handelte  sich, 
kurz  gesagt,  dabei  um  eine  Kombination  des  Geburtsmechanismus 
beim  platten  und  allgemein  verengten  Becken.  Im  ersten  Falle  han¬ 
delte  es  sich  beim  kindlichen  Kopfe  zuerst  um  „weitständige“  Ein¬ 
stellung,  dann  „schräge“  hintere  Scheitelbeinstellung,  hierauf  Nach- 
rückcn  der  grossen  Fontanelle  und  schliesslich  Geburt  in  Hinterhaupts¬ 
lage.  Beim  zweiten  Falle,  der  anatomisch  ähnlich  las>\  war  zuerst 
„engständige“  Einstellung  der  Pfcilnaht,  dann  Zurückbleiben  des  Vor¬ 
derhauptes  am  Tumor  und  maximales  Herabtreten  des  Hinterhauptes, 
hierauf  Abrollen  des  Vorderhauptes  am  Tumor  und  nachträgliches 
Herabdrücken  desselben,  endlich  Spontangeburt  in  erster  Vorder¬ 
hauptslage.  Unter  „Tumor“  ist  hierbei  der  ins  Becken  prominente 
Fixierte  Kopf  des  Femur  zu  verstehen.  J  a  f  f  6  -  Hamburg. 


10.  November  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2211 


Monatsschrift  für  Kinderheilkunde.  Bd.  XIII,  1914.  Nr.  4 

Alex.  Brinckmann  -  Christiania :  Der  Dermographismus  im 
Kindesalter.  (Aus  der  Universitäts-Kinderklinik  zu  Berlin.) 

Bei  den  meisten  Kindern  entsteht  durch  mechanisches  Streichen 
der  Haut  eine  mehr  oder  weniger  deutliche  rote  Linie,  welche  die 
natürliche  Reaktion  des  Körpers  auf  einen  Reiz  darstellt.  Wenn 
diese  rote  Linie  besonders  ausgesprochen  ist,  nennt  man  das  Phäno¬ 
men  Dermographismus  und  es  gilt  als  ein  Zeichen  einer  erhöhten  Irri¬ 
tabilität  des  Gefässnervensystems.  Diese  Labilität  der  Vasomotoren 
findet  man  ausser  bei  verschiedenen  Krankheiten  auch  bei  Gesunden, 
und  man  kann  daher  aus  dieser  partiellen  Empfindlichkeit  eine  ge¬ 
steigerte  Irritabilität  des  gesamten  Nervensystems  nicht  schliessen. 
Für  die  Diagnose  der  Neuropathie  im  gewöhnlichen  Sinne  des  Wortes 
hat  also  die  Dermographie  keine  Bedeutung,  auch  nicht,  wie  es 
scheint,  für  die  Diagnose  der  exsudativen  Diathese. 

F.  Lust:  Zur  Praxis  und  Theorie  des  F  r  i  e  d  m  a  n  n  sehen 
Tuberkulosemittels.  (Aus  der  Heidelberger  Kinderklinik.) 

Vortrag,  gehalten  in  der  Versammlung  Südwestdeutscher  und 
Münchener  Kinderärzte  in  Stuttgart.  (Vergl.  das  Referat  über  diese 
Versammlung  in  dieser  Wochenschrift.) 

Heinrich  Davidsohn:  Ueber  die  Azidität  im  Mageninhalt  der 
Säuglinge.  (Aus  dem  Waisenhaus  und  Kinderasyl  der  Stadt  Berlin. 
Oberarzt:  Prof.  F  i  n  k  e  1  s  t  e  i  n.) 

Den  früher  publizierten  Anschauungen  D.s  über  die  Azidität  im 
Mageninhalt  liegt  umfangreiches  Material  zugrunde.  D.  versucht,  die 
Divergenz  in  seinen  und  den  jüngst  von  Schackwitz  publizierten 
Ergebnissen  aufzuklären.  Ursache:  Verschiedenheit  der  Methodik. 
I).  wird  Parallelversuche  mit  beiden  Methoden  in  Angriff  nehmen. 

0.  Herbst:  Eine  historische  Bemerkung  zum  Krankheitsbilde 
der  rezidivierenden  Nabelkoliken  bei  Kindern.  (Aus  dem  Grossen- 
Friedrich-Waisenhaus  der  Stadt  Berlin  in  Berlin-Lichtenberg.  Leiten¬ 
der  Arzt:  Prof.  E.  Müller.) 

Dies  Krankheitsbild  wurde  bereits  vor  F  r  i  e  d  j  u  n  g  und  M  o  r  o 
von  dem  Münchener  Kinderarzt  Wertheimber  beschrieben. 

Georg  Siewczynski:  Zur  Therapie  der  Larynxstenosen  im 
Kindesalter.  (Aus  dem  Kinderkrankenhause  in  Bremen.  Dir.  Arzt: 
Dr.  S  c  h  e  1  b  1  e.) 

Man  soll  möglichst  versuchen,  ohne  Operation  der  Larynxstenose 
durchzukommen.  Hiebei  spielt  die  Verwendung  von  Narkoticis  eine 
grosse  Rolle.  Besonders  werden  Narkophin  und  Chloralhydrat  emp¬ 
fohlen.  S.  ist  gerade  kein  Freund  der  Intubation.  Er  zieht  sie  nur  bei 
Säuglingen  der  Tracheotomie  vor.  Die  Technik  der  Tracheotomie 
wird  eingehend  besprochen:  am  Bremer  Kinderkrankenhause  unter¬ 
lässt  man  jede  Narkose  und  übt  die  quere  untere  Tracheotomie.  Tech¬ 
nische  Details  müssen  im  Original  nachgelesen  werden. 

Albert  Uffenheimer  -  München. 

Deutsche  Zeitschrift  für  Nervenheilkunde.  52.  Bd.,  3.  bis 
4.  Heft. 

H.  0  p  p  e  n  h  e  i  m  -  Berlin:  Der  Formenreichtum  der  multiplen 
Sklerose. 

Von  dem  reichen  Inhalt  dieses  Aufsatzes,  der  als  Vortrag  für 
den  Berner  internationalen  Neurologentag  bestimmt  war,  lassen  sich 
hier  nur  Bruchstücke  referieren.  Verf.  unterscheidet  zunächst  eine 
akute,  subakute,  chronische  und  eine  Etappenform  der  multiplen 
Sklerose.  Die  akute  Form  ist  durch  einige  Symptome  gekennzeichnet, 
die  der  chronischen  fremd  sind;  das  sind  vor  allem  Pupillenstörungen 
(minimale  Reaktion  —  reflektorische  Starre)  und  Hypotonie  der  Mus¬ 
kulatur.  Ferner  scheint  für  die  akute  Sklerose  das  ungleichmässige 
Verhalten  der  Knie-  und  Fussphänomene  zu  sein,  z.  B.  Verlust  des 
ersteren  und  Steigerung  des  letzteren  und  umgekehrt,  sowie  der  zeit¬ 
liche  Wechsel  derart,  dass  Verlust  und  Steigerung  mit  einander  ab¬ 
wechseln.  Die  psychischen  Erscheinungen,  die  bei  der  akuten  Form 
auftreten,  sind  meist  schwerer  Natur.  Verf.  konnte  einen  Fall  be¬ 
obachten,  der  unter  dem  Bilde  einer  K  o  r  s  a  k  o  f  f  sehen  Psychose 
verlief. 

Die  spinale  Gruppe  der  multiplen  Sklerosen  lässt  sich  in  eine 
dorsale,  zervikale,  lumbosakrale,  sakrale  und  gemischte  Form  ein¬ 
teilen.  Der  zervikale  Typus  ist  durch  seinen  akuten  bis  subakuten 
Verlauf  und  durch  die  Prävalenz  der  Hinterstrangsymptome  vor  den 
anderen  ausgezeichnet.  Der  sakrale  Typ  ist  sehr  selten  und  wird 
von  den  Störungen  der  Blasen  und  Mastdarmfunktion  beherrscht. 

Die  zerebralen  Formen  gleichen  häufig  dem  Bilde  einer  Psychose. 

Zum  Schlüsse  betont  Verf.,  dass  es  kaum  ein  Rückenmark-  oder 
Hirnleiden  gäbe,  welches  nicht  in  differentialdiagnostischer  Beziehung 
zu  dieser  Krankheit  stünde.  Besondere  Schwierigkeiten  mache  die 
Abgrenzung  nach  dem  Tumor  medullae  spinalis  und  der  Pseudo¬ 
sklerose. 

E.  S  c  h  w  a  r  z  -  Riga:  Die  heutige  Stellung  zur  Parasyphilis  und 
äle  Beeinflussung  der  spezifischen  Erkrankungen  des  Nervensystems 
durch  Salvarsan. 

Verf.  kommt  in  seiner  umfangreichen  Abhandlung  zu  folgenden 
Ergebnissen:  Die  sog.  metasyphilitischen  Erkrankungen  des  Zentral¬ 
nervensystems  sind  durch  die  Spirochaeta  pallida  erzeugte,  echt 
syphilitische  Erkrankungen,  die  ihre  Entstehung  einer  Infektion  mit 
nesonderen  Stämmen  verdanken.  Während  die  Paralyse  unheilbar 
ist  —  wahrscheinlich  infolge  ganz  spezifischer  Eigenschaften  des 
infizierenden  Spirochätenstammes  —  ist  die  Tabes  eine  heilbare 


Krankheit.  Sie  ist  durch  grosse  Salvarsandosen  und  wiederholte 
Kuren  einer  objektiven  und  subjektiven  Besserung  zugänglich,  wozu 
auch  vollkommener  Schwund  aller  Liquorveränderungen  gehört. 
Pathologische  Liquorbefunde  sind  als  Vorzeichen  von  Tabes  oder 
Paralyse  anznsehen,  darum  ist  die  Behandlung  der  Syphilis  bis  zum 
völligen  Verschwinden  der  Liquorveränderungen  durchzuführen.  Das 
Salvarsan  ist  auch  in  hohen  Dosen  ein  unschädliches  Mittel  für  das 
Zentralnervensystem;  es  ist  nicht  neurotrop,  sondern  nur  das  syphi¬ 
litische  Virus  ist  neurotrop.  Von  den  dem  Salvarsan  zur  Last  ge¬ 
legten  Todesfällen  ist  ein  Teil  durch  Lumbalpunktion  zu  retten  resp. 
mit  Lumbalpunktion  und  energischer  Salvarsantherapie  zu  vermeiden. 

M.  H  e  1 1  s  t  e  n  -  Stockholm:  Ein  Fall  von  Ganglion  Gasseri- 
Tumor. 

Kasuistik.  0.  Renner  -  Augsburg. 

Arbeiten  aus  dem  kaiserl.  Gesundheitsamte.  48.  Bd.  1914. 
2.  Heft. 

W  e  h  r  1  e  -  Berlin:  Das  Veterinärwesen  einschliesslich  einiger 
verwandter  Gebiete  in  Frankreich. 

Der  nach  den  Mitteilungen  des  landwirtschaftlichen  Sachver¬ 
ständigen  beim  kais.  deutschen  Konsulat  in  Paris,  Dr.  H  a  i  1  e  r,  und 
nach  anderen  Quellen  bearbeitete  Bericht  umfasst  das  tierärztliche 
Personal,  den  Viehbestand,  den  Viehverkehr,  die  Bekämpfung  der 
Viehseuchen,  die  Schlachtvieh-  und  Fleischbeschau.  Aus  statistischen 
Angaben  geht  u.  a.  hervor,  dass  in  Paris  der  Verbrauch  von 
Schweine-  und  Pferdefleisch  stetig  zunimmt,  dagegen  nimmt  der  Ver¬ 
brauch  von  Rind-  und  Hammelfleich  ab.  Obligatorische  Trichinen¬ 
schau  gibt  es  in  Frankreich  nicht. 

W  e  h  r  1  e  -  Berlin:  Das  Veterinärwesen  einschliesslich  einiger 
verwandter  Gebiete  in  Britisch-Indien  und  der  Kolonie  Ceylon. 

Als  Unterlagen  dienten  die  Berichte  von  Dr.  H.  Fink,  Arzt  des 
kais.  Generalkonsulates  in  Kalkutta,  sowie  des  kais.  Konsulates  in 
Colombo  auf  Ceylon.  Die  Zusammenstellung  umfasst  dieselben  Ein¬ 
zelkapitel  wie  der  vorangehende.  Medizinisch  bemerkenswert  ist, 
dass  Tierseuchen  eine  ziemliche  Rolle  in  Indien  spielen,  von  denen 
besonders  Rotz,  Surra,  Dourine,  Rinderpest,  Milzbrand,  Hämorrha¬ 
gische  Septikämie,  Rauschbrand,  Maul-  und  Klauenseuche,  Lyssa  ge¬ 
nannt  sein  mögen.  In  Muktesar  ist  ein  Laboratorium  eingerichtet,  in 
welchem  der  ganze  Serumbedarf,  mit  Ausnahme  des  Tetanusanti¬ 
toxins  hergestellt  wird.  Immunisiert  und  vakziniert  wird  gegen  Rin¬ 
derpest,  Milzbrand,  Hämorrhagische  Septikämie,  Rotz,  Tuberkulose 
und  Pferdedruse. 

G  m  i  n  d  e  r  -  Berlin:  Die  Behandlung  des  ansteckenden  Scheiden- 
katarrhes  der  Rinder  mit  Colpltol,  Verkalbin,  Provaginol.  Bissulln 
und  Eucerinsalbe. 

Die  Arbeit  enthält  eine  Prüfung  der  im  Handel  befindlichen 
Mittel  gegen  den  ansteckenden  Scheidenkatarrh  der  Rinder.  Das 
C  o  1  p  i  t  o  1,  ein  gelblich-weisses  Pulver  soll  die  immunisierenden 
Stoffe  des  Erregers  enthalten,  die  durch  Adsorption  physiologisch 
und  chemisch  an  Kolloide  gebunden  sind.  Verkalbin  soll  neben 
Salizyl-Borsäure,  Formiaten  in  Verbindung  mit  eipem  Kampfer, 
hochwertige  Terpene  und  Pentene  verschiedener  Kräuter  enthalten. 
Die  Zusammensetzung  des  Provaginols  wird  nicht  angegeben, 
es  besteht  nach  Untersuchungen  im  Kais.  Gesundheitsamte  aus  Zink¬ 
sulfat,  Alaun  und  Borsäure,  nebst  etwas  rotem  Bolus.  Bissulin 
ist  Sozojodol-Quecksilber.  Die  Eucerinsalbe  enthält  8  Proz. 
Bazillol.  Bei  einer  durchschnittlichen  Behandlungsdauer  von  33  Tagen 
mit  Colpitol,  Provaginol,  Bissulin  und  Eucerinsalbe  und  bei  6  tägiger 
Behandlung  mit  Verkalbin  konnte  in  keinem  Falle  eine  Heilung  er¬ 
zielt  werden.  Besonders  wichtig  erscheint,  dass  der  ansteckende 
Scheidenkatarrh  durch  Tiere,  die  längere  Zeit  behandelt  wurden  und 
auf  ihrer  Scheidenschleimhaut  nur  noch  wenige  blasse  Knötchen 
aufwiesen,  auf  gesunde  Rinder  übertragen  werden  konnte. 

L  i  n  d  n  e  r  -  Berlin:  Die  Tuberkulinreaktion  beim  Schwein. 

Bei  Läuferschweinen  zeigt  eine  Temperatursteigerung  auf  mehr 
als  41 0  nach  der  Einspritzung  von  Tuberkulin  Tuberkulose  an,  bei 
älteren  Schweinen  schon  eine  Temperatur  von  mehr  als  40,5°,  weil 
die  Temperatur  älterer  Schweine  an  sich  etwas  niedriger  ist  als  die 
der  Läuferschweine.  Glyzerin  bringt  häufig  eine  von  der  des  Tuber¬ 
kulin  dem  Grad  und  der  Dauer  nach  nur  wenig  verschiedene  Intra¬ 
kutanreaktion  hervor.  Epikutan-  und  Augenprobe  mit  Alttuberkulin 
eignen  sich  nicht  zur  Feststellung  der  Schweinetuberkulose. 

R.  0.  N  e  u  m  a  n  n  -  Bonn. 

Berliner  klinische  Wochenschrift.  Nr.  44,  1914. 

Anton  L  e  h  n  e  r  t  - Frankfurt  a.  M.:  Ueber  Ekzem  und  Neuro¬ 
dermitis  im  Kindesalter. 

Verf.  erörtert  die  differentialdiagnostischen  Unterschiede;  bei 
beiden  Erkrankungen  konnte  er  mit  dem  Karboneol  gute  Heilresul¬ 
tate  erzielen.  Es  ist  dies  eine  glänzende,  schwarze,  dünne  Flüssigkeit 
von  nicht  unangenehmem  Geruch,  die  durch  Verdampfen  einer  Lösung 
von  Steinkohlenteer  in  Tetrachlorkohlenstoff  gewonnen  wird.  Man 
pinselt  es  2  mal  täglich  in  dünner  Schicht  auf. 

L.  D  ü  n  n  e  r  -  Berlin:  Zur  Frage  der  diagnostischen  Bedeutung 
hämoglobinreicher  Megalozyten. 

Nach  den  Erfahrungen  des  Verf.  erscheint  es  wünschenswert,  in 
Fällen  von  sekundärer  Anämie  Blutuntersuchungen  anzustellen  und 
zu  eruieren,  ob  hyperchrome  Makrozyten  bei  sekundärer  Anämie  nur 


2212 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  45 


als  Kuriosum  angesehen  werden  müssen,  oder  ob  sie  in  die  Sympto¬ 
matologie  der  sekundären  Anämie,  wenn  auch  als  Seltenheiten  auf¬ 
genommen  werden  dürfen. 

E.  F  r  o  e  h  1  i  c  h  -  Berlin:  Der  Kriegssanitätsdienst  in  Berlin: 
VI.  Ueber  Schussverletzungen  der  Armnerven. 

Verf.  empfiehlt,  bei  Nervenverletzungen  wiederholte  genaue 
elektrische  Prüfungen  der  entsprechenden  Muskeln  vorzunehmen,  um 
zu  sehen,  ob  wirklich  volle  Leistungsunfähigkeit  dauernd  besteht. 
Im  allgemeinen  kann  man  mit  einem  chirurgischen  Eingriff  zögern, 
weil  die  Erfolge  später  gleich  gut  sind,  wie  bei  sofortigem  Eingriff 
nach  der  Verletzung.  Nur  ganz  besonders  starke  Muskelabmagerung 
würde  einen  frühzeitigen  Eingriff  rechtfertigen.  Sonst  genügt  es, 
Bäder,  Elektrizität  und  leichte  Massage  anzuwenden. 

Aladiar  Henszelmann  -  Pest:  Eine  einfache  Aufnahmetechnik 
zur  Röntgenuntersuchung  der  Baucheingeweide. 

Der  Vorzug  des  vom  Verf.  angegebenen  Apparates  besteht  darin, 
dass  er  den  bis  jetzt  mit  Erfolg  angewendeten  konischen  Kompressor 
zu  Aufnahmezwecken  dienlich  macht. 

M  a  r  o  c  k  i  -  Potsdam:  Ein  Beitrag  zur  Atoxylamaurose. 

Verf.  veröffentlicht  einen  Fall,  bei  dem  auf  7  Einspritzungen 
von  im  ganzen  nur  0,725  Atoxyl  vollständige  Erblindung  eintrat. 
Dieses  ist  die  bis  jetzt  bekannte  geringste  Menge  Atoxyl,  nach  der 
Erblindung  erfolgte. 

Hans  L  i  e  s  k  e  -  Leipzig:  Aerztliche  Rechtsfragen  zur  Kriegszeit. 

Juristischer  Beitrag.  Dr.  Qrassmann  -  München. 

Oesterreichische  Literatur. 

Wiener  klinische  Wochenschrift. 

Nr.  39  40.  A.  Fränkel:  Einige  allgemeine  Bemerkungen  zur 
modernen  Kriegschirurgie. 

Aus  des  Verf.  Aufsatz:  Kriegschirurgische  Erfahrungen  aus  den 
Balkankriegen  1912/13.  Beitr.  z.  klin.  Chir.  91. 

Nr.  4L  J.  Kowarschik  und  H.  K  e  i  1 1  e  r  -  Wien:  Die  Dia¬ 
thermie  bei  gynäkologischen  Erkrankungen. 

Bericht  über  50  Fälle,  wovon  bei  40  eine  längere  Behandlung 
durchzuführen  war.  23  wurden  geheilt,  8  wesentlich,  9  mässig  ge¬ 
bessert.  Die  Indikation  für  die  Diathermie  ist  die  der  Wärme¬ 
behandlung  überhaupt:  Förderung  der  Resorption  (im  nichtakuten 
Stadium  der  entzündlich  exsudativen  Prozesse)  und  Schmerzstillung, 
die  meist  anfangs  vorübergehend,  später  dauernd  wird.  Als  Kontra- 
indikation  sind  alle  frischen,  besonders  die  fieberhaften  Infektionen  zu 
betrachten,  vor  allem  die  eitrigen:  ausserdem  alle,  auch  die  geringsten 
Blutungen.  Die  Diathermie  wirkt  subjektiv  sehr  angenehm  und  lässt 
Puls  und  Respiration  fast  unbeeinflusst,  da  eine  allgemeine  Ueber- 
hitzung  nicht  eintritt. 

Nr.  42.  F.  Passini:  Ueber  Lumbalpunktion  bei  Chorea  in- 
fectiosa. 

Die  von  P.  in  5  Fällen  vorgenommene  Lumbalpunktion  hat 
zwar  keinen  bakteriologischen  Aufschluss  über  den  Infektionserreger 
der  Chorea  gebracht:  bemerkenswert  war  aber  der  Befund  einer 
Flüssigkeitsvermehrung  im  Zerebrospinalkanal.  Von  Bedeutung  ist 
auch  die  Tatsache,  dass  von  5  sehr  schweren  Fällen  3  nach  der 
Lumbalpunktion  in  kürzester  Zeit  eine  auffallende  Besserung,  rasches 
und  vollkommenes  Schwinden  der  Erscheinungen  aufweisen.  Es  er¬ 
scheint  demnach  in  solchen  schweren  Fällen  ein  therapeutischer 
Versuch  mit  der  Lumbalpunktion  als  sehr  berechtigt. 

Nr.  43.  M  Kraus- Wien:  Der  Zahnarzt  im  Kriege. 

Ueberblick  über  die  wichtigsten  Verletzungen  und  die  Behand¬ 
lung  der  Kieferbrüche. 

Prager  medizinische  Wochenschrift.  Nr.  23. 

W  B  i  1 1  n  e  r  -  Brünn:  Ueber  die  akute  typhöse  Gallenblasen- 
entzündung  im  Kindesalter. 

\  erf  beschreibt  3  Fälle  von  schwerer  eitriger  Cholezystitis, 
welche  auf  395  Typhen  im  Kindesalter  trafen.  Diese  noch  wenig 
beobachtete,  gefährliche  Komplikation  fällt  in  der  Regel  in  die  Zeit 
der  Rekonvaleszenz.  Peritonitische  Erscheinungen  erfordern  dringend 
die  Operation,  bei  welcher  der  Befund  der  „galligen“  Peritonitis  mit 
gelblichem,  schleimigem,  nicht  fäkulentem  Exsudat  eine  Perforation 
der  Gallenblase  annehmen  lässt  Klinisch  fällt  die  umschriebene 
Druckempfindlichkeit  der  Gallenblasengegend  auf.  Ikterus  fehlte  in 
B.s  Fällen.  Von  letzteren  wurden  zwei  durch  die  Cholezystotomie 
mit  Drainage  und  Tamponade  gerettet,  der  dritte  Fall  mit  teilweiser 
Gangrän  der  Gallenblase  starb.  Bei  schlechtem  Allgemeinzustand  ist 
vor  der  Operation  eine  subkutane  Kochsalztransfusion  mit  Adrenalin¬ 
zusatz  und  eine  Kampferinjektion  zu  machen.  Auch  bei  diffuser  Peri¬ 
tonitis  ist  gerade  bei  Kindern  immer  noch  ein  operativer  Versuch 
zu  wagen. 

K.  Springer-  Prag-  Die  plastische  Tenotomie  mittels  Treppen¬ 
schnitt  nach  K.  Bayer. 

Ueberblick  über  die  Technik  des  Treppenschnittes  und  seiner 
Modifikationen  (Abbildungen):  eine  Verbesserung  bedeutet  eigentlich 
nur  der  dreistufige  Trepoenschnitt  v.  Hackers. 

0  Sachs- Prag  Ueber  die  Therapie  der  Ellenbogenfrakturen. 

Bei  deren  grosser  Neigung  zur  Versteifung  werden  die  Ellbogen¬ 
frakturen  an  der  Bayer  sehen  Klinik  mit  den  wenigen  Ausnahmen 
von  starker  Schwellung,  und  dann  nur  kurze  Zeit  auf  einer  Schiene 


immobilisiert,  soweit  irgend  möglich  werden  die  Fälle  sofort  ir 
Extension  gebracht  (in  gestreckter  oder  mit  Doppelextension  in  ge¬ 
beugter  Stellung);  möglichst  bald,  etwa  von  der  dritten  Woche  al 
oder  auch  früher  werden  aktive  Bewegungen  eingeleitet,  dann  folge: 
Bäder  und  ausgiebige  passive  Bewegungen,  so  dass  öfter  schon  - 
namentlich  auch  bei  Kindern  —  nach  5  Wochen  wieder  volle  Funk 
tionsfähigkeit  erreicht  wird.  Operative  Eingriffe  wurden  sehr  seiten 
bei  sehr  starker  Dislokation  oder  veralteter  Ankylose  notwendig 

Nr  24  R  Eben- Prag:  Beiträge  zur  Diagnose  der  frühen 
Schwangerschaftssladien  nebst  Untersuchungen  über  den  diagnosti¬ 
schen  Wert  der  Kutanreaktion  in  der  Schwangerschaft. 

E.  bestätigt,  dass  sich  auf  Grund  der  bekannten  Frühsymptonn 
die  Gravidität  sehr  oft  durch  die  sorgfältige  bimanuelle  Untersuchung 
feststellen  lässt. 

Weitere  Untersuchungen  bestätigen  die  Verwertbarkeit  der 
Abderhalden  sehen  Reaktion. 

Versuche  nach  den  Angaben  von  Engelhorn  und  W  i  n  t  z 
durch  kutane  Impfung  mit  Plazentaextrakten  die  Diagnose  zu  sichern, 
hatten  bisher  keinen  Erfolg  B  e  r  g  e  a  t  -  München. 

Inauguraldissertationen. 

Universität  Berlin.  Juli — September  1914. 
Cytronberg  Suchor :  Zur  Karzinomdiagnose  mittels  des  Abder¬ 
halden  sehen  Dialysierverfahrens. 

Frost  Conrad:  Ueber  den  Tetanus  im  Kriege. 

Rudel  off  Max:  Ueber  die  chirurgische  Behandlung  der  Nieren¬ 
entzündung 

Sawidowitsch  Wolf:  Einfluss  von  Ernährung  und  Erkrankungen 
auf  das  Wachstum  des  Gehirns  im  1.  Lebensjahre. 

Pr  ümers  Heinrich:  Ueber  Verletzungen  grösserer  üefässe  und 
traumatische  Aneurysmen. 

Schnittkin  Theodor:  Ein  Beitrag  zur  Topographie  in  der  Niere 
und  ihre  Bedeutung  für  die  Nierenchirurgie. 

Bjaloblotzki  Abram:  Ueber  Fistula  gastro-colica. 
Haberlandt  Friedrich:  Zur  Symptomatologie  der  endogenen  De¬ 
pressionen. 

Krins  ki  Abraham:  Ueber  die  tabischen  Gelenke. 

R  o  s  e  n  t  h  a  1  Maximilian:  Dauerresultate  und  Technik  der  Vesiko-! 
fixation  des  Uterus 

Scheinberg  Ascher-Anschel:  Ueber  einen  Fall  von  chronischer 
Septikopyämie. 

Buch  Lothar:  Der  vaginale  Kaiserschnitt  in  der  geburtshilflichen 
Klinik  der  Kgl.  Charitee. 

Ja  witsch  Salkind:  Beitrag  zur  freien  Knochentransplantation. 
Salomono  witsch  Judel:  Ueber  Thorakoplastik. 

Hoff  mann  Ernst:  Die  Toleranz  gegen  Galaktose  in  der  Norm 
und  während  der  Menstruation. 

Müller  Julius:  Die  Onkometrie  des  Herzens  und  seiner  Teile. 
Rothenberg  Fritz:  Ein  kasuistischer  Beitrag  zu  den  Oesophagus- 
missbildungen. 

Pinn  er  Rudolf:  Milz  und  Traubenzucker.  Experimenteller  Beitrag 
zur  Lehre  von  der  Glykolyse. 

K  a  n  k  e  I  e  i  t  Otto:  Zur  vergleichenden  Morphologie  der  unteren 
Säugetierolive  mit  Bemerkungen  über  Kerne  in  der  Oliven¬ 
peripherie. 

Bin  gl  er  Curt:  Ueber  die  Häufigkeit  der  tuberkulösen  Larynx- 
erkrankungen  als  Komplikation  bei  der  Lungentuberkulose. 

Deist  Helmut:  Ein  Fall  von  ausgetragener  Extrauterinschwanger¬ 
schaft. 

Edel  Max:  Ueber  die  Menschenpathogenität  des  Bacillus  pyocyanetis. 
Epstein  M.:  Ueber  sekundäre  Anämie  nach  Lues. 

Erlich  mann  Schliana:  Beitrag  zur  vaginalen  operativen  Behand¬ 
lung  der  Extrauterinschwangerschaft. 

Faehndrich  Carl:  Ueber  die  Multiplizität  der  Nierenvenen. 

F  eldmann:  Die  Nekrose  der  Myome  in  Schwangerschaft  und  Wo¬ 
chenbett. 

Filintel  Lea:  Ueber  das  Sarcoma  duodeni. 

Frank  Mojscha:  Ein  Beitrag  zur  Leitungsanästhesie  mit  besonderer 
Berücksichtigung  der  Oberst  sehen  Anästhesie. 

Ga  er  tn  er  Wolf:  Untersuchung  über  die  Ursachen  der  Sterblich- 
keitsverschiedenheit  in  den  Gemeinden  Stassfurt  und  Leopoldshall 
unter  besonderer  Berücksichtigung  der  Tnnkwasserverhältnissc. 
Gr  inst  ein  Monduch:  Tabes  und  Lues  spinalis  im  Hinblick  auf 
die  Inkubationszeit. 

Hesse  Franz:  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Psychose  bei  Lues  cerebro¬ 
spinalis. 

L  a  n  d  s  b  e  rg  Martin:  Anatomische  Untersuchungen  über  Tracheo- 
pathia  chondro-osteoplastica. 

Poller  Leib:  Ein  Beitrag  zu  der  Frage  der  Erkrankungen  des 
Nervus  opticus  infolge  der  Affektionen  der  Nebenhöhlen, 
v.  R  o  q  u  e  s  Curt-Rüdiger :  Ueber  Abbaufermente  im  Blute, 
v.  Roznowski  Johann:  Zur  Diagnostik  der  metastatischen  Kno- 
clienmarkstumoren  aus  dem  Blutbefund. 

Sa  ss  Maximilian:  Die  Aenderung  der  Blutalkaleszenz  beim  Pan¬ 
kreasdiabetes  unter  dem  Einfluss  von  Muskelkrämpfen. 

S  c  h  a  u  s  s  Wilhelm:  Ein  Fall  von  Pseudohermaphroditismus. 


!0.  November  1014. _  MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2213 


Vereins-  und  Kongressberichte. 

Freie  militärärztliche  Vereinigung  zu  Erlangen. 

(Eigener  Bericht.) 

4.  Sitzung  vom  16.  Oktober  1914. 
Vorsitzender:  Generalarzt  Prof.  Dr.  Penzoldt. 


Herr  Koniger  teilt  seine  neurologischen  Erfahrungen  an 
Kriegsverwundeten  mit.  Periphere  Lähmungen  sind  recht  häufig 
und  \\  erden  besonders  nach  Prognose  und  Therapie  besprochen. 

...  .  !  s  x,weren  notorischen  und  trophischen  Störungen  ist  die 

frühzeitige  Nervennaht  zu  empfehlen. 

Nicht  selten  kommen  T  e  i  1 1  ä  s  i  o  n  e  n,  hauptsächlich  im  Ge¬ 
biete  des  Ischiadikus  vor  bei  Schussverletzungen  in  der  Nähe  des 
Beckens,  bei  denen  nur  eine  Peroneuslähmung  eintritt;  eine  Be¬ 
stätigung  der  neueren  Arbeiten  über  die  Topik  der  peripheren  Nerven¬ 
bahnen  (S  t  o  f  f  e  1  u.  a.).  Schwere  und  komplizierte  Störungen  be- 
dtngen  die  auch  nicht  seltenen  Schüsse  durch  die  einzelnen  Plexus. 
Bei  \  erletzungen  des  Halsmarkes  kamen  interessante  Sympathikus- 
phanomene  zur  Beobachtung.  Unter  den  Gehirnschüssen  bean¬ 
spruchten  die  halle  ganz  besonderes  Interesse,  bei  denen  doppel¬ 
seitige  spastische  Lähmungen  zustande  kamen.  An  den  Beinen  sind 
sie  aus  der  benachbarten  Lage  der  beiden  Zentren  und  durch  Fern- 
Wirkung  eines  Herdes  auf  die  gegenüberliegende  Seite  zu  verstehen. 

Heri  \V  eichardt  spricht  über  Typhusbekämpfung. 

Zunächst  wird  der  Unterschied  zwischen  Kontakt-  und  Nahrungs- 
mtttdeptdemie  erörtert.  Bei  ersterer  langsames  Ansteigen  der  An¬ 
zahl  der  Fa  le  bis  zur  Höhe  und  ebenso  allmähliches  Absinken.  Bei 
letzterer  schnellt  die  Erkrankungsziffer  sogleich  zu  beträchtlicher 
Hohe  au  und  fallt  rasch  ab,  nachdem  das  infizierende  Nahrungsmittel 
gefunden  und  ausgeschaltet  ist.  Kontaktfälle  pflegen  sich  noch  anzu- 
schliessen 

Durch  Kontakt  finden  die  meisten  Uebertragungen  statt.  Direkter 
Kontakt  und  indirekter  durch  Gebrauchsgegenstände,  Wäsche  etc., 
Kann  durch  zweckmässige  Massnahmen  stark  eingeschränkt,  ja  voll¬ 
kommen  unterbunden  werden.  Solche  sind:  Belehrung,  Bereitstellen 
von  v\  ascheinrichtungen,  Aborten  und  Latrinen,  damit  in  stark  be¬ 
legten  Orten  die  Fäzes  nicht  in  der  Umgebung  niedergesetzt  und 
wieder  in  den  Ort  getragen  werden.  Bereitstellen  gekochten 
und  wieder  abgekuhlten  Wassers,  Instandsetzen  der  Brunnen  uam. 

Selbst  Bazillenausscheider,  die  besonders  in  Typhusgegenden 
und  unter  einer  grossen  Anzahl  von  Menschen  stets  Vorkommen,  sind 
in  hygienisch  guten  Verhältnissen  verhältnismässig  ungefährlich. 
Diese  I  ersonen,  welche,  ohne  klinisch  krank  zu  sein,  jahrelang  mehr 
oder  weniger  Bazillen  ausscheiden,  sind  durch  systematische  bak¬ 
teriologische  Untersuchung  der  Fäzes  aufzufinden  und  vor  allem  aus 
Nahrungsmittelbetrieben  zu  entfernen. 


Die  gründliche  systematische  deutsche  T  y  - 
ohusbekämpfung  hat  in  den  typhusverseuchten 
Aufmarschgebieten  in  jahrzehntelanger  hingeben¬ 
der  Arbeit  Vorbildliches  geschaffen. 

Kommen  Truppen  in  Gegenden,  deren  Einrichtungen  in  hygieni¬ 
scher  und  seuchenprophylaktischer  Hinsicht  als  rückständig  bezeich¬ 
net  werden  müssen,  so  ist  aktive  Immunisierung,  d.  i.  sub- 
oitane  Injektion  mit  abgetöteten  Typhusbazillen,  zu  empfehlen.  Vor 
tllem  sollten  Aerzte  und  Pflegepersonal,  die  ja  besonders  gefährdet 
>ind,  so  geschützt  werden.  In  der  amerikanischen  Armee  ist  eine 
vollständige  Durchimmunisierung  durchgeführt  und  der  Schutz  der 
Irupper.  auch  in  ausgesprochenen  Typhusgebieten  ein  vorzüglicher. 

Die  neueren  Typhusimpfstoffe  unterscheiden  sich  von  den  älteren 
lathirch,  dass  die  Abtötung  der  Bazillen  bei  sehr  viel  niederer  Tem¬ 
peratur  (53—55°)  als  früher  vorgenommen  wird.  Durch  die  bei 
löheren  Temperaturgraden  (60°  und  darüber)  abgetöteten  Bazillen 
•Milden  früher  oft  stärkere  lokale  Reaktionen,  ja  sogar  Eiterungen 
erar.lasst,  und  der  Impfschutz  auch  dementsprechend  geringer. 

Bei  den  neueren  Impfstoffen  fehlen  die  lokalen  Reaktionen  fast  1 
:anz!ieh  und  der  Impfschutz,  besonders  nach  mehrmaligen  Injek- 
lenen  ist  ausgezeichnet. 

Vortr.  legte  sich  die  Frage  vor,  ob  wohl  durch  das  Erhitzen 
■er  Impfstoffe  Gifte  gebildet  würden,  welche  die  lokalen  Reaktionen 
»edingen  könnten?  Er  studierte  die  Wirkung  der  Impfstoffe  auf 
solierte  Organe  und  fand,  dass  selbst  die  hochempfindlichen  Herzen 
nbeeinflusst  bleiben,  wenn  in  Ringerlösung  aufgeschwemmte  erhitzte 
ypbusbazillen  auf  sie  einwirkten.  Ganz  geringe  Giftwirkung  un- 
rhitzter  Kulturen  verschwanden  sogar,  wenn  höhere  Hitzegrade  auf 
:e  Impfstoffe  eingewirkt  hatten. 

Die  stärkere  lokale  Reaktion  höher  erhitzter  Kulturen  ist  also 
nders  zu  erklären :  Das  Eiweiss  der  Typhusbazillen 
v  1  rd  offenbar  durch  die  höheren  Hitzegrade  so 
er  ändert,  dass  an  das  Verdauungsvermögen  der 
u  bk  utanen  Gewebe  stärkere  Anforderungen  ge¬ 
teilt  werden,  als  durch  das  Eiweiss  der  wenig  er- 
itzten  Kulturen.  Während  letztere  glatt  resorbiert  werden, 
onimt  es  nach  Injektion  erhitzter  Stämme  eher  zu  entzündlichen 
rozessen,  Leukozyteneinwanderungen  und  Eiterungen. 

Man  muss  also  Impfstoffe  zur  aktiven  Immunisierung  möglichst 
chonend  hersteilen  und  erhält  dann  vorzügliche  Resultate. 

Die  Angaben  in  der  ausländischen  Literatur,  dass  derartige  Impf- 

Nr.  45. 


stotfe  in  der  Inkubation  des  Typhus  gegeben,  einen  überraschend 
leichten  \  erlauf  der  Erkrankung  selbst  bedingen,  sind  sehr  beachtens¬ 
wert  und  sollten  auch  bei  uns  nachgeprüft  werden.  Kreut  er. 


Verein  der  Aerzte  in  Halle  a.  S. 

(Bericht  des  Vereins.) 

Sitzungen  vom  8.  und  15.  Juli  1914. 

Vorsitzender:  Herr  B  e  n  e  k  e. 

Schriftführer:  Herr  S  t  i  e  d  a. 

VII. 

Herr  Abderhalden  (a.  Ci.):  Die  experimentellen  Beweise  für 
das  Vorkommen  von  Abwehrfermenten  unter  verschiedenen  Bedin¬ 
gungen.  (S.  d.  Wschr.  Nr.  36  u.  ff.) 

Herr  Budde:  In  meinen  Ausführungen  am  letzten  Mittwoch 
tonische  Fragen  bei  der  A  b  d  e  r  h  a  1  d  e  n  sehen  Me- 
thode,  speziell  auf  die  Beziehungen  zwischen  der  histologischen  Struk¬ 
tur  der  Substrate  und  der  die  Abwehrfermente  hervorrufenden  Tu¬ 
moren  eingegangen. 

Als  Mitglied  der  chirurgischen  Klinik  bin  ich  fast  immer  in  der 
Lage  gewesen,  meine  serologischen  Befunde  duich  mikroskopische 
Untersuchung  der  Operations-  bzw.  Sektionspräparate  zu  kontrol¬ 
lieren,  ich  möchte  aus  meinem  Material  2  Fälle  genauer  besprechen, 
die  aus  klinisch-diagnostischen  Gründen  besonders  interessant  sind 

Der  1.  Fall  betrifft  eine  Pat.,  die  mit  einem  durchaus  als  Kar¬ 
zinom  imponierenden  Tumor  in  die  Klinik  kam.  Wie  die  Anamnese 
ergab,  war  der  Tumor  langsam  entstanden  und  hatte  nur  hin  und 
wieder  leichte  ziehende  Schmerzen  gemacht,  wie  sie  ja  beim  Kar- 
zmom  häufig  Vorkommen.  Bei  der  Aufnahme  bestand  eingezogene 
Mammnla,  dahinter  im  Zentrum  der  Mamma  ein  derber  höckeriger 
nuf  ^e,nig  bewe£licher  und  nicht  druckempfindlicher  Tumor  von 
gut  Walnussgrösse.  Fluktuation  war  nicht  nachzuweisen  Die  Pat 
war  ziemlich  korpulent,  so  dass  die  Palpation  der  Achselhöhle  kein 
sicheres  Ergebnis  hatte  Nach  diesem  Befunde  bestand  dringender 
Verdacht  auf  Karzinom,  so  dass  wir  der  Pat.  die  Ablatio  mammae 
Vorschlägen  wollten.  Die  serologische  Untersuchung  ergab  mit 
3  Karzinomsubstraten  —  und  zwar  Szirrhus-,  Plattenepithel-  und  Zy- 
linderzellenkrebs  sowie  mit  Sarkom  ein  absolut  negatives  Resultat. 

Die  dann  vorgenommene  Probexzision  deckte  einen  alten  ein¬ 
gedickten  offenbar  schleichend  entstandenen  Abszess  auf,  und  der 
weitere  Verlauf  bestätigte  das  Fehlen  maligner  Veränderungen.  Ich 
war  in  diesem  Falle  trotz  der  Diskrepanz  zwischen  klinischem  und 
serologischem  Befund  von  der  Richtigkeit  der  Abderhalden  sehen 
Reaktion  überzeugt,  aus  dem  Grunde,  weil  ich  bei  der  Untersuchung 
Substrate  von  ziemlich  allen  in  Betracht  kommenden  Tumoren  ver¬ 
wendet  hatte. 

Im  Gegensatz  zu  diesem  Fall  zeigt  folgende  Beobachtung  die 
Grenze  der  klinischen  Verwertbarkeit  der  A  b  d  e  r  h  a  1  d  e  n  sehen 
Methode. 

Es  handelte  sich  um  eine  ältere  Pat.,  die  mit  einem  grossen 
derben  Tumor  in  der  Nabelgegend  in  die  Klinik  kam.  Das  Röntgen- 
bild  ergab  einen  totalen  Pylcrusdefekt.  Auch  nach  den  übrigen  kli¬ 
nischen  Anzeichen  konnte  es  sich  wohl  nur  um  ein  präpylorisches 
Karzinom  handeln,  und  zwar  der  Grösse  und  Konsistenz  des  Tumors 
nach  wahrscheinlich  um  ein  Adenokarzinom.  Die  serologische  Unter¬ 
suchung  ergab  überraschenderweise  mit  einem  sonst'  sehr  scharf 
reagierenden  Adenokarzinomsubstrat  ein  negatives  Resultat  Dabei 
konnte  ich  die  hypothetische  Abnahme  des  Fehlens  der  Abwehrfer- 
mente  infolge  Kachexie  dadurch  widerlegen,  dass  Magenschleimhaut 
s  ark  abgebaut  wurde,  ein  Verhalten,  das  ich  bei  ulzerierenden 
Magentumoren  stets  gefunden  habe.  Die  Untersuchung  mit  Sarkom 
war  ebenfalls  negativ. 

In  diesem  Falle  war  das  Gewicht  der  klinischen  Erscheinungen 
d°  überwältigend,  dass  der  negative  Abderhalden  nicht  dagegen  in 
Betracht  kommen  konnte.  Die  Probelaparotomie  ergab  denn  auch 
ein  grosses,  vollkommen  inoperables  Karzinom. 

Die  Erklärung  für  das  bemerkenswerte  serologische  Verhalten 
erhielt  ich  erst  2  Monate  später,  als  die  Pat.  einer  rapid  zunehmenden 
Kachexie  erlag.  Die  Sektion  ermöglichte  die  mikroskopische  Unter¬ 
suchung  des  Tumors,  und  dabei  stellte  sich  heraus,  dass  es  sich  um 
ein  reines  Belegzellenkarzinom  handelte.  Bekanntlich  gleicht  der  Zell- 
!iypu^bei  der,  weitaus  überwiegenden  Mehrzahl  der  Adenokarzinome 
des  Magens  dem  Typus  der  Hauptzellen:  auch  das  zur  Untersuchung 
benutzte  hubstrat  stammte  von  einem  Tumor  dieser  Art.  Dass  das 
-_erum  der  Patienten  mit  dem  Belegzellenkarzinom  das  Eiweiss  des 
Hauptzellenkarzinsoms  nicht  abbaute,  halte  ich  nur  für  einen  neuen 
Beweis  für  die  Spezifität  der  Abwehrfermente.  Aber  gerade  dieser 
Fall  zeigt  wieder,  wie  vorsichtig  man  bei  der  Verwertung  der 
Reaktionen  in  diagnostischer  Hinsicht  sein  muss,  denn  der  negative 
Austall  der  Reaktion  beweist  nicht,  dass  der  Patient  kein  Karzinom 
hat,  sondern  nur,  dass  ihm  Abwehrfermente  fehlen,  die  auf  ein  Kar- 
zmom  von  analogem  Bau,  wie  das  zur  Untersuchung  benutzte,  ein¬ 
gestellt  sind. 

Herr  K  a  b  a  n  o  w  -  Moskau  (a.  G.):  M.  H.l  Ich  arbeite  jetzt 
dabr  mit  dern  A  b  d  e  r  h  a  1  d  e  n  sehen  Dialvsierverfahren 
Mein  Material  umfasst  ca.  100  Fälle,  die  klinisch  von  mir  persönlich 
genau  verfolgt  wurden.  Einen  Teil  dieser  Ergebnisse  habe  ich  be¬ 
reits  publiziert,  einen  arideren  auf  dem  V.  Kongress  für  innere  Medizin 

3 


2214 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


in  Petersburg  im  Dezember  vorigen  Jahres  vorgetragen.  Heute 
möchte  ich  ganz  kurz  über  Versuche  berichten,  die  ich  im  Verlaufe 
des  letzten  Monats  im  hiesigen  Physiologischen  Institut  mit  Hilfe  der 
Mikrostickstoffbestimmung  im  Dialysat  ausgeführt  habe.  Die  Ver¬ 
suche  zerfallen  in  3  Gruppen:  die  erste  umfasst  20  Versuche  an 
Kaninchen.  Es  handelte  sich  um  den  Nachweis  von  Fermenten,  die 
auf  Plazentaei weiss  eingestellt  waren,  ln  11  Fällen  wurde  mensch¬ 
liche  Plazenta  nicht  abgebaut,  in  9  Fällen  fand  ein  Abbau  statt. 
Jedesmal  stimmte  die  Diagnose.  Unter  den  11  negativen  Fällen  wur¬ 
den  mir  6  Tiere  als  sicher  trächtige  geliefert  und  schienen  mir 
auch  so  zu  sein.  Die  Reaktion  fiel  jedoch  negativ  aus.  Die  nach-  j 
folgenden  Obduktionen  bestätigten  den  Ausfall  der  Reaktion. 

Die  zweite  Gruppe  der  Versuche  umfasst  18  menschliche  Sera, 
die  mir  Herr  Prof.  Abderhalden  in  liebenswürdiger  Weise  zur 
Verfügung  stellte.  In  keinem  Falle  war  mir  die  Diagnose  vorher  be¬ 
kannt.  Auch  hier  deckten  sich  die  Ergebnisse  der  Mikrostickstoff¬ 
bestimmung  mit  der  klinischen  Diagnose.  Es  handelte  sich  jedesmal 
um  die  Frage  gravid  oder  nicht  gravid? 

Die  dritte  Gruppe  umfasst  vorläufig  nur  2  Tiere,  2  Weibchen. 
Dem  einen  wurde  Nierenemulsion  subkutan  eingespritzt,  dem  zweiten 
10  ccm  einer  1  proz.  Nierenpeptonlösung.  Das  Serum  des  ersten 
Tieres  baute  72  Stunden  nach  der  Injektion  Kaninchenniere  ab,  nicht 
aber  Plazenta-  und  Muskeleiweiss.  Nach  112  Stunden  war  kein 
Abbau  von  Niere  mehr  nachzuweisen.  Die  Versuche  mit  dem  zweiten 
Tiere  und  anderen  Tieren  sind  im  Gange. 

Ich  komme  zum  Schluss  und  möchte  meiner  Meinung  dahin  Aus¬ 
druck  geben,  dass  wir  in  der  Mikrostickstoffbestimmung  eine  zum 
Nachweis  der  Abwehrfermente  sehr  geeignete  Methode  besitzen. 

Herr  Beneke:  Leider  ist  Herr  Kohlhardt,  der  in  seiner  I 
Praxis  bereits  zahlreiche  wertvolle  Beobachtungen  über  das  I 
A  b  d  e  r  h  a  1  d  e  n  sehe  Verfahren  gemacht  hat,  heute  verhindert;  ich 
erlaube  mir  daher  einen  mir  von  ihm  mitgeteilten  Fall  an  seiner 
Stelle  kurz  zu  erwähnen,  der  auf  die  therapeutischen  Effekte 
des  neuen  Abderhalden  serum  hinweist.  Ein  an  Zungenkrebs 
schwer  Leidender  wurde  mit  Serum  einmal  injiziert.  Alsbald  er¬ 
folgte  wesentliche  subjektive  Erleichterung,  Abschwellung  der  Zunge, 
beginnende  Reinigung  des  jauchigen,  sehr  grossen  Geschwürs.  Aller¬ 
dings  konnte  der  letale  Ausgang  bei  der  hochgradigen  Entwicklung 
des  Karzinoms,  welches  die  halbe  Zunge  zerstört  hatte  — 
ausserdem  bestand  Lungenkarzinom  — ,  nicht  vermieden  wer¬ 
den.  Die  histologische  Untersuchung  des  Karzinoms  aber,  welche 
ich,  ohne  die  Vorgeschichte  zu  kennen,  ausgeführt  habe,  ergab 
ganz  wesentliche  Unterschiede  im  Bilde  der  Karzinomzapfen  gegen¬ 
über  der  gewohnten  Entwicklung  derselben.  Sie  erschienen  durch 
auffällige  Atrophie  der  jungen  wuchernden  Zellzonen,  welche  die  ver¬ 
hornenden  Zentra  einschliessen,  ausgezeichnet;  stellenweise  war 
diese  Zone  sehr  schmal,  aus  dünnen,  atrophischen  Zellen  zusammen¬ 
gesetzt;  hier  und  da  fehlte  sie  ganz.  Leukozytenansammlungen 
fanden  sich  nicht  auch.  Keine  Stromaveränderung.  Das  Bild  er¬ 
innerte  an  die  Effekte  der  Radiumbestrahlungen  und  hat  mir  den 
Eindruck  gemacht,  dass  die  Wucherungen  durch  das  Serum  tat¬ 
sächlich  geschädigt  worden  waren. 


Aerztlicher  Verein  München. 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzung  vom  16.  September  1914. 

Kriegschirurgischer  Abend. 

Hers  v.  Stubenrauch:  Allgemeine  Gesichtspunkte  bei  der 
Behandlung  von  Schussverletzungen.  Daran  anschliessend  Demon¬ 
strationen  von  Lichtbildern  einzelner  Verletzungsformen. 

Herr  Kr  ecke:  Beobachtungen  über  Schussverletzungen. 

Herr  Krecke  kann  im  allgemeinen  den  Bemerkungen  des  Vor¬ 
redners  durchaus  zustimmen.  Die  Grundsätze  für  den  ersten 
W  undverband  auf  dem  Felde  dürften  jetzt  so  festgelegt  sein, 
dass  eine  Meinungsverschiedenheit  kaum  mehr  besteht.  Bezüglich 
der  W  undheilung  war  auch  K.  sehr  überrascht  durch  die  auf¬ 
fallend  verschiedenen  Resultate  bei  den  einzelnen  Verwundetentrans¬ 
porten.  Während  zum  Beispiel  5  bei  dem  ersten  Transport  einge¬ 
laufene  Oberschenkelfrakturen  durchaus  glatt  geheilt  sind,  zeigten  die 
mit  einem  späteren  Transporte  eingetroffenen  zum  Teil  sehr  schwere 
Eiterungen,  die  wiederholt  Einschnitte  notwendig  machten.  Was  die 
Ursache  für  diese  auffälligen  Unterschiede  ist,  konnte  mit  Bestimmt¬ 
heit  noch  nicht  festgestellt  werden.  Auffallend  war,  dass  die  mit 
Eiterung  verbundenen  Oberschenkelschüsse  erst  nach  ziemlich  langer 
Zeit  hier  eingetroffen  und  in  mehreren  Lazaretten  (bis  zu  5)  Ge¬ 
handelt  worden  waren;  die  ohne  Eiterung  geheilten  waren  dagegen 
grösstenteils  unmittelbar  vom  Schlachtfelde  hierher  verbracht  wor¬ 
den^  und  zeigten  recht  gute  Wundverhältnisse,  obwohl  sie  bis  zu 
30  Stunden  im  Freien  hatten  liegen  müssen. 

Von  besonders  bemerkenswerten  Schussverletzungen  erwähnt  K. 
zunächst  2  Schädelschüsse.  Bei  einem  derselben,  einen  Tan¬ 
gentialschuss.  musste  die  Entsplitterung  und  die  Entfernung  des  vor¬ 
gefallenen  Gehirns  vorgenommen  werden.  Der  Kranke  starb  nach 
14  Tagen  an  Gehirnabszess  und  Meningitis.  Bei  einem  zweiten  Kopf¬ 
verletzten  konnte  eine  Verletzung  des  Knochens  nicht  nachgewiesen 
werden,  wohl  aber  bestand  eine  Schädigung  des  Gehirns,  die  zu  einer 
rechtseitigen  Hemiparese  mit  starker  Ataxie  geführt  hatte. 


Nr.  4; 

Von  den  Gesichtsverletzungen  zeichneten  sich  mehrer 
grosse  Schüsse  durch  recht  schwere  Erscheinungen  aus.  ln  einer 
Falle  waren  beide  Oberkiefer,  das  knöcherne  Nasengerüst,  die  ganz 
Oberlippe  und  ein  Teil  der  Zunge  durch  einen  Granatschuss  zerstör 
worden.  Sehr  wichtig  erscheint  bei  Kieferschüssen  die  frühzeitig 
zahnärztliche  Behandlung. 

Von  Nervenverletzungen  kamen  zur  Beobachtun: 
6  Lähmungen  des  Radialis,  1  des  Medianus,  1  des  Plexus  cervicalis 
3  des  Ischiadikus.  Die  letzteren  zeichnen  sich,  wie  auch  sonst  be 
obachtet,  durch  ausserordentlich  schwere  Neuralgien  aus.  Di« 
Nervenverletzungen  an  der  oberen  Extremität  zeigten  alle  eine  zu 
nehmende  Besserung,  während  die  Ischiadikuslähmung  noch  voll 
kommmen  unverändert  sind.  Hier  wird  wohl  die  Nervennaht  not 
wendig  werden. 

Von  Gefässverletzungen  kamen  zur  Beobachtung  eir 
Aneurysma  varicosum  der  Arteria  brachialis,  ein  Aneurysma  dei 
Arteria  radialis,  zwei  der  Femoralis,  1  der  Poplitea  und  1  Zerreissunsi 
der  Arteria  tibialis.  Die  letztere  und  ein  Aneurysma  brachialis  wur¬ 
den  durch  die  Operation  geheilt.  Der  Defekt  in  der  Arteria  brachiali: 
wurde  durch  Gefässimplantation  der  Vena  saphena  ausgefüllt. 

ln  2  Fällen  hatte  die  Verletzung  der  Arteria  poplitea  zur  Gangrär 
des  Unterschenkels  geführt;  beide  Fälle  mussten  amputiert  werden 

In  einem  Falle  von  Rückenmarksverletzung  konnte 
das  Geschoss  röntgenologisch  im  Rückenmarkskanal  in  der  Höhe  des 
ersten  Lendenwirbels  nachgewiesen  werden.  Das  Geschoss  wurde 
nach  voraufgegangener  Laminektomie  entfernt.  Das  Rückenmark 
fand  sich  vollkommen  zerquetscht  Eine  Besserung  der  Lähmungs- 
erscheinungen  ist  naturgemäss  nicht  eingetreten. 

Von  zahlreichen  Bauchverletzungen  sind  erwähnenswert  zwei 
Verletzungen  der  Blase,  bei  denen  eine  in  der  Hüftgegend  einge¬ 
drungene  Schrapnellkugel  bis  in  die  Blase  vorgedrungen  und  dort 
liegen  geblieben  war.  In  beiden  Fällen  bestanden  Erscheinungen 
wie  beim  Blasenstein.  Beide  Geschosse  konnten  durch  den  hohen 
Blasenschnitt  entfernt  werden. 

Ein  schwerer  Fall  von  Harnröhren-  und  Mastdarm- 
zerreissung  mit  ausgedehnter  Urininfiltration  wurde  durch  die 
Urethrotomie  und  ausgedehnte  Spaltungen  über  die  drohende  Gefahr 
der  Sepsis  hinweggebracht.  Der  Harnröhrendefekt  wird  noch 
weitere  Operationen  notwendig  machen. 

Herr  F  e  s  s  1  e  r:  Ueber  Querschlägerverletzungen. 

Der  Vortrag  erscheint  in  der  M.m.W. 

Herr  G  e  b  e  1  e  demonstriert  3  Kriegsverletzungen,  die  durch  die 
Verlaufsrichtung  des  Schusses  merkwürdig  sind. 

1.  21  jähr.  Infanterist,  verwundet  am  28.  VIII.  bei  Lüneville. 
Einschuss  rechte  Glutäalgegend,  kein  Ausschuss. 
Entzündliche  Infiltration  am  linken  Oberschenkel, 
auf  dessen  medialer  Seite.  Im  Zentrum  des  Infil¬ 
trationsherdes  harter  Körper  fühlbar.  Röntgendurch¬ 
leuchtung  ergibt  Infanteriegeschoss.  Projektil  durch  links  absteigen¬ 
den  Schambein-  und  aufsteigenden  Sitzbeinast  abgelenkt.  Hier  auch 
Schmerzhaftigkeit  und  Sugillation.  Röntgenbild  ergibt  aber  keine 
Knochenläsion  Keine  Mastdarm-  oder  Harnröhrenverletzung  vor¬ 
handen.  Der  Mann  wurde  in  stark  gebückter  Stellung  getroffen. 

2.  30  jähriger  Infanterist,  verwundet  am  22.  VIII.  bei  Avricourt. 
Einschuss  linke  Lende  in  der  Höhe  des  2.  Lendenwirbels, 
2  Querfinger  von  der  Wirbelsäule  entfernt.  Kein  Ausschuss. 
Linke  Brust  stark  sugilliert.  Ausgedehntes  Hautemphysem.  LHU. 
Dämpfung.  Pektoralfremitus  abgeschwächt.  Auskultatorisch  Bron¬ 
chialatmen.  Sputum  sanguinolent.  Herzdämpfung  geschwunden. 
Herztöne  hörbar.  Puls  mittelkräftig,  76  in  der  Minute.  Linke  Taillen¬ 
linie  verstrichen.  Linke  Bauchwand  etwas  reflektorisch  gespannt. 
Links  aussen  Dämpfung,  welche  sich  bei  Lagewechsel  nicht  aufhellt. 
Urin:  E.  +,  Hg.  — ,  mikroskopisch  zahlreiche  Blutkörperchen.  In 
der  Höhe  der  3.  Rippe  links,  nahe  der  vorderen 
Axillarlinie  harter  Körper  fühlbar,  welcher  sich  bei  der 
Durchleuchtung  als  Schrapnellkugel  erweist.  Der  Steilschuss  hat 
also  linke  Niere  und  Lunge  verletzt.  Das  Schrapnell  muss  nahe  oder 
an  dem  Erdboden  explodiert  sein,  der  Mann  wurde  in  aufrechter 
Stellung  in  der  Marschkolonne  getroffen. 

3.  22  jähriger  Infanterist,  verwundet  am  22.  VIII.  bei  Vergaville. 
EinschussrechteHalsseite,  AusschussIinkeAxilla. 
Einschuss  sehr  klein,  am  medialen  Rand  des  Sternokleidomastoideus. 
Ausschuss  klaffend,  offenbar  Querschläger. 

Aufnahmebefund:  Starke  Anämie.  Ziemliche  Benommenheit. 
Auffallende  Pupillendifferenz  —  rechts  eng,  links  weit.  Fazialisparese 
links.  Vordere  Wand  der  Karotis  infiltriert.  Kopfhaltung  steif,  4. 
und  5.  Halswirbel  druckempfindlich.  Klavikula  links  frakturiert. 
Schlaffe  Lähmung  des  linken  Armes.  Radialpuls  links  fehlt.  Ober¬ 
flächliche  Venen  thrombosiert.  Linker  Arm  weist  keine  Schwellung, 
Verfärbung,  keinen  Temperaturunterschied  auf.  Nachblutung  am 

4.  Tag  nach  der  Aufnahme  ergibt  Verletzung  der  Vena  subclavia 
hinter  der  Bruchstelle  der  Klavikula.  Der  Halsbrustschuss  hat  also 
zur  Verletzung  der  Karotis  (inzwischen  Aneurysmabildung!),  des 
Halsteiles  des  Sympathikus,  des  Körpers  des  5.  Halswirbels  (Sprung 
nach  dem  Röntgenbild!),  der  Vena  subclavia,  der  Klavikula  und  des 
linken  Plexus  brachialis  geführt.  Die  Fazialisparese  ist  zentral.  Fs 
liegt  nach  Röntgenbild  und  otiatrischem  Befund  zwar  keine  Schädel¬ 
basisfraktur  vor.  Der  Mann  ist  aber  nach  der  Verletzung  zu¬ 
sammengebrochen  und  von  2  Uhr  nachmittags  bis  10  Uhr  abends 


10.  November  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


bewusstlos  liegen  geblieben  (Commotio  und  Contusio  cerebri).  Auf 
lj.en  äuch  eine  Luxation  des  sternalen  Endes  der  rechten 

Klavikula  nach  oben  zurückzuführen.  Die  embolische  Pneumonie 
links  hinten  unten  dürfte  später  entstanden  sein. 

Herr  Sielmann:  Oberschenkelschussfrakturen. 

Bei  den  im  Reservelazarctt  B  München  vorgenommenen  Röntgen- 
Untersuchungen  fiel  uns  die  relative  Häufigkeit  der  Oberschenkel- 
schussfrakturen  auf.  Oft  stammen  die  Fälle  aus  einer  Schlacht  und 
aus  einer  Abteilung.  Die  knieende  Stellung  im  Anschlag  beim 
Schiessen  scheint  besonders  zu  Oberschcnkelschüssen  zu  disponieren. 
'  on  den  40  ( »berschenkelschussfrakturcn,  die  wir  bisher  zu  unter¬ 
suchen  Gelegenheit  hatten,  war  in  den  meisten  Fällen  die  Diaphyse 
Detronen,  seltener  die  Kondylen;  der  Kopf  des  Femur  scheint  so  ge¬ 
schützt  zu  liegen,  dass  er  nicht  leicht  getroffen  werden  kann.  Die 
Schwere  der  Verletzung  wechselt  von  leichten  Fissuren  bis  zu  den 
schwersten  Zertrümmerungen  des  Knochens;  sehr  häufig  sind  die 

Schmetterlingsfrakturen.  Oft  ist  Ein-  und  Ausschussöffnung  beim 
.intreffen  der  Verwundeten  bereits  glatt  geheilt,  es  ist  eine  einfache 
Splitterung  des  Knochens  im  Röntgenbild  nachzuweisen.  Ein  ander- 
nal  schwerste  Weichteilverletzung:  Knochensplitter  entleeren  sich  aus 
^eij  t  i’  Röntgenbild  zeigt  starke  Dislokation  ad  longitudinem 
md  ad  latus,  eine  grosse  Zahl  von  Splittern  umlagert  die  Bruch¬ 
teile.  Demonstration  von  ca.  20  Diapositiven,  die  das  Gesagte  er- 
lärten.  Doch  nicht  nur  diagnostisch  verwerten  wir  in  der  Kriegs- 
:hirurgie  die  Röntgenstrahlen,  auch  zur  Kontrolle  unserer  thera- 
>eutischen  Massnahmen  leisten  sie  uns  grosse  Dienste.  Mit  ihrer 
lilfe  erkennen  wir  unter  dem  Schirm,  ob  die  Bruchenden  einer 
Taktur  gut  aneinanderliegen,  ob  die  Konsolidation  des  Knochens 
rfolgt  ist.  Demonstration  von  Diapositiven,  die  dies  erhärten  be- 
onders  eine  angelegte  H  a  c  k  e  n  b  r  u  c  h  sehe  Klammer  (Chir  Ab- 
eilung  des  Herrn  Ob.-St.  Dr.  Kreck  e). 

Wie  ein  roter  Faden  zieht  sich  durch  alle  heute  Abend  ge- 
altenen  Vorträge  die  Bedeutung  der  Röntgenstrahlen  in  der  Kriegs- 
hirurgie,  sei  es  in  der  Diagnostik,  sei  es  in  der  Kontrolle  thera- 
eutischer  Bestrebungen. 

Eine  nicht  minder  wichtige  Rolle  werden  dieselben  nach  Beendi- 
ung  des  Krieges  spielen  und  zwar  bei  der  richtigen  Einschätzung 
twaiger  Invalidität  als  Folge  der  erhaltenen  Verletzung.  Da  es  oft 
ehr  schwer  ist  ein  einige  Zeit  nach  dem  Unfälle  aufgenommenes 
öntgenbild  richtig  zu  deuten  —  ich  erinnere  nur  an  die  arthritischen 
eränderungen  bei  Gelenkverletzungen  —  werden  diese  ersten 
öntgenbilder  nach  dieser  Richtung  hin  eine  grosse  Bedeutung  haben 
nd  für  den  Gutachter  oft  von  unschätzbarem  Werte  sein.  Ich 
löchte  daher  aus  diesem  Grunde  hier  die  Anregung  gegeben  haben, 
lese  Bilder  für  die  Militärsanitätsbehörde  sorgfältigst  aufzubewahren! 

Herr  R.  v.  H  ö  s  s  1  i  n:  Lungenschüsse. 

Meine  Herren!  Ich  möchte  Ihnen  ein  ganz  kurzes  Bild  von  dem 
hnischen  Verlauf  der  Lungenschüsse  geben,  soweit  dies  bei  einem 
och  nicht  grossen  Material  möglich  ist. 

Charakteristisch  ist  die  erste  Geschosswirkung;  alle  Verwun- 
eten  brachen  sofort  nach  dem  Schuss  zusammen  und  konnten  sich 
ngere  Zeit  nicht  mehr  rühren.  Zwei  von  18  Fällen  blieben  sofort 
ewusstlos  liegen,  nur  wenige  konnten  nach  mehrstündigem  Liegen 
jrückkriechen,  nur  ein  Mann  konnte  geführt  zurückgehen. 

Leber  Schmerz  wurde  gar  nicht  geklagt,  dagegen  fast  ausnahms- 
s  über  grosse  Atemnot  unmittelbar  nach  der  Verwundung,  einige 
erwundete  hatten  direkte  Erstickungsanfälle.  Weitaus  die  Mehrzahl 
^  Fälle,  bekamen  sofort  Blut  in  den  Mund,  bei  zweien 
at  der  Bluthusten  erst  später  auf  und  bei  zweien  fehlte  Blut 
luernd  im  Auswurf.  Der  Blutverlust  ist  meist  ein  sehr  grosser, 
tls  durch  die  Brustwunde  und  den  Bluthusten,  vor  allem  aber 
irch  die  Blutung  in  die  Pleurahöhle. 

Dieser  Erguss  in  die  Pleurahöhle  fehlte  nur  bei  wenigen  unserer 
ranken,  nur  bei  vieren  konnte  er  bei  der  Aufnahme  nicht  nachge- 
iesen  werden.  Die  Ansammlung  von  Blut  im  Pleuraraum  war  in 
anchen  Fallen  so  gross,  dass  es  zur  Dyspnoe  und  Verdrängung  des 
;rzens  kam.  Physikalisch  verhalten  sich  diese  Ergüsse  genau  wie 
euritische  Exsudate,  über  dem  Exsudat  leerer  Perkussionsschall, 
'geschwächtes  oder  aufgehobenes  Vesikuläratmen,  abgeschwächter 
uctoralfremitus;  oberhalb  der  Exsudatgrenze  Tympanie,  lautes  Bron- 
iialatmen. 

Resorption  der  Ergüsse  sehr  langsam.  Punktion  besonders  in 
;r  ersten  Zeit  gewagt  wegen  der  Gefahr  der  Nachblutung.  Der 
uterguss  komprimiert  die  Lunge  und  bietet  einen  Schutz  gegen 
eitere  Blutung.  In  der  Umgebung  des  Schusskanals  kann  es  auch 
i  anfangs  fieberfreiem  Verlauf  zu  pneumonischen  Infiltrationen 
■men,  daher  grosse  Vorsicht  in  der  Behandlung!  Der  Pneumothorax 
ar  in  einem  grossen  1  eile  unserer  Fälle  schon  resorbiert,  in 
-nreren  Fällen  in  Verbindung  mit  dem  Bluterguss  noch  vorhanden. 

Von  Komplikationen  sahen  wir  zweimal  Empyeme,  einmal  mit 
’ontandurchbruch  unter  die  Haut,  das  andere  Mal' Entleerung  durch 
•'Sektion  zweier  durchschossener  Rippen;  in  letzterem  Falle  kam 
noch  zur  Entleerung  von  Galle  in  die  Empyemhöhle  und  die  Bron- 
ien,  es  wurde  also  voraussichtlich  auch  die  Leber  verletzt.  In 
iem  Falle  kam  es  zu  einer  Hämaturie,  weil  gleichzeitig  mit  der 
nge  auch  die  eine  Niere  durchschossen  war. 

Der  weitere  Verlauf  unserer  Lungenschüsse  war,  obwohl  die 
Listen  in  schwerkrankem  Zustande  eingeliefert  wurden,  bei  den 
nsten  Fällen  ein  sehr  günstiger. 


2215 


Sechzehn  von  unseren  Kranken  sind  in  voller  Rekonvaleszenz 
und  auch  bei  den  zwei  noch  fiebernden  Kranken  ist  eine  bedeutende 
Besserung  eingetreten. 

p...  Was  nun.  die  äusseren  Wunden  betrifft,  so  ist  ja  in  den  meisten 
r allen  die  Einschussöffnung  kleiner  als  die  Ausschussöffnung,  wir 
haben  aber  auch  das  umgekehrte  Verhältnis  wahrgenommen,  so  dass 
man  annehmen  muss,  dass  die  Kugel  als  Querschläger  eingetreten,  in 
gerader  Längsrichtung  ausgetreten  ist.  Sehr  grosse  Schussöffnungen 
erschweren  die  Prognose  dann,  wenn  dadurch  eine  offene,  nicht  ver¬ 
klebende  Kommunikation  mit  der  äusseren  Atmosphäre  hergestellt 
wird. 

(Demonstration  von  Photographien  von  Lungenschüssen  und 
dazugehörigen  Röntgenphotographien.) 

Diskussion:  Herren  Kästle  und  v.  Stubenrauch. 

Herr  v.  Baey  er:  Ueber  das  Verhalten  von  Kupfer  im  Organis- 
mus  habe  ich  eingehende  Untersuchungen  angestellt  (Beitr.  z.  klin 
58UH-  V  1908>  M.m.W.  1909  Nr.  47,  Beitr.  z.  klin.  Chir.  70.  H.  1. 
UlOj.  Das  französische  Geschoss,  das  aus  einer  Art  Neusilber  be¬ 
steht  und  nur  mit  einer  dünnen  Kupferhaut  überzogen  ist,  kann  keine 
Kupferwirkung  entfalten,  weil  das  Kupfer  infolge  elektrischer  Vor¬ 
gänge  zwischen  der  Kupferhaut  und  dem  an  einer  Nute  des  Ge¬ 
schosses  zutage  liegenden  Kern,  nicht  oxydabel  ist.  Das  in  Lösung 
gehende  Zink  ist  unschädlich,  weil  es  im  Organismus  sofort  un¬ 
lösliche  balze  bildet.  Das  französische  Geschoss  ist  also  chemisch 
.au,s.?.eror^en^c^.  harmlos,  es  verhält  sich  im  Körper  etwa  ebenso 
indifferent  wie  ein  vergoldeter  Fremdkörper. 

Herr  Wassermann:  Was  die  Erfahrungen  des  Herrn  Vor¬ 
sitzenden  bei  Lungenschüssen  betrifft,  so  decken  sich  dieselben  voll 
und  ganz  mit  den  meinigen.  Auch  ich  habe  im  Reservelazarett  B 
unter  ca.  200  Verwundeten  20  Patienten  mit  Lungenschüssen  zu  be¬ 
handeln  Gelegenheit  gehabt. 

Dieselben  wiesen  teils  einen  Hämatothorax  von  nur  wenigen 
Zentimetern  hinten  unten,  teils  bis  zur  Spina  scapulae  und  darüber 
hinaus  auL  Bei  den  meisten  zeigte  die  Dämpfung  eine  allmähliche 
langsame  Rückbildung,  nur  in  einem  Falle  konnte  in  den  ersten  Tagen 
des  Spitalaufenthaltes  noch  eine  Vergrösserung  wahrgenommmen 
werden.  Es  handelte  sich  grösstenteils  um  Durchschüsse  durch  den 
Ihorax  oder  auch  um  Einschüsse  ohne  Ausschuss,  so  dass  die  Kugel, 
wie  in  einem  Falle,  mitten  im  Schatten  des  Hämatoms  auf  dem 
Kontgenbilde  zu  sehen  war.  Bei  einem  Patienten  drang  das  Geschoss 
links  hinten  unten  ein  und  trat  gerade  vorne  unter  dem  Spitzenstoss 
im  5.  Interkostalraum  aus,  ohne  das  Herz  zu  verletzen. 

Der  Verlauf  war  grösstenteils  überraschend  günstig.  Tem¬ 
peratursteigerungen  und  Dyspnoe  hatten  nur  4  Verletze,  blutigen 
Auswurf  einer.  Von  diesen  zeigten  3  Temperatursteigerungen  ledig¬ 
lich  in  den  ersten  Tagen;  bei  einem  Lungenschuss  dagegen  veran- 
lasste  eine  dreiwöchentliche  Fieberperiode  und  starke  Prostration  eine 
Untei  suchung  des  Exsudates  durch  Probepunktion  an  verschiedenen 
b teilen.  Da  nui  an  einer  zirkumskripten  Stelle  in  dem  hämor¬ 
rhagischen  Exsudat  einige  Eiterflocken  gefunden  wurden,  die  übrigen 
Punktionen  aber  eine  blutige  Flüssigkeit  ergaben,  wurde  auch  in 
diesem  Falle  von  einem  weiteren  Eingriff  abgesehen.  Gegenwärtig 
sind  alle  Patienten  mit  Ausnahme  des  zuletzt  geschilderten  Falles 
fieberfrei  und  grösstenteils  in  der  Lage,  längere  Zeit  ausser  Bett  zu 
bleiben  und  sich  im  Freien  aufzuhalten.  Einige  davon  sind  für  Er¬ 
holungsheime  in  Reichenhall  vorgemerkt. 

Hinsichtlich  der  Prognose  muss  man  etwas  vorsichtig  sein,  denn 
wir  wissen,  dass  Traumen  des  Brustkorbes,  wie  Kontusionen,  Frak¬ 
turen,  Stichverletzungen  mit  Blutaustritten  und  Zerreissung  der 
Pleura  ein  prädisponierendes  Moment  zur  Tuberkulose  abzugeben 
scheinen.  Oberndorfer. 


Rheinisch-westfälische  Gesellschaft  für  innere  Medizin 
und  Nervenheilkunde. 

(Offizielles  Protokoll.) 

33.  Versammlung  vom  17.  Mai  1914  zu  Bonn. 

Vorsitzender:  Herr  D  i  n  k  I  e  r  -  Aachen. 

Schriftführer :  Herr  Laspeyres  -  Bonn. 

IV. 

Herr  Brian-Köln:  Klinische  Erfahrungen  mit  dem  Dialysler- 
verfahren  nach  Abderhalden. 

Herr  K  e  u  p  e  r  -  Düsseldorf :  Ueber  Abbau  von  Lungengewebe 
nach  der  Methode  von  Abderhalden. 

Auf  Anregung  von  Geheimrat  Hoff  mann  arbeiteten  wir  uns 
in  .  „  Abderhalden  sehe  Methode  ein  und  nahmen  uns  vor. 
speziell  ihre  Anwendbarkeit  in  der  Diagnostik  der  Lungentuberkulose 
und  Nierenerkrankungen  zu  prüfen. 

Nach  den  eingehenden  Erörterungen  meines  Herrn  Vorredners 
über  die  der  Methode  zugrunde  liegenden  Theorien  kann  ich  wohl 
sogleich  zu  dem  Bericht  unserer  Versuchsresultate  bei  Lungentuber¬ 
kulosen  übergehen. 

Vorausschicken  möchte  ich,  dass  ich  die  Versuche  zusammen 
mit  Herrn  V  e  e  1  k  e  n,  Praktikant  unserer  Klinik  und  z.  T.  mit  Herrn 
Prof.  v.  d.  Velden  machte,  von  dem  ich  auch  die  Technik  erlernte, 
die  er  sich  selbst  in  Halle  bei  Abderhalden  angeeignet  hatte. 

Im  übrigen  hielten  wir  uns  an  die  von  Abderhalden  in  der 
3.  Auflage  seines  Buches  über  Abwehrfermente  gegebenen  Vor- 


>216 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  4! 


schriften.  Durch  mikroskopische  Schnitte  nach  Art  der  Küretten¬ 
präparate  überzeugten  wir  uns,  dass  die  versuchsfertigen  Organe 
noch  genügend  Parenchym  enthielten  und  bei  Eosinfärbung  wenig¬ 
stens  keine  Reste  von  Erythrozyten  sichtbar  waren. 

Ausser  2  normalen  und  2  tuberkulösen  Lungen  verwandten  wir 
als  Versuchsorgane  Kaninchenlungen,  Nieren,  Plazenten,  Hoden, 
Ovarien,  Bauchmuskel,  Schilddrüse,  Thymus,  Leber,  Karzinomge¬ 
webe  aus  Lebermetastasen  eines  Oesophaguskrebses  und  Urin- 
eiweiss,  das  wir  aus  dem  Harn  eines  Patienten  mit  arterioskleroti¬ 
scher  Schrumpfniere  gewannen. 

Nachdem  wir  uns  an  der  Schwangerschaftsreaktion  eingestellt 
hatten,  begannen  wir  unsere  Lungenversuche  in  der  Weise,  dass  wir 
an  einem  Tage  sowohl  Serum  Lungenkranker  und  Lungengesunder 
ansetzten,  als  auch  stets  noch  andere  Organe  als  nur  Lungen  mit¬ 
laufen  Hessen. 

Bevor  ich  zu  unseren  Versuchen  selbst  übergehe,  möchte  ich 
einen  kurzen  Ueberblick  über  die  bisher  über  Lungenversuche  vor¬ 
liegende  Literatur  geben. 

Lampe  konstatiert  an  30  Fällen,  dass  das  Serum  Leichtkranker 
und  klinisch  Gesunder  im  allgemeinen  nur  Tuberkelbazilleneiweiss 
angreift,  das  Serum  Schwerkranker  nur  normales  und  tuberkulöses 
Gewebe  abbaut. 

Aus  den  Versuchen  von  Jessen  geht  hervor,  dass  sowohl  offene 
wie  geschlossene  Tuberkulosen  in  hohem  Masse  entfettete  Tuberkel¬ 
bazillen  abbauen,  dagegen  mit  normaler  oder  tuberkulöser  Lunge 
angesetzt  nur  in  der  Hälfte  der  Fälle  positiv  reagieren.  Die  Ergebnisse 
von  Gumpertz  sind  ermutigender,  während  Fraenkel  an  dem  Ma¬ 
terial  des  Heidelberger  Krebsinstitutes  konstatiert,  dass  die  Abder¬ 
halden  sehe  Methode  zu  der  Karzinom-  und  Tuberkulosediagnose 
keine  klinische  Brauchbarkeit  besitzt. 

Aus  diesem  Monat  liegen  2  Arbeiten  vor.  G  w  e  r  d  e  r  und 
M  e  1  i  k  i  a  n  z  konstatieren,  dass  von  29  Lungentuberkulosen  93  Proz. 
tuberkulöse  und  69  Proz.  normale  Lunge  abbauen  und  stellen  diesen 
29  einen  Lungengesunden  gegenüber,  der  keine  Lunge  abbaute 
=  0  Proz.  Abbau. 

So  wenig  wie  diese  Arbeit  verwertbar  ist,  weil  die  Kontrollen 
am  Lungengesunden  fehlen,  ist  es  auch  die  kürzlich  erschienene 
Arbeit  von  Geheimrat  W  o  1  f  f  und  Kurt  Frank  in  Berlin. 

Sie  kommen  zu  einer  Verwerfung  der  Methode  auf  Grund  des 
häufigen  unspezifischen  Lungenabbaus  durch  Gesunde.  Doch  be¬ 
richten  sie  nichts  über  den  Ausfall  ihrer  Serumkontrollen  und  setzten 
nur  Tuberkelbazillen  und  Lungen  und  keine  anderen  Organe  mit  an. 

Wenn  ich  nun  zu  unseren  Versuchen  übergehe,  so  begnüge  ich 
mich  mit  der  Angabe  der  Zahlen,  die  auf  normale  und  tuberkulöse 
Lunge  Bezug  haben.  Herr  Veelken  wird  an  anderer  Stelle  eine 
ausführliche  Veröffentlichung  der  Protokolle  bringen. 

Mich  wir  haben  genau  die  einzelnen  Stadien  der  Tuberkulosen 
voneinander  getrennt  und  in  ihrem  Verhalten  den  einzelnen  Lungen 
gegenüber  verglichen,  doch  sahen  wir  keine  wesentlichen  Unter¬ 
schiede,  so  dass  ich  einfach  Lungentuberkulose  den  Lungengesunden 
und  den  nicht  tuberkulös  Lungenkranken  gegenüberstelle.  Insgesamt 
untersuchten  wir  44  Phthisiker,  21  Lungengesunde  und  7  Patienten 
mit  klinisch  als  nicht  tuberkulös  erkannten  Lungenaffektionen. 

Das  Serum  von  42  Tuberkulösen  aller  Stadien  baute  in  10  Fällen 
normale  Lunge  ab  =  24  Proz.,  in  7  Fällen  war  die  Reaktion  zweifel¬ 
haft  =  16  Proz.,  in  25  Fällen  war  sie  negativ  =  59  Proz. 

Das  Serum  35  Tuberkulöser  baute  tuberkulöse  Lungen  in 
29  Fällen  ab  =  83  Proz.,  in  3  Fällen  war  die  Reaktion  zweifelhaft 
=  8 Vz  Proz.,  in  3  Fällen  war  sie  negativ  =  8Vs  Proz. 

Das  Serum  20  Lungengesunder  baute  normale  Lunge  in  4  Fällen 
schwach  ab  =  20  Proz.,  in  2  Fällen  war  die  Reaktion  zweifelhaft 
=  10  Proz.,  in  14  Fällen  war  die  Reaktion  negativ  =  70  Proz. 

Das  Serum  14  Lungengesunder  baute  tuberkulöse  Lunge  in 
3  Fällen  ab  =  21  Proz.,  in  5  Fällen  war  die  Reaktion  zweifelhaft 
=  35,7  Proz.,  in  6  Fällen  war  sie  negativ  =  43  Proz. 

Das  Serum  von  7  Patienten  mit  akuter  oder  chronischer  Bron¬ 
chitis  oder  kruppöser  Pneumonie  ergab  mit  normaler  Lunge  an¬ 
gesetzt:  positive  Reaktion  3  mal  =  43  Proz.,  war  zweifelhaft  1  mal 
=  14  Proz.,  war  negativ  3  mal  =  43  Proz. 

Von  4  mit  tuberkulöser  Lunge  angesetzten  reagierten  3  positiv 
=  75  Proz.,  1  negativ  =  25  Proz. 

Gerade  diese  letzten  Resultate  bedürfen  jedoch  unserer  Ansicht 
nach  noch  einer  weiteren  Nachprüfung,  da  sie  sich  auf  zu  wenig 
Fälle  stützen. 

Fassen  wir  zusammen,  so  reagierten  mit  normaler  Lunge 
Lungengesunde  in  20  Proz.,  Lungentuberkulose  in  24  Proz.;  mit 
tuberkulöser  Lungen  Lungengesunde  in  20  Proz.,  Lungentuberkulose 
in  83  Proz.  sicher  positiv. 

Kaninchenlunge  wurde  von  6  inzip.  Phthisen  3  mal  abgebaut. 

Niere,  häufig  mit  angesetzt,  wurde  nur  1  mal  von  einer  graviden 
Lungenkranken  abgebaut,  von  4  Nierenkranken  jedoch  2  mal  sicher 
und  1  mal  zweifelhaft. 

Aus  dem  Harn  gewonnenes  Eiweiss  wurde  von  keinem 
Phthisiker,  dagegen  von  6  Nierenkranken  4  mal  stark  abgebaut. 

Plazenta  wurde  12  mal  mit  angesetzt:  6  gravide  Frauen 
reagierten  alle  stark  positiv.  Schwach  positiv  reagierte  eine  Frau 
mit  Peritonealtuberkulose,  bei  einer  nichtgraviden  war  die  Reaktion 
zweifelhaft,  bei  2  nichtgraviden  Frauen  und  2  Männern  negativ. 

Ziehen  wir  aus  unseren  Versuchsresultaten  einen  Schluss,  so 
können  wir  sagen,  dass  zwar  ein  prozentual  überwiegender  Abbau 


tuberkulöser  Organe  durch  das  Serum  Tuberkulöser  stattfindet,  da? 
jedoch  bei  uns  auch  Nichttuberkulöse  sowohl  normale  wie  tubei 
kulöse  Lunge  abbauten.  Wir  sind  jedoch  nicht  imstande  zu  en' 
scheiden,  ob  es  sich  dabei  wirklich  um  einen  unspezifischen  Abba 
handelt,  da  es  möglich  ist,  dass  Versuchsfelder  bei  der  ausserorden 
lieh  schwierigen  Technik  den  Ausfall  der  Resultate  beeinträchtigei 

Herr  May  er- Bonn  erwähnt  kurz,  dass  er  an  der  med 
zinischen  Klinik  mit  der  Dialysiermethode,  die  er  selbst  im  Abder 
h  a !  d  e  n  sehen  Institut  kennen  gelernt  hat,  bisher  in  15  klinisc 
sicheren  Fällen  von  Tumor  ventriculi  noch  keine  eindeutigen  Resu 
täte  erzielte.  Bei  den  Versuchen  wurde  als  Substrat  Karzinom-  un 
Lymphosarkomgewebe  benutzt,  das  beides  von  Magenresektione 
herstammte.  In  den  meisten  Fällen  wurden  Karzinome  und  Sarkom 
in  annähernd  gleicher  Stärke  abgebaut  bei  Anwendung  doppelte 
Kontrollen,  ln  einem  Falle,  der  ante  operationem  die  Symptome  vo 
Carcinoma  incipiens  oder  Ulcus  perforans  in  der  Nähe  des  Pyloru 
bot,  wurde  Lymphosarkom  sehr  stark,  Karzinom  zwar  auch,  abel 
wesentlich  schwächer  abgebaut.  Die  mikroskopische  Untersuchun 
des  bei  der  Magenresektion  gewonnenen  Präparates  ergab  tatsäch 
lieh  Lymphosarkom.  Bei  einem  anderen  Falle  jedoch,  bei  dem  ausse 
gesunder  Magenschleimhaut  nur  noch  Lymphosarkom  sehr  stark  al¬ 
gebaut  wurde,  fand  sich  nachher  ein  karzinomatöses  Geschwür. 

Herr  Menzer:  Für  den  Kliniker  wäre  es  von  grosser  prak 
tischer  Wichtigkeit,  wenn  die  Abderhalden  sehe  Reaktion  für  di 
Geschwulstdiagnose  eine  ausschlaggebende  Bedeutung  hätte;  all 
übrigen  Ergebnisse  der  A.  R.  für  Schwangerschaft,  Psychiatrie  usv 
sind  doch  mehr  von  theoretischem  Interesse.  Leider  hat  die  A.  R.  i 
der  ersteren  Frage  bisher  nicht  sichere  Resultate  gegeben,  wie  auc 
der  Herr  Vortr.  anerkannt  hat.  Das  liegt  wohl  daran,  dass  nebe 
den  Abwehrfermenten  gegen  die  Geschwulstzellen  noch  unspezifischt 
gegen  das  im  Karzinom  so  reichliche  Bindegewebe  entstehen  un] 
diese  zu  Fehlresultaten  führen.  Man  hat  deshalb  schon  versuch 
Epithelzellen  u.  dgl.  isoliert  zu  gewinnen  und  gegenüber  diesen  di 
Sera  der  geschwulstverdächtigen  Menschen  zu  prüfen. 

Auch  die  Prüfung  der  Sera  verschiedener  Menschen  gegenüber 
tuberkulösen  Lungen  ist  nicht  einwandfrei,  weil  in  diesen  auch  daj 
Tuberkelbazilleneiweiss  enthalten  ist  und  auch  hier  reine  Reaktione 
gegenüber  Lungengewebe  nicht  erhalten  werden. 


Aus  den  Wiener  medizinischen  Gesellschaften. 

(Eigener  Bericht.) 

K.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte. 

Sitzung  vom  16.  Oktober  1914. 

Der  Vorsitzende,  Prof.  Dr.  S.  Exner  begrüsst  die  zahlreic 
erschienenen  Mitglieder  und  rühmt  die  ausserordentliche  Aufopfe 
rungsfähigkeit,  die  Tüchtigkeit  und  Grösse  der  Leistungen  unsere 
Aerzte  bei  ihrer  oft  freiwillig  übernommenen  Tätigkeit  im  Interess 
der  armen  kranken  und  verwundeten  Soldaten.  Die  Gesellschaft  de 
Aerzte  hat  schon  drei  Mitglieder  als  Opfer  des  Krieges  verloren,  e 
sind  dies  die  Herren:  Primararzt  Dr.  Alfred  Jungmann,  Dr.  Le> 
G  r  ü  n  f  e  1  d  und  Dr.  Ernst  Venus.  Die  Gesellschaft  wird  ihr  An 
denken  stets  in  Ehren  halten. 

Dr.  Siegfried  G  a  t  s  c  h  e  r  stellt  einen  russischen  Gefangene 
vor,  der  einen  Schuss  in  den  Rücken  bekam,  wobei  das  Projekti 
subkutan  weiter  ging  und  sodann  (röntgenoskopisch)  in  der  linkei 
hinteren  Schädelgrube,  dem  Basalteil  anliegend,  konstatiert  wurde 
Der  Mann,  der  überdies  einen  leichten  Streifschuss  am  linken  Ober 
arm  aufwies,  war  nach  dem  Rückenschusse  sofort  bewusstlos  zu 
sammengestiirzt,  klagte  sodann  über  starke  Kopfschmerzen,  hatte  Er 
brechen  und  Bradykardie  (50  Pulse),  ferner  eine  Abduzensparest 
hochgradige  Stauungspapille  mit  retinalen  Blutungen  rechts  etc.  D; 
am  Schädel  selbst  keine  Einschussöffnung  zu  finden  ist,  muss  mai 
annehmen,  dass  das  Projektil  vom  Rücken  aus,  als  der  Mann  ge 
bückt  stand,  unter  der  Haut  in  die  Schädelhöhle  eingedrungen  war 
vielleicht  durch  das  Foramen  occipitale.  Eine  leichte  Lähmung  de 
Mundfazialis  und  die  Abduzenslähmung  sind  wohl  zurückgegangen 
doch  besteht  die  Gefahr,  dass  sich  die  Kugel  gegen  die  Medull; 
oblongata  senken  könnte,  weshalb  in  den  nächsten  Tagen  operier 
werden  wird. 

Dr.  R.  Schwarzwald  zeigt  einen  Mann,  der  eine  Schuss 
Verletzung  in  die  rechte  Lendengegend  bekam  und  nur  einma 
Hämaturie  aufwies.  Das  Röntgenbild  zeigt  eine  Schrapnellkugel  h 
der  Blase.  Auch  in  diesem  Falle  wird  man  operativ  vorgehen 
Der  Vortr.  erinnert  an  eine  Demonstration  im  Vorjahre,  bei  welche 
der  gleiche  Befund  bestand,  wobei  der  Patient  nach  der  Operatioi 
rasch  genas. 

In  der  Diskussion  rät  v.  Eiseisberg  ebenfalls  im  erstei 
Falle  zur  Extraktion  des  Geschosses,  da  sich  in  der  Mehrzahl  de 
Fälle  um  dieses  ein  Erweichungsherd  und  später  ein  chronische 
Hirnabszess  bilde.  Hinsichtlich  des  zweiten  Falles  glaubt  v.  Eiseis 
b  e  r  g,  dass  hier  die  Blase  offenbar  stark  muskulös  und  kontrahier 
war,  daher  die  Kugel  in  der  Blase  selbst  liegen  blieb.  Er  hat  einet 
Fall  beobachtet,  bei  welchem  ein  Projektil  durch  die  Bauchdeckei 
eindrang  und  eines  Tages  mit  dem  Stuhle  abging.  Der  Mann  hatti 
nur  einige  diarrhoische  Entleerungen  und  etwas  Blutabgang,  sons 
aber  keinerlei  bedrohliche  Erscheinungen. 


Redaktion:  Dr.  B.  Spatz, 
München,  Amulfstrasse  26. 


MÜNCHENER 


Verlag  von  J  F.  Lehmann, 

München,  Paul  Heysestr.  26. 


Medizinische  Wochenschrift. 


Nr.  45.  10.  November  1914. 


Feldärztliche  Beilage  Nr.  14. 


Ueber  Gasgangrän. 

Von  Eugen  Fraenkel. 

Es  war  vorauszusehen,  dass  dieser  grausige  Krieg  mit  den 
durch  die  Wirkung  der  modernen  Geschosse  unausbleiblichen 
schweren  Verletzungen  zur  Beobachtung  allerhand  ernster,  in 
Friedenszeiten  nur  selten  zu  beobachtender  Wundinfektions¬ 
krankheiten  Anlass  geben  würde.  So  liegen  schon  jetzt  zahl¬ 
reiche  Mitteilungen,  über  gehäuftes  Auftreten  besonders  von 
zwei  hierher  gehörigen  Erkrankungen  vor,  den  Wundstarr¬ 
krampf  und  die  sogen.  Gasgangrän.  Während  dem  Gros  der 
Aerzte  Erfahrungen  über  die  erste  der  beiden  hier  genannten 
Affektionen  wohl  zur  Seite  stehen,  dürfte  das  Gleiche  nicht 
für  die  als  Gasbrand,  Gasphlegmone,  auch  Gangrene  fou- 
droyante  bezeichnete  Erkrankung  Geltung  haben. 

Ich  komme  daher  gerne  einer  seitens  der  verehrlichen  Re¬ 
duktion  dieser  Wochenschrift  an  mich  ergangenen  Aufforderung 
nach,  einen  ganz  kurzen  Ueberblick  über  die  Lehre  von  Gas¬ 
brand  zu  geben.  Erst  die  moderne  Bakteriologie  der  letzten 
beiden  Dezennien  hat  uns  Klarheit  über  seine  Aetiologie  ver- 
schafft.  Die  Affektion  schliesst  sich  als  Wundinfektion  häufig 
an  schwere,  Weichteile  und  Knochen  betreffende  Verletzungen 
an,  kann  aber  bisweilen  nach  geringfügigen  Läsionen 
Jer  Haut  und  des  Unterhautgewebes,  wie  beispielsweise  nach 
subkutanen  Injektionen,  auftreten.  Bei  den  Kriegsverletzungen 
scheinen  nach  den  bisherigen  Beobachtungen  Granatschüsse 
.jme  verhängnisvolle  Rolle  zu  spielen,  und  zwar  durch  das  Ein¬ 
dringen  von  Splittern,  die  nach  dem  Krepieren  der  Geschosse 
im  Erdboden  sich  mit  Erde  verunreinigt  haben. 

Es  ist  eine  bekannte  Tatsache,  dass  im  Erdboden 
acht  selten  sowohl  die  Erreger  des  Wundstarr- 
v  r  a  m  p  f  e  s,  als  auch  desmalignen  Oedems  und  des 
Jasbrands  angetroffen  werden.  So  dürfte  es  zu  ver¬ 
gehen  sein,  dass  Aerzten  der  verschiedensten  Lazarette  die 
raurige  Gelegenheit  gegeben  ist,  diese  seit  Einführung  der 
\nti-  und  Asepsis  in  Friedenszeiten  extrem  selten  gewordenen, 
fürchteten  Infektionskrankheiten  jetzt  in  grösserer  Zahl  zu 
ehen.  So  haben  zwei  meiner  bisherigen,  jetzt  auf  dem 
restlichen  Kriegsschauplatz  im  Felde  stehenden  Assistenten 
her  viele  Fälle  von  Gasgangrän  berichtet  und  ähnliches  hat 
nir  ein  befreundeter  Pathologe  geschrieben,  der  neben  einer 
^.gewöhnlich  grossen  Zahl  von  Tetanusfällen  auch  mehrere 
Jasphlegmonen  zu  sezieren  Gelegenheit  hatte. 

Das,  was  der  Erkrankung  ihren  Namen  verschafft  hat,  ist 
as  Auftreten  von  Gas  im  Gewebe,  das  sich  palpa- 
,?nsch  durch  feines,  bei  leisem  Betasten  wahrnehmbares 
.nistern  verrät,  wie  wir  es  von  dem  sich  bisweilen  nach 
racheotomien,  nach  ungeschicktem  Katheterisieren  der  Tuba 
ustachii,  nach  starken  Hustenanfällen  bei  keuchhustenkranken 
indem  einstellenden  Unterhautemphysem  her  kennen.  Im 
Gegensatz  zu  diesem,  durch  das  Eindringen  von  Luft  bewirkten 
niphysem  handelt  es  sich  beim  sogen.  Gasbrand  um  ei  n 
|Urch  Bakterienansiedlung  in  den  Geweben 
ntstehendes,  mit  zunderartigem  Zerfall  des 
nterhaut  -  und  Muskelgewebes  und  geringem 
ustritt  einer  annähernd  fleischwasser- 
rtigen  Flüssigkeit  einhergehendes  E  m  - 
nysem,  das  man  wegen  der  begleitenden,  meist  schweren, 
.as  Leben  bedrohenden  Störungen  des  Gesamtorganismus 


nach  Analogie  des  Oedema  malignum  auch  als  Emphysema 
malignum  bezeichnet. 


Die  Haut  über  dem  so  veränderten  Gewebe  kann  im 
ganzen  unverändert,  bisweilen  auffallend  blass  erscheinen. 
Letzteres  erklärt  sich  ungezwungen  aus  der  durch  die  oft  sehr 
rapide  Gasbildung  verursachten  Auftreibung  von  Unterhaut- 
und  Muskelgewebe  und  aus  der  sich  dann  auf  die  Haut  über¬ 
tragenden  Spannung.  In  anderen  Fällen  kann  aber  die  Haut 
ein  missfarben  rotes  Kolorit  darbieten,  wie  es  scheint  besonders 
dann,  wenn  es  zu  stärkerer  hämorrhagischer  Durchsetzung  der 
verletzten  Weichteile  gekommen  ist.  Hierbei  spielt  wahr¬ 
scheinlich  die  Fähigkeit  des  Krankheitserregers,  den  Blutfarb¬ 
stoff  zu  verändern,  eine  massgebende  Rolle;  bisweilen  sieht 
man  auch  Blasenbildung  an  der  Oberhaut. 

Schneidet  man  auf  in  dieser  Weise  erkrankte  Gewebe  ein, 
dann  entleert  sich  unter  deutlichem  Knistern  Gas,  und  man 
kann,  namentlich  in  der  Muskulatur,  spaltförmige  oder  kreis¬ 
runde  Lücken  sehen,  die  den  durch  lokalen  Effekt  der  an- 
gesied  eiten  Bakterien  erzeugten,  von  Gasblasen  durchsetzten 
Zerfallsherden  entsprechen.  Das  Muskelgewebe  zerfällt  dabei 
m  allei  feinstes  Material  und  man  kann  am  mikroskopischen 
Praparat  unter  Umständen  die  mit  einem  molekularen,  aus  er¬ 
weichter  kontraktiler  Substanz  bestehenden  Brei  erfüllten 
barkolemmschläuche  erkennen,  zwischen  denen  die  krankheits- 
auslösenden  Bakterien  in  dichten  Schwärmen  zusammenliegen 
Bei  längerem  Bestehen  der  Erkrankung  schwellen  die  den  Sitz 
einer  solchen  abgebenden  Körperteile  ganz  unförmig  an,  und  es 
kann  dann  sekundär  zur  Thrombosierung  ober- 
sächlicher  und  tiefer  Verienstämme  kommen, 
,rc,h  verhängnisvolle  Komplikationen  her¬ 
beigeführt  werden.  Bei  ausschliesslicher  Infektion  mit  den 
Erregern  der  Gasgangrän  bleibt  jede  Spur  einer 
Eiterung  aus.  Es  ist  daher  vielleicht  zweckmässig,  von 
der  Bezeichnung  Gasphlegmone,  die  event.  die  Vorstellung 
einer  von  Gasbildung  begleiteten  Gewebseiterung  erwecken 
könnte,  Abstand  zu  nehmen  und  die  Erkrankung  entweder 
kurzweg  als  Gasbrand  oder,  wie  oben  erwähnt,  als  m  a  - 
rl  g.P? s  Emphysem  zu  benennen.  Ganz  zutreffend  sind 
freilich,  wie  bemerkt  werden  mag,  auch  diese  Ausdrücke 
nicht. 


as  mm  die  in  Betracht  kommenden  Krankheitserreger 
anlangt,  so  handelt  es  sich  nach  der  grossen  Reihe  der  jetzt 
ciiis  allei  Herren  Länder  vorliegenden  kasuistischen  Mit¬ 
teilungen  nahezu  ausnahmslos  um  anaerobe  Bakterien. 
Es  fehlt  zwar  nicht  an  vereinzelten  Angaben,  denen  zufolge 
ciin-Ii  durch i  den  Proteus  Hauseri  (spez.  bei  Diabetikern)  auch 
durch  den  Kohbazillus  Oasgangrän  erzeugt  werden  könne.  In¬ 
des  spielen  diese  Bakterien,  deren  Bedeutung  für  die  Aetio- 
Icgie  des  Gasbrandes  keineswegs  allgemein  anerkannt  ist,  eine 
ganz  untergeordnete,  für  die  Praxis  nicht  zu  berücksichtigende 
Kölle.  Im  wesentlichen  sind,  wie  nochmals  betont  sei, 
exquisit  anaerobe  Bakterien  für  die  Entstehung  des 
Gasbrandes  verantwortlich  zu  machen. 

Ich  vertrete  dabei  den  Standpunkt,  nur  solchen  B  a  k  - 
t  e  r  i  e  n  eine  für  die  uns  beschäftigende  Krankheit  mass- 
geb  endeätiologische  Bedeutung  zuzuerkennen, 
di  e  in  Fallen  von  bei  Menschen  beobachtetem 
Gasbrand  gefunden  worden  sind,  nicht  aber  allen 
möglichen  Bakterien,  die  sich  aus  Erde,  aus  zersetzter  Milch, 


2218 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  4? 


aus  menschlichen  oder  tierischen  Schaumorganen  züchten 
lassen,  und  mit  denen  man  bei  Versuchstieren  ein  dem  beim 
Menschen  spontan  auftretendes  ähnliches  Krankheitsbild  her- 
vorrufen  kann.  Und  weiterhin  stelle  ich  die  Bedingung,  dass 
die  aus  Fällen  echter  menschlicher  Gasgan¬ 
grän  durch  Kultur  gewonnenen  Bakterien 
imstande  sind,  im  Experiment  die  gleiche  Er¬ 
krankung  zu  erzeugen.  Hält  man  sich  diese  For¬ 
derungen  vor  Augen,  dann  schrumpft  die  Menge  der  von  ein¬ 
zelnen  Autoren  als  Gasbranderreger  angesehenen  Bakterien 
auf  ein  Minimum  zusammen. 

Ausdrücklich  möchte  ich  bemerken,  dass  es  Fälle  geben 
kann,  die  klinisch  den  Eindruck  des  Gasbrands  machen,  und 
die  ätiologisch  doch  von  diesem  zu  trennen  sind,  weil  die  kul¬ 
turelle  Untersuchung  der  Krankheitsprodukte  Bakterien  zutage 
fördert,  die  von  denen  des  echten  Gasbrands  wesentlich  ver¬ 
schieden  sind.  Ich  denke  dabei  vor  allem  an  das  sogen, 
maligne  Oedem.  Wenn  auch  im  allgemeinen,  wie  schon  der 
Name  besagt,  ein  gewaltiges,  das  Unterhaut-  und  intramusku¬ 
läre  Gewebe  betreffendes,  bald  rein  seröses,  bald  sanguino¬ 
lentes  Oedem,  ähnlich  dem  bekannten  Milzbrandödem,  im 
Vordergrund  steht,  so  ist  doch  nicht  in  Abrede  zu  stellen,  dass 
neben  dieser  Durchtränkung  der  Gewebe  mit  Flüssigkeit  eine 
Durchsetzung  desselben  mit  allerfeinsten  Gasbläschen  bestehen 
kann.  Aber  diese  Erscheinung  tritt  vollkommen  zurück  gegen¬ 
über  dem  starken  Knistern,  das  den  Gasbrand  charakterisiert, 
bei  dem  die  Ausschwitzung  von  Flüssigkeit  einen  mehr  unter¬ 
geordneten  Befund  darstellt.  Es  sind  also  in  diesen  Fällen 
schon  klinische  Unterscheidungsmerkmale  vorhanden  und 
Kultur-  und  Tierversuch  führen  erst  recht  zu  einer  Differen¬ 
zierung  beider  Prozesse.  Namentlich  der  Tierversuch  ermög¬ 
licht  eine  Trennung  beider  Erkrankungen  unschwer.  Für  den 
Erreger  der  Gasgangrän  ist  das  Versuchstier 
x«r  oyry  das  Meerschweinchen,  für  den  des  ma¬ 
lignen  Oedems  vor  allem  das  Kaninchen,  das  sich 
dem  Haupterreger  der  Gasgangrän  gegenüber  vollkommen 
refraktär  verhält. 

Es  genügt  also  zur  Entscheidung  der  Frage,  ob  man  es  in 
einem  bestimmten  Fall  mit  echtem  Gasbrand  oder  mit  ma¬ 
lignem  Oedem  zu  tun  hat,  die  Einbringung  von  etwas  er¬ 
kranktem  Unterhaut-  oder  Muskelgewebe  unter  die  Bauch- 
haut  eines  Meerschweinchens  und  Kaninchens,  um  meist  nach 
12—18  Stunden  die  sichere  Diagnose  nach  der  einen  oder 
anderen  Seite  stellen  zu  können.  Im:  ersten  Fall  bleibt  das 
Kaninchen  gesund,  im  letzteren  stellt  sich  bei  ihm  ein  ge¬ 
waltiges,  1 — 2  Qnerfinger  dickes,  sich  von  der  Impfstelle  meist 
über  die  ganze  Bauch-  und  vordere  Thoraxfläche  ausdehnen¬ 
des,  gallertähnliches  Oedem  ein,  in  dem  man  hier  und  da 
allerkleinste  Gasbläschen  erkennen  kann.  Das  Meerschwein 
erkrankt  in  beiden  Fällen,  ist  aber  differentialdiagnostisch  doch 
insofern  zu  verwerten,  als  auch  bei  ihm,  falls  der  Erreger  des 
malignen  Oedems  in  Frage  kommt,  die  Gasbildung  gegenüber 
dem  mächtigen  Oedem  vollkommen  in  den  Hintergrund  tritt. 

Als  bei  weitem  wichtigster,  weil  bei  der  grössten 
Mehrzahl  aller  Fälle  von  echtem  Gasbrand  in  den  verschieden¬ 
sten  Teilen  des  Erdballs  nachgewiesener  Bazillus  kommt  der 
vom  Verfasser  im  Jahre  1892  gefundene,  seitdem  in  der 
deutschen  Literatur  als  Fraenkelscher  Gasbazillus 
bezeichnete  Mikroorganismus  in  Betracht,  der  obligat  anaerob, 
unbeweglich  ist,  nur  ganz  ausnahmsweise  Sporen  bildet. 
Namentlich  in  traubenzuckerhaltigen  oder  mit  anderen  redu¬ 
zierenden  Substanzen  (ameisensaures  Natron)  versetzten 
Nährböden  wächst  er  unter  starker  Gasbildung,  am  besten  bei 
Körpertemperatur,  aber,  wenngleich  erheblich  langsamer,  auch 
bei  Zimmerwärme.  Er  verflüssigt  Gelatine  und  bringt  Milch 
unter  lebhafter  Gasproduktion  zur  Gerinnung.  Es  ist  ein  ziem¬ 
lich  plumpes,  kurzes,  dickes,  sich  mit  allen  Anilinfarben,  auch 
nach  der  Gram  sehen  und  erst  recht  nach  der  Weigert- 
schen  Methode  tingierendes  Stäbchen,  dessen  Nachweis  an 
\usstrichpräparaten  von  erkranktem  Gewebe  mühelos  gelingt. 
Er  unterscheidet  sich  vom  Milzbrandbazillus  durch  seine  ab¬ 
gerundeten,  nicht  wie  bei  diesem  abgeschrägten  Enden  und 
durch  die  ihm  fehlende,  dem  Oedembazillus  aber  eigne 
Schlankheit.  Man  kann  also  bei  einiger  Uebung  schon  aus 
dem  einfach  herzustellenden,  mit  dünner  Karbolfuchsinlösung 


gefärbten  Ausstrichpräparat  die  Wahrscheinlichkeitsdiagnos 
auf  Gasbrand,  Milzbrand  oder  malignes  Oedem  stellen. 

Es  sind  späterhin,  namentlich  von  Ghon  und  Sach 
und  von  v.  H  i  b  1  e  r,  andere  ausgesprochene  Anaerobier  bt 
Fällen  von  menschlicher  Gasgangrän  gezüchtet  worden,  di 
sich  teils  kulturell,  teils  im  Tierversuch  von  dem  Fraenkel 
sehen  Gasbazillus  unterscheiden.  Ueber  die  Häufigkeit  ihre 
Vorkommens  beim  Gasbrand  wissen  wir  bislang  nicht 
Sicheres. 

Für  das  praktische  Handeln  ist  das  auch  unerheblich.  1; 
allen  Fällen  von  Gasbrand  kommt  es  darauf  an,  ein 
möglichst  frühzeitige  klinische  Diagnose  zk 
stellen  und  rasch  einzugreifen.  Denn  der  Prozess  ha; 
die  Tendenz,  sich  unter  Umständen  ganz  rapid  auszubreite» 
und  innerhalb  weniger  Stunden  eine  halbe,  ja  ganze  Extreinitä1 
zu  befallen.  Man  muss  deshalb  rasch  grosse  Inzisione; 
machen  und  für  ausgiebigen  Zutritt  von  Sauer 
Stoff  sorgen,  der  die  Weiterentwicklung  der  in  Betracli! 
kommenden  Krankheitserreger  hemmt.  Neuerdings  hat  maf 
erfolgreich  Infiltrationen  der  erkrankten  Ge 
webe  mit  ein  strömendem  Sauerstoff  aus  den  be 
kannten  Sauerstoffbomben,  die  zu  diesem  Zweck  mit  eine 
langen  Injektionsnadel  armiert  werden,  vorgenommen.  Es  ist 
auf  diese  Weise  gelungen,  ein  Weiterschreiten  des  Prozesse: 
zu  verhüten  und  so  das  Leben  und  die  erkrankte  Extremitä 
zu  erhalten.  Wo  diese  Massnahmen  nicht  ausreichen,  bleib 
nichts  übrig,  als  die  Amputation  der  ergriffenen  Extremität 
wonach  auch  noch  Heilung  eintreten  kann. 

Ernst  ist  die  Prognose  der  Gasgangrän  unte 
allen  Umständen,  aber  nicht  absolut  infaust.  In  etwi 
einem  Viertel  aller  Fälle  dürfte  es  gelingen,  durch  die  an 
geführten  Encheiresen  (Sauerstoffinfiltration  der  Gewebe,  aus 
gedehnte  Spaltungen  und  Ausstopfen  der  Wunden  mit  vo\ 
Wasserstoffsuperoxyd  durchtränkten  Tampons)  das  Leber 
und  die  Extremität  zu  erhalten,  in  anderen,  nach  Absetzung 
der  letzteren,  wenigstens  das  Leben  der  Patienten  zu  retten 
Ist  der  Prozess  auf  den  Hals  oder  den  Thorax  fortgekrocheq 
dann  dürfte  allerdings  jede  chirurgische  Hilfe  erfolglos  sein 
Von  einer  spezifischen,  antibakteriellen  Thera 
p  i  e  ist  nach  unseren,  bis  jetzt  in  dieser  Beziehung  angestellter 
experimentellen  Untersuchungen  nichts  zu  erwarten 
Auch  eine  innere  Behandlung  des  Leidens  kennen  wir  bishe 
nicht.  Der  Arzt  muss  sich  hier  darauf  beschränken,  sein  Han 
dein  so  einzurichten,  dass  die  Kräfte  der  Patienten  hoch 
gehalten  werden. 


Aus  dem  Feldlazarett  I.  Kgl.  bayer.  II.  Armeekorps. 

Lieber  einige  Fälle  von  Gasphlegmonen. 

Von  Privatdozent  Dr.  Franke  aus  Heidelberg,  Oberarzt  in 

Lazarett. 

Während  der  Tätigkeit  unseres  Lazarettes  in  Longueva 
vom  29.  September  bis  5.  Oktober  1914  hatte  ich  Gelegenheit 
6  Fälle  der  erwähnten  Erkrankung  zu  beobachten  und  mi 
einer  Ausnahme  selbst  zu  operieren.  Bei  der  Seltenheit  der 
artiger  Fälle  im  Frieden  dürfte  das  Krankheitsbild  nicht  all 
gemein  bekannt  sein  und  das  mag  diese  Mitteilung  recht, 
fertigen. 

Sämtliche  Erkrankten  hatten  als  Infektionsquelle  zerrissene 
Wunden  am  Unterschenkel,  wohl  ausnahmslos  hervorgerufen  durch 
Artilleriegeschosse.  Mit  bereits  ausgebildeter  Phlegmone  eingeliefer 
wurde  keiner  von  den  Verwundeten,  sondern  erst  während  des  Laza 
rettaufenthaltes  entstand  diese  schwere  Entzündung.  Der  Gruntj 
dafür  ist  das  ausserordentlich  schnelle  Fortschreiten  der  Phlegmone 
und  der  schnelle  Verfall  des  Körpers.  Meist  war  es  so,  dass  die  be¬ 
treffenden  Patienten  sich  am  Abend  noch  völlig  wohl  fühlten;  an 
nächsten  Morgen  bei  der  Visite  klagten  sie  dann  über  sehr  heftige 
Schmerzen  in  der  entsprechenden  Extremität,  das  Aussehen  war  ver 
fallen,  der  Puls  stark  beschleunigt,  und  die  Temperatur  zwischen 
39°  und  40°.  Eine  Ausnahme  soll  später  erwähnt  werden.  Dü 
Untersuchung  zeigte  übereinstimmend  den  Fuss  und  den  grösste: 
Teil  des  Unterschenkels  im  ganzen  graugelb  verfärbt  mit  starkei 
bläulicher  und  grüner  Marmorierung,  beim  Angreifen  eiskalt.  Die 
Verfärbung  reichte  immer  beträchtlich  weiter  als  die  kalte  Partie 
und  soweit  die  Erkrankung  reichte,  bestand  starke  Schwellung.  Au 
den  ersten  Blick  musste  man  nach  den  Erfahrungen  im  Frieden  ar 
eine  schnell  fortschreitende  Venenthrombose  denken.  Zweifel  in  Bei 
Diagnose  aber  waren  immer  schnell  zu  beseitigen  durch  den  Nach- 


10.  November  1914. 


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Fcldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


weis  ausgedehnter  (iasansammlungen  im  subkutanen  Gewebe,  die 
auch  noch  über  die  verfärbte  Zone  hinaus  nach  dem  Rumpfe  hin 
sich  erstreckten.  Gerade  die  Grenze  des  Erkrankten  gegen  das  Ge- 
sunde  war  besonders  druckempfindlich,  viel  mehr  als  der  periphere 
Teil  der  Extremität.  Wenn  man  einmal  dieses  Bild  gesehen  hat, 
wird  man  es  immer  leicht  auf  den  ersten  Blick  erkennen. 

Die  Drage  der  Behandlung  war  in  4  Fällen  leicht  entschieden. 
Der  periphere  I  eil  der  Extremität  war  bereits  eiskalt,  das  Allgemein¬ 
befinden  schlecht,  und  wer  es  nicht  gesehen  hat,  wird  kaum  glauben, 
wie  schnell  von  A  zu  A  Stunde  die  Phlegmone  nach  dem  Zentrum 
zu  fortschreitet.  Die  schleunigste  Amputation  an  der  Grenze  des  Ge¬ 
sunden  und  Kranken  war  das  einzig  Gegebene.  Wir  haben  mit  ein¬ 
zeiligem  Zirkelschnitt  operiert  und  die  Wunde  selbstverständlich 
\ollständig  offen  gelassen.  In  den  beiden  anderen  Fällen  aber  war 
das  Hautemphysem  bereits  auf  dem  Rumpfe  bis  zum  Bauch  und  in 
einem  lalle  bis  zur  seitlichen  rhoraxwand  fortgeschritten,  so  dass 
man  sich  fragen  musste,  ob  eine  Operation  überhaupt  noch  Zweck 
naben  konnte.  Aber  die  Ueberlegung,  dass  man  nichts  zu  verlieren, 
sondern  nur  zu  gewinnen  hatte,  erleichterte  die  Entscheidung  und 
ich  habe  beidemale  die  Exartikulation  im  Hüftgelenk  gemacht  nach 
vorheriger  extraperitonealer  Unterbindung  der  Arteria  iliaca  externa. 
Zu  meiner  grossen  Freude  und  Erstaunen  hat  sich  der  eine  Patient 
danach  schnell  erholt,  und  als  wir  ihn  am  dritten  Tage  nach  der 
Operation  aus  militärischen  Gründen  forttransportieren  mussten,  war 
_as  Emphysem  am  Bauch  und  der  seitlichen  Thoraxwand  zum  gröss¬ 
ten  Teil  resorbiert.  Die  Temperatur  hatte  nach  der  Operation  37,3° 
nicht  mehr  überschritten  bei  sich  ständig  besserndem  Allgemein¬ 
befinden.  Der  andere  Verwundete  aber,  der  vor  der  Operation  be- 
reits  eine  Temperatur  von  36,8°  hatte  und  sehr  schlechtes  Allgemein¬ 
befinden  (Kollaps)  ist  sofort  nach  Beendigung  des  Eingriffes  ge¬ 
storben. 

Zusammenfassend  möchte  ich  deshalb  sagen:  1.  das  er¬ 
mähnte  Krankheitsbild  ist  leicht  zu  erkennen  aus  dem  schnellen 
Entstehen  und  Fortschreiten  der  hohen  Temperatur  und  dem 
Nachweis  des  subkutanen  Emphysems  bei  zusehends  sich  ver¬ 
schlechterndem  Allgemeinbefinden.  2.  Auch  wenn  eine  A  b  - 
Atzung  im  Gesunden  nicht  mehr  möglich  ist,  braucht 
nan  nicht  vor  der  Operation  zurückzuschrecken,  die  auch 
)hne  die  Mittel  der  modernen  Klinik,  und  ich  denke  da  in 
nster  Linie  an  Sauerstoffinjektionen,  doch  noch  von  Erfolg 
begleitet  sein  kann. 


tus  dem  Reservelazarett  Diakonissenhaus  —  Universitäts- 
Nervenklinik  Freiburg  i.  B. 

Ueber  Kriegsverletzungen  des  Nervensystems*). 

Von  Prof.  Hotz. 

Unter  den  bisher  beobachteten  Schädigungen  des  Nerven- 
ystems  fanden  sich  besonders  am  Anfang  des  Feldzuges 
inige  Fälle  von  Commotio  cerebri  (durch  Aufschlagen 
ines  Granatsplitters  auf  den  Helm,  Kolbenschlag),  Verletzte, 
ei  welchen  die  Schädigung  des  Gehirns,  Benommenheit, 
tupor,  Pulsverlangsamung  bis  unter  50,  zunächst  ein  be- 
ngstigendes  Bild  darboten.  Die  genaue  Untersuchung  des 
chädels,  das  Verhalten  des  Pulses,  welcher  stets  regelmässig 
nd  ohne  die  charakteristische  Spannung  blieb,  das  Ausbleiben 
gend  welcher  Herdsymptome  und  nachträglicher  Erschei- 
ungen  einer  Basisfraktur  Hessen  erwarten,  dass  eine  schwere 
rganische  Verletzung  nicht  vorliege.  Diese  Patienten  er¬ 
sten  sich  dann  im  Laufe  einiger  Tage  vollkommen,  ohne  dass 
die  Indikation  zu  einem  operativen  Eingriff  erwachsen  wäre, 
lehrfach  machten  wir  die  Beobachtung  funktioneller 
törungen  im  peripheren  Nervensystem,  Sensibilitäts¬ 
prung  im  Bereich  der  einen  Körperhälfte  oder  des  Unter- 
ibes,  verbunden  mit  Blasenretention,  angebliche  Lähmung 
-S  Beines  nach  einem  Schuss  durch  die  Wade,  nach  wirk¬ 
ten,  meistens  harmlosen  perforierenden  Verletzungen  oder 
ich  im  Anschluss  an  den  Schock  eines  in  der  Nähe  explo- 
erenden  Artilleriegeschosses.  Die  objektive  Untersuchung 
ss  eine  durch  die  angegebene  Schusswirkung  erfolgte  anä¬ 
mische  Veränderung  nicht  erkennen;  irgendwelche  Läh- 
ungserscheinungen  waren  auszuschliessen.  Trotzdem  drängten 
‘rade  die  von  derartigen  Verletzten  angegebenen  inten- 
‘  en  Schmerzen  und  die  zur  Schau  getragenen,  oft  hoch- 
udigen  Funktionsstörungen  dazu,  eine  tiefgreifende  orga- 
sche  Verletzung  auf  den  ersten  Blick  anzunehmen.  Alle 


*)  Nach  einem  gemeinsam  mit  Herrn  Geh.-Rat  Prof.  Hochc 
gehaltenen  Vortrag  für  die  Freiburger  Lazarettärzte  am  20.  Sep- 

nber  1914. 


diese  Fälle  kamen  nach  einigen  Tagen  ohne  besondere 
Iherapie  langsam  zur  Ausheilung  und  die  in  dieser  Zeit  mit 
den  Verletzten  vorgenommene  eingehende  Unterhaltung 
zeigte,  dass  es  sich  meist  um  Individuen  handelte,  deren  Or¬ 
ganismus  durch  irgend  welche  frühere  allgemeine  Schädigung 
so  weit  disponiert  war,  dass  es  nur  der  Ueberanstrengung  des 
Feldzuges  oder  einer  mehr  schreckhaften  als  ernstlichen  Ver¬ 
letzung  bedurfte,  um  Erscheinungen  rein  funktioneller  Stö¬ 
rungen  des  Nervensystems  in  mehr  oder  weniger  starker 
Intensität  auszulösen,  ohne  dass  hierbei  allerdings  eine  be¬ 
wusste  Täuschung  oder  absichtliche  Aggravation  zutage  ge¬ 
treten  wäre,  wie  wir  sie  in  Friedenszeiten  so  häufig  beob¬ 
achten  als  Folge  der  sozialen  Unfallsgesetzgebung.  Selbst  bei 
Verwundung  der  Schädeldecken  durch  Schrapnell-  oder 
leichte  Streifschüsse  konnten  wir  gelegentlich  derartige,  rein 
funktionelle  und  mit  keiner  Gehirnlokalisation  zu  vereinbarende 
Störungen  beobachten.  Eine  Tatsache,  die  uns  mit  Rück¬ 
sicht  auf  die  operative  Tätigkeit  überaus  wichtig  erscheint  und 
einer  exakten  neurologischen  Untersuchung  besonderen  Wert 
verleiht Q. 

Die  Hirnkontusionen  werden  uns  immer  veranlassen,  mit 
der  operativen  Therapie  zurückzuhalten.  Wenn  wir  uns  auch 
bewusst  sind,  dass  die  im  Feldzug  beobachteten  Kopfver¬ 
letzungen  durch  ganz  andere  mechanische  Verhältnisse  ent¬ 
stehen  als  die  Schädigungen  in  Friedenszeit,  bei  welchen  die 
Basisfrakturen  und  die  intrakraniellen  Blutungen  überwiegen, 
so  müssen  wir  doch  zugeben,  dass  eine  sichere  Diagnose  viel¬ 
fach  nicht  leicht  und  erst  nach  Tagen  der  Beobachtung  zu  ent¬ 
scheiden  ist.  Besondere  Aufmerksamkeit  erfordern  die  ver¬ 
schiedenartigen  Herdsymptome,  eingerechnet  Störungen  des 
Sehvermögens,  Stauungspapille  und  die  Qualität  des  Pulses, 
welcher  nicht  den  Charakter  des  Druckpulses  oder  der  Vagus¬ 
lähmung  annehmen  soll,  neben  den  psychischen  Erscheinungen 
der  bei  ernster  Verletzung  in  Somnolenz  übergehenden  Be¬ 
wusstseinsstörungen. 

Die  Mehrzahl  der  sogen,  Kopfschüsse,  welche  in 
unsere  Beobachtung  gelangten,  umfasst  Verletzungen  der 
Schädel-  und  Gehirnwölbung.  Nur  in  zwei  Fällen,  welche 
ohne  weiteres  ausheilten,  sahen  wir  Querschüsse  durch  die 
Basis  mit  Verlust  des  einen  Sehnerven. 

Für  die  operative  Therapie  kommen  haupt¬ 
sächlich  in  Betracht  die  zahlreichen  Fälle 
von  Tangential  Schüssen,  deren  Einfluss  auf  das  Ge¬ 
hirn  durch  die  Impression  des  Schädeldaches,  Dura-  und  Ge¬ 
hirnverletzung  bekannt  ist.  Nicht  in  jedem  Falle  ist  der 
Knochen  selbst  mitbeteiligt,  wie  aus  folgender  Beobachtung 
hervorgeht: 

F  B-  w„  8-  Jägerbataillon.  Verwundet  am  29.  VIII.  Eintritt 
IX.  14.  Streifschuss  über  die  rechte  Kopfseite.  Anfangs  ohne 
Besinnung,  konnte  dann  wieder  mit  der  Truppe  marschieren,  fühlte 
jedoch  sogleich  eine  Störung  im  linken  Fuss. 

Hef  un  dl:  Ueber  der  rechten  Scheitelhöhe,  2cm  neben  der 
Mittellinie  findet  man  einen  6  cm  langen,  kaum  2  mm  breiten  Streif¬ 
schuss  der  ualea  ohne  Infiltration  oder  palpable  Veränderungen  des 
Knochens.  Dei  linke  Fuss  kann  in  Sprunggelenk,  Vorderfuss  und 
Zehen  nicht  bewegt  werden.  Beim  Gehen  wird  er  in  leichter  Aus¬ 
wartsrotation  nachgezogen  mit  spastischem  Gang,  starker  Fussklonus. 
Kmescheibenrefiex  links  gesteigert,  deutliche  Gefühlsstörungen  in 
Unterschenkel  und  Fuss.  Das  Röntgenbild  lässt  eine  Knochen- 
veranderung  nicht  erkennen 

Operation  am  4.  IX  14:  Da  die  Symptome  immer  gleich 
bleiben,  wird  eine  Schädigung  durch  Depression  der  Lamina  vitrea 
vermutet.  Lokalanästhesie,  Exzision  des  Wundstreifens  führt  auf  die 
intakte  Schädeloberfläche.  Mit  dem  Trepan  wird  erst  eine  Oeffnung 
gebohrt  bis.  auf  die  Dura,  dann  die  Knochenlücke  mit  L  u  e  r  scher 
Zange  erweitert.  Zwischen  Dura  und  Knochen  findet  sich  ein  dunkles, 
etwa  5  cm  breites,  flächenförmiges  Hämatom,  welches  mit  dem 
Löffel  entfernt  wird.  Genaues  Nachfühlen  zeigt,  dass  keine  Knochen- 
depression  der  Lamina  vitrea  vorliegt.  Die  Dura  wird  punktiert, 
etwas  altes  Blut  entleert  und  dann  gespalten  auf  2  cm  Länge.  Man 
tindct  über  dem  obersten  Teil  der  vorderen  Zentralwindung  eine 
blutige  Verfärbung  der  weichen  Hirnhaut.  Durch  Punktion  lassen 
sich  3  ccm  erweichter  hämorrhagischer  Hirnsubstanz  mit  der  Spritze 
entleeren,  Nun  ist  lebhaftere  Pulsation  zu  erkennen.  Da  keine 
penetrierende  Oeffnung  vorhanden  war,  wird  die  Dura  völlig  ver¬ 
näht.  Im  Knochen  resultiert  ein  Defekt  von  Mi:  2  cm.  Darüber 
wird  die  Kopfschwarte  völlig  verschlossen.  Heilungsverlauf  unge¬ 
stört,  die  Parästhesien  verschwinden  am  4.  Tag.  Am  13.  IX.  kann 


U  Die  neurologische  Bearbeitung  des  vorliegenden  Materiales 
verdanke  ich  der  Mitarbeit  des  Herrn  Geheimrat  Prof.  Hoche. 


2220 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  mcd.  Wochenschrift. 


Nr.  45 


Pat.  plötzlich  den  linken  Fass  und  die  Zehen  wieder  bewegen;  Fuss- 
klonus  ist  noch  vorhanden,  aber  geringer;  der  Gang  bessert  sich 
rasen.  Wunde  p.  p.  geheilt. 

Wir  ersehen  daraus,  dass  der  Streifschuss  durch 
Finbiegen  der  Konvexität  des  Schädels  eine 
lokalisierte,  und  je  nach  der  Lage  eingreifende  Schädigung  der 
Gehirnkonvexität  zur  Folge  haben  kann,  welche  sich  durch 
den  einfachen  Eingriff  der  Trepanation  und  Funktion  beseitigen 
lässt. 

2  K„  Res.-Inf.-Reg.  Nr.  15.  Verwundet  am  29.  VIII.  14,  Streif¬ 
schuss  an  der  linken  Schläfe.  Fintritt  am  2.  IX.  14. 

Befund:  Tangentialschuss  der  linken  Schläfenseite,  kleiner 
Einschuss  unterhalb  des  Tuber  frontale.  Ausschuss  3  qcm  gross,  3  cm 
oberhalb  der  Mitte  des  Jochbeins,  Streifschuss  der  Ohrmuschel. 
Zwischen  diesen  beiden  Punkten  ist  die  Kopfdecke  stark  geschwollen, 
i  emperatur  38,6,  Puls  60,  kehren  am  nächsten  Tag  zur  Norm  zurück, 
doch  zeig;  sich  eine  fortschreitende  Herabsetzung  der  Aufmerksam¬ 
keit,  zunehmender  Stupor,  Sprachstörungen  durch  schlechte  Arti¬ 
kulation,  während  die  Rede  und  das  Hörverständnis  nicht  beein¬ 
trächtigt  erschien.  Extremitäten  frei,  leichte  Parese  des  rechten 
Fazialis.  Zunge  gerade  vorgestreckt,  geringe  Schluckbeschwerden. 
7.  IX.  sehr  starke  Kopfschmerzen,  einmal  Erbrechen.  Puls  ge¬ 
spannt,  57. 

Operation  7.  IX.:  In  Narkose  wird  der  Schusskanal  gespalten, 
die  Ränder  exzidiert.  Man  findet  nun  eine  Knochenrinne,  beginnend 
4  cm  oberhalb  des  Orbitarandes  über  Stirnbein  und  Scheitelbein  bis 
oberhalb  des  Kiefergelenks.  Die  Rinne,  %  cm  breit,  ist  ausgefüllt 
von  zahlreichen  kleinen  Knochensplittern,  welche  z.  T.  weit  unter  den 
Knochen  auf  die  Dura  hereingedrückt  sind.  Diese  Rinne  wird  er¬ 
weitert,  ausgeräumt,  Duraverletzung  ist  nicht  zu  erkennen.  Man 
trifft  auf  die  A.  meningea  media  an  ihrer  Teilungsstelle  in  vorderen 
und  hinteren  Ast.  Durch  Umstechung  wird  dieses  Gefäss  ver¬ 
schlossen.  Dann  punktiert  man  durch  die  Dura,  spaltet  dieselbe  und 
entfernt  im  Bereich  der  3.  Stirnwindung  und  der  Fossa  Sylvii  3  ccm 
hämorrhagischen  Gehirnbreies.  Naht  der  Dura.  In  die  auf  3  cm  ver¬ 
breiterte,  6  cm  lange  Knochenrinne  wird  ein  Drain  eingelegt  und 
darüber  die  Weichteildecke  vernäht 

ln  den  folgenden  Tagen  bei  gutem  Temperaturverlauf  wird  das 
Sensorium  wesentlich  freier.  Am  9.  IX.  fängt  Pat.  an  zu  lesen  und 
zu  schreiben  Die  Sprache  ist  bis  auf  die  noch  deutlichen  Störungen 
in  der  Artikulation  ganz  frei  16.  IX.  wesentliche  Besserung  in  der 
Sprache.  Allgemeinbefinden  ungestört,  die  Wunde  ist  p.  p.  geheilt.“ 

3.  M.  G„  Inf.-Reg.  172  Eintritt  am  11.  IX.  14,  Verwundet  am 
7.  IX.  14.  Infanteriestreifschuss  auf  der  rechten  Seite  des  Hinter¬ 
kopfes.  Kurze  Zeit  bewusstlos,  geht  dann  selbst  zum  Verbandplatz. 

Befund:  Keine  Bewusstseinsstörungen.  Auf  der  rechten  Seite 
des  Hinterkopfes  findet  sich  eine  6  cm  lange,  vertikal  aufsteigende 
Strcifschusslinie  von  der  Lambdanaht  aufwärts  in  blutig  sulziger 
Umgebung.  Geringe  Sekretion.  Eine  Knochendepression  lässt  sich 
nicht  durchfühlen.  Bewusstsein  vollkommen  klar,  alle  Bewegungen 
normal,  angeblich  keine  Augenstörungen.  Temperatur  afebril.  Puls 
70,  regelmassig.  Bei  dem  Fehlen  aller  Gehirnsymptome  wird  von  der 
Annahme  einer  den  Schädel  perforierenden  Verletzung  abgesehen. 
Geringe  Wundsekretion.  Verlauf  bis  zum  13.  IX.  ohne  Störungen, 
dann  Klagen  über  Kopfschmerzen  im  Hintertiaunt.  Pat.  mag  nicht 
mehr  essen,  gibt  vollkommen  klare  Auskunft,  Nystagmus.  15.  IX. 
Puls  zwischen  70  und  60  Zeitweise  etwas  benommen.  Gibt  an, 
er  könne  nicht  mehr  deutlich  sehen.  Nystagmus,  starke  Stauungs¬ 
papillen  beidseits,  rechts  mit  beginnender  Neuritis.  Sehschärfe  hat 
rasch  abgenommen.  Heftige  Kopfschmerzen,  keine  Temperatur¬ 
steigerung. 

Das  Röntgenbild  zeigt  in  der  Gegend  des  rechten  Parietal¬ 
lappens  eine  tiefe  Impression  von  etwa  Dreimarkstückumfang. 

Operation  am  16.  IX.:  Lokalanästhesie  durch  Umspritzung. 
Umstechungsnähte  zur  Blutstillung  Man  umschneidet  in  vertikaler 
Linie  die  Wundränder  und  gelangt  auf  eine  4:2cm  grosse  De¬ 
pressionsfraktur  der  Schädeloberfläche.  In  kreisförmigen  Lamellen 
sind  die  Knochenstücke  in  die  Tiefe  gepresst,  so  stark,  dass  weder 
Blut  noch  Gehirnsubstanz  austreten  kann.  Die  Knochenlücke  wird 
auf  allen  Seiten  etwas  erweitert.  Es  gelingt  so,  3  grössere  De¬ 
pressionsstücke  über  der  Dura  zu  entfernen.  An  einer  Stelle  findet 
sich  ein  1  cm  langer  Riss  in  der  harten  Hirnhaut,  aus  welcher  sofort 
mit  Druck  altes  Blut  und  etwa  1  Kaffeelöffel  voll  breiförmige  Hirn¬ 
substanz  herausquillt.  Die  Splitter  werden  entfernt,  die  Dura  legt 
sich  nun  in  den  knöchernen  Defekt  ein  Ein  kleiner  Tampon  wird 
in  den  Schlitz  derselben  eingeführt,  grosser  Verband.  2  Stunden 
später  gibt  Pat  an,  er  fühle  sich  bis  auf  geringen  Wundschmerz 
wieder  vollkommen  wohl.  Die  Kopfschmerzen  seien  ganz  ver¬ 
schwunden.  Weitere  Heilung  ungestört.“ 

Aus  diesen  Beobachtungen  geht  hervor,  dass  das  Ver¬ 
halten  der  äusseren  Schädelwunde  in  keinem 
he  stimmten  Verhältnis  steht  zu  der  funk¬ 
tionellen  Gehirnstörung.  Die  Palpation  lässt  mei¬ 
st!  ns  wegen  der  starken  Anschwellung  der  Weichteile  keinen 
Rückschluss  zu  auf  die  Ausdehnung  der  Verletzung  des  Schädel¬ 


daches.  Einzig  das  Röntgenbild  kann  uns  in  dieser  Hinsich 
genaueren  Aufschluss  geben. 

In  einem  Falle  von  Querschuss  durch  das  Parietalhiri 
sahen  wir  3  Wochen  nach  der  Verletzung  keinerlei  funktio 
nelle  Störung.  Der  Ausschuss  zeigte  geringe  Fistelbildung  in 
folge  eines  kleinen  demarkierten  Sequesters.  Steck 
s  c  h  ii  s  s  e  können  recht  harmlos  verlaufen.  Zweimal  saher 
wir  französische  Infanteriegeschosse,  welche  als  Querschlägei 
von  vorne  in  das  Stirnhirn  eingebrochen  waren.  Es  zeigt! 
sich  auch  hier,  dass  bei  umfangreicher  Verletzung  keine  Folget 
von  Gehirndruck  eintraten.  Kleinere  Steckschüsse  wiederun 
können  ausgedehnte  Lähmungserscheinungen  im  Gefolgt] 
haben,  wenn  das  motorische  Rindengebiet  beteiligt  ist. 

4.  L.  B..  Regt,  de  ligne  220.  Eintritt  am  27.  VIII.  Schussver- 
Ietzung  der  rechten  Schädelseite  am  25..  VIII.,  kann  nicht  angeben, 
durch  welche  Waffe. 

Befund:  Kleine,  trockene  Galeawunde  über  dem  rechten 
Parietale  mit  derber  Infiltration  der  umgebenden  Weichteile.  Art 
zwei  Stellen  geringfügige  Schürfung.  Linker  Arm  und  linkes  Bein 
sollen  gleich  nach  der  Verletzung  gelähmt  gewesen  sein,  so  dass 
der  Verletzte  nicht  mehr  gehen  konnte.  Jetzt  zeigt  sich  eine  schlaffe 
Lähmung  der  linken  Hand  und  des  linken  Vorderarmes.  Elevation 
de.-,  Oberarms  nur  mit  geringer  Kraft  möglich.  Unterschenkel,  Fuss 
gut  zu  bewegen,  der  Oberschenkel  wird  nur  mit  geringer  Kraft  ge¬ 
hoben  und  gestreckt  Temperatur  37,2,  Puls  80.  29.  VIII.  Während 
der  Nacht  zunehmende  Kopfschmerzen,  Apathie,  stärkere  Parese  des 
linken  Beines. 

Diagnose:  Knochendepression  (Schussverletzung  des  rechten 
Arm-  und  Beinzentrums). 

Operation  29.  VIII.:  Nach  Krönlein  wird  der  Sulcus 
centralis  markiert,  dann  in  Narkose  ein  kleinhandtellergrosser  osteo-j 
plastischer  Lappen  mit  Trepan  und  Fräse  freigelegt.  Man  findet 
eine  Vs  cm  grosse  rundliche,  glatte  Perforation  des  Knochens,  welche 
auch  die  Dura  perforiert  hat.  Aus  dieser  Oeffnung  quillt  beim  Ab¬ 
heben  sofort  unter  Druck  etwas  braunroter  Gehirnbrei  vor. 

Vorerst  wird  punktiert,  mit  der  Spritze  noch  etwa  4  ccm  dieser 
hämorrhagischen  Masse  aspiriert,  dann  die  Dura  gespalten.  Man 
findet  über  c’cr  vorderen  Zentralwindung  unter  der  Dura  ganz 
geringe  blutige  Auflagerungen.  Die  weichen  Gehirnhäute  sind  in- 
farziert  und  lassen  noch  etwas  Gehirnbrei  austreten.  Ein  Projektil1 
ist  mit  der  Sonde  nicht  zu  fühlen,  wird  auch  nicht  weiter  gesucht. 
Mit  der  Fräse  wird  die  Knochenlücke  erweitert,  dann  durch  den 
Einschuss  ein  Drain  durch  die  Dura  bis  in  den  Erweichungsherd 
eingelegt  und  darüber  der  Knochendeckel  reponiert,  die  Haut  vernäht. 
30.  VIII.  Temp.  37.8,  Puls  70.  Der  Vorderarm  kann  wieder  bewegt 
werden,  in  den  folgenden  Tagen  stellt  sich  die  Beweglichkeit  des 
gelähmten  Armes  und  des  Beines  wieder  her.  Es  bleibt  noch  eine 
leichte  Ataxie  zurück,  welche  das  Gehen  etwas  erschwert.  Entlassen 
am  10.  IX.  Trepanation  p.  p.  geheilt.  Keine  Sekretion.  Leichte 
Parese  und  Ataxie. 

Eine  Zerstörung  von  Gehirnsubstanz  kann 
direkt  durch  das  Geschoss  oder  die  ver¬ 
lagerten  Knochensplitter  zustande  kommen. 
Aus  unseren  Fällen  sehen  wir,  dass  aber  noch  ein  anderer 
Vorgang  für  die  Gehirnschädigung  massgebend  ist,  einei 
posttraumatische  Gehirnerweichung,  welche 
auf  frische  Blutungen,  Oedem  und  lokale  Zir¬ 
kulationsstörungen  zu  beziehen  ist.  Unter 
diesem  Einfluss,  wie  auch  unter  dem  Druck  eingetriebener 
Knochensplitter  kommt  es  zu  vitalen  Ernährungsstörungen  der 
primär  Ungeschädigten  Hirnsubstanz  in  der  Umgebung  der 
Verletzungsstelle  und  es  resultiert  daraus  eine  mehr  oder 
weniger  ausgedehnte  Nekrose  progredienten  Charakters,  wie 
sic  z.  B.  Bergmann,  neuerdings  wieder  Borchardt  her¬ 
vorgehoben  hat.  Diesen  durch  den  Operationsbefund  nach¬ 
gewiesenen  Veränderungen  entsprechen  auch  die  klinischen 
Beobachtungen.  Nach  Abklingen  der  ersten  Ver¬ 
letzungsfolgen  sehen  wir  bei  diesen  Hirn¬ 
schüssen  regelmässig  ein  Intervall,  welches 
sich  bei  recht  gutem  Befinden  über  mehrere 
Tage  erstrecken  kann.  Erst  später  zeigt  sich 
dann  eine  zunehmende  Verschlimmerung, 
welche  in  allgemeinen  Druckerscheinungen. 

Bewusstseinsstörungen,  heftigen  Kopf¬ 
schmerzen,  Druck  puls  und  in  lokal  gestei¬ 
gerten  Reizungs  -  oder  Lähmungssymptomen, 
kombinierten  Herderscheinungen,  z.  B.  Bra¬ 
ch  i  o  -,  später  k  r  u  r  a 1 e  r  Typus  oder  Sprach¬ 
störungen  mit  Fazialisparese  zum  Ausdruck 
kommt.  In  allem  erkennen  wir  auch  kliifisch  die 


10.  November  1914. 


2221 


Feldärztlichc  Beilage  zur  Münch.  med.  Wochenschrift. 


Tatsache  einer  progredienten  H i r  n  s  c  h  ä d i  - 
-ung,  bedingt  durch  die  aus  Trauma  und  Zirkulations¬ 
störungen  resultierende  aseptische  Hirnerweichung,  welche 
namentlich  bei  den  I  angentialschüssen  durch  ausgedehnte 
Knochendepression  und  vermehrten  Hirndruck  begünstigt  wird. 

Perforationsschüsse  zeigen  im  allgemeinen  sel¬ 
tener  diesen  Verlauf,  weil  meistens  die  Knochendeformation 
geringfügiger  und  die  beiden  Schussöffnungen  besser  geeignet 
sind  zu  natürlichem  Ausfluss  und  Druckentlastung.  Eine 
spontane  Heilung  der  Tangentialschussverletzung  i  s  t 
zweifellos  möglich.  Der  Herd  kommt  zur  Abkapse¬ 
lung,  kann  sich  nach  Resorption  zu  einer  Zyste  formieren  oder 
bindegewebig  organisiert  werden.  Immer  tesultiert  daraus 
auch  eine  Narbe  mit  der  Möglichkeit  von  Spätfolgen  wie 
traumatischer  Epilepsie. 

Neben  der  unter  aseptischen  Verhält¬ 
nissen  sich  vollziehenden  traumatischen  Ge¬ 
hirnerweichung  kennen  wir  eine  infektiöse 
Form,  Enzephalitis,  bei  welcher  ausser  den  genannten 
mechanischen  Störungen  die  infektiöse  Schädigung  in  den 
Vordergrund  tritt.  Entzündungserreger  werden  durch  das  Ge¬ 
schoss,  häufiger  durch  eingetretene  Teile  der  äusseren  Schädel- 
dccke,  Haare,  Kopfbedeckung,  in  die  Tiefe  verschleppt  und 
finden  in  dem  durch  die  Verletzung  vorbereiteten  Medium  Ge¬ 
legenheit  zu  ausgedehnter  Zerstörung.  Diese  infektiöse  En¬ 
zephalitis  kann  bei  primär  harmlos  erscheinenden  Gehirnver¬ 
letzungen  (besonders  geeignet  sind  wiederum  die  Tangential- 
:nd  Steckschüsse)  jederzeit  einsetzen.  Oft  finden  wir  auch  in 
Jiesem  Krankheitsbild  ein  anfängliches  Latenzstadium,  nament- 
ich  bei  wenig  ausgedehntem  Trauma. 

„5-  K.  J.,  Inf -Regt.  40  Verwundet:  Tangentialschuss  des 
schädels,  am  4  IX.  14.  Eintritt  11.  IX.  14.  Kopfschuss  über  dem 
inken  Stirnbein.  Einschuss  links.  Tuber  frontale,  Ausschuss  5  cm 
iberhalb  der  Mitte  des  Jochbogens.  Haut  hier  sternförmig  ge¬ 
palten,  motorische  Aphasie.  Wortverständnis  erhalten,  Wortbildung 
eilweise  erloschen.  Drucksymptome  bestehen  vorerst  nicht.  Pat. 
st  etwas  euphorisch.  Fieberfrei.  13.  IX.  Sprache  wesentlich  ge- 
»cssert,  erkennt  Bekannte,  mit  denen  er  sich  gut  unterhält.  Abends 
Alls  60,  gespannt.  Temperatur  38,5.  Aus  der  Hirnwunde  ergiesst 
-ich  ziemlich  viel  braunroter  Brei.  14.  IX.  14.  Sprache  wieder 
nonoton,  leichte  Lähmung  des  rechten  Nervus  facialis.  Röntgenbild 
eigt  oberhalb  und  hinter  dem  Stirnhöcker  eine  tiefe  Depression. 
Alls  schwankend,  Parese  dauert  an. 

15.  IX.  14  Operation  in  Lokalanästhesie.  Nach  Umstechung 
vird  die  Wunde  exstirpiert,  gegen  den  Stirnhöcker  zu  erweitert. 
Jan  findet  einen  vorne  schmalen,  hinten  breiteren  Rinnenschuss  mit 
ingedrückten  Fragmenten.  Diese  werden  entfernt.  Hiebei  quillt 
nter  der  weit  zerfetzten  Dura  eine  grosse  Menge  braunroter  übel¬ 
iechender  Gehirnsubstanz  unter  starkem  Druck  vor.  Man  findet  in 
er  Tiefe  noch  einige  eingedrückte  Splitter,  welche  herausgezogen 
verden.  Spülung  des  Defektes  mit  NaCl-Lösung,  welche  reichlich 
erfetzte  Gehirnsubstanz  herausfördert.  Die  Knochenrinne  beträgt 
twa  6: 2%  cm.  Finführen  eines  kurzen  dicken  Drains  in  die  Tiefe 
er  Wunde.  Lockere  Tamponade  der  Weichteile.  Abends  Reizungen 
ii  rechten  Arm  und  Bein.  16.  IX.  Schlaffe  Lähmung  des  Armes 
nd  Beines.  Sprache  auf  „ja  und  nein“  beschränkt.  Kein  Druck¬ 
es.  Wiederum  viel  Gehirnbrei  ausgetreten.  Drain  entfernt.  18.  IX. 
öllig  benommen.  Deviation  nach  links.  Starker  Prolaps  nekroti- 
cher  Hirnmassen.  Temp.  39,8.  21.  IX.  Exitus.  Die  Sektion  zeigt 
einahe  vollständige  Zerstörung  der  ganzen  linken  Grosshirn- 
emisphäre.  Erhalten  ist  nur  eine  etwa  1  cm  dicke  wandständige 
Glicht  im  Stirnhirn  und  Schläfenhirn.  Die  Erweichungshöhle  hat 
twa  die  Grösse  einer  Faust.  Ins  Innere  ragt  die  thrombosierte 
.  fossae  Sylvii.  Ein  Durchbruch  in  den  Ventrikel  ist  nicht  erfolgt. 

Die  eitrige  Enzephalitis  schliesst  sich  oft  ohne  Intervall 
irekt  an  das  Trauma  an  bei  ausgedehnten  Hirnverletzungen, 
innenschüssen  mit  Sprengung  des  Schädeldaches  und  Hirn- 
rolaps,  wenn  die  Infektionsquelle  nicht  primär  durch  ge- 
ignete  operative  Massnahmen  beseitigt  wurde. 

S.,  Leutnant.  Verwundet,  Kopfschuss.  2.  IX.  14.  Einschuss  auf 
"r  Höhe  der  rechten  motorischen  Windungen,  markstückgross.  Aus¬ 
muss  am  Hinterkopf  rechts  handtellergross.  Völlige  Lähmung  des 
nken  Armes,  der  Hand  und  des  Beines.  Nystagmus.  Konjugierte 
eviation  nach  rechts.  Bewusstsein  fehlt.  Gestern  plötzlich  Tem- 
-raturanstieg  bis  40,5.  Leichte  Krämpfe  in  der  linken  Hand.  Puls 
Hangs  sehr  schlecht,  jetzt  120.  Lässt  Urin  unter  sich. 

Operation  am  2.  IX.  14  nachts  1  Uhr  in  Wolfach. 

Man  eröffnet  den  Einschuss,  findet  bis  zum  Ausschuss  eine  Tan- 
mtialrinne  im  Schädelknochen  und  Gehirn.  Dieses  prolabiert  stark, 
t  aussen  jauchig  belegt.  Die  ganze  Schussrinne  wird  gespalten,  die 
hnmtzigen  Hirnteile  abgetragen,  ein  Drain  eingelegt,  die  Weichteile  1 


darüber  vernäht.  Morgens  5  Uhr  Temperaturabfall,  gut  erholt,  Läh¬ 
mung  von  Arm  und  Bein  unverändert.  4.  IX.  14  gestorben.  Enze¬ 
phalitis.  Sektion  nicht  möglich. 

Diese  infektiöse,  häufig  jauchige  Enzephalitis  zerstört  sehr 
rasch  auch  solche  Gehirnteile,  welche  dem  Verletzungsherd 
sehr  fern  liegen  und  führt  unter  zunehmenden  Reizungs-,  dann 
Lähmungserscheinungen,  C  h  e  y  n  e  -  S  t  o  k  e  s  scher  Atmung 
in  wenigen  lagen  zum  Exitus.  Man  wird  versuchen,  das  in¬ 
fektiöse  Material  aus  der  Wunde  zu  entfernen,,  den  Schädel 
weit  zu  eröffnen,  den  Erweichungsherd  freizulegen  und  zu  drai- 
nieren.  Leider  ist  die  Aussicht  auf  Erfolg  recht  gering. 

Unser  Beobachtungsmaterial  führt  zu  der  Erkenntnis,  dass 
in  der  Mehrzahl  der  Schädelschüsse  ein 
grösserer  Erweichungsherd  vorliegt,  wel¬ 
cher  häufig  progredienten  Charakter  zeigt, 
wenn  auch  keine  Infektion  vorhanden  ist.  Un¬ 
günstig  verlaufen  die  Fälle  der  eitrigen  oder  jauchigen  En¬ 
zephalitis. 

Für  die  T  h  e  r  a  p  i  e  empfehlen  wir  auf  Grund  der  eigenen 
Ei  tahrungen  und  in  Anlehnung  an  die  Empfehlungen  von 
Dettingen,  D  i  1  g  e  r  und  Meyer  die  Tangential¬ 
schüsse  operativ  anzugreifen,  sobald  dies 
von  geübter  Hand  unter  guten  aseptischen 
Bedingungen  in  Ruhe  geschehen  kann.  Sehr 
dringlich  ist  die  Operation  nur  in  den  Fällen  mit  sehr  aus¬ 
gedehnter  Schädel-  und  Gehirnverletzung.  Die  grosse 
Mehrzahl  der  Tangentialschüsse  kann  unter 
exaktem  aseptischen  Verband  auch  nach  den 
L  a  n  d  e  s  s  p  i  t  ä  1  e  r  n  im  Innern  in  mehrstündiger  Auto¬ 
oder  Eisenbahnfahrt  transportiert  werden,  ohne  dass 
für  den  Kranken  aus  diesem  Transport  ein  grösserer  Schaden 
erwachsen  wird.  Zweckmässig  ist  in  jedem  Falle  eine 
Röntgenaufnahme,  welche  uns.  über  die  Ausdehnung  der 
Schädelverletzung  und  das  Vorliegen  von  Projektilen  sicheren 
Anhalt  gibt.  Die  Operation  besteht  in  der  unter  Lokal¬ 
anästhesie  mit  Heidenhain  scher  Umstechung  ausgeführten 
Exzision  der  Weichteilwunde,  Entfernung  der  Knochensplitter, 
besonders  auch  solcher,  welche  zwischen  Dura  und  Cranium 
verlagert  sind.  In  der  Dura  werden  wir  grössere  Gefässe,  wie 
die  A.  meningea  media,  zweckmässig  umstechen,  dann  punk¬ 
tiert  man,  falls  die  Dura  nicht  verletzt  ist,  über  der  Höhe  des 
Quetschungsherdes,  um  erweichte  Gehirnmasse  zu  aspirieren. 
Man  inzidiert  die  Dura  auf  1 — 2  cm  Länge  und  entleert  mög¬ 
lichst  schonend  mit  leichtem  Strahl  physiologische  Kochsalz¬ 
lösung,  gequetschte  Teile  der  Gehirnrinde. 

Nachdem  sich  die  Pulsation  des  Gehirns  wiederher¬ 
gestellt  hat,  vernäht  man  die  Dura  völlig,  verschliesst  über 
der  rinnenförmigen  Knochenlücke  die  äusseren  Weichteile 
exakt  bis  auf  eine  kleine  Drainöffnung.  Im  Falle  einer  pri¬ 
mären  Perforation  der  Dura  wird  man  die  eingedrückten 
Splitter  und  naheliegenden  Projektile  bei  Steckschüssen  mög¬ 
lichst  schonend  extrahieren,  vorgefallene  Gehirnmassen  über 
der  Dura  sind  abzutragen,  der  Riss  in  der  Dura  wird  ange¬ 
frischt  und  nach  der  vorgenommenen  Splitterausräumung  bis 
auf  eine  kleine  Lücke  vernäht,  aus  welcher  ein  kleines  Drain 
oder  ein  lockerer  Gazestreifen  das  Wundsekret  nach  aussen 
ableitet.  In  jedem  Falle  aber  hat  die  operative  Behandlung 
grösste  Rücksicht  zu  nehmen  auf  die  durch  die  Verletzung 
nicht  geschädigte  Umgebung.  Nur  bei  der  infektiösen  En¬ 
zephalitis  werden  wir  uns  dazu  entschliessen  müssen,  die 
Knochen-  und  Duraöffnung  weiter  zu  gestalten  und  durch 
Drain  offen  zu  halten,  um  völlig  freien  Abzug  nach  aussen  zu 
haben.  Den  Hirnprolaps,  soweit  er  nicht  durch  Vernähen  der 
Dura  verhindert  werden  kann,  dürfen  wir  bei  voraussichtlich 
mcht  infizierten  Wunden  durch  eine  aufgelegte  Faszienplatte 
\  erschlossen.  Bei  der  eitrigen  Enzephalitis  werden  wir  ver¬ 
suchen  müssen,  durch  aufsaugende  komprimierende  Verbände 
die  durchquellenden  Hirnmassen  zurückzuhalten  und  können 
eine  Deckung  erst  für  spätere  Zeit  in  Aussicht  nehmen. 

(Schluss  folgt.) 


2222 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  4f 


Zur  Behandlung  der  Schussverletzungen  des  Rücken- 
'  marks. 

Von  Prof.  Dr.  Quieke,  zurzeit  Leiter  des  Festungslazarettes  I 

in  Strassburg  i.  E. 

Die  Schussverletzungen  des  Rückenmarks  bilden  eines 
der  traurigsten,  wenn  nicht  das  traurigste  Kapitel  der  Kriegs- 
chirurgie.  Vom  Moment  der  Verletzung  an  hilflos  gelähmt, 
unfähig,  sich  fortzubewegen,  unfähig  sich  sauber  zu  halten, 
gehen  die  unglücklichen  derart  Verletzten  an  Meningitis,  auf¬ 
steigender  Infektion  der  Harnwege,  rapide  zunehmendem  De¬ 
kubitus,  allgemeiner  Sepsis  oder  sonstigen  Komplikationen  in 
wenigen  Wochen  oder  Tagen  zugrunde.  Eine  Heilung  tritt  in 
den  allerseltensten  Fällen,  und  nur  da  ein,  wo  das  Rücken¬ 
mark  verhältnismässig  leicht  verletzt  ist.  Uebereinstimmend 
wird  von  allen  Kriegschirurgen  auf  die  sehr  schlechte  Pro¬ 
gnose  auch  operativ  behandelter  derartiger  Verletzungen  hin¬ 
gewiesen. 

Kein  Wunder,  wenn  nach  den  schlechten  bisherigen  Er¬ 
fahrungen  unter  den  im  jetzigen  Kriege  tätigen  Aerzten  selbst  bei 
manchen  Chirurgen  wenig  Neigung  besteht,  den  Rückenmarks¬ 
schüssen  gegenüber  aktiv  vorzugehen.  Kein  Wunder,  wenn 
mancher  derartige  Fall  als  aussichtslos  gelegentlich  auch  vom 
Chirurgen  in  ein  Lazarett  für  innere  Kranke  gelegt  wird,  wie 
ich  mehrfach  gesehen  habe.  Und  doch  ist  dieser  Standpunkt 
meines  Erachtens  falsch! 

Das  Schicksal  der  Rückenmarksverletzten  hängt  davon 
ab,  ob  das  Rückenmark  durch  das  Trauma  so  schwer  ge¬ 
schädigt  ist,  dass  eine  Erholung  nicht  mehr  eintreten  kann, 
oder  ob  das  Rückenmark  noch  erholungsfähig  ist.  Das 
Rückenmark  kann  völlig  zerquetscht  oder  durchspiesst  sein, 
es  kann  durch  das  Projektil  oder  Knochensplitter  gequetscht 
oder  nur  leicht  gedrückt  werden.  Der  Druck  auf  das  Rücken¬ 
mark  kann  ganz  vorübergehend  im  Moment  des  Durch¬ 
schlagens  des  Projektils  einwirken,  oder  er  kann  bei  Liegen¬ 
bleiben  des  Projektils  im  Wirbelkanal  oder  bei  Verlagerung 
von  frakturierten  Knochenstücken  dauernd  bestehen  bleiben. 
Die  verschiedenen  Abstufungen  der  Gewalteinwirkung,  von 
denen  das  Leben  des  Verletzten  abhängt,  sind  diagnostisch 
nicht  ohne  weiteres  zu  unterscheiden.  Wenn  auch  das 
Röntgenbild  wertvolle  Aufschlüsse  über  den  Sitz  des  Projek¬ 
tils  und  die  Anwesenheit  von  Knochensplittern  gibt,  so  haben 
wir  doch  keinen  Gradmesser  für  die  Schädigung  des  Rücken¬ 
markes.  Darüber  kann  uns  nur  die  operative  Freilegung  Auf¬ 
schluss  geben. 

Es  liegt  nun  auf  der  Hand,  dass  bei  schwer  ge¬ 
schädigtem  oder  völlig  zerquetschtem  Rückenmark  jeder  Ein¬ 
griff  nutzlos  ist.  Wo  jedoch  das  Rückenmark  an  sich  er¬ 
holungsfähig  ist,  der  fortdauernde  Druck  von  Knochensplittern 
oder  Projektilen  aber  schädigend  weiterwirkt,  da  ist  die  Ope¬ 
ration  indiziert  und  von  Nutzen;  sie  muss  nur  früh  genug  aus¬ 
geführt  werden,  um  das  Rückenmark  rechtzeitig  zu  entlasten, 
ehe  sekundäre  degenerative  Störungen  eingetreten  sind,  die 
den  Zustand  irreparabel  machen. 

Da  vorläufig  die  Fälle,  bei  denen  ein  chirurgischer  Eingriff 
am  Rückenmark  Erfolg  bringt,  von  denen  nicht  zu  unter¬ 
scheiden  sind,  bei  denen  jeder  Eingriff  nutzlos  bleiben  muss, 
so  ergibt  sich  die  Forderung,  bei  allen  Fällen,  bei  denen 
nicht  bestimmte  Kontraindikationen  vorliegen,  die  Laminek- 
tomie  —  analog  einer  Probelaparotomie  und  Probethorako¬ 
tomie  —  vorzunehmen.  Zweifellos  wird  bei  einem  derartigen 
Vorgehen  häufig  umsonst  operiert  werden,  und  es  wird  viel¬ 
leicht  ab  und  zu  ein  Fall  operiert  werden,  der  auch  ohne 
Operation  zur  Heilung  gelangen  kann.  Dadurch  entsteht  aber 
bei  richtiger  Technik  weniger  Schaden,  als  durch  das  Zu¬ 
grundegehenlassen  von  Fällen,  die  bei  rechtzeitigem  Eingreifen 
gebessert  werden  könnten. 

Die  Laminektomie  bei  den  Schussverletzungen  des 
Rückenmarkes  ist  für  den  Geübten  technisch  sehr  einfach,  be¬ 
sonders  wenn  man  in  Lokalanästhesie  operiert,  wodurch  die 
Blutung  ausserordentlich  herabgesetzt  wird.  Die  Höhe  der 
Verlctzungsstelle  am  Rückenmark  lässt  sich  durch  Rekonstruk¬ 
tion  des  Schusskanals  bei  vorhandenem  Ein-  und  Ausschuss, 
bei  Steckschüssen  durch  den  Nachweis  von  Dornfortsatzfrak¬ 
turen  oder  mit  Hilfe  des  Röntgenbildes  meist  leicht  bestimmen. 


Eine  geeignete  L  u  e  r  sehe  Knochenzange  erwies  sich  mir  stet 
als  schoncndstes  und  sicherstes  Instrument  zur  Freilegung  de 
Rückenmarks  und  zur  Entfernung  der  oft  weithin  gesplitterte 
Knochenfragmente.  Wenn  möglich,  suche  ich  die  Wunde  pri 
mär  zu  schliessen,  doch  rate  ich  zur  Tamponade,  wenn  be 
legte  Knochenhöhlen  (besonders  bei  Schrapnell-  und  Granat 
Verletzungen!)  vorhegen.  Das  Bestehen  eines  Hämothorax  -i 
eine  häufige  Komplikation  der  Rückenmarksschüsse  —  dar 
nicht  als  Kontraindikation  zur  Operation  angesehen  werden 
wenn  der  Hämothorax  nicht  zu  hochgradig  ist.  Ich  habe  in 
dieser  Beziehung  nie  Nachteiliges  erlebt.  Auch  das  Be 
stehen  von  Dekubitus  und  von  Blaseninfektionen  kann  an  siel; 
den  Eingriff  nicht  kontraindizieren.  Allerdings  werden  di» 
Chancen  der  Heilung  durch  eine  schon  längere  Zeit  bestehend»! 
Infektion  der  Harnwege  fast  absolut  verschlechtert.  Ein» 
Gegenindikation  zur  Operation  sehe  ich  in  ausgesprochene) 
Meningitis,  schwer  infizierten  offenenWunden,  ausgesprochene. 
Urosepsis  und  Pneumonie.  Fälle,  bei  denen  die  Lähmungs: 
erscheinungen  bei  der  Aufnahme  in  das  Lazarett  bereits  in  de) 
Rückbildung  begriffen  sind,  nehme  ich  selbstverständlich  vor 
der  Operation  aus. 

Was  die  bei  einem  derartigen  Vorgehen  erzielten  Resultate  anJ 
langt,  so  lässt  sich  Definitives  noch  nicht  mitteilen,  da  eine  grosse 
Zahl  der  bis  jetzt  operierten  Fälle  noch  nicht  zum  Abschluss  ge¬ 
kommen  ist.  Immerhin  lassen  sich  einige  Erfolge  verzeichnen.  Ich 
habe  in  dem  mir  unterstellten  Festungslazarett  I  in  Strassburg  bis 
jetzt  unter  mehr  als  3200  stationär  behandelten  Verwundeter 
26  Rückenmarksschüsse  gesehen.  Von  diesen  wurden  17  operativ  be¬ 
handelt.  Die  Operation  wurde  in  allen  Fällen  leicht  überstanden 
einen  Todesfall  im  Anschluss  an  die  Operation  habe  ich  nicht  erlebt 
Dagegen  starben  im  weiteren  Verlauf  nach  der  Operation  bis  jetzi 
8  Fälle,  2  an  Meningitis,  die  übrigen  fast  alle  an  aufsteigender  In¬ 
fektion  der  Harnwege,  die  schon  vor  der  Operation  bestand  ‘)- 

Gegenüber  diesen  Misserfolgen  ist  bei  4  Fällen  Heilung  oder 
doch  eine  so  gleichmässig  fortschreitende  Besserung  eingetreten,  dass 
bei  ihnen  eine  völlige  Heilung  erwartet  werden  darf.  Einige  weitert 
Fälle  hätten  wohl  gleichfalls  gerettet  werden  können,  wenn  sie  recht¬ 
zeitig  zur  Operation  gekommen  wären.  Denn  die  Sektion  ergab  be 
ihnen,  dass  die  Rückenmarksverletzung  ausgeheilt  und  die  Todes¬ 
ursache  die  schon  bei  der  Einlieferung  bestehende  schwere  Pyelo¬ 
nephritis  war. 

Auch  bei  den  Fällen,  bei  denen  die  Laminektomie  den  schliess- 
lichen  tödlichen  Ausgang  nicht  abwenden  konnte,  beeinflusste  die 
Operation  den  Allgemeinzustand  vielfach  in  auffallend  günstiger  Weise; 
Der  Dekubitus  reinigte  sich  und  zeigte  Tendenz  zur  Heilung,  die 
Zystitis  nahm  ab,  und  das  Allgemeinbefinden  der  Kranken  und  ihr 
Aussehen  besserte  sich.  Ich  hatte  den  Eindruck,  dass  die  trophischen 
Störungen  mit  der  Befreiung  des  Rückenmarkes  von  dem  auf  ihm 
lastenden  Druck  zum  Rückgang  gebracht  wurden  oder  doch  wenig¬ 
stens  zum  Stillstand  kamen. 

Wenn  wir  auch  mit  den  operativ  geheilten  Rückenmarks¬ 
schüssen  nie  Statistik  werden  machen  können,  gelingt  es  doch 
in  einigen  wenigen  Fällen  mit  der  frühzeitigen  Freilegung  des 
Rückenmarkes  gute  Resultate  zu  erzielen.  Da  die  Fälle  fast 
alle  zugrunde  gehen,  wenn  sie  unbehandelt  bleiben,  und  dä 
andererseits  der  Eingriff  als  gefahrlos  angesehen  werden  kann, 
wenn  er  richtig  ausgeführt  wird,  so  halte  ich  die  prinzipielle 
Frühoperation  der  Rückenmarksschüsse  für  ein  berechtigtes 
Verfahren. 

Aus  dem  St.  Norbert-Krankenhaus  Berlin-Schöneberg. 

Pneumatische  Lokalanästhesie. 

Von  Dr.  Kuhn,  Direktor  des  Krankenhauses. 

Es  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  in  der  Chirurgie 
der  gegenwärtigen  Kriege  die  Lokalanästhesie  eine  grosse  Rolle 
spielt.  Die  Entfernung  von  Geschossen  und  Fremdkörpern,  das 
Nähen  vieler  kleinerer  und  mittlerer  Verwundungen,  zahlreiche 
plastische,  kosmetische  und  viele  andere  Nach  Operationen 
lassen  häufig  zur  Lokalanästhesie  greifen. 

*)  Das  regelmässige  frühzeitige  Auftreten  der  Infektion  der  Harn¬ 
wege  nötigt  zu  ganz  besonderer  Vorsicht  in  dieser  Beziehung,  so¬ 
wohl  bei  Ausführung  des  Katheterismus,  als  auch  bei  der  Versorgung 
solcher  Verwundeten  auf  Transporten.  Ich  habe  Fälle  gesehen,  bei 
denen  der  Urin  nicht  spontan  abfloss  und  die  während  des  5 — 6  tägi¬ 
gen  Transportes  nur  ein  einziges  Mal  katheterisiert  waren!  Sie 
kamen  vollständig  urämisch  mit  überstauten  Harnorganen  und  schwe¬ 
ren  Blasen-  und  Nierenblutungen  ins  Lazarett.  Bei  kurzen  Trans¬ 
porten  mag  ein  vorheriger  Katheterismus  genügen,  bei  weiteren 
Transporten  muss  unbedingt  ein  Dauerkatheter  eingelegt  werden. 


10.  November  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


2223 


Gewiss  ist  diese  dann  oft  sehr  praktisch;  aber  es  wird 
vielen  Chirurgen  oft  wie  mir  gegangen  sein:  sie  werden  sich 
gelegentlich  an  einer  gewissen  „Umständlichkeit“  des 
Verfahrens  gestossen  haben  und  werden  —  rasch  zum  Aether- 
rausch  oder  zur  Vollnarkose  gegriffen  haben,  weil  diese 
„schneller  gehen.  Die  Zubereitung  der  Lösung  für  den  Einzel¬ 
fall  ist  oft  umständlich,  mehr  noch  ist  das  ö  f  t  e  r  e  W  i  e  d  e  r  - 
füHen  der  Spritzen  lästig  und  zeitraubend  und  beein¬ 
trächtigt  die  Sterilität;  jedenfalls  geht  die  Injektion  grösserer 
Flüssigkeitsmengen  oft  zu  langsam  vor  sich  und  erfordert  zu 
viel  Zeit. 


Unter  diesen  Umständen  kann  ich  nicht  umhin,  auf  einen 
Apparat  hinzuweisen,  der  sich  mir  in  meinem  Krankenhause 
für  die  poliklinischen  Zwecke  sowohl  als  jetzt  für  die  Behand¬ 
lung  der  Verwundeten  ausserordentlich  bewährt;  es  ist  ein 
Injektionsapparat  mit  Luftdruckbetrieb. 


Der  kleine  Apparat,  den  ich  anbei  abbilde,  liefert  nach 
Kolbenstössen  Druckluft,  und  Druck  von  2 — 4  Atmosphären, 
falls  Druck  hinreichend  genug,  um 
eine  Injektionsnadel  zu  bedienen. 

Die  Druckluft  sammelt  sich  im 
Windkessel  (W),  und  wird  von 
Jort  nach  dem  Reservoir  (R)  ge- 
eitet,  in  welchem  nach  Art  einer 
Spritzflasche  die  Novokain- 
Adr  enalinlösung  aufbewahrt 
ind  vorrätig  gehalten  ist.  Dieses 
Vorratsgefäss  ist  graduiert  und 
asst  200 — 300  g.  Von  ihm  wird  die 
mästhesierende  Lösung  nach  einer 
Sadel  (N)  gedrückt,  vor  welcher 
mittels  eines  kleinen,  durch  den 


einigen 

jedes- 


-  R. 

-  N. 

-  St. 


o. 


_ w. 


Fig.  1.  Pneumoanästhesieapparat  Fig.  2.  Pneutnoanästhesieapparat 

im  Ruhezustand.  (georauchsfertig). 

=  Flüssigkeitsreservoir.  N.  =  Nadel.  St.  =  Stativ.  O.  =  Griff.  W.  =  Windkessel. 


inger  des  Operateurs  zu  bedienenden  Hebels  eine  „Unter- 
rechungsvorrichtung“  angebracht  isF 
....  Bie  Bedienung  des  Apparates  ist  nun  recht  einfach:  ein 
värter  stellt  durch  einige  Pumpenstösse  mittels  des  Griffes  G  die 
buckhöhe  in  dem  Windkessel  her.  In  das  Vorratsgefäss  (das  ab- 
chraubbar  ist)  füllt  (gegebenenfalls  wiederholt)  die  Schwester  die 
lovokain-Adrenalinlösung.  Der  Operateur  hat  nun  nichts  Weiteres 
u  tun,  als  durch  ein  rhythmisches  Oeffnen  und 
ch Messen  des  kleinen  Hebels  vor  der  Nadel  die  Flüs- 
igkeit  s  t  o  s  s  w  e  i  s  e  in  die  Gewebe  einspritzen  zu  lassen.  Die 
'osierung  erfolgt  durch  die  Anzahl  der  rhythmischen  Unter¬ 
rechungen.  In  diesen  „Unterbrechungen“  bzw.  „Stössen“,  an  deren 
rzeugung  sich  der  Finger  sehr  bald  gewöhnt,  hat  man  ein  aus- 
ezeichnetes  Mittel  der  Kontrolle  für  die  Menge  der  eingespritz- 
;n  Lösung. 


Der  Vorteil  der  Methode  ist  ihre  Kontinuierlich- 
e i t  und  Selbsttätigkeit:  die  Unterbrechungen  werden 
ach  kurzer  Uebung  vom  Finger  automatisch  ausgeführt  und 
er  Operateur  kann  seine  ganze  Aufmerksamkeit  dem  Vor¬ 
lieben  und  der  Einstellung  der  Nadel,  die  er  mittels  des 
iandgriffes  und  eines  Ringes  vollzieht,  widmen.  Dadurch  wird 
ie  Verteilung  der  Flüssigkeit  eine  viel  gleichmässigere  und 


vielseitigere;  gleichzeitig  geht  die  Infiltration  mit  diesem  „feuer¬ 
wehrspritzenartigen“  Instrument  auch  bei  Massenanforderung 
denkbar  rasch  vor  sich. 

So  ist  man  in  der  Lage,  rasch  Serien  von  Patienten  zu  an¬ 
ästhesieren,  die  man  dann  zurücktreten  und  ihre  halbe  Stunde 
warten  lässt,  um  sie  dann  (in  der  kleineren  Chirurgie,  wie 
z.  B.  der  Fremdkörperchirurgie)  ebenso  serienweise  zu  ope¬ 
rieren.  Auf  diese  Weise  ist  die  Lokalanästhesie  nicht  lästig, 
auch  nicht  für  den  Chirurgen,  dessen  Zeit  beschränkt  ist. 

Mir  selbst  leistet,  wie  gesagt,  der  Apparat  *)  jetzt  bei  der 
Kriegschirurgie  sehr  gute  Dienste.  Eine  Schwester  sorgt  mir 
dafür,  dass  die  Flüssigkeit  nicht  ausgeht,  ein  Wärter  sorgt,  dass 
der  Druck  der  Luftpumpe  nicht  unter  2  Atmosphären  sinkt: 
so  ist  es  ein  Vergnügen,  die  Lokalanästhesie  an  zahlreichen 
Kranken  anzuwenden  und  selbst  grosse  Aufgaben  mit  ihr  in 
relativ  rascher  Zeit  zu  erledigen. 


Aus  der  chirurgischen  Abteilung  der  städt.  Krankenanstalten 
Mannheim  (Chefarzt:  Med.-Rat  Dr.  Gustav  Heuck). 

Die  Anaphylaxiegefahr  bei  der  Serumbehandlung 

des  Tetanus. 

Von  Dr.  Ludwig  Simon,  Oberarzt  der  Abteilung. 

H..  4ahre  1909  habe  ich  in  Nr.  40  der  M.m.W.  zwei  mit  Antitoxin 
„Höchst  behandelte  Fälle  von  schwerem  Tetanus  mit  günstigem 
Ausgang  mitgeteilt.  Im  Jahre  1912  konnte  ich  den  zwei  Heilungen 
zwei  weitere  geheilte  Fälle  von  Tetanus  hinzufügen,  die  nur  mit 
Antitoxin  behandelt  waren.  (Verhandlungen  der  deutschen  Gesell¬ 
schaft  für  Chirurgie  1912.)  Besonders  auffallend  war  mir,  dass  die 
vier  geheilten  Fälle  Kinder  unter  12  Jahren  waren,  dass  dagegen  das 
Antitoxin  bei  Erwachsenen  bis  dahin  immer  versagt  hatte.  In  dem 
Umstande,  dass  die  vier  geheilten  Fälle  besonders  leichte  Fälle  be¬ 
trafen,  kann  die  merkwürdige  Tatsache  nicht  ihren  Grund  haben, 
denn  die  vier  Fälle  von  kindlichem  Tetanus  hatten  eine  sehr  kurze 
Inkubationszeit,  bei  zweien  war  schon  vor  dem  Ablauf  von  24  Stun¬ 
den  nach  der  Verletzung  der  Tetanus  ausgesprochen.  Im  vorigen 
Jahre  bekamen  wir  wiederum  Gelegenheit  einen  Tetanusfall  zu  be¬ 
handeln,  den  wir  in  der  gleichen  Weise  wie  unsere  früheren  Te¬ 
tanuspatienten  grosse  Dosen  von  Antitoxin  verabreichten.  Wir  be¬ 
rechnen  die  Heildosis  so,  dass  wir  pro  Kilo  Körpergewicht  8  Immuni¬ 
tätseinheiten  in  den  ersten  48  Stunden  geben,  und  zwar  %  bis 
zur  Hälfte  intralumbal,  nachdem  wir  eine  entsprechende  Menge 
Liquor  cerebrospinalis  haben  abfliessen  lassen,  den  Rest  intravenös. 
In  den  folgenden  Tagen  geben  wir  je  nach  Schwere  der  Erschei¬ 
nungen  100 — 200 — 300  Immunitätseinheiten  intravenös  bis  zum  Ab¬ 
klingen  der  tetanischen  Erscheinungen. 

Bei  dem  Falle  des  Jahres  1913  handelte  es  sich  um  ein  junges 
Mädchen  von  17  Jahren  mit  schwerer  Maschinenhandverletzung. 
8  Tage  nach  der  Verletzung  (14.  V.)  trat  ein  typischer  Tetanus, 
mit  Starre  der  Halsmuskulatur,  Trismus  und  ausgesprochenem 
OpistQtonus  auf.  Es  wurden  deshalb  sofort  200  I.-E.  intralumbal, 
200  intravenös  und  ebensoviel  intramuskulär  gegeben.  Am  folgen¬ 
den  T  age  (15.  V.)  war  noch  Steigerung  der  tetanischen  Erscheinungen 
zu  konstatieren.  Daher  nochmals  100  intralumbal,  300  I.-E.  Intra¬ 
muskulär. 

17.  V.  Da  der  Tetanus  an  Intensität  noch  weiter  zunahm,  die 
Zuckungen  häufiger  auftraten,  wird  die  Amputation  des  Vorder¬ 
armes  vorgenommen,  zugleich  200  I.-E.  intravenös  gegeben. 

18.  V  200  I.-E  subkutan.  19.  V.  200  I.-E.  20.  V.  200  I.-E. 

21.  Trismus  hat  etwas  nachgelassen,  häufige  Zuckungen  in  den 

unteren  Extremitäten,  Risus  sardonicus  stark  ausgeprägt.  200  I.-E. 

23.  V.  Weitere  Besserung  des  Trismus,  100  I.-E.  subkutan. 
Weiterhin  allmähliche,  langsame  Besserung  des  Zustandes,  der  dann 
in  Heilung  überging. 

Diese  Pat.  hat  also  innerhalb  10  Tagen  2100  I.-E.  erhalten. 
Unangenehme  Nebenerscheinungen  oder  gar  anaphylaktische  Sym¬ 
ptome  konnten  bei  ihr  nicht  beobachtet  werden. 

Leider  brachten  uns  in  diesem  Jahre  die  Kriegsverletzungen 
schon  reichlich  Gelegenheit,  Erfahrungen  in  der  Tetanusbehandlung 
zu  sammeln.  Wir  haben  hier  in  unserem  Krankenhaus  unter  etwa 
700  Verwundeten  in  den  4  Wochen  unserer  kriegschirurgischen  Tätig¬ 
keit  schon  8  Fälle  von  Tetanus  zu  behandeln  gehabt.  Die  vier 
ersten  Fälle,  die  selten  schwerer  Art  waren,  verliefen  in  kurzer 
Zeit  tödlich.  Es  handelte  sich  um  sehr  schwere  Verletzungen,  die 
Inkubationszeit  war  eipe  kurze,  3—6  Tage.  Die  tetanischen  Erschei¬ 
nungen  setzten  sehr  stürmisch  ein,  innerhalb  weniger  Stunden  war 
Trismus,  Opistotonus,  begleitet  von  den  heftigsten  Zuckungen,  die 
den  ganzen  Körper  befielen,  in  einem  Masse  aufgetreten,  dass  man 
die  Fälle  als  allerschwerste  bezeichnen  musste.  Zwei  von  den 
Patienten  behandelten  wir  mit  Antitoxin  nach  obigem  Prinzipe,  zwei 


*)  Bezugsquelle:  Karl  D  a  n  k  e  r  t,  Berlin-Schöneberg,  Haupt¬ 
strasse  24. 


2224 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  4 


mit  dem  von  Kocher  und  Arndt  empfohlenen  Magnesiumsulfat, 
das  wir  in  lüproz.  Lösung  in  einer  Menge  intralumbal  injizierten, 
dass  auf  das  Kilo  Körpergewicht  0,03  Magnesiumsulfat  kamen.  So¬ 
wohl  die  beiden  mit  Antitoxin,  wie  die  mit  Magnesiumsulfat  be¬ 
handelten  Fälle  kamen  rasch  ad  exitum. 

Sodann  kam  eine  Serie  mittelschwerer  Fälle  zur  Behandlung,  die 
wir  wieder  mit  Antitoxin  behandelten.  Es  handelte  sich  dreimal 
um  Soldaten  mit  Verletzungen,  einmal  um  einen  Zivilisten  mit  kleinen 
Hautabschürfungen  an  den  Füssen,  die  wir  als  Eingangspforte  an¬ 
sprechen  mussten.  Alle  4  Patienten  sind  jetzt  von  ihrem  Tetanus 
geheilt.  Da  ich  in  diesen  Zeilen  nicht  über  die  Therapie  des  Te¬ 
tanus.  nicht  über  den  Wert  der  einzelnen  Behandlungsmethoden 
sprechen  möchte,  will  ich  ihre  Krankengeschichten  nicht  genauer  an- 
fiihren,  nur  soviel  möchte  ich  sagen,  dass  man  bei  diesen  Fällen 
wieder  den  Eindruck  gewinnen  musste,  dass  in  diesen  mittelschweren 
Fällen  das  Antitoxin  einen  günstigen  Einfluss  auszuüben  scheint. 

Der  Zweck  dieser  Zeilen  soll  der  sein,  die  Aerzte,  die  das 
Tetanusantitoxin  anwenden,  auf  eine  Gefahr  der  Serumtherapie 
hinzuweisen.  Ich  hatte  vor  einigen  Tagen  hei  Anwendung  der 
Antitoxintherapie  Gelegenheit,  an  einem  Tage  zwei  schwere 
Fälle  von  Anaphylaxie  zu  beobachten.  Ich  muss  zur  genaueren 
Orientierung  kurze  Auszüge  aus  den  Krankengeschichten 
vorausschicken : 

Infanterist  M.  Verletzt  12  Tage  vor  der  Aufnahme  durch  In¬ 
fanteriegeschoss  Infizierter  Ellbogengelenkschuss,  mit  ausgedehnter 
Knochensplitterung  und  grosser  Weichteilzerreissung.  Aufgenommen 
am  9.  IX.  14,  erste  Erscheinungen  von  Zuckungen  am  verletzten 
Arm,  Schluckbeschwerden,  Kieferklemme  am  4.  IX.  auf  dem  Schiffs¬ 
transport.  Wurde  uns  vom  Transportschiffe  als  Tetanus  geschickt. 

Bei  der  Aufnahme  war  der  Tetanus  schon  deutlich  ausge¬ 
sprochen.  Mund  konnte  nicht  mehr  geöffnet  werden.  Masseteren 
in  ständigem  Krampf,  Zuckungen  am  rechten  Arm,  doch  auch  am 
linken  und  den  Beinen.  Opistotonus  massig  stark  ausgesprochen. 
Deshalb  sofort,  also  am  9.  IX.,  Verabreichung  von  200  Tetanus-I.-E. 
intralnmbal  200  intravenös. 

10.  IX.  Besserung  der  Schluckbeschwerden,  Trismus  in  gleicher 
Stärke,  Zuckungen  heftiger,  doch  seltener.  Atmung  frei.  200  I.-E. 
intralumbal,  200  intravenös. 

11.  IX.  Keine  Verschlimmerung  der  Zuckungen  und  des  Trismus, 
Opistotonus  dagegen  stärker,  auch  Spannung  der  Bauchdecken. 
100  I -E.  intravenös. 

12.  IX.  Die  Urinentleerung  ist  spontan  nicht  mehr  möglich, 
Verweilkathcter  Sonstiger  Zustand  unverändert.  100  I.-E.  intra¬ 
venös 

13.  IX.  Vollständige  Steifigkeit  des  verletzten  Armes  infolge  des 
Muskelkrampfes,  Allgemeinzustand  noch  nicht  besser.  Man  hat  den 
Eindruck,  dass  es  durch  die  Antitoxingaben  gelingt,  eine  Zunahme 
der  tetanischen  Erscheinungen  hintanzuhalten,  dass  aber  offenbar 
von  dem  Wundherd  aus  immer  neue  Toxine  in  den  Kreislauf  kommen. 
Da  der  Arm  infolge  der  schweren  Zertrümmerung  doch  nicht  mehr 
gebrauchsfähig  zu  werden  scheint,  wird,  um  den  Infektionsherd  aus¬ 
zuschalten,  die  Amputation  über  dem  Ellbogengelenk  vorgenommen. 
300  l.-E.  intravenös. 

14.  IX.  Zuckungen  haben  nachgelassen,  kann  den  Mund  etwas 
weiter  öffnen. 

15.  IX.  100  I.-E.  intravenös. 

16.  IX  Keine  wesentlichen  Veränderungen,  100  I.-E.  intravenös. 

17.  IX.  100  I.-E.  intravenös. 

18  IX.  100  I.-E.  intravenös. 

20.  IX.  Zuckungen  werden  viel  seltener,  Trismus  noch  ausge¬ 
sprochen.  100  I.-E.  intravenös. 

22  IX.  Keine  Zuckungen  mehr.  Muskelstarre  der  Rücken¬ 
muskulatur  und  Trismus  bestehen  noch,  wenn  auch  nicht  mehr  so 
hochgradig.  Deshalb  100  I.-E.  intravenös. 

Im  Anschluss  an  diese  Injektion  kollabierte  Pat.  plötzlich;  irgend 
ein  technischer  Fehler,  Lufteintritt  oder  etwas  derartiges  war  aus¬ 
geschlossen  Der  Puls  verschwand  nahezu  vollständig,  Atmung  stark 
beschleunigt  und  oberflächlich.  Gesicht  wurde  erst  blau,  dann  sehr 
blass;  enormer  Schweissausbruch. 

Auf  Kampferinjektionen  wurde  der  Puls  wieder  besser,  Atmung 
vertiefte  sich  wieder  langsam,  innerhalb  einer  Stunde  erholte  sich 
der  Pat.  Am  folgenden  Tage  zeigte  der  Körper  ein  scharlachähn¬ 
liches  Exanthem,  das  nach  2  Tagen  wieder  verschwand. 

Da  es  sich  unserer  Ansicht  nach  um  einen  anaphylaktischen 
Schock  handelte,  wurde  mit  dem  Tetanusantitoxin  ausgesetzt,  zumal 
der  Zustand  sich  ständig  besserte. 

Jetzt  sind  die  tetanischen  Erscheinungen  vollständig  geschwun¬ 
den,  Zuckungen  treten  nicht  mehr  auf,  Wirbelsäule  und  Kopf  können 
wieder  frei  bewegt,  der  Mund  auf  3  cm  geöffnet  werden.  Der  Pat. 
befindet  sich  ausser  Bett,  ist  jetzt  wohl  als  geheilt  zu  betrachten. 

Am  gleichen  Tage  erlebten  wir  noch  einen  zweiten  Fall  von 
Anaphylaxieschock : 

Artillerist  Z.  wurde  am  29.  VIII.  durch  Granatsplitter  am  rechten 
Ellenbogen  und  der  Brust  verletzt.  Es  handelte  sich  um  einen  kom¬ 
plizierten  Oberarmbruch,  mit  grossem  Ein-  und  noch  grösserem 
Ausschuss.  Aufnahme  am  4.  IX.  14. 

5  IX.  Röntgenaufnahme  ergibt  eine  Oberarmfraktur  mit  Be¬ 


teiligung  des  Ellenbogengclenkes.  Pat.  ist  merkwürdig  apathisch,  gil 
nur  schläfrig  Antwort,  öffnet  den  Mund  auf  Dreifingerbreite. 

6.  IX.  Pat.  ist  noch  teilnahmsloser  geworden.  Er  öffnet  di 
Mund  w  eiliger  gut,  höchstens  noch  auf  Fingerbreite.  Ausserdem  we 
den  deutliche  Zuckungen  im  Gesicht  und  am  linken  Arm  beobachte 
die  jedoch  nur  von  kurzer  Dauer  sind.  Sofort  300  I.-E.  intravenö 
Abends  fühlt  sich  Pat.  wohler,  keine  Zuckungen  mehr  aufgetretc 
kann  den  Mund  besser  öffnen  In  den  nächsten  Tagen  konnte  nicli; 
tetanusverdächtiges  beobachtet  werden,  so  dass  wir  uns  kaum  bt 
rechtigt  glaubten,  den  Fall  als  Tetanus  anzusprechen,  zum  mindeste 
ihn  als  einen  ganz  leichten  erklären  mussten. 

18.  IX.  Wundverlauf  normal  Dagegen  ist  an  Brust,  Baucl 
Rücken,  Oberarm  und  Oberschenkel  ein  zart  rosafarbenes,  mitte 
fleckiges  Exanthem,  das  leicht  erhaben  ist,  zu  sehen;  die  Quaddel 
jucken  nicht,  machen  überhaupt  keinerlei  Beschwerden. 

19.  IX.  Heute  kann  Pat.  den  Mund  wieder  nicht  so  gut  öffned 
bringt  die  Zahnreihen  nur  auf  Fingerbreite  auseinander,  deutliche 
Trismus,  vor  allem  der  Masseteren.  Nachmittags  wird  der  Trismu 
noch  stärker,  kann  den  Mund  gar  nicht  mehr  öffnen,  auch  die  Nacken 
und  Rückenmuskulatur  befinden  sich  in  starkem  Tonus.  Da  Pa 
jetzt  ein  ungleich  schwereres  Bild  wie  beim  ersten  Anfall  bot,  wur 
den  ihm  nochmals  300  I.-E.  intravenös  verabreicht;  da  wegen  de 
kleinen  und  dünnen  Venen  dieselben  zur  Injektion  freigelegt  werde 
mussten,  bekam  Pat.  einige  Tropfen  Chloroform,  zumal  bei  den  Be 
wegungen,  dem  Transport  usw\  der  Trismus  und  Opistotonus  stärke 
wurden.  Nach  der  intravenösen  Injektion,  die  vollständig  glatt  von 
statten  ging,  und  nachdem  die  Narkose  schon  einige  Minuten  entfern 
war,  Pai.  auch  noch  nicht  spannte,  wurde  der  Kranke  plötziic 
stark  zyanotisch,  und  zwar  nicht  nur  an  den  Lippen  und  im  Gesicfn] 
sondern  am  ganzen  Körper,  jedoch  nur  auf  kurze  Zeit,  während  de] 
auch  der  Puls  immer  gut  zu  fühlen  war  und  die  Atmung  in  nor 
rnaler  Weise  vor  sich  ging.  Nachdem  der  Pat.  wieder  auf  die  Station 
gebracht  war,  setzte  ein  heftiger  Schüttelfrost  ein,  Temperatu 
stieg  auf  40,9  °. 

20.  IX  Allgemeinbefinden  gut.  Temperatur  37,5°.  Pat.  kam 
den  Mund  wieder  gut  öffnen,  keine  Zuckungen,  keine  Spasmen. 

22  IX.  Allgemeinbefinden  gut.  Pat.  bekommt  prophylaktisch 
100  I.-E.  intravenös.  Direkt  nach  der  Injektion,  bei  der  eine  Luft] 
emboüe  ausgeschlossen  war  (ebenso  war  das  Serum  vollständig  klau 
und  zeigte  keine  Verunreinigungen)  fing  Pat.  an  zu  husten,  klagte! 
über  schlechte  Luft.  Einige  Momente  nachher  werden  die  Lippen 
schwarzblau,  dann  das  Gesicht,  Hals,  Körper  und  Extremitäten:  At 
mung  zeigt  nichts  besonderes,  dagegen  ist  der  Puls  kaum  zu  fühlen 
Auf  Anruf  reagiert  Pat.  nicht,  die  Pupillen  sind  mittelweit,  am  Körpei 
treten  langsam  schwarzblaue  Flecken  auf,  die  mit  ganz  weisseü 
Hautpartien  abwechseln,  sodass  der  Körper  ein  marmoriertes  Aus¬ 
sehen  bekommt.  Applikation  von  Kampfer,  Sauerstoff,  Kochsalz  suÖt 
kutan.  Allmählich  hat  der  ganze  Körper  Leichenblässe  angenommen 
die  Atmung  wird  allmählich  tiefer,  die  Haut  nimmt  dann  wieder 
einen  rötlichen  Ton  an,  langsam  reagiert  der  Kranke  auf  Anruf.  Auch 
die  Herztätigkeit  bessert  sich  wieder  unter  ständiger  Kampferver-* 
abreichung. 

Vi  Stunde  danach  starker  Schüttelfrost,  mit  Temperaturanstieg 
bis  40,1  °,  dann  heftiger  Schweissausbruch. 

23  IX.  Pat.  hat  sich  wieder  vollkommen  erholt,  Puls  kräftig. 
Atmung  normal,  nirgends  mehr  Anzeichen  von  Spasmen  oder 
Trismus. 

Weiterhin  war  der  Verlauf  ein  glatter,  es  traten  keine  tetani¬ 
schen  Erscheinungen  mehr  auf. 

Nach  diesen  Beobachtungen  kann  kein  Zweifel  bestehen, 
dass  es  sich  bei  beiden  Patienten  um  einen  Anaphylaxieschock 
handelte.  Es  ist  von  K  1  i  m  e  n  k  o  eine  Zusammenstellung  und 
Sichtung  der  Fälle  von  Anaphylaxieschock  vorgenommen, 
wobei  33  schwerere  Erkrankungen,  die  schliesslich  wieder 
in  Genesung  übergingen,  angeführt  werden,  sowie  ein  Ana¬ 
phylaxietodesfall  anerkannt  wird.  Ich  glaube,  dass  derartige 
unangenehme  Nebenerscheinungen  häufiger  beobachtet 
werden,  dass  sie  aber  öfters  nicht  richtig  gedeutet  werden. 
Das  Krankheitsbild  ist  ja  auch  noch  kein  genau  umschriebenes. 
Gemeinsam  war  unseren  beiden  Fällen  die  Aenderung  im 
Aussehen  der  Patienten,  das  Blauwerden,  das  dann  einer 
Blässe  Platz  machte,  das  Oberflächlicherwerden  der  Atmung, 
sowie  das  Abnehmen  der  Pulsqualität.  Bei  beiden  traten  die 
Erscheinungen  sehr  plötzlich  auf,  was  wohl  darauf  zurück¬ 
zuführen  ist,  dass  bei  beiden  das  Serum  intravenös  ver¬ 
abreicht  worden  war.  Auch  das  Exanthem,  das  bei  beiden 
sehr  ausgeprägt  war,  wird  von  den  meisten,  die  derartige  Fälle 
beobachtet  haben,  als  ein  typisches  bezeichnet.  Während  bei 
dem  ersten  Falle  das  Bewusstsein  nicht  vollständig  schwand, 
war  der  zweite  etwa  eine  halbe  Stunde  bewusstlos.  Ueber- 
haupt  war  der  zweite  Fall  weit  schwerer.  Nachträglich  wurde 
mir  klar,  dass  schon  der  Kollaps  3  Tage  vor  dem  schweren 
Schock  auf  anaphylaktische  Vorgänge  zurückzuführen  war, 
dass  er  nur  von  uns  nicht  richtig  gedeutet  war.  Bei  diesem 


in.  November  1914. 


Fcld-irztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Patienten  trat  sowohl  nach  dem  ersten  wie  dem  zweiten 
schock  Schüttelfrost  mit  hohen  Temperaturen  auf.  Auffallend 
war  bei  beiden  I  atienten,  dass  sic  sich  sehr  rasch  erholten, 
d.iss  am  anderen  l  ag  schon  der  Puls,  Atmung  und  Allgemein- 
befindc  n  xollständig  normal  war.  also  keinerlei  Nach¬ 
wirkungen  nach  Ueberstehen  des  Schocks  zu  konstatieren 
waren. 

A,n  ^ichti^ten  ist  die  Frage,  wie  kann  man  derartige 
/.malle,  die  immerhin  einen  recht  beängstigenden  Eindruck 
machen,  vermeiden?  Man  weiss  aus  Erfahrung  und  aus  dem 
Tiercxpcriment,  dass  anaphylaktische  Erscheinungen  erst  bei 
Reinfektionen  nach  dem  10.  Tage  eintreten;  P.Krau  s  e  nennt 
illerdings  nur  die  ersten  6  Tage  als  gefahrlos  für  Reinjektionen. 
10  ah gemeinen  klinischen  Erfahrungen  sprechen  für  die 

angcrc  Inkubationszeit  der  Serumkrankheit,  also  10 _ 12  Tage 

von  unseren  beiden  Patienten  zeigte  der  erste  erst  nach 
A  Tagen  anaphylaktische  Erscheinungen,  obwohl  er  am 
“  un  a}?  ebenfalls  intravenöse  Seruminiektion  be- 

commen  hatte,  beim  zweiten  trat  am  13.  Tage,  ohne  Re¬ 
sektion  das  Exanthem,  also  ein  Symptom  der  Serumkrankheit 
?ge  der  erste  ,eichtere  anaphylaktische  Schock, 
TaJ.®  der  zweite  schwerere  Anfall.  Auch  unter  unseren 
mheren  Fallen  waren  mehrere,  die  länger  als  10  Tage  Serum- 
ijektion  erhielten,  ohne  üble  Nebenwirkungen  der  Serum- 
hcrapie  zu  zeigen.  Offenbar  reagieren  die  einzelnen  Indi- 
iduen  versclneden,  vielleicht  ist  auch  die  verschiedene  Pro- 
enienz  des  Serums  von  Bedeutung.  Doch  glaube  ich  aus  der 
iteratur  und  auch  aus  unseren  Erfahrungen  schliessen  zu 
urien,  dass  man  bis  zum  10.  Tag  Reinjektion  machen  kann, 
enn  nicht  vorher  Reizerscheinungen  von  Serumkrankheit,  wie 
xanthem,  Drusen-  und  Gelenkschwellung,  Oedeme,  Schleim- 
autaffektionen  aufgetreten  sind. 

Nach  den  sehr  interessanten  Untersuchungen  von  Neu- 
eld  und  Besredka,  nach  Friedberger  und  Mita 
min  man  eine  Antianaphylaxie  erreichen,  wenn  einige 
un  en  xor  der  geplanten  Reinjektion  von  Serum  eine  mini- 
aIe  Menge  Serum  subkutan  gegeben  wird;  wie  Joseph  in 
^Arbeit  über  „Änaphylaxiegefahr  bei  der  Anwendung  des 
iphtherieserums  und  ihre  Verhütung“  angibt,  kann  man  diese 
ntianaphylaxie  auch  durch  tropfenweise  intravenöse  Ein- 
irtobung  von  Serum  mittels  eines  besonderen  Apparates,  wie 
n  r  r  i  e  d  b  e  r  g  e  r  und  Mita  angaben,  erzielen.  Einfacher 
eint  uns  jedoch  die  erstere  Methode  zu  sein,  wenn  auch 
cht  absolut  sicher,  wie  ich  aus  einer  Selbstbeobachtung 
liliesse,  die  G  a  u  t  i  e  r  mitteilte.  1902  Diphtherieserum,  pro- 
iy taktisch  5  ccm.  Nach  11  Jahren  war  er  genötigt  Tetanus- 
titoxin  zu  nehmen.  Um  anaphylaktische  Erscheinungen  zu 
rmeiden,  injizierte  er  sich  zuerst  nur  1  ccm  Serum,  die 
st  ichen  10  ccm  nach  8  Stunden.  6  Tage  nach  der  zweiten 
,e™j, trat  eine  heftige  Urtikaria  auf,  mit  Uebelsein,  Koliken, 
Tonfällen  und  Temperatursteigerungen.  Zwei  Tage  später 
men  alle  Erscheinungen  abgeklungen. 

Ein  weiterer  Ausweg  wäre  der,  wenn  die  Fabriken  ebenso, 
e  es  bereits  beim  Diphtherieserum  geschehen  ist,  zur  Her- 
•  ung  des  Antitoxins  nicht  nur  Pferde,  sondern  etwa  auch 
jider  oder  andere,  speziell  für  Tetanus  empfindliche  Tiere 

nmen  würden,  so  dass  man  mit  dem  Serum  abwechseln 

1  nnte. 

Endlich  dürfte  es  sich  vielleicht  empfehlen,  bei  solchen 
anusfallen,  die  nach  10  Tagen  auf  Antitoxinbehandlung  noch 
nt  geheilt  sind,  die  Serumtherapie  zu  verlassen  und  eine 
fere  Behandlungsmethode  anzu wenden.  In  einem  solchen 
■le  haben  wir  nach  10  Tagen,  nachdem  der  Patient  1000  IF 
avenos  erhalten  hatte,  sein  Zustand  wohl  als  gebessert, 

'p  noc'1  n,c"t  a's  geheilt  zu  bezeichnen  war,  das  Antitoxin 
^Sftzt  und  eine  Magnesium  sulfuricum-Behandlung  durch- 
uhrt,  indem  wir  täglich  40—60  ccm  einer  25  proz.  Lösung 
utan  injizierten.  Der  Patient  ertrug  die  Behandlung  sehr 
■>  ie  tetanischen  Erscheinungen  klangen  immer  mehr  ab, 

1  feute jst  er  als  geheilt  zu  betrachten. 

Jedenfalls  haben  wir  aus  unseren  zwei  Fällen  gelernt, 

■  l  maa  mit  Reinjektion  von  Tetanusantitoxin  nach  der  kri- 
recht  vorsichtig  sein  muss,  um  die  Anaphylaxie- 
mr  zu  vermeiden.  Selbstverständlich  besteht  ja  auch  für 

atienten,  der  vor  Jahren  einmal  Diphtheriepferdeserum 


2225 


oder  reiries  Pferdeserum  wegen  Blutungen  erhalten  hat  und 
bei  dem  dann  eine  Tetanusantitoxininjektion  nötig  wird,  die 
Gefahr  der  Anaphylaxie.  Man  muss  sich  deshalb  bei  jedem 
Hauenten  vor  der  Injektion  nach  dieser  Möglichkeit  erkundigen, 
rui  sehr  wünschenswert  hielte  ich  es  auch,  wenn  gerade  bei 
den  Verwundeten,  die  ja  häufig  von  einem  Feldlazarett  ins 
andere,  von  einem  Krankenhaus  ins  andere  geschickt  werden, 
den  I  atienten  selbst  eingeschärft  würde,  sie  möchten  die 
eizte  des  Krankenhauses,  in  das  sie  kommen,  darauf  auf¬ 
merksam  machen,  dass  sie  eine  Pferdeseruminjektion  be- 
kommen  hattem  auf  dass  eine  ahnungslose  Reinjektion  in  der 
gefährlichen  Zeit  vermieden  wird. 


Aus  dem  Städt.  Krankenhaus  Ludwigshafen  a.  Rh. 

Zur  Tetanusbehandlung  mit  Magnesiumsulfat. 

Von  Dr.  Kurt  Werner  Eunike. 

Eine  absolut  sicher  wirksame  1  herapie  des  Tetanus  gibt 
es  zurzeit  nicht,  und  es  scheint,  dass  die  leichten  Fälle  mit  und 
. 0.e  jede  Therapie  geheilt  werden,  während  die  schweren 
keiner  zugänglich  sind.  Wenn  wir  auch  die  Serumtherapie  in 
weitestem  Masse  beibehalten  wollen,  so  sind  wir  doch,  da  sie 
keinesfalls  absolut  sicher  ist,  auch  auf  die  rein  symptomatische 
Behandlung  angewiesen,  d.  h.  wir  müssen  suchen,  die  Zahl 
c.er  Krämpfe  nach  Möglichkeit  einzuschränken  und  ihre  Stärke 
abzuschwächen.  Morphium  und  Chloral  sind  auch  nicht  im- 
stande  dieser  Forderung  zu  genügen.  Etwas  besser  dürfte 
sich  Skopolamin  verhalten,  aber  auch  dieses  befriedigt  keines- 
wegs.  Dagegen  scheint  die  Behandlung  mit  Magnesium¬ 
sulfat  günstigere  Aussichten  zu  bieten.  Sie  beruht  auf  der  von 
Meitzer  und  Auer  gemachten  Entdeckung,  dass  Ma- 
gnesiumsulfat  die  Nervenleitung  unterbricht. 

,  .  Ini  uCr  r-m,  zu?iingIichen  Literatur  fand  ich  im  ganzen. 27  derart 
behandelte  Falle  veröffentlicht,  worunter  sich  nur  neun  Todesfälle 
"5’,,“  Zah  ’  d,<;  ,mT  Vergleich  zu  anderen  Behandlungsmethoden 
recht  klein  erscheint.  Immerhin  bleibt  auch  bei  dieser  Beurteilung 
zu  bedenken,  dass  die  Schwere  der  Infektion  sehr  verschieden  ist 
und  dies  ev.  einen  günstigen  Erfolg  ergeben  kann.  Es  ist  dies  analog 
dem  bei  Erwähnung  der  Serumtherapie  geschilderten  Verhalten.  In 
tfezug  auf  die  Applikationsmethode  scheint  die  von  Kocher  be¬ 
sonders  empfohlene  intradurale  die  günstigsten  Resultate  zu  geben 
vv cm ger  günstig  durfte  die  subkutane  Methode,  oft  wohl  direkt  ge¬ 
fährlich  die  intravenöse  sein.  Der  Konzentrationsgrad  einer  solchen 
Losung  ward  seinerzeit  von  Meitzer  auf  25  Proz.  ,  angegeben. 

oii  'fi/  Km£  auT,  e,n(L  15  Proz.  Lösung  herab  und  glaubt  mit  dem¬ 
selben  therapeutischen  Erfolg  auch  eine  10  proz.  anwenden  zu  können, 
wie  diese  Arr,  d  zur  subkutanen  Injektion  empfiehlt.  Nebenbei  soll 
man  aber  keinenfalls  —  wie  dies  Bongianini  ausdrücklich  her¬ 
vorhebt  —  die  spezifische  Serumtherapie  unterlassen.  Es  fragt  sich 
nun,  welche  Dosis  man  verabreichen  soll.  Franke  injizierte  2  ccm 
einer  25  proz.  Lösung  intradural  ohne  unangenehme  Nebenwirkungen 
zu  beobachten.  Griffon  und  Li  an  empfehlen  1  ccm  pro  25  Pfund 
Körpergewicht  derselben  Lösung;  Ramond  und  Dury  geben 
5  ccm  mit  demselben  Erfolg:  Arnd  verabfolgte  3  ccm  einer  15  proz 
Losung  und  Kocher  empfiehlt  von  10 proz.  Lösung  bis  zu  10 ccm 
mtradural  zu  injizieren. 

Wir  hielten  uns  hei  Anwendung  der  Therapie  mit 
Magnesium  an  die  zuletzt  erwähnte  K  o  c  h  e  r  sehe  Methode 
und  haben  bis  heute  8  Fälle  derart  behandelt.  Es  wurde 
hierbei  die  Serumtherapie  niemals  unterlassen.  Von  vorn¬ 
herein  aber  will  ich  betonen,  dass  es  sich  in  all  diesen  Fällen 
um  sehr  schweren  Tetanus  mit  zumeist  nur  kurzer  Inkubations¬ 
zeit  handelt.  In  Nr.  43  der  M.m.W.  ward  berichtet,  dass  die 
Inkubationszeit  bei  unseren  Fällen  12—18  Tage  betrug  Nun 
sind  aber  mittlerweile  Fälle  mit  einer  Inkubationszeit  von 
sogar  nur  4  Tagen  beobachtet  und  diejenige  der  mif  'Ma- 
gnesmmsuILit  behandelten  Fälle  liegt  zwischen  4  und  14  Tagen 
Alle  Fälle  zeigten  eine  rasche  Zunahme  der  Krankheits¬ 
symptome:  äusserst  starke  Erregtheit,  sehr  starken  Opistho¬ 
tonus  und  starke  Erschwerung  oder  fast  gänzliche  Unfähigkeit 
zu  schlucken. 

Die  Lumbalpunktion  ward  in  kurzer  Chloroformnarkose  vorcc 

ZT\Cn-  FT,  Fälle  zei«ten  *»r  keine  Beeinflussung  durch  das 
Magnesiumsulfat,  es  waren  dies  die  schwersten  überhaupt  hier  be¬ 
obachteten.  Zweimal  war  eine  deutliche  Wirkung  erkennbar  und  bei 
zwei  weheren  bähen  war  ein  überraschender  Erfolg  zu  verzeichnen 
ie  vier  m  ihren  Krämpfen  gänzlich  unbeeinflussten  Patienten  kamen 
an  fu  ,riUcher  Zanahrne  dieser  universellen  Krämpfe  innerhalb  8  bis 
40  „  tunden  nach  der  Injektion  zum  Exitus.  Bei  fast  allen  Fällen 


2226 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


wurde  über  Beklemmungsgefühl  in  der  unteren  Thorax-  und  Herz¬ 
gegend  geklagt,  ohne  dass  dabei  der  Puls  oder  die  Atmung  verändert 
gewesen  wäre.  Wir  warteten  das  Abklingen  der  Wirkung  ab  und 
wiederholten  dann  nach  3  Tagen  die  Dosis.  Hiernach  traten  Gehör¬ 
täuschungen  neben  heftigem  Phantasieren  auf.  Dies  ward  aber  von 
dem  Patienten  selbst  als  durchaus  pathologisch  empfunden.  Es  waren 
dies  diejenigen  Fälle,  die  den  besten  therapeutischen  Erfolg  gaben. 
In  dem  einen  schwanden  die  Krämpfe  derart,  dass  der  Pat.  sich 
schon  völlig  gesund  glaubte.  Dieser  krampffreie  Zustand  hielt  knapp 
3  Tage  an  und  es  traten  dann  in  dem  verwundeten  Bein  langsam 
zunehmende,  aber  nachdem  das  ganze  Bein  hiervon  ergriffen  war, 
sich  rasch  auf  die  Rumpfmuskulatur  erstreckende  Krämpfe  auf.  Nach 
einer  abermaligen*  intralumbalen  MgSOi-Injektion  Hessen  auch  diese 
sich  wiederum  glatt  beseitigen,  und  es  entstand  das  oben  be¬ 
schriebene  Bild  des  Phantasierens.  Durch  Morphium  Hessen  sich 
diese  Sensationen  abschwächen,  um  im  Laufe  des  folgenden  Tages 
gänzlich  zu  schwinden.  Eine  äusserst  günstige  Wirkung  des  Ma¬ 
gnesiums  ist  hier  klar  erkennbar.  Der  andere  Fall,  der  auf 
Magnesium  gut  reagierte,  wurde  ebenfalls  zweimal  injiziert,  da  nach 
vier  Tagen  wieder  starke  Krämpfe  aufgetreten  waren.  Auch  hier 
war  eine  Sistierung  der  Krampfanfälle  nach  jeder  Injektion  aufge¬ 
treten,  und  nach  der  zweiten  Halluzinationen,  wie  in  dem  eben  be¬ 
schriebenen  Fall.  Durch  Morphium  waren  diese  ebenfalls  zu  be¬ 
einflussen.  Bei  Wiederholung  der  Dosis  wurden  jedesmal  nur  8  ccm 
gegeben.  In  zwei  weiteren  Fällen  war  eine  bei  weitem  nicht  so 
starke  aber  dennoch  deutliche  Wirkung  zu  erkennen.  Hier  nahm 
zwar  die  Intensität  der  Krämpfe  prompt  ab,  jedoch  ohne  dass  diese, 
auch  nur  für  kurze  Zeit,  ganz  schwanden. 

Mit  dieser  Beeinflussbarkeit  der  Krämpfe  durch  Ma¬ 
gnesiumsulfat  in  indirektem  Verhältnisse  stand  die  Schwere 
der  so  behandelten  Fälle.  Wenn  ja  auch  alle  an  und  für  sich 
schwer  verliefen,  so  lässt  sich  doch  erkennen,  dass  diese  Fälle 
etwas  leichtere  waren.  Sie  zeigten  etwas  längere  Inkubation, 
langsameres  Uebergreifen  der  Krämpfe  auf  die  gesamte 
Körpermuskulatur,  sowie  geringere  Erregbarkeit  auf  äussere 
Reize. 

Bei  Betrachtung  dieser  Wirkung  des  Magnesiums  lässt 
sich  erkennen,  dass  auch  diese  Methode  nicht  imstande  zu  sein 
scheint,  die  schwersten  Fälle,  diejenigen  mit  nur  kurzer  In¬ 
kubationszeit  und  raschem  Einsetzen  universeller  Krämpfe, 
zu  heilen.  Immerhin  ist  ein  Versuch  gerechtfertigt,  da  die 
Magnesiumtherapie  noch  die  beste  aller  symptomatischen  Be¬ 
handlungsmethoden  sein  dürfte.  Da  nun  aber  diese  nur  eine 
rein  symptomatische  ist,  so  soll  man  keinesfalls,  auch  selbst 
bei  gutem  Erfolg,  die  spezifische  Serumtherapie  unterlassen, 
denn  sie  ist  das  einzige  gegen  das  Toxin  gerichtete  Mittel,  von 
dem  man  sich  doch  vielleicht  in  diesem  oder  jenem  Falle 
etwas  versprechen  darf,  wenn  auch  in  den  allermeisten 
schweren  Fällen  seine  Wirkung  unsicher  ist. 


Aus  dem  Reservelazarett  Ingolstadt  (Reservelazarettdirektor: 
Oberstabsarzt  Dr.  Carl  Koch). 

Zur  Behandlung  des  Wundstarrkrampfs. 

Von  Dr.  Albert  Angerer,  Assistenzarzt  d.  R. 

Am  Reservelazarett  Ingolstadt  wurden  bis  jetzt  insgesamt  24  Te¬ 
tanusfälle  behandelt,  was  mich  veranlasst,  Mitteilungen  über  die  ge¬ 
meinsam  mit  Feldunterarzt  Alexander  behandelten  Fälle  zu 
machen. 

Zuerst  wurde  mehrmals  eine  Behandlung  mit  Magnesiumsulfat 
unter  Beobachtung  der  von  Kocher  aufgestellten  Vorschriften  ver¬ 
sucht.  Wir  erlebten  nur  Misserfolge,  in  keinem  Falle  eine  Heilung. 
Deshalb  wurde  diese  Therapie  aufgegeben. 

Nach  einigen  mehr  fastenden  Versuchen  haben  wir  uns  für  die 
weiteren  Fälle  auf  folgende  Art  der  Behandlung  festgelegt  und  damit 
Erfolge  gehabt. 

Nach  Feststellung  der  Initialsymptome  wurden  sofort  100  Te- 
tanus-A.-E.  subkutan  und  gleichzeitig  100  A.-E.  intralumbal  oder  intra¬ 
venös  verabreicht.  Wir  wiederholen  die  Injektion  innerhalb  12  bis 
24  Stunden,  und  zwar  geben  wir  sie  in  der  Folge  intravenös.  Dies 
wird  so  lange  fortgesetzt,  bis  ein  deutlicher  Rückgang  der  Er¬ 
scheinungen  erkennbar  ist.  Auf  diese  Weise  wurden  von  300  bis 
1600  A.-E.  gegeben. 

Nicht  minder  grosser  Wert  wurde  aber  auch  auf  die  rein  sympto¬ 
matische  Behandlung  im  Verein  mit  der  Serumtherapie  gelegt.  Zu 
diesem  Zwecke  haben  wir  uns  ausschliesslich  des 
Chloralhydrats  bedient  und  scheuen  uns  nicht  vor 
der  Verabreichung  ziemlich  hoher  Dosen.  Sie  wurden 
gut  vertragen;  in  keinem  Falle  konnte  eine  schädigende  Wirkung 
festgestellt  werden.  Im  Gegenteil,  die  Pat.  wurden  beständig  in  einer 
Art  Dämmerschlaf  erhalten,  waren  infolgedessen  gegen  äussere  Reize 
ziemlich  unempfänglich,  dadurch  wieder  weniger  der  Häufigkeit  der 
Krampfanfälle  und  einer  zunehmenden  Erschöpfung  ausgesetzt. 


Nr.  4 


Chforalhydrat  wurde  im  allgemeinen  zweimal  täglich  zu  je  5g  p 
klysma  verabreicht.  Alexander  gibt  auf  einmal  10  g  ohne  weite 
Verabreichung  für  einen  Tag.  Daneben  wurde  noch  1 — 2mal  0,01  Mo 
pliiutn  gegeben. 

Diese  Kombination  der  Serumtherapie  mit  der  symptomatisch» 
Behandlung  hat  gute  Erfolge  gezeitigt.  Wir  sehen  natürlich  ab,  jei 
von  Natur  aus  leichteren  Fälle  mit  längerer  Inkubation  als  Bewe 
heranzuziehen.  Aber  nachdem  es  gelungen  ist,  Tetanuserkrankung» 
mit  einer  Inkubation  von  7 — 9  Tagen  auf  diese  Art  zu  heilen,  möchte 
wir  nicht  versäumen,  diese  Erfahrung  zur  Kenntnis  zu  bringen. 


Aus  dem  Reservelazarett  Wetzlar  (Chefarzt  Medizinalr; 

Dr.  Fl  o  eck). 

Beiträge  zur  Behandlung  von  infizierten  (Schuss- 
Wunden  und  zur  raschen  Ueberhäutung  grosser  Defekti 

Von  Dr.  Bandorf  in  Wetzlar. 

Bei  aseptisch  gesetzten  Wunden  (Operationen)  ist  der  aseptisch1 
Verband  der  Verband;  die  Wundsekretion  ist  die  denkbar  geringste 
bei  infizierten  Wunden  dagegen  ist  der  Verband  der  beste,  der  de 
Abfluss  des  reichlichen,  mehr  oder  weniger  dickflüssigen,  eitrige 
Sekrets  am  besten  ermöglicht.  Dass  unsere  Kriegsverletzungen  ai 
infiziert  zu  betrachten  sind,  ergibt  sich  1.  aus  der  Erwägung,  das 
Unterzeug  und  Uniformen  unserer  biwakierenden  Krieger  nicht 
weniger  als  steril  sind;  2.  aus  der  Tatsache,  dass  die  Verwundete 
mit  stark  sezernierenden  (eitrigen),  teilweise  sogar  stinkend  jauch 
gen  Verletzungen  zu  uns  kommen. 

Immer  habe  ich  nun  die  Beobachtung  gemacht,  dass  der  trocken 
aseptische  Verband  bei  infizierten  Wunden  zur  Retention  des  Eiter 
und  durch  Verklebung  mit  den  Wundrändern  zu  üppiger  Wucherun 
von  Bakterien  und  Fäulniskeimen  führt;  ferner  dass  das  Ablösen  de 
Verbände  zu  einem  Abreissen  der  Granulationen  und  Epidermis  mi 
geringer  Blutung  führt.  Diese  Tatsache  muss  notwendig  eine  Vei 
zögerung  des  Heilungsverlaufes  bedingen.  Wir  müssen  vom  Ver 
band  verlangen,  dass  er  die  Wunde  vor  weiterer  Infektion  schütz 
dieselbe  reinigt  und  sie  baldigst  durch  Verschluss  infolge  Granula 
tion-  und  Epidermiswucherung  bringt.  Diese  Forderungen  hat  mi 
schon  in  der  Praxis,  in  der  wir  es  ja  auch  nur  mit  infizierten  Wun 
den  zu  tun  haben,  der  Pellidolsalbenverband  am  vollkommensten  er 
füllt.  Dazu  kommt  die  Eigenschaft  des  Pellidols  die  Epithelisierun 
anztiregen. 

Ich  bin  deshalb  gleich  von  Anfang  an  vom  trockenen  aseptische 
Verband  bei  meinen  Verletzungen  abgegangen  und  habe  die  Wundei 
mit  steriler  Gaze,  die  mit  Pellidolsalbe  bestrichen  war,  bedeck’ 
Jetzt,  nach  ca.  3  Wochen,  haben  wir  im  Reservelazarett  in  Wetzla 
bei  ungefähr  700  teils  schweren  teils  leichteren  Wunden  die  Erfolg* 
dieser  Behandlung  beobachten  können  und  dürfen  wir,  glaube  ich 
mit  dem  Erzielten  zufrieden  sein. 

Zunächst  noch  ein  Wort  darüber,  welche  Wunden  ich  im  Aug 
habe.  Ich  meine  alle  kleineren  und  grösseren  Weichteilwunden  mi 
breiter  Kontinuitätstrennung  der  äusseren  Haut,  mit  klaffenden  Wund 
rändern,  Muskelzertrümmerungen,  wie  sie  bei  Querschlägern  un» 
Nahschüssen  erfolgen.  Diese  Wunden  halte  ich  alle  für  infiziert. 

Wir  behandeln  diese  Wunden  wie  folgt:  Die  Wunden  werdet 
mit  2  volumprozentigem  Wasserstoffsuperoxyd  berieselt,  das  über 
schüssige  Wasserstoffsuperoxyd  mit  steriler  Gaze  abeetunft.  Dar 
nach  legen  wir  sterile  Gaze,  die  mit  Pellidol  messerrückendick  be 
strichen  ist,  so  in  die  Wunde,  dass  die  Salbe  nach  Möglichkeit  mi 
allen  Buchten  der  Wunde  in  Berührung  kommt.  Wir  verwenden  di» 
2  proz.  Salbe:  Rp.  Pellidol  (Azodolen)  2,0,  Lanolin,  ad  100,0.  M.  f.  ung 
Der  Verbandwechsel  nach  24  Stunden  geschieht  ohne  jede  mechanisch 
Reizung,  da  Verklebung  unmöglich  ist.  Dieser  Verband  wird  täglicl 
erneuert,  bis  die  Wunde  gereinigt  ist.  was  meistens  in  wenigen  Taeer 
erreicht  ist.  Von  jetzt  ab  ist  ein  Abwechseln  von  aseptischem  Ver 
band  und  Salbenverband  angezeigt.  Gleichzeitig  beginnt  unter  den 
Reiz  des  Pellidols  eine  rasche  Epithelisierung  von  den  Rändern  her 

Nekrosen,  stärkeren  Reiz  oder  andere  schädigende  Einwirkungen 
des  Pellidols  konnten  wir  nicht  beobachten. 

Ich  möchte  mich  dahin  zusammenfassen:  Der  Pellidolsalben- 
verband  leistet  gute  Dienste,  denn  er  leitet  die  Wundsekrete  gut 
reinigt  die  Wunden  und  führt  zu  rascher  Epithelisierung. 


Aus  dem  Reservelazarett  B  in  München,  Station  A2 
(Oberstabsarzt  Dr.  Kr  ecke). 

Zwei  Blasenverletzungen  durch  Schrapnellkugeln. 

Von  Dr.  P  i  t  z  n  e  r. 

Zwei  bei  uns  beobachtete  Blasenverletzungen  durch 
Schrapnellkugeln  scheinen  einer  kurzen  Mitteilung  wert  zi 
sein. 

1.  Am  20.  VIII.  wurde  Musketier  L.  durch  einen  SchrapneJ- 
scliuss  in  die  linke  Gesässhälfte  verletzt.  Er  wurde  von  einem 
Kameraden  mittels  Verbandpäckchen  verbunden  und  wurde  später 
in  ein  Feldlazarett  gebracht.  Von  dort  wurde  er  nach  9  Stunden  m 


10.  November  191-4. 


Fcklärztliclic  Beilage  zur  Miinch.  med.  Wochenschrift. 


2227 


den  Lazarettzug  gebracht,  wo  ihm  ein  neuer  Verband  angelegt  wurde 
Am  23.  VIII.  gelangte  Pat.  ins  Lazarett  B  München. 

Pat.  gibt  an,  dass  er  unmittelbar  nach  dem  Schuss  keinerlei 
Meschwerden  in  der  Blase  gefühlt  habe,  nur  habe  der  Urin  blutige 
Gerinnsel  enthalten.  Der  Urin  ist  auch  jetzt  (23.  VIII.)  noch  stark 
blutig:  gefärbt.  Pat.  klagt  jetzt  auch  über  zeitweilige  leichte 
Schmelzen,  die  er  in  die  Glans  penis  lokalisiert. 

Die  l  nfersuchimg  ergibt  eine  haselnussgrosse  reaktionslosc 
A  undc  unterhalb  des  linken  Tuber  ischii.  Der  Leib  ist  weich,  zeigt 
mr  gan:  geringfügige  Druckempfindlichkeit  in  der  Blasengegend.  Auf 
ier  Röntgenphotographie  sieht  man  einen  zchnpfennigstückgrossen 
-chatten  2  Querfinger  oberhalb  der  Symphyse,  nahe  der  Median- 
inie  (Fig.  1). 


\ 

I 


Fall  1. 

S  =  Schrapnell. 

E  =  Einschuss 
unterhalb  des  Tuber 
isch.  sin. 

Der  Pfeil  deutet  die 
Richtung  des  Schuss¬ 
kanals  an. 


Seit  26.  VIII.  kein  Blut  mehr  im  Urin,  doch  ist  der  Harn  trübe 
nd  entha  t  leichlich  Eiterkörperchen  untermischt  mit  Schleim  und 
ilasenepithelien.  Daher  seit  28.  VIII.  täglich  Blasenspülungen  mit 
proz.  Kollargollösung.  Auf  die  Spülungen  hin  erhebt  sich  die  Tem- 
eratur,  die  bisher  zwischen  37  und  37,5°  C  sich  bewegt  hatte, 
"  em»1  38,5 0  C,  um  am  2.  IX.  auf  36,8  0  C  abzusinken,  auf 
elcher  Hohe  sie  sich  von  jetzt  an  dauernd  hält. 

Am  8.  IX.  darf  Pat.  aufstehen.  Pat.,  der  bisher  ohne  Be- 
.h'.\  erden  uriniert  hatte,  klagt  jetzt  plötzlich  über  Harndrang  beim 
ufrichten  in  die  \  ertikale  und  über  jähes  Abbrechen  des  Harn- 
rahles. 

Die  am  10.  IX.  vorgenommene  Zystoskopie  zeigte  eine 
c  h  r  a  p  n  e  1 1  k  u  g  e  1,  die  frei  beweglich  im  Blasengrunde 
g.  Die  Blasenschleimhaut  ist  etwas  injiziert  und  aufgelockert.  Trotz 
inauester  Ableuchtung  der  ganzen  Blase  gelang  es  nicht,  die  Ein- 
mussörfnung  zu  entdecken.  Offenbar  war  es  bereits  zu  einer  voll- 
immenen  Verheilung  gekommen.  Am  14.  IX.  wurde  in  Parasakral- 
lasthesie  mittels  Sectio  alta  (Hofrat  Dr.  K  r  e  c  k  e)  das  Projektil 
itfernt.  Es  wurde  von  der  Blase  aus  ein  Dauerkatheter  eingelegt, 
e  Blase  vernäht,  die  ßauchdecken  mit  Zwirnnähten  geschlossen, 
id  in  den  unteren  Wundwinkel  ein  Zigarettendrain  eingeführt. 

Die  Blase  wird  nun  täglich  2  mal  mit  2  proz.  Borsäurelösung 
■spült.  Die  Temperatur  bleibt  normal.  Am  19.  IX.  wird  Katheter 
id  Drain  entfernt;  Pat.  uriniert  ohne  Beschwerden  5 — 6  mal  in 
Stunden.  Am  29.  IX.  durfte  Pat.  aufstehen  und  am  5.  X.  wurde 
entlassen. 


2.  Musketier  H.  erhielt  am  20.  VIII.  einen  Schrapnellschuss  in 
-  rechne  Gesässhälfte  und  traf  nach  einmaligem  Verbandwechsel 
i  23.  VIII.  im  Lazarett  B  ein.  Keinerlei  Beschwerden  von  seiten 
r  Harnergane.  Es  fand  sich  eine  reaktionslose  Einschussöffnung 
Juerfinger  breit  rechts  von  der  Crena  ani.  Das  Röntgenbild  zeigte 
inerlei  Knochenverletzung.  Ein  scharf  umschriebener  runder 

Schatten  war,  wie  beim  Fall  1, 
2  Querfinger  oberhalb  der  Sym¬ 
physe  sichtbar  (Fig.  2). 

Pat.  hatte  nie  blutigen  Urin 
bemerkt.  Auch  hatte  Pat.  im 
Gegensatz  zu  Fall  1  stets  voll¬ 
kommen  klaren  Urin,  so  dass 
man  vermuten  konnte,  die  Ku¬ 
gel  sitze  zwar  in  der  Gegend 
der  Blase,  habe  aber  die  Mu¬ 
kosa  nicht  verletzt.  Als  aber 
Pat.  am  10.  IX.  zum  ersten 
Male  aufstehen  durfte,  klagte 
er  über  Urindrang  und  Absetzen 
des  Urinstrahles. 

Die  am  12.  IX.  vorgenommene 
zystoskopische  Unter- 
chung  ergab  fast  das  gleiche  Bild  wie  bei  Fall  1;  eine  frei  be¬ 
gliche,  nicht  inkrustierte  Schrapnellkugel  im  Bl  äsen  - 
u  n  d.  Es  fehlten  alle  zystitischen  Erscheinungen:  die  Schleimhaut 
glatt,  gelblich  glänzend.  Auch  hier  konnte  die  Einschuss- 
iu:ig  nicht  mehr  entdeckt  werden. 

Am  14.  IX.  wurde  die  Kugel  in  gleicher  Weise  wie  bei  Fall  1 
lernt.  Die  Wundheilung  erfolgte  ungestört,  die  Temperatur  blieb 
ts  normal.  Am  3.  X.  wurde  Pat.  als  Rekonvaleszent  entlassen. 


Fall  2. 

S  =  Schrapnell.  E  =  Einschuss. 

I  deutet  die  Richtung  des  Schusskanals  an 


Die  beiden  mitgeteilten  Fälle  stellen  zweifellos  eine  grosse 
Ftenheit  dar.  Es  mag  sein,  dass  im  Laufe  des  Krieges  noch 
i hrere  derartige  Verwundungen  Vorkommen  werden;  aus 
h  letzten  Kriegen  sind,  soweit  uns  die  Literatur  zur  Ver¬ 


fügung  stand,  ähnliche  Blasenverletzungen  nicht  bekannt  ge¬ 
worden.  Nach  dem  Gesetz  von  der  Duplizität  der  Fälle 
mussten  natürlich  gleich  zwei  derartige  seltene  Verletzungen 
zur  Beobachtung  gelangen. 

Das  Bemerkenswerteste  an  beiden  Fällen  besteht  darin, 
dass  das  Geschoss  alle  Weichteile  des  Beckens,  einschliesslich 
der  einen  Blasenwand  durchschlagen  hatte  und  in  der  Blase 
liegen  geblieben  war,  ohne  die  sonst  bekannten 
schweren  Erscheinungen  der  Blascnverletzung  hervorzurufen. 
Ob  die  Blasenverletzung  den  extraperitonealen  Teil  der  Blase 
oder  den  intraperitonealen  betroffen  hat,  lässt  sich  nachträg¬ 
lich  schwer  entscheiden.  Jedenfalls  muss  man  annehmen,  dass 
die  Blasenwunde,  die  unbedingt  der  Grösse  des  Schrapnells 
entsprochen  haben  muss,  sich  sofort  wieder  schloss,  da  sonst 
eine  Harninfiltration  oder  eine  Peritonitis  die  unausbleibliche 
Folge  gewesen  wäre.  Ein  solcher  rascher  Verschluss  würde 
mehr  einer  intraperitonealen  Verletzung  als  einer  extraperi¬ 
tonealen  entsprechen,  weil  gerade  bei  intraperitonealen  Wunden 
die  Oeffnung  durch  die  Verklebung  der  beiden  Serosaflächen 
alsbald  verschlossen  werden  kann. 

Ob  eine  Füllung  der  Blase  mit  Urin  die  Ge¬ 
schossgeschwindigkeit  so  verminderte,  dass  das  Projektil  in 
der  Blase  liegen  blieb,  lässt  sich  nicht  sicher  feststellen.  Auf 
jeden  Fall  kam  in  beiden  Fällen  das  Geschoss  schon  mit  ziem¬ 
lich  verminderter  Geschwindigkeit  in  der  Blase  an,  da  sich 
sonst  wohl  die  explosionsartige  Wirkung  des  hydraulischen 
Druckes  auf  die  gefüllte  Blase  geltend  gemacht  hätte,  die  man 
bei  Schiessversuchen  auf  die  gefüllte  Blase  beobachtet  hat. 

Unter  den  Symptomen  der  Verletzung  ist  besonders 
auffällig,  dass  beide  Patienten  im  Moment  des  Schusses 
keinerlei  besondere  Empfindungen  in  den 
Harn  Organen  hatten,  weder  Brennen  in  der  Harnröhre, 
noch  Urindrang,  noch  Schmerzen  in  der  Blasengegend.  Bei 
Fall  2  blieb  das  Wohlbefinden  ungestört  bis  zu  dem  Augen¬ 
blick,  wo  er  das  Bett  verlassen  durfte.  Da  stellten  sich  dann 
Beschwerden  ein,  wie  sie  sonst  beim  Blasenstein  Vorkommen, 
Harndrang  beim  Aufrichten,  plötzliche  Unterbrechung  des 
Harnstrahles.  Im  ersten  Fall  waren  ebenfalls  stärkere 
schmerzhafte  Störungen  ausgeblieben,  wohl  aber  trat  bei 
diesem  Patienten  nach  einigen  Stunden  Blut  im  Urin  auf,  und 
diese  blutige  Färbung  hielt  mehrere  Tage  an.  In  diesem  Falle 
schien  es  von  vornherein  wahrscheinlich,  dass  das  Geschoss 
die  Blase  verletzt  hatte. 

Entzündliche  Erscheinungen  waren  gleichfalls 
nur  bei  Fall  1  vorhanden.  Bei  dem  2.  Fall  hingegen  blieb  der 
Harn  während  der  ganzen  Zeit  der  Beobachtung  vollkommen 
klar.  Man  muss  also  wohl  eine  vollkommene  Sterilität  der 
Schrapnellkugel  annehmen. 

Das  zystoskopische  Bild  war  in  beiden  Fällen 
sehr  eindrucksvoll:  die  runde  Schrapnellkugel  im  Grunde  der 
Blase  ist  ein  Befund,  wie  er  bisher  wohl  kaum  in  der  Friedens¬ 
praxis  erhoben  sein  dürfte. 

Nach  Feststellung  der  Diagnose  war  die  Therapie  ge¬ 
geben.  Durch  die  Sectio  alta  wurden  die  Kugeln  ohne  be¬ 
sondere  Schwierigkeiten  entfernt.  Die  Verheilung  der  Blasen¬ 
wunde  erfolgte  in  beiden  Fällen  ohne  Störung. 


Spontaner  Abgang  eines  in  die  Harnblase  gedrungenen 

Granatsplitters. 

Von  Dr.  Hermann  Nobiling. 

*  J"  uCr-  Sitzung  ^es  Aerztlichen  Vereins  München  vom  16.  Sep¬ 
tember  berichtete  K  r  e  c  k  e  über  2  im  Reservelazarett  B  beobachtete 
bchussverletzungen,  bei  denen  das  in  der  Gesässgegend  eingedrungene 
Geschoss  von  hinten  in  die  Blase  gelangte,  dort  liegen  blieb  und  durch 
die  Sectio  alta  entfernt  werden  musste.  Einen  ähnlich  gelagerten  Fall 
mochte  ich  hier  in  Kürze  mitteilen. 

H.  R.,  30  Jahre  alt.  Es  fand  sich  bei  ihm  auf  der  linken  Hinter¬ 
backe,  ca.  3  cm  von  der  Afteröffnung  entfernt,  eine  erbsengrosse 
leicht  gerötete,  in  der  Mitte  mit  einem  Schorf  bedeckte  Wunde:  Ein¬ 
schussöffnung.  Eine  Ausschussöffnung  ist  nicht  aufzufinden.  In  der 
nose,  der  Einschussöffnung  entsprechend,  ein  kleines  Loch.  Ucber 
den  Hergang  machte  der  Verletzte  folgende  Angaben:  Am  26  VIII 
mi  Kampfe  bei  Luneville  platzte  10—15  m  hinter  R.  eine  Granate! 
K.  empfand  sofort  einen  heftigen  Schmerz  in  der  Aftergegend  und  fiel 
ohne  das  Bewusstsein  zu  verlieren,  zu  Boden.  Er  vermochte  sich 
aber  gleich  wieder  zu  erheben;  nur  blutete  die  verletzte  Stelle  etwas 


2228 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  4: 


Der  Mann  konnte  noch  60 — 80  m  weiter  laufen,  bis  ein  unwidersteh¬ 
licher  Drang  zu  Urin-  und  Stuhlentleerung  ihn  zwang,  mitten  im 
Granatfeuer  stehen  zu  bleiben.  Mit  vieler  Mühe  und  nach  längerer 
Zeit  erst  gelang  dem  Verwundeten  die  Harnentleerung,  welche  zu¬ 
erst  nur  tropfenweise,  später  in  ganz  dünnem,  fadenförmigem  Strahl 
erfolgte.  Dabei  empfand  R.  auch  Schmerzen  im  After.  Da  der 
Verwundete  nicht  mehr  laufen  und  nur  mehr  schlecht  gehen  konnte, 
begab  er  sich  zu  dem  2  Stunden  weit  entfernten  Verbandplatz,  wo 
die  Wunde  in  der  (iesässgegend  sowie  eine  Streifschussverletzung 
der  linken  Wade,  die  er  bei  den  durch  die  ersterwähnte  Verwundung 
verursachten  Schmerzen  nicht  bemerkt  hatte,  verbunden  wurde.  Auf 
dem  ganzen  Wege  musste  Patient  immer  wieder  wegen  Harndrang 
stehen  bleiben;  fast  immer  ohne,  selten  mit  geringem  Erfolg.  Die 
Nacht  verbrachte  R.  in  einem  Stadel.  Er  konnte  schlafen,  bei  gerader 
Rückenlage  war  er  schmerzfrei. 

Am  27.  VIII.  fuhr  R.  teils  in  stark  rüttelndem  Wagen,  teils  per 
Bahn  nach  D.  Bei  der  Harnentleerung  musste  der  Verwundete  immer 
stark  pressen  und  empfand  dabei  solche  Schmerzen,  dass  er  Angst 
vor  jedem  Wasserlassen  hatte.  Er  verspürte  auch  starke  Schmerzen 
an  der  Peniswurzel.  Alle  'A  Stunde  stellte  sich  Drang  zur  Harnent¬ 
leerung  ein.  Nach  dem  Urinieren  (immer  sehr  wenig)  traten  Schmer¬ 
zen  im  vorderen  Teil  der  Harnröhre  auf. 

Am  28.  VIII.  Transport  nach  K..  Ankunft  am  29.  VIII.  Zustand 
immer  der  gleiche.  Pat.  wird  am  Abend  noch  verbunden;  klagt  über 
Schmerzen  beim  Wassermachen  und  in  der  Gesässgegend.  Stuhl¬ 
verstopfung.  Diät:  Pat.  bekommt  kein  Bier  und  kein  Fleisch,  bloss 
Limonade  und  Eier. 

31.  VIII.  mit  2.  IX.  Pat.  ist  wegen  starker  Schmerzen  im  Gehen 
sehr  behindert  und  kann  sich  auch  nicht  auf  die  Seite  legen.  Schmer¬ 
zen  am  Penisansatz.  Patient  beobachtet  hier,  dass  in  der  Frühe, 
am  Schlüsse  des  Wasserlassens  mit  dem  Harn  etwas  Blut  abging. 
„Der  Urin  war  wie  Rotwein  gefärbt,  als  ich  in  die  Klosettschüssel 
schaute.“ 

Am  3.  IX.  trank  R.  gegen  das  Verbot  des  Arztes  etwas  Bier  und 
schlief  um  8  Uhr  abends  ein,  nachdem  er  vorher  noch  Wasser  ge¬ 
lassen  hatte.  Um  'A  10  Uhr  bekam  Pat.  in  der  Dammgegend  furcht¬ 
bare  Schmerzen,  heftigen  Drang  zum  Urinieren  und  war  kaum  mehr 
imstande  zu  gehen.  Nachdem  etwas  Harn  entleert  worden  war.  hatte 
Pat.  das  Gefühl,  „als  ob  es  in  der  Harnröhre  einen  Ruck  getan  hätte“, 
und  der  Harnstrahl  versiegte  sofort.  Die  Schmerzen  waren  dabei  so 
stark,  dass  R.  den  Atem  verhalten  musste.  Nach  kurzer  Zeit  „tat  es 
noch  einmal  einen  Ruck“,  der  Verwundete  fühlte  sich  sehr  erleichtert, 
viel  Wasser  entleerte  sich  und  zum  erstenmal  wieder  in  dickem  Strahl. 
Der  Urin  war  blutig  verfärbt.  Da  nun  der  Mann  das  Gefühl  hatte, 
als  ob  etwas  aus  der  Harnröhre  herausgefallen  wäre,  suchte  er  mit 
dem  Wärter  in  der  Klosettschüssel  und  fand  in  ihr  einen  Granat¬ 
splitter. 

R.  bemerkte  seitdem  bei  der  Harnentleerung  kein  Blut  mehr. 
Am  vorderen  Ende  der  Harnröhre  hatte  der  Verletzte  noch  3 — 4  Tage 
Schmerzen,  die  dann  vollständig  verschwanden.  Der  Urin  zeigte  nur 
noch  ganz  leichte  Trübung;  bei  der  mikroskopischen  Untersuchung 
fanden  sich  Erythrozyten  und  Leukozyten  in  grösserer  Anzahl.  Das 
Urinieren  vollzieht  sich  jetzt  in  ganz  normaler  Weise,  nur  muss  R. 
in  der  Nacht  noch  1 — 2  mal  zur  Harnentleerung  aufstehen,  was  vor 
jxgi*  seiner  Verwundung  nie  der  Fall  war.  Der  Urin  ist  gegen- 
wärtig  vollkommen  klar  und  enthält  nur  noch  vereinzelte 
O  w  Erythro-  und  Leukozyten. 

M'W  Der  Granatsplitter,  welcher  1.4  g  wiegt,  hat  neben- 

)  stehende  Form,  ist  dreikantig  und  hat  sehr  scharfe,  fein¬ 
es  )  gezähnte,  sägeartige  Ränder.  Grösste  Länge:  1.4  cm, 

Nat. Grosse  Breite:  7  cm.  Er  war  offenbar  in  der  Gesässgegend  in  der 
Nähe  des  Mastdarms  in  den  Körper  eingedrungen,  war  von 
hinten  her  —  wahrscheinlich  extraperitoneal  —  in  die  Harnblase  ge¬ 
langt,  hatte  dort  als  Fremdkörper  die  Erscheinungen  eines  Blasen¬ 
steines  hervorgerufen  und  war  dann  spontan  mit  dem  Urin  entleert 
worden. 


Ueber  Fleckfieber  und  Rückfallfieber. 

Von  Marineoberstabsarzt  Prof.  Dr.  M  ü  h  1  e  n  s  in  Wilhelms¬ 
haven. 

(Schluss.) 

Das  Rückfall-  (Rekurrens-)  Fieber. 

Die  Krankheit  (auch  Rückfalltyphus,  Typhus  recurrens, 
Febris  recurrens  genannt)  ist  früher  vielfach  für  eine  weniger 
schlimme  Form  des  Flecktyphus  gehalten  worden,  zumal  da 
das  Rückfallfieber  unter  denselben  epidemiologi¬ 
schen  Bedingungen  aufzutreten  pflegt  wie  Flecktyphus, 
also  unter  gewissen  Völkerklassen:  Landstreichern, 
Pennbrüdern,  Gefängnisinsassen,  bei  schlecht  untergebrachten 
Arbeitern  in  Massenquartieren,  in  Russland  bei  Nachtasyl¬ 
gästen,  zu  Zeiten  von  Hungersnot,  schliesslich  auch  im  Kriege, 
wie  der  letzte  Balkankrieg  bewiesen  hat.  Wir  wissen  seit  der 
Entdeckung  der  Spirochaeta  recurrentis  (Ober¬ 
in  e  i  e  r)  im  Blute  von  Rückfallfieberkranken  im  Jahre  1873 


bestimmt,  dass  die  Krankheiten  ätiologisch  verschieden  sine 
Beide  Seuchen  treten  aber  häufig  zusammen  auf,  so  jüngst  au 
dem  Balkan  und  in  Tunis. 

Klinisch  ist  das  Rückfallfieber  seit  Mitte  des  18.  Jahrhundert 
genauer  beschrieben.  In  England  waren  im  18.  und  19.  Jahr 
hundert  grosse  Epidemien;  Hauptherd  anscheinend  in  Irland;  letzt» 
grosse  Epidemie  1868 — 73.  Auch  Russland  kennt  zahlreicht 
heftige  Epidemien.  So  z.  B.  wurden  noch  im  Jahre  1908  in  St.  Pe 
t  er  s  bürg  7895  Fälle  mit  3  Proz.  Mortalität  (35  Proz.  aller  Fällt 
unter  Nachtasylgästen)  gezählt.  Bekannte  jüngere  europäische  bpi. 
demien  sind  ferner  beobachtet  in  Bosnien  und  Herzegowina 
auf  dem  Balkan  und  in  der  Türkei.  In  Deutschland  sine 
4  grosse  Epidemien  bekannt  in  den  Jahren  1847/48.  1868/70,  1871/7.- 
und  1878/80,  alsdann  aus  Deutschland  fast  gänzlich  verschwunden 

Seit  den  1880  er  Jahren  geriet  das  Rückfallfieber  bei  uns  immer 
mehr  in  Vergessenheit,  bis  im  Jahre  1905  von  R.  Koch  ir 
Deutsch -  Ostafrika  eine  auf  Chinin  nicht  reagierende  Fieber¬ 
krankheit  durch  Spirochätennachweis  als  Rückfallfieber  erkannt 
wurde,  das  sog.  „Zeckenfieber"  (weil  durch  die  Zecke  Ornitho-' 
dorus  moubata  übertragen).  Seitdem  fand  man  auch  in  vielen 
anderen  Ländern  Rekurrenserkrankungen.  Man  trennt  jetzt! 
m  e  h  r  e  r  e  Arten  auf  Grund  gewisser  Unterschiede  in  Verlauf,. 
Tierempfänglichkeit,  Immunitätsverhältnissen  und  Uebertragung: 
1.  europäisches  Rückfallfieber  (Spirochaeta  Obermeieri),  2.  z  e  n-i 
tral  afrikanisches  Rückfall-  oder  Zeckenfieber  (Spir.  Duttoni),i 
3.  amerikanisches  Rückfallfieber  (Spir.  Novyi),  4.  asiati¬ 
sches,  insbesondere  indisches  Rückfallfieber  (Spir.  Carteri)  und 
5.  nordafrikanisches  Rückfallfieber. 

In  den  gegenwärtigen  Kriegszeiten  ist  eine  Einschlep¬ 
pung  von  Rückfallfieber  aus  den  genannten  europäischen1 
Staaten,  auch  aus  Nordafrika  und  Indien,  nach  Deutsch¬ 
land  möglich. 

Die  wichtigsten  Krankheitszeichen  sind  (in 
der  folgenden  Tabelle  im  Vergleich  zu  Abdominaltyphus  und 
Flecktyphus  zusammengestellt)  kurz  zusammengefasst  fol¬ 
gende:  Plötzlicher  Beginn  mit  Schüttelfrost  und  schnell  an¬ 
steigendem  hohem  Fieber.  Mehrere  Anfälle.  Fieberdauer  im 
L  Anfall  5 — 8  Tage,  in  den  späteren  Anfällen  (Rclapsen) 
kürzer,  Intervalle  zwischen  den  Anfällen  werden  grösser, 
7 — 12  Tage.  Fieberabfall  kritisch  unter  Schweissausbruch. 
Puls  110 — 130,  anfangs  gespannt,  später  klein.  Von  vorn¬ 
herein  schweres  Krankheitsbild,  insbesondere  mit  heftigen 
Kopf-,  Glieder-  und  Muskel-,  insbesondere  Wadenschmerzen. 
Schnell  zunehmende  schmerzhafte  Milz-  und  auch  Lebcr- 
schwellung.  Oft  Blutungen,  namentlich  häufig  heftiges  Nasen¬ 
bluten  (Tamponade  erforderlich).  Gesichtsfarbe  anfangs  ge¬ 
rötet,  später  meist  blass  mit  Stich  ins  Zyanotische  und  Gelb¬ 
liche:  bleigrau  bis  bronzefarben;  mitunter  Herpes  labialis.  Be¬ 
wusstsein  meist  vollkommen  erhalten  (Ausnahmen  bisweilen 
im  kritischen  Stadium).  Nicht  selten  Albuminurie  oder  gar 
hämorrhagische  Nephritis. 

Als  Komplikationen  sind  besonders  gefürchtet:  Blu¬ 
tungen  der  Schleimhäute  und  Pneumonie. 

Als  ein  ominöses  Symptom  wird  ferner  das  Auftreten 
von  starkem  Ikterus  mit  septischen  Erscheinungen  angesehen. 

(Tabelle  siehe  nächste  Seite.) 

Das  sogen,  „b  i  1  i  ö  s  e  T y  p  h  o  i  d“  gilt  als  eine  sep¬ 
tische  Rekurrensform  (Recurrens  septica),  vielleicht 
durch  Kombination  mit  Sepsiserregern.  Symptome: 
schwere  Allgemeinerscheinungen  mit  starkem  Ikterus,  Kräfte-  , 
verfall,  Somnolenz,  Delirien,  Hämorrhagien  verschiedenster  i 
Art,  besonders  im  Magen-Darmkanal,  schmerzhafte  Milz-  und 
Leberschwellung.  50 — 70  Proz.  Mortalität.  Vorkommen 
namentlich  in  wärmeren  südlichen  Staaten  (Mittelmeerstaaten, 
Indien).  Die  Zugehörigkeit  zum  Rekurrens  ist  durch  Spiro¬ 
chätennachweis  erkannt. 

Die  Rückfallfieberspirochäte  lässt  sich  im  all¬ 
gemeinen  nur  während  der  Anfälle  im  Blutpräpärate  nach- 
weisen:  entweder  macht  man  dünne  Ausstriche  und  färbt  sie 
nach  Alkoholfixierung  wie  Malariapräparate  nach  Giemsa. 
oder  besser  sogen,  dicke  Tropfenpräparate. 

Dicke  Blutstropfen  werden  ungefähr  in  1  cm  Breite  auf  dem 
Objektträger  ausgebreitet;  dann  lässt  man  sie  gut  (einige  Sekunden) 
an  der  Luft  trocknen.  Alsdann  Färbung  ohne  Fixierung 
Vs  Stunde  lang  mit  Giemsalösung,  je  1  Tropfen  auf  je  1  ccm  Wasser. 
Nach  Abgiessen  der  Farbe  mehrmaliges  Eintauchen  (nicht  Ab- 
spülcn)  in  ein  Glas  Wasser.  Lufttrocknen.  In  dem  Tropfenpräparat 
werden  die  roten  Blutkörperchen  vom  Wasser  der  Farblösung  aus¬ 
gelaugt  und  man  sieht  die  Spirochäten  zwischen  den  Leukozyten. 


10.  November 

Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift 

J.  Differentialdiagnose  zwischen  Typhus  abdominalis,  exanthematicus  und  recurrens. 

Typhus  abdominalis 

Typhus  exanthematicus 

Febris  recurrens 

1.  Inkubation. 

|  10-20  Tage. 

3-21  Tage  angegeben,  in  der  Regel  8—14  Tage. 

2.  Prodromal¬ 
erscheinungen 

^erj”^es  °der  massiges  allgemeines  Mattigkeits- 
gefuhl.  Mitunter  Angina. 

1  ^e'SL.e*^*je  vorher  Unwohlsein,  Kopfschmerzen 

Schwindel,  Appetitlosigkeit,  mitunter  Erbrechen. 

,  Meist  keine  oder  nur  geringe  Prodromal¬ 
erscheinungen 

3.  Beginn. 

7U  ®e£*nn  Frösteln.  Kein  ausgesprochener 
Schüttelfrost.  Allmählich  ansteigendes  Fieber. 

Nach  Schüttelfrost  in  der  Regel  schneller 
hoher  Fieberanstieg. 

j  Plötzlich  mit  Schüttelfrost  und  schnell  an¬ 
steigendem  hohen  Fieber.  Relapse  auch  plötzlich. 

|  Nach  staffellörmigem  Anstieg  kontinuierliches 
Fieber,  geringe  Tagesschwankungen  zwischen 
39—40,5°.  In  der  3.  und  4.  Woche  grössere 
Schwankungen  (steile  Kurven).  Lytischer 
*n  4~ 8  Tagen.  Fieberdauer  insgesamt 
|  3-5  Wochen. 

Kontinuierliches  Fieber,  in  der  Regel  zwischen 
39,5  und  41"  und  mehr.  Dauer  8—17  Tage. 
Abfall  meist  kritisch  am  12—14.  Tage.  Nicht 
selten  Pertubatio  critica  bis  42“  und  Abfall  zur 
subnormalen  vbis  35°)  und  weniger. 

Continua  bis  41“  und  mehr  mit  geringen  Remis¬ 
sionen.  Abfall  kritisch  unter  Schweissausbruch. 
Mitunter  Pertubatio  critica.  Fieberdauer: 

1.  Allfall:  5—8  Tage.  4.  Anfall:  etwa  3  Tage. 
2-  „  :  4-ö  „  .  5.  „  :  „  1-2  „  . 
3.  ,,  :  etwa  8  ,, 

Im  Vergleich  zum  Fieber  la  ngsa  m  ,  80-100 Schläge, 
anfangs  gut  fühlbar;  sehr  häufig  deutlich  dikrot, 
regelmässig;  später  oft  unregelmässig. 

110—140  Schlage,  nicht  gespannt,  leicht  unter¬ 
druckbar,  oft  kaum  fühlbar;  klein,  oft  unregel¬ 
mässig,  selten  dikrot. 

110-130  Schläge,  im  Fieber  meist  anfangs  deutlich 
gespannt  fühlbar.  Vor  der  Krise  oft  klein  und 
unregelmässig. 

Symptome. 

Krankheitsbild  meist  zu  Anfang  nicht  schwer. 
Abgeschlagenheit,  Appetitlosigkeit.  Oft  heftige 
Kopfschmerzen. 

Von  vornherein  schweres  Krankheitsgefühl: 
Kopf- und  Gliederschmerzen,  starke  Abgeschlagen- 
heit. 

Schweres  Krankh  eitsbifd:  Kopf-,  Kreuz-, 
Glieder-,  Muskelschmerzen,  z.  B.  oft  starke 

7.  Objektiver 

Befund: 
a)  Gesicht. 

Mitunter  anfangs  Rötung  einer  oder  beider 
Wangen,  später  Blässe,  Wangen  abgemagert. 
Nasenbluten.  —  Nicht  selten  kein  Herpes 
labialis. 

Dunkelrot,  gedunsen,  Augenbindehäute  gerötet. 

Anfangs  meist  gerötet;  später  mehr  blass- 
gel blich;  oft  bronzefarben  oder  bleigrau. 
Herpes  labialis  nicht  selten. 

b)  Haut, 
Exanthem. 

Meist  Ende  der  1.  oder  anfangs  der  2.  Woche 
deutlich  Roseolen,  mitunter  sehr  spärlich. 
Hauptsitz:  Oberbauchgegend  und  seitliche 
Brustkorbpartien;  mitunter  auch  Rücken.  Ex¬ 
tremitäten  frei.  Nicht  selten  im  Verlauf  Nach¬ 
schübe. 

Am  3.-5.  Tage  beginnend,  Stecknadelkopf-  bis 
linsengrosse  Exanthemflecke  am  Rumpf  und 
oft  auch  Gliedmassen  (Beugeseite  der  Vorder¬ 
arme).  Mitunter  spärlich,  oft  sehr  ausgebreitet; 
manchmal  schnell  verschwindend.  Charakteristisch: 
„Petechiale  Umwandlung“.  Kein  e  Nach¬ 
schübe.  In  Rekonvaleszenz  häufig  kleienförmige 
Desquamation. 

ln  der  Regel  keinerlei  Exanthem. 

c)  Lungen. 

Sehr  häuiig  bronchitische  Erscheinungen. 
Nicht  selten  im  Verlauf  katarrh.  Pneumonie. 

Oft  Husten,  Bronchitis,  eventuell  Hypostasen. 
Fibrinöse  und  Bronchopneumonien  gefürchtet. 

Seltener  Bronchitis.  Auch  Pneumonie  (fibrinöse) 
seltener. 

d)  Herz. 

Tendenz  zu  Herzschwäche  durch  anatomische 
Veränderungen  oder  nervöse  Störungen. 

Tendenz  zu  Herzschwäche,  namentlich  zur 
Zeit  der  Krise. 

Häufig  systolische  Geräusche,  ohne  Endokarditis. 
Herzschwäche,  besonders  in  Kriseperiode. 

Stark  grau-weiss  belegt,  spater  oft  trocken,  mit 
Borken  belegt,  rissig. 

I  rocken,  dick  schmutzig-grau-gelblich  bis  bräunlich 
belegt,  rissig. 

Dick  belegt. 

f)  Darm 

und  Magen. 

1  y  p  i  s  c  h  häufig  :  erbsensuppenartige 
Stühle;  nicht  immer,  manchmal  auch,  nament¬ 
lich  zu  Anfang  und  in  Rekonvaleszenz  Obstipation. 
—  Ileozoekalgurren  und  Druckempfind¬ 
lichkeit.  Später  oft  Meteorismus. 

Smhluniegelmässigkeiten,  mitunter  Durclitälle,  oft 
auch  Obstipation.  Häufig  nichts  Abnormes.  Meist 
keine  Druckempfindlichkeit.  Mitunter  Darm-  und 
Magenblutung. 

Meist  Obstipation,  mitunter  auch  Durchfälle. 

Magenblutungen  können  Vorkommen. 

g)  Milz. 

Schwellung  fehlt  fast  nie;  meist  schon  in  der 

1.  Woche  beginnend  und  dann  allmählich 
zunehmend. 

Im  allgemeinen  nicht  immer  so  deutlich 
wie  bei  T.  a.  und  Rekurrens,  nicht  wesentlich 
druckempfindlich.  Schwellung  in  manchen  Epi¬ 
demien  nicht  nachweisbar 

Schwellung  schnell  und  erheblich 
meist  druckempfindlich;  oft  auch  spontan 
bei  Atmung  schmerzhaft.  Eventuell  Milzabszesse. 

h)  Leber. 

ln  der  Regel  ohne  auffallende  Veränderungen. 

1 

Schwellung  höchstens  gering,  nicht  so  auffallend 
wie  bei  Rekurrens. 

In  der  Regel  deutlich  geschwollen,  druck¬ 
empfindlich. 

i)  Nieren, 

Urin. 

Nicht  selten  Albuminurie,  Nephritis. 

Diazo  meist  -f-,  kann  auch  fehlen. 

Fieberharn  mit  hohem  spez.  Gewicht.  Auf  Fieber¬ 
höhe  oft  Albuminurie.  Mitunter  schwere 
Nephritis. 

Fieberharn;  nicht  se.ten  Eiweiss  und  Zylinder. 
Manchmal  Nephritis,  selten  hämorrhagisch. 

k)  Blut¬ 

befund. 

Leukopenie  (wenn  keine  Komplikation). 

Anfangs  meist  etwas  Leukopenie,  dann  (nicht  hoch¬ 
gradig)  polynukleäre  Leukozytose. 

1 

Massige  Leukozytenvermehrung,  haupt¬ 
sächlich  der  polynukleären.  Abnahme  der 
roten  Blutkörperchen  und  des  Hämo¬ 
globingehaltes. 

1)  Nerven¬ 
system. 

Von  der  2.  Woche  an  sehr  häufig  Zittern  der 
Oesichts-(Mundwinkel-)Muskeln  u.  Zunge.  Später 
Unruhe,  besonders  nachts,  Delirien. 

Anfangs  quälende  Schlaflosigkeit,  später 

Bewusstseinsstörungen,  Delirien, 
Exzitations-  und  Depressionszustände. 

Oft  Schlaflosigkeit ;  Bewusstsein  erhalten. 
Vor  Krise  oft  Störungen. 

m)  Sonstiges 

Meist  starke  Abmagerung  von  der  3.  Woche  ab. 

ln  schweren  Fällen  oft  eigenartiger  moderiger 
Körpergeruch. 

Sonstige  Kom¬ 

plikationen. 

Darmblutungen  in  3.-5.  Woche.  Perforations-  1 
peritonitis.  Otitis  media.  Parotitis.  Venenthrom- 
oose  (Schenkelvenen).  Dekubitus. 

Blutungen  höchst  selten.  Otitis  und  Parotitis 
purulenta.  Gangrän,  namentlich  der  Extremi¬ 
täten. 

Nasen-,  Darm-,  Genital-  und  andere  Blutungen, 
im  Krisestadium  nicht  selttn.  Otitis  und 

Parotitis.  Mitunter  gutartige  Schenkel¬ 
venenthrombose. 

Rekonvales¬ 

zenz. 

Erholung  von  Beginn  fester  Ernährung  an  häufig 
schnell.  Oft  aber  lang  dauernde  körperliche  und 
geistige  Schwäche.  Nicht  selten  Haar¬ 
ausfall. 

Meist  nur  langsame  Erholung.  Schwere  Ab- 
geschlagenlieit. 

Schnelle  Erholung.  Milz-  und  Leberschwel¬ 
lung  verschwinden  schnell. 

Immunität. 

Jr  1 

Lang  anhaltende  Immunität. 

w.  1 

L  a  n  g  anhaltende  Immunität. 

Von  kurzer  Dauer.  Neuinfektionen  schon 
nach  2-3  Monaten  möglich;  dann  meist  leichter 

Rückfälle. 

5  —  14  Tage  nach  Entfieberung  möglich. 

Höchst  seilen. 

Fast  stets  Relapse,  in  zunehmenden  Zeitabständen 
von  7—11  Tagen,  bis  zu  5  Relaosen. 

Mittlere 

Mortalität. 

8—12  Proz. 

10—25  Proz. 

2—3  Proz.  (ohne  Salvarsan). 

Ae  tiologi  e. 

Typhusbazillus;  Nachweis  in  Blutkultur  und 

Entleerungen.  —  Widal-Reaktion. 

Noch  nicht  gesichert.  Diplobazillus  exan¬ 
thematicus  (?)  Leukozyteneinschlüsse  (?). 

Spirochaeta  recurrentis  (Obermeieri) ;  wäh¬ 
rend  der  Anfälle  im  Blute  nachweisbar 

u  eb  er¬ 
trag  U  n  g. 

Meist  infizierte  Nahrungsmittel,  namentlich 
Milch,  Wasser  und  Obst.  Indirekte  Vermittlung 
durch  Fliegen. 

Kleider-  und  Kopfläuse. 

Kleider-  und  Kopfläuse. 

Pathologische 

Anatomie. 

1 

Typische  Dar  m  verä  n  d  e  ru  n  g  eil :  Schwellung 
der  Follikel  u.  Peyerschen  Plaques,  Oeschwürs- 
bildung.  Milz-  und  D rii s e n Schwellungen. 

Keine  Daimveränderungen.  Milz  weich,  brüchig, 
nicht  so  stark  geschwollen  wie  bei  Rekurrens 

Oft  ausser  Hautveränderungen  nichts 
Charakteristisches. 

Insbesondere :  hochgradig  weiche,  brüchige  Milz, 
mit  herdförmigen  Erscheinungen  (lymphomartige 
Wucherungen  und  Infarkte).  Rotes  Knochen¬ 
mark.  Leber  vergrössert. 

jektionsfertig  in  Ampullen)  tut  dieselbe  Wirkung.  Bei  2  von 
mir  in  Konstantinopel  mit  0,5  Arsalyt  intravenös  injizierten 
Kranken  waren  die  Spirochäten  in  45  Minuten  im  kreisenden 
Blute  nicht  mehr  nachzuweisen.  A  r  r  h  e  n  a  1  injektionen  er¬ 
wiesen  sich  nach  Schneider  in  Syrien  auch  als  spezifisch 
wirksam. 

Erwähnt  sei  noch,  dass  auch  Injektionen  von  Re¬ 
konvaleszentenserum,  16—60  Tage  nach  dem  2.  An¬ 
fall  entnommen  und  in  Mengen  .von  8—10  ccm  den  Kranken 
eingespritzt,  sich  als  spezifisch  wirksam  erwiesen,  wie  mir 
wiederholt  türkische  Aerzte  persönlich  mitteilten.  So  z.  B.  hat 
Res  cha  d  Riza  B  e  y  mehrere  Hundert  Fälle  erfolgreich  mit 
Seruminjektionen  ohne  schädliche  Nebenwirkungen  behandelt. 
Die  Seruminjektionen  sind  also  bei  Epidemien  ein  gutes  Hilfs¬ 
mittel,  wenn  kein  Salvarsan  zur  Hand  ist.  —  Im  übrigen  dürfte 


Die  Mortalität  des  unkomplizierten  Rückfallfiebers  [ 
1  trägt  1 — 5  Proz.,  selten  mehr.  Die  gefährlichste 
-  'it  ist  die  vor,  während  und  nach  der  Krise,  alsdann  event. 
bllaps  oder  Tod  an  Herzschwäche. 

In  dieser  Zeit  ist  daher  bei  der  Behandlung  besonders 
;ch  an  Herzexzitantien  zu  denken.  —  Seit  der  Ent- 
ickung  des  Salvarsans  haben  wir  in  diesem  Präparate  das 
!  >2e  gesuchte  Spezifikum  gegen  Rekurrens.  Eine  e  i  n  - 
1 tlige  intravenöse  Injektion  von  0,4 — 0,5  g  Salvarsan 
( er  der  entsprechenden  N  e  o  s  a  1  v  a  r  s  a  n  dosis,  während 
Fiebers  injiziert,  bringt  in  kurzer  Zeit  die  Spirochäten  zum 
-hwinden;  der  Anfall  wird  wie  mit  einem  Schlage  ab- 
i-  schnitten .  Schnelle  Rekonvaleszenz.  Rückfälle  bleiben  fast 
s ts  aus.  Auch  das  von  der  Firma  Boehringer  in  Mann- 
1  m  hergestellte  Arsalyt  (gelöstes  Arsenpräparat,  in- 


2230 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


seit  Einführung  der  spezifischen  Salvarsantherapie  bei  recht¬ 
zeitiger  Anwendung  die  Mortalität  fast  Null  sein. 

Als  Ueberträger  des  Rückfallfiebers  sind  durch  Be¬ 
obachtungen  und  Versuche  in  Indien,  Nordafrika,  im  Kaiser¬ 
lichen  Gesundheitsamt  und  anderwärts  Läuse  erkannt 
worden.  Man  nimmt  an,  dass  die  Krankheitserreger  mit  spiro¬ 
chätenhaltigen  Entleerungen  der  Läuse,  oder  mit  dem  beim 
Zerdrücken  freiwerdenden  spirochätenreichen  Körperinhalt  der 
Läuse  durch  Kratzen  und  Reiben  in  die  menschliche  Haut  ge¬ 
langen.  Bekannt  ist,  dass  Spirochäten  auch  durch  die  schein¬ 
bar  unverletzte  Haut  (z.  B.  am  Nagelfalz)  in  den  Körper  ge¬ 
langen  können.  Daher  ist  Vorsicht  gegenüber  spiro¬ 
chätenhaltigem  Blut  geboten.  Es  sind  eine  ganze  An¬ 
zahl  von  Laboratoriumsinfektionen  bekannt. 

Die  Bekämpfungsmassnahmen  haben  sich  gegen 
die  Erreger  im  Menschenblut  (spez.  Salvarsanbehandlung)  und 
gegen  die  übertragenden  Läuse  zu  richten.  Hier  gilt  das  schon 
bei  der  Bekämpfung  des  Flecktyphus  Gesagte.  Die  recht¬ 
zeitige  Vernichtung  der  Körper läuse  ist  das 
sicherste  Verhütungsmittel  einer  Weiter¬ 
verbreitung  von  Flecktyphus  und  Rückfall¬ 
fieber.  Die  vorbeugenden  Massnahmen  haben  sich  aber 
auch  auf  die  rechtzeitige  Erkennung,  Reinigung 
und  Isolierung  der  ersten  eingeschleppten  Krankheits¬ 
fälle  zu  erstrecken.  Und  da  ist  es  für  uns  in  den  gegenwärtigen 
Zeiten  besonders  wichtig,  dass  wir  die  gefangenen  Russen 
aufmerksam  unter  ärztlicher  Aufsicht  halten.  Gerade  bei  ihnen 
ist  die  Läusevertilgung  sehr  wichtig.  Dass  unsere  Truppen 
in  Russland  Infektionsgefahren  —  z.  B.  beim  Uebernachten  in 
ärmlichen  russischen  Häusern  —  ausgesetzt  sind,  bedarf  keiner 
besonderen  Begründung.  Aus  privaten  Mitteilungen  ist  mir 
bekannt,  dass  unsere  Truppen  im  Osten  schon  vielfach  die 
Bekanntschaft  mit  Läusen  gemacht  haben.  Vorbeugung, 
d.  i.  Läuseschutz  und  -Vernichtung,  ist  bei  den  geschilderten 
Seuchen  die  beste  Bekämpfung. 


Vereine. 

Kriegsmedizinischer  Abend  in  Tübingen. 

Sitzung  vom  20.  Oktober  1914. 

Herr  Gaupp  demonstriert: 

1.  Französische  Waffen  und  Geschosse,  auch  verschiedene 
Formen  von  Dum-Dum-Geschossen. 

2.  Einen  im  Tornister  eines  französischen  Offiziers  aus  Orleans 
gefundenen  grossen  Phallus  aus  Gips  von  19,5  cm  Länge,  5,5  cm  Durch¬ 
messer.  Derartige  Phalli  wurden  bei  mehreren  gefallenen  französi¬ 
schen  Offizieren  vorgefunden  und  hatten  in  militärischen  Kreisen 
die  Besorgnis  erweckt,  dass  es  sich  um  Instrumente  für  rohe  Schän¬ 
dungsversuche  an  deutschen  Frauen  und  Mädchen  handeln  könnte. 
Gaupp  glaubt  dies  nicht.  Eine  Austragung  französischer  Ver¬ 
wundeter  ergab  keine  Erklärung,  sie  meinten  nur:  „c‘est  seulement 
pour  rire“.  Diese  Annahme  ist  nicht  wahrscheinlich,  zumal  der 
Gegenstand  ein  grosses  Gewicht  hat  und  den  Tornister  doch  zu  sehr 
beschwert,  um  nur  als  harmloses  Ulkobjekt  zu  dienen.  Die  Ver¬ 
mutung,  dass  es  sich  um  ein  Instrument  für  päderastische  Zwecke 
handelt,  hat  wenig  Wahrscheinlichkeit  für  sich.  Näher  liegt  der  Ge¬ 
danke,  darin  eine  Art  von  Talisman  zu  erblicken.  Nur  widerspricht 
dieser  Annahme  das  grosse  Format  und  Gewicht.  Vielleicht  liegt 
eine  Form  des  Exhibitionismus  vor,  bei  dem  sich  der  sexuell  Perverse 
an  der  Scham  und  Verlegenheit  durch  den  Anblick  des  Riesenphallus 
erschreckter  und  verletzter  weiblicher  Personen  geschlechtlich  er¬ 
regt. 

3.  Einen  Fall  von  rein  traumatischem  Korsakoff  nach  Huf¬ 
schlag  ins  Gesicht,  der  zu  einer  Fraktur  des  Unterkiefers  geführt 
hatte  Nach  einstündiger  Bewusstlosigkeit  zunächst  leicht  deliranters 
Bild,  dann  reiner  amnestischer  Symptomenkomplex,  der  nach  etwa 
5  wöchiger  Dauer  rasch  völlig  abheilte. 

4.  Einen  Fall  schwerer  Riickemnarksverletzung  durch  eine 
Schrapnellkugel,  die  hinten  im  Nacken  eindrang,  die  Rückgratshöhle 
durchquerte,  das  Rückenmark  teilweise  zerriss,  den  Wirbelkörper 
durchbohrte  und  zwischen  Wirbelkörper  und  hinterer  Rachenwand 
liegen  blieb.  Allgemeine  Ausführungen  über  die  Prognose  und  Be¬ 
handlung  partieller  Rückenmarksverletzungen. 

Herr  K.  Brodmann:  Zerebrale  Störungen  nach  Schädel¬ 
schüssen. 

Der  Vortrag  wird  ausführlich  in  der  M.m.W.  erscheinen  (Feld¬ 
ärztliche  Beilage). 

Herr  Kühler-  Reutlingen  zeigt  eine  grosse  Anzahl  von 
Röntgenaufnahmen  mit  Geschossen  an  den  verschiedensten  Körper¬ 
stellen  und  spricht  über  Indikation  zur  Entfernung  von  Geschossen. 


Nr.  4,: 

- - 

Kleine  Mitteilungen. 

Ueber  die  geistige  Bewertung  der  Japanesen 

schreibt  Geheimrat  Prof.  Dr.  D.  v.  Hansemann  in  der  Voss.  Ztg. 

„Die  Japaner  werden  im  allgemeinen  als  ein  geistig  besonder 
veranlagtes  Volk  betrachtet,  nach  meinen  Erfahrungen  aber  werde 
sie  in  dieser  Richtung  vielfach  nicht  unerheblich  überschätz! 
Seit  mehr  als  20  Jahren  habe  ich  Gelegenheit,  Japaner  in  meiner 
Laboratorium  in  ihrer  Tätigkeit  zu  beobachten,  und  habe  ausserden 
eine  Uebersicht  über  die  geistigen  Leistungen  der  Japaner  auf  medi 
zinischem  Gebiete  an  anderen  Stätten.  Dabei  stellt  sich  ganz  all 
gemein  heraus,  dass,  solange  die  Japaner  unter  irgendeiner  geistige! 
Einwirkung  eines  europäischen  Forschers  stehen,  sie  gute  und  wissen1 
schaftlich  wertvolle  Arbeiten  machen.  Es  beruht  das  auf  ihrer  Eigen' 
Schaft,  die  Anweisungen,  die  sie  für  ihre  Arbeiten  erhalten,  aufs  ge' 
naueste  durchzuführen,  mit  grossem  Fleiss  und  grosser  Genauigkeit 
Dabei  stellt  sich  aber  immer  heraus,  dass  sie  selbst  gar  nicht  in  de  t 
Lage  sind,  aus  dem  von  ihnen  bearbeiteten  Gebiete  irgendwelche!1 
geistigen  Schluss  zu  ziehen.  Wenn  man  daher  in  deutschen  wissen 
schaftlichen  Zeitschriften  Arbeiten  von  Japanern  aus  irgendeinen 
deutschen  Laboratorium  findet  und  diese  Arbeiten  einen  fast  durch; 
weg  guten  Eindruck  machen,  so  muss  man  dabei  immer  berücksichti¬ 
gen,  dass  der  Japaner  selbst  daran  nicht  viel  mehr  als  die  mecha 
nische  Arbeit  geleistet  hat,  während  der  ganze  geistige  Inhalt 
sowie  das  sich  ergebende  Resultat  von  dem  betreffenden  Lehrer  aus¬ 
geht. 

Damit  stimmen  vollständig  die  Resultate  überein,  die  die  Japanen 
in  ihrem  eigenen  Lande,  wenn  sie  aus  Europa  oder  aus  den  ver-, 
schiedenen  Forschungszentren  der  Vereinigten  Staaten,  die  sie  neuer-, 
dings  stark  frequentieren,  zurückgekehrt  sind,  hervorbringen.  Ich  ver¬ 
folge  seit  Jahren  die  japanischen  Zeitschriften,  die  zum  Teil  it 
deutscher  oder  englischer  Sprache  erscheinen,  oder  wenigstens  Aus¬ 
züge  in  solchen  Sprachen  enthalten.  Alle  die  Arbeiten,  die  die  Ja¬ 
paner  selber  aus  eigener  Kraft  auf  wissenschaftlichem  Gebiete  her-! 
Vorbringen,  sind  durchaus  minderwertig,  sowohl  in  bezug  auf  der' 
Untersuchungsgang  als  auch  in  bezug  auf  die  Resultate.  Keine  dieser 
Arbeiten  lässt  die  Aufstellung  eines  wissenschaftlichen  Problems  er¬ 
kennen.  Darin  sind  sie  vollkommen  geistesarm.  Mir  ist  auch  in  medi¬ 
zinischer  Beziehung  keine  einzige  wesentliche  Entdeckung  bekannt, 
die  die  Japaner  aus  sich  heraus  ohne  Einfluss  europäischer  Kultur  ge¬ 
macht  hätten. 

In  früherer  Zeit  waren  die  Japaner  bescheiden  in  ihrem  Auf¬ 
treten.  Seit  dem  russisch-japanischen  Kriege  sind  sie  hochnäsig  und 
eingebildet  geworden.  Sie  kommen  schon  mit  der  Ueberzeugung  ihrer 
grossen  Leistungsfähigkeit  nach  Europa.  Dabei  haben  sie  die  Ge¬ 
wohnheit,  in  den  Ländern  die  einzelnen  Methoden  und  Gebräuche 
genau  abzusehen  und  sie  dann  in  ihrem  Lande  gewissermassen  als 
geistiges  Plagiat,  als  ihre  eigene  Erfindung  auszugeben.  Schon  im 
Jahre  1896  schreibt  mir  darüber  ein  sehr  angesehener  und  ungewöhn¬ 
lich  begabter  japanischer  Profesor  über  K  i  t  a  s  a  t  o,  den  bekannten 
Mitarbeiter  von  Koch  und  Behring,  wörtlich: 

„Nach  seiner  Rückkehr  aus  Deutschland  steht  er  unter  dem 
Volke  in  grossem  Ansehen,  indem  er  das  Volk  glauben  lässt,  dass 
er  mit  Koch  das  Tuberkulin  erfunden  hätte.  Es  ist  bei  uns 
Sitte  und  Mode  jetzt,  alle  Antitoxine  Kitasatos  Erfindungen; 
zuzuschreiben.“ 

Aus  allen  Erfahrungen,  die  wir  hier  mit  Japanern  in  wissen¬ 
schaftlichen  Instituten  gemacht  haben,  ergibt  sich  ihre  grosse  Be¬ 
fähigung  zur  Nachahmung,  aber  ihre  absolute  Un¬ 
fähigkeit  zu  selbständigen  Erfindungen.  Ich  möchte 
glauben,  dass  das  übereinstimmt  mit  den  Leistungen  der  Japaner 
überhaupt.  So  ist  ja  auch  unzweifelhaft  ihre  Kunst  der  Bronze-, 
technik,  der  Porzellane  und  Malerei  von  den  Chinesen  übernommen, 
und  ich  zweifle  nicht  daran,  dass  sie  auch  ihre  Kriegskunst,  die  sie 
fast  ausschliesslich  deutschem  Einfluss  verdanken,  imitatorisch  aufs 
genaueste  durchführen  werden,  wie  sie  das  schon  im  russisch-japa¬ 
nischen  Krieg  gezeigt  haben.  Ob  sie  darin  auch  neuen  Situationen, 
gewachsen  sind,  die  in  das  von  ihnen  erlernte  Schema  nicht  hinein 
passen,  möchte  ich  bezweifeln.  In  wissenschaftlicher  Beziehung  ver¬ 
sagen  sie  in  dieser  Richtung  durchaus.“ 


Ersatz  für  Kanadabalsam. 

Bei  der  Einbettung  mikroskopischer  Präparate  bildet  einen  sehr 
guten  Notbehelf,  ja  ich  möchte  fast  sagen  Ersatz,  tlir  den  Kanada¬ 
balsam  das  M  a  s  t  i  s  o  1  -  0  e  1 1  i  n  g  e  n.  Ich  war  neulich  gezwungen 
solches  zu  verwenden  und  war  überrascht  von  dem  Erfolg.  Die 
Masse  erstarrt  fast  sofort  und  das  Deckgläschen  haftet  nach  einigen 
Stunden  so  fest,  dass  man  das  Präparat  ohne  Gefahr  transportieren 
oder  verschicken  kann.  Die  Färbung  leidet,  so  weit  ich  untersuchte, 
keine  Einbusse,  und  die  leicht  rötliche  Färbung  des  Mastisois  ver¬ 
schwindet  völlig  infolge  der  dünnen  Ausbreitung  der  Masse.  Ein 
weiterer  Vorteil  ist,  dass  man  die  Präparate  sofort  untersuchen  kann, 
ohne,  wie  beim  Kanadabalsam  in  Gefahr  zu  laufen,  dass  bei  Schief¬ 
stellung  des  Mikroskopes  oder  bei  Projektion  das  Präparat  abläuft: 
aus  diesem  Grunde  eignet  es  sich  besonders  bei  solchen  Präparaten, 
welche  man  in  Glyzerin  etc.  ohne  Deckglas  untersucht.  Im  Uebrigen 
ist  bei  seiner  grossen  Verbreitung  das  Mastisol  im  Notfälle  stets  zur 


0.  November  19M. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


22M 


;,"d:  manchen  der  Kollegen  interessiert  vielleicht  dieser  Wink;  ich 
ofte  im  beide  wertere  Versuche  auf  diesem  Gebiete  damit  an- 
jstellen-  rh-  V  a  t  e  r  n  a  h  m  -  Frankfurt  a.  M. 


Sterilisationsverfahren  für  Trinkwasser. 

A  VÜer  *  r‘n*<wasser  werden  0.15  g  (d.  i.  rund  ein  Siebentel 
ramm)  Calcium  hypochloratum  (Chlorkalk)  am  Rande  eines  Glases 
ii  einigen  Tropfen  Wasser  zu  einem  dünnen  Brei  verrieben  mit  dem 
ter  Wasser  vermischt  und  gleich  darauf  7  Tropfen  einer  25  proz 
tlzsaurclosung  der  Mischung  zugesetzt. 

Liner  wiederholtem  Umschütteln  30  Minuten  einwirken  lassen, 
eraiit  Zusatz  von  0,30  g  (d.  i.  rund  ein  drittel  Gramm)  kristall- 
asserhaltigem  Natriumsulfit  (Natrium  sulfurosum)  und  Umrühren, 
ich  dem  Umruhren  und  I -Ösen  des  Natriumsulfit  ist  das  Wasser 
mkfertig.  (Nach  Vorschrift  von  Prof.  P  r  a  u  s  n  i  t  z.) 


Wie  man  Impfgegner  bekehren  kann! 

Französische  Verwundete  kamen;  alles,  was  an  Personal  noch 
cm  geimptt  ist,  wird  geimpft,  Aerzte,  Schwestern,  Damen  vom 
neu  Kreuz,  Mitglieder  der  Sanitätskolonnen  usw 

Ein  Träger  (Sektionsführer),  sehr  tüchtiger  Mann,  entpuppt  sich 
’  Impfgegner,  will  sich  nicht  impfen  lassen;  auf  die  Mitteilung,  dass 
dann  im  Mause  nicht  weiter  arbeiten  kann,  süsssaueres  Gesicht 
i  stelle  ihm  aber  weiters  vor:  „Für  heute  legen  Sie  Ihren  Grundsatz 
,  lassen  sich  impfen,  morgen  können  Sie  dann  wieder  Impfgegner 
in.  Diesem  schlagenden  Argument  konnte  er  sich  nicht  entziehen 
hess  sich  impfen.  _ Dr.  0  1 1,  Oberstabsarzt. 

Therapeutische  Notizen. 

Zells  t  o  f  f  w  a  1 1  e  Auf  die  Zweckmässigkeit  des  Ersatzes  der 
umwollwatte  durch  Zellstoffwatte  ist  in  dieser  Wschr  mehrfach 
igewiesen  worden,  zuletzt  in  der  amtlichen  Mitteilung  in  Nr  44 
oben  dieses  Verbandstoffe5  sandte  uns  die  Internationale  Spe'zial- 
irik  für  Watten  Schonlau  &  Co.  in  Riehen-Basel  und  Weil  i.  Baden, 
ist  ein  w  eicher,  schmiegsamer  Stoff  von  schneeweisser  Farbe  und 
.  isser  Aufsaugefähigkeit.  Er  ist  erheblich  billiger  als  Baumwoll- 
itte. 

Im  Nebel  nur  wagt  es  Engeland. 

Sie  sagen  an  der  Wasserkant’: 

„Im  Nebel  nur  wagt  es  Engeland! 

Peitscht  aber  der  Sturm  das  tosende  Meer, 

Hoiho,  dann  kommt  der  Deutsche  daher!“ 

Wenn  stinkender  Nebel  niederflennt, 

Dann  ist  es  Englands  Element! 

Es  streckt  die  schleimigen  Fühler  aus 
Und  schleicht  heran  um  Hof  und  Haus. 

Doch  wenn  der  Sturm  die  Nebel  zerreisst, 

Und  sie  in  tausend  Fetzen  zerschmeisst. 

Zieht  Deutschland  seine  Flagge  hoch 
Und  stürzt  sich  ins  englische  Nebelloch! 

Die  deutsche  Kraft,  der  deutsche  Zorn 
Nimmt  den  Polypen  sich  aufs  Korn 
Und  braust  einher  im  ehrlichen  Sturm, 

Zerschmetternd  den  erbärmlichen  Wurm.. 

Dr.  Max  Nassauer-  München. 


Tagesgeschichtliche  Notizen 

München,  den  9.  November  1914. 

Unter  den  zahlreichen  erfreulichen  Kriegsereignissen  der 
>  gangenen  Woche  steht  obenan  der  ruhmvolle,  mit  der  Ver- 
itung  zweier  vollwertiger  englischer  Schiffe  verbundene  Seesieg 
dei  chilenischen  Küste.  Zum  ersten  Male  standen  sich  hier  an- 

•  ernd  gleiche  deutsche  und  englische  Seestreitkräfte  in  offener 
Macht  gegenüber.  Dass  sich  dabei  die  deutschen  Schiffe  an  Schnei¬ 
en  und  Entschlossenheit  des  Angriffes  wie  an  Treffsicherheit  und 
leerender  Wirkung  ihrer  Artillerie  den  englischen  ebenso  iiber- 
n  erwiesen,  wie  bisher  schon  unsere  Unterseeboote  und  Kreuzer 

i Iren  kühnen  Einzelunternehmungen,  lässt  für  die  künftigen  Taten 
^  ,tte  das  beste  hoffen.  Dieser  schöne  Erfolg  lässt  uns  auch 

*  beklagenswerten  Verlust  des  Kreuzers  Yorck  eher  verschmerzen, 
ingleich  der  I  od  so  vieler  tüchtiger  Seeleute  unersetzlich  ist. 

den  Kriegsschauplätzen  in  Ost  und  West  hat  sich  auch  in  der 
Gau  lenen  Woche  nichts  Entscheidendes  ereignet. 

Unser  Stützpunkt  im  fernen  Osten,  Tsingtau,  ist  nach  helden- 
,  iderstand  den  Angriffen  der  verbündeten  Japanesen  und 
nander  leider  erlegen;  noch  im  Fall  Deutschland  zum  Ruhm,  Eng- 
1  zur  ewigen  Schande. 

I  Recht  England  als  treibende  Kraft  und  letzte  Ursache 

den  Ausbruch  des  blutigen  Krieges  angeklagt  werden  muss,  so 
«t  dieses  unselige  Volk  auch  die  Schuld  an  der  unerhörten  Härte, 
welcher  der  Krieg  geführt  wird.  Völkerrechtliche  Bestimmungen 


exislieien  für  England  nicht;  die  humanitären  Errungenschaften,  an 
denen  die  Volker  jahrzehntelang  gearbeitet  haben,  um  die  Greuel 
es  Krieges  abzumildern,  sie  werden  von  England  mit  Füssen  ge- 
treten.  Die  Nichtachtung  des  Privateigentums,  die  widerrechtliche 
Aneignung  fremder  Patente,  die  Heranziehung  halbwilder  Völker- 
senatten  gegen  einen  rasseverwandten  Feind,  die  Verletzung  und  der 
Missbrauch  der  Genfer  Flagge,  die  jetzt  unzweifelhaft  nachgewiesene 
Verwendung  von  Dumdumgeschossen,  kennzeichnen  eine  Rohheit  der 
uesmnung  wie  man  sie  bei  einem  wenigstens  in  äusserlicher  Kultur 
so  hochstehenden  Volke  nicht  für  möglich  gehalten  hätte.  Kein  Wun- 
cer  darum,  dass  wie  bei  unseren  Soldaten,  bei  allen  Deutschen  die 
gründliche  Abrechnung  mit  England  als  höchstes  Kriegsziel  gilt. 

c fJt'her  englische  Dumdumgeschosse  machte  Exzellenz 
,•  V  jer  11  in  g  in  einer  Versammlung  von  Kriegsberichterstattern 
im  Grossen  Hauptquartier  interessante  Mitteilungen.  Die  demon- 
str  erten  Geschosse,  die  alle  von  Engländern  aus  der  Gegend  von 
Lille  stammen,  sehen  äusserlich  aus  wie  eine  gewöhnliche  Patrone. 
lJas  Geschoss  hat  aussen,  ebenso  wie  das  deutsche,  einen  Mantel. 

ÄÄ"  Si(r1'  eine  Aluminiumspitze,  dann  kommt 

cALP  L  ein  Knochen  getroffen,  so  zersplittert  das  Ge¬ 

schoss  in  Mantel,  Alummmmspitze  und  Kern,  welche  die  bekannten 
schweren  zerreissungen  erzeugen.  (Entsprechende  Fälle  kommen 
demnächst  in  d.  Wschr.  zur  Veröffentlichung.) 

—  Durch  Erlass  vom  14.  Oktober  wurde  bestimmt,  dass  vertrag- 
Sj?  lchtetÄe'  n+icht  «e  diente  Zivilärzte  sowie  Iand- 

»,ilchilge^Aerzte  zur  vorgeschriebenen  Uniform  (vergl  Nr  41) 
als  Waffe  das  O  f  f  i  z  i  e  r  s  s  e  i  t  e  n  g  e  w  e  h  r  mit  Portepee  erhalten. 

~  Ueb«  die  Be  z  ii  g  e  der  vertraglich  verpflichteten  Zivilärzte 
bestehen  folgende  Bestimmungen: 

I.  Bei  Verwendung  in  Stellen  mobiler  Forma¬ 
tion  e  n,  z.  B.  in  Kriegslazaretten  usw.,  monatlich  655  M.  Dieser 
Betrag  wird  der  bei  einer  Kriegsdienstbeschädigung  zu  gewährenden 
1  ension  zugrunde  zu  legen  sein.  Ausserdem  erhalten  sie  bei  der  er¬ 
wähnten  Verwendung  zur  Beschaffung  ihrer  Uniform  und  Ausrüstung 
eine  einmalige  Ausrustungsentschädigung  von  300  M„  die  sich  im 
falle  der  Berittenmachung  auf  500  M.  erhöht. 

Ferner  erhalten  sie: 

a)  Feldkost  oder  die  entsprechende  Geldvergütung  und  Natural- 
quartier, 

b)  die  wirklich  entstandenen  Fuhrkosten  für  die  Reisen  nach  und 
von  ihren  Verwendungsorten. 

II.  Bei  Verwendung  beim  Besatzung sheer,  also  in 
erster  Linie  bei  den  Reservelazaretten  im  Heimatgebiet  und  bei 
den  Ei  satztruppen,  erhalten  sie  Tagegelder  in  folgender  Höhe- 

a)  bei  Verwendung  in  ihrem  Wohnorte:  15  M 

b)  bei  Verwendung  ausserhalb  ihres  Wohnortes:  18  M  und 
iNaturalquartier  oder  die  entsprechende  tarifmässige  Geldvergütung 
sowie  die  wirklich  entstandenen  Fuhrkosten  für  die  Reisen  von  und 
nach  ihren  Verwendungsorten 

~  Für  die  Pensions-  bzw.  Hinterbliebenenversorgung  der  ver- 
BetrachtVerPfllChteten  Zivilärzte  kommen  folgende  Bestimmungen  in 

,  zum  Heere  im  privatrechtlichen  Vertragsverhältnis  stehen- 

den  Zivilärzte  erhalten  Pension,  wenn  infolge  einer  durch  den 
Krieg  heibeigefuhrten  Dienstbeschädigung  ihre  Erwerbsfähigkeit  auf¬ 
gehoben  oder  um  wenigstens  10  Proz.  gemindert  worden  ist 
,  ()b  eine  Gesundheitsstörung  als  Dienstbeschädigung  anzusehen 
und  ob  die  Schädigung  durch  den  Krieg  herbeigeführt  ist,  darüber 
entscheidet  ein  aus  3  Offizieren  oder  Beamten  der  Heeresverwaltung 
gebildetes  Kollegium  endgültig.  s 

2  Falls  der  vertraglich  verpflichtete  Zivilarzt  zum  Feldheere 
gehörte  (ausserhalb  der  Grenzen  des  Deutschen  Reiches  tätig  war) 
und  un  Kriege  geblieben  oder  infolge  einer  Kriegsverwundung  oder 
Kriegsbeschadigung  gestorben  ist,  haben  die  Hinterbliebene  n 
einen  Rechtsanspruch  auf  Kriegswitwen-  bzw.  Kriegswaisengcld. 

War  der  durch  eine  Kriegsdienstbeschädigung  verstorbene  Zivil- 
fr.2  dagegen  im  Heimatgebiete  tätig,  so  erwerben  die  Hinter¬ 
bliebenen  keinen  Rechtsanspruch.  Es  ist  vielmehr  in  das  Fr- 
messen  der  obersten  Militärbehörde  gestellt,  ob  und  in  welcher'Höhe 
sie  eine  Kriegsversorgung  der  Hinterbliebenen  gewähren  will. 

Die  I  ension  beträgt  für  die  Dauer  völliger  Erwerbsunfähigkeit 
7a  1  roz.  des  pensionsfahigen  Diensteinkommens;  sie  beträgt  bei 
teilweiser  Erwerbsunfähigkeit  je  nach  dem  Grade  derselben  einen 
in  U“n.de.r*steIn  auszudrückenden  Teil  des  bei  völliger  Erwerbs¬ 
unfähigkeit  zu  gewährenden  Betrages.  Neben  der  Pension  ist  Ver- 
stummelungszulage,  Kriegszulage,  Pensionserhöhung  und  Tropenzu¬ 
lage  nach  den  Vorschriften  der  §§  32,  59,  72  des  Offizierpensions¬ 
gesetzes  zu  gewahren. 

r.((-  ,Die  Verstümmelungszulage  beträgt  (nach  §  11  des 
Offizierpensionsgesetzes)  bei  dem  Verlust  einer  Hand,  eines  Fusses 
cer  Sprache,  des  Gehörs  auf  beiden  Ohren  jährlich  je  900  M.  und 
bei  Verlust  oder  Erblindung  beider  Augen  jährlich  1800  M 

Die  Verstummelungszulage  von  je  900  M.  kann  ferner  mit  Ge- 
nehmigung  der  obersten  Militärverwaltungsbehörde  des  Kontingents 
bewilligt  werden  bei  Störung  der  Bewegungs-  und  Gebrauchsfähig- 
,eit  <?‘?er  Hand-  ,eines  Armes,  eines  Fusses  oder  eines  Beines,  wenn 
die  Storung  so  hochgradig  ist,  dass  sie  dem  Verluste  des  Gliedes 
gleich  zu  achten  ist,  bei  Verlust  oder  Erblindung  eines  Auges  im 
Falle  nicht  völliger  Gebrauchsfähigkeit  des  anderen  Auges,  bei 


2232 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


anderen  schweren  Gesundheitsstörungen,  wenn  sie  fremde  Hilfe  und 
Wartung  nötig  machen 

Wird  durch  eine  der  vorstehend  angegebenen  Gesundhejts- 
schädigungen  schweres  Siechtum  verursacht  in  dem  Grade,  dass 
der  Pensionär  dauernd  an  das  Krankenlager  gefesselt  ist,  oder  be¬ 
steht  die  Gesundheitsschädigung  in  Geisteskrankheit,  so  kann  mit 
Genehmigung  der  obersten  Militärverwaltungsbehörde  des  Kon¬ 
tingents  die  einfache  Verstümmelungszulage  bis  zum  Betrage  von 
1  SOU  M.  jährlich  erhöht  werden. 

—  Man  schreibt  uns  unterm  7.  ds:  Nach  Zusammenstellungen  aus 
Zeitungen  haben  bis  heute  nicht  weniger  als  920  Aerzte  das  „Eiserne 
Kreuz“  erhalten.  Auch  die  Sanitätsoffiziere  erhalten,  wie  in  der  Er¬ 
neuerungsurkunde  vom  5.  VIII.  14  ausdrücklich  gesagt  wurde,  für 
Verdienste  auf  dem  Kriegsschauplatz  das  Eiserne 
Kreuz  nur  am  schwarzen  Bande,  genau  wie  die  Offiziere.  Damit 
ist  ein  lang  gehegter  Wunsch  in  Erfüllung  gegangen.  —  Das  Eiserne 
Kreuz  I.  Klasse  hat  1870  ausser  v.  Langenbeck  und  W  i  1  m  s  auch 
noch  v.  Bardeleben  -  Berlin  erhalten.  Gefallen  82  Aerzte,  ver- 
,  uundet  122. 

—  Die  Vorsitzenden  des  Leipziger  Verbandes  und  des  Deutschen 
Aerztevereinsbundes  haben  beschlossen  eine  „Hilfskasse  zur 
Linderung  der  Kriegsnot  in  Aerztekreisen“  zu  er¬ 
richten  und  wenden  sich  an  alle  Kollegen  in  Stadt  und  Land,  sowie 
an  die  Aerztekammern  und  ärztlichen  Vereine  mit  der  Bitte  um 
Gaben.  Wir  hoffen,  dass  diesem  Aufrufe  reichlich  entsprochen  wird. 

-  Wie  11  Policlinico  nach  dem  Lancet  berichtet,  hat  sich  der 
Preis  des  Aspirins  in  England  verfünffacht,  der  des  Chloralhydrats 
verdreifacht,  der  des  Kokains  verdoppelt;  alle  Salizylpräparate  sind 
erheblich  im  Preis  gestiegen.  Man  spürt  auch  das  Fehlen  wichtiger 
pflanzlicher  Drogen,  die  in  grossen  Mengen  in  Deutschland,  Frank¬ 
reich  und  Belgien  gesammelt  werden:  Kolchikum,  Digitalis,  Gentiana, 
Belladonna,  Arnika,  Kamillen  u.  a.  Einige  englische  Fabriken  haben 
schon  mit  der  Herstellung  der  fehlenden  Chemikalien  begonnen;  auch 
die  Fabrikation  der  organischen  Arsenpräparate  soll  möglichst  rasch 
in  Angriff  genommen  werden  —  und  zwar  ist  es  die  von  früher  her 
durch  ihre  aufdringliche  Reklame  und  trotz  ihrer  teueren  Preise  bei 
den  deutschen  Aerzten  wohlbekannte  Firma  Burroughs  Wellcome 
&  Co„  die  den  Diebstahl  des  Salvarsanpatentes  unternehmen  will. 

—  Zu  unserer  Mitteilung  in  Nr.  13  d.  Wschr.  über  den  Betrieb 
der  medizinischen  Fachpresse  während  des  Krieges  tra¬ 
gen  wir,  ebenfalls  nach  dem  Policlinico,  nach,  dass  auch  die  fran¬ 
zösische  Presse  medieale  ihr  Erscheinen  nicht  eingestellt,  sondern 
sich  militärmedizinischen  Fragen  gewidmet  hat.  Demnächst  werden 
auch  die  Archives  de  Medecine  des  Enfants  ihre  Veröffentlichungen 
wieder  aufnehmen;  auch  die  Academie  de  Medecine  und  die  Societö 
des  Höpitaux  werden,  wie  gewöhnlich,  nach  den  Sommerferien  ihre 
Sitzungsberichte  wieder  erscheinen  lassen.  Ueberhaupt  bestätigt  der 
Policlinico,  dass  zwar  in  den  ersten  Wochen  des  Krieges  ein  Stillstand 
in  der  Zufuhr  der  französischen  Zeitschriften  eingetreten  war,  dass 
aber  viele  derselben  bald  wieder  ihren  regelmässigen  Lauf  nahmen. 

—  Für  die  Dauer  des  Kriegs  sind  von  Kaiser  Franz  Joseph  im 
militärärztlichen  Offizierskorps  der  Honved  (ungar.  Landwehr)  er¬ 
nannt  worden:  Die  ordentlichen  Professoren  an  der  Pester  Univer- 
tät  Dr.  Alexander  v.  K  o  r  a  n  y  i,  Direktor  der  medizinischen  Klinik, 
und  Dr.  Paul  K  u  z  m  i  k,  Direktor  der  chirurgischen  Klinik,  zu  Ober¬ 
stabsärzten  erster  Klasse,  der  Privatdozent  für  Chirurgie  Hümer 
Hiiltl  in  Pest  zum  Stabsarzt.  Ferner  wurde  dem  a.  o.  Professor 
für  Laryngologie  Dr.  Arthur  lrsay  in  Pest  der  Titel  und  Charakter 
eines  Stabsarztes  verliehen,  (hk.) 

—  Die  Verteilung  der  diesjährigen  Nobelpreise  ist  auf  den 
nächsten  Herbst  verschoben  worden.  Der  Zeitpunkt  für  die  Preis¬ 
verteilung  wird  von  1916  an  vom  10.  Dezember  auf  den  1.  Juni  ver¬ 
legt.  Im  Jahre  1916  kommen  Preise  für  1915  und  1916  zur  Verteilung. 

—  Die  Karlsruher  Lebensversicherung  teilt  uns  mit, 
dass  bei  ihr  die  Kriegsgefahr  für  den  gesamten,  am  1.  Juli  1914  in 
Kraft  gewesenen  Bestand  von  rund  166  000  Versicherungen  ohne 
weiteres,  also  ohne  besonderen  Antrag  und  in  der  Regel  auch  ohne 
besondere  Zusatzprämie  bedingungsgemäss  voll  eingeschlossen  ist. 
Eine  nachträgliche  Umlage  zur  Deckung  der  Kriegsschäden  wird  bei 
der  Anstalt  von  den  Kriegsteilnehmern  nicht  erhoben.  Bis  Ende 
Oktober  sind  bei  der  Anstalt  Kriegssterbefälle  über  rund  3 K  Millionen 
Mark  Versicherungssumme  angemeldet. 

Im  Verlage  von  F.  A.  Brock  haus  in  Leipzig  erschien 
soeben  dei  Plan  „Paris  mit  seinen  Festungswerken  und  der  weiteren 
Umgebung-'  (Massstab  1:160  000).  Der  Plan  ist  in  fünf  Farben  ge¬ 
schmackvoll  ausgeführt,  enthält  sämtliche  Forts  und  Zwischen- 
stcilungen  und  kostet  nur  50  Pf. 

Cholera.  Oesterreich-Ungarn.  Vom  11. — 17.  Oktober 
wurden  in  Oesterreich  175  Erkrankungen  (und  104  Todesfälle)  fest¬ 
gestellt,  und  zwar  in  Niederösterreich  20  (10)  —  davoll  in  Wien  11  (4) 
der  Gemeinde  Krems  9  (6)  — ,  in  Salzburg  (Stadt)  1,  in  Steiermark 
und  Kärnten  in  je  1  Gemeinde  1  (1),  in  Vorarlberg  in  1  Gern.  1, 
Mähren  in  8  Gern.  13  (4),  in  Schlesien  in  4  Gern.  4  (1),  Galizien 
in  17  Gern.  134  (87)  —  davon  in  Krakau  4.  Von  den  Erkrankungen 
betrafen  122  die  einheimische  Bevölkerung;  die  übrigen  Fälle  kamen 
bei  Personen  vor,  die  vom  nördlichen  Kriegsschauplatz  angelangt 
waren,  und  zwar  bei  48  Militärpersonen  und  bei  5  aus  Galizien  zu¬ 
gereisten  Ortsfremden.  Laut  Bericht  der  Statthalterei  für  Galizien 
sind  bis  17.  Oktober  in  der  Gemeinde  Lisko  65  Erkrankungen  (und 
50  1  odcsfälle),  in  der  Gemeinde  Sanok  39  (24)  unter  der  einheimischen 


Bevölkerung  aufgetreten,  ln  Ungarn  wurden  in  derselben  Zeit  2 
Erkrankungen  angezeigt,  davon  in  den  Städten  Baja  1,  Pest  ' 
Debreczen  3,  Grosswardein  8,  Hermannstadt  1,  Klausenburg  2,  Ni 
satz  1,  Panczova  1,  Pressburg  5,  Stuhlweissenburg  3.  In  Kroatii 
Slavonien  wurden  in  den  Städten  Agram  und  Semlin  je  1, 
Komitat  Syrmien  2  Erkrankungen  gemeldet. 

Pest.  Türkei.  In  Bagdad  ist  am  30.  September  1  Erkra 
kung  festgestellt  worden.  —  Brasilien.  In  Pernambuco  vom  1  1 
15.  August  2  Todesfälle. 

-  In  der  42.  Jahreswoche,  vom  18.— 24.  Oktober  1914,  hatt 
von  deutschen  Städten  über  40  000  Einwohner  die  grösste  Sterblic 
keit  Regensburg  mit  36,7,  die  geringste  Berlin-Friedenau  mit  ‘ 
Jodesfallen  pro  Jahr  und  1000  Einwohner.  Mehr  als  ein  Zehn! 
aller  Gestorbenen  starb  an  Scharlach  in  Bottrop,  Buer,  Gleiwii 
Thorn,  Zabize,  an  Masern  und  Röteln  in  Beuthen,  an  Diphther 
und  Krupp  in  Bottrop,  Gera,  Hamborn,  Lehe,  Wilhelmsnaven  ;i 
Unterleibstyphus  in  Kattowitz.  Vöff.  Kais.  Ges.A. 

(Hochschulnachrichten.) 

Berlin.  Geh.  Med.-Rat  Prof.  Dr.  Albert  E  u  1  e  n  b  u  r  g  feier 
sein  50  jähriges  Dozentenjubiläum. 

Breslau.  Der  Dekan  der  medizinischen  Fakultät  Geheimr 
Prof.  Dr.  Minkowski  steht  als  beratender  innerer  Mediziner  i 
Felde.  Er  wird  durch  den  Prodekan  Geheimrat  Prof.  Dr.  N  e  i  s  s  e 
vertreten.  —  Mit  der  Leitung  des  pathologisch-anatomischen  Institr 
wurde  vertretungsweise  für  die  Zeit  vom  1.  November  bis  15  Febru 
1915  Privatdozent  Dr.  Karl  J  u  s  t  i  -  Halle  a/S.  beauftragt. 

Köln.  Die  Akademie  für  praktische  Medizin  in  Köln  hat  m 
dem  Oktober  ds.  Js.  auf  ein  zehnjähriges  Bestehen  zurückgesehe 
Von  einer  besonderen  Feier  wurde  im  Hinblick  auf  die  Zeitlage  selhs 
verständlich  Abstand  genommen,  dagegen  wird  eine  Festschrift,  di 
für  den  Oktober  geplant  war,  wenn  auch  mit  Verzögerung  erscheine] 
Im  ganzen  haben  an  den  von  der  Akademie  bisher  veranstaltete! 
Kursen  3221  Aerzte  teilgenommen.  Die  Kurse  waren  teils  allgemeine 
Art,  das  ganze  Gebiet  der  Medizin  umfassend,  teils  wurden  Spezia 
kurse,  und  zwar  über  Röntgenkunde,  Unfallheilkunde,  Kinderhei 
künde,  Diätetik  und  Stoffwechselkrankheiten,  Chirurgie  und  Gynäkc 
logie,  ferner  Kurse  für  Schulärzte,  Bahnärzte  und  Zahnärzte  gehaltei 
An  der  Krankenpflegeschule  der  Akademie  wurden  in  einjährige 
Kursen  167  Krankenpflegerinnen,  zumeist  den  gebildeten  Kreisen  dei 
Volkes  angehörend,  ausgebildet.  Kurse  für  Missionare  und  Missid 
narinnen  wurden  von  114  Personen  besucht.  Die  Einrichtungen  de) 
Akademie  haben  dank  dem  Interesse,  welches  die  Hochschule  seitem 
der  Stadt  Köln  geniesst,  eine  beständige  Fortentwicklung  erfahrci 
Zurzeit  ist  der  Neubau  eines  hygienisch-bakteriologischen  und  einei 
pathologisch-physiologischen  Instituts  im  Werden. 

Bern.  Prof.  Dr.  W.  Kolle,  der  seit  Beginn  des  Krieges  al 
Stabsarzt  dem  im  Eisass  kämpfenden  deutschen  Heere  zugeteilt  war 
wurde  als  beratender  Hygieniker  zu  einem  in  Belgien  stehender 
Armeekorps  abkommandiert.  Unsere  Behörden  haben  verschieden! 
Schritte  getan,  seine  Beurlaubung  aus  dem  Kriegsdienste  mit  Rück 
sicht  auf  die  wieder  aufgenommenen  Vorlesungen  zu  bewirken,  leide: 
ohne  Erfolg.  Die  deutsche  Heeresleitung  hat  erklärt,  die  Dienste  de 
hervorragenden  Gelehrten  während  der  Dauer  des  Kriegs  nicht  ent 
behren  zu  können. 

(Todesfälle.) 

Der  berühmte  Biologe  Wirkl.  Geh.  Rat  Prof.  Dr.  August  Weis¬ 
mann  in  Freiburg  i.  B„  der  im  Januar  d.  J.  seinen  80.  Geburtstag 
feierte,  ist  am  6.  ds.  gestorben.  Ein  Nekrolog  folgt. 

In  Berlin  starb  der  Frauenarzt  Prof.  Dr.  Sigmund  G  o  1 1  s  c  h  a  1  k 
54  Jahre  alt. 


Ehrentafel. 

Fürs  Vaterland  starben: 

Cand.  med.  E.  B  o  1 1  z  (Dallgow). 

U.A.  Ludwig  Hassencamp,  6.  Jäger-Reg.  z.  Pferd. 
Ludwig  J  a  c  o  b  i,  Feldunterarzt,  cand.  med.  (Reibnitz,  Schles.), 
am  22.  August  bei  Etalle  (Südbelgien). 

Stud.  med.  K.  Schröter,  Res.-Feld-Art.-Reg.  Nr.  15. 
Offiziersstellvertreter  cand.  med.  Rud.  Friedr.  S  i  e  g  r  i  s  t  von 
Emmendingen  (Baden). 

Berichtigung.  Der  Generalarzt  Dr.  Feodor  Korsch 
ist  vor  Verdun,  nicht  in  Russland  gefallen. 


Briefkasten. 

Herrn  Dr.  G.  in  .1  Hazelinschnee  ist  ein  indifferenter 
Hautcreme,  angeblich  fettfreier  Hautcreme,  obwohl  er  Stearinsäure 
(mit  fettartigem  Charakter)  enthält.  Ein  weiterer  Hauptbestandteil 
ist  Glyzerin,  ausserdem  eine  geringfügige  Kleinigkeit  von  „Hama- 
meliswasser  .  Der  letztere  Zusatz  dient  lediglich  dazu,  um  dem 
Hautcreme  den  Charakter  eines  medizinischen  Präparates  zu  geben. 
Dieses  englische  Produkt  kann  durch  jeden  fettfreien  Hautcreme 
deutscher  Herstellung  ersetzt  werden.  Gleich  gut  bewähren  sich 
Kalodermacreme  oder  Kombellacreme. 


Verlag  von  J.  F.  Lehmann  in  München  S.W.  2.  Paul  Heysestr.  26.  -  Druck  von  E.  Mühlthaler's  Buch-  und  Kunstdruckerei  A.Q.,  München, 


»reis  der  einzelnen  Nummer  80  -9,  _ J 

.  .  und  Ausland  siehe  unten  unter  Bez u gsli "ed  fn j; i i iV^e ü 

nseratenschluss  am  Donnerstag  einer  jeden  Woche. 


Bezugspreis  in  Deutschland 
;be  ‘ 


MÜNCHENER 


•  •  _  .  ,  Zusendungen  sind  zu  richten 

Pur  die  Schriftleitung:  Arnulfstr.  26  (Sprechstunden  8Vf  — 1  Uhr) 
Für  Bezug:  an  I.  F.  Lehraann’s  Verlag,  Paul  Heyscstrasse  26. 

ci  Beilagen:  an  Rudolf  Mosse,  Theatinerstrasse  fl 


mmrnar  FBr  AnzeiSfn  und  Beilagen:  an  Kudolf  Mosse,  Theatinerstrasse  t 

Medizinische  Wochenschrift. 


r.  46.  17.  November  1914. 


Originalien. 


'S  der  II  Abteilung  für  Haut-  und  Geschlechtskrankheit  im 
k.  Allgemeinen  Krankenhause  in  Wien  (Vorstand:  Professor 
S.  Ehrman  n). 

Jeber  Abortivkur,  Spirochätenreste  und  kombinierte 
Behandlung  der  Syphilis. 

Von  Dr.  Wilhelm  L  i  e  r,  Assistent. 

I. 

jJ1’  meinem  Aufsatze  „Ueber  die  Abortivbehandlung  der 
Phihs  (D.m.W.  1913  Nr.  46)  hatte  ich  schon  nachdrücklich 
'.  Forderung  erhoben,  in  allen  zur  Frühbehandlung  geeigneten 
dien  sofort  den  Primäraffekt  zu  exzidieren,  oder,  wo  dies 
.  ht  mogheh  ist,  radikal  zu  zerstören.  Ich  begründete  dieses 
Hangen  besonders  auch  durch  den  Hinweis  auf  zwei 
i  mkcngeschichten,  die  ich  im  folgenden  nochmals  wieder- 

-  )en  mochte. 

e er* Woche.  ^  März  lm  W'  M;'  bemerl"  ein  Q^chwur  seit 

■enrieaCHprn/BatS.en  rl  -Kr°nenStÜCkKr0SSe’  zllln  tiefel1  Zerfall 

in  *»  Lels,e"'  «W  keine 

l  licrapie:  Exzision  der  Sklerose,  dann  am  3.  März  9.  und 

cvMruitr9'  Ma‘  a6  °’t5’  °’9,  °’45,  0,9  Neosalvarsan  und  22  Hydr  - 
'S  ’Ä  neltAm/nfe  dieser  Kur  und  noch  2  Monate  später 
t he  \\  a.R  negativ,  doch  stellt  sich  der  Patient  am  18  August 

!jril?HpeiFr  en’  3Uf  mudurierter  Basis  aufsitzenden  Geschwür 
reMi'nken  IdektpXh1Sb°nSnarbe  und  kleinnussgrossen,  harten  Drüsen 

Wa  P  ietzt  tipuineHngmSlen  ebensolchei1  in  der  rechten  wieder 
vv a.R.  jetzt  wieder  deutlich  positiv.  Wird  daher  nach  Exzision 
ü  s  c  lankers  wieder  in  spezifische 'Behandlung  genommen. 

I  a  1 1  6.  4.  Dezember  1912.  J.  R. 

i  f6Sb”S:  Skler°s,e  am  Frenulum,  keine  Sklerade- 

i'r  loi  -  wh6  ,Erscfein.™sen  ^aR.  negativ;  erhält  bis  22.  Fe- 
r.  lo  -0  Hydr.-salicyl.-Injektionen,  stellt  sich  einen  Monat  später 

-  n  der  GesgkJür  an  der  Unterseite  des  Penis 

,  fV  v  i/6  früheren  Sklerose  wieder  vor;  das  Geschwür 

t  aut  Applikation  von  Kalomelsalbe  und  neuerliche  Hydr -salicyl - 
kUonen  kerne  Tendenz  zur  Heilung,  geht  erst  nach  einer  Ka- 
kularen  Neosalvarsaninjektion  und  Einleitung  einer  Zittmannkur 

E<5j-rSSden  h2IFnnI^!!S-e(n.Wir  annehmen»  dass  an  der  Stelle 
ien  w|i«*e  34  info,Ke  ungenügender  Exzision  —  Spiro- 

gebheben  sind;  diese  sind  nach  einem  grösserem 

i  rch  dTlni-  7  »  ZH-  starkf  Vermehrung  gekommen  und  haben 
e  Hasst  °ka  en  Pezidlve  und  die  Wiederanschwellung  der  Drüsen 

i  ^nehWISSenJa  ai‘^  den  Untersuchungen  von  E  h  r  m  a  n  n,  die 
c j-  mLl!!  mCcS-e  Uü-f-  vielfach  bestätigt  worden  sind,  dass 
,Spirochaten  SIch  nicht  im  Infiltrat  selbst  befindet, 
?Pl  te  Strecken  von  demselben  entfernt  sind  oft  ganz  kolos- 
'n  von  Spirochäten  zwischen  den  anscheinend  ganz  nor- 

Bmoegewebsbnndeln  vorhanden,  die  nur  eine  Vergrösserung 
il  roblasten  und  eine  Vermehrung  der  Kapillaren,  aber  noch  keine 
1  ation  zeigen. 

Diese  so  spirochätenreiche  Umgebung  der  Sklerose  muss  mit- 
•  nt  werden;  und  auf  die  Schädigung  der  hier  gelegenen  Spiro- 
‘  |  dur*te  w°.hl  die  Krossere  Wirksamkeit  der  Sklerosenzerstörung 
Jem  Paquehn  zurückzuführen  sein.  Wo  aber  die  Spirochäten 
der  Lymphgefasse  schon  über  das  Bereich  der  Sklerose  hinaus- 
ni^Smd’ ’st  lhre  Vermehrung  durch  den  lokalen  Eingriff 
ln  unmöglich,  sondern  muss  der  Allgemeinbehandlung  vorbe- 
*n  werden. 

Anai0ge  Beobachtungen  über  solche  Reindurationen  oder  den 
io,,-  i„UX  bzw.  davon  ausgehende  Autoreinfektionen  sind  schon 
r  du  anger  j}.\  bekannt.  Dann  wurden  in  oft  jahrealten  Narben 
»Klerosen  Infdtratreste,  besonders  auch  Plasmazellen  gefunden 
a  n  n,  Hjelmann,  Unna)  und  später  auch  durch  die 
'Ir.  46. 


Levaditifärbung  Spirochäten  nachgewiesen  (Pasini)  die  sich  in 

JoGte  wurT  Tchnr  n?  Firuient  Zeigten  (S  a  n  d  m  a  n  n,  H  ofmann). 
derl-xzsi.fn  borderung  nach  Einleitung  der  Behandlung  mit 

V  ,  Sklerose  öfter  erhoben.  Doch  erst  seit  der  inten- 
mvui  Inangriffnahme  der  Abortivbehandlung  in  den  letzten  lahren  ist 

OppSe^htinm”v™e<1Fr  ;tfkerb'toi't  «■*«.  »  be"ond“rsenvoI 
uppentieim,  von  Fruhwald,  der  über  gelungene  Abortiv- 

de  uifdeüber  ReinH  befricllt^’.  bei  dem  zwei  Sklerosen  exzidiert  wur- 
Svphi  Miher  i  l“r5n  bei  e,nen?  im  Reichen  Stadium  befindlichen 
i  i Politiker,  dessen  Sklerosen  nicht  entfernt  worden  waren-  von 

L  .  e  r,  von  Fritz  F  i  s  c  h  1,  der  über  Resistenz  lokaler  Spirochäten? 
icrdc  gegenüber  kombinierter  Luesbehandlung  mit  Hydrargyrum  und 
Salvarsan  berichtet,  und  von  W  e  r  t  h  e  r.  Ky  m  und 

Zwei  Beobachtungen  aus  der  letzten  Zeit  haben  uns  wieder 

lSi;  f  t  SMSÄ 

"  '  xanthem.  Machte  damals  eine  Schmierkur  durch  (30  Ein- 

VÄ  austtderefkTe-angeSliCh  kei"e  Erscheinungen, bis im  No- 
Eic  d  en  st  rM  S  kI.f  ,nen;  braunen  Knötchen  ein  Geschwür  an  der 
Dienet  entstand.  1  at.  gibt  selbst  an,  dass  es  an  der  Stelle  der  seiner- 

zeiögen  Sklerose  sitze;  da  es  unter  indifferenter  Salben-  und  Bäder¬ 
therapie  nicht  heilte,  suchte  er  das  Spital  auf. 

.,.±  tatuspr  nesens;  An  der  linken  Hälfte  der  Glans  eine 
hellerstuckgrosse,  zarte,  leicht  deprimierte  Narbe  von  der  Farbe 

£otnRS:  3n  -hrem  medialen  unteren  und  äusseren  Rand 
,m  ^-Kreisform,  ein  serpiginöses,  speckig  belegtes,  von  einem 
emlit  rotbraunen  Infiltratsaum  begleitetes  Geschwür.  In  beiden 

L  Es  haPndeiet  'ff’h  ^  S°nSt  ohne  Erscheinungen, 

falls  Vüms  adn  Her  Um  ^en  Patienten-  bei  dem  eben- 

nach  7  Jahrenln  Hpm  rpderFSkar0S-e  iege?  seblieben  war  und  nun. 
„actl.  3T  deiT  Gewebe  des  inzwischen  umgestimmten  (iiher- 

mpfind hchen)  Organismus  Anlass  zur  Entstehung  eines  tertiär  lueti¬ 
schen  Geschwürs  gegeben  hatte. 

Übtr  e!ne  zweite’  anal°Se  Beobachtung  ans  dem 
letzten  Jahie,  über  die  ich  aber  mangels  der  notwendigen  Daten  nicht 
5p"aaer  berichten  kann.  Noch  viel  beredter  spricht  der  im  folgen- 
en  nutgeteilte  und  von  mir  in  der  Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft 
der  Aerzte  vom  29.  V.  1914  mitgeteilte  Fall  von  wirklicher  Re 

SS  ÄCro£r  dle  Drln,!,IChkeil  der  Ä. 

ver  Wochen.3  ™r 

j  Ltatus  Praesens:  Hellerstückgrosse  Sklerose  in  der  Mitte 
des  -  ulcus  coronarius.  Spirochäten  im  Dunkelfeld  leicht  nachzu¬ 
weisen  Geringe,  bohnengrosse  Drüsenschwellung  in  beiden  Leisten. 
Sonst  noch  keine  Drüsensehwellungen  vorhanden.  WaR.  +  ~  ~  ~ 
(spur weise  Komplementablenkung). 

1  herapie:  Sofortige  Zerstörung  der  Sklerose  mit  dem  Pa. 
que  in  in  Lokalanästhesie;  Pat.  erhält  dann  am  10.  und  14.  I.  je  eine 

17  ['  und  1  ~  1°^ 6 k-t  1  h n ’  am  -15'  i  0,6  NeosaIvarsan  intravenös,  am 
JochmaK  0  6  Nen^'n.  r  ]C  em.e  Elydr.-salicyl.-Einspritzung,  am  20.  I. 
nochmals  0,6  Neo-Salvarsan  intravenös.  Die  Leistendrüsen  erscheinen 

rein'11  C  > a t  v^r s J t°ie ’  Hd  1  °  r' "i0 °  mCh  der  Galvanokauterisation 

■: ln ri«Ä2.  etaLduaSuSb,taI'  wd  Slch  die  anderen  Injektionen 


ambulatoriseh  holen;  doch  holt  er’  sieh  nur  mehr  dreidaTon  Zu 
dieser  Zeit  hat  er  keine  manifesten  Erscheinungen.  Die  WaR  ist 

"uSSn  RAraVe2?m  Ä  Wien- ,»""e  aber  die  Kur  auswärts  f„“! 
zu  ctzen.  Am  22.  III.  stellt  er  sich  wieder  bei  uns  vor.  Die  Wunde 

negativ  d  Vernarbt’  sonst  erscheint  er  gesund,  die  WaR.  ist 

Am  25.  V  kommt  er  wieder  zur  Aufnahme.  Er  gibt  jetzt  an  zu 
Antang  April  —  etwa  14  Tage  nach  einem  Ende  März  stattgefundc’nen 
£,n  -AVimmcrl“  an  der  Oberlippe  bekommen  zu  haben  Jas 
allmah beb  grosser  wurde.  Dazu  gesellte  sich  eine  schmerzlose 
- cliNVtliung  in  der  rechten  Unterkiefergegend;  seit  3  oder  4  Tagen 
bemerkt  er  einen  Ausschlag  ani  Körper 

u  ?tatus  praesens;  In  der  Mitte  des  Dorsum  penis  immittel 
cte„s!l  liehe" weiss“ Na, rb”ari“S  'lamllS-  e,w*  %  cm  •«»«  »"d 

lacÄÄ 

1 


2234 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  4( 


nussgrosses,  ausserordentlich  derbes,  kupferbraunrotes  Infiltrat  ent¬ 
spricht,  das  die  ganze  Dicke  der  Oberlippe  durchsetzend,  diese  an 
der  Hautseite  flachkugelig  vorwölbt.  Entsprechend  finden  sich  sub- 
inaxillar  rechts  eine  eigrosse,  indolente,  harte  Drüsenschwellung, 
während  sonst  allenthalben  eine  universelle  starke  Skleradenitis  be¬ 
steht.  Am  Stamm  und  den  Extremitäten  ein  ausserordentlich  dichtes, 
maktilp-papulöses  Exanthem,  welches  seinen  kurzen  Bestand  noch 
durch  den  hellroten,  vielfach  fast  urtikariellcn  Farbenton  dokumentiert 
und  durch  die  Regelmässigkeit  der  Anordnung  und  die  gleiche  Grösse 
der  Efiloreszenzen  sich  deutlich  als  erstes  Exanthem  charakterisiert. 

Sehr  zahlreiche,  z.  T.  schuppende  Papeln  am  Penis  und  Skrotum, 
auch  im  Gesicht  und  an  der  behaarten  Kopfhaut  papulöse  Efflores- 
zenzen  ziemlich  zahlreich  vorhanden 

WaR.  ++++. 

Dass  wir  es  hier  mit  einem  Fall  wirklicher  Reinfectio  syphilitica 
zu  tun  haben,  ergibt  sich  aus  der  klinisch  und  mikroskopisch  ge¬ 
stellten  Diagnose  der  ersten  Sklerose  im  Januar  d.  J.  mit  der  nach¬ 
folgenden  regionären  Skleradenitis  inguinalis  und  der  damals  bloss 
spurweisen  Komplementablenkung,  aus  der  klinisch  und  serologisch 
festgestellten  Heilung,  als  sich  der  Patient  im  März  wieder  vorstellte; 
und  aus  der  klinisch  keinen  Zweifel  aufkommen  lassenden  und  wieder 
durch  den  Spirochätenbefund  erhärteten  Sklerose  an  der  Oberlippe 
mit  der  nachfolgenden  regionären  Driisenschwellung,  dem  universellen 
Exanthem,  das  alle  charakteristischen  Merkmale  des  ersten  hatte, 
der  jetzt  universellen  Skleradenitis  und  der  nun  -j~H 1— f-  WaR. 

Wenn  es  nun  in  diesem  Falle,  in  dem  die  erste  Sklerose  bei 
der  Aufnahme  des  Patienten  im  Januar  allerdings  erst  8  Tage  be¬ 
stand,  zu  einer  wirklichen  Heilung  und  so  zur  Möglichkeit  einer 
Neuansteckung  kam,  so  ist  wohl  der  sofortigen  radikalen  Zerstörung 
des  Primäraffektes  durch  den  Paquelin  dabei  eine  Hauptrolle  zuzu¬ 
weisen,  umsomehr,  als  der  Patient  die  Kur  gar  nicht  bis  zu  dem 
von  uns  gewünschten  Ende  geführt,  sondern  vorzeitig  abgebrochen 
hatte.  Es  war  eben  offenbar  durch  den  frühzeitigen  Eingriff  alles 
lokale  Virus  zerstört  worden,  so  dass  die  auch  sofort  in  Angriff 
genommene  Allgemeintherapie  die  Heilung  herbeiführen  konnte. 

Ich  möchte  hier  ganz  kurz  auch  die  schon  vor  vielen  Jahren 
unternommenen  Versuche  erwähnen,  durch  die  Exzision  der  Sklerose 
allein  den  Ausbruch  der  Syphilis  zu  kupieren.  Sie  sind  begreiflicher¬ 
weise  fast  durchwegs  ohne  Erfolg  geblieben;  wissen  wir  ja  heute, 
wie  rasch  die  Spirochäten  in  die  Lymph-  und  auch  in  die  Blutgefässe 
cindringen.  Wohl  ist  damals  von  mehreren  Seiten  über  Patienten 
berichtet  worden,  die  nachher  durch  lange  Zeit  frei  von  klinischen 
Symptomen  der  Lues  geblieben  sind.  Da  indes  bei  allen  diesen  die 
Kontrolle  durch  die  serologische  Untersuchung  aussteht,  können  sie 
nicht  als  geheilt  bezeichnet  werden;  umsoweniger,  als  bei  vielen 
von  ihnen  oft  nach  Jahren  doch  noch  Erscheinungen  aufgetreten  sind. 
Hielier  gehört  z.  B.  ein  Patient  meines  Chefs,  dem  im  Jahre  1889  die 
Sklerose  exzidiert  worden  war.  Er  wurde  dann  durch  ein  Jahr 
hindurch  allwöchentlich  untersucht,  ohne  dass  sich  ein  Exanthem 
zeigte  und  war  infolgedessen  nicht  dazu  zu  bewegen,  eine  Kur  durch¬ 
zumachen.  Dann  blieb  er  aus.  8  Jahre  später  kam  er  zu  Matzen¬ 
aue  r  mit  einem  angeblichen  Ekzem,  das  sich  aber  als  regionäres, 
tertiäres  Syphilid  am  Rücken  herausstellte.  Vor  2  Jahren  wurde  er 
dann  mit  der  Diagnose  Aortitis  und  ++++  WaR.  von  Herrn  Prof, 
v.  S  t  e  j  s  k  a  1  meinem  Chef  wieder  zugeschickt. 

Umso  bemerkenswerter  erscheint  mir  der  Fall  Scherbers, 
das  klinische  und  serologische  Gesundbleiben  eines  Patienten,  dessen 
klinisch  und  nachträglich  auch  histo-bakteriologisch  sichergestellte 
Sklerose  vor  9  Jahren  exzidiert  wurde.  Da  ich  der  Ansicht  bin,  dass 
die  sorgfältige  Beobachtung  eines  einzelnen  oder  weniger  Patienten 
fiir  unser  ätiologisches  Denken  und  therapeutisches  Handeln  oft  von 
grösserem  Werte  ist  als  die  wohl  jedesmal  ungenauere  Massenbeob¬ 
achtung,  so  möchte  ich  gerade  auf  den  obigen  Fall  hinweisen,  wenn 
er  auch  sicherlich  ein  Ausnahmefall  ist.  Denn  es  ist  bei  ihm  gelungen, 
einen  Patienten  bei  9  jähriger  genauer  Kontrolle  bisher  klinisch  und 
serologisch  gesund  zu  erhalten,  nachdem  der  Primäraffekt  seinerzeit 
exzidiert  worden  war.  Es  folgt  daraus  logischerweise,  dass  wir 
keinem  der  jetzt  zur  Frühbehandlung  kommenden  Menschen,  deren 
Chancen  dank  der  kombinierten  Behandlungsmethoden  nunmehr  we¬ 
sentlich  günstigere  sind,  die  durch  die  Entfernung  des  Primäraffektes 
gegebene  Unterstützung  der  Heilungsmöglichkeit  vorenthalten  sollen; 
umsomehr,  als  eben  diese  Entfernung  in  ganz  ausnahmsweisen  Fällen, 
wie  im  erwähnten  auch  allein  zur  Heilung  führen  kann,  selbst  wenn, 
wie  sich  bei  den  histologischen  Nachuntersuchungen  im  Falle  Scher¬ 
bers  herausgestellt  hat,  durch  die  Exzision  nicht  alles  Virus  beseitigt 
worden  ist.  „Wir  können  daraus  schliessen,  dass  geringe  Mengen 
von  Virus,  falls  sie  in  das  Blut  oder  in  die  Organe  gelangen,  noch 
nicht  unbedingt  krankmachend  zu  wirken  brauchen,  sondern  vom 
Organismus  verarbeitet  und  unschädlich  gemacht  werden,  falls  es  nur 
gelingt,  die  weitere  Zufuhr  von  Virus  aus  dessen  Hauptvermehrungs¬ 
herd  abzuschneiden.“  (Finger:  Die  allgemeine  Pathologie  der  Sy¬ 
philis.  II.  Bd.  d.  Hb.  d.  Geschlechtskrkh.  S.  917.) 

Noch  eine  Forderung  habe  ich  am  Schlüsse  meiner  eingangs  er¬ 
wähnten  Arbeit  erhoben:  „Die  Behandlung  muss  unbedingt  bis  zum 
Schwinden  der  klinischen  Symptome  und  zum  Negativwerden  der 
Komplementbindung  fortgesetzt  werden.“  Wir  sollen  also  die  Kur 
nicht  beendigen,  so  lange  noch  irgendwelche  Manifestationen  der  Lues 
da  sind  Als  solche  kommen  ausser  der  Sklerose  bei  unseren  Früh¬ 
fällen  ja  nur  Lymphgefäss-  bzw.  1  ymphdrüsenerkrankungen  in  Be- 


j  tracht.  Wo  am  Schlüsse  der  Kur  noch  erhebliche  Drüsenschwellungei 
j  da  sind,  müssen  wir  früher  oder  später  mit  einem  Rezidiv  rechnen 
[  auch  wenn  die  WaR.  schon  negativ  war,  denn  ebenso  wie  von  de: 
in  der  Sklerose  können  von  den  in  den  Lymphwegen  liegen  ge 
bliebenen  Spirochäten  lokale  Erkrankungen  und  Autoreinfektionci 
ihren  Ausgang  nehmen;  eine  Tatsache,  welche  in  letzter  Zeit  nament 
lieh  wieder  von  Ehrmann  betont  worden  ist. 

Auch  der  weitere  Verlauf  des  in  meiner  Publikation  als  geglückt! 
Abortivheilung  beschriebenen  Falles  20  beweist  das.  Hier  waren  an 
Schlüsse  der  Behandlung  in  der  rechten  Leiste  noch  bohnengrosse 
harte  Drüsen  vorhanden;  WaR.  negativ.  Sonst  keine  Erscheinungen 
Sieben  Monate  später  stellte  sich  der  Pat.  mit  kleinnussgrossei 
Drüsen  in  der  rechten,  bohnengrossen,  harten  in  der  linken  Leiste  unt 
positiver  WaR.  wieder  vor.  Gleichzeitig  bestand  eine  Papel  an  dei 
Unterseite  der  Glans,  Papeln  an  den  Tonsillen,  der  Zunge  und  der 
Lippen. 

Also  auch  da  Wiederaufflackern  liegen  gebliebener  Nester,  ge¬ 
kennzeichnet  durch  die  stärkere  Wiederanschwcllung  der  seinerzeit 
nicht  ganz  zur  Norm  zurückgebildeten  ersten  Drüsenschwellung  und 
Autcreinfektion  des  ganzen  Organismus. 

Daher  unsere  weitere  Forderung  für  die  Abortivbehandlun^ 
auch  schon  bestehenden  spezifischen  Drüsen-  bzw.  Lymphgefiiss 
erkrankungen  die  nötige  Aufmerksamkeit  zuzuwenden,  und  dieselbe:: 
lokal  (durch  graue  Pflaster,  Einreiben  mit  Jodsalbe)  solange  zu  be¬ 
handeln,  bis  sie  geschwunden  sind.  Auch  ist  die  Allgemeinbehand- 
lung  gerade  in  diesen  Fällen  noch  weiter  fortzusetzen. 

Ueberhaupt  erblicken  wir  in  der  möglichst  intensiven  und  exten-i 
siven  Ausgestaltung  der  Abortivbehandlung  —  gleichwie  Wechsel¬ 
mann  —  eine  der  wichtigsten  Aufgaben  der  jetzigen  Luestherapie. 
Aus  diesem  Grunde  haben  wir  auch  unser  Behandlungsschcma,  das 
früher  nur  20  Injektionen  ä  0,05  Hydr.  salicyl.  und  3 — 4  Neosalvarsan- 
injektionen  umfasste,  für  die  Frühbehandlung  etwas  modifiziert.  Wir 
setzen  jetzt  an  den  Beginn,  um  eine  möglichst  rasche  Merkuriali- 
sierung  zu  erzielen,  einige  Injektionen  löslicher  Hydr.-Salze  und 
fangen  sehr  frühzeitig  auch  mit  den  intravenösen  Neosalvarsancin- 
spritzungen  an;  etwa  so,  dass  wir  nach  der  Zerstörung  der  Sklerose 
durch  2  Tage  hindurch  je  eine  Embarininjektion  machen,  dann  folgt 
die  erste  Neosalvarsaneinspritzung.  Dann  drei  weitere  Embarin- 
injektienen  durch  je  einen  Tag  getrennt,  hierauf  die  zweite  Neo- 
salvaisaninjektion.  Dann  die  ganze  Serie  der  20  Hydr.-salicyl.-Injek- 
tionen,  zwischen  welche  noch  3— 4  Ncosalvarsaneinspritzungen  in 
mindestens  einwöchentlichen  Intervallen  verteilt  werden.  Es  hat 
also  dann  der  Pat.  5  Embarin-,  20  Hydr.-salicyl.-Injektionen  ä  0,05  ccm 
und  5 — 6  Neosalvarsaneinspritzungen  erhalten.  Wobei  wir  Wert 
darauf  legen,  die  beiden  ersten  Neosalvarsaninjektionen  tunlichst  im 
Beginne  der  Behandlung  zu  geben,  ev.  auch  ohne  Hydr.-Vorbehand- 
lung,  während  die  übrigen  durch  regelmässige,  mindestens  einwöchent¬ 
liche  Zwischenräume  voneinander  getrennt  sind  und  die  Einzeldosis 
von  0,6  Neosalvarsan  nicht  überschritten  wird.  Durch  die  einleitendei 
Applikation  der  schmerzlosen  Embarininjektionen,  welche  aber  den 
Zweck  einer  raschen  Merkurialis,ierung  prompt  erfüllen,  gelingt  es 
uns  leicht,  das  Vertrauen  des  Patienten  zu  gewinnen,  so  dass  dieser 
die  Unannehmlichkeiten  'der  folgenden  Einspritzungen  mit  unlöslichen 
Salzen  gerne  auf  sich  nimmt. 

Zweifellos  lassen  sich  durch  eine  solche  Ausgestaltung  der1 
Abortivkur  die  bisher  erzielten  Resultate  noch  wesentlich  verbessern. 
Natürlich  ist  auch  da  ein  Individualisieren  unbedingt  nötig.  Während' 
wir  uns  bei  einem  Patienten,  der  ohne  wesentliche  Beteiligung  der 
regionären  Drüsen  und  mit  noch  negativer  WaR.  in  unsere  Be¬ 
handlung  getreten  ist,  mit  der  im  obigen  Schema  dargestellten  Kur 
begnügen  können,  werden  wir  in  anderen  Fällen  bei  noch  vorhandener 
Adenitis  bzw.  bei  resistenterer  WaR.  die  Kur  fortsetzen.  Und  jedes¬ 
mal  werden  wir  —  wie  dies  Hof  mann  neuerdings  hervorhebt—, 
eingedenk  des  wichtigen  angestrebten  Zieles  die  Behandlung  noch1 
über  das  Negativwerden  der  Komplementbindungsreaktion  eine  Zeit¬ 
lang  fortsetzen.  Doch  wird  man  wohl  in  der  grossen  Mehrzahl  der ' 
Fälle  mit  einer  dem  obigen  Behandlungsschema  ungefähr  entsprechen¬ 
den  Therapie  auskommen. 

Wenn  ich  nun  im  folgenden  die  bisherigen  Resultate  unserer 
Abortivbehandlung  kurz  mitteile  und  dabei  nur  jene  Fälle  berück- 1 
sichtige,  bei  denen  seit  Abschluss  der  Behandlung  ein  Zeitraum  von 
mindestens  einem  Jahr  vergangen  ist,  so  kann  ich  über  35  Patienten  1 
berichten.  Bei  mehr  als  einem  Drittel  von  ihnen  wurde  in  den 
letzten  Wochen  die  Nachuntersuchung  durch  die  provokatorische 
Einspritzung  von  Neosalvarsan  ergänzt.  Von  den  seinerzeit  als  ge¬ 
heilt  geführten  ist  der  schon  oben  erwähnte  Fall  20  wegen  Auftretens 
klinischer  Erscheinungen  in  Wegfall  gekommen,  während  bei  Fall  27 
und  neuerdings  auch  bei  Fall  12  nach  einer  provokatorischen  Neo- 
salvarsaninjektion  die  WaR.  eine,  wenn  auch  nicht  vollständige,  posi¬ 
tive  Ablenkung  ergab,  so  dass  wir  sie  jetzt  unter  die  Misserfolge 
rechnen,  wenn  wir  sie  auch  durch  eine  neue  Kur  von  dieser  positiven 
WaR.  endgültig  befreien  dürften.  Es  sind  also  bei  nunmehr  1 — 2  jahr. 
Beobachtungsdauer  von  35  abortiv  behandelten  Syphilitikern  des 
ersicn  Stadiums  bisher  25  klinisch  und  serologisch  gesund  geblieben; 
10  hatten  teils  klinische,  teils  serologische  Rückfälle,  weshalb  wir 
sie  als  missglückt  bezeichnen  (obzwar  dies  nur  dann  gilt,  wenn  wir 
von  der  Abortivbehandlung  mit  einer  einzigen  Kur  reden,  denn  einige 
von  ihnen  wurden  durch  eine  zweite  Kur  von  ihren  Erscheinungen 
vollständig  und,  seitdem  dauernd,  befreit).  Wir  haben  also  71,4  ProZ- 


7.  November  191-4. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


Jjfc  ™S,Ch"rn-  Un<!  ?"*<  sind  «•»  Ergebnisse  durch 
me  Iherapie  erzielt,  die  wir  jetzt  keinesfalls  als  sehr  energisch 

ezeiehnen  können;  wurde  doch  damals  nur  in  einem  Teile  der  Fälle 

leist  ' Sfvr  eim  iCrt!ft:  3UC  1  IStL  die  ZahI  der  Neosalvarsaninjektionen 
ewesen  K  d  1  zweckmassig  über  die  Behandlung  verteilt 

hjef,u  haben  wir  bei  unserem,  im  gleichen  Zeitraum 
ioss  mit  11g.  behandelten,  Patienten  des  Primärstadiums  lauter  Miss- 
rfolge  in  Form  klinischer  und  serologischer  Rezidive  gesehen.  Lieber 
leiches  berichtet  Blumenfeld,  so  dass  wir  wohl  unbedingt  der 

SSrÄÄ'a.^"  dC"  ^eosalvarsaniniektionen,  L 

Ich  möchte  hier,  am  Schlüsse  meiner  bisnun  vorwiegend  prak- 
Ausführungen  eine  Betrachtung  einschalten,  die  mir  rein  theo- 
, tisch  für  die  Berechtigung  der  Abortivtherapie  zu  sprechen  scheint 
egei?.d'ese  w“rden  la  bekanntlich  auf  rein  theoretischer  Basis  vori 
„rschiedenen  Seiten  Bedenken  geäussert.  Namentlich  wurde  unter 
:m  Hinweis  auf  die  angeblich  grössere  Häufigkeit  metaluetischer 
rkrankungen  bei  jenen  Syphilitikern,  die  relativ  wenig  äussere 
.mptome  gezeigt  hatten,  die  Befürchtung  ausgesprochen,  dass  Sh 
e  Frühbehandlung  und  die  daraus  folgende  Unterdrückung  mani- 
ster  Erscheinungen  der  Ausbruch  metaluetischer  Affektionen  be- 
mstigt  werden  konnte  Indessen  wissen  wir  faktisch  über  das  Ent- 
ehen  von  Tabes  und  Paralyse  nichts,  ja  es  gibt  da  einander  direkt 
idersprecliende  Statistiken,  also  auch  solche,  bei  denen  ein  Auf- 

^  ?M-^iaraS,vp  11  ^lsc^er  Manifestationen  gerade  bei  oft  erkrankten 
Politikern  ersichtlich  zu  sein  scheint  ankten 

ltJ?'eS7  l®tzere  Ansicht  erhält  eine  Stütze  durch  eine  in  der  aller- 
lgsten  Zeit  erschienene  Arbeit  Leopolds.  In  dieser  wird  darauf 
fmerksam  gemacht,  in  welch  grossem  Prozentsatz  das  Nerven- 
Fruhü\tadlum  dfr  Syphilis  affiziert  befunden  wird. 
n,Uid  dies  nicht  nur  im  Liquorbefunde,  sondern  auch  in  der 
nischen  Untersuchung.  Diese  Arfektion  des  Nervensystems  findet 
in  meist  bei  intensiven  Allgemeinerscheinungen  mit  stark  sichtbaren 

•  numfmT6"'  f S-  ers,cbeint  ia.  auch  bei  einer  Krankheit  wie  der 
i  *1*1  is,  die  eine  Spirochatose,  eine  Spirochätensepsis  darstellt  von 
rnherein  wenig  natürlich,  einen  Gegensatz  zwischen  Haut-  und 

neren  Erscheinungen  aufzustellen. 

Was  nun  den  so  häufig  gemachten  Einwand  der  Neurologen  be- 
i  it,  dass  gerade  klinisch  leichte  Fälle  später  an  Tabes  und  Paralyse 
l u°  ‘st  dasegen  überdies  einzuwenden,  dass  unter  diesen 
Mlen  atmall end.  oft  grossmakulöse  Syphilide  sich  befinden.  Die  sind 
r  nichts  weniger  denn  als  leichte  Fälle  aufzufassen.  Denn  gerade 
ihnen  handelt  es  sich  um  förmliche  Embolien  von  Spirochäten  in 
1  in  Ansammlungen  derselben  um  die  Gefässe,  die  nur  Exsudation 
vorrufen;  was  wir  ja  geradezu  als  Mangel  einer  sonst  gewöhn¬ 
ten  ^chutzmassregel  des  Organismus  ansehen  müssen.  Ferner 
'  d.  £esagt,  dass  vielfach  solche  Fälle  der  Paralyse  und  Tabes 
leimfallen,  die  sehr  intensiv  antiluetisch  behandelt  worden  sind 
1  nn  man  aber,  wie  wir  es  wiederholt  gemacht  haben,  solche  Fälle 

’  cce!’7SMniaCht-maaL  die  Erfahrung,  dass  sie  zwar  nominell  eine 
,  ssc  Zahl  von  Einreibungen  gemacht  haben;  diese  schrumpfen  aber 
i  »Virkhchkeit  zu  einer  sehr  geringen  zusammen,  wenn  man  erfährt, 
s  sie  z.  B  immer  nur  einen  Vorderarm,  einen  Oberschenkel,  einen 

•  erschenkel  wahrend  eines  Tages  gerieben  hatten  und  dies  für  eine 
■  reibung  zahlen;  so  dass  auf  diese  Weise  oft  nur  ganz  kleine 

:hen  gerieben  worden  sind,  wie  das  früher  selbst  von  ganz  her¬ 
ragenden  Dermatologen  geübt  wurde  und  auch  zurzeit  noch  geübt 

•  d.  Oder  dass  sie  wegen  Unkenntnis  der  Injektionstechnik  oder 

Angst  vor  dem  Infiltrat  nur  sehr  schwach  dosierte  Injektionen 

*  eiten  Vielfach  sind  darunter  direkt  unbehandelte  Fälle 
Darum  mochte  ich  —  wie  mir  dünkt,  mit  gleicher  Berechtigung  — 

!  ttieoretisches  Argument  für  die  abortive  Behandlung  der  SyphilB 

*  Vorbringen.  Ich  gehe  dabei  aus  von  der  WaR.  Ueber  das 
j>en  dieser  wissen  wir  ja  nichts.  Fast  überall  aber  wird  sie  heute 
ibyniplom  einer  aktiven  Lues  aufgefasst,  d.  h.  es  wird  bei  posi- 

r  WaR.  wohl  immer  auch  ein  Spirochätenherd  irgendwo  im 
mer  da  sein.  Wenigstens  scheint  mir  auch  die  Möglichkeit,  durch 
provokatorische  Neosalvarsaninjektion  eine  bisher  negative  WaR. 
ne  positive  umwandeln  zu  können,  kaum  eine  andere  Deutung  als 
eines  direkten  kausalen  Zusammenhanges  zwischen  Spirochäten 
-eroreaktion  zuzulassen.  Reizung  des  Spirochätenrestes  und  die 

*  uf  folgende  Wucherung  lässt  eben  jene  biologisch-chemische  Ver- 
■rung  des  Serums  entstehen,  die  in  der  positiven  WaR 
l  Ausdruck  findet.  Nun  wissen  wir  ja,  dass  die  WaR.  im 
(Stadium  durch  eine  energische  Therapie  meist  leicht,  im  Spät¬ 
er1  fast  immer  schwer  zu  beeinflussen  ist,  d.  h.  den  obigen 
ialnexus  angenommen,  können  wir  rein  theoretisch  deduzieren, 

die  Spirochäten  im  Frühstadium  gut,  im  Spätstadium  viel 
efer  za  beeinilussen  sind.  Tatsachen,  die  wir  ja  durch  die 
^che  Erfahrung  tausendfach  bestätigt  finden.  Die  Spirochäte,  die 
aralytikergehirn  liegt  und  durch  das  Tierexperiment  als  echte 
da  erkennbar  ist,  ist  eben,  abgesehen  von  ihrer  durch  den  Sitz 
lgten  schwierigeren  Beeinflussung»  offenbar  auch  durch  uns  un- 
nnte  biologische  Vorgänge  der  antiluetischen  Behandlung  weniger 
nglich  geworden,  als  es  die  des  Primär-  und  Sekundärstadiums  ist 
Darum  werden  wir  nicht  abwarten,  bis  sich  diese  Resistenz  der 
JChaten  gegenüber  unseren  Mitteln  ausgebildet  hat,  sondern 
t  mit  der  Behandlung  beginnen;  geradeso  wie  wir  ja  auch  bei 


2235 


anderen  Infektionskrankheiten,  wo  uns  eine  spezifische  Therapie  zur 
V  cifugung  steht,  diese  möglichst  rasch  anwenden. 


Zusammenfassung:  Jeder  Syphilitiker  des  Primär- 
stadiums  soll  sofort  einer  energischen,  individuell  abzustufen- 
den  Behandlung  mit  Quecksilber  und  Neosalvarsan  unterzogen 
\\  ei  den.  Diese  hat  mit  der  weitgehenden  Entfernung  der 
oklerose  und  ihrer  Umgebung  zu  beginnen  und  muss  über  das 
vollständige  Schwinden  der  klinischen  und  serologischen  Er¬ 
scheinungen  noch  eine  Zeitlang  fortgefiihrt  werden.  Die  Er¬ 
gebnisse  der  Therapie  sind  durch  von  Zeit  zu  Zeit  auszu- 
fuhrende  provokatorische  Injektionen  von  Neosalvarsan  bzw. 
durch  die  Untersuchung  der  Lumbalflüssigkeit  zu  kontrollieren 
und  zu  ergänzen. 

II. 

der  sekundären  Lues  sind  wir  gleichfalls  unbedingte 
Anhänger  der  kombinierten  Behandlung.  Bevor  wir  jedoch 
auf  die  Art  derselben  eingehen,  möchte  ich  über  die  Mittel 
unserer  Therapie  und  die  Technik  ihrer  Anwendung  einiges 
et  wähnen.  Bei  den  Injektionen,  die  wir  hauptsächlich  prakti¬ 
zieren,  bevorzugen  wir  die  unlöslichen  Salze,  unter  ihnen 
wiederum  das  Hydrargyrum  salicyl.  in  lOproz.  Emulsion  mit 
Faiatfinum  liquid,  oder  Vasenolum  liquid,  und  zwar  geben  wir 
durchschnittlich  bei  einer  Kur  20  Einspritzungen  ä  0,05  ccm, 
davon  2  mal  wöchentlich  je  eine  Einspritzung.  Wir  ziehen 
die  halben  Injektionen  den  ganzen  zu  0,1  ccm  vor,  weil  sie 
1.  weniger  häufig  Infiltrate  machen  und  daher  weniger 
schmerzhaft  sind  und  wir  2.  durch  die  Untersuchung  We- 
I  anders  wissen,  dass  die  Resorption  und  Ausscheidung  bei 
-  mal  wöchentlicher  Applikation  von  0,05  ccm  günstigere  sind 
als  bei  der  einwöchentlichen  von  0,1  ccm. 

Das  Kalomel,  das  wir  ja  als  stärkst  wirkendes  Quecksilbersalz 
kennen,  verwenden  wir  gleichwohl  wenig,  weil  seine  Nachteile  (starke 
Schmerezn,  Nieren-  und  Zahnfleischreizung  und  starke  Beeinträch¬ 
tigung  des  Allgemeinbefindens)  in  unseren  Augen  die  Vorteile  über- 
wiegen,  so  dass  wir  es  nur  in  den  Fällen  schwerster  und  fortwährend 
rezidivierender  Lues  für  kurze  Zeit  geben.  Wir  glauben  auch  das- 
se  be,  umso  eher  entbehren  zu  können,  als  wir  ja  jetzt  gerade  in 
solchen  renitenten  Fällen  im  Salvarsan  ein  Mittel  zur  starken  Beein¬ 
flussung  der  Krankheit  haben.  Endlich  möchte  ich  hier  noch  einen 
Umstand  anführen,  der  für  uns  ein  Grund  gegen  die  reguläre  An¬ 
wendung  des  Kalomeis  ist.  Wir  haben  es  nämlich  bei  der  Syphilis 
wenigstens  bei  der  Behandlung  auf  der  Klinik,  vielfach  mit  un¬ 
disziplinierten,  schlecht  genährten,  häufig  auch  durch  Alkoholgenuss 
herabgekommenen  Individuen  zu  tun,  die  lieber  die  Behandlung  auf¬ 
geben,  als  die  Unannehmlichkeiten  wiederholter  schmerzhafter  Injek¬ 
tionen  auf  sich  zu  nehmen  Und  wir  glauben,  dass  man  gerade  alles 

*  ni  nIu^s’  um  diese  Leute  zu  einem  möglichst  langen  Besuch  der 
Ambulatorien  und  zur  tunlichst  intensiven  Behandlung  ihrer  Krankheit 
zu  erziehen.  Daher  kann  man  ihnen  die  Kalomelinjektionen  nicht 
zumuten. 

Dabei  ist  es  vielleicht  möglich,  dass  wir  mit  der  von  Zieler 
angegebenen  Injektion  eines  hochprozentigen  Kalomelöls,  die  wir 
neuerdings,  mit  seiner  Spritze  aufgenommen  haben,  günstigere  Re¬ 
sultate  erzielen  und  auch  unsere  bezügliche  Ansicht  ändern  werden. 

Lösliche  Salze  benützen  wir  auch,  aber  immer  nur  temporär.  Ihr 
Anwendungsgebiet,  das  vor  allem  durch  ihre  rasche  Wirkung  gegeben 
ist,  hat  ja  allerdings  durch  die  noch  prompter  wirkenden  Ehrlich- 
schen  1 l  raparate  eine  bedeutende  Einschränkung  erfahren.  Wir  geben 
meist  Sublimat  und  Hydrargyrum  succinimidat.  in  2  und  3  proz.  Lö¬ 
sung,  neuerdings  auch  das  Embarin.  Vor  allem  verwenden  wir  sie 
und  zwar  hier  hauptsächlich  das  Sublimat,  zur  Einleitung  aer  Be¬ 
handlung  bei  den  syphilitischen  Erkrankungen  des  Gehirns;  stets  aber 
nur,  um  nach  der  dadurch  erreichten  gewünschten  Beeinflussung, 
also  meist  etwa  nach  5 — 10  solcher  Einspritzungen,  die  Kur  wie 
gewöhnlich  mit  unlöslichen  Salzen  fortzusetzen.  Ferner  machen  wir 
guten  Gebrauch  davon  in  jenen  nicht  seltenen  Fällen,  wo  Luetiker 
die  mitten  in  der  Behandlung  mit  unlöslichen  Präparaten  stehen  z.  B. 
naJi  der  15.  Quecksilber-Salizylinjektion,  bei  noch  positiver  oder 
schon  negativer  WaR.  plötzlich  wieder  syphilitische  Erscheinungen 
(am  häufigsten  in  Form  von  Papeln  an  den  Tonsillen)  bekommen. 

ii  sehen  bei  diesen  Patienten  von  mehreren  Injektionen  löslicher 
Präparate  meist  einen  prompten  Effekt  auf  die  so  spät  aufgetretenen 
Mamfestaticnen,  wahrend  sic  durch  die  Fortsetzung  der  Behandlung 
mit  unlöslichen  Salzen  nur  wenig  beeinflusst  werden.  Es  dürfte  diese 
Tatsache,  auf  die  wir  hiermit  nachdriicklichst  hinweisen,  vielleicht 
auf  einer  vorübergehenden  Störung  in  der  Auflösung  der  am  Injek¬ 
tionsorte  befindlichen  schwer  löslichen  Quecksilbersalzc  beruhen. 
Nach  der  Darreichung  einiger  löslichen  Injektionen  bzw.  der  Er¬ 
reichung  des  angestrebten  Zweckes  beendigen  wir  die  Kur  wieder 
mit  unlöslichen. 

Von  der  Schmierkur  machen  wir  hauptsächlich  in  jenen  Fällen 
Gebrauch,  wo  häufig  Infiltratbildung  nach  den  Injektionen  auftritt  und 
starAC  Empfindlichkeit  denselben  gegenüber  besteht;  ierner  bei  jenen 

r 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  46. 


2236 


Patienten,  die  nicht  regelmässig  zur  Vorstellung  und  Behandlung 
kommen  können,  und  dann  namentlich  bei  den  stets  unter  der  Form 
der  Roseola  rezidivierenden  und  meist  ungeheuer  hartnäckigen 
Formen  der  Exantheme,  liier  scheint  die  direkte  lokale  Wirkung 
der  grauen  Salbe  bei  der  Beseitigung  des  Ausschlages  und  der  Ver¬ 
minderung  der  Zahl  der  Rückfälle  eine  wesentliche  Rolle  zu  spielen. 
Die  Einreibungen  können  gewiss  vorzügliche  Dienste  leisten,  wenn 
sie  entsprechend,  d.  h.  mit  der  notwendigen  Grnüdlichkeit,  gemacht 
werden  Dass  dies  indes  meist  nicht  der  Fall  ist.  ergibt  sich,  wenn 
man  sich  der  Mühe  unterzieht,  Patienten  nach  der  Art  und  Weise 
zu  befragen,  in  der  sie  früher  geschmiert  haben.  Dass  eine  solche, 
schlecht  ausgeführte  Schmierkur  wertlos  ist  und  keinen  Erfolg  hat. 
ßt  natürlich.  Weshalb  es  ausserordentlich  wichtig  ist,  Einreibungen 
nur  zu  verordnen,  wenn  man  ihrer  sorgfältigen  Ausführung  sicher  ist. 

(Schluss  folgt.) 


Weitere  Beiträge  zur  Behandlung  der  Hypertrichose 
mit  Röntgenstrahlen. 

Von  Dr.  Demetrius  C  h  i  1  a  i  d  i  t  i  in  Konstantinopel,  Pera. 

Im  September  vergangenen  Jahres  habe  ich  über  eine 
Methode  berichtet,  durch  die  es  möglich  ist,  die  Röntgen¬ 
empfindlichkeit  der  Haarpapille  bis  um  ein  Drittel  ihres  Wertes 
zu  steigern  *).  Es  kann  hiedurch  bei  Markhaaren  (Flaumhaare 
sind  weniger  geeignet)  in  einer  einzigen  Sitzung  eine  definitive 
Zerstörung  der  Papille  ohne  weitere  Schädigung  der  Haut 
erreicht  werden.  Die  stärkste  Empfindlichkeitssteigerung  der 
Haarpapille  wurde  nach  verschiedenen  Versuchen  dadurch  er¬ 
reicht,  dass  die  Haare  mit  Pinzette  epiliert  werden  und  die 
zurückbleibenden  Papillen  einige  Tage  nachher,  zu  welcher 
Zeit  das  Haar  sich  wieder  zu  bilden  beginnt,  und  die  Papille 
den  stärksten  Wachstumstrieb  zeigt,  bestrahlt  wird.  Diese 
Prozedur  beruht  auf  der  bekannten  Tatsache,  dass  lebende 
Zellen  ceteris  paribus  um  so  empfindlicher  auf  Röntgenstrahlen 
reagieren,  je  lebhafter  sich  in  ihnen  karyokinetische  Vorgänge 
abspielen,  mit  anderen  Worten,  je  stärker  ihr  Wachstums¬ 
trieb  ist. 

Die  angewandte  Technik  mag  hier  kurz  resümiert  werden. 

2 — 3  Tage  nach  der  Pinzetteepilation  wird  bei  Benutzung 
eines  Filters  von  3  mm  Aluminium  plus  5  mm  Leder  und  einer 
über  mittelharten  Strahlung  eine  Dosis  appliziert  (über  deren 
Grösse  s.  weiter  unten),  bei  der  die  Haut  eine  schwache  bis 
mittelstarke  Reaktion  ersten  Grades  zeigt.  Es  zeigt  sich  mithin 
nach  der  üblichen  Latenzzeit  eine  leichte,  nach  einigen  Tagen 
verschwindende  Rötung,  ohne  Spuren  zurückzulassen,  resp. 
eine  intensivere  Rötung  mit  leichter  Schwellung,  einige  Tage 
darauf  Bräunung  mit  event.  folgender  Schuppung  der  Haut. 
Keine  Blasenbildung,  keine  Exsudation.  Dauer  der  intensiven 
Reaktion  1 — 2  Wochen.  Nach  einem  Monat  durchschnittlich 
zeigt  die  Haut  ihr  gewöhnliches  Aussehen  1). 

Der  Grund  der  Verwendung  stark  gefilterter  Strahlen  be¬ 
ruht  auf  der  u.  a.  von  Regaud  und  N  o  g  i  e  r  2)  experimentell 
erhärteten  Tatsache,  dass  die  Papille  bei  Anwendung  stark  ge¬ 
alteter  Röntgenstrahlen  viel  empfindlicher  gegen  letztere  ist 
als  die  Epidermis. 


*)  Chilaiditi:  Ueber  eine  Möglichkeit  dauernder  Epilation 
durch  Röntgenstrahlen  ohne  Schädigung  der  Haut,  durch  Steigerung 
der  Empfindlichkeit  der  Haarpapille  für  Röntgenstrahlen.  Erste  Stu¬ 
dienreise  der  Deutschen  Röntgengesellschaft,  Wien,  20.  Sept.  1913. 
In  Fortschr.  a.  d.  Geb.  d.  Röntgenstrahlen  21.  H.  4.  —  Derselbe: 
Die  Behandlung  der  Hypertrichosis  mit  Röntgenstrahlen  bei  Ver¬ 
meidung  einer  Schädigung  der  Haut.  W.m.W.  1913  Nr.  45.  —  Der¬ 
selbe:  Dauernde  Epilation  durch  Röntgenstrahlen  ohne  Schädigung 
der  Haut.  D.m.W.  1913  Nr.  47. 

l)  Die  durch  stark  filtrierte  Strahlen  erzeugte  Reaktion  zweiten 
Grades,  von  französischen  Autoren  „radioepidermite“  genannt,  da  sie 
merkwürdigerweise  sich  zum  grössten  Teile  auf  die  Epidermis  zu  be¬ 
schränken  scheint,  zum  Unterschied  von  der  durch  unfiltrierte  Strahlen 
erzeugten  „Dermitis“,  hat  bekanntlich  einen  viel  leichteren  Verlauf 
als  letztere.  Selbst  wenn  daher  aus  Unvorsichtigkeit  oder  aus  sonst 
einem  Grunde  die  leichte  bis  mittelstarke  Reaktion  durch  bedeutende 
Uebcrdcsierung  überschritten  werden  würde,  so  ist  (man  sieht  das 
ja  oft  genug  bei  der  Karzinomtiefentherapie)  das  Unheil  nicht  gross 
und  gewöhnlich  in  2 — 3  Wochen  die  Haut  wieder  hergestellt.  Aber 
dies  ist  bei  entsprechender  Technik  zu  vermeiden. 

'-)  Regaud  und  Nogier:  Les  effets  produits  sur  la 
peau  par  les  hautes  doses  de  rayons  X  selection- 
n6es  par  les  hautes  doses  de  rayons  X  selection- 
Ap  pli  cation  ä  la  Röntgentherapie.  Archives  d‘Electr. 
Med.  Nr.  350  (25  I.  13).  Die  Arbeit  wurde  von  der  französischen 
Akademie  ejer  Wissenschaften  preisgekrönt. 


Diese  bei  stark  gefilterter  Strahlung  viel  deutlicher  als  bei 
ungefilterter  zutage  tretende  gewissermassen  elektive  Wirkung 
der  Röntgenstrahlen  auf  die  verschiedenen  üewebsarten  der 
Haut  habe  ich  im  Laufe  der  letzten  drei  Jahre  nicht  nur  bei 
der  Behandlung  der  Hypertrichose,  sondern  überhaupt  bei  An¬ 
wendung  entsprechender  Tietentherapie  häufig  bestätigen 
können.  Die  starke  Filterung  ist  daher  ein  weiteres  Hilfs¬ 
mittel  bei  der  Röntgenbehandlung  der  Hypertrichose,  auf  das 
ich  unter  keinen  Umständen  verzichten  möchte. 

Die  Dosis  stark  gefilterter  Strahlen,  durch  die  eine 
schwache  bis  mittelstarke  Reaktion  ersten  Grades  erzielt 
wird,  ist  gleichzeitig  jene  Dosis,  bei  der  die  auf  obige  Weise 
sensibilisierte  Papille  eines  gut  ausgebildeten  Haares  (Flaum¬ 
haare  sind,  wie  gesagt,  weniger  geeignet)  definitiv  zer¬ 
stört  wird,  so  dass  in  den  meisten  Fällen  das  gewünschte 
Resultat  in  einer  Sitzung  erreicht  werden  kann.  Die 
nach  Applikation  dieser  Dosis  nach  3  Monaten  wieder¬ 
kehrenden  Haare  sind  gewöhnlich  so  spärlich  (durchschnitt¬ 
lich  etwa  5 — 10  Proz.  der  Haare),  dass  es  sich  nicht  lohnt,  eint 
neue  Sitzung  zu  applizieren,  abgesehen  davon,  dass  es  nach 
meinen  Erfahrungen  häufig  Haare  sind,  die  trotz  Sensibili¬ 
sierung  und  trotz  Filtrierung  auch  bei  Applikation  einer 
grösseren  Dosis  wiederkehren  würden.  Es  ist  daher  ein¬ 
facher.  diese  wenigen  Haare  durch  Elektrolyse  zu  entfernen. 
Der  Verzicht  auf  eine  weitere  Bestrahlung  ist  daher  nicht 
so  aufzufassen,  dass  letztere  sich  als  schädlich  erwiesen  habe. 
In  früherer  Zeit,  als  ich  öfters  bestrebt  war,  alle  Haare 
radikal  zu  entfernen,  habe  ich  —  immer  nach  Ablauf  von 
mindestens  2  Monaten  —  auch  nach  zwei-  und  nach  drei¬ 
maliger  Wiederholung  der  Dose  unter  den  etwa  40  Fällen,  die 
mit  der  stark  filtrierten  Strahlung  behandelt  worden  waren, 
bis  heute,  also  seit  fast  3  Jahren,  keine  Schädigung  gesehen. 
Die  flüchtige  Reaktion  darf  wohl  nicht  als  Schädigung  im 
engen  Sinne  des  Wortes  aufgefasst  werden.  Heute,  wo  ich 
bei  obiger  Technik  und  gut  ausgebildeten  Haaren  fast  immer 
in  einer  Sitzung  die  definitive  Epilation  erreiche,  wiederhole 
ich  die  Sitzung  nur  dann,  wenn  trotz  der  starken  Dosis  über 
10  Proz.  der  Haare  wiederkehren  (unter  den  letzten  9  Fällen 
zweimal),  oder  wenn  eine  kleinere  Dosis  appliziert  worden 
war  (sei  es  wegen  Befürchtung  einer  empfindlicheren  Haut, 
sei  es  aus  irgend  einem  anderen  Grunde). 

Falls  einige  Haare  übrigbleiben  und  die  Elektrolyse  nicht 
ausgeführt  oder  verweigert  wird,  kann  man  die  Haare  auch 
einfach  mit  Pinzette  epilieren.  Es  ist  mir  dabei  sehr  häufig 
vorgekommen,  dass  diese  trotz  Bestrahlung  wiedergekom¬ 
menen,  sehr  häufig  pigmentarmen  Haare  schon  nach  der  ersten 
Pinzetteapplikation  nicht  wieder  erschienen. 

Im  allgemeinen  kann  man  also  sagen,  dass  man  mit  einer 
einzigen  Sitzung  (die  zweckentsprechend  in  toto,  und  nicht  in 
Teilsitzungen  verabreicht  werden  soll)  in  der  Mehrzahl  der 
Fälle  auskommt.  Welche  Fälle  geeignet  sind,  habe  ich  schon 
anderwärts  erörtert.  Die  ungeeigneten  Haare,  vor  allem 
Fiaumhaare,  soll  man  lieber  überhaupt  nicht  angehen,  denn  die 
in  diesen  Fällen  sehr  mässigen  Resultate  der  ersten  in  ent¬ 
sprechender  Dosis  verabreichten  Sitzung  werden  durch 
die  folgenden  gleichstarken  nur  um  weniges  verbessert.  Zwei 
bis  drei  folgende  Sitzungen  scheinen  auch  in  derartigen  Fällen 
nicht  schädlich,  aber  meist  überflüssig  zu  sein,  und  sind  neben¬ 
bei  zeitraubend. 

Nun  zur  Höhe  der  zu  applizierenden  Dosis. 

Ich  habe  bisher  absichtlich  vermieden,  die  Höhe  der  Dosis  ir 
Messeinheiten  anzugeben,  weil  ich  zum  Schluse  auf  diesen  Funkt 
etwas  näher  eingehen  wollte. 

Ich  hatte  seinerzeit  angegeben,  dass  die  Dosis,  die  zur  definitiven 
Epilation  sensibilisierter,  gut  entwickelter  Haare  nötig  ist,  bei  An¬ 
wendung  von  3 — 4  mm  Aluminiumfilter  8 — 12  Holzknechteinheiten  be¬ 
trägt.  Diese  filtrierte  Dosis  bewirke  eine  schwache,  knapp  sicht¬ 
bare,  bis  mittelstarke  Reaktion  ersten  Grades. 

Ich  habe  mich  seitdem  überzeugen  können,  dass  ich  die  appli¬ 
zierte  Dosis  zu  niedrig  gemessen  habe.  Sie  scheint  in  Wirklichkeit 
bei  3  mm  Aluminium  (die  Filterung  durch  mehr  als  3  mm  Aluminium 
habe  ich  seitdem  als  überflüssig  aufgegeben)  p  1  u  s  5  mm  Leder  um 
15  H.  zu  liegen,  und  zwar  die  eben  sichtbare  Reaktion  bei  etwa  12  H.. 
die  mittelstarke  entsprechend  höher,  aber  jedenfalls  nicht  über  20  H- 
Der  Unterschied  zwischen  den  ursprünglichen  und  den  jetzigen  An¬ 
gaben  rührt  nicht  von  einer  seitherigen  Erhöhung  der  applizierten 
Dosis  her,  sondern  von  der  Rektifizierung  der  Abschätzungsweise. 

Ich  verwende  zur  Messung  fast  ausschliesslich  die  Holz¬ 
knecht  sehe  Skala  zu  den  Sabouraud-Noire  sehen  Pastillen. 


17.  November  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2237 


Linen  .  cssapparat,  den  ich  nicht  nur  fiir  äusserst  praktisch,  sondern 
auch  -für  sehr  verlässlich  halte,  wenn  es  sich  darum  handelt,  die 
\on  demselben  Autor  gewonnenen  Resultate  untereinander  zu  ver¬ 
gleichen.  Rcim  Vergleich  der  von  verschiedenen  Autoren  ge¬ 
wonnenen  Resultate  können  aber,  und  zwar  sowohl  bei  diesem, 
ant*cren  geläufigen  Messinstrumenten,  ziemlich 
erhebliche  Differenzen  in  der  Ablesung  entstehen.  So  haben, 
!‘m  nur  c.m  ßewPiel  zu  bringen,  das  ich  gerade  bei  der  Hand  habe, 
Ke  g  a  u  d  und  No  gier  in  ihrer  oben  zitierten  Arbeit  nachweisen 
können,  dass  in  einem  bestimmten  Falle  die  Differenz  in .  der  Be¬ 
messung  ein  und  derselben  Dosis,  die  mit  demselben  (Bordier- 
schen)  Radiometer  von  verschiedenen  Fachleuten  gemessen  wurde 
Jas  vierfache  der  geringsten  Schätzung  betrug.  Beim  Ver¬ 
gleich  der  von  demselben  Autor  gewonnenen  Resultate  können 
3ber  ceteris  paribus  wohl  nur  dann  namhafte  Differenzen  in  der 
Jewertung  dei  Dosis  entstehen,  wenn  die  Ablesungstechnik  geändert 
aird.  Dies  war  bei  mir  der  Fall,  als  ich  mit  stark  gefilterten  Strahlen 
?u  arbeiten  begannn. 

Ich  habe  ursprünglich  die  Pastille  vorschriftsgemäss  in  halber 
-okus-haut-Distanz  plaziert.  Nach  Einführung  der  starken  Filte- 
iiiig,  die  die  Applikation  von  bedeutend  grösseren  Röntgendosen  als 
niher  mit  sich  brachte,  plazierte  ich  die  Pastille  in  gleiche  Entfernung 
nit  der  zu  bestrahlenden  Haut  (die  abgelesene  Dosis  war  so  mit 
(zu  multiphzieren).  Es  bestand  nun  eine  zweifache  Möglichkeit- 
)ie  Pastille  entweder  a)  v  o  r  oder  b)  hinter  dem  Filter  (selbst- 
erstandlich  beide  in  gleicher  Entfernung  vom  Fokus  der  Röhre) 
ii  plazieren.  Im  ersten  Falle  musste  von  der  abgelesenen  mit  4 
nultiplizierten  Dosis  die  durch  die  Filterung  absorbierte,  nach 
j  e  I  o  t  -  oder  Q  u  i  1 1  e  m  i  n  o  t  scher  7  abeile :t)  berechnete  Rönt- 
enmenge  abgezogen  werden. 

Im  zweiten  Falle  konnte  die  mit  4  multiplizierte  Dose  natürlich 
irekt  abgelesen  werden.  Ich  habe  einige  Zeit  hindurch  beide  Ver- 
ahren  gleichzeitig  geübt  und  dabei  gefunden,  dass  bei  der  Messung 
inter  dem  Filter  regelmässig  eine  viel  höhere  Dosis  abgelesen  wurde 
s  bei  der  Messung  vor  dem  Filter.  Die  Differenz  betrug  oft  mehr 
1s  50  Proz.  Da  die  Pastillen  für  mittelweiche,  unfiltrierte  Strahlen 
eeicht  sind,  so  hielt  ich  die  Messung  vor  dem  Filter  für  die 
ich  tigere,  dies  um  so  mehr,  als  von  den  Autoren  nur  zu  oft  auf  die 
ehlerquelle  hingewiesen  wurde,  die  bei  Messung  stark  gefilterter 
arf<rv  S!rahle?  ^llrc^  unsere  üblichen  Messinstrumente  entstehen. 

Die  in  meinen  ersten  Arbeiten  zahlenmässig  angegebenen  Rönt- 
enmengen  sind  durch  Messung  vor  dem  Filter  gewonnen. 

Diese  Messart  mag  im  Prinzipe  die  richtige  sein;  sie  setzt  aber 
enau  bekannte  Filterdicke  und  Konstantbleiben  der  Röhrenhärte 
“raus  Letzteres  ist,  besonders  bei  länger  dauernden  Bestrahlungen 
icht  immer  zu  erreichen.  Dazu  kommt,  dass  für  diese  grossen 
itzungen  oft  Röhrenwechsel  notwendig  ist.  Ich  für  meinen  Teil 
usste  früher  mindestens  5  Röhren  nacheinander  bis  zur  Erreichung 
;r  gewünschten  Dosis  (in  20 — 30  Minuten)  in  Betrieb  setzen.  Diese 
Öhren  hatten  selbstverständlich  nicht  alle  denselben  Härtegrad, 
usserdem  ist  es  nicht  a  priori  von  der  Hand  zu  weisen,  dass  die 
ich  erwähnten  französischen  Tabellen  für  die  Röntgenapparate  ver- 
:hiedenster  Systeme  und  Konstruktion  nicht  den  gleichen  Wert 
iben.  Wie  dem  auch  sein  mag,  die  Messung  vor  dem  Filter  hat 
denfalls  auch  ihre  Schattenseiten,  und  ich  bin  heute  überzeugt,  dass 
eine  ursprünglichen  Messungen  zu  tief  gegriffen  sind.  Dies  um  so 
ehr,  als  die  durch  Messung  hinter  dem  Filter  gefundene  Röntgen- 
enge  ziemlich  genau  mit  der  Menge  übereinstimmt,  welche  von  den 
eisten  anderen  Autoren  zur  Erreichung  bestimmter  Röntgeneffekte 
gegeben  wird.  Um  z.  B.  bei  3  mm  Filterung  und  einer  Röhren¬ 
de  von  7—8  B.  (9—11  Wh.  oder  8—9  Bauer  bei  meinem  In- 
umentarium  und  meiner  gewöhnlichen  Betriebsart)  eine  eben  erst 
ditbare  Reaktion  nach  der  üblichen  Latenzzeit  zu  erreichen,  wird 
s  nötige  Dosis  von  den  meisten  Autoren  10—15  H.  angegeben, 
es  ist  ungefähr  die  Dosis,  die  ich  bei  Messung  hinter  dem  Filter  zu 
halten  gewohnt  bin. 

Wenn  demnach  auch  die  Messung  hinter  dem  Filter  theo- 
:  tisch  ungenauer  ist,  so  liefert  sie  unter  Umständen  richtigere  Re¬ 
nate  als  die  Messung  vor  dem  Filter,  da  die  letzterer  Methode 
i  haftenden  Fehlerquellen  nicht  immer  leicht  zu  vermeiden  sind. 

Ob  nun  vor  oder  hinter  dem  Filter  gemessen  wird,  ob  das  eine 
'er  das  andere  Messinstrument  benutzt  wird;  sicher  ist,  dass  die 
J.-ssungen  stark  filtrierter,  harter  Röntgenstrahlen  von  seiten  ver- 
Miedener  Autoren  vorläufig  wenigstens  nur  einen  bedingten  Wert 
•  ben  können.  Da  aber  bei  der  Behandlung  der  Hypertrichose 
lt’  exochen  das  Endresultat  von  der  applizierten  Dosis  abhängt,  so 
*rd  es  manchem  Kollegen  angenehm  sein,  sich  nicht  nur  nach  der 
,n  einem  anderen  zahlenmässig  angegebenen  Röntgenmenge,  son- 
f  n  auch  nach  dem  zu  erreichenden  Effekt  richten  zu 
janen.  Ob  der  eine  zur  Erzielung  dieses  Effektes  10  H„  der  andere 
|  H.  gebiaucht  zu  haben  glaubt,  ist  dann  gleichgültig,  denn  der 
ie  wird  eben  jedesmal  10,  der  andere  jedesmal  12  H.  nach 
jner  Messungsart  gebrauchen,  und  so  kann  sich  jeder  leicht  zurecht- 
1  en,  wieviel  Einheiten  er  nach  seiner  Messungsart  applizieren  muss, 

1  einen  bestimmten  Effekt  zu  erreichen. 


a)  Vorausgesetzt  ist  hiebei  natürlich,  dass  der  Härtegrad  der 
Ihre  während  der  Dauer  der  Bestrahlung  unverändert  bleibt  und 
I  Dicke  des  Filters  genau  bekannt  ist. 


Man  kann  daher  zwecks  Fixierung  der 
Hosis  sagen;  Die  definitive  Epilationsdosis 
gut  entwickelter,  auf  obige  Weise  sensibili¬ 
sierter  Gesichts  haare  durch  über  mittel¬ 
harte,  stark  filtrierte  Röntgenstrahlen  ist 
diejenige  Dosis,  durch  die  eine  schwache 
(eben  sichtbare)  bis  mittelstarke  Reaktion 
ersten  Grades  erreicht  wird. 

Was  die  mit  der  Methode  erreichten  Resultate  anlangt,  so 
kann  auf  das  seinerzeit  Gesagte  verwiesen  werden. 

Eine  Bemerkung  betreffs  der  Behandlung  von  Flaum¬ 
haaren  : 

Unter  den  nunmehr  40  Fällen,  bei  denen  die  Methode  teils 
zu  therapeutischen,  teils  zu  Versuchszwecken  angewendet 
\\  ui  de,  befindet  sich  auch  ein  Flaumhaarfall,  dessen  Behandlung 
ich  auf  ausdrücklichen  Wunsch  der  Patientin  und  mit  Hinweis 
auf  eventuelle  Resultatlosigkeit  der  Behandlung  (zu  einem  Er¬ 
folg  auf  Kosten  der  Haut  wollte  ich  es  unter  keinen  Um¬ 
ständen  kommen  lassen)  übernommen  hatte. 

Es  handelte  sich  in  dem  Falle  um  dichtgesäten,  ziemlich  langen, 
-ii, Cl i s.r  zarten,  dunkelbraunen  Flaum  auf  beiden  Backen  bei  einem 
30  jährigen  Fiäulein  mit  feiner  Oesichtshaut.  2  Tage  nach  der  in  dem 
halle  ziemlich  umständlichen  Pinzetteepilation  wurde  auf  beiden 
beiten  m  gewohnter  Weise  je  eine  mittelstarke  Erythemdosis  (etwa 
15  (,ltncr.tf  Holzknechteinheiten)  mit  Verschiebung  der  Ränder  appli- 
zieit.  5  Monate  nach  der  in  dem  Falle  etwas  stärkeren  Reaktion  (die 
gebräunte  Epidermis  Hess  sich  einen  Monat  nach  der  Bestrahlung  in 
zigai  ettenpapierdiinnen  Lamellen  ablösen,  die  darunter  befindliche 
rotbiaune  Haut  hatte  erst  nach  2  Wochen  ihr  normales  Aussehen 
wiedei  erlangt),  waren  zwar  kaum  10  Proz.  der  Flaumhaare  wieder 
erschienen  (die  durch  Elektrolyse  leicht  entfernt  wurden),  aber  die 
Umgebung,  der  bestrahlten  Stellen,  welche  ebenfalls,  wenn  auch  viel 
weniger  sichtbar,  flaumig  behaart  war,  und  welche  infolgedessen 
nicht  mit  Pinzette  epiliert  und  nur  zum  Teil  bestrahlt  worden  war, 
sti_ht  nunmehr  infolge  ihres  unverändert  gebliebenen  Flaumes  (auch 
an  den  bestrahlten,  nicht  vorepilierten  Stellen!)  immerhin  etwas  ab, 
was  zwar  von  der  Patientin  jetzt  nicht  störend  empfunden  wird’ 
erm  aber  später5)  der  nicht  behandelte  Flaum  der  Umgebung,  etwa 
durch  vikariierenden  Wachstumsreiz,  stärker  sichtbar  wird  (was  nach 
meinen  Erfahrungen  durchaus  nicht  ausgeschlossen  ist),  so  wird  das 
erreichte  Resultat  direkt  unästhetisch  wirken.  Es  ist  also  auch  aus 
letzteren  (indirekten)  Gründen  bei  derartigen  Fällen  Reserve  in  der 
Behandlung  geboten. 

Zusammenfassung:  Durch  die  Vorepilatioh  der 
Haare  lässt  sich  die  Röntgenempfindlichkeit  der  Papille  stei¬ 
gern.  Je  zarter  das  Haar,  je  geringer  sein  Wachstum,  um  so 
geringer  ist  die  Röntgenempfindlichkeitssteigerung.  Bei  zartem 
Flaum  ist  sie  am  geringsten.  Es  ist  infolgedessen  die  Röntgen¬ 
behandlung  des  Flaumes  undankbar,  nicht  nur  weil  der  Flaum 
für  Röntgenstrahlen  a  priori  ziemlich  unempfindlich  ist,  sondern 
auch  weil  seine  Sensibilitätssteigerung  sehr  gering  ist.  Bei 
gut  entwickelten  Haaren,  sowohl  an  der  Oberlippe,  wie  auch 
ganz  besonders  am  Kinn,  beträgt  die  Empfindlichkeitssteige¬ 
rung  unter  günstigen  Umständen  ein  Drittel  der  Epilationsdosis. 
Durch  diese  Methode  können  bei  obigen  Fällen  dauernde  Epi¬ 
lationsresultate  erreicht  werden,  ohne  dass  die  Haut  weiter 
geschädigt  wird.  Dies,  wenn  man  will,  in  einer  einzigen 
Sitzung.  «Die  Applikation  in  mehreren  Sitzungen,  sei  es  aus 
anfänglicher  Vorsicht,  sei  es  aus  irgend  einem  anderen  Grunde, 
kann  im  Prinzipe  nicht  verworfen  werden,  ist  aber  im  allge¬ 
meinen  überflüssig.  Die  definitive  Epilationsdosis  gut  ent¬ 
wickelter,  auf  obige  Weise  sensibilisierter  üesichtshaare 
durch  über  mittelstarke,  stark  filtrierte  Röntgenstrahlen  ist 
diejenige  Dosis,  durch  die  eine  schwache  (eben  sichtbare)  bis 
mittelstarke  Reaktion  ersten  Grades  erreicht  wird  (10—  12  H 
15—18  H.). 


’)  Nachtrag:  Bis  heute,  10  Monate  nach  der  Behandlung,  ist  aller¬ 
dings  noch  keine  dunklere  Haarfärbung  der  Umgebung  aufgetreten, 
das  kann  aber  auch  nach  Monaten  noch  geschehen.  An  den  be- 
handelten  Stellen  sind  keine  Haare  nachgewachsen,  trotzdem  machen 
die  Stellen  glücklicherweise  nicht  den  so  unangenehmen  Eindruck  des 
Kahlen,  da  ganz  kleine,  kaum  sichtbare  Flaumhaare  an  diesen  Stellen, 
die  mit  der  Pinzette  nicht  vorepiliert  worden  waren,  trotz  der  Be¬ 
strahlung  auch  nicht  ausgefallen  sind.  Es  ist  nicht  unmöglich,  dass 
auch  diese  kleinen  Haare  späterhin  etwas  stärker  werden  und  so 
die  Differenz  zwischen  behandelter  und  unbehandelter  Stelle  ausge¬ 
glichen  wird. 


2238 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Die  Infektionen  des  Fötus. 

Vorläufige  Mitteilung. 

Von  Prot.  Dr.  Fernand  Masay  in  Konstantinopel. 

Das  weite  Gebiet  der  fötalen  Pathologie  ist  nur  un¬ 
genügend  erforscht,  und  speziell  betreffend  die  Infektionen,  die 
das  Kind  im  Mutterleibe  befallen  können,  sind  die  Resultate 
der  Beobachtungen  und  Experimente  unklar  und  wider¬ 
sprechend.  Im  besonderen  ist  man  durchaus  nicht  einig  über 
das  Verhalten  der  Plazenta  gegenüber  den  Bakterien,  die  sich 
im  Blut  der  Mutter  befinden. 

Die  plazentare  Infektion  wird  von  vielen  Forschern  nur  in 
Ausnahmefällen  für  möglich  gehalten;  andere  nehmen  an,  dass 
die  Plazentargefässe  krank  sein  müssen,  um  das  Durchdringen 
der  Virus  zu  ermöglichen. 

Wir  sind  in  den  Besitz  eines  Mikroben  gelangt,  der  durch 
sein  Verhalten  irn  Körper  schwangerer  Tiere  zu  interessanten 
Beobachtungen  Gelegenheit  bietet.  Es  handelt  sich  um 
Streptobacterium  foetidum,  das  wir  vormals  beschrieben 
haben.  Wir  wollen  kurz  seine  hauptsächlichsten  Merkmale 
wiederholen. 

Wir  haben  St.  f.  im  Auswurf,  pleuralen  Ergüssen  und 
inneren  Abszessen  gefunden.  In  zwei  Fällen  hat  es  den  Tod 
verursacht.  Es  ist  ein  kleiner  Kokkobazillus,  sehr  beweglich, 
sich  bei  Züchtung  in  Bouillon  zu  Ketten  gruppierend.  Es 
nähert  sich  im  Aussehen  dem  Pestbakteriurn.  Es  färbt  sich 
mit  allen  Anilinstoffen  und  nicht  nach  Gram.  St.  f.  ist  fakul¬ 
tativ  aerob  und  lässt  sich  leicht  auf  allen  Nährböden  züchten. 
In  Agarstrichkultur  bedeckt  es  die  ganze  Oberfläche  ohne  ab¬ 
gegrenzte  Kulturen  zu  bilden,  und  wird  erst  dann  sichtbar, 
wenn  die  ganze  Oberfläche  mit  einer  fortgesetzten  Schicht 
überzogen  ist. 

St.  f.  ruft  bei  allen  Laboratoriumstieren  eine  hyperakute 
allgemeine  Sepsis  hervor  oder  auch  eine  chronische  Krankheit 
mit  serösen  oder  viszeralen  Lokalisationen. 

St.  f.  bildet  sehr  aktive  Toxine. 

Endlich  haben  wir  gleich  bei  den  ersten  Versuchen  be¬ 
merkt,  dass  St.  f.  die  Plazenta  mit  grosser  Leichtigkeit  durch¬ 
dringt.  Diese  Besonderheit  Hess  uns  annehmen,  dass  St.  f.  sich 
dazu  eignen  könnte,  die  Infektionen  des  Fötus  zu  erforschen. 
Diese  Annahme  erwies  sich  als  gerechtfertigt.  Das  rasche 
Verbreiten  des  St.  f.  in  dem  infizierten  Organismus  und  die 
Einfachheit  der  Identifizierung  vermittels  der  Kulturen  er¬ 
leichterten  die  Untersuchungen. 

Wir  haben  unsere  Experimente  folgendermassen  aus¬ 
geführt: 

1.  Einer  ersten  Gruppe  schwangerer  Meerschweinchen 
brachten  wir  eine  tödliche  Dosis  lebender  Kulturen  des 
St.  f.  bei. 

2.  Einer  zweiten  Gruppe  eine  etwas  geringere  Dosis  als 
die  tödliche. 

3.  Einer  dritten  Gruppe  eine  Dosis,  die  unfähig  ist,  Sepsis 
hervorzurufen. 

Ohne  in  die  Einzelheiten  einzugehen,  die  wir  späterhin 
veröffentlichen  werden,  wollen  wir  die  Resultate  .dieser  Ex¬ 
perimente  kurz  aufzählen. 

Erste  Serie:  Alle  Weibchen  starben,  einige  von  ihnen 
nach  stattgefundenem  Abort.  Letztere  widerstehen  im  allge¬ 
meinen  etwas  besser  der  Infektion.  Alle  Föten,  ob  aus- 
gestossen  oder  nicht,  enthalten  St.  f.  in  grosser  Menge.  Man 
entdeckt  an  der  Plazenta  keinerlei  Spur  früherer  Krankheiten. 

Zweite  Serie:  Ein  Teil  der  Weibchen  abortiert,  und 
bei  diesen  ist  die  Heilung  fast  allgemein.  Die  Weibchen,  die 
nicht  abortiert  haben,  sterben  alle.  Alle  Föten  enthalten  St.  f. 
in  grosser  Menge. 

Dritte  Serie:  Die  Mortalität  ist  sehr  gering  unter  den 
Müttern.  Einige  Weibchen  abortieren,  die  meisten  gelangen 
bis  zum  Ende  der  Schwangerschaft.  Bei  manchen  Föten  — 
zum  Teil  einige  Stunden  nach  der  Infektion  ausgestossen.  zum 
Teil  nach  mehreren  Tagen  zur  Welt  gekommen  —  findet 
man  St.  f. 

Aus  diesen  Tatsachen  ziehen  wir  folgende  Schlüsse,  die 
wir  anderweitig  ausführlich  erörtern  werden: 

1.  St.  f.  ruft  allgemeine  Sepsis  hervor;  dieselbe  geht  leicht 
auf  den  Fötus  über.  2  Stunden  nach  der  Einspritzung  findet 


Nr.  4 

man  St.  f.  sowohl  im  Blute  der  Mutter  als  auch  im  Blute  d. 
Fötus.  Dieser  rasche  Uebergang  des  Virus  zum  Fötus  bewe 
die  geringe  Widerstandsfähigkeit  des  Plazentarfilters  gewiss 
Infektionen  gegenüber. 

II.  Der  Abort  ist  immer  günstig  für  die  Mutter. 

III.  Alles  verhält  sich  so,  als  ob  der  Fötus,  indem  er  ei 
grosse  Menge  Bakterien  in  sich  aufnimmt,  eine  Art  Fixation 
abszess  für  die  Mutter  bildet.  Diese  Tatsache  steht  in  direkte 
Widerspruch  mit  der  Theorie,  dass  die  gesunde  Plazenta  i 
die  Bakterien  eine  undurchdringbare  Schranke  bildet.  A 
diese  Weise  erklärt  sich  die  Heilung  der  Mutter  nach  de 
Abort,  und  letzterer  erscheint  wie  eine  Abwehrreaktion  d 
mütterlichen  Organismus. 

IV.  Es  kann  Vorkommen,  dass  die  Bakterien  durch  d 
Plazenta  in  den  Embryo  Vordringen,  ohne  dass  die  Mutter  vq 
einer  Infektion  befallen  zu  sein  scheint. 

Wir  glauben,  dass  diese  Beobachtungen  von  einig* 
Wichtigkeit  sind,  nicht  nur  vom  Standpunkt  der  fötalen  Path, 
logie  aus  betrachtet,  sondern  auch  was  die  Therapie  di 
Abortes  bei  den  Infektionskrankheiten  anbetrifft. 


Aus  dem  anatomischen  Institut  der  Universität  Heideiber 

Ein  Fall  von  Megacolon  sigmoides  bei  einem  70jährige 

Manne*). 

Von  Dr.  Oskar  Wiedhopf,  I.  Assistent. 

Im  letzten  Wintersemester  kam  auf  dem  Präpariersaal  d^ 
anatomischen  Instituts  ein  Befund  zur  Beobachtung,  der  ai 
verschiedenen  Gründen  Interesse  beanspruchen  kann. 

Es  handelt  sich  um  die  Organe  einer  männlichen  Leiche,  die  End 
August  1913  abgeliefert  und  im  November  1913  auf  dem  Präpariej 
saal  untersucht  wurde. 

Der  Verstorbene  befand  sich  seit  10  Jahren  wegen  Idiotie  ut 
hohen  Alters  in  der  Kreispflegeanstalt  Sinsheim  und  war  dort  nie  •] 
bis  auf  die  letzten  5  Tage  seines  Lebens  —  bettlägerig  krank.  V( 
Krankheiten,  die  er  ausserhalb  der  Anstalt  event.  durchgemacht  hatt 
liess  sich  nichts  eruieren.  Die  Krankheit  vor  seinem  Tode  bestand 
heftigen  Leibschmerzen,  starkem  Meteorismus  und  Verhaltung  vr 
Stuhl  und  Wind.  Stuhlgang  war  durch  Abführmittel  nicht  zu  e 
zielen,  auch  ein  Darmrohr  hatte  keinen  Erfolg.  Erst  eine  Maget 
sonde,  die  sich  ohne  Schwierigkeit  ganz  einführen  liess,  brachte  En 
Ieerung  von  Gas  und  reichlichen  Massen  dünnflüssigen  Stuhls  zi 
stände.  Die  Sonde  war  öfter  verstopft  und  man  konnte  schliesslic 
ein  grösseres  Quantum  Holzwolle  entfernen,  das  der  Patient  ai 
seiner  Matratze  aufgegessen  hatte.  Trotz  der  Entleerung  erholte  < 
sich  nicht  und  starb  am  5.  Tage  seiner  Erkrankung  im  Alter  vd 
70  Jahren,  wohl  an  einer  Autointoxikation.  Für  die  persönliche  Mi 
teilung  der  Krankengeschichte  bin  ich  Herrn  Medizinalrat  Eschl 
in  Sinsheim  zu  grossem  Dank  verpflichtet. 

Anlässlich  des  Bauchsitus  an  dieser  Leiche  wurden  wir  auf  d 
abnormen  Verhältnisse  in  der  Bauchhöhle  aufmerksam  gemacht.  D 
Studenten  konnten  sich  nach  Eröffnung  der  Bauchhöhle  nicht  zurccl 
finden,  weil  die  sich  darbietenden  Verhältnisse  keineswegs  der  Nori 
entsprachen. 

Man  sah  weder  Leber  noch  Dünndarm,  sondern  konnte  nur  ei 
enorm  weites  gasgefülltes  Gebilde  erkennen,  das  darmähnlich  5 
Oberschenkeldickc  aus  dem  kleinen  Becken  heraus  im  Bogen  we 
unter  die  beiden  Hypochondrien  sich  erstreckte.  Es  liess  sich  leid 
unter  dem  Rippenbogen  hervorziehen  und  nach  unten  klappen  uni 
entpuppte  sich  als  die  abnorm  lange,  weit  ausgedehnte  Elexura  sit, 
moidea.  Dieser  Befund  und  ein  gleich  noch  zu  erwähnender  an  Je 
Leber  Hessen  es  wünschenswert  erscheinen,  den  Fall  etwas  genant 
zu  untersuchen  und  ich  wurde  dabei  von  Herrn  Dr.  Elze  in  Hebens 
würdiger  Weise  unterstützt. 

Auf  Einzelheiten  der  Peritonealverhältnissc  will  ich  mich  hie 
nicht  einlassen,  sondern  nur  das  wichtigste  hervorheben: 

Der  Thorax  befand  sich  in  Inspirationsstellung  und  die  Zwerch 
fellkuppe  stand  beiderseits  im  2.  Interkostalraum.  Da.  wo  ma 
das  Herz  vermuten  sollte,  fühlte  man  eine  geringe  kaudale  Ausbuch 
tung  des  Zwerchfells. 

Die  Leber,  die  man  sich  nach  Zurückklappen  des  Sigmoids  sicht 
bar  machen  konnte,  fand  sich  in  höchst  auffälliger  Weise  veränder 
Das  weithin  nach  oben  reichende  S  romanum  hatte  den  meiste 
Raum  für  sich  beansprucht  und  sowohl  den  rechten  als  den  linke 
Leberlappen  von  dem  Zwerchfell  losgedrängt.  Dabei  wurde  bc 
sonders  der  rechte  Leberlappen  derartig  gedrückt,  dass  er  grössten 
teils  atrophierte.  Unter  dem  I.ig.  falciforme  hepatis,  das  ja  vorne  di' 
einzige  Fixation  der  Leber  bildet,  sind  die  beiden  Lobi,  die  den  Kon 


*)  Vorgetragen  anlässlich  der  Demonstration  des  Präparats  ii 
der  Sitzung  vom  19.  V.  14  im  Naturhistorisch-medizinischen  Vereii 
zu  Heidelberg. 


17.  November  1914. 


MIJENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2239 


i.ikt  mit  dem  Zwerchfell  aufgegeben  haben,  spitzwinklig  aneinander- 

gepresst. 

,  ^"'sdien  Leber  und  Magen  wird  das  Lig.  hepatogastricum 
dureh  einen  Tumor  vorgebuchtet,  der  in  Form  und  Konsistenz  am 
ehesten  sich  mit  der  Herzspitze  vergleichen  lässt.  Da  die  Bursa 
omentahs  verschlossen  ist,  wird  in  das  Mesocolon  transvcrsum  ein 
Loch  eingerisscn.  Habei  lässt  sich  die  merkwürdige  Tatsache  fest¬ 
stellen,  dass  der  herzförmige  Körper  der  sehr  stark  vergrösserte 
Lobus  caiR  atus  der  Leber  ist.  Fr  entspricht  in  seiner  Ausdehnung 
etwa  der  Hand  eines  10  jährigen  Kindes. 

A'”  Magen  und  Dünndarm  sind  bezüglich  ihrer  Lagerung  wesent¬ 
liche  Abnormitäten  nicht  vorhanden.  Die  letzten  20  cm  des  Ileum 
verlaufen  retroperitoneal.  Es  besteht  ein  tiefer  Recessus  retro- 
coecahs,  von  der  Appendix  ist  nichts  zu  sehen,  sie  liegt  retroperi¬ 
toneal.  Colon  ascendens,  transversum  und  descendens  sind  normal 
gelagert,  ihr  Umfang  mit  Ausnahme  des  stark  erweiterten  Colon 
““"ft  ,W?mg  Yergc^ssert.  Der  Ucbergang  des  absteigenden 
kolonsclienkels  in  das  Sigmoid  ist  nicht  scharf  markiert.  Doch  be¬ 
ginnt  am  Sigmoid  plötzlich  die  schon  erwähnte  gewaltige  Erweite- 
rung.  ie  sichtbare  1  änie  ist  um  ein  vielfaches  verbreitert  und  die 
Wand  nicht  unwesentlich  verdickt.  Infolge  der  grossen  Länge  — 
es  misst  (an  der  Konvexität)  125  cm  -  ist  cs  gezwungen,  sich  in 
fsn o nger*i  ZU  legenLund,dab,ei  k°mrTd  es  zu  einer  Achsendrehung  um 
1  L>n  l.^  1  rec.  ds’,  bei  der  der  Kolonschenkel  des  S  romanum  unter 
Jen  Rektumschenkel  zu  liegen  kommt  (s.  Abb.).  Dieser  Volvulus  be¬ 
stand  zweifellos 
schon  lange,  dafür 
spricht  eindeutig 
der  Befund  an  der 
Leber.  Er  ist  zu 
den  sogenannten 
physiologischen 
Drehungen  der 
Flexur  um  180°  zu 
rechnen,  das  sieht 
man,  wenn  man 
eine  Rückdrehung 
versucht;  dabei 
wird  dann  der 
sogen.  Rektum¬ 
schenkel  der  Fle¬ 
xur  um  ebensoviel 
Grade  in  der  ent¬ 
gegengesetzten 
Richtung  gedreht, 
und  es  muss  hier 
zu  einer  Passage¬ 
störung  kommen, 
während  sie  in 
unserem  Falle 
nicht  einzutreten 
braucht  —  es  ist 
ja  nur  eine  ein¬ 
fache  Schlinge 
vorhanden  -,  aber 
jederzeit  dadurch 
zustande  kommen 
kann,  dass  der 
p.  Rektumschenkel 

r  riexur  den  Kolonschenkel  oder  umgekehrt  komprimiert.  Wollte 
i  Unrurg  diesen  Volvulus  detorquieren,  so  würde  er  also  statt  des 
ysiologischen,  gewissermassen  potentiellen,  einen  absoluten  Darm- 
rscnluss  an  der  Stelle  setzen,  wo  das  bewegliche  Sigmoid  in  das 
lertere  Rektum  übergeht. 

Die  Wurzel  des  Mesosigmoids  liegt  in  der  Mitte  der  Linea  ter- 
nalis.  Sie  ist  an  der  Basis  so  schmal  und  die  Fusspunkte  der  Fle- 
r  sind  sich  dermassen  genähert,  dass  nur  die  Arterie  und  Vene 
zwischen  Platz  haben.  Es  ist  mit  Auflagerungen  versehen  und 
nt  unwesentlich  verdickt. 


Das  Rektum  ist  ebenfalls  erweitert  und  die  Muskulatur  beträcht- 

n  vermehrt. 


Dass  es  bei  einem  derartigen  Meteorismus  zu  einer  Atelektase 
'  n  Lungengebiete  kommen  musste,  ist  selbstverständlich. 

Das  Herz  weicht  in  seiner  Grösse  nicht  von  der  Norm  ab.  Von 
ier  -ektion  desselben  und  der  Lunge  wurde  abgesehen,  da  ja  bei 
S  langen  Zeit,  die  zwischen  Tod  und  Untersuchung  lagen,  Fein- 
ten  doch  nicht  mehr  zu  erkennen  gewesen  wären. 

Nirgends  am  Darm  war  ausser  dem  Volvulus  ein  Hindernis, 
1  ln  Horm  eines  Klappenmechanismus,  nachzuweisen. 

Dass  es  bei  einer  solchen  Dilatation  des  Darmes  zu  Entleerungs- 
iwierigkeiten  und  damit  zu  Stauungen  im  venösen  Kreislauf 
nmcn  musste,  beweisen  die  zahlreichen  Hämorrhoiden. 

An  der  Blase  befinden  sich  neben  der  Einmündung  des  rechten 
J*e{’s  2  zirka  fingerhutgrosse  Divertikel,  ausserdem  ist  ein  Steiss- 
obchen  oder  eine  Foveola  coccygea  vorhanden,  eine  Einsenkung, 

■  der  Stelle  entspricht,  wo  einmal  die  Schwanzwrirbel  des  Men¬ 
en  nach  aussen  sich  erstreckten. 

Ganz  kurz  möchte  ich  noch  die  Darmmasse  erwähnen,  die  an 

Konvexität  des  nicht  herausgeschnittenen  Darms  gewonnen 
rden: 


Der  Dünndarm  ist  769  cm  lang  gegen  500—600  cm  Normallänge, 
Kolon  mit  Ausnahme  des  Sigmoids  102  cm,  Sigmoid  125  cm,  Rek¬ 
tum  25  cm. 

•  Die. Gesamtlänge  beträgt  10,21  m,  gegen  7—8  m  in  der  Norm, 
ein  beträchtliches  Mehr! 

Der  Umfang  des  Sigmoids  beträgt  durchschnittlich  40  cm. 

Das  Sigmoid  allein  fasst  8  Liter  Wasser,  das  ist  so  viel,  als  in 
einem  gewöhnlichen  Putzeimer  Platz  haben. 

Es  handelt  sich  bei  dem  Präparat  im  wesentlichen  um  ein 
Megacolon  sigmoides,  das  sicher  seit  langen  Jahren  bestand; 
das  beweist  uns  einmal  die  Atrophie  des  grössten  Teiles  des 
rechten  Leberlappens  und  andererseits  die  sehr  bedeutende 
Hypertrophie  des  Lobus  caudatus,  die  wohl  als  kompen¬ 
satorische  anzusprechen  ist,  ebensowohl  als  die  Hypertrophie 
der  Wand,  insbesondere  der  Muskularis  der  Flexura  sig- 
moidea. 

^?er..^?nn  muss  sich  trotz  dieser  Veränderungen  ver¬ 
hältnismässig  wohl  befunden  haben,  denn  er  erreichte  ein  Alter 
von  70  Jahren  und  wäre  wohl  wegen  des  Megakolon  nicht 
gestorben,  wenn  nicht  der  Genuss  von  Holzwolle  einen  abso¬ 
luten  Darmverschluss  verursacht  hätte  und  er  dann  einer  Auto¬ 
intoxikation  erlegen  wäre. 

Der  Fall  muss  dem  immer  noch  heftig  umstrittenen  Kapitel 
dei  Hirschsprung  sehen  Krankheit  zugerechnet  werden 
und  zweifellos  sind  hier  in  der  kongenitalen  Länge  der  Flexur 
und  in  dem  Volvulus  derselben  die  Faktoren  zu  suchen,  die  zu 
den  übrigen  Ei  scheinungen:  der  Hypertrophie  und  Ausdehnung 
des  S  romanum,  Atrophie  der  Leber  und  auch  zu  der  Obsti¬ 
pation  Anlass  gegeben  haben,  von  der  wir  zwar  aus  der 
Anamnese  nichts  erfahren  konnten,  für  die  aber  die  Ver¬ 
dickungen  und  Auflagerungen  des  Mesosigmoids  als  Zeichen 
peritonealer  Reizung  und  dann  aber  Analoga  in  der  Literatur 
sprechen. 

Dass  es  sich  hier  um  einen  sehr  seltenen  Fall  handelt,  be¬ 
weist  die  Tatsache,  dass  in  der  Literatur  nur  ganz  wenige 
Fälle  bekannt  sind,  bei  denen  Leute  mit  derartigen  Befunden 
em  so  hohes  Alter  erreichten.  Besonders  interessant  aber  ist 
die  bedeutende  Atrophie  der  Leber,  von  der  Verse  1909 
angibt,  dass  er  wohl  den  ersten  Fall  beschreibe;  von  einer 
kompensatorischen  Hypertrophie  derselben  ist  mir  in  der 
Literatur  überhaupt  nichts  bekannt  geworden. 


Technik  der  Furunkelbehandlung  —  zugleich  meine 
eigene  Krankengeschichte. 

Von  Dr.  Fried,  Stabs-  und  Regimentsarzt  im  12.  bayer.  Feld- 
Artillerieregiment. 


von  j um  19 12  bis  November  1913  litt  ich  sehr  an  Furunkeln 
Krankheitsursache:  Verschleppung,  weil  ich  die  Fortsetzung  eines 
Reitkurses  am  herrlichen  Bodensee  und  in  der  Folge  die  Fortsetzung 
meines  Dienstes  als  Truppenarzt  zu  Pferde  und  bei  den  Herbst- 
uburigen  gewaltsam  erzwingen  wollte.  —  Ich  mag  wohl  an  die 
200  Furunkel  gehabt  haben. 

Ergebnis  der  Beobachtung  und  Behandlung:  Hefe-  und  Arsen- 
kuren  —  ebenso  rein  pflanzliche  Ernährung  —  sind  völlig  zwecklos. 
Heisse  Bader  und  heisse  Breiumschläge  bewirkten  wohi  erhebliche 
Linderung  und  rasche  Reifung  der  einzelnen  Krankheitsherde,  jedoch 
auch  Ausbreitung  und  Aussaat  von  Krankheitserregern  auf  der  durch 
die  Behandlung  weich  und  wund  gewordenen  Haut. 

einfachste,  schnellste,  billigste  und  angenehmste  ört¬ 
liche  Behandlung  empfand  ich  das  Salizylseifenpflaster 1).  Mit  irgend 
einem  gut  klebenden  Heftpflaster,  z.  B.  mit  Leukoplast,  auf  der 

Vprhn nHpCS  ZClgt.  CS  a*16  Vorzuge  eines  idealen,  erweichenden 
Verbandes  in  knappsten  Massen. 

Durch  die  Behandlung  werden  die  Krankheitsherde  gut  abge¬ 
schlossen  und  die  Eitererreger  gebannt,  gleichwie  durch  Jod  und 
Mastisol.  The  Technik  ist  auch  für  Sanitätsmannschaften  sehr  leicht 
erlernbar.  Erneuerung  der  alten  Pflaster  nach  12—36  Stunden:  Auf- 
weichen  der  alten  Pflaster  und  Entfernung  der  Klebstoffreste  mit 
^?hr.yieJ  Venz,n-  —  Nachwaschen  mit  Brennspiritus  (Keimtötung) 
Diefi.e  Jj-chmk  muss  ein  Abwaschen,  ein  Abspülen,  ein  Auflösen  sein 
—  Drucken  und  Reiben  ist  em  Kunstfehler.  Das  Salizylseifenpflaster 
S°Jr-°SSu  ZUa  n,e.hmen’  dass  es  aus  gesunder  Haut  heraus  über  den 
Krankheitsherd  hinweg  wieder  weit  in  gesunde  Haut  hineinreicht 

Ergänzt  werden*  ^ ^  ^  Kraftwagen  und  aus  Flugzeugschuppen 


J)  Aus  der  Stadt¬ 
lau,  Nikolaistrasse  46. 
Pflaster. 


und  Hospitalapotheke  zu  Allerheiligen.  Bres- 
—  Man  verlange  „extra  dick"  gestrichenes 


2240 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Bei  bösartigen  und  bei  fortschreitenden  Furunkeln,  besonders 
des  Gesichtes  und  bei  Lymphgefässentzündung  ist  Eröffnung  mit 
Messer  oder  Gliihstift  notwendig. 

Die  sonst  so  nützliche  Saugglocke  dürfte  im  Felde  zu  viel  Zeit 
und  Umstände  erfordern. 

Bei  ausgebreiteter  und  bei  bösartiger  Furunkulose  wirkt  die 
Vakzinebehandlung  Wunder. 

Bei  mir  selbst  kamen  trotz  sorgfältigster  örtlicher  Behandlung, 
trotz  grösster  Reinlichkeit  und  geradezu  verschwenderischem  Um¬ 
gehen  mit  Leib-  und  Bettwäsche  iVt  Jahre  lang  immer  wieder 
Rückfälle  —  bis  ich  4  Tage  vor  Beginn  der  Herbstübungen  1913 
ausser  stände,  mit  6  grossen,  bösartigen  Furunkeln  (am  Ansatz  des 
rechten  grossen  Beiziehermuskels  und  in  der  Schambeingegend) 
weiter  zu  reiten,  mit  Opsonogeneinspritzungen  2)  begann.  Sämtliche 
Furunkel  heilten  noch  während  der  Manöver. 

Ich  konnte  den  ganzen  anstrengenden  Dienst  zu  Fuss  und  zu 
Pferd  mitmachen.  Die  allgemeinen  gesundheitlichen  Verhältnisse 
waren  fiir  mich  recht  ungünstig  (verregnete  Biwaks  und  8  Durch¬ 
nächte,  in  welchen  ich  nicht  aus  den  Kleidern  kam.  Wäschewechsel 
war  nur  jeden  3.  Tag  möglich. 

Nach  den  Manövern  bekam  ich  einen  Rückfall  der  Furunkulose, 
weil  ich  die  Vakzinebehandlung  zu  früh  ausgesetzt  und  irrtümlicher 
Weise  geglaubt  hatte,  eine  Staphylokokkenantigensalbe  hätte  die 
Besserung  bewirkt. 

Von  nun  ab  führte  ich  die  Opsonogenbehandlung  energisch  und 
regelmässig  durch.  Ich  bekam  dann  zwar  noch  vereinzelte  Nach¬ 
zügler,  aber  diese  verliefen  alle  ungewöhnlich  mild  (Erweichung  und 
Verflüssigung  binnen  wenigen  Tagen  —  ohne  Zuhilfenahme  von 
Messer  und  Glühstift). 

Nun  bin  ich  im  11.  Monat  völlig  frei  von  Furunkeln,  trotzdem  ich 
fast  täglich  geritten,  viel  Sport  getrieben,  jedenfalls  viel  geschwitzt 
und  meine  Haut  gar  nicht  geschont  habe. 

Im  Frühjahr  1913  bekam  ich  bei  Rekrutenuntersuchungen  Krätze 
mit  so  unerträglichem  Juckreiz,  dass  ich  dem  Kratzen  nicht  wider¬ 
stehen  konnte  —  aber  die  gefürchteten  Furunkel  blieben  aus.  Jetzt 
im  Krieg  kam  ich  von  Mitte  August  bis  Anfang  Septemner  —  3  Wo¬ 
chen  lang  —  weder  zum  Baden  noch  zum  Wechseln  der  Wäsche.  Trotz 
dieser  Unsauberkeit,  auch  trotz  Durchfall  und  unvermeidlicher  Be¬ 
schmutzung  der  Wäsche,  trotz  Hundstagshitze  und  trotz  täglichem 
Reiten  bekam  ich  keinen  Rückfall. 

Bei  einem  an  ebenso  hartnäckiger  Furunkulose  wie  ich  leiden¬ 
den  älteren  Verwandten  wurde  derselbe  günstige  Erfolg  erzielt. 

Von  6  weiteren,  mit  O.  scheinbar  geheilten  Kranken  fehlt  mir 
wegen  des  Krieges  weitere  Nachricht. 

0.  ist  vollkommen  unschädlich.  In  den  ersten  Tagen  der  0.- 
Anwendung  gibt  es  scheinbar  eine  vorübergehende  Verschlimmerung 
(„negative  Phase“). 

Behelfsarbeiten,  Improvisationen,  Glühstift. 

Fähnrich  K.  hatte  seit  1.  IX.  14  Schmerzen  in  der  rechten 
Kniekehle.  Am  2.  IX.  14  morgens  konnte  er  es  nicht  mehr  aus- 
halten,  er  hatte  heftige  klopfende  Schmerzen  in  der  reciiten  Knie¬ 
kehle,  dazu  Lymphgefäss-  und  Lymphdrüsenentzündung. 

Wasser  und  bewohnte  Häuser  waren  weitab.  Aseptisches  und 
antiseptisches  Arbeiten  mit  dem  Messer  unmöglich.  Deshalb  wurde 
der  Abszess  mit  dem  Gliihstift  eröffnet. 

Ein  Hufnagel  wurde  in  einem  Kochgraben  glühend  gemacht  und 
mittelst  einer  Schmiedezange  quer  durch  einen  Flaschenkork  ge¬ 
steckt.  Der  Kork  diente  beim  Halten  des  „Thermokauters“  als 
schlechter  Wärmeleiter. 

Beim  Anbohren  des  Abszesses  kam  Eiter.  Von  der  ersten 
Oeffnung  aus  wurde  dann  noch  viermal  der  glühende  Nagel  nach 
unten,  oben,  innen,  aussen  eingeführt. 

Die  Entspannung  des  entzündeten  Gewebes  war  nun  eine  so 
wesentliche,  dass  der  mit  Verbandpäckchen  versehene  Kranke  sofort 
aufstehen  und  von  seinen  Schmerzen  befreit  im  Schritt  1  Stunde 
weit  zu  einer  rückwärtigen  San-itätsanstalt  reiten  konnte. 

Wie  ich  aus  mehrfacher  Erfahrung  am  eigenen  Leibe  weiss.  ist 
die  günstige  Wirkung  dieser  Behandlung  wirklich  ganz  erstaunlich. 
Der  Gliihstift  tut  nur  im  ersten  Augenblick  weh.  Die  Wiederholung 
des  Verfahrens  ist  (nach  Zerstörung  der  oberflächlichen  Hautnerven¬ 
enden?)  nicht  mehr  schmerzhaft. 

Desinfektion  des  Thermokauters:  Er  wird  für  wenige  Augen¬ 
blicke  in  die  Glut  gelegt:  Dabei  verbrennt  der  Eiter,  der  Kork 
wird  aber  nur  ein  wenig  angekohlt  und  ist  weiterhin  verwendbar. 

*  *  * 

Bei  der  Notwendigkeit,  mit  Verbandmitteln  zu  sparen,  möchte 
ich  auf  den  I  eibgiirtcl  (ceinture)  der  Franzosen  aufmerksam  machen 
—  zum  Aneinanderwickeln  der  Beine  bei  Knochenbrüchen,  als  Deck¬ 
verband  bei  Bauch-  und  Brustverletzung.  Es  empfiehlt  sich  halbe 
Breite  zu  nehmen  (Der  Gürtel  ist  mehrere  Meter  lang  und  etwa 
eine  Elle  breit. 

*  *  * 


2)  Opsonogen  100-  und  500  millionenfach  (l  ccm  enthält  100  oder 
500  Millionen  abgetötete  Staphylokokken).  Am  1.  Tage  werden 
100,  am  3.  100,  am  5.  300,  am  7.  500  Millionen  O.  eingespritzt. 
Im  übrigen  sei  auf  die  Gebrauchsanweisungen  der  Herstellerin,  der 
Chemischen  Fabrik  Güstrow  (Mecklenburg)  verwiesen. 


Nr,  y 

Unterarmschiene:  Gerade  Fichtenzweige,  Stamm  oder  Wip 
eines  jungen  Bäumchens  werden  ausgeästet  und  dann  zu  zweit  od 
dritt  nebeneinander  gelegt.  Eine  graue  Halsbinde  wird  ausgebrei: 
und  dann  um  die  Zweige  gewickelt.  Das  gibt  biegsame  und  ras 
herzustellcnde  Schienen.  (Die  an  der  Naht  aufgeschnittenen  Aern 
dienen  nach  Anlegung  des  Wundverbandes  als  Polster.) 


Neue  Apparate  zur  Schreibkrampfbehandlung*). 

Von  Dr.  O.  B.  Meyer,  Nervenarzt  in  Würzburg. 

Unter  Sehreibkrampf  verstehen  wir  eine  Anzahl  differe 
zierter  Störungen  des  Schreibens.  Es  werden  spastisch 
paralytische,  tremorartige  Formen  unterschieden,  zu  denen  s 
vierte  nach  Gowers  eine  neuralgische  hinzukommt.  1 
folgenden  werden  wir  uns  mit  der  spastischen  Form,  mit  de 
eigentlichen  Schreib-„Krampf“,  befassen.  Auch  hier  werdi! 
verschiedene  Modifikationen  beobachtet,  je  nachdem  es  sid 
z.  B.  um  Beuge-  oder  Streckkrampf  der  Finger-,  der  Unte 
arm-  oder  Oberarmmuskulatur  handelt.  Hierüber  wird  in  d* 
Literatur  ausführlich  berichtet.  Ich  verweise  auf  das  Kapit 
„Beschäftigungsneurose“  in  der  Realenzyklopädie  der  g 
samten  Heilkunde,  wo  Remak  die  Frage  bespricht  und  a; 
dasselbe  Kapitel  in  Oppenheims  Lehrbuch  der  Nerve: 
krankheiten,  ferner  auf  die  Besprechung  dieses  Themas  vc 
T.  Cohn  im  Handbuch  der  Neurologie  von  Le  war 
d  o  w  s  k  y  Bd.  I,  2.  Teil. 

Meine  therapeutischen  Versuche  werde  ich  an  zwei  Be 
spielen  darlegen  und  andere  einschlägige  Behandlungsmethodi. 
gelegentlich  kurz  streifen.  Als  erstes  Beispiel  wähle  ich  d 
Erkrankung  des  21  jährigen  Notariatsgehilfen  S.  Ich  werc 
mich  hier  nur  auf  die  Wiedergabe  der  wesentlichen  Punk 
beschränken  und  auf  den  Nervenstatus  im  übrigen  nicht  eil 
gehen.  Beim  Schreiben  traten  schmerzhafte  Gefühle  im  Ar 
auf,  so  dass  Patient  berufsunfähig  wurde.  Ich  gebe  Ihnen  hif 
zunächst  eine  Schriftprobe  wieder,  die  Patient  bei  seine 
ersten  Besuch  in  der  Sprechstunde  im  Juni  1910  aufzeicl 
nete  **).  Zu  dieser  möchte  ich  bemerken,  dass  sie  vom  Pa 
mit  einem  besonders  dicken  Halter  geschrieben  wurde,  der 
den  Schreibwarenhandlungen  für  solche  Zwecke  verkau 
wird.  Ohne  diesen  Halter  war  er  meist  nicht  imstande,  mel 
als  einen  oder  zwei  Buchstaben  zu  Papier  zu  bringen. 

Die  nähere  Beobachtung  ergab,  dass  hier  ein  Beugekrampf  dt 
Finger  kompliziert  mit  einem  Supinationskrampf  der  ganzen  Han 
vorlag.  Es  wurde 
für  diesen  Fall  der 
Apparat  angefertigt, 
den  Sie  hier  im 
Bilde  sehen  (Fig.  1). 

Die  konvex  gestal¬ 
tete  Prothese,  die 
ungefähr  die  Form 
einer  Muschel  hat. 
füllt  die  Konkavität 
der  Hohlhand  aus. 

Der  laterale  (ul¬ 
nare)  Bestandteil  der 
Muschel  ist  etwas 
erhöht  und  so  ge-  F,g- 

eignet  der  Drehung 

der  Hand  durch  den  Supinationskrampf  entgegenzuwirken.  Die  Finge 
liegen  in  den  Interphalangealgelenken  gestreckt  und  in  den  Metakarpo 
phalangealgelenken  gebeugt  auf  dem  Apparat  auf.  Der  Fedcrhalte 
steckt  in  einer  Röhre,  ist  distal-  und  proximalwärts  verschiebbar  um 
durch  eine  Schraube  festzustellen.  Durch  ein  Gummizugband,  da' 
über  den  Handrücken  läuft,  wird  der  Apparat  an  die  Vola  manu 
angehalten.  Die  Patienten  müssen  sich  natürlich  zunächst  an  dei 
Apparat  gewöhnen.  Etwa  14  Tage  nach  der  Anfertigung  schrieb  mi 
Pat.  einen  Brief. 

Ich  bin  nicht  berechtigt,  den  Namenszug  wiederzugeben,  was  be 
dauerlich  ist,  da  durch  Vergleich  derselben  Worte  die  erzielte  Bessernd; 
besonders  sinnfällig  wird.  Nach  einer  gesprächsweisen  Mitteilum 
des  Bruders  des  Pat.  im  Mai  1912  hat  er  zwar,  wozu  ich  ihm  auch  h 
Rücksicht  auf  sein  jugendliches  Alter  geraten  habe,  seinen  Bern 
gegen  einen  solchen  vertauscht,  in  dem  er  weniger  schreiben  muss 
Pat.  soll  jetzt  aber  auch  ohne  Apparat  schreiben  können. 


*)  Nach  einem  Vortrag  in  der  7.  Jahresversammlung  der  Ge 
Seilschaft  deutscher  Nervenärzte  in  Breslau  am  30.  September  1913 

**)  Anm.  des  Verf.  bei  der  Korrektur:  Die  Abbildungen  <k 
Schriftproben  von  Fall  I  sind  auf  Anordnung  der  Redaktion  in  Weg 
fall  gekommen]  die  Schriftprobe  in  Fig.  4  ist  wesentlich  gekürz 
worden. 


17.  November  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2241 


i  •  betrifft  den  44  jährigen  Bureaubeamten  der 

rv ^tseisenbahn,  K.  H„  der  im  Januar  1912  zur  Behand- 

"c  tdlt  'rul  in  ^"^  St0ri'^Cn  ha!tCn  sich  vor  etwa  2  -Hihrcn  ein- 
kCSu  cn  r  n  c  er(  °irt  'n]mcr  mehr  verschlimmert.  Eine  Schrift- 
f  dor  Al'f”ahme  in  die  Behandlung  sehen  Sie  hier 
(big.  .).  Nach  wenigen  Zeilen  versagt  die  Hand  ihren  Dienst.  Die 


Fig.  2. 


uia'yse  dieses  Schreibhramptes  ergab  Streckkrampf  im  Zeigefinger 
nd  v  treck-  und  Abduktionskrampf  im  Daumen,  so  dass  die  Finger 
ach  kurzer  Zeit  vom  Eederhalter  abkamen.  Ferner  stellte  sich 
le.chzeitig  Pronationskrampf  der  Hand  ein.  Die  Prothese,  die,  wie 
le  aus  der  Abbildung  3  erkennen,  eine  feste  Kapsel  in  Form  eines 


.Fig.  3. 


Fig.  4. 


Jel  L"  Handschuhes  darstellt,  verhindert  vor  allem  den  Extensions- 

hrVihcin  tl0n?r?m^  de£.  genannten  Finger.  Sie  hält  sie  in  der 
fCSt  Der  Federhalter  ist  in  seiner  Führung  in  den 
ni™  Richtungen  verschieblich  wie  beim  ersten  Apparat,  jedoch  ist 
olge  strenger  Einpassung  eine  Feststellung  durch  Schraube  nicht 
,'«•  R  -f  ,,  age  nach  Anfertigung  des  Apparates  schrieb  mir  Pat. 
ui  Brief,  dessen  Schriftzüge  kaum  mehr  eine  krankhafte  Verände¬ 
rt  r^r,WHSe"'  AlIu  teuinem  anderen>  etwas  später  geschriebenen 
ier  reproduziere  ich  Ihnen  hiermit  eine  Schriftprobe  (Fig.  4).  Es 

;  uJDnHeneir  Siej  den  ,?cbIuss  eines  volle  zwei  Folioseiten 

"5  i?C-hrftf  u?kel  darstellt  und  dass  im  Vergleich  mit  dem 
lang  aes  Briefes  keine  Ermüdungserscheinungen  in  der  Schrift  nach- 
Aeisen  sind.  Zu  dem  Vortrage  selbst  habe  ich  Aufnahmen  der 
lete  im  ganzen  in  Lichtbildern  gezeigt,  nebst  einigen  anderen,  hier 
Km  ze  wegen  nicht  wiedergegebenen  Bildern  von  Apparaten  und 
riftproben.  Zuletzt  hatte  ich  Gelegenheit  Herrn  H.  im  März  1913 
sprechen.  Er  Kann  auch  ohne  die  Kapsel  jetzt  leidlich,  jedenfalls 
■ser  als  früher,  schreiben.  Er  ist  mit  dem  Apparat,  den  er  ständig 
lutzt,  sehr  zmrieden,  da  er  ohne  ihn  seinen  Beruf  hätte  aufgeben 
ssen.  Uebrigens  hatte  auch  dieser  Pat.  mit  einer  im  Handel  be¬ 
lachen  Vorrichtung,  nämlich  einer  Korkkugel,  durch  die  der  Feder- 
er  lundurch^esteckt  wird,  seine  Schrift  zu  verbessern  gesucht 
och  nur  mit  geringem  und  jedenfalls  nur  ungenügendem  Erfolg’ 
ae  Kranke  liess  ich  zuvor  Versuche  mit  dem  N  u  s  s  b  a  u  m  sehen 
nband  machen,  das  sich  aber  für  diese  Fälle,  wie  übrigens  auch 
'  ani!er~n  Schreibkrampfkranken  als  völlig  untauglich  erwies. 

Lieber  die  I  echnik,  auf  der  die  Besonderheit  der  hier  vorge- 
lagenen  Behandlungsmethode  beruht,  sei  folgendes  bemerkt.  Es 
'  i  "V*  ,ein(£  plas.tischen,  nach  kurzer  Zeit  erstarrenden  Masse  ein 
iiruck  der  Hand  in  Schreibstellung  genommen,  wobei  die  gegen  die 

■  ziehe  Krampiform  gerichteten  Widerlager  entsprechend  geformt 
'  den  bzw.  werden  mehrere  Abdrücke  in  mehreren  Sitzungen,  um 

■  Kranken  nicht  allzusehr  zu  ermüden,  gemacht  und  der  beste  zur 
ertigung  des  Apparates  ausgewählt.  Die  Masse  wird  nach  folgen- 
h  Rezept1)  hergestellt. 

^  Abdrucksmasse  (Stentsimitatio  n). 

YVeisser  Manilakopal  30  Teile 

Französisches  Kolophonium  30 

Weisses  Karnauba wachs  10 

Reine  Stearinmasse  =; 

Talkum  75 

Perubalsam  2V2 

■  E”,ie  ahHTliche  Abdruckmasse  kann  fertig  in  den  sog.  Dentaldepots 
r  dem  Namen  Stentskomposition  bezogen  werden2).  Der  Ab- 
k  wird  mit  Gips  ausgegossen  und  dieser  Abguss  mit  Kautschuk 

L.^  A-  S  e  il  1  a  c  e  k:  Chemisch-technische  Rezepte  und  Notizen 

Die  Zahnpraxis. 

Nr.  46. 


berzogen  bzw.  ausgekleidet,  natürlich  entsprechend  den  Teilen  der 
,  1  f  dcr  flitze  oder  hülsenartiger  Umkleidung  bedürfen.  Der 
StÄC,1Uk  ™,ir^  vuIkanisiert  und  hierauf  poliert.  Die  Polierung  ist 
P- lY-fi*  darnv  d,!r  Apparat  beim  Schreiben  leichter  über  das 
apier  gleitet.  Die  Prothesen  sind  ziemlich  leicht;  die  Ihnen  hier 

a„25?£e  WI|C*-t  Ct'V*  7,0g'  Wenn  auch  diese  Vorrichtungen  im 
Zeh  vi  ih  relatlv .  einfach  sind,  so  erfordert  doch  die  Ausführung 

Fa  c  h,  l!'1  C"ure,S  |cchnisfclies  Geschick.  In  einem  späteren 
bei  dem,  das  Widerlager  für  die  Hand  gleichzeitig  mit  einer 

nmsllekChnIpndS^ hnha  n .übcrSrcifenden  Vorrichtung  vereint  werden 
c_t>‘  •  ’ .  ?,n  S19.b  allcrdings  anfänglich  nicht  geringe  technische 

Schwierigkeiten,  die  sich  aber  vollkommen  überwinden  liessen. 

Wie  schon  in  den  Krankengeschichten  erwähnt,  betrafen 
die  Krampfe  der  beiden  hier  beschriebenen  Fälle  Muskel¬ 
gruppen  mit  verschiedenen  Funktionen,  wie  Beugekrampf  der 
zum  Schreiben  gebrauchten  Finger  plus  Supinationskrampf 
r!  Streckkrampf  der  Finger  plus  Pronationskrampf. 
Auch  in  anderen  solchen  Fallen  meines  allerdings  nur  kleinen 
Materials # habe  ich  meist  ähnliche  Kombinationen  in  der  Er¬ 
krankung  von  Muskelgruppen  angetroffen. 

F,,,?1?  aTgebe^  F.rothesen  eignen  sich  für  hartnäckige 
Falle,  bei  denen  Krampfe  in  den  Fingern,  in  der  Hand  und 

allenfalls  im  Vorderarm  in  Frage 
kommen.  Ist  die  Muskulatur  des 
Oberarmes  bzw.  der  Schulter  er¬ 
griffen,  so  werden  die  Prothesen 
meist  versagen,  wie  leicht  begreif¬ 
lich  ist  und  wie  ich  mich  in  einem 
Fall  überzeugt  habe.  Dies  er¬ 
gibt  sich  aber  schon  bei 
dem  Versuch,  den  Ab¬ 
druck  herzustellen.  Die 
Prothesen  sind  ferner  nicht  ange¬ 
zeigt  für  Fälle  von  Schreibtremor. 
n  .,  ,  Wenn  R  e  m  a  k  (I.  c.)  komplizierte 

t  rothesen  zur  Behandlung  ablehnt  und  rät,  mit  einfachen  Vor¬ 
richtungen  sich  zu  begnügen,  so  ist  demgegenüber  zu  sagen, 
dass  in  meinen  Fällen  mit  einfachen  Vorrichtungen  vergebliche 
oder  unzulängliche  Versuche  bereits  von  den  Kranken  selbst 
gemacht  worden  waren.  Auch  sind  die  von  mir  konstruierten 
1  rothesen  an  sich  nicht  kompliziert. 

In  der  Diskussion  zu  diesem  Vortrag  bekannte  Boetti- 
^  e  r  _  Hamburg  seine  Gegnerschaft  gegen  alle  Prothesen  und 
empfahl  Uebungstherapie  (Schreibgymnastik).  Er  räumte  aber 
ein,  dass  in  hartnäckigen  und  vergeblich  behandelten, Fällen  und 
besonders  bei  mehr  als  40  jährigen  Personen  Apparate  an¬ 
gezeigt  wären.  Demgegenüber  möchte  ich  betonen,  dass  die 
e  Forderung  für  meinen  zweiten  Fall  ohne  weiteres  zu¬ 
trifft  und  dass  mir  bis  jetzt  nur  verzweifelte,  mehrfach  ander- 
weitig  behandelte  Fälle  zugingen.  Auch  scheint  es  mir  nicht 
unwesentlich  zu  sein,  dass  die  Behandlung  mit  Schreib¬ 
gymnastik  und  Massage  meist  Monate  in  Anspruch  nimmt  und 
dass  andererseits  der  Schreibkrampf  meist  Leute  befällt,  die 
sich  eine  kostspielige,  langwierige  und  auch  mit  langdauernder 
Berufsstörung  einhergehende  Behandlung  nicht  leisten  können 
Meine  Patienten  waren  fast  durchweg  Beamte  in  gering  be¬ 
zahlten  Stellungen,  in  denen  vieles  Schreiben  gefordert  wird 
Bei  meiner  Behandlungsmethode  konnte  in  4—5,  längstens 
innerhalb  14  lagen  hinlänglich  oder  sogar  wieder  gut  und  flott 
geschrieben  und  die  berufliche  Arbeit  wieder  ausgeiibt  werden. 
Lei  dei  von  der  Mehrzahl  der  Autoren  als  sehr  ungünstig  ge¬ 
schilderten  Prognose  des  Schreibkrampfes,  der  z.  B.  in"  dem 
zweiten  Fall  zur  vorzeitigen  Pensionierung  geführt  haben 
wurde  dürfen,  die  erzielten  Erfolge  als  besonders  erfreulich 
bezeichnet  werden. 

Zusammenfassung;  Die  Besonderheit  der  hier  an- 
gegebenen  Methode  beruht  auf  dem  Prinzip,  Abdrucke  mit 
plastischer  Masse  von  der  erkrankten  Hand  in  Schreibstellung 
unter  entsprechender  Formung  von  Widerlagern  bzw.  hülsen- 
iormigen  Vorrichtungen  zu  nehmen  und  hiernach  die  Prothesen 
aus  Kautschuk  oder  auch  aus  einem  anderen  Stoffe  wie  Zellu¬ 
loid  etc.  anzufertigen.  Die  Apparate  sind  also  je  nach  der 

w..  "}  D>e  Herstellung  der  Apparate  hat  die  Firma  H.  Katsch 

bSfe  Paawtr'  i8  ubern?mm5n,  die  darauf  einen  Musterschutz 
,.e nl.k a  1S‘  Patentamte  erworben  hat.  Durch  die  Firma  gelangt  auch 
die  Masse  für  den  Abdruck  und  eine  ausführliche  Anleitung  zur  Vor¬ 
nahme  desselben  zur  Versendung. 


2 


2242 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  4( 


Form  des  Schreibkrampies  und  der  Hand  von  einander 
wesentlich  verschieden.  Den  speziellen  Wert  der  Methode 
sehe  ich  in  der  Möglichkeit  strenger  Individualisierung  und 
feinerer  Anpassung  in  die  Hand,  als  wie  sie  mit  den  bisherigen 
Prothesen  erreicht  werden  kann.  Nach  meinen  Erfahrungen 
sind  meine  Apparate  in  der  überwiegenden  Mehrzahl  der  Fälle 
des  eigentlichen  Schreib-„Krampfes“  mit  gutem  Erfolge  zu  ver¬ 
wenden. 

- -  ..  •  •  > ‘  .  So  ^  og==^«  •  ••  - 


Die  Eröffnung  der  Universität  Frankfurt  a.  Main 
am  26.  Oktober  1914. 

Am  10.  Juni  1914  vollzog  der  Deutsche  Kaiser  durch  Unter¬ 
schreiben  der  Kabinettsordre  im  neuen  Palais  die  Gründung  der 
Universität  Frankfurt  a.  M. 

Im  Herbst  1914  sollte  die  alma  mater  francofurtensis  ihre  Pfor¬ 
ten  den  Studierenden  öffnen,  nachdem  für  den  Jahrestag  der  Völker¬ 
schlacht  bei  Leipzig,  den  18.  Oktober,  die  Eröffnungsfeierlichkeiten 
festgesetzt  waren,  denen  der  Kaiser  beiwohnen  wollte. 

Da  kam  im  Sommer  1914  der  grosse  Krieg,  der  alle  wehrfähigen 
Deutschen  zu  den  Fahnen  rief.  Auch  in  Frankfurt  selbst  glaubte  man 
anfangs  kaum,  dass  die  neue  Universität  während  des  eben  erst 
hereingebrochenen  Krieges  ihre  Pforten  öffnen  werde.  Allein  schon 
der  8.  August  1914  brachte  die  kaiserliche  Entscheidung,  nachdem 
der  Kaiser  am  Tage  der  Mobilmachung,  am  1.  August  1914,  die 
Satzungen  der  Universität  unterschrieben  hatte;  in  aller  Stille  sollte 
die  Arbeit  aufgenommen  werden. 

Dem  tiefen  Ernst  der  Zeit  entsprechend  fand  am  26.  Oktober 
1914  schlicht  und  ohne  allen  äusseren  Prunk  in  der  Mittagsstunde  die 
Eröffnung  der  Universität  Frankfurt  a.  M.  in  der  Aula  statt. 

Als  einziger  Redner  begrüsste  der  erste  Rektor  der  Universität, 
Prof.  Wachsmut h,  die  Dozenten  und  Studenten  in  feierlicher  An¬ 
sprache. 

Er  gab  in  gedrängter  Kürze  ein  Bild  von  dem  Werden  der  Uni¬ 
versität  die  im  Verein  mit  grosszügigen  Stiftungen  Frankfurter  Bür¬ 
ger  der  nie  erlahmenden  Tatkraft  des  Alt-Oberbürgermeisters 
A  d  i  c  k  e  s  ihre  Existenzmöglichkeit  verdankt. 

Mit  den  Worten:  „Wir  Deutsche  sind  in  das  Spiel  der  Welt¬ 
kräfte  gestellt,  um  sittliche  Tüchtigkeit  nicht  für  uns,  sondern  für  die 
ganze  Menschheit  zu  erarbeiten,  zu  bewähren;  wir  wollen  mit  den 
Waffen  des  Geistes  kämpfen,  damit  der  deutsche  Name  nicht  unter¬ 
gehe  und  wollen  uns  unserer  wackeren  Kameraden,  die  siegreich  vor 
dem  Feinde  stehen,  würdig  erweisen“,  schloss  der  Rektor  seine 
eindrucksvolle  Rede. 

Besonderen  Widerhall  fand  die  Verlesung  des  kaiserlichen  Tele¬ 
gramms  und  das  Glückwunschschreiben  des  Kultusministers,  die  als 
kulturhistorische  Dokumente  für  alle  Zeiten  ein  wertvoller  Besitz  der 
Universität  sein  werden. 

Auf  eine  Meldung,  die  die  Vertreter  der  Universität  an  den  Kaiser 
zum  18.  Oktober  1914  gerichtet  hatten,  erhielten  Rektor  und  Senat 
folgendes  Telegramm: 

Grosses  Hauptquartier. 

Ich  danke  herzlich  für  die  Meldung,  dass  die  dortige  Universi¬ 
tät  ihre  Arbeit  jetzt  beginnen  wird.  Gern  hätte  ich  am  heutigen 
bedeutungsvollen  Gedenktage  die  hochherzige  Stiftung  Frank¬ 
furts  und  seiner  opferwilligen  Bürgerschaft  persönlich  eingeweiht. 
Die  notwendig  gewordene  Verteidigung  des  Vaterlandes  gegen 
ruchlose  Angriffe  unserer  Feinde  hat  mir  dringendere  Pflichten  auf¬ 
erlegt.  Meine  wärmsten  Wünsche  geleiten  die  neue  Pflanzstätte 
deutscher  Bildung  und  Wissenschaft.  Möge  sie  aus  der  ernsten 
Zeit  ihrer  Begründung  heraus  sich  zu  kräftiger  Blüte  in  glück¬ 
licheren  Tagen  entwickeln.  Möge  die  treue  Arbeit  der  Lehrer 
und  der  Fleiss  der  zu  ihren  Füssen  sitzenden  deutschen  Jugend 
allezeit  getragen  sein  von  dem  Geiste  einmütiger  Liebe  zum  Vater¬ 
lande,  der  jetzt  unser  deutsches  Volk  so  stark  und  unbesiegbar 
macht. 

Gott  der  Herr  aber  segne  Frankfurt  und  seine  Bürgerschaft, 
gez.:  Wilhelm  R. 

Der  Kultusminister  sandte  folgendes  Glückwunschschreiben: 

Berlin,  den  21.  Oktober  1914. 

Der  Universität  zu  Frankfurt  a.  M.  entbiete  ich  bei  Ueber- 
sendung  der  von  Seiner  Majestät  dem  Kaiser  und  König  Aller¬ 
höchst  vollzogenen  Errichtungsurkunde  und  Satzung  meine  herz¬ 
lichsten  Glück-  und  Segenswünsche.  In  grosser,  ernster  Zeit 
tritt  die  neue  deutsche  Hochschule,  die  der  Opferwilligkeit  Frank¬ 
furter  Bürger  ihre  Entstehung  verdankt,  an  die  Seite  ihrer  älteren 
Schwesternanstalten. 

Ihre  Satzung  trägt  das  weltgeschichtliche  Datum  des  1.  August 
1914,  des  Tages,  an  dem  der  Kaiser  zur  Verteidigung  des  Vater¬ 
landes  die  Mobilmachung  des  deutschen  Heeres  und  der  deutschen 
Flotte  anordnete. 

Die  akademische  Jugend  ist  in  grosser  Zahl  zu  den  Fahnen 
geeilt,  und  viele  Lehrer  der  Universität  stehen  im  Westen  und 
im  Osten  vor  den  Feinden  im  Feld.  Da  werden  die  Hörsäle  „ruhm¬ 


voll  verödet“  sein,  jene  „fausta  infrequentia“  aufwefsen,  die  nac 
den  Worten  August  B  o  e  c  k  h  s  die  Universität  Berlin  in  den  Frei 
heitskriegen  zierte.  Aber  die  Zurückgebliebenen  werden  nun  auc 
an  der  neuen  Stätte  wissenschaftlicher  Lehre  und  Forschung  ii 
Herzen  Deutschlands  in  treuer  Pflichterfüllung  ihre  Arbeit  aut 
nehmen.  Auch  das  ist  Dienst  am  Vaterlande. 

Jeder  Mann  auf  seinem  Posten.  Und  so  möge  dit 
wenngleich  kleine  Zahl  der  Lehrenden  und  Lernenden  sich  de 
auch  der  Universität  Frankfurt  a.  M.  obliegenden  Aufgabe  widmen: 
Die  geistigen  und  sittlichen  Werte  menschlichen  Lebens  mehre 
zu  helfen,  vor  Augen  den  Imperativ  der  Pflicht,  im  Herze 
den  felsenfesten  Glauben  an  die  Zukunftsmacht  de 
deutschen  Volkes. 

gez. :  von  Trott  zu  Solz. 

Mit  besonderen  Schwierigkeiten  bei  der  Einrichtung  der  Vor' 
lesungen  hatte  die  Medizinische  Fakultät  zu  kämpfen.  Sind  doch  nicli 
weniger  als  10  der  neuernannten  Professoren  zu  den  Fahnen  geeilt 
E  1 1  i  n  g  e  r  (Pharmakologie),  Embden  (Physiologie),  Fische 
(Pathologie),  Goeppert  (Anatomie),  v.  Mettenheim  er  (Kin 
derheilkunde),  Neisser  (Hygiene),  Rehn  (Chirurgie),  Sch  wen 
kenbecher  (Innere  Medizin),  Strasburger  (Innere  Medizin 
W  a  1 1  h  a  r  d  (Gynäkologie),  ebenso  wie  mehrere  der  Herren,  die  ali 
künftige  Privatdozenten  für  Vorlesungen  in  Betracht  kamen. 

Es  gelang  der  Fakultät  2  der  obengenannten  Herren,  bei  dene: 
es  ihre  militärischen  Verhältnisse  möglich  machten,  für  die  Universi; 
tat  zu  reklamieren  (Ellinger,  Walthard). 

Dadurch,  dass  die  Professoren  Quincke  und  v.  N  o  o  r  d  e  : 
die  klinische  Vorlesung  über  innere  Medizin,  Prof.  L  u  d  1  o  f  f  di* 
chirurgische  Vorlesung  übernahmen,  indem  ferner  einzelne  Vertrete 
der  klinischen  und  Institutsdirektoren  mit  der  Abhaltung  von  Vor 
lesungen  betraut  wurden,  gelang  es  für  fast  alle  in  Betracht  kommen! 
den  Fächer  Vorlesungen  einzurichten,  so  dass  zurzeit  in  der  gesamte]) 
Medizin  ein  regelrechter  Unterricht  ermöglicht  ist. 

Zum  Dekan  der  medizinischen  Fakultät  wurde  Prof.  Ellingc 
ernannt,  Schriftführer  ist  Prof.  Schnaudigel. 

Bisher  (4.  XI.  14)  wurden  80  Studenten  der  Medizin  (daruntc 
22  Kandidaten  der  Medizin)  immatrikuliert. 

Ohne  feierliche  Einleitung  haben  die  Vorlesungen  in  den  Kliniker 
und  Instituten  begonnen. 

So  darf  die  jüngste  Universität  Deutschlands,  die  in  so  aussei 
gewöhnlicher  Form  und  in  so  ernster  Zeit  eröffnet  wurde,  hoffen,  dei 
deutschen  Wissenschaft  eine  Bereicherung,  der  deutschen  Jugeiu 
eine  willkommene  Bildungsstätte  zu  sein.  D. 


Bücheranzeigen  und  Referate. 

A.  Beythien,  C.  Hartwich  und  M.  Klimmer:  Handbuct 
der  Nahrungsmitteluntersuchung  in  3  Bänden.  Vollständig  ii 
30  Lieferungen  ä  M.  2.50.  Verlag  von  Chr.  Herrn.  T  a  u  c  h  n  i  t  z, 
Leipzig. 

Von  dem  Handbuch  der  Nahrungsmitteluntcrsuchung  liegt  dei 
1.  chemisch-physikalische  Teil,  welcher  die  Lieferungei 
1 — 10,  12,  14,  15,  18 — 20  umfasst  und  von  A.  Beythien  bearbeitet 
wurde,  fertig  vor.  Der  Band  zählt  über  1000  Seiten  und  enthält,  zu¬ 
mal  vom  Kleindruck  ausgiebiger  Gebrauch  gemacht  wurde,  eine  unge¬ 
mein  grosse  Menge  wissenschaftlichen  Materials.  Da  das  Buch  keine 
Nahrungsmittelkunde  sein  will,  sondern  ein  „unbedingt  zuverlässigeii 
Ratgeber  im  Laboratorium“,  so  ist  das  Hauptgewicht  auf  die  Me¬ 
thodik  gelegt.  Mit  präziser  Schärfe  hat  Verf.  die  Spreu  von  den 
Weizen  gesondert,  d.  h.  in  kritischer  Sichtung  das  in  den  Vorder¬ 
grund  gestellt,  was  zweckmässig  ist  und  sich  als  praktisch  brauch¬ 
bar,  sicher  und  als  einfach  erwiesen  hat.  Dabei  sind  aber  auch 
ältere  oder  weniger  häufig  angewendete  Methoden  ebenfalls  be¬ 
sprochen  und  angeführt,  um  den  Untersucher  selbst  Kritik  üben  zu 
lassen.  Der  hohe  Wert  des  Buches  liegt  aber  auch  darin,  dass  tieii 
Autor  sein  Buch  von  Anfang  bis  zu  Ende  selbst  mit  seinen  Er¬ 
fahrungen  und  Ratschlägen  begleitet,  so  dass  es  nicht  nur  ein  Kom- 
pilatorium  fremden  Gutes  ist,  sondern  ein  grosses  Stück  geistiger1; 
Arbeit  des  Verf.  selbst.  Hervorzuheben  ist  ferner  die  ausgezeichnete 
Uebersicht  und  Klarheit  in  der  Darstellung  und  die  fortwährenden: 
Hinweise  auf  die  Literatur,  die  das  Eingehen  auf  speziellere  Sachen! 
ungemein  erleichtern.  Alle  Methoden  sind  so  exakt  beschrieben,  das> 
ohne  Zuhilfenahme  anderer  Bücher  sofort  danach  gearbeitet  werden 
kann. 

Der  Inhalt  erstreckt  sich  auf  die  Untersuchung  des  Fleisches. 
Wurstwaren,  Fleischextrakte  u.  dergl.,  Fischwaren,  Eier  und  Eier¬ 
konserven,  Milch,  Milchkonserven.  Käse,  Speisefette  und  -öle,  Ge- 
treidekörner  und  Leguminosen,  Mehl,  Griess  und  andere  Mahlpro- 
dukte,  Brot  und  Backwaren,  Teigwaren,  Presshefe,  Gemüse  und  Wur¬ 
zelgemüse,  Gemüsekonserven,  frisches  Obst,  Fruchtsäfte,  Frucht- 
syrup  und  Fruchtgelees,  Marmeladen  u.  dergl.,  alkoholfreie  Getränke., 
Honig,  Wachs,  Zucker  und  Zuckerwaren,  künstliche  Süssstoffe,  Bier, 
Wein,  Branntwein  und  Liköre,  Essig,  Gewürze,  Kaffee  und  deren 
Surrogate,  Thee,  Kakao  und  Schokolade,  Wasser,  Gebrauchsgegen¬ 
stände,  Harnuntersuchung. 

Ein  Kapitel  über  Luftuntersuchung  wurde  von  B  e  h  r  e,  die  Aus¬ 
mittelung  von  Giften  von  Hans  H  e  m  p  e  1  bearbeitet.  Ein  ausführ¬ 
liches  Sachregister  schliesst  den  Band. 


17.  November  1914. 


Ausstattung  des 

Papier  alles  getan  wurde  darf  d  is  w.-ri-  ersichtlichen  Druck  und  das 

S£""E  dd™ 

R-  O.  Neumann  - Bonn 


Muenchener  Medizinische  Wochenschrift 


2243 


wSÄÄ 

UebeÄSEjas“  ÄS«  %*?  $£*%£*?&  % 

StedSeden' OTpfoh“nk' wertS"  Nta  möchT' ‘„“"“Vf  BOchlel"  ka"" 
revisionsbedürftig  Pu„We  h?nwelsen  ^te  Referen‘  auf  einlse 

sentltteWmd'QesioSeiWtokKd-eS  BucU“  “‘sprechen,  „nr  das  We- 
gunsten  wichtigerer  Dinge  wie  7  H  denf L-rhe,lslon’  wegfallen,  au, 

SHFiö 

Ä  n"h,AS0„f;i„wah„dfref"be'raCh'  der  ”°,w“dl‘“  ^ 

:eichSgeB„“C,r„dS",St'ch^ffi  BÄ*  Lehrb0chCT”  übernommene 

llpisilisli 

chen  Zwecken  dienen  soll,  entgegensehen. 

v.  Stauffenberg. 


1  e  n  ?iVI  ®  D„iiä  t  *ue  ?beilage  enthält  einen  Bericht  von  S  c  h  e  I- 

bis  I9li  ^'^pr)pcr.tshain:IIDa,iererfo!gstatlstik  über  die  Jahre  1909 
D  s  1911  Grund  von  Umfragen  1912  1913. 

Liebe-  Waldhof  Elgershausen. 


Neueste  Journalliteratur. 


Zeitschrift  für  Tuberkulose.  Band  23,  Heft  1. 

tUstä«eP„kEe„;iSn“eTn:  Dle  F“rS0r2e  f“r  die  aus  den 

s^ispss 

ikF'KFsS 

in  pp  n  h  f3t  dS1CK  der  Kräftezustand  gehoben,  der  vorgeschrittene 
ingenbefund  aber  nicht  merklich  gebessert.  Diese  sollen  £  E 

>rdenfap-SkeK  dur,cfl  häufige  kurze  Wiederholungskuren  gestützt 
steht  aüfedem°Stiera  Beachtu,ng  erfordern  die  weiblichen  Kranken 
■  er  aktiven  ^"Standpunktedass  nur  der  einwandfreie  Nachweis 

■"5;  r d?  -  ää'äää 

'*  DfevSf“  Eriallr"n£e" 

ttrihtrr^  l'  b9de  früh<rr  ln  Hohenhonnef,  beschreiben  unter 
>  thn  i  a  Vr>n  Krankengeschichten  genau  ihre  motivierte  Stich 
,  Z0de  d,es  Pneumothorax.  Die  Erfolge  waren  nicht  sehr  glänzend' 

,wadhl  /rpffil"  geeigneten  FälIen  kann  man  nicht  immer  eine  strenge 
,P„  in  ffCn’  sondern  muss  manchmal  die  Operation  zumal  sie 

■h  zu  helfS°vereuchSlff  V°rStelIt’  3,8  letzte  Mög,ichkeit  vielleicht 

lskraf?df/l!'oMeiS«ngenL  Vntersuchu,,«en  über  die  Desinfek- 
iSberiSöser“  rstoffwaschmi ltte,s  Persi>  für  die  Wäschebehand- 

Persn  eignet  sich  nicht  zur  Wäschedesinfektion. 

M  Luwl^Äerg:  Kreosot'’ Ka,k- Und  Ph0Sph0r- 

.  hepSnonfcr,e  Empfehlung  eines  Kreosotmittels  nach  folgendem  Re- 

j  e  inl  n  Sr'1"  -6’0’,  CaIc'  glyeerino-phosphoric.  1,2, 
'00,0.  Aq’  50,0  3dde  SirUP'  simnl”  Sirup,  cerasorum  ää  60,0,  Aq. 


Zentralblatt  für  Chirurgie,  Nr.  44,  1914. 

Gebrauch  der" VertaÜd"  JC0e„;Brall”s'=h»"^:  Geber  Sparsamkeit  beim 

zumaHe"zt°wähjendSdMS  toferrmfTf1^  v*2?^-'56  der  Verbandstoffe, 
sparen,  dass  die  Gaze-  uSd  MuMhiüL  Ve'  läs,s,‘  tich  dad“reh  ein- 
nicht  zu  oft  stattfinden  soll  mvi,t  *?ind,en  heim  Verbandwechsel,  der 
dern  abgewickelt  und  24  s’fmi  durchschnitten  und  verbrannt,  son- 
werden;  am*  anderen  Tal tS„in  die  Lauge ,der  Wäscherei  gelegt 
und  sterilisiert-  dann  sinrliv  •  Cin  sie  nochmals  gewaschen,  gespült 

er  mit  dwXfelT  FerneTbeÄ  Sfr  Eb“s° 
mittel.  Ireendwelrhp  tr  viel  die  Scharpie  als  Verband- 

Verf.  nicht  beobachtet  "(seit  2?' JahJe.n)Ur?  ?lSe-  SParmethode  hat 
Wäscherinnen.  p  keine  Infektionen  bei 

L.  Heim- Oberndorf  b.  Schweinfurt. 


und  ^eitschrift  orthopädische  Chirurgie.  Bd.  24,  Heft  1 


Hose  und  KyUoskoliose0^  ZuStand  der  Rückenmuskulatur  bei  Sko- 

von  3  skoliotische^Le'ichen'^deren0 Skelett0  h  de-+  Rückenmuskulatur 
Zschr.  f.  orth.  Chir  v™  L  u  Skelett  bereits  im  Band  29  der 

Muskelgruppe  des  normalen  Mensd^n*6^  wurde‘  Jede  einzelne 
den  Befunden  an  den  skoliotischen  I  f4ri^lrd  gen,au  ^schrieben  und 
gestellt.  Für  jeden,  der  Sne  sknlinH.  i?"  Tvergleichend  gegenüber¬ 
wird  diese  Beschreibung  eine  unäiSH  L?'che  Präparieren  will, 
V  i  r  c  h  o  w  s  Ergebnissen  gre  ?P  -^hrJ^he  9rundlage  bilden.  Von 
flächlichen  Rückenmuskeln  cfnu  lcb  f?Igende  heraus:  Die  ober- 

tiefen  dagegen  zeigen^  Verkürzun^'und"^110  WCni5  verändert.  Dta 

anderungen  sind  sekundär  durch  den  5e”.eratc?n-,  Diese  Ver‘ 
gerufen  und  sind  im  ens-qp,,^!  den  Z.ustand  des  Skelettes  hervor- 
des  Skelettes  lokalisiert  lft  ri^wl"8  mit  den  Verschiebungen 
Partien  einerseits  Folge  der  Skdettverlchth™®  einzeIner  Muskel- 
seits  wieder  Ursache  der  weiteren  Ve^hTrh^0  Wlrd  si,e  anderer- 
fmdet  nirgends  eine  nützliche  AnnQC  ers"b lechterung.  Virchow 
nisse“;  die  Muskeln  halten  nfpA  p  ?Ung  ar?  unSe wohnte  Verhält- 
angestammten  Ansatzpunkten  fest  DarsÄ3"110?1 kxeit“  in  ihren 

dass  die  genauere  Kenntnis  ri;AC'„  ^as  ^ckIusswort  V  l  r  c  h  o  w  s, 
Verhältnisse  die  Indikationsstellumr  hef  dSeSeiRrnen^iich  komPlizierten 
Skoliosen  noch  mehr  erschwe rt  ift  f?ir  dJ  BÄndIl?5g  hochgradiger 

Wahrheit.  Mir  scheint  dass  die  tilfl  te,J  0r  hopäden  eine  bittere 
der  Rückenmuskulatur  'von  hier  aus  weifer  °fühfeT  mJss  PhysioIogie 
des  essentietn^es  aSdauctus.InnSbrUCk;  °ie  °Perat've 'Behandlung 
pädischen  Qesdfscha'ft^  dCn  XIk  Kongress  der  Deutschen  ortho- 

"eUesSeRÜf  dif  Behandlung  de*  Ylfdens  ^  ISChiaS  U"d 

Pädischen  GeseeiShaUfter  dCn  X,IL  Kongress  der  Deutschen  ortho- 

schen^ ModelHerstuhles."  Dresden '  Ein  neues  Modell  des  Schanz- 
werdenPSabSÜSSe  fÜr  QehaPParate  sollen  im  Stehen  modelliert 
Synostose.3  aSZ~  Berkn;  Zur  Operation  der  kongenitalen  Vorderarm- 
pädischen  (fesd^schaft.61^  de”  XIk  Kongress  der  Deutschen  ortho- 
mun2Ae'n.bt0ffeUMannheini:  Z,lr  Handlung  der  spastrschen  Läh- 
pädischen  Qes^Üschaft61^  d6tl  Xlk  Kongress  der  Deutschen  ortho- 
nachLvcrnMayer'NewY0rk:  Kongem'taIe  Subluxation  des  Knies 
InstituiesPräDarat  aUS  dGr  SammIung  des  Münchener  pathologischen 

meisL  avo?eanemCduychUndieeAnoerriar^dSbdrUriS:  isr’  WJe  überhaaPt 

F”  Je  eBhehra3mT,Zle!i!  M-  SchWss??S,r0k"en"US  bedlnSt' 

sichten.  Reposition  'bal/nach'"^^ Geh  Wl/d’  wmS°  grösser  die  Aus¬ 
blutige  Operation  Das  Hairnfhind?  b-Urt-  tWenn  sie  erfolglos  ist. 
Ouadrizeps,  der  durch  Tenoloffi?  «Ä*  '^,m?ist  der  verkürzte 
rositas  tibiae  verfit  Ä  Ä  durch  Verlagerung  der  Tube- 

Schlaffheit  der  hinteren  Kapsel  dÄ  kann  durch  die 

mentum  cruciatinj,  JSch ! AnomaS^ V°rderci1  Liga' 

version  der  Femürepiphvse  ZJ  9,eIe[lk,fIachen'  durch  Ante- 

kne,SUc  h  l^R  Werd,en'  ■  AusfühJüchir^ÄStarSÄ.  (GaStr°' 

exaktes  SkoliosemessverSen. Ei”  HeUeS'  eInfaches  billiges  und 
pädischen6  GesdShaR6"  dCn  X'L  Kongress  der  Deutschen  ortho- 

scheu  Gelenkerkrank üngen!  *  ^  Dlfferentlaldia8nose  der  chroni- 


2* 


22 44 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  46 


Siehe  Referat  über  den  XII.  Kongress  der  Deutschen  ortho¬ 
pädischen  Gesellschaft. 

Schepelmann-  Halle:  Plastischer  Ersatz  bei  Totaldefekt  des 
rechten  Daumens. 

Rin  5  cm  langes  Stück  Fibula  wurde  reseziert  und  unter  der 
Haut  des  Abdomens  eingeheilt,  dort  allmählich  wieder  mobilisiert 
und  am  Metacarpus  vernäht. 

J  0  a  c  h  i  m  s  t  h  a  1  -  Berlin :  Ueber  A  b  b  o  1 1  s  Methode  der  Be¬ 
handlung  seitlicher  Rückgratsverkrümmungen. 

Siehe  Referat  über  den  XII.  Kongress  der  Deutschen  ortho¬ 
pädischen  Gesellschaft. 

R.  D  e  1  o  r  in  e  -  Halle:  Ueber  Veränderungen  an  den  Epiphysen 
bei  Gelenktuberkulose. 

Siehe  Referat  über  den  XII.  Kongress  der  Deutschen  ortho¬ 
pädischen  Gesellschaft. 

G  a  u  g  e  1  e  -  Zwickau:  Ueber  Fettembolie  und  Krampfanfälle 
nach  orthopädischen  Operationen. 

G.  unterscheidet  zwei  Formen  der  Fettembolie: 

1.  Die  respirative  Form,  die  einige  Stunden  bis  lVs  Tage  nach 
einem  Redressement  auftritt,  unter  Atemnot  und  Blaufärbung  des 
Gesichtes  bei  fadenförmigem  Puls  und  Temperatursteigerung.  Hier 
wirkt  die  von  Schanz  empfohlene  Kochsalzinfusion  direkt  lebens¬ 
rettend,  so  dass  G.  sie  prophylaktisch  anwendet.  Jede  Bewegung 
also  auch  die  Abnahme  des  Gipsverbandes,  ist  zu  vermeiden. 

Die  2.  Form  ist  die  zerebrale,  die  meist  in  direktem  Anschluss 
an  die  Narkose  unter  Pupillenstarre  und  Krampfanfällen  auftritt. 

Zu  unterscheiden  von  diesen  beiden  Formen  der  Fettembolie 
sind  Krampfanfälle,  die  am  3. — 1 0.  Tage  nach  dem  Redressement  auf- 
treten  unter  Bewusstseinsstörungen,  Pupillenstarre  und  erhöhter  Tem¬ 
peratur.  Sie  werden  fast  nur  nach  der  Einrenkung  von  Hüft- 
luxationen  beobachtet.  Der  Gipsverband  ist  sofort  zu  entfernen. 

G.  M  ü  1 1  e  r  -  Berlin:  Ein  Fall  von  Riesenwuchs. 

Siehe  Referat  über  den  XII.  Kongress  der  Deutschen  ortho¬ 
pädischen  Gesellschaft. 

.1.  J  b  r  a  h  i  m  -  München:  Die  chronische  Arthritis  im  Kindes- 
alter. 

Siehe  Referat  über  den  XII.  Kongress  der  Deutschen  ortho¬ 
pädischen  Gesellschaft. 

Guido  E  n  g  e  1  m  a  n  n  -  Wien :  Rachitis  der  Wirbelsäule. 

1.  Röntgenbilder  einzelner  Wirbel.  Die  Knorpelfugen  sind  ver¬ 
breitert  und  unregelmässig,  die  stärksten  Veränderungen  sind  am 
Lumbalteil,  das  Wirbelloch  ist  herzförmig,  der  frontale  Durchmesser 
verkleinert,  die  Ossifikation  zurückgeblieben. 

2.  Röntgenbilder  der  ganzen  Wirbelsäule. 

a)  Ant.-post.-Aufnahmen:  In  der  Mehrzahl  zeigen  sich  links 
totale  Krümmungen,  in  einigen  Fällen  links  lumbale  mit  Beginn  einer 
dorsalen  Gegenkrümmung. 

b)  Seitliche  Bilder  zeigen  stärkere  Halslordose,  Abflachung  der 
normalen  Dorsalkrümmung  und  Kyphose  an  der  dorsolumbalen 
Grenze  oder  am  1.  oder  2.  Lendenwirbel.  Unterhalb  dieser  Kyphose 
ist  die  Lendenlordose  vermehrt.  Die  Rachitis  wird  kaudalwärts 
stärker.  Das  Vorspringen  des  ersten  Lendenwirbels  kann  auch  in 
späteren  Jahren  als  Zeichen  einer  früher  überstandenen  Rachitis 
gelten. 

A.  S  c  h  a  n  z  -  Dresden:  Zur  Aetiologie  und  Therapie  der  Ar¬ 
thritis  deforinans. 

Siehe  Referat  über  den  XII.  Kongress  der  Deutschen  ortho¬ 
pädischen  Gesellschaft. 

Murk  Jansen:  Muskelbündellänge  und  neurogene  Kontrak¬ 
turen. 

Siehe  Referat  über  den  XII.  Kongress  der  Deutschen  ortho¬ 
pädischen  Gesellschaft. 

Alfred  Saxl-Wien:  Luxatio  humeri  voluntaria. 

Der  beschriebene  Fall  konnte  beide  Schultergelenke  willkür¬ 
lich  durch  Anspannung  der  M.  pectoralis  und  latissimus  nach  unten 
ausrenken.  Das  Röntgenbild  zeigte  beiderseits  eine  Verbreiterung 
der  Humerusdiaphyse,  die  S.  als  alte  Fraktur  deutet,  durch  die 
vielleicht  eine  Schädigung  des  Nervus  axillaris,  eine  Parese  des 
Deltoides  und  Schlaffheit  der  Kapsel  verursacht  wurde. 

Fr.  Schede-  München. 

Zentralblatt  für  Gynäkologie.  Nr.  44/45,  1914. 

J.  Veit-Halle:  Das  untere  Uterinsegment  und  seine  praktische 
Bedeutung. 

V.  wendet  sich  gegen  Sternberg,  einen  Schüler  Aschoffs, 
der  angegeben,  dass  das  Erkennen  des  unteren  Uterinsegmentes  nur 
mikroskopisch  möglich  sei.  V.  erkennt  die  Dreiteilung  des  Uterus, 
ebenso  wie  Asch  off,  an,  er  hält  aber  die  Kenntnis  des  unteren 
Uterinsegmentes  für  die  Klinik  für  äusserst  wichtig,  vor  allem  um 
das  Drohen  einer  Uterusruptur  zu  erkennen  und  die  Möglichkeit  der 
Technik  der  Hysterotomia  anterior  zu  begreifen. 

P.  Z  w  e  i  f  e  1  -  Leipzig:  Ueber  das  untere  Uterinsegment. 

Z.  stimmt  Veit  in  allen  Punkten  bei.  Er  findet  den  Ausdruck 
Sternbergs  „Isthmus“  für  das  untere  Uterinsegment  weniger 
zweckmässig  und  schlägt  dafür  „unteres  Korpussegment“  vor.  Die 
anatomische  Dreiteilung  des  Uterus  in  Zervix,  Isthmus  und  Korpus 
am  nichtgraviden  Uterus  hält  Z.  für  bedeutungslos  Dagegen  kommt 
dem  Zwischenteil  des  Uterus  während  der  Geburt  sicher  eine  Be¬ 
deutung  zu,  vor  allem  bei  der  Erklärung  der  Uterusruptur  und  Pla- 


centa  praevia.  Zum  Schluss  stellt  Z.  die  jetzt  unbestritten  an¬ 
genommenen  8  Grundsätze  über  das  untere  Uterinsegment  zusammen 
die  im  Original  nachgesehen  werden  mögen. 

A.  R  i  e  c  k  -  Altona:  Ueber  die  Gefahren  des  Intrauterinstiftes 

R.  wirft  Opitz  vor,  dass  er  gläserne,  mit  Drainlöchern  ver¬ 
sehene  Stifte  benutzt  habe.  R.  hat  kurze,  glatte,  geknöpfte,  metallene 
Stifte  empfohlen  und  ist  nach  wie  vor  von  deren  Unschädlichkeit 
überzeugt.  Als  Vorbedingungen  hierzu  bezeichnet  R„  dass  der  Stift 
ärztlicherseits  zur  Erzielung  regelmässiger  und  genügend  starker 
Perioden  eingeführt  werde,  zweckmässig  geformt  sei  und  im  Tragen 
'vorn  Arzte  kontrolliert  werde.  J  a  f  f  e  -  Hamburg. 

Monatsschrift  für  Kinderheilkunde.  Bd.  XIII,  1914,  Nr.  5. 

E.  Wieland-  Basel :  Ueber  Bronchotetanie. 

Die  Bronchotetanie  bildet  einen  scharf  umschriebenen  klinischen 
und  pathologisch-anatomischen  Symptomenkomplex  im  Verlauf  ein¬ 
zelner,  besonders  schwer  verlaufender  Spasmophiliefälle.  Sie  lässt! 
sich  anscheinend  nur  auf  Grund  des  typischen  Röntgenogramms  der 
Lungen  von  einer  gewöhnlichen  Pneumonie  bei  einem  spasmophilenj 
Kind  unterscheiden.  Ihre  Prognose  ist  eine  infauste.  Die  Zuverlässig¬ 
keit  der  klinischen  Differentialdiagnose  zwischen  Bronchotetanie  und 
zwischen  Pneumonie  bei  Spasmophilie  auf  Grund  des  Röntgeno¬ 
gramms  erfährt  eine  erhebliche  Einschränkung  wenn  es  sich  um 
kleinste  oder  um  initiale  Lungenveränderungen  handelt.  An  Stelle 
der  für  Lungeninfiltration  typischen  scharfen  Schattenbildung  kommt 
es  unter  diesen  Umständen  zu  einem  verschwommenen  Bild  der 
Lungenstruktur,  welches  an  die  schleierförmige  Trübung  bei  broncho- 
spastischer  Atelektase  erinnert  und  welches  beim  Fehlen  ander¬ 
weitiger  charakteristischer  Symptome  von  grippaler  Infektion  die 
Diagnose  irreleiten  kann.  Ueber  die  Symptomatologie  etwaiger  leich¬ 
ter  Formen  von  Bronchotetanie  mit  günstiger  Prognose  ist  zurzeit 
noch  wenig  Sicheres  bekannt.  Die  Annahme  einer  ätiologischen  Be¬ 
ziehung  der  Spasmophilie  zu  gewissen  asthmatischen  Zuständen  im 
Säuglingsalter  ist  einleuchtend,  aber  schwer  beweisbar.  Weitere 
klinische  und  vor  allem  anatomische  Stützen  sind  notwendig. 

Bodo  Ahrens:  Ein  Fall  von  Hungerschädigung  bei  habitueller 
Unterkieferluxation  im  Säuglingsalter.  (Aus  der  Göttinger  Kinder¬ 
klinik  —  Prof.  G  ö  p  p  e  r  t.) 

Es  trat  eine  leichte  Intoxikation  ein.  Die  Luxation  wurde  prompt 
nach  einmaliger  Urethanverabreichung  geheilt.  Auffassung  der  habi¬ 
tuellen  Luxation  als  Folge  eines  pathologischen  Bedingungsreflexes,  i 

P.  Rohm  er:  Ueber  die  Erzielung  von  Dauererfolgen  bei  der 
Kalziumbehandlung  der  Spasmophilie.  (Aus  der  med.  Universitäts- 
Klinik  zu  Marburg  —  Geh.  Rat  M  a  1 1  h  e  s.) 

Die  Kombination  von  hohen  Kalziumdosen  mit  PhosphorleberPaiL 
gewährleistet  bei  spasmophilen  Krämpfen  so  sichere  Erfolge  wie  keire 
andere  der  bisher  üblichen  Behandlungsmethoden.  Gewöhnlich  blie¬ 
ben  schon  am  ersten,  spätestens  aber  am  zweiten  Tag  die  Krämpfe 
weg,  um  auch  nach  Aussetzen  der  Kalkmedikation  nicht  mehr  auf¬ 
zutreten.  Aber  auch  die  Wirkung  auf  die  galvanische  Erregbarkeit 
war  in  den  meisten  Fällen  derart,  dass  pathologische  Werte  über¬ 
haupt  nicht  mehr  auftraten.  Die  dauernde  Heilung  war  meist  nach 
8  Tagen  erzielt.  8  Beobachtungen. 

Wolf  S  a  w  i  d  o  w  i  t  s  c  h  -  Odessa:  Einfluss  von  Ernährung  und 
Erkrankungen  auf  das  Wachstum  des  Gehirnes  im  ersten  Lebens¬ 
jahre.  (Aus  der  Universitäts-Kinderklinik  zu  Berlin.) 

7  Leitsätze  als  Extrakt  der  Berliner  Inauguraldissertation.  Zum 
Referat  nicht  geeignet. 

Ed.  Handrick:  Schutzimpfung  bei  Varizellen.  (Aus  der  Kin¬ 
derabteilung  der  Krankenanstalt  Altstadt  zu  Magdeburg  —  Prof. 
11.  Vogt.) 

Von  127  Kindern,  die  durch  Impfung  mit  dem  Blaseninhalt  von 
Varizellenkranken  vor  der  Ansteckung  geschützt  werden  sollten,  er¬ 
krankten  45  an  Windpocken.  Von  einer  nennenswerten  oder  gar  zu¬ 
verlässigen  Schutzwirkung  kann  also  für  diese  Fälle  nicht  gesprochen  1 
werden.  Nur  3  mal  sah  man  nach  der  Impfung  eine  Eruption  an  der  j 
Impfstelle,  ohne  das  dadurch  die  Entstehung  eines  allgemeinen  Aus¬ 
schlags  verhütet  wurde.  Der  Gegensatz  zwischen  diesen  und 
Klings  Beobachtungen  ist  sehr  auffallend. 

Albert  Uffenheimer  -  München. 

Jahrbuch  für  Kinderheilkunde.  80.  Band,  1.  Heft. 

Georg  Hi  Niger:  Ueber  periodisches  Erbrechen  mit  Azeton- 

ämie.  (Aus  der  Universitäts-Kinderklinik  zu  Berlin.)  (Hiezu  1  Ab¬ 
bildung  im  Text.) 

Die  Versuche,  welche  an  einem  einschlägigen  Falle  von  periodi¬ 
schem  Erbrechen  in  der  Klinik  vorgenommen  wurden,  Hessen  die 
Bedeutung  der  Kohlehydrate  der  Nahrung  zur  Genüge  erkennen:  es 
Hess  sich  durch  eine  Beschränkung  derselben  auf  die  Hälfte  ein 
typischer  Anfall  von  periodischem  Erbrechen  auslösen.  Wohl  als 
Ausdruck  mangelhafter  Oxydationsfähigkeit  sah  der  Verf.  im  Harn 
mit  dem  Ansteigen  der  Azetonmenge  auch  die  Werte  für  die  Amino¬ 
säuren  gleichsinnig  ansteigen  bzw.  fallen.  Als  wichtige  Tatsache 
wurde  ferner  ein  Herabsinken  des  Blutzuckergehaltes  auf  etwa  die 
Hälfte  des  normalen  Wertes  zur  Zeit  des  periodischen  Erbrechens 
beobachtet.  H  i  1 1  i  g  e  r  fasst  diesen  Befund  nicht  etwa  als  den 
Ausdruck  einfacher  Verarmung  des  Organismus  an  zuckerbildenden 
Substanzen  auf,  sondern  glaubt  mit  R  o  1 1  y  einen  Ausfall  des  Neben¬ 
nierensekretes  als  Ursache  annehmen  zu  müssen;  dieser  Ausfall  des 


17.  November  1914. 


M l J FNCHFNER  MEDIZI N1SC HE  WOCHENSCHRIFT. 


NebennicreHsekretreize5  auf  die  Leber  verhindere  den  normalen 

m h*  Ä*  •  )Iyko,R1en  "is  Blut,  wodurch  das  Herabsinken  des 
i  Blutzuckerspiegels  erklärt  würde.  Therapeutisch  empfiehlt  Hil- 
1 1  K  eJ  .m  Periodischen  Erbrechen  als  das  Wichtigste  die  Zufuhr 
von  Kohlehydraten  per  os,  per  klysrna  oder  ev.  auch  subkutan  in 
1  orm  von  isotonischen  I  rsubenzuckerinfusioncn. 

Georg  Benes  tad-Christiania  (Norwegen):  Wo  liegt  die  Ur¬ 
sache  zur  ..physiologischen  Gewichtsabnahme  neugeborener  Kinder? 
er.  schreibt  die  physiologische  Gewichtsabnahme  Neuge- 

w«  .rc*I«U  hl1Cn,Z  lhreS  KCSamtcn  Stoffwechsels,  insbesondere 
des  W  asserstoffwechsels,  zu.  Bei  dieser  Stoffwechselinsuffizienz 
sp'dt  eine  mangelhafte  Magendarmfunktion  die  grösste  Rolle  Die 
Gewichtsabnahme  ist  nicht  zu  verhindern,  doch  ist  Dauer  und  Höhe 
derselben  von  gewissen  Faktoren  abhängig,  wovon  die  wichtigsten 

E  Entwic,klunKssrad  des  Kindes,  2.  sein  Anfangsgewicht, 
3.  die  Milchmenge  der  Mutter. 

Brustcrnährung1Cher  Ernährung  ""günstigere  Verhältnisse  als  bei 

Erich  Müller  Und  Ernst  Schloss:  Die  Versuche  zur  An¬ 
passung  der  Kuhmilch  an  die  Frauenmilch  zu  Zwecken  der  Säuglings- 
ernahrung.  Eine  historisch-kritische  Studie.  (Aus  dem  Grossen-Fried- 
nchs-W  aisenhaus  der  Stadt  Berlin  in  Rummelsburg ) 

I  rC  ?miSMM  uSteIlungnahr"e  zur  Theorie  und  Praxis  der  molken¬ 
adaptierten  Milch  von  Friedenthal. 

Zu  kurzem  Referate  ungeeignet. 

Hermann  B  r  ti  n  i  n  g  -  Rostock:  Experimentelle  Studien  über  die 
Entwicklung  neugeborener  Tiere  bei  längerdauernder  Trennung  von 
Jur  saugenden  Mutter  und  nachheriger  verschiedenartiger  künstlicher 

Ernährung.  (Hierzu  6  Abbildungen  im  Text.) 

Es  gelang  dem  Autor  neugeborene  Ratten  am  Leben  zu  erhalten 
.venn  sie  vom  ersten  Lebenstage  bis  zu  ein  Viertel  der  gesamten 
'aiighngszeit  von  der  Mutier  getrennt  gehalten  und  nachher  möglichst 
•iweiss-  und  fett-  oder  auch  kohlehydratreich  künstlich  weiter  ge- 
lahrt  wurden  Dabei  blieben  sie  kleiner  als  die  dauernd  bei  der 
vlutter  verbliebenen  Geschwister.  Künstliche,  aber  möglichst  ein- 
•eitige  Ernährung  mit  reichlich  Eiweiss  und  Fett  ergibt  nach  der 
-ntwohnung  bei  allen  Tieren  sofortige  erhebliche  und  stetige  Zu- 
lahme.  Bei  einseitiger  Kohlehydratnahrung  erfolgt  dagegen  eine 
leichmassige  Abnahme. 

Röntgenologisch  lassen  sich  nur  die  Grössenunterschiede,  da- 
egen  lceine  Knochenveränderungen  bei  den  Tieren  nachweisen.  Bei 
vOhlehydratnahrung  weist  der  Magendarmkanal  den  Typus  der 
nanzen-,  bei  Eiweissfiitterung  denjenigen  der  Fleischfresser  auf;  bei 
rsterer  ist  das  Fettgewebe  ausserordentlich  spärlich,  bei  letzterer 
agegen  reichlich  entwickelt.  Die  Darmflora  zeigt  keine  Unterschiede 
dagegen  konnte  eine  relative  Keimarmut  der  oberen  Dünndarm- 
artien  bestätigt  werden.  Organanalysen  oder  Universalstoffwechsci- 
ersuche  wurden  nicht  vorgenommen. 

Erich  Conradi:  Vorzeitiges  Auftreten  von  Knochen-  und 
genartigen  \  erkalkungskernen  bei  Chondrodystrophia  foetalis  hypo- 
astica.  Histologische  und  Röntgenuntersuchungen.  (Aus  dem  patho- 
gischen  Institut  und  der  Kinderklinik  der  Akademie  für  praktische 
ledizin  zu  Köln.) 

ilun^'t  ^  "nd  2  Abbildungen  im  Text.  —  Kasuistische  Mit- 

Vereinsbcricht.  Literaturbericht,  zusammengestellt  von  A  Ni  c- 
a  n  n  -  Berlin.  Buchbesprechungen.  0.  Rommel-  München. 


2245 


Deutsche  Zeitschrift  für  Nervenheilkunde. 
Heft. 


52.  Band,  5.  u. 


Ottorino  Rossi  -Sassari:  Angeborene  Muskelhyperplasie. 

Bei  einem  4  Monate  alten  Kind  fand  sich  eine  seit  der  Geburt 
stellende  starke  Verdickung  der  Muskulatur  des  rechten  Armes  und 
r  Schulter  Bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  eines  ausge- 
nmttenen  Muskelstückchens  liess  sich  feststellen,  dass  die  Muskel- 
'rhgn0rma  e  (irösse  hatten>  dass  also  eine  echte  Muskelhyperplasie 

Ottorino  R  o  ss  i  -  Sassari:  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Sympto- 
«tologie  der  Balkenerweichung. 

V  erf.  hatte  Gelegenheit  einen  Fall  von  Balkenerweichung  klinisch 
d  anatomisch  genau  zu  untersuchen.  Der  Erkrankte  zeigte  einen 
Ecntiimhchen  Torporzustand,  bei  welchem  nur  die  höchsten  psyclii- 
i  n  runktionen,  denen  ausgebreitete  Assoziationsprozesse  zugrunde 
gen,  beeinträchtigt  waren.  Es  bestanden  ferner  eine  vorüber- 
iende  Pupillendifferenz,  eine  leichte  Hypofunktion  der  vom  Fazialis 
rsorglen  Muskeln  und  eine  spastische  Lähmung  aller  Extremitäten 
■  Steigerung  der  Reflexe  und  vorhandenem  Ba  b  i  n  s  k  i  sehen  Phä- 
,  ncn-  Wahrend  sich  keinerlei  apraktische  Störungen  nachweisen 
psen,  war  das  Bestehen  einer  amnestischen  Aphasie  auffallend. 

_  anatomische  nUtersuchung  des  Gehirns  ergab  eine  streng  auf  den 
iKen  beschränkte  Erweichung,  die  am  meisten  die  rechte  Hälfte 
‘  rat  Zur  Erklärung  der  aphasischen  Störung  durch  den  Sektions- 
luna  macht  Verf.  auf  den  Umstand  aufmerksam,  dass  der  Kranke 
ts  mit  aer  rechten  wie  mit  der  linken  Hand  gleich  geschickt 
jVesen  war,  dass  somit  der  rechten  Sprachrcgion  eine  grössere  Be- 
itung  wie  normaler  Weise  zukommen  müsse.  Dementsprechend 
rden  die  Fasern,  die  von  dem  rechten  zum  linken  Sprachzentrum 
i ’O  durch  den  Balken)  zögen,  ziemlich  erhebliche  Komponenten  der 
•  aehfunktion  besorgen. 


Hör  if*:. R'  ^a,st.C^  und  P-  Bolo- Durand:  Angioma  racemosum 
aer  linken  motorischen  Region. 

Ein  Angiom  in  der  motorischen  Region  wurde  durch  Unterbindung 
\er?,1}  erfolgreich  operiert,  so  dass  alle  Erscheinungen  (Lähmung 
K  m  e  MVon  -1  a  c.k  s  0  "  scher  Epilepsie)  völlig  zurückgingen. 

^  M  a  r  S  u  1  i  s  -  Moskau:  Ueber  pathologische  Anatomie  und 
t  athogenese  der  amyotrophischen  Lateralsklerose. 

Die  pathologisch-anatomische  Untersuchung  dreier  Fälle  von 
amyotrcphischer  Lateralsklerose  ergab  folgendes:  Bedeutende  Ver¬ 
dickung  und  Verwachsung  der  weichen  Häute,  untereinander  und  mit 
aer  Peripherie  des  Rückenmarkes,  die  in  den  untersten  Teilen  ihre 
bedeutendste  Intensität  hat,  Degeneration  im  ganzen  Vorderseiten- 
segment,  hauptsächlich  in  den  Pyramidenseitenbahnen,  Pyramidenvor- 
oerstrange  intakt,  Erscheinungen  von  Lymphstauung  mit  Oedem  und 
bcgeMratioii  des  anliegenden  Gewebes,  Atrophie  und  Tigrolyse  in 
den  Vorderhornern  und  Degenerationserscheinungen  in  den  peripheri¬ 
schen  Nerven.  \  erf  bringt  diesen  Befund  in  Beziehung  zu  den 
Untersuchungen  von  H  o  m  e  n,  durch  die  festgestellt  wurde,  dass  die 
in  das  Rückenmark  oder  die  peripherischen  Nerven  eingebrachten 
Bakterien  sich  hauptsächlich  den  Lymphbahnen  entlang  verbreiten. 
Die  von  diesem  Forscher  auf  experimentellem  Wege  gefundenen  Tat¬ 
sachen  fanden  sich  in  allgemeinen  Zügen  auch  in  den  vom  Verf 
beschriebenen  Fallen.  Wahrscheinlich  gelangt  die  Infektion  durch  die 
perineuralen  Lymphbahnen  der  peripherischen  Nerven  (diese  Nerven 
sind  auch  in  den  meisten  Fällen  zuerst  geschädigt)  in  das  Rücken¬ 
mark  und  breiten  sich  hier  durch  das  lymphatische  System  aus.  Die 
Ioxine  scheinen  dann  elcktiv  auf  die  einzelnen  Bahnen  einzuwirken, 
sich  erklärt,  dass  die  Pyramidenbahnen  am  meisten  betroffen 

A.Szp  anbock-  Ueber  die  Beteiligung  der  dynamischen 
Eigenschaften  der  Nervenapparate  am  Verlaufe  der  motorischen  Er¬ 
scheinungen  nach  hemiplegischen  Lähmungen. 

Verf.  wendet  das  Prinzip  der  verschiedenen  dynamischen  Eigen¬ 
schaften  der  Nervenapparate  zur  Erklärung  des  Prädilektionstypus 
der  hemiplegischen  Lähmungen  und  ihrer  Restitutionen  an.  So  sind 
die  dynamischen  Kräfte  der  Zentralneuronen  in  einigen  Apparaten 
starker,  in  anderen  schwächer  entwickelt.  Die  Neurone,  die  eine 
grossere  Erregbarkeit  besitzen,  leisten  eine  grössere  Widerstands¬ 
fähigkeit  gegen  schädliche  Lähmungsmomente.  Die  Restitution  nach 
totaler  motorischer  Lähmung  ist  abhängig  von  den  dynamischen 
Eigenschaften  der  subkortikalen  Zentren  und  Bahnen.  Nervenorgane 
von  höherer  Erregbarkeit  sind  einer  bedeutenderen  Besserung  fähig 
as  die  mit  schwächerer.  Andererseits  neigen  Nervenapparate  mit 
schwächerer  Erregbarkeit  zu  Lähmungen,  die  mit  stärkerer  Erregbar- 
keit  zu  spastischen  und  Erregungszuständen. 

R.  R  a  u  s  c  h  und  P.  S  c  h  i  1  d  e  r  -  Leipzig:  Ueber  Pseudosklerose. 

■  i  tnL  uen  }  FälIe  dieser  in  der  vorliegenden  Zeitschrift  schon 
wiederholt  beschriebenen  Erkrankung  mit.  Beide  (Geschwister) 
zeigten  ausser  den  nervösen  Erscheinungen  grünliche  Verfärbung  der 
Kornea  und  Leberinsuffizienz. 

M-  E  a  p  i  n  s  k  y  -  Kiew:  Ueber  Nacken-  und  Schulterschmerzen 
und  ihre  Beziehungen  zu  Affektionen  der  im  kleinen  Becken  liegen¬ 
den  Organe. 

i  \iCr!'  w'd  f.n  aden  Fällen,  in  denen  er  eine  Druckempfindlichkeit 
der  Nackenmuskulatur,  Hautverdickungen  und  Erhöhung  der  vaso- 
motoiischen  Reflexe  dort  fand,  entzündliche  Erscheinungen  in  den 
lganen  des  kleinen  Beckens  beobachtet  haben.  Zur  Erklärung  dieses 
merkwürdigen  Zusammentreffens  ruft  L.  den  Sympathikus  zu  Hilfe. 
Dci  Reiz,  der  durch  die  primäre  abdominelle  Erkrankung  in  den 
sympathischen  Bauchgeflechten  entsteht,  soll  auf  das  obere  Dorsal¬ 
mark  übertragen  werden,  hier  eine  Hemmung  der  Funktion  der 
Vasomotoren  des  Halses  und  der  Schultern  bewirken  und  durch  die 
daraus  resultierende  Gefässerweiterung  und  Blutstauung  die  er¬ 
wähnten  Erscheinungen  hervorrufen. 

K .  G  o  1  d  s  t  e  i  n  -  Königsberg:  Einige  Bemerkungen  zu  der  Arbeit 
von  Stert  z:  Die  klinische  Stellung  der  amnestischen  und  trans- 
kortikalen  Aphasie  usw. 

Polemik.  q.  R  e  n  n  e  r  -  Augsburg. 

Archiv  für  Hygiene.  83.  Band.  3.  und  4.  Heft.  1914. 

C*  ,:Kar!.J-  A.n  g  e  r  e  r  .  Erlangen:  Experimentelle  und  theoretische 
Studien  über  die  Epiphaninreaktion. 

Der  Autor  fasst  die  Ergebnisse  seiner  Untersuchungen  dahin  zu¬ 
sammen,  dass  die  Gelatine,  welche  bei  diesen  Versuchen  verwendet 
wurde  den  Neutralitätspunkt  von  Ba(OH)2  +  H.SO«  oder  von  NaOH 
HU  bis  mindestens  zur  Konzentration  1:10  000  verschiebt,  sofern 
uu  Moment  der  Neutralisierung  ein  Niederschlag  gebildet  wird 
Ebenso  verändern  die  Gelatinelösungen  die  Oberflächenspannung! 

Ls  ist  wahrscheinlich  dass  die  Verschiebung  des  Neutralitätspunktes 
auf  einer  durch  verschiedene  Oberflächenspannung  beeinflussten  Ad- 
soiption  von  Alkali  an  den  Niederschlag  beruht.  Gleichzeitig  ist 
,eiae  ^f.eV,lf!utxUHg  d,cr  sich  bildenden  Niederschlagsoberfläche  mög- 
!i  ’  Vielleicht  beruhen  nach  des  Verf.  Meinung  die  Ausschläge  bei 
der  V  erwendung  von  Serum  und  Antigen  gleichfalls  auf  Aenderungen 
der  Oberflächenspannung. 

W  ob  s  a  -  Hannover:  Einfluss  der  Umgebung  auf  die  Wärme¬ 
abgabe  des  menschlichen  Körpers. 

Aus  den  Ermittelungen  des  Verf.  würde  zu  schliessen  sein,  dass 
die  in  der  Haut  hegenden  Kälte-  und  Wärmemesser  nicht  als  das  den 


2246 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


ganzen  Regulierungsvorgang  beherrschende  Organ  anzusehen  sind, 
wenn  sie  auch  an  demselben  mitwirken.  Sie  reagieren  nur  auf  rela¬ 
tive,  nicht  auf  absolute  Temperaturhöhe  und  sie  scheinen  auch  nicht 
geeignet,  den  Regulierungsvorgang  zu  überwachen.  Von  welchem 
Organ  die  Betätigung  des  Regulierungsmechanismus  ausgeht,  Ist  noch 
nicht  mit  Sicherheit  zu  sagen. 

Knud  A  h  1  b  o  r  n  -  München:  Die  desinfizierende  Wirkung  der 
Gasbeleuchtung  auf  Zimmerluft. 

Die  von  Samuel  R  i  d  e  a  1  gemachte  Angabe,  wonach  die  Keim¬ 
zahl  bei  Gas-  und  elektrischer  Beleuchtung  geringer  sein  solle  als 
ohne  Beleuchtung,  wurde  in  den  vorliegenden  Versuchsreihen  nach¬ 
geprüft.  Es  zeigte  sich  in  der  Tat  eine  Verminderung  des  Keim¬ 
gehaltes.  In  einem  Zimmer  von  57,1  cbm  Inhalt  sank  die  Keimzahl 
in  der  Mengeneinheit  Luft  „ohne“  Gasbeleuchtung  innerhalb  1  Stunde 
bei  möglichst  gleichmässiger  künstlicher  Luftbewegung,  im  Mittel  von 
100  Proz.  auf  76  Proz.  =  24  Proz.  Bei  gleichzeitiger  Gasbeleuchtung 
mit  3  grossen  Graetzinbrennern,  die  mit  offenen  Glocken  versehen 
waren,  zeigte  sich  dagegen  ein  Absinken  der  Keimzahl  von  100  auf 
60  Proz.  —  40  Proz.  in  der  Stunde.  Wahrscheinlich  ist  die  Verminde¬ 
rung  der  Keime  auf  Abtötung  durch  heisse  Gase  oder  auf  Verbrennung 
der  Keime  an  den  Glühkörpern  zurückzuführen.  Für  eine  etwaige 
Desinfektion  der  Luft  hat  jedoch  diese  geringfügige  Vernichtung  der 
Luftkeime  keine  Bedeutung.  R.  O.  N  e  u  m  a  n  n  -  Bonn. 

Berliner  klinische  Wochenschrift.  Nr.  45,  1914. 

A  d  1  e  r  -  Berlin-Pankow:  Beitrag  zu  den  perforierenden  Schuss¬ 
verletzungen  des  Magens. 

Der  Patient  hatte  einen  Schuss  in  den  Magen  bekommen.  Die 
Röntgenuntersuchung  zeigte  das  Geschoss  frei  im  Magen  liegend 
und  liess  es  auf  seiner  Wanderung  durch  den  Darmkanal  verfolgen. 
Nach  3  Tagen  wurde  das  Projektil  im  Stuhl  gefunden. 

Hans  M  ü  h  s  a  m  -  Berlin:  Beitrag  zur  Behandlung  des  Tetanus. 

Verfasser  rät  folgendes  Verfahren:  Alles  mit  der  Zirkulation  nicht 
mehr  in  ausreichendem  Masse  zusammenhängende  Gewebe  wird  ent¬ 
fernt,  alles  reduzierende  Material,  das  durch  Sauerstoffabsorption 
den  Tetanusbazillen  die  Entwicklungsmöglichkeit  verschafft,  wird 
beseitigt,  die  Wunde  wird  ausgiebig  mit  Sauerstoff  durchtränkt 
(Wasserstoffsuperoxydkompressen),  ausserdem  werden  Tetanusserum 
und  Narkotika  angewendet. 

E.  F  r  o  e  h  1  i  c  h  -  Berlin:  Geber  einen  Fall  von  Rückenmarks¬ 
verletzung. 

Der  Fall  beweist,  dass  selbst  schwere  zentrale  Nervenver¬ 
letzungen  Aussicht  auf  Besserung  bieten  und  die  Prognose  durchaus 
nicht  ungünstig  stellen  lassen,  wie  es  im  Anfang  leicht  scheinen 
möchte. 

Kurt  S  t  e  i  n  d  o  r  f  -  Berlin:  Die  Kriegschirurgie  des  Sehorgans. 

Sammelreferat. 

M.  B  e  r  n  h  a  r  d  t  -  Berlin:  Beitrag  zum  Symptomenkomplex  der 
Brown-Sequard  scheu  Lähmung. 

Kasuistischer  Beitrag. 

C.  D.  d  e  L  a  n  g  e  n  -  Groningen:  Beitrag  zur  Kasuistik  des  re¬ 
nalen  Diabetes. 

Verf.  beantwortet  die  Frage,  ob  in  der  diabetischen  Glykosurie 
auch  ein  renales  Element  eine  Rolle  spielt,  folgendermassen:  Es  gibt 
Nierenkrankheiten,  welche  die  Durchlässigkeit  der  Nieren  für  Zucker 
erschweren.  E  gibt  einen  experimentellen,  auf  abnorme  Durchlässig¬ 
keit  der  Nieren  begründeten  Diabetes.  Hierzu  gehört  gewiss  der 
Phloridzindiabetes,  vielleicht  gehören  auch  einige  andere  toxogene 
Glykosurien  hierzu.  Es  gibt  einen  klinischen  renalen  Diabetes,  der 
sicli,  was  Ursache,  Verlauf  und  Prognose  betrifft,  scharf  von  dem 
Diabetes  mellitus  unterscheidet.  Aber  die  Zahl  genau  beobachteter 
Fälle  ist  noch  sehr  gering. 

Franz  F  i  d  1  e  r  -  Göttingen:  Ein  Beitrag  zur  Entstehung  der  Her- 
nia  diaphragmatlca  und  Dilatation  des  Zwerchfells. 

Kasuistischer  Beitrag.  Grassmann  -  München. 

Deutsche  medizinische  Wochenschrift. 

Nr.  44.  V.  C  z  e  r  n  y  -  Heidelberg:  Zur  Therapie  des  Tetanus. 

Fortsetzung  folgt. 

A.  Falk- Berlin:  Einige  Beobachtungen  bei  Behandlung  von 
Tetanus  Verwundeter  mit  subkutanen  Magnesiuminjektionen. 

Zur  Injektion  diente  meistens  eine  30  proz.  Magnesiurnlösung; 
eine  Einzeldosis  von  9  g,  Tagesdosis  24  g,  wurde  gut  ertragen;  in 
einem  Falle  wurde  eine  Einzeldosis  von  12  g  erreicht,  in  einem 
anderen  6  Tage  hintereinander  20  g  gegeben.  Niedrige  Dosen  wirken 
eher  reizend  und  vermehren  die  Anfälle.  Die  Magnesiuminjektion 
wird  schmerzlos  durch  vorhergehende  Novokaininjektion  (i  proz., 
2— 3  ccm).  Bei  schweren  Fällen  kann  die  Nahrungsaufnahme  etwa 
1  Stunde  nach  der  Injektion  erfolgen.  Nützlich  sind  mässige  Dosen 
von  Morphium  und  Chloral  neben  dem  Magnesium. 

A.  S  c  h  m  i  d  t  -  Halle  a.  S. :  Ueber  Lungenschüsse. 

Zu  erwähnen  ist,  dass  Verf.  die  Probepunktion  als  ungefährlich 
betrachtet  und  bei  derselben  die  absichtliche  Einlassung  von  etwas 
I-iift  als  diagnostisch  nützlich  empfiehlt.  Eitrige  Entzündung  des 
Lungengewebes  sah  er  nur  bei  Rippenverletzungen  und  grösserer, 
nicht  verklebter  Ausschussöffnung  als  eine  Folge  von  Wundinfektion 
Echte  Pneumonien,  Abszesse  und  Gangrän  sah  er  nicht,  auch  Spät- 
empyeine  sind  selten.  Mit  dem  Transport  von  Lungenschüssen  soll 
man  vorsichtig  sein  und  schwerere  Fälle  oben  bezeichneter  Art 


Nr.  46. 


möglichst  in  den  Feld-  und  Etappenlazaretten  ruhig  liegen  lassen. 
Leichteres  Fieber  ist  unbedenklich,  bei  stärkerem  soll  die  Wunde 
ev.  erweitert  und  drainiert  werden. 

ü.  L  e  d  d  e  r  h  o  s  e  -  Strassburg:  Sparsame  und  beschleunigte 
Wundbehandlung  Im  Kriege. 

L.  empfiehlt  Wundgaze  in  wenigen  Lagen,  statt  der  schlecht 
aufsaugenden  Watte  Zellstoff  und  als  undurchlässigen  Stoff  weiches 
Pergament-  oder  Oelpapier;  Waschen  und  Wiederverwenden  der 
Binden:  zur  Fixierung  kleiner  Verbände  statt  Binden  Mastisol  oder 
Leukoplast.  Sehr  verwendbar  ist  die  Scharpie.  Die  Wundheilung 
wird  beschleunigt  durch  Perubalsam,  auch  durch  eine  mit  Dermatol 
versetzte  Zinkpaste.  Wesentlichen  Nutzen  gewährt  oft  die  Sekundär¬ 
naht  (ev.  nach  Ablösung  der  Hautränder  von  der  Unterlage)  und  die 
Verwendung  der  H  e  r  f  f  sehen  Hautklammern. 

E.  P.  F  r  i  e  d  r  i  c  h  -  Kiel:  Die  ohrenärztlichen  Aufgaben  im 
Kriege. 

Auch  bei  Verletzungen  des  Gehörorganes  ist  zunächst  die  mög¬ 
lichst  konservative  Versorgung  ohne  Berührung  der  Wunde  die 
Regel,  ln  den  Lazaretten  ist  die  s  p  e  z  i  a  I  ä  r  z  1 1  i  c  h  e  genaue 
Beobachtung  und  Behandlung  und  Aufzeichnung  der  Befunde  er¬ 
forderlich;  wichtig  sind  deshalb  für  die  richtige  Zuteilung  dieser 
Verletzten  entsprechende  Vermerke  gleich  auf  den  Wundtäfelchen. 
Labyrinthschüsse  schwerer  Art  sind  zunächst  transportunfähig,  Laby¬ 
rintherschütterungen  durch  Detonationen  bedürfen  langer  Ruhe  und 
Schonung  in  Lazaretten. 

Bei  Furunkulose  des  äusseren  Gehörganges  sind  Inzisionen  zu 
unterlassen,  durch  Salbentampons  ev.  Priessnitzumschläge  erfoUt 
baldige  Heilung,  die  Kranken  können  bei  der  Truppe  bleiben.  Das 
wichtigste  für  den  Feldarzt  sind  die  Erkrankungen  des  Mittelohres 
Je  nach  dem  Befunde  ist  alsbald  Parazentese  und  Schutzverband 
am  Platze,  bei  Schmerz  im  Warzenfortsatz  Priessnitzumschlag, 
Aspirin.  Meist  ist  nur  eine  achttägige  Schonung,  keine  Entfernung 
von  der  Truppe  nötig.  Tritt  keine  Besserung  ein,  so  wird  die  Be¬ 
handlung  im  Lazarett  notwendig,  gleichwie  für  alle  anderen 
schwereren  Mittelohrerkrankungen.  Daher  ist  die  Anwesenheit  einer 
genügenden  Anzahl  von  Ohrenärzten  im  Felde  erforderlich. 

W.  Kümmel- Heidelberg:  Ohrenerkrankungen  im  Felde. 

Mit  Anführung  einiger  Fälle  vertritt  K.  die  Forderung,  schwerere 
Verletzungen  und  sonstige  Schädigungen  des  Gehörorganes  baldigst 
in  fachkundige  Behandlung,  möglichst  in  ständigen  Lazaretten  zuzu¬ 
führen  und  warnt  eindringlich  vor  jeder  unnötigen  Berührung  der 
frischen  Wunden. 

A.  E.  S  t  e  i  n  -  Wiesbaden:  Zur  Technik  der  medizinisch-photo¬ 
graphischen  Aufnahme. 

Zur  weiteren  Erleichterung  der  in  vielen  Fällen  durchaus  vor¬ 
zuziehenden  Aufnahmen  bei  künstlicher  Beleuchtung  empfiehlt 
Verf.  die  neue,  leicht  transportable  Jupiter-Handlampe,  die  an  jede 
elektrische  Lichtleitung  angeschlossen  und  für  viele  andere  Zwecke 
als  Beleuchtungsmittel  verwendet  werden  kann. 

B  e  r  g  e  a  t  -  München. 

Schwedische  Literatur. 

Ad.  Lichtenstein:  Ueber  Ernährung  kranker  Säuglinge  mit 

Eiweissmilch.  (Hygiea  1914  H.  1  u.  2.) 

Mitteilung  der  Resultate  einer  2  jährigen  klinischen  Prüfung  der 
Eiweissmilch.  Verwendet  wurde  eine  nach  Finkeistein  und 
Meyers  Vorschriften  in  der  Milchküche  des  Krankenhauses  zu¬ 
bereitete  Milch;  doch  kam  anstatt  Buttermilch  saure  Magermilch 
(Fettgehalt  ca.  1  Proz.)  zur  Anwendung  bei  50  Fällen  von  fast  aus¬ 
schliesslich  schweren  Ernährungsstörungen.  Dosierung  nach  Fin¬ 
ke  1  s  t  e  i  n  -  M  e  y  e  r.  Die  Resultate  waren  sehr  gut,  sowohl  bei 
chronischen  wie  akuten  Ernährungsstörungen.  Auch  bei  Ernährungs¬ 
störungen  infolge  parenteraler  Infektionen  hat  sich  die  Eiweissmiich 
gut  bewährt.  Indikation  für  Eiweissmilchtherapie  sind  nicht  nur  Er¬ 
nährungsstörungen  mit  Diarrhöe,  sondern  auch  Fälle,  wo  andere 
künstliche  Ernährung  ohne  Erfolg  versucht  worden  ist.  Die  Ent¬ 
wöhnung  geschah  in  akuten  Fällen  nach  2 — 3  Wochen,  in  chronischen 
nach  3  Monaten.  Die  Eiweissmilch  wird  als  ein  zweifelloser  thera¬ 
peutisch-diätetischer  Fortschritt  bezeichnet. 

Sigurd  Berg:  Zur  Behandlung  der  Leukämie  mit  Benzol  und 
Thorium  X.  (Hygiea  1914  H.  11.) 

Verf.  gibt  eine  Uebersicht  über  die  bisherigen  Erfahrungen  bei 
Behandlung  der  Leukämie  mit  Benzol  und  Thorium  X  und  referiert 
dann  einen  eigenen  Fall  von  myeloischer  Leukämie,  wo  bedeutende 
Besserung  mit  obengenannten  Mitteln  erreicht  wurde.  Verf.  sieht  in 
Benzol  und  Thorium  X  gute  symptomatische  Mittel,  betont  aber  die 
Gefährlichkeit  insbesondere  des  ersteren. 

Otto  Löf  b  erg:  Zur  Deckung  der  Kranialdefekte.  (Nord.  med. 
Arch.,  Kir.  Abt.  1913  H.  3.) 

Mitteilung  von  4  Fällen,  wo  Kranialdefekte  durch  autoplastische 
Knochentransplantation  mit  bestem  Resultate  gedeckt  wurden. 

Einar  Key:  Exclusio  vesicae  bei  schwerer  Blasentuberkulose. 
(Ibidem.) 

Mitteilung  zweier  Fälle  sowie  Zusammenstellung  von  10  publi¬ 
zierten  Fällen  dieser  Operation.  In  beiden  von  Verf.  operierten  Fal¬ 
len  Aufhören  der  Schmerzen  und  bedeutende  Besserung  des  All¬ 
gemeinzustandes. 

Bei  schwerer  Blasentuberkulose  werden  die  schmerzhaften  sub¬ 
jektiven  Blasensymptome  durch  die  Kontraktionen  der  Blase  ver- 


7.  November  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WQCHENSCH R I FT. 


rsiciit  und  diese  werden  durch  den  lierabfliessenden  Harn  ausgelöst 
»urch  voilstandiges  Ableiten  des  Harnes,  Exclusio  vesicac,  können 
ir  diese  Symptome  zum  Schwinden  bringen.  Nach  der  bisher  ge- 
°rn Erfahrung  muss  Ureterostomic  bei  nicht  oder  nur  wenig 
er“n  e-rt  m  Ureter  und  Nephrostomie  bei  hochgradig  verändertem 
reter  oder  Pyonephrose  ausgeführt  werden. 

Torsten  Rietz:  Ein  fall  von  Bifurcatio  urethrae.  (Ibidem.) 

F...I>as,u!.s,tlscI'e  Mittedung  von  einem  solchen  Falle,  wovon  nur 
halle  früher  bekannt  sind. 

S\  en  .1  o  h  a  n  s  s  o  n:  Zur  Kasuistik  der  primären  Geschwülste 
es  Omeiit.  majus.  (Ibidem.) 

v10HPrimäreü  Omentgeschwülsten.  1  Fibrosarkom  mit 
t  eldrehung,  1  Hypernephrom  und  2  Zysten  des  Netzes,  sind  mit- 
.teilt.  Zusammenstellung  der  Literatur. 

Gustaf  Asplund:  Ueber  Arthrodese  im  Schultergelenk  bei  Del- 
ideuslahmung.  (Hygiea  1914  H.  14.) 

\erf.  hatte  Gelegenheit,  die  Arthrodese  im  Schultergelenk  bei 
ihmung  in  S  Fallen  mit  überwiegend  gutem  Resultat  zu  erproben. 

Pei(inffPrAÜ1F"ude  ,Y  u  1  p  *  a  s-  Nach  der  Operation,  besonders 
i  jüngeren  I  allen  6—7  Monate  Fixation  des  Gelenks  in  Gips.  Alter: 

,,  J ,a  irS;  ^  cr  '  der  Ansicht,  dass  es  wegen  der  schwierigen 
ichbehandlung  ungünstig  ist,  die  Operation  in  einem  Alter  unter 

iPMfinn anUirhtf!mren'  '  £rf‘  ist  dafiir-  dass  die  Indikation  für  diese 
ff™"1?  a]lzu  eng  begrenzt  werde.  Je  mehr  die  Lähmung  auf 

Y^psn6  °ldeUi  begrenzt  ist>  desto  besseres  funktionelles  Resultat. 
8  hallen  wurde  feste  Ankylose  erhalten,  jedoch  in  keinem  Falle 
ocherne  Verbindung.  Die  aktive  Beweglichkeit  des  Armes  war  in 

hSidtp^aPlpntSehr  iSUt;  JerL  *st  der  Ansicht,  dass  Arthrodese  im 
hultergelenk,  nach  richtigen  Indikationen  ausgeführt,  der  Eingriff 
.  der  das  beste  funktionelle  Resultat  gibt. 

IJn  k  VÄf  t:-Von  der  Behandlung  und  Heilung  der  Gonor- 
oe  des  Weibes.  (Hygiea  1914  Bd.  11.) 

\  erf.  injiziert  halbfeste  Massen  in  die  Urethra,  um  eine  Aus- 
denr  ’^baut  zu  erhalten;  nachher  bleibt  die  Masse 
!  u  ä®?*  Schleimhautfalten  eine  gewisse  Zeit.  Als  gonokokken- 
endes  Mittel  in  diesem  Gelee  wird  1  proz.  Albargin  angewandt. 

? daLBu?b-lChtUYgeil  b£‘  ,20  FaIlen  schliesst  Verf.,  dass  die  Gonor- 
>e  des  Weibes  durch  Behandlung  geheilt  werden  kann;  dass  es 
.glich  ist,  frische  Falle  von  Gonorrhöe  beim  Weibe  in  kurzer  Zeit 
;  lagen)  zu  heilen;  dass  die  Notwendigkeit  einer  längeren  Behand- 
i  g  der  Gonorrhöe  beim  Weibe  sehr  oft  von  besonderen  Kompli- 
lonen  abhangt;  und  dass  auch  ältere  und  komplizierte  Fälle  der 
1  norrhoe  des  Weibes  nicht  unheilbar  sein  müssen. 

G.  C.  J  acobaeus  nud  Hj.  T  i  d  e  s  t  r  ö  m:  Eine  neue  Methode 
Beseitigung  von  Verwachsungen  bei  Pneumothoraxbehandlung 
; '  Lungentuberkulose.  (Hygiea  1914  H.  15.) 

Verf  haben  die  ersten  Versuche  gemacht,  mit  Hilfe  der  Thorako- 
■ipie  mit  einem  Galvanokauter,  eingeführt  durch  einen  dünnen  Tro- 
'  ’  strangformige ;  Verwachsungen  bei  Pneumothoraxbehandlung  ab- 
.  trennen.  In  2  Fallen  waren  nur  kleinere  Versuche  gemacht  wor- 
:  ,  aber  hierbei  waren  sowohl  Stränge  als  Häute  ohne  Schmerz  und 
:  'e  Blutung  in  der  Pleurahöhle  abgebrannt  worden.  In  einem  dritten 
’  W01e.inJe  Kaverne  durch  eine  schmale  Adhärenz  am  Zusammen- 

D11!'.  wal’  xYurde  diese  ohne  die  geringste  Ungelegenheit 
i  den  Patienten  abgebrannt.  Nach  nur  ganz  wenigen  weiteren  In- 
iationen  wurde  die  Kaverne  komprimiert,  und  das  Sputum  des  Pat 
i  zuvor  ziemlich  reichlich  gewesen  war  und  zahlreiche  Tuberkel- 
!  T"  enthalten  hatte,  hörte  fast  unmittelbar  nach  dem  Zusammen- 
cken  der  Kaverne  auf.  Das  Allgemeinbefinden  des  Pat.  besserte 

■  i  m  demselben  Masse. 

1  Mü  Y'  c  0  b  s  s  0  n:  Ein  Versuch,  Verwachsungen  bei  Pneumo- 
1  £ba“«  7  )  Unt6r  Röntgendurchleuchtung  abzubrennen. 

Anlässlich  der  Mitteilung  von  Jacobaeus  und  T  i  d  e  s  t  r  ö  m 
r  eine  neue  Methode,  Verwachsungen  bei  Pneumothoraxbehand- 
/  abzubrennen,  berichtet  Verf.  über  einen,  von  ihm  vor  einem 

■  -e  gemachten,  aber  nicht  geglückten  Versuch,  eine  solche  Ver- 
hsung  unter  Röntgendurchleuchtung  abzubrennen.  Verf.  hält  die 

ihode  des  Dr  Jacobaeus  mit  Hilfe  seines  Thorakoskops  Ver- 
nsungen  abzubrennen,  für  ein  bedeutend  sichereres  Verfahren  da 
i  hierbei  deren  Grösse  und  Beschaffenheit  direkt  beobachten  kann 
t  "rer  E'n™  Tf  UntCr  ^öntgendurcbleuchtung  wäre  jedoch  ein  ge- 

,  Abraham  Troell:  Zur  Kenntnis  der  anormalen  Appendixlagen. 

-  Blr'Cht  Ü£er  3  vom  Verf‘  beobachtete  Fälle,  wo  die  Appendix 
oben  rechts,  ganz  unter  der  Leber  lag;  2  von  diesen  Pat.  hatten 
j  kern  Colon  asc.  Das  Zoekum  ging  unmittelbar  in  das  Colon 
UX  ,  e/-.  Die  Anomalie  veranlasste  in  einem  der  Fälle  Verdacht 
iwholelithiasis,  m  allen  erschwerte  sie  die  Appendektomie.  Onto- 
.  tisch  erklärt  sie  sich  leicht  als  eine  Hemmungsmissbildung.  Die 
Undix  hatte  hier  keinen  fötalen  Typus  bewahrt. 

Abraham  T  rocll:  War  die  Erklärung  Landströms  über  die 
,*inndw  Augensymptome  bei  Morbus  Basedowii  richtig? 

Anlässlich  zweier  beobachteter  Basedowfälle  mit  einseitigen 
-nsymptomen  hat  Verf.  die  L  a  n  d  s  t  r  ö  m  sehe  Basedowhvpo- 
.m  Erwägung  genommen.  Bei  Durchmusterung  des  Basedow- 
l  riales  des  Seraphincrlazarcttes  fand  er  10  Proz  (16  von  165) 
»einseitigen  oder  vorwiegend  einseitigen  Augensvmptomen.  Mit 


2247 


F-nia!"  ^\ts.acbe  konnte  er  die  L  a  n  d  s  t  r  ö  m  sehe  Theorie  nicht  in 
.‘nK  i?.n.?  bringen.  Denn  einerseits  war  nicht  zu  erklären,  warum  nach 
vpLn/n  ‘  r>?ifch,e,n  Schilddrüsentheorie  eine  durch  die  Zirkulation 
vermittelte  Giftwirkung  von  der  kranken  Schilddrüse  her  zuweilen 
auf  den  Halssympathikus  der  einen  Seite  beschränkt  sein  sollte. 
Andererseits  war  es  auch  nicht  zu  erklären  durch  einen  direkten, 

Sarfrc*!?®  auf  der  ejnen  $eite  des  HaIses  gegen  die  Tiefe  hin  am 
stärksten  ausgesprochene  Vergrösserung  der  Schilddrüse  verursach- 
ttn  mechanischen  Druck.  Denn,  von  anderen  Umständen  abgesehen, 
esT3'unbesreiflich,  warum  Pupillenerscheinungen  fast  nie  bei 
Morbus  Basedowii  Vorkommen. 

...  F-  Y  cstermark:  Zur  Frage  der  Blasenmole  und  der  gleich¬ 
zeitigen  Lutemzysten  der  Ovarien.  (Hygiea  1914  H.  14.) 

rlpn  ncrf\ berichtet  über  2  Fälle  von  Blasenmole  und  Luteinzystcn  in 
Cn'  •  Bieide  FaIle  wurden  wegen  Stieldrehung  von  Övarial- 
tumoren  operiert,  der  erste  Fall  2  Monate  nach,  der  zweite  kurz  vor 

OvnrilY  den-M°  CV  ”  beiden  Fällen  zystische  Veränderungen  in  den 
rjax"en>  ,P!®  exs,tjrpierten  Tumoren  bestanden  aus  typischen  Lutein- 
(iv  L  Lr ‘  schliesst  sich  der  von  Fränkel  u.  a.  aufgestellten 
Srh  s.  a?’  dass  die  Luteinzysten  im  Verhältnis  zur  Blasenmole 
primär  und  Ursache  zur  Degeneration  des  Chorions  sind 

Luteinzysten  wird  nur  von  Komplikationen, 
w ie  Stieldrehung,  Infektion  oder  dergl.,  indiziert. 

A™oId  Josefsson:  Dentition,  Haarentwickiung  und  innere 
Sekretion.  (Hygiea  1914  H.  4.) 

IahrPZlloaiT1Yf,Kf|aS-SUtg:  Verif'  ;eiIt  elne  Bestätigung  seiner  schon  im 
ra.,re, 191^  Publizierten  vorläufigen  Mitteilungen  über  die  Abhängig¬ 
en  dn-  Dentition  und  Haarentwicklung  von  der  inneren  Sekretion 
nut.  Die  Hypofunktion  der  endokrinen  Drüsen  verursacht  eine  Ver¬ 
zögerung  der  Dentition  und  der  Haarentwicklung,  die  Hyperfunktion 
e,ntfgege.ngesetzte  Der  gleichzeitige  Befund  von  Hypertrichosis 
und  deformierten  Zahnen  deutet  eine  Hypofunktion  der  endokrinen 
Drusen  an;  dann  ist  eine  Opotherapie  indiziert. 

luiertei/  ScI,,asberg:  Ueber  Heilung  der  Gonorrhöe  bei  Prosti- 

Verf.  hat  im  Krankenhaus  „Eia“  in  Stockholm  bei  Prostituierten 
die  Gonorrhoe  mit  einem  Kupferpräparat  „Cusylol“  behandelt  Be¬ 
schreibung  der  Zusammensetzung  und  Technik  der  Behandlung.  Es 
wurden  im  ganzen  etvva  100  Fälle  behandelt.  Das  Resultat  gibt  dem 
v  ert.  Anlass  zu  der  Ansicht,  dass  die  Gonorrhöe  der  Prostituierten 
in  den  meisten  Fällen  geheilt  werden  kann 

IkterüflMygrea'iST kIT  Z"r  Ke'",‘,"S  S°& 

■  ^  Na^  ei"er  Uebersicht  der  Literatur  berichtet  Verf.  über  5  Fälle 
in  derselben  Familie.  Alle  zeigen  den  charakteristischen  Symptomen- 
komplex.  Verf.  hat  auch  die  neulich  publizierten  Beobachtungen 
H  ub  ers  von  Jol.lykörperehen  und  mit  Giemsa  blaugefärbten,  baso- 
Pjasmatischen  Erythrozyteneinschlüsse  im  Blute  bestätigt.  Oft  wird 
die  Krankheit  mit  Cholelithiasis  verwechselt;  in  3  der  vorliegenden 
Falle  kamen  Schmerzanfälle  in  Leber-  und  Milzgegend  vor.  die  als 
Gallenstemko  hken  gedeutet  wurden;  Verf.  betont,  dass  solche 
^chmerzattacken  auch  durch  eine  Steigerung  der  hämolytischen  Pro¬ 
zesse  entstehen  können. 

/„  9östa  A1^ mann:  Zur  Frage  der  syphilitischen  Reinfektion. 
(Hygiea  1914  H.  11.) 

Verf.,  der  das  Wort  „Reinfektion“  in  seiner  eigentlichen  und 
weiteren  Bedeutung  anwendet,  also  sog.  Superinfektion  mit  ein- 
schhesst,  berichtet  2  Krankheitsgeschichten,  wovon  die  erste  insofern 
merkwürdig  ist,  als  der  Pat.  zu  3  verschiedenen  Malen  mit  Svnhilis 
infiziert  worden  zu  sein  scheint.  Ob  hier  Sunerinfektionen  vorliegen 
lasst  Verf.  dahingestellt  sein.  Der  andere  Fall  bietet  dagegen  be- 
stimmte  Anhaltspunkte  für  die  Annahme,  dass  der  Pat.  noch  svohi- 
htisch  war,  als  er  sich  die  zweite  Infektion  zuzog.  Mit  Hinblick 
hier,a.1iI.fi.scllie^st.s‘cb  ,Verf-  der  Ansicht  an,  die  es  verneint,  dass  eine 
«yphilitische  Reinfektion  als  ein  absoluter  Beweis  dafür  angesehen 
werden  kann,  dass  eine  vorhergegangene  Infektion  abgelaufen  sei. 

H.  C.  Jacobaeus  -  Stockholm. 

Inauguraldissertationen. 

Universität  Berlin.  Juli— September  1914. 

S  m  a  r  g  o  n  s  k  i  Gerschen:  Ueber  den  Unterschied  im  auskultatori¬ 
schen  Befunde  beider  Lungenspitzen  mit  Berücksichtigung  de 
Frühdiagnose  der  Lungentuberkulose. 

Staemmler  Theodor:  Ueber  die  Bedeutung  der  Gewichtsverhält¬ 
nisse  bei  der  Behandlung  der  Lungentuberkulose. 

At  sc  har  kan  Jeheskel:  Die  Beeinflussung  der  Leukämie  durch 
Iuberkulose  und  die  Tuberkulinbehandlung  der  Leukämie. 
Mayer  Wilhelm:  Beiträge  zur  Kenntnis  des  hohen  Gradstandes 
(ulle  Carl:  Duraersatz  durch  Faszienplastik. 

Lipschütz  Itzik:  Ein  Fall  von  akuter  lymphatischer  Leukämie 
mit  Lymphosarkom  des  Thymus. 

Tr  a  pp  Bodo:  Die  in  den  Jahren  1907—12  in  der  Kgl.  Chirurg.  Klinik 
in  Berlin  gesammelten  Erfahrungen  über  die  angeborene  Hüft- 
verenkung. 

Brind  Zeilik:  Die  Entstehung  und  Behandlung  der  Kalkaneus- 
frakturen  und  ihre  Folgen  in  Bezug  auf  die  Erwerbsfähigkeit. 
Grass  Heinrich:  Untersuchungen  zur  Physiologie  der  Galle  beim 
Kaninchen. 


2248 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  46 


Auswärtige  Briefe. 

Berliner  Briefe. 

(Eigener  Bericht.) 

Per  Einfluss  des  Krieges  auf  die  ärztliche  Tätigkeit.  —  Die 
Invaliditäts-  und  Hinterbliebeiienversorgung  der  vertraglich  ver¬ 
pflichteten  Zivilärzte. 

Die  Unruhe  und  Ungewissheit,  welche  beim  Ausbruch  des 
Krieges  wie  in  allen  anderen  Bevölkerungskreisen  auch  unter  den 
Aerzten  herrschte,  hat  allmählich  ernster  Ruhe  und  regelmässiger 
Arbeit  Platz  gemacht  Während  wir  mit  gespanntester  Aufmerk¬ 
samkeit  den  Verlauf  der  kriegerischen  Ereignisse  und  die  Tätigkeit 
unserer  Kollegen  im  Felde  verfolgen,  setzen  wir,  soweit  nicht  ein¬ 
zelne  durch  den  Dienst  in  Rcscrvelazaretten  in  Anspruch  genommen 
sind,  die  aus  der  Friedenszeit  gewohnte  Arbeit  in  wenig  veränderter 
Form  fort.  Alle  kollegialen  Meinungsverschiedenheiten,  alle  Streitig¬ 
keiten  mit  den  Kassen  sind  zum  Schweigen  gekommen,  es  herrscht 
ungestörter  Burgfrieden.  Obwohl  eine  Anzahl  Berliner  Aerzte  für 
den  Feld-  und  Etappendienst  einberufen  ist,  macht  sich  doch  ein 
Mangel  an  Aerzten  in  keiner  Weise  geltend.  Eher  ist  das  Gegenteil 
der  Fall,  die  meisten  stellen  eher  eine  Verminderung  als  eine  Ver- 
grösserung  ihrer  Praxis  fest.  Das  hat  vielerlei  Gründe.  Zunächst 
ist  zu  bedenken,  dass  viele  Aerzte,  die  ihre  jungen  Jahre  auf  dem 
Lande  zugebracht  haben,  später  aus  Rücksicht  auf  die  eigene  Ge¬ 
sundheit  und  auf  die  Erziehung  ihrer  Kinder  in  die  Grossstadt 
ziehen,  so  dass  sich  hier  die  Zahl  der  älteren  Aerzte,  die  nicht 
mehr  dienstpflichtig  und  auch  nicht  mehr  felddienstfähig  sind,  häuft. 
Da  ferner  der  Aerzteiiberscliuss  in  den  Grossstädten  zu  Friedens¬ 
zeiten  ein  sehr  bedeutender  ist,  so  macht  sich  die  Abwesenheit 
der  einberufenen  Aerzte  fiir  die  zurückgebliebenen  wie  auch  für  die 
Bevölkerung  nicht  sehr  bemerkbar  und  die  Einrichtung  der  Vertretung 
begegnet  keinen  grossen  Schwierigkeiten.  Es  kommt  aber  noch 
hinzu,  dass  ärztliche  Hilfe  jetzt  im  allgemeinen  seltener  in  Anspruch 
genommen  wird  als  in  Friedenszeit.  Das  geschieht  bei  manchen 
aus  Sparsamkeitsrücksichten,  bei  vielen  aber  deshalb,  weil  sie  jetzt 
für  ihre  kleinen  Leiden  keinen  Sinn  haben  und  sie  kaum  spüren. 
In  so  bewegter  grosser  Zeit  erscheint  es  ihnen  kleinlich,  dem  eigenen 
Körper  besondere  Aufmerksamkeit  zuzuwenden.  Der  Gedanke  an  die 
Entbehrungen  und  Strapazen  unserer  tapferen  Krieger,  die  so  gar 
keine  Rücksicht  auf  das  körperliche  Wohlbefinden  kennen,  lässt  die 
eigenen  kleinen  Beschwerden  sehr  in  den  Hintergrund  treten,  und  die 
Patienten,  die  sonst  wegen  jeder  Migräne,  jedes  Magendrückens, 
jedes  Leibschmerzes  und  jeder  Erkältung  den  Arzt  zu  befragen  und 
eine  gründliche  Behandlung  zu  verlangen  pflegten,  schämen  sich  fast, 
wegen  solcher  Beschwerden  Hilfe  zu  suchen.  Das  Heer  der  „Ner¬ 
vösen"  ist  bedeutend  zusammengeschmolzen;  und  wenn  man  dereinst 
nach  glücklich  erkämpftem  Frieden  die  Bilanz  dieses  Krieges  ziehen 
wird,  so  wird  man  zwar  viel  Elend,  viel  Krankheit  und  Siechtum 
aut  die  Verlustseite,  aber  auch  diese  Fähigkeit  zur  Selbstüber¬ 
windung,  die  Hintansetzung  des  eigenen  Ich  als  moralische  Werte 
ruf  die  Gewinnseite  setzen  müssen. 

Es  sind  zum  überwiegenden  Teile  ernste  Erkrankungen,  welche 
/ic  Berliner  Aerzte  jetzt  zu  behandeln  haben,  und  fast  alle  haben 
rieh  auch  der  Heeresverwaltung  zur  Verfügung  gestellt,  allerdings 
.-ehr  viele  nur  für  Gross-Berlin.  Die  natürliche  Folge  davon  ist, 
lass  die  Heeresverwaltung  von  dieser  Bereitwilligkeit  nur  in  be¬ 
schränktem  Umfang  Gebrauch  machen  kann,  und  das  hat  wiederum 
eine  kleine  Verstimmung  unter  den  hilfsbereiten  Aerzten  hervorge¬ 
rufen.  die  nicht  ganz  unberechtigt  ist.  Man  hat  sich  zwar  anfangs 
bemüht,  jede  Kritik  zu  vermeiden,  konnte  sie  jedoch,  da  es  sich  um 
die  ärztliche  Versorgung  der  Verwundeten  handelt,  nicht  ganz 
zurückdrängen.  Wenn  man  hört,  dass  beim  Sanitätsamt  des  Garde¬ 
korps  800  Aerzte  für  Gross-Berlin  gemeldet  sind,  so  ist  es  selbst¬ 
verständlich,  dass  nur  ein  kleiner  Bruchteil  von  ihnen  Verwendung 
findet,  und  dass  Meldungen,  in  denen  Bedingungen  in  bezug  auf 
Zeit  und  Stadtgegend  gestellt  sind,  überhaupt  wertlos  sind.  Wenn 
aber  aus  der  Mitteilung,  dass  die  Bereitwilligkeit  auf  den  Heimat¬ 
ort  beschränkt  ist,  ein  leiser  Vorwurf  herausklingt,  so  ist  ein  solcher 
sicherlich  nur  zu  einem  Teile  berechtigt.  Denn  zahlreiche  ältere 
Aerzte  sind,  auch  wenn  die  Rücksicht  auf  ihre  Familie  und  ihre 
Patienten  keine  Rolle  spielen  darf,  körperlich  den  Strapazen  des 
Leid-  und  auch  des  Etappendienstes  nicht  mehr  voll  gewachsen,  und 
sie  glauben,  ihre  Pflicht  dem  Vaterlande  gegenüber  besser  in  der 
Heimat  erfüllen  zu  können,  während  der  Dienst  ausserhalb  den 
jüngeren  Kollegen  überlassen  bleiben  kann.  Die  Verstimmung  hat 
aber  gerade  darin  ihren  Grund,  dass  man  hier  Aerzte  in 
Tätigkeit  sicht,  welche  geeignet  und  bereit  sind,  ins  Feld  zu  gehen, 
wo  es  ja  vielfach  an  Aerzten  fehlen  soll,  während  ihre  hiesige  Arbeit 
sehr  gut  von  älteren  Zivilärzten  geleistet  werden  könnte.  Auch  sonst 
gab  die  Auswahl  zur  Kritik  Anlass;  denn  man  sieht  Kollegen,  deren 
Sonderfach  von  chirurgischer  Tätigkeit  weitab  lag,  in  Verwundeten- 
lazaretten,  während  chirurgisch  vorgebildete  vergeblich  auf  Be¬ 
schäftigung  warten.  Wenn  solche  auffallende  Erscheinungen  der  Er¬ 
örterung  unterzogen  werden,  so  geschieht  es  nicht  zum  Zwecke  un¬ 
fruchtbarer  Kritik;  denn  auch  bei  den  Kritikern  bleibt  die  Ueber- 
zeugung,  dass  alles,  was  mit  der  Mobilmachung  zusammenhängt,  in 
wunderbarer  Ordnung  und  Umsicht  vorbereitet  ist,  unerschüttert. 
Wenn  plötzlich  dem  dritten  Teil  der  deutschen  Aerzte  ein  neues 


Arbeitsgebiet  angewiesen  werden  muss  und  unter  ihnen  vielen,  weicht 
einem  militärischen  Befehl  zur  Friedenszeit  nicht  unterstehen,  so  is 
es  gar  nicht  möglich,  dass  überall  der  rechte  Mann  an  die  rechtt 
Stelle  gestellt  wird.  Da  wir  aber  das  Ende  des  Krieges  noch  nicht 
absehen  können  und  leider  noch  mit  vielen  Verletzungen  und  Krank 
heilen  rechnen  müssen,  so  wäre  freilich  eine  Verschiebung  ues  ärzt 
liehen  Personals  in  dem  Sinne  erwünscht,  dass  die  nach  Massgabt 
der  vorhandenen  Kräfte  beste  Fürsorge  fiir  die  Truppen  erreicht 
wird. 

Als  beim  Ausbruch  des  Krieges  sich  viele  Zivilärzte  der  Heeres¬ 
verwaltung  zur  Verfügung  stellten,  da  haben  sie  nicht  danacn  gefragt 
welche  Rechte  und  Pflichten  ihnen  daraus  erwachsen.  Sie  wollten 
einfach  nach  ihren  besten  Kräften  Hilfe  leisten,  alles  andere  war 
Nebensache;  ja  manche  waren  sogar  überrascht,  als  sie  erfuhren 
dass  ihre  Tätigkeit  nicht  ehrenamtlich,  sondern  gegen  Entgelt  au-.- 
geübt  v  ird.  Später  wurde  die  Frage  aufgeworfen,  ob  und  in  welcher 
Weise  Aerzte  oder  ihre  Hinterbliebenen  entschädigt  werden,  wenn) 
sie  infolge  ihrer  Kriegstätigkeit  invalide  werden  oder  sterben.  Ueber 
diese  Frage  herrschte  vielfach  Unklarheit.  Der  Aerzteausschuss  von 
Gross-Berlin  hat  sich  daher  in  einer  Sitzung,  an  der  auch  der  Ab-1 
teilungschcf  im  Kriegsministerium.  Herr  Generalarzt  P  a  a  I  z  o  w,  teil¬ 
nahm  und  .in  dankenswerter  Weise  alle  nötigen  Aufklärungen'  gab 
die  Verträge  der  Zivilärzte  einer  eingehenden  Erörterung  unterzogen. 
Näheres  über  die  Ansprüche  der  zum  Heere  in  Vertragsverhältnis 
stehenden  Aerzte  an  Invaliditäts-  und  Hinterbliebenenversorgung  warf 
in  der  vorigen  Nummer  dieser  Wochenschrift  mitgeteilt. 


Vereins-  und  Kongressberichte. 

Freie  militärärztliche  Vereinigung  in  Erlangen. 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzung  vom  30.  Oktober  1914. 

Vorsitzender:  Generalarzt  Prof.  Dr.  P  e  n  z  o  1  d  t. 

Herr  Toeni  essen  stellt  zunächst  einen  Kranken  vor.  der  im 
Anschluss  an  einen  Halsschuss  okulo-pupilläre  Sympathikusstörungen 

zeigt  und  erörtert  die  anatomischen  Grundlagen  des  Symptomcn- 
komplexes. 

Hierauf  hält  Herr  T.  seinen  Vortrag  über  die  Ergebnisse  der 
klinischen  Beobachtung  an  34  Schussverletzungen  der  Lunge  auf 
Grund  des  Materiales  der  medizinischen  Klinik.  Die  interessanten 
Befunde  bei  Hämatothorax.Pneumohämothorax  und  Pyopneumothorax 
werden  an  Röntgcnbildern  demonstriert.  Die  Ausführungen  sollen 
unter  den  Originalien  der  M  m.W.  erscheinen. 

Herr  Kreuter  berichtet  über  die  Resultate  einer  einheitlichen 
Serumbehandlung  in  31  Fällen  von  Wundstarrkrampf  nach  Kriegsver¬ 
letzungen.  Durch  intravenöse  und  intra  spinale  Appli¬ 
kation  des  Serums  ist  es  gelungen,  die  Mortalitätsziffer  sehr  beträcht¬ 
lich  herunterzudrücken.  Dieser  Vortrag  erscheint  an  anderer  Stelle 
dieser  Nummer  (S.  2255). 

Herr  v.  K  r  y  g  e  r  demonstriert  einen  Fall  von  Aneurysma  arterio- 
venosum  der  Femoralis  unter  Vorausschickung  kurzer  Bemerkungen 
über  die  traumatische  Aneurysmabildung  überhaupt.  Kreuter. 


Aerztlicher  Verein  in  Frankfurt  a.  M. 

(Offizielles  Protokoll.) 

1681  Ausserordentliche  Sitzung  vom  17.  August  1914 
abends  7  Uhr  im  Sitzungssaal. 

Vorsitzender:  Herr  Quincke. 

Schriftführer:  Herr  B  a  e  r  w  a  1  d. 

Herr  H.  Sachs:  Ueber  Typhusschutzimpfung. 

Die  1  yphusschutzimpfung  stellt  eine  aktive  Immunisierung  gegen | 
I  yphus  dar,  d.  h.  es  werden  die  Krankheitserreger  eingespritzt  und 
der  Impfling  erwirbt  dadurch,  ähnlich  wie  bei  der  Schutzpocken¬ 
impfung  aktiv  eine  Immunität.  Die  Typhusimpfstoffe  stellen  demnach, 
Aufschwemmungen  von  Typhusbazillen  in  geeigneter  Form  dar.  Maiij 
verwendet  nach  dem  Vorgang  von  Pfeiffer  und  Kolle,  von 
denen  die  erste  Methode  der  Schutzimpfung  gegen  Typhus  stammt, 
in  Deutschland  in  der  Regel  Agarkulturen.  Die  neuerdings  herge- 
stellten  1  yphusimpfstoffe  unterscheiden  sich  aber  von  den  letzteren! 
dadurch,  dass  die  Abtötung  der  Bazillenaufschwemmung  bei  nie¬ 
drigerer  I  emperatur  erfolgt  und  geringere  Mengen  injiziert  werden,  ; 
Modifikationen,  deren  Bedeutung  man  aus  den  Erfahrungen  englischer, 
französischer  und  amerikanischer  Aerzte  (Wright,  Harrison, 
L  e  i  s  h  m  a  n,  Vincent,  B  e  s  r  e  d  k  a,  Russell  u.  a.)  kennen 
gelernt  hat.  Während  Besredka  lebende  Typhusbazillen,  die  mit 
Immunserum  _  beladen  sind  (sensibilisierter  Impfstoff)  injiziert  und 
Vincent  zur  Abtötung  Aether  verwendet,  werden  in  Deutschland 
nach  dem  Vorgänge  von  Russell  die  Bazillenaufschwemmungen 
durch  1—1 V2  ständiges  Erhitzen  auf  55  0  abgetötet.  Die  Aufschwem¬ 
mung  wird  so  verdünnt,  dass  der  Impfstoff  im  Kubikzentimeter  etwa 
1000  Millionen  Keime,  entsprechend  14  Oese  enthält.  Als  Konser¬ 
vierungsmittel  wird  0,5  Proz.  Karbolsäure  zugesetzt. 

Es  empfiehlt  sich  dreimal,  in  Abständen  von  7—10  Tagen,  zu 
inijzieren,  und  zwar  das  erste  Mal  0,5  ccm.  das  zweite  und  dritte 


17.  November  1914. 


■MUENCHENER  MEDIZINISCH!:  WOCHENSCHRIFT. 


Mal  1  ccm  (subkutan).  Die  eintretenden  Reaktionen,  welche  sich  lokal 
mi  iSCu  ^otung  und  Schmerzhaftigkeit,  allgemein  in  Abgc- 
schlagenheit,  I  emperatursteigerung,  cv.  Schüttelfrost  und  Erbrechen 
aussern,  sind  nach  den  vorliegenden  Berichten  im  allgemeinen  gering, 
hoher  und  erhebliche  Störungen  des  Wohlbefindens  sollen  nur  relativ 
selten  auftreten  und  verschwinden  und  dann  nach  24 — 48  Stunden, 
ohne  jemals  dauernde  Schädigungen  zu  hinterlassen.  Die  statistischen 
fcrhcbungen,  dm  Sich  vorzüglich  auf  die  Armeen  beziehen  (Deutsch- 
Midwestairika,  England  und  Indien,  Japan,  Frankreich,  Amerika) 
sprechen  für  glänzende  Erfolge,  die  in  der  amerikanischen  Armee 
soKar  |  zur  Einführung  der  obligatorischen  Schutzimpfung  (1911)  ge- 
u*-ri.  l!ab.Cn  f  Def  Schutz  wird  auf  etwa  3  Jahre  geschätzt.  Bei  der 
\\  irksamkeit  und  Harmlosigkeit  des  Verfahrens  kommt  die  Schutz¬ 
impfung  Vber;111  da>  wo  e]nc  wesentliche  Typhusgefährdung  besteht, 
ils  \yichtige  Massnahme  der  Typhusbekämpfung  in  Betracht 

Diskussion:  Herr  Kohnstamm  fragt,  ob  Anhaltspunkte 
Jatur  vorhanden  sind,  dass  die  Impfung  noch  nützen  kann  nach 
möglicherweise  erfolgter  Infektion. 

Herr  Braun:  Zu  den  Ausführungen  von  Herrn  Sachs  möchte 
ch  mir  einige  Bemerkungen  erlauben.  Zunächst  möchte  ich  darauf 
m  merksam  machen,  dass  wir  im  hygienischen  Institut  einen  poly- 
.  alenten  Typhus.mpfstoff  hergestellt  haben,  der  an  einigen  Menschen 
Hb‘er  a  nUy  ge.n"ge  Lokalerscheinungen  verursachte.  Dieser 
•teht  den  Aerzten  jederzeit  umsonst  zur  Verfügung.  Was  die  Er- 

ÄSTSli®1  wr  ImPfung  betrifft,  so  sind  sie  durchaus  nicht  immer 
uohtcr  Natur.  Wenn  auch  die  Angaben  der  einzelnen  Autoren  nicht 

S°  uaün  n3af1,aas  den  vorliegenden  Daten  immerhin 
ltnehmen,  dass  nach  der  Injektion  des  Typhusvakzins  in  etwa  1  bis 
Froz.  der  Falle  schwere  Erscheinungen  (Fieber  bis  40°  und  Kopf- 
Jmnerzen,  starke  Schwellungen  an  der  Injektionsstelle)  sich  aus- 
!  ltDar  ?u,ss  der  Praktische  Arzt  wissen,  da  er  seinen  Patienten 
uf  diese  Gefahr  wird  aufmerksam  machen  müssen.  Andererseits 
iuss  aber  betont  werden,  dass  nach  den  vorliegenden  Statistiken 
le  Immunisierung  gute  Resultate  zeitigt  und  in  der  Mehrzahl  der 
alle  (etwa  88  Proz .)  die  Impfung  nur  mit  geringen  oder  gar  keinen 
ifS““  bereitet:  wird.  Es  ist  deshalb  erforderlich,  dass  auch 
e  praktischen  Aerzte  sich  in  Zeiten  der  Typhusgefahr  der  Vak- 
ination  gegen  Typhus  bedienen.  Die  auftretenden  Lokalerschei- 
ungen  kann  man  durch  kalte  Umschläge  usw.  mildern.  Was  die 
ijektmnsstelle  betrifft,  so  empfiehlt  es  sich  bei  Rechtshändern  am 
nken  Oberarm  bei  Linkshändern  am  rechten  Oberarm  zu  injizieren. 

r‘nQt1Y'ud  bif‘cd!,eSen  ApP’lkatl0n  kaum  Störungen  lebenswichtiger 
rgane  durch  Schwellung  beobachten. 

.r2's  ^.urde  an  uns  die  Frage  gestellt,  ob  Kinder  immunisiert 
erden  können.  Es  liegen  bis  jetzt  keinerlei  Erfahrungen  darüber 
or.  Immerhin  wurden  wir  die  Immunisierung  der  Kinder  bei  be¬ 
eilender  Gefahr  ebenfalls  empfehlen,  natürlich  unter  Anwendung 
.tptPnriRSWAr-  Injektlonsdosen.  Da  der  Typhusimpfstoff  aus  abge- 
lergest,eIlt  ,lst’  besteht  keine  Gefahr,  dass  der 
ehandelte  an  Typhus  erkrankt  oder  Typhus  verbreiten  kann. 


2249 


Verein  der  Aerzte  in  Halle  a.  S. 

(Bericht  des  Vereins.) 

Sitzungen  v  o  m  8.,  15.  u  n  d  22.  Juli  1914.  (Schluss.) 

Vorsitzender:  Herr  B  e  n  e  k  e. 

Schriftführer:  Herr  Stieda. 

Herr  Abderhalden  (a.  G.):  Die  experimentellen  Beweise  für 
s  Vorkommen  von  Abwehrfermenten  unter  verschiedenen  Beda¬ 
ngen.  (S.  d.  Wschr.  Nr.  36  u.  ff.) 

r,iHtrrwbd^rhalden  (Schlusswort):  Ich  danke  allen  Herren 
h  tu»  dauUi T-’  ,1as.s  !ie  so  umfassender  Weise  meine  Methoden 
tu  ic  ifi1  klinischen  Fragestellungen  versucht  haben.  Ich  darf 
ihl  als  Schlussfolgerung  aus  der  ganzen  Debatte  den  Eindruck  mit 
ch  Hause  nehmen,  dass  Einstimmigkeit  darin  herrscht,  dass  die 
;thoden  es  wert  sind,  weiter  auf  dem  Gebiete  der  Pathologie  an¬ 
wandt  zu  werden. 

Ich  bin  aufgefordert  worden,  die  rätselhaften  Ergebnisse  von 
ichaelis,  Mosbach  er,  Stephan  und  0  e  1 1  e  r,  Freund 

1«  t3/111’!  ,  ?•  ow  usw-  zu  erklären.  Ich  bin  dazu 
verstände.  Ich  bin  mit  voller  Absicht  nicht  auf  diese  Ver- 
snthehungen  eingegangen.  Ich  begrüsse  es  ganz  ausserordentlich, 
nn  scharfe  Kritik  an  Auswüchsen  und  voreiligen  Schlüssen  geübt 
•  d.  Ebenso  bin  ich  sehr  dankbar  dafür,  wenn  schwache  Punkte 
den  ganzen  Ideengängen  und  in  der  Forschung  und  Methodik  mög- 
st  Klar  herausgearbeitet  werden.  Wir  stehen  ja  erst  im  Beginne 
es  "e.uea  Forschungsgebietes!  Es  bleibt  noch  unendlich  viel  zu 
'■ ,.lch  habe  es  auch  für  meine  Pflicht  gehalten,  alle  Einwände 
ekbv  nachzuprufen  und  zu  ihnen  objektiv  Stellung  zu  nehmen. 

'  lon  in  dem  manche  der  gegnerischen  Arbeiten  geschrieben  sind, 
bietet  mir,  auf  diese  einzugehen.  Wenn  Fraenkel  in  Heidel- 

■ni  /■a.tow  in  München  (Mediz.  Klinik  von  Friedrich 
1 1 1  e  r)  diejenigen  Forscher,  und  ihre  Zahl  ist  nicht  klein,  welche 
meinen  Methoden  Erfolge  zu  verzeichnen  haben,  verdächtigen, 
v  Hs? ,  oder.  unbewusst  sich  und  andere  zu  täuschen,  so  hört  jede 
glichkeit  einer  Verständigung  auf.  Ich  werde  diesen  Herren  nicht 
ir  antworten.  Selbstverständlich  prüfe  ich  alle  Ergebnisse  nach. 

-  Behauptungen  von  F 1  a  t  o  w,  auch  die  neueste,  jedes  Serum 
Nr.  46. 


baue  Kasein  ab,  haben  sich  als  vollkommen  irrig  erwiesen.  So  lange 
er  keine  Kontrollversuche  ansetzt  und  nicht  mit  inaktiviertem  Serum 
arbeitet  und  ferner  seine  Mitteilungen  so  wenig  sachlich  gestaltet, 
wird  es  unmöglich  sein,  zu  entscheiden,  weshalb  F 1  a  t  o  w  stets 
Resultate  erhält,  die  den  Tatsachen  nicht  entsprechen.  Herr  Prof, 
t  regl  m  Graz,  einer  der  sorgfältigsten  Experimentatoren,  die  wir 
annZi t  besitzen>  ermächtigt  mich,  mitzuteilen,  dass  er  auf  Grund  von 
3UU  Untersuchungen  zu  dem  Resultate  gekommen  ist,  dass  die  Ab¬ 
wehrfermente  streng  spezifisch  seien.  Ich  erinnere  auch  noch  einmal 
..?  Feststellung  von  Paul  Hirsch,  dass  das  Interferometer,  das 
ich  übrigens  so  zu  ergänzen  trachte,  dass  es  zu  grösseren  Reihen 
yermentuntersuchungen  noch  geeigneter  wird,  genau  die  gleichen 
Resultate  erhalten  hat,  wie  ich  und  zahlreiche  Kliniker  sie  mit  ganz 
anderen  Methoden  gewonnen  haben. 

Noch  auf  einen  Punkt  möchte  ich  kurz  eingehen.  Es  ist  be- 
worden,  man  könne  die  Organe  nach  meinen  Vorschriften 
h  ?LbiUti!rei^  euha  teii-  Ferner  ist  behauptet  worden,  dass  Organe, 
hnnmm  6  •  ndej  worden  seien-  wie  ich  es  verlange,  so  schwer  miss¬ 
handelt  seien,  dass  man  nicht  mehr  von  Geweben  sprechen  könne 
Ich  erinnere  z.  B.  an  die  Mitteilung  von  L  a  n  g  e  aus  dem  Wasser- 
mannschen  Institute.  Ich  habe  nun  z.  B.  Plazenta  histologisch 

lwpietPrp?7ni  aSSCn'a  5Jan  erkennt  auf  iedem  einzelnen  Schnitte  ohne 
weiteres  Zellen  und  Kerne.  Die  Zotten  sind  fast  unverändert.  Es 

Mipmri-aUn  —  W1£,  aus£ezeichnet  das  Gewebe  noch  erhalten  ist. 
Nicht  eine  einzige  Blutzelle  konnte  nachgewiesen  werden!  Ich  habe 
schon  vor  einiger  Zeit  unabhängig  von  Bornstein  und  Deetjen 
den  Vorschlag  gemacht,  Organe,  die  der  Einwirkung  eines  Serums 
unterlegen  sind,  nachträglich  zu  härten  und  zu  färben.  Ein  Vergleich 
mit  (lern  nicht  mit  Serum  behandelten  Gewebe  zeigt,  welche  Teile 
von  den  Abwehrfermenten  angegriffen  worden  sind.  Man  wird  auf 
diesem  Wege  wahrscheinlich  so  weit  kommen,  dass  man  die  Art  des 
Gewebes,  das  zum  Abbau  kommt,  genauer  charakterisieren  kann 

Td  dann  ,™stande  sein’  «ir  jeden  Fall  die  Substrate 
spezifischer  auszuwahlen,  als  es  bisher  der  Fall  war.  Mikroskop  und 
Farbetechnik  gehören  unmittelbar  zu  den  unentbehrlichen  Er¬ 
gänzungen  der  ganzen  Fermentforschung. 

Nicht  genug  kann  ich  zu  Tierversuchen  raten.  Zur  Einstellung 
von  Organen  leistet  das  Tierexperiment  ganz  vorzügliches. 

Nach  meiner  Empfindung  gehört  die  Anwendung  der  Methodik 
auf  pathologische  Fälle  an  die  Klinik.  Niemals  ist  behauptet  worden, 
dass  zurzeit  auf  Grund  des  Ausfalls  meiner  Fermentreaktion  eine 
Diagnose  möglich  sei.  Die  Methoden  sollen  den  Kliniker  und 
Arzt  nur  unterstützen.  Sie  können  eine  Vermutung  zur  Ge¬ 
wissheit  erheben  oder  den  Arzt  auf  ganz  neue  Wege  bringen 
Es  wird  eines  sehr  grossen  Materials  bedürfen,  bis  man  imstande 
sem  Wird,  zu  entscheiden,  ob  die  Methoden  und  die  ganze  Forschung 
praktische  Bedeutung  erlangen  werden.  Zunächst  handelt  es  sich 
nur  darum  das  Anwendungsgebiet  der  Methoden  zu  umgrenzen.  '  Ich 
hoffe  angelegentlich,  dass  die  Zeit  der  unsachlichen  Angriffe  vorüber 
ipeü?  +  die  Zu-  wiederkehrt,  in  der  Gegensätze  in  den  Forschungs- 
i  l^ten  sac,bbch  ergründet  und  aufgeklärt  werden.  Der  Fortschritt 
der  Wissenschaft  wird  nicht  gehemmt,  wenn  Widersprüche  auftreten 
Im  Gegenteil  wird  sehr  oft  aus  einer  sachlich  geführten  Polemik  eine 
fülle  von  Anregung  hervorgehen.  Niemand  ist  mehr  überzeugt  als 
t’  •  t.SS  c  Methoden  ausbaufähig  sind  und  niemand  wird  leichter 
als  ich  auf  Vorstellungen  verzichten,  wenn  Tatsachen  zutage  ge- 
foidert  werden,  welche  mit  meinen  Ideen  nicht  vereinbar  sind  Vor¬ 
läufig  sehe  ich  allerdings  nicht  einen  Befund,  der  mit  meinen  An¬ 
schauungen  in  Widerspruch  steht. 

Tch  hatte  vor  bald  2  Jahren  die  Herren  Kliniker  gebeten,  meine 
Ideen  und  Methoden  auf  dem  Gebiete  der  Pathologie  und  der 
experimentellen  Forschung  zu  prüfen  und  festzustellen,  ob  sie  sich 
als  fruchtbar  und  anwendbar  erweisen.  Es  Hess  sich  ja  gar  nichts 
Voraussagen.  Ich  hatte  mir  vorgestellt,  dass  in  ruhiger  Forschung 
entschieden  wurde,  ob  der  eingeschlagene  Weg  auch  für  den  Patho- 
?jnguar  sei-  f?b  erwartete  nicht  sogleich  einen  bestimmten 
Bescheid.  Hatte  es  sich  herausgestellt,  dass  aus  diesen  oder  jenen 
Gründen  die  Methoden  für  die  Pathologie  von  keinem  Werte  sind 
so  wurde  das  mich  nicht  schwer  getroffen  haben.  Die  Fundamente 
stehen  auf  dem  Gebiete  der  Physiologie  und  diese  stehen  ganz  sicher. 

.  s  wäre  nicht  meine  Schuld,  wenn  keine  Organstörungen  existieren 
in  deren  Gefolge  es  zu  blutfremden  Substraten  und  Fermenten 
kommt.  Erweist  sich  meine  ganze  jahrelange  Forschung  als  eine 
jrimdlage,  aut  der  der  Kliniker  Weiterarbeiten  kann,  dann  bedeutet 
das  für  mich  eine  grosse  Freude.  Der  Theoretiker  darf  es  als  ein 
ganz  besonderes  Gluck  betrachten,  wenn  ihn  die  Forschung  zu  Resul¬ 
taten  fuhrt,  welche  praktisch  brauchbar  sind. 

i  ln.  d(Lr  Sitzung  vom  22.  Juli  d.  J.  berichtet  noch  Herr  Kohl- 
a  ‘  r  d  1  “bet  seine  Erfahrungen,  die  er  mit  dem  Abderhalden- 

bbalysi.erverfahren  in  der  allgemeinen  Praxis  und  in  der 

j  : H^Hkejihtmstätigkeit  machte.  Sie  erstrecken  sich  auf  ca.  40  Krank¬ 
heitsfälle  verschiedener  Art. 

nr.-ift1'  ml,n!äSt  wurde  eine  Gruppe  von  Krankheitszuständen  ge- 
j  ruft,  die  sich  namentlich  in  runktionell-nervösen  Störungen  aller 
Al  t  ausserten.  Nur  3  von  12  Fällen  Hessen  sich  nach  dem  klinischen 
in^pphp6  .Hy1  •  '\abrS-^^ einlichkeit  als  thyreotoxische  Störungen  an- 
sprcchen;  bei  den  übrigen  war  die  Aetiologie  eine  unsichere  und 
unbestimmte.  Die  Ergebnisse  der  Abderhalden  sehen  Reaktion 
.eigten  nun,  dass  sie  alle  in  gleicher  Weise  auf  Störungen  und  Ver¬ 
änderungen  der  Schilddrüse  und  der  Thymusdrüse  zurückzuführen 


22 50 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  4(i. 


waren.  In  allen  Fällen  ergab  sich  mehr  oder  minder  starker  Abbau 
von  Basedowschilddrüse  und  von  Thymusdrüse,  weniger  ausge¬ 
sprochen  und  nicht  regelmässig  auch  von  normaler  Schilddrüse. 

Dass  es  sich  bei  diesen  Fällen  tatsächlich  um  die  genannte 
Aetiologie  handelte,  war  nur  in  2  Fällen  objektiv  durch  pathologisch¬ 
anatomische  Befunde  zu  belegen.  Ferner  konnte  es  noch  2  mal  be¬ 
wiesen  werden  durch  die  gleichzeitig  mit  der  Besserung  der  Krank¬ 
heitserscheinungen  einsetzende  Wandlung  des  positiven  Ausfalls  der 
Abderhalden  sehen  Reaktion  in  den  negativen  nach  der 
Operation.  In  den  übrigen  Fällen  musste  man  sich  zunächst  mit  der 
Diagnose  ex  juvantibus  begnügen.  Es  wurden  mit  den  bei  thyreo¬ 
toxischen  Zuständen  bewährten  Behandlungsmethoden  in  allen  Fällen 
erhebliche  Besserungen  erzielt,  nachdem  vorher  oft  jahrelange  all¬ 
gemeine  und  symptomatische  Nervenbehandlung  nicht  oder  nur  sehr 
unbefriedigend  geholfen  hatte.  Besonders  trat  dies  in  einem  Falle 
schwerer  Schlaflosigkeit  hervor,  der  stark  Thymus  abbaute.  Die 
jahrelang  bestehende  und  sehr  ausgiebig  ohne  Erfolg  behandelte 
Schlaflosigkeit  verschwand  prompt  nach  wenigen  Tagen  auf  die 
Behandlung  mit  einem  Organpräparat  (Thymin). 

II.  Von  ganz  besonders  hohem  Werte  erscheint  die  Ab  der - 
haldensche  Reaktion  als  diagnostisches  Hilfsmittel  bei  der  Dia¬ 
gnose  und  Differentialdiagnose  der  bösartigen  Geschwülste,  sowohl 
der  Karzinome  als  auch  der  Sarkome. 

In  2  Fällen  von  Sarkomen  (1  der  Schilddrüse,  1  des  Ovariums) 
konnte  der  positive  Ausfall  der  Abderhalden  sehen  Reaktion 
bewiesen  werden  durch  den  pathologisch-histologischen  Befund  der 
exstirpierten  Tumoren.  In  beiden  Fällen  war  es  nicht  möglich,  eine 
sichere  Diagnose  und  eine  schnelle  Indikation  zur  Operation  zu  stellen 
auf  Orund  der  klinischen  Erscheinungen.  Bei  einer  Halsdrüsen¬ 
geschwulst,  die  nach  Verlauf  und  Befund  den  Verdacht  auf  maligne 
Neubildung  erweckte,  ergab  die  Abderhalden  sehe  Reaktion 
einen  negativen  Befund.  Die  Operation  bestätigte  die  Richtigkeit 
dieses  durch  das  Vorhandensein  einer  Drüsentuberkulose. 

Von  20  Karzinomfällen  wurde  das  positive  Ergebnis  der  Abder¬ 
halden  sehen  Reaktion  in  6  Fällen  durch  pathologische  Befunde 
als  richtig  erwiesen.  In  einem  Falle  von  Magenkarzinom,  der  in  den 
letzten  Zügen  zur  Beobachtung  und  Behandlung  kam,  wurde  der 
Abbau  von  Magenkarzinom  vermisst.  In  4  weiteren  Fällen  liegt 
nach  dem  klinischen  Befunde  mit  Sicherheit  Krebs  vor.  Bei  5  Fällen, 
die  positiv  auf  Karzinom  reagierten,  konnte  die  Frage  bisher  nach 
dem  Verlaufe  und  den  klinischen  Erscheinungen  noch  nicht  in  der 
einen  oder  anderen  Richtung  entschieden  werden.  In  den  übrigen 
4  Fällen,  die  negativ  reagierten,  verwischte  der  weitere  Verlauf  den 
anfänglichen  Verdacht  auf  Karzinom  ganz.  Weitere  Beobachtungen 
müssen  über  alle  diese  fraglichen  Fälle  noch  sichere  Aufschlüsse  geben. 

III.  Aussichtsreich  erscheint  mir  die  Verwertung  der  Abder¬ 
halden  sehen  Reaktion  bei  der  Differentialdiagnose  der  funktionellen 
und  organischen  Herzerkrankungen.  In  3  sicher  als  funktionelle 
Störungen  anzusprechenden  Fälle  wurde  ein  Abbau  nicht  nach¬ 
gewiesen;  während  in  3  ausgesprochen  muskulären  Erkrankungen 
Herzmuskulatur  abgebaut  wurde.  Interessant  ist,  dass  bei  einem 
jungen,  frischen,  herzgesunden  Mädchen  Abbau  von  Herzmuskulatur 
14  Tage  nach  ihrer  Entbindung  stattfand.  Vielleicht  hängt  dies  mit 
einem  Rückgang  der  psychologisch-hypertrophierten  Herzmuskulatur 
zusammen.  Umfangreicheren  Untersuchungen  bleibt  in  diesen  Fragen 
noch  ein  reiches  Feld. 

IV.  In  den  4  Fällen,  in  denen  Gehirn  abgebaut  wurde,  war  bei 
2  Fällen  eine  bestimmte  klinische  Diagnose  nicht  zu  stellen  —  in  1 
handelte  es  sich  um  vorübergehende  starke  Kopfschmerzen,  in  dem 
anderen  um  leichten  Kopfdruck  und  Schwindel  ohne  erkenntliche 
Ursache.  Bei  beiden  sind  die  Beschwerden  bald  verschwunden. 
Wassermann  sehe  Reaktion  war  negativ.  Im  3.  war  eine  Epi¬ 
lepsie  vorhanden,  die  unter  dem  Einfluss  einer  Schwangerschaft  mehr 
hervorgetreten  war.  Im  4.  Falle  endlich  lag  eine  Lues  zugrunde. 
WaR.  +.  Besonders  interessant  war  hier  die  Beobachtung,  dass  vor 
der  Behandlung  die  Abderhalden  sehe  Reaktion  stark  positiv 
(++,  ++)  ausfiel,  während  nach  einer  energischen  Kalomelinjek- 
tionskur  und  3  Salvarsaneinspritzungen  die  Abderhalden  sehe 
Reaktion  negativ  wurde  zugleich  mit  Verschwinden  der  zerebralen 
Erscheinungen  und  der  Hebung  des  Allgemeinzustandes. 

Die  Abderhalden  sehe  Reaktion  ist  hiernach  imstande,  schon 
frühzeitig  uns  wichtige  Aufschlüsse  über  die  Natur  und  Lokalisation 
der  verschiedensten  Erkrankungen  zu  geben.  Sie  gibt -uns  so  wichtige 
therapeutische  Fingerzeige  und  leistet  uns  sehr  gute  Dienste  bei  der 
Beurteilung  der  Richtigkeit  und  der  Wirksamkeit  unserer  thera¬ 
peutischen  Massnahmen. 

Vortr.  stellt  sodann  einen  Fall  von  Magen-Leberkrebs  vor, 
welcher  mit  einem  nach  Abderhaldens  Angaben  hergestellten 
Serum  behandelt  wurde. 

Der  62  jährige  Kranke  kam  im  August  1913  in  die  Behandlung. 
Sein  Zustand  verschlechterte  sich  zunehmend  trotz  guter  Pflege  und 
medikamentöser  Behandlung.  Radium,  Mesothorium  und  Röntgen¬ 
strahlen  wurden  nicht  angewandt.  Seit  Weihnachten  war  er  infolge 
starker  Entkräftung  und  Abmagerung  dauernd  bettlägerig.  Er  ass 
nichts,  brach  alles  gebotene  zugleich  mit  kaffeesatzartigen  Magen¬ 
inhalt  aus;  die  Leber  war  stark  im  ganzen  geschwollen  und  zeigte 
einen  grossen  Knoten,  der  sich  durch  die  dünne  Bauchdecke  gut 
durchfühlen  liess.  Darunter  eine  nicht  genau  bestimmbare  Resistenz 
und  Druckempfindlichkeit.  Starke  Oedeme  der  erheblich  abge¬ 
magerten  Unterschenkel.  Gewicht  109  Pfund. 


Da  er  nach  dem  bisherigen  Verlaufe  dem  Tode  verfallen  schien, 
wurde  mit  seiner  Einwilligung  der  Versuch  mit  genanntem  Serum 
gemacht:  am  28.  II.  1914.  Auffallend  war,  dass  schon  in  den  nächsten 
Tagen  das  Erbrechen  ganz  aufhörte,  der  Appetit  zunahm  und  Pat. 
sich  angeblich  wohler  fühlte.  Trotzdem  grosse  Skepsis,  weil  nach 
<8  Tagen  eine  weitere  Gewichtsabnahme  um  5  Pfund  eingetreten  war. 
Da  die  Injektionen  keinerlei  unangenehme  Nebenerscheinungen 
machten,  wurden  sie  fortgesetzt  mit  dem  Erfolge,  dass  das  Allgemein¬ 
befinden  und  der  Appetit  sich  weiter  hoben.  DiQ  Gewichtszunahme 
stieg  Woche  um  Woche  ganz  allmählich  bis  auf  26  Pfund.  Die 
Lebcrsclnvellung  und  der  Knoten  gingen  gleichfalls  allmählich  zurück. 
Jetzt  fühlt  sich  Pat.  wohl,  bricht  nicht  mehr,  isst  alles  und  macht 
leichte  Haus-  und  Gartenarbeiten.  Sein  Aussehen  ist  ein  gutes  und 
erinnert  nicht  mehr  an  das  von  Ende  Januar.  Die  anfängliche  Ge¬ 
wichtsabnahme  nach  den  ersten  Injektionen  liess  sich  nach  der  Beob¬ 
achtung  auf  das  baldige  Verschwinden  der  Oedeme  zurückführen.  1 
Während  der  Zeit  vom  28.  II.  bis  19.  VI.  wurden  3Abderhalden-  I 
sehe  Serumuntersuchungen  gemacht,  die  alle  3  starken  Abbau  von  1 
Karzinomgewebe  ergaben. 

Es  wäre  wohl  ein  Wagnis,  einen  solchen  einzelnen  Erfolg  init- 
zuteilen,  wäre  nicht  noch  in  2  anderen  Fällen  eine  zweifellose  Ein¬ 
wirkung  auf  Karzinome  beobachtet  worden.  In  dem  einen  handelte 
es  sich  um  ein  Zungenkarzinom  mit  Halsdrüsen-  und  Lungen¬ 
metastasen.  Auch  in  diesem  wurde  eine  deutliche  Besserung  der 
objektiven  Erscheinungen  und  subjektiven  Beschwerden  festgestellt. 
Leider  starb  der  72  jährige  Mann  einige  Zeit  nach  der  Serumbehand- 
lung  infolge  allgemeiner  Entkräftung  und  an  Lungenentzündung.  In 
diesem  Falle  war  nun  der  mikroskopische  Befund  des  Zungentumors 
von  ganz  besonderem  Interesse  und  von  grosser  Beweiskraft  für  die 
Einwirkung  des  Serums.  Es  zeigten  sich  nicht  nur  im  Tumor  zentrale  \ 
Zerfallserscheinungen,  sondern  auch  ganz  auffallende  Degenerations-  1 
erscheinungen  der  in  das  Zungengewebe  eindringenden  jungen  Krebs¬ 
zellen  ohne  Entzündungserscheinungen  des  Stromas.  (GR.  Prof.  ! 
Dr.  B  e  n  e  k  e.) 

Bei  dem  anderen  Falle  fand  ein  auswärtiger  Chirurg  bei  der 
Laparotomie  eine  karzinomatöse  Infiltration  des  Mesocolon  des- 
cendens  dicht  oberhalb  der  Pleura  sigmoidea.  Eine  Radikaloperation  ! 
war  ausgeschlossen.  Es  wurde  deshalb  eine  Anastomose  zwischen 
Colon  transversum  und  dem  unterhalb  des  Tumors  liegenden  Darm- 
absclmitt  angelegt  Eine  energische  Behandlung  mit  Röntgenstrahlen. 
Radium  und  Mesothorium  blieb  ohne  wesentlichen  Erfolg  auf  die 
Grösse  des  Tumors.  Als  Pat.  in  die  Behandlung  trat,  war  sie  sehr 
reduziert,  hatte  Uebelkeit  und  Erbrechen,  starke  Verstopfung  und 
Stuhldrang,  ass  nichts  und  fühlte  sich  sehr  elend.  Auch  in  diesem 
Falle  traten  schon  nach  wenigen  Injektionen  deutliche  Besserung  der 
Allgemeinerscheinungen  und  Verschwinden  der  Schmerzen,  ces 
Appetitmangels  und  der  Stuhlgangsnöte  ein.  Der  Tumor  wurde  zu¬ 
sehends  ohne  jede  andere  Therapie  kleiner,  der  Stuhlgang  erfolgt 
jetzt  spontan.  Der  Verlauf  der  Erholung  wurde  durch  die  Entwick¬ 
lung  eines  Abszesses  an  einer  Injektionsstelle  gestört,  die  sonst  noch 
nie  beobachtet  werden  konnte. 

Bei  der  Wirkung  des  Serums  handelt  es  sich  offenbar  um  eine 
zweifache.  Die  eine  erstreckt  sich  auf  die  in  den  Blutkreislauf  ge¬ 
langten  Karzinomzellenbestandteile,  die  zu  allgemeinen  Intoxikations¬ 
erscheinungen  geführt  haben;  die  andere  greift  den  lokalisierten 
Tumor  im  Sinne  einer  abbauenden  Wirkung  der  Zellen  an.  Die  be¬ 
reits  erwiesene  Tatsache,  dass  das  Serum  Krebskranker  nur  Kar¬ 
zinomsubstrate  der  gleichen  Art  abbaut  —  ein  Beweis  der  hohen 
Spezifität  der  Abwehrfermente  — ,  bedingt  nach  Abderhalden 
die  Forderung,  dass  das  zur  Behandlung  verwandte  Serum,  dessen 
Wirkung  auf  dem  Gehalt  an  Fermenten  beruht,  mit  Hilfe  des  Dia- 
lysierverfahrens  genau  auf  die  Tumorart  des  zu  behandelnden 
Kranken  eingestellt  wird.  Auch  die  vorhandene  Wirkung  des  so 
eingestellten  Serums  auf  den  entsprechenden  Krankheitsfall  liefert 
einen  neuen  Beweis  für  die  hohe  Spezifität  der  Abwehrfermente. 


Äerztlicher  Verein  in  Hamburg. 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzung  vom  20.  Oktober  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Brauer. 

Herr  Brauer  berichtet  die  lange  und  interessante  Kranken¬ 
geschichte  eines  differentielldiagnostisch  schwierigen  Falles,  in  deni 
es  sich  um  einen  chronischen  Mediastinalabszess  handelte.  Beginn 
der  Erkrankung  mit  Tonsillitis  und  multipler  Abszessbildung  in  den 
Tonsillen,  Tonsillektomie.  Danach  Auftreten  von  substernalen 
Schmerzen,  die  als  Neuralgie,  Rheumatismus,  Aneurysma,  Endokar¬ 
ditis  usw.  angesprochen  wurden.  Die  mehrfache  Entleerung  von 
Eiter  durch  Husten  liess  an  ein  abgesacktes  Empyem  denken. 
Schluckbeschwerden,  systolisches  Geräusch,  am  lautesten  über  dir 
Pulmonalis,  atelektatisches  Knistern.  Röntgenbild  schien  die  An¬ 
nahme  eines  Empyems  zu  bestätigen.  Mehrfache  Operationen,  durch 
die  endlich  ein  extrapleural  im  Mediastinum  auf  dem  Perikard  ge¬ 
legener  (Senkungs-  ?)  Abszess  eröffnet  und  nach  entsprechender 
Drainage  geheilt  wurde. 

Herr  Jacobsthal  hat  den  B  ü  h  r  i  n  g  sehen  Feld-Taschen- 
kohlenfilter  auf  seine  Leistungsfähigkeit  geprüft  und  für  absolut  wir¬ 
kungslos  befunden.  Das  Filter  lässt  Bakterien,  Algen  und  anorga- 


.  November  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


2251 


clien  Schmutz  durch  und  ist  daher  nicht  zu  empfehlen.  J  warnt 
-  pseudohygienischen  Massnahmen  im  beide 
In  der  Diskussion  macht  u.  a.  Herr' Plaut  darauf  auf- 
rksani,  dass  in  verschiedenen  Merkblättern  empfohlen  würde, 
tsser  durch  Zusatz  von  Zitronensäure  genussfähig  und  keimfrei 
.  machen.  Diese  Angabe  sei  falsch.  Die  Truppen  seien  davor  zu 
rnen. 

Herr  Fahr  demonstriert  ausgedehnte  Stirnliirnschussver- 
t  ungen  von  einem  4jährigen  Kinde.  Das  Kind  war  vom  eigenen 
er  3  mal  m  die  Schlafe  geschossen,  nach  anfänglicher  Bcnommen- 
*  w'eder1  erwacht  und  in  gutem  Zustande  geblieben,  bis  eine  Meilin¬ 
gs  hinzutrat,  der  das  Kind  nach  14  Tagen  erlag.  Der  Fall  lehrt 
s  nicht  die  schwere  Stirnverletzung,  sondern  die  hinzutretende 
»nmgitis  den  Tod  verursacht. 

Herr  v.  Bergmann  demonstriert  Röntgenbilder  von  einer 
'  ressanten  Schussverletzung.  Ein  Infanterist  erhielt  im  2  Inter- 
:  talraum  einen  Lungenschuss,  der  nach  8  Tagen  Feldlazarettruhe 
,  geheut  zu  sein  schien.  Der  Mann  klagte  aber  dauernd  über 
zschmerzen.  Bei  der  Durchleuchtung  fand  sich  das  Geschoss 

1  b  euV  ^  *ij  1  1Ir!  ,.e  r  *  k  a  r  d.  wurde  durch  das  Herz  und  bei 
e Wechsel  bald  nach  links  bald  nach  rechts  geschoben.  Es  be- 
i  t  dabei  ein  Hämatoperikard. 

Herr  Haenisch  berichtet  über  einen  Offizier,  der  in  der 
zoekalgegend  von  einem  Geschoss  getroffen  war,  und  bei  dem 
‘ 1  Gagen,  m  denen  er  sich  relativ  wohl  befand  und  nur  über  ge- 
ntnehe  Blasenbeschwerden  oder  Bauchschmerzen  klagte,  eine 
V  e !  \1},de,r  Bauchhöhle  bewegende  Kugel,  die  ganz 
lutende  Wanderungen  mit  Lagewechsel  machte,  auf  dem  Trocho- 
1  '  festgestellt  wurde.  Baryumeinlauf  in  den  Darm,  um  den  extra- 
itmalen  Sitz  des  Geschosses  zu  beweisen. 

Ferr  Pr?^eckeJ  ze‘g*  aus  der  Zahl  der  Nervenschtissver- 
ingen  3  Falle  von  Faziallsläsion: 

1.  Schuss  in  die  Parotis:  Parotisfistel,  periphere  Fazialisparese 

:  untersten  Astes. 

2.  Schuss  in  die  Gegend  des  Processus  mastoideus.  das  Geschoss 
i  le  abgelenkt  und  trat  am  äusseren  Gehörgang  wieder  aus.  Kom- 
se  periphere  Fazialislähmung. 

3.  Einschuss  in  den  Proc.  mastoideus.  Ausschuss  am  hinteren 
‘  nenbogen.  Komplette  zentrale  Fazialislähmung. 

Herr  Sudek:  Lieber  die  Wundinfektionen  des  Krieges. 

1.  1  eil.  tiasphlegmone,  bedingt  durch  den  Bacillus 
"  h  y  s  e  m  a  t.  F  r  a  e  n  k  e  1.  Prognose  bisher  schlecht,  80  bis 
roz.  Mortalität,  rapide  einsetzendes  Oedem,  Gangrän  der  Ex- 
1  Behandlung  bisher:  sehr  breit  ausgedehnte  Spaltungen  und 
i  eitige  Amputationen.  Nach  Müller-  Rostocks  Vorschlag  wird 

'  ?  ?  u  e  0  [f  s  u  b  k  u  t  a  n  i  n  j  i  z  i  e  r  t.  3  Fälle  mit  Erhaltung 

i.xtremitat  geheilt. 


Diskussion:  Herr  A  1  s  b  e  r  g  hat  einen  Fall  von  Gasphleg- 
bnadegehdlt  Art  dUI"Ch  breite  Inzisionen  l,nd  Vioformgaze- 

lerr  Sick  hat  mit  Wasserstoffsuperoxyd  die  breit  gespaltenen 

onen  tamponiert. 

1eür  FJ,aen,kel  demonstriert  pathologisch-anatomische  Prä- 
e  dei  Erkrankung.  Die  Muskeln  sehen  aus  wie  ein  Schwamm 
uerperium  sieht  man  metastatische  Infektionen.  Besprechung 
Diagnose,  bei  der  das  Tierexperiment  (Meerschweinchen)  be- 
■  ist,  und  der  Differentialdiagnose  gegen  malignes  Oedem 
;  peutische  Versuche  mit  übermangansaurem  Kali  schienen  beim 
erioigreicn. 

,einem  am  20-  IX.  durch  einen  Querschläger 
•  linke  Supraklavikulär  grübe  Getroffenen  war  die  Klavikula  zer- 
Jiert  und  die  Lunge  durchschossen.  Am  26.  IX.  wurde  ein 
es  Pleuraexsudat  durch  Punktion  entleert.  Am  18.  X.  wurde 
nehreren  Tagen  hohen  Fiebers  ein  Empyem  gefunden  und  durch 
I  nresektion  entleert.  In  dem  stinkenden  Exsudat  fand  sich  der 
Hmphys.  Fraenkel. 

lerr  Schottmüller  hat  den  F  r  a  e  n  k  e  1  sehen  Gasbazillus 
»orten  sehr  häufig  gefunden.  128  mal  gelang  kulturell  im  Uterus- 
und  vereinzelt  auch  vorübergehend  im  Blut  der  Nachweis, 
st  die  Prognose  viel  besser,  nur  5  Proz.  Mortalität.  Bei  der 
on  kommt  es  auf  die  Disposition  der  Gewebe  an.  Im  Uterus- 
!  ™a<"‘1^  d‘e  Infektion  nicht  viel,  in  den  parametranen  Lymph- 
lutbahnen  verlauft  die  Infektion  ebenso  foudroyant  wie  in  den 
nirurgischer  Seite  beschriebenen  Fällen, 
err  S  i  m  m  o  n  d  s  zeigt  die  bei  einer  Sektion  frisch  gewonnenen 
morgane.  Werner-  Hamburg. 


urhistorisch-medizinischer  Verein  zu  Heidelberg. 

(Medizinische  Sektion.) 

Sitzung  vom  16.  September  1914. 
Vorsitzender:  Herr  M  o  r  o. 

Schriftführer:  Herr  Homburg  er. 


;  Pzernj/  Einleitender  Vortrag  über  Kriegschirurgie, 
ic  i  einleitenden  statistischen  Bemerkungen  über  kricgschirur- 
rtahrungen  wendet  sich  Czerny  2  besonderen  Punkten  zu: 
ansportfrage  und  dem  Starrkrampf.  Den  ersten  Punkt  be¬ 


treffend  sollten  die  Behörden  den  lokalen  Delegierten  vom  Roten 

?lhr  reie  Mai?d  Iassen'  Wenn  der  Abteilungsarzt  die 
cnstfalngkeh  beantragt,  müsste  das  Bezirkskommando  mit  dem  Gut¬ 
achten  des  Garnisonsarztes  die  Frage  entscheiden  dürfen. 

pi  Fs.,war.?f  als  Regel  z”  verlangen,  dass  je  50  Verwundete  von 

n  n^m  ^gehilfen  und  e,ner  Krankenschwester  und  jeder  Zug  von 
^‘begleitet  werde"-  Ei”  Aufruf  und  die  nötige  Schulung 
urde  den  Bedarf  an  geeigneten  Personen  reichlich  decken.  Ein  Arzt 
ka  in  auf  einem  grossen  Zug  nicht  viel  leisten,  wenn  er  nicht  auf  der 
rt  \°'!  ,eine',’1  W^en  in  den  anderen  gehen  kann.  Am  besten  wäre 

tränd«nnr?hi  ?e5*D_ZugI  wahrend  des  Krieges  für  den  Verwundeten- 
ransport  zu  benutzen.  Es  müsste  auch  technisch  möglich  sein  Ge¬ 
päckwagen  so  einzurichten,  dass  sie  vorne  und  hinten  eine  Türe 
haben,  und  man  durch  Fusstritt  und  Handhabe  einen  Uebergang  von 

eineni^  zum  anderen  Wagen  herstellte.  oergang  VOn 

Es  sollte  zur  Erleichterung  der  Sortierung  an  jeder  wichtigen 
-tappe  ein  Passantenlazarett  am  Bahnhof  errichtet  werden  wo  die 

"b  s,c  wei,er  in  ESÄ 

beobach?etHwnrddpiberS:  Hind  bisheru  17  Fälle  von  Wundstarrkrampf 
beobachtet  worden,  von  denen  wahrscheinlich  9  genesen  werden 

günstiges' Ergebnis11  hift  MortaHtät  (80-90  Proz.)  erstaunlich 
Hpr  vl!  Crgebms-  I”,  }3  Fallen  waren  Granatsplitter  die  Ursachen 

waren  Und  bl0SS  4  mal  Gewehrschüsse.  Sämtliche  Fälle 

waren  m  Leiterwagen  transportiert  und  mit  schlecht  aussehenden 

Sen“  "de?  wi„deber£  8ekomme"'  Meh™‘>Is  fände,,  sich  Kleider. 

üpc  wi7ie-leicht  Anhaltspunkte  für  eine  prophylaktische  Einspritzung 
des  Anütoxms  zu  gewinnen,  haben  die  Herren  Dr.  Spier  i  n  g  und 
1  e  u  t  s  c  hlander  auf  Anregung  des  Herrn  Prof.  H.  K  o  s  s  e  1  frisch 
emgeheferte  Granatsphtterwunden  auf  Tetanusbazillen  untersucht 
aber  bisher  stets  mit  negativem  Ergebnis,  v.  Behring  empfiehlt' 

TroncniVfrt0rrr??  Antltoxm  in  die  Wunden  einzustäuben.  Ob  die 

Frage  kommen  d‘C  f[Üh®r  IÜr  Pferde  be,lützt  wurden,  in 

rräge  kommen  (v.  Oettingen),  musste  genauer  untersucht  werden 

modernSnÄdblhSrnethUn*  ^  PraMSCh  bewäh"e"  °™‘lsäte 

rn  a  rfn  ?fr  Se£r  ^bhaft,en  D  1  s  k  u  s  s  i  o  ii  berichtet  Exz.  v.  J  a  g  e  - 
f a" n  uber.  d,e  der  obersten  Behörde  bereits  zugegangenen  Vor- 
|cblage  z”r  Verbesserung  der  Transportverhältnisse,  vor  allem  betr 
Schaffung  eines  Uebernachtungslazaretts  auf  dem  Güterbahnhof 

sten  Punktier  5ofmanfn  und  I)  i  1  g  e  r  bezeichneten  als  wunde¬ 
sten  Punkt  der  Transportfrage  den  Uebergang  von  der  Front  zur 
Etappe;  an  dieser  Stelle  fehle  es  an  Personal. 

Herr  B.  S  c  hm  i  d  t  beklagt  sich  über  die  oft  unbegründet  in  die 
Lange  gezogene  Dauer  der  Transportfahrten.  uegrunuet  in  die 

Tetanmrnach°B aCc c Vl  aeriChte‘  ßb“  die  ^bolbehandta*  des 

Anfn,lieiJ  M  6  n  g  e  Arat.  Bringend  zur  Anwendung  wesentlich  grösserer 
Anfangsdosen  von  Antitoxin  und  warnt  vor  allzugrosser  Anaphvlaxie- 
angst  bei  wiederholter  Einspritzung  in  kurzen  Zwischenräumen  ‘  Das 

5SÄevoraus  aPhYlaXie  SetZt  ebie  PaUSe  VOn  b“ 

Herr  Gottlieb  bezeichnet  die  subkutane  Injektion  als  völlig 
illusorisch;  er  empfiehlt  vor  allem  die  endoneurale  Einspritzung. 

,.  ,,  H|Cf~i,Hte/da(eu?  spritzt  das  Antitoxin  in  die  freigelegte  Karo- 
tis  und  fuhrt  darauf  seine  in  der  Tat  sehr  guten  Heilresultate  zurück. 

•  r^5.fr  ^  0  s  s  ® !  glaubt  nicht  an  die  nachträgliche  Tetanusinfektion 

HÄSS&Ä" v,elmel,r  d,e  ers,e  ,nkkn°" ,ar  tIle 


Rheinisch-westfälische  Gesellschaft  für  innere  Medizin 
und  Nervenheilkunde. 

(Offizielles  Protokoll.) 


33.  Versammlung  vom  17.  Mai  1914  zu  Bonn.-  (Schluss) 
Vorsitzender:  Herr  D  i  n  k  1  e  r  -  Aachen. 

Schriftführer:  Herr  L  a  s  p  e  y  r  e  s  -  Bonn. 


dystrophie.HU,SmanS'KÖln:  Ueber  ,nfantilismus  und  Chondro- 

,,  i  bat‘e  Gelegenheit,  bei  einer  Gesellschaft  von  Zwereen 
und  in  der  Sprechstunde  eine  erhebliche  Anzahl  der  verschiedensten 
?phLUngenHder-ku°rperlichen  und  geistigen  Entwicklung  zu  beob- 
anknüpfennd  m°Chte  30  dieser  Stelle  einige  klinische  Bemerkungen 

l  .rn,2;11"??5]  Xrar,  CS  ihm  interessa”t-  wie  sehr  bei  den  12  kleinen 
Leuten,  die  er  leider  nur  vorübergehend  sah,  die  Genese  differierte 

scheiden  Äei?61  ,^berf!achlichcr  Betrachtung  zwei  Gruppen  unter-’ 
„^r‘e,b.en  nessen.  Bei  der  einen  bestand  fast  jedesmal  ein  Dvs- 
gemtälismus,  die  Genitalien  blieben  infantil  oder  bildeten  sich  viel 

w  i  rfZUrUCki  bei  dcr  anderen  k0””te  davon  keine  Rede  lein 
Wahrend  ferner  die  erstere  Gruppe  auch  psychisch  infantil  war  sich 

lappisch  benahm,  an  kindlichem  Eigensinn  litt,  fand  sich  bei  anderen 
eine  ausgesprochene  Libido  sexualis  und  Potenz,  die  in  2  Fällen  schon 
zu  dem  traurigen  Ergebnis  geführt  hatte,  dass  2  kleine  ZwerüfrSuen 


2252 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  4( 


mit  normal  grossen  Kindern  schwanger  wurden  und  nach  Angabe 
des  Managers  in  partu  starben. 

Schon  aus  diesem  einen  Gesichtspunkte  schied  sich  der  Infantilis¬ 
mus  von  der  Chondrodystrophie  —  2  Fälle  von  Kretinismus  mit  er¬ 
haltener  Potenz  bildeten  den  Uebergang.  A.  Souques  (Bulletin 
des  Höpitaux  1912)  hat  also  bedingt  Recht,  wenn  er  behauptet,  beim 
Infantilismus  sei  immer  eine  funktionelle  Störung  der  Genitalorgane 
vorhanden,  entweder  primär  (z.  B.  traumatisch)  oder  sekundär  bei 
Erkrankungen  der  Hypophysis  oder  pluriglandulären  Störungen. 

Es  handelt  sich  um  10  Fälle  von  formalem  Infantilismus,  die 
topische  Diagnose  ist  nicht  leicht.  Fälle  von  rein  dysthyreogenem 
Infantilismus  fanden  sich  nicht. 

H.  hat  die  letztere  Erkrankung  in  Köln  häufiger  beobachtet  (cf. 
Zschr.  f.  klin.  M.  1901,  Ther.  d.  Gegenw.  1902)  und  möchte  hier  nur 
einfügen,  dass  er  bei  einem  25  jährigen  Mädchen  mit  Myoedema 
infantile  von  Schilddriisentabletten  nur  eine  mässige  Belebung  der 
Psyche  sah,  während  ein  8  jähriges  Kind  F.  aus  M.  durch  dieselbe 
Medikation  in  einem  Jahre  9  cm  wuchs  und  gute  geistige  Ent¬ 
wickelung  (Schulbesuch  mit  Erfolg)  zeigte.  Eine  Schilddrüsenkur 
hat  also  nur  in  jungen  Jahren  Aussicht. 

Auch  reinen  Dysgenitalismus  (cf.  Peritz:  Ergebn.  d.  inneren 
Med.  u.  Kdhlk.  17.  1911)  konnte  er  nicht  feststellen.  Es  gehörten 
vielmehr  alle  Fälle  zum  pluriglandulären  Infantilismus  und  bestätigten 
die  v.  S  t  a  u  f  f  e  n  b  e  r  g  sehe  Definition  (M.m.W.  14/5):  „Infantile 
sind  solche  Individuen,  die  in  wesentlichen  Punkten  kindliche  Merk¬ 
male  aufweisen,  somatisch  oder  psychisch,  und  die  zugleich  nicht  in 
eine  der  qualifizierten  monoglandulären  Krankheitsformen  gehören.“ 

Heute  kann  ich  Ihnen  im  wesentlichen  nur  die  recht  interessanten 
Röntgenplatten  zeigen. 

Fall  1.  St.,  19  Jahre,  m.,  112cm  gross,  kommt  wegen  einer 
Lungenentzündung  ins  Vinzenzhaus.  Grazilsymmetrisch  gebaut. 
Auffallend  das  trichtermörmige  Zoekum.  Bekanntlich  vertritt 
v.  Hansemann  den  Standpunkt,  dass  infolge  Einbeziehung  des 
Appendix  in  das  Zoekum,  wie  er  es  bei  infantilistischen  Störungen 
beobachtete,  eine  Appendizitis  bei  Infantilismus  unmöglich  sei.  Der 
Appendix  war  bei  St.  nicht  sichtbar,  es  liess  sich  aus  dem  Röntgen¬ 
bilde  die  Frage  nach  seinem  Vorhandensein  weder  mit  Ja  noch  mit 
Nein  beantworten.  Möglich,  dass  auch  in  unserem  Falle  die  von 
v.  Hansemann  beschriebene  Sachlage  vorhanden  war. 

8  Fälle  waren  quoad  genitale  durchaus  dystrophisch,  ich  möchte 
nicht  sagen  infantil,  weil  beim  normalen  Kind  die  Keimdrüsen  noch 
nicht  ausgereift  sind,  während  man  bei  diesen  Fällen  annehmen  muss, 
dass  die  normale  Entwicklung  zum  Stillstand  kam  oder  sogar  eine 
Rückbildung  eintrat.  Bei  dem  Fall  e  2,  welche  nie  die  Menses  hatte, 
bestanden  deutliche  Ausfallsymptome,  welche  durch  Oophorintabletten 
gebessert  wurden. 

In  den  letzten  Fällen,  welche  in  das  Gebiet  der  Kretinoiden  ge¬ 
hören,  bestand  auffallenderweise  sogar  gesteigerte  Libido  sexualis. 

Bei  H.  M.  u.  a.  —  M.  ist  46  Jahre  alt  —  fand  sich  eine  zentrale 
Epiphyse  am  Daumen.  Nie  sah  ich  die  von  A.  Köhler  (M.m.W. 
1912  Nr.  41)  bei  infantilem  Myxödem,  von  S  i  e  g  e  r  t  bei  Mongoloiden 
beobachteten  vollzähligen  proximalen  Metakarpalepiphysen  der 
Sirenen. 

Ueberall  fand  sich  ein  starkes  Zurückbleiben  des  Zahnwachstums, 
Zähne  sonst  gesund.  Am  Schädel  Knochendefekte. 

Durchaus  verschieden  verhalten  sich  die  Vertreter  der  zweiten 
Gruppe,  die  wir  dem  chondrodystrophischen  Zwergwuchs  (cf.  auch 
Siegert:  Erg.  d.  inneren  Med.  u.  Kinderheilk.  8.  1912)  zuzählen 
müssen.  Auffallend  sind  der  übergrosse  Schädel,  die  Fettsucht,  Lor- 
dosis  lumbalis  mit  horizontalem  Kreuzbein,  die  von  Langer  1861 
gefundene  prämature  Synostose  der  Keilbeine  und  des  Hinterhaupt¬ 
beins  (Tribasilarsynostose),  normale  Zahnung,  Osteosklerose,  kurze, 
derbe,  plumpe  Knochen,  normales  Genitale. 

H.  M  ü  1 1  e  r  -  Würzburg  (1860)  hielt  die  Krankheit  für  eine  fötale 
Rhachitis,  die  Wachtsumshemmung  durch  die  fehlende  Wucherung  der 
Epiphysenknorpel  bedingt. 

Der  Zustand  ist  vererbbar,  charakteristisch  das  Missverhältnis 
zwischen  Rumpf  und  Extremitäten. 

Bei  unserem  ersten  Falle  (Zirkusclown,  47  Jahre  alt,  120  cm 
gross)  fällt  im  Röntgenbild  insbesondere  die  Osteosklerose  auf;  im 
zweiten  Falle  ist  die  Tatsache  erwähnenswert,  dass  der  Zwillings¬ 
bruder  gesund  und  145  cm,  unsere  12  jährige  Pat.  dagegen  nur  116  cm 
gross  ist.  Die  letztere  bietet  deutliche  Anzeichen  von  Rhachitis  an 
den  Zähnen,  auch  sind  die  oberen  bleibenden  Eckzähne  erst  seit 
2  Jahren  durch.  Steiler  Gaumen.  Kopfumfang  58  cm.  Genitale 
normal. 

Der  erste  Patient  war  3  mal  verheiratet. 

Ich  beschränke  mich  absichtlich  auf  diese  kurzen  Mitteilungen, 
um  Ihnen  die  interessanten  Röntgenplatten  zeigen  zu  können. 

Herr  Hess-Köln:  Ueber  funktionelle  Nierendiagnostik  mittels 
Phenoisulfophthalein. 

Es  wird  auf  Grund  von  über  300  Untersuchungen  der  Wert  der 
Methode  in  diagnostischer  und  prognostischer  Beziehung  besprochen. 
Dabei  wird  eine  Tabelle  mit  eingezeichneter  Normal-Phthaleinkurve 
demonstriert;  in  derartige  Tabellen*)  werden  die  gefundenen  Farb¬ 
stoffwerte  eingetragen,  so  dass  man  stets  den  Mittelwert  zum  Ver¬ 
gleich  hat. 


Das  obige  Thema  ist  ausführlich  in  Nr.  34  und  35  der  M.m.W 
behandelt  worden. 

Herr  Moritz-Köln:  Ein  transportables  Blutdruckmanomete 

(Beschreibung  erfolgt  demnächst  in  dieser  Wochenschrift.) 


Verein  deutscher  Aerzte  in  Prag. 

(Eigener  Bericht.)  • 

Sitzungen  vom  Mai  und  Juni  1914. 

Herr  Kramer  bespricht  an  der  Hand  eines  Falles  von  genuine 
Epilepsie  die  Wirkung  der  Autoseruminjektionen.  Es  handelt  sic: 
um  einen  24  jähr.  Mann,  der  während  seiner  Militärzeit  seinen  erste 
Anfall  bekommen,  seither  Häufung  der  Anfälle  bis  30  im  Laufe  voi 
24  Stunden,  am  Tage  meist  petit  mal,  in  der  Nacht  grosse  Anfäll: 
mit  Zungenbissen  und  Bettnässen.  Erfolglosigkeit  aller  Therapie 
Ueber  Rat  eines  französischen  Arztes,  Dr.  Dupuy,  begann  Kra 
m  e  r  mit  Autoseruminjektionen.  Durch  Abstehenlassen  und  Zentri 
fugieren  des  durch  Venaepunktion  gewonnenen  Blutes  wurde  ei 
Serum  gewonnen,  das  frei  von  allen  Formelementen  war.  Begönne 
wurde  mit  16  g  Serum  (ad  nates)  und  gestiegen  bis  80  g.  Anaphylal 
tische  Erscheinungen  traten  nach  der  2.  Injektion  auf  (Pulsakzelerc 
tion  auf  120,  Schwindel,  Kopfschmerz,  Schweissausbruch),  die  abe 
nach  24  Stunden  ohne  weitere  Wiederholung  zurückgingen.  Dabe 
wurde  Brom,  4  g  täglich,  weitergegeben.  Nach  Auslassen  des  Brom 
trat  sofort  ein  Anfall  auf.  Gegenwärtig  (Juli)  keine  weitere  Wiedea 
holung  bei  Fortsetzung  der  Therapie,  indem  Patienten  in  rege, 
mässigen  Intervallen  immer  grössere  Serumdosen  injiziert  werdet 
An  eine  Wunderkur  oder  eine  Dauerwirkung  des  Verfahrens  glauf 
Herr  K.  nicht,  hält  aber  den  Erfolg  für  wichtig  zur  Nachprüfung. 

Herr  Kalmus  spricht  über  die  Feuerbestattung  vom  hygienische 
volkswirtschaftlichen  und  gerichtlich-medizinischen  Standpunkt.  Di 
Feuerbestattung  bietet  überall  da  hygienische  Vorteile,  wo  für  ei 
einwandfreies  Erdbegräbnis  nicht  gesorgt  werden  kann,  besonder 
bei  Infektionskrankheiten,  deren  Erreger  im  Erdboden  noch  lang 
virulent  erhalten  bleibt  (Pest,  Cholera  etc.).  Es  würde  eine  obligr 
torische  Feuerbestattung  grosse  Vorteile  bringen,  wenn  ein  Modi 
gefunden  werden  könnte,  sie  auch  auf  dem  Schlachtfelde  zu  vei 
wenden.  Vom  wirtschaftlichen  Standpunkte  könnte  die  Feuerbesta; 
tung  nur  in  Betracht  kommen,  wenn  sie  an  einem  grossen  Prozen) 
satz  von  Leichen  stattfinden  würde.  Die  Kremation  hat  aber  de 
grossen  Nachteil,  dass  das  Material,  welches  die  Leiche  als  Objelj 
der  gerichtlich-medizinischen  und  gerichtlich-chemischen  Unte( 
suchung  bildet,  nahezu  völlig  unbrauchbar  gemacht  wird.  Sie  be 
darf  daher  viel  strengerer  Kautelen  als  das  Erdgrab,  die  nach  dei 
Erachten  des  Vortr.  vor  allem  in  einer  viel  strengeren  obligatorische) 
ärztlichen  Leichenbeschau  durch  einen  beamteten  Arzt,  dem  vorhe 
eine  ausführliche  Krankengeschichte  des  behandelnden  Arztes  vorzi 
legen  wäre,  bestehen  müsste.  In  allen  Fällen  von  angeblichen  Selbs 
morden  und  in  allen  nicht  absolut  einwandfrei  aufgeklärten  Tode; 
fällen  müsste  obligatorisch  eine  sanitätspolizeiliche  Obduktion  vorgi 
nommen  werden,  während  die  Fälle,  bei  denen  die  äussere  Besicl 
tigung  der  Leichen  oder  die  sanitätspolizeiliche  Obduktion  die  ge 
ringsten  Verdachtsmomente  ergeben  würde,  unbedingt  der  gerichj 
liehen  Obduktion  zugeführt  werden  müssten.  Demgemäss  müsste 
die  Leichenteile  bei  Verdacht  auf  Vergiftung  obligarorlsch  vom  gt 
richtlichen  Chemiker  untersucht  werden.  Unerlässlich  sei  die  Fes) 
Stellung  der  Identität  der  Leiche  unmittelbar  vor  der  Einäscheruti: 
Internationale  Abmachungen  müssten  die  Umgehung  der  angeführte 
Vorsichtsmassregeln  beim  Transporte  der  Leiche  ins  Ausland  ui 
möglich  machen. 

Herr  Marx:  Schussverletzungen  durch  Flobert. 

Im  Anschlüsse  an  einen  Fall  (Einschuss  in  die  rechte  Brustseit 
im  5.  Zwischenrippenraum,  Perforation  der  rechten  Herzkamme| 
Durchsetzung  des  rechten  Unterlappens,  die  Kugel  war  an  de 
11.  Rippe  abgeprallt  und  durch  die  Ausschussöffnung  in  der  rechte: 
Lunge  wieder  in  dieselbe  zurückgeprallt)  bespricht  Herr  M.  die  viej 
fach  verbreitete  Ansicht,  dass  Flobertwaffen  als  ungefährliche  Wafic 
zu  betrachten  sind.  Er  beweist  die  Unrichtigkeit  dieser  Ansicht 
Grund  der  in  der  Literatur  mitgeteilten  tödlichen  Fälle  von  Flober 
Schüssen  und  der  im  gerichtlich-medizinischen  Institute  in  Prag  obdi 
zierten  7  Fälle,  von  denen  2  Schädelschüsse  waren.  In  demselbd 
Institute  hat  seinerzeit  Beckert  Schiessversuche  gegen  ein  6nr 
starkes  Schädeldach  aus  einer  Flobertpistole  von  13  cm  langem  Lai 
und  6  mm  Kaliber  angestellt  und  aus  einer  Entfernung  von  V* 
noch  vollständiges  Durchschlagen  erzielt.  Die  kleinste  Waffe,  in 
der  ein  erwachsener  Mensch  sich  eine  tödliche  Schussverletzung  be. 
brachte,  welche  im  Institute  aufgehoben  ist,  ist  eine  Flobertpisto 
von  6  cm  Lauf  und  6  mm  Kaliber  (Herzschuss).  In  dem  vom  Vort 
demonstrierten  Falle  war  von  der  Oberfläche  des  Projektils  ein  Stücl 
chen  abgesprengt  und  in  dem  dadurch  entstandenen  Spalt  ein  kleint 
Knochensplitter  eingekeilt.  Er  bespricht  im  Anschlüsse  daran  d 
forensische  Wichtigkeit  jener  Fälle,  wo  einem  Projektil  ein  Frerm 
körper  anhaftet,  für  die  Frage  eines  etwaigen  Ricochetschusses.  He 
M.  kommt  zu  dem  Schlüsse,  dass  vom  gerichtsärztlichen  Standpunk 
Flobertwaffen  als  lebensgefährliche  Instrumente  (im  Sinne  des  Gt 
setzes)  angesehen  werden  müssen. 


)  Von  Heilige  6c  Co.,  Freiburg  i.  Brsg.  zu  beziehen. 


Schriftleitung:  Dr.  B.  Spatz, 
München,  Arnulf  Strasse  26. 


Verlag  von  J.  F.  Lehmann, 

München,  Paul  Heysestr.  26. 


MÜNCHENER 

Medizinische  Wochenschrift. 

Nr.  46.  17.  November  1914. 

Feldärztliche  Beilage  Nr.  15. 


Erfahrungen  über  die  Behandlung  des  Tetanus1). 

Von  Prof.  Dr.  Hochhaus  in  Köln  a.  Rh. 

M.  H.!  Das  ungemein  häufige  Vorkommen  des  Starr¬ 
krampfes  bei  den  Verwundeten  gestattet  es  jetzt  auch  dem 
inzelnen  Beobachter,  an  einer  grösseren  Reihe  von  Fällen 
Erfahrungen  über  die  Wirksamkeit  der  so  zahlreich  emp- 
ohlenen  und  bis  heute  noch  vielfach  umstrittenen  Behandlungs¬ 
nethoden  zu  machen;  dass  die  Beobachtung  derartiger  stets 
ach  denselben  Prinzipien  ausgesuchter  und  behandelter  Fälle 
veit  zuverlässiger  ist,  als  die  Sammlung  kasuistischer  Er- 
ahrungen  Anderer,  ist  selbstverständlich;  früher  war  das  bei 
ler  Seltenheit  der  Erkrankung  eben  nicht  möglich.  Nur  auf 
Jiesem  Wege  wird  es  auch  gelingen,  die  Unsicherheit,  welche 
ich  bis  heran  in  unserem  praktischen  Handeln  geltend  machte, 
:u  beseitigen. 

Meine  Erfahrungen  stützen  sich  auf  die  Beobachtung  und 
lehandlung  von  46  Fällen  von  Tetanus,  die  meiner  Abteilung 
ius  den  verschiedenen  Festungslazaretten  der  Stadt  Köln  iiber- 
viesen  wurden;  wenn  dieselbe  auch  noch  nicht  vollkommen 
'.bgeschlossen  ist,  so  genügt  sie  doch  auch  heute  schon  zu 
inem  sicheren  Urteil  über  den  Wert  der  angewandten 
Mittel 2). 

Da  für  die  Behandlung  die  frühzeitige  Erkennung  der 
(rankheit  von  grösster  Wichtigkeit  ist,  mögen  einige  Worte 
:uerst  darüber  Platz  finden;  besonders  da  die  ersten  Zeichen 
ielfach  so  unbedeutend  sind,  dass  sie  dem  Patienten  selbst  als 
;anz  harmlos  und  auch  dem  Arzte  als  unbedeutend  erscheinen 
können. 

Am  häufigsten  wurde  als  erstes  Zeichen  bei  unseren  Fällen 
in  leichtes  Ziehen,  eine  geringe  Spannung,  unbedeutende 
Schmerzen  in  den  Gesichtsmuskeln  beobachtet;  seltener 
schmerzen  oder  Kratzen  im  Halse,  wie  bei  einer  beginnenden 
lalsentzündung,  oder  auch  eine  geringfügige  Erschwerung  des 
Schluckens;  bei  manchen  trat  zuerst  eine  Steifigkeit  in  der 
'Jackenmuskulatur,  oder  eine  Spannung  auf  der  Brust  auf; 
rst  nach  diesen  Prodromen,  die  mehrfach  so  geringfügig 
varen,  dass  der  Kranke  sie  gar  nicht  für  der  Erwähnung  wert 
lielt,  traten  dann  deutlichere  Erscheinungen:  Erschwerung 
>eim  Oeffnen  des  Mundes  oder  Steifigkeit  im  Nacken  hervor. 

Recht  häufig  sah  ich  auch  das  erste  Auftreten  in  der  ver- 
vundeten  Extremität,  als  einfaches  Ziehen  oder  auch  aus¬ 
gesprochenen  Schmerz,  dem  bald  nachher  ein  Zucken  oder 
Steifwerden  der  Muskulatur  folgte,  erst  danach  traten  dann 
ler  Trismus  und  die  übrigen  Symptome  auf,  die  das  Krank- 
leitsbild  bald  klärten;  auf  dessen  Einzelheiten  ich  an  dieser 
helle  nicht  eingehen  will. 

Die  bisher  bekannten  Behandlungsmethoden  bezwecken 
■ntweder  eine  mehr  kausale  Therapie  durch  Entfernung  des 
Krankheitsherdes  oder  durch  Bindung  des  Tetanusgiftes  oder 
ie  versuchen  die  Symptome,  also  im  wesentlichen  die  Krampf- 
ustände  zu  bekämpfen. 

Die  Amputation  des  verletzten  Gliedes  ist  das  energischste 
Tittel,  die  Krankheitsursache  zu  beseitigen;  dass  man  bei 


l)  Nach  einem  Vortrage  an  einem  „Kriegsärztlichen  Abend“  der 

torzte  Kölns. 

*)  Fine  ausführliche  Publikation  unserer  Beobachtungen  wird 
päter  durch  meine  Assistentin  Frl.  Dr.  Knippen  erfolgen;  die  Zahl 
erselben  ist  inzwischen  (10.  XI.)  auf  über  60  gestiegen. 


rechtzeitigem  Eingriff  diesen  Zweck  erreichen  kann,  ist  theo¬ 
retisch  zuzugeben;  die  Frage  ist  nur,  ob  man  bei  Ausbruch  des 
Tetanus  noch  rechtzeitig  mit  der  Operation  kommt;  von  ver¬ 
schiedenster  Seite  wird  das  verneint,  auch  auf  Grund  experi¬ 
menteller  Erfahrungen,  die  erwiesen  haben,  dass,  wenn  man 
eine  Extremität,  an  der  eine  Tetanusvergiftung  gesetzt  ist,  am¬ 
putiert  bevor  der  Tetanus  ausgebrochen  ist,  der  Eintritt  desselben 
doch  nicht  verhindert  wird.  Ich  selbst  habe  eine  Amputation 
bei  beginnendem  Tetanus  nicht  ausführen  lassen,  doch  verfüge 
ich  über  5  Beobachtungen,  bei  denen  nach  der  Amputation 
der  Tetanus  doch  ausgebrochen  ist;  dieselben  seien  in  aller 
Kürze  erwähnt. 

F  a  1 1  I.  R.  H.,  am  18.  IX.  an  der  linken  Hand  verwundet  durch 
Intantcriegeschoss.  Am  27.  IX.  Amputation  mehrerer  Finger,  24  Stun¬ 
den  später  Beginn  des  Tetanus,  der  am  6.  X.  tödlich  endigte. 

Fall  II.  S.  F.,  am  17.  IX.  am  linken  Vorderarm  verwundet 
durch  Granatsplitter;  am  24.  IX.  Oberarmamputation;  am  30  IX.  Tris¬ 
mus;  am  3.  X.  tot. 

Fall  III.  G.  R„  am  17.  IX.  am  Fuss  verwundet  durch  Schrap¬ 
nellschuss;  am  28.  IX.  Amputation  des  Fusses;  am  4.  X.  Trismus; 
geheilt. 

F  a  1 1  IV.  W.  F.,  am  27.  IX.  Wunde  am  rechten  Unterschenkel 
durch  Infanteriegeschoss;  am  4.  X.  Amputation;  am  7.  X.  Trismus; 
am  11.  X.  tot. 

F  a  1 1  V.  T.  H„  am  29.  IX.  verwundet  am  linken  Fuss  durch 
Schrapnellschuss;  Amputation  am  9.  X.;  am  10.  X.  Tetanus;  am 
14.  X.  tot. 

Die  vorstehenden  Fälle  beweisen  wohl  zur  Genüge,  dass 
auch  eine  Amputation  vor  Ausbruch  des  Tetanus  keinen  Schutz 
vor  der  Erkrankung  gewährt;  dieselbe  dürfte  also  nach  diesen 
Erfahrungen  nicht  anzuempfehlen  sein. 

Noch  recht  umstritten  ist  bis  jetzt  die  Wirkung  des  T  e  - 
tanusserums;  zur  richtigen  Schätzung  des  Heil  wertes  des¬ 
selben  muss  man  sich  stets  der  durch  das  Experiment  fest- 
gestellten  Tatsache  erinnern,  dass  nur  eine  frühzeitige  Injektion 
eines  möglichst  hochwertigen  Serums  von  Erfolg  sein  kann  und 
dass  es  auch  dadurch  nur  gelingt,  den  Teil  des  Giftes,  der  noch 
in  Zirkulation  ist,  unschädlich  zu  machen,  nicht  den  der  bereits 
fest  an  die  Nervenzellen  gebunden  ist.  B  e  h  r  i  n  g,  dem  wir 
diese  Kenntnisse  in  der  Hauptsache  verdanken,  fordert  deshalb 
auch,  dass  die  Einspritzung  möglichst  innerhalb  der  ersten 
30  Stunden  nach  der  Infektion  erfolgen  solle. 

Zur  Injektion  benützte  ich  durchweg  das  Behring  sehe 
Serum  zu  100  A.E.  und  zwar  wurde  täglich  eine  Dosis  ein¬ 
gespritzt,  die  erste  fast  durchweg  intralumbal,  die  folgende 
meist  subklavikular,  da  sich  die  Lumbalpunktion  wegen  des 
starken  Opisthotonus  selbst  in  Aethernarkose  bei  vielen  nur 
schwer  ausführen  Hess.  Bei  einer  grösseren  Zahl  war  es  uns 
auch  möglich,  die  Injektion  innerhalb  der  ersten  24  Stunden 
zu  machen. 

Behandelt  wurden  im  ganzen  mit'  diesen  grösseren  Dosen 
22  Fälle;  dieselben  waren  meist  schwer,  mit  einer  In¬ 
kubationszeit  bis  zu  10  Tagen  und  betrafen  Verwundete, 
die  durch  Strapazen  und  langen  Transport  recht  er¬ 
schöpft  waren  und  zum  Teil  auch  ausgedehnte,  eiternde 
Wunden  hatten.  Von  diesen  erhielten  11  wenigstens  an 
3  Tagen  je  100  A.E.,  die  meisten  aber  mehr,  bis  zu  12  mal 
100  A.E.;  2  erhielten  zweimal  100  A.E.  und  9  nur  eine  ein¬ 
malige  Einspritzung  von  100  A.E. 

Es  starben  von  den  11  ersten  Kranken  7  und  das  waren 
sämtlich  die  sehr  schweren  Fälle,  während  4  mittelschwere. 


22 54 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift.  _  Nr.  4( 


die  natürlich  auch  am  längsten  injiziert  wurden,  durchkamen; 
die  beiden,  welche  zweimal  100  A.E.  erhielten,  starben  am 
3.  Tag;  es  waren  foudroyant  verlaufende  Fälle;  von  den  9.  die 
nur  einmal  eingespritzt  wurden,  starben  die  schweren  Fälle 
sämtlich  nach  der  ersten  Injektion,  während  die  leichteren  Fälle 
heute  nach  längerer  Zeit  noch  am  Leben  sind  und  wahrschein¬ 
lich  durchkommen  (4  Fälle). 

Das  Resultat  kann  ich  also  dahin  zusammenfassen,  dass 
die  wirklich  schweren  Fälle  trotz  rechtzeitiger  Serumbehand¬ 
lung  alle  gestorben  sind,  während  4  mittelschwere  und  4  leichte 
durchgekommen  sind. 

Wie  viel  an  der  Genesung  der  8  zuletzt  erwähnten  Kranken 
der  Serumbchandlung  zuzuschreiben  ist,  lässt  sich  deshalb 
nicht  so  leicht  sagen,  weil  sämtliche  Kranke  gleichzeitig  in 
energischer  Weise  symptomatisch  behandelt  wurden. 

Man  wäre  m.  E.  berechtigt,  eine  zweifellos  spezifische 
Heilwirkung  des  Mittels  anzunehmen  .wenn  bald  nach  der 
Einverleibung  desselben  der  Charakter  der  Erkrankung  wenig¬ 
stens  eine  deutliche  Besserung  gezeigt  hätte;  das  glaubte  ich 
aber  nur  in  einem  einzigen  Falle,  der  allerdings  ziemlich 
schwer  war,  konstatieren  zu  können. 

Es  handelte  sich  um  einen  10  jährigen  Artilleristen,  der  mit  einer 
schweren  Verletzung  des  linken  Armes  herein  kam.  die  er  am  9.  VT1T. 
bei  .Maubeuge  erlitten;  am  15.  VIII.  trat  Trismus  auf  und  am  19.  VIII. 
wurde  er  mit  ausgesprochenem  Trismus  und  Opisthotonus  in  sehr 
elendem  Zustande  aufgenommen;  schon  nach  der  ersten  intralumbalen 
Injektion  besserten  sich  die  Erscheinungen  auffällig  und  diese  Besse¬ 
rung  hat  sich  nach  den  weiteren  Injektionen  fortgesetzt. 

Bei  den  übrigen  Kranken  muss  die  Möglichkeit,  dass  das 
Serum  an  dem  guten  Ausgange  mitgeholfen  hat,  wohl  zuge¬ 
lassen  werden,  obschon  mir  nach  meinen  übrigen  Erfahrungen 
dieselbe  nicht  sehr  gross  erscheint. 

Jedenfalls  sind  die  Wirkungen  des  Serums  bis  jetzt  keine 
evidenten  und  durchschlagenden;  nicht  die,  welche  man  von 
einem  spezifischen  Heilmittel  erwarten  kann:  bei  den  ganz 
schweren  Fällen  sah  ich  gar  keinen  Erfolg,  allerdings 
auch  von  keinem  der  anderen  von  mir  angewendeten  Mittel; 
bei  den  mittelschweren  ausgesprochen  nur  in  einem  Falle; 
trotzdem  würde  ich  nicht  so  weit  gehen,  wie  viele  Aerzte,  die 
das  Mittel  ganz  verwerfen;  es  ist  immerhin  möglich,  dass  unter 
günstigen  Umständen,  wenn  vielleicht  noch  relativ  viel  Gift 
im  Blute  kreist  und  weniger  an  die  Nervenzellen  gebunden  ist, 
ein  guter  Erfolg  eintritt. 

Nebenwirkungen  des  Serums  waren  in  zwei  Fällen 
Exantheme;  eines  trat  nach  12  Tagen  auf  mit  heftigem  Fieber 
und  schmerzhaften  Gelenkerscheinungen  und  verschwand  nach 
5  Tagen;  ein  anderes  nach  10  Tagen,  mit  geringem  Fieber 
ohne  sonstige  Beschwerden. 

Mehrmals  traten  nach  der  intralumbalen  Einspritzung  des 
Behringschen  Serums  leichtes  Fieber  und  ziemlich  heftige 
Kopfschmerzen  auf,  die  aber  nach  einigen  Tagen  schwanden; 
wie  die  Lumbalpunktion  erwies,  handelte  es  sich  dabei  um 
leichte  meningitische Reizungen:  der  Lumbaldruck  war  wesent¬ 
lich  erhöht;  das  Punktat  getrübt,  zeigte  vermehrten  Eiweiss¬ 
und  Zellgehalt;  die  Erscheinungen  sind  vielleicht  auf  den  Kar¬ 
bolgehalt  des  Serums  zurückzuführen,  weshalb  Behring 
selbst  auch  ein  anderes  Präparat  zur  intralumbalen  Anwen¬ 
dung  anrät;  wir  hatten  das  mit  Karbol  versetzte  injiziert,  weil 
uns  ein  anderes  nicht  zur  Verfügung  stand. 

Ueber  die  prophylaktischen  Wirkungen  des  Serums  be- 
sitzo  ich  eigene  Erfahrungen  nicht;  nach  zahlreichen  in  der 
Literatur  niedergelegten  Erfahrungen  zuverlässiger  Autoren 
müssen  dieselben  aber  ganz  unbestreitbar  sein  und  würde  sich 
daher  in  allen  Fällen,  wo  die  Wundverhältnisse  eine  Infektion 
mit  Tetanus  wohl  möglich  erscheinen  lassen,  die  Anwendung 
empfehlen. 

Von  den  symptomatischen  Mitteln  habe  ich  Morphium  und 
Chloral.  besonders  aber  das  Magnesiumsulfat  und  Karbol  an¬ 
gewendet. 

Das  Morphium,  subkutan  in  der  Dose  von  0,02,  schafft 
am  schnellsten  und  sichersten  Ruhe  und  Aufhören  der  Krämpfe, 
in  leichteren  Fällen  genügt  eine  mehrmalige  Einspritzung  über 
24  Stunden  verteilt  vollkommen  zur  Behandlung.  In  schweren 
Fällen,  deren  ich  3  systematisch  mit  Einspritzungen  von  Mor¬ 
phium  behandelt  habe,  alle  2 — 3  Stunden  eine  Injektion,  trat 
die  Wirkung  jedesmal  bald  nach  der  Injektion  auf,  verflog 


aber  sehr  rasch,  trotzdem  dieselbe  durch  Eingabe  von  3  m; 
2.0  Chloral  per  Klysma  noch  unterstützt  wurde;  alle  3  Fäl! 
starben.  Später  habe  ich  dann  in  einigen  Fällen  jeder  Mot 
phiuminjektion  lA  mg  Skopolamin  hinzugefügt,  wodurch  di 
Wirkung  wesentlich  vertieft  und  auch  verlängert  wurde:  m 
3  Injektionen  gelang  es  in  24  Stunden  auch  in  schwerere 
Fällen  ziemliche  Ruhe  zu  verschaffen,  obschon  ich  den  Eii 
druck  hatte,  dass  durch  diese  länger  dauernde  Narkose,  bi 
sonders  bei  Kranken  mit  Katarrhen  der  Respirationsschiein 
häute  die  Neigung  zu  Bronchopneumonien  erheblich  verstärl 
wurde;  immerhin  halte  ich  die  vorsichtige  Anwendung  vo 
Morphium-Skopolamin  noch  in  Verbindung  mit  Chloralhydrr: 
für  sehr  empfehlenswert. 

In  einer  grösseren  Reihe  von  Fällen  habe  ich  das  M; 
gnesiumsulfat  angewendet;  die  Empfehlung  desselben  stiit/ 
sich  auf  experimentelle  Arbeiten  von  Meitzer3)  und  Aue 
die  erwiesen,  dass  das  Mittel  bei  intravenöser,  besonder 
aber  intralumbaler  Einspritzung  neben  einer  allgemeinen  B' 
ruhigung  eine  vollkommene  motorische  und  sensorische  Läl 
mung  zuerst  der  unteren,  dann  auch  der  oberen  Extremitätei 
herbeiführt.  Die  Anwendung  beim  Menschen  ergab,  dass  mn 
diesen  Effekt  mit  einer  lumbalen  Einspritzung  von  3—5  cct 
e;ner  10 — 25  proz.  Lösung  erzielen  kann;  der  Effekt  tritt  sei 
bald,  14 — 20  Minuten  nach  der  Einspritzung  auf  und  hat  ein 
Dauer,  die  zwischen  12  und  24  Stunden  schwankt.  Zur  B< 
kämpfung  des  Tetanus  ist  das  Mittel  von  vielen  amerikanische 
Autoren1),  in  Deutschland  in  erster  Linie  von  Kocher,  dan 
von  W  e  i  n  t  r  a  u  d  und  Stadler  empfohlen  worder 
Kocher  gelang  es,  von  5  Patienten  4,  vorzugsweise  durc 
die  intralumbale  Anwendung  dieses  Mittels,  zur  Heilung  / 
bringen.  Eine  nicht  unerhebliche  Gefahr  bei  der  Einspritzun 
besteht  darin,  dass  die  Lähmung  sich  auch  auf  die  Respiration1 
muskeln  erstrecken  kann,  und  tatsächlich  ist  plötzlicher  Stil 
stand  der  Respiration  mehrfach  beobachtet  worden;  zur  Bd 
seitigung  dieser  unangenehmen  Nebenwirkung  musste  dan 
die  Tracheotomie  mit  künstlicher  Respiration  angewendi. 
werden.  Von  anderen  wird  zu  diesem  Zwecke  die  intravenös 
Einspritzung  von  Calc.  chlorat.  oder  die  Auswaschung  de 
Lumbalsackes  mit  Kochsalzlösung  empfohlen  5).  Immerhin  il 
diese  Nebenwirkung  so  gefährlich,  und  ihre  Bekämpfung  untu 
Umständen  so  zeitraubend,  dass  die  intralumbale  Anwendun 
sich  für  die  allgemeine  Praxis  wohl  kaum  eignen  dürfte. 

Zuerst  habe  ich  in  3  sehr  schweren  Fällen  das  Magnesiun 
sulfat  intralumbal  angewendet  in  einer  Dosis  von  6  ccm  eine 
25  proz.  Lösung;  auch  hier  beobacheten  wir  mehrfach  nehd 
der  guten  Wirkung  auf  die  Krämpfe  kurze  Stillstände  der  Rc 
spiration,  die  durch  geeignete  Gegenmittel  aber  gehobe 
wurden.  Die  3  Kranken  starben  sehr  bald  trotz  Anwendun 
des  Mittels;  später  habe  ich  dann  das  Mittel  nur  subkutan  an 
gewendet,  da  auch  in  dieser  Form  nach  den  experimentelle 
Erfahrungen  von  Meitzer  und  Auer  sich  eine  volle  B<j 
ruhigung  des  Nervensystems,  besonders  auch  der  sensible 
und  motorischen  Nerven  erzielen  lässt;  grössere  praktisch 
Erfahrungen  über  die  subkutane  Anwendung  sind  nur  vei 
amerikanischen  Aerzten  und  in  Deutschland  von  Falk")  i 
zwei  Fällen  gemacht  worden. 

Die  Zahl  der  von  mir  behandelten  Kranken,  welche  durcl 
weg  an  schwerem  Tetanus  litten,  betrug  17;  es  waren  die 
jenigen,  welche  auch  mit  Behring  schem  Serum  behände! 
wurden.  Da  über  die  Dosierung  bei  dieser  Anwendung  noC 
keine  genauen  Angaben  existieren,  musste  dieselbe  zuerst  vei 
suchsweise  festgestellt  werden;  in  den  ersten  Fällen  nahm  ic 
3  mal  10 — 15  ccm  der  25  proz.  Lösung,  nachher  habe  ich  durcl 
weg  von  der  25  proz.  Lösung  in  24  Stunden  100  ccm  eiti 
gespritzt  und  später,  um.  das  Volumen  der  eingespritzte 
Flüssigkeit  zu  verkleinern,  eine  40  proz.  Lösung  angewencL 
von  der  ich  in  24  Stunden  60 — 80  ccm,  in  ganz  schweren  Fälle 
auch  100  ccm  subkutan  eingespritzt  habe.  Die  subkutane  Eiti 
spritzung  hat  den  Nachteil,  dass  sie  recht  schmerzhaft  ist.  ur 
deshalb  war  ich  gezwungen  vielfach  vorher  eine  Morphiim 


3)  B.kl.W.  1906  Nr.  3.  ) 

4)  Ausführliche  Literatur  und  Zusammenstellung  der  Kasuisti 
bei  Stadler;  B.kl.W.  1914  Nr.  1  u.  3. 

5)  Siehe  auch  Weintraud;  B.kl.W.  1914  Nr.  42. 

*)  B.kl.W.  Nr.  35. 


7.  November  1914. 


2255 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


ljektlon  von  0,02  zu  machen;  der  Effekt  der  Einspritzung  tritt 
rst  im  Verlauf  XA  Stunde  ein,  dauert  dann  5 — 6  Stunden,  unter 
[inständen  auch  länger.  Der  Kranke  verfällt  in  einen  leichten 
chlaf,  die  Spannungen  und  Krämpfe  der  Muskulatur  werden 
lieblich  geringer,  in  mittelschweren  und  leichten  Fällen  auch 
ollkommen  unterdrückt. 

Es  starben  von  den  17  mit  dem  Mittel  behandelten  12; 
wurden  geheilt,  allerdings  waren  das  nicht  die  schwersten 

alle. 

Das  Magnesiumsulfat  in  subkutaner  Anwendung  zeigte 
emnach  in  den  eben  genannten  Dosen  eine  langsam  ein- 
:tzende  und  ziemlich  lang  anhaltende  sedative  Wirkung,  die 
ch  am  ausgesprochensten  geltend  machte  bei  mittclschwerer 
nd  leichter  Erkrankung,  viel  weniger  bei  den  stärkeren 
iraden;  am  vorteilhaftesten  hat  es  sich  uns  stets  erwiesen, 
aerst  durch  eine  Spritze  Morphium  schnelle  Ruhe  zu  ver¬ 
haften  und  diese  durch  die  subkutane  Magnesiumeinspritzung 
u  verstärken  und  zu  verlängern.  Ein  recht  grosser  Uebel- 
and  ist  bei  der  Anwendung,  wie  schon  eben  hervorgehoben, 
ie  grosse  Schmerzhaftigkeit,  die  noch  längere  Zeit  die  Ein- 
iritzung  überdauert  und  nur  wenig  durch  eine  aufgelegte 
isblase  gemildert  wurde;  auch  stellten  sich  ferner  mehrfach 
n  den  Injektionsstellen  Abszesse  ein,  die  aber  nach  der  In¬ 
sion  schnell  heilten;  die  Entstehung  derselben  ist  wohl  darauf 
»riickzuführen,  dass  sich  an  der  Stelle  der  Einspritzung,  wie 
h  bei  mehreren  Autopsien  wahrnehmen  konnte,  ziemlich  um- 
ngliche  Blutungen  im  Zellgewebe  und  der  angrenzenden 
üiskulatur  bildeten. 

Wenn  ich  nach  diesen  Erfahrungen  auch  nicht  von  so 
appanten  Erfolgen  sprechen  kann,  wie  besonders  Kocher 
ld  S  t  a  d  1  e  r  sie  durch  die  intralumbale  Injektion  und  auch 
idere  Aerzte  durch  die  subkutane  erzielten,  so  kann  ich  das 
.agnesiumsulfat  doch  als  ein  recht  brauchbares  Mittel 
npfehlen,  besonders  in  der  eben  genannten  Verbindung  mit 
.orphium. 

Bemerkenswerte  üble  Nebenwirkungen,  ausser  der  er¬ 
ahnten  Schmerzhaftigkeit  bei  der  Injektion,  sah  ich  nicht, 
otz  der  grossen  von  mir  angewandten  Dosen;  nur  in  3  Fällen 
agten  die  Patienten  vorübergehend  über  Gefühllosigkeit  und 
:hwäche  in  den  unteren  Extremitäten,  sowie  über  Blasen- 
ischwerden,  indes  gingen  diese  Erscheinungen  bald  vorüber, 
ichdem  das  Mittel  einen  Tag  ausgesetzt  wurde;  Anfälle  von 
espirationslähmung  habe  ich  bei  dieser  Anwendung  nie  ge¬ 
hen. 

Ausser  dem  Magnesiumsulfat  habe  ich  dann  noch  in 
'  Fällen  die  Phenolbehandlung  angewendet.  Die  Methode, 
eiche  von  B  a  c  c  e  1 1  i 7)  ausserordentlich  empfohlen  wird, 

1  besonders  von  italienischen  Autoren  versucht  worden  und 
var  mit  dem  überraschenden  Erfolge,  dass  fast  sämtliche 
die  durchgekommen  sind,  was  wohl  zweifellos  auf  die  ge¬ 
ige  Intensität  der  Erkrankung  zu  beziehen  ist. 

Die  Kranken  wurden  mit  Einspritzung  einer  3  proz.  Kar- 
»llösung  behandelt  und  zwar  bekamen  die  ersten  3  mal 
ccm  in  24  Stunden,  die  übrigen  5  mal  10  ccm  subkutan,  so 
iss  1  g  und  mehr  Karbol  dem  Körper  einverleibt  wurde, 
e  Injektionen  waren  wenig  schmerzhaft  und  zeigten  keine 
»len  Nebenwirkungen,  besonders  auch  nicht  in  bezug  auf  die 
erentärigkeit.  Es  trat  danach  bei  den  meisten  Kranken  etwa 
ch  dem  Verlauf  einer  guten  Az  Stunde  eine  gewisse  allge- 
eine  Beruhigung  und  auch  ein  Nachlass  der  Krämpfe  auf, 
enigstens  bei  den  weniger  schweren  Fällen,  doch  war  der 
folg  nie  so  sicher  und  durchgreifend  wie  bei  der  Anwendung 
s  Magnesiumsulfats;  sehr  häufig  waren  wir  genötigt,  um  die 
dge  Ruhe  zu  erzielen,  noch  eine  Morphiumeinspritzung  von 
-  zu  machen,  oder  Chloral  in  entsprechender  Dosis  zu 
ben. 

Es  wird  sich  demnach  die  Phenolbehandlung  allein  nur  für 
c  leichteren  Fälle  empfehlen,  bei  schweren  wird  man  die 
iterstützung  durch  Morphium  oder  Chloral  nie  entbehren 
nnen.  Von  den  15  von  uns  behandelten  Fällen  starben  9  und 
kamen  durch,  ein  Umstand,  der  aber  darauf  zu  beziehen  ist, 
ss  ein  Teil  der  Fälle  leichterer  Art  war. 

Eine  grosse  Rolle  spielt  die  Pflege  und  Ernährung  der 
anken;  wenn  möglich  muss  jeder  derselben,  in  einem 

7)  B.kl.W.  1911  S.  1021. 


• 

Einzelzimmer  untergebracht  werden,  in  dem  die  möglichste 
Ruhe  herrscht  und  die  Fernhaltung  jedes  unnötigen  Reizes  er¬ 
strebt  wird.  Die  Ernährung  darf  per  os  natürlich  nur  bei  den 
Kranken  geschehen,  die  keine  Schluckkrämpfe  haben,  weil 
sonst  die  Gefahr  der  Schluckpneumonie  zu  gross  ist;  die  mei¬ 
sten  mussten  wir  per  Klysma  ernähren,  was  bei  den  Kranken 
deshalb  leichter  ist,  weil  sie  wegen  des  Sphinkterkrampfes  im¬ 
stande  sind,  auch  voluminösere  Flüssigkeitsmengen  längere 
Zeit  bei  sich  zu  behalten. 

Auch  die  subkutane  Injektion  von  Kochsalzlösung,  sowie 
die  intravenöse  Einverleibung  einer  5 — 10  proz.  Trauben¬ 
zuckerlösung  leistet  sehr  gute  Dienste. 

Wenn  ich  zum  Schluss  kurz  skizzieren  soll,  wie  mir  die 
Behandlung  der  Tetanuskranken  am  rationellsten  erscheint, 
so  würde  ich  in  erster  Linie  prophylaktisch  empfehlen,  neben 
einer  kunstgerechten  Behandlung  der  Wunde  die  Einspritzung 
von  Tetanusserum,  wenigstens  1—2  mal  20  A.E.;  bei  aus¬ 
gebrochenem  Tetanus  sofortige  Injektion  in  den  Lumbalsack 
von  100  A.E.,  die  am  folgenden  Tage  event.  wiederholt  wird; 
dann  noch  einige  Tage  die  gleiche  Dosis  subklavikular.  Zur 
symptomatischen  Behandlung  erscheint  mir  am  zweck- 
mässigsten  die  Einspritzung  von  Morphium  in  Verbindung  mit 
der  subkutanen  Anwendung  von  Magnesiumsulfat;  neben  der 
medikamentösen  Behandlung  muss  dann  einer  entsprechenden 
Pflege  und  Ernährung  die  grösste  Aufmerksamkeit  gewidmet 
werden. 


Aus  dem  Reservelazarett.  (Chefarzt:  Generalarzt  Professor  Dr. 
P  e  n  z  o  I  d  t)  und  den  Lazarettabteilungen  der  Universitäts¬ 
kliniken  in  Erlangen. 

Bericht  über  31  Tetanusfälle  nach  Kriegsverletzungen, 
einheitlich  intraspinal  und  intravenös  mit  Serum  behandelt*). 

Von  Prof.  Dr.  Kreuter  in  Erlangen. 

Von  60  000  Verwundeten  und  Kranken  der  verschiedensten 
deutschen  Truppenabteilungen,  welche  bis  Ende  September 
1914  in  Bayern  behandelt  wurden,  sind  0,7  Proz.  gestorben 
und  nicht  weniger  als  0,4  Proz.,  also  mehr  als  die  Hälfte  an 
Starrkrampf  zugrunde  gegangen.  Dieser  enorme  Prozentsatz 
beweist,  welch  kolossale  Bedeutung  die  Tetanusinfektion,  die 
wir  in  der  Friedenszeit  meist  als  Rarität  erleben,  auch  im 
Heimatgebiet  in  Kriegszeiten  gewinnt. 

Wir  hatten  in  Erlangen  in  zwei  Monaten  nicht 
weniger  als  31  Tetanusfälle  unter  den  Augen,  ein  Material,  das 
man  in  Friedenszeiten  aus  manch  grosser  Klinik  nicht  in 
10  Jahren  sammeln  kann.  Das  Interesse  an  der  Frage  bestand 
in  hohem  Masse  und  wurde  von  Herrn  Generalarzt  Pen- 
z  o  1  d  t  in  jeder  Weise  unterstützt.  So  ergab  sich  eine  seltene 
Gelegenheit,  die  Behandlung  in  fast  allen  Fällen  in  gleich- 
mässiger  Weise  durchzuführen  und  als  Basis  den  neuesten 
Stand  der  experimentellen  Forschung  zu  wählen,  der  in  der 
noch  öfter  zu  erwähnenden  ausgezeichneten  Arbeit  von  Per- 
tn  i  n  (Mitt.  Grenzgeb.  27.  1913)  niedergelegt  ist. 

Bevor  ich  auf  unsere  Behandlung  und  ihre  Resultate  zu 
sprechen  komme,  erscheint  es  mir  zweckmässig  und  lehrreich, 
einige  Punkte  aus  der  Symptomatologie  und  Patho¬ 
genese  der  Erkrankung  zu  streifen,  welche  allgemeines 
Interesse  beanspruchen  dürften.  Sie  wurden  bei  der  genauen 
Durchsicht  der  fast  ausnahmslos  sehr  gut  geführten  Kranken¬ 
geschichten  gesammelt  und  verdienen  besonders  hervor¬ 
gehoben  zu  werden. 

Zunächst  ist  man  überrascht,  dass  doch  auch  die  Ver¬ 
letzungen  durch  Gewehrschüsse  in  recht  hohem  Pro¬ 
zentsatz  zu  Tetanuserkrankungen  führen.  Bei  unserem  Ma¬ 
terial  waren  12  Infanterieschiisse,  17  Granatverletzungen  und 
nur  2  Schrapnelltreffer  die  Ursache  der  Erkrankung.  Die  Ge¬ 
wehrschüsse  betrafen  überwiegend  die  untere  Extremität. 
Nicht  weniger  als  6mal  handelte  es  sich  um  Durchschüsse 
durch  die  Wade,  ausnahmslos  mit  schwerer  sekundärer 
Infektion,  starker  Jauchung  und  verschieden  intensiver  Gas¬ 
bildung.  Diese  Prädisposition  der  Unterschenkelverletzungen 
zu  Tetanus  ist  unschwer  zu  erklären.  Fast  stets  waren  die 


*)  Nach  einem  Vortrag  in  der  6.  Sitzung  der  freien  militär¬ 
ärztlichen  Vereinigung  in  Erlangen  am  30.  Oktober  1914. 


2256 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  mcd.  Wochenschrift. 


Nr.  < 


Schaftstiefel  durchschossen,  mit  denen  lange  Märsche  in  auf¬ 
gewühltem  Boden  gemacht  oder  ein  längerer  Aufenthalt  in 
aufgeworfenen  Schützengräben  vorausgegangen  war.  Aus¬ 
nahmslos  im  Zustand  übelriechender  Eiterung  befanden  sich 
die  Wunden  durch  Granaten,  welche  zur  Entstehung  des 
Starrkrampfes  veranlassten. 

Was  die  Inkubationszeit  anlangt,  welche  zweifellos 
für  die  Prognosestellung  von  grösster  Wichtigkeit  ist,  so  be¬ 
trug  sie  bis  zu  7  Tagen  5  mal,  von  8  bis  14  Tagen  20  mal  und 
von  15  bis  21  Tagen  6  mal.  Bei  der  Erkrankung  in  der 
ersten  Woche  lag  die  Verletzung  einmal  4,  einmal  5,  einmal  6 
und  zweimal  7  Tage  zurück. 

Die  ersten  Anzeichen  der  Erkrankung  äusserten  sich 
überwiegend  in  T  r  i  s  m  u  s  und  Schluckbeschwerden; 
an  zweiter  Stelle  sind  lokale  Krämpfe  in  der  ver¬ 
letzten  Extremität  zu  nennen.  Sie  betreffen  meist  einzelne 
Muskelgruppen  und  bleiben  nicht  selten  während  der  ganzen 
Krankheitsdauer  auf  diese  beschränkt.  Sie  können  in  den  all¬ 
gemeinen  Krampfanfällen  aufgehen,  sich  aber  auch  im  Zustand 
der  allgemeinen  Muskelstarre  als  äusserst  schmerzhafte,  vor¬ 
übergehende  Verstärkungder  Rigidität  im  ver¬ 
letzten  Glied  bemerkbar  machen.  Wir  haben  sie  14  mal,  also 
nahezu  in  der  Hälfte  der  Fälle  beobachtet.  Gewiss 
bestehen  manchmal  grössere  Schwierigkeiten,  diese  Muskel¬ 
zuckungen  als  tetanische  zu  erkennen,  besonders  bei  | 
grossen  Wunden,  die  zu  den  mannigfachsten  Sensationen 
führen  können.  Intelligente  Patienten  geben  von  selbst  an, 
dass  diese  Krämpfe  besonders  bei  äusseren  Reizen 
auftreten,  dass  sie  sich  einstellen,  wenn  die  Türe  geöffnet  wird 
oder  wenn  sich  jemand  mit  schwerem  erschütternden  Tritt 
dem  Krankenbett  nähert,  wenn  Türen  zugeschlagen  werden 
oder  dergl.  Wenn  man  spontan  oder  auf  Anfrage  in  dieser 
Weise  des  näheren  über  die  Muskelzuckungen  belehrt  wird, 
kann  man  nicht  mehr  im  Zweifel  sein,  dass  es  sich  um  echte 
tetanische  Krämpfe  handelt.  Da  sie  sehr  häufig  früher 
auftreten  als  andere  sichere  Erscheinungen  des  Starr¬ 
krampfes,  wie  besonders  der  Trismus,  kann  man  nicht  ein¬ 
dringlich  genug  empfehlen,  sein  Augenmerk  ganz  besonders 
auf  sie  zu  richten.  Wiederholt  haben  wir  auch  gesehen,  dass 
der  Trismus  sich  nicht  von  vornherein  als  Starre  der 
Masseteren  entwickelte,  sondern  dass  auch  diesem  Zustand 
echte  isolierte  Krämpfe  vorausgehen  und  zu  recht  heftigen 
Z  u  n g e n  b  i  s s  e n  führen.  Auch  L  i  c  h  t  s  c  h  e  u  e  wurde  trotz  der 
Infektion  an  den  Extremitäten  zweimal  notiert.  Wir 
sahen  nur  einen  Fall  von  Kopftetanus  mit  der  charak¬ 
teristischen  Fazialislähmung,  der  trotz  aller  Be¬ 
mühungen  t  ö  1 1  i  c  h  ausging. 

Es  handelte  sich  um  einen  ganz  oberflächlichen  Streifschuss 
an  der  linken  Stirnseite,  aber  über  die  Mittellinie  herüber- 
reichend,  mit  schmierigem  Belag.  Die  Inkubation  betrug  9  Tage, 
die  Krankheitsdauer  5  Tage.  Die  Wunde  wurde  exzidiert  und  er¬ 
reichte  nicht  einmal  das  Periost.  Der  ungünstige  Ausgang  war  nicht 
aufzuhalten. 

Bei  einem  Kranken  mit  einer  fast  vollständigen  Durchtrennung 
der  Wadenmuskeln  und  18  tägiger  Inkubation  kam  es  zu  einer 
Dauerstarre  in  der  Muskulatur  des  verletzten  Unterschenkels  in 
stärkster  Streckstellung  mit  entsprechender  Plantarflexion,  Adduktion 
und  Supination  des  Fusses.  Dieser  Fall  bot  absolut  das  gleiche  Bild, 
das  man  beim  Kaninchen  u.  a.  Tieren  so  leicht  und  regelmässig  er¬ 
zeugen  kann.  Der  Zustand  bestand  fast  unverändert  3  Wochen  lang 
fort,  auch  nachdem  Trismus  und  Risus  —  die  einzigen  sonstigen 
Tetanuserscheinungen  —  schon  verschwunden  waren. 

Die  Krankheitsdauer  schwankte  von  36  Stunden  bis  zu 
27  Tagen,  diejenige  der  tödlichen  Fälle  von  1  bis  zu  8  Tagen. 
Von  unseren  11  Todesfällen  betrafen  8  die  ersten  4  Tage  nach 
Beginn  der  Erkrankung. 

Wenn  ich  nun  auf  die  Art  unserer  Behandlung  eingehe,  so 
entsprach  sie  den  Grundsätzen,  die  ich  erst  vor  kurzem  in 
der  M.m.W.  1914.  Nr.  40  entwickelt  habe.  Sobald  die  ge¬ 
ringsten  tetanischen  Erscheinungen  sich 
offenbarten,  wurde  die  Serumbehandlung  ein¬ 
geleitet.  Bei  langer  Inkubationszeit  und 
leichteren  Symptomen  bloss  intravenös,  bei 
bedrohlichen  Anzeichen  und  kurzer  Inku¬ 
bation  sofort  auch  intralumbal. 

Die  Spinalpunktionen  haben  wir  in  letzter  Zeit  lieber  in 
Chloroformnarkose  gemacht.  Der  Aether  führt  zu 


leicht  zu  besonders  schweren  Bronchitiden  und  pneumonisch' 
Infiltraten,  mit  denen  die  Kranken  bei  der  Erschwerung  c- 
Expektoration  ausserordentlich  mühsam  zu  kämpfen  habt. 
Bei  stärkerem  Opisthotonus  ist  die  Narkose  nicht  zu  umgeht. 
Wir  haben  sie  schadlos  in  einer  Woche  6  m  ' 
bei  einem  schweren,  ausgeheilten  Fall  ang  . 
wendet. 

Die  intravenösen  Einspritzungen  (fast  stets  i 
die  Kubitalvene)  können  zweifellos  sehr  häufig  wiederh  t 
werden.  Sie  wurden  von  N  o  c  a  r  d  zuerst  in  grösserem  Ui- 
fang  angewendet,  kamen  jedoch  durch  die  Mitteilung  ,v.  Be  - 
rings  (1900),  dass  grössere  Mengen  Serum  toxisch  wirkt, 
wieder  ab.  In  neuerer  Zeit  wurden  sie  durch  v.  Graff,  S- 
m  o  n.  Kirchmayr  u.  a.  warm  empfohlen.  Wir  haben  u 
in  schweren  Fällen  zweistündlich  gemacht  und  n i e  ei : 
Serumschädigung  gesehen.  So  kamen  wir  bis  auf  600  A  . 
pro  die  in  die  Blutbahn.  Subdural  wurde  nie  unter  100  A  . 
gegeben,  bisher  nur  in  einem  Fall  zweimal  pro  Tag,  sott 
nach  Bedarf  täglich,  oder  in  grösseren  Pausen,  die  sia 
nach  dem  Ablauf  der  Erscheinungen  richteten.  Mening- 
tische  Störungen  haben  wir  nicht  erlebt.  Unten 
lassen  mussten  wir  die  Lumbalpunktion  in  solchen  Fällt, 
bei  denen  der  Ort  der  Wahl  durch  die  Wundverhältnisse  if 
zugänglich  war. 

Was  die  Serumquantitäte n  anlangt,  die  wir  in  ei- 
zelnen  Fällen  verwendeten,  mögen  als  Beispiel  die  6  schwer; 
Fälle  herangezogen  werden,  bei  denen  wir  veranlasst  wart), 
über  1000  A.E.  zu  verabfolgen.  Sie  erhielten  im  einzeln i 
in  5  Tagen  1100  A.E. ;  davon  subdural  150;  intraven.  950;  gestorb» : 


8  , 

1350  ,  ; 

9 

n 

200; 

„  1000;  subkuta 

150 ;  geheilt; 

12  „ 

1700  „  ; 

• 

400; 

„  1300;  geheilt; 

12  . 

1950  ,  ; 

n 

n 

400; 

,  750;  subkutai 

800;  geheilt;; 

16  . 

2200  „  ; 

9 

9 

600; 

„  1600;  geheilt; 

16  „ 

2400  ,  ; 

9 

If 

200; 

„  2200 ;  geheilt. 

Die  M  a  x  i  m  a,  die  wir  bisher  geben  konnten,  waren  s 
mit  für  den  Einzelfall  einmal  600  A.E.  subdural  und  einnl 
2200  A.E.  intravenös.  Die  Höchstgabe  an  Serum  für  ein« 
Kranken  betrug  2400  A.E. 

Eine  fast  unmittelbare  Wirkung  des  Serums  konnte  nn 
namentlich  bei  den  intravenösen  Einspritzungen  scr 
häufig  beobachten.  Während  die  allgemeine  Muskc- 
starre  wenig,  oder  nicht  beeinflusst  wurde,  verloren  d; 
Krämpfe  in  unverkennbarer  Weise  an  I  - 
tensitätund  Häufigkeit;  auch  der  Trismus  Hess  mejt 
etwas  nach  und  die  Möglichkeit,  zu  schlucken,  wurde  gross  . 
Von  den  Injektionen  in  den  Lumbalsack  hatten  wir  di 
Eindruck,  als  ob  sie  das  Krankheitsbild  langsamer  bec- 
flussten.  Es  ist  natürlich  sehr  schwierig,  bei  den  Massengabi 
durch  den  Blutkreislauf  ein  Urteil  über  den  absoluten  Wert  ctri 
intraspinalen  Applikation  zu  gewinnen,  zu  der  man  sich  jedori 
aus  experimentellen  Erwägungen  in  ernsten  Fällen  stets  vt- 
pflichtet  fühlt.  Ausserdem  sprechen  für  die  Methode  <p 
günstigen  Erfahrungen  anderer  Autoren  wie  Hof  man. 
Suter,  Pancratio  u.  a. 

Dass  Wundexzisionen,  Exartikulationen  und  Amputationli 
bei  ausgebrochenem  Tetanus  keinen  Einfluss  auf  den  Vt~ 
lauf  der  Erkrankung  haben,  konnten  wir  auch  in  3  Fällen  ats 
Neue  bestätigt  finden.  Besonders  beachtenswert  erschein) 
jedoch  zwei  Erlebnisse,  bei  denen  wir  nach  der  Amputatic. 
die  ich  unter  allen  Vorsichtsmassregeln  durchaus  im  G  - 
sunden  ausführte,  Tetanus  auftreten  sahen.  Bei  dem  einji 
Kranken  handelte  es  sich  um  einen  Granatschuss  in  den  Fu 
mit  Eröffnung  des  Fussgelenkes  und  weitgehender  Zertrü- 
merung  der  Fusswurzel.  Bei  ihm  traten  24  Stunden  na'! 
der  Operation  die  ersten  Anzeichen  von  Starrkrampf  a, 
der  ebenso  tödlich  endete,  wie  bei  dem  zweiten  PatientL 
der  vier  Tage  nach  einer  Operschenkelamp- 
t  a  t  i  o  n  wegen  totaler  Gangrän  des  Unterschenkels  <- 
Initialerscheinungen  zu  bieten  anfing.  Diese  Fälle  zeigen, 
wir  unter  Umständen  von  „prophylaktischen“  Amp- 
tationen  zu  halten  haben!  Sie  weisen  aber  m.  E.  vor  all»! 
darauf  hin,  dass  der  Tetanusbazillus  nicht  bloss  an  dr 
Eintrittspforte  sitzen  bleibt,  sondern  i1 
Körper  verschleppt  werden  kann.  Denn  andis 


7.  November  1914. 


2257 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


und  diese  balle  nicht  zu  erklären,  da  wir  wissen,  dass  die 
iiftleitung  sowohl  im  Blut  als  im  Nerven  sehr  rasch  vor 
ich  geht  (P er  mi  n). 

Bevor  ich  schliesslich  zu  unseren  Resultaten,  den  für 
iie  Praxis  springenden  Punkt  übergehe,  erscheint  es  unum¬ 
gänglich  notwendig,  ganz  kurz  über  den  gegenwärtigen 
'  t  a  n  d  der  1  etanusstatistik  zu  berichten,  soweit  sic 
n  brauchbarer  Form  vorliegt.  Fast  in  allen  Lehr- 
»lichern  findet  man  die  von  Rose  gesammelten  Zahlen,  dass 
io  Mortalitätsziffer  für  den  Starrkrampf  iiber- 
laupt  80  bis  90  Proz.  beträgt,  dass  die  Sterblichkeit  in  der 
rsten  Woche  90  bis  95  Proz.  erreicht  und  bei  späterer 
nkubation  auf  ,50  bis  5,5  Proz.  sinkt.  D  i  es  e  Zahlen  sind 
e  r  a  1 1  e  t.  Eine  Reihe  neuerer  Statistiken  sind  durch  Samml¬ 
ung  von  Einzelfällen  aus  der  Literatur  entstanden  und,  wie 
uch  Permin  empfindet,  mit  Misstrauen  zu  betrachten, 
’ermin  unterzog  sich,  um  ein  möglichst  klares  Bild  zu  be- 
omrnen,  der  grossen  Mühe,  die  Fälle  aus  18  Kliniken  des 
n-  und  Auslandes  zu  sammeln,  wobei  allerdings  auf  die  Art 
er  Serumbehandlung  keine  Rücksicht  genommen  werden 
onnte.  Er  berechnete  —  abweichend  von  der  bisher 
blichen  Zeitbegrenzung  —  die  Sterblichkeitsziffern  nach  In- 
ubationen  bis  zu  10  Tagen  und  solchen  darüber.  Es  ergaben 
ich  bei  einer  Inkubation 


bis  zu  10  Tagen  .  . 

über  10  Tage  .  . 
unbekannter  Inkub. 


199  Fälle  mit  78,9  Proz.  Mortalität, 
108  ,  ,  37  ,  „  , 

23  ,  -  34,8  „  „  . 


Im  ganzen  330  Fälle  mit  62,1  Proz.  Mortalität. 


Diese  Statistik  gibt  zweifellos  ein  richtiges  Durchschnitts- 
ild  davon,  was  im  allgemeinen  mit  der  Serumtherapie 
isher  geleistet  worden  ist.  Dass  man  von  „Leistungen“ 
er  Antitoxinbehandlung  sprechen  kann  und  muss,  geht  auch 
ir  die  grössten  Skeptiker  aus  einer  weiteren  Zusammen¬ 
teilung  von  P  e  r  m  i  n  hervor,  welche  mit  der  gleichen  Gründ- 
chkeit,  durch  welche  sich  die  ganze  Arbeit  des  genannten 
>utors  auszeichnet,  alle  Fehlerquellen  berücksichtigt.  Diese 
ählen  entstammen  einem  anderen  Material  und  ergeben  bei 
iner  Inkubation 


Ohne  Serum 

bis  zu  10  Tagen  94,7  Proz. 

über  10  Tage  70,2  „ 

unbekannter  Inkub.  58,3 

Im  ganzen  78,9  Proz. 


Mit  Serum 
72,8  Proz.  Mortalität, 


57,7  Proz.  Mortalität. 


Wenn  wir  nun  unser  Material  von  31  Fällen  auf  die 
'er in  in  sehen  Ziffern  beziehen  und  die  Fälle  nach  einer  In- 
ubation  von  10  Tagen  und  darüber  ausscheiden,  so 

atten  wir 

bis  zu  10  Tagen  14  Fälle  mit  9  Toten  =  64,3  Proz.  Mortalität, 
:i  mehr  als  10  .  17  „  ,  2  „  =  12,2  „ 

Im  ganzen  31  Fälle  mit  11  Toten  =  35,5  Proz.  Mortalität. 

Berechnet  man  die  Mortalitätsziffern  unseres  Ma¬ 
riales  nach  Wochen  der  Inkubation,  wie  das  in  allge- 
leinerem  Umfang  gebräuchlich  ist,  dann  bekommen  wir  fol- 
ende  Zahlen:  eine  Inkubation  hatten 
bis  zu  7  Tagen  5  Fälle,  mit  3  Toten  =  60  Proz.  Mortalität; 

»  »  H  ,  20  „  „  7  „  =  35^  „  „  ; 

»  „  21  „  6„  ,  1  „  —  1 6,7  „  .  , 

Jer  wenn  man  die  Fälle  generell  nach  der  ersten  Woche 
nd  darüber  hinaus  rubriziert 

bis  zu  7  Tagen  5  Fälle  mit  3  Toten  =  60  Proz.  Mortalität; 

über  7  Tage  26  „  „  8  „  =  30,8  „ 


Aus  diesen  Zahlen  ergibt  sich,  dass  es  uns 
i  31  Fällen  von  Tetanus  durch  intraspinale 
nd  intravenöse  Seruminjektionen  unter  Ver¬ 
ödung  grosser  Dosen  gelungen  ist,  die 
terblichkeitsziffer  ganz  erheblich  zu 
rücken.  Die  Gesamtmortalität,  welche  ohne 
er  um  78,9  Proz.,  mit  Serum,  57,7  bis  62,1  Proz. 
eträgt,  ist  in  unseren  Fällen  auf  35,5  gesun- 
en;  die  Sterblichkeit  bis  zu  10  Tagen  Inku- 
a  t  i  o  n  von  78,9  Proz.  auf  64,3  Proz.,  bei  mehr  als 
•Tagen  Inkubation  von  37  Proz.  auf  12,2  Proz. 
c fallen;  innerhalb  der  ersten  Woche  betrug 
'6  nur  60  Proz.,  jenseits  derselben  30,8  Proz. 


Diese  Zahlen  sind  durchaus  objektiv  und  sprechen  für  sich; 
sie  bedürfen  keiner  Stärkung  ihrer  Beweiskraft  durch  leicht 
zu  beschaffende  Erläuterungen.  Ich  möchte  aber  doch  nicht 
verschweigen,  dass  gerade  von  unseren  schwersten  Fällen 
drei  nur  mangelhaft  behandelt  wurden.  Einer  wurde 
zu  spät  erkannt,  die  beiden  anderen  fielen  zweifellos  dem 
immer  mehr  fühlbar  werdenden  Mangel  an  Heilserum 
zum  Opfer.  Aus  demselben  Grunde  haben  wir  2  mal  zu 
Magnesiumsulfat  und  Karbol  gegriffen,  ohne  den 
tödlichen  Ausgang  verhindern  zu  können.  Vielleicht  wäre 
ohne  diese  Misslichkeiten  unsere  Statistik  noch  besser  ge¬ 
worden! 

Es  wäre  gewiss  vermessen,  behaupten  zu  wollen,  dass 
uns.ere  .Resultate  ein  einwandfreies  Bild  von  der  Leistungs¬ 
fähigkeit  der  Antitoxintherapie  des  Tetanus  geben.  Dazu  sind 
die  Zahlen  trotz  ihrer  relativen  Ansehnlichkeit  zu  klein! 
Allein  sie  sind  in  folgerichtiger  Anwendung  biologischer 
Tatsachen  gewonnen  und  verdienen  Beachtung;  sie  sprechen 
eine  eindringliche  Sprache  zu  gunsten  der  spezifischen 
Behandlung  des  Starrkrampfes1). 


Einige  Ratschläge  für  die  Behandlung  des  Wundstarr¬ 
krampfes. 

Von  Prof.  Eduard  Müller  in  Marburg,  zurzeit  Stabsarzt 
und  leitender  Arzt  eines  Seuchenlazaretts. 

Bei  einmal  ausgesprochenem  Wundstarrkrampf  bezweckt 
die  Behandlung,  die  meist  qualvollen  Beschwerden  des  Kranken 
zu  mildern  und  die  düstere  Prognose  des  Leidens  womöglich 
zu  verbessern.  Die  Lösung  dieser  Aufgabe  muss  am  besten 
bei  möglichst  frühzeitigem  Einsetzen  sachgemässer  Therapie 
und  damit  auch  bei  möglichst  frühzeitiger  Erkennung  des 
Leidens  gelingen.  Hierzu  ist  eine  bessere  Kenntnis 
der  Frühsymptome  des  Wundstarrkrampfes 
erforderlich.  Den  meisten  Kollegen  gilt  der  Kaumuskelkrampf 
als  erstes  Krankheitszeichen.  Bei  der  Mehrzahl  der  Patienten 
trifft  dies  keineswegs  zu.  Dem  Trismus  geht  gerne  der  sogen, 
„lokale  Tetanus“  voraus:  eine  auffällige  Steifigkeit  des 
verletzten  Gliedes,  ein  schmerzhaftes  Ziehen  und  Spontan¬ 
zuckungen  daselbst.  Hierzu  treten  oft  gewisse  „Allgemein¬ 
symptome“  wie  Neigung  zum  Schwitzen,  Stuhlverstopfung, 
auch  Dysurie  und  Schlafstörung.  Dieser  lokale  Tetanus  wird 
leicht  übersehen,  wenn  man  nicht  besonders  danach  fahndet. 
Er  hat  eine  grosse  theoretische  Bedeutung.  Man  kann  ihn  als 
klinischen  Beweis  dafür  betrachten,  dass  das  Tetanusgift 
weniger  durch  die  Blutbahn  als  längs  der  peripherischen 
Nerven  das  Zentralnervensystem  erreicht.  Bei  hämatogenem 
Gifttransport  wäre  der  Krankheitsbeginn  in  den  zu  den  ver¬ 
letzten  Körperteilen  gehörigen  Segmenten  des  Zentralnerven¬ 
systems  kaum,  verständlich. 

Schon  bei  den  ersten  verdächtigen  Krankheitserschei¬ 
nungen  muss  eine  energische  Behandlung  eingeleitet  werden. 
Allergrössten  Wert  lege  ich  auf  die  Allgemeinbehand¬ 
lung.  Meist  lässt  sich  die  reflektorische  Auslösung  der 
Spasmen  leicht  feststellen.  Der  Kranke  krampft  z.  B.  bei 
einein  lauten  Ruf  auf  dem  Krankensaal,  beim  raschen  Oeffnen 
oder  Zuschlägen  der  Türe,  beim  Hinfallen  eines  Gegenstandes, 
beim  festen  Auftreten  des  Personals  auf  dem  Fussboden,  bei 
plötzlicher  greller  Beleuchtung,  beim  „Anknipsen“  des  elek¬ 
trischen  Lichtes,  beim  Anfassen  mit  kalten  Händen.  Mög¬ 
lichste  körperliche  und  geistige  Ruhe  mit 
strengster  Fernhaltung  aller  stärkeren  und 
rasch  einsetzenden  sensiblen  Reize  ist  er¬ 
forderlich  (also  vorsichtiges  Auftreten  des  Personals, 
event.  mit  Benutzung  von  Filzschuhen,  leise  Unterhaltung,  ge¬ 
dämpfte  Beleuchtung  usw.). 

Als  bestes  Heil-  und  Linderungsmittel  betrachte  ich 
namentlich  in  leichteren  und  mittelschweren  Fällen  die 
heissen  Bäder.  Wir  verordnen  täglich  durchschnittlich 
zwei,  beginnen  mit  36°  C  und  steigen  durch  Zulauf  heissen 
Wassers  bis  41  ja  42°.  Die  Dauer  des  Bades  bemessen  wir 
auf  etwa  20  bis  höchstens  30  Minuten.  Die  meisten  Kranken 


*)  Aus  Raummangel  muss  ich  mir  es  leider  versagen,  auf  die 
Krankengeschichten  auch  nur  in  Kürze  einzugehen. 


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Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr. 


verspüren  in  diesen  Bädern  eine  ausserordentliche  Erleich¬ 
terung.  Man  kann  das  Nachlassen  des  Trismus  in  den  heissen 
Bädern  geradezu  messen.  Diese  Gelegenheit  der  verbesserten 
Mundöffnung  muss  man  zur  Ernährung  des  Kranken 
sowie  zur  Darreichung  etwaiger  Arzneimittel  benützen.  Es 
ist  merkwürdig,  wie  wenig  diese  altbewährte  Wirkung  heisser 
Bäder  den  Kollegen  bekannt  ist.  Gute  Badetechnik  erfordert 
gerade  bei  Tetanus  geübtes  Personal.  Etwaige  Extremitäten¬ 
verbände  werden  im  Bade  durch  wasserdichte  Stoffe  ab¬ 
gedichtet. 

Als  Arzneimittel  hat  sich  mir  bisher  am  besten  das 
L  u  m  i  n  a  1  bewährt.  Bei  stärkerem  Trismus  und  bei  Schluck¬ 
beschwerden  macht  man  subkutane  Einspritzungen  von 
Luminalnatrium 1).  Dieses  leichter  lösliche  Luminal- 
n  a  t  r  i  u  m  kommt  in  sterilisierten  Fläschchen  in  den  Handel, 
die  1  g  des  Präparates  enthalten  und  vor  dem  Gebrauch  ein¬ 
fach  mit  destilliertem  Wasser  aufgefüllt  werden.  Da  die 
Fläschchen  5  ccm  Fassungsraum  haben,  erhält  man  so  eine 
ungefähr  20  proz.  Lösung,  die  man  vor  der  Einspritzung  fil¬ 
trieren  soll.  2  ccm  dieser  Lösung  enthalten  dann  ungefähr 
0,4  g  Luminalnatrium.  Gewöhnlich  geben  wir  abends  0,4  g 
Luminalnatrium  sowie  vor-  und  nachmittags  je  0,2  g.  Die 
krampfmildernde,  sch  merzstillen  de  und  schlaf¬ 
bringende  Wirkung  des  Luminals  kommt  beim  Wund¬ 
starrkrampf  gut  zur  Geltung.  Wir  haben  das  Luminal  deshalb 
versucht,  weil  man  ihm  eine  besondere  depressive  Wir¬ 
kung  auf  motorische  Erregungszustände  nicht 
mit  Unrecht  zuschreibt.  Ich  erinnere  hierbei  an  die  guten 
Wirkungen  der  Luminalbehandlung  in  vielen  Fällen  von  Epi¬ 
lepsie.  Innerlich  versucht  man  zunächst  abends  eine  ganze 
Luminaltablette  von  0,3  und  tagsüber  zweimal  eine  halbe.  So¬ 
wohl  bei  innerlicher  wie  subkutaner  Darreichung  kann  man  die 
Gesamtdosis  erheblich  steigern  vor  allem  in  Form  häufiger 
Einzelgaben.  Das  Leiden  ist  derartig  qualvoll  und  die  Pro¬ 
gnose  bei  kurzer  Inkubationsdauer  und  stürmischerem  Krank¬ 
heitsbeginn  so  schlecht,  dass  man  dreiste  Dosen  von 
Beruhigungsmitteln  riskieren  muss,  ja  nur  von 
hohen  Gaben  sich  Erfolge  versprechen  kann.  So  haben  wir 
bis  zu  fünfmal  täglich  0,4  Luminalnatrium  gegeben.  Ernstere 
Nebenwirkungen  haben  wir  selbst  nicht  beobachtet.  Vielleicht 
kann  man  auch  die  Luminaldosen  mit  der  rektalen  Darreichung 
des  in  grösseren  und  häufigeren  Gaben  gleichfalls  wirksamen 
Chloralhydrats  —  mehrmals  täglich  2  g  —  kombinieren.  Nach 
unseren  bisherigen  Erfahrungen  ist  die  Wirksamkeit  anderer 
Beruhigungsmittel,  vor  allem  von  Brom,  Veronal,  Morphium, 
Skopolaminum  hydrobromicum  geringer  als  diejenige  des 
Luminals.  —  ln  leichteren  Fällen  verschreiben  wir  gerne  und 
scheinbar  mit  Erfolg  die  seit  langem  empfohlenen  Salizyl- 
Präparate. 

Ueber  die  beste  Wundbehandlung  haben  sich  wohl 
schon  die  Chirurgen  seit  Kriegsbeginn  wiederholt  geäussert.  — 
Weintrau  d  machte  im  Hinblick  auf  das  anaerobe  Wachs¬ 
tum  der  Tetanusbazillen  den  sehr  verständigen  Vorschlag,  von 
einem  festen  Luftabschluss  der  Wunden  durch  dicke  Verbände 
möglichst  abzusehen  und  zur  ausgiebigen  Sauerstoffzufuhr  in 
die  oft  zerklüfteten  buchtigen  Wunden  einen  Versuch  mit 
festen  Wasserstoffsuperoxydpräparaten,  z.  B.  mit  den  von  den 
Elberfelder  Farbenfabriken  hergestellten  Ortizonstäbchen  zu 
machen.  Auch  wir  benützen  jetzt  diese  Stäbchen,  die  in  be¬ 
quemer  handlicher  Form  geliefert  werden.  Gleichzeitig  ver¬ 
suchen  wir  mehrmals  täglich  längere  Berieselungen  der 
Wunden  mit  dünnen  Wasserstoffsuperoxydlösungen,  ausserdem 
lokale  Sauerstoffbäder  der  verletzten  Glieder  und  häufigere 
energischere  gasförmige  Sauerstoffzufuhr  in  die  Wunden  mit 
Hilfe  der  Sauerstoffbomben.  Ueber  die  Erfolge  besitzen  wir 
noch  kein  sicheres  Urteil;  jedenfalls  sprechen  theoretische 
Ueberlegungen  für  solche  Wundbehandlungen,  und  bei  einem 
so  entsetzlichen  Leiden  muss  man  schliesslich  alles  versuchen, 
was  Erfolg  versprechen  kann  und  bei  vorsichtiger  Anwen¬ 
dung  kaum  etwas  schadet.  —  Amputationen  der  verletzten 
Glieder  sind  wohl  nur  dann  am  Platze,  wenn  auch  ohne  Wund¬ 
starrkrampf  die  Absetzung  des  Gliedes  das  Nächstliegende  ist, 


1)  Luminal  und  Luminalnatrium  wurden  uns  von  den  Farben¬ 
fabriken  vormals  Bayer  &  Co.  sowie  von  der  Firma  E.  Merck,  Darm¬ 
stadt  zur  Verfügung  gestellt. 


und  wenn  bei  schweren  infizierten  Schussverletzungen  e 
frühzeitiger  starker  lokaler  Tetanus  einsetzt.  Falls  aber  d 
Schwere  der  Verletzung  schon  an  sich  die  Amputation  nah 
legt,  darf  man  bei  den  ersten  Krankheitszeichen  des  Tetan 
wohl  nicht  länger  mit  der  Operation  warten. 

Von  der  Magnesiasulfatbehandlung  und  d 
Serumtherapie  des  Wundstarrkrampfes  habe  ich  siche 
Erfolge  nicht  gesehen.  Neuerdings  wird  behauptet,  dass  d 
einmalige  „Heildosis“  keineswegs  ausreicht;  man  müsse  e 
Dosis  zunächst  täglich  subkutan  weiter  reichen  und  ausserde 
noch  mehrfach  die  gleiche  Menge  intralumbal  geben.  Solei 
grosse  Serummengen  lassen  sich  —  abgesehen  von  de 
Preise,  der  ja  keine  ausschlaggebende  Rolle  spielen  darf  —  b 
dem  jetzigen  gewaltigen  Bedarfe  gar  nicht  auftreiben.  D. 
Vorschlag  von  Opitz,  dieses  Serum  besser  zu  der  sicherliij 
wirksameren  und  damit  notwendigeren  prophylaktischen  Ei 
spritzung  zu  benutzen,  verdient  sicherlich  Beachtung.  B 
kannten  Offizieren,  die  ins  Feld  zogen,  habe  ich  ihre  Schut; 
dosis  mitgegeben  und  angeraten,  sie  womöglich  in  einer  Roc' 
tasche  ebenso  wie  die  bekannten  Verbandpäckchen  au 
zubewahren.  Leider  lässt  sich  auch  diese  Fürsorge  nur  in  b 
schränktem  Masse  durchführen.  Wir  müssen  auch  beim  T 
tanus  versuchen,  eine  wirksame  und  ungefährliche  Art  aktiv] 
Immunisierung  bei  den  ins  Feld  ziehenden  Mannschaften  ; 
erreichen.  Im  Massenbetrieb  lässt  sich  die  konsequen 
Durchführung  der  prophylaktischen  Serumspritzung  jetzt  ga 
nicht  ermöglichen.  Schliesslich  sind  eben  alle  Wunden  „ve 
dächtig“,  nicht  nur  die  breiten  flächenhaften  buchtigen  Weicj 
teilverletzungen,  die  gerne  durch  Granatsplitter  und  Schraj 
nells  gesetzt  werden  und  besonders  zum  Wundstarrkrain 
disponieren. 

In  zwei  schweren  Fällen  von  Wundstarrkrampf  mit  b 
drohlicher  Erstickungsgefahr  durch  die  begleitenden  Kramp, 
der  Atemmuskulatur  haben  wir  —  zum  mindesten  mit  aui 
fälligem  symptomatischen  Erfolg  —  die  Tracheotomi 
ausgeführt.  Der  mitunter  plötzliche  Tod  der  Kranken  mit  Tj 
tanus  erinnert  sehr  an  eine  Erstickung  durch  Glottiskramp 
Die  Atmung  wird  nicht  nur  durch  die  Krämpfe  des  Zwcrd 
felis  und  der  Rumpfmuskulatur,  vor  allem  der  Interkostal^ 
sehr  erschwert,  sondern  auch  durch  den  Trismus  und,  wie  io 
glaube,  auch  durch  die  Spasmen  der  Zungen-,  Pharynx-  un 
Larynxmuskulatur.  Ich  darf  hier  vielleicht  an  Versuche  el 
innern,  die  Lehmann  und  ich  beim  anaphylaktischen  Schoa 
des  Meerschweinchens  im  Marburger  physiologischen  Instit 
gemacht  haben.  Da  das  klinische  Bild  des  akut  tödlichen  anj 
phylaktischen  Schocks  lebhaft  an  einen  Erstickungsvorgar; 
durch  Glottiskrampf  erinnert,  haben  wir  an  die  Möglichkc 
gedacht,  dass  beim  anaphylaktischen  Schock  für  den  rasche 
Exitus  ein  Stimmritzenkrampf  mit  verantwortlich  sei.  Tä 
sächlich  zeigte  es  sich,  dass  tracheotomierte,  „sensibilisierte 
Tiere  im  Gegensatz  zu  Kontrolltieren  intrakardiale  Eii 
Spritzungen  von  5  mg  Pferdeeiweiss  überstanden.  Es  konnte 
sogar  Tiere,  die  unter  schweren  Schocksymptomen  fast  ve 
endet  schienen,  dadurch  gerettet  werden,  dass  eine  schon  zuve 
vorhandene  T-förmige  Trachealkanüle  schleunigst  direkt  nac 
aussen  wegsam  gemacht  wurden.  Durch  diese  Versuche  wuro 
uns  bewiesen,  dass  der  rasche  anaphylaktische  Tod,  wie  sehe 
das  klinische  Bild  erwarten  lässt,  in  der  Tat  ein  Erstickung 
tod  ist  und  dass  hierbei  wohl  ein  Atemhindernis  eine  Rob 
spielt,  das  oberhalb  des  Trachealschnittes  gelegen  ist,  ve 
mutlich  also  ein  krampfhafter  Glottisverschluss.  Abgesehe 
von  dem  Atemhindernis,  das  die  Spasmen  im  Bereich  de 
oberen  Luftwege,  vor  allem  der  Stimmbandmuskulatur,  in  dt 
Krampfanfällen  des  Tetanus  bedingen,  werden  Kranke 
schwereren  Fällen  durch  eine  rasch  einsetzende  Bronchitis  nj 
reichlichem  mitunter  dickflüssig-eitrigem  oder  auch  schleim 
gern  Sekret  gequält.  Die  Expektoration  ist  aber  schon  durc 
den  Trismus  ungemein  erschwert.  In  einem  der  beide 
tracheotomierten  Fälle  bestand  in  den  Anfällen  mitunter  e 
deutlicher  inspiratorischer  Stridor.  Von  diesen  Ueberlegungc 
ausgehend,  haben  wir  tracheotomiert  und  waren  in  beide 
Fällen  durch  die  ganz  auffällige  Verbesse  r  u  n 
der  Atmung  und  durch  das  fast  völlige  Ver 
schwinden  der  Zyanose  während  aller  wei 
teren  Anfälle  geradezu  überrascht.  Ausserdem  wurc 


t.  November  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Miinch.  med.  Wochenschrift. 


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on  beiden  Kranken  sofort  nach  dem  Luftröhrenschnitt  ganz 
lassenhaft  Sekret  durch  die  Trachealwunde  herausgeschleu- 
-rt.  Wir  werden  nach  diesen  Erfahrungen  zukünftig  alle 
etanuskranken  nach  dem  ersten  ausgesprochenen  und  mit 
arker  Zyanose  einhergehenden  Anfall  sofort  tracheotomieren. 

Unser  konsultierender  Chirurg,  Geheimrat  Reisinger, 
achte  mich  darauf  aufmerksam,  dass  schon  in  Langenbccks 
rchiv  Bd.  29  im  Jahre  1883  Fälle  beschrieben  sind,  die  vor 
inleitung  der  Kurarebehandlung  tracheotomiert  wurden.  Es 
eisst  dort:  „Die  Tracheotomie  bei  Tetanus  steht  in  einem 
;hlechten  Rufe.  Wo  sie  infolge  momentaner  Indicatio  vitalis 
.macht  wurde,  da  stellte  sich  bald  eine  so  erhebliche  Sekret- 
ahäufung  in  den  Bronchien  ein,  dass  ihr  wenigstens  zum  Teil 
n  dem  späteren  letalen  Ausgang  schuld  gegeben  werden 
msste.“ 

Diese  entgegengesetzte  Bewertung  der  Tracheotomie  kann 
ns  von  dem  Vorschlag,  den  Luftröhrenschnitt  bei  der  oben 
iedergelegten  Indikation  zu  versuchen,  nicht  abbringen.  Es 
t  ein  grosser  Unterschied,  ob  man  nach  Kuraredarreichung 
•ucheotomiert  oder  zur  besseren  Sekretentleerung  aus  den 
ronchien  und  zur  Beseitigung  von  Atemhindernissen,  die 
berhalb  der  Trachealwunde  gelegen  und  durch  Krämpfe  der 
harynx-  und  Larynxmuskulatur,  zum  Teil  auch  der  Zungen- 
nd  Kaumuskulatur  bedingt  sind.  In  beiden  Fällen  wurde  die 
racheotomie  in  Chloroformnarkose  ausgeführt.  Der  erste 
all  kam  später  —  trotz  fast  vollkommen  freier  Atmung  auch 

den  Anfällen  —  an  Herzinsuffizienz  zum  Exitus,  der  zweite 
atient  mit  gleichfalls  sehr  schwerem  Tetanus  lebt  noch  und 
jfindet  sich  jedenfalls  besser  wie  vor  der  Tracheotomie.  An 
-T  Tatsache,  dass  man  durch  den  Luftröhrenschnitt  zu  mindest 
e  qualvollen  .Erstickungszustände  mildern 
ann,  besteht  für  uns  kein  Zweifel. 

Die  vorstehenden  Zeilen  geben  nur  meine  subjektiven  Ein¬ 
ücke  wieder,  die  ich  an  den  Kranken  mit  Wundstarrkrampf 

den  hiesigen  Festungslazaretten  sowie  auf  der  Tetanus- 
iracke  des  von  mir  geleiteten  Seuchenlazarettes  gewonnen 
ibe.  Die  seit  Kriegsbeginn  vorliegende  Literatur  ist  mir  nur 
hr  lückenhaft  bekannt. 

Das  vom  hiesigen  Garnisonarzt  angeordnete  Verfahren, 
öglichst  alle  Kranken  mit  Wundstarrkrampf  sofort  nach  der 
sten  Krankheitsfeststellung  auf  besonderen  Abteilungen  zur 
öglichst  eingehenden  Behandlung  und  zu  besserem  thera- 
utischen  Weiterstudium  zu  sammeln,  empfiehlt  sich  wohl 
ich  anderwärts. 


us  dem  Reservelazarett  V  Hamburg,  Institut  für  Schiffs-  und 
ropenkrankheiten  (Obermedizinalrat  Prof.  Dr.  N  o  c  h  t)  und 
Abteilung  Hafenkrankenhaus  (Oberarzt  Dr.  Rothfuch  s). 

Zur  Behandlung  des  Tetanus. 

un  Dr.  Rothfuch  s,  Oberarzt  des  Hafenkrankenhauses. 

Unter  den  Wundinfektionskrankheiten  steht  für  den 
uirurgen  zurzeit  an  erster  Stelle  der  Tetanus.  Erscheint 
>ch  in  den  letzten  Wochen  fast  regelmässig  in  den  ärztlichen 
itschriften  ein  Artikel,  der  sich  mit  dem  Tetanus  und  dessen 
äiandlung  befasst.  Ueberall  erschreckend  hohe  Sterblich- 
itsziffern  trotz  Antitoxin  und  Magnesiumsulfat.  Sogar  Kar- 
Isäure  und  Bauchhöhlentranssudat  von  Herzkranken  ist  in- 
iert  worden;  alles  Zeichen  dafür,  dass  wir  gegen  diese 
rchterliche  Krankheit  im  allgemeinen  noch  ziemlich  machtlos 
id.  Während  einige  eine  günstige  Beeinflussung  des  Tetanus 
rch  das  Antitoxin  sahen,  berichten  eine  grosse  Anzahl 
derer  von  dem  Unwert  dieses  Medikamentes. 

Willkommen  muss  daher  ein  Mittel  sein,  das  berufen  er- 
heint,  die  Sterblichkeitsziffer  herabzudrücken.  Ich  habe  am 
.  Oktober  auf  dem  wissenschaftlichen  Abend  des  St.  Georger 
ankenhauses  über  2  Fälle  von  Tetanus  berichtet,  die  durch 
lwendung  von  Salvarsan  neben  Antitoxin  in  ungeahnter 
eise  günstig  beeinflusst  worden  waren.  Diese  beiden 
anken  sind  heute  vollkommen  genesen.  Heute  nun  bin  ich 
der  Lage,  mir  ein  abschliessendes  Urteil  über  6  Fälle  ge¬ 
lten  zu  können.  Ich  schicke  hier  gleich  voraus,  dass  2 
ttelschwer  Erkrankte  vollständig  genesen  sind,  dass  von 
schwer  Erkrankten  1  an  Pneumonie  gestorben,  1  vollständig 
heilt  ist,  2  zurzeit  erheblich  gebessert  sind.  An  schweren 


Fällen  lässt  sich  der  Wert  eines  Heilmittels  am  besten  be¬ 
urteilen. 

Unter  schwerem  Tetanus  verstehe  ich  ein  Kranklieitsbild, 
das  sich  kennzeichnet  durch  vollständigen  Trismus,  völlige 
Starre  der  Nacken-,  Rücken-  und  Bauchmuskulatur,  allge¬ 
meine  Krämpfe  bei  leisen  Geräuschen  und  vorsichtigen  Be¬ 
rührungen,  durch  Atemnot,  höheres  Fieber  und  frequenten 
Puls;  unter  mittelschwerem  Tetanus  ein  Bild,  bei  dem  neben 
Trismus  und  Opisthotonus  die  allgemeinen  Krämpfe  nur  bei 
gröberen  Geräuschen  und  Berührungen  auftreten,  die  Zwerch¬ 
fellkrämpfe  fehlen,  das  Fieber  niedriger,  der  Puls  gut  ist.  Von 
diesen  Gesichtspunkten  aus  bitte  ich  meine  Fälle  zu  betrachten. 

Fall  1  (schwer).  Soldat  0.,  22  Jahre  alt,  verwundet  am 

20.  IX.  Knochenschuss  durch  den  rechten  Mittelfuss,  grosse 
stinkende  Ausschusswunde  am  Fussrücken.  Ins  Hafenkrankenhaus 
aufgenommen  am  29.  IX,  Erste  Anzeichen  von  Tetanus  am  4.  X. 

—  14  tägige  Inkubation.  Sofort  100  A.-E.  intravenös;  5.  X.  Amputation 
des  Busses,  100  A.-E.  intralumbal,  6.  X.  100  A.-E.  intravenös,  7.  X. 
100  A.-E.  intralumbal,  in  Summa  240  intralumbal,  260  intravenös.  Trotz 
Antitoxin  und  Fussamputation  am  9.  X.  schwerer  allgemeiner  Tetanus 
mit  Zwerchfellkrämpfen.  Am  10.  X.,  da  Antitoxin  nicht 
mehr  zu  erhalten,  0,3  Salvarsan  intravenös.  Am  12.  X.  morgens 
sprunghafte  Besserung  bemerkbar.  Der  vorher  schwer  Erkrankte 
sitzt. etwas  aufgerichtet  im  Bett  und  liest  die  Zei- 
t  u  n  g.  Allmähliche  Besserung.  Am  15.  X.  nochmals  0,3  Salvarsan. 
Am  25.  X.  alle  Erscheinungen  des  Tetanus  geschwunden. 

Fall  2  (mittelschwer).  Soldat  Sch.,  verwundet  am  21.  IX. 
Splitterbruch  des  linken  Wadenbeines,  Durchschuss,  reine  Wunden; 
aufgenommen  ins  Hafenkrankenhaus  am  26.  IX.  Erste  An¬ 
zeichen  von  Tetanus  am  4.  X.  =  13  tägige  Inkubation.  Behand¬ 
lung  wie  in  Fall  1.  Er  erhält  in  Summa  100  A.-E.  intralumbal, 
240  A.-E.  intravenös.  Tägliche  Verschlechterung.  Sobald  der  im 
selben  Zimmer  liegende  erstgenannte  Kranke  Krämpfe  bekam,  lösten 
diese  durch  Erschütterung  des  Bettes  auch  bei  ihm  Anfälle  aus.  10.  X. 
0,3  Salvarsan,  da  Antitoxin  nicht  zu  beschaffen;  1%  Tage  später 
dieselbe  sprunghafte  Besserung  wie  in  Fall  1.  Am  16.  X. 
zweite  Salvarsaninjektion.  Am  21.  X.  alle  Zeichen  von  Tetanus 
geschwunden. 

Fall  3  (schwer)  Soldat  St.,  22  Jahre  alt,  Schuss  durchs  rechte 
Ellbogengelenk,  keine  Eiterung,  in  das  Institut  für  Schiffs-  und  Tropen- 
krankheiten,  dessen  Räume  von  dem  Direktor,  Herrn  Obermedizinal¬ 
rat  Prof.  Dr.  Nocht  dem  Reservelazarett  V  zur  Verfügung  gestellt 
wurden,  eingeliefert  am  10.  X.  Erste  Erscheinung  des  Tetanus  14.  X. 

—  13  tägige  Inkubation.  Da  Antitoxin  nicht  zu  erhalten  war,  sofort 
0,3  Salvarsan.  Am  folgenden  Tage  insofern  Besserung,  als  der 
Kranke,  der  tags  zuvor  nicht  eine  einzige  Tasse  Flüssigkeit  hinab¬ 
schlucken  konnte,  2  Liter  Milch  ohne  Beschwerden  zu  gemessen 
vermochte.  Sonst  aber  Zunahme  der  Starre.  Am  19.  X.  das  Bild 
des  schweren  Tetanus.  Am  20.  X.  zweite  Salvarsaninjektion,  am 

21.  X.  gibt  der  Pat.  an,  dass  die  Zuckungen  in  den  Beinen  bedeutend 
besser  geworden  wären,  am  22.  X.  Beginn  mit  Antitoxin,  täglich 
dann  100  A.-E.  teils  intravenös,  teils  intralumbal  eingespritzt,  zu¬ 
sammen  800  A.-E.  Die  Krankheitserscheinungen  blieben  einige  Tage 
stationär,  dann  allmähliche  Besserung.  Heute,  am  4.  XL,  macht  der 
Kranke  sowie  die  Schwester  die  Angabe,  dass  die  in  den  letzten 
Tagen  seltener  aufgetretenen  allgemeinen  Krämpfe  seit  gestern  auf¬ 
gehört  und  sich  nur  noch  im  rechten  Arm  zeigten.  Die  Temperatur, 
welche  früher  über  39°  war,  ist  seit  31.  X.  dauernd  unter  38°.  Der 
Puls,  früher  bis  zu  140,  ist  jetzt  unter  100;  Atemnot  seit  8  Tagen 
völlig  geschwunden,  Allgemeinbefinden  nach  eigener  Aussage  „aus¬ 
gezeichnet“.  Trismus  und  Nackensteifigkeit  bedeutend  nachgelassen, 
ebenso  Starre  der  Bauchmuskeln. 

Fall  4  (schwer).  Soldat  Th.,  22  Jahre  alt,  am  1.  X.  verwundet, 
schwerer  Knochenschuss  des  linken  Unterschenkels,  eiternde  Wunde. 
Aufgenommen  ins  Institut  für  Schiffs-  und  Tropenkrankheiten  am 
10.  X.  Erste  Anzeichen  von  Tetanus  am  13.  X.  =  12  tägige 
Inkubation.  Am  13.  X.  0,3  Salvarsan,  da  Antitoxin  nicht  vorhanden; 
langsame  Verschlechterung;  am  18.  X.  schwerer  allgemeiner  Tetanus 
mit  Zwerchfellkrämpfen;  tags  zuvor  0,3  Salvarsan.  Am  19.  X.  keine 
allgemeinen  Krämpfe;  am  20.  X.  unter  hohem  Fieber  und  schlechtem 
Puls  Ausbruch  einer  linkseitigen  Lungenentzündung  (Unter-  und  Ober¬ 
lappen).  Am  22.  X.  100  A.-E.  intralumbal  und  am  23.  und  24.  X. 
je  100  A.-E.  Die  Nackensteifigkeit  lässt  in  den  nächsten  Tagen  nach, 
die  allgemeinen  Krämpfe  werden  bedeutend  weniger,  am  25.  X.  Tod 
durch  Pneumonie:  bis  zuletzt  fester  Trismus. 

Fall  5  (mittelschwer).  Wehrmann  W.,  28  Jahre  alt;  verwundet 
am  2.  X.,  schwere  Zertrümmerung  des  rechten  Unterschenkels  (Durch¬ 
schuss),  stinkende  Eiterung.  Erste  Anzeichen  von  Tetanus 
am  15.  X.  =  13  tägige  Inkubation.  Sofort  0.3  Salvarsan;  zunächst 
bleibt  der  Trismus  stationär,  dann  wird  er  vollständig.  Opisthotonus 
tritt  auf;  am  23.  X.  schwere  allgemeine  tetanische  Krämpfe.  Darauf¬ 
hin  nach  Eintreffen  von  Antitoxin  80  A.-E.  intralumbal.  Am  24.  X. 
wieder  Salvarsan.  Am  25.  X.  „Schmerzen  in  den  Kiefern  geschwun¬ 
den“.  Er  erhielt  dann  noch  700  A.-E.  intravenös,  wovon  300  A.-E. 
nicht  mehr  notwendig  waren,  da  die  Erscheinungen  bereits  nachge¬ 
lassen  hatten.  Seit  dem  28.  X.  keine  Krämpfe  mehr,  fieberfrei,  guter 
Puls.  Am  4.  XI.  alle  Zeichen  von  Tetanus  geschwunden. 


2260 


Feldärztliche  Beilage  zur  Mtincli.  mcd.  Wochenschrift. 


Nr.  *1 


hall  6  (schwer).  Soldat  W„  22  Jahre  alt.  abgemagert.  Am 
24.  VIII.  schwer  verwundet  durch  Schuss  ins  linke  Kniegelenk;  mit 
hohem  Fieber,  Vereiterung  des  Kniegelenkes  am  14.  X.  nachts  ins 
Hafenkrankenhaus  eingelicfert.  Spaltung  der  Phlegmone  am  15.  X. 
früh.  Entfernung  von  Tuchfetzen  aus  dem  Gelenk.  Erste  An¬ 
zeichen  von  Tetanus  am  24.  X.  =  9  tägige  Inkubation.  Sofort 
100  A.-E.  intralumbal;  am  25.  X.  fester  Trismus,  Opisthotonus.  Am 
26.  X.  allgemeiner  Tetanus.  Er  erhielt  bis  29.  X.  inkl.  400  A.-E. 
am  25.  X.  bereits  Salvarsan.  Am  30.  X.  begann  die  Besserung;  abends 
2.  Salvarsaninjektion;  am  31.  X.  subjektiv  grosse  Besserung.  Gutes 
Allgemeinbefinden.  Heute  ist  der  Trismus  und  die  Nackensteifigkeit 
bedeutend  geringer,  der  Puls  ist  unter  100,  die  Temperatur  unter  38. 
Am  3.  XI.  wurde  er  dabei  ertappt,  wie  er  eine  Zigarette  im  Bett 
rauchte. 

Wenn  ich  noch  einmal  kurz  rekapituliere,  so  ist  von 
4  schweren  Tetanuskranken  1  an  Pneumonie  gestorben,  1  ge¬ 
heilt,  2  sind  hei  Abfassung  dieses  Artikels  (5.  XI.)  ausser  Ge¬ 
fahr,  so  dass  ihre  Heilung  zu  erwarten  steht.  Die  beiden 
mittelschweren  Fälle  sind  genesen. 

Ausgezeichnet  wirkte  das  Salvarsan  neben  der  Dar¬ 
reichung  von  Antitoxin  in  Fall  1  und  2.  Bei  den  folgenden 
3  Patienten  ist  zu  berücksichtigen,  dass  zunächst  nur  Sal¬ 
varsan  gegeben  und  erst  später  mit  der  Antitoxinbehandlung 
angefangen  werden  konnte,  in  Fall  3  volle  8  Tage,  in  Fall  4 
9  Tage,  in  Fall  5  8  Tage  nach  erfolgtem  Ausbruch  des  Te¬ 
tanus.  Fall  6  ist  besonders  erwähnenswert,  weil  er  erheblich 
gebessert  worden  ist  trotz  der  schweren  Vereiterung  des 
Kniegelenkes  mit  anschliessender  Oberschenkelphlegmone,  die 
die  Kräfte  dieses  abgemagerten  Kranken  ganz  erheblich  ge¬ 
schwächt  hatten.  Hier  eine  andere  Inkubationszeit  anzu¬ 
nehmen  als  die  9  tägige,  ist  nicht  angängig,  da  andernfalls  bei 
60  tägiger  Inkubationszeit  der  Tetanus  nicht  innerhalb  3  Tagen 
so  schwer  aufgetreten,  vielmehr  ein  langsamer  und  leichter 
Verlauf  zu  erwarten  gewesen  wäre.  Erst  die  am  15.  Oktober 
vorgenommene  Operation,  welche  aus  dem  eröffneten  Knie¬ 
gelenk  Tuchfetzen  entfernte,  hat  m.  E.  die  Tetanusbazillen 
mobil  gemacht. 

Alle  Kollegen,  die  meine  Patienten  angesehen  und  mit¬ 
beobachtet  haben,  haben  den  Eindruck  gehabt,  dass  das  Sal¬ 
varsan  den  Tetanus  günstig  beeinflusse,  seinen  akuten  Verlauf 
in  eine  leichtere,  langsamer  verlaufende  Form  überführe.  Es 
ist  nicht  ausgeschlossen,  dass  das  Salvarsan  allein  eine  gleiche 
Wirkung  entfaltet  wie  das  Antitoxin.  Das  muss  zunächst  an 
Tierversuchen  nachgewiesen  werden.  Ich  bin  der  Ueber- 
zeugung,  dass  die  kombinierte  Behandlung  (Antitoxin  +  Sal¬ 
varsan)  am  meisten  leistet  und  möchte  daher  empfehlen,  so¬ 
fort  nach  Ausbruch  des  Tetanus  mit  Antitoxin  zu  beginnen 
und  am  2.,  vielleicht  den  3.  Tag  Salvarsan  zu  geben.  Zwei 
Injektionen  genügen  im  allgemeinen.  Theoretische  Er¬ 
örterungen  unterlasse  ich  heute. 

Zum  Schluss  möchte  ich  noch  erwähnen,  dass  auf  meine 
Anregung  vom  16.  Oktober  hin,  Salvarsan  bei  Tetanus  neben 
der  Antitoxinbehandlung  zu  versuchen,  die  Herren  Dr.  Ja¬ 
cob  s  t  h  a  1  und  Dr.  Roseher-Liman  Versuche  angestellt 
haben,  die  heute  bereits  eine  gewisse  günstige  Einwirkung  des 
Salvarsans  auf  Tetanustoxin  erkennen  lassen.  Die  Herren 
werden  über  ihre  Versuche  später  selbst  berichten. 


Ueber  die  Behandlung  des  Tetanus  mit  Luminal. 

Von  Dr.  K  ii  h  n  in  Bad  Neuenahr. 

Ich  hatte  im  Reservelazarett  Neuenahr  in  den  letzten  Wochen 
einen  Fall  von  Tetanus  in  Behandlung,  bei  dem  ich  Morphium  mit 
Atropin,  Brom,  Tetanusserum  intralumbal  und  auch  intravenös  ohne 
den  geringsten  Erfolg  angewandt  hatte;  der  Krankheitsprozess  schritt 
unaufhaltsam  weiter  und  der  Fall  erschien  mir  hoffnungslos.  Anfälle 
mit  Bewusstlosigkeit  von  25  Minuten  Dauer,  dabei  der  Patient  blau¬ 
schwarz,  Atmung  stockend,  der  Puls  klein  und  jagend,  mögen  die 
Schwere  des  Zustandes  charakterisieren.  Mit  einem  Schlage  trat 
eine  Wendung  im  Krankheitsbilde  ein,  als  ich  Luminal  anwandte, 
ohne  jedoch  im  Anfang  Morphium  ganz  auszusetzen.  Als  erste  Dosis 
gab  ich  0,3  g,  dann  alle  4 — 5  Stunden  0,1  g.  Dazwischendurch  noch 
0,3  am  Abend,  so  dass  in  den  ersten  3  Tagen  durchschnittlich  pro  die 
1,0  g  verbraucht  wurden.  Der  Patient  schlief  viel,  die  Anfälle  traten 
immer  noch  auf,  waren  aber  leichter  Natur,  die  Zuckungen  im  Körper 
waren  lange  nicht  sehr  so  heftig.  Am  vierten  Tage  der  Luminal- 
behandlung  setzte  ich  dasselbe  10  Stunden  aus,  da  der  Patient 
stärker  hustete  und  ich  die  Entstehung  einer  Senkungspneumonie 
durch  das  reichliche  Schlafen  befürchtete:  das  Resultat  war,  dass 
wieder  ein.  etwas  stärkerer  Anfall  auftrat  und  der  Patient  über 


stärkere  Zuckungen  klagte.  Auf  Luminaldarreichung  trat  sofort  \vi 
der  Besserung  ein.  Der  Trismus  besserte  sich  allmählich  und  konn 
der  Patient  8  Tage  nach  dem  letzten  grossen  Anfalle  wieder  fes 
Kost  zu  sich  nehmen. 

Felgende  Ueberlegungcn  haben  mich  zur  Anwendung  des  I. 
minals  geführt;  von  der  Epilepsiebehandlung  her  kennen  wir  d 
eminent  krampfstillende  Wirkung  desselben.  Wir  können  mit  L 
minal  einen  Epileptiker  noch  von  seinen  Anfällen  befreien  oder  dj 
Häufigkeit  derselben  vermindern,  bei  welchen  die  höchsten  Brot 
dosen  keinen  Einfluss  haben.  Wenn  es  uns  gelingt  bei  einem  T 
tanuskranken  die  Krämpfe  zu  unterdrücken,  so  gewinnt  der  Körp 
Zeit,  das  Antitoxin  zu  bilden,  wenn  er  dazu  fähig  ist.  Der  Tri 
erfolgt  ja  doch  gewöhnlich  als  Folge  der  Krämpfe,  seltener  untt 
septischen  Erscheinungen. 

Auf  jeden  Fall  erscheint  mir  das  sicher,  dass  Luminal  de 
Chloralhydrat,  unserem  ältesten  und  schlechtesten  Schlafmittel  übe 
legen  ist,  auch  wirkt  es  nicht  so  ungünstig  auf  das  Herz  ein  w 
Chloralhydrat.  Ein  Vorzug  ist  auch,  dass  es  als  Luminalnatriu 
leicht  löslich  ist  und  bei  starkem  Trismus  leicht  subkutan  gegcbi| 
werden  kann. 


Aus  dem  Reservelazarett  Ingolstadt  II  (Reservelazarettdirekto 
Oberstabsarzt  Dr.  Carl  Koch). 

Zur  Behandlung  des  Tetanus. 

(Vorläufige  Mitteilung.) 

Von  Karl  Alexander,  Feldunterarzt. 

Im  Reservelazarett  Ingolstadt  II  wurden  vom  30.  Atigti 
bis  7.  Oktober  1914  zehn  Tetanusfälle  beobachtet.  Dies 
kamen,  soweit  es  sich  feststellen  liess,  frühestens  3  Tad 
nach  der  Infektion  in  unsere  Behandlung  und  zeigten  ehestcij 
am  10.,  spätestens  am  19.  Tage  die  ersten  Erscheinunge 
Die  ersten  beiden  Fälle  wurden  erst  nach  Auftreten  typisJ 
tetanischer  Krämpfe  in  Behandlung  genommen,  da  bei  def 
selben  jedenfalls  bereits  auf  dem  Transport  der  Ausbruch  vd 
Tetanus  erfolgt  war.  Sie  erhielten  neben  100  A.E.  Tctanu 
serum  pro  die  je  5  g  Chloralhydrat  per  Klysma.  Die  sedativ 
Wirkung  des  Chloralhydrats  war  sehr  gering,  und  die  beide 
Kranken  gingen  im  Anfall  an  Zwerchfellähmung  durch  E 
stickung  zugrunde. 

Da  wir  bei  diesen  beiden  Fällen  eine  zu  geringe  Wirkung  dt 
Chloralhydrats  zu  beobachten  glaubten  und  von  der  Ansicht  au! 
gingen,  dass  es  vor  allen  Dingen  darauf  ankommen  müsse,  die  Ii 
tensität  der  Krampfanfälle  herabzusetzen,  haben  wir  die  Einzeldos 
erhöht.  Es  wurden  bei  den  übrigen  8  Fällen  neben  dem  Heilsera 
10  g  Chloralhydrat  per  Klysma  in  einer  Dosis  gegeben.  Die  Wirkutj 
war  eine  ganz  ausgezeichnete.  Die  Zuckungen  —  aber  nicht  dj 
tonische  Starre  der  Gesichtsmuskeln  und  der  anderen  Körpe 
muskulatur  — ,  die  Schmerzen  und  der  stark  gesteigerte  Blutdruc 
w'eiter  die  Pulszahl  (120 — 130  bei  einer  Temperatur  von  37—38.1 
gingen  nach  2—3  Minuten  zurück.  Der  Kranke  fühlte  sich  ausse 
ordentlich  erleichtert.  Erst  am  anderen  Tage  setzten  die  Kramp 
anfälle  wieder  ein.  Das  Mittel  wurde  am  späten  Nachmittag  g< 
geben,  so  dass  die  beruhigende  Wirkung  auch  den  Schlaf  herbe 
führte. 

Trotz  der  überaus  hohen  Chloralhydratdose  war  eine  schädlicl 
Wirkung  niemals  nachzuweisen,  auch  wurden  keine  bedrohlichen  E 
scheinungen  seitens  des  Herzens  oder  der  Atmung  beobachtet.  Ij 
Gegenteil.  Der  zuvor  wie  erwähnt  abnorm  gespannt  und  frequent 
Puls  bekam  normale  Spannung  und  die  Zahl  ging  auf  etwa  80,  al> 
normale  Werte,  zurück. 

Zur  Linderung  der  während  der  Muskelkrämpfc  auftretendd 
Schmerzen  gaben  wir  im  Laufe  des  Tages  je  nach  Bedarf  2  c 
Morphium  zweimal  täglich  subkutan.  Eine  Minderung  der  Kramp 
anfälle  haben  wir  durch  Morphium  nicht  erzielen  können. 

Resultat:  Von  10  bisher  behandelten  Fällen  starben  als 
2,  die  neben  Serum  mit  5  g  Chloralhydrat  behandelt  worden  wäre 
im  Anfall.  Die  übrigen  8,  die  mit  einer  einmaligen  Dosis  von  10 
pro  die  behandelt  wurden,  wurden  geheilt.  Von  ihnen  starb  späte 
einer  nach  vollkommener  Heilung  vom  Tetanus  infolge  Fernoralij 
blutung  aus  dem  Amputationsstumpf. 

Wir  müssen  also  wohl  annehmen,  dass  die  Wirkung  der  hohe! 
Chlcralhydratdosen  eine  entscheidende  war  zur  symptomatische 
Bekämpfung  der  Allgemeinkrämpfe. 

Selbst  wenn  wir  zugeben,  dass  bei  einigen  Fällen  der  Eü 
wand  eines  an  und  für  sich  günstigen  Verlaufes  wegen  der  lange 
Inkubationszeit  von  bis  zu  19  Tagen  berechtigt  wäre  (trotzdem  fes 
zustellen  ist,  dass  die  Intensität  der  Krämpfe  in  vielen  Fällen  sei 
bedeutend  war),  spricht  die  Tatsache,  dass  sämtliche  Fälle  gehei 
wurden,  für  sich  selbst. 

Wir  rekapitulieren  unsere  Behandlungsmethode,  die  wir  auc 
auf  spätere  Fälle  auszudehnen  beabsichtigen: 

Sobald  ein  Patient  mit  den  ersten  Zeichen  der  Tetanuserkrai 
kung  (Trismus,  Halsweh,  Rückenschmerezn)  zur  Beobachtung  g< 
langt,  werden  ihm 


7.  November  191-4. 


Feldärx.tliclic  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


2261 


am  1.  Tage:  100  A.-E.  intravenös  und  abends  10  k  Chloralhydrat 
i  250  k  W  asser  per  Klysma  gegeben, 

am  2.  Tage:  100  A.-E.  intradural,  abends  10  k  Chloralhydrat, 
am  3.  Tage:  100  A.-E.  subkutan,  abends  10  g  Chloralhydrat. 
Wesentlich  bei  unserer  Behandlung  ist  demnach  neben  den 
.alten  von  Antitoxin  die  Verabreichung  einer  ein- 
1  a  ^  ?  n  hohen.  Dose  von  Chloralhydrat  am  T  a  k  e 

er  Klysma.  Hierauf  legen  wir  ganz  besonderes  Gewicht. 

Die  obenerwähnte  Behandlung  wiederholt  sich  in  gleicher  Weise 
is  keine  Erscheinungen  mehr  nachzuweisen  sind:  jedoch  wird  mit 
er  intraduralen  Injektion  und  der  Verabreichung  des  Chloralhydrats 
usgesetzt,  sobald  keine  Krämpfe  mehr  bestehen,  wenn  auch  noch 
rismus  vorhanden  ist.  Es  werden  dann  nur  noch  abwechselnd 
OO  A.-E.  intravenös  oder  subkutan  gegeben. 

Bei  sehr  schweren  Fällen,  in  denen  die  Gefahr  einer  neuen  In¬ 
dikation  von  der  Wunde  aus  besteht,  werden  in  den  ersten  Tagen 
eben  den  loo  A.-E.  weitere  100  A.-E.  pro  die  intravenös  oder 
ubkutan  verabfolgt.  Ausserdem  w'ird  die  Wunde  mit  flüssigem 
ci  um  tamponiert  oder  mit  Trockenserum  behandelt.  Dies  wurde 
uf  Grund  der  Anschauung  getan,  dass  so  vielleicht  das  neu  von 
cn  Bakterien  gebildete  Gift  am  Orte  selbst  gebunden  und  entgiftet 
erden  könnte. 


,us  der  orthopäd.  Station  des  Krankenhauses  München  1.  d.  I. 

(Vorstand  Dr.  v.  B  a  e  y  e  r). 

Künstliche  Beine. 

Von  Privatdozent  Dr.  v.  B  a  e  y  e  r. 

Vor  mehr  als  einem  Jahre  demonstrierte  ich  im  Münchener 
rztlichen  Verein  eine  Anzahl  von  Neukonstruktionen  künst- 
cher  Beine,  die  sich  in  der  Zwischenzeit  aufs  beste  bewährt 
ahen.  Ich  konnte  seitdem  mehrfach  Vergleiche  an  einem  und 
emseiben  Patienten  mit  anderwärts  gefertigten  Prothesen 
nstellen  und  hörte  von  den  Patienten  ausnahmslos,  dass  sie 
dt  den  im  folgenden  beschriebenen  künstlichen  Beinen  am 
esten  gingen. 

Ich  bat  damals  in  dem  Vortrag  die  Kollegen,  mir  behilflich 
u  sein,  die  Erfahrung  und  Vorschläge  Amputierter  zu  sam¬ 
tein  und  mir  zuzuleiten.  Auch  animierte  ich  zwei  Berufs- 
enossenschaften  an  Hand  eines  Fragebogens,  die  Nachteile 
nd  Vorteile  der  verschiedensten  Prothesen  in  Erfahrung  zu 
ringen,  um  aus  dem  grossen  Material  das  Beste  heraus- 
ehen  zu  können,  und  um  all  die  kleinen,  aber  wichtigen  Ver¬ 
besserungen  und  Kniffe,  welche  fast  jeder  Kranke  anwendet, 
icht  verloren  gehen  zu  lassen. 

Leider  blieb  diese  Anregung  vollkommen  resultatlos;  ich 
'hielt  nicht  eine  Mitteilung  und  konnte  somit  nur  langsam 
jf  Grund  eigener  Erfahrungen  dem  angestrebten  Ziele  näher 
’mmen.  Dies  Ziel  skizzierte  ich  damals  in  den  Worten: 
Wir  werden,  wenn  das  in  dieser  Art  gesammelte  Material 
itsprechend  verarbeitet  ist,  den  wegen  Unfall  und  Krankheit 
mputierten  ihr  Leben  erleichtern  und  wir  werden  traurige 
olgen  der  Kriege  mildern  können  und  somit  eines  der  wich- 
gsten  Kapitel  der  auch  heute  noch  stark  vernachlässigten 
riegsorthopädie  ausbauen.“ 

Da  die  Zeiten  herangerückt  sind,  wo  wir  eine  sehr  grosse 
nhl  von  Prothesen  benötigen,  teile  ich  meine  bisherigen  Er- 
hrungen  mit  und  hoffe,  dass  sie  Nutzen  stiften  werden. 

Wenn  man  die  geschichtliche  Entwicklung  der  Prothesen 
'erblickt  (sie  beginnt  484  v.  Chr.  Herodot),  so  findet  man, 
iss  die  Konstrukteure  immer  wieder  versuchten,  die  natiir- 
:hen  Gelenke  getreu  nachzuahmen,  dass  aber  hierbei  die 
rmöglichung  der  wichtigsten  Funktionen  einer  Extremität 
eist  nicht  erreicht  wurde.  Was  nützt  z.  B.  dem  Amputierten 
n  Fussgelenk,  das  nach  allen  Seiten  hin  wie  ein  normales 
enschliches  Gelenk  beweglich  ist,  wenn  es  den  gewöhnlichen 
ehritt  nach  vorne  nur  beschwerlich  und  unbeholfen  gestattet? 
a  diese  komplizierten  Prothesen  ausserdem  schwer  sind, 
iufige  Reparaturen  erfordern  und  hoch  im  Preise  stehen,  so 
chen  auch  heute  noch  viele  Amputierte  den  primitiven  und 
ischönen  Stelzfuss  als  Ersatz  vor  und  geben  an,  dass  sie  mit 
‘in  Stelzfuss  am  besten  gehen. 

Da  erscheint  es  nun  wohl  verständlich,  wenn  man  nach 
ner  Prothese  sucht,  welche  die  Vorteile  des 
tinstlichen  Beines  und  die  des  Stelzfusses  in 
ich  vereinigt.  Diese  Bandage  soll  also  leicht  sein  und 
var  vor  allem  an  dem  distalen  Ende,  weil  sie  dann  für  den 
atienten  leichter  dirigierbar  ist  und  weniger  beim  Vor¬ 


schwingen  des  Beines  pendelt.  Sie  soll  möglichst  einfach  und 
dauerhaft  sein,  ferner  soll  sie  kosmetisch  nicht  auffallen,  also 
die  Form  eines  normalen  Beines  besitzen  und  sie  soll  nicht  in 
einem  kleinen  schmalen  Stück  enden,  das  in  weichem  Boden 
tief  einsinkt. 

Diesen  Forderungen  entspricht  nun  eine  Prothese,  die  ich  bei 
den  verschiedensten  Amputationen  am  Bein  ausprobiert  habe.  Die 
Leichtigkeit  der  Prothese  ist  dadurch  erreicht,  dass  ich  prinzipiell 
das  Knöchelgelenk  fortliess  und  den  Unterschenkel  bis  zur  Ferse  aus 
einem  Stück  arbeitete.  Er  besteht  aus  einem  ausgehöhltem  Kork,  der 
durch  Stahlbänder  versteift,  reichlich  mit  Zelluloid  imprägniert  und 
mit  Leimvandband  umwickelt  ist.  Diese  Technik  gibt  ein  sehr  festes, 
dauerhaftes  und  doch  leichtes  Material.  Der  Vorfuss  ist,  wie  aus  der 
Zeichnung  (Fig.  1)  ersichtlich,  gelenkig  mit  dem  Unterschenkel  ver¬ 
bunden.  Dieses  Gelenk  braucht  nun  nicht  aus  Metall  zu  bestehen, 
weil  es  nichts  zu  tragen  hat,  es  genügt  ein  dickes  Leder,  das  an  der 
Sohlenfläche  der  beiden  Prothesenteile,  wo  ein  Holzkern  eingefügt  ist, 
angenagelt  ist.  Das  Fortlassen  des  Knöchelgelenkes  hat  ausser  der 
beträchtlichen  Gewichtsersparnis  noch  verschiedene  Vorteile.  Erstens 
ist  eine  breitere  Stützfläche  für  das  Bein  gegeben,  was  sich  bei  den 
Patienten  darin  günstig  äusserte,  dass  sie  auf  dem  amputierten  Bein 
allein  länger  frei  stehen  konnten;  während  sie  mit  Prothesen,  die  ein 


gelenk.  Abrollungdes  Fusses. 
Ferse  wird  gehoben. 


Fig.  3. 

Bei  Prothesen  mit  Knöchel- 
gelenk  bleibt  beim  Abrollen 
des  Fusses  die  Ferse  am 
Boden. 


nicht  fixiertes  Knöchelgelenk  besassen,  sofort  nach  vorne  oder  hinten 
umfielen,  stehen  sie  hier  doch  gleichsam  auf  einer  schmalen  Rolle. 
Fixiert  man  das  Knöchelgelenk  durch  Gummipuffer,  wie  es  meistens 
geschieht,  so  hat  das  Knöchelgelenk,  besonders  auf  ebenem  Boden, 
keinen  wesentlichen  Nutzen,  weil  es  sich  dann  kaum  mehr  bewegt. 
Zweitens  ist  die  angegebene  Konstruktion  für  das  Abwickeln  des 
Fusses  am  Boden  von  Vorteil,  weil  beim  Abstossen  des  Beines  die 
Ferse  abgehebelt  wird,  was  bei  Prothesen  mit  Knöchelgelenk  nicht 
der  Fall  ist  und  was  den  Gang  unnatürlich  macht  (Fig.  2  u.  3). 
Drittens  fällt  mit  dem  Fortlassen  des  Knöchelgelenkes  auch  die  Ur¬ 
sache  häufiger  Defekte,  und  die  Betriebssicherheit  des  Beines  ist  be¬ 
trächtlich  erhöht,  denn,  wenn  das  Knöchelgelenk  bricht,  so  kann 
der  Amputierte  meist  kaum  einen  Schritt  mehr  machen.'  Ein  Schad¬ 
haftwerden  des  Fussgelenkcs  meiner  Prothese  dagegen  hat  auf  den 
Gang  kaum  einen  Einfluss,  weil  der  Stiefel  die  beiden  Teile  dann 
immer  noch  zusammenhält. 

Das  Kniegelenk  wurde  in  den  meisten  Fällen  so  eingerichtet, 
dass  der  Patient  beim  Gehen  das  Knie  feststellen  und  somit  sein 
Bein  in  einen  steifen  Stelzfuss  umwandeln  konnte.  Diese  Fixierung 
des  Kniegelenkes  hat  an  der  Aussen-  und  Innenseite  der  Prothese 
zu  erfolgen,  weil  eine  einseitige  Feststellung  ein  Drehmoment  im 
Apparat  erzeugt  und  ihn  infolgedessen  stark  beansprucht. 

Der  Ersatz  des  Hüftgelenkes  bietet  bei  Exartikulation  in  diesem 
Gelenk  grosse  Schwierigkeiten.  Bringt  man  das  Gelenk  an  der 
Aussenseite  der  Prothese  an,  so  muss  es  so  kräftig  gearbeitet  sein, 
dass  es  das  Gewicht  der  Bandage  übermässig  erhöht.  Macht  man 
das  Gelenk  schwächer,  so  braucht  man  noch  ein  Gleitgelenk  an  der 
medialen  Seite,  das  ebenfalls  das  Gewicht  steigert  und  die  Prothese 
kompliziert  macht.  Ich  will  nicht  auf  all  die  Versuche,  die  ich  in 
dieser  Richtung  umstellte,  eingehen,  sondern  nnr  eine  Lösung  dieses 
Problems  beschreiben,  die  sich  sehr  gut  bewährte.  Ich  verzichtete 
auch  hier  auf  ein  eigentliches  Gelenk  und  sorgte  bei  der  Konstruktion 
nur  dafür,  dass  sich  der  Beckenkorb,  in  den  das  künstliche  Bein 
unbeweglich  übergeht,  in  toto  um  das  Becken  des  Patienten  drehen 
kennte.  Wenn  der  Patient  sich  also  setzt,  gleitet  die  ganze  Bandage 
inklusive  Beckenkorb  um  das  Becken.  Beim  Stehen  und  Gehen 
dagegen  sitzt  der  Beckenkorb  so  fest  am  Becken,  dass  Pat.  mit  Hilfe 
von  kleinen  Beckenbewegungen  das  ganze  künstliche  Bein  vor-  und 
rückwärts  schwingen  und  ab-  und  adduzieren  kann. 

Mit  dieser  sehr  einfachen  und  leichten  Prothese  (2800  g  Bein  mit 
Beckenkorb)  konnte  eine  wegen  Sarkom  im  HiiftgelenK  exartikulierte, 
sehr  schwächliche  21  jährige  Patientin  sofort  allein  ohne  Stock  gehen 
und  Stiegen  steigen.  Nach  8  Tagen  ging  sie  schon  auf  der  Strasse 
über  eine  halbe  Stunde  allein  und  stieg  täglich  in  ihre  im  2.  Stock¬ 
werk  gelegene  Wohnung.  Allmählich  konnte  sie  2  ständige  Spazier¬ 
gänge  machen. 

4usser  der  Leichtigkeit  der  Prothese  ist  sehr  wesentlich,  dass 
das  künstliche  Bein  mit  dem  Körper  des  Amputierten  so  innig  wie 
möglich  verbunden  ist.  Wenn  es  wirklich  fest  sitzt,  so  kann  der 


22 62 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  tned.  Wochenschrift. 


Patient  es  viel  besser  dirigieren,  als  wenn  es  nur  locker  angebracht 
ist.  Ferner  ist  durch  ein  exaktes  Haften  am  Stumpf  die  Ursache  des 
Wundscheuerns  grossenteils  beseitigt.  Dieses  Festhalten  der  Pro¬ 
these  am  Körper  darf  man  nun  nicht  nur  durch  festes  Zuschnüren  der 
Hülse  erreichen  wollen,  denn  dadurch  würde  man  die  meist  an 
und  fiir  sich  gestörte  Zirkulation  ungünstig  beeinflussen,  sondern 
man  muss  die  natürlichen  Knochenpunkte  etc.  ausnützen.  Ferner 
soll  man  auch  nicht  durch  Riemen,  z.  B.  über  die  Schulter,  den 
übrigen  Körper  in  seiner  Beweglichkeit  beeinträchtigen.  Durch  Be¬ 
lastung  von  Knochenteilen,  die  direkt  unter  der  Haut  liegen  und  nicht 
weit  von  der  Amputation  entfernt  sind,  kann  man,  wie  gesagt,  diesen 
Uebelständcn  ausweichen.  So  lässt  sich  durch  einen  wirklich  gut¬ 
sitzenden  Beckenkorb,  der  hinten  ein  Gelenk  (am  besten  bewährte 
sich  das  abgebildete  [Fig.  4]  Gelenk,  das  ich  auch  sonst  bei  Becken¬ 
bandagen  benütze)  besitzt,  das  sich  nicht 
nach  kurzer  Zeit  ausleiert,  ein  ganzes  künst¬ 
liches  Bein  in  genügender  Weise  am  Rumpf 
befestigen. 

Wenn  wir  durch  osteoplastische  Ope- 
iationen  auch  tragfähige  Stümpfe  erhalten, 
so  glaube  ich,  dass  es  dennoch  richtiger 
ist,  nicht  die  ganze  Last  des  Körpers 

durch  das  Ende  des  Stumpfes  tragen  zu 
lassen,  denn  die  hier  zur  Verfügung  stehende 
Fläche  ist  meist  nur  verhältnismässig  klein 
und  mangelhaft  mit  Fett  gepolstert.  Es 
scheint  mir  vorteilhafter  zu  sein,  wenn  man  die  Last  auf  verschiedene 
Punkte  des  Körpers  möglichst  verteilt;  bei  Unterschenkelamputationen 
kann  man  das  obere  Ende  der  Tibia  dazu  mitbenützen  und  bei 

höheren  Amputationen  den  Sitzknorren;  der  Schambeinast  soll  unbe¬ 
lastet  bleiben,  man  braucht  ihn  auch  nicht. 

Die  Unterlage  in  der  Prothese  für  das  Stumpfende  selbst  polstern 
wir  sehr  wenig  oder  gar  nicht.  Das  widerspricht  dem  bisherigen 
Vorgehen,  hat  sich  aber  sehr  bewährt.  Vorbedingung  ist  aber,  dass 
wir  einen  sehr  genauen  Abguss  des  Stumpfendes  in  weichbelastetem 
Zustande  haben.  Zu  diesem  Zwecke  lege  ich  Gipsbinden  um  das 

Stumpfende  und  lasse  nun  in  einen  dicken  Bausch  Watte  oder  auf 

einen  sehr  dicken  Gummischwamm  das  Stumpfende  drücken.  Man 
erhält  so  einen  Abguss  des  weichbelasteten  Stumpfes.  Nach  dieser 
Form  habe  ich  eine  steinharte  Schale  gemacht  (Wasserglas)  und  sie 
in  der  Prothese  als  Tragfläche  angebracht.  Die  Patienten  gingen  auf 
diesem  „Steinboden“  ausgezeichnet  und  hatten  das  Gefühl,  als  ob 
sie  wieder  ihr  natürliches  Bein  hätten.  Dieses  Experiment  empfiehlt 
sich  aber  nur  in  den  Fällen  zu  machen,  wo  man  Prothese  und 
Stumpf  unverrückbar  aneinander  befestigen  kann.  Ist  dies  nicht 
möglich,  so  gebe  ich  nur  eine  sehr  dünne  Polsterung,  weil  jede 
dickere  Polsterung  sich  sehr  bald  Zusammentritt  und  die  Form  ver¬ 
ändert  und  dann  nicht  mehr  exakt  sitzt. 

Unter  den  mit  dieser  Prothese  versehenen  Patienten  bean¬ 
spruchen  diejenigen  besonderes  Interesse,  die  andere  künstliche  Beine 


Fig.  5.  Fig.  6 


schon  hatten.  Ich  konnte  bei  all  diesen  konstatieren,  dass  sie  mit 
der  beschriebenen  Konstruktion  nicht  nur  leistungsfähiger  waren, 
sondern  auch  sich  wohler  fühlten.  Eine  Patientin  z.  B.,  die  etwas 
über  der  Mitte  des  Oberschenkels  amputiert  war,  hatte  vor  2  Jahren 
auf  Kosten  einer  Behörde  ein  künstliches  Bein  erhalten,  das  von 
einem  Bandagisten  ohne  sachverständige  ärztliche  Aufsicht  geliefert 
wurde.  Der  Erfolg  war,  dass  Patientin  2  Jahre  lang  nicht  aus  dem 
Krankenhaus  entlassen  werden  konnte.  Nachdem  sie  ein  Korkbein 
nach  meinen  Angaben  und  unter  meiner  Aufsicht  bekommen  hatte, 
konnte  sie  das  Krankenhaus  nach  kürzester  Zeit  verlassen.  Der 


Nr.  4 


Unterschenkel  dieses  Korkbeines  wog  nur  etwa  die  Hälfte  der  erst« 
Prothese.  Aehnlich  erging  es  einer  anderen  Patientin  (Fig.  5  u.  ( 
Sie  war  erst  einseitig  unter  dem  Knie  amputiert  und  war  mit  ein 
ebenfalls  fachärztlich  nicht  kontrollierten  Prothese  sehr  schlec 
daran,  weil  diese  falsch  konstruiert  war  und  ständig  Druckstelli 
verursachte.  Nachdem  Patientin  auch  am  anderen  Bein  und  zw 
dicht  unter  dem  Hüftgelenk  amputiert  werden  musste,  liess  ich  i 
für  beide  Seiten  Korkbeine  machen,  durch  welche  die  Kranke  instai 
gesetzt  ist,  in  ihr  Geschäft  zu  gehen  und  sich  Geld  zu  verdienen. 

Aus  diesen  beiden  Fällen  erhellt  wohl  schon  zur  Genüg 
wie  unklug  Behörden  und  Wohlfahrtseinrichtungen  handel 
wenn  sie  Prothesen,  womöglich  sogar  nur  unter  dem  Gesicht 
Punkt  des  Kostenaufwandes  an  Bandagisten  vergeben,  d 
keiner  sachverständigen  ärztlichen  Kontrolle  unterliege 
Allerdings  hat  eine  Kontrolle  durch  Aerzte,  die  auf  diese' 
Gebiet  nicht  speziell  geschult  sind  und  die  Technik  und  di 
Literatur  nicht  kennen,  auch  nur  wenig  Wert.  Der  bisherig 
Usus  bewirkte,  dass  die  Prothese,  wie  ich  es  bei  Unbemittelte 
sah,  häufig  nur  notdürftig  angepasste  Fabrikware  war,  die  de 
speziellen  anatomischen  und  physiologischen  Anforderungd 
des  jeweiligen  Falles  nur  wenig  Rechnung  trug. 

Ein  nach  P  i  r  o  g  o  f  f  amputierter  Patient  hatte  eine  Pn 
these,  die  3  Pfund  wog  und  auf  der  allein  er  nicht  frei  stehe, 
konnte,  weil  das  künstliche  Knöchelgelenk  keine  Stütze  bq 
Mit  dem  nach  den  oben  geschilderten  Prinzipien  gebaute 
Bein,  das  nur  2  Pfund  wog  und  noch  dazu  weiter  nach  ohe 
zum  Knie  hinreichte,  konnte  er  ohne  Stock  frei  stehen.  Dt 
Gang  des  Patienten  war  so  gut,  dass  er  kaum  hinkte. 

Kurz  zusammengefasst  habe  ich  also  den  Bau  eine! 
Stelzfusses  angestrebt,  der  die  kosmetische 
Vorzüge  eines  künstlichen  Beines  hat.  Di 
Konstruktion  ist  sehr  einfach  und  infolge 
dessen  dauerhaft  und  billig.  Vorbedingun 
für  eine  gute  Funktion  der  Prothese  ist,  das 
sie  am  Stumpf  oder  Rumpf  sehr  fest  sitzt  u n 
dass  die  Körperlast  auf  mehrere  tragen  d 
Punkte  verteilt  wird  und  dass  die  periphere1 
Teile  des  künstlichen  Beines  so  leicht  w i 
möglich  sind.  Diese  letztere  Forderung  läs; 
sich  erfüllen,  wenn  man  Kork  in  angegebene 
Weise  verwendet  und  das  Knöchelgelen 
fortlässt. 

Zum  Schlüsse  spreche  ich  nochmals  die  Bitte  aus  an  al 
Aerzte  und  auch  an  die  Patienten,  die  Prothesen  tragen,  sic 
an  einer  Sammelforschung  zu  beteiligen.  Die  vielen  E 
fahrungen  und  Verbesserungen  gingen  bisher  meist  wied« 
verloren  und  könnten  doch,  wenn  sie  verzeichnet,  gesicht 
und  verwertet  werden,  grossen  Nutzen  für  alle  diejenige 
stiften,  die  auf  Ersatzextremitäten  angewiesen  sind. 

Fragebogen. 

Länge,  Gewicht.  Alter  und  Beruf  des  Amputierten? 

Art,  Stelle  und  Zeit  der  Amputation? 

Seit  wann  wird  eine  Prothese  getragen? 

Sind  verschiedene  Konstruktionen  getragen  worden? 

Beschreibung  derselben? 

Länge,  Gewicht  und  Preis  der  Prothesen? 

Dauerhaftigkeit  der  Prothesen? 

Häufigste  Reparaturen  an  der  Prothese? 

Beschwerden  durch  die  Prothese? 

Was  wird  als  Vorzug  und  Nachteil  der  getragenenProthesen  betrachte 
Vorschläge  zu  Verbesserungen? 

Was  erleichtert  den  Gebrauch  der  Prothese? 

Was  kann  Patient  in  seinem  Beruf  und  ausserhalb  desselben  leistet 


Die  Hackenbruchschen  Distraktionsklammern  v 
Behandlung  von  Knochenverletzungen  im  Felde. 

Von  Dr.  med.  AdolfSchnee,  dz.  Bataillonsarzt  beim  Eise| 
bahnregiment  Nr.  3,  XVIII.  Armeekorps. 

Die  Hacke nbruchschc  Distraktionsklammert 
behandlung  hat  in  kurzer  Zeit  zahlreiche  Anhänger  gefunden  u 
es  dürfte  wohl  kaum  einen  Chirurgen  geben,  der  mit  ihrer  Han 
habung  nicht  vertraut  wäre.  Dass  natürlich  die  Zahl  jener  ei 
grosse  ist,  die  dieser  oder  jener  anderen  Methode  aus  Gewohnh 
oder  auf  Grund  persönlicher  Vorliebe  den  Vorzug  geben,  lässt  si 
nicht  leugnen,  darf  aber  nicht  verhindern,  dass  man  mit  dem  ganz 
Gewicht  gewonnener  eigener  Erfahrungen  für  diesen  Modus  sich  ei 
setzt,  besonders  wenn  es  sich  wie  jetzt  in  einem  voraussichtli 
lange  dauernden  Kriege  darum  handelt,  den  einzelnen  Verwundet 


Fig.  4 


November  19H. 


Fekkirztliclic  Beilage  zur  Miindi.  med.  Wochenschrift. 


2263 


'V  '«r'?,ztcn  mößlichst  rasch,  wenn  auch  in  besctieidenem  Masse, 
itionsfähig  zu  machen,  ihn  sogar  ambulant  behandeln  zu  können, 
inen  Abtransport  aus  überfüllten  Lazaretten  ohne  Nachteil  für 
ine  spätere  Leistungsfähigkeit  schnellstens  zu  bewerkstelligen  und 
ncrhalb  kürzester  I ■  r is t  unter  Vermeidung  jeder  Schädigung  seine 
iegsdienstfähigkeit  wieder  zu  ermöglichen. 

Frakturen  an  oberen  und  unteren  Extremitäten,  Knoclienvcr- 
zungen  durch  gross-  und  kleinkalibrige  Geschosse  und  Geschoss¬ 
igmente,  die  Behandlungen  im  Sinne  komplizierter  Frakturen  er- 
rder lieh  machen,  treten  mehr  denn  je  zuvor  im  gegenwärtigen 
iege  in  die  Erscheinung  und  dem  gewissenhaften  Kriegschirurgen 
wachsen  daraus  nicht  nur  interessante  Aufgaben,  sondern  auch 
le  erhöhte  Verantwortung  für  die  seiner  Pflege  anvertrauten  Ver- 
mdeten. 

Es  würde  zu  weit  führen  und  nicht  in  den  Rahmen  dieser 
appen  Betrachtung  passen,  wollte  ich  hier  nochmals  auf  alle 


izelheiteii  der  1  echnik  eingehen,  die  bei  Benutzung  der  Hacken- 
uchschen  Distraktionsklammern  zu  beachten  sind, 
i  muss  sie  als  bekannt  voraussetzen.  Hervorheben  will  ich  nur, 
ss  es  durch  die  kugelgelenkige  Verbindung  der  Fussplatten  mit 
m  in  .Stahlbüchsen  verlaufenden  Gewindestab  sowie  unter  paar- 
■iser  Verwendung  dieser  Distraktionsklammern  (Fig.  1),  welche 
beiden  Seiten  des  in  der  Frakturebene  zirkulär  durchtrennten 
psverbandes  durch  Gipsbinden  befestigt  sind,  nach  erfolgter 
ngsdistraktion  durch  die  gelösten  und  leicht  feststellbaren  Kugel- 
enke  ermöglicht  wird,  einen  wirksamen  Einfluss  auf  die 
naue  Einrichtung  der  Fragmente  des  Knochen- 
uches  unter  gleichzeitiger  Kontrolle  mit  Röntgenstrahlen  aus- 
iben  um  die  Fragmente  in  dieser  reponierten  Stellung  bis 
r  knöchernen  Vereinigung  zu  erhalten;  dass  es  bei 
hzeitigem  Anlegen  der  Klammern  unter  viel  geringerer  Kraftauf- 
ndung  gelingt,  die  Distraktion  der  Fragmente  und 


2.  Bildnis  eines  aus  30  m  Höhe  abgestürzten  Fliegers.  Freistehend  photographiert 
ein  Monat  nach  dem  Unfall.  Fünf  Knochenbrüche. 

. rei1  genaue  Reposition  im  Verlauf  von  einigen 
s  e  n  zu  bewerkstelligen,  w'eil  Muskulatur  und  Weichteile 
anglich  viel  dehnbarer  und  nachgiebiger  sind;  dass  sich  auch 
in  plizierte  Frakturen  bequem  unter  Benutzung 
:>es  gefensterten  Gipsverbandes  auf  diese  Weise  be- 
J  dein  lassen;  dass,  wenn  durch  die  Röntgenaufnahme  festgestellt 
;  dass  die  Bruchflächen  richtig  zu  einander  stehen,  der  Verletzte 
4-  2)  sofort  aufstehen  und  anfangs  mit  Krücken 
!  “  S  töcken  Gehversuche  ausführen  kann,  da  die 
nldistraktionsklammcrn  eine  zuverlässige  Stütze  gewähren;  dass 
|  Distraktionsklammergipsverband  bei  Unterschenkelbrüchen  das 
‘jegelenk  zu  Bewegungen  freilässt;  dass  diese  Me- 
Ge  auch  mit  Vorteil  bei  supramalleolären  Knochen¬ 


brüchen  mit  ihrer  grossen  Neigung  zur  Dislokation  unter  aktiver 
|  und  passiver  Bewegungsfreiheit  im  Fussgelenk,  ebenso  bei  Kon- 
d  y  1  e  n  b  r  ii  eben  a  n  T  i  b  i  a  u  nd  Fe  m  u  r  unter  bestehenbleiben- 
uer  Distraktion  und  Fixation  und  gleichzeitiger  Ausführbarkeit 
kleiner  Bewegungen  im  Kniegelenk,  bei  Brüchen  der  D  i  a  - 
pliysc  des  Oberschenkels  sowie  des  Schenkel¬ 
halses,  wobei  die  Verletzten  in  den  Stand  gesetzt  werden,  schon 
|  nach  Ablauf  einer  Woche  nach  eingetretener  Fraktur  das  Bett  zu 
[  verlassen,  in  gleicher  Weise  bei  Brüchen  an  den  oberen 
!  Extremitäten  und  in  Verbindung  mit  einem  Gipskorsett  bei 
Br  üc  hen  der  Wirbelsäule  angewendet  wird;  dass  also  diese 
[  Distraktionsklammern  in  Verbindung  mit  Kontentivverbänden  als 
U  n  iversalklammern  fast  bei  allen  Arten  von  Kno¬ 
che  n  b  r  ü  c  h  e  n  (einschliesslich  der  komplizierten  Frakturen)  vor¬ 
teilhafte  Verwendung  finden  und  in  geeigneten  Fällen  schliesslich 
erfolgreich  zur  Distraktion  und  Mobilisation  ver¬ 
steifter  Gelenke  sowie  zur  Beseitigung 
von  Gelenkkontrakturen  benutzt  werden. 

Die  Schmerzhaftigkeit  bei  Anlage  des  Gips- 
verbardes  und  der  darauffolgenden  Distraktion 
zwecks  Adaption  der  Bruchenden  ist  sehr  gering. 
Bewegungen  in  den  benachbarten  Gelenken 
können  sofort  ausgeführt  werden.  Frühzeitig 
mögliches  Aufstehen  und  Gehen  führt  zur  bal- 
...  .  digen  Entlassung,  Gelenkversteifungen  oder  In- 

aktivitatsatrophien  können  sicher  vermieden  werden,  die  Gefahr 
hypostatischer  Pneumonien  ist  ausgeschlossen,  die  Verheilung  er¬ 
folgt  in  denkbar  kürzester  Zeit  unter  völliger  Gebrauchsfähigkeit  der 
Extremität. 


Fig.  3.  B.  49Jahre.  Frischer  Unterschenkel-  Fig.  4.  Die  gleiche  Bruchstelle,  geheilt 
bruch  mit  Verkürzung  und  Verschiebung  nach  etwa  8  Monaten, 

der  unteren  Bruchstücke  nach  aussen. 


Stückbruch  der  Fibula. 

Unter  Berücksichtigung  aller  dieser  Momente  wird  eine  aus¬ 
gedehnte  Anwendung  der  Hacke  nbruchschen  Dis¬ 
trakt  i  o  n  s  k  1  a  m  m  e  r  n  *)  im  Felde  die  denkbar  besten 
Erfolge  zeitigen. 


Zur  Evakuierung  des  Feldheeres. 

Von  Dr.  E  b.  V  e  i  c  1,  Oberarzt  der  Reserve  im  Feldlazarett  10 
des  XIII.  (K.  Württ.)  A.-K.  und  Privatdozent  an  der  1.  niediz. 

Klinik  in  München. 

Vielfach  wird  in  den  uns  regelmässig  zugehenden  Feldausgaben 
unserer  ersten  medizinischen  Wochenschriften  die  Frage  der  Evaku¬ 
ierung  des  Feldheeres  behandelt,  insbesondere  ist  jüngst  von 
psychiatrischer  Seite,  von  B  o  n  h  ö  f  f  e  r  und  Weygand  t,  auf  die 
beginnenden  Psychosen,  Psychopathien  etc.  hingewiesen  worden.  Es 
wird  mit  Recht  gefordert,  scharf  auf  diese  Dinge  zu  achten  und 
bei  Ausbruch  oder  Verdacht  auf  eine  psychische  Störung  den  be¬ 
treffenden  Soldaten  aus  der  Front  zu  nehmen.  W  e  y  g  a  n  d  t  spricht 
dann  auch  noch  von  der  Beurteilung  einiger  Krankheiten,  die  der 
innere  Mediziner  besonders  häufig  sieht,  z.  B.  von  Formes  frustes 
von  Basedowscher  Krankheit.  W.  sagt,  solche  Kranke  seien 
höchstens  garnisondienstfähig.  Diese  Anschauung  trifft  für  unsere 
süddeutschen  Armeekorps  m.  E.  nicht  zu.  Jedem,  der  in  Süddeutsch- 
land,  speziell  in  Württemberg,  ärztlich  tätig  war,  ist  bekannt,  wie 

")  Werden  von  den  Veifa-Werken  in  Frankfurt  a.  M.  herge¬ 
stellt  und  für  Kriegszwecke  zu  ermässigten  Preisen  abgegeben. 


2? 64  Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. _ _ Nr.  >. 


häufig  solche  Formes  frustes  von  Basedow  scher  Krankheit  vor-  i 
kommen.  Wenn  man  alle  diese  Leute  aus  dem  Feldheer  ausmerzen 
wollte,  würden,  glaube  ich.  recht  grosse  Zahlen  resultieren.  Das  Gros 
dieser  Fälle  hält  m.  E.  die  Anstrengungen  des  Feldzuges  aus,  zu-  j 
gegeben  sei,  dass  sie  öfters  einmal  einen  oder  mehrere  Tage  Ruhe 
brauchen.  Aber  nicht  nur  die  Formes  frustes  von  Bas.  Krankheit,  J 
sondern  eine  ganze  Reihe  von  Störungen,  die  zunächst  als  innere 
Erkrankung  imponieren,  verlieren  sich  im  Felde  oft  unter  Ruhe,  Pflege 
und  geeigneter  Behandlung  in  wenigen  Tagen,  so  manche  Herz¬ 
störungen.  Magendarmverstimmungen,  unbestimmte  „rheumatische“ 
Schmerzen  u.  a.  Dass  es  von  grosser  Bedeutung  für  unser  Feldheer 
ist,  wenn  solche  Leute  nicht  gleich  zur  Etappe  oder  gar  in  die  Heimat 
zurückgesandt  werden,  sondern  einige  Tage  möglichst  nahe  der  Front 
beobachtet,  behandelt  und  dann  womöglich  in  die  Front  zurückge¬ 
schickt  werden,  ist  klar. 

Solche  Gelegenheit  in  ausgedehnterem  Masse  hatten  wir  kürz¬ 
lich  auf  einem  dem  Feldlazarett  unterstellten  Krankensammelpunkt. 
Der  Krankensammelpunkt  war,  wie  dies  ja  auch  Vorschrift  ist,  nur 
wenige  Kilometer  hinter  der  Front  in  einem  Dorfe  angelegt.  Dort 
konnten  die  Kranken  ordentlich  untergebracht  werden,  meist  in 
grösseren  luftigen  Räumen,  teils  in  Betten,  teils  auf  Matratzen  oder 
Strohsäcken.  Da  kamen  die  Soldaten  mit  den  verschiedensten  Klagen, 
Herzbeschwerden,  Atembeschwerden,  Schmerzen  in  den  Gliedern,  in 
erster  Linie  waren  sie  eben  nervös  und  körperlich  erschöpft.  Gewiss 
fanden  sich  unter  ihnen  Kranke,  die  wir  zur  Etappe  zurückschicken 
mussten,  erwähnt  seien  von  Herzaffektionen  Mitralstenosen  und  Dila¬ 
tationen  mit  stark  hebendem  Spitzenstoss.  Aber  die  meisten  erholten 
sich  nach  einigen  Tagen  Ruhe  und  Pflege,  nach  immer  wiederholter 
genauer  Untersuchung  des  schmerzhaften  Organes,  z.  B.  des  Herzens, 
und  der  Versicherung,  dass  an  dem  Herzen  nichts  krankhaftes  sei, 
dass  die  Störung  eine  Folge  der  grossen  Ermüdung  sei,  sehr  rasch 
und  gingen  mit  Freuden  wieder  in  die  Front  zurück.  Fand  sich  eine 
krankhafte  Veränderung,  die  aber  in  ihrer  Art  den  Transport  nach 
rückwärts  nicht  rechtfertigte,  so  sagte  man  das  ganz  offen.  Auch 
diese  Leute  gingen  beruhigt  zur  Front  zurück.  Selbstverständlich  ist 
es  für  den  Arzt  leichter,  solche  Leute  in  die  Heimat  zurückzusenden, 
bei  Herzstörungen  z.  B.  läuft  man  immer  ein  Risiko,  wenn  man 
sie  wieder  in  die  Front  entlässt,  dieses  Risiko  muss  aber 
im  Felde  im  Interesse  des  Heeres  auf  sich  genommen  werden.  Im 
Frieden  ist  man,  um  ja  sicher  zu  gehen,  geneigt,  solche  Soldaten  aus 
dem  Dienst  zu  nehmen  und  längere  Zeit  zu  beobachten,  im  Krieg 
kann  man  dies  eben  nicht,  da  muss  man  rasch  handeln. 

Vorzüglich  erfüllt  den  Zweck,  solchen  Kranken  einige  Tage 
Ruhe  Pflege  und  ärztlichen  Zuspruch  zu  gewähren,  der  Kranken¬ 
sammelpunkt,  allerdings  nur  unter  der  Bedingung,  dass  die 
Front  sich  während  dieser  Tage  nicht  sehr  verschiebt.  Nur  dann 
kann  der  Krankensammelpunkt  an  einer  und  derselben  Stelle  bleiben. 
Sind  diese  Bedingungen  gegeben,  so  wird  man  durch  obiges  Ver¬ 
fahren  auf  dem  Krankensammelpunkt  der  Front  des  Feldheeres  eine 
grosse  Zahl  tüchtiger  Soldaten  erhalten  können. 


Aus  dem  Rcservelazarett  Diakonissenhaus  —  Universitäts- 
Nervenklinik  Frciburg  i.  B. 

lieber  Kriegsverletzungen  des  Nervensystems. 

Von  Prof.  Hotz. 

(Schluss.) 

Die  Schussverletzungen  des  Rückenmarks 
können  entweder  durch  Kontusionen  oder  Blutung  eine  vor¬ 
übergehende  und  partielle  Schädigung  bedingen,  welche  einer 
spontanen  Heilung  fähig  ist.  ln  diesem  Falle  prävalieren  Er¬ 
scheinungen,  welche  mit  denjenigen  der  langsamen  Kom¬ 
pression  bei  Rückenmarkstumoren  Aehnlichkeit  haben.  Ein¬ 
zelne  Funktionen  sind  dauernd  erhalten,  zum  Teil  mit  Reiz¬ 
erscheinungen  kombiniert.  Bei  den  Totalquerschnitts¬ 
läsionen  handelt  es  sich  entweder  um  eine  Zertrümmerung 
durch  das  Geschoss  selbst  oder  um  eine  Schädigung  durch 
verlagerte  Splitter.  Eine  sichere  Entscheidung  hierüber  dürfte 
auch  durch  das  Röntgenbild  nicht  möglich  sein.  Neben  den 
zahlreichen  Fällen  von  Querschüssen  beanspruchen  unser  be¬ 
sonderes  Interesse  die  S  t  e  c  k  s  c  h  ü  s  s  e,  bei  welchen  das 
Projektil  im  Spinalkanal  festsitzt.  Zwei  derartige  Fälle 
zeigten  eine  vollständige  Querschnittlähmung  mit  gänzlich  auf¬ 
gehobenen  Reflexen  unterhalb  des  verletzten  Segmentes, 
Blasen-,  Mastdarmlähmung  und  Tendenz  zu  rasch  progre¬ 
dienten  trophischen  Störungen.  Im  dritten  Fall  ergab  sich 
eine  mit  Infektion  kombinierte  Druckwirkung  auf  die  Kauda. 

7.  F.  D.,  Inf.-Reg.  110.  Eintritt  am  11.  IX.  14,  verwundet 
3.  IX.  14. 

Befund:  Einschuss  in  der  hinteren  linken  Axillarlinie.  Völlige 
Rückenmarkslähmung  vom  8.  Dorsalwirbel  ab.  Reflexe  erloschen. 
Sensibilitätszone  vorne  dicht  unter  dem  Rippenbogen,  hinten  hand¬ 


breit  höher,  schlaffe  Lähmung  der  Beine,  Urinretention.  An  r 
Wirbelsäule  äusserlich  keine  Deformität. 

Röntgenaufnahme  zeigt  französisches  Spitzgeschoss  n 
Rückenmarkskanal  in  schräger  Richtung  im  Bereich  des  8.  Bn . 
Wirbels. 

Operation  12.  IX.  14:  Laminektomie.  Ucber  dem  6.  s 
9.  Dornfortsatz  wird  die  gerade  Rückenmuskulatur  zu  beiden  Sein 
abgelöst,  die  hinteren  Wirbelbogen  freigelegt.  Man  erkennt  z  - 
sehen  7  und  8.  Bogen  die  sichtbare  Spitze  des  Projektils.  Dassce 
steckt  schräg  mit  der  Spitze  gegen  den  Einschuss  gerichtet  ui  r 
dem  8.  Wirbelbogen.  Der  7.  und  8.  Dornfortsatz  wird  mit  r 
Knochenzange  entfernt,  die  hintere  Vereinigung  und  die  behi 
Wirbelbögen  werden  reseziert  Nun  wird  die  Spitze  des  Geschoss 
frei.  Sie  steht  2  cm  ausserhalb  des  Duralsackes.  Das  Geschoss  li;i 
schräg  aufsteigend  im  Rückenmark.  Die  Knochenlücke  muss  ge  r 
den  Querfortsatz  zu  noch  etwas  erweitert  werden,  um  das  Projeil 
ohne  Zwang  entfernen  zu  können.  Dann  gelingt  die  Extraktion  leiu 
Man  erkennt,  dass  das  Rückenmark  in  schrägem  Verlauf  perfor-| 
ist.  Nach  Extraktion  bleibt  ein  Schusskanal  im  Mark  bestehen  id 
es  entleert  sich  Liquor  mit  kleinen  Markpartikelchen.  Dorsal  wd 
die  Dura  auf  kurze  Strecke  inzidiert,  die  Pia  zeigt  starke  Hyperär: 
kein  Blutextravasat.  Die  Hinterstränge  sind  nicht  durchgerissen  c 
auch  makroskopisch  nicht  hochgradig  gequetscht.  Eine  totale  Qi -- 
durchtrennung  liegt  also  nicht  vor.  Naht  der  Dura,  die  Muskulaji 
wird  reponiert,  durch  Naht  vereinigt  und  darüber  die  Haut  vom 
geschlossen  Während  der  Ablösung  der  Muskulatur  hatte  U 
Kcagulen  vorzüglich  bewährt  gegen  die  Blutung.  Abends  gut  i; 
der  Narkose  erholt.  Bauchdeckenreflexe,  welche  vorher  nicht  :• 
standen,  sind  vorhanden.  Im  Uebrigen  zeigt  der  Befund  keine: 
Aenderung.  18.  IX.  Wunde  reizlos,  nervöser  Zustand  unveränd  t 
Temperaturen  schwanken  zwischen  39  und  37,  Bronchitis,  Blast 
bildung  in  der  Umgebung  des  Mastisolverbandes,  auch  an  Druk- 
stellen  zwischen  den  Knieen,  beginnender  Dekubitus  am  Krcuzbtt 
28.  IX  Wunde  primär  geheilt.  Lähmungszustand  unverändert. 

8.  K.  W.,  Brig.-Ers.-Bat.  5.  Eintritt  10.  IX.  14,  verwürfe' 
8.  IX.  14.  Schrapnellschussverletzung  der  Wirbelsäule,  Einsern« 
unter  dem  rechten  Angulus  scapulae.  Völlige  Paraplegie  der  Bcc 
Querschnittslähmung  entsprechend  dem  8.  Dorsalsegment. 

Die  Röntgenplatte  zeigt  ein  Schrapnellgeschoss  im  Berel 
des  11.  Brustwirbels 

Operation  12.  IX.  14:  laminektomie  im  Bereich  des  8.  i: 
11.  Dornfortsatzes.  Diese  3  Processus  spinosi  und  die  zugehörig 
Dorsalwirbelbogen  werden  mit  Euer  abgetragen.  Nun  liegt  die  Dp 
frei.  Von  oben  her  fliesst  etwas  Liquor  mit  weissen  Markpartill 
chen.  Das  Geschoss  ist  zunächst  nicht  zu  sehen,  doch  fühlt  rju 
durch  die  Dura  eine  harte  Stelle  im  Bereich  des  11  Rückenwirbs 
Der  Duralsack  wird  nach  rechts  beiseite  geschoben.  Man  fiie 
die  Schrapnellkugel  im  hinteren  Teil  des  Wirbelkörpers,  zur  Hau 
eingesenkt  in  den  Knochen,  zur  anderen  Hälfte^  in  den  Spinalkra 
prominent  und  löst  dieselbe  sorgfältig  heraus.  Völlig  glattes,  runii 
Projektil.  Eine  Zertrümmerung  des  Rückenmarkes  ist  an  der  f  i 
gelegten  Stelle  bis  zum  8.  Wirbel  nicht  zu  sehen.  Möglicherweise^ 
das  Geschoss  von  vorneher  in  den  Wirbelkanal  eingedrungen  k 
diesem  entlang  3  Segmente  weit  nach  unten  geglitten.  Eine  völb 
Rückenmarksdurchtrennung  lässt  sich  also  durch  die  Operation  np 
naohweisen.  Weichteile  und  Haut  werden  völlig  vernäht,  Heiluis 
verlauf  örtlich  ungestört.  Temperaturen  schwanken  zwischen'! 
und  37,8,  Nervenbefund  unverändert.  27.  IX.  Wunde  p.  p.  geh  t 
Lähmung  unverändert. 

9.  M.,  99.  Reg.  de  ligne.  Eintritt  28.  VIII.,  verwundet  21.  VIII. 4 
1.  Schussverletzung  durch  den  rechten  Oberarm,  Ulnarislähmig 
glatte  Weichteilwunde.  2.  Zwei  Einschüsse  in  der  linken  Lenen 
gegend,  angeblich  Schrapnellwunden.  Diese  beiden  ca.  zweima 
stückgrossen  Oeffnungen  sezernieren  stark.  Es  entleert  sich  nU 
einigen  Tagen  auffallend  viel  helle  eitrige  Flüssigkeit,  von  np 
urinösem  Geruch.  Starke  Schmerzen  im  Verlauf  des  lin;i 
Ischiadikus.  10  IX.  Seit  2  Tagen  hohe  Temperaturen,  heute  plötzd 
Nackensteifigkeit,  grosse  Aufregung,  heftige  Schmerzen  nach  un 
Bein  ausstrahlend.  Kernig  sches  Symptom,  gesteigerte  Reihe 
akute  Meningitis. 

Die  Röntgenaufnahme  zeigt  entsprechend  der  Becki 
schussöffnungen  2  unregelmässige  Projektile.  Das  eine  sitzt  auf  - 
Beckenschaufel  unterhalb  des  linken  Darmbeinkammes,  das  ano 
im  Bereich  des  vierten  Lendenwirbels.  Man  vermutet  eine  Sclu> 
Verletzung  des  Spinalkanals.  Meningitis. 

Sofort  Operation:  Ueber  dem  4.  Lendenwirbel  wird  h 
Muskulatur  abgelöst.  Beim  Freilegen  der  Bogen  findet  inan  m 
Zeitrtiminerung  des  4.  Lendenbogens  und  des  zugehörigen  Querft 
Satzes  und  innerhalb  dieser  zerquetschten  Knochenpartie  einen  - 
formierten  Bleikern.  Der  Bogen  wird  entfernt,  die  Dura  ist 
rissen,  Liquor  tritt  nicht  aus.  Man  punktiert  hinter  dem  12.  Dd 
fortsatz,  Liquor  ist  nicht  zu  aspirieren;  von  einer  Spülung  v'< 
abgesehen,  um  die  Eiterung  im  Spinalkanal  nicht  höher  zu  treilr 
Die  Wunde  zeigt  in  der  Tiefe  einige  Stränge  der  Kauda.  Man  J 
ein  Drain  ein  und  tamponiert  in  ganzer  Ausdehnung.  Bleikern  1 
Stahlmantel  des  deutschen  Geschosses  hatten  zwei  getrennte  P 
sehüsse  bewirkt.  Ueber  dem  Darmbeinkamm  wird  aus  der  andt'i 
Schusswunde  der  zerdrückte  Stahlmantel  entfernt.  11.  IX.  14.  Ti 
peraturabfall.  Pat.  hat  sich  auffallend  gut  erholt.  Nackensteifig  1 


I  November  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  mcd.  Wochenschrift.  2265 


wieder  geschwunden.  Verbandwechsel,  starke  eitrige  Sekretion. 
13.  IX.  zunehmende  meningitischc  Erscheinungen  führen  zum 

:  tus 

Die  Sektion  zeigt,  dass  der  rechte  Ulnaris  in  eine  derbe 
be  eingebettet,  aber  makroskopisch  in  seinem  Vejlaufe  nicht 
,  letzt  ist.  Das  Präparat  wird  herausgenommen.  Die  Eröffnung 
Wirbelkanals  und  die  Gehirnsektion  ergibt  eine  ausgedehnte 
lingitis,  besonders  an  der  Schädelbasis  und  über  dem  Stirnhirn. 
Dura  ist  im  Bereich  des  2.  Lendenwirbels  eröffnet,  das  Riicketi- 
k  und  die  Kaudastränge  zeigen  keine  anatomische  Läsion. 

Ausser  den  Querschüssen  kommen  etwa  auch  Längs- 
.  üsse  zur  Beobachtung.  Die  Kugel  dringt  über  dem  2.  Dorn- 
:satz  ein,  tritt  am  9.  wieder  aus.  Die  sämtlichen  Dornfort- 
;e  sind  durch  das  Geschoss  abgestreift  und  in  zahlreichen 
ittern  in  die  Medulla  eingedrückt  worden.  Die  Verletzung 
r  zustande  gekommen  beim  Liegendschiessen  im  Moment, 
i  sich  der  Schütze  zur  Deckung  auf  den  Boden  warf.  Be- 
dere  therapeutische  Bedeutung  haben  die  drei  mitgeteilten 
le  insofern,  als  man  annehmen  konnte,  dass  hier  durch  das 
schoss  eine  komprimierende  Wirkung  auf  das  Rückenmark 
i  glich  war.  Es  zeigte  sich  dann  auch  bei  unseren  beiden 
■ckschüssen  der  Medulla,  dass  keine  vollständige  Kontinui- 
■durchtrennung  Vorgelegen  hat,  trotzdem  das  klinische  Bild 
•r  völligen  Querschnittslähmung  bestand.  Die  Beob- 
tungen  von  C  o  1 1  e  y  und  Braun  haben  bewiesen,  dass 
h  Entfernung  kleiner  Projektile  eine  weitgehende  Resti- 
i on  möglich  ist.  Wenn  man  berücksichtigt,  dass 
Ir  Verletzte,  seinem  Zustand  überlassen, 
ienfalls  einem  traurigen  Ende  entgegen- 
;  h  t,  dürfte  sich  der  Versuch,  durch  La  minek¬ 
nie  die  Geschosse  zu  entfernen,  wohl  recht- 
tigen.  Inwieweit  der  Eingriff  zu  einer  Besserung  wirk¬ 
beitragen  kann,  wird  die  spätere  Erfahrung  zeigen.  Die 
i  ktion  ist  nicht  zu  befürchten,  falls  das  Geschoss  steril  ein- 
rungen  ist.  Bei  den  Durchschüssen  allerdings  wird  man 
i  vorerst  kaum  zu  einem  operativen  Eingriff  entschliessen. 
Unter  den  zahlreichen  Verletzungen  des  peri- 
eren  Nervensystems  treffen  wir  eine  ganze  Anzahl 
Schussverletzungen  des  Plexus  brachiaüs.  Es  handelt  sich 
chweg  um  Läsionen,  welche  nicht  als  anatomische  Durch- 
unung  aufzufassen  waren.  Nach  Verlauf  von  4 — 5  Wochen 
lten  sich  meist  deutliche  Regenerationsvorgänge  ein.  Die 
i  ven  sowohl  wie  die  Arterien  haben,  soweit  sie  als  isolierte 
1  inge  verlaufen,  auch  gegenüber  den  modernen  Geschossen 
Fähigkeit,  auszuweichen.  Eine  Gefäss-  oder  Nervenver- 
:  ung  sahen  wir  hauptsächlich  da,  wo  bei  Abzweigung  eines 
>es  oder  durch  Anlagerung  am  Knochen  eine  stärkere 
ation  besteht.  So  bei  den  Arterien  des  Truncus  thyreo- 
'/icalis,  A.  femoralis  am  Abgang  der  Profunda,  A.  cubiti, 
,'adialis. 

Die  Mehrzahl  der  Nervenverletzungen 
rch  Geschosswirkung  besteht  nicht  in 
ier  Durchtrennung,  sondern  in  einer  star- 
n  Quetschung  des  Nerven,  bei  Nahschüssen 
■nen  reichlich  Pulverkörner  in  den  Strang  eingepresst  sein, 
resultiert  daraus  eine  motorische,  oft  auch  gemischte  Läh- 
ig,  welcher  nach  etwa  10  Tagen  die  Entartungsreaktion 
en  kann.  Diese  Kontusionsverletzungen  zeigten  mehrfach 
)  rhalb  der  ersten  4  Wochen  die  spontane  Wiederkehr  der 
ktion.  Zu  operativem  Eingreifen  gaben  andere  Fälle  Ver¬ 
lesung. 

lü.  J.  R.,  126  Inf.-Reg.  Eintritt  16.  IX.,  verwundet  16.  VIII.  14 
'  h  perforierenden  Infanterieschuss  im  rechten  Oberarm.  So¬ 
li  völlige  Lähmung  im  Bereich  des  N.  radialis. 

Befund:  Rechter  Arm:  Einschuss  am  Ansatz  des  Deltoideus, 
Schuss  etwas  höher  an  der  Hinterseite  des  Oberarms.  Derbe, 
iRförmige  Narbe  mit  leichter  Knochenverdickung.  Völlige  Ra¬ 
slähmung  mit  ausgesprochener  Entartungsreaktion.  Leichte 
;  se  des  Trizeps. 

Operation  16.  IX.  14:  Schnitt  in  der  Furche  zwischen 
Jt  longum  und  laterale  des  Trizeps  dicht  am  Ansatz  des  Del- 
-us,  führt  auf  eine  sehr  derbe  Narbe.  Man  isoliert  den  intakten 
'•en  unter  dem  lateralen  Trizeps  und  dem  Caput  longum.  Die 
■ircumflexa  wird  hier  unterbunden,  dann  mit  Mühe  zwischen  den 
■cn  intakten  zentralen  und  peripheren  Teilen  der  Nerv  mit  einer 
1  langen,  derben  Narbe  vom  Knochen  abgelöst.  In  dieser  Narbe 
•t  man  einen  1  ccm  grossen  scharfen  Knochensplitter  aus  der 
1  ikalis  des  Humerus,  welcher  den  Nerv  völlig  durchtrennt  und 
1  zwischen  die  beiden  narbigen  Enden  cinlagert.  Da  durch  diesen  I 


Knochensplitter  eine  Kontinuitätsdurchtremumg  schon  gegeben  ist, 
wird  das  ganze,  in  Narben  eingebettete  Nervenstück  in  der  Länge 
von  4  cm  reseziert,  der  zentrale  und  der  periphere  Stumpf  werden 
mobilisiert,  bis  die  Vereinigung  möglich  ist.  Dann  wird  durch  einige 
perineurale  Nähte  die  Nervenscheide  ringsum  vereinigt  und  so  die 
einzelnen  Bündel  exakt  aneinandergefügt.  Die  Nahtstelle  liegt  direkt 
dem  Knochen  an.  Um  eine  Kallusumwachsung  zu  verhindern,  wird 
ein,  Stück  der  Faszie  des  Trizeps  röhrenförmig  darumgelegt  und 
schliesslich  noch  ein  6  cm  langer  Muskellappen  zwischen  Humerus 
und  Nerv  cingelägert.  Wunde  bis  auf  kleines  Drain  geschlossen. 
19  IX.  14.  Wundheilung  ungestört. 

B.  W„  Inf.-Reg  105.  Eintritt  18.  IX.  14.  Verwundung  durch 
Artilleriegeschoss  am  16.  VIII.  14.  Humerusfraktur,  völlige  Radialis- 
lähmung. 

Befund:  Kleine  Schusswunde  über  der  Mitte  des  Oberarms 
völlig  abgeheilt.  Humerus  etwa  in  der  Mitte  gebrochen  ohne  weit¬ 
gehende  Splitterung  mit  geringer  Verschiebung  des  oberen  Frag¬ 
mentes  nach  hinten  bereits  konsolidiert.  Es  besteht  eine  komplette 
gemischte  Radialislähmung  mit  Entartungsreaktion,  Parästhesien  in 
Hand  und  Fingern. 

Operation  21.  IX.:  Der  N.  radialis  wird  an  der  Aussenseite 
des  Humerus  freigelegt,  von  der  Umschlagstelle  aus  zentral  verfolgt. 
Auf  eine  Länge  von  6  cm  ist  der  Nervenstrang  völlig  in  dem  jungen 
Kallus  eingeschlossen  und  von  diesem  stark  überwuchert.  Die  Aus¬ 
lösung  gestaltet  sich  ziemlich  schwierig.  Die  Bruchstelle  muss  wie¬ 
der  mobilisiert  werden,  doch  gelingt  es,  den  Nerv  ohne  Schädigung 
im  ganzen  Verlauf  freizubekommen.  Er  erscheint  deutlich  verdickt, 
lässt  jedoch  eine  Kontinuitätsunterbrechung  nicht  erkennen.  Aus 
Faszie  und  Fett  aus  dem  Trizeps  wird  eine  S  cm  lange  Hülse  ge¬ 
formt,  der  Nerv  umscheidet  und  reponiert.  Glatte  Wundheilung. 
Nach  8  Tagen  zeigt  der  M.  extensor  carpi  radialis  wieder  deutliche 
Extensionswirkung. 

Leutnant  S.,  I.  bayer.  Res.-Inf.-Reg.  Verwundet  19.  VIII.  14. 
Eintritt  25.  IX.  14.  Glatter  Weichteilschuss  in  der  rechten  Ellbeuge. 
Im  Moment  der  Verletzung  konnte  die  Hand  nicht  mehr  kräftig  ge¬ 
schlossen  werden,  Gefühlsunempfindlichkeit  in  der  Handinnenfläche, 
am  2.,  3.  und  4.  Finger.  Oppositionsstellung  unmöglich.  Die  Schuss¬ 
wunde  heilte  ohne  Störung,  doch  traten  zunehmend  heftigere,  in  die 
Finger  ausstrahlende  Schmerzen  auf  bei  verminderter  Beweglichkeit. 

Operation  24.  IX.  14:  Schnitt  in  der  Ellbeuge  über  dem 
N.  medianus.  Arterie  und  Begleitvenen  erweisen  sich  als  intakt. 
Der  Nerv  ist  unter  dem  Lacertus  an  seiner  Rückseite  in  eine  derbe, 
bindegewebige  Narbe  eingeschlossen.  Er  wird  vorsichtig  frei¬ 
präpariert,  zeigt  an  der  Quetschungsstelle  eine  rötliche  Verdickung 
und  Verbreiterung  ohne  Unterbrechung  des  Faserverlaufes.  Er  wird 
in  eine  dem  Bizeps  entnommene  Faszienfettscheide  eingelagert  und 
reponiert.  Glatte  Wundheilung.  Die  Parästhesien  haben  sofort 
aufgehört,  die  Beweglichkeit  der  Finger  bessert  sich  rasch. 

Ch  L.,  Reg  de  ligne  325.  Eintritt  13.  VIII.  14.  Explosionsschuss 
im  linken  Vorderarm  am  11.  VIII.  14.  Mächtige  Einschussöffnung 
im  unteren  Drittel  an  der  Aussenseite  des  Oberarms,  entsprechend 
dem  Verlauf  des  N.  radialis,  mit  Pulverkörnern  stark  imprägniert. 
Ausschuss  an  der  Innenseite  dicht  oberhalb  des  Gelenkes.  Mus¬ 
kulatur  zerfetzt,  sehr  viel  gangränöses  Gewebe.  Schlaffe  Radialis¬ 
lähmung.  24.  VIII.  Unter  wechselnden  Verbänden  hat  sich  die 
Wunde  gut  gereinigt,  gangränöse  Hautpartien  sind  abgestossen, 
überall  gute  Granulationen. 

Röntgenaufnahme  zeigt  nur  eine  geringe  Veränderung 
am  Periost,  keine  wesentliche  Knochenverletzung.  Durch  Heft¬ 
pflaster  wird  der  Defekt  verkleinert,  es  bleibt  aber  noch  eine  grosse 
Wundfläche,  welche  durch  Sekundärnaht  geschlossen  Werden  soll. 

Operation  am  11.  IX.  14:  Die  eingestülpten  Hautränder 
werden  angefrischt,  mobilisiert,  die  Granulationsfläche  wird  exstir- 
piert.  Man  sucht  zentral  den  N.  radialis  auf  und  findet  denselben 
im  Verlauf  nicht  unterbrochen,  völlig  in  Narben  und  eingeheilte 
Pulvermassen  eingebettet.  Der  Nerv  wird  ausgelöst  und  zwischen 
die  Muskulatur  verlagert.  Vorerst  soll  die  spontane  Regeneration 
abgewartet  werden.  Die  mobilisierten  Hautränder  werden  durch 
Naht  vereinigt  und  ein  kleines  Drain  im  unteren  Wundwinkel  ein¬ 
geführt.  19  IX.  14.  Gute  Heilung  bei  geringen  Reizsymptomen.  In 
den  Lähmungserscheimmgen  zeigt  sich  keine  Aenderung.  27.  IX.  14. 
Wunde  geheilt,  noch  keine  Regeneration. 

Eine  wirkliche  Durchtrennung  peripherer  Nerven  durch 
Schusswaffen  findet  nach  unserer  Erfahrung  an  ca.  20  Fällen 
nur  ausnahmsweise  statt.  In  der  grossen  Mehrzahl  handelt  es 
sich  um  mehr  oder  weniger  ausgebreitete  Dehnungs-  und  Kon¬ 
tusionsfolgen,  welche  spontan  aushcilen.  selbst  wenn  Er¬ 
scheinungen  der  Entartungsieaktion  vorhanden  sind.  Die  kom¬ 
plette  Entartungsreaktion  zeigt  uns  nur,  dass  die  Mehrzahl  der 
Nervenfasern  eines  Stammes  eine  Unterbrechung  erfahren  hat 
und  lässt  somit  eine  Unterscheidung  zu  zwischen  leichten  Kon¬ 
tusionen,  welche  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  von  selbst 
gut  werden  und  den  schwereren  Läsionen.  Eine  anatomische 
Quertrennung  lässt  sich  nicht  daraus  schliessen.  Die  Er¬ 
scheinung  findet  sich  ebensowohl  bei  der  bindegewebigen 
Umwachsung  als  bei  Kallusdruck  und  Splitterverletzung. 


2266 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr. 


Die  Indikation  zu  operativer  Therapie  ergibt 
sich  nach  den  angeführten  Beispielen  hauptsächlich  aus  diesen 
besonderen  Eigentümlichkeiten  des  Verletzungsmechanismus 
und  -Befundes.  Eine  Revision  des  verletzten  Nerven  ist  ge¬ 
boten  : 

1.  bei  scharfer  Verletzung,  Hiebwunden,  entweder  im  ganz 
frischen  Zustand  oder  nach  der  Ausheilung  per  granu- 
lationem. 

2.  bei  Schussverletzungen,  wenn  in  unmittelbarer  Nähe 
des  lädierten  Nerven  eine  Knochenverletzung  (Fraktur  oder 
Splitter)  festgestellt  werden  kann.  Die  hierdurch  gegebene 
Möglichkeit  einer  Anspiessung  oder  Kalluskompression,  welche 
insbesondere  auch  durch  die  verzögerte  natürliche  Regene¬ 
ration  und  durch  Reizsymptome  nahegelegt  wird,  fordert  dazu 
auf,  den  Nerven  freizulegen,  nachdem  die  äussere  Weichteil- 
wunde  abgehcilt  ist. 

3.  Die  gleiche  Indikation  besteht  auch  für  einfache  Weich¬ 
teilwunden  mit  Nervenbeteiligung,  wenn  zunehmende  Be¬ 
wegungsstörungen  und  Parästhesien  im  Verlauf  der  Wund- 
heilung  einsetzen.  Bindegewebige  Narben  können  ähnliche 
Folgen  haben  wie  die  Kalluskompression.  Der  operative 
Eingriff  besteht  in  einer  sorgfältigen,  wo¬ 
möglich  unter  Blutleere  ausgeführten  Neuro- 
1  y  s  i  s.  Der  Nerv  muss  frei  aus  seiner  Unterlage  aufgehoben 
werden  können  und  wird  dann  zweckmässigerweise  vor 
weiteren  Verwachsungen  dadurch  geschützt,  dass  wir  ent¬ 
weder  einen  Muskellappen  interponieren  oder  besser  aus  einer 
naheliegenden  Muskelfaszie  mit  dem  anhaftenden  Fett  eine 
Hülle  bilden,  welche  um  den  ganzen  Nervenstrang  herum¬ 
gelegt,  zu  einem  Zylinder  vernäht  und  an  den  beiden  End¬ 
punkten  durch  fixierende  Nähte  ausgespannt  wird. 

So  wenig  einerseits  einer  allzufrühen  Inangriffnahme  der 
Nervenverletzungen  das  Wort  gesprochen  werden  kann  —  die 
Schusswunden  müssen  jedenfalls  geheilt  sein  und  ein  völlig 
aseptisches  Vorgehen  ermöglichen  — ,  so  sehr  empfiehlt  sich 
doch  andererseits  bei  bestehenden  Beschwerden,  welche  auf 
eine  lokale  Reizung  des  Nerven  hindeuten,  die  Neurolysis  nicht 
allzulange  hinauszuschieben.  Eine  Resektion  des  Nerven 
dürfte  nur  da  in  Betracht  kommen,  wo  ein  Knochensplitter 
die  Kontinuität  bereits  gänzlich  durchbrochen  hat;  es  wird 
dann  nötig  sein,  den  Nervenstrang  anzufrischen  und  die  ge¬ 
sunden  Enden  zu  vernähen.  Bei  grösseren  Defekten  empfiehlt 
es  sich,  Ersatz  zu  schaffen  durch  plastische  Verlagerung  der 
beiden  Nervenstümpfe.  Für  diesen  komplizierten  Eingriff 
hatten  wir  bisher  noch  keinen  Anlass. 

Nach  unseren  Erfahrungen  zeigt  sich,  dass  in  gewissem 
Gegensatz  zu  allen  übrigen  Kriegsverletzungen  gerade  die 
Läsionen  des  Gehirns  und  Nervensystems  bei  vorsichtiger 
Auswahl  der  Fälle  häufig  zu  chirurgischen  Eingriffen  Ver¬ 
anlassung  geben  können. 

.  »  »y..T  P-  »  « 

Von  einer  Automobilfahrt  zum  westlichen  Kriegsschauplatz. 

Wir  erhalten  nachstehenden  Bericht: 

Ihrer  freundlichen  Aufforderung,  über  medizinische  Eindrücke 
vom  westlichen  Kriegsschauplatz  zu  berichten,  kann  ich  nur  in  sehr 
unvollkommener  Weise  folgen,  da  meine  Fahrt  zur  Front  nach  Frank¬ 
reich  leider  nur  wenige  Wochen  gedauert  hat.  Von  eingehenden  Er¬ 
hebungen  kann  dabei  nicht  die  Rede  sein,  immerhin  fallen  manche 
Wahrnehmungen  ganz  besonders  auf,  die  einen  beträchtlichen  Gegen¬ 
satz  zu  den  überlieferten  Erfahrungen  früherer  Kriege  aufweisen. 

Einige  Momente  bedeuten  eine  Erschwerung  der  ärztlichen  Auf¬ 
gabe:  Zunächst  ist  es  schwieriger  geworden,  bei  Gefechten  einiger- 
massen  sichere  Truppenverbandplätze  zu  finden,  schon  auf  Grund  der 
bedeutenden  Tragweite  der  Infanterie-  und  noch  mehr  der  Artillerie- 
geschosse.  Bekanntlich  sind  darum  auch  schon  recht  zahlreiche  Kol¬ 
legen  auf  dem  Feld  der  Ehre  gefallen.  Gerade  bei  den  langwierigen 
Positionskämpfen  an  der  Aisne  werden  die  feindlichen  Stellungen 
dauernd  bestrichen,  so  dass  auch  Feldlazarette  durch  Zufallstreffer 
gefährdet  sind.  Insbesondere  kann  auch  die  Aufklärung  durch  Flieger 
das  Artilleriefeuer  auf  Truppenteile  lenken,  in  deren  Nähe  Ver¬ 
wundete  anscheinend  in  Sicherheit  gebracht  waren.  So  kam  es  vor 
bei  Roye,  dass  eine  Munitionskolonne  in  vermeintlich  guter  Deckung 
neben  einer  Kirche  stand,  in  der  Verwundete  untergebracht  waren. 
Die  Stellung  der  Kolonne  wurde  jedoch  durch  feindliche  Flieger  fest¬ 
gestellt  und  bald  darauf  unter  Feuer  genommen,  zum  Schrecken  der 
hilflosen  Verwundeten  in  der  Kirche,  auf  die  auch  noch  geschossen 


wurde,  nachdem  die  Munitionskolonne  selbst  in  bessere,  auch  n;n 
eben  maskierte  Deckung  gebracht  war. 

Sehr  schwierig  gestaltet  sich  im  langwierigen  Positionskampf  ik 
rasche  Versorgung  der  Verwundeten  in  den  Schützengräben  und  ga: 
besonders  nach  einem  versuchten  Angriff  auf  dem  Gelände  zwiscln 
den  Feuerlinien.  In  letzterem  Fall  ist  selbst  das  Abholen  zur  Nac 
zeit  mit  Schwierigkeiten  verknüpft,  da  dann  das  Vorrücken  der  Kr;, 
kenträger  von  feindlicher  Seite  leicht  verkannt  und  für  einen  Nac 
angriff  gehalten  wird,  der  zu  üegenmassregeln  nötigt. 

Im  allgemeinen  jedoch  ist  der  Transport  der  Verwundeten  ;< 
eine  früher  nicht  bekannte  Höhe  gebracht.  Vor  allem  das  Kra- 
fahrwesen  hat  nicht  nur  für  militärische  Operationen  und  Transpor, 
sondern  auch  für  sanitäre  Zwecke  eine  geradezu  umwälzende  Bedö 
tung.  Es  wird  dadurch  ermöglicht,  auch  schwer  Verwundete  in  ki 
zester  Zeit  vom  Verbandplatz  in  ziemlich  weit  abgelegene,  gut 
sicherte  Feldlazarette  zu  bringen  und  weiterhin  diese  ausserordentliii 
rasch  zu  evakuieren  und  ihre  Insassen  in  die  Etappen  zu  schafft 
Selbst  Nachblutungen,  die  nach  Anlegen  des  ersten  Verbands  no, 
häufig  sind,  verlieren  so  ihre  gefährliche  Bedeutung.  Auch  Vtl- 
wundete  schwerster  Art,  mit  Hirnschüssen  z.  B.,  lassen  sich  mit  Ni- 
verband  unter  Morphium  in  geeigneten  Automobilen  ohne  Schadi 
transportieren.  Der  Bedarf  an  geeigneten  Krankenautomobilen  ; 
aber  noch  keineswegs  gedeckt,  vor  allem  reichen  die  Verkehrsmitl 
an  Gefechtstagen  und  auch  bei  grossen  Truppenbewegungen  noi 
lange  nicht  aus.  Als  ich  mit  einer  Hamburger  Automobil-Liebi 
gabenkolonne  beim  IX.  Armeekorps  gerade  nach  einem  Gefcq: 
anlangte,  wurde  mit  Dank  von  unserer  Bereitwilligkeit  Gebraui 
gemacht,  Verwundete  vom  Verbandplatz  zu  den  Lazaretten  t 
schaffen.  Glücklicherweise  werden  immer  wieder  von  privater  Se: 
Automobile  zur  Verfügung  gestellt,  die  sich  in  praktische  Krankej- 
transportwagen  für  je  4  Tragbahren  umarbeiten  lassen.  Zweckmäs1: 
wäre  es  auch,  kräftige  Motorräder  von  3  und  mehr  PS.  unter  A- 
bringung  einer  seitlichen  Tragbahre  zu  Dreirädern  umzuarbeiten,  t» 
sich  auch  schwierigem  Gelände  anpassen  würden  und  kein  so  H 
quemes  Schussziel  abgeben,  wie  Automobile. 

Erfreulicherweise  sind  nun  auch  den  Generalärzten  Automob: 
zur  Verfügung  gestellt,  die  es  ihnen  ermöglichen,  sämtliche  Fei¬ 
lazarette  ihres  Armeekorps  in  rascher  Folge  zu  besichtigen. 

Von  grösstem  Interesse  ist  es,  zu  sehen,  mit  welcher  Findigkt 
die  Feldlazarette  improvisiert  werden,  in  Kirchen,  Schulen,  Kindt¬ 
bewahranstalten,  dann  in  den  mannigfachen  Schlössern,  die  von  fra- 
zösischem  Reichtum  zeugen.  Glasveranden  geben  treffliche  Opet- 
tionsräume  ab.  Originell  waren  in  der  Gegend  von  Blerancourt  c: 
dort  neben  natürlichen  Höhlen  häufigen,  höhlenartig  ausgebauten  Ste- 
brüclie  benutzt,  aus  denen  seit  alters  das  Baumaterial  für  die  Woh- 
häuser  der  Gegend  gehauen  wird.  Diese  oft  recht  ausgedehnten  unti- 
irdischen  Räume  sind  zur  Unterbringung  von  Truppen  und  Pferde 
aber  auch  von  Verwundeten  gut  zu  verwenden;  sie  sind  schusssich, 
ziemlich  warm,  auffallend  trocken  und,  auch  trotz  der  Verwendu: 
einzelner  Teile  als  Pferdestall,  doch  frei  von  üblem  Geruch. 

Die  Prophylaxe  der  Infektionskrankheiten  hat  bisher  ausgezeic- 
nete  Erfolge  gebracht,  ausser  vereinzelten  Typhusfällen  kam  ir 
mehrfach  Dysenterie  vor,  zweifellos  in  Zusammenhang  mit  der  schw 
rigen  Verpflegung  beim  raschen  Vorrücken  grosser  Truppenteile,  U- 
ner  auch  begünstigt  durch  die  Gelegenheit  zum  reichlichen  Ob- 
genuss.  Vielfach  wurden  gute  Erfahrungen  bei  Dysenterie  mit  d" 
Anwendung  von  Bolus  alba  gemacht. 

Ueber  den  Tetanus,  bei  dessen  Verhütung  auch  eine  möglich 
schnelle  Fortbringung  des  Verwundeten  vom  Schlachtfeld  vil 
grösster  Wichtigkeit  ist,  haben  die  Leser  d.  Wschr.  Authentisch- 
aus  dem  Bericht  über  die  Versammlung  der  Sanitätsoffiizere  ifc 
9.  Armeekorps  in  Chauny  erfahren,  die  auf  Anregung  der  Gener- 
ärzte  Dr.  Witte  und  Geheimrat  K  ii  m  m  e  1 1,  des  konsultierend! 
Chirurgen  des  9.  Korps,  zustande  kam,  gerade  am  5.  IX.  14,  für  di 
letzterer  noch  in  Friedenszeit  die  ehrenvolle  Einladung  erhalten  hat, 
in  Paris  einen  Kongressvortrag  zu  halten.  Mit  Recht  wurde  j 
Bericht  von  einer  Veröffentlichung  über  die  Wirkung  von  Dumdu- 
geschossen  abgesehen.  Allerdings  sind  an  anderer  Stelle  aus  di 
Geschosswirkungen  bei  den  in  die  Heimat  gebrachten  Verwundet! 
beruhigende  Schlüsse  hinsichtlich  der  Verwendung  von  Dumdu- 
geschossen  gegen  manche  Truppenteile  gezogen  worden  (vergl.  Ha  ■ 
burger  Aerztekorrespondenz  17.  S.  456).  Immerhin  lassen  sich  a 
massenhaften  Funde  an  solchen  Geschossen  in  Maubeuge,  wo  h 
mich  selbst  davon  überzeugen  konnte,  in  Longwy  usw.  nicht  mit  di 
beschönigenden  Ausreden,  sie  seien  für  Jagdzwecke  oder  für  Sch 
benschiitzen  bestimmt,  aus  der  Welt  schaffen. 

Dass  von  feindlicher  Seite  die  Grundsätze  der  Neutralität  cf 
sanitären  Einrichtungen  nicht  immer  strenge  beachtet  wurden,  ln- 
man  vielfach  bestätigen.  Auch  hinsichtlich  der  Fortschaffung  c 
eigenen  Verwundeten  bei  einem  Rückzug  wird  auf  französischer  Se: 
nicht  das  Gleiche  geleistet  wie  bei  uns.  Wie  peinlich  genau  vt 
deutscher  Seite  die  Vorschriften  des  Roten  Kreuzes  innegehalt» 
werden,  konnte  ich  in  C.  beobachten:  Ein  prächtiges  Schloss  eigne 
sich  trefflich  für  sanitäre  Zwecke,  aber  unsere  Artillerie  benutzte  d- 
hochragende  Dach  als  Bcobachtungsposten;  infolgedessen  musste  ; 
das  Hissen  des  Roten  Kreuzes  verzichtet  werden  und  es  schlugt 
auch  mehrfach  dort  noch  feindliche  Geschosse  ein.  Selbstverstän 
lieh  ist  jeder  Missbrauch  des  Neutralitätszeichens,  wie  er  ja  bei  sän 
liehen  Feinden  vielfach  beobachtet  und  schamloser  Weise  von  diesi 


7.  November  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


2267 


-rade  uns  zum  Vorwurf  gemacht  worden  ist,  deutscherseits  strenge 
isgeschlossen.  Manchmal  freilich  scheint  die  Anwendung  des 
eichens  in  etwas  pedantisch  übertreibender  Weise  eingeschränkt  zu 
erden,  so  wenn  von  einzelnen  Stellen  des  Heimatgebiets  den  Liebcs- 
ibenkolonnen,  die  doch  auch  Spenden  für  Lazarettkranke  bringen 
id  sich  am  Verwundetentransport  beteiligen,  das  Zeichen  versagt 
°rden  ist,  während  es  ihnen  anderweitig,  so  von  der  Kommandantur 
Aachen  oder  dem  Gouvernement  in  Lüttich,  in  vorschriftsmässiger 
eise  gegeben  wurde.  Aus  anderen  Gründen  erscheint  es  freilich  er- 
iinscht,  dass  solche  Automobilkolonncn  nur  in  organisierter  Weise 
id  möglichst  erst  von  den  Eisenbahnendstationen  der  Etappe  aus 
hren. 

Zwei  Punkte  erregten  mein  besonderes  Interesse.  Hinsichtlich 
:r  ü  e  i  s  t  e  s  s  t  ö  r  u  n  g  e  n  haben  sich  erfreulicherweise  die  Be- 
■rgnisse,  die  auf  Grund  der  Erfahrungen  der  Südwestexpedition  und 
:s  Mandschureifeldzuges  gehegt  wurden,  nicht  verwirklicht.  Es 
>mmen  selbstverständlich  vereinzelt  Fälle  von  typischen  Psychosen 
)J'  4ie  wohl  auch  ohne  den  Feldzug  bei  Disponierten  aufgetreten 
ären.  Auch  einzelne  Paralysen  wurden  in  entsprechende  Etappen¬ 
ationen  gebracht,  wobei  vielleicht  die  Einflüsse  des  Feldzuges  die 
ankheit  aus  dem  latenten  Stadium  aufflackern  Hessen,  möglicher¬ 
eise  aber  auch  an  eine  auslösende  Wirkung  bei  luisch  Disponierten 
dacht  werden  kann.  Ferner  sind  gelegentlich  epileptische 
mptome  und  psychogene  Erregungen  vorgekommen,  wie  auch 
nige  Verwirrtheitszustände  auf  Grund  von  Trauma  oder  Er- 
höpfung,  doch  vorwiegend  von  günstiger  Prognose.  Im  all- 
ineinen  gilt  wohl,  was  Veteranen  aus  dem  Stidwestafrika- 
schen  Feldzug  bestätigen,  dass  damals  die  Strapazen  entschieden 
■ch  grösser  gewesen  sind  als  gegenwärtig  in  Frankreich. 

Hinsichtlich  des  Alkohols  hat  sich  offenbar  die  bei  der  Mobil- 
ichung  angeordnete  strenge  Abstinenz  während  des  Feldzuges  nicht 
nz  einhalten  lassen.  Gelegentlich  scheint  beim  Genuss  des  fran- 
sischen  Rotweins  eine  angemessene  Grenze  nicht  genug  beachtet 
arden  zu  sein.  Wie  mir  von  militärjuristischer  Seite  mitgeteilt 
arüe,  sind  manche  Disziplinarvergehen  daraufhin  zurückzuführen, 
geschieht  wohl  alles  mögliche,  um  die  Truppe  mit  Kaffee  zu  ver- 
hen,  aber  auch  anderweitige  Ersatzgetränke  würden  sich  emp- 
ilen,  vor  allem  1  ee  und  Kakao.  Leider  gibt  es  bei  uns  noch  keine 
nügenden  Erfahrungen  über  Yerba  mate,  dem  auch  eine  hunger- 
llende  Wirkung  zugeschrieben  wird. 

So  überwältigend  auch  die  Eindrücke  im  Operationsgebiet  selbst 
td,  so  geben  doch  auch  das  Etappen-  und  das  Heimatgebiet  reiche 
iregungen.  Es  ist  erstaunlich,  wie  mancher  kleine  Ort,  so  Chauny, 
sserordentlich  dicht  mit  Lazaretten  belegt  wurde,  zum  Teil  unter 
rwendung  von  Schulen  und  anderen  Lokalen,  in  denen  bereits  von 
nzösischer  Seite  Krankenräume  improvisiert  worden  waren. 

Bei  einer  Fahrt  durch  das  Heimatgebiet  kann  es  erstaunen,  wie 
rschiedenartig  die  Verwundetenfürsorge  organisiert  ist.  Mancher- 
s  stellen  die  bestehenden,  mit  allen  neuzeitlichen  Einrichtungen 
mich  ausgestatteten  und  in  erfahrenem  Betrieb  befindlichen  öffent- 
ien  Krankenhäuser  den  Kern  der  Verwundetenfürsorge  dar,  woran 
h  improvisierte  Feldlazarettabteilungen  in  Schulen  usw.  an- 
lliessen;  zu  Chefärzten  wurden  vor  allem  die  leitenden  Kranken- 
jsärzte  herangezogen,  die  über  die  grössten  Erfahrungen  im  Kran- 
nhausbetrieb  verfügen,  einerlei,  ob  sie  bisher  eine  militärische 
dlung  hatten  oder  nicht;  in  Köln  z.  B.  sind  die  Chefärzte  der 
Festungslazarette  mit  einer  Ausnahme  Zivilärzte,  von  denen,  so- 
it  bekannt,  8  überhaupt  nie  gedient  haben.  In  anderen  Orten  hat 
n  zu  Reservelazaretten  in  erster  Linie  die  durch  Mittel  des  Roten 
auzes  usw.  adaptierten  Gebäude  benutzt,  Schulen,  Tanzlokale,  Bier- 
luereien,  Gewerkschaftshäuser  usw.,  und  zu  Chefärzten  lediglich 
aktivierte  Kollegen  herangezogen,  ohne  dass  chirurgische  oder  kran- 
[  maustechnische  Erfahrung  verlangt  .wurde,  während  die  zur  Ver- 
i  ung  stehenden  grossen  öffentlichen,  völlig  ausgestatteten  Kranken¬ 
der  geraume  Zeit  zahlreiche  bereitgestellte  Betten  leer  hatten;  zu 
:  ntgenuntersuchungen  müssen  die  Verwundeten  aus  ihrer  unvoll- 
nmenen  Unterkunft  in  das  Laboratorium  eines  solchen  Kranken¬ 
des  gefahren  und  dann  wieder  in  die  immer  einen  Notbehelf  dar¬ 
benden  Räume  von  Schulen  oder  anderen  Lokalen  zurückgebracht 
rden.  Es  sei  hier  nicht  erörtert,  welcher  Weg  am  meisten  dem 
|  streben  entspricht,  unsere  Verwundeten  auf  die  denkbar  beste 
:ise  wieder  zur  Heilung  und  Dienstfähigkeit  zu  bringen  und  sie 
Hh  dem  Grundsatz  zu  behandeln,  dass  für  sie,  die  ihr  Blut  für 
btschlands  Heil  dahingaben,  das  Beste  gerade  gut  genug  ist. 

Mit  erhebender  Freude  lässt  sich  allenthalben,  in  der  Front,  im 
matgebiet,  wie  in  der  Etappe,  in  Belgien  und  Frankreich,  in  grös- 
en  Städten  wie  Lüttich,  Brüssel,  Antwerpen,  St.  Quentin  sowohl 
auch  in  den  kleinsten  Plätzen,  bei  den  Stäben,  in  den  Schützen- 
'  ben,  in  den  Lazaretten  immer  wieder  wahrnehmen,  dass  wirklich 
unseren  Truppen  der  gute  Geist  lebt,  der  auf  dem  Bewusstsein 
gerechten  Sache,  der  gediegenen  Ausbildung  und  Ausrüstung 
zielbewussten  Führung,  wie  auch  der  trefflichen  Verpflegung 
1  Verwundetenfürsorge  beruht  und  ihnen  dadurch  die  Bereit- 
aft  zu  jedem  Opfer  und  den  sicheren  Willen  zum  Siege  ver- 

Mit  hochachtun'gsvollen  Empfehlungen  bin  ich 
Ihr  ergebenster 

Dr.  W.  W  e  y  g  a  n  d  t. 


Kleine  Mitteilungen. 

Die  Deutsche  Gesellschaft  zur  Bekämpfung  der  Geschlechts¬ 
krankheiten  hat  nachstehendes  Merkblatt  herausgegeben: 

Merkblatt  für  Soldaten. 

Jeder  Soldat  hat  die  heilige  Pflicht,  sich  für  sein  Vaterland 
gesund  zu  halten,  doppelt  und  dreifach  in  Kriegszeiten,  wo  an  seine 
Leistungsfähigkeit  die  grössten  Anforderungen  gestellt  werden. 

Durch  nichts  wird  Gesundheit  und  Leistungsfähigkeit  des  Sol- 
i  -p geschädigt  als  durch  die  Geschlechtskrankheiten:  Syphilis 
und  i  ripper.  Sie  verursachen  nicht  nur  grosse  Schmerzen,  sondern 
machen  den  Mann  auch  schlapp,  marsch-  und  kampfunfähig  —  ganz 
zu  schweigen  der  schweren  Gesundheitsschädigungen,  weiche  diese 
Kiankheiten  für  das  ganze  spätere  Leben  nach  sich  ziehen. 

Gesclilechtskrankheiten  holt  man  sich  bei  leichtsinnigen  Mäd¬ 
chen  und  brauen,  die  infolge  ihres  lockeren  Lebenswandels  fast  alle 
krank  sind  und  ihre  Krankheit  dann  wieder  auf  die  Männer,  mit 
denen  sie  verkehren,  übertragen.  Der  Soldat  muss  daher  besonders 
in  Kriegszeiten  sich  von  diesen  Mädchen  streng  fernhalten,  sowohl 
iin  Feindesland  als  auch  in  der  Heimat,  wo  er  in  Quartier  liegt. 

Er  muss  sich  besonders  vor  dem  Genuss  geistiger  Getränke 
Uchnaps,  Bier,  Wein)  in  acht  nehmen,  da  er  im  Rausch,  ja  schon 
in  leichter  Angetrunkenheit  leichter  der  Verführung  unterliegt.  Er 
muss,  soweit  das  irgend  möglich  ist,  nicht  nur  den  übrigen  Körper 
sondern  auch  die  Geschlechtsteile  peinlich  sauber  halten. 

Er  muss  während  der  ganzen  Dauer  des  Krieges  gesund  und 
frisch  bleiben  in  seinem  eigenen  Interesse  und  im  Interesse  des 
Vaterlandes,  das  für  den  Kampf  um  seine  Freiheit  die  ganze  Kraft 
eines  jeden  braucht. 

Wer  das  Unglück  hatte,  schon  vor  dem  Kriege  eine  Geschlechts- 
krankheit  zu  bekommen,  melde  jede  kleinste  Verschlimmerung  dem 
zuständigen  Arzt,  damit  nicht  durch  Vernachlässigung  ein  ernstes 
Leiden  entsteht. 


Tagesgeschichtliche  Notizen. 

München,  den  14.  November  1914.*) 

—  Auch  in  der  ablaufenden  Woche  haben  sich  entscheidende  Er¬ 
eignisse  auf  den  Kriegsschauplätzen  nicht  zugetragen.  Doch  ist  auf 
allen  Stellungen  im  Westen,  namentlich  in  Nordfrankreich  und  Flan¬ 
dern,  ein  langsames  aber  stetiges  Zurückdrängen  des  Gegners  fest¬ 
zustellen.  Die  Türkei  hat  bei  ihrem  Vorgehen  sowohl  im  Kaukasus 
wie  in  Aegypten  bereits  Erfolge  zu  verzeichnen.  Von  grosser  Bedeu¬ 
tung  ist  auch  der  immer  mehr  um  sich  greifende  Aufstand  der  Buren 
gegen  die  Herrschaft  der  Engländer  in  Südafrika.  Mit  schmerzlichen 
Gefühlen  verzeichnen  wir  die  Vernichtung  unserer  tapferen  „Emden“ 
durch  einen  australischen  Kreuzer,  nachdem  sie  3  Monate  lang  unsere 
Gegner  in  Atem  gehalten  und  ihren  Handel  schwer  geschädigt  hatte. 
Sie  hat  bis  zur  letzten  Stunde,  in  der  ihr  unvermeidliches  Geschick 
sich  erfüllte,  dem  deutschen  Namen  Ehre  gemacht. 

—  Die  zahlreichen  Fälle  von  Wundstarrkrampf,  die  in 
unseren  Kriegs-  und  Reservelazaretten  auftreten,  fördern  begreif¬ 
licherweise  auch  eine  Fülle  von  Veröffentlichungen  zutage,  die  von 
den  Bemühungen,  der  furchtbaren  Krankheit  Herr  zu  werden,  be¬ 
richten.  Den  früheren,  in  unserer  feldärztlichen  Beilage  erschienenen 
Mitteilungen  schliessen  sich  in  der  heutigen  Nummer  sechs  weitere 
Arbeiten  an.  Trotz  des  grossen,  jetzt  vorliegenden  Beobachtungs¬ 
materiales  können  die  wichtigsten  therapeutischen  Fragen  noch  nicht 
als  geklärt  betrachtet  werden;  vor  allem  nicht  die  Frage  der  Wir¬ 
kung  des  Heilserums.  Bei  ganz  schweren  Fällen  versagt  es;  aber 
auch  bei  weniger  schweren  Fällen  ist  seine  Wirkung  nicht  zuver¬ 
lässig,  wenngleich  nach  der  Statistik  von  K  r  e  u  t  e  r  eine  erhebliche 
Herabdrückung  der  Sterblichkeitsziffer  dadurch  erzielt  wird  Auch 
über  die  Wirkung  des  Magnes.  sulf.  bleiben  die  Ansichten  geteilt;  be¬ 
merkenswerte  Erfolge  damit  werden  ja  von  einigen  mitgeteilt.  Von 
anderen  symptomatisch  wirkenden  Mitteln  ist  Luminal  zu  erwähnen, 
dem  Vorzüge  vor  dem  meist  verwendeten  Chloral  nachgerühmt  wer- 
den.  E.  Müller  hat  mit  heissen  Bädern  ausserordentliche  Er¬ 
leichterung  für  die  Kranken  erzielt.  Auffallend  sind  die  von  Roth- 
r  u  c  h  s  berichteten  Fälle  von  Behandlung  mit  Salvarsan.  Wenngleich 
ihre  Zahl  zu  gering  ist,  um  beweisend  zu  sein,  sind  die  Ergebnisse 
in  seinen  Fällen  doch  so  günstige,  dass  sich  die  Nachprüfung  des 
Vorschlages  an  einem  grösseren  Krankeninaterial  jedenfalls  recht¬ 
fertigt. 

..  ,  ,7T  D,ie  Unzulänglichkeit  unserer  Feldpost,  die  sicher  haupt¬ 
sächlich  durch  uie  ins  Ungemessene  gestiegene  Benützung  durch  die 
Bevölkerung  bedingt  ist,  veranlasst  Herrn  Dr.  R.  S  c  h  ä  f  f  e  r  -  Berlin. 

Abschaffung  der  Portofreiheit  der  Sendungen  anzuregen.  Durch 
Einführung  eines  mässigen  Portos  (zum  mindesten  für  die  Briefe 
ins  reld)  würden  nicht  nur  die  Berge  von  Postsendungen  ver¬ 
ringert  und  ihre  Bewältigung  erleichtert  werden,  sondern  die  Sen¬ 
dungen  selbst  würden  höher  bewertet  werden.  Sch.  zieht  die 


*)  Die  heutige  Nummer  musste  wegen  eines  sächsischen  Buss¬ 
und  Bettages  mit  Rücksicht  auf  die  über  Leipzig  gehende  Auflage 
früher  fertiggestellt  werden. 


2268 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Parallele  mit  den  unentgeltlichen  ärztlichen  Leistungen,  die  uic 
(irundursache  der  kassenärztlichen  Klagen  seien,  und  die  den  Aerzte- 
tag  veranlassten,  eine  teilweise  Bezahlung  der  kassenärztlichen 
Leistungen  durch  den  Inanspruchnchmer  selbst  vorzuschlagen.  Die 
Anregung  Dr.  Sch.s  ist  sehr  beachtenswert.  Jeder  würde  gerne  ein 
geringes  Porto  bezahlen,  wenn  dadurch  die  Möglichkeit  rascherer 
und  sicherer  Beförderung  von  Sendungen  an  unsere  Angehörigen  ge¬ 
geben  würde. 

—  Die  Irrenanstalt  Friedrichsberg  in  Hamburg  be¬ 
geht  am  18.  XI.  14  den  Tag  ihres  50  jährigen  Bestehens.  Sie  wurde 
von  Ludwig  Meyer  gegründet  als  die  erste  deutsche  Anstalt  nach 
dem  Prinzip  zwangloser  Behandlung.  Zur  Zeit  ist  ein  durchgreifender 
Umbau  und  Reorganisation  der  Anstalt  im  Gange. 

Der  Verein  pfälzischer  Aerzte  beging  den  Gedenk¬ 
tag  seines  75  jährigen  Bestehens.  Von  einer  Feier  wurde  Abstand 
genommen. 

Demnächst  gelangt  zur  Ausgabe:  Taschenbuch  des 
Feldarztes,  11.  Teil.  Uebertragbare  Krankheiten  von  General¬ 
arzt  Prof.  Dr.  Dieudonne  und  Prof.  Dr.  Weich  har  dt.  Innere 
Krankheiten  von  Prof.  Dr.  S  i  1 1  m  a  n  n  und  Proff.  (iudden,  Spiel- 
m  ann,  Salzer,  Heuck.  Haslauer.  Das  Buch  bildet  gewisser- 
massen  die  Ergänzung  zu  Schönwerths  chirurgischem  Vademekum 
des  Feldarztes. 

Einen  bemerkenswerten  Bericht  über  seine  kriegschi¬ 
rurgischen  Erfahrungen  im  Balkankriege  gibt  Laurent- 
Brüssel  (La  Guerre  en  Bulgarie  et  en  Turquie,  Paris,  Maline  1914). 
Ausser  den  Abhandlungen  über  die  verschiedenen  Kapitel  der  Kriegs¬ 
chirurgie  gibt  der  Verf.  anregende  Schilderungen  von  den  allge¬ 
meinen  militärischen  und  gesundheitlichen  Verhältnissen  Bulgariens. 
Das  Buch  wird  in  der  jetzigen  Zeit  vielen  Kollegen  Anregung  und 
Förderung  bringen.  Kr. 

-  Der  25.  J  ahrg.  der  „T  herapeu  tischen  Leistungen“ 
von  Pollatschek  und  C  h  a  r  m  a  t  z  gibt  wie  seine  Vorgänger 
eine  gute  Uebersicht  über  alle  Fortschritte  der  Therapie  im  Jahre 
1913.  Die  bewährte  alphabetische  Anordnung  ermöglicht  eine  schnelle 
Auffindung  jeder  Heilmethode.  Erschienen  ist  der  Jahrgang  bei 
Josef  S  a  f  a  r,  Wien  und  Leipzig.  (Preis  5  Mark.) 

Aehnliches  ist  von  dem  Therapeutischen  Jahrbuch  von 
N  i  t  z  e  1  n  a  d  e  1  zu  sagen,  das  zum  24.  Male  erschienen  ist  (Leipzig 
und  Wien,  D  e  u  t  i  c  k  e  Preis  5  Mark.).  Ein  besonderer  Vorzug 
dieses  Jahrbuches  ist  eine  alphabetische  Uebersicht  über  die  neueren 
Arzneimittel  und  ein  besonderes  Kapitel  über  neuere  diagnostische 
Methoden  der  Blut-  und  Harnuntersuchung.  Kr. 

Cholera.  Oesterreich-Ungarn.  In  der  Woche  vom  18.  bis 
24.  Oktober  wurden  in  Oesterreich  413  Erkrankungen  (und  142  Todes¬ 
fälle)  festgestellt,  und  zwar  in  Niederösterreich  21  (7)  —  davon  in 
Wien  6  (2),  der  Gemeinde  Krems  15  (5)  — ,  in  Steiermark  in  1  Ge¬ 
meinde  1,  in  Kärnten  in  2  Gemeinden  4  (2),  in  Tirol  und  Vorarlberg  in 
2  Gemeinden  je  1,  in  Böhmen  in  3  Gemeinden  5  (2),  in  Mähren  in 
6  Gemeinden  15  (8),  in  Schlesien  in  4  Gemeinden  4  (4),  in  Galizien  in 
37  Gemeinden  361  (119)  —  davon  in  Krakau  2  (1).  Von  den  Erkrank¬ 
ten  in  Galizien  waren  130  Militärpersonen  und  231  Einheimische:  in 
den  anderen  Verwaltungsgebieten  handelte  es  sich  bei  40  Erkran¬ 
kungen  um  Militärpersonen,  die  vom  nördlichen  Kriegsschauplatz 
angelangt  waren,  hierunter  um  4  russische  Gefangene,  und  bei  6  um 
zugereiste  Ortsfremde  aus  Galizien.  Die  Bezirke  Lisko  und  Sanok  in 
Galizien  sind  unter  dem  30.  Oktober  für  choleraverseucht  erklärt 
worden.  In  Ungarn  wurden  in  derselben  Woche  344  Neuerkran¬ 
kungen  angezeigt,  davon  in  den  Städten  Arad  1,  Pest  15.  Debreczen  4, 
Klausenburg  4,  Miskolcz  1,  Grosswardein  1,  Szatmar-Nemeti  1,  Szege¬ 
din  1,  Stuhlweissenburg  1.  —  Straits  Settlements,  ln  Singapore  wur¬ 
den  vom  28.  Juni  bis  1.  August  44  Erkrankungen  und  39  Todesfälle 
gemeldet.  In  den  Vereinigten  Malayenstaaten  scheint  die  Seuche  in 
einigen  Bezirken  des  Staates  Perak  in  letzter  Zeit  besonders  heftig 
aufgetreten  zu  sein. 

-  Pest.  Niederländisch  Indien.  Vom  7.  bis  20.  Oktober  wur¬ 
den  737  Erkrankungen  (und  670  Todesfälle)  gemeldet.  Für  die  Zeit 
vom  23.  September  bis  6.  Oktober  wurden  nachträglich  aus  Soera- 
karta  und  aus  Magetan  noch  je  1  Todesfall  mitgeteilt.  —  Ecuador. 
In  Guayaquil  vom  1.  bis  31.  August  8  Erkrankungen  und  1  Todesfall. 

In  der  43.  Jahreswoche,  vom  25. — 31.  Oktober  1914,  hatten 
von  deutschen  Städten  über  40  000  Einwohner  die  grösste  Sterblich¬ 
keit  Brandenburg  mit  30,7,  die  geringste  Rüstringen  mit  4,0  Todes¬ 
fällen  pro  Jahr  und  1000  Einwohner.  Mehr  als  ein  Zehntel  aller 
Gestorbenen  starb  an  Scharlach  in  Recklinghausen  Land,  Zabrze, 
an  Masern  und  Röteln  in  Herne,  an  Diphtherie  und  Krupp  in  Bottrop, 
Gera,  Pforzheim.  Vöff.  Kais.  Ges.A. 

(Hochschul  nachrichte  n.) 

Breslau  Bis  zum  5.  November,  dem  letzten  Immatrikula¬ 
tionstermin,  betrug  die  Zahl  der  eingeschriebenen  Studierenden  2686 
(darunter  211  Damen);  744  (35  Damen)  gehören  der  medizinischen 
Fakultät  an;  hiervon  sind  99  (14  Damen)  seit  Beginn  des  Winter¬ 
semesters  neu  immatrikuliert  —  gegen  167  (6  Damen)  in  dem 
gleichen  Zeitraum  1913/14.  Die  Gesamtimmatrikulation  für  das 
Wintersemester  steht  um  etwa  die  Hälfte  gegen  das  Vorjahr  zu¬ 
rück  (290  gegen  539). 

Dresden.  Der  König  von  Sachsen  empfing  am  6.  XI.  14  den 

Augenarzt.  Stabsarzt  d.  R.  Dr.  E  n  z  m  a  n  n,  der  in  französische 

Gefangenschaft  geraten  war,  aber  durch  Vermittlung  des  Roten 
■ .  |  ■■  -  -  . —  ■  ■ 


Nr.  4( 


Kreuzes  über  Spanien  nach  Dresden  heimkehren  durfte,  in  Audien 
zum  Bericht  über  seine  Erlebnisse. 

Frankfurt  a.  M.  In  Abwesenheit  der  Institutsdirektore 
lesen :  Prosektor  Dr.  B  1  u  n  t  s  c  h  I  i  über  Anatomie,  Dr.  S  c  h  m  i  t 
iiner  Physiologie,  Prosektor  Dr.  E.  (ioldschmidt  über  pathi 
logische  Anatomie,  Dr.  Braun  über  Hygiene.  Die  Medizinische  Klini 
wird  in  Vertretung  von  Prof.  Schwenkenbecher  abwechsein 
von  (ieh.  Rat  Quincke  und  Prof.  v.  N  o  o  r  d  e  n  gehalten,  di 
Chirurgische  Klinik  in  Vertretung  von  Geh.  Rat  Rehn  von  Pro 
L  u  d  1  o  f  f.  Mit  dem  Abhalten  von  Vorlesungen  sind  ferner  beaul 
tragt:  Dr.  E.  Reiss:  Innere  Medizin,  Dr.  G.  Dreyfus:  Inner 
Medizin,  Dr.  Teichmann:  Protozoenkunde,  Dr.  Gon  der:  Protc 
zoenkunde,  sowie  die  Zahnärzte  Dr.  Schaeffer-Stucker 
Dr.  Autz  und  Dr.  Fritsch. 

Gi  es  sen.  Die  Privatdozenten  Dr.  Kurt  Berliner  (Ps\ 
chiatrie  und  Nervenkrankheiten),  Assistenzarzt  an  der  Klinik  fü 
psychische  und  nervöse  Krankheiten  und  Dr.  Arthur  Weber  (Inner 
Medizin)  wurden  zu  ausserordentlichen  Professoren  ernannt,  (hk 

Rostock.  Der  Assistenzarzt  der  Frauenklinik,  Dr.  Roben 
Schröder,  hat  sich  mit  einer  Probevorlesung  über  „Die  Sterilitü 
der  Frau“  für  das  Fach  der  Gynäkologie  habilitiert.  Seine  Habih 
tationsschrift  ist  betitelt:  Anatomische  Beiträge  zur  normalen  um 
pathologischen  Physiologie  des  Menstruationszyklus.  Sehr,  wurd 
gleichzeitig  Oberarzt  der  genannten  Klinik. 

Wien.  Im  landwehrärztlichen  Offizierskorps  wurden  ai 
Kriegsdauer  ernannt:  zu  Oberstabsärzten  I.  Klasse  Dr.  Alois  Lodt 
Professor  für  Hygiene  in  Innsbruck,  Dr.  Franz  Kabrhel,  Proiesso 
für  Hygiene  in  Prag,  Dr.  Alexander  Fraenkel,  Professor  fii 
Chirurgie  in  Wien,  Dr.  Julius  S  c  h  e  f  f,  Professor  für  Zahnheilkundi 
in  Wien;  zu  Oberstabsärzten  II.  Klasse:  Dr.  Roland  Grassbergei 
Professor  für  Hygiene,  Dr.  Otto  Zuckerkand  1,  Professor  fü 
Chirurgie,  Reg.-Rat  Dr.  H.  Schloss,  Direktor  der  niederösteri 
Landes-Irrenanstalt  „Am  Steinhof“,  sämtliche  in  Wien;  zu  Stab>- 
ärzten:  der  Privatdozent  für  Hygiene  in  Prag  Dr  Edmund  Wei 
und  der  Privatdozent  für  Augenheilkunde  in  Wien  Dr.  Leopoli 
Müller. 

(Todesfall.) 

Der  italienische  Hygieniker  Prof.  Angelo  Celli  in  Rom  is 
57  Jahre  alt,  gestorben.  Ein  Nachruf  wird  folgen. 


Ehrentafel. 

Fürs  Vaterland  starben: 

Alfred  Steinebrunner,  Unterarzt  im  20.  bayer.  Inf.-Reg. 
am  23.  September  bei  Peronne  (Schrapnellschuss). 

Oesterreich-Ungarn. 

Dr.  Ladislaus  v.  N  a  g  y,  Privatdozent  für  Anatomie  an  der 
Universität  Pest,  kgl.  ung.  Oberarzt  d.  R.,  am  2.  Oktober 
in  Usvece  (Serbien)  (Schrapnellschuss). 


Korrespondenz. 

Die  Entschädigung  kollegialer  Leistungen. 

Man  schreibt  uns: 

ln  der  oit  erörterten  und  nie  ganz  befriedigend  gelösten  Frage 
wie  ein  Arzt  dem  anderen  gegenüber  am  besten  seine  „Verpflichtung 
für  Behandlung  von  Familienangehörigen  erledigen  könne,  will  ic 
hier  nicht  kritisch  Stellung  nehmen.  Es  genügt  auf  die  Tatsach 
hinzuweisen,  dass  viele  niemals  dazu  zu  bringen  wären,  dem  Kollege 
eine  Rechnung  zu  schicken,  und  dass  dieser  sich  doch  irgendwi 
erkenntlich  zeigen  möchte.  So  kommt  es  zur  Uebersendung  eine 
Weihnachtsgeschenkes,  dessen  Auswahl  den  Spender  meist  viel  Kopi 
zerbrechen  und  oft  verhältnismässig  viel  Geld  kostet,  und  das  dei 
Beschenkten  nicht  selten  mehr  Verlegenheit  als  Freude  bereitet.  We 
in  diesem  Jahre  daran  denken  möchte,  jenem  „Drang  zu  schenken 
nachzugehen,  kann  einen  einfachen  und  nützlichen  Ausweg  findet 
Er  übersende  eine  Geldsumme  zur  freien  Verfügung  des  Empfänger' 
aber  mit  der  Bitte,  sie  für  „Kriegszwecke“  zu  verwenden,  d.  h.  si 
einer  Unterstützungskasse  für  notleidende  Arztangehörige  oder  dei 
Roten  Kreuz  usw.  zugehen  zu  lassen.  Selbst  wenn  die  Spende  i 
Anbetracht  der  Zeit  noch  so  bescheiden  ausfällt,  wird  sie  dem  Bc 
schenkten  eine  grössere  Befriedigung  gewähren  als  ein  kunstge 
werblicher  Gegenstand  oder  als  eine  Kiste  Wein  —  was  die  Haupt 
sache  ist  —  sie  kommt  solchen  zu  gute,  die  sie  brauchen  können 

Prof.  B. 


Aerzte  gesucht. 

Jüngere,  in  Chirurgie  etwas  vorgebildete  Aerzte  können  Ver 
wendung  in  auswärtigen  Lazaretten  finden.  Näheres  durch  die  Re 
daktion  dieser  Wochenschrift. 


Verlag  von  J.  F.  Lebmann  in  München  S.W.  2,  Paul  Heysestr.  26.  —  Druck  von  E.  Mühlthaler’s  Buch-  und  Kunstdruckerei  A.Q.,  München. 


Zusendungen  sind  zu  richten 

Für  die  Schriftleitung:  Armmstr.26  (Sprechstunden  85^  —  1  Uhr). 
Für  Bezuir:  an  (.  F.  Lchmann’s  Verlag,  Paul  Heysestrasse  26 
Für  Anzeigen  und  Beilagen:  an  Rudolf  Mosse,  Theatinerstrasse  8. 

Medizinische  Wochenschrift. 

ORGAN  FÜR  AMTLICHE  UND  PRAKTISCHE  ÄRZTE. 


Preis  der  einzelnen  Nummer  80  ■$,. 
•  .  •  und  Ausland  siehe  unten 
Inseratenschluss  i 


Bezugspreis  in  Deutschland 
unter  Bezugsbedingungen.  •  •  • 
Donnerstag  einer  Jeden  Woche. 


MÜNCHENER 


Nr.  47.  24.  November  1914.  Schriftleitung:  Dr.  B.  Spatz,  Arnulfstrasse  26. 

B   Verlag:  J.  F.  Lehmann,  Paul  Heysestrasse  26. 


61.  Jahrgang. 


Der  Verlag  behält  sich  das  ausschliessliche  Recht  der  Vervielfältigung  und  Verbreitung  der  in  dieser  Zeitschrift  zum  Abdruck  gelangenden  Originalbeiträge  vor. 


Originalien. 

Ueber  erfolgreiche  Behandlung  des  Tic  convulsif  durch 

Chlorkalzium. 

Von  Rudolf  Emmerich  und  Oskar  Loew. 

E.  Ringer  hat  zuerst  den  bedeutenden  Einfluss  der 
Kalziumsalze  auf  die  Herztätigkeit  und  die  Erregbarkeit  der 
Herznerven  festgestellt.  J.  L  o  e  b  zeigte  späterhin,  dass 
Kalziumsalze  im  Nerven  einen  Zustand  verminderter,  und 
Kalzium  fällende  Salze  einen  Zustand  erhöhter  Erregbarkeit 
hervorrufen  i). 

S  a  b  b  a  t  a  n  i  ■)  hat  diese  Resultate  durch  Tierversuche  be¬ 
stätigt:  Kalksalzlösungen  auf  die  motorischen  Felder  eines  bloss¬ 
geiegten  Hundegehirns  appliziert,  hatten  eine  Herabsetzung  der  elek¬ 
trischen  Erregbarkeit,  die  Applikation  kalkbindender  Salzlösungen 
eine  Steigerung  derselben,  im  weiteren  Verlauf  allgemeine  Krämpfe 
zur  Folge. 

Bei  der  Steigerung  der  Erregbarkeit  der  Nerven  durch  Kalk¬ 
entziehung  handelt  es  sich  um  eine  Wirkung,  welche  die  verschie¬ 
densten  Nerven  betreffen  kann.  So  konnte  Otto  Loewi3)  nach- 
\v eisen,  dass  die  Erregbarkeit  des  Herzvagus  für  elektrische  Reizung 
durch  geringgradige  Kalziumentziehung  vermittels  kleiner  Oxalat- 
mengen  beim  Warmblüter  beträchtlich  und  auf  lange  Zeit  gesteigert 
wird. 

_ Während  F.  Silvestri4)  durch  Versuche  einen  direkten  Anta¬ 
gonismus  zwischen  Kalksalzen  und  den  verschiedenartigen  krampf¬ 
erregenden  Substanzen  feststellen  konnte,  haben  Meitzer  und 
Auer  gezeigt,  dass  die  gestörte  Leitfähigkeit  der  Nerven  durch 
Kalksalze  günstig  beeinflusst  wird,  insbesondere  kann,  wenn  die  Leit¬ 
fähigkeit  der  Nerven  durch  Magnesiasalze  gestört  wird,  durch  Ringer¬ 
lösung  infolge  ihres  Kalziumgehaltes  die  Leitfähigkeit  wieder  herge¬ 
stellt  werden.  In  ähnlichem  Sinne  äussert  sich  auch  Lauder  Brun¬ 
ton:  „Ich  habe  bei  einem  Falle  von  Tremor,  welcher  bei  Beginn 
allgemeiner  Paralyse  auftrat,  Kalksalze  verordnet  in  der  Voraus¬ 
setzung,  dass  die  Schnelligkeit  der  von  den  Nerven  ausgehenden 
Reize  eine  Störung  erlitten  hat  und  in  der  Tat  war  der  Tremor  auf 
Monate  verschwunden.“ 

Nach  Netter5)  u.  a.  werden  Fälle  von  Kindertetanie  durch 
Kalksaize  günstig  beeinflusst  und  andererseits  wurde  behauptet,  dass 
durch  Exstirpation  der  für  den  Kalkstoffwechsel  als  wichtig  an¬ 
gesehenen  Epithelkörperchen  Tetanie  erzeugt  werden  kann.  Die 
Erforschung  der  Funktion  der  Epithelkörperchen  dürfte  das  Dunkel, 
in  welches  der  Kalkstoffwechsel  und  die  Wirkungsweise  des  Kalziums 
noch  gehüllt  ist,  zum  Teil  aufhellen.  Vor  kurzem  hat  in  dieser  Be¬ 
ziehung  Marie  Pachon6)  die  interessante  Beobachtung  mitgeteilt, 
dass  Verbitterung  von  15  cg  Schilddrüsensubstanz  an  Kaninchen  die 
Kalkausscheidung  pro  Kilo  und  Woche  von  0,007  g  CaO  auf  0,228  g 
und  Verbitterung  von  30  cg  Schilddrüse  auf  0,662  g  CaO  pro  Kilo 
und  Woche  steigert  und  dass  die  Tiere  im  ersteren  Falle  nach  7—17, 
im  letzteren  nach  5  Tagen  starben 7). 

Blühdorn-  Göttingen  hat  bei  Spasmophilie  und  anderen 
Krampfformen  durch  Chlorkalzium  schöne  Erfolge  gesehen.  Aelin- 
liche  Resultate  erzielte  L.  F.  Meyer  bei  Laryngospasmus  durch 
Calcium  brematum. 

Nachdem  also  in  so  evidenter  Weise  die  normale  Funktion 
der  Nerven  und  Muskeln  von  dem  normalen  Ablauf  des  Kalk¬ 
stoffwechsels  abhängt,  nachdem  weiterhin  O  u  e  s  t  durch  kalk- 


)  Siehe  die  Literatur  bei  Dr.  Jerome  S.  Leopold  und 
A.  v  Reuss:  Ueber  die  Beziehung  der  Epithelkörperchen  zum  Kalk¬ 
bestand  des  Organismus.  W.kl.W.  1908  S.  1243. 

•)  Riv.  sperim.  di  freniatria  1901. 

;‘)  Arch.  f.  exper.  Path.  u.  Pharm.  70.  S.  323. 

*)  Oaz.  degli  osped.  e  dellc  clin  1911. 

')  Soc.  de  Biol.  1907,  März. 

°)  B.kl.W.  1913  Nr.  23. 

7)  Vielleicht  ergibt  sich  hieraus  auch  ein  Fingerzeig  zur  Er¬ 
klärung  des  merkwürdigen  heilenden  Einflusses  von  Kalksalzen  bei 

Jodismus 

Nr.  47. 


arme  Diät  den  Zustand  der  elektrischen  Uebererregbarkeit  des 
peripheren  Nervensystems  beliebig  hervorrufen  konnte  und 
da  endlich  Fälle  von  gesteigerter  Erregbarkeit  gewisser  Nerven 
erfolgreich  mit  Kalziumsalzen  behandelt  wurden,  so  wird 

der  Arztbeiallen  Krampfform  enanStörungen 
des  Kalkstoffwechsels  bzw.  an  eine  Unter¬ 
bilanz  denken  und  sich  über  die  Kalkein  -  und 
-ausfuhr  Klarheit  verschaffen  müssen.  Wie 
richtig  dieser  Grundsatz  ist,  zeigen  die  beiden  folgenden  Fälle 
von  Tic  convulsif. 

Der  erste  Fall  betrifft  einen  49  Jahre  alten  Schlossermeister 
B.  T.  aus  München.  Derselbe  gab  an,  schon  vor  20  Jahren  ganz 
leichte  Krämpfe  der  Nackenmuskulatur  gehabt  zu  haben,  die  im 
Laufe  der  letzten  10  Jahre  viel  heftiger  wurden.  Es  handelt  sich 
hauptsächlich  um  klonische  Krämpfe  des  M.  cucullaris,  des  Splenicus, 
Sternoldeidomastoideus  und  des  M.  obliquus  capitis  superior  et  in¬ 
ferior  der  rechten  Seite,  sowie  um  solche  der  Beuger  des  rechten 
Vorderarmes  und  der  Finger  der  rechten  Hand;  erstere  bewirken 
ein  Seitwärtsdrehen  des  Kopfes;  infolgedessen  glaubt  man,  der  Patient 
sehe  sich  nach  einer  neben  ihm  sitzenden  Person  um,  so  dass  ihm 
von  solchen  schon  der  Vorwurf  gemacht  wurde,  dass  er  gar  so 
neugierig  sei,  weil  er  sich  beständig  nach  ihnen  umsehe. 

Wir  hatten  den  Patienten  schon  vor  12  Jahren  als  einen  kräf¬ 
tigen,  gesunden  Arbeiter  kennen  gelernt.  Es  fiel  uns  daher  auf,  als 
wir  ihn  im  vorigen  Sommer  in  sehr  schlechtem  Gesundheitszustand 
zufällig  wieder  trafen.  Er  war  blass,  ziemlich  stark  abgemagert  und 
litt  an  heftigen  Krämjifen  der  Muskulatur  des  Nackens  und  des 
rechten  Armes. 

Im  April  1913  beobachteten  wir  bei  B.  T.  39  Seitwärtsdrehungen 
des  Kopfes  in  der  Minute  und  5  Wochen  später  sogar  45  Kopf¬ 
drehungen  in  der  Minute.  Er  teilte  uns  mit,  dass  er  an  ausser¬ 
ordentlich  grosser  Müdigkeit  und  Schwäche  leide,  so  dass  er  die 
Schlosserei  bald  aufgeben  müsse.  Nachts  seien  die  Krämpfe  oft  so 
heftig,  dass  Kopf  und  Schultern  in  die  Höhe  geschnellt  werden.  Bei 
näherer  Untersuchung  ergab  sich  eine  starke  Hypertrophie  des 
M.  cucullaris  dextr.,  der  als  dicker  Längswillst  den  Nacken  herab¬ 
zieht,  während  der  gleichnamige  Muskel  der  linken  Seite  kaum  zu 
sehen  und  zu  fühlen  ist,  so  dass  es  sich  bei  diesem  vielleicht  um 
einen  gewissen  Grad  von  Atrophie  handelt.  Auch  der  Sternokleido- 
mastoideus  dexter  ist  viel  kräftiger  entwickelt  als  der  sinister.  Anam¬ 
nestisch  wurde  ermittelt,  dass  auch  der  Bruder  des  B.  im  30.  Lebens¬ 
jahre  an  gleichen,  aber  viel  leichteren  Muskelkrämpfen  litt  und  bald 
starb. 

Unsere  an  den  Patienten  gestellte  Frage,  ob  er  sich  seit  langem 
hauptsächlich  nur  mit  Fleisch  ernährt  habe,  überraschte  ihn  umso 
mehr,  als  wir  seine  Ernährungsweise  erraten  hatten.  Er  versicherte 
uns,  dass  er  nur  sehr  selten  Gemüse  und  Gbst  und  nie¬ 
mals  Milch  genossen  habe  und  lieferte  uns  die  folgende  Ueber- 
sicht  über  seine  durchschnittliche  tägliche  Ernährung,  welcher  wir 
noch  die  durchschnittlichen  Werte  der  Kalk-  und  Magnesiagehalte 
beifügen. 


Zeit  der  Nahrungs¬ 
aufnahme 

Speisen  und  Getränke 

Kalkgehalt 

Magnesiagehalt 

7  Uhr  früh 

200  ccm  Thee 

1  Ei 

0,030 

0,073 

0,012 

0,014 

10  Uhr  vormittags 

70  g  Wurst  oder  Fleisch 

60  g  Brot 

0,5  Liter  Bier 

0,024 

0,021 

0,040 

0,033 

0.035 

0,091 

12  Uhr  mittags 

250  ccm  Suppe 

200  g  Fleisch 

200  g  Kartoffel 

30  g  Brot 

0,5  Liter  Bier 

0,037 

0,063 

0,074 

0.010 

0,040 

0,014 

0,074 

0,159 

0,017 

0,091 

4  Uhr  nachmittags 

0,75  Liter  Bier 

30  g  Brot 

0,060 

0,010 

0,136 

0,017 

7  Uhr  abends 

200  ccm  Suppe 

150  g  Fleisch 

200  g  Kartoffel 

30  g  Brot 
!,0  Liter  Bier 

0,030 

0,045 

0,074 

0,010 

0,080 

0.012 

0,052 

0,159 

0,017 

0,180 

Summa 

0,721 

1,113 

1 

I 


2270 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  47. 


Die  Nahrungsaufnahme  war  also  sehr  bedeutend  und  doch  er¬ 
reichte  der  Kalkgehalt  derselben  pro  Tag  noch  nicht  drei  Viertel 
eines  Gramms 8). 

Dadurch,  dass  der  geringe  Kalkgehalt  sich  auf  so  viel  Nahrung 
verteilte,  also  so  sehr  verdünnt  dem  Körper  dargeboten  wurde  und 
andererseits  der  Magnesiagehalt  weit  höher  war  als  der  Kalkgehalt, 
waren  Kalkaufnahme  und  Kalkretention  sehr  ungünstig  beeinflusst9). 

Mit  Einschluss  des  beträchtlichen  Quantums  Bier  betrug  die 
Nahrungsaufnahme  pro  Tag  volle  4370  g.  Von  kalkreicheren  Nah¬ 
rungsmitteln  wurden  Gemüse,  wie  erwähnt,  nur  selten  verzehrt. 
Es  war  daher  unsere  Ansicht,  dass  jene  Krankheit  durch  Kalkmangel 
sehr  begünstigt  wurde,  sicherlich  berechtigt  und  es  erschien  deshalb 
selbstverständlich,  dass  wir  versuchten,  die  heftigen  und  zahlreichen 
klonischen  Krämpfe  sowie  die  grosse  Müdigkeit  und  Schwäche  durch 
Verabreichung  von  Chlorkalzium  günstig  zu  beeinflussen.  Von  An¬ 
fang  Mai  1913  an  erhielt  Patient  dreimal  täglich  einen  Kaffeelöffel 
voll  der  Lösung: 

Chlorcalcium  cryst.  pur.  100 

Aqua  destillata  500. 

Ausserdem  empfahlen  wir  ihm,  reichlich  Gemüse  und  frisches 
oder  gekochtes  Obst  zu  verzehren10). 

Am  15.  September  1913  zählten  wir  nur  noch  8  und  einige  Tage 
später  nur  7  maliges  Drehen  des  Kopfes  nach  rechts  in  1  Minute. 
Pat.  war  überaus  glücklich  über  den  Erfolg  und  erklärte,  dass  er 
sich  wieder  so  kräftig  fühle,  dass  er  nicht  mehr  daran  denke,  die 
Schlosserei  aufzugeben. 

Am  6.  Dezember  zählten  wir  nur  noch  3  Krämpfe  in  der  Minute 
und  besonders  auffallend  war  nun  die  rasche  Besserung  von  Mitte 
Dezember  ab.  da  am  25.  Dezember  auf  2  Minuten  nur  noch  1  Krampf 
gezählt  wurde.  Im  Januar  hörten  die  Krämpfe  ganz  auf;  nur  wenn 
Patient  schwere  Arbeiten  ausführte  oder  in  lebhafte  Diskussion  ver¬ 
wickelt  wurde  oder  andere  Erregungen,  namentlich  auch  durch 
Alkohol  stattfanden,  wurde  ab  und  zu  im  Verlaufe  von  Minuten  noch 
eine  Seitwärtsbewegung  des  Kopfes  beobachtet.  Die  Müdigkeit  war 
ganz  verschwunden,  das  Aufhören  derselben  fiel  mit  dem  Aufhören 
der  Krämpfe  zusammen. 

Nachdem  wir  diesen  Fall  von  Tic  convulsif  mit  so  durchschlagen¬ 
dem  Erfolge  durch  Chlorkalziumzufuhr  behandelt  hatten,  wendeten 
wir  dieselbe  auch  in  dem  folgenden  Falle  an: 

Briefträger  E.  B.  aus  München  litt  an  einem  häufigen  und  meist 
stundenlangen  Schütteln  des  Kopfes,  ähnlich  wie  es  bei  Paralysis 
agitans  bekannt  ist  und  welches  durch  Krämpfe  des  Obliquus  inferior 
verursacht  wird  (Tic  rotatoire).  Anamnestisch  ist  nichts  über  ähn¬ 
liche  Erkrankungen  in  der  Familie  dieses  Patienten  zu  ermitteln  ge¬ 
wesen.  Von  anfangs  Februar  1914  an  nahm  er  auf  unseren  Rat 
die  schon  oben  erwähnte  Kalziumlösung  in  vorgeschriebener  Weise. 
Das  Kopfschütteln  nahm  nach  mehreren  Monaten  ab  und  im  Juni  war 
es  nur  noch  gelegentlich  in  sehr  geringem  Masse  zu  beobachten.  Bei 
übermässigem  Biergenuss  nahm  es  vorübergehend  wieder  zu.  An¬ 
fangs  Juli  1914  hat  B.  keine  Krämpfe  mehr,  fühlt  sich  viel  kräftiger 
als  früher  und  ist  glücklich,  das  lästige  Leiden  los  zu  sein. 

Die  Krämpfe,  welche  sich  in  den  Hals-  und  Nackenmuskeln 
abspielen,  gehören  nach  Prof.  Oppenheim11)  „wegen  ihrer 
Hartnäckigkeit  und  ihres  schädigenden  Einflusses  auf  das  Ge¬ 
samtbefinden  zu  den  schwersten  Krampfformen“. 

Der  erste  der  von  uns  beschriebenen  Fälle  war  aber  be¬ 
sonders  schwer  und  er  würde  bei  seiner  raschen  Progredienz 
und  bei  der  zunehmenden  Schwäche  und  der  raschen  und  be¬ 
trächtlichen  Verschlechterung  des  Ernährungszustandes  wahr¬ 
scheinlich  bald  zum  Tode  geführt  haben.  Wenn  trotzdem  das 
Chlorkalzium  in  beiden  Fällen  bei  monatelanger  Verabreichung 
eine  evidente  Heilwirkung  entfaltet  hat,  so  beweist  auch  dies, 
dass  man  bei  der  Aetiologie  der  Krankheit  des  Tic  convulsif  und 
der  Myoklotüe  an  Anomalien  des  Kalkstoffwechsels  zu  denken 
berechtigt  ist,  zumal  ja  auch  als  begünstigendes  Moment  für 
die  Entstehung  der  infantilen  Form  die  Rachitis  angesehen 
wird.  Mit  der  von  Oskar  L  o  e  w  entdeckten  grundlegenden 
Tatsache,  dass  vom  Kalkgehalt  des  Zellkernes  die  normale 
Funktion  der  Zelle  abhängt,  steht  die  Beobachtung  und  An¬ 
sicht  im  Einklang,  „dass  dem  Tic  convulsif  kein  grob  anatomi¬ 
sches  Substrat  zugrunde  liegt,  dass  es  vielmehr  feinere  (mole¬ 


8)  Was  den  Kalkgehalt  des  Tees  und  der  Suppe  betrifft,  so  wurde 
derjenige  des  relativ  kalkreichen  Münchener  Leitungswassers  zu¬ 
grunde  gelegt.  Für  Fleisch,  Kartoffel  und  Brot  dienten  die  Mittel¬ 
zahlen  aus  Koenigs  Tabellen. 

9)  Kochmann  fand,  dass  bei  vermehrter  Nahrung  auch  eine 
höhere  Kalkzufuhr  nötig  wird.  Wahrscheinlich  weil  mehr  durch  die 
Fäzes  verloren  geht. 

in)  Siehe  auch  unsere  Ausführungen  in  Zschr.  f.  Hyg.  u.  Infek¬ 
tionskrankheiten  77.  S.  316 

")  Lehrbuch  der  Nervenkrankheiten,  Berlin  1912,  Verlag  von 
K  a  r  g  u  r,  S.  1070. 

'-)  Ci.  Prof.  Dr.  H.  Oppenheim:  Ibidem  S.  1071  und  1063. 


kulare?)  Veränderungen  im  Kern  der  Rindenzellen  bzw.  in  den 
kinästhetischen  Zentren  für  die  Halsmuskulatur  sind,  die  sich 
in  einem  Zustand  ererbter  oder  angeborener  ,Labilitätl  be¬ 
finden  und  den  Reizzustand  unterhalten,  welcher  sich  durch 
die  Krampfbewegungen  dokumentiert“. 


Aus  der  k.  k.  deutschen  dermatologischen  Klinik  in  Prag 
(Vorstand :  Prof.  Dr.  K.  K  r  e  i  b  i  c  h). 

Komplementbindung  bei  Variola. 

Von  Dr.  Alfred  Klein,  Abteilungsassistenten, 

*  Es  ist  erstaunlich,  wie  spärlich  die  Arbeiten  sind,  die  sich 
mit  dem  Nachweis  von  Antikörpern  bei  Variola  vermittels  der 
Komplementbindung  befassen,  wenn  man  bedenkt,  dass  diese 
Reaktion  bereits  im  Jahre  1901  angegeben  worden  ist  und 
bald  darauf  (1906)  durch  die  Wassermannsche  Reaktion 
eine  hohe  Bedeutung  erlangt  hat.  Eine  Erklärung  für  diese 
auffallende  Tatsache  kann  man  vielleicht  darin  finden,  dass 
die  Ansicht,  die  Immunität  bei  Variola  sei  eine  histogene,  in 
den  letzten  Jahren  immer  mehr  an  Boden  gewonnen  hat,  so 
dass  sie  heute  als  gesichert  gelten  kann  und  dass  infolgedessen 
Forschungen  nach  komplementbindenden  Stoffen  im  Serum 
von  Variolakranken  als  überflüssig  und  aussichtslos  erscheinen 
konnten. 

In  den  Lehr-  und  Handbüchern  habe  ich  nur  unsichere 
und  schwankende  Angaben  gefunden:  So  heisst  es  z.  B.  in 
Kolle-Hetsch  „Die  experimentelle  Bakteriologie  und  die 
Infektionskrankheiten“  1911  mit  bezug  auf  etwaige  Antikörper 
bei  Variola  wörtlich:  „Die  Methode  der  Komplementveranke¬ 
rung  nach  Bordet  und  G  e  n  g  o  u  führte  hier  nicht  zum 
Ziele“.  Im  Handbuch  der  pathogenen  Mikroorganismen  1913 
von  Kolle-Wassermann  lesen  wir:  „Zu  ganz  wider¬ 
sprechenden  Resultaten  führten  die  Untersuchungen  über  den 
Befund  von  komplementbindenden  Stoffen  bei  der  Variola¬ 
vakzine.“ 

Vielleicht  ist  die  vorliegende  Arbeit  geeignet,  diese  Ver¬ 
wirrung  einigermassen  zu  klären  und  dadurch  zu  neuen  Unter¬ 
suchungen  anzuregen.  Ich  beginne  mit  der  Darstellung 
meiner  eigenen  Untersuchungen  und  gelange  zusammen¬ 
fassend  zu  Schlussfolgerungen,  die  aus  der  kritischen  Sichtung 
früherer  Arbeiten  und  aus  den  Resultaten  der  eigenen  Ver¬ 
suche  sozusagen  von  selbst  sich  ergeben  sollen.  Mit  Absicht 
beschränke  ich  mich  dabei  strenge  auf  das  Gebiet  der  Variola 
und  werde  nicht  ermangeln,  an  geeigneter  Stelle  die  Gründe 
darzulegen,  die  mich  dazu  bewogen  haben. 

Am  12.  Mai  1914  wurde  nach  längerer  Zeit  ein  Fall  von  Variola 
ins  Prager  Krankenhaus  eingebracht,  dem  alsbald  4  weitere  Fälle 
folgten.  Diese  Erkrankungen  entbehrten  sowohl  ätiologisch  als  auch 
klinisch  nicht  eines  gewissen  Interesses  und  ich  verweise  diesbezüg¬ 
lich  auf  eine  Publikation,  die  demnächst  in  der  Prager  m.  Wschr. 
erscheinen  soll.  Hier  will  ich  nur  über  serologische  Studien  be¬ 
richten,  die  ich  an  4  Variolakranken  angestellt  habe.  Verfüge  ich 
auch  nur  über  4  Fälle,  so  sind  doch  die  Resultate  so  deutlich  und 
einwandfrei,  dass  ich  eine  Publikation  für  gerechtfertigt,  ja  für  ge¬ 
boten  halte.  Vorausschicken  muss  ich  noch,  dass  alle  Fälle  einen 
leichten,  zum  Teil  ganz  abortiven  Verlauf  nahmen,  so  dass  die  Pa¬ 
tienten  grösstenteils  bereits  rekonvaleszent  waren,  als  ich  meine 
Versuche  anstellen  konnte;  denn  es  soll  nicht  unerwähnt  bleiben, 
dass  ich  mannigfaltige  technische  Schwierigkeiten  zu  überwinden 
hatte,  bevor  ich  mit  Aussicht  auf  Erfolg  arbeiten  konnte.  _  _ 

Von  der  feststehenden  Tatsache  ausgehend,  dass  der  Pustelinhalt 
bei  Variola  infektiös  ist,  d.  h.  die  Erreger  der  Variola  enthält,  dachte 
ich  mir,  dass  derselbe  als  Antigen  verwendet  mit  etwaigen  im  Blute 
der  Pockenkranken  vorhandenen  Antikörpern  die  Komplementbindung 
geben  müsste.  Ich  bereitete  mir  also  das  Antigen  aus  dem  Pustel¬ 
inhalt  eines  Patienten,  der  zu  dieser  Zeit  allein  noch  Pusteln  in 
grösserer  Menge  aufwies.  Es  war  dies  am  8.  Tag  nach  Auftreten 
der  ersten  Krankheitssymptome,  am  5.  Tag  nach  Beginn  des  Pocken¬ 
exanthems,  die  Höhe  der  Suppuration  war  bereits  überschritten.  Ich 
ging  dabei  in  der  Weise  vor,  dass  ich  den  eitrig  getrübten  Inhalt  eini¬ 
ger  Pusteln  nach  Eröffnung  der  Blasendecke  mittels  einer  Schere 
oder  Lanzette  aufnahm  und  in  ungefähr  2  ccm  physiologischer  Koch¬ 
salzlösung  abspülte.  Die  grösseren  Eiter-  und  Gcwebsfetzen  wurden 
durch  Reiben  und  Quetschen  mit  einem  Glasstab  verkleinert,  so  dass 
eine  schwach  getrübte  Flüssigkeit  resultierte.  Ich  wählte  mit  Ab¬ 
sicht  eine  Suspension,  da  mir  ja  nicht  bekannt  war,  woran  das  be¬ 
sagte  Antigen  hafte. 

Der  erste  Versuch,  den  ich  mit  diesem  Antigen  und  dem  Blute 
des  ebenerwähnten,  gleichen  Patienten  anstellte,  um  in  grober  Weise 


!  November  1914.  MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2271 


I  KomplemcntbinduiiK  nachzuweisen,  hatte  ein  ermunterndes  Re¬ 
it:  ich  erhielt  vollständige  Hemmung  beim  Variolaserum  gegen- 
r  vollkommener  Lösung  beim  Normalserum. 

Ich  stellte  mir  dann  ein  zweites  Antigen  aus  Pockenkrusten  her, 
sich  derselbe  Patient  selbst  abgehoben  hatte.  Die  Krusten  füll¬ 
eben  die  Kuppe  einer  Lprouvette,  ich  fügte  2,5  ccm  physiologischer 
h Salzlösung  hinzu  und  erhielt  nach  Verreiben  mit  dem  Qlasstab 
milchig-getrübte  Suspension,  die  durch  die  Mazeration  in  den 
] sten  Tagen  noch  grössere  Qleichmässigkeit  erlangte  und  in 
das  supponiertc  wirksame  Agens  enthalten  sein  musste.  Ich 
te  nun  in  Parallelversuchen  vergleichend  die  beiden  Antigene  und 
;  cliloss  mich  für  das  aus  den  Krusten  bereitete.  Ob  diese  bessere 
ssamkeit  des  Krustenantigens  bloss  auf  einer  stärkeren  Konzen- 
on  beruhte,  ob  sie  durch  bessere  Haltbarkeit  des  Materials  oder 
h  sonst  einen  mir  unbekannten  Umstand  bedingt  war,  muss  ich 
:  itscliieden  lassen.  Es  ist  aber  von  Wichtigkeit,  festzustellcn, 
sich  mir  die  Krustensuspension  als  Antigen  bewährt  hat;  ich 
sendete  fortan  nur  dieses  Antigen  und  gab  0,1  ccm  pro  Röhr- 
.  Dabei  war  die  milchige  1  rübung  dieses  kleinen  Flüssigkeits- 
i  liums  für  die  Beurteilung  des  Versuchsergebnisses  in  keiner 
se  hinderlich. 

Als  Komplement  kam  bei  allen  Versuchen  5  proz.  Meerschwein¬ 
serum  in  Verwendung,  als  hämolytisches  System  eine  5  proz. 
chwemmung  von  Hammelblutkörperchen  in  physiologischer 
.  lsalzlösung  mit  Ambozeptor  in  der  2A  fachen  Menge  der  im 
ersuch  glatt  lösenden  Dosis. 

Mit  dem  inaktivierten  Serum  von  3  Variolakranken  (entnommen 
).  bis  14.  Tag  vom  Beginn  der  Erkrankung  gerechnet)  stellte  ich 
den  Komplementbindungsversuch  an  und  verwendete  als  Kon¬ 
en  2  normale  Sera  (WaR.  negativ)  und  2  Sera  von  Luetikern 
R.  +++).  Das  Ergebnis  war  folgendes: 

Variolaserum  K.  J.:  im  Antigenröhrchen  (0,1  Serum,  0,1  Antigen, 
n  Komplement,  1  ccm  häm.  Syst.)  komplette  Hemmung,  im  Kon- 
öhrchen  (0,2  Serum,  1  ccm  Komplement,  1  ccm  häm.  Syst.)  völl¬ 
ige  Lösung; 

Variolasermn  S.  A.:  im  Antigenröhrchen  komplette  Hemmung, 
i  ontrollröhrchen  vollständige  Lösung; 

Variolaserum  H.  A.:  im  Antigenröhrchen  komplette  Hemmung, 
i  .ontrollröhrchen  Hemmung,  jedoch  in  geringerem  Grade  als  im 
jenröhrchen. 

Die  Normalsera  und  die  Luessera  zeigten  hingegen  im  Antigen- 
:hen  wie  im  Kontrollröhrchen  vollständige  Lösung.  Ebenso  war 
;  tntigenkontrolle  vollkommen  gelöst.  Das  Versuchsergebnis  war 
ezug  auf  das  dritte  Variolaserum  H.  A.)  noch  deutlicher,  nach- 
die  Röhrchen  12  Stunden  im  Eisschrank  gestanden  waren:  die 
:enröhrchen  aller  Variolasera  zeigten  eine  farblose,  wasserhelle 
igkeit  über  der  Kuppe  ungelöster  Blutkörperchen,  in  den  Kon- 
öhrchen  war  die  Flüssigkeit  überall  rot  gefärbt,  in  dem  des 
ns  H.  A.  war  ausserdem  eine  Kuppe  ungelöster  Blutkörperchen. 

:  nkt  man  aber,  dass  im  Kontrollröhrchen  die  doppelte  Dosis  des 
eigenhemmenden  Serums  sich  befand,  so  ist  der  positive  Aus¬ 
ter  Reaktion  auch  im  Falle  H.  A.  ganz  evident.  Indessen  will 
deich  hier  erwähnen,  dass  diese  Auffassung  vollkommen  ge- 
rt  war,  als  kurz  hernach  in  einem  zweiten  Versuche  das  Serum 
leichen  Patienten  im  Antigenröhrchen  hemmte  und  im  Kontroll- 
1  hen  vollkommene  Lösung  zeigte. 

dieser  zweite  Versuch  wurde  mit  3  Variolaseren  vorgenommen, 
urden  2  Patienten  nochmals  untersucht  (S.  A.  und  H.  A.).  der 
•  K.  F.,  erstmalig.  Die  Sera  waren  entnommen  am  18.  bis 
ag  vom  Beginn  der  Erkrankung  gerechnet;  als  Kontrollen  dien¬ 
ern  normales  Serum  (WaR.  negativ)  und  ein  Luesserum 

R.  H — f — (-). 

das  Variolaserum  S.  A.  und,  wie  schon  oben  erwähnt,  das 
laserum  H.  A.  zeigten  komplette  Hemmung  (+++)  in  den  Anti- 
’hrchen  gegenüber  vollkommener  Lösung  in  den  Kontrollröhr- 
das  Variolaserum  K.  F.  schwache  (+),  aber  ganz  deutliche 
nung  gegenüber  vollkommener  Lösung  im  Kontrollröhrchen. 
ales  Serum  und  Luesserum  hatten  in  allen  4  Röhrchen  völl¬ 
ig  gelöst,  ebenso  wie  die  Antigenkontrolle. 

Ule  4  Sera  wurden  sodann  mit  dem  Antigen,  das  wir  zur  An- 
ng  der  W  a  s  s  e  r  m  a  n  n  sehen  Reaktion  benützen,  auf  Komple- 
ündung  untersucht  und  zeigten  vollkommene  Hämolyse,  d.  h. 
iven  Ausfall  der  W  a  s  s  e  r  m  a  n  n  sehen  Reaktion. 

<Var  somit  die  Beweiskette  geschlossen,  dass  es  sich  nicht 
:  um  eine  Wassermann  sehe  Reaktion  handle,  wie  sie 
Scharlach  und  anderen  Infektionskrankheiten  öfters  be¬ 
itet  wird,  indem  Luessera  mit  Variolaantigen  einerseits, 
>lasera  mit  Wassermannantigen  andererseits  keine  Korn- 
-■ntbindung  bewirkten,  so  lag  das  weiteren  die  Vermutung 
dass  hier  im  Gegensatz  zur  Wassermannreaktion  die 
ilementbindungsreaktion  für  Variola  spezifisch  sei.  Einer 
•fung  meines  Chefs,  Herrn  Prof.  K  r  e  i  b  i  s  c  h,  folgend, 

?  ich  mir  analog  dem  Variolaantigen  eine  Suspension  von 
Itigokrusten  her,  verwendete  diese  Suspension  als  Antigen 
durfte  wohl  annehmen,  dass  dabei  bis  auf  die  supponierten 
‘ fischen  Substanzen  ähnliche  Stoffe  in  Betracht  kamen. 


Das  Resultat  der  Komplementbindungsreaktion  mit  Variola¬ 
seren  und  diesem  Antigen  war  ein  völlig  negatives,  indem 
prompt  überall  vollständige  Hämolyse  eintrat.  Dadurch  wurde 
natürlich  meine  Ansicht  von  der  Spezifität  der  Reaktion  er¬ 
heblich  gestützt. 

In  letzter  Stunde  stellte  ich  schliesslich  auf  Anraten  des 
Herrn  Dozenten  Dr.  Weil  (hygien.  Institut)  noch  einen  Ver¬ 
such  an,  der  geeignet  erscheint,  auf  die  Natur  des  wirksamen 
Antigens  ein  Licht  zu  werfen.  Da  das  Variolaantigen  nur 
mehr  in  geringer  Menge  vorhanden  war,  verdünnte  ich  es 
zehnfach  und  beliess  die  Hälfte  dieser  verdünnten  Lösung  in 
einer  Eprouvette  durch  10  Minuten  im  kochenden  Wasser. 
Dann  wurde  der  Komplementbindungsversuch  mit  unver¬ 
ändertem  und  erhitztem  Antigen  (in  zehnfacher  Dosis)  auf¬ 
gestellt  und  zwar  mit  einem  Variola-  und  einem  Luesserum 
(WaR.  +++).  Und  es  zeigte  sich,  dass  das  erhitzte  Antigen 
seine  Wirksamkeit  vollkommen  eingebüsst  hatte  gegenüber 
dem  unveränderten  Antigen,  das  abermals  mit  dem  Variola¬ 
serum  komplette  Hemmung,  mit  Luesserum  vollständige  Lö¬ 
sung  gab.  Nun  hat  Weil  nachgewiesen,  dass  Bakterienanti¬ 
gene  kochbeständig  sind,  seine  Befunde  wurden  von  Pfeiler 
und  W  eber  bestätigt.  Demnach  war  der  Schluss  berechtigt, 
dass  das  hier  wirksame  Antigen  kein  Bakterienantigen  sei. 

Es  ergab  sich  aus  meinen  eigenen  Versuchen,  dass  kom¬ 
plementbindende  Stoffe  bei  Variola  vorhanden  sind,  dass  die 
Reaktion  im  Gegensatz  zur  Serumreaktion  bei  Syphilis  spe¬ 
zifischen  Charakter  habe,  d,  h.  dass  es  sich  offenbar  um  echte 
Erregerantigene  handle,  die  mit  den  ihnen  entsprechenden 
spezifischen  Antikörpern  Komplementbindung  bewirken.  Dazu 
stimmte  sehr  gut  die  Feststellung,  dass  das  Antigen  nicht 
bakterieller  Natur  sei.  Denn  bekanntlich  sucht  man  den  noch 
nicht  mit  Sicherheit  festgestellten  Erreger  allgemein  nicht 
unter  den  Bakterien,  sondern  unter  den  Protozoen.  Es  scheint, 
dass  sich  hier  wieder,  einmal  die  prinzipielle  Verschiedenheit 
von  Bakterien  und  Protozoen  dokumentiert. 

Bei  Durchsicht  der  in  der  Literatur  vorliegenden  Ar¬ 
beiten  fällt  es  auf,  mit  welch  verschiedenem  Material 
die  Autoren,  die  grossenteils  unabhängig  von  einander 
arbeiteten,  die  aufgeworfene  Frage  nach  der  Komplement¬ 
bindung  bei  Variola  zu  lösen  versuchten*).  Vor  allem  ver¬ 
wendeten  sie  verschiedene  Antigene  bei  ihren  Untersuchungen. 
Daher  ist  es  auch  ganz  unzulässig,  ihre  Resultate  ohne  weiteres 
mit  einander  zu  vergleichen.  Man  muss  vielmehr  eine  Ein¬ 
teilung  aller  Untersuchungen  treffen  je  nach  dem  Antigen,  das 
in  Verwendung  kam.  Nur  so  kann  man  zu  einer  richtigen 
Beurteilung  der  Resultate  gelangen.  Das  ist  nun  in  der  bei¬ 
gegebenen  Tabelle  geschehen;  sie  verzeichnet  die  Resultate 
der  Untersucher  nach  dem  angewandten  Antigen  geordnet  und 
ist  nach  dem  Gesagten  leicht  verständlich. 


Untersuchungen  auf  komplementbindende  Stoffe  im  Serum  pocken¬ 
kranker  Menschen: 


Name  des  Untersuchers 

mit  Serum  von  Pocken¬ 
kranken  oder  mit  Organ- 
extr.  von  Pockenleichen 

i  mit  Lymphe 

mit  Pocken¬ 
pusteln 

als  Antigen 

Casagrandi . 

2  negativ,  1  positiv 

positiv 

positiv 

. 

Beintker . 

positiv 

Sugai . 

positiv 

positiv 

Dahm  . 

positiv 

positiv 

Moses  . 

negativ 

negativ 

Kryloff . 

Shiga . 

negativ 

negativ 

positiv 

positiv 

Bizzari  und  Palmas  .  .  . 

positiv 

positiv 

positiv 

Teissier  und  Oastinel  .  . 

positiv 

Arzt  und  Kerl  .... 

negativ 

. 

Klein  . 

positiv 

Wir  ersehen  aus  dieser  Zusammenstellung,  dass  die  sicher¬ 
sten  Resultate  mit  Pockenpusteln  als  Antigen  erzielt  wurden; 
weniger  günstig  präsentiert  sich  diesbezüglich  die  Kuhlymphe, 
am  wenigsten  zuverlässig  erscheinen  Organextrakte  und  das 
Blutserum  von  Pockenkranken.  Die  auf  solche  Weise  ge¬ 
sichteten  Resultate  werden  nur  dann  verständlich,  wenn  man 
echte  Erregerantigene  bei  der  Komplementbindung  als  wirk¬ 
sam  annimmt.  So  sind  wir  unversehens  auf  ganz  anderem 
Wege,  durch  das  Studium  der  Literatur,  zu  derselben  Ansicht 

*)  Eine  genauere  Besprechung  der  Literatur  findet  sich  im  Sepa¬ 
ratabdruck. 


1 


227 1 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


gelangt,  die  wir  auf  Grund  eigener  Untersuchungen  früher 
schon  ausgesprochen  haben. 

Die  Organe  und  aus  ihnen  bereitete  Extrakte  sowie  das 
Blutserum  sind  offenbar  deshalb  unzuverlässig,  weil  sie  die 
Erreger  gewöhnlich  in  zu  geringer  Menge  oder  überhaupt  nicht 
enthalten.  Schon  im  Jahre  1894  berichtete  M  o  n  t  i  über 
negative  Resultate  bei  Verimpfungen  von  Nieren  und  Milz 
von  Pockenleichen  gegenüber  erfolgreichen  Impfungen  mit 
Hautpresssaft.  Vor  einigen  Jahren  haben  v.  Prowazek 
und  Aragao  durch  Impfversuche  mit  Organextrakten  und 
mit  dem  Blute  von  Pockenkranken  neuerlich  dargetan,  dass 
das  Variolavirus  nur  selten  im  Blute  und  in  den  inneren  Or¬ 
ganen  anzutreffen  ist,  dass  es  eine  grosse  Affinität  für  die  Haut 
besitzt  und  vornehmlich  ein  Hautorganvirus  darstellt.  Danach 
kann  es  nicht  wundernehmen,  dass  Organextrakte  als  Antigen 
verwendet  keine  konstanten  Resultate  liefern  und  infolge¬ 
dessen  zu  diesem  Zwecke  unbrauchbar  sind. 

Mit  Kuhlymphe  sind  in  der  Mehrzahl  positive  Resultate 
erzielt  worden,  doch  gelangten  zwei  Untersucher  zu  negativen 
Ergebnissen.  Um  diesen  Widerspruch  zu  erklären,  ist  es  an¬ 
gezeigt,  daran  zu  erinnern,  dass  auch  Kuhlymphe  keineswegs 
ein  einheitliches  Material  vorstellt.  Die  Vakzineerreger  haben 
eine  verschiedene  Virulenz,  je  nachdem,  ob  die  Vakzine  nach 
Abimpfung  von  Menschen  rein  animal  von  Tier  zu  Tier  fort¬ 
gezüchtet  wird  oder  ob  sie  nach  ein,  zwei  oder  drei  Fort¬ 
züchtungen  auf  Kälbern  auf  Menschen  übertragen  und  von 
dort  auf  Kälber  zurückgeimpft  wird  (Retrovakzine  1.,  2.  oder 
3.  Generation).  Wir  könnten  uns  sehr  wohl  vorstellen,  dass 
solche  biologische  Verschiedenheiten  des  Vakzineerregers,  die 
in  dem  immer  wiederkehrenden  Sammelnamen  „Lymphe“ 
keinen  Ausdruck  finden,  auch  für  die  Komplementbindung  von 
Bedeutung  sein  könnten;  vielleicht  derart,  dass  sich  bei  ge¬ 
ringerer  Virulenz  die  Keime  nicht  in  genügender  Weise  ver¬ 
mehren  können  und  die  Lymphe  dann  in  einem  solchen  Falle 
zu  wenig  spezifische  Erreger  enthält,  um  als  Antigen  wirken 
zu  können. 

Wie  dem  immer  auch  sein  möge,  weitaus  die  besten  Er¬ 
folge  haben  die  Untersuchungen  mit  Pockenpusteln  gezeitigt. 
Das  ist  sehr  begreiflich.  Hier  allein  haben  wir  es  mit  den  so¬ 
zusagen  unverfälschten,  in  allen  ihren  Eigenschaften  er¬ 
haltenen,  ungeschwächten  Erregern  der  Variola  zu  tun;  dass 
sie  zudem  auch  in  richtiger  Menge  vorhanden  sind,  zeigt  die 
hohe  Infektiosität  des  Pockeneiters.  Alle  Untersucher  bis  auf 
Moses  haben  mit  diesem  Material  als  Antigen  positive  Re¬ 
sultate  erhalten  und  selbst  bei  diesem  Autor  ist  der  eine  Fall, 
bei  dem  die  Reaktion  positiv  ausfiel,  mit  Pockenpustelinhalt 
als  Antigen  untersucht  worden.  Angesichts  dieser  überein¬ 
stimmend  positiven  Befunde  sind  die  Misserfolge  des  eben 
genannten  Untersuchers  schwer  zu  verstehen  und  man  kann 
sich  des  Eindruckes  nicht  erwehren,  dass  dabei  vielleicht  Un¬ 
gunst  des  Materiales  mit  im  Spiele  war.  Jedenfalls  sind  die 
Misserfolge  dieses  einen  Autors  nicht  danach  angetan,  die 
positiven  Resultate  sechs  anderer  Untersucher  zu  entkräften. 

Nach  allem  Gesagten  erscheint  es  nunmehr  mit  Sicherheit 
festgestellt,  dass  komplementbindende  Stoffe  im  Serum  von 
Variolakranken  nachweisbar  sind.  Diese  wichtige  und  inter¬ 
essante  Tatsache  konnte  in  so  überzeugender  und  einwand¬ 
freier  Weise  nur  durch  strenge  Beschränkung  auf  das  Ge¬ 
biet  der  Variola  ermittelt  werden;  eine  Verquickung  mit  den 
Untersuchungsresultaten  bei  Vakzination  hätte  nur  den  wahren 
Sachverhalt  durch  scheinbare  Widersprüche  verschleiert. 
Denn  die  Resultate  der  Komplementbindung  bei  Vakzination 
sind,  wie  es  scheint,  vorwiegend  negativ.  Nichts  berechtigt 
uns  aber  meines  Erachtens,  Variola  und  Vakzine,  die  ja  ge¬ 
wöhnlich  gemeinsam  abgehandelt  werden,  auch  in  bezug  auf 
Komplementbindung  von  vornherein  als  eine  Affektion  zu 
betrachten.  Die  Variolaimmunität,  die  beiden  Prozessen  ge¬ 
meinsam  ist,  ist  nach  den  derzeitigen  Ansichten  eine  histogene, 
keine  Serumimmunität  (s.  Kolle-Wassermann:  Hand¬ 
buch  der  pathogenen  Mikroorganismen  1913).  Sonst  aber  be¬ 
stehen  grosse,  bedeutsame  Unterschiede  zwischen  Variola  und 
Vakzine.  Hier  eine  ausgesprochene  Allgemeinerkrankung 
durch  Infektion  mit  hochvirulenten  Keimen,  dort  ein  meist 
ganz  lokaler  Prozess,  von  abgeschwächten,  durch  Tierpassage 
veränderten  Erregern  hervorgerufen.  Scheint  es  doch  nach 


Nr.  7 

mannigfaltigen  Versuchen,  dass  das  Virus  bei  der  gewci 
liehen  Vakzination  im  Gegensatz  zur  Variola  überhaupt  n  i 
im  Blute  kreist.  Uebrigens  sind  eigene  Untersuchungen  öl 
die  Komplementbindung  bei  Vakzination  im  Gange  und  \  t 
leicht  wird  es  bald  möglich  sein,  über  sie  im  Zusanmienlia ,, 
mit  der  Literatur  in  ähnlicher  Weise  zu  berichten,  wie  t: 
jetzt  bezüglich  der  Variola  geschehen  ist. 

Es  wäre  zum  Schluss  noch  einiges  über  die  Technik  a 
Komplcmentbindungsreaktion  bei  Variola  zu  sagen.  Als  Anti  a 
kommt  nach  meinen  Feststellungen  selbstverständlich  nur  mr 
Pockenmaterial  in  Betracht  und  es  wird  das  Hauptaugenir-1 
darauf  zu  richten  seim  ein  möglichst  konstantes  AntigenSi 
erzielen.  Dazu  scheinen  mir  nun  Pocken  k  r  u  s  t  e  n,  die  >i 
mir  erstmalig  verwendet  wurden,  eher  geeignet  zu  sein  I 
der  frische  Pustelinhalt.  Wenn  die  Krusten  in  einem  von  ui 
Krankheitsprozess  selbst  abhängigen  Zeitpunkt  abgenomm 
werden,  etwa  dann,  wenn  das  Ablösen  dem  Patienten  ktjn 
Schmerzen  mehr  bereitet,  so  dürften  sie  im  allgemeinen  (ki 
ziemlich  konstante  Zusammensetzung  aufweisen  und  in  du.* 
Beziehung  dem  flüssigen  Pustelinhalt  als  Ausgangsmaterial  i 
das  Antigen  überlegen  sein.  Auch  hat  man  bei  Verwendi] 
der  Krusten  die  Sicherheit,  dass  der  ganze  Pustelinhalt  't 
arbeitet  wird,  was  sonst  nicht  so  leicht  zu  bewerkstelligen  kl 

Mit  einem  konstanten  Antigen  wären  sodann  an  eirte 
grossen  Material  die  Beziehungen  der  Antikörper  zur  Kl  il 
der  Pockenerkrankung  zu  studieren.  Es  wäre  von  grösst 
diagnostischem  Werte,  wenn  die  spezifischen  Antikörper  frjh 
zeitig,  etwa  zugleich  mit  den  ersten  klinischen  Symptom 
im  Blutserum  durch  Komplementbindung  nachweisbar  wä  r 
Denn  es  gibt  kaum  eine  zweite  Erkrankung,  die  einen  k 
leichten  und  abortiven  Verlauf  nehmen  kann  und  bei  dere 
doch  zugleich  von  der  grössten  Bedeutung  ist,  jeden  einzele 
Fall  frühzeitig  und  mit  Sicherheit  zu  erkennen: 

Ich  gelange  zu  den  Schlussfolgerungen: 

1.  Es  ist  mit  Sicherheit  festgestellt,  dass  im  Serum  Poctoi 
kranker  Antikörper  vermittels  der  KomplementbinduL 
reakion  nachweisbar  sind. 

2.  Die  Komplementbindungsreaktion  bei  Variola  ist  n 
schieden  von  der  Serumreaktion  bei  Syphilis;  sie  istir 
Gegensatz  zu  letzterer  spezifisch,  d.  h.  es  handelt  jr 
um  eine  echte  Antigen-Antikörperreaktion,  wobei  x 
grösster  Wahrscheinlichkeit  die  Erreger  der  Varl 
selbst  das  Antigen  darstellen. 

3.  Als  Antigen  erscheint  dementsprechend  derzeit  ali 
Pockenpustelmaterial  verwendbar.  Alle  anderen  Ati 
gene  sind  unzuverlässig  und  daher  zu,  verwert 
Zwecks  Erreichung  einer  grösseren  Konstanz  dite 
Antigens  empfehle  ich  Pockenkrusten  als  Ansgars 
material. 

Literatur. 

E.  W  ei  1:  Ueber  den  Luesantikörpernachweis  im  Blute  von  Ie 
tischen.  W.kl.W.  1907  Nr.  18.  —  Pfeiler  und  Weber:  Ute 
die  Herstellung  von  Bazillenextrakten  zu  Ablenkungszwecken.  Zsn 
f.  Imm.Forsch.  15.  1912.  —  Oddo  Casagrandi:  Sulla  filtrabt 
del  virus  varioloso,  sulla  sua  natura  e  suoi  rapporti  col  vu 
vaccinico.  Cagliari  Tipografia  Sesta  1908.  Ref.  in  d.  Zscln 
Imm.Forsch.  1909.  —  Beintker:  Ueber  das  Verhalten  der  B' 
d  e  t  sehen  Reaktion  bei  Variola.  Zbl.  f.  Bakteriol.  48.  1909.- 
Sugai:  Ueber  den  Komplementbindungsversuch  bei  Variola  v: 
Zbl.  f.  Bakteriol.  49.  1909.  —  Dahm:  Serologische  Untersuchung 
bei  Variola  vera.  Zbl.  f.  Bakteriol.  51.  1909.  —  Moses:  Ueber  * 
Nachweis  von  Antigen  und  Antikörper  durch  Komplementablcnk  > 
Memorias  do  Instituto  Oswaldo  Cruz  T.  I  Fac.  II  1909.  —  Kryldj 
Ueber  die  Komplementbindungsreaktion  bei  der  Variolois  und  e 
Variola  vera.  Zbl.  f.  Bakteriol.  60.  1911.  —  Shiga:  Ueber  Konie 
mentablenkung  bei  Pocken.  Ogata-Festschrift.  Ref.  in  Weichat 
Jb.  d.  Imm.Forsch.  1910.  —  A.  Bizzari  e  C.  Palmas:  Ricevi 
sulla  fissazione  del  complemento  nel  vairiolo.  Pathologica  Voll 
1911.  Ref.  in  der  Zschr.  f.  Imm.Forsch.  5.  —  P.  Teis^ 

P.  Gast  in  el:  De  la  reaction  de  fixation  dans  la  vaccine  d 
variola.  C.  r.  Soc.  de  Biol.  T.  73  1912.  Ref.  in  Zbl.  f.  Bakteriol.! 
—  Arzt  und  Kerl:  Variola  und  Flecktyphusstudien  an  den  's 
nischen  Rückwanderern  aus  dem  Balkan.  W.kl.W.  1913  Nr.  20- 
Monti:  Ueber  die  Aetiologie  der  Variola.  —  Zbl.  f.  Bakteriol.! 
1894.  —  v.  Prowazek  und  Aragao:  Variolauntersuchun ' 
Memorias  do  Instituto  Oswaldo  Cruz  T.  1  Fac.  II  1909. 


■  November  1914. 


MUENCHENEI^  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


227.1 


Therapie  des  Erysipels  mit  Antidiphtherieserum*). 

h  Dr.  Otto  Doläk,  Primararzt  im  Bezirkskrankenhaus  zu 
Böhmisch  Brod. 

Durch  eine  kleine  Bemerkung  in  der  Fachliteratur  wurde 
aufmerksam  gemacht,  dass  man  versucht  habe,  Erysipel- 
i*  niit  Antidiphtherieserum  zu  behandeln;  bei  späterer 
chsicht  der  mir  zugänglichen  Literatur  fand  ich  nur  ganz 
iige  Anmerkungen  über  dieses  Thema,  so  in  Schmidts 
rbüchern  190-4,  Arghir  Babe  s  in  Eichhorsts  Lehrbuch 
internen  Medizin,  in  der  M.m.W.  1905:  M  a  s  t  r  i,  Toma- 
li. 

Diese  Versuche  waren  gewiss  höchst  interessant  und 
>en  sich  schwer  mit  den  bestehenden  Theorien  über  die 
!  Wirkung  spezifischer  Sera  in  Einklang  bringen.  Da  wir 
>ch  bis  heute  kein  wirkliches  Heilmittel  bei  Erysipel  be¬ 
eil,  versuchte  auch  ich  den  angegebenen  Weg  zu  betreten, 
e  mir  jedoch  viel  von  dieser  Methode  zu  versprechen. 

Es  wurde  gerade  in  unser  Krankenhaus  ein  desperater,  scheinbar 
'  .'rener  Fall  von  Säuglingserysipel  aufgenommen.  Der  3  Monate 
I  Säugling  war  fast  am  ganzen  Körper  vom  Erysipel  ergriffen 
hatte  so  schwere  Allgemeinsymptome,  dass  er  sicher  verloren 
-n.  Infolge  der  Anschwellung  der  Lippen  und  der  Nase  konnte 
Kind  überhaupt  nicht  die  Brust  nehmen,  der  ganze  Oberkörper 
gerötet  und  geschwollen,  Skrotum  und  Penis  waren  immens  an- 
i  nwollen,  das  Kind  wimmerte  nur,  war  ganz  apathisch,  hatte 
i  peraturen  über  40°  C  usw  Den  Aussagen  der  Mutter  gemäss 
das  Erysipel  nicht  vom  Nabel  ausgegangen,  sondern  von  einer 
en  Exkoriation  an  der  linken  Brust.  Wir  gaben  dem  Kinde  eine 
;tion  von  Paltaufs  Antidiphtherieserum  Nr.  II  und  zu  meiner 
i  vunderung  ging  es  dem  Kinde  am  nächsten  Tage  viel  besser.  Es 
m  jetzt  noch  eine  Injektion  und  24  Stunden  nachher  war  das 
i  fast  ganz  gesund. 

Durch  diesen  unerwarteten  Erfolg  ermutigt,  versuchten  wir  dann 
len  Erysipelfällen  diese  Methode  und  wir  hatten  das  Glück,  dass 
in  einer  ununterbrochenen  Reihe  von  15  Fällen  nur  prompte 
ge  verzeichnen  konnten.  Es  war  mir  daher  begreiflicherweise 
i  llig.  warum  diese  einfache,  unschädliche  Methode  nicht  längst 
n  allgemein  eingeführt  war.  Aber  bald  sollte  auch  ich  den 
lid  erfahren,  denn  es  kamen  jetzt  auch  Misserfolge  —  in  zwei 
i  uanderfolgendcn  Fällen.  Es  waren  dies  zufälligerweise  zwei 
i  Leute  und  ich  erklärte  mir  den  Misserfolg  durch  die  geringe 
tionsfähigkeit  des  alten,  hinfälligen  Organismus.  Dann  kam  aber 
.  ein  Versager  bei  einem  jungen  Manne.  Im  nächsten  Falle  eines 
ierfolges  bei  einem  jugendlichen  Patienten  gab  ich  nach  48  Stunden 

i  neue  Injektion  und  da  stellte  sich  der  Erfolg  wieder  nach 
tun  den  prompt  ein. 

Unsere  bisherige  Dosis  von  1500  Einheiten  war  also  zu 

ii  gewesen  und  darum  gaben  wir  von  nun  an  gleich  bei  der 
n  Injektion  3000 — 4000  Einheiten.  Die  erzielten  Erfolge 
jetzt  vollkommen  befriedigend  und  ich  bin  fest  überzeugt, 
Erfolge  durch  noch  grössere  Dosen  noch  verbessern  zu 

iien. 

Der  typische  Verlauf  nach  der  Injektion,  natürlich  nur  bei 
n,  mit  anderen  Krankheiten  nicht  komplizierten  Fällen, 

),  dass  das  Fieber  in  24 — 30 — 48  Stunden  kritisch  zur  Norm 
llt,  die  Hautröte  und  Hautschwellung  zurückgeht  und  eine 
lüge  Euphorie  eintritt.  Oftmals  stellt  sich  schon  Euphorie 
bevor  noch  die  Temperatur  ganz  abgefallen  ist,  was  mir 
er  schon  ein  gutes  Omen  zu  sein  schien.  Fällt  das  Fieber 
.‘r  angegebenen  Zeit  nicht  ab,  oder  tritt  wenigstens  keine 

■  ndere  Euphorie  ein,  muss  man  die  Injektion  erneuern  und 
mals  3000  Einheiten  applizieren;  es  wird  wohl  dann  nur 

■  ge  Fälle  geben,  bei  welchen  nach  24  Stunden  keine  voll- 
nene  Euphorie  eintritt,  natürlich  nur  bei  reinen  Erysipel- 
i,  was  ich  noch  einmal  betone.  Einen  solchen  Verlauf 
i  keine  andere  Erysipeltherapie  aufweisen. 

3ei  mit  anderen  fieberhaften  Krankheiten  (Phlegmonen, 
:rän,  Pneumonien  usw.)  komplizierten  Erysipelfällen  fällt 
Fieber  wohl  nur  wenig  ab,  aber  die  Hautröte  und  die 
ikteristische  erysipelatöse  Hautschwellung  verschwinden 
‘cs  stellt  sich  eine  relative  Euphorie  ein;  das  Erysipel,  ist 
verschwunden,  die  fieberhafte  Komplikation  (oder  auch 
irundkrankheit,  je  nach  dem  Falle)  aber  ist  geblieben, 
fs  kommt  auch  vor,  dass  die  Temperatur  am  anderen 
I  nach  der  Injektion  bis  zur  Norm  herabsinkt,  aber  nach- 


)  Vertrag,  gehalten  am  V.  Kongress  der  böhmischen  Natur- 
'cr  und  Aerzte  (29.  Mai  bis  3.  Juni  1914). 


mittags  wieder  für  einige  Stunden  ansteigt-  und  dann  wieder 
herabsinkt. 

Zwei  Fälle,  bei  welchen  das  Fieber  nach  einer  Injektion 
lytisch  sank  im  Verlauf  von  4 — 5  Tagen,  fasse  ich  in  meiner 
Statistik  als  Versager  auf. 

Wir  beobachteten  weiter  folgende  3  Fälle:  in  allen  3  Fällen  trat 
nach  der  Injektion  eine  prompte  Wirkung  ein;  die  Apyrexie  und 
Euphorie  währten  einige  Tage  bis  eine  Woche,  dann  trat  eine  Ver¬ 
schlimmerung  des  Allgemeinzustandes  ein  und  zwei  dieser  Kranken 
starben  an  eitriger  Meningitis  und  eine  Kranke,  bei  der  es  sich  um 
eine  Exstirpation  der  Mamma  wegen  exulzerierten  Karzinoms 
handelte,  starb  an  einer  Thrombose  der  Vena  femoralis  und  iliaca. 
Die  erwähnten  Fälle  und  manche  Erwägungen  bei  anderen  kompli¬ 
zierten  Erysipelfällen  scheinen  mir  meine  Ansicht  zu  bestätigen,  dass 
das  Antidiphtherieserum  nicht  auf  die  eigentlichen  Streptokokken  ein¬ 
wirkt,  sondern  nur  auf  ihre  Produkte,  oder  wenn  man  will,  auf  das 
unbekannte  Agens,  das  zur  Streptokokkeninfektion  noch  hinzutreten 
muss,  um  ein  Erysipel  hervorzubringen;  nach  der  Injektion  ver¬ 
schwindet  das  Erysipel,  der  Streptokokkus  aber  bleibt  und  kann 
weiter  septisch  und  pyämisch  wirken. 

Wir  haben  ja  ein  Analogon  bei  der  kruppösen  Pneumonie: 
Nach  eingetretener  Krisis  stellt  sich  Euphorie  ein,  die  Pneumo¬ 
kokken  bleiben  jedoch  noch  an  Ort  und  Stelle  und  können 
örtliche  und  entferntere  Eiterungen  hervorrufen. 

Vor  einiger  Zeit  war  ich  genötigt,  bei  einer  Patientin  mit 
Basedow  wegen  Kompression  der  Trachea  bald  nach  einer 
abgelaufenen  typischen  kruppösen  Pneumonie  die  Strumek- 
tomie  zu  machen.  Die  Wunde  vereiterte  und  bakteriologisch 
fand  man  den  Pneumokokkus  im  Eiter.  Ich  glaube  hier  einen 
direkten  Zusammenhang  zwischen  Pneumonie  und  Wund¬ 
eiterung  annehmen  zu  müssen. 

Doch  ich  bin  weder  Bakteriologe  noch  Serologe,  um  mich 
in  eine  theoretische  Lösung  der  verschiedenen,  gewiss  inter¬ 
essanten  Fragen,  die  sich  bei  dieser  paraspezifischen  Wirkung 
des  Antidiphtherieserums  ergeben,  einlassen  zu  können;  ich 
erwähne  bloss  Fakta,  wie  sie  sich  bei  dieser  Therapie  in 
unserem  Krankenhaus  ergeben  haben. 

Seit  dem  Jahre  1905  hatten  wir  im  Böhmisch-Broder  Kranken¬ 
haus  im  ganzen  135  Erysipelfälle  in  Behandlung;  von  diesen  wurden 
62  ohne  Serum  und  73  mit  Antidiphtherieserum  behandelt.  Von 
diesen  73  Fällen  heilten  in  typischer  Weise  64  oder  87,6  Proz.,  ohne 
Erfolg  wurden  9  oder  12,3  Proz.  behandelt. 

Von  den  reinen,  mit  anderen  Krankheiten  nicht  komplizierten 
Erysipelfällen  starben  bei  der  Scrumtherapie  3  oder  4,1  Proz.,  ohne 
Scrumtherapie  6  oder  9,6  Proz.,  also  beiläufig  um  die  Hälfte  Unter¬ 
schied  zu  Gunsten  der  Scrumtherapie. 

Im  Durchschnitt  betrug  der  Aufenthalt  der  Erysipelkranken  in 
der  Periode  vor  der  Serumtherapie  21  Tage,  in  der  Periode  der 
Serumtherapie  13  Tage,  also  ein  Unterschied  von  8  Tagen  zu  Gunsten 
der  Serumtherapie  Dieses  Faktum  entkräftigt  auch  den  Vorwurf, 
dass  die  Serumtherapie  für  Privat-  und  Krankenhauspraxis  zu  teuer 
sei,  denn  neben  der  Verkürzung  der  Krankheitsdaucr  entfällt  auch 
noch  jede  andere  Ausgabe  für  andere  interne  und  externe  Medi¬ 
kamente.  Kalte  Ueberschläge  mit  B  u  r  r  o  w  scher  Lösung  sind  den 
Kranken  immer  angenehm  und  genügen  vollkommen  zur  Linderung 
der  spannenden  Schmerzen  im  ergriffenen  Gebiet.  Jede  andere  Medi¬ 
kation  kann  entfallen 

Antidiphtherieserum  verschiedener  Provenienz,  wie  Paltaufs, 
B  u  j  w  i  d  s,  Pasteurs  und  Höchster  Serum  wirken  in  gleichen 
Dosen  gleich  und  man  muss  natürlich  die  einzelnen  Dosen  nicht  nach 
der  Menge  der  injizierten  Flüssigkeit,  sondern  nach  den  Antitoxin¬ 
einheiten  berechnen. 

Anaphylaktische  Erscheinungen  bemerkten  wir  nur  ln  einem 
Falle  nach  einer  Dosis  von  3000  Einheiten,  in  Form  einer  fieber¬ 
haften  Urtikaria  bei  einem  erwachsenen  Manne.  Diese  verschwand 
spurlos  in  2  Tagen. 

Vor  Rezidiven  scheint  die  Behandlung  des  Rotlaufs  mit  Anti¬ 
diphtherieserum  nicht  zu  schützen.  So  beobachteten  wir  wenigstens 
einen  Fall  von  Gesichtserysipel  bei  einer  Frau  von  40  Jahren,  bei 
welcher  prompt  nach  einer  Injektion  das  Erysipel  zurückging,  so  dass 
die  Frau  am  4.  Tage  vollkommen  geheilt  das  Krankenhaus  verlassen 
konnte  Nach  beiläufig  3  wöchentlichem  Wohlbefinden  trat  wieder 
ein  Gesichtserysipel  auf,  das  wieder  prompt  auf  die  Injektion 
reagierte.  Anderseits  beobachteten  wir  wieder  2  Fälle,  bei  welchen 
früher  oftmalige  Erysipelanfälle  im  Gesicht  aufgetreten  waren.  Durch 
die  Injektion  wurde  nicht  nur  das  gerade  bestehende  Erysipel 
prompt  geheilt,  sondern  es  trat  auch  später  weiter  kein  Rezidiv  oder 
eigentlich  keine  neue  Erysipelerkrankung  mehr  auf.  Es  sind  zu 
wenig  Fälle,  um  aus  ihnen  einen  bestimmten  Schluss  ziehen  zu 
können 

Die  Injektionen  wurden  subkutan  oder  viel  öfter  intramuskulär 
in  die  Glutäalgegend  appliziert;  ein  wesentlicher  Unterschied  in 
der  therapeutischen  Wirkung  bei  diesen  beiden  Applikationsmethoden 
wurde  nicht  beobachtet.  Intravenöse  Injektionen  wurden  nicht  ange- 


2274 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


ordnet,  obzwar  von  ihnen  in  desperaten  Fällen  eine  viel  raschere 
Heilwirkung  zu  erwarten  ist.  So  teilte  mir  ein  Kollege  mit,  dass 
er  in  einem  sehr  schweren  Fall  von  Kopferysipel  mit  heftigen  Delirien, 
bei  einer  Temperatur  von  40,5°  C,  mit  fast  unzählbarem  Puls,  eine 
intravenöse  Injektion  von  4000  Antitoxineinheiten  mit  dem  Erfolge 
angev.  endet  habe,  dass  in  12  Stunden  nach  der  Injektion  Apyrexie  und 
Euphorie  eintrat. 

Wir  stellten  auch  verschiedene  Versuche  an  Menschen  und  Tieren 
an  So  winden  bei  einem  Qesichtserysipel  15  ccm  reinen  Pferdeblut- 
serums  subkutan  eingespritzt,  ohne  jede  Einwirkung  auf  den  Verlauf. 
Nach  Injektion  von  3000  Einheiten  jedoch  trat  sofort  Temperaturabfall 
und  Euphorie  ein. 

Ich  kombinierte  weiter  das  Antidiphtherieserum  mit  anderen 
Anlistreptokokkenseren:  so  mit  Marmorecks  Antistreptokokken¬ 
serum,  mit  B  u  j  w  i  d  s  Antistreptokokkenserum  und  Deutsch¬ 
mail  n  s  polyvalentem  Serum,  ohne  je  einen  besonderen  Erfolg  von 
dieser  Kombination  zu  sehen. 

Wir  prüften  auch  die  Wirkung  des  Antidiphtherieserums  auf 
andere  Krankheiten,  die  bekanntermassen  gewöhnlich  vom  Strepto¬ 
kokkus  verursacht  werden,  so  bei  Puerperalsepsis,  bei  eitriger  Peri¬ 
tonitis  nach  Appendizitis  und  auch  bei  anderen  Peritonitiden,  bei  Kar¬ 
bunkel  und  Phlegmonen,  doch  waren  die  erhaltenen  Resultate  sehr 
ungleichmässig  und  unzuverlässig. 

Experimente  in  vitro  wurden  von  Prof.  Honl  in  seinem  Labora¬ 
torium  ausgefiihrt  und  einige  Versuche  an  Kaninchen,  die  mit  ver¬ 
schiedenen  Schwierigkeiten  verbunden  waren,  führte  ich  selbst  aus. 
Die  Versuchsreihe  ist  jedoch  noch  nicht  geschlossen,  aber  die  bis¬ 
herigen  Resultate  sprechen  bestimmt  nicht  gegen  unsere  Erfah¬ 
rungen. 

Aus  dem  Rundschreiben,  das  ich  an  verschiedene  böh¬ 
mische  Krankenhäuser,  die  sich  mit  dieser  neuen  Therapie  be¬ 
schäftigten,  sandte,  geht  hervor,  dass  sich  die  Erfahrungen  der 
Kollegen,  die  so  liebenswürdig  waren,  mein  Rundschreiben  zu 
beantworten,  mit  unseren  Erfahrungen  decken.  Fast  alle  Miss¬ 
erfolge  sind  auch  bei  ihnen  kleinen  Dosen  (es  wurden  z.  B. 
auch  nur  1000  Einheiten  verabfolgt)  zuzuschreiben,  oder  waren 
durch  bestehende  Komplikationen  verursacht.  In  10  Kranken¬ 
anstalten  wurden  105  Erysipelfälle  mit  Antidiphtherieserum 
behandelt;  von  diesen  wurden  typisch  geheilt  86,  also  82,3  Proz. 
Im  ganzen  sind  mir  also  noch  mit  meinen  Privatfällen  189  Fälle 
bekannt,  die  dieser  Therapie  unterzogen  wurden;  und  typische 
Heilung  trat  bei  diesen  Fällen  in  85.1  Proz.  ein.  Es  lässt  sich 
also  diesen  Erfolgen  nach  die  therapeutische  Wirkung  des 
Antidiphtherieserums  bei  Erysipel  nicht  bestreiten,  natürlich 
kann  man  einen  vollen  Erfolg  nur  bei  reinen,  unkomplizierten 
Fällen  erwarten  und  dann  nur,  wenn  man  Dosen  von  4000  bis 
5000  Einheiten  benützt,  welche  man  im  Bedarfsfälle  am  zweiten 
Tage  nach  der  Injektion  wiederholen  kann  und  soll,  wenn  der 
erwartete  Erfolg  sich  nicht  einstellte. 

Die  Wirkung  der  Diphtherieserumtherapie  scheint  mir 
auch  aus  zwei  folgenden  Fällen  bewiesen: 

In  unser  Krankenhaus  wurde  ein  Gesichtserysipelfall  aufge¬ 
nommen,  dem  der  behandelnde  Arzt  eine  Seruminjektion  applizieren 
sollte.  Als  am  anderen  Tage  das  Erysipel  keinen  Stillstand  machte, 
erfuhr  ich  auf  mein  Befragen,  dass  während  der  Injektion  die  In¬ 
jektionsnadel  abgebrochen  sei,  so  dass  nur  einige  Tropfen  Serum 
einverleibt  wurden.  Es  wurde  daher  die  Injektion  wiederholt,  die 
volle  Dosis  eingespritzt  und  am  nächsten  Tage  trat  Apyrexie  ein. 

Zu  einem  anderen  Gesichtserysipelfalle  wurde  ich  pro  consilio 
gerufen.  Es  sollte  in  diesem  Falle  auch  die  Serumtherapie  ange¬ 
wendet  werden,  doch  fungierte  bei  der  Injektion  die  Spritze  so 
schlecht,  dass  kaum  1000  Einheiten  eingespritzt  werden  konnten.  Ich 
machte  sofort  darauf  aufmerksam,  dass  diese  Injektion  wohl  wir¬ 
kungslos  bleiben  werde,  doch  war  es  uns  aus  verschiedenen  Gründen 
nicht  gut  möglich,  die  Injektion  sofort  zu  wiederholen.  In  den 
nächsten  2  Tagen  machte  das  Erysipel  rapide  Fortschritte.  Es  wur¬ 
den  mm  3000  Einheiten  eingespritzt  und  in  24  Stunden  trat  Defer- 
veszenz  ein  Am  7.  Tage  nach  Beginn  der  Krankheit  stellte  sich 
mir  der  Kranke  vollkommen  gesund  persönlich  vor,  ganz  verwundert 
und  dankbar  über  den  raschen  Verlauf  der  Krankheit,  da  er  schon 
einmal  7  Wochen  und  ein  andermal  5  Wochen  mit  Gesichtserysipel 
schwer  darnieder  gelegen  hatte. 

Ich  glaube  also  annehmen  zu  dürfen,  dass  die  Anti¬ 
diphtherieserumbehandlung  des  Erysipels  sich  für  die  Praxis 
vollkommen  bewährt  hat. 

In  der  Diskussion,  die  sich  diesem  Vortrage  anschloss,  be¬ 
stätigten  alle  Redner  die  eben  angegebenen  Erfahrungen  und 
forderten  zur  Nachprüfung  dieser  Methode  auf;  alle  betonten, 
dass  man  nur  von  grösseren  Dosen,  die  eventuell  wiederholt 
werden  müssen,  einen  vollen  Erfolg  hoffen  kann.  Im  Schluss¬ 
wort  hob  Autor  noch  einmal  hervor,  dass  man  sich  bei  der 
Anwendung  der  beschriebenen  Erysipeltherapie  bewusst  sein 


Nr.  J 


müsse,  dass  das  Antidiphtherieserum  nach  den  bisherigen 
fahrungen  nur  auf  das  eigentliche  Erysipel  einen  Einfluss  hafc 
während  jede  andere  begleitende  Krankheit  oder  Komplikai  i 
unbeeinflusst  bleibe. 


Die  Ausleihung  dsr  ärztlichen  Krankengeschichten 

Von  Medizinalrat  Dr.  Max  Fischer,  Direktor  der  Heil-  i 
Pflegeanstalt  Wiesloch. 

Auf  der  Herbstversammlung  der  südwestdeutschen  Irrenärztih 
Karlsruhe  habe  ich  am  23.  November  1913  einen  Vortrag  über  u 
Thema  „Berufsgeheimnis  und  Herausgabe  der  Krankengeschichte 
gehalten,  der  in  erweiterter  Form  unterdessen  in  der  Allgem.  Zsir 
f.  Psych.“  (71.  S.  464  u.  f.)  erschienen  ist;  dort  findet  sich  auch  u 
Material  gesammelt,  das  für  die  Beurteilung  der  Frage  von  Bedeute 
ist.  Die  Karlsruher  Versammlung  hat  nun  bei  der  Wichtigkeit  fcj 
Themas  für  unsere  Standesinteressen  beschlossen,  an  den  Vorsth 
des  deutschen  Vereins  für  Psychiatrie  einen  Antrag  in  dem  Siii 
zu  richten,  er  möge  über  die  nach  meinen  Ausführungen  noch  stjt 
tigen  Punkte  in  eine  eingehende  Prüfung  eintreten  und  wo  nötig  Air 
Schläge  ausarbeiten,  die  den  Organen  der  Gesetzgebung  zur  r 
gänzung  der  bestehenden  Bestimmungen  zu  unterbreiten  wären,  j 
deutsche  Verein  für  Psychiatrie  hat  auf  seiner  diesjährigen  Tag), 
in  Strassburg  zu  diesem  Anträge  Stellung  genommen  und  ihn  :l 
zu  eigen  gemacht.  Die  Justizkommission  des  Vereins  wird  sich  ü 
der  Materie  eingehend  befassen;  auf  die  Resultate  wird  später  j 
rückzukommen  sein.  •  I 

Da  diese  Frage  jedoch  nicht  nur  uns  Irrenärzte,  sondern  lii 
Gemeinschaft  aller  Aerzte  angeht,  so  möchte  ich  es  für  angezg 
halten,  auch  an  dieser  Stelle  über  die  Hauptgesichtspunkte,  die  ;! 
mir  bei  meiner  Untersuchung  ergeben  haben,  zu  berichten,  u 
eine  Interpretation  des  §  300  StGB.,  der  für  die  Beurteilung  e 
Frage  massgebend  ist,  kann  ich  hier  nicht  eingehen,  ich  darf  sw 
Auslegung  wohl  auch  in  der  Hauptsache  als  bekannt  vorausset  r 

Bei  der  Herausgabe  der  ärztlicherseits  geführten  Kranketje 
schichten  an  Behörden,  insbesondere  die  Staatsanwaltschaft 
ist  zunächst  ein  Unterschied  zu  machen  zwischen  Privatärzten  n 
Aerzten  in  staatlicher  Beamtenstellung;  dieser  gleichzusetzen  ist d 
kommunale  oder  provinziale  Anstellung,  weil  sie  mittelbar  ebentl 
dem  Staatszwecke  dient. 

Für  Privatärzte  nun  liegt  die  Situation  ganz  klar ;  i 
können  sich  immer  auf  den  §  300  berufen  und  die  Herausgabe  e 
Krankengeschichten  unter  Hinweis  auf  §  95  StPO,  letzten  9t 
(„Gegen  Personen,  welche  zur  Verweigerung  des  Zeugnisses  e 
rechtigt  sind  —  also  unter  anderem  Aerzte  — ,  finden  keine  Zwais 
mittel  Anwendung“)  und  §  97  StPO.,  wonach  schriftliche  Mitteilure 
in  unserem  Falle  der  Beschlagnahme  nicht  unterliegen,  verweigir 

Bei  beamteten  Aerzten  im  obigen  Sinne  dagegen  e 
stehen,  obwohl  sie  ihren  ärztlichen  Charakter  durch  ihr  Amt  nar 
lieh  nicht  verloren  haben  können,  auf  Grund  gemachter  Eine! 
erfahrimgen  immerhin  Zweifel,  ob  in  bezug  auf  sie,  insbesondere 
der  Rechtspflege,  die  gleichen  Grundsätze  uneingeschränkte  Gü!g 
keit  haben.  So  muss  es  als  unsicher  erscheinen,  ob  für  unsi 
unserer  Stellung  als  öffentliche  Beamte  die  bestehenden  oder  bei  e 
Neuregelung  beabsichtigten  Gesetzesbestimmungen  nach  allen  Rih 
tungen  hin  zum  Schutze  des  ärztlichen  Berufsgeheimnisses  ausreic  r 
ob  insbesondere  unsere  Position  gegenüber  dem  Anfordern  der  ät 
liehen  Krankengeschichten  unserer  Krankenhäuser  nach  auswärts 
nichtärztliche  Behörden,  insbesondere  die  Staatsanwaltschaften,  e 
niigend  gefestigt  sei. 

Im  Speziellen  ergeben  sich  bei  genauerer  Untersuchung  folgd 
strittige  Punkte: 

1.  Kann  der  beamtete  Arzt  oder  Direktor  öffentlicher  Kran« 
anstalten  auch  in  seiner  Eigenschaft  als  Arzt,  d.  h.  in  seinem  Ar 
trauensverhältnis  zum  einzelnen  in  seiner  Behandlung  befindlich 
Kranken  als  Beamter  angesprochen  werden?  Und  gelten  für ii 
anderen  Behörden  gegenüber  und  besonders  beim  gerichtlichen  1t 
fahren  in  dieser  Beziehung  die  betreffenden  §§  53,  75.  96.  159  St¬ 
über  die  Zeugenschaft  und  die  Herausgabe  von  Aktenstücken  sein 
Beamter  und  Behörden  oder  aber  untersteht  er,  nach  wie  vor.  >r 
§  300  und  den  diesen  schützenden  Vollzugsbestimmungen,  nän? 
den  §§  52,  54,  76,  95  letzter  Satz  und  97  StPO.?  Kann  also  ji 
Beamtenpflicht  in  gewissen  Fällen  die  Berufspflicht  der  Verschwieg 
heit  gefährden  oder  aber  nicht? 

Ich  bin  meinerseits  der  Ansicht,  dass  ein  Paragraph  des  Stil 
gesetzbuches  nicht  durch  anderslautende  Paragraphen  seiner 
fiihrungsbestimmungen,  d.  h.  der  Strafprozessordnung,  aufgeluh 
werden  könne.  Wo  sich  Widersprüche  zu  ergeben  scheinen,  nß 
sich  durch  Betonung  des  übergeordneten  Gesichtspunktes,  in  dielt 
Falle  des  Strafgesetzparagraphen  und  der  ärztlichen  Ethik,  auch  i 
befriedigende  Lösung  herbeiführen  lassen. 

Ebensowenig  darf  uns  die  Beamtenpflicht  in  Widerspruch  t 
unserer  ärztlichen  Berufspflicht  bringen;  auch  hier  muss  durch  1 
Auseinandersetzung  ein  AVeg  gefunden  werden,  wobei  der  Ber' 
Pflicht  bedingungslos  der  Vorrang  eingeräumt  wird.  Auch  als  « 
amte  sind  wir  vor  allem  Aerzte  geblieben  und  wir  werden  d  t 
bessere  Beamte  sein,  je  gewissenhafter  wir  es  mit  unserem  äd 


24.  November  191-4. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2275 


liehen  Berufe  und  seinen  Pflichten,  insbesondere  dem  Berufsge¬ 
heimnisse,  nehmen.  Gegenüber  den  unserer  Behandlung  anver¬ 
trauten  Kranken  nehmen  wir  keine  andere  Stellung  ein  als  der 
Privatarzt  auch,  liier  handelt  es  sich  einfach  um  das  gegenseitige 
Vertrauensverhältnis  zwischen  Arzt  und  Patient.  Dieses  Vertrauen 
ist  die  unerlässliche  Basis  für  die  ganze  Ausübung  unseres  Berufes: 
es  darf  durch  nichts  getrübt  oder  in  Frage  gestellt  werden.  Auch 
die  Beamtenpflicht  darf  und  kann  die  berufliche,  insbesondere  die 
Berufsverschwiegenheit,  auch  wenn  sie  wie  hier  über  das  Amtsge¬ 
heimnis  hinausgeht,  keinesfalls  gefährden.  Wir  sind  kraft  unseres 
Berufes  Beamte  geworden;  unser  Amt  ist  aber  nach  wie  vor  ein 
ärztliches.  Wir  sind  vom  Staate  als  Beamte  angestellt  worden  in 
der  Erwartung,  dass  wir  unseren  ärztlichen  Beruf  in  jeder  Beziehung 
und  bis  in  alle  Konsequenzen  zuverlässig  ausüben.  Auch  der  Bc- 
amteneid  bezieht  sich  hauptsächlich  darauf,  dass  wir  alle  Pflichten 
dieses  ärztlichen  Amtes,  von  dem  ja  auch  der  §  300  StrGB.  spricht, 
gewissenhaft  erfüllen  werden.  Dazu  gehört  aber  tn  erster  Linie  die 
Hochhaltung  des  ärztlichen  Berufsgeheimnisses  Jedermann  gegen¬ 
über.  Darin  sprechen  also  §  300  und  Beamteneid  dieselbe  Sprache. 
Konflikte  können  sich  nur  da  ergeben,  wo  die  Pflicht  des  Beamten 
zur  Zeugnisablegung  (§  53),  zur  Sachverständigentätigkeit  (§  75), 
zur  Herausgabe  von  Schriftstücken  (§  96)  und  zur  Auskunftserteilung 
(§  159  StPO.)  in  Widersprüchen  stehen  zur  Pflicht  oder  zum  Recht 
des  Arztes  auf  Zeugnisverweigerung  (§§  52  und  54),  auf  Ver¬ 
weigerung  der  Gutachtertätigkeit  (§  76  erster  Absatz)  und  auf  Ver¬ 
weigerung  der  Herausgabe  von  Schriftstücken  etc.  (§  95  letzter  Satz 
und  §  97  StPO.). 

In  allen  derartigen  Fällen  müssen  meiner  Ueberzeugung  nach  die 
ärztlichen  Berufsrechte  und  Pflichten  Vorgehen,  weil  hier  nicht 
unsere  Beamtenstellung,  unser  Verhältnis  zur  Staatsverwaltung  und 
zu  anderen  Behörden  oder  die  administrative  Seite  unserer  Tätigkeit, 
sondern  vor  allem  das  Vertrauensverhältnis  des  einzelnen  Kranken 
zum  behandelnden  Arzte  berührt  wird  und  bei  gegenteiliger  Stellung¬ 
nahme  aufs  empfindlichste  verletzt  würde.  Dieses  Vertrauensver¬ 
hältnis  steht  aber  unter  dem  starken  Schutze  des  §  300  und  der  ihn 
unterstützenden  Paragraphen  der  Strafprozessordnung;  dagegen 
können  die  unser  Beamtenverhältnis  betonenden  Paragraphen  nicht 
aufkommen. 

Fs  geht  nicht  an,  den  Direktor  einer  grossen  Krankenanstalt 
deshalb,  weil  er  eine  Unmenge  von  Verwaltungsgeschäften,  die  seine 
Zeit  und  Kraft  mehr  oder  weniger  in  Beschlag  nehmen,  zu  erledigen 
hat,  ganz  ausserhalb  seines  ärztlichen  Berufes  zu  stellen,  ihm  etwa 
lediglich  den  Charakter  eines  Verwaltungsbeamten  in  gleicher  Linie 
mit  anderen  Beamten  und  Behörden  staatlicher  oder  kommunaler 
Art  aufzudrücken.  Geradezu  zu  den  Notwendigkeiten  wie  zu  den 
Vorzügen  seiner  Stellung  gehört  es,  dass  er  über  den  Verwaltungs¬ 
geschäften  sein  eigentliches  Amt,  seinen  ärztlichen  Beruf  nicht  ver¬ 
gisst,  sondern  dass  er  in  allen  Zweigen  seines  Betriebes  vor  allem 
die  ärztlichen  Gesichtspunkte  heraushebt.  Je  grösser  und  umfang¬ 
reicher  ein  solches  der  Krankenfürsorge,  also  ärztlichen  Zwecken 
dienendes  Werk  wird,  desto  wichtiger  ist  es,  dass  die  ganze  Ver¬ 
waltung  mit  ärztlichem  Geiste  durchdrungen  bleibt,  nicht  einseitig 
bureaukratisch,  sondern  in  gesundem  Sinne  praktisch  ärztlich  ge¬ 
halten  wird.  Das  ist  für  die  Leitung  eines  grossen  Krankenhaus¬ 
wesens  die  erste  Bedingung  seines  Gedeihens  und  darin  besteht  die 
Hauptaufgabe  seines  Direktors. 

Auf  dieser  Ueberzeugung  fussend  wird  er  es  auch  für  seine 
Pflicht  und  für  sein  schönstes  Anrecht  halten,  für  die  Wahrung  der 
ärztlichen  Berufsrechte,  wo  immer  nötig,  aufs  kräftigste  einzutreten. 
Der  ärztliche  Direktor  einer  Krankenanstalt  bildet  mit  seinem  ganzen 
Aerztekollegium  eine  gemeinschaftliche  Aerzteinstanz,  eine  Einheit, 
die  zusammen  und  jeder  für  sich  nach  denselben  Gesichtspunkten 
handeln  müssen.  Wir  werden  somit  als  Aerzte  öffentlicher  Kranken¬ 
anstalten  ruhig  alle  Beamtenpflichten  in  der  Verwaltung  unseres 
Amtes  übernehmen  können,  wie  andere  Beamte  auch.  Wo  sich  aber 
ein  Konflikt  mit  unserem  Berufsgeheimnis  ergibt,  werden  wir  diesem 
Geltung  verschaffen,  weil  es  gegenüber  anderen  die  höhere  Be¬ 
rufs-  und  Beamtenpflicht  zugleich  darstellt.  Damit  handeln  wir  sicher 
auch  mehr  im  wirklichen  Sinne  unseres  Beamteneides,  als  wenn  wir 
das  Berufsgeheimnis  preisgeben. 

2.  Sind  die  Krankengeschichten  der  öffentlichen  Kranken-  und 
Irrenanstalten  als  Aktenbestandteil  nach  §  96  StPO,  anzusehen, 
müssen  sie  dem  Gerichte  auf  Verlangen  ausgeliefert  werden  und 
unterliegen  sie  der  Beschlagnahme,  oder  aber  bilden  sie  einen  Be¬ 
standteil  des  ärztlichen  Berufsgeheimnisses  und  sind  unter  allen  Um¬ 
ständen  gemäss  §  95,  letztem  Satz  und  §  97  StPO,  geschützt? 

Meiner  Ansicht  nach  fällt  die  Krankheitsgeschichte  unter  allen 
Umständen  unter  das  Berufsgeheimnis  und  es  kommt  ihr  der  Schutz 
der  erwähnten  Paragraphen  ganz  selbstverständlich  zu.  Die  vom 
Arzt  geführten  Krankengeschichten  samt  Anlagen  sind  ihrer  gan¬ 
zen  Natur  nach  keine  Aktenbestandteile  im  Sinne  des  §  96  StPO, 
und  können  den  Akten  und  Schriftstücken  anderer  Behörden  nicht 
gleichgesetzt  werden;  bei  Gerichten  handelt  es  sich  zudem  meist 
um  in  öffentlicher  Verhandlung  vorgebrachtes  Aktenmaterial.  Sol¬ 
chen  Akten  anderer  Behörden  entsprechen  vielmehr  lediglich  unsere 
Personal-  oder  Verwaltungsakten  der  einzelnen  Kranken  mit  den 
Aufnahmebelegen  und  Formalien,  Anfragen  von  Behörden  usw.;  diese 
Akten  werden  von  uns  auch  jederzeit  au  Behörden  auf  berechtigtes 
Verlangen  ausgefolgt. 


Bei  der  Krankengeschichte  aber  handelt  es  sich  ganz  zweifellos 
um  uns  kraft  unseres  ärztlichen  Berufes  und  Amtes  anvertraute 
Privatgeheimnisse  im  Sinne  des  §  300  StPO.,  der  für  uns  als  Beamte 
noch  unterstützt  wird  durch  die  Pflicht  der  amtlichen  Verschwiegen¬ 
heit  (Amtsgeheimnis),  allerdings,  wie  es  hier  scheint,  nicht  für  alle 
Fälle.  Die  Krankengeschichte  ist  einfach  der  schriftliche  Niederschlag 
unserer  vertraulichen  ärztlichen  Beziehungen  zum  Kranken,  der  ge¬ 
rade  weil  er  schriftlich  fixiert  und  nicht  allein  mündlich  uns  über¬ 
antwortet  ist,  umso  sorgfältiger  als  Privatgeheimnis  zu  behandeln 
und  zu  hüten  ist.  Diese  Privatgeheimnisse  dürfen  wir  nur  da  offen¬ 
baren,  wo  wir  uns  als  Aerzte  dazu  für  befugt  halten  können,  wo 
also  unser  Beruf,  nicht  unsere  Beamteneigenschaft  es  uns  erlaubt 
oder  auferlegt.  Die  Herausgabe  oder  Beschlagnahme  der  Kranken¬ 
geschichte  aber  würde  unsere  ärztliche  Berufs-  und  Amtspflicht  auf 
einem  ihrer  wichtigsten  Gebiete  aufs  gröblichste  verletzen.  Wenn 
also  auch  für  andere  Beamtenkategorien  und  Behörden  eine  weiter¬ 
gehende  Pflicht  der  Mitteilung  ihrer  ganz  anders  gearteten  Akten 
und  Schriftstücke  an  die  Gerichte  besteht,  so  muss  sie  für  uns  be¬ 
amtete  Krankenhausärzte  mit  Rücksicht  auf  unser  Berufsgeheimnis 
(§  300  StPO.)  und  mit  Hilfe  der  es  sichernden  Paragraphen  der 
StPO,  bezüglich  unserer  Krankengeschichten  eingeschränkt  werden; 
sie  können  eben  ihrem  ganzen  vertraulichen  Charakter  nach  nicht 
als  mitteilbare  Akten-  und  Schriftstücke  angesehen  werden. 

Aus  diesen  Gründen  müssen  die  ärztlichen  Krankengeschichten 
aller  öffentlichen  Krankenanstalten  im  Gegensätze  zu  den  Personal¬ 
akten  der  Pfleglinge  vor  Auslieferung  und  Beschlagnahme  durch  die 
Gerichte  genau  ebenso  geschützt  werden  wie  die  Aufzeichnungen 
privater  Aerzte  über  ihre  Kranken  auch. 

Die  Abfassung  unserer  Krankengeschichten  geschieht  eben  nicht 
als  Ausfluss  unserer  Beamtentätigkeit  und  in  Erfüllung  einer  amtlichen 
Pflicht,  sondern  sie  ist  das  Produkt  unseres  ärztlichen  Wirkens,  die 
Quintessenz  unseres  wissenschaftlichen  Denkens  über  den  einzelnen 
Fall  und  dient  rein  nur  ärztlichen  Zwecken,  nämlich  der  Kranken¬ 
behandlung,  der  wissenschaftlichen  Forschung  und  Fortbildung;  sie 
ist  nur  für  Aerzte  verfasst  und  verständlich.  Ausserdem  .ist  sie  aber, 
wie  schon  ausgeführt  wurde,  eine  Vertrauensangelegenheit  zwischen 
dem  Arzte  und  dem  Kranken  und,  nicht  zu  vergessen,  mit  dessen 
ganzer  Familie.  Selbst  wenn  eine  Verwaltungsbestimmung  der  Be¬ 
hörde  für  die  Krankenanstalten  die  Führung  von  Krankengeschichten 
anordnet,  so  würde  dies  an  dem  vertraulichen  Charakter  des  In¬ 
haltes  und  an  der  Pflicht  der  Aerzte  zur  Geheimhaltung  gar  nichts 
ändern.  Ein  Recht  der  Behörden  auf  Herausgabe  der  Krankenge¬ 
schichte  könnte  daraus  keinesfalls  hergeleitet  werden.  Auch,  ein¬ 
mal  gesetzt  den  Fall,  eine  Verordnung  der  Vorgesetzten  Behörde  be¬ 
stimmte,  dass  die  Krankengeschichte  als  Aktenbestandteil  zu  be¬ 
handeln  und  ihr  und  auf  ihr  Verlangen  auch  anderen  Behörden,  ins¬ 
besondere  den  Gerichten,  generell  oder  im  einzelnen  Fall  auszu¬ 
liefern  sei,  so  könnte  diese  Bestimmung  nach  meiner  Auffassung  weder 
die  Mitteilung  der  Krankengeschichte  aus  einer  unbefugten  zu  einer 
befugten  machen,  noch  den  §  300  und  die  ihn  unterstützenden  Be¬ 
stimmungen  der  StPO,  aus  dem  Wege  räumen.  Dem  Beamten  in 
uns  möchte  aus  Subordinationsgefühl  vielleicht  eine  solche  Weisung 
zwar  genügen,  dem  Arzte  in  uns  darf  sie  aber  nicht  genügen;  er  muss 
sich  auch  der  Behörde  gegenüber  auf  sein  ärztliches  Recht  und  seine 
Pflicht  der  Berufsverschwiegenheit  stützen  und  eine  Auseinander¬ 
setzung  und  Entscheidung  unter  Berufung  auf  den  §  300  StPO,  ver¬ 
langen.  Und  die  Vorgesetzte  Behörde  wird  diesem  klaren  Para¬ 
graphen  der  Gesetzgebung  gegenüber  ihre  gegenteilige  Auffassung 
oder  Anordnung  nicht  aufrecht  erhalten  können.  Denn  erstens  wird 
sie  ihre  Beamten  als  Aerzte  nicht  in  einen  so  schweren  Konflikt  mit 
ihrer  obersten  und  heiligsten  Berufspflicht  bringen  wollen,  sondern 
gegenteils  das  Festhalten  daran  gerade  im  Interesse  ihres  Beamten¬ 
standes  anerkennen  und  sogar  unterstützen  sollen,  da  ja  die  Be- 
amtentiiehtigkeit  in  ihrem  eigensten  Wesen  auf  der  gewissenhaften 
Ausübung  der  Berufspflichten  beruht.  Zweitens  darf  aber  die  Be¬ 
hörde  nicht  selbst  die  Hand  dazu  bieten,  dass  einer  der  Paragraphen 
des  StGB,  abgeschwächt  oder  gefährdet  wird.  Der  Staat  kann  nicht 
auf  der  einen  Seite  den  §  300  als  Bestandteil  seiner  Rechtsordnung 
statuieren  und  ihn  andererseits  für  einen  Teil  seiner  Staatsbürger  und 
Aerzte  deshalb,  weil  sie  zugleich  staatliche  Bamte  sind,  die  doch 
als  solche  doppelt  streng  an  die  Einhaltung  der  Gesetze  gebunden 
sein  sollen,  wieder  durch  Vollzugsbestimmungen  oder  Verwaltungs¬ 
anordnungen  illusorisch  machen  wollen. 

Das  Gleiche  gilt  natürlich  auch  vom  Einverlangen  der  Krank¬ 
heitsgeschichten  seitens  der  Gerichte,  des  Untersuchungsrichters  und 
Staatsanwaltes,  für  Zwecke  der  Rechtsverfolgung;  auch  sie  können 
im  allgemeinen  auf  der  Herausgabe  gegenüber  dem  §  300  nicht  be¬ 
stehen.  Selbst  im  §  139  StGB.  (Verhütung  schwerer  Verbrechen) 
handelt  es  sich  für  den  Arzt  nur  um  die  Pflicht  zur  vorherigen  An¬ 
zeige,  nicht  um  Auslieferung  der  Krankengeschichte:  das  ist  etwas 
wesentlich  Anderes.  Erst  wenn  die  Anzeige  vom  Arzt  verweigert 
würde,  könnte  die  Beschlagnahme  der  Krankengeschichte  im  ge¬ 
bieterischen  Interesse  der  Rechtsverfolgung  in  Frage  kommen. 

Dagegen  ist  es  allerdings  richtig,  dass  wir,  falls  das  Gericht 
selbst  auf  unsere  Weigerung  der  Herausgabe  der  Krankengeschichte 
hin  bei  uns  eine  Haussuchung  gemäss  §  102  u.  f.  StPO,  und  die 
Beschlagnahme  der  Krankengeschichte  vornehmen  würde,  uns  da¬ 
gegen  nicht  wehren  könnten.  Wir  dürfen  aber  sicher  von  den  Ge¬ 
richten  als  den  obersten  Hütern  der  Gesetze  soviel  Zurückhaltung 


22 76 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  -17. 


vor  dem  §  3ÜU  voraussetzen,  dass  sie  zu  einer  solchen  Handlung 
doch  nur  als  letztem  Hilfsmittel  beim  Versagen  aller  anderen  (ärzt¬ 
licher  Zeugen-  oder  Sachverständigenaussagen),  also  höchstens  in 
Ausnahmefällen,  schreiten  werden  und  dann  erst  nach  genauer  Ab¬ 
wägung  aller  darein  spielenden  Rechtsfragen  und  auf  Grund  eines 
förmlichen  Gerichtsbeschlusses.  Je  ernster  es  mit  dieser  Prüfung 
aber  genommen  wird,  desto  seltener  werden  wir  vermutlich  eine 
Haussuchung  und  Beschlagnahme  zu  gewärtigen  haben. 

Dass  es  aber  recht  schwierige  Fälle  dieser  Arzt,  so  z.  B.  auch 
der  Kollision  des  §  300  mit  anderen  Strafgesetzparagraphen  oder 
anderen  Reichsgesetzen,  geben  kann,  wird  allerdings  ohne  weiteres 
zuzugeben  sein;  sie  sind  vielleicht  sogar  häufiger  als  wir  Aerzte  für 
uns  allein  zu  beurteilen  vermögen.  Wo  die  rechtliche  Notwendigkeit 
und  Befugtheit  der  Herausgabe  der  Krankengeschichte  trotz  des  §  300 
einwandfrei  nachgewiesen  ist,  werden  wir  natürlich  die  Krankenge¬ 
schichte  ohne  Zwangsmassnahmen  herausgeben. 

Im  allgemeinen  werden  aber  trotz  solcher  Streitfragen  die 
Interessen  der  Rechtsverfolgung  selten  durch  den  §  300  verkürzt 
werden.  Denn  die  Aerzte  haben  sich  zu  allen  Zeiten,  soweit  sie 
es  mit  ihrem  ärztlichen  Gewissen  irgend  vereinbaren  konnten,  dem 
Gerichte  in  liberalster  Weise  als  Zeugen,  Sachverständige  und  Gut¬ 
achter  zur  Verfügung  gestellt.  Und  darauf  kommt  es  doch  hier  im 
wesentlichen  an;  der  Inhalt  der  Krankengeschichte  selbst  als  rein 
ärztlich-wissenschaftliche  Niederschrift  wird  für  die  Gerichte  dagegen 
in  der  Regel  ausser  Betracht  bleiben  können.  Bei  dieser  Tätigkeit 
des  Arztes  vor  Gericht  ist  die  Sachlage  aber  eine  total  andere.  Hier 
bestimmt  der  Arzt,  ob  er  aussagen  will  oder  nicht;  tut  er  es,  so 
stattet  er  in  Gemässheit  des  Zeugen-  oder  Sachverständigeneides  auf 
Grund  seiner  allgemeinen  ärztlichen  Ausbildung  und  seiner  speziellen 
Kenntnis  des  Falles  in  befugter  Weise  ein  ärztliches  Urteil  in  einem 
Rechtsverfahren  ab.  Bei  der  Abgabe  der  Krankengeschichte  an  das 
Gericht  aber  würde  er  ihm  als  Arzt  unter  der  selbstverständlichen 
Abmachung  der  Verschwiegenheit  anvertraute  Geheimnisse  unbefugt 
und  in  einer  Form  aus  der  Hand  geben,  die  der  andere,  sei  es 
auch  eine  Behörde,  so  doch  jedenfalls  ein  Laie  in  ärztlichen  Dingen, 
selbst  unabsichtlich  und  unbewusst  missbräuchlich  verwenden  kann. 

Hier  wie  überall  muss  eben  durchaus  mit  dem  vertraulichen 
Charakter  der  ärztlichen  Krankengeschichten  gerechnet  werden.  Sie 
sind  nun  einmal  keine  Aktenstücke  wie  das  Material  anderer  Be¬ 
hörden,  die  unter  bestimmten  Bedingungen,  ohne  das  Recht  Be¬ 
teiligter  zu  verletzen,  an  Behörden  mitgeteilt  werden  dürfen,  sondern 
sie  sind  und  bleiben  ärztliche  Privatgeheimnisse,  deren  Schutz  durch 
den  8  300  gewährleistet,  deren  Preisgabe  durch  ihn  mit  Strafe  ver¬ 
folgt  wird.  Dies  ist  der  übergeordnete  Gesichtspunkt  nach  dem  offen¬ 
baren  Willen  des  Gesetzgebers.  Der  wahre  Geist  und  Zweck  des 
8  300  will  die  ärztliche  Verschwiegenheit  als  ein  hohes  sittliches  Gut 
der  Allgemeinheit  und  jedes  Einzelnen  so  stark  als  möglich  vor  Miss¬ 
brauch  schützen.  Diesen  Willen  des  Gesetzes  kann  meiner  Ueber- 
zeugung  nach  weder  ein  Paragraph  der  Strafprozessordnung  noch 
eine  behördliche  Verordnung  durchbrechen. 

3.  Kann  die  Mitteilung  der  Krankengeschichte  auch  von  andern 
als  richterlichen  Behörden  mit  Recht  verlangt  werden  oder  darf  hier 
die  Herausgabe  bedingungslos  abgelehnt  werden? 

Hierüber  können  wir  uns  nach  den  eben  gemachten  Ausführungen 
kurz  fassen.  Nach  meiner  Ueberzeugung  kann  in  solchen  Fällen  die 
Herausgabe  bedingungslos  verweigert  werden;  es  besteht  bei  keiner 
Behörde  ein  Recht,  in  unser  Vertrauensverhältnis  zum  Kranken  und 
in  unser  Berufsgeheimnis  einzudringen.  Dies  gilt  sogar  auch  für  die 
direkt  Vorgesetzten  Behörden  der  Anstalten.  Hier  sind  wir  rein  nur 
die  ärztlichen  Vertrauenspersonen  unserer  Kranken,  in  deren  Schrift-  1 
lieh  nicdergelegte  Geheimnisse  wir  in  Auslegung  des  §  300  RStGB.  I 
niemand  Unberechtigtem,  d.  h.  keinem  Laien,  Nichtarzte  Einblick  ge¬ 
währen  dürfen.  Sobald  wir  die  Krankengeschichte  aus  der  Hand  des 
Arztes  ausliefern,  geben  wir  sie  Unberechenbarkeiten  preis  und  blei¬ 
ben  über  ihre  Verwendung  im  unklaren.  Ihr  Inhalt  wird  Nichtärzten 
bekannt  und  für  nichtärztliche  Zw'ecke  verwertet.  Damit  ist  selbst 
unbeabsichtigtem  Missbrauch  Tür  und  Tor  geöffnet;  denn  nur  ein 
Arzt  kann  Krankengeschichtsaufzeichnungen  richtig  beurteilen,  wie 
im  allgemeinen  so  ganz  besonders  auf  dem  schwierigen  Gebiete  der 
Psychiatrie.  Schon  daraus  ergibt  sich,  ganz  abgesehen  vom  Ge¬ 
sichtspunkte  des  Vertrauensbruchs  und  der  unbefugten  Preisgabe  von 
Privatgeheimnissen,  auch  das  Absurde  der  Auslieferung  der  Kran¬ 
kengeschichte  in  Laienhände. 

Keinesfalls  dürfen  wir  uns  darauf  cinlassen,  dass  das  einfache 
Anfordern  einer  Behörde  das  Aufgeben  des  Berufsgeheimnisses  oder 
die  Herausgabe  der  Krankengeschichte  rechtfertige,  aus  einer  un¬ 
befugten  zu  einer  befugten  Handlung  mache.  Befugt  wird  die  Heraus¬ 
gabe  im  allgemeinen  erst  durch  die  Einwilligung  des  verfiigungs- 
fähigen  Kranken  oder  des  Vormunds  eines  Entmündigten;  ja  selbst 
hiebei  können  dem  gewissenhaften  Arzte  noch  Bedenken  genug  auf¬ 
steigen. 

Ob  es  darüber  hinaus  und  mit  Ausnahme  der  noch  zu  besprechen¬ 
den  Ausleihung  an  Berufsgenossen  überhaupt  noch  andere  Fälle  gibt, 
wo  etwa  beim  Vorliegen  höherer  Interessen  der  Arzt  zur  Herausgabe 
an  Behörden  entweder  verpflichtet  ist  oder  dazu  gezwungen  werden 
kann,  erscheint  mir  mehr  wie  fraglich.  Auch  staatliche  Behörden 
können  meiner  Ansicht  nach  darin  vor  andern  nichts  voraus  haben: 
ihre  Interessen  entbinden  uns  von  unseren  ärztlichen  Pflichten  nicht, 
selbst  wenn  Bestimmungen  der  Beamtengesetzgebung  und  der  Straf¬ 
prozessordnung  dafür  geltend  gemacht  würden.  Der  Hinweis  auf 


unsere  eigene  Beamten-  und  Behördeneigenschaft  kann  nicht  wirk¬ 
sam  sein:  denn  auf  Beamte  und  Behörden,  die  wir  zugleich 
ärztliche  Instanzen  sind,  können  jene  Bestimmungen  keinen  Bezug 
haben.  Bei  der  Hergabe  der  Krankengeschichte  kommt  nicht  unser 
Verhältnis  nach  auswärts  zu  andern  Behörden  und  unser  amtlicher 
Verkehr  mit  ihnen  in  Betracht,  sondern  einzig  und  allein  unser  ärzt¬ 
liches  Vertrauensverhältnis  zum  einzelnen  Kranken  und  die  still¬ 
schweigende.  selbstverständliche  Voraussetzung  der  Geheimhaltung 
der  uns  an  vertrauten  Privatgeheimnisse;  auf  die  Absicht  und  den 
Willen  des  Anvertrauenden,  des  Patienten  kommt  es  hier  allein  an. 

Wenn  auf  irgendeine  Materie,  so  müssen  auf  die  Behandlung 
unserer  ärztlichen  Krankengeschichten  samt  Anlagen  nach  ihrem  gan¬ 
zen  vertraulichen  Charakter  die  unser  ärztliches  Amt  und  unser  Be¬ 
rufsgeheimnis  schützenden  Paragraphen  zutreffen  und  den  andern 
Vorgehen;  d.  h.  der  §  300  StGB,  und  die  §§  52,  95  und  96  der  StPO, 
gelten  sinngemäss  auch  für  uns  beamtete  Aerzte  im  Verkehr  mit 
andern  Behörden;  hierin  kommen  uns  die  gleichen  Rechte  und  Pflich¬ 
ten  wie  den  Privatärzten  zu. 

Etwa  bestehende  Gesetzesbestimmungen  und  Verwaltungsvor¬ 
schriften  oder  im  einzelnen  Falle  gegebene  Anordnungen  gegenteiligen 
Sinnes  müssten,  wie  oben  auseinandergesetzt  wurde,  hinter  dem 
8  300  zuriiekstehen. 

Dagegen  werden  wir,  soweit  unser  ärztliches  Berufsgeheimnis 
nicht  berührt  wird,  auch  diesen  Behörden  für  die  Verfolgung  ihrer 
staatlichen  Aufgaben  stets  gerne  durch  Ueberlassung  der  Personal¬ 
akten  oder  zweckdienliche  Auskunfterteilung  an  die  Hand  gehen. 
Durch  Verweigerung  der  Krankengeschichten  werden  also  auch  hier 
die  staatlichen  Interessen  nicht  geschmälert  oder  gehemmt. 

(Schluss  folgt.) 


Aus  der  II.  Abteilung  fiir  Haut-  und  Geschlechtskrankheit  im 
k.  k.  Allgemeinen  Krankenhause  in  Wien  (Vorstand:  Professor 

S.  E  h  r  m  a  n  n). 

Ueber  Abortivkur,  Spirochätenreste  und  kombinierte 
Behandlung  der  Syphilis. 

Von  Dr.  Wilhelm  L  i  e  r,  Assistent. 

(Schluss.) 

Was  die  Ehrlich  sehen  Präparate  betrifft,  so  verwenden  wir 
da  seit  2  Jahren  ausschliesslich  das  Neosalvarsan.  Seine  sympto¬ 
matische  Wirkung  ist  der  des  Salvarsans  gleich,  seine  Wirkung  auf 
die  WaR.  vielleicht  etwas  schwächer,  kann  aber  durch  die  grössere 
Häufigkeit  der  Injektionen  ausgeglichen  werden.  Dabei  ist  cs  infolge 
seiner  leichten  Löslichkeit  und  der  neutralen  Reaktion,  infolge  der 
Möglichkeit,  es  in  konzentrierter  Form  zu  geben,  soviel  bequemer, 
dass  seine  Anwendung  in  grossen  Betrieben,  wie  dem  unsrigen  eine 
wesentliche  Erleichterung  der  Arbeit  bedeutet.  Indem  wir  es  ferner 
von  Anfang  an  vermieden  haben,  jene  übergrossen  Dosen  zu  geben, 
wie  sie  ursprünglich  —  namentlich  von  Schreiber  —  empfohlen 
wurden,  haben  wir  bei  nunmehr  3000  Injektionen  niemals  einen  Todes¬ 
fall  oder  auch  nur  einen  ernsteren  Zwischenfall  erlebt.  Vorüber¬ 
gehende  Störungen,  die  auf  zu  rascher  Darreichung  des  Neosalvarsans 
in  Form  von  3  Injektionen  innerhalb  einer  Woche  beruhen,  haben  wir 
im  Beginne  der  Anwendungszeit  des  Neosalvarsans  öfters  gesehen; 
sie  sind  damals  auch  von  einer  Reihe  anderer  Autoren  beobachtet 
und  allgemein  auf  die  Kumulierung  des  Mittels  bezogen  worden.  Seit 
wir  zwischen  die  einzelnen  Injektionen  Intervalle  von  mindestens 
1  Woche  eingeschaltet  haben  und  als  maximale  Einzeldose  die  Gabe 
von  0,6  Neosalvarsan  verwenden  —  Dosen  von  0,9  geben  wir  nur 
ganz  ausnahmsweise  bei  sehr  kräftigen  Männern  — ,  haben  wir 
nennenswerte  Störungen  nicht  mehr  erlebt.  Da  wir  ferner  schon 
frühzeitig  daran  gegangen  sind,  jeder  Neosalvarsaninjektion  eine  je 
nach  dem  betreffenden  Stadium  der  Erkrankung,  mehr  oder  weniger 
intensive  Hydrargyrumbehandlung  vorauszuschicken  und  überdies 
auch  die  1.  Neosalvarsaninjektion  möglichst  vorsichtig  zu  dosieren. 

ich  möchte  z.  B.  darauf  hinweisen,  dass  bei  dem  jüngst  von  F  r  ii  h- 
wald  beschriebenen  Todesfall  nach  intravenösen  Neosalvarsaninjek- 
tionen  bei  einer  Patientin  mit  sekundärer  Lues  keine  Hydrargyrum- 
behandlung  vorausgeschickt  wurde  und  beide  Injektionen  grosse 
Dosen  von  Nosalvarsan  waren  —  haben  wir  auch  die  initiale,  oft 
fieberhafte  Jarisch-Herxheimer  sehe  Reaktion  vermeiden 
bzw.  tunlichst  herabzusetzen  gelernt,  so  dass  wir  im  Allgemeinen 
die  Gefahren  der  Ncosalvarsanbehandlung  nicht  wesentlich  höher  als 
die  der  früheren  Luestherapie  einschätzen  und  seit  1  Jahre  auch 
dazu  übergegangen  sind,  die  Injektionen  ambulatorisch  zu  machen. 
Dazu  verwenden  wir  eine  Lösung  in  10  ccm  frisch  destillierten, 
sterilen  Wassers  und  die  Rekordspritze.  Dabei  muss  natürlich  auf 
Grund  mehrerer  in  der  letzten  Zeit  beschriebenen  Todesfälle  nach 
kleinen  Dosen  die  Möglichkeit  des  unglücklichen  Ausganges  einer  In¬ 
jektion  bei  einem  entsprechend  „disponierten“  Individuum  zugegeben 
werden.  Tatsache  ist  aber,  dass  in  weitaus  der  Mehrzahl  Todesfälle 
nur  nach  verhältnismässig  hohen  Salvarsandosen  vorgekommen  sind, 
wie  dies  jüngst  wieder  Kohrs  und  Schmitt  in  seiner  Kritik  der 
Salvarsantodesfälle  betont  hat.  Wir  haben  bisher  glücklicherweise, 
wie  schon  erwähnt,  bei  über  3000  Injektionen  keinen  Unglücksfall 
zu  verzeichnen. 


-4.  November  1914. _  MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2277 


Ich  möchte  an  dieser  Stelle  nochmals  an  einen  besonderen  Vorzug 
in  die  öfters  erwähnte,  aber  scheinbar  doch  zu  wenig  beachtete 
Möglichkeit  erinnern,  das  Neosalvarsan  auch  intramuskulär  zu  appli- 
ieren.  An  nunmehr  60  solchen  Einspritzungen  konnte  ich  mich  über- 
eugen,  dass  sie  in  isotonischer  wässeriger  Lösung  niemals  bleibende 
nfiltrate  oder  gar  Abszesse  maclien.  Da  wir  immerhin  öfters  auf 
’atier.ten  stossen,  bei  denen  infolge  ihrer  schlechten  Venen  eine 
atravenöse  Injektion  ausgeschlossen  ist,  wird  man  von  ihr  genug 
iebrauch  machen  können;  auch  wird  sie  als  erste  Einspritzung  in 
enen  Fällen  am  Platze  sein,  in  welchen  jede  Reaktion  tunlichst 
ennieden  werden  soll.  Ueber  die  neuerdings  von  Kersten  emp- 
ohlenen  intramuskulären  Neosalvarsaninjektionen  in  konzentrierter, 
wässeriger  Lösung,  kann  ich  mangels  eigener  Erfahrung  noch  nichts 
agen. 

Was  die  Kontraindikationen  der  Ehrlich  sehen  Präparate  be¬ 
ruft,  so  haben  sie  in  den  letzten  Jahren  eine  wesentliche  Einschrän- 
ung  erfahren.  Uns  gelten  als  solche  nur  die  banalen  katarrhali- 
clien  Affektionen  der  oberen  Luftwege,  Schnupfen,  Angina  und  die 
og.  „Influenza“,  weil  dabei  das  Salvarsan  Fieber,  unangenehme 
lebenerscheinungen  macht  und  schlechter  vertragen  wird;  sonst 
chwere  inkompensierte  Vitien,  vorgeschrittene  Arteriosklerose,  wes- 
alb  wir  ungerne  Leuten  über  55  Jahren  injizieren,  schwere  paren- 
hymatöse  Erkrankungen  der  inneren  Organe,  auch  echter  Diabetes 
lellitus  und  endlich  zum  Teil  die  Affektionen  des  inneren  Ohres.  Ich 
age  zum  Teil,  weil  ich  gerade  in  letzter  Zeit  bei  zwei  Patientinnen 
ureh  die  Anwendung  von  Neosalvarsan  besten  Erfolg  erzielen 
onnte,  bei  denen  auf  hereditärsyphilitischer  Basis  eine  fortschrei- 
mde  Erkrankung  des  inneren  Ohres  entstanden  war.  Die  Kranken- 
eschichten  sind  folgende: 

M.  Sch.,  19  Jahre,  Kontoristin. 

Ueber  die  Eltern  der  Patientin  und  ihre  Geschwister  konnte  ich 
iehts  erfahren.  Sie  hat  an  beiden  Augen  Narben  nach  Keratitis 
arenchymatosa.  Das  früher  gute  Hörvermögen  verschlechterte  sich 
lötzlich  vor  wenigen  Wochen  und  nahm  rasch  immer  mehr  ab. 

Ohrenbefund:  Doz.  Dr.  Ruttin  (Klinik  Urbantschitsch). 
rommelfelle  normal.  Konversationssprache  recht  10  cm,  links  20  cm. 
lit  Hörschlauch  rechts  keine  Besserung,  links  Besserung.  Weber 
:chts,  Rinne  beiderseits  negativ.  Schwabach  beiderseits  stark  ver- 
iirzt.  Ci  beiderseits  bei  stärkstem  Anschlag  nur  einen  Moment  ge¬ 
ölt.  C4  beiderseits  stark  verkürzt.  Kein  Fistelsymptom,  kein  spon- 
ner  Nystagmus.  Beim  Drehversuch  stark  herabgesetzte  Erregbar¬ 
em  beider  Seiten. 

Kalorische  Reaktion  beiderseits  nur  in  Spuren.  WaR.  ++++. 

5.  II.  14.  Hörvermögen  nach  einer  intramuskulären  Neo- 
ilvarsaninjektion  von  0,45  wie  vorher.  Ohrensausen  gebessert, 
chwindel  hat  aufgehört. 

5.  IV.  14.  Pat.  hat  inzwischen  eine  wzeite  Neosalvarsaninjek- 
on  intramuskulär  erhalten.  Hörvermögen  rechts  Vzm,  links  lm 
leutlich  gebessert). 

A.  K.,  9  Jahre  alt  aus  Czernowitz.  Der  Vater  des  Kindes  ist 
abiker,  leidet  an  heftigen  lanzinierenden  Schmerzen  in  den  Extremi- 
ten.  Die  Mutter  hat  3  mal  abortiert.  Das  Kind  selbst  steht  seit 
Jahren  wegen  einer  Keratitis  parenchymatosa  in  Behandlung;  bis 
tide  des  vorigen  Jahres  hörte  es  gut.  Zu  dieser  Zeit  begann  eine 
ipide  fortschreitende  Verschlechterung  des  Hörvermögens  beider 
hren  Sajodinbehandlung  war  ohne  Erfolg. 

Hörvermögen:  Auf  dem  linken  Ohre  wurden  nur  sehr  laut 
^gesprochene  Probeworte  gehört,  auf  dem  rechten  besteht  kom- 
ette  Nerventaubheit.  Kein  spontaner  Nystagmus.  Die  Vestibular- 
»parate  beiderseits  ergeben  bei  der  Prüfung  auf  ihren  Erregungs- 
istand  normalen  Befund. 

WaR.  ++++. 

16.  VII.  14.  Das  Kind,  das  zurzeit  noch  in  Beobachtung  steht, 
hielt  eine  Schmierkur  und  ausserdem  bisher  5  Injektionen  von  0,2 
s  0,45  Neosalvarsan  intravenös.  Selbstverständlich  wurde  die  erste 
eosalvarsaninjektion,  der  5  Einreibungen  vorausgeschickt  wurden, 
•sonders  gering  gewählt. 

Ohrenbefund:  Deutliche  Hörverbesserung  auf  beiden  Ohren 
zw.  hört  das  rechte,  früher  taube  Ohr  Vz  m  Konversationssprache, 
»er  keine  Flüstersprache,  das  linke  versteht  Konversationssprache 
if  2  m,  Flüstersprache  auf  10  cm.  Vestibularbefund  wie  früher. 

Die  Behandlung  wird  fortgesetzt. 

Es  beweist  dies,  dass  die  Erkrankung  des  inneren  Ohres,  wenn 
i  auf  erbsyphilitischer  Basis  beruht,  nicht  als  Kontraindikation  gegen 
e  Anwendung  des  Ehrlichschen  Mittels  angesehen  werden  kann 
ergl.  Beck,  M.m.W.  1912  Nr.  35);  doch  muss  vorher  durch  Einleitung 
aer  Quecksilberkur,  die  am  besten  in  Form  von  Einreibungen  oder 
it  löslichen  Injektionen  begonnen  wird,  die  Gefahr  einer  stärkeren 
kalen  Reaktion  beseitigt  und  überdies  die  erste  Neosalvarsan- 
iektion  besonders  klein  dosiert  werden.  p  Auch  ist  die  kombinierte 
-handlung  entsprechend  lange,  durchschnittlich  mindestens  durch 
Monate  fortzusetzen. 

Seitens  des  N.  opticus  kennen  wir  eine  Kontraindikation  iiber- 
upt  nicht;  wir  haben  sowohl  bei  genuiner  als  bei  syphilitischer 
»tikusatrophie,  ohne  jemals  zu  schaden  —  die  Untersuchungen  wur- 
n  ophthalmoskopisch  kontrolliert  —  wiederholt  Neosalvarsan  ge- 
dnsim  mit  Hydrargyrum  gegeben. 

Auch  Störungen  seitens  der  Nieren,  wenn  sie  nicht  sehr  hoch- 
adig  sind,  bilden  keine  unbedingte  Gegenanzeige.  Ja,  wenn  ausser 

Nr.  47. 


der  positiven  WaR.  manifeste  klinische  Erscheinungen  der  Lues  da 
sind,  deren  Beseitigung  nötig  ist,  sind  wir  sogar  gezwungen,  zum 
Neosalvarsan  zu  greifen.  Das  werden  wir  dann  aber  natürlich  nur 
sehr  vorsichtig  und  unter  steter  Urinkontrolle  anwenden  dürfen.  Als 
Beispiel  dafür  kann  ich  2  Fälle  anführen: 

Beim  ersten  handelte  es  sich  um  einen  42  jährigen  Manu,  der 
an  Asthma  cordiale  infolge  starker  Adipositas  cordis  litt  und  eine 
hämorrhagische  Nephritis  mit  3  Prom.  Albumin  hatte.  Er  akquirierte 
eine  frische  Lues,  in  deren  Verlauf  ein  Exanthem  am  Stamme  und  ein 
Palmar-  und  Plantarsyphilid  auftrat.  Nach  Hydrargyruminjektionen 
verschlechterte  sich  der  Urinbefund,  der  Eiweissgehalt  stieg,  so  dass 
ich  damit  aufhören  musste.  Dagegen  behoben  5  Einspritzungen  von 
Neosalvarsan,  deren  erste,  kleinste  0,10,  deren  grösste  0,45  Neo¬ 
salvarsan  betrug,  die  manifesten  Symptome  der  Lues,  ohne  dass  der 
Eiweissgehalt  zugenommen  hatte. 

Der  zweite  Fall  betrifft  einen  Privatpatienten  meines  Chefs,  einen 
54  jährigen  Mann,  der  vor  4  Jahren  eine  Sklerose  gehabt  hatte.  Im 
Laufe  seiner  Syphilis  war  bei  ihm  eine  Nephritis  entstanden,  die 
durch  weitere  Hydrargyrumkur  bedeutend  verschlechtert  wurde. 
5  Neosalvarsaninjektionen,  die  grösste  0,45,  beseitigten  die  klinischen 
Erscheinungen.  Gleichzeitig  sank  der  Albumengehalt  von  18  auf 
2  Prom  ;  in  der  letzten  Zeit  ist  er,  nachdem  der  Patient  neuerdings 
2  Neosalvarsaninjektionen  erhalten  hatte,  bis  auf  minimale  Spuren, 
völlig  geschwunden. 

Von  Neurorezidiven  kann  ich  hier  nur  über  3  berichten.  Wenn 
es  auch  vielleicht  mehrere  gewesen  sein  mögen,  so  stehen  sie  doch 
an  Zahl  weiter  hinter  der  am  Anfang  der  Salvarsantherapie  be¬ 
obachteten  zurück.  Es  ist  dies  zweifellos  lediglich  die  Folge  der 
energischeren  Ausgestaltung  der  kombinierten  Behandlungsmethode. 

Die  betreffenden  Fälle  sind  die  folgenden: 

M.  Q.,  26  Jahre  alt.  1.  Erkrankung  im  Juni  1912  mit  Lues 
maculo-papulosa.  Erhielt  damals  ambulatorisch  17  Hydrargyrum- 
salicyl.-Injektionen  ä  0,05  ccm.  2.  Erkrankung  4.  XI.  bis  9.  XII.  12 
mit  einer  Rezidivroseola  am  Stamme,  Papeln  am  Genitale  und  im 
Munde.  Wurde  mit  6  Kalomel-  und  10  Hydrargyrum-salicyl. -Ein¬ 
spritzungen  ä  0,05  ccm  behandelt  und  bekam  ausserdem  2  mal  Neo¬ 
salvarsan  zu  0,2  und  0,3  intravenös.  Am  21.  III.  13  kam  sie  mit 
der  Angabe  von  nunmehr  über  6  Wochen  bestehenden  Kopfschmerzen, 
Ohrensausen  und  Schwindel  wieder  zur  Aufnahme.  Am  Körper 
waren  jetzt  keine  Erscheinungen,  auch  der  Nervenbefund  war  normal, 
dagegen  ergab  die  Ohruntersuchung  (Klinik  Urbantschitsch):  Rechtes 
Ohr  normal,  linkes  Ohr  blosse  Schallempfindung.  Kalorische  Erreg¬ 
barkeit  sehr  schwach.  Drehreaktion  nicht  auslösbar.  Geringer  spon¬ 
taner  Nystagmus  nach  rechts. 

Es  bestand  also  eine  fast  vollständige  Ausschaltung  des 
Kochlearis-  und  Vestibularisgebietes,  die  durch  eine  neue  Hydrar- 
gyrum-Neosalvarsankur  vollständig  behoben  wurde. 

E.  B.,  40  Jahre  alt,  Hausbesorgerin.  Infiziert  von  ihrem  Manne 
im  Mai  1913.  Damals  mit  20  Hydrargyruminjektionen  behandelt.  Lag 
dann  vom  8.  XI.  bis  10.  XII.  13  wegen  luetischer  Iritis  papulosa 
auf  der  Klinik  Dimmer,  wo  sie  Einreibungen  bekam.  Anfangs  De¬ 
zember  1913  trat  ein  Exanthem  akut  am  Stamme  auf,  das  ursprünglich 
für  syphilitisch  gehalten  wurde,  weshalb  sie  neuerdings  13  Hydrar- 
gyrum-salicyl.-Injektionen  ä  0,05  und  2  mal  Neosalvarsan  (kleine 
Dosen)  erhielt.  Später  stellte  sich  der  Ausschlag  als  ein  psoriari- 
former  Lichen  ruber  planus  heraus.  6  Wochen  nach  Abschluss 
dieser  Kur  bekam  sie  sehr  starken  Kopfschmerz,  häufiges  Erbrechen, 
magerte  stark  ab.  Kein  Schwindel,  doch  starkes  Ohrensausen. 
Wurde  deshalb  neuerdings  aufgenommen.  Die  Untersuchung  der  Pa¬ 
tientin  ergab  jetzt  folgendes  (I.  med.  Abteilung,  Prof.  Pal): 

Keine  Erscheinungen  auf  der  Haut  ausser  den  Pigmentierungen 
nach  dem  Lichen  ruber.  In  einem  Anfalle  von  Morbus  sacer,  der 
bei  ihrem  Krankenhausaufenthalte  beobachtet  wurde,  besteht  Ein¬ 
stellungsnystagmus  nach  rechts.  Bauchdeckenreflexe  rechts  stark  ge¬ 
steigert,  links  nicht  auslösbar.  Reflexe  an  den  unteren  Extremitäten 
bedeutend  erhöht  (Patellar-  und  Fussklonus).  Oppenheim  rechts 
wie  links  deutlich  positiv.  Sonst  ist  der  Nervenstatus  normal.  WaR. 
vom  29.  IV.  ++++. 

Es  handelt  sich  hier  um  ein  zerebrales  Neurorezidiv,  das  nach 
vorheriger  ungenügender  Behandlung  (13  halbe  Hydrargyrum-salicyl.- 
Einspritzungen  und  2  kleinen  Neosalvarsandosen)  nach  der  typischen 
Zeit  von  6  Wochen  aufgetreten  ist.  Es  zeigt  übrigens  bei  der  jetzt 
noch  in  Beobachtung  stehenden  Patientin  auf  die  neuerdings  einge¬ 
leitete  kombinierte  Behandlung  bereits  bedeutende  Besserung. 

Ein  dritter  Fall  betrifft  einen  Arzt  mit  Sklerose  am  rechten 
Zeigefinger,  der  schon  die  erste  Kur  sehr  lässig  durchgeführt  hatte. 

7  Wochen  nach  der  protrahiert  und  wenig  sorgfältig  gemachten 
zweiten  Kur  erkrankte  er  mit  Schwindel,  Kopfschmerz,  Ohrensausen. 
WaR.  -r-'  I — k  Steht  zurzeit  noch  in  Behandlung. 

Es  leitet  uns  diese  Besprechung  der  Neurorezidive  über  zu 
jenen  merkwürdigen  Rezidiven  der  Haut,  auf  welche  zuerst  Bett- 
mann  als  vermeintliches  Charakteristikum  der  Salvarsanära  nach¬ 
drücklich  hingewiesen  hat.  Sie  wurden  als  Riesenpapeln,  schankri- 
forme  Papeln  und  ähnlich  bezeichnet:  es  handelt  sich  dabei  um 
einzelne  wenige,  abnorm  grosse  oder  in  ihrer  Form  von  der  gewöhn¬ 
lichen  Erscheinungsform  der  Sekundärperiode  abweichende  Erkran¬ 
kungsherde  auf  der  Haut.  Mit  den  Neurorezidiven  haben  sie  das  ge¬ 
meinsam,  dass  sie  auch  fast  regelmässig  4 — 7  Wochen  nach  einer 
offenbar  ungenügenden  Kur  meist  im  primären  oder  im  anfänglichen 

2 


2278 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  47 


sekundären  Stadium  der  Syphilis  auftreten;  dass  sie  gegen  die  The¬ 
rapie  recht  hartnäckig  sind;  und  dass  sie  offenbar  gleich  jenen  der 
intensiven  und  extensiven  Wucherung  lokaler,  liegen  gebliebenen 
Spirochätenreste  ihre  Entstehung  verdanken.  Sind  sie  auch  sicher¬ 
lich  seit  der  Salvarsantheiapie  öfter  beobachtet  worden,  so  sind  sie 
doch  wie  die  Neurorezidive  zweifellos  nicht  die  direkte  Folge  dieser, 
sondern  die  einer  im  jeweiligen  Falle  unzureichenden  Behandlung 
bzw.  Sterilisierung  des  Organismus.  Darum  haben  wir  sie  auch 
nach  missglückter  Abortivkur  mit  Quecksilber  allein  gesehen. 

So  kam  ein  34 jähriger  kräftiger  Mann  im  Juli  1913  wegen 
einer  Sklerose  am  Penis,  einer  mässigen  Skleradenitis  inguinalis  und 
schon  positiver  WaR.  in  unsere  Ambulanz  und  erhielt  dort  10  Hydrar- 
gyrum-salicyl.-Injektionen  ä  0,1  ccm.  3  Wochen  nach  der  letzten 
traten  Erscheinungen  auf  und  zwar  in  Form  eines  zweihandteller¬ 
grossen,  fast  die  ganze  obere  Rückenpartie  einnehmenden  koryinbi- 
formen  Syphilids;  ein  gleiches,  jedoch  kleineres  von  Kokardeniorn 
bestand  an  der  rechten  Brusthäifte  und  an  der  Innenseite  des  rechten 
Vorderarmes. 

Also  3  Monate  nach  der  Infektion  ein  Exanthem,  wie  wir  es  sonst 
um  diese  Zeit  nicht  sehen. 

Ein  besonders  charakteristischer  Fall  dieser  eigenartigen  Maut- 
rezidive  ist  der  nachstehend  mitgeteilte.  Sein  Verlauf  beweist  auch, 
dass  durch  eine  energisch  durchgeführte  Kur  auch  solche  Patienten 
schliesslich  geheilt  werden  können. 

R.  B.,  27  Jahre,  kam  Mitte  Juni  1912  mit  mehreren  Sklerosen 
am  Glied,  einer  Skleradenitis  inguinalis  bilateralis  und  positiver  WaR. 
und  erhielt  20  Einspritzungen  von  Hydrargyrum  salicyl.  ä  0,05  ccm. 
Während  der  letzten  Injektionen  war  eine  grossmakulöse  Roseola 
am  Stamme  und  den  Extremitäten  aufgetreten,  zwischen  welche  ein¬ 
zelne  erbsengrosse,  leicht  schuppende,  papulöse  Effloreszenzen  einge¬ 
streut  waren.  Papeln  am  behaarten  Kopfe,  gruppiertes  papulöses 
Syphilid  am  Genitale  Wegen  dieses  Ausschlages  wurde  er  am 
27.  IX.  12  auf  die  Abteilung  aufgenommen  und  hier  mit  8  Hydrar- 
gyrum-salicyl. -Injektionen  zu  0,05  ccm,  2  Neosalvarsaneinspritzungen 
und  2  Einreibungstouren  behandelt;  am  27.  XI.  mit  negativer  WaR. 
ohne  klinische  Erscheinungen  entlassen.  5  Wochen  später,  zu  Ende 
Dezember  1912,  bemerkte  er  wieder  Flecken  am  Körper  und  suchte 
deswegen  am  14.  I.  13  neuerdings  das  Spital  auf.  Es  bestanden  jetzt 
2  kreisrunde,  kindshandtellergrosse,  flache,  aber  doch  deutlich  infil¬ 
trierte  Herde  vor.  braunroter  Farbe  am  Stamme  und  zwar  einer 
über  der  rechten  Schulter,  der  andere  an  der  linken  Rückenhälfte, 
etwa  über  der  Fossa  supraspinata.  Sie  zeigten  weissliche  Schuppung 
und  dadurch  psoriasiformes  Aussehen.  2 — 3  gleiche  flache  Papeln 
fanden  sich  an  den  Innenseiten  beider  oberen  Extremitäten,  ein  fünf¬ 
kronenstückgrosses  Palmarsyphilid  an  der  rechten  Vola. 

Unter  lokaler  und  sehr  energischer  Allgemeinbehandlung  (3  Neo- 
salvarsan-,  16  Injektionen  von  Hydrargyrum  salicyl.  ä  0,05  und  19 
von  3  Proz.  Hydrargyrum  succinimidatum  sowie  4  Schmiertouren) 
verschwanden  endlich  die  so  lange  resistenten  Papeln  und  die  WaR. 
wurde  negativ.  Sie  ist  es  auch  bei  nunmehr  5  maliger  Nachprüfung 
(letzte  am  21.  IV.  14)  bisher  geblieben,  auch  ist  der  Pat.  dauernd 
frei  von  klinischen  Erscheinungen. 

Ich  möchte  hier  auch  der  Neosalvarsanbehandlung  bei  der  Sy¬ 
philis  Tuberkulöser  dringendst  das  Wort  reden.  Bei  diesen  sieht 
man  unter  einer  irgendwie  stärkeren  Quecksilbertherapie  häufig  eine 
Verschlimmerung  des  Lungenprozesses  eintreten,  während  das  Neo- 
salvarsan  ausgezeichnet  vertragen  wird.  Es  wirkt  als  Roborans 
günstig  auf  das  Allgemeinbefinden  und  damit  auch  auf  die  tuber¬ 
kulöse  Affektion,  anderseits  spezifisch  auf  die  Erscheinungen  der  Sy¬ 
philis  ein,  so  dass  wir  bei  solchen  Patienten  manchmal  die  anti¬ 
luetische  Kur  bloss  mit  Neosalvarsan  durchführen  werden,  das 
übrigens,  da  natürlich  besonders  vorsichtig  und  individualisierend 
gegeben  werden  muss;  höhere  Dosen  als  0,45  wird  man  bei  irgendwie 
ausgebreiteten  Affektionen  überhaupt  nicht  anwenden.  Umsomehr 
als  das  Salvarsan  öfter  geradezu  spezifisch  auf  die  tuberkulösen  Pro¬ 
zesse  zu  wirken  und  Herdreaktionen  hervorzurufen  scheint,  worauf 
zuerst  Herxheimer  und  A  1 1  m  a  n  n  hingewiesen  haben.  Wir 
selbst  haben  ja  gerade  aus  diesem  Grunde  und  wegen  der  günstigen 
Allgcmeinwirkung  in  der  letzten  Zeit  das  Neosalvarsan  als  Hilfsmittel 
auch  bei  der  Behandlung  der  Schleimhaut-  und  Hauttuberkulosen 
und  Tuberkulide  herangezogen,  wie  dies  neuerdings  auch  von  R  a  - 
v  a  u  t,  Tzanck  und  P  e  I  b  o  i  s  geschehen  ist.  Auch  über  die 
Syphilisbehandlung  Tuberkulöser  mit  Neosalvarsan  liegen  günstige 
Berichte  vor  (B  e  r  n  a  r  d  und  P  a  r  a  f,  H  a  r  1 1  e  y). 

Wenn  ich  nun  am  Ende  dieses  Abschnittes  unsere  An¬ 
sichten  über  die  Therapie  der  sekundären  Lues  zusammen¬ 
fasse,  so  hätte  ich  zu  sagen,  dass  wir  auch  bei  ihr  die  kom¬ 
binierte  Behandlung  der  blossen  Quecksilbertherapie  unbedingt 
vorziehen;  dass  wir  auch  in  diesem  Stadium  Anhänger  einer 
möglichst  energischen,  natürlich  individuell  verschiedenen  Be¬ 
handlung  sind.  Besonders  im  Anfangsstadium  der  sekundären 
Lues  sollte  sie  eine  möglichst  intensive,  etwa  nach  Art  der 
früher  geschilderten  Abortivkur  sein,  die  eher  zu  lange  als  zu 
kurz  gemacht  und  auch  hier  noch  über  das  Schwinden  der 
klinischen  und  serologischen  Erscheinungen  fortgesetzt  werden 
soll.  4  Wochen  nach  einer  solchen  ersten  Kur  ist  eine  zweite 


zu  beginnen,  die  eventuell  weniger  stark  sein  kann.  Dadurch 
wird  das  Auskeimen  von  Spirochäten  aus  liegengebliebener 
Nestern  und  das  Auftreten  von  sogenannten  Neurorezidiver 
und  Monorezidiven  der  Haut  mit  Sicherheit  vermieden  und  ii 
der  Mehrzahl  der  Fälle  eine  Dauerheilung  erzielt,  soweit  siel 
bis  jetzt  von  einer  solchen  reden  lässt.  Wo  doch  Erschei 
nungen  auftreten,  ist  die  Behandlung  intermittierend,  unter  Mit¬ 
berücksichtigung  der  Ergebnisse  der  biologischen  Unter¬ 
suchungsmethoden  (WaR.,  Lumbalflüssigkeit),  fortzuführen.  S< 
wird  man  auch  bei  diesen  Patienten  schliesslich  zum  günstiger 
Endziel,  der  Heilung,  kommen. 

Da  es  wohl  keinem  Zweifel  unterliegt,  dass  wir  —  be¬ 
sonders  bei  der  primären  und  im  Beginne  der  sekundären 
Syphilis  —  heute  ausserordentlich  günstige  Resultate  erzielen! 
so  muss  auch  die  Frage,  wann  ein  solcher  Patient  heiraten, 
darf,  einer  Revision  unterworfen  werden.  Gerade  zu  ihreii 
Entscheidung  wird  man  ausser  den  klinischen  und  biologischer 
Untersuchungsmethoden  auch  die  in  Intervallen  mehrfach 
wiederholte  provokatorische  Neosalvarsaninjektion  heran¬ 
ziehen  müssen. 

III. 

Auch  bei  tertiärer  Syphilis  haben  wir  durch  die  kom¬ 
binierte  Behandlung  gute  Resultate  und  oft  eine  negative  WaR 
erzielt.  Wo  die  WaR.  aber  trotz  wiederholter  Kuren  positiv 
bleibt  und  schon  viele  Jahre  seit  der  Infektion  vergangen  sind- 
ohne  dass  Erscheinungen  einer  Erkrankung  des  Nerven-  oder 
Gefässsystems  da  sind,  halten  wir  uns  für  nicht  berechtigt 
bloss  auf  Grund  der  Hämolysenhemmung  die  Behandlung  in 
infinitium  fortzusetzen.  Solche  Patienten  sind  vielmein 
psychisch  als  antiluetisch  zu  beeinflussen. 

Ich  möchte  nunmehr  nur  noch  kurz  über  unsere  Erfolge  bei  der 
spätsyphilitischen  Affektionen  des  Nervensystems  berichten.  Para¬ 
lytiker  haben  wir  nicht  behandelt,  weshalb  wir  darüber  nichts  aus-i 
sagen  können.  Erfolge  bei  der  Tabes  dorsalis  habe  ich  schon  seiner-: 
zeit  erwähnt.  Wir  haben  sie  auch  weiterhin  gesehen  und  möchten 
darum  die  kombinierte  Neosalvarsan-Hydrargyrum-Behandlung  be 
ihr  besonders  befürworten.  Nur  muss  sie  in  mehr  chronischer  Weise 
durchgeführt  nud  meist  eine  grosse  Zahl  von  Neosalvarsaninjektionei 
gegeben  werden,  wenn  der  Erfolg  von  Dauer  sein  soll.  Unsere  ar 
lanzinierenden  Schmerzen  leidenden  Tabiker  kommen  jetzt  bei  Wie¬ 
derkehr  ihrer  Schmerzen  von  selbst  zur  „Ehrlichinjektion“  wieder 
Reaktionen,  die  mit  der  Herxheimer  sehen  in  Parallele  zu  steiler 
sind,  haben  wir  bei  Tabikern  in  Form  stärkerer  Magenschmerzei 
öfters  gesehen,  wo  es  sich  um  gastrische  Krisen  handelte  (vgl 
C  i  t  r  o  n). 

Zum  Schlüsse  möchte  ich  noch  auszugsweise  die  vom  Stand¬ 
punkte  der  Pathologie  wie  auch  des  therapeutischen  Erfolges  inter¬ 
essanten  Krankengeschichten  dreier  Patienten  mit  luetischen  oder 
postluetischen  Nervensystemerkrankungen  mitteilen. 

1.  F.  Sch.,  27  Jahre.  Sklerose  im  Jahre  1909.  Damals  mit 
6  Hydrargyruminjektionen  behandelt  Seither  ohne  Therapie.  Vor 
mehreren  Wochen  trat  Doppeltsehen,  später  eine  Schwäche  der 
rechten  unteren  und  linken  oberen  Extremitäten  auf. 

Status  praesens  vom  5.  III.  14:  Keine  luetischen  Erschei¬ 
nungen  an  Haut  und  Schleimhaut.  Nervenbefund:  Pupillen  mittelweit 
beiderseits  gleich,  reagieren  prompt  auf  Licht  und  Akkomodation; 
Geringer  horizontaler  Nystagmus  beim  Seitwärtsblick.  Die  oberer 
Extremitäten  zeigen  eine  geringe  Herabsetzung  der  motorischen  Kral- 
auf  der  linken  Seite.  Keine  Rigidität  bei  passiven  Bewegungen,  aus¬ 
gesprochene  Ataxie  beiderseits,  keine  Störung  der  Sensibilität 
Leichte  Parese  der  Bauchmuskeln,  Bauchdeckenreflexe  fehlen 
Leichte  Parese  der  beiden  unteren  Extremitäten  mit  hochgradiger 
Ataxie  und  Steigerung  der  Sehnenreflexe.  Andeutung  von  Fussklonus, 
Babinski  beiderseits.  Leichte  Störungen  der  Oberflächensensibilita 
im  Bereiche  des  rechten  Beines.  Der  Gang  ausgesprochen  ataktisch 
Rhomberg  positiv. 

Ophthalmoskopisch  zeigte  sich  beiderseits  Optikusatrophie.  Psy¬ 
chisch  besteht  wechselnde  Stimmung,  häufiges  Zwangslachen 
WaR.  H — M — h 

Durch  energische  antiluetische  Behandlung,  die  mit  10  3  proz 
Sublimatinjektioncn  begonnen,  mit  5  Einreibungstouren  und  4  Neo¬ 
salvarsaneinspritzungen  weitergeführt  wurde,  konnte  fast  völlige  Hei 
Jung  erzielt  werden.  Nur  die  Reflexsteigerung  an  den  unteren  Ex 
tremitäten  und  die  Optikusatrophie  war  bei  der  Entlassung  des  Pa 
tienten,  am  25.  IV.  14,  noch  vorhanden. 

Es  hatte  sich  also  um  eine  Lues  cerebri  gehandelt,  die  gaiu 
unter  dem  Bilde  einer  multiplen  Sklerose  verlaufen  war. 

Bei  dem  2.  Fall,  der  bereits  vor  2  Jahren  von  Stiefler  ir 
Linz  ausführlich  publiziert  worden  ist,  handelte  es  sich  um  einer 
Patienten  von  jetzt  40  Jahren.  Er  akquirierte  seine  Syphilis  1901 
machte  damals  eine  Schmierkur  durch  und  war  dann  ohne  Erschei 
nungen  bis  zum  Jahre  1911,  in  welchem  eine  allmählich  zunehmendi 
Schwäche  der  oberen  Extremitäten  eintrat.  Jetzt  besteht  das  Bild 


M.  November  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2279 


•incr  amyolrophischen  Lateralsklerose.  Durch  eine  Einreibungskur. 
erbunden  mit  bisher  5  Neosalvarsaninjektionen  ist  eine  geringe,  aber 
nit  Rücksicht  auf  den  nunmehr  schon  3  jährigen  Bestand  der  Affektion 
echt  bemerkenswerte  Besserung  in  der  Bewegungsfähigkeit  der 
ibercn  Extremitäten  eingetreten. 

Der  3.  Patient,  ein  Kaufmann  von  43  Jahren,  hatte  die  Sklerose 
or  25  Jahren;  sie  wurde  damals  nur  lokal  behandelt.  Er  war  dann 
ngeblich  frei  von  Erscheinungen  und  daher  auch  ohne  Therapie,  bis 
•r  vor  1  Jahr  —  im  Monate  November  des  Jahres  1912  —  in  einem 
poplektischen  Anfall  (?)  bewusstlos  zusammenstürzte;  doch  erholte 
r  sich  wieder  im  Laufe  der  folgenden  14  Tage,  ohne  dass  irgend  eine 
üörung  zurückblieb.  Am  25.  IV.  13  suchte  er  zum  Zwecke  der 
Jlutuntersuchung  die  Ambulanz  der  Abteilung  auf.  Die  WaR.  war 
dabei  aber  neurologisch  nichts  Pathologisches  an  ihm  zu 
»den.  Es  wurde  nun  eine  Injektionskur  mit  löslichen  Quecksilber¬ 
igen  eingeleitet,  die  dann  mit  Hydrargyrum  salicylicum  fortgesetzt 
vurde.  Mitten  in  dieser  Behandlung  nun  klagte  der  Pat.  über 
’arästhesien  in  der  Bauchhaut  und  im  linken  Bein  und  jetzt  konnte 
ehlen  des  Bauchdecken-  und  starke  Erhöhung  der  Patellarreflexe 
eiderseits,  Fussklonus  rechts  festgestellt  werden.  Die  Kur  wurde 
artgesetzt,  doch  bildete  sich  das  Bild  einer  Myelitis  und  zwar  einer 
luerschnittsmyelitis  in  der  Höhe  des  unteren  Dorsalmarkes  (Assi- 
tcnt  Dr.  Bi  ach,  Klinik  Prof.  Chvostek)  immer  deutlicher  aus. 
leiund  vom  4.  IX.  13:  Patellar-  und  Fussklonus  beiderseits.  Be¬ 
rgungen  des  rechten  Fuss-  und  der  rechten  Zehengelenke  einge- 
chränkt.  Leichte  Hyperalgesie  des  Abdomens  und  des  linken  Beines, 
'at.  erhielt  nun  auch  2  Neosalvarsaninjektionen  und  zwar  die  erste 
u  0,10  am  4.,  die  nächste  zu  0,45  am  26.  IX.  13.  Nach  dieser  letzten 
inspritzung  stellte  sich  bei  ihm  Schwindel  und  starkes  Erbrechen  ein, 
as  durch  fast  6  Wochen  anhielt.  Ausserdem  entstand  eine  immer 
rösser  werdende  Schwäche  in  den  unteren  Extremitäten,  so  dass 
r  schliesslich  nicht  mehr  gehen  konnte  und  am  10.  XI.  13  mit  Wagen 
ur  Aufnahme  ins  Spital  gebracht  wurde.  Hier  wurde  jetzt  folgender 
lervenbefund  erhoben: 

Kcpfbewegungen  (aktiv  und  passiv)  frei,  nicht  schmerzhaft; 
eder  Druck-  noch  Klopfempfindlichkeit  des  Kopfes. 

Fazialis  in  allen  Aesten  ohne  Befund;  kein  Chvostek. 

Augen:  Pupillen  rechts  >  links:  linke  Pupille  leicht  entrundet. 
ieide  reagieren  prompt  auf  Licht  und  Akkomodation.  Vollständige 
.bduzensparese  des  linken  Bulbus,  doch  bestehen  wegen  beider- 
eitiger  Optikusatrophie  keine  Doppelbilder. 

Zunge  wird  gerade  hervorgestreckt. 

Rachengebilde  ohne  pathologischen  Befund;  die  Rachenreflexe 
ind  etwas  herabgesetzt. 

Obere  Extremitäten:  Grobe  motorische  Kraft  des  rechten  und 
nken  Armes  erhalten,  keine  Atrophien;  die  motorische  Kraft  der 
inger  der  rechten  Hand  gegen  die  der  linken  herabgesetzt.  Ataxie 
eringen  Grades  der  rechten  und  linken  Hand. 

Untere  Extremitäten:  Motorische  Kraft  im  Hüft-  und  Kniegelenke 
?chts  und  auch  links  erhalten;  im  rechten  Fussgelenke  herabgesetzt, 
trophie  leichten  Grades  des  rechten  Ober-  und  Unterschenkels, 
taxie  links  rechts,  namentlich  beim  Kniehackenversuch.  Beim 
ehversuch,  bei  dem  der  Pat.  gestützt  werden  muss,  setzt  er  ataktisch 
ie  Füsse  übereinander.  Häufiges  Einknicken  im  linken  Knie-  und 
prunggelenk. 

Reflexe:  Muskel-  und  Periostreflexe  beider  oberen  Extremitäten 
esteigert. 

Bauchdeckenreflexe  rechts  >  links. 

Patellarklonus  beiderseits;  Fussklonus  rechts  >  links. 

Babinski:  rechts  und  links  Plantarflexion. 

Sensibilität:  Beim  Stecknadelversuch  sind  die  Angaben  am 
ntcrschcnkel  beiderseits  ungenau,  sonst  prompt. 

Schmerzempfindung  bei  tiefen  Nadelstichen  überall  gleich. 

Lageempfindung:  an  den  unteren  Extremitäten,  namentlich  links 
robe  Störungen.  Das  stark  im  Kniegelenk  gebogene  linke  Bein  wird 
ir  gestreckt  gehalten,  die  jeweilige  Stellung  der  Zehen  wird  un- 
enau  angegeben.  Die  Bewegungen  im  Hüftgelenk  werden  prompt 
espürt 

Temperatursinn:  warm  und  kalt  werden  an  den  Unterschenkeln 
ur  unsicher,  sonst  prompt  angegeben. 

Sterecgnostischer  Sinn  nicht  gestört. 

Der  Patient  wurde  nun  während  seines  Spitalsaufenthaltes  weiter 
tiergisch  antiluetisch  behandelt  und  erhielt  12  Injektionen  einer 
proz.  Sublimatlösung,  hierauf  noch  10  Einspritzungen  von  Hydrar- 
vrum  salicyl.  ä  0,05  ccm  und  3  intravenöse  von  Neosalvarsan.  Er 
onnte  bereits  am  10.  XII.  gehfähig  entlassen  werden.  Die  vor 
enigeu  I  agen,  am  18.  VI.  1914  vorgenommene  Nachuntersuchung 
gab:  Rechte  Pupille  noch  etwas  weiter  als  die  linke;  beide  prompt 
tagierend.  Leichte  Steigerung  der  Periost-  und  Sehnenreflexe  an 
-ii  oberen  Extremitäten  ohne  Herabsetzung  ihrer  motorischen  Kraft; 
dne  Ataxie,  keine  Sensibilitätsstörung.  An  den  unteren  Extremitäten 
nj*  die  Reflexe  beiderseits  gesteigert,  doch  besteht  kein  Patellar- 
id  kein  Eussklonus  mehr.  Rechts  besteht  noch  eine  Andeutung  von 
abinski  und  Oppenheim.  Doch  ist  beiderseits  keine  Ataxie,  keine 
eusif  iiitätsstörungen  oder  Störung  der  Lageempfindung  vorhanden. 

Es  handelte  sich  also  nach  den  Berichten  um  eine  Lues 
irebro-spinalis,  die  25  Jahre  nach  der  Infektion  die  ersten 
rscheinungen  machte  und  während  einer  Quecksilberkur  zur 


vollen  Entwicklung  kam.  Zu  den  anfänglichen  Symptomen 
einer  Querschnittsmyelitis  traten  nach  zwei  kleinen  Dosen  von 
Neosalvarsan  Zeichen  einer  Erkrankung  auch  des  Gehirns 
hinzu  (Erbrechen,  Schwindel,  Anisokorie),  während  gleich¬ 
zeitig  die  Störung  der  unteren  Extremitäten  noch  stärker 
wurde. 

Durch  die  Weiterführung  einer  kombinierten  Behandlung 
konnten  die  subjektiven  Beschwerden  vollständig,  die  objek¬ 
tiven  Erscheinungen  grossenteils  behoben  bzw.  gebessert 
werden,  so  dass  der  Patient  arbeitsfähig  entlassen  werden 
konnte. 


Bücheranzeigen  und  Referate. 

Hans  M  u  c  h  -  Eppendorf :  Die  Imniunitätswissenschaft.  Eine 
kurz  gefasste  Uebersicht  über  die  biologische  Therapie  und  Diagnostik 
für  Aerzte  und  Studierende.  Zweite,  völlig  umgearbeitete  Auflage. 
Wurzburg  1914.  Curt  Kabitzsch.  Preis  geh.  8  M.,  geb.  9  M. 

Es  ist  dem  Referenten  ein  besonderes  Vergnügen,  die  zweite 
Auflage  von  Muchs  „Immunitätswissenschaft“  anzuzeigen.  Die 
gründliche  Umarbeitung  lässt  auf  Schritt  und  Tritt  den  rastlos  for¬ 
schenden  und  mitarbeitenden,  nie  mit  dem  Erreichten  zufriedenen 
Geist  erkennen.  Eine  stets  wache,  manchmal  anspruchsvolle  Kritik 
und  das  Bestreben,  von  einer  höheren  überblickenden  Warte  aus 
die  Summe  der  Einzelerscheinungen  zu  sichten  und  sie  umfassenden 
Gesichtspunkten  und  Prinzipien  unterzuordnen,  leuchtet  überall  zwi¬ 
schen  den  Zeilen  heraus  und  macht  das  Studium  des  Buches  be¬ 
sonders  reizvoll.  Dass  sich  die  Gedanken  gelegentlich  noch  höher 
erheben  in  das  allgemein  gültige  Reich  des  Philosophischen  hinein, 
kann  bei  dem  Dichter  von  „Denken  und  Schauen“  nicht  überraschen. 
Dass  sich  mit  dieser  künstlerischen  Intuition  aber  straffer,  wissen¬ 
schaftlich  geschulter  Geist  in  glücklichem  Gefüge  eint,  dessen  sind 
die  ganzen  bisherigen  Arbeiten  Muchs  und  auch  das  vorliegende 
Buch  Zeuge.  Es  umfasst  mit  seinen  284  Seiten  das  ganze  Gebiet  der 
Immunitätswissenschaft  und  hat  auch  noch  Raum  für  technische 
Einzelheiten.  Wir  wünschen  dem  Werke  Muchs  eine  weitere  ge¬ 
deihliche  Entwicklung  und  eine  dankbare  Resonanz  in  Kollegenkreisen. 

L.  S  a  a  t  h  o  f  f  -  Oberstdorf. 

Dr.  Leo  H  i  r  s  c  h  1  a  f  f  -  Berlin:  Suggestion  und  Erziehung. 

Heft  2  der  Zwanglosen  Abhandlungen  aus  den  Grenzgebieten  der 
Pädagogik  und  Medizin,  herausgegeben  von  Th.  Heller-  Wien  und 
G.  Leubuscher  -  Meiningen.  Berlin  1914.  Verlag  von  Julius 
Springer.  Preis  6  M. 

Hirschlaff  hat  zwei  Jahrzehnte  einer  ausgedehnten  prak¬ 
tischen  und  literarischen  Erforschung  des  Wesens  des  Hypnotismus 
und  der  Suggestion  gewidmet.  Das  vorliegende  Werk  enthält  das 
Resultat  dieser  Arbeit.  Ein  erster  Teil  liefert  eine  —  fast  zu  voll¬ 
ständige  —  Uebersicht  über  das  gesamte  Material  zum  Thema  der 
suggestiven  Erziehung,  wobei  auch  die  in  Betracht  kommenden  aus¬ 
übenden  Persönlichkeiten  eine  (oft  für  sie  peinliche)  Beleuchtung  fin¬ 
den.  Im  zweiten  Teil  gibt  der  Autor  dann  eine  kritische  Darstellung 
und  Erklärung  der  Tatsachen  der  Suggestionslehre.  In  den  ab¬ 
schliessenden  Betrachtungen  des  zweiten  Teils  versucht  er  schliess¬ 
lich  zu  überzeugen,  dass  die  These  von  der  erzieherischen  Bedeutung 
der  Suggestion  und  Hypnose  mit  der  wissenschaftlichen  Erkenntnis 
dieser  beiden  Faktoren  in  einem  unlösbaren  Widerspruche  steht. 
Das  Wesen  der  Suggestion  und  das  Wesen  der  Erziehung  stehen  in 
einem  völligen  inneren  Gegensatz.  Die  Möglichkeit  einer  suggestiven 
Erziehung  muss  deshalb  endgültig  abgewiesen  werden. 

Albert  Uffenheimer  -  München. 

Neueste  Journalliteratur. 

Zeitschrift  für  klinische  Medizin.  80.  Band,  5.  u.  6.  Heft. 

A.  Galambos  und  B.  Tausz:  Untersuchungen  über  den  Ei¬ 
weissstoffwechsel  beim  experimentellen  Pankreasdiabetes.  II  Mit¬ 
teilung.  (Aus  der  med.  Klinik  in  Pest.) 

Die  Verarbeitung  des  Eiweisses  zu  normalen  Endprodukten 
sichert  die  innere  Sekretion  des  Pankreas.  Insuffizienz  dieser  inneren 
Sekretion  erzeugt  eine  Hyperaminosurie.  Die  Pankreashyperaminos- 
urie  und  die  Pankreasglykosurie  sind  analoge  Erscheinungen.  Leber¬ 
erkrankungen  und  infektiöse  Erkrankungen  können  von  einer  Aminos- 
urie  ebenso  begleitet  sein  wie  von  einer  alimeniären  Hyperglykämie 
oder  alimentären  Glykosurie.  Es  ist  wahrscheinlich,  dass  den  beiden 
Stoffwechselstörungen  in  diesen  Fällen  eine  gemeinsam^  Ursache  zu¬ 
grunde  liegt,  und  es  ist  möglich,  dass  diese  Ursache  in  einer  herab¬ 
gesetzten  inneren  Sekretion  des  Pankreas  oder  in  einer  durch  eine 
Krankheit  herabgesetzten  Wirkung  des  inneren  Sekretes  des  Pan¬ 
kreas  zu  suchen  ist. 

A.  Lawrynowicz:  Ueber  die  Ausscheidung  anisotropen 
Fettes  mit  dem  Harn  im  Zusammenhang  mit  dessen  Ablagerung  in  den 
Organen.  (Aus  dem  städt.  Obuchow-Männerhospital  in  Petersburg.) 

Die  Untersuchungen  ergaben:  Bei  12  akuten  Nierenentzündungen 
wurden  nur  2  mal  ganz  geringe  Mengen  anisotropen  Fettes  im  Harn 
gefunden.  Bei  chronisch-parenchymatöser  Nephritis  wurde  nur  in  2 

2* 


2280 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT 


Nr.  47 


von  21  Fällen  anisotropes  Fett  im  Harn  vermisst.  Bei  12  Fällen 
chronisch-interstitieller  Nephritis  wurde  nie  anisotropes  Fett  gefunden. 
Bei  3  Fällen  von  allerdings  nur  klinisch  festgestellter  amyloider  De¬ 
generation  fand  sich  stets,  bei  5  Fällen  von  Stauungsniere  nur  ein¬ 
mal,  und  zwar  in  unbedeutender  Menge  anisotropes  Fett  im  Harn. 
Pathologisch-anatomische  Untersuchungen  ergaben  Ablagerungen  von 
anisotropem  Fett  in  der  Aortenintima,  seltener  in  der  Milz,  im  Kno¬ 
chenmark  und  in  der  Leber,  stets  in  der  Rindensubstanz  der  Neben¬ 
nieren,  in  letzterer  in  einem  Fall  in  ungeheurer  Menge.  Die  Ablage¬ 
rung  von  anisotropem  Fett  in  den  spezifischen  funktionellen  Zellen 
der  Organe  setzt  eine  vorhergehende  Infiltration  mit  isotropem  Fett 
voraus,  welches  dann  allmählich  mit  Cholesterinverbindungen  sich 
sättigt  und  eine  anisotrope  Umwandlung  erleidet.  Tropfen  des  aniso¬ 
tropen  Fettes  gelangen  mit  zerfallenden  Zellen  des  Epithels  in  die 
Harnkanälchen  und  werden  so  durch  den  Harn  ausgeschieden.  Da  der 
ganze  Prozess  Zeit  braucht,  findet  sich  bei  akuten  Nierenentzündungen 
so  gut  wie  nie  anisotropes  Fett  im  Harn.  Die  Myelinose  der  Nieren 
ist  als  Folge  einer  Störung  des  Cholesterinumsatzes  im  Organismus, 
bestehend  in  einer  allgemeinen  Neigung  zu  Cholesterinverfettungen 
zu  betrachten.  Anisotropes  Fett  im  Harn  weist  auf  eine  langdauernde 
Erkrankung  des  Nierenparenchyms  hin,  die  Zellen  werden  nur  mit 
Mühe  mit  dem  sich  ablagernden  anisotropen  Fett  fertig  und  zerfallen 
gewöhnlich  bei  der  Ausscheidung  desselben.  Da  als  Quelle  des 
Cholesterins  hauptsächlich  die  Nahrung  anzusehen  ist,  so  kann  durch 
diätetische  Massnahmen  eingewirkt  werden.  Eigelb,  Hirn,  Sahne 
und  Fette  überhaupt  sind  aus  der  Nahrung  auszuschliessen. 

W.  Janowski:  Der  Blut-  und  Pulsdruck  bei  Arteriosklerose, 
und  Nephritis. 

Bei  12  Proz.  von  200  Fällen  von  Arteriosklerose  war  der  Blut¬ 
druck  gesteigert;  bei  88  davon  zwischen  120  und  160  mm,  bei 
51  Fällen  180 — 200,  in  6  Fällen  über  200  mm.  Von  62  Sklerotikern, 
welche  eine  Herzmuskeldyskompensation  überstanden  hatten,  hatten 
42  normalen  Blutdruck,  nur  4  einen  Druck  zwischen  140  und  160.  Der 
niedere  Druck  ist  durch  die  weit  fortgeschrittene  Herzerkrankung  be¬ 
dingt.  Der  Pulsdruck  war  nur  bei  21  von  42  derartigen  Kranken 
zwischen  30  und  40  mm.  Von  18  Kranken  mit  erhöhtem  Blutdruck, 
die  eine  Dyskompensation  durchgemacht  hatten,  hatten  nur  3  einen 
niedrigeren  Pulsdruck  als  60  mm.  Bei  50  Fällen  von  Arteriosklerose 
mit  Nierenleiden  war  in  4  Fällen  sicher  Myokarditis  vorhanden,  dabei 
der  Blutdruck  zwischen  128  und  144  mm,  der  Pulsdruck  zwischen 
48  und  90  mm;  bei  den  übrigen  war  der  Blutdruck  erheblich  ge¬ 
steigert,  bei  29  davon  über  180  mm;  der  Pulsdruck  bei  75  Proz.  dieser 
Gruppe  zwischen  70  und  135  mm.  Die  Fälle  von  Arteriosklerose  und 
Nephritis  zeigten  die  höchsten  Blutdruckwerte.  Bei  7  Fällen  akuter 
Nierenentzündung  war  der  Blutdruck  zwischen  130  und  185  mm.  Bei 
16  Fällen  chronischer  Nephritis  war  der  Blutdruck  und  der  Pulsdruck 
normal,  bei  84  gesteigert,  davon  bei  38  die  Höhe  von  180,  200  und 
mehr  erreichend. 

E.  R  e  i  s  s  -  Frankfurt  a.  M.:  Zur  Kritik  und  Einteilung  der 
Urämie.  II.  Teil:  Die  psychotische  Urämie  und  die  Mischformen. 

Bei  der  psychotischen  Form  der  Urämie,  von  der  der  Verfasser 
3  Fälle  beschreibt,  kommen  Zustände  starker  Verwirrtheit,  Wahn¬ 
vorstellungen  und  Sinnestäuschungen  sowie  tiefes  (nicht  nur  agonales) 
Koma  zur  Beobachtung.  Diese  Zustände  sind  oft  sehr  flüchtig,  ver¬ 
schwinden  und  kehren  wieder,  zuweilen  mehrmals  in  einem  Tag.  Die 
Affektion  braucht  nicht  von  einer  nennenswerten  Störung  der 
äusseren  Nierensekretion  begleitet  zu  sein;  in  den  2  zur  Obduktion 
gelangenden  Fällen  war  ausgesprochene  Sklerose  der  Hirnarterien 
vorhanden.  Die  Mischfälle,  von  denen  der  Verfasser  6  beschreibt, 
können  alle  bei  den  einzelnen  Urämiegruppen  vorkommenden  Er¬ 
scheinungen  darbieten,  oft  jedoch  in  wenig  charakteristischer  Weise. 
Bei  2  weiteren  Fällen  waren  klinisch  wie  anatomisch  die  Merkmale 
einer  Hirnläsion  vorhanden,  ausserdem  aber  liess  sich  die  Annahme 
nicht  von  der  Hand  weisen,  dass  ein  urämischer  Zustand  mit  im  Spiel 
war.  Bei  der  asthenischen  Form  der  Urämie  findet  sich  eine  mehr 
oder  weniger  vollständige  Sperrung  der  Nierenpassage,  die  auch  zu 
einer  Vermehrung  des  Reststickstoffs  führt,  während  bei  den  reinen 
Formen  der  beiden  anderen  Gruppen,  der  Krampfurämie  und  der 
psychotischen  Urämie  sich  keine  derartige  Störung  nachweisen  lässt. 
Die  Stoffe,  welche  diese  Formen  hervorrufen,  sind  nicht  durch  man¬ 
gelhaftes  Ausscheidungsvermögen  der  Nieren  zurückgehalten.  Ueber 
ihren  Entstehungsort  und  ihre  Natur  können  vorderhand  nur  Ver¬ 
mutungen  angestellt  werden.  Die  psychotische  Form  der  Urämie 
wird  durch  die  in  vielen  Fällen  nachgewiesene  Sklerose  der  Gehirn¬ 
arterien  begünstigt,  ihr  Krankheitsbild  unterscheidet  sich  aber  doch 
in  vielen  Punkten  von  dem  der  reinen  Sklerose  der  Hirnarterien  und 
ist  darum  von  dieser  prinzipiell  zu  trennen.  Bei  den  Mischformen 
können  natürlich  alle  bei  den  einzelnen  Gruppen  vorkommenden 
Symptome  vorhanden  sein,  für  ihre  Entstehung  kommt  die  Summe 
aller  denkbaren  Ursachen  in  Betracht.  Sie  stellen  wahrscheinlich 
die  Mehrzahl  aller  Urämien  dar,  da  reine  Fälle  der  Gruppen  1 — 3 
relativ  selten  sind.  Einige  der  bei  der  Urämie  vorkommenden  Er¬ 
scheinungen  sind  in  dieser  Einteilung  noch  nicht  untergebracht,  so 
dass  möglicherweise  noch  andere  Gruppen  umschrieben  werden 
können. 

E.  R  e  i  s  s  -  Frankfurt  a.  M.:  Zur  Klinik  und  Einteilung  der 
Urämie.  III.  Teil:  Urämie  und  Wasserhaushalt. 

Der  Verfasser  fasst  seine  über  die  einzelnen  Formen  der  Urämie 
aufgestellten  Schlusssätze  zusammen  und  bemerkt,  was  den  Wasser¬ 
haushalt  anlangt,  dass  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  von  Urämie  die  am 


Eiweissgchalt  (nach  K  j  e  1  d  a  h  I)  gemessene  Konzentration  des  Blut 
Serums  innerhalb  oder  über  der  Norm  lag,  auch  dann,  wenn  durcl 
grosse  Flüssigkeitszufuhr,  Aderlass  usw.  eine  Verdünnung  erstreb 
worden  war.  Hieraus  geht  im  Zusammenhalt  mit  anderen  experimeti 
teilen  und  klinischen  Ergebnissen  hervor,  dass  bei  der  Urämie  di«, 
normalen  Beziehungen  zwischen  Wasser  und  gelösten  Substanzei 
gestört  sind.  Dem  Urämiekranken  fehlt  die  Fähigkeit  einer  zweck 
entsprechenden  Verdünnung  seiner  Körpersäfte.  Dieser  Störun; 
kommt  eine  Bedeutung  als  auslösendes  Moment  der  urämischen  Er 
scheinungen  zu. 

Zc'ntralblatt  fiir  Chirurgie.  1914.  Nr.  45. 

Prof.  G.  K  c  1 1  i  n  g- Dresden:  Pinzette  mit  Innensehieber  zui 
Einstülpung  des  Wurmfortsatzstumpfes. 

Y erf.  empfiehlt  eine  Pinzette,  an  der  innen  eine  kleine  Zungt 
angebracht  ist,  um  den  Wurmfortsatzstumpf  gut  einstülpen  zu  können! 
Die  Pinzette  ist  an  der  Hand  von  4  Skizzen  genauer  beschrieben 
ihre  Handhabung  ist  einfach,  ihre  Funktion  sicher. 

E.  Heim-  Oberndorf  b.  Schweinfurt. 

Jahrbuch  für  Kinderheilkunde.  Band  80.  Heft  2. 

Johann  v.  Bökay:  Ueber  die  Heilungsmöglichkeit  der  Menin 
gitis  tuberculosa. 

Den  aus  der  Literatur  zusammengestellten  Fällen  von  geheilte; 
Meningitis  reiht  der  Verf.  3  Beobachtungen  an,  durch  welche  er  di< 
Heilung  bzw.  die  Möglichkeit  der  Rückbildung  bestätigen  kann.  In 
gereifteren  Alter  —  unter  2  Jahren  verlief  kein  einziger  Fall  günstii 
—  besteht  nach  Bökay  die  Möglichkeit  der  Heilung  in  erster  Linit 
in  jenen  Fällen,  in  denen  die  tuberkulöse  Infektion  des  Organismu! 
sich  ausschliesslich  oder  sozusagen  bloss  auf  die  Hirnhäute  erstreckt 
d.  h.  neben  der  tuberkulösen  Infektion  der  Meningen  eine  Infektion 
der  übrigen  Organe  entweder  ganz  fehlt  oder  nur  in  sehr  geringen 
Masse  vorhanden  ist;  z.  B.  zirkumskripte  käsige  Peribronchialdrüsen! 
tuberkulöse.  In  den  Fällen,  wo  die  Meningitis  nur  eine  Teilerschei; 
nung  der  allgemeinen  Miliartuberkulose  ist,  ist  die  Möglichkeit  eine 
Heilung  natürlich  ganz  ausgeschlossen.  Als  die  Naturheilung  unter 
stützende  Massnahmen  werden  vom  Verf.  die  Trepanation  des  Scliä 
delgewölbes  mit  ständiger  Drainage  und  die  systematische  Lumbal! 
Punktion  nach  Quincke  vom  Verf.  anerkannt. 

Erich  Klose:  Zur  Kenntnis  der  Körperzusammensetzung  be 
Ernährungsstörungen.  (Aus  der  Kgl.  Universitäts-Kinderklinik  ii 
Breslau.  Leiter:  Prof.  Tob  ler.) 

Klose  fasst  seine  mühevollen  Untersuchungsergebnisse  dahi; 
zusammen,  dass  der  Haut  des  Neugeborenen  eine  beträchtlich  höher 
prozentuale  Beteiligung  am  Körperaufbau  zukomme  als  beim  Er 
wachsenen.  Dagegen  tritt  der  Anteil  der  Muskulatur  am  Körper 
aufbau,  der  beim  Erwachsenen  dominiert,  beim  Neugeborenen  star! 
zurück  (ca.  25  Proz.  gegenüber  40  Proz.,  Ref.).  Während  beim  nor 
malen  Neugeborenen  die  Muskulatur  den  grössten  Teil  des  Körper 
wassers  speichert,  kann  dies  unter  pathologischen  Verhältnissen  di: 
Haut  übernehmen,  auch  die  Knochen  können  Wasser  aufspeicherr 
Das  Problem  der  pathologischen  Wasserbindung  im  Säuglingsorgar.is 
mus  scheint  sich  als  ein  recht  komplizierter  Vorgang  zu  erweiscr 
Bei  dem  Oedem  konnten  in  unserem  Falle  jedenfalls  keine  ein! 
fachen  und  eindeutigen  Beziehungen  zwischen  Wasserbindung  un< 
Chlor-  und  Natriumanreicherung  gefunden  werden  Am  meiste 
scheint  noch  das  Chlor  zur  Wasserspeicherung  in  Beziehung  z 
stehen.  Die  Wasserbindung  des  ernährungsgpstörten  Säuglings 
Organismus  darf  jedenfalls  nicht  einfach  als  Wasserbinduno-  bei  nephri 
tischen  Oedemen  gleichgestellt  werden.  Die  Konstanz  der  relative 
Zusammensetzung  sowohl  der  einzelnen  Organsysteme  als  auch  de 
Gesamtkörpers  ist  im  untersuchten  Falle  von  extremer  Ernährungs 
Störung  nicht  gewahrt  geblieben.  —  Literatur. 

Siegfried  Wolff  und  Walter  Lehmann:  Ueber  Pneumn 
kokkenmeningitis  und  ihre  Behandlung  mit  Optochln.  (Aus  der  Kin 
derabteilung  des  städt.  Krankenhauses  in  Wiesbaden.  Leiter:  Pro' 
W  ej  n  t  r  a  u  d.) 

Die  Heilung  eines  schweren  einschlägigen  Falles  durch  intra! 
lumbale,  subkutane  und  schliesslich  intraventrikuläre  Optochin 
injektionen  ohne  geringste  Schädigung  lässt  die  Autoren  diese  chemo 
therapeutische  Applikationsweise  des  Optochins  gegen  die  Pneumoj 
kokkenmeningitis  zur  Nachprüfung  empfehlen.  —  Literatur. 

K.  St  ölte:  Betrachtungen  und  Erfahrungen  über  eine  wenige 
schematische  Behandlung  von  Säuglingen  im  Krankenhause.  (Au 
der  Kgl.  Universitäts-Kinderklinik  in  Berlin.)  (Hierzu  6  Textabbil 
düngen.) 

Schilderung  und  Empfehlung  einer  freieren,  mehr  individualisieren 
den  Pflege  des  Säuglings  auf  Säuglingsstationen  der  Kinderklinike 
und  in  Säuglingsheimen  zur  Erzielung  besserer  Resultate.  Zur  Lek 
tiire  und  Beherzigung  wärmstens  empfohlen. 

Literaturbericht,  zusammengestellt  von  A.  N  i  e  m  a  n  n  -  Berlin 

O.  Rommel-  München. 

Archiv  für  Hygiene.  83.  Band,  5.  Heft.  1914. 

Albert  Uffenheimer  und  J.  Auerbach  -  München :  An 
aphylaxie  und  Lebertätigkeit. 

Von  der  Tatsache  ausgehend,  dass  zwischen  Pepton  und  Lebe 
einige  Beziehungen  bestehen  und  andererseits  eine  grosse  Aehnlicli 


M.  November  1914. 


MUKNCHKNKK  MEDIZINISCH!:  WOCHENSCHRIFT. 


2281 


eit  zwischen  Peptonvergiftung  und  dem  Zustande  des  anaphylak- 
ischen  Schocks  vorhanden  ist,  versuchten  die  Verfasser  Beziehungen 
wischen  Anaphylaxie  und  Leber  nachzugehen.  Die  Versuche  wur- 
!ci:  so  ausgeführt,  dass  Injektionen  von  Pepton  in  die  Vena  portae 
durch  Vermittlung  einer  Alesenterialvene)  und  in  eine  Jugularvene 
emacht  wurden.  Desgleichen  kamen  auch  Versuche  mit  Rinderserum 
ur  Durchführung  nach  Doerr-Rup  mit  einer  Modifikation  der 
epischen  Anordnung.  Bei  dem  intrajugular  injizierten  Material 
erstarben  87,5  Proz.  der  Versuchstiere,  dagegen  bei  dem  intra- 
icsenterial  verimpften  Stofi  nur  28,03.  Eine  Sensibilisierung 
iurch  die  Leber  wies  bedeutend  weniger  ausgesprochene  Erschei- 
uingen  auf.  als  die  einer  jeden  anderen  Applikationsart. 

R.  0.  Neumann  -  Bonn. 

Arbeiten  aus  dem  kaiserlichen  (iesundlieitsamte.  48.  Bd. 
914.  1.  Heft. 

Küster-Berlin:  Die  Gewinnung,  Haltung  und  Aufzucht  keim- 
reier  Tiere  und  ihre  Bedeutung  für  die  Erforschung  natürlicher 
ebensvorgänge. 

Verf.  gibt  in  seiner  Arbeit  einen  kritischen  Ueberblick  über  die 
.iteratur  und  die  bisher  angestellten  Versuche  zur  Entwicklung  von 
eimfreien  Lebewesen.  Weiter  bringt  er  den  ausführlichen  Nach¬ 
eis,  dass  es  ihm  gelungen  ist,  zweimal  ein  keimfreies  Ziegenlamm 
■i  gewinnen  und  in  keimfreiem  Raume  bei  keimfreier  Nahrung  und 
eimfreier  Luft  aufzuziehen.  Versuchstechnik  und  die  Schwierig¬ 
eren,  mit  denen  zu  rechnen  ist  werden  mitgeteilt.  Er  konnte  fest- 
tellen,  dass  diese  Lämmer  sich  bis  zu  15  Tagen  genau  so  gut.  wie 
i  keimhaltiger  Umgebung  aufgezogene  Kontrolliere  entwickeln. 

E.  Hailer  und  G.  Wolf -Berlin:  Weitere  Versuche  zur  Ab- 
itung  des  Typhusbazillus  im  Organismus  des  Kaninchens.  VI.  Be- 
andlung  unmittelbar  in  die  Gallenblase  infizierter  Kaninchen  mit 
erschiedenen  Mitteln. 

Bei  der  Fortsetzung  früherer  Versuche  wurden  die  Kaninchen 
lit  Fyphusbazillen  direkt  in  die  Gallenblase  eingespritzt  und  dann 
er  os  oder  intravenös  verschiedene  Medikamente  zur  Abtötung  des 
yphus  angewandt.  Es  kamen  in  Betracht:  Das  Metaxylenol, 
hymol,  Pyrogallol,  die  Salizylsäure,  das  Sandelöl,  Pinen,  Eukolyptol, 
imtöl,  Metaoxybenzoesäure  und  Salvarsan.  Nur  beim  Zimtöl  konnte 
•stgestellt  werden,  dass  in  2  von  5  Fällen  Typhusbazillen  aus  dem 
aninchenorganismus  verschwanden.  Die  Einwirkung  von  Meta- 
ylenol,  Metaoxybenzoesäure,  Sandelöl  und  Salvarsan  war  so,  dass 
ie  Typhusbazillen  wohl  aus  der  Galle  selbst,  aber  nicht  aus  der 
iallenwand  verschwanden.  Diese  günstige  Beeinflussung  bildete 
her  auch  nicht  die  Regel.  Thymol,  Pyrogallol,  Salizylsäure,  Pinen 
nd  Eukalvptol  hatten  gar  keine  Einwirkung. 

L  i  n  d  n  e  r  -  Berlin:  Zur  frühzeitigen  Feststellung  der  Tuber- 
ulose  durch  den  Tierversuch. 

Die  Untersuchungen  haben  ergeben,  dass  alle  bisher  ange- 
-benen  Methoden  zur  frühzeitigen  Feststellung  der  Tuberkulose  ver- 
igen,  sowohl  die  Oppenheimer  sehe  Leberimpfung,  als  auch  die 
uetschung  der  Kniefaltendrüse  nach  Bloch.  Ebenso  ist  die  sub- 
atane  Tuberkulinprobe  nicht  hinreichend  zuverlässig  und  die  intra- 
utane  Tuberkulinreaktion  nach  Römer  nicht  unbedingt  spezifisch, 
ür  die  einwandfreie  Feststellung  bleibt  nur  das  Sektionsbild  aus- 
;hlaggebend. 

L  i  n  d  n  e  r  -  Berlin:  Einige  Heil-  und  Immunisierungsversuche 
;it  Timotheebazillen  gegen  Tuberkulose  an  Meerschweinchen,  Ka- 
nchen  und  Ziegen  mit  Bemerkungen  über  den  Verlauf  der  Ziegen- 
iberkulose  nach  galaktogener  Infektion. 

E.  Gildemeister  und  K.  Baerthlein  -  Berlin :  Ueber 
iratyphusähnliche  Stämme.  (Ein  Beitrag  zur  Paratyphusdiagnose.) 

Es  wurden  eine  Reihe  Stämme  aus  der  Sammlung  des  Kais.  Ge- 
mdheitsamtes  mit  einander  verglichen  und  dieselben  auf  Grund 
er  biologischen  und  serologischen  Merkmale  in  4  verschiedene 
ruppen  geteilt.  Einzelheiten  können  hier  nicht  erörtert  werden. 

Hans  Pick- Berlin:  Zur  Bestimmung  kleinster  Mengen  Blei  im 
eitungswasser. 

Das  Verfahren  gründet  sich  auf  das  von  Kühn  angegebene, 
elches  sich  in  4  Phasen  gliedert.  1.  Die  Fällung  des  Bleies  als  PbS 
id  dessen  Filtration,  2.  die  Oxydation  des  PbS  zu  PbSOi,  die 
erauslösung  des  PbSOi  aus  der  Filtermasse,  4.  die  Ueberführung 
-s  Bleies  in  eine  zur  titrimetrischen  Bestimmung  geeignete  Form, 
a  bei  dem  Schüttelverfahren  mit  Asbest  scheinbar  nur  mit  ganz 
^stimmten  Asbestsorten  zuverlässige  Ergebnisse  geliefert  werden, 
i  wurde  das  Verfahren  verändert  und  vereinfacht.  Nunmehr  kann 
r  Bleigehalt  bis  auf  einige  Hundertstel  Milligramm  genau  bestimmt 
erden.  Eisen  und  Mangan  stören  nicht. 

R.  0.  Neumann  -  Bonn. 

Deutsche  medizinische  Wochenschrift. 

Nr.  45.  J  o  c  h  m  a  n  n  -  Berlin:  Wundinfektionskrankheiten. 

Sepsis. 

V.  C  z  e  r  n  y  -  Heidelberg:  Zur  Therapie  des  Tetanus.  (Schluss.) 

Mit  29  Krankengeschichten. 

W.  Pöppelmann  -  Coesfeld:  Bis  zum  20.  Oktober  behandelte 
umdumverletzungen  aus  dem  gegenwärtigen  Kriege. 

3  Krankengeschichten  mit  Abbildungen  (auch  eines  Geschosses); 

■  handelt  sich  um  englische  Geschosse. 


A.  B  i  1 1  o  r  f  -  Breslau:  Ueber  gastrogenc  Diarrhöen  und  das 
Vorkommen  von  Achylia  pancreatica  bei  Achylia  gastrica. 

Zusammenfassung:  Schwere  Kreatorrhöe  und  geringe  Steator- 
rhöe  kommen  bei  den  Durchfällen  infolge  Achylia  gastrica  häufiger 
vor.  Vielfach  sind  trotzdem  die  Trypsinmengen  im  Stuhl  und  Magen 
normal.  Eine  (funktionelle)  Achylia  pancreatica  wird  durch  diesen 
abnormen  Befund  der  Faezes  nicht  bewiesen.  Sie  ist  selten,  etwas 
häufiger  ist  die  Verminderung  des  Trypsins  bei  Achylie.  Die  un¬ 
gleichartige  Ausnutzung  der  Nahrung  ist  bei  Achylie  die  Folge  be¬ 
schleunigter  Peristaltik  und  ungenügender  Magenverdauung.  Der 
Röntgenbefund  zeigte  bei  diesen  Durchfällen  nur  eine  mässige  be¬ 
schleunigte  Magen-  und  Dünndarmentleerung,  stärker  beschleunigte 
Dickdarmentleerung.  Letztere  häufig  infolge  eines  chemisch  oder 
bakteriell  bedingten  Katarrhs. 

M.  R  u  b  n  e  r  -  Berlin:  Der  Staat  und  die  Volksernährung. 

Im  Anschluss  an  seinen  Aufsatz  in  Nr.  40  betont  Verf.  die  Not¬ 
wendigkeit  für  den  Einzelnen  wie  für  das  Volk,  den  Nahrungsver¬ 
brauch  und  die  Ernährungsgewohnheiten  dem  Kriegszustand  anzu¬ 
passen.  Vor  allem  wäre  die  Einschränkung  des  übermässig  ge¬ 
wordenen,  auch  gesundheitlich  nicht  bedenkenfreien  Fleisch-  und  Fett¬ 
verbrauches  (z.  B.  Genuss  des  einfachen  Brotes  ohne  Butter)  sowie 
die  Ersetzung  des  Weissbrotes  und  des  Kleinbrotes  und  des  Weizen¬ 
brotes  durch  ausgiebigere  Verwendung  bzw.  Beimengung  von  Roggen¬ 
mehl  erforderlich.  Allein  durch  stärkere  Ausmahlung  des  Weizens  Hesse 
sich  der  bestehende  Mangel  an  Weizenmehl  vollständig  ausgleichen, 
ebenso  wirksam  ist  auch  das  Verbot  der  Verbitterung  von  Brot¬ 
getreide  an  Tiere.  Die  von  dem  Bundesrat  erlassenen  Brotver¬ 
ordnungen  haben  einem  oft  betonten  Bedürfnis  entsprochen.  Immer¬ 
hin  ist  es  misslich,  dass  die  gesamte  Nahrungsmittelfrage  jetzt  im 
Kriege  nur  stückweise  und  unter  Schwierigkeiten  zu  lösen  ist,  weil 
vielfach  schwer  zu  beseitigende  Volkssitten  entgegenstehen.  Die  ge¬ 
eignetste  Abhilfe  erblickt  Verf.  in  der  schon  in  Friedenszeiten  zu 
schaffenden,  vielleicht  aber  auch  jetzt  schon  vorläufig  gangbaren  Er¬ 
richtung  einer  staatlichen  Organisation  oder  Zentralstelle  für  das 
gesamte  Ernährungs-  und  Nahrungsmittelwesen,  wobei  die  Erkennt¬ 
nisse  der  Wissenschaft  sich  sehr  wohl  mit  dem  praktischen  Nahrungs¬ 
bedarf  der  einzelnen  Landesteile  in  Einklang  bringen  lassen  würden. 

J.  Ruhemann  -  Berlin :  Ueber  Ortizonwundstifte. 

Das  Ortizon  (feste  Verbindung  von  Wasserstoffsuperoxyd  und 
Harnstoff)  eignet  sich  in  Form  von  Stäbchen  zur  Behandlung  von 
Fisteln  und  Wundhöhlen. 

Schultes  -  Hohenlychen:  Feldärztliche  Suspensionsvorrichtung 
für  verwundete  Arme. 

Für  die  Suspension  werden  die  bei  jedem  Tischler  (angeblich 
auch  in  Frankreich)  vorrätigen  Tischleisten  aus  Buchenholz  (234  m 
lang,  2V2  cm  breit,  1  cm  stark)  verwendet,  die  bogenförmig  gespannt 
an  dem  Kopf-  und  Fussende  des  Bettes  festgebunden  werden. 

H.  L  i  e  p  m  a  n  n  -  Herzberge:  Nachruf  auf  Karl  Heilbronner- 
Utrecht. 

C  h  r  i  s  t  i  a  n  -  Berlin:  Feststellung  der  Typhus-  und  Cholera¬ 
diagnose  im  Feldlaboratorium. 

Ueberblick  über  die  getroffenen  Einrichtungen. 

Z  e  r  n  i  k  -  Wilmersdorf:  Neue  Arzneimittel,  Spezialitäten  und 
Geheimmittel. 

F  r  ä  n  k  e  1  -  Breslau:  Kurze  feldärztliche  Mitteilung  über  Blut¬ 
stillung. 

F.  empfiehlt  folgenden  Druckverband:  Mit  einer  Naht  wird  auf 
der  einen  Seite  vor  der  Wunde  eingestochen,  der  Faden  wird  über 
einen  Tampon,  der  auf  der  Wundfläche  liegt,  nach  der  anderen  Seite 
der  Wunde  geführt  und  dort  in  gleicher  Weise  durchgestochen,  dann 
über  dem  Tampon  geknotet.  Die  Naht  wird  nach  vollendeter  Blut¬ 
stillung  bald  entfernt.  B  e  r  g  e  a  t  -  München. 

Inauguraldissertationen. 

Universität  Berlin.  Juli— September  1914. 

J  affe  Herrn.:  Zur  Klinik  urethral  mündender  überzähliger  Ureteren. 
Straube  Elisabeth:  Ueber  die  Behandlung  der  Spondylitis  tuber- 
culosa  in  Leysin  und  die  damit  erzielten  Resultate. 
Wortmann  Heinrich:  Sind  die  Vaginalkeime  imstande  Fäulnis  zu 
erregen?  Ein  bakteriologischer  Beitrag  zur  Frage  der  Selbst¬ 
infektion. 

Braun  Edgar:  Ueber  den  Liquor  cerebrospinalis  in  Hinblick  auf  die 
Salvarsantherapie  der  Metalues. 

Brumberg  Marscha:  Ueber  Bauchfelltuberkulose  mit  besonderer 
Berücksichtigung  neuerer  Behandlungsmethoden  (Gaseinblasungen 
in  die  Bauchhöhle). 

Willer  Alfred:  Ueber  das  Herz  der  Selachier  mit  besonderer  Be¬ 
rücksichtigung  des  Reizleitungssystems. 

Borissowsky  Nuchim:  Ueber  den  Knochenabszess. 

Gutstein  Michael:  Histologische  Untersuchungen  über  die  Musku¬ 
latur  der  rachitischen  Kinder. 

Rossels  Alexander:  Ueber  die  Prognose  des  primären  Scheiden¬ 
krebses. 

S  i  r  0  t  a  Lew:  Katatonie  und  organisch-nervöse  Begleiterscheinungen. 
Hey  mann  Kurt:  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Myositis  syphilitica  und 
Beschreibung  eines  Falles  von  Massetergummi  mit  anschliessen¬ 
der  Subluxation  der  Mandibula. 


2282 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  47 


Vereins-  und  Kongressberichte. 

Berliner  medizinische  Gesellschaft. 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzung  vom  11.  November  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Orth. 

Schriftführer:  Herr  Hansemann. 

Herr  Morgenrot  h:  Chemotherapie  der  Pneumokokken¬ 
infektionen. 

Vortr.  berichtet  zunächst  über  die  chemischen  und  tierexperimen- 
tellcn  Grundlagen  der  von  ihm  inaugurierten  Chemotherapie  der 
Pneumokokeninfektionen  mit  Hydrochininderivaten,  als  deren  wirk¬ 
samstes  sich  das  Aethylhydrokuprein  erwiesen  hat,  das  unter  dem 
Namen  0  p  t  o  c  h  i  n  als  salzsaures  Salz  (Optochin.  hydrochlor.)  in  den 
Handel  gebracht  ist.  Die  therapeutische  Wirksamkeit  bei  den  ex¬ 
perimentellen  Pneumokokkeninfektionen  der  Mäuse  und  Meerschwein¬ 
chen  ist  eine  ausserordentlich  grosse.  In  der  Therapie  der  mensch¬ 
lichen  Pneumokokkeninfektionen  hat  das  Mittel  namentlich  beim  Ulcus 
seipens  corneae  nach  den  übereinstimmenden  Aussagen  aller  Augen¬ 
ärzte  sich  aufs  beste  bewährt.  Ueber  die  Wirksamkeit  bei  der  Pneu¬ 
monie  müssen  noch  weitere  Erfahrungen  gesammelt  werden,  doch 
schon  nach  den  bisher  vorliegenden  Mitteilungen  scheint  das  Mittel 
berufen,  bei  richtiger  und  namentlich  rechtzeitiger  Anwendung  im  Be¬ 
ginn  der  Erkrankung  den  Verlauf  wesentlich  milder  zu  gestalten  und 
abzukürzen.  Namentlich  bei  der  Pneumonie  der  Soldaten  im  Felde, 
die  eine  erschreckend  hohe  Mortalität  hat,  sollte  man  das  Optochin 
von  vornherein  geben.  Bei  Anwendung  von  3  mal  0.5  g  täglich  sind 
Nebenwirkungen  noch  nicht  beobachtet  worden.  Ueberhaupt  ist  bis¬ 
her  noch  kein  einziger  Fall  einer  dauernden  Schädigung  des  Seh¬ 
vermögens  durch  Optochin  nachgewiesen  worden.  Die  Wirkung  des 
N  e  u  f  e  1  d  -  H  ä  n  d  e  1  sehen  Pneumokokkenserums  wird  durch  das 
Optochin  wesentlich  unterstützt  und  sein  wirksamer  Schwellenwert 
stark  herabgesetzt.  Vielleicht  lässt  sich  durch  gleichzeitige  Optochin- 
darreichung  die  sonst  erforderliche  Menge  von  mindestens  75  ccm 
Pneumokokkenserum  intravenös  herabsetzen. 

(Fortsetzung  des  Vortrages  in  der  nächsten  Sitzung.) 

Erich  Leschke  - Berlin. 


Freie  militärärztliche  Vereinigung  zu  Erlangen. 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzung  vom  13.  November  1914. 

Vorsitzender:  Generalarzt  Prof.  Dr.  Penzoldt. 

Herr  v.  Kryger  stellt  folgende  Fälle  mit  Schädelschüssen  vor: 

1.  (Franzose)  Verletzung  des  linken  Parietallappens  mit  spasti¬ 
scher  Diplegie  der  Beine,  Aphasie,  Lähmung  des  rechten  Fazialis 
und  des  rechten  Armes.  Entfernung  von  Knochensplittern  aus  dem 
Gehirn.  Vollkommene  Wiederherstellung  des  Fazialis,  des  Armes  und 
der  Sprache,  Diplegie  der  Beine  unverändert.  —  2.  Zwei  Fälle  von 
Rinnenschuss  mit  Splitterung  der  Tab.  interna  und  sensorisch-motori¬ 
scher  Aphasie,  die  sich  langsam  bessert.  —  3.  Kind  mit  Schädel- 
depression  und  Entstehung  einer  Flüssigkeitsansammlung  unter  der 
Galea  bei  seitlicher  Haltung  des  Kopfes,  die  nach  Geradestellung  des 
Schädels  wieder  verschwindet. 

Im  Anschluss  daran  berichtet  Herr  Kreut  er  über  seine  Erfah- 
i ungen  an  Gehirnverletzungen  und  referiert  über  folgende  Fälle: 
1.  Schuss  in  der  linken  Schläfengegend  mit  grossem  Prolaps,  Aphasie, 
Hemiplegie.  Abszesserscheinungen;  mehrfache  Punktionen  ergebnis¬ 
los;  Exitus.  Abszess  in  den  Corpora  quadrigemina.  —  2.  Schuss  nahe 
der  Mittellinie  mit  spastischer  Diplegie  der  Beine,  Parese  des  linken 
Armes;  Trepanation,  Entleerung  eines  Abszesses  in  der  rechten 
Hemisphäre;  Fortdauer  der  Erscheinungen,  wiederholte  Punktionen 
ergebnislos,  Meningitis,  Tod.  Kleiner  Abszess  in  der  linken  Hemi¬ 
sphäre  mit  Durchbruch.  —  3.  Tangentialschuss  mit  Diplegie  der  Beine; 
Hebung  der  Depression;  fortschreitende  und  nahezu  vollständige  Re¬ 
stitution.  —  4.  Steckschuss  tief  im  Mark  der  rechten  Hemisphäre  mit 
Lähmung  des  linken  Unterschenkels.  Entfernung  des  Granatsplitters; 
vollständige  Genesung.  —  5.  Tangentialschuss  am  Hinterkopf  mit 
Splitterung  der  Tab.  interna  und  lokaler  Zertrümmerung  des  Gehirns 
ohne  Ausfallserscheinungen;  Trepanation;  Heilung.  —  6.  Kleinhirn¬ 
schuss  mit  vorübergehendem  Schwindel  und  leichten  Sehstörungen, 
konservativ  behandelt,  geheilt.  —  7.  Angeblicher  Glassplitter  (nach 
Schlag  mit  einer  Bierflasche)  in  der  Schädeldecke,  welcher  das  Tragen 
des  Helmes  erschwerte.  Lokalanästhesie  ergibt  Metallteil  im  Kno¬ 
chen  so  fest  sitzend,  dass  Trepanation  nötig,  welche  eine  abge¬ 
brochene  Messerklinge  zum  Vorschein  bringt,  die  3 — 4 cm 
tief  in  der  Gehirnsubstanz  steckte.  Trauma  lag  2  Monate  zurück, 
der  Verletzte  war  6  Wochen  mit  dem  Fremdkörper  im  Schädel  im 
Felde  gestanden.  Heilung 

Diskussion:  Hauser,  Könige  r,  Kreuter,  v.  Kry¬ 
ger. 

Herr  Euler  bespricht  seine  Erfahrungen  bei  50  Fällen  von 
Kieierschüssen  (rund  1  Proz.  aller  Patienten);  sie  wurden  in  den 
zwei  ersten  Kriegsmonaten  im  Reservelazarett  Ingolstadt  beob¬ 
achtet.  Sie  verteilten  sich  wie  folgt:  Oberkiefer  17  mal.  Unterkiefer 
-5  mal,  beide  Kiefer  zugleich  8  mal.  Die  Hälfte  der  Verletzungen 


war  schwerer  Natur,  namentlich  im  Unterkiefer  infolge  der  hier  vor 
herrschenden  starken  Splitterungen;  von  einer  Resektion  konnte  abei 
in  jedem  Falle  abgesehen  werden. 

Anschliessend  an  den  Bericht  eine  kurze  Uebersicht  über  zahn 
ärztlich-spezialistische  Behandlungsmethoden  bei  Kieferschüssen  mi' 
Demonstration  von  Schienen  für  Unterkieferbrüche.  Kreuter. 


Aerztlicher  Verein  in  Frankfurt  a.  M. 

(Offizielles  Protokoll.) 

1686.  Ausserordentliche  Sitzung  vom  21.  Septem¬ 
ber  1914,  abends  7  Uhr  im  Sitzungssaal. 

Vorsitzender:  Herr  Quincke. 

Schriftführer:  Herr  B  a  e  r  w  a  1  d. 

Herr  Pinner:  Aneurysma  arterio-venosum  an  der  Arteria  et 
Vena  femoralis;  radikal  operiert.  (Demonstration.) 

Herr  G.  L.  Dreyfus:  Ueber  die  Behandlung  des  Tetanus. 

Vortragender  bespricht  zunächst  einige  experimentelle  Tat¬ 
sachen,  die  für  die  Behandlung  des  Tetanus  mit  Antitoxin  von  Be¬ 
deutung  sind. 

Sodann  berichtet  er  über  den  derzeitigen  Stand  der  Antitoxin¬ 
behandlung.  Nur  mit  grossen,  täglich  bis  zur  Besserung  einzuver¬ 
leibenden  intralumbalen  und  intravenösen  Dosen  von 
Antitoxin  ist  überhaupt  bei  schweren  Fällen  eine  Rettung  zu  erhoffen. 
2  einschlägige,  in  der  Klinik  beobachtete  Fälle  unterstützen  diese 
Ansicht. 

Unter  allen  Umständen  sollte  so  früh  wie  möglich  und  so  ener¬ 
gisch  wie  möglich  die  Antitoxinbehandlung  eingeleitet  werden. 

Was  die  Magn.-sulf.-Therapie  anlangt,  so  ist  die  intralumbale 
Therapie  zweifellos  recht  gefährlich  und  sollte  nur  dann  Anwendung 
finden,  wenn  der  betr.  Fall  infolge  der  Atemkrämpfe  oder  Atem¬ 
lähmung  zugrunde  zu  gehen  droht. 

Die  subkutane  Anwendung  von  Magn.  sulf.  birgt  bei  grossen 
Dosen  (18 — 25  g  p.  d.)  offensichtlich  schwere  Schädigungen  für  das 
Herz  in  sich. 

Die  Baccellische  Behandlung  mit  3  proz.  Karbolsäure  (am 
ersten  Tag  im  ganzen  0,45  g,  an  den  folgenden  Tagen  1 — VA  g  Phe¬ 
nol)  verdient  mehr  beachtet  zu  werden,  als  es  bisher  geschehen. 

Diskussion:  Herr  Sachs  weist  darauf  hin,  dass  im  all¬ 
gemeinen  in  der  Serumtherapie  möglichst  viel  und  möglichst  früh 
injiziert  werden  soll.  Für  die  Magnesiumsulfattherapie  empfiehlt  sich 
vielleicht  auf  Grund  neuerer  Erfahrungen  von  Meitzer  eine  Kom¬ 
bination  von  Magnesiumsulfat  und  Aether,  wodurch  beide  in  erheb¬ 
lich  geringerer  Dose  zur  Anwendung  gelangen  können. 

Herr  U  n  g  e  r  weist  an  Hand  eines  der  beobachteten  Fälle 
nochmals  auf  die  Ungefährlichkeit  sehr  grosser  Dosen  von  Heilserum 
hin.  Der  Pat.  bekam  bis  11  Antitoxineinheiten  pro  die  und  Körper¬ 
gewicht,  im  ganzen  in  wenigen  Tagen  2500  AE.,  was  allein  cie 
Einverleibung  von  500  ccm  artfremden  Serums  bedingte.  Auser  dem 
schon  erwähnten  aseptischen  Meningenreiz  und  einem  sehr  flüchtigen 
urtikariaartigen  Exanthem  war  nichts  Nachteiliges  zu  bemerken. 

Herr  J  o  u  r  d  a  n. 

Herr  Quincke  bestätigt,  dass  im  Beginn  des  Tetanus  Schling¬ 
beschwerden  vorwiegendes  Svmptom  sein  können;  ein  leichter,  chro¬ 
nisch  verlaufender  Tetanusfall  wurde  ihm  einmal  mit  der  Diagnose 
„Angina“  auf  die  Klinik  geschickt.  —  Manche  Tetanuskranke  sterben 
ausserhalb  des  Krampfzustandes,  bei  völlig  schlaffer  Muskulatur.  Der 
von  Herrn  Dreyfuss  betonte  Krampf  der  Atmungsmuskeln  kann  daher 
ebensowenig  als  eigentliche  Todesursache  angesehen  werden  wie  die 
in  früherer  Zeit  dafür  beschuldigte  Höhe  der  Körpertemperatur.  — 
1,5  Phenol,  die  Baccelli  intramuskulär  einspritzt,  gelten  sonst  für 
lebenbedrohend. 

Herr  Schott,  Herr  Dreyfus. 

Herr  Lehmann:  Die  grösseren  Karboldosen,  die  Tetanus¬ 
kranke  vertragen,  erklären  sich  daraus,  dass  die  Karbolsäure  in  erster 
Linie  als  Sedativum  wirkt  und  gleichsam  die  erhöhte  Reflexerregbar¬ 
keit  des  Nervensystems  ausgleicht,  die  Toleranz  gegen  alle  Sedativa  1 
und  Narkotika  ist  eben  bei  Tetanuskranken  bedeutend  gesteigert. 

Diskussion  über  aktuelle  Fragen  der  Verwundetenfürsorge. 

Schluss:  9  Uhr. 


Aerztlicher  Verein  in  Hamburg. 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzung  vom  3.  Oktober  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Brauer. 

Herr  Dreyfuss  bespricht  die  von  ihm  gesehenen  Verletzungen 
durch  die  Fliegerpfeile. 

Herr  R  o  t  h  f  u  c  h  s  demonstriert  2  verwundete  Soldaten,  bei 
denen  es  sich  um  eine  Verletzung  des  Sehzentrums  handelt.  Der  erste 
erhielt  einen  Tangentialschuss  am  Hinterhaupt,  durch  den  er  3  Tage 
bewusstlos  war.  Als  er  erwachte,  war  er  blind,  nach  einigen  lagen 
stellte  sich  das  Sehvermögen  wieder  ein  und  es  war  bei  der  Ge- 
sichtsfeldaufnahme  eine  komplette  homonyme  Hemianopsie  zu  kon¬ 
statieren.  Es  wurde  trepaniert  und  eine  walnussgrossc  Abszesshöhle 


24.  November  19 1*4. 


MÜENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2m 


nit  Knochensplittern  gefunden.  Der  Gesichtsfeldausfall  ist  geblieben. 
Der  zweite  Fall  ist  ein  Parallelfall,  nur  dass  die  Hemianopsie  recht- 
'Citig  war.  während  sie  im  ersten  Falle  die  linke  Seite  betraf. 

Herr  Liebknecht  zeigt  einen  dritten  Fall,  der  die  gleiche 
Schädigung  zeigt.  In  diesem  Falle  nahm  die  doppelseitige  homonyme 
Hemianopsie  immer  zu.  Das  Gesichtsfeld  wurde  sehr  stark  eingeengt 
Dabei  hob  sich  aber  auffallender  Weise  die  Sehschärfe.  Demnach 
scheint  die  Monakow  sehe  Annahme  über  den  Sitz  des  Sehzentrums 
richtig. 

Herr  B  ö  1 1  i  g  e  r  demonstriert  zwei  Kriegsverwundete  aus  dem 

Hafenkrankenhause:  1  einen  Streifschuss  ain  rechten  Os  parietale 
ind  2.  Verletzung  des  Rückenmarks  in  Höhe  des  ca.  6.  und  7.  Dorsal¬ 
segmentes. 

Herr  Janckel  stellt  den  von  v  Bergmann  in  der  letzten 
Mtzung  gezeigten  Soldaten  mit  einem  Geschoss  im  Perikard,  das  frei 
)  e  w  e  g  1  i  c  h  war.  nunmehr  durch  Perikardiotomie  von  dem  Fremd¬ 
körper  befreit  und  geheilt  vor.  Die  allmähliche  Aufsaugung  des 
läniatopneumoperikard  nach  der  Operation  wird  durch  eine  Reihe 
Röntgenbilder  illustriert. 

2.  Aneurysma  arteriovenosuin  communicans  der  Brachialis,  durch 
solierte  Naht  der  Arterie  und  Vene  geheilt. 

3.  Eine  grössere  Anzahl  schwerer  Schussverletzungen,  die  z.  T. 
iurch  Querschläger,  z.  T.  durch  Dumdumgeschosse  verursacht  sind, 
t'ortr.  bespricht  die  differentialdiagnostisch  wichtigen  Momente, 
deinem  Einschuss  entspricht  am  Ausschuss  eine  enorme  Explosiv- 
ivirkung:  die  Haut  ist  ähnlich  den  grossen  Karbunkelquerinzisionen 
aiseinandergeplatzt. 

Herr  Haenlsch  zeigt  4  Fälle,  die  den  Nutzen  exakter  Rönt¬ 
genuntersuchung  von  Schussverletzten  beweisen. 

Herr  Sudeck:  Bisherige  Erfahrungen  über  Kriegsinfektionen. 
I.  Teil:  Tetanus. 

Vortr.  betont,  wie  ausserordentlich  gering  die  Statistik  eines  Ein- 
'elnen  zu  bewerten  ist  und  wie  der  erzielte  Erfolg  nicht  immer  auf 
he  angewandte  Therapie  zu  beziehen  ist.  Der  Virulenzgrad  der 
i  etanusbazillen  ist  der  unbekannte  Faktor,  mit  dem  zu  rechnen  ist. 

Die  kausale  Tetanustherapie  hat  mit  der  Freilegung  und  Des- 
nfektion  der  Wunde  zu  beginnen,  wenn  angängig  Amputation.  Ver- 
orgung  der  Wunde  äusserlich  mit  Antitoxin,  auch  Sauerstoffinsuffla- 
ionen  sind  zu  empfehlen.  Dann  spielt  die  subkutane,  intravenöse  und 
ntradurale  Infektion  von  Antitoxin  die  Hauptrolle.  Die  theoretische 
kdeutung  des  Antitoxins  wird  besprochen;  das  Antitoxin  bindet  das 
loch  auf  dem  Transport  befindliche  Toxin,  ist  das  Toxin  erst  mit  der 
'lervensubstanz  verankert,  ist  es  durch  das  Antitoxin  nicht  mehr  zu 
rreichen.  Die  Serumbehandlung  soll  so  früh  und  so  energisch  wie 
nöglich  einsetzen.  Symptomatisch  kommen  Narkotika  wie 
Morphium,  Chloral,  Skopolamin  in  Betracht.  Der  Tod  tritt  durch  Er- 
chöpfung  und  Erstickung  ein;  also  ist  nach  Melzers  Vor- 
:ehen  die  Tracheotomie  mit  Sauerstoffinsufflation  in  die  Tra- 
hea  zu  empfehlen.  Auch  die  vom  gleichen  Autor  empfohlene 
vlagnes.-sulfur.-Behandlung  hat  sich  bewährt:  10  ccm  einer  10  bis 
'5  prozentigen  Lösung  intradural  haben  oft  prompt  gewirkt.  Als 
Vntidote  bei  einer  Magnes.-sulfur.-Zuvielwirkung  hat  sich  Kalzium 
icwährt.  —  Ferner  bespricht  S.  noch  kurz  die  Baccellische  Phenol- 
>ehandlung.  Unter  den  600  Verwundeten  seiner  Station  trat  6  mal 
etanus  auf,  i.  e.  in  1  Proz.;  davon  starben  2. 

Diskussion  vertagt.  Werner-  Hamburg. 


Münchener  Gesellschaft  für  Kinderheilkunde. 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzung  vom  14.  Ju  n  i  1914. 

Herr  Klar:  Demonstrationen. 

L  5  jähriger  Junge  mit  Ostitis  fibrosa  cystica  im  linken  Ober- 
rmkopf.  Wie  prognostiziert,  hat  sich  infolge  der  bereits  im  Durch- 
euchtungsbilde  demonstrierten  Oberarmfraktur  in  der  Zyste  ein 
vfillus  gebildet,  der  die  Zyste  allmählich  ganz  ausfüllt. 

2.  Demonstration  eines  11  jährigen  Knaben  mit  beiderseitiger 
k»xa  vara  rachitica,  mit  Durchleuchtungsbildern. 

3.  Durchleuchtungsbilder  von  einem  Fall  von  einseitiger  Coxa 
ara  bei  einem  12  jährigen  Mädchen,  einem  Fall  von  einseitiger 
kxa  vara  mit  grotesker  Hypertrophie  des  Troch.  ma]or  bei  einem 
0  jährigen  jungen  Mann  und  Durchleuchtungsbild  einer  Coxa  valga 
on  einem  8  jährigen  Mädchen. 

Diskussion:  Herr  Drachter:  Demonstration  eines  Rönt- 
;enbildes  von  Ostitis  fibrosa  cystica  des  1.  Humerus  bei  einem 
2  jährigen  Mädchen. 

Herr  Hummel:  Ueber  unsere  Erfahrungen  mit  dem  Fried- 
i  a  n  n  sehen  Heil-  und  Schutzmittel. 

Vortr.  weist  an  der  Hand  der  bisher  veröffentlichten  Arbeiten 
ach,  dass  die  Meinungen  über  das  Mittel  noch  nicht  geklärt  sind 
nd  dass  es  zudem  oft  mit  pathogenen  Bakterien  verunreinigt  ist. 
r  hat  14  Kinder,  darunter  10  lungenkranke,  mit  dem  Mittel  injiziert, 
lach  ganz  vorübergehender  Besserung  des  einen  oder  anderen  Sym- 
toms  verfielen  die  Kinder  nach  dem  Verlauf  von  ca.  4  Monaten 
•Jeder  in  den  alten  Zustand,  teilweise  traten  sogar  Verschlechte¬ 
ungen  auf.  Vortr.  kommt  auf  Grund  seiner  und  vieler  anderer 
Erfahrungen  zu  einer  Ablehnung  des  Mittels  und  warnt  vor  allem 
or  einer  Schutzimpfung. 


Herr  Drachter:  Das  F  r  i  e  d  tu  a  n  n  sehe  Tuberkulosemittel 
bei  chirurgischer  Tuberkulose. 

Angewandt  wurde  das  F  r  i  e  d  m  a  n  n  sehe  Mittel  in  34  Fällen, 
chirurgischer  Tuberkulose.  Bedrohliche  Zustände  oder  Schädi¬ 
gungen  des  Patienten  wurden  in  keinem  Falle  beobachtet.  Nur  in 
einem  Falle  kam  es  zu  einer  Abszedierung  an  der  Injektionsstelle, 
in  7  Fällen  wurde  wässerige  Sekretion  aus  der  Einstichöffnung  kon¬ 
statiert.  Nach  der  Simultaninjektion  trat  nie  Sekretion  auf. 

Bei  wiederholter  Untersuchung  des  Ampulleninhaltes  konnten 
im  bakteriologischen  Institut  kulturell  stets  Begleitbakterien  (meist 
Staphylokokken)  nachgewiesen  werden. 

2  Fälle  von  Coxitis  tbc.  sind  während  der  Behandlung  ge¬ 
storben;  davon  ein  Fall  an  Basilarmeningitis  tbc.;  in  eiern  anderen 
Falle  war  dem  behandelnden  Arzte  eine  sichere  Diagnose  nicht 
möglich.  Dass  das  Mittel  einen  roborierenden  Einfluss  habe,  konnte 
nicht  bestätigt  werden. 

Heilungen  oder  Besserungen,  die  unzweideutig  auf  das  Fried- 
m  a  n  n  sehe  Mittel  zu  beziehen  gewesen  wären,  wurden  nicht  beob¬ 
achtet. 

Für  einige  anscheinend  spezifisch  günstig  beeinflusste  Fälle  ist 
zurzeit  eine  Erklärung  noch  nicht  möglich. 

Die  Mitteilung  weiterer  Erfahrungen  ist  erwünscht. 

Diskussion  zu  den  Vorträgen  Hummel-Drachter: 

Herr  Hopf  berichtet  über  12  Fälle  aus  dem  Giselakinderspital. 
Nur  einmalige  Injektion  in  jedem  Falle,  4  mal  gefolgt  von  intra¬ 
venöser  Injektion  bei  drohender  Vereiterung  des  Infiltrates.  Technik 
und  Indikationsstellung  genau  nach  Friedmanns  Angaben.  Be¬ 
obachtungszeit  ca.  4  Monate.  2  Todesfälle  kamen  vor.  sind  aber 
nicht  dem  Mittel  zur  Last  zu  legen:  1  Säugling  mit  2%  Monaten, 
an  Miliartuberkulose  erkrankt;  ein  15 monatliches  Kind  mit  Ohr-  und 
Lungentuberkulose,  gestorben  7  Wochen  nach  der  Injektion.  Keine 
Schädigung  der  10  überlebenden  Kinder.  Wenig  oder  nicht  ver¬ 
ändert  wurde  der  Zustand  bei  drei  Fällen  von  Knochen-  und  Haut¬ 
tuberkulose,  1  Drüsenabszess,  3  Fällen  mit  Phlyktäne.  Anfängliche 
Besserung  bei  2  operierten  Ohrtuberkulosen  und  1  Peritonitis  tuber- 
culosa;  bei  2  von  diesen  3  gebesserten  Fällen  machten  sich  aber 
floridere  Lungenerscheinungen  bemerkbar.  3  Spondylitiden  zeigten 
bei  gleichzeitiger  orthopädischer  Behandlung  Besserungstendenz, 
doch  erfolgte  bei  der  einen  der  Einbruch  des  erkrankten  Wirbels  in 
den  ersten  Tagen  nach  der  Injektion  (Herdreaktion?).  Ein  Auf¬ 
flammen  chronischer  Prozesse  schien  mit  der  Wirkung  des  Mittels 
verbunden  zu  sein. 

Herr  Ibrahim:  Da  wir  in  keinem  Falle  die  Injektionen  wieder¬ 
holt  haben  (abgesehen  von  der  in  einigen  Fällen  nachträglichen  intra¬ 
venösen  Injektion)  entsprach  unser  Vorgehen  durchaus  den  neuesten 
Indikationen  Friedmanns.  Die  Zeit  ist  zwar  zu  kurz,  um  de¬ 
finitiv  zu  urteilen,  aber  von  einem  generellen  Umschwung  des  Be¬ 
findens  der  Kinder  zum  Besseren  war  jedenfalls  nicht  die  Rede. 
Mehrfach  haben  wir  neue  tuberkulöse  Herde  auftreten  sehen.  Der 
akute  Einbruch  eines  kariösen  Wirbelkörpers  schien  eine  recht  un¬ 
erfreuliche  Herdreaktion.  Er  schien  uns,  ebenso  wie  das  Rasseln  auf 
vorher  stillen  Lungenpartien,  ein  Zeichen  spezifischer  Einwirkung 
des  Mittels  auf  tuberkulöse  Herde.  Wir  hätten  unsfcre  Versuche 
wohl  noch  nicht  abgebrochen,  wenn  nicht  die  Mitteilungen  über  den 
häufigen  Gehalt  des  Mittels  an  pathogenen  Keimen,  die  man  doch 
bei  Injektion  in  die  Jugularvenen  direkt  ins  Herz  spritzt,  uns  jede 
weitere  Anwendung  verboten  hätten.  Solange  keine  staatliche  Kon¬ 
trolle  hierfür  besteht,  kann  man  nur  eindringlichst  vor  weiteren 
therapeutischen  Versuchen  mit  dem  Mittel  warnen. 

Herr  Drachter  (Schlusswort):  In  einem  Falle,  der  sich  auf 
eine  einmalige  Injektion  mit  IV  rot  auffallend  besserte,  seit  kurzem 
aber  wieder  etwas  verschlimmert  hat,  ist  eine  nochmalige  Injektion 
mit  IV  rot  beabsichtigt.  Albert  Uffenheimer  -  München. 


Verein  deutscher  Aerzte  in  Prag. 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzungen  vom  Mai  und  Juni  1914. 

Herr  Schmidt  demonstriert  1.  einen  Fall  von  kardiovaskulärer 
Insuffizienz  auf  thyreotoxischer  Grundlage.  Hochgradige  Schwellung 
im  Bereiche  der  oberen  Extremitäten,  Brust,  Rücken,  Bauch  und 
Oberschenkel,  Aszites  und  beiderseitigem  Hydrothorax  bei  geringem 
Oedem  der  Unterschenkel.  Abnorm  weite  rechte  Lidspalte  mit  deut¬ 
lichem  Gr  äf  sehen  Symptom,  ohne  sonstige  Sympathikuserschei¬ 
nungen.  Keine  Vergrösserung  der  Schilddrüse.  Vor  5  Jahren  unter 
plötzlicher  Anschwellung  der  Schilddrüse  ähnliche  Symptome  wie 
heute,  die  nach  %  Jahre  zurückgingen,  worauf  eine  Periode  durch 
2V2  Jahre  vollkommener  Genesung  folgte.  Herr  Sch.  weist  darauf 
hin,  dass  sehr  häufig  bei  Basedowerkrankungen  Symptome  schwer¬ 
ster  Art  oft  ohne  Operation  zurückgehen,  und  legt  andererseits  den 
Gedanken  nahe,  bei  ätiologisch  nicht  genügend  fundierten  Fällen  von 
Myokarditis  die  Möglichkeit  thyreotoxischer  Einflüsse  in  Erwägung 
zu  ziehen. 

2.  Einen  Fall  von  Jodbasedow.  Nach  Gebrauch  von  10  proz. 
Jodvasogen  und  innerlich  Jodeisen. 

3.  Ein  Fall  von  Tetanieäquivalenten  bei  gleichzeitigem  Be¬ 
stehen  von  Trouseau  schem.  Erb  schem  und  Chvostek  schem 
Phänomen,  seit  Jahren  Ziehen  in  den  Extremitäten  mit  Parästhesien, 


2284 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  47 


nach  Resektion  einer  Struma  echte  Tetanieanfälle.  Es  handelt  sich 
um  eine  parathyreoprive  Tetanie.  Auffallend  ist  eine  besonders  hohe, 
eingestellte  Kohlehydrattoleranz,  auch  werden  durch  Adrenalin  keine 
Krämpfe  ausgelöst.  Eine  konstitutionelle  Minderwertigkeit  der 
Kranken  ergibt  sich  auch  aus  dem  Symptom  des  Irisschlottern,  dem¬ 
entsprechend  wird  die  bestehende  Linsentrübung  als  nicht  zur  Te¬ 
tanie  gehörig,  sondern  als  kongenital  angesprochen. 

4.  Einen  Fall  von  Lungenaktinomykose. 

5.  Einen  Fall  von  Aorteninsuffizienz  nach  Herzschuss.  Selbst¬ 
mordversuch,  vor  demselben  keinerlei  Herzbeschwerden.  Bald 
nachher  Zeichen  einer  gestörten  Herztätigkeit  im  Sinne  von  Oedemen, 
Dyspnoe  und  Herzpalpitationen.  Die  Röntgenuntersuchung  zeigt  das 
Projektil  lebhaft  pulsierend  hinter  dem  linken  Vorhof.  Bei  der  An¬ 
nahme  eines  geradlinigen  Weges,  von  der  als  kleinen  Narbe  sicht¬ 
baren  Einschussöffnung  zur  gegenwärtigen  Lage  des  Projektils, 
müsste  eine  Durchbohrung  des  Herzens  angenommen  werden  und 
liegt  es  nahe,  an  die  Möglichkeit  eines  Aortenklappenrisses  zu  denken. 

Herr  Ghon  demonstriert  Präparate  einer  37  jähr.  Frau  mit 
einem  Karzinom  der  rechten  Mamma,  Metastasen  in  der  linken 
Mamma  und  in  den  axillaren  Lymphknoten  beider  Selten,  in  den 
Nebennieren  und  paraaortalen  Lymphknoten,  im  Knochensystem  und 
Zentralnervensystem;  letztere  dokumentierten  sieb  einerseits  als 
Pachymeningitis  carcinomatosa  spinalis,  andererseits  als  zerstreute 
kleine  Knötchen  in  den  Grosshirnhemisphären.  Histologisch  er¬ 
wiesen  sich  aber  auch  die  basalen  Hirnnerven,  vor  allem  N.  opticus 
und  abducens  nicht  nur  in  ihren  Scheiden,  sondern  auch  im  Paren¬ 
chym  von  Tumor  durchsetzt.  Durch  diesen  Befund  fanden  intravital 
beobachtete  Symptome,  wie  Amaurose,  ihre  Erklärung. 

Herr  Schloff  er  stellt  eine  24  jähr.  Pat.  mit  einer,  wenigstens 
vorläufig,  geheilten  postoperativen  Tetanie  vor.  Schwere  Tetanie  im 
Anschluss  an  Kropfoperation  wegen  Basedow.  Entfernung  von  Zwei¬ 
drittel  des  Schilddrüsengewebes  und  Unterbindung  der  linken  Arterie 
th.vr.  inf.  Vom  5.  Tage  nach  der  Operation  schwere  tetanische  An¬ 
fälle  mit  Quincke  schein  Hautödem.  Parathyreoidalpräparate  ohne 
Erfolg,  erst  Verabreichung  getrockneter  Pferdeepithelkörperchen 
(0,02—0,06  pro  Tag)  brachte  die  Anfälle  zum  Schwinden,  die  jedoch 
nach  Aussetzen  der  Therapie  wieder  einsetzten,  um  seither  nach 
Beibehaltung  derselben,  seit  8  Wochen  verschwunden  zu  sein. 

2.  Freie  Autoplastik.  a)  Demonstration  eines  Jungen,  bei  dem 
die  oberen  *,'*  des  Humerus  durch  eine  Tibiaspange  ersetzt  wurden 
(guter  Erfolg)  und  Demonstration  der  Röntgenbilder  eines  zweiten, 
gleichartigen  Falles,  wo  später  eine  traumatische  Fraktur  in  der  Mitte 
des  Implantates  aufgetreten  ist,  die  mit  normalen  Kallus  abgeheilt  ist. 

b)  Ankylosis  mandibulae  bei  einem  20  jähr.  Mann  nach  einem 
Fall  auf  den  Kiefer  in  der  Kindheit.  Nach  Ausmeisselung  der  breiten 
Knochenmassen,  welche  den  Kiefer  mit  der  Schädelbasis  verbanden, 
wäre  ein  so  grosser  Muskellappen  zur  Zwischenlagerung  nötig  ge¬ 
wesen,  wie  er  nicht  zur  Verfügung  stand,  daher  Einpflanzung  grosser, 
verwiegend  aus  Knorpel  bestehender  dünner  Scheiben  aus  den 
Rippenknorpeln.  Guter  Erfolg. 

c)  Freie  Faszientransplantation  nach  Wilms  zur  Ausschaltung 
des  Pylorus  bei  Geschwüren  desselben  und  des  Duodenum.  Einige 
nach  3—4  Monaten  nachuntersuchte  Fälle  zeigen,  dass  die  beab¬ 
sichtigte  Ausschaltung  zu  dieser  Zeit  noch  fortbestand,  auch  wenn 
die  Faszienstreifen  späterhin  nachgeben  sollten,  wäre  es  schon  ein 
Gewinn,  wenn  man  nur  für  die  ersten  Monate  nach  der  Operation 
den  Pylorus  resp.  das  Duodenum  vollkommen  isolieren  könnte. 

d)  W  i  e  t  i  n  g  sehe  Operation  bei  arteriosklerotischer  Gangrän, 

Dr.  O.  Wiener. 

Aus  den  Wiener  medizinischen  Gesellschaften. 

(Eigener  Bericht.) 

K.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte. 

Sitzung  vom  23.  Oktober  1914. 

Prof.  E.  Ranzi  und  Prof.  Otto  Marburg:  Demonstration 
mehrerer  Fälle  von  Hirnschüssen  aus  der  chirurgischen  Klinik 
v.  Eiseisberg. 

E.  Ranzi:  Von  33  Hirnschüssen  waren  19  Tangentialschtisse. 
15  wurden  an  der  Klinik  primär  operiert,  9  derselben  mit  Hirnabszess 
(2  gestorben,  7  gebessert).  2  Tangentialschüsse  wurden  nicht  ope¬ 
riert,  8  waren  schon  im  Felde  operiert  worden  und  wurden  an  der 
Klinik  nachoperiert.  Dann  gab  es  10  Steck-  und  4  Durchschüsse. 
Bei  den  Steckschüssen  war  5  mal  ein  Hirnabszess  vorhanden,  die 
4  Durchschüsse  waren  alle  infiziert,  von  3  operierten  starb  1  Fall. 
Der  Vortr.  bespricht  eingehend  die  Behandlung  des  Hirnprolapses  und 
als  weitere  Komplikation  die  Liquorfistel,  welche  stets  günstig  verlief. 

O.  Marburg  erörtert  eingehend  die  neurologischen  Fragen  bei 
den  Schädelschüssen.  Wohl  alle  hatten  eine  Commotio  cerebri  mit 
1 — 2  stündiger  Bewusstlosigkeit.  Bemerkenswert  sind  die  geringen 
Allgemeinerscheinungen,  also  wenig  Kopfschmerzen,  kein  Erbrechen, 
in  einzelnen  Fällen  Stauungspapille.  Wo  eine  Gehirnerschütterung 
bestanden  hatte,  wurde  auch  Pulsverlangsamung  (60 — 64  Schläge) 
beobachtet;  fiel  die  Pulszahl  weiter,  so  konnte  das  Symptom  als 
Folge  der  Progression  des  Prozesses  angesehen  werden.  Auffallen¬ 
derweise  war  die  bei  Hirnschüssen  beobachtete  Lähmung  fast  immer 
eine  schlaffe,  was  schwer  zu  erklären  ist  und  vielleicht  mit  dem  gleich¬ 
zeitigen  schweren  Sensibilitätsausfall  zusammenhängt.  Bei  Hirn- 
abszesen  bestand  keine  Steigerung  der  Temperatur,  eher  wurde  noch 


ein  Absinken  derselben  konstatiert;  ferner  bestand  Bradykardie 
Der  Vortragende  besprach  die  Indikationen  für  den  operativen  Ein¬ 
griff.  Gegenanzeigen  waren  ‘initialer  grosser  Hirnprolaps  und  tief¬ 
sitzende  Steckschüsse  (zumeist  Abszessbildung  hinter  dem  Projekte 
mit  Durchbruch  in  den  Ventrikel).  Wie  die  vorgestellten  Kranken 
zeigen,  gingen  Lähmungen  und  Aphasien  auffallend  rasch  zurück 
während  sich  die  Sensibilitätsstörungen  nur  langsam  besserten.  Tan- 
genitalschüsse  mit  positivem  Röntgenbefund  und  mit  stationären 
allgemeinen  oder  Lokalsymptomen  oder  mit  progressiven  Erschei¬ 
nungen,  dann  oberflächlich  sitzende  Steckschüsse  sind  zu  operieren, 
wogegen  tiefe  Steckschüsse  mit  Vorsicht  zu  behandeln  seien.  Aus  der 
schlaffen  Lähmung  wurde  im  Verlaufe  oft  eine  leicht  spastische. 

Dr.  J.  Robinsohn:  Zwei  neue  einfache  Methoden  der  rönt¬ 
genologischen  Tiefenmessung,  besonders  bei  Fremdkörpern.  (Ohne 
Abbildung  nicht  leicht  verständlich.) 


Aus  den  französischen  medizinischen  Gesellschaften. 

Academie  des  Sciences. 

Sitzung  vom  6.  Juli  1914. 

Eine  Reihe  von  Gesetzen  über  das  Wachstum,  auf  2000  Beobach¬ 
tungen  an  Kindern,  300  000  Messungen  usw.  begründet. 

Paul  G  o  d  i  n  kommt  auf  Grund  seiner,  seit  4  Jahren  angestelltert 
Untersuchungen  zu  folgenden  Schlüssen:  I.  Gesetze  bezüglich  des 
alternierenden  Wachstums:  Die  langen  (Röhren-)  Knochen 
wachsen  abwechselnd  in  die  Länge  und  Breite  (Dicke).  Ein  halbes 
Jahr  stellt  die  mittlere  Dauer  der  Abwechslung  zwischen  Längen- 
und  Breitenwachstum  dar;  um  die  Pubertätszeit  sind  diese  abwechn 
selnden  Perioden  viel  längere.  Die  Körpergrösse  verdankt  den 
grössten  Teil  ihrer  Entwicklung  vor  der  Pubertät  der  Unterextremi¬ 
tät,  nach  derselben  dem  Oberkörper  (Brust).  Das  hauptsächliche 
Wachstum  (in  die  Länge)  um  die  Pubertätszeit  herum,  vollzieht  sich 
während  der  2,  dem  Ausbruch  der  Pubertät  vorangehenden  Halbjahre. 
Vor  der  Pubertät  ist  vor  allem  das  Wachstum  der  Knochen  und 
nach  derselben  das  der  Muskeln  ein  ausgeprägtes. 

II.  Gesetze  über  die  Pubertät.  Die  Schamhaare  be¬ 
ginnen  im  Durchschnitt  Wz  Jahre  vor  dem  Auftreten  der  Pubertät 
zu  wachsen.  Beim  männlichen  Geschlechte  entspricht  der  beginnende 
Haarwuchs  in  der  Achselhöhle  dem  Pubertätsbeginn;  beim  weib¬ 
lichen  Geschlechte  tritt  diese  Haarbildung  kurze  Zeit  nach  der  ersten 
Menstruation  auf.  12 — 17  Jahre  trennen  die  Pubertät  von  der  Ge-J 
burt,  2  Jahre  genügen  zu  ihrer  vollständigen  Ausbildung;  ausserdem 
sind  noch  3  Jahre  zur  Vollendung  des  Wachstums  und  Erreichung 
der  Mannbarkeit  (Heiratsfähigkeit)  notwendig.  Die  Pubertät  hat  aui 
das  Pigment  einen  Einfluss,  je  nachdem  es  sich  um  Pigment  der 
Haut  und  der  Haare,  welche  es  dunkler,  oder  Pigment  der  Iris,  welche 
es  heller  macht,  handelt. 

III.  Gesetze  bezüglich  der  Proportionen  wäh¬ 
rend  des  Wachstums:  Es  sind  3  Stadien  in  der  postfötalen 
Entwicklung  der  durch  Länge  und  Breite  (Dicke)  dargestellten  Ver¬ 
änderungen  vorhanden:  Die  erste  von  der  Geburt  bis  zu  6  Jahren 
die  zweite  von  6 — 15  Jahren  und  die  dritte  von  15  Jahren  bis  zurrt 
völlig  erwachsenen  Zustande.  Für  jede  Art  organischer  Konstitu¬ 
tionen  entsprechen  bestimmte  Proportionen  der  Pubertätsperiode  und, 
meist  dem  Ausbruch  der  Pubertät  selbst.  Die  Proportionen  ermög¬ 
lichen  daher  annähernd,  die  Zeitspanne  festzustellen,  welche  in  einen) 
gegebenen  Augenblick  ein  Kind  von  seiner  Pubertät  trennt.  Im  Alter 
von  6  Jahren  im  Mittel,  ungefähr  9  Jahre  vor  der  Pubertät,  sind 
die  Proportionen  Vs  oder  1  Jahr  lang  hindurch  derartige,  dass  die 
Silhouette  des  Kindes  eine  Idee  über  jene  des  künftigen  Erwachsenen 
gibt. 

IV.  Gesetze  über  normale  Asymmetrien:  Zwischen 
den  doppelseitigen  Organen  herrscht  eine,  der  überwiegenden  Funk¬ 
tion  entsprechende  Asymmetrie:  bei  dem  Rechtshänder  ist  die  rechte 
Oberextremität  länger  und  dicker,  die  rechte  Schulter  niedriger,  was 
in  umgekehrter  Weise  für  den  Linkshänder  gilt.  Die  Entwicklung  der: 
normalen  Asymmetrien  doppelseitiger  Organe  und  des  Rumpfes  geht 
in  umgekehrten  Sinne  wie  das  Wachstum,  aber  in  Uebereinstimmuns 
mit  der  Funktion  vor  sich.  Die  vermehrte  Länge  und  Dicke  dert 
Oberextremität  sitzt  bei  der  Unterextremität  oft  auf  der  entgegen¬ 
gesetzten  Seite.  Die  Ohrmuscheln  bieten  eine  bemerkenswerte  und 
regelmässige  Asymmetrie,  welche  das  Wachstum  zu  verwischen 
sucht. 


(Berichtigung.)  In  der  Arbeit  von  Dr.  K.  E.  Ranke  „Zur 
Diagnose  der  kindlichen  Tuberkulose“  ist  folgendes  zu  berichtigen: 
ln  Nr.  42:  In  Fig.  1  bedeutet  o-o-o  Gesamtmortalität  an  Tuberkulose: 

- Mortalität  an  Lungentuberkulose  und - Mortalität  an, 

Tuberkulose  anderer  Organe.  S.  2100,  Sp.  2,  Z.  15  v.  u.  lies  „inter¬ 
kurrente“  statt  „interessante“;  S.  2101,  Sp.  1,  Z.  8  v.  u.:  „um  die 
Drüse“  statt  „und  die  Drüse“.  In  Nr.  43:  S.  2134,  Sp.  2,  Z.  25  v.  u. 
lies  „Lunge“  statt  „Lage“.  Ebenda  Z.  18  v.  u.  u.  ff.  lies:  „Der  Unter¬ 
schied  ist  bei  jeder  Perkussion  wahrnehmbar,  die  ihn  bestimmenden 
Bedingungen  sind  also  unabhängig  von  der  Stärke  der  Perkussion.“ 
S.  2135,  Sp.  2,  Z.  22  v.  o.  del.  „man“.  S.  2136,  Sp.  1,  Z.  41  v.  o. 
lies  „einiger“  statt  „weniger“. 


Schriftleitung:  Dr.  B.  Spatz, 
München,  Arnulfstrasse  26. 


■  • 


MÜNCHENER 


Verlag  von  J.  F.  Lehmann, 

München,  Paul  Heysestr.  26. 


Medizinische  Wochenschrift. 


Nr.  47.  24.  November  1914. 


Feldärztliche  Beilage  Nr.  16. 


Einige  Winke  für  das  Operieren  im  Felde. 

,'on  Professor  Q.  Perthes,  Qeneraloberarzt  und  beratendem 
Chirurgen  XIII.  Kgl.  Wiirtt.  Armeekorps. 

Dass  Operationen  auf  dem  Hauptverbandplätze  und  in  den 
’eldlazaretten  möglichst  einzuschränken  sind,  ist  anerkannte 
riegschirurgische  Regel  geworden.  Operationen  ganz  zu 
imgehen,  ist  aber  auch  für  den  Kriegschirurgen  unmöglich, 
!er  sich  der  grösstmöglichen  operativen  Enthaltsamkeit  be- 
leissigen  will.  Im  Feldlazarett  erweist  sich,  abgesehen  von 
len  nur  selten  indizierten  Gefässunterbindungen  und  Tracheo- 
omien,  z.  B.  bei  Schüssen  der  Urethra  die  Urethrotomie 
neistens  als  unbedingt  notwendig;  bei  Thoraxschüssen  mit 
veit  offener  Pleurahöhle  muss  die  Wunde  unter  peinlicher 
Vahrung  der  Asepsis  geschlossen  werden.  Die  operative  Ver- 
orgung  von  Rinnenschüssen  des  Schädels  wird  von  den 
leisten  Kriegschirurgen  für  indiziert  gehalten;  ein  leider  noch 
mmer  beträchtlicher  Anteil  kriegschirurgischer  Tätigkeit  in 
en  Feldlazaretten  wird  durch  die  Amputationen  wegen  Gan- 
rän  infolge  Gasphlegmone,  infolge  schnürenden  Verbandes 
der  missbräuchlicher  Anwendung  der  E  s  m  a  r  c  h  sehen 
linde,  sowie  infolge  Gefässverletzung  dargestellt  Es  ver- 
ient  daher  die  Frage  noch  immer  ernste  Erwägung:  Kann 
m  Felde  eine  Operation  —  besonders  im  Hin¬ 
lick  auf  die  Asepsis-5-  so  vorbereitet  und 
urchgeführt  werden,  dass  die.  Verantwortung 
afür  übernommen  werden  kann? 

Wer  im  Felde  sich  um  die  aseptische  Vorbereitung  von 
)perationen  bemüht  hat,  wird  diese  Frage  nicht  leichten  Her- 
ens  bejahen.  Aber  eine  absolute  Asepsis  im  bakteriologischen 
inne  erreichen  wir  auch  in  den  Operationssälen  unserer 
leimatklinken  nicht.  Auch  im  Felde  aber  gibt  es  Mittel  und 
Vege,  um  dem  mir  vorschwebenden  Ziele  der  Asepsis  so  nahe 
u  kommen,  wie  es  die  kriegschirurgische  Praxis  erfordert. 

Der  aseptische  Operationssaal  fehlt.  Ein  Schulsaal,  der 
'horraum  einer  Kirche,  eine  Bauernstube  oder  gar  eine 
cheune  müssen  als  Operationsraum  dienen.  Auch  wenn  wir 
-  so  gut  es  eben  geht  —  haben  Herrichten  und  säubern  lassen, 
lüssen  wir  in  einem  Raum  arbeiten,  der  keineswegs  einwand- 
ei  ist.  Nicht  selten  werden  wir  mit  der  Anwesenheit  von 
rregern  des  Wundstarrkrampfes  auf  dem  Fussboden,  ja  auf 
em  Operationstische  rechnen  müssen.  Aber  wie  Treu- 
elenburg  einmal  ausgeführt  hat:  „Die  Bakterien  hüpfen 
icht  wie  gewisse  Insekten.“  Auch  wenn  die  weitere  Um- 
ebung  infektionsverdächtig  bleibt,  lässt  sich  alles  was  mit  der 
’perationswunde  in  direkte  Berührung  kommt,  aseptisch  ge- 
:alten.  Nur  muss  die  Zahl  der  Fehlerquellen  möglichst  klein 
emacht,  dasganze  aseptische  Gebiet  möglichst 
infach  und  übersichtlich  gehalten  werden. 

Das  gilt  insbesondere  für  die  Hände.  So  wenig' 
ände  wie  möglich  sollen  mit  der  Wunde  und 
iit  den  Instrumenten  in  Berührung  komme  n. 
h  habe  es  mir  daher  zur  Regel  gemacht,  bei,  den  Feld- 
serationen  nur  einen  Assistenten  als  aseptische  Hilfe  zu 
erwenden,  das  aseptische  Material  selbst  übersichtlich  bereit- 
ilegen,  bei  der  Operation  es  selbst  aufzunehmen  und  auf  das 
nreichenlassen  zu  verzichten.  Nur  selten  wird  der  Kriegs- 
ürurg  mit  dem  Sanitätsunteroffizier,  der  als  Operationswärter 
Frage  kommt,  für  das  Anreichen  von  Instrumenten  schon 


gut  eingearbeitet  sein,  andererseits  ist  ein  gewandter  Opera¬ 
tionswärter  oft  eine  wertvollere  Hilfe,  wenn  er  seine  Hände 
nicht  sterilisiert  hat  und  so  für  die  zahlreichen  nicht  asep¬ 
tischen  Handreichungen,  die  bei  einer  Operation  notwendig 
sind:  Lagerung  des  Kranken,  Sorge  für  gutes  Licht,  Aus¬ 
kochen  verunreinigter  Instrumente  usw.  zur  Verfügung  bleibt. 
Die  Operation  verläuft  nicht  nur  freier  von  Fehlern  in  der 
Asepsis,  sondern  meistens  auch  rascher  und  glatter,  wenn  der 
Operateur  sein  aseptisches  Material  selber  sich  anordnet. 

Es  ergibt  sich  daraus  eine  weitere  Forderung.  Um  die 
Uebersicht  über  das  Operationsmaterial  zu  erleichtern,  werden 
nur  möglichst  wenige  Instrumente  verwendet, 
diese  wenigen  aber  übersichtlich  bereit  gelegt,  also  nicht  etwa 
in  dem  Siebeinsatz  des  Instrumentenkochers  liegen  gelassen. 
Bei  Beschränkung  auf  das  Nötigste  kann  man  bei  der  einfachen 
Operation  des  Feldes  mit  sehr  wenig  auskommen. 

Der  Feldsterilisator  unserer  Sanitätsformationen  für  das 
Auskochen  der  Instrumente  bewährt  sich  gut.  Die  Näh¬ 
seide  ist  in  Glasröhrchen  steril  vorhanden.  Um  aseptische 
Entnahme  zu  ermöglichen,  lasse  ich  das  Glasröhrchen  noch¬ 
mals  zusammen  mit  den  Instrumenten  auskochen.-  So  wird 
auch  die  Aussenfläche  der  Röhrchen  aseptisch  und  der  Opera¬ 
teur  kann  seine  Nähte  einwandfrei  aseptisch  einfädeln.  Das 
Einfädeln  sämtlicher  voraussichtlich  bei  der  Operation  ge¬ 
brauchter  Nadeln  sollte  von  dem  Operateur  vor  Beginn  der 
Operation  ausgeführt  werden.  Die  eingefädelten  Nadeln 
werden  auf  einer  sterilen  Kompresse  neben  einander  aufgereiht, 
so  dass  sie  ohne  Zeitverlust  abgenommen  werden  können. 
Die  gleiche  Seide  kann  ganz  wohl  auch  zum  Unter¬ 
binden  dienen,  falls  das  für  die  Sanitätsformationen  vor¬ 
handene,  trocken  steril  aufbewahrte  Katgut  aufgebraucht  sein 
sollte.  Als  Tupfmaterial  dienen  die  bereits  in  passender 
Grösse  sterilisiert  vorrätigen  Mullstücke,  welche  jedoch  vor 
Beginn  der  Operation  aus  der  Papierumhüllung  in  ge¬ 
nügender  Zahl  zu  entnehmen,  in  Bauschform  zu  bringen  und 
neben  den  Instrumenten  bereit  zu  legen  sind. 

Nicht  ganz  so  einfach  ist  für  die  Verhältnisse  des  Krieges 
die  Frage  der  sterilen  Operationswäsche  und 
des  Abdeckmaterial  es  zu  beantworten.  Gewiss  er¬ 
möglicht  der  Feldsterilisator  die  Verwendung  auch  des  strö¬ 
menden  Dampfes  zur  Sterilisation  dieser  notwendigen  Hilfs¬ 
mittel.  Dann  wenn  nur  einzelne  Operationen  in  Ruhe  vor¬ 
bereitet  werden,  mag  von  der  Dampfsterilisation  Gebrauch 
gemacht  werden.  Wenn  aber  mehrere  Operationen  nach¬ 
einander  auszuführen  sind,  so  ergeben  sich  dadurch  Schwierig¬ 
keiten,  dass  mit  dem  kleinen  Sterilisator,  in  dem  neben  den 
nötigen  Abdeckstücken  nur  zwei  Operationsmäntel  Platz 
finden,  grössere  Mengen  Operationswäsche  unmöglich  auf 
Vorrat  sterilisiert  werden  können.  Auch  verfügt  ein  Feld¬ 
lazarett  bekanntlich  nur  über  sechs  Operationsmäntel.  Die 
Operationswäsche  wird  bei  dem  ersten  Gebrauch  blutig  und 
verschmutzt.  Die  Möglichkeit,  sie  zu  waschen,  ist  im  Felde 
sehr  oft  nicht  gegeben.  —  So  ist  es  wichtig,  zu  wissen,  dass 
man  auf  die  mit  Dampf  sterilisierte  Operationswäsche  nötigen¬ 
falls  überhaupt  verzichten  und  das  Auskochen  als  ein¬ 
zige,  einfache  Sterilisationsmethode  verwenden 
kann.  Statt  der  leinenen  Tücher  dienen  dann  Stücke  aus 
Gummistoff,  Mosettigbattist,  statt  der  Mäntel  kleine  Schürzen 
aus  dem  gleichen  Material.  Diese  dünnen  Stoffstücke  bean- 


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Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  Al 


Sprüchen  so  wenig  Platz,  dass  sie  sich  mit  den  Instrumenten 
zusammen  auskochen  lassen.  Die  Sterilisation  ist  durch 
5  Minuten  langes  Verweilen  in  kochendem  Wasser  erledigt, 
während  die  Dampfsterilisation  eine  Stunde  in  Anspruch 
nimmt.  Das  sind  wesentliche  Vorteile,  die  für  die  Verwendung 
des  kochenden  Wassers  als  Sterilisationsmittel  auch  für  Schür¬ 
zen  und  Abdeckmaterial  besonders  dann  sprechen,  wenn 
mehrere  Operationen  hintereinander  auszuführen  sind. 

Dass  die  Abdecktücher  durch  passende  Tuchklemmen1) 
—  nötigenfalls  durch  einige  Nähte  —  in  der  Umgebung  des 
Operationsfeldes  sicher  fixiert  werden,  scheint  mir  richtig. 

Auch  die  Händedesinfektion  hat  im  Felde  mit  be¬ 
sonderen  Bedingungen  zu  rechnen.  Nicht  selten  mangelte  uns 
in  den  letzten  Wochen  Wasser,  vor  allem  sauberes  Wasser. 
Die  Pumpen  der  Dörfer,  in  denen  Feldlazarette  eingerichtet 
werden  mussten,  waren  defekt  oder  lieferten,  nachdem  sie  zum 
Tränken  der  Pferde  grosse  Wassermengen  hergegeben  hatten, 
nur  eine  trübe  Brühe.  Meistens  war  es  unmöglich,  eine 
grössere  Menge  warmen  Wassers,  das  doch  bei  der  Hände¬ 
waschung  öfters  gewechselt  werden  sollte,  zu  beschaffen.  Auf 
sterile  Handtücher  zum  Abreiben  der  Hände  musste  verzichtet 
werden.  Auf  ein  Gelingen  der  Methoden  der  Händedesinfek¬ 
tion,  bei  denen  die  Heisswasserwaschung  ein  wesentliches 
Glied  ist,  war  daher  nicht  zu  rechnen. 

Für  das  Feld  dürfte  die  reine  Alkoholdesinfek¬ 
tion,  wenn  irgend  möglich  in  Verbindung  mit  der  Verwen¬ 
dung  von  Gummihandschuhen,  am  meisten  zu  emp¬ 
fehlen  sein.  Das  einfache  Verfahren,  die  möglichst  sauber  ge¬ 
haltene  Hand  ohne  Wasserwaschung  für  5  Minuten  in  Spiritus 
mit  einem  Bausch  Mull  abzureiben,  hat  Sich  in  der  Tübinger 
Klinik,  seit  es  vor  mehreren  Jahren  auf  die  Anregung  von 
v.  Brunn  hin  eingeführt  wurde,  durchaus  bewährt.  Da  es 
nicht  schwer  ist,  die  relativ  kleine  Menge  Spiritus,  die  dafür 
nötig  ist,  mitzuführen,  so  ist  meines  Erachtens  diese  Methode 
für  den  Kriegschirurgen  die  beste.  Als  Waschgefässe  —  und 
auch  das  ist  ein  Vorteil  —  reichen  ein  bis  zwei  kleine  Blech- 
schüsseln  aus.  Die  im  Spiritus  vorbehandelten  Hände  bleiben 
unter  Gummihandschuhen  trocken.  Es  entsteht  kein  „Hand¬ 
schuhsaft“,  der  bei  Defekten  des  Handschuhs  die  Wunde  in¬ 
fiziert.  Gummihandschuhe  sind  aber  für  die  Kriegschirurgie, 
wie  schon  bei  ihrer  Einführung  durch  Zöge  v.Man- 
teuffel  hervorgehoben  wurde,  besonders  wichtig;  nicht  nur 
zur  wesentlichen  Vervollkommnung  der  Asepsis  bei  den 
sauberen  Operationen,  sondern  auch,  um  bei  den  septischen 
Operationen  und  Verbänden  die  Hand  vor  dem  infektiösen 
Material,  z.  B.  der  Gasphlegmonen,  zu  schützen. 

Die  mit  Talk  gut  eingepuderten  Handschuhe  werden  zweck¬ 
mässigerweise  paarweise  in  Papierumschläge  verpackt  und  in  diesen 
in  Dampf  sterilisiert.  Es  macht  keine  Schwierigkeit,  die  Verpackung 
so  einzurichten,  dass  die  Handschuhe  nach  Oeffnung  des  Umschlages 
durch  einen  nicht  desinfizierten  Gehilfen  aseptisch  entnommen  und 
trocken  über  die  nach  Alkoholdesinfektion  sehr  schnell  lufttrocken 
gewordenen  Hände  gezogen  werden  können.  Die  gegen  die  Dampf¬ 
sterilisation  für  die  Operationswäsche  geltend  gemachten  Bedenken 
haben  für  die  Handschuhe  keine  Bedeutung,  da  in  dem  Feldsterilisator 
ohne  weiteres  ein  beträchtlicher  Handschuhvorrat  Platz  findet  und 
mit  einem  Male  in  den  Papierpackungen  auf  Vorrat  sterilisiert  wer¬ 
den  kann.  Wenn  mehrere  Operationen  hintereinander  ausgeführt 
werden,  dann  können  die  Handschuhe,  zumal  wenn  sie  nur  bei  asep¬ 
tischer  Operation  verwendet  waren,  unbedenklich  an  den  Händen  be¬ 
lassen  und  mit  diesen  vor  der  nächstfolgenden  Operation  in  2  proz. 
Lysollösung  oder  einem  ähnlichen  flüssigen  Desinfektionsmittel  ab¬ 
gewaschen  werden.  Bakteriologische  Prüfung  hat  gezeigt,  dass  die 
Sterilisation  der  glatten  Gummioberfläche  auf  diese  einfache  Weise 
sehr  wohl  möglich  ist. 

Für  die  Narkose  ist  aus  den  bekannten  Gründen  der 
fehlenden  Feuersgefahr  und  der  Raumersparnis  für  die  Sani¬ 
tätsformationen  des  Heeres  dem  Chloroform  vor  dem  Aether 
der  Vorzug  gegeben  worden.  Da  die  meisten  Chirurgen  heut¬ 
zutage  nur  noch  mit  Aether  zu  narkotisieren  gewohnt  sind,  so 
dürfte  es  nicht  überflüssig  sein,  daran  zu  erinnern,  dass  als 
wichtigste  Massregel  gegen  die  grösseren  Gefahren  des 
Chloroforms  die  tunlichste  Herabsetzung  der  Konzentration 
der  Chloroformdämpfe  angesehen  werden  muss.  Niemals  darf 
daher  das  Chloroform  auf  die  Maske  gegossen  werden. 

*)  Mir  leisten  die  in  Penzoldt-Stintzings  Handbuch  der  Therapie, 
letzte  und  vorletzte  Auflage,  Bd.  6,  abgebildeten  Tuchklemmen  sehr 
gute  Dienste. 


Das  in  langsamer  Tropfen  folge  auf  wechselnd* 
Stellen  der  Maske  aufgetropfte  Mittel  darf  diese  nieinaf 
durchnässen.  Nur  ganz  langsam  darf  die  Narkose  sich  ein 
schleichen. 

Ich  selbst  verwende  für  die  Chloroformnarkose  im  Felde  dei 
sehr  einfachen  Junker  sehen  Apparat,  der  infolge  seiner  bekannte 
Konstruktion  eine  zu  starke  Konzentration  des  Narkotikum  in  de 
durch  das  Chloroform  hindurchgeblasenen  und  mittels  Schlauch  um 
Metallmaske  dem  Patienten  zugeführten  Luftmenge  ausschliessi 
Besonders  dann,  wenn  Gehilfen,  die  noch  selten  narkotisiert  haben 
notgedrungen  die  Narkose  übernehmen  müssen,  bietet  diese  Methode 
sehr  beachtenswerte  Vorteile.  Sie  setzt  die  Gefährlichkeit  dei 
Chloroformnarkose  wesentlich  herab  und  hat  sich  z.  B.  in  langjährig 
gern  Gebrauche  an  der  Leipziger  chirurgischen  Klinik  unte: 
T  h  i  e  r  s  c  h  und  Trendelenburg  gut  bewährt. 

Von  der  Rauschnarkose  wird  man  im  Felde  fii 
kurz  dauernde  Eingriffe  besonders  gerne  Gebrauch  machen, 
Das  geeignetste  Mittel,  eine  Tube  Aethylchlorid,  aus  der  de 
Strahl  auf  eine  achtfache  über  das  Gesicht  gelegte  Schieb 
Mull  gesprüht  wird,  ist  bei  den  Sanitätsformationen  für  lokal: 
anästhetische  Zwecke  vorhanden.  —  Die  Lumbalanästhesi« 
und  die  Lokalanästhesie  durch  Injektion  insbesondere  vor 
Novokain  leistet  da,  wo  die  genügende  Erfahrung  in  der  Ver 
Wendung  dieser  Methoden  vorhanden  ist,  aber  auch  nur  d. 
gute  Dienste.  Im  allgemeinen  wird  wohl  im  Felde  immer  de 
Allgemeinnarkose  der  Vorzug  gegeben  werden.  Sie  bedar 
keiner  aseptischen  Vorbereitung  des  Instrumentariums  und  du 
Ausschaltung  des  Bewusstseins  wird  meistens  erwünscht  sein 

Noch  nicht  ganz  befriedigend  ist  die  Frage  der  Beleuchtung 
für  nächtliche  Operationen  im  Felde  gelöst.  Die  auf 
zuhängenden  Azetylenlaternen  sind  gewiss  für  die  Beleuchtung  de 
Operationsraumes  im  ganzen  durchaus  zweckmässig.  Für  die  Bc 
leuchtung  des  Operationsfeldes  selbst  lassen  sie  zu  wünschen  übrig 
besonders  wenn  man  feinere  Details  erkennen  muss.  Sie  versagen 
völlig,  wenn  in  Höhlen,  z.  B.  in  der  Blase,  operiert  wird. 

Mit  grossem  Nutzen  bediene  ich  mich  jetzt  hier  wie  schon  sei 
vielen  Jahren  bei  Operationen  im  Privathause  einer  elektrische) 
Stirnlampe2),  die  von  einer  am  Gürtel  aufgehängten  kräftiger 
Trockenbatterie  gespeist  wird.  Das  Licht  ist  auch  für  feinere  Opera 
tionen  vollkommen  ausreichend.  Eine  Reservebatterie  mitzufiihrei 
ist  jedoch  auch  für  den  Feldchirurgen  notwendig.  Da  der  Frsai: 
der  elektrischen  Batterie  Schwierigkeiten  bereiten  kann,  so  liegt  di* 
Frage  nahe,  ob  nicht  eine  Azetylenfahrradlaterne  in  ähnlicher  Weis« 
als  Stirnlampe  funktionieren  kann.  Wenn  sie  so  dem  Operationsteil 
nahegebracht  und  ihr  Licht  stets  auf  die  richtige  Stelle  eingestell 
wird,  dürfte  sie  wenig  in  ihrer  Leistung  hinter  der  elektrischen  Stirn 
lampe  zurückstehen.  Leider  wird  eine  im  ganzen  vor  der  Stirn  an 
gebrachte  Fahrradlaterne  dem  Operateur  durch  ihre  Schwere  un 
bequem.  Es  muss  daher  die  Laterne  in  der  Weise  zerlegt  werden 
dass  der  Gasentwickler  an  dem  Gürtel  des  Operateurs  aufgehängt 
der  durch  einen  Gummischlauch  mit  Azetylen  gespeiste  Scheinwerfe 
aber  an  dem  Stirnbande  befestigt  wird.  Versuche  zur  Ausführunj 
einer  solcher  Konstruktion  sind  im  Gange. 

Ueber  den  Verband  nach  Operationen  wird  dasselbe 
zu  sagen  sein,  was  in  noch  höherem  Masse  von  den  zur  ein 
fachen  Wundversorgung  angelegten  Verbänden  gilt.  Man  sieh 
sehr  oft  Verbände,  die  zu  klein,  und  sehr  schnell  durchblute 
sind.  Die  Gefahr  der  Verunreinigung  eines  solchen  vom  Blut' 
feuchten  Verbandes  von  aussen,  der  Zersetzung  des  Blute 
und  der  Wundinfektion  ist  dabei  gross.  Das  sehr  erstrebens 
werte  Ziel,  mit  dem  Verbandstoff  zu  sparen,  wird  so  auf  gan: 
falsche  Weise  verfolgt.  Ein  grösserer,  gut  abschliessende: 
Verband,  der  längere  Zeit  liegen  bleiben  kann,  ist  nicht  nur  fii 
die  Wundheilung  besser,  sondern  auch  sparsamer  als  ein  v 
kleiner,  der  sofort  durchblutet  ist  und  gewechselt  werdet 
muss.  Verbände  von  genügender  Grösse,  die  sich  nicht  ver 
schieben  können,  sind  daher  dringend  notwendig,  und  es  is 
zu  raten,  dass  über  dem  hydrophilen  Verbandstoff,  mag  e 
nun  nur  aus  Mull  oder  auch  aus  einer  darüber  gelegten  Schieb 
Wundwatte  bestehen,  noch  eine  weitere  Lage  gewöhnlichen 
nicht  entfetteter,  gelber  Watte  hinzugefügt  wird.  Diese  saue 
das  Blut  nicht  auf  und  gibt  eine  trockene  Schicht  ab,  welch 
den  eigentlichen  Wundverband  vor  Verunreinigung  schützt. 

Das  sind  die  Winke,  die  auf  Grund  von  Erfahrungen  de 
letzten  zwei  Monate  —  zum  Teil  auch  auf  Grund  von  Fr 
fahrungen  aus  der  deutschen  Chinaexpedition  1900/01  — -  de' 
im  Felde  stehenden  Kollegen  vorzulegen  waren.  Dass  sie  r 


2)  Die  Brenndauer  der  Batterie  beträgt  etwa  60  Stunden  un« 
reicht  also  für  eine  ganze  Reihe  von  nächtlichen  Operationen  aus 
Bezugsquelle:  C.  Erbe,  Handlung  chirurg.  Instrumente,  Tübingen. 


M.  November  1914. 


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Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


;pät  kommen  und  durch  den  baldigen  Abschluss  der  krie¬ 
gerischen  Operationen  überflüssig  werden  möchten,  das  ist 
.ein  Ziel,  aufs  innigste  zu  wünschen“.  Denn  vollkommen  Be- 
riedigendes  kann  bei  den  kriegschirurgischen  Operationen  in 
!er  vorderen  Linie  nicht  geleistet  werden.  Es  bleiben  zu  viel 
Störungen 3)  und  Fehlerquellen,  die  unsere  Bemühungen  ver- 
iteln  können.  So  werden  wir  denn  bei  den  unumgänglichen 
Iperationen  mit  allen  Kräften  bestrebt  sein,  den  eigenartigen 
ind  schwierigen  Verhältnissen  des  Krieges  durch  Anpassung 
Rechnung  zu  tragen;  wir  müssen  uns  aber  bewusst  bleiben, 
lass  der  Kriegschirurg  nach  wie  vor  gut  daran  tut,  so  weit 
vie  möglich  nicht  operative  Wege  zu  gehen. 


vus  der  Chirurgischen  Universitätsklinik  zu  Freiburg  i.  B. 

Ueber  die  Tangentialschüsse  des  Schädels  und  ihre 

Behandlung*). 

Von  Privatdozent  Dr.  J.  O  eh  ler. 

Eine  Reihe  schöner  Erfolge  durch  die  operative  Behand- 
mg  von  Schussverletzungen  des  Qehirnschädels,  welche  wir 
i  den  letzten  Wochen  zu  beobachten  Gelegenheit  hatten,  gibt 
ns  Veranlassung  zu  der  nachfolgenden  kurzen  Besprechung 
er  Tangentialschüsse  des  Schädels  und  ihrer 
iehandlung. 

Während  in  der  ganzen  sonstigen  Kriegschirurgie  zum  Teil 
l  auffallendem  Gegensatz  zur  Friedenschirurgie  die  kon- 
ervative  Behandlung  der  Schussverletzungen  immer  mehr 
nd,  wie  der  Erfolg  lehrt,  mit  vollem  Recht  bevorzugt  wird, 
iuss  bei  Schussverletzungen  des  Gehirnschädels  in  einem 
rossen  Teil  der  Fälle  operativ  vorgegangen  werden;  zum 
lindesten  muss  die  Wunde  genau  revidiert  werden. 

Schon  die  alte  Erfahrungstatsache,  dass  bei  Verletzungen 
-S  Gehirnschädels,  wenn  die  Gewalt  von  aussen  einwirkt,  die 
abula  interna  s.  vitrea  meist  in  grösserem  Umfang  verletzt, 
^splittert  oder  eingedrückt  ist  als  die  Tabula  externa,  legt  die 
orderung  nahe,  bei  jeder  Schussverletzung  des  Schädels 
e  Tabula  ext.  soweit  abzutragen,  dass  übersehen  werden 
inn,  inwieweit  die  Tabula  int.  verletzt  ist,  besonders,  ob 
nochensplitter  oder  auch  Fremdkörper,  wie  Haare,  Tuch- 
tzen,  in  das  Gehirn  eingedrungen  sind. 

Von  einer  eigentlichen  Trepanation  kann  dabei  nicht 
.'sprochen  werden;  es  handelt  sich  um  eine  Revision 
:r  Wunde,  welche  meist  nicht  mit  den  üblichen  Trepan- 
strumenten,  sondern  nur  mit  Elevatorium  und  Hohlmeissel- 
nge  ausgeführt  zu  werden  braucht.  Der  Eingriff  lässt  sich 
icht  in  Lokalanästhesie  durch  Umspritzung  des  Ope- 
tionsgebietes  ausführen.  Eine  solche  Revision  der  Wunde, 
i  für  den  Verletzten  durchaus  ungefährlicher  Eingriff,  ist 
r  alle  Schussverletzungen  des  Schädels  zu  empfehlen.  Je 
iher  die  Wunde  revidiert  wird,  um  so  besser  die  Prognose, 
e  Gehirnsubstanz  ist  so  empfindlich  gegen  äussere  Schädi- 
ngen,  so  wenig  regenerationsfähig,  dass  dauernde  Schädi- 
ngen  nur  durch  möglichst  frühzeitige  Eingriffe  vermieden 
irden  können.  Ausserdem  ist  die  Gefahr  der  Infektion  durch 
1  'gedrungene  Fremdkörper  in  der  abgeschlossenen  ge- 
:nädigten  Gehirnpartie,  dem  Gehirndetritus,  eine  sehr  grosse, 
h  solche  Verwundete  erfahrungsgemäss  auch  längere  Trans¬ 
ite  gut  überstehen,  ist  die  möglichst  frühzeitige  Ueber- 
Mrung  derselben  nach  geeigneten  Lazaretten  oder  Kranken¬ 
lusern  dringend  zu  empfehlen.  Wenn  schon  Abszedierung, 
i  tschreitende  Entzündung  der  Meningen  oder  Gehirnsubstanz 
^getreten  ist,  kommt  die  chirurgische  Hilfe  meist  zu  spät. 

Am  meisten  muss  ein  aktives  Vorgehen  empfohlen  werden 
-  den  Rinnen-  oder  Tangentialschüssen  des 

■  hädels.  Sie  gehen  in  vielen  Fällen  mit  so  geringen  klinischen 
icheinungen,  mit  so  geringer  Verletzung  der  Kopfschwarte 
her,  dass  der  Unbefangene  die  Schädelfraktur  leicht  über- 
ht.  Wir  haben  selbst  mehrere  Fälle  gesehen,  wo  nur  eine 

■  iz  kleine  pulsierende  wunde  Stelle  an  der  behaarten 
'pfhaut  verriet,  dass  eine  penetrierende  Schädelverletzung 

s)  Es  sei  an  die  Fliegenplage  erinnert,  die  eine  bedenkliche  und 

■  wer  zu  beseitigende  Störung  der  Asepsis  darstellen  kann. 

)  Auszugsweise  vorgetragen  am  13.  September  1914  in  der 
iburger  kriegsärztlichen  Vereinigung. 


vorlag,  und  doch  fand  sich  nach  Durchtrennung  der  Kopf¬ 
schwarte  eine  erhebliche  Zertrümmerung  des  knöchernen 
Schädels,  besonders  der  Tab.  vitrea.  Die  Geringfügigkeit  der 
äusseren  Wunde  kann  zu  exspektativem  Verhalten  verleiten, 
wenn  die  penetrierende  Verletzung  nicht  erkannt  wird;  erst  zu 
spät  wird  dann  erkannt,  dass  ein  frühzeitiges  aktives  Vor¬ 
gehen  die  Vereiterung  der  Wunde  und  des  anliegenden  Ge¬ 
hirnabschnittes  und  die  Entzündung  der  Gehirnhäute  hätte  ver¬ 
hüten  können. 

In  einem  grossen  Teil  der  Fälle  ergibt  sich  die  Indikation 
zum  operativen  Eingreifen,  zur  Revision  der  Wunde  von  selbst 
durch  das  Bestehen  von  Erscheinungen  von  seiten  des  Gehirns, 
mag  es  sich  nun  um  Herderscheinungen  in  Form  von  Läh¬ 
mungen  oder  Krämpfen  oder  um  Hirndruckerscheinungen,  als 
Folgeerscheinung  von  Blutung,  Infektion  oder  Impression  des 
Schädelknochens  handeln.  Wir  möchten  jedoch  raten,  die 
Revision  der  Schädelwunden  nicht  von  solchen  Erscheinungen 
abhängig  zu  machen,  sondern  in  jedem  Fall  von 
Schussverletzung  des  Schädels  die  Knochen¬ 
wunde  genau  nachzusehen. 

Unter  den  uns  bis  jetzt  vom  Kriegsschauplätze  zugegangenen 
16  Schädelschüssen  fanden  sich  11  Tangential¬ 
schüsse;  3  von  diesen  letzteren  standen  an  der  Grenze 
zu  den  Segmentalschüssen  (Hohlbecksche  Einteilung) 
Alle  stellten  penetrierende  Schädelverletzungen  dar:  die  Dura 
mater  war  bei  allen  in  breitem  Umfang  mitverletzt;  das 
Gehirn  lag  frei,  und  zwar'  meist  schon  in  Form  eines  mehr  oder 
weniger  schmierig-eitrig  aussehenden  Prolapses.  In  auffallendem 
Gegensatz  dazu  stand  häufig  die  verhältnismässig  geringgradige  Ver¬ 
letzung  der  Kopfschwarte,  an  welcher  oft  nur  eine  kleine  wunde 
Rinne  oder  ein  kleiner  Ein-  und  Ausschuss  zu  sehen  war.  Die  Ver¬ 
letzungen  gingen  teils  mit.  teils  ohne  Gehirnerscheinungen  einher,  je 
nach  der  Lage  und  der  Tiefenwirkung  des  Schusses.  In  mehreren 
Fällen  war  die  linke  Scheitelgegend  betroffen,  in  3  Fällen  bestand 
ausgesprochene  Aphasie,  in  mehreren  Fällen  Lähmung  der  entgegen¬ 
gesetzten  Körperhälfte,  in  einzelnen  waren  bei  der  Aufnahme  hier 
schon  Hirndruckerscheinungen  vorhanden. 

Die  Revision  der  Wunde  ergab  —  in  allen  Fällen  lag  die 
Verletzung  schon  einige  Tage  zurück  —  in  den  verschiedenen  Fällen 
eine  verschiedene  Beteiligung  des  knöchernen  Schädels,  von  einer 
leichten  länglichen  Eindellung  desselben  zu  dem  häufigsten  Befunde, 
einem  schmalen  länglichen  Defekte  im  Schädelknochen,  und  in  man¬ 
chen  Fällen  einer  ausgedehnten  Splitterung  der  umgebenden  Schädel- 
partien,  so  dass  grosse  Teile  des  Schädels  abgehoben  werden  konnten. 
In  den  letzteren  Fällen  fand  sich  ein  Gehirnprolaps,  nach  dessen  Ab¬ 
schiebung  die  scharfen  unregelmässigen  Ränder  der  Tab.  externa 
sichtbar  gemacht  werden  konnten,  und  in  dem  Prolaps  verborgen, 
z.  T  auch  nach  der  Tiefe  disloziert,  grosse  und  kleine  Splitter  der 
meist  in  grösserem  Umfange  verletzten  Tab.  vitrea,  welche  vielfach 
in  senkrechter  Richtung,  also  aufgerichtet  in  der  Gehirnsubstanz 
steckten. 

Unser  operatives  Vorgehen  bestand  darin,  nach 
Umspritzung  der  Wunde  mit  Novokain  den  Schusskanal  längs 
zu  spalten  resp.  in  der  Schussrichtung  die  Weichteile  bis  auf 
den  Knochen  zu  durchtrennen,  dann  die  Wunde  von  ein¬ 
gedrungenen  Haaren,  oberflächlichen  Knochensplittern  etc.  zu 
reinigen.  Der  freie  Rand  der  Tab.  externa  wird  soweit  mittels 
der  Hohlmeisselzange  abgeknappert,  bis  die  Tab.  interna  über¬ 
sichtlich  freigelegt  ist.  Dann  werden  die  frei  zutage  liegenden 
Splitter  entfernt  und  durch  Betastung  mit  dem  Finger  in  dem 
Gehirnprolaps  steckende  und  tiefer  in  die  Gehirnmasse  hinein¬ 
getriebene  Splitter  festgestellt  und  extrahiert.  Wiederholt  ent¬ 
leerte  sich  sowohl  nach  Hebung  der  imprimierten  Fragmente 
als  bei  der  Extraktion  der  Splitter  unter  Druck  stehender  Eiter, 
Gehirndetritus,  Blutkoagula,  gelegentlich  auch  klare  Zerebro¬ 
spinalflüssigkeit.  Zum  Schlüsse  werden  die  Knochenränder 
geglättet,  das  freiliegende  Gehirn  mit  einem  Tampon  bedeckt, 
und  die  Wunde  durch  Situationsnähte  geschlossen. 

Der  Eingriff  wurde  fast  ausnahmslos  sehr  gut  ertragen; 
der  Heilungsverlauf  war  im  Verhältnis  zur  Schwere 
des  Befundes  ein  ausserordentlich  günstiger.  Am  auffallend¬ 
sten  war  der  unmittelbare  Erfolg  der  Operation;  die  Kranken 
waren  wie  von  einem  Alp  befreit,  von  einem  Druck, 
der  besonders  auf  ihrer  Stimmung  lastete.  Auch  eine  Besse¬ 
rung  des  objektiven  Befundes  war  sofort  nach  dem  Eingriff 
nachweisbar;  besonders  auffallend  war  die  rasche  Besserung 
der  Aphasie.  Ein  Kranker,  der  vorher  apathisch  dalag  und 
nur  mit  Mühe  einzelne  Worte  hervorbringen  konnte,  bedankte 
sich  sofort  nach  der  Operation  für  den  Eingriff,  der  ihm  solche 
Erleichterung  gebracht  hatte.  Ein  anderer,  der  vorher  miss- 


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Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  nied.  Wochenschrift. 


Nr.  47. 


mutig  und  leicht  benommen  gewesen  war,  fing  noch  auf  dem 
Operationstisch  an,  einen  Parademarsch  zu  pfeifen.  Völlige 
Benommenheit  ging  in  wenigen  Stunden  nach  Hebung  der 
Fragmente  zurück  und  machte  einer  heiteren  Stimmung  Platz; 
ebenso  besserten  sich  auch  die  übrigen  Hirndruck¬ 
erscheinungen.  Auch  die  wiederholt  beobachteten  halbseitigen 
Lähmungen  gingen  im  Laufe  der  nächsten  Wochen  zurück. 

Es  macht  Freude,  beobachten  zu  können,  wie  Ver¬ 
wundete,  welche  vorher  hilflos,  teilweise  gelähmt  und  fast 
stumm  mit  schweren  Kopfwunden  darniederlagen,  von  Tag  zu 
Tag  sich  bessern,  wie  die  Lähmung  zurückgeht,  die  Stimmung 
sich  hebt  und  in  einen  Zustand  anhaltender  gesunder  Euphorie 
übergeht.  In  der  Gehirnchirurgie  feiert  die 
Kriegschirurgie  ihre  Triumphe.  Das  Dogma  von 
der  Empfindlichkeit  von  Gehirn  und  Gehirnhäuten  gegen  In¬ 
fektionen,  gegen  Traumen  muss  bei  den  Schussverletzungen 
des  Schädels  eine  Einschränkung  erfahren:  trotz  ausgedehnter 
Zersplitterung  des  Gehirnschädels,  trotz  Verunreinigung  der 
Wunden  durch  Haare,  Granatsplitter  etc.  sind  Infektionen  sehr 
selten.  Wir  haben  von  den  16  Schussverletzungen  des  Ge¬ 
hirnschädels  nur  2  durch  Infektion  verloren;  die  beiden  kamen 
erst  spät  in  unsere  Behandlung:  bei  der  Revision  der  Wunde 
ergab  sich  schon  eine  ausgedehnte  Eiterung.  Alle  übrigen  sind 
geheilt  oder  auf  bestem  Wege  zur  Heilung.  Nachweisbare 
Störungen  von  seiten  des  Gehirns  sind  bis  jetzt  nirgends 
zurückgeblieben  oder  aufgetreten.  Die  Beobachtungszeit  ist 
jedoch  zu  kurz,  um  das  event.  Auftreten  von  Spätschädigungen 
wie  Epilepsie  u.  a.  ausschalten  zu  können.  Je  früher  die 
Wunden  zur  sachgemässen  Versorgung  kom¬ 
men,  um  so  besser  w e  r  d  en  auch  die  bleibenden 
Resultate  sein. 

Wir  lassen  hierunter  auszugsweise  die  Kranken¬ 
geschichten  einiger  unserer  Fälle  folgen : 

W.  Friedrich,  23  jähr.  Unteroffizier.  Verwundet  bei  Mülhausen 
am  9.  VIII.  Kopfschuss  am  linken  Scheitelbein  (Tangential- 
schuss).  Aeusserlich  fast  keine  Wunde,  sondern  nur  kleine  pul¬ 
stet  ende  Gianulationsstelle  zu  sehen.  Monaphasie  (gibt  auf  alle 
Fragen  immer  nur  die  Antwort  „Wasser“),  Parese  des  rechten 
Fazialis,  Parese  der  Zungenmuskulatur  und  des  rechten  Armes.  Sen- 
sorium  leicht  benommen.  Augenhintergrund  normal. 

Revision  der  Wunde  am  29.  VIII.:  Freilegung  durch 
Längsschnitt.  Kleiner  Gehirnprolaps,  in  diesem  senkrecht 
gestellt,  ins  Gehirn  hineinragend  mehrere  Split¬ 
ter  der  Tab.  v  i  t  r  e  a. 

Extraktion  der  Splitter.  Glättung  der  Knochenwunden.  Tam¬ 
pon,  Situationsnähte. 

Darnach  rasche  Erholung.  Sensorium  wird  völlig  klar,  die 
Aphasie  verschwindet,  wenn  auch  die  Worte  noch  langsam  und  z.  T. 
mit  Mühe  ausgesprochen  werden.  Die  Beweglichkeit  des  rechten 
Armes  bessert  sich  fast  zusehends. 

4  Wochen  nach  Entfernung  der  Splitter  sind  die  Lähmungen  fast 
völlig  verschwunden.  Pat.  wird,  nachdem  die  Wunde  geheilt  ist,  zur 
Weiterbehandlung  in  ein  Reservelazarett  entlassen. 

Sch.  Heinrich,  34  jähr.  Landwehrmann.  Verwundet  bei  Mül¬ 
hausen  am  19.  VIII.  Schädelschuss:  Zertrümmerungsbruch 
wenig  oberhalb  der  Protuberantia  occip.  ext.,  nach  der  linken 
Scheitelgegend  hin  gelegen.  Völlig  benommen.  Rechter  Arm  und 
rechtes  Bein  gelähmt.  Deviation  conjugee  nach  links.  Kein  Druck¬ 
puls. 

24.  VIII.  Revision  der  Wunde:  Ausgedehnte  Splitterung 
des  Okzipital-  und  linken  Parietalbeines  mit  ausgedehnter  Ver¬ 
letzung  der  Dura.  Extraktion  einiger  Splitter  aus  der  Gehirnmasse. 
Tampon.  Situationsnähte.  Verlauf:  Pat.  erholt  sich  rasch.  Einige 
Tage  später  Temperatur  bis  40,4°  ohne  sonstige  Erscheinungen  oder 
subjektives  Fieberempfinden.  Langsamer  Rückgang  der  Lähmung 
von  Arm  und  Bein.  Günstiger  Heilungsverlauf. 

5.  X.  Pat.  geht  wieder  im  Zimmer  umher,  kann  den  rechten 
Arm  wieder  bewegen. 

L.  Ernst,  26  jähr.  Ersatzreservist.  Verwundet  am  28.  VIII.  durch 
Granatsplitter,  auswärts  behandelt;  hier  in  benommenem  Zustand  am 
9.  IX.  cingeliefert:  Kopfschuss  (Tangentialschuss). 

Revision  am  9.  IX.:  Am  linken  Scheitel-  und  Hinterhauptbein 
rinnenförmiger  Defekt.  Gehirnprolaps,  aus  welchem  sich  einige 
Knochensplitter  entfernen  lassen.  Aus  der  Tiefe  reichlich  Eiter. 
Tampon.  Situationsnähte. 

Verlauf:  Schon  nach  wenigen  Stunden  wird  das  Bewusstsein 
wieder  klar.  Die  Erscheinungen  gehen  völlig  zurück.  Auch  weiter¬ 
hin  reaktionsloser  Verlauf. 

L.  Robert,  30  jähr.  Landwehrmann.  Verwundet  am  22.  IX.  auf 
französischem  Boden.  Kopfschuss  in  der  linken  Hinterhauptsgegend: 
Tangentialschuss  mit  reichlicher  Zersplitterung.  Trismus, 
motorische  Unruhe,  leichte  Benommenheit. 

Revision  am  26.  IX.:  Freilegung  der  Knochenwunde,  Ab¬ 


tragung  des  Gehirnprolapses,  Entfernung  der  Splitter,  Glättung  der 
Knochenränder  in  üblicher  Weise.  Reichlich  eitrig-hämorrhagischc 
Flüssigkeit  entleert.  Tampon.  Situationsnähte. 

Verlauf:  Sehr  günstig.  Pat.  wacht  momentan  aus  seinem  De¬ 
pressionszustand  auf.  Die  Kieferklemme  verschwindet  vom  nächsten 
Tage  an. 


lieber  Querschlägerverletzung,  Geschosswirkung  des 
deutschen  und  französischen  Spitzgeschosses. 

Von  Prof.  Dr.  F  e  s  s  1  e  r  in  München. 


Die  Versuche,  ein  steilzugespitztes  Geschoss,  das  ver¬ 
möge  der  Spitze  am  leichtesten  die  Luft  und  das  Ziel  durch¬ 
dringt,  zu  konstruieren,  gehen  schon  auf  viele  Jahre  zurück,; 
scheiterten  aber  an  der  ballistischest  Schwierigkeit,  dieses! 
Spitzgeschoss  sicher  mit  seiner  Längsachse  in  der  Flugbahn 
zu  erhalten. 

Erst  durch  innigere  Führung  (Geschossdicke  8  mm,  Rohr¬ 
weite  [Kaliber]  7,9  mm)  im  Lauf  und  ausserordentlich  ge¬ 
steigerte  Anfangsgeschwindigkeit  konnte  dies  erreicht  werden. 

Will  man  die  Anfangsgeschwindigkeit  (V  =  860  Mct.-Sek. 
beim  deutschen,  730  Met.-Sek.  beim  französischen  Spitz¬ 
geschoss)  bedeutend  steigern,  so  muss  das  Geschoss  in: 
gleichen  Verhältnis  leichter  werden. 

Nach  dem  Japanisch-Russischen  Krieg,  in  dem  wie  itn 
südafrikanischen  die  Gutartigkeit  der  Verletzungen  mit  den  bis-; 
lierigen  ogivalen  (spitzbogenförmigen)  Geschossen  sehr  oft  ge¬ 
sehen  wurde,  trat  Frankreich  mit  einem  Spitzgeschoss  hervor,1 
das  so  lang  war,  als  es  der  Lademechanismus  seines  Gewehre^ 
überhaupt  gestattete,  vielleicht  auch  in  der  Absicht,  das  Quer¬ 
schlagen  des  Geschosses  zu-  erleichtern;  denn  mit  der  Ge^ 
schosslänge  wächst  die  Neigung  zur  Querlage.  Die  ersten 
Geschosse  der  Art  waren  39,9  mm  lang,  die  neuesten  messen 
39,0  mm. 

Diese  neue  „balle  D“,  wie  die  offizielle  französische 
Bezeichnung  lautet,  musste  aus  einem  spezifisch  leichteren 
Metall  sein  (90  Proz.  Kupfer,  6  Proz.  Zink,  4  Proz.  Nickel), 
damit  die  erhöhte  Anfangsgeschwindigkeit  erreicht  werden 
konnte. 

Deutschland  führte  1906  ein  kürzeres  Spitzgeschoss 
(27,8  mm  lang)  ein,  das  aus  einem  Hartbleikern  mit  nickel¬ 
plattiertem  Stahlmantel  besteht. 

Weil  das  deutsche  Spitzgeschoss  leichter  als  das  fran-j 
zösische  ist  (10,0  g  gegen  13,2,  jetzt  13,0  g),  verliert  es  rascher 
seine  Energie,  lebendige  Kraft  (E): 


In  25  m 
In  800  m 
In  1350  m 


deutsch 
860  Met.-Sek. 
395  Met.-kg 
362  Met.-Sek. 
67  Met.-kg 
24 6  Met.-Sek. 
31  Met.-kg 


französisch 
730  Met.-Sek, 
360  Met.-kg 
377  Met.-Sek. 
98  Met.-kg 
296  Met.-Sek, 
60  Met.-kg 


V  Met.-Sek. 
E  Met.-kg 

V  Met.-Sek 
E  Met.-kg  | 

V  Met.-Sek! 
E  Met.-kg 


Das  deutsche  Spitzgfeschoss  hat  aber  den  ballistisch¬ 
taktischen  Vorteil,  dass  cs  eine  gestrecktere  Flugbahn  (grössere 
Rasanz)  besitzt,  wodurch  in  700  m  Schussweite,  der  gewöhn¬ 
lichen  Zielweite  im  Infanterieentscheidungskampf,  noch  Ross 
und  Reiter  unter  das  gleiche  Visier  fallen.  Des  verringerten 
Gewichtes  wegen  kann  auch  dem  einzelnen  Mann  mehr 
Munition  mitgegeben  werden.  Diese  Vorteile  und  die  grössere 
Treffsicherheit  (verminderte  Streuung)  des  S-Geschosses,  wie 
es  offiziell  heisst,  waren  die  Gründe,  welche  die  deutscL- 
Heeresverwaltung  bei  Einführung  des  neuen  Geschosses 
leiteten. 

Beide  Geschosse  treffen  als  Ersttreffer  in  allen  Ent¬ 
fernungen  mit  der  Spitze,  wie  ich  durch  Versuche  mit  dem 
deutschen  Spitzgeschoss  *)  gezeigt  und  bei  den  von  mir  be¬ 
handelten  Verletzungen  unserer  Truppen  im  Vereinslazarett 
vom  roten  Kreuz  zu  München  gesehen  habe,  auf,  wenn  sie 
das  Ziel  nur  nach  Luftdurchgang  erreichen.  Sie  durchdringen 
ein  gleichmässig  weiches  Ziel,  auch  schwammigen  Knochen, 
ebenso  als  Spitztreffer.  Die  fast  gleichgrossen  rundlichen  Ein- 
und  Ausschüsse  in  der  Haut,  die  Schusskanäle  der  Epiphysen, 
welche  auf  dem  Röntgenbild  bei  beiden  Geschossen  nur 
schwierig  zu  erkennen  sind,  beweisen  dies.  Streift  aber  das 


Q  Wirkung  des  deutschen  Spitzgeschosses.  Verlag  der  L  e  n  t  - 
11er  sehen  Buchhandlung  (E.  S  t  a  h  1),  München  1909. 


24.  November  1914. 


2289 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


S-Gcschoss,  wie  die  balle  1)  auf  ihrer  Flugbahn  einseitig  an 
festere  Gegenstände  (z.  B.  auf  der  Flugbahn  an  Gesträuch, 
üetreidehalme,  beim  Körperdurchschuss  an  Sehnen,  harte 
Knochenränder)  an,  so  gerät  ihre  Spitze  in  Pendelbewegungen, 
die  eine  fortwährend  wechselnde  Schieflage,  Querlage,  auch 
zeitweilige  Umkehrung  des  Geschosses  bis  zur  endgültigen 
Ruhestellung  mit  Neigung  der  Geschossspitze  nach  dem 
Schützen  zur  Folge  hat. 

Diese  Querwendung  ist  so  häufig,  dass  beim  Schuss  in 
liegender  Stellung  auf  Kopfscheiben  bis  zu  80  Proz.  Quer¬ 
schläger  und  mehr  beobachtet  sind. 

Die  Ursache  des  Pendelns  ist  die  steile  Spitze  und  die 
damit  verbundene  weite  Rückwärtslagerung  des  Schwer¬ 
punktes.  Da  das  französische  Spitzgeschoss  viel  länger  als 
Jas  deutsche  ist,  auch  seine  Spitze  s.chlankere  Gestalt  hat,  wird 
ps  sich  leichter  querlegen.  Dementsprechend  sind  die  von  ihm 
verursachten  Ein-  und  Ausschüsse  länger  und,  weil  es  seine 
Energie  andauernder  beibehält,  namentlich  auf  weitere  Ent¬ 
fernungen,  auch  die  Splitterzonen  und  Zerreissungen  aus¬ 
gedehnter  und  grösser. 

Beim  S-Geschoss  tritt  die  Querlage  im  Ziel,  beim  Beschuss 
von  8  mm  dicken  Fichtenbrettern,  hintereinander  mit  30  cm 
mftabstand  aufgestellt,  immer  in  der  3.  Bohle  schon  ein.  Es 
commt  nach  rundem  Einschuss  schon  aus  der  zweiten  schief- 
;estellt  heraus  und  bleibt  unter  starker  Holzsplitterung  quer 
n  der  vierten  stecken. 

Das  ogivale  Geschoss  dagegen  durchschlägt  6  solche 
Sohlen  quer  zur  Faser  rund  und  glatt;  erst  dann  zeigt  es  hie 
md  da  Neigung  zur  Querlage. 

Das  S-Geschoss  hat  also  mehr  Wirkung  im  Ziel,  wird 
labei  häufiger  im  Körper  stecken  bleiben  als  das  frühere 
.männerdurchbohrende“,  ogivale  Geschoss. 

Auch  vom  französischen  Spitzgeschoss  haben  wir  sehr  oft 
Steckschüsse  zu  erwarten,  wie  unsere  Lazarettätigkeit  gleich 
iach  Beginn  des  Krieges  schon  bestätigt  hat. 

Das  fortwährende  Pendeln  und  Ueberschlagen  nach  den  ver¬ 
miedenen  Richtungen  der  Windrose  des  durch  seitlich  stärkeres 
vnstreifen  einmal  aus  seiner  Längslage  gebrachten  S-Geschosses 
abe  ich  durch  meine  Schiessversuche  an  den  Scheib endurchschlägen 
i  der  Weise  graphisch  dargestellt,  dass  ich  das  Geschoss  durch 
lehrfach  hintereinander  mit  5  cm  und  30  cm  bis  120  cm  Abstand  auf- 
estellte  4  mm  dicke  Pappdeckel  schlagen  liess. 

Hiebei  war  der  5  cm  weite  Zwischenraum  zwischen  je  2  Papp¬ 
eckel  mit  trockenem  Sägmehl  gefüllt.  In  den  weiteren  Abständen 
wischen  diesen  5  cm  starken  Pappdeckel-Sägmehldoppelwänden 
ar  Luft.  Das  Geschoss  musste  also  hintereinander  abwechselnd 
ichte  und  weniger  dichte  Medien  durchschlagen.  Gerade  dieser 
Wechsel  im  Widerstand  gab  die  Veranlassung  zum  Ablenken  und 
eständigen  Weiterwenden  des  Geschosses.  Schon  e  i  n  e  5  cm  dicke 
appdeckel-Sägmehlwand  genügte,  das  schon  einmal  pendelnde  Ge- 
:hoss  sofort  weiterzuwenden. 

Ein  Geschoss  aber,  das  vorher  an  der  Crista  tibiae  eines  Mannes 
sine  Spitze  verloren  hatte,  ging  durch  alle  Pappdeckel  als  ein 
nd  derselbe  Querschläger,  der  sich  nicht  mehr  weiter  wendete. 

Dem  entspricht  nach  meinen  Versuchen  auch  die  Wirkung 
es  S-Geschosses  in  den  Körperteilen: 

1.  Es  kann  glatt  mit  kleinem  Ein-  und  Durchschuss 
:hwammige  Knochen  (Gelenkenden,  Becken)  durchschlagen, 
benso  gut  verlaufende  Lungen-  und  Bauchschüsse  ver- 
rsachen. 

2.  Es  kann  als  Spitztreffer  an  Gliedmassen  kleine  Ein- 
:hiisse  machen,  aber  durch  Aufschlagen  auf  harte  Knochen¬ 
anten,  sofort  zum  Schief-  und  Querschläger  werden  und  dann 
:hr  bedeutende  Knochentrümmerhöhlen  vor  und  hinter  dem 
nochen,  grosse  Sprengzonen  in  den  Diaphysen,  mit  langen, 
ach  isolierten  Erschütterungsfissuren,  daraus  folgende  Stück¬ 
rüche  der  ganzen  Knochenröhre  verursachen. 

Die  Ausschüsse  sind  dann  vergrössert,  durch  Mitreissen 
on  Knochensplittern  oft  mehrfach. 

Wird  in  Körperräumen  durch  Anstreifen  an  Knochen- 
innten  das  mit  der  Spitze  auftreffende  S-Geschoss  zum  Quer- 
:hläger,  dann  sind  die  Durchschüsse  ebenfalls  vergrössert, 
ti  Brustkorb  finden  sich  oft  bei  Rippenberührung  mehrfache 
nochenausschüsse,  und  trotzdem  kann  das  Geschoss  ganz 
^weichend  von  der  Schussrichtung  stecken  geblieben  sein. 

Diese  zweite  Art  von  Kopf-,  Brust-  und  Darmschüssen 
ird  also  keineswegs  so  glatt  verlaufen  wie  die  oben  er¬ 
ahnten. 


3.  Trifft  endlich  das  Geschoss  schon  als  Querschläger  auf 
den  menschlichen  Körper  auf,  so  macht  es  grosse  ovale,  drei¬ 
eckige,  geschlitzte  Einschüsse,  die  sofort  durch  ihre  Form  auf¬ 
fallen.  Die  inneren  Verletzungen  werden  dementsprechend 
wie  unter  2.  auch  grösser  sein.  Oft  wird  es  sich  um  Steck¬ 
schüsse  oder  mehrfache  Ausschüsse  durch  Knochensplitter 
handeln,  es  kann  aber  auch,  wenn  das  Geschoss  sich  wieder 
längsrichtet,  eine  Ausschussöffnung  vorhanden  sein,  die  kleiner 
ist  als  der  Einschuss. 

Besonders  stark  können  diese  Wirkungen  bei  Schüssen 
Ins  zu  700  m  Entfernung  sein;  namentlich  wenn  zwei  Glied¬ 
massen  mit  kurzem  Abstand  (30  cm)  hintereinander  durch¬ 
schossen  sind,  kann  die  Wirkung  im  zweitgetroffenen  Teil  so 
stark  sein,  dass  es  zu  förmlichen  Abschüssen,  wie  bei  Granat¬ 
verletzungen  kommt. 

An  verwundeten  Feinden,  die  in  unserer  Behandlung  sind, 
werden  diese  oft  diametral  verschiedenen  drei  Formen  der 
Verletzungen  zu  beobachten  sein. 

Noch  viel  grösser  aber  sind  die  verschiedenen  Wirkungen 
des  französischen  Spitzgeschosses: 

Neben  ganz  glatten,  in  8  Tagen  gut  verkrusteten  Durch¬ 
schüssen  mit  kleinen  Hautwunden  (am  Knie-,  Ellenbogen¬ 
gelenk,  durch  Brust  und  Bauch,  am  Oberkiefer)  sehen  wir  bei 
anderen  Verletzten  vergrösserte  Einschüsse,  mehrfache  Aus¬ 
schüsse,  welche  immer  auf  Geschosswendungen  und  aus¬ 
gedehnte  Knochenzertrümmerungen  schliessen  lassen.  Die 
Frakturen  der  Röhrenknochen,  namentlich  in  den  Metaphysen 
(oberhalb  des  Ellbogen-,  unterhalb  des  Schultergelenkes),  be¬ 
sonders  aber  die  Oberschenkelknochendurchschüsse  zeigen 
grosse  Beweglichkeit,  starke  Verschiebungen. 

Nicht  wenige  Brustverletzungen  zeigen  starke  Beteiligung 
der  Lunge  (mit  wochenlangem  Bluthusten)  mit  ausgedehnter 
traumatischer  Pneumonie  und  Pleuritis.  Unter  17  Fällen  be¬ 
obachteten  wir  2  mal  bis  jetzt  schwere  Empyeme,  sogar  Aus¬ 
husten  von  Galle  während  mehrerer  Tage  bei  gleichzeitiger 
Leberverletzung.  Auch  sekundäre  Peritonitis,  Abgang  von 
Darminhalt  aus  der  Schussöffnung  nicht  allein  bei  Durch-  son¬ 
dern  auch  bei  Streifschüssen  des  Bauches  haben  wir  einige- 
male  gesehen. 

Die  Röntgenbilder,  die  ja  immer  ein  klares  Bild  der  Ge¬ 
schosswirkung  auf  Knochen  geben,  zeigen  im  Vergleich  zu  den 
Röntgenbildern  meiner  Versuche  mit  dem  S-Geschoss,  abge¬ 
sehen  von  den  glatten,  kaum  erkennbaren  Durchschüssen  der 
Epiphysen,  ausgedehnte  Knochensplitterung  neben  Knochen¬ 
grus  mit  Sprengwirkung,  besonders  gegen  den  Ausschuss,  aber 
auch  gegen  den  Schützen  zum  Einschuss  hin. 

Die  Ausdehnung  der  Splitterzohe  in  der  Diaphyse,  d.  h. 
Länge  der  Fissuren  vom  Durchschuss  nach  oben  und  unten  ist 
grösser  als  beim  S-Geschoss,  bei  Schief-  und  Querschlägern 
oft  ungewöhnlich  lang,  bis  in  die  Metaphyse  reichend.  Die  Zahl 
der  kleinen  Splitter  ist  bei  Schüssen  aus  mittlerer  Entfernung 
oft  so  gross  wie  bei  Nahschüssen.  Sollten  sekundäre 
Fissuren,  welche  entfernt  vom  Durchschuss  die  Diaphyse 
schief  und  quer  durchziehen,  wie  ich  sie  bei  meinen  Versuchen 
mit  dem  S-Geschoss  als  Erschütterungsfissuren  beobachtet 
habe,  vorhanden  sein,  so  sind  diese  oft  weit  ab  vom  eigent¬ 
lichen  Knochenbruch  zu  suchen.  Durchsetzen  sie  ganz  die 
Knochenröhre,  so  geben  sie  Veranlassung  zu  Stückbrüchen, 
wie  sie  in  der  Femurdiaphyse  durch  Schief-  und  Querschläger 
häufig  sind. 

Die  Sprengwirkung  der  durch  Querschläger  verursachten 
Knochensplitter  kann  beim  französischen  Spitzgeschoss  zum 
Ein-  oder  Ausschuss  hin  oder  in  beiden  Richtungen  auch  in 
mittleren  Schussweiten  so  bedeutend  sein,  dass  die  darüber¬ 
liegende  Haut  in  einer  Weise  platzt,  wie  man  es  beim  ogivalen 
Geschoss  nur  als  Nahwirkung  kennt.  Namentlich  am  Mittel- 
fuss  und  an  der  Mittelhand  sah  ich  wiederholt  auf  200—500  m 
Schussentfernung  derartige  sternförmige  Platzwunden  von  den 
zersprengten  kleinen  Röhrenknochen  herrührend.  Die  Weich¬ 
teile  sind  ringsum  geschwellt,  Knochen-  und  Sehnenteile  liegen 
in  der  kraterförmigen  Wunde  frei. 

Auf  dem  Röntgenbilde  sieht  man  die  zerstückelten 
Knochen  sogar  um  die  Querachse  gedreht  und  weit  disloziert. 
Trotzdem  heilen  derartige  Wunden  glatt  und  rasch  unter  Peru- 
balsam-Sterilgazeverbänden.  Die  Sehnen-  und  Knochenteile 


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Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  47. 


welche  noch  fest  am  umgebenden  Gewebe  hängen,  heilen  alle 
ein,  wenn  die  Wunde  nur  aseptisch  bleibt,  das  Gewebe  durch 
Tamponade,  Spülung  usw.  nicht  geschädigt  wird.  Aehnlich 
verhält  es  sich  mit  den  mehr  rundlichen  Platzwunden  am 
Unterschenkel.  Auch  hier  vermeide  ich  jede  feste  Tam¬ 
ponade,  selbst  wenn  die  Wunde  septisch  geworden  ist. 

An  Hand  und  Fuss  kann  der  Einschuss  durch  einen  Quer¬ 
schläger  oft  so  geplatzt  sein,  dass  er  wie  ein  sehr  ver- 
grösserter  Ausschuss  aussieht.  Romeis  beobachtete  einen 
Einschuss  am  Fussrücken  auf  500  m,  der  mehrere  Zentimeter 
oval  war.  Auf  der  Fusssohle  ragte  aus  einer  punktförmigen 
Wunde  die  Spitze  des  französischen  Geschosses.  Ein  Beweis, 
dass  das  Geschoss  innerhalb  des  Körpers  in  der  Entfernung 
vom  Fussrücken  zur  Sohle  wieder  aus  der  Querlage  in  die 
Spitzlage  übergegangen  war. 

Die  Querschlägerwunden  sezernieren  namentlich  bei 
Knochenschüssen  viel  länger  als  die  kleinen  Hautdurchschüsse 
der  Spitztreffer;  sie  sondern  eine  anfangs  blutige,  später  braun¬ 
gelbe  Flüssigkeit  wochenlang,  namentlich  aus  seitlichen  Haut¬ 
trakten  ab,  ohne  dass  Anzeichen  einer  Infektion  vorhanden 
sind.  Sie  erfordern  daher  schon  von  Anfang  an  reichliche  Ver¬ 
bandauflage,  die  man  vorteilhaft  mit  nicht  entölter  Baum¬ 
wolle  bedeckt,  um  das  rasche  Durchschlagen  der  Wund¬ 
absonderung  zu  verhindern.  Dabei  möchte  ich  besonders  für 
längeren  Transport  trockene  sterile  Gaze  empfehlen,  die  mit 
einem  Dauerantiseptikum,  wie  Vioform,  Perubalsam,  Kollargol, 
Xeroform  getränkt  ist.  Bei  aller  Wertschätzung  der  sterilen 
Wundbehandlung  gebe  ich  doch  zu  bedenken,  dass  wir  es  bei 
den  Schusswunden  mit  nur  keim  armen,  nicht  sterilen 
Wunden  zu  tun  haben,  deren  vermehrte  Wundabsonderung 
bei  der  nunmehr  häufigen  Querschlägerwirkung  sich  leicht 
zersetzt. 

Deshalb  glaube  ich  auch  die  kleinen  Terpentinharzklebe- 
verbände,  kleinen  Notverbandpäckchen  nicht  nach  der  Scha¬ 
blone  für  alle  Fälle  empfehlen  zu  dürfen. 

Dass  die  Querschlägerwunden  häufig  Anlass  zur  In¬ 
fektion  geben,  habe  ich  schon  bei  verschiedenen  Verwundeten¬ 
transporten  beobachtet.  Das  liegt  in  der  grossen  Eingangs¬ 
pforte,  in  der  ausgedehnten  Zerreissung  begründet. 

Die  sehr  beweglichen  Frakturen  müssen  sobald  wie  mög¬ 
lich  durch  lange  Schienen  (z.  B.  aus  Bandeisen,  Schuster¬ 
spänen),  welche  namentlich  die  Schulter,  bzw.  die  Hüfte  über¬ 
spannen,  für  den  Transport  ruhig  gestellt  werden.  Für  die 
stationäre  Behandlung  hat  mir  der  Zugverband  ausgezeichnete 
Dienste  getan:  die  Blutergüsse  werden  sehr  rasch  aufgesaugt, 
der  Wundverband  kann,  ohne  die  Knochentrümmer  viel  be¬ 
wegen  zu  müssen,  rasch  gewechselt  werden,  die  Knochen¬ 
trümmer  selbst  werden  durch  die  allseitige  Kompression  wie 
durch  keinen  anderen  Verband  in  guter  Lage  erhalten,  die  Kon¬ 
trolle  durch  Röntgenbild  ist  leicht  möglich;  die  Beweglichkeit 
des  Ellenbogengelenkes  beim  splitterreichen  Metaphysenschuss 
wird  durch  keinen  anderen  Verband  in  gleich  guter  Art  ge¬ 
währleistet.  Natürlich  muss  das  Gelenk  selbst  durch  Ueber- 
brückung  vom  Zug  entlastet  werden,  um  nachträgliche  Gelenk¬ 
schwellung,  Schlottergelenke  zu  vermeiden.  —  Der  Kupfer¬ 
gehalt  des  französischen  Geschosses  verursacht  wahrschein¬ 
lich  keine  Eiterung.  Wir  haben  öfters  Geschosse  entfernt,  die 
ohne  Eiter  im  Gewebe  lagen.  Einmal  fand  ich  das  Geschoss 
nach  glatt  und  fieberlos  geheiltem  Rippenschuss  in  einem  Eiter¬ 
sack  der  Bauchmuskeln. 

Es  ist  aber  möglich,  dass  durch  Anwesenheit  von  Kupfer 
im  Körpergewebe  die  Auskeimung  auch  schwach  virulenter 
Keime  leichter  erfolgt  und  ihre  Virulenz  gesteigert  wird. 


Bemerkungen  zur  Behandlung  und  bakteriologischen 
Diagnose  des  Typhus  abdominalis. 

Von  Privatdozent  Dr.  L.  Jacob  (Würzburg),  zurzeit  Gou¬ 
vernementslazarett  Lille. 

Vor  4  Jahren  habe  ich  aus  der  Strassburger  medizinischen  Klinik 
über  Erfahrungen  berichtet  (M.m.W.  1910  Nr.  33),  die  wir  an  einer 
grösseren  Zahl  von  Typhuskranken  mit  der  systematischen  Behand¬ 
lung  mit  Pyramidon  gesammelt  hatten,  wie  sie  Prof.  Moritz 
dort  ausgebildet  und  eingeführt  hatte.  Es  sei  erlaubt,  hier  kurz  auf 
die  damaligen  Untersuchungsergebnisse  hinzuweisen,  da  sie  bei 
etwaigem  Auftreten  von  Epidemien  praktisch  wichtig  sind. 


Die  methodische  Behandlung  des  Fiebers  bei  Typhus  mit  Arznei¬ 
mitteln  hat  auch  jetzt  noch  viel  mehr  Gegner  als  Anhänger,  besonders 
in  militärärztlichen  Kreisen,  v.  Vogl  nennt  in  seiner  Arbeit  „Ueber 
die  Wandlungen  und  den  heutigen  Stand  der  Typhustherapie“  (M.m.W. 
1910  Nr.  9)  die  medikamentöse  Antipyrese  „als  Methode  einen  üDer- 
wundenen  Standpunkt“.  Auch  Curschmann  machte  von  anti¬ 
pyretischen  Medikamenten  nur  geringen  Gebrauch  („Der  Unterleibs¬ 
typhus,  Wien  und  Leipzig  1913  S.  476),  bevorzugte  unter  ihnen  das 
Chinin,  gibt  aber  zu,  dass  er  bei  hyperpyretischen  Formen  des  Typhus 
und  bei  sehr  schweren  nervösen  Störungen  bei  hohem  Fieber  aller¬ 
dings  von  der  vorsichtigen  Darreichung  kleiner  Dosen  von  Pyrami¬ 
don,  aber  auch  von  Aspirin  (3 — 4 mal  täglich  0,15 — 0,2)  in  ein¬ 
zelnen  Fällen  eine  günstige  Wirkung  auf  den  Allgemeinzustand  habe 
beobachten  könnnen.  Systematische  Untersuchungen  über  die  Pyra- 
midonwirkung  scheint  er  nicht  angestellt  zu  haben.  Die  hauptsäch¬ 
lichsten  Gründe,  die  gegen  den  konsequenten  Gebrauch  von  Anti- 
pyretizis  angeführt  wurden,  sind,  dass  man  sie  als  Gifte  für  Blut 
und  Kreislauf  ansehen  müsse,  dass  ein  wochenlanger  Gebrauch  nicht' 
ohne  schädliche  Wirkung  auf  den  Organismus  bleiben  könne,  dass1 
sie  häufig  zu  Schweissausbrüchen,  Schüttelfrösten,  Kollaps  führen; 
schliesslich,  dass  sie  gar  keinen  Einfluss  auf  die  Krankheitserreger 
ausüben  und  die  Krankheit  nicht  abkürzen  könnten. 

Diese  letzteren  Einwendungen  kann  man  gegen  die  Bäderbehand¬ 
lung  ebensogut  machen.  Was  die  übrigen  Schädlichkeiten  betrifft,  soj 
kann  man  sie  vermeiden  durch  richtige  Dosierung  und  Auswahl  des. 
Mittels. 

Das  ZieldermedikamentösenBehandlungist  nicht, 
das  Fieber  völlig  zu  unterdrücken  oder  möglichst  tiefe  und  lang-; 
dauernde  Remissionen  zu  erzeugen,  sondern  ein  gleichmäs- 
siges  Neutralisieren  der  mit  hohem  Fieber  einher¬ 
gehenden  toxischen  Wirkungen  der  Infektion.  Dies 
erreicht  man,  wenn  man  kleine  Dosen  des  Pyramidons  gleich- 
massig  auf  den  ganzen  Tag  verteilt.  Wenn  man  die  gewöhnliche 
Dosis  von  0,3g  3 — 4  mal  am  Tage  gibt,  so  entstehen  allerdings  bei 
vielen  Kranken  tiefe  Remissionen  mit  starkem  Schweissausbruch,  die 
den  Patienten  sehr  belästigen  und  schwächen,  oft  gefolgt  von  raschem 
Ansteigen  der  Temperatur  unter  Schüttelfrost  und  stärkerem  Krank¬ 
heitsgefühl.  Das  Unruhige,  Sprunghafte  dieses  Verlaufes  verschwin¬ 
det  aber  ganz  bei  richtiger  Dosierung:  wir  gaben  2  stündlich  0,1g 
(Pyramidon  2,0,  Sirup,  simpl.  20,0,  Aqua  dest.  ad  200,0)  beginnend 
um  6  Uhr  morgens  bis  einschliesslich  12  Uhr  nachts,  so  dass  10  X  0,1  g 
in  24  Stunden  verbraucht  wurden.  Daraufhin  fiel  das  Fieber  in  fast 
allen  Fällen  prompt  um  1 — 2 0  ab  und  zeigte  auch  weiter  einen 
ganz  milden  Verlauf.  Die  Erscheinungen  des  „Status  typhosus“,  Un¬ 
ruhe,  Delirien,  Kopfschmerzen,  schweres  Krankheitsgefühl,  ver¬ 
schwanden  in  kurzer  Zeit,  das  Sensorium  hellte  sich  auf,  die  Kranken 
nahmen  wieder  Anteil  an  der  Umgebung,  boten  oft  sogar  das  Bild 
von  Rekonvaleszenten.  Das  Fieber  hält  sich  dabei  mit  geringen 
Schwankungen  um  38°,  erreichte  bei  Einzelnen  mehrmals  auch  höhere 
Werte  (39,0 — 39,5°  rektal),  ohne  aber  den  geschilderten  Allgemein¬ 
eindruck  zu  verändern. 

Man  kommt  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  mit  10  mal  0,1g  aas. 
nur  bei  einzelnen  Kranken  mussten  wir  die  Dosis  auf  10  mal  0,15  g 
erhöhen,  mehr  haben  wir  niemals  gegeben. 

Auf  diese  Weise  haben  wir  30  Kranke  10 — 20  Tage.  15  Kranke 
21 — 35  Tage,  einen  41  Tage  unter  Pyramidonwirkung  gehalten:  im 
Ganzen  haben  wir  80  Patienten  so  behandelt  mit  einer  Mortalität 
von  10  Proz.  Die  Todesfälle  waren  bedingt  4  mal  durch  Darmblutung 
2  mal  durch  diffuse  Peritonitis,  einmal  durch  zirkumskripte  Peritonitis 
mit  Herzschwäche  und  durch  kruppöse  Pneumonie.  Selbstverständ¬ 
lich  erhielten  die  Kranken  daneben  entsprechende  Diät,  es  wurder 
auch  kühle  Abwaschungen  gemacht  und  P  r  i  e  s  s  n  i  t  z  sehe  Um¬ 
schläge  angewandt,  aber  keine  Bäder. 

Schädliche  Wirkungen  des  Pyramidons  haben  wir  nie¬ 
mals  gesehen;  besonders  haben  zahlreiche  Untersuchungen  gelehrt 
dass  der  Blutdruck,  überhaupt  die  Herztätigkeit,  durch  das 
Mittel  in  dieser  Dosierung  unbeeinflusst  blieb.  Blutungen  bilder 
keine  Kontraindikation;  nur  wenn  sie  zu  starkem  Temperaturabfal 
und  hoher  Pulsfrequenz  führten,  haben  wir  das  Pyramidon  ausge¬ 
setzt.  Im  Uebrigen  waren  wir  froh,  gerade  bei  dieser  Kom¬ 
plikation  ein  Mittel  zu  besitzen,  das  die  oft  grosse  Unruhe 
des  Kranken  beseitigte  und  so  zur  Heilung  beitrug. 

Leichte  und  mittelschwere  Fälle  ohne  Somnolenz,  ohne  schwerere 
Beeinträchtigung  des  Allgemeinzustandes  brauchen  kein  Pyramidon 
ebensowenig  wie  sie  eine  systematische  Bäderbehandnlung  brauchen 
Aber  es  ist  klar,  dass  bei  Epidemien,  unter  mangelhaften  äusserer 
Verhältnissen,  bei  Ueberlastung  des  Wartepersonals,  kurz  überall  wc 
sich  der  Bäderbehandlung  oft  unüberwindliche  Hindernisse  entgegen¬ 
stellen,  die  geschilderte  medikamentöse  Behandlung  vpn  unschätz 
barem  Werte  ist.  Unter  solchen  Umständen  werden  vielleicht  aucl 
entschiedene  Anhänger  der  Bäderbehandlung  zu  dem  Mittel,  greifer 
und  vielleicht  ergeht  es  dann  manchen  wie  uns  an  der  Strassburgei 
Klinik,  wo  wir  nicht  zur  Bäderbehandlung  zurückgekehrt  sind,  nach¬ 
dem  wir  gesehen  hatten,  dass  die  Erfolge  des  Pyramidons  nicht  ge¬ 
ringer  waren. 

In  der  bakteriologischen  Diagnose  des  Typhu: 
und  Paratyphus  war  die  Anreicherung  der  Bakterien  in  Galh 
ein  wesentlicher  Fortschritt  und  es  sind  ja  auch  die  Galleröhrcher 
allgemein  eingeführt.  Ich  möchte  jedoch  darauf  hinweisen,  dass  mar 


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Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


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;i  Benützung  von  Galleagarplatten  in  der  Mehrzahl  der 
•die  wesentlich  rascher  ein  positives  Resultat  bekommt, 
an  sollte  deshalb  überall  da,  wo  man  das  Material  nicht  zu  ver- 
liicken  braucht,  sondern  es  am  gleichen  Ort  weiter  verarbeiten 
inn,  die  üalleagarplatten  vorziehen.  Impft  man  ein  Galleröhrchen 
it  mehreren  Kubikzentimetern  Blut,  so  muss  man  es  meist  24  Stun- 
•n  im  Brutschrank  lassen,  bis  im  hängenden  Tropfen  oder  Aus- 
lichpräparat  die  Bazillen  zu  linden  sind.  Dann  erst  kann  man 
-  auf  die  entsprechenden  Nährböden  überimpfen  und  hat  dann  nach 
eiteren  12  Stunden  die  sichere  Diagnose.  Auf  Galleagarplatten  sind 
’cr  die  ersten  Kulturen  oft  schon  nach  8—10  Stunden  deutlich  zu 
kennen.  Bringt  inan  eine  derartige  Kultur  in  Vz  ccm  sterile  Bouillon, 
sst  diese  4  5  Stunden  im  Brutschrank,  so  hat  man  in  dieser 
:it  eine  dichte  Kultur,  die  man  zur  Agglutination  benutzen  kann 
ier  auf  die  entsprechenden  Nährböden  überimpft,  so  dass  nach 
eiteren  12  Stunden  die  Diagnose  sichergestellt  ist.  Auf  diese  Weise 
nn  man  in  zahlreichen  Fällen  schon  in  12—24  Stunden  ein  ein- 
andfreies  Resultat  der  Blutkultur  haben. 

Die  Technik  ist  sehr  einfach  und  in  der  einschlägigen  Literatur 
t  genug  beschrieben;  jedoch  werden  in  der  Praxis,  wie  ich  mich 
ufig  überzeugen  konnte,  oft  wesentliche  Punkte  vernachlässigt, 
eshalb  ich  noch  ganz  kurz  darauf  eingehen  möchte.  Man  soll 
s  Blut  möglichst  auf  der  Fieberhöhe  entnehmen  und  zwar  10  bis 
ccm  aus  der  Armvene  mit  steriler  Spritze.  Diese  Menge  verteilt 
an  auf  6  Agarröhrchen,  nachdem  man  jedem  dieser  Röhrchen,  das 
: wohnlich  ca.  5  ccm  Agar  enthält,  1 — 2  ccm  steriler  Rindergalle 
gesetzt  hat  Man  kann  die  Galle  auch  gleich  beim  Abfüllen  und 
erilisieren  des  Agars  zusetzen.  Dann  werden  die  6  Platten  ge- 
ssen.  Man  soll  sich  nicht  mit  kleineren  Mengen 
lut  und  einer  geringeren  Zahl  von  Platten  be¬ 
lügen,  denn  häufig  findet  man  auf  allen  Platten  zu- 
mmen  nur  3  bis  4  Kolonien  und  es  ist  anzunehmen,  dass 
ese  dem  Nachweis  entgehen,  wenn  man  weniger  Blut  ver¬ 
endet.  Es  ist  auch  für  den  Patienten  ganz  gleichgültig,  ob  man 
:cm  oder  15  ccm  Blut  entnimmt,  sobald  der  Punktion  der  Armvene 
:hts  im  Wege  steht.  Oft  wird  auch  der  Fehler  gemacht,  dass  der 
rch  Kochen  verflüssigte  Agar  vor  dem  Impfen  mit  Blut  nicht  ge- 
gend  abgekühlt  wurde;  er  soll  auf  45—50°  abgekühlt  sein. 

Ist  die  Punktion  der  Armvene  aus  irgend  einem  Grunde  nicht 
'glich  (bei  kleinen  Kindern  mit  reichlichem  Fettpolster  missglückt 
;  sehr  häufig),  so  muss  man  Blut  aus  den  sorgfältig  gereinigten 
irläppchen  entnehmen,  das  man  dann  am  besten  direkt  in  ein 
illeröhrchen  laufen  lässt.  Sind  typische  Roseolen  vorhanden, 
nn  ist  es  zweckmässig,  aus  den  Roseolen  abzuimpfen, 
diese  stets  Bakterien  enthalten,  nach  E.  Fraenkel  als  echte 
etastasen  des  Typhus  zu  betrachten  sind.  Man  reinigt  die  Haut 
t  Alkohol  und  Aether,  macht  einen  kleinen  Einschnitt  in  die  Roseola, 
ugt  mit  einer  ausgekochten  Leukozytenpipette  die  hervorquellen- 
n  Blutstropfen  auf  und  bläst  sie  in  ein  Galleröhrchen  aus.  Auf 
;se  Weise  gelingt  die  Kultur  häufig,  wenn  auch  nicht  so  regelmässig 
e  bei  den  Fällen,  wo  man  eine  grössere  Menge  Blut  aus  der 
mvene  entnehmen  und  verarbeiten  kann. 


irschlag  zur  Behandlung  tiefer  bedrohlicher  Haut- 
Weichteilemphyseme. 

)ti  Dr.  F  r  i  t  z  K  r  o  h,  Köln,  zurzeit  Oberarzt  bei  der  Reserve- 
Sanitätskompagnie  Nr.  8. 

Bekannt  ist,  dass  grössere  Hautemphyseme  ohne  chirur- 
;che  Intervention  zur  Abheilung,  d.  h.  zu  spontaner  Resorp- 
n  gelangen  —  gleichgültig  ob  ein  offener  oder  geschlossener 
leumothorax  ätiologisch  in  Frage  kommt  — ,  aber  ebenso  ge¬ 
ltet  die  Hartnäckigkeit,  mit  der  in  die  tiefere  Subkutis 
presste  Luftmassen  exspektativer  Therapie  trotzen;  die  hier- 
■  rch  geschaffenen  Gefahren  sind  gross,  und  letzten  Endes 
1  r  Quelle  noch  beizukommen  oft  genug  unmöglich. 

Symptomatisch  für  die  Grösse  der  Gefahr,  in  der  der  Ver- 
zte  bei  Eintritt  dieser  Komplikation  schwebt,  ist  das  charak- 
!  istische  äussere  Bild,  das  ausnahmslos  von  uns  fixiert 
irde :  die  Hals-  und  Gesichtshaut  erscheint  gedunsen,  wie 
ngeblasen,  die  Gesichtshaut  ist  zyanotisch,  der  Gesichtsaus- 
'uck  ängstlich,  der  Stimmklang  —  dieses  ein  für  die  Diagnose 
iradezu  typisches  Phänomen  —  eigenartig  angiös,  näselnd; 

Atmung,  naturgemäss  nicht  zuletzt  durch  den  bestehenden 
I  eumothorax,  erschwert,  die  Herztätigkeit  beschleunigt. 

Wo  sitzt  die  Gefahr?  In  der  Fortpflanzung  der  rhyth- 
1  sch  eingespressten  Luftwelle  über  die  grossen  Halsein- 
‘  weide  hinweg  in  das  Mediastinum,,  d.  i.  in  der  konsekutiven 
l’.chanischen  Reizung  desselben,  der  grossen  Gefässe  und 
rvenstämme;  Tatsache  ist  — -  diese  Beobachtung  machte  ich 
i  sämtlichen  von  mir  operierten  Fällen  — ,  dass  die  Luft  auch 
;i  tiefen  Faszien-  und  Gewebsinterstitien  nachgeht:  jedesmal 


fand  ich  bei  Isolierung  der  Trachea  das  derselben  vorgelagerte 
lockere  Bindegewebe  durch  Aufnahme  feinster  Luftbläschen 
schwammig  verändert,  einmal  geradezu  verfilzt,  sah  in  diesem 
l  alle  bei  Hustenstoss  Luftbläschen  in  grossen  Mengen  aus  dem 
Mediastinum  in  das  Wundgebiet  sich  entleeren. 

Dem  exspektativen,  wie  schon  erwähnt  oft  genug  erfolg¬ 
reichen  Verhalten  stehen  eben  für  kompliziertere  Fälle  zu 
reservierende  chirurgische  Massnahmen  gegenüber. 

Unter  diesen  begreife  ich  einmal  jene  Versuche,  systematiscli 
tmreh,  bei  offenem  Pneumothorax  der  Wundöffnung  zu  gerichtete, 
Massagestriche  die  in  das  subkutane  Gewebe  abgewanderte  Luft  zu 
vertreiben  —  der  Erfolg  dürfte  nach  eigener  Erfahrung  häufig  be¬ 
friedigend  sein  — ;  sowie  unsere  operativen  Verfahren:  durch  Haut¬ 
schnitte  kann  ohne  weiteres  Zutun  die  Luft  abgeleitet,  der  Effekt 
noch  gesteigert  werden  durch  in  ihrer  Wirkung  zweckmässig  dosierte 
Absaugung,  die  einmal  durch  auf  die  Wundöffnungen  gestülpte  Saug¬ 
glocken  ermöglicht  werden,  die  aber  auch  im  Interesse  eindring¬ 
licherer  Wirkung  in  Form  eines  durch  einen  von  einer  Wasserstrahl¬ 
luftpumpe  abgeleiteten,  durch  Saugglas  übermittelten  permanenten 
Saugstrom  geschehen  kann.  Vor  5  Jahren  schon  habe  ich  letzteren 
Modus  persönlich  an  Tier  und  Patient  als  vorteilhaft  ausprobiert; 
wenn  ich  nicht  irre,  erzielte  vor  Jahresfrist  T  i  e  g  e  1  -  Dortmund  mit 
ähnlicher  Technik  gleich  günstige  Resultate. 

Die  Wirkungsbreite  aber  auch  dieses  Verfahrens  ist  beschränkt. 
1  atsache  ist,  dass  ein  in  tiefe  Interstitien  eingepresstes  Luftquantum 
auch  durch  energischste  Aspiration  durch  vorgelagerte  Gewebs- 
massen  hindurch  nicht  immer  oberflächenwärts  geleitet  und  beseitigt 
werden  kann. 

Diese  unleugbare  Insuffizienz  legt  den  Gedanken  nahe,  durch 
druckentlastende  Massnahmen  jenem  obenbeschriebenen,  das  Media¬ 
stinum  und  die  Halseingeweide  treffenden  mechanischen  Reiz  bei¬ 
zukommen.  Dieser  mir  unbedingt  notwendig  erscheinenden  Forde¬ 
rung  suchte  ich  durch  ausgiebige  Freilegung  der  Luftröhre,  der  der¬ 
selben  benachbarten  grossen  Gefässscheiden  sowie  der  Kuppe  des 
vorderen  Mediastinums  und  durch  nachfolgende  lockere  Tamponade, 
d.  h.  durch  Schaffung  einer  Kommunikation  der  tiefen  vorderen  Hals¬ 
region  mit  der  Hautoberfläche,  mit  anderen  Worten:  durch  eine  per¬ 
manente  Ableitung  der  synchron  mit  der  Atmung  eingepressten  Luft 
nach  aussen  hin,  gerecht  zu  werden. 

Der  in  3  Fällen  ausnahmslos  erzielte  volle  Erfolg  sprach  für  die 
Richtigkeit  unserer  Erwägungen.  Folgendermassen  gestaltet  sich 
der  kleine  operative  Eingriff:  Durch  einen  ca.  10  cm  langen,  dicht 
oberhalb  der  Incisura  sterni  und  beider  Schlüsselbeine  gelegten  Kra¬ 
genschnitt  wird  die  Subkutis  freigelegt,  der  obere  Wundrand  kopf- 
wärts  vielleicht  3 — 4  cm  weit  von  der  Unterlage  abpräpariert,  dann 
erfolgt  die  scharfe  Isolierung  der  Sehnen  des  rechten  und  linken 
Kopfnickmuskels;  beide  werden  durch  stumpfe  Haken  auseinander¬ 
gehalten  und  stumpf  und  scharf  die  Trachea  freigelegt,  darauf  mit 
Präpariertupfer  oder  Finger  die  grosse  Gefässscheide  beiderseits 
breit  isoliert,  gleichfalls  das  lockere,  hinter  dem  Manubrium  sterni 
gelegene  Bindegewebe  auseinandergedrängt.  —  Der  ganze  Eingriff 
verläuft  ohne  nennenswerte  Blutung,  nur  einige  Hautgefässe  sind  zu 
ligieren.  Eine  lockere,  zur  Kuppe  des  Mediastinum,  zu  den  beiden 
Gefässscheiden  und  zur  Trachea  geführte  Tamponade  und  Situations¬ 
naht  beschüessen  den  ganzen  belanglosen,  bei  einigermassen  aus¬ 
gebildeter  Technik  in  wenigen  Minuten  zu  erledigenden  operativen 
Eingriff.  —  Nach  2  Tagen  ist  der  erste  Verbandwechsel,  der  Tam¬ 
ponadestreifen  wird  gelockert  und  zum  grossen  Teil  gekürzt. 

Die  von  uns  nach  Operation  von  Fall  zu  Fall  gemachten  klini¬ 
schen  Beobachtungen  dürfen  als  Beleg  für  die  Zulässigkeit  und  Rich¬ 
tigkeit  dieses  Eingriffes  betrachtet  werden:  Sehr  bald,  spätestens 
24  Stunden  nach  dem  Eingriff,  ist  die,  wie  auch  schon  hervorgehoben, 
durch  den  Pneumothorax  an  sich  mehr  weniger  gestörte  Atmung 
freier,  der  anginöse  Stimmklang  verschwunden,  das  Allgemeinbefinden 
sichtlich  gehoben,  von  dem  Emphysem  kaum  noch  Spuren  nachweis¬ 
bar:  das  ganze  Krankheitsbild  derart  überraschend  umgestimmt,  dass 
der  einmalige  Versuch  in  anderen,  ähnlich  liegenden  Fällen  stets  zur 
Wiederholung  anregen  muss. 

Luftnachschübe  von  der  Thoraxwunde  aus  sine,  nicht  mehr  zu 
fürchten,  einmal,  weil  dieselbe  meistens  sehr  frühzeitig  sich  spontan 
schliesst,  im  umgekehrten  Falle  die  eingepresste  Luft  von  den  ab¬ 
tamponierten  tiefen  und  oberflächlichen  Halsweichteilen  eben  kon¬ 
tinuierlich  nach  aussen  wegdrainiert  wird.  Eine  Wundinfektion  habe 
ich  keinmal  beobachtet,  vor  allem  blieb  das  Mediastinum,  dem  natur¬ 
gemäss  unsere  ganz  besondere  Sorge  galt,  verschont. 

In  2  der  von  uns  beobachteten  Fälle,  die  sämtlich  den  oben 
von  uns  beschriebenen  Symptomenkomplex  in  grösster  Form  zeigten, 
war  der  sofortige  operative  Eingriff  absolut  indiziert.  In  dem  dritten, 
bei  dem  das  Emphysem  schon  über  die  obere  Brustgegend,  über  die 
Vorderfläche,  beide  Seitenflächen  des  Halses  und  über  das  Gesicht 
ausgebreitet  war,  versuchte  ich  unter  Berücksichtigung  des  relativ 
günstigen  Allgemeinzustandes  zuerst  konservative  Massnahmen: 
wirklich  gelang  es  durch  eine  ca.  20minütige  Streichmassage  das 
offenbar  nur  im  subkutanen  Gewebe  oberflächlich  ausgebreitete 
Emphysem  ungefähr  restlos  zum  Schwunde  zu  bringen.  Ungefähr 
20  Stunden  später  war  das  Rezidiv  wieder  da,  der  Allgemeinzustand 
derart  bedrohlich,  dass  ich  eingriff,  mit  bestem  Erfolge:  das  Emphy¬ 
sem  schwand  spontan,  durch  die  konsekutive  Druckentlastung  war 


2292 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  nied.  Wochenschrift. 


Nr.  4', 


der  Patient  in  kürzester  Frist,  d.  i.  schon  innerhalb  der  ersten 
12  Stunden  nach  der  Operation,  von  seinen  Beschwerden  befreit. 

Hinzufügen  möchte  ich  noch,  dass  als  Ausgangspunkt  des  Emphy¬ 
sems  ausnahmslos  eine  im  Bereiche  der  vorderen  oberen  Schulter- 
Brustgegend,  gewöhnlich  im  zweiten  Interkostalraum  gelegene 
Schussöffnung  festgestellt  wurde. 

Es  ist  möglich,  dass  dieser  naheliegende  Behandlungs- 
modus  anderweitig  und  mit  gleichem  Erfolge  geübt  worden  ist, 
genauere  Literaturstudien  waren  begreiflicherweise  nicht  mög¬ 
lich.  Int  Interesse  ausgedehnter  praktischer  Nachprüfung 
dieses  einfach  und  schnell  überall  da,  wo  aseptisches  Operieren 
möglich  ist,  durchführbaren  Eingriffes  hielt  ich  die  Publikation 
desselben  für  meine  Pflicht.  Operiert  wurden  unsere  Fälle  auf 
dem  von  unserer  Sanitätskompagnie  eingericheteten  Haupt¬ 
verbandplatz. 


Aus  dem  k.  k.  Zentralröntgenlaboratorium  in  Wien  (Vorstand: 

Primararzt  Prof.  Dr.  Q.  Holzknech t). 

Der  Schwebemarkenlokalisator. 

Ein  einfacher  und  exakter  Fremdkörpersucher. 

Von  Dr.  Heinrich  Wachtel. 

Die  Verfahren  der  Fremdkörperlokalisationen  zerfallen  in 
zwei  Gruppen: 

1.  Schätzende  (Aufnahme  in  zwei  möglichst  senk¬ 
rechten  Richtungen:  ganz  ungenau;  Durchleuchtung  mit  Ro¬ 
tation;  Durchleuchtung  mit  Markierung  von  vier  Oberflächen¬ 
punkten).  Sie  sind  einfach,  aber  wenig  genau.  An  manchen 
Körperteilen  sind  sie  nicht  anwendbar. 

2.  Messende.  Die  bisher  bekannten,  über  70  an  der 
Zahl,  sind,  soweit  genau,  äusserst  kompliziert.  Die  angeblich 
beste  von  ihnen,  von  Fürstenau,  hat  wenigstens  das  viele 
Rechnen  durch  eine  Schieberkonstruktion  vereinfacht.  Sie  er¬ 
fordert  aber  noch  immer  Besonderheiten  der  Nebenapparate 
(Stereoröhren  oder  präzise  und  gemessene  Röhrenverschie¬ 
bung,  ferner  gemessene  Röhrenhöhe  und  Entfernung  des  Fokus 
von  der  Platte),  was  schon  im  Frieden  unbequem  ist,  im  Krieg 
mit  seinen  grösseren  Anforderungen  und  geringeren  Vor¬ 
bereitungen  aber  die  Methode  unbrauchbar  macht. 

Der  heutige  Stand  der  Fremdkörperlokalisation  muss  also 
als  recht  unentwickelt  bezeichnet  werden.  Die  wichtigsten 
Lücken  bestehen  in  Fällen,  welche  nicht  in  allen  Richtungen 
durchleuchtet  werden  können,  bei  ganz  kleinen,  nur  photo¬ 
graphisch  sichtbaren  Fremdkörpern,  wo  auch  eine  ein¬ 
fache  Schätzungsmethode  vollkommen  mangelt  und  bei  allen 
grösseren  Körperteilen,  wo  jede  einfache,  genaue  Methode 
fehlt. 

Ich  habe  daher  getrachtet,  eine  Methode  zur  Fremdkörper¬ 
lokalisation  im  Röntgenbilde  zu  finden  und  tatsächlich  eine 
solche  gefunden,  welche  genaue  Resultate  liefert, 
kein  Rechnen  verlangt  und  zugleich  auch  in  der 
praktischen  Ausführung  einfach  ist,  indem  nur 
eine  zweimal  zu  belichtende  Platte  ohne  Umlagerung 
des  Patienten  aufgenommen  wird  und  die  Röhren- 
einstellungen  ohne  jede  Messung  bloss  ungefähr 
nach  dem  Augenmass  vorgenommen  werden,  so  dass  wir  von 
der  Röhrenhöhe,  der  Fokusdistanz  und  der  Röhrenverschie¬ 
bungsgrösse  unabhängig  sind,  daher  diese  ganz  beliebig 
gewählt  werden  können.  Die  Methode  ist  also  mit  jedem 
Röntgenapparat  auch  unter  noch  so  ungünstigen  Verhältnissen 
durchzuführen  und  gibt  trotz  ihrer  Einfachheit  und  Handlichkeit 
präzise  Resultate. 

Das  neue  Prinzip  der  Methode  beruht  darauf,  dass 
bei  einer  Röntgenaufnahme  des  Körperteiles,  in  welchem  man 
den  Fremdkörper  vermutet,  eine  besondere,  über  dem 
Körper  schwebende  Marke  mitphotogra¬ 
phiert  wird,  sodann  die  Röhre  um  ein  beliebiges  Stück  ver¬ 
schoben  und  eine  zweite  Aufnahme  auf  dieselbe  Platte  ge¬ 
macht  wird.  Man  erhält  dann  auf  der  entwickelten  Platte  ein 
doppeltes  Bild  des  Objektes,  auf  dem  auch  der  Fremdkörper 
und  die  Marke  zweimal  photographiert  erscheinen. 

Gerät:  Diese  Schwebemarke  ist  in  einer  fixen  Höhe  von  30cm 
auf  einem  Träger  (s.  Fig.)  angebracht.  Sie  ist  1,5  cm  lang  und  in  der 
Mitte  mit  einem  Loch  versehen.  Sie  ist  aus  schattengebendem 
Material. 

Der  Schwebemarkenträger  ist  in  seinem  oberen  Anteil  aus  Holz, 


da  er  für  Strahlen  durchgängig  sein  muss.  Das  andere  ist  Metal 
Durch  das  Loch  in  der  Schwebemarkenmitte  ist  ein  Lot  (ein  Metall, 
kettchen  mit  spitzem  Ende)  gezogen. 

Die  Gebrauchsanweisung  findet  sich  auf  dem  Gerät. 

Ausführung:  Der  Patient  wird  zur  Aufnahme,  wie  üblicl 
auf  die  photographische  Platte  gelagert.  Unter  diese  kommt  di' 
Bodenplatte  des  Schwebemarkenträgers.  Der  bewegliche  An 
desselben  wird  nun  so  gestellt,  dass  die  Schwebemarke  übe 
der  einen  Plattenhälfte  zu  stehen  kommt.  Jetzt  stellt  ma' 
die  Röhre  in  beliebiger  Höhe  mit  Hilfe  des  Zentralstrahl 
lotes  (s.  Fig.),  welches  man  an  die  Röhre  hält,  so  ein,  das 


uimrnrmmu 


Der  Schwebemarkenträger  wird  mit  der  Bodenplatte  unter  die  Röntgenplatte,  mit  dei 
Markenarm  über  dem  Patienten  aufgestellt;  die  Röhre  kommt  mittelst  Lot  senkrect 
darüber.  Nach  der  ersten  Aufnahme  wird  die  Röhre  beliebig  weit  verschoben  und  ein 
zweite  gemacht.  Die  Platte  zeigt  alles  doppelt.  Die  Verschiebungen  werden  gemesse 
und  die  Tiefe  etc.  an  der  Schiebertafel  abgelesen. 

die  Schwebemarkenmitte  in  die  Bahn  des  zur  Platte  senk 
rechten  Strahles  kommt.  Der  Punkt  an  der  Haut,  der  dabei  der  Mitti 
der  Schwebemarke  entspricht,  wird  mit  Farbstift  bezeichnet.  Jetz 
wird  ein  beliebiger  zweiter  Punkt  auf  der  Haut  im  Bereiche  de 
photographischen  Platte  bezeichnet  und  auf  ihm  eine  Bleimarke  voi 
Quadratform  mit  Pflaster  befestigt.  Dann  wird  zum  erstenmal  belichte 
und  hernach  die  Röhre  horizontal  beliebig  weit  verschoben,  wobei  sij 
in  derselben  Höhe,  wie  bei  der  ersten  Aufnahme  bleibt.  Der  Schat 
ten  der  Schwebemarke  soll  irgendwo  im  Bereiche  der  Platte  bleiben 
Dann  wird  zum  zweitenmal  belichtet. 

Nachdem  die  Platte  entwickelt  und  fixiert  ist,  werden  auf  ih 
folgende  Zahlen  mittels  Massstab  oder  Zirkel  gemessen: 

1.  die  Grösse  eines  der  Bilder  der  Schwebemarke; 

2.  die  Entfernung  der  Bilder  der  Schwebemarke  voneinander 

3.  die  Entfernung  des  Bildes  des  Fremdkörpers  der  ersten  Be 
lichtung  von  der  Mitte  des  Schwebemarkenbildes  der  erstei 
Belichtung; 

4.  die  Entfernung  beider  Bilder  des  Fremdkörpers  voneinander 

Nun  ist  dem  Gerät  eine  schieberartige  Kurventafel  (s.  Fig.)  bei. 

gegeben,  um  das  Rechnen  zu  ersparen. 

Die  Höhe  (Tiefe)  in  welcher  der  Fremdkörpe 
über  der  Platte  liegt  und  die  Entfernung  de 
Fusspunktes  des  Fremdkörpers  von  den 
Fusspunkt  der  Schwebemarke  werden  mit  Hilfe  de 
auf  der  Platte  gemessenen  Zahlen  aus  den  beigege 
benen  Kurven  einfach  herausgelesen.  Man  ha 
so  den  Tiefsitz  des  Fremdkörpers  und  di 
Stelle,  wo  er  sich  im  Körper  befindet,  bestimm' 

Die  mathematische  Begründung  der  Formeln,  nac 
welchen  die  Kurven  ermittelt  wurden,  sei  auf  einen  gef 
eigneteren  Zeitpunkt  verschoben. 

Die  Methode  kommt  für  jene  Fälle  in  Betracht,  in  welche 
die  Lokalisationen  1.  mit  Aufnahme  in  zwei  Richtungen,  2.  di 
Durchleuchtung  mit  Anbringung  von  4  Hautstiftmarken,  3.  di 
durch  Drehen  des  Körperteiles  hinter  dem  Schirm  ge 
wonnenen  kleinsten  Distanzen  zur  Oberfläche  und  des  zuge 
hörigen  Oberflächenpunktes  und  4.  die  ebenfalls  durch  Drehe 
hinter  dem  Durchleuchtungsschirm  gewonnene  Nähe  zu  einen 
leicht  anzugebenden  Punkt  des  Skelettes  oder  eines  sichtbarer 


’  November  1914. 


C»nes  versagt.  Sie  tritt  wegen  ihrer  Einfachheit  an  Stelle 
i  r  bisherigen  rechnenden  Methoden,  beseitigt  aber  deren 

,  Inningen. 

Da  dm  Methode  auf  mathematischen  Prinzipien  basiert, 
n  die  Genauigkeit  ihrer  Resultate  bei  präziser  Einhaltung 
Bedingungen  bis  zu  Bruchteilen  eines  Millimeters  ge- 
gert  werden.  Für  die  täglichen  Zwecke  der  Fremdkörper- 
disierung  würde  aber  auch  ein  geringer  Fehler  keine  Rolle 
len. 

Die  Methode  ist  bei  jedem  Körperteil  und  jeder  Fremd¬ 
perlage  verwendbar.  Wo  der  Fremdkörper  sitzt,  braucht 
i  auch  nicht  ungefähr  zu  wissen.  Der  verdächtige  Teil  wird 
genommen.  Man  kann  sogar  in  der  Not  mit  der  ersten 
;  genologischen  Aufnahme  zwecks  Nachweis  von  Fremd- 
pern  gleich  die  Aufnahme  mit  dem  Schwebemarken- 
ilisator  machen. 

Es  sei  hervorgehoben,  dass  die  Methode  mit  keiner  Be- 
i  igung  für  den  Patienten,  der  die  ganze  Zeit  in  der  gleichen 
.  e  in  Ruhe  verbleibt,  verbunden  ist. 

Ihrer  Einfachheit  wegen  wird  die  Methode  wahrscheinlich 
lauch  bei  Fremdkörpern  angewendet  werden,  die  auch  mit 
i  heute  üblichen  schätzenden  Methoden  ziemlich  gut  lokali- 
t  werden  können.  Die  Uebung  ist  rasch  erworben.  Die 
'irzeit  gegenüber  einer  gewöhnlichen  Aufnahme  beträgt 
0  Minuten. 

Man  kann  aus  der  nach  unserer  Methode  angefertigten 
te  auch  die  anatomische  Lokalisation  betreiben,  indem  man 
iier  der  Höhe  des  Fremdkörpers  über  der  Platte  auch  z.  B. 
i  Höhe  der  Knochen  usw.  herausliest  und  die  Werte  mit 
nder  vergleicht. 

Die  Methode  ist  nicht  nur  für  Fremdkörperlokalisierung 
.ebrauchen,  sondern  kann  auch  sonst  als  Durchleuchtungs- 
mannigfache  chirurgische  und  internistische  Dienste 
en,  worauf  einmal  in  friedlichen  Zeiten  zurückgekommen 

den  soll. 

Zum  Schluss  erlaube  ich  mir  auch  hier  meinem  hochver- 
en  Chef,  Herrn  Primararzt  Prof.  Dr.  G.  Holzknecht, 
las  grosse  Interesse  an  meiner  Arbeit  ergebenst  zu  danken. 
Der  Apparat  ist  mit  allem  Zugehör  und  genauer  Ge- 
chsan Weisung  von  der  Firma  O.  Sommer,  Wien  VII, 
kstätten  für  Wiener  Röntgenmodelle,  zu  beziehen. 
Zusammenfassung:  Die  bisherigen  exak- 
:  (messenden)  Fremd  körperlokalisations- 
thoden  sind  viel  zu  kompliziert.  Die  obige 
thode  erspart  die  komplizierte  Röhren¬ 
ist  e  1 1  u  n  g  durch  eine  mitphotographierte 
uwebemarke  und  alles  Rechnen  durch  einen 
'lieber. 


der  chirurgischen  Abteilung  des  Reservelazaretts  in  For- 
bach  i.  Lothr. 

Zur  Aneurysmabehandlung. 

Von  Dr.  Oskar  Ort  h. 

I.  F  a  1 1.  E.  K..  Einj. -Unteroffizier  aus  Wiirzburg,  wurde  bei 
villc  durch  einen  Schuss  in  die  Gegend  des  linken  Pöupart- 
1  Bandes  verletzt.  Nach  seinen  Angaben  habe  er  auf  dem 
chtfelde  viel  Blut  verloren,  wurde  aber  schliesslich  als  mittel¬ 
er  \  erletzter  dem  Reservelazarett  Forbach  zugeführt.  Hier  lag 
nächst  8 — 10  Tage  und  der  behandelnde  Arzt  vermutete,  da  sich 
pulsierende  Geschwulst  bildete,  ein  Aneurysma  und  zog  mich 
onsultierenden  Chirurgen  zu. 

iJat.  fand  Aufnahme  auf  der  chirurgischen  Abteilung  (Maria- 

'  .-Krankenhaus). 

n  dem  Scar  paschen  Dreieck  bis  über  das  P  o  u  p  a  r  t  sehe 
i  hinaufreichend  grosse  pulsierende  Geschwulst,  die  sehr  schmerz¬ 
est  Deutliches  pulsatorisch-synchrones  Schwirren.  Pat.  sehr 

>  isch. 

)a  bereits  14  Tage  verstrichen,  entschloss  ich  mich  in  der  Au- 
e,  dass  der  Kollateralkreislauf  bereits  ausgebildet,  zur  Ope- 

Iperation:  Exstirpation  des  Sackes.  Arterie  und  Vene  sowohl 
•  der  Quere  als  auch  der  Länge  nach  unmittelbar  vor  und  in 
bgangsstellc  der  Art.  profunda  zerrissen.  Da  die  Operation  ohne 
a  r  c  h  sehe  Blutleere  gemacht  wurde,  blutete  Pat.  sehr  stark 
-  onnte  die  beabsichtigte  Gefässnaht  nicht  gemacht  werden.  Ab- 
n  der  Arterie  und  Vene  zentral  und  peripher.  Naht.  Der 
”  gab  meinen  Vermutungen  betr.  des  Kollateralkreislaufes  Recht. 

1  lach  14  Tagen  chirurgisch  geheilt. 


2293 


II.  Fall.  Musketier  aus  Lüdescheid.  Einschuss  durch  die 
rechte  Beckenschaufel.  Pat.  nach  4  Tagen  ins  Reservclazarett  auf¬ 
genommen.  Der  Arzt  stellt  eine  pulsierende  Geschwulst  von  leicht 
Apfelgrösse  in  der  Femoralis  fest.  Zugezogen  14  Tage  nach  der 
Aufnahme. 

Deutliches  Schwirren  an  der  Femoralis  oberhalb  des  P  o  u  p  a  r  t- 
schen  Bandes  und  aussen  eine  Schwellung.  Pat.  sehr  anämisch,  kann 
nur  in  gebeugter  Stellung  liegen  (Symptom  eines  Psoaabszesses). 

Operation:  Schnitt  wie  zur  Freilegung  der  Art.  iliaca.  Nach 
präparatorischem  Vorgehen,  bei  dem  ich  noch  an  die  Möglichkeit 
eines  Abszesses  dachte,  sehe  ich  deutlich  die  dunklen,  grünlichen 
Membranen.  Nach  Ausräumung  der  Gerinnsel  profuse,  heftigste 
Blutung.  Kompression  der  Aorta  abdominalis,  Tamponade  mit  vielen 
Kompressen.  Freilegung  der  Art.  femoralis  nach  Durchtrennung  des 
P  o  u  p  a  r  t  sehen  Bandes.  Hinaufpräparieren  von  Arterie  und  Vene, 
Entfernung  der  Kompressen,  schliesslich  gelingt  es  die  Art  iliaca  und 
Vene  isoliert  zu  fassen.  Beide  Gefässe  quer  und  längs  zerrissen. 
Zentrale  und  periphere  Ligatur  mit  Risiko.  Schichtnaht  der  Wunde. 
Pat.  moribund,  erholt  sich  und  ist  heute,  nach  7  7'agen,  als  chirurgisch 
geheilt  zu  betrachten.  Keine  Gangrän.  Puls  in  der  Tibialis  postica 
schwach  fühlbar. 

Ohne  auf  die  Details,  die  einer  späteren  Publikation  Vorbehalten 
sind,  einzugehen,  seien  folgende  Leitsätze  aufgestellt: 

1.  Nach  14  Tagen  bzw.  3  Wochen  kann  man  ein  Aneurysma 
operativ  angehen. 

2.  Während  dieser  Zeit  genaueste  Beobachtung. 

3.  ln  Feld-  und  Kriegslazaretten  nur  bei  profuser  Blutung  zu 
operieren,  nicht  zu  operieren,  wenn  erstere  Indikation  nicht  besteht, 
weil  zu  früh  nach  der  Läsion  der  Kollateralkreislauf  versagt. 

Als  Operationsmethoden  kommen  in  Frage: 

1.  Die  definitive  Unterbindung  des  Arterienrohres. 

2.  Die  Wiederherstellung  der  Blutpassage: 

a)  durch  seitliche  Naht, 

b)  durch  Resektion  des  kranken  Gefässstückes  und  Vereinigung 
End  zu  End, 

c)  Resektion  und  Einsetzung  des  transplantierten  Schaltstückes. 

Welche  Methode  Anwendung  findet,  entscheidet  der  Fall  selbst. 

Bei  meinen  war  die  Naht  beide  Male  unmöglich,  da  beide  Patienten 
überhaupt  kaum  den  schnellsten  Eingriff  aushielten. 

Ich  habe  mir  erlaubt  aus  den  oben  angeführten  Erwägungen 
beide  Fälle  zu  veröffentlichen,  um  dem  einen  oder  anderen  Kollegen 
einen  Fingerzeig  zu  geben. 


Aus  dem  Kgl.  Reservelazarett  Kapellen-Stolzenfels 
(Chefarzt:  Dr.  B.  Bema  r  d). 

Vielfache  Verletzung  durch  ein  Geschoss. 

Von  Stationsarzt  Dr.  R.  Bloch. 

Der  Infanterist  F.  Ph.  wurde  am  31.  VIII.  1914  nahe  Sedan  durch 
Infanteriefeuer  verwundet;  der  Schuss  wurde  aus  einer  Entfernung 
von  15 — 20  m  von  einem  Baume  herunter  abgegeben  und  das  feind¬ 
liche  Projektil  setzte  8  Wunden,  welche  auf  dem  Felde  sofort  ver¬ 
bunden  wurden. 

Am  13.  IX.  kam  der  Verletzte  in  unser  Lazarett:  der  Befund 
war  folgender: 

Am  linken  Arm  befindet  sich  handbreit  unterhalb  Schulterhöhe 
eine  linsengrosse  Einschusswunde  an  der  Streckseite  (1),  der  Aus¬ 
schuss  20  cm  unterhalb  der  Achselhöhle  an  der  Beugeseite,  bohnen¬ 
gross  (2);  in  seiner  Umgebung  ein  hühnereigrosser  Bluterguss. 
Daumenbreit  unter  der  linken  Brustwarze  eine  mandelkerngrosse 
Streifwunde  (3);  der  Penis  zeigt  auf  seinem  Rücken  eine  bohnen¬ 
grosse  Streifwunde  (4);  das  Skrotum  weist  in  seiner  rechten  Hälfte 
ebenfalls  Ein-  und  Ausschuss  —  mit  Freilegung  der  Tunica  vag.  pr.  - 
auf  (5,  6).  Endlich  befindet  sich  am  rechten  Oberschenkel  daumen¬ 
breit  nach  aussen  und  unten  vom  äusseren  Leistenring  eine  klaffende, 
granulierende  walnussgrosse  Wunde  (7),  welcher  eine  handbreit 
darunter  gelegene  ebenso  grosse  Wunde  als  „Endausschuss“  ent¬ 
spricht  (8). 

Das  Röntgenbild  ergibt  am  linken  Oberarm  einen  dem  Schuss¬ 
kanal  entsprechenden  Schrägbruch  des  Oberarmknochens. 

Die  Behandlung  der  Wunden  war  so  einfach  wie  möglich,  sie 
bestand  in  feuchten  und  Xcroformsalbenverbänden :  am  7.  X.  14  waren 
sie  alle  geheilt:  am  linken  Oberarm  sind  mässige  Kallusmassen  vor¬ 
handen  - —  Umfang  1  cm  mehr  als  rechts  — ;  oberhalb  und  unterhalb 
der  Bruchstelle  sind  die  Umfänge  links  1  cm  geringer  als  rechts, 
doch  dürfte  die  Muskelatrophie  durch  die  bereits  einsetzenden 
aktiven  Bewegungen  (Armheben  fast  bis  zur  Senkrechten  möglich) 
bald  behoben  und  die  Dienstfähigkeit  in  kurzem  wieder  hergestellt 
sein. 

Der  Fall  ist  bemerkenswert  durch  die  grosse  Anzahl  der  Wun¬ 
den  eines  einzigen  Projektils  an  den  verschiedenen  Körpergegenden 
—  erzeugt  durch  die  Entfernung  und  den  Stand  des  Schützen  — , 
durch  die  auch  hier  erkennbare  segensreiche  Wirkung  unserer  ersten 
Hilfe  auf  dem  Truppenverbandplätze  und  durch  die  auffallende  Rasch¬ 
heit  der  Heilung  bei  einfachstem  Wundbehandlungsverfahren. 


Feldärztlichc  Beilage  zur  Miineli.  mcd.  Wochenschrift. 


2294 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Unter  welchen  Voraussetzungen  macht  auch  eine  noch  , 
geringfügige  Schwerhörigkeit  für  sich  allein  schon  un¬ 
tauglich  zum  Kriegsdienst? 


Von  Sanitätsrat  Dr.  Franz  Bruck  in  Berlin-Charlottenburg. 

Bel  vollständig  intaktem  Trommelfell  führt  bekanntlich  die 
alleinige  Schwerhörigkeit  auf  jeden  Fall  dann  zur  Dienstuntauglich¬ 
keit,  wenn  sie  einen  bestimmten,  genau  vorgeschriebenen  Grad  er¬ 
reicht  hat.  ist  die  Hörfähigkeit  aber  noch  nicht  so  weit  gesunken, 
so  wird  der  Wehrpflichtige  in  der  Regel  eingestellt.  Dabei  kommt 
es  selbstverständlich  recht  häufig  vor,  dass  die  Natur  eines  trotz 
unerheblicher  Hörstörung  doch  prognostisch  ungünstigen 
Ohrenleidens  dem  Militärärzte,  der  den  zu  Untersuchenden  zum 
ersten  Male  zu  sehen  Gelegenheit  hat,  verborgen  bleibt,  es  sei 
denn,  dass  vorher  eine  Behandlung  durch  einen  Ohrenarzt  statt¬ 
gefunden  hat  und  dass  dessen  aufklärendes  Gutachten  rechtzeitig 
v  o  r  1  i  e  g  t.  Wie  wichtig  dies  aber  für  gewisse  Ohrenkranke  ist, 
deren  Leiden  (sog.  Otoskierose)  sich  durch  eine  allmählich  pro¬ 
gressive  Schwerhörigkeit,  verbunden  mit  subjektiven  Ohrgeräuschen, 
charakterisiert,  geht  daraus  hervor,  dass  sich  gerade  diese  Fälle, 
selbst  wenn  sie  sich  bei  der  Musterung  und  auch  bei  der  Aushebung 
noch  im  Anfangs  Stadium  ihrer  Krankheit  befinden,  erfahrungs- 
mässig  häufig  ganz  rapide  verschlechtern,  wenn  sie  Schädlich¬ 
keiten  ausgesetzt  sind,  die  sich  im  Kriege  nicht  vermeiden  lassen. 
Denn  durch  körperliche  Anstrengungen,  durch  seelische  Erregungen, 
ferner  durch  den  Zwang,  sich  jedweder  ungünstigen  Witterung  aus¬ 
zusetzen,  und  endlich  durch  starke,  das  Ohr  von  aussen  treffende 
Schalleinwirkungen  (Knall  von  Gewehren  und  Geschützen,  Explo¬ 
sionen)  können  Hörfähigkeit  und  subjektive  Ohrgeräusche  solcher 
Kranken  sehr  leicht  so  ungünstig  beeinflusst  werden,  dass  daraus 
eine  dauernde  Schädigung  resultiert.  Aus  diesem  Grunde  kann 
der  untersuchende  Militärarzt  ein  etwaiges,  sich  auf  anamnestische 
Daten  und  eine  längere  Bcobachtungszeit  stützendes  Urteil  des  be¬ 
handelnden  Arztes  nicht  entbehren.  Dessen  verant¬ 
wortungsvolle  Aufgabe  aber  ist  es.  den  leicht  progredienten 
Charakter  des  Leidens  richtig  zu  erkennen.  Denn  selbstverständlich 
n  u  r  in  diesem  Falle  besteht  eine  Kriegsuntauglichkeit  bei  einer 
Hörstörung,  die  an  sich  die  Felddienstfähigkeit  nicht  aufhebt.  Diese 
Prophylaxe  liegt  nicht  nur  im  Interesse  des  Kranken,  sondern  natür¬ 
lich  auch  in  dem  des  Staates. 


Verbandstoffersatz. 

Von  Dr.  Bruglocher,  K.  Obermedizinalrat  a.  D.  in  Ansbach. 

Die  Sperre  der  Baumwollenzufuhr  hat  schon  seit  Beginn  des 
Krieges  gemahnt,  mit  baumwollenen  Verbandstoffen  soarsam  zu  sein, 
sie  hat  längst  ausser  Gebrauch  gekommene  Ersatzstoffe  wieder  in  den 
Vordergrund  gerückt  und  den  Nachweis  der  Verwendbarkeit  der 
Scharpie  erbracht.  Da  habe  ich,  obschon  seit  Jahren  der  Praxis  ent¬ 
rückt,  meine  Aufzeichnungen  aus  den  80  er  Jahren  hervorgeholt,  nach¬ 
dem  ich  schon  in  den  70  er  Jahren,  einer  Anregung  meines  Lehrers 
Carl  T  h  i  e  r  s  c  h  folgend,  in  meiner  damaligen  Eigenschaft  als  Kran¬ 
kenhausarzt  in  Schwabach  von  der  Jute  ausgedehnten  Gebrauch  als 
Verbandstoff  gemacht  hatte.  Es  geschah  dies  lediglich  aus  Sparsam¬ 
keitserwägungen;  ich  hatte  mir  damals  notiert,  dass  1  kg  Gaze 
(=  40  m)  7.20  M.,  1  Kilo  Jute  nur  0.90  M.  kostete.  Ob  der  Jutehanf, 
dessen  ursprüngliches  Anbauland  Ostindien  war,  während  des  Krieges 
m  unbegrenzter  Menge  zur  Verfügung  stehen  wird,  kann  ich  nicht 
beurteilen.  Selbstverständlich  kam  er  in  jener  Zeit  nur  in  antisep- 
tisch  imprägnierter  Form  zur  Verwendung.  Ich  übergehe  meine 
Notizen  über  Selbstbereitung  antiseptischer  Verbandstoffe  und  über 
die  Verwendung  von  Torfmull,  Moos,  Holzwolle  und  Asche  als  Ver¬ 
bandmaterial  und  berichte  nur,  was  ich  über  die  Verwendung  von 
Sand  in  der  Form  von  Sublimatsand  nach  einer  Arbeit  Kümmells 
in  Langenbecks  Archiv  28.  3.  H  mir  aufgezeichnet  hatte,  da  ich 
seinerzeit  von  diesem  Verbandmaterial  einen  recht  ausgedehnten 
Gebrauch  gemacht  habe.  Gewaschener  und  ausgeglühter  Ouarzsand 
wird  nach  dem  Erkalten  mit  einer  ätherischen  Sublimatlösung  ge¬ 
mischt  und  in  fest  verschlossenen  Oefässen  aufbewahrt.  10,0  Subli¬ 
mat  in  100,0  Aether  gelöst  genügen  bei  längerem  Umrühren  zum  Im¬ 
prägnieren  von  10  kg  Sand  (=  0.1  Proz.  Sublimatsand).  Heute  würde 
man  sich  zumeist  mit  dem  Ausglühen  des  Sandes  begnügen  können. 
Die  häufigste  Verwendungsart  war  die  von  Mullsäckchen,  welche  nur 
wenig  prall  mit  Sand  gefüllt  waren,  so  dass  sie  sich  der  Köroer- 
oberfläche  genau  anschmiegten.  Für  einfachere  Fälle  genügten  klei¬ 
nere,  die  Wunde  mässig  überragende  Säckchen;  Dauerverbände,  die 
2 — 3  Wochen  unberührt  liegen  konnten,  wurden  erzielt  durch  ein 
zweites,  grosses,  nach  allen  Seiten  weit  überragendes  Kissen. 

Die  Erfolge  waren  durchaus  befriedigende,  die  Aufsaugungsfähig¬ 
keit  des  Sandes  liess  nichts  zu  wünschen  übrig,  dass  je  über  Druck 
des  Kissens  geklagt  worden  wäre,  ist  mir  nicht  erinnerlich.  Bei 
alten  Unterschenkelgeschwüren  mit  schmutzigem  Grund  und  harten 
Rändern  streute  ich  nicht  selten  den  Sand  unmittelbar  in  den  Sub¬ 
stanzverlust.  Ich  hatte  auch  dies  Verfahren  nie  zu  beklagen.  Dass 
der  Sand  überall  leicht  und  billig  zu  beschaffen  ist,  kann  nicht  unter¬ 
schätzt  werden.  Seine  ausgedehntere  Verwendung  würde  auch  einer 


Nr.  7 

unbegründeten  Preissteigerung  baumwollener  Verbandstoffe  Schn 
ken  setzen. 


Kriegschirurgische  Erfahrungen  in  der  Front. 

Von  Dr.  Wilhelm  D  a  n  i  e  1  s  e  n  aus  Beuthen  O.-Sehl.,  /■ 
zeit  Oberarzt  der  20.  Reserve-Sanitätskompagnic. 

Unsere  kriegschirurgischen  Erfahrungen  der  letzten  Kriege  ba  i 
sich  lediglich  auf  den  Mitteilungen  aus  den  Feld-  bzw.  Krlegsla, 
retten  auf.  Sie  sind  daher  für  die  allgemeine  Beurteilung  bis  i 
einem  gewissen  Grade  einseitig  und  irreführend,  denn  jeder  in  diei 
Feldzuge  in  der  Front  tätige  Arzt  findet  häufig  genug  Widersprü* 
zwischen  dem,  was  er  in  den  letzten  Jahren  gelesen  hat  und  di 
was  er  mit  seinen  eigenen  Augen  sieht,  mit  seinen  Ohren  hört,  i 
seinen  Händen  anfasst.  Ich  habe  in  den  letzten  Wochen  an  i 
Kämpfen  der  Kronprinzlichen  Armee  teilgenommen,  habe  in  der  Fn 
ca.  4500  Verwundete  durch  meine  Hände  gehen  lassen  und  glah 
durch  Mitteilung  meiner  Erfahrungen  aus  der  Front  gewisse  r 
gänzungen  unseres  Wissens  auf  diesem  Gebiet  bieten  zu  könneil 

Die  Sanitätskompagnie  gehört  zum  Verbände  der  i 
fanteriedivision,  ihre  Hauptaufgabe  ist  die  erste  Fürsorge  für  i 
Verwundeten  in  und  nach  dem  Gefecht.  Das  geschieht  in  der  Wet 
dass  die  Verwundeten  durch  Krankenträger  oder  Krankenwagen;! 
dem  in  möglichster  Nähe  des  Schlachtfeldes  eingerichteten  Haupt^ 
bandplatz  (HVP.)  gebracht  und  dort  von  den  9  Aerzten  der  S;i 
tätskompagnie  ärztlich  versorgt  werden. 

Die  Fürsorge  für  die  Verwundeten  soll  bestimmungsgemäss  d 
rin  bestehen,  dass  die  Verwundeten  unter  Vermeidung  aller  nicht  h 
bedingt  erforderlichen  Untersuchungen  für  die  Weiterbeförderi: 
vorbereitet,  die  dafür  nötigen  Verbände  angelegt  oder  bereits  n 
gelegte  entsprechend  verstärkt  und  unaufschiebbare,  lebensrettel 
Operationen  (Blutstillung,  Luftröhrenschnitt,  Harnröhrenschnitt,  h 
amputation  u.  dergl.)  vorgenommen  werden.  Die  Wahl  des  Op 
zur  Errichtung  des  HVP.  trifft  der  Divisionsarzt.  Es  ist  selbst* 
ständlich,  dass  der  Platz  an  einer  grösseren  Strasse  liegt;  er  ki 
in  Gebäuden  oder  in  festen  Stellungen  errichtet  werden. 

Die  Wahl  des  Ortes  war  für  uns  oft  recht  schwierig.  * 
wir  besonders  auf  dem  Hochplateau  unter  Wassermangel  zu  leik 
hatten.  Bei  der  Prüfung  der  Frage,  ob  die  Tätigkeit  in  einem  e 
bäude  oder  im  festen  mitgebrachten  Zelt  entwickelt  werden  soll,  zip 
ich  im  allgemeinen  Gebäude  vor.  allerdings  nur,  wenn  ein  sehr  bti 
ter  Eingang  vorhanden  ist.  Das  ist  unbedingt  erforderlich;  i 
hatten  uns  am  ersten  Schlachttage  bei  Baix-Bas  Lieux  in  ein 
Privathaus  etabliert.  Bei  der  ungeheuren  Anzahl  von  750  ms 
Schwerverwundeten  am  ersten  Tag,  wo  uns  allen  jede  Erfahrt 
fehlte,  kam  es  beim  Zu-  und  Abtragen  der  Krankentragen  stets; 
Störungen  und  Stockungen  am  engen  Eingang.  Ferner  müssen  i 
Zimmer  vom  Korridor  aus  direkt  zugängig  sein,  damit  nicht  i 
Arbeit  in  den  ersten  Zimmern  durch  das  Hindurchtragen  der  Kranfc 
und  das  Hin-  und  Herlaufen  der  Krankenwärter  gestört  wird  i 
besten  eignen  sich  mehrere  nebeneinanderliegende  Scheunen,  das 
der  Zugang  breit  genug,  genügend  Lagerraum  und  Lagermata 
steht  zur  Verfügung.  Auch  Kirchen  und  Schulen  sind  von  uns  i 
wählt  worden.  Es  muss  aber  stets  bei  der  Auswahl  des  Ortes  D 
allen  Dingen  neben  der  Geräumigkeit  auch  auf  leichte  und  beqim 
Zu-  und  Äbtransportmöglichkeit  der  Hauptwert  gelegt  werden,  a 
man  Besorgnis,  dass  die  Krankentragen  sich  stauen  könnten,  schl; 
man  lieber  die  Zelte  auf;  am  besten  am  Eingang  des  Dorfes,  ■' 
Wasser  und  Scheunen  für  die  Verbundenen  in  der  Nähe  sind. 

Die  Anordnung  des  Hauptverbandplatzes  im  Freien  geschl 
zweckmässig  etwa  nach  folgendem  Schema; 


Zufahrt _ vS  7~  R  A  v5  vS  E _ ab  fahrt 


\  Bl 

\  \.  Signal -ynast 

— 

Leich /verwunde 

Transport¬ 

fähige 

Verbundene 

Leichtverwundet^  

Sammelplatz 

x 

^//■% | 

1  Zelt  fiir~\ 
/Schwer  verwunde fe\ 

iWMKwl 

Nicht  transpor 
fähige  Venvundt 

U-  -?J 

- 1 

Sterbende  j 


Ausserdem  werden  noch  Plätze  eingerichtet  für  das  Gepäck  - 
Verwundeten,  für  Tote,  ferner  hinter  dieser  Anordnung  für  > 
Biwak  der  Sanitätskompagnie,  Küche,  Wagen  usw. 

Die  Signalvorrichtung,  welche  an  einer  Stange  bei  I 
die  Rote  Kreuzfahne,  bei  Nacht  eine  rote  Laterne  trägt,  soll,  J- 
dem  Schlachtfelde  zu,  weit  sichtbar  aufgestellt  werden.  Wir  hD 
versucht,  den  Verwundeten  das  Auffinden  der  Sanitätskompag- 
dadurch  zu  erleichtern,  dass  wir  den  Flaggenmast  auf  einer  AnU 


24.  November  1914 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


22 95 


neben  dem  HVP.  aufstellten.  Unmittelbar  nachher  begann  ein  wüten¬ 
des  Schrapnell-  und  Granatfeuer  auf  den  Punkt.  Da  die  Geschosse 
in  unmittelbarster  Nähe  des  HVP.  aufschlugen,  musste  die  Signalvor¬ 
richtung,  welche  der  Feind  offenbar  für  die  Fahne  eines  Stabes  hielt, 
entfernt  werden.  Bei  den  ausserordentlich  weiten  Entfernungen  des 
heutigen  Schlachtfeldes  wird  man  mit  solchen  Zwischenfällen  rechnen 
müssen. 

Sobald  die  beladenen  I  ragen  ausgeladen  werden,  trennt  bereits 
vor  dem  Empfangszelt  einer  der  Aerzte  die  Leicht-  und  Schwer- 
verwundeten,  zunächst  lediglich  auf  Grund  einer,  durch  Befragen  ge¬ 
wonnenen,  Wahrscheinlichkeitsdiagnose  und  überweist  sie  den  zu¬ 
ständigen  Zelten  oder  Räumen.  Im  Raum  oder  Zelt  für  Leichtver¬ 
wundete  regelt  sich  der  Dienst  von  selbst,  dagegen  muss  die  Ein¬ 
teilung  bei  der  Versorgung  von  Schwerverwundeten  zweckmässig 
sein  und  am  besten  von  vornherein  feststehen,  damit  schnell  ein¬ 
gerichtet  werden  kann  und  Aerzte  und  Personal  genau  vertraut  sind. 

Da  die  Anzahl  der  Schwerverwundeten,  welche  schnellstens  ver¬ 
sorgt  werden  mussten,  mehrfach  etwa  200  waren,  war  es  notwendig, 
zur  schnellen  Erledigung  an  2  Tischen  zu  arbeiten.  Hinter  den 
Tischen  steht  ein  gemeinsamer  Tisch  für  Verbandstoffe,  welche  von 
einem  geschulten  Sanitätsunteroffizier  zugereicht  werden.  Er  hat 
auch  das  Schienenmaterial  bei  sich,  das  von  einem  andern,  möglichst 
geschickten  Krankenwärter  stets  zurechtgemacht  und  zugereicht 
wird.  Einem  anderen  Unteroffizier  untersteht  der  Kocher  und  die 
Sauberkeit  der  beiden  Instrumentenschalen  und  der  Schalen  für  die 
Händedesinfektion.  Die  Verwundeten  werden  stets  auf  ihrer  Trage 
auf  den  Verbandtisch  gehoben  und  nach  der  Versorgung  wieder  mit 
ihr  abgehoben.  Es  wird  dadurch  eine  weitere  Erschütterung  ver¬ 
mieden.  Damit  die  Tätigkeit  einheitlich  ist,  richtet  sie  sich  nach  den 
Ansichten  des  an  dem  einen  Tisch  arbeitenden  Chirurgen,  der  für 
die  gesamte  Tätigkeit  in  diesem  Zelt  die  Verantwortung  trägt. 


Jnstrum 

Verbandstoffe 

Jnstrumente 

5 


Ich  operiere  und  verbinde  im  allgemeinen  in  Gummihandschuhen, 
weil  sie  sich  am  schnellsten  säubern  und  desinfizieren  lassen.  Im 
allgemeinen  schlägt  aber  die  Tätigkeit  auf  dem  HVP.  allen  unseren 
Lehren  von  Asepsis  ins  Gesicht.  Selbst  dem  aufrichtigsten  und 
energischsten  Bemühen  gelingt  .es  nicht,  auch  nur  die  anspruchs¬ 
losesten  Anforderungen  durchzuführen.  Es  ist  daher  durchaus  not¬ 
wendig,  alles  mit  den  meist  relativ  sauberen  Instrumenten  zu  machen. 
Als  Hautdesinfektionsmittel  benutzen  wir  Jod,  doch  unterscheidet  sich 
der  Heilverlauf  dieser  Wunden  von  denen  ohne  Jodanstrich  gar- 
nicht.  Sehr  unangenehm  fühlbar  ist  der  Mangel  an  Tupfern.  Der 
zum  Tupfen  benutzte  Mull  muss  stets  von  einem  grösseren  Stück  ab¬ 
geschnitten  werden.  Das  ist  zeitraubend  und  unsauber.  Von  den 
Verbandmaterialien  kann  das  Verbandpäckchen  nicht  rühmend  genug 
hervorgehoben  werden.  Es  ist  in  jeder  Beziehung  zweckmässig  und 
dem  gleichartigen  französischen  weit  überlegen.  Den  Mastixverband, 
in  der  Friedenspraxis  von  uns  viel  verwandt,  haben  wir  zugunsten 
des  Traumaplastes  fallen  lassen.  Für  die  Bedeckung  der  Ein¬ 
schussöffnungen  und  bei  kleinem  Ausschuss  auch  dieser,  genügt  das 
Pflaster  vollkommen.  Es  arbeitet  sich  mit  ihm  tadellos  rasch  und 
sauber.  Als  Abschluss  grösserer  Wunden  dient  leider  immer  noch 
die  sogen,  hydrophile  weisse  Watte.  Ich  kann  mich  mit  der  Watte 
absolut  nicht  befreunden,  Zellstoffkissen  wären  besser,  weil  wir  oft 
unter  der  Watte  Sekretstockungen  gesehen  haben.  Auffallend  ist 
unter  dem  Bindenmaterial  ein  riesiger  Bestand  an  Kambrikbinden 
und  ein  Mangel  an  entsprechenden  Mullbinden.  So  wird  der  Betrieb 
durch  Watte  und  Kambrik  unnötig  verteuert. 

Eine  allgemeine  Prognose  der  Schussver- 
Atzungen  zu  stellen,  halte  ich  für  unsinnig.  Die  Verletzungen 
aei  Nahschuss  und  bei  Fernschuss,  durch  Infanterie-  und  durch  Artil- 
!eriegeschosse,  durch  Schrapnell  und  durch  Granate  sind  so  grund¬ 
verschieden,  dass  man  sie  unmöglich  über  einen  Kamm  scheren  darf. 
Wir  haben  an  einem  Tag  ca.  1000  Infanterieverwundungen  gehabt, 
welche  alle  so  leicht  waren,  dass  die  Verwundeten  zu  fast  95  Proz. 
narschfähig  waren.  An  einem  andern  Tage  hatten  wir  wohl  400  In¬ 
fanterieverwundungen,  unter  denen  nicht  100  marschfähig  waren: 
uer  handelte  es  sich  um  Nahschüsse.  Die  Infanterienahschüsse  des 
ranzösisehen  Geschosses,  noch  mehr  aber  unseres  S.-Geschosses 
Jnd  furchtbar,  die  Fernschüsse  beider  relativ  harmlos.  Die  ersteren 
deichen  oft  im  Ausschuss  den  Verwundungen  durch  Geschützfeuer. 
Jnter  den  4500  Verwundungen  waren  713  als  sehr  schwer  anzusehen. 

Die  Weichteilschüsse  haben  oft  ungeheure  Dimensionen, 
’esonders  wenn  sie  durch  Granatsplitter  hervorgerufen  sind.  War 
iie  Wunde  nicht  sehr  verschmutzt,  habe  ich  ziemlich  regelmässig 


mit  ganz  gutem  Erfolge  einige  Situationsnähte  gelegt  und  damit  die 
Heilung,  die  sonst  ziemlich  lange  dauert,  beschleunigt. 

Tracheotomien  wurden  bei  uns  nicht  gemacht. 

Bei  der  Indikation  zur  Amputation  bin  ich  denkbarst 
zurückhaltend.  Da  es  sich  um  gesunde  Leute  handelt,  versuche  ich 
stets,  die  Extremität  zu  erhalten,  wenn  die  Ernährung  und  Innervation 
fortbesteht.  Die  Knochen-  und  Weichteilverletzungen  sind  auch  in 
den  schwersten  Graden  für  mich  kein  Grund  zur  Amputation.  Sollte 
wider  Erwarten  keine  Anheilung  erfolgen,  kann  immer  noch  abgesetzt 
werden.  Jedenfalls  schadet  auf  keinen  Fall  eine  abwartende  Haltung. 
Ich  gebe  zu,  dass  ich  ausserordentlich  weit  gehe,  denn  ich  habe 
unter  den  ersten  4000  Verwundeten  nur  einmal  im  Unterarm  ampu¬ 
tiert,  später  noch  einmal  im  Oberarm.  Bei  ausgedehnter  Knochen¬ 
zertrümmerung  habe  icli  oft  die  Splitter  etwas  zusammengebracht, 
wenn  mir  ihre  Ernährung  nicht  gefährdet  erschien:  schien  mir  das, 
so  habe  ich  die  Splitter  entfernt  und  dann  die  benachbarten  Stüifipfe 
aneinandergebracht,  dass  Verkürzungen  bis  zu  10  cm  vorkamen.  Und 
es  heilte  tadellos  —  allerdings  mit  einer  Einschränkung:  solange  ich 
sie  unter  Augen  hatte.  Indessen  war  nach  ca.  4  Tagen  der  Eindruck 
so  gut,  dass  ich  eines  guten  Enderfolges  sicher  bin.  Zwar  kann  man 
mir  einwerfen,  dass  eine  Verkürzung  von  10  cm  sehr  gross  ist,  Zu¬ 
gegeben!  Aber  sie  ist  nicht  zu  gross  im  Vergleich  mit  dem  Verlust 
des  ganzen  Beines  oder  Armes. 

Schwere  Blutungen  kamen  nur  3  mal  zu  uns,  davon  wurden 
2  arterielle  durch  Unterbindung  gestillt,  eine  venöse  aus  der  Subklavia 
führte  zum  Tode.  Aneurysmen  haben  wir  gar  nicht  gesehen, 
das  hat  seinen  Grund  wohl  darin,  dass  wir  die  Wunden  im  günstigsten 
Falle  nur  4  Tage  nach  der  Schlacht  sahen. 

Die  Zahl  der  Kopfschüsse  war  recht  gross:  83,  die  Mehr¬ 
zahl  davon  Gehirnschüsse.  Die  Gehirnschüsse  haben  im  ganzen  ge¬ 
nommen  eine  recht  traurige  Prognose.  Bekannt  ist  ja,  dass  die 
Tangentialschüsse  von  den  reinen  Lochschüssen  zu  unterscheiden 
sind.  Wir  haben  bei  den  reinen  perforierenden  Lochschüssen 
uns  jeden  Eingriffes  enthalten;  sie  sind  meines  Erachtens  auch  alle 
gestorben,  ohne  dass  Druckerscheinungen  zu  operativer  Hilfe  Ver¬ 
anlassung  gaben.  Hier  war  wohl  stets  die  Zerstörung  der  Gehirn¬ 
masse  am  Tode  schuld.  Dass  die  Zerstörungen  gross  sein  müssten, 
zeigten  uns  die  z.  T.  sehr  grossen  Hirnprolapse.  Bei  den  Tangen¬ 
tialschüssen  gingen  wir  aktiver  vor.  Wir  haben,  abgesehen 
vom  ersten  Schlachttage,  später  .möglichst  jeden  Tangentialschuss 
operiert  und  infolgedessen  12  Trepanationen  gemacht.  Der  Eindruck 
von  dem  Nutzen  der  Operation  war  oft  sehr  deutlich.  Aber  auch  hier 
richtete  sich  natürlich  der  Erfolg  vor  allem  nach  dem  Grade  der  Ge¬ 
hirnverletzung.  So  z.  B.  habe  ich  einen  Musketier  operiert,  welcher 
im  Schädel  eine  perforierende  Rinne  von  10  cm  Länge  und  2  cm 
Breite  aufwies.  Die  ausgedehnte  Splitterung  der  Tabula  interna  hatte 
zu  einer  mächtigen  Zerstörung  der  Gehirnmasse  geführt.  Natürlich 
konnte  in  dem  Falle  eine  Reinigung  und  Tamponade  der  Zertrüm¬ 
merungshöhle  keine  Heilung  bringen,  während  es  in  leichteren  Fällen 
gar  nicht  erst  zu  schweren  Erscheinungen  kam.  Wir  haben  diese 
Trepanation  nur  dann  auf  dem  HVP.  gemacht,  wenn  genügend  Zeit 
und  Licht  zur  Verfügung  stand.  Ausgehend  von  der  Erwägung,  dass 
solchen  Kranken  der  Transport  so  ausserordentlich  schädlich  ist,  dass 
aber  anderseits  die  Operation  möglichst  frühzeitig  gemacht  werden 
muss,  habe  ich  mich  entschlossen,  bei  günstigen  äusseren  Umständen 
die  Entlastungstrepanation  bereits  auf  dem  HVP. 
zu  machen  und  die  Operierten  bei  uns  ruhen  zu  lassen. 

Unter  den  Oesichtsschiissen  nehrrfen  noch  die  A  u  g  e  n  s  c  h  ii  s  s  e 
eine  besondere  Rolle  ein.  Für  diese  Verwundungen  ist  im  allgemeinen 
schlecht  gesorgt.  Da  aber  unter  unseren  Herren  ein  Augenspezialist 
ist,  konnten  wir  unseren  Augenverwundeten  und  denen  anderer  For¬ 
mationen  die  beste  augenärztliche  Behandlung  zuteil  werden  lassen. 
Sehr  häufig  (9  mal)  musste  sie  leider  wegen  der  Gefahr,  1  mal  wegen 
schon  bestehender  sympathischer  Ophthalmie  in  der  Enukleation 
oder  Exkochleation  bestehen. 

Die  Ansicht  von  der  Gutartigkeit  der  Brustschüsse  (89)  ist 
richtig,  wenn  es  sich  um  Infanterieverletzungen  handelt.  Allerdings 
haben  wir  bei  Nahschüssen  auch  hierbei  sehr  schwere  Zustände  ge¬ 
sehen  und  Verluste  gehabt.  Noch  schlechter  ist  die  Prognose  bei  den 
Granat-  und  Schrapnellverletzungen  der  Lungen.  Nicht  selten  werden 
uns  die  Verwundeten  mit  kleinem  Einschuss  und  grossem  Ausschuss 
gebracht,  so  dass  eine  breite  Kommunikation  zwischen  Pleura  und 
Aussenluft  bestand.  Um  die  Genesungsaussichten  zu  verbessern, 
habe  ich  in  diesen  Fällen  mit  einigen  durchfassenden  Situations¬ 
nähten  die  Oeffnung  geschlossen,  weil  ich  der  Ansicht  bin,  dass  dann 
der  Pneumothorax  resorbiert  werden  kann  und  so  eine  Schädigung 
beseitigt  ist.  Der  bisherige  Erfolg  hat  meinem  Vorgehen  recht  ge¬ 
geben.  Die  Besserung  war  in  diesen  Fällen  unverkennbar.  Sollte  sich 
ein  Empyem  entwickeln,  würde  dieses  die  Vorteile  der  primären 
Situationsnaht  nicht  aufwiegen.  Auch  hier  individualisieren  wir  also 
die  Prognose  nach  der  Art  des  Geschosses  und  schematisieren  die 
Behandlung  mit  Morphium  und  Kamofer. 

Eine  grosse  Crux  sind  auch  die  Bauchschüsse.  S  i  e  s  i  n  d 
lange  nicht  so  günstig,  wie  wir  angenommen  haben. 
Von  den  63  zu  uns  gekommenen  Bauchschüssen  sind  die  allermeisten 
bis  auf  wenige  Ausnahmen  gestorben.  Diejenigen,  welche  nach 
4  Tagen  noch  lebten  und  den  Feldlazaretten  überwiesen  wurden 
konnten  allerdings  auf  den  Beobachter,  der  die  Vorgänge  nicht  kannte, 
die  Ansicht  von  dem  günstigen  Verlauf  der  Bauchschüsse  erwecken! 


2296 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  47. 


Diese  Ansicht  ist  durchaus  falsch.  Ihre  Aussichten  sind 
schlecht,  auch  wenn  —  wie  ich  gesehen  habe  —  junge  eifrige 
Kollegen  im  Feldlazarett  laparotomierten.  Sie  starben  nur  noch 
schneller.  Das  kam  daher,  weil  zwischen  Schuss  und  Operation  zu 
viel  Zeit  und  zu  viel  Transport  lag.  Eine  einigermassen  aussichts¬ 
reiche  Behandlung  ist  meines  Erachtens  nur  möglich,  wenn  solche 
Verletzte  bald  laparotomiert  werden.  Bei  dem  wie  ein  Gewitter  auf 
den  HVP.  hereinbrechenden  grossen  Strom  der  Verwundeten  ist 
dort  eine  Laparotomie  unmöglich,  will  man  nicht  die  übrigen  Ver¬ 
wundeten  einseitigerweise  vernachlässigen.  Die  einzige  Möglichkeit 
läge  in  der  Heranziehung  eines  der  vielen  nichtetablierten  Feldlaza¬ 
rette,  welches  lediglich  die  eine  Aufgabe  hätte,  gewissermassen  die 
Operationsabteilung  des  HVP.  zu  sein.  Dann  würde  es  vielleicht 
auch  möglich  sein,  die  Verwundeten  mit  den  schweren  Blutungen  aus 
parenchymatösen  Organen  zu  retten.  Wie  die  Verhältnisse  aber  jetzt 
liegen,  können  wir  bei  den  Bauchschusswunden  nichts  anderes 
machen,  als  Morphium,  Opium,  Ruhe  und  Enthaltung  von  Speise  und 
Trank,  wohl  wissend,  dass  die  Verletzten  mit  allergrösster  Wahr¬ 
scheinlichkeit  zugrunde  gehen. 

Die  Rückenmarkschüsse  (4)  haben  wir  ebenfalls  stets 
konservativ  behandelt  und  glauben,  dass  dieses  Vorgehen  für  die  Ver¬ 
wundeten  in  der  ersten  Zeit  unbedingt  das  richtige  ist. 

Die  Verwundungen  der  Geschlechtsteile  (17)  be¬ 
dürfen  stets  peinlichster  Säuberung,  Desinfektion  und  sorgfältigster 
Verbände.  Bei  Hodenzertrümmerungen  habe  ich  mich  häufiger  zur 
Semikastration  entschlossen,  um  die  Gefahr  einer  Phlegmone  mög¬ 
lichst  zu  vermindern.  Hier  ist  bei  allen  Verwundungen  ausgedehnte 
Tamponade  und  Drainage  am  Platze.  Bei  Harnröhrenverletzungen 
habe  ich  stets  den  Katheter  einführen  und  die  weitere  Versorgung 
dem  Feldlazarett  überlassen  können. 

Sehr  gross  war  natürlich  die  Zahl  der  Frakturen.  Ich  will 
aus  der  grossen  Anzahl  nur  die  Oberschenkel-  (109)  und  Oberarm¬ 
brüche  (71)  hervorheben.  Ich  betonte  schon,  dass  wir  bei  diesen 
Verletzungen  trotz  ausgedehntester  Knochenzertrümmerung  bis  aufs 
äusserste  konservativ  sind  und  dabei  gute  Erfahrungen  gemacht 
haben.  Der  Verband  muss  so  angelegt  werden,  dass  die  Bruchenden 
in  guter  Stellung  festgehalten  werden  —  auch  bei  einem  langen 
Transport  mit  Lastwagen.  Ich  halte  im  allgemeinen  im  Kriegsleben 
bei  Oberschenkelbrüchen  den  Hüften  und  Bein  umfassenden  Gips¬ 
verband  für  den  besten,  doch  lag  dazu  gar  keine  Möglichkeit  vor. 
Wir  haben  allein  an  einem  Nachmittag  und  einer  Nacht  neben  den 
übrigen  schweren  Verletzungen  19  Oberschenkclbrüchc  gehabt.  Da 
ist  zum  Eingipsen  keine  Zeit.  Ich  habe  mich  mit  grossem  Nutzen  der 
ausserordentlich  zweckmässigen  Dupuytren  sehen  äusseren 
Schiene  mit  Extension  bedient  und  habe  den  Verband  stets  eo  ipso 
in  Narkose  angelegt.  Nachdem  Aerzte  und  Personal  darauf  ein¬ 
gefuchst  sind,  geht  solch  ein  Verband  mit  riesiger  Schnelligkeit  vor 
sich,  lieg:  exakt  und  verspricht  guten  Erfolg.  Selbstverständlich  wird 
die  Hüfte  mit  eingewickelt,  über  das  Ganze  eine  Stärke-  oder  Gips¬ 
binde. 

Bei  Oberarmbrüchen  verwende  ich  den  ebenfalls  bereits 
in  meinen  Ratschlägen  in  der  „Therapie  des  praktischen  Arztes“  mit¬ 
geteilten  Bandeisenverband.  Ein  Stück  Bandeisen  (z.  B.  vom  Wein¬ 
fass)  wird  am  oberen  Ende  gebogen,  so  dass  es  die  Schulter  von 
hinten  umfasst,  der  absteigende  Ast  ist  8 — 10  cm  länger  als  der  Ober¬ 
arm,  dann  wird  das  Eisen  dem  Unterarm  entsprechend  im  rechten 
Winkel  nach  vorn  gebogen.  Nach  der  Wundversorgung  wird  diese 
Schiene  von  hinten  über  die  Schulter  gelegt  und  mit  der  Schulter 
durch  Binden  am  Thorax  fixiert.  Jetzt  wird  der  Unterarm  anbanda¬ 
giert,  in  der  Ellenbeuge  wird  nach  guter  Polsterung  tüchtig  extendiert, 
was  leicht  gelingt,  da  die  Schiene  länger  ist  als  der  Arm.  Der  Ver¬ 
band  sitzt  tadellos  und  garantiert  gute  Stellung.  Im  allgemeinen  ist 
das  vorhandene  Schienenmaterial  unzureichend  für  die  Behandlung 
der  vielen  Knochenbrüche,  eine  Ergänzung  ist  theoretisch  wohl  mög¬ 
lich,  praktisch  aber  sehr  schwer  zu  erreichen.  Hier  bedarf  es  einer 
gründlichen  Revision. 

Gelenkschüsse  haben  wir  in  Befolgung  bewährter  Grund¬ 
sätze  möglichst  alle  mit  Gipsverbänden  ruhig  gestellt. 

Der  Transport  der  Verwundeten  wird  bei  den  Wiirttem- 
bergern  und  Badensern  in  grossartigster  Weise  durch  wundervolle 
Krankenautomobile  besorgt.  Die  Königin  von  Württemberg  hat 
ihrem  Armeekorps  32  neue  Kraftkrankenwagen  bei  Ausbruch  des 
Krieges  geschenkt  und  dadurch  ihren  Landeskindern  und  vielen, 
vielen  anderen  Deutschen  eine  ungeheure  Wohltat  erwiesen.  Die  Er¬ 
schütterung  ist  weit  geringer  als  sonst,  weil  diese  Wagen  1.  auf 
Gummi  laufen,  2.  gut  gefedert  sind  und  3.  weil  ausserdem  noch  jede 
Trage  gefedert  ist.  Der  Transport  der  Verwundeten  geht  ausser¬ 
ordentlich  schnell  vor  sich,  so  z.  B.  konnten  kürzlich  mit  lft  Wagen 
in  einem  Tage  von  einem  10  km  entfernten  Schlachtfeld  800  Schwer- 
verwundete  in  das  nächste  Feldlazarett  transportiert  werden.  Die  mit 
diesen  Krankenautomobilen  gemachten  Erfahrungen  geben  zu  dem 
Wunsche  Veranlassung,  dass  auch  bei  den  anderen  Truppen  solche 
Wagen  cingcfiihrt  werden. 

Uebcr  die  Zeit  des  Abtransportes  der  Verwendeten, 
besonders  der  Nichttransportfähigen,  ist  von  jeher  und  auch  neuer¬ 
dings  aus  dem  Balkan  als  wichtigster  Grundsatz  festgelegt  worden, 
dass  die  Schwerverwundeten  möglichst  lange  Ruhe  haben  müssen, 
die  Nichttransportfähigen  auch  wirklich  nicht 
transportiert  werden  dürfen.  Uebcr  diesen  Punkt  entstehen 


oft  Meinungsverschiedenheiten.  M.  E.  müsste  die  wichtigste  Behand¬ 
lung  für  die  Kopf-,  Brust-  und  Bauchschüsse,  nämlich  die  unbe¬ 
dingte  Ruhe  noch  viel,  viel  mehr  durchgeführt  werden.  Doch 
darüber  mehr  nach  Beendigung  des  Krieges. 

Bemerkenswert  ist  auch  auf  unserem  HVP.  die  ausgezeichnete 
Haltung  unserer  oft  durch  Hunger  und  Anstrengung  ermatteten  Mann¬ 
schaften  im  Gegensatz  zu  den  winselnden  Klagen  der  Franzosen. 
Dieses  stille  und  würdige  Dulden  ruft  trotz  unserer,  natürlich  wie  bei 
allem  Alltäglichen,  zunehmenden  Abstumpfung  gegenüber  dem  ent¬ 
setzlichen  Elend  ein  tiefes  warmes  Gefühl  des  Mitleidens  mit  unseren 
Helden  bei  uns  wach  und  lässt  uns  immer  wieder  nachdenken  und 
grübeln,  wie  wir  ihr  Leid  am  besten  lindern  können.  Aus  diesem 
Wunsche  heraus  wurden  auch  diese  Zeilen  auf  dem  HVP.  in  Danne- 
roux  geschrieben. _ 

Ueber  Amputationstechnik  im  Felde. 

Von  Dr.  M  e  r  c  k  1  e,  Oberarzt  b.  berat.  Chirurgen  des  II.  bayer. 
Armeekorps  Generalarzt  Geheimrat  E  n  d  e  r  1  e  n. 

Kein  operativer  Eingriff  ist  im  Felde  so  häufig  notwendig  und 
kein  Eingriff  w'irkt,  w'enn  sachgemäss  ausgeführt,  gleich  lebensrettend 
als  die  Amputation  von  Extremitäten.  So  selbstverständlich  die 
Technik  und  Behandlung  im  heimatlichen  wohlausgerüsteten  Kranken¬ 
haus  ist,  so  verschieden  muss  sie  draussen  im  Felde  sein.  Hier 
kommt  einerseits  die  ungeheure  Schockwirkung  der  schweren  Gra¬ 
natverletzungen  und,  neben  den  primitiven  Verhältnissen  des  improvi¬ 
sierten  Operationsraumes,  bei  dem  Massenandrang  die  Unmöglichkeit 
einer  lokalen  oder  lumbalen  Anästhesie,  anderseits  die  Rücksicht¬ 
nahme  auf  den  oft  rasch  nötigen  Weitertransport  der  Operierten, 
mitbestimmend  für  die  Behandlung  hinzu. 

Schon  auf  dem  Kriegsschauplatz  in  Lothringen  hat  sich  die  von 
Geheimrat  E  n  d  e  r  1  e  n  geübte  Methode  nach  T  h  i  e  r  s  c  h  vorzüg¬ 
lich  bewährt  und  ihre  Vorzüge  sind  jetzt,  wo  auf  Veranlassung 
Enderlens  auf  den  Hauptverbandplätzen  und  Feldlazaretten  des 
bayer.  II.  Armeekorps  bei  den  zahlreichen  wegen  schwerster  Gas- 
phiegmonen  vorgenommenen  Amputationen  das  Verfahren  geübt 
wird,  besonders  ins  Auge  springend.  Der  grösste  Vorzug  besteht  in 
der  einfachen  Ausführung  und  Schaffung  der  allereinfachstcn,  auch 
für  den  nichtgeübten  Chirurgen  leicht  zu  behandelnden  Wundver- 
hältnisse:  Einzeitiger  Zirkelschnitt  durch  Haut  und  Muskel  ohne  jede 
Lappcnbildung  und  manuelle  Zurückziehung  der  Haut,  Unterbindung 
der  Gefässe,  Auflegen  eines  dicken  Mullagers  auf  den  Stumpf  und 
Fixierung  der  über  die  Wunde  und  Mull  ohne  jede  fixierende 
oder  schliessende  Naht  gezogenen  Haut  durch  einen  Heft¬ 
pflasterstreifen,  über  den  dann  der  Verband  gelegt  w'ird.  Auf  diese 
Weise  vorgenommene  Amputationen  schützen  dllcin  vor  Fortschrei¬ 
ten  der  Phlegmonen,  und  ohne  jeden  Schaden  kann  bei  einem  allen¬ 
falls  nötigen  Transport  der  Verband  mehrere  Tage  liegen  bleiben 
Kommt  der  Verletzte  dann  in  stationäre  Krankenhausbehandlung,  so 
kann  die  Retraktion  der  Haut  durch  einen  Zugverband  verhindert 
werden.  Die  dann  unter  Umständen  trotzdem  nötige  Reamputation 
spielt  als  kleiner,  in  geordneten  Verhältnissen  und  an  einem  gekräftig- 
ten  Verletzten  ausgeführter  Eingriff  gegenüber  den  genannten  Vor¬ 
teilen  keine  Rolle. 

Vereine. 

Chirurgischer  Kongress  im  Feld. 

Kurzer  Bericht  von  Dr.  Karl  Lexer. 

Wenn  auch  in  den  letzten  Jahren  eine  grosse  Reihe  von  Autoren 
Erfahrungen  auf  den  Kriegsschauplätzen  gesammelt  und  veröffent¬ 
licht  haben,  so  sind  für  uns  naturgemäss  die  in  dem  jetzigen  Kriege 
gemachten  Erfahrungen  auf  dem  Gebiete  der  Chirurgie  von  viel 
grösserem  Wert,  weil  die  Mehrzahl  der  deutschen  Aerzte  daran  teil 
iiat.  Es  ist  deshalb  besonders  zu  begrüssen,  wenn  es  noch  während 
des  Feldzuges  den  Kriegschirurgen  möglich  gemacht  wird,  die  Art 
ihrer  ärztlichen  Tätigkeit  und  die  Ergebnisse  der  eingeschlagenen 
Therapie  zur  Sprache  zu  bringen  und  so  durch  Austausch  der  Mei¬ 
nungen  eine  gemeinschaftliche  Basis  zu  schaffen,  auf  der  zum  Wohlc 
der  Verwendeten  weiter  gearbeitet  werden  kann.  Denn  so  hoch¬ 
entwickelt  die  moderne  Friedenschirurgie  ist  und  so  sichere  Nonnen 
sie  aufgestellt  hat,  im  Kriege  können  wir  nicht  immer  so  handeln, 
wie  wir  es  im  Frieden  gelernt  haben.  Vor  allem  müssen  wir  uns 
ja  bequemen  unsere  operativen  Massnahmen  wesentlich  einzuschrän¬ 
ken,  besonders  wenn  das  Arbeitsfeld  im  Operationsgebiet  d.  h.  auf 
den  Verbandplätzen  und  Feldlazaretten  liegt.  Die  grosse  Chirurgie 
hat  hier  keine  Heimstätte,  denn  die  äusseren  Verhältnisse  gestatten 
nicht  sic  anzuwenden.  Die  Verwundeten  strömen  meist  so  plötzlich 
und  in  solcher  Masse  zu,  dass  man  sich  meist  nur  auf  Notoperatiouen 
und  Wundversorgung  einlassen  kann,  besonders  wenn  beim  Vor-  oder 
Zurückgehen  der  Heeresmassen  die  Stabilität  der  Feldlazarette  nur 
kurz  ist.  Trotz  der  erschwerten  Verhältnisse  soll  aber  auch  in 
den  vordersten  Linien  das  Bestmöglichste  geleistet  werden. 

Um  einige  wichtige  Fragen  durch  gemeinschaftliche  Aussprache 
zu  klären,  berief  deshalb  Exz.  v.  A  n  g  e  r  e  r,  beratender  Chirurg 
im  I.  bayerischen  Armeekorps,  am  15.  X.  14  die  Aerzte  des  I.  baye- 


24.  November  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  nied.  Wochenschrift. 


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rischen  und  der  benachbart  liegenden  Korps  nach  Peronne.  ,  Es 
fanden  sich  ca.  70  Herren  ein  von  den  Sanitätskompagnien,  den  Feld¬ 
lazaretten  und  auch  der  Etappe,  darunter  der  Armeearzt  der  II.  Armee 
Pr.  Scheibe,  Gen. -Oberarzt  Dr.  Altgelt,  die  beratenden  Chirurgen 
F  n  d  e  r  1  e  n,  Stic  h  und  W  i  1  m  s,  die  Korpsärzte  W  ü  r  d  i  n  g  e  r, 
E  y  e  r  i  c  h,  Hahn,  J  o  h  a  n  n  c  s,  ferner  die  im  Kriegslazarett  Pe- 
ronne^  tätigen  Herren  mit  Prof.  Klausner  an  der  Spitze  uam. 

Exz.  v.  Auge  rer  cröffncte  die  Versammlung  und  stellte  zu¬ 
erst  zur  Diskussion  die  Art  des  Verbandes,  besonders  des  1.  Ver¬ 
bandes.  v.  A.  hat  die  Erfahrung  gemacht,  dass  die  Verbandpäck¬ 
chen  für  die  Anlegung  eines  gutsitzenden  und  zum  Transport  ge¬ 
eigneten  Verbandes  nicht  für  alle  Fälle  genügten;  abgesehen  von 
grosser,  Zerrcissungswunden,  bei  denen  Verbandpäckchen  unzu¬ 
reichend  sind,  verschoben  sich  Verbände  sehr  häufig  auf  dem  Trans¬ 
port,  so  dass  die  Wunden  bei  der  Einlieferung  der  Verletzten  in  die 
Feldlazarette  unbedeckt  waren,  wodurch  natürlich  auch  schwerste 
Infektionen  begünstigt  werden.  Mit  .den  bei  den  bayerischen  Korps 
tingeführten  Mastisolverbänden  scheinen  diese  Unzulänglichkeiten 
beim  Verband  vermeidbar  und  v.  A.  befürwortete  deshalb  die  allge¬ 
meine  Einführung  der  Mastisolverbände. 

Bestclmeyer  (Sanitätskompagnie  1)  teilte  mit,  dass  er  ztun 
Fixieren  des  Verbandes  immer  Mastisol  verwendet  und  ebenfalls 
gute  Erfahrungen  gemacht  hat  Er  gab  noch  einige  technische  Winke: 
Das  Aufträgen  des  Mastisols  mit  Pinsel  ist  schwierig,  weshalb  jetzt 
nur  noch  sterile  Tupfer  zu  diesem  Zwecke  verwendet  werden;  ferner 
hält  es  B.  für  zweckmässig,  wenn  man  kleine  sterile  Kompressen 
mitführt,  welche  direkt  auf  den  kleinen  Wunden  (Einschuss)  mit 
Mastisol  festgelegt  werden  können. 

Die  guten  Erfahrungen  Bestei  meyers  bestätigte  A 1  b  r  e  c  h  t, 
St.-A.  im  Feldlazarett  4.  der  die  Anwendung  von  Mastisol  für  viel 
besser  hält  als  die  von  Verbandpäckchen,  ohne  auf  die  Bedeutung 
der  Bakterienfixation  einzugehen,  sondern  nur  vom  mechanischen 
Standpunkt  aus.  Das  Aufträgen  des  Mastisols  geschieht  mit  sterilen 
kupfern  und  Pinzetten,  wodurch  ein  Beschmutzen  der  Hände  ver¬ 
mieden  wird. 

Armeearzt  Dr.  Scheibe  betonte,  dass  das  Mastisol  in  der 
preussischen  Armee  bis  jetzt  gerade  deshalb  keinen  Eingang  ge¬ 
funden  hat,  weil  sich  die  Sanitätsunteroffiziere  bei  der  Anwendung  die 
Finger  beschmutzten  und  dieses  wegen  des  schwer  zu  entfernenden 
Klebstoffes  zu  allerlei  Unzuträglichkeiten  führte. 

End  er  len  gab  noch  den  Rat,  Mastisol  nicht  zu  dick  aufzu¬ 
tragen,  um  ein  schnelleres  Trocknen  zu  ermöglichen,  und  ferner  auch 
die  aufgelegten  Kompressen  nicht  zu  dick  zu  nehmen.  Eine  Anfrage 
A  1 1  g  e  1 1  s  (Etappenarzt  II.  Armee),  wie  Mastisol  am  besten  mit¬ 
geführt  werde,  wurde  dahin  beantwortet,  dass  kleine  Flaschen  mit 
Glasstöpsel  am  geeignetsten  sind.  Die  Mastisolverbände  wurden  von 
allen  Herren,  die  sie  verwendet  haben,  sehr  empfohlen,  da  sie 
rasch  anlegbar  einen  sicheren  Verschluss  der  Wunde  gegen  äussere 
Einflüsse  gewährleisten;  vielleicht  ist  es  dadurch  auch  möglich  die 
Anzahl  der  schweren  Gasphlegmonen,  die  oft  sehr  bald  nach  der 
Verletzung  —  sowohl  nach  Artillerie-  als  Infanterieverletzungen  — 
auftreten,  etwas  herabzudrücken.  Diese  Gasphlegmonen  haben  einen 
ausserst  schweren  Verlauf,  der  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  zur  Ampu¬ 
tation  der  betroffenen  Extremität  zwingt.  Die  breiten  Inzisionen  ge¬ 
nügen  meist  nicht,  die  Phlegmonen  zum  Rückgang  zu  bringen  und 
sehr  häufig  sind  auch  die  dann  vorgenommenen  Amputationen  nicht 
mehr  lebensrettend. 

v.  Angerer  warf  deshalb  die  Frage  auf,  ob  nicht  durch 
möglichst  frühzeitige  Vornahme  einer  Amputation  das  Leben  des 
Verwundeten  häufig  gerettet  werden  könne.  Die  Gefährlichkeit 
:1er  Gasphlegmonen  wurde  allgemein  bestätigt  und  nach  den  bis 
jetzt  gemachten  Beobachtungen  waren  die  Inzisionen  allein  meist 
unzureichend.  Frühzeitige  Amputation  wurde  empfohlen  und  dabei 
betont,  dass  es  nicht  unbedingt  nötig  sei  immer  im  Gesunden  zu 
:perieren.  Wenn  man  oberhalb  der  festen  derben  Infiltration  ampu¬ 
tierte,  so  ging  fast  immer  die  noch  bestehende  Entzündung  des 
Stumpfes  zurück,  sofern  für  offene  Wundbehandlung  gesorgt  war 

Die  bei  den  Gasphlegmonen  stets  beobachtete  mehr  oder  weniger 
starke  Thrombosierung  der  Gefässe  benützt  Stich  zur  Beurteilung 
Jer  einzuschlagenden  Therapie.  Er  führte  aus,  dass  eine  Amputation 
nötig  ist,  wenn  der  periphere  Puls  an  der  Extremität  fehlt;  ist  er 
noch  fühlbar,  dann  genügen  fast  immer  breite  Inzisionen,  um  einen 
Rückgang  der  Entzündung  zu  erzielen. 

Der  schlechte  Allgemeinzustand  der  an  Gasphlegmone  er¬ 
krankten  Verwundeten  hat  En  der  len  dazu  veranlasst,  die  Technik 
Jer  Operation  möglichst  einfach  zu  gestalten.  Er  bedient  sich  bei 
Jen  Amputationen  wieder  der  alten  Methode  des  einzeitigen  Zirkel- 
-chnittes,  ohne  jegliche  Deckung  des  Stumpfes.  E.  hält  die  Vorteile 
Jieses  Verfahrens  —  schnelle  Ausführbarkeit  und  glatte  offene  Wund- 
•  crhältnisse  für  sehr  wesentlich  für  die  Heilung.  Die  Beseitigung  des 
laturgemäss  auftretenden  konischen  Amputationsstumpfes,  der  unter 
Jen  gegebenen  Verhältnissen  auch  nicht  durch  Anwendung  von 
Jflasterstreifen  vermieden  wird,  muss  dann  einer  zweiten  Operation 
■berlassen  werden.  Die  Weichteillappen,  die  bei  Amputation  in  infi¬ 
ziertem  Gewebe  zur  Deckung  des  Stumpfes  benützt  worden  sind, 
verfallen  nach  der  Beobachtung  Enderlens  alle  der  Gangrän, 
veshalb  er  auch  von  vornherein  auf  sie  verzichtet. 

v.  Angerer  befürwortete  jedoch  im  Prinzip  die  Anwendung 
Jer  z  w  c  i  z  e  i  t  i  g  e  n  Amputation.  Die  Dauer  der  Operation  wird 


nach  seiner  Ansicht  durch  die  Lappenbildung  kaum  so  verlängert, 
dass  sie  ernstlich  ins  Gewicht  fällt,  andererseits  aber  wird  das  Auf¬ 
treten  der  Osteomyelitis  am  konischen  Amputationsstumpf  durch 
Deckung  mit  Weichteillappen  leichter  vermieden.  Die  Lappen  wer¬ 
den  nicht  gangränös,  wie  von  verschiedenen  Seiten  bestätigt  wurde, 
sofern  sie  nicht  zu  dünn  geschnitten,  sondern  wenn  eine  Muskelplatte 
und  vor  allem  die  oberflächliche  Faszie  mitgenommen  wird.  Selbst¬ 
verständlich  ist  bei  der  Lappenbildung  die  Naht  der  Wunde  nicht 
gestattet,  nur  einige  Situationsnähte  zum  Fixieren  des  Lappens;  im 
übrigen  muss  die  Wunde  offen  behandelt  werden. 

Die  Frage,  ob  die  Bauchschussverletzungen  operiert  oder  kon¬ 
servativ  behandelt  werden  sollen,  wurde  lebhaft  erörtert. 

v.  Angerer  sprach  für  die  konservative  Behandlung  im 
Gegensatz  zu  den  Friedensverletzungen  und  zwar  aus  dem  einfachen 
Grunde,  weil  die  Verwundeten  zu  spät  in  die  Lazarette  kommen,  in 
denen  auch  aus  technischen  Gründen  die  Möglichkeit  der  Vornahme 
einer  Laparotomie  besteht.  Die  Verletzten  kommen  meist  erst  nach 
Ablauf  von  6 — 9  Stunden  und  nur  innerhalb  dieser  Zeit  kann  eine 
Operation  (je  nach  der  Lage  des  Falles)  Aussicht  auf  Erfolg  haben. 

A  1  b  r  e  c  h  t,  der  im  Feldlazarett  4  eine  grössere  Anzahl  Bauch¬ 
schüsse  behandelt  und  nicht  operiert  hat,  führte  aus,  dass  die 
Verletzten  entweder  in  moribundem  Zustand  mit  diffuser  Peritonitis 
ins  Feldlazarett  kamen,  oder  aber  in  einem  derart  guten  Zustand, 
dass  eine  Darmverletzung  fraglich  erschien  oder  aber  schon  feste 
Verklebungen  mit  abgekapselter  Peritonitis  anzunehmen  war.  Beide 
Arten  der  Krankheitsbilder  kommen  für  eine  Operation  nicht  in 
Frage;  im  ersten  Falle  kommt  sie  zu  spät;  im  zweiten  kann  sie  durch 
Lösung  der  Verklebungen  nur  Schaden  bringen,  denn  hier  wird  durch 
die  konservative  Behandlung  ein  ziemlich  hoher  Prozentsatz  von 
Heilungen  erzielt;  unter  allen  Umständen  müssen  derartig  Verletzte 
längere  Zeit  liegen;  durch  frühzeitigen  Abtransport  sterben  noch 
nachträglich  viele  infolge  Lösung  der  Verklebungen  an  Peritonitis. 
Eine  dauernde  Ruhe  von  2 — 3  Wochen  ist  absolute  Forderung.  Auf 
diese  Weise  hat  Albrecht  von  36  Bauchschüssen  19  durchge¬ 
bracht,  E  n  d  e  r  1  e  n  jedoch  als  Anhänger  der  operativen  Behandlung 
von  15  Fällen  nur  2. 

Selbstverständlich  wird  daran  festgehalten,  dass  Bauchschüsse, 
die  unmittelbar  oder  wenige  Stunden  nach  der  Verletzung  in  ge¬ 
eignete  Lazarette  kommen,  auch  operiert  werden;  dieses  rasche  Ein¬ 
bringen  der  Verwundeten,  das  eine  rechtzeitige  Operation  ermöglicht, 
scheitert  jedoch  zumeist  an  dem  Mangel  von  geeigneten  Transport¬ 
fahrzeugen.  Es  vergeht  viel  zu  viel  Zeit  bis  diese  Verwundeten 
aufgefunden,  geborgen,  von  den  Verbandplätzen  dann  im  Pferde- 
wagefi  im  Schritt  nach  den  Lazaretten  gebracht  werden  können.  Es 
wäre  natürlich  am  besten,  wenn  solche  Verletzte  mit  Automobilen 
sofort  von  der  Front  zurückgebracht  werden  könnten.  Von  unter¬ 
richteter  Seite  wurde  jedoch  betont,  dass  das  Vorfahren  von  grös¬ 
seren  Kraftwagen  mit  Gefahr  verbunden,  ja  fast  unmöglich  ist,  da 
derartige  Züge  sofort  mit  feindlichen  Granaten  überschüttet  werden. 
Ferner  wird  von  Herren,  die  in  Feldlazaretten  tätig  sind,  daran 
erinnert,  dass  es  in  den  seltensten  Fällen  möglich  ist,  auch  recht¬ 
zeitig  eingelieferte  Bauchschüsse  sofort  zu  operieren,  denn  meistens 
kommen  solche  Verwundete  zugleich  mit  Hunderten '  anderer  Ver¬ 
letzten  in  den  Lazaretten  an;  würde  man  zunächst  nur  die  Bauch¬ 
schüsse  operieren  wollen,  so  würde  bei  dem  zumeist  beschränkten 
Räumlichkeiten,  ferner  dadurch,  dass  ein  grosser  Teil  des  Personals 
bei  det  Operation  festgehalten  wird,  die  Menge  der  übrigen  Ver¬ 
wundeten  unversorgt  bleiben.  Das  ist  aber  nicht  der  Zweck  des 
Arztes,  der  allen  Verletzten  möglichst  rasch  Hilfe  bringen  soll;  etwas 
anderes  wäre  es,  wenn  es  gelänge  für  ein  Feldlazarett  stabilere  Ver¬ 
hältnisse  zu  schaffen,  d.  h.  es  an  gesichertem  Ort,  weiter  rückwärts, 
für  längere  Zeit  als  sonst  üblich  zu  etablieren.  Würden  in  ein  solches 
Lazarett  die  Bauchschüsse  mittels  Kraftwagen  ohne  Aufenthalt  und 
vor  allem  auch  ohne  jedes  Umparkieren  verbracht  werden  können,  so 
würde  wohl  ein  Eingreifen  innerhalb  der  ersten  Stunden  unter 
günstigen  Verhältnissen  möglich  sein;  ob  ein  operatives  Vorgehen 
überhaupt  nötig  und  erfolgreich  ist,  muss  in  Anbetracht  der  günstigen 
Erfolge  der  konservativen  Therapie  dahingestellt  bleiben. 

Scheibe  z.  B.  u.  a.  erinnerten  daran,  welch  günstige  Hei¬ 
lungen  man  bei  Bauchschüssen  beobachtete,  wenn  die  Verletzten 
2—3  Tage  im  Felde  draussen  liegen  mussten,  ohne  dass  es  möglich 
war,  sie  hereinzuholen. 

Eine  Anregung,  nach  Payrs  Vorschlag  bei  Bauchschüssen  die 
Bauchhöhle  oberhalb  der  Symphyse  sofort  zu  drainieren,  fand  wenig 
Anklang. 

Die  bis  jetzt  beobachteten  Fixationsverbände  mit  Papp¬ 
schienen  usw.  bei  Schussfrakturen  sind  nach  der  Beobachtung 
v.  Angerers  unzureichend;  er  empfahl  für  den  Transport  sehr 
dringend  den  Gipsverband  und  fragt  an,  ob  nicht  von  diesem  ein 
ausgedehnterer  Gebrauch  gemacht  werden  könne.  Den  von  verschie¬ 
denen  Seiten  gemachten  Einwurf,  dass  es  an  guten  Gipsbinden  fehle, 
konnte  Albrecht  entkräftigen  mit  der  Erklärung,  dass  bei  den 
Feldlazaretten  genügend  Gips  mitgeführt  werden  könne,  nur  müssten 
die  Binden  vom  Personal,  das  dazu  leicht  angelernt  werden  kann, 
angefertigt  werden.  A.  und  auch  andere  haben  mit  den  Gipsver 
bänden  die  besten  Erfolge  erzielt. 

Die  ausserordentliche  Häufigkeit  und  die  Schwere  der  Tetanus¬ 
fälle  im  Felde  veranlasst  v.  Angerer,  auch  dieses  Thema  in  bezug 
auf  Actiologie  und  Therapie  zur  Diskussion  zu  stellen.  Wenn  auch 


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Feldärztliche  Beilage  zur  Miinch.  med.  Wochenschrift. 


il..s  Auftreten  des  Tetanus  bei  üranatverletzungen  durch  mitgerissene 
Erde  und  bei  sonstigen  Verletzungen  durch  die  im  Felde  vorhandene 
Unreinlichkeit  zum  Teil  erklärt  wird,  so  gibt  doch  das  ausserst 
häufige  Auftreten  Grund  zur  Frage,  ob  nicht  andere  Einflüsse  mit¬ 
spielen.  Die  Frage  S  c  h  e  i  b  e  s,  ob  auch  im  Frieden  in  den  be¬ 
setzten  Gebieten  Tetanusfälle  gehäuft  auftreten,  konnte  von  A 1 1  - 
gelt  nur  dahin  beantwortet  werden,  dass  in  Apotheken  grosse 
Mengen  von  Tetanusantitoxin  gefunden  wurden  und  dass  nachweis¬ 
lich  die  Tierärzte  grossen  Gebrauch  von  Antitoxin  machen.  Ein 
Beweis  für  gehäuftes  Auftreten  konnte  jedoch  nirgends  erhoben 
werden. 

Betreff  der  Therapie  konnte  mitgeteilt  werden,  dass  grosse 
Mengen  von  Antitoxin  nach  den  Feldlazaretten  vorgezogen  werden, 
wenn  auch  die  Unmöglichkeit  besteht,  alle  Verwundeten  einzu¬ 
spritzen;  empfohlen  wurde  deshalb  zunächst  systematisch  bei  be¬ 
stimmten  Gruppen  von  Verletzungen,  z.  B.  Finger-,  Fussgranatver- 
letzungen  prophylaktisch  Injektionen  zu  machen  und  den  Erfolg  abzu¬ 
warten.  im  Allgemeinen  beurteilte  die  Mehrzahl  der  Herren  den 
Wert  der  Einspritzungen  ziemlich  skeptisch;  breite  Eröffnung  der  zer¬ 
fetzten  Wunden  und  Schaffung  glatter  Windverhältnisse  scheinen 
noch  den  besten  Erfolg  zu  versprechen. 

Nach  zweistündiger  Dauer  wurde  die  Sitzung  geschlossen;  allge¬ 
mein  wurde  mit  Befriedigung  der  Wert  von  solchem  Austausch  der 
Erfahrungen  anerkannt  und  der  Wunsch  nach  baldiger  Wiederholung 
einer  solchen  Versammlung  ausgesprochen,  die  zugleich  ein  Bild  von 
dem  rastlosen  Wirken  unserer  Feldärzte  vor  Augen  führte;  übrigens 
ist  die  grosse  Anzahl  der  bis  jetzt  an  Aerzte  verliehenen  eisernen 
Kreuze  ein  Beweis  dafür,  dass  die  ärztliche  Tätigkeit  auch  an  aller¬ 
höchster  Stelle  Anerkennung  findet. 


Kleine  Mitteilungen. 


Aus  Feldpostbriefen. 

Lille,  13.  XI.  14. 

Vielleicht  haben  Sie  die  Güte,  in  ihrer  Feldbeilage  nachdrücklichst 
vor  der  Schienung  der  Schussbrüche  mit  Stroh  zu  warnen.  Ich  sah 
gestern  und  heute  hier  mehrere  Fälle,  die  mit  .Stroh  geschient  waren, 
und  zwar  so,  dass  der  dünne  Verband  durchblutet  war  und  eine  Ver¬ 
bindung  hergestellt  war  zwischen  Stroh  und  Wunde.  Wenn  da  kein 
Tetanus  entsteht,  dann  muss  man  sich  ja  geradezu  wundern!  Man 
hat  doch  jederzeit  im  Felde  ein  Gewehr  und  ein  Seitengewehr»  zum 
Schienen  zur  Hand,  wenn  man  sonst  nichts  hat. 


Ergebenst 


Dr.  Klar. 


Ersatz  für  Kanadabalsam. 

Ich  verwende  seit  ungefähr  5  Monaten  das  Mastisol  als  Einbet¬ 
tungsmedium  für  mikroskopische  Präparate. 

Die  Erfahrungen,  die  ich  damit  gemacht  habe,  sind  bis  jetzt  als 
gut  zu  bezeichnen.  Allerdings  will  dies  Urteil  noch  nicht  viel  be¬ 
sagen,  da  man  nicht  voraussehen  kann,  ob  das  Mastisol  auf  die  Dauer 
die  Präparate  schlecht  beeinflusst.  Es  wäre  dies  um  so  eher  mög¬ 
lich,  da  dasselbe  ziemlich  säurereich  ist.  Meiner  Meinung  nach  lohnte 
es  sich  aber,  Versuche  grösseren  Massstabes  mit  dem  Mastisol  an¬ 
zustellen. 

Gegenüber  dem  sonst  allgemein  gebräuchlichen  Kanadabalsam 
hat  es  den  nicht  unerheblichen  Vorteil,  dass  es  bedeutend  schneller 
trocknet.  Ich  habe  die  Beobachtung  gemacht,  dass  man  ein  in  Masti¬ 
sol  eingebettetes  Präparat  schon  nach  3  Minuten  unter  schräggestell¬ 
tem  Mikroskop  untersuchen  kann,  ohne  dass  eine  Verschiebung  des 
Deckglases  eintritt.  Bis  jetzt  habe  ich  gegen  150  Präparate  mit 
Mastix  hergestellt.  Eine  Beeinträchtigung  der  Färbungen  habe  ich 
nicht  beobachten  können.  Ausgenommen  ist  nur  ein  Fall.  Es  ist  je¬ 
doch  sehr  leicht  möglich,  dass  an  dem  Misserfolge  eine  schlecht  aus¬ 
geführte  Färbung  schuld  ist.  (Es  handelt  sich  um  eine  Färbung  nach 
van  Gieson  iHämatoxylin,  PikrofuchsinJ.) 

Soweit  mir  die  Literatur  zur  Verfügung  steht,  ist  die  Verwen¬ 
dung  des  Mastisols  in  der  mikroskopischen  Technik  nur  ein  einziges 
Mal  veröffentlicht  worden  (M.m.W.,  Feldärztl.  Beil.  Nr.  14).  Auf 
diese  Notiz  hin  teile  ich  meine  Beobachtungen  mit  und  würde  mich 
freuen,  wenn  dieselben  von  anderer  Seite  bestätigt  würden. 

Paul  Rostock  -  Greifswald. 


Moosscharpie. 

Die  schon  mehrfach  als  Ersatzmittel  für  Gaze  empfohlene  Schar¬ 
pie  liefert  in  Verbindung  mit  Moospräparaten  ein  vorzügliches  Ver¬ 
bandmittel.  Gereinigtes  Moos,  sowohl  das  ganze,  Stengel  und  Blät¬ 
ter,  wie  auch  die  Moosblätter  allein,  sind  aus  Verbandmittelfabriken 
zu  beziehen.  Als  solche  sind  mir  bekannt:  M.  Marwede  in  Neu¬ 
stadt  am  Rübenberge,  Prov.  Hannover  und  Severin  Immenkamp 
in  Chemnitz-Hilpersdorf.  Ein  Kilogramm  Moos  kostet  70 — 90  Pf., 
ein  Kilogramm  Moosblätter  1.30—1.50  M.  Moos  ist  sehr  leicht,  also 
ein  Kilogramm  eine  grosse  Menge.  Scharpie  steht  ja  wohl  überall 


kostenlos  zur  Verfügung,  ob  aus  Baumwolle  oder  Leinen  gezupft,  ist 
gleichgültig. 

Ueber  eine  flache  Schale  —  photographische  Entwicklungsschale 
—  wird  ein  entsprechend  grosses  Stück  Gaze  gebracht,  die  Schale 
dann  mit  einer  möglichst  gleichmässigen,  fest  zusammengepressten 
Mischung  von  Moos  und  Scharpie  angefüllt.  Die  freien  Gazeenden 
werden  über  der  Schale  zusatnengeschlagen  und  mit  einigen  Faden¬ 
stichen  geheftet.  Diese  Moos-Scharpie-Kissen  nehmen  die  10  fache 
Menge  ihres  Gewichtes  an  Wasser  auf,  saugen  aber  auch  Blut  und 
Sekrete  in  gleicher  Weise  gut  auf  und  lassen  sich  vollkommen  sterili¬ 
sieren.  Die  Verwundeten  werden  mit  ihrer  Anfertigung  in  sehr 
zweckmässiger  Weise  beschäftigt. 

Sanitätsrat  Dr.  Hasenbalg  -  Hildesheim. 


Die  geistige  Bewertung  der  Japanesen. 

Zu  dem  Artikel  in  Nr.  45,  S.  2230  d.  Wschr.  wird  uns  von  hoch¬ 
geschätzter  Seite,  die  zugleich  völlige  Gewähr  für  die  Wahrheit  der 
Geschichte  bietet,  folgendes  geschrieben: 

„Im  Jahre  1909  wurde  K  i  t  a  s  a  t  o  in  Bergen  (II.  internat.  Lepra¬ 
konferenz)  vom  König  Hakon  empfangen.  Als  dieser  ihm  sagte: 
„Sie  waren  ja  der  Mitarbeiter  von  Koch  und  B  e  h  r  i  n  g“,  ant¬ 
wortete  Kitasato  würdevoll:  „Ew.  Majestät  entschuldigen,  Koch 
und  Behring  waren  meine  Mitarbeiter“.  —  Metschnikoff  hat 
übrigens  früher  dasselbe  Urteil  über  die  Japanesen  ausgesprochen, 
wie  Geh.-Rat  v.  Hansemann;  ich  halte  es  für  zutreffend.“ 


Therapeutische  Notizen. 

Die  Behandlung  der  Gasphlegmone  mit  Sauer¬ 
stoffeinblasung  hat  Prof.  Sudeck  -  Hamburg  in  3  Fällen 
mit  sehr  gutem  Erfolg  durchgeführt.  Alle  drei  Fälle  genasen,  2  mit 
Erhaltung  der  erkrankten  Extremität.  Die  Methode  ist  ausser¬ 
ordentlich  einfach.  Man  schliesst  einen  Schlauch  mit  einer  dicken 
Kanüle  unmittelbar  an  eine  Sauerstofibombe  an  und  sticht  die  Kanüle 
unter  die  Haut  und  in  die  Muskulatur  hinein.  Das  behandelte  Glied 
läuft  sofort  stark  auf.  Ich  habe  eine  starke  Spannung  nicht  gescheut 
und  gefunden,  dass  die  Spannung  sehr  bald  durch  Resorption  des 
Sauerstoffes  nachlässt.  Das  Sauerstoffemphysem  bleibt  aber  in  ge¬ 
ringer  Spannung  noch  etliche  Tage  bestehen.  Es  ist  mir  nicht  zweifel¬ 
haft,  dass  diese  frappanten  Erfolge  lediglich  der  Müller  sehen  Me¬ 
thode  der  Sauerstoffanwendung  zu  verdanken  sind.  Da  die  Gangrän 
sehr  schnell  eintreten  kann,  so  ist  es  notwendig,  die  Sauerstoffein¬ 
blasung  sofort  bei  Eintritt  der  Gasphlegmone  anzuwenden.  In  dem 
letzten  von  Hamburg  abgegangenen  Lazarettzuge  ist  deshalb  auch 
eine  Sauerstoffbombe  als  Inventar  mitgenommen  worden. 

(Med.  Klinik  Nr.  47.) 


Tagesgeschichtliche  Notizen. 

München,  den  23.  November  1914. 

—  Während  das  schwere  Ringen  der  feindlichen  Heere  in  Nord¬ 
frankreich  und  Flandern  immer  noch  zu  keiner  Entscheidung  geführt 
hat,  ist  es  auf  dem  östlichen  Kriegsschauplätze  der  überlegenen 
Kriegskunst  des  Generalobersten  v.  Hindenburg  gelungen  einen 
weiteren  glänzenden  Sieg  über  die  russische  Armee  zu  erringen  und 
damit  die  neuen  russischen  Angriffspläne  zu  vereiteln.  Unsere  öst¬ 
lichen  Provinzen  sind  dadurch  von  der  drohenden  Gefahr  eines 
feindlichen  Einbruches  abermals  und  hoffentlich  für  immer  befreit 
worden.  Diese  Hoffnung  wird  noch  befestigt  durch  die  Erfolge  der 
Oesterreicher  in  Serbien  und  der  Türken  in  Transkaukasien,  die 
ihre  Rückwirkung  auf  die  Lage  in  Polen  nicht  verfehlen  werden. 

—  Ueber  unseren  auf  dem  Felde  der  Ehre  gefallenen  Mitarbeiter 
Privatdozent  Dr.  Meyer-Betz  sendet  uns  sein  ebenfalls  im  Feld 
stehender  Chef,  Prof.  Schittenhelm,  nachstehende  Zeilen,  die 
durch  die  Mitteilungen  über  Meyer-Betz’  Betätigung  im  Felde 
den  in  Nr.  41  d.  Wschr.  erschienenen  Nachruf  in  dankenswerter  Weise 
ergänzen: 

„Meyer-Betz  starb  bei  Apremont  den  Heldentod.  Als  er 
eben  den  Schützengraben  verlassen  hatte,  traf  ihn  die  feindliche 
Kugel.  Trotz  der  besten  ärztlichen  Hilfe  starb  er  einen  halben  Tag 
später  auf  dem  Hauptverbandplatz  und  man  muss  den  raschen  Tod 
als  ein  Glück  für  ihn  ansehen,  weil  er  sonst  wohl  fürs  Leben  zuin 
mindesten  einen  gelähmten  Arm  behalten  hätte,  eine  Störung,  die 
ihn  sicher  aufs  schwerste  getroffen  und  ständig  bedrückt  hätte. 

Die  allgemeine  Achtung  und  Zuneigung  hat  er  sich  auch  im  Felde 
rasch  erworben.  „Er  war  einer  unserer  schneidigsten  Offiziere“, 
sagte  mir  ein  Angehöriger  seines  Regiments,  und  wie  sehr  er  ein  Vor¬ 
bild  tapferen  Verhaltens  war,  drückte  sich  auch  darin  aus,  dass  er 
als  einer  der  ersten  das  Eiserne  Kreuz  verliehen  erhielt.  Er  wai  um 
jeden  besorgt,  verstand  es  vorzüglich,  überall  hilfreich  zu  sein,  trö¬ 
stend  und  aufmunternd  da,  wo  es  nötig  war,  kräftig  dreinfahrend, 
wo  er  einen  Drückeberger  erkannte.  Seine  ärztliche  Hilfe  wurde 
von  allen  gesucht  und  hoch  eingeschätzt.  „Er  war  der  beste  Mensch 
und  alle  betrauern  seinen  Hingang“,  wurde  mir  mehrfach  versichert. 

Wer  Meyer-Betz  kannte,  wusste  schon  im  voraus,  dass  er 
auch  in  der  neuen  Lebenslage  sich  voll  bewähren  würde.  Ich  hatte 


-November  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


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(  Anfang  an  Sorge,  dass  sein  lebhaftes  Temperament,  sein  schnei- 
I-S  Draufgehen  ohne  Rücksicht  auf  seine  eigene  Person,  das  ja  an 
i  schon  im  Frieden  so  hoch  einzuschätzen  war,  die  Gefahren  des 
iges  für  ihn  doppelt  so  gross  gestalten;  ich  hätte  ihm  daher  eine 
sendung  an  weniger  exponierter  Stelle  dringend  gewünscht. 

:  der  Krieg  nimmt  keine  Rücksicht  auf  persönliche  Werte.  Mag 
.  Tod  für  alle  Zurückgebliebenen  auch  noch  so  traurig  sein,  für 
iedeutet  er  den  schönsten  Abschluss  eines  erfolgreichen  Lebens!“ 

-  Aus  Wien  schreibt  man  uns:  Die  Wiener  Aerztekamrner  rich- 
n  die  Aerzte  Wiens  nachfolgenden  Aufruf:  Die  Einberufung  Zahl¬ 
er  Wiener  Aerzte  zur  Kriegsdienstleistung  hat  die  Familien  der- 
n  vielfach  in  eine  materiell  sehr  ungünstige  Situation  gebracht. 
:r  Absicht,  dieser  Not  zu  steuern,  hat  das  Permanenzkomitee  der 
1er  Aerztekamrner  und  der  Wirtschaftlichen  Organisation  der 
te  Wiens  eine  Aktion  unternommen,  welche  sich  zur  Aufgabe 

i .  für  die  Zwecke  der  Unterstützung  der  Genannten  einen  Fonds 
:;t  zu  halten.  Von  Seite  des  Wiener  medizinischen  Doktoren- 
i  giums,  einiger  Standesvereine,  sowie  einiger  Aerzte  sind  diesem 
r  itee  bereits  Mittel  zur  Verfügung  gestellt  worden.  Soll  aber 
cs  Komitee  seine  Aufgabe  auch  nur  halbwegs  erfüllen,  ist  ein. 
■  ;erer  Fonds  notwendig.  Das  Permanenzkomitee  der  Wiener 
i  tekammer  und  der  Wirtschaftlichen  Organisation  der  Aerzte 
i  let  sich  daher  an  die  Aerzte  Wiens  sowie  an  die  ärzt- 
:  n  Vereinigungen  mit  der  ebenso  höflichen  als  dringenden 
;  .,  diesem  Fonds  ihre  Unterstützung  angedeihen  zu  lassen. 

:  r,  selbst  der  geringste  Betrag  ist  willkommen  und  soll  an 
;  Adresse  des  Permanenzkomitees,  Wien,  1.  Börsegasse  1, 
r  sendet  werden. 

-  Man  schreibt  uns:  Mit  Bezug  auf  die  Zusammenstellung  der 
i  iige"  d.  Wschr.  Nr.  45  S.  22 31  mache  ich  Sie  auf  die  Merk- 
,  igkeit  aufmerksam,  dass  jeder  nicht  gediente  Zivilarzt 
Anschaffung  seiner  Uniform  200  M.  erhält,  der  gediente  Sanitäts- 
i  er  a.  D.,  der  sich  freiwillig  wieder  zur  Verfügung  stellt  und 

seine  Uniform  zu  tragen  hat,  erhält  keine  Bekleidungsbeihilfe 
enn  er  im  Frieden  eine  „Uebung“  (Kurs)  macht,  erhält  er 
;  gen  solche!  —  „Erkläre  mir  Graf  Orindur  diesen  Zwiespalt 
Matur!“ 

-  Man  schreibt  uns  aus  Lille:  „Am  letzten  Mittwoch  (4.  XI.) 
i  hier  in  Lille  eine  ganz  interessante  Versammlung  von  Militär- 
;  n.  Obergeneralarzt  Reh-  München  führte  den  Vorsitz, 
s  ge- München  sprach  über  Frakturbehandlung.  Eine  lebhafte 
Hssion  schloss  sich  daran  an.  Man  sah  in  der  Versammlung  viele 
1  inte  Leute,  darunter  Perthes-  Tübingen,  Gerhardt-  Würz- 
’  K  r  ö  n  i  g  -  Freiburg,  Schmieden  -  Halle,  Schittenhelm- 
i  ,rsberg,  W  u  1 1  s  t  e  i  n  -  Dortmund,  H  e  n  k  e  -  Breslau,  Borst- 
j  hen,  G  a  r  t  e  n  -  Giessen,  W  e  s  s  e  1  y  -  Würzburg  u.  a.  Es  war 
:  eigenartig,  wie  sich  plötzlich  alle  hier  mitten  in  der  Feindes- 

i  zusammenfanden.  Die  Sache  gefiel  so  sehr,  dass  der  Vorschlag 
nommen  wurde,  jeden  Mittwoch,  solange  man  um  Lille  herum 
s  lmensitzt,  zu  einem  medizinischen  Abend  im  Höpital  St.  Sauveur 
^amenzukommen.“ 

-  Zur  planmässigen  Ergänzung  der  behördlich  getroffenen  Mass- 
1  en  zur  Versorgung  unserer  Truppen  mit  warmen  Sachen  hat 
I n  Berlin  auf  Anregung  der  Kaiserin  ein  „Kriegsausschuss 

vv  a  r  m  e  U  n  t  e  r  k  1  e  i  d  u  n  g“  (Vorsitzende:  Dr.  P  a  n  n  w  i  t  z, 
i  g  h  e  i  m,  Fürst  zu  Salm-Horstmar)  gebildet,  der  seit 
( tober  jeden  Donnerstag  „Wollziige“  zu  den  Armeen  im  Westen 
i  )sten  entsendet.  Der  Wert  der  so  bisher  den  Truppen  zuge- 
’  :n  Gaben  beläuft  sich  auf  15  Millionen  Mark.  Um  üen  erfolg¬ 
en  Fortgang  dieser  gegenwärtig  wichtigsten  Aufgabe  der  frei- 
I  en  Kriegsfürsorge  durch  die  Mitarbeit  aller  wirtschaftlichen 
nisationen  im  Reiche  zu  sichern,  hat  am  21.  ds.  in  Berlin  auf 
Gung  des  Kriegsausschusses  eine  Versammlung  im  praktischen 
ti  stehender  Persönlichkeiten  stattgefunden.  Spenden  zur  Sanim- 
;  ür  die  Wolizüge  sind  an  das  Bankhaus  Mendelsohn  6c  Co., 
n  W.  56,  Jägerstr.  49/50  zu  senden. 

-  Die  Firma  Siemens  Erben  in  Berlin  hat  dem  Roten  Kreuz 
Jlen  Kriegslazaretten  bis  heute  insgesamt  33  Eisenbahnwagen- 
Gen  von  den  natürlichen  Mineralbrunnen  Fachingen  und  Selters 

»  ndet. 

-  Der  Brunnenversand  der  Heilquelle  zu  Lauchstädt  in 
L  hat  für  verwundete  Krieger  10  Eisenbahndoppelwaggons  des 
i  Städter  Mineralbrunnens  gespendet. 

-  Am  25.  ds.  Mts.  ist  der  100  Geburtstag  des  Entdeckers  des 
Ges  von  der  Erhaltung  der  Energie  und  Begründers  der  mechani- 
•  Wärmetheorie  (1842),  Julius  Robert  v.  Mayer.  Das  Bild 
5  hervorragenden  Arztes,  der  sich  durch  seine  Entdeckung  in 

eihe  der  grössten  Naturforscher  gestellt  hat,  brachten  wir  in 
<*:r  Galerie  anlässlich  der  Enthüllung  seines  Denkmals  in  Heil- 
'i  im  Jahre  1892. 

-  Das  Deutsche  Haus  in  Agra  im  Kanton  Tessin 
■'  eiz),  oberhalb  des  Luganer  Sees,  die  neue  Anstalt  der  Deutschen 
litte  in  Davos,  wurde  am  15.  d.  M.  eröffnet.  Die  100  Betten  des 
Ghen  Hauses  werden  für  die  Dauer  des  gegenwärtigen  Krieges 

mässigten  Preisen  deutschen  verwundeten  und  erkrankten 
Teilnehmern  und  ihren  Angehörigen  zur  Verfügung  gestellt. 

-  Die  Schweizerische  Hochgebirgsbahn  Chur-Arosa,  welche 
adt  Chur  mit  dem  Höhenluftkurort  Arosa  verbindet,  wird  am 
ivemher  1914  dem  regelmässigen  Betriebe  übergeben. 


W ie  die  „Pharmaz.  Ztg.“  mitteilt,  hat  die  Liebig-Gesell- 
schaft  (Liebigs  Extract  of  meat  Company,  Lim.,  London)  auf  Ver¬ 
langen  der  englischen  Regierung  ihre  deutschen  Angestellten  in  S  ü  d- 
a  m  c  r  i  k  a  vor  die  Wahl  gestellt,  sich  naturalisieren  zu  lassen  oder 
„suspendiert“,  d.  h.  entlassen  zu  werden.  Da  diese  Zumutung  von 
allen  Angestellten  mit  Ausnahme  weniger  älterer  Herren,  denen  die 
Sorge  (ür  ihre  Familie  keine  Wahl  liess,  abgelehnt  wurde,  wurden 
die  jüngeren  Herren  sofort  entlassen,  die  älteren  „einstweilen“  sus¬ 
pendiert,  darunter  Chemiker  und  Techniker  mit  festen  Verträgen  und 
über  zehnjähriger  Dienstzeit.  Ein  neuer  Beweis  für  den  Deutschen¬ 
hass  dieser  Firma,  die  ihr  Entstehen  und  ihre  Blüte  deutschem 
Geist  und  deutschem  Fleiss  verdankt.  Hoffentlich  werden  von  den 
deutschen  Käufern,  namentlich  auch  von  den  Aerzten,  die  nötigen 
Folgerungen  gezogen. 

—  Cholera.  Oesterreich-Ungarn,  ln  der  Woche  vom  25.  bis 
31.  Oktober  wurden  in  Oesterreich  570  Erkrankungen  (und  187  Todes¬ 
fälle  festgestellt,  und  zwar  in  Niederösterreich  34  (8)  —  davon  in 
Wien  22  (3),  in  Wiener-Neustadt  1,  in  5  Gemeinden  11  (5)  — ,  in 
Oberösterreich  in  1  Gemeinde  1,  in  Steiermark  in  2  Gemeinden  4  (1) 
—  davon  in  Graz  3  — ,  in  Kärnten  in  3  Gemeinden  11  (7),  in  Böhmen 
in  6  Gemeinden  30  (16),  in  Mähren  in  15  Gemeinden  49  (4),  in  Schle¬ 
sien  in  4  Gemeinden  93  (3),  in  Galizien  in  46  Gemeinden  347  (148)  — 
davon  in  Krakau  14.  Von  den  Erkrankten  in  Galizien  waren  111  Mili¬ 
tärpersonen  und  236  Einheimische;  von  den  223  in  anderen  Landes¬ 
teilen  festgestellten  Erkrankungen  betrafen  18  die  einheimische  Be¬ 
völkerung,  194  hingegen  Militärpersonen,  die  vom  nördlichen  Kriegs¬ 
schauplatz  angelangt  waren  (hierunter  37  russische  Gefangene)  und 
11  aus  Galizien  zugereiste  Ortsfremde.  In  Ungarn  wurden  in  der¬ 
selben  Woche  265  Neuerkrankungen  angezeigt,  davon  in  den  Städten 
Arad  1,  Baja  1,  Pest  16,  Debreczen  2,  Györ  (Raab)  1,  Kaschau  2, 
Klausenburg  4,  Miskolcz  1,  Grosswardein  10,  Pressburg  3,  Szatmar- 
Nemeti  6,  Szegedin  3,  Stuhlweissenburg  2,  Temesvar  1,  Ujvidek 
(Neusatz)  1. 

—  In  der  44.  Jahreswoche,  vom  1. — 7.  November  1914,  hatten 
von  deutschen  Städten  über  40  000  Einwohner  die  grösste  Sterblich¬ 
keit  Metz  mit  30,2,  die  geringste  Solingen  mit  5,0  Todesfällen  pro 
Jahr  und  1000  Einwohner.  Mehr  als  ein  Zehntel  aller  Gestorbenen 
starb  an  Scharlach  in  Bottrop,  Buer,  Königshütte,  Zabrze,  an  Diph¬ 
therie  und  Krupp  in  Bottrop,  Hamborn,  Magdeburg. 

Vöff.  Kais.  Ges.A. 

(Hochschulnachrichten.) 

Köln.  Dr.  Anton  Frank  wurde  zum  Prosektor  am  patho¬ 
logisch-anatomischen  Institut  der  städtischen  Krankenanstalten  in 
Köln  ernannt,  (hk.) 

Innsbruck.  Der  ord.  Professor  der  Geburtshilfe  und  Gynä¬ 
kologie,  Hofrat  Dr.  Emil  Ehrendorfer,  erhielt  anlässlich '  der 
Uebernahme  in  den  dauernden  Ruhestand  das  Komturkreuz  des 
Franz-Josef-Ordens  verliehen. 

Prag.  Der  Privatdozent  für  Otologie  und  Rhinologie  an  der 
deutschen  Universität,  Dr.  Wilhelm  Anton,  und  der  Priv.-Doz.  für 
Psychiatrie  an  der  tschechischen  Universität,  Dr.  Johann  Jansky, 
erhielten  den  Titel  eines  ausserordentlichen  Universitätsprofessors. 
Dem  em.  ord.  Professor  der  Pharmakologie  und  Pharmakognosie  an 
der  tschechischen  Universität,  Dr.  Karl  Chodrunsky,  wurde  der 
Titel  eines  Hofrates  verliehen. 

Wien.  Der  ord.  Professor  der  Chirurgie,  Hofrat  Dr.  Julius 
Höchen  egg  erhielt  den  Adelsstand  mit  Nachsicht  der  Taxen  ver¬ 
liehen.  —  Auf  Kriegsdauer  wurden  ernannt:  zum  Generalstabsarzt 
Prof.  Dr.  R.  P  a  1 1  a  u  f,  Vorstand  des  serotherapeutischen  Institutes 
in  Wien;  zu  Oberstabsärzten  I.  Klasse  die  o.  ö.  Professoren:  B.  Ka¬ 
der,  Vorstand  der  chirurgischen  Universitätsklinik  in  Krakau,  V.  Rit¬ 
ter  v.  H  a  c  k  e  r,  Vorstand  der  chirurgischen  Universitätsklinik  in 
Graz  und  H.  Schlöffe  r,  Vorstand  der  chirurgischen  Universitäts¬ 
klinik  in  Prag;  zu  Oberstabsärzten  II.  Klasse  die  a.  o.  Professoren: 

G.  H  o  1  z  k  n  e  c  h  t,  Leiter  des  Zentralröntgeninstituts  des  Allg.  Kran¬ 
kenhauses  in  Wien,  K.  S  t  e  r  n  b  e  r  g,  Prosektor  der  mährischen 
Landeskrankenanstalt  in  Brünn,  K.  A.  Herzfeld  -  Wien,  O.  F  ö  - 
d  e  r  1,  Vorstand  der  II.  chirurgischen  Abteilung  des  Allg.  Kranken¬ 
hauses  in  Wien,  L.  Schmeichler,  Augenarzt,  Professor  an  der 
technischen  Hochschule  in  Brünn,  R.  Weiser,  Zahnarzt  in  Wien, 
Max  Rutkowski,  Chirurg  in  Krakau,  dann  die  Doktoren: 
Preindlsberger,  Primararzt  am  Landesspital  in  Sarajewo, 

H.  H  i  n  t  e  r  s  t  o  i  s  s  e  r,  Primarartz  in  Teschen  und  kais.  Rat 
H.  Charas,  Chef  der  Rettungsgesellschaft  in  Wien. 

(Todesfälle.) 

In  München  starb,  62  Jahre  alt,  der  ord.  Prof,  der  Hygiene, 
Dr.  Rudolf  Emmerich,  bekannt  durch  zahlreiche  Arbeiten  auf 
den  verschiedensten  Gebieten  der  Hygiene  und  Bakteriologie,  be¬ 
sonders  aber  als  Mitarbeiter  Pettenkofers  und  als  begeisterter 
und  hartnäckiger  Vertreter  der  Lehre  Pettenkofers  von  der 
Entstehung  der  Infektionskrankheiten.  Ein  Nachruf  folgt. 

Auf  dem  französischen  Kriegsschauplatz  fiel  der  a.  o.  Professor 
für  Radiumkunde  und  Vorstand  des  Radiuminstitutes  an  der  Kgl. 
sächs.  Bergakademie  zu  Freiberg,  Dr.  phil.  Fritz  Ludwig  Kohl- 
rausch,  Leutnant  d.  R„  Ritter  des  Eisernen  Kreuzes.  Seine  letzte 
wissenschaftliche  Leistung  war  sein  ausgezeichneter,  in  den  Nr.  44 
und  45  d.  W.  erschienener  Uebersichtsartikel:  „Ueber  die  physi¬ 
kalischen  Grundlagen  der  Radiumtherapie. 


2300 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift.  _  _  Nr.  1 


Ehrentafel. 

Fürs  Vaterland  starben: 

Dr.  med.  Karl  Abel.  Leutn.  d.  Res.  im  Inf.-Reg.  172. 

Mud.  med.  Walther  Car  o,  Kriegsfreiwilliger  in  e.  bad.  Inf.-Reg. 

Stabsarzt  d.  L.  Dr.  Willy  Bä  n  sch,  Breslau. 

Feldunterarzt  Dr.  Otto  Barmbichler,  1.  Ass.-Arzt  im 
Krankenhause  München-Schwabing. 

Kriegsfreiwilliger  stud.  med.  Georg  Blankenhorn  aus 
Mülheim  (Baden). 

Einj.-Frciw.  B  o  1 1  e  r  h  o  f,  stud.  med. 

Stabsarzt  Dr.  E  b  c  1  i  n  g,  bisher  kommandiert  zum  Hyg.  In¬ 
stitut  der  Universität  Strassburg,  auf  dem  östlichen  Kriegs¬ 
schauplatz. 

cand.  med.  Fichtbauer,  Einj.-Freiw.  im  bayer.  19.  Inf.-Reg. 

Dr.  Otto  Fischbach  (Weidenau  a.  d.  Sieg),  Ass.A.  und  Bat.A. 
im  Bayer.  Res.  Inf.-Reg.  Nr.  16.  Er  fiel  durch  Granatschuss 
am  11.  November  in  Bethlehem  ferme  bei  Warneton. 

Feldunterarzt  Willi  Fischer,  Res.-Inf.-Reg.  Nr.  29. 

stud.  med.  B.  F  1  o  1 1  r  i  n  g. 

Med. -Praktikant  Unterarzt  Carl  Adolph  Freusberg. 

Stabsarzt  d.  Res.  Friese,  Koblenz. 

Unterarzt  Dr.  Eduard  G  o  r  t  o  n,  Berlin,  Res.-Inf.-Reg.  3. 

E.  Heinrich  (Nieder-Saulheim). 

St.A.  d.  Res.  Henssen,  Inf.-Reg.  Nr.  97,  Saarburg. 

Stabsarzt  d.  Res.  E.  Henzen,  Sonnenberg. 

U.-A.  d.  L.  Friedrich  H  e  r  k  n  e  r,  Bremen,  Wiirtt  Gren.-Reg. 
Nr.  123,  III.  Bat.-Stab. 

Stabsarzt  d.  L.  Dr.  Hermann  Heye  r,  Darmstadt. 

stud.  med.  H  o  c  h  e,  Freiburg  i.  Br.,  Kriegsfreiwilliger  im  bad 
Inf.-Reg.  113. 

H  o  f  f  h  e  i  n  z  (Angerburg). 

Stabsarzt  d.  L.  Dr.  Josef  Jacke,  Fürstenwalde,  an  einer  im 
Felde  sich  zugezogenen  Lungenentzündung. 

Feldunterarzt  Dr.  K  i  m  s  t  e  r.  Sonnenberg,  11.  Res.-San.-Komp. 
IV.  Res.-Korps  in  Kassel. 

Feldunterarzt  K  i  r  c  h  e  r. 

Stabsarzt  d.  Res.  Lembach,  Köln. 

Kriegsfreiwill.  stud.  med.  Hugo  Link  von  Dossenheim  (Baden). 

Marinestabsarzt  Dr.  Lippe,  Lennverder  a.  Weser,  am  23.  X. 
in  Ostende. 

cand.  med.  H.  Lohe. 

St.A.  d.  Res.  Rieh.  Möller  (Magdeburg),  San.-Komp.  Nr.  2, 
IV.  A.K. 

Reg.A.  P  1  a  t  h,  12.  Okt.,  in  Russ.  Polen. 

Unterarzt  Dr.  Karl  Preussen  (Kirchen-Sieg). 

Privatdozent  Dr.  med.  Reich.  Düsseldorf. 

Sanitätsrat  Dr.  R  o  m  b  e  r  g.  Braubach,  durch  Unfall  im  Feld. 

Feldunterarzt  Dr.  Rudhardt,  Strassburg. 

O.A.  Schmidtgail. 

W.  Schräder  (Nörenberg). 

Sanitätsrat  Dr.  Max  Simon,  Bromberg  (gestorben  durch  bei 
Verwundetenpflege  erhaltener  Infektion). 

Privatdozent  Stumpf,  Breslau. 

stud.  med.  T  i  in  a  n  n. 

cand.  med.  Erich  Wachs,  Offiziersstellvertreter  im  Füsilier¬ 
regiment  90. 

O.A.  Wachsner. 

Sanitätsrat  Dr.  Heinrich  Wagner,  Saarbrücken,  Stabsarzt 
d.  Res.  3.  San.-Komp.  21.  A.-K. 

stud.  med.  Franz  W  i  s  s  i  n  g,  Kriegsfreiwilliger  im  bayer. 
16.  Int.-Reg. 


Korrespondenz. 

Offener  Brief  an  die  Aerzteschaft  Englands. 

Man  ersucht  uns  um  Abdruck  des  nachstehenden  Schreibens: 

„Nicht  durch  Gerüchte,  sondern  durch  zuverlässige  Zeugenaus¬ 
sagen  ist  einwandfrei  festgestellt,  dass  in  England  seit  Monaten  an 
verschiedenen  Orten  in  sogen.  Konzentrationslagern  zahlreiche  wehr¬ 
lose  und  schuldlose  Deutsche  gefangen  gehalten  werden.  So  sind 
z.  B.  auf  dem  Rennplatz  von  Newbury  etwa  1500  Deutsche  ein¬ 
gesperrt,  und  zwar  in  der  Weise,  dass  immer  6 — 8  und  in  der  letzten 
Zeit  wohl  ausnahmslos  12  Personen  je  eine  3  m  breite  zugige  Stall¬ 
abteilung  als  Wohn-  und  Schlafraum  erhielten,  die  zu  gewöhnlichen 
Zeiten  einem  einzelnen  Pferde  zur  Aufnahme  dient.  Die  ganze  Aus¬ 
rüstung  dieser  jetzt  als  Unterkunftsräume  für  Menschen  benutzten 
Pferdeställe  besteht  in  einigem  Stroh  und  2  Decken  für  das  Nacht¬ 
lager.  Ein  Tisch,  irgendeine  Sitzgelegenheit  ist  nicht  vorhanden; 
Waschgelegenheit  gibt  lediglich  eine  Pumpe  auf  dem  Hofe.  Das  Essen 
müssen  sich  die  Gefangenen  in  offenen  Asphaltherden  selber  kochen. 
Die  Verpflegung  besteht  morgens  und  abends  in  Tee  mit  einem  Stück 
Weissbrot  und  Margarine,  mittags  in  einem  Stück  Rindfleisch  und 
2  Kartoffeln.  Das  Mittagessen  kommt  aber  häufig  infolge  verspäteter 
Feuerholzlieferung  erst  gegen  6  Uhr  zur  Verteilung,  und  häufiger 
noch  ist  das  Fleisch  in  ungenügender  Menge  vorhanden  oder  Kartoffeln 


und  Fleisch  sind  in  ungeniessbarem  Zustande,  weil  nur  halb  gar 
dass  ein  Teil  der  Gefangenen  unfreiwillig  oder  freiwillig  zum  Verz  i 
und  zum  Hunger  gezwungen  ist.  Um  das  Unglück  voll  zu  macn 
ist  es  bei  dem  Mangel  jeglicher  Hygiene  in  letzter  Zeit  nicht  n  i 
gelungen,  Lager  und  Körper  von  Ungeziefer  frei  zu  halten.  Beschvr 
den  haben  keinerlei  Erfolg,  ziehen  vielmehr  im  Wicderholungsiii 
härtere  Massnahmen  nach  sich,  wie  Uebcrweisung  in  kleine,  unmi  ! 
bar  auf  lehmigem  Wiesengrund  stehende  Zeltlager,  die  zwecks  i 
leitung  des  Wassers  von  einem  kleinen  Graben  umzogen  sind.  ,i 
Unterschied  bei  der  Internierung  wird  nicht  gemacht,  eine  Rucks  i 
auf  soziale  Stellung,  auf  Stand  und  Bildung  nicht  genommen.  So  _• 
finden  sich  seit  dem  11.  September  unter  den  in  Newbury  In  r 
nierten  auch  6,  in  neuerer  Zeit  sogar  13  Aerzte.  Bittschriften  ditfc 
Aerzte,  sie  doch  wenigstens  in  englischen  Hospitälern  mit  verwenp 
zu  wollen,  ltaben  keinerlei  Berücksichtigung  gefunden. 

Der  Aerztliche  Verein  zu  Hamburg  weiss  sich  in  Uebereins'i 
mung  mit  der  Aerzteschaft  ganz  Deutschlands,  wenn  er  gegen  i 
oben  geschilderten  Tatsachen  und  Verhältnisse  vor  der  Aerztescli 
der  ganzen  Kulturwelt  ernsten,  lauten  Protest  einlegt. 

Die  Festlialtung  und  geschilderte  Behandlung  deutscher  Aerk 
die,  wie  stets,  so  auch  in  diesem  Kriege  ihre  vornehmste  Pflicht  di 
sehen,  Freund  wie  Feind  die  gleiche  Fürsorge  zuteil  werden  zu  lac.T 
widerspricht  offensichtlich  den  doch  auch  von  den  Briten  gcbillb: 
und  anerkannten  Grundsätzen  der  Genfer  Konvention,  und  kann  i 
den  einen  Erfolg  beabsichtigen  und  bewirken,  Verwundeten  und  K« 
ken  nach  Möglichkeit  einen  Teil  der  Behandlungskräfte  und  damit  je 
Heilungsmöglichkeit  zu  entziehen. 

Auch  gegen  die  gesundheitswidrige  Unterbringung  der  übrrc 
Deutschen  in  den  Konzentrationslagern  müssen  wir  im  Namen  j 
deutschen  Aerzte  Verwahrung  einlegen.  Die  Hygiene,  Unterkif 
Lagerung,  Verpflegung  und  Reinlichkeit  sprechen  jeglicher  Men  1 
lichkeit  Hohn  und  scheinen  nur  von  der  einen  Absicht  der  Regier« 
zu  zeugen,  Wehrlose  und  Unschuldige  dem  Siechtum  und  Verderb 
auszuliefern,  nur  weil  sie  als  Deutsche  geboren  sind. 

Dieser  Kampf  gegen  die  Wehrlosen  wird  an  dem  Ausgange  j 
Völkerringens  nicht  das  Leiseste  ändern.  Wie  das  deutsche  Volk  cp 
einen  Augenblick  des  Besinnens  oder  zaghafter  Furcht  bereit  ist,  li 
sende  seiner  besten  Männer  zur  Ehre  des  Vaterlandes  und  zur  Mjf 
rung  der  eigenen  Kultur  zu  opfern,  so  wird  das  deutsche  Volk  iq 
diese  Opfer  tragen,  die  Willkür  und  Grausamkeit  ihm  auferlegen. : 
wird  auch  diese  unschuldigen  Geschöpfe  als  Märtyrer  des  Deut* 
tums  und  Blutzeugen  für  den  Tiefstand  der  Moral  der  britischen  t 
gierung  dahinsiechen  oder  sterben  sehen  wie  Helden,  sie  achtend  e 
nau  wie  ihre  Krieger.  I 

Englands  Aerzte  aber,  die  als  Akademiker  auch  geistige  Füfe 
des  Volkes  sein  sollten,  und  die  gemeinsam  mit  den  Aerzten  ^ 
Länder  auf  zahllosen  internationalen  Kongressen,  noch  vor  wen.1 
Monaten  zu  London,  sowie  auf  dem  Internationalen  Tuberkulose« 
gress  zu  Berlin,  die  Humanität  als  die  vornehmste  Pflicht  des  Ar  t 
und  die  höchste  Errungenschaft  moderner  Kultur  betont  und  t 
priesen  haben,  sie  haben  die  unabweisbare  Verpflichtung,  jetzt fi 
gegebenes  Wort  einzulösen;  an  ihnen  ist  es,  heute  die  Leidenscha^ 
des  Volkes  zu  zügeln  und  die  Regierung  nach  Möglichkeit  vor  t 
Missachtung  der  schon  durch  die  Satzungen  aller  Kulturreligionen  i 
botenen  Menschlichkeit  zu  bewahren. 

Der  Aerztliche  Verein  zu  Hamburg  fordert  also  von  den 
tischen  Aerzten  als  Pflicht  und  Ehrensache,  durch  ihr  Ansehen  l 
ihren  Einfluss  bei  ihrer  Regierung  die  Freilassung  der  deutsce 
Aerzte  und  die  Schaffung  hygienischer  menschenwürdiger  Leb,: 
bedingungen  in  den  Konzentrationslagern  zu  erwirken,  wenn  an« 
sie  nicht  wie  ihre  Regierung  dauernd  das  Brandmal  der  Schanda 
der  Stirne  tragen  wollen. 

Wir  erwarten  von  den  britischen  Aerzten  e j 
Erklärung  vor  den  Aerzten  der  gesamten  Welt 

Hamburg,  den  3.  November  1914. 

Prof.  Brauer.  Prof.  D  e  n  e  k  e.  Dr.  Marben.  Dr.  Mi 
Prof.  N  o  c  h  t.  Dr.  O  e  h  r  e  n  s.  Prof.  Rumpel.  Prof.  S  i  m  in  o  nU 


Aerzte  gesucht. 

Für  die  Reservelazarette  im  Bereiche  des  VI.  Armeekorps  ausi 
halb  Breslaus,  und  zwar  in  B  r  i  e  g.  F  r  e  i  b  u  r  g,  O  h  1  a  u,  T  r  t 
nitz,  Patschkau,  Cosel,  Gottschalkowitz,  Reich  i 
stein,  Nimptsch,  R  o  s  e  n  b  e  r  g,  G  1  e  i  w  i  t  z,  Tarnow  : 
Carlsruhe  O/S.,  Kreuzburg  und  S  1  a  w  e  n  t  z  i  t  z  fehlt  init 
noch  eine  grosse  Anzahl  von  Aerzten,  namentlich  Fachchirur  i 
Auch  Stellen  bei  Landsturmtruppen  sind  noch  zu  besetzen.  Im  hü 
esse  der  Verwundeten  und  Kranken  wird  um  zahlreiche  Anmeldurf 
der  Herren  Aerzte  beim  Sanitätsamt  des  VI.  Armeekorps  gebetc 


Weihnachtsgabe  für  arme  Arztwitwen  in  Bayern 

Gabenverzeichnis:  Uebertrag  M.  320.  Bezirksarzt  1 
N  i  e  d  e  r  m  a  i  e  r  -  Pfarrkirchen  M.  10.  — .  Dr.  Max  Dück-M 
chen  M.  50. —  Dr.  Jacob-  Schwabach  M.  25. — .  Hofrat 
Mayer-  Fürth  M.  20.—  Summa  M.  425. — . 

Gaben  nimmt  dankbarst  entgegen  der  Kassier  der  Witwenka <■ 
Dr.  Hollerbusch,  Fürth,  Mathildenstr.  1.  Z*»  l 


Verlag  von  J.  F.  Lehmann  in  München  S.W.  2,  Paul  Heysestr.  26. 


—  Druck  von  E.  Mühlthaler’s  Buch-  und  Kunstdruckerei  A.O.,  München. 


(j  der  einzelnen  Nummer  60  J>.  •  ßerut-nrei»  in  Deutschland 
•  und  Ausland  siche  unten  unter  Bezugsbedingungen.  •  •  • 

erntenschluss  am  Donnerstag  einer  jeden  Woche. 


MÜNCHENER 


Zusendungen  sind  /ii  nenieri  , 

f  ür  die  Schriftleituug  :  Arnullstr.  2t>  (Sprechstunden  8'4 —  1  Ulir). 
hur  Bezug:  an  I.  F.  Lelimann’s  Verlag,  Paul  Heysestrassr  2 ft 
Für  Anzeigen  und  Beilagen:  an  Rudolf  Mosse,  Theatinerstr asse  S. 


Medizinische  Wochenschrift. 


ORGAN  FÜR  AMTLICHE  UND  PRAKTISCHE  ÄRZTE. 


|  ,  48.  1.  Dezember  1914.  Schriftleitung:  Dr.  B.  Spatz,  Arnulfstrasse  26. 

 Verlag:  J.  F.  Lehmann,  Paul  Hcysestrasse  26. 


61.  Jahrgang. 


Der  Verlag  behält  sich  das  ausschliessliche  Recht  der  Vervielfältigung  und  Verbreitung  der  in  dieser  Zeitschrift  zum  Abdruck  gelangenden  Originalbeiträge  vor. 


Originalien. 

Ueber  Kollaps  nach  Seegefechten*). 

u  Prof.  Dr.  Ehret  (Strassburg),  Marinoberstabsarzt  d.  R. 

Nach  einer  Seeschlacht  sehen  die  Kampfschiffe  im  Inter- 
:e  ihres  weiteren  Kampfwertes  ihre  Verwundeten  möglichst 
d  an  Lazarettschiffe  oder  eigens  eingerichtete  Leichter 
osse  flachgehende  kanalschiffähnliche  Fahrzeuge),  je  nach 

•  gang  entweder  auf  hoher  See  oder  in  geschützteren  Küsten¬ 
wässern  ab.  Von  den  Lazarettschiffen  oder  durch  Schlepper 
:  ogenen  Leichtern,  werden  die  Verwundeten  an  die  Marine- 
;dlazarette  herangebracht.  Eine  Anzahl  unserer  Sanitäts- 
>  ziere  ist  dazu  bestimmt,  die  Verwundeten  auf  den  Leichtern 
i  impfang  zu  nehmen,  um  dieselben  während  des  Transportes 
i  h  dem  Lazarett,  der  je  nach  den  Flutverhältnissen  6  bis 

oder  auch  mehr  Stunden  in  Anspruch  nehmen  kann,  ärzt- 
i  zu  versorgen.  Vor  der  Schlacht  werden  die  Matrosen 
i  h  Möglichkeit  gebadet  und  erhalten  frische  Wäsche.  Schon 
urend  des  Kampfes  und  bis  zu  ihrer  Abgabe  an  die  Lazarett- 
iffe  oder  die  Leichter  wird  den  Verwundeten  die  erste  ärzt- 
i  e  Hilfe  von  den  Aerzten  der  Kampfschiffe  zuteil. 

Bei  der  Flut  von  Verwundeten  innerhalb  kurzer  Zeit  — 
:  moderne  grosse  Seeschlacht  spielt  sich  nicht  selten  in 
i  liger  als  einer  Stunde  ab  — ,  den  räumlich  engen  und  vor 

•  Störungen  nicht  gesicherten  Verhältnissen  und  der  Knapp- 

der  bis  zur  Abgabe  der  Verletzten  zur  Verfügung  stehen- 
Zeit,  wird  sich  diese  erste  Hilfe,  soweit  sie  überhaupt  ge- 
jjwt  werden  kann,  auf  das  Dringendste  beschränken. 

'  hrend  der  Transportzeit  auf  den  Leichtern  wird  sie  auf  alle 
e  zu  ergänzen  und  zu  vervollständigen  sein. 

Die  Grundsätze  der  ersten  Wundversorgung  wurden  Ihnen 
':ern  von  Herrn  Geheimrat  Oberstabsarzt  Lex  er  ent- 
■  kelt.  Heute  soll  es  meine  Aufgabe  sein,  den  Kollaps  zu 
^rechen,  d.  h.  seine  Frühdiagnose,  seine  Vorbeugung  und 
1  andlung  zu  erörtern  unter  Berücksichtigung  der  Besonder¬ 
en  des  zu  erwartenden  Krankenmaterials  und  der  äusseren 
anderen  Umstände,  unter  welchen  sich  das  ärztliche  Han- 
u  abspielen  wird. 

Falls  es  fruchtbringend  sein  soll,  werden  wir  bestrebt  sein 
nsen,  unser  Handeln  den  äusseren  Verhältnissen  ent¬ 
gehend  auf  die  einfachsten  tatsächlich  durchführbaren  Mittel 
neschränken. 

Dass  der  Kollaps  als  dringlichstes  internes  Thema  ge¬ 
ilt  wurde,  bedarf  wohl  kaum  einer  näheren  Erläuterung, 
on  in  Friedenszeiten  kennen  wir  den  Kollaps  als  häufigen 
:  cheidenden  Zufall  bei  Infektionskrankheiten,  als  sympto- 
Hsches  Zeichen  und  Todesursache  bei  Bauchfellentzündung, 

) oft  überraschend  auftauchende  Klippe  bei  allen  akuten  und 
'mischen  Erkrankungen  des  Herzens,  als  Endstadium  von 
i'Sen  Blutverlusten,  als  Folge  von  Vergiftungen.  Seltener 
r 'ich  sehen  wir  ihn  als  Begleitfolge  oder  als  einzige  Folge 
<  Gewalteinwirkungen  im  weitesten  Sinne  des  Wortes 
’iock,  Ohnmacht). 

Bei  Seegefechten  haben  wir  es  nach  den  Erfahrungen  im 
sisch-Japanischen  Kriege  fast  ausschliesslich  mit  Ver¬ 
ödungen  durch  schwere  und  schwerste  Artillerie,  mit  Ver- 
"nungen,  Gasvergiftungen  und  schwersten  Kontusionen 

:  un. 

Die  auf  den  Schiffen  Kämpfenden  sind  dazu  während  der 
(acht  den  schwersten  körperlichen  und  psychischen  Fin- 

*)  Nach  einem  Vortrag  vor  Marinesanitätsoffizieren. 

Nr.  48 


Wirkungen  ausgesetzt.  Uebergrosse  Hitze  wirkt  auf  dieselben 
in  den  Heizräumen  und  Panzertürmen  ein;  ihr  Handeln  geht 
vor  sich  bei  schlechter  und  vergifteter  Atmungsluft,  da  alles 
abgedichtet  ist.  So  wird  auf  unseren  Transportleichtern,  wenn 
auch  die  häufigste  Friedensursache  des  Kollapses,  die  Infek¬ 
tionskrankheit,  wohl  überhaupt  nicht  in  Betracht  kommt,  doch 
der  infolge  von  traumatischer  Einwirkung  zu  Wunden  hinzu¬ 
tretende  oder  primär  mit  und  ohne  Wunde  erwirkte  Kollaps 
ein  sehr  häufiges  Vorkommnis  sein.  Es  werden  demselben 
sowohl  Verwundete,  wie  auch  ohne  äussere  Verletzung  Trau- 
matisierte  zum  Opfer  fallen;  darunter  auch  solche,  die  durch 
die  Art  der  Verletzung  allein  nicht  in  Lebensgefahr  gebracht 
worden  wären.  Somit  wird  auf  den  Leichtern  neben  der  Ver¬ 
vollständigung  der  ersten  gestern  vor  uns  dargelegten 
dringendsten  Wundversorgung  die  weitere  Aufgabe  an  die 
Transportärzte  herantreten,  die  durch  den  Kollaps  bedrohten 
Traumatisierten  zu  erkennen,  nach  Kräften  dem  Kollaps  vor¬ 
zubeugen  und  bei  ausgesprochenem  Kollaps  die  erste,  aller¬ 
dings  in  vielen  Fällen  entscheidende  Hilfe  zuteil  werden  zu 
lassen. 

I. 

Was  ist  unter  dem  Sammelbegriff  „Kollaps“  zu  verstehen? 
Welches  sind  die  Ursachen  der  bekannten  mannigfachen,  in 
ihrer  Intensität  und  Gruppierung  wechselnden  Kollapserschei¬ 
nungen? 

Nach  unseren  heutigen  Anschauungen  muss  die  Antwort 
darauf  lauten:  Allen  Kollapsen  ist  gemeinschaftliche  Ursache 
ein  Versagen  des  Kreislaufes  in  der  Weise,  dass  die  in  der 
Zeiteinheit  notwendige  Blutmenge  einer  grösseren  Reihe 
lebenswichtiger  Verbrauchsstellen  des  Körpers  in  verminderter 
oder  ganz  ungenügender  Menge  zugeführt  wird.  Dieses  in 
seiner  Intensität,  in  seiner  Grösse  von  Fall  zu  Fall  oder  von 
Augenblick  zu  Augenblick  wechselnde  Defizit  von  Blutzufuhr 
ist  in  seinem  Verhältnis  zu  der  erforderlichen  Blutmenge  nicht 
immer  notgedrungen  an  allen  Stellen  gleichmässig  dasselbe. 
Der  Mangel  an  Blut  kann  an  den  einen  besonders  prädispo¬ 
nierten  oder  affizierten  Stellen  mehr  ausgesprochen  sein  als 
an  anderen;  daher  die  Verschiedenheit  der  klinischen  Erschei¬ 
nungen  bei  den  verschiedenen  Kollapsarten:  z.  B.  schwere 
Bewusstseinsstörungen  bei  verhältnismässig  leichten  Kollapsen, 
bei  denen  sich  die  Blutzufuhr  zuerst  in  der  Grosshirnrinde 
vermindert,  oder  vollständig  klares  Bewusstsein  bei  tödlichen 
Bauchfellverletzungen.  Dieses  Versagen  des  Kreislaufes  im 
weitesten  Sinne  des  Wortes  muss,  um  ein  klinisches  Bild  zu 
verursachen,  das  unter  dem  Sammelbegriff  „Kollaps“  ein¬ 
gereiht  werden  kann,  ein  akutes  sein.  Im  Gegensatz  dazu 
steht  das  klinisch  ganz  anders  geartete  Bild  der  chroni¬ 
schen  Kreislaufinsuffizienz  oder  Kompensationsstörung,  wie 
man  diesen  Zustand  wohl  früher  nannte. 

Die  grosse  Verschiedenheit  des  klinischen  Bildes  des  Kol¬ 
lapses  oder  akuten  Versagens  des  Kreislaufes  und  der  chro¬ 
nischen  Herzinsuffizienz  oder  Kompensationsstörungen  beruht 
vorwiegend  auf  dem  Umstand,  dass  beim  Kollaps  die  Kreislauf¬ 
störungen  rasch  einsetzen,  dabei  vorübergehend  oder  innerhalb 
kurzer  Zeit  tödlich  sind  und  es  so  nicht  zu  den  bekannten  Er¬ 
scheinungen  kommen  kann,  die  sich  hei  länger  anhaltender 
fortschreitender  Kreislaufinsuffizienz  in  den  verschiedenen  Or¬ 
ganen,  entsprechend  den  Störungen  des  Blutstromes,  infolge 
von  Stauung  einstellen  und  im  Endstadium  zum  Hydrops  uni¬ 
versale  führen. 

Wie  kommt  nun  dieses  Versagen  des  Kreislaufes  zustande? 
Die  Erfahrung  lehrt  und  bestätigt  die  theoretische  Uebcrlegung, 

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2.302 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  4S 


dass  der  Kreislauf  versagen  kann  infolge  von  Störungen  a)  des 
Herzens,  b)  der  Gefässe  und  c)  der  Nieren. 

Während  Kollaps  bei  Nierenkrankheiten  im  Frieden  ein 
nicht  gerade  seltenes  Vorkomnis  ist,  können  wir  an  dieser 
Stelle,  wo  es  sich  um  die  Vorbereitung  auf  eine  Seeschlacht 
handelt,  die  Besprechung  des  Kollapses  bei  Nierenkrankheiten 
übergehen. 

Unter  den  borddienstfähigen  Seeleuten  werden  wohl  chro¬ 
nische  Nephritisfälle  überhaupt  nicht  oder  doch  nur  ganz 
selten  sein,  weil  sie  schon  im  Zivilleben  erkannt  oder  bei  der 
Wiedereinstellung  ausgeschieden  werden.  Akute  Nierenent¬ 
zündungen  machen  nur  sehr  selten  innerhalb  der  ersten 
Stunden  Kollaps. 

a)  Herzkollaps. 

Das  gesunde  Herz  verfügt  über  eine  wunderbare,  nach  Bedarf 
automatisch  in  Wirkung  tretende  Anpassungsfähigkeit  seiner  Lei¬ 
stungen  an  die  jeweils  an  den  Kreislauf  gestellten  Anforderungen. 
Die  Blutmenge  (Schlag-  oder  Sekundenvolumen),  die  das  Herz  eines 
Matrosen  bei  Körperruhe  zu  liefern  hat,  ist  unverhältnismässig  viel 
kleiner,  als  diejenige,  die  das  Herz  desselben  mit  Anstrengung  seiner 
äussersten  physischen  Kräfte  kämpfenden  Matrosen  zu  liefern  hat  und 
in  der  Regel  auch  liefert.  Der  Uebergang  vom  kleineren  zum 
grösseren  Schlagvolumen  vollzieht  sich  unvermittelt  von  einem 
Augenblick  zum  anderen  im  Augenblick  des  Bedürfnisses.  Zu  dieser 
Vcrgrösserung  des  Schlagvolumens  kann  als  Ursache  weiterer  Stei¬ 
gerung  der  Herzarbeit  die  häufige  psychisch  bedingte  Steigerung  des 
Blutdruckes  treten.  Dann  lautet  die  Formel:  Grössere  Blut- 
inenge  gegen  höheren  Druck.  Diese  Anpassungsfähigkeit  des  Her¬ 
zens  an  die  zu  leistende  Arbeit  hat  auch  beim  gesunden  Herzen  ganz 
bestimmte  Grenzen  und  zwar  in  den  zur  Verfügung  stehenden  Re¬ 
servekräften.  Wird  von  einem  gesunden  Herzen  mehr  verlangt,  als 
es  selbst  unter  Heranziehung  sämtlicher  ihm  zur  Verfügung  stehen¬ 
der  Reservekräfte  zu  leisten  vermag,  dann  beantwortet  dieses  ge¬ 
sunde  Herz  unter  Umständen  die  Ueberlastung  mit  irreparablem 
Stillstand  oder  geht,  falls  die  Ueberlastung  nicht  so  lange  Zeit  an¬ 
gedauert  hat,  mehr  oder  weniger  schwer  geschädigt  aus  derselben 
heraus.  Die  Grenze  der  Leistungsfähigkeit  des  Herzmuskels  ist  bei 
Herzgesunden  je  nach  der  Beschaffenheit  des  Muskels  ebenso  ver¬ 
schieden,  als  z.  B.  die  Leistungsfähigkeit  des  Bizepsmuskels  bei  ver¬ 
schiedenen  Individuen.  Es  gibt  keine  normale,  für  alle  Menschen 
gültige  Reservekraftmenge  des  Herzens.  Die  von  den  herzgesunden 
Individuen  von  ihrem  Herzen  ohne  Schädigung  desselben  zu  leistende 
Höchstbelastung  wechselt  von  einem  Menschen  zum  anderen.  Dass 
unter  normalen  Verhältnissen  durch  Ueberschreiten  der  Leistungs¬ 
fähigkeit  des  Herzens  nicht  mehr  Unheil  sich  ereignet,  wird  dadurch 
bewirkt,  dass  der  Körper,  wenn  die  geleistete  Arbeit  gegen  die  Gren¬ 
zen  der  Leistungsfähigkeit  des  betreffenden  Herzens  kommt,  bei  nor¬ 
malen  Willenskraftentfaltungen  seinen  Dienst  einfach  versagt,  ehe  das 
Herz  tatsächlich  überlastet  ist.  So  wird  die  gefährliche  Ueberlastung 
in  der  Regel  unmöglich  gemacht.  Darin  liegt  die  Erklärung,  dass  bei 
beschleunigtem  Lauf  einer  mit  Gepäck  beladenen  Truppe  die  ein¬ 
zelnen  Soldaten  in  verschiedener  Entfernung  ihres  Ausgangspunktes 
„schlapp  werden“;  die  einen  recht  früh  (die  Herzmuskelschwachen), 
die  anderen  viel  später.  Wenige  aber  werden  Schaden  nehmen.  Die 
Entfernung,  nach  welcher  die  einzelnen  abfallen,  hängt  ab  in  erster 
Linie  von  der  speziellen  Leistungsfähigkeit  des  betreffenden  (ge¬ 
sunden)  Herzens,  dann  aber  von  der  Willensenergie  und  Uebung, 
die  den  einzelnen  befähigt,  die  Erscheinungen  des  Nichtmehrkönnens 
kürzere  oder  längere  Zeit  zu  überwinden.  Daraus  erklärt  sich  die 
an  und  für  sich  nicht  genügend  bekannte  und  gewürdigte  Tatsache, 
dass  Menschen,  die  darauf  ausgehen,  durch  täglich  gesteigerte 
Uebungen  und  sog.  Stählen  der  Willensenergie  zu  trainieren,  früher 
oder  später  mit  ihrem  Herzen  in  Konflikt  kommen.  Es  gibt  kaum 
einen  bekannten  berufsmässigen  Radrekordfahrer,  der  nicht  wegen 
abnormen  Herzens  vom  Militär  abgewiesen  worden  wäre. 

Sicher  wird  während  eines  Seegefechtes  von  unseren  Matrosen, 
selbst  für  gut  ausgebildete,  häufig  an  körperlicher  Anstrengung  ganz 
Ungewöhnliches  geleistet  und  erlitten  werden.  Beispiele  Hessen  sich 
aus  den  letzten  Erlebnissen  schon  anführen.  Auch  stärkste  Herzen 
werden  oft  an  die  Grenze  ihrer  Leistungsfähigkeit  gelangen  und 
kürzere  oder  längere  Zeit  ad  maximum  belastet  sein.  Denn  es  ist 
Tatsache,  dass  in  solchen  Augenblicken  höchster  seelischer  Er¬ 
regungen  und  fast  übermenschlichen  Willens  die  Vorboten,  die  sonst 
das  Herannahen  an  die  Leistungsgrenzen  des  Herzens  recht  fühlbar 
machen,  übersehen,  nicht  beachtet  oder  nicht  empfunden  werden. 
Beispiel  für  solches  Vorkommnis  aus  der  Geschichte  ist  der  Läufer 
von  Marathon,  der  nach  Erfüllung  der  ihm  aufgetragenen  Meldung  tot 
zusammensinkt.  Deshalb  werden  wir  in  und  nach  der  Seeschlacht 
Kollapse,  ja  Todesfälle  ohne  jede  zunächst  greifbare  Ursache  erleben, 
die  hierher  gehören.  Dass  einmalige  Ueberanstrengungen  des  Her¬ 
zens  unter  solchen  Umständen  auf  längere  Zeit  das  Herz  all  seiner 
Reservekräfte  berauben  können,  wissen  wir  aus  den  selteneren,  aber 
in  dieselbe  Kategorie  gehörigen  Vorkommnissen  der  Friedenszeit:  So 
geschädigte  Herzen  mit  oder  ohne  eindeutige  anatomische  Unter¬ 
lagen  sind  in  der  Marine  nichts  Seltenes. 

Vielleicht  noch  häufiger  und  mit  einer  gewissen  Regelmässigkeit 


führen  zum  Herzkollaps,  d.  h.  zu  der  effektiven  Verkleinerung  de; 
Schlagvolumens  plötzliche  traumatisch  gesetzte  oder  ausgelöste  Ver 
änderungen  des  früher  gesunden  oder  doch  selbst  bei  Funktions 
Prüfungen  gesund  erscheinenden  Herzens.  Dahin  gehören  die  trau 
matischen  Klappenfehler:  Zerreissungen  von  gesunden  oder  durcl 
schleichende  Prozesse  prädisponierten  Klappen  oder  ihrer  Sehnen 
fäden  unter  urplötzlicher  Ueberanstrengung  des  Herzens.  Sofort  trit 
dann  zu  der  von  aussen  verlangten  Arbeit,  die  durch  die  Klappen 
Stellung  jeweils  bedingte  Mehrarbeit  hinzu.  Von  diesem  Augenblicl 
ab  kann  das  Herz  dann  versagen.  Derartiges  kommt  im  Frieden  be 
Unglücksfällen  gelegentlich  vor;  wie  solche  plötzlich  eintretendi 
Klappendefekte  wirken,  wissen  wir  aber  hauptsächlich  aus  den  nich 
gerade  seltenen  Fällen  von  akuter  Ruptur  latent  luetisch  erkrankte] 
Aortenklappen.  Gelegentlich  entsteht  bei  derartigen  Rupturen  da: 
sogen,  musikalische  Geräusch  durch  Schwingungen  der  geschädigte: 
Klappe  oder  der  geschädigten  Sehne. 

Auch  das  motorische  Gewebe  des  Herzens,  das  Myokard,  kam 
durch  Trauma  geschädigt  werden.  Typisch  dafür  sind  die  Blutungei, 
in  das  Myokard.  Derartige  Schädigungen  des  Herzfleisches  werdet 
hauptsächlich  zu  erwarten  sein,  wenn  stumpfe  Gewalt  auf  die  Herz 
gegend  eingewirkt  hat.  Ein  derartig  geschädigtes  Herzfleisch,  da: 
dazu  noch  unter  starker  Belastung  bleibt,  wird  selbstverständlich  eni 
sprechend  früher  versagen. 

Endlich  wissen  wir,  dass  gewisse  Gifte  selbst  das  gesunde  Her; 
entweder  vorübergehend  oder  auch  für  längere  Zeit  in  einen  Zustand 
geringer  Leistungsfähigkeit  versetzen,  d.  h.  myasthenisch  machet 
können.  Dahin  gehören  in  erster  Linie  Alkohol,  wohl  auch  Nikotin 
Menschen,  die  unter  Alkoholwirkung  oder  Nachwirkung  sich  befinden 
werden  in  diesem  Zustande  weniger  Herzarbeit  leisten  können,  al: 
sie  in  der  Norm  dazu  befähigt  sind;  je  nach  dem  Grade  des  myasthe 
nischen  Zustandes  werden  sie  früher  dem  Kollaps  verfallen.  Derartif 
ungünstig  beeinflusste  Herzen  werden  wir  unter  unseren  Kollabiertet 
wohl  auch  finden. 

b)  Der  Gefässkollaps. 

Die  Gefässe  sind  lebendige,  in  ständiger  Wechselwirkung  zun 
Herzen  stehende,  oft  in  verschiedenen  Bezirken  in  verschiedenen 
Sinne  sich  verändernde  Blutzuführungsorgane.  Zweck  dieses  Gefäss 
spieles  ist,  Herzarbeit  zu  sparen  und  das  Pumporgan  zu  schonen 
Durch  feinste  Anpassung  der  von  unzähligen  Stellen  auslösbarei 
vasomotorischen  Tätigkeit  an  das  Blutbedürfnis  der  einzelnen  Stellei 
kann  bei  grösserem  Blutbedürfnis  an  der  einen  Stelle  dasselbe  durcl 
Erweiterung  der  betreffenden  Arterien  ohne  Vcrgrösserung  der  Herz! 
arbeit  zugeführt  werden,  so  lange  es  möglich  ist,  an  anderen  Stellet 
durch  Verkleinerung  der  betreffenden  Arterien  das  Blut  einzuspareri 
Erst  wenn  dies  nicht  mehr  möglich  ist,  wird  vom  Herzen  eii 
grösseres  Schlagvolumen  verlangt.  Dieses  grössere  Schlagvolume; 
könnte  bei  fehlender  vasomotorischer  Tätigkeit,  also  bei  starren  Ge 
fässen  —  Zustand,  den  wir  bei  Gefässstarre  annähernd  sehen  — J 
den  Verbrauchsstellen  nur  durch  Erhöhung  des  Arterieninnendrucke 
zugeführt  werden.  Diese  grössere  Arbeit  bedingende  Druckerhöhun) 
wird  dadurch  vermieden,  dass  die  Gefässe  bestrebt  sind,  durch  ent 
sprechende  Erweiterung  ihrer  Ablaufgebiete  den  Normalblutdrud 
möglichst  lange  aufrecht  zu  erhalten. 

Eine  weitere  Eigentümlichkeit  ist  die  sogen.  Weitbarkeit  de 
Arterien,  d.  h.  die  Fähigkeit,  bei  jedem  Herzschlag  eine  iibergrossj 
systolische  Zunahme  des  Druckes  durch  Ausdehnung  der  Wandum: 
eine  zu  grosse  Abnahme  des  Druckes  durch  Kontraktion  der  Wan 
düngen,  d.  h.  Kleinerwerden  des  Querschnittes,  zu  vermeiden.  Di 
Weitbarkeit  mindert  die  Druckschwankung  innerhalb  der  Schlag! 
revolution  des  Herzens.  Im  Prinzip  wirkt  die  Weitbarkeit  der  Ar 
terien,  deren  wichtige  Komponente  die  Vasomotorentätigkeit  ist 
wie  der  Windkessel  einer  Pumpe:  Sie  reguliert  und  gleicht  den  Stron 
aus,  verhindert  schockartiges  Arbeiten  der  Pumpe,  schont  so  Her 
und  Arterien.  Die  vasomotorische  Tätigkeit  bedeutet  somit  eint 
grosse  Ersparnis  von  Herzarbeit.  Dieselbe  ist  zur  Aufrechterhaltun: 
des  Kreislaufes  notwendig.  Wir  wissen,  dass  auch,  der  herzgesumh 
Mensch  bei  Lähmung  grosser  Gefässbezirke  nicht  mehr  imstandi 
ist,  trotz  stärkster  Inanspruchnahme  des  gesunden  Herzens  den  Kreis 
lauf  aufrecht  zu  erhalten:  Er  verblutet  sich  in  seine  eigenen  Gefässe 
Entgegengesetztes  erleben  wir  bei  schweren  Blutungen:  Die  Vastv 
motorentätigkeit  kann  durch  Verkleinerung  des  Gefässgesamtquerj 
Schnittes  trotz  akuter  grosser  Blutverluste  den  zur  Durchblutuii: 
der  Gewebe  und  Organe  notwendigen  Druck  lange  aufrecht  er 
halten.  Ist  es  den  Vasomotoren  wegen  immer  grösser  werdenden  Blut 
defektes  nicht  mehr  möglich,  durch  Verkleinerung  des  Gesamtquer 
Schnittes  den  notwendigen  Druck  aufrecht  zu  erhalten,  dann  triti 
der  Tod  durch  Verblutung  ein;  ein  echter  Kollapstod.  Mässige  Bluj 
tungen  mit  gleichzeitiger  Störung  der  Vasomotoren  werden  scho' 
recht  früh,  insbesondere  bei  Ueberlastung  des  Herzens  zu  scheinba. 
unberechtigtem  Kollaps  führen.  Solche  vasomotorische,  einer  Vw 
minderung  des  Schlagvolumens  gleichkommende  Einflüsse  dürftet 
manchen  Zuständen  zugrunde  liegen,  die  unter  dem  Sammelbegrii 
„Schock“  zusammengefasst  werden.  Die  sogen.  Hitzschlagkollapse 
die  bei  Einwirkung  grösster  Hitze,  vorwiegend  bei  gleichzeitiger  kür 
perlicher  Arbeit  zustande  kommen,  desgleichen  die  Kollapse  nach  dei 
im  Schiffsartilleriekampf  nicht  gerade  seltenen  Gasvergiftungen  dürf 
ten  ebenfalls  eine  ausgesprochene  vasomotorische  Komponentt 
haben. 


I.  Dezember  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2303 


II. 

Falle  reinen  kardialen  Kollapses  kommen  ebenso  gut  vor, 
ils  solche  reinen  vasomotorischen  Ursprungs.  Erstere  dürften 
-doch  häufiger  sein  als  die  letzteren.  Die  grössere  Mehrzahl 
er  Kollapse  dürfte  Mischform,  also  kardio-vasomotorischen 
Ursprungs  sein.  Bei  denselben  wird  der  Kollaps  ausgelöst 
!urch  Summation  einer  kardialen  mit  einer  vasomotorischen 
Komponente.  Es  empfiehlt  sich  somit  die  Behandlung  der 
kuten  Kreislaufinsuffizienz  auf  beide  Indikationen  einzurichten, 
’m  so  mehr,  als  erhöhte  Heranziehung  der  Herzkräfte  bei 
ein  vasomotorischem  Kollaps,  Unterstützung  der  vaso- 
lotorischen  Tätigkeit  bei  reinem  Herzkollaps  nur  von  Nutzen 
ein  kann. 

a)  Prophylaxe  des  Kollapses. 

Während  des  I  ransportes  der  Verletzten  auf  den  Leichtern  wer- 
en  die  Fälle  im  Auge  behalten  werden  müssen,  bei  denen  Kollaps 
roht.  Hohe  Pulszahl,  unmotivierter  rascher  Wechsel  derselben, 
iterrnittierendcs  Hinken  des  Herzens,  unklares  Bewusstsein,  Ohn- 
lachtsan Wandlungen  bei  geringen  Anlässen,  häufiger  Farbenwechsel, 
chweissausbrüche  ohne  äussere  Ursache  sind  häufig  Vorboten  des 
later  mit  elementarer  Gewalt  einsetzenden  Kollapses.  Kollapsfähig 
nd  nach  dem  für  Herz  und  Vasomotoren  höchste  Belastung  dar¬ 
eilenden  Seegefecht  alle  Kranken  mit  schweren  Wunden,  insbeson- 
ere  mit  Blutverlust,  alle  aus  irgend  einem  nicht  ersichtlichen  Grunde 
ewusstlosen.  Bei  solchen  kollapsfähigen  Menschen  können  ge- 
gentlich  Kleinigkeiten  den  Ausschlag  geben  für  den  Ausbruch  eines 
isch  tödlich  verlaufenden  Kollapses.  Dieser  Erfahrung  müssen  wir 
jf  den  Leichtern  gerecht  werden. 

Es  dürfte  recht  zweckmässig  sein,  die  von  Kollaps  bedrohten 
ranken  in  eine  Ecke  des  Leichters  zusammenzulegen.  Da  die  ein- 
.'lnen  Kranken  auf  I  ragbahren  liegen,  so  dürfte  diese  Zusammen- 
ellung  nach  Erkennung  der  einzelnen  Fälle  bei  nicht  zu  starkem 
eegange  zu  bewerkstelligen  sein. 

Die  örtliche  Vereinigung  würde  die  Beobachtung  der  Kranken 
»wie  die  Behandlung  erleichtern. 

Zunächst  ein  einschränkendes  Wort  über  die  Anwendung  von 
orphium.  Dasselbe  wahllos  an  alle  Verwundeten  und  gleich  in 
ossen  Dosen  zu  geben,  dürfte  wohl  von  unserem  Standpunkte  kaum 
i  rechtfertigen  sein.  Selbstverständlich  ist  es  möglich,  mit  Mor- 
num  Linderung  und  Ruhe  zu  schaffen,  und  es  soll  diese  Wohltat  in 
leingeschränktem  Masse  allen  denjenigen  zuteil  werden,  die  vom 
allaps  nicht  bedroht  sind.  In  welcher  Weise  Morphium  in  die  Vaso- 
otorentätigkeit  unter  den  in  den  einzelnen  Fällen  obwaltenden, 
hlechterdings  nicht  zu  erkennenden  Verhältnissen  eingreift,  ist 
»erhaupt  nicht  zu  übersehen.  Jedenfalls  ist  es  theoretisch  denkbar 
id  durch  die  Praxis  auch  wahrscheinlich  gemacht,  dass  Morphium 
irch  Störung  der  Vasomotorentätigkeit  Kollaps  direkt  begünstigen 
mn;  umgekehrt  muss  zugegeben  werden,  dass  sehr  grosser 
ihmerz,  insbesondere  wenn  er  längere  Zeit  anhält,  Kollapserschei- 
ingen  machen  kann.  Es  würde  sich  deshalb  empfehlen,  in  der 
»llapsecke  Morphium  nur  zu  geben,  wenn  tatsächlich  grosse 
:hmerzen  bestehen.  Zur  Linderung  der  Schmerzen  bedarf  es  bei 
:hwerverwundeten,  die  dazu  noch  vor  dem  Kollaps  stehen,  keines- 
egs  grosser  Dosen.  Kleine,  ja  kleinste  Dosen  von  5  mg,  dürften 
nächst  genügen  und  uns  einen  Anhaltspunkt  für  die  Morphium- 
rkung  in  dem  betreffenden  Falle  geben.  Bei  Benommenheit  dürfte 
>n  Morphium  in  den  meisten  Fällen  abgesehen  werden  können 
»llapsvorboten  oder  Kollapserscheinungen  mahnen  uns  zur  Vorsicht 
der  Morphiumanwendung. 

Bei  der  Versorgung  kollapsbedrohter  Verletzter  ist  zunächst  für 
^glichst  unbehinderten  Kreislauf  zu  sorgen:  also  Flachlage,  Ent¬ 
mutig  von  körpereinschnürenden,  also  kreislauferschwerenden  Klei- 
ngsstücken  (Aufknöpfen  des  Hosenbundes,  Lockerung  zu  fest  sitzen- 
r,  Stauung  machender  Verbände).  Besondere  Aufmerksamkeit  ist 
smar  ch  sehen  Binden  zuzuwenden;  dieselben  dürfen  auch  von 
;sem  Standpunkte  aus  unter  keinen  Umständen  Stauung  machen, 
e  dies  Herr  Geheimrat  L  e  x  e  r  aus  Gründen  chirurgischer  Natur 
enfalls  forderte.  Es  muss  ängstlich  vermieden  werden,  dass  durch 
auungen  oder  Blutungen  dem  Kreislauf  Blutmengen  entzogen  wer- 
n.  Bei  der  Lagerung  des  Kranken  werden  wir  darauf  achten,  dass 
impf  und  Extremitäten  warm  bedeckt  sind.  Bei  weichem,  kleinern 
ils,  bei  allen  denen,  die  Blut  verloren  haben,  bei  vollständig  Er- 
höpften,  bei  Ohnmachtsanwandlungen  werden  wir  bestfebt  sein, 
:ht  lebenswichtigen  Gebieten  die  Blutzufuhr  zugunsten  wichtiger 
eilen  einzuschränken,  jedoch  ohne  Stauung  zu  machen, 
ir  können  dies  durch  Hochlagerung  beider  Beine,  durch  künstliche 
1  Jtarmmachung  von  Gliedern  (mit  der  Umwicklung  unten  beginnend, 

:  ichmässig  drückend,  zentralwärts  fortschreitend). 

Ferner  ist  immer  für  den  Ersatz  von  Flüssigkeitsverlusten  zu 
■‘gen:  Oefters  kleine  Mengen  (bis  200  ccm)  Flüssigkeit.  Wegen  der 
Lzbeengcnden  Magcnblase  sind  kohlensäurehaltige  Getränke  zu  ver¬ 
eiden.  Da  nach  der  Schlacht  Erschöpfung  in  der  Regel  eine  Rolle 
eit  —  Erschöpfung  allein  kann  ja  Kollaps  machen  — ,  so  dürfte  sich 
1  pfehlen,  dem  Körper  Energiequellen  zuzuführen.  Am  besten  ge- 
Mieh'  dies  in  flüssiger  kompendiöser  Form.  Feste  Nahrung  erfor- 
(rt  vom  Kreislauf  für  Verarbeitung  und  Resorption  unverhältnis- 
l  ssig  mehr  als  flüssige.  Für  den  Gebrauch  auf  den  Leichtern  dürfte 


es  sich  empfehlen,  ein  Getränk  mitzuführen,  das  aus  einem  kräftigen 
Kaffeeausguss  mit  einem  Drittel  Rahm  und  Zucker  besteht  (Zusatz 
von  Kognak).  Durch  dieses  Getränk  dürfte  die  Zuführung  von  Flüs- 
stgkeit  und  Kalorien  zweckmässig  zu  erreichen  sein.  Wo  es  nicht 
j  möglich  ist,  Flüssigkeits-  und  Kalorienzuführung  durch  den  Magen 
zu  bewerkstelligen  (Magendarmverletzung),  dürften  Klistiere  von 
J  150—200  ccm  einer  10  proz.  Traubenzuckerlösung  ein-  bis  zweistünd¬ 
lich  gute  Dienste  leisten.  Bei  Bewusstlosen  ist  diese  Indikation  nicht 
zu  vergessen.  Bei  denselben  haben  wir  die  Wahl  zwischen  der 
stehet  vorzuziehenden,  auf  den  Leichtern  jedoch  kaum  auszuführen- 
cieit  subkutanen  Kochsalzinfusion  und  der  Verabreichung  von  Flüssig- 
keit  durch  die  Schlundsonde. 

.  -'OljKfältig  sind  die  Faktoren  zu  vermeiden,  von  denen  die  prak¬ 
tische  Erfahrung  lehrt,  dass  sie  imstande  sind,  reflektorisch  die  Vaso- 
motoren  und  das  Herz  ungünstig  zu  beeinflussen,  z.  B.  schlechte  Luft, 
a  ui-  i™Cni Anblick  von  ekelerregenden  Dingen  (macht  doch  der 
Anblick  von  Blut  bei  manchen  Menschen  Kollapserscheinungen).  Re¬ 
flektorisch  wirkende  Riechmittel  (Aetherfläschchen)  sind  manchmal 
recht  günstig.  Eine  günstige,  nur  reflektorisch  zu  erklärende  Wir¬ 
kung  hat  bekanntlich  auch  Temperaturreiz  von  der  Magenschleim- 
haut  aus.  Es  dürfte  zweckmässig  sein,  unsere  Kaffee-Rahm-Zucker- 
Mischung  sowohl  heiss  als  eisgekühlt  in  Thermosflaschen  auf  den 
Leichtern  mitzuführen.  Bei  unseren  von  Kollaps  bedrohten  Kranken 
durfte  schliesslich  die  prophylaktische  Verabreichung  eines  Mittels 
j  von  dem  günstige  Wirkung  auf  die  Gefässe  und  vielleicht  auch  auf 
|  *lerz  ffstst^ht’  angezeigt  sein.  Ich  meine  das  schlecht  benannte 
|  knur^in.  1  g  Diuretin  (z.  B.  in  unserer  Kaffee-Rahm-Mischung  ge- 
!  lost)  wahllos  jedem  Kranken  unserer  Kollapsecke  verabreicht.  Bei 
Bei  iicksichtigung  dieser,  auch  auf  den  Leichtern  durchzuführenden 
vorbeugenden  Grundsätze  wird  der  Ausbruch  manchen  Kollapses  ver¬ 
mieden  werden. 

Dies  käme  schliesslich  einer  Zeitersparnis  gleich,  da  der  aus- 
gesprochene  Kollaps  das  ärztliche  Wirken  erheblich  mehr  in  An¬ 
spruch  nimmt,  als  die  fast  schematische  Veranlassung  und  Aus- 
tuhrung  der  eben  besprochenen  Massnahmen  bei  allen  kollapsfähigen 
Verletzten,  die  nach  Erkennung  der  in  Betracht  kommenden  Ver- 
etzten  dem  gut  geschulten  Sanitätspersonal  überlassen  werden 
konnten. 

b)  Therapie  des  Kollaps  es. 

Kommt  es  nun  trotzdem  zum  ausgesprochenen  Kollaps,  so  ist 
e  i  g  i  e  b  i  g  e  r  Gebrauch  von  den  durch  die  Erfahrung  erprobten 
Herz-  und  Gefassmitteln  zu  machen.  Da  jede  andere  Anwendungs¬ 
weise  wegen  der  nicht  zu  übersehenden  Resorptionsverhältnisse  un- 
S|-  u  *s^’  ^omrn^  dazu  ausschliesslich  die  Einspritzung  unter 
die  Haut  oder  in  die  Blutader  in  Betracht.  Es  dürfte  sich  empfehlen, 
im  Beginn  viel  häufiger,  später  dann  während  des  ganzen  Trans¬ 
portes  unabhängig  vonevent.  auftretenden  Besse¬ 
rungen,  einhalbstündlich  bis  stündlich  abwechselnd  0,20  g  Koffein 
und  1,0  g  Kampferöl  zu  geben.  Verschlimmert  sich  trotz  der  Ein¬ 
spritzung  der  Kollaps,  was,  abgesehen  vom  Puls,  an  dem  Spitz¬ 
werden  des  Gesichtes,  an  der  fortschreitenden  Abkühlung  der  Ex¬ 
tremitäten,  an  dem  Fallen  der  Temperatur  zu  ersehen  ist,  so  kommt 
feist  wahllos  für  alle  unsere  Fälle  der  Versuch  mit  einer  intra- 
venösen  Strophanthininjektion  in  Frage.  Ich  sagte  fast  wahllos 
aus  folgender  Ueberlegung:  Für  die  Entfaltung  der  Strophanthin¬ 
wirkung  muss  noch  gesundes  Herzfleisch  vorhanden  sein.  Wo  ge¬ 
sundes  Herzfleisch  noch  vorhanden  ist,  und  dies  wird  bei  unserem 
Material  selbst  bei  einer  Anzahl  von  denjenigen  Fällen,  wo  auch 
direkte  akute  Schädigung  des  Herzens  vorliegt,  der  Fall  sein  ist 
Strophanthin  ein  ideales  Mittel.  Es  ruft  die  an  gesundes  Myokard 
gebundenen  Reservekräfte  des  Herzens  auf  den  Plan,  und  zwar 
im  Gegensatz  zu  der  Digitalis,  deren  intravenöse  Verabreichung  bis 
jetzt  noch  ein  unerfüllter  Wunsch  ist,  innerhalb  kürzester  Zeit 
Die  Besserung  des  Pulses  ist  oft  schon  nach  Sekunden  fühlbar  Dass 
die  akute  Herzinsuffizienz  nach  der  Sachlage  nicht  Gegenstand  von 
Digitalistherapie  sein  kann,  ist  ohne  weiteres  klar:  Digitalis 
braucht,  solange  wir  kein  vollwertiges  Präparat  für  intravenöse  Ein¬ 
spritzungen  haben,  Zeit.  Erst  im  Lazarett  wird  die  Frage  an  uns 
herantreten,  ob  es  sich  empfehlen  dürfte,  Menschen,  die  Kollaps  ge¬ 
macht  haben,  vorsichtig  zu  digitalisieren.  Trotzt  der  Kollaps  nun 
auch  der  Strophanthininjektion  von  K>—1  mg,  die  wir  im  Gegensatz 
zur  Kampferkoffeineinspritzung  vor  36—48  Stunden  nicht 
wiederholen  dürfen,  so  wäre  es  wünschenswert,  wenn  wir 
wenigstens  bei  denjenigen  Fällen,  die  durch  intensive  Färbung  und 
grossen  schlappen  Puls  auffallen,  noch  einen  Versuch  machen  könnten 
mit  einer  intravenösen  Adrenalineinspritzung  oder  eines  gleich¬ 
wertigen  Präparates,  von  denen  Lösungen  in  sterilen  Tuben  fertig 
im  Handel  Vorkommen.  Für  gewöhnlich  wende  ich  z.  B.  bei  Pneu¬ 
moniekollapsen  Mengen  von  10 — 20  Tropfen  der  Adrenalinoriginal¬ 
lösung  in  etwas  physiologischer  Kochsalzlösung  intravenös  an.  Der 
Erfolg  der  Adrenalineinspritzung  ist  hauptsächlich  bei  rein  vaso¬ 
motorischen  Kollapsen  mindestens  vorübergehend  ein  sehr  guter. 
Die  Wirkung  ist  allerdings  leider  oft  eine  sehr  flüchtige;  gelegentlich 
gewinnt  man  jedoch  den  Eindruck,  dass  die  Adrenalinlösung  auf  die 
weitere  Gestaltung  der  Dinge  einen  entscheidend  günstigen  Ffn- 
fluss  hat. 

Die  Aussichten  der  Behandlung  der  vom  Kollaps  bedrohten 
und  der  kollabierten  Kranken  und  Verwundeten  wären  fol- 

r 


J304 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  48. 


gende:  Wo  funktionelle  Schädigungen  des  Kreislaufes  und 
vorübergehende  Folgen  von  Ueberlastung  desselben,  Sum¬ 
mation  von  verschiedenen  Momenten,  deren  einzelne  später 
zurückgehen,  den  Kollaps  bewirken,  wird  die  Behandlung  der 
akuten  Kreislaufstörung  dem  Kreislauf  in  manchen  Fällen  über 
die  kritische  Zeit  hinweghelfen,  während  er  sich  selbst  über¬ 
lassen  versagt  und  damit  das  Schicksal  des  Kranken  besiegelt 
hätte.  In  allen  denjenigen  Fällen,  wo  es  sich  z.  B.  bei  schweren 
Bauchverletzungen,  stärksten  Blutverlusten  um  irreparable 
Schädigungen  oder  Schockwirkungen  von  längster  Dauer 
handelt,  wird  es  wohl  nur  selten  möglich  sein,  den  Kreislauf 
künstlich  genügend  aufrecht  zu  erhalten  bis  zu  dem  Augen¬ 
blick,  in  welchem  Herz  und  Arterien  in  abgestimmtem 
Wechselspiel  ihre  Funktionen  wieder  spontan  aufnehmen. 


Aus  der  Kgl.  Universitäts-Frauenklinik  zu  Halle  a.  S. 

(Direktor:  Qeheimrat  Prof.  Dr.  J.  Veit). 

Zum  Krankheitsbild  der  puerperalen  Infektion  mit  dem 
E.  Fraenke I sehen  Gasbazillus. 

Von  Dr.  W.  S  c  h  ü  1  e  r,  Assistenzarzt  der  Klinik. 

Auf  die  klinische  Bedeutung  der  anaeroben  Keime  im 
Blute  hingewiesen  zu  haben,  ist  Schottmüllers  Verdienst. 
Die  Verfahren  zu  ihrem  Nachweis  waren  sehr  lange  kompli¬ 
ziert  und  umständlich.  Verbesserung  und  Vereinfachung 
brachten  u.  a.  Schottmüller,  Lamers  und  Linde¬ 
rn  a  n  n.  Wir  verwenden  in  unserer  Klinik  vorwiegend  die 
von  Lindemann  angegebene  Methode,  weil  sie  technisch 
sehr  bequem  ist.  Mit  der  grösseren  Beachtung^  der  anaeroben 
Blutkulturen  kam  man  natürlich  auch  zu  der  Erkenntnis,  dass 
dieselben  erstens  weit  häufiger  und  vor  allem  in  ihrer  Patho¬ 
genität  weit  gefährlicher  sind  als  man  auf  Grund  rein  theo¬ 
retischer  Erwägungen  —  das  sauerstoffhaltige  Blut  lässt  die¬ 
selben  nicht  aufkommen,  sagte  K  r  ö  n  i  g  noch  1895  —  annahm. 

Von  den  anaeroben  Keimen  spielt  bei  der  puerperalen  In¬ 
fektion  der  Bacillus  aerogenes  capsulatus  Fraenkel  eine  der¬ 
artige  Rolle,  dass  wir  sein  Krankheitsbild  durchaus  kennen 
müssen,  soll  sich  unsere  Diagnose  nicht  auf  Irrwege  begeben. 
Bisher  waren  die  Fälle  von  Infektion  mit  Reinkultur  im  Blut 
immerhin  vereinzelt.  Erst  beim  Entstehen  dieser  Veröffent¬ 
lichung  bringt  B  i  n  g  o  1  d  aus  der  Abteilung  Schott- 
m  ü  1 1  e  r  s  am  Eppendorfer  Krankenhaus  eine  umfassende  Ar¬ 
beit  über  den  Bacillus  aerogenes  capsulatus  an  der  Hand  von 
nicht  weniger  als  130  Fällen. 

Trotzdem  glaube  ich,  dass  folgende  beide  Fälle  wegen 
ihres  charakteristischen  Krankheitsbildes  einiges  Interesse  in 
Anspruch  nehmen  können. 

Fall  1.  Frau  Martha  H.,  21  Jahre,  Aufnahme  7.  II.  14  abends. 
Temperatur  38,3,  September  letzte  Periode.  Am  31.  I.  14  angeblich 
spontaner  Abort.  Die  Nachgeburt  sei  mit  der  Frucht  zusammen  fort¬ 
gegangen.  Am  5.  Tage  Fieber  und  Schüttelfrost.  Der  erst  am 

7.  Tage  zugezogene  Arzt  überwies  Pat.  sofort  der  Klinik.  Trotz 
eifrigen  Forschens  wird  jede  abtreiberische  Manipulation  geleugnet. 

Status:  Mittelgrosse  Frau  in  gutem  Ernährungszustände,  die 
einen  schwerkranken  Eindruck  macht,  Bewusstsein  ist  nicht  gestört, 
Herz  und  Lunge  o.  B.  Abdomen  weich,  nirgends  druckempfindlich. 
Milz  ist  nicht  palpabel,  perkutorisch  eine  Vergrösserung  nicht  nach¬ 
weisbar. 

Vaginal:  Uterus  vergrössert,  weich,  Zervikalkanal  für  einen 
Finger  durchgängig,  übelriechender  Ausfluss,  Ausstrich  aus  der  Zer¬ 
vix:  Staphylokokken  und  Bacillus  aerogenes  capsulatus,  2  aörobe 
Platten  aus  dem  Blute  bleiben  steril.  In  der  anaeroben  Blutkultur 
Bacillus  aerogenes  in  Reinkultur. 

8.  II.  Temperatur  morgens  40,4,  abends  39,7. 

9.  II.  Temperatur  morgens  39,5,  Ausräumung.  Abends  37,5, 
fieberfrei  bis  zum  10.  Tage.  Die  2.  Blutentnahme  nach  der  Aus¬ 
räumung  bleibt  anaerob  und  aerob  steril.  Nach  dem  Aufstehen  Fieber, 
am  28.  II.  Entlassung.  Im  Douglas  ein  unempfindliches  derbes  In¬ 
filtrat. 

27.  III.  wieder  aufgenommen,  Befund:  doppelseitige  Pyosalpinx. 

Fall  2.  Frl.  Lydia  F.,  21  Jahre,  Aufnahme  1.  V.  14,  3  Uhr 
nachmittags.  Letzte  Menses  Anfang  Januar.  Angeblich  beim  Ma¬ 
schinennähen  plötzlich  bewusstlos  unter  Krämpfen  vom  Stuhle  ge¬ 
fallen.  Vom  Arzt  wegen  Verdacht  auf  Eklampsie  in  die  Klinik  ge¬ 
wiesen.  Während  des  Transportes  nochmals  1  Anfall. 

Status:  Pat.  kommt  ohne  Fieber  im  bewusstlosen  Zustande, 
Pupillen  nicht  erweitert,  Gesicht  leicht  gedunsen,  zyanotisch, 
keine  ikterische  noch  subikterische  Verfärbung  der  Haut,  Atmung  be¬ 
schleunigt,  oberflächlich.  Cor.  o.  B.  Abdomen  aufgetrieben,  keine 


Bauchdeckenspannung,  keine  Vergrösserung  der  Milz.  Fundus  uteri 
handbreit  über  der  Symphyse.  Zervix  verkürzt.  Zervikalkanal  ge¬ 
schlossen,  blutiger  Schleim  geht  ab.  Blase  enthält  ca.  IV*  Liter 
weinroten  Urin.  Kein  Albuinen  im  Sediment,  keine  Zylinder,  keine 
Leukozyten  noch  Erythrozyten.  Spektroskopisch  Oxyhämoglobin  im 
Urin.  Blutserum  hämolytisch.  Urin  am  nächsten  Morgen  gold¬ 
gelb,  klar,  wieder  frei  von  Eiweiss.  Pat.  kommt  nicht  zum  Be¬ 
wusstsein.  11  Uhr  a.  in.  spontane  Ausstossung  der  Frucht.  Es  ge¬ 
lingt  nicht,  die  Plazenta  zu  exprimieren.  Infolgedessen  manuelle 
Lösung,  heisse  Alkoholspülung.  Plazenta  ist  hellrot  (hämolytisch), 
von  starkem,  aber  nicht  besonders  typischem  Geruch.  Kurz  darauf 
Blutentnahme.  Bacillus  aerogenes  in  Reinkultur,  Ausstrich  aus  der 
Plazenta  ebenfalls  nur  Bacillus  aerogenes.  12  Uhr  m.  Exitus  letalis. 

Sektionsbefund  6  Stunden  post  mortem.  Ich  lasse  aus  dem  Pro¬ 
tokoll  (Geh.-Rat  B  e  n  e  k  e)  das  Wichtigste  folgen.  Bei  Eröffnung 
der  Bauchhöhle  Därme  stark  meteoristisch  gebläht.  Peritoneum 
etwas  feucht,  kein  freies  Exsudat,  im  prävesikalen  Bindegewebe  ein 
starkes,  doch  gasfreies  Oecfcm.  Uterus  ragt  mit  einer  dunkel  ver¬ 
färbten  und  prall  gespannten  Spitze  in  die  Bauchhöhle  vor  und  macht 
den  Eindruck  eines  gefüllten  Ballons.  Beide  Ovarien  auffallend  gross, 
intensiv  gerötet  und  mit  eitrigem  Fibrin  belegt,  besonders  links.  Der 
Uterus,  hochgradig  hämolytisch,  ist  entsprechend  vergrössert,  weich. 
Ueberall  ist  das  Gewebe  am  Rande  der  fetzigen  Innenwand  gashaltig, 
doch  ist  die  Füllung  der  uterinen  Venen  mit  Gas  relativ  gering. 
Nach  dem  linken  Uterushorn  zu  zwischen  Ligamentum,  üvarium  und 
Tubenansatz  befindet  sich  eine  flache  Ausbuchtung  der  Uteruswand. 
Hier  eine  Verdünnung  bis  zu  7  mm.  Eine  Verletzung  an  dieser  Stelle 
ist  nicht  nachzuweisen.  Das  Herzblut  ist  gashaltig,  sonst  keine 
Schaumorgane,  vor  allem  keine  Schaumleber.  Das  Gehirn  ist  auf¬ 
fallend  weich  und  öedematös.  In  der  Rinde  des  Grosshirns  befinden 
sich  einige  kleine,  kaum  zu  unterscheidende  Nekrosen. 

Sektionsbefund  des  Fötus:  Herzblut  nicht  schaumig,  keine 
Schaumleber,  Lunge  gebläht,  Schwimmprobe  positiv.  Im  Herzblut, 
in  den  mikroskopischen  Schnitten  von  Lunge,  Leber  und  Plazenta 
Bacillus  aerogenes  in  grosser  Menge. 

Von  der  in  der  Bauch-  und  Pleurahöhle  angesammelten  serösen 
Flüssigkeit  werden  5  ccm  mit  physiologischer  Kochsalzlösung  ver¬ 
dünnt  einem  Meerschweinchen  unter  die  Rückenhaut  gespritzt.  Etwa 
12  Stunden  später  erfolgt  der  Exitus  des  Tieres.  An  der  Injektions¬ 
stelle  hat  sich  ein  deutlich  knisterndes  subkutanes  Emphysem  ge¬ 
bildet.  Im  Ausstrich  und  in  der  Kultur  dieser  Stelle  nur  Bacillus 
aerogenes.  Die  Organe  des  Tieres  sind  nicht  schaumig  verändert. 
Im  Herzblut  ebenfalls  Bacillus  aerogenes. 

Wie  aus  den  mikroskopischen  Schnitten  durch  die  Lunge 
des  Fötus  deutlich  zu  erkennen  ist,  hat  eine  Aspiration  infi¬ 
zierten  Fruchtwassers  in  die  Lunge  nicht  stattgefunden.  Es 
müssen  also  die  Keime  auf  dem  Blutwege  durch  die  Plazenta 
hindurch  in  den  Fötus  eingewandert  sein.  Hierauf  weist  auch 
der  Bakterienbefund  in  der  Plazenta  hin.  Die  Bakterien  liegen 
vorwiegend  in  den  intervillösen  Räumen  und  vereinzelt  in  den 
Zotten.  In  forensischer  Hinsicht  muss  die  durch  die  Infektion 
mit  dem  Gasbazillus  erzeugte  positive  Schwimmprobe  unbe¬ 
dingt  bekannt  sein  und  berücksichtigt  werden.  Umsomehr  als 
es  sich  bei  derartigen  Fällen  häufig  um  eine  artefizielle  Ein¬ 
leitung  der  Frühgeburt  handeln  wird  und  somit  eine  Ursache 
für  diese  Art  der  Infektion  gegeben  ist. 

Die  P  r  o  g,n  o  s  e  wird  von  den  meisten  Autoren  günstig 
gestellt.  Auch  Bingold  kommt  bei  seinem  grossen  Material 
zu  diesem  Urteil:  „Unter  den  130  angeführten  Aborten,  bei 
denen  der  Nachweis  des  Bacillus  phlegm.  emphysem.  gelang, 
verliefen  78  unter  relativ  leichten  Erscheinungen.  Sie  konnten 
nahezu  alle  als  geheilt  entlassen  werden.“  Trotzdem  ist  die 
Auffassung  von  Sachs,  worauf  ebenfalls  B  i  n  g  o  1  d  hinweist, 
dass  der  Gasbazillus  nicht  zu  den  menschenpathogenen  rechnet, 
unzulässig.  Heynemann  reiht  ihn  der  Pathogenität  nach 
so  ein,  dass  er  den  Streptokokkus  an  die  erste  Stelle  setzt, 
weit  dahinter  den  Staphylokokkus,  nach  ihm  aber  gleich  den 
Bacillus  aerogenes  capsulatus  folgen  lässt,  womit  er  ihn  von 
diesem  Gesichtspunkte  aus  wohl  ziemlich  richtig  einschätzt. 

Wenn  auch  zahlreiche  von  den  berichteten  Fällen  mit  Rein¬ 
kultur  im  Blut  günstig  abgeklungen  sind,  so  haben  doch 
Fraenkel,  S  c  h  o  1 1  m  ü  1 1  e  r,  Heynemann,  Linde- 
mann  u.  a.  ebenfalls  recht  schwere  und  ebenfalls  letal 
endigende  Fälle  erlebt.  Wir  müssen  also  in  jedem  Fall  die 
Prognose  durchaus  zweifelhaft  stellen.  > 

Eine  befriedigende  Erklärung  für  den  verschiedenen  Ver¬ 
lauf  des  Krankheitsbildes  zu  geben,  werden  wir  nicht  imstande 
sein,  so  lange  wir  es  nicht  gelernt  haben,  die  Virulenz  der 
Bakterien  und  die  Widerstandsfähigkeit  des  Körpers  zu  be¬ 
urteilen.  Wo  wir  schwerverlaufende  Fälle  haben,  dürfen  wir 
meistens  eine  Infektion  von  aussen  annehmen,  da  die  Lebens¬ 
bedingungen  für  den  Bacillus  aerogenes  in  der  Scheide  nach 


1.  Dezember  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2305 


den  Untersuchungen  von  v.  H  i  b  1  e  r  ungünstig  sind,  so  dass 
eine  autogene  Infektion  unwahrscheinlich,  wenn  auch  nicht 
sicher  auszuschliessen  ist. 

Der  Ansicht  Hcglers,  dass  Fälle  mit  Methämoglobin¬ 
ämie  und  Methämoglobinurie  meist  gutartig  verlaufen,  kann 
ich  mich  nicht  anschliessen.  Im  Gegenteil  scheint  mir,  soweit 
ich  aus  den  Berichten  der  einzelnen  Autoren  ersehe,  die 
Hämoglobinurie  meist  ein  signum  malum  zu  sein.  In  den  letal 
endenden  Fällen  von  Fraenkel,  Heyne  mann  hatte 
Hämoglobinurie  bestanden.  Desgleichen  finde  ich  bei  Schott¬ 
müller  einen  Fall  mit  blutig  verfärbtem  Urin,  der  ebenfalls 
ad  exituni  kam.  Von  den  7  Fällen  mit  blutigem  Urin,  die 
Bingold  in  seiner  Arbeit  aufführt,  starben  4. 

Bei  ähnlichen  Krankheitszuständen  wie  den  oben  ge¬ 
schilderten  muss  blutig  verfärbter  Urin  stets  an  eine  Infektion 
mit  dem  Bazillus  aerogenes  denken  lassen.  In  unserem  Falle 
wurde  mit  Rücksicht  auf  die  Hämoglobinurie  zunächst  als 
Diagnose  Eklampsie  oder  akute  Vergiftung  in  .  Erwägung  ge¬ 
zogen.  Daher  wurde  der  Urin  auch  auf  Porphyrinurie  unter¬ 
sucht.  Die  Probe  fiel  negativ  aus.  An  Tntoxikationserschei- 
nungen  unbekannter  Herkunft  glaubte  man  ebenfalls  in  dem 
von  Linde  mann  beschriebenen  Fall. 

In  unserem  Fall  führte  der  Geruch  der  Plazenta  die  Dia¬ 
gnose  auf  den  rechten  Weg.  Die  dann  unter  Berücksichtigung 
der  klinischen  Symptome  gestellte  Wahrscheinlichkeits¬ 
diagnose  auf  Infektion  mit  dem  Bacillus  aerogenes  konnte  als¬ 
bald  durch  die  Bakterioskopie  des  Lochialsekretes  und  später 
durch  den  positiven  Blutbefund  bestätigt  werden. 

Als  charakteristisches  Symptom  wird  ferner  bei  den 
schweren  Erkrankungen  mit  dem  Gasbazillus  eine  eigenartige 
Missfärbung  der  Haut,  auf  die  Lenhartz  zuerst  aufmerksam 
gemacht  hat,  hingewiesen.  In  unserem  Fall  war  eine  solche 
nicht  zu  erkennen.  Ob  sie  durch  die  Zyanose  überdeckt  war, 
ist  nicht  ganz  ausgeschlossen,  aber  auch  nicht  unwahrschein¬ 
lich.  Die  Krampfanfälle  sind  bisher  nirgends  erwähnt.  Ihr 
Auftreten  durfte  wohl  durch  den  Sektionsbefund  des  Gehirns 
eine  befriedigende  Erklärung  gefunden  haben. 

Therapeutisch  sind  wir  leider  absolut  machtlos.  Selbst¬ 
verständlich  wird  es  sich  empfehlen,  möglichst  frühzeitig  die 
Quelle  der  Infektion,  d.  h.  den  noch  vorhandenen  Inhalt  der 
Gebärmutter  vorsichtig  zu  entfernen,  um  auf  diese  Weise 
Nachschüben  von  Bakterien  vorzubeugen.  Zertrümmerte  und 
nit  Blut  durchsetzte  Gewebe  geben  nach  v.  H  i  b  1  e  r  ein  sehr 
geeignetes  Infektionsgebiet  ab. 

Nach  Lamers  Ansicht  scheinen  die  anaeroben  Keime 
resonders  zur  Thrombenbildung  zu  neigen.  Er  hält  daher  die 
inaerobe  Blutuntersnchung  für  therapeutische  Zwecke  für  sehr 
vichtig,  um  event.  durch  eine  rechtzeitige  Venenunterbindung 
■ine  allgemeine  Sepsis  zu  verhüten.  Die  Literatur  bringt 
Jarüber  keine  Angaben.  Desgleichen  konnten  an  unseren 
"ällen  solche  Beobachtungen  nicht  gemacht  werden. 

Von  intravenösen  Injektionen  mit  bakteriziden  Mitteln 
)zw.  spezifischem  Serum  dürfte  nadh  den  bisherigen  Er- 
ahrungen  mit  anderem  Serum  nicht  allzuviel  zu  erwarten  sein. 


Bingold:  Beiträge  zur  Klinik  der  Infektionskrankheiten  und 
:ur  Immunitätsforschung.  3.  1914.  H.  1/2.  —  Fraenkel:  Dernoti- 
•trationen  zum  Gasbazillus.  Bericht  aus  der  Sitzung  der  Biolog. 
Abteilung  d.  Aerztl.  Vereins  Hamburg.  12.  November  1912.  M.m.W. 
913  Nr.  3.  —  Fromme:  Physiologie  und  Pathologie  des  Wocheti- 
>ettes.  Berlin  1910  bei  S.  Kager.  S.  89.  — Hevnemann  Th.: 
ler  F.  Fraenkel  sehe  Gasbazillus  in  seiner  Bedeutung  f.  d.  puer- 
'erale  Infektion.  Zschr.  f.  Geb.  u.  Gvn.  68.  —  Lamer  A.  J.  M.: 
vnaerc.be  Blutkulturen  bei  Puerperalfieber.  Infektion  und  Fäulnis. 
Ischr.  f.  Geb.  u.  Gyn.  68.  —  Lindemann  W.:  Vereinfachung  der 
maerofcenzüchtung  und  Angabe  eines  praktisch  verwertbaren  neuen 
.ulturverfahrens.  M.m.W.  1913  Nr.  5.  —  Derselbe:  Zum  Infek- 
onsbild  bei  Abortus  criminales  Staphylococcus  pyogen.  aur.  haemol. 
Ibtis,  Streptococcus  anhaemolyticus  und  Bacillus  aerogenes  capsu- 
itus,  dessen  Genese  und  Therapie.  Beitr.  z.  Klin.  d.  Infekt. Krhk. 
913.  —  Schottmüller  H. :  Zur  Bedeutung  einiger  Anacrobien  in 
er  Pathologie,  insbesondere  bei  puerperalen  Erkrankungen.  Mitt. 
irenzgeb  21.  1910.  —  Derselbe:  Zur  Pathogenese  des  septischen 
bortes.  M.m.W.  1910  Nr.  35  S.  1817. 

_ 


Ein  transportabler  Blutdruckmesser. 

Von  F.  Moritz-  Köln. 

Der  grossen  Bedeutung,  welche  in  vielen  Fällen  einer 
manometrischen  Blutdruckmessung  zukommt,  entspricht  der¬ 
zeit  noch  nicht  der  Umfang,  in  dem  diese  Untersuchungs¬ 
methode  in  der  allgemeinen  Praxis  angewandt  wird.  Wie 
wichtig  kann  in  diagnostischer  und  prognostischer  Hinsicht 
beispielsweise  die  Feststellung  einer  arteriellen  Hypertonie 
sein!  Oft  genug  lässt  sich  dieselbe  ja  bei  genügender  Uebung 
mit  dem  palpierenden  Finger  wenigstens  qualitativ  erkennen. 
Quantitative  Unterschiede  aber,  ob  der  Druck  in  der  Brachial¬ 
arterie  vielleicht  230  oder  190  mm  Quecksilber  beträgt,  lassen 
sich  mit  Zuverlässigkeit  durch  Befühlen  des  Pulses  meist  nicht 
konstatieren,  obwohl  sie  recht  oft,  z.  B.  für  die  Beurteilung  des 
Erfolges  eines  diätetischen  Regimes  oder  des  Grades  der  Fort¬ 
entwicklung  des  zur  Hypertonie  führenden  Zustandes  von 
grossem  Interesse  wären.  Bei  engen  Radialarterien  und  in¬ 
folgedessen  kleinem  Pulse  wird  die  Höhe  des  Blutdruckes  in 
der  Regel  unterschätzt1),  während  bei  grossen  Pulsen  leicht 
das  Umgekehrte  stattfindet. 

Vor  allem  in  der  Hauspraxis,  am  Krankenbett  wird  von 
der  Blutdruckmessung  noch  zu  wenig  Gebrauch  gemacht. 

Auch  unter  den  derzeitigen  Verhältnissen  des  Krieges, 
etwa  zur  Feststellung  der  Hypertoniker  unter  den  älteren  Jahr¬ 
gängen  der  gestellungspflichtigen  Mannschaften,  bei  denen  eine 
Kontrolle  ihrer  Leistungsfähigkeit  bei  stärkeren  Anstrengungen 
von  erheblichem,  auch  praktischem  Interesse  wäre,  dürfte  die 
Blutdruckmessung  nur  sehr  wenig  zur  Geltung  kommen.  Es 
ist  dies,  wie  ich  meine,  zum  Teil  wenigstens,  eine  Instru¬ 
mentenfrage. 

Es  gibt  zwar  zum  Zwecke  der  Blutdruckbestimmung  sehr 
kompendiöse,  auf  dem  Prinzip  der  Aneroidbarometer  be¬ 
ruhende  Federmanometer.  Sie  sind  aber  nach  meiner  Er¬ 
fahrung,  abgesehen  von  ihrem  relativ  hohen  Preise,  nicht 
widerstandsfähig  genug.  Wenn  ich  sie  längere  Zeit  mit  mir 
geführt  hatte,  haben  sie  mich  häufig  im  Stich  gelassen;  dazu 
kommt,  dass  man  Ungenauigkeiten  und  etwaige  Veränderungen 
ihrer  Einstellung  nicht  erkennt,  wenn  man  sie  nicht  wieder 
mit  Ouecksilbermanometern  vergleicht.  Verschiedene  Formen 
von  Queckilbermanometern,  die  ich  benutzt  habe,  waren  teils 
umständlich  aufzubauen,  teils  zu  zerbrechlich,  teils  Hessen  sie 
das  Quecksilber  leicht  auslaufen,  wenn  der  Verschlussstopfen 
sich  löste  uam.  Ich  will  natürlich  nicht  die  Existenz  brauch¬ 
barer  transportabler  Blutdruckmesser  überhaupt  bestreiten, 
zumal  ich  sicherlich  nicht  alle  existierenden  Formen  kenne, 
aber  jedenfalls  habe  ich  das  Bedürfnis  empfunden,  mich  in  der 
Herstellung  eines  mir  mehr,  als  die  mir  bekannt  gewordenen, 
entsprechenden  Modelles  selbst  zu  versuchen.  Dasselbe  soll 
in  Folgendem  kurz  beschrieben  werden. 


Der  Apparat  (siehe  Abbildung)  besteht  aus  2  Holzleisten,  die 
35  cm  lang  und  4  cm  breit  und  zusammen  etwa  1,75  cm  dick  sind. 


Q  Da  der  Gegendruck  einer  engen  Arterie  nur  auf  einen  ent¬ 
sprechend  kleinen  Teil  des  drückenden  Fingers  wirkt,  so  ist  ein  ge¬ 
ringerer  Kraftaufwand  zur  Unterdrückung  des  Pulses  in  ihr  nötig,  als 
bei  einer  weiteren  Arterie  von  derselben  Spannung. 


2306 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  Ts. 


Auf  der  einen  Leiste  ist  das  aus  festem  Qlas  gefertigte  Manometer 
in  entsprechenden  Vertiefungen  des  Holzes  zur  Hälfte  eingelassen. 
Die  andere  Leiste  hat  gleiche  Vrtiefungen,  um  bei  Schliessen  des 
Apparates  als  Deckel  die  überstehenden  Qlasteile  aufzunehmen.  Die 
beiden  I  eisten  werden  bei  Schluss  des  Apparates  durch  kleine  seit¬ 
liche  Metallschienen  und  durch  einen  Stift,  der  durch  eine  Bohrung 
dieser  Schienen  und  durch  die  Deckelleiste  gesteckt  wird,  zusammen¬ 
gehalten  Bei  Aufstellung  des  Manometers  dient  die  Deckelleiste  als 
Fuss,  indem  eine  kleine  Metallplatte  an  der  unteren  Schmalseite  der 
Manometerleiste  in  einen  Schlitz  der  Deckelleiste  gesteckt  wird.  Die 
Befestigung  geschieht  wieder  durch  den  Stift.  Aufstellen  und  Zu¬ 
sammenlegen  des  Manometers  sind  das  Werk  weniger  Augenblicke. 
Die  Glasröhre  des  Manometers  trägt  unten  ein  kleines  erweitertes 
Bassin,  um  grössere  Niveaudifferenzen  des  Quecksilberfusspunktes 
bei  der  verschiedenen  Einstellung  der  Quecksilbersäule  zu  vermeiden. 
Auch  oben  befindet  sich  eine  Erweiterung,  um  ein  Hinausspritzen  des 
Hg  bei  zu  starker  Pression  zu  verhüten.  Die  Steigrohre  hat  ein 
enges  Lumen,  um  den  Quecksilberbedarf  zu  vermindern  und  auch  auf 
diesem  Wege  die  Niveaudifferenzen  an  dem  Fusspunkte  des  Queck¬ 
silbers  möglichst  zu  beschränken.  Die  Glasteile  des  Manometers  sind 
am  oberen  und  unteren  Ende  einander  zugebogen.  Der  Schlauch, 
welcher  das  untere  Manometerende  mit  dem  Druckball  resp.  der 
Armmanschette  verbindet,  wird  beim  Zusammenlegen  des  Apparates 
am  unteren  Manschettenende  belassen  und  ausserdem  noch  in  das 
obere  Ende  gesteckt.  Er  schliesst  auf  diese  Weise  den  ganzen 
Manornetcrraum  ab,  so  dass  beim  Umdrehen  des  Apparates  kein 
Quecksilber  zu  Verlust  gehen  kann.  Beim  Aufstellen  des  Manometers 
wird  der  Schlauch  vom  oberen  Manometerende  abgenommen,  worauf 
mit  dem  Mund  leicht  an  ihm  gesaugt  wird.  So  wird  alles  Quecksilber 
das  etwa  in  den  oberen  Teil  des  Manometers  geflossen  war,  in  das 
untere  Bassin  befördert.  Das  Manometer  ist  dann  gebrauchsfertig. 
Die  Zentimeterskala  am  Manometer  ist  verschieblich  eingerichtet,  um 
auf  den  Nullpunkt  des  Quecksilberfadens  eingestellt  werden  zu 
können  Das  ist  bequemer,  als  jeweils  der  Quecksilberfüllung  eine 
ganz  bestimmte  Einstellung  zu  geben.  Das  Gesamtgewicht  des  Mano¬ 
meters  beträgt  etwa  250  g.  Bei  Verwendung  der  üblichen  breiten, 
von  v.  Recklinghausen  angegebenen,  Armmanschette  nebst 
Doppelgebläse  kommt  ungefähr  noch  einmal  das  gleiche  Gewicht 
hinzu,  so  dass  die  ganze  Apparatur  ca.  500  g  wiegt. 

Noch  wesentlich  handlicher  und  auch  leichter  wird  dagegen  der 
Apparat  bei  Anwendung  einer  schmäleren  als  der  v.  Reckling¬ 
hausen  sehen  Manschette.  Ich  habe  eine  solche  von  6  cm  Breite 
des  Gummiteiles  (statt  12  cm  bei  v.  Recklinghausen)  anfertigen 
lassen  und  halte  eine  solche  mit  Sahli1)  trotz  der  Einwände  von 
v.  Recklinghause  n  •’)  praktisch  für  durchaus  verwendbar.  Zwar 
erhält  man  ganz  entsprechend  den  Angaben  von  v.  Reckling¬ 
hausen  mit  einer  solchen  schmalen  Binde  regelmässig  höhere  Re¬ 
sultate  als  mit  seiner  breiten.  Es  ist  aber,  wie  Sahli  (1.  c.)  zu¬ 
treffend  auseinandersetzt,  die  Frage,  ob  die  niedrigeren  Drucke  auch 
immer  die  richtigeren  sind. 

Aber  wenn  man  auch  theoretisch  den  Resultaten  mit  den  brei¬ 
teren  Manschetten  den  Vorzug  geben  sollte,  so  sind  doch  die  Unter¬ 
schiede  zu  den  mit  den  schmalen  erhaltenen  nicht  so  gross,  dass 
die  Ergebnisse  der  letzteren  praktisch  unbrauchbar  wären. 

In  einer  grossen  Reihe  exakter  vergleichender  Messungen  habe 
ich  zwischen  den  beiden  Manschettenbreiten  Differenzen  von  5  bis  zu 
15-18  und  im  Durchschnitt  solche  von  10  mm  Hg  gefunden.  Zieht 
man  also  von  dem  mit  schmaler  Binde  erhaltenen  Resultat  10  mm 
ab,  oder  stellt  man,  was  noch  bequemer  und  an  meinem  Apparat 
vorgesehen  ist,  die  Skala  des  Manometers  so  ein,  dass  ihr  0-Punkt 
sich  10  mm  über  dem  0-Punkt  des  Quecksilberfadens  in  der  Steige¬ 
röhre  befindet,  so  erhält  man  beim  Gebrauch  der  schmalen  Binde 
Zahlen,  die  wenn  es  hoch  kommt,  5 — 8  mm  nach  oben  oder  unten  von 
den  mit  der  v.  Recklinghausen  sehen  Manschette  erhaltenen 
abweichen.  Solche  Differenzen  sind  klinisch  aber  belanglos.  In  den 
meisten  Fällen  sind  die  Unterschiede  kleiner  oder  die  Werte  decken 
sich  völlig.  Je  dicker  die  Arme  sind,  um  so  grösser  pflegen  die 
Differenzen  zu  werden.  Bei  einem  grössten  Umfang  des  Oberarmes 
von  26 — 27  cm  (der  gewöhnliche  Fall  beim  Erwachsenen)  beträgt  die 
Differenz  fiir  die  schmale  Binde  fast  immer  + 10  mm,  bei  Armen 
von  34 — 35  cm  l'mfang  +  15 — 18  mm.  Man  muss  bei  der  Herstellung 
der  Manschette  darauf  sehen,  dass  sie  aus  möglichst  dünnem  Gummi 
gefertigt  wird,  damit  nicht  ihre  Aufblähung  allein  durch  innere  Wider¬ 
stände  schon  nennenswerte  Druckkräfte  beansprucht.  Bei  vergleichen¬ 
den  Messungen  am  selben  Menschen  nacheinander  muss  man  natür¬ 
lich  auch  mit  interkurrenten  tatsächlichen  Blutdruckänderungen 
rechnen.  So  bemerkt  man  fast  regelmässig,  wenn  man  die  Messungen 
einige  Minuten  lang  fortsetzt,  ein  allmähliges  Absinken  des  Blut¬ 
druckes  um  5,  10  ja  15  mm  Quecksilber.  Ich  bin,  um  diese  Fehler¬ 
quelle  auszuschalten,  in  meinen  Versuchen  über  die  Verwend¬ 
barkeit  der  schmalen  Binde  so  vorgegangen,  dass  ich  an 
beide  Arme  gleichzeitig  breite  Binden  anlegte  und  zunächst  fest¬ 
stellte,  inwieweit  an  beiden  Armen  der  Blutdruck  übereinstimmte. 
Hatte  ich  so  an  dem  einen  Arm  ein  Vergleichsmass  für  den  anderen 
gewi  nnen,  so  ersetzte  ich  an  letzterem  die  breite  Binde  durch  die 


J)  D.  Aich.  f.  klin.  Med.  81.  S.  502  und  Lehrbuch  der  Unter- 
suchungsmcthoden  5.  Aufl.  S.  165. 

-')  Arch.  f.  exper.  Path.  u.  Pharm.  46.  S.  86  u.  55.  S.  395. 


schmale  und  machte  abwechselnd  an  beiden  wieder  eine  Reihe  von 
Messungen 

Eine  schmale  Binde  erlaubt  einer  breiten  gegenüber  noch  einige 
Vereinfachungen,  die  ebenfalls  zur  Verringerung  des  Gewichtes  und 
des  Umfanges  des  Blutdruckapparates  beitragen.  Statt  eines  Gurtes 
und  einer  Schnalle  genügt  zur  Befestigung  der  schmalen  Manschette 
eine  Schnur,  die  um  zwei  an  der  Manschette  befindliche  Knöpfe  hin- 
und  hergeschlungen  wird.  Ferner  genügt  bei  dem  kleinen  Luftraum 
der  schmalen  Manschette  nur  ein  geringes  Quantum  von  Kompres¬ 
sionsluft.  Es  bedarf  dazu  keines  Doppelgebläses,  sondern  nur  eine^ 
einfachen  Ballons,  den  man  mit  dem  Munde  ein  w'enig  aufbläst, 
ehe  man  ihn  an  das  Manometer  anschliesst.  Die  Kompression  lässt 
sich  leicht  aus  freier  Hand  vornehmen  und  abstufen.  Man  hat 
dabei  noch  den  wesentlichen  Vorteil,  dass  bei  Nachlass  der  Kom¬ 
pression  der  Druck  in  der  Manschette  auf  0  absinkt,  so  dass  der 
Arm  zwischen  den  einzelnen  Messungen  abschwellen  kann.  Mit 
dieser  Vorrichtung  arbeitet  man  rascher  als  mit  den  gewöhnlich 
benutzten  Manschetten  und  Gebläsen. 

Die  schmale  Manschette  samt  Ballon  lässt  sich  um  das  Mano¬ 
meter  wickeln  und  mit  diesem  in  einer  kleinen  Tasche  unter¬ 
bringen.  Das  Gesamtgewicht  beträgt  dann  einschliesslich  der  Tasche 
etwa  435  g 3). 

Zur  Technik  der  Albe  eschen  Operation. 

Von  Th.  K  ö  1 1  i  k  e  r  in  Leipzig 

Auf  dem  diesjährigen  Kongress  der  Deutschen  ortho¬ 
pädischen  Gesellschaft  hat  A  1  b  e  e  seine  Knochenplastik  bei 
Spondylitis  demonstriert.  Da  nun  sein  Instrumentarium  ziem¬ 
lich  kompliziert  ist,  habe  ich  den  Versuch  gemacht,  die  Opera¬ 
tion  mit  unseren  üblichen  Osteotomieinstrumenten  auszuführen 
und  bin  zum  Schluss  gekommen,  dass  das  sehr  leicht  gelingt. 

Den  ersten  Teil  der  Operation  führe  ich  in  Seitenlage 
des  Kranken  aus,  nachdem  eine  kleine  Rolle  unter  die  Taille 
geschoben  ist.  Mit  einem  schmalen  geraden  Meissei  bilde  ich 
nach  Spaltung  der  Ligg.  supraspinalia  zunächst  eine  Längs¬ 
furche  in  jeden  der  zu  spaltenden  Dornfortsätze  und  durch¬ 
trenne  die  Ligg.  interspinalia.  Hierauf  wird  ein  7  cm  breiter 
Meissel  in  die  Furchen  der  Dornfortsätze  eingesetzt  und  diese 
bis  zur  Basis  gespalten.  In  die  so  gebildete  Rinne  wird  ein 
Jodoformgazestreifen  gelegt  und  die  Haut  durch  eine  Naht 
oder  Klammer  provisorisch  darüber  zusammengezogen.  Es 
folgt  die  Entnahme  der  zu  transplantierenden  Knochenspange 
aus  der  Tibia.  Der  Kranke  wird  auf  den  Rücken  gelegt  und 
ein  Schnitt  längs  der  äusseren  Seite  der  Tibiakante  geführt. 
Nachdem  die  erforderliche  Länge  des  Knochenspahns  bestimmt 
ist,  wird  die  Tibia  am  oberen  und  unteren  Ende  des  zu 
bildenden  Spahns  von  der  äusseren  Seite  der  Tibiakante  her 
und  ohne  Ablösung  des  Feriosts  bis  zur  nötigen  Tiefe  quer 
durchmeisselt.  Alsdann  wird  der  Knochen  entsprechend  den 
medialen  Enden  der  queren  Meisseischnitte  in  der  Längsrich¬ 
tung  schräg  nach  aussen  durchgemeisselt.  So  gewinnt  man 
rasch  einen  kräftigen  Knochenspahn  zur  Implantation  in  die 
Knochenrinne  der  Dornfortsätze.  Der  ganze  Eingriff  lässt  sich 
in  kurzer  Zeit  ausführen. 


Die  Ausleihung  der  ärztlichen  Krankengeschichten. 

Von  Medizinalrat  Dr.  Max  Fischer,  Direktor  der  Heil-  und 
Pflegeanstalt  Wiesloch. 

(Schluss.) 

4.  Darf  die  Krankengeschichte  an  Berufsgenossen,  Aerzte  un¬ 
eingeschränkt  oder  nur  bedingungsweise  und  unter  welchen  Bedin-, 
gungen  mitgeteilt  werden? 

Auch  hierüber  sind  die  Meinungen  geteilt.  Von  juristischer  Seite, 
von  welcher  zwar  zu  ihren  Zwecken,  d.  h.  im  Strafverfahren,  die  Aus- 
folgung  der  Krankengeschichte  an  die  Staatsanwaltschaft  verlangt! 
wird,  wird  nämlich  andererseits  geltend  gemacht,  dass  de»-  einzelnej 
behandelnde  Arzt  eigentlich  die  Krankengeschichte  schlechthin  nie¬ 
mand  anders  übergeben  dürfe.  Ohne  Einwilligung  des  Patienten 
könne  also  überhaupt  keine  Ausnahme  gemacht  werden;  konsequen¬ 
terweise  dürfe  der  die  Krankengeschichte  verfassende  Arzt  sie  nicht; 
einmal  den  übrigen  Aerzten  desselben  Krankenhauses  mitteilen;  es 
stehe  auch  gar  nicht  im  Belieben  des  Krankenhausdirektors,  wem 
er  die  Krankengeschichte  zugänglich  machen  wolle.  Der  einzige 
Arzt,  der  das  Berufsgeheimnis  gegenüber  dem  einzelnen  Kranken  zu 
wahren  verpflichtet  sei,  sei  der  behandelnde  Arzt,  dem  der  Kranke 
seine  Geheimnisse  tatsächlich  anvertraut.  Andere  Aerzte,  die  da- 


::)  Der  Apparat  wird  von  der  Firma  Heinrich  Faust,  Fabrik 
für  Laboratoriumseinrichtiingen,  Köln,  Neue  Langgasse  4. 


Dezember  191-L 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2307 


jn  Kenntnis  erhalten  oder  die  Krankengeschichte  zu  lesen  be- 
immen,  seien  aber  an  die  Geheimhaltung  gar  nicht  gebunden.  Ja, 
enn  ein  derart  unterrichteter  Arzt  nun  über  das  Anvertraute  aus- 
ge,  so  sei  nicht  er  strafbar,  sondern  nur  der  erstere,  der  behan- 
lnde  Arzt,  der  das  Geheimnis  direkt  vom  Kranken  empfing  und  dann 
eisgab. 

Die  Konsequenz  daraus  wäre  in  vielen  Fällen  eine  Unterbindung 
er  wenigstens  Erschwerung  unseres  ärztlichen  Wirkens  und  lian- 
Ins,  und  damit  eine  Schädigung  der  Kranken  selbst;  ausserdem  er- 
ichse  daraus  aber  auch  eine  schwere  Beeinträchtigung  der  wissen- 
haftlichen  Untersuchung  und  Erforschung  der  Krankheiten. 

Mit  dieser  Auslegung  geht  man  meiner  Ueberzeugung  nach  ent- 
hieden  zu  weit;  sie  kann  weder  im  Sinne  des  Gesetzes  noch  des 
•setzgebers  gelegen  sein. 

Erstens  bilden  die  Aerzte  einer  Krankenanstalt  eine  einheitliche 
ztliche  Instanz  für  die  Förderung  der  ihnen  gemeinsam  anver- 
mten  Kranken.  Um  dieses  Ziel  zu  erreichen  ist  die  Mitteilung  der 
genseitigen  Krankenbeobachtungen  und  Aufzeichnungen  von  Arzt 
Arzt  zum  Zweck  gemeinsamer  Besprechungen  und  Beratungen  der 
igeren  Aerzte  mit  den  älteren,  von  Anordnungen  dieser  und  der 
rektoren  an  die  übrigen  usw.  unerlässlich, ‘zumal  die  Aerzte  sich 
ch  gegenseitig  im  Dienste  vertreten  und  die  Kranken  häufig  auf  den 
teilungen  von  einem  Arzt  zum  anderen  versetzt  werden.  Ein 
derer  Weg  ist  hier  gar  nicht  denkbar. 

Ausserdem  sind  jedermann,  der  ein  Krankenhaus  aufsucht,  diese 
rhältnisse  wohlbekannt.  Man  kann  also  das  stillschweigende  Ein- 
rständnis  des  Hilfesuchenden  mit  dieser  gemeinsamen  ärztlichen 
handlung  und  ihren  Konsequenzen  annehmen. 

Darnach  ist  es  also  ganz  selbstverständlich,  dass  die  Mitglieder 
ii  Acrztekollegiums  einer  Krankenanstalt  sich  über  die  Fälle  ihrer 
.  teilungen  gegenseitig  unterrichten  und  die  Krankengeschichten  aus- 
i  ischcn.  Die  Aerzte  sind  eben  gegenseitig  Mitwisser  und  Teilhaber 
i  •  Privatgeheimnisse  ihrer  Patienten  und  haben  über  deren  Ge- 
!  inhaltung,  jeder  für  sich,  ebenso  zu  wachen  wie  der  erste,  der  sie 
i  nittelbar  mitgeteilt  bekam.  Sie  stehen  als  Aerzte  oder,  wenn  man 
’  1,  als  ärztliche  Gehilfen  des  behandelnden  Arztes  ebenso  unter  dem 
? >00  w'ie  der  behandelnde  Arzt  selbst;  es  handelt  sich  auch  für  sie 
i  Privatgeheimnisse,  die  ihnen,  wenn  auch  mittelbar  durch  ihre 
! liegen,  gleichfalls  kraft  ihres  Berufs  anvertraut  worden  sind;  sie 
I  inen  sie  nicht  unbefugt  und  ungestraft  weiter  verbreiten;  sie 
i  erstehen  auch  bezüglich  dieser  Geheimnisse  dem  §  300  und  dem 
i  rufsgeheimnis  nicht  nur  nach  ihrem  ärztlichen  Gewissen  sondern 
;  :h  nach  dem  Gesetze. 

Die  gleiche  Betrachtung  ist  meiner  Ansicht  nach  aber  auch 
:  vendbar  auf  unser  Verhalten  andern  Aerzten  als  unsern  Kranken- 
1  iskollegen  gegenüber:  auch  ihnen  werden  wir  die  Kranken- 
t.chichte  mitteilen  dürfen,  sofern  im  Einzelfalle  ein  gewichtiges 
i  z  1 1  i  c  h  e  s  Interesse  dafür  geltend  gemacht  wird.  Sie  werden  da- 

•  ch  ebenfalls  in  das  Privatgeheimnis  des  einzelnen  Kranken  unter 
Uantwortlichkeit  innerhalb  des  Berufsgeheimnisses  einbezogen.  Es 
>i  ja  eine  ganze  Reihe  von  Fällen  denkbar,  wo  wir  um  die  Mit- 
:  ung  der  Krankengeschichte,  sei  es  im  Interesse  des  Kranken 
>)St  sei  es  der  wissenschaftlichen  Bereicherung  unserer  Kenntnisse, 

!  nicht  herumkommen;  z.  B.  wenn  der  früher  behandelnde  Arzt  aus 
i  iresse  für  seinen  Klienten  unsere  Krankengeschichte  einsehen 
J-hte;  oder  wenn  ein  anderes  Krankenhaus,  in  das  einer  unserer 
eigen  oder  früheren  Kranken  aufgenommen  werden  soll  oder  wor- 
1  ist,  unsere  Aufzeichnungen  verlangt,  um  sich  über  den  Kranken 
i  er  zu  orientieren.  Oder  es  will  ein  Arzt  einen  interessanten  Fall 

•  senschaftlich  verarbeiten  usw.  In  allen  diesen  Fällen,  wo  die 
'  ausgabe  unserer  Krankengeschichte  an  Berufsgenossen  zum 
^  'hie  des  Kranken  selbst  oder  aber  zwecks  wissenschaftlicher 
'  derung  erwünscht  oder  sogar  nötig  ist,  werden  wir  sie  auch  zu- 
:  en  können,  sofern  nicht  etwa  der  verfügungsfähige  Kranke  vorher 
i  irgendeinem  Grunde  ein  direktes  Schweigegebot  statuiert  hat. 

Wir  werden  dabei  geltend  machen  können,  dass  die  Bekannt- 
;  e  oder  Ausleihung  der  Krankengeschichte  hier  keine  unbefugte, 
■dern  eine  befugte  ist,  insofern  sie  in  Ausübung  unseres  ärztlichen 

•  ufs,  im  Interesse  des  Kranken  oder  der  Wissenschaft  und  ausser- 
I  i  nur  an  Berufsgenossen,  also  an  kraft  ihres  Berufs  gleichfalls  be- 
1  e  Mitwisser  erfolge,  die,  wie  wir  selbst,  an  das  ärztliche  Berufs- 
:  eimnis  und  den  §  300  StGB,  gebunden  sind. 

Ich  bin  somit  der  Ansicht,  dass  wir  die  Krankengeschichten 
i  erer  Anstalten  Berufsgenossen,  sofern  sie  ein  gewichtiges  ärzt- 
■es  Interesse  daran  geltend  machen  können,  mitteilen  dürfen,  ohne 

•  Gesetz  zu  verletzen,  unter  der  stillschweigenden  Annahme,  dass 
Kollegen  ihrerseits  das  Berufsgeheimnis  bewahren.  Ausserdem 

<ien  wir  Aerzte  ja  alle  unter  demselben  §  300,  und  wer  immer  ihn 
etzt,  setzt  sich  der  Strafverfolgung  aus.  Will  man  aber  vorsichtig 
‘ .  so  kann  man  jeweils  dem  Kollegen  vor  der  Ausfolgung  der  Kran¬ 
geschichte  die  Wahrung  des  Berufgeheimnisses  zur  Bedingung 
<r  bei  der  Ausleihung  im  Begleitschreiben  ausdrücklich  zur  Pflicht 
-Ten. 

Wird  die  Krankengeschichte  aber  zu  gerichtlichen  Gutachten  be- 

•  gt,  so  hat  der  einfordernde  Kollege  uns  über  diese  Absicht  auf- 
lären,  bzw.  wir  werden  uns  im  Zweifelsfalle  erst  über  den  Zweck 

Einverlangens  vergewissern.  Je  nach  Lage  des  Falles  werden 
■  uns  dann  auf  Grund  der  im  folgenden  Punkte  aufgestcllten  Rieht- 
1  :n  zu  entscheiden  haben. 


Wenn  wir  diese  Vorsichtsmassnahmen  anwenden,  so  haben  wir 
wohl  auch  den  strengsten  Anforderungen  Genüge  getan. 

5.  Ist  die  Krankengeschichte,  einmal  ganz  abgesehen  von  der 
Frage  der  ärztlichen  Zeunisverweigerung  und  des  Widerspruchs  des 
Patienten,  mitteilbar  an  öffentlich  bestellte  Amts-  oder  Gerichtsärzte 
oder  muss  sie  sogar  an  solche  ausgehändigt  werden? 

Auch  hierüber  herrscht  keine  volle  Klarheit  und  es  erscheint  uns 
wohl  der  Mühe  wert,  die  Frage  reiflich  zu  überlegen.  Nach  dem 
unter  4  Gesagten  sollte  allerdings  die  Krankengeschichte  auch  an 
diese  Aerzte  als  Kollegen  mitteilbar  sein,  da  sie  ja  gleichfalls  unter 
dem  §  300  stehen  und  durch  ihn  belangt  werden  können;  es  würde 
sich  für  uns  also  auch  hier  einfach  um  eine  Uebertragung  der  Ver-* 
schwiegenheitspfiicht  von  uns  auf  den  Gerichtsarzt  handeln. 

Die  als  öffentliche  Sachverständige  bestellten  Gerichtsärzte 
nehmen  jedoch  den  Gerichtsbehörden  gegenüber  immerhin  eine  etwas 
andere  Stelle  ein  als  Privatärzte  und  als  jeder  andere  Arzt  in  seinem 
Vertrauensverhältnis  zum  einzelnen  von  ihm  behandelten  Patienten. 
Es  ist  dieselbe  wie  z.  B.  für  uns  Irrenärzte  bei  der  Begutachtung  in 
Fällen  von  Einweisungen  nach  §  81;  hier  ist  die  Sachlage  für  jeden 
zum  Sachverständigen  ernannten  ja  ganz  klar;  der  Arzt  ist  mit  der 
Uebernahme  des  Gutachtens  auch  unbedingt  als  Gehilfe  des  Richters 
anzusehen  und  als  solcher  zur  vollen  Offenbarung,  soweit  die  ärzt¬ 
liche  Beurteilung  des  Falles  in  Frage  steht,  verpflichtet. 

Der  Gerichtsarzt  befindet  sich  aber,  sofern  er  nicht  im  Einzel¬ 
falle  aus  besonderen  Gründen  die  Begutachtung  ablehnt,  ständig  in 
dieser  Lage  des  ärztlichen  Gehilfen  den  Behörden  gegenüber. 

Wenn  wir  also  Gerichtsärzten  unsere  Krankengeschichten  aus¬ 
liefern,  so  wissen  wir,  dass  sie  sie  im  Dienste  der  Rechtspflege  ver¬ 
wenden,  soweit  ihre  ärztliche  Gutachtertätigkeit  es  irgend  erfordert. 
Wir  haben  uns  daher  im  einzelnen  Falle  vorher  zu  überlegen,  ob  wir 
zugunsten  der  Rechtsverfolgung  diese  Tätigkeit  unterstützen  oder  ob 
wir  aus  gewichtigen  Gründen  die  Einhaltung  der  Berufsverschwiegen¬ 
heit  in  den  Vordergrund  stellen  wollen.  Jedenfalls  haben  wir  als 
Aerzte,  auch  wenn  wir  Beamtencharakter  haben,  das  Recht  uns  für 
oder  wider  zu  entscheiden,  je  nachdem  wir  das  eine  oder  andere 
Interesse  für  das  höhere  halten  müssen. 

Soweit  als  irgend  mit  unserm  ärztlichen  Gewissen  verträglich, 
werden  wir  natürlich  die  Verfolgung  des  Rechts  unterstützen;  es  kann 
aber  auch  Lagen  geben,  wo  wir  unser  Berufsgeheimnis  voranstellen 
und  die  Herausgabe  der  Krankengeschichte  an  den  Gerichtsarzt  ver¬ 
weigern  müssen.  Der  Krankenhausarzt  kann  also  nicht  gezwungen 
werden,  seine  Aufzeichnungen  an  den  Gerichtsarzt  herauszugeben; 
er  kann  es  tun,  er  kann  es  aber  auch  ablehnen;  eine  Beschlagnahme 
darf  nicht  erfolgen. 

Ich  glaube  somit,  dass  hier  die  Sache  sich  nicht  generell  ent¬ 
scheiden  lässt,  sondern  nur  jeweils  nach  Lage  des  einzelnen  Falles. 
Jedem  Krankenhausdirektor  muss  es  überlassen  werden,  zu  prüfen, 
ob  gerade  bei  dem  betreffenden  Kranken  nach  der  Art  der  Krankheit 
einerseits  und  dem  Inhalte  der  Krankengeschichte  andererseits  ihm 
deren  Auslieferung  zwecks  gerichtsärztlicher  Untersuchung  und  Ver¬ 
wertung  angezeigt  erscheint  oder  nicht.  Erhält  er  dazu  die  Einwilli¬ 
gung  des  verfügungsfähigen  Kranken  oder  bei  Entmündigten  des  Vor¬ 
mundes,  so  ist  die  Situation  für  ihn  einfach  gelagert.  Ist  dies  jedoch 
nicht  der  Fall,  so  muss  sich  der  Krankenhausarzt  in  dem  Gewissens¬ 
konflikte  zwischen  Förderung  der  Rechtspflege  und  Einhaltung  des  Be¬ 
rufsgeheimnisses  selbst  entscheiden.  Besser  wäre  es  allerdings,  wir 
hätten  für  diese  recht  schwierige  Materie  klare  gesetzliche  Bestim¬ 
mungen  und  Richtlinien  an  Stelle  des  Gutdünkens  des  einzelnen. 

6.  Im  Zusammenhang  mit  Punkt  5  steht  die  weitere  Frage: 
Können  oder  müssen  sogar  die  als  Sachverständige  öffentlich  bestell¬ 
ten  Gerichts-  und  Amtsärzte  den  Inhalt  der  ihnen  von  uns  mitgeteilten 
Krankengeschichte  nach  ihrem  Ermessen  oder  auf  Verlangen  den 
Gerichtsbehörden,  Staatsanwälten  oder  auch  andern  Behörden  in  toto 
offenbaren,  übergeben,  oder  sind  sie,  abgesehen  von  ihrer  Gutachter¬ 
tätigkeit,  an  die  Bewahrung  des  Berufsgeheimnisses  insoweit  gebun¬ 
den,  dass  sie  die  Krankengeschichte  selbst  samt  Anlagen  «fern  Gerichte 
nicht  aushändigen  dürfen?  Dies  unter  keinen  Umständen  oder  aber 
bei  welchen  Ausnahmen? 

Welche  Praxis  in  dieser  Hinsicht  im  Strafverfahren  zwischen  den 
Behörden,  Gerichten,  Staatsanwaltschaften  und  den  Gerichtsärzten 
eingehalten  wird,  ist  uns  zwar  nicht  genau  bekannt;  wir  halten  es 
aber  nach  uns  gewordenen  Aeusserungen  immerhin  für  möglich,  dass 
eine  Weitergabe  der  Krankengeschichte  selbst  an  die  Gerichte  auf 
deren  Verlangen  da  und  dort  stattfindet.  In  diesem  Punkte 
sind  wir  nun  der  bestimmten  Ansicht,  dass  ein  derartiges  Verfahren 
nicht  zulässig  wäre.  Die  Krankengeschichte  wird  von  uns  dem  Ge¬ 
richtsarzte  als  ärztlichem  Kollegen  überantwortet  mit  der  selbstver¬ 
ständlichen  Verpflichtung,  sie  als  Ganzes  so  zu  bewahren,  dass  sie 
einem  Nichtarzte  nicht  in  die  Hände  fallen  kann.  Bis  zu  dieser  Grenze 
muss  auch  der  Amts-  und  Gerichtsarzt  Arzt  und  Vertrauensperson, 
wenn  auch  mittelbar,  des  betreffenden  Kranken  bleiben.  Hierin  unter¬ 
steht  auch  er  unbedingt  dem  §  300.  Es  ist  etwas  ganz  anderes,  ob 
er  auf  Grund  der  Krankengeschichte  ein  Gutachten  abgibt  oder  ob 
er  die  ärztlichen  Aufzeichnungen  und  die  schriftlichen  Bekenntnisse 
des  Kranken  selbst  in  dieser,  doch  nur  für  Aerzte  bestimmten  und  nur 
für  sie  verständlichen  Form  an  nichtärztliche  Behörden  weitergibt 
und  dadurch  die  Kontrolle  über  ihre  Geheimhaltung  resp.  ihre  rich¬ 
tige  Weiterverwendung  völlig  aus  der  Hand  gibt.  Sie  bleiben  für 
ihn  Schriftstücke,  die  ihm  unter  dem  §  300  anvertraut  sind  und  die 


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MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  4} 


gemäss  §  95  letztem  Satz  und  §  97  der  StPO,  der  Beschlagnahme 
und  der  Einforderung  durch  die  Gerichte  nicht  unterliegen. 

Meines  Erachtens  kann  darum  kein  Zweifel  darüber  herrschen, 
dass  der  beamtete  Arzt,  Gerichtsarzt,  Behörden  oder  dem  Gerichte, 
selbst  auf  ausdrückliches  Verlangen,  die  ihm  anvertraute  ärztliche 
Krankheitsgeschichte  niemals  und  unter  keinen  Umständen  übergeben 
darf.  Hierin  gilt  für  ihn  das  unter  4.  für  andere  Fälle  Gesagte,  wonach 
er  sich  als  Arzt  an  die  allgemeine  Berufsübung  oder  an  die  spezielle 
Abmachung  mit  der  ausleihenden  Krankenanstalt  und  vor  allem  durch 
sein  ärztliches  Berufsgeheimnis  gebunden  erachten  muss.  Trotz 
seiner  Beamtenstellung  und  seiner  dadurch  gegebenen  Verpflichtung 
,  anderen  Behörden  gegenüber  darf  er  sich  in  diesem  Falle  rein  nur 
als  Arzt  fühlen  und  muss  ein  ärztliches  Denken  bewahren.  Zu  seiner 
Gutachtertätigkeit  kann  er  die  mitgeteilte  Krankengeschichte,  soweit 
es  zur  ärztlichen  Erforschung  des  Falles  irgendwie  nötig  ist,  be¬ 
nützen,  da  er  annehmen  darf,  dass  sie  ihm  zu  diesem  Zwecke,  aber 
n  u  r  dazu,  überantwortet  worden  ist. 

Sollte  sich  da  und  dort  eine  entgegengesetzte  Praxis  eingelebt 
haben,  so  müssten  wir  im  Interesse  unseres  Standes  dafür  zu  sorgen 
suchen,  dass  sie  so  bald  und  so  gründlich  als  möglich  wieder  aufge¬ 
geben  wird. 

Auch  hierüber  müssten  allgemeine  Richtlinien  und  Bestimmungen 
ausgearbeitet  werden.  Solange  solche  aber  nicht  bestehen,  können 
wir  uns  nur  in  der  Weise  für  den  einzelnen  Fall  sichern,  dass  wir 
bei  jeder  Ausleihung  einer  Krankengeschichte  an  einen  Amts-  oder 
Gerichtsarzt  ihn  dazu  verpflichten,  es  dürfe  eine  Weitergabe  an  Be¬ 
hörden  und  Gerichte  nicht  stattfinden. 

Davon  abgesehen  steht  es  uns  aber  auch  jederzeit  frei,  die 
Herausgabe  überhaupt  abzulehnen,  wenn  uns  je  nach  der  Lage  des 
einzelnen  Falles  gewichtige  ärztliche  Bedenken  oder  der  Wille  des 
Kranken  selbst  zur  Wahrung  des  Berufsgeheimnisses,  auch  Kollegen 
gegenüber,  zwingen. 

*  *  * 

Das  sind  die  sechs  Punkte,  die  mir  bei  der  genaueren  Be¬ 
schäftigung  mit  dieser  wichtigen  und  interessanten  Materie  am 
meisten  in  die  Augen  gefallen  sind;  andere  von  geringerer  Be¬ 
deutung  laufen  noch  daneben  her. 

Ich  möchte  den  ärztlichen  Standpunkt,  kurz  zusammenfassend, 
nochmals  hervorheben: 

Seine  Anzeigepflicht  muss  der  Arzt,  sei  er  Beamter  oder  nicht, 
in  den  gesetzlich  festgclegten  Grenzen  erfüllen;  auch  dem  §  139 
StGB.  —  Anzeige  zur  Verhütung  schwerer  Verbrechen  —  hat  er  sich 
unterzuordnen  Seine  Zeugen-  und  Gutachtertätigkeit  wird  der  be¬ 
amtete  Arzt,  wenn  er  dazu  im  allgemeinen  verpflichtet  worden  ist 
oder  wenn  er  sich  durch  sein  ärztliches  Gewissen  nicht  gebunden 
fühlt,  immer  erfüllen  und  anbieten,  auch  anderen  Behörden  gegen¬ 
über  zur  Auskunft  und  zur  Mitteilung  der  Personalakten  bereit  sein. 
In  der  Ausübung  dieser  Betätigungen  wird  niemand  uns  Aerzten  den 
Vorwurf  der  Zurückhaltung  machen  können.  Soweit  es  sich  immer 
mit  unserem  Berufsgeheimnis  vereinbaren  Hess  oder  soweit  wir  uns 
zur  Aussage  für  befugt  halten  konnten,  waren  wir  —  das  beweisen 
wir  überall  täglich  von  neuem  —  stets  bereit  die  Zwecke  und  Inter¬ 
essen  des  Staates  und  seiner  Behörden,  insbesondere  der  Rechts¬ 
pflege,  nach  Kräften  zu  unterstützen  und  zu  fördern,  weil  wir  uns 
selbst  als  unentbehrliche  Glieder  und  Mitarbeiter  der  öffentlichen 
Gesundheitspflege  und  des  Staatswohles  fühlen. 

In  der  Frage  der  Herausgabe  der  in  der  ärztlichen  Krankenge¬ 
schichte  und  in  eigenen  Aufzeichnungen  unserer  Patienten  uns  anver¬ 
trauten  Privatgeheimnisse  aber  dürfen  wir  uns  unter  Berufung  auf 
§  95  letzten  Satz  und  §  97  StPO,  desto  ablehnender  verhalten.  Das 
sind,  wie  wir  schon  auseinandergesetzt  haben,  zwei  grundver¬ 
schiedene  Dinge.  Dem  Standpunkt  der  Staatsbehörden  und  der 
Rechtspflege  bei  Verfolgung  ihrer  Ziele  müssen  wir  hier,  auch  in 
unserer  Stellung  als  staatliche  Beamte  und  Behörden,  unser  ärzt¬ 
liches  Berufsgeheimnis  entgegenhalten,  das  gleichfalls  ein  anerkannter 
und  unentbehrlicher  Grundbestandteil  unserer  Rechtsordnung  ist.  In 
bezug  auf  ciie  Krankengeschichten  und  ihre  Anlagen,  die  uns  kraft 
unseres  Berufes  und  unserer  ärztlichen  Vertrauensstellung,  also  im 
Vertrauen  auf  Geheimhaltung,  überantwortet  worden  sind,  haben  wir 
dasselbe  Recht  und  dieselbe  Pflicht  auf  Wahrung  der  Verschwiegen¬ 
heit  wie  der  Privatarzt  auch.  Je  strenger  wir  darin  handeln,  desto 
besser  werden  wir  unserem  ärztlichen  Stande  und  Ansehen  und 
mittelbar  auch  dem  staatlichen  Interesse  selbst  dienen.  Denn  die 
ärztliche  Diskretion  ist  so  gut  wie  jede  derartige  ideelle  Errungen¬ 
schaft  nicht  nur  ein  hohes  Rechtsgut,  sondern  auch  eine  notwendige 
sittliche  Forderung  der  Allgemeinheit.  Bei  ihrer  Gefährdung  trifft  in 
der  Tat  allgemein  der  Fall  zu,  von  dem  der  §  96  der  StPO,  handelt, 
dass  nämlich  damit  dem  Wohle  des  Staates,  hier  seiner  Rechts¬ 
ordnung,  sowohl  als  auch  der  gesamten  leidenden  Menschheit  empfind¬ 
licher  Nachteil  bereitet  würde;  wir  dürfen  uns  also  mit  Fug  und 
Recht  darauf  berufen. 

Wo  sich  in  dieser  wichtigen  Frage  Widersprüche  und  Konflikte 
zeigen,  da  müssen  wir  in  unserem  und  der  Allgemeinheit  Interesse 
dahin  streben,  dass  sie  in  gemeinsamer  Arbeit  von  einer  Kommission 
von  Juristen  und  Aerzten  aufgeklärt  und  gelöst  werden.  Wir  unserer¬ 
seits  müssen  dabei  alles  daran  setzen,  dass  die  Garantien  für  unser 
frei  verantwortliches  ärztliches  Handeln  innerhalb  der  Strafgesetze 
und  fiir  die  Wahrung  unseres  Berufsgeheimnisses  auch  ln  unserer 
Beamtenstellung  und  auch  anderen  Behörden  gegenüber  nicht  nur 


nach  unserem  ärztlichen  Gewissen,  sondern  auch  durch  das  Gese 
sichergestellt  werden.  Es  handelt  sich  dabei  um  eine  gebieteriscl 
Notwendigkeit  sowohl  für  unser  berufliches  Wirken  und  für  d 
Volksgesundheit  als  auch  damit  für  die  öffentliche  Wohlfahrt  ui 

das  Staatsganze. 

- -  •  •  - - 

August  Weismann, 

geb.  am  17.  Januar  1834,  gest.  am  5.  November  1914. 

Die  grosse  Erregung  der  gegenwärtigen  Zeit  lässt  m 
manche  Ereignisse  kaum  beachten,  welche  sonst  de 
grössten  Eindruck  auf  uns  gemacht  hätten.  Aber  kein  g»j 
hildetcr  Mediziner  wird  die  Nachricht  vom  Tode  Weis! 
m  a  n  n  s  gelesen  haben,  ohne  dass  Eindrücke  und  Erintn 
rungen  an  wissenschaftliche  Diskussionen  in  ihm  aufgetaucli 
wären,  in  denen  die  Lehren  Weismanns  eine  Rolle  g^ 
spielt  hatten.  Wir  haben  schon  von  manchem  Bejahrten  unu 
unseren  grossen  Männern  gehört,  dass  die  schwachen  Kräf 
seines  Alters  den  Anforderungen  nicht  gewachsen  wäre 
welche  unsere  Tage  an  die  Seelen  deutscher  Männer  stelle1 
Und  so  erlosch  vor  wenigen  Tagen  auch  das  Leben  AuguH 
Weismanns,  welcher  als  80jähriger  mit  jugendlicher  Bi 
geisterung  alle  Ereignisse  des  grossen  Krieges  verfolgt  ha 
Wie  tief  musste  ihn,  der  einst  ein  vertrauter  Freud 
Treitschkes  gewesen  war,  all  das  Grosse  bewegen,  di 
über  unser  Vaterland  hereingebrochen  ist.  Er  hatte 
während  seines  langen  Lebens  genug  Kriegszeiten  erlebt; 
in  einem  Kriege  hatte  er  sogar  als  Militärarzt  Dienste  tu 
sollen.  Es  war  dies  der  italienische  Krieg  von  1859. 

W  e  i  s  m  a  n  n  hatte,  wie  fast  alle  Zoologen  seiner  Ze 
Medizin  studiert.  Er  hatte  auch  begonnen,  von  seinen  Kenn 
nissen  praktischen  Gebrauch  zu  machen.  Nach  Vollendur 
seines  Studiums  hatte  er  sich  in  seiner  Vaterstadt  Franl 
furt  a.  M.  als  praktischer  Arzt  niedergelassen.  Noch  ehe  ab« 
seine  Praxis  zu  einer  grösseren  Entwicklung  gekommen  wa 
nahm  er  die  Stelle  eines  Leibarztes  bei  dem  Erzherzc 
Stephan  an,  welcher  damals  in  dem  Schloss  Schaun 
bürg  a.  d.  Lahn  lebte.  In  dieser  Stellung  fand  er  Ruhe  ur 
Zeit,  sich  mit  dem  Studium  der  Zoologie  zu  beschäftigen,  t 
dem  er  schon  seit  jeher  mit  glühender  Begeisterung  hing,  f 
arbeitete  damals  eine  Untersuchung  über  die  Entwicklung  dJ 
Fliegen  aus,  in  welcher  schon  die  Fäden  zu  vielen  sein» 
späteren  grundlegenden  Forschungen  angesponnen  wäre; 
Ihnen  konnte  er  erst  mit  voller  Hingebung  nachgehen,  als  < 
in  Giessen  an  der  Universität  seine  spezielle  Ausbildung  al 
Zoologe  vollendete,  um  sich  dann  in  Freiburg  als  Privatdoze: 
zu  habilitieren.  Es  war  dies  im  Jahre  1863  und  seitdem  h 
er  ununterbrochen  an  der  Freiburger  Universität  gelehrt  urj 
gewirkt.  Im  Jahre  1867  wurde  er  ausserordentlicher,  i 
Jahre  1873  ordentlicher  Professor  der  Zoologie.  Es  hat  ihi 
zwar  nicht  an  Gelegenheit  gefehlt,  die  kleine  Breisgai 
Universität  mit  einem  grösseren  Wirkungskreis  zu  vertausche 
Breslau,  Bonn  und  München  suchten  ihn  nacheinander  zu  g' 
winnen.  Er  aber  zog  den  Frieden  und  die  Stille  vor,  welcH 
ihm  die  schöne  kleine  Stadt  mit  ihrer  wundervollen  Umgebur 
boten.  Hier  war  das  geeignetste  Milieu  für  die  Entwickln 
eines  Denkers  von  seiner  Art.  Auch  gesundheitlich  sagte  ih 
die  kleine  Stadt  mehr  zu,  als  irgend  eine  Grossstadt;  den. 
wenn  er  auch  ein  hohes  Alter  erreichte,  so  machte  ihm  doc 
alle  Zeit  sein  Körper  viel  zu  schaffen.  Schon  Anfang  d» 
70  er  Jahre  befiel  ihn  eine  nervöse  Augenkrankheit,  welche  i 
späteren  Alter  zunahm  und  ihm  das  Beobachten,  vor  allem  di 
Mikroskopieren  immer  mehr  erschwerte. 

Um  so  bewunderungswürdiger  ist  die  Art  und  Weise,  w 
er  stets  seine  Arbeiten  auf  sorgfältigste  wissenschaftliche  B 
obachtung  aufbaute.  Er  war  ein  echter  Naturforscher;  d 
Beobachtung  der  Tatsachen  war  ihm  stets  die  Hauptaufgab 
die  Theorie  war  nur  dazu  da,  um  den  Zusammenhang  der  Ta 
Sachen  zu  erklären.  Als  er  in  der  späteren  Periode  sein» 
Schaffens  seine  Theorien  immer  weiter  ausbaute,  glaubt» 
manche  Gegner  ihm  den  Vorwurf  machen  zu  dürfen,  er  en 
ferne  sich  allzuweit  vom  Boden  der  Tatsachen.  Wie  unb> 
rechtigt  diese  Annahme  war,  zeigten  seine  zahlreichen  son 
fähigen  Untersuchungen,  welche  er  immer  wieder  zwischt 
seine  theoretischen  Studien  einfügte.  Ja  er  ist  sogar  einer  d» 


.  Dezember  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2309 


reuigen,  welche  als  Vorläufer  der  gegenwärtigen  experi- 
lentellen  Schule  die  Grundlagen  der  Abstammungslehre  schon 
or  25 — 30  Jahren  durch  Experimente  und  Züchtungsversuche 

u  prüfen  suchte. 

Die  Abstammungslehre,  wie  sic  von  Darwin  neu  belebt 
nd  in  die  Wissenschaft  eingeführt,  im  Anfang  der  70  er  Jahre 
iren  Siegeszug  durch  alle  Wissenschaften  antrat,  bildete  von 
ornherein  die  Richtlinie  für  alle  Arbeiten  W  e  i  s  m  a  n  n  s. 
Vir  können  ihn  wohl  mit  Recht  den  grössten  Nachfolger 
>  a  r  w  i  n  s  nennen.  Er  hat  nicht  nur  ebenso  wie  H  a  e  c  k  e  1 
usserordentlich  viel  zur  Ausbreitung  der  Ideen  Darwins 
eigetragen,  sie  ergänzt  und  erweitert,  er  hat  sogar  die 
igensten  Ideen  Darwins  weiter  entwickelt.  Darwin 
atte  in  die  Abstammungslehre  das  Auslese- 
rinzip  eingeführt.  Beim  Durchdenken  und 
Veiterbilden  der  Theorie  kam  Weismann 
u  dem  Ergebnis,  die  Auslese  könne  überhaupt 
as  einzig  wirksame  Prinzip  bei  der  Ent- 
tehung  neuer  Organismenformen  sein.  Die 
on  D  a  r  w  i  n  in  Anlehnung  an  Lamarck- 
che  Vorstellungen  beibehaltene  Annahme 
iner  Vererbung  erworbener  Eigenschaften 
erwarf  er  vollkommen;  alle  zu  ihren  Gun- 
ten  angeführten  Beobachtungen  unterzog 
r  einer  scharfen  Kritik.  So  konnte  er  denn 
l  der  Tat  nachweisen,  dass  die  meisten  zu 
iren  Gunsten  angeführten  Tatsachen  anders 
edeutet  werden  mussten  oder  wenigstens 
onnten.  Er  entwickelte  den  Darwinismus 
weiter  zum  sogen.  Neodarwinismus,  zu  dem 
’rinzip  der  Allmacht  der  Naturzüchtung. 

Diese  seine  Ideen  bildeten  sich  Hand  in 
fand  mit  der  Klärung  seiner  Vorstellungen 
her  die  Grundlage  der  Vererbungserschei- 
ungen.  Schon  Darwin  hatte  dem  Studium 
er  Vererbung,  welche  der  Auslese  erst  das 
laterial  für  ihre  Wirksamkeit  darbietet, 
rosste  Aufmerksamkeit  geschenkt.  Für 
/eismanns  Forschungen  bot  sie  das  wichtigste  Gebiet 
ar.  In  zahlreichen  Schriften  entwickelte  er  im  Verlauf  der 
tzten  30  Jahre  seine  Vererbungslehre,  indem  er  sie  unter 
en  Angriffen  ihrer  Gegner  immer  weiter  ausbaute,  immer 
üiärfer  formulierte  und  immer  mehr  durch  Tatsachen  zu 
ützen  suchte.  Nachdem  durch  zytologische  Forschungen 
'ar  geworden  war,  dass  die  Vererbungssubstanz  in  den 
ernen  der  Zellen,  speziell  den  Geschlechtszellen  enthalten 
-in  müsse,  zeigte  Weismann,  dass  als  Träger  der  Ver- 
•bung  in  ihnen  speziell  die  Chromosomen  zu  betrachten  sind, 
r  nahm  an,  dass  sie  aus  kleinsten  Substanzteilchen  zu- 
unmengesetzt  seien,  welche  die  Träger  der  einzelnen  Eigen- 
:haften  seien,  und  welche  er  als  deren  Determinanten  be- 
üchnete.  Nach  seiner  Vorstellung  waren  alle  Eigenschaften 
nes  Tieres  oder  einer  Pflanze  bereits  im  befruchteten  Eikern 
'äformiert  enthalten.  Es  war  das  Keimplasma,  welches  die 
ererbung  der  Eigenschaften  der  Art  von  einem  Individuum 
if  seine  Nachkommen  sicherte.  Dieses  Keimplasma  war  nach 
m  im  Keimstock  des  Tieres  vor  allen  Einflüssen  der  Aussen- 
elt  geschützt.  So  wenig  wie  Schädigungen,  erfuhr  es  dort 
inflüsse,  welche  es  erheblich  modifizieren  konnten.  Von 
len  Veränderungen,  welche  unter  dem  Einfluss  äusserer  Be¬ 
ugungen  die  Körperzellen  und  die  aus  ihnen  aufgebauten 
rgane  erfuhren,  blieb  es  unberührt. 

In  einer  unerwarteten  Weise  haben  die  modernen  ex- 
nimentellen  Vererbungsforschungen  die  theoretischen  Vor- 
issetzungen  Weismanns  bestätigt.  Die  Entwicklung, 
eiche  speziell  der  Mendelismus  genommen  hat,  wäre  voll- 
)mmen  undenkbar,  ohne  die  Gedankenarbeit,  welche  Weis- 
ann  zur  Klärung  der  Begriffe  von  Vererbungseinheiten, 
ererbungsstoffen  und  dergleichen  geleistet  hat. 

Darin  liegt  überhaupt  ein  Hauptverdienst  W  e  i  s  m  a  n  n  s, 
iss  er  grosse  Gebiete  gedanklich  so  vollkommen  durch- 
iarbeitet  hat,  dass  jeder,  der  sich  mit  ihnen  beschäftigt,  die 
eschehensmöglichkeiten  von  ihm  analysiert  und  durchdacht 
erfindet.  So  wird  seine  Bedeutung  für  die  Vererbungslehre 
ne  unvergängliche  sein,  mögen  auch  manche  seiner  Ideen 

Nr.  48 


von  der  fortschreitenden  Forschung  abgeändert  oder  gar  voll¬ 
kommen  verlassen  werden. 

In  der  schönen  Umgebung  Freiburgs  konnte  man  ihn  noch 
bis  in  sein  höchstes  Alter  auf  grossen  Spaziergängen  durch 
die  Wälder  schweifen  sehen;  stets  war  er  in  tiefen  Gedanken 
versunken,  immer  an  seinen  Theorien  bessernd,  feilend  und 
vervollkommnend.  War  er  in  sein  Institut  zurückgekehrt,  so 
wandte  er  sich  aber  stets  wieder  aus  der  Welt  der  Ideen  der 
realen  Basis  der  Beobachtung  zu.  In  den  letzten  Jahren  waren 
es  immer  wieder  die  Schmetterlinge,  denen  er  seine  Auf¬ 
merksamkeit  zuwandte.  Hatte  er  doch  an  dieser  Tiergruppe 
seinerzeit  grundlegende  Untersuchungen  gemacht,  durch  welche 
eine  Abänderung  der  Arten  durch  den  Einfluss  äusserer  Fak¬ 
toren  bewiesen  wurde.  Er  hatte  zeigen 
können,  dass  durch  hohe  Wärme  oder  Kälte, 
welche  man  während  des  Puppenstadiums 
auf  gewisse  Arten  unserer  gewöhnlichsten 
einheimischen  Schmetterlinge  einwirken  lässt, 
abgeänderte  Falter  erzeugt  werden  können, 
welche  oft  von  der  Ausgangsform  sehr  er¬ 
heblich  abweichen.  Diese  Versuche  wurden 
von  späteren  Forschern  in  erweitertem  Mass¬ 
stab  aufgenommen  und  führten  zu  der  wich¬ 
tigen  Entdeckung,  dass  die  so  erzielten  Ab¬ 
änderungen  sich  auf  die  Nachkommen  der  be¬ 
treffenden  Individuen  übertragen  können.  An 
diese  Feststellung  schloss  sich  eine  lebhafte 
Erörterung  der  Frage,  ob  es  sich  dabei  um 
eine  Vererbung  erworbener  Eigenschaften 
handle.  An  der  wissenschaftlichen  Diskussion 
dieser  ihn  natürlich  ganz  besonders  be¬ 
rührenden  Frage  beteiligte  sich  Weis- 
mann  auf  das  lebhafteste  und  suchte  sie  bis 
in  die  letzten  Jahre  seines  Lebens  durch  neue 
Experimente  zu  klären,  deren  Material  sich 
heute  im  Freiburger  Zoologischen  Institut  be¬ 
findet. 

Ebenso  waren  die  Schmetterlinge  ein  Lieb¬ 
lingsmaterial  für  seine  Untersuchungen  über  Mimikry.  Die  Nach¬ 
ahmung  belebter  und  unbelebter  Gegenstände  der  Umgebung 
durch  schutzbedürftige  Tiere  ist  ja  seit  den  Untersuchungen  von 
Darwin  und  W  a  1 1  a  c  e  ein  besonders  wichtiges  Beweis¬ 
mittel  der  Deszendenstheorie  geworden.  Es  war  ein  Lieblings- 
studium  Weismanns  in  den  letzten  Jahren,  den  Wegen  im 
einzelnen  nachzugehen,  auf  welchen  die  oft  so  peinliche  Nach¬ 
ahmung  der  Umgebung  von  solchen  Tierformen  erreicht 
worden  ist.  Immer  wieder  waren  es  Vererbungsprobleme, 
welche  dabei  seine  Gedanken  beschäftigten,  wenn  man  den 
ehrwürdigen  Greis  in  tiefem  Sinnen  über  seine  Schmetterlings¬ 
kästen  gebeugt  sah. 

Seine  Ideen  über  Vererbung  waren  es,  welche  von  ihrer 
ersten  Veröffentlichung  an  alle  wissenschaftlich  denkenden 
Mediziner  auf  das  lebhafteste  beschäftigten.  Ihre  Anwendung 
auf  den  Menschen,  ihre  Bedeutung  für  die  Auffassung  der  Erb¬ 
lichkeit  von  Krankheiten,  Missbildungen  und  pathologischen 
Anlagen  lag  auf  der  Hand.  Wie  oft  haben  sich  die  lebhaftesten 
Diskussionen  gerade  zwischen  Medizinern  über  die  Tragweite 
der  W  e  i  s  m  a  n  n  sehen  Ideen  entsponnen.  Es  gehörte  und 
wird  auch  lange  Zeit  hinaus  zur  notwendigen  Bildung  des 
wissenschaftlichen  Mediziners  gehören,  dass  er  über  Weis- 
man  ns  Vererbungslehre  genau  orientiert  ist. 

Ich  erinnere  mich  vor  allem  aus  meinen  medizinischen 
Studentensemestern,  wie  stark  unser  Denken  von  der  Dis¬ 
kussion  W  e  i  s  m  a  n  n  scher  Probleme  erregt  und  beeinflusst 
wurde.  Ich  sehe  an  meinen  Studenten,  dass  auch  heute  noch 
dasselbe  der  Fall  ist.  So  kann  man  denn  ermessen,  welch 
wunderbaren  Einfluss  Weismann  als  Universitätslehrer 
auf  seine  Studierenden  gehabt  haben  muss,  deren  Mehrzahl  in 
den  letzten  Jahren  ja  immer  Mediziner  waren.  Wie  manchen 
von  ihnen  habe  ich  in  der  begeisterten  Erinnerung  an  seine 
Freiburger  Studentenzeit  von  den  Vorlesungen  Weis¬ 
manns  schwärmen  hören.  Die  grosszügige  Persönlichkeit, 
welche  mit  dem  Feuer  der  Begeisterung  den  Studierenden 
grosse  Ideen  vortrug,  die  zum  Teil  in  seinem  eigenen  Kopfe 
entstanden  waren,  musste  ja  hinreissend  auf  empfängliche 

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2310  MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  Nr.  48. 


jugendliche  Seelen  wirken.  Dazu  beherrschte  er  in  einem 
wundervollen  Masse  unsere  deutsche  Sprache;  seine  Vor¬ 
lesungen  müssen  ein  grosses  Vorbild  inhaltsreicher,  schöner 
Reden  gewesen  sein. 

Nicht  weniger  bedeutsam  war  seine  Lehrtätigkeit  im 
Laboratorium,  in  welchem  aus  aller  Herren  Länder  Jünger 
zu  seinen  Füssen  zusammenströmten,  um  in  den  Methoden 
der  Zoologie  und  speziell  in  seinen  Forschungsideen  unter¬ 
richtet  zu  werden.  Seine  belehrende  Tätigkeit  erstreckte  sich 
aber  wreit  über  den  Kreis  seiner  Universität  hinaus.  Denn 
ebenso  wie  das  gesprochene,  so  beherrschte  er  auch  das  ge¬ 
schriebene  Wort.  Sind  schon  seine  rein  wissenschaftlichen 
Abhandlungen,  wie  z.  B.  der  Band  über  „das  Keimplasma“, 
Muster  lichtvoller  Darstellung,  so  sind  seine  für  weitere  Kreise 
bestimmten  „Vorlesungen  über  Deszendenztheorie“  ein  Werk, 
welches  durch  seine  vollendete  Sprache,  durch  die  metho¬ 
dische  Verteilung  des  Stoffes,  die  vorzügliche  Wahl  der  Bei¬ 
spiele  und  den  feurigen  Fluss  der  Ideen  dazu  beitrug,  in  weite¬ 
sten  Kreisen  zugleich  für  die  Deszendenztheorie  im  ganzen 
wie  für  seine  eigenen  Theorien  Anhänger  zu  werben. 

Aus  seinen  Werken  spricht  auf  jeder  Seite  eine  grosse, 
feine  und  gerechte  Persönlichkeit.  Wer  in  näheren  Be¬ 
ziehungen  zu  ihm  stand,  wird  dies  immer  zum  glücklichen  Be¬ 
sitz  seines  Lebens  rechnen.  Ich  lernte  ihn  in  seinen  letzten 
Lebensjahren  kennen,  in  denen  naturgemäss  das  Alter  manche 
seiner  glänzenden  Eigenschaften  hatte  abschwächen  müssen. 
Und  doch,  welchen  Eindruck  hatte  ich  von  dieser  Persönlich¬ 
keit,  und  wie  muss  ich  diejenigen  beneiden,  welche  ihm  in 
seinen  reichsten  Jahren  nahestehen  durften!  Noch  in  den 
letzten  Wochen  hatte  ich  immer  wieder  Gelegenheit,  wenn  wir 
von  den  grossen  Ereignissen  der  Zeit  sprachen,  neben  der 
Bescheidenheit  des  grossen  Gelehrten  die  ritterliche  Ge¬ 
sinnung  des  edlen  Menschen  zu  bewundern.  Weis  mann 
gehört  zu  denjenigen,  deren  äussere  Lebensumstände  vom 
Glück  begünstigt  waren.  Und  so  wurde  ihm  denn  nach  einem  j 
langen,  arbeits-  und  erfolgreichen  Leben  ein  schöner  fried-  ; 
licher  Tod  im  Kreise  seiner  Liebsten  zuteil.  Er  schlief  sanft 
ein,  während  Klänge  der  von  ihm  so  geliebten  Musik  ihn  um¬ 
rauschten.  Wie  seine  Persönlichkeit  denen,  welche  ihm  näher 
standen,  unvergesslich  sein  wird,  so  werden  seine  Werke  und 
Ideen  in  der  gesamten  Wissenschaft  weiterleben. 

F.  D  o  f  1  e  i  n  -  Freiburg  i.  Br. 

(  - 

Bücheranzeigen  und  Referate. 

Langstein  und  Meyer:  Säuglingsernährting  und  Säuglings¬ 
stoffwechsel.  Ein  Grundriss  für  den  praktischen  Arzt.  2.  und  3.  Auf¬ 
lage.  Verlag  J.  F.  Bergmann,  Wiesbaden  1914. 

3  Jahre  lang  haben  die  Verfasser  dieses  Buch  nach  Verkauf  der 
ersten  Auflage  (1910)  vergriffen  sein  lassen.  Sie  „wollten  einerseits 
erst  die  Bewegung  zu  einer  gewissen  Klärung  kommen  lassen, 
anderseits  sich  selbst  über  die  noch  strittigen  Punkte  ein  Urteil 
bilden“.  Hienach  hatte  Ref.  vielleicht  nicht  unrecht,  wenn  er  bei.  der 
eisten  Auflage  das  Bedenken  äusserte,  sie  sei  um  etliche  Jahre  zu 
früh  erschienen.  Der  Zuwachs  an  darzustellendem  Material  macht 
sich  durch  eine  Umfangsvermehrung  des  Buches  auf  nahezu  aas 
Doppelte  erkennbar.  So  darf  es  bei  ferneren  Auflagen  nicht  weiter¬ 
gehen,  sonst  streikt  der  praktische  Arzt,  dem  das  Werk  zugedacht 
ist.  Ohne  Zweifel  könnte  in  der  Tat  manches  über  Bord  geworfen 
werden,  z.  B.  die  Kapitel  über  Rachitis,  über  Möller  sehe  Krankheit 
und  Tetanie  —  nicht  weil  sie  nicht  herein  gehörten,  aber  weil  sie 
der  Praktiker  unter  dem  Titel  des  Buches  kaum  suchen  wird.  Auch 
in  dem  an  sich  so  löblichen  Bestreben,  physiologische  oder  physi¬ 
kalisch-chemische  Grundlagen  zur  Darstellung  zu  bringen,  gingen  die 
Verfasser  sehr  weit.  Eine  Erläuterung  über  das  Wesen  der  elektro¬ 
lytischen  Dissoziation  nach  Arrheniusz.  B.  kann  in  einem  Grund¬ 
riss  der  Säuglingsernährung  für  den  Praktiker  füglich  entbehrt  wer¬ 
den.  Wer  ganz  genau  zusieht,  erkennt  ja  doch,  dass  von  einem 
wirklich  systematischen  Weiterbauen  auf  solchen  Fundamenten  Pis 
zur  einzelnen  diätetischen  Empfehlung  keine  Rede  sein  kann.  We¬ 
sentlich  erweitert  wurden  die  theoretischen  Kapitel,  namentlich  be¬ 
züglich  des  Wasser-Mineralstoffwechsels,  der  Stoffwechseiglelcnung 
des  Neugeborenen  etc.  Der  Hauptteil  (Ernährungsstörungen  beim 
Flaschenkinde)  bleibt  —  in  den  Einzelheiten  noch  sorgfältiger  ausge- 
arbeitet  —  dem  Glaubensbekenntnis  aus  der  ersten  Auflage  treu. 
Grundlegende  Thesen,  Einteilung,  Namen,  Darstellungsweise  stammen 
hier  zumeist  wie  die  Verfasser  selbst  aus  dem  F  i  n  k  e  1  s  t  e  i  n  sehen 
Kreise;  man  muss  aber  das  Bestreben  durchaus  anerkennen,  auch 
anderen  Schulen  gerecht  zu  werden  und  aus  anderen  Lehren  das  zu 
bringen,  was  gut  und  nützlich  schien.  Nicht  alle  pädiatrischen  Autoren 
verfahren  so.  Die  Lehre  von  der  Nährstoffvergiftung  ist  ja  im  Laufe 


der  Zeit  reichlich  verwässert  worden;  aber  das  Finkelstein- 
sche  Schema  erfreut  sich  grosser  Popularität;  es  bringt  cDen  eine 
Marschroute  für  die  Praxis,  und  eine  so  flüssige  Darstellung  wie  die 
L  a  n  g  s  t  e  i  n  -  M  e  y  e  r  sehe  macht  wirklich  glauben,  der  Stoff  se: 
nun  gemeistert,  der  Arzt  für  alle  Fälle  gewappnet.  Unter  den  Ver¬ 
hältnissen  der  Praxis  aurea  ist  er  es  tatsächlich  in  ziemlich  be¬ 
friedigendem  Masse;  aber  unter  minder  günstigen  Verhältnissen  — 
und  diese  waren  ja  von  jeher  das  Kreuz  der  Flaschenkinder  —  be¬ 
gegnet  er  nur  zu  oft  unauflösbaren  Komplexen  von  dyspeptischer 
Bilanzstörung  mit  Intoxikation  und  Dekomposition,  infektiös-alimen¬ 
tärer  Schäden,  zu  denen  er  auch  in  dem  jetzt  sehr  vermetirten 
Kapitel  über  die  „Mischformen“  den  Ariadnefaden  nicht  findet  und 
bei  denen  ihn  auch  das  hinreichend  gepriesene  Arkanum  der  Eiweiss-j 
milch  im  Stiche  lässt.  Ein  weiterer  Vorzug  des  Finkelstein- 
schen  Lehrgebäudes  ist  die  Betonung  des  Toleranzbegriffes,  durchi 
die  alles  ganz  auf  den  Boden  der  neuen  Konstitutionspathologie  ge-j 
stellt  wird;  mit  dieser  mag  mancher  Arzt  durch  das  vorliegendei 
Buch  vielleicht  zum  ersten  Male  eindrucksvolle  Bekanntschaft  machen. 
Jedermann  wird  anerkennen,  dass  die  Verfasser  bei  der  Neubearbei¬ 
tung  mit  einer  ungewöhnlichen  Geschicklichkeit  und  Umsicht,  aber! 
auch  mit  besonderem  Fleisse  und  Ernst  zu  Werke  gegangen  sind.  Ihr] 
todsicherer  Erfolge  ist  redlich  verdienter  Gewinn.  Pfaundler. 

Treves-Keith:  Chirurgische  Anatomie.  Uebersetzt  von! 
A.  M  ü I  b  e r  g e r- London.  Mit  152  Abbildungen  von  O.  Klein- 
schinidt  und  C.  Hörhammer.  Berlin,  Springer,  1914. 

Das  im  Jahre  1883  zum  ersten  Male  erschienene  Lehrbuch  er-! 
freut  sich  in  England  einer  grossen  Beliebtheit,  was  am  bester, 
an  den  2\  bisher  notwendig  gewordenen  Auflagen  erkannt  werdenj 
kann.  Die  von  Mülberger  in  trefflicher  Weise  besorgte  deutsche 
Uebersetzung  kann  als  gute  Ergänzung  unserer  zahlreichen  ausge-i 
zeichneten  ähnlichen  Lehrbücher  angesehen  werden.  Das  Treves- 
sehe  Buch  soll  durchaus  praktischen  Bedürfnissen  dienen.  Alles  in 
der  Praxis  nicht  zu  Verwendende  ist  weggelassen.  Dafür  ist  aber 
überall  auf  die  Beziehungen  zur  Chirurgie  hingewiesen,  die  Ver¬ 
letzungen  und  Operationsmethoden  finden  sich  regelmässig  im  An-| 
Schlüsse  an  die  betreffenden  Kapitel  kurz  erörtert.  Kleinschmidt 
und  Hörhammer  haben  die  deutsche  Ausgabe  mit  guten  Abbil-i 
düngen  versehen.  K  r  e  c  k  e. 

Neueste  Journalliteratur. 

Zeitschrift  für  klinische  Medizin.  80.  Band,  5.  u.  6.  Heft 

Fleischmann  und  S  a  1  e  c  k  e  r :  Versuche  über  die  Be¬ 
einflussung  des  Purinstoffwechsels  durch  die  Sekrete  der  Drüsen  mit 
innerer  Sekretion.  (Aus  der  1.  med.  Klinik  in  Berlin.) 

Verfütterte  Nukleinsäure  wird  vom  Hund  annähernd  quantitativ 
im  Harn  ausgeschieden;  bei  gleichzeitiger  Pituitrinzufuhr  dagegen 
wird  eine  Verminderung  und  Verzögerung  der  Allantoinausscheidung 
beobachtet.  Pituitrin,  einem  purinfrei  ernährten  Tier  injiziert,  be-i 
dingt  häufig  eine  geringe  Vermehrung  des  Allantoins  mit  darauffolgtn-l 
der  Senkung.  Beim  hungernden  Tier  tritt  dieser  Allantoinanstieg 
nicht  ein.  Adrenalin,  in  nicht  zu  kleinen  Mengen  injiziert,  bewirkt 
eine  erhebliche  Steigerung  der  Allantoinausscheidung,  ohne  gleich¬ 
zeitige  Steigerung  der  Stickstoffausscheidung.  Eine  entgegengesetzte 
Wirkung  zeigte  sich  nach  Phloridzininjektionen,  wodurch  der  Ge¬ 
samtstickstoff  erheblich  stieg  ohne  Vermehrung  der  Allantoinausschei¬ 
dung.  Bei  Tieren  ohne  Schilddrüse  wird  verfütterte  Nukleinsäure 
in  verminderter  Menge  ausgeschieden.  Jodothyrinzufuhr  bewirkt! 
eine  Verminderung  der  Allantoinausscheidung  im  Stadium  des  starkenl 
Eiweisszerfalles.  Paraglandol-(Epithelkörperchen-)Zufuhr  hat  bisher 
eine  unregelmässige  Einwirkung  gezeigt.  Beim  Hungertier  wurden 
zugeführte  Purinbasen  in  wesentlich  verminderter  Menge  aus-j 
geschieden  (wahrscheinlich  Retention).  Ueberschüssige  Flüssigkeits-i 
zufuhr  bewirkt  eine  beträchtliche  Steigerung  der  Allantoinausscheidung 

Külbs:  Nebengeräusche  über  der  Aorta.  (Aus  der  I.  med. 

Klinik  und  Poliklinik  in  Berlin.) 

Der  Verfasser  berichtet  über  31  Beobachtungen  von  systolischemj 
Geräusch,  das  im  2.  rechten  Interkostalraum  lokalisiert  hörbar  war. 
von  ungleichmässigetn,  kratzendem,  rauhem  Charakter.  Verstär¬ 
kung  des  2.  Aortentones  mit  Verbreiterung  des  Aortenschattens  im 
Röntgenbild  fand  sich  dabei  12  mal,  Vergrösserung  des  Herzens  nach 
links  17  mal,  der  Blutdruck  war  in  7  Fällen  über  160  mm,  in  13  zwi¬ 
schen  160  und  140  mm  und  in  11  unter  140  mm.  Subjektive  Be¬ 
schwerden  waren  nur  in  10  Fällen  vorhanden,  in  5  bestand  Angina, 
pectoris.  Bei  den  übrigen  16  war  das  Geräusch  ein  zufälliger  Neben¬ 
befund.  In  17  Fällen  war  Polyarthritis  und  Lues  der  Anamnese  und 
dem  objektiven  Befund  nach  auszuschliessen;  wahrscheinlich  spielt 
Arteriosklerose  die  Hauptrolle  in  der  Aetiologie.  Eine  eigentliche 
Stenose  der  Aorta  war  den  klinischen  Erscheinungen  nach  nicht  an¬ 
zunehmen;  das  Geräusch  muss  demnach  in  Rauhigkeiten  der  Wand 
oder  in  Spannungsveränderungen  derselben  seinen  Grund  haben. 

W.  Ce  eien:  Zur  Kenntnis  der  Oesophagusdiphtherie.  (Aus 
dem  pathol.  Institut  in  Berlin.) 

Zu  einem  kurzen  Referat  nicht  geeignet. 

M.  Lüdin:  Ueber  den  anakroten  Puls  an  der  Arteria  carotis 
und  Arteria  subclavia  bei  Aorteninsuffizienz.  (Aus  der  med.  Klinik' 

in  Würzburg.) 

Der  Verfasser  fand  mehrfach  eine  anakrote  Erhebung  im  Puls 
der  Karotis  und  Subklavia  bei  Aorteninsuffizienz,  die  auch  im 


' 


Dezember  1914. _ MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


)hygmogramm  und  im  Gaspulsbild  zum  Ausdruck  kam;  die  erste 
icke  ist  niedriger,  dementsprechend  erweist  sich  auch  die  zweite 
hebung  bei  der  Palpation  als  die  kriiftigerc.  Nur  in  einem  Falle 
lang  es  auch  noch  an  der  Brachiales  die  anakrote  Zacke  aufzu- 
ichnen.  Die  Distanz  zwischen  den  beiden  (iipfeln  der  ersten  und 
»eiten  Zacke  war  an  der  Brachialis  kleiner  als  an  der  Subklavia; 
raus  ist  zu  schliessen,  dass  sich  die  beiden  Wellengipfel  nicht  ge- 
-insam  fortbewegten,  also  nicht  2  zentrifugal  laufenden  Wellen  ihre 
itstehung  verdanken  konnten.  Es  ist  vielmehr  die  Erscheinung 
rch  eine  Reflexion  zu  erklären,  die  erste  Erhebung  wird  durch  die 
■ntrikelsystole  verursacht,  die  zweite  durch  eine  superponierte  Re¬ 
xwelle,  die  Reflexion  kommt  wahrscheinlich  am  distalen  Teil  des 
■»erarms  oder  am  Unterarm  zustande. 

D.  Lampert:  Ueber  Kreatin-  und  Kreatininausscheidung  bei 

abetikern  und  Nephritikern.  (Aus  der  inneren  Abteilung  des  jüdi- 
hen  Krankenhauses  in  Berlin.) 

Die  mit  der  Aut  henrieth -  Müller  sehen  Methode  an¬ 
stellten  Untersuchungen  ergaben  bei  Gesunden  bei  fleischfreier  und 
uillonfreier  Diät  eine  Kreatininausscheidung  von  0,9 — 2,4  g  im  Tag. 
e  Mehrzahl  der  Werte  lag  zwischen  1,2  und  1,5  g.  Kreatin  wurde 
-ist  gar  nicht  gefunden,  wenn  es  auftrat,  nur  in  Spuren  (0,02  mg) 
chgewiesen.  Bei  Diabetikern  waren  die  Werte  für  Kreatinin  meist 
niedrigt  oder  lagen  an  der  unteren  Grenze  der  Normalwerte.  Der 
eatiningehalt  ist  in  sämtlichen  Fällen  mit  wenig  Ausnahmen  unter 
S  geblieben,  doch  fanden  sich  bei  schweren  Fällen  mehrmals  Werte 
•n  1,0— 1,2  g.  Bei  Diabetes  gravis  mit  stärkeren  Graden  von 
etonurie  fand  ich  stets  Kreatin  im  Harn,  meist  erheblich  mehr  als 
'  g,  im  Maximum  1- — 1,2  g.  Bei  Diabetes  levis  mit  Spuren  von  Aze- 
i  fand  sich  Kreatin  entweder  gar  nicht  oder  nur  in  geringen 
engen,  meist  unter  0,3  g.  Bei  Nephritikern  fand  sich  in  5  Fällen 
:ts  eine  Verminderung  des  Kreatinins,  und  zwar  auch  bei  guter  Diu- 
se  und  .bei  auch  sonst  nur  wenig  verringerter  Nierenleistung; 
eatin  waf  nur  in  einem  Fall  bei  starker  Niereninsuffizienz,  und  zwar 
r  in  geringen  Mengen  (Maximum  0,15)  zu  beobachten.  Die  2  Fälle 
n  Diabetes,  bei  welchen  gleichzeitig  eine  Nierensklerose  vorlag, 
iren  durch  besonders  niedrige  Werte  für  Kreatinin  ausgezeichnet, 
edrige  Werte  fanden  sich  auch  in  einem  Fall  von  Leberkarzinom 
t  Cholämie,  wobei  Kreatin  in  sehr  geringen  Mengen  (bis  zu  0,1  g) 
beobachten  war.  Die  Parallelität  der  Kreatinausscheidung  mit  der 
idose  bei  schwerem  Diabetes  lässt  vermuten,  dass  die  Kreatin¬ 
sscheidung  ebenfalls  durch  eine  Störung  des  intermediären  Stoff- 
;chsels  bedingt  ist,  dass  also  das  Kreatin  das  niedere,  das  Kreatinin 
<s  höher  entwickelte  Stoffwechselprodukt  ist.  Die  Kreatininaus- 
leidung  lässt  sich  für  die  Zwecke  der  funktionellen  Nierendiagnostik 
rwenden. 

H.  v.  B  o  m  h  a  r  d  -  München:  Ein  Beitrag  zum  Myelom. 

Zu  einem  kurzen  Referat  nicht  geeignet  . 

H.  Köster  -  Gothenburg:  Kranielle  Geräusche. 

ln  relativ  seltenen  Fällen  kann  man  bei  einem  intrakraniellen 
iden  ein  Schädelgeräusch  hören.  Dasselbe  hat  weder  eine  all¬ 
meine  noch  lokaldiagnostische  Bedeutung,  da  es  bei  den  ver- 
:  liedenartigsten  intrakraniellen  Prozessen  unabhängig  von  ihrer 
!  kalisation  auftreten  kann.  Am  häufigsten  treten  bei  Erwachsenen 
ihädelgeräusche  auf  bei  anämischen  Zuständen;  sie  treten  bei  sol¬ 
len  Zuständen  gewöhnlich  auf,  wenn  die  Zahl  der  roten  Blutkörper- 
i-n  unter  2  500  000  und  die  Hämoglobinmenge  auf40  Proz.  gesunken 

Die  Hämoglobinmenge  scheint  grössere  Bedeutung  für  das  Auf- 
i  ten  eines  Schädelgeräusches  als  die  Abnahme  der  Zahl  der 
lvfhrozyten  zu  besitzen.  Die  anämischen  Geräusche  sind  oft  am 
1  rksten  in  den  Schläfen  und  Ohrgegenden,  manchmal  hört  man  sie 
:  ^schliesslich  an  diesen  Stellen.  Sie  entstehen  innerhalb  des  Schä- 
i  s,  wahrscheinlich  in  der  Karotis.  In  einzelnen  Fällen,  in  welchen 
1  der  eine  hochgradige  Anämie  noch  eine  intrakranielle  Läsion  vor- 
hden  ist,  kann  man  Geräusche  zu  hören  bekommen,  welche  von 
*i  Halsgefässen  fortgeleitet  sind.  Ein  intrakranielles  Leiden  als 
I  sache  eines  Schädelgeräusches  darf  man  erst  dann  annehmen, 

1  nn  man  das  Vorhandensein  einer  gleichzeitigen  Anämie  aus- 
wchlossen  hat.  In  prognostischer  Hinsicht  deutet  die  Gegenwart 
1  es  Schädelgeräusches  das  Vorhandensein  einer  ernsten  Anämie  an; 
is  Verschwinden  desselben  zeigt  mit  ziemlicher  Sicherheit,  dass 
Isserung  eingetreten  ist.  L  i  n  d  e  m  a  n  n  -  München. 

Zentralblatt  für  Chirurgie,  Nr.  46,  1914. 

Egbert  B  r  a  a  t  z  -  Königsberg  i.  Pr.:  Zur  Behandlung  der  Schlüs- 

sbeinverrenkung  nach  vorne. 

Verf.  macht  bei  der  Schlüsselbeinverrenkung  nach  vorne,  um 
E  reponierten  Knochen  in  der  richtigen  Lage  zu  erhalten,  folgenden 
’rband:  er  legt  den  rechtwinklig  gebogenen  Arm  an  die  Brust, 
tickt  die  Schulter  vornüber,  bringt  auf  die  Gelenkgegend  einen 

*  inen  festen  Bausch  von  Polsterwatte  und  legt  darüber  schräg  von 
ten  über  die  Schulter  nach  der  gesunden  Brustseite  zu  einen  Zink- 

►  itschukpflasterstreifen.  Dieser  Hcftpflasterverband  wird  durch 
“en  Bindenverband,  der  gleichfalls  die  Schulter  nach  vorne  halten 

*  I.  verstärkt.  Mit  dieser  Verbandmethode  erzielte  Verf.  in  6  bis 
‘Wochen  tadellose  Heilung. 

G.  E.  Konjetzny  -  Kiel :  Kurze  Bemerkung  zur  Original- 
'  teilung  von  Schiele  in  Nr.  43. 

Verf.  benützt  bei  infektiösen  und  gangränösen  Prozessen  die 
»  umskylösung;  Mull  wird  mit  ihr  angefeuchtet  und  auf  die  Wunde 


aufgelegt;  subkutan  hat  er  diese  Lösung  wegen  der  Gefahr  der 
Karbolvergiftung  nie  benützt.  Er  warnt  deshalb  auch  dringend 
davor,  diese  Lösung  in  der  von  Schiele  angegebenen  Weise  intra¬ 
artikular  oder  intraabdominell  bei  Peritonitis  zu  benützen.  Ueber- 
haupt  ist,  besonders  bei  grossen  Wundflächen,  sehr  massvollc  Be¬ 
nützung  zu  Ueberschlägen  unbedingt  zu  erfordern.  Chlumskylösung  ent¬ 
hält:  Acid.  carbol.  liquefact.  30,0,  Camph.  trit.  60,0,  Alkohol  10,0. 

Nr.  47  ohne  Originalarbeit. 

E.  Heim-  Oberndorf  b.  Schweinfurt. 

Zentralblatt  für  Gynäkologie.  Nr.  46,  1914. 

Ernst  C  1  a  u  s  s  -  Hamburg:  Ueber  Dauererfolge  der  Schauta- 
Wertheim sehen  Prolapsoperation. 

Bericht  über  62  Fälle  aus  der  P  r  o  c  h  o  w  n  i  k  sehen  Klinik  in 
Hamburg.  Nach  kurzer  Rekapitulation  der  Technik,  wobei  zu  er¬ 
wähnen,  dass  trotz  Tubenresektion  2  mal  Gravidität  auftrat  und  eine 
1  at.  an  Sepsis  starb,  werden  die  Dauererfolge  von  51  Fällen  be¬ 
sprochen.  CI.  unterscheidet  3  Erfolgstufen:  Heilung,  Besserung  und 
Rezidive.  Von  den  persönlich  nachuntersuchten  zeigten  33  =  66  Proz. 
Dauererfolge  und  4,  über  die  nur  briefliche  Berichte  Vorlagen.  Bei 
7  Pat.  konnte  man  von  Besserung  reden;  die  subjektiven  Erfolge 
waren  befriedigend,  dagegen  fanden  sich  objektiv  leichtes  Zystozelen- 
rezidiv  oder  eine  Verschiebung  in  der  Lage  des  interponierten  Uterus. 
In  6  Fällen  traten  wirkliche  Rezidive  auf,  2  als  Zystozelenrezidive, 
4  als  Rezidive  der  Uterussenkung. 

Im  ganzen  kann  man  mit  den  Erfolgen  der  Schauta- Wert- 
h  e  i  m  sehen  Operation  zufrieden  sein.  Ihre  Indikation  ist  auf  Frauen 
über  35 — 37  Jahre  zu  beschränken.  J  a  f  f  e  -  Hamburg. 

Berliner  klinische  Wochenschrift.  Nr.  46  und  47,  1914. 

Eduard  M  e  1  c  h  i  o  r  -  Breslau:  Zur  Kasuistik  der  Verwundungen 
durch  indirekte  Geschosse. 

Im  Anschluss  an  eine  schwere  Verletzung  des  linken  Handge¬ 
lenkes  durch  eine  von  einem  Infanteriegeschoss  getroffene  Armband- 
uhr,  rät  der  Autor  dringend  davon  ab,  im  Felde  ein  Uhrarmband  zu 
tragen,  besonders  nicht  am  linken  Arm,  der  erfahrungsgemäss  Ver¬ 
letzungen  im  Schützengraben  mehr  ausgesetzt  ist,  wie  der  rechte. 

D  ö  1 1  k  e  n  -  Leipzig:  Heilung  der  Neuralgie  und  Neuritis  durch 
Bakterientoxine. 

Schluss  folgt. 

Georg  Finder  und  Lydia  Rabinowitsch  -  Berlin :  Experi¬ 
mentelle  Versuche  über  den  Einfluss  behinderter  Nasenatmung  auf  das 
Zustandekommen  der  Inhalationstuberkulose. 

Die  Tierversuche  der  Verfasser  enttäuschten  insofern,  als  sich 
eine  Inhalationstuberkulose  durch  Behinderung  der  Nasenatmung  nicht 
einwandfrei  erzeugen  Hess.  Obwohl  die  Versuchsanordnung  den 
natürlichen  Verhältnissen  beim  Menschen  nicht  vollkommen  ent¬ 
sprechen  kann,  so  dürften  die  Untersuchungen  doch  für  weitere  der¬ 
artige  Forschungen  von  Nutzen  sein. 

Arthur  M  ii  n  z  e  r  -  Charlottenburg:  Die  Grenzen  der  Organ¬ 
therapie. 

Ein  totes  Präparat  kann  nie  die  Stellung  eines  Örgans  aus¬ 
füllen;  die  einzig  wahre  Organtherapie  ist  die  Transplantation  eines 
gesunden  Organes  an  Stelle  des  erkrankten.  Alles  andere  ist  ein 
Notbehelf  und  kann  unter  keinen  Umständen  dem  Körper  einen  voll¬ 
kommenen  Ersatz  bieten  für  das,  was  ihm  durch  Krankheit  genommen. 

Max  Hesse- Graz:  Beeinflussung  der  W  a  s  s  e  r  m  a  n  n  sehen 
Reaktion  durch  Embarin  und  Merlusan. 

Aus  den  Untersuchungen  geht  hervor,  dass  die  beiden  neuesten 
antiluetischen  Mittel  Embarin  und  Melusan  imstande  sind,  die  Was¬ 
sermann  sehe  Reaktion  in  einer  grossen  Anzahl  von  Fällen  im 
günstigen  Sinne  zu  beeinflussen,  welche  Resultate  in  Bezug  auf  die 
vergleichenden  Befunde  bei  Salvarsan  und  Salvarsanembarin  sehr 
günstige  zu  nennen  sind. 

P.  S  c  h  a  r  f  f  -  Stettin:  Zur  Prophylaxe  und  Therapie  der  Ge¬ 
schlechtskrankheiten  im  Felde. 

Prophylaktische  und  therapeutische  Vorschläge,  die  den  be¬ 
sonderen  Verhältnissen  des  Feldzuges  angepasst  sind. 

E.  Fuid:  Ueber  die  Behandlung  der  Durchfälle  im  Felde. 

Verf.  empfiehlt  gegen  die  Durchfälle  im  Felde  das  Kokain,  in 
fester,  dosierter  Form,  dreimal  täglich  14  cg  eine  Viertelstunde  vor 
den  Hauptmahlzeiten  zu  nehmen,  am  besten  drei  Stück  der  sog. 
Gelonida  neurenterica.  Durch  sie  wird  auch  die  Anästhesierung  der 
oberen  Verdauungswege  vermieden. 

Nr.  47. 

J.  Morgenrot  h-  Berlin :  Die  Chemotherapie  der  Pneumo- 
kokkeniniektion.  (Vortrag  in  der  Berl.  med.  Ges.  am  11.  Nov.  1914.) 

Fortsetzung  folgt. 

Otto  K  a  t  z  -  Charlottenburg:  Nervöse  Störungen  bei  Kindern. 

Verf.  beobachtete  bei  mehreren  aus  nervösen  Familien  stam¬ 
menden  Kindern  Angstzustände,  die  durch  den  Krieg  verursacht  er¬ 
scheinen. 

I  s  a  a  c  -  Berlin:  Pilzerkrankung  der  Haut,  infolge  des  Gebrauches 
wollener  Unterwäsche. 

Es  handelt  sich  um  eine  dem  Herpes  tonsurans  ähnliche  Haut¬ 
erkrankung,  die  durch  Pilze  verursacht  wird,  welche  sich  vorwiegend 
an  Wollzeug  und  Wäsche,  die  lange  aufbewahrt  wurden,  finden.  Das 
beste  Mittel  zur  Verhütung  dieser  an  und  für  sich  harmlosen  Haut¬ 
erkrankung  ist  gründliches  Auskochen  und  Austrocknen  der  Wäsche. 

*2 


2312 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  48 


Stephanie  L i  c h  t  e  ns  t  e  i  n- Berlin:  Ueber  die  Differenzierung 
einzelner  Hefearten  mit  Hilfe  spezifischer  Agglutinine. 

Es  ist  möglich  durch  intravenöse  Injektionen  von  Heferein¬ 
kulturen  beim  Kaninchen  gut  wirksame  agglutinierende  Sera  zu  er¬ 
halten.  Mit  Hilfe  der  Agglutinationsmethode  kann  man  nun  nicht  nur 
verschiedene  Saccharomyzesarten  differenzieren,  sondern  auch  den 
obergärigen  oder  untergärigen  Charakter  einer  Hefekultur  feststellen. 
Es  ist  ferner  möglich,  mit  Hilfe  der  Agglutination  die  Terulaceen 
von  den  Saccharomyzeten  scharf  zu  trennen. 

M.  A.  van  H  e  r  w  e  r  d  e  n  -  Utrecht:  Ueber  die  Nukleinsäure¬ 
verbindungen  in  den  Nissikörnern  der  Ganglienzellen. 

Physiologisch-chemischer  Beitrag. 

H.  Renz-Berlin:  Zur  Klärung  der  Embarinfrage. 

Das  Embarin  gehört  nach  den  Untersuchungen  des  Verfassers 
zu  den  besten  und  bekömmlichsten  Hg-Präparaten,  wenn  es  nicht 
bei  dem  Fehlen  der  den  übrigen  Salzen  anhaftenden  Mängel  über¬ 
haupt  den  ersten  Platz  einnehmen  dürfte. 

L.  G  ö  r  1  -  Nürnberg:  Ueber  Röntgensterilisierung.  (Vortrag,  ge¬ 
halten  in  der  Nürnberger  med.  Ges.  am  11.  Juni  1914.) 

Interessante  Angaben  des  Verfassers  über  seine  eigene  Technik 
der  Röntgensterilisierung  sowie  praktisch  wertvolle  technische  Rat- 
Schläge. 

D  ö  1 1  k  e  n  -  Leipzig:  Heilung  der  Neuralgie  und  Neuritis  durch 
Bakterientoxine.  (Schluss.) 

Die  vorliegenden  Untersuchungen  lassen  erkennen,  dass  wir  im 
Vakzineurin  und  in  einigen  verwandten  Produkten  gute  und  recht  zu¬ 
verlässige  Mittel  zur  wirksamen  Bekämpfung  der  Neuralgie  und 
Neuritis  haben.  Grassmann  -  München. 

Deutsche  medizinische  Wochenschrift. 

Nr.  46.  Th.  Kocher-  Bern:  Behandlung  schwerer  Tetanusfälle. 

Schluss  folgt. 

E.  v.  Behring:  Zur  Anwendung  des  Tetanusserums. 

Die  Präventivbehandlung  kommt  bisweilen  besonders  für  Ver¬ 
wundete  von  bestimmten  Schlachtfeldern  in  Betracht.  In  Marburg 
wurde  unter  den  bei  Sedan  Verwundeten  eine  Morbidität  von  4  bis 
5  Prcz.  (sonst  1  Prom.)  beobachtet.  Als  Präventivgabe  (subkutan, 
ev.  wiederholt)  genügen  20  Antitoxineinheiten,  beim  ausgebrochenen 
Tetanus  sind  100  A.-E.,  in  dringenden  Fällen  intravenös  zu  geben, 
bei  protrahiertem  Verlauf  subkutan  zu  wiederholen.  Daneben  ist 
möglichst  auch  lokal  zu  behandelt:  (20  A.-E.).  Besondere  Aufmerk¬ 
samkeit  verdient  die  Einspritzung  in  die  von  dem  Infektionsort  zum 
Rückenmark  führenden,  f  r  e  i  g  e  I  e  g  t  e  n  Nervenstämme. 

K  r  o  m  a y  e  r- Berlin:  Röntgen-  und  Lichtbehandlung  zur  Hei¬ 
lung  von  Schussverletzungen. 

Die  Röntgenbestrahlung  kann  dazu  dienen,  die  nutzlose  Granu¬ 
lation  und  entzündliche  Infiltration  schlecht  heilender  Wunden  ein¬ 
zuschränken.  Es  genügten  kleine  Dosen  (täglich  Va  Erythemdosis), 
die  Wirkung  zeigt  sich  nach  8  Tagen  und  ist  in  3  Wochen  abge¬ 
schlossen.  Für  tief  unter  der  intakten  Haut  liegende  Wundprozesse 
ist  die  Tiefenbestrahlung  mit  Schutz  der  Haut  und  schwachen 
Dosen  anzuwenden.  Im  Gegensatz  hierzu  ist  die  Lichtbehandlung, 
Sonnenlicht  oder  künstliches  (elektrisches  oder  Quarz-)  Licht  schon 
bei  frischen  Wunden  anwendbar;  bei  torpiden  Wunden  sind  starke 
Lichtdosen  bis  zur  entzündlichen  Reaktion  am  Platze,  bei  gut  granu- 
liei  enden  Wunden  genügt  die  milde  Bestrahlung  zur  Abkürzung  des 
Heilverlaufes. 

S  t  a  c  h  o  w  und  Wiewiorowski  -  Breslau :  Erste  kriegs¬ 
chirurgische  Eindrücke. 

Kritische  Benmerkungen  zu  dem  Berichte  Dreyers  in  Nr.  39. 

J.  S  t  r  e  b  e  1  -  Zürich:  Anosmie  und  Enophthalmus  traumaticus. 

Krankengeschichte  eines  Falles.  Hufschlag  mit  Bruch  des 
inneren  Orbitalringes  und  der  medialen  Orbitalwand,  (Pars  orbitalis 
des  Stirnbeins  einschliesslich  der  Lamina  cribrosa,  Os  lacrimale,  La¬ 
mina  papyracea);  Zertrümmerung  der  Bulbi  olfactorii  oder  Abreis- 
sung  der  Fila  olfactoria.  Enophthalmus.  Periphere  Fazialislähmung 
wahrscheinlich  infolge  indirekter  Fraktur. 

E  n  g  e  1  -  Berlin:  Die  Harnabscheidung  des  Säuglings. 

Nach  E.s  Untersuchungen  erfolgen  bei  einem  richtig  ernährten 
Säugling,  der  etwa  täglich  800  ccm  Flüssigkeit  aufnimmt,  durch¬ 
schnittlich  25  Harnentleerungen  im  Tage,  bei  vermehrter  Aufnahme 
(1200 — 1600  ccm),  wie  sie  oft  vorkommt,  steigt  die  Zahl  aut  60 — 70. 
Im  Schlaf  sistiert  im  allgemeinen  die  Entleerung,  am  Tage  und  bei 
vermehrter  Muskeltätigkeit  und  Erregung  ist  sie  am  häufigsten.  Die 
meisten  Urinportionen  betrugen  10 — 20  ccm,  die  grössten  Portionen 
(in  der  Regel  nachts  entleert)  50 — 60  ccm,  ausnahmsweise  70 — 90  ccm. 

A.  S  c  h  n  e  e  -  Frankfurt  a.  M.:  Weitere  Beiträge  zur  Ferment¬ 
therapie  des  Diabetes  mellitus. 

Verf.  bestätigt  nach  Versuchen  an  40  Diabetikern,  dass  bei  Ge¬ 
brauch  von  Fermozyltabletten  eine  Zerlegung  der  Kohlehydrate  in 
ihre  Abbauprodukte  und  eine  Herabsetzung  der  Zuckerausscheidung 
und  grössere  Toleranz  für  Kohlehydrate  erzielt  wird;  dieser  Erfolg 
fand  sich  etwa  in  der  Hälfte  der  Fälle.  Zugleich  schwinden  oft  auch 
andere  Erscheinungen,  wie  Muskel-  und  Nervenschmerzen,  Gefühls¬ 
störungen.  Schlaflosigkeit,  Durstgefühl.  Zwei  Krankengeschichten. 

W.  Roerdansz  -  Charlottenburg:  Vereinfachte  und  zuver¬ 
lässige  Methode  der  Blutkörperchenzählung. 

Beschreibung  einer  neuen  automatischen  Blutmischpipette,  einer 
Blutmischpipette  mit  besonderem  Mischraum  und  einer  neuen  Zähl¬ 
kammer. 


Adam-Köln:  Das  deutsche,  österreichische,  russische  und  eng 
lische  Militärsanitätswesen.  (Fortsetzung.) 

III  Frankreich.  B  e  r  g  e  a  t  -  München. 

Oesterreichlsche  Literatur. 

Wiener  klinische  Wochenschrift. 

Nr.  44.  Zum  25  jährigen  Professorenjubiläum  von  J.  W  a  g  n  e  i 
v.  Jauregg, 

O.  Glas  er- Wien:  Ueber  chronischen  Veronalismus. 

Uebersicht  über  die  9  Fälle  der  Literatur  und  Beschreibung  eine' 
10.  Zusammenfassung:  Der  durch  Euphorie  begünstigte,  fortgesetzt!. 
Gebrauch  auch  kleiner  Einzeldosen  von  Veronal  kann  zu  mehr  oder 
weniger  schweren  Intoxikationserscheinungen  führen,  welche  wie  be 
allen  zur  Harnstoffgruppe  gehörenden  Schlafmitteln  das  Kleinhirn 
und  den  Vestibularapparat  betreffen,  dagegen  den  Gefäss-  und  Ver¬ 
dauungsapparat  in  der  Regel  verschonen.  Der  chronische  Veronal 
missbrauch  tritt  als  „Süchtigkeit“  besonders  bei  konstitutioneller 
Psychopathie  hervor. 

H.  Her  sch  mann -Wien:  Beitrag  zur  Lehre  von  den  psychi¬ 
schen  Veränderungen  bei  wiederbelebten  Erhängten. 

Die  Erörterung  einer  grösseren  Anzahl  von  Krankengeschichrei 
führt  H.  zu  dem  Schluss,  dass  die  bei  manchen  Fällen  von  De¬ 
pression  nach  Strangulation  zu  beobachtende  Heilung  oder  Stirn 
mungsumfärbung  ins  Manische  durch  die  reaktive  funktionelle  Hyper¬ 
ämie  des  Gehirns  zu  erklären  ist. 

M.  Infeld:  Paradoxe  Hirnembolie  als  Unfallsfolge. 

Zwei  Krankengeschichten. 

A.  J  o  a  c  h  i  m  -  Rekawinkel:  Ueber  10  Fälle  von  geheilter  Pan- 
Ivsis  progressiva  nach  Behandlung  mit  Tuberkulin. 

Die  kurz  beschriebenen,  bis  zu  3/4  Jahre  nach  der  Entlassung 
beobachteten  Fälle  sind  innerhalb  6 — 8  Monaten  durch  .rechtzeitige 
energische  Behandlung  ihrem  Beruf  und  ihren  Familien  wieder  zu-' 
geführt  worden,  jedenfalls  ein  grosser  Fortschritt  gegenüber  demi 
sonstigen  Nihilismus  in  der  Behandlung. 

H.  Müller:  Kasuistische  Mitteilung  zur  Lähmung  des  Nervus 
musculo  cutaneus. 

Zwei  Krankengeschichten. 

E.  Rai  mann:  Zur  Hysteriefrage. 

Zur  kurzen  Wiedergabe  nicht  geeignet. 

E.  R  e  d  1  i  c  h  -  Wien:  Statistisches  zur  Aetiologie  der  Nerven- 
und  Geisteskrankheiten. 

Mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Unterschiede  der  Ge¬ 
schlechter  und  der  Privat-  und  Krankenhauspraxis. 

R.  Reznicek:  Klinische  Studien  über  den  Dermographismus. 

Versuche  betr.  Beeinflussung  des  elevierten  Dermographismus 
(Urticaria  factitia)  bei  einem  Kranken.  Durch  Wärme,  elektrische 
Reizung,  Pilokarpin,  Atropin  und  Pituitrin  war  keine  Einwirkung  zu 
erzielen;  eine  hemmende  Einwirkung  zeigte  nur  die  Kälte  und  in  ge¬ 
ringerem  Grade  Adrenalin.  Interessant  ist,  dass  der  Dermographis¬ 
mus,  welcher  durch  Kälte  unterdrückt  war,  durch  Erwärmung  der 
Haut  noch  geraume  Zeit  später  in  fast  normaler  Stärke  hervorgerufen 
werden  konnte,  obschon  man  hätte  annehmen  sollen,  dass  der  wirk¬ 
same  Reiz  längst  erloschen  wäre.  Der  hemmende  Einfluss  des 
Adrenalins  dürfte  der  Wirkung  auf  die  glatte  Muskutalur  (Sym¬ 
pathikus),  derjenige  der  Kälte  derselben  Wirkung,  aber  auch  einer 
Einwirkung  auf  die  kapillare  Transsudation  zuzuschreiben  sein. 

E.  Wexberg:  Ueber  einen  Fall  von  Spättetanie  gastrischen 
Ursprunges. 

Der  Fall  hat  einige  Besonderheiten  der  Symptome  und  Aetiologie. 

Nr.  45.  R.  K  r  a  u  s  -  Buenos-Aires:  Bemerkungen  über  Schutz¬ 
impfungen  und  eine  Bakteriotherapie  des  Typhus  abdominalis. 

Die  stärksten  Reaktionen  ruft  der  Impfstoff  nach  Pfeiffer- 
Kol  1  e  hervor,  in  Anbetracht  ihrer  guten  praktischen  Resultate 
verdienen  besonders  für  Massenimpfungen  die  Impfstoffe  nach  L  e  i  sh- 
m  a  n  n  oder  Vincent  entschieden  den  Vorzug.  Verf.  hat  mit  dem 
Vincent  sehen  Aethervakzin  bei  1400  Impfungen  fast  keine  allge¬ 
meine  oder  lokale  Reaktion  gesehen.  Vielversprechend  scheint  dit 
intravenöse  Behandlung  des  Typhus  mit  Typhusvakzine  zu  sein.  Had¬ 
der  Injektion  von  50 — 100  Millionen  (wichtig  ist  die  genaue  Einhaitun  - 
der  Dosis)  der  mit  Aether  behandelten  Bazillen  steigt  sofort  die 
Temperatur  unter  Schüttelfrost  um  1 — 2°,  worauf  nach  einigen  Stun¬ 
den  kritischer  Abfall  und  meist  dauernde  Entfieberung  eintritt.  Dit 
gleichen  Erfolge  werden  durch  eine  polyvalente  Kolivakzine  erzielt. 
Vielleicht  empfiehlt  sich  auch  eine  Kombination  mit  Serumbehandlun? 

E  Finger:  Die  Geschlechtskrankheiten  und  der  Krieg. 

F.  beleuchtet  die  Frage  von  verschiedenen  Seiten  und  beton* 
schliesslich  auch  die  Verzögerung,  welche  die  Wundheilung  durch  die 
wenn  auch  latente,  Lues  erfahren  kann. 

O.  Fr  an  kl- Wien  und  C.  P.  K  i  m  b  a  1 1  -  Chicago:  Ueber  die 
Beeinflussung  von  Mäusetumoren  durch  Röntgenstrahlen. 

Die  Verf.  haben  gefunden,  dass  bei  Mäusen,  welche  unmittelbar 
vor  der  Injektion  des  Krebsbreies  einer  Röntgenbestrahlung  unter¬ 
zogen  wurden,  teils  ein  Tumor  nicht  entstand,  teils  zu  einer  sehr 
viel  geringeren  Entwicklung  gelangte,  als  bei  den  Konfrontieren 
Demnach  ist  eine  starke  indirekte  Beeinflussung  des  Tumorwachs¬ 
tums  durch  eine  Einwirkung  auf  den  Mutterboden  anzunehmen. 

Nr.  46.  O.  Marburg  und  E.  Ranzi-Wien:  Erfahrungen 
über  die  Behandlung  von  Hirnschüssen. 


■  Dezember  1914.  MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Zusammenfassung:  Alle  I angentialschüsse,  welche  radiologisch 
ne  Knochenimpression  zeigen  und  klinische  Allgemeinerscheinungen 
der  Ausfallzeichen,  die  bleibend  sind,  bieten,  sind  zu  operieren, 
benso  alle  Steckschüsse  bei  oberflächlichem  Sitz  des  Geschosses, 
ei  tiefsitzendem  Geschosse  und  bedrohlichen  Symptomen  kann  ein 
ingriff  versucht  werden,  hat  aber  geringe  Aussicht.  Fälle,  wo  gleich 
nfangs  ein  Prolaps  erfolgte,  sind  kaum  fiir  einen  Eingriff  geeignet. 

v.  Haberer-  Innsbruck:  Bericht  über  13  Aneurysmen  aus  dem 

egenwärtigen  Kriege. 

Ueber  den  richtigen  Zeitpunkt  der  Aneurysmaoperationen  lassen 
oh  bestimmte  Regeln  nicht  geben.  Oft  wird  er  durch  Zwischenfälle, 
as  Auftreten  einer  Blutung,  sehr  heftiger  Schmerzen,  die  Schädigung 
nes  wichtigen  Nerven,  oder  weiter  durch  sehr  rasches  Anwachsen 
es  Aneurysmas  bedingt.  Wichtig  ist  die  Unterscheidung  in  infizierte 
id  nichtinfizierte  Fälle.  Von  H.s  Fällen  waren  5  infiziert.  Bei  den 
ifizierten  soll  nach  Möglichkeit  die  Heilung  der  Infektion, 
imentlich  das  Aufhören  der  Sekretion  im  Schusskanal,  abgewartet 
erden;  aber  gerade  bei  diesen  Fällen  kommt  es  eher  zu  den  ge- 
innten  Zwischenfällen,  die  zur  Operation  zwingen.  Nebenbei  ist  die 
Jährliche  Möglichkeit  zu  erwähnen,  ein  infiziertes,  rasch  wachsendes 
neurysma  mit  einem  Abszess  zu  verwechseln.  Die  nicht  infizierten 
alle  wurden  durchschnittlich  in  der  4.-5.  Woche  operiert,  von  den 
fizierten  drei  schon  nach  2,  die  anderen  nach  fast  4  Wochen.  Die 
üh  Operierten  haben  den  günstigeren  Verlauf  genommen.  Zur 
echnik  bemerkt  Verf.,  dass  er  bis  auf  einen  Fall  (Art.  radialis)  alle 
ine  E  s  m  a  r  c  h  sehe  Blutleere  operierte,  was  eine  bessere  Blut- 
illung  und  Schonung  der  kleineren  Arterienäste  ermöglicht;  äusser¬ 
em  hat  er  immer  von  Anfang  an  den  Arterienstamm  beträchtlich 
lerhalb  des  Aneurysmas  freigelegt  und  durch  eine  Fadenschlinge  ge- 
chert,  die  bei  Gefahr  jederzeit  zugezogen  werden  kann. 

St.  Bernheimer  -  Innsbruck:  Beiträge  zu  den  Kriegsverwun- 
iingen  des  Auges. 

Besprechung  von  6  Fällmi.  B  e  r  g  e  a  t  -  München. 

Ophthalmologie. 

A  Senn-Wil  (Schweiz):  Die  nichtoperative  Behandlung  des 
ig.  Altersstares.  (Wschr.  f.  Ther.  u.  Hyg.  d.  Auges,  17.  Jahrg. 
ili  u.  August  1914,  Nr.  40  u.  41.) 

Senn  ist  durch  seine  Beobachtungen  zu  der  Anschauung  ge- 
immen,  dass  nicht  nur  die  frühzeitige  Starerkrankung,  sondern  auch 
t  sog  Altersstar  auf  irgend  einer  Allgemeinerkrankung  beruhe,  und 
yar  möchte  er  alle  Erkrankungen  chronischer  Art  für  die  Star- 
iologie  heranziehen.  S.  hat  dabei  die  Vorstellung,  dass  diese  Er- 
ankungen  durch  ihren  Mehrverbrauch  von  Eiweiss  im  Körper  ein 
anko  der  Eiweisszufuhr  zur  Linse  oder  einen  unphysiologischen 
weissabbau  derselben  zur  Folge  haben  müssen.  Hauptsächlich  sind 
izufiihren:  Lues,  Tuberkulose,  chronische  Anämie  und  Chlorose, 
•rniziöse  Anämie,  Nierenerkrankungen,  Zuckerkrankheit,  Unterer- 
hrung,  chronischer  Rheumatismus,  Gicht,  Arteriosklerose,  chroni- 
her  Alkoholismus  und  Nikotinabusus,  letztere  wieder  durch  das 
ittelglied  der  Unterernährung.  Auch  langjährig  ungenügend  korri- 
2rte  Refraktionsfehler  gaben  Veranlassung  zur  Starbildung.  Senn 
mmt  sogar  als  bewiesen  an,  dass  jeder  Refraktionszustand  seine 
den  Hauptpunkten  ganz  umschriebene  klinische  Starform  zeige, 
ich  diesen  Ausführungen  kommt  Verf.  zur  medikamentösen  Star- 
erapie.  Die  dankbarsten  Objekte  einer  solchen  sind  die  gleic¬ 
herweise  den  weitaus  überwiegenden  Teil  der  Altersstare  bilden- 
nsubkapsulären  Formen.  S.  unterscheidet  3  Abteilungen: 
die  erste  gehören  die  erst  rauchförmigen  diffusen  Trübungen  in 
r  vorderen  Kortikalis,  die  Herabsetzung  der  Sehschärfe  nicht  unter 
> — 0,5  bewirken;  dann  die  „Tropfenbildungen“,  die  durch  Refrak- 
msvermehrung  auch  subjektiv  in  die  Erscheinung  treten;  endlich 
le,  die  durch  Aequatorspeichen  und  umschriebenere,  dichtere  Trii- 
ngen  das  klinische  Bild  komplizieren. 

Bei  Starformen,  die  schon  im  Stadium  der  „Tropfenbildungen“ 
r  Behandlung  kommen,  sind  die  objektiv  und  subjektiv  nachweis- 
ren  Veränderungen  unter  entsprechender  ambulanter  Behandlung 
hon  in  wenigen  Tagen  bis  1 — 2  Wochen  zum  Schwinden  zu  bringen, 
was  mehr  Zeit  und  Geduld  erfordern  die  diffusen  Trübungen  der 
rderen  und  hinteren  Kortikalis;  doch  auch  diese  sind  in  mehreren 
ochen  bis  einigen  Monaten  aufzuhellen.  —  Solche  Augen,  welche 
c  Startrübungen  verloren  haben,  müssen,  um  nicht  rückfällig  zu 
rden,  einer  Star  Prophylaxe  unterworfen  werden,  die  in  sorgfältig- 
r  Korrektion  von  Refraktionsanomalien  und  steter  Kontrolle  des  Allge- 
i  inbefindens  besteht,  sowie  in  medikamentöser  Weiterbehandlung.  Die 
Handlung  selbst  führt  S.  mit  Dionin  (3 — 5  proz.)  entweder  allein 
subkonjunktivaler  Injektion  oder  in  Verbindung  mit  Jod  und  hat 
ie  „Kochsalz-Dionin-Asterollösung  zu  subkonjunktivalen  Injektionen 
'«  besonders  bewährt  gefunden.  Für  alle  Details  der  Anwendung 
rweist  Verf.  auf  eine  in  der  Wschr.  f.  Ther.  u.  Hyg.  d.  Auges 
Jahre  1009  von  ihm  erschienene  Arbeit  über  den  „Ausbau  der 
:  bkonjunktivaltherapie  durch  subkonjunktivale  Verwendung  von 
onin-Asterol-Kochsalz“. 

J.  Hirschberg  - Berlin :  Die  Prognose  der  gonorrhoischen 
ihthalinie.  (Zbl.  f.  prakt.  Augenheilk.,  Juni  1914,  S.  161.) 

Nach  früheren  Literaturberichten  wurden  bei  gonorrhoischer 
tgenerkrankung  Erwachsener  nur  höchstens  15  Proz.  Heilungen 
sielt.  Nach  einem  Bericht  von  Dr.  Oskar  F  e  h  r,  dirigierender 


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Arzt  der  Abteilung  für  Augenkranke  am  R.  Virchow-Krankenhause 
in  Berlin,  kamen  von  April  1907  bis  März  1914  dort  45  Fälle  von 
Blennorrhoe  von  Erwachsenen  und  älteren  Kindern  zur  Aufnahme; 
es  waren  36  Erwachsene  und  9  Kinder.  35  mal  war  die  Erkrankung 
einseitig,  10  mal  doppelseitig,  48  mal  der  Gonokokkusnachweis  positiv, 
31  mal  war  die  Hornhaut  bei  der  Aufnahme  noch  frei,  25  mal  bleibt 
sie  frei,  6  mal  erkrankt  sie  während  der  Behandlung,  wird  aber  4  mal 
noch  zu  vollkommener  Heilung  geführt,  2  mal  erfolgt  die  Heilung  mit 
Zurückbleiben  eines  L.eukoms,  22  mal  war  schon  bei  der  Aufnahme 
die  Hornhaut  ergriffen  (und  zwar  6  mal  schon  fast  zerstört).  In  9 
dieser  22  Fälle  wird  noch  vollkommene  Heilung  mit  S  =  Vz — 1 
erzielt:  in  5  Fällen  bleiben  mehr  oder  weniger  dichte  Hornhaut¬ 
trübungen  zurück  bei  noch  brauchbarer  Sehschärfe;  in  weiteren 
5  Fällen  ist  die  Sehschärfe  schlecht. 

Also  vollkommene  Heilung  in  71,7  Proz.,  Heilung  mit  brauch¬ 
barer  Sehschärfe  in  11,3  Proz.,  Heilung  mit  schlechter  Sehschärfe 
bezw.  Erblindung  in  17,0  Proz.  Das  andere,  gesunde  Auge  wurde 
immer  durch  Schutzkapsel  gesund  erhalten.  Die  Behandlungsdauer 
betrug  durchschnittlich  nicht  ganz  5  Wochen.  Die  Behandlung 
selbst  besteht,  bei  strenger  Bettruhe,  in  Eisumschlägen,  solange  die 
Hornhaut  frei  ist,  in  stündlichen,  Tag  und  Nacht  fortgesetzten  Irriga¬ 
tionen  mit  übermangansaurer  Kalilösung,  täglichem  kräftigem  Pinseln 
mit  1  proz.  Arg.-nitr. -Lösung,  danach  Einstreichen  von  Atropinsalbe 
und  Lenizetsalbe  zum  Schutze  der  Hornhaut,  Skarifikationen  bei 
starker,  derber  Chemosis,  auch  nötigenfalls  in  Kauterisationen  der 
Hornhautgeschwiirs-  und  Bindehautplastik.  Die  Zelluloidschutz¬ 
kapsel,  die  mit  Heftpflaster  vor  dem  gesunden  Auge  befestigt  und 
täglich  gewechselt  wird,  bleibt  liegen,  bis  das  erkrankte  Auge  nicht 
mehr  absondert  und  gonokokkenfrei  ist. 

Andogsky-St.  Petersburg:  Catarakta  dermatogenes.  Ein 
Beitrag  zur  Aetiologie  der  Linsentrübung.  (Klin.  Mbl.  f.  Augenheilk., 
Jahrg.  1914,  52.  Bd„  Juni,  S.  824. 

Unter  den  progressiven  weichen  Staren,  deren  Aetiologie  öfter 
ungeklärt  bleibt,  gibt  es  Fälle,  welche  im  zweifellosen  Zusammen¬ 
hang  mit  pathologischen  Veränderungen  der  Haut  stehen.  Verf. 
hat  die  in  der  Literatur  veröffentlichten  Fälle  dieser  Art  gesammelt 
und  fügt  ihnen  aus  eigener  Beobachtung  4  neue  an,  welche  im 
Alter  von  22,  25,  27  und  32  Jahren  standen  und  von  denen  je  1  Fall 
an  Erythema  exsudativum  und  Prurigo,  2  an  Ekzema  universale 
litten.  Diese  dermatologenen  Stare  haben  folgende  charakteristi¬ 
schen  Eigenschaften:  a)  die  Trübungen  entwickeln  sich  im  jugend¬ 
lichen  Alter  vom  1.  Lebensjahrzehnte  bis  zum  30.  oder  etwas  höherem 
Lebensjahre  bei  Personen,  die  vorher  normale  Augen  gehabt  haben 
und  an  ausgebreiteten  Hautaffektionen  in  Form  von  verschieden¬ 
artigen  Entzündungen  oder  atrophischen  Veränderungen  und  Gefäss- 
erkrankungen  leiden. 

b)  Die  Trübungen  sind  beiderseitig  und  geben  im  Beginn  ihrer 
Entwicklung  am  häufigsten  das  Bild  einer  begrenzten  Trübung  der 
unmittelbar  unter  der  vorderen  Kapsel  gelagerten  Schichten  in  Form 
einer  eigentümlichen  Catarakta  stellata  anterior. 

c)  Nach  ihrem  Beginne  schreiten  diese  Trübungen  auf  die  ganze 
Linse  fort,  so  dass  das  Bild  einer  Catarakta  mollis  totalis  entsteht. 
Die  Ausreifung  kann  zwischen  8  Tagen  bis  zu  3  Jahren,  schwanken. 

d)  Diese  Trübungen  haben  keineswegs  den  Charakter  von  kom¬ 
plizierten  Staren  und  werden  nicht  von  Veränderungen  der  inneren 
und  äusseren  Augenteile  begleitet. 

e)  Diese  Kataraktform  gibt  eine  ganz  günstige  Prognose  beim 
operativen  Eingriff. 

Hinsichtlich  der  Aetiologie  könnte  man  auf  Grund  der  embryo- 
lc  gisch  festgestellten  Verwandtschaft  der  Linse  und  der  Haut  an  einen 
direkten  Zusammenhang  der  Erkrankung  beider  Organe  denken, 
wenn  man  die  Veränderungen  in  den  vorderen  subkapsulären  Schich¬ 
ten  und  zuerst  im  Epithel  der  vorderen  Kapsel  als  Folge  einer  Auto¬ 
intoxikation  des  Organismus  annimmmt,  welche  im  Zusammenhang  mit 
einer  Störung  oder  Schwächung  der  Hautfunktion  in  grosser  Aus¬ 
dehnung  auftritt.  Die  degenerativen  Veränderungen,  welche  durch 
diese  Autointoxikation  hervorgerufen  werden,  kommen  dann  haupt¬ 
sächlich  in  der  Linse  zum  Vorschein  als  einem  Organ,  welches  mit 
der  Haut  embryologisch  verwandt  ist. 

B  e  c  k  -  München:  Ein  Apparat  zur  Bestimmung  der  Sehschärfe 
bei  Verdacht  auf  Simulation.  (Wschr.  f.  Ther.  u.  Hyg.  d.  Auges. 
17.  Jahrg.  Nr.  30,  7.  Mai  1914.) 

Der  Apparat  besteht  1.  aus  einem  Kasten,  der  30  cm  lang,  26  cm 
hoch  und  23  cm  breit  ist.  Die  Rückwand  und  mit  ihr  ein  Teil 
des  Deckels  ist  so  herabklappbar,  dass  sie  eine  Verlängerung  des 
Bodens  bilden.  Der  Kasten  ist  so  auf  einem  Fuss  angebracht,  dass 
man,  wenn  man  ihn  auf  einen  Tisch  stellt,  bequem  durch  einen 
Tubus  in  seiner  vorderen  Wand  blicken  kann.  Der  Tubus  ragt  aus 
dieser  etwa  8  cm  weit  heraus,  sein  längerer  Teil,  25  cm,  ist  im 
Kasten  verborgen.  Er  besteht  aus  2  ineinander  verschiebbaren 
Röhren,  deren  eine  am  inneren  Ende  einen  Konvexzylinder  von  5  D., 
deren  andere  einen  Konkavzylinder  von  5  D.  trägt.  Der  innere 
Durchmesser  ist  9  cm.  Durch  den  Tubus  schaut  man  auf  einen 
kleinen  geneigten  Spiegel,  der  10  qcm  gross  ist.  Dieser  Spiegel  kann 
um  seine  vertikale  und  horizontale  Achse  gedreht  werden.  Der 
2.  Teil  des  Apparates  besteht  aus  einem  grösseren  runden  Spiegel, 
desssen  Durchmesser  etwa  28  cm  beträgt,  der  am  besten  in  einem 
Porzellanlampenschirm  verborgen  mit  der  Spiegelfläche  gegen  den 
Fussboden  gerichtet,  etwa  2%  m  über  diesen  von  der  Decke  herab¬ 
hängt  ganz  in  der  Nähe  eines  Fensters. 


2314 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  48. 


Der  Prüflins:  sitzt  mit  dem  Rücken  gegen  das  Fenster,  der 
Kasten  wird  vor  ihm  aufgestellt  und  hiebei  die  Rückenwand  geöffnet 
und  es  erfolgt  nun  die  Aufforderung,  durch  den  Tubus  zu  schauen  und 
hiebei  so  lange  an  dem  Okular  zu  drehen,  bis  die  Schrift  im  Kasten 
ganz  deutlich  gelesen  werden  kannn.  Dies  geschieht,  wenn  die 
Achsen  des  Konvex-  und  Konkavzylinders  sich  decken.  Zu  Beginn 
der  Untersuchung  bilden  sie  einen  Winkel  von  40°.  Die  Seh¬ 
prüfungszeichen  befinden  sich  auf  weissen  Kartonblättern  von  20  qcm 
Grösse  und  sind  darauf  so  angeordnet,  dass  sie  nur  deren  Mitte  in 
einem  Raum  von  8  qcm  Grösse  bedecken.  Man  legt  diese  Blätter 
auf  die  aufgeklappte  Rückenwand,  sie  werden  durch  den  grossen 
Spiegel  in  den  kleinen  und  von  da  ins  Auge  geworfen.  Die  Ent¬ 
fernung,  in  der  gelesen  wird,  beträgt  dann  4  m.  Die  Länge  des  Tubus 
ist  so  ausgerechnet,  dass  man  nichts  anderes  sehen  kann  als  die 
Schriftzeichen  auf  weissem  Grunde.  Es  dürfen,  was  zur  Erreichung 
des  Effektes  unbedingt  nötig  ist,  die  Spiegelränder  nicht  gesehen 
werden,  dadurch  ist  es  direkt  unmöglich,  herauszubekommen,  dass 
man  in  Spiegeln  liest. 

Levinson  -  Berlin:  Ueber  Schulen  bzw.  Klassen  für  Schwach¬ 
sichtige.  (Sitzungsber.  d.  Berl.  ophthalmol.  Gesellschaft.  Zbl.  f. 
Augenheilk.  Mai  1914  S,  136.) 

Trotz  der  umfangreichen  Fürsorge,  welche  Staat  und  Kommune 
der  heranwachsenden  Jugend  nach  jeder  Richtung  zuteil  werden 
lassen,  geschieht  für  die  schwachsichtigen  Kinder  zurzeit  so  gut  wie 
nichts.  Man  hat  sich  daran  gewöhnt,  diese  Kinder  in  Normal¬ 
schulen  unterzubringen,  wo  sie  wegen  ihres  körperlichen  Defektes' 
überhaupt  nicht  oder  nur  schlecht  vorwärts  kommen,  oder  man 
steckt  sie  in  Blindenschulen,  wo  sie  auf  den  noch  vorhandenen 
Sehrest  Verzicht  leisten  und  wie  Blinde  erzogen  werden.  Aus 
diesem  Grunde  hat  der  Vortr.  auf  dem  Blindenlehrerkongress  in 
Hamburg  1907  die  Forderung  aufgestellt,  besondere  Schulen  bzw. 
Klassen  für  Schwachsichtige  einzurichten.  Bisher  hat  er  aber  dafür 
bei  den  massgebenden  Körperschaften  keinen  Widerhall  gefunden.  — 
Auf  dem  Kongress  südwestdeutscher  Augenärzte  wurde  nun  über 
eine  seit  3  Jahren  in  Strassburg  i.  E.  befindliche  Schule  für  Schwach¬ 
sichtige  berichtet,  die  sich  ausserordentlich  bewährt  hat.  Und  ebenso 
vorzüglich  sind  die  Resultate  einer  zweiten  im  Eisass  befindlichen 
Schule,  nämlich  in  Mülhausen.  Im  Hinblick  auf  die  praktischen 
Erfolge  dieser  Schulen  sieht  Vortr.  die  Entwicklung  einer  gleichen 
in.  der  grössten  Kommune  Deutschlands,  in  Berlin,  als  ein  direktes 
Bedürfnis  an  und  empfiehlt  zunächst  statistisch  festzustellen,  wie 
gross  das  Material  ist,  das  in  Berlin  für  diese  Schulen  bzw.  Klassen 
in  Frage  kommt  Er  ist  der  Anschauung,  dass  sich  dasselbe,  selbst 
wenn  man  nicht  über  eine  Sehschärfe  von  Vio  der  normalen  hinaus¬ 
geht,  nicht  als  klein  erweisen  dürfte.  Die  Unterweisung  in  solchen 
Schulen  wird  sich  ohne  Schwierigkeit  dem  körperlichen  Defekt  der 
schwachsichtigen  Kinder  leicht  anpassen  lassen,  insbesondere  wird  es 
empfehlenswert  sein,  die  Unterrichtsmethode  der  Maria  Montes- 
s  o  r  i  einzuführen,  bei  der  in  äusserst  praktischer  Weise  die  Er¬ 
lernung  des  Schreibens  und  Lesens  neben  dem  Gesichtssinne  durch 
den  Tastsinn  unterstützt  wird.  Rhein. 

Inauguraldissertationen. 

Universität  Berlin.  Juli — September  1914. 

Rokach  Leiba:  Beiträge  zur  Klinik  der  perniziösen  Anämie. 

F  r  a  d  k  i  n  Moissej:  Ueber  die  Zusammensetzung  der  gebräuchlichsten 
Kreosotpräparate  und  ihre  Wirkung. 

Gr  inberg  Eliaser:  Ueber  einen  Fall  von  Hernia  sacralis. 

Kohan  Jeremias:  Ueber  die  Milzexstirpation  bei  .perniziöser  An¬ 
ämie. 

Ksinski  Siegfried:  Medizinische  und  chirurgische  Behandlung  des 
Ulcus  duodeni. 

Leon  Curt:  Die  klinische  Diagnose  der  engen  Aorta. 

Pionitzki  David:  Ueber  die  Behandlung  des  Krebses  mit  Auto¬ 
lysaten. 

Unvcr  rieht  Walter:  Beitrag  zur  Kenntnis  von  Magenblutungen 
ohne  anatomische  Grundlage. 

Wengerad  Jankel:  Fälle  von  Thrombose  und  Embolie  nach  gynä¬ 
kologischen  Operationen. 

Wittenberg  Adolf:  Zur  Symptomatologie  der  Schläfenlappenge¬ 
schwülste. 

Alpert  Esther:  Die  Diagnose  und  Differentialdiagnose  des  Sand¬ 
uhrmagens. 

Salem  Mohammed:  Ueber  die  Digitalis,  ihre  Glykoside  und  den 
physiologischen  Wirkungswert  derselben. 

Gold  mann  Lotte:  Gibt  es  im  Rückenmark  Gedächtniserschei¬ 
nungen. 

Lotz  Auguste:  Der  partielle  Riesenwuchs  mit  besonderer  Berück¬ 
sichtigung  des  sogen  sekundären,  eine  pathologisch-anatomische 
Untersuchung. 

1^  osenberg  Hans:  Versuche  und  Betrachtungen  über  den  Purin¬ 
stoffwechsel  (mit  einer  experimentell-kritischen  Analyse  der  Ato- 
phanwirkung). 

Silbermann  Elias:  Ueber  die  ischämische  Muskelkontraktur  und 
ihre  Bedeutung. 

Wilenkin  B. :  Tabes  dorsalis  und  Trauma. 

T  osselmann  E.:  Zur  Kenntnis  der  Eventeratio  diaphragmatica 
und  der  subphrenischen  Abszesse. 


Vereins-  und  Kongressberichte. 

Aerztlicher  Bezirksverein  Erlangen. 

(Eigener  Bericht.) 

209.  Sitzung  vom  30.  Juni  1914. 

Vorsitzender:  Herr  J  a  m  i  n. 

Schriftführer:  Herr  König  er. 

Herr  F.  Hauser:  Vorführung  der  Z  e  i  s  s  sehen  Punktallinse. 

Nach  einer  kurzen  Besprechung  der  übrigen,  für  die  Brillen¬ 
gläser  weniger  in  Betracht  kommenden  Linsenfchler  wendet  sich  der 
Vortragende  zur  Erläuterung  des  Astigmatismus.  Er  demonstriert 
hiebei  Drahtmodelle,  welche  den  Astigmatismus  sowohl  bei  der 
Brechung  an  ebenen  Grenzflächen  als  auch  bei  der  Brechung  durch 
Linsen  veranschaulichen.  Die  0  s  t  w  a  1  d  sehen  und  W  o  1 1  a  s  t  o  n  - 
sehen  Brillengläser  suchen  unter  Beibehaltung  kugelförmiger  Be¬ 
grenzungsflächen  den  Astigmatismus  dadurch  auszugleichen,  dass  der 
einen  Begrenzungsfläche  eine  bestimmte  Krümmung  gegeben  ist.  Da 
für  die  stärker  brechenden  Stargläser  durch  dieses  einfache  Mittel 
der  Astigmatismus  nicht  vollständig  zu  beseitigen  ist,  so  hat  C.  Z  e  i  s  s 
in  Jena  ein  besonderes  Starglas  hergestellt,  bei  welchem  zufolge 
einer  Anregung  Gullstrands  die  eine  der  beiden  Begrenzungs- 
flächen  eine  asphärische  Rotationsfläche  ist.  Bei  dieser  Zeissschen 
Punktallinse  ist  der  Astigmatismus  bis  zu  sehr  grossen  Neigungs¬ 
winkeln  gegen  die  optische  Achse  beseitigt.  Deshalb  ist  es  mit 
einem  solchen  Glas  dem  Staroperierten  wie  einem  Gesunden  möglich 
auch  ohne  Drehung  des  Kopfes  nach  der  Seite  (bzw.  nach  oben 
und  unten)  zu  blicken. 

Der  Vortragende  führt  an  Hand  von  Vergleichsaufnahmen  und 
mittels  eines  von  Z  e  i  s  s  gebauten  und  zur  Verfügung  gestellten 
kleinen  Demonstrationsapparates  die  Wirkungsweise  einer  Punktal- 
linse  im  Vergleich  zu  der  einer  gewöhnlltlien  gleich  starken  Sammel¬ 
linse  vor. 

Diskussion:  Herr  K  ü  m  m  e  1 1. 

Herr  Königen  Ueber  Myasthenie. 

K.  demonstriert  ein  20  jähriges  kräftiges  Mädchen  (B.  B„  Korb¬ 
macherstochter  in  S.)  mit  schweren  myasthenischen  Erscheinungen, 
die  vor  %  Jahren  mit  Herabsinken  der  oberen  Augenlider  schleichend 
begonnen  und  sich  seitdem  allmählich  auf  Arme  und  Beine  ausge¬ 
breitet  haben.  Z.  Z.  besteht  beiderseits  deutliche  Ptose,  Ophthalmo- 
plegia  externa,  maskenartige  Starre  der  Gesichtsmuskulatur,  ausser¬ 
dem  grosse  Ermüdbarkeit  in  der  Muskulatur  des  Rumpfes  und  der 
Extremitäten,  insbesondere  in  den  Nacken-,  Schulter-  und  Hüft- 
muskeln.  ferner  eine  anhaltende  hochgradige  Schwäche  in  den 
Interkostalmuskeln  und  im  Zwerchfell.  Am  frühen  Morgen  ist  die 
Rat.  gewöhnlich  fähig  allein  zu  gehen  und  die  Arme  zu  erheben,  aber 
die  Kraft  nimmt  rasch  ab  und  nach  relativ  geringer  Inanspruch 
nähme  steigert  sich  die  Ermüdung  bis  zu  dem  Bilde  der  völligen 
schlaffen  Lähmung  Dabei  keine  wesentliche  Atrophie,  keine  Ent¬ 
artungsreaktion.  Nirgends  Hypertonie,  normale  Sehnenreflexe,  er¬ 
haltene  Haut-  und  Schleimhautreflexe,  bisweilen  eine  Andeutung  von 
B  a  b  i  n  s  k  i  schein  Zehenreflex.  Keine  Gefühlsstörung,  auch  keine 
Schmerzen,  keine  Blasen-Darm-Störung. 

In  der  Aszendenz  und  der  eigenen  Vorgeschichte  der  Pat.  früher 
niemals  nervöse  Störungen.  Dagegen  erscheint  besonders  beachtens¬ 
wert,  dass  die  Pat.  von  früher  Kindheit  an  bis  zum  15.  Lebensjahre 
oft  an  Atemnot,  zugleich  mit  Hustenreiz  und  Druck  vorn  auf  der 
Brust  gelitten  hat:  diese  Atembeschwerden  traten  ziemlich  regel¬ 
mässig  alle  4  Wochen  auf,  die  Pat.  konnte  dann  einige  Tage  nicht 
viel  laufen  (Asthma  thymicuml).  Die  Periode  trat  zum  ersten 
Male  im  19.  Lebensjahre  ein,  blieb  dann  noch  ein  Jahr  aus,  erst 
seit  dem  20  Lebensjahre  kam  sie  ziemlich  regelmässig. 

Im  Blutbild  zeitweise  leichte  Lymphozytose.  Eine  Erkrankung 
endokriner  Drüsen  klinisch  nicht  nachzuweisen,  insbesondere  kein 
sicheres  Zeichen  einer  Thymusvergrösserung.  Trotzdem  ist  eine 
enge  Beziehung  der  Myasthenie  zu  den  innersekretorischen  Organen, 
spez.  zum  Thymus  und  zu  den  Nebenschilddrüsen  sehr  wahrschein¬ 
lich.  Leider  ist  die  Abderhaldensche  Reaktion  gerade 
beim  Thymus  noch  nicht  verwertbar.  Die  von  Herrn  R.  Paulus 
im  Laboratorium  der  med.  Klinik  2  mal  ausgeführte  Reaktion  fiel  mit 
Gehirn,  Rückenmark,  Nerven,  Muskeln,  Schilddrüse,  Pankreas,  Neben¬ 
nieren,  Ovarium,  Leber  negativ  aus,  ganz  allein  Thymus  wurde 
stark  abgebaut.  —  Unter  Röntgenbestrahlung  der  Thymus¬ 
gegend  wurde  übrigens  eine  merkliche  Besserung  der  myasthenischen 
Symptome  beobachtet. 

Die  elektrische  Untersuchung  ergab  eine  sehr  ausgeprägte  mya¬ 
sthenische  Reaktion,  mit  gradueller  Abhängigkeit  von  der  Unter¬ 
brechungsfrequenz.  Die  elektrische  myasthenische  Re¬ 
aktion  unterscheidet  sich  nach  den  Erfahrungen  des  Vortragenden 
nur  quantitativ  von  den  Ermüdungsreaktionen  bei  anderen  In¬ 
dividuen,  insbesondere  bei  anderen  jugendlichen  „nervösen“  Asthenic- 
formen.  Wird  dadurch  die  diagnostische  Bedeutung  der  mya¬ 
sthenischen  Reaktion  eingeschränkt,  so  kann  durch  eben  diese  Ueber- 
gange  die  Myasthenie  als  Krankheitszustand  nur  an  allgemeinem 
Interesse  gewinnen. 

Diskussion:  Herren  Kleist,  Penzoldt,  Jamin. 
Hauser. 


1.  Dezember  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2315 


Herr  K  ü  m  m  e  1 1  bespricht  die  Pulsationen  der  Netzhautgefässe, 

die  er  im  Q  u  1 1  s  t  r  a  n  d  sehen  Ophthalmoskop  beobachtete.  Wäh- 
rend  der  Arterienpuls  bisher  meist  als  pathologische  Erscheinung 
angesehen  wurde,  lässt  er  sich  auch  in  den  meisten,  wenn  nicht 
dien  normalen  Fällen  nachweisen  und  zwar  bis  in  die  feinsten  Aeste 
Jer  Makulagegend.  Auch  der  Venenpuls,  beginnend  von  den  feinsten 
\csten  bis  zu  dem  Stamm  der  Zentralvene,  ist  physiologischer  Weise 
u  beobachten  und  zwar  ist  der  Venenpuls  abhängig  von  der  vorher¬ 
gehenden  Systole  des  Herzens.  Der  früher  sog.  physiologische 
Venenpuls  auf  der  Papille  ist  nichts  anderes  als  der  gleiche  Puls,  wie 
er  sich  an  den  übrigen  Venen  findet,  nur  modifiziert  durch  die  ana¬ 
tomischen  Verhältnisse  an  der  Exkavation.  Der  ganze  Venenpuls  ist 
als  zentripetal  aufzufassen  und  spielt  sich  so  ab,  dass  unmittelbar 
nach  der  Systole  eine  schnelle  Erweiterung,  daran  anschliessend 
eine  langsamere  Verengerung  eintritt,  die  meist  präsystolisch  zur 
liichsten  Systole  fällt.  Der  Venenpuls  hat  so  den  gleichen  Rhythmus 
wie  der  Arterienpuls,  durch  den  er  indirekt  hervorgerufen  wird. 

Herr  Seit/,  und  Herr  Wintz:  Lieber  die  biologische  Funktion 
des  Corpus  luteum,  seine  chemischen  Bestandteile  und  deren  thera¬ 
peutische  Verwendung  bei  Störungen  der  Menstruation. 

Der  Vortrag  ist  in  Nr.  30  und  31  dieser  Wochenschrift  erschienen. 

Diskussion:  Herren  Toenniessen,  Wintz,  Spuler, 
P  e  n  z  o  1  d  t,  J  a  m  i  n,  K  r  e  u  t  e  r. 


Aerztlicher  Verein  in  Frankfurt  a.  NI. 

(Offizielles  Protokoll.) 

1687.  ordentliche  Sitzung  vom  5.  Oktober  1914, 
Abends  7  Uhr  im  Sitzungssaal. 

Vorsitzender:  Herr  Quincke. 

Schriftführer :  Herr  B  a  e  r  w  a  1  d. 

Herr  E.  Goldschmid:  Pathologisch-anatomische  Demonstra- 
ionen. 

1.  11  Todesfälle  von  Soldaten,  davon  7  Tetanus  (63,6  Proz.). 
:iner  hatte  tetanische  Symptome,  die  zurückgingen,  und  starb  dann 
in  Sepsis.  In  6  Fällen  terminale  Pneumonie  oder  Bronchopneumonie, 
n  allen  Fällen  mehr  weniger  grosse  Verfettung  von  Myokard  und 
'deren,  ln  allen  Fällen  verschieden  hochgradige  Hyperämie  der 
nneren  Organe,  speziell  der  Lungen  und  des  Gehirns.  Ebenfalls  in 
illen  Fällen  auffallend  hohes  Gehirngewicht  (im  Durchschnitt  1516  g). 
fon  wichtigeren  Nebenbefunden  sind  notiert  bei  einem  aus  Südfrank¬ 
eich  stammenden  Soldaten  ein  grosser  Leberabszess  und  bei  dem- 
clben  ein  Gehirnabszess  nach  oberflächlich  verheilter  Bajonettver- 
etzung  der  Schädelkapsel.  Weiter  eine  Darmphlegmone  durch  Urin- 
nfiltration  nach  Harnröhrenzerreissung  durch  Kugelschuss.  In  einem 
'alle  eine  klinisch  symptomlos  gebliebene  diphtherische  Kolitis.  Einer 
:ing  an  eitriger  Meningitis  bei  Hirnabszess  zugrunde. 

2.  9  Herzen  mit  frischer  Endokarditis:  verrucosa,  thrombotica 
ind  ulcerosa.  2  der  verrukösen  Endokarditiden  mit  wesentlich 
arietalen  Veränderungen.  2  Aneurysmen  bei  Mesaortitis  syphilitica, 
ine  höchstgradige  Adipositas  und  eine  höchstgradige  Aortensklerose 
lit  aneurysmatischer  Ausbuchtung  der  Aorta. 

3.  6  Fälle  mit  Uterusveränderungen:  ein  gewöhnlicher,  sehr 
rosser  Plazentarrest,  ein  puerperaler  Uterus  mit  eitriger  sperma- 
ischer  Thrombose  nach  Abort.  Eine  Puerperalsepsis  mit  grossem 
luchigen  Abszess  der  Symphysengegend  bei  septischer  Parametritis 
vereiterter  Thrombus  der  Vena  cava).  Exitus  1  Monate  post  abor- 
um.  Seit  2  Jahren  bestehendes,  seit  10  Monaten  (angeblich)  bestrahl- 
es  Uteruskarzinom  mit  ausgedehntester  Metastasierung  im  ganzen 
lörper.  Polypöses  Portiokarzinom.  Maligner  „embryonaler  Uterus- 
umor“. 

4.  Diabetische  Gangrän  des  Penis  (45  Jahre),  Tod  im  Koma. 

5.  Arthritis  urica:  Kniegelenke  und  grosse  Zehe  (Tod  an  Lungen- 
imor),  63  Jahre.  Zirkumskripte  Arthritis  deformans  des  Femurkopfes 
iner  54  jährigen  Frau  (Tod  an  Lungentumor). 

Herr  Hanau:  Schussverletzung  der  Nase. 

Der  Mann,  den  ich  Ihnen  hier  vorstelle,  wurde  am  28.  August  bei 
edan  2  mal  verwundet.  Er  erhielt  eine  Infanteriegeschossverletzung 
m  linken  Oberarm  mit  Durchbohrung  des  M.  biceps,  welche  aber  hier 
icht  in  Betracht  kommt.  Die  zweite  Verwundung  wird  in  dem  von 
im  mitgebrachten  Krankenblatt  als  „Streifschuss“  im  Gesicht  be- 
eichnet. 

Es  findet  sich  etwa  querfingerbreit  unter  dem  linken  Augen- 
d,  mit  diesem  gleichlaufend  eine  etwa  \  'A  cm  lange,  auf  der  Unter- 
ige  festhaftende,  rötliche,  linienförmige  Narbe.  Unter  der  Haut  des 
echten  Nasenflügels  lässt  sich  ein  kleinerbsengrosser,  harter, 
andlicher  Fremdkörper,  über  dem  die  Haut  verschieblich  ist.  ab- 
istcn.  Die  Untersuchung  der  Nasenhöhle  ergibt  sowohl  rechts  wie 
nks  je  eine  massige  Verwachsung  von  Nasenflügel.  Scheidewand  und 
nterer  Muschel  miteinander  zu  einer  breiten  Brücke,  mit  Freilassung 
:  einer  kleinen  Oeffnung  vorn  und  hinten.  Die  Nasenatmung  ist  da- 
urch  sehr  erheblich  behindert.  Nachts  kann  der  Mann  überhaupt 
icht  durch  die  Nase  atmen. 

Herr  Neuberger,  dem  ich  den  Fall  gezeigt  habe,  ist  mit  mir 
er  Meinung,  dass  die  Brücken  gespalten  und  wenn  möglich  das  Ge¬ 
noss.  wahrscheinlich  ein  Granatsplitter,  von  der  rechten  Nasenhöhle 
ns  entfernt  werden  sollen. 


Die  mittels  Films  hergestellte  Röntgenaufnahme,  welche  vor¬ 
gezeigt  wird,  lässt  das  kleine  Geschossstück  deutlich  erkennen. 

Diskussion:  Herr  V  o  h  s  e  n. 

Herr  Neuberger:  Das  Geschoss  hat  ein  Hämatom  des  Sep¬ 
tums  erzeugt.  Die  Mukosa,  die  rund  sich  an  die  beiden  unteren 
Muscheln  anlcgte,  verwuchs  mit  den  Muscheln  und  hat  zu  einer  hoch¬ 
gradigen  Atresie  der  Nase  geführt.  Die  Verwachsungen  sollen  ge¬ 
trennt  und  die  Nasenatmung  wieder  ermöglicht  werden.  Es  ist  mög¬ 
lich,  dass  das  Geschoss  dann  frei  zutage  liegt. 

Herr  Siegel. 

Herr  Gr  «edel:  Lungenschüsse  im  Röntgcnbild. 

Diskussion:  Herr  Siegel. 

Herr  Braun:  Aetlologie  der  Dysenterie.  (Mikroskopische  De¬ 
monstration.) 

Vortragender  bespricht  das  bakteriologische  und  serologische 
Verhalten  der  verschiedenen  Dysenteriebazillentypen  (Shiga-Kruse. 
Flexner,  Y,  Strong)  und  die  Bedingungen,  unter  denen  die  Verbrei¬ 
tung  der  Ruhr  erfolgt;  die  Rolle  der  Kranken,  der  Bazillenträger  und 
Dauerausscheider,  des  Trink-  und  Badewassers. 

Diskussion:  Herren  Quincke,  Cahen-Brach, 

v.  W  i  1  d. 


Aerztlicher  Verein  in  Hamburg. 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzung  vorn  17.  November  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Brauer. 

Herr  S.  Goldschmidt:  Hühnereigrosses  pulsierendes  Aneu¬ 
rysma  spurium  am  Halse,  durch  Schrapnellverletzung  der  Karods 
bedingt:  Verwundung  am  1.  XI.  Operation  beabsichtigt. 

Herr  Weygand  t:  „Kriegspsychosen“  im  eigentlichen  Sinne 
gibt  es  nicht.  Die  Geisteskrankheiten  stellen  im  Wesentlichen  eine 
durch  die  Kriegsaufregungen  und  Strapazen  bedingte  Auslösung  vor. 
Anlagen  zu  Psychosen  dar,  die  offenbar  vorher  schon  bestehen.  De¬ 
monstration  von  7  Fällen:  Hysterische  Psychosen,  Dementia  praecox, 
Erschöpfungsdelirien,  psychische  Störungen  bei  Epileptikern,  Alkohol¬ 
psychosen. 

Herr  Plaut  h:  Bakteriologische  Prüfung  der  zur  Sterilisation 
des  Trinkwassers  im  Felde  empfohlenen  Mikrozidtabletten  (W  e  i  t  z) 
ergab,  dass  die  Wirkung  nicht  grösser  ist.  als  die  Wirkung  der 
Säuren  überhaupt.  Bei  Cholera  tritt  eine  sofortige  Keimvernichtung, 
bei  Typhus  nur  eine  80  Proz.,  bei  Dysenterie  50  Proz.  betragende 
Entwicklungshemmung  ein.  Es  sind  also  auch  diese  Tabletten  nicht 
für  den  Gebrauch  der  Truppen  zu  empfehlen. 

Herr  Oehlecker:  4  Fälle  von  falschen  Aneurysmen.  Be¬ 
sprechung  der  Diagnose:  Verwechslung  mit  Abszess,  Phlegmone  usw 
Therapie:  Wenn  angängig  früh  operieren;  längere  Zeit  nach  der  Ent¬ 
stehung  Ligatur  oder  Gefässnaht  mit  Venenimplantation  oder  gleich¬ 
zeitige  Unterbindung  von  Arterie  und  Vene  je  nach  Art  des  Falles. 

Herr  Nonne  hat  in  wenigen  Wochen  27  Fälle  vqn  peripheren 
Nervenverletzungen  durch  Geschosse  gesehen.  Demonstration  von 
bemerkenswerten,  seltenen  Fällen:  1.  Isolierte  Radialislähmung  durch 
Trauma  der  Achselhöhle,  das  offenbar  gerade  an  der  Stelle  ein¬ 
wirkte,  wo  der  Radialis  aus  dem  Plexus  sich  isoliert.  2.  Absolute 
Durchtrennug  des  Nervenstammes  des  Radialis  am  typischen  Um¬ 
schlagspunkt  am  Oberarm,  Nervennaht.  3.  Medianuslähmung. 
4.  Peroneuslähmung. 

Herr  Plate:  a)  Dumdumverletzung  der  Hand  mit  dem  zuge¬ 
hörigen  Geschoss  und  einem  Röntgenbild,  das  die  absolute  Intaktheit 
der  Knochen  zeigt. 

b)  Gelenkversteifung  nach  Schüssen  in  die  starke  Muskulatur 
der  Extremität.  Erklärung:  Lymphstauung.  Reflektorische  Vorgänge. 
In  Narkose  gelingt  die  Bewegung  im  Gelenk  tadellos. 

Diskussion  über  Tetanus: 

Herr  Rumpel  empfiehlt  eine  Antitoxinbehandlung  in  Fällen  ein¬ 
zuleiten.  in  denen  durch  ein  Thierexperiment  schon  früher  die  In¬ 
fektion  festgestellt  werden  kann,  als  die  tetanischen  Krämpfe  beim 
Verwundeten  auftreten. 

Herr  Jacobsthal  macht  auf  das  Vorkommen  von  Tet.-B.  im 
Penghavar  Yambi  aufmerksam.  Es  gibt  Tetanusbazillenträger.  In 
den  modernsten  Lazarettzügen  sind  bakteriologische  Institute  vorge¬ 
sehen.  Die  Heeresverwaltung  hat  jetzt  genügend  Pferde  zur  Ver¬ 
fügung  gestellt,  um  die  nötigen  Serummengen  zu  gewinnen.  Be¬ 
sprechung  der  Schutzimpfungsmöglichkeit  und  der  therapeutischen 
Becinflussbarkeit  durch  Salvarsan  und  Ultraviolettbestrahlung. 

Ueber  diese  letzteren  sehr  erfolgreichen  Versuche  berichten: 

Herr  Tamm. 

Herr  Kotzenberg  hat  21  Fälle  gesehen,  von  denen  13  starben, 
die  Prognose  ist  von  der  Inkubationsdauer  und  der  Ausdehnung  der 
Inkubation  abhängig. 

Herr  Roth  fuchs  hat  6  Fälle  —  4  schwere,  2  mittelschwer,  — 
mit  Salvarsan  behandelt  und  nur  einen  Todesfall.  Ihm  scheint  das 
Salvarsan  empfehlenswert. 

Fortsetzung  in  der  nächsten  Sitzung.  Werner. 


2316 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  48. 


Aerztlicher  Kreisverein  Mainz. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  23.  Oktober  1914. 

Herr  Hans  Curschmann  demonstriert  1.  einen  Fall  von 
F  r  i  e  d  r  e  i  c  h  scher  Ataxie,  der,  wie  in  Rheinhessen  nicht  ganz 
selten,  sporadisch,  ohne  familiäre  Erkrankung  auftrat.  Beginn 
in  frühester  Kindheit,  ganz  allmähliche  Progression  der  spastischen 
Ataxie,  der  Sprachstörung,  leichter  mimischer  Störungen  zusammen 
mit  seltenen  echten  epileptischen  Anfällen.  Zur  Zeit  Pupillen,  Augen¬ 
hintergrund,  Gesichtsfeld,  alle  Hirnnerven  bis  auf  leichte  mimische 
Fazialisschwäche  intakt;  leichtes  Skandieren  und  Stolpern  beim  Spre¬ 
chen.  Mässige  spastische  Ataxie,  Hyperreflexie  der  U.  E.  mit  Ba- 
binski;  Bauchdecken-  und  Kremasterreflexe  normal.  Hochgradige 
Ausbildung  des  Pes  varo-equinus,  „F  r  i  e  d  r  e  i  c  h  scher  Fuss“  Seit 
früher  Jugend.  —  Abgrenzung  dieser  mit  Hyperreflexie  einhergehen¬ 
den  Fälle,  vor  allem  von  der  multiplen  Sklerose  ist  nicht  immer 
leicht;  Beginn  in  frühester  Jugend,  allmähliche  Progression,  Erhalten¬ 
bleiben  der  Bauchdeckenreflexe,  F  r  i  e  d  r  e  i  c  h  scher  Fuss  uam. 
sprechen  für  die  Diagnose  der  Friedreich  sehen  Systemerkran¬ 
kung.  C.  kritisiert  die  allzu  schematischen  Sonderformen  von 
Pierre  Marie  u.  a.;  fliessende  Uebergänge  zwischen  den  spinalen 
und  zerebellaren  Formen  sind  die  Regel. 

2.  Einen  Fall  von  rezidivierendem  spastischen  Darmverschluss, 
momentan  geheilt  durch  Hormonal  und  hohe  Einläufe.  Der  56  jähr. 
Herr,  Gichtiker,  leidet  seit  10  Jahren  an  seltenen,  heftigen  diffusen 
Bauchkoliken,  die  mit  kurzdauernder  totaler  Retention  flatuum  et 
faecium  einhergehen.  Vor  der  Spitalaufnahme  3  Tage  lang  Fehlen 
der  Flatus  und  Defäkation.  Enormer  Meteorismus  (obere  Leber¬ 
dämpfung  III.  Rippe),  heftiger  Schmerz  spontan  (auf  Druck  gering). 
Bruchpforten  und  Rektum  frei.  Kein  Fieber.  Starker  Singultus. 
Blutdrucksteigerung  auf  185  mm  Hg.  So  qualvoller  Zustand,  dass 
Pat.  um  5  Uhr  früh  in  die  Klinik  gebracht  wird.  Mannigfache 
Abführmittel,  Klystiere  etc.  bisher  ohne  Erfolg. 

Therapie:  Mittags  20,0  Hormonal,  nachmittags  hoher 
Einlauf  mittels  Kugelsonde.  Um  8  Uhr  abends  Entleerung  enormer 
Stuhlmengen  und  Flatus,  ca.  8  Stühle  hintereinander.  Leib  ent¬ 
spannt,  kein  Schmerz  mehr.  Blutdruck  150  R.-R.  —  Am  nächsten 
Morgen  ab  und  zu  noch  kolikartiger  Schmerz,  auf  Belladonna  und 
Morphium  Besserung.  Blutdruck  135  R.-R. 

C.  stellt  die  Diagnose  des  spastischen,  nicht  groborganisch  be¬ 
dingten  Darmsverschlusses  (abgesehen  von  der  Länge  der  Krank¬ 
heitsdauer)  auf  Grund  der  Hypertension  des  Blutdruckes.  Es  ist  das¬ 
selbe  Symptom,  das  sich  bei  den  Splanchnikuskrisen,  bei  Tabes, 
Bleivergiftung  und  vielleicht  auch  manchmal  bei  Nephritis  und  Aorten¬ 
erkrankungen  findet. 

Der  Fall  zeigt  ausserdem,  wie  stark  das  Hormonal  (Zuelzer) 
auch  bei  exquisit  spastischen  Darmlähmungen  wirken  kann;  die¬ 
selbe  Erfahrung  machte  C.  ganz  regelmässig  bei  schweren  Obsti¬ 
pationsfällen  infolge  von  Bleivergiftung.  Die  Wirkung  des  Mittels 
hat  in  diesen  Fällen  auffallende  Aehnlichkeit  mit  der  des  Atropins,  es 
wird  auch  wohl  denselben  Angriffspunkt  am  Darm  haben  (vergl. 
die  peristaltikanregende  Wirkung  des  Atropins  auf  den 
Auerbach  sehen  Plexus  nach  R.  Magnus). 

3.  C.  berichtet  über  eine  in  dem  Mainzer  Vorort  Mom- 
bach  kurz  nach  der  Mobilmachung  ausgebrochene 
Typhusepidemie,  die  lei  der  starken  Truppenansammlung  im 
Festungsbereich  ree!;.1  unangenehm  schien,  aber  ausserordentlich 
rasch  durch  Isolierung  der  Kranken  erstickt  wurde.  Eine  Karte 
zeigt,  dass  der  htrd  der  Krankheit  ein  ziemlich  eng  begrenzter, 
etwa  4  Strassen  umfassender  ist.  Eine  Nahrungsmittel-  oder 
rrinkwasserinfektion  war  nach  den  ausgeführten  Untersuchungen 
fast  auszuschliessen.  Die  Untersuchung  von  54  Personen  auf  Ba¬ 
zillenträger  verlief  negativ,  trotzdem  einige  von  ihnen  Typhus  über¬ 
standen  hatten  und  als  Nahrungsmittelhändler  des  „Bazillentragens“ 
verdächtig  waren.  Trotzdem  glaubt  C.  bei  der  ganzen  Art  und  dem 
chronischen,  zeitweise  exazerbierenden  Charakter  der  Typhus¬ 
morbidität  in  M.  an  irgend  einen  okkulten  Bazillenträger,  z.  B.  in 
der  Familie  eines  Wirtes,  in  der  notorisch  seit  über  25  Jahren 
immer  wieder  Typhusfälle  verkommen.  —  Leider  ist  es  noch  nicht 
gelungen,  Bazillenträger  mit  Sicherheit  von  ihren  Bazillen  zu  be¬ 
freien;  auch  die  Exstirpation  der  Gallenblase  ist  kein  sicheres  Mittel. 
Die  Hauptsache  ist  immer :  die  zwangsweise  rigorose  Er¬ 
ziehung  des  Bazillenträgers  zur  Sauberkeit  und  Desinfektion  seiner 
Entleerungen  und  seine  Entfernung  aus  einem  Beruf  der  Lebensmittel¬ 
abgabe  oder  -bereitung. 

Eine  Reihe  der  Kranken  bezeichnete  sich  nicht  als  krank,  war 
es  aber,  wie  klinisch  und  serologisch  erwiesen  wurde;  sie  hatten 
bisher  den  Typhus  ambulant  durchgemacht,  z.  B.  eine  64  jährige 
Frau  als  Emphysembronchitis,  ein  20  jähr.  Mann  als  „Influenzarekon¬ 
valeszent“;  ein  25 jähr.  Mann  kam  mit  der  Angabe  der  Hämoptoe, 
durchwanderte  die  Differentialdiagnose  „zentrale  Pneumonie“,  bis 
schliesslich  Kurve,  Verlauf  und  Leukopenie  den  Typhus  wahrschein¬ 
lich  machten,  der  auch  serologisch  bestätigt  wurde.  —  C.  bespricht 
die  ausserordentliche  Wichtigkeit  der  Leukopenie  für  die  Dia¬ 
gnose  des  Typhus  (beim  Versagen  der  serologischen  und  —  so  häufig 
—  der  bakteriologischen  Untersuchung). 

Weiter  demonstriert  C.  Kurven  von  typischem  senilen 
Typhus  mit  andauernd  subfebrilen  Temperaturen  und  relativer  Tachy¬ 


kardie,  weiter  den  ausserordentlich  seltenen  Fall  eines  rein  kriti¬ 
schen  Temperaturabfalls  nach  Febris  alta  continua  bei  Fortbestehen 
einiger  anderer  klinischer  Symptome,  z.  B.  Durchfälle,  schliesslich  den 
Fall  eines  Meningismus  typhosus  bei  3 jähr.  Kind  mit 
vorübergehender  schlaffer  Lähmung  eines  Armes  (Pseudo¬ 
poliomyelitis);  restlose  Heilung. 


Nürnberger  medizinische  Gesellschaft  und  Poliklinik. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  28.  Mai  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Kraus. 

Schriftführer:  Herr  Wilhelm  V  o  i  t. 

Herr  Wilh.  Volt:  Demonstration  einer  Röntgenphotographie 
des  Magens  mit  grossen  Füllungsdefekten. 

Interessant  ist,  dass  Pat.  trotz  der  grossen  Zerstörung  des 
Magens  und  der  extremen  Abmagerung  vor  2  Monaten  ein  normales 
Kind  geboren  hat;  die  erstmals  im  Sommer  1913  aufgetretenen  Magen¬ 
beschwerden  wurden  von  Pat.  mit  der  damals  beginnenden  Schwan¬ 
gerschaft  erklärt. 

Herr  Steinhardt:  Epidemiologisch-kasuistisches  über  Diph¬ 
therie. 

1.  In  einer  unteren  Volksschulklasse  erkrankten  und  starben 
innerhalb  14  Tage  3  Kinder  an  Diphtherie,  die,  soweit  sich  nach¬ 
träglich  feststellen  liess,  sämtlich  nicht  mit  Heilserum  behandelt  wor¬ 
den  waren.  Die  bakteriologische  Untersuchung  ergab  unter  den  45 
übrigen  Kindern  der  Klasse  2  Bazillenträger;  diese  wurden  sofort  aus¬ 
geschieden,  blieben  Monate  hindurch,  solange  die  Untersuchung  posi¬ 
tiv  ausfiel,  der  Schule  fern,  vom  Augenblick  ihres  Ausschlusses  an  ist 
ein  weiterer  Diphtheriefall  in  der  Klasse  nicht  vorgekommen. 

2.  In  einer  Familie  erkrankte  im  Februar  1913  ein  1  jähriges 
Kind  an  typischem  Kehlkopfkrupp,  der  trotz  seiner  Schwere  unter 
Heilserumbehandlung  glatt  verlief;  2  Geschwister  wurden  immunisiert 
und  blieben  verschont.  Im  Januar  1914  erkrankte  die  Mutter  an 
Rachendiphtherie,  die  vom  Hausarzt  erfolgreich  mit  Heilserum  be¬ 
handelt  wurde;  eine  neuerliche  Immunisierung  der  Kinder  unterblieb 
auf  Wunsch  des  Vaters.  Ein  Zusammenhang  der  beiden  Krankheits¬ 
fälle  dürfte  bei  der  langen  Zwischenzeit  auszuschliessen  sein;  auch 
hatte  die  Familie  inzwischen  eine  neue  Wohnung  bezogen,  und  die 
alte  war  desinfiziert  worden.  Anfangs  April  d.  J.  erkrankte  der 
4  jährige  Knabe  an  Kehlkopfkatarrh,  dessen  bakteriologische  Unter¬ 
suchung  —  Frau  Dr.  Rodler  —  fast  Reinkultur  von  Diphtherie¬ 
bazillen  ergab,  wenige  Tage  danach  die  beiden  Geschwister  (Zwil¬ 
linge),  von  denen  der  eine  im  Februar  1913  bereits  an  Kehlkopfkrupp 
erkrankt  gewesen,  der  andere  immunisiert  worden  war,  und  fast  zu 
gleicher  Zeit  der  kleine  Sohn  einer  befreundeten  Familie,  ebenfalls 
mit  positivem  bakteriologischen  Befund.  Sämtliche  Kinder,  bei  denen 
übereinstimmend  die  Rachenorgane  dauernd  frei  blieben,  genasen 
unter  Heilserumbehandlung,  obwohl  bei  den  Zwillingen  sehr  schwere 
Anaphylaxieerscheinungen  (hohes  Fieber,  Urtikaria,  Kollapszuständc) 
aufgetreten  waren.  Nach  völliger  Genesung  wurden  von  den  Er¬ 
krankten,  ihren  Eltern  und  dem  Dienstpersonal  Abstriche  gemacht, 
sämtlich  mit  negativem  Ausfall  mit  Ausnahme  der  etwa  Ya  Jahr  vor¬ 
her  an  Diphtherie  erkrankt  gewesenen  Mutter,  sie  zeigte  positiven 
Befund  und  dürfte  daher  als  Dauerausscheiderin  mit  grosser  Wahr¬ 
scheinlichkeit  die  Quelle  der  Infektion  gewesen  sein. 


Filixextrakt  und  Rizinusöl. 

Zu  dem  Aufsatz  von  Dr.  F.  Schotten  „Tödliche  Filix- 
vergiftung  bei  einem  klinisch  latenten  Morbus 
Addisonii“  in  Nr.  44  d.  W.,  in  dem  vor  der  Kombination  von 
Rizinusöl  mit  Extr.  Filicis  gewarnt  wird,  wobei  Sch.  sich  ausdrück¬ 
lich  auf  das  Dieterich-  Helfenbergsche  Bandwurmmittel  bezieht, 
schreibt  uns  die  Chemische  Fabrik  Helfenberg  A.G.,  es 
sei  durch  die  bisher  beobachteten  Fälle  von  Filixvergiftung  absolut 
kein  Beweis  geliefert,  dass  gerade  das  Rizinusöl  der  Verbrecher  sei. 
Es  sei  nur  beobachtet,  dass  bei  gleichzeitiger  Gabe  von  Filixextrakt 
und  Rizinusöl  zusammen  in  vereinzelten  Fällen  Vergiftungserschei¬ 
nungen  auftraten.  Nur  der  eine  Beweis  sei  geliefert,  dass  eben  Filix¬ 
extrakt  ein  stark  wirkendes  Medikament  ist,  das  nur  bei  wirklich 
gesunden  Personen  ohne  weiteres,  bei  kranken  Menschen  aber 
mit  Vorsicht  angewendet  werden  soll.  Der  Fall  Schotten 
zeigt,  dass  Filixextrakt  bei  Morbus  Addisonii  kontraindiziert  ist;  auch 
wäre  nötig  gewesen,  hervorzuheben,  dass  das  Mittel  falsch,  ent¬ 
gegen  der  Anweisung  eingenommen  wurde  und  das  Extrakt  unnötig 
lange  im  Körper  verblieb.  Das  Helfenberger  Bandwurmmittel  wurde 
seit  über  10  Jahren  in  gering  gerechnet  5  Millionen  Fällen  mit  treff¬ 
lichem  Erfolg  verschrieben,  und  es  liege  der  Schluss  nahe,  dass  ge¬ 
rade  die  Kombination  von  Rizinusöl  und  Extrakt  den  Wert  des 
Mittels  ausmacht. 

„In  dem  Moment,  wo  in  vielen  Fällen  einwandfrei  erst  einmal 
nach  gewiesen  wird,  dass  wirklich  das  Rizinusöl  der  schul¬ 
dige  Teil  ist,  werden  wir  die  ersten  sein,  die  von  dieser  Kombination 
Abstand  nehmen.“ 


1 


Schriftleitung:  Dr.  B.  Spatz, 

München,  Amulfstrasse  26. 


MÜNCHENER 


Verlag  von  J.  r.  Lehmann, 

München,  Paul  Heysestr.  26. 


Medizinische  Wochenschrift. 


Nr.  48.  1.  Dezember  1914. 


Feldärztliche  Beilage  Nr.  17. 


Aus  dem  Reservelazarett  B  Marsfeldschule  München. 

Ueber  Lungenschüsse. 

ron  Dr.  med..  Prinz  Ludwig  Ferdinand  von  Bayern. 

Bei  den  Lungenverletzungen,  die  in  unserem  Lazarett  zur 
Beobachtung  gelangten,  konnten  wir  hauptsächlich  drei 
’ormen  beobachten : 

1.  Sagittale  Thoraxdurchschüsse  mit  meistens  gut  ver- 
eilenden  Einschüssen  und  Ausschüssen. 

2.  Durchschüsse  mit  Einschuss  am  Oberarm  oder  dem 
•chultergelenk.  Ausschuss  an  der  hinteren  oder  vorderen 
'horaxseite. 

3.  Steckschüsse.  Das  Geschoss  steckt  im  Lungengewebe 
der  bei  Flüssigkeitsansammlung  manchmal  am  Boden  der 
lüssigkeit  direkt  auf  dem  Zwerchfell,  wie  bei  einem  Falle 
us  der  Röntgenaufnahme  einwandfrei  zu  sehen  ist.  Die  Er- 
cheinungen  bei  diesen  drei  Formen  sind  die  gleichen.  Die 
chwere  des  Krankheitsbildes  und  des  Allgemeinbefindens  ist 
ei  allen  Lungenverletzungen  von  zwei  Faktoren  abhängig: 

)  von  dem  Zustandekommen  eines  Pneumothorax,  b)  von  der 
irösse  der  Blutung  in  die  Pleurahöhle. 

Wenn  ein  in  die  Pleurahöhle  eindringendes  Geschoss  das 
inströmen  von  Luft  ermöglicht,  so  retrahiert  sich  das 
lastische  Lungengewebe,  es  bildet  sich  ein  Pneumothorax. 
;ei  den  Verwundeten,  die  in  unsere  Pflege  kamen,  hatten  wir 
s  nur  mit  geschlossenem  Pneumothorax  zu  tun.  Die  Kom- 
mnikation  mit  der  Aussenluft  war  durch  Verschorfung  oder 
erklebung  des  Wundkanals  nicht  mehr  vorhanden.  Ein 
lerapeutisches  Eingreifen  war  nie  indiziert,  da  der  Pneumo- 
lorax  meist  in  einigen  Tagen,  ohne  dass  es  zu  beträchtlicher 
törung  der  Atmung  kam,  verschwunden  war.  Die  bei  weitem 
'lgenschwerere  Komplikation  der  von  uns  beobachteten 
ungenverletzung  ist  die  fast  ständig  vorhandene  Blutung  in 
e  Pleurahöhle  —  der  Hämatothorax.  In  den  meisten  Fällen 
urde  auch  hier  die  Blutung  im  Verlaufe  des  Lazarettaufent- 
dtes  resorbiert.  Die  Temperatur  war  während  der  Resorp- 
anszeit  um  einige  Striche  erhöht!  Jedoch  fühlten  sich  die 
atienten  ausser  manchmal  auftretenden  stechenden  Schmer- 
:n  ganz  beschwerdefrei.  Die  Heilung  ging  glatt  vonstatten, 
iese  schön  verlaufenden  Fälle  könnten  einen  verleiten,  die 
jngenverletzungen,  soweit  nicht  lebenswichtige  Gefässe  ge- 
offen  werden,  überhaupt  als  gutartige  Verletzungen  zu  be¬ 
achten,  bei  denen  jedes  chirurgische  Eingreifen  ein  Künst¬ 
ler  wäre.  Dass  dem  nicht  ganz  so  ist,  zeigen  einige  unserer 
die,  von  denen  ich  zwei  ganz  besonders  hervorheben  möchte. 

Fall  1.  Lungendurchschuss.  Einschuss  an  der  rechten  Thorax- 
ite  oberhalb  des  Sternoklavikulargelenkes.  Ausschuss  rechts 
iten  unten  in  der  Höhe  des  9.  Brustwirbels.  Ausschussstelle  gut 
rschorft.  Aus  der  Einschussstelle  entleert  sich  dicker  rahmiger 
ier.  Temperatur  37 — 38  °.  Atmung  sehr  beschleunigt,  rechte  Seite 
merRl*cb  zurück.  Perkutorisch:  Absolute  Dämpfung  bis  zur 
Rippe,  Stimmfremitus  aufgehoben.  Oberhalb  der  absoluten  Dämp- 
ig  tympanitischer  Schall.  Atemgeräusch  über  der  gedämpften 
•eile  kaum  vernehmbar,  vesikulär.  Die  Temperatur  des  Patienten 
eg  in  den  nächsten  Tagen  bis  39°.  Eine  Probepunktion  ergab  dicke 
üige  Flüssigkeit,  aber  keinen  Eiter,  obwohl  sich  aus  der  Ein- 
lussstelle  immer  noch  dicker  Eiter  entleerte.  Oberstabsarzt  Dr. 

■ '  e  c  k  e,  der  zu  Rate  gezogen  wurde,  erweiterte  die  Einschussstelle, 

P  den  Eiterabfluss  zu  erleichtern.  Trotzdem  blieb  die  Temperatur 

•  f  der  gleichen  Höhe;  die  Dyspnoe  wurde  immer  stärker.  Wir  ent- 

•  llossen  uns  nun  doch  zu  einer  Rippenresektion,  obgleich  wiederholt 
obepunktionen  eine  Vereiterung  des  Hämatothorax  nicht  ergeben 


hatten.  Es  wurde  ca.  13T  Liter  übelriechende,  jauchende,  dunkel¬ 
braune,  mit  Fibrinflocken  untermischte  Flüssigkeit  entleert.  Nach 
der  Operation  subjektive  Erleichterung.  Abnahme  des  Fiebers  und 
fortschreitende  Besserung. 

Fall  2.  Lungensteckschuss.  Verschorfter  Einschuss,  Geschoss 
röntgenologisch  dem  Zwerchfell  aufliegend.  Patient  kommt  vom 
Kriegslazarett.  Da  die  Temperatur  immer  höher  stieg,  die  Dyspnoe 
für  den  Patienten  unerträglich  wurde,  entschlossen  wir  uns  auch  hier 
zur  Rippenresektion  und  konnten  über  einen  Liter  faulige,  nach 
Schwefelwasserstoff  riechende,  dunkelbraune  Flüssigkeit  entleeren. 
Vom  Tage  der  Operation  an  Entfieberung  und  fortschreitende  Besse¬ 
rung. 

Diese  Fälle  zeigen,  dass  die  konservative  Behandlung  des 
Hämatothorax  nicht  immer  durchzuführen  ist,  sondern  dass 
man,  wie  dies  ja  beim  Empyem  selbstverständlich  ist,  auch 
beim  verjauchenden  Hämatothorax  mit  einem  chirurgischen 
Eingriff  nicht  zögern  soll. 


Vom  östlichen  Kriegsschauplatz. 

lieber  die  Verwendung  von  Dumdum-  und  dumdum¬ 
ähnlichen  Geschossen  seitens  des  russischen  Heeres 
und  über  dumdumverdächtige  Schussverletzungen. 

Auf  Grund  eigener  Beobachtungen 
von  Prof.  P.  L.  Friedrich,  Direktor  der  Kgl.  chirurgischen 
Universitätsklinik  Königsberg,  beratender  Chirurg  des  I.  (ost- 
preussischen)  Armeekorps. 

Die  im  folgenden  wiedergegebenen  Beobachtungen  be¬ 
schränken  sich  auf  solche,  wie  sie  im  Kampfbereich  des 
I.  Armeekorps  erhoben  werden  konnten.  Da  dieses  Korps 
aber  während  des  bisherigen  Krieges  wohl  am  meisten  von 
allen  Korps  der  Ostarmee  im  Kampf  mit  dem  russischen 
Gegner  gestanden  hat,  mit  Petersburger,  Wilnaer,  Kownoer, 
Grodnoer,  Warschauer  Truppen,  sowie  solchen  aus  dem 
Innern  Russlands,  auch  solchen  des  Kaukasus,  Sibiriens  und 
Turkestans,  dürften  unsere  Erfahrungen  einen  allgemeineren 
Wert  beanspruchen. 

I. 

Schon  in  den  Grenzkämpfen  der  ersten  Augusttage  ge¬ 
langte  ich  vielfach  in  den  Besitz  von  basis  hohlen  Ge¬ 
schossen,  d.  h.  solchen,  wo  am  Boden  des  Spitzgeschosses  eine 
3  mm  tiefe  Aushöhlung  des  Bleikerns  in  Kegelform  sich  fand. 

a  b 


v  Figur  2.  In  der  Mitte  durchbrochenes 

Oechoss.  Teilmantelgeschoss  mit  freige- 
Figur  1.  Basis-hohles  Spitzgeschoss  bei  lassenem  Bleiring? 

einem  Teile  der  russischen  Infanterie. 

Die  Kegelspitze  der  basalen  Aushöhlung  war  von  ungleicher 
Breite  bei  den  verschiedenen  Geschossen.  Dass  diese  Ge¬ 
schosse  durch  eine  besondere,  stärkere  Wirkung  ausgezeichnet 
wären,  kann  nicht  behauptet  werden;  es  kamen  mir  weder 


2318 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  -IS. 


Projektile  mit  extremer  Deformierung  zu  Gesicht,  noch  auch 
waren  sie  in  Patronen  von  besonderer  Durchschlagskraft  ein¬ 
gefügt.  Vielmehr  überraschte  oft  die  geringe  Durch¬ 
schlagskraft,  so  dass  —  selbst  bei  Entfernungen  von  300  bis 
350  m  —  sehr  häufig  das  Geschoss  im  Körper  stecken  blieb, 
auch  ohne  dass  es  an  Knochen  Widerstand  gefunden  hatte. 
Kaum  mehr  in  der  neueren  Zeit  für  möglich  gehaltene  Ringel¬ 
schüsse  kamen  daher  wiederholt  zur  Beobachtung.  So  zeigte 
im  Gefecht  bei  Kowallen  (14.  VIII,),  wo  ich  die  Verwundeten 
unmittelbar  vom  Gefechtsfeld  unter  die  Hände  bekam,  ein 
Soldat  den  Einschuss  unter  der  Spitze  des  linken  Schulter¬ 
blattes,  während  das  Projektil  unter  der  Haut  um  den  Rücken 
herumgelaufen  war  und  sich  über  der  Mitte  der  rechten 
Leistenbeuge  unter  der  Haut  fand,  wo  es  von  mir,  weil  es  hier 
sehr  starke  Schmerzen  verursachte,  sofort  entfernt  wurde. 
Es  war  ein  solches  Spitzgeschoss,  welches  an  der  Basis,  wie 
oben  geschildert,  ausgehöhlt,  im  übrigen  nicht  deformiert  war. 
Der  Mann  bot  keinerlei  Erscheinungen  innerer  Verletzung.  Er 
hatte  den  Schuss  als  liegender  Schütze  mit  stark  ge¬ 
drehtem  Körper  erhalten  und  heilte  reaktionslos. 

II. 

Mehrere  von  mir  aus  dem  Körper  Verwundeter  entfernte 
Geschosse  zeigten  eine  quere  oder  schräge  Halbierung  in  ihrer 
Mitte,  mit  oder  ohne  abgestreiftem  Mantel  über  der  Spitzen¬ 
hälfte  des  Projektils.  Sie  Hessen  die  Vermutung  aufkommen, 
dass  sie  von  Geschossen  herstammten,  wo  Spitze  und  Basis 
von  Mantel  umkleidet  war,  während  dazwischen  ein  mantel¬ 
loser  Ring  geschaffen  worden  war.  Diese  Geschosse  zeigen 
bekanntlich  nach  Kranzfelders  ausgezeichneten  Ver¬ 
suchen  eine  geringere  Stauchung,  biegen  sich  aber  im  Blciring, 
brechen  hier  auseinander  und  schlagen  nun  mit  grösserem 
Querschnitt  auf.  Auch  sie  haben  eine  viel  intensivere  Wirkung 
als  das  Vollmantelgeschoss,  „bewahren  aber  wegen  der 
mantclgedeckten  Spitze  eine  grössere  Stetigkeit  des  Fluges 
und  eine  viel  bessere  Treffsicherheit,  die  der  des  Vollmantel¬ 
geschosses  nicht  nachsteht.  Einer  der  von  mir  in  S  u  w  a  1  k  i 
operierten  Soldaten  unseres  Kronprinzenregimentes  ('die 
Operation  bestand  in  der  Herausnahme  des  Projektils  aus  dem 
Musculus  pectoralis  d.  wegen  starker  Schmerzempfindlichkeit 
des  Mannes  beim  Gebrauch  des  Muskels)  zeigte  ein  solches 
ouer  amputiertes  Projektil  mit  daneben  liegendem  amputierten 
Spitzenteil  des  Mantels,  einen  besonders  weit  aufgerissenen 
Schusskanal  quer  durch  die  Lunge,  vom  Rücken  nach  der  vor¬ 
deren  Brustwand,  mit  Pneumothorax  und  ausgedehntem  Haut¬ 
emphysem.  Eine  Rippe  war  am  Angulus  costae  durchschlagen 
und  zerschmettert.  Die  Beobachtungen  mit  solchen  Projektilen 
müssten  erst  noch  reichlicher  angestellt  werden,  ehe  daraus 
bündige  Schlussfolgerungen  gezogen  werden  dürften. 

III. 

ln  der  chirurgischen  Klinik  in  Königsberg,  welche  jetzt  als 
Festungshilfslazarett  eingerichtet  ist,  wurde  nach  der  Mit¬ 
teilung  eines  meiner  dort  verbliebenen  Assistenten  ein  russi¬ 
scher  Unteroffizier  aufgenommen,  welcher  selbst  hergestellte 
Pumdumgschosse  bei  sich  trug,  und  erzählte,  dass  die  russi¬ 
schen  Soldaten  durch  Abwetzen  der  Geschossspitze  auf  Steinen 
sich  diese  Patronen  herstellten.  Leider  ist  ein  Corpus  delicti 
dieser  Art  dem  Unteroffizier  nicht  abgenommen  und  auf¬ 
bewahrt  worden.  Aber  die  in  der  Klinik  wirkenden  Aerzte 
hatten  den  Dumdumcharakter  dieser  Geschosse  sofort  erkannt 
und  als  solchen  genau  festgestellt. 

IV. 

Die  ausserordentlich  beschwerliche  Kriegsführung  hier  im 
Osten,  die  raschen  Truppenbewegungen  in  grossen  Eil¬ 
märschen  brachten  es  mit  sich,  dass  vielfach  am  Hauptkamof- 
tage  die  Feldlazarette  unmöglich  schon  den  Stellen  der 
grössten  Verluste  nahe  sein,  die  Sanitätskompagnien  kaum  die 
ihnen  zufallcnden  Aufgaben  bewältigen  konnten,  um  so  mehr 
als  es  öfters  unvermeidbar  war,  dass  Artilleriegeschosse  in 
Truppen-  und  Hauptverbandplätze  einschlugen.  Andererseits 
befand  ich  mich  meist  in  der  Nähe  des  Generalkommandos  mit 
auf  dem  Gefechtsfeld  oder  in  unmittelbarer  Nähe  dabei.  Daher 
habe  ich  bei  allen  grösseren  Kämpfen  persönlich  mich  aus¬ 
giebig  feldärztlich  betätigt,  und  die  Frischverwundeten  in 
grosser  Zahl  zur  ersten  Behandlung  unter  die  Hände  be¬ 


kommen,  darunter  häufig  solche,  wo  Offiziere  oder  Mann¬ 
schaften,  auch  Aerzte,  die  Vermutung  aussprachen,  dass  Dum¬ 
dumgeschosswirkung  vorläge.  So  wurden  mir  bei  Tannen- 
berg  mehrere  sehr  gleichartig  gestaltete  Verwundungen  ge¬ 
bracht,  die  ich  beim  ersten  Anblick  selbst  für  Dumdumver¬ 
letzungen  ansah ;  ebensolche  in  0  r  t  e  1  s  b  u  r  g,  S  u  w  a  1  k  i, 
0  1  c  z  a  n  k  a.  Und  doch  habe  ich  bei  der  weiteren  Unter¬ 
suchung  nicht  vermocht,  sie  als  Dumdumverletzungen  anzu- 
erkennen.  Diese  Verletzten  zeigten  das  gemeinsam  Charak¬ 
teristische,  dass  das  Geschoss  eine  Gliedmasse  nicht  nur  mit 
eine  m  Schusskanal,  sondern  mit  zweien  durchbohrt  hatte, 
oder  dass  das  Geschoss  erst  durch  das  eine  Bein  bzw.  Arm 
und  dann  durch  das  andere  Bein  bzw.  den  anderen  Arm  hin¬ 
durch  gedrungen  war.  Von  sämtlichen  Verwundeten  wurde! 
zudem  die  Angabe  gemacht,  dass  sie  aus  grosser  Nähe,  nicht 
bis  über  50  m  Entfernung,  verwundet  worden  waren.  Ich 
füge  hier  mehrere  Abbildungen  dieses  Verletzungstypus  ein.! 
Wir  sahen  die  Fälle  auch  so,  wo  am  Unterarm  die  erste,  am| 
Oberarm  die  zweite  Durchschiessung  erfolgt  war. 


Rückseite.  Weichteile  der  Beugeseite  rechts  bis  zum  Knochen  vollständig  herausgefetzt; 
Nervus  ischiadicus  auf  15  cm  ausgeschält,  aber  nicht  durchtrennt, 
a  =  1.  Einschuss,  b  =  1.  Ausschuss,  c  =  2.  Einschuss,  d  =  2.  Ausschuss. 


c 


a  =  1.  Einschuss,  bei.  Ausschuss,  c  =  2.  Einschuss. 

Ich  glaube  mich  nach  der  eingehenden  Untersuchung  dieser 
Verwundeten  mehr  zu  folgender  Erklärung  berechtigt:  Das« 
Geschoss  dringt  durch  eine  kleine  Einschussöffnung  ein.  Die 
typische  kleine  Einschussöffnung,  wie  wir  sie  auch 
sonst  bei  dem  Spitzgeschoss  fast  immer  sehen,  zeigt  jeder 
Fall.  Das  Projektil  dringt  dann  durch  Weichteile  (Muskulatur. 
Faszien,  Sehnen),  reisst  'Feile  von  diesen  mit  und  setzt  eine 
durchschnittlich  10 — 20mal  so  grosse  Ausschussöffnung,  dringt 
weiter  in  derselben  Gliedmasse  zum  zweitenmal  oder,  wie  er¬ 
wähnt,  in  die  andere  Gliedmasse  ein,  setzt  hier  schon  eine 
Einschussöffnung,  die  doppelt  bis  dreifach  so  gross  als  die 
erste  Ausschussöffnung  ist  und  fetzt  nun  am  zweiten  Ausschuss; 


.  Dezember  191-4 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


2319 


ie  Weichtelle  ganz  gewaltig  auseinander.  Beim  zweiten  Ein- 
ringen  kommt  es  mehrfach  nicht  zur  Bildung  von  Ein-  und 
usschussöffnung,  sondern  die  Weichteile  werden  in  grossem 
infang  durchrissen,  zerfetzte  auf  grosse  Strecken  zerfetzt 


2.  Ausschuss 


Einschuss 


1.  Ausschuss 


1.  Einschuss 


ur  4.  Flankenschuss  durch  beide  Arme  mit  hochgradiger  Gewebszertrüminerung  am 
en  Arm.  Keinerlei  Knochenverletzung.  Als  liegender  Schütze  getroffen.  Das  Ge- 
-  ir  ist  frei  in  die  Zeichnung  eingefügt,  um  den  Verletzungshergang  besser  zu  illustrieren. 


er  ganz  aus  dem  Wundgebiet  ausgerissen.  Nie  war  bei 
esen  Verletzungen  ein  Knochen  mit  lädiert, 
is  ist  das  Wesentliche!  Den  bei  gleichzeitiger  Knochen- 
Irtrümmerung  sind  wir  ja  über  die  bis  20  cm  ausgedehnten 
eiehteilzerreissungen  längst  unterrichtet  und  haben  dabei 
}hl  nur  selten  Veranlassung,  sie  als  Dumdumgeschosswir- 
ng  ansprechen  zu  müssen  bzw.  zu  dürfen.  Die  Einheitlich¬ 
st  dieser  Verwundungsmechanik  und  ihrer  Folgen  spricht 
'für,  dass  das  aus  der  Nähe  abgefeuerte  Geschoss  mit 
ich  unverminderter  lebendiger  Kraft,  den 
;erst^  getroffenen  Weichteilen  diese  mitteilt  und  diese,  wie 
li  Wasserschüssen,  nun  mitgerissen  werden,  so  dass  die 
'  eite  Verwundung  entsprechend  gross  sich  gestaltet.  Es  er- 

•  )t  sich  dann  das  Bild  einer  kegelförmigen  Gewebs- 
'  'Störung,  wobei  die  Spitze  des  Kegels  der  erste  Einschuss, 
b  Basis  der  zweite  Ausschuss  ist. 

Gestützt  wurde  meine  Auffassung  dadurch,  dass  bei  den 
t iS i sehen  1  ruppen,  von  denen  diese  Verletzungen  stammten, 
:h  eingetretencr  Gefangenschaft  Dumdumgeschosse  nicht 

•  runden  wurden,  sowie  durch  die  Tatsache,  dass  ausser 
Ilen,  wie  den  geschilderten,  andere  dumdumverdächtige 
rlctzungen  uns  in  den  betreffenden  Gefechten  nicht  Zu¬ 
gängen  sind.  (Ich  habe  die  genauere  Wiedergabe  dieser 
robachtugen  auch  deswegen  für  geboten  gehalten,  weil  ich 
!  zweiten  Balkankrieg  analoge  Verletzungsbilder  nicht  ge- 
>ien  habe.) 

Aus  den  aufgeführten  Beobachtungen  ergibt  sich,  dass 
mdumveränderte  Geschosse  hie  und  da  von 
n  russischen  Truppen  verwendet  worden 
id,  dass  aber  kaum  irgend  welche  Anhalts- 
n  k  t  e  sich  haben  ermitteln  lassen,  welche 
le  russische  Heeresleitung  in  Verbindung 
t  der  Anwendung  dieser  Geschosse  bringen 
:  n  n  t  e  n  *). 

Rr- — • —  — 

*)  Während  der  Drucklegung  dieser  Mitteilung  wurde  bei  gc- 
?enen  Russen  ein  Hohlgeschoss  aus  Blei  in  Ogivalform,  ohne 
1  ntel,  mit  einer  Art  Oelfiillung  gefunden,  welches  der  Dumdum- 
'kung  ähnliche,  höchst  schmerzhafte,  ausgedehnte  Weichteilwunden 
-tzt  haben  soll.  Weitere  Nachforschungen  werden  ergeben,  ob 
ich  obiger  Satz  eingeschränkt  werden  muss. 


Zur  Anwendung  der  Jodtinktur. 

Von  Professor  Dr.  W  i  1  h  e  1  tu  Herzog,  Kgl.  bayer.  General¬ 
arzt  ä  1.  s.,  zurzeit  Etappeninspektion  6.  Armee. 

Die  Anwendung  der  Jodtinktur  zur  schnellen  Desinfektion 
der  Haut  kann  als  ein  wirklicher  Fortschritt  betrachtet  werden. 
Während  man  sonst  die  wünschenswerte  Desinfektion  durch 
langes  Waschen  mit  Seife  und  Bürste,  Alkohol  und  antisep¬ 
tischer  Abwaschung  zuwege  bringt,  wird  so  ziemlich  dieselbe 
Wirkung  mit  einem  einmaligen  Jodanstrich  erreicht.  Dies  ist 
entschieden  ein  Vorteil  bei  Fällen,  bei  denen  eine  Indikation 
zum  sofortigen  Operieren  vorliegt  oder  die  Körperstcllc  sehr 
schmerzhaft  ist. 

Diesen  unleugbaren  Vorteilen  der  Jodtinkturanwendung 
stehen  aber  zweifellos  Nachteile  entgegen,  über  die  ich  hier  im 
Felde  unangenehme  Erfahrungen  gemacht  habe  und  über  die 
ich  kurz  berichten  möchte. 

Schon  in  S . wo  unsere  Kriegslazarettabteilung,  bei 

der  ich  damals  war,  am  13.  und  14.  August  eine  überaus 
grosse  Menge  von  Verwundeten  zu  besorgen  hatte,  war  es 
mir  aufgefallen,  dass  eine  ganze  Anzahl  Wunden  und  deren 
Umgebung,  bei  denen  Jodtinktur  angewendet  worden  war, 
gereizt  aussahen;  bei  einigen  bestand  in  der  Umgebung 
eine  deutliche  Dermatitis,  teilweise  mit  starker  Blasenbildung 
und  bei  einem  Falle  eine  oberflächliche  Gangräneszierimg, 
Dass  solche  gereizte  Wunden  eitern  werden  und  für  In¬ 
fektionen  höchst  empfänglich  sind,  liegt  ja  auf  der  Hand.  Aelm- 
liche  Erfahrungen  haben  nach  Mitteilung  auch  andere  Herren 
unseres  Kriegslazaretts  gemacht. 

Besonders  deutlich  ist  mir  ein  Fall  in  Erinnerung,  in  dem  die 
Anwendung  der  Jodtinktur  schädlich  gewirkt  hat. 

In  Bl.  kam  ein  Offizier  mit  einem  Notverband  in  meine  Behand¬ 
lung.  der  vor  5  Stunden  durch  einen  Schuss  am  Kopfe  verwundet 
worden  war.  Bei  Abnahme  des  Verbandes  konstatierte  ich  eine 
gerade  verlaufende,  etwa  12  cm  lange,  etwas  nach  links  von  der 
Pfeilnaht  parallel  mit  ihr  gelegene  Hautwunde,  die  von  einem  Streif¬ 
schuss  durch  Gewehrkugel  herriihrte.  Die  Wundränder  waren  ge¬ 
schwollen,  entzündet,  ebenso  die  Umgebung:  die  Wunde  selbst  war 
missfarbig,  verätzt  und  ungemein  gereizt.  Auf  meine  Frage,  was 
denn  mit  der  Wunde,  die  doch  eigentlich  ganz  frisch  sein  sollte, 
passiert  sei,  erklärte  mir  Pat.,  der  Arzt  auf  dem  Truppenverband¬ 
platz  hätte  die  Wunde,  damit  keine  Vergiftung  emtretc,  mit  Jod¬ 
tinktur  ausgetupft.  Natürlich  war  eine  Naht  bei  diesem  Zustande  der 
Wunde  unmöglich,  und  der  Offizier,  der  sonst  bei  Naht  nach  einigen 
Tagen  wieder  zur  Front  hätte  zurückkehren  können,  was.  da  er  der 
letzte  Offizier  seiner  Kompagnie  war,  sehr  notwendig  gewesen  wäre, 
musste  mm  zur  Heilung,  die  jetzt  Wochen  in  Anspruch  nahm,  in  die 
Heimat  evakuiert  werden. 

Aus  diesen  Erfahrungen  geht  hervor,  dass  die  Anwendung 
der  Jodtinktur  sehr  grosse  Nachteile  haben  kann. 

Die  Jodtinktur  wirkt  stark  reizend  auf  die  Haut  und  zwar 
bei  stärkerer  Konzentration  bis  in  ziemliche  Tiefe,  was  seiner¬ 
zeit  schon  Schede  in  seinen  Untersuchungen  aus  der 
v.  V  o  I  km  a nn  sehen  Klinik  nachgewiesen  hat.  Auch  die 
Hautreizungen,  besonders  bei  hellblonden  Leuten,  sind  sattsam 
bekannt. 

Müssen  schon  diese  Tatsachen  vor  Anwendung  von  zu 
starken  Jodlösungen  warnen,  so  sind  die  oben  angeführten 
Erfahrungen  im  Feld  noch  mehr  dazu  geeignet. 

Die  offizielle  Jodtinktur  ist  10  proz.  Dies  dürfte  wohl  die 
äusserste  Grenze  von  Dichtigkeit  sein,  die  anzuwenden  ist. 
In  sehr  vielen  Fällen  ist  diese  Konzentration  schon  zu  stark 
und  wird  nicht  ertragen.  Häufig  ist  aber  der  Prozentgehalt 
höher.  Wie  ich  das  in  Kliniken,  ja  selbst  in  Feld-  und  Kriegs¬ 
lazaretten  öfters  gesehen  habe,  wird  die  Jodtinktur  in  eine 
offene  Schale  gegossen,  ein  Tupfer  oder  Kompressenbausch 
hineingetaucht  und  damit  die  betreffende  Hautpartie  ange- 
strichen.  Diese  Anwendungsweise  erregt  die  grössten  Be¬ 
denken.  Wenn  die  Jodtinktur  offen  in  flachen  Schalen  stehen 
bleibt,  so  tritt  sofort  eine  starke  Verdunstung  von  Alkohol  und 
ein  höherer  Grad  von  Konzentration  des  Jods  ein.  Wenn  nun 
noch  dazu  Watte-  oder  Mulltupfer  verwendet  werden,  in  denen 
der  Alkohol  sogleich  entweder  verdunstet  oder  in  tiefe  Teile 
cinsickert,  das  Jod  aber  oben  liegen  bleibt,  so  ist,  wenn  die 
Jodtinktur  auf  die  Haut  gelangt,  der  normale  Konzentrations¬ 
grad  hoch  überschritten  und  die  starke  Reizung  muss  eintreten. 

Noch  schädlicher  ist  aber,  wenn  Jodtinktur  in  frische 
Wunden  selbst  gebracht  wird,  um  sie  zu  desinfizieren,  zu  ent- 


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Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  48. 


giften.  Dies  ist  ein  Zurückfallen  in  die  Zeit  der  stärksten  Anti- 
septik,  die  wir  glücklich  bereits  theoretisch  und  praktisch  über¬ 
wunden  hatten.  Da:  Ausspülen  der  Wunde  mit  5  proz.  Karbol¬ 
säure,  wie  dies  während  meiner  Assistentenzeit  an  der 
v.  Volkmann  sehen  Klinik  gebräuchlich  war  und  wodurch 
eine  vollständige  Verschorfung  der  Wunde  eintrat,  wurde  mit 
Recht  verlassen.  Und  nun  bringt  man  die  viel  stärker  reizende 
Jodtinktur  direkt  in  die  frische  Wunde,  um  sie  zu  entgiften. 

Die  im  Krieg  gesetzte  Wunde  ist,  wenn  nicht  schwere 
Qranatverletzungen  und  besondere  Verunreinigungen  vor¬ 
liegen,  als  aseptisch  anzusehen.  Dies  geht  daraus  hervor,  dass 
viele  Wunden  einfach  bedeckt  mit  Qaze  vollständig  p.  pr.  int. 
heilen.  Ein  Ausstreichen  einer  frischen  Kriegswunde  mit  Jod¬ 
tinktur  ist  also  nicht  bloss  überflüssig,  sondern  höchst  schäd¬ 
lich  durch  die  dadurch  hervorgerufene  Reizung  und  es  kann 
vor  diesem  Vorgehen  nicht  dringend  genug  gewarnt  werden. 

Neuerdings  erheben  sich  immer  mehr  Stimmen  gegen  die  allge¬ 
meine  Anwendung  der  Jodtinktur.  Schönwerth1)  erwähnt  bei 
Besprechung  der  Versorgung  der  Schussfrakturen  die  Desinfektion 
der  Wundumgebung  mit  Jod  gar  nicht;  bloss  im  Kapitel  über  die 
Desinfektion  des  Operationsgebietes  führt  er  nach  ausführlicher  Be¬ 
schreibung  der  bisherigen  Methoden  ganz  kurz  „Bestreichen  der  Haut 
in  weiter  Umgebung  mit  Tct.  Jodi“  an.  Graser2)  sagt  in  seinen 
sehr  beachtenswerten  „Grundsätzen“,  die  mir  ganz  zufällig  hier  zu 
Gesicht  kamen,  bei  Besprechung  des  Verbandes  Ziff.  7:  „Eine  voraus¬ 
gehende  Desinfektion  der  Umgebung  (Jodtinktur)  erscheint  nicht 
notwendig“.  Auch  der  Armeearzt  der  6.  Armee,  Herr  Obergeneral¬ 
arzt  Dr  Re  h,  will  in  seinen  vortrefflichen  Ratschlägen  für  Wund¬ 
behandlung,  die  für  die  im  Felde  tätigen  Sanitätsoffiziere  hinausge¬ 
geben  wurden,  bloss  die  verdünnte  Jodtinktur  angewendet  wissen, 
indem  er  sagt:  „Die  Umgebung  der  Wunden  kann  mit  verdünnter 
Jodtinktur  gepinselt  werden.“ 

Ich  stehe  nun  nicht  auf  dem  Standpunkt,  dass  Jodtinktur 
überhaupt  nicht  anzuwenden  ist.  Schon  im  Eingang  habe  ich 
bemerkt,  dass  man  mit  einem  Jodanstrich  am  schnellsten  eine 
genügende  Desinfektion  der  Haut  erzielen  kann.  Man  soll  sie 
aber  mit  äusserster  Vorsicht  anwenden,  sie  höchstens  in 
5  proz.  Konzentration  nehmen  und  sie  bloss  einmal  auftragen, 
ein  öfteres  Aufträgen  ist  unnötig  und  schädlich.  Stärkere 
Grade  als  5  Proz.  sind  sicher  zu  vermeiden,  da  die  Gefahr 
einer  Dermatitis  nahe  liegt  und  dadurch  grosser  Schaden  für 
die  Wundheilung  angerichtet  werden  kann.  Stärkere  Grade 
und  öfteres  Aufträgen  gerben  die  Haut  leicht,  so  dass  sie 
schwerer  zu  durchschneiden  und  zu  durchstechen  ist. 

Man  soll  auch  stets  dafür  sorgen,  dass  die  Konzentration 
sich  nicht  ändert.  Das  Stehenlassen  der  Tinktur  in  offenen 
Schalen  ist  wegen  der  schnellen  Verdunstung  ganz  zu  ver¬ 
meiden.  Am  besten  ist  es,  mit  kleinen  Wattetupfern,  die  ähn¬ 
lich  den  ohrenärztlichen  Tupfern  um  einen  kleinen  Holzstah 
oder  ähnliches  gedreht  sind,  in  die  Flasche  zu  tauchen  und 
letztere  sogleich  wieder  zu  verschliessen,  oder  Pinsel  zu  ver¬ 
wenden,  die  am  Stöpsel  angebracht  sind. 

In  frische  Wunden  aber  Jodtinktur  zu 
bringen,  ist  vollständig  zu  vermeiden.  Höch¬ 
stens  kann  sie  später  bei  Verjauchung  oder  zur  schnelleren 
Abstossung  von  nekrotischen  Gewebsteilen  beschränkte  An¬ 
wendung  finden. 

Zur  Technik  des  ersten  Wundverbandes  im  Felde. 

Von  Prof.  Dr.  Oberst  (Freiburg  i.  Br.),  Stabsarzt  d.  R.  beim 
2.  Feldlazarett  II.  bayer.  Armeekorps. 

Die  Verbandtechnik  bei  den  kleinen  Schusswunden  durch 
Infanteriegeschosse  oder  Schrapnellkugeln  dürfte  wohl  kaum 
Schwierigkeiten  bereiten.  Der  Okklusionsverband  mit  asep¬ 
tischer  oder  antiseptischer  Gaze  ohne  Berührung  der  Wunde 
und  ohne  Desinfektion  der  Haut  genügt  im  allgemeinen  den 
Anforderungen,  die  billigerweise  im  Kriege  gestellt  werden 
können.  Die  Erfolge  dieser  Wundversorgung  sind  als  recht 
zufriedenstellend  zu  bezeichnen.  Der  von  der  Hand  des  Ver¬ 
wundeten  oder  seiner  Kameraden  mit  Hilfe  der  Verband¬ 
päckchen  angelegte  Verband  wird  meistens  als  Notverband 
betrachtet  werden  müssen,  da  er  an  vielen  Körperstellen  nicht 


1)  Schönwerth:  Vademecum  des  Feldarztes.  München  1914. 
S.  3  und  51. 

■)  Graser:  Einige  wichtige  Grundsätze  zur  Behandlung  der 
Schusswunden.  M.m.W.  1914  Nr.  36.  Feldärztl.  Beil.  Nr.  5,  S.  43. 


fest  genug  sitzt  und  die  Bedeckung  der  Wunde  ungenügend 
wird.  Ist  die  Blutung  nach  aussen  nur  gering  und  trocknet 
das  ausgetreten«  Blut  ein,  dann  klebt  allerdings  das  Verband¬ 
päckchen  fest  und  bleibt  nun  am  besten  definitiv,  d.  h.  für  die 
ersten  Tage  liegen.  Dieses  Festkleben  der  Verbandstoffe  an 
die  Wunde  und  ihrer  nächsten  Umgebung,  sei  es  nun  mit  Blut 
oder  einem  anderen  Klebemittel,  stellt  ein  Prinzip  dar,  das  vor 
dem  Bindenverband  ganz  entschiedene  Vorzüge  hat. 

v.  Oettingen  hat  sich  durch  Einführen  des  Mastisol- 
verbandes  ein  Verdienst  erworben. 

Wenn  wir  so  mit  der  Versorgung  kleiner  Wunden  im 
Felde  recht  gut  bestellt  sind  und  die  Heilresultate  als  vor¬ 
zügliche  bezeichnet  werden  können,  so  macht  uns  die  erste 
Behandlung  der  grossen  Wunden,  also  in  erster  Linie  Granat¬ 
splitterverletzungen,  nicht  unerhebliche  Schwierigkeiten.  Wenn 
wir  die  kleinen  Wunden  der  Infanteriegeschosse  praktisch  als 
nicht  infizierte  Verletzungen  ansehen  dürfen,  so  müssen  wir 
diese  grossen  Rissquetschwunden  unbedingt  als  infizierte 
Wunden  betrachten.  Ein  Ausspiilen  solcher  Wunden  mit  anti¬ 
septischen  Lösungen  im  Felde  muss  als  zweckwidrig  be¬ 
zeichnet  werden,  wie  wir  ja  auch  in  der  Friedenspraxis  — 
von  Ausnahmen  abgesehen  —  ein  Spülen  unterlassen.  Auch 
das  Einstreuen  von  antiseptischen  Wundpulvern  hat  sich  nicht 
bewährt  oder  hat  sich  als  zu  gefährlich  —  Jodoformvergif¬ 
tung  —  erwiesen.  Ebenso  dürfte  das  Eingiessen  oder  Aus¬ 
pinseln  von  grossen  Wunden  mit  Jodtinktur  nicht  ratsam  sein. 
Ueber  das  von  v.  Oettingen  empfohlene  Einlegen  von 
Kollargoltabletten  in  solche  Wunden  fehlt  mir  die  Erfahrung. 

Dagegen  habe  ich  sofort  ein  Mittel,  das  sich  mir  in  der 
Friedenspraxis  bei  allen  als  infiziert  zu  betrachtenden  oder 
infektionsverdächtigen  Wunden  ausserordentlich  bewährt  hat, 
auf  die  Kriegspraxis  übertragen,  das  ist  der  Perubalsam.  Der 
Perubalsam  hat  schon  seit  langem  in  der  Wundbehandlung 
eine  Rolle  gespielt,  er  war  aber  nie  Allgemeingut  der  Aerzte 
geworden.  Erst  Stokum  empfahl  ihn  wieder  und  berichtete 
über  glänzende  Resultate  bei  der  Behandlung  von  kompli¬ 
zierten  Frakturen.  Schloffer  konnte  bei  seinen  Unter¬ 
suchungen  die  gute  Wirkung  des  Perubalsams  bestätigen.  Ich 
habe  durch  König  (Freiburger  Doktordissert.)  in  grossem 
Massstabe  die  Angaben  der  genannten  Autoren  nachprüfen 
lassen  und  kam  zu  dem  Ergebnis,  dass  wir  in  dem'  Peru¬ 
balsam  ein  unschädliches  Mittel  besitzen,  das  bei  frühzeitiger 
und  richtiger  Anwendung  in  der  Regel  imstande  ist,  eir.e 
Wundinfektion  zu  verhüten.  Die  Befürchtung,  dass  durch  die 
Resorption  der  im  Perubalsam  enthaltenen  reizenden  Stoffe 
(Zimtsäure  etc.)  eine  Nierenschädigung  hervorgerufen  werden 
könnte,  hat  sich  nach  den  Untersuchung  von  Schloffer  und 
König  nicht  bestätigt.  Die  Wirkung  des  Perubalsams  dürfen 
wir  auch  nicht  der  eines  Antiseptikum  gleichstellen.  Der 
Perubalsam  wirkt  in  erster  Linie  physikalisch;  die  harzigen 
Stoffe  durchdringen  alle  in  ihrer  Ernährung  geschädigten  und 
bereits  abgestorbenen  Teile  und  verhüten  dadurch  Fäulnis  und 
Zersetzung  und  entziehen  so  den  Bakterien  den  ihnen  so 
günstigen  Nährboden. 

Die  Anwendung  des  Balsams  ist  die  denkbar  einfachste. 
Bei  oberflächlich  und  gut  klaffenden  Wunden  giessen  wir 
direkt  aus  einer  Flasche  einige  Tropfen  oder  Kubikzentimeter 
der  dicken  Flüssigkeit  auf  alle  Teile  der  Wunde  und  legen 
locker  Gaze  auf.  Sind  Taschen  und  Höhlen  vorhanden,  oder 
klafft  die  Wunde  nicht  genügend,  so  ziehen  wir  die  Ränder 
schonend  mit  Haken  auseinander  und  suchen  den  Balsam  in 
alle  Taschen,  Buchten,  Gelenkhöhlen  etc.  zu  bringen.  Dann 
wird  die  Wunde  locker  austamponiert.  Nähte  sind  natürlich 
verboten.  Die  Wunde  bleibt  offen.  Dieses  Verfahren  hat  sich 
mir  im  Frieden  ausserordentlich  gut  bewährt.  Nicht  nur  die 
Quetschwunden  der  Finger  und  Hand,  wie  sie  im  Frieden 
nach  Maschinenverletzung  so  häufig  Vorkommen,  sondern 
auch  komplizierte  Knochenbrüche  und  Verletzungen  grosser 
Gelenke  heilten  überraschend  gut.  Der  poliklinische  Betrieb 
konnte  nach  Einführung  des  Balsams  vollkommen  umgestaltct 
und  vereinfacht  werden.  Denn  es  traten  nicht  nur  keine  Ent¬ 
zündungen  mehr  auf,  sondern  solche  Perubalsamverbände 
konnten  viele  Tage,  ja  ein  bis  zwei  Wochen  liegen  bleiben, 
während  unterdessen  die  Heilung  normal  voranging  und  eine 
Wundsekretion  so  gut  wie  ganz  unterblieb. 


I.  Dezember  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  mcd.  Wochenschrift. 


Ich  habe  nach  diesen  guten  Erfahrungen  des  Friedens  den 
3crubalsam  auch  im  Kriege  angewandt.  Wir  haben  nicht  nur 
Veichteilwunden  damit  beschickt,  sondern  ihn  auch  bei  koni- 
üizierten  Knochenbrüchen  und  Gelenkeröffnungen  verwendet. 
\Vir  haben  auch  nicht  gezögert  bei  Schädelstreifschüssen  — 
■rakturprellschüsse  und  Furchenschüsse — nach  Entfernung  der 
''Plitter  und  genügender  Freilegung  den  Perubalsam  direkt  auf 
las  verletzte  Gehirn  zu  giessen.  Soweit  wir  die  so  be- 
landelten  Fälle  verfolgen  konnten,  waren  die  Resultate  gut; 
insbesondere  glaube  ich,  dass  gerade  bei  Gehirnverletzung  die 
mtziindung  der  weichen  Hirnhäute  und  der  Hirnsubstanz 
■elbst  vermieden  werden  kann. 

Im  übrigen  wurde  nach  der  Anwendung  des  Perubalsams 
lie  Wunde  immer  offen  gelassen  und  zuerst  eine  Lage  Ver- 
>andstoff  mit  Hilfe  von  Mastix  und  Stücken  von  Cambric- 
;inden  befestigt.  Darüber  kam  dann  nach  Bedarf  ein  auf- 
augendes  Verbandkissen,  das  mit  Binden  oder  Tüchern  be- 
estigt  wurde. 

Je  früher  der  Perubalsam  angewendet  werden  kann,  je 
icherer  ist  seine  Wirkung.  Wir  haben  aber  auch  Wunden, 
lie  schon  älter  waren  und  wo  abgestorbene  verfärbte  Muskel¬ 
eile  Vorlagen,  gerne  mit  dem  Balsam  imprägniert  und  ver- 
prachen  uns  hier  eine  sekretionshemmende  und  desodorierende 
Virkung.  S  t  o  k  u  m  hatte  seinerzeit  vorgeschlagen,  dem 
Verbandpäckchen  der  Soldaten  eine  kleine  Tube  mit  Peru- 
alsam  beizufügen  und;  wenn  ich  nicht  irre,  ist  dieser  Vorschlag 
ei  der  holländischen  Armee  auch  verwirklicht  worden.  Der 
Vorschlag  ist  jedenfalls  beachtenswert  und  wird  sicherlich 
uch  beim  Notverband  gutes  stiften.  Wichtiger  ist  indes,  dass 
ei  der  ersten  ärztlichen  Versorgung,  die  ja  bei  uns  in  der 
Jegel  recht  frühzeitig  einsetzt,  Perubalsam  zur  Hand  ist.  Und 
a  trifft  es  sich  günstig,  dass  sowohl  in  der  Sanitätsausrüstung 
er  Sanitätskompagnien  ein  wenn  auch  nicht  grosser,  so  doch 
ei  den  Feldlazaretten  ein  reichlicher  Vorrat  (2600  g)  dieses 
orzüglichen  Mittels  vorhanden  ist.  Wenn  auch  die  Mitführung 
es  Perubalsams  zu  ganz  anderen  Zwecken  geschah,  so  kommt 
ie  uns  bei  der  Wundbehandlung  nun  ausserordentlich  zu- 
tatten. 

Zum  Schlüsse  möchte  ich  noch  erwähnen,  dass  Peru- 
alsam  vielfach  gefälscht  wird  und  nur  der  echte  natürliche 
ialsam  die  heilsame  Wirkung  entfaltet. 


Fraktionierter“  Gipsverband  bei  Schussfrakturen  des 
Oberschenkels  und  Schenkelhalses. 

on  Prof.  Dr.  R  i  1 1  e  r,  Stabsarzt  beim,  Feldlazarett  6,  V.*  Korps. 

Von  allen  Schussfrakturen  sind  die  des  Oberschenkels 
ie  einzigen,  bei  denen  die  Anlegung  eines  Gipsverbandes  im 
elde  grosse  Schwierigkeiten  bereiten  kann.  Lagerungs- 
pparate,  die  freies  Arbeiten  am  Körper  und  zugleich  ge- 
ügenden  Zug  und  Gegenzug  gewährleisten,  fehlen  auch  in 
en  Feldlazaretten  und  lassen  sich  in  genügender  Weise  auch 
icht  leicht  improvisieren.  Die  Esmarchsche  Lagerung  ist 
ir  Verletzten  wie  Haltenden  sehr  beschwerlich  und  unzu- 
Mchend.  * 

Da  ich  überall  Klagen  und  Fragen  in  dieser  Richtung  be- 
egnet  bin,  ist  vielleicht  die  Mitteilung,  wie  wir  uns  geholfen 
aben,  manchem  im  Felde  Arbeitenden  nicht  ganz  ohne  Wert. 

Wir  haben  „fraktioniert“  eingegipst  und  zwar  zuerst  in 
arizontaler,  dann  in  vertikaler  Lage  des  Beins.  Zunächst 
ird  der  Verletzte  auf  den  Tisch  gelegt.  Ein  Wärter  fasst  das 
ein  und  hebt  es  unter  starkem  Zug  so  hoch,  dass  man  be- 
aem  einen  Gipsverband  um  Knie  und  Oberschenkel  bis  zum 
amm  anlegen  kann.  Gegenzug  am  Becken  ist  in  der  Regel 
cht  nötig,  natürlich  aber  leicht  herzustellen. 

Nun  wartet  man,  bis  der  Gips  hart  geworden  ist. 

Dann  wechselt  man  die  Lage  des  Verletzten.  Mitsamt 
am  Tuch,  auf  dem  er  liegt,  wird  er  an  den  Rand  des  Tisches 
azogen.^  Vorsichtig  fasst  er  mit  dem  gesunden  Bein  auf  dem 
öden  Fuss  und  stellt  sich  gerade  hin,  wobei  er  von  zwei 
artern  unterstützt  wird.  Das  verletzte  Bein  hängt  dabei 
icht  abduziert  herunter.  Schnell  wird  jetzt  der  Gipsverband 
treh  Umfassung  von  Becken  und  Hüfte  vollendet,  was  bei 
nwendung  von  Schusterspahn  sehr  beschleunigt  werden 

Hl  I 


2.121 


Nach  meinen  Erfahrungen  kommt  man  mit  einem  Gips¬ 
verband,  der  unterhalb  des  Knies  abschliesst,  aus,  wenn  man 
nur  ordentlich  ober-  und  unterhalb  des  Knies  ihn  anmodelliert. 
Auch  im  Frieden  habe  ich  mich  mit  diesem  Verbände  bei  Ober- 
schenkelschaftbrüchen  ebenso  wie  bei  Koxitis  begnügt  und 
den  Patienten  später  darauf  herumgehen  lassen.  Die  Kondylen 
des  Ober-  und  Unterschenkels  bieten  genügend  Halt.  Bei 
stärkerer  Rotation  des  unteren  Fragments  ist  ein  Gipsverband, 
der  den  Fuss  mitnimmt,  natürlich  erforderlich. 

In  einfacher  Weise  kann  man  im  Stehen  auch  einen 
üegenzug  anwenden,  indem  man  einen  mit  Watte  umwickelten 
Stab  (Ledergurt,  Handtuch)  am  Damm  anbringt,  dessen  Enden 
mit  einem  kleinen  Flaschenzug  verbunden  sind,  der  über  eine 
an  der  Decke  befestigten  Rolle  läuft. 

Seit  wir  uns  des  vorstehenden  Verfahrens  bedienen, 
haben  wir  keine  Schwierigkeit  mehr  beim  Anlegen  des  Gips¬ 
verbandes.  Vor  allem  ist  er  so  verhältnismässig  schmerzlos. 
Hält  man  Narkose  wegen  des  Allgemeinzustandes  doch  für 
ratsam,  so  kann  man  das  Verfahren  auch  dann  sehr  gut  an¬ 
wenden.  Man  wartet  nur  mit  dem  Aufstellen  des  Patienten 
so  lange,  bis  die  Narkose  im  Abflauen  ist.  Wir  haben  so  in 
2  Fällen  auch  in  Narkose  eingegipst.  Zahlreiche  Kollegen 
haben  das  Verfahren  bei  uns  gesehen  und  wenden  es  seitdem 
ebenfalls  an. 


Ueber  die  Behandlung  von  Armbrüchen  nach  Dr.  Wildt, 

Andernach*). 

Von  Oberstabsarzt  Dr.  Lambert z,  Garnisonarzt  der  Festung 

Köln. 

Unter  den  Verletzungen  des  gegenwärtigen  Krieges 
spielen  die  Knochenbrüche  der  oberen  Extremität  (Ober-  und 
Unterarmbrüche  mit  und  ohne  Schussverletzung)  eine  grosse 
Rolle.  Ihre  Zahl  ist  eine  auffallend  grosse;  von  der  richtigen 
Stellung  der  Knochenenden  zu  einander  im  Streckverband 
hängt  es  ab,  ob  der  Verwundete  in  kurzer  Zeit  für  den  ferneren 
Verlauf  des  Krieges  noch  in  Betracht  kommt  oder  gänzlich 
ausschaltet. 

Die  idealste  Behandlungsmethode  von  Knochenbrüchen 
stellt  wohl  die  Bardenheuer  sehe  (von  Grässner 
mustergültig  beschriebene)  Extensionsmethode  dar.  Leider  ist 
die  Bardenheuer  sehe  Schiene  zu  kostspielig  (65 — 70  M. 
pro  Stück)  und  deren  Handhabung  zu  kompliziert,  um  bei 
Massenverletzungen  im  Felde  in  Frage  zu  kommen.  Vielfach 
befindet  man  sich  den  Armbrüchen  gegenüber  in  einer  ge¬ 
wissen  Verlegenheit.  Nun  hat  der  Andernacher  Chirurge 
Dr.  Wildt  eine  Extensionsschiene  konstruiert,  deren  Hand¬ 
habung  eine  so  verblüffend  einfache  ist,  und  welche  eine  so 
ideale  Stellung  der  Knochenenden  garantiert,  dass  es  ein 
aktuelles  Interesse  haben  dürfte,  eine  kurze  Beschreibung 
dieses  Verfahrens  möglichst  umgehend  weiteren  Aerztekreisen 
bekannt  zu  geben. 

Das  Eigenartige  der  Wildt  sehen  Verbände  ist  das  An¬ 
bringen  von  Zug  und  Gegenzug  am  Glied  selber,  in  der  Längs¬ 
richtung  des  verletzten  Gliedes  mit  Verzicht  auf  jeden  anderen 
Gegenhalt,  den  Bardenheuer  beim  Oberarm  am  Brust¬ 
korb  sucht  (Schulterklappe  und  Riemen  um  die  gesunde 
Achsel),  beim  Unterarm  an  der  Vorderseite  des  Oberarmes. 

Ausser  dem  nach  unten  gehenden  eigentlichen  Extensions¬ 
zug  wird  ein  Gegenzug  an  demselben  Gliedabschnitt  be¬ 
festigt,  letzterer  geht  nach  oben,  überragt  also  bei  Oberarm¬ 
brüchen  die  Schulter,  bei  Unterarmbrüchen  den  Ellbogen.  Zug 
und  Gegenzug  werden  zwischen  den  Enden  einer  oben  und 
unten  stumpfwinklig  abgebogenen  Schiene  aus  verzinktem 
Bandeisen  angespannt.  Das  Glied  ist  alsdann  ausgespannt  in 
der  Schiene  wie  die  Sehne  im  Pfeilbogen;  enthält  es  eine  nach¬ 
giebige  Stelle,  einen  Knochenbruch,  so  tritt  eine  Dehnung,  eine 
Extension  ein. 

Nach  dieser  kurzen  Erklärung  werden  die  beigelegten 
Skizzen  ohne  weiteres  verständlich  sein. 

Bei  einem  Bruch  des  Oberarmes  wird  man  folgender- 
massen  vergehen:  Der  Arm  wird  im  Ellbogengelenk  rechtwinklig  ge¬ 
beugt  und  etwas  vom  Brustkorb  abgehalten.  Je  ein  Streifen  Segel- 


*)  Nach  einem  am  16.  Oktober  in  einem  „Kriegsärztlichen  Abend“ 
in  Köln  gehaltenen  Vortrag. 


2322 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  48. 


tuchpilaster  (4  cm  breit.  Yiilnoplastgesellschaft,  Bonn)  wird  der  Länge 
nach  an  der  Innen-  und  Aussenseite  des  Oberarmes  so  angelegt,  dass 

die  Enden  dieser  Streifen  etwa 
40  cm  über  den  Ellbogen  hinaus 
nach  unten  frei  in  der  Luft 
schweben.  Diese  freischweben¬ 
den  Teile  legt  man  (Pflaster¬ 
seite  gegen  Pflasterseite)  so 
um,  dass  sie  nur  noch  20  cm 
lang  sind,  dann  werden,  ober¬ 
halb  des  Ellbogengelenkes  an-  ] 
fangend,  durch  zirkuläre,  luft¬ 
durchlässige  Zinkkautschuk¬ 
pflasterstreifen  (4  cm  breit  der¬ 
selben  Gesellschaft)  die  Segel¬ 
tuchstreifen  befestigt.  Es  ist  zu  j 


sie  keinen  Halt  mehr  haben.  Da  die  Schiene  nicht  dem  Gliede  an¬ 
liegt  und  sich  durch  die  Schlitze  des  Bandeisens  auch  näher  und 
weiter  vom  Glied  entfernt  anlegen  lässt,  hat  man  Platz  für  Ver¬ 
bandstoffe.  so  dass  die  Wundbehandlung  sich  von  der  auch  sonst 
üblichen  nicht  unterscheidet.  Zum  Schlüsse  des  Verbandes  wird  Glied 
und  Schiene  mit  einer  Mullbinde  lose  umwickelt. 

Dass  auch  die  Abhebelung  nach  Barden  heuer  - Grässner 
zwecks  Ablenkung  der  Fragmente  durch  Gummizug  um  Schiene  und 
Arm  bzw.  durch  Polster  zwischen  Schiene  und  Glied  leicht  bewerk¬ 
stelligt  werden  kann,  ist  ohne  weiteres  ersichtlich  aus  Fig.  7. 

Die  Schiene  Wildts  wird  von  der  Firma  Esch  bäum 
(Filiale  Köln,  Passage)  mit  sämtlichen  zum  Verbände  erforder¬ 
lichen  Zutaten  zum  Preise  von  6  M.  versandt;  sie  nimmt  kaum 
Platz  ein  und  ist  immer  wieder  für  weitere  Verbände  benutz¬ 
bar.  Bei  einiger  Uebung  ist  der  Streckverband  in  wenigen 


Fig.  5. 


Fig.  2. 


Fig.  7. 


Fig.  6. 


Fig.  3. 


beachten,  dass  die  Zirkularstreifen  nicht  fortlaufend  nach  obeu  in 
einer  Tour  angelegt  werden,  sondern  nach  jeder  Tour  durch¬ 
schnitten  werden,  um  Schnürungen  zu  vermeiden.  Hiermit  ist  der 
eigentliche  Extensionszug  angebracht  (Fig.  1). 

Der  Gegenzug  wird  angelegt,  an  der  Vorder-  und  Rückseite,  er 
beginnt  am  Ellbogen  und  überragt  die  Schulter  genau  so  wie  der 
Extensionszug  den  Ellbogen.  Auch  er  wird  sodann  durch  zirkuläre 
Streifen  befestigt  (Fig.  2). 

Nunmehr  geht  das  Anlegen  der  Schiene  und  Anspannen  der 
Segeltuchstreifen  vor  sich.  Die  Streifenenden  werden  oben  und  unten 
in  die  an  der  Schiene  angebrachten  Schnallen  eingeführt  und  syste¬ 
matisch  so  weit  angezogen,  bis  sich  die  Schiene  etwas  biegt;  der 
erreichte  Zug  ist  ziemlich  gross  (erreicht  bis  10  kg).  Täglich  wer¬ 
den  nun  die  Streifen  etwas  nachgezogen  und  bei  Bedarf  die  Schiene 
nach  Lockerung  einer  Flügelschraube  gedreht  (Fig.  3). 

Am  Vorderarm  wird  ganz  analog  verfahren;  der  Ellbogen 
wird  rechtwinklig  gebeugt,  der  Vorderarm  supiniert.  Die  handwärts 
gehenden  Streifen  liegen  an  der  Beuge-  und  Rückseite;  die  ellbogen- 
wärts  gehenden  Streifen  an  der  Speichen-  und  Ellenkante  des  Vorder¬ 
arms.  Die  Streifenenden  werden  in  derselben  Weise  lang  gelassen 
und  urngeschlagen  wie  am  Oberarm  beschrieben  (siehe  Skizze  4,  5 
und  6). 

ist  der  Verband  fertig,  so  liegt  bei  Oberarmbrüchen  die  Schiene 
zumeist  an  der  Aussenseite,  bei  Vorderarmbrüchen  an  der  Rückseite 
des  supinierten  Gliedes. 

Bei  komplizierten  Brüchen  umgeht  man  die  Wunde, 
indem  man  die  Streifen  etwas  schräg  anlegt,  die  zirkuläre  Befestigung 
nach  Möglichkeit  durchführt,  an  den  Rändern  der  (selbstverständlich) 
freibleibenden  Wunden  die  Befestigung  verstärkt  durch  schräg¬ 
laufende,  X-förmig  gelegte  Streifen  dünnen  Heftpflasters.  Auch  bei 
grossen  Wunden  (bis  15  cm  Länge  und  8  cm  Breite)  lässt  sich  die 
Extension  durchführen.  Bei  stark  sezernierenden  Wunden  muss  der 
Verband  ev.  hin  und  wieder  erneuert  werden;  meist  kann  er  2  Wochen 
liegen,  bis  die  Längsstreifen  sich  so  weit  verschoben  haben,  dass 


Minuten  zu  machen.  Ein  nicht  gering  zu  veranschlagender 
Vorzug  des  beschriebenen  Verbandes  ist  darin  zu  sehen,  dass 
die  Verwundeten  sich  sehr  bald  an  denselben  gewöhnen  und 
nicht  einen  Augenblick  bettlägerig  sind. 

Wird  Arm  und  Binde  durch  ein  dreieckiges  Tuch  ge¬ 
halten,  so  kann  der  Verletzte  sich  frei  bewegen  und  den  Ver¬ 
hältnissen  entsprechend  betätigen. 


Kurze  Mitteilung  über  Wundstarrkrampffälle  und  ihre 
Behandlung  im  Reservelazarett  Münster  i.  W. 

Von  Dr.  S  i  e  m  o  n,  '  Gcneraloberarzt  und  Reservelazarett¬ 
direktor. 

Im  hiesigen  Reservelazarett  (Qarnisonlazarett)  und  den 
ihm  innerhalb  der  Stadt  angegliederten  Abteilungen  kämen! 
vom  1.  September  bis  13.  Oktober  1914  unter  ca.  1500  deut-i 
sehen  Verwundeten  26  Fälle  =  1,66  Proz.  —  ungefähr  das 
Fünffache  des  Prozentverhältnisses  von  Tetanusfällen  auf  die; 
Zahl  der  Gesamtverwundungen  in  den  Kriegen  des  vorigen 
Jahrhunderts  — ,  unter  600  verwundeten  Franzosen  2  Fülle 
=  0,33  Proz.  von  Wundstarrkrampf  vor.  Letztere  traten  erst 
in  den  drei  letzten  Tagen  auf,  so  dass  es  völlig  rätselhaft  er¬ 
schien,  dass  nur  die  Deutschen  von  der  schrecklichen  Krank¬ 
heit  ergriffen  wurden.  Der  Verdacht,  dass  das  französische 
Kupfermantelgeschoss  mitbeschuldigt  werden  müsste,  war 
nicht  haltbar,  weil  es  sich  bei  mehr  als  der  Hälfte  um  .Granat¬ 
verletzungen,  vereinzelt  um  solche  durch  Schrapnellkugeln 
verursachte  handelte. 


Dezember  1914. _ Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


2323 


ln  allen  Fällen  King  die  Krankheit  von  Schussverletzungen 
er  Gliedmassen  aus  und  trat  zwischen  dem  3.  und  14.  Tage 
ich  der  Verwundung  auf. 

Abgesehen  von  wenigen  fast  verheilten,  durch  Infanterie- 
.schoss  hervorgerufenen  Wunden  mit  kleiner  Ein-  und  Aus- 
hussöffnung  handelt  es  sich  um  grössere  Muskelzerreissungen 
id  Gelenkschüsse  mit  starker  Eiterung.  Aus  vielen  Wunden 
urden  Granatsplitter,  Strohreste  und  Tuchfetzen  unserer 
idgrauen  Uniform  entfernt. 

Nur  zweimal  gelang  es  unseren  Bakteriologen,  einmal  an 
nem  Tuchfetzen,  das  andere  Mal  im  Wundeiter  selber,  Te- 
nussporen  nachzuweisen.  Die  weiteren  bakteriologischen 
beiten,  wie  Impfung  von  Mäusen,  anaerobe  Weiterzüchtung 
c.,  die  naturgemäss  längere  Zeit  beanspruchen,  sind  im 
mge. 

Die  Behandlung  bestand  anfangs  nur  in  Einspritzungen 
in  I  etanusantitoxin  Höchst  teils  intralumbal,  teils  intravenös 
id  subkutan  und  zwar  in  der  Menge  von  50—100  A.E.,  die 
glich  wiederholt  wurden.  Doch  war  der  Erfolg  ein  sehr 
lilechter,  da  von  den  ersten  10  Fällen  nur  1  geheilt  wurde, 
zum  Tode  führten.  Ich  habe  daher,  zumal  Mangel  an  Te- 
nusantitoxin  Höchst  eintrat,  mit  Magnesiumsulfat  sub- 
tan  spritzen  lassen,  das  auf  die  Krämpfe  einen  sichtbaren 
ldernden  Einfluss  ausübte,  ohne  dass  Kalziumchlorid  zur  An¬ 
endung  gebracht  werden  musste. 

Seit  dem  1.  Oktober  ist  die  Behandlung  eine  gemischte 
worden,  deren  lechnik,  wie  sie  sich  allmählich  entwickelt 
t,  ich  kurz  angebe: 

Sofort  nach  dem  Eintreten  der  ersten  Erscheinungen 
0  A.E.  Tetanusheilserum  Behring  (4  fach  flüssiges  Tetanus- 
lilserum,  4  A.E.  in  1  ccm)  in  möglichster  Nähe  der  Verletzung 
:bkutan;  falls  die  Injektion  in  der  Nähe  der  Wunde  nicht  gut 
:  sfiihrbar  ist,  subkutan  in  der  M  o  h  r  e  n  h  e  i  m  sehen  Grube, 
hnn  täglich  2  Injektionen  des  sterilen  Magnesiumsulfates  R.E. 

10  ccm  (10  ccm  entsprechen  4  g  MgSCL)  bzw.  3X  10  ccm 
ner  25  proz.  Magnesiumsulfatlösung.  Alle  Injektionen  sub- 
itan  am  Oberarm  oder  Oberschenkel  oder  Brust.  Wenn  die 
iämpfe  nachlassen,  täglich  nur  die  halbe  Menge  der  ange- 
ibenen  Injektionen.  Ferner  täglich  gewöhnlich  abends  ein 
üsses  Bad  von  40°  20  Minuten,  danach  Bestrahlen  mit  der 
bhensonne:  Am  1.  Tage  50  cm  Abstand  5  Minuten  lang 
i  irinalerweise  die  höchste  Beleuchtungszeit).  Dabei  zeigt 
:  h,  dass  die  Patienten,  mit  Ausnahme  von  2  Fällen,  darunter 
tier  mit  leichtem  Wundstarrkrampf,  auch  nach  den  späteren 
I  gen  Bestrahlungen  keine  Rötung  oder  Brennen  der  Haut  auf- 
visen.  Am  2.  Tage  50  cm  Abstand  10  Minuten,  am  3.  Tage 
1  Minuten  lang  bei  50  ein  Abstand,  am  4.  Tage  für  Rücken 
id  vordere  Körperhälfte  je  20  Minuten  Beleuchtungszeit  bei 
i  cm-  Abstand.  Steigerung  der  E^estrahlung  bis  zur  halben 
'mde  für  jede  Körperhälfte.  Solange  die  Krämpfe  heftig  auf- 
t  ten  des  abends  zum  Schlafen  2  g  Chloralhydrat  als  Klysma. 

Im  übrigen  wurde  von  Chloroformnarkose  und  narkoti- 
nen  Mitteln,  insbesondere  von  häufigeren  Chloralgaben,  wie 
f  her,  kein  Gebrauch  mehr  gemacht.  Hierdurch  ist  ein  voll- 
•  nmener  Umschwung  in  der  Mortalität  eingetreten.  Während 
-  ersten  im  Garnisonlazarett  befindlichen  6  Kranken 
'ntlich  zugrunde  gingen,  ist  dort  seit  dem  1.  Oktober  bis 
ite,  den  17.  Oktober  nur  einer  gestorben.  3  Fälle  sind  als 
Heilt  zu  betrachten,  die  übrigen  8  befinden  sich  auf  dem 
Uge  der  Besserung. 

Ich  brauche  kaum  zu  erwähnen,  dass  die  örtliche  Be- 
ndlung:  gründliche  Reinigung  des  Infektionsherdes  mit 
"X  chirurgische  Operationen:  Ausräumung  der  Wunden, 
hputationen  von  Fingern,  Zehen,  bei  grösseren  Zerschmette¬ 
ren  Amputationen  grösserer  Glieder,  die  auch  sonst  not- 
■’ndig  gewesen  wären,  nicht  verabsäumt  wurde. 

Um  überall  rechtzeitig  —  soweit  es  bei  dem  späten  Auf- 
'ten  der  Krankheit  nach  Beginn  der  Infektion  möglich  ist  — 

1  hgemässe  Behandlung  einzuführen,  habe  ich  sämtliche  mir 
i  erstellten  13  hiesigen  und  15  auswärtigen  für  Verwundete 
stimmten  Lazarette  auf  die  Gefahren  des  Tetanus  und  die 
^  der  sofortigen  Behandlung  aufmerksam  gemacht. 

Angeregt  durch  Herrn  Prof.  A  n  s  c  h  ii  t  z  -  Kiel,  dem  ich 
\  seiner  hiesigen  Anwesenheit  am  30.  September  meine 
vgen  über  die  wachsende  Zahl  der  Tetanuskranken  und  die 


bis  dahin  fast  ausschliesslich  eintretende  Mortalität  klagte, 
möchte  ich  den  Versuch  machen,  durch  einen  Fragebogen,  der 
die  Angaben  der  Verwundeten  in  der  unten  angegebenen  Form 
enthält,  festzustellcn,  wo  die  Infektion  stattgefunden  hat,  um 
durch  Ermittelung  des  Ortes  und  der  auf  dem  Transport  usw. 
möglichen  Gelegenheitsursachen  vielleicht  die  Zahl  der  Neu¬ 
erkrankungen  zu  beschränken.  Auch  dürfte  eine  gleichinässige 
Ausfüllung  der  Krankenblätter  eine  spätere  wissenschaftliche 
Verwertung  erleichtern. 

Es  ist  wohl  zweifellos,  dass  die  Infektion 

1.  zunächst  an  Ort  und  Stelle  unmittelbar  nach  der  Verwundung 
durch  Verunreinigung  mit  Erde  und  Schmutz  eingetreten  ist. 

Die  gehäuften  Fälle  lassen  aber  die  Annahme  zu,  dass 

2.  vielleicht  auch  später  in  den  Feld-  oder  Kriegslazaretten  eine 
Uebertragung  stattgefunden  hat,  oder  dass 

.3-  die  Eisenbahnwagen,  meist  mit  Strohschüttung  versehen  oder 
e*nzclnen  Fällen  —  nach  Angabe  der  Verwundeten  —  vorher  zum 
1  ferdetransport  benutzt,  ein  Herd  nachträglicher  Ansteckung  sein 
können.  Es  ist  daher  bereits  durch  das  hiesige  Sanitätsamt  auf 
eine  peinliche  Desinfektion  der  Wagen  an  massgebender  Stelle  ge¬ 
drungen  worden.  Eine  Infektion  während  des  Transportes  erscheint 
allerdings  nur  möglich  bei  schlecht  sitzenden  Verbänden.  Indessen 
haben  wir  leider  die  Beobachtung  gemacht,  dass  der  Abschluss  viel¬ 
fach  mangelhaft  war. 

4.  Beruht  die  letzte  Möglichkeit  auf  einer  Hausinfektion  der 
Krankenanstalten.  Diese  kann  ich  durch  die  getroffenen  Massregeln 
der  Isc'lierung  der  Kranken,  abgesonderte  Wundversorgung  und  vor 
allem  dadurch  ausschliessen,  dass  fast  alle  Kranken  unmittelbar  nach 
der  Einlieferung  oder  bis  zu  2  Tagen  nach  derselben  erkrankten,  eine 
Zeitspanne,  die  unterhalb  der  anerkannten  Inkubationsdauer  liegt. 

Ich  füge  die  Fragen,  die  in  den  Krankenblättern  beantwortet 
werden  sollen:  hinzu: 

1.  Name,  Dienstgrad,  Truppenteil. 

-•  Tag,  Monat,  Jahr,  Ort  der  Verwundung  zur  Feststellung,  in 
welcher  Gegend  Frankreichs  der  Boden  besonders  mit  Tetanusbazillen 
verseucht  ist. 

Hat  der  Verwundete  längere  Zeit  auf  der  Erde  gelegen? 

3.  Art  und  Sitz  der  Verwundung:  Gliedmassen,  Rumpf,  Körper¬ 
höhlen. 

4.  Wo  und  nach  welcher  Zeit  erfolgte  der  erste  Verband? 

5.  Wer  legte  den  ersten  Verband  an,  auf  welchem  Verbandplatz, 
Feldlazarett  usw. 

6.  Etwaige  Verunreinigung  der  Wunde  und  deren  Umgebung  und 
wodurch 

7.  Verletzung  grösserer  Gefässe,  Blutung. 

8.  Art  des  Transportes,  Lagerung:  War  der  Wagen  vorher  zu 
Viehtransporten  benutzt,  mit  Dünger  verunreinigt  oder  sehr  staubig. 

9.  Etwaige  Störungen  im  Wundverlauf  während  des  Transportes. 

10.  Verbandwechsel  während  des  Transportes,  wie  oft,  durch 
wen  erfolgt. 

11.  Befund  der  Wunde  bei  der  Aufnahme  in  das  Heimatlazarett. 

12.  Zeitpunkt  und  Art  des  Auftretens  des  Tetanus,  ob  am  ver¬ 
letzten  Glied  oder  mit  Trismus  beginnend. 

13.  Behandlung  des  Tetanus,  ev.  bei  verunreinigten  Wunden  pro¬ 
phylaktisch. 

14.  Ergebnis  der  bakteriologischen  Untersuchung: 

a)  Direkter  Ausstrich. 

b)  Kultur  mit  Eiter,  Zeugfetzen,  Stroh,  Granatsplitter. 

c)  Ergebnis  der  Impfung  eines  Versuchstieres. 

15.  Ausgang  der  Erkrankung. 


■■■■■■■  iii  ■  n.  ■«  vxr: 

Aus  der  Universitäts-Kinderklinik  zu  Göttingen  (Direktor: 

Professor  Dr.  F.  G  ö  p  p  e  r  t). 

Indikationen  für  die  subkutane  Magnesiumsulfatbehand- 
lung  des  Tetanus  traumaticus. 

Von  Dr.  Walther  Usener,  Assistenten  der  Klinik. 

Gleichzeitig  mit  dem  zusammenfassenden  und  kritischen 
Bericht  von  Stadler1)  über  die  Magnesiumsulfatbehandlung 
des  Tetanus  konnte  Mielke2)  aus  unserer  Klinik  eine  ein¬ 
schlägige  Beobachtung  mitteilen.  Von  den  Erfahrungen  über 
die  Wirkungsweise  des  Magnesiumsulfats,  die  wir  an  einem 
weiteren  Fall  sammeln  konnten,  soll  hier  berichtet  und  daraus 
die  Indikationsstellung  begründet  werden. 

Als  schwerste  Fälle  von  Tetanus  bezeichnen  wir  jene,  bei 
denen  die  kurze  Dauer  zwischen  Auftreten  der  tetanischen 
Symptome  und  Trauma  die  Tetanusvergiftung  zur  schwersten 
und  die  Prognose  absolut  infaust  gestaltet.  Chirurgische  Kli¬ 
niken  mit  bester  ärztlicher  Versorgung  mögen  berufen  sein, 
zu  erweisen,  ob  die  sehr  wirksame  aber  leider  sehr  gefährliche 

')  B.kl.W.  1914  Nr.  1  und  3. 

s)  Ther.  Mh.  1914  H.  4. 


2324 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


subduralc  Methode  Kochers  einen  Teil  dieser  Fälle  vor 
Komplikationen  und  vor  dem  letalen  Ausgang  retten  kann. 
Von  diesen  abgesehen  bleiben  neben  den  leichtverlaufenden 
ein  grosser  Teil  schwerer  Fälle,  bei  denen  die  Heftigkeit  der 
Entwicklung  des  Allgemeintetanus,  sein  Uebergreifen  auf  die 
Muskelgebiete,  die  zu  lebenswichtigen  Organtunktionen  (At¬ 
mung,  Schluckakt)  in  Beziehung  stehen  und  endlich  das  Auf¬ 
treten  schwerer  und  gehäufter  Krämpfe  zu  lebenbedrohen¬ 
den  Komplikationen  führt:  Konsumption,  Unernährbarkeit, 
Dyspnoe,  Unmöglichkeit  abzuhusten. 

Unsere  letzte  Beobachtung  bezieht  sich  auf  einen  8  jährigen 
Knaben,  die  Inkubationszeit  war  unbekannt,  die  Aufnahme  erfolgte 
am  sechsten  Krankheitstag  mit  ausgesprochenem  Bild  des  Allgemein¬ 
tetanus;  die  Symptome  steigerten  sich  in  weiteren  10  Tagen  unter 
zahlreichen  z.  T.  sehr  schweren  Krampfanfällen  zu  dem  bedroh¬ 
lichsten  Bild  der  Schluck-  und  Atemspasmen  und  klangen  dann  inner¬ 
halb  weiterer  vier  Wochen  langsam  ab. 

Wir  müssen  diesen  Fall  nach  seinem  Verlauf  zu  den 
schweren  rechnen  und  können  nach  dem  klinischen  und  ge- 
wissermassen  experimentellen  Erfolg  der  subkutanen  Ma¬ 
gnesiumsulfatbehandlung  erweisen,  dass  diese  Methode  eine 
wesentliche  Bereicherung  der  Tetanustherapie  bedeutet  und 
dass  die  Wirkung  derjenigen  der  bekannten  Narkotika  bei 
völliger  Ungefährlichkeit  überlegen  ist. 

Zu  diesem  Zweck  haben  wir  ausschliesslich  Magnesium¬ 
sulfat  verwendet.  Wir  sahen  in  tastenden  Vorversuchen,  dass 
die  von  Parker  und  M  i  e  1  k  e  angegebene  Einzeldosis 
von  0,17 — 0,2  pro  1  kg  Körpergewicht  eine  flüchtige,  im 
schweren  Stadium  ungenügende  Wirkung  ergab  und  konnten 
erst  durch  wiederholte  gleiche  Gaben  im  Intervall  von  2  (bis 
höchstens  2%)  Stunden  appliziert  einen  starken  Einfluss  auf 
die  Intensität  und  Ausdehnung  des  Allgemeintetanus  und  auf 
die  Zahl  und  Schwere  der  Anfälle  erzielen.  Den  erreichten 
Effekt  konnten  wir  nach  etwa  4 — 5  Dosen  in  2  stündlichem 
Intervall  durch  2 — 3  weitere  gleiche  Dosen  in  3 — 4  stündlichem 
Intervall  über  die  Nacht  auf  derselben  Höhe  erhalten.  Es  ge¬ 
lang  bei  dieser  Anwendungsart  unter  dem  lebenbedrohenden 
Zustand  der  Schluck-  und  Atemspasmen  mit  6 — 8  Dosen  am 
Tag  (d.  h.  30—40  g  =  ca.  1,2 — 1,6  pro  1  kg  Körpergewicht  am 
Tag)  Schlucken  und  Atmung  im  Laufe  des  Vormittags  erträg¬ 
lich  zu  gestalten,  Lebensgefahr  im  Anfall  abzuhalten,  die  Er¬ 
nährung  wesentlich  zu  erleichtern  und  die  Zahl  der  Anfälle  von 
33  (darunter  9  schweren  und  24  leichten)  auf  14  (darunter 
1  schwerer  und  13  leichte)  herabzudrücken.  Den  experimen¬ 
tellen  Vergleichswert  für  die  Wirkung  haben  wir  dadurch  ge¬ 
wonnen,  dass  wir  an  einem  3 — 4  Tage  vor  der  Höhe  der  Er¬ 
krankung  liegenden  Tage  die  Magnesiumtherapie  absichtlich 
ausgesetzt  haben.  Der  Effekt  mag  also  eher  höher  sein. 

Für  die  subkutane  Anwendung  hat  sich  uns  die  20  bis 
25  proz.  Lösung  als  beste,  wenigst  schmerzhafte  erwiesen. 

Besonders  hervorzuheben  ist,  dass  die  Applikation  nach 
Analogie  der  für  das  Salvarsan  von  Wechselmann  an¬ 
gegebenen  Methode  nicht  ins  subkutane  Fettgewebe,  sondern 
suprafaszial  erfolgen  muss,  da  sonst  Fettgewebsnekrosen  ent¬ 
stehen,  die  schmerzlos  sind,  also  wahrscheinlich  auch  die  Re¬ 
sorption  stören. 

Die  über  Dosierung  und  Methode  gemachte  Erfahrung 
konnte  an  einem  Kriegsverletzten  bestätigt  werden.  Es  ge¬ 
lang  in  diesem  ebenfalls  schweren  Fall  den  intensivsten  Tris¬ 
mus  und  Anfälle  spontaner  und  reflektorischer  Dyspnoe, 
welch  letztere  die  Sondenfütterung  zur  Unmöglichkeit  machte, 
völlig  zu  überwinden,  so  dass  der  Kranke  den  Kopf  heben,  den 
Mund  weit  öffnen  konnte  und  von  seiner  Dyspnoe  befreit  war. 
Als  Einzeldosis  wurde  0,15—0,16  pro  1  kg  Körpergewicht  ge¬ 
geben.  Als  Konzentration  erwies  sich  nach  Vorversuchen  mit 
25 — 40  proz.  Lösung  die  50  proz.  als  die  geeignetste.  Sie  war 
keinesfalls  schmerzhafter,  ebensogut  resorbierbar  und  hinter- 
liess  bei  allein  ca.  40  Injektionsstellen  an  Bauch  und  Brust 
keinerlei  nekrotisierenden  Prozess.  Es  liess  sich  mit  der 
Sicherheit  des  Experimentes  erweisen,  dass  eine  volle  Wirkung 
bei  3 — 4  in  2  stündlichem  Intervall  applizierten  Dosen  eintrat, 
dass  dagegen  bei  gleicher  Einzeldosis  in  3 — 3/4  stündlichem 
Intervall  eine  weit  geringere  Wirkung  erst  nach  4 — 5  In¬ 
jektionen  zustande  kam.  Es  spielt  also  für  schwere  Fälle  die 
Kumulation  des  Magnesiumsulfats  im  Körper  eine  Rolle.  Auch 
hier  konnte  der  nach  4  Dosen  erreichte  Effekt  durch  2  bis 


Nr.  48. 


3  Dosen  in  3  stündlichem  Intervall  für  Abend  und  Nacht  aui 
gleicher  Höhe  erhalten  werden. 

Neben  der  objektiven  war  stets  auch  eine  subjektiv  er¬ 
leichternde  Wirkung  vorhanden. 

Zusammenfassend  ist  zu  sagen: 

1.  für  die  IndikationsstelTung: 

Das  Magnesiumsulfat  ist,  subkutan  verwendet,  ein  aus¬ 
gezeichnetes,  die  tetanische  Uebererregbarkeit  und  die 
Krämpfe  herabsetzendes  Mittel.  Als  solches  ist  es  besonders 
berufen  zur  Bekämpfung  der  lebensgefährlichen  Schluck-  und 
Atemspasmen,  zur  Ueberwindung  der  Konsumptionsgefahr  und 
der  Asphyxie  und  zur  Herabsetzung  der  Zahl  und  Intensität 
der  Krämpfe. 

Als  symptomatisches  Mittel  rechtfertigt  es  nur  unter  be¬ 
sonders  günstig  gestalteten  klinischen  Verhältnissen  die  sehr 
gefährliche  intralumbale  Applikation,  deren  Wirkungsdauer 
eine  ebenfalls  beschränkte  ist. 

2.  für  die  Anwendungsmethode: 

Die  Anwendung  erfolgt  beim  Kind  in  20 — 25  proz.,  beim 
Erwachsenen  in  40 — 50  proz.  Lösung. 

Die  Injektionen  müssen  suprafaszial  gemacht  werden, 
am  besten  so,  dass  mit  einer  mit  Kochsalzlösung  beschickten 
Kanüle  auf  die  Faszie  eingegangen  wird,  nach  Probeinjektion 
die  Spritze  gewechselt,  Magnesium  eingespritzt  und  endlich 
unter  Nachspritzen  mit  Kochsalzlösung  aus  der  ersten  Spritze) 
zurückgezogen  wird. 

Die  Einzeldosis  beträgt  0,15 — 0,18 — 0,2  pro  1  kg  Körper¬ 
gewicht.  Bei  leichten  Fällen  können  schon  einzelne  Injektionen 
nützen,  wie  M  i  e  1  k  e  u.  a. 3)  gezeigt  haben.  Für  die  schweren 
Fälle  und  für  die  volle  Wirkungsentfaltung  des  Magnesium¬ 
sulfats  sind  aber  3 — 4  kumulierende,  in  2  stündlichem  Intervall 
gegebene  Dosen  erforderlich;  zur  Erhaltung  der  erreichten 
Wirkung  genügen  dann  noch  einige  gleiche  Dosen  in  3  stünd¬ 
lichem  Intervall.  Am  folgenden  Tag  muss  die  gleiche  Behand¬ 
lungsmethode  angewandt  werden.  Man  sollte  mit  der  Be¬ 
handlung  beginnen,  sobald  irgend  schwerere  Symptome  auf- 
treten,  um  von  Fall  zu  Fall  rechtzeitig  das  Optimum  in  der 
Dosierung  gefunden  zu  haben.  Durch  Darreichung  von  Nar¬ 
kotika,  besonders  wo  es  aus  psychischen  Gründen  indiziert  ist 
und  für  die  Nacht,  kann  die  Magnesiumtherapie  wirksam  er¬ 
gänzt  und  gesteigert  werden. 


Abtötung  der  Tetanuskeime  am  Orte  der  Infektion 
durch  ultraviolettes  Licht. 

Vorläufige  Mitteilung  von  E.  Jacobsthal  und  F.  T  a  m  m  in 

Hamburg. 

f 

In  der  Sitzung  des  ärztlichen  Vereins  in  Hamburg  voiv 
17.  November  1914  haben  wir  folgendes  mitgeteilt: 

Tetanussporen,  wie  auch  die  Anaeroben  aus  der  Gruppe 
des  malignen  Oedems  sind,  wie  unsere  systematischen  Unter¬ 
suchungen  gezeigt  haben,  ausserordentlich  empfindlich  gegen 
kurzwelliges  ultraviolettes  Licht. 

Dementsprechend  haben  wir  künstlich  und  natürlich  m  i  i 
Tetanus  infizierte  Wunden  den  Strahlen  dei 
Kromayer  sehen  Quarzlampe  und  der  künstlichen  Höhen¬ 
sonne  ausgesetzt.  In  einer  Anzahl  von  Fällen  -ist  es  uns  ge¬ 
lungen,  so  die  Tetanusbazillen  und  O  e  d  e  m  b  a  z  i  11  e  r 
vollständig  zu  entfernen.  Die  Strahlen  der  Höhensonne 
werden  15 — 45  Minuten  bei  25  cm  Abstand  unter  Abdeckung 
der  Umgebung  sehr  gut  vertragen.  Die  Applikation  dei 
Quarzlampenstrahlen  in  tiefe  Höhlen  der  Wunden  erfolg' 
mittels  besonderer  von  uns  angegebener  beweglicher  Quarz¬ 
stäbe. 

Wegen  des  starken  Toxingehaltes  der  Infektionsstelk 
(Nachweis  durch  die  Toxizität  des  Berkefeldfiltrates)  empfiehl 
sich  daneben  chirurgische  Reinigung  der  Wunde. 

Wo  eine  Amputation  nicht  erwünscht  oder  unmöglich  is 
(Rumpfwunden),  ergänzt  die  Strahlentherapie  die  übriger 
Heilverfahren  des  Tetanus  auf  das  glücklichste. 


a)  Literatur  bei  Stadler  a.  a.  O. 


1.  Dezember  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch.  ined.  Wochenschrift. 


2325 


Ein  Beitrag  zur  Tetanustherapie. 

Von  Dr.  Ernst  Teller  in  Charlottenburg. 

Der  Tetanusbazillus,  der  Erzeuger  des  Wundstarrkrampigiftes, 
besitzt  u.  a.  drei  der  Wissenschaft  bekannte  Eigentümlichkeiten: 

Eistens  er  ist  in  der  Regel  nur  in  der  Wunde,  dem  Infektionsorte, 
und  erzeugt  hier  das  ihm  charakteristische  Gift. 

Sein  Gift  steigt  in  den  peripherischen  Nervenbahnen  (v.  Beh¬ 
ring:  D.m.W.  1914  Nr.  41)  empor  zum  Zentralnervensystem.  Dort 
angelangt  bewirkt  es  nach  einer  Reaktionszeit  von  einigen  Stunden 
durch  Reizung  der  motorischen  Zentren  den  Wundstarrkrampf. 

Die  Zeit,  welche  das  Gift  braucht,  von  der  Wunde  zum  Zentral¬ 
nervensystem  emporzusteigen,  ist  die  Dauer  der  Inkubationszeit.  Sie 
wird  demnach  wesentlich  beeinflusst  durch  die  Länge  der  Nerven¬ 
bahn  und  die  Grösse  des  befallenen  Organismus;  beim  Pferd  beträgt 
sic  5  Tage,  beim  Hund  iVa — 2  Tage,  bei  der  Maus  8 — 12  Stunden 
(M.  Meyer- Wien:  Die  experimentelle  Pharmakologie). 

Also  nur  das  Gift,  das  Stoffwechselprodukt  des  Bazillus,  wandert 
vermöge  seiner  chemischen  Affinität  zur  Nervensubstanz  und  zwar 
entlang  und  innerhalb  der  Nervenbahnen  (v.  Behring,  H.  Meyer- 
Wien:  Die  experimentelle  Pharmakologie  S.  538). 

Der  Bazillus  selbst  wandert  nicht;  er  ist  und  bleibt  in  der 
Wunde,  vermehrt  sich  und  produziert  hier  sein  Gift. 

Diese  klar  gewonnene  Erkenntnis  veranlasste  v.  Behring  zu 
dem  therapeutischen  Rat.  die  Antitoxineinspritzungen  in  diejenigen 
Hauptnervenbahnen  zu  machen,  auf  denen  je  nach  dem  Ort  der 
Wunde  das  Toxin  wahrscheinlich  zum  Zentralnervensystem  hin¬ 
streben  wird,  also  beispielsweise  bei  einer  Fusswunde  in  den 
Ischiadikus,  bei  einer  Hand-  oder  Armwunde  in  den  Plexus  brachialis. 

v.  Behring  konnte  auf  diese  Weise  einen  seiner  langjährigen 
Mitarbeiter,  der  sich  im  Laboratorium  an  der  Hand  mit  Tetanusrein¬ 
kultur  stark  infiziert  hatte,  infolge  tiefeingedrungener  Glassülitter  vor 
dem  schrecklichen  Tetanustod  durch  Antitoxininjektion  in  den  ent¬ 
sprechenden  Plexus  brachialis  bewahren,  obwohl  der  Fall  verloren 
schien. 

Zum  anderen  ist  die  Giftwirkung  der  Tetanusinfektion  abhängig 
von  einer  gewissen  Temperatur.  Kälte,  d.  h.  in  diesem  Falle  niedrige 
Bluttemperatur,  hält  die  Giftwirkung  hintan  oder  lässt  sie  gar  nicht 
aufkemmen  So  sind  Kaltblüter  nur  empfindlich  gegen  Tetanusgift, 
wenn  man  sie  längere  Zeit  bei  32°  hält  (H.  Meyer- Wien:  Exper. 
Pharmakologie). 

Ob  der  die  Giftwirkung  hemmende  Einfluss  der  Kälte  darauf  be¬ 
ruht,  dass  die  chemische  Reaktion  zwischen  Toxin  und  Zentralnerven¬ 
system  bei  Kälte  nicht  stattfindet,  oder  darauf,  dass  der  Tetanus¬ 
bazillus  selbst  —  und  das  ist  wohl  das  wahrscheinlichste  —  durch 
Kälte  geschädigt  wird  oder  durch  sie  so  beeinflusst  wird,  dass  er 
keine  Giftstoffe  produziert,  ist  meines  Wissens  noch  nicht  bekannt. 
Wäre  es  möglich,  durch  Kälteapplikation  den  Tetanusbazillus  zu 
lähmen  oder  ungiftig  zu  machen,  so  bestünde  darin  eine  sehr  be¬ 
achtenswerte  therapeutische  Hilfe.  Es  ist  mir  nicht  bekannt,  ob  Be¬ 
obachtungen  darüber  gemacht  sind,  dass  Tetanuserkrankungen  in 
Winterfeldzügen  seltener  sind  als  im  Sommer.  In  den  tropischen 
Ländern  kommt  der  Tetanus  viel  häufiger  vor  als  in  unserem  Klima. 
Bekannt  ist  namentlich  die  Häufigkeit  der  Erkrankung  bei  Negern 
(Strümpell:  Lehrbuch  der  spez.  Pathol.  u.  Ther.  S.  611). 

Drittens  ist  der  Tetanusbazillus  anaerob,  d.  h.  er  gedeiht  nur 
unter  Sauerstoffabschluss.  Deshalb  benutzt  man  zu  seiner  Züchtung 
reduzierende  Nährböden.  Daher  nistet  er  hauptsächlich  in  tiefein¬ 
dringenden,  verunreinigten  Wunden  aus  straffem,  sehnigem  Gewebe 
mit  Gewebszertrümmerung,  in  lappenförmigen  und  taschenförmigen 
Wunden. 

Das  hängt  damit  zusammen,  nach  v.  Behring,  „ —  dass  nach 
Zertrümmerung  —  insbesondere  von  Muskelgewebe1 — die  absterben¬ 
den  Teile  den  Sauerstoff  chemisch  binden  und  zur  Bildung  hoch¬ 
oxydierter  Körper  (z.  B.  Fleischmilchsäure)  verwenden.  Derartige 
mit  Sauerstoffzehrung  verbundene  Prozesse  kann  man  auch 
überall  da  beobachten,  wo  im  lebenden  Organismus  sog.  tote  Räume 
entstehen  Durch  mitgerissene  Kleiderfetzen,  durch  Granatsplitter 
mul  andere  Fremdkörper  erfolgt  häufig  genug  auch  der  Import  von 
Tetanussporen  enthaltenden  Erdpartikelchen  in  die  toten  Räume,  wo- 
nit  dann  die  günstigsten  Bedingungen  für  die  Vermehrung  des  Virus, 
für  die  Giftproduktion  und  für  die  tetanische  Vergiftung  gegeben 
sind.“  — 

Die  Eigenschaft  des  Tetanuserregers,  nur  bei  Sauerstoffabschluss 
-U  gedeihen  —  die  Anaerobiose  —  ist  meines  Wissens  therapeutisch 
toch  nicht  verwertet  worden,  obwohl  es  nahe  liegt,  ihn  gerade  auf 
Qrund  dieser  Eigenart  zu  bekämpfen. 

Die  chemisch-pharmazeutische  Industrie  hat  ja  eine  grosse  Aus¬ 
wahl  solcher  Präparate  erzeugt,  die  bei  der  Berührung  mit  den  Wund- 
ekreten  und  den  Wundflüchen  beständig  Sauerstoff  absnalten  ohne 
lie  Wunden  zu  reizen,  z.  B.  HaOs-Merck,  Ortizon-Bayer,  Magnesium- 
icrhydrol  u.  a. 

Mit  Erde  oder  schmutzigen  Kleiderfetzen  oder  sonstwie  ver- 
mreinigte  frische  Wunden,  die  ihrer  Entstehungsweise  nach  tetanus- 
verdächtig  sind,  sollten  unter  allen  Umständen  neben  ihrer  chirurgi- 
•ichen  Behandlung  intensiv  mit  Sauerstoff  erzeugenden  Lösungen, 
Wundstiften  oder  Pulvern  beschickt  werden.  —  Auch  bei  älteren 
Wunden,  die  schon  zum  beginnenden  Starrkrampf  geführt  haben,  kann 
.‘in  derartiges  Vorgehen  nur  heilsam  sein,  indem  der  Sauerstoff  Aus¬ 


sicht  bietet  die  Tetanusbazillen  zum  Absterben  zu  bringen  und  somit 
weitere  Toxinproduktion  zu  verhindern.  —  Auch  wirkt  der  in  der 
Wunde  lebhaft  aufschäumende  Sauerstoff  sanft  mechanisch  reinigend, 
auch  andere  Keime  abtötend,  schmierige  Beläge  und  Blutgerinnsel 
sowie  absterbende  Gev/ebsteile  ablösend  und  niemals  schadend. 

Bei  schon  ausgebrochenem  Tetanus  wäre  ausser  der  Wundbe¬ 
handlung  mit  Antitoxin  und  Sauerstoff  die  endoneurale  Antitoxin¬ 
injektion  vorzunehmen.  Die  allgemeine  Muskelerregbarkcit  wäre  mit 
Chloralhydrat  2,0 — 3,0  oder  Veronalnatrium  1.0 — 1,5  per  elysma  oder 
mjt  subkutaner  Injektion  von  0,02  Morphin  +  0,001  Hyoszin  zu  be¬ 
kämpfen.  Dazu  kämen  noch  Iumbo-spinale  Antitoxininjektionen.  Die 
Ernährung  wäre  am  wirksamsten  zu  erreichen  durch  die  Magensonde 
via  Nase,  falls  Trismus  Schlucken  und  Saugen  ganz  unmöglich  macht. 


Kriegsbrief  aus  der  Kriegslazarettableilung  des 
I.  bayer.  Armeekorps. 

III.  Brief. 

Von  Generalarzt  Professor  Dr.  Klaussner. 

Im  nachfolgenden  seien  in  Kürze  unsere  kriegschirur¬ 
gischen  Erfahrungen  iin  allgemeinen  niedergelegt,  sie  sind  von 
mir  im  Verein  mit  Oberstabsarzt  Prof.  Dr.  Schönwerth, 
Stabsarzt  Prof.  Dr.  Grashey,  Stabsarzt  Dr.  Schindler 
und  dem  Hygieniker  Stabsarzt  Privatdozent  Dr.  Schneider 
zusammengestellt  und  basieren  hauptsächlich  auf  Beob¬ 
achtungen,  die  wir  in  einer  stabilen  Formation,  dem  Kriegs¬ 
lazarett,  wahrzunehmen  Gelegenheit  hatten;  letzteres  ist  in 
hiesigem  Orte  bereits  über  3  Wochen  etabliert,  nachdem  es 
vorher  schon  anderweitig  auf  je  8  Tage  eingesetzt  worden 
war.  Die  Zahl  der  von  uns  in  diesen  Wochen  stationär  be¬ 
handelten  Kranken  beläuft  sich  bis  jetzt  (22.  X.  14)  auf 
3300  Fälle. 

Vom  kriegschirurgischen  Standpunkte  aus  beirachtet  liegt 
der  Wert  unserer  Erfahrungen  hauptsächlich  in  dem  Um¬ 
stande,  dass  wir  in  der  Lage  waren,  das  weitere  Schicksal 
unserer  Verletzten  und  Operierten  längere  Zeit  zu  verfolgen. 
Dadurch  ist  es  uns  möglich  geworden,  über  den  Krankheits¬ 
verlauf  und  über  das  Resultat  unserer  operativen  Eingriffe  ein 
Urteil  abzugeben.  In  den  Feldlazaretten  ist  dies  ganz  aus¬ 
geschlossen,  weil  die  Verwundeten  meist  schon  nach  wenigen 
Tagen  evakuiert  werden  müssen.  Ebenso  sind  die  in  den 
Heimatlazaretten  gemachten  Erfahrungen  für  den  Kriegs¬ 
chirurgen  zwar  als  Ergänzung  von  der  grössten  Wichtigkeit, 
lassen  sich  jedoch  für  die  Kriegschirm  gie  im  engeren  Sinne 
weniger  verwerten;  denn  die  Kranken  erreichert  die  Heimat 
meist  relativ  spät,  während  ihr  Schicksal  sich  meist  schon  in 
den  ersten  Tagen  entscheidet.  Dazu  kommt  noch  die  Tatsache, 
dass  die  Art  der  dortigen  Therapie  sich  in  keiner  Weise  von 
der  Friedenspraxis  unterscheidet. 

Der  Fachchirurg  wird  in  den  nachfolgenden  Zeilen  mehr¬ 
fach  Einzelheiten  angeführt  finden,  die  ihm  überflüssig,  ja 
selbstverständlich  erscheinen.  Wir  glaubten  trotzdem  davon 
nicht  absehen  zu  dürfen,  weil  wir  an  unseren  Verwundeten 
mehr  als  einmal  gesehen  haben,  dass  selbst  gegen  einfache 
chirurgische  Grundsätze  gefehlt  worden  ist.  Im  Interesse 
unserer  Verletzten  sei  daher  darauf  aufmerksam  gemacht. 
Wir  sind  uns  dabei  wohl  bewusst,  dass  solche  einzelne  Ver- 
stösse  bei  der  oft  geradezu  übermenschlichen  Inansnruch- 
nahme  der  vorderen  Formationen  sich  begreifen  lassen. 
Ueberhaupt  kann  von  einer  allzustrengen  Beurteilung  in  dieser 
Beziehung  nicht  dringend  genug  gewarnt  werden.  Was  die 
Aerzte  in  der  Front  leisten  müssen,  unter  welchen  Umständen 
sie  häufig  gezwungen  sind,  ihren  schweren  Beruf  zu  erfüllen, 
das  kann  nur  derjenige  abschätzen,  der  selbst  im  Felde  ge¬ 
standen  ist. 

Im  allgemeinen  wurden  die  Verwundeten  erst  4-10  Tage  nach 
stattgehabter  Verletzung  unserem  Kriegslazarette  überwiesen:  sel¬ 
tener  kamen  sie,  der  momentanen  Kriegslage  entsprechend,  schon 
nach  2  mal  24  Stunden  in  Zugang,  und  nur  vereinzelte  bereits  nach 
wenigen  Stunden;  letzteres  ausschliesslich  nach  Unfällen,  die  sich  in 
unmittelbarer  Nähe  des  Etablierungsortes  zugetragen  hatten. 

Die  Wunden  waren  bei  Einlieferung  der  Patienten  im  Kriegs¬ 
lazarett  meist  mit  dem  bekannten  Verbandpäckchen  versorgt;  statt 
dessen  sah  man  aber  auch  vielfach  mit  Pflasterstreifen  fixierte  Gaze- 
stiieke.  Es  sei  schon  an  dieser  Stelle  bemerkt,  dass  diese  beiden 
Verbände  sich  nicht  allzu  seifen  verschoben  hatten,  ein  Umstand,  der 
in  Verbindung  mit  dem  oft  lange  dauernden,  durchaus  nicht  immer 
schonenden  Transporte  das  Zustandekommen  der  von  uns  so  häufig 


2326 


Nr.  48. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


beobachteten  Infektionen  begünstigen  muss.  Viel  seltener  sahen  wir 
Mastisolverbände.  Wir  haben  den  Eindruck  gewonnen,  dass  Mastisol 
in  Anbetracht  seiner  ausgezeichneten  Klebekraft  und  seiner  anderen 
wohlbekannten  Vorzüge  im  Felde  viel  mehr  verwendet  werden  sollte, 
als  dies  tatsächlich  bis  jetzt  geschehen  ist,  und  dass  hiedurch  manche 
sonst  unausbleibliche  Infektion  vermieden  werden  könnte. 

Mit  Gipsverbänden  fixierte  Schussfrakturen  wurden  uns  äusserst 
selten  überwiesen;  es  erklärt  sich  dies  aus  dem  Umstand,  dass 
meistens  infizierte  Fälle  Vorlagen  und  dass  andrerseits  mit  Gipsver¬ 
band  versehene,  nicht  infizierte  Frakturen  gewöhnlich  von  der  Front 
aus  ohne  weitere  Zwischenstationen  in  die  Heimat  geschafft  werden. 
Im  übrigen  betrachten  wir  die  Verwendung  des  Gipsverbandes  als 
das  Idealverfahren  bei  allen  Schussfrakturen,  die  einen  aseptischen 
Verlauf  erwarten  lassen.  Der  Gipsverband  ist  nach  den  Regeln  der 
Kunst  unter  guter  Extension  und  Kontraextension  mit  genügender 
Polsterung  eventuell  in  Narkose  anzulegen  und  sollte  diese  Behand¬ 
lung  in  geeigneten  Fällen  schon  bei  den  Sanitätskompagnien  und  in 
den  Feldlazaretten  soviel  wie  möglich  durchgeführt  werden.  Eine 
gewissenhafte  Kontrolle  dieser  Verbände  während  der  nächsten  Tage, 
auch  während  des  Transportes  ist  ein  unumstössliches  Erfordernis; 
wenn  möglich  sollten  derartig  versorgte  Patienten  überhaupt  nicht 
vor  dem  3.  Tage  evakuiert  werden  —  selbstverständlich  kommen  hier 
auch  die  neuerdings  wieder  so  warm  empfohlenen,  aber  schon  lange 
bekannten  und  geübten  unterbrochenen  und  gefensterten  Gipsver¬ 
bände  vielfach  in  Betracht.  —  Die  so  zweckmässigen  Extensions¬ 
verbände  konnten  nur  selten  angewendet  werden,  weil  die  Verwunde¬ 
ten  meist  erst  lange  nach  stattgehabter  Verletzung  in  unsere  Behand¬ 
lung  kamen  und  an  den  häufig  nur  improvisierten  Betten  ein  Zug 
überhaupt  nicht  anzubringen  war. 

Die  meisten  von  uns  beobachteten  Schussfrakturen  wurden  mit 
Schienenverbänden  eingebracht.  Sie  waren  im  allgemeinen  voll¬ 
kommen  zweckentsprechend  angelegt,  doch  sahen  wir  auch  Fälle, 
bei  denen  die  Schienen  zu  kurz  und  nicht  genügend  mit  Binden  fixiert 
waren;  die  nicht  selten  vorhandene  seitliche  Verschiebung  der 
Schiene  hätte  sich  unschwer  durch  Umschlingen  der  beiden  Schienen¬ 
enden  mit  Bindentouren  vermeiden  lassen.  Der  Schienenverband 
kommt  in  Betracht  bei  Komplikationen:  bei  Frakturen  mit  grossen 
Weichteilwunden  oder  bei  bereits  stattgehabten  Infektionen;  letztere 
waren  bei  den  uns  überwiesenen  Fällen  erschreckend  häufig;  daher 
der  vorwiegende  Gebrauch  der  Schienen  zur  Fixation  der  Frakturen. 
Zur  Verwendung  gelangten  mit  Vorliebe  die  bekannten  Kramer- 
schen  Schienen  und  französische  zuschneidbare  Drahtgeflechte,  die 
sich  beliebig  verlängern  und  modellieren  lassen;  leider  sind  bei  letz¬ 
teren  Verletzungen  der  Hände  der  Verbindenden  an  den  vorstehenden 
Drahtenden  nicht  selten,  ein  Umstand,  der  gerade  bei  gleichzeitiger 
Behandlung  von  Eiterungen  wegen  der  Infektionsgefahr  wohl  zu  be¬ 
herzigen  ist.  Vielfach  wurden  improvisierte  Schienen  verwendet,  ein¬ 
fache  Holzlatten,  4 — 5  cm  breit,  1  cm  dick,  welche  vom  Personal 
jederzeit  in  beliebiger  Länge  rasch  hergestellt  werden  konnten;  die¬ 
selben  haben  sich  sehr  gut  bewährt. 

Oberschenkelbrüche  wurden  hiezu  mit  einer  Aussenschiene,  die 
von  der  Gegend  der  unteren  Rippen  bis  eine  Handbreit  unter  den 
Knöchel  sich  erstreckt  und  einer  Innenschiene,  die  von  der  Symphyse 
ebensoweit  nach  abwärts  geht,  behandelt;  von  grösster  Bedeutung 
ist  dabei  die  genügende  Polsterung  an  Spina,  Kniegelenk  und  Knö¬ 
cheln.  Spitzfussstellung  und  Rotation  des  peripheren  Frakturendes 
ist  sorgfältig  zu  vermeiden. 

Die  bei  Unterschenkelbrüchen  anfangs  verwendeten  Volk- 
mann  sehen  Schienen  und  Bonnet  sehen  Drahthosen  mussten,  da 
sie  nur  in  geringer  Zahl  vorhanden  waren,  bald  durch  improvisierte 
Lattenverbände  ersetzt  werden. 

Oberarmfrakturen  wurden  mit  den  bereits  erwähnten  Kramer- 
schen  Schienen,  französischen  Drahtgeflechten  oder  auch  mit  Papp¬ 
streifen  fixiert. 

Ueber  das  Verhalten  der  Wunden  sei  bemerkt,  dass  die  Ver¬ 
letzungen  durch  das  Infanteriegeschoss  aus  grösserer  Ferne  kleine, 
meist  trockene  und  nichtinfizierte  Schussöffnungen  aufwiesen;  auch 
viele  Schrapnellwunden  waren  von  derselben  Beschaffenheit. 

Im  Gegensatz  hierzu  stehen  die  durch  Granaten  zerfetzten  Wun¬ 
den,  welche  bei  der  gegenwärtigen  Kriegsführung  die  überwiegende 
Mehrzahl  der  Verletzungen  bilden,  sie  charakterisieren  sich  durch 
ihre  Grösse,  die  Tiefenwirkung,  die  ausgedehnte  Zerstörung  der 
Weichteile  und  die  oft  sehr  ausgedehnte  Knochensplitterung.  Häufig 
wurde  multiples  Vorkommen  der  Verletzung  beobachtet;  die  Grösse 
der  Kontinuitätstrennung  und  der  ausgedehnten  Weichteilquetschung 
bedingen  die  grosse  Neigung  zu  Infektionen. 

Die  meisten  Granatverletzungen  kamen  im  infizierten  Zustande 
zu  uns.  Im  allgemeinen  konnten  wir  hierbei  2  Arten  der  Verletzungen 
unterscheiden: 

1.  Riesige  Wunden,  Zerstörung  und  Abreissung  der  Weichteile, 
oft  bis  auf  den  Knochen;  letzterer  weithin  freiliegend  und  vielfach 
zersplitternd,  therapeutisch  häufig  nur  mehr  die  Amputation  in  Be¬ 
tracht  kommen  lassend. 

2.  Kleinere,  etwa  markstückgrosse  Wunden  mit  Taschenbildung; 
bei  der  wegen  Infektion  erforderlichen  Spaltung  fand  sich  fast  regel¬ 
mässig  ein  oft  bis  auf  den  gebrochenen  Knochen  führender  Eitergang, 
der  häufig  Fremdkörper  (Geschossteile  und  Kleiderfetzen)  enthielt. 

Abschüsse  grösserer  Extremitäten  konnten  wir  niemals  beobach¬ 
ten.  wohl  deshalb  nicht,  weil  dieselben  schon  in  den  vorderen  Linien 
versorgt  werden  mussten. 


Bei  den  Infektionen  handelte  es  sich  in  überwiegender  Anzahl 
um  schwere  Formen.  Das  bisweilen  scheinbar  günstige  Verhalten 
der  Wunden  erwies  sich  bei  der  Spaltung  als  trügerisch.  Wir  waren 
immer  wieder  erstaunt,  auch  bei  äusserlich  ganz  unscheinbaren  Pro 
zessen  ausgedehnte  eitrige  Infiltrationen  und  vor  allem  ein  weit  nach 
aufwärts  reichendes,  seröses  Oedem  zu  finden.  Einen  entschieden  för¬ 
dernden  Einfluss  auf  die  Bösartigkeit  und  das  Fortschreiten  der  Eite¬ 
rung  schien  uns  vorausgehende,  infolge  von  Verletzung  nötig  ge¬ 
wordene  Unterbindung  von  Gefässstämmen  zu  bilden. 

Arrosionsblutungen  wurden  relativ  häufig  beobachtet,  sowohl  bei 
ausgedehnten  Weichteilverletzungen  durch  Granaten,  als  auch  durch 
Infanteriegeschosse  aus  grosser  Nähe  bedingt.  Der  Hergang  hierbei 
war  der  folgende:  die  ausnahmslose  Infektion  der  Wunde  machte  die 
ausgedehnte  Spaltung  des  Infiltrates  notwendig,  eine  wesentliche  Blu¬ 
tung  wurde  hierbei  nicht  beobachtet.  Zu  einer  Zeit,  wo  die  Eiterung 
bereits  ganz  oder  teilweise  zum  Stillstand  gekommen  war,  zwischen 
10 — 20  Tagen,  trat  plötzlich  eine  heftige,  den  ganzen  Verband  durch- 
tränkendc  Blutung  auf.  In  mehreren  Fällen  erwies  sich  als  die  Ur¬ 
sache  ein  grösseres  Gefäss,  welches  unterbunden  werden  konnte;  in 
anderen  Fällen  zeigte  es  sich,  dass  nach  Ausräumung  der  Blutgerinn¬ 
sel  aus  der  Wundhöhle  die  Blutung  bereits  von  selbst  stand  und  ein 
arrodiertes  Gefäss  sich  überhaupt  nicht  finden  Hess;  es  scheint  sich 
in  diesen  Fällen  lediglich  um  Blutungen  aus  Muskelästen  gehandch 
zu  haben. 

Die  Behandlung  bestand  in  Unterbindung  spritzender  Gefässe, 
event.  im  Tamponieren  der  Wundhöhle;  in  einem  Falle  war  die  Blu¬ 
tung  eine  derartige,  dass  nur  sofortige  Amputation  das  bedrohte  Leben 
erhalten  konnte. 

Eine  im  Frieden  nur  seltene  Infektion  stellt  die  üasphlegmonc 
'  dar,  von  der  wir  im  ganzen  30  Fälle,  meist  im  Bereich  von  Gesäss 
und  unteren  Extremitäten,  in  der  überwiegenden  Mehrzahl  durch 
Granatverletzung  bedingt,  beobachten  konnten.  Charakteristisch  ist 
das  rasche  Auftreten  (oft  schon  2  Tage  nach  stattgehabter  Infektion), 
sowie  das  rapide,  im  Zeitraum  von  wenigen  Stunden  sich  vollziehende 
Fortschreiten.  Die  Wunde  zeigt  schmierigen  Belag  und  entleert 
jauchigen,  stinkenden  Eiter.  Weichteile  ödematös,  die  Haut  dunkel¬ 
rot,  in  späterem  Stadium  eine  eigentümliche  graubraune  Verfärbung 
auf  weisend;  Perkussion:  lufthaltigen  Schall  ergebend;  auf  Druck  deut¬ 
liches  Knistern;  bei  der  Inzision  entleert  sich  Gas,  bisweilen  unter 
lautem  Geräusch. 

Die  Prognose  war  eine  schlechte;  weitaus  in  den  meisten  Fällen 
trat  schon  nach  kurzer  Zeit  der  Tod  unter  den  Erscheinungen  der 
Sepsis  ein. 

Unsere  Behandlung  bestand  in  sehr  ausgedehnten,  tiefen,  das 
ganze  Infiltrat  rücksichtslos  spaltenden  Inzisionen.  Auf  diese  Weise 
konnten  wir  wenigstens  in  einigen  Fällen  Heilung  erzielen:  auch  nach 
Amputationen  sahen  wir  etliche  Male  Erfolge.  Mit  der  Möglichkeit 
der  Amputation  ist  in  jedem  derartigen  Falle  von  vornherein  zu 
rechnen;  den  richtigen  Zeitpunkt  hierfür  zu  bestimmen  ist  oft  sehr 
schwer. 

Gangrän  im  Bereich  der  Extremitäten  wurde  besonders  im  An¬ 
schluss  an  Granatverletzungen  beobachtet.  Neigung  zu  Demarkation 
war  in  unseren  Fällen  nur  in  sehr  geringem  Grade  zu  beobachten. 
Der  progrediente  Charakter  war  vorherrschend.  Die  Behandlung 
konnte  nur  in  Amputation  bestehen. 

Erysipel  als  solches  für  sich  allein  haben  wir  niemals  ge¬ 
sehen;  es  wurde  dasselbe  höchstens  im  Verein  mit  phlegmonösen 
Prozessen  und  auch  da  nicht  häufig  beobachtet. 

Tetanusinfektionen  kamen  im  Kriegslazaratt  besonders 
gehäuft  in  unserer  letzten  Ortsunterkunft  vor,  und  zwar  wurden  deren 
innerhalb  3  Wochen  21  beobachtet.  Sie  traten  bei  Verwundeten  auf, 
die  im  Kriegslazarett  selbst  bis  dahin  behandelt  worden  waren  oder 
sie  sind  aus  Feldlazaretten  der  Umgebung  zugegangen.  Mit  Aus¬ 
nahme  dreier  Fälle  waren  die  Verwundungen  durch  Artillerie¬ 
geschosse  verursacht  und  sehr  schwer;  meist  waren  mehrere  Ex¬ 
tremitäten  —  in  einem  Falle  alle  4  —  unter  gleichzeitiger  Verletzung 
von  Weichteilen  und  Knochen  betroffen.  7  mal  war  vor  Auftreten  der 
Starrkrampferscheinungen  eine  Amputation  resp.  Exartikulation  an 
einer  Extremität  gemacht  worden;  bemerkenswert  ist  hier  besonders 
ein  Fall,  bei  dem  5  Tage  nach  der  Verwundung  (Granatsplitterver¬ 
letzung  des  rechten  Armes)  eine  Exartikulation  des  Schultergelenkcs 
vorgenommen  worden  war  und  16  Tage  nach  der  Verwundung  der 
Tetanus  aufgetreten  ist.  J 

Die  Inkubationszeit  schwankte  zwischen  5  und  16  Tagen.  Von 
den  21  Patienten  sind  bis  heute  17  gestorben;  und  zwar  erlagen  der 
Tetanusinfektion  die  meisten  —  14  —  innerhalb  4  Tagen  nach  Kon¬ 
statierung  der  ersten  verdächtigen  Symptome.  Ein  Unterschied  in 
der  Schwere  der  Erkrankung  je  nach  der  Dauer  der  Inkubationszeit 
in  dem  Sinne,  dass  die  Fälle  mit  kürzerer  Inkubationszeit  rascher 
und  bösartiger  verliefen,  Hess  sich  im  allgemeinen  nicht  feststellen. 
Bei  einem  Kranken  z.  B„  bei  dem  der  Tetanus  bereits  nach 
einem  Tag  zum  Tode  führte,  waren  zwischen  dem  Auftreten 
der  ersten  Krämpfe  und  der  Verwundung  11  Tage  ver¬ 
strichen:  von  4  anderen  Fällen,  die  nach  2  Tagen  zugrunde 
gingen,  hatte  der  eine  eine  Inkubationszeit  von  5,  2  eine  solche 
von  9  und  einer  eine  solche  von  12  Tagen.  Bluttemperatur  und 
Pulszahl  haben  ebenfalls  kein  eindeutiges  Kriterium  für  die  Prognose 
in  unseren  Fällen  ergeben.  Wir  verloren  Kranke,  bei  denen  die  Tem¬ 
peratur  nicht  über  38 u  und  die  Pulszahl  nicht  über  90  und  90  ge¬ 
stiegen  war.  Meist  trat  allerdings  nach  dem  Ende  zu  hohe  Puls- 


■  Dezember  1914. _ Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


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equenz  auf  und  bedeutete  so  ein  ungünstiges  Zeichen;  dasselbe  gilt 
ich  hinsichtlich  der  Temperatur,  deren  Erhöhung  aber  gewiss  hie 
id  da  hauptsächlich  durch  die  eiterigen  Prozesse  an  den  Wunden 

.'dingt  war. 

Was  unsere  Behandlungsart  betrifft,  so  haben  wir  bisher  von 
ner  örtlichen,  bei  der  Heilserum  getrocknet  der  Wunde  aufgestreut 
orden  wäre  oder  bei  der  Einspritzungen  flüssigen  Serums  in  die 
mgebung  der  Wunde  oder  in  die  erkrankten  Nerven  gemacht  wor- 
_'ti  wären,  Abstand  genommen.  Duralinfusionen  unterblieben  aus 
issercn  Gründen.  Unsere  Behandlung  bestand  anfangs  in  der  sub- 
itanen  oder  intramuskulären  Einverleibung  von  Tetänusantitoxin- 
•rum  „Höchst“.  Ein  Erfolg  blieb  aber  vollkommen  aus,  obgleich 
s  zu  600  Antitoxineinheiten  innerhalb  4  Tagen  eingebracht  wurden, 
ieses  negative  Resultat  und  frühere  experimentelle  Untersuchungen 

Schneiders  über  den  Antikörpergehalt  des  Blutes  bei  ver- 
hiedener  Applikationsweise  von  Pneumokokkenimmunserum  Hessen 
is  das  Heilverfahren  folgendermassen  abändern.  Jeder  Patient  mit 
tanischen  Erscheinungen  erhält  sofort  60—120  Antitoxineinheiten  in 
e  Armvene  injiziert.  Das  gleiche  geschieht  gewöhnlich  auch  noch 
n  nächsten  event.  übernächsten  Tage.  Hierdurch  soll  das  Blut  einen 
öglichst  hohen  Gehalt  an  Antitoxin  möglichst  rasch  erhalten,  um  ent¬ 
eilendes  Toxin  an  der  Wunde  abfangen  und  zirkulierendes  neutrali- 
eren  zu  können.  Bis  jetzt  wurden  keine  unerwünschten  Neben¬ 
scheinungen  infolge  der  intravenösen  Seruminjektionen  beobachtet, 
den  späteren  Tagen  werden  letztere  fortgesetzt  oder  wenigstens 
irch  tägliche  subkutane  Einverleibung  des  Heilserums  der  Antitoxin- 
er  auf  der  Höhe  zu  halten  gesucht.  Seitdem  wir  so  vorgehen,  sind 
e  Resultate  einigermassen  besser. 

Unbeschadet  der  Dauer  der  Inkubationszeit  konnte  bei  so  be- 
mdelten  Fällen  mit  schwersten  allgemeinen  Starrkrampferschei¬ 
ngen,  die  bei  der  subkutanen  Applikationsweise  m.  E.  in  2 — 4  Tagen 
in  Tode  geführt  hätten,  der  Eintritt  dieses  fatalen  Ausganges  bis 
f  den  8.  und  9.  Tag  verschoben  und  bei  2  Patienten,  deren  Er- 
ankung  6  resp.  7  Tage  zurückdatiert,  bis  heute  verhütet  werden, 
n  Fall  der  unter  dem  Bild  des  lokalen  Tetanus  verlaufen  ist,  hat 
r  mehr  leichte  Krämpfe  in  der  erkrankten  Extremität  und  ist  als 
heilt  anzusehen.  Jedenfalls  dürfte  unserem  jetzt  geübten  Verfahren 
f  Grund  dieser  allerdings  noch  spärlichen  und  bescheidenen  Er- 
irungen  sowie  oben  angedeuteten  Versuche  und  Erwägungen  das 
ort  zu  reden  sein.  Neben  der  spezifischen  Antitoxinbehandlung 
rd  natürlich  an  den  Narkoticis  Morphium  und  Chloralhydrat  nicht 
spart.  Letzteres  wurde  bis  zu  6  g  pro  die  gereicht  und  lindert 
i  vielen  Tetanuskranken  die  Schmerzen  besser  als  Morphium.  Nur 
einem  Falle  mit  besonders  heftigen  Schmerzen  und  Krämpfen  wurde 
^rphium  zusammen  mit  Skopolamin,  und  zwar  mit  gutem  Erfolge 
gewendet. 

Neuerdings  wird  von  uns  das  Tetanusantitoxin  vielfach  pro- 
ylaktisch,  besonders  bei  grossen,  verunreinigten  Wunden  in  der 
enge  von  60  AE.  subkutan  gegeben. 


Eine  behelfsmässig  hergestellte  Kochkiste  für  den 
Gebrauch  im  Felde. 

>n  Oberstabs-  und  Chefarzt  Dr.  Kroner  und  Oberapotheker 
Dr.  Peyer,  Feldlazarett  11  Gardereservekorps. 

Es  bedarf  keiner  näheren  Ausführung,  von  wie  unendlicher  Be¬ 
ttung  im  Felde  die  Ernährung  des  Soldaten  ist.  Nur  ein  gut  er¬ 
ster  Soldat  vermag  die  grossen  Strapazen  zu  ertragen,  die  von 
in  verlangt  werden  und  verlangt  werden  müssen. 

Als  eine  segensreiche  Erfindung  hat  sich  nun  die  fahrbare  Feld- 
Lhe  erwiesen,  die  den  Truppen  überall  hin  zu  folgen  imstande  ist, 

I  fast  bis  an  die  Schützenlinien  heran  vorfährt,  um  den  Soldaten 
<  warme  Kost  zu  bringen. 

Wie  volkstümlich  die  Feldküche  geworden  ist,  beweist  die  Tat- 
;:he,  dass  der  Volkswitz  für  sie  schon  einen  eigenen  Namen 
•  ulaschkanone“  geschaffen  hat.  Während  nun  die  fechtenden  Trup- 

I I  durchweg  mit  Feldküchen  ausgestattet  sind,  konnte  dies  aus 
‘iseren  Gründen  bisher  noch  nicht  geschehen  bei  den  Munitions- 
\  onnen  und  Trains.  Hier  ergeben  sich  grosse  Schwierigkeiten,  den 

nnschaften  warme  Kost  zu  verabfolgen.  Bei  den  langen  Märschen 
i  Staffelverband  ist  häufig  keine  Gelegenheit  gegeben,  um  abzu- 
vhen,  was  im  Freien  stets  mehrere  Stunden  in  Anspruch  nimmt. 
V  Ungewissheit,  wie  lange  ein  Halt  dauern  wird,  lässt  es  oft  nicht 
fsam  erscheinen,  mit  dem  Abkochen  zu  beginnen,  da  jeden  Augen- 
:k  der  Befehl  zum  Weitermarsch  erfolgen  kann. 

Bei  unseren  langen  Märschen  in  West  und  Ost  war  dies  mehr- 
tjh  der  Fall  und  öfter  wurde  das  Quartier  abends  so  spät  erreicht, 
Ts  ein  I  eil  der  Mannschaften  sich  übermüdet  zur  Ruhe  legte,  ohne 
[  Abkochen  abzu warten,  so  dass  diese  Leute  an  einem  solchen 
Ue  ohne  warme  Nahrung  blieben.  Ein  Anwärmen  der  geöffneten 
1  .ihscn  mit  Fleischkonserven  blieb  nur  ein  Notbehelf. 

Dieser  Uebelstand  liess  im  Schosse  des  Feldlazaretts  den  Ge- 
Tken  entstehen,  behelfsmässig  eine  sogen.  „Kochkiste“  herzu- 
'llen.  Die  Anwendung  der  Kochkiste  im  Haushalt  ist  neuerdings 
Qt  unbekannt,  doch  ist  sie  unseres  Wissens  bisher  nicht  für  Massen- 
-  ährung  verwendet  worden.  Der  Plan  konnte  erst  zur  Ausführung 
Eingen,  als  unser  Feldlazarett  eingerichtet  und  durch  Zuweisung 


eines  erbeuteten  russischen  Kastenwagens  ein  Transportmittel  für  die 
Kochkiste  geschaffen  war. 

Die  Herstellung  der  Kochkiste  erfolgte  nur  durch  Mannschaften 
des  Feldlazaretts  unter  Anleitung  und  Beihilfe  des  Oberapothekers. 
Die  Zeitdauer  betrug  knapp  einen  Tag,  die  Materialkosten  etwa  15  M. 

Bevor  ein  Versuch  mit  der  eben  fertig  gewordenen  Kochkiste 
angestellt  werden  konnte,  bewährte  sie  sich  in  der  Praxis:  Unser 
Feldlazarett  marschierte  in  der  Gefechtsstaffel  bei  3 — 4°  C  bei  sehr 
heftigem  Wind  und  Regen. 

Ein  kleiner  Halt  wurde  benutzt,  um  die  Mahlzeit,  bestehend  aus 
Fleisch-  und  Gemüsekonserven  zu  bereiten.  Das  Essen  hatte  gerade 
aufgekocht,  als  der  Befehl  zum  sofortigen  Weitermarsch  eintraf.  Es 
wurde  nun  der  Kessel  in  die  Kochkiste  gestellt  und  als  das  Feld¬ 
lazarett  nach  neunstündigem  Marsch  und  Halts  bei  andauerndem 
Regen  und  Sturm  Quartier  bezog,  war  die  Speise  so  heiss,  dass  sie 
kaum  genossen  werden  konnte. 

Hatte  die  Kiste  somit  ihren  Wert  als  Wärme  kiste  erwiesen,  so 
zeigten  späterhin  angestellte  Versuche,  dass  sie  auch  als  Koch¬ 
kiste  ihren  Zweck  erfüllt. 

Als  Beweis  gelte  folgender  Versuch: 

Die  Mahlzeit  für  60  Mann  bestehend  aus  22,5  kg  Schweinefleisch, 
40  kg  geschälten  Kartoffeln  und  3,5  kg  weissen  Bohnen  wurde  zu¬ 
sammen  mit  dem  nötigen  Wasser  und  Gewürzen  zum  Sieden  ge¬ 
bracht,  und  Yi  Stunde  darin  erhalten,  danach  wurde  der  Kessel  in  die 
Kochkiste  gebracht  und  letztere  verschlossen.  Die  Aussentemperatur 
betrug  6 — 8°.  Bei  dem  nach  4  Stunden  erfolgenden  Oeffnen  des 
Kessels  ergab  sich  folgendes  Resultat:  das  Fleisch  war  völlig  weich, 
die  Kartoffeln  waren  gut  durchgekocht  und  die  Bohnen  ebenfalls  ge¬ 
nussfähig.  Die  Temperatur  der  Speise  betrug  75°.  Nach  weiteren 
4  Stunden  betrug  die  Temperatur  64".  Die  Beschaffenheit  der  Speise¬ 
bestandteile  hatte  sich,  abgesehen  von  den  Kartoffeln,  die  etwas  zer¬ 
fallen  waren,  nicht  geändert.  Nach  im  Ganzen  24  Stunden  war  die 
Temperatur  auf  40°  gesunken.  Nach  Geschmack  und  Konsistenz 
war  das  Essen  auch  jetzt  noch  als  durchaus  wohlschmeckend  zu  be¬ 
zeichnen. 

Zu  beachten  bleibt,  dass  das  Essen  mit  weniger  Wasser  an¬ 
gesetzt  werden  muss,  als  beim  Kochen  auf  dem  Herde  nötig  ist,  da 
naturgemäss  kein  Verdampfen  stattfindet  und  sonst  das  Essen  zu 
dünn  gerät. 

Fig.  1.  Querschnitt.  Fig.  2.  Ansicht  von  oben. 


hoi..  „ = oansrHÄ-  «sr  frw  zfssrts&s. 

ringe  am  Kessel.  1  —  Reifen  aus  Gummi  von  einem  Automobil,  n  =  Rahmen  aus  Holz 
o  =  Handgriff  (an  allen  4  Seiten)  aus  Seil,  p  =  Speise,  qu  =  Raum  für  die Isolierschicht. 

r  =  Drahtgaze. 


Die  Einrichtung  der  Kochkiste  ist  folgende  (Fig.  1  u.  2): 
i  •  P*e/  besteht  im  wesentlichen  aus  einem  Kessel,  einer  Isolier¬ 
schicht  (qu)  und  einer  Holzkiste. 

Unser  Kupferkessel,  der  beiderseitig  verzinnt  ist  —  es  ist  jeder 
Kessel  verwendbar  —  hat  folgende  Ausmessungen: 

oberer  Durchmesser  ....  70  cm, 
unterer  Durchmesser  ...  50  cm! 

^öhe . 55  cm- 


bein  Rafid  ist  nach  aussen  umgebogen.  Zwei  bewegliche  Eisen- 
ringe  (k)  dienen  als  Griffe.  Der  Rauminhalt  beträgt  150  Liter,  davon 
ausnutzbar  120  Liter.  Die  Kiste,  deren  Querschnitt  ein  Trapez  ist, 
ist  aus  1/2  cm  starkem  Holz  gefertigt  und  hat  folgende  Masse: 


obere  Breite 
Länge  .  . 
untere  Breite 
Seitenwand  . 


95  cm, 
100  cm, 
65  cm, 
68  cm. 


Es  war  geboten,  der  Kiste  die  Form  eines  Troges  zu  geben,  um  sic 
genau  in  den  für  sie  bestimmten  Wagen  einzupassen  und  den  vor¬ 
handenen  Raum  auszunutzen.  Der  Raum  zwischen  Kiste  und  Kessel 
ist  mit  einem  schlechten  Wärmleiter  (qu)  ausgefüllt.  Für  den  Boden 
wurde  ein  Gemenge  von  zusammengeballtem  Zeitungspapier  und 
Holzdrehspanen  gewählt,  während  die  Seitenwände  mit  Drehspänen 
fest  ausgestopft  wurden.  Als  Isoliermaterial  könnte  auch  Torfmull, 
der  wenig  Erde  enthält,  rohe  Watte,  Asche,  Zeitungspapier  u.  a. 
dienen.  Das  Füllmaterial  schliesst  nach  oben  hin  ein  Holzrahmen  (nj 


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Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  . 


ab,  an  ihn  ringsherum  angenagelt  ist  ein  Korb  (r)  aus  Drahtgeflecht 
zur  Aufnahme  des  Kessels. 

Der  feste  Verschluss  des  Kessels  wird  auf  folgende  Weise  er¬ 
zielt:  Zur  Abdichtung  dient  ein  kreisbogenförmiges  Stück  eines  alten, 
durch  Auskochen  gereinigten  Automobil-Radmantels  (1),  der  sich  dem 
Kesselrand  gut  anschmiegt;  darauf  liegt  ein  Holzdeckel  (g),  der  durch 
eine  Leiste  (h),  die  stramm  in  die  Trageringe  (k)  hineinpasst,  fest¬ 
gehalten  wird.  Um  den  Deckel  fest  anzupressen,  wird  ein  Holzkeil  (i) 
zwischen  Deckel  und  Leiste  geschlagen,  dadurch  wird  diese  an  die 
Ringe  gedrückt  und  der  Deckel  fest  an  die  Gummidichtung.  Der 
Deckel  selbst  wird  zur  besseren  Isolation  durch  Kissen  geschützt,  die 
aus  Sackleinwand  gefertigt  und  mit  dem  erwähnten  Isoliermaterial 
gefüllt  sind.  Die  Kiste  wird  dann  noch  durch  einen  Holzdeckel  ver¬ 
schlossen.  Um  einem  unnötigen  Spritzen  und  Bewegen  der  Flüssig¬ 
keit  und  einem  damit  bedingten  Wärmeverlust  vorzubeugen,  befindet 
sich  im  Innern  des  Kessels  eine  Holzscheibe  (f),  die  auf  der  Flüssig¬ 
keitsoberfläche  schwimmt. 

Nach  unseren  Angaben  haben  schon  mehrere  Kolonnen  unseres 
Verbandes,  die  bis  zu  180  Mannschaften  zu  verpflegen  haben,  sich 
eine  gleiche  Kochkiste  gebaut  und  sind,  ebenso  wir  wir  selbst,  in  jeder 
Weise  befriedigt. 


Auswärtige  Briefe. 

Brief  aus  Köln. 

(Eigener  Bericht.) 

In  unserer,  der  Westgrenze  des  Reiches  benachbarten  Festung 
kommt  der  Kriegszustand  immerhin  mehr  als  an  vielen  anderen 
Orten  zur  Geltung  Wen  ein  nächtlicher  Gang  über  die  Rheinbrücke 
führt,  der  hat  Gelegenheit,  in  besonders  eindrucksvoller  Weise  sich 
davon  überzeugen.  Der  Blick  fällt  auf  den  breiten,  matt  schimmern¬ 
den  Strom,  auf  den  ragenden  Dom  im  Hintergrund  und  die  alte  turm¬ 
reiche  Stadt,  ganz  das  vertraute  schöne  Bild.  Aber  es  hat  einige 
Züge  verändert,  die  eine  eindringliche  Sprache  reden.  Die  mächtige 
Brücke,  scharf  bewacht  und  nur  mit  militärischem  Passierschein  be¬ 
tretbar,  ist  in  ungewohntes  Dunkel  gehüllt  und  am  Firmament  wan¬ 
dern  leuchtende  Streifen  rastlos  hin  und  her,  Strahlen  von  Schein¬ 
werfern.  die  Fühlern  gleich  den  Himmel  nach  Flugzeugen  'abtasten. 

Zahlreicher  wohl  als  anderwärts  sehen  wir  an  unserer  grossen 
Durchgangsstation  die  Züge  mit  begeistert  unter  vaterländischen 
Gesängen  gegen  den  Feind  ziehenden  Truppen,  zahlreicher  empfangen 
wir  aber  auch  die  stilleren  Transporte  verwundeter  oder  erkrankter, 
vom  Felde  heimkehrender  Krieger.  Bei  dem  enormen  Verkehr  hat 
man  Gelegenheit  genug,  die  grossen  Schwierigkeiten  zu  erkennen, 
welche  der  Verpflegung  und  ärztlichen  Versorgung  umfangreicher 
Verwundetentransporte  entgegenstehen,  man  kann  aber  auch  mit 
Befriedigung  die  rasche  Entwicklung  und  Vervollkommnung  der 
nötigen  Einrichtungen  verfolgen.  Der  militärische,  von  dem  Gar¬ 
nisonsarzt,  Oberstabsarzt  L  a  m  b  e  r  t  z,  geleitete  Sanitätsdienst  und 
die  unter  dem  roten  Kreuz  verbundenen  Vereine  für  freiwillige 
Kriegskrankenpflege  mit  dem  rührigen  ärztlichen  Beigeordneten  der 
Stadt  Köln,  Prof.  K  r  a  u  t  w  i  g.  an  der  Spitze,  arbeiten  einträchtig  an 
der  gemeinsamen  grossen  Aufgabe.  Frauen  und  Mädchen  der  Stadt 
teilen  sich  in  eine,  ohne  Unterbrechung  Tag  und  Nacht  währende, 
Wache  auf  den  Bahnhöfen,  um  die  durchkommenden  Truppen  und 
Verwundeten  mit  belegtem  Brot  und  warmen  Getränken,  Suppe,  Kaffee, 
Milch  oder  Kakao  zu  verpflegen.  Fine  grosse  Zahl  von  Kölner 
Aerzten  hat  sich  zum  Dienst  auf  der  Verbandstation  des  Bahnhofes 
zur  Verfügung  gestellt. 

Von  seiten  der  Bahnverwaltung  wird  das  in  Aussicht  stehende 
Eintreffen  eines  Verwundetenzuges  und  die  Stärke  von  dessen  Be¬ 
legung,  wobei  leicht  und  schwer  Verwundete,  sowie  Deutsche  und 
Oiefangene  unterschieden  werden,  rechtzeitig  an  die  Zentrale  der 
freiwilligen  Kriegskrankenpflege  im  Stadthause  gemeldet.  Von  hier 
aus  werden  die  Verpflegungsstation  des  Bahnhofes,  ferner  die  nötige 
Anzahl  von  Aerzten  verständigt  und  Automobile  ausgesandt,  um 
letztere  herbeizuholen. 

Neben  der  etwa  nötigen  Erneuerung  oder  Verbesserung  der 
Verbände  liegt  den  am  Bahnhofsdienst  teilnehmenden  Zivilärzten  auch 
die  Entscheidung  ob.  wer  von  den  Kranken  oder  Verwundeten  aus 
ärztlichen  Gründen  von  der  Weiterreise  ausgeschlossen  werden  muss. 
Anfangs  wurde  auch  noch  dem  menschlich  gewiss  sehr  verständlichen 
Wunsche  der  Verwundeten,  jeweils  in  ihre  Heimat  verbracht  zu  wer¬ 
den,  möglichst  Rechnung  getragen,  doch  musste  davon  bei  der 
starken  Mischung  der  Truppenkontingente  aus  den  verschiedensten 
Teilen  Deutschlands  aus  eisenbahntechnischen  Gründen  bald  Abstand 
genommen  werden.  Ein  regelmässig  anwesender  Militärarzt  be¬ 
stimmt  die  Reihenfolge  der  Lazarette,  in  welche  die  in  Köln  ver¬ 
bleibenden  Leute  zu  verbringen  sind.  Ein  speziell  beauftragter  Arzt 
sorgt  durch  Telefonanruf  für  die  jeweils  erforderlichen  Transport¬ 
mittel.  seien  es  Automobile  oder  Trieb-  und  Anhängewagen  der 
städtischen  elektrischen  Strassenbahn.  Die  letzteren  bewähren  sich 
besonders  für  den  Transport  schwerer  Verwundeter  auf  den  Trag¬ 
bahren.  Die  Sitze  der  Anhängewagen  sind  herausgenommen,  eine 
Anzahl  der  Tragbahren  können  auf  dem  Boden  der  Wagen  unterge¬ 
bracht  und  ie  2  Bahren  quer  durch  die  offenen  Fenster  hindurch  auf 
iede  Fensterbrüstung  gelegt  werden.  Es  werden  so  bis  zu  10  Kranke 
auf  Bahren  in  einem  Wagen  befördert. 


Die  Verbandstation  des  Bahnhofes,  auf  der  Krankenschwesti 
aus  einem  benachbarten  Spitale,  Helferinnen  vom  roten  Kreuz  u 
eine  grosse  Anzahl  von  samariternden  Aerzten  an  die  Hand  geh 
hat  sich  aus  bescheidenen  improvisierten  Anfängen  rasch  zu  eii 
stattlichen  Einrichtung  mit  mehreren  heizbaren  Hallen  entwickelt.  i; 
mit  zahlreichen,  mit  allem  nötigen  Zubehör  ausgerüsteten  Verbai 
tischen  ausgestattet  sind.  Die  neben  der  Versandstation  lieget’' 
Verpflegungsstation  des  roten  Kreuzes  kommt  den  Verwundeten  ul 
Kranken  nicht  nur  mit  leiblicher,  sondern  auch  mit  geistiger  Nahrui. 
mit  Büchern  und  vor  allem  mit  den  heiss  begehrten  Zeitungen 
Hilfe,  ferner  mit  Kleidung,  mit  Mützen,  Strümpfen,  Jacken,  Hemd', 
ferner  mit  Kissen,  Decken,  mit  Stöcken,  Krücken  uam. 

Es  ist  ein  buntes,  belebtes,  trotz  der  vielen  schmerzlichen  ZiiL 
doch  auch  des  frischen  soldatischen  Geistes  nicht  entbehrendes  Ri. 
das  sich  entwickelt,  wenn  solch  ein  Verwundetenzug  einläuft.  Vi. 
treter  der  verschiedensten  Waffengattungen  und  aller  deutsch^ 
Stämme  finden  sich  da  zusammen,  alle  in  brüderlicher  Kamen' 
schaftlichkeit  um  einander  bemüht,  die  leichter  Verwundeten  d* 
schwereren  Kranken  helfend,  sie  stützend  und  versorgend.  Oft  u[ 
oft  klingt  dem  Arzte  aus  dem  Munde  des  soeben  von  der  Front  vq. 
wundet  Zurückkehrenden  die  Frage  entgegen,  wie  lange  es  dauei 
werde,  bis  er  wieder  hinauskönne  und  als  Leitmotiv  für  dies: 
Streben  äussert  sich  bei  den  meisten  in  erster  Linie  eben  wieder  & 
Gefühl  der  Kameradschaftlichkeit.  Sie  wollen  zurück  zu  ihren  Kam  ■ 
genossen,  mit  denen  sie  sich  durch  die  gemeinsamen  Kriegserlebnis: 
aufs  innigste  verkettet  fühlen. 

Auch  dem  französischen  Feinde  gegenüber,  sei  es,  dass  er  sik 
verwundet  oder  als  Gefangener  im  Zuge  befinde,  tritt  eine  gewia 
soldatische  Sympathie  und  gutmütige  Fürsorge  in  der  Regel  hervi. 
Umsomehr  aber  hört  man  Worte  des  Hasses  gegen  die  Engländer,  y 
allem  wegen  der  gemeinen  Kampfesweise,  dass  sie  den  Anschein  <1 
wecken,  sich  ergeben  zu  wollen,  um  dann  den  sich  nähernden  Gegr¬ 
ünter  vernichtendes  Feuer  zu  nehmen. 

Schreiber  dieses  hat  von  Soldaten  Namen  ihrer  Offiziere  nenriji 
hören,  die  diesem  „Verfahren“  der  Engländer  zum  Opfer  fielen.  Sk 
haben  ihm  auch  die  äusserlich  „legitim“  aussehenden  Dumdu- 
Patronen  unserer  Vettern  gezeigt.  Der  dünne  Blechmantel  des  Q 
schosses  birgt  an  seiner  Spitze  zunächst  einen  kleinen  Aluminiui 
kegel,  hinter  dem  dann  erst  der  Bleikern  folgt.  Da  wo  beide  sij 
berühren,  ist  der  Blechmantel  durch  Abbiegen  leicht  aufzureiss, 
und  das  Dumdumgeschoss  ist  fertig.  Am  Gewehr  der  Englänct 
befinde  sich,  so  sagten  sie,  aussen  ein  kleiner,  mit  einem  Loch  vi[ 

sehener  Ansatz.  In  dieses  Loch  werde  die  Spitze  der  Patrone  g 

steckt  und  abgebogen. 

Die  von  Köln  aus  betätigte  Kriegskrankenpflege  ist  durch  ö 
Schaffung  eigener  Lazarettzüge  in  ein  neues  Stadium  eins 

treten.  Der  erste  ist  vor  kurzem  aus  der  grossherzig 
Schenkung  des  Geheimen  Kommerzienrates  Theodor  v.  Gui 
I  e  a  u  m  e  an  das  rote  Kreuz  (eine  halbe  Million)  ferti 

gestellt  wurden.  Dieser  „Vereinslazarettzug  Rotes  Kreuz  Köl 
besteht  bei  einer  Länge  von  400  m  aus  ca.  30  Wagen  und  kann  üb' 
200  Schwerverwundete  aufnehmen.  4  Aerzte,  15  Krankenschwestei 
17  Samariter,  je  ein  Vertreter  der  evangelischen  und  katholisch 
Geistlichkeit  widmen  ihre  Kräfte  den  Kranken.  Die  Erfahrung  h 
gezeigt,  dass  der  Dienst  sehr  anstrengend  ist.  Die  Einrichtung 
des  Zuges  sind  mustergültig.  Eigentliche  Krankenwagen  mit 
12  Tragbetten  sind  17  vorhanden.  In  ihrer  Mitte  befindet  sich  d, 
Operationswagen.  Ausserdem  finden  sich  2  Schlafwagen,  1  als  Wohj 
raum  eingerichteter  Wagen  und  je  1  Wagen  für  das  Gepäck,  für  c 
Küche,  für  deren  Vorräte,  für  die  Wäsche  und  das  Verbandzeug,  f, 
die  Kühlung  von  Nahrungsmitteln,  für  Brennmaterialien,  für  die  Hi 
zung  und  für  die  Mitführung  einwandfreien  Trinkwassers.  Der  Z, 
hat  schon  mehrere  Fahrten  gemacht,  die  eine  Reihe  von  Tagen  . 
dauern  pflegen.  Als  wichtige  Ergänzung  des  Zuges  sind  Kranke 
automobile  in  Vorbereitung,  die  4  oder  6  Bahren  aufnehmen  und  d 
Verkehr  möglichst  von  der  Kampflinie  bis  zu  dem  Lazarettzug  vej 
mittein  sollen.  Ein  schönes  Zeugnis  für  den  Kölner  Gemeinsinn  i 
es.  dass  bald  noch  zwei  weitere  Lazarettzüge  (einer  von  den  G 
schwistern  M  e  v  i  s  s  e  n  und  einer  von  der  Eisenbahnwagenfabr, 
van  der  Zypen  &  Charlier  gestiftet),  dem  ersten  folg 
werden.  Man  spricht  davon,  dass  sogar  noch  ein  vierter  in  Vö 
bercitung  sei. 

Bei  Beginn  des  Krieges  wurde  unter  grossem  Zudrang  an  dr 
Abenden  ein  „Orientierungskurs  für  freiwillig 
Kriegsärzte“  abgehalten.  Der  damalige  Garnisonsarzt  von  Köi 
Oberstabsarzt  Dr.  H  a  b  e  r  1  i  n  g.  gab  eine  allgemeine  Uebersicht  üb 
den  Kriegssanitätsdienst  sowie  über  die  Aufgabe  des  freiwillig  bei  d' 
Armee  tätigen,  nichtdienstnflichtigen  Zivilarztes.  Am  2.  Abend  e, 
örterte  Prof.  Martin.  Oberarzt  am  Evangelischen  Krankenhaus, 
die  leitenden  Gesichtspunkte  für  die  kriegschirurgische  Tätigke 
Dr.  G  o  e  t  j  e  s.  Assistenzarzt  der  Klinik  T  i  I  m  a  n  n,  berichtete  üb 
kriegschirurgische  Erfahrungen  aus  dem  Balkankriege,  besonde 
über  Nerven-  und  Arterienverletzungen.  Am  letzten  Abend  snra1 
Prof.  Küster,  Mitglied  des  Kais.  Gesundheitsamtes  und,  an  Stel 
des  im  Felde  stehenden  Hygienikers  der  Kölner  Akademie.  Pn 
Müller,  derzeitiger  Leiter  der  bakteriologisch-hygienischen  Stath 
in  der  Festung  Köln,  über  Seuchenbekämpfung  im  Kriege,  sow 
Prof.  Aschaffenburg  über  Kriegspsychosen.  Dieser  Orie 
tierungskurs  gab  den  Ursprung  für  weitere  „k  r  i  e  g  s  ä  r  z  1 1  i  c  h 


[Dezember  1014. _ _ Feldärztliche  Beilage  zur  Miinch.  med.  Wochenschrift. 


lende  ab,  welche  unter  Leitung  des  geschäftsführenden  Pro- 
fc  ;ors  der  Akademie  fiir  praktische  Medizin  des  Qarnisonsarztes 
i  des  Vorsitzenden  des  Allgemeinen  ärztlichen  Vereins  alle  drei 
^chen  fiir  die  Militär-  und  Zivilärzte  von  Köln  und  Umgebung 
,  tfinden  sollen.  Am  ersten  derartigen  Abend  sprach  Prof!  T  i  1  - 
i  n  n,  der  als  Armeechirurg  im  Felde  tätig  ist,  über  seine  bis- 
gen  Kriegserfahrungen.  U.  a.  betonte  er  die  Schwierigkeit,  aus 
1  Beschaffenheit  einer  Wunde  zu  entscheiden,  ob  sie  durch  Dum- 
igeschosse  hervorgerufen  sei,  da  Querschläger  und  Naheschüsse 
i  h  hei  gewöhnlichen  Geschossen  starke  Zcrreissungen  und  Zer- 
I :terungen  machen  können.  Prof.  Aschaffenburg  stellte 
n  Fall  von  optischer  Aphasie  nach  einem  Gehirnschuss  bei  einem 
i  ibrigen  sich  völlig  wohl  befindenden  Kranken  vor.  Das  Projektil, 
J  französisches  Kupfergeschoss,  stak  noch  im  Gehirn  in  der  linken 
i  ren  Parietalgegend  und  zwar  mit  der  Spitze  gegen  die  Einschuss- 
i  ung  gerichtet.  Es  hatte  sich  demnach  nach  dem  Eindringen  in 

I  Schädel  gedreht.  Die  Spitze  war  leicht  abgebogen.  (Das  Ge- 
,i  rss  ist  später  mit  auch  funktionell  gutem  Erfolge  operativ  ent- 

I I  worden.)  Der  zweite  kriegsärztliche  Abend  brachte  einen  Vor- 
r;  des  Garnisonsarztes  Lambertz  über  einfache  und  billige 
:  ensionsbehandlung  von  Knochenbrüchen  des  Armes  nach  W  i  1  d  t. 
Ir  Vortrag  erscheint  an  anderer  Stelle  dieser  Nummer  S.  2321.) 
'  'er  sprach  Prof.  Hochhaus  über  Tetanus.  Der  Redner 
inte  als  Chefarzt  des  von  der  Militärbehörde  requirierten  Augusta- 
initals,  in  das  die  grosse  Mehrzahl  der  in  Köln  vorgekommenen 

inusfälle  verlegt  worden  war,  über  die  für  einen  einzelnen  Be- 

•  -htcr  ungewöhnlich  grosse  Zahl  von  ca.  60  Fällen  berichten.  Er 
mgte  zu  einer  Empfehlung  der  Magnesiumsulfat-  sowie  auch  der 
1  noltherapie,  während  ihn  die  Antitoxintherapie,  von  der  er  frei- 
<  trotzdem  nicht  ganz  absehen  will,  im  Stiche  Hess.  (Auch  dieser 

trag  ist  in  der  M.mAV.  Nr.  46,  S.  2253  erschienen.) 

In  der  Diskussion  berichtete  Herr  Martin  (Chirurg 
i  Evangelischen  Krankenhaus)  über  8  Tetanusfälle,  darunter 
i  1  leicht,  3  starben,  5  sind  geheilt.  Die  Behandlung  bestand 
i  ;t  in  intramuskulären  Injektionen  15  proz.  Lösung  von  Magnesium- 
i  it,  3  mal  täglich  20  ccm.  Gleichzeitig  Chloralhydrat  per  Klysma. 
■[  auch  Morphium  subkutan,  strenge  Isolierung  der  Kranken  in 
i  eizimmern,  Abhaltung  aller  äusseren  Reize,  sofort  bei  Ausbruch 
(  ersten  Erscheinungen  wenn  möglich  Exzision  der  Wunde  im 
i>  inden,  meistens  aber  breite  Spaltung  und  Freilegung  ohne  Rück¬ 
et  auf  Muskulatur.  Amputation  wurde  vermieden,  nur  einmal 
:rtikulation  einer  Zehe.  Antitoxinbehandlung  versagte,  ein  pro- 
1  aktisch  mit  Antitoxin  intravenös  behandelter  Fall  erkrankte  am 
>mden  Tage  mit  Tetanus. 

Herr  C  a  h  e  n  (Chirurg  am  Gefangenenlazarett)  findet  es  auf- 
i  nd,  dass  er  gegenüber  den  zahlreichen  Fällen  von  Tetanus  bei 
tschen  Verwundeten  unter  ca.  450  verwundeten  Gefangen,  meist 
iizosen,  nur  2  Fälle  beobachtet  hat.  Symptomatisch  wendet  er 
®  in  Verbindung  mit  Morphium  Skopolamin  an.  Herr  Go  ecke 
« rurg  am  Städtischen  Krankenhaus  Köln-Mülheim  und  im  Gar- 
i  nlazarett  Köln-Deutz)  hat  8  Tetanusfälle  beobachtet,  darunter 
eutsche  und  5  Franzosen.  Einer  ist  geheilt,  3  sind  gestorben, 
i finden  sich  noch  in  Behandlung.  Bei  den  3  gestorbenen  traten 
i  ersten  Erscheinungen  am  7.,  8.  und  10.  Tage  nach  der  Ver- 
r  dang  auf.  Behandlung  bei  2  von  diesen  mit  Seruminjektionen 
J  Einheiten  subkutan,  ausserdem  Chloralhydrat  per  Klysma  resp. 

-  g  Aspirin  und  Morphium-Skopolamin,  bei  dem  3.  Fall  nur  Mor- 
tim,  Chloralhydrat.  Der  geheilte  Fall  hatte  innerhalb  6  Tagen 
)  Einheiten  Serum  erhalten,  meist  subkutan,  einmal  100  Einheiten 
1  lumbal  (von  den  4  damals  noch  in  Behandlung  stehenden  Fällen 
l  inzwischen  noch  2  gestorben).  Herr  G  e  u  e  r  (Chirurg  am 
eungslazarett  8  und  am  St.  Franziskus-Hospital)  beobachtete  unter 
1  Schwerverletzten  12  Fälle  von  Tetanus.  2  davon  waren  ins 
usta-Hospital  verwiesen  worden.  Von  den  10  übrigen  starben  4. 

1  sicher  Genesende  sind  4  zu  bezeichnen.  Sehr  gefährdet  sind 
V  2  (einer  von  diesen  ist  inzwischen  gestorben).  Das  früheste 
1  Ptom  bildete  durchweg  die  Klage  über  Schluckbeschwerden.  In- 
1  tionszeit  zwischen  5 — 14  Tagen.  Alle  Kranken  erhielten  Serum 
3  100—800  Einheiten.  In  2  der  Fälle  glaubt  der  Beobachter  eine 
6  mvvirkung  annehmen  zu  müssen.  Herr  Wette  (Chirurg  am 
eungslazarett  3)  hat  bei  ca.  1000  Verwundeten  13  Fälle  von 
e  nus  beobachtet,  davon  10  gestorben,  3  geheilt.  Inkubation  bei 
i  Gestorbenen  bei  vieren  7  Tage,  bei  dreien  9  Tage,  bei  einem 
age,  bei  einem  21  Tage.  Bei  den  geheilten  Fällen  Inkubation 

•  12  und  17  Tage;  Art  und  Schwere  der  Verletzung  scheint  auf 
£  Verlauf  keinen  wesentlichen  Einfluss  zu  haben.  Es  wurden 
I:  von  leichten  und  glatt  vernarbten  Fleischschusswunden  mit 
ehern  Ausgang  und  andererseits  Fälle  mit  schweren  ausgedehnten 
1  hen-  und  Weichteilwunden  gesehen,  die  leichter  erkrankten  und 

likamen.  Amputiert  wurde  nur  einmal  eine  stark  verstümmelte 
1.  ohne  dass  davon  ein  Einfluss  auf  die  Krämpfe  ersichtlich  war. 
ler  Behandlung  wurde  anfangs  ausgedehnter  Gebrauch  von 
Jnusantitoxin  gemacht.  Es  wurden  von  vornherein  grosse  Dosen 

Iben.  Einzeldosis  100  Einheiten,  die  meist  3  mal,  in  einem  Falle 
r  5  mal  am  Tage  verabreicht  wurden.  Die  Anwendung  geschah 
lt  intravenös,  einige  Male  subkutan,  intralumbal  und  intraneural. 

■  dliche  Folgen,  ausser  rasch  vorübergehendem  Serumexanthem, 
ilen  nicht  gesehen,  aber  auch  in  keinem  einzigen  Falle  eine  Bes- 
iig  der  objektiven  und  subjektiven  Krankheitserscheinungen.  Auf 


Grund  dieser  Beobachtungen  gibt  Wette  bei  seinen  Fällen  jetzt 
nur  noch  am  ersten  Tage  eine  einmalige  Injektion  von  100  Einheiten. 
Palliativ  wurden  von  Chloral  bessere  Wirkungen  als  vom  Morphium 
gesehen.  Ausserdem  Aspirin,  um  die  an  sich  schon  gesteigerte 
Schweissbildung  noch  mehr  zu  erhöhen  und  so  womöglich  die  natür¬ 
lichen  Abwehrmassregcln  des  Körpers  zu  unterstützen.  Bei  einer 
ganzen  Reihe  von  verdächtigen  Fällen,  denen  prophylaktisch  Anti¬ 
toxin  injiziert  wurde,  ist  keiner  an  Tetanus  erkrankt,  ohne  dass 
natürlich  diesem  Umstande  eine  Beweiskraft  für  eine  tatsächliche 
prophylaktische  Wirkung  in  diesen  Fällen  zukommen  kann. 

Herr  Kurzak  bemerkte  zu  der  Frage,  ob  vielleicht  französische 
Verwundete  seltener  mit  Tetanus  erkrankten  als  deutsche,  dass  er  im 
Festungslazarett  7a  bei  199  verwundeten  Franzosen  6  Tetanusfälle 
gesehen  habe,  darunter  bisher  2  gestorben  und  im  Festungslazarett  7 
unter  400  verwundeten  Franzosen  5  Fälle  von  schwerem  Tetanus, 
die  binnen  Kurzem  tödlich  endeten.  Herr  Kühn  (Lazarett  in 
Neuenahr)  hat  in  einem  Falle  von  Tetanus  von  Luminal,  1  g  pro  die, 
eine  bemerkenswerte  Besserung  der  Symptome  gesehen.  Herr  Eber- 
hart  weist  auf  Grund  von  Beobachtungen  in  der  gynäkologischen 
Literatur  auf  die  Gefahr  der  Uebertragung  des  Tetanus  von  Kranken 
zu  Kranken  hin,  woraus  die  Notwendigkeit,  die  Kranken  zu  isolieren 
und  ihnen  eigenes  Pflegepersonal  zu  geben,  hervorgehe.  Er  macht 
ferner  auf  die  in  Kriegsheft  4  der  ärztlichen  Sammelmappe  von 
Fr  i  e  d  r  i  c  h  empfohlene  Methode  der  Perubalsambehandlung  ver¬ 
dächtiger  Wunden  aufmerksam,  da  Subkutaninjektionen  von  Peru¬ 
balsam  mit  Gartenerde  infizierte  Tiere  schützen  sollen.  Herr  Frank 
(Prosektor)  hat  bei  32  Obduktionen  von  Tetanusfällen  in  12  Fällen 
eine  über  beide  Lungen  diffus  ausgebreitete  konfluierende  Broncho- 
pneumonie  mit  eitriger  Bronchitis,  in  4  Fällen  Schluckpneumonie,  in 
12  Fällen  eitrige  Spinalmeningitis  gefunden.  Er  macht  diese  Ver¬ 
änderungen  für  den  Tod  verantwortlich.  Nur  in  4  Fällen,  wo  ein 
entsprechender  Befund  nicht  zu  erheben  war,  möchte  er  den  Tod 
unmittelbar  der  Tetanusgiftwirkung  zuschieben.  Von  5  histologisch 
und  bakteriologisch  untersuchten  Bronchopneumoniefällen  Hessen  sich 
bei  vieren  teils  im  Blut,  teils  im  Lungengewebe  Streptokokken  und 
im  fünften  Falle  Pneumokokken  nachweisen.  Herr  Wiedmann  hat 
6  Tetanuserkrankungen  bei  französischen  Soldaten  gesehen,  meist 
freilich  mittelschwere  und  leichte  Fälle.  Einer  starb.  Für  die  Krampf¬ 
behandlung  erwies  sich  Morphium  und  Skopolamin,  subkutan,  als 
vorteilhaft.  Herr  Huisnians  macht  besonders  in  Hinsicht  auf  die 
durch  Frank  hervorgehobene  Häufigkeit  von  Bronchopneumonien 
bei  Tetanuskranken  Bedenken  gegen  die  aus  der  Sauerbruch- 
schen  Klinik  stammende  Empfehlung  der  Phrenikotomie  bei  Tetanus 
geltend.  Herr  Czaplewski  hebt  hervor,  dass  der  Tetanus¬ 
bazillus  in  der  Erde  verschieden  häufig  zu  sein  scheine.  In  Köln 
konnte  er  durch  Verimpfung  von  Erde  auf  Versuchstiere  meist  keinen 
I  etanus,  sondern  nur  malignes  Oedem  erzeugen.  Dagegen  scheine  in 
Göttingen  der  Tetanusbazillus  in  der  Erde  häufig  zu  sein.  So  könne 
es  sich  erklären,  wenn  Verwundete  von  manchen  Schlachtfeldern 
einen  besonders  grossen  Prozentsatz  von  Tetanuserkrankungen  auf¬ 
weisen  sollten.  Er  weist  auf  die  Kombination  von  Sepsis  mit 
1  etanus  hin,  wie  ja  auch  die  Untersuchungen  Franks  auf  Misch¬ 
infektionen  hinwiesen.  Herr  Küster  legt  dar,  dass  die  anscheinend 
geringen  Heilerfolge  mit  der  Serumbehandlung  nach  dem  Tierexperi¬ 
ment  verständlich  seien.  Bei  einer  Tetanustoxininfektion,  die  nur 
24  Stunden  zurückliegt,  seien  im  Tierversuch  schon  ganz  gewaltige 
antitoxische  Serummengen  erforderlich,  die  beim  Menschen  (nach 
D  ö  n  i  t  z)  der  Injektion  von  20  000  Antitoxineinheiten  entsprechen 
würden.  Solche  Mengen  können  aber  bei  unserem  vierwertigem 
Serum  praktisch  überhaupt  nicht  angewendet  werden,  man  müsste 
dazu  das  Serum  ja  literweise  einspritzen.  Trotzdem  sei  es  unbe¬ 
rechtigt,  von  der  Antitoxinbehandlung  ganz  absehen  zu  wollen,  da 
inan  ja  nicht  wissen  könne,  ob  bei  Auftreten  der  ersten  klinischen 
Erscheinungen  bereits  die  tödliche  Toxindosis  verankert  sei  und 
nicht  doch  durch  das  Serum  noch  ein  unverankerter  Rest  von  Gift 
gebunden  werden  könne.  Auf  Grund  von  Laboratoriumsversuchen 
über  die  Schädigung  des  Tetanusgiftes  durch  chemische  Substanzen 
empfiehlt  Küster  zur  Prüfung  ihrer  etwaigen  Wirkung  auch  beim 
Menschen  in  erster  Linie  den  Alkohol,  der  gleichzeitig  auch  noch  als 
Narkotikum  beruhigend  wirken  könne,  ferner  Lezithin,  Methylenblau 
und  Eosin.  Auch  gegen  Strahlenwirkung  sei  Tetanusgift  empfind¬ 
lich. 

Herr  Moritz  weist  darauf  hin,  dass  man  erst  die  Schluss¬ 
resultate  der  Behandlung  grosser  Reihen  von  Tetanusfällen  mit  den 
modernen  Methoden  abwarten  müsse,  ehe  man  den  Schluss  ziehe, 
ob  die  bisherige  Regel,  dass  80—90  Proz.  der  Fälle  verloren  seien, 
nicht  mehr  gelte.  Unter  3  schweren  Fällen,  die  an  der  Lindenburg 
beobachtet  wurden  sind  bisher  2  gestorben  (Inkubation  4  und  5, 
des  noch  lebenden  12  Tage).  Morphium-Skopolamin-Narkose  zeigte 
palliativ  gute  Wirkung.  Zur  Ernährung  vom  Darme  aus  eignen  sich 
in  erster  Linie  Traubenzuckerklystiere  mit  7l/2  proz.  Lösung.  Auch 
können  intravenöse  Zuckerinfusionen  mit  10  proz.  Lösung,  die  bis  zu 
1  Liter  ohne  Bedenken  injiziert  werden  kann,  als  empfehlenswert 
gelten.  Was  die  Bronchopneumonie  als  Todesursache  bei  Tetanus¬ 
fällen  anlange,  so  weise  doch  die  klinische  Beobachtung,  auch  bei 
Fällen,  bei  denen  die  Sektion  Bronchopneumonie  aufweise,  auf  eine 
ausgesprochene  tetano-toxische  Komponente  in  den  zum  Tode  führen¬ 
den  Vorgängen  hin.  Moritz. 


2330 


Nr.  48 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Vereine. 

Berliner  vereinigte  ärztliche  Gesellschaften. 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzung  vom  25.  November  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Orth. 

Schriftführer :  Herr  Hansemann. 

ln  Anbetracht  der  durch  den  Krieg  herbeigeführten  Verhältnisse 
tagen  folgende  ärztliche  Gesellschaften  mit  der  Berliner  medi¬ 
zinischen  Gesellschaft  zusammen  (14  tägig):  Verein  für 
innere  Medizin  und  Kinderheilkunde,  Gesellschaft  für  Chirurgie,  Uro- 
logische,  Ophthalmologische,  Dermatologische,  Laryngologische, 
H  u  f  e  1  a  n  d  ische  Gesellschaft,  Gesellschaft  der  Chariteeärzte  und 
Gesellschaft  für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten. 

Herr  Bucky:  Die  Röntgensekundärstrahlenblende  als  Hilfs¬ 
mittel  für  die  Lokalisation  von  Geschossen. 

Vortr.  demonstriert  an  2  Herzschüssen  und  mehreren  Aufnahmen 
innerer  Organe  die  Vorzüge  der  Buckyblende  bei  der  Durchleuchtung 
und  Aufnahme. 

Herr  Bucky  demonstriert  darauf  Photogramme  eines  Falles 
von  schwerer  Röntgen  Verbrennung  nach  gynäkologischer  Tiefen¬ 
bestrahlung  bei  einer  41  jährigen  Patientin,  die  wegen  Uteruskrebses 
in  einer  Frauenklinik  bis  zum  Auftreten  von  Hautrötung  bestrahlt 
worden  und  sogar  auf  einem  Kongress  als  besonders  günstiger  Fall 
demonstriert  worden  war.  Nach  kurzer  Zeit  bildeten  sich  tiefe  Ge¬ 
schwüre  der  Haut,  des  Gesässes  und  der  Schamgegend.  Einlegung 
von  25  mg  Radium  in  die  Scheide  wegen  eines  Rezidives  führte  zu 
einer  Blasenscheidenfistel.  Bei  der  Sektion  fand  sich  ein  Uteruskrebs 
mit  ausgedehnten  Metastasen.  Vortr.  schliesst  daran  die  Mahnung, 
an  Stelle  der  Forderung  der  Gynäkologen:  möglichst  hohe  Dosen  in 
kurzen  Zeiträumen,  die  Forderung  der  Röntgenologen:  mässige  Dosen 
über  lange  Zeiträume  verteilt,  zu  setzen. 

Herr  Roth  mann:  Demonstration  von  Schussverletzungen  des 
Stirnhirns. 

1.  Fall:  Motorische  Aphasie  durch  Granatsplitter  in  der 
Gegend  des  Operkulum,  leichte  Parese  des  rechten  Arms 

2.  Fall:  Fast  reine  sensorische  Aphasie  durch  Schuss- 
verletzung  des  Schläfenlappens,  in  Heilung  begriffen. 

3.  Fall:  Stirnschussverletzung.  Pat.  war  anfänglich 
geistig  sehr  träge,  brauchte  lange  Zeit  zum  Antworten,  obwohl  er 
alles  verstand.  Diese  Erscheinung  ist  schon  zurückgegangen.  Keine 
Apraxie;  dagegen  Vorbeizeigen  nach  rechts  beim  Zeige¬ 
versuch  nach  Barany  und  beim  Greifversuch  nach  Rothmann. 
Auch  beim  Gehen  mit  geschlossenen  Augen  weicht  er  nach  rechts  ab, 
ebenso  beim  Berühren  eines  Gegenstandes  mit  der  Nasenspitze  durch 
Kopfbeugen  bei  geschlossenen  Augen.  Keine  Agraphie.  Dieser  Fall 
beweist  aufs  neue  die  Richtigkeit  der  Munk  sehen  Lehre,  dass  das 
Stirn  h  i  i  n  ein  Zentrum  für  das  Gleichgewicht  und 
die  Kordin  ation  der  Bewegungen  enthält.  Die  Ver¬ 
letzung  betrifft  wahrscheinlich  den  vorderen  Teil  der  zwei¬ 
ten  Stirnwindung,  da  nach  Verletzung  des  hinteren  Teils 
Schreibstörungen  auftreten.  Vortr.  betont  die  Wichtigkeit  solcher 
Gehirnverletzungen  an  gesunden  Gehirnen  für  die  Neurologie,  die 
durch  die  Beobachtung  an  kranken  Gehirnen  oft  zu  Fehlschlüssen 
über  die  Funktionen  des.  normalen  Gehirns  verleitet  wird. 

Herr  Max  Levy  demonstriert  Präparate  eines  Falles  von 
Lungenschuss,  bei  dem  das  Geschoss  eine  Rippe  zersplittert  und  zu 
einer  ausgedehnten  Zerreissung  des  Lungengewebes  geführt  hatte. 

Herr  Morgenroth:  Die  Chemotherapie  der  Pneumokokken¬ 
infektion.  (Fortsetzung.) 

Die  Behandlung  des  kriechenden  Hornhaut  ge  sch  würs 
hat  übereinstimmend  gute  Erfolge  gegeben.  Sie  besteht  in  der 
Einträufelung  einer  1  proz.  Lösung  (G  o  1  d  s  c  h  m  i  d  t)  oder  in 
einer  vorherigen  Betupfung  des  Geschwürs  mit  einer  2  proz.  und 
nachfolgender  Einträufelung  einer  1 — 2  proz.  Optochinlösung  (S  c  h  u  r, 
K  u  h  n  t,  K  ü  m  m  e  1 1),  oder  schliesslich  in  der  Einreibung  einer 
1  proz.  Optochinsalbe  6  mal  täglich  (G  o  1  d  s  c  h  m  i  d  t).  Vortr.  emp¬ 
fiehlt,  eventuell  noch  stärkere  Konzentrationen  anzuwenden,  und  die 
Behandlung  auch  während  der  Nacht  fortzusetzen,  um 
eine  Arzneifestigkeit  der  Pneumokokken  durch  die  langen  Zwischen¬ 
pausen  zu  verhindern. 

Die  Befreiung  des  Bindehautsackes  von  Pneumokokken  vor 
Operationen  kann  durch  die  Einträufelung  in  12—24  Stunden  sicher 
erreicht  werden. 

Bei  der  Pneumokokkenmeningitis  sollte  die  intra¬ 
lumbale  Anwendung  des  Optochins  versucht  werden.  Eine  diesbezüg¬ 
liche  Erfahrung  von  W  e  i  n  t  r  a  u  d  ermutigt  hierzu. 

Bei  der  M  a  1  a  r  i  a  hat  sich  das  Optochin  als  dem  Chinin 
überlegen  erwiesen.  Die  Tagesdosis  beträgt  1,5  g  (Izar).  In 
einem  Falle  trat  auf  die  Verabreichung  dieser  Dosis  innerhalb  3  Stun¬ 
den  (anstatt  3  mal  täglich  0,5  g)  eine  schnell  vorübergehende  Erblin¬ 
dung  auf. 

Bei  der  Pneumonie  wird  das  Mittel  in  der  vorgeschriebenen 
Dosis  gut  vertragen.  Dosen  von  3 — 4  g  machen  Sehstörungen,  die 
nach  Aussetzen  des  Mittels  verschwinden  (S  t  a  e  h  e  1  i  n).  Das 
Optochin  soll  nur  in  frischen  Fällen  und  nie  später 
als  am  dritten  Tage  nach  Beginn  der  Pneumonie 
angewandt  werden. 


A.  Fraenkel  erzielte  bei  Innehalten  dieser  Indikation  in 
Gegensatz  zu  der  von  ihm  früher  beobachteten  Wirkungslosigkeit  bt 
alten  Fällen  neuerdings  gute  Erfolge.  Die  Entfieberung  trat  ausser  ii 
einem  Falle  noch  vor  Ablauf  des  5.  Tages  meist  lytisch  ein.  Aui 
fallend  war  die  Besserung  des  Allgemeinbefindens  und  der  Atmung 
Die  gleichen  guten  Erfolge  haben  neuerdings  auch  Rautenber« 
W  e  i  n  t  r  a  u  d,  S  t  a  e  h  e  1  i  n  u.  a.  erzielt.  Nebenwirkungen  wurde- 
in  diesen  Fällen  niemals  beobachtet.  Sie  sind  um  so  seltener,  je  frühe 
die  Behandlung  angewandt  wird,  da  klinische  Erfahrungen  sowoh 
wie  Tierversuche  dafür  sprechen,  dass  die  giftigen  Stoffe  der  Pneumo 
kokken  die  Empfindlichkeit  der  Netzhaut  für  Chininderivate  erhöhen 
Vortr.  fordert  die  Behandlung  bei  der  Pneumonie  aucl 
während  der  Nacht,  um  ein  Absinken  der  Optochinkonzentra 
tion  im  Blut  und  damit  die  Möglichkeit  einer  Arzneifestigung  dei 
Pneumokokken  zu  verhüten.  Ueber  die  Tagesdosis  von  1.5  i 
soll  nicht  hinausgegangen  werden.  E.  Leschke. 


Kleine  Mitteilungen. 

Das  Pariser  Kriegsgericht  gegen  deutsche  Aerzte. 

Einem  Basler  Blatte  entnehmen  wir  folgende  Darstellung  de' 
unerhörten  Prozesses: 

Am  letzten  Freitag  und  Samstag  (20.  und  21.  ds.)  erschienen  voi 
dem  ersten  Pariser  Kriegsgericht  neun  Angeklagte  deutscher  Natio¬ 
nalität:  die  Aerzte  Schultz  und  D  a  v  i  d  s  o  h  n,  die  Hilfsärztd 
Ähren  s,  Brambach  und  Horney,  der  Apotheker  Just,  de. 
Verwaltungsoffizier  M  i  1  a  c  h,  die  Unteroffiziere  Neitzel  um 
Wolfram.  Alle  gehörten  der  Reservesektion  der  7.  Ambulan, 
des  zweiten  deutschen  Armeekorps  an.  Sie  waren  angeklagt  de 
Mittäterschaft  an  Diebstahl  und  Plünderung  und  der  Hehlerei.  I)k 
Anklageschrift  gab  folgenden  Tatbestand  an: 

Am  3.  September  zogen  die  Deutschen  in  der  Ortschaft  Lizv 
sur-Ourcq  ein  und  plünderten  sie  in  den  darauffolgenden  Tagen  ausi 
Einzelheiten  über  Plünderungsakte  und  rohe  Taten  der  deutschen 
Soldaten  werden  angegeben.  Am  7.  September  zogen  die  Ange 
klagten  mit  ihrer  Ambulanz  ein  und  blieben  trotz  dem  Rückzüge 
der  Deutschen,  der  am  9.  erfolgte,  dort.  Die  Franzosen  fanden 
diese  Ambulanz  in  der  Schule  der  etwa  1800  Seelen  zählenden  Ort¬ 
schaft.  Die  deutschen  Aerzte  behielten  die  Ambulanz  in  Händen,  die 
von  nun  an  unter  französischem  Kommando  stand.  Bei  der  Haus 
suchung  fanden  die  französischen  Soldaten  im  Schulhause,  wo  die 
Ambulanz  eingerichtet  war,  eine  Kuh,  ein  Zweirad  und  zwei  Wägern 
die  sämtlich  gestohlen  waren,  zwei  Fässer  mit  Wein,  die  aus  den 
Schlosse  hergeschleppt  waren,  Flaschenwein  und  Likör. 

Die  Untersuchung  ergab  nicht,  dass  die  Angeklagten  an  der 
Plünderungsakten  teilgenommen  haben,  hingegen  sieht  der  Unter 
sucluingsrichter  als  erwiesen  an,  dass  in  der  von  den  Angeklagtei 
geleiteten  Ambulanz  von  dem  geraubten  Wein  und  Likör  gebrauch 
wurde.  Darauf  stützt  sich  die  Anklage. 

Die  Angeklagten  erschienen  sämtliche  in  Uniform  und  truger 
am  Arme  das  Genfer  Kreuz.  Nur  einer  von  ihnen,  Dr.  Davidsohn 
sprach  französisch.  Er  und  ein  Dolmetscher  machten  Uebersetzer- 
dienste.  Den  Angeklagten  waren  3  Verteidiger  beigegeben.  Dr.  Da 
v  i  d  s  o  h  n  ergriff  nach  dem  Verhör  das  Wort  zu  einer  Schil-j 
derung  der  Vorgänge,  aus  der  hervorgeht,  dass  nie  eineii 
von  der  deutschen  Ambulanz  irgend  etwas  geraubt  odet 
geplündert  hat.  „Ich  habe  Bons  mit  meinem  Namen  unc 
meiner  Adresse  unterzeichnet,  und  zwar  für  einige  Flaschen  Likör,  die 
für  Fiebernde  als  Ersatz  für  Medikamente  nötig  waren,  die  wir  nicht 
hatten.  Ich  selbst  habe  keinen  Tropfen  dieses  Likörs  getrunken.' 

Der  Präsident:  „Der  Wirt  erklärt  aber,  dass  man  ihm  100  Fla¬ 
schen  Likör  und  100  Flaschen  Champagner  genommen  hat.“ 

Dr.  Davidsohn:  „Dies  ist  unmöglich.  Wir  hätten  schnei 
trinken  müssen,  wenn  wir  bei  unserer  so  schweren  Arbeit  in  10  Tagen 
so  viel  Flaschen  hätten  leeren  können.“ 

Dr.  Schultz:  „Ich  hätte  Sie  in  dieser  Ambulanz  des  Elends 
sehen  wollen,  Herr  Präsident.  Die  Verwundeten  trafen  mit  schreck¬ 
lichen  Verletzungen  ein.  Die  ganze  Zeit  hatten  wir  zu  operieren 
Wir  hatten  gewiss  an  anderes  zu  denken  als  an  Wein  und  Plün¬ 
derung.“ 

Alle  Angeklagten  versicherten,  dass  man  fortwährend  alle  Hände 
voll  zu  tun  hatte.  So  erklärt  sich  auch,  dass  man  nicht  daran  dachte 
vom  Bürgermeister  die  Kuh  aus  dem  Garten  und  die  Wagen  aus 
dem  Hof  des  Schulhauses  wegnehmen  zu  lassen.  Dr.  Davidsohr 
fügte  noch  hinzu,  dass  der  Oberst  der  Truppen,  die  Lizy  besetzt 
hielten,  sowie  der  Bischof  von  Meaux,  M  a  r  b  o  t,  sowohl  für  die 
deutschen  als  die  französischen  Verwundeten  Wein  und  Lebensniitte 
in  die  Ambulanz  schickten. 

Als  Zeugen  sind  der  Bürgermeister  und  einige  Einwohner  voi 
Lizy,  sowie  verschiedene  französische  Militärärzte  vernommen  wor¬ 
den.  Alle  Einwohner  von  Lizy-sur-Ourcq  beklagen  sich  über  die 
Plünderungsakte  der  deutschen  Truppen,  konnten  aber  gegen  du 
Angeklagten  nichts  Belastendes  Vorbringen.  D®1 
Bürgermeister  rühmt  besonders  den  Dr.  Davidsohn  und  erzählt 
dass  die  Deutschen  anlässlich  eines  Eisenbahnunglücks,  wo  14  Wag¬ 
gons  mit  Verwundeten  umstürzten,  sofort  helfend  eingegriffen  hätten 
Die  Ambulanz  hat  sich  sowohl  gegen  den  Zeugen  als  gegen  die  Ein- 


.  Dezember  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Miincli.  med.  Wochenschrift. 


2331 


kohncr  korrekt  benommen  und  viel  zur  Hebung  des  Gesundheits- 
ustandes  beigetragen.  Der  Zeuge  hat  bei  einem  Besuch  Im  Schul¬ 
aus  gesehen,  dass  sich  dort  gestohlener  Wein  befand.  Er  betrachtet 
her  die  Angeklagten  nicht  als  Plünderer,  sondern  als  Nutzniesser  der 
Milderung  (bentificiaires  du  pillage).  Ein  weiterer  Zeuge  erklärt, 
ie  Weinfässer  der  Ambulanz  seien  im  Schlosse  gestohlen  worden, 
»er  Gendarmeriebrigadier  erzählt,  dass  die  Haltung  der  Ambulanz 
1  Lizy  korrekt  war.  Im  ganzen  waren  zu  ihrer  Bewachung  4  Mann 
a.  Der  Zeuge  hat  auf  dem  Acrztctisch  Weinflaschen  gesehen.  Ma- 
ame  B  a  i  1 1  y  hat  gesehen,  wie  deutsche  Sanitätssoldaten  Häuser 
Hinderten:  „Aber  diese  Herren  sind  es  nicht  gewesen.  Als  sie  an- 
amen,  waren  die  Plünderer  abgezogen.“  Der  Angestellte  ües  Herrn 
ermentier,  bei  dem  der  Likör  requiriert  worden  war,  versichert, 
ass  alles  bezahlt  wurde.  Nur  der  Zeuge  G  i  r  a  u  d  be- 
auptet,  die  Schule  habe  vor  der  Ankunft  der  Ambulanz  leer  ge¬ 
tänden,  und  die  Ambulanz  habe  geplündert. 

Die  Verteidigung  hat  als  Entlastungszeugen  Militärärzte  geladen: 
>r.  B  o  s  q  u  e  t  sprach  in  bewegten  Worten  seine  Achtung  für 
'r.  D  a  v  i  d  s  o  h  n  aus,  der  seine  Arztpflicht  mit  grossem  Mut  erfüllt 
abe.  Dr.  D  e  1  in  a  s  bezeugt,  dass  die  deutschen  Aerzte  ihre  Kranken 
iit  Ergebenheit  gepflegt  haben.  Aehnlich  sagt  Dr.  Briant  aus. 
'r.  Ismail  Pasquel  hat  gesehen,  dass  die  Ambulanz  der  Ange- 
lagten  in  gutem  Zustande  war.  Der  General  Fevrier  habe  beim 
esuch  der  französischen  Verwundeten  den  deutschen  Aerzten  aus- 
rücklich  gedankt.  Zum  Schluss  tritt  ein  Wärter,  M  a  u  r  r  a  s,  her- 
or  und  bestätigt  die  Aussagen  seiner  Vorgesetzten.  Nur  von 
r.  A  h  r  e  n  s  behauptet  er,  dass  er  die  Kranken  im  Schmutze  habe 
egen  lassen. 

Nach  den  Zeugenaussagen  verlas  der  Major  R  e  q  u  i  e  s  t  sein 
n  Voraus  geschriebenes  Requisitorium;  er  verlangte  Verurteilung, 
ie  V  erteidiger  D  u  p  1  a  n,  H  e  n  n  i  o  t  und  B  a  d  u  e  1  taten  dar,  dass 
egen  die  Angeklagten  kein  Beweis  erbracht  war,  und  sie  baten 
as  Gericht,  die  Aerzte  nicht  für  die  Fehler  anderer  zu  strafen.  Zum 
chlusse  beteuerten  die  Angeklagten  ihre  Unschuld.  Darauf  zog 
ch  das  Gericht  zurück,  und  nach  anderthalbstündiger  Beratung 
urde  das  Urteil  verkündet.  Die  Angeklagten  sind  der  Hehlerei  bei 
lünderung  schuldig  erklärt;  es  werden  ihnen  mildernde  Umstände 
igebilligt.  Dr.  Ähre  ns  erhält  2  Jahre,  Dr.  Schultz  6  Monate, 
le  übrigen  1  Jahr  Gefängnis. 


Lazarettzüge. 

Die  Lazarettzüge,  die  Verwundete  vom  Kriegsschauplatz  in  die 
limischen  Lazarette  bringen,  werden  gewöhnlich  von  4  Aerzten  be- 
eitet,  einem  leitenden  Arzt  und  3  begleitenden  Aerzten. 

Um  nun  auch  nicht  in  militärischem  Verhältnis  stehenden  Aerzten 
i  ermöglichen,  sich  durch  .Uebernahme  der  Begleitung  von 
azarettzügen  in  den  Dienst  des  Vaterlandes  zu  stellen,  ohne 
irch  dauernde  Abwesenheit  den  Verlust  ihrer  Praxis  befürchten  zu 
üssen,  wurde  in  einer  Universitätsstadt  der  Versuch  gemacht,  die 
egleitärzte  der  Lazarettzüge  nicht  dauernd  hin-  und  herfahren,  son- 
:rn  sie  ablösen  zu  lassen.  Das  Aerztepersonal  besteht  dement- 
irechend  aus  einem  leitenden  und  besoldeten  Arzt,  der  den  Zug 
mernd  begleitet  und  den  in  bestimmter  Folge  wechselnden  Aerzten, 
e  sich  aus  einer  grösseren  Zahl  von  freiwillig  zur  Verfügung  ge¬ 
eilten  ergänzen.  Diese  verzichteten  im  speziellen  Falle  auf  Be¬ 
eidung,  weil  ihnen  ihre  Praxis  bei  einer  derartigen  kurzzeitigen, 
wa  achttägigen,  Dienstleistung  nicht  verloren  geht. 

Die  Aerzte  erhalten  das  Recht,  die  Dienstuniform  der  Aerzte  der 
eiwilligen  Krankenpflege  während  der  Dienstausübung  im  Lazarett- 
g  zu  tragen.  Ausserdem  erhalten  sie  freie  Unterkunft  und  Ver¬ 
legung  im  Zuge. 

Der  Wechsel  der  Begleitärzte,  kann  je  nach  der  Zahl  der  sich  zur 
irfiigung  stellenden  Aerzte  und  den  praktischen  Erfordernissen  in 
Tschiedener  Weise  erfolgen,  so  dass  die  einzelnen  Aerzte  immer  nur 
wa  8  Jage  wegbleiben  und  je  nach  der  Beteiligung  und  nach  ihrer 
;reitschaft  nach  einem  gewissen  Zeitraum  wieder  an  die  Reihe 
mmen. 

„  Die  Firma  Siemens-Schuckert-Werke  in  Charlottenburg  sucht 
Z.  Aerzte,  die  sich  in  diesem  Sinne  freiwillig  dem  Dienste  des 
terlandes  zur  Verfügung  stellen  wollen,  für  einen  neu  zu  bildenden 
zarettzug. 


Als  Brotbelag  für  Massenverpflegung  und  im 
uld  empfiehlt  Dr.  O.  B  e  tz  -  Heilbronn  ein  Hack  aus  rohem  Speck 
jt  Zugabe  von  geräuchertem  Schweine-  oder  Rindfleisch,  halb  und 
Hb.  Man  lässt  die  Fleischmischung  einige  Male,  nachdem  man  sie 
n  Knorpel,  Knochen,  Schwarte  befreit  hat,  durch  eine  Fleisch- 
Ukmaschine  laufen.  Eine  solche  hat  jeder  Metzger,  ja  jedes  bessere 
1  artier,  aber  auch  die  Feldküche  müsste  eine  solche  haben.  Dieses 
I  cksel  von  geräuchertem  Fleisch  und  Speck  lässt  sich  leicht  und 
jne  Butterbelag  auf  Brot  streichen,  schmeckt  prächtig  zu  Thee. 
»2  Ausnützung  in  Magen  und  Darm  ist  dem  Speck  gegenüber,  der 
‘ch  nur  selten  gut  gekaut  wird,  viel  grösser.  Die  frische  rote 
rbe  hält  gut  5 — 6  Tage.  Die  Mannschaft  sieht  zu  wie  ihr  Brot- 
'ag  entsteht  und  die  Schauermären  von  Konserven  haben  ein 
jde.  Denn  die  zu  Speck  sowohl  als  auch  zu  geräuchertem  Rind- 
[  sch  bestimmten  Stücke  werden  sofort  nach  dem  Schlachten  zum 
Gzen  beiseite  getan  und  liegen  nicht  in  der  Schlächterei  herum 


wie  so  oft  die  zum  Verwursteln  verwandten  Stücke:  sind  also  als 
einwandfreie,  gute  Fleischarten  zu  bezeichnen. 

Die  Erfrischungsstelle  des  roten  Kreuzes  in  Heilbronn  hat  diesen 
praktischen  Brotbelag  auf  dem  Bahnhof  eingeführt  und  seit  Beginn 
der  Mobilmachung  grosse  Mengen  davon  verbraucht.  Immer  waren 
die  Verpflegten  damit  zufrieden.  Nie  ergab  sich  eine  Klage,  die 
bei  Kochwürsten  sicher  nicht  ausgeblieben  wäre.  Dr.  Betz  emp¬ 
fiehlt  Kollegen  im  Felde  und  im  Feldlazarett  die  FleiSchhackmaschine 
warm  für  die  Mannschaft  Wie  wenige  haben  bei  schlechten  Zähnen 
eine  Fleischscheere,  Mastikator,  mit. 


Therapeutische  Notizen. 

Zur  Prophylaxe  des  Tetanus  empfehlen  A  r  n  d  und 
Kr  umbein  nach  experimentellen  und  klinischen  Versuchen,  die  im 
Schweizerischen  Serum-  und  Impfinstitut  in  Bern  und  dem  Inselspital 
Bern  vorgenommen  wurden,  ausser  der  Antitoxinanwendung  die  Ver¬ 
abreichung  von  Salol  (Phenylum  salicylicum)  in  grösseren  Dosen 
(4—6  g  pro  die).  Diese  prophylaktische  Massregel  empfiehlt  sich 
namentlich  für  die  Feldverhältnisse,  weil  jeder  Sanitätssoldat  mit  ab¬ 
geteilten  Salolpulvern  versehen  und  instruiert  werden  kann,  jedem 
Verwundeten,  den  er  findet,  mit  dem  ersten  Labetrunk  1  g  Salol  zu 
verabreichen.  Da  man  damit  sicher  nicht  schadet,  ist,  nach 
A.  und  K.,  allen  Feldärzten  dieser  Versuch  der  Tetanusprophylaxe  an¬ 
zuempfehlen.  (Schweiz.  Korr.Bl.  1914  Nr.  48.)  '  r  s 


Tagesgeschichtliche  Notizen. 

München,  den  30.  November  1914. 

Auch  in  der  vergangenen  Woche  lag  der  Schwerpunkt  der 
kriegerischen  Ereignisse  auf  dem  östlichen  Kriegsschauplatz.  Der 
noch  in  der  vorigen  Nummer  erwähnte  Sieg  Hindenburgs  bei 
Wloclawek  hat  zu  weiteren  bedeutenden  Erfolgen  geführt,  die 
uns  bisher  über  60  000  Gefangene  und  reichliches  Kriegsmaterial 
als  Beute  eingebracht  haben.  Eine  Entscheidung  in  den  schweren 
Kämpfen  ist  aber  noch  nicht  erfolgt.  Im  Westen  sind  wichtigere  Er¬ 
eignisse  nicht  zu  verzeichnen.  England  bucht  den  Verlust  zweier 
grosser  Schlachtschiffe,  von  denen  eines  über  700  Mann  mit  in  die 
Tiefe  nahm. 

—  Eine  Pressnotiz  über  den  Gesundheitszustand  beim 
1.  bayer.  Armeekorps  bezeichnet  diesen  als  sehr  günstig.  Erkältungs¬ 
krankheiten  haben  eine  unbedeutende  Zunahme  erfahren,  ansteckende 
Krankheiten  sind  nur  in  verschwindend  geringem  Masse  aufgetreten. 
Kompanien,  bei  denen  sich  einzelne  Typhusfälle  zeigten,  wurden  der 
Typhusschutzimpfung  unterzogen.  —  Auch  über  die  Gesundheits¬ 
verhältnisse  bei  den  württembergischen  Truppen  wurde  ein  günstig 
lautender  Bericht  ausgegeben. 

—  Die  zur  Begründung  der  neuen  deutschen  Kriegsvorlage  vom 
Bundesrat  ausgearbeitete  Denkschrift  äussert  sich  auch  über  die 
Massnahmen  zur  Sicherung  der  ärztlichen  Hilfe.  Diese, 
heisst  es,  haben  ihren  Zweck  erfüllt:  durch  eine  im  dritten  Kriegs¬ 
monat  veranlasste  Nachprüfung  konnte  festgestellt  werden,  dass  etwa 
2250  Kandidaten  der  Medizin  seit  Ausbruch  des  Krieges  die  Appro¬ 
bation  als  Arzt  hat  erteilt  werden  können,  und  dass  von  diesen  etwa 
1500  für  Heer  und  Marine  und  etwa  750  für  Krankenanstalten,  Kran¬ 
kenkassen  und  die  Bevölkerung  im  allgemeinen  zur  Verfügung  stehen. 
Die  Gesamtzahl  der  im  Deutschen  Reich  vorhandenen  Aerzte  ist  da¬ 
mit  um  nahezu  7  Proz.  vermehrt  worden.  Ferner  konnte  festgestellt 
werden,  dass  weder  bei  dem  Heer,  noch  bei  der  Marine  zurzeit  ein 
Bedürfnis  zur  Vermehrung  des  ärztlichen  Personals  besteht,  dass 
vielmehr  alle  Stellen  besetzt  sind,  und  dass  sogar  noch  ülper  eine 
aus  älteren  und  bisher  noch  nicht  eingezogenen  Aerzten  bestehende 
Reserve  verfügt  werden  kann.  Auch  bei  den  Krankenanstalten,  Kran¬ 
kenkassen  und  der  Bevölkerung  besteht  ein  Mangel  an  ärztlicher  Ver¬ 
sorgung  im  allgemeinen  nicht.  Der  von  einzelnen  Krankenanstalten 
in  gewissem  Umfange  beklagte  Mangel  an  geeigneten  Hilfskräften 
wird  sich  im  Augenblick  kaum  völlig  beheben  lassen.  Jedenfalls 
würde  es  nicht  angängig  sein,  unzulänglich  vorgebildete  Kandidaten 
der  Medizin  mit  der  Approbation  zu  versehen  und  ihnen  damit  die 
Wahrnehmung  aller  ärztlichen  Funktionen  anzuvertrauen.  —  Die 
ausserordentliche  Vermehrung  der  Zahl  der  Aerzte  wird  sich  nach 
dem  Friedensschluss  für  den  ärztlichen  Stand  schwer  fühlbar  machen 
Sie  muss,  wie  so  vieles  andere,  im  Hinblick  auf  den  grossen  Zweck 
ohne  Murren  ertragen  werden. 

—  Berechtigte  Entrüstung  erregt  das  Urteil,  das  ein  Pariser 
Kriegsgericht  gegen  5  deutsche  Militärärzte  und  andere  Sanitätsper¬ 
sonen  kürzlich  gefällt  hat.  Aus  der  Darstellung  eines  einwandfrei 
unparteiischen  Schweizer  Blattes,  die  wir  an  anderer  Stelle  dieser 
Nummer  geben,  geht  unzweifelhaft  hervor,  dass  die  angeklagten 
Deutschen  sich  nichts,  aber  auch  gar  nichts  haben  zu  schulden 
kommen  lassen  und  dass  das  auch  fast  von  allen  französischen  Zeu¬ 
gen  zugegeben  wurde.  Sie  haben  Wein  und  Likör,  die  sie  in  dem 
Ambulanzlokal  vorfanden  und  die  offenbar  von  ihren  Vorgängern 
requiriert  waren,  für  ihre  Verwundeten  verwendet;  desshalb  werden 
sie  als  „beneficiaires  du  pillage“  beschuldigt.  Unsere  Quelle  nennt 
den  Prozess  einen  Justizmord.  Anders  lässt  sich  dieses  Urteil,  das 
nicht  von  dem  Bestreben  Recht  zu  finden,  sondern  am  Feinde  billige 


>332  Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. _ Nr.  48 


Rache  zu  nehmen,  diktiert  ist,  in  der  l  at  nicht  bezeichnen.  So  krass  ] 
ist  der  Rechtsbruch,  dass  selbst  französische  Blätter  ihn  zugeben  und 
missbilligen.  Die  deutsche  Regierung  hat  gegen  das  Urteil  Protest 
erhoben.  Wenn  dieser  erfolglos  bleibt,  wird  auf  andere  Weise  dar¬ 
über  abzurechnen  sein. 

—  Der  Oberbefehlshaber  in  den  Merken  hat  unterm  23.  Novem¬ 
ber  folgende  Bekanntmachung  erlassen:  „Den  in  der  Stadt  Berlin  und 
der  Provinz  Brandenburg  erscheinenden  Zeitungen  untersage  ich  für 
die  Dauer  des  Krieges  die  Aufnahme  von  Anzeigen,  in  denen  1.  sich 
Personen  zur  Behandlung  von  Krankheiten  oder  Leiden,  die  als  Ge¬ 
schlechtskrankheiten  bekannt  sind,  einschliesslich  ihrer 
Folgezustände,  anbieten;  2.  Gegenstände  oder  Behandlungsmass¬ 
nahmen  angepriesen  werden,  welche  zur  Linderung  oder  Heilung  von 
solchen  Krankheiten  dienen  sollen.  Diese  Anordnung  erstreckt  sich 
nioht  auf  Anzeigen  ärztlich  approbierter  Personen. 

—  Im  Hinblick  darauf,  dass  während  des  Krieges  mit  einer  Ver¬ 
schleppung  des  Heckficbers  (Flecktyphus)  gerechnet  werden  kann, 
sind  vom  Kaiserl.  Gesundheitsamt  „Ratschläge  an  Aerzte  für 
die  Bekämpfung  des  Fleckfiebers  (F leckt yphu s)“, 
ähnlich  wie  es  für  Pocken  geschehen  ist,  ausgearbeitet  worden.  Sie 
schliessen  sich  der  vom  Bundesrate  festgeslellten  Anweisung  zur  Be¬ 
kämpfung  des  Flcckfiebcrs  an.  Die  Ratschläge  sind  im  Min.-Bl. 
f.  Med.-Ängel.  Nr.  -17  veröffentlicht. 

—  Dem  Kartell  bayerischer  Automobilkorps  wurde  die  Grün¬ 
dung  eines  Bayerischen  Sanitäts-Kraftfahrerkorps 
genehmigt.  Es  wurden  bisher  30  Wagen  iür  den  Zweck  des  Korps 
umgebaut,  davon  3  Führerwagen  und  27  für  je  4  liegende  Ver¬ 
wundete.  Die  Wagen  sind  feldgrau  gestrichen,  tragen  das  Rote 
Kreuz  und  die  offizielle  Inschrift  B.  S.  K.  K.  mit  der  bayerischen 
Rautenkrone.  Ausser  der  vorschriftsmässigen  Automobilbeleuchtung 
hat  jeder  Wagen  eine  starke  Azetylenabsuchlampe.  Jeder  Wagen 
ist  mit  Schaufeln,  Schneeketten  und  Drahtseilen  ausgerüstet,  ent¬ 
hält  einen  reich  besetzten  ApothekerKasten  und  Kofferräume  für  den 
Kraftfahroffizier  und  den  Mechanikerunteroffizier,  eine  grosse  Rote- 
Kreuz-Flagge,  eine  Wassertonne  und  Platz  für  2  Gewehre,  ferner 
natürlich  die  nötigeil  Zubehörteile,  wie  Benzinkanister,  Oelkanister, 
Reserveräder,  eine  vorgeschriebene  Zaiil  von  Reparaturteilen  usw. 
Das  Korps  setzt  sich  aus  31  Kraftfahroffizieren  und  30  Mechaniker- 
Unteroffizieren  zusammen,  welche  eine  vom  Kgl.  bayer.  Kriegs¬ 
ministerium  vorgeschriebene  Uniform  tragen,  die  der  Uniform  der 
anderen  Automobilkorps  gleicht.  Zum  Führer  des  Korps  ist  vom 
Kriegsministerium  Dr.  Theodor  Schilling-  Nürnberg  bestimmt. 

—  Die  Gesellschaft  für  Natur  -  und  Heilkunde  zu 
Dresden  hat  aus  ihrem  Vermögen  4000  M.  für  die  Kriegsorgani¬ 
sation  und  für  das  Rote  Kreuz  gespendet. 

—  Ueber  deutsch-feindliches  Verhalten  der  Firma  La  Zyma  A.G. 
in  Aigle  (Schweiz)  berichtet  Nr.  4  der  Schlesischen  Aerztekorrespon- 
denz.  Die  Firma,  die  in  Deutschland  ihre  grössten  Abnehmer  hat, 
hatte  beim  Ausbruch  des  Krieges  nichts  Eiligeres  zu  tun,  als  ihre 
deutschen  und  österreichischen  Angestellten,  auch  weiblichen  Ge¬ 
schlechts,  ohne  Kündigung  und  ohne  Entschädigung  zu  entlassen  — 
zum  Teil  schon  am  31.  Juli,  zum  Teil  am  8.  August,  sowie  zugleich  am 
5.  August  ihre  Zweigniederlassung  in  St.  Ludwig  (Eisass)  aufzulösen 
und  die  dortigen  Angestellten  in  gleicher  Weise  zu  entlassen.  Grund 
der  Entlassung:  „Der  Krieg  ist  ein  Fall  höherer  Gewalt,  der  uns  ge¬ 
stattet,  die  Verträge  zu  brechen“  (Schreiben  des  Vorsitzenden  des 
Aufsichtsrates).  Im  September  wandte  sich  die  Gesellschaft  an 
2  Pariser  Geschäftsfreunde  und  teilte  ihnen  mit,  dass  sie  nach  der 
zu  erwartenden  Vernichtung  aller  deutschen  und  österreichischen  j 
Patente  und  Schut/.marken  in  Frankreich  bereit  und  in  der  Lage  sei, 
den  grössten  Teil  der  pharmazeutischen  Erzeugnisse  jener  beiden 
Länder  herzustellen.  Als  dorther  ablehnende  Antworten  kamen, 
wandte  sich  die  Fabrik  in  gleicher  Weise  an  die  französische  Gesandt¬ 
schaft  in  Bern,  bewarb  sich  aber  ausserdem  um  Kriegslieferungen  für 
Deutschland  und  Oesterreich!  Die  Präparate  der  „Zyma“  in  Aigle 
(Schweiz)  führen  das  Suffix  „Golaz“.  Die  bekanntesten  sind:  Dialys. 
Digitalis  Golaz,  Dialys.  Secalan,  Dialys.  Thymipin,  Dialys.  Uvae  ursi, 
Furunkulin,  Laktofe/ment  (Yoghurt  in  Pulverform).  Alle  diese  Prä¬ 
parate  sind  durch  gleichwertige  deutsche  ersetzbar. 

—  Der  XVII.  Jahrgang  des  „Jahresberichts  über  die 
Leistungen  und  Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der 
Neurologie  und  Psychiatrie“  (Berlin  1914,  Verlag  von 
S.  Karger)  ist  soeben  erschienen.  Der  1580  Seiten  starke  Band 
enthält  den  Bericht  über  die  Literatur  des  Jahres  1913  und  ist 
wie  seine  Vorgänger  von  Prof.  Dr.  L.  Jacob  so  hn  in  Berlin 
redigiert.  Preis  broschiert  50  Mark. 

—  Cholera.  Nr.  47  der  Vöff.  Kais.  Ges.A.  enthält  keinen 
Bericht  über  Cholerafälle. 

—  Pest.  In  Beirut  ist  am  4.  November  und  in  Bagdad  am 
29.  Oktober  und  4.  November  je  1  Erkrankung  festgestellt  worden. 
—  Persien.  Laut  Mitteilung  vom  17.  November  sind  in  dem  persisch- 
russischen  Grenzgebiet  im  Distrikt  Belesawar  in  der  Nähe  der 
Kaspischen  Meeresküste  mehrere  Pestfälle  festgestellt  worden.  — 
Niederländisch-lndien.  Vom  21.  Oktober  bis  3.  November  wurden 
541  Erkrankungen  (und  509  Todesfälle)  gemeldet.  Für  die  Zeit  vom 
7. — 20.  Oktober  wurden  nachträglich  aus  M  a  1  a  n  g  noch  30  Er¬ 
krankungen  und  25  Todesfälle  mitgeteilt. 

—  ln  der  45.  Jahreswoche,  vom  8. — 14.  November  1914,  hatten 
von  deutschen  Städten  über  40  000  Einwohner  die  grösste  Sterb¬ 


lichkeit  Dessau  mit  43,3,  die  geringste  Ofienbach  mix  5,6  Todesfällen 
pro  Jahr  und  1000  Einwohner.  Mehr  als  ein  Zehntel  aller  Ge¬ 
storbenen  starb  an  Scharlach  in  Gelsenkirchen,  Königshütte,  Thorn. 
Tilsit,  Zabrze,  an  Masern  und  Röteln  in  Hagen  i.  W.,  an  Diphtherie 
und  Krupp  in  Berlin-Lichterfelde,  Bottrop,  Lehe,  an  Keuchhusten  in 
Herne  Vöff.  Kais.  Ges.A. 

(Hochschulnachrichten.) 

Frankfurt  a.  M.  Bis  zum  27.  November,  dem  letzten  Im¬ 
matrikulationstermin,  betrug  die  Gesamtzahl  der  eingeschriebenen 
Studierenden  543.  Darunter  befinden  sich  118  Mediziner,  die  zur 
übergrossen  Mehrzahl  vorklinischen  Semestern  angehören. 

Giesse  n.  Das  veterinär-medizinische  Kollegium  der  Universi¬ 
tät  Giessen  ist  in  eine  veterinärmedizinische  Fakultät  umgew'andeh 
w'orden.  (lik.) 

M  ti  n  c  h  e  n.  Dem  mit  dem  Titel  und  Rang  eines  a.  o.  Professors 
bekleideten  Privatdozenten  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie 
Dr.  Karl  B  a  i  s  c  h  ist  die  erbetene  Enthebung  von  seiner  Funktion 
bewilligt  worden.  Prof.  Bai  sch  wurde  im  Herbst  1913  zum  Chef¬ 
arzt  der  neuerrichteten  gynäkologisch-geburtshilflichen  Abteilung  des 
Katharinenhospitals  in  Stuttgart  berufen;  seit  dieser  Zeit  war  er  an 
der  Münchener  Universität  beurlaubt,  (hk.) 


Ehrentafel. 

Fürs  Vaterland  starben: 

Dr.  K.  Alber,  Neubreisach,  Inf.-Rcg. 

Stabsarzt  Bretschneider,  Grossenhain,  2.  Sachs.  Husaren¬ 
regiment  18,  4.  Eskadron. 

Unterarzt  Caminer,  Res.-Inf.-Reg.  Nr.  61,  Danzig-Neustadt, 
II.  Bat.-Stab. 

stud.  ined.  Alfred  C  h  ü  d  e  n,  Gifhorn,  Maat  d.  Res.  der  Ma¬ 
trosenartillerie. 

cand.  med.  dent.  C  o  n  r  a  t  h,  Völklingen  a.  Saar. 

Stabsarzt  d.  Res.  San.-R.  Dr.  med.  Franz  E  i  c  h  h  o  1  z  in 
Kreuznach. 

Universitätsprofessor  Heinrich  Josef  Esser,  Bonn  a.  Rh. 

Walter  v.  Förster,  Ass.-A.  an  der  Univers.-Augenklinik 
in  Göttingen,  Unterarzt  im  Landwehr-Inf.-Reg.  Nr.  73. 

stud.  med.  Wilhelm  Hackmann,  Berlin-Friedenau,  Kriegs¬ 
freiwilliger. 

Stabs-  und  Regimentsarzt  Harke. 

Assistenzarzt  der  Reserve  Dr.  Rudolf  H  e  u  s  1  e  r,  Barmen. 

stud.  med.  Albert  Hirt,  Einj.-Freiw.  in  e.  Inf.-Reg. 

Felix  J  a  n  z  o  n,  Student  der  Kaiser-Wilhelm-Akademie. 

Einj.-Freiw.-Arzt  K  i  e  r  z  e  c  k. 

Stabsarzt  Klingelhoefer,  Sanitätsrat,  Rodheim. 

Unterarzt  Dr.  Köhler,  Graudenz. 

Oberarzt  d.  L.  Kramer,  Feidart.-Reg.  Nr.  66,  gestorben  in¬ 
folge  Schädelbruches  durch  Sturz  von  der  Treppe. 

Künstler,  Sonnenberg,  11.  Res.-San.-Komp„  IV.  Reserve¬ 
korps  Kassel. 

stud.  med.  F.  Löbnitz,  Einj.-Freiw.  im  Königin-Olga-Regi- 
ment  Stuttgart. 

Unterarzt  Dr.  L  o  e  c  h  e  1,  Jäger-Bat.  2,  Kulm,  Ersatzabteilung, 
gestorben  durch  Vergiftung  infolge  Gasexplosion. 

Feldunterarzt  d.  Res.  Karl  Müller,  Assistent  am  Institut  für 
Meeresforschung,  am  4.  November  in  Douai. 

cand.  med.  Overbeck,  Göttingen,  Kriegsfreiwilliger  im 
234.  Res.-Inf.-Reg.,  am  10.  November  bei  den  Kämpfen  in 
Flandern. 

Offiizersstellvertreter  Dr.  Ernst  P  a  n  t  e  1,  Inf.-Reg.  42,  ge¬ 
storben  am  7.  Oktober  1914  an  der  am  5.  Oktober  1914 
beim  Sturm  auf  Beuvraignes  erhaltenen  Verwundung. 

Assistenzarzt  d.  Res.  Paradies,  Berlin-Steglitz. 

stud.  med.  Aug.  Puls,  Pfalzburg. 

Feldunterarzt  Hugo  Rettich,  am  6.  November. 

stud.  med.  Paul  Roh,  Einj.-Freiw.  im  Inf.-Reg.  106. 

Dr.  Richard  Sarrazin,  Emmerich  a.  Rh.,  gestorben  an  den 
Folgen  einer  Krankheit,  die  er  sich  bei  seiner  Tätigkeit  als 
Kriegschirurg  zugezogen  hat. 

Oberstabsarzt  d.  L.  S  a  u  b  e  r  z  w  e  i  g,  Balingen. 

Dr.  Schlesinger,  Illowo,  an  Diphtherie,  11.  X.  14  (Res.- 
Lazarett  Deutsch-Eylau). 

Oberarzt  Dr.  Joseph  Schlüter,  Sterkrade,  gestorben  im 
Reservelazarett  Aachen  I  an  Typhus. 

Stabsarzt  Dr.  Paul  Schmidt,  Baumschulenweg  bei  Berlin. 

Dr.  Paul  Siegfried.  Königsberg. 

Stabsarzt  d.  L.  Dr.  Timmermann. 

Dr.  H.  Vogt,  Berlin. 

San.-Rat.  Dr.  Viktor  N  o  1  k  w  e  i  n,  Sigmaringen. 

Feldunterarzt  Dr.  W  e  r  t  h  e  i  m,  Dresden. 

Zahnarzt  Prof.  Dr.  Julius  W  i  t  z  e  1,  Bonn. 

cand.  med.  W  i  1 1  n  o  w  aus  Hadersleben,  Kriegsfreiwilliger. 

O.A.  d.  Res.  Heinrich  Wolf,  Pionier-Bat.  21,  aus  Essenheini 
(Rheinhessen). 

Oberarzt  d.  Res.  Dr.  med.  Zirkel,  Bamberg. 


Verlag  von  ].  F.  Lehmann  in  München  S.W.  2,  Paul  Heysestr.  26.  —  Druck  von  E.  Mühlthaler’s  Buch-  und  Kunstdruckeret  A.O.,  München. 


der  einzelnen  Nummer  80  -3,.  •  Bezugspreis  in  Deutschland 
,  und  Ausland  siehe  unten  unter  Bezugsbedingungen  •  •  • 
atenschluss  am  Donnerstag  einer  jeden  Woche. 


MÜNCHENER 


Zusendungen  sind  zu  richten 

Für  die  Schriftleitung :  Arnulfstr.  26  (Sprechstunden  —  1  Uhr). 
Für  Bezug:  an  I.  F.  Lehmann’s  Verlag,  Paul  Heysestrasse  26. 
Für  Anzeigen  und  Beilagen:  an  Rudolf  Mosse,  Theatinerstrasse  8. 


Medizinische  Wochenschrift. 


ORGAN  FÜR  AMTLICHE  UND  PRAKTISCHE  ÄRZTE. 


49.  8.  Dezember  1914.  Schriftleitung:  Dr.  B.  Spatz,  Arnulfstrasse  26. 

:  Verlag:  J.  F.  Lehmann,  Paul  Heysestrasse  26. 


61.  Jahrgang. 


Der  Verlag  behält  sich  das  ausschliessliche  Recht  der  Vervielfältigung  und  Verbreitung  der  in  dieser  Zeitschrift  zum  Abdruck  gelangenden  Originalbeiträge  vor, 


Originalien. 

ative  und  Strahlenbehandlung  bei  gutartigen  und 
bösartigen  Geschwülsten  der  Gebärmutter*). 

Von  H.  Fehling. 

^ehr  geehrte  Herren  Kollegen!  Indem  ich  der  Auf- 
rutig,  in  Ihrem  Kreise  einen  wissenschaftlichen  Vortrag 
alten,  gerne  nachgekommen  hin,  habe  ich  es  für  richtig 
ten.  nicht  ein  fertiges  Thema  vor  Sie  zu  bringen,  sondern 
olches,  das  noch  in  Diskussion  steht,  über  welches  der 
Her  immerhin  grössere  Erfahrungen  haben  kann  als  der 
i  ische  Arzt,  das  aber  doch  zurzeit  Sie  alle,  wie  auch  das 
Ikum  besonders  interessiert.  Ich  wünsche  nun  keinen 
i  unischen  Vortrag  zu  halten,  sondern  wäre  dankbar,  wenn 
Ingen  von  Ihnen,  welche  eigene  Erfahrungen  in  der  vor¬ 
igen  Frage  haben,  am  Schlüsse  ihre  Meinung  mir  mit- 
|  würden. 

:h  beginne  mit  den  gutartigen  Geschwülsten 
Gebärmutter  und  werde  mich  auf  die  Frage  der 
ldlung  der  Myome  beschränken. 

in  kurzes  Wort  zur  A  e  t  i  o  1  o  g  i  e:  Man  hat  das  Suchen 
I  Mikroben,  nach  kleinsten  tierischen  und  pflanzlichen 
wesen  als  Ursache  der  Entstehung  der  Myome  glück¬ 
weise  aufgegeben.  Auch  die  Anschauung  Aschoffs, 

:  die  Entstehung  der  Myome  auf  missgebildete  Muskel- 
:i  zurückzuführen  sei,  erklärt  nicht  alles.  Nach  heutigen 
iiauungen  hat  dagegen  viel  für  sich,  dass  es  sich  um  eine 
:  nktion  der  Ovarien  handle.  Man  wusste  schon  lange, 
bei  Myomen  mehr  oder  weniger  starke  Veränderungen, 
össerung  der  Ovarien,  kleinzystische  Degeneration  usw. 
Gen  werden-,  aber  es  war  nie  etwas  durchaus  Charak- 
isches.  Mayer-  Tübingen  hat  nun  das  Verhalten  des 
ns  von  22  Myomkranken  auf  das  eigene  Ovarium  der- 

•  untersucht.  20  derselben  bauten  ihr  eigenes  Ovarium 
j  h.  also  nach  Abderhalden:  Entweder  ist  die  innere 
tion  des  betreffenden  Organs  gestört  oder  es  handelt  sich 
ne  grobe  anatomische  Schädigung,  mit  Organzerstörung 
i  gehend.  Da  die  letztere  fehlt,  bleibt  die  erstere  An- 
Ung  zu  Recht  bestehen.  Diese  Anschauung  der  Dys- 
On  der  Ovarien  stimmt  mit  mancher  unserer  bisherigen 
(auungen  überein.  Man  wusste  schon  längst,  dass  ältere 
Lauen,  besonders  im  Alter  zwischen  30  und  40  Jahren, 
Sig  zur  Erkrankung  an  Myomen  haben.  Sie  werden 
'  alle  die  Beobachtung  gemacht  haben,  dass  Frauen,  die 
rüh  nach  der  ersten  oder  zweiten  Geburt  ihre  Fertilität 
Blich  oder  unabsichtlich  unterbrechen,  später  an  Myom 
iken.  Es  scheint  also,  dass  die  innere  Sekretion  des 
bekes,  wenn  ihr  keine  Möglichkeit  gegeben  ist,  die  Ei- 
üung  und  das  Wachstum  des  Uterus  in  der  Schwanger- 

\  zu  begünstigen,  dass  sie  dann  pathologischerweise  den 
1  zur  Neubildung  der  runden  Myomgeschwülste  reizt. 

'  also  nicht  der  Mangel  sexueller  Betätigung,  wie  man 
lls  glaubte,  der  die  Entstehung  der  Myome  begünstigt, 
be  Dysfunktion  ist  dann  wohl  in  den  Fällen  Schuld  an 
erilität,  wenn  eine  Frau  schon  mit  Myom  behaftet  die 
nseht,  ebenso  wieder  an  dem  oft  so  stark  verspäteten 
ben  des  Klimakteriums. 

in  den  Symptomen,  die  unser  therapeutisches  Eingreifen 
gen,  nenne  ich  in  erster  Linie  die  Blutungen; 

'Vortrag  im  Verein  der  Aerzte  zu  Metz.  15.  Juli  1914. 

*  44. 


Blutungen,  die  teils  als  regelmässig  protrahierte,  sehr  starke 
Menstruation  auftreten,  teils  als  unregelmässige  zu  oft  und 
zu  lang  dauernde  Blutungen.  Trotz  der  starken  Blutverluste 
geht  wohl  aber  kaum  eine  Patientin  direkt  an  Verblutung  zu¬ 
grunde.  Dagegen  schadet  die  Blutung  durch  Erzeugung  einer 
schweren  Anämie,  die  ihrerseits  wieder  nicht  selten  zu  Herz¬ 
degeneration  führt.  Wir  Gynäkologen  nehmen,  im  Gegensatz 
zu  den  Internen,  ein  Myomherz  an,  d.  h.  wir  finden  gar  nicht 
selten  entweder  fettige  Degeneration  des  Herzmuskels  oder 
die  bekannte  braune  Induration  als  Folge  langdauernder 
schwerer  Blutverluste.  Dass  vielleicht  in  manchen  Fällen  eine 
gewisse  Disposition  durch  frühere  Herzerkrankung  gegeben 
sein  mag,  will  ich  nicht  bestreiten.  Die  weiteren  Symptome, 
welche  zur  Therapie  drängen,  sind  Druck  von  seiten  des  Tu¬ 
mors  auf  Blase  oder  Rektum.  Wenn  Sie  von  einer  Patientin 
erfahren,  dass  sie  alle  4  Wochen  im  Beginn  und  bei  der 
Periode  an  Blasenstörung,  erst  vermehrtem  Drang,  dann  Un¬ 
möglichkeit  zu  lassen,  leidet,  so  müssen  Sie  zunächst  an  ein 
i  etrozervikales  Myom  denken,  welches  durch  Anschwellung 
bei  der  Menstruation  den  Blasenhals  verlagert  und  damit  die 
Dysurie  bedingt.  Druck  auf  den  Mastdarm  ist  recht  viel 
seltener;  nur  in  wenig  Fällen  war  hämorrhoidale  Blutung  das 
erste  Symptom  eines  im  Becken  eingekeilten  Myoms.  Dass 
das  verzögerte  Eintreten  des  Klimakteriums  zu  den  Sym¬ 
ptomen  gehört,  habe  ich  schon  oben  betont.  Sehr  wichtig 
scheint  mir  die  von  uns  oft  gemachte  Beobachtung,  dass  einige 
Jahre  nach  Aufhören  der  Blutung  auf  dem  Boden  alter  Myo- 
matosis  ein  Korpaskarzinom  entsteht.  Bei  den  meisten  der 
in  den  letzten  Jahren  operierten  Fälle  von  Korpuskarzinom 
waren  Myome  in  der  Uteruswand  vorhanden. 

Was  die  Behandlung  betrifft,  so  möchte  ich  kurz  daran 
erinnern,  dass  der  Altmeister  Koeberle  vielleicht  der  erste 
war,  der  noch  vor  Einführung  der  Antisepsis  sich  an  die 
Operation  der  Myome  wagte.  Er  setzte  den  Stiel  mit  einem 
Schlingenschnürer  ab  und  lagerte  den  Stumpf  extraperitoneal. 
Aehnlich  verfuhr  fast  zur  selben  Zeit  Pean.  Bald  darauf  trat 
H  e  g  a  r  auf  den  Plan  mit  seinem  geistreichen  Vorschlag, 
durch  Abtragung  der  Ovarien  den  antizipierten  Klimax  herbei¬ 
zuführen,  eine  Operation,  die  damals  weit  ungefährlicher  war 
als  die  Myomotomie  und  sich  daher  rasch  einbürgerte.  Später 
schuf  dann  H  e  g  a  r  die  bekannte  extraperitoneale  Methode 
der  Stumpfbehandlung,  welche  durch  die  von  Schröder  an¬ 
gegebene  intraperitoneale  Methode  verdrängt  wurde.  Ir. 
Schröders  Publikation  über  die  von  ihm  operierten  ersten 
100  Fälle  figurierte  noch  eine  Mortalität  von  33  Proz.l  Die 
Methode  wurde  dann  weiter  ausgebaut  von  Chrobak  u.  a., 
daran  schloss  sich  dann  die  vaginale  und  abdominale  Total¬ 
exstirpation  des  myomatösen  Uterus  und  wir  können  ruhig 
sagen,  dass  die  Erfolge  bei  der  Myomotomie  heutzutage  die¬ 
selben  sind,  wie  schon  vor  25  Jahren  bei  der  Ovariotomie, 
dass  man  höchstens  mit  2—3  Proz.  Mortalität  zu  rechnen  hat! 
Die  meisten  Operateure  haben  Reihen  von  50—100  Fällen 
und  noch  mehr,  ohne  einen  Todesfall  zu  verzeichnen. 

Es  ist  deshalb  verständlich,  dass  ursprünglich  für  die 
Röntgenbehandlung  der  Myome  kein  dringendes  Bedürfnis 
vorlag.  Die  Einwirkung  der  Röntgenstrahlen  auf  die  Keim- 
drüsen  wurde  bekanntlich  zufällig  durch  Schädigung  des 
männlichen  und  weiblichen  Personales  bei  der  Röntgen¬ 
behandlung  entdeckt.  Reiferscheid  zeigte  dann  am  Tier¬ 
experiment,  dass  man  durch  starke  Bestrahlung  das  Ovarial- 
parenchym  völlig  zugrunderichten,  durch  mässige  Bestrah¬ 
lung  eine  teilweise  und  vorübergehende  Schädigung  erzielen 

I 


2334 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


kann.  Albers-Sehönb'er g  in  Hamburg  war  der  erste, 
der  die  Methode  der  Röntgenbehandlung  bei  Gebärmutter¬ 
geschwülsten  anwandte.  Er  wandte  schwache  Bestrahlungen 
mit  grossen  Pausen  an,  verstand  allerdings  damals  noch  nicht 
die  weichen  Strahlen  abzufangen,  so  dass  trotz  der  vor¬ 
sichtigen  Behandlung  manche  Schädigung  vorkam.  Aber 
immerhin  sind  die  von  ihm  erzielten  Erfolge  als  glänzend  zu 
bezeichnen.  Ihm  folgten  die  Franzosen,  ebenfalls  im  ganzen 
mit  bescheidenen  Dosen  arbeitend,  bis  Kroenig  und 
Gau  ss  den  Mut  hatten,  eine  Tiefenbestrahlung  mit  sehr 
harten,  starken  Strahlen  anzuwenden  und  in  letzter  Zeit  in 
einer  Serie  800 — 1000  X-Einheiten,  schliesslich  selbst  in  einer 
Serie  bis  1500  X  zu  geben.  Wenn  von  ihnen  behauptet  wird, 
dass  sich  auf  diese  Weise  100  Proz.  Heilung  erzielen  lassen, 
so  ist  doch  daran  zu  erinnern,  dass  manche  von  diesen  Fällen 
hernach  wieder  schwere  Blutungen  zeigten,  oder  an  anderen 
Orten  noch  operiert  werden  mussten.  Das  weitere  Verdienst 
der  Freiburger  Schule  ist,  gezeigt  zu  haben,  dass  man  von 
verschiedenen  Feldern  aus  den  Tumor  und  die  Ovarien  gleich¬ 
sam  in  ein  Kreuzfeuer  nehmen  kann,  und  dass  sie  zur  ab¬ 
dominellen  auch  die  Vaginalbestrahlung  gefügt  haben.  Auch 
wir  sind  seit  Einrichtung  des  Röntgenlaboratoriums  meiner 
Klinik  allmählich  zu  starken  Dosen  in  die  Höhe  gestiegen  und 
verabreichen  jetzt  meist  in  einer  Serie  150 — 300  X,  so  dass 
die  Kranke  in  3  Serien  zwischen  800  und  1000  X-Einheiten 
bekommt.  Der  sogen.  Röntgenkater  ist  aber  nicht  selten  ein 
sehr  viel  schwereres  Leiden,  als  man  unter  dem  Wort  Kater 
versteht.  Manche  Kranken  sind  nach  der  Bestrahlung  schwer 
angegriffen,  leiden  an  Kopfschmerzen,  sind  leistungsunfähig, 
andere  bekommen  sogar  leichtes  Fieber,  oder,  zumal  bei  der 
nächsten  Periode,  starke,  zuweilen  schwer  zu  stillende  Blu¬ 
tungen. 

Es  ist  zweifellos,  dass  der  Nutzen  der  Röntgenbehandlung 
darin  besteht,  dass  die  Operation  vermieden  werden  kann 
und  das  ist  bei  messerscheuen  Menschen  ausserordentlich  viel 
wert.  Bedeutungsvoll  ist  dieser  Nutzen  des  Ausfalls  der 
Operation  ferner  für  nieren-  und  herzkranke  Patienten,  bei 
denen  die  Narkose  die  Hauptgefahr  darstellt  und  für  welche, 
trotz  Friihaufstehens,  die  Gefahr  einer  Embolie  noch  immer 
besteht.  Der  Nachteil  der  Röntgenbehandlung  ist  vor  allen 
Dingen  die  Dauer  und  die  Kosten  der  Behandlung.  Für  die 
arbeitende  Klasse  ist  es  sehr  störend,  jeden  Monat  sich  auf 
einige  Tage  in  der  Klinik  wieder  vorstellen  zu  müssen  und  es 
haben  sich  schon  manche  Patientinnen  aus'  diesem  Grunde  der 
weiteren  Behandlung  entzogen  oder  sich  auswärts  operieren 
lassen.  Weitere  Nachteile  sind  die  Zwischenblutungen,  die 
manchmal  recht  schwer  zu  stillen  sind;  bei  unvorsichtiger  Be¬ 
strahlung  Schädigung  der  Haut,  der  Interkostalmuskeln,  ja 
sogar,  wie  von  pathologischen  Anatomen  nachgewiesen 
wurde,  der  Lunge  und  Leber.  Seit  Einrichtung  unseres 
Röntgenlaboratoriums  sind  in  der  Frauenklinik  ca.  30  Fälle 
behandelt  worden,  wovon  20  geheilt,  die  anderen  als  gebessert 
noch  in  Behandlung  stehen.  Einmal  war  trotz  750  X-Einheiten 
vorläufig  kein  Erfolg  zu  erzielen,  bei  einer  anderen  trat  nach 
880  X  längere  Zeit  Fieber  auf,  sie  ist  aber  schliesslich  geheilt. 
Einen  Fall  haben  wir  an  Kolipyämie  verloren.  Die  Frau 
blutete  nach  der  zweiten  Bestrahlung  ausserordentlich  stark, 
sie  wurde  auswärts  tamponiert,  die  Blutung  stand  aber  nicht; 
es  entstanden  Fieberbewegungen,  so  dass  ich  mich  aus 
Indicatio  vitalis  zur  Operation  entschlossen  musste.  Das 
Zervixsekret  enthielt  vor  der  Operation  schon  Kolibazillen,  die, 
wie  es  scheint,  auch  schon  in  die  Blutgefässe  eingedrungen 
waren  und  schliesslich  nach  wochenlangem  Kranksein  den  Tod 
an  Kolipyämie  zur  Folge  hatten. 

So  sehr  wir  nun  auch  die  Vorteile  des  Röntgenverfahrens 
bei  Myomen  für  die  meisten  Fälle  schätzen  dürfen,  so  darf 
doch  nicht  verschwiegen  werden,  dass  es  eine  Anzahl  Kontra¬ 
indikationen  gibt.  Als  solche  müssen  gelten:  submuköse 
Myome,  die  sich  schon  zur  Ausstossung  vorbereiten  (Demon¬ 
stration);  meist  weisen  unregelmässige,  nicht  aufhörenwollende 
Blutungen  auf  diesen  Vorgang  hin;  im  Zweifelsfalle  würde  ich 
raten,  durch  eine  Laminariadilatation  die  Sache  festzustellen. 
Demnächst  ist  davor  zu  warnen,  bei  den  gar  nicht  seltenen 
retrozervikalen  und  retrouterinen  Myomen,  von  welchen  Sie 
hier  ein  Präparat  sehen,  die  Bestrahlung  vorzunehmen.  Die 


Nr.  49 


Gefahr,  dass  trotz  der  Bestrahlung  noch  lange  Zeit  die  An¬ 
wendung  des  Katheters  nötig  ist,  kann  leicht  zu  Blasen 
katarrh,  zu  aufsteigender  Pyelitis  führen  und  damit  das  Lebet 
gefährden.  Dringend  zu  warnen  ist  vor  Bestrahlung  bei  un 
sicherer  Diagnose,  z.  B.  bei  zweifelhafter  Differentialdiagnosi 
zwischen  gestieltem  Myom  und  Ovarialkarzinom;  ferner  he 
Verjauchung  und  Nekrose  und  bei  schon  sicher  malignen  Tu¬ 
moren.  Schwierig  ist  die  Frage  zu  entscheiden:  Soll  man  be 
jüngeren  Frauen  unter  40  Jahren  bestrahlen  oder  nicht?  Die 
Bestrahlung  dauert  hier  viel  länger,  das  Resultat  ist  unsicher 
so  dass  die  meisten  sich,  wenn  nötig,  hier  lieber  zur  Operatiot 
entschlossen.  Schliesslich  muss  ich  gestehen,  dass  ich  ftii 
Bestrahlung  auch  eine  soziale  Indikation  aufstelle.  Bei  Frauer 
der  arbeitenden  Klasse  lässt  sich  durch  die  Operation  iij 
14  Tagen  die  Arbeitsfähigkeit  wieder  hersteilen  und  sie  habet! 
ausser  dem  Spitalaufenthalt,  den  noch  meist  die  Kasse  leistet' 
keine  Auslagen.  Die  Strahlenbehandlung  dagegen  zieht  sie- 
über  Monate  hin,  und  es  ist  meist  unmöglich,  bei  dem  Preist 
der  Röhren  und  der  anderen  Auslagen,  die  Strahlenbehandlung 
umsonst  durchzuführen. 

Es  bleibt  demnach  für  die  Behandlung  der  Uterus- 
myome  immerhin  noch  ein  breiter  Spielraum  für  dei 
Operateur.  Wir  werden  heutzutage  vielleicht  seltener  ah 
früher  die  Vaginalschälung  machen,  eher  die  Vaginal¬ 
totalexstirpation,  dagegen  werden  wir  je  nach  dem  Falle  ab¬ 
dominelle  Tumoren  ausschälen  oder  wir  werden  suchen,  einer 
kleinen  Uterus  zurecht  zu  schnitzeln  mit  einem  Eierstock 
so  dass  wenigstens  die  Möglichkeit  der  Menstruation  bestehet! 
bleibt.  In  anderen  Fällen  werden  wir  zur  Amputatio  uter! 
supravaginalis  oder  zu  der  Totalexstirpation  greifen.  IcI 
schliesse  damit,  dass  ich  gern  und  voll  anerkenne,  dass  die 
Röntgenbehandlung  der  Uterusmyome  für  die  Kranken  eit 
zweifelloser  Gewinn  und  Fortschritt  ist. 

Von  den  bösartigen  Geschwülsten  der  Gebär¬ 
mutter  betrachte  ich  nur  die  Uteruskarzinome;  die  ja  ausser 
ordentlich  seltener  vorkommenden  Sarkome  fallen  wohl  dei 
gleichen  Behandlung  anheim.  Auch  hier  beginne  ich  mit  dei 
Aetiologie  und  erinnere  daran,  dass  auch  heute  noch  der 
Krebserreger  völlig  unbekannt  ist  und  dass  manche  unter  un: 
Gynäkologen  zweifeln,  ob  überhaupt  ein  solcher  gefunden 
werden  wird.  Das  was  beim  Mäusekarzinom  nachgewieser: 
ist,  darf  man  nicht  ohne  weiteres  auf  das  Menschenkarzinon 
übertragen;  die  beiden  Karzinome  sind  zu  different.  Dageger 
will  ich  nicht  unerwähnt  lassen,  an  die  Erfahrung  der  Geburts¬ 
helfer  zu  erinnern,  dass  mit  der  Zahl  der  Entbindungen  die 
Gefahr,  später  an  Kollumkarzinom  zu  erkranken,  wächst.  Ver¬ 
meidet  also  die  Frau  die  Szilla  des  Myoms,  so  fällt  die  AermsR 
unter  Umständen  in  die  Charybdis  des  Karzinoms.  Es  is’ 
ausserdem  zweifellos,  dass  nicht  bloss  die  Häufigkeit  der  Ge-! 
bürten,  sondern  auch  die  soziale  Stellung  eine  Rolle  hierbe 
spielt,  insofern  der  Mangel  an  Schonung  im  Wochenbett,  frühe 
Arbeit,  Anstrengungen  zu  dauernden  Katarrhen  und  Schädi 
gung  führen,  auf  deren  Boden  später  das  Karzinom  entsteht 
Unerklärlich  ist  die  von  uns  allen  beobachtete  Tatsache,  dassi 
Karzinom  und  Vorfall  sich  so  gut  wie  ausschliessen.  Trotz! 
Hunderten  von  Operationen  von  Karzinom  auf  der  einen,  Vor¬ 
fall  auf  der  anderen  Seite,  habe  ich  nur  dreimal  diese  Kom¬ 
plikation  gesehen.  Was  die  operative  Tätigkeit  betrifft,  sc: 
möchte  ich  daran  erinnern,  dass  es  das  Verdienst  Freund 
sen.  war,  zuerst  die  Totalentfernung  des  karzinomatöseü 
Uterus  gewagt  zu  haben.  Diese  auf  abdominellem  Wege  ge¬ 
machte  Operation  ergab  zuerst  eine  erschreckende  Mortaliüi 
von  60 — 70  Proz.,  so  dass  die  von  B  i  1 1  r  o  t  h  und  Czernv 
angegebene  vaginale  Methode  mit  ihren  weit  besseren  Re-, 
sultaten  wie  eine  Erlösung  wirkte.  Allmählich  ging  unter  den 
Schutze  der  Erfahrung  und  der  Antisepsis  auch  bei  ersterer 
die  Mortalität  zurück  und  es  war  bekanntlich  das  Verdien: 
Wertheims,  durch  Hinzufügung  der  Drüsenausräuinum 
und  Erweiterung  der  Operation  durch  Wegnahme  des  Becken 
bindegewebes  uns  zu  besseren  Dauerresultaten  verholfen  zi 
haben.  Immerhin  mussten  wir  auch  bis  zuletzt  mindestem 
noch  mit  ca.  10  Proz.  primärer  Mortalität  rechnen  und  konntei 
nur  auf  etwa  25  Proz.  Dauerheilung  zählen. 

Es  ist  daher  verständlich  und  Ihnen  allen  noch  in  Er^ 
innerung,  welchen  Sturm  der  Begeisterung  die  Märe,  die  voi 


Dezember  1914. 


MUKNCHENER  MEDIZINISCHE  Um  iCHENSCHRIFT. 


2335 


va  I  *  Jahren  auf  tauchte,  hervorrief,  dass  nun  das  uni- 
irsple  Heilmittel  für  den  Krebs  gefunden  sei.  Welche  prak- 
Bedeutung  ein  derartiges  Mittel  hätte,  erhellt  schon 
,  aus,  dass^  in  Deutschland  jährlich  etwa  23  000  Frauen  an 
_'bs  der  Genitalien  sterben.  Dieses  Krebsheilmittel  wurde 
i Qestalt  des  von  dem  Ehepaar  Curie  entdeckten  Radiums 
1  des  von  dem  Berliner  Chemiker  dargestellten  Meso- 
i  rhims  bekannt  gemacht.  Ich  will  Sie  nicht  mit  den  längst 
[  rannten  physikalischen  und  biologischen  Wirkungen  der 
u  11  d  /'-Strahlen  hier  langweilen,  ich  will  nur  daran 
.  inern.  dass  die  y-Strahlen,  wie  es  scheint,  fast  identisch 
den  harten  Röntgenstrahlen  sind,  und  dass  die  Kunst, 
dem  Mittel  Erfolge  zu  erzielen,  darin  besteht,  die  weichen, 

.  Oberfläche  schädigenden  a-  und  ^-Strahlen  auszuschalten 
J nur  mit  den  in  die  liefe  dringenden  y-Strahlen  zu  arbeiten. 
Dserdem  ist  bekannt,  dass  dabei  sekundäre  Strahlen  ent- 
ien-  deren  Wirkung  ebenfalls  zu  paralysieren  ist.  Das 
!  kurzlebigere  Mesothorium  hat  eine  300  mal  so  starke 
ivität  wie  das  Radium.  Im  grossen  und  ganzen  kann  man 
i  r  von  gleichartige!  W  irkung  der  beiden  chemisch  einander 
i  r  nahestehenden  Metalle  sprechen.  Während  man  ur- 
ünglich  von  einer  elektiven  Wirkung  der  Radiumstrahlen 
das  Karzinomgewebe  sprach,  weiss  man  jetzt,  dass  die 
Ghlen  alle  Gewebe  schädigen,  am  meisten  junge  Zellen 
die  Karzinomzellen,  Leukozyten,  Ovarialfollikel,  dann 
[  t  die  Schleimhaut,  Nervenfasern.  Zur  Schädigung  des 
1  '•kels,  Bindegewebes,  der  Knochen  braucht  es  dagegen 
längerer,  stärkerer  Einwirkung  der  Strahlen.  Es  ist  ver¬ 
glich,  dass  zuerst  die  Franzosen  das  von  ihrem  Landsmann 
ieckte  Mittel  therapeutisch  anwandten  und  es  ist  das  Ver¬ 
ist  von  I)  o  m  i  n  i  c  i,  auch  als  erster  die  Filterung  für 
vtische  Zwecke  angewendet  zu  haben.  Auch  hier  muss  ich 
-der  als  Verdienst  der  Freiburger  Schule  anerkennen,  dass 
1  zuerst  den  Mut  hatte,  mit  grossen  Dosen  und  langdauernder 
Wirkung  voranzugehen.  Interessant  ist  die  Wirkung  der 
hlenden  Substanz  auf  das  Gewebe.  Zunächst  tritt  eine 
wellung  der  bestrahlten  Gewebe  ein,  mit  vermehrter  Se- 
ion,  daran  schliesst  sich,  bald  früher,  bald  später  die 
1  kbildung,  es  entsteht  auf  der  Oberfläche  ein  gelblicher, 

!  »lieber  Schorf,  der  am  meisten  an  den  Belag  der  Ampu- 
i  insflächen  erinnert,  den  man  vor  Einführung  der  Antisepsis 
diphtheritischen  bezeichnete.  Bei  weiterer  Einwirkung 
1  die  Oberfläche  trocken,  es  stösst  sich  langsam  Gewebe 
Ist  die  Wirkung  zu  stark,  dann  geht  die  Nekrotisierung 
|  dem  kranken  Gewebe  des  Uterus  auf  die  Nachbarschaft, 

:  B>ase,  Becken,  Bindegewebe,  Mastdarm  über  und  es 
.  ten  schwerheilende  Fisteln  entstehen.  Bei  günstiger  Wir- 
t  wird  die  ursprünglich  harte  Infiltration  allmählich  er- 
•ht.  Bei  der  Untersuchung  des  erweichten  Zervix-  oder 
.  malgewölbes  findet  man  oft  eine  eigentümliche  Saug¬ 
ung  am  Finger,  die  ich  nirgends  beschrieben  fand. 

Hand  in  Hand  mit  diesen  makroskopschen  Veränderungen 

•  n  die  mikroskopischen:  schwere  Schädigung  der  Kern- 
1  tanz-  dann  schleimige  Entartung  der  Zellen  mit  Bildung 

Vakuolen  (Demonstration).  Es  tritt  dann  eine  starke 

•  mzytose  auf,  der  die  Bildung  jungen,  kernreichen  Binde- 
■ebes  folgt,  welches  schliesslich  häufig  der  hyalinen  De- 
:  ration  anheimfällt  und  durch  kleinzellige  Infiltration  und 
■  ebildetes  Bindegewebe  ersetzt  wird.  Schneidet  man  nach 
1  erholter  Bestrahlung  kleine  Stückchen  aus,  so  ist  das 
1  inomgewebe  zugrunde  gegangen. 

Auch  hier  ist  klar,  dass  die  Vorteile  d  i  e  der  Vermeidung 
Operation  sind.  Aber  ich  möchte  heute  noch  nicht  an- 
‘nnen,  dass,  wie  v.  Seuffert  behauptet,  die  Chancen 
operativen  und  Strahlenbehandlung  annähernd  die  gleichen 
'  •  Die  Radium-  und  Mesothoriumbehandlung  ist  schonen- 
ind  angenehmer  als  die  Röntgenbehandlung,  aber  zwcifel- 
vetährlicher.  Die  Erfolge,  die  in  günstigen  Fällen  erzielt 
;  en,  sind  allerdings  geradezu  verblüffend  und  es  ist  diese 
[  ode  gewiss  als  die  beste  uns  bisher  zu  Gebote  stehende 

I  ativmethode  zu  verzeichnen.  Diesen  Vorteilen  stehen 
'auch  Nachteile  entgegen.  Bei  zu  starker  Wirkung  sollen 
-  Krebszellen  gereizt  werden,  der  Krebs  soll  sich  rascher 

feiten,  auf  die  Nachbarschaft  übergehen,  wovon  jüngst 

I I  m  u-  a.  einige  eklatante  Beispiele  veröffentlicht  haben. 


In  anderen  hüllen  entstehen  nicht  beabsichtigte  Verbrennung 
der  Gewebe,  Nekrose  derselben  mit  schwerer  Schädigung  der 
Nachbarschaft.  In  einzelnen  Fällen  sah  ich  tagelang  anhal¬ 
tendes  Fieber  auftreten  mit  Auftreten  von  Eiweiss,  Zylindern 
im  Ui  in,  andere  Male  höchst  unangenehme  Tenesmen  von 
seiten  der  Blase  und  des  Darmes.  Immerhin  lässt  sich  bei 
Erfahrung  und  Vorsicht  ein  Teil  dieser  Nachteile  vermeiden. 

W  ährend  nun  K  r  ö  n  i  g,  wie  schon  erwähnt,  rät,  mit 
grossen  Dosen  zu  arbeiten,  hat  Bumm  von  Anfang  an  daran 
testgehalten,  nur  mit  mittleren  Dosen,  höchstens  etwa  100  mg, 
zu  arbeiten.  Nach  seinen  Erfahrungen  genügt  dies  vollständig! 
da  immerhin  mit  einer  Tiefenwirkung  von  3—5  cm  zu  rechnen 
‘st’ es  lassen  sich  bei  diesen  mittleren  Dosen  die  schweren 
Schädigungen  vermeiden,  zumal  wenn  gewisse  Zwischen¬ 
pausen  eingeführt  werden.  Höchst  wertvoll  ist  in  dieser  Be¬ 
ziehung  eine  jüngst  von  Schauta  erschienene  Publikation, 
ln  einer  ersten  Reihe  von  Fällen  bestrahlte  er  anhaltend  Tag 
und  Nacht,  tage-,  selbst  wochenlang.  Die  Erfolge  waren* 
schwere  Schädigung  der  Nachbarschaft,  an  denen  alle  11  so 
behandelten  Patientinnen  zugrunde  gingen;  dann  folgte  eine 
Reihe,  wo  er  nur  des  Nachts  bestrahlte  und  der  Tag  frei  war 
Auch  hier  überwog  noch  die  Schädigung  den  Erfolg.  Schliess¬ 
lich  ging  Schauta  ähnlich  wie  Bumm  zu  intermittierender 
Bestrahlung  mit  längeren  Pausen  über  und  seine  Erfolge  waren 
befriedigend.  Aehnlich  gehen  auch  wir  in  Strassburg  vor. 
zum  1  eil  auch  der  Not,  nicht  der  eigenen  Tugend  gehorchend! 
weil  uns  nicht  die  grossen  Dosen  Freiburgs  zur  Verfügung 
stehen,  sondern  wir  vorläufig  nur  mit  höchstens  226  mg 
arbeiten  konnten.  Wichtig  ist  die  Vorbereitung  des  Karzinoms 
durch  Abschabung  der  kranken  Stellen,  nicht  selten  durch  vor¬ 
herige  Anwendung  der  Chlorzinkpaste.  Bei  grossen  Tumoren 
besonders  Rezidivtumoren,  wende  ich  das  sog.  Tunnelsystem 
an,  das  allerdings  in  der  Vagina  nicht  ungefährlich  ist,  während 
die  einfache  Einlegung  der  Radiumröhren  (mit  Messingfilter) 
in  Scheide,  Zervix  und  Uterushöhle,  wenn  man  die  Schädigung 
der  Sekundärstrahlen  vermeidet,  im  grossen  und  ganzen  un¬ 
gefährlich  ist. 

Wenn  manche  Gynäkologen  heute  schon  von  Dauer- 
Heilung  spiechen,  so  muss  dagegen  daran  erinnert  werden 
dass  man  auch  nach  der  Operation  der  Uteruskrebse 
vor  Ablauf  von  5  Jahren  von  Dauerheilung  nicht  sprechen 
darr,  und  dass  A  s  c  h  o  f  f  sowie  v.  Hansemann  bei  den 
Sektionen  inoperabler  Karzinome,  die  mit  Radium  behandelt 
worden  waren,  am  Rande  der  Neubildung  immer  noch  Kar- 
zinomzellen  nachwiesen;  ebenso  wie  Bumm,  der  nach  Vor- 
behandlung  von  Karzinomen  durch  Radium  zur  Operation  am 
Rande  der  Neubildung  lebensfähiges  Karzinomgewebe  fand. 

I  rotzdem  wollen  wir  gerne  die  Tatsache  anerkennen,  dass 
therapeutisch  eklatante  Erfolge  mit  diesem  neuen  Mittel  er¬ 
zielt  werden  können,  wie  bisher  mit  keinem  anderen.  Wir 
haben  manche  Zervix-  und  Scheidenkarzinome  so  zur  Rück- 
i  düng  gebracht,  dass  später  auch  bei  Exzision  und  mikro- 
skopischer  Untersuchung  von  einer  Neubildung  nichts  mehr 
gefunden  wurde.  Doch  ist,  wie  gesagt,  die  Zeit  der  Be¬ 
obachtung  noch  eine  viel  zu  kurze.  Ferner  darf  anerkannt 

rämj  en’  ^aSS  auc^  den  ’n°Perablen  Karzinomen  sich  durch 
Milderung  der  Blutungen,  der  Jauchung  und  in  manchen  Fällen 
durch  Nachlassen  der  Schmerzen  solche  Besserungen  er¬ 
zielen  lassen  wie  bisher  bei  keinem  anderen  Mittel,  so  dass 
die  armen  Kranken  tatsächlich  oft  wähnen,  geheilt  zu  sein. 
Doch  veitiete  ich  auch  heute  noch,  wie  Czerny  u.  a.  den 
Standpunkt,  dass  die  gutoperablen  Fälle  so  bald  wie 
möglich  operiert  werden  sollen.  Allerdings  habe  ich 
die  Konzession  gemacht,  dass  ich  die  Wertheimsche 
Operation  wegen  ihrer  grösseren  primären  Mortalität  vor¬ 
läufig  aufgegeben  habe  und  wieder  zur  vaginalen  Totalexstir¬ 
pation  übergegangen  bin,  an  die  sich  dann  sofort  die  prophy¬ 
laktische  Bestrahlung  anschliesst.  Natürlich  können  wir  erst 
}—• 2  Jahren  entscheiden,  wie  gross  der  Erfolg  bei  beiden 
Reihen  sein  wird.  Zweifellos  ist,  dass  sich  eine  Verlängerung 
der  Lebensdauer  erzielen  lässt. 

Der  jüngste  Vorschlag  ist  der  von  Bumm:  die  Kom¬ 
bination  von  Radium-  und  Röntgenbestrahlung;  man  hat  in 
jüngster  Zeit  duicli  Fabrikation  starker  Röhren,  die  imstande 
sind,  eine  grosse  Menge  harter  Strahlen  in  die  Tiefe  zu 

1* 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2336 


Nr.  49. 


schicken,  wie  z.  B.  die  Röhren  der  Veifawerke,  die  Zangen¬ 
röhren  von  Müller-  Hamburg,  prächtige  Erfolge  erzielt. 
Bekannt  ist  der  Fall  von  B  u  m  m,  der  allein  durch  Bestrahlung 
vom  Abdomen  aus  ein  Portiokarzinom  zum  Verschwinden 
brachte.  Die  Zukunft  wird  lehren,  welches  Mittel  die  grösseren 
Erfolge  zeitigt,  oder  ob  der  Erfolg  in  der  gemeinsamen  An¬ 
wendung  beider  liegt. 

Während  bislang  das  Radium  und  Mesothorium  des  hohen 
Preises  wegen  nur  in  klinischen  Anstalten  gebraucht  wurde, 
ist  zu  erwarten,  dass  wenn  die  ersten  Nachfragen  gedeckt 
sind  und  vielleicht  das  Radium  zum  Teil  durch  Röntgenstrahlen 
ersetzt  wird,  der  Preis  ein  wesentlich  geringerer  sein  wird. 
Dann  wird  hoffentlich  auch  künftig  der  praktische  Arzt  es  in 
die  Hand  bekommen,  um  seinen  armen  Kranken  wenigstens 
die  Wohltat  der  Palliativbehandlung  des  Uteruskarzinoms  zu¬ 
kommen  lassen  zu  können. 

.  Sie  sehen  meine  Herren,  dass  für  die  mit  gut-  und  bös¬ 
artigen  Gebärmuttergeschwülsten  behafteten  Frauen  eine  Acra 
der  unblutigen  Behandlung  angebrochen  ist,  an  deren  weiterem 
Ausbau  mitzuarbeiten  Sie  alle  berufen  sind. 


Aus  dem  pharmakologischen  Institut  der  Universität  Heidel¬ 
berg  (Dir.:  Prof.  R.  Gottlieb). 

Ueber  die  Verteilung  injizierten  Cholins  im  Tierkörper. 

Von  Dr.  Philipp  E  Hing  er,  Assistent  des  Instituts. 

Seitdem  das  Cholin  in  Form  des  Enzytol  durch  Werner 
in  die  Krebstherapie  eingeführt  worden  ist,  wird  es  bei  ver¬ 
schiedenen  Krankheiten  in  ausgedehnter  Weise  angewandt, 
zum  grossen  Teil  auch  in  Kombination  mit  Röntgen-  und 
Radiumstrahlen.  Man  weiss  aus  den  Arbeiten  von  Loh¬ 
mann  T  Schwarz  und  Lederer2)  und  F  ii  r  t  h  und 
Schwarz3),  dass  Cholin  in  kleinen  Mengen  in  der  Schild¬ 
drüse,  Nebenniere,  Thymus,  Milz  und  Lymphdriisen  im  Or¬ 
ganismus  vorkommt,  und  neigt  dazu,  ihm  eine  Hormonwirkung 
als  Gegenpart  des  Adrenalins 4)  zuzuschreiben.  Doch  ist  das 
Schicksal  des  Cholins  iin  Körper  nur  wenig  bekannt. 

Ein  gesicherter  Befund  bei  der  Cholinwirkung  ist  die 
Sensibilisierung  der  Haut  gegen  die  Wirkung  der  Röntgen- 
Strahlen.  Ritter  und  Allmann5)  fanden,  dass  das  Auftreten 
von  Erythemen  der  Haut  nach  Röntgenbestrahlung  durch  vorher¬ 
gehende  Enzytolbehandlung  um  die  Hälfte  der  Zeit  beschleunigt 
wird.  Dieser  Befund  einer  veränderten  Reaktionsfähigkeit  der 
Haut  nach  Cholinzufuhr  schien  uns  darauf  hinzuweisen,  dass 
eine  besondere  Affinität  des  Cholins  zu  den  lebhaft  pro- 
iiferierenden  unteren  Hautschichten  bestehen  könnte.  Eine 
solche  Beziehung  des  Cholins  zu  jungen  Zellen 
wäre  geeignet,  auch  die  Sensibilisierung  von  Tumoren  und 
von  tuberkulös  verändertem  Gewebe  gegen  Röntgen-  und 
Radiumstrahlen,  die  man  auf  Grund  der  klinischen  Erfolge  ver¬ 
muten  darf,  zu  erklären.  Wir  gingen  deshalb  von  der  Frage 
aus,  ob  sich  Cholin  oder  eines  seiner  Zersetzungsprodukte  in 
der  Haut  und  in  Tumoren  nach  Cholinzufuhr  nachweisen  lässt. 

Ich  unternahm  es,  die  Verteilung  des  Cholins  im  Tierkörper 
nach  folgender  Methode  zu  untersuchen. 

Das  mit  Cholin  behandelte  Tier  wurde  nach  Möglichkeit  ent¬ 
blutet  —  das  Blut  in  absolutem  Alkohol  aufgefangen  und  wie  die  übri¬ 
gen  Organe  weiterbehandelt  — ,  die  einzelnen  zur  Untersuchung  kom¬ 
menden  Organe  schnell  herausgenommen,  zerschnitten  und  in  der 
Reibschale  mit  Quarzsand  verrieben.  Der  Organbrei  wurde  dann  ent¬ 
weder  in  absolutem  Alkohol  6 — 8  Stunden  am  Steigrohr  oder  in 
schwach  mit  Essigsäure  angesäuertem  Wasser  ebensolange  auf  dem 
Wasserbade  erhitzt.  Die  Haut,  deren  Extraktion  grössere  Schwierig¬ 
keiten  machte,  wurde  zunächst  in  Streifen  zerschnitten,  dann  in  einer 
Mühle  so  fein  wie  möglich  zermahlen  und  mindestens  12 — 14  Stunden 
in  angesäuertem  Wasser  erhitzt.  Nach  dem  Erkalten  wurde  der 
Organbrei  zunächst  durch  Kolieren,  dann  durch  Filtrieren  oder  Ab¬ 
saugen  auf  der  Nutsche  entfernt.  Die  alkoholische  Lösung  wird  auf 


*)  A.  Lohmann:  Pflügers  Arch.  118.  1907.  S.  215  und  122.  1908. 

S.  203. 

2)  C.  Schwarz  und  R.  Lederer:  Pflügers  Arch.  124.  1908. 

S.  353. 

3)  0.  v.  Fürth  und  C.  Schwarz:  Pflügers  Arch.  124.  1908. 

S.  361. 

')  A.  Lohmann:  1.  c. 

s)  H.  Ritter  und  Allmann:  Strahlentherapie  4.  1914.  S.  398. 


dem  Wasserbad  eingedampft  und  der  Rückstand  mit  Wasser  auf¬ 
genommen;  diese  wässrige  Lösung  wird  ebenso  wie  die  mit  Essig¬ 
säurewasser  extrahierte  unter  Zusatz  von  ca.  3  ccm  Salzsäure  aut 
dem  Wasserbad  zur  Hälfte  eingedampft,  nach  dem  Erkalten  3  mal  mit 
viel  Aether  zur  Entfernung  des  Lezithins  ausgeschüttelt  und  nachher 
vorsichtig,  am  besten  unter  vermindertem  Druck,  zur  Trockne  ein¬ 
gedampft.  Den  Rückstand  nimmt  man  mehrfach  mit  warmem  abso¬ 
luten  Alkohol  auf  und  fällt  mit  einer  alkoholischen  Platinchloridlösung. 
Nach  12  Stunden  filtriert  man  den  Niederschlag  und  wäscht  so  lange 
mit  absolutem  Alkohol  aus,  bis  im  Spiilalkohol  kein  Platinchlorid  mehr 
nachweisbar  ist.  Der  im  Schwefel^äureexsikkator  24  Stunden  lang  ge¬ 
trocknete  Niederschlag  wurde  gewogen. 

Das  Platindoppelsalz  wurde  zur  Identifizierung  des  Cholins  zu¬ 
nächst  in  heissem  Wasser  gelöst,  mit  Schwefelwasserstoff  zersetzt 
und  die  wässrige  Flüssigkeit  auf  dem  Wasserbad  unter  Zusatz  einiger 
Tropfen  Salzsäure  stark  eingeengt.  Nach  dem  Erkalten  wurde  mit 
wässriger  konzentrierter  üoldchloridlösnng  gefällt.  Das  Q  o  1  d  s  a  1  z 
wurde  mehrfach  aus  heissem  Wasser  umkristallisiert  und  der 
Schmelzpunkt  —  245°  bis  247“  —  bestimmt.  Dann  wurde  der  Nieder¬ 
schlag  in  reichlichem  heissen  Wasser  gelöst  und  wieder  mit  Schwe¬ 
felwasserstoff  zersetzt,  filtriert  und  das  Filtrat  unter  Salzsäurezusatz 
auf  dem  Wasserbad  eingeengt.  Mit  der  wässrigen  Lösung  wurden 
noch  folgende  Identitätsproben  angestellt. 

Einige  Tropfen  wurden  mit  wenigen  Tropfen  konzentrierter 
wässriger  Alloxanlösung ö)  auf  dem  Wasserbade  zur  Trockne  cin- 
gedampft:  es  entsteht  eine  purpurrote  Färbung,  die  auf  Zusatz  von 
Natronlauge  in  violett  übergeht. 

Mit  Kaliumtrijodid  nach  Stanek* 7)  entsteht  ein  dunkelbrauner 
Niederschlag. 

Einige  Tropfen  wurden  im  Reagenzglas  mit  Krautschem  Re¬ 
agens  (i)  versetzt,  wobei  ein  hellrosa  Niederschlag  entsteht. 

Einige  Kristalle  des  Golddoppelsalzes  wurden  unter  dem  Mikro¬ 
skop  mit  Jodjodkalilösung8)  zusammengebracht,  wobei  sich  die  gold¬ 
gelben  Würfel  in  dunkelbraune  Täfelchen  oder  Nadeln  umwandelteu. 

Wir  verwandten  zu  den  Versuchen  das  Cholin,  hydro- 
chloric.  Kahlbanm  und  eine  ca.  20  proz.  Cholinchloridlösung 
der  Vereinigten  chemischen  Werke  Charlottenburg8). 

Zur  Untersuchung  kamen  folgende  Organe:  Haut,  Leber. 
Nieren,  Nebennieren,  Ovarien,  Hoden,  Milz,  Pankreas,  Muskel, 
Blut.  Ferner  wurde  im  Harn  und  Speichel  Cholin  bestimmt. 
Es  wurde  zunächst  in  den  Organen  von  zwei  nicht  mit 
Cholin  vorbehandelten  Kaninchen  folgender  Cholinbefund  fest¬ 
gestellt: 

Haut:  unwägbare  Trübung  bei  Platinchloridzusatz, 

Leber:  kein  Niederschlag, 

Nieren:  kein  Niederschlag, 

Nebennieren:  kein  Niederschlag, 

Ovarien:  in  einem  Falle  kein  Niederschlag,  im  zweiten 
leichte  Trübung, 

Milz:  kein  Niederschlag, 

Muskel:  kein  Niederschlag, 

Blut:  kein  Niederschlag, 

Urin:  kein  Niederschlag. 


8  Kaninchen  erhielten  Cholin  in  Form  einer  1  proz.  Lösung 
von  Cholinchlorid  intravenös  in  die  Jugularis.  Dabei  trat  Un¬ 
ruhe  und  Bewegungsdrang  auf,  nach  kurzer  Zeit  konnte 
Speichelfluss  beobachtet  werden.  Zunächst  kam  dickflüssiger 
Speichel  in  spärlicher  Menge,  nach  einiger  Zeit  wurden  grosse 
Mengen  dünnen  Speichels  produziert.  Ebenso  wurden 
grössere  Mengen  Tränenflüssigkeit  entleert.  Die  Blutdruck¬ 
wirkung,  die  in  einem  Teil  der  Fälle  beobachtet  wurde,  war 
nicht  einheitlich  und  bedarf  noch  näherer  Klärung.  Die  At¬ 
mung  setzte  bei  jeder  Injektion  der  in  refracta  dosi  bei¬ 
gebrachten  Lösung  aus,  um  nach  kurzer  Zeit  wiederzukehren. 
Sie  erholte  sich  jedoch  nicht  vollständig  und  am  Ende  der  Ver¬ 
suche  musste  künstlich  geatmet  werden.  Die  Resultate  der 
chemischen  Untersuchung  sollen  im  folgenden  einzeln  gegeben 
werden. 

Versuch  I.  18.  II.  14. 


Kaninchen,  weibl.,  2120  g,  in  2  Stunden  50  ccm  1  proz.  Cholinchlorid 

intravenös. 


Haut:  0,5230  g  Platindoppelsalz, 
Leber:  0, 

Nieren:  0, 

Nebennieren:  Trübung, 

Milz:  0, 


Ovarien:  Trübung, 

Blut:  Trübung, 

Urin:  Trübung, 

Speichel:  0,0283  g  Platinsalz. 


°)  O.  Rosen  heim:  Journ.  of  Physiol.  33.  1905.  S.  220. 

7)  Stanek:  Zschr.  f.  physiol.  Chemie  46,  1905.  S.  280. 

8)  Dieses  wertvolle  Präparat  wurde  dem  Institut  von  der  Fabrik 
zur  Verfügung  gestellt,  wofür  wir  auch  an  dieser  Stelle  den  besten 
Dank  des  Institutes  aussprechen. 


S.  I >cxcmbcr  1914, _  MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2337 


V  c  r  s  u  c  li  II.  20.  II.  L 
Kaninchen,  wcibl.,  1850  k,  in  47  Min.  35  ccm 
Haut:  0,3242  g  Platinsalz, 

Leber:  0, 

Nieren :  0, 

Nebennieren:  Trübung, 

Muskel:  0, 


Ovarien:  Trübung, 
Blut:  0, 

Urin :  0. 

Speichel:  0,0154  g 


Cholinchlorid. 


datinsalz. 


Versuch 
Kaninchen,  vveibl.,  1920  g,  in  56 
Haut:  0,3624  g  Platinsalz, 

Leber:  0, 


Nieren:  0, 

Nebennieren:  Trübung, 

Muskel:  0, 

Versuch 
Kaninchen,  weibl.,  2130  g,  in  1 
Haut:  0,7824  g  Platinsalz, 

Leber:  0. 

Nieren :  Trübung, 

Nebennieren:  0.0243  g  Platinsalz, 
Ovarien:  0,0182  g  Platinsalz, 

Versuch 

Kaninchen,  weibl.,  2300  g,  in  1  Std. 
Haut:  0,3218  g  Platinsalz, 

Leber:  0, 

Nieren:  0, 

Nebennieren:  Trübung, 

Versucli 
Kaninchen,  weibl.,  2680  g,  in  1  Std. 
Haut:  0,3147  g  Platinsalz, 
Nebennieren:  0, 

Muskel:  0, 


III.  25.  II.  14. 

Min  34  ccm  1  proz.  Cholinchlorid 
Ovarien:  Trübung, 

Blut:  0, 

Urin:  0, 

Speichel:  Trübung. 


IV.  27.  II.  14. 

Std.  55  Min.  71  ccm  Cliolinchlorid. 
Milz:  0, 

Muskel:  0, 

Blut:  Trübung, 

Urin:  Trübung. 

Speichel:  0,0324  g 


Platinsalz. 

Cholinchlorid 


V.  3.  III.  14. 

19  Min.  36  ccm  1  proz. 
Ovarien:  Trübung, 
Blut:  Trübung, 
Speichel:  Trübung. 


VI.  6.  III.  14. 

34  Min.,  36  ccm  1  proz.  Cholinchlorid. 
Ovarien:  Trübung, 

Blut:  0, 

Speichel:  Trübung. 


Versuch  VII.  7.  III.  14. 


Kaninchen,  weibl.,  2180  g,  in  2  Std.  14  Min.  100  ccm  1  proz.  Cholin¬ 
chlorid. 


Haut:  0,9423  g  Platinsalz, 

Leber:  0, 

Nieren:  0, 

Nebennieren :  0,0242  g  Platinsalz, 
Ovarien:  0,0138  g  Platinsalz, 


Muskel:  0, 

Milz:  Trübung, 

Blut:  0, 

Speichel:  0,0185  g  Platinsalz. 


Versuch  VIII.  10.  III.  14. 

Kaninchen,  alt,  weibl.,  2680  g,  in  2  Std.  4  Min.  76  ccm  1  proz.  Cholin¬ 
chlorid. 


Haut:  0,8143  g  Platinsalz. 
Leber:  0, 

Nieren:  0, 

Nebennieren:  Trübung, 
Ovarien:  0,0142  g  Platinsalz, 


Milz:  0, 

Muskel:  0, 

Speichel:  0,0132  g  Platinsalz, 
Urin:  0, 

Blut:  0. 


In  allen  diesen  Fällen  wurde  die  weitaus  grösste  Menge 
des  injizierten  Cholins  und  zwar  bis  zur  Hälfte  der  an¬ 
gewandten  Substanz  in  der  Haut  wiedergefunden,  die  also 
offenbar  als  ein  Cholindepot  anzusprechen  ist.  Weiter  wurden 
im  Verhältnis  zur  Grösse  des  Organs  reichliche  Mengen  in 
Ovarien  und  Nebennieren  nachgewiesen,  während  ein  Teil 
durch  den  Speichel  ausgeschieden  wird.  Das  Blut  scheint  das 
Cholin  schnell  abzugeben.  Im  Urin  konnte  es  nicht  sicher 
nachgewiesen  werden.  Leber,  Milz,  Muskel  und  Nieren 
scheinen  es  nicht  zurückzuhalten. 


Zwei  Hunde  erhielten  Cholinchlorid  in  die  Jugularis.  Die 
Untersuchung  ergab  folgende  Resultate,  die  sich  mit  den  Be¬ 
funden  der  Kaninchen  vollkommen  decken. 


Versuch  IX.  11.  VII.  14. 


Hund,  männl.,  8000  g,  in  1  Std.  18  Min.  160  ccm  1  proz 
chlorid.  Künstliche  Atmung. 


,2000  g  Platinsalz, 


0. 


Trübung, 


V| 

),0528  g  Platinsalz, 


Milz:  0, 

Pankreas:  0, 
Speichel:  Trübung, 
Urin:  0, 

Blut:  0. 


Cholin- 


Versuch  X.  13.  VII.  14. 


Hund,  männl.,  9400  g,  in  1  Std.  25  Min.  160  ccm  1  proz  Cholin 
chlorid.  Künstliche  Atmung. 


Leber:  0, 

Nieren:  0, 

Nebennieren:  Trübung, 
Muskel:  0, 

Hoden:  0,0614  g'Platinsalz, 


Milz:  0, 

Pankreas:  0, 

Speichel:  0,0124  g  Platinsalz, 
Urin:  0, 

Blut:  0. 


Auch  in  den  Hoden  fanden  sich  also  beträchtliche  Mengen. 
In  zwei  weiteren  Versuchen  wurde  geprüft,  wie  lange 
nach  der  fortgesetzten  intravenösen  Einführung  kleiner  Cholin¬ 
mengen  sich  die  Substanz  in  der  Haut  oder  anderen  Organen 
noch  deponiert  findet,  ob  also  eine  Dauerwirkung  des  Cholins 
auf  die  Gewebe  angenommen  werden  kann.  Zu  dem  Zwecke 
wurden  zwei  Kaninchen  mit  kleinen  Dosen  Enzytol  intravenös 
behandelt  und  mehrere  Wochen  nach  der  letzten  Injektion  ge¬ 
tötet  und  untersucht. 

Versuch  XI. 

Kaninchen,  weibl’.,  3020  g.  vom  11.  II.  bis  26.  II.  2,8  ccm  Enzytol 
in  95  ccm  physiol.  Kochsalzlösung.  Am  26.  III.  getötet: 

Haut:  0,2483  g  Platinsalz,  Nebennieren:  0, 

Leber:  0,  Milz:  0. 

Versuch  XII. 

Kaninchen,  weibl.,  2800  g,  vom  9.  III.  bis  18.  III.  2,7  ccm  Enzytol 
in  24  cm  physiol.  Kochsalzlösung.  Am  5.  V.  14  getötet: 
Haut:  0,1739  g  Platinsalz,  Ovarien:  0,0087  g  Platinsalz, 

Leber:  0,  Milz:  0. 

Nebennieren:  0, 

Es  zeigt  sich  somit,  dass  noch  nach  Wochen  ein  erheb¬ 
licher  Teil  des  Cholins  in  der  Haut  aufgespeichert  bleibt, 
während  in  den  anderen  untersuchten  Organen  nicht  mehr  als 
die  normalen  Spuren  gefunden  wurden. 

Von  der  subkutanen  Einverleibung  der  Substanz  .wurde 
abgesehen,  da  die  Untersuchung  der  Haut  kein  klares  Bild  er¬ 
geben  hätte.  Von  praktischer  Wichtigkeit  erscheint  jedoch  die 
Frage,  ob  man  die  festgestellte  Aufspeicherung  in  der  Haut 
und  ihr  etwa  analoge  Anreicherungen  pathologisch  ver¬ 
änderter  Gewebe  auch  bei  der  Einführung  der  Substanz  vom 
Magen  aus  erreichen  kann.  Um  diese  Frage  zu  ent¬ 
scheiden,  erhielten  zwei  Kaninchen  mit  der  Schlundsonde 
jeden  zweiten  Tag  je  2  g  Cholinchlorid  in  2  proz.  wässriger 
Lösung.  Die  Resultate  sind  folgende: 


Versuch  XIII. 

Kaninchen,  weibl.,  2420  g,  vom  22.4.  bis  22.  V.  14  jeden  zweiten  Tag 
je  2  g  Cholinchlorid  in  wässriger  Lösung  mit  der  Schlundsonde,  im 
ganzen  34  g.  Als  am  22.  V.  auf  einmal  4  g  gegeben  wurden,  trat  der 
Tod  ein.  Das  Gewicht  des  Tieres  war  während  der  ganzen  Vergif¬ 
tungsperiode  annähernd  konstant  geblieben. 

Haut:  2,1342  g  Platinsalz,  Muskel:  0, 

Leber:  0,  Milz:  0, 

Nieren:  0,  Blut:  0, 

Nebennieren:  0,0214  g  Platinsalz,  Urin:  0. 

Ovarien:  0,0312  g  Platinsalz, 


Versuch  XIV. 


Kaninchen,  2230  g.  Vom  22.  IV.  bis  22.  V.  14  jeden  zweiten  Tag 
je  2  g  Cholinchlorid  in  wässriger  Lösung,  im  ganzen  32  g.  mit  der 
Schlundsonde.  Während  der  ganzen  Periode  annähernd  Gewichts¬ 
konstanz. 


Häut:  1,8427  g  Platinsalz, 
Leber:  0, 

Nieren:  0, 

Nebennieren:  Trübung, 
Ovarien:  0,0347  g  Platinsalz, 


Muskel:  0, 
Milz:  0, 
Blut:  0, 
Urin:  0. 


Es  ergibt  sich  also  auch  nach  stomachaler  Einführung  des 
Cholins  das  gleiche  Bild  der  Verteilung  wie  nach  intravenöser. 
Auch  hier  erscheint,  während  wohl  der  grösste  Teil  des  Cholins 
zerstört  wird,  als  wesentlichstes  Cholindepot  die 
Haut,  daneben  Ovarien  und  Nebennieren. 

Die  Untersuchung  erstreckte  sich  im  weiteren  noch 
auf  einige  rumoren,  die  nach  den  klinischen  Erfahrungen 
von  Cholin  beeinflusst  zu  werden  scheinen.  Es  standen 
mir  durch  die  Liebenswürdigkeit  des  Heidelberger  Samariter¬ 
hauses  einige  Rattensarkome  (E  h  r  1  i  c  h)  zur  Verfügung. 
Bei  der  Untersuchung  zeigte  sich,  dass  in  normalen,  d.  h. 
nicht  mit  Cholin  behandelten  Tumoren,  so  lange  sie  noch 
nicht  zerfallen  waren,  in  zwei  daraufhin  untersuchter 
Fällen  Cholin  nicht  nachweisbar  war.  In  zwei  Fällen  zer¬ 
fallener  Tumoren  dagegen  wurde  Cholinplatinchlorid 
und  zwar  0,0122  g  und  0,0098  g  gefunden.  Behandelt  man 
Tumorratten  mit  Cholin,  so  lässt  sich  stets  eine  —  in  An¬ 
betracht  der  geringen  Gewebsmengen  —  recht beträcht- 
liche  Cholin  menge  in  den  Tumoren  nach- 
w  eisen.  Den  Tumorratten  wurden  subkutan  im  Verlauf 
von  zwei  Stunden  je  0,10  g  Cholinchlorid  in  1  proz.  Lösung  in 


2338 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  4t 


Dosen  von  0,01  g  injiziert.  Dabei  wurden  in  den  Tumoren 

gefunden,  j  0,0185  g  Platinsalz  (nicht  zerfallen), 

II.  0,0220  g  (  „  ,  ), 

III.  0,0342  g  ,  (zerfallen), 

IV.  0,0382  g  (  ,  ), 

V.  0,0413  g  (  n  )• 

In  einem  menschlichen  Karzinom,  das  zu  zerfallen  begann, 
wurden  0,1134  g  Platinsalz  gefunden. 

In  der  Aszitesflüssigkeit  eines  mit  Enzytol  behandelten 
Darmkarzinompatienten,  die  uns  durch  Herrn  Prof.  Fromme- 
Berlin  zugestellt  war,  wurden  Spuren  Cholin  nachgewiesen, 
wobei  es  jedoch  unklar  blieb,  ob  diese  nicht  erst  durch  Zer¬ 
setzung  entstanden  waren. 

Nach  den  angeführten  Versuchen  lässt  sich  also  mit 
Sicherheit  sagen,  dass  das  Cholin  weit  langsamer  und  in  weit 
geringerem  Masse  vom  Organismus  zerstört  wird,  als  man 
gemeinhin  annimmt.  Es  wurde  nach  intravenöser 
Injektion  fast  die  Hälfte,  nach  stomachaler 
Einverleibung  ca.  3  Proz.  des  eingeführten 
Cholins  wieder  gefunden,  und  zwar  weitaus 
der  grösste  Teil  in  der  Haut,  geringere 
Mengen  in  den  Ovarien,  Hoden  und  Neben¬ 
nieren.  Auch  in  den  Tumoren  mit  Cholin  subkutan  be¬ 
handelter  Ratten  liess  es  sich  nachweisen. 


Aus  der  Kgl.  Universitätsklinik  für  Hautkranke  zu  Breslau 
(Direktor:  Geh.  Prof.  Dr.  A.  N  e  i  s  s  e  r). 

Salvarsanserum. 

III.  Mitteilung. 

Einfluss  von  Oxydation  und  Reduktion  auf  die  Wirkungsstärke 
des  Salvarsanserunis. 

Von  Dr.  A.  S  t  ü  h  m  e  r,  Assistenzarzt. 

In  den  beiden  vorausgegangenen  Mitteilungen  über  Sal¬ 
varsanserum  (M.m.W.  1914  Nr.  14  und  Nr.  20)  und  ferner  auch 
in  meiner  Arbeit  über  die  „Topographie  des  Salvarsans  und  des 
Neosalvarsans“  (Arch.  f.  Derm.  u.  Syph.  70.  1914.  2.  H.)  habe 
ich  mehrfach  die  Tatsache  erörtert,  dass  an  sich  un¬ 
wirksames  Blutserum  salvarsanvorbehan- 
delter  Tiere  durch  Erhitzen  derart  verändert 
werden  kann,  dass  es  jetzt  in  vitro  auf  Try¬ 
panosomen  deutliche  Wirkung  ausübt. 


Swift  und  E  1 1  i  s,  welche  diese  Tatsache  zuerst  be 
schrieben  haben,  nehmen  an,  dass  durch  das  Erhitzen  ein 
hindernde  Komponente  in  dem  Serum  vernichtet  wird,  so  da1- 
die  vorher  gehemmte  Wirkung  jetzt  offenbar  werden  kann.  Si 
schliessen  das  daraus,  dass  durch  erneutes  Hinzufügen  frische 
Normalserums  die  Hemmung  zum  Teil  wieder  eintritt,  nehme 
aber  gleichzeitig  eine  Wirkung  der  Hitze  auf  das  im  Serur 
enthaltene  Salvarsan  an. 

Meine  Untersuchungen  mit  dem  Ehrlich-Bertheim 
sehen  Reagens  (Paradimethylamidobenzaldehyd)  führten  mic' 
auf  einem  anderen  Weg  zu  ähnlichen  Resultaten.  Ich  könnt 
feststellen,  dass  das  erwärmte  Reagens  noch  mit  Sa! 
varsanserum  intensiv  reagierte,  welches  in  der  Kälte  kein 
Salvarsanreaktion  mehr  gab.  Ehrlich  ist  der  Meinung,  das 
man  zur  Erklärung  dieser  Tatsachen  die  Bildung  lockerer  Ver1 
hindungen  der  Salvarsanreste  mit  irgendwelchen  Stoffen  in 
Tierkörper  annehmen  müsse.  Diese  lockeren  synthetische] 
Verbindungen  würden  dann  durch  leichtes  Erwärmen  ge 
sprengt  und  das  bis  dahin  gebundene  Salvarsan  für  die  Wir 
kung  frei. 

Man  könnte  aber  immerhin  auch  daran  denken,  dass  durc! 
das  Erhitzen  des  Serums  04  Stunde  auf  56°)  infolge  des  lange' 
Kontaktes  der  Flüssigkeit  mit  dem  Luftsauerstoff  grobe  Ver 
änderungen  mit  den  Salvarsanresten  vor  sich  gehen.  Es  is* 
ia  doch  allgemein  bekannt,  wie  schnell  sich  Salvarsanlösungeii 
bei  blossem  Stehen  an  der  Luft  verändern.  Der  Kontakt  mi 
dem  Sauerstoff  der  Luft  könnte  demnach  auch  zur  Erklärung 
der  Wirksamkeitssteigerung  herangezogen  werden.  Es  leuchte 
ein,  dass  damit  der  ganze  Vorgang  jeder  Bedeutung  für  dei 
Tierkörper  beraubt  werden  würde;  denn  es  wäre  immer  de 
Einwand  berechtigt,  dass  es  sich  um  Versuchsbedingungen  ii 
vitro  handele,  welche  für  die  Vorgänge  in  vivo  keinerlei  Be: 
deutung  haben  könnten. 

Alles  dies  veranlasste  mich,  diesem  Phänomen  weite 
experimentell  nachzugehen  und  vor  allem  den  Einflus 
von  Oxydation  und  Reduktion  auf  Salvarsan 
serum  zu  studieren. 

Eingreifende  Oxydationsprozeduren  mit  den 
Serum  vorzunehmen,  musste  dabei  vermieden  werden,  un 
nicht  gleich  zu  grobe  Veränderungen  in  dem  Serum  zu  machen 
Ich  beschränkte  mich  daher  darauf,  lediglich  den  vermutete' 
Kontakt  des  Serums  mit  dem  Sauerstoff  der  Luft  dadurch  zi 
steigern,  dass  ich  reinen  Sauerstoff  aus  einer  Ka 


Versuch  N.  Salvarsanserum,  normal. 

'  . .  ■  ■  ■  — - - - 


Blutentnahme 
nach  der 
Injektion 

Unerhitzt 

Erhitzt 

am  .  . 

•  Tage 

Normalserum 

Alter 

ain  .  . 

.  Tage 

Normalserum 

Alter 

1. 

2. 

3. 

4 

5. 

6. 

7 

8. 

9. 

10. 

1 

10 

1 

2 

3. 

4- 

5. 

6. 

7- 

8. 

9. 

10. 

1 

10 

Infekt.  3.  VII. 

4  VII. 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

+  w 

4  w 

+  w 

4  w 

+  w 

— 

+  w 

4  w 

5.  VII. 

— 

— 

— 

— 

— 

4 

4 

4 

4 

+ 

44 

44 

— 

(-) 

— 

— 

— 

(-) 

— 

— 

+ 

44 

4+ 

6.  VII. 

— 

— 

4  w 

4 

4~ 

++ 

44 

+++ 

+++ 

+4-+ 

+++ 

+++ 

— 

tot 

— 

(-) 

— 

— 

tot 

— 

++ 

4 — b4 

444 

7.  VII. 

— 

— 

4 

4-4- 

4-4- 

44 

+++ 

tot 

tot 

tot 

tot 

tot 

— 

— 

tot 

— 

— 

4 

44 

+++ 

tot 

tot 

8.  VII. 

— 

4- 

44 

+++ 

+++ 

+++ 

tot 

— 

— 

— 

— 

444 

tot 

9.  VII. 

— 

44 

444 

tot 

tot 

tot 

— 

— 

— 

— 

+++ 

tot 

10.  VII. 

— 

+++ 

tot 

- 

— 

— 

— 

11.  VII. 

— 

tot 

_ 

_ 

_ 

_ 

12.  VII. 

— 

_ 

_ 

_ 

_ 

13.  VII. 

— 

_ 

_ 

_ 

*) 

*) 

*) 

*) 

*) 

Versuch 

0. 

Sal 

varsanserum,  oxydiert. 

Infekt.  3.  VII. 

\ 

' 

4.  VII. 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

+  w 

4 

4  'V 

4 

4 

4 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

4 

4  w 

5.  VII. 

— 

— 

— 

— 

4- 

4 

_L 

44 

++ 

44 

44 

++ 

4 

+++ 

44 1 

6.  VII. 

— 

— 

4  w 

+ 

4~4" 

44 

+,+ 

+++ 

444 

+++ 

+44 

+++ 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

+  w 

4 

4 — b 

tot 

4  14 

7.  VII. 

— 

— 

4-4- 

+++ 

+++ 

+++ 

tot 

tot 

iot 

tot 

tot 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

4 

4 — b 

+++ 

tot 

8.  VII. 

— 

— 

-H-+ 

+++ 

tot 

tot 

tot 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

++ 

4 — b~b 

tot 

9.  VII. 

— 

— 

tot 

tot 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

+++ 

tot 

10.  VII 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

_ 

tot 

11.  VII 

— 

— 

_ 

_ 

_ 

_ 

— 

_ 

_ 

12.  VII. 

— 

— 

_ 

_ 

_ 

_ 

_ 

_ 

13.  VII. 

— 

— 

_ 

_ 

_ 

_ 

_ 

_ 

_ 

•) 

•) 

*) 

•) 

*) 

•) 

*) 

*) 

•) 

Versuch 

R. 

Salvarsanserum 

,  reduziert. 

Infekt.  3.  VII. 

4.  VII. 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

4  W 

— 

4  W 

4-  w 

+  W 

— 

— 

— 

— 

_a_ 

4 

-1- 

+ 

+ 

-f  w 

■f  1 

5.  VII. 

— 

— 

— 

— 

— 

4 

4” 

4  W 

4 

44 

44 

— 

— 

— 

4 

4 

4 

44 

4 — b 

44 

+++ 

44 

4+4 

6.  VII. 

— 

— 

4  w 

4- 

-f- 

44 

+++ 

4-4 

+++ 

t44 

444 

444 

— 

— 

4 

44 

++ 

++ 

444 

+++ 

444 

tot 

44  + 

tot 

7.  VII. 

— 

— 

4  4" 

,4-f 

4-4 

+++ 

tot 

44— b 

tot 

tot 

tot 

tot 

— 

— 

++ 

+++ 

+++ 

+++ 

tot 

iot 

tot 

tot 

8.  VII. 

— 

— 

+++ 

+++ 

+++ 

tot 

— 

++f 

tot 

tot 

tot 

9.  VII. 

— 

— 

tot 

tot 

tot 

— 

— 

tot 

10.  VII. 

— 

— 

_  ✓ 

_ 

11.  VII. 

— 

— 

_ 

_ 

12.  VII. 

— 

— 

_ 

_ 

13.  VII. 

— 

— 

_ 

_ 

•) 

•) 

*1 

*) 

*)  dauernd  frei. 


3.  Dezember  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2339 


jillare  mehrere  Minuten  durch  das  Salvar- 
;  a  n  s  e  r  u  in  hindurchleitete.  Durch  Parallelver- 
, uche  bei  gleicher  Anordnung  stellte  ich  fest,  dass  unter 
olcher  Behandlung  sich  Neosalvarsanlösungen  in  kurzer  Zeit 

lunkelbraun  färbten. 

Als  Reduktionsmittel  verwendete  ich  Natrium- 
lydrosulfit.  Ich  hatte  bei  früheren  Versuchen  die  gänzliche 
Jnsehädlichkeit  dieses  Mittels  für  Tiere  in  relativ  hoher  Dosis 
estgestcllt  und  überzeugte  mich  in  einem  Vorversuch,  dass  bei 
•iner  Endkonzentration  der  Lösung  von  1 :  3000  Trypanosomen 
uch  bei  ^stündigem  Kontakt  in  ihrer  Beweglichkeit  und  In- 
ektionskraft  nicht  geschädigt  werden. 

Die  Versuchs  an  Ordnung  war  nun  folgende: 

Kan.  245.  3000  g,  erhält  0,075  g  Salvarsan  in  alkalischer  Lösung 
ntravenös.  Blutentnahmen  nach  24,  48,  72  etc.  Stunden  bis  zum 
0.  Tage  nach  der  Injektion.  Die  einzelnen  Sera  werden  im  Frigo 
ingefroren  aufbewahrt,  zugleich  mit  einer  Normalserumkontrolle 
om  ersten  und  letzten  Tage. 

Am  Tage  des  Hauptversuches  wurden  nun  von  den  Seren 
ilgende  parallele  Reihen  angesetzt: 

Von  den  10  Seren  werden  je  6  Röhrchen  mit  je  0,5  Serum 
eschickt.  Die  Reihen  werden  folgendermassen  vorbehandelt: 

I.  Frisch  verwendet. 

II.  Vst  Stunde  auf  56°  erhitzt. 

III.  ln  frischem  Zustand  je  3  Minuten  mit  Sauerstoffstrom  be- 

andelt. 

IV.  Nach  Vs  ständigem  Erhitzen  auf  56  0  je  3  Minuten  mit  Sauer- 
toffstrom  behandelt. 

V.  In  frischem  Zustand  mit  Natrium  hydrosulfit  versetzt,  so 
ass  eine  Endkonzentration  von  1:3000  resultiert. 

VI.  Nach  Vs  ständigem  Erhitzen  mit  Na.  hydrosulfit  versetzt, 

3  dass  eine  Endkonzentration  von  1 :  3000  resultiert. 

(Kontrollen  mit  den  Normalseren  werden  entsprechend  vorbe- 
andelt.) 

Versuch  N  umfasst  also  frisches  und  erhitztes 
ormalserum  ohne  weitere  Vorbehandlung,  Ver¬ 
lieh  O  frisches  und  erhitztes  Serum  mit  nach- 
olgender  Oxydation  und  Versuch  R  frisches  und 
rhitztes  Serum  mit  nachfolgender  Reduktion. 

Nach  abgeschlossener  Vorbehandlung  wird  in  jedes  Röhrchen 
5  ccm  einer  Trypanosomen-Mäuseblutaufschwemmung  gegeben,  wel¬ 
le  im  (iesichtsfeld  (Zeiss  DD,  Kompens.  6)  40 — 50  Trypanosomen 
ithält.  Nach  Vs  ständigem  Kontakt  bei  Zimmertemperatur  Beweg- 
;hkeitskontrolle  und  intraperitoneale  Injektion  von  je  0,5  pro  20  g 
laus. 

Ich  lasse  die  Protokolle  der  Versuche  N.  O  und  R  hier  folgen. 

-iehe  vorhergehende  Tabelle.) 

Ergebnis: 

Versuch  N.  (äbereinstimmend  mit  den  Ergebnissen  fräherer 
ersuche).  Serum  frisch:  absoluter  Schutz:  1  Tag;  relativer  Schutz: 
s  6.  Tag.  Serum  erhitzt:  absoluter  Schutz:  bis  6.  Tag;  relativer 
ehutz:  bis  10.  Tag. 

Versuch  O.  ebenso.  Durch  intensive  Einwirkung  des  Sauer- 
offes  konnte  also  die  Wirksamkeit  des  frischen  und  des  erhitzten 
erums  nicht  erhöht  werden. 

Versuch  R.  Serum  frisch:  absoluter  Schutz  bis  48  Stunden, 
ilativer  Schutz  bis  6.  Tag.  Serum  erhitzt:  absoluter  Schutz  bis 
Tage,  relativer  bis  6  Tage. 

Durch  Reduktion  konnte  also  das  frische 
erum  in  seiner  Wirksamkeit  nicht  ge- 
chwächt,  wohl  aber  das  erhitzte  Serum  in 
einer  Wirksamkeit  wieder  dem  des  uner- 
itzten  gleichgemacht  werden. 

Klinisch  folgt  aus  unseren  Versuchen  wohl  folgendes: 

Auch  intensiver  Kontakt  mit  Sauerstoff  kann  den  wir- 
tngssteigernden  Einfluss  erhöhter  Temperaturen  auf  Sal- 
arsanserum  nicht  ersetzen.  Diese  muss  vielmehr  auf  einer 
efreiung  irgendwie  gebundener  Salvarsanreste  beruhen, 
iese  Salvarsanreste  sind  höchst  wahrscheinlich  Salvarsan- 
tyde,  denn  sie  lassen  sich  nach  ihrer  Befreiung  reduzieren 
id  unwirksam  machen.  Am  ersten  und  zweiten  Tage  nach 
2r  Salvarsaninjektion  beruht  die  Wirkung  des  Saivarsan- 
rums  in  der  Hauptsache  noch  auf  dem  Vorhandensein  in- 
kten  Salvarsans.  Dieses  kann  durch  Reduktionsmittel  nicht 
^rändert  werden,  die  Wirksamkeit  solchen  Serums  mithin 
ach  nicht  wesentlich  abgeschwächt  werden.  Schon  vom 
Tage  an  summiert  sich  zu  dieser  Wirkung  des  intakten 
alvarsans  eine  weitere  von  Oxydationsprodukten  desselben, 
llmählich  tritt  das  intakte  Salvarsan  immer  mehr  zurück, 
ird  wahrscheinlich  vollständig  in  Salvarsanoxyde  iiber- 
iführt,  die  dann  vom  5.  Tage  an  allein  die  Wirksamkeit  des 
-‘rums  ausmachen.  Diese  Salvarsanoxyde  sind  im  Blutserum 


nicht  frei  vorhanden,  sondern  wahrscheinlich  synthetisch  au 
irgendwelche  Stoffe  (Harnstoff?)  gebunden  und  können  erst 
nach  Sprengung  dieser  Verbindung  zur  Wirkung  kommen. 
Ob  diese  Sprengung  der  synthetischen  Verbindung  auch  im 
lebenden  Tierkörper  vor  sich  geht,  kann  vorderhand  nicht 
entschieden  werden.  Vielleicht  liegt  in  dieser  syn¬ 
thetischen  Bindung  der  Salvarsanoxyde  ein 
normaler  Entgiftungsvorgang. 

Auf  die  sehr  interessanten  Beziehungen,  welche  zwischen 
unseren  Versuchsergebnissen  und  manchen  Tatsachen  der  Sal- 
varsanpathologie  gefunden  werden  können,  soll  hier  noch  nicht 
eingegangen  werden. 


Mitteilung  aus  dem  Laboratorium  für  angewandte  Chemie  und 
Pharmazie  der  Universität  Leipzig. 

Zur  Sterilisation  von  Morphiumlösungen. 

Von  Dr.  Ernst  D  e  u  s  s  e  n. 

Vorschriften  für  die  Herstellung  steriler  oder  möglichst  steriler 
Lösungen  von  Morphiumhydrochlorid  gibt  es  viele.  Wie  man  die 
Sterilisation  am  zweckmässigsten  vorzunehmen  hat,  darüber  sind  die 
Ansichten  geteilt.  Von  der  Mehrzahl  wird  die  Behandlung  durch 
Wasserdämpfe  von  100°  befürwortet.  Erhitzung  unter  Druck  soll 
nicht  angebracht  sein,  da  nach  Budde  unter  zunehmendem  Drucke 
in  dem  Sterilisationsgefässe  eine  Zunahme  des  Alkaligehaltes  festge¬ 
stellt  wurde.  Von  anderer  Seite  wird  die  schwache  Zersetzung  von 
Morphiumlösungen  beim  Sterilisieren  in  der  Hitze  auf  den  Sauerstoff¬ 
gehalt  der  in  den  Gefässen  befindlichen  Luft  zurückgeführt.  Von 
keiner  Seite  jedoch  ist  meines  Wissens  bis  jetzt  die  Reinheit  des 
jeweils  verwendeten  Morphiumhydrochlorids  in  Betracht  gezogen 
worden.  Nicht  nur  wässerige  Lösungen  von  Morph,  hydrochlor.  er¬ 
leiden,  wie  bekannt,  durch  den  Sauerstoffgehalt  des  Wassers  und  der 
Luft  eine  schwache  Oxydation  des  Alkaloids,  sondern  auch  unge¬ 
löstes,  wenn  auch  langsamer.  An  anderer  Steile  (Journ.  f.  prakt. 
Chem.  86.  1912.  428)  habe  ich  gezeigt,  dass  es  Morphiumpräparate 
im  Handel  gibt,  welche  den  Anforderungen  des  D.A.B.  5  wohl  ent¬ 
sprechen  und  doch  nicht  als  rein  angesehen  werden  können.  Dass 
solche  Pharmakopöeware  bei  der  Verwendung  zu  subkutanen  In¬ 
jektionen  physiologisch  sich  etwas  anders  verhalten  wird  als  reine, 
unzersetzte  Präparate,  ist  wohl  sehr  wahrscheinlich. 

Aus  dem  Folgenden  wird  es  ersichtlich,  dass  offizineile  Mor¬ 
phiumpräparate  sich  je  nach  ihren  Reinheitsgrade  verschieden  beim 
Sterilisieren  in  der  Hitze  verhalten. 

Die  Versuchsanordnung  war  folgende:  Die  Gefässe,  in  denen  die 
Morphiumlösungen  sterilisiert  wurden,  waren  weithaltige,  mit  Glas¬ 
stopfen  versehene  Glasflaschen  von  30  ccm  Fassungsvermögen  und 
wurden  durch  mindestens  30  Minuten  langes  Ausdämpfen  im  strömen¬ 
den  Wasserdampfe  von  100°  sterilisiert.  Die  Glasstöpsel  selbst  wur¬ 
den  durch  Erhitzen  mit  stark  verdünnter  Salzsäure  auf  siedendem 
Wasserbade  gereinigt,  mit  destilliertem  Wasser  gut  abgespült  und  ge¬ 
trocknet;  die  gebrauchsfertigen,  mit  etwa  20  ccm  Morphiumlösung 
(2  proz.)  beschickten  Glasflaschen  waren  während  der  Sterilisation 
lose  mit  den  Stöpseln  verschlossen.  Die  zu  sterilisierende  Lösung 
wurde  vor  Beginn  der  Sterilisation  und  nach  Beendigung  derselben 
auf  Farbenton  in  einem  Polarisationsrohr  von  10  cm  Länge  bei 
Zimmertemperatur  untersucht.  Die  verschiedenen  Morphiumhydro¬ 
chloridproben  des  Handels,  welche  übrigens  den  Anforderungen  des 
D.A.Bs.  entsprachen,  wurden  zunächst  ohne  weitere  Vorbehandlung 
in  der  eben  angegebenen  Weise  auf  das  Verhalten  ihrer  Lösungen 
bei  der  Sterilisation  geprüft,  darauf  durch  Umkristallisieren  gereinigt 
und  dann  in  der- gleichen  Weise  untersucht.  Zur  Reinigung  der 
Morphiumproben  wurden  3  g  durch  Erhitzen  auf  siedendem  Wasser¬ 
bade  in  etwa  30  g  ausgekochtem,  sorgfältig  destilliertem  Wasser 
unter  Zusatz  von  1  Tropfen  verdünnter  Salzsäure  gelöst,  hierauf 
wurde  die  klare  Lösung  in  einer  ausgedämpften  geräumigen  Kri¬ 
stallisierschale  in  einem  Vakuumexsikkator,  der  KOH  in  Stangen  ent¬ 
hielt,  gebracht  und  darin  unter  Vakuum  so  lange  belassen,  bis  der 
grössere  Teil  des  Morphiumhydrochlorids  (etwa  2  g)  auskristallisiert 
war.  Die  Kristalle  saugte  man  auf  einem  Porzellansiebe  scharf  ab 
und  trocknete  sie  im  Vakuumexsikkator.  Aus  der  zurückbleibenden 


Farbe  der  Lösung  in  10  cm-Schieht 

vor  dem  Sterilisieren 

nach  dem  Sterilisieren  bei 
100°  C;  Dauer:  30  Min. 

I.  Morohiumprobe 

A.  Rein  weisses  Morph,  hydrochl. 
a)  gelöst  in  ausgekochtem,  destillier¬ 
tem  Wasser . 

ganz  schwach  gelblich 

gelblich 

b)  gelost  in  nicht  ausgekochtem,  de¬ 
stilliertem  Wasser  .... 

schwach  gelblich 

gelb 

B.  Umkristall.  Morph,  hydrochl. 
gelöst  in  ausgekochtem,  destillier¬ 
tem  Wasser . 

farblos 

farblos  (in  20  cm-Schicht 

II.  Morphiumprobe 

weissliches  Morph,  hydrochl. 
gelöst  in  ausgekochtem,  destillier¬ 
tem  Wasser . 

gelb 

schwach  gelblich) 

bräunlich-gelb 

2.3-40 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr. 


Mutterlauge  Hess  sich  durch  Verdunsten  im  Vakuum  noch  0,7  g  ziem¬ 
lich  reines  Morphium  gewinnen,  das  aber  für  Injektionszwecke 
nicht  ohne  weiteres  geeignet  ist. 

Von  den  angestellten  Versuchen  mögen  nur  die  folgenden  aufge¬ 
führt  werden.  Wie  bereits  erwähnt,  wurden  2  proz.  Lösungen  an¬ 
gewendet  (siehe  Tabelle). 

Hiernach  hat  man  für  Sterilisationszwecke  nicht  nur  ausge¬ 
kochtes  destilliertes  Wasser  zu  verwenden  (was  übrigens  schon  be¬ 
kannt  ist),  sondern  auch  möglichst  frisch  umkristallisiertes  Mor¬ 
phiumhydrochlorid.  Wie  im  D.A.B.  für  Aether,  Chloroform  reine 
und  etwas  weniger  reine  Sorten  vorgeschrieben  sind,  ebenso  ist  für 
Morphium  eine  solche  Forderung  zu  stellen.  Die  reinere  Sorte 
wäre  für  subkutane  Injektion  zu  verwenden;  in  kleinen,  zugc- 
schmolzenen  Olasröhrchen  müsste  dieses  Morphium  aufbewahrt 
werden. 


Die  volkswirtschaftliche  Bedeutung  der  Nachbehandlung 

Kriegsverletzter. 

Von  Dr.  Qrassmann  in  München. 

Der  gegenwärtige  Krieg  wird  besonders  auch  nach  der  Rich¬ 
tung  hin  alles  Frühere  weit  hinter  sich  lassen,  dass  er  eine  Höchst¬ 
zahl  von  Invaliden  liefern  wird.  Die  ungeheure  Grösse  der  kämpfen¬ 
den  Heere,  die  veränderte  Technik  des  Kampfes,  die  daraus  un¬ 
mittelbar  sich  ergebende  Massenhaftigkeit  aller  Arten  Kriegsver¬ 
letzungen  und  -beschädigungen  lassen  das  ohne  weiteres  voraus¬ 
sehen;  dazu  kommen  noch  als  spezifische  Umstände  die  ausgedehnte 
Kriegsverwendung  älterer  Jahrgänge  von  Heeresangehörigen  und 
besonders  die  sichtliche  Abnahme  der  Wundinfektionskrankheiten,  die 
ja  auch  noch  1870/71  Tausenden  von  Verletzten  die  Anwartschaft 
auf  das  Weiterleben  als  „Invalide“  durch  den  Tod  abgeschnitten 
haben.  Es  werden  eben  nicht  nur  absolut,  sondern  auch  relativ 
unendlich  viel  mehr  Kriegsbeschädigte  ihre  Invalidität  „erleben“,  als 
nach  allen  früheren  Kriegen.  Oder,  wie  wir  seit  Einführung  unserer 
Arbeiterversicherungsgesetze  uns  gewöhnt  haben,  zu  sagen:  das  Er¬ 
gebnis  wird  sein  eine  in  der  Höhe  noch  nicht  übersehbare  Zahl 
von  Männern,  deren  Arbeitsfähigkeit  zum  Teil  oder  ganz  aufge¬ 
hoben  ist. 

Die  Ansprüche  auf  Kriegsentschädigungen  —  für  den  völlig  er¬ 
werbsunfähigen  Gemeinen  beträgt  z.  B.  die  Rente  jährlich  540  M., 
für  teilweise  Erwerbsunfähigkeit  einen  entsprechenden  Prozentsatz 
dieses  Betrages,  wozu  bei  hochgradigen  Gebrauchsstörungen  von 
Gliedmassen  noch  eine  Verstümmelungszulage  von  monatlich  27  M. 
kommen  kann  —  werden  also  nach  Beendigung  des  Krieges  zu  einer 
Mehrbelastung  des  staatlichen  Budgets  führen,  die  sich  jährlich  auf 
viele  Millionen  belaufen  wird.  Dabei  haben  wir  schon  für  „Unfall' 
jährlich  160 — 200  Millionen  auszugeben. 

Betrachtet  man  diese  Seite  der  Dinge,  so  springt  eine  der  wich¬ 
tigsten  Aufgaben  der  Aerzte  sofort  in  die  Augen,  welche  jenseits 
der  anatomischen  Wundheilung  liegt:  die  Aufgabe,  mit  allen 
Kräften  und  dem  ganzen  Rüstzeug  unserer  Wissenschaft  an 
der  möglichsten  Wiederherstellung  der  Arbeitsfähigkeit  der 
Kriegsverletzten  mitzuarbeiten.  Da  bei  uns  fast  jeder  Soldat 
zugleich  Arbeiter  ist,  bedeutet  die  Kriegswunde  zugleich 
einen  Eingriff  in  die  Arbeitsfähigkeit  —  in  analoger  Weise  wie  die 
Unfallverletzung.  Der  kriegsverletzte  Soldat  und  der  Unfallverletzte 
Arbeiter  sind  bezüglich  der  volkswirtschaftlichen  Bedeutung  iden¬ 
tische  Werte.  1870/71,  als  wir  die  Arbeiterversicherung  noch  nicht 
hatten  und  noch  durchaus  nicht  im  heutigen  Masse  gelernt  hatten, 
die  Arbeitskraft  des  Einzelnen  als  ein  staats-  und  volkswirtschaft¬ 
liches  Gut  einzuschätzen,  was  ja  heute  der  Leitgedanke  der  ganzen 
staatlichen  Versicherung  ist,  konnte  dieser  Satz  noch  nicht  eine  solche 
praktische  Berücksichtigung  fordern,  wie  heute,  44  Jahre  später. 

Bekanntlich  haben  sich  die  Anstrengungen  immer  mehr  ge¬ 
steigert,  für  den  Unfallverletzten  Arbeiter  Bedingungen  herzustellen, 
welche  garantieren,  dass  nach  einem  erlittenen  Unfall  jenes  Mass  an 
Arbeitsfähigkeit  wieder  erzielt  wird,  welches  nur  immer  nach  der 
Art  des  vom  Arbeiter  erlittenen  Unfallschadens  möglich  ist.  Ich 
erinnere  da  z.  B.  an  die  vom  Reichsversicherungsamt  noch  im  De¬ 
zember  1911  hinausgegebenen  Sätze,  deren  Durchführung  gewähr¬ 
leisten  soll,  dass  der  Unfallverletzte  Arbeiter  möglichst  bald  nach 
dem  Unfälle  unter  die  allergünstigsten  Verhältnisse  für  die  Wieder¬ 
gewinnung  seiner  Arbeitsfähigkeit  versetzt  wird.  Den  Berufsge¬ 
nossenschaften  sind  dabei  weitgehende  Rechte  und  Piflchten  zuge¬ 
sprochen. 

Führt  man  die  Analogie  des  kriegsverletzten  Soldaten  mit  dem 
Unfallverletzten  Arbeiter  weiter  und  frägt  sich,  inwieweit  auch  bei 
dem  kriegsverletzten  Soldaten  ganz  allgemein  für  die  möglichste 
Wiedergewinnung  seiner  Arbeitsfähigkeit  öffentlich  und  rechtlich  Sorge 
getragen  ist,  so  ergibt  sich  vor  allem,  dass  hier  eine  Institution  fehlt, 
welche  das  Gegenstück  zur  Einrichtung  der  Berufsgenossenschaften 
in  der  Unfallgesetzgebung  darstellen  würde.  Die  militärische  Sa¬ 
nitätsverwaltung  und  ihre  Organe  stehen  organisatorisch  nicht  mit 
den  Berufsgenossenschaften  beim  Unfallwesen  in  Parallele.  Sind 
letztere  die  an  der  Herstellung  grösstmöglicher  Arbeitsfähigkeit  leb¬ 
haft  interessierte,  gesetzlich  organisierte  Vereinigung  von  Arbeit¬ 
gebern,  so  ermangelt  die  Sanitätsverwaltung  des  deutschen  Heeres 
in  weitem  Umfange  des  Charakters  einer  Interessentenvereinigung 


gegenüber  dem  kriegsbeschädigten  Soldaten.  Der  Interessent 
hier  der  Staat  bzw.  alle  Steuerzahler.  Dieser  Zustand  wird  eii . 
Tages  wohl  zur  Schaffung  einer  Institution  führen  müssen,  wek 
mit  der  Berufsgenossenschaft  bei  der  Unfallversicherung  innere  V 
wandtschaft  besitzt. 

Diese  sozialökonomische  Bedeutung  der  Kriegsbeschädiguiui 
schafft  also  die  Forderung,  zur  Herstellung  des  möglichst  gross i 
Masses  von  Arbeitsfähigkeit  bei  den  zu  erwartenden  Zehntausend 
von  Invaliden  der  Wiederherstellung  der  Funktion  spez.  kriegsl. 
schädigter  Extremitäten  die  höchste  Aufmerksamkeit  zuzuwend . 
jetzt,  im  Kriege.  Nach  diesem  Kriege  braucht  Deutschland  ;n 
verbliebenen  Kräfte  erst  recht  für  den  internationalen  Wettbewc. 

Naturgemäss  ist  der  kriegsverletzte  Soldat  im  allgemeinen  tr 
mittelbar  nach  der  Verletzung,  welche  seine  Erwerbsfähigkeit  1(. 
droht,  in  keiner  so  günstigen  Lage,  wie  der  Unfallverletzte  Arbeit. 
Die  Umstände  nach  dieser  Richtung  liegen  auf  der  Hand,  sie  körn» 
auch  kaum  je  annähernd  so  günstig  gestaltet  werden,  selbst  weit 
die  erste  ärztliche  Versorgung  nach  der  Kriegsverletzung  noch  ait- 
reichender  gestaltet  werden  wird,  als  es  heute  der  Fall  ist.  Ik 
Behandlung  der  gesetzten  Wunde  wird  in  diesem  Zeitpunkte  natürh 
die  Hauptaufgabe  bleiben.  Aber  damit  erschöpft  sich  die  ärztlkfc 
Behandlung  in  sehr  vielen  Fällen  nicht,  angesichts  der  zweiten  Hau- 
aufgabe:  der  möglichsten  Wiederherstellung  der  Arbeitsfähigkeit.  ,i 
einer  Reihe  von  Fällen  trifft  dies  ja  zusammen  mit  dem  Bestreb , 
die  Dienstfähigkeit  w  ieder  herzustellen.  Es  bleiben  aber  viele  Fä  . 
wo  eine  militärische  Dienstfähigkeit  nicht  mehr  in  Frage  komn  i 
kann,  weil  die  spezielle  Art  der  Kriegsverletzung  diese  künftig  ai 
schlicsst.  Diese  nämliche  Verletzung  nebst  ihren  Folgen  brauijt 
aber  keineswegs  eine  ähnlich  deletäre  Wirkung  für  die  bürgerlR; 
Erwerbsfähigkeit  zu  haben.  Im  ersten  Falle  hat  die  Sanitätsv- 
waltung  nicht  in  erster  Linie  ein  Interesse  an  dem  ferneren  Schicksjj 
des  Verwundeten,  während  von  sozialökonomischen  Gesichtspunkt! 
aus  ein  starkes  Interesse  besteht,  das  Optimum  von  bürgerlich1 
Erwerbsfähigkeit  wieder  zu  erzielen. 

Diese  Verhältnisse  erfordern  nun  gerade  in  diesem  Massenkriffi 
erhöhte  Beachtung.  Man  muss  die  Frage  aufwerfen,  ob  nicht  h 
ganz  genereller  Weise  möglichst  frühzeitig  nach  der  Verletzung  ec 
Ausscheidung  der  zu  behandelnden  Kriegsverletzten  statlfinden  körn: 
nach  dem  Gesichtspunkte,  ob  der  Betreffende  voraussichtlich  wieg 
militärdienstfähig  wird,  oder  aber  nicht.  Die  letztere  Kategorie  sok 
dann  zur  Entlastung  der  militärischen  Seite  möglichst  bald  abgegehi 
und  unter  die  nämlichen  Bedingungen  versetzt  werden  wie  tr 
Unfallverletzte  Arbeiter.  Die  möglichst  mit  allen  modernen  Errungi- 
schaften  arbeitende  Nachbehandlung  der  Kriegsverletzten  von  scä 
de:  Sanitätsorgane  des  Heeres,  mit  dem  allseitig  zu  verfolgen« 
Ziele  einer  möglichsten  Herstellung  der  Funktion,  also  nicht  bl® 
der  anatomischen  Heilung,  kann  uns  hier  nicht  beschäftigen.  Für  j 
andere  Kategorie  aber,  die  ich  da  im  Auge  habe,  die  voraussichtl; 
nicht  mehr  Militärdiensttauglichen,  wird  sich  eine  andere  Orgaj- 
sierung  der  Nachbehandlung  als  nötig  heraussteilen.  Vor  allem  me 
der  Zivilarzt,  der  etwa  hier  in  Tätigkeit  tritt,  das  Ziel  der  fui- 
tionellen  Wiederherstellung  vom  1.  Tage  an  ebenso  wie  beim  unh- 
verletzten  Arbeiter  ins  Auge  fassen  und  darnach  seine  Behandln 
einrichten.  Die  Bewegungstherapie  aller  Formen  wird  daher  fri- 
zeitigst  einsetzen.  Gegenüber  der  aus  diesem  Kriege  erwachsene! 
Riesenaufgabe  für  die  Nachbehandlung  müssen  sehr  grosse  Mittel,  d 
wenn  es  ein  paar  Millionen  wären,  sofort  bereitgestellt  werden,  i 
alle  Beihilfen  für  die  Nachbehandlung  herbeischaffen  zu  können  .Ep 
Reihe  von  Massnahmen  kämen  da  in  Betracht.  Ich  denke  da  nid 
nur  an  die  ausgedehnte  Heranziehung  passender  Badeorte  zur  1- 
seitigung  der  Bewegungsstörungen  an  Extremitäten  —  denn  oft  w  - 
den  sie  erst  aufgesucht,  wenn  schon  längst  schwere  Verstcifu.ic i 
sich  gebildet  haben  — ,  sondern  besonders  auch  an  Beschaffung  mtf 
oder  minder  einfacher  Vorrichtungen  für  passive  Bewegungen,  an  <: 
möglichst  breite  Benützung  bereits  bestehender  Institute  dieser  A; 
um  möglichst  frühzeitige  Beeinflussung  der  Funktionen  zu  erziel. 
Der  Gewinn  an  Arbeitsfähigkeit  wird  die  Kosten  reichlich  deck. 
Gewiss  lässt  sich  aber  auch  in  sehr  vielen  Fällen  durch  einfach 
manuelle  Bewegungstherapie,  z.  B.  bei  drohenden  Versteifung! 
kleiner  Gelenke,  viel  erreichen. 

Es  lag  mir  vor  allem  daran,  auf  diese  besondere  ärztliche  A- 
gabc  bei  ihrer  grossen  sozialen  und  wirtschaftlichen  Bedeutung  scl  i 
in  diesem  Zeitpunkte  hinzuweisen. 


Die  entwicklungshemmende  Wirkung  der  Kupfersal- 
auf  das  Wachstum  des  Tuberkelbazillus. 

Von  Professor  I)r.  Gräfin  v.  Linden  in  Bonn; 

Aus  den  Mitteilungen  von  A.  F  c  1  d  t  in  Nr.  26  d.  Wschr.  g< 
hervor,  dass  die  entwicklungshemmende  Wirkung  des  Kupfers  auf  o 
Wachstum  der  Tuberkelbazillen  auch  bei  der  von  ihm  gcwäliD 
Versuchsanordnung  grösser  ist  und  in  weiteren  Grenzen  schwärt, 
als  es  nach  den  ersten  Experimenten  des  Verfasser  zu  sein  schi  - 
Während  nach  den  früheren  Beobachtungen  Feldts  das  Kupfcrch- 
rid  und  Kupfersulfat  nur  in  Verdünnungen  von  etwa  1:5000  o 
Wachstum  des  Tuberkelbazillus  zu  hemmen  vermochte,  trat  in  seii' 
neuen  Versuchsserie  eine  Entwicklungshemmung  bei  Anwend« 


i.  Dezember  1914. _ MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  2341 


[cs  für  den  tierischen  Organismus  viel  weniger  giftigen  Cuprum- 
valium  tartaricum  noch  unter  1:10  000  ein,  bei  dem  Cuprum-Kalium 
j  anatum  noch  unter  1:50  000.  Dieselben  Resultate  ergaben  sich 
uf  eiweissfreien  und  eiweisshaltigen  Nährböden,  ln  dieser  zweiten 
ersuchsserie  hat  sich  somit  das  Kupfer  dem  Tuberkelbazillus  gegen- 
ber  im  Maximum  zehnmal  wirksamer  gezeigt  als  bei  den 
rsten  Experimenten  E  e  1  d  t  s,  und  die  Ergebnisse  sind  dadurch 
leinen  Resultaten  schon  etwas  näher  gerückt,  besonders  wenn 
e  1  d  t  unter  Entwicklungshemmung  den  völligen  Wachstumstill- 
tand  versteht,  der  in  meinen  Versuchen  bei  Verdünnungen  von 
:  100  000  eingetreten  ist. 

Eine  noch  grössere  Uebereinstimmung  dürfte  vielleicht  unter 
leichartigen  Versuchsbedingungen  erreicht  werden,  denn  von 
rosser  Bedeutung  für  den  Ausfall  solcher  Experimente  ist  die  Wachs- 
imsenergie  und  Empfindlichkeit  des  verwendeten  Bakterienstammes, 
ie  Gleichförmigkeit  der  Verteilung  der  kupferhaltigen  Flüssigkeit 
n  Nährboden  und  die  Menge  der  überimpften  Bakterien. 

Dass  sich  die  i  uberkelbazillen  in  ihrer  Wachstumsenergie  und 
äerapeutischen  Bceinfiussbarkeit  unterscheiden,  ist  bekannt.  Um 
anz  übereinstimmende  Resultate  zu  erhalten,  müsste  mit  biologisch 
löslichst  gleichartigen  Stämmen  gearbeitet  werden.  Ich  bediente 
lieh  bei  meinen  Experimenten  eines  Stammes,  der  mir  von  Exz. 
.hrlich  zur  Verfügung  gestellt  worden  ist  und  ihm  durch  geringe 
lerapeutische  Beeintlussbarkeit  und  gutes  Wachstum  bekannt  war. 
’ie  zu  Beginn  des  Versuches  gleichzeitig  angelegten  Kontrollkulturen 
eigten,  wie  zu  erwarten,  auch  schnelles  und  üppiges  Wachstum. 

Es  ist  ferner  nicht  gleichgültig,  in  welcher  Weise  die  kupfer- 
altige  Flüssigkeit  dem  Nährboden  zugesetzt  wird,  ob  die  Zu- 
lischung  in  konzentrierter  oder  weniger  konzen- 
rierter  Form  geschieht.  Die  gleichinässigste  Verteilung 
es  Kupfers  in  den  Nährböden  ist  zu  erreichen,  wenn  diese  doppelt 
onzentriert  bereitet  und  mit  der  kupferhaltigen  Flüssigkeit  erst  auf 
ie  gewünschte  Verdünnung  gebracht  werden,  mit  anderen  Worten, 
enn  man  wenigstens  die  Hälfte  des  Wassers  als  Kupferlösung  zu- 
etzt,  und  vor  dem  Erstarren  des  Nährbodens  durch  kreisförmiges 
chwenken  gleichmässig  mischt.  Zur  Bereitung  der  Kupferlösung 
ird  sterilisiertes  Wasser  verwendet,  auch  müssen  die  Gefässe  steril 
ein,  eine  Sterilisierung  der  Lösung  selbst  ist  nicht  zu  empfehlen, 
a  üie  organischen  Kuptersalze,  wie  ich  beobachtet  habe,  durch  lan- 
es  Kochen  leicht  reduziert  werden. 

Wird  die  Kupferlösung  in  konzentrierterer  Form  zugesetzt, 
a  ist  die  Verteilung  des  Kupfers  im  Nährboden  ungleich,  was  bei 
en  stark  konzentrierten  Mischungen  in  der  ungleichen  Verfär- 
ung  des  Nährbodens  zum  Ausdruck  kommt.  Die  Nährbodenfarbe 
eigt  an,  dass  die  Kupfersalze  und  ihre  Verbindungen  nach  unten 
nken  und  beim  Beimpfen  solcher  Nährböden  ergibt  sich  dann  z.  B. 
och  deutliche  Wachstumshemmung  in  der  unteren  Hälfte  bei  Ver¬ 
minungen  (1:10  000  001,  wo  eine  solche  nicht  mehr  zu  erwarten 
t  und  üppige  Bakterienentwicklung  auf  der  oberen  Hälfte.  Bei 
leichmässiger  Verteilung  der  hemmenden  Substanzen  und  bei  den 
ontrollkulturen  pilegen  die  Tuberkelbazillen  auf  der  dickeren  Nähr¬ 
odenschicht  besser  zu  wachsen  als  auf  der  dünneren  die  auch 
:hneller  austrocknet. 

1  ln  erster  Linie  muss  bei  diesen  vergleichenden  Prüfungen  d  i  e 
berimpfte  Bakterienmenge  dieselbe  sein.  Es  ist 
icht  gleichgültig,  namentlich  wenn  mit  hohen  Verdünnungen  ge- 
rbeitet  wird,  ob  1  mg  oder  2  mg  Tuberkelbazillen  auf  den  zu 
rütenden  Nährboden  übertragen  werden.  Der  Bazillus  bedarf,  um 
schädigt  zu  werden,  einer  bestimmten  Kupfermenge, 
ld  muss  er  die  zu  seiner  Abschwächung  oder  Abtötung  bestimmte 
tenge  mit  einem  zweiten  teilen,  so  wird  die  Giftwirkung  bei  keinem 
on  beiden  oder  nur  in  halber  Intensität  eintreten.  So  werden,  wie 
h  in  meinen  Mitteilungen  schon  erwähnt  habe,  Bacterien- 
äufchen  in  ihrer  Weiterentwicklung  erst  bei  10 mal  stärkeren 
onzentrationen  gehemmt  als  in  dünner  Schicht  bei  möglichst  gleich- 
ässiger  Ausbreitung  der  Keime.  Noch  deutlicher  kommt  die  Ab- 
ingigkeit  der  Wachstumshemmung  von  der  Keimzahl  der  zu  prüfen¬ 
in  Bakterien  zum  Ausdruck,  wenn  man  in  jeder  Verdünnung  ein 
öhrchen  mit  der  einfachen,  ein  zweites  mit  der  doppelten  Bakterien¬ 
enge  beschickt,  ln  einer  Versuchsreihe  übertrug  ich  auf  ein  Röhr- 
len  jeder  Verdünnung  den  Inhalt  einer  Platinöse  ca.  1  mg  Bakterien, 
if  das  andere  Röhrchen  das  doppelte  Quantum.  Die  Bakterien  wur- 
m  mit  dem  Kondenswasser  angefeuchtet  und  möglichst  gleichmässig 
if  der  Fläche  des  Nährbodens  verteilt.  Es  ergab  sich,  besonders 
iutlich  in  den  mit  Dimethylglykokollkupfer  versetzten  Nährböden, 
der  Verdünnung  von  1:100  000  bei  beiden  Röhrchen  keine  Ent- 
icklung  der  gleichmässig  ausgebreiteten  Keime,  bei  2  hatten  sich 
)er  an  Stellen,  wo  die  Verteilung  keine  so  gleichmässige  war,  und 
nhäufung  von  Keimen  stattgefunden  hatte,  5  kleine  Kolonien  ent- 
ickelt.  ln  der  Verdünnung  1:1  000  000  waren  auf  dem  Röhrchen  1 
der  oberen  Hälfte  des  Nährbodens,  wo  derselbe  dünner  ist  und 
ich  weniger  Kupfer  enthält,  3  Kolonien  gewachsen,  bei  2  war  neben 
nzelnen  grösseren  Kolonien  auch  schwaches  Flächenwachstum 
ahrzunehmen.  Bei  der  Verdünnung  1:10  000  000,  bei  der  nach  den 
iiheren  Versuchen  keine  Entwicklungshemmung  mehr  zu  erwarten 
ar,  zeigten  beide  Röhrchen  gleichartiges  Wachstum,  das  aber  ver- 
ichen  mit  den  Kontrollen,  doch  noch  deutlich  beeinträchtigt  er- 
hien. 

In  den  Kontrollkulturen  hatte  sich  in  beiden  Röhrchen  ein  gleich- 
ässig  starkes  Flächenwachstum  entwickelt.  Der  Nährboden  des 

Nr.  49. 


stärker  beimpften  Röhrchens  war  aber  schneller  überwachsen,  als 
der  des  mit  halber  Bakterienmenge  beschickten. 

Bei  der  Beimpfung  der  Nährböden  bediente  ich  mich  stets  der 
jüngeren,  teilweise  etwa  4  Wochen  alten  Kulturen. 

Eine  so  grosse  Verschiedenheit  in  der  Beeinflus¬ 
sung  des  Tuberkelbazillenwachstums  durch  ver¬ 
schiedene  Kupfersalz  c,  wie  sie  Fel  dt  beobachtet  hat,  ist 
mir  unter  gleichartigen  Versuchsbedingungen  nicht  aufgefallen.  Das 
Dimethylglykokollkupfer  ist,  weil  es  weniger  eiweissfällend  wirkt 
als  das  Kupferchlorid,  in  den  Nährböden  leichter  gleichmässig 
zu  verteilen,  und  ich  habe  den  Eindruck  bekommen,  dass  es  auch  in 
hohen  Verdünnungen  sicherer  beeinflusst  als  das  anorganische  Salz. 
Bei  den  komplexen  Kupferlezithinverbindungen  ist  die  entwicklungs¬ 
hemmende  Wirkung  nicht  allein  auf  Rechnung  des  Kupfers  zu  setzen. 

Was  die  Verfärbung  der  Tuberkelbazillen  betrifft, 
die  auf  kupferhaltige  Nährböden  übertragen  werden,  so  wundert  es 
mich,  dass  die  namentlich  bei  Anwendung  des  Kupferchlorids  sehr 
deutliche  Grünfärbung  Feldt  entgangen  ist.  Es  ist  ein 
schmutziges  Grün,  das  die  auf  den  Kupfernährböden  übertragenen 
Kolonien  meist  schon  nach  24  Stunden  annehmen.  Die  Färbung  be¬ 
ginnt  am  Rand  der  Kolonien  und  verbreitet  sich  dann  auf  die  ganze 
Kolonie,  wenigstens  in  Konzentrationen  unter  1 :  150  000.  Bei  höherer 
Verdünnung  werden  die  grösseren  Bakterienhäufchen  bisweilen  nur 
am  Rand  gefärbt,  während  die  kleinen  ganz  mit  Patina  überzogen 
erscheinen.  Nach  einiger  Zeit  werden  die  zuerst  grünlichen  Kolonien 
rotbräun  bis  schwarzbraun.  Auf  mitDimethylglykokollkupfer  versetzten 
Nährböden  sind  die  Kolonien,  ehe  sie  die  rotbraune  Färbung  an¬ 
nehmen,  häufig  statt  grünlich  rötlich  verfärbt,  es  kommt  aber  auch 
hier  Grünfärbung  vor.  Bei  einem  Versuch  sah  ich,  wie  auf  mit 
Kupferchlorid  versetzten  Nährboden  bei  einer  Verdünnung  des 
Kupfers  bei  1:1  000  000  sich  die  Tuberkelbazillen  mit  einer  grünen 
Patina  überzogen  hatten.  Sie  verloren  diese  Färbung  nach  8  Wochen 
wieder,  und  nach  der  Entfärbung  wuchsen  die  Kolonien  weiter. 
Werden  die  grünlich  verfärbten  Kolonien  auf  einem  Objektträger  zer¬ 
drückt,  so  erscheinen  die  Bakterien  diffus  und  saftgrün  gefärbt.  Aber 
auch  die  bei  mikroskopischer  Betrachtung  rotgelben  oder  braun¬ 
roten  Bakterienhäufchen  erscheinen,  wenn  sie  unter  dem  Mikroskop 
zerdrückt  werden,  bei  schwacher  Vergrösserung  als  kristalldrusen¬ 
ähnliche  Gebilde  von  grüner  bis  braungrüner  Färbung. 

Mit  der  Immersion  betrachtet  lösen  sich  die  grün-braungrün  ge¬ 
färbten  strahligen  Massen  in  grünlich  schimmernde,  braun  gekörnelte 
Bakterien  auf.  Es  macht  den  Eindruck,  als  ob  das  in  dem  Nährboden 
enthaltene  Kupfer  zuerst  in  den  Mantel  der  Bakterien  eintreten  würde, 
um  hier,  vielleicht  als  fettsaure  Verbindung  gelöst,  den  Bakterien 
eine  diffus  grüne  Färbung  zu  verleihen.  In  zweiter  Linie  scheint  das 
Metall  in  den  Bakterienleib  selbst  einzudringen  und  hier  zu  einer 
braungefärbten  Verbindung  reduziert  zu  werden. 

Die  grüne  Verfärbung  der  Bakterien  wird  übrigens  nicht  nur  be¬ 
obachtet,  wenn  wir  die  Tuberkelbazillen  auf  kupferhaltige  Nährböden 
übertragen,  dieselbe  Verfärbung  tritt  ein,  wenn  wir  Tuberkelbazillen¬ 
kulturen  mit  stark  verdünnten  kupferhaltigen  Lösungen  überschichten 
oder  Tuberkelbazillenhäufchen  in  Kupferlösungen  einlegen.  Bei  Di¬ 
methylglykokollkupfer  enthaltenden  Lösungen,  nehmen  die  Bakterien¬ 
kolonien  zuerst  die  violette  Färbung  der  Lösung  an,  sind  aber  nach 
24  Stunden  grünlich  gefärbt,  mehr  oder  weniger  intensiv,  je  nach  dem 
Kupfergehalt  der  Lösung.  In  meiner  im  Druck  befindlichen  Arbeit,  die 
demnächst  in  den  Brauerschen  Beitr.  z.  Klin.  d.  Tbk.  erscheinen  wird, 
findet  diese  Frage  eingehende  Erörterung. 

Auch  in  bezug  auf  die  Veränderungen,  welche  an  den 
auf  kupferhaltigen  Nährböden  wachsenden  Tuberkel¬ 
bazillen  wahrgenommen  werden,  verweise  ich  auf  diese  Arbeit.  Es 
sei  nur  hier  bemerkt,  dass  die  beschriebenen  Veränderungen  auch  in 
Nährböden,  die  das  Kupfer  in  hoher  Verdünnung  enthalten,  auftreten 
und  mit  der  Zeit  in  den  Bakterienhäufchen  von  aussen  nach  innen 
fortschreiten.  So  können  grössere  Bakterienkolonien  an  der  Peri¬ 
pherie,  in  der  von  mir  beschriebenen  Weise  veränderte  Bakterien 
zeigen,  während  sich  die  Bakterien  im  Zentrum  der  Kolonien  noch 
färbbar  erweisen. 

Wurden  diese  Bakterienhäufchen,  die  ihre  Säurefestigkeit  zum 
grössten  Teil  verloren  haben,  auf  Versuchstiere  überimpft,  so  wurden 
die  Tiere  nicht  tuberkulös,  wie  ebenfalls  aus  den  in  meinen  in  den 
Beitr.  z.  Klin.  d.  Tbk.  veröffentlichten  Versuchsreihen  hervorgeht. 

Was  die  Giftigkeit  des  Kupfers  anbelangt,  so  tritt  die¬ 
selbe  für  den  tierischen  Organismus  bei  intravenöser  Anwendung  am 
meisten  hervor.  Subkutan  und  per  os  können  unverhältnismässig 
viel  höhere  Dosen  ohne  Schaden  ertragen  werden.  Aber  auch  bei 
intravenöser  Anwendung  verhalten  sich  die  verschiedenen  Kupfer¬ 
salze  nicht  alle  gleich  giftig.  Nach  meinen  Experimenten  scheinen 
diejenigen  Kupfersalze  die  giftigsten  zu  sein,  die  sich  am  schnellsten 
mit  dem  Blutfarbstoff  der  roten  Blutkörperchen  verbinden,  und  diese 
ihrer  Fähigkeit,  Sauerstoff  aufzunehmen  am  schnellsten  berauben. 
Während  die  von  Kobert  und  seinen  Schülern  geprüften  Kupfer¬ 
verbindungen,  in  Mengen  von  2  mg  Kupfer  pro  Kilo  Körpergewicht 
in  die  Venen  eingespritzt,  zum  Tode  führten,  arbeite  ich  gegenwärtig 
mit  einem  Kupferlezithinpräparat,  von  dem  1  kg  schwere  Kaninchen 
pro  Dosis  5  mg  K  u  p  f  e  r  gut  ertragen.  Auch  dem  Menschen  wurden 
als  Dimethylglykokollkupfer  intravenös  wiederholt  100  mg  Kupfer 
pro  Dosis  gegeben,  ohne  Störungen  zu  bewirken,  was  bei  einem 
Durchschnittsgewicht  von  70  kg  pro  Kilo  eine  Kupferzufuhr  von 


2342 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  49. 


1,4  mg  bedeutet.  Die  Arbeiten  Meissens1),  Strauss’2),  Böd¬ 
me  r  s  :l),  S  o  r  g  o  s  *)  und  die  Mitteilungen  von  seiten  anderer  Aerzte, 
die  ihre  Resultate  noch  nicht  veröffentlicht  haben,  zeigen  aber  jetzt 
schon,  dass  die  tuberkulöse  Erkrankung,  da  wo  sie  überhaupt  auf 
Kupfer  anspricht,  auch  mit  kleineren,  regelmässig  verabreichten 
Kupferdosen  in  günstigem  Sinn  zu  beeinflussen  ist.  Es  kommt  auch 
keineswegs,  wie  Fel  dt  annimmt,  zur  Behandlung  der  innern  Tuber¬ 
kulose  ausschliesslich  die  intravenöse  Anwendung  in  Betracht,  die 
intravenöse  dürfte  sogar  in  vielen  Fällen  der  subkutanen  und  der 
intramuskulären  weichen,  sobald  wir  ein  Kupferpräparat  besitzen, 
das,  in  dieser  Form  eingeführt,  keine  erheblichen  lokalen  Reizerschei¬ 
nungen  auslöst.  Da  ausserdem,  wie  schon  Kobert  festgestellt  hat, 
das  Kupfer  vom  Dannkanal  aus  leicht  resorbiert  wird  und  von  hier 
aus  eine  sehr  geringe  toxische  Wirkung  entfaltet,  so  bleibt  uns  auch 
dieser  Weg  für  seine  interne  Verwendung.  Jedenfalls  kann  man,  so¬ 
weit  es  bisher  die  praktischen  Erfahrungen  gelehrt  haben,  das 
Kupfer  dem  Menschen  in  viel  grösseren  Dosen  ein¬ 
verleiben  als  die  Goldzyanverbindungen.  Wenn, 
wie  F  e  1  d  t  angibt,  das  Goldzyansalz  für  Mäuse  und  Kaninchen  erst 
in  einer  Menge  von  0,015  g  pro  Kilogramm  Tier  tödlich  wirkt,  so 
darf  man  beim  Menschen,  wie  Bruck5)  in  seinem  zusammenfassen¬ 
den  Referat  in  den  Verhandlungen  der  IV.  Sitzung  des  Lupusaus¬ 
schusses  1913  veröffentlicht,  nicht  höher  gehen  als  bis  auf  0,01  bis 
0,05  pro  Injektion.  Bei  Behandlung  der  Lungentuberkulose  kommt 
Junker“)  zu  dem  Resultat,  dass,  um  die  Gefahren  unerwünscht 
schwerer  Reaktionen  zu  vermeiden,  die  Dosis  von  0,02  überhaupt 
nicht  überschritten  werden  sollte.  Die  Anwendung  am  Menschen 
zeigt  somit,  dass  das  Verhältnis  zwischen  der  bazillenschädigenden 
und  der  körperschädigenden  Wirkung  für  die  Goldpräparate 
weniger  günstig  und  für  die  Kupferpräparate  weni¬ 
ger  ungünstig  ist,  als  Feldt  es  aufgestellt  hat.  Wird  dem 
menschlichen  Organismus  0,02  g  Gold  zugeführt,  so  ist  das  Gold  im 
Blut,  die  Blutmenge  zu  5  kg  berechnet,  in  einer  Verdünnung  von 
1:250  000  enthalten.  Beim  Kupfer  kann,  ohne  zu  schädigen,  bis  zu 
0,1  g  pro  Dosis  gestiegen  werden,  die  Verdünnung  des  Kupfers  im 
Blut  würde  somit  1:50  000  betragen.  Wenn  wir  für  das  Gold  die 
äusserste  das  Tuberkelbazillenwachstum  noch  hemmende  Ver¬ 
dünnung,  die  F  e  1  d  t  mit  1 :  2  000  000  7)  angibt,  voraussetzen,  so  würde 
das  Blut,  dem  0,02  g  Gold  zugeführt  ist,  8  mal  mehr  Gold  enthalten, 
als  zur  Schädigung  des  Bazillenwachstums  eigentlich  notwendig 
wäre.  Eine  wachstumshemmende  Wirkung  des  Kupfers  habe  ich 
bei  gleichmässiger  Verteilung  der  Tuberkelbazillen  auf  Glyzerinagar¬ 
nährböden  bei  1:1  000  000  regelmässig  erreicht  —  sie  ist  auch  noch 
deutlich  bei  Verdünnungen  von  1:15  000  000  zu  beobachten.  Die  in 
den  menschlichen  Blutkreislauf  einführbare  Kupfermenge  ist  demnach 
nicht  nur  8  mal,  sondern  20  m  a  1  grösser  als  die,  die  theoretisch 
zur  Hemmung  des  Bakterienwachstums  notwendig  wäre.  Sie  ist 
doppelt  so  gross,  als  sie  zur  Abtötung  von  Bakterienhäufchen  auf 
künstlichen  Nährböden  gebraucht  wird  —  1:100  000  —  und  aus¬ 
reichend,  um  auch  unter  den  Feld  sehen  Versuchsbedingungen 
Wachstumshemmung  zu  erzielen.  Nach  Feldt  hemmt  Kupfer- 
Kalium  cyanatuin  in  einer  Verdiinnnung  von  1:50  000.  Theoretisch 
müssten  somit  sowohl  mit  dem  Goldsalz  und  noch  leichter  mit  dem 
Kupfersalz  Tuberkelbazillen  im  Körper  abgetötet  werden  können, 
vorausgesetzt,  dass  das  Metall  an  den  tuberkulösen  Herd  heran¬ 
geführt  und  nicht  unterwegs  durch  andere  Körperzellen  gebunden 
wird  und  aus  dem  Kreislauf  ausscheidet.  Beim  Kupfer  lässt  es  sich 
sowohl  chemisch  als  auch  mit  blossem  Auge  sichtbar  nachweisen, 
dass  das  tuberkulöse  Gewebe  besonders  kupferaffin  ist,  so  dass  sich 
das  Metall  in  den  tuberkulösen  Geweben  in  grösserer  Konzentration 
anhäuft,  als  in  dem  gesunden.  Um  aber  die  Krankheitserreger  ab¬ 
zutöten  ist  im  Körper  genau  wie  im  künstlichen  Nährboden  eine  be¬ 
stimmte  Kupfermenge  nötig,  die  eine  Zeitlang  auf  die  Bakterien  ein¬ 
wirken  und  der  Bakterienmenge  entsprechen  muss,  um  die  ge¬ 
wünschte  Wirkung  zu  haben.  Es  wird  deshalb  für  den  Heileffekt 
nicht  nur  die  weniger  grosse  oder  grössere  Zugänglichkeit  der  Herde 
sondern  auch  die  Schwere  der  Infektion  massgebend  sein,  ganz  ab¬ 
gesehen  von  der  natürlichen  Widerstandsfähigkeit  des  erkrankten 
Organismus  und  der  grösseren  oder  geringeren  Empfindlichkeit  der 
Bakterien.  Die  praktischen  Erfahrungen  haben  bis  jetzt  gezeigt, 
dass  für  die  Kupfertherapie  die  Verhältnisse  bei  der  äusseren  Tuber¬ 
kulose  —  Hauttuberkulose  und  chirurgische  Tuberkulose  —  am  gün- 


0  Meissen:  Meine  Erfahrungen  bei  Lungentuberkulose  mit 
Jod-Methylenblau  und  Kupferpräparaten.  Beitr.  z.  Chemother.  d. 
Tbk.,  Wiirzburg,  Kabitzsch,  1912. 

-*)  Strauss:  Meine  Erfahrungen  mit  Jod-Methylenblau  und 
Kupferpräparaten  bei  äusserer  Tuberkulose.  Beitr.  z.  Chemother. 
d.  Tbk.,  Würzburg,  Kabitzsch,  1912. 

3)  Bo  dm  er:  Ueber  Chemotherapie  der  Lungentuberkulose,  spe¬ 
ziell  das  F  i  n  k  1  e  r  sehe  Heilverfahren.  M.m.W.  1913  Nr.  32. 

4)  S  o  r  g  o:  Erfahrungen  mit  dem  Finkler  sehen  Heilverfahren 
bei  Lungenphthise  (intravenöse  Kupferinjektionen).  Vh.  d  85.  Ver¬ 
sammlung  Deutscher  Naturforscher  und  Aerzte,  Wien  1913,  und 
W.m.W.  1913  Nr.  48  S.  3094. 

5)  Bruck:  Die  Chemotherapie  mit  Goldpräparaten  und  Bor¬ 
cholin.  Vh.  d.  IV.  Sitzung  d.  Lupusausschusses,  Berlin  1913. 

“)  Junker:  Neuere  immunisierende  und  medikamentöse  Tuber¬ 
kuloseheilmittel.  Zschr  f.  ärztl.  Fortbildung,  Jahrg.  X  1913. 

7)  Nach  Behring  geht  die  desinfektorische  Kraft  des  Gold¬ 
zyans  bei  Lösung  im  Blutserum  auf  1 : 30  000  herunter. 


stigsten  liegen,  dass  aber  auch  befriedigende  Ergebnisse  bei  der 
Lungentuberkulose  erzielt  werden  können,  wenn  die  Behandlung  mit 
mittleren  Dosen  systematisch  durchgeführt  wird.  Und  ausserdem 
hat  sich  erwiesen,  dass  die  Kupfertherapie  der  Tuberkulose  viel 
weniger  gefahrbringend  ist  als  die  Behandlung  mit  Goldpräparaten. 

Rudolf  Emmerich. 

Am  15.  November  schied  Rudolf  Emmerich  aus 
dem  Leben,  ein  herber  Verlust  für  seine  zahlreichen  Freunde 
und  für  alle  Kollegen,  die  ihm  nahestanden.  Eine  ideal  an¬ 
gelegte  Natur,  ein  selbstloser,  anspruchsloser  Charakter,  ein 
erfolgreicher  Lehrer,  ein  überaus  tätiger  Forscher  ist  in  ihm 
dahingegangen. 

Rudolf  Emmerich  wurde  1852  in  Mutterstadt  in  der 
Rheinpfalz  geboren  und  bezog  1871  die  Universität  in 
München,  nachdem  er  im  dritten  freiwilligen  Sanitätskorps 
den  Deutsch-Französischen  Krieg  bis  nach  der  Schlacht  von 
Sedan  mitgrnacht  hatte.  Eine  gemeinsam  mit  Franz  Brun  n  e  r, 
dem  jetzigen  Direktor  des  Krankenhauses  München-Schwabing 
gemachte,  von  der  Universität  München  preisgekrönte  Arbeit, 
über  „die  Veränderungen  des  Isarwassers  auf  seinem  Laufe 
durch  München“,  brachte  ihn  in  nähere  Beziehung  zu  Petten- 
k  o  f  e  r,  in  dessen  Institut  er  bis  1878  verschiedene  Unter¬ 
suchungen  ausführte.  Dann  wurde  er  erster  Assistent  am 
hygienischen  Institut  in  Leipzig,  wo  er  bei  Franz  Hof¬ 
mann  eine  Arbeit  lieferte  über  „Die  Verunreinigung  der 
Zwischendecken  in  ihren  Beziehungen  zu  den  ektogenen  In¬ 
fektionskrankheiten“,  welche  berechtigtes  Aufsehen  erregte 
und  zu  umfassenden  Reformmassregeln  Veranlassung  gab.  Im 
Jahr  1880  wurde  er  nach  Lissabon  im  Interesse  hygienische!' 
Einrichtungen  berufen,  aber  schon  ein  Jahr  spätei  kehrte  er 
nach  München  zurück 
und  wurde  Assistent 
bei  Pettenkof  er  und 
Privatdozent.  Sieben 
Jahre  später  rückte  er 
zum  Professor  der  Hy¬ 
giene  und  Bakteriologie 
an  der UniversitätMün- 
chen  vor.  Nun  entfal¬ 
tete  er  in  den  Fuss- 
stapfen  seines  von  ihm 
innig  verehrten  Lehrers 
Pettenkofer  eine 
unermüdlicheTätigkeit. 

Besonders  fesselten  ihn 
Pettenkofers  An¬ 
schauungen  über  die 
Cholera.  Der  gemein¬ 
schaftliche  Versuch, 
durch  Verschlucken 
von  ie  1  ccm  Cholera¬ 
kultur  zu  zeigen,  dass 
ausser  den  Bazillen 
noch  andere  Umstände 
zur  Entwicklung  der 
Cholera  im  Körper  mit- 
wirken  müssten, ist  weltbekannt  geworden.  Schon  1884  besuchte 
er  behufs  Studien  über  die  Art  der  Verbreitung  der  Cholera 
Palermo  und  dann  1893  Konstantinopel  während  der  Cholera¬ 
epidemie.  Später  besuchte  er  noch  Petersburg,  um  den  Urin 
Cholerakranker  auf  die  Anwesenheit  salpetriger  Säure  zu 
prüfen,  welche  er  darin  tatsächlich  nachweisen  konnte.  Die 
gesamte  Choleraliteratur  der  Erde  wurde  von  ihm  aufs  ein¬ 
gehendste  studiert  und  zahlreiche  einschlägige  Untersuchungen 
ausgeführt.  Seine  langjährigen  Studien  wurden  1910  in  einem 
umfangreichen  Werke  über  die  asiatische  Cholera  nieüer- 
gelegt.  Seine  Ansicht,  dass  die  asiatische  Cholera  wesentlich 
eine  Nitritvergiftung  sei,  hat  zwur  viele  Angriffe  erfahren, 
aber  es  hat  schliesslich  doch  anerkannt  werden  müssen,  dass 
sie  viel  richtiges  enthält.  Es  war  nach  vielen  bitteren  Er¬ 
fahrungen  eine  grosse  Genugtuung  für  E  m  m  e  r  i  c  h,  als  Pro¬ 
fessor  Dr.  Georg  Sticker  in  seinem  gründlichen  und  um¬ 
fangreichen  Werke  über  die  Cholera  sich  ihm  im  wesentlichen 


8.  Dezember  19I-«. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  2343 


völlig  anschloss.  (Abhandlungen  aus  der  Seuchengeschichte 
und  Seuchenlehrc,  II.  Band.  Giessen  1912.) 

Auch  das  Prinzip  der  natürlichen  und  künstlichen  Im¬ 
munität  fesselte  sein  Interesse.  Er  gelangte  bei  seinen  Studien 
über  Schweinerotlauf  zum  Schluss,  dass  bei  der  künstlichen 
Immunität  ein  bakterizider  Stoff  im  Blute  vorhanden  sei.  Oft 
betonte  er  in  Freundeskreisen  ferner,  dass  das  sogen. 
Pfeiffersche  Phänomen  schon  Jahre  vorher  von  ihm  be¬ 
obachtet  und  gelegentlich  erwähnt  worden  sei.  In  Gemein¬ 
schaft  mit  O.  Loew  entdeckte  und  studierte  er  bakterizide 
Stoffe  in  manchen  Bakterienkulturen,  besonders  in  derjenigen 
des  B  a  c.  p  y  o  c  y  a  n  e  u  s.  Das  Resultat  dieser  Arbeiten 
war  (1899)  die  Herstellung  der  Pyozyanase,  welche  eine  weit¬ 
verbreitete  Anwendung  in  der  ärztlichen  Praxis  gefunden  hat. 
Solche  bakterizide  Stoffe  bewirken  in  Verbindung  mit  einem 
tierischen  Eiweisskörper  nach  Emmerich  und  Loew  die 
Künstliche  Immunität.  In  Gemeinschaft  mit  mehreren  Mit¬ 
arbeitern  zeigte  E  m  m  e  r  i  c  h,  dass  die  bakterizide  Eigen¬ 
schaft  bei  den  durch  Erwärmen  auf  56°  inaktiv  gewordenen 
Vexinen  durch  sehr  verdünntes  Kali  regeneriert  werden  kann, 
-'ine  interessante  Beobachtung  Emmerichs  war  es  auch, 
lass  einige  Flagellatenarten,  welche  in  sehr  geringer  Menge 
mch  in  gutem  Trinkwasser  Vorkommen,  mit  grosser  Vorliebe 
Typhusbazillen  verzehren.  In  Gemeinschaft  mit  einigen 
Schülern  bearbeitete  er  diese  Erscheinung,  welche  bei  der 
Selbstreinigung  der  Flüsse  ohne  Zweifel  eine  wertvolle  Rolle 
mielt. 

Auch  seiner  Erfindung  in  Betreff  der  Fleischkonservierung 
nuss  gedacht  werden.  Emmerich  ging  von  der  Tatsache 
ius,  dass  im  gesunden  Muskelfleisch  von  Tieren  keine  Bak- 
erien  Vorkommen  und  schloss,  dass  bei  der  nötigen  Vorsicht 
>eim  Schlachten  man  die  Infektion  des  Schlachtfleisches  ver¬ 
ändern,  somit  dieses  konservieren  könne.  Er  schrieb  vor, 
las  Fell  von  dem  Schlachttiere  nicht  abzuziehen  und  mit  ver- 
lünnter  Essigsäure  die  Blutgefässe  auszuspritzen  und  die 
nnenseite  des  Objektes  zu  behandeln. 

Fleisch,  nach  dieser  Methode  konserviert,  war  nach 
Monaten  noch  völlig  unverändert,  auch  wenn  es  den  Schiffs, - 
ransport  über  den  Aequator  durchgemacht  hatte.  Die  Kon- 
urrenz  jedoch  mit  dem  auf  billigerem  Wege  konservierten 
lefrierfleische  verhinderte  die  Einführung  der  Emmerich- 
chen  Methode. 

In  den  letzten  Jahren  beschäftigte  er  sich  viel  mit  der 
lalktherapie.  Er  beobachtete,  dass  eine  Erhöhung  des  Kalk¬ 
ehalts  der  tierischen  Nahrung  die  Resistenz  gegen  Milzbrand 
nd  Rotlauf  erhöhte.  Auch  bei  Tuberkulose  von  Menschen 
eobachtete  er  einen  günstigen  Einfluss  erhöhter  Kalkzufuhr 
-  wenigstens  im  Anfangsstadium.  Das  Wesen  der  Kalk- 
lerapie  in  vielen  Fällen  führte  er  auf  den  von  O.  Loew 
cobachteten  Kalkgehalt  der  Zellkerne  zurück.  Im  Verlaufe 
:iner  Studien  beobachtete  er  äusserst  günstige  Wirkungen 
er  Kalkzufuhr  bei  Heufieber  und  Tic  convulsif.  Beide  Krank- 
eiten  galten  bis  vor  kurzem  als  unheilbar. 

Die  günstige  Wirkung  der  Kalkzufuhr  erklärte  er  durch 
en  Umstand,  dass  infolge  mancher  zu  kalkarmer  Nahrungs¬ 
ättel  sich  oft  eine  Unterernährung  mit  bezug  auf  Kalk  aus- 
ilde.  In  Hinsicht  hierauf  wurde  der  Vorschlag  gemacht,  den 
3  geringen  Kalkgehalt  des  Brotes  durch  einen  kleinen  Zusatz 
on  Chlorkalzium  auf  den  Kalkgehalt  des  kalkreichsten 
ahrungsmittels  —  der  Kuhmilch  —  zu  erhöhen.  Dieses 
<alziumbrot“  hat  eine  grosse  Verbreitung  und  wird  ohne 
weifel  viel  Nutzen  stiften,  besonders  auch  in  Hinsicht  auf  den 
.'klagenswerten  Zustand  der  Gebisse. 

Mit  Professor  Pettenkofer  war  Emmerich  aufs 
nigste  befreundet,  beide  schienen  unzertrennlich.  Wie 
ettenkofer  so  war  auch  Emmerich  von  wohl- 
ollendem,  aufrichtigem  Charakter,  beiden  war  jeder  Hoch- 
ut  fremd,  beide  fanden  ihren  Genuss  im  Arbeiten,  im  For¬ 
cen.  Da  Emmerich  unverheiratet  war,  konnte  er  seine 
tnze  Zeit  der  Arbeit  widmen.  Noch  in  den  letzten  Jahren 
)erarbeitete  er  sich  geradezu.  Vormittags  war  er  mit  Stu¬ 
ften  in  seinem  Laboratorium  im  Hygienischen  Institute  in 
:r  Bearbeitung  neuer  Probleme  tätig,  nachmittags  im  neuen 
’gienischen  Laboratorium  der  technischen  Hochschule,  kaum 
thrn  er  sich  noch  genügend  Zeit  zum  Mittagsmalile.  Dabei 


rauchte  er  fast  unaufhörlich  ziemlich  starke  Zigarren.  Wie  oft 
musste  Schreiber  dieses  ihn  vor  dieser  Gewohnheit  warnen, 
doch  war  es  vergeblich.  Allmählich  stellte  sich  eine  Schlaf¬ 
losigkeit  ein,  die  er  nicht  mehr  bekämpfen  konnte  und  die 
ihn  zur  Verzweiflung  brachte.  Schon  zwei  Monate  vor  seinem 
I’ode  äusserte  er:  „Mit  mir  ist  es  aus,  es  geht  dahin!“ 

Alle  Kollegen,  die  Emmerich  näherstanden  und  alle 
seine  zahlreichen  Schüler  aus  aller  Herren  Länder  werden 
ihm  ein  dauerndes  Andenken  bewahren.  L. 


Bücheranzeigen  und  Referate. 

I  .  U  m  b  e  r  -  Berlin:  Ernährung  und  Stoffwechselkrankheiten. 

Zweite  neubearbeitete  Auflage.  Berlin  1914.  Preis  geh.  18  M.,  geb. 
20  M. 

Der  ersten  Auflage  des  trefflichen  Umber  sehen  Lehrbuches  ist 
nach  5  Jahren  jetzt  die  zweite  gefolgt.  Einteilung  und  Stoff  sind 
dieselben  geblieben.  Der  Inhalt  hat  sich  aber  dem  Verfasser  dank 
seinem  inzwischen  ausserordentlich  vermehrten  Material  so  unter  den 
Händen  erweitert  und  ist  mit  den  eigenen  wertvollen  Erfahrungen 
des  Verfassers  so  reichlich  ausgestattet,  dass  er  den  Titel  „Lehr¬ 
buch“  streichen  zu  müssen  glaubte.  Die  Seitenzahl  des  Buches  ist 
so  von  400  auf  520  angewachsen. 

Den  Kern  des  Buches  machen  wieder  die  drei  Kapitel  über  Fett¬ 
sucht,  Diabetes  und  Gicht  aus,  und  wenn  schon  in  der  ersten  Be¬ 
sprechung  des  Buches  die  ausserordentlich  klare,  meisterhafte  Ab¬ 
fassung  dieser  Stoffwechselstörungen  gerühmt  wurde,  so  ist  dies  jetzt 
durch  die  inzwischen  vertieften  Kenntnisse  des  Verfassers,  die  überall 
zum  Ausdruck  kommen,  erst  recht  der  Fall.  Wir  wünschen  dem 
Buche  auch  weiterhin  den  wohlverdienten,  noch  weiter  ausgedehnten 
Leserkreis.  L.  S  a  a  t  h  o  f  f  -  Oberstdorf. 

Dr.  Paul  Klemm:  Die  akute  und  chronische  infektiöse  Osteo¬ 
myelitis  des  Kindesalters.  Berlin,  K  a  r  g  e  r,  1914.  261  Seiten.  Preis 
M.  10.20  ■ 

Klemm  bespricht  zunächst  die  Bedeutung  des  lymphatischen 
Gewebes  für  die  Osteomyelitis.  Das  Knochenmark  ist  trotz  einer 
spezifischen  Artverschiedenheit  der  einzelnen  Markzellen  dem  lym¬ 
phatischen  Gewebe  völlig  gleichzustellen;  die  Osteomyelitis  gehört 
in  die  Gruppe  der  Erkrankungen  des  lymphatischen  Gewebes.  Sitz 
der  Entzündung  ist  allein  das  Mark  des  Knochens,  möge  nun  diese 
lokalisiert  sein  im  Zentralkanal,  in  den  Haversschen  Kanälen  oder 
im  blätterigen  Gefüge  der  Spongiosa.  Das  klinische  Bild  der  Osteo¬ 
myelitis  wird  erzeugt  durch  die  Reaktion  des  Knochengewebes  auf 
die  Erkrankung  des  Markes.  Versteht  man  unter  Entzündung  im  All¬ 
gemeinen  einen  Komplex  von  Reaktionen,  mit  welchen  die  Gewebe  des 
Körpers  auf  eine  Reihe  äusserer  Schädlichkeiten  mechanischer,  ther¬ 
mischer,  chemischer  und  bakterieller  Natur  antworten,  so  unter¬ 
scheidet  sich  die  Entzündung  im  Knochenmark  dadurch, von  der  Ent¬ 
zündung  anderer  Körpergewebe,  dass  bereits  ein  reiches  Leukozyten¬ 
material  angehäuft  ist,  auf  welches  der  Entzündungsreiz  direkt  ein¬ 
wirken  kann,  während  im  anderen  Falle  die  lymphoiden  Zellen  auf 
dem  Wege  der  Blutbahn  herangezogen  werden  müssen. 

Als  Eingangspforte  der  Osteomyelitis  kommen  in  Betracht:  das 
ausgedehnte  Hautorgan,  die  lymphatischen  Gebilde  des  Nasenrachen¬ 
raumes  sowie  die  lymphatischen  Apparate  der  Darm-  und  Appendix¬ 
schleimhaut. 

Die  akut  verlaufende,  durch  Staphylokokken  erzeugte  Mark¬ 
eiterung  im  metaphysären  Teil  der  Diaphyse  ist  das  klassische  Para¬ 
digma  der  Osteomyelitis. 

Wichtig  ist,  was  Klemm  hinsichtlich  der  Therapie  der  akuten 
Osteomyelitis  sagt:  Das  erkrankte  Mark  soll  so  frei  wie  möglich 
blossgelegt  und  gründlichst  ausgeräumt  werden,  alle  Versuche  mit 
Stauungshyperämie  hält  der  Autor  für  durchaus  schädlich;  sich  mit 
der  Inzision  der  Weichteilphlegmone  bis  auf  den  Knochen  zu  be¬ 
gnügen,  ist  —  falls  nicht  gravierende  Momente  ein  solches  Vorgehen 
rechtfertigen  —  ein  grober  Fehler.  Besteht  Epiphysenlösung,  Ver¬ 
eiterung  der  Gelenke  bei  schwerem  Allgemeinzustand,  so  darf  man 
vor  der  Amputation  nicht  zurückschrecken. 

Im  zweiten  Teil  seiner  Monographie  —  der  die  Bearbeitung  eines 
Materiales  von  320  Fällen  zugrunde  liegt  —  bespricht  der  Autor  dieses 
gesamte  Material  im  Einzelnen  je  nach  Lokalisation  des  osteomye¬ 
litischen  Prozesses;  ausführlicher  geht  er  noch  auf  die  Osteomyelitis 
des  Beckens  und  die  Gelenkosteomyelitis  ein. 

Das  Buch,  das  an  manchen  Stellen  spezielle  Anschauungen  des 
Verfassers  bringt,  darf  zweifellos  eine  allgemeine  Beachtung  bean¬ 
spruchen.  D  r  a  c  h  t  e  r  -  München. 

Klinke:  Die  operativen  Erfolge  bei  der  Behandlung  des  Mor¬ 
bus  Basedowli.  Berlin  1914,  Karger.  Preis  4  Mark. 

Die  viel  umstrittene  Frage  über  die  beste  Behandlung  des  Mor¬ 
bus  Basedowii  hat  in  K.  einen  sehr  gründlichen  Bearbeiter  gefunden. 
Das  Buch  gibt  eine  treffliche  Uebersicht  über  alle  in  Betracht 
kommenden  Punkte,  es  ist  von  der  Möbiusstiftung  preisgekrönt.  Der 
Verf.  lässt  dem  Standpunkte  des  Chirurgen  alle  Gerechtigkeit  wi¬ 
derfahren,  steht  aber  ihren  Dauererfolgen  etwas  skeptisch  gegen¬ 
über.  K  r  e  c  k  e. 

2* 


2344 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  49. 


Neueste  Journalliteratur. 

Zentralblatt  für  Gynäkologie.  Nr.  47,  1914. 

Hans  Meyer-Kiel:  Das  Iontoquantometer,  ein  neues  Mess¬ 
gerät  für  Röntgenstrahlen. 

Das  neue  Instrument,  welches  einer  Idee  von  Dr.  Szilard 
seinen  Ursprung  verdankt,  beruht  auf  der  elektrischen  Wirkung 
der  Röntgenstrahlen  und  gestattet,  an  einer  Skala  und  einem  Zeiger, 
sicher  vor  Strahlen  geschützt,  die  Strahlendosis  unmittelbar  abzu¬ 
lesen.  Es  beruht  auf  der  physikalischen  Erscheinung,  dass  Luft, 
welche  Röntgenstrahlen  absorbiert,  zu  einem  guten  Leiter  für  Elek¬ 
trizität  wird,  und  zwar  nimmt  der  lonisationsgrad,  die  Leitfähigkeit 
der  Luft,  proportional  der  absorbierten  Strahlenmenge  zu.  Die  nähere 
Beschreibung  des  Apparates  muss  im  Original  nachgelesen  werden. 
Er  hat  den  doppelten  Vorteil,  dass  er  gestattet,  auf  einer  Skala  die 
zu  applizierende  Dosis  unmittelbar  abzulesen,  und  zweitens  verschafft 
er  zum  ersten  Male  ein  Mass  für  die  Flächenenergie,  ein  praktisch 
absolutes  Mass,  wie  es  das  Mass  der  Halbwertschicht  für  den  Härte¬ 
grad  ist.  J  a  f  f  e  -  Hamburg. 

Gynäkologische  Rundschau.  Jahrg.  VIII,  Heft  13. 

Fritz  H  e  i  m  a  n  n  -  Breslau:  Röntgenstrahlen  und  Mesothorium  in 
der  Gynäkologie.  (Aus  der  Kgl.  Univers.-Frauenklinik  zu  Breslau.) 

Mitteilung  der  Erfahrungen  der  Breslauer  Klinik.  Gearbeitet 
wird  mit  den  Apex-Instrumentarien  der  Firma  Reiniger,  Gebbert 
&  Schall,  als  Unterbrecher  dient  der  neue  Gasunterbrecher,  als 
Röhren  die  Duraröhren  derselben  Firma.  Die  Technik  im  einzelnen 
ist  im  Original  nachzulesen.  Bezüglich  der  Kontraindikationen  steht 
Verf.  wie  auch  viele  andere  Schulen  auf  dem  Standpunkt,  dass 
bei  Verdacht  auf  maligne  Entartung,  sehr  grossen  Myomen,  in  Aus- 
stossung  begriffenen  Tumoren,  Verjauchung,  unsicherer  Diagnose  und 
Komplikation  mit  Adnexentzündungen  oder  Tumoren  operiert  werden 
soll.  Bezüglich  der  Höhe  der  Strahlendosis  hält  Verf.  die  Mitte.  Die 
Breslauer  Klinik  besitzt  100  mg  Mesothor,  diese  sind  in  Mengen  von 
50.  30  und  20  mg  in  Glasröhrchen  verschlossen  und  mit  2  mm  dicken 
Silberfilter  umgeben,  ausserdem  kommt  noch  ein  Blei-,  Messing-  oder 
Aluminiummantel  als  Strahlenfilter  in  Anwendung.  Verf.  hält  diese 
Filtration  für  unbedingt  notwendig.  Die  Patientinnen  müssen  wäh¬ 
rend  der  Bestrahlung  zu  Bette  liegen,  werden  genau  kontrolliert 
und  erhalten  in  dieser  Zeit  zwischen  6000  und  14  000  mg-Stunden. 

Die  Unterstützung  der  Mesothorbehandlung  durch  intensivste 
Röntgenbestrahlung  ist  ein  unbedingtes  Erfordernis. 

Verf.  verfügt  über  ein  Material  von  ca.  60  Karzinomen,  alles 
inoperable  Uteruskrebse  und  Rezidive. 

Nach  Ansicht  des  Verf.  muss  die  hohe  Bedeutung  der  Strahlen¬ 
therapie  unbedingt  anerkannt  werden,  sie  stellt  ein  wertvolles  thera¬ 
peutisches  Hilfsmittel  dar,  ohne  dass  aber  die  Operation  entbehrt 
werden  kann. 

Max  Weissbart  -  München :  Ueber  ein  neues  Laxans  (Istizin) 
in  der  Frauenpraxis. 

Verf.  ist  mit  dem  Präparat  bei  chronischer  Obstipation  ausser¬ 
ordentlich  zufrieden;  besonders  gute  Resultate  gibt  die  atonische 
Form  der  Verstopfung,  wo  Istizin  noch  wirkt,  wenn  viele  andere 
Laxantien  im  Stiche  lassen:  dabei  hält  die  Wirkung  des  Mittels 
mehrere  Tage  nach.  A.  Rieländer  - Marburg. 

Zeitschrift  für  Kinderheilkunde.  XI.  Band.  Heft  5  und  6. 
1914. 

Fritz  Heller  und  Georg  B  G  r  u  b  e  r  -  Strassburg:  Beitrag  zur 
Kasuistik  der  Herzmissbildungen. 

'Iransposition  des  Ostiums  der  Aorta  nach  rechts  und  pulmonale 
Kcnusstencse  bei  Defekt  im  Septum  ventriculorum;  abnorme  Ent¬ 
wicklung  der  rechten  Arteria  subclavia  und  vertebralis.  Dazu  Uterus 
unicornis  und  abnorme  Lappung  der  Lungen. 

Alfred  B  o  s  1  e  r  -  Strassburg:  Ueber  Nierenfunktionsprüfung  bei 
Säuglingen  und  älteren  Kindern. 

Untersuchungen  nach  der  S  c  h  1  a  y  e  r  sehen  Methode  an  ziem¬ 
lich  kleinem  Material;  nierenkranke  ältere  Kinder  zeigten  keine 
wesentlich  andere  Nierentätigkeit  als  nierengesunde;  bei  manchen 
(nicht  nierenkranken)  Säuglingen  war  die  Kochsalzretention  auffallend 
hoch,  wohl  infolge  ihres  Kochsalzhungers. 

Erwin  Lazar-Wien:  Die  nosologische  und  kriminologische  Be¬ 
deutung  des  Elternkonfliktes  der  Jugendlichen.  Eine  psychiatrisch- 
pädagr  gische  Studie. 

An  5  plastisch  geschilderten  Fällen  jugendlicher  Psychopathie 
wird  das  Bestehen  des  Elternkonfliktes,  des  Konfliktes  zwischen 
Elternliebe  und  -hass,  nachgewiesen  und  seine  Bedeutung  und  Be¬ 
urteilung  besprochen. 

Erich  R  c  m  i  n  g  e  r  -  Freiburg  i.  B.:  Rachitis  und  innere  Se¬ 
kretion. 

Die  Frage,  ob  es  mit  Hilfe  des  Abderhalden  sehen  Dialysier- 
verfahrens  gelinge,  bei  der  Rachitis  eine  Störung  der  innersekre¬ 
torischen  Drüsen  nachzuweisen,  wird  hinsichtlich  Schilddrüse,  Thy¬ 
mus,  Ovar  und  Hoden  mit  einem  sehr  entschiedenen  Nein  beantwortet. 

FI.  B  a  h  r  d  t  und  F.  Edelstein  -  Berlin :  Untersuchungen  über 
die  Pathogenese  der  Verdauungsstörungen  im  Säuglingsalter.  IX.  Mit¬ 
teilung:  Die  flüchtigen  Fettsäuren  in  frischer  und  verdorbener  Säug¬ 
lingsnahrung. 


Weder  in  Milch,  die  bei  Zimmertemperatur  2  Tage  stehen  ge¬ 
lassen  wurde,  noch  in  experimentell  mit  Reinkulturen  verschiedener 
Bakterien  geimpfter  und  ebenfalls  stehen  gelassener  Milch  Hessen 
sich  solche  Mengen  freier  flüchtiger  Fettsäuren  nachweisen,  dass 
diese  Säuren  als  Ursache  der  Verdauungsstörungen,  vor  allem  der 
Sommerdurchfälle,  angesehen  werden  könnten. 

H.  Bahrdt,  F.  Edelstein,  P.  Hanssen  und  E.  F.  W  e  1  d  e  - 
Berlin:  Untersuchungen  über  die  Pathogenese  der  Verdauungsstö¬ 
rungen  int  Säuglingsalter.  X.  Mitteilung:  Tierversuche  über  die  Ver¬ 
mehrung  von  Bakterien  und  die  Bildung  flüchtiger  Fettsäuren  im 
Magen  (und  Darm)  bei  Fütterung  von  keimreicher  Milch. 

Im  Mageninhalt  von  mit  infizierter,  keimreicher  Milch  gefütterten 
und  nach  2  Stunden  getöteten  Hunden  war  meist  die  Keimzahl  er¬ 
heblich  verringert;  flüchtige  Fettsäuren  hatten  sich  nur  in  mässiger 
Menge  entwickelt,  so  dass,  selbst  wenn  geringer  Einfluss  der  Bakterien 
auf  die  Bildung  flüchtiger  Säuren  im  Magen  besteht,  doch  eine  ur¬ 
sächliche  Bedeutung  dieser  durch  die  Milchverderbnis  entstandenen 
Produkte  für  die  Pathogenese  akuter  Verdauungsstörungen  zumeist 
abzulehnen  sein  dürfte. 

F.  Reiche-  Hamburg-Eppendorf:  Meningitis  bei  Diphtherie. 

Kombination  der  Diphtherie  mit  Meningitiden  der  verschiedensten 
bakteriellen  Aetiologie  ist  selten  (8  mal  unter  8000  Diphtheriefällen); 
die  geheilten  Fälle  boten  das  Bild  der  Meningitis  serosa. 

A.  Doll  in  ge  r- Berlin:  Ein  Fall  von  Bromoderma  tuberosum 
bei  einem  9  monatigen  Säugling  im  Anschluss  an  Bromkalziummedi¬ 
kation. 

Nach  12  tägiger,  wegen  Keuchhusten  eingeleiteter  Bromkalzium- 
verabreichung  (im  Ganzen  22  g  Calc.  bromat.)  entstand  ein  sehr  hart¬ 
näckiges,  erst  kleinpapulöses  und  vesikulöses,  später  zu  grossen 
warzenähnlichen  Knoten  heranwachsendes  Bromoderma. 

Emmy  Bergmann-Grunwald  -  Berlin :  Ein  F  all  von  sogen. 
Hemispasmus  der  Unterlippe. 

Die  bei  einem  11  monatlichen  Kinde  beobachtete  Erscheinung 
wird  als  angeborener  Motilitätsdefekt  aufgefasst,  hat  also  mit  spasti¬ 
schen  Zuständen  nichts  zu  tun. 

W.  B.  McClure  und  Ph.  S.  C  h  a  n  c  e  1 1  o  r  -  Chicago:  Ueber 
die  diastatische  Wirkung  des  Kinderharns. 

Die  diastatische  Wirkung  des  Kinderharns  steigt  mit  zunehmen¬ 
dem  Alter  der  Kinder  an;  vielleicht  haben  auch  Rachitis  und  Chorea 
einen  steigernden  Einfluss. 

A.  Simons-  Berlin:  Bemerkungen  zu  den  plethysmographischen 
Untersuchungen  an  gesunden  und  kranken  Kindern  von  R.  Hess  und 
S.  G  o  r  d  i  n. 

Bricht  eine  Lanze  für  derartige  Untersuchungen,  die  auch  an 
Kindern  in  grösserem  Umfang  ausgeführt  werden  können,  als  die 
vorerwähnten  Autoren  zugeben. 

R.  Hess  und  S.  G  o  r  d  i  n  -  Strassburg  i.  E.:  Erwiderung  auf 
vorstehende  Bemerkungen. 

A.  S  i m  o  n  s -  Berlin:  Bemerkungen  zur  Arbeit  J.  Huslers 
über  symmetrischen  progressiven  Fettschwund  im  Kindesalter. 

Gött. 

Zeitschrift  für  Hygiene  und  Infektionskrankheiten.  78.  Bd. 

3.  Heft.  1914. 

Hayo  B  r  u  n  s  -  Gelsenkirchen:  Die  mikroskopische  Untersuchung 
der  Fäzes  in  ihrer  Bedeutung  für  die  Bekämpfung  der  Ankylo- 

stomiasis.  (Ein  Bericht  über  den  Stand  der  Wurmkrankheit  im 
Ruhrkohlengebiet  nach  10  jähriger  Bekämpfung.) 

Die  Mitteilungen  sind  insofern  sehr  interessant,  weil  sie  zeigen, 
wie  durch  umsichtige  und  sorgfältige  Massnahmen  auch  eine  so 
schwierig  zu  bekämpfende  Seuche  allmählig  eingedämmt  werden 
kann  und  zur  Zeit  sogar  einen  günstigen  Stand  erreicht  hat. 

Paul  N  e  u  m  a  n  n  -  Gelsenkirchen:  Beitrag  zur  Statistik  der 
Kinderkrankheiten  Diphtherie,  Scharlach,  Keuchhusten,  Masern  in 
Prcussen  in  den  Jahren  1901 — 1902. 

Bei  den  genannten  Krankheiten  macht  sich  in  dem  behandelten 
Zeitraum  ein  erfreulicher  Rückgang  in  der  Sterblichkeit  bemerkbar; 
am  stärksten  ist  er  beim  Scharlach,  am  geringsten  beim  Keuchhusten. 
Diphtherie  und  Scharlach  und  andererseits  Keuchhusten  und  Masern 
zeigen  ein  ganz  ähnliches  Verhalten.  Am  grössten  ist  die  prozentuale 
Abnahme  bei  Diphtherie  und  Scharlach  im  1.  Lebensjahre,  am  ge¬ 
ringsten  im  schulpflichtigen  Alter.  Die  Diphtheriesterblichkeit  des 
1.  Lebensjahres  zeigt  einen  ständigen  Rückgang  von  Jahr  zu  Jahr; 
im  Alter  von  10—15  Jahren  macht  sich  aber  für  die  zweite  Hälfte 
des  Zeitraumes  ein  auffallender  Anstieg  bis  1911  bemerkbar.  Kinder 
von  3 — 5  Jahren  erliegen  am  meisten  der  Diphtherie,  von  5  bis 
10  Jahren  dem  Scharlach,  im  2.  Lebensjahr  rafft  Scharlach  am  meisten 
hinweg.  Bei  Diphtherie,  Scharlach  und  Masern  überwiegt  die  Sterb¬ 
lichkeit  des  männlichen,  beim  Keuchhusten  die  des  weiblichen  Ge¬ 
schlechtes. 

Oskar  Weltmann  und  Rudolf  F  i  s  c  h  e  r  -  Wien:  Nachweis 
des  Bakteriums  der  Pseudotuberkulose  der  Nagetiere  in  einem  Falle 
von  Otitis  media  chronica  suppurativa. 

Das  aus  diesem  Falle  gezüchtete  Stäbchen  hatte  hohe  Patho¬ 
genität  für  Nagetiere  und  zeigte  auch  in  seinen  pathogenen  Eigen¬ 
schaften  die  charakteristische  Knötchenbildung,  wie  sie  bei  der  sog. 
„Pseudotuberkulose“  bei  Tieren  vorkommt. 


8.  Dezember  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2345 


N.  CImanowitsch  und  J.  Z  a  !  c  s  k  i  -  Petersburg:  Lieber 
die  Bedeutung  der  Chlorkapazitätsbestimmungen  bei  der  Qualitäts¬ 
bewertung  von  Wasser. 

Es  handelte  sich  um  Untersuchungen  des  Newawassers,  welches 
nach  Chlorierung  als  Trinkwasser  fiir  die  Stadt  Verwendung  findet 
Mittels  der  Bestimmung  der  Oxydierbarkeit  und  der  Chlorkapazität, 
die  sich  gegenseitig  ergänzen,  liess  sich  der  Charakter  der  verun¬ 
reinigenden  Beimengungen  bestimmen. 

Th.  Messerschmidt  -  Strassburg:  Ueber  die  Wirkungsweise 
von  biologischen  Abwasserreinigungskörpern.  (I.  Mitteilung.) 

Während  von  D  u  n  b  a  r  die  Wirkung  der  biologischen  Ab¬ 
wasserreinigung  in  der  Hauptsache  auf  Absorption  beruhend  ange¬ 
nommen  wird,  hatte  S  t  o  d  d  a  r  t  die  erzielte  Reinigung  durch  die 
Tätigkeit  der  nitrifizierenden  Bakterien  erklärt.  Auf  Anregung  D  u  n- 
b  a  r  s  sind  vom  Verf.  neue  Versuche  angestellt  worden,  die  zu  dem 
Resultate  führten,  dass  die  S  t  o  d  d  a  r  t  sehen  Versuche  und  Theo¬ 
rien  einer  Kritik  nicht  standhalten.  Die  biologischen  Prozesse  sollen 
nach  der  Annahme  des  Verf.  erst  dann  eine  bedeutsame  Rolle  in  der 
Reinigung  des  Abwassers  spielen,  nachdem  die  physikalisch-chemi¬ 
schen  Vorgänge  in  den  biologischen  Körpern  stattgefunden  haben. 

Karl  K  i  s  s  k  a  1 1  -  Königsberg:  Untersuchungen  über  Konstitution 
und  Krankheitsdisposition. 

I-  Die  Ermittelung  der  Disposition  zu  Infektionskrankheiten. 

Verf.  versucht  die  Momente,  welche  beim  Erwerben  einer  In¬ 
fektionskrankheit  eine  Rolle  spielen  (Resistenz,  Disposition  etc.)  in 
Formeln  zum  Ausdruck  zu  bringen. 

II.  Karl  Kisskalt  und  Alexander  Friedmann:  Versuche 
über  die  Disposition  zur  Bleivergiftung. 

Die  Versuche  wurden  in  der  Weise  angestellt,  dass  Kaninchen 
mit  Bleiazetatlösung  intravenöse  Injektionen  erhielten  und  nach  dem 
natürlichen  resp.  gewaltsamen  Tode  die  Organe  des  Tieres  —  Gehirn, 
Niere.  Leber,  Darm  nebst  Inhalt,  Galle,  z.  T.  auch  Muskel,  Knochen, 
Haut  und  Haare  auf  Blei  untersucht  wurden.  Aus  all  den  Analysen 
und  Beobachtungen  ist  zu  schliessen,  dass  die  stärkere  Ablagerung 
im  Gehirn  die  Ursache  ist,  warum  die  einen  Tiere  gestorben  sind, 
während  die  anderen  überlebten.  Möglich  ist  daneben,  wie  die 
Autoren  meinen,  dass  auch  eine  allgemeine  Emnfindlichkeit  gegen 
den  Bleistrom  bei  der  Disposition  eine  Rolle  spielt. 

III.  Karl  Kisskalt:  Hungersnöte  und  Seuchen. 

An  der  Hand  eines  zahlreichen  Unterlagenmateriales  wird  fest¬ 
gestellt,  dass  in  Hungersnöten  die  Sterblichkeit  an  Seuchen  eine 
grössere  ist.  Es  sei  auch  anzunehmen,  dass  auch  geringe  Schwan¬ 
kungen  in  der  Volksernährung  von  Einfluss  auf  die  Sterblichkeit 
sein  können. 

Fr.  C  r  o  n  e  r  -  Berlin:  Ueber  die  Beeinflussung  der  Desinfektions¬ 
wirkung  des  Formaldehyds  durch  Methylalkohol  und  die  daraus  zu 
ziehenden  Schlüsse  auf  die  Raumdesinfektion  mit  Formaldehyd. 

Setzt  man  Methylalkohol  zu  Formaldehyd,  so  sinkt  zunächst  die 
Desinfektionskraft,  steigt  aber  allmählich  wieder  und  übertrifft  bei 
hohen  Methylalkoholzusätzen  die  des  reinen  Formaldehyds.  Der 
Methylalkohol  spielt  bei  einem  Formaldehydgehalt  von  etwa  8  Proz. 
pathogenen  Keimen  gegenüber  keine  wesentliche  Rolle  mehr:  wes¬ 
halb  auch  sehr  formaldehydreiche  Dämpfe  beim  Raumdesinfektions¬ 
verfahren  durch  beigemischte  Methylalkoholdämpfe  nicht  beeinträch¬ 
tigt  werden.  Allein  ist  die  Desinfektionskraft  des  Methylalkohols 
eine  sehr  erhebliche  und  erreicht  ähnlich  wie  beim  Aethylalkohol 
bei  70  Proz.  ihr  Maximum 

G  o  e  b  e  I  -  Strassburg:  Bericht  über  das  Sektionsergebnis  bei 
zwei  chronischen  Typhusbazillenträgern. 

In  der  Galle  beider  Fälle  wurden  Typhusbazillen  nachgewiesen, 
ebenso  wie  auch  aus  der  Mitte  und  den  Rindenschichten  der  bei 
einem  Falle  gefundenen  Gallensteine. 

M.  R  h  e  i  n  -  Strassburg:  Ein  neues  Verfahren  zur  chemischen 
Trink wassersterilisation  im  Felde. 

Das  neue  Verfahren  besteht  darin,  dass  durch  Vereinigung  von 
Antiformin  und  Salzsäure  Chlor  freigemacht  wird  und  das  Chlor 
später  durch  Tabletten  aus  Natriumbikarbonat  und  Natriumthiosulfat 
gebunden  wird.  Verf.  gibt  an,  dass  in  einem  Liter  auf  Zusatz  von 
2,1  ccm  Antiformin  und  1,1  ccm  25  proz.  Salzsäure  in  5  Minuten 
4  Millionen  Kolikeime  vollständig  abgetötet  werden.  Das  desinfizierte 
W  isser  schmeckt  leicht  alkalisch,  ist  klar,  geruchlos  und  für  den 
Organismus  unschädlich.  Das  Verfahren  soll  für  kleinere  Truppen¬ 
verbände  und  auch  für  einzelne  Soldaten  im  Felde  anwendbar  sein. 
Auch  für  eine  Sterilisation  von  Schwimmbädern  wird  es  empfohlen. 

R.  0.  Neumann  -  Bonn. 

Deutsche  medizinische  Wochenschrift. 

Nr.  47.  J  o  c  h  in  a  n  n  -  Berlin :  Wundinfektionskrankheiten. 

111.  Erysipel. 

Th.  Koch  er- Bern:  Behandlung  schwerer  Tetanusfälle. 
(Schluss.) 

a)  Leichte  Fälle  mit  Anfangssymptomen.  Injcknon  von  10  ccm 
Amitoxinserum  in  die  Wundumgebung  (Lokalanästhesie),  wenn  mög¬ 
lich  endoneurale  Injektion,  als  wichtigstes  intralumbale  Injektion  von 
10  ccm  Antitoxinserum  nach  Ablassung  von  10  ccm  des  Liquor.  Sub¬ 
kutan  30 — 40  g  25  proz.  Magnesiumsulfatlösung,  wiederholt  bei  Zu¬ 
nahme  der  Muskelerregbarkeit.  Bei  gleichbleibcndem  Zustand  Unter¬ 
stützung  durch  grosse  Dosen  Chlorat  (2  g  pro  dosi  bis  12  g  pro  die), 

b)  Bei  schweren  Fällen  mit  allgemeiner  Starre  und  Krampf-  i 


anfällen  sind  als  erstes  10  ccm  15  proz.  Magnesiumsulfatlösung 
intralumbal  zu  injizieren  bei  horizontaler  Körper-  und  erhöhter  Kopf¬ 
lage.  Erfolgt  nach  einer  Viertelstunde  keine  Erschlaffung  oder 
weitere  Anfälle,  so  sind  Hals  und  Kopf  tiefer  zu  lagern;  zugleich  muss 
aber  alles  zur  Bekämpfung  eines  Atmungsstillstandes  bereit  sein,  am 
besten  durch  intratracheale  oder  bukkal-pharyngeale  Sauerstoff- 
(oder  Luft-)  einblasung.  Nötigenfalls  sind  (ev.  6 — 8  ccm)  die  intra¬ 
lumbalen  Injektionen  zu  wiederholen;  bei  geringerer  Verschlimmerung 
kann  hier  auch  eine  subkutane  Injektion  genügen.  Auf  etwa  ein¬ 
tretende  Blasenparese  und  Urinverhaltung  ist  zu  achten.  Reichliche 
subkutane  Injektionen  von  physiologischer  Kochsalzlösung  (2  mal 
P'2  Liter)  sind  notwendig.  Glyzerinklvstiere  regeln  die  Stuhlent- 
leeiung.  Abkühlung  des  Körpers  mit  Eisblasen  scheint  von  Erfolg 
za  sein 

Ri  edel- Jena:  Verletzungen  durch  Dumdumgeschosse. 

3  Krankengeschichten  mit  Abbildungen. 

O.  H  a  r  z  h  e  c  k  e  r  -  Berlin:  Ueber  die  Aetiologie  der  Granat¬ 
kontusionsverletzungen. 

Bei  den  durch  Granatkontusionen.  Kontusions-  und  Luftschüssen 
Betroffenen  entstehen  verschiedenartige  psychische  oder  somatische 
mehr  oder  weniger  schwere  Krankheitsbilder,  öfters  tritt  auch  der 
Tod  ein,  ohne  dass  eine  äussere  Verletzung  bemerkbar  ist.  Von  den 
4  hier  beschriebenen  Fällen  war  bei  2  die  Zerreissung  eines  Gehirn- 
gefässes  (typische  Apoplexie),  bei  einem  eine  Lungenblutung  und 
Hämatothcrax,  bei.  einem  ein  Hämatom  im  Bindehautsack  vorhanden. 
Jedenfalls  findet  in  vielen  Fällen  dieser  Art  durch  den  hohen  Luft¬ 
druck  das  Bersten  eines  Gefässes  statt;  je  nach  dessen  Grösse  und 
Lage  kann  auch  eine  tödliche  Blutung  erfolgen. 

E  1  s  c  h  n  i  g  -  Prag:  Ueber  sympathische  Reizübertragung. 

Berichtet  in  der  M.m.W.  1914  S.  1653. 

E.  R  e  i  n  i  k  e  -  Berlin:  Lipoidsubstanzen  im  Urinsediment  beim 
Kinde. 

Berichtet  in  der  M.m.W.  1914  S.  1148. 

Bergeat  -  München. 

Amerikanische  Literatur. 

F.  F.  Russell:  Die  Antityphusimpfung  in  der  Armee  während 
des  Jahres  1913.  (Journ.  Am.  Med.  Assoc.,  Chicago,  62.  1914.  Nr.  18.) 

Die  Antityphusimpfung  wurde  im  Jahre  1911  in  der  amerikani¬ 
schen  Armee  obligatorisch  eingeführt.  Diese  Massregel  hat  sich  aus¬ 
gezeichnet  bewährt,  da  im  vergangenen  Jahre  in  der  über  90  000  Mann 
zählenden  Armee  nur  zwei  Fälle  von  Typhus  abdominalis  vorkamen, 
von  denen  keiner  mit  Tod  abging,  während  im  Jahre  1909  173  Typhus¬ 
fälle  auftraten,  wovon  16  tödlich  verliefen.  Schädliche  Wirkungen 
der  Impfung  wurden  nirgends  beobachtet. 

J.  W.  Stephenson:  Die  intensive  Behandlung  der  Syphilis 
des  Nervensystems  durch  Neosalvarsan  und  Quecksilberinunktion. 
(Med.  Record,  N.Y.,  85.  1914.  Nr.  18.) 

Verf.  berichtet  über  15  Fälle  von  Syphilis  des  Nervensystems,  die 
mit  günstigem  Erfolge  durch  Neosalvarsan  und  gleichzeitige  Queck¬ 
silbereinreibungen  behandelt  wurden  In  dreien  dieser  Fälle  war  vor¬ 
her  Salvarsan  angewandt  worden,  aber  wirkungslos  geblieben.  Verf. 
ist  der  Ansicht,  dass  wir  bei  exsudativer  Tabes  und  anderen  syphi¬ 
litischen  Affektionen  des  zerebrospinalen  Nervensystems  eine  ent¬ 
schieden  günstige  Prognose  stellen  können.  Ob  die  Allgemeinparalvse 
durch  diese  Behandlungsmethode  günstig  beeinflusst  werden  kann, 
ist  noch  unentschieden,  obgleich  auch  hier  in  mehreren  Fällen  eine 
Besserung  erzielt  wurde. 

H.  M.  Ewing:  Vollständige  bilaterale  isolierte  Paralyse  des 
7.  Hirnnerven,  welche  4  Monate  nach  der  nrimären  Infektion  durch 
Syphilis  auftrat.  (Journ.  Am.  Med.  Assoc.,  Chicago,  62.  1914.  Nr.  19.) 

In  diesem  Falle  war  der  N.  facialis  auf  beiden  Seiten  involviert 
und  zwar  unterhalb  seines  Kerns  und  wahrscheinlich  unterhalb  seiner 
Austrittsstelle  aus  dem  Gehirn.  Der  6.  und  8.  Gehirnnerv,  obgleich 
dem  N.  facialis  eng  anliegend,  wurden  von  der  Krankheit  nicht 
berührt. 

K.  Nelson  und  E.  F.  Haines:  Beobachtungen  über  die  Re¬ 
sultate  einer  neunmonatlichen  Erfahrung  mit  Neosalvarsan.  (Journ. 
Am.  Med.  Assoc.,  Chicago,  62.  1914.  Nr.  13.) 

Im  Militärgefängnishospital  zu  Leavenworth  wurden  in  einem 
Zeitraum  von  9  Monaten  108  Syohilisfälte  durch  intravenöse  Iniek- 
tionen  von  Neosalvarsan  mit  gleichzeitiger  Ouecksilberanwendung 
behandelt.  Es  wurden  ?40  Injektionen  vorgenommen  Dabei  wurde 
1  mal  eine  schwere.  3  mal  eine  massige,  58  mal  eine  milde  und  278  mal 
keine  Reaktion  beobachtet.  Verfasser  kommen  zu  folgenden 
Schlüssen:  5  Injektionen  von  Neosalvarsan  mit  gleichzeitiger  Oueck¬ 
silberanwendung  zeigen  nicht  so  gute  Resultate  als  eine  einmalige 
Injektion  von  Altsalvarsan.  Um  in  70—80  Proz.  der  Fälle  eine  Heilung 
zu  erzielen,  muss  4  oder  5  mal  soviel  Neosalvarsan  gebraucht  werden. 

F.  E.  Simpson:  Radium  bei  der  Behandlung  der  Blastomykose. 
(Journ.  Am.  Med.  Assoc.,  Chicago,  62.  1914.  Nr.  11.) 

Ein  Patient  mit  Blastomykose  im  inneren  Augenwinkel  wurde 
durch  die  Radiumbehandlung  völlig  geheilt. 

E.  C.  S  c  h  u  1 1  z  e  und  L.  A.  Goldberger:  Bericht  über  128 
mit  Serum  behandelte  Fälle  von  Scharlachfieber.  (Med.  Re¬ 
cord.  NY.,  85.  1914.  Nr.  21.) 

Bereits  vor  4  Jahren  berichtete  S  c  h  u  1 1  z  e  über  einen  Kokkus, 
den  er  im  Rachen  fast  aller  Scharlachkranker  fand  und  den  er  fin¬ 
den  möglichen  Erreger  der  Krankheit  hielt.  Es  wurde  nun  ein  Serum 


2346 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  49. 


von  diesem  „Mikrokokkus  S“  bereitet  und  128  Scharlachkranke  damit 
behandelt.  Die  Resultate  waren  günstig,  da  im  ganzen  nur  zwei 
Patienten  starben,  während  andere  Behandlungsmethoden  eine  be¬ 
deutend  höhere  Mortalität  aufweisen. 

S.  Flexncr  und  H.  L.  Amoss:  Uebertreten  des  Virus  der 
Poliomyelitis  aus  dem  Blut  in  die  Zerebrospinalflüssigkeit.  (Journ. 
Exper.  Med.,  N.Y.,  19  1914.  Nr.  4.) 

Die  Experimente  unterstützen  die  Hypothese,  dass  die  Infektion 
des  Nervengewebes  vermittelst  der  Zerebrospinalflüssigkeit  geschieht 
und  nicht  direkt  durch  das  Blut.  Aber  um  in  die  Zerebrospinal¬ 
flüssigkeit  zu  gelangen,  muss  das  Virus  zuerst  das  Hindernis  des 
Plexus  chorioideus  überwinden,  was  längere  Zeit  in  Anspruch  nimmt. 
Pathologische  Zustände  der  Leptomeningen  und  des  Liquor  cerebro¬ 
spinalis  spielen  eine  wichtige  Rolle  in  der  Pathogenese  der  epidemi¬ 
schen  Poliomyelitis. 

H.  J.  Nichols:  Beobachtungen  über  einen  aus  dem  Nerven¬ 
system  isolierten  Stamm  der  Spirochaete  pallida.  (Journ.  Exper.  Med., 
N.Y.,  19.  1914.  Nr.  4.) 

Die  aus  dem  Nervensystem  gewonnene  Spirochäte  zeigte  die 
folgenden  konstanten  Charaktere:  1.  Eine  dicke  äussere  Form.  2.  Her- 
vorrufung  harter,  scharf  abgegrenzter  Läsionen  mit  nekrotischen  Zen¬ 
tren.  3.  Eine  charakteristische  Lokalisierung  der  Läsionen,  nämlich 
auf  der  skrotalen  Seite  der  Tunica  vaginalis.  4.  Eine  kurze  In¬ 
kubationszeit.  5.  Eine  Neigung  nach  lokaler  Inokulation  der  Hoden 
und  des  Skrotums  in  der  Form  von  Läsionen  der  Haut  und  des 
Auges  zu  generalisieren.  Diese  charakteristischen  Eigenschaften 
bilden  einen  Stamm  von  hoher  Infektionskraft  und  man  kann  die 
Glieder  der  Pallidagruppe  nach  dieser  Infektionskraft  klassifizieren. 

L.  F.  Rettger:  Eierstocksinfektion  beim  Huhn  und  direkte 
Uebertragung  der  Krankheit  auf  die  Nachkommenschaft.  (Journ. 
Exper.  Med.,  N.Y.,  19.  1914.  Nr.  6.) 

Verf.  untersucht  die  Frage,  ob  eine  infektiöse  Krankheit  von 
der  Mutter  auf  das  Ei  übertragen  werden  kann.  Beobachtungen  an 
der  sog.  weissen  Diarrhöe  der  Hühner,  welche  seit  dem  Jahre  1900 
in  Amerika  sehr  häufig  vorkommt  und  viel  Schaden  anrichtet,  führten 
zu  dem  Resultat,  dass  der  Erreger  der  Krankheit,  das  Bacterium  pul- 
lorum,  direkt  von  dem  Eierstock  auf  das  Ei  übertragen  wird.  Verf. 
fand,  dass  in  allen  krankhaften  Fällen  die  Hühnchen  den  Dotter  nicht 
absorbieren  und  traf  das  Bacterium  pullorum  in  allen  Brutstadien  im 
Dottersack.  Es  wurde  eine  grosse  Anzahl  von  Hennen,  deren  Brut  an 
weisser  Diarrhöe  erkrankt  war,  getötet.  In  allen  Fällen  war  der 
Eierstock  erkrankt  und  enthielt  das  Bacterium  pullorum.  Verf.  glaubt, 
dass  diese  Ergebnisse  sehr  zu  Gunsten  der  Ansicht  sprechen,  dass 
Infektionskrankheiten  auch  bei  Säugetieren  durch  das  Ei  übertragen 
werden  können. 

J.  R.  Losee  und  A.  H.  Ebeling:  Die  Kultur  menschlicher 
Gewebe  in  vitro.  (.Journ.  Exper.  Med.,  N.Y.,  19.  1914.  Nr.  6.) 

Die  Gewebefragmente  wurden  frischen  Leichen  von  Kindern 
und  Erwachsenen  entnommen.  Der  Nährboden  wurde  je  nach  Be¬ 
dürfnis  alle  3  oder  4  Tage  erneuert.  Auf  diese  Weise  gelang  es  ein 
Stück  Bindegewebe  von  der  Haut  einer  frischen  Leiche  von  einem 
4  Monate  alten  Fötus  während  mehr  als  zwei  Monaten  am  Leben 
zu  erhalten.  Fötales  Herzgewebe  zeigte  in  einem  Nährboden,  be¬ 
stehend  aus  menschlichem  Plasma  und  Ringer  scher  Lösung  bei 
einer  Temperatur  von  38°  C  nach  18 — 24  Stunden  deutliche  Zell¬ 
wucherung.  Das  Gewebewachstum  war  von  einer  langsamen  pro¬ 
gressiven  Verflüssigung  des  Nährbodens  in  der  Zone  der  Zellwuche¬ 
rung  begleitet.  Man  darf  annehmen,  dass,  wenn  ein  Nährboden, 
dessen  Zusammensetzung  von  grösserer  Beständigkeit  ist,  gefunden 
wird,  es  möglich  ist,  menschliches  Gewebe  während  grossen  Zeit¬ 
räumen  am  Leben  zu  erhalten. 

J.  Coli  ins:  Salvarsan  als  wertvolles  Heilmittel  bei  der  Be¬ 
handlung  von  Symptomen  von  auf  Syphilis  zurückzuführenden  Gehirn¬ 
tumoren.  (NcwYork  Med.  Journ.  99.  1914.  Nr.  20.) 

Verf.  berichtet  über  drei  Fälle  von  Gehirntumoren,  die  durch 
Salvarsanbehandlung  in  überraschend  kurzer  Zeit  geheilt  wurden. 
Kopfweh  und  Paralyse  eines  oder  mehrerer  Augenmuskeln  sind  die 
konstantesten  Symptome  dieser  Krankheitsform.  Wo  immer  in 
solchen  Fällen  Verdacht  auf  Syphilis  besteht,  sollte  die  Wasser¬ 
mann  sehe  Probe  angestellt  werden. 

C.  B.  C  r  a  i  g  und  J.  C  o  1 1  i  n  s:  Vier  Jahre  Erfahrungen  mit  Sal- 
varsan  und  Neosalvarsan  bei  der  Behandlung  syphilitischer  Erkran¬ 
kung  des  Nervensystems.  (Journ.  Am.  Med.  Assoc.,  Chicago,  62. 
1914.  Nr.  25  ) 

Das  Nervensystem  kann  innerhalb  weniger  Wochen  nach  der  In¬ 
fektion  mit  Syphilis  angegriffen  werden.  Je  früher  syphilitische  Er¬ 
krankungen  des  Nervensystems  behandelt  werden,  desto  besser  sind 
die  Aussichten  auf  eine  völlige  Heilung.  Salvarsan  ist  hiebei  das  wir¬ 
kungsvollste  Heilmittel.  Neosalvarsan  hat  geringere  Wirkung  als  Alt- 
salvarsan.  Die  besten  Resultate  bei  der  Behandlung  der  Syphilis  des 
Nervensystems  werden  erzielt,  wenn  das  Salvarsan  mit  einer  gleich¬ 
zeitigen  Quecksilberbehandlung  verbunden  wird. 

W.  J  Malnney:  Die  ursächlichen  Momente  der  Tabes  dorsalis. 
(New  York  Med.  Journ.  99.  1914.  Nr.  25.) 

ln  der  amerikanischen  Armee  kamen  von  1908 — 12  21  Fälle  von 
I Tabes  bei  11  904  Syphilisfällen  vor.  Tabes  ist  eine  seltene  Folge  der 
Syphilis,  aber  Syphilis  ist  die  alleinige  Ursache  dieser  Erkrankung. 
Der  Erreger  der  Syphilis  ist  ein  Sporozoon  mit  einem  sporogenen 
asexuellen  und  einem  sexuellen  Zyklus.  Wenn  die  Spirochäte  mit 
Erfolg  in  irgendeine  Gewebeart  eingedrungen  ist,  erhält  sie  die  Eigen¬ 


schaft,  in  diesem  Gewebe  besonders  gut  zu  gedeihen.  Ein  syphili¬ 
tisches  Protozoon  kann  sich  eine  besondere  Invasionskraft  für  das 
Nervengewebe  aneignen  und  diese  Eigenschaft  kann  auf  mehrere  auf¬ 
einanderfolgende  Generationen  von  Spirochäten  übertragen  werden. 
Die  Spirochäte  wird  so  zu  einer  Nervenspirochäte.  Die  Natur  der 
Spirochäte,  der  Korrelation  der  verschiedenen  inneren  Sekrete  und 
die  biologischen  Eigentümlichkeiten  der  chemischen  Komposition  des 
Zentralnervensystems  sind  die  bestimmenden  Faktoren,  ob  in  einem 
gegebenen  Fall  Syphilis  in  Tabes  enden  wird  oder  nicht. 

Inauguraldissertationen. 

Universität  Giessen.  Juli  und  August  1914. 

Bossler  Albert:  Untersuchungen  über  die  Funktion  des  Pankreas 
bei  Achylia  gastrica. 

Doerr  Heinrich:  Untersuchungen  über  das  Vorkommen  säurefester 
Bakterien  in  der  Umgebung  der  Menschen  und  der  Tiere.*) 
Ewers  Theodor:  Ueber  einen  Fall  von  kongenitalem  Defekt  der 
Gallenblase. 

Feilbach  Wilhelm:  Zur  Untersuchung  der  Assoziationen  bei  De¬ 
mentia  paralytica.  (S.  A.  a.  d.  Klin.  f.  psych.  Krkh.  9.  1914.  H.  2.) 
Giessen  Johannes:  Klinische  Beiträge  zum  Emphysema  pulmonum 
des  Pferdes. 

Huntemüller  Otto:  Kritische  Studien  zur  Morphologie  und  Züch¬ 
tung  von  filtrierbaren  Virusarten.  (Habilitationsschrift.) 

Jida  Sozo:  Ueber  einen  ungewöhnlich  frühzeitigen  Fall  von  akutem 
otitischen  Schläfenlappenabszess. 

Modde  Johannes:  Untersuchungen  über  Nabelveneninfektionen  bei 
Kälbern.*) 

Moos  Erwin:  Vier  Fälle  von  künstlichem  Pneumothorax,  ein  Fall 
von  spontanem  Pneumothorax  bei  einseitiger  Lungentuberkulose. 
Müller  Otto:  Ueber  die  Gefahren  und  Misserfolge  in  der  Lumbal¬ 
anästhesie.  1913. 

Reck  Adam:  Ueber  den  Einfluss  des  Senfmehles  auf  die  motorische 
Tätigkeit  der  Wiederkäuermägen.*) 

Schott  Gottfried:  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Hauttemperatur  nach 
Wärmeentzug.*) 

Schwarz  Georg:  Untersuchungen  über  Kaubewegungen  bei  wilden 
Wiederkäuern.*) 

Simon  Karl:  Ueber  Senkungsabszesse  nach  Mittelohreiterungen. 
Spiecker  Arthur:  Beiträge  zum  Studium  der  hereditären  Lues  des 
Nervensystems  (Friedreich  scher  Symptomenkomplex).  (S.  A. 
a.  d.  Jb.  f.  Kindhlk.  79.) 

Storck  Hermann:  Drei  Fälle  von  kongenitalem  Defekt  der  Vor¬ 
hofsscheidewand  bei  Erwachsenen. 

S  trüb  er  Paul:  Beitrag  zur  Frage  der  Bildung  von  Aminosäuren 
irri  tierischen  Organismus.*) 

Weckbecker  Hans  Oskar:  Beitrag  zur  Statistik  der  Unfallver- 
letzungen  des  Auges  im  bergmännischen  Betriebe. 

Wolpe  Soscha  (!  in  der  vita:  Sascha),  geb.  Leikin:  Ueber  ein 
myoblastisches  Sarkom  des  Magens. 

Universität  Heidelberg.  September  1914. 

Busch  Wilhelm:  Die  Enukleationen  und  Exenterationen  des  Aug¬ 
apfels  in  der  Heidelberger  Klinik  von  1910—1912. 

Atzler  Edgar:  Beiträge  zur  Methodik  Nernstscher  Gasketten 
in  ihrer  Anwendung  auf  serologische  Fragen. 

Mell  in  Heinrich:  Weitere  4  Fälle  von  Ulcus  pepticum  jejuni  post 
gastroenterostomiam. 

Eckel  Heinrich:  Arteriomesenterialer  Darmverschluss. 

Schmitt  Jakob:  Ueber  den  Rhodangehalt  des  Speichels  Syphi¬ 
litischer. 

Gl  ä  sei  Franz-  Calculi  prostatici  veri. 

Wienskowitz  Hans:  Physiologie  und  pathologische  Physiologie 
der  Blutungen  post  partum  und  ihre  Beeinflussung  durch  die 
isolierte  Scheidentamponade. 

Hirschberg  Fritz-  Ueber  die  in  den  Jahren  1911/12  in  der  Uni¬ 
versitäts-Augenklinik  zu  Heidelberg  beobachteten  Fälle  von  Augen¬ 
verletzungen. 

R  o  s  e  n  th  a  1  Rudi:  Ueber  Ascaridiasis  der  Gallenwege  mit  Berück¬ 
sichtigung  eines  selbst  beobachteten  Falles. 

Strass  mann  Georg:  Ueber  die  Einwirkung  von  Kollargolein- 
spritzungen  auf  Niere  und  Nierenbecken. 

Fried  mann  Martin:  Die  Tränensackoperationen  der  Heidelberger 
Universitäts-Augenklinik  in  den  Jahren  1911/12  mit  einem  Beitrag 
zur  pathologischen  Anatomie  der  Tränensackblennorrhöe 

Universität  München.  August  und  September  1914. 

Jofan  Jakob:  Hundert  Uterusperforationen. 

Adam  Alexander:  Ueber  eine  Spontangangrän  an  den  oberen  Ex¬ 
tremitäten. 

Tütündjian  Erwant:  Teratome  des  Hodens. 

Heinrich  Christian:  Sensibilisierung  im  ultravioletten  Lichte 
Hahn  Amandus:  Ueber  die  oxydative  Spaltung  des  Hämins  und  das 
Hämopyrrol. 

Lauterbach  F. :  Eine  neue  Heilmethode  beim  ansteckenden  Schei¬ 
denkatarrh  des  Rindes.  (Mit  2  Abbildungen.) 


*)  Ist  veterinär-medizinische  Dissertation., 


3.  Dezember  191-4. 

Vereins-  und  Kongressberichte. 

Münchener  Gesellschaft  für  Kinderheilkunde. 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzung  v  o  m  10.  Juli  ly  14. 

Besichtigung  der  neuen  kgl.  orthopädischen  Klinik  unter  Führung 
des  Herrn  L  a  n  g  e. 

Herr  Lange:  Die  Notwendigkeit  des  Zusammenarbeitens  der 
Pädiatrie  mit  der  Orthopädie. 

Lange  führt  die  wichtigsten  orthopädischen  Erkrankungen  in 
ihrem  ersten  Auftreten,  ihrer  Behandlung  durch  den  Pädiater  und 
durch  den  Orthopäden  auf. 

Der  Beweis  des  notwendigen  Zusammenarbeitens  ist  am 
schlagendsten  an  der  Rachitis  zu  liefern,  denn  die  Patienten 
kommen  mit  den  schwersten  rachitischen  Verkrümmungen  meist 
erst  nach  einer  vom  Pädiater  eingeleiteten  knochenfestigenden  Be¬ 
handlung  in  die  Hände  des  Orthopäden.  Es  könnten  durch  gemein¬ 
same  therapeutische  Massnahmen  viele  blutige,  nach  dem  6.  Lebens¬ 
jahre  unumgängliche  Operationen  und  damit  verbundene  Narkosen 
vermieden  werden,  denn  Deformitäten  bei  weichem  Knochen  Hessen 
sich  durch  Schienen  oder  leichtere  unblutige  Operationen  (Infraktion) 
beseitigen. 

ln  gleicher  Weise  sei  der  rachitischen  Verbiegung  der  Wirbel¬ 
säule  von  seiten  der  Herren  Kinderärzte  grosse  Beachtung  zu 
schenken,  ganz  besonders  der  rachitischen  Kyphose,  die  als  harm¬ 
los  angesehen  werde,  weil  sie  angeblich  nicht  versteift.  In  bezug 
ruf  die  seitliche  Verbiegung  regte  Prof.  Lange  an,  es  möchte  in 
Jen  Merkblättern  für  Säuglingsfiirsorge  auf  die  Gefahr  des  Tragens 
auf  dem  Arm  hingewiesen  und  für  die  Verbreitung  von  Korbge¬ 
flechtladen  gesorgt  werden.  Die  Fortschritte  in  der  Beachtung  der 
Skoliose  kamen  dann  zur  Besprechung,  wobei  die  Tatsache  festge- 
stellt  werden  konnte,  dass  durch  Ueberweisen  von  Skoliosen  ge- 
ingen  Grades  durch  die  Schulärzte  eine  bedeutend  aussichtsreichere 
ind  leichtere  Behandlung  ermöglicht  wird.  Durch  aktive  und  passive 
jyinnastik,  Stahlkorsett  und  Gymnastik  oder  Gipskorsett  Hessen  sich 
nit  den  neuesten  Methoden  gute  Resultate  erzielen.  Für  ebenso 
iringend  hält  Lange  die  frühzeitige  Behandlung  der  Polio- 
uyelitis  durch  den  Orthopäden  und  zwar  schon  im  Höhenstadium 
ler  Erkrankung  durch  die  vollkommene  Ruhigstellung  der  Wirbel¬ 
säule  und  damit  des  Rückenmarks.  Dies  hätte  am  besten  durch 
an  Gipsbett  zu  geschehen,  das  natürlich  auch  durch  den  geschulten 
-’ädiater  hergestellt  werden  könne.  Weiterhin  käme  die  Verhütung 
on  Kontrakturen  in  Betracht.  Der  genauen  Untersuchung  durch 
(itzeln  mit  einer  Nadel  zur  Feststellung,  welche  Muskeln  gelähmt 
•ind,  habe  eine  Nachtschienenbehandlung  zu  folgen  zur  Verhütung 
ler  Ueberdehnung  der  geschädigten  Muskeln.  Ganz  besondere  Be¬ 
ichtling  verdiene  die  Tensor-fasciae-Kontraktur  (charakteristische 
Jeiigestellung  im  Hüftgelenk),  deren  Beginn  oft  unbemerkt  bleibe, 
ind  häufig  die  Ursache  dafür  darstelle,  dass  die  Kinder  nicht  gehen 
erneu.  Zur  Verhütung  der  Kontraktur  käme  wiederum  ein  Gipsbett 
nit  Beinlade  in  Frage,  um  das  Bein  in  Adduktion  und  Ueberstreckung 
u  halten. 

Zum  Schluss  kam  die  Frage  der  Behandlung  der  Knoche  n  - 
ad  Gelenk  tuberkulöse  zur  Erörterung,  die  speziell  durch 
ie  Erfolge  R  o  1 1  i  e  r  s  in  Leysin  in  neue  Bahnen  geleitet  ist.  Grund- 
rmzip  der  Sonnenbehandlung  sei  die  höchstens  2  Stunden  am  Tage 
vährende  Bestrahlung  in  einer  erfrischenden,  ja  rauhen  Bergluft, 
•in  Erfordernis  bestehe  in  der  Betätigung  von  tüchtigen  Orthopäden, 
ic  einen  wirklich  guten  Gehgips  anzufertigen  vermögen  und  gleich- 
eitig  Sonnenbehandlung  durchführen  können.  Dadurch  Hessen  sich 
•ohl  noch  bessere  Resultate  erzielen,  als  in  Rolliers  Sanatorien; 
eim  die  Erfolge  durch  Gehgips-  und  Apparatbehandlung  ohne  Sonne 
önnten  sich  neben  denen  von  R  o  1 1  i  e  r  wohl  sehen  lassen. 

In  dieser  Beziehung,  in  der  Errichtung  von  Freilich tinstituten 
l  unseren  bayerischen  Bergen  wäre  ein  gemeinsames  Arbeiten  von 
'ädiater  und  Orthopäden  von  grosser  Zukunft. 

VVährend  des  Vortrages  erfolgte  die  Vorstellung  von  Patienten 
i  Gips  und  Apparaten.  Behandlungsresultaten,  und  die  Anfertigung 
on  Gipsladen  und  Gipsschienen  durch  die  Assistenten  der  Klinik. 

Diskussion:  Herr  Tr  um  pp  und  ein  auswärtiger  Gast. 

Albert  Uffenheimer  -  München. 


Nürnberger  medizinische  Gesellschaft  und  Poliklinik. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  11.  Juni  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Kraus. 

Schriftführer:  Herr  Wilhelm  V  o  i  t. 

Herr  Kraus  demonstriert  einen  6jährigen  Knaben  mit  Stell- 
a  a  g  schem,  Gräfe  schein  und  Möbius  schein  Symptom,  ohne 
iss  sonst  Basedowerscheinungen  vorhanden  sind.  Herr  K.  geht  aus- 
ilirlich  auf  die  Erklärung  der  Symptome  ein  und  erwähnt  einen 
weiten  von  ihm  beobachteten  Fall  bei  einem  10  jährigen  Mädchen. 

Herr  Weigel  demonstriert  einen  Pat.  mit  partiellem  Riesen- 
uchs;  derselbe  erstreckt  sich  auf  das  ganze  linke  Bein,  besonders  I 


2347 

aber  auf  die  .1,  4..  5.  Zehe  des  linken  Fusses,  zwischen  3.  und  4.  Zehe 
besteht  Syndaktylie,  die  grosse  und  die  2.  linke  Zehe  sind  normal. 
Das  Röntgenbild  zeigt  eine  fast  doppelte  Vergrösserung  der  linken 
Mittelfussknochcn.  Am  rechten  Fuss  ist  nur  die  2.  Zehe  hyper¬ 
trophisch.  Der  Pat.  ist  sonst  geistig  und  körperlich  normal.  Auch 
das  Röntgenbild  des  rechten  Fusses  wird  demonstriert. 

Herr  Johannes  Müller  referiert  über  einen  Pat.,  der  rechts¬ 
seitige  typische  Nieretischmerzen  mit  Blutharn  und  Bakterienharn 
hatte.  Die  Röntgenaufnahme  ergab  rechts  keine  Steine,  aber  links 
3  Steine,  die  bei  mehreren  Aufnahmen  stets  deutlich  vorhanden 
waren.  Die  3  Steine  von  ansehnlicher  Grösse,  der  grösste  7  mm 
Durchmesser,  gingen  bald  darauf  per  vias  naturales  ab.  Die 
chemische  Untersuchung  ergab  Oxalatsteine. 

Herr  Görl:  Ueber  Sterilisierung  mit  Röntgenstrahlen.  (Er¬ 
scheint  in  extenso  in  der  D.m.W.) 


Deutsche  medizinische  Gesellschaft  in  Chicago. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  2.  April  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Lieberthal. 

Schriftführer:  Herr  Reichmann. 

Herr  Reichmann  demonstriert : 

a)  einen  Fall  von  rezidivierendem  Karzinom  des  I.  Nasenflügels, 
der  nach  zweiwöchentlicher  Behandlung  mit  Chinininjektionen  und 
filtrierten  Röntgenstrahlen  glatt  abgeheilt  ist. 

b)  einen  Fall  von  Fibrosarkom  der  Wange,  das  ebenfalls  nach 
dreiwöchentlicher  Behandlung  mit  filtrierten  Röntgenstrahlen  sehr 
gebessert  erscheint. 

Herr  Emil  Beck:  Ueber  den  gegenwärtigen  Stand  der  chirur¬ 
gischen  Tuberkulosebehandlung.  (Mit  Lichtbildern.) 

Diskussion:  Herr  Carl  Beck  bespricht  die  Somienbehand- 
lung  von  Rolli  er  in  Leysin.  Rolli  er  gründet  seine  Erfolge  auf 
die  Theorie,  dass  die  Blutkörperchen  durch  das  lange  und  intensive 
Einwirken  des  Sonnenlichts  so  verändert  werden,  dass  sie  den  Kampf 
mit  dem  Tuberkuloseerreger  besser  aufnehmen  können.  Beck  er¬ 
örtert  auch  die  Erfolge,  die  er  und  sein  Bruder  mit  der  WismutDaste  er¬ 
zielen  und  glaubt,  dass  Sonnenbehandlung  in  seinen  Fällen  nicht  zum 
Ziele  führen  würde,  da  er  meistens  fistulöse  Erkrankungen  zu  Ge¬ 
sicht  bekäme,  während  R  o  1 1  i  e  r  Kranke  ohne  Fisteln  behandle. 

Herr  A.  C.  C  r  o  f  t  a  n:  Experimentelles  zur  Kenntnis  des  Zucker¬ 
stoffwechsels.  (Mit  Demonstration.) 

C  r  o  f  t  a  n  wies  zunächst  einleitungsweise  darauf  hin,  dass  man 
aus  dem  Studium  des  Pflanzenstoffwechsels  wertvolle  Einblicke  in 
den  Stoffwechsel  der  Menschen  und  Tiere  sich  verschaffen  könne.  In 
längerer  Ausführung  zeigte  er,  dass,  was  den  Stoffwechsel  betrifft, 
die  Unterschiede  zwischen  Pflanzen  und  Tieren  nicht  so  ausgeprägt 
seien,  wie  man  das  früher  annahm,  und  dass  es  allerhand  Grenz¬ 
gebiete  gäbe,  wo  die  Unterschiede  ganz  graduell  ineinander  über¬ 
gingen.  Vom  phylogenetischen  Standpunkte  ist  es  ferner  interessant, 
dass  in  manchen  Richtungen  der  embryonale  Stoffwechsel  mehr  dem 
der  Pflanzen  als  dem  der  höheren  Tiere  gleicht.  Redner  verwies  auf 
eigene  Arbeiten  in  diesem  Gebiete,  die  noch  nicht  in  allen  Details  für 
die  Oeffentlichkeit  reif  seien.  Es  ist  daher  äusserst  wahrscheinlich, 
dass  der  tierische  Stoffwechsel  ein  höheres  Entwicklungsstadium  des 
Pflanzenstoffwechsels  darstellt,  angepasst  an  die  wechselnden  Lebens¬ 
bedingungen,  die  z.  B.  mit  der  Beweglichkeit  entstanden.  Man  kann, 
wenn  man  dies  zugibt,  annehmen,  dass  chemisch  geradeso  wie  ana¬ 
tomisch  gelegentlich  Rückbildung  zu  einem  mehr  primitiven 
Typus  bei  Tieren  stattfinden  kann.  Dies  wären  dann  gewisse  Stoff¬ 
wechselanomalien,  die  spontan,  als  das  Resultat  eines  entarteten 
Zellenlebens  (e.  g.  Embryonaltypus)  entständen,  und  deren  Typus 
dem  normalen  Stoffwechsel  ähneln  würde.  Das  eingehende  Studium 
des  Pflanzenstoffwechsels  ist  also  für  die  menschliche  Pathologie 
von  diesem,  mehr  oder  weniger  hypothetischem  Standpunkte  immer¬ 
hin  wichtig  und  vielversprechend.  Was  den  Kohlehydratstoffwechsel 
betrifft,  ist  der  wichtigste  und  der  am  meisten  charakteristische 
Schritt  bei  der  Pflanze  die  Umwandlung  der  Luft-COs  in  Stärke. 
Bezüglich  dieses  Prozesses  und  der  Rolle  des  Chlorophylls  gibt  es 
eine  ungeheure  Literatur,  die  an  dieser  Stelle  nicht  referiert  werden 
kann.  Die  wichtigste  Entdeckung  neuerer  Zeit  auf  diesem  Gebiete 
ist  die  Feststellung  der  Tatsache  durch  Willstätter  und  seine 
Mitarbeiter  (erste  Arbeit:  Ann.  350,  S.  48),  dass  Chlorophyll  eine  Ma- 
gnesiumverbindung  ist.  Etwa  zu  gleicher  Zeit  machte  Fenton 
(J  rans.  Brit.  Chem.  Soc.  91.  1907.  S.  68)  die  Entdeckung,  dass  ein 
Strom  von  Kohlensäure,  durch  in  Wasser  suspendiertes  Magnesium 
geleitet,  zu  Formaldchyd  reduziert  wird.  In  der  Literatur  finden  sich 
nun  viele  Angaben,  die  auf  die  Gegenwart  von  Formaldehyd  in  grünen 
Blättern  hinweisen  und  man  kann  sich  leicht  vorstellen,  dass  For¬ 
maldehyd  eine  Vorstufe  seiner  höheren  Polymeren,  i.  e.  Zucker  und 
Stärke  in  der  Pflanze  darstellt.  Die  Hypothese  ist  demnach  berech¬ 
tigt,  dass  die  Kohlehydratsynthese  bei  der  Pflanze  aus  Kohlensäure 
mittels  des  im  Chlorophyll  enthaltenen  Magnesiums  auf  dem  Wege 
durch  Formaldehyd  (vielleicht  erst  via  Ameisensäure)  stattfindet. 
Mit  dem  ersten  Teil  dieses  Prozesses  hat  das  Sonnenlicht  nichts  zu 
tun,  denn  Formaldehydbildung  aus  C02  mit  Mg  tritt  im  Dunklen 
ebenso  gut  und  ebenso  schnell  als  im  Sonnenlichte  ein.  Um  eine 


MUENCMEN ER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2348 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  49 


Photosynthese  handelt  es  sich  in  erster  Linie  also  nicht,  auch  gar 
nicht  um  einen  sogen,  „vitalen“  Prozess. 

Es  ist,  wie  oben  angedeutet,  wahrscheinlich,  dass  die  Reduktion 
der  CO2  zu  Formaldehyd  durch  die  Ameisensäure  führt.  Es  lässt  sich 
leicht  zeigen,  dass  das  Mg  hier  eine  Sonderstellung  einnimmt.  Ueber- 
giesst  man  einen  Magnesiumstab  mit  10  proz.  Ameisensäure,  so  findet 
stürmisch  eine  Reduktion  zu  Formaldehyd  statt;  benützt  man 
Ammoniumformat,  so  bildet  sich  Hexamethylenamin.  Andere  Metalle 
reagieren  nicht  so.  Ganz  ähnlich  verhält  es  sich  bei  der  COa-Reduk- 
tion  zu  Formaldehyd.  Leitet  man  CO2  durch  Na,  K,  Ba-Amalgame 
in  wässeriger  Suspension,  so  bildet  sich  wohl  Ameisensäure,  aber  kein 
Formaldehyd  —  wahrscheinlich  durch  eine  fast  spezifische  Reduktion 
der  zuerst  gebildeten  Ameisensäure  in  statu  nascendi  zu  For¬ 
maldehyd.  Unter  den  bei  der  Reduktion  der  Ameisensäure  zu  For¬ 
maldehyd  durch  Mg  gebildeten  Gase  findet  sich  etwas  freier  Sauer¬ 
stoff.  Bedenkt  man  die  O-Exhalation  der  Pflanze,  so  gibt  diese  Tat¬ 
sache  der  Magnesiumtheorie  eine  Stütze. 

Bei  der  Polymerisation  des  Formaldehyds  zu  Kohlehydraten 
nimmt  Mg  eine  weitere  Sonderstellung  ein.  Es  gelingt  bekanntlich 
leicht  durch  die  meisten  Alkalimetalloxyde,  Formaldehyd  zu  Zucker 
zu  polymerisieren.  Beim  Magnesium  gelingt  dies  nicht  (Loew: 
Journ.  f.  prakt.  Chem.  33.  S.  321).  Durch  Kalkhydrat  lässt  sich 
(nach  Locw)  leicht  schon  bei  Zimmertemperatur  eine  Formose 
oder  Methose  aus  Formaldehvd  nach  längerem  Stehen  erzeugen;  da¬ 
bei  bilden  sich  bedeutende  Mengen  von  Ca-Format.  Setzt  man  der 
Kalkmilch-Formaldehydlösung  Magnesium  hinzu,  so  bildet  sich  mehr 
Zucker  und  weniger  Ca-Format,  offenbar  weil  das  Mg  die  gebildete 
Ameisensäure  wieder  zu  Formaldehyd  reduziert  und  so  mehr  Aus¬ 
gangsmaterial  für  die  ZucKerbildung  frei  hält.  Es  ist  nebenbei  vom 
klinischen  Standpunkte  sehr  interessant,  dass  diese  Formose,  direkt 
aus  Formaldehyd  durch  Kalk  polymerisiert,  von  Diabetikern  beson¬ 
ders  gut  vertragen  wird.  Sie  sind,  besonders  die  schweren  TyDen, 
sehr  tolerant  gegen  diesen  Zucker.  Hierüber  hoffe  ich  bald  ausführ¬ 
lich  mit  den  nötigen  Protokollen  Ihnen  berichten  zu  können. 

Was  die  Rolle  des  Mg  beim  tierischen  Stoffwechsel  der  Kohle¬ 
hydrate  betrifft,  so  müsste  man  eine  Analogie  zwischen  gewissen 
Blut-  und  Gallenpigmenten  und  deren  Derivaten  (die  ja  chemisch,  was 
empirische  Formate  betrifft,  mit  dem  Chlorophyll  quasi  identisch  sind) 
und  dem  Chlorophyll  suchen.  Enthalten  diese  Pigmente  Magnesium? 
In  der  Literatur  findet  sich  nichts  hierüber,  wahrscheinlich  deshalb, 
weil  bei  den  gewöhnlichen  Darstellungsmethoden  durchweg  Säuren 
benutzt  werden,  die  das  Mg  aus  seinen  lockeren  Verbindungen  los- 
reisst.  W  i  1 1  s  t  ä  1 1  e  r  warnt  bei  seinen  Chloroohyllarbeiten  aus¬ 
drücklich  vor  dem  Gebrauch  selbst  schwacher  Säuren.  Passt  man 
die  Methoden,  die  Willstätter  bei  der  Entdeckung  des  Mg  im 
Chloroohyll  gelehrt  hat,  der  Untersuchung  grösserer  Mengen  eisen¬ 
freier  Blutfarbstoffderivate  an.  so  findet  man  kleine  Mengen  Magne¬ 
sium.  Hierüber  verspreche  ich  auch  später  Ausführliches.  Der  Ana¬ 
logieschluss  ist  hier  auch  berechtigt,  dass  dem  in  Pigmenten  zirku¬ 
lierenden  Mg  eine  Rolle  bei  der  Knhlehvdratsvnthese  aus  Karbonaten 
und  Formaten  im  Tierkörper  zufällt.  Es  wird,  hierdurch  ein  grosses 
und  vielversprechendes  Forschungsgebiet  eröffnet.  Möglich,  dass  die 
exquisit  reduzierende  Wirkung  mancher  tierischen  Gewebe  mit  der 
Gegenwart  von  Magnesiumverbindungen  zusammenhängt,  während 
an  der  Zellnerioherie  eisenhaltige  Pigmente  der  Oxydation  vorstehen. 

Auf  Einzelheiten  der  chemischen  Technik  konnte  ich  mich  natür¬ 
lich  nicht  in  diesem  kurzen  Referate  einlassen.  Ich  verweise  auf  die 
ausführlichen  Arbeiten,  die  bald  erscheinen  sollen.  Ich  bitte  auch  um 
Entschuldigung,  dass  ich  mich  so  sehr  mit  Hypothesen  abgegeben 
habe.  Meine  Tatsachen  und  Hypothesen  geben  aber  zu  denken  und 
werfen  wenigsten  einen  schwachen  Lichtschein  in  ein  ganz  dunkles 
Gebiet  und  das  dürfte  Ihr  Interesse  angeregt  haben. 


Aus  den  Wiener  medizinischen  Gesellschaften. 

(Eigener  Bericht.) 

K.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte. 

Sitzung  vom  30.  Oktober  1914. 

Dr.  Alfred  Adler  zeigt  einen  Mann,  der  nach  einer  Schuss¬ 
verletzung  in  den  Oberschenkel  ein  Aneurysma  mit  Abmagerung  der 
Extremität  etc.  aufweist. 

Privatdozent  Dr.  M.  Weinberger  möchte  den  Prozess  als 
Anastomosis  arterio-venosa  auffassen  und  hält  einen  operativen  Ein¬ 
griff  für  an  gezeigt. 

Prof.  Dr.  Rudolf  Weiser  stellt  mehrere  Fälle  von  Kiefer- 
Schussfrakturen  und  erörtert  an  der  Hand  von  Wandtafeln  die  älteren 
und  neueren  Methoden  zur  prothetischen  und  orthodontischen  Be¬ 
handlung  der  Kiefer-Schussverletzungen.  Diese  Behandlung  soll  früh¬ 
zeitig  einsetzen,  dann  sind  auch  die  erzielten  Resultate  sehr  gute. 

Dr.  Werner  stellt  aus  der  Klinik  Wertheim  eine  Frau  vor, 
welche  —  wie  namentlich  die  Röntgenbilder  zeigen  —  mit  einer  ganz 
exzessiven  Kürze  beider  Tibien.  zumal  der  linken  Tibia,  und  dem¬ 
entsprechend  mit  abnormer  Kleinheit  beider  Unterschenkel  behaftet 
ist.  Diese  seltene  Missbildung  ist  angeboren,  sie  soll  nach  Angabe 
der  Eltern  schon  bei  der  Geburt  bestanden  haben. 

Primararzt  Dr.  Lothelsen  demonstriert  eine  28jährige  Frau, 
bei  welcher  er  wegen  impermeabler  Narbenstriktur  eine  antethora- 
kale  Oesophagoplastlk  aus  dem  Magen  nach  J  i  a  n  u  mit  bestem  Er¬ 


folge  gemacht  hat.  Die  Operierte  ernährt  sich  seit  Monaten  durch  ihre 
neugebildete  Speiseröhre. 

In  der  Diskussion  betont  Prof  Schnitzler,  dass  da' 
Verdienst,  anstatt  des  Darmes  den  Magen  zur  Oesophagusplastik  be 
nützt  zu  haben,  dem  Herrn  Dr.  Max  Hirsch  und  nicht  dem  Hern 
Dr.  Max  J  i  a  n  u,  der  die  Methode  nur  unzweckmässig  modifizierte 
zuzuschreiben  sei.  Schnitzler  selbst  hat  den  nach  Hirse  1 
aus  der  vorderen  Magen  wand  gebildeten  Schlauch  in  3  Fällen  bis  ai 
das  obere  Ende  des  Manubrium  sterni  führen  können. 

Sitzung  vom  6.  November  1914. 

Privatdozent  Dr.  H.  L  a  u  b  e  r  stellt  drei  Augenkranke  vor,  um 
zwar  zwei  Augenverletzte  und  eine  eigentümliche  Veränderung  de; 
Tarsus  und  der  Konjunktiva  beider  Augenlider  bei  schwerem  Trachom 
In  einem  Falle  (Schrapnellverletzung  der  Lider  und  WangenhauL 
besteht  einseitig  eine  traumatische,  durch  Kontusion  be 
dingte  Katarakta  bei  normaler  Hornhaut.  Tm  zweiten  Falld 
fiel  das  Projektil  offenbar  auf  einen  harten  Gegenstand  auf,  zer 
splitterte  diesen  und  schleuderte  gegen  Gesicht  und  Augen  kleimj 
Steinpartikel  oder  feine  Sandkörnchen,  die  jetzt  in  der  Kornea  um! 
im  Glaskörper  sitzen;  dabei  ist  ein  Teil  der  Iris  abgerissen  und  de; 
Glaskörper  getrübt. 

Assistent  Dr.  E.  Suchanek  zeigt  aus  der  chirurgischen  Klinilj 
v.  Eiselb  erg  drei  Schussverletzungen:  a)  einen  Husar,  dem  schoi| 
früher  der  linke  Oberarm  enukleiert  worden  war  und  der  in  de ; 
Klinik  eine  schwere  arterielle  Blutung  erlitt.  Mehrere  intravenöstl 
Kochsalzinfusionen.  Ligatur  der  Art.  subclavia  etc.  retteten  den  schoi 
puls-  und  bewusstlosen  Mann,  b)  Gewehrschuss  in  den  rechteii 
Zeigefinger  mit  Zersplitterung  des  Phalangealknochens,  eitrigem  Be 
lag;  Extensionsverband  mittels  Mastisols  und  Zwirnfingerlings,  de} 
mit  einem  Drainrohr  an  eine  eigens  gebogene  C  r  a  m  e  r  sehe  Draht 
schiene  fixiert  wird,  c)  Schrapnellschuss  durch  rechten  Vorderarn 
und  linken  Unterschenkel  mit  Snlitterbruch  beider  Vorderarmknocheii 
und  der  Tibia.  Am  Unterschenkel  Gipsverband  mit  Fenster,  am  Vor 
derarm  und  an  der  Hand  nach  konservativer  Behandlung  mit  Wasser 
stoffsuperoxyd.  Sublimatbädern  und  Hochlagerune  in  ähnlicher  Weis« 
mittels  Mastisols,  Zwirnfingerling  und  Cr  am  ersehen  Schiene  her 
gestellter  Extensionsverband.  Es  wird  auf  den  Vorzug  dieser  Ex 
tensions-  und  Fixationsmethode  gegenüber  der  Schienenbehandiuii!} 
hingewiesen. 

Prof.  Dr  Riehl:  Zur  Behandlung  der  Phlegmone  im  kontlnuicr 
liehen  Bade. 

Das  anfangs  bei  Verbrennungen,  Blattern,  Pemphigus  u.  dg) 
von  H  e  b  r  a  mit  bestem  Erfolge  benützte  kontinuierliche  warm« 
Bad  hat  später  auch  bei  Nosokomialbrand,  Dekubitus,  gangränöse) 
Bubonen  und  —  woran  Redner  jetzt  besonders  erinnern  möchte  - 
auch  bei  Phlegmonen  sehr  gute  Dienste  geleistet.  Da  jetzt  be} 
den  vom  Kriegsschauplätze  eingebrachten  Wunden  wieder  zahlreich) 
Phlegmonen  konstatiert  werden,  möchte  er  auf  seine  Beobachtungeij 
in  den  achtziger  Jahren  hinweisen.  da  die  nicht  seltenen,  zumeisj 
hochfiebernden  Phlegmonen  sich  im  kontinuierlichen  Bade  rgsc) 
reinigten,  die  nekrotischen  und  eitrig  infiltrierten  Partien  sich  ab 
stiessen  und  die  Kranken  bald  fieberfrei  wurden.  Aehnlich  gut 
Resultate  hat  er  schon  in  den  letzten  Monaten  bei  Verwundeten  be 
obachtet,  so  dass  er  sagen  könne,  dass  bei  gewissen  progrediente!1 
Phlegmonen  und  Dekubitus  das  kontinuierliche  Bad  oft  das  rettend^ 
Heilverfahren  sei.  Da  die  Zahl  der  warmen  Dauerbäder  derzeit  ein' 
geringe  sei,  so  sollte  an  deren  ausgiebige  Vermehrung  gesch ritte) 
werden.  So  könnte  man  in  einem  leichten  Bau  im  Allgem.  Kranken 
hause  eine  Station  für  ca.  20  Wasserbetten  errichten:  man  könnt* 
—  sowie  man  Schulen  für  die  Verwundetenpflege  einrichtet  —  eine  i< 
der  Nähe  des  Krankenhauses  befindliche  Badeanstalt  ganz  für  dies' 
Zwecke  in  Anspruch  nehmen;  endlich  könnte  man  in  jeder  chirurgi 
sehen  Station  einige  Badewannen,  in  welchen  das  warme  Wasse* 
von  Zeit  zu  Zeit  erneuert  wird,  aufstellen  und  die  Kranken  in  ge 
eigneter  Weise  daselbst  behandeln. 

An  den  Vortrag  schloss  sich  eine  lebhafte  Diskussion,  at 
welcher  Prof.  Ewald,  Primararzt  Dr.  Kren,  Prof.  v.  Eiseis; 
b  e  r  g,  Prof.  G  o  m  p  e  r  z.  Privatdozent  Dr.  K  v  r  1  e  und  der  Vor* 
tragende  selbst  teilnahmen  v.  Eiseisberg  betont,  dass  man  be, 
nur  einigermassen  schwerer  Phlegmone  vorerst  eine  Inzisiot 
machen  müsse,  dann  werde  das  Wasserbett  in  einzelnen  Fällen  ge> 
wiss  gute  Resultate  geben.  Bei  ambulatorisch  behandelten  Fäüei 
möge  man  Ruhigstellung  der  erkrankten  Körperteile,  feuchte  Ein 
Wicklung  mit  60  proz.  Alkohol  oder  essigsaurer  Tonerde  anwenden 


Weihnachtsgabe  für  arme  Arztwitwen  in  Bayern. 

Gabenverzeichnis:  Uebertrag  M.  425. — .  Bez.-Arzt  Dr.  Schmitt 
Wertingen  M.  10.—.  Dr.  D  r  e  y  f  u  s  s  -  Fürth  M.  5. — .  Hofrat  Di 
S  c  h  u  h  -  Nürnberg  M.  20. — .  Dr.  Braune  -  Mkt.  Einershein 
M.  30. — .  Summa  M.  490.—. 

Gaben  nimmt  dankbarst  entgegen  der  Kassier  der  Witwenkasse 
Dr.  Hollerbusch,  Fürth,  Mathildenstr.  1. 


Schriftleitung:  Dr.  B.  Spatz, 
München,  Arnulfstrasse  26. 


MÜNCHENER 


Verlag  von  J.  F.  Lehmann, 

München,  Paul  Heysestr.  26. 


Medizinische  Wochenschrift. 


Nr.  49.  8.  Dezember  1914. 


Feldärztliche  Beilage  Nr.  18. 


Aus  den  Feldlazaretten  des  VII.  Reservekorps 

Zur  Prognose  und  Therapie  der  Bauchschüsse. 

Von  Professor  J.  R  Otter  (Berlin),  Qeneraloberarzt  und  be¬ 
ratender  Chirurg  des  VII.  R.-A.-K. 


Wer  sich  aus  der  kriegschirurgischen  Literatur  ein  Urteil 
über  die  Prognose  der  Bauchschüsse  zu  bilden  versucht,  ist 
überrascht  von  den  guten  Erfolgen,  über  welche  dort  berichtet 
wird.  v.  Oettingen  schreibt  in  seinem  Leitfaden  der  prak¬ 
tischen  Kriegschirurgie:  „Eine  Generalstatistik  der  letzten 
Kriege  lässt  uns  annehmen,  dass  jeder  zweite  durch  den  Bauch 
geschossene  Soldat  über  kurz  oder  lang  dem  Tode  anheim¬ 
fällt.  Wir  können  50  Proz.  am  Leben  erhalten  und  vermögen 
diese  Zahl  durch  eine  vernünftige  Therapie  um  ein  geringes 
zu  erhöhen,  durch  ein  unzweckmässiges  Vorgehen  aber  stark 
zu  verringern.“  K  ü  1 1  n  e  r  veranschlagt  nach  den  Erfahrungen 
im  Russisch-Japanischen  und  dem  Balkankriege  die  Mortalität 
der  Bauchschüsse  bei  konservativer  Behandlung  auf  45  und 
bei  operativer  Behandlung  auf  55  Proz.,  und  Zick  und 
G  o  1  d  m  a  n  n  auf  8  bis  80  Proz.  Krecke  hatte  das  Glück, 
im  Reservelazarett  zu  München  5  Fälle  von  Bauchschüssen, 
welche  ihm  aus  der  Schlacht  in  Lothringen  zugegangen  waren, 
bei  konservativer  Behandlung  sämtlich  heilen  zu  sehen 
(M.m.W.  Nr.  37,  F.  Beil.  Nr.  6  S.  50).  Gegenüber  diesen  hoff¬ 
nungsfreudigen  Mitteilungen  haben  wir  im  Bereich  des 
VII.  Reservekorps  bei  der  Belagerung  von  Maubeuge,  27.  VIII, 
bis  7.  IX.,  in  der  Schlacht  an  der  Aisne  vom  13.  bis  17.  IX.  und 
den  sich  später  anschliessenden  Kämpfen  hierselbst  ein  Bild 
mit  weit  düstereren  Farben  gewonnen.  Unser  stationärer  Auf¬ 
enthalt  vor  den  Befestigungen  an  der  Aisne  hat  uns  die  Zeit 
und  Müsse  geschenkt,  das  bisher  im  Feldzug  gesammelte  Ma¬ 
terial  zu  sichten  und  nach  manchen  Richtungen  zu  ver¬ 
arbeiten. 

Auf  meine  Anregung  haben  die  Herren  Aerzte  der  vier 
Feldlazarette  des  VII.  R.-K.,  Nr.  33,  34,  35  und  36,  und  der 
Sanitätskompagnien  7  und  21  bereitswilligst  die  bisher  ge¬ 
machten  Beobachtungen  ausgezogen  und  uns  zur  Verfügung 
gestellt,  wofür  ich  ihnen  an  dieser  Stelle  meinen  besonderen 
Dank  ausspreche. 

Aus  dem  gesammelten  Material  habe  ich  mir  zunächst  die 
Bauchschüsse  zu  einer  näheren  Beachtung  ausgewählt. 

Wenn  man  von  „Bauchschüssen“  spricht,  versteht  man  im 
allgemeinen  darunter  die  intraperitonealen  Verletzungen  der 
inneren  Organe  des  Bauches  sowohl  als  des  Darmes.  In  der 
Literatur  scheint  man  indes  nicht  immer  die  Schussver¬ 
letzungen  der  Bauch  wand,  welche  eine  unvergleichlich  viel 
bessere  Prognose  besitzen  und  daher  mit  den  intraperitonealen 
Verletzungen  nicht  in  einen  Topf  geworfen  werden  dürfen, 
scharf  genug  getrennt  zu  haben.  Ich  will  daher  die  Ver¬ 
letzungen  der  Bauchwand  hier  gesondert  aufführen,  um  eine 
schärfere  Begrenzung  des  Materials  der  „Bauchschüsse“  zu 
ermöglichen. 


Schussverletzungen 

1.  der  Bauchwand  .  19  Fälle,  davon  tot  2  =  10  Proz., 

Mantelgeschoss  14  „  ,  „„0=0  „  , 

Schrapnell  .  .  5  „  ,  „  „  2  =  40  „  ; 

2.  der  inneren  Organe  8  „  ,  „  „  3  =  37  „  ; 

(Leber  und  Milz) 

3.  des  Darmes  ...  32  „  ,  „  „  25  =  80  „  , 

nicht  operiert  .27  „  ,  „  „  20  =  77  „  , 

operiert  .  .  .  .  5  „  ,  ,  ,5  =100  ,  . 


L  An  Schussverletzungen  der  Bauchwand 
sind  in  unserer  Statistik  19  Fälle  mit  2  Todesfällen  =  10  Proz. 
Mortalität  verzeichnet. 

14  mal  wurde  die  Verletzung  durch  Infan*erie-  und  5  mal  durch 
Artillerieschüsse  erzeugt.  Die  ersteren  zeigten  meist  lange  Schuss¬ 
kanäle  mit  kleinem  Ein-  und  Ausschuss  und  sind  alle  ohne  Zwischen¬ 
fall  geheilt. 

Dagegen  erfolgte  unter  den  Schrapnell-  resp.  Granatverletzungen 
bei  3  Fällen,  wo  die  grossen  infizierten  Wunden  tamponiert  werden 
mussten,  die  Wundheilung  per  secundam  intentionem,  und  bei  2  Fällen 
ein  tödlicher  Ausgang,  und  zwar  einmal  infolge  einer  foudroyanten 
progredienten  Phlegmone  und  das  andere  Mal  infolge  von  ander¬ 
weitigen  schweren  und  vereiterten  Verletzungen  der  Extremitäten. 

2.  Verletzungen  der  inneren  Bauchorgane. 
Hierher  habe  ich  nur  jene  Fälle  gerechnet,  bei  welchen  die 
Leber  resp.  die  Milz  isoliert  getroffen  waren,  d.  h.  ohne 
dass  gleichzeitig  der  Darm  in  Mitleidenschaft  gezogen  war.  In 
der  nächsten  Gruppe  der  Darmrupturen  finden  sich,  wie  wir 
bald  sehen  werden,  eine  grosse  Anzahl  von  Fällen,  bei  denen 
neben  der  Darmperforation  noch  Verletzungen  der  inneren 
Organe  vorhanden  waren,  die  hier  aber  keine  Berücksichti¬ 
gung  gefunden  haben. 

Unter  8  Fällen  handelte  es  sich  einmal  um  Artillerie-  und 
6  mal  um  Gewehrschussverletzungen.  Bei  einem  Fall  fehlte 
eine  Notiz. 

Von  4  Leberschüssen  sind  3  geheilt  und  1  ge¬ 
storben. 

Die  Diagnose  stützte  sich  auf  die  Symptome  der 
inneren  Blutung  und  den  Verlauf  der  Schusskanäje. 

Bei  2  Steckschüssen  drang  das  Geschoss  in  der  vorderen  Leber¬ 
gegend  ein,  beim  3.  und  4.  Fall  handelte  es  sich  um  Durchschüsse, 
und  zwar 

bei  Fall  3  (Nr.  111,  F.L.  35)  um  Einschuss  rechts  in  der  Axillar¬ 
linie  im  8.  Interkostalraum  und  Ausschuss  rechts  neben  dem  Ster¬ 
num  und 

bei  Fall  4  (Nr.  102,  F.L.  35)  um  Einschuss  in  der  vorderen  Leber¬ 
gegend  rechts  und  Ausschuss  links  hinten  neben  der  Wirbelsäule. 

Der  Verlauf  gestaltete  sich  bei  einem  Falle,  dem  letzt¬ 
genannten,  tödlich.  Er  starb  am  3.  Tag  infolge  einer  inneren  Blutung, 
die  sich  bei  der  Schussrichtung  leicht  erklärt. 

Der  zweite  Durchschuss  (Nr.  111)  machte  eine  ganz  glatte  Re¬ 
konvaleszenz  durch. 

Beim  3.  und  4.  Fall  bildete  sich  eine  Gallenfistel  an  Stelle  des 
Einschusses  vorn,  und  zwar  einmal  spontan,  im  Grunde  des  grossen, 
durch  Artilleriegeschoss  erzeugten  Bauchwanddefektes,  welcher  tam¬ 
poniert  worden  war  (Dr.  P  e  t  e  r  m  a  n  n).  und  bei  dem  anderen  Fall 
im  Anschluss  an  eine  Laparotomie,  welche  Dr.  F  r  a  u  n  e  auf  dem 
Hauptverbandplatz  (Sanitätskompagnie  21)  ausgeführt  hatte,  in  der 
Absicht  eine  innere  Blutung  zu  stillen.  Fr  tamponierte  den  Einschuss 
in  der  Leber  und  sah  dann  im  weiteren  Verlauf  daselbst  eine  Gallen¬ 
fistel  entstehen,  ln  beiden  letzteren  Fällen  besteht  die  Fistel  noch 
zurzeit,  also  etwa  4 — 5  Wochen  nach  der  Verletzung,  bei  gutem  Be¬ 
finden  der  Patienten. 

Unter  3  Milzschüssen  starb  einer.  Die  Diagnose 
wurde  auch  hier  aus  den  Symptomen  der  inneren  Blutung  und 
der  Schussrichtung  gestellt. 

Bei  einem  der  Fälle  handelte  es  sich  um  einen  Durchschuss: 
Einschuss  unter  dem  linken  Rippenbogen,  Ausschuss  in  der  hinteren 
Axillarlinie.  Der  Verlauf  führte  bei  2  Fällen  mit  Gewehrschuss, 
welche  konservativ  behandelt  wurden,  zu  glatter  Heilung.  Bei  dem 
3.  Fall  wurde  von  Dr.  Fraune  (Sanitätskompagnie  21)  wegen 
innerer  Blutung  mit  Mittelschnitt  Iaparotomiert  und  die  Milzgegend 
tamponiert.  Der  Patient  starb  am  5.  Tage  an  diffuser  Peritonitis. 

Ein  8.  Fall  starb  an  innerer  Blutung,  ohne  dass  genauer 
festgestellt  werden  konnte,  woher  die  Blutung  stammte. 


2350 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  rned.  Wochenschrift. 


Nr.  -19. 


3.  Von  Darm  Schüssen  liegen  32  Fälle  vor.  Von 
diesen  sind  25  Fälle  gestorben  und  zwar  20  unoperiert  und 
5  nach  der  Operation,  und  7  Fälle  wurden  geheilt  oder  sind  in 
Heilung  begriffen. 

Von  den  25  gestorbenen  Fällen  wurden  20  Fälle  nicht 
operiert.  Von  denselben  sind  18  Fälle  sehr  kurze  Zeit  nach  der 
Aufnahme  —  nämlich  nach  1 — 12  Stunden  —  erlegen.  Die  Todes¬ 
ursache  lag  bei  11  Fällen  hauptsächlich  in  schweren  Nebenver- 
letzungen,  die  in  6  Fällen  durch  Artillerie-  und  in  4  Fällen  durch  In¬ 
fanteriegeschosse  bedingt  waren,  und  2  mal  die  Leber,  2  mal  die  Milz, 
2  mal  die  Blase,  1  mal  das  Mesenterium,  ferner  die  Brust  und  Extremi¬ 
täten  betrafen.  3  von  ihnen  langten  in  bewusstlosem  Zustande  an 
und  starben  darin.  Bei  7  Fällen  ist  eine  deutlich  ausgeprägte  diffuse 
Peritonitis  notiert. 

2  Fälle  haben  nach  der  Aufnahme  etwas  länger  gelebt.  Der 
eine  gelangte  am  3.  Tage  nach  der  Verletzung  in  das  Feldlazarett, 
mit  diffuser  Peritonitis,  an  der  er  2  Tage  später  zugrunde  ging,  also 
am  5.  Tage,  nachdem  er  noch  blutige  Stühle  gezeigt  hatte.  Bei  den 
andern  handelte  es  sich  um  einen  Durchschuss,  welcher  unter  dem 
rechten  Rippenbogen  hinein  und  in  der  Milzgegend  herausgegangen 
war.  Symptome  von  leichter  Bauchdeckenspannung  und  Meteoris- 
mus,  die  in  den  ersten  Tagen  bestanden,  gingen  bald  zurück,  der  Stuhl 
erfolgte  spontan  und  das  Allgemeinbefinden  liess  das  Beste  hoffen. 
Als  der  Patient  gegen  das  Verbot  am  11.  Tage  das  Bett  verliess, 
setzte  eine  vehemente  Darmblutung  ein,  die  sich  per  anum  entleerte 
und  rasch  zum  Tode  führte. 

5  Fälle  sind  operiert  worden  und  im  Anschluss  daran  ge¬ 
storben. 

3  derselben  lagen  bezüglich  der  Schwere  der  Verletzung  und  des 
Zeitpunktes,  in  welchem  sie  nach  dem  Trauma  zur  Aufnahme  ge¬ 
langten,  nicht  ungünstig. 

a)  Rotter:  Ich  operierte  mit  Dr.  Petermann  in  Biuche 
(bei  Maubeuge)  einen  Fahnenjunker,  welcher  3  Stunden  nach  dem 
Bauchschuss  in  das  Feldlazarett  33  gebracht'  wurde.  Die  Gewehr¬ 
kugel  hatte  wenig  links  vom  Nabel  einen  auffallend  grossen  —  etwa 
dreimarkstückgrossen  —  Defekt  in  der  Bauchdecke  durchgeschlagen, 
durch  welchen  reichlich  Netz  vorgefallen  war.  Die  Operation  wurde 
nachts  —  unter  recht  unzureichenden  Verhältnissen  —  ausgeführt  (es 
war  kein  Operationstisch  vorhanden  und  deshalb  keine  Beckenhoch¬ 
lagerung  möglich,  Darmnadeln  und  Nadelhalter  passten  nicht  zu¬ 
sammen,  infolge  des  starken  Zuganges  an  Verwundeten  war  der 
Gazevorrat  auf  der  Neige).  Es  fanden  sich  3  fünfzigpfennig-  bis  mark- 
stiiekgrose  Löcher  im  Darm  und  mehrere  starkblutende  Risse  im 
Mesenterium,  welche  versorgt  wurden.  Viel  Blut  im  Bauch.  Frei 
in  der  Bauchhöhle  wurde  die  Kugel  gefunden,  welche  das  Zifferblatt 
des  Kompasses  mit  sich  gerissen  und  deshalb  den  grossen  Bauch¬ 
wanddefekt  erzeugt  hatte.  Der  Patient  starb  5  Tage  nach  der  Opera¬ 
tion  an  Peritonitis,  deren  Entstehung  zum  Teil  aus  der  mangelhaften 
Asepsis  bei  der  Operation,  zum  grösseren  Teil  aber  auch  aus  dem 
reichlich  ausgetretenen  Darminhalt  und  dem  in  der  Bauchhöhle  zu¬ 
rückgebliebenen  Blut  zu  erklären  ist. 

b)  Dr.  F  1  ö  r  c  k  e  n  -  Paderborn  hat  in  meiner  Anwesenheit 
(F.L.  36),  2  Stunden  nach  der  Verletzung  (Gewehrschuss),  2  grosse 
Löcher  des  Dünndarms  und  einen  blutenden  Mesenterialschlitz  ge¬ 
näht.  Der  Patient  kollabierte  kurz  nach  vollendeter  Operation  und 
starb. 

c)  Dr.  F  r  a  u  n  e  -  Dinslaken  a/Wesel  operierte  auf  dem  Haupt¬ 
verbandplatz  in  Ployard  (an  der  Aisne)  einen  Darmschuss  und  re¬ 
sezierte  ein  15  cm  langes  Darmstück.  Der  Patient  ist  etwa  8  Tage 
später  einer  Peritonitis  erlegen.  Ueber  die  Zeit,  welche  von  der  Ver¬ 
letzung  bis  zur  Operation  vergangen  war,  ist  nichts  genaueres  fest¬ 
gestellt  worden. 

Bei  dem  4.  und  5.  Fall  von  Darmschüssen  fanden  Di.  Peter¬ 
mann  resp.  Dr.  F  r  a  u  n  e  bei  der  Operation  so  ausgedehnte  Zer- 
reissungen  der  Därme  und  der  Nachbarorgane,  dass  der  Bauch  unver¬ 
richteter  Sache  wieder  geschlossen  wurde. 

Nachdem  von  den  32  Darmschüssen  die  25  letal  geendeten 
besprochen  worden  sind,  gehe  ich  zu  den  7  Fällen  über, 
welche  geheilt  oder  in  Heilung  begriffen  sind. 

a)  Bei  4  von  diesen  Fällen  lässt  sich  ein  absoluter  Beweis 
dafür,  dass  das  Geschoss  eine  Ruptur  des  Darmes  erzeugt  hat, 
nicht  liefern. 

2  mal  handelte  es  sich  um  einen  Steckschuss,  der  in  dem  einen 
Fall  in  das  linke  Hypochondrium,  im  andern  Falle  handbreit  unter 
dem  Nabel  eindrang.  Bei  beiden  von  Dr.  Petermann  behandelten 
Fällen  stellten  sich  in  den  ersten  Tagen  peritonitische  Symptome  ein: 
Druckschmerz,  Spannung,  etwas  Meteorismus,  Aufstossen  und  Er¬ 
brechen.  Um  den  4.  resp.  5.  Tag  erfolgte  Besserung  und  Stuhl.  Nach 
später  eingezogenen  Erkundigungen  ist  auch  fernerhin  der  Verlauf 
günstig  geblieben. 

2  mal  lagen  Durchschüsse  von  Mantelgeschossen  vor,  und  zwar 
bei  Fall  108,  F.L.  35  (Dr.  Fenner)  kleiner  Einschuss  am  linken 
Rippenbogen  in  der  Brustwarzenlinie.  Ausschuss  hinten  neben  der 
Wirbelsäule.  Ueber  den  Verlauf  besagt  die  Krankengeschichte  nur. 
dass  der  Fall  in  Besserung  zum  Rücktransport  nach  Erquelinnc  (bei 
Maubeuge)  gekommen  sei. 


Fall  158.  F.L.  35.  Einschuss  rechts  im  Unterbauch.  Ausschuss 
unterhalb  des  rechten  Darmbeinkammes  Keine  peritonitischen  Sym¬ 
ptome.  In  Besserung  nach  Erquelinnc  entlassen. 

Bei  den  ersten  beiden  Fällen  liegt  eine  grössere  Wahr¬ 
scheinlichkeit  vor,  dass  der  Darm  perforiert  war,  weil  einige 
Tage  peritonitische  Symptome  nachweisbar  waren,  bei  Fall  3 
deshalb,  weil  die  Schussrichtung  für  eine  Verletzung  des 
Darmes  spricht;  bei  Fall  4  aber  bleibt  es  bei  der  angegebenen 
Schussrichtung  und  weil  gar  keine  peritonitischen  Symptome 
vorhanden  waren,  sehr  fraglich,  ob  der  Darm  durchschossen 
gewesen  ist. 

b)  Bei  den  folgenden  3  Fällen  ist  durch  die  Entstehung  von 
Darmfisteln  eine  Verletzung  der  Darmwand  durch  das  Ge¬ 
schoss  absolut  sicher  bewiesen. 

Fall  6,  F.L.  35.  Gewehrschuss.  Einschuss  rechts  vorn.  Ausschuss 
rechts  hinten.  Am  7.  Tage  bildete  sich  eine  Kotfistel  in  der  Wunde. 
Gebessert  nach  Bawai  (bei  Maubeuge),  Rot-Kreuz-Lazarett,  ent¬ 
lassen. 

Fall  3,  F.  L.  36.  Artilleriesteckschuss.  Einschuss  3  Querfinger 
unterhalb  des  Nabels.  Prolaps  von  Netz  und  einer  rupturierten  Ileum- 
schlinge.  Kotfistel  —  Tamponade  ohne  Reposition  der  vorgefallenen 
Teile.  Ein  Teil  des  Stuhles  geht  durch  den  After  ab.  Allgemein¬ 
befinden  gut.  Zurzeit  (Colligis,  26.  X.  14)  besteht  noch  die  Kotfistcl 
und  daneben  ein  mit  Granulationen  bedeckter  Netzzipfel. 

Fall  262,  F.L.  34.  Schrapnellsteckschuss.  Einschuss:  Linke 
Leistengegend,  äusserer  Teil  des  Lig.  Poupartii,  etwas  oberhalb  des¬ 
selben.  Ausserdem  ein  Lungenschuss  auf  derselben  Seite. 

In  den  ersten  6  Tagen  peritonitische  Symptome:  Auftreibung, 
Stuhlverhaltung,  Abgang  von  Schleim  per  Anum.  Fieber. 

7.  Tag:  Eröffnung  eines  grossen  blutigen  Douglasabszesses  per 
Anum  (Rotter).  Auftreibung  des  Bauches  geht  zurück.  Spontaner 
Stuhl. 

Einige  Tage  später  Eröffnung  eines  Abszesses  auf  der  linken 
Beckenschaufel,  Entleerung  stinkenden  Eiters  (Dr.  Busch).  Im 
Anschluss  daran  Kotfistel,  die  jetzt  noch  besteht. 

Nach  einigen  Tagen  (Fieber)  zeigt  sich  der  Hämothorax,  der 
nach  dem  Lungenschuss  entstanden  war,  in  Vereiterung.  Resectio 
costae,  Entleerung  eines  stinkenden  Blutergusses. 

Jetzt  Befinden  gut. 

Von  diesen  3  Fällen  verdankt  einer  sein  Leben  dem  glück¬ 
lichen  Zufall,  dass  die  rupturierte  Darmpartie  mit  etwas  Netz 
prolabierte,  sich  extraperitoneal  lagerte  und  durch  Tamponade 
eine  Infektion  der  Bauchräume  verhindert  wurde. 

In  den  beiden  anderen  Fällen  ist  die  defekte  Stelle  der 
Darmwand  durch  Adhäsionen  extraperitonealisiert  worden,  und 
der  austretende  Darminhalt  hat  durch  den  Schusskanal  den 
Weg  nach  aussen  gefunden. 

Der  Darlegung  des  Materials  will  ich  noch  einige  allge¬ 
meine  Bemerkungen  anschliessen. 

Wie  oben  schon  gesagt  wurde,  sollen  die  Bauchwand- 
verletzungen  aus  der  Statistik  der  „Bauchschüsse“  aus¬ 
geschaltet  werden.  Denn  sie  haben  als  einfache  Weichteil¬ 
schüsse  eine  ganz  andere,  weit  günstigere  Prognose  —  von 
etwa  10  Proz.  im  ganzen,  resp.  bei  Gewehrschüssen  0  Proz. 
und  bei  Artilleriegeschossen  40  Proz.  Mortalität. 

Die  Bauchschüsse  sensu  stricto  ri  umfassen  die 
intraperitonealen  Verletzungen  der  inneren  Organe  der  Bauch¬ 
höhle  8  Fälle  mit  3  Toten  und  die  Darmschüsse  32  Fälle  mit 
25  Toten,  welche  zusammen  eine  Mortalität  von  70  Proz. 
besitzen. 

Am  meisten  interessiert  uns  die  Prognose  der  Darm- 
schüsse,  von  welchen  32  Fälle  mit  25  Todesfällen  eine  Mor¬ 
talität  von  etwa  80  Proz.  zeigen,  ein  Resultat,  das  die  höchste 
in  der  Literatur  enthaltene  Todesziffer  erreicht 

Diese  Mortalität  von  80  Proz.  bleibt  aber  leider  hinter  der 
nackten  Wirklichkeit  noch  weit  zurück.  Denn  sie  ist  aus  dem 
Material  der  Feldlazarette  gewonnen.  Gehen  wir  noch  um 
eine  Zone  näher  an  die  Gefechtslinie  heran,  bis  zum  Haupt¬ 
verbandplatz,  dann  erst  lernen  wir  die  ganze  Trost¬ 
losigkeit  dieser  Verletzungen  kennen.  Im  Totenbuch  der 
Sanitätskompagnien  unseres  Korps  ist  verzeichnet,  dass 
während  des  Durchganges  der  Verwundeten  durch  die  Haupt¬ 
verbandplätze  noch  56  Verwundete  an  den  Folgen  von  Bauch¬ 
schüssen  verstorben  sind.  Diese  56  Tote  müssen  der  Statistik 
der  Feldlazarette  hinzugezählt  werden,  um  einen  richtigen  Ein¬ 
blick  in  die  Gefährlichkeit  der  Bauchschüsse  zu  gewinnen. 
Also  die  32  Fälle,  welche  in  den  Feldlazaretten  behandelt 
wurden,  und  die  56  Todesfälle  der  Hauptverbandplätze  ergeben 


8.  Dezember  19M. 


'  Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


2351 


zusammen  88  Fälle  mit  81  loten  —  was  auf  dem 
Schlachtfelde  liegen  blieb  ungerechnet. 

Aus  dieser  Zusammenstellung  erkennen  wir,  dass  die  Pro¬ 
gnose  der  Bauchschüsse  überaus  ungünstig  ist  und  dass  ihre 
Mortalität  diejenige  der  Hirnschüsse  sogar  noch  übertrifft. 

Diese  Nachforschungen  geben  uns  weiter  den  Schlüssel 
iiir  die  Frage  in  die  Hand,  wie  die  grossen  Unterschiede  in 
Jen  Mortalitätsstatistiken  der  Bauchschüsse  zu  erklären  sind, 
welche  in  der  Literatur  enthalten  sind:  je  näher  am  Schlacht¬ 
feld  die  Erhebungen  angestellt  werden,  um  so  höher,  und  je 
entfernter,  weiter,  um  so  niedriger  ist  die  Sterbeziffer. 

Auf  unseren  Hauptverbandplätzen  waren  schon  56  Fälle, 
n  den  Feldlazaretten  weitere  25  Fälle  weggestorben.  Wer 
dann  noch  weiter  zurückgeht  und'  bei  den  Etappen  die  Mor¬ 
alität  studiert,  wird  endlich  das  ausgesiebte  Material  finden, 
welches  die  schönen  Resultate  der  Literatur  darbietet. 

Aus  unserer  Statistik  lernen  wir  weiter  die  Tatsache 
<ennen,  dass  bei  den  Bauchschüssen  die  Zerstörungen  in  der 
Bauchhöhle  in  einem  sehr  hohen  Prozentsatz  so  gewaltig  sind, 
lass  eine  Rettung  durch  eine  Operation  völlig  ausgeschlossen 
st  und  dass  viele  Nebenverletzungen  an  entfernter  liegenden 
(Örperteilen  hinzutreten.  Diese  Tatsachen  besagen,  dass  das 
raurige  Schicksal  der  Bauchschüsse,  die  sich  während  eines 
(rieges  ereignen,  sich  nicht  ändern  wird,  so  lange  die  Wir¬ 
kung  der  Waffen  die  gleiche  bleibt. 

Nur  für  eine  ganz  kleine  Anzahl  der  Darmschüsse  besteht 
lie  Hoffnung  zur  Ausheilung.  In  unserer  Statistik  finden  sich 
mr  7  Fälle  (unter  86  Fällen),  welche  geheilt  sind  oder  in 
leilung  begriffen  sind  und  zwar  alle  unter  konservativer  Be- 
landlung.  Es  sind  Fälle,  bei  denen  die  Gewehrkugel  — 
'chrapnellverletzungen  fehlen  unter  den  geheilten  Fällen  — 
ur  kleine  Perforationen  in  den  wohl  leeren  Darm  geschlagen  I 
at,  die  durch  Verklebungen  rasch  verschlossen  wurden  oder 
lirch  einen  glücklichen  Zufall  der  Genesung  zugeführt  wurden, 
o  ist  in  einem  Falle  die  perforierte  Stelle  des  Darmes  durch 
cn  Schusskanal  der  Bauchwand  prolabiert,  ist  extraperitoneal 
egen  geblieben  und  hat  zur  Bildung  einer  Kotfistel  geführt, 
nd  in  zwei  Fällen  hat  sich  um  die  geschädigte  Darmstelle  ein 
ltraperitonealer  Abszess  gebildet,  dessen  Eiter  mit  dem 
Jarminhalt  durch  den  Schusskanal  den  Weg  nach  aussen  ge- 
inden  hat. 

Neben  der  konservativen  Methode  der  Behandlung  wurde 
on  uns  bei  einer  nur  sehr  bescheidenen  Zahl  von  Fällen  die 
perative  versucht.  Unter  den  5  operierten  Fällen  fanden 
ich  2,  welche  bei  der  Laparotomie  so  weit  gehende  Zer- 
törungen  in  der  Bauchhöhle  zeigten,  dass  Menschenhilfe  un- 
löglich  war  und  der  Bauch  unverrichteter  Sache  wieder  ge¬ 
flossen  werden  musste.  Aber  3  Fälle  kamen  zu  rechter  Zeit 
i— 5  Stunden  nach  der  Verletzung)  und  mit  so  geringen 
äsionen  der  Organe  an,  dass  nach  unseren  Friedens- 
rfahrungen  der  chirurgische  Eingriff  durchaus  berechtigt  war. 
ie  sind  leider  alle  gestorben l).  Wir  waren  im  Beginn  des 
rieges  für  Laparotomien  nicht  hinreichend  eingerichtet,  wir 
aben  das  Nötige  nachgeholt  und  ich  glaube,  dass  wir  jetzt 
mähernd  unter  den  gleichen  Verhältnissen  wie  im  Frieden 
beiten  können  und  wollen  deshalb  die  im  Frieden  geltenden 
Gikationen  für  die  operative  Behandlung  der  Bauchschüsse 
dten  lassen  —  und  wollen  operieren: 

1.  wenn  der  Verwundete  in  den  ersten  12  Stunden  nach 
-r  Verletzung  zu  uns  gelangt; 

2.  wenn  voraussichtlich  in  der  Bauchhöhle  nicht  zu 
■hwere  Zerstörungen  stattgefunden  haben  und  gröbere  Neben- 
-rletzungen  am  übrigen  Körper  fehlen  und 

3.  wenn  der  aseptische  und  technische  Apparat  in  hin- 
lchender  Ausrüstung  zur  Verfügung  steht. 

Dann,  so  hoffen  wir,  wird  es  uns  doch  gelingen,  hie  und 
i  ein  sonst  verlorenes  Leben  zu  retten. 


*)  Inzwischen  sind  noch  3  Fälle  von  F  1  ö  r  c  k  e  ti  und  Fraune 
•eriert  worden,  von  denen  einer  eine  glatte  Heilung  durchgemaclit 
t!  Operation  8  Stunden  nach  der  Verletzung,  Naht  von  7  Darm- 
rforationen,  von  denen  eine  fast  ganz  zirkulär  war  (Hauptverband- 
atz  Chamonille  —  Dr.  Fraun  e).  Beim  benachbarten  III.  Korps 
ilt  mir  Prof.  Rumpel  mit,  dass  dort  schon  3  Fälle  von  Darm- 
hüssen  mit  Erfolg  operiert  wurden. 


Zur  Frage  der  Asepsis  im  Felde*). 

Von  Professor  Dr.  Walther  Hannes  aus  Breslau,  zurzeit 
Oberarzt  im  Feldlazarett  9,  VI.  A.-K. 

Mit  meinen  Ausführungen,  die  ich  ganz  kurz  halten  will, 
möchte  ich  nur  für  heute  eine  Grundlage  schaffen  zur  Aus¬ 
sprache  darüber,  ob  die  zurzeit  auch  für  das  Feld  geforderte 
Asepsis  eine  unseren  Anforderungen  entsprechende  ist,  und 
inwieweit  wir  diese  Anforderungen  mit  den  uns  zur  Ver¬ 
fügung  stehenden  Hilfsmitteln  auch  leisten  können.  Als 
Gynäkologe  stand  ich  ja  bis  zu  meinen  in  diesen  zwei  Kriegs¬ 
monaten  gesammelten,  nicht  übermässig  zahlreichen  Einzel¬ 
erfahrungen  der  speziellen  Kriegschirurgie  vollkommen  fern, 
während  gerade  die  Fragen  der  modernen  Aseptik  und  Anti- 
septik  uns  Gynäkologen  überhaupt  und  mich  ganz  besonders 
interessieren  und  beschäftigen,  so  dass  ich  ganz  naturgemäss 
bei  meiner  bisherigen  kriegschirurgischen  Tätigkeit  diesen 
Fragen  meine  besondere  Aufmerksamkeit  zu  wandte. 

Die  Technik  der  Asepsis  ist  zweifellos  das  A  und  O 
unserer  ganzen  modernen  Kriegschirurgie,  nachdem  wir  auf 
dem  Standpunkt  stehen,  dass  eine  beim  Eindringen  eines 
Gewehrgeschosses  wenigstens  entstandene  Wunde,  die  sonst 
keine  Komplikationen  aufweist,  reaktionslos  heilt,  wenn  sic 
primär  und  sekundär  aseptisch  gehalten  werden  kann.  Auf 
die  primäre  Asepsis,  d.  h.  auf  die  Asepsis  bis  zum  Anlegen 
des  ersten  kunstgerechten  Verbandes,  haben  wir  nur  insofern 
Einfluss,  dass  wir  seine  Anbringung  möglichst  frühzeitig  be¬ 
werkstelligen.  Dass  vom  Moment  des  Verbandes  an  eine  bis 
dahin  aseptisch  gewesene  Wunde  es  auch  weiterhin  bleibt, 
dass  auch  die  sekundäre  Asepsis  gewahrt  bleibt,  liegt  fast 
ganz  in  unserer  Hand. 

Zur  Wahrung  der  primären  Asepsis,  zum  möglichst  früh¬ 
zeitigen  Anlegen  eines  sterilen  trockenen  Verbandes  ist  die 
Beherrschung  der  Verwendetechnik  des  Verbandpäckchens 
auch  seitens  der  Truppe  ein  unbedingtes  Erfordernis.  Ich  habe 
den  Eindruck  gehabt,  dass  das  Verbinden  mit  dem  Verband¬ 
päckchen  seitens  des  Verletzten  selbst  oder  seitens  seiner 
Kameraden  —  ich  habe  vielfach  die  Leute  daraufhin  exami¬ 
niert  —  sehr  gut  funktioniert  hat.  Auch  die  Beschreibung,  wie 
es  gemacht  wurde,  erweckte  in  mir  die  Ueberzeugung,  dass 
ganz  oder  leidlich  aseptisch  damit  verfahren  wurde. 

In  sehr  vielen  Fällen  ist  aber  die  Anwendung  des  ein¬ 
fachen  Verbandpäckchens  nicht  angezeigt.  Wir  sind  auch 
schon  auf  dem  Truppenverbandplatz  oder  auf  dem  Haupt¬ 
verbandplatz  oder  ganz  besonders  bei  den  mit  einem  mehr 
weniger  idealen  Notverband  ins  Feldlazarett  eingelieferten 
Verwundeten  genötigt,  einen  anderen,  einen  umfänglicheren 
Verband  zu  machen,  vielleicht  auch  eine  genauere  Unter¬ 
suchung  auf  Mitverletzungen  vorzunehmen,  eine  bekämpfungs¬ 
bedürftige  Blutung  zu  stillen,  ein  zertrümmertes  Gewebsstiick 
zu  entfernen  u.  dgl.  m.;  kurz  wir  müssen,  auch  ohne  dass  ein 
eigentlicher  operativer  Eingriff  nötig  ist,  an  der  Wunde  mani¬ 
pulieren;  so  wird  damit  bereits  die  sekundäre  Asepsis  der 
Wunde  sehr  in  Frage  gezogen.  Gewiss  wird  auch  hierbei  nie¬ 
mand  die  Wunde  direkt  mit  den  Händen  anfassen,  sondern 
nur  mit  sterilisierten  bzw.  mit  desinfizierten  Instrumenten; 
aber  die  neben  der  Wunde  liegende  Haut  wird  von  der  Hand 
des  Arztes  berührt,  um  event.  eine  abnorme  Beweglichkeit  des 
betreffenden  Gliedes  festzustellen,  die  Instrumente  werden  mit 
unserer  Hand  angefasst  und  nachher  nicht  genügend  in  der  Eile 
und  im  Drange  der  vielen  Arbeit  desinfiziert  und  sterilisiert 
kurz  die  Hand  auch  des  nur  konservative  Kriegschirurgie 
in  Gestalt  von  Verbinden  der  Wunden  treibenden  Arztes  muss, 
wenn  sie  nicht  allmählich  zu  einer  bedeutenden  Gefahr  der 
bis  dahin  noch  leidlich  aseptischen  Wunde  werden  soll,  ge¬ 
fahrlos,  d.  h.  selbst  aseptisch  sein  und  es  dauernd  bleiben. 
Schon  die  durch  weitgehendste  Noninfektion  gepflegte  Hand 
des  Friedenschirurgen  ist  ja  durch  keine  der  vielen  bekannten 
Desinfektionsverfahren  keimfrei  zu  machen;  es  mag  praktisch 
richtig  sein,  dass  die  durch  Abstinenz  und  Pflege  genugsam 
vor  pathogenen  Mikroben  geschützte  Hand  des  Friedens¬ 
chirurgen  durch  die  keimarmmachenden  Verfahren  der  Dcs- 


)  Nach  einem  an  dem  I.  Kriegssanitätswissenschaftlichen  Vor¬ 
tragsabend  des  VI.  Armeekorps  in  Pont-Faverger  am  20.  X.  14  ge¬ 
haltenen  Vortrage. 


2352 


Nr.  49. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


infektion  und  namentlich  durch  die  Härtung  der  obersten  Haut-  ] 
Schicht  beim  Alkoholverfahren  genugsam  für  kleinere  Eingriffe, 
wie  es  oft  das  Verbinden  frischer  Wunden  darstellt,  vor¬ 
bereitet  sei  —  ich  persönlich  stehe  übrigens  nicht  auf  diesem 
Standpunkte  — ,  und  dass  man  sagen  kann,  mit  keimfrei  ge¬ 
machten  Instrumenten  und  desinfizierter  Hand  sei  man  im¬ 
stande,  auch  grosse  Wunden  völlig  keimfrei  zu  verbinden. 
Nicht  so  im  Kriege;  die  ganz  natürlich  mangelnde  Handpflege, 
die  beim  Truppenarzt  und  mehr  weniger  auch  bei  den  Aerzten 
aller  anderen  vorgeschobenen  Sanitätsformationen  bis  zum  un¬ 
mittelbaren  Beginn  der  ärztlichen  Tätigkeit  unvermeidliche  Be¬ 
rührung  mit  Pferd  und  anderen  Dingen  machen  m.  E.  jedwede 
sogen.  Desinfektion  der  Hand  völlig  illusorisch.  M.  E.  ist 
für  jede  kriegschirurgische  ärztliche  Leistung  vom  Verbinden 
der  einfachen  Wunde  an  der  sterile  Gummihandschuh  un¬ 
bedingtes  Erfordernis.  Dem  ist  ausgiebig  Rechnung  getragen, 
indem  im  Feldlazarett  und  bei  der  Sanitätskompagnie  je 
30  Paar  sterile  Gummihandschuhe  zur  Verfügung  stehen;  auch 
der  Truppenarzt  verfügt  über  10  Paar.  Ein  mit  Talkum  ein¬ 
gepuderter  steriler  Gummihandschuh  —  so  werden  die  Hand¬ 
schuhe  vom  Sanitätsdepot  geliefert  — .  trocken  auf  die  event. 
völlig  undesinfizierte  Hand  gezogen,  kann,  wenn  auch  beim 
Anziehen  kleine  Verstösse  gegen  die  Asepsis  Vorkommen,  wie 
auch  sonst  stets  während  des  Verbindens,  durch  Waschen  und 
kurzes  Abbürsten  in  Sublimatlösung  schnell  und  absolut 
wieder  keimfrei  gemacht  werden.  Es  stehen  dem  Etappen¬ 
sanitätsdepot  300  Paar  Gumminhandschuhe  zum  Ersatz  zur 
Verfügung,  doch  sind  die  Bestände  während  des  Feldzuges 
noch  erhöht  worden.  Werden  nicht  zu  dünne  Gummihand¬ 
schuhe  verwandt  —  die  etwas  dickeren  sind  überhaupt  nach 
jeder  Richtung  hin  den  ganz  feingummigen  Handschuhen  vor¬ 
zuziehen  — ,  so  können  diese  leicht  mit  Gummiflecken  und 
Gummilösung  völlig  bakteriendicht  geflickt  werden,  wodurch 
selbst  bei  allseitigem  Gebrauch  der  Verbrauch  ap  Handschuhen 
kein  abnorm  grosser  wird. 

Ueber  die  Sterilisierung  der  Instrumente,  des  Naht¬ 
materiales  und  der  Verbandstoffe  brauche  ich  kein  Wort  zu 
verlieren;  man  kann  hier  völlig,  namentlich  im  Feldlazarett, 
die  absoluteste  Asepsis  wahren;  darauf  hingewiesen  sei  nur, 
dass  es  mit  Hilfe  der  ungemein  praktischen  Feldsterilisier¬ 
geräte,  die  ja  bei  Sanitätskompagnie  und  Feldlazarett  in  je 
zwei  Exemplaren  vorhanden  sind,  sehr  gut  möglich  ist,  die 
Gummihandschuhe  in  strömendem  Dampf  zu  sterilisieren,  da 
sie  ja  beim  Kochen  zu  schnell  weiten. 

Der  Verbandwechsel  einer  einmal  aseptisch  verbundenen 
Wunde  ist  oft  in  den  ersten  Tagen  unnötig,  ja  schädlich.  Um 
die  Verwundeten  auch  vor  diesen  Schädigungen  möglichst  zu 
bewahren,  sollen  die  den  ersten  Verband  machenden  Aerzte 
auch  bei  ungünstigen  und  ungünstigsten  äusseren  Verhältnissen 
bemüht  sein,  die  so  ungemein  praktischen  Wundtäfelchen  aus¬ 
zufüllen  und  anzubringen.  Ich  scheue  mich  nicht,  zu  sagen, 
dass  diese  kleinen  Kärtchen  eine  recht  bedeutsame  Rolle  auf 
diese  Weise  in  der  Technik  unserer  kriegschirurgischen 
Aseptik  haben.  Vielleicht  wäre  es  praktisch,  um  eine  einheit¬ 
lich  und  zweckmässige  Ausfüllung  anzustreben  und  die  Aus¬ 
füllung  zu  erleichtern,  auf  dem  Deckel  jedes  Wundtäfelchen- 
Blockes  ein  probeausgefülltes  Täfelchen  anzubringen.  Mancher 
unnötige,  ja  schädliche  Verbandwechsel  wird  durch  die  richtige 
Ausfüllung  dieser  kleinen  Täfelchen  vermieden. 

In  der  objektiven  Asepsis  der  Wunde  und  der  ihr  an¬ 
grenzenden  Hautpartien  spielt  in  den  letzten  Jahren  ja  die 
Jodtinkturdesinfektion  und  die  Bakterienarretierung  eine  grosse 
Rolle  und  steht  ihre  Zweckmässigkeit  im  Mittelpunkte  der 
Diskussion.  Ob  die  Jodtinktur  wirklich  eine  weitgehende  Ab¬ 
tötung  der  Hautmikroben  verursacht,  oder  ob  hier  nur  eine 
Gerbung  der  Haut  und  damit  eine  Arretierung  der  Bakterien 
der  Erfolg  ist,  lasse  ich  dahingestellt.  Gerade  wir  Gynäko¬ 
logen  mit  unseren  mannigfachen,  nicht  ex  causa  vitali  indi¬ 
zierten  Laparotomien  haben  frühzeitig  auf  eine  möglichst  voll¬ 
kommene  Ausschaltung  der  Bauchhautmikroben  hingestrebt. 
Ich  erinnere  nur  an  das  K  ii  s  t.  n  e  r  sehe  Gummituch  und  an 
das  D  ö  d  e  r  1  e  i  n  sehe  Gaudanin;  mit  beiden  Methoden  ist  bei 
nicht  zu  lange  dauernder  Operation  eine  Ausschaltung  und 
Fernhaltung  der  Hautmikroben  möglich.  Eigene  Beob¬ 
achtungen  haben  mich  aber  gelehrt,  dass  beim  Gaudanin  in 


den  Tagen  p.  op.,  beeinflusst  durch  Schweiss-  und  andere 
Sekretion,  eine  Abhebung  der  dünnen  Gummihaut  häufig  ein- 
tritt,  und  dass  dann  doch  wie  in  einer  feuchten  Kammer  ge¬ 
radezu  eine  Mikrobenanreicherung  statthaben  kann,  die  auch 
gelegentlich  zu  Störungen  der  Wundheilung  führt.  Solche  sind 
denn  auch  erst  ausgeblieben,  als  wir  systematisch  gleich  nach 
der  Operation  das  Gaudanin  mit  Benzin  oder  Aether  wieder 
entfernten.  Aus  ähnlichen  Gründen  möchte  ich  gewisse  theo¬ 
retische  Bedenken  gegen  das  jetzt  so  viel  empfohlene  Mastisol 
haben,  dem  ja  allerdings  v.  O  e  1 1  i  n  g  e  n  nachrühmt,  dass  es 
im  Gegensatz  zum  Gaudanin  sich  nicht  abhebe  und  abblättere; 
doch  kann  ich  mir  nicht  recht  vorstellen,  dass  nicht  doch 
einer  Verlegung  der  Talgdrüsen  durch  Mastisol  und  damit  so' 
einer  gelegentlichen  Pustelbildung  und  folgenden  Infektion 
Vorschub  geleistet  werden  kann.  Wenigstens  sah  solches! 
H  e  y  m  a  n  n,  wie  er  kürzlich  berichtete. 

Nehmen  wir  dagegen  an,  dass  auch  die  Jodtinktur  selbst 
nur  durch  eine  zeitweise  Gerbung  und  Bakterienarretierung 
wirke,  so  wäre  diese  —  ich  selbst  bin  übrigens  von  ihrer; 
hohen,  auch  in  die  Tiefe  gehenden  Desinfektionskraft  schon: 
seit  v.  Mikulicz  überzeugt  —  zu  bevorzugen,  weil  es  bei 
glatten  Gewehrschusswunden  namentlich  wohl  nur  auf  einen 
Schutz  der  Wunde  gegenüber  den  Mikroben  der  Umgebung! 
während  einer  gewissen  Zeit  ankommt;  dies  leistet  die  Jod¬ 
tinktur,  welche  —  von  wenigen  Idiosynkrasien  abgesehen 
den  physiologischen  Stoffwechsel  der  Haut  nur  für  eine  vor¬ 
übergehende  Zeit  brachlegt. 


Aus  dem  Reservelazarett  B  Marsfeldschule  München. 

Ueber  Nervenverletzungen*). 

Von  Dr.  med.  Georg  Hohmann  in  München. 

Wir  sahen  bisher  relativ  häufig  periphere 
L  ä  h  m  ungen  bei  den  Schussfrakturen,  vor  allem  viele 
Radialislähmungen  bei  den  Humerusfrakturen,  die  j^ 
dem  Chirurgen  schon  länger  bekannt  sind.  Mehrere  Pa¬ 
resen  der  Nerven,  wie  z.  B.  des  Ischiadikus  bei  querem 
Durchschuss  durch  den  Oberschenkel  oder  des  Radialis  durch 
den  oberen  Teil  des  Oberarmes  gingen  spontan  in  einigen 
Wochen  zurück.  Der  Nerv  war  offenbar  nur  gequetscht 
worden.  Die  zweithäufigste  Nervenverletzung 
sahen  wir  am  Peroneus  und  T  i  b  i  a  1  i  s  in  der  Gegend 
der  Kniekehle. 

Unser  Standpunkt  ist  im  allgemeinen  bis  jetzt  ein  ab- 
wartender,  konservativer  gewesen.  Die  Beobachtungen 
bei  operativem  Vorgehen  in  folgenden  6  Fällen  aber  sind 
vielleicht  geeignet,  das  Abwarten  nicht  zu  sehi 
zu  verlängern: 

F  a  1 1  I.  Bei  einer  Peroneuslähmung  mit  trophischen  Ge¬ 
schwüren  am  Aussenrande  des  Fusses  und  an  der  Sohle  und  tronhi- 
schem  Oedem  des  unteren  Teiles  des  Unterschenkels  legten  wir  (gc-l 
meinsam  mit  Dr.  A.  M  u  e  i  1  e  r)  den  Nerven  frei  und  fanden  das 
periphere  Ende  des  auf  eine  Strecke  von  etwa  6  cm  vollständig 
durchtrennten  Peroneus  superficialis  gelbgrün  verfärbt 
stark  aufgequollen,  aufgefasert  und  ganz  morsch,  so  dass  an  eine  Naht 
nicht  zu  denken  war.  Auch  das  zentrale  Ende  war  etwas  verfärbt 
und  mit  der  Knochennarbe  des  Fibulaeinschusses  fest  verwachsen 
Es  wurde  herausgelöst  und  in  einen  Schlitz  des  Musculus  neroneus 
implantiert,  um  vielleicht  eine  Neurotisation  nach  dem  Beispiele 
Heinekes  und  Erlachers  zu  erreichen.  Der  Peroneus  profun- 
dus  wurde  ebenfalls  aus  dem  Narbengewebe  herausoränariert:  elek¬ 
trische  Reizung  des  zentral  der  Narbe  gelegenen  Abschnittes  währent 
der  Operation  war  negativ. 

Fall  II.  Bei  einer  weiteren  Peroneus-tibialis-Läh 
in  u  n  g  infolge  Durchschuss  in  der  Gegend  der  Femurkondvlen  war 
Wochen  nach  der  Verletzung  noch  keine  Wiederkehr  der  moto¬ 
rischen  und  sensiblen  Funktion  eingetreten.  Bei  der  Operation  zeigti 
sich  der  Ischiadikus  in  der  Gegend  der  Teilung  in  Tib'Mis  uncfJ 
Peroneus  in  eine  derbe  Narbenmasse  eingebettet.  Ein  den 
Bizeps  angehörender  losgerissener  Muskelzipfel  war  mit  dem  Pero¬ 
neus  narbig  verwachsen  Beide  Nerven  wurden  aus  der  ausser 
ordentlich  festen  Narbcnmassc,  die  an  der  unteren  Seite  mit  dei 
Scheide  der  grossen  Gefässc  fest  verwachsen  war,  herauspräpariert 
Es  zeigte  sich,  dass  der  Peroneus  in  seiner  Kontinuitä 
vollständig  erhalten,  also  nur  durch  die  Narbenmasse  kom 
primiert,  abgeschnürt  war,  dass  dagegen  der  Tibialis  sich  bi' 


I 


)  Nach  einem  Vortrag  im  Aerztlichen  Verein  am  28.  X.  14 


5. 


Dezember  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


jui  etwa  ein  Drittel  seines  Volumens  quer  durchrissen 
zeigte.  Mit  dem  elektrischen  Strom  liess  sich  sowohl  Tibialis  wie 
Peroneus  erregen.  Der  Tibialis  wurde  mit  feinster  Seide  vernäht, 
und  ein  Fettlappen  unter  ihm  befestigt.  Nach  14  Tagen  begann 
ier  Tibialis  sich  deutlich  zu  erholen,  Plantarflexion,  T  i  - 
Halis  posticus  und  Zehenbeuger  arbeiten  jetzt  kräftig 
und  machen  gute  Fortschritte;  in  dem  vom  Peroneus  versorgten 
Muskeln  ist  bis  heute  noch  keine  aktive  Wirkung  zu  sehen, 
dagegen  lässt  sich  jetzt  der  Tibialis  anticus  galvanisch 
erregen,  die  Musculi  peronei  aber  noch  nicht,  ln  diesem  Fall  hoffen 
wir  auf  ein  gutes  Resultat. 

Fall  111.  Ein  Schrapnellschuss  in  der  Mitte  des  Oberschenkels 
hatte  eine  Lähmung  des  Nervus  tibialis  mit  partieller  Ent- 
irtungsreaktion  in  den  üastrocnemii  und  heftigen  neuralgischen 
Schmerzen  an  der  Aussenseite  des  Fusses,  dem  Ver¬ 
sorgungsgebiet  des  sensiblen  Astes  des  Tibialis 
ninterlassen.  Da  die  Schmerzen  und  die  Lähmung  nach  8  Wochen 
noch  nicht  zurückgingen,  und  der  Patient  wegen  der  Beschwerden 
nicht  gehen  und  auch  nicht  schlafen  konnte,  entschlossen 
wir  uns  zur  Operation,  und  fanden  den  Tibialis  in  der  Mitte 
des  Oberschenkels  in  derbes  Narbengewebe  ein¬ 
gebettet.  Der  grösste  Teil  des  Nerven  war  in  der  Kon¬ 
tinuität  erhalten,  der  elektrische  Strom  brachte  aber  keine 
Zuckung  in  den  betreffenden  Muskeln  hervor.  An  der  medialen 
Seite  fand  sich  ein  kleiner  Teil  des  Nerven  in  der  Kontinui¬ 
tät  getrennt,  mit  dem  zentralen  Ende  fest  mit  der  Narbe  und 
nit  der  Muskelfaszie  verwachsen.  Auch  das  periphere  Ende  war  in 
Narbengewebe  eingebettet.  Es  war  mit  dem  elektrischen  Strom 
nicht  erregbar.  Nach  Anfrischung  der  beiden  Enden  und  Mobili¬ 
sierung  derselben  gelang  es  bei  Beugung  des  Kniegelenkes  ohne  be¬ 
sondere  Spannung  die  Naht  auszuführen  Heute  nach  8  Tagen 
können  wir  feststellen,  dass  die  bisherigen  neuralgischen 
Schmerzen  an  der  lateralen  Seite  des  Fusses  ver¬ 
schwunden  sind,  der  Patient  klagt  nur  über  zeitweises  Auftreten 
von  durch  das  ganze  Bein  durchgehenden  zuckenden  Schmerzen, 
die  vielleicht  mit  der  beginnenden  Regeneration  Zusammen¬ 
hängen. 

Fall  IV.  Durchschuss  durch  den  Plexus  bra¬ 
ch  i  a  1  i  s  unterhalb  der  Klavikula.  Ausschuss  hinten  im 
Schulterblatt,  totale  Lähmung  des  ganzen  rechten  Armes.  Anfangs  nicht 
die  geringste  Beweglichkeit  möglich,  im  Laufe  von  etwa  8  Wochen 
stellte  sich  eine  gewisse  aktive  Beweglichkeit  im  Gebiete  des  Nervus 
nedianus  ein,  und  zwar  eine  aktive  Beugung  der  Finger  und  Oppo¬ 
sition  des  Daumens,  sowie  eine  Beugung  im  Handgelenk  durch  den 
flexor  carpi  radialis.  Sonst  im  ganzen  Arm  keine  Beweglichkeit, 
^ähmung  des  Bizeps,  Trizeps,  Deltoideus.  Hebung  der  Schulter  bis 
zur  Horizontalen  wird  mit  Hilfe  des  Serratus  ausgeführt.  Die  Schul- 
erblattmuskeln,  sowie  Pektoralis  und  Latissimus  dorsi  sind  erhalten. 
Sensibilität  ist  überall  bis  auf  eine  engbegrenzte  Zone  im  Bereich  des 
Handrückens  erhalten.  Träge  Zuckungen  im  Bizeps  und  Deltoideus, 
etwas  weniger  träge  im  Trizeps.  Es  handelt  sich  also  um  eine  totale 
^ähmung  des  Radialis,  Ulnaris,  Musculocutaneus  und  Axillaris  und  um 
eine  partielle  Lähmung  des  Medianus.  Der  Sitz  der  Lähmung  ist  im 
Bereich  der  Wurzeln  des  Plexus  in  der  Mohren  heim- 
schen  Grube  zu  suchen.  Da  sich  seit  Wochen  trotz  elektrischer 
und  Massagebehandlung  im  Zustande  des  Armes  nichts  mehr  änderte, 
schritten  wir  zur  Operation.  Ich  legte  den  Plexus  in  der  Mohren- 
b  e  im  sehen  Grube  mit  einem  grossen  Schnitt  frei  und  fand  alle 
3  Wurzeln  des  Plexus  brachialis  entsprechend  der  Stelle  der  Ein¬ 
schussöffnung  in  Narbengewebe  fest  eingebettet.  Die  Nervenstämme 
waren  nicht  nur  unter  sich  mit  Narbengewebe  fest  verbunden,  son¬ 
dern  ebenso  auch  mit  der  Scheide  der  Arteria  subclavia,  von  der  ich 
eden  einzelnen  mit  ziemlicher  Mühe  abpräparieren  musste.  An  der 
Stelle  der  Narbe  zeigten  die  3  Nerven  keine  volle  Trennung  der  Kon¬ 
tinuität,  sondern  der  eine  wies  einen  Durchschuss  auf,  der  andere 
zeigte  eine  geringe  Verletzung  am  Rande,  so  dass  eine  Nervennaht 
licht  in  Frage  kam,  sondern  die  Operation  lediglich  in  der  Entfernung 
des  die  Nerven  strangulierenden  festen  Narbengewebes  und  ihrer 
Isolierung  von  der  Arterie  bestand.  Jetzt  nach  2  Wochen  ist  schon 
eine  wesentlich  kräftigere  Funktion  der  vom  Medianus  versorgten 
Hand-  und  Fingermuskeln  festzustellen. 

Fall  V.  Isolierte  Radial islähmung  nach  Schussfraktur 
des  Humerus  in  der  Mitte.  Einschuss  vorn  im  Winkel  zwischen  Pek- 
oralis  und  Humerus,  Ausschuss  in  der  Mitte  des  Humerus  an  der 
iusseren  hinteren  Seite  entsprechend  der  Umschlagstelle  des  Radialis. 
Dicker  Kallus  fühlbar.  Fraktur  konsolidiert.  Das  ganze  Radialgebiet 
nit  Ausnahme  des  Trizeps  völlig  gelähmt.  Träge  Zuckung  der  peri- 
iher  der  Ausschussstelle  gelegenen  vom  Radialis  versorgten  Muskeln 
nit  Ausnahme  des  Extensor  digit.  communis,  der  etwas  prompter 
zuckt.  Diagnose:  Radialisverletzung  in  der  Höhe  des  Ausschusses. 
Da  8  Wochen  nach  der  Verletzung  kein  Rückgang  der  Lähmung, 
Dperation,  Freilegen  des  Nerven  zwischen  dem  Caput  laterale  und 
nediale  des  Trizeps.  Der  Nerv  ist  an  der  Umschlagstelle  von  derber 
^allöser  Narbe  eingeschlossen,  am  Knochen  mit  seiner  Scheide  ad- 
lärent.  Nach  der  Entfernung  des  ihn  bedeckenden  Narbengewebes 
sieht  man,  dass  er  in  einer  etwa  bleistiftdicken  Halbrinne  des  Humerus 
legt,  im  Gebiete  des  Kallus.  Spitze  Knochensplitter  am  Rande  der 
Rinne  werden  entfernt,  der  Nerv  selbst  ist  unverletzt.  Zur  Vermei- 
lung  einer  neuen  Verwachsung  wird  ein  Muskellappen  aus  dem  Caput 


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mediale  des  Trizeps  unter  ihm  durchgezogen  und  mit  dem  Caput 
laterale  vernäht,  so  dass  zwischen  Knochen  und  Nerv  sich  eine  Mus¬ 
kelschicht  befindet. 

Fall  VI.  Isolierte  Peroneuslähmung  im  unteren 
Drittel  des  Oberschenkels.  Die  Muskeln  geben  träge, Zuckung;  nach' 
9  Wochen  keine  Aenderung  des  Zustandes.  Die  Freilegung  des  Ner¬ 
ven  In  der  Höhe  von  Ein-  und  Ausschuss  ergibt  keinerlei  Verletzung 
desselben  in  dieser  Strecke,  dagegen  zeigt  sich,  dass  der  Peroneus 
etwa  3 Vi  Querfinger  breit  peripher  vom  Schusskanal  verändert  ist. 
Er  zeigt  hier  eine  knollige  Verdickung,  ist  seitlich  mit  queren  Narben¬ 
zügen  fixiert  und  narbig  mit  dem  Tibialis  verwachsen.  Eine  über 
bohnengrosse  derbe  Verdickung  sitzt  ihm  an  der  dorsalen  Seite  auf; 
nach  deren  Exzision  zeigt  sich  der  ganze  Nerv  in  einer  Ausdehnung 
von  etwa  3  cm  von  narbigen  Massen  durchsetzt.  Unverletzte  Ner¬ 
venfasern  kommen  nicht  zu  Gesicht.  Deshalb  Resektion  dieses  gan¬ 
zen  Stückes  aus  der  Kontinuität  des  Nerven.  Mobilisierung  des  zen¬ 
tralen  und  peripheren  Endes  und  Vereinigung  mit  feinster  Seide  bei 
fast  rechtwinkliger  Beugung  des  Kniegelenkes.  Naht  des  Fett¬ 
gewebes  über  dem  Nerven.  Elektrische  Reizung  während  der  Opera¬ 
tion  war  zentral  und  peripher  von  der  Narbe  negativ.  Mikro¬ 
skopische  Untersuchung  der  exzidierten  Stücke  (Prof.  Obern¬ 
dorfer):  Das  grössere  dem  Nerven  aufsitzende  Stück  ist  ein  Nar¬ 
benneurom,  in  dem  äusserst  derben  Narbengewebe  finden  sich  zahl¬ 
reiche,  teils  noch  in  Bündeln  vereinigte,  teils  durch  das  Bindegewebe 
dissoziierte  Nervenfasern,  die  aber  in  verschiedener  Rich¬ 
tung  verlaufen.  Das  aus  der  Kontinuität  des  Nerven  exzidierte  3  cm 
lange  Stück  zeigt  ein  ähnliches  Bild,  höchstgradig  durch  narbiges 
Schrumpfgewebe  durchsetztes  und  auseinandergesprengtes  Nerven¬ 
gewebe,  das  sich  aber  nur  in  der  einen  Hälfte  des  Stranges  findet, 
während  die  andere  nur  Narbengewebe  darstellt.  Das  Narben¬ 
neurom  sass  dem  zentralen  Ende  des  getrennten  Nerven  auf 

Unsere  6  Operationen  zeigen  ebenso  wie  die  Befunde  von 
4  weiteren  inzwischen  vorgenommenen  Operationen,  dass 
ein  zu  langes  Hinausschieben  der  Operation  nicht  immer  be¬ 
rechtigt  ist,  denn  grosse  Substanzverluste  des  Nerven  werden 
wohl  kaum  überbrückt  werden,  und  das  kallöse  Narbengewebe 
dürfte,  wie  der  mikroskopische  Befund  des  Falles  6  sowie 
einiger  weiterer  Fälle  zeigt,  eine  Wiederkehr  der  Funktion 
vollständig  ausschliessen,  so  dass  es  wohl  berechtigt  erscheint, 
wenn  man  6 — 8  Wochen  nach  der  Verletzung,  wenn  der  frak- 
turierte  Knochen  konsolidiert,  wenn  die  äussere  Wunde  geheilt 
und  damit  keine  Infektionsgefahr  besteht,  den  Nerven  freilegt 
und  entweder  die  Naht  oder  die  Entfernung  der  Narbe  oder  des 
Knochenkallus  vornimmt.  Die  mikroskopischen  Befunde  der 
aus  der  Kontinuität  des  Nerven  exzidierten  narbig  veränderten 
Stücke  sprechen  weiter  dafür,  die  Operation  nicht  auf  die 
Lösung  der  einschliessenden  Narbe  zu  beschränken,  sondern 
das  knollig  verdickte,  narbig  degenerierte  Stück  aus  der 
Kontinuität  zu  resezieren  und  die  gesunden  Enden  zu  nähen, 
da  voraussichtlich  durch  die  Narbe  für  alle  Zeit  eine  Nerven¬ 
leitung  verhindert  wird.  Weitere  Beobachtungen  über  diese 
Frage  sind  jedenfalls  von  entscheidender  Bedeutung  für  das 
ganze  nervenchirurgische  Vorgehen. 


Schussverletzungen  der  Kiefer  und  ihre  Behandlung*). 

Von  Jul.  Steinkamm,  Zahnarzt  des  Reservelazaretts 

Essen-Ruhr. 

Es  liegt  in  der  Natur  der  modernen  Kriegsführung,  dass 
die  Verletzungen  des  Kopfes,  als  dem  meist  ungedeckten  Teil 
des  Körpers,  sehr  zahlreich  sind.  Die  letzten  Feldzüge,  russisch- 
japanischer,  südafrikanischer  und  Balkankrieg,  haben  dies  be¬ 
reits  deutlich  ergeben.  Weit  häufiger  als  es  auf  den  ersten 
Blick  scheinen  mag,  sind  bei  den  Kopfverletzungen  die  Kiefer 
beteiligt.  Auf  diese- Beobachtung  ist  auch  die  Neuschaffung 
von  Feldzahnärzten  zurückzuführen,  die  in  diesem  Kriege  zum 
ersten  Male  im  Sanitätswesen  des  deutschen  Heeres  eingereiht 
sind,  ln  den  wenigen  Wochen,  seitdem  die  ersten  Ver¬ 
wundeten  hier  eintrafen,  behandelte  ich  im  hiesigen  Reserve¬ 
lazarett  bereits  über  45  Fälle  von  Kieferfrakturen.  Die  Be¬ 
handlung  der  Kieferfrakturen,  welche  häufig  mit  grossen  Sub¬ 
stanzverlusten  einhergehen,  mit  gutem  Erfolg  durchzuführen, 
ist  dem  Zahnarzt  Vorbehalten.  Die  Frakturen  und  Verstümme¬ 
lungen  der  Kiefer  zeitigen  bei  sich  selbst  überlassener  Heilung 
die  traurigsten  Resultate.  In  den  meisten  Fällen  führen  sie 


*)  Nach  Vorträgen,  gehalten  in  der  wissenschaftlichen  Abteilung 
des  Aerztlichen  Vereins  für  ärztliche  Fortbildung  in  Essen  und  in 
der  Medizinischen  Gesellschaft  in  Bochum. 


2354 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  49. 


durch  die  durch  den  Unfall  bedingte  Unterernährung  zur  In¬ 
validität. 

Die  klinische  Diagnose  bietet  in  den  meisten  Fällen  keine  grossen 
Schwierigkeiten.  Ausser  den  bekannten  Symptomen  einer  Fraktur 
ist  häufig  ein  Schiefstehen  der  Zahnreihen  zu  beobachten.  Beim 
Schliessen  der  Kiefer  bringt  der  Patient  die  Zähne  oft  nicht  mehr  in 
die  normale  Artikulation,  d.  h.  die  Zahnreihen  greifen  nicht  mehr  in¬ 
einander. 

Bei  der  Behandlung  der  Kieferfrakturen  ist  folgendes  zu  be¬ 
achten:  In  erster  Linie  muss  bei  einfachen  wie  komplizierten  Frak- 
tmen  die  Erhaltung  der  funktionellen  Fähigkeit,  d.  h.  die  urspriing- 


Fig.  1.  Drahtverband  mit  linksseitiger  schiefer  Ebene  nach  Sauer. 


Fig.  2.  Linksseitige  Zinnscharnierschiene  (Unterkiefer)  nach  Hauptmeyer. 

liehe  genaue  Stellung  zum  Qegenkiefer  als  oberster  Grundsatz  gelten. 
Es  greifen  dann  die  Zähne  der  Fragmente  oder  übriggebliebenen 
Stümpfe  in  die  des  Gegenkiefers  ein,  und  so  wird  die  Kaufähigkeit 
erhalten.  Ist  die  Fraktur  auch  mit  dem  Verlust  von  Zähnen  begleitet, 
so  ist  es  leicht,  später  nach  Heilung  die  fehlenden  Zähne  durch  eine 
funktionsfähige  Prothese  zu  ersetzen.  Beiläufig  bemerke  ich  aus¬ 
drücklich,  dass  naturgemäss  alle  Fragmente  erhalten  bleiben  müssen 
und  selbst  lose  Zähne  durch  die  Schienen  zu  stützen  sind.  Geht  der 
Zahn  auch  selbst  später  verloren,  so  erhält  man  aber  damit  oft  das 
Knochengerüst  und  bietet  der  später  einzusetzenden  Prothese  hier¬ 
durch  eine  feste  gute  Grundlage.  Es  ist  dies  ausserordentlich  wert¬ 
voll  für  einen  gut  funktionierenden  Zahnersatz. 


In  zweiter  Linie  ist  erst  die  Beseitigung  der  Kontinuitäts¬ 
trennung  anzustreben.  Dass  diese  sogar  in  gewissen  Fällen  bei 
grossen  Substanzverlusten  nicht  erwünscht  ist,  ergibt  sich  aus 
obigem  Grundsatz:  Die  Kieferstümpfe  in  der  alten  ursprünglichen  Lage 
mit  Rücksicht  auf  die  Kaufunktion  zum  Gegenkiefer  zu  erhalten. 
Dieser  Grundsatz  wird  von  Chirurgen,  welche  den  Wert  der  zahn¬ 
ärztlichen  Mitarbeit  bei  Kieferresektionen  erkannt  haben,  streng  be¬ 
folgt.  Es  werden  in  solchen  Fällen  die  Kieferstümpfe  ln  ihrer  alten 
früheren  Lage  fixiert,  um  die  Kaufunktion  unter  Verzicht  auf  eine 
Konsolidation  zu  erhalten.  An  einem  Beispiele  will  ich  dies  kurz 
erläutern:  Geht  bei  einer  Resektion  das  Kinnmittelstück  auf  zirka 
4  cm  verloren,  so  werden  die  Bruchenden  nicht  durch  Knochennaht 


Fig.  3.  Fixationsschiene  für  totale  Oberkieferfrakturen  nach  Kühns. 


Fig.  4.  Oberkieferschiene  wie  Fig.  3  angelegt  am  Patienten. 

(Patient  hat  ausser  der  Oberkieferfraktur  eine  doppelte  rechtsseitige  Unterkieferiraktur. 
Er  trägt  gleichzeitig  im  Unterkiefer  eine  Zinnschiene  mit  linksseitiger  schiefer  Ebene,  die 
durch  den  halbgeöffneten  Mund  sichtbar  ist.) 

vereinigt,  sondern  durch  einen  zahnärztlichen  Fixationsapparat,  der 
an  den  Zähnen  befestigt  ist,  auseinandergehalten.  Würden  die 
Kieferstümpfe  vereinigt,  so  wäre  sehr  schnell  eine  Konsolidation  er¬ 
reicht,  aber  die  Zähne  des  nunmehr  spitzwinkligen  Unterkiefers 
artikulierten  nicht  mehr  mit  denen  des  Oberkiefers.  Es  wäre  jede 
Kaufunktion  aufgehoben. 

Je  früher  die  Behandlung  einsetzt,  desto  günstiger  und  voll¬ 
ständiger  ist  der  Erfolg.  Dieser  Grundsatz  gilt  auch  bei  den  Kiefer¬ 
frakturen.  Aus  dieser  Erwägung  heraus  gehen  auch  die  Feldzahn- 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  nied.  Wochenschrift 


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S.  Dezember  191-4. 


iirzte  mit  bis  zur  Front.  Sie  schienen  die  Brüche  provisorisch  und 
verhüten  auf  diese  Weise  eine  stärkere  Dislokation  der  Fragmente. 

Fine  Röntgenaufnahme  ist  bei  den  Kieferfrakturen  unerlässlich. 
Durch  sie  erhalten  wir  Aufschluss  über  den  Verlauf  der  Fraktur  und 
können  hiernach  die  Anfertigung  der  Apparate  einrichten. 

Die  Dauerverbände  benutzen  zur  Fixation  die  Zähne  als  Stütz¬ 
pfeiler.  Vermittels  Gipsabdriicken  stellt  man  die  Modelle  der  Kiefer 
her.  Ober-  und  Unterkiefer  werden  nun  in  einem  besonderen  Appa¬ 
rate  (Artikulator)  in  die  genaue  Stellung  des  Aufeinanderbisses  ge¬ 
bracht.  Alsdann  wird  die  Fixationsschiene  angefertigt.  Es  würde 
zu  weit  führen,  wollte  ich  die  Hauptapparate  aufzählen  oder  gar 
näher  beschreiben.  Ich  darf  nur  noch  erwähnen,  dass  ausser  den 
einfachen  Drahtverbänden  (Fig.  1)  die  Fixationsschienen  aus 
chemisch  reinem  Zinn,  wie  sie  von  Hauptmeyer  eingeführt,  sich 
sehr  bewährt  haben  (Fig.  2). 

Die  Fixierung  der  Unterkieferbrüche  ermöglicht  sich  durch 
Schienung  der  Fragmente  untereinander  oder  mit  Unterstützung  der 
von  Sauer  angegebenen  Schienenebene,  die  rechts-  oder  linkseitig 
am  Oberkiefer  vorbeigleitet.  Durch  diese  wird  eine  Feststellung  der 
Fragmente  in  der  alten,  artikulierten  Stellung  zum  Oberkiefer  er¬ 
möglicht.  Bei  partiellen  Oberkieferfrakturen  findet  man  meistens 
Stützpunkte  zur  Fixation  auf  der  gesunden  Seite.  Frakturen  des 
ganzen  Oberkiefers  müssen  durch  Gebissprothesen  fixiert  werden 
(Fig.  3).  An  diesen  sind  Drähte  befestigt,  die  beiderseitig  vom 
Munde  nach  aussen  führen  und  dort  durch  Gummizüge  und  Kopf¬ 
kappen  an  der  Schädelbasis  befestigt  werden  (Fig.  4). 

J  Die  Schienen  müssen  28 — 42  Tage  liegen.  Das  chemisch  reine 
Zinn  wird  ausserordentlich  gut  von  der  Schleimhaut  vertragen  und 
bleibt  auch  auf  Wunden  reaktionslos.  Einen  Vorteil  vor  den  Draht- 
verbänden  haben  die  Zinnschienen  in  der  bedeutend  einfacheren  An¬ 
legung.  Die  Mundpflege  ist  besonders  peinlich  durchzuführen.  Die 
Patienten  müssen  Zähne  und  Schiene  2—3  mal  täglich  mit  der  Zahn¬ 
bürste  und  Paste  reinigen  und  häufiger  Mundspülungen  mit  den 
üblichen  Desinfizientien  machen.  Zum  Putzen  hat  sich  die  Bioxzahn- 
paste  bewährt. 

In  einer  weiteren  Veröffentlichung  behalte  ich  mir  vor, 
über  die  einzelnen  Fälle,  deren  Behandlung  und  Resultate  zu 
berichten.  Nur  das  will  ich  schon  heute  vorwegnehmen,  dass 
die  Resultate  sehr  befriedigend  sind.  Schmerzen  und  Be¬ 
schwerden  werden  dem  Patienten  durch  die  Schienung  ge¬ 
nommen.  Das  Heilverfahren  wird  abgekürzt  und  dadurch 
verbilligt.  Die  Soldaten  werden  früher  oder  überhaupt  erst 
durch  die  Schienung  wieder  felddienstfähig.  Ein  voller  Erfolg 
ist  um  so  sicherer,  je  früher  die  Patienten  ohne  Rücksicht  auf 
noch  so  schwere  Weichteilverletzungen  sofort  zahnärztlicher 
Hilfe  zugeführt  werden. 


Aus  dem  Seuchenlazarett  in  Strassburg  i.  E.  (Chefarzt:  Prof. 

Dr.  v.  Tabor  a). 

Zur  Typhusdiagnose  im  Felde. 

Von  Feldunterarzt  Dr.  M.  Rhein,  Assistent  des  Lazaretts. 

Wenn  es  darauf  ankommt,  aus  einer  grösseren  Anzahl 
typhusverdächtiger  Mannschaften  in  kürzester  Zeit  die 
sicheren  Typhuskranken  auszuscheiden,  bildet  die  Diazoprobe 
sine  sehr  wertvolle  Stütze  der  klinischen  Typhusdiagnose.  Die 
gebräuchlichen  Ehrlich  sehen  Diazoreagentien  sind  zu  um- 
ständlich  im  Gebrauche,  als  dass  sie  der  Truppenarzt  im  Felde 
mwenden  könnte.  Nun  besitzen  wir  aber  in  dem  vor  einigen 
lahren  von  W  e  i  s  s  angegebenen  Permanganatverfahren  eine 
sehr  einfache  und  zuverlässige  Diazoreaktion  *).  Die  W  e  i  s  s  - 
>che  Probe  wird  folgendermassen  angestellt: 

Der  zu  untersuchende  Harn  wird  im  Reagenzglase  soweit  ver- 
iünnt,  dass  die  bestehende  Harnfarbe  beinahe  verschwindet:  gewöhn- 
ich  genügt  dazu  eine  2 — 3  malige  Verdünnung.  Zu  dem  so  ver- 
Jünnten  Harn  werden  3 — 10  Tropfen  einer  1  prom.  Kaliumperman- 
sanatlösung  zugefügt.  Ist  die  Reaktion  positiv,  so  tritt  eine  deut- 
iche,  goldgelbe  Färbung  auf;  ist  sie  negativ,  so  tritt  entweder  gar 
\eine  Färbung  oder  nur  eine  leichte  Bräunung  auf.  Die  gelbe  Farbe 
»ei  positivem  Ausfall  der  Probe  entsteht  nach  W  e  i  s  s  infolge  Oxy- 
lation  des  Urochromogens,  des  Prinzips  der  Diazoreaktion,  zu  Uro- 
dirom,  dem  normalen  Harnfarbstoff. 

Wie  ich  mich  bei  der  Untersuchung  des  Harnes  von  un¬ 
gefähr  100  Typhusfällen  überzeugen  konnte,  entspricht  das 
Resultat  des  Permanganatverfahrens  immer  dem  der  E  h  r  - 
ich  sehen  Probe.  In  manchen  Fällen  (10  Proz.),  in  denen 
die  Farbe  des  Schüttelschaumes  zweifelhaft  war,  ergab  sogar 
die  W  e  i  s  s  sehe  Probe  sichern  Diazo.  Die  Methode  ist  so 


einfach,  dass  ich  bei  Tage  nur  noch  nach  ihr  die  Diazoprobe 
anstelle.  Bei  künstlicher  Beleuchtung  ist  allerdings  der  Aus¬ 
fall  schwerer  zu  beurteilen  als  bei  dem  Ehrlich  sehen  Ver¬ 
fahren. 

Die  W  e  i  s  s  sehe  Probe  kann  noch  weiter  vereinfacht 
werden,  indem  man  anstelle  der  Permanganatlösung  zu  dem 
im  Reagenzglase  2 — 3mal  verdünnten  Harn  ein  Körnchen 
Kaliumpermanganat  zusetzt.  Schüttelt  man  sofort  nach.  Zu¬ 
satz  des  Permanganats  den  Inhalt  des  Reagenzglases,  so  tritt 
bei  positiver  Diazoreaktion  eine  prachtvolle,  goldgelbe  Farbe 
auf.  Bei  negativem  Ausfall  dagegen  entsteht  nach  einigen 
Sekunden  eine  bräunliche  Suspension.  Die  Mitführung  eines 
starkwandigen  Reagenzglases  und  einer  Schachtel  Kalium¬ 
permanganat  dürfte  sich  auch  im  Felde  ermöglichen  lassen. 


Trockennährböden  nach  Doerr  zur  Typhus-  und 
Dysenteriediagnose. 

Von  Prof.  Dr.  d.  Morgenrot h. 

Die  Errichtung  zahlreicher  Lazarette  und  Reservelazarette 
bringt  es  mit  sich,  dass  vielfach  bakteriologische  Laboratorien 
improvisiert  werden  müssen.  Dem  Hilfspersonal  mangelt  es 
häufig  an  Schulung  und  an  Zeit  zur  Herstellung  zuverlässiger 
Nährböden;  der  Bedarf  an  solchen  ist  vielfach  kein  kontinuier¬ 
licher,  sondern  tritt  schubweise  auf.  In  erster  Linie  dürfte  in 
derartigen  Laboratorien  die  Typhus-  und  R  u  h  r  d  i  a  - 
gnose  in  Betracht  kommen. 

Seit  längerer  Zeit  verwende  ich  für  die  bakteriologische 
Typhusdiagnose  bei  unserem  Leichenmaterial  sowie  für  Kurs¬ 
und  Demonstrationszwecke  Endo-  und  Drigalski-Conradi- 
Nährböden,  die  nach  dem  Verfahren  von  Doerr  von  der 
Chemischen  Fabrik  Bram  in  Leipzig  hergestellt 
und  in  Tablettenform  in  den  Handel  gebracht  werden. 

Die  Fertigstellung  im  Laboratorium  ist  ganz  ein¬ 
fach  und  vollzieht  sich  in  wenigen  Minuten.  Die  Tabletten 
werden  —  am  besten  in  steriler  Reibschale  —  verrieben,  mit 
der  entsprechenden  Menge  Wasser  übergossen,  unter  Er¬ 
wärmen  gelöst;  die  Lösung  wird  einmal  auf  freier  Flamme 
aufgekocht  und  in  eine  Petri-  resp.  Drigalskischale  aus¬ 
gegossen. 

Mein  Urteil  über  die  Nährböden  kann  ich  dahin  zu- 
sammenfassen,  dass  sie  nicht  minder  gut  und  zu¬ 
verlässig  sind,  als  die  im  Laboratörium  mit 
Sorgfalt  frisch  bereiteten  Kulturmedien.  Die 
Reaktionen  der  Typhus-,  Paratyphus-,  Dys¬ 
enterie-,  Kolik ulturen  sind  absolut  charak¬ 
teristisch. 

Gegenwärtig  benutze  ich  für  die  Differentialdiagnose  bei 
Dysenterie  den  Lackmusagar  mit  Zusatz  von  Maltose,  Man- 
rtit,  Saccharose,  gleichfalls  in  Tabletten,  die  sich  sehr  gut  be¬ 
währen.  Diese  letzteren  dürften  sich  auch  bei  grösseren 
Betrieben  empfehlen,  wo  man  der  Ersparnis  wegen  —  wie 
ich  dies  jetzt  für  klinische  Diagnosen  tue  —  die  meisten  Spe¬ 
zialnährböden  selbst  herstellt. 

In  neuerer  Zeit  lobt  Russ  (Zbl.  f.  Bakt.  (Orig.)  73.  1914) 
die  Doerr  sehen  Nährböden  wegen  ihrer  „leichten  Trans¬ 
portfähigkeit,  guten  Lösbarkeit  und  einfachen  Handhabung“; 
sie  seien  gleichwertig  mit  den  frisch  bereiteten  Nährmedien. 
Ebenso  günstig  spricht  sich  B  e  i  n  tk  e  r  (ebenda  74.  1914)  aus, 
der  mit  Recht  empfiehlt,  sich  für  plötzlich  eintretenden 
grösseren  Bedarf  einen  „eisernen  Bestand“  vorrätig  zu 
halten. 

Endlich  empfiehlt  Galli-Valerio  und  S  c  h  i  f  f  m  a  n  n 
(ebenda  74.  1914)  auf  Grund  eigener  Erfahrungen  die  Nähr¬ 
böden  auf  das  wärmste,  auch  den  gewöhnlichen  Nähragar  (der, 
wie  alle  Nährböden,  ausser  in  Tabletten-  auch  in  Pulverform 
geliefert  wird),  Blutalkaliagar  nach  Dieudonne,  Neutralrot¬ 
agar  etc. 

Die  Kenntnis  dieses  recht  wervollen  technischen  Fort¬ 
schritts  dürfte  manchem  bakteriologisch  tätigen  Kollegen  von 
Nutzen  sein. 


)  Bioch.  Zschr.  30.  333.  1911. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


2356 


Nr.  49. 


Bolus  alba  bei  Paratyphus. 

Von  Dr.  v.  Wilucki,  Marinestabsarzt  und  Schiffsarzt  S.M.S. 

„Posen“. 

Bereits  im  Jahre  1905  habe  ich  der  Anregung  von  Professor 
S  t  u  m  p  f  folgend,  gelegentlich  einer  Choleraepidemie  in  Qnesen  drei 
Cliolerakranke  mit  sehr  gutem  Erfolge  mit  Bolus  alba  behandelt. 
Seitdem  habe  ich  häufig  akute  Magen-Darmkrankheiten  durch  Bolus 
alba  stets  schnell  beseitigen  können.  Auch  zwei  Fälle  von  bazillärer 
Ruhr,  die  ich  während  des  Aufstandes  in  Ponape  1911  zu  behandeln 
Gelegenheit  hatte,  heilten  durch  Gaben  von  150  g  von  der  von  Prof. 
Stumpf  empfohlenen  Bolusaufschwemmung  sehr  schnell.  Jüngst 
habe  ich  Bolus  alba  auch  bei  zwei  sicheren  Paratyphuskranken,  die 
zwar  keine  klinischen  Erscheinungen  mehr  boten,  die  aber  noch  nach¬ 
weislich  Bazillenträger  waren,  durch  Bolus  alba  von  den  Krankheits¬ 
erregern  befreit.  Ich  glaube,  dass  weitere  Versuche  bei  dieser  Er¬ 
krankung,  die  im  Felde  häufig  genug  beobachtet  werden  wird,  zu 
empfehlen  sind.  Einen  kurzen  Auszug  aus  den  Krankengeschichten 
füge  ich  bei. 

Fall  1.  Torpedomaschinistenmaat  G.,  24  Jahre  alt. 

Am  17.  JX.  Klagen  über  Kopfschmerz,  Appetitlosigkeit,  Frösteln. 
Vorübergehend  Gliederschmerzen  in  Ober-  und  Unterschenkeln. 
Schwindelgefühl  Kein  Erbrechen. 

Am  18.  IX.  Schiffslazarett:  Befund:  mittelgrosser  Mann 
von  mässigem  Ernährungszustand.  Hautfarbe  blass-gelblich.  Zunge 
stark  belegt,  trocken.  Herz  und  Lungen  o.  B.  Leib  leicht  auf- 
getrieben,  Nabel-  und  Unterbauchgegend  druckempfindlich;  Leber 
nicht  vergrössert,  Milz  nicht  zu  tasten.  Blinddarmgegend  frei.  Stuhl 
durchfällig,  ca.  6  Entleerungen  am  Tage,  braungefärbt,  schleimig. 
Urin:  E.  +.  Temperatur  steigt  gegen  Abend  auf  39,2  (ax). 

Diagnose:  akuter  Darmkatarrh  (Verdacht  auf  Paratyphus). 

Therapie:  Bettruhe,  Leibbinde,  Diät,  Einlauf.  15  Tr.  Tct.  Opii. 

24.  IX.  Die  subjektiven  Beschwerden  Hessen  nach;  Stuhlent- 
leeri'ngen  nehmen  an  Häufigkeit  ab;  Konsistenz  breiig.  Gestern 
nachm.  Brechreiz. 

Paratyphus  B  im  Stuhl  nachgewiesen. 

Therapie:  Bettruhe,  Diät;  Tannineinläufe,  täglich  1  mal  15  Tr. 
Opium. 

26.  X.  Völliges  subjektives  Wohlbefinden.  Stuhl  in  Form  und 
Konsistenz  normal. 

27.  X.  Stuhl:  Paratyphus  B  +. 

G.  wird  trotzdem  unter  entsprechenden  Kautelen  dienstfähig  ent¬ 
lassen. 

Versuchsweise  3  mal  0,2  pro  die  Yatrenpulver  (per  os),  um  die 
Bazillenausscheidung  zu  bekämpfen. 

Am  30.  IX.  und  7.  X.  trotz  fortgesetzter  Yatrendosen  Para¬ 
typhus  B  im  Stuhl. 

18  X.  Bolus  alba  3  mal  täglich  1  Esslöffel. 

19  X.  Bolus  alba  3  mal  täglich  1  Esslöffel. 

23  X.  Stuhl  Paratyphus  B  negativ. 

Fall  2.  Bootsmaat  K.,  25  Jahre  alt. 

22.  IX  Seit  ein  paar  Tagen  Leibschmerzen,  Durchfall,  Druck  in 
der  Magengegend,  Aufstossen. 

Schiffslazarett:  Zunge  etwas  belegt,  Schmerzen  in  der 
oberen  Bauch-  und  Nabelgegend.  Stuhl  leicht  diarrhoisch,  braun¬ 
gefärbt,  mit  Schleim  vermischt.  Sonst  keine  krankhaften  Erschei¬ 
nungen. 

Im  Stuhl  Paratyphus  B  +. 

Therapie:  Diät,  Einlauf,  Bettruhe. 

23  und  24.  IX.  Erbrechen,  Leibschmerzen  geringer. 

26.  IX.  Völlig  subjektives  Wohlbefinden.  Stuhl  geformt. 

Dienstfähig  entlassen  unter  den  üblichen  Vorsichtsmassregeln. 

25.  IX.  Stuhl  Paratyphus  B  +. 

1.  X.  Stuhl  Paratyphus  B  +  trotz  Yatren  3  mal  0,2  pro  die. 

Ab  18.  X.  Bolus  alba  3  mal  täglich  1  Esslöffel. 

Ebenso  am  19.  X. 

Am  23.  X.  Stuhl  frei  von  Paratyphus  B. 


Ueber  einen  glücklichen  Verlauf  eines  Diametralschusses 

des  Halses. 

Von  Dr.  Mühlenkamp,  Spezialarzt  für  Hals-,  Nasen-  und 
Ohrenkranke  am  Augusta-Krankenhaus  in  Düsseldorf. 

Otto  Werner,  geb.  30.  April  1891,  Reservist  des  Pasewalker 
Kürassierregiments,  wurde  bei  einer  Reiterattacke  in  der  Nähe  von 
Brüssel  durch  einen  Halsschuss  verletzt;  8  Tage  nach  der  Verletzung 
wurde  er  von  mir  am  25.  August  zum  ersten  Male  untersucht.  In  der 
Anamnese  gibt  Patient  an,  nach  dem  Schuss  vom  Pferde  gestürzt 
und  nur  einen  Moment  bewusstlos  gewesen  zu  sein.  Die  überaus 
stark  blutenden  Schusswunden  hatte  er  länger  als  eine  Stunde,  mit 
den  beiden  Daumen  stark  drückend,  zugehalten.  Nachdem  er  so 
eine  Stunde  in  einem  Rübenfelde  gelegen  hätte,  sei  er  nach  dem  Ort, 
von  wo  aus  der  Angriff  stattgefunden  habe,  zurückgekehrt.  Hier 
wurde  er  verbunden  und  8  Tage  später  von  mir  zum  ersten  Male 
untersucht.  Die  laryngoskopische  Untersuchung  ergab  eine  Spaltung 
des  linken  Stimmbandes,  wie  in  nebenstehender  Figur  angedeutet  ist. 


Es  besteht  eine  komplette  linksseitige  Rekurrenslähmung.  Die  Ein- 
und  Ausschussöffnung  innerhalb  des  Kehlkopfes  sind  deutlich  sichtbar. 
Das  rechte  Stimmband  ist  unversehrt  und  kurz  oberhalb  seiner  Basis 


Erneuerte  Einschuss¬ 
öffnung  innerhalb 
des  Kehlkopfes. 


} 


Ausschussötfnung  inner¬ 
halb  des  Kehlkopfes. 


befindet  sich  die  erneuerte  Einschussöffnung  innerhalb  des  Kehlkopfes. 
8  Tage  später  fand  ich  bei  der  Untersuchung  des  Kehlkopfes,  dass  die 
Spaltung  des  Stimmbandes  verschwenden  war  und  der  losgelöste 
Teil  des  Stimmbandes  sich  wieder  angegliedert  hatte.  Die  Einschuss¬ 
öffnung  und  Ausschussöffnung  innerhalb  des  Kehlkopfes  waren  mit 
einem  dicken  Granulationswall  umgeben.  Die  Rekurrenslähmung  hat 
sich  noch  nicht  zurückgebildet.  Die  äussere  Ausschussöffnung  am 
Halse  eitert  noch,  wohingegen  die  äussere  Einschussöffnung  bereits 
vernarbt  ist.  Nach  weiterem  Verlauf  von  8  Tagen  war  auch  die  Aus¬ 
schussöffnung  innerhalb  des  Kehlkopfes  vernarbt.  Die  Einschuss¬ 
öffnung  innerhalb  des  Kehlkopfes  ist  jedoch  noch  immer  mit  einem 
dicken  Granulationswall  umgeben.  Auch  die  Ausschussöffnung  am 
Halse  ist  noch  eitrig  belegt  und  sezerniert  noch.  Nach  einigen  Tagen 
trug  ich  den  Granulationsw'all  innerhalb  des  Kehlkopfes  ab  und  ätzte 
diese  Stelle.  In  die  äussere  Halswunde  wurde  etwas  Tinct.  Jodi 
gespritzt,  welches  der  Patient  wieder  ausspuckte.  Nach  einigen 
Tagen  war  auch  die  äussere  Halswunde  und  die  Einschussöffnung 
innerhalb  des  Kehlkopfes  vernarbt.  Interessant  ist  an  diesem  Falle, 
1.  dass  sich  der  Patient  durch  die  Tamponade  mit  den  Daumen  wahr¬ 
scheinlich  das  Leben  gerettet  hat,  2.  die  eigentümliche  Sprache  des 
Patienten,  bedingt  durch  die  Rekurrenslähmung,  und  dass  der  Patient 
gewissermassen  3  Stimmbänder  hatte.  Interessant  war  ferner,  be¬ 
obachten  zu  können,  wie  der  losgelöste  Teil  des  Stimmbandes  sich 
nach  und  nach  wieder  angliedcrte  und  die  Ausschussöffnung  am  Halse 
sich  erst  schloss,  nachdem  innerhalb  des  Kehlkopfes  der  Granulations¬ 
wall  abgetragen  war.  Die  Rekurrenslähmung  besteht  leider  immer 
noch,  jedoch  hoffe  ich.  dass  dieselbe  mit  der  Zeit  durch  Elektrisieren 
auch  verschwinden  wird. 


Zur  Bekämpfung  der  Infektion  durch  den  Bacillus 

pyocyaneus. 

Von  Sanitäts-Oberleutnant  Dr.  Karl  Bollag  in  Basel. 

Anlässlich  eines  Besuches  in  verschiedenen  Militär¬ 
lazaretten  hatte  ich  mehrfach  Gelegenheit,  Infektionen  mit 
Pyozyaneus  zu  beobachten  und  begegnete  dabei  sehr  ver¬ 
schiedenen  Anschauungen  in  bezug  auf  die  Bekämpfung  dieser 
lästigen  Begleiterscheinung  im  Wundverlauf. 

Der  Bacillus  pyocyaneus  ist  bekanntlich  ein  sehr  häufiger 
Gast  auf  der  menschlichen  Haut  und  zwar  namentlich  an 
Stellen  mit  grösserer  Schweisssekretion  und  deren  Umgebung. 
Während  nun  die  Anwesenheit  des  Bazillus  in  genähten 
Wunden  und  deren  Gebiet  den  Wundverlauf  nicht  wesentlich 
beeinflusst,  sondern  meist  nur  leichte  Stichkanaleiterungen  her¬ 
vorruft,  die  gewöhnlich  nicht  einmal  mit  Temperatur¬ 
erhöhungen  einhergehen,  vertragen  granulierende 
Wunden  den  farbigen  Gesellen  bedeutend  weniger.  Nicht, 
dass  hier  der  Schmarotzer  etwa  sich  in  die  Tiefe  der  Gewebe 
nistete,  um  Entzündung  und  Eiterung  hervorzurufen;  aber  er 
erregt  eine  äusserst  störende  erhebliche  Wundsekretion  und 
bildet  auf  den  offenen  Wnndflächen  fibrinöse  Beläge,  so  dass 
eine  Ueberhäutung  nicht  möglich  ist.  Pathogen  im  eigent¬ 
lichen  Sinne  ist  der  Pyozyaneus  für  den  erwachsenen  Men¬ 
schen  glücklicherweise  selten. 

Die  Bekämpfung  der  Infektion  wird  erschwert  durch  die 
grosse  Widerstandsfähigkeit  der  Bazillen  gegenüber  anti¬ 
septischen  Stoffen.  In  den  Lazaretten  wurde  mir  teils  Jodo¬ 
formpulver,  teils  Alkohol  als  das  bisher  wirksamste  Thera¬ 
peutikum  angegeben,  während  ich  die  Anwendung  des  ein¬ 
fachsten,  billigsten  und  wirksamsten  Mittels  nicht  sah,  und 
mir  deshalb  gestatte,  darauf  aufmerksam  zu  machen. 

Es  ist  dies  die  gewöhnliche  essigsaure  Tonerde.  Ist 
einmal  der  Pyozyaneus  aufgetreten,  so  werden  sofort  die  in¬ 
fizierten  Verbandstoffe  entfernt.  Die  Haut  in  der  Umgebung 
der  Wunde  wird  mit  etwas  Chloroform  abgewaschen  und  auf 
die  Wunde  selbst  und  ihr  Gebiet  kommt  der  neue  Verband, 
welcher  mit  einer  2  p  r  o  z.  Lösung  von  Liquor  a  1  u  - 


8.  Dezember  1914. 


Fcldärztliehe  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


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m  i  n  i  i  a  c  e  t  i  c  i  durchtränkt  ist.  Darüber  wird  etwas  Kriill 
gelegt  und  die  schliessende  Binde.  Am  ersten  Tag  soll  der 
Verband  einigemale  gewechselt  werden.  Meist  schon  nach 
zwei  Tagen  ist  die  Störung  durch  den  Pyozyaneus  behoben. 
Brennen,  Schmerzen  oder  sonstige  unliebsame  Erscheinungen 
auf  der  Granulationswunde  sind  durch  diese  Behandlung  nicht 
zu  fürchten. 


Kriegsbriefe  aus  der  Kriegslazarettabteilung  des 
I.  bayer.  Armeekorps. 

4.  Brief. 

Von  Generalarzt  Prof.  Dr.  Klaussne r. 

Mit  diesem  vierten  Brief  aus  dem  Kriegslazarette  des 
I.  bayer.  Armeekorps  wird  anschliessend  an  den  letzten,  der 
eine  Uebersicht  über  unsere  chirurgischen  Erfahrungen  in 
grossen  Zügen  zu  bringen  versuchte,  im  gleichen  Sinne  ein 
weiterer  Ueberblick  über  unsere  Beobachtungen  und  Tätig¬ 
keit  auf  dem  Gebiete  der  Röntgenologie,  auf  der  ophthalmo- 
logischen,  otologen  und  odontologischen  Station,  auf  der 
internen  Abteilung  und  in  hygienischer  Richtung  gegeben. 

Röntgenstation  (O.St.A.  Dr.  Mülle  r). 

Das  Problem,  die  ausgiebige  Benützung  der  Röntgenstrahlen 
auf  dem  Kriegsschauplätze  zu  ermöglichen,  kann  mit  dem  Bau  des 
Feldröntgenwagens  durch  die  Firma  Siemens  u.  Halske,  der  vom 
Jahre  1910  ab  allmählich  für  jedes  deutsche  Armeekorps  als  etats- 
mässiges  Feldsanitätsfahrzeug  zu  beschaffen  war,  als  gelöst  be¬ 
trachtet  werden. 

Die  Aufgabe  war  eine  doppelte  insofern,  als  die  gesamte 
Röntgeneinrichtung  bis  in  die  kleinsten  Details  eines  leistungsfähigen 
Friedenslaboratoriums  einerseits  in  ein  Fahrzeug  einzubauen  war, 
das  sich  äusserlich  in  keiner  Weise  von  den  übrigen  Feldsanitäts¬ 
fahrzeugen  unterscheidet,  das  aber  überdies  auch  noch  die  eigene 
Erzeugung  des  nötigen  elektrischen  Stromes  durch  Benzinmotor  und 
Dynamomaschine  überall  und  zu  jeder  Zeit  sicher  gewährleistet.  Die 
Fahrzeuge  werden  4spännig  vom  Sattel  gefahren  und  stehen  auf  den 
Ftappensanitätsdepots  bereit  auf  Anruf  an  das  Kriegslazarett,  das 
seiner  so  notwendig  bedarf. 

Die  Etablierung  der  Feldröntgenstation  wird  sich  immer  in 
einem  geeigneten  Gebäude  der  Kriegslazarettanlage  selbst  vollziehen, 
praktisch  genommen,  wären  aber  alle  erforderlichen  Massnahmen  im 
Fahrzeug  selbst  getroffen,  um  selbst  auf  freiem  Felde  unter  einem 
Zeltdache  den  Röntgenbetrieb  zu  eröffnen;  ein  30  m  langes  Kabel 
führt  den  erzeugten  Strom  von  dem  Wagen  zur  Arbeitsstätte  im  ein¬ 
gerichteten  Laboratorium. 

Es  ist  ein  nicht  zu  unterschätzender  Vorzug  unserer  Fcld- 
röntgencinrichtung,  dass  ihre  Konstruktion  den  unmittelbaren  Strom- 
hezug  aus  bereits  vorhandenen  elektrischen  Leitungen  gestattet,  also 
der  Anschluss  an  ein  bestehendes  Stromnetz  nicht  nur  möglich, 
sondern  sogar  mit  Vorteilen  verbunden  ist.  Auch  bei  der  Etablierung 
unserer  Feldröntgenstation  in  Peronne  wurde  die  elektrische  Leitung 
der  Stadt  in  der  Nähe  der  Kaserne  angestochen  und  unsere  Zweig¬ 
leitung  über  die  Dächer  hinweg  in  das  Laboratorium  geleitet.  Einige 
hierbei  auftreteude  geringe  Nachteile,  die  in  der  Differenz  der  Vor¬ 
spannungen  des  Stromes  zwischen  Stadtleitung  und  Wagenleitung' 
gelegen  sind,  mögen  an  dieser  Stelle  unerwähnt  bleiben,  um  dafür 
anderweitig  vertreten  zu  werden. 

Es  ist  ohne  weiteres  verständlich,  dass  für  eine  derartige  Etab¬ 
lierung  einer  Feldröntgenstation  immer  die  wünschenswerte  Voraus¬ 
setzung  besteht,  dass  dies  nicht  nur  für  einige  Tage,  sondern  für 
ein  möglichst  langes  Bestehen  des  Kriegslazaretts  überhaupt  ge¬ 
schieht,  um  so  mehr,  als  ja  nach  den  bisherigen  Bestimmungen  das 
Röntgenfahrzeug  immer  erst  über  die  Etappeninspektion  angefordert 
und  zum  Kriegslazarelt  auf  dem  Landweg  transportiert  werden  muss. 

Diesem  Grundsatz  entsprechend  kam  unser  Kriegslazarett  bisher 
2  mal  in  die  Lage  der  Einrichtung  einer  Röntgenabteilung.  Einmal 
in  Saarburg,  wo  im  dortigen  Garnisonlazarett  eine  im  Vergleich  zur 
Feldröntgeneinrichtung  allerdings  erheblich  weniger  leistungsfähige 
Röntgenapparatur  vorhanden  und  deshalb  nach  Möglichkeit  zu  be¬ 
nützen  war.  Sodann  in  dem  Städtchen  Peronne,  wo  sich  gleich  dem 
Betriebe  der  übrigen  eine  überaus  erfreuliche  von  den  Friedens- 
verhältnisseu  nur  durch  die  kriegsmässigen  äusseren  Umstände,  wie 
durch  die  hochinteressanten  und  schweren  Verletzungsformcn  unter¬ 
schiedene  Tätigkeit  auch  auf  der  Röntgenstation  entwickelte.  — 
Wollte  man  den  Beweis  für  die  Notwendigkeit  der  Röntgenstrahlen 
in  den  Kriegslazaretten  etbringen,  so  könnte  vielleicht  schon  der 
Hinweis  darauf  genügen,  dass  von  den  verschiedenen  Abteilungen 
des  Lazaretts  bzw.  den  ordinierenden  Chefs  in  der  kurzen  Zeit  von 
kaum  3  Wochen  bei  der  Röntgenstation  gegen  300  Plattenaufnahmen 
angefordert  wurden.  Und  das  bedeutet  doch  den  klinischen  Betrieb 
eines  Krankenhauses,  wie  er  umfassender  auch  im  grössten  Friedens¬ 
lazarett  kaum  ie  sein  dürfte 

Zu  den  interessantesten  Untersuchungen  gehörten  vor  allem  die 
sehr  zahlreichen  Schädelschüsse  mit  mehr  oder  weniger  ausgiebigen 


Knochendefekten,  Splitterungen  und  Knochenfissuren  der  Schädel¬ 
kapsel.  Lage  und  Art  der  eingedrungenen  Geschosse  boten  wieder¬ 
holt  gerade  in  der  Schädelhöhle  ein  überraschendes  Ergebnis  der 
Röntgenuntersuchung.  Nicht  minder  waren  die  ausserordentlich 
schweren  Verletzungen  des  Kiefers,  namentlich  des  Unterkiefers,  von 
Interesse.  Die  Folgen  der  Brustschüsse  waren  in  sehr  mannig¬ 
faltiger  Form  vorhanden,  darunter  in  selten  schön  ausgeprägter  Art 
der  Hämo-  und  Seropneumothorax  nach  Verschluss  der  Lungen, 
während  andererseits  wieder  Geschosse  den  ganzen  Thorax  quer 
durchschlugen,  ohne  eine  wesentlich  sichtbare  Folge  an  den  inneren 
Organen.  Dass  ferner  die  Wirkung  der  verschiedenen  Projektile 
Infanterie,  Schrapnell  und  Granaten  —  auf  Platte  und  Röhren¬ 
knochen  in  allen  möglichen  Formen  und  überaus  zahlreich  beobachtet 
werden  konnten,  bedarf  an  sich  kaum  der  Erwähnung. 

So  war  auch  für  die  Feldröntgenstration  während  der  bisherigen 
verhältnismässig  langen  Zeit  der  Etablierung  ein  Feld  lehrreicher  und 
interessanter  Tätigkeit. 

Ophthalrnologische  Station  (O.St.A.  Dr.  Schlösse  r). 

Erkrankungen  und  kleinere  Verletzungen  des  Auges  sind  beim 
Kriegsheer  nicht  häufiger,  als  bei  grossen  Menschenmengen  im 
Frieden.  A  priori  sollte  man  allerdings  annehmen,  dass  Erkrankungen 
wesentlich  häufiger  sein  müssten,  denn  der  Mann  ist  doch  einer  viel 
grösseren  Anzahl  von  Gefährnissen  ausgesetzt  als  im  Frieden;  es 
scheint  diese  höhere  Gefahrenklasse  aber  wett  gemacht  zu  werden 
durch  ausgezeichnete  Ernährung,  vorzügliche  Bekleidung  und 
günstigen  Einfluss  des  mit  den  Mannschaften  lebenden  Vorgesetzten. 
Eine  Ausnahme  bestätigt  auch  hier  die  Regel.  Es  werden  sehr  viele 
Fälle  von  akuter  Konjunktivitis  mit  beträchtlicher  Schwellung  und 
purulentem  Sekret  beobachtet  als  Teilerscheinung  eines  sonst  nicht 
geläufigen  Symptomenkomplexes:  Drüsenschwellungen  (auch  Tränen¬ 
drüsen),  Angina,  ziehende  rheumatische  Schmerzen,  besonders  im 
Rücken,  Schwellung  von  Knie-  und  Fussgelenken,  Urethritis  non 
gonorrhoica,  alles  mit  mässigem  Fieber  einhergehend. 

Die  Augenkriegsverletzungen  sind  verblüffend  einfach  zu  klassi¬ 
fizieren.  Entweder  Auge  oder  Sehnerv  wurden  vom  Projektil  ge¬ 
troffen,  dann  ist  wenig  mehr  davon  übrig  und  das  Sehen  ist  erledigt 
oder  das  Auge  wurde  nur  tangential  durch  Geschoss  oder  mit¬ 
gerissene  Gewehrteile  lädiert.  In  ersterem  Falle  handelt  es  sich  um 
rein  chirurgische  Wundbehandlung,  in  letzterem  bestehen  keine  Be¬ 
sonderheiten  gegenüber  gleichgestalteten  Schädigungen  im  Frieden. 
Aehnlich  steht  es  mit  den  Annexen  des  Auges,  nur  muss  hier  recht¬ 
zeitig  eine  Situation  geschaffen  werden,  die  entweder  das  sofortige 
Einsetzen  einer  Prothese  nach  Abheilung  ermöglicht  oder  doch  eine 
kosmetische  Operation  vorbereitet. 

Wie  bei  der  allgemeinen  chirurgischen  Behandlung  muss  auch 
bei  den  Verletzungen  des  Auges  und  seiner  Umgebung  als  oberster 
Grundsatz  gelten,  dass  nur  dann  eingegriffen  werden  darf,  wenn  es 
unbedingt  sein  muss  und  möchte  ich  hiebei  besonders  darauf  hin- 
weisen,  dass  die  Ausführung  der  Enukleation  in  den  seltensten  Fällen 
begründet  erscheint,  denn  bei  den  Kriegsverletzungen  liegen  fast 
immer  die  Verhältnisse  ganz  anders,  als  bei  den  kleinen  Stich-  oder 
Splitterverletzungen  im  Frieden,  die  so  oft  zu  chronischer  Irido¬ 
zyklitis  führen  und  damit  das  Gespenst  der  sympathischen  Ophthalmie 
heraufbeschwören.  Selbstredend  gehe  ich  nicht  so  weit,  einen  zer¬ 
fetzten  Bulbus  erhalten  zu  wollen,  aber  durch  Operieren  können  wir 
eventuell  schaden,  denn  wir  wissen  nie,  ob  wir  nicht  eine  schon 
bestehende  Gewebsinfektion  weiter  in  die  Tiefe  der  Augenhöhle 
bringen  und  andererseits  können  wir  durch  Erhaltung  eines  beweg¬ 
lichen  Augenstumpfes  das  spätere  Aussehen  bessern;  ferner  ist  mit 
offener  Wundbehandlung  bei  einer  grossen  Bulbuswunde  eine  sym¬ 
pathische  Entzündung  nicht  zu  befürchten  und  endlich,  seitdem  wir 
die  intravenöse  Therapie  mit  den  Elektrokolloiden  kennen,  hat  ja  die 
ganze  sympathische  Ophthalmie  ihren  Schrecken  verloren. 

Die  interessante  Seite  der  ophthalmologischen  Tätigkeit  im 
Kriege  liegt  in  der  Beobachtung  der  Schädel-  und  Gehirnverletzungen 
mit  und  ohne  Beteiligung  der  zentralen  Optikuswege  und  Reflex¬ 
bahnen. 

Odontologische  Station  (Dr.  P.  Mülle  r). 

Uebcr  die  Kieferverletzungen,  die  auf  der  zahnärztlichen  Station 
behandelt  werden,  dürfte  einiges  von  Interesse  sein.  Es  erübrigt, 
darauf  hinzuweisen,  dass  ein  gewaltiger  Unterschied  zwischen  den 
Friedens-  und  den  Kriegsfällen  besteht,  und  dass  dementsprechend  die 
Behandlung  eine  sehr  verschiedene  ist.  Die  verhältnismässig  häufig 
vorkommenden  Kieferzerschmetterungen  haben  als  Ursache  öfter  Ge¬ 
wehrkugel  als  Schrapnell  und  Granatsplitter.  Grauenhaft  ist  das 
Bild  der  Granatwunden:  ausgedehnte  Zerreissungen  und  Ver¬ 
wüstungen  der  Weichteile  sowie  der  Knochenpartien,  masslose  Split¬ 
terungen  und  Verschmutzungen,  während  bei  den  Kugelverletzungen 
noch  einigermassen  ein  Zusammenhalt  der  Weich-  und  Knochenteile 
vorhanden  ist.  Da  die  Verwundeten  selten  vor  dem  5.  Tag,  oft  aber 
viel  später  in  die  mehr  stationäre  Behandlung  kommen  und  dabei 
häufig  noch  den  ersten  Verband  tragen,  schwimmt  alles  in  einer  Ver¬ 
jauchung.  Es  muss  darauf  hingewiesen  werden,  dass  erfahrungs- 
gemäss  die  dicken  Kopfverbände,  besonders  wenn  sie  nicht  häufig  ge¬ 
wechselt  werden  können,  recht  ungünstig  wirken.  In  sehr  kurzer  Zeit 
von  den  Wund-  und  Speichelsekreten  ganz  und  gar  durchtränkt,  wer¬ 
den  sie  zu  vollständigen  Brühverbänden,  hindern  die  automatische 
Spülung  und  Reinigung  des  Mundes,  zerstören  die  provisorischen 


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Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  mcd.  Wochenschrift. 


Nr.  49. 


Nähte  und  fördern  ausserordentlich  die  septischen  Erscheinungen. 
Es  wäre  angebracht,  nach  Möglichkeit  nur  leichte  Verbände  anzu¬ 
legen  und  durch  Fenster  oder  sonstige  Ablaufmöglichkeit  den  Mund- 
und'  Wundabsonderungen  freien  Austritt  zu  lassen.  Relativ  gering 
sind  die  Schmerzen,  häufig  in  der  ersten  Zeit  die  psychischen  Depres¬ 
sionen.  Der  Einschuss  ist  bei  den  Kugelwunden  hinsichtlich  der 
Fleisch-  und  Knochenteile  glatt,  der  Ausschuss,  besonders  wenn  vor¬ 
her  noch  einmal  der  Kiefer  getroffen  wird,  ungewöhnlich  gross.  Dann 
treten  beim  Unterkiefer  Zerschmetterungen  auf,  die  ihn  bis  zur  Hälfte 
zerstören  können.  Es  waren  Fälle  da,  wo  eine  einzige  Gewehrkugel 
doppelten  Bruch  des  Ober-  und  des  Unterkiefers,  Alveolarbrüche  und 
die  entsprechenden  Wunden  verursacht  hat.  Die  Prognose  ist  fast 
immer  günstig.  Die  Behandlung  besteht  zunächst  in  einer  gründlichen 
Reinigung  der  in  Betracht  kommenden  Partien  und  in  der  Entfernung 
absolut  unhaltbarer  Splitter.  Doch  ist  dringend  zu  warnen  vor  einem 
Zuviel.  Selbst  über  das  Mass  des  scheinbar  Möglichen  soll  beim 
Unter-  und  besonders  beim  Oberkiefer  alles  erhalten  werden,  was 
nicht  von  vornherein  ganz  verloren  ist.  Wird  dann  in  geduldiger,  un¬ 
ermüdlicher  Art  und  Weise  reichlich  mit  H2O2  gespritzt  und,  wenn 
möglich  von  innen  mit  Eis  gekühlt,  so  verschwindet  die  Verjauchung 
überraschend  schnell,  Allgemeinerscheinungen  und  Unbequemlich¬ 
keiten  treten  zurück,  und  der  Fall  ist  fertig  zur  technischen  Behand¬ 
lung.  Diese  besteht  darin,  dass  durch  möglichst  einfache  Schienung 
die  Testierenden  Knochenteile  in  ihre  ursprüngliche  Stellung  gebracht 
und  in  ihr  gehalten  werden  und  den  Weichteilen  das  fehlende  Gerüst 
wieder  gegeben  wird.  Nach  dann  vorgenommener  eventueller  Ver- 
nähung  der  Aussenwunden  heilt  alles  sehr  schnell.  Als  Novum,  das 
hier  in  Anwendung  kommt,  ist  die  Kombination  von  Kronenarbeit  mit 
Schiene  zu  erwähnen,  die  den  Vorteil  grosser  Einfachheit  und  sehr 
guten  Erfolges  für  sich  hat.  Zur  Erläuterung  ein  einfaches,  sich  oft 
wiederholendes  Beispiel:  Es  steht  noch  einer  der  Molaren  oder  seine 
Reste,  von  da  bis  zum  Eckzahn  etwa  sind  alle  Knochenteile  des 
Unterkiefers  verloren.  Natürlich  ist  eine  starke  Verschiebung  der 
Restpartien  eingetreten.  Die  sich  hin  und  herbewegenden  freien 
Knochenenden  verhindern  jede  Heilung  und  alle  Funktionen  des  Mun¬ 
des.  Der  ganz  oder  teilweise  vorhandene  Molar  wird  mit  einer  Krone 
bedeckt,  diese  mit  einer  einfachen  Sauer  sehen  oder  mit  einer  Blatt¬ 
schiene  verlötet,  die  dem  Kieferbogen  entsprechend  gebogen  ist, 
dann  wird  die  Krone  aufzementiert  und  die  Schiene  an  den  in¬ 
takten  Zähnen  durch  Drahtligatur  unter  Herstellung  der  ursprüng¬ 
lichen  Okklusion  befestigt  und  sofort  kann  der  Kranke  bis  zu  halb¬ 
harten  Speisen  wieder  jede  Nahrung  zu  sich  nehmen  und  ist  ver¬ 
sandfähig.  Ist  kein  Zahn  mehr  vorhanden,  so  stellen  wir  die  provi¬ 
sorische  Verbindung  mit  dem  Knochen  durch  eine  besondere  Art  von 
Verschraubung  her.  Der  Oberkiefer  soll  möglichst  wenig  mit  Appa¬ 
raten  belastet,  höchstens  gestützt  werden,  er  heilt,  wenn  er  sauber 
gehalten  wird,  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  ohne  Hilfe  zusammen.  Er¬ 
schwert  wird  die  Arbeit  dadurch,  dass  schwere  sonstige  Wunden 
häufig  den  Patienten  immobil  machen.  Eine  Komplikation  bilden  die 
Senkungserscheinungen,  denen  mit  allen  Mitteln  vorgebeugt  werden 
soll.  Sind  Zunge  oder  Zungen-  und  Mundboden  stark  verletzt  und  in¬ 
folgedessen  starke  gangränöse  Erscheinungen  vorhanden,  so  soll 
unbedingt  an  neutraler  passender  Stelle  zu  Drainagezwecken  und 
zur  besseren  Durchspülung  eine  Oeffnung  nach  unten  hergestellt 
und  offen  gehalten  werden,  bis  eine  Verheilung  der  Wundstellen  statt¬ 
gefunden  resp.  die  Wundsekretion  aufgehört  hat.  Auf  diese  Art  und 
Weise  werden  schwere  Abszessbildungen  und  phlegmonöse  Erschei¬ 
nungen  nach  Möglichkeit  verhindert  und  jede  Stagnation  unmöglich 
gemacht. 

Alle  bisher  in  Behandlung  gekommenen  Fälle  —  und  es  waren 
sehr  schwere  darunter  — ,  konnten  in  der  angegebenen  Art  und  Weise 
günstig  erledigt  und  nach  der  Heimat  gesandt  werden  zur  definitiven 
Behandlung,  bis  auf  einen,  der  an  metastatischer,  multipler  Leber- 
abszessbildung  zugrunde  ging. 

Otologische  Station  (St.A.  Dr.  Herzog). 

Von  den  Erkrankungen  des  Gehörorgans  stehen  der  Häufigkeit 
nach  im  Vordergrund  die  Schädigungen  durch  äussere 
Gewalteinwirkung  -  -  in  erster  Linie  durch  Detonation.  Die 
Läsion  trifft  einmal  das  Mittelohr  oder  das  Labyrinth  allein,  das 
andermal  sind  beide  Organkomplexe  befallen. 

Traumatische  Rupturen  des  Trommelfelles  sind  über¬ 
wiegend  zurückzuführen  auf  Platzen  von  Granaten  in  unmittelbarer 
Nähe.  Die  Perforationen  sind  auffallend  häufig  sehr  gross,  so  dass 
nicht  selten  nur  Randpartien  des  Trommelfelles  übrig  bleiben.  Bil¬ 
der,  wie  sie  die  Friedenspraxis  nur  ausnahmsweise  zu  Gesicht  bringt. 
Seltener  sind  direkte  Verletzungen  des  Mittelohrs  durch  Einstossen 
von  Strohhalmen  bei  Fall  auf  den  Boden,  von  Zweigen  beim  Passieren 
von  Gestrüpp  usw. 

Die  labyrinthäre  Schwerhörigkeit  zeigt  naturgemäss 
die  verschiedensten  Abstufungen  in  der  Herabsetzung  der  Hörweite: 
immerhin  aber  weist  ein  grosser  Prozentsatz  dieser  Patienten  ganz 
ungewöhnlich  starke  Störungen  auf  —  Herabsetzung  der  Hörweite 
für  Konversationssprache  direkt  am  Ohre  bis  unsicher.  Dass  eine 
grosse  Zahl  der  Betroffenen  ausser  der  Hörstörung  über  lästige  sub¬ 
jektive  Geräusche  klagt,  kann  nicht  Wundernehmen.  Dagegen  möchte 
ich  hervorheben,  dass  in  keinem  Falle  subjektiv  oder  objektiv  Schwin¬ 
delerscheinungen  festzustcllen  waren.  Es  scheint  demnach  auch  bei 
heftigster  Schalleinwirkung  nur  der  Nervus  cochlearis  bezw.  sein  End¬ 
organ  befallen  zu  werden,  während  der  vestibuläre  Anteil  des  inneren 


Ohres  frei  bleibt,  eine  Tatsache,  die  mit  den  experimentellen  Schädi¬ 
gungen  beim  Tier  im  Einklang  steht. 

Zu  Beginn  des  Feldzuges,  während  der  trockenen,  warmen 
Augusttage,  kamen  entzündliche  Mittelohrerkran¬ 
kungen  nur  vereinzelt  zur  Beobachtung.  In  der  letzten  Zeit,  ins¬ 
besondere  im  Anschluss  an  die  Regentage,  mehren  sich  die  akuten 
Prozesse  von  Woche  zu  Woche. 

a)  Die  Otitis  media  acuta  zeigt  bis  jetzt  einen  verhältnismässig 
leichten  Charakter.  Die  Patienten  konnten  grösstenteils  wieder 
dienstfähig  entlassen  w'erden. 

b)  Sehr  zahlreich  sind  die  akuten  Rezidive  chronischer  Eite¬ 
rungen.  Für  die  Beurteilung  der  weiteren  Dienstfähigkeit  dieser 
Patienten  lässt  sich  wohl  keine  Norm  aufstellen.  Dass  Träger  chro¬ 
nischer  Eiterungen  mit  randständiger  Perforation  als  felddienst¬ 
unfähig  zu  bezeichnen  sind,  ist  ausser  Diskussion.  Dagegen  muss 
bei  chronischen  Eiterungen  mit  zentraler  Perforation  von  Fall  zu  Fall 
entschieden  werden.  Wenn  diese  Mannschaften  wegen  der  begleiten¬ 
den  Schwerhörigkeit  oder  der  zeitweise  bestehenden  Schmerzen  auch 
nicht  in  der  ersten  Linie  verwendbar  sind,  so  scheint  es  mir  ander¬ 
seits  doch  nicht  angängig,  sie  wegen  der  an  und  für  sich  harmlosen 1 
Erkrankung  ausnahmslos  vom  Felde  zu  entfernen.  Ein  grosser  Teil 
von  ihnen  ist  meines  Erachtens  nach  sachgemässer  Behandlung  und 
entsprechender  Belehrung  über  das  weitere  Verhalten  sehr  wohl  im 
Etappendienst  zu  verwenden. 

Entsprechend  der  Häufigkeit  der  entzündlichen  Erkrankungen 
des  Mittelohres  finden  sich  als  deren  Ursachen  die  akut  ent¬ 
zündlichen  Prozesse  der  oberen  Luftwege. 

Grobe  Verletzungen  des  inneren  Ohres  durch  Schädelschüsse  mit 
ein-  oder  doppelseitiger  Ausschaltung  der  L  a  - 
byrinthfunktion  wurden  bis  jetzt  nicht  beobachtet.  Trotz  der 
relativ  grossen  Zahl  von  Fällen,  in  denen  das  Projektil  den  Schädel 
durchquert  oder  tief  in  die  Schädelhöhle  gedrungen  und  ausgedehnte 
Läsionen  der  zerebralen  und  zerebellaren  Bahnen  gesetzt  hatte,  sahen 
wir  keine  Störungen  des  Vestibularis  oder  dessen  Verbindungen  mit 
den  Augenmuskelkernen.  Durch  Prüfung  geeigneter  Fälle,  wenigstens 
auf  kalorischen  Reiz,  Hesse  sich  möglicherweise  Aufschluss  über 
manche  schwebende  Frage  der  vestibulären  Funktion  erwarten. 

Interne  Station  (St.A.  Dr.  K  a  1 1  w  i  n  k  e  1). 

Bezüglich  der  internen  Erkrankungen  dürfte  vielleicht  das  Auf¬ 
treten  der  Infektionskrankheiten  besonderes  Interesse  beanspruchen. 
Vor  allem  sei  vorausgeschickt,  dass  wir  von  schweren  Epidemien! 
verschont  blieben.  Wir  hatten  damit  gerechnet  und  waren  deshalb 
von  vorneherein  bestrebt,  bei  der  Einrichtung  des  Kriegslazarcttes 
die  interne  Station  möglichst  zu  isolieren,  und  zwar  so,  dass  wir  in 
grossen  Gebäuden,  Kasernen)  einen  ganzen  Fliigelbau  mit  internen 
Kranken  belegten,  während  es  manchmal  sogar  gelang,  ein  vollständi¬ 
ges  Haus  getrennt  von  allen  übrigen  Abteilungen  mit  eigener  Diät¬ 
küche  einzurichten. 

Unsere  erste  Tätigkeit  in  S _  erstreckte  sich  in  der  Haupt¬ 

sache  auf  die  Behandlung  von  Hitzschlägen,  die  durchweg  einen  gut¬ 
artigen  Verlauf  nahmen,  so  dass  die  Patienten  nach  4 — 5  Tagen  wieder 
zu  ihrem  Truppenteil  entlassen  werden  konnten  ohne  dauernden  Scha¬ 
den  genommen  zu  haben.  Mit  der  Verlegung  des  Kriegslazaretts 
nach  B . . . .  änderte  sich  die  Art  der  Krankheiten  vollständig.  Die 
Hitzschläge  traten  allmählich  in  den  Hintergrund,  dafür  kam  eine 
stark  infektiöse  Enteritis  auf,  die,  man  möchte  sagen,  endemisch,  ganze 
Truppenteile  befiel.  Für  die  Ausdehnung  dieser  Krankheit  dürften  am 
besten  Zahlen  sprechen:  50  Zugänge  an  einem  Tag,  dazu  die  gleiche 
Anzahl  Patienten  in  ambulanter  Behandlung  waren  keine  Seltenheit. 
Fast  sämtliche  Aerzte,  Schwestern,  Pflegepersonal  blieben  nicht  ver¬ 
schont.  Dazwischen  traten  schon  einzelne  heftigere  Erkrankungen 
auf,  die  ausgesprochenen  Ruhrcharakter  hatten.  Trotzdem  in  ein¬ 
zelnen  Fällen  einwandfrei  bazilläre  Ruhr  festgestellt  werden  konnte, 
beobachteten  wir  glücklicherweise  keinen  Todesfall,  wohl  aber  eine 
grössere  Anzahl  von  Fällen,  die  nach  kurzer  Zeit  geheilt  zum  Trup¬ 
penteil  zurückkehren  konnten.  Der  Verlauf  der  hartnäckigeren  Fälle 
entzog  sich  unserer  Beobachtung,  da  wir  diese  Patienten  wegen  Platz¬ 
mangels  evakuieren  mussten.  Die  Duelle  der  Erkrankung  konnte 
nicht  mit  Sicherheit  gefunden  werden. 

Wesentlich  ernster  erschien  uns  das  Auftreten  von  Typhus,  den 

wir  erst  bei  unserem  jetzigen  Aufenthalt  in  P - feststellen  konnten. 

zum  Glück  aber  nur  in  sporadisch  auftretenden  Fällen.  Wir  hatten 
hier  die  Möglichkeit,  diese  Kranken  in  einem  eigenen  Pavillon  unter-: 
zubringen,  und  alle  erforderlichen  hygienischen  Massnahmen  gegen 
die  Verbreitung  dieser  gefährlichen  Krankheit  zu  treffen.  Aerzte  und 
Pflegepersonal  wurden  prophylaktisch  mit  Typhusserum  geimpft.  _  j 

Auffallend  gering  erscheint  uns  das  Vorkommen  von  Pleuritis. 
Pneumonie,  Herzleiden  und  schwerem  Gelenkrheumatismus,  während 
naturgemäss  Bronchitiden  und  sehr  viel  Erkrankungen  des  N.  ischiadi- 
cus  zur  Behandlung  eingeliefert  wurden.  Frisch  akquirierte  Ge¬ 
schlechtskrankheiten  konnten  wir  nicht  beobachten,  dagegen  erscheint 
das  Aufflackern  alter,  als  geheilt  angesehener  Gonorrhöen  beachtens¬ 
wert. 

Im  grossen  und  ganzen  kann  der  Gesundheitszustand  unserer 
Truppen,  soweit  wir  in  der  Lage  sind  dies  zu  beurteilen,  wenigstens 
bis  jetzt  als  vorzüglich  bezeichnet  werden,  wofür  auch  die  geringe 
Zahl  von  Todesfällen  während  unserer  ganzen  Tätigkeit  der 
sprechendste  Beweis  sein  dürfte. 


8.  Dezember  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


2359 


Hygienische  Station  (St.A.  Dr.  Schneider). 

Für  die  Schaffung  hygienisch  einwandfreier  Verhältnisse  sind 
dem  Kriegslazarett  während  des  bisherigen  Verlaufes  des  Krieges  sehr 
grosse,  fast  unüberwindbare  Schwierigkeiten  erwachsen.  Vielleicht 
bei  keiner  Sanitätsformation  steht  die  Theorie  der  Kriegssanitäts¬ 
ordnung  mit  der  Praxis  so  sehr  in  Widerspruch  als  bei  dem  Kriegs¬ 
lazarett.  Schuld  daran  waren  eine  ganze  Reihe  zum  Teil  wenigstens 
nicht  vorauszusehender  Umstände.  Hierzu  gehört  einmal  die  zeit¬ 
weise  sehr  grosse  Zahl  der  täglichen  Zugänge;  es  dürften  sich  in  der 
Heimat  nicht  viele  chirurgische  Krankenhäuser  finden,  die  einen 
Tageszugang  von  über  1000  Verwundeten,  w'ie  das  Kriegslazarett  ihn 
z.  13.  in  den  ersten  Tagen  seines  Aufenthaltes  in  P...  gehabt  hat,  ohne 
weiteres  bewältigen  könnten.  Die  Unterbringung  sämtlicher  Ver¬ 
wundeten  und  Kranken  unter  einem  Dach  oder  in  einer  Krankenhaus¬ 
anlage  war  nirgends  möglich;  ja  in  einer  Ortsunterkunft  lagen  die 
von  uns  belegten  Gebäude  - —  es  waren  ihrer  nicht  weniger  wie  6 
ziemlich  weit  auseinander.  Es  ist  klar,  dass  dieser  Faktor,  besonders 
wenn  man  mit  einer  bestimmten,  relativ  kleinen  Zahl  an  Sanitäts¬ 
personal  auskommen  muss,  grosse  Nachteile  mit  sich  bringt, 
und  man  daher  bestrebt  war,  durch  Evakuation  der  Transportfähigen 
nach  der  Heimat  und  mit  Nachlassen  der  grossen  Zugänge  die  Kran¬ 
ken  in  weniger  zahlreichen  Gebäuden  zu  konzentrieren,  womit  natür¬ 
lich  ein  in  manchen  Fällen  unerwünschter  Transport  der  Verwunde¬ 
ten  verknüpft  war.  Meist  fanden  wir  ein  Militärlazarett,  ein  Zivil¬ 
hospital  oder  neben  ihnen  bereits  mit  Verwendeten  belegte  andere 
Gebäude  vor.  Sie  waren  aber  stets  unzulänglich  oder  in  einem 
hygienisch  so  wenig  befriedigenden  Zustande,  dass  wir  in  ihnen  so¬ 
fort  eine  grosse  Reinigung  vornehmen  mussten,  wenn  wir  nicht  lieber 
gleich  neue  Baulichkeiten  für  unsere  Zwecke  auswählten  und  ein¬ 
richteten.  Waren  nun  solche  auch  in  genügender  Menge  vorhanden, 
so  machte  ihre  Instandsetzung  und  Adaptierung  sehr  viel  Mühe  und 
Arbeit.  Vielfach  hatten  in  ihnen  vorher  durchgekommene  Truppen 
und  Kolonnen  eine  Menge  Schmutz  und  Unrat  zurückgelassen,  deren 
Beseitigung  im  groben  einer  gründlichen  Reinigung  des  Fussbodens. 
der  Wände  und  Fenster  vorauszugehen  hatte.  Auch  die  laufende 
Reinigung  ist  eine  mühevolle  und  gerade  nicht  dankbare  Aufgabe. 
Dies  um  so  mehr,  wenn  als  Lazarett  eine  ältere  Kaserne  dient,  die  im 
Gegensatz  zu  unserer  Vorstellung  von  einem  modernen  Kranken¬ 
haus  mit  ihren  schmutziggrauen  Estrichböden,  rauhen,  dunkelfarbig 
gestrichenen  Wänden  und  Türen,  ihren  rauchgeschwärzten  Decken, 
sowie  ihren  blinden,  trüben  Fensterscheiben,  so  gar  keinen  freund¬ 
lichen  und  reinen  Eindruck  machen  kann;  wenn  weiter  in  dem  glei¬ 
chen  Gebäude  noch  verschiedene  Gruppen  Kriegs-  oder  Zivil¬ 
gefangener  und  deren  Bewachung  untergebracht  sind,  und  wenn 
schliesslich  mangels  einer  Wasserleitung  das  Wasser  zur  Reinigung 
im  Eimer  herbeigeschleppt  werden  muss.  Bei  Einrichtung  der  Laza¬ 
rette  kamen  wir  in  nicht  geringe  Verlegenheit  durch  den  Mangel 
an  Betten,  Matratzen  und  Decken;  durch  Requisition  im  Orte  und  in 
der  Umgebung  gelang  es  ja  meist,  den  nötigsten  Bedarf  daran  zu 
decken,  doch  liess  es  sich  nicht  immer  vermeiden,  dass  selbst  Schwer¬ 
verwundete  mit  Strohlagern  vorübergehend  vorlieb  nehmen  mussten. 
Es  ist  auch  klar,  dass  es  zu  Zeiten  des  Massenandranges  nicht  mög¬ 
lich  war,  den  von  hygienischer  Seite  gewünschten  Luftkubus  einzu¬ 
halten,  doch  wurde  für  reichlichen  Luftwechsel  durch  die  Fenster 
und  Gegenzug  gesorgt,  so  dass  sich  hinsichtlich  der  Ventilation  keine 
Unzuträglichkeiten  ergeben  haben.  Das  gleiche  gilt  von  der  Be¬ 
heizung;  durch  eiserne  Mantelöfen  nud  möglichst  lange  Ofenrohre, 
die  wir  in  den  Lazaretträumen  unserer  jetzigen  Ortsunterkunft  erst 
aufstellen  mussten,  haben  wir  die  Temperatur  auf  der  richtigen  Höhe 
halten  können,  wobei  allerdings  das  relativ  milde  Klima  günstig 
mitwirkt.  Auch  die  Wasserversorgung  hat  keine  Anstände  gemacht; 
quantitativ  war  ausreichend  Wasser  stets  vorhanden:  wo  keine  zen¬ 
trale.  gutes  Trinkwasser  garantierende  Wasserleitung  sich  fand, 
wurde  ein  besonderes  Augenmerk  auf  die  Brunnen  gerichtet,  ver¬ 
dächtige  unter  ihnen  gesperrt  oder,  wie  in  der  jetzigen  Ortsunter¬ 
kunft,  der  Genuss  des  ungekochten  Wassers  widerraten.  Die  Er¬ 
nährung  konnte  im  allgemeinen  ausreichend  gewährleistet  werden; 
besondere  diätetische  Vorschriften,  wie  sie  besonders  innere  Erkran¬ 
kungen  notwendig  machen,  konnten  wohl  nicht  immer  in  ganzem 
Umfange  erfüllt  werden,  wurden  aber  nach  Möglichkeit  berück¬ 
sichtigt;  dabei  wurde  besonders  die  Knappheit  an  Milch  und  Eiern  un¬ 
angenehm  empfunden.  Die  grösste  Verlegenheit  und  Mühe  bereitet 
uns  die  Regelung  der  Abortfrage;  das  Dilemma  war  fast  gleich  gross, 
ob  in  den  als  Lazarett  verwendeten  Gebäuden  Klosetts  mit  Wasser¬ 
spülung  oder  überhaupt  keine  Aborte  waren.  Die  Klosetts  wurden 
fast, stets  in  einer  eckelerregenden  Weise  verschmutzt  und  gebrauchs¬ 
unfähig  angetroffen;  waren  sie  auch  instand  gesetzt  worden,  so  wur¬ 
den  sie  gewöhnlich  infolge  der  grossen  Inansoruchnahme,  falschen 
Bedienung  oder  mangels  hinreichender  Spülwassermengen  unbenutz¬ 
bar.  Es  wurden  dann  ebenso  wie  dort,  wo  Aborte  überhaupt  nicht 
oder  in  ungenügender  Zahl  vorhanden  waren,  kleine  Tonnen,  Fässer, 
die  in  der  Mitte  durchgesägt  waren,  oder  die  mit  Blech  aus¬ 
geschlagenen  Infanteriemunitionskisten  mit  Sitzbrettern  versehen,  in 
hinreichender  Zahl  aufgestellt  und  für  ihre  regelmässige  Entleerung 
gesorgt.  Als  Ergänzung  hierzu  wurden  im  Hofe  neben  den  dort  be¬ 
findlichen,  meist  wenig  einladenden  Abortanlagen  besondere  Latrinen 
improvisiert.  Es  braucht  wohl  kaum  gesagt  zu  werden,  dass  Gefässe 
mit  desinfizierenden  oder  geruchverbessernden  Mitteln  bereitgestellt 
wurden.  Für  die  an  Infektionskrankheiten  leidenden  wurden  be¬ 
sondere  Abteilungen,  meist  sogar  ein  besonderes  Gebäude  ein¬ 


gerichtet;  bei  ihnen  wurden  natürlich  besonders  sorgfältige  Mass¬ 
nahmen  gegen  Verbreitung  des  Infektionserregers  und  zur  Verhütung 
der  Ansteckung  getroffen;  im  Sinne  der  letzteren  ist  auch  die  Typhus¬ 
schutzimpfung  bei  unserem  Kriegslazarettpersonal  neuerdings  ein¬ 
geleitet  worden. 


Aus  der  Kriegslazarettabteilung  I.  bayer.  Reservekorps. 

Die  Beförderung  von  Verwundeten  auf  Lastautos. 

Von  Prof.  F.  Lange  und  Prof.  J.  T  r  u  m  p  p. 

Die  Beförderung  von  Verwundeten  auf  Lastautos  ist  nicht 
zu  umgehen,  trotzdem  wir  eine  grosse  Anzahl  vorzüglich  ein¬ 
gerichteter  Sanitätsautos  haben  und  diese  nach  Möglichkeit 
zum  Verwundetentransport  benützen.  Die  Verwundeten  haben 
den  berechtigten  Wunsch,  möglichst  bald  in  die  Ruhe  des 
Lazaretts  zu  kommen.  Sind  Sanitätsautos  nicht  zur  Stelle, 
sondern  nur  Lastautos,  die  eben  mit  Munition  oder  Proviant 
zur  Front  kamen,  so  bitten  die  Leute  inständig,  mit  dem  leeren 
Wagen  zurückfahren  zu  dürfen.  Sie  bitten  darum  selbst  dann, 
wenn  sie  von  Kameraden  schon  gehört  haben,  wie  qualvoll 
dieser  Transport  sein  kann.  Wer  einmal  eine  Fahrt  im  Innern 
eines  Lastautos  mitgemacht  hat,  wird  zugeben,  dass  sie  schon 
dem  gesunden  Körper  empfindlich  zusetzt;  für  die  Ver¬ 
wundeten,  besonders  solche  mit  Kopf-,  Knochen-  und  Gelenk¬ 
schüssen,  scheint  sie  eine  kaum  mehr  erträgliche  Marter  zu 
sein.  So  erzählten  .schwer  verwundete  Kollegen  nach  einer 
solchen  Fahrt,  sie  hätten  unter  den  Stössen  des  Autos  so  ge¬ 
litten,  dass  sie  sich  das  Leben  genommen  haben  würden,  wenn 
sie  ihre  Revolver  bei  sich  gehabt  hätten. 

Man  hat  sich  schon  mehrfach  bemüht,  Abhilfe  zu  schaffen, 
allein  alle  Vorschläge  scheiterten  daran,  dass  die  angegebenen 
Vorrichtungen  viel  zu  kompliziert  sind,  um  in  der  kurzen  Zeit 
bis  zur  Rückfahrt  einer  Munitions-  oder  Proviantkolonne  aus¬ 
geführt  werden  zu  können.  Aussicht  hat  nur  ein  ganz  einfaches, 
mit  schon  vorhandenen  Mitteln  ausführbares  Verfahren.  Wir 
glauben  ein  solches  empfehlen  zu  können.  Es  besteht  darin, 
dass  man  die  doppelt  zusammengelegten  gewöhnlichen  Zelt¬ 
bahnen  als  Hängematten  benützt,  die  mit  starken  Stricken  quer 
über  die  Lastautos  gespannt  werden  (s.  Abbild.).  Man  liegt 


-  wie  wir  uns  selbst  auf  einer  Probefahrt  überzeugt  haben  — 
auf  den  so  aufgehängten  Zeltbahnen,  zumal  mit  irgend  einer 
weichen  Kopfunterstützung,  sehr  bequem  und  verspürt  wohl 
die  Schwingungen,  aber  nicht  mehr  die  harten  Stösse  des  Wagens. 

Auf  einem  mittelgrossen  Lastauto  mit  den  Ausmassen  des 
Wageninnern  von  1,90:4.00  m  können  5  Zeltbahnen  angebracht 
werden.  Deren  Befestigung  bietet  keine  Schwierigkeiten;  allenfalls 
lassen  sich  rasch  ein  paar  kräftige  Haken  oder  Ringschrauben  an¬ 
bringen.  ^  Das  Auf-  und  Abladen  der  Schwerverwundeten  wäre 
mittete  Tragbahre  zu  bewerkstelligen.  Die  Tragbahre  selbst  als 
Lager '  im  Auto  zu  benützen,  verbietet  sich  aus  verschiedenen 
Gründen.  Erstens  werden  auf  den  z.  Zt.  im  Gebrauch  befindlichen 
Tragbahren  die  Stösse  der  Lastautos  viel  zu  stark  empfunden.  Es 
lassen  sich  zwar  Tragbahren  herstellen,  die  nach  dem  Prinzip  der 
Hängematte  konstruiert  sind  und  die  Stösse  ebenso  gut  auffangen 
wie  die  von  uns  empfohlene  Vorrichtung,  allein  sie  nehmen  —  wie 
jede  Tragbahre  -  zu  viel  Raum  in  Anspruch,  so  dass  ein  mittleres 
Lastauto  nur  3  Tragbahren  aufzunehmen  vermag.  Endlich  aber 


2360 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. _ Nr.  4 


stehen  nicht  immer  solche  Tragbahren  zur  Verfügung.  Die  Ueber- 
legenhcit  der  stets  vorrätigen  Zeltbahnen  über  die  Tragbahre  scheint 
uns  demnach  für  den  genannten  speziellen  Zweck  ausser  Zweifel 
zu  stehen. 

Wir  glauben,  dass  durch  die  von  uns  empfohlene  Ein¬ 
richtung  nicht  nur  den  Verwundeten  viele  Schmerzen  erspart 
blieben,  sondern  auch  die  in  ihrer  Bedeutung  bei  weitem  noch 
nicht  genügend  gewürdigten  Transportschäden  gemindert 
werden  könnten. 


Die  Reinhaltung  gefensterter  Gipsverbände. 

Von  Stabsarzt  Prof.  Dr.  Tru  m  p  p. 

Das  beste  Mittel  zur  Fixation  und  zu  schmerzfreiem  Transport 
der  Knochen-  und  Gelenkschüsse  ist  unstreitig  der  Gipsverband.  Die 
Technik  dieser  Verbände  hat  jüngst  F.  Lange-  München  in  Nr.  42 
und  43  d.  Wschr.  (Feldärztl.  Beil.  Nr.  11  u.  12)  besprochen.  Wir 
haben  diese  Technik  unter  manchmal  recht  schwierigen  Verhältnissen 
angewandt  und  sehr  befriedigende  Erfolge  erzielt.  Selbstverständ¬ 
liche  Voraussetzung  eines  Dauererfolges  ist  natürlich,  dass  der 
Verband  so  solid  hergestellt  wird,  dass  er  den  meist  recht  strapa¬ 
ziösen  Transport  überdauert,  dass  er  daheim  nicht  zu  früh  abge¬ 
nommen  wird,  und  dass  nach  Abnahme  des  Verbandes  die  inzwischen 
eingetretene  Gelenkversteifung  durch  sachkundige  Nachbehandlung 
behoben  wird.  Sind  die  Wunden,  wie  so  häufig,  sehr  gross  und 
liefern  sie  viel  eitriges  oder  jauchiges  Sekret,  so  droht  die  Gefahr, 
dass  der  Verband  durch  Erweichung  des  Gipses  und  Durchtränkung 
der  Polsterwatte  bald  unbrauchbar  wird.  Man  sucht  dies  ganz  allge¬ 
mein  dadurch  zu  verhüten,  dass  man  über  den  Wunden  Fenster  im 
Gipsverband  anlegt,  und  die  Wunden  reichlich  und  in  häufigem 
Wechsel  mit  aufsaugendem  Verbandmaterial  bedeckt.  Jeder  Sach¬ 
verständige  wird  aber  aus  eigener  leidiger  Erfahrung  wissen,  nass 
in  vielen  Fällen  mit  diesem  primitivem  Verfahren  allein  der  ge¬ 
wünschte  Zweck  nicht  zu  erreichen  ist. 

Nach  einigen  Bemühungen  ist  es  uns  nun  gelungen,  durch  eine 
unter  allen  Umständen  ausführbare  wasserdichte  Abdichtung  der 
Wunden  den  Verband  dauernd  rein  und  intakt  zu  erhalten. 

Sind  die  Wunden  so  gelagert,  dass  eine  primäre  Aussparung  der 
Gipsfenster  mit  den  bekannten  Mitteln  nicht  möglich  ist,  so  be¬ 
zeichnen  wir  den  Sitz  der  Wunden  an  den  symmetrischen  Stellen 
der  gesunden  Extremität  mit  Farbstift  und  schneiden  dement¬ 
sprechend  nach  Fertigstellung  des  Verbandes  die  Fenster  aus  dem 
noch  nicht  ganz  erhärteten  Gips  aus.  Die  bequem  zugängig  ge¬ 
machten  Wunden  werden  ebenso  wie  ihre  nächste  Umgebung  ge¬ 
säubert  und  etwa  schon  mit  Blut  und  Eiter  durchtränkte  Teile  der 
Polsterung  entfernt.  Danach  wird  soviel  Watte  unter  die  Ränder 
der  Gipsfenster  gestopft,  dass  die  Polsterung  unbeweglich 
fest  sitzt.  Nun  taucht  man  Wattestreifen  von  10 — 15  cm  Länge 
und  knapp  Vs  cm  Dicke  in  verflüssigtes  Paraffin  von  etwa  48 0 
Schmelzpunkt.  Brauchbares  Paraffin  kann  man  sich  in  einfachster 
Weise  dadurch  beschaffen,  dass  man  gewöhnliche,  überall  käuflich 
erhältliche  Paraffinkerzen  zerschneiden  und  schmelzen  lässt.  Die  mit 
dem  Paraffin  getränkten  Wattestreifen  werden  mässig  stark  ausge¬ 
drückt  und  der  eine  Rand  ihrer  Längsseite  mit  dem  Stiel  einer 
Pinzette  oder  dergl.  1 — 2  cm  tief  unter  die  Polsterung  gestopft.  Diese 
Arbeit  geht  leicht  und  rasch  von  statten,  wenn  man  das  Instrument 
von  Zeit  zu  Zeit  in  heisses  Wasser  eintaucht.  Bei  Benützung  kalter 
Instrumente  oder  der  Finger  bleibt  die  paraffinierte  Watte  an  diesen 
kleben  und  zerreisst.  Die  Breite  der  Wattestreifen  richtet  sich 
nach  dem  Abstand  der  Wunde  von  der  Oberfläche  des  Gipsver¬ 
bandes.  Man  wählt  die  Streifen  so  breit,  dass  sie  das  Gipsfenster 
um  mehrere  Zentimeter  überragen.  Der  überragende  Teil  wird  an 
die  Aussenseite  des  Gipsverbandes  angestrichen.  Ventral  und  dorsal 
liegende  Wunden  müssen  ringsum  abgedichtet  werden  (siehe  unten!). 
Bei  seitlich  gelegenen  Wunden  genügt  die  Abdichtung  der  unteren 
Fensterhälfte.  Die  Kosten  eines  mittelgrossen  Paraffinfensters  be¬ 
tragen  10 — 15  Pfennig.  —  Statt  der  Paraffin-Wattestreifen  kann  man 
auch  Guttaperchastreifen  verwenden.  Sie  werden  zweckmässiger¬ 
weise  etwas  grösser  als  erstere  gewählt,  da  sie  zu  genügender 
Fixierung  tiefer  unter  das  Wattepolster  gestopft  werden  müssen.  Die 
Abdichtung  mit  Guttapercha  geht  leichter  und  rascher  vor  sich  als  mit 
Pai  affinwatte,  doch  ist  das  Guttapercha  teurer,  wird  auch  vielleicht 
nicht  von  jeder  Haut  auf  die  Länge  der  Zeit  vertragen  (wir  selbst 
haben  allerdings  bis  jetzt  keine  schlechten  Erfahrungen  damit  gemacht. 

Das  Guttapercha  ist  unentbehrlich  in  solchen  Fällen,  in  denen 
mehrere  Fenster  so  nahe  bei  einander  liegen,  dass  das  die  Wunde 
umgebende  Wattepolster  nicht  immobilisiert  werden  kann.  Paraffin 
ist  unter  solchen  Umständen  unbrauchbar,  da  es  sich  ohne  genügenden 
Halt  von  der  Haut  wieder  ablöst.  Auch  das  Guttapercha  erfüllt  hier 
nur  dann  seinen  Zweck,  wenn  es  mit  Chloroform  an  die  Haut  an- 
geklcbt  wird.  Man  legt  die  Guttaperchastreifen  ebenso  in  die  Fenster 
ein  wie  die  Paraffinwattestreifen,  stopft  den  unteren  Rand  ihrer 
Längsseite  genügend  tief  unter  die  Polsterwatte  und  bestreicht  dann 
die  angrenzende  Haut  (gegen  die  Wunde  zu)  etwa  1  cm  breit  mit 
Chloroform.  Nun  legt  man  die  Streifen  nach  Bedeckung  der  Wunde 
über  die  bestrichene  Hautpartie  um  und  stopft  neuerdings  Watte 
dahinter,  wodurch  das  Guttapercha  auf  die  mit  Chloroform  bestrichene 


Hautpartic  aufgepresst  und  festgeklcbt  wird.  Danach  werden  d 
Guttaperchastreifen  wieder  um  den  Gipsrand  des  Fensters  uingi 
schlagen  und  ihre  freien  Ränder  an  der  Oberfläche  des  Gipsve 
bandes  mit  Stärkebinden  festgelegt.  Die  Arbeit  darf  nur  mit  Schei 
und  Pinzette  und  nicht  mit  den  Fingern  verrichtet  werden,  einm 
um  keine  Verunreinigung  der  Wunde  zu  setzen,  zum  anderen  um  > 
verhüten,  dass  das  klebrige  Guttapercha  sich  zusaminenknäuelt  ut 
unbrauchbar  wird. 

Noch  kurz  ein  paar  Ratschläge  für  besondere  Fälle.  Liegen  zw 
Wunden  nur  wenige  Zentimeter  von  einander  entfernt  und  an  ein' 
Stelle,  die  keine  besonders  starke  Resistenz  des  Verbandes  erfordei 
so  wird  man  für  beide  Wunden  ein  gemeinsames  Fenster  anlege 
Weiter,  will  man  für  das  Sekret  einer  ventral  gelegenen,  stai 
eiternden  Wunde  freien  Abfluss  schaffen  („Offenwundbehandlum 
durchführen),  so  stellt  man  einen  Tunnel  unter  dem  Gipsverbai 
mit  dem  Fenster  der  gewöhnlich  benachbarten  seitlichen  oder  do 
salen  Ein-  bezw.  Ausschussöffnung  oder  Gegeninzisionsöffnung  hej 
indem  man  im  Bereich  dieses  Kanals  die  Watte  unter  dem  Gii 
entfernt  und  die  Seitenwände  mit  paraffinierter  Watte  oder  Guttj 
percha  und  Chloroform  abdichtet.  Auf  besonders  schwer  erreic 
bare  Stellen  appliziert  man  zu  vollkommener  Abdichtung  das  flüssi# 
Paraffin  mit  Hilfe  einer  Spritze. 

Es  ist  wohl  überflüssig,  alle  Eventualitäten  und  Variationen  d 
Abdichtungstechnik  zu  besprechen,  da  man  bei  einiger  Uebung  ui 
Erfahrung,  die  Jeder  selbst  erwerben  muss,  bald  herausfindet,  \vj 
das  gewünschte  Ziel  im  einzelnen  Falle  zu  erreichen  ist. 

Wir  glauben,  die  vorbeschriebenen  Methoden  der  Wundabdic 
tung  bei  Gipsverbänden  den  Kollegen  mit  gutem  Gewissen  empfehlii 
zu  können.  Sie  sind  nicht  nur  geeignet  den  Verband  sauber 
erhalten,  sie  ersparen  auch  viel  Verbandzeug  und  Zeit  beim  Verban 
Wechsel.  Endlich  ermöglichen  sie  die  Durchführung  der  neuerdiiv1 
von  Dr.  M.  Schede,  Assistenten  der  orthopädischen  Poliklinik 
München,  wieder  empfohlenen  und  weiter  ausgebildeten  sog.  ofienj 
Wundbehandlung,  die  auch  nach  unseren  Erfahrungen  bei  stark  eitcr 
den  Wunden  mit  nicht  zu  grosser  Wundoberfläche  ausgezeichnete  R, 
sultate  liefert. 


Kurze  Mitteilung  zum  gefensterten  Gipsverband. 

Von  Dr.  Ferd.  Noll  in  Hanau. 

Wie  in  Nr  11  der  feldärztlichen  Beilage  von  sehr  kompetent; 
Seite  erwähnt  wird,  gehört  auch  im  Reservelazarett  dem  GipsveJ, 
band  eine  hervorragende  Stelle  unter  den  Verbänden,  welche  ei| 
Korrektur  der  Stellungsanomalien  der  frakturierten  Knochen  bezweckt. 

Auch  nach  meinen  Erfahrungen  eignen  sich  ganz  besonders 
durch  Schusswunden  komplizierten  Knochenbrüche  (einschliesslii 
der  des  Oberschenkels)  zur  Behandlung  mit  Gipsverbänden,  für  der« 
Applikationsweise  Prof.  Lange  so  vorzügliche  Vorschriften  erte; 
hat.  Wenn,  wie  so  häufig,  Schrapnellkugeln  oder  Granatstücke  d 
komplizierten  Knochenbruch  verursacht  haben,  so  bedürfen  die  bl 
treffenden  Wunden  gewöhnlich  längerer  Behandlung  Der  gefensterf 
Gipsverband  ist  in  diesen  Fällen,  ich  möchte  sagen,  der  Verband  d 
Wahl. 

Ich  will  heute  nur  kurz  erwähnen,  in  welcher  Weise  ich  11 
das  Fenster  im  Gipsverband  anlege,  weil  ich  glaube,  dass  d 
einfache  Verfahren  bequem  und  zeitsparend  ist: 


Nachdem  die  Korrektur  der  Stellung  der  frakturierten  Knochi 
vorgenommen  und  die  Weichteilwunde  (oder  deren  mehrere)  aseDtisJ 
verbunden  ist,  wird  ein  Weissblechoval  von  nebenstehender  For 


welches  vorher  ausgekocht  war,  der  verbundenen  Wunde  so  a- 
gelegt,  dass  die  Mitte  des  nach  der  Form  des  Gliedes  biegbar* 
Bleches  a  der  Mitte  der  Wunde  entspricht.  Das  Blech  wird  n 
einigen  Bindentouren  fixiert,  Polsterwatte  und  Gipsverband  so  ans- 
legt,  dass  der  auf  der  Mitte  des  Bleches  aufgesetzte  Blechstreifen» 
aus  dem  fertigen  Verband  noch  heraussieht.  Sobald  der  Verbajl 
eben  erstarrt  ist,  wird  ein  dem  Blech  a  kongruentes  Blech!, 
welches  in  der  Mitte  mit  einem  Schlitz  versehen  ist,  in  der  Wef 
auf  den  Verband  gelegt,  dass  durch  den  Schlitz  desselben  der  hervr- 
stehendc  Blechstreifen  gesteckt  wird.  So  deckt  das  äussere  Blei 
das  innerhalb  des  Verbandes  liegende.  Mit  einem  scharfen  Mes^ 
tunschneidet  man  nun  das  äussere  Blech  c,  legt  es  zur  Se'te  m 
\  ertieft  den  gemachten  ovalen  Schnitt  rasch  und  leicht  bis  auf  d» 
innere  Blech,  nimmt  dieses  heraus  und  das  Fenster  ist  fertig.  D1 
Rand  desselben  umsäume  ich  mit  Leukoplast. 

Diese  Blechschciben,  die  ich  mir  in  vier  Grössen  vorrätig  hui- 
kann  jeder  Klempner  in  kurzer  Zeit  anfertigen.  Will  man  das  Origm 
beziehen,  so  erhält  man  dasselbe  von  Klempner  Pfeiffer,  Har.  ■ 
Glockenstrasse  6,  vier  Doppelstück  zu  M.  2.50. 


Dezember  1914.  Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift.  2361 


Die  Gipsschiene  im  Dienste  der  Kriegschirurgie"). 

Von  Prof.  Dr.  A.  Most  aus  Breslau,  zurzeit  im  Felde. 

Es  ist  ein  bekannter  und  allgemein  anerkannter  Grundsatz,  dass 
Ge  schweren  Schussverletzungen,  zumal  alle 
nochen-  und  üelenksschüsse  möglichst  bald  und 
o  g 1  i  c  h  s  t  gut  fixiert  werden  müssen.  Von  vornherein 
it  fixierte  Knochenverletzungen  zeigen  in  der  Regel  einen  günstigen 
undverlauf,  schlecht  oder  gar  nicht  fixierte  Knochenschüsse  weisen 
cht  selten  bereits  im  Feldlazarett  die  Symptome  der  Infektion  auf. 

Als  bester  fixierender  Verband,  der  den  Verletzten  auch  bald 
ansportfähig  macht  —  und  das  ist  besonders  wichtig!  —  gilt  der 
rkuiärc  Gipsverband.  Seine  Vorzüge  sollen  auch  bei  Schussfrak- 
ren  an  der  unteren  Extremität  mit  kleiner,  aseptischer  Ein-  und 
isschussöffnung  und  geringem  Hämatom  nicht  bestritten  werden, 
r  fixiert  sicherer  und  besser  als  alle  Schienen  —  deren  Vorrat 
idem  oft  ausgeht  —  das  verletzte  Glied.  An  der  oberen  Extremität 
joch,  zumal  am  Oberarm  und  weiterhin  an  der  unteren  Extremität, 
inn,  wenn  durch  einen  Querschläger  oder  einen  Nahschuss  eine 
rossere  Weich  teil  wunde  vorhanden  war  oder  wenn  eine 
ress  er e  Blutung  ein  weiteres  Ansclnvellcn  des  verletzten 
liedes  befürchten  liess,  habe  ich  mich  stets  gescheut,  einen  zirku- 
ren  üipsverband  anzulegen.  Ich  habe  dabei  auf  die  von  mir  auch 
der  Friedenspraxis  öfters  geübte  Gipsschiene  zurückgegriffen, 
eiche  alle  Vorteile  einer  sich  individuell  der  ver- 
tzten  Extremität  eng  anschmiegenden,  sich  an¬ 
odeliierenden  Schiene  hat,  ohne  den  Zwang  des 
lamovilen,  zirkulären  Gipsverbandes  zu  teilen. 

Die  Technik  ist  einfach.  Statt  die  feuchten  Gipsbinden  zirkulär 
n  die  Extremität  herumzuführen,  werden  dieselben  an  ihr  entlang, 
lbstredend  über  die  der  Verletzung  benachbarten  Gelenke  hinweg 
führt  und  so  die  Extremität  etwa  in  ihrer  halben  Zirkumferenz 
gegipst1).  Bei  Bruch  des  Oberarmes  oder  der  Schulter  wird, 
enn  keine  andere  Lage  indiziert  ist,  am  rechtwinklig' flektierten  Arm 
e  Schiene  vom  Handgelenk  bis  zum  Hals  an  der  Aussenseite  der 
ctremität  emporgeführt  und  dann  der  Arm  an  den  Rumpf  mit 
mbrik-  und  Stärkebinden  anbandagiert.  Bei  Oberschenkelbrüchen 
icht  die  Schiene  dorsal,  lateral  oder  mehr  an  der  Hinterseite  der 
itremität,  je  nach  Lage  der  Wunde,  von  der  Knöchelgegend  bis 
»er  das  Becken  hinaus  empor.  Die  Weichteilwunde,  von 
er  man  eine  stärkere  Sekretion  erwartet,  wird 
eigelassen.  Infolgedessen  muss  man  die  Schiene 
1 1 weder  der  Wunde  gegenüber  oder  wenigstens 
Jitlich  von  ihr  anlege  n.  Auch  hier  wird  die  Gipsschiene 
hüesslich  mit  Kambrik-  und  Stärkebinde  reichlich  fixiert.  Selbst- 
dend  ist  es  Vorbedingung,  dass  der  Gips  rasch  härtet,  dass  der 
irband  reichlich  ist,  vielleicht  mit  Schusterspahn  verstärkt  wird 
d  dass  eine  gute  Assistenz  die  Binden  beim  Anlegen  oben  und 
ten  sicher  fixiert. 

Den  Vorzug  der  Gipsschiene  irn  Kriege  erblicke  ich  in  ihrer 
tschen  und  stets  möglichen  Anwendbarkeit.  Sie 
nn  also  auch  schon  auf  dem  Hauptverbandplatz  angelegt  werden, 
enn  der  Zustrom  der  Verwundeten  nicht  zu  enorm  ist.  Ferner 
imobilisiert  sie  das  verletzte  Glied  bei  guter  Technik 
; r a d e  so  gut,  wie  der  zirkuläre  Gipsverband,  ge- 
ittet  aber  dabei  jederzeiteine  schon  endereu  ndgriind- 
chere  Revision  der  Wunde  als  dies  durch  .die  engere 
■ffnung  des  gefensterten  Gipsverbandes  möglich  ist.  Leicht  schnei- 
n  bekanntlich  die  Ränder  des  Fensters  in  die  oft  sich  heraus- 
ängenden  Weichteile  in  empfindlicher  Weise  ein  oder  aber  das 
kret  der  Wunde  staut  sich  zwischen  Verband  und  Extremität,  ver¬ 
ändert  den  Gipsverband,  kann  ihn  erweichen  und  so  unter  Um¬ 
inden  vielleicht  sogar  dessen  Festigkeit  gefährden.  Vor  allem  aber 
rd  seine  Abnahme  besonders  dann  Schwierigkeiten  bereiten  und  für 
s  verletzte  Glied  nicht  gleichgültig  sein,  wenn  die  Knochenver- 
zung  noch  relativ  frisch  ist  oder  Zeichen  der  Infektion  drohen, 
beiden  Fällen  ist  gerade  ein  schonender  Verba  ndwech- 
;  1,  der  die  Frakturstelle  möglichst  wenig  irritiert 
ch  den  eingangs  erwähnten  Erfahrungen  und  Grundsätzen  Vor- 
idingung  und  dieser  kann  beim  zirkulären  Gipsverband  wohl 
r  unvollkommen,  bei  einer  richtig  liegenden  und 
:aktappliziertenSchienejederzeitunschwerge- 
a  h  r  1  e  i  s  t  e  t  werden.  Aus  diesen  Gründen  glaube  ich  die  Gips- 
hiene  unter  den  oben  erwähnten  Indikationen  gerade  für  die 
riegschirurgie  im  militärischen  Operationsge- 
e t  und  für  den  Transport  in  die  Heimat  empfehlen  zu 
rfen. 


*)  Die  vorliegenden  Ausführungen  waren  bereits  fertig  gestellt 
d  der  Redaktion  dieser  Zeitschrift  übersandt,  als  mir  der  Artikel 
Baeyers  „Zur  Anfertigung  von  Gipsschienen“  iti  Nr.  7  der 
Idärztlichen  Beilage  zuging. 

J)  Ich  bin  jetzt  mit  dieser  einfachen  Technik  stets  zufrieden  ge- 
isen.  Die  Erfahrung  wird  zeigen,  ob  der  v.  B  a  e  y  e  r  sehe  Vor- 
dag  Vorzüge  besitzt. 


Einige  Winke  für  das  Operieren  im  Felde. 

Nachtrag  zur  Arbeit  Perthes  (M.tn.W.  Nr.  47,  Feldärztl. 

Beilage  Nr.  16). 

Der  Verf.  erwähnt  in  seiner  obigen  Abhandlung  zur  Frage  der 
Beleuchtung  des  Operationsfeldes,  dass  ihm  die  elektrische  Stirn¬ 
lampe  mit  Trockenbatterie  besonders  gute  Dienste  geleistet  habe.  Da 
jedoch  der  Ersatz  der  Batterie  im  Felde  auf  Schwierigkeiten  stossen 
kann,  so  erwägt  Verf.  die  Verwendung  von  Azetylengas  zum  Betriebe 
der  Stirnlampe.  Azetylen  wird  zur  Beleuchtung  der  Automobile  stets 
in  grossen  Vorräten  im  Felde  mitgeführt  und  ist  daher  überall  zu 
haben.  Versuche  mit  einer  derartigen  Lampe  seien  bereits  im  Gange. 
Ich  bin  nun  beauftragt  mitzuteilen,  dass  inzwischen  eine  brauchbare 
Form  dieser  Lampe  hergestellt  wurde  *).  Sie  besteht  aus  dem  mit 
Kugelgelenk  am  Stirnreifen  befestigten  Reflektor,  wie  er  von  den 
Fahrradlaternen  bekannt  ist,  und  einem  am  Gürtel  anzuhängenden 
Gasentwickler  von  15  cm  Höhe.  Beide  Teile  sind  durch  einen 
Gummischlauch  miteinander  verbunden.  Die  Lampe  ist  bereits  in 
einer  Anzahl  von  Exemplaren  im  Felde  in  Verwendung  und  hat  sich 
dort  nach  Mitteilung  von  Herrn  Prof.  Perthes  vorzüglich  bewährt. 

H  a  r  t  e  r  t. 


Referate. 

Taschenbuch  des  Feldarztes.  II.  Teil.  Herausgegeben  von 
Generalarzt  Prof  Dr.  Ad.  D  i  e  u  d  o  n  n  e,  Geheimrat  Prof.  Dr. 
M.  v.  G  r  u  b  e  r,  Prof.  Dr.  H.  Guddc  n,  Oberstabsarzt  z.  D.  Dr. 
W.  II  a  s  s  I  a  u  e  r,  Privatdozent  Dr.  W.  Heue  k,  Stabsarzt  Prof. 
Dr.  Fr.  Salzer,  Oberstabsarzt  Prof.  Dr.  Gg.  S  i  1 1  m  a  n  n,  Prof. 
Dr  W.  S  p  i  e  1  m  e  y  e  r,  Prof.  Dr.  W.  W  e  i  c  h  a  r  d  t.  Mit  einer 
Tabelle  und  12  Abbildungen.  J.  F.  Lehmanns  Verlag,  München 
1914.  238  Seiten.  Preis  4  M. 

Das  praktische  Bedürfnis  unserer  Kollegen  draussen  im  Felde 
oder  sagen  wir  besser,  die  gebieterische  Notwendigkeit,  unser  Heer 
an  den  Fronten  besonders  vor  den  schweren  Verlusten  durch  Kriegs¬ 
seuchen  und  andere  Erkrankungen  möglichst  zu  bewahren,  rufen 
dringend  nach  literarischen  Erscheinungen,  wie  wir  es  in  dem  vor¬ 
liegenden  Taschenbuch  des  Feldarztes  vor  uns  haben,  das  als  II.  Teil 
des  chirurgischen  Vademekums  des  Feldarztes  (von  Prof.  Dr. 
A.  Schönwerth  -  München)  eben  erschienen  ist.  Auf  knappem 
Raume  und  in  praktischer  handlicher  Form  ist  in  diesem  Büchlein 
ungemein  viel  wertvolles  zusammengestellt.  Das  Kapitel  der  über¬ 
tragbaren  Krankheiten  ist  von  drei  Verfassern  bearbeitet.  General¬ 
arzt  Prof  Dr.  Dieudonne  und  Prof.  Dr.  W.  Weichardt- 
Erlangeri  haben  den  sehr  gehaltvollen  Abschnitt  über  die  Ursachen, 
Verhütung  und  Bekämpfung  der  übertragbaren  Krankheiten  ge¬ 
schrieben.  Die  Verfasser  sprechen  sich,  fussend  auf  praktischen  Er¬ 
fahrungen  in  anderen  Heeren,  bestimmt  für  die  obligatorische  Durch¬ 
führung  von  Schutzimpfungen  zur  Seuchenbekämpfung  aus,  in  erster 
Linie  gegen  Typhus  und  Cholera.  Für  alle  in  Betracht  kommenden 
seuchenhaften  Krankheiten  wird  eine  kurze  Uebersicht  über  deren 
Erreger,  ihre  Eigenschaften,  ihre  Verbreitungsweise  im  Körper  und 
ihre  L.ebensbedingungen  ausserhalb  des  Körpers  gegeben  und  be¬ 
sonders  die  Anweisung,  sowohl  für  etwa  in  Frage  kommende  mikro¬ 
skopische  Untersuchungen,  als  besonders  für  die  Erzielung  eines 
zweckmässigen  Untersuchungsmateriales  für  die  Speziallaboratorien, 
ist  für  alle  einzelnen  derartigen  Krankheiten,  also  besonders  Typhus 
und  Paratyphus,  Ruhr,  Cholera,  Flecktyphus,  Pest,  Diphtherie,  Starr¬ 
krampf,  Milzbrand,  Tripper,  Syphilis  und  andere  in  genügend  ein¬ 
gehender  Weise  gegeben,  so  dass  man  sich  im  praktischen  Falle  sofort 
Rat  erholen  kann.  Daran  anschliessend  findet  sich  eine  alphabetische 
Uebersicht  über  die  wichtigsten  Keimtötungsmittel  und  deren  Anwen¬ 
dung,  letztere  nach  der  Anweisung  des  Kaiserl.  Gesundheitsamtes. 
Ferner  Angaben  über  geruchverbessernde  Mittel  und  Mittel  zur 
Vernichtung  von  Ungeziefer.  Die  nicht  im  Felde  stehenden  Kollegen 
können  sich  gerade  auch  von  der  Wichtigkeit  der  letzteren  Aufgabe 
kaum  eine  rechte  Vorstellung  bilden.  Den  klinischen  Teil  betreff  der 
übertragbaren  Krankheiten  hat  Prof  Sittmann  in  instruktiver 
Weise  verfasst  und  auch  die  Therapie  in  knapper  Form  berück¬ 
sichtigt.  Auf  die  Behandlung  mit  Bolus  alba,  speziell  bei  Ruhr  ' 
und  Cholera,  legt  Verfasser  grossen  Wert.  Auch  die  Pockenerkran¬ 
kung  sowie  Fleckfieber,  Krankheiten,  die  wir  ja  ebenso  wie  die  Pest, 
gottlob  höchst  selten  sehen,  sind  eingehender  dargestellt.  Für  die 
Behandlung  des  Wundstarrkrampfes  wird  die  Amttoxinbehandlung 
neben  der  Einverleibung  von  Magnesia  sulfurica  empfohlen.  Eine 
tabellarische  Uebersicht  über  Inkubationsdauer,  Infektionswege  und 
Entkeimung  —  das  Werkchen  befleissigt  sich  einer  möglichsten  Ver¬ 
meidung  nichtdeutscher  Worte  —  bei  den  wichtigsten  übertragbaren 
Krankheiten  nach  Gotschlich,  welche  sehr  praktisen  zu  sein 
scheint,  scbliesst  diesen  Abschnitt  ab.  Es  folgt  sodann  ein  ebenfalls 
von  Sittmann-  München  verfasster  Abschnitt  über  einzelne,  be¬ 
sonders  häufig  durch  den  Krieg  verursachte  innere  Erkrankungen,  wie 
Lungenblähung,  akute  Herzmuskelschwäche,  nervöse  Herzstörungen. 
Bronchialkatarrh  und  Tuberkulose,  Hitzschlag  etc.,  häufig  mit  Hin¬ 
weisen  auf  die  durch  diese  Erkrankungen  gesetzte  Bedrohung  der 
Felddiensttauglichkeit.  Es  folgen  sodann  praktisch  sehr  wichtige  Aus¬ 
führungen  über  Verletzungen  des  Nervensystems,  besonders  die  wicli- 

*)  Zu  haben  bei  C.  Erbe,  Tübingen  (Preis  20  M.  mit  Futteral). 


23 62 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  49. 


tigen  peripherischen  Nervenverletzungen  und  ihre  Therapie,  sowie 
über  die  Erkrankungen  des  Nervensystems,  worunter  besonders  der 
Hitzschlag,  Neuralgie  und  Neuritis,  behandelt  werden,  diese  Kapitel 
von  Prof.  Dr.  W.  S  p  i  e  1  in  e  y  e  r  -  München;  dann  das  ebenfalls 
aussen  rdentlich  wichtige  Kapitel  über  die  Geistesstörungen,  welche 
im  Anschluss  an  Kriegsleistungen  in  den  verschiedensten  Formen 
zur  Beobachtung  gelangen.  Auch  die  Schock-,  Luftdruck-  und  Geschoss 
kontusionspsyebosen  finden  in  diesem  von  Prof,  ü  u  d  d  e  n  über¬ 
nommenen  Abschnitt  eine  sachgemässe  Darstellung.  V.,  VI.  und  VII. 
Kapitel  sind  den  eigentlichen  Spezialfächern  gewidmet  und  zwai 
hat  Prof.  Salzer-  München  das  Wichtigste  über  Erkrankungen  und 
Verletzungen  des  Auges,  einschliesslich  der  Therapie  dargestellt, 
W.  Haslauer  -  München  die  in  Betracht  kommenden  Ohren-, 
Nasen-  und  Halskrankhciten,  nebst  einer  Aufstellung  über  die  Aus¬ 
rüstung  des  Feldarztes  hinsichtlich  dieser  Krankheitsformen,  Priv.- 
Doz.  W.  H  e  u  c  k  -  München  hat  sowohl  die  in  Betracht  kommenden 
zahlreichen  Hautkrankheiten  als  die  Geschlechtskrankheiten  für  die 
praktischen  Bedürfnisse  übersichtlich  zusammengestellt.  Auf  die 
Verhältnisse  irn  Felde  ist  auch  hier,  besonders  bei  der  Behandlung 
überall  Rücksicht  genommen  und  sind  auch  eine  Anzahl  von  Rezepten 
beigegeben.  Letzteres  dürfte  sich  übrigens,  um  das  Mitsichtragen 
eines  weiteren  Büchelchens  zu  ersparen,  auch  bezüglich  der  anderen 
Krankheitsgruppen  empfehlen.  Geh.-Rat  Max  v.  G  r  u  b  e  r  -  München 
hat  auf  ein  paar  Blättern  des  Buches  in  eindringlichster  Weise  die 
Aufgaben  und  Pflichten  der  Heeresangehörigen  hinsichtlich  der  Ab¬ 
haltung  von  Geschlechtskrankheiten,  besonders  im  Hinblick  auf  die 
Rassenhygiene,  auf  das  Schärfste  betont  und  auch  die  Mittel  liiefür  in 
lapidarer  Form  gezeichnet.  Die  Forderung,  im  Felde  sich  des 
Alkohclgenusses  so  gut  wie  völlig  zu  enthalten,  wird  von  Grub  er 
aus  allgemeinen  Betrachtungen  über  unsere  Lage  als  Nation  in  das 
hellste  Licht  gerückt.  Den  Schluss  des  Buches  bildet,  abgesehen  von 
einem  alphabetischen  Schlagwörterverzeichnis  ein  Verzeichnis  der 
Arzneimittel  der  Kriegssanitätsordnung.  Dieses  bringt  nicht  bloss 
die  lateinischen  Namen,  sondern  auch  ihre  Uebersetzung  ins  Fran¬ 
zösische,  Englische  und  Russische.  Ob  diese  drei  Sprachen  wohl 
für  die  nächste  Auflage  noch  genügen  werden?  Das  nützliche  Werk 
wird  seinen  Weg  ins  Feld  hinaus  und  in  die  Zwischenstationen  bis 
zur  Heimat  hin  in  Bälde  finden  und  gewiss  der  Nation  keinen  kleinen 
Nutzen  verschaffen.  Grassmann  -  München. 


Kleine  Mitteilungen. 

Die  Ernährung  der  deutschen  Zivilbevölkerung  im  Krieg. 

11. 

Der  Plan  der  Triple-Entente,  uns  auszuhungern,  kann  als  miss¬ 
lungen  bezeichnet  werden.  Dagegen  besteht  die  Möglichkeit,  ja  sogar 
die  Wahrscheinlichkeit,  dass  bei  längerer  Dauer  des  Krieges  ein  star¬ 
kes  Ansteigen  der  Lebensmittelpreise  stättfinden  wird.  Es  ist  not¬ 
wendig,  weitere  Vorsichtsmassregeln  zu  treffen,  damit  diese  Preis¬ 
steigerung  keine  zu  grosse  wird. 

Seefische  könnten  als  Reserven  für  den  nächsten  Frühling 
für  uns  sehr  wertvoll  werden.  Im  Winter  lassen  sich  die  Seefische 
leicht  versenden,  für  den  Sommer  empfiehlt  sich  die  Konservierung 
der  billigen  Seefischarten  durch  Einsalzen  und  Trocknen,  und  zwar 
ist  hier  in  erster  Linie  an  den  Kabeljau  zu  denken,  von  dem  das  Pfund 
in  getrocknetem  Zustande  bisher  zu  25 — 30  Pf.  gekauft  wurde.  Der 
Kabeljau  (Klippfisch,  Stockfisch)  ist  ein  vorzügliches  Nahrungsmittel. 
Es  sollten  von  den  Regierungen,  Kommunen  und  Genossenschaften 
grössere  Lager  getrockneter  Klippfische  errichtet  werden.  Zweck¬ 
mässig  wäre  es,  wenn  die  Regierungen  den  Genossenschaften  zu 
diesem  Zweck  Geld  zu  geringem  Zinsfusse  vorschiessen  würden. 

Linsen  und  Erbsen  sind  heute  in  Deutschland  fast  gar  nicht 
zu  haben.  Diese  Hülsenfrüchte  wurden  bisher  zum  grössten  Teil  aus 
Russland  bezogen.  Es  ist  notwendig,  uns  auch  für  die  Zukunft  be¬ 
züglich  dieses  ausgezeichneten  Nahrungsmittels  vom  Auslande  un¬ 
abhängig  zu  machen.  Es  sollten  im  nächsten  Frühjahre  grössere  Men¬ 
gen  Erbsen  und  Linsen  angebaut  werden.  Sehr  empfehlenswert  ist 
auch  der  Anbau  der  Sojabohnen,  die  als  gutes  Nahrungsmittel  in  Japan 
schon  lange  einer  grossen  Verbreitung  sich  erfreuen.  Es  werden  dort 
aus  Sojabohnen  nicht  bloss  Gemüse,  sondern  auch  Suppen,  Saucen, 
Salate,  Biskuite  und  andere  wohlschmeckende  Speisen  hergestellt. 
Um  die  Klein-  und  Mittelbauern  zum  Anbau  dieser  Nahrungsmittel  an¬ 
zueifern,  sollte  der  Staat  Prämien  für  den  Anbau  von  Erbsen  und 
Linsen  aussetzen,  etwa  für  den  Bau  von  10  Zentnern  1  M.  pro  Zentner. 
Es  sollte  im  November  und  Dezember  der  Boden  umgeackert  und 
reichlich  gedüngt  werden.  Wenn  der  Stalldünger  nicht  ausreicht, 
muss  man  Kunstdünger,  Thomasmehl  u.  dergl.  nehmen.  Wir  haben 
sehr  viel  Plätze,  die  leer  stehen  und  die  zum  Anbau  dieser  Früchte 
mit  Vorteil  verwendet  werden  können,  so  z.  B.  viele  Bauplätze,  ein 
Teil  der  städtischen  Anlagen,  Ziergärten,  einzelne  Waldgegenden 
u.  dergl.  Die  Bezirksamtmänner  sollten  diese  Anregungen  an  die 
landwirtschaftlichen  Kreise  weitergeben.  Wir  sollten  auch  die  Ungarn 
auffordern,  in  ihren  fruchtbaren  Gegenden  mehr  Erbsen,  Linsen  usw. 
zu  bauen. 

Auch  Reis  sollte  in  grösserer  Menge  auf  Lager  gelegt  werden, 
ln  Italien  sind  noch  grosse  Reislager  vorhanden,  vielleicht  könnte  der 
Bundesrat  die  Erlaubnis  zur  Vermehrung  der  Reisausfuhr  erwirken 
und  auch  Italien  veranlassen,  mehr  Reis  anzubauen.  Es  würde  dann 


auch  der  Reis  in  Deutschland  wieder  billiger  werden  und  es  möglich 
zu  machen  sein,  dass  das  Pfund  Reis  für  15 — 18  Pf.  zu  haben  ist. 
Auch  der  Reis  ist  ein  vorzügliches  Nahrungsmittel,  bekanntlich  leben 
ja  viele  Volksstämme  in  Asien,  Afrika  usw.  in  der  Hauptsache  von 
Reis,  sind  dabei  sehr  kräftig  und  ausdauernd  in  der  Ertragung  von 
Strapazen. 

Auch  die  Kastanien  werden  als  Nahrungsmittel  noch  nicht 
ihrer  Bedeutung  entsprechend  gewürdigt.  Sie  sind  ein  sehr  billiges 
und  zweckmässiges  Ersatzmittel  für  Fleisch.  Sie  können  gebraten 
oder  als  Püree  verspeist  werden;  ihr  Preis  ist  ein  sehr  geringer.  Mit 
Bedauern  musste  man  in  den  Zeitungen  lesen,  dass  z.  B.  in  der  Tau- 
nusgegend  gewachsene  Esskastanien  unbenützt  verdorben  sind. 

Aehnliches  gilt  von  der  Gemüsekost,  auch  ihre  grosse  gesund¬ 
heitliche  Bedeutung  wird  von  der  grossen  Masse  des  Volkes  zu  wenig 
gewürdigt;  es  sind  in  diesem  Herbste  ebenfalls  grosse  Mengen  von 
Gemüse  ungenützt  zugrunde  gegangen. 

Auch  Mais  und  Hafer  sind  vorzügliche  Nahrungsmittel  auch 
für  den  Menschen.  Es  sollten  im  nächsten  Frühling  diese  Getreide¬ 
arten  in  grösserer  Ausdehnung  als  bisher  von  unseren  Landwirten 
angebaut  werden.  Auch  sollten  die  Lebensmittelzölle  für  Nahrungs¬ 
mittel  während  des  Kriegs  möglichst  herabgesetzt  werden. 

Die  Bäcker  sollten  veranlasst  werden,  Semmeln  aus 
Roggenmehl  mit  Kleienzusatz  zu  backen.  Es  sollte  den  Wirten 
befohlen  werden,  nur  solche  Semmeln  oder  anderes  Roggenbrot  in 
ihren  Lokalen  aufzustellen. 

Es  müsste  angestrebt  werden,  die  irrige  Meinung  von  der  Not¬ 
wendigkeit  oder  Nützlichkeit  des  Konsums  grösserer  Fleischmengen 
im  Publikum  zu  widerlegen. 

Die  Aerzte  sollten  mehr,  als  dies  bis  jetzt  geschehen  ist,  sich  mit 
den  modernen  Anschauungen  in  der  Ernährungslehre  bekannt  machen. 
Es  wird  die  Ausbreitung  des  in  weiten  Kreisen  der  Bevölkerung 
herrschenden  Vorurteils,  dass  nur  animalische  Nahrungsmittel 
(Fleisch,  Milch  und  Eier)  einen  grossen  Nährwert  besitzen,  noch 
durch  manche  Aerzte  gefördert,  indem  Kranken  und  Gesunden  wegen 
angeblich  vorhandener  oder  zu  befürchtender  Unterernährung  immer 
wieder  der  Konsum  grosser  Mengen  von  Fleisch  und  Eiern  empfohlen 
wird,  obwohl  doch  nahezu  alle  Forscher  die  Meinung  vertreten,  dass 
der  allzu  reichliche  Genuss  grosser  Quantitäten  tierischen  Eiweisses 
geradezu  schädlich  wirkt.  Erzieherisch  würde  in  dieser  Beziehung 
es  wirken,  wenn  in  Krankenhäusern,  Erziehungsanstalten,  Gefäng¬ 
nissen  und  auch  beim  Militär  ein  ausgiebigerer  Gebrauch  von  der 
Pflanzenkost  gemacht  würde.  Namentlich  von  seiten  unserer  im  Felde 
stehenden  Truppen  laufen  vielfache  Klagen  ein  über  die  Einförmigkeit 
der  Lebensweise,  die  dadurch  herbeigeführt  wird,  dass  sie  fast  aus¬ 
schliesslich  mit  Fleisch  genährt  werden. 

Vor  allem  wäre  es  auch  wichtig,  bei  der  Erziehung  der  Kinder 
darauf  Rücksicht  zu  nehmen,  dass  sie  sich  an  den  Genuss  von  Salaten, 
Gemüsen,  Kartoffeln  und  Obst  mehr  gewöhnen. 

Bezirksärzte,  Bezirksamtmänner  und  Bürgermeister  sollten  bei 
der  Aufklärung  der  Bevölkerung  in  bezug  auf  die  Ernährungsfrage 
mitwirken. 

Auch  der  Verbrauch  der  alkoholischen  Getränke  sollte 
immer,  vor  allem  aber  in  Kriegszeiten,  mehr  eingeschränkt  werden. 
Die  Herstellung  dieser  Getränke  bedingt  eine  gewaltige  Verschwen¬ 
dung  wichtiger  Nahrungsmittel.  Die  durch  den  Alkoholgenuss  an¬ 
geblich  bewirkte  Ersparung  von  Nahrungsmitteln  fällt  bei  der  Mehr¬ 
zahl  der  Trinker  schon  deshalb  nicht  in  vorteilhafter  Weise  ins  Ge¬ 
wicht,  weil  ja  die  alkoholischen  Getränke  meist  nur  nebenbei  zur 
Mahlzeit  oder  nach  der  Mahlzeit  genossen  werden.  Eine  möglichste 
Verringerung  des  Alkoholgenusses  muss  geradezu  als  patriotische 
Pflicht  erklärt  werden. 

Auch  von  diesem  Gesichtspunkte  aus  ist  anzuraten,  den  Peti¬ 
tionen  um  Verlängerung  der  Polizeistunden  nicht  stattzugeben,  um 
so  mehr  als  eingelaufene  Feldpostbriefe  zeigen,  dass  unsere  Soldaten 
sich  zum  Teil  sehr  bitter  darüber  beschweren,  dass  sie  in  den 
Schützengräben  frieren,  hungern  und  bluten,  während  ein  Teil  ihrer 
Angehörigen  zu  Hause  einen  grossen  Teil  der  Nacht  in  den  Wirts¬ 
häusern  herumschwärmen  will. 

Um  die  Mässigkeit  im  Alkoholgenuss  bei  den  Soldaten  zu  fördern, 
wäre  es  wohl  angezeigt,  von  Zeit  zu  Zeit  in  den  Lazaretten  für  die 
Verwundeten  aufklärende  Vorträge  über  den  Alkohol  zu  halten.. 

In  vielen  Zeitungen  waren  in  neuerer  Zeit  Aufrufe  an  das  Publi¬ 
kum  enthalten,  es  möge  nicht  zu  viel  gespart  werden.  Wir  meinen, 
dass  diese  Aufforderung  ihre  Berechtigung  hat,  wenn  vermögende 
Leute  vor  die  Frage  der  Neuanschaffung  von  Bekleidungsstücken, 
Möbel  u.  dergl.  gestellt  werden.  Dagegen  ist  es  falsch,  vor  Sparsam¬ 
keit  in  bezug  auf  Nahrungsmittel  zu  warnen.  Der  Import  von  Nah¬ 
rungsmitteln  von  seiten  des  Auslandes  ist  zurzeit  ein  sehr  geringer. 
Wenn  also  mit  den  Nahrungsmitteln  nicht  gespart  wird,  so  werden 
selbstverständlich  in  einigen  Monaten  die  Preise  für  Nahrungsmittel 
auf  eine  für  viele  Leute  nur  schwer  zu  erschwingende  Höhe  hinauf¬ 
getrieben. 

Dr.  Hecht  Dr.  H  o  h  m  a  n  n  Prof.  Kerschensteiner 
Hofrat  K  r  e  c  k  e  Dr.  L  u  k  a  s  Dr.  S  c  h  o  1 1 
Aerztlicher  Kriegsausschuss  München. 


Hofrat  C  r  ä  m  e  r,  Hofrat  Decker,  Dr.  K  r  ü  c  h  e,  Geh.-R.  Prof, 
v.  Müller,  Hofrat  Oppenheimer,  Hofrat  Theilhaber. 


Dezember  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


2363 


Aus  Feldpostbriefen. 

Aus  einem  englischen  Kriegsgefangenenlager  in  Nord-Wales 
.hreibt  uns  Herr  Stabsarzt  Dr.  H.: 

„Wir  sind  hier  jetzt  9  Kollegen,  die  in  einem  Offiziersgefangenen- 
,ger  untergebracht  sind.  Ich  selbst  bin  mit  4  anderen  Herren  seit 
IX.  in  englischer  Gefangenschaft.  Wir  versuchten  bald  nach  unserer 
nkunft  unsere  Entlassung  herbeizuführen,  erhielten  aber  Mitte  Ok- 
iber  die  Nachricht,  dass  wir  aus  militärischen  Gründen  zuriickge- 
alten  würden.  Neulich  hiess  es  auf  eine  weitere  Eingabe,  dass 
ir  wohl  zurückgesandt  werden  würden,  wenn  Deutschland  die  dort 
stgehaltenen  englischen  Aerzte  entlasse.  Soviel  wir  wissen,  sind 
ilche  allerdings  noch  dort,  aber  ein  Teil  ist  schon  vor  geraumer 
eit  zurückgekehrt.  So  ruht  unsere  Hoffnung  jetzt  auf  einer  Art 
ustausch.  Es  ist  natürlich  ein  betrübliches  Gefühl,  in  solcher  Zeit 
itenlos  zu  sitzen,  wo  unsere  Hilfe  so  nötig  ist,  im  übrigen  aber 
eht  es  uns  gesundheitlich  gut.“ 


Ausländerei  in  der  Medizin. 

Unter  diesem  Titel  wird  uns  geschrieben: 

Obwohl  wir  unter  einer  Flut  deutscher  wissenschaftlicher  Publi- 
ationen  leiden,  gibt  es  bei  uns  in  der  Pädiatrie  Zeitschriften,  welche 
on  russischen  Autoren  förmlich  überlaufen  werden.  Alle  diese 
ublikationen  sind  aber  bereits  jenseits  von  Eydtkuhnen  russisch 
schienen  und  werden  uns  durch  unsere  dortigen  Referenten  kurz 
^ermittelt!  Wenn  ferner  wenigstens  die  Qualität  derartiger  Ar- 
;iten  die  Lektüre  lohnte!  Schlimmer  noch  ist  jedoch  die  Art  und 
■  eise,  wie  unsere  Muttersprache  von  diesen  Autoren  geschunden 
ird.  Es  fällt  keinem  Redakteur  ein,  die  Arbeit  zurückzusenden 
it  der  Bitte,  sie  erst  mal  in  anständigem  Deutsch  abzuliefern.  Nein, 
it  all  den  Fehlern  gegen  die  einfachsten  Regeln  der  Syntax  wird 
;r  Plunder  gedruckt. 

Man  macht  es  unseren  Professoren  zum  Vorwurf,  dass  das  aus- 
ndische  Element  bei  den  Assistenten  und  Hörern  mehr  und  mehr 
inimmt.  Nun  darf  aber  nicht  vergessen  werden,  dass  die  Leiter 
iserer  Kliniken  von  ausländischen  Aerzten  und  Aerztinnen,  die  bei 
nen  arbeiten  oder  hören  wollen  oder  aber  direkt  von  Staats¬ 
egen  nach  Deutschland  entsendet  worden  sind,  geradezu  überlaufen 
erden.  Die  Buntscheckigkeit  des  Stabes  mancher  Klinik  fordert  oft 
im  Spott  heraus.  Ich  erinnere  mich  aus  meiner  Assistentenzeit, 
iss  unsere  Klinik  in  einem  Semester  folgende  Mitglieder  zählte: 
Reichsdeutsche,  1  Oesterreicher,  1  Ungar,  1  Tscheche,  5  Russen, 
Belgier,  1  Holländer,  1  Norweger,  1  Schwede,  1  Nordamerikaner, 
Brasilianer  und  natürlich  der  unvermeidliche  Japanese.  Psycho- 
gisch  begreiflich  ist  es  ja,  dass  unsere  ersten  Meister  ein  Gefühl 
is  Stolzes  überkommt,  wenn  sie  sehen,  wie  die  Söhne  aller  Länder 
ir  Erde  zu  ihren  Füssen  sitzen.  Aber  es  lässt  sich  nicht  leugnen, 
iss  das  Entgegenkommen  gelegentlich  zu  weit  geht.  Es  ist  vor- 
ikommen,  dass  bei  Konflikten  infolge  von  Uebergriffen  russischer 
olontäre  der  Chef  seine  deutschen  Assistenten  desavouiert  hat. 
ie  schlimmste  Folge  der  gekennzeichneten  Verhältnisse  ist  meines 
•achtens  die,  dass  unseren  Kliniken  und  Laboratorien  der  ursprüng- 
:he  Charakter  einer  kleinen,  vertrauten  Familie  verloren  gegangen 
t.  Der  Konnex  mit  dem  Chef  fehlt.  Wie  oft  habe  ich  mit  Gleich- 
:sinnten  bedauert,  dass  eine  buntgemischte  internationale  Gesell¬ 
haft  von  mindestens  20  Köpfen  sich  um  das  Krankenbett  drängte 
id  einem  jede  Lust  zur  Diskussion  benahm. 

Alles,  was  ich  hier  gestreift  habe,  sind  Kleinigkeiten.  Ich  glaube 
>er,  wenn  andere  ihre  gleichsinnigen  Erfahrungen  veröffentlichen 
ürden,  dann  käme  schliesslich  doch  ein  stattliches  Kapitel  heraus, 
if  das  wir  nicht  sehr  stolz  sein  dürften.  Auch  unserem  medizini- 
hen  Verlagsfirmen  scheint  es  hie  und  da  an  nationalem  Rückgrat 
i  fehlen.  So  erzählte  mir  beispielsweise  ein  Schiffsarzt,  er  habe  das 
:kannte  Werk:  „Die  deutsche  Klinik  am  Eingang  des  XX.  Jahr- 
inderts“  in  Brasilien  in  portugiesischer  Uebersetzung  gesehen, 
rer  wie  hatte  sich  der  Titel  verändert? :  Die  zeitgenössische 
mik  am  Eingang  usw.  Kl. 


Sicheres  Mittel  gegen  Flöhe. 

Wer  je  während  Kriegszeiten  ein  Lazarettbett  oder  überhaupt 
i  Soldatenbett  zum  Schlafen  benutzen  musste,  wird  erfahren  haben, 
ie  oft  nach  schwer  vollbrachtem  Tagewerke  oder  auch  nächtlicher 
itigkeit  der  ersehnte  Schlaf  stundenlang  hintangehalten  wurde  durch 
ne  Unzahl  von  Flöhen. 

Hier  ein  Mittel  dagegen:  Man  fülle  ein  200-g-Glas  oder  eine 
Ibe  Weinflasche  mit  2  proz.  Karbollösung,  nässe  damit  den  Zipfel 
nes  Handtuchs  oder  Taschentuchs  oder  einen  Bausch  Wundwatte 
id  betupfe  damit  in  der  Grösse  eines  Zwei-  oder  Dreimarkstücks 
.s  Hemd  auf  der  Brust  links  und  rechts  einmal,  ebenso  auf  der 
mch-,  Rücken-  und  Gesässseite,  desgleichen  Oberarme  und  Unter- 
me,  Oberschenkel  und  Unterschenkel,  je  nur  einmal. 

Man  wird  sofort  von  den  lästigen  Tieren  befreit  und  der  er- 
ünschte  und  nötige  kostbare  Schlaf  tritt  ein.  Gut  wird  es  sein,  dies 
irgehen  nochmals  am  zweiten  Abende  zu  wiederholen. 

Geh.  San.-R.  Berkhan  -  Braunschweig. 


Therapeutische  Notizen. 

O  r  t  i  z  o  n  So  gewagt  es  erscheinen  mag,  bei  der  Wundbehand¬ 
lung  unserer  und  der  feindlichen  Krieger  eine  Art  Panazee  zu  emp¬ 
fehlen,  möchte  ich  doch  auf  ein  Präparat  hinweisen,  welches  m.  E. 
noch  lange  nicht  den  hervorragenden  Platz  in  unserer  Lazarett-  und 
Feldapotheke  einnimmt,  den  es  verdient.  Ich  meine  das  Ortizon 
der  Firma  Bayer  &  Co.  Ich  benutze  dasselbe  in  Form  des  „Stiftes“ 
(mitunter  auch  des  trockenen  Pulvers)  in  meinem  Reservelazarett  mit 
seltenen  Ausnahmen  bei  allen  offenen  Fleisch-  und  Hautwunden. 

Der  Ortizonstift  wird  bekanntlich  wie  ein  Höllensteinstift  (in 
handlicher  Fassung)  verwendet,  vor  dem  er  aber  u.  a.  den  Vorzug 
der  Sauberkeit  geniesst.  —  Uebelriechende  und  schmierige  Wunden 
werden  durch  täglich  einmaliges  Bestreichen  oft  schon  in  wenigen 
ragen  geruchlos  und  bilden  gesunde  Granulationen.  Die  Schmerz¬ 
haftigkeit  bei  der  Anwendung  ist  minimal.  —  Bei  stark  sezernieren- 
den  Schusswunden  kann  der  Stift  mit  Erfolg  tief  eingeführt  werden, 
ein  Verfahren,  das  sich  gut  mit  Durchspülung  des  Schusskanales  mit 
3  proz.  W  asserstoffsuperoxydlösung  kombinieren  lässt.  Aus  Spar- 
samkeitsrücksichten  kann  man  sehr  wohl  einen  Stift  (nach  kräftiger 
Abreibung)  mehrmals  verwenden,  wenn  man  eine  sonst  einwand¬ 
freie  Wunde  vor  sich  hat.  Wo  hingegen  der  geringste  Verdacht  einer 
Infektionsgefahr  besteht,  ist  selbstverständlich  für  jeden  Fall  ein 
neuer  in  Anwendung  zu  bringen.  Zur  nachherigen  Bedeckung  der 
Wunde  verwenden  wir,  um  den  Watteverbrauch  möglichst  einzu- 
schränken,  neuerdings  fast  nur  noch  sterile  Charpie  mit  Gaze- 
umhüllung  und  Zellstoff.  San.-Rat  Dr.  Rindfleisch  -  Weimar. 


Tagesgeschichtiiche  Notizen. 

München,  den  5.  Dezember  1914*). 

—  Während  in  dieser  Woche  von  keinem  der  Kriegsschauplätze 
grössere  Ereignisse  zu  melden  sind  —  die  Besetzung  von  Belgrad 
erfolgte  ohne  schwere  Kämpfe  — ,  bildete  im  Innern  die  kurze  Sitzung 
des  Reichstages  am  2.  ds.  eine  eindrucksvolle  Kundgebung;  sie  zeigte 
von  neuem  die  völlige  Einigkeit  aller  Parteien  und  Stämme  des 
Reiches  und  die  restlose  Uebereinstimmung  zwischen  Regierung  und 
Volksvertretung  in  dem  festen  Willen,  den  uns  aufgezwungenen  Krieg 
durchzuführen  bis  zu  einem  Frieden,  der  der  gebrachten  Opfer 
wert  ist. 

Der  von  der  Regierung  verlangte  Kredit  von  5  Milliarden  wurde 
fast  einstimmig  (gegen  die  Stimme  des  Dr.  Liebknecht)  ge¬ 
nehmigt.  Von  dieser  grossen  Summe  sollen  200  Millionen  für  soziale 
Zwecke,  zur  Linderung  der  durch  den  Krieg  geschaffenen  Not  ver¬ 
wendet  werden.  Besonders  erfreulich  ist,  dass  dabei  auch  eine 
Reichshilfe  für  Wöchnerinnen  ins  Auge  gefasst  ist.  Allen 
Frauen,  deren  Ehemänner,  soweit  diese  zum  Kreise  der  gegen  Krank¬ 
heit  versicherten  Personen  gehören,  während  des  Krieges  dem  Reiche 
Kriegs-Sanitäts-  oder  ähnliche  Dienste  leisten,  soll  im  Falle  ihrer  Ent¬ 
bindung  eine  ausserordentliche  Unterstützung  aus  Reichsmitteln  ge¬ 
leistet  werden.  Diese  besteht  in  freier  Hilfe  durch  Hebamme  oder 
Arzt,  aus  einem  Wochengeld  in  Höhe  von  1  M.  täglich  für  8  Wochen 
und  aus  einem  Stillgeld  von  50  Pf.  täglich  tür  selbststillende  Wöchne¬ 
rinnen  für  die  Dauer  von  12  Wochen  nach  der  Niederkunft.  Die 
Kosten  dieser  Wochenhilfe  werden  auf  2  Millionen  monatlich  ge¬ 
schätzt.  Begründet  wird  dieser  hohe  Aufwand  aus  zwei  Gesichts¬ 
punkten:  „Einmal  hat  der  Ruf  zu  den  Fahnen,  also  die  Wahrnehmung 
der  höchsten  Pflicht  gegen  das  Vaterland,  den  am  Kriege  teilnehmen¬ 
den  Ehemännern  die  Möglichkeit  genommen,  hier  selbst  mit  des- 
nötigen  Hilfe  für  die  ihrigen  einzutreten.  Da  ist  es  dann  nur  billig, 
wenn  diesen  Männern  die  Sorge  um  Wohl  und  Bestand  ihrer  Familie 
durch  die  Gewissheit  erleichtert  wird,  dass  ihre  Frauen  in  deren 
schwerer  Stunde  vor  äusserster  Not  geschützt  und  der  bitteren  Sorge 
um  das  Leben  der  Neugeborenen  enthoben  sind.  Sodann  aber  machen 
die  gewaltigen  Opfer  an  Menschenleben,  die  der  Krieg  fordert,  es  zu 
einer  unabweisbaren  Pflicht  des  Reiches,  vorsorglich  auf  die  Er¬ 
haltung  und  Kräftigung  der  kommenden  Generation  schon  bei  deren 
Eintritt  ins  Leben  Bedacht  zu  nehmen.“ 

Die  Not  des  Krieges  hat  hier  also  einer  Forderung  zur  An¬ 
erkennung  verholfen,  die  noch  bei  den  Beratungen  über  die  Reichs- 
versicherungsordnung  vergebens  durchzusetzen  versucht  wurde.  Be¬ 
merkenswert  ist  besonders  auch  die  Betonung  der  Pflicht  der  Für¬ 
sorge  für  die  Erhaltung  und  Kräftigung  der  kommenden  Generation 
schon  bei  deren  Eintritt  ins  Leben.  Hier  liegt  der  erste  Schritt  zu 
einer  rassenhygienischen  Betätigung  von  seiten  des  Reiches  vor.  Die 
durch  den  Krieg  erzeugte  bittere  Notwendigkeit  wird  wohl  noch 
weitere  Schritte  auf  diesem  Wege  zur  Folge  haben.  So  gewinnen 
die  von  uns  in  Nr.  28,  S.  1568  d.  W.  mitgeteilten  Leitsätze  der  Deutschen 
Gesellschaft  für  Rassenhygiene  eine  vor  wenigen  Monaten  noch  nicht 
geahnte  Bedeutung. 

—  Der  frühere  Gynäkologe  der  Universität  Bonn,  Geh.  Med.-Rat 
Prof.  Dr.  Fritsch,  feierte  am  5.  ds.  seinen  70.  Geburtstag. 

—  Unser  verehrter  Mitarbeiter,  Herr  Dr.  S  a  a  t  h  o  f  f  in  Oberst¬ 
dorf  im  Allgäu,  hat  soeben  seine  neuerbaute  Kuranstalt  „S  t  i  1 1  a  c  h  - 
hau  s“  für  innere  und  Nervenkrankheiten  eröffnet.  Die  Anstalt,  die 
einen  Besitz  von  24  000  qm  umfasst,  liegt  in  geschützter  Lage  auf 

*)  Die  vorliegende  Nummer  musste  wegen  eines  katholischer 
Feiertags  früher  abgeschlossen  werden.  Red. 


2m 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  49. 


einer  Anhöhe,  gegen  900  m  ü.  M„  mit  der  vollen  Front  gegen 
Süden  und  prächtigem  Blick  auf  das  Gebirge.  Der  Bau  ist  nach  den 
Plänen  von  Prof.  Brill-  Kaiserslautern  errichtet  und  macht  einen 
ungemein  freundlichen  Findruck.  Kr  vereinigt  in  sich  alle  Fort¬ 
schritte  der  Technik  im  Sanatoriumsbau.  Er  verfügt  über  eigene 
Wasserleitung  und  Kanalisation,  Warmwasserheizung,  Heisswasser¬ 
leitung,  elektrische  Lichtanlage  etc.;  ebene  Gartenwege  und  Aufzug 
ermöglichen  auch  herzleidenden  Kranken  freie  Bewegung  ohne  steigen 
zu  müssen.  Da  Bayern  nur  wenige  allen  Anforderungen  entspre¬ 
chende,  ärztlich  geleitete  Sanatorien  in  dieser  Höhenlage  besitzt, 
entspricht  die  Anlage  auch  einem  Bedürfnis. 

—  Die  zahlreichen  Hilfsexpeditionen,  die  das  Deutsche  Rote 
Kreuz  in  den  letzten  Jahren  zur  Linderung  der  Not  in  fremden  Krie¬ 
gen  ausgerüstet  hat,  haben  jetzt  eine  zusammenfassende  Darstellung 
gefunden  in  dem  soeben  aus  Anlass  des  50  jährigen  Bestehens  des 
Roten  Kreuzes  bei  J.  Springer  in  Berlin  erschienenen  Werk: 
„Beiträge  zur  Kriegschirurgie  aus  den  Hilfsunter¬ 
nehmungen  der  deutschen  Vereine  vom  Roten  Kreuz  während  des 
italienisch-türkischen  Feldzuges  1912  und  des  Balkankrieges  1912/13“, 
herausgegeben  vom  Zentralkomitee  der  deutschen  Vereine  vom  Roten 
Kreuz.  Mit  607  Abbildungen.  1113  Seiten.  Preis  40  M.  Wir  wer¬ 
den  eine  eingehendere  Besprechung  des  grossen,  für  die  Kriegs- 
chirurgie  jetzt  besonders  wichtigen  Werkes  demnächst  bringen. 

In  J.  F.  L  e  h  m  a  n  n  s  Verlag  in  München  erschien  das  2.  Blatt 
der  Wandtafel:  „Kriegsschiffsverluste  unserer  Feinde. 
Verluste  bis  15.  November  1914“.  Das  Blatt  zeigt  im  Bilde  die  zu 
Verlust  gegangenen  Kriegsschiffe  der  feindlichen  Flotten,  mit  Angaben 
über  ihre  Grösse,  Bewaffnung,  Besatzung  etc.  Das  Blatt  wird  vom 
Veriag  allen  Lazaretten  des  Deutschen  Reiches  und  von  Oesterreich- 
Ungarn  für  jeden  Kranktnsäal  kostenfrei  zur  Verfügung  gestellt. 

Im  gleichen  Verlag  erschien  ferner  das  2.  Blatt  der  See  -  und 
Landkriegskarte,  enthaltend  Mittelmcer  und  angrenzende 
Länder  Preis  1  M. 

—  Cholera.  Deutsches  Reich.  Das  Auftreten  der  Cholera  in 
Russland  und  ihr  Vordringen  nach  Oesterreich-Ungarn  hat  dazu  ge- 
tührt,  dass  auch  einige  Fälle  sich  in  Oberschlesien  gezeigt  haben. 
Es  handelte  sich  dabei  bisher  um  36  Erkrankungen,  die,  abgesehen 
von  3  Fällen,  sämtlich  bei  Angehörigen  der  österreichisch-ungarischen 
Armee  oder  bei  Fuhrleuten,  die  im  Dienste  dieser  Armee  stehen, 
vorgekornmen  sind,  ln  der  Woche  vom  8. — 14.  November  wurden 
in  Myslowitz  (Reg.-Bez.  Oppeln),  Altberun  und  Tichau  (Kr.  Pless) 
je  1  Erkrankung  festgestellt.  In  der  Woche  vom  15. — 21.  November 
wurden  17  Erkrankungen  gemeldet,  und  zwar  in  Kreuzburg  6,  in 
Tichau,  Nikolai  (Kr.  Pless)  und  Gleiwitz  je  2,  in  Boguschütz,  Birken¬ 
thal-  Kochlowitz  (Kr.  Kattowitz),  Rosenberg  und  Pless  je  1.  Vom 
22.-28.  November  wurden  16  Erkrankungen  ermittelt,  davon  in  Ro- 
senberg  und  Kreuzburg  je  4,  in  Pless  3,  in  Pogorzelletz  bei  Kandrzin, 
Gleiwitz,  Tichau,  Kattowitz  und  Kgl.  Neudorf  je  1.  —  Oesterreich- 
Ungarn.  In  der  Woche  vom  1. — 7.  November  wurden  in  Oesterreich 
844  Erkrankungen  (und  331  *)  Todesfälle]  festgestellt,  und  zwar  in 
Niederösterreich  105  (16)  —  davon  in  Wien  90  (10),  in  Galizien  in 
46  Gern.  584  (268)  —  davon  in  Krakau  22  (2),  in  Przemysl  126  (44). 
Von  den  Erkrankten  in  Galizien  waren  336  Militärpersonen  und 
248  Einheimische;  von  den  260  in  anderen  Landesteilen  vorge- 
kommenen  Erkrankungen  betrafen  19  die  einheimische  Bevölkerung 
und  190  Militärpersonen,  die  vom  nördlichen  Kriegsschauplatz  ange¬ 
langt  waren  (darunter  44  russische  Gefangene)  und  7  aus  Galizien 
zugereiste  Ortsfremde.  In  Ungarn  wurden  in  derselben  Zeit  532  Er¬ 
krankungen  gemeldet. 

Pest.  Türkei,  ln  Bagdad  sind  vom  4. — 15.  November 
3  Pestfälle,  darunter  2  mit  tödlichem  Ausgange,  festgestellt  worden. 

Ruhr.  Preussen.  In  der  Woche  vom  15. — 21.  November 
sind  240  Erkrankungen  (darunter  187  bei  Kriegsteilnehmern)  (und  7) 
Todesfälle  gemeldet  worden.  —  Oesterreich.  Vom  25. — 31.  Oktober 
wurden  705  Erkrankungen  (und  36  Todesfälle)  gemeldet. 

-  Unterleibstyphus.  Spanien.  In  Barcelona  herrscht 
seit  Mitte  September  eine  Typhusepidemie,  die  auf  die  Verseuchung 
einer  Wasserleitung  zurückgeführt  wird  und  bisher  etwa  10  000  Er¬ 
krankungen  verursacht  hat.  Der  Bestand  an  Typhuskranken  in  der 
Stadt  betrug  zu  Beginn  des  Monats  November  etwa  6000. 

ln  der  46.  Jahreswoche,  vom  15. — 21.  November  1914,  hatten 
von  deutschen  Städten  über  40  000  Einwohner  die  grösste  Sterblich¬ 
keit  Zwickau  mit  31,0,  die  geringste  Neukölln  und  Recklinghausen- 
Land  mit  6,1  Todesfällen  pro  Jahr  und  1000  Einwohner.  Mehr  als 
ein  Zehntel  aller  Gestorbenen  starb  an  Scharlach  in  Königshütte, 
Thorn,  Wanne,  Zabrze,  an  Diphtherie  und  Krupp  in  Berlin-Pankow, 
Beuthen,  Buer,  Erfurt,  Gotha,  Magdeburg,  Mülheim  a.  Rh.,  an  Keuch¬ 
husten  in  Gladbeck.  Vöff.  Kais.  Ges.A. 

(Hochschulnachrichten.) 

Bonn.  Dr.  Heinrich  Bickel,  Assistenzarzt  der  Psychiatri¬ 
schen  und  Nervenklinik,  hat  die  venia  legendi  für  Psychiatrie  und 
Neurologie  erhalten. 

Frankfurt  a.  M.  Der  Prosektor  am  anatomischen  Institut 
der  Universität,  Dr.  med.  Hans  Bluntschli,  bisher  Privatdozent 
in  Zürich,  hat  sich  für  normale  Anatomie  habilitiert. 

Leipzig.  Das  Semester  hat  begonnen  und  die  Kliniken  und 
wichtigsten  medizinischen  Vorlesungen  werden  vor  einer  kleinen 


*)  lin  einzelnen  angeführt  sind  nur  323  Todesfälle. 

Verlag  von  J.  E.  Lehmann  in  München  S.W.  2,  Paul  Heysestr.  26 


Hörerzahl,  unter  der  die  Damen  stark  vertreten  sind,  wie  gewöhnlich 
gelesen.  Von  den  Direktoren  der  medizinischen  Institute  stehen  nur 
Geheimrat  Payr  (als  beratender  Chirurg  des  XII.  Res.-Korps), 
Prof.  Heineke  (als  beratender  Chirurg  des  XIX.  Korps),  Prof. 
T  h  i  e  m  i  c  h  (als  Stabsarzt)  und  Prof.  Dcpendorf  (als  Ober¬ 
leutnant  d.  R.)  im  Felde;  sie  werden  von  Geheimrat  Tillmanns, 
Dr.  Rosenthal,  Privatdozent  Dr.  H  o  h  1  f  e  1  d  und  Zahnarzt 
Schuster  vertreten.  —  Der  a.  ö.  Professor  der  Augenheilkunde 
Birch -  Hirse  Ilfeld  hat  einen  Ruf  als  Nachfolger  von  Prof. 
S  c  h  i  e  c  k  nach  Königsberg  i.  Pr.  erhalten  und  angenommen.  — 
Geheimrat  Payr  erhielt  das  Offizierskreuz  des  Albrechtordens  mit 
Schwertern. 

Rostock.  Die  venia  legendi  für  Anatomie  wurde  dem  Pro¬ 
sektor  am  anatomischen  Institut  Dr.  med.  et  phil.  Richard  Nikolaus 
Wegner  erteilt,  (hk.) 

Prag.  Den  Privatdozenten  Dr.  Wilhelm  Anton  (Otologie  und 
Rhinologie)  an  der  deutschen  Universität  und  Dr.  Johann  Jansky 
(Psychiatrie)  an  der  böhmischen  Universität  wurde  der  Titel  eines 
ausserordentlichen  Professors  verliehen,  (hk.) 


I  Ehrentafel. 

Fürs  Vaterland  starben: 

O.-A.  d.  Res.  Dr.  Aber  t,  5.  Bayer.  Feld.-Art.-Reg. 
Zahnarzt  A  h  n  h  u  d  t,  L.  d.  Res. 

Kriegsfreiwilliger  stud.  med.  Duttlinger. 

Unterarzt  Dr.  Gr  assmann. 

stud.  med.  Karl  ü  u  t  e  k  u  n  s  t,  aus  Württemberg,  Unter¬ 
offizier  im  Kolmarer  Jägerreg.  am  5.  IX.  im  Feldlazarett  ln 
i-  Raon  l’Etappe. 

cand.  med.  H  c  1  m  e  c  k  e. 

I  Marinestabsarzt  d.  Res.  Hohene  m  s  e  r. 
stud.  med.  Jos.  Kretz. 

Unterarzt  K  i  m  s  t  e  r. 

Stabsarzt  d.  Res.  Dr.  Langfelder. 

stud.  med.  Otto  Mausser  aus  Geislingen,  Unteroffizier  im 
Inf.-Reg.  Nr.  180  am  29.  September  bei  Bapanne. 

Z.-A.  W.  Renk. 

stud.  med.  Josef  Riedlinger,  Kriegsfreiwilliger  aus  Kirch¬ 
seeon,  am  19.  November  im  Feldlazarett  in  Comines. 
stud.  med.  Stange, 
cand.  med.  K.  Texter, 
stud.  med.  H.  Urban,  9.  Jäger-Bat. 

Zahnarzt  N  o  g  e  1. 
stud.  med.  H.  Wagner. 

Oesterreich-Ungarn. 

cand.  med.  Dragotin  M  a  r  c  i  n  k  o,  am  2.  XI.  in  Debrcczin. 

Berichtigung.  Unterarzt  Dr.  W.  Künstler  aus 
Sonneberg  i.  Thür.,  11.  Res.-San.-Komp.,  IV.  Reserve-Korps, 
ist  nicht  gefallen,  sondern  nach  4  wöchiger  Gefangenschaft 
wieder  bei  der  Truppe  und  Ritter  des  Eisernen  Kreuzes. 


Korrespondenz. 

Bezüge  der  Sanitätsoffiziere  a.  D. 

Zu  der  Notiz  in  Nr.  47  S.  2299  schreibt  uns  der  dem  XIV.  Armee¬ 
korps  angehörige  Einsender,  dass  inzwischen  die  Verfügung  heraus¬ 
kam,  dass  die  gedienten  Sanitätsoffiziere  a.  D.  M.  400. —  Bekleidungs¬ 
geld  erhalten. 

Zu  derselben  Sache  schreibt  uns  das  Kgl.  bayer.  Kriegsmini- 
stcrium: 

„Die  Sanitätsoffiziere  z.  D.  und  a.  D.  erhalten,  soweit  sie  nicht 
schon  im  Frieden  bis  zur  Mobilmachung  in  Wiederverwendung  stan¬ 
den,  eine  Einkleidungsbeihilfe  von  300  M„  wenn  sie  in  mobiler  Ver¬ 
wendung  stehen;  von  400 — 600  M.,  wenn  sic  einer  immobilen  Forma¬ 
tion  angehören. 

Diese  mobilen  Sanitätsoffiziere  erhalten  neben  der  bezeichneten 
Einkleidungsbeihilfe  noch  das  Mobilmachungsgeld.“ 


Abgabe  von  Nährgelatine  durch  die  Kgl.  Landes- 
anstaltfür  Wasserhygiene  in  Berlin-Dahlem,  Post:  Berlin- 
Lichterfelde  3,  Ehrenbergerstrasse  38,  40,  42. 

Die  Kgl.  Landesanstalt  für  Wasserhygiene  hat 
mit  der  Abgabe  von  N  ä  h  r  g  e  1  a  t  i  n  e,  die  für  die  Zwecke  der 
bakteriologischen  Wasseruntersuchung  bestimmt  ist,  begonnen.  Der 
Preis  für  je  ein  Reagenzgläschen  mit  10  ccm  Nährgelatine  (aus¬ 
schliesslich  Verpackung)  ist,  den  Selbstkosten  der  Anstalt  entspre¬ 
chend,  auf  18  Pf.  festgesetzt. 

Eine  Abgabe  unter  10  Stück  kann  nur  in  Ausnahmcfällen  statt¬ 
finden  ;  für  grössere  Aufträge  muss  sich  die  Landesanstalt  eine  Liefer¬ 
zeit  von  etwa  8  Tagen  Vorbehalten. 


Druck  von  E.  Mühlthaler’s  Buch-  und  Kunstdruck  rci  A.G.,  München. 


Brei»  der  einzelnen  Nummer  HO  ■),.  •  Bezugspreis  in  Deutschland 
•  •  •  und  Ausland  siehe  unten  unter  Bezugsbedingungen  •  •  • 
Inseratenschluss  am  Donnerstag  einer  jeden  Woche. 


MÜNCHENER 


Zusendungen  sind  zu  richten 

Für  die  Schriftleitung  :  Arnulfstr.  26  (Sprechstunden  * —  1  Uhry 
Für  Bezug:  an  I.  F.  Lelimann’s  Verlag,  Paul  Heysestrasse  26. 
Für  Anzeigen  und  Beilagen:  an  Rudolf  Mosse,  Theatinerstrasse  8. 


Medizinische  Wochenschrift. 

ORGAN  FÜR  AMTLICHE  UND  PRAKTISCHE  ÄRZTE. 


Nr.  50.  15.  Dezember  1914. 


Schriftleitung:  Dr.  B.  Spatz,  Arnulfstrasse  26. 
Verlag:  J.  F.  Lehmann,  Paul  Heysestrasse  26. 


61.  Jahrgang. 


Der  Verlag  behält  sich  das  ausschliessliche  Recht  der  Vervielfältigung  und  Verbreitung  der  in  dieser  Zeitschrift  zum  Abdruck  gelangenden  Originalbeiträge  vor. 


Originalien. 

Der  feinere  Bau  der  Niere. 

Von  Dr.  Karl  Peter  in  Greifswald. 

Die  Lebenstätigkeit  des  Nierenkanälchens  wird  gerade  in 
letzter  Zeit  von  vielen  Seiten  zu  erforschen  gesucht.  Physio¬ 
logen,  Pathologen,  Kliniker  und  Pharmakologen  arbeiten  zu¬ 
sammen,  um  den  so  schwierigen  und  rätselhaften  Vorgängen, 
die  sich  in  der  Nierenzelle  abspielen,  auf  die  Spur  zu  kommen. 

Das  Ideal  dieser  Forscher  ist  ja,  für  jeden  Abschnitt  des 
in  verschiedene  Segmente  zerfallenden  Nierenkanälchens  die 
spezifische  Funktion  zu  erkennen,  um  dann  bei  Erkrankungen 
aus  dem  Urin  den  erkrankten  Teil  bestimmen  und  isoliert 
therapeutisch  angreifen  zu  können. 

Dieses  Ziel  kann  nur  erreicht  werden,  wenn  die  Morpho¬ 
logie  des  Harnorgans  in  extenso  berücksichtigt  wird.  Findet 
man  bei  einem  Experiment  Veränderungen  in  einem  Abschnitt 
der  Kanälchen,  so  muss  man  natürlich  bestimmen  können,  um 
welches  Segment  es  sich  handelt.  Unter  Berücksichtigung  der 
mikroskopisch-anatomischen  Tatsachen  erhält  man  wichtige 
gesicherte  Resultate,  auf  denen  weiter  gebaut  werden  kann. 
Dies  lehren  die  Arbeiten  der  A  s  c  h  o  f  f  sehen  und  Mar¬ 
ch  a  n  d  sehen  Schule. 

Gar  oft  ist  aber  gerade  von  seiten  der  Kliniker  diesen  An¬ 
forderungen  nicht  genügt  worden.  So  gelangen  diese  zu  fal¬ 
schen  Diagnosen,  zu  Verwechslungen  der  einzelnen  Teile  der 
Harnkanälchen  und  zu  falschen  Schlüssen,  die  dann  zum  min¬ 
desten  Verwirrungen  in  der  Literatur  zur  Folge  haben. 

Ein  Beispiel  möge  hier  angeführt  werden: 

W.  Gross  hat  in  seiner  eingehenden  Arbeit  „Experimentelle 
Untersuchungen  über  den  Zusammenhang  zwischen  histologischen 
Veränderungen  und  Funktionsstörungen  der  Nieren“  (Beitr.  pathol. 
Anat.  21,  1911)  in  seiner  Fig.  5  ein  Rindenstück  mit  2  Markstrahlen 
abgebildet  ln  letzteren  findet  er  bei  Sublimatvergiftung  „Degenera¬ 
tion  der  breiten  Schenkel“.  Damit  meint  er,  wie  aus  anderweitigen 
Angaben  hervorgeht,  die  distalen,  rückläufigen  Schleifenschenkel,  an 
die  sich  die  Schaltstücke  anschliessen  (s.  W.  Gross:  Ueber  den 
Nachweis  von  Zellveränderungen  durch  vitale  Färbung.  Verh. 
Naturf.  u.  Aerzte,  Karlsruhe).  Nun  sind  aber  in  den  Markstrahlen  die 
distalen  Schenkel  dünner  als  die  absteigenden,  die  hier  noch  durch 
das  breite  Hauptstück  gebildet  werden.  Somit  gehört  der  veränderte 
Teil  dem  Hauptstück  an  und  damit  stimmt  gut  überein  die  Angabe 
S  u  z  u  k  i  s,  eines  Schülers  von  Asch  off,  dass  Sublimat  haupt¬ 
sächlich  den  Endteil  des  Hauptstückes  angreift.  Gross  hat  sich 
zu  seiner  falschen  Annahme  durch  die  älteren  Diagramme  vom  Verlauf 
der  Nierenkanälchen  verleiten  lassen,  die  das  Hauptstück  nicht  in 
Markstrang  und  Mark  hinabreichen  lassen. 

Auch  anderweitig  begegnet  man  ähnlichen  Verwechse¬ 
lungen.  Im  Interesse  der  Sache  erscheint  es  mir  daher  geboten, 
hier  noch  einmal  kurz  die  Anatomie  der  Niere  des  Kaninchens 
zu  schildern,  um  das  Augenmerk  auf  die  Morphologie  zu 
wenden,  deren  Berücksichtigung  für  experimentelles  Arbeiten 
unerlässlich  ist,  will  man  nicht  den  Fortschritt  der  Wissen¬ 
schaft  hindern. 

Ich  wähle  für  meine  Darstellung  das  Kaninchen,  weil  es 
das  Hauptuntersuchungstier  der  Experimentatoren  ist  und  in 
manchen  Richtungen  für  uns  geradezu  schematische  Verhält¬ 
nisse  aufweist.  Wer  sich  über  Einzelheiten  unterrichten  will, 
findet  sie  in  meinen  Untersuchungen  über  Bau  und  Entwicklung 
der  Nieren,  Heft  I  (Jena,  G.  Fischer,  1909),  in  denen  sich 
auch  eingehende  Angaben  über  die  Niere  des  Menschen,  des 
Schafes,  der  Katze  und  des  Schweines  finden. 

Beginnen  möchte  ich  mit  einer  Darstellung  des  Ver¬ 
laufes  der  Harnkanälchen,  wie  sie  sich  nach  Iso- 

Nr.  50. 


lationspräparaten  ergab,  um  dann  ihre  Lagerung  zu  be¬ 
sprechen. 

Die  Schilderung  des  Verlaufes  des  Nierenkanälchens  geschieht 
am  besten  an  der  Hand  eines  Diagramms  (Fig.  1),  das  2  solche 
Kanälchen  in  der  Länge  162/3mal,  in  der  Dicke  um  das  Dreifache, 
also  50  mal  vergrössert  zeigt.  Für  die  Bezeichnung  der  einzelnen 
Segmente  hatte  ich  neue  Namen  eingeführt.  Ich  gebe  sie  hier  wieder, 
nicht  weil  ich  sie  für  unverbesserbar  halte,  sondern  weil  es  zurzeit 
die  einzigen  sind,  die  ein  bestimmtes  Stück  nach  Verlauf  und  Aus¬ 
sehen  vollständig  kennzeichnen.  Der  Uebergang  eines  Segmentes 
in  das  folgende  findet  sfeh  nämlich  an  einer  bestimmten  Stelle,  die 
aber  meist  unabhängig  ist  von  dem  Verlauf  des  Röhrchens,  so  dass 
weder  eine  Einteilung  nach  dem  Verlauf  allein  noch  eine  nach  dem 
histologischen  Aussehen  allein  für  wissenschaftliche  Arbeiten  genügt. 
Auch  ist  meine  Nomenklatur  z.  B.  von  A  s  c  h  o  f  f  und  seiner  Schule 
angenommen  worden,  so  dass  neue  Bezeichnungen  leicht  Verwirrung 
stiften  könnten. 

Aus  der  Bowmanschen  Kapsel  des  Nierenkörperchens  ent¬ 
wickelt  sich,  meist  von  ihrer  peripheren  Seite,  mittels  eines  schwach 
ausgeprägten  Halses  das  Hauptstück  (=  Tubulus  contortus  erster 
Ordnung  der  Autoren,  in  Fig.  1  punktiert  angegeben),  das  erst  ein 
Konvolut  gewundener  Schlingen  bildet.  Diese  Schlingen  liegen 
meist  peripher  vom  Glomerulus.  Dann  tritt  das  Hauptstück  entweder 
direkt  (links)  oder  nach  einem  verschieden  langen  Verlauf  im  Mark¬ 
strahl  (rechts)  in  das  Mark  ein,  in  dem  es  eine  ganz  bestimmte  Zone 
(AS)  durchläuft,  um  sich  erst  an  deren  zentraler  Grenze  in  den 
dünnen  hellen  Teil  der  H  e  n  1  e  sehen  Schleife  fortzusetzen. 

Fs  ist  zu  beachten,  dass  dieser  längste  und  wichtigste  Abschnitt 
des  Harnkanälchens,  der  die  Kliniker  besonders  interessiert  hat,  nicht 
allein  in  der  Rinde  gelegen  ist,  sondern  ohne  Veränderung  seines 
Aussehens  auch  in  das  Mark  hinein  reicht;  deshalb  ist  der  Name 
„Tubulus  contortus“  nicht  ausreichend.  Ich  spreche  von  einem 
„Hauptstück“,  dessen  Pars  convoluta  oder  corticalis  das  Konvolut 
in  der  Rinde  bildet,  und  dessen  Pars  medullaris  oder  recta  schon 
dem  Mark  zugehört. 

Damit  bildet  das  Hauptstück  also  einen  Teil  der  Henleschen 
Schleife,  und  zwar  von  deren  proximalem  Schenkel. 

Auf  das  Hauptstück  folgt  der  helle  dünne  Teil  der  H  e  n  1  e  - 
sehen  Schleife  (weiss  gehalten  in  Fig.  1),  ein  eigentümlicher  Abschnitt 
mit  glatten  Zellen,  der  entweder  —  bei  langen  Schleifen  (links)  — 
den  Scheitel  der  H  e  n  1  e  sehen  Schleife  mitbildet  und  dann  noch  in 
den  distalen  oder  rückläufigen  Schenkel  derselben  mit 
hinüberreicht  oder  —  bei  kurzen  Schleifen  (rechts)  —  schon  vor  oder 
in  oder  kurz  hinter  dem  Schleifenschenkel  dem  nächsten  Segment 
Platz  macht.  Jedenfalls  bildet  er  stets  einen  Abschnitt  der  Henle¬ 
schen  Schleife  und  liegt  somit  beim  Kaninchen  in  der  Marksubstanz. 

Bei  kurzen  Schleifen  am  oder  nahe  am  Scheitel,  bei  langen  im 
Verlaufe  des  distalen  Schenkels,  wiederum  in  bestimmter  Höhe  des 
Markes,  nimmt  das  Kanälchen  wieder  ein  trüberes  Aussehen  an  und 
sein  Epithelbelag  erhöht  sich  zu  kubischen  Zellen. 

Im  Salzsäureisolationspräparat,  das  alle  Segmente  des  Kanäl¬ 
chens  deutlich  von  einander  unterscheiden  lässt,  sieht  dieser  Abschnitt 
trübe  gekörnt  aus.  Dieser  dicke  trübe  Teil  der  Henle¬ 
schen  S  c  h  1  e  i  f  e  (in  Fig.  1  kreuzweis  schraffiert)  umfasst  nun  aber 
nicht  den  distalen  Schleifenschenkel  in  seiner  ganzen  Länge,  sondern 
in  der  Höhe  angelangt,  in  der  die  Hauptstücke  in  die  dünnen  hellen 
Segmente  übergehen,  wird  der  Zellbelag  niedriger  und  heller,  das 
Kaliber  des  Röhrchens  nimmt  wieder  ab,  ohne  aber  das  Aussehen  des 
hellen  dünnen  Abschnittes  zu  erreichen.  Diese  Veränderung  im  Cha¬ 
rakter  des  distalen  Schleifenschenkels  ist  beim  Kaninchen  sehr  auf¬ 
fällig,  wenn  auch  wenig  bekannt  und  sogar  bestritten.  Ich  möchte 
auf  ihn  besonders  hinweisen,  da  ihm  sicher  auch  eine  physiologische 
Bedeutung  zukommt. 

So  legt  sich  das  Kanälchen  an  das  Nierenkörperchen,  von  dem  es 
ausgegangen  war,  an  und  zwar  an  seine  Gefässpforte.  Darauf  be¬ 
ginnt  das  Schaltstück,  das  im  Beginne  eng  und  hell  ist  (ich  habe 
diesen  Teil  als  „Zwischenstüc  k“  vom  eigentlichen  Schaltstück 
unterschieden),  bald  aber  (horizontal  schraffiert)  ein  weites  Kaliber 
und  trübes  Aussehen  zeigt.  Es  bildet  eine  rückläufige  Schlinge.  All¬ 
mählich  geht  aus  diesem  durch  Aufhellen  des  Epithels  das  initiale 
Sammelrohr  hervor,  das  im  peripheren  Teil  der  Rinde  mit  (3 
oder  4)  anderen  zusammenfliesst,  dann,  ohne  Aeste  aufzunehmen, 
Markstrahlen  und  fast  die  ganze  Aussenzone  des  Marks  durchzieht 

X 


236  6 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  50. 


und  erst  in  der  Innenzone  sich  mit  anderen  vereinigt,  um  als  dicker 
Ductus  papillaris  an  der  Papillenspitze  auszumünden. 

Dies  ist  in  kurzem  der  Verlauf  des  Harnkanälchens  und 
seine  Zusammensetzung  aus  einzelnen  Folgestücken,  die  sich 
durch  ihre  Epithelbeschaffenheit  charakterisieren. 

Besonders  bedeutungsvoll  ist  es  nun,  dass  alle  diese  Ab¬ 
schnitte  eine  fast  normierte  Lagerung  innehalten.  Der  Ueber- 
gang  der  Segmente  in  einander  findet  in  einer  ganz  be¬ 
stimmten  Höhe  statt,  so  dass  die  Nierensubstanz  in  mehrere 
konzentrisch  umeinander  geschichtete  Zonen  zerfällt,  die  ma¬ 
kroskopisch  gut  erkennbar  sind  und  ein  sehr  willkommenes, 
aber  fast  völlig  vernachlässigtes  Hilfsmittel  für  die  Bestimmung 
der  Lokalisation  einer  Veränderung  im  Nierenkanälchen  bieten. 
Jede  Zone  birgt  nämlich  eine  bestimmte  Gruppe  von  Kanäl¬ 
chenabschnitten;  findet  man  in  einer  Schicht  makroskopisch 
besonders  eingreifende  Veränderungen,  so  kann  man  schon 
bestimmen,  welche  Kanälchenteile  pathologisch  affiziert  sein 
werden  und  welche  nicht. 

Auf  dem  Mittelschnitt  [Sektionsschnitt  durch  die  Niere 
(s.  Fig.  2)]  findet  man  in  dem  streifig  aussehenden  Mark  eine 


Erklärung  zu  Figur  1. 
Schema  des  Verlaufs  der  Nieren¬ 
kanälchen  des  Kaninchens,  50- 
resp.  16,7  mal  vergrössert. 
Links  ist  eine  lange  Henlesche 
Schleife  dargestellt,  zentralen 
Konvoluten  entstammend,  rechts 
eine  kurze,  von  peripheren  Kon¬ 
voluten  ausgehend. 

Schwarz :  Nierenkörperchen. 
Punktiert:  Hauptstücke.  Schraf¬ 
fiert  :  Schaltstück.  Kreuzweis 
schraffiert:  Trüber  Teil  der 

Henl eschen  Schleife.  Weiss: 
Dünner  heller  und  heller  dicker 
Teil  der  Schleife  mit  Zwischen¬ 
stück,  Sammelröhrchen. 

Die  Ausdehnung  der  Mark¬ 
strahlen  ist  durch  eine  punktierte 
Linie  angegeben.  R  Rinde,  AZ 
Aussenzonne,  JZ  Innenzone  des 
Markes,  AS  Aussenstreifen,  JS 
Innenstreifen  der  Aussenzone. 

Die  beiden  Figuren  wurden  mit 
gütiger  Erlaubnis  des  Verlegers, 
Herrn  Dr.  O.  Fischer,  einer 
vorläufigen  Mitteilung  in  den 
Verhandl.  d.  anatom.  Gesellschaft 
1907  entnommen. 


Erklärung  zu  Figur  2. 
Durchschnitt  durch  eine  Kanin¬ 
chenniere  2:  1.  AZ  Aussenzone, 
JZ  Innenzone,  M  Mark,  R  Rinde. 


Kaninchen 


Figur  1. 


Figur  2. 


parallel  der  Aussenfläche  des  Organs  laufende  scharfe  Linie, 
die  einen  ausgedehnten  zentralen,  durchscheinend  weisslichen 
Teil  von  einem  schmäleren,  dunkleren,  trüben,  gelben  Streifen 
scheidet,  der  deutlich  radiär  gestreift  ist  und  noch  weiter 
peripher  durch  Blut  mehr  rot  gefärbt  ist.  Ersteren  Bezirk 
nannte'  ich  die  „Innenzon  e“  (IZ)  des  Markes,  letzteren  die 
„Aussenzon  e“  (AZ).  An  dieser  Grenzlinie  gehen,  wie 
Isolationspräparate  und  Schnitte  zeigen,  die  dünnen,  hellen 
Teile  der  langen  Schleifen  in  die  dicken,  trüben  über.  In  der 


Innenzone  findet  man  also  nur  dünne  Schleifenteile  und 
Sammelröhren;  in  sie  reichen  allein  die  „langen“  Schleifen 
herab,  da  bei  den  „kurzen“  der  Scheitel  in  der  Aussenzone 
liegt  (s.  Fig.  1).  In  der  ersten  Figur  sind  die  Grenzen  der 
Zonen  eingetragen;  man  kann  aus  ihr  ersehen,  wie  sie  durch 
die  Epithelvcränderungen  im  Harnkanälchen  hervorgebracht 
werden. 

Auch  die  Aussenzone  zerfällt  wieder  in  zwei  Streifen, 
die  etwa  gleichbreit  sind,  an  deren  Grenze  der  Markteil  des 
Hauptstückes  sich  in  den  hellen,  dünnen  Teil  der  H  e  n  1  e  sehen 
Schleife  fortsetzt  (s.  Fig.  1).  Allerdings  ist  diese  Einteilung  in 
einen  „Innenstreifen“  und  einen  „Aussenstreifen“  an  frischen 
Nieren  selten  deutlich  zu  sehen,  denn  die  Gefässe,  die  dem 
peripheren  Abschnitt  der  Aussenzone  in  wechselnder  Breite 
ein  rotes  Aussehen  verleihen,  verdecken  ihn  meistens,  doch  ist 
sie  an  entbluteten  und  zwecks  Mazeration  in  Salzsäure  über¬ 
tragenen  Nieren  gut  wahrzunehmen.  In  Fig.  2,  die  nach  einer 
frischen  Niere  gezeichnet  worden  ist,  ist  diese  Grenze  nicht 
angegeben. 

Man  wird  vermissen,  dass  ich  der  H  e  n  1  e  sehen  „G  r  e  n  z- 
s  c  h  i  c  h  t“,  besser  „G  e  f  ä  s  s  s  c  h  i  c  h  t“  des  Markes  keine 
Erwähnung  getan  habe.  So  bezeichnete  man  die  rote  Zone  des 
Markes,  die  der  Rinde  zu  gelegen  ist.  Sie  hat  aber  für  die 
Einteilung  der  Substantia  medullaris  keinen  Wert,  da  die  Ge- 
fässfüllung,  die  ihr  den  Namen  gegeben  hat,  die  Aussenzone  in 
wechselnder  Ausdehnung  rot  färbt;  sie  stellt  keine  konstant 
breite  Schicht  dar,  ihre  Grenze  fällt  daher  nicht  mit  Verände¬ 
rungen  im  Aussehen  der  Harnkanälchen  zusammen.  Stets  zeigt 
sich  zentral  von  ihr  ein  gelber  Streifen,  der  noch  der  Aussen¬ 
zone  angehört. 

Somit  verteilen  sich  die  Kanälchenabschnitte  auf  die  ein¬ 
zelnen  Zonen  der  Niere  in  ganz  gesetzmässiger  Weise.  Die 
Zusammensetzung  der  Schichten  ist  folgende: 

I.  Rinde,  Substantia  corticalis. 

a)  Pars  convoluta,  Nierenlabyrinth.  Nierenkörper¬ 
chen  mit  Konvoluten  des  Hauptstückes.  Letztes  Ende  des  distalen 
Schleifcnschenkels.  Schaltstück  mit  Zwischenstück.  Initiale  Sammel- 
röhren  mit  peripheren  Vereinigungen. 

b)  Pars  radiata,  Markstrahlen.  Markteile  des  Haupt- 
stiiekes,  distale  Schleifenschenkel,  helle  Teile  Sarnmelröhrchen. 

II.  Mark,  Substantia  medullaris. 

a)  Aussenzone: 

1.  Aussenstreifen:  Markteile  der  Hauptstücke.  Distale  Schleifen- 
schenkel  übergehend  in  den  dicken  trüben  Teil,  Sarnmelröhrchen 
zuflusslos. 

2.  Innenstreifen:  dünne  helle  und  dicke  trübe  Schleifenteile. 
Scheitel  der  kurzen  Schleifen,  Sarnmelröhrchen. 

b)  Innenzone: 

Helle,  dünne  Teile  der  langen  H  e  n  1  e  sehen  Schleifen  mit 
Scheitel,  Sarnmelröhrchen  mit  Zusammenflüssen. 

Die  Kaninchenniere  zeigt  also  eine  deutliche  Schichtung; 
diese  sollte  man  bei  der  Schilderung  pathologischer  Verände¬ 
rungen  zu  Grunde  legen. 

Jedenfalls  ist  die  oft  gebrauchte  Einteilung  des  Nieren¬ 
kanälchens  in  Tubuli  recti  und  Tubuli  contorti  vollständig  zu 
verwerfen;  sie  sagt  nichts  über  die  Natur  der  einzelnen  Ka¬ 
nälchensegmente  aus,  da  keine  Abteilung  von  der  anderen  im 
Bau  ihrer  Kanälchen  völlig  verschieden  ist;  in  beiden  finden: 
sich  Hauptstücke,  distale  Schleifenschenkel  und  Sammel-! 
röhrchen;  den  Tubuli  contorti  ist  eigen  das  Schaltstück,  den 
recti  der  dünne  uird  der  trübe  Schleifenteil.  Gerade  also  für 
die  Beteiligung  des  Hauptstückes  an  einer  Veränderung  sagt: 
diese  Einteilung  nichts  aus. 

Die  Kaninchenniere  ist  also,  was  die  Lagerung  der  Ka¬ 
nälchensegmente  anlangt,  ein  sehr  günstiges  Objekt,  das  die. 
einfachsten  Verhältnisse  geradezu  schematisch  zeigt. 

Dagegen  ist  ihr  Schnittbild  sehr  schwer  zu  deuten, 
und  viele  Autoren  sind  dabei  in  Unterschätzung  der  Schwierig¬ 
keiten  in  Irrtiimer  verfallen. 

Dies  betrifft  allerdings  weniger  das  Mark,  dessen  einzelne: 
Zonen  leicht  ihre  Kanälchensegmente  diagnostizieren  lassen: 
die  Innenzone  führt  neben  den  grossen  Sammelgängen,  deren 
Epithel  deutliche  Zellgrcnzen  aufweist,  nur  die  hellen,  dünnen 
Schleifenteile,  deren  glattes  Epithel  nur  Spuren  von  Proto¬ 
plasma  zeigt.  Im  Innenstreifen  der  Aussenzone  gesellen  sich 
zu  diesen  Gebilden  die  dicken,  trüben  Schleifenteile,  die  mit 


15.  Dezember  1914. 


muenchener  Medizinische  Wochenschrift. 


2367 


ihrem  hohen.  Eosin  stark  annehmenden  Zellbelag  den  Haupt¬ 
stücken  nicht  unähnlich  sind  —  es  fehlt  ihren  Elementen  jedoch 
die  Längsstreifung  sowie  der  Bürstenbesatz.  Im  Aussenstreifen 
wird  ihr  Epithel  niedriger,  färbt  sich  auch  viel  weniger  mit 
Eosin.  Dagegen  sind  hier  die  dünnen  Schleifenteile  durch  die 
Markteile  der  Hauptstücke  mit  ihrem  bekannten,  nicht  in  Zellen 
zerfallenen  Epithel  ersetzt. 

In  der  Rinde  verengt  sich  der  distale  Schleifenschenkel 
ganz  erheblich;  er  behält  wie  die  Sammelröhrchen  ein  mehr 
violettes  Aussehen,  dagegen  nimmt  das  Schaltstück  Eosin 
ebenso  oder  vielleicht  noch  etwas  stärker  auf,  als  wie  das 
Hauptstück,  und  da  beide  Epithelien  Stäbchen  aufweisen,  so 
sind  sie  zum  Verwechseln  ähnlich.  Erst  eine  Rekonstruktion 
lehrte  mich,  das  Schaltstück  aus  den  Windungen  des  Haupt- 
stiieks  heraus  erkennen. 

Nun  ist  gerade  von  pathologischer  und  klinischer  Seite 
auf  die  Veränderungen  des  Hauptstücks  einerseits  und  des 
Schaltstiicks  anderseits  besonderer  Wert  gelegt  worden.  Ich 
möchte  dringend  vor  übereilten  Diagnosen  warnen,  und  m.  E. 
sind  hier  oft  Versehen  passiert.  Ich  rate,  erst  nach  einer 
Schnittserie  eine  kleine  graphische  Rekonstruktion  der  Rinden¬ 
kanälchen  auszuführen,  die  keine  grosse  Arbeit  darstellt.  Nur 
so  kann  man  sicher  sein,  die  beiden  Segmente  von  einander 
unterscheiden  zu  lernen.  Ich  selbst  würde  selbst  nach  jahre¬ 
langer  Beschäftigung  mit  diesem  Gegenstand  nicht  wagen, 
einen  Querschnitt  durch  die  Rinde  der  Niere  eines  nicht  von 
mir  untersuchten  Säugers,  z.  B.  eines  Meerschweinchens,  zu 
deuten,  ohne  mich  durch  Isolation  oder  Rekonstruktion  über 
deren  Bau  unterrichtet  zu  haben.  Man  beachte,  dass  gerade 
in  der  Nähe  der  Glomeruli,  in  der  sich  die  Schaltstücke  finden, 
auch  die  Enden  der  distalen  Schleifenschenkel  und  die  Anfangs¬ 
teile  der  Sammelröhrchen  liegen,  die  wohl  oft  als  Schaltstücke 
gedeutet  wurden. 

Diese  kurze  Darstellung  vom  Bau  der  Kaninchenniere  soil 
nichts  Neues  bringen,  sondern  nur  die  Aufmerksamkeit  der  ex¬ 
perimentell  arbeitenden  Forscher  auf  unsere  Kenntnisse  von 
der  Morphologie  der  Niere  lenken,  damit  ihre  mühsam  ge¬ 
wonnenen  Ergebnisse  auch  zu  richtigen  Schlüssen  führen. 
Mögen  diese  Zeilen  ihren  Zweck  nicht  verfehlen! 


Aus  der  k.  k.  medizinischen  Klinik  zu  Innsbruck  (Vorstand 
Prof.  Dr.  med.  et  phil.  A.  Steyrer). 

Ein  seltener  Sputumbefund  bei  einem  in  die  Lunge 
durchgebrochenen  Leberechinokokkus. 

Von  Dr.  Edmund  Maliwa,  Assistent.- 

Im  Januar  1914  demonstrierte  Herr  Prof.  Steyrer  in 
der  wissenschaftlichen  Aerztegesellschaft  zu  Innsbruck  einen 
Fall  von  Leberechinokokkus  mit  Durchbruch  in  die  Lunge. 
Der  Aufforderung,  die  bei  diesem  Kranken  erhobenen  Befunde 
durch  Publikation  weiteren  Kreisen  bekannt  zu  geben,  komme 
ich  um  so  lieber  nach,  als  einzelne  Details  der  Beobachtung 
in  röntgenographischer  und  chemischer  Hinsicht  eines  be¬ 
sonderen  Interesses  nicht  entbehren  dürften. 

Anamnese  und  Krankengeschichte  führe  ich  nur  in  gedrängtester 

Kürze  an. 

Es  handelte  sich  um  einen  47  Jahre  alten  Italiener,  der  zuletzt 
als  Mineur  in  Amerika  tätig  gewesen  war.  Früher  stets  gesund, 
merkte  er  vor  ungefähr  VA  Jahren,  dass  seine  Kräfte  abnahmen;  bald 
darnach  trat  eine  Schwellung  im  Oberbauch,  vorwiegend  rechts,  auf, 
die  einmal  zunahm,  dann  wieder  geringer  geworden  sein  soll.  Vor  un¬ 
gefähr  einem  Jahr  erhielt  Patient  einen  Stoss  gegen  den  rechten  Rip¬ 
penbogen,  der  ihn  durch  mehrere  Wochen  sehr  schmerzte.  Im  No¬ 
vember  1913  setzten  öfters  morgendliches  Erbrechen  und  diarrhoischc 
Stühle  ein.  Trotz  zunehmender  Schwäche  und  wachsender  Vorwöl¬ 
bung  des  Bauches  arbeitete  der  Mann  bis  Mitte  Dezember  1913  in 
einem  Bergwerke  Nordamerikas.  Seit  dieser  Zeit  soll  sich  nach  ärzt¬ 
licher  Aussage  Wasser  im  Bauche  angesammelt  haben.  Am  25.  De¬ 
zember  trat  plötzlich  morgens  starker  Hustenreiz 
ein,  der  anfangs  schleimigen,  gegen  Abend  aber 
denselben  Auswurf  zutage  brachte,  wie  ihn  der 
Patient  auch  jetzt  noch  zeigt.  Der  Auswurf  wurde  von 
Tag  zu  Tag  reichlicher.  Im  Liegen  ging  die  Expektoration  leichter 
vonstatten  als  in  aufrechter  Haltung;  beugte  er  sich  über  den  Bett¬ 
rand,  so  stürzten  die  schleimigen  Massen  durch  Mund  und  Nase 
heraus.  Innerhalb  dieser  Zeit  merkte  Patient  auch  ein  Kleinerwerden 
des  Bauches.  Ende  Dezember  Heimreise  nach  Europa. 


Status  praesens:  Graziler,  hochgradig  abgemagerter,  sehr  blasser 
Mann.  Afebril.  Mässige  Oedeme  an  den  Beinen  bis  zur  Mitte  der 
Unterschenkel.  Thorax  flach,  rechte  Seite  schleppt  nach.  Per¬ 
kutorisch  links  über  den  Lungen  normale  Verhältnisse;  rechts  über 
der  Spitze  relative  Dämpfung,  absolute  Dämpfung  hinten  von  der 
Mitte  der  Skapula  nach  abwärts,  vorne  von  der  5.  Rippe  an.  Aus¬ 
kultatorisch  über  der  rechten  Spitze  spärliches  kleinblasiges,  nicht 
klingendes  Rasseln,  über  der  Basis  der  rechten  Lunge  vorne  und  hin¬ 
ten  klein-  bis  mittclblasiges,  zum  Teil  klingendes  I^asseln;  links  Vesi¬ 
kuläratmen.  Herz:  Annähernd  normale  Dämpfungsgrenzen;  an  der 
Spitze  ein  wechselndes  systolisches  Geräusch  hörbar;  die  zweiten 
Töne  an  der  Basis  sind  nicht  betont;  Frequenz  des  Pulses  ca.  90, 
schlecht  gefüllt,  niedrig  gespannt.  Abdomen:  Der  rechte  obere  Qua¬ 
drant  ist  etwas  vorgewölbt,  der  Nabel  eine  Spur  nach  rechts  ver¬ 
zogen.  Die  Leberdämpfung  reicht  vorne  in  der  Mammillarlinie  von  der 
5.  Rippe  bis  gut  eine  Handbreit  unter  den  Rippenbogen.  Der  von  den 
Rippen  unbedeckte  Teil  fühlt  sich  gleichmässig  hart,  glatt  an  und 
weist  keine  besondere  Druckempfindlichkeit  auf.  Die  Gallenblase 
lässt  sich  nicht  abgrenzen.  Die  Milz  ist  nicht  vergrössert.  Eine 
geringe  Menge  freibeweglicher  Flüssigkeit  ist  sicher  nachweisbar. 
Der  obere  Bauchdeckenreflex  fehlt  beiderseits. 
Harn:  Kein  Albumen  und  Saccharum;  Diazo-  und  Gallenfarbstoff¬ 
reaktionen  negativ;  ziemlich  starke  Indikanausscheidung;  Reaktion 
mit  Paradimethylamidobenzaldehyd  ziemlich  stark  positiv. 

Blut:  5  Millionen  Erythrozyten  Hämoglobingehalt  nach  Sahli 
70  Proz.;  Leukozyten  7700,  ihre  Formel  annähernd  normal,  vor  allem 
ist  keine  Eosinophilie  vorhanden.  Mit  Typhus-,  Paratyphus-  und  Koli- 
bazillen  keine  Agglutination. 

Sputum:  ockergelbe  Farbe;  sehr  zähe,  schleimigeitrige 
Konsistenz,  etwas  schaumig;  nach  Stehen  zweischichtig:  unten 
braungelb,  dick,  krümelig,  oben  grünlichbraun, 
zähwässerig.  Eiweissgehalt  sehr  gering.  Gallenfarb¬ 
stoffreaktionen  in  beiden  Schichten  negativ. 
Im  mikroskopischen  Nativpräparat  einzelne  Erythrozyten  und 
Leukozyten,  sonst  keine  morphologischen  Elemente  erhalten; 
braune  und  zitronengelbe  amorphe  Schollen  sind  in  grosser 
Zahl  zu  sehen;  sie  geben  ebenfalls  keine  Mikroreaktion  auf 
Gallenfarbstoff;  ganz  spärlich  findet  man  kleine  kristalloide, 
gelbbraune  bis  schönrosa  gefärbte  Körperchen.  Echinokokkus¬ 
hüllen  oder  Membranen  sind  niemals  zu  finden  gewesen.  D  i  e 
Menge  des  Auswurfs  ist  ausserordentlich 
gross:  sie  beträgt  in  24  Stunden  annähernd 
stets  1000  ccm,  in  4  Wochen  ca.  30  Liter! 

Mit  ausschlaggebend  für  die  Diagnose  war  die  Röntgen¬ 
untersuchung.  Röntgenoskopisch  fiel  auf  die  Unbeweglichkeit 
der  rechten  Zwerchfellkuppe,  an  der  aber  keine  besondere 
Verziehung  zu  bemerken  war.  Unterhalb  des  Zwerchfell¬ 
schattens,  in  der  oberen  Grenze  der  Leber  fanden  sich  zumeist 
zwei  helle,  schmale  Stellen,  die  an  verschiedenen  Tagen  und 
Tageszeiten  ungleiche  Grössen  aufwiesen.  Im  rechten  Unter¬ 
lappen  und  Mittellappen  waren  vor  dem  Schirm  Verdichtungen 
nicht  zu  erkennen.  Das  Herz  lag  wie  ein  schlaffer  Sack  dem 
stark  gewölbten  linken  Zwerchfell  auf. 

Die  Plattenaufnahmen  lassen  aber  in  seltener  Deutlichkeit 
eine  rechtsseitige  subphrenische  Höhle  mit  Durchbruch  in  die 
Lunge  erkennen.  Ich  bringe  hier  zwei  Kopien  von  mir  an¬ 
gefertigter  Platten,  die  die  subphrenische  Höhle  einmal  etwas 


entleert  (Kopie  1)  und  einmal  mit  Flüssigkeit  gefüllt  (Kopie  II) 
zeigen;  die  Zwerchfellkuppc  ist  dabei  um  mehr  als  einen  Inter¬ 
kostalraum  höher  gedrängt,  die  Luftblase  ist  fast  verschwun¬ 
den.  Auf  der  Platte  kann  man  deutlich  erkennen,  wie  das 
Zwerchfell  an  einer  Stelle  eine  aufgefaserte  Kontur  gibt  und 
von  dort  schmale,  strangförmige  Schatten  gegen  den  Hilus 
hinaufziehen.  Eine  intensivere  peribronchitische  Infiltration 
fehlt  und  mag  als  Beweis  angesehen  werden  dafür,  dass  die 
Durchbruchsöffnung  direkt  mit  einem  für  die  Entleerung  ge¬ 
nügenden  Querschnitt  bietenden  Bronchus  in  Kommunikation 
trat.  A  priori  könnte  man  sonst  erwarten,  dass  die  Flüssigkeit 

1* 


236S 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  50. 


aus  der  subphrenischen  Höhle  bei  den  respiratorischen  Druck¬ 
verschiebungen  in  Bronchiolen  und  Alveolarräume  gesaugt 
und  gepresst  würde  und  dort  intensive  Reaktionsvorgänge 
sichtbar  werden  müssten.  Einen  solchen  Vorgang  hinderte 
aber  wahrscheinlich  die  sehr  erhebliche  Viskosität  der  zu  ex- 
pektorierenden  Massen,  die  nur  den  bequemsten  Weg  durch 
den  grössten  Bronchus  nahmen. 

Die  Differentialdiagnose  bezüglich  dieser  unter  dem  Zwerchfelle 
gelagerten  Höhle  schwankte  zwischen  durchgebrochener  Echino¬ 
kokkenblase,  abgekapseltem  Leberabszess  und  Gallengangszyste. 
Gegen  Echinokokkus  sprach  nur  der  Mangel  an  auffindbaren  Häck- 
chen  oder  Membranen.  Ein  Abszess  war  so  gut  wie  auszuschliessen 
wegen  des  fieberlosen  Verlaufes  sowie  des  ausserordentlich  geringen 
Eiweissgehaltes  des  Sputums;  auch  war  in  der  Vorgeschichte  keine 
ätiologische  Ursache:  sei  es  nun  eine  typhöse  oder  Amöbeninfektion 
oder  der  Ausgangspunkt  einer  anderen  Eiterung  zu  eruieren.  Am  ehe¬ 
sten  hätte  noch  gedacht  werden  können  an  eine  zystische  Geschwulst, 
sei  es  eine  üallengangsektasie  oder  ein  Zystadenom  oder  eine  jener 
in  der  Literatur  beschriebenen  Zysten,  die  aus  Hämorrhagien  ent¬ 
stehen,  worauf  sich  ein  anamnestischer  Wink  hätte  beziehen  lassen 
können.  Die  Seltenheit  aller  dieser  Erkrankungen  liess  bei  kritischer 
Verwertung  der  Symptome  die  Vermutung  auf  einen  Echinokokkus, 
sei  er  nun  zystisch  oder  alveolär,  als  die  nächstgelegene  und  be¬ 
gründetste  erscheinen. 

Im  weiteren  Verlaufe  der  Beobachtung  stellte  sich  rasch  zu¬ 
nehmender  Aszites  ein,  der  vor  allem  auf  eine  Behinderung  im  Por- 
talkrcislauf  bezogen  wurde;  es  erwies  sich  sogar  einmal  eine  Punk¬ 
tion  des  Abdomens  vonnöten,  bei  der  5500  ccm  einer  hellgrünlichen, 
leicht  trüben  Flüssigkeit  entleert  wurden.  (Spezifisches  Gewicht  1012, 
Eiweiss  nach  Esbach  fast  5  Proz.  (!),  Rivalta  schwach  positiv;  im 
Sediment  Erythrozyten,  grosse  und  kleine  Lymphozyten,  wenig  poly¬ 
morphkernige  Leukozyten.)  Weitere  Zunahme  des  Aszites,  Einsetzen 
von  Diarrhöen,  terminal  Auftreten  von  pneumonischen  Herden  im 
rechten  Mittel-  und  Unterlappen,  am  14.  Februar  Exitus  durch  Herz¬ 
schwäche. 

Hauptergebnis  der  Obduktion:  Alveolärer  Echinokokkus  der 
rechten  Nebenniere,  durchgewachsen  in  die  rechte  Niere  und  in  den 
rechten  Leberlappen.  Grosse  Nekrosehöhle  im  rechten  Leberlappen, 
Durchbruch  in  den  Unterlappen  der  rechten  Lunge,  freie  Kommuni¬ 
kation  nach  aussen  durch  einen  Bronchus.  Die  Durchbruchsöffnung 
im  Diaphragma  war  kaum  für  einen  Federkiel  durchgängig.  In  der 
Umgebung  dieser  Perforationsöffnung  war  nur  in  ungefähr  taler¬ 
grosser  Ausdehnung  Zwerchfell  und  Pleura  pulmonalis  verwachsen. 
Die  Wandung  der  Höhle  bestand  zum  Teil  aus  nekrotischem  Leber¬ 
gewebe,  zum  Teil  aus  Reaktionsgewebe;  Gefässe  waren  in  der  Höhle 
nicht  erhalten.  Daneben  fand  sich  eine  eitrige  Cholezystitis. 

Auffallend  ist,  dass  die  anatomische  Schädigung  an  der  rechten 
Niere  so  gar  keine  klinischen  Spuren  hinterliess;  war  doch  im  Urin 
niemals  Albumen  nachzuweisen  gewesen  noch  waren  Zylinder  zu  fin¬ 
den.  Die  Ausschaltung  der  rechten  Nebenniere  mag  vielleicht  als 
Ursache  für  die  ausserordentliche  Debilität  des  Gefässsystems  an¬ 
genommen  werden,  die  sich  röntgenoskopisch  durch  den  Mangel  eines 
Tonus  der  Herzmuskulatur  manifestierte.  Dieser  Umstand  im  Verein 
mit  der  erheblichen  Zirkulationsstörung  im  Pfortadersystem  haben 
sicher  das  Ende  durch  Versagen  des  Kreislaufapparates  beschleunigt. 
Eine  deutlichere  Kollateralenbildung,  die  eigentlich  eine  gewisse  vis 
a  tergo  zur  Voraussetzung  hat,  fehlte  auch. 

Chemische  Exploration  des  Sputums. 

Es  war  schon  Erwähnung  getan  worden  der  auffallenden 
ockergelben  oder  „galligen“  Farbe  des  frischen  Sputums,  die 
das  Interesse  noch  mehr  fesselte  durch  die  überraschende  Tat¬ 
sache,  dass  sämtliche  Gallenfarbstoffreaktionen  negativ  aus¬ 
gefallen  waren.  Nur  gegen  Ende  der  Beobachtungszeit  fand 
Herr  Dr.  Berger  kleine  braunrote  Flöckchen,  die  unter  dem 
Mikroskop  eine  positive  G  m  e  1  i  n  sehe  Reaktion  gaben;  sie 
bestanden  aus  zitronengelben  Schollen  und  braungelben  kri- 
stalloiden,  unregelmässigen  Körperchen.  Makroskopisch  war 
auch  jetzt  noch  keine  positive  Gallenfarbstoffreaktion  zu  er¬ 
zielen. 

Ich  untersuchte  nun  weiterhin  auf  die  Anwesenheit  von 
Gallensäuren.  Im  Sputum  selber  war  ihr  Vorhandensein 
nicht  zu  ermitteln,  wohl  aber  erhielt  ich  eine  schwach  positive 
Rohrzuckerreaktion,  wenn  ich  die  Isolierung  versuchte:  Fäl¬ 
lung  des  gewaschenen  Alkoholauszuges  des  eingedampften 
Sputums  mit  ammoniakalischem  Bleiessig,  Kochen  des  Filter¬ 
rückstandes  mit  Alkohol,  Zufügen  von  Sodalösung  und  noch¬ 
maliges  Ausziehen  des  Trockenrückstandes  mit  Alkohol;  An¬ 
stellen  der  P  e  1 1  e  n  k  o  f  e  r  sehen  Reaktion  mit  einer  wässe¬ 
rigen  Aufschwemmung  des  letzten  Rückstandes. 

Das  Vorhandensein  von  Gallensäuren  legte  zwingend  die 
Vermutung  nahe,  dass  man  es  bei  dem  braunen  Farbstoff  des 
Sputums  nicht  etwa  mit  Färbungen  durch  tyrosinhaltige  Poly¬ 


peptide  (A  bderhalden  und  Guggenheim)  oder  mit 
Farbstoffen  niederer  Tiere,  die  vielleicht  zu  einem  sub¬ 
phrenisch  gelegenen  Leberabszess  geführt  hätten,  zu  tun  habe, 
sondern  dass  hier  Abkömmlinge  genuiner  Gallenfarbstoffe  vor¬ 
liegen  dürften. 

Ich  konnte  mich  beim  Fahnden  nach  Gallenfarbstoffderi¬ 
vaten  hier  naturgemäss  nur  mit  der  Anstellung  qualitativer 
Reaktionen  begnügen,  die  aber  doch  mit  ziemlicher  Sicherheit 
die  Zuteilung  zu  einer  bestimmten  Farbstoffgruppe  erlauben. 

Verhalten  des  Farbstoffes  gegenüber  Lö¬ 
sungsmitteln; 

In  Wasser  verdünnter  (3  proz.)  Essigsäure  fast  unlöslich; 
in  Eisessig  mit  tief  dunkelgrüner  Farbe  sehr  gut  löslich;  in 
Alkohol  mit  gelbbrauner  Farbe  schlecht  löslich;  in  Aether  fast 
unlöslich  (mit  gelber  Farbe);  in  Ammoniak  (10  proz.)  mit  braun¬ 
grüner  Farbe  löslich,  durch  einen  Ueberschuss  von  Essigsäure 
geht  die  Farbe  in  reines  Grün  über. 

Sonnenlicht  veränderte  die  Farbstoffextrakte  nicht. 

Spektroskopisch  konnte  ich  distinkte  Streifen  nicht  er¬ 
kennen;  es  war  in  alkalischer  Lösung  nur  eine  im  Gelb  be¬ 
ginnende,  gegen  Blau  hin  allmählich  zunehmende  Verdunkelung 
wahrzunehmen. 

Das  Verhalten  des  Farbstoffes  gegenüber  Eisessig  sowie 
der  Farbumschlag  in  ammoniakalischer  und  angesäuerter  Lö¬ 
sung  sind  mit  ziemlicher  Sicherheit  als  charakteristisch  anzu¬ 
sehen  dafür,  dass  hier  Choleprasin  oder  wahr¬ 
scheinlicher  ein  Gemisch  von  ChoLeprasin 
und  Bilifuszin  vorliegt.  Die  gebräuchlichen  Gallen¬ 
farbstoffreaktionen  versagen  bekanntlich  bei  diesen  Derivaten. 

Die  Bekanntmachung  dieses  Untersuchungsbefundes  er¬ 
scheint  mir  aus  zwei  Gründen  berechtigt.  Soweit  ich  die 
Literatur  über  Farbstoffe  im  Sputum  kenne,  findet  sich  keine 
Mitteilung  über  das  alleinige  Vorkommen  von  Gallenfarbstoff¬ 
derivaten,  die  keine  Gallenfarbstoffreaktionen  geben;  bekannt 
ist  nur  das  Auftreten  von  genuinen  Gallenfarbstoffen  im  Aust 
wurf,  die  sich  eben  durch  die  gebräuchlichen  Proben  erkennen 
lassen.  Als  zweite  auffällige  Tatsache  möchte  ich  noch  an¬ 
führen,  dass  trotz  der  sicheren  Absonderung  von  genuinen 
Gallenfarbstoffen  in  die  offene  Echinokokkenhöhle  diese  der¬ 
art  vollständig  verändert  wurden,  dass  nur  mehr  die  Derivate 
nachzuweisen  waren,  während  sich  die  Gallensäuren  als  resi¬ 
stenter  erwiesen.  Diese  vollständige  rapide  Umwandlund 
dürfte  wohl  durch  fermentative  (wahrscheinlich  reduzierende) 
Tätigkeit  zustande  gekommen  sein;  sie  liess  sich  in  vitro  in- 
soferne  imitieren,  als  in  einem  Gemisch  von  Galle  und  eitrigem 
Sputum  nach  14  tägigem  Stehen  im  Brutschränke  die  vorher 
stark  positiven  Gallenfarbstoffreaktionen  fast  negativ  wurdet1 
oder  ganz  verschwanden;  die  gewöhnlichen  Fäulnisvorgänge 
in  stehenbleibender  Galle  reichen  dazu  lange  nicht  aus.  Der 
Vermerk  dieser  Erscheinung  möge  als  Ergänzung  meiner  au 
anderer  Stelle  erschienenen  detaillierteren  Mitteilung  über  Fer¬ 
mentwirkungen  im  Sputum  angesehen  werden. 


Aus  der  chirurgischen  Abteilung  des  Rothschildspitals  in  Wien 
(Vorstand:  Prof.  Dr.  O.  Zuckerkand  1). 

Ueber  Behandlung  eines  Falles  seniler  Gangrän 
mit  ultravioletten  Strahlen. 

Von  jur.  et  med.  Dr.  Artur  Krise  r. 

Seit  April  d.  J.  habe  ich  an  der  Abteilung  Prof.  Zucker- 
k  a  n  d  1  eine  Reihe  chirurgischer  Fälle  mit  „künstlicher 
Höhensonne“,  einer  Modifikation  der  Kromayer  scheu 
Quarzlampe  nach  Dr.  Bach-Nagelschmidt  behandelt 
Von  diesen  will  ich  im  folgenden  über  einen  Fall  von  typischer 
seniler  Gangrän  berichten,  bei  welcher  der  Erfolg  ein  ekla¬ 
tanter  war,  so  dass  es  gerechtfertigt  erscheint,  das  Indikations¬ 
gebiet  der  Quarzlampenbestrahlung  in  dieser  Richtung  hin  zi 
erweitern.  Gestützt  auf  die  Arbeit  von  Bach  1),  nach  welcher 
Bestrahlung  mit  ultraviolettem  Quarzlichte  den  Blutdruck 


*)  Dr.  Hugo  B  a  c  h  -  Bad  Elster:  Die  Einwirkung  des  ultra¬ 
violetten  Quarzlampenlichtes  auf  den  Blutdruck,  mit  Bemerkungen 
über  seine  therapeutische  Verwendung  bei  Allgemeinerkrankungen. 
D.m.W.  1911  Nr.  9. 


15.  Dezember  1914. 


lierabsetzt,  habe  ich  in  dem  liier  beschriebenen  Falle  den  Ver¬ 
such  eingeleitet,  um  in  erster  Linie  die  Blutdruckverhältnisse 
bei  einem  Artcriosklerotiker  vor  und  nach  der  Bestrahlung  zu 

prüfen. 

60  jähriger  Patient  mit  einem  Blutdruck  von  165  R.-R.,  Puls  72, 
akzentuiedter  zweiter  Aortenton.  keine  stcnokardischen  Beschwerden, 
im  Harn  weder  Albumen  noch  Saccharum  nachweisbar.  Seit  6  Mo¬ 
naten  leidet  Patient  unter  immer  intensiver  werdenden  Schmerzen, 
die  \on  der  grossen  Zehe  des  linken  Fusses  ausgehen  und  gegen  den 
Fussrücken  und  Unterschenkel  ausstrahlen.  Unter  heftigen  Schmer¬ 
zen.  welche  in  den  letzten  3  Monaten  ununterbrochen  bestanden,  ent¬ 
wickelte  sicli  Fnde  März  d.  J.  an  der  Zehenspitze  im  äusseren  Nagel¬ 
winkel  ein  bleigrauer  Fleck.  Dieser  wurde  immer  dunkler  und 
schliesslich  entstand  an  seiner  Stelle  ein  trockener,  fester,  schwarzer 
Schorf  von  der  Grösse  eines  Zentimeters  im  Durchmesser.  Mitte 
April  entwickelte  sich  ein  zweiter,  etwas  kleinerer  ebensolcher  Fleck 
an  der  medialen  und  plantaren  Seite  derselben  Zehe;  der  ganze  Fuss 
leicht  ödematös  und  zyanotisch.  Die  ersten  drei  Zehen  verdickt,  un¬ 
beweglich  und  überaus  druckempfindlich. 

An  der  A.  dorsalis  pedis  ist  der  Puls  nicht  fühlbar,  wahrend 
er  auf  der  gesunden  Seite  deutlich  nachweisbar  ist.  Pat.  kann  nur 
wenige  Schritte,  auf  den  Stock  gestützt,  gehen,  nach  5  Minuten 
langem  Sitzen  auf  einem  Sessel  bekommt  er  einen  heftigen  Schmerz¬ 
anfall,  im  Bette  muss  er  beständig  die  Lage  wechseln.  Er  schläft 
nur  nach  Gebrauch  von  Schlafmitteln  u.  zw.  in  Rückenlage,  wobei  er 
mit  beiden  Händen  das  kranke  Bein  an  den  Rumpf  angezogen  hält. 

Nachoem  dem  Patienten  von  autoritativer  Seite  die  Amputation 
als  die  einzige  ’lherapie  empfohlen  worden  war,  fand  er  im  Kranken¬ 
hause  der  Rothschild-Stiftung  an  der  chirurgischen  Abteilung  des 
Prof.  Zuckerkandl  Aufnahme  und  wurde  auch  hier  die  strikte 
Indikation  zur  Amputation  gestellt.  Da  jedoch  schon  nach  der  ersten 
Bestrahlung,  welche  ich  zum  Zwecke  der  eingangs  erwähnten  Beob¬ 
achtung  gemacht  habe,  ein  Nachlassen  der  Schmerzen  sich  einstellte, 
habe  ich  die  Behandlung  systematisch  weiter  durchgeführt. 

6.  Mai  1914.  I.  Bestrahlung:  Quarzlampe  +  Glühlampenring, 
2  Minuten  Bauch,  2  Minuten  Rückenseite  auf  1  m  Distanz,  wobei 
der  kranke  Fuss  durch  Heben  resp.  Beugen  im  Knie  auf  ca.  60  cm 
der  Quarzlampe  genähert  wird 

Während  der  Bestrahlung  steigert  sich  der  Schmerz,  aber  schon 
tags  darauf  (7.  Mai)  ist  Pat.  zum  ersten  Male  nach  3  Monaten 
den  ganzen  Tag  schmerzfrei.  Um  9  Uhr  abends  stellen  sich  die 
Schmerzen  wieder  ein.  Blutdruck  vor  der  Bestrahlung  165  R.-R., 
nach  der  Bestrahlung  135  R.-R.  Mehrere  Stunden  nachher  leichtes 
Hautjucken  am  ganzen  Körper. 

8.  Mai.  II.  Bestrahlung:  3  Minuten  Bauch,  3  Minuten  Rücken, 
Quarzlampe  +  Glühlampenring  von  1  m  Distanz.  Blutdruck  vor  der 
Bestrahlung  142  R.-R.,  nach  der  Bestrahlung  133  R.-R. 

11.  Mai.  Im  Laufe  des  Tages  stellt  sich  ein  Schmerzanfall  ein. 

12.  Mai.  III.  Bestrahlung:  6  Minuten  Bauch.  6  Minuten  Rücken 
wie  vorher.  Pat.  gibt  an,  dass  er  jetzt  selbst  bei  einstündigem 
Sitzen  auf  dem  Sessel  keine  Schmerzen  verspürt. 

14.  Mai.  Tagsüber  schmerzfrei,  die  Nacht  zum  ersten  Male  seit 
der  Erkrankung  ungestört. 

15.  Mai.  IV.  Bestrahlung:  5  Minuten  Bauch,  5  Minuten  Rücken 
wie  vorher  Während  der  Bestrahlung  stellt  sich  jedesmal  ein  heftiger 
Schmerzanfall  ein;  Pat.  windet  sich  in  Zuckungen  und  stöhnt  laut. 
Der  Schmerzparoxysmus  lässt  einige  Minuten  nach  der  Bestrahlung 
nach,  doch  halten  die  Schmerzen,  wenn  auch  in  geringem  Masse, 
noch  mehrere  Stunden  an.  Der  Nagel  der  grossen  Zehe  ist  fast  im 
Ganzen  vom  Nagelbette  abgehoben  und  lässt  sich  leicht  mit  einer 
Pinzette  entfernen.  Der  nekrotische  Schorf  an  der  Zehenspitze  ist 
abgefallen,  au  seiner  Stelle  sieht  man  eine  Geschwürsfläche,  deren 
Boden  mit  frischem  hellrotem  Granulationsgewebe  bedeckt  ist. 

IS.  Mai.  V.  Bestrahlung:  6  Minuten  Bauch,  6  Minuten  Rücken, 
wie  vorher.  Seit  2  Tagen  leidet  Pat.  wieder  unter  heftigeren 
Schmerzen 

19.  Mai.  Die  Schmerzen  sind  gleich  intensiv,  der  Fuss  sowie 
Unterschenkel  ödematös 

22.  Mai.  Nach  4  tägiger  Behandlung  mit  Burowumschlägen  ist 
das  Qedem  wesentlich  zurückgegangen,  die  Schmerzen  hören  all¬ 
mählich  auf. 

23.  Mai.  VI.  Bestrahlung:  S  Minuten  Bauch,  6  Minuten  Rücken, 

wie  vorher. 

25.  Mai  VII.  Bestrahlung:  8  Minuten  Bauch,  5  Minuten  Rücken, 
wie  vorher.  Seit  der  letzten  Bestrahlung  subjektive  Besserung,  bei 
Tag  hat  Pat.  keine  Schmerzen. 

27.  Mai.  Der  Fuss  und  Unterschenkel  sind  wieder  ödematös. 
weshalb  mit  der  Bestrahlung  ausgesetzt  wird. 

2.  Juni.  VIII.  Bestrahlung:  5  Minuten  Bauch,  5  Minuten  Rücken, 
Quarzlampe  allein.  1  m  Distanz  Das  Oedem  ist  unter  Burowum¬ 
schlägen  wieder  zurückgegangen;  die  Wunde  an  der  Zehenspitze 
schliesst  sich  allmählich  und  ist  von  einer  lichten  bröckeligen  Kruste 
bedeckt.  Die  Zyanose  des  Fusses  ist  gewichen,  nur  die  grosse  Zehe 
zeigt  noch  livide  Verfärbung. 

5.  Juni.  IX.  Bestrahlung-  15  Minuten  Quarzlampe  (714.  Minuten 
Rücken,  714  Minuten  Bauch).  10  Minuten  Quarzlampe  +  Glüh¬ 
lampenring  (5  Minuten  rechte,  5  Minuten  linke  Körperseite),  1  m 

Distanz. 


2369 


9.  Juni.  X.  Bestrahlung:  10  Minuten  Quarzlampe,  70  cm  Distanz 
(5  Minuten  Rücken,  5  Minuten  Bauch). 

10.  Juni.  XI.  Bestrahlung:  12  Minuten  Quarzlampe,  70cm  Distanz 
(6  Minuten  Rücken,  6  Minuten  Bauch).  Pat.  schläft  besser  u.  zw.  in 
jeder  Lage,  so  wie  vor  der  Erkrankung. 

11.  Juni.  XII.  Bestrahlung:  4  Minuten  Bauch,  4  Minuten  Rücken, 
1  m  Distanz  Die  Bestrahlungsdauer  wird  herabgesetzt,  da  der  Fuss 
wieder  leichtes  Qedem  aufweist. 

15.  Juni.  XIII.  Bestrahlung:  4  Minuten  Bauch,  4  Minuten  Rücken, 
Quarzlampe,  1  m  Distanz. 

17.  Juni.  XIV.  Bestrahlung:  7  Minuten  Bauch,  7  Minuten  Rücken, 
Quarzlampe  4-  Glühlampenring,  70  cm  Distanz.  Seit  4  Tagen  schläft 
Pat.  ohne  Schlafmittel,  hat  keine  Schmerzen:  an  der  Zehenspitze 
stecknadelkopfgrosse  Hautlücke,  die  plantare  Wunde  geschlossen  und 
mit  Epidermis  bedeckt.  Blutdruck  vor  der  Bestrahlung  133  R.-R., 
nach  der  Bestrahlung  124  R.-R. 

19.  Juni.  XV.  Bestrahlung:  6  Minuten  Bauch.  6  Minuten  Rücken, 
Quarzlampe,  1  m  Distanz.  Pat.  klagt  über  leichte  Schmerzen  im 
Fussrücken,  welche  in  die  Zehe  ausstrahlen;  überdies  besteht  seit 
einigen  Tagen  das  Gefühl  von  Ameisenlaufen  im  kranken  Fusse.  Das 
Qedem  ist  zurückgegangen,  die  Beweglichkeit  sämtlicher  Zehen  ist 
wieder  uneingeschränkt  vorhanden.  Pat.  schläft  ungestört  ohne 
Schlafmittel. 

23.  Juni  XVI.  Bestrahlung:  4  Minuten  Bauch,  4  Minuten  Rücken, 
Quarzlampe,  70  cm  Distanz.  An  Stelle  der  plantaren  Wunde  hatte 
sich  eine  ca.  B4  mm  dicke,  .schwielenähnliche  Epidermisschicht  von 
konzentrisch  lamellären  Aufbau  gebildet,  die  mit  dem  Skalpell  abge¬ 
tragen  wurde,  wonach  in  der  Mitte  eine  stecknadelkopfgrosse  Lücke 
sichtbar  wird.  An  beiden  erkrankten  Stellen  keinerlei  Druckschmerz¬ 
haftigkeit  mehr  nachweisbar. 

26  Juni  XVII.  Bestrahlung:  4  Minuten  Bauch,  4  Minuten  Rücken, 
Quarzlampe,  70  cm  Distanz. 

1.  Juli.  XVIII.  Bestrahlung:  4  Minuten  Bauch,  4  Minuten  Rücken, 
Quarzlampe  —  Glühlampenring,  70  cm  Distanz.  Seit  mehreren  Tagen 
keinerlei  Beschwerden. 

3.  Juli.  XIX  Bestrahlung:  4  Minuten  Bauch,  4  Minuten  Rücken, 
Quarzlampe.  70  cm  Distanz.  Blutdruck  vor  der  Bestrahlung  134  R.-R., 
nach  der  Bestrahlung  117  R.-R. 

8.  Juli.  XX.  Bestrahlung:  8  Minuten  Bauch.  8  Minuten  Rücken, 
Quarzlampe  Glühlampenring,  70  cm  Distanz.  Der  Fuss  ist  frei  von 
Oedem,  die  Zyanose  ist  gewichen.  An  der  Zehenspitze  eine  narbige 
Delle,  an  der  plantaren  Wundstelle  verdickte  Epidermis.  Pat.  sieht 
gut  aus,  braun  pigmentiert,  bewegt  sich  leicht  und  ohne  Stütze,  ist  voll¬ 
kommen  beschwerdefrei  und  wird  geheilt  aus  dem  Spital  entlassen 

Der  Erfolg  der  Therapie  erscheint  in  vieler  Hinsicht  be¬ 
merkenswert.  Die  Therapie  der  senilen  Gangrän  ist  derzeit 
eine  operative.  Es  gibt  wohl  Spontanheilungen  nach  Demar¬ 
kation  und  Spontanamputation  des  gangränösen  Teiles,  doch 
muss  dieselbe  gewöhnlich  mit  einem  lang  währenden  und 
schmerzhaften  Siechtum  erkauft  werden.  In  unserem  Falle 
erschien  die  Amputation  unausweichlich  und  war  auch  schon 
in  Aussicht  genommen.  Durch  die  Bestrahlung  mit  ultra¬ 
violettem  Licht  teils  allein,  teils  in  Kombination  mit  roten  und 
warmen  Strahlen  des  Glühlampenringes  konnte  in  der  relativ 
kurzen  Zeit  von  2  Monaten  der  Prozess  zum  Stillstände  ge¬ 
bracht  und  eine  vollständige  Heilung  erzielt  werden. 

Während  der  ersten  Bestrahlungen  traten  intensive 
Schmerzreaktionen  auf,  denen  regelmässig  ein  Nachlassen  der 
Schmerzen  folgte;  in  kurzer  Zeit  hob  sich  das  Allgemein¬ 
befinden.  Patient  konnte  nach  Monaten  wieder  ohne  Schlaf¬ 
mittel  schlafen,  war  bei  gutem  Appetit  und  erlangte  seine  volle 
Gehfähigkeit.  Die  Zyanose  ging  zurück,  an  Stelle  der  Gan¬ 
grän  traten  schmerzlose  Narben. 

Fragen  wir  uns  nun,  wie  das  Zustandekommen  des  Heilungs¬ 
prozesses  zu  erklären  ist,  so  liegt  es  nahe,  einerseits  die  Ein¬ 
wirkung  auf  den  Gesamtblutkreislauf  und  das  Allgemein¬ 
befinden,  andererseits  die  Einwirkung  auf  die  lokale  Zirkulation 
heranzuziehen.  Insbesondere  letztere  dürfte  den  Ernährungs¬ 
zustand  der  Zellen  in  den  bedrohten  Gebieten  heben  und  die 
Bildung  von  kollateralen  Gefässen  begünstigen. 

Auch  in  unserem  Falle  war  die  blutdrucksenkende  Wir¬ 
kung,  wie  sie  zu  wiederholtenmalen  (Bach,  Lampe)  be¬ 
schrieben  wurde,  sehr  deutlich  ausgesprochen  und  zwar  blieb 
die  Blutdrucksenkung  eine  dauernde. 

Mit  Rücksicht  auf  diese  Beobachtungen  erscheint  es  ge¬ 
rechtfertigt,  in  Fällen  von  beginnender  Gangrän  auf  arterio¬ 
sklerotischer  Basis,  ehe  man  sich  zur  Amputation  entschliesst, 
einen  Versuch  mit  Strahlentherapie  zu  machen. 

Und  sollte  man  auch  zur  Linderung  der  Schmerzen 
raschere  Demarkation  erzielen,  so  wären  hierdurch  schon 
günstigere  Bedingungen  für  die  Operation  gegeben. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


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MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  50. 


Hauskuren  mit  Krankenheiler  Lauge. 

Von  Dr.  Ida  Democh-Maurmeier,  Frauenärztin  in 

München. 

Nicht  jeder  Patient  ist  in  der  glücklichen  Lage,  sich  einen 
Kuraufenthalt  leisten  zu  können  und  besonders  die  Frauen  des 
Mittel-  und  Arbeiterstandes  sind  durch  ihre  Pflichten  oft  ver¬ 
hindert,  sich  einer  energischen  Kur  ausserhalb  des  Hauses  zu 
unterziehen.  Jahrelange  Beschwerden  veranlassen  sic  dann, 
sich  Operationen  zu  unterwerfen,  von  denen  sie  Heilung  er¬ 
hoffen  und  die  doch  in  vielen  Fällen  zu  vermeiden  wären, 
wenn  der  Patient  mit  Geduld  und  Ausdauer  die  Vorschriften 
des  Arztes  befolgen  würde. 

Von  dem  Gesichtspunkt  ausgehend,  dass  die  Operation  das 
Ultimum  refugium  in  der  Behandlung  der  Untcrleibsleiden  sein 
sollte,  will  ich  im  folgenden  in  Kürze  einige  Kranken¬ 
geschichten  von  Frauen  mitteilen,  die  zum  Teil  aus  Angst  vor 
einem  operativen  Eingriff  sich  einer  Hauskur  unterzogen.  Aus 
dem  Material  selbst  werden  die  Indikationen  zu  der  Behand¬ 
lung  ersichtlich. 

1.  23  jährige  Il.-para,  zuletzt  Frühgeburt  im  7.  Monat,  klagt 
über  Dysmenorrhöe  und  Kreuz  weh  am  1.  und  3.  Tage  bei 
der  Menses,  welche  unregelmässig  2 — 6  wöchentlich  eintritt  und 
8  Tage  lang  dauert. 

Status:  Uterus  retroponiert,  antevertiert,  Korpus  klein,  Kollum 
hypertrophisch  mit  Erosion  an  der  hinteren  Lippe.  L.  Para- 
metrium  verkürzt,  1.  Ovar  vergrössert  und  druck¬ 
empfindlich  mit  dünnen  Strängen  nach  Rektum  und  Douglas 
fixiert. 

Entlassung  nach  7  monatiger  Behandlung:  Uterus  leicht  beweg¬ 
lich,  etwas  retroponiert,  antevertiert,  keine  Erosio,  Ovarien  hoch  oben 
im  Douglas,  nur  bei  starkem  Zug  des  Uterus  nach  vorne  leichte 
Empfindlichkeit  der  Gewebe,  keine  Stränge  palpabel.  Menses  seit 
4  Monaten  regelmässig,  4  wöchentlich,  ohne  Schmerzen,  fühlt  sich 
geheilt. 

Therapie:  Hat  anfangs  nach  Tölzer  Sitzbädern  Thure  Brandt- 
sclic  Masage  gehabt,  später  nur  Bäder  mit  Lauge  II. 

2.  22  jährige  Nullipara,  seit  einem  Jahre  verheiratet,  früher 
während  der  Menses  beschwerdefrei,  seit  der  Verheiratung  Dys¬ 
menorrhöe  mit  nervösen  Darmstörungen  und  zeitweisen 
Schmerzen  links. 

Status:  Zart  und  anämisch.  Uterus  stark  retroponiert,  ante¬ 
vertiert,  vergrössert,  geringe  Erosio  der  Portio,  1.  Para- 
metrium  verkürzt,  teigig  und  linke  Adnexe  wegen 
Schmerzhaftigkeit  nicht  palpabel.  Os-internum-Gegend  auf  Druck 
sehr  empfindlich.  Fluor,  Blasenkatarrh. 

Therapie:  Fol.  uvae  ursi  und  Urotropin.  Priessnitz  mit  Lauge  III 
verdünnt,  14  Tage  Bettruhe,  später  nur  Umschläge  8  Tage  vor  Men¬ 
ses  und  Sitzbäder  mit  Lauge  II.  Nach  4  Monaten  beschwerdefrei, 
obgleich  die  !.  Adnexe  auf  Druck  noch  empfindlich  und  adhärent.  Als 
Nachbehandlung  nochmals  12  Sitzbäder  mit  Lauge  II. 

Nach  2  Jahren  Menses  in  Ordnung,  beschwerdefrei,  kinderlos. 

3.  33  jährige  Il.-para,  zuletzt  Abort,  seit  welchem  Schmerzen 
links  und  starke  Kreuzschmerzen  bestehen,  Menses  regel¬ 
mässig  mit  zeitweiser  Dysmenorrhöe. 

Status:  Uterus  antevertiert,  retroponiert,  vergrössert,  be¬ 
sonders  die  Portio,  durch  Stränge  im  Douglas  fixiert,  worin 
auch  das  1.  und  vergrösserte  Ovarium  mit  inbegriffen  ist. 
Ligg.  ischio-  und  sacro-uterina  straff  und  empfindlich. 

Therapie:  Sitzbäder  mit  Tölzer  Lauge  und  dann  Stassfurter  Salz, 
der  Billigkeit  halber,  Dauer  2A  Monate.  Kur  unvollkommen  befolgt, 
weil  die  Frau  als  Zugeherin  oft  zu  müde  war,  um  die  Sitzbäder  zu 
bereiten. 

Erfolg:  Nach  3  Monaten  Menses  ohne  Beschwerden,  Stränge 
noch  palpabel,  Uterus  normal  gross,  Portio  noch  vergrössert,  Lage 
idem.  Kreuzweh  besteht  besonders  nach  Anstrengungen. 

Kontrolle  nach  einem  Jahre:  Noch  Kreuzweh  nach  Anstrengungen. 
Hat  symptomatisch  Sitzbäder  mit  Stassfurter  Salz  dagegen  ge¬ 
nommen. 

4.  30  jährige  Nullipara  mit  1  Abort  vor  A'A  Jahren.  Früher  be¬ 
schwerdefrei,  trotzdem  Pat.  beruflich  viel  stehen  muss.  Seit  Abort 
Kreuzschmerzen,  Dysmenorrhöe  und  Intermen- 
strualschmerz,  Menses  regelmässig,  5  wöchentlich  4  Tage. 
Trägt  Pessar  wegen  Retroflexio.  Sollte  operiert  werden. 

Status:  Starke  Adipositas,  Anteversio  uteri,  die  nach  Entfernung 
des  Hodgepessars  in  Retroversio  sich  verwandelt;  Uterus  etwas 
vergrössert,  an  seiner  Hinterwand  ein  haselnussrosses 
Myom;  Erosio  der  Portio  und  Verkürzung  des  1.  Para- 
inetriums;  Ovarien  im  Douglas  palpabel. 

Therapie:  Sitzbäder  mit  Dauerspülungen,  Trinken  von  Adelheid¬ 
quelle,  Thure  Brandt  und  Bauchlage  nach  den  Bädern.  Kein  Pessar. 

Nach  3'A  Monaten  beschwerdefrei,  was  auch  nach  weiteren 
6  Monaten  der  Fall  ist.  Das  Myom  hat  sich  nicht  vergrössert,  keine 
Erosio,  aber  noch  bewegliche  Retroversio,  wobei  jedoch  Portio  und 
Korpus  nicht  winklig  abgeknickt,  sondern  mehr  gerade  zueinander 
stehen. 


5.  35  jährige  Il.-para,  kommt  von  auswärts  wegen  Blasen¬ 
beschwerden  und  Fluor  albus. 

Status;  Uterus  vergrössert,  retroponiert;  Portio  hyper¬ 
trophisch,  mit  talergrosser  blutender  Erosion;  Parametrien 
verdickt,  links  hinten  besonders  sehr  schmerzhaft;  Ovarien  wegen 
starker  und  straffer  Bauchdecken  nicht  palpabel. 

Nach  4  Wochen  Erosio  verheilt.  Portio  und  Uterus  Hoch  etwas 
gross.  Parametrien  und  Douglas  nicht  mehr  empfindlich;  fühlt  sich 
geheilt. 

6.  33 jährige  Nullipara.  Klagt  über  Schmerzen  in  der 
Ovarialgegend,  die  k  r  a  m  p  f  a  r  t  i  g  in  die  Scheide  ausstrahlen 
und  seit  2  Jahren  bestehen;  Menses  regelmässig,  postponierend, 
5 — 6  Tage,  ohne  Schmerzen.  Schwester  starb  an  Unterleibstuber¬ 
kulose. 

Status:  Stark  anämisch,  beide  Lungenspitzen  affiziert.  Magen 
dilatiert.  Uterus  antevertiert,  retroponiert;  Korpus  klein;  Portio 
vergrössert;  rechts  am  Uterus  Ovar  und  kleines  subseröses 
oder  intraligamentäres  Myom;  rechtes  Parametrium  lang 
und  weich,  linkes  Parametrium  verkürzt,  straff  und  emp¬ 
findlich;  Kollum  nach  links  fixiert. 

Therapie:  Wegen  Lunge  anderweitig  in  Behandlung,  sonst  Sitz¬ 
bäder.  Nach  4  und  8  Wochen  beschwerdefrei.  Objektiv  hat  sich 
nur  die  Empfindlichkeit  des  linken  Parametriums  verloren. 

7.  24jährige  I.-para,  wurde  wegen  Dysmenorrhöe  mit 
Endometritis  und  Erosion  bei  bestehender  Anämie  behandelt 
mit  Einlagen,  Spülungen,  Stärkemitteln.  Der  Erfolg  war  nie  ein 
dauernder  und  die  Dysmenorrhöe  verschwand  nie  ganz,  die  Erosion 
kehrte  nach  6 — 8  Wochen  wieder. 

Dann  Sitzbäder  mit  Lauge  II.  Status:  Uterus  klein,  retroponiert, 
anteflektiert,  Portio  vergrössert  und  schmerzhaft,  eben¬ 
so  wie  die  Parametrien,  im  1.  Kollum  tiefe  Entbindungs¬ 
narbe.  Nach  2  Monaten  trat  Heilung  ein;  nach  20  Monaten  war 
kein  Rezidiv  eingetreten,  trotz  gleichbleibender  beruflicher  Beschäfti¬ 
gung. 

8.  22jährige  Nullipara,  Näherin.  Klagt  über  Kreuz  weh, 
Dysmenorrhöe,  Obstipation,  Fluor  albus. 

Status:  Uterus  anteflektiert,  dextroponiert,  rechts  fixiert;  rechtes 
Parametrium  verkürzt,  empfindlich,  linkes  dagegen  weich 
und  lang.  Virgo. 

Therapie;  Zuerst  mit  Stassfurter  Salzsitzbädern.  Menses  sind 
geringer  geworden,  aber  noch  schmerzhaft  am  1.  Tage;  es  treten 
krampfartige,  in  die  Vagina  ausstrahlende  Schmerzen  auf, 
Kreuzweh  ist  unverändert. 

Darauf  8  Tage  vor  Menses  Priessnitz  mit  Tölzer  Lauge  nachts 
und  Sitzbäder.  Schon  nach  12  Bädern  beschwerdefrei,  Menses  4  bis 
5  Tage,  Kreuzweh  nur  nach  grösserer  Anstrengung. 

Uterus  beweglich,  anteflektiert,  leicht  dextroponiert;  nicht  emp¬ 
findliches  Parametrium,  das  noch  verdickt  ist. 

9.  39  jährige  IX.-para.  Einmal  Frühgeburt,  kam  wegen  Kreuz¬ 
weh. 

Status:  Uterus  antevertiert,  klein,  Portio  vergrössert, 
weich  mit  Erosio.  Parametrium  post,  zeigt  empfindliche, 
feine  Stränge;  Ovarien  seitlich  und  nach  hinten  gelagert. 

Frau  wurde  beschwerdefrei,  kam  später  wegen  Gallensteinen, 
ohne  über  den  Unterleib  zu  klagen. 

10.  42  jährige  V.-para.  Klagt  über  Kreuzweh  und  starken 
Leib.  1  Abort  zuletzt,  beim  2.  Wochenbett  lag  sie  7  Wochen  krank. 

Status:  Uterus  antevertiert,  retroponiert,  klein,  Portio  hinter 
Symphyse  vorn  ohne  Erosion.  Parametrien  straff  mit  alten  Strän¬ 
gen  auch  im  Douglas.  Starke  Adipositas  und  Anämie. 

Therapie:  Tölzer  Sitzbäder  mit  nachfolgender  Thure  Brandt- 
Massage,  Pil.  asiat.  Nach  4  Wochen  keine  Kreuzschmerzen  mehr; 
Uterus  antevertiert,  beweglich;  Portio  hinten,  etwas  nach  rechts 
vertiert,  ohne  Erosio;  Parametrien  dehnbar.  Die  Bäder  wurden  fort¬ 
gesetzt. 

11.  44  jährige  Il.-para.  Partus  zuletzt  vor  10  Jahren.  Kommt 
wegen  Angstzuständen,  Schwindel  und  Kreuzweh. 

Status:  Uterus  antevertiert,  hart;  Portio  vergrössert;  im 
Douglas  rechts  Stränge,  die  empfindlich  sind. 

Nach  6  Wochen  ist  die  Portio  kleiner,  die  Stränge  sind  nur  bei 
starkem  Zug  nach  unten  erkennbar,  weicher  und  nachgiebiger;  keim. 
Kreuzschmerzen  mehr;  zeitweiser  Schwindel  und  Angstzustände  blei¬ 
ben  bestehen. 

Nach  20  Wochen  sind  die  Kreuzschmerzen  nicht  wieder¬ 
gekommen;  Patientin  war  wegen  klimakterischer  Erscheinungen  mul 
beginnender  Gefässverkalkung  öfters  in  der  Sprechstunde,  ist  zudem 
starke  Biertrinkerin. 

12.  27jährige  Nullipara.  Klagt  über  Fluor  albus  seit 

3  Jahren;  Blutarmut:  hat  Gonorrhöe  durchgemacht;  Menses 
dauert  8  Tage,  sehr  stark. 

Status:  Uterus  retrovertiert,  dextroponiert;  Portio  vorn,  sehr 
klein,  ohne  Erosion;  linkes  Parametrium  verkürzt  und  ver¬ 
dickt,  schmerzhaft. 

Schon  nach  6  Bädern  Erleichterung.  Die  Schmerzen  links  sind 
geringer,  subjektiv  und  objektiv,  die  Menses  waren  schmerzlos  und 
der  Blutabgang  weniger. 

13.  41  jährige  Il.-para,  I  Abort  dazwischen.  Letzte  Menses  vor 

4  Wochen,  sonst  regelmässig,  aber  seit  17  Tagen  dauernde  Blu¬ 
tungen  mit  Kreuz  weh. 


15.  Dezember  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  Vv uCHENSCHRIFT. 


2371 


Status:  Uterus  retrovertiert,  beweglich,  weich,  nicht  verKrössert; 
Portio  verKrössert,  ohne  Erosion.  R.  O  v  a  r  klein,  im  Douglas  e  i  n  - 
K  e  k  1  e  m  m  t  und  verwachsen.  Descensus  vaK.  ant.  et  post.  Chro¬ 
nische  Obstipatio.  Asthma,  Anämie.  Struma  vasc. 

Therapie:  Styptizin,  später  Sitzbäder,  weil  Kreuzweh  bleibt  und 
Schmerzen  beim  Koitus,  vom  rechten  Ovar  herrührend. 

Nach  12  Bädern  ist  der  Uterus  manuell  leicht  aufrichtbar,  sinkt 
aber  in  bewegliche  Retroversionsstellung  zurück:  Ovar  auf  Druck 
empfindlich;  Koitus  angeblich  weniger  schmerzhaft.  Nach  weiteren 
2  Monaten  Wohlbefinden,  ohne  Kreuzweh  und  sonstige  Schmerzen; 
Menses  regelmässig  4  Tage  dauernd. 

14.  36  jährige  Nullipara.  1  Abort  vor  7  Jahren.  Hat  starke 
intermenstruelle  Schmerzen  seit  2  Monaten,  angeblich 
durch  schweres  Heben  während  der  Menses  entstanden. 

Status:  Gesund  und  kräftig.  Uterus  anteflektiert,  retro-  und 
dextroponiert;  Uterus  klein,  ohne  Erosio;  linkes  Parametrium  stark 
verkürzt  und  empfindlich  zwischen  Ovar  und  1.  Uteruskante  ein 
haselnussgrosscr  Tumor,  wie  kleines  Myom  palpabel. 

Therapie:  Heisse  Sitzbäder  mit  Krankenheiler  Lauge.  Prompter 
Erfolg,  der  seit  9  Monaten  angehalten  hat.  Objektiver  Befund  ohne 
wesentliche  Aenderung. 

15.  36jährige  I.-para.  Partus  vor  10  Jahren  im  7.  Monat. 
Fluor  albus,  Anämie. 

Status:  Uterus  retroponiert,  antevertiert;  alte  Parainetritis  post.; 
Adnexe  frei.  Bekam  Spülungen  verordnet. 

Nach  5  Monaten  plötzlich  gerufen  wegen  pelvioperitonitischer 
Erscheinungen.  Vorher  angeblich  unregelmässige  Blutungen,  auf  die 
nicht  geachtet  wurde.  Untersuchung  wegen  Schmerzhaftigkeit  des 
Leibes  sehr  vorsichtig,  Uterus  und  Adnexe  nicht  palpiert,  Verdacht 
auf  Tubarabort.  Operation  wird  verweigert.  Abwartende 
Therapie. 

Nach  3  Wochen:  Uterus  retrovertiert,  deszendiert  mit  verlager¬ 
ter  Portio;  linkes  Parametrium  verkürzt,  aber  frei,  rechtes  zeigt  einen 
über  faustgrossen  prallelastischen  Tumor,  der  nach  hinten  in  ein  dif¬ 
fuses  Exsudat  übergeht,  das  nach  oben  wegen  noch  bestehender  Emp¬ 
findlichkeit  nicht  abgrenzbar  ist. 

Therapie:  Wickel  mit  Tölzer  Lauge.  Nach  2  Monaten  ist  Tumor 
noch  über  eigross,  Exsudat  nicht  konstatierbar,  Gewebe  teigig.  Nun¬ 
mehr  Sitzbäder,  weil  Pat.  keine  Beschwerden  fühlt  und  die  Menses 
regelmässig  ohne  Beschwerden  gekommen  sind. 

Nach  weiteren  3  Monaten  kein  Tumor  mehr  palpabel;  im  Douglas 
dicke,  schon  derbe,  aber  nicht  schmerzhafte  Stränge,  weshalb  die 
Bäder  noch  weiter  verordnet  wurden. 

Mit  diesen  Beispielen,  die  ausser  3,  14  und  15  mindestens 
2  Jahre  kontrolliert  sind,  will  ich  es  genug  sein  lassen.  Selbst¬ 
verständlich  sind  auch  negative  Erfolge  zu  verzeichnen,  die 
meines  Erachtens  nicht  gegen  die  Hauskur  an  sich  sprechen, 
weil  es  sich  zum  Teil  um  neurasthenische  Patientinnen 
handelt,  oder  Frauen,  die  ungenau  die  Vorschriften  befolgten, 
sei  es  aus  Zeitmangel  oder  Bequemlichkeit,  dazu  gehört 
eigentlich  auch  Fall  3. 

Drei  Fälle  mit  über  kindskopfgrossen  Myomen,  die  ausser 
Blasenbeschwerden  —  durch  Druck  von  seiten  des  Tumors  — 
und  Varizen  an  den  Beinen  keine  Beschwerden  hatten,  deren 
Menses  dagegen  6 — 8  Tage  stark  dauerten  und  die  weder 
operativer  Behandlung  noch  der  Strahlentherapie  vorläufig 
zugänglich  sind,  erhalten  Bäder  mit  Lauge  III. 

Die  Blutungen  sind  geringer  geworden,  die  Tumoren 
haben  sich  nicht  vergrössert.  bei  zweien  ist  der  Umfang  ein¬ 
wandfrei  zurückgegangen.  Die  ältere  Patientin  ist  bereits  im 
klimakterischen  Alter,  weshalb  der  Erfolg  der  Lauge  an  sich 
in  Frage  gezogen  werden  könnte.  Die  andere  Patientin  ist  eine 
•34  jährige  Virgo,  deren  Uterusmyom  handbreit  über  Nabelhöhe 
stand  und  fest  im  Becken  eingekeilt  war.  Jetzt  reicht  das 
Myom  etwa  zwei  Finger  breit  unter  Nabelhöhe  und  wird  be¬ 
weglich.  Hier  war  subjektiv  und  objektiv  eine  wesentliche 
Besserung  zu  konstatieren.  Doch  ist  der  Fall  mit  Vorsicht  ein¬ 
zuschätzen,  weil  die  Beobachtungsdauer  erst  6  Monate  er¬ 
reicht  *). 

Die  Beschwerden  der  15  angeführten  Patientinnen  be¬ 
standen  in  Kreuzschmerzen  7  mal,  Dysmenorrhöe  6  mal,  inter¬ 
menstruelle  Schmerzen  3  mal,  Fluor  albus  7  mal. 

Objektiv  Hessen  sich  Veränderungen  an  den  Unterleibs¬ 
organen  feststellen;  Para-  und  perimetritische  Prozesse  7 mal 
(bei  allen  waren  Klagen  über  Kreuzweh),  Oophoritis  resp. 
Adnexitis  5  mal,  kleine  Myome  3  mal,  Endometritis  mit  Erosion 
5  mal,  mit  Rezidivneigung. 


*)  Pat.  arbeitet  ohne  Beschwerden  a>s  freiwillige  Krankenschwester 
seit  Ausbruch  des  Krieges  und  ist  seither  nicht  kontrolliert,  hat  nur 
Berichte  von  auswärts  über  ihr  Befinden  eingesandt  und  ist  auch  frei 
von  Blasenbeschwerden.  Den  anderen  Fällen  ist  nach  den  ver¬ 
flossenen  4  Monaten  nichts  hinzuzufügen. 


Alle  Patientinnen  wurden  beschwerdefrei,  wenn  sie  auch 
vom  wissenschaftlichen  Standpunkt  nicht  als  geheilt  be¬ 
trachtet  werden  können.  Aber  —  heilt  denn  eine  Operation 
oder  ein  anderes  Verfahren  vollkommener?  Die  Hauptsache 
ist  das  Gefühl  der  Gesundheit  beim  Menschen  und  wenn  der 
Arzt  solches  mit  kleinen  Mitteln  erreichen  kann,  so  erschöpft 
er  seine  Heilungsmöglichkeiten  nicht  gleich  im  Anfang,  auch 
ist  bei  der  Frau  ein  konservatives  Verfahren  zu  bevorzugen 
trotz  der  längeren  Heilungsdauer,  weil  nach  grösseren  Opera¬ 
tionen  mit  teilweiser  Entfernung  des  üeschlechtsapparates 
lästige  Ausfallserscheinungen  auftreten,  die  niemals  dauernd 
zu  beseitigen  sind. 

Zum  Schlüsse  erwähne  ich  noch  die  Art  meiner  Ver¬ 
ordnung:  Die  Sitzbäder  sollen  mindestens  33 — 35“  R  haben, 
Dauer  15 — 20  Minuten  mit  gleichzeitigen  Vaginalspülungen 
vom  Badewasser,,  die  dem  Einlegen  eines  Vaginalspiegels  vor¬ 
zuziehen  sind.  Darnach  Bettruhe,  Geschlechtsverkehr  ist  an 
den  Badetagen  verboten.  Das  Bad  soll  nicht  öfter  als  jeden 
zweiten  Tag  genommen  werden  und  wird  mit  Lauge  II  oder 
III  hergestellt,  und  zwar  K*  Flasche  bis  1  Flasche  Lauge  auf 
8 — 10  Liter  Wasser.  Zu  den  Wickeln  und  Eingiessungen  in 
den  After  nimmt  man  Lauge  I — III  unverdünnt. 

Da  die  Zusammensetzung  der  Lauge  und  ihre  Eigen¬ 
schaften  und  Anwendungen  von  Tölzer  Kurärzten,  z.  B.  Hofrat 
Dr.  H  ö  f  1  e  r  und  zuletzt  von  Kurarzt  Dr.  R  e  s  c  h  nach 
Dr.  H  o  b  e  i  n  s  Analysen  eingehend  besprochen  sind,  so  be¬ 
schränke  ich  mich  auf  die  bereits  erwähnten  Erfahrungen  in 
klinischer  Beziehung. 


Aus  dem  Bezirksspitale  Kljuc,  Bosnien. 

Krankengeschichtliche  Merkkarten. 

Ein  Vorschlag  von  Dr.  Victor  L.  Neumayer,  Bezirksarzt 

und  Spitalsleiter. 

Im  Folgenden  möchte  ich  mir  erlauben,  der  breiten  medizinischen 
Oeffentlichkeit  einen  Vorschlag  zu  unterbreiten,  zu  welchem  der  Ge¬ 
danke  in  mir  schon  vor  6  Jahren,  gleich  bei  Beginn  meiner  selbst¬ 
ständigen  ärztlichen  Tätigkeit  auftauchte.  Immer  wieder  empfand  ich 
das  Bedürfnis,  durch  diesen  Vorschlag  den  Versuch  zu  machen,  eine 
Lücke  auszufüllen,  die  ich  als  praktischer  Arzt  immer  wieder  und 
überall  fühlte  und  ein  Vorkommnis  der  allerletzten  Zeit  brachte 
mich  zu  dem  Entschlüsse,  mich  endlich  doch  an  die  Oeffentlichkeit 
zu  wenden.  Mein  Vorschlag  geht  auf  folgendes  hinaus: 

Jedem  praktischen  Arzte  stösst  es  bei  der  grossen  Ausdehnung, 
welche  chirurgische  Tätigkeit  im  heutigen  Krankenbetriebe  gewonnen 
hat,  immer  wieder  zu,  dass  er  an  das  Lager  von  Kranken  zu  treten 
hat,  welche  die  Handschrift  irgend  eines  Operateus  an  ihrem  Leibe 
tragen.  Leider  ist  aber  diese  Unterschrift,  wie  so  viele  Unter¬ 
schriften  im  Leben,  meist  gänzlich  unleserlich  und  kann  der  zu  solchen 
Kranken  gerufene  Arzt  nichts  oder  wenigstens  nicht  viel  aus  diesen 
Schriftzeichen  entnehmen. 

Wenn  sich  das  Leiden,  dessentwegen  man  geholt  wird,  nicht 
gerade  in  dem  von  der  Operation  betroffenen  Gebiete  abspielt,  so 
tut  die  Unlesbarkeit  der  erwähnten  Schrift  weiter  nichts  zur  Sache. 
Das  Ganze  wird  aber  mit  einem  Schlage  anders,  wenn  sich  die 
Szenen  der  gerade  ablaufenden  Krankheit  im  einstigen  Operationsge¬ 
biete  abspielen.  Die  Angaben  der  Kranken,  über  die  an  ihnen  vorge¬ 
nommene  Operation  sind  meist  äusserst  dürftig  und  wohl  immer 
zu  sonst  nichts  gut,  als  den  Arzt  auf  einen  Irrweg  zu  leiten. 

Entweder  wurden  den  Kranken  in  der  Anstalt,  wo  sie  operiert 
wurden,  überhaupt  keine  näheren  Angaben  über  die  Art  der  Operation 
gemacht,  wozu  es  genug  naheliegende  und  begreifliche  Gründe  gibt. 
Oder  die  Kranken  vergassen  die  ihnen  gemachten  Angaben  oder 
verdrehen  sie,  kurz,  der  Arzt  steht  oft  ratlos  vor  einem  unergründ¬ 
lichen  Rätsel. 

Solche  Erscheinungen  können  nun  aber  nur  zu  oft  zu  den 
schwersten  Schäden  für  die  Kranken  selbst  führen.  Dafür  nur  einige 
Beispiele: 

Es  besitzt  jemand  eine  Narbe  in  der  Blinddarmgegend,  deren 
Beschaffenheit  auf  eine  secunda  intentio  hindeutet.  Nun  werden  wir 
geholt,  weil  sich  in  der  Gegend  ein  neuer  Krankheitsprozess  ab¬ 
spielt.  Nur  zu  oft  tritt  an  uns  die  Frage  heran:  Wurde  damals 
der  Wurmfortsatz  aufgesucht  und  entfernt,  oder  handelte  es  sich  nur 
um  eine  Abszesseröffnung?  Die  Antwort  ist  unergründlich  und 
wäre  doch  unter  Umständen  so  unendlich  wichtig  für  die  Indikations¬ 
stellung.  Ich  sehe  dabei  ganz  davon  ab,  dass  es  sich  auch,  wenn 
auch  in  seltenen  Fällen,  um  eine  aseptische  Operation  mit  nach- 
heriger  Vereiterung  der  Operationswunde  handeln  kann. 

Ein  anderer  Fall:  Eine  Frau  im  gebärfähigen  Alter  erkrankt 
plötzlich  mit  Erscheinungen  unbestimmter  Natur,  welche  den  Ver¬ 
dacht  auf  eine  extrauterine  Schwangerschaft  aufkeimen  lassen.  Dies- 
fällig  ausgeforscht,  gibt  die  Frau  an,  sie  habe  bereits  einmal  eine 


2372 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  50. 


solche  gehabt,  sei  operiert  worden  und  es  seien  bei  der  Operation 
beide  Eierstöcke  entfernt  worden.  Oder  sie  sei  sterilisiert  worden. 
Der  beigezogene  Arzt  kann  sich  nicht  klar  werden:  rührt  das  Aus¬ 
bleiben  der  Periode  von  einer  extrauterinen  Schwangerschaft  oder 
von  der  Kastration  her?  Gesetzt  den  Fall  nun,  die  Angaben  der 
Frau  seien  unrichtig,  nur  zu  oft  ja  ist  der  Wunsch,  schwanger  zu 
sein,  der  Vater  des  Gedankens!  Und  weiter  gesetzt  den  Fall,  es 
handelt  sich  um  eine  extrauterine  Schwangerschaft,  die  wegen  der 
Angabe  der  Kastration  unerkannt  bleibt!  Objektiv  ist  an  der  Frau 
über  die  Art  der  Operation  nichts  zu  erkennen,  als  ein  Bauch¬ 
schnitt.  Wie  schwer  wird  hier  die  Diagnosenstellung  und  die  Indi¬ 
kation! 

Ein  anderer  Fall,  wie  er  mir  vor  einigen  Tagen  bei  meiner 
Spitalswärterin  unterkam:  Selbe  wurde  vor  2  Jahren  anderwärts 
operiert.  Zuerst  wurde  der  Ehemann  durch  die  Angabe  der  Frau 
irregeführt,  man  habe  ihr  die  Eierstöcke  entfernt.  Die  Folge  war 
eine  Schwangerschaft,  die  den  Eltern  in  Anbetracht  ihrer  drei  be¬ 
reits  vorhandenen  Kinder  und  ihrer  geldlichen  Lage  nichts  weniger 
als  angenehm  war.  In  den  letzten  Tagen  erkrankte  nun  die  Frau 
mit  Beschwerden  in  der  Gallenblasengegend.  Dort  fand  sich  eine 
Operationsnarbe.  Aber  was  war  gemacht  worden?  War  die  Gallen¬ 
blase  entfernt  worden  oder  nicht?  Die  Frau,  obgleich  selbst  Wär¬ 
terin,  wusste  gar  nichts  darauf  Bezügliches  anzugeben.  Eine  an  das 
betreffende  Spital  gerichtete  Anfrage  ist  nach  11  Tagen  noch  nicht 
beantwortet.  Wären  die  reflektorische  Muskelspannung  und  die  ab¬ 
dominalen  Erscheinungen  nicht  unter  Thermophor-  und  Heissluftbe- 
handlung  bis  zum  nächsten  Tage  gewichen,  vor  eine  schwere  und 
verantwortungsvolle  Frage  wäre  ich  gestellt  worden. 

Betrachten  wir  die  Sache  von  einer  anderen  Seite.  Die  Kranken 
erzählen  alles  Mögliche,  was  bei  ihnen  operiert  worden  sei  und 
stellen  sich  als  das  Opfer  einer  blinden  Operationswut  hin.  Trotz¬ 
dem  man  weiss,  wie  verlässlich  die  Angaben  der  Kranken  im  Allge¬ 
meinen  und  im  Besonderen  dort  sind,  wo  sie  ihren  Arzt  beurteilen, 
kann  man  sie  doch  nicht  so  überzeugen  und  schlagfertig  widerlegen, 
wie  man  es  gerne,  ach  so  gerne,  täte,  weil  man  eben  über  den 
wahren  Tatbestand  so  gut  wie  gar  nichts  weiss. 

Solche  und  ähnliche  Fälle,  wie  sie  wohl  jedem  beschäftigten 
Arzte  vielleicht  täglich  mehrfach  begegnen,  Hessen  sich  ungezählte 
anführen. 

Durch  ein,  wie  ich  glaube,  sehr  einfaches  Mittel,  Hesse  sich 
diesem,  wenigstens  von  mir  und  sicher  auch  von  vielen  anderen 
praktischen  Aerzten  schwer  empfundenen  Schwierigkeiten  gründlich 
abhelfen.  Mein  Vorschlag  geht  daher  dahin,  dass  man  auf  irgend 
einem  grossen  Kongresse  ein  Formular  festsetze,  das  alle  Kranken¬ 
anstalten,  an  welchen  operiert  wird,  annehmen  und  in  Form  von 
Karten  drucken  lassen.  Wird  nun  ein  Operierter  entlassen,  so  gibt 
man  ihm  eine  solche  ausgefüllte  Karte  mit  der  Weisung,  sie  aufzu¬ 
bewahren  und  bei  jeder,  wie  immer  gearteten  neuen  Erkrankung, 
dun  behandelnden  Arzte  sofort  einzuhändigen.  Welcher  Art  der  Vor¬ 
druck  auf  diesen  Karten  am  Besten  sein  würde,  das  müsste  eben 
auf  einem  Kongresse  festgesetzt  werden.  Zur  noch  eingehenderen 
Erklärung,  wie  ich  mir  die  Sache  ungefähr  vorstelle,  sei  im  Folgen¬ 
den  ein  Entwurf  einer  solchen  „Merkkarte“  wiedergegeben: 

Name  und  Ort  der  Anstalt: 

Abteilung: 

Buchführungsnummer : 

Name  und  Alter  des  Kranken: 

Dauer  des  Spitalsaufenthaltes: 

Diagnose: 

Tag  der  Operation: 

Befund  bei  der  Operation: 

Art  des  Eingriffes: 

Art  der  Schmerzstillung: 

Komplikationen  (Sekundaheilung  usw.): 

Anfällige  Nachoperationen: 

Wurde  entlassen  (gebessert,  geheilt,  ungeheilt): 

Besondere  Bemerkungen: 

Ort  und  Datum: 

Eine  solche  krankengeschichtliche  Merkkarte  Hätte  nun  auch 
für  die  Anstalt  selbst  grosse  Vorteile.  Wenn  ein  solcher  Kranker  mit 
einer  solchen  Karte  eine  andere  Krankenanstalt  aufsucht,  hat  man 
nicht  erst  herumzuschreiben.  Wenn  er  in  der  gleichen  Anstalt  war, 
braucht  man  nicht  erst  die  alten  Krankengeschichten  durchzustöbern, 
was  immer  eine  Riesenarbeit  ist,  weil  die  Kranken  bekanntlich  sich 
nicht  einmal  das  Jahr  merken.  Man  entnimmt  der  Merkkarte  die 
Nummer  der  alten  Krankengeschichte  und  fertig  ist  die  Sache. 

Hat  man  für  spätere  Nachuntersuchungen  zu  wissenschaftlichen 
Zwecken  irgendwelche  Wünsche,  so  kann  man  sie  am  Merkblatt 
aufzeichnen  und  der  Kollege,  der  die  Karte  in  die  Hand  bekommt, 
wird  wohl  in  den  meisten  Fällen  die  gewünschte  Auskunft  senden. 

Solche  Merkkarten  Hessen  sich  in  ähnlicher  Weise  sicher  auch 
mit  grossem  Vorteile  für  nicht  operative  Abteilungen  und  deren 
Kranke  herstelien  und  verwenden. 

Möge  also  dieser  Vorschlag  Anklang  und  in  seiner  Durchführung 
möglichst  weite  Verbreitung  finden  zum  Heile  der  leidenden  Mensch¬ 
heit,  zur  Entlastung  von  uns  Aerzten  und  nicht  zuletzt  auch  zum 
Wohle  der  Wissenschaft! 

~ - -  . . 


Angelo  Celli. 

Am  2.  November  erlag  Prof.  Celli,  der  Direktor  des 
hygienischen  Institutes  der  K.  Universität  Rom  einem  Herz¬ 
leiden.  Seine  wissenschaftlichen  Verdienste  hatten  seinem 
Namen  nicht  nur  in  seinem  Vaterland,  sondern  auch  jenseits 
der  Alpen  guten  Klang  verschafft,  weshalb  es  auch  angebracht 
ist,  seinem  Andenken  einige  Zeilen  in  unserer  „Münchener“  zu 
widmen,  um  so  mehr,  als  er  ein  Schüler  Pettenkofers  war. 

Prof.  Celli  starb  verhältnismässig  jung,  denn  er  war  im 
Jahre  1858  zu  Cagli  (Provinz  Pesaro)  geboren,  folglich  erst 
56  Jahre  alt. 

Ich  hatte  ihn  einige  Jahre  lang  nicht  mehr  gesehen  und 
als  mich  der  Zufall  mit  ihm  zusammenführte,  erschrack  ich 
über  den  Verfall,  der  sich  in  seinem  Aeusseren  kundgab.  Fr 
machte  damals  mit  seiner  liebenswürdigen  Gattin,  einer 
Deutschen,  einen  Ausflug  auf  der  herrlichen  Stilfserjochstrasse 
und  mir  tat  das  Herz  weh,  als  ich  ihn  so  vorzeitig  gealtert 
und  niedergedrückt  wiedersah,  denn  dem  kundigen  Blick  des 
Arztes  konnte  es  nicht  entgehen,  dass  das  Ende  des  tüchtigen 
Gelehrten  nicht  mehr  lange  auf  sich  warten  lasse. 

Die  Grundlagen  seines  Könnens  hatte  Celli  in  Deutsch¬ 
land  gelegt,  denn  gleich  nach  beendetem  Universitätsstudium 
war  er  nach  München  gegangen,  wo  er  im  Laboratorium 
Pettenkofers  eifrig  arbeitete.  In .  die  Heimat  zurück¬ 
gekehrt,  betrieb  er  das  Studium  der  Hygiene  mit  dem  gleichen 
Eifer  bei  Tommasi-Crudeli  weiter,  mit  dem  zusammen 
er  eine  Reihe  sehr  beachtenswerter  Untersuchungen  über  die 
Malaria  ausführte.  Als  im  Jahre  1887  die  Cholera  in  Süd¬ 
italien  ausbrach  wurde  er  mit  unbeschränkten  Machtbefug¬ 
nissen  in  jene  Gegenden  geschickt.  Die  Energie  und  Ge¬ 
schicklichkeit,  mit  welcher  er  den  gefährlichen  Feind  be¬ 
kämpfte,  trugen  neben  seinen  wissenschaftlichen  Verdiensten 
dazu  bei,  ihm  den  Lehrstuhl  für  Hygiene  an  der  Universität 
Palermo  zu  verschaffen,  von  wo  er  nach  dem  Tode  Tom- 
masi-Crudelis  auf  dessen  Lehrstuhl  nach  Rom  berufen 
wurde. 

Seinen  Ruf  verdankt  Celli  vor  allem  seinen  Studien  über 
die  Malaria.  Er  ist  zweifelsohne  einer  derjenigen  Männer,  die 
sich  das  grösste  Verdienst  um  die  Lösung  dieses  für  Italien 
so  sehr  schwerwiegenden  Problems  erworben  haben.  Als 
Mitarbeiter  Marchiafavas  hat  er  Hervorragendes  zur 
Entdeckung  des  Parasiten  der  Malaria  aestivo-autumnalis  ge¬ 
leistet.  Auf  dem  Gebiete  der  sozialen  Hygiene  war  er  der 
eifrigste  Vorkämpfer  des  Gesetzes  zur  Bekämpfung  der  Ma¬ 
laria  und  der  Verstaatlichung  der  Chininabgabe,  über  welches 
ich  in  dieser  Wochenschrift  mehrfach  berichtet  habe.  Die 
völlig  unentgeltliche  Abgabe  des  Chinins  an  die  Armen  und 
den  niedrigen  Preis,  für  den  es  den  Grundbesitzern  etc.  über¬ 
lassen  wurde,  ermöglichte  eine  wirklich  gründliche  und  allge¬ 
meine  Bonifizierung  der  Malariker. 

Aber  Celli  rückte  der  Malaria  auch  auf  anderen  Wegen 
zu  Leibe  und  was  er  durch  die  systematische  Belehrung  und 
Organisation  der  Bevölkerung  der  Malariazonen,  ganz  be¬ 
sonders  in  der  Campagna  romana  geleistet  hat,  kann  auch  nicht 
hoch  genug  eingeschätzt  werden.  Eine  Propagandaschrift: 
„Wie  man  in  der  Campagna  romana  lebt“  hat  seinerzeit 
viel  Aufsehen  erregt  und  sowohl  Gesetzgeber  als  Philan- 
tropen  veranlasst,  ihrerseits  das  möglichste  zur  Bekämpfung 
der  Malaria  zu  tun. 

Da  Celli  selbst  während  mehrerer  Wahlperioden  dem 
Parlament  als  Abgeordneter  angehörte,  vermochte  er  auch  auf 
diesem  Wege  direkt  tätig  zu  sein.  Allerdings  sass  er  in  der 
Kammer  auf  der  äussersten  Linken,  was  vielleicht  seiner  Be¬ 
rufung  zu  höheren  Aemtern  hinderlich  war,  in  denen  sein  Or¬ 
ganisationstalent  und  sein  reiches  Können  auf  sozial¬ 
hygienischem  Gebiet  noch  besser  hätte  zur  Geltung  kommen 
können.  Der  politischen  Kämpfe  müde,  hatte  er  übrigens  in 
den  letzten  Wahlen  seine  Kandidatur  zurückgezogen. 

Als  er  am  Schluss  des  letzten  Studienjahres  Rom  verliess, 
um  einige  Monate  seiner  Erholung  zu  leben,  hofften  alle,  die 
Ruhe  möge  seine  erschütterte  Gesundheit  wieder  kräftigen, 
aber  ungeachtet  der  liebevollen,  aufopfernden  Pflege  seiner 
Gattin  und  aller  Bemühungen  seiner  Kollegen  von  der  Fakultät 
nahm  sein  Leiden  einen  raschen,  tödlichen  Verlauf. 


5.  Dezember  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2373 


Seiner  tapferen,  des  tüchtigen  Gelehrten  so  ganz  würdigen 
.ebensgeführtin,  deren  aufopfernden  Tätigkeit  zur  Reorgani- 
ation  und  Leitung  des  Pflegerinnendienstes  in  der  römischen 
ledizinischen  Klinik  ich  mich  aus  meiner  römischen  Zeit  noch 
ehr  wohl  erinnere,  möchte  ich  mit  diesen  Zeilen  gleichzeitig 
lein  aufrichtigstes,  innigstes  Beileid  ausdrücken. 

Bordigbera,  15.  Nov.  1904.  Prof.  G  a  11  i. 


Fortbildungsvorträge  und 
Uebersichtsreferate. 

Die  chronischen  Arthritiden"). 

Ursachen,  Einteilung  und  Beurteilung. 

Von  Wilhelm  H  i  s. 

Im  letzten  Jahre  hat  auf  dem  Internationalen  Kongress  in 
ondon  Prof.  v.  Müller  ein  Referat  erstattet  über  die  Einteilung 
er  Krankheiten,  welche  unter  dem  Namen  chronische  Arthritis  zu- 
nnmengefasst  werden.  Er  fasste  den  Gegenstand  vom  Standpunkte 
er  allgemeinen  Pathologie  und  zeigte,  wie  aus  den  anatomischen 
nd  physiologischen  Eigenschaften  der  Gelenke  und  ihrer  Gewebe  die 
eiden  Zustände  der  Entzündung  und  der  Degeneration  abgeleitet 
erden  können. 

Ich  möchte  dieses  Referat  als  Grundlage  meiner  Ausführungen 
jhmen,  diese  aber  nicht  gewisserinassen  aus  der  Vogelschau,  son- 
ern  auf  dem  Boden  der  Erfahrung  stehend,  anstellen  und  versuchen, 
men  darzulegen,  wie  haben  wir  den  konkreten  Fall  zu  beurteilen 
nd  zu  behandeln. 

Ich  vermeide  es  absichtlich  auf  eine  Diskussion  der  Nomenklatur 
nzugehen.  Wir  haben  ja  drei  Prinzipien,  nach  denen  wir  in  der 
ledizin  eine  Einteilung  treffen  könnnen;  die  anatomischen  Verände- 
ingen,  die  Aetiologie  und  die  Nosologie.  Keines  dieser  Prinzipien 
bt  eine  hinreichende  Grundlage  zu  allseitig  erschöpfender  Einteilung 
ld  Benennung  der  Gelenkkrankheiten.  Gleiche  anatomische  Ver- 
lderungen  werden  von  verschiedenen  Ursachen  hervorgerufen, 
eiche  Ursachen  erzeugen  sehr  verschiedene  Krankheitsbilder,  wie 
ir  das  namentlich  von  der  Gonorrhöe  und  von  der  Lues  wissen, 
eren  Gelenkerscheinungen  von  der  einfachen  flüchtigen  Gelenk- 
hwellung  bis  zur  unheilbaren  Ankylose  und  bis  zur  Vereiterung 
es  Gelenkes  reichen  können.  Für  eine  auf  rein  nosologischem 
öden  aufgebaute  Einteilung  ist  jedoch  die  Zeit  noch  nicht  gekommen, 
ie  letzten  Jahre  haben  über  die  Entstehung  der  Gelenkkrankheiten 
nige  Tatsachen  und  noch  mehr  Meinungen  entstehen  lassen,  welche 
r  die  Zukunft  vielversprechend  sind  und  deren  Bestätigung  abge¬ 
artet  werden  muss,  bevor  eine  Nomenklatur  Anspruch  auf  Dauer 
iben  kann. 

Was  für  uns  wesentlich  ist,  das  ist  ein  Einblick  in  das  krank- 
ifte  Geschehen  im  Gelenk. 

Fast  alle  Gelenkkrankheiten  lassen  sich  in  wenige  Formen  unter¬ 
lagen,  welche  für  sich  oder  kombiniert  das  anatomische  Bild  und 
m  Krankheitsvorgang  zusammensetzen. 

I. 

Der  einfachste  Vorgang  ist  der  Erguss  einer  Flüssigkeit  in  die 
elenkhöhle  ohne  dauernde  anatomische  Veränderungen.  Er  wird 
kannt  an  der  Schwellung  des  Gelenkes  und  seiner  Nebenhöhlen, 
ozu  im  Falle  der  Entzündung  noch  Schmerz  und  Hyperämie  der 
aut  sich  hinzugesellen.  Dieser  Vorgang  kann  auf  Infektion  be- 
ihen,  er  findet  sich  regelmässig  bei  der  Polyarthritis  acuta,  häufig 
frischen  Stadien  der  Lues  und  der  Gonorrhöe  und,  wie  Poncet 
izeigt  hat,  gelegentlich  bei  Tuberkulose.  Als  Symptom  der  Intoxi- 
ition  mit  körperfremden  Eiweissstoffen  begegnen  wir  ihm  bei  der 
iruinkrankheit,  als  Zeichen  flüchtiger  vasomotorischer  Störungen  bei 
-in  Hydrops  articulorum  intermittens,  jenem  eigentümlichen,  dem 
u  i  n  c  k  e  sehen  angioneurotischen  Oedem  verwandten  Zustand,  der 
sher  auf  keine  bekannte  Stoffwechselstörung  zurückgeführt  werden 
inn. 

Ein  besonderer  Fall  dieser  Exsudation  ist  der  akute  Gichtanfall, 
:r  sich  von  den  übrigen  Exsudaten  nur  dadurch  unterscheidet,  dass 
e  Flüssigkeit  mit  kleinen  Nadeln  von  primärem  Natriumurat  erfüllt 
t.  Es  ist  bekannt,  dass  meistens  in  solchen  Gelenken  Ablage- 
ugen  der  Urate  im  Knorpel  Zurückbleiben.  Doch  können  auch  Ge- 
nke,  welche  sicher  der  Sitz  akuter  Gichtanfälle  gewesen  sind,  bei 
latomischen  Untersuchungen  frei  von  Uraten  gefunden  werden. 

Die  einfachen  Gelenkergüsse  werden  durch  Besichtigung  und 
üpation  leicht  erkannt.  Das  Röntgenbild  zeigt  Anomalien  nur  im 
^reiche  der  Synovialis,  welche  gedehnt  erscheint,  bei  sehr  grossen 
giissen  etwa  auch  eine  Verbreiterung  der  Gelenkspalte,  aber  keine 
^Hinderungen  am  Knorpel  und  Knochen. 

II. 

Die  akute  Entzündung  der  Synovialis  ist  häufig  die  Ursache 
r  beschriebenen  Exsudate.  Sie  geht  einher  mit  vermehrter  Blnt- 

*)  Fortbildungsvortrag,  gehalten  in  München  am  1.  Juli  1914. 

Nr.  50. 


fiillung  der  Synovialgefässe  und  lässt  eine  völlige  Restitutio  ad  inte¬ 
grum  zu.  Die  chronische  Entzündung  der  Synovialis  verläuft  da¬ 
gegen  stets  unter  Erscheinungen,  welche  nicht  völlig  zurückgebildet 
werden  können.  Es  handelt  sich  um  Infiltrate  innerhalb  der  Membran 
und  in  deren  Umgebung,  welche  zur  Narben-  oder  Schwielenbildung 
führen.  Aus  der  Gelenkfläche  spriessen  mehr  oder  minder  reichlich 
Zotten  hervor,  welche  bei  längerem  Bestand  fettige  oder  knorpelige 
Metamorphose  eingehen,  in  deren  äusserstem  Grade  das  bekannte 
Lipoma  arborescens  bilden  oder  durch  Abstossen  bindegewebige  oder 
knorpelige  freie  Gelenkkörper  in  die  Höhle  abgeben.  Die  Exsudation 
ist  bei  der  chronischen  Form  der  Synovitis  an  Intensität  von  Fall 
zu  Fall  verschieden  und  auch  von  Zeit  zu  Zeit  wechselnd.  Akute 
Exazerbation  gehen  nicht  selten  mit  frischer  Exsudation  einher. 

Die  chronische  Entzündung  der  Synovialmembran  zeigt  stets 
den  Umfang  des  Gelenkes  vergrössert  und  da  der  Prozess  auch  in 
die  Bursae  und  Rezessus  und  in  das  periartikuläre  Gewebe  über¬ 
greift,  sieht  das  Gelenk  oft  spindelförmig  aufgetrieben  aus.  Die 
Betastung  des  Gelenkes  kann  mehr  oder  minder  schmerznaft  sein, 
stets  aber  lässt  sie  die  verdickte  Membran  als  eine  prall  elastische, 
wie  Radiergummi  sich  anfühlende  Masse  fühlen.  Das  Röntgenbild 
lässt,  wenn  es  mit  weicher  Röhre  aufgenommen  ist,  sehr  oft  die 
Synovialis  als  zarte  Schatten  erkennen.  Knorpel  und  Knochen  zeigen 
bei  reinen  Fällen  keinerlei  Strukturveränderungen. 

III. 

Der  Gelenkknorpel  ist  gefässlos  und  an  sich  einer  echten  Ent¬ 
zündung  nicht  fähig.  Seine  Struktur  kann  gestört  werden  einmal, 
wenn  er  direkten  Verletzungen  ausgesetzt  ist,  andererseits,  wenn 
seine  normalen  Existenzbedingungen  gestört  werden  (abnorme  Bean¬ 
spruchung  und  Belastung)  und  drittens  wenn  seine  Ernährung  leidet. 
Letzteres  kann  der  Ausdruck  einer  allgemeinen  oder  spezifischen 
Stoffwechselstörung  sein  oder  der  Effekt  abnormer  Tätigkeit  des 
Ernährungsgewebes  des  subchondralen  Knochenmarks.  Bei  dieser 
Vielgestaltigkeit  der  Bedingungen  muss  man  von  vornherein  er¬ 
warten,  Störungen  der  Knorpelstruktur  sehr  häufig  anzutreffen.  Eine 
Untersuchungsreihe  an  den  Knie-  und  Grosszehengelenken  von  200 
Leichen,  welche  Prof.  B  e  i  t  z  k  e  auf  meine  Veranlassung  vornahm, 
ergaben,  dass  von  diesen  200  Personen  nur  35  normale  Knorpel 
besassen,  bei  weiteren  16  lag  Harnsäuregicht  vor,  alle  übrigen  wiesen 
mehr  oder  minder  starke  Knorpeldefekte  auf,  welche  von  den  leich¬ 
testen  umschriebenen  kleinen  Degenerationsherden  bis  zu  den 
schwersten  Formen  deformierender  Arthritis  alle  Grade  umfassten. 
Vom  20.  Lebensjahre  ab  zeigten  die  meisten  untersuchten  Gelenke 
umschriebene  Herde,  in  denen  der  Knorpel  verdünnt,  seine  Grund¬ 
substanz  samtartig  aufgefasert,  gequollen  und  degeneriert  und  die 
basale  Knochenlamelle  sklerotisch  verdickt  war.  An  die  Knorpel¬ 
degeneration  schliessen  sich  jene  sekundären  Veränderungen  an, 
welche  von  P  r  e  i  s  e  r  als  Ausgleichserscheinungen  aufgefasst  wer¬ 
den,  welche  aber  mit  ihren  Wucherungen  von  Bindegewebe  von 
Randexostosen  und  mit  ihren  mehr  oder  minder  hochgradigen  Ver¬ 
klebungen  der  beiden  Gelenkilächen  den  Zweckmässigkeitsgrad  bei 
weitem  überschreiten  und  die  Ursache  mehr  oder  minder  hoch¬ 
gradiger  Funktionsbehinderungen  werden. 

Die  Degeneration  des  Knorpels  kann,  wenn  sie  geringfügig  und 
umschrieben  ist,  der  Untersuchung  vollkommen  entgehen.  Nament¬ 
lich  die  von  B  e  i  t  z  k  e  beschriebenen  kleinen  Entartungsherde 
machen  bei  Lebzeiten  keinerlei  Beschwerden.  Grössere  Knorpel¬ 
defekte  verraten  sich  durch  feines  Reiben,  welches,  wenn,  der 
Knorpelüberzug  verschwindet,  und  die  rohen  Knochenflächen  auf¬ 
einander  schleifen  in  immer  gröberes  Knacken  und  Reiben  übergeht. 
Die  mechanische  Behinderung  lässt  sich  bei  passiver  Bewegung  er¬ 
messen,  namentlich,  wenn  im  warmen  Bad  oder  ln  Narkose  die 
oft  sehr  hochgradige  Muskelspannung  aufgehoben  wird.  Das  Rönt¬ 
genbild  zeigt  oftmals  die  gänzlich  veränderte  Knochenstruktur  und 
in  ausgezeichneter  Weise  die  Randexostosen  und  Knochenbrücken, 
welche  die  Bewegung  behindern. 

Eine  besondere  Form  dieser  Krankheit  bildet  die  Pierre  Mari  e- 
Strümpell-Bechterew  sehe  Krankheit,  die  Ankylose  der 
Wirbelsäule  allein  oder  in  Verbindung  mit  Erkrankungen  anderer 
Gelenke.  Sie  kann  vorgetäuscht  werden  durch  Spasmen  in  der 
Lenden-  und  Rückenmuskulatur;  das  ist  die  von  Cassierer  be¬ 
schriebene  myogene  Wirbelsteifigkeit.  Die  echte  Form  zeigt  eine 
Zerstörung  der  Intervertebralscheiben  mit  exostotischen  Randwuche¬ 
rungen,  welche  spangenförmig  von  einem  Wirbel  zum  anderen  über¬ 
greifen  und  eine  völlige  knöcherne  Ankylose  herstcllen.  Der  Vor¬ 
gang  ist  also  der  deformierenden  Arthritis  analog  und  kann  durch 
verschiedene  Infektionskrankheiten,  unter  anderem  Gonorrhöe  und 
Lues,  ausgelöst  werden,  aber  auch  scheinbar  völlig  spontan  ent¬ 
stehen. 

An  den  Erkrankungen  der  Gelenke  beteiligen  sich  bald  mehr 
bald  weniger  die  übrigen  der  Bewegung  dienenden  Gewebe,  vor  allem 
die  Knochen. 

Das  Knochengewebe  wird  sehr  oft  iin  Zustande  der  Atrophie 
angetrofien.  Diese  kann  einen  gleichmässigen  Schwund  des  immo¬ 
bilisierten  Gewebes  aufweisen  und  ist  dann  als  Inaktivitätsatrophie 
aufzufassen.  Es  ist  bekannt,  dass  nicht  nur  die  völlige  Behinderung, 
sondern  schon  die  Beeinträchtigung  der  Bewegung  zu  Knochen¬ 
atrophie  führen  kann  und  oft  zeigen  die  chronischen  Arthritiden  ähn¬ 
liche  Bilder,  wie  die  von  Sud  eck  beschriebenen  traumatischen  Kno- 

2 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  Sö. 


7374 


chtnatrophien.  Mit  Vorliebe  sitzen  die  Atrophien  in  unmittelbarer 
Nachbarschaft  der  befallenen  Gelenke,  so  namentlich  an  den  Epi¬ 
physen  der  Finger-  und  Zehenknochen. 

Nicht  selten  begegnet  man  auch  umschriebenen  Resorptions¬ 
höhlen  in  der  Nähe  der  befallenen  Gelenke.  Bei  der  Gicht  handelt 
es  sich  um  wohlbekannte  Uratablagerungen  im  Knochenmark,  durch 
welche  die  Knochenstruktur  vollkommen  zerstört  wird.  In  anderen 
Fällen  müssen  wohl  Entzündungsherde  infektiösen  Ursprunges  Ur¬ 
sache  der  Lakunen  sein,  ohne  dass  Genaueres  bisher  darüber  bekannt 
wäre. 

Verdickungen  des  Knochens  finden  sich  fast  regelmässig  unter 
beginnenden  Knorpeldefekten.  Sie  können  hohe  Grade  erreichen  und 
sind  zuweilen  mit  der  Atrophie  so  vergesellschaftet,  dass  die  Kor- 
tikalis  sklerotisch,  die  Spongiosa  atrophisch  ist. 

Dass  bei  kompletter  Ankylose  und  fehlerhafter  Belastung  die 
Struktur  des  Knochens  auf  tiefste  verändert  und  umgewandelt  wird, 
ist  selbstverständlich. 

Von  besonderem  Interesse  sind  die  Subluxationen.  Am  auf¬ 
fälligsten  erscheinen  sie  an  den  Fingern  und  Zehen,  welche  im 
Basalgelenk  nach  der  Richtung  des  kleinsten  Gliedes  abgelenkt  er¬ 
scheinen.  Diese  ulnare  Deviation  erscheint  zuweilen  ganz  früh,  lange 
vor  jeder  Bewegungsbehinderung  und  muss  einer  frühzeitigen  Atro¬ 
phie  gewisser  Muskeln,  wahrscheinlich  der  Lumbricalis,  zugeschrieben 
werden.  In  höheren  Graden  sind  die  Phalangen  völlig  subluxiert. 
In  anderen  Fällen  sind  es  die  Muskelkontrakturen  oder  Sehnenver- 
kürzungen,  welche  die  Gelenkformen  verändern  und  zuweilen  jene 
gänzliche  Verkrüppelung  erzeugen,  die  den  Menschen  gänzlich  be¬ 
wegungsunfähig  macht. 

Die  Muskeln  nehmen  an  dem  Krankheitsprozess  in  sehr  wech¬ 
selndem  Grade  teil  ohne  dass  man  sagen  könnte,  dass  ihr  Verhalten 
in  direkter  Beziehung  zur  Gelenkaffektion  stände.  Dass  sie  infolge 
der  Inaktivität  atrophieren,  ist  selbstverständlich  und  durch  neuere 
Versuche  noch  besonders  zur  Evidenz  erhoben.  Man  sieht  aber  zu¬ 
weilen  gewisse  Muskelgruppen  ganz  früh  atrophieren,  ohne  dass  Be¬ 
wegungshindernisse  vorhanden  sind,  so  namentlich  die  Musculi  in- 
terossei,  Thenar  und  Hypothenar.  Diese  Atrophie  kann  hochgradig 
sein  bei  beginnenden,  kaum  merklich  bei  fortgeschrittenen  Fällen,  sie 
stellt  also  eine  Besonderheit  dar,  welche  nicht  ohne  weiteres  auf  die 
Inaktivität  bezogen  werden  darf. 

Dasselbe  gilt  für  die  Muskelkontrakturen,  welche  den  Prozess 
nur  in  bestimmten  Fällen,  dann  aber  zuweilen  sehr  bedeutend  kom¬ 
plizieren. 

Die  Sehnen  und  Sehnenscheiden  sind  nicht  selten  be¬ 
teiligt.  Bei  akuten  wie  bei  chronischen  Arthritiden  erscheinen  zu¬ 
weilen  in  und  auf  den  Sehnenscheiden  erbsengrosse,  derb  elastische 
Knötchen,  die  Noduli  rheumatici,  sie  stellen  umschriebene  Bindege¬ 
webswucherungen  mit  nekrotischem  Zentrum  dar.  Bei  einem  9  jähr. 
Knaben  sah  ich  sie  beim  langdauernden  Rezidiv  einer  akuten  Poly¬ 
arthritis  entstehen  und  beim  Abklingen  des  Abfalles  in  einigen 
Wochen  wieder  verschwinden.  Nicht  selten  sind  flüchtige  oder 
dauernde  Exsudate  in  den  Sehnenscheiden,  welche  mit  Verdickung 
der  Scheidenmembran,  namentlich  derjenigen  der  Gelenkkapseln,  ein¬ 
hergehen  können. 

Endlich  ist  jener  Erscheinung  zu  gedenken,  welche  die  Masseure 
seit  langer  Zeit  kennen  und  beschreiben  und  deren  anatomischer 
Sitz  sehr  wahrscheinlich  in  den  Sehnenscheiden,  Schleimbeuteln,  Fas¬ 
zien  und  Aponeurosen  gesucht  werden  muss.  Es  sind  dies  um¬ 
schriebene,  gegen  Druck  und  namentlich  Reiben  empfindliche  Punkte, 
die  als  Ausstrahlungspunkte  von  Stirn,  Scheitel  und  Nacken,  Kopf¬ 
schmerz  (E  d  i  n  g  e  r  s  Schwielenkopfschmerz)  als  Ursache  hoch¬ 
sitzender  Ischias  und  interkostaler  Neuralgie  eine  so  grosse  Rolle 
spielen,  die  aber  auch  sonst  bei  rheumatisch  veranlagten  Personen 
häufig  gefunden  werden,  oftmals  genau  symmetrisch  am  Hals,  Hinter¬ 
haupt,  Nacken  und  Kreuz.  Es  ist  bekannt,  dass  Cornelius  auf 
diese  richtige  Beobachtung  in  Anlehnung  an  schwedische  Gymnasten 
eine  unhaltbare  Theorie,  aber  eine  wirksame  Therapie  propagiert. 

Die  Haut  zeigt  in  einzelnen  Fällen,  nicht  eben  sehr  häufig,  Ano¬ 
malien.  Bemerkenswert  ist  die  Neigung  mancher  Patienten  zu  reich¬ 
lichem  Schwitzen.  An  den  Händen  kann  die  Haut  bei  gewissen 
Formen  jugendlicher  chronischer  Polyarthritis  ganz  auffällig  atro¬ 
phieren,  so  dass  sie  sich  dünn  und  faltenlos  über  die  verdickten 
Gelenke  hinwegzieht.  In  anderen  Fällen,  namentlich  bei  älteren  Pa¬ 
tienten,  neigt  sie  zum  Elastizitätsverlust  und  zu  Wucherungen.  Von 
der  echten  Sklerodermie  werden  wir  später  zu  sprechen  haben.  Die 
Nägel  nehmen  in  seltenen  Fällen  an  dem  Prozess  teil,  werden  rissig, 
spröd  oder  fallen  aus. 

Endlich  ist  noch  der  vasomotorischen  Störungen  zu  gedenken, 
welche  bei  jugendlichen  Personen  oder  Frauen  in  der  Menopause  dem 
Auftreten  der  Arthritis  nicht  selten  vorausgehen.  Die  Patienten 
klagen  über  Hitzegefühl,  Spannungen  oder  über  Kaltwerden  der  Glie¬ 
der  mit  Kriebeln  und  anderen  Parästhesien.  Diese  Erscheinungen 
gehen  zuweilen  vorüber,  wenn  der  arthritische  Prozess  einsetzt. 

Für  die  inneren  Organe  lässt  sich  ein  einigermassen  charakte¬ 
ristisches  Verhalten  bei  chronischen  Arthritiden  nicht  angeben.  Herz 
und  Gefässe  sind  häufig  abnorm,  sei  es  durch  Alter,  sei  es  durch 
vorhandene  Infektionen  beeinflusst,  deren  Bedeutung  wir  gleich  zu 
besprechen  haben.  Auch  bei  Patienten,  welche  in  der  Menopause 
an  Arthritis  erkranken,  sind  natürlich  Herz-  und  Vasomotoren¬ 
anomalien  nicht  selten. 


Nicht  rnindei  vielgestaltig  wie  die  anatomischen  Veränderungen 
ist  die  Aetinlogic  der  chronischen  Gelenkveränderungen.  Zweifellos 
spielen  unter  ihnen  die  Infektionen  eine  bedeutende  Rolle.  Es  sind 
chronische  Arthritiden  im  Anschluss  an  akute  Exantheme,  Erysipel, 
Typhus,  Paratyphus  und  Pneumokokkeninfektionen  beschrieben.  Auf 
die  Rolle  der  Gonorrhöe  und  der  Lues  brauche  ich  nicht  nochmals 
einzugehen  und  möchte  nur  auf  jene  Formen  aufmerksam  machen, 
bei  denen  die  Tuberkulose  eine  Gelenkentzündung  von  nicht  spe¬ 
zifischer  Beschaffenheit  hervorruft. 

Poncet  ging  von  der  Beobachtung  aus,  dass  bei  Tuberkulösen 
zuweilen  mehrere  Gelenke  anschwellen,  von  denen  schliesslich  nur 
einige  wenige  der  dauernden  Gelenktuberkulose  verfallen  und  er  ver¬ 
ficht  die  Meinung,  dass  sehr  vielen  chronischen  Entzündungsvor¬ 
gängen  im  Körper,  für  die  sich  eine  andere  Ursache  nicht  nachweisen 
lässt,  typische  Tuberkulose  seien.  Er  geht  jedenfalls  in  seiner  Deu¬ 
tung  zu  weit.  Es  gibt  aber  sicher  chronische  Entzündungen  der 
Synovialis,  welche  sich  in  nichts  von  anderen  chronischen  Arthri¬ 
tiden  unterscheiden,  welche  aber  auf  Tuberkulin  eine  kräftige  Lokal¬ 
reaktion  aufweisen. 

Unter  chronischer  Sepsis  versteht  man  den  Zustand,  bei 
dem  ein  örtlicher  Herd  dauernd  oder  anfallsweise  den  Körper  mit 
Bazillen  oder  ihren  Produkten  überschwemmt.  Die  Gelenke  be¬ 
teiligen  sich  nicht  selten  an  der  Reaktion  und  namentlich  Pässler 
hat  in  letzter  Zeit  chronische  Arthritiden  auf  Infektionsherde  dieser 
Art  zurückführen  wollen.  Ausser  den  Gelenken  zeigt  häufig  das 
Herz  und  die  Niere  Funktionsstörungen  oder  es  bestehen  als  Aeusse- 
rung  der  chronischen  Infektion  Labilität  der  Temperatur  und  unregel¬ 
mässige  Fiebersteigerungen,  ferner  Anämie  und  mehr  oder  minder 
ausgeprägte  Kachexie.  Ucber  die  Erreger  derartiger  chronischer  In¬ 
fektionen  besteht  jedoch  keineswegs  Einigkeit.  Der  Gelenkinhalt 
wird  fast  ausnahmslos  steril  gefunden.  Schon  die  älteren  Unter¬ 
suchungen  von  Singer  und  M  e  n  z  e  r  suchten  die  Erreger  (Strepto¬ 
kokken)  im  Urin  oder  im  Blute  darzutun.  Zu  den  früher  von 
B  1  a  c  k  s  e  1 1  und  Wohlmann,  Poynter  und  P  a  y  n  e  be¬ 
schriebenen  spezifisch  rheumatischen  Erregern  kommt  neuerdings  der 
von  Roseno  w  beschriebene  Mikrococcus  rheumaticus.  Wenn  nun 
Roseno  w  in  den  Drüsen  in  der  Nähe  erkrankter  Gelenke  unter 
38  Fällen,  35  mal  seinen  Micrococcus  rheumaticus,  daneben  aber 
14  mal  Streptokokken,  9  mal  anaerobe  Bazillen,  Staphylokokken,  1  mal 
Mikrococcus  mucosus  und  1  mal  den  Gonokokkus  findet,  so  erinnert 
doch  diese  Vielgestaltigkeit  an  die  analogen  Befunde  bei  akuten 
Exanthemen,  namentlich  Masern  und  Scharlach,  bei  denen  ja  auch 
der  eigentliche  Erreger  unbekannt  ist,  aber  offenbar  die  Eintrittspforte 
des  Körpers  für  zahlreiche  andere  Bakterien  eröffnet.  Auch  dass 
durch  die  von  Poynter  und  Payne  beschriebenen  Bazillen  bei 
Kaninchen  Gelenkschwellung  hervorgebracht  wird,  beweist  zu-« 
nächst  nur,  dass  die  Kaninchengelenke  bei  sehr  mannigfachen  In¬ 
fektionen  mit  Entzündung  reagieren.  Für  sehr  viele  Fälle  chronischer 
entzündlicher  Arthritis  muss  auch  heute  noch  die  Aetiologie  als 
unsicher  gelten, 

Jene  Herde  chronischer  Sepsis  können  bekanntlich  sehr  mannig¬ 
fachen  Sitz  haben.  Ausser  den  Tonsillen  und  den  lymphatischen 
Apparaten  des  Rachenringes  und  der  Nase  kommen  die  Nebenhöhlen 
des  Schädels,  die  Pyorrhoea  alveolaris,  die  Gallen-  und  Appeudix- 
eiterungen,  die  Pyclozystitiden,  die  Prostatitis,  die  Adnexerkrankungtn 
und  vielleicht  auch  ulzeröse  Darmaffektionen  in  Betracht. 

Die  Bedeutung  der  nachweisbaren  lokalen  Herde  für  die  Therapie 
darf  indessen  nicht  übertrieben  werden.  Von  17  Fällen  chronischer 
Arthritis,  bei  denen  Eiterpfropfe  in  und  hinter  den  Tonsillen  nach-l 
gewiesen  und  die  Tonsillen  völlig  entfernt  wurden,  blieben  14  unge- 
heilt,  nur  bei  3  trat  ein  Rückgang  der  Gelenkerscheinungen  ein  und 
auch  von  diesen  kann  das  Dauerresultat  noch  nicht  angegeben  wer¬ 
den,  da  keiner  um  mehr  als  6  Monate  zurückliegt  *)-  Diese  Miss-j 
erfolge  zu  deuten  sind  wir  nicht  völlig  imstande,  man  kann  annehmen 
dass  Bakterienherde  in  der  Gelenkmembran  selbst  angesiedelt  sind 
und  wir  auch  nicht  erwarten  können,  dass  eine  entzündlich  ver¬ 
dickte  und  mit  Schwielen  durchsetzte  Synovialis  völlig  zur  Norm 
zurückkehrt.  Wenn  aber  nach  Entfernung  des  primären  Herdes  noch 
neue  Schübe  und  Temperatursteigerungen  auftreten,  so  ist  es  ein 
Beweis,  dass  ausser  jenem  Herd  noch  andere  Krankheitsursachen 
wirksam  sein  müssen. 

Autointoxikationen  nicht  bakterieller  Art  können  zweifello:- 
chronische  Gelenkveränderungen  erzeugen.  Das  klassische  Beispiel 
dafür  ist  die  Ochronose,  die  Braunfärbung  und  Auffaserung  des 
Knorpels,  welche  regelmässig  die  Alkaptonurie  begleitet.  Wir  haben 
ja  ein  Analogon  in  den  Trommelschlegelfingern,  bei  Lungenaffektionen 
und  der  Arthropatie  pneumique  hypertrophiante,  die  sich  zuweilen 
im  Anschluss  an  Lungenherde,  Pyozystitis  und  so  weiter  enwickelt 
zuweilen  aber  auch  völlig  spontan  entsteht.  Als  Hormonkrankheu 
wird  man  wohl  die  zahlreichen  Fälle  chronischer  Arthritis  bei  Frauer 
bezeichnen  müssen,  welche  um  die  Zeit  der  Menopause  auftreten 
stets  symmetrisch  polyartikulär  sind,  die  Kniee,  Fingergelenke  und 
Fussknöchel  befallen  und  keine  grosse  Tendenz  zum  Fortschreiter 
in  späteren  Jahren  zu  zeigen  pflegen. 


*)  Pässler  sah  kürzlich  septische  Erscheinungen  schwinden 
als  nach  einer  erfolglosen  Tonsillektomie  ein  zweiter  Eiterherd  ent¬ 
fernt  wurde,  ln  meinen  Fällen  waren  weitere  Herde  nicht  zu  ent¬ 
decken. 


iS.  Dezember  1914. 


MuencHener  Medizinische  WOCHENSCHRIFT. 


23 


7.5 


Ich  habe  viele  Fälle  dieser  Art  untersucht  und  keine  lokalen 
Sepsisherde  auffinden  können,  auch  pflegen  Fieberbewegungen  zu 
fehlen,  Herz  und  Niere  intakt  zu  sein,  so  dass  die  infektiöse  Natur 
dieser  Form  höchst  zweifelhaft,  ihr  Zusammenhang  mit  den  Involu¬ 
tionsvorgängen  sehr  wahrscheinlich  wird. 

Es  hat  auch  nicht  an  Versuchen  gefehlt,  das  zentrale  Nerven¬ 
system  in  Verbindung  mit  den  chronischen  Gelenkveränderungen  zu 
bringen.  Zwar  sind  die  charakteristischen  Atrophien  bei  Tabes  und 
Psychoneuropathien  anatomisch  von  den  Bildern  bei  chronischer 
Arthritis  total  verschieden,  doch  treten  bei  manchen  Formen  chro¬ 
nischer  Arthritis  zweifellos  nervöse  Symptome  in  den  Vordergrund, 
von  denen  die  vasomotorischen  bereits  genannt  sind,  die  Gelenk¬ 
schmerzen  aber  zuweilen  eine  besondere  Stellung  einnehmen.  Ich 
habe  mehrfach  die  Erfahrung  gemacht,  dass  diejenigen  Formen,  bei 
denen  von  vornherein  die  anatomischen  Veränderungen  sehr  gering, 
die  Schmerzen  aber  sehr  stark  sind,  der  Therapie  gegenüber  sich  als 
ganz  besonders  widerstandsfähig  und  manchmal  unzulänglich  er¬ 
weisen.  Dass  es  echte  Gelenkneurosen  im  Sinne  Volkmanns  gibt, 
darf  wohl  auch  heute  noch  angenommen  werden,  obwohl  sie  gewiss 
recht  selten  sind.  (Schluss  folgt.) 


Bücheranzeigen  und  Referate. 

W.  v.  O  e  1 1  i  n  g  e  n  -  Berlin:  Richtlinien  für  die  kriegschirur¬ 
gische  Tätigkeit  des  Arztes  auf  den  Verbandplätzen.  Dresden  und 
Leipzig.  S  t  e  i  n  k  o  p  f.  Preis  M.  1.50. 

Der  durch  seine  kriegschirurgische  Tätigkeit  rühmlichst  bekannte 
Verf.  hat  den  erfolgreichen  Versuch  unternommen,  für  die  feld- 
ärztliche  Tätigkeit  ganz  kurze  Schemata  aufzustellen,  die  den  plötz¬ 
lich  zu  Feldchirurgen  beförderten  Praktikern  als  Führer  bei  ihrer 
verantwortungsvollen  Tätigkeit  dienen  sollen.  Ein  solcher  Versuch 
erscheint  von  vorneherein  berechtigt,  da  im  Kriege  die  Freiheit  des 
ärztlichen  Individuums  dem  Schema  zu  weichen  hat  Um  die 
Schematisierung  noch  zu  erleichtern,  hat  Verf.  alle  Verletzungen  in 
9  Gruppen  untergebracht  und  hat  diesen  Hauptgruppen  wieder  Unter¬ 
gruppen  unterstellt,  die  sich  alle  durch  ein  sehr  einfaches  Zahlen¬ 
system  bezeichnen  lassen. 

Ein  allgemeiner  Teil  bespricht  die  wichtigsten  kriegschirurgi¬ 
schen  Grundsätze,  betont  die  Festlegung  von  Bakterien,  die  Stillung 
der  Blutung,  die  Feststellung  der  Knochen  und  die  Lagerung  des 
Kranken,  und  erörtert  die  verschiedenen  Arten  der  Verbände.  Die 
Grundsätze  für  die  Behandlung  der  Weichteilschüsse,  der  Gefäss- 
schüsse,  der  Knochen-  und  Gelenkschüsse  werden  in  Kürze  hervor¬ 
gehoben 

In  dem  speziellen  Teile  werden  alle  Verletzungen  kurz  aufge¬ 
zählt  und  für  jede  die  aus  ihr  sich  ergebenden  Gefahren,  die  erste 
Versorgung  auf  dem  Truppenverbandplätze  und  auf  dem  Hauptver¬ 
bandplätze  und  die  beste  Art  der  Rückbeförderung  angegeben. 

Der  vom  Verf.  mit  den  Richtlinien  gemachte  Versuch  ist  in 
hohem  Grade  begrüssens-  und  anerkennenswert.  Unsere  Feldärzte 
werden  die  Schemata  des  Verfassers  sicher  gern  und  mit  Erfolg 
benützen  K  r  e  c  k  e. 

J.  S  c  h  r  1  j  v  e  r  -  Amsterdam:  Das  Ulcus  duodeni.  Berlin  1914, 
S.  Karger.  Preis  10  Mark. 

Die  Pathologie  des  Ulcus  duodeni  ist  besonders  von  Chirurgen 
gefördert  worden.  Sch.  bringt  als  Internist  einen  wertvollen  Beitrag 
zu  der  Lehre  von  dem  genannten  Leiden.  Auf  Grund  der  Beob¬ 
achtungen  von  95  Fällen  kann  er  die  Lehren  von  M  a  y  o  und 
Moynihan  durchaus  unterschreiben.  47  der  Kranken  wurden 
operiert.  K  r  e  c  k  e. 

Theodore  Heiman:  L’oreille  et  ses  maladies.  Avec  176  figures 
dans  le  texte.  I.  Partie  generale  517  p.;  II.  Partie  speciale  1428  p. 
Paris.  G.  S  t  e  i  n  h  e  i  1,  editeur  1914.  Broschiert  40  Fr. 

Wir  haben  es  in  dem  Buche  von  Theodore  He  im  an  mit 
einem  gewaltigen  Lebenswerk  zu  tun,  von  bewundernswertem  Fleisse, 
grossem  Wissen,  reicher  Erfahrung,  enormer  Vielseitigkeit  und  Reich¬ 
haltigkeit.  Bei  der  Fülle  des  Stoffes  muss  man  aber  über  manches 
hinuegsehen,  was  eingehender,  kürzer  oder  anders  geschildert  hätte 
werden  können.  Gottfried  Trautmann  -  München. 

Fridtjof  Nansen:  Sibirien,  ein  Zukunftsland.  Leipzig,  F.  A. 
Brockhaus,  1914.  Preis:  geb.  10  M.  383  Seiten. 

Fridtjof  Nansen  brauchte  eines  Tages  Ferien,  und  da  ein 
Mann,  wie  er,  sich  nicht  leicht  begnügt,  an  einem  norwegischen  Fjord 
in  einer  Villa  den  Sonnenuntergang  zu  betrachten,  so  machte  er  zu 
seiner  Erholung  eine  Reise  nach  Sibirien.  Der  berühmte  Reisende 
meint,  es  sei  ihm  selber  ein  Rätsel,  warum  er  diese  Fahrt  an  die 
Mündung  des  Jenisei  und  diesen  hinauf,  dann  über  Land  mit  Bahn, 
Kutsche  und  Auto  nach  Ostsibirien,  ins  Amurgebiet  unternommen  hat. 
Nansen  meint,  er  sei  zu  dieser  Fahrt  vielleicht  auch  aus  dem 
Grunde  von  den  Russen  eingeladen  worden,  weil  er  ein  wenig  Er¬ 
fahrung  im  Befahren  des  Eises  habe.  Nun,  diese  Reise,  welche  zu¬ 
nächst  im  Kampfe  mit  dem  Karischen  Meere  bestand,  schildert  Nan¬ 
sen  in  der  anziehenden  Weise,  die  wir  an  seinen  Werken  gewohnt 
sind,  und  mit  jener  eindringenden  Exaktheit,  welche  den  einzelnen 
grossen  Reisenden  von  der  Vielheit  der  kleinen  Reisenden  unter¬ 


scheidet.  Er  gewann  überwältigende  Eindrücke  aus  diesen  un^ 
geheuren  Länderstrecken,  wo,  nach  seiner  Anschauung,  noch  so  viel 
Raum  für  Millionen  von  Heimwesen  glücklicher  Menschen  wäre.  Wir 
wissen  freilich,  dass  gegenwärtig  in  diesem  ungeheuren  Lande  noch 
viel  mehr  Unglückliche  leben,  als  sonst.  Das  Werk  gewährt  einen 
tiefen  Einblick  in  das  Leben  der  zum  Teil  noch  recht  primitiven  Völ¬ 
kerschaften  dieses  Teiles  der  Erde.  Von  Völkerschaften,  welche  wir 
zurzeit  gewiss  lieber  nur  im  Bilde  erblicken  würden.  Zahlreiche  Ab¬ 
bildungen  beleben  die  Beschreibungen  und  mancher  Leser  wird  mit 
Erstaunen  sehen,  dass  auch  in  diese  entfernten  Gebiete  eine  gewisse 
europäische  Kultur  eingedrungen  ist  und  dass  die  Kolonisation  in 
vieler  Hinsicht  bemerkenswerte  Fortschritte  gemacht  hat.  Nansen 
behandelt  mit  besonderer  Bedeutsamkeit  die  wirtschaftliche  Auf¬ 
schliessung  Sibiriens  und  erörtert  auch  die  gelbe  Gefahr,  welche  da¬ 
hinter  droht.  Es  ist  hochinteressant,  die  Verhältnisse  dieses  Landes, 
das  Nansen  in  vielsagender  Weise  ein  Zukunftsland  nennt,  aus  der 
Feder  gerade  dieses  Mannes  geschildert  zu  sehen  und  gerade  in 
gegenwärtiger  Zeit,  wo  der  Tag  wohl  ferne  ist,  dass  deutsche  Rei¬ 
sende  wieder  freiwillig  dem  Fischfang  in  einem  russischen  Strome 
Zusehen,  ist  das  neue  Reisewerk  Fridtjof  Nansens  von  hervor¬ 
ragendem  Interesse.  Grassmann  -  München. 

Neueste  Journalliteratur. 

Deutsches  Archiv  für  klinische  Medizin.  116.  Bd.,  5.  und 
6.  Heft. 

E.  Grafe:  Ueber  die  Wirkung  des  Karamels  im  normalen  und 
diabetischen  Organismus.  (Aus  der  med.  Klinik  zu  Heidelberg.) 

Vergleiche  d.  Wschr.  1914  Nr.  54. 

K.  Usehai:  Ueber  Hypophysenerkrankungen,  zugleich  einige 
Beiträge  zur  funktionellen  Diagnostik  der  polyglandulären  Erkran¬ 
kungen.  (Aus  der  I.  med.  Klinik  der  Universität  in  Pest.)  (Mit 
Tafel  V— ' VII.) 

Bei  1  Falle  von  Akromegalie  war  ein  aus  den  chromophoben 
Zellen  des  glandulären  Teiles  der  Hypophysis  ausgehendes  Adenom 
vorhanden,  dessen  histologische  Struktur  im  grossen  der  normalen 
Struktur  der  Hypophysis  entsprach.  In  1  Falle  von  Dystrophia- 
adipcso-genitalis  war  ein  aus  dem  vorderen  Teil  der  Hypophyse  aus¬ 
gehendes  zweiteiliges  Adenom  zu  finden;  die  tumorartige  Degenera¬ 
tion  des  Hypophysenstieles  war  die  direkte  Ursache  der  Dystrophia 
adiposo-genitalis.  Die  Ursache  des  hypophysären  Diabetes  insipidus 
ist  eine  Hypofunktion  der  Pars  intermedia.  Neben  den  progressiven 
Knochenveränderungen  bei  Akromegalie  sind  auch  sehr  ausgeprägte 
regressive  Veränderungen  anzutreffen.  Bei  2  Fällen  von  Akromegalie 
war  die  Kohlehydrattoleranz  stark  verringert,  in  anderen  Fällen 
normal  oder  erhöht.  Zur  funktionellen  Diagnostik  der  Erkrankungen 
des  polyglandulären  Systems  werden  2  neue  Reaktionen  angegeben: 
die  Adrenalin-  und  Pituitrinreaktion  der  Konjunktiva  und  die  Beob¬ 
achtung  der  quantitativen  und  qualitativen  Blutbilderverschiebungen 
nach  Adrenalininjektion. 

A.  Weil:  Beiträge  zur  klinischen  Elektrokardiographie.  (Aus 
der  med.  Klinik  Strassburg.)  I.  Mitteilung.  (Mit  3  Figuren  und 
2  Kurven  im  Text  und  Tafel  VIII — XI.) 

Auch  beim  Menschen  kommt  eine  Vorzacke  vor  unter  Ver¬ 
hältnissen,  die  auf  Störung  innerhalb  des  Sinusknotengewebes 
hindeuten  und  wahrscheinlich  machen,  dass  die  Vorzacke  der  Sinus¬ 
tätigkeit  entspricht  und  nicht  durch  vorzeitiges  Schlagen  eines  der 
beiden  Vorhöfe  bedingt  wird.  Analog  dem  Tierversuch  hat  auch 
beim  Menschen  die  Digitalis  elektiv  schädigende  Wirkung  auf  das 
Leitungssystem  und  steigernde  auf  die  Automatie  des  Reizbildungs¬ 
systems  der  Kammern.  Die  aus  Tierversuchen  bekannte  Wanderung 
der  Ursprungsstelle  der  Herzreize  kommt  auch  beim  Menschen  vor 
und  zwar  sowohl  innerhalb  jedes  Knotens  (Sinus  und  A — V)  für 
sich  als  auch  von  einem  zum  anderen. 

W.  Weitz  und  Grauer:  Ueber  die  Anspannungs-  und  Aus¬ 
treibungszeit  des  Herzens.  (Aus  der  med.  Klinik  und  Nervenklinik 
Tübingen.)  (Mit  6  Figuren.) 

Die  Systole  des  Herzens  besteht  aus  2  Teilen,  der  Anspannungs¬ 
und  der  Austreibungszeit.  Die  Anspannungszeit  erstreckt  sich  vom 
Beginn  der  Ventrikelsystole  bis  zur  Oeffnung  der  Aortenklappen,  die 
Austreibungszeit  von  der  Oeffnung  der  Aortenklappen  bis  zum  Beginn 
der  Ventrikelerschlaffung.  Einer  herabgesetzten  Kontraktilität  des 
Herzmuskels  entspricht  eine  verlängerte  Anspannungszeit,  eine 
sichere  Abhängigkeit  der  Anspannungszeit  von  der  Höhe  des  diastoli¬ 
schen  Blutdruckes  besteht  nicht.  In  experimentellen  Untersuchungen 
an  Katzen  in  Urethannarkose  studierten  die  Verfasser  die  Frage, 
wie  sich  Anspannungs-  und  Austreibungszeit  unter  verschiedenen 
Bedingungen  verhalten. 

A.  D  e  m  b  i  c  k  i  und  J.  L  ö  w  y:  Zur  Frage  des  parenteralen 
Stoffwechsels.  (Aus  der  med.  Universitätsklinik  R.  v.  Jaksch- 
Prag.) 

Der  parenterale  Stoffwechsel  ist  zum  Teil  abhängig  von  den 
zahlreichen  fermentativen  Prozessen,  die  den  Ausdruck  der  Funktion 
der  verschiedensten  Organzellen  darstellen,  und  zu  den  wichtigsten 
dieser  Zellformen  gehören  die  Leukozyten,  denen  ausser  der  Phago¬ 
zytose  noch  antitoxische,  oxydierende,  reduzierende,  fett-  und 
eiweissspaltende  Eigenschaften  zugeschrieben  werden,  insbesondere 
lässt  sich  unter  dem  Einfluss  der  Verdauung  eine  Vermehrung  der 
Leukozyten  feststellen,  die  von  manchen  Autoren  allerdings  abge- 

2* 


2376 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  50. 


lehnt  wird.  Die  Verfasser  beobachteten  unter  104  Fällen  ein  Steigen 
der  Leukozyten  nach  der  Verdauung  in  53  Fällen,  ein  Sinken  in  49, 
ein  (jleichbleiben  in  31  Fällen,  ln  23  Fällen  von  verminderter  und 
in  16  Pallen  von  gleichbleibender  Serumkonzentration  bestand  Leuko¬ 
zytose.  Line  Rückresorption  durch  die  Venen  findet  nicht  nur  patho¬ 
logischer  Weise  (z.  B  bei  Oedemen)  statt,  sondern  diese  Form 
des  parenteralen  Stoffwechsels  spielt  auch  in  der  Physiologie  der 
Verdauung  eine  Rolle. 

FI.  Pribram:  Zur  Beeinflussung  des  anämischen  Blutbildes 
durch  Infektionen.  (Aus  der  med.  Klinik  R.  v.  J  a  k  s  c  h  in  Prag.) 
(Mit  Tafel  XII.) 

Bei  einer  39  jährigen  Frau  hatte  sich  im  Anschluss  an  schwere. 
1  Jahr  dauernde  Genitalblutungen  ein  der  myeloischen  Leukämie 
gleichendes  Blutbild  entwickelt,  das  jedoch  im  Anschluss  an  eine 
Infektion  (Pneumonie)  bald  wieder  zur  Norm  zurückging. 

M.  Gubergritz:  Zur  Frage  nach  der  Entstehung  des  Herz¬ 
galopps.  (Aus  der  therapeutischen  Universitätsklinik  in  Kiew.)  (Mit 
3  Kurven.) 

Der  Galopprhythmus  wird  bei  verschiedenen  Formen  der  Herz¬ 
muskelschwäche  beobachtet,  vorwiegend  bei  Nephritis  interstitialis, 
bei  verschiedenen  Infektionskrankheiten  und  geht  vorwiegend  mit 
Hypertension  einher;  bei  Galopprhythmus  mit  niederem  Blutdruck  ist 
die  Prognose  ungünstiger.  Der  Mechanismus  der  Entstehung  der 
verschiedenen  Formen  des  Galopprhythmus  (präsystolischer  und 
protodiastolischer  Galopp)  ist  ein  ganz  differenter,  wie  das  Elektro¬ 
kardiogramm  zeigt. 

H.  Doll  und  R.  Sieb  eck:  Untersuchungen  an  Nierenkranken. 
II.  Ueber  die  träge  Einstellung  der  Sekretion  bei  Belastung.  (Auls) 

der  med.  Klinik  in  Heidelberg.) 

Bei  schweren  Nierenerkrankungen  können  bei  dauernder 
Zulage  recht  erhebliche  Mengen  von  Wasser  und  auch  von  N  aus- 
geschicden  werden,  obwohl  bei  einmaliger  Zulage  eine  hoch¬ 
gradige  Retention  eintritt.  Die  Kranken  können  mit  verschiedener 
Zufuhr  von  HaO  und  N  im  Gleichgewicht  sein  trotz  schwerer  Aus¬ 
scheidungsstörung,  es  tritt  allmählich  ein  Gleichgewicht  ein.  Das 
wesentliche  der  Störung  scheint  das  zu  sein,  dass  sich  die  Aus¬ 
scheidung  nur  langsam  den  veränderten  Anforderungen  anpassen 
kann,  es  besteht  eine  Funktionsträgheit,  deren  Mechanismus  noch 
nicht  klar  ist. 

C.  A.  Müller:  Ueber  die  Blutbildungszellen  in  der  Leber  bei 
Syphilis  congenita  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Lympho¬ 
zyten  und  Plasmazellen.  (Aus  dem  pathol.  Institut  der  Universität 
Leipzig.) 

Zu  kurzem  Referate  ungeeignet. 

Kleinere  Mitteilung. 

E.  Bruck:  Zur  Kasuistik  der  Polyneuritis  alcoholica  (schwere 
Erkrankung  der  Nervi  vestibuläres).  (Aus  der  I.  med.  Abteilung  des 
Stadtkrankenhauses  Dresden-Friedrichstadt.) 

Das  Wesentliche  enthält  die  Ueberschrift. 

Bamberger  -  Kronach. 

Zentralblatt  für  Chirurgie.  1914.  Nr.  48  und  49. 

Prof.  L  a  n  z  -  Amsterdam:  Untersuchung  auf  Genitalsymptome 
zur  Unterstützung  der  Diagnose  bei  Appendizitis. 

Vcrf.  lenkt  die  Aufmerksamkeit  auf  verschiedene  Genitalsym¬ 
ptome,  die  oft  die  Diagnose  „Appendizitis“  stützen:  1.  Spannung 
der  vorderen  Wand  des  Leistenkanales  („Pfeilerspannung“)  bei  Ein¬ 
führen  des  Zeigefingers  in  den  Kanal,  dabei  Muskelwiderstand 
(„Rückwandstarre“)  und  Hustenschmerz;  2.  Samenstrangsymptome, 
bestehend  in  Zugschmerz  bei  Zug  am  rechten  Samenstrang,  in  Druck¬ 
schmerz  des  rechten  Samenstranges  beim  Hin-  und  Herrollen  unter 
dem  Finger  und  in  Schwellung  desselben  am  vorderen  Leistenringe; 
3.  Hodensymptome,  bestehend  in  Abschwächung  oder  Fehlen  des 
rechtseitigen  Kremasterreflexes.  Wichtig  ist  immer  eine  rektale 
Untersuchung,  die  Druckempfindlichkeit  oder  ein  Infiltrat  oft  erkennen 
lässt;  bei  gefördertem  appendikulärem  Douglasabszess  steht  der 
M.  sphinkter  ani  offen,  der  bei  Senkung  des  Abszesses  bereits  er¬ 
schlafft. 

Nr.  49  ohne  Originalarbeit. 

E.  Heim-  Oberndorf  b.  Schweinfurt. 

Monatsschrift  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie.  Bd.  40, 

Heft  2. 

Wilhelm  Beckmann-St.  Petersburg:  Ueber  vorgeschrittene 
und  ausgetragene  Extrauteringravidität. 

Eine  fortschreitende  extrauterine  Schwangerschaft  von  ca.  7  Mo¬ 
naten  und  eine  ebensolche,  die  bei  der  Operation  ein  ausgetragenes, 
lebendes  Kind  ergab,  sind  dem  Verfasser  Anlass,  sich  über  einige 
Fragen  der  vorgeschrittenen  und  ausgetragenen  Extrauterin¬ 
schwangerschaft  zu  äussern.  In  dem  Falle  der  ausgetragenen 
Schwangerschaft  sass  die  Plazenta  auf  dem  Fundus  uteri,  etwas  ober¬ 
halb  des  Nabels  und  auf  Darmschlingen.  Der  Fruchthalter  kommuni¬ 
zierte  mit  der  Uterushöhle  durch  eine  breite  Oeffnung,  welche  be¬ 
quem  2  Finger  durchliess.  Die  Fruchtsackhöhle  bildete  eine  unmittel¬ 
bare  Fortsetzung  der  Uterushöhle.  Es  handelt  sich  um  eine  ausge- 
tragene  sekundäre  Abdominalschwangerschaft.  Es  wäre  möglich, 
dass  es  sich  um  eine  geborstene  Schwangerschaft  im  Horne  eines 
Uterus  bicornis  handelte.  Eine  zweite  Möglichkeit  wäre  eine 


Schwangerschaft  in  einem  Divertikel  der  Uteruswand;  eine  dritte  die 
einer  interstitiellen  Schwangerschaft. 

Bei  beiden  beschriebenen  Fällen  traten  in  den  letzten  Monaten 
starke  Schmerzen  im  Leibe  ein,  die  Verf.  für  ein  wichtiges  Zeichen 
der  Extrauteringravidität  hält.  Er  erklärt  sie  durch  Reizung  des 
Bauchfelles  infolge  Bewegungen  des  Kindes.  Ein  weiteres  Zeichen 
für  eine  Extrauteringravidität  sind  die  Pseudowehen,  die  vor  dem 
Geburtstermin  auftreten. 

Die  grössere  Hälfte  der  extrauterin  entwickelten  Kinder  kommt 
mit  Deformationen  an  Kopf  und  Extremitäten  zur  Welt.  Die  Hälfte 
aller  lebend  entwickelten  Kinder  stirbt  in  den  ersten  3  Tagen.  Der 
giössere  Teil  geht  in  der  nächsten  Zeit  nach  der  Geburt  zugrunde.  Es 
wäre  also  verfehlt,  eine  erkannte  Extrauteringra¬ 
vidität  im  Interesse  der  Erhaltung  eines  Kindes 
konservativ  bis  zum  Ende  des  Geburtstermins  zu 
behandeln. 

John  Olow-Lund:  Ueber  die  Behandlung  der  in  den  früheren 
Monaten  unterbrochenen  Extrauterinschwangerschaft.  (Schluss.) 

G.  S  c  h  m  a  u  c  h  -  Chicago:  Ziele  und  Zwecke  einer  sachge- 
mässen  Schilddrüsenbehandlung. 

Auf  Grund  vielfacher  eigener  Beobachtungen  ergeht  sich  Verf. 
in  sehr  anregenden  Ausführungen  auf  dem  noch  wenig  ausgebauten 
Gebiet  der  inneren  Sekretion.  Es  zeigt  sich,  dass  neuerdings  in 
Amerika,  abweichend  von  unseren  Massnahmen,  bei  Schilddrüsen¬ 
erkrankungen  häufiger  die  Unterbindung  der  Gefässe,  als  die  Re¬ 
sektion  vorgenommen  wird.  Verf.  studiert  und  erörtert  besonders 
den  Kalkstoffwechsel  im  Organismus.  Ganz  besondere  Beziehungen 
schreibt  er  dem  Kalke  im  Schilddrüsenchemismus  zu.  Er  empfiehlt 
warm  eine  Kombination  von  Kalkzufuhr  mit  Schilddrüsentabletten  bei 
verschiedensten  Affektionen,  die  mit  der  inneren  Sekretion  in  Zu¬ 
sammenhang  stehen  könnten:  bei  Eklampsie,  Blutungen,  Fluor,  Men¬ 
struationsstörungen,  Urtikaria  etc. 

Verf.  verlangt  für  die  Gynäkologie  und  Geburtshilfe  eine  be¬ 
sondere  Ausbildung  in  der  Stoffwechselerkenntnis,  um  eine  kausale 
Therapie  an  die  Stelle  der  bisher  geübten  symptomatischen  zu  setzen. 

Schaden  hat  der  Verf.  von  einer  sehr  ausgedehnten  Schilddrüsen¬ 
tablettentherapie  nie  gesehen.  Die  in  Deutschland  erfolgreich  er¬ 
probte  Behandlung  durch  Schilddrüsenmedikation  bei  gewissen  For¬ 
men  der  Sterilität  scheint  dem  sonst  auf  diesem  Gebiete  sehr  er¬ 
fahrenen  Verfasser  nicht  bekannt  zu  sein. 

Arthur  Eder-  Berlin:  Zur  Kenntnis  der  Eigenschaften  der  radio¬ 
aktiven  Substanzen  und  ihrer  Anwendung. 

Bericht  über  die  Arbeiten  mit  Radium,  Mesothor,  Radiothor. 
Bei  intravaginaler  Bestrahlung  verwendet  Verf.  einen  Metreurynter 
oder  einen  diesem  ähnlichen  Ballon.  Durch  Aufblasen  des  Ballons 
werden  die  gesunden  Scheidenwände  in  genügendem  Abstand  vom 
Präparat  gehalten. 

Hans  B  e  t  k  e  i  j  -  Berlin:  Die  Couveusenbehandlung  der  Früh¬ 
geborenen  und  Lebensschwachen. 

Auf  Grund  von  98  Fällen  in  den  Jahren  1902 — 1912  wird  über 
den  Erfolg  und  Misserfolg  referiert.  Die  grösste  Bedeutung  für  die 
Prognose  wird  der  Einlieferungstemperatur  der  Kinder  zugeteilt.  Sic 
ist  wichtiger  als  das  Körpergewicht.  Auf  alle  Fälle  muss  eine  initiale 
Abkühlung  vermieden  werden. 

B.  S.  S  c  h  u  1 1  z  e  -  Jena:  Gynäkologie  und  Psychiatrie. 

Seit  einiger  Zeit  wird  —  besonders  von  italienischer  Seite  — 
den  gynäkologischen  Erkrankungen  der  geisteskranken  Frauen  wie¬ 
der  eine  grosse  Bedeutung  zugemessen.  Man  geht  so  wreit,  viel¬ 
fach  die  Geisteskrankheiten  als  durch  gynäkologische  Leiden  bedingt 
zu  halten.  Eine  Arbeit  von  S  i  e  m  e  r  1  i  n  g  (Mschr.  f.  Geb.  u.  Gyn.  39) 
über  dieses  Thema  gibt  Schnitze  Veranlassung,  die  Forderung 
aufzustellen,  dass  zum  Befunde  über  das  körperliche  Befinden  der 
in  die  Irrenanstalten  eintretenden  weiblichen  Kranken  unbedingt  die 
von  einem  sachverständigen  Gynäkologen  erhobene,  u.  zw.  in  Nar¬ 
kose  erhobene,  Darstellung  des  Beckenbefundes  gehören  müsse. 

Josef  Novak-Wien:  Wege  und  Ziele  auf  dem  Gebiete  der 
inneren  Sekretion  vom  gynäkologischen  Standpunkt.  Sammelreferat. 

Nachrufe  auf  Heinrich  Fassbender  t  und  Karl  B  r  e  u  s  4\ 

Vereins-  und  Literaturbeilage.  M.  Nassauer  -  München. 

Zentralblatt  für  Gynäkologie.  Nr.  48,  1914. 

J.  B  r  a  u  d  e  -  Berlin:  Zur  Behandlung  des  Karzinoms  der  weib¬ 
lichen  Genitalien  mit  Mesothorium. 

B.  berichtet  über  44  Fälle  aus  der  Strass  mann  sehen  Klinik. 
Nur  in  3  Fällen  war  die  Mesothorium-  mit  der  Röntgenbehandlung 
kombiniert.  Alle,  auch  die  profusesten  Blutungen  kamen  dabei  zum 
Stillstand.  Störungen  der  Nierenfunktion  wurden  nie  beobachtet. 
In  4  Fällen  trat  vorübergehend  eine  Zystitis  auf.  Beim  Kollum- 
karzinom  wurde  die  vaginale  gegenüber  der  intrazervikalen  Appli¬ 
kation  bevorzugt.  Die  Gesamtdosis  betrug  bei  den  vorläufig  abge¬ 
schlossenen  Fällen  10 — 12  000  mg-Stunden.  Eine  Blasen-  oder  Rek- 
tumfistel  wurde  niemals  beobachtet,  ebensowenig  Darmerscheinungen, 
wie  Tenesmus,  oder  Reaktionen  in  Form  von  Temperatursteigerung, 
Anämie  u.  dgl.  Klinisch  „geheilt“  wurden  im  ganzen  20  Fälle,  doch 
gelten  diese  Resultate  nur  als  vorläufig,  da  bekanntlich  mindestens 
5  Jahre  vergehen  müssen,  die  rezidivfrei  sind,  ehe  man  von  wirk¬ 
licher  Heilung  sprechen  kann.  B.s  Fälle  datieren  aber  alle  erst 
seit  Oktober  1913. 


15.  Dezember  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2377 


Zu  bemerken  ist  noch,  dass  alle  menstruierenden  Frauen,  jüngere 
wie  altere,  ihre  Menstruation  verloren  haben,  und  zwar  manchmal 
schon  nach  einer  geringen  Dosis  von  4—6000  ing-Stunden. 

J  a  f  f  e  -  Hamburg. 

Archiv  für  Kinderheilkunde.  63.  Band,  3.  und  4.  Heft. 

C.  H  r  o  d  s  k  y  (N  i  c  o  1  a  j  e  f  f) :  Beobachtungen  über  die  Lak¬ 
tation  der  Ammen.  (Aus  dem  Kantonalen  Säuglingsheim  Zürich.) 

Protokollarische  und  tabellarische  Mitteilungen  über  die  Lak¬ 
tationsdauer  und  -menge,  sowie  über  die  Aenderungen  der  Laktation 
während  der  Menstruation.  Ohne  leitende  und  zusammenfassende 
Gedanken. 

Carl  Stamm:  Ein  Fall  von  multipler  Sklerose  im  Kindesalter. 
(Aus  der  Kinderpoliklinik  in  Hamburg.) 

Der  12  jährige  Knabe  zeigte  initiale  Sehstörung:  zentrales  Sko¬ 
tom,  partielle  temporale  Abblassung  der  Pupille  bei  normaler  Seh¬ 
schärfe.  Dazu  kamen  dann  die  typischen  Erscheinungen:  spastische 
Ataxie,  Tremor  bei  intendierten  Bewegungen,  gesteigerte  Reflexe  der 
Beine,  herabgesetzte  Hautreflcxe,  skandierende  Sprache.  Die  Be¬ 
handlung  bestand  in  Bettruhe  und  intramuskulären  Fibrolysininjek- 
tionen.  Die  Einspritzungen  (8  ä  2,0  in  5—6  tägigen  Pausen)  wurden 
gut  vertragen.  Nach  der  dritten  Injektion  war  das  Zittern  ver¬ 
schwunden,  Patellar-  und  Fussklonus  nur  mehr  schwach  auszu¬ 
lösen.  die  grobe  Kraft  war  fast  normal.  Der  Knabe  war  nach  einigen 
Monaten  völlig  beschwerdefrei. 

Fritz  F  r  a  n  k  -  Stuttgart :  Beiträge  zur  Lehre  von  der  akuten 
Nephritis  im  Säuglingsalter  bei  Ernährungsstörungen.  (Aus  dem 
pathologischen  Institut  der  Düsseldorfer  Akademie  für  praktische 
Medizin  und  dem  pathologischen  Institut  Kiel.) 

Aus  der  Beobachtung  von  22  Fällen  zieht  Verfasser  folgende 
Schlussfolgerungen:  Die  akute  Nephritis  kommt  im  Säuglingsalter  nicht 
häufig  vor.  Sie  ist  vorwiegend  exsudativer  Natur  und  hat  häufig 
einen  hämorrhagischen  Charakter,  was  auf  die  im  ersten  Lebens¬ 
jahre  abnorm  grosse  Durchlässigkeit  der  Blutgefässe  zurückzuführen 
ist.  In  ätiologischer  Hinsicht  spielen  alle  Arten  von  Infektionen  und 
besonders  Ernährungsstörungen  eine  grosse  Rolle.  Unter  den  mit 
Ernährungsstörungen  im  Zusammenhang  stehenden  Nephritiden  kommt 
den  aufsteigenden,  urogenen,  eine  besondere  Bedeutung  zu,  da  die 
abführenden  Harnwege  bei  den  Säuglingsverdauungskrankheiten 
auffallend  häufig  in  Mitleidenschaft  gezogen  werden. 

Hermann  Brüning  und  G.  P  a  u  1  s  e  n  -  Rostock:  Die  medi¬ 
zinische  Kinderabteilung  des  grossherzoglichen  Universitätskranken¬ 
hauses  zu  Rostock. 

Kurzer  Jahresbericht. 

Archiv  für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten.  54.  Bd., 
3.  Heft,  1914. 

Felix  Stern:  Die  psychischen  Störungen  bei  Hirntumoren  und 
ihre  Beziehungen  zu  den  durch  Tumor  Wirkung  bedingten  diffusen 
Hirnveränderungen.  (Aus  der  Kgl.  psychiatrischen  und  Nervenklinik 
zu  Kiel.  Mit  2  Tafeln  und  9  Textfiguren.)  Fortsetzung,  aus  H.  2 
und  Schluss. 

Im  ersten  Teil  dieser  umfangreichen  Arbeit  (363  Seiten)  bespricht 
Yerf.  die  psychischen  Störungen  bei  Tumoren  der  einzelnen  Hirn¬ 
regionen.  Die  Balken-,  Stirnhirn-,  Schläfenlappentumoren,  die  Tu¬ 
moren  der  Scheitel-  und  Hinterhauptslappen,  der  grossen  Ganglien, 
der  hinteren  Schädelgrube  und  die  multiplen  Tumoren  werden  in 
besonderen  Kapiteln  behandelt.  Es  werden  nicht  nur  die  in  der 
Literatur  niedergelegten  Fälle  eingehend  kritisch  verwertet,  sondern 
auch  46  neue  klinisch  und  anatomisch  genau  untersuchte  Fälle  mit¬ 
geteilt. 

Im  zweiten  Teile  der  Arbeit  wird  die  Symptomatologie  der  bei 
Tumoren  gefundenen  Störungen  einer  eingehenden  Betrachtung  unter¬ 
zogen:  die  Benommenheit,  der  Ausfall  an  Spontanität,  der  amnestische 
Symptomenkomplex,  die  deliranten  Zustände,  die  psychischen  Stö¬ 
rungen  im  Gefolge  epileptischer  bzw.  epileptiformer  Anfälle,  die 
Demenz. 

Lokalisatorische  Bedeutung  haben  die  Störungen,  die  sich  auf 
Läsionen  elementarer  Vorgänge  im  gnostisch-praktischen  und  Sprach- 
apparat  zurückführen  lassen.  Eine  Lokalisation  grober  komplexer 
psychischer  Störungen  ist  nicht  möglich.  Zum  Teil  handelt  es  sich 
hierbei  um  Folgen  der  raumbeschränkenden  Wirkung  des  Tumors, 
dies  gilt  besonders  von  der  Benommenheit,  oder  um  andere  Sym- 
tome,  welche  auf  eine  diffuse  Schädigung  des  Gehirns  zurückzu¬ 
führen  sind,  zum  Teil  um  akzidentelle  individuelle  Reaktionsweisen, 
die  nicht  vom  Sitz  des  Tumors,  sondern  von  endogenen  Momenten 
abhängen. 

Max  Käs  tan:  Die  Pathogenese  der  Psychosen  Im  Lichte  der 
A  b  d  e  r  h  a  1  d  e  n  sehen  Anschauungen.  (Aus  der  Psychiatrischen 
und  Nervenklinik  der  Universität  Königsberg.) 

Für  die  Erkenntnis  der  Pathogenese  der  Psychosen  sind  durch 
die  Abderhalden  sehe  Methode  und  die  Anschauungen,  auf  denen 
sie  fusst,  viele  neue  Fragestellungen  aufgerollt  worden,  die  noch  der 
Lösung  harren. 

M.  P.  Nikitin:  Zur  Frage  des  Verlaufes  der  Hinterwurzel¬ 
fasern  des  Rückenmarkes.  Fall  von  Degeneration  der  Fasern  des 

V.  Lumbahvurzelpaares.  Hierzu  Tafeln  XIX — XX.  (Aus  dem  Labo¬ 
ratorium  der  Nervenklinik  der  medizinischen  Hochschule  für  Frauen 
zu  St.  Petersburg.) 


Fälle  isolierter  Degeneration  einer  einzelnen  hinteren  Rücken¬ 
markswurzel  sind  nur  selten  beschrieben.  Solche  Fälle  sind  aber 
wichtig  zur  Feststellung  des  Verlaufes  der  Hinterwurzelfasern  beim 
Menschen.  Die  Degeneration  war  in  dem  beschriebenen  Falle  durch 
einen  extraduralen  Tumor  bedingt.  Verf.  beschreibt  genau  den  Ver¬ 
lauf  der  Degeneration.  Von  besonderem  Interesse  war  der  Befund 
degenerierter  Bahnen  im  extraspinalen  Abschnitt  der  Vorderwurzeln 
desselben  Segments.  Auch  klinisch  bietet  der  Fall  Interessantes. 

Carl  Ernst  Neuber:  Ueber  Neurosen  nach  elektrischen  Un¬ 
fällen.  (Aus  der  Psychiatrischen  und  Nervenklinik  der  Universität 
Kiel.) 

Fall  I.  Unfall  durch  Blitzschlag.  8  Jahre  später  Paralyse.  Zu¬ 
sammenhang  mit  dem  Unfall  sehr  unwahrscheinlich. 

Fall  II.  Unfall  durch  Starkstrom.  Seitdem  nervös.  Befund 
V/a  Jahr  später:  65  jähriger  Mann;  Arterienverkalkung  des  Gehirns, 
Lähmungen,  Abnahme  der  geistigen  Kräfte,  hypochondrische  Ver¬ 
stimmung.  Das  Leiden  hängt  insofern  mit  dem  Unfälle  zusammen, 
als  es  durch  denselben  eine  Verschlimmerung  erfahren  hat  und 
.  zu  rascherem  Ausbruch  gekommen  ist. 

Fall  III.  Blitzschlag  und  längeres  Liegen  in  der  Nässe.  Be¬ 
gutachtung  6  Jahre  später.  57  jähriger  Mann;  Arterienverkalkung 
und  Schrumpfnieren.  Letztere  Krankheit  möglicherweise  indirekte 
Unfallfolge. 

Fall  IV.  Hysterie  als  Folge  einer  Starkstromverletzung. 

Fall  V.  Telephonunfali  durch  starkes  Drehen  der  Kurbel  ver¬ 
ursacht.  Keine  Stromwirkung,  sondern  Schreckwirkung.  Neurasthe- 
nische  Beschwerden  und  Beeinträchtigungsideen.  Erstere  mit  grösster 
Wahrscheinlichkeit,  letztere  mit  Sicherheit  auf  den  Unfall  zurückzu - 
führen. 

Fall  VI  Verbrennung  dritten  Grades  durch  Starkstrom.  Unfall¬ 
folgen:  Unbrauchbarkeit  des  rechten  Armes,  Nervosität. 

R.  J.  Tuwim  jun.:  Zur  Frage  der  Pathogenese  und  Therapie 
des  chronischen  Alkoholismus.  (Aus  dem  städtischen  in  memoriam 
des  19.  F'ebruar  1861  errichteten  Alexander-Krankenhauses  zu  St.  Pe¬ 
tersburg.) 

Bei  Trinkern  ist  die  Dauer  der  erregenden  Wirkung  des  Al¬ 
kohols  grösser  als  bei  normalen  Menschen.  Das  Stadium  der  Läh¬ 
mung,  welches  sich  an  die  Erregung  anzuschliessen  pflegt,  ist  kürzer. 
Der  Alkohol  vermag  bei  Trinkern  daher  schon  nach  kürzester  Zeit 
wieder  eine  erregende  Wirkung  auszuüben.  Diese  Reaktionsweise 
kann  angeboren  sein  oder  durch  Uebung  erworben  werden.  Sie 
disponiert  zur  Trunksucht.  Beim  normalen  Menschen  ruft  der  schnell 
eintretende  lähmende  Einfluss  bald  eine  Abneigung  gegen  den  Al¬ 
kohol  hervor.  Durch  Darreichung  von  Atropin  in  grossen  Dosen 
sucht  nun  Verf.  bei  Trinkern  eine  schnellere  Ueberreizung  und  Er¬ 
schöpfung  des  Nervensystems  herbeizuführen,  um  dadurch  eine 
weitere  Erregung  durch  Alkohol  unmöglich  zu  machen.  Sobald  dies 
erreicht  ist,  hört  der  Trinker  auf  zu  trinken.  Das  Atropin  muss  in 
Dosen  verordnet  werden,  welche  eine  Ueberreizung  der  Hirnrinde 
hervorrufen,  die  sich  in  Schläfrigkeit,  Schlappheit,  Apathie  und  Arbeits- 
unlust  äussert.  Verf.  gab  meist  1 — 9  mg  Atropin  pro  die  in  steigen¬ 
der  Dosis.  Die  Tagesdosis  wurde  in  3  Einzeldosen  in  Abständen 
von  2  Stunden  verabreicht.  Die  Kur  dauert  10 — 12  Tage.  Tritt  kein 
Erfolg  ein,  so  gibt  man  noch  höhere  Dosen.  Nach  einiger  Zeit  muss 
man  die  Kur  wiederholen.  Gegen  die  Störung  der  Akkomodation  ver¬ 
ordnet  man  Konvexgläser. 

.1.  L.  Ent  res:  Ueber  den  Schädelinhalt  Geisteskranker. 

Verf.  stellt  folgende  Schlusssätze  auf: 

1.  Aus  300  an  Leichen  von  Geisteskranken  ausgeführten  Schädel¬ 
kapazitätsbestimmungen  berechnet  sich  die  mittlere  Schädelkapazität 
auf  1411  ccm. 

2.  Aus  getrennt  für  jedes  der  beiden  Geschlechter  angestellten 
Berechnungen  ergibt  sich  für  die  Männer  eine  mittlere  Schädel¬ 
kapazität  von  1488  ccm,  für  die  Frauen  eine  solche  von  1326  ccm. 
Die  mittlere  Schädelkapazität  der  Männer  ist  mithin  um  rund  160  ccm 
grösser  als  die  der  Frauen. 

3.  Die  mittlere  Körpergrösse  der  Frauen  ist  durchschnittlich 
8,13  cm  kleiner  als  die  der  Männer. 

4.  Bei  gleicher  durchschnittlicher  Körpergrösse  ist  der  Schädel¬ 
inhalt  der  Frauen  fast  immer  wesentlich  grösser  als  der  des  Mannes. 

5.  Meiner  Ansicht  nach  unterscheiden  sich  die  Schädelkapazitäten 
Geisteskranker  im  Allgemeinen  nicht  wesentlich  von  denen  Geistes¬ 
gesunder. 

Leonid  Omorokow:  Zur  pathologischen  Anatomie  der  De¬ 
mentia  praecox.  (Hierzu  Tafeln  XXI— XXIII.) 

Zur  pathologisch-anatomischen  Untersuchung  eignen  sich  nur 
solche  Fälle,  die  ein  charakteristisches,  deutlich  ausgeprägtes  Bild 
darbieten  und  nicht  durch  etwaige  hinzutretende  Begleiterscheinungen 
kompliziert  sind.  Kranke,  welche  im  Senium  starben  oder  an  fieber¬ 
haften  Erkrankungen  zugrunde  gingen,  sind  zur  Untersuchung  unge¬ 
eignet.  Die  bisherigen  Befunde  sind  vielseitig  und  ergeben  nichts 
Bestimmtes  In  den  vom  Verf  untersuchten  Falle  starb  der  Kranke 
zwei  Jahre  nach  Ausbruch  des  Leidens.  Folgender  Befund  wurde  am 
Gehirn  festgestellt:  Fehlen  deutlich  ausgeprägter  Degenerations¬ 
zeichen  im  Bau  des  zentralen  Nervensystems.  Die  vorhandenen 
Schädigungen  beschränken  sich  nicht  auf  bestimmte  Hirnlappen  oder 
Rindenschichten.  Die  Anwendung  verschiedener  Methoden  zeigte  ein 
erhebliches  Frkranktsein  der  Ganglienzellen.  Es  fanden  sich  sowohl 
akute  als  chronische  Veränderungen  derselben,  begleitet  von  fettiger 


2378 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  50. 


Degeneration  und  Fibrillenzerfall.  Das  Auftreten  von  Lipoiden  eigen¬ 
artiger  Form  weist  auf  eigenartige  chemische  Veränderungen  des 
Zellkörpers  hin.  Auch  am  Gliagewebe  fanden  sich  prägnante  Verän¬ 
derungen.  Erhebliche  Degenerationen  von  Nervenfasern  waren 
nicht  vorhanden. 

Das  vaskuläre  und  das  Bindegewebe  war  nicht  krankhaft  Ver¬ 
ändert.  Das  die  Dementia  praecox  hervorrufende  schädliche  Agens 
wirkt  demnach  unmittelbar  auf  die  Ganglienzellen  ein,  eine  Reaktion 
seitens  der  Gefässwandungen  fehlt  vollkommen. 

S.  S  t  u  c  h  1  i  k  -  Sirotow.  Zur  Frage  über  die  sekundäre  Degene¬ 
ration  der  Pyramidenbahnen  bei  Porenzephalie.  (Aus  der  medizini¬ 
schen  Klinik  der  Universität  Zürich.) 

Die  eingesunkene,  etwa  hühnereigrosse  Stelle  nahm  die  unteren 
*/ ü  der  Zentral  Windungen,  die  hinteren  und  unteren  Teile  des  Stirn¬ 
lappens  ein  und  erstreckte  sich  bis  in  den  Parietallappen.  Trotz 
dieser  Lage  und  trotzdem  bei  Lebzeiten  eine  halbseitige  Lähmung 
bestanden  hatte,  war  das  Rückenmark  makroskopisch  und  mikro¬ 
skopisch  normal.  Es  fand  sich  keine  Agenesie,  keine  Atrophie,  keine 
Degeneration  oder  derartige  Anomalie.  Insbesondere  waren  die  * 
Ryramidenbahnen  intakt. 

Referate.  Kleinere  Mitteilungen.  Campbell-  Dresden. 

Berliner  klinische  Wochenschrift.  Nr.  48,  1914. 

H.  Oppenheim:  Zur  Kriegsneurologie. 

Sammelreferat. 

H.  K  o  s  s  e  1  -  Heidelberg:  Ueber  Typhusschutzimpfung.  (Nach 
einem  Vortrag,  gehalten  vor  Lazarettärzten  in  Heidelberg  am  11.  No¬ 
vember  1914.) 

Statistisches  sowie  Technik  der  Typhusschutzimpfung.  Die 
Dauer  des  Schutzes  soll  wenigstens  ein  Jahr  betragen. 

Eduard  M  e  1  c  h  i  o  r  -  Breslau:  Ueber  Erfrierungen  im  Kriege 
und  ihre  Behandlung.  Klinischer  Vortrag. 

Aetiologie,  Pathogenese,  Symptomatologie,  Prophylaxe  und  The¬ 
rapie  der  Erfrierungen  im  Kriege.  Rasches  Erwärmen  der  erfrorenen 
Gliedmassen  ist  sehr  gefährlich.  Durch  Abziehen  der  Epidermis  ge¬ 
lingt  es  bei  Gangrän  leicht,  eine  Gewebseintrocknung  zu  erzielen. 

A.  P 1  e  h  n  -  Berlin:  Ueber  grosse  Bluttransfusionen.  (Vortrag, 
gehalten  in  der  Berl.  med.  Ges.)  (Schluss  folgt.) 

V.  F  e  i  1  i  t  s  z  s  c  h  -  Berlin:  Kalmonal,  ein  neues  Sedativum. 

Kalmonal  ist  ein  Bromkalziumurethan  und  erwies  sich  bei 

leichten  und  mittelschweren  Fällen  von  Schlaflosigkeit  in  Dosen  von 
1 — 2  g  als  gutes  Schlafmittel,  besonders  für  bejahrte  Personen.  Bei 
Depressionszuständen  und  Angstneurosen  ersetzte  es  in  Dosen  von 
0.5 — 1,0  das  sonst  übliche  Opium,  auch  bei  Epileptikern  wirkte  es 
günstig. 

J.  M  o  r  g  e  n  r  o  t  h  -  Berlin:  Die  Chemotherapie  der  Pneumo¬ 
kokkeninfektion.  (Vortrag,  gehalten  in  der  Berl.  med.  Ges.  am  11. 
und  25.  November  1914.)  (Schluss.) 

cf.  pag.  2330  der  M.m.W.  1914. 

C  o  e  n  e  n  -  Breslau:  Ueber  einige  chirurgische  Erfahrungen  aus 
dem  zweiten  Balkankriege. 

Bemerkungen  zu  der  Arbeit  von  R.  Klapp  in  M.m.W.,  Feld¬ 
ärztliche  Beilage,  1914,  Nr.  7.  G  r  a  s  s  m  a  n  n  -  München. 

Deutsche  medizinische  Wochenschrift. 

Nr.  48.  Gr  ob  er- Jena:  Behandlung  akut  bedrohlicher  Zu¬ 
stände  bei  Erkrankungen  der  Speiseröhre  Klinischer  Vortrag. 

A.  T  i  e  t  z  e  und  Korbsch:  Ueber  Gasphlegmone. 

Klinische  Erfahrungen.  K.  hat  in  allen  Fällen  einen  anaeroben 
Bazillus  gefunden,  der  an  einem  Ende  eine  Vakuole  (Spore)  und  eine 
ihm  umgebende  Gasblase  zeigte.  In  Agar  wächst  er  unter  Gasent¬ 
wicklung  mit  sehr  spezifischem  Geruch. 

S  c  h  ii  1  e  -  Freiburg  i.  B.:  Furunkelbehandlung. 

Durch  Ausbrennung  der  Mitte  (nach  Anästhesierung  mit  2  proz. 
Novokain)  lässt  sich  in  den  ersten  2  Tagen  jeder  Furunkel  kupieren. 
Zur  Verhütung  weiterer  Furunkel  dient  das  frühzeitige  Aus¬ 
brennen  neuer  Infektionsstellen. 

A.  B  u  s  c  h  k  e  -  Berlin:  Zur  Prophylaxe  der  Geschlechtskrank¬ 
heiten  im  Felde. 

B.  konnte  feststellen,  dass  eine  Reihe  von  Infektionen  aus  dem 
Bordell  einer  französischen  Stadt  stammten.  Durch  entsprechende 
Nachforschung  und  Anzeige  Hesse  sich  vieles  erreichen. 

W.  Lange  und  G  r  e  n  a  c  h  e  r  -  Hannover:  Untersuchung  von 
Katgut  auf  Sterilität  und  ihre  praktische  Bedeutung. 

Als  ein  gutes  Verfahren,  um  die  Wundinfektionen  durch  Katgut 
zu  vermeiden,  haben  sich  seit  4  Jahren  die  bakteriologischen  Nach¬ 
prüfungen  (Methode  s.  im  Original)  des  von  den  Fabriken  gelieferten 
Katguts  vor  seiner  Hinausgabe  an  die  Krankenanstalten  bewährt. 

P  ö  p  p  e  1  m  a  n  n  -  Coesfeld:  Ersatz  für  baumwollene  Verband¬ 
stoffe. 

P.  lässt  in  Rollen  oder  Tafeln  ein  fertiges  sterilisierbares  Ver¬ 
bandmaterial  herstellen,  das  auf  einer  einzigen  Lage  Mull  eine  dickere 
Schicht  Scharpie,  dann  noch  eine  ganz  dünne  Watteschicht  und 
schliesslich  oben  noch  etwas  Zellstoff  oder  Fliesspapier  enthält. 

A.  B  o  c  h  y  n  e  k  -  Berlin:  Ein  Fall  voii  Wärmestauung  (Hitze¬ 
kollaps). 

Beschreibung  eines  dieser  von  dem  Hitzschlag  ätiologisch  und 
klinisch  abzugrenzenden  Fälle.  B  e  r  g  e  a  t  -  München. 


Oesterreichische  Literatur. 

Wiener  klinische  Wochenschrift. 

Nr.  47.  Riehl -Wien:  Zur  Behandlung  der  Phlegmone  im  kon¬ 
tinuierlichen  Bade. 

Der  Nutzen  der  von  H  e  b  r  a  eingeführten  Dauerbäder  kommt 
bei  der  gegenwärtigen  Häufung  von  Phlegmonen  (auch  Dekubitus¬ 
geschwüren  etc.)  bei  Verwundeten  wieder  voll  zu  Geltung.  Die 
Einrichtung  ist  überall  ohne  grosse  Kosten  möglich. 

L.  Arzt-Krakau:  Ueber  Cholera  und  Choleravakzination. 

Bericht  über  25  Fälle.  Die  Mortalität  war  mit  24  Proz.  (30  Proz. 
der  bakteriologisch  festgestellten  Fälle)  eine  günstige.  Die  Behand¬ 
lung  bestand  in  Bolus  alba,  Kampferspiritusabreibungen  und  subku¬ 
tanen  oder  intravenösen  Einspritzungen  von  physiologischer,  neuer¬ 
lich  1,5  proz.  Kochsalzlösung.  Bemerkenswert  ist  das  mehrfache 
Auftreten  von  bronchopneumonischen  Herden  und  in  3  Fällen  das 
eines  mehrtägigen  toxischen  Exanthems  (am  12.,  16.  und  18.  Tage 
nach  dem  Krankheitsbeginn).  Zwei  Fälle  zeigten  einen  milden  Krank¬ 
heitsverlauf  kurze  Zeit  nach  der  Choleravakzination.  Letztere  er¬ 
scheint  als  empfehlenswert. 

E.  Suchanek  -  Wien :  Die  Kriegsphlegmone. 

Verf.  legt  an  Krankengeschichten  dar,  dass  die  aus  dem  Felde 
zugehenden  Phlegmonen  oft  allein  durch  Ruhe,  Hochlagerung  und 
gute  Ernährung  sehr  günstig  beeinflusst  werden  und  die  Hochlagerung, 
Inzision  und  Drainage  in  den  meisten  Fällen  ohne  Amputation  aus- 
kommen  lässt. 

E.  H  oma-Brünn:  Vergleichende  meteorologische  Studien  über 
österreichische  und  ausländische  Winterstationen  an  der  See. 

Der  Vergleich  der  Beobachtungen  im  Winter  1913/14  zeigt,  dass 
die  meteorlogischen  Verhältnisse  der  österreichischen  Riviera  denen 
der  französischen  ähnlich  waren  und  bezüglich  der  Zahl  der  klaren 
und  nicht  ganz  bewölkten  Tage,  welche  ausgiebigen  Aufenthalt  im 
Freien  gestatteten,  kein  Unterschied  zu  der  italienischen  Riviera  be¬ 
stand. 

Nr.  48.  S.  Exter- Wien:  Julius  Robert  v.  Mayer. 

H.  v.  H  a  b  e  r  e  r  -  Innsbruck :  Zirkuläre  Naht  der  Carotis  com¬ 
munis. 

Der  hier  beschriebene  Fall  (Aneurysma  nach  Schussverletzung) 
ist  anscheinend  der  erste  einer  erfolgreichen  Zirkulärnaht  der  Carotis 
communis  bei  Aneurysma. 

N.  v.  Jagic:  Milzexstirpation  bei  perniziöser  Anämie. 

3  Krankengeschichten.  7 — 11  Monate  nach  der  Exstirpation 
war  den  Fällen  gemeinsam  eine  günstige  Beeinflussung  des  allge¬ 
meinen  Kräfte-  und  Ernährungszustandes.  Ein  einheitlicher  Einfluss 
auf  das  Blutbild  trat  nicht  hervor,  es  blieb  noch  das  Bild  der  makro- 
zytischen  und  hyperchromen  Perniziosa  erhalten. 

Wiener  medizinische  Wochenschrift. 

Nr.  35.  B.  Schick- Wien:  Fortschritte  in  der  Therapie  der 
Diphtherie. 

Sch.  empfiehlt  bei  jedem  bedrohlichen  Fall  sofort  500  I.-E.  pro 
Kilogramm  Körpergewicht  zu  injizieren,  was  wiederholte  Seruminjek¬ 
tionen  unnötig  macht;  zur  Immunisierung  emofiehlt  er  50  I.-E.  pro 
Kilogramm.  Bei  negativem  Ausfall  der  subkutanen  Toxinhautreaktion 
kann  die  Immunisierung  unterbleiben.  Um  den  Herzbeschädigungen 
durch  das  Antitoxin  entgegenzuwirken,  dient  vor  allem  eine  reich¬ 
liche,  d.  h.  die  häufige  Zufuhr  kleiner  Flüssigkeitsmengen,  ev.  auf 
subkutanem  Wege  oder  durch  Tropfklysma,  weiter  die  bekannten 
Herzmedikamente;  unter  diesen  kommen  auch  zur  Beeinflussung  der 
Gefässmuskulatur  bald,  etwa  am  Ende  der  ersten  Woche,  das  Adre¬ 
nalin  und  Hypophysin  in  Betracht:  z.  B.  5  Tropfen  der  Original¬ 
lösung  (1:1000)  Adrenalin  und  1  ccm  Hypophysin,  täglich  2 — 3  mal 
subkutan. 

Prager  medizinische  Wochenschrift. 

Nr.  27.  C.  H  i  r  s  c  h  -  Prag:  Augensymptome  bei  Selbstmordver¬ 
suchen  durch  Strangulation. 

Nach  selbstmörderischen  Strangulationsversuchen  beobachtet 
man  sekundär,  ev.  erst  nach  36  Stunden,  in  der  vorher  freien  Lid¬ 
spaltenzone  der  Oberfläche  des  Augapfels  beiderseits  symmetrische, 
vom  unteren  Fornix  her  sich  ausbreitende  Ekchymosen  im  T  enon- 
schen  Raum  zusammenhängend  mit  einem  Blutaustritt  im  basalen 
Subduralraum.  Mehrere  Krankengeschichten. 

A.  Horner-Prag:  Unterbindung  der  Carotis  communis  wegen 
Arrosionsblutung  (Halsabszess  nach  Oesophagusverletzung). 

Der  Fall  scheint  bisher  der  erste  geheilte  zu  sein. 

Nr.  31.  A.  L  i  n  h  a  r  t:  Radikaloperation  der  Kruralhernie  mittels 
Verlagerung  der  grossen  Schenkelgefässe  und  des  Musculus  ileopsoas. 

Nach  Versorgung  des  Bruchsackes  legt  L.  die  grossen  Gefässe 
frei  und  verschiebt  sie  weit  lateral,  dann  wird  mit  stark  gekrümmten 
kleinen  Nadeln  der  Ileopsoas  und  seine  Faszie  an  das  P  o  u  p  a  r  t  sehe 
Band  genäht;  weiter  wird  das  P  o  u  p  a  r  t  sehe  Band  mit  dem  Muse, 
pectineus  bzw.  seine  Faszie  vernäht.  6  Krankengeschichten. 

Nr.  33.  J  Löwy-Prag:  Ueber  die  Beeinflussung  innerer  Blu¬ 
tungen  durch  intravenöse  Traubenzuckerinfusionen. 

Von  Darmblutungen  kam  eine  solche  unbekannter  Ursache  und 
eine  auf  anämischer  Basis  24  Stunden  nach  Infusion  von  200  ccm 
20  proz.  Traubenzuckerlösung  zum  Stillstand,  unbeeinflusst  blieb  die 
Blutung  bei  einem  Fall  von  Darmkrebs  und  in  einem  Falle  von 


15.  Dezember  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2379 


\nämie;  ebenso  bei  einer  Nephritis  haemorrhagica.  Von  7  Fällen  von 
Mämoptoe  wurden  zwei  leichte  gestillt,  die  übrigen  schwereren  nicht 
Beeinflusst,  erst  durch  andere  Mittel  gestillt.  Demnach  scheint  die 
Fraubenzuckerinfusion  höchstens  bei  einzelnen  Fällen  von  Darm¬ 
blutung  die  Verwendung  als  Styptikum  zu  verdienen. 

Bergeat  -  München. 

Amerikanische  Literatur. 

E.  B.  Krumbhaar:  Hämolyse,  verursacht  durch  intravenöse 
njektion  destillierten  Wassers.  (Journ.  Am.  Med.  Assoc.,  Chicago,  62. 

;914.  Nr.  13.) 

Es  wurde  eine  Anzahl  Experimente  an  Hunden  gemacht.  Das 
Resultat  war  folgendes:  Eine  rapide  Injektion  destillierten  Wassers 
/on  etwa  2 — 3  Proz.  des  Körpergewichts  verursacht  beim  Hund  vor¬ 
hergehende  Hämoglobinurie  und  Albuminurie.  Verlängerung  der 
'citdauer  der  Injektion  auf  45  Minuten  hat  keine  bemerkenswerte 
Virkung.  Die  Hämoglobinämie  tritt  in  25 — 30  Minuten  nach  Beginn 
ler  Injektion  auf  und  die  Hämoglobinurie  dauert  4 — 16  Stunden.  Be- 
leutend  geringere  Mengen  Wassers  genügen,  um  eine  merkliche 
lämoglobinämie  ohne  Hämoglobinurie  zu  verursachen. 

J.  H.  Blaisdell:  Die  Anwendung  konzentrierten  Neosalvar- 
ans  vom  klinischen  und  serologischen  Standpunkt.  (Boston  Med. 
md.  Surg.  Journ.  70.  1914.  Nr.  23.) 

An  der  Bostoner  Klinik  für  Hautkrankheiten  wurden  in  einem 
Zeitraum  von  2  Monaten  341  Injektionen  von  Neosalvarsan  vorge- 
lommen,  ohne  dass  irgendwelche  unangenehme  Folgen  sich  bemerk- 
>ar  machten.  Nur  in  einigen  wenigen  Fällen  wurde  vorübergehender 
ichwindel,  Kopfweh  und  ..Diarrhöe“  beobachtet.  Bei  jeder  Iniektion 
vurden  20  g  intravenös  angewandt.  Mit  Rücksicht  auf  die  Wirkung 
teht  das  Neosalvarsan  dem  Altsalvarsan  nach. 

S.  J.  M  e  1 1  z  e  r:  Wie  tief  sollte  der  Gummischlauch  bei  der  intra- 
rachealen  Insufflation  eingeführt  werden?  (Journ.  Am.  Med.  Assoc., 
Chicago,  62.  1914.  Nr.  20.) 

Um  sicher  zu  sein,  dass  der  Gummischlauch  sich  in  der  Luft¬ 
öhre  befindet,  ist  es  absolut  notwendig,  ihn  so  tief  einzuführen, 
•is  er  auf  Widerstand  trifft,  d.  h.  bis  zur  Bronchialgabelung  reicht. 
Venn  der  Schlauch  keinen  Widerstand  findet,  kann  man  sicher  sein, 
iass  er  in  die  Speiseröhre  statt  in  die  Trachea  geschoben  wor- 
en  ist,  ein  Irrtum,  welcher  nicht  erkannt  wird,  wenn  man  obiges 
^erfahren  nicht  beobachtet. 

E.  G.  Brackett:  Anwendung  von  Jodoformölinjektionen  bei 
ielenkerkrankungen.  (Boston  Med.  and  Surg.  Journ.  170.  1914.  Nr.  23.) 

Die  Injektionen  werden  durch  einen  offenen  Einschnitt,  niemals 
urch  Punktion  gemacht.  Genügend  Flüssigkeit  muss  im  Gelenk  ge- 
issen  werden,  um  die  Gelenkkapsel  in  Spannung  zu  halten.  Es  ist 
aher  eine  Naht  notwendig,  um  diese  Spannung  zu  bewahren,  wenn 
ie  Spritze  entfernt  wird.  Diese  Methode  ist  nur  anwendbar  bei  Fäl- 
mi  von  alter  infektiöser  Arthritis  mit  Adhäsionen  und  teilweiser  Ob- 
teration  der  Kapselhöhle,  bei  Fällen  infektiöser  Gelenkentzündung  im 
kuten  Stadium,  besonders  gonorrhoischen  Ursprungs  bei  Synovial- 
iberkulose  bevor  der  Knorpel  oder  Knochen  angegriffen  ist  und  bei 
Isteoarthritis  mit  bedeutender  Verdickung  der  Gelenkkapsel. 

W.  C.  McCarthy  und  B.  F.  McGrath:  Ueber  die  Häufig- 
eit  von  Krebs  des  Wurmfortsatzes.  (Annals  of  Surgery,  Pliila.,  59. 
914.  Nr.  5.) 

Bei  8039  Appendixoperationen,  die  an  der  Mayoklinik  ausgeführt 
wurden,  war  der  Wurmfortsatz  40  mal  an  Krebs  erkrankt.  In  allen 
allen  befand  sich  der  krankhafte  Prozess  am  äussersten  Ende  der 
ppendix,  deren  Lumen  an  dieser  Stelle  gänzlich  obliteriert  war. 

E.  F.  Robinson:  Behandlung  unvereinigter  Frakturen  des 
chienbeins  durch  Knochentransplantation.  (Annals  of  Surgery,  Phila., 
9.  1914.  Nr.  4.) 

Verf.  entfernt  die  Bruchenden  der  beiden  Knochenstücke  mit 
iner  Kettensäge,  ohne  das  Peritoneum  mitzunehmen.  Das  Mark  der 
nochenhöhle  wird  beiderseits  4  cm  weit  ausgeräumt.  Hierauf  wird 
in  8 — 10  cm  langes  Knochenstück,  das  dem  Schienbeinkamm  der 
nderen  Tibia  entnommen  worden,  in  die  Markhöhle  der  beiden 
nochenfragmente  eingesetzt,  wodurch  die  letzteren  fest  verbunden 
'erden. 

M.  S.  Henderson:  Die  Behandlung  der  unvereinigten  Frak- 
iren  des  Schienbeins  durch  Knochentransplantation.  (Annals  of  Sur- 
ery,  Phila.,  59.  1914.  Nr.  4.) 

Auf  der  inneren  Seite  des  Schienbeins  wird  vermittels  einer 
reissäge  ein  etwa  5 — 6  cm  langes  und  1  cm  breites  Knochenstück 
us  dem  grösseren  Tibiafragment  entfernt.  Ein  ähnliches,  aber  nur 
alb  so  langes  Stück  wird  in  der  gleichen  Linie  aus  dem  kleineren 
ibiafragment  herausgenommen.  Hierauf  wird  das  längere  Knochen- 
iick  mit  verkehrten  Enden  in  die  so  entstandene  Rinne  gerade  über 
ie  Bruchlinie  eingelegt,  während  das  kleinere  Knochenstück  ge¬ 
raucht  wird,  um  den  leer  gelassenen  Raum  der  Rinne  auszufüllen. 
Fälle  wurden  auf  diese  Weise  ’mit  Erfolg  behandelt. 

L.  Buerger:  Ueber  den  Nachweis  von  Obstruktionen  im 
nteren  Teile  des  Harnleiters.  (New  York  Med.  Journ  99.  1914. 
r.  12.) 

Zu  Einspritzungen  von  Argyrol  und  Kollargol  in  den  Harnleiter 
ebraucht  Verf.  einen  spitz  zulaufenden  Katheter  mit  einer  Oeffnung 
der  Spitze.  Zum  Nachweis  einer  Stenose,  eines  Uretersteines  oder 
instiger  Obstruktion  wird  der  Katheter  in  den  Harnleiter  eingeführt, 
is  die  Spitze  des  Instruments  sich  zwischen  dem  Stein  und  der 


Ureterwand  einkeilt ;  oder  es  wird  ein  Katheter  von  hinreichender 
Grösse  gebraucht,  um  die  Harnleitcrmiindun"'  völlig  zu  verschliessen, 
so  dass  die  Argyrollösung  nicht  zurückfliessen  kann.  Wenn  voll¬ 
ständige  Obstruktion  besteht,  kann  die  Flüssigkeit  nicht  über  das 
Hindernis  hinausdringen.  Der  Harnleiter  dehnt  sich  unterhalb  des 
Steines  aus  und  bildet  im  Radiogramm  einen  spindelförmigen  Schatten. 

J.  B.  Murphy:  Arthroplastik  bei  Intraartikulärer  knochiger  und 
fibröser  Ankylose  des  Kiefergelenks.  (Journ.  Am.  Med.  Assoc., 
Chicago,  62.  1914.  Nr.  23.) 

Es  wird  ein  L-förmiger  Einschnitt  gemacht,  dessen  senkrechter 
Teil  unmittelbar  vor  dem  Ohr  den  Jochbogen  erreicht  und  dessen 
horizontaler  Arm  etwa  2  cm  von  hier  nach  vorne  verläuft.  Der 
senkrechte  Schnitt  ist  zur  Beschaffung  des  nötigen  Fettgewebes  er¬ 
forderlich.  Nun  werden  die  Wundränder  zurückgezogen  und  die 
Gewebemassen  um  das  versteifte  Gelenk  herum  mit  besonders  ge¬ 
bogenen  Periostomen  losgelöst.  Hierauf  werden  2  Periostome  hinter 
das  Kollum  des  Proc.  condyloid.  gelegt,  so  dass  sie  sich  berühren.  Mit 
einer  Giglisäge  oder  mit  dem  Meissei  wird  der  Hals  durchschnitten, 
ohne  jedoch  die  Gelenkflächen  des  Knochens  zu  entfernen.  Wenn 
knochige  Ankylose  besteht,  wird  ein  Knochenstück  von  etwa  2  mm 
Breite  aus  dem  Kollum  entfernt,  so  dass  die  Fingerspitze  in  die  da¬ 
durch  entstehende  Oeffnung  gelegt  werden  kann.  Hierauf  wird  ein 
3  cm  langer  U-förmiger  Lappen  von  Faszie  und  Fettgewebe  über  dem 
Jochbogen  losgelöst,  doch  so,  dass  seine  Basis  mit  dem  Zygoma  ver¬ 
bunden  bleibt.  Dieser  Lappen  wird  umgestülpt  und  in  die  Knochen¬ 
öffnung  gepackt,  mit  einigen  Nähten  befestigt  und  die  Wunde  ge¬ 
schlossen  Verf.  hat  mit  dieser  Methode  stets  ausgezeichnete  Re¬ 
sultate  erzielt. 

H.  B.  Thomas:  Knochentransplantationen  bei  Spondylitis  tuber- 
culosa.  (Journ.  Am.  Assoc.,  Chicago,  62.  1914.  Nr.  14.) 

Bei  einem  14  jährigen  Mädchen,  das  an  Spondylitis  tuberculosa 
litt,  wurde  die  A  1  b  e  e  sehe  Knochentransplantation  ausgeführt.  Es 
wurde  ein  elliptischer  Einschnitt  gemacht,  der  alle  Dornfortsätze  vom 
4.  bis  zum  8.  umfasste.  Die  letzteren  wurden  gespalten  und  an  ihrer 
Basis  abgebrochen.  Das  weiche  Gewebe  zwischen  den  Querfort¬ 
sätzen  wurde  entfernt,  so  dass  eine  Rinne  10  cm  lang.  VA  cm  tief 
und  1  cm  weit  entstand.  Hierauf  wurde  ein  entsorechendes  Knochen¬ 
stück,  das  der  vorderen  Seite  der  Tibia  der  Patientin  entnommen 
worden,  in  die  Rinne  eingesetzt  und  verankert.  Auf  ganz  ähnliche 
Weise  wurde  eine  Anzahl  von  Patienten  behandelt,  die  meisten  mit 
sehr  gutem  Erfolg. 

J.  B.  Clark:  Die  operative  Behandlung  der  akuten  gonor¬ 
rhoischen  Eoididvmitis  durch  Epididymotomie.  (Annals  of  Surgery, 
Phila..  59.  1914.  Nr.  5.) 

Verf.  macht  einen  3  cm  langen  Einschnitt  über  der  geschwollenen 
Epididymis.  Die  Tunica  vaginalis  wird  geöffnet  und  die  Flüssigkeit 
entleert.  Die  Ränder  der  Tunika  werden  beiderseits  gefasst  und 
zurückgezogen,  so  dass  der  Nebenhoden  blosseelegt  wird.  In  den 
letzteren  wird  ein  1  cm  langer  Einschnitt  gemacht.  mit  einer  Sonde 
der  Nebenhoden  untersucht  und  allfälliger  Eiter  entfernt.  Eiter  wird 
in  33  Proz.  aller  Fälle  gefunden.  Während  der  ersten  48  Stunden 
wird  Drainage  angewandt.  Verf.  erzielte  ausgezeichnete  Resultate 
mit  dieser  Methode. 

W.  A.  Plummer:  Tumor  der  mittleren  Schädelgrube,  welcher 
das  Ganglion  Gasseri  in  Mitleidenschaft  zog.  (Journ.  Am.  Med. 
Assoc.,  Chicago,  62.  1914.  Nr.  14.) 

Bei  diesem  seltenen  Fall  waren  die  Halsdrüsen  auf  der  rechten 
Seite  vergrössert.  Der  Patient  fühlte  beständig  einen  dumpfen 
Schmerz  vor  dem  rechten  Ohr.  wobei  Schmerzparoxvsmen  das  ganze 
Gebiet  des  N.  trigeminus  ergriffen.  Er  zeigte  keine  Symptome  intra¬ 
kraniellen  Drucks,  wie  Erbrechen,  Kopfweh,  Staungspapille  usw.  Es 
bestand  lokale  Anästhesie  im  Gebiete  des  N.  trigeminus.  Paralyse 
aller  Augenmuskeln  auf  der  rechten  Seite  mit  beinahe  vollständiger 
Ptose.  Die  Schädelhöhle  wurde  nach  der  Hartley-Krause- 
schen  Methode  geöffnet.  Man  fand  eine  harte  Masse  unter  dem 
rechten  Schläfenlappen,  die  als  inoperabel  erkannt  wurde.  Die  mikro¬ 
skopische  Untersuchung  ergab  ein  Rundzellensarkom.  Der  Patient 
starb  einige  Monate  später. 

B.  M.  Anspach:  Erfahrungen  mit  der  Spinalanästhesie  in  der 
Beckenchirurgie.  (Am.  Journ.  Obstet.,  Phila.,  1914  Nr.  5.) 

Es  gibt  Fälle,  in  denen  die  Allgemeinnarkose  nicht  wünschens¬ 
wert,  selbst  gefährlich  ist.  Dies  ist  namentlich  der  Fall  bei  Herz-, 
Lungen-  und  Nierenleiden,  bei  denen  der  Blutkreislauf,  die  Atmung 
oder  der  Harnapparat  beeinträchtigt  werden.  Auch  bei  toxischen 
Zuständen,  in  denen  die  Exkretionsorgane  stark  in  Ansoruch  ge¬ 
nommen  werden,  ist  die  Einführung  eines  neuen  Giftes  nicht  ratsam. 
Seine  Erfahrungen  führen  Verf.  zu  folgenden  Schlüssen:  Die  Spinal¬ 
anästhesie  ist  selbst  in  erfahrenen  Händen  von  einer  höheren  un¬ 
mittelbaren  Mortalität  begleitet  als  die  Aether-,  Chloroform-  oder 
Stickstoffoxvdulnarkose.  Auf  der  anderen  Seite  hat  die  Spinal¬ 
anästhesie  keine  postoperative  Mortalität  zur  Folge  und  ist  der 
Aether-  und  Chloroformnarkose,  nicht  aber  dem  Stickstoffoxvdul  und 
Sauerstoff  überlegen.  A.  A  1 1  e  m  a  n  n. 

Neuere  stimmärztliche  Publikationen. 

Autophonoskop,  ein  Instrument,  um  die  Phonationsbewegungen 
im  Larynx  beobachten  zu  lassen  und  gleichzeitig  selbst  zu  beobach¬ 
ten.  Von  Dr.  G.  Panconcelli-Calzia.  (Zschr.  f,  Larvngol. 

6  H.  3.) 


2380  MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  _ Nr.  50. 


Beschreibung  und  Abbildung  einer  vom  Verf.  an  dem  für  phone¬ 
tische  Zwecke  wertvollen  H  a  y  s  -  F 1  a  t  a  u  sehen  Instrumente  an¬ 
gebrachten  Konstruktion. 

Versuche  mit  Polsterpfeifen.  Von  Franz  W  e  t  h  1  o  -  Berlin. 

(Passows  Beitr.  6.  H.  3.) 

W.  beschreibt  das  von  ihm  konstruierte  Modell  einer  „Polster- 
pfeife“,  an  dem  er,  die  Versuche  Ewalds  fortsetzend,  die  Mechanik 
des  menschlichen  Stimmorganes  studierte.  Die  Kontraktion  des 
Muse,  vocalis  wird  dabei  durch  das  Aufblasen  der  Polster  nach¬ 
geahmt.  Von  den  Resultaten  ist  von  besonderem  Interesse,  dass  bei 
Steigerung  des  Anblasedruckes  meist  eine  Vertiefung  des  Tones  ein¬ 
trat.  Die  Versuche  hinsichtlich  der  Aenderung  der  Tonhöhe  bei  Ver¬ 
wendung  verschiedenartiger  Wind-  und  Ansatzrohre  sind  noch  nicht 
abgeschlossen. 

lieber  Atemvolummessung  beim  Sprechen  und  Singen.  Von 

R.  Du  Bois-Reymond  und  J.  Katzenstein.  (Katzensteins 
Arch.  f.  exper.  u.  klin.  Phonetik  1.  H.  1.) 

Die  Versuche  wurden  in  der  Weise  ausgeführt,  dass  der  Ver¬ 
suchsperson  eine  doppelt  durchbohrte  Glasglocke  über  den  Kopf  ge¬ 
stülpt  wurde,  die  durch  eine  Art  Halskrause  aus  Gummimembran  um 
den  Hals  herum  abgeschlossen  werden  konnte.  Der  abgeschlossene 
Raum  wurde  mit  einer  Gasuhr  verbunden.  Aus  den  in  der  Arbeit 
wiedergegebenen  Versuchen  ergibt  sich  folgendes: 

1.  Bei  vertiefter  Mundatmung  steht  dem  Sprecher  und  Sänger 
die  grösste  Atemmenge  bei  der  geringsten  Atemfrequenz  zu  Gebote. 

2.  Der  Luftverbrauch  beim  Lesen,  freien  Sprechen,  Pianosingen 
ist  um  20 — 30  Proz.  geringer  als  bei  ruhiger  Atmung. 

3.  Der  Luftverbrauch  beim  Deklamieren  und  Singen  übertrifft 
den  Ruheverbrauch  in  desto  höherem  Masse,  je  mehr  die  Stimm- 
gebung  forte  ist. 

Die  Deckung  des  Gesangstones  im  Röntgenbilde.  Von  R.  Schil¬ 
ling-  Freiburg  i.  B.  (Ibid.  1.  H.  2.) 

Es  wurden  Momentaufnahmen  von  1/ioo  Sekunden  Dauer  gemacht, . 
wobei  die  Platte  parallel  zur  Medianebene  des  Kopfes,  diesem  dicht 
anliegend,  gehalten  wurde.  Bezüglich  der  Resultate  muss  auf  die 
Arbeit  selbst  verwiesen  werden. 

Untersuchungen  über  das  Wesen  der  Nasalität.  Von  Hermann 
Gutzmann  -  Berlin.  (Arch.  f.  Laryngol.  27.  H.  1.) 

Die  umfangreiche,  höchst  interessante,  zu  kurzem  Referat  jedoch 
nicht  geeignete  Arbeit  enthält  eine  eingehende  Beschreibung  der  Me¬ 
thodik,  sowie  der  klinisch-therapeutischen  und  klanganalytischen 
Untersuchungsergebnisse. 

Stimmgabelharinoniiitn  und  dessen  Anwendung  zur  Stimmbildung 
und  Stimmbehandlung.  Von  Privatdozent  M  a  1  j  u  t  i  n  -  Moskau. 
(Ibid.  27.  H.  3.) 

Beschreibung  und  Abbildung  eines  von  M.  konstruierten  Modells, 
das  im  Prinzip  aus  einem  System  von  3  durch  einen  Ständer  mit¬ 
einander  verbundenen  Stimmgabeln  besteht,  die  durch  Umstellen  von 
Klemmen  Töne  in  beliebigen  Intervallen  hervorzubringen  ermöglichen 
und  so  eine  kontinuierliche  Tonreihe  darstellen.  Die  physikalische 
Einwirkung  der  Stirnmgabelvibrationen,  die  Uebertragung  auf  den 
Patienten,  erfolgt  durch  ableitende  Gummiröhrchen,  die  mit  einem 
Phonendoskop  (das  sich  der  Pat.  anlegt)  verbunden  sind.  M.  glaubt 
den  Apparat  auch  zur  Behandlung  von  Ohrensausen,  sowie  zur  Ge¬ 
hörsbildung  bei  hochgradig  Schwerhörigen  bzw.  Tauben  empfehlen 
zu  sollen. 

Menschen-  und  Tierstimme  in  ihrem  Verhältnis  zum  anatomischen 
Bau  des  Kehlkopfes.  Von  Dozent  Dr.  Josef  N  e  m  a  i  -  Pest.  (Ibid. 
27.  H.  3.) 

Nach  den  Untersuchungen  N.s  liefern  die  anatomischen  Verhält¬ 
nisse  den  Beweis  dafür,  „dass  die  Unvollkommenheit  in  der  Stimm¬ 
bildung  der  Tiere  in  erster  Linie  durch  den  unvollkommenen  Ver¬ 
schluss  der  Stimmritze  begründet  äst;  denn  es  schliesst  sich  bei  ihnen 
bloss  die  Bänderglottis.  Im  Gegensatz  zu  diesem  unvollkommenen 
Verschluss  wird  beim  Menschen  die  ganze  Stimmritze  gut  ge¬ 
schlossen;  die  Glottis  cartilaginea  und  Glottis  ligamentosa  bilden  bei 
ihm  die  gut  schliessende  und  offenbar  der  ganzen  Länge  nach  gieich- 
mässig  schwingende  und  daher  zum  Hervorbringen  musikalischer 
Töne  geeignete  Stimmritze.  Den  Unterschied  in  der  Stimmbildung 
zwischen  Mensch  und  Tier  finde  ich  darin  begründet,  dass  sich  beim 
Menschen  die  Lücke  der  Knorpelglottis  bereits  zurückgebildet  hat.“ 

Zur  Physiotherapie  der  funktionellen  Stimmstörungen.  Von  Prof. 
Dr.  Th.  S.  F  1  a  t  a  u.  (Die  Stimme  7.  Jahrg.  H.  9.) 

Bei  Fällen  schwerer  Dysästhesien  und  Parästhesien  hat  sich  die 
Applikation  hochgespannter  Frequenzströme  als  überaus  wirksam  er¬ 
wiesen.  Eine  weitere  Kombination  für  die  elektrische  Tonbehand¬ 
lung  hatte  die  Aufgabe,  den  Tonschwingungen  entsprechende  sinus¬ 
förmige  Wechselströme  bei  hoher  Frequenz  und  niedriger  Spannung, 
40 — 50  Volt,  als  therapeutisches  Agens  einzuführen.  Beschreibung  und 
Abbildung  der  Apparate. 

Experimentelle  Untersuchungen  über  den  Luftverbrauch  beim 
harten  und  beim  weichen  Tonansatz.  Von  Prof.  Dr.  Rethi-Wien. 
(Ibid.  H.  2.) 

Die  Untersuchungen,  die  im  Wiener  physiologischen  Institut  an¬ 
gestellt  wurden,  führten  zu  dem  Ergebnis,  dass  beim  harten  Ansatz 
mehr  Luft  verbraucht  wird  als  beim  weichen.  Ersterer,  dessen 
Schädlichkeit  in  stimmhygienischer  Hinsicht  ja  bekannt  ist,  ist  so¬ 
mit  auch  mit  Bezug  auf  die  Atemführung  unangebracht  und  un- 
ökonomisch.  (R.  versteht  hiebei  unter  „Ansatz“  das,  was  nach  der 
sonst  üblichen  Auffassung  als  „Einsatz“  bezeichnet  wird.  Ref.) 


Zum  Studium  der  sichtbaren  Sprachbewegungen.  Von  Prof.  Dr. 

Th.  S.  Fla  tau.  (Ibid.  H.  9.) 

1.  Zum  Studium  der  sichtbaren  Sprachbewegungen  ist  die  Auf¬ 
nahme  und  Vermessung  von  Reihenaufnahmen  ein  vorzügliches  Mittel. 

2.  Durch  die  Vermessung  markierter  Punkte  der  Lippen-,  Wan¬ 
gen-  und  mimischen  Muskulatur  am  Mundboden,  am  Halskieferwinkel 
wird  bewiesen,  dass  die  bisher  angegebenen  optischen  Hilfszeichen 
revidiert  werden  müssen. 

3.  Es  ergeben  sich  —  wie  früher  beim  physiologischen  Studium 
der  Ortsbewegungen  —  durch  das  Mittel  der  Reihenaufnahmen  vor¬ 
dem  unbekannte,  fremdartig  wirkende  Zwischenstufen  neben  den  be¬ 
kannteren  Anfangs-  und  Endstellungen. 

4.  ln  Fällen,  wo  die  optische  Aufmerksamkeit  in  der  psychischen 
Anlage  mangelt  und  notwendigerweise  herangezogen  werden  muss, 
ist  die  Verwendung  vorgeführter  Reihenaufnahmen  ein  Erziehungs-; 
verfahren  von  heilpädagogischem  Wert  für  die  Ausbildung  der  ver-j 
kümmerten  Funktion. 

Die  funktionellen  Stimmstörungen.  Von  Dr.  Zumste  e  g,  Stabs¬ 
arzt  a.  D.  (Vox  1913  H.  1.) 

Ueberblick  über  die  Erfahrungen,  die  an  den  im  Gutzmann  - 
sehen  Universitätsambulatorium  für  Stimm-  und  Sprachstörungen  zu 
Berlin  innerhalb  eines  halben  Jahres  zur  Beobachtung  gelangten 
Fällen  gesammelt  wurden.  Untersuchung  und  Behandlung  werden 
eingehend  beschrieben  und  in  instruktiver  Weise  durch  die  Wieder¬ 
gabe  von  36  Krankengeschichten  illustriert.  Was  die  Häufigkeit  der; 
einzelnen  Stimmstörungen  betrifft,  so  standen  an  erster  Stelle  die  be-i 
ruflichen  Erkrankungen,  vor  allem  die  der  Sprechstimme.  Dann  folg-, 
ten  die  funktionellen  Lähmungs-  und  Krampfzustände,  ferner  die, 
organisch  bedingten  und  endlich  die  Mutationsstörungen. 

Wissenschaft  und  praktische  Stimmbildung.  Von  Clara  H  o  f  f  - 
m  ann  -  Hamburg.  (Ibid.) 

Wiedergabe  und  Erläuterung  einiger  Atemkurven,  welche  die  Be-j 
deutung  dieses  wissenschaftlichen  Hilfsmittels  für  den  praktischen 
Sprech-  und  üesangunterricht  vor  Augen  führen. 

Die  einfache  Kinematographie  und  die  Strobokinematographie  der 
Stimmlippenbewegungen  beim  Lebenden.  Von  J.  H  e  g  e  n  e  r  und 
Panconzelli-Calzia  -  Hamburg.  (Ibidem  H.  2.) 

Vorläufige  Mitteilung.  Die  Frage  der  Kinematographie  der  Be¬ 
wegungen  der  Stimmlippen  kann,  wie  die  beigegebenen  Tafeln  zei-; 
gen,  durch  Aenderung  an  der  Optik  der  vorhandenen  Stroboskope  und 
bedeutende  Steigerung  der  Helligkeit  der  Beleuchtung  im  Prinzip  ab 
gelöst  betrachtet  werden. 

Ein  neues  Laryngostroboskop,  zugleich  Universalbeleuchtungs- 
apparat  für  die  Beobachtung  und  Momentphotographie  in  Körper¬ 
höhlen  mit  engem  Zugang.  Von  .1.  H  e  g  e  n  e  r  -  Hamburg.  (Ibid 
1914,  H.  1.) 

Ausführliche  Beschreibung  mit  Abbildung. 

Zimmer  mann  -  München. 

Inauguraldissertationen. 

Universität  Greifswald.  August-Oktober  1914. 

Co  est  er  Heinrich:  Amyloide  Degeneration  der  Konjunktiva. 

Lad  i  sch  Ernst:  Zur  Wirkung  der  Chinaalkaloide  auf  die  glatte 
Muskulatur  des  Kaninchendarmes  unter  Berücksichtigung  dc^ 
Quinetum,  der  Kombination  der  Gesamtalkaloide. 

Görs  Erich:  Beiträge  zur  Entwicklung  der  Zunge.  Entwicklung  dei 
Zunge  der  weissen  Maus  (Mus  musculus  var.  alba). 

Wasner  Martin:  Psychosen  auf  dem  Boden  der  angeborenei 
geistigen  Schwächezustände.  Eine  klinische  Studie. 

Universität  Halle  a/S.  Oktober  1914. 
Dyckerhoft  Hans:  Dauerresultate  der  Operationen  der  Herni. 

cruralis  1908—1913  an  der  Kgl.  Chir.  Univ.-Klinik  zu  Halle  a/S. 
Riwosch  Joel  (Eugen):  Ueber  Stieltorsion  des  Hodens. 

Universität  Jena.  Oktober  und  November  1914. 

S  a  u  p  e  Kurt:  Ueber  die  Erfolge  der  Operationen  bei  jugendlichen 
Katarakt. 

Guttmann  Kurt:  Anomalien  der  Zähne,  insbesondere  Verände¬ 
rungen  ihrer  Schmelzstruktur  als  Folge  von  chronischen  Konsti 
tutions-  und  Infektionskrankheiten. 

Heid  er  K.:  Zwei  Fälle  von  Pseudomyxoma  peritonei.  —  Aus 
waschen  der  Bauchhöhle  mit  Kochsalzlösungen. 

Fr  ie  sicke  Georg:  Ueber  eine  besondere  Form  von  Thymuskar 
zinom  (Carcinoma  cylindrocellulare). 

Barch  an  Eduard:  Ueber  Anwendung  von  Sekakornin,  Pituglando 
und  ß-Imidatolyläthylamin  während  der  Geburt. 

R  o  i  c  k  Walter :  Zwei  Fälle  von  Friedreich  scher  Ataxie. 

Universität  Marburg.  Oktober  1914. 

Berge  Otto:  Behandlung  der  Melaena  neonatorum  vera  mittels  Ge 
latine. 

Berghahn  Heinrich:  Zur  Kenntnis  der  Hypophysenstruktur  be 
Akromegalie. 

Berling  Elisabeth:  Ueber  die  Ergebnisse  der  Gesichtsfeldunter 
suchung  nach  B  j  e  r  r  u  m  bei  verschiedenen  Erkrankungen  de 
Sehnerven. 

Cordes  Wilhelm:  Zur  Kenntnis  des  serologischen  Verhaltens  de 
Kapselbazillen. 


15.  Dezember  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2381 


De  wenter  Karl:  Lieber  Schnittführung  bei  Gallensteinoperationen 
mit  besonderer  Berücksichtigung  der  von  König-  Marburg  an¬ 
gegebenen  Methode. 

!  Döllner  Max:  Die  puerperale  Infektion  vom  gerichtlich-medi¬ 
zinischen  Standpunkte  aus. 

Universität  München.  August  und  September  1914. 

Edelberg  14.:  Zur  Aetiologie  des  primären  Lymphdrüsenkarzinoms. 

Bar  kan  Otto:  Die  Lage  des  Auges  in  der  Augenhöhle  unter  ver¬ 
schiedenen  physiologischen  Bedingungen. 

Sartorius  Alfred:  Ueber  Drusenbildung  im  Sehnervenkopfe  mit 
Beiträgen  zur  Kasuistik. 

Hausmann  Markus:  Zur  Klinik  der  Doppelmissbildungen  des  weib¬ 
lichen  Genitale. 

Fels  Arthur:  Kasuistischer  Beitrag  über  Durchbrüche  nach  der 
Orbita  von  den  Nebenhöhlen  der  Nase,  spez.  Siebbein-  und  Stirn¬ 
höhle. 

Wal  deck  Karl:  Zur  pathologischen  Anatomie  der  Iristuberknlose. 

Saito  Kaku:  lieber  die  Histogenese  der  traumatischen  Iriszyste. 

Wertkin  N.:  Hämatokritversuche  auf  alter  und  neuer  Basis  (mit 
Salzlösungen,  Blutgiften  und  spezifischen  Hämolysinen). 

Mobitz  Waldemar:  Beiträge  zur  Klinik  der  Basedowschen 
Krankheit. 

Knorr  Emil:  Ueber  die  Perforation  des  pericholezystitischen  Ab¬ 
szesses  im  Gefolge  von  Cholezystitis  calculosa  in  den  Herzbeutel. 

Zoeppfel  H.:  Statistische  Zusammenstellung  der  während  der 
Jahre  1903 — 1913  an  der  chirurgischen  Poliklinik  zu  München 
behandelten  Kiefertumoren. 

Sato  Kogoro:  Subkutane  Bauchkontusion  mit  Quetschung  des  Milz¬ 
stieles. 

Goldberg  Toby:  Die  Harnkryoskopie,  A  1  b  a  r  r  a  n  sehe  Probe 
und  Phenolsulfophthaleinmethode  im  Dienste  der  funktionellen 
Nierendiagnostik. 

Ahlborn  Knud:  Die  desinfizierende  Wirkung  der  Gasbeleuchtung 
auf  Zimmerluft. 

Lande  Lotte:  Ueber  die  Palpabilität  der  Arterien. 

Adorno  Ludwig:  Ueber  Pancreatitis  acuta. 

Eckhard  Heinrich:  Ueber  den  Tod  und  Scheintod  der  Neuge¬ 
borenen. 

Forst  August  W. :  Ueber  kongenitale  Varizen.  Verblutung  aus 
einem  kongenitalen  Varixknoten  der  Vena  jugularis. 

Fukui  Schohei:  Zur  Wirkungsweise  des  Schweinerotlaufimmun¬ 
serums. 

Hopf  Friedrich:  Statistische  Untersuchungen  über  die  Resultate  der 
Säuglingsabteilung  der  Münchener  Kinderklinik. 

Wüllen  weber  Wilhelm:  Ueber  operative  Behandlung  von 
Tuberkulose  der  weiblichen  Genitalien. 

Tsukamoto  Masaji:  Das  Kasein  im  Stuhl  gesunder  und  kranker 
Säuglinge. 

Röstel  Hugo:  Ein  Fall  von  Mukosaadenotnyositis  uteri. 

Bühner  Eustach:  Ueber  Hydramnion  in  Verbindung  mit  Hydrops 
foetus. 

IRupp  Otto:  Beitrag  zum  gegenwärtigen  Stande  der  Abortfrage. 

Fr  ankau  August:  Statistische  Mitteilungen  über  Mammakarzinom. 
Auf  Grund  der  in  den  Jahren  1903 — 1913  an  der  Kgl.  Chirurg. 
Poliklinik  zu  München  beobachteten  Fälle. 

Cohen  Ludwig:  Die  Goldreaktion  im  Liquor  cerebrospinalis. 
Miller  Fidel:  Ueber  ein  primäres  Chorionepitheliom  des  Ovariums. 
Kasuistischer  Beitrag  mit  Bildern. 

Universität  Rostock.  Oktober  1914. 

Goldmund  Walter:  Zur  pathologischen  Anatomie  der  Skleritis. 
Blass  Kuno:  Das  Wachstum  von  Bakterien  auf  magnesiahaltigen 

Nährböden. 

Vetter  Hanns:  Rektumtumoren  als  Geburtshindernisse. 

Walter  Herbert:  Ueber  die  Bewertung  der  Digitalispräparate  mit 
Hilfe  biologischer  Methoden. 

Zeh  Wilhelm:  Ueber  mediastinale  Dermoidzysten. 

Groth  Willy:  Zur  Aetiologie  des  Keratokonus. 

Muenk  Gustav:  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Bestandteile  und  Wir¬ 
kungen  der  Lupinensamen. 

Universität  Tübingen.  September  1914. 

End  er  Karl:  Ueber  den  Bleigehalt  glasierter  Tongeschirre. 

Frey  Alfred:  Eine  seltene  Schussverletzung  des  Halses  mit  Ver¬ 
letzung  der  Carotis  communis. 

Mäulen  E  :  Bericht  über  die  vom  1.  April  1900  bis  1.  April  1914 
auf  der  Universitäts-Ohrenklinik  zur  Beobachtung  gekommenen 
Fremdkörper  des  Ohres. 

Neuffer  Rudolf:  Ueber  die  Beziehungen  des  primären  Glaukoms 
zu  Geschlecht,  Lebensalter  und  Refraktion. 

Oelhafen  Heinrich:  Ueber  Knochenmarksriesenzellen  im  strömen¬ 
den  Blut. 

Re  in  old  Karl:  Ueber  Tuberkulose  im  frühesten  Kindesaltcr. 

St  eng  Hermann:  Die  Milch  brünstiger  Kühe  als  Kindermilch. 
Waldschmidt  Wilh.:  Ueber  die  verschiedenen  Methoden  Pepsin 
und  Trypsin  quantitativ  zu  bestimmen  nebst  Beschreibung  einer 
einfachen  derartigen  Methode. 


Vereins-  und  Kongressberichte. 

Aerztlicher  Verein  in  Frankfurt  a.  M. 

(Offizielles  Protokoll.) 

1689.  Ordentliche  Sitzung  vom  19.  Oktober  1914,  abends 

7  Uhr  im  Sitzungssaal. 

Vorsitzender:  Herr  Quincke. 

Schriftführer:  Herr  Buecheler. 

Herr  Joh.  Jul.  Schmidt:  Demonstration  eines  Apparates  zur 
Harnsäurebestimmung  im  Blute  nach  Brugsch-Kristeller. 

Redner  hebt  die  Vorteile  dieser  Methode  hervor  gegenüber  der¬ 
jenigen  von  Roethlisberger,  die  viel  längere  Zeit  in  Anspruch 
nimmt  und  besonders  den  Nachteil  hat,  dass  das  Silberpapier  nicht 
haltbar  ist.  Das  neue  Verfahren  nach  Brugsch-Kristeller, 
welches  auf  der  Farbenreaktion  von  0.  Maschke  beruht  und 
eigentlich  die  modifizierte  Methode  nach  Fol  in- Denis  ist,  hat 
den  Vorzug,  dass  es  im  Vergleich  zu  der  grossen  Analyse  nur 
geringer  Blutmengen  bedarf  und  auf  Enteiweissung  sowie  Isolierung 
der  Harnsäure  verzichten  kann.  Die  Autoren  schreiben  zwei  Rea- 
gentien  vor,  nämlich  7,5  proz.  NaaCOa-Lösung  und  eine  10  proz.  Phos¬ 
phorwolframsäure,  deren  genaue  Zusammensetzung  und  Herstellungs¬ 
weise  von  ihnen  kontrolliert  wird.  Zur  Reaktion  entzieht  man  dem 
Ohrläppchen  20  Tropfen  Blut,  lässt  ein  klares  Serum  in  3  Stunden 
absetzen,  entnimmt  davon  0,2  ccm  mittelst  Kapillarpipette  und  setzt 
dem  Reagenzglas  von  Reagens  I  1  ccm  und  von  Reagens  II  0,4  ccm 
hinzu,  worauf  sofort  eine  Blaufärbung  entsteht,  die  dem  Harn¬ 
säuregehalt  parallel  geht.  Letzterer  wird  nach  5  Minuten  an  einer 
Earbenskala  von  1 — 5  mg  für  100  ccm  Blut  verglichen  und  zwar  bei 
durchfallendem  Tageslicht.  Uebersteigt  die  Blutharnsäure  die  Menge 
von  5  mg,  so  verdünnt  man  vor  der  Reaktion  zuerst  0,2  ccm  Serum 
mit  1,5  ccm  destilliertem  Wasser  und  setzt  dann  die  beiden  Reagentien 
zu.  Die  Nachprüfung  des  Apparates  (zu  beziehen  durch  die  Ver¬ 
einigten  Fabriken  für  Laboratoriumsbedarf,  Berlin  N  39)  sowohl  bei 
regulärer  als  atypischer  Gicht,  als  bei  Gesunden  ergab,  dass  diese 
Methode  als  praktisch  und  zuverlässig  empfohlen  werden  kann. 

Herr  Grödel  demonstriert  einen  Fliegerpfeil  und  die  dadurch 
hervorgerufenen  Verletzungen  im  Röntgenbild. 

Diskussion:  Herr  Schott. 

Herr  V  o  h  s  e  n  fragt,  ob  und  zu  welchen  Preisen  grössere 
Mengen  Tetanusserum  für  die  dringlicher  Bedarf  ja  angemeldet  ist, 
zu  haben  sind. 

Herr  Sachs  erwidert,  dass  die  Farbwerke  in  Höchst  und  die 
Behringwerke  in  Marburg  seit  Kriegsbeginn  um  Herstellung  möglichst 
grosser  Mengen  bemüht  sind. 

Referate  über  die  Ruhr: 

Herr  Quincke  gibt  einen  Ueberblick  über  die  Pathologie  und 
Therapie  der  Ruhr.  Dieselbe  ist  ein  aus  der  Krankenbeobachtung 
hervorgegangener  Begriff,  der  weder  anatomisch  noch  ätiologisch  ein¬ 
heitliche  Grundlagen  hat.  Für  uns  ist  von  Interesse  hauptsächlich  die 
durch  „Ruhrbazillen“  erzeugte  Ruhr,  die  jetzt  auf  dem  Kriegsschau¬ 
platz  vorkommt.  Doch  ist  es  die  Frage,  ob  nicht  eine  Anzahl  von 
„Ruhr“fällen,  ganz  unabhängig  von  den  Ruhrbazillen,  durch  andere 
Schädlichkeiten  hervorgerufen  sind. 

Herr  E.  Goldschmid:  Die  pathologische  Anatomie  der  bazil¬ 
lären  Dysenterie  und  ihre  Diagnose  am  Sektionstisch. 

In  den  meisten  zur  Sektion  kommenden  Fällen,  bei  denen  die 
Frage  nach  Dysenterie  auftaucht,  handelt  es  sich  um  eine  diph¬ 
therische  Erkrankung  der  Dickdarmschleimhaut.  Zur  Diagnose  ist 
hierbei  beweisend  nur  der  Nachweis  des  Erregers.  Alle  anderen 
Formen  diphtherischer  Darmerkrankungen  sind  ihrer  Aetiologie  nach 
auszuschliessen.  Bei  den  selteneren  Fällen,  bei  denen  es  sich  um 
frühe  Stadien  handelt,  also  im  wesentlichen  um  katarrhalische  Er¬ 
scheinungen,  ist  die  Differentialdiagnose  schwieriger. 

Nach  L  e  n  t  z  ist  zu  unterscheiden  das  katarrhalische  Anfangs¬ 
stadium,  das  Stadium  der  Epithelnekrose  („kleienartige  Beläge“, 
später  Borkenbildung),  das  Stadium  der  Geschwürsbildung.  Bespre¬ 
chung  der  einschlägigen  Angaben  bei  Orth,  Kaufmann  und 
A  s  c  h  o  f  f  sowie  der  Arbeiten  von  Dopte  r,  Raubitschek  und 
Lentz  Befunde  in  anderen  Organen  sind  uncharakteristisch  oder 
fehlen.  Es  handelt  sich  also  um  „eine  lokale  Erkrankung  der  Darm¬ 
schleimhaut  und  der  zugehörigen  Lymphdrüsen“.  Nach  Kruse  ist 
Dysenterie  eine  „im  Darm  lokalisiert  bleibende  Infektion,  bei  der 
man  die  begleitenden  Allgemeinerscheinungen  zum  Teil  auf  Gifte  zu¬ 
rückführen  darf“. 

Die  einzelnen  Stadien  der  Erkrankungen  werden  an  der  Hand 
von  Sammlungspräparaten  demonstriert  und  besprochen  und  zum 
Vergleich  entsprechende  Darmaffektion  anderer  Aetiologie  daneben 
gestellt. 

Demonstrationen: 

L  55  Jahre  alt.  Chronische  Dysenterie  des  Dickdarms.  Starke 
Verdickung  der  Wand.  Flache,  tiefgreifende  Narben,  an  anderen 
Stellen  frische  Entzündung. 

2.  40jähr.  Mann.  Schwerste  chronische  ulzeröse  Dysenterie. 
Ausgedehnte  Ulzeration  und  verschieden  starke  Polypose.  Hoch¬ 
gradige  Dilatation.  Anämien.  Klinisch:  Periproktitischer  Abszess. 
Blutungen. 


Nr.  50. 


3 


2382 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  50. 


3.  34jähr.  Frau  Schwerste  polypöse  Dickdarmdysenterie  mit/ 
ausgedehnter  Vernarbung  und  multiplen  Perforationen.  Diffuse  Peri¬ 
tonitis.  Anus  praeternat.  Klinisch:  Ulzeröse  Kolitis.  Früher  mehr¬ 
fach  Anfälle  von  Dickdarmkatarrh.  Rezidiv  nach  Wochenbett. 

4.  31  jälir.  Mann.  Schwerste  Dysenterie  mit  Perforationsperi¬ 
tonitis  und  frischer  Entzündung  der  Schleimhautreste. 

5.  27  jähr.  Frau.  Höchstgradige  polypöse  Colitis  ulcerosa  mit 
ausgedehnter  Vernarbung  in  den  unteren  Abschnitten.  Akute  Ent¬ 
zündung  einzelner  Stellen.  Enger  Darm!  Klinisch:  Streptokokken¬ 
sepsis. 

6.  Dysenterische  Ulzera  des  Dickdarms  beim  Säugling.  Ulzeröse 
hämorrhagische  Kolitis. 

7.  62  jähr.  Frau.  Höchstgradige  ulzeröse  Kolitis  mit  ausge¬ 
dehnter  Vernarbung.  Subakute  hämorrhagische  Nephritis. 

8.  56  jähr.  Mann.  Dünndarmdiphtherie  bei  Magenkrebs. 

9.  43  jähr.  Frau.  Diphtherische  Kolitis.  Pfortaderthrombose. 

10.  Strikturierendes  Rektumgeschwür  mit  sterkoraler  Diphtherie 
oberhalb  der  Striktur  und  oberflächlicher  Diphtherie  unterhalb  der 
Striktur. 

11.  Höchstgradiger  urämischer  Darmkatarrh  ohne  oberflächliche 
Schleimhautnekrose. 

12.  Diphtherischer  Dickdarmkatarrh  bei  Urämie  mit  kleien¬ 
förmigem  Schleimhautbelag  und  starker  Wandverdickung. 

13.  39  jähr.  Mann.  Oberflächliche  urämische  Dünndarmulzera  bei 
chronischer  hämorrhagischer  Nephritis. 

14.  Diphtherischer  Dickdarmkatarrh  bei  Urämie.  Höchstgradiger 
akuter  Katarrh  mit  beginnender  oberflächlicher  Nekrose. 

15.  27  jähr.  Mann.  Sublimatvergiftung  (Verätzung  der  Schleim¬ 
haut  in  Mund,  Rachen  und  Oesophagus.  Magenblutung).  Hochgradige 
Entzündung  und  Geschwiirsbildung  in  Dickdarm  und  Rektum.  Akute 
tubuläre  Nephritis. 

16.  20  Jahre  alt.  Diphtherische  Enteritis  des  Dickdarms  bei 
Sublimatintoxikation  durch  Vaginalspülung.  (Nekrose  der  Schleim¬ 
haut  von  Scheide  und  Portio  uteri.  Schleimhautblutung  in  Magen  und 
Darm.) 

17.  39  jähr.  Frau.  Typische  tuberkulöse  Polypose  bet  ulzeröser 
Dickdarmtuberkulose. 

18.  Syphilitische  Rektumstriktur. 

Herr  H.  Braun:  Serumtherapie  der  Dysenterie. 

Der  Vortragende  berichtet  über  die  Erfolge  der  Serumbehand¬ 
lung  der  Dysenterie  an  Hand  der  in  der  Literatur  niedergelegten  Er¬ 
fahrungen,  nachdem  er  zuvor  die  theoretischen  Grundlagen  der 
Serumtherapie  auseinandergesetzt  hat. 

Diskussion:  Herr  Günzburg  hat  Fälle  mit  Y-Agglutination 
jetzt  hier  gesehen  und  möchte  zur  Prüfung  darauf  auffordern. 

Herr  Quincke  bestätigt,  dass  auch  in  seinem  Lazarett  Fälle 
in  dieser  Richtung  geprüft  werden. 

Schlusswort:  Herr  Quincke. 


Aerztlicher  Verein  in  Hamburg. 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzung  vom  1.  Dezember  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Brauer 

Herr  Krüger  zeigt  aus  dem  Material  des  Barmbecker  Kranken¬ 
hauses  eine  grosse  Zahl  von  Kieferschüssen,  bei  denen  die  Korrektur 
der  Zahnstellung,  die  Adaption  der  Bruchenden,  der  Ersatz  der 
Knochen  durch  zahnärztliche  moderne  Technik:  schiefe  Ebene,  Gleit¬ 
schiene,  Immeüiatprothesen,  Zelluloidprothesen,  Drahtverbände  u.  a. 
in  ausgezeichneter  Weise  gelungen  ist. 

Herr  H  a  e  n  i  s  c  h  demonstriert  am  Röntgenbilde  eines  zer¬ 
splitterten  Unterschenkels  ein  englisches  Geschoss,  das  ausge¬ 
sprochene  Dumdumwirkung  haben  musste,  weil  es  durch  seine 
Konstruktion  eine  explosive  Wirkung  hat.  Das  verbogene  Geschoss 
steckt  im  Fuss.  (Erscheint  in  dieser  Wschr.) 

Herren  Stargardt,  Ringel,  Albers-Schönberg  de¬ 
monstrieren  zu  derselben  Frage  Röntgenbilder  und  die  Originalge¬ 
schosse  (durchsägt),  die  vorne  einen  Aluminium-,  hinten  einen  Blei¬ 
kern  zeigen.  Aus  ballistischen  Gründen  ist  die  zertrümmernde  Wir¬ 
kung  vorhanden,  ohne  dass  an  dem  Geschosse,  noch  etwas  abge¬ 
brochen  werden  muss,  weil  der  Bleikern  im  Moment  des  Aufschlagens 
den  Aluminiumkern  überholt.  Ueberall  da,  wo  unsere  Truppen  den 
Engländern  gegenüberstehen,  häuft  sich  die  Zahl  der  schweren 
Schussverletzungen. 

Herr  Nonne:  Schussverletzungen  des  Zerebrum. 

a)  Streifschuss  in  der  Mitte  des  Schädels:  Doppelseitige  sym¬ 
metrische  zerebrale  Lähmung  der  Beuger  am  Oberschenkel  und  der 
Strecker  am  Unterschenkel.  Trepanation:  beiderseits  liegen  auf  der 
Dura  3 — 4  Knochensplitter,  nach  deren  Entfernung  die  Lähmung  lang¬ 
sam  zurückgeht. 

b)  Schläfenschuss  in  den  hinteren  Teil  der  rechten  Zentral¬ 
windung.  Zerebrallähmung  von  oben  bis  unten  durchgehend,  Sensi¬ 
bilitätsstörung  für  alle  Qualitäten.  Annahme  eines  diffusen,  resorbier¬ 
fähigen  Blutergusses  und  deshalb  konservatives  Abwarten.  Rück¬ 
gang  aller  Symptome. 

c)  Schussverletzung  des  Parietallappens.  Isolierte  Lähmung  der 
Fingerextensoren.  Astereognosie  und  Reflexerhöhung  der  Sehnen 
und  Periostreflexe  der  oberen  Extremitäten. 


d)  Funktionelle  Lähmungen  als  Folge  körperlicher  und  seelischer 
Ueberanstrengungen.  Kontrakturlähmung  der  rechten  oberen  Ex¬ 
tremitäten.  Suggestivbehandlung  von  Erfolg. 

e)  Hysterischer  Mutismus  bei  einem  jungen  Offizier  als  Folge 
der  grossen  Ueberanstrengungen,  Strapazen  und  Schlafmangel. 

Auffallend  ist  die  Zunahme  von  Beobachtungen  von  Fällen  typi¬ 
scher  C  h  a  r  c  o  t  scher  grosser  Hysterie.  Interessant  ist,  wie  gut 
sich  schwere  Neurastheniker  (Zwangsvorstellungen,  Platzfurcht  usw.), 
Tabiker,  selbst  Paralytiker  in  der  Remission  im  Felde  befinden, 
Strapazen  aushalten  und  selbst  dekoriert  werden. 

Diskussion  über  Tetanus:  Herr  Deneke  bespricht  die 
B  a  c  c  e  1 1  i  sehe  Karbolbehandlung,  die  in  Deutschland  deshalb  nicht 
die  günstigen  Resultate  ergeben  hat,  weil  die  verwendeten  Dosen 
nicht  gross  genug  waren.  Man  soll  von  einer  2  proz.  Lösung  mehr¬ 
fach  4 — 5  ccm  injizieren,  also  mit  0,4  reiner  Karbolsäure  beginnen 
und  bis  1  g  pro  die  steigen.  Kasuistik  von  3  Fällen. 

Herr  Fahr  stellt  den  Tierversuch  weit  vor  den  morphologi¬ 
schen  oder  kulturellen  Nachweis  der  Tetanusbazillen  aus  der  Wunde. 

Herr  Zeisler  bespricht:  1.  Das  Missverhältnis  der  Infektions¬ 
möglichkeit  zum  Vorkommen  der  Erkrankung.  2.  Den  Wirkungs¬ 
bereich  des  Antitoxins.  3.  Die  Unzweckmässigkeit  der  Amputation 
in  der  Therapie. 

Herr  Fraenkel:  Die  Beurteilung  der  Heilerfolge  beim  Tetanus 
ist  noch  schwieriger  als  bei  der  Diphtherie.  ■  Vortr.  bespricht  in 
kritischer  Weise  7  zur  Obduktion  gekommene  Fälle.  Nur  ein  ein¬ 
ziger  bot  einen  rein  negativen  Obduktionsbefund,  inkl.  Untersuchung 
des  Blutes.  Bei  den  übrigen  fanden  sich  folgende  Komplikationen, 
die  an  sich  schon  als  Todesursache  hätten  in  Frage  kommen  können. 
Fall  1:  Blutungen  im  Gehirn.  2.  Luische  Herzmuskelveränderungen. 
3.  Wirbelschuss  kompliziert  mit  Lungenschuss  und  grossem  Pleura¬ 
hämatom.  4.  Pneumonien  in  den  Unterlappen.  5.  Mischinfektion  mit 
Bac.  emphysematosus.  5.  Mischinfektion  mit  Streptokokken  und 
anaeroben  Bakterien. 

Der  morphologische  Nachweis  der  Tetanusbazillen  in  der  Wunde 
ist  sehr  schwer,  der  kulturelle  langdauernd.  Wenn  daher  der  Ruin- 
pe  Ische  Vorschlag  praktische  Erfolge  ergibt,  ist  er  ganz  besonders 
zu  begriissen,  weil  dann  die  sicher  nur  prophylaktisch  wirkende 
Antitoxintherapie  vor  Ausbruch  der  Krämpfe  eingeleitet  werden  kann. 

Herr  Brauer:  Die  Verteilung  des  Serums  war  am  Beginn 
dieses  Krieges  unzweckmässig;  jetzt  ist  durchaus  genügend  Serum 
vorhanden  und  vom  Sanitätsamt  jederzeit  zu  beziehen.  Es  ist  so 
viel  vorhanden,  dass  möglichst  alle  Verwundeten  Schutzdosen  ver¬ 
abfolgt  bekommen  können. 

Herr  Alsberg  hat  3  Fälle  mit  Salvarsan  wie  Rothfuchs 
behandelt,  kann  aber  nicht  die  guten  Resultate  von  R.  bestätigen. 
Alle  3  Fälle  kamen  zum  Tode.  —  Die  intralumbale  Anwendung  ist 
deshalb  wohl  auch  nicht  ganz  gleichgültig,  weil  es  sich  um  eine 
gleichzeitige  Injektion  von  einer  Vs  proz.  Karbolsäurelösung  handelt. 
A.  sah  ebenso  wie  Hochhaus  meningitische  Reizungen. 

Herr  Rumpel  hat  seine  Versuche,  Wundmaterial  auf  Mäuse 
zu  verimpfen,  fortgesetzt:  20  neue  Fälle.  Die  Mäuse  erkrankten 
nicht,  trotzdem  kam  aber  ein  Tetanusfall  vor.  Von  3  in  den  letzten 
2  Wochen  beobachteten  Fällen  bekam  der  erste  sofort  grosse  Anti¬ 
toxindosen,  starb  am  9.  Tage  an  Sepsis,  der  zweite  starb  im  ersten 
Krampfanfall  (Schwere  der  Infektion),  der  dritte  lebt  am  29.  Tage, 
scheint  Bazillenträger  zu  sein.  Ob  der  Vorschlag,  jeden  Frischver¬ 
letzten  schutzzuimpfen,  durchführbar  ist,  ist  zu  bezweifeln. 

Herr  Kafka:  Schädliche  Folgen  der  endolumbalen  Behandlung 
sind  nicht  bekannt.  Vor  der  Behandlung  war  der  Liquorbefund  völlig 
normal,  nach  der  Injektion  fanden  sich  aber  schwere  pathologische 
Veränderungen. 

Herr  Jacobsthal:  Das  Versagen  des  Tierversuches  in  ein¬ 
zelnen  Fällen  ist  auf  das  Ueberwuchern  der  anaeroben  Mischinfektions¬ 
bakterien  zu  beziehen.  Der  Tierversuch  ist  aber  trotzdem  das  Ver¬ 
fahren  der  Wahl.  Werner. 


Medizinische  Gesellschaft  zu  Kiel. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  9.  Juli  1914. 

Herr  zur  Verth  macht  Mitteilung  über  die  kriegschirurgische 
Sammlung  im  Marinelazarett  Wik. 

Herr  Oloff:  a)  Ein  sehr  seltener  Fall  von  Tumor  des  Seh- 
nervenkopfes. 

20  jähr.  Matrose  vom  Linienschiff  „Posen“,  der  seit  einigen 
Jahren  eine  zunehmende  Herabsetzung  des  linkseitigen  Sehvermögens 
verspürt.  Er  vermag  jetzt  nur  noch  die  oberste  grösste  Buchstaben¬ 
reihe  der  Sn  eilen  sehen  Tafeln  und  zwar  nur  noch  exzentrisch  in 
Vs  m  Entfernung  zu  erkennen  (S  —  0,5/30),  während  eine  vor  einem 
Jahre  vorgenommene  Untersuchung  noch  V20  S  ergeben  hatte.  Auge 
äusserlich  vollkommen  reizlos  und  frei  von  Entzündung. 

Bei  der  Augenspiegeluntcrsuchung  findet  sich  ein  fester,  konsi¬ 
stenter  Tumor,  der  vom  Sehnervenkopf  ausgeht,  keulenförmig  bis 
etwa  in  die  Mitte  des  Glaskörpers  hineinragt  und  eine  ziemlich 
glatte,  grauweisse,  von  Netzhautgefässen  durchzogene,  ca.  P/2  Pa¬ 
pillendurchmesser  grosse  Oberfläche  zeigt.  Umgebende  Netzhaut 
vollkommen  frei.  Gegen  parasitären  Charakter  (Echinokokkus,  Zysti- 
zerkus)  sprachen  die  feste  Konsistenz  und  der  Mangel  an  Bewegungs¬ 
erscheinungen  —  Syphilis  und  Tuberkulose,  wie  sie  in  seltenen  Fällen 


15.  Dezember  1914. 


in  Form  von  Gummen  bzw.  konglobierten  Tuberkeln  an  der  Papille 
beobachtet  worden  sind,  Hessen  sich  auf  Grund  der  spezifischen 
Diagnosen  (Blutuntersuchung  nach  Wassermann,  probatorischc 
Tuberkulineinspritzung  unter  die  Haut)  ausschliessen.  Trotz  senr 
energischer  antiluetischer  Behandlung  und  einer  monatelang  durch¬ 
geführten  Tuberkulinbehandlung  nahm  der  Tumor  unter  weiterer 
Verschlechterung  des  Sehvermögens  an  Grösse  zu.  ohne  dass  sich 
bisher  begleitende  entzündliche  Erscheinungen  des  übrigen  Auges 
bemerkbar  gemacht  haben. 

Aus  diesem  Grunde  und  da  die  wenigen  sonst  bisher  beob¬ 
achteten  präpapillaren  1  urnorcn  sich  durchweg  als  Sarkome  heraus¬ 
gestellt  haben,  wird  auch  hier  die  Wahrscheinlichkeitsdiagnose  auf 
Sarkom  gestellt  und  Enukleation  des  Augapfels  vorgeschlagen. 

(Ausführliche  Publikation,  insbesondere  auch  des  Ergebnisses 
der  pathologisch-anatomischen  Untersuchung  in  den  „Klinischen  Mo¬ 
natsblättern  für  Augenheilkunde“  in  Aussicht  genommen.) 

b)  Ueber  Suizidialverletzungen  des  Auges. 

An  der  Hand  eines  z.  Z.  auf  der  Augenabteilung  des  Marine¬ 
lazaretts  Kiel  befindlichen  Falles  von  Selbstmordversuch  (Revolver¬ 
schuss  in  die  rechte  Schläfe)  bespricht  Vortragender  kurz  das  Zu¬ 
standekommen  derartiger  Augenverletzungen.  Nähere  Erläuterung 
der  Flugbahn  des  Geschosses  und  der  Lage  der  Projektilstücke  an 
den  bei  dieser  Gelegenheit  aufgenommenen  Röntgenphotographien, 
die  sehr  gut  erkennen  lassen,  dass  es  sich  im  vorliegenden  Falle 
um  eine  sog.  indirekte  Kontusion  infolge  der  Sprengwirkung  handelt, 
ohne  dass  die  Projektilstücke  in  die  Orbita  hineingedrungen  sind  und 
ohne  dass  sie  den  Orbitalinhalt  getroffen  haben. 

Zum  Schluss  Demonstration  einschlägiger  Bilder  von  intra¬ 
okularen  Tumoren  und  Selbstmordverletzung  der  Augen  am  Epi¬ 
diaskop  und  Besichtigung  der  beiden  Fälle  im  Augenspiegelzimmer 
mit  dem  elektrischen  Augenspiegel  von  W  o  1  f  f. 

Diskussion:  Herren  zur  Verth,  Oloff. 

Herr  Auer:  Zwei  Fälle  von  Atrophie  und  Lähmung  im  Bereich 
der  Schuitermuskulatur. 

Demonstration  von  2  Matrosen.  Die  degenerative  Lähmung  er¬ 
streckte  sich  bei  dem  einen  auf  den  M.  cucullaris.  serratus  anticus, 
supra-  und  infraspinatus  der  rechten  Seite  und  war  die  Folge  einer 
postinfektiösen  Polyneuritis  (Erysipel). 

Der  andere  Matrose  war  vor  Auftreten  seiner  Muskelatrophie 
im  linken  Deltoides  und  Serratus  anticus  nicht  in  ärztlicher  Behand¬ 
lung.  Er  befand  sich  angeblich  einige  Tage  nicht  recht  wohl  und 
hatte  rheumatische  Schmerzen  in  allen  Gliedern,  versah  aber  seinen 
Dienst  weiter.  Neuritische  Erscheinungen  fehlten  vollkommen,  so 
dass  die  Annahme  berechtigt  erscheint,  dass  es  sich  um  die  im  ganzen 
seltene  subakute  Form  der  atrophischen  Spinallähmung  handelte. 

Diskussion:  Herren  Lubarsch,  Auer,  Kaerger, 

(Schluss  folgt.) 


Medizinische  Gesellschaft  zu  Magdeburg. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  22.  Oktober  1914. 

Vorsiteznder:  Herr  Kluge. 

Herr  Kluge:  Nachruf  auf  die  verstorbenen  Mitglieder. 

Herr  W  e  n  d  e  1  eröffnet  die  wissenschaftlichen  Sitzungen  mit 
einem  Hinweis  auf  die  kriegschirurgischen  Vorträge,  welche  er  im 
August  d.  J.  als  Vorbereitung  für  die  Arbeit  an  Verwundeten  ge¬ 
halten  hatte.  Er  gibt  einen  Ueberblick  über  die  Erfahrungen,  welche 
er  als  beratender  Chirurg  der  Reservelazarette  in  Magdeburg  und 
Umgebung  hat  sammeln  können.  Er  bespricht  ausführlicher: 

1.  Infizierte  Verletzungen  der  Knochen  und  Ge¬ 
lenke,  bei  denen  sich  eine  weitgehende  erhaltende  Behandlung 
ausserordentlich  bewährt  hat.  Gute  fixierende  Verbände,  Spaltung 
der  Eiterherde.  Ausräumung  von  Knochentrümmern  machen  verstüm¬ 
melnde  Operationen  meist  überflüssig. 

2.  Verletzungen  nervöser  Organe  sind  sehr  häufig, 
besonders  der  peripherischen  Nerven. 

Hier  sind  alle  möglichen  Befunde  zur  Beobachtung  gekommen: 
Strangulation  des  Nerven  durch  Narbengewebe  um  den  Nerven,  Blu¬ 
tungen  und  Schwielenbildung  im  Nerven,  Fremdkörper  in  oder  un¬ 
mittelbar  neben  dem  Nerven,  Druck  durch  Kallus  oder  Knochen¬ 
splitter,  endlich  Durchschiessungen  und  Abschiessungen  mit  bis¬ 
weilen  grossen  Defekten  und  Verlagerungen  der  Nervenstümpfe  in 
der  Richtung  des  Schusskanales.  Kurze  Besprechung  von  Hirn-  und 
Rückenmarksverletzungen. 

3.  Aneurysmen.  Der  Vortragende  hat  bisher  16  Fälle  ope¬ 
riert,  meist  die  Unterbindung  im  Sacke  ausgeführt,  einmal  eine  Ge- 
fässnaht  machen  müssen.  In  14  Fällen  trat  ganz  glatte  Heilung  mit 
voller  Funktion  ein,  zwei  sind  noch  zu  frisch,  lassen  aber  eine  be¬ 
schränkte  Gangrän  vielleicht  befürchten.  Da  häufig  grosse  infizierte 
Wunden  vorhanden  waren  und  das  entzündliche  Ocdem  und  grosse 
Weichteilsdefekte  dem  Kollateralkreislauf  wenig  günstig  waren,  so  ist 
das  Resultat  als  gut  zu  bezeichnen. 

Nachtrag.  Die  Zahl  der  operierten  Aneurysmen  ist  bisher  auf 
etwa  2  Dutzend  gestiegen.  Kein  Todesfall.  Einmal  Zehengangrän 
mit  Lisfranc,  einmal  bei  schwerer  Infektion  mit  Temperatursteige¬ 
rungen  bis  40"  wurde  der  Fuss  bei  Unterbindung  der  Poplitea  gan¬ 


2383 


gränös,  aber  der  Unterschenkel  für  einen  brauchbaren  Stumpf  mit 
gut  beweglichem  Kniegelenk  gerettet.  Alle  übrigen  völlig  geheilt. 

Herr  Hilger  bespricht  die  Bedeutung,  die  namentlich  im  Winter 
ein  schnelles  Auffinden  derVerwundeten  im  Fel  de  hat.  Durch 
den  frühen  Eintritt  der  Dunkelheit  wird  das  Erblicken  der  Ver¬ 
wundeten,  namentlich  auch  bei  der  feldgrauen  Uniformierung  der¬ 
selben,  erschwert,  während  andererseits  die  Gefahr  des  Erfrierens 
eine  grosse  ist.  H.  regt  an,  den  Soldaten,  als  Teil  ihrer  Ausrüstung, 
eine  kleine  Knochenpfeife  mitzugeben.  Der  Ton  einer  solchen,  ja 
leicht  zu  beschaffenden  und  billigen  Pfeife  ist  sicherlich  viel  weiter 
reichend,  wie  der  einfache  Hilferuf  des  Verwundeten.  H.  hat  diesen 
Vorschlag  mit  einem  auf  diesem  Spezialgebiete  des  Sanitätsdienstes 
tätigen  Offizier  durchgesprochen  und  erfahren,  dass  die  Sanitäts¬ 
spürhunde,  abgesehen  davon,  dass  diese  ja  auch  nicht  überall  zur 
Stelle  sein  werden,  gerade  bei  Durchfeuchtung  des  Bodens,  wie 
sie  im  Winter  häufiger  sein  wird,  sehr  leicht  versagen  können,  da 
die  Riechstoffe  unter  diesen  ungünstigen  Verhältnissen  nur  schwach 
oder  gar  nicht  wirken  können.  Da  kann  dann  die  Benutzung  einer 
Pfeife  oft  lebensrettend  wirken.  H.  erfuhr  von  demselben  Offizier, 
dass  militärische  Bedenken  der  Benutzung  einer  solchen  Pfeile  durch¬ 
aus  nicht  im  Wege  stehen. 


Aerztlicher  Kreisverein  Mainz. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  6.  November  1914. 

Herr  H.  Curschmann  demonstriert:  1.  17  jähr.  Mädchen  mit 
zahlreichen  hysterischen  Selbstbeschädigungen,  Verätzungen.  Es 
gelang,  suggestiv  die  Lokalisierung  der  Aetzwunden  zu  bestimmen 
und  die  Kranke  zu  heilen.  Differentialdiagnose  gegenüber  der  „idio¬ 
pathischen  Hautgangrän". 

2.  Chronische  Chloroformsucht.  52  jähr.  Fräulein,  das  seit  über 
19  Jahren,  zeitweise  tägliche,  Selbstnarkosen  mit  Spirit,  chloro- 
formii  ausübt  (vergl.  Storath:  D.m.W.  1910  Nr.  29).  Entziehung  stets 
ohne  jede  Abstinenzerscheinung.  In  den  letzten  3  Jahren  Ausbildung 
einer  ziemlich  leichten  toxischen  Neuritis  an  den  Beinen,  die  auf 
Entziehung  des  Chloroform  auffallend  rasch  heilt  unter  Wiederkehr 
der  Reflexe. 

3.  Multiple  Sklerose  des  vorwiegend  sakralen  Typus 
bei  18 jähr.  Mann.  Spastische  Paraplegie  rasch  heilend,  Testie¬ 
rende  typische  und  schwere  Herderscheinungen  des  Conus  terminalis 
(Publikation  andernorts). 

4.  Bespricht  C.  die  Prophylaxe  und  Therapie  des  Typhus  abdo¬ 
minalis,  besonders  im  Hinblick  auf  die  Kriegsseuchengefahr.  Dar¬ 
legung  der  Grundlagen  und  Methoden  der  Schutzimpfung  nach  K  o  1 1  e, 
Pfeifer,  Vincent  u.  a.,  der  bisher  ziemlich  negativen  Resultate 
der  Heilsera  (Chantemesse).  Besprechung  der  diätetischen  Be¬ 
handlung,  wobei  C.  die  Uebertreibungen  der  zu  reichlichen  und  kom¬ 
pakten  Ernährung  ablehnt.  Bezüglich  der  Hydrotherapie  empfiehlt  C. 
grosse  Mässigung,  er  badet  nur  Kinder  noch  regelmässig.  Die  medi¬ 
kamentöse  Therapie  des  Fiebers  ist  auf  der  Höhe  desselben  ohne 
Nutzen,  im  Stadium  der  steilen  Kurven  empfehlensw'ert  (Chinin  oft 
besser  als  Pyramidon). 


Nürnberger  medizinische  Gesellschaft  und  Poliklinik. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  25.  Juni  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Kraus. 

Schriftführer:  Herr  Wilhelm  V  o  i  t. 

Herr  Kirste:  Präparat  einer  Spontanruptur  des  Fundus  uteri 
im  V.  Monat  der  Gravidität. 

Herr  H  e  i  n  I  e  i  n:  legt  die  Gallenblase  eines  39  jährigen  Fräuleins 
vor,  welche  wegen  akuten  septischen  Empyems  entfernt  worden  war, 
sich  durch  beträchtliche  Grösse  und  mächtige  Wandverdickung  aus¬ 
zeichnete  und  in  reichlichem  Eiter  4  walnussgrosse  Steine  mit  ebenso 
grossem  Zystikusschlussstein  enthielt.  Wundverlauf  glatt,  Heilung. 
Die  Diagnose  war  wegen  der  hochgradigen,  hauptsächlich  in  der  Lum¬ 
balgegend  auffälligen  Druckschmerzhaftigkeit  auf  Epityphlitis  gestellt 
worden.  Die  Beobachtung  illustriert  die  für  gewisse  Fälle  bestehende 
Unmöglichkeit  differentialdiagnostischer  Scheidung  von  Epityphlitis 
und  Cholezystitis. 

Weiter  teilt  Heinlein  die  Krankheitsgeschichte  eines  54 jähri¬ 
gen  Schreiners  mit,  bei  welchem  im  Jahre  1911  eine  tuberkulöse 
rechtsseitige  Koxitis  zur  Entwicklung  gekommen  war.  Unter  metho¬ 
discher  Behandlung  mit  Gehgipsverbänden  Wiederherstellung  der 
Gehfunktion  mit  völliger  Hiiftsteifigkeit.  Im  Sommer  1913  Senkungs- 
abzess  am  linken  Oberschenkel;  Punktion,  Borspülung,  Formalin- 
glyzerininjektion,  glatte  Heilung.  Nach  einigen  Wochen  Abszess  in 
der  rechten  Fossa  iliaca;  gleiches  Verfahren  wie  links  erfolglos; 
wegen  jauchiger  Eiterverhaltung  breite  Eröffnung  des  Psoasabszesses. 
In  der  Folge  Aufflackern  der  koxitischen  Erscheinungen  im  heurigen 
Frühjahr,  Abszessbildung  am  Aussenrand  des  Sartorius,  weiterhin 
Auftreten  heftiger  Schmerzen,  hohen  Fiebers,  Kräfteverfall.  Re¬ 
sektion  der  Hüfte  mit  Sprengel  schem  Schnitt;  jetzt  gutes  Befinden. 

H.  betont  die  Seltenheit  einer  Wirbeltuberkulose  bei  einem 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2384 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  50. 


54jährigen  und  der  Kombination  einer  Wirbel  mit  einer  Hüftgelenk¬ 
tuberkulose;  ferner  die  bei  fehlender  Psoaskontraktur  und  Buckelbil¬ 
dung  vorhandene  Schwierigkeit  der  Diagnose  des  Wirbelleidens.  Ob 
das  Wiederaufflackern  der  Koxitis  durch  Einbruch  des  Psoasabszesses 
in  die  mit  dem  Hüftgelenk  kommunizierende  Bursa  iliaca  bedingt 
war,  konnte  bei  der  Resektion  in  Anbetracht  der  weitvorgeschrittenen 
eitrigen  Einschmelzung  nicht  mit  Sicherheit  festgestellt  werden. 
Das  Resektionspräparat  wird  vorgelegt. 

Herr  Fürnrohr:  Ueber  Myotonia  congenita.  (Mit  Demon¬ 
stration.) 

Zu  kurzem  Referat  nicht  geeignet. 

Sitzung  vom  9.  Juli  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Kraus. 

Schriftführer:  Herr  Wilhelm  V  o  i  t. 

Herr  Frankenau  demonstriert  einen  Knaben  mit  ausgedehn¬ 
ter,  über  alle  Körperregionen  sich  erstreckender  Sklerodermie. 

Herr  Weigel  demonstriert  einen  Patienten  mit  ausgedehnter 

Deformität  des  Radius  und  der  Ulna  unterhalb  des  Ellenbogen¬ 
gelenkes.  Demonstration  der  Röntgenbilder. 

Herr  Grünbaum:  Demonstrationen. 

a)  Ei  mit  nur  teilweise  zu  Blasenmole  entarteter  Plazenta  und 
erhaltenem  Embryo. 

b)  Papilläres  Zystadenom,  das  den  ganzen  Uterus  um¬ 
wuchert  hat. 

c)  Resezierte  vordere  Muttermundslippe,  die  als  grosser  Tumor 
zur  Vagina  heraushing,  kurz  vor  der  Entbindung  und  ein  Hindernis 
für  die  Entbindung  abgab. 

d)  Tuberkulöser  Tumor,  der  sowohl  mit  Ovarium  als  auch  mit 
Flex.  sigmoidea  und  Netz  fest  verwachsen  war.  Ausführlicher  Be¬ 
richt  der  Operationsgeschichte. 


Aus  den  Wiener  medizinischen  Gesellschaften. 

(Eigener  Bericht.) 

K.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte. 

Sitzung  vom  13.  November  1914. 

Prof.  v.  Eiseisberg  stellt  einen  Fall  von  Steckschuss  des 
Vorderarmes  vor,  der  das  Merkwürdige  zeigte,  dass  man  beim 
Schütteln  des  Vorderarmes  ein  deutliches  An¬ 
schlägen  eines  Fremdkörpers  fühlte.  Das  deformierte  Ge¬ 
schoss  befand  sich  lose  in  einem  mit  Flüssigkeit  (Hämatom)  gefüllten 
Hohlraurn  und  davon  rührte  das  besagte  Phänomen  her.  Seit  2  Tagen 
ist  die  Erscheinung  weniger  gut  fühlbar,  offenbar  ist  das  Blut  in  dem 
das  Geschoss  umhüllenden  Sacke  schon  geronnen. 

Prof.  Dr.  M.  Sternberg  und  Dr.  Viktor  Albert  zeigen 
mehrere  Fälle  von  Schussverletzungen,  bei  welchen  es  sich  wahr¬ 
scheinlich  um  funktionelle  Lähmungen  handelte,  da  die 
eingeleitete  Mechanotherapie  sehr  rasch  bei  dem  betroffenen  Gliede 
die  Funktion  wesentlich  besserte  resp,  herstellte.  Zweimal  handelte 
es  sich  um  lschiadikusschüsse  mit  intensiver  Lähmung  des  Peroneus 
und  geringerer  des  N  tibialis,  einmal  um  einen  Schuss  zwischen 
Patella  und  Femurkondylen  mit  Homarthros,  starker  Atrophie  des 
Quadrizcps  und  Unfähigkeit,  das  Bein  aktiv  zu  strecken  resp.  zu 
gehen,  endlich  einmal  um  einen  Schuss  durch  die  rechte  Hand  mit 
Atrophie  der  Armmuskulatur  und  schlaffem  Herabhängen  der  Hand. 
Der  Vortr.  glaubt  nicht  an  die  Existenz  der  sog.  „aszendierenden 
Neuritis "  und  hält  dafür,  dass  die  rasche  Besserung  der  Fälle  nach 
gymnastischer  Behandlung  trotz  noch  bestehender  Muskelatrophie  für 
die  Annahme  einer  funktionellen  Lähmung  spreche.  Die  Atrophie  sei 
eine  einfache  Inaktivitätsatrophie. 

In  der  Diskussion,  an  welcher  die  Professoren  Redlich, 
v.  Wagner,  S  p  i  t  z  y,  Benedikt,  Priv.-Dozent  Dr.  Bum  und 
der  Vortr.  selbst  teilnahmen,  wurde  erörtert,  dass  es  —  wenn  auch 
selten  — eine  Neuritis  ascendens  gebe,  dass  ferner  die  Fälle  Stern- 
b  e  r  g  s  wohl  Ausnahmen  bilden,  da  bei  penetrierenden  Nerven¬ 
verletzungen.  speziell  des  N.  ischiadicus,  auch  heftige,  schwer  zu  be¬ 
handelnde  Beschwerden  restieren  können. 

Primararzt  Dr.  Kren  stellt  einen  durch  das  kontinuierliche 
Wasserbett  wesentlich  gebesserten  Fall  von  Erythrodermia  generali¬ 
sata  idiopathica  vor  und  bespricht  die  gute  Wirkung  des  warmen 
kontinuierlichen  Bades. 

Dr.  Julius  Hass  hält  einen  Vortrag:  Ueber  die  Behandlung  der 
Schussfrakturen  des  Oberschenkels,  wie  sie  an  der  chirurgischen  Ab¬ 
teilung  des  Primararztes  Dr.  Hans  Lorenz  derzeit  geübt  wird.  Er 
demonstriert  eine  Lagerungsschiene,  ein  Drahtgestell  zur 
gleichzeitigen  Fixation  des  Beckens  und  Ober-  und  Unterschenkels, 
leicht  abbiegbar,  dennoch  fest,  gut  transportierbar.  Die  frakturierte 
Extremität  wird  durch  Schraubenzug  gut  extendiert,  die  Fragmente 
werden  adaptiert  und  dann  ein  Gipsverband  angelegt.  Man  geht 
dabei  so  vor,  dass  man  erst  den  Fuss  und  Unterschenkel  eingipst 
und  dann  erst  die  Extension,  Adaptierung  der  Bruchstücke  und  Ein¬ 
gipsung  des  Oberschenkels  vornimmt.  Gegenextension  durch  einen 
weichen  „Rcitgut“  zwischen  Skrotum  und  Schenkel.  Es  werden 
einige  Schussverletzte  und  deren  Röntgenbilder  gezeigt,  welche  be¬ 
weisen,  dass  die  Verletzten  in  dieser  Weise  mit  gutem  Resultate 
behandelt  wurden.  (Erscheint  an  anderer  Stelle  d.  Nr.) 


Assistent  Dr.  E.  Suchanek  bespricht  eingehend  die  Behand¬ 
lung  der  Frakturen  der  unteren  Extremität  und  zeigt  die  an  der  Klinik 

v.  Eiseisberg  für  solche  Fälle  angewandten  Extensions-  und 
einfachen  Suspensionsapparate. 

Diskussion:  v.  E  i  s  e  1  s  b  e  r  g  anerkennt  das  Bedürfnis  nach 
einer  leicht  transportierbaren  Lagerungsschiene  für  Oberschenkel¬ 
brüche  und  hat  selbst  eine  solche  Fixationsschiene  aus  einer  C  r  a  - 
m  e  r  sehen  Schiene  mit  zwei  Flügeln  konstruieren  lassen.  Dagegen 
spricht  er  sich  gegen  das  forcierte  Redressement  aus,  das  in  vielen 
Fällen  nicht  angezeigt  sein  werde. 

Prof.  Ewald,  Prof.  S  p  i  t  z  y  und  Dr.  Suchanek  erörtern 
die  Vorzüge  der  Extensionsbehandlung  mit  nachfolgendem  Gipsver- 
bandc. 

Primararzt  Dr.  O.  v.  Frisch  zeigt  zahlreiche  praktische  Rönt- 
genbilder  von  Kopfschüssen  und  führt  aus,  dass  der  Chirurg  im 
grossen  und  ganzen  und  in  der  Regel  mit  der  Photographie  in  zwei 
aufeinander  senkrecht  stehenden  Richtungen  auskomme,  um  an  der 
Hand  der  klinischen  Erscheinungen  die  Lokalisation  und  spatere  Ex¬ 
traktion  der  Projektile  machen  zu  können.  Dabei  billige  er  selbst¬ 
verständlich  alle  Bemühungen  nach  exakter  Lokalisation  von  Fremd¬ 
körpern  mittels  neuer  röntgenologischer  Methoden. 

Dr.  Erich  Stoerk  zeigt  vorerst  die  Photographie  eines  typi¬ 
schen  Falles  von  schwerer  Cholera  im  Stadium  algiduin  und  bespricht 
sodann  die  Behandlung  der  Cholera,  wie  sie  von  ihm  im  Infektions- 
spitale  in  Krems  in  zalilreichen  Fällen  mit  Erfolg  geübt  wurde.  Sie 
bestand  darin,  dass  man  bei  Cholera  gravis  sofort  eine  Adrenalin¬ 
injektion  (0,0005)  gab,  den  Kranken  heisse  Senfbäder  verabreichte, 
das  Erbrechen  mit  Atropin  (bis  zu  0,002)  bekämpfte,  dann  hyper¬ 
tonische  Kochsalzlösungen  nach  Gärtner  (2  proz.)  infundierte.  Im 
Bette  wurde  der  Kranke,  wenn  er  auf  diese  Therapie  reagierte,  mit 
heissen  Tüchern  und  Thermophoren  erwärmt.  Konnte  man  den  Pat. 
ernähren,  so  gab  man  ihm  anfangs  ^stündlich  einen  Esslöffel  schwar¬ 
zen  Kaffees  oder  Thees,  sodann  Tierkohle  in  Giesshübler  Wasser  und 
Bolus  alba  in  heissem  Thee.  In  leichteren  Fällen  (Cholerine,  Cholera¬ 
diarrhöe)  genügte  die  Verabfolgung  grösserer  Mengen  von  Tierkohle 
und  Bolus  (bis  zu  300  g  im  Tage).  Der  Vortr.  besprach  sodann  die 
oft  schwierige  Differentialdiagnose  zwischen  Cholera,  Dysenterie  und 
Typhus,  zumal  von  Choleratyphoid  gegen  Typhus  und  hob  hervor, 
dass  die  Fälle  in  Krems  zumeist  günstig  verliefen,  von  ca.  1 00 
Cholerakranken  verschieden  schwerer  Grade  starben  nur  2. 

Sitzung  vom  20.  November  1914. 

Dr.  S.  Gatscher  demonstriert  zwei  Verletzungen  des  linken 
Oberarmes,  eine  Schussverletzung  mit  Bildung  eines  Aneurysma  der 
Art.  brachialis  (mit  Parästhesien  im  Bereiche  des  Medianus,  Schmer¬ 
zen  bei  Streckbewegungen  etc.),  sodann  einen  Muskelbruch  am  Bizeps 
infolge  Hebens  einer  schweren  Last. 

cand  med.  Fritz  Hausmann  zeigt  einen  Mann,  der  nach  einem 
elektrischen  Unfälle  eine  teilweise  Depigmentation  der  Haare  auf- 
w'eist.  Er  geriet  in  den  Stromkreis  eines  Drehstromes  von  250  Volt 
und  wurde  erst  nach  8  Minuten  aus  demselben  befreit.  Nach  einer 
Bewusstlosigkeit,  die  mehrere  Tage  anhielt,  erholte  er  sich.  Nun 
fielen  an  der  linken  Kopfhälfte,  an  der  linken  Schnurrbarthälfte  die 
Haare  und  die  Zilien  des  linken  oberen  Augenlides  aus,  die  nach- 
wachsenden  Haare  waren  weis  s,  völlig  depigmentiert. 

Sodann  demonstriert  H.  einen  Mann,  der  vor  IV2  Jahren,  wohl 
im  Suizidversuche,  eine  Revolverkugel  gegen  seine  rechte  Schläfe 
absciioss.  Es  bestand  damals  linkseitige  Hemiparese,  die  zurückging, 
so  dass  der  Mann  im  August  I.  J.  als  Chauffeur  im  Felde  Dienst 
machte.  Ende  September  trat  abermals  eine  linkseitige  Hemiparese 
auf,  die  sich  im  Spitale  wieder  gebessert  hat.  Das  Projektil  sitzt, 
wie  die  Röntgenbilder  zeigen,  in  der  Hirnsubstanz,  ungefähr  in  der 
Gegend  des  Corpus  callosum.  Trotzdem  w-ar  der  Mann  so  lange 
ganz  aktionsfäliig. 

Dr.  Oskar  Kraus  demonstriert:  1.  Fingerverbände,  welche  über 
Anregung  des  Zahnarztes  Dr.  Trebitsch  mit  Hilfe  der  plastischen 
sog.  Stentmasse  hergestellt  wurden,  einem  in  heissem  Wasser 
sich  erweichenden,  sodann  plastischen,  knetbaren  Materiale,  das  aber 
wieder  rasch  erhärtet,  also  für  die  Fixation  frakturierter  Phalangen 
u.  dergl.  sich  sehr  gut  eignet.  Man  kann  daraus  auch  kleine  Schienen 
machen,  den  fixen  Verband  gut  fenstern,  durch  Drahteinlagen  ver¬ 
stärken  etc. 

2.  Eine  Schussverletzung  in  die  rechte  Schläfe  und  Sitz  des 
Projektils  an  der  linken  Halsseite,  unter  und  hinter  dem  Kiefer¬ 
winkel.  Es  wird  der  eigentümliche  Verlauf  dieses  Durchschusses, 
der  fast  folgenlos  verlief,  eingehend  erörtert.  Demonstration 
mehrerer  Röntgenbilder. 

Diskussion:  Prof.  Wunschheim  und  Dr.  Trebitsch. 

Es  folgt  eine  Diskussion  zum  Vortrage  des  Primararztes 
Dr.  v.  Frisch  „über  röntgenologische  Fremdkörperlokalisation,  an 
welcher  Dr.  H  a  u  d  e  k,  Prof.  Holzknecht  und  v.  Frisch  teil¬ 
nahmen 

Hierauf  hielt  Prof.  Dr.  Sigm.  E  x  11  e  r  einen  Vortrag  über  Julius 
Robert  v.  Mayer  aus  Anlass  der  hundertsten  Wiederkehr  seines 

Geburtstages  am  20.  November  1914. 


Schriftleitung:  Dr.  B.  Spatz, 
München,  Arnulfstrasse  26. 


MÜNCHENER 


Verlag  von  J.  F.  Lehmann, 
München,  Paul  Heyseslr.  26. 


Medizinische  Wochenschrift. 


Nr.  50.  15.  Dezember  1914. 


Feldärztliche  Beilage  Nr.  19. 


Ueber  die  subkutane  Katgut-Patellarnaht  im  Felde. 

Von  Prof.  Riedel  in  Jena. 

Im  Verlaufe  dieses  kfrieges  werden  Querbrüche  der  Knie¬ 
scheibe  durch  Muskelzug,  Sturz  aufs  Knie,  Stoss  gegen  die 
Patella  usw.  gelegentlich  Vorkommen.  Derartig  Verletzte 
wird  man  möglichst  bald  in  die  Heimat  transportieren;  es  fragt 
sich  nur,  in  welchem  Verbände  das  geschehen  soll.  Ein  ein¬ 
facher  Gips-  oder  Schienenverband  genügt  beim  Querbruchc 
mit  stärkerer  Dislokation  der  Fragmente  gewiss  nicht;  er 
kann  nur  angewendet  werden  beim  Zertrümmerungsbruche 
der  Kniescheibe  durch  Einwirkung  direkter  Gewalt,  wobei  die 
Retraktion  der  Quadrizepssehne  öfter  keine  erhebliche  ist. 

Klaffen  beim  Querbruche  die  Fragmente  weit  auseinander, 
so  ist  baldige  Vereinigung  derselben  dringend  nötig.  Im 
Felde  wird  kein  Arzt  bei  subkutanem  Bruche  ein  Kniegelenk 
breit  aufschneiden  und  in  offener  Wunde  die  Patellarnaht 
machen;  das  ist  auch  gar  nicht  nötig,  weil  wir  in  der  sub¬ 
kutanen  Katgutnaht  ein  vollständig  sicheres  und  rasch  aus¬ 
zuführendes  unblutiges  Verfahren  haben,  was  sich  in  längerer 
Friedenspraxis  durchaus  bewährt  hat. 

Der  gegen  dasselbe  gerichtete  Einwurf,  dass  es  die  Frag¬ 
mente  nicht  genügend  aneinander  fixiere,  die  Interposition  von 
abgerissenen  Weichteilen  vernachlässige  usw.,  ist  im  Hin¬ 
blicke  auf  die  erzielten  Resultate  ohne  praktische  Bedeutung. 
Wir  wissen  gar  nicht,  wie  sich  bei  intakten  Hautdecken  die 
Weichteilsfetzen  verhalten.  Schneidet  man  das  Gelenk  weit 
auf,  so  sieht  man  in  der  Tat  dieselben  eingestülpt  am  dor¬ 
salen  Rande  der  Bruchfläche  liegen;  bei  geschlossenem  Ge¬ 
lenke  werden  sie  wahrscheinlich  auf  dem  zwischen  den  Frag¬ 
menten  gelegenen  geronnenen  Blute  schwimmen,  beim  Zu¬ 
sammenziehen  derselben  vielleicht  nach  oben  ausweichen. 
Jedenfalls  spielen  sie  bei  der  subkutanen  Katgutnaht  gar  keine 
Rolle;  die  Naht,  richtig  angelegt,  sorgt  auch  dafür,  dass  die 
Bruchstücke  beson¬ 
ders  in  ihrem  dor¬ 
salen  Teile  richtig 
aneinander  liegen, 
und  das  ist  der 
springende  Punkt, 
weil  die  Heilung  des 
Patellarbruches  vom  Perioste  des  Dorsum  ausgeht,  was 
ich  Q  schon  vor  vielen  Jahren  nachgewiesen  habe  an  der 
Hand  von  Präparaten,  die  bei  Amput.  fern,  nach  Resectio 
genu  (V  o  1  k  m  a  n  n)  gewonnen  waren.  Ich  bin  aber  auch 
durch  unglückliche  Zufälle  in  den  Besitz  von  zwei  durch  sub¬ 
kutane  Katgutnaht  vereinigte  Patellae  gekommen;  sie  demon¬ 
strierten  vorzügliche  knöcherne  Heilungen  der  Frakturen  (s.  u. 
Nr.  11  und  17). 

Je  früher  man  operieren  kann,  desto  besser,  am  vorteil¬ 
haftesten  ist  die  Naht  unmittelbar  nach  der  Verletzung,  resp. 
1 — 2  Stunden  später.  Dann  besteht  noch  sehr  geringer  Blut¬ 
erguss.  Die  Blutung  kommt  aus  dem  verletzten  Knochen;  er 
blutet  langsam,  aber  konstant  weiter,  weil  die  im  Knochen  vor¬ 
handenen  Gefässe  sich  nur  mangelhaft  retrahieren  können. 
Diese  Blutung  aus  den  Bruchflächen  wird  am  besten  gestillt 
durch  feste  Vereinigung  derselben.  Unterbricht  man  die  Blu- 

')  Zbl.  f.  Chir.  1880  4. 


tung  nicht,  so  kommt  es  gelegentlich  zur  Perforation  des  oberen 
Rezessus,  was  ich  einmal  sicher  (durch  Obduktion)  gesehen  2), 
dreimal  wegen  der  gewaltigen  Schwellung  des  Oberschenkels 
für  wahrscheinlich  gehalten  habe.  Das  perforierte  Blut  gerät 
zwischen  die  Ursprungsstellen  der  Vasti  vom  Os  femoris,  läuft 
um  den  Knochen  herum  bis  zur  Linea  aspera  und  bildet  ge¬ 
ronnen  eine  derbe,  schwer  resorbierbare  Masse.  Entfernt  man 
am  6. — 8.  Tage  den  Verband  bei  einem  Kranken  mit  einer 
solchen  Perforation,  so  glaubt  man  eine  schwere  Phlegmone 
vor  sich  zu  haben;  das  Bein  sieht  dunkelblaurot  aus,  ist 
ödematös  bis  unten  hin;  mit  diesem  Befunde  kontrastiert  das 
gute  ungestörte  Allgemeinbefinden  des  Kranken,  wenn  der¬ 
selbe  auch  bis  38°  und  höher  fiebert;  es  handelt  sich  um  ein 
aseptisches  Resorptionsfieber. 

Ich  erwähne  diese  immerhin  seltenen  Perforationen,  weil 
sic  etwas  Beängstigendes  haben,  besonders  wenn  subkutane 
Katgutnaht  appliziert  ist;  man  denkt  an  Infektion  durch  un¬ 
genügend  präpariertes  Katgut,  während  re  vera  von  Infektion 
gar  keine  Rede  ist.  Das  Fieber  verschwindet  nach  einiger 
Zeit  von  selbst,  das  Bein  schwillt  ab,  doch  bleibt  der  Qua- 
dratus  femoris  sehr  lange  Zeit  funktionsunfähig,  so  dass  er 
kräftig  massiert  werden  muss. 

Für  gewöhnlich  perforiert  der  Bluterguss  den  oberen  Re¬ 
zessus  nicht,  wir  finden  das  Gelenk  nicht  leer  wie  bei  dem 
Durchbruche,  sondern  prall  gefüllt,  so  dass  es  punktiert  werden 
muss.  Im  Kriege  wird  selten  ein  Verletzter  sofort  nach  dem 
Unglücksfalle  einem  Lazarette  zugeführt  werden;  er  wird  erst 
nach  mehreren  Stunden  resp.  Tagen  kommen,  dann  hat  er 
meist  ein  prall  gefülltes  Gelenk,  das  sofort  '  in  Angriff  ge¬ 
nommen  werden  muss,  falls  man  das  nötige  Instrumentarium 
hat;  daran  wird  es  allerdings  wohl  fehlen,  weil  das  Verfahren 
trotz  aller  meiner  Bemühungen  nicht  populär  geworden  zu 
sein  scheint. 

Unbedingt  nötig  ist  die  derbe  gestielte  Nadel,  wie 


sie  beistehend  gezeichnet  ist  (Fig.  1);  alle  anderen  Nadeln 
genügen  nicht,  mögen  sie  auch  noch  so  gross  sein. 

Unbedingt  nötig  sind  Gummi-  und  übergezogene  leinene 
Handschuhe,  weil  man  die  Katgutfäden  oberhalb  der  Pa¬ 
tella  in  der  Tiefe  sehr  energisch  zusammenziehen  resp. 
knüpfen  muss;  operiert  man  ohne  Handschuhe,  so  besteht  die 
Gefahr,  dass  abgeriebene  Epithelien  von  den  Händen  mit  in 
die  Tiefe  geraten.  Sterilisierte  Militärhandschuhe  genügen 
auch. 

Nötig  ist  sodann  Narkose,  weil  sonst  der  Quadrizeps  viel¬ 
leicht  Widerstand  leistet;  in  Narkose  gibt  er  spielend  leicht 
nach;  ob  das  auch  bei  lokaler  Anästhesie,  die  sonst  wohl  aus¬ 
reichend  wäre,  der  Fall  ist,  darüber  habe  ich  keine  Erfahrung; 
bei  Rückenmarksanästhesie,  die  einmal  (Nr.  17)  angewandt 
wurde,  gab  der  Muskel  gleichfalls  gut  nach. 

Wer  nur  chemisch  präpariertes  Katgut  hat,  vermeide 

2)  Zbl.  f.  Chir.  1890  12. 


2386 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  50. 


dickes  Material,  weil  dasselbe  schwerlich  ganz  sicher  ist; 
selbst  nach  Eisberg  gekochtes  enthält  Mikrokokken,  wenn 
es  von  kranken  Tieren  stammt.  Am  sichersten  sind  immer 
dünne  Fäden;  ich  nehme  gewöhnlich  6  für  die  Nat. 

Die  Technik  der  Operation  ist  ausserordentlich  einfach: 
Nach  genauer  Reinigung  der  Kniegegend  und  Punktion  des  Ge¬ 
lenkes,  1  Yi  cm  oberhalb  der  Patella  kurzer  Längsschnitt  durch 
die  Haut.  Von  dort  wird  die  gestielte  Nadel  durch  die  Sehne 
des  Quadrizeps  durch  in  den  oberen  Rezessus  gestossen,  von 
dort  läuft  sie  hinter  den  Fragmenten,  also  auf  der  vorderen 
Femurfläche  weiter  und  durchbohrt  dicht  unterhalb  des  Apex 
patellae  das  Lig.  patellae  und  die  Haut;  letztere  wird  auf 
1  cm  Länge  gespalten.  Durch  das  jetzt  freiliegende  Oehr  der 
Nadel  werden  die  6  ca.  60  cm  langen  Katgutfäden  bis  zur 
Mitte  ihrer  Länge  durchgeführt;  sodann  zieht  man  die  mit  den 
Fäden  armierte  Nadel  zurück  und  zur  oberen  Wunde  heraus; 
•  ihr  folgt  etwas  mehr  als  die  eine  Hälfte  der  langen  Fäden, 
die  andere  Hälfte  derselben  oder  wenigstens  ein  Drittel  wird 
unten  festgehalten. 

Nun  folgt  der  zweite  Einstich  der  Nadel  von  oben;  sie 
gleitet  jetzt  vor  den  beiden  Fragmenten  vorbei,  also  event. 
durch  die  Bursa  praepatellaris  hindurch  zur  unteren  Stich- 
resp.  Schnittöffnung  heraus;  die  6  dort  hängenden  Fäden 
werden  durchs  Oehr  durchgeführt  und  folgen  jetzt  dem  Zuge 
der  Nadel  vor  den  Fragmenten  vorbei,  treten  dann  gleichfalls 
aus  der  oberen  Schnittwunde  aus.  Beide  Fragmente  sind  also 
jetzt  durch  zirkuläre,  in  der  Richtung  von  oben  nach  unten 
geführte  Fäden  umfasst;  letztere  verschwinden  beim  Anziehen 
in  der  unteren  Wunde,  in  der  oberen  werden  sie  gekreuzt, 
während  ein  Assistent  das  obere  Fragment  nach  abwärts 
drückt.  Dann  gilt  es  die  beiden  sechsfachen  Fäden  möglichst 
tief  in  der  oberen  Wunde  zu  knoten  und  zwar  unter  scharfem 
Anziehen  derselben;  es  empfiehlt  sich  chirurgischer  Knoten, 
auf  den  sodann  noch  einige  weitere  Knoten  aufgesetzt  werden. 
Sie  werden  versenkt,  nachdem  die  Fäden  kurz  abgeschnitten 
sind.  Die  beiden  kleinen  Längsschnitte  werden  durch  je  eine 
Katgutnaht  geschlossen. 

Es  folgt  Schienen-  resp.  Gipsverband  mit  Lagerung  in 
V  o  1  k  m  a  n  n  scher  Schiene.  Der  Verlauf  pflegt  völlig  un¬ 
gestört  zu  sein;  kein  Schmerz,  Temperatur  abends  in  den 
ersten  Tagen  37,5 — 38,0,  dann  kein  Fieber  mehr,  falls  der 
obere  Rezessus  nicht  ante  op.  perforiert  ist. 

Die  Operation  lässt  sich  schneller  machen  als  beschreiben. 
Da  ich  aber  schon  einmal  gründlich  (T  h  i  e  m)  missverstanden 
bin,  so  füge  ich  eine  Skizze  bei  zunächst  vom  ersten  Akte  der 
Operation  (Fig.  2),  dem  Durchstechen  der  grossen  Nadel 


(etwas  zu  stark  gekrümmt  gezeichnet,  weil  Patellafragmente 
nicht  genügend  nach  vorne  verschoben  sind)  hinter  den 
Fragmenten  durch.  Leicht  kann  man  sich  danach  den  zweiten 
Akt  vorstellen:  die  Nadel,  etwas  gedreht,  wird  oben  ein¬ 
gestochen,  läuft  vor  den  Fragmenten  vorbei  zur  unteren 
Wunde  heraus  (Fig.  2).  Die  vor  und  hinter  den  Fragmenten 
gelegenen  Fäden  sind  zur  oberen  Wunde  hinausgeführt  und 
werden  nun  oberhalb  der  Patella  in  der  Substanz  des  Rectus 


femoris  geknüpft;  sie  spalten  sicherlich  beim  festen  Anziehen 
unten  das  Lig.  pat.,  oben  die  Rektussehne,  so  dass  sie  dicht 
an  der  Patella  liegen  (Fig.  3),  oben,  unten  und  ringsum.  Man 
darf  die  Patellafragmente  post  op.  gar  nicht  mehr  gegen 
einander  verschieben  können. 

Bei  dem  gewöhnlich  ungestörten  Verlaufe  dürfte  nach 
5 — 6  Tagen  der  Transport  des  Verletzten  in  die  Heimat  mög¬ 
lich  sein. 

Ich  habe  den  ersten  Verband  durchweg  4  Wochen  liegen 
lassen,  dann  leichten  Gehverband  in  gestreckter  Stellung  ge¬ 
macht.  Es  ist  nicht  zu  verlangen,  dass  ein  Kniescheibenbruch 
rascher  heilt,  als  jeder  andere  Knochenbruch,  im  Gegenteile, 
er  wird  langsamer  heilen,  weil  von  der  hinteren,  mit  Knorpel 
überzogenen  Fläche  her  keine  Kallusbildung  erfolgt;  ich  rechne 
mit  5 — 6  Wochen  Heilungsdauer.  Vor  Ablauf  dieser  Zeit  sollte 
das  Bein  nicht  aus  der  gestreckten  Stellung  herauskommen, 
nur  seitlich  muss  die  Patella  beim  ersten  Verbandwechsel  ver¬ 
schoben  werden,  damit  sie  nicht  mit  dem  unterliegenden 
Femurknochen  verlötet.  Die  Versteifung  des  Gelenkes  fürchte 
ich  nicht;  sie  lässt  sich  später  durch  energische  Bewegungen 
recht  wohl  überwinden;  Hauptsache  ist  und  bleibt:  solide  Ver¬ 
einigung  des  Knochenbruches. 

Bis  jetzt  habe  ich  11  Verletzte  frühzeitig  operiert  und  zwar 
3  in  den  ersten  3,  5  nach  24  Stunden,  3  nach  2,  3  resp.  11  Tagen. 
9  von  diesen  Operierten  habe  ich  weiter  kontrolliert,  einzelne 
jahrelang,  Sie  sind  sämtlich  gut  resp.  sehr  gut  geheilt  bis 
auf  einen  Kranken,  der  sein  Knie  nur  bis  zum  R  beugen 
kann,  dabei  aber  voll  arbeitsfähig  ist.  Er  gehört  zu  dem  Tri¬ 
folium,  das  Perforation  des  oberen  Rezessus  hatte;  es  ist  denk¬ 
bar,  dass  der  Bluterguss  in  den  Quadratus  femoris  letzteren 
weniger  nachgiebig  gemacht  hat,  doch  verhinderten  vielleicht 
die  Aussicht  auf  dauernde  Rente,  desgleichen  die  Entwicklung 
schwerer  Varizen  energische  Uebungen  des  Gelenkes  (Nr.  12). 

Alle  waren  knöchern  geheilt;  Nr.  11,  3  Monate  post  op. 
wegen  gangränösen  Erysipels,  das  von  einem  Furunkel  in  der 
Glutäalgegend  ausgegangen  war,  im  Oberschenkel  amputiert, 
wies  gleichfalls  eine  knöchern  geheilte  Fraktur  auf;  eine 
Röntgenaufnahme  einige  Wochen  vor  der  Amputation  hatte 
noch  einen  hellen  Streifen  zwischen  den  Fragmenten  ergeben, 
wohl  nur  Folge  mangelhafter  Kalkablagerung  im  neugebildeten 
Knochen,  also  täuschender  Befund,  den  ich  noch  in  einem 
weiteren  Fall  erlebte. 

Zwei  neuerdings  untersuchte,  vor  7  resp.  5  Jahren  ope¬ 
rierte  Kranke  (Nr.  12  u.  16)  hatten  stark  vergrösserte  Patellae, 
besonders  das  untere  resp.  distale  Fragment  war  in  allen 
Richtungen  hypertrophiert.  Unwillkürlich  dachte  man  an  ver¬ 
mehrtes  Wachstum  auf  nervöser  Basis,  wie  es  bei  Ver¬ 


letzungen  von  Nerven,  Tabes,  Syringomyelie  usw.  vorkommt. 
Es  ist  auch  wohl  kaum  zu  bezweifeln,  dass  der  nervöse  Ap¬ 
parat,  desgleichen  die  Ernährung  des  distalen  Fragmentes 
durch  die  Fraktur  Aenderungen  erleidet,  die  in  Hypertrophie 
der  Knochen  zum  Ausdrucke  kommen. 

Diese  verbreiterten  Patellae  schleifen  aber  ganz  glatt,  der 
Knorpelüberzug  kann  also  nicht  geschädigt  sein,  so  dass  die 
Hypertrophie  nur  theoretisches  Interesse  hat.  Beifolgend  eine 
Photographie  von  Nr.  16  (Fig.  4). 


5.  Dezember  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


2387 


Das  Bein  ist  absolut  normal,  lässt  sich  aktiv  vollständig 
eugen  und  strecken,  ohne  irgendwelche  Geräusche  im  Ge- 
jnkc.  Beide  Beine  gleich  stark;  Narben  verschiebbar  mit  der 
laut,  minimal.  Der  Mann  arbeitet  schwer  in  einem  Möbe!- 
ansportgeschäfte,  kniet  ungestört  usw.  Das  Verfahren  ist 
Iso  geprüft  und  hat  sich  bewährt;  cs  wird  sich  auch  im 
riege  bei  richtiger  Ausführung  bewähren,  so  dass  die  Ver- 
■tzten  mit  tadelloser  Extremität  voll  leistungsfähig  werden. 

Wenn  nun  durch  irgendwelche  unglücklichen  Verhältnisse, 
iefangenschaft  etc.  die  Naht  im  Laufe  der  ersten  14  Tage 
icht  appliziert  werden  kann,  so  fragt  es  sich,  ob  sie  später 
och  möglich  ist. 

Ich  habe  2  Verletzte  3  Wochen  nach  dem  Unglücksfalle  operiert; 
eide  haben  verschiebbare  Fragmente  behalten.  Der  eine,  demens, 
5.  I.  01  operiert,  hatte  3  Jahre  später  eine  1  cm  breite,  meist 
nöcherne  Narbe  zwischen  beiden  Fragmenten;  sie  waren  noch  etwas 
erschiebbar  gegeneinander.  Knie  von  voller  Streckung  bis  zum  Win- 
el  von  45  0  beweglich,  also  fast  normal. 

Der  zweite  Verletzte  wurde  zu  einer  Zeit  aufgenommen  (31. 1.  08), 
ls  gerade  Bardenheuer  den  Extensionsverband  auch  für  Patel- 
irfrakturen  lebhaft  empfohlen  hatte.  Ich  versuchte  also  das  Ver- 
ihren  bei  diesem  Kranken,  gab  es  aber  nach  3  Wochen  wieder  auf, 
eil  ich  gar  keinen  Erfolg  sah.  Die  Patella  wurde  subkutan  genäht, 
atient  bereits  nach  4  Wochen  entlassen.  Er  lief  gleich  umher,  war 
Jeder  in  seinem  Geschäfte  tätig.  Dadurch  erklärt  es  sich 
ach  wohl  zum  Teil  dass  die  Fragmente  nur  bindegewebig,  aber 
:st  miteinander  verwachsen  sind.  Patient,  ein  herkulischer  Mann, 
ann  vielleicht  deshalb,  weil  sein  Streckapparat  durch  die  Diastase 
er  Fragmente  etwas  verlängert  ist,  sein  Kniegelenk  noch  mehr  beu- 
en  (vergl.  Fig.  5),  als  der  in  Fig.  4  wiedergegebene  Fall.  Streckung 
idellos,  beide  Beine  gleich  stark;  auch  hier  Hypertrophie  des  unteren 
ragmentes. 


Fig.  4.  Fig.  5. 


Der  Extensionsverband  kommt  während  des  Krieges 
berhaupt  nicht  in  Frage,  aber  auch  in  der  Friedenspraxis 
iirde  ich  mir  nie  wieder  die  Chancen  für  das  gute  Gelingen 
2r  subkutanen  Katgutnaht  durch  den  Extensionsverband  ver¬ 
erben.  Mangelhafte  Technik  war  schwerlich  Schuld  an 
leinem  Misserfolge;  es  eignen  sich  wohl  nur  Brüche  mit  sehr 
eringer  Diastase  der  Fragmente  für  diese  Behandlung.  Sah 
h  doch  im  September  1908  einen  gänzlich  verunglückten  Fall 
n  Krankenhause  des  Meisters  selbst;  man  plante  Naht  in 
ifener  Wunde. 

Diese  ist  wohl  erst  nach  Ablauf  von  5- — 6  Wochen  indi- 
ert;  bis  dahin  wird  man  immer  subkutane  Naht  machen,  auch 
if  die  Gefahr  hin,  dass  man  nur  bindegewebige  Vereinigung 
■zielt;  letztere  ist  ja  für  die  Funktion  der  Patella  genügend, 
enn  knöcherne  auch  noch  besser  ist.  Einmal  habe  ich  nach 
Wochen  noch  knöcherne  Heilung  erzielt  mit  der  subkutanen 
atgutnaht  (Nr.  13),  einmal  habe  ich  aber  schon  3  Wochen 
ach  der  Verletzung  in  offener  Wunde  genäht,  weil  ich  Re- 
div  der  Fraktur  vor  mir  hatte  (Nr.  17)  bei  einem  Kranken, 
-r  %  Jahre  zuvor  mit  subkutaner  Naht  behandelt  war;  ich 
ollte  wissen,  ob  die  Fraktur  knöchern  bei  diesem  Verfahren 
-heilt  sei.  Das  war  der  Fall;  ich  hatte  deutlich  eine  frische 
ruchfläche  vor  mir.  Gleichzeitig  wollte  ich  ganz  sicher 
-‘hen,  deshalb  nähte  ich  in  offener  Wunde. 

Sonst  habe  ich  nur  veraltete  Fälle  in  dieser  Weise  be- 
mdelt  und  zwar  5,  sämtlich  mit  Katgutnaht.  Da  Gefangene 
it  Patellarbrüchen  vielleicht  erst  sehr  spät  in  die  Heimat 
trückkehren,  so  mag  die  Operation  veralteter  Brüche 
er  auch  gleich  erörtert  werden. 

Alle  6  Kranke  bekamen  beiderseits  Längsschnitte  ca.  1  cm 


von  den  Rändern  der  Patella  entfernt.  Dann  wurde  die  Haut 
vom  Dorsum  patellae  abgelöst,  etwas  über  den  oberen  wie 
den  unteren  Rand  derselben  hinaus.  Hebt  man  den  jetzt  be¬ 
stehenden  Brückenlappen  mit  grossen  stumpfen  Haken  in  die 
Höhe,  so  liegen  die  Fragmente  der  Patella  frei  ;  man  löst  sie  vom 
Femur  ab  und  frischt  nach  Entfernung  der  Narbenmassen  die 
Bruchflächen  mit  der  Stichsäge  an.  Dann  kommt  der  schwie¬ 
rigste  Akt  der  Operation:  Es  sollen  drei  sehr  derbe  Katgutfäden 
unter  dem  Brückenlappen  oben  und  unten  um  die  Fragmente 
herumgeführt  werden.  Dazu  braucht  man  grosse,  sehr  derbe 
Nadeln  und  starken  Nadelhalter.  Unter  beständigem  starken 
Anziehen  des  Brückenlappens  glückt  mit  einiger  Mühe  die  An¬ 
legung  dieser  Nähte,  sie  sind  dann  mit  grosser  Kraft  anzu¬ 
ziehen,  weil  natürlich  in  veralteten  Fällen  der  Quadrizeps  stark 
geschrumpft  ist.  Ich  habe  bis  jetzt  immer  die  Bruchstücke 
zusammengebracht,  würde  aber  selbstverständlich  multiple 
subkutane  Teno-  resp.  Myotomien  machen,  wenn  der  Muskel 
nicht  nachgeben  will.  Die  sehr  massiven  Knoten  der  drei 
Katgutnähte  werden  auf  das  Dorsum  des  unteren  Fragmentes 
gelagert;  sie  treiben  die  Haut  hässlich  vor  sich  her,  was  aber 
nichts  ausmacht,  da  sie  später  verschwinden.  In  den  ersten 
4  Fällen  habe  ich  die  Seitenschnitte  offen  gelassen,  in  den 
letzten  beiden  sie  in  toto  vernäht,  nachdem  ich  nur  dickes 
Katgut  benutzt  hatte,  das  kurz  vor  der  Operation  dem  Züch¬ 
tungsverfahren  unterworfen  war  und  sich  sicher  als  steril  er¬ 
wiesen  hatte.  Beide  Längswunden  heilten,  mit  dünnem  Katgut 
vernäht,  per  primam,  so  dass  man  sich  gar  nicht  um  dieselben 
zu  kümmern  brauchte;  die  Beine  lagen  ruhig  4  Wochen  unter 
dem  Gipsverbande. 

Die  geschilderte  Operation  ist  mühsam,  der  Erfolg  aber 
auch  ein  sehr  guter.  Der  Querschnitt  wird  vermieden,  der 
Verletzte  kann  nach  Heilung  des  Bruches  knien,  wie  ein  Ge¬ 
sunder,  und  da  die  Kranken  meist  der  arbeitenden  Klasse  an¬ 
gehören,  so  ist  es  sehr  wichtig  für  sie,  dass  sie  in  keiner 
Weise  im  Gebrauche  ihrer  Extremität  gehindert  werden.  So 
richtig  der  Querschnitt  ist  bei  der  Resectio  genu  mit  nach¬ 
folgender  Heilung  des  Beines  in  geradsteifer  Stellung, 
so  bedenklich  erscheint  er  mir  bei  Operationen,  die  ein  be¬ 
wegliches,  zu  schwerer  Arbeit  brauchbares  Knie  erzielen 
sollen,  doch  kann  ich  mich  ja  irren.  Man  sollte  einmal  eine 
grössere  Anzahl  von  Leuten,  die  mit  Querschnitt  operiert  sind, 
auf  dem  Chirurgenkongress  vorstellen;  der  Einzelne  sieht 
immer  nur  seine  eigenen  Operierten,  nicht  die  von  Anderen  Be¬ 
handelten;  er  urteilt  also  vielleicht  zu  einseitig.  Ich  selbst  habe 
auch  einmal  mit  Querschnitt  operiert,  aber  das  war  ein  ganz 
besonderer  Fall:  Offene,  ins  Kniegelenk  eindringende  Wunde, 
hohe  Morgentemperatur,  so  dass  man  an  Infektion  des  Ge¬ 
lenkes  glauben  konnte.  Dazu  Patient  kein  Arbeiter,  sondern 
„reicher  Engländer“,  der  nicht  zu  knien  brauchte  bei  der 
Arbeit.  Ich  riskierte  keine  zirkuläre  Katgutnaht  unter  diesen 
Verhältnissen,  vereinigte  nur  das  Periost,  trotzdem  heilte  die 
Fraktur  knöchern.  Patient  ist,  wie  ich  1914  in  dem  betreffenden 
Pensionate  hörte,  ganz  gesund  geworden,  hat  wieder  den 
Salto  mortale  geübt,  dem  er  seine  Fraktur  1909  verdankte 
(Nr.  20). 

Ueber  den  Ausgang  der  Operationen  mit  2  Längsschnitten 
(6  Fälle)  weiss  ich,  dass  die  ersten  drei  Kranken  gut  gehen: 
zwei  haben  ein  vollständig  bewegliches  Gelenk,  eine 
Operierte  nicht,  weil  die  Fraktur  schon  7U  Jahre  bestand,  ehe 
der  Eingriff  stattfand.  Von  den  drei  in  jüngerer  Zeit  Operierten 
sind  inzwischen  zwei  gestorben;  über  die  Leistungsfähigkeit 
ihrer  Gelenke  habe  ich  erst  neuerdings  etwas  erfahren 
können  (s.  u.  Anm.  b.  d.  K.);  der  dritte  ist  vollständig  gesund. 

In  toto  habe  ich  also  bis  jetzt  14  mal  die  subkutane  zirku¬ 
läre  Katgutnaht  gemacht,  6  mal  dieselbe  bei  doppelseitiger 
Längsinzision  und  einmal  periostale  Naht  bei  Querschnitt.  In 
allen  Fällen,  die  ich  weiter  verfolgen  konnte,  wurde  ein  gutes, 
in  den  meisten  ein  glänzendes  Resultat  erzielt. 

Am  14.  VI.  83  wurde  zum  ersten  Male  die  subkutane 
Katgutnaht  von  mir  angewandt,  mühsam,  noch  ohne  die  ge¬ 
stielte  Nadel.  Das  Resultat  war  gut.  Ca.  2  Jahre  später  ver¬ 
unglückte  mir  ein  Fall,  ohne  Zweifel,  weil  ich  dickes  Karbol-, 
also  nur  chemisch  präpariertes  Katgut  angewandt  hatte;  ich 
musste  aufschneiden;  das  Gelenk  wurde  ankylotisch  in  gerad 
steifer  Stellung.  Das  hat  mich  für  viele  Jahre  von  der  Katgut- 


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Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  50 


naht  abgeschreckt,  was  ich  jetzt  sehr  bedaure.  Ich  versuchte 
mit  Gips-  und  Heftpflasterverbänden  in  alter  Weise  aus- 
zukommen;  Kranke  mit  geringer  Diastase  heilten  leidlich  im 
Verlaufe  von  vielen  Monaten,  solche  mit  stark  klaffenden 
Fragmenten  wurden  Krüppel.  Ein  mit  zirkulärer,  d.  h.  rings 
um  die  Seite  der  Patella  geführter,  extraartikular  gelagerter 
Seidennaht  nach  V  o  1  k  m  a  n  n  behandelter  Kranker  bekam 
Thrombose  der  Vena  femoralis  —  also  eigentlich  vorwiegend 
ungenügende  Resultate.  Sie  veranlassten  mich  1901  die  sub¬ 
kutane  Katgutnaht  wieder  aufzunehmen;  sie  ist  das  Ideal  der 
Behandlung,  weil  kein  Fremdkörper  im  Kniegelenke  zurück¬ 
bleibt  und  doch  Restitutio  in  integrant  rem  garantiert  ist  bei 
rechtzeitiger  Anwendung  der  Naht.  Kein  Draht  im  Gelenke! 
Es  ist  höchst  auffallend,  dass  diese  Naht  trotz  der  vernichten¬ 
den  Kritik,  die  v.  Brunn3)  im  Jahre  1906  durch  seine  ver¬ 
dienstvollen  Untersuchungen  an  derselben  geübt  hat,  nicht 
sofort  verschwunden  ist;  „unbedingt  zu  verwerfen“,  das  sollte 
das  allgemeine  Urteil  sein. 

Möge  die  subkutane  Katgutpatellarnaht  auch  in  diesem 
schrecklichen  Kriege  den  Verunglückten  gesunde  Gliedmassen 
erhalten. 


Uebersicht  über  die  seit  1.  Januar  1907  operierten  Fälle  in  Fort¬ 
setzung  der  in  D.m.W.  1906  Nr.  50  mitgeteilten  11.  Zuerst  kommen 
die  mit  subkutaner  Naht,  dann  die  mit  2  Längsschnitten  behandelten,  ! 
zum  Schlüsse  der  mit  Querschnitt  Operierte,  nachdem  noch  Fall  11  , 
bis  zu  seinem  Abschlüsse  mitgeteilt  ist. 

Nr.  11.  Laura  Schilling,  54  J.,  op.  21.  VII.  06. 

Vor  2  Stunden  ist  die  180  Pfd.  schwere  Frau  gestürzt  und  hat 
die  Patella  im  unteren  Dritteile  gebrochen.  Bursa  praepatellaris  voll 
Blut,  wahrscheinlich  auch  oberer  Rezessus  perforiert.  Katgutnaht. 

Ende  August  Patella  geheilt,  Pat.  geht  umher.  Röntgen  ergibt  im 
September  noch  einen  hellen  Spalt  zwischen  beiden  Fragmenten. 

Ende  September  gangränöses  Erysipel  von  einem  Furunkel  in 
der  ülutäalgegend  aus;  das  Erysipel  zieht  über  das  Kniegelenk  hin, 
letzteres  vereitert  (schon  wiederholt  bei  ganz  intakten  Kniegelenken 
beobachtet). 

Am  3.  X.  grosse  Inzisionen. 

Ende  des  Monats  Abszess  unten  am  Beine,  deshalb  am  30.  Amp. 
femoris.  Geheilt  entlassen. 

Die  in  der  Längsrichtung  aufgesägte  Patella  war  knöchern  ge¬ 
heilt. 

Nr.  12.  Hermann  Schubert,  33  J.,  op.  3.  I.  07. 

Gestern  Vormittag  Fraktur,  pat.  dextr.  im  mittleren  Dritteile. 
Skrofulöser  Mann,  Drüsennarben  am  Halse.  Bein  bis  über  die  Mitte 
des  Oberschenkels  stark  und  hart  geschwollen.  Fragmente  stehen 
4  cm  auseinander,  unteres  enthält  Sprung  (Röntgen).  Gelenk  leer, 
also  Perforation  des  oberen  Rezessus.  Subkutane  Katgutnaht. 

10.  III.  Geheilt,  aber  mit  noch  sehr  steifem  Kniegelenk  entlassen. 

1.  XI.  14.  Vorgestellt.  Rechtes  Bein  bis  zur  Mitte  des  Ober¬ 
schenkels  mit  gewaltigen  Varizen  bedeckt;  dieselben  sollen  erst  nach 
der  Verletzung  entstanden  sein. 

Patella  knöchern  verheilt,  um  A  breiter  als  die  linke;  sie  schleift 
seitlich  glatt,  desgleichen  bei  Flexion,  die  aber  nur  bis  zum  rechten 
Winkel  möglich  ist. 

Pat.  gibt  an,  dass  er  noch  ein  halbes  Jahr  seit  der  Entlassung 
arbeitsunfähig  gewesen  sei.  Seitdem  ist  er  wieder  als  Färberei¬ 
arbeiter,  und  zwar  beständig  in  stehender  Stellung  tätig:  er  bekommt 
noch  Rente. 

Nr.  13.  Carl  Dobenecker,  50  J.,  op.  6.  II.  08. 

Querbruch  der  Kniescheibe  im  mittleren  Dritteile  am  31.  XII.  07. 
Oberes  Fragment  schon  ziemlich  stark  am  Femur  fixiert,  am  Bruch¬ 
rande  etwas  verdickt.  Diastase  nicht  erheblich,  trotzdem  kann  Pat. 
sein  Bein  gar  nicht  erheben.  Deshalb  subkutane  Katgutnaht. 

30.  III.  Geheilt  entlassen.  1914  laut  Brief  Knie  bis  zum  rechten  i 
Winkel  beweglich. 

Nr.  14.  Robert  Hahn,  32  J.,  op.  5.  VI.  08. 

Soeben  vom  Rollwagen  in  der  Stadt  gestürzt.  Querbruch  in  der 
Mitte  der  Patella,  noch  mit  wenig  Bluterguss  eingebracht,  offenbar 
sehr  wenig  empfindlich,  denn  Pat.  beugt  und  streckt  auf  dem  Opera¬ 
tionstische  sein  Bein  mit  Hilfe  der  Hände  immerfort,  wundert  sich, 
dass  der  Bruch  nicht  schmerzt.  Bluterguss  nimmt  rasch  zu.  Punk¬ 
tion  entleert  reines  Blut.  Katgutnaht.  8.  VII.  im  Gehverbande  ent¬ 
lassen. 

Vorgestellt  am  20.  X.  14.  Absolut  normales  Bein,  vollständig  be¬ 
weglich.  Beide  Extremitäten  gleich  stark.  Unteres  Fragment  viel 
stärker  als  das  obere.  Knöcherne  Heilung.  Narben  kaum  sichtbar. 

Nr.  15.  Robert  Lentsch,  38  J.,  aufg.  17.  XII.  08. 

Vor  J/2  Stunde  Fractura  patellae,  noch  ohne  Erguss  ins  Gelenk 
eingeliefert.  Röntgen  ergibt  Schrägbruch  von  vorne  unten  nach  oben 
hinten  etwas  unter  der  Mitte.  Während  der  Röntgenaufnahme  hat 
sich  das  Gelenk  gefüllt.  Punktion  und  Katgutnaht. 

18.  II.  09  geheilt  entlassen.  1914  auf  Wanderschaft. 


Nr.  16.  Carl  Helbig,  41  J.,  aufg.  18.  II.  09. 

Vorgestern  Abend  Fractura  patellae  im  mittleren  Dritteile 
rechts;  unteres  Bruchstück  anscheinend  mit  Sprung  von  vorne  nacl 
hinten.  Gelenk  wenig  gefüllt,  wird  nicht  punktiert.  Katgutnaht. 

7.  III.  im  Verbände  auf  Wunsch  entlassen;  nach  2'A  Wochei 
Verband  definitiv  entfernt,  alsbald  mit  Stock  umhergegangei 
(8  Tage),  dann  ohne  denselben,  am  30.  III.  schon  wieder  im  Diensti 
als  Beamter;  Kniegelenk  ohne  Beschwerden  kräftig  weiter  gebeugt 
nach  3  Monaten  völlig  gesund. 

1.  XI.  14.  Vorgestellt;  Ganz  normales  Bein,  spitzwinklige  Beu 
gung  möglich;  beide  Beine  gleich  stark.  Patella  knöchern  geheilt 
unteres  Fragment  erheblich  vergrössert.  Rechte  Patella  8,5  cm  lang: 
linke  =  6,5  cm,  desgleichen  um  2 — 3  cm  verbreitert,  seitlich  glatt  ver 
schiebbar.  Auf  dem  Dorsum  2  etwas  stärkere  knöcherne  Vorsprünge, 

Nr.  17.  Johann  Semmclrot,  54  J.,  op.  16.  I.  07. 

Pat.  ist  10.  III.  06  hier  wegen  Fractura  patellae  am  Uebergang<| 
vom  mittleren  zum  unteren  Dritteile  mit  Katgutnaht  behandelt;  e:: 
trat  knöcherne  Heilung  ein. 

Kurz  vor  Neujahr  ist  er  abermals  gestürzt.  Bruch  an  alter  Stelle 
2  Längsschnitte.  Bruchflächen  mit  frischem  geronnenen  Blute  bej 
deckt,  selbst  frisch,  etwas  abgetragen  und  vernäht.  Gelenkkapsel' 
und  Muskelwunde  mit  Katgut  vernäht.  Hautwunden  bleiben  offen. 

28.  III.  Geheilt  entlassen.  1914  laut  Brief  völlig  gesund. 

Nr.  18.  Robert  Kramann,  51  J.,  op.  22.  III.  09. 

Vor  4  Monaten  Querbruch  der  Patella,  auswärts  behandell! 
Unteres  Fragment  steht  weit  lateralwärts;  schlaffe  bindegewebig^ 
Vereinigung,  so  dass  bei  gebeugtem  Kniegelenke  beide  Bruchstück« 
fast  im  rechten  Winkel  zueinander  stehen 

2  Längsschnitte  beiderseits  neben  der  Patella,  Fragmente  an! 
gefrischt,  vernäht.  Ganze  Wunde  vernäht.  Ungestörter  Verlauf. 

10.  IV.  Im  Gipsverbande  entlassen.  —  1914  bereits  gestorbeii) 

Nr.  19.  Robert  Jahn,  54  J.,  op.  20.  IV.  09. 

Vor  8  Wochen  Bruch  der  Patella  am  Uebergange  vom  mittleren 
zum  unteren  Dritteile,  Hautwunde,  so  dass  Operation  zunächst  uni 
möglich  ist. 

2  Längsschnitte,  Fragmente  ohne  jede  Verbindung  miteinandet| 
wohl  aber  hat  sich  eine  bindegewebige  Scheidewand  vom  Dorsum  bi 
auf  das  Femur  entwickelt. 

Anfrischung  und  zirkuläre  Katgutnaht.  Gelenk-,  Muskel-  um 
Hautwunde  mit  Katgut  vernäht. 

5.  V.  im  Gipsverband  entlassen.  1914  bereits  gestorben. 

Nr.  20.  Ernst  Cabry,  17  .1.,  aufg.  10.  I.  09. 

Beim  Weitsprung  in  Schneeschuhen  von  der  Höhe  (angeblich 
22  m)  mit  linkem  Kniegelenk  gestern  auf  einen  Stein  gefallen. 

Jetzt  Kniegelenk  prall  geschwollen,  Patella  quer  gebrochen.  Au; 
der  lateralen  Seite  derselben  zweimarkstückgrosse  Hautabschürfung 
im  Zentrum  derselben  ein  erbsengrosses,  ins  Gelenk  führendes  Loci 

Wegen  der  Hautabschürfung  zunächst  einfacher  Schienenver 
band.  Da  aber  am  14. 1.  die  Temperatur  abends  auf  38,6,  am  nächste 
Morgen  auf  38,2  steigt,  das  Bein  ganz  extrem  schwillt,  so  wird  da 
Gelenk  im  Bereiche  der  Wunde  und  des  Spaltes  zwischen  den  Frag 
menten  durch  8  cm  langen  Schnitt  quer  aufgeschnitten.  Bursa  prat 
patellaris  voll  Blutgerinnsel,  Gelenk  gleichfalls.  Um  den  Fall  nie! 
weiter  zu  komplizieren,  die  typische  Naht  auch  vom  Querschnitt 
aus  nur  schwer  anzulegen  ist,  wird  nur  das  Periost  der  beiden  BrucI 
stücke  durch  Katgutnaht  vereinigt,  Wunde  vernäht,  weil  Blutkoagul 
im  Gelenke  aseptisch  zu  sein  scheinen. 

Temperatur  fällt  alsbald  ab,  weiterer  Verlauf  ungestört. 

Am  4.  II.  ergibt  Röntgenaufnahme  dass  die  ursprünglich  nac! 
dem  Femur  zu  sich  voneinander  entfernenden  Bruchflächen  unmittel 
bar  aneinanderliegen. 

10.  III.  Pat.  steht  auf.  Gelenk  bis  90°  beweglich. 

18.  IV.  Mit  guter,  aber  noch  nicht  völliger 'Beweglichkeit  ent 
lassen. 

Januar  1914.  Gesund,  hat  wieder  seine  früheren  Sprünge  m 
Schneeschuhen  gemacht. 

Anmerkung  bei  der  Korrektur. 

Ueber  Nr.  18  und  19  berichtet  der  Gemeindevorstand  nach 
träglich : 

„Nr.  18  konnte  wohl  gehen,  hinkte  aber  doch  ziemlich  stark 
seine  regelmässige  Arbeit  konnte  er  nicht  so  verrichten  als  vorden 
Nr.  19  hinkte  weniger,  konnte  auch  besser  marschieren,  als  Nr.  L 
doch  die  frühere  Beweglichkeit  fehlte.“ 

Beide  wurden  bereits  2Vi  Wochen  nach  der  Operation  im  Gip> 
verbände  auf  Wunsch,  weil  sie  selbst  zahlen  mussten,  entlasse) 
Offenbar  ist  jede  durchaus  nötige  Nachbehandlung  versäumt  wordei 


Die  Krankheiten  der  Kreislauforgane  und  der  Krieg. 

Von  Prof.  Dr.  Grober  aus  Jena,  konsultierendem  Arzt  dt 
Festungslazarette  in  Metz. 

Im  allgemeinen  sind  die  ärztlichen  Beobachtungen,  d 
die  Truppenärzte  zu  machen  Gelegenheit  haben,  dadurch  au: 
gezeichnet,  dass  sie  eine  besonders  ausgesuchte  Menschei 
Schicht  betreffen.  Viele  Krankheiten,  die  wir  jetzt  sehen,  e: 
halten  dadurch  ein  verändertes  Gepräge,  und  auch  unsere  Bi 


3)  Ch.  C.  I.  163. 


5.  Dezember  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


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andlung  kann  mit  einer  grösseren  Widerstandsfähigkeit  des 
esunden  Körpers  des  Soldaten  rechnen.  Andrerseits  bildet 
er  Krieg  und  die  Ansprüche,  die  er  an  den  Körper  stellt,  eine 
esonders  energische  Auslese.  Von  unseren  Feinden  wissen 
ir,  dass  sie  nicht  in  der  Lage  gewesen  sind,  eine  so  gesunde 
ruppe  in  den  Krieg  zu  senden  wie  wir;  aber  es  versteht  sich 
anz  von  selbst,  dass  bei  der  beschleunigten  Mobilmachung 
ach  der  älteren  Jahrgänge  ab  und  zu  Personen  dem  Heere 
ingereiht  worden  sind,  die  in  ihrer  körperlichen  Gesundheit 
eit  der  letzten  militärärztlichen  Untersuchung  Veränderungen 
rfahren  hatten.  Das  trifft  auch  auf  die  Kreislauferkrankungen 
u.  So  ist  es  in  ganz  wenigen  Fällen  bisher  vorgekommen, 
ass  schon  bestehende  Leiden  dieser  Organe  erst  im  Kriege 
•stgestellt  wurden,  da  die  Kranken  sie  entweder  bei  der 
lobilmachung  und  Indienststellung  nicht  gemeldet  hatten 
der  da  bei  derselben  deutliche  Erscheinungen  überhaupt  nicht 
achzuweisen  waren. 

Die  häufigsten  Einwirkungen  des  kriegerischen  Zustandes 
uf  die  Kreislauforgane  unserer  Soldaten  waren  bisher  die- 
■nigen,  die  man  als  eine  Ermüdung  des  Kreislaufs 
ifolge  grosser  körperlicher  Anstrengungen  ansieht.  Wenn 
nsere  Truppen  oft  mehrere  Tage  und  Nächte  lang  kaum  zur 
uhe  kommen  konnten  oder  dieselbe  doch  nur  im  notdürftigen 
iwak  fanden,  so  musste,  wie  wir  das  bei  anderen  körper¬ 
dien  Anstrengungen  ja  auch  immer  wieder  sehen,  ganz  er- 
artungsgemäss  sich  eine  Anzahl  von  minderwertigen  Herzen 
nd  Gefässen  offenbaren.  Der  Ausdruck  „minderwertig“  ist 
atiirlich  nur  für  die  in  dem  gegebenen  Zeitabschnitt  ge¬ 
äderten  Anstrengungen  zu  verstehen.  Solche  Herzen  können 
nter  anderen  Umständen  die  gleichen  Ansprüche  oder  unter 
leichen  Umständen  andere  Ansprüche  durchaus  befriedigen, 
ie  klinischen  Erscheinungen  bei  diesen  Zuständen,  die  man 
lit  Recht  als  eine  „Herzschwäche“  bezeichnen  kann,  stehen 
jrchaus  nicht  immer  im  Vordergründe  des  Krankheitsbildes; 
mn  mit  den  körperlichen  Erscheinungen  gehen  häufig  auch 
;elische  Veränderungen  einher,  die  die  Kranken  oft  gar  nicht 
mi  Bewusstsein  ihres  körperlichen  krankhaften  Zustandes 
mimen  lassen.  Im  allerakutesten  Zustande  sieht  solche  Be- 
nde  wohl  nur  der  Arzt  unmittelbar  an  der  Front  oder  in  den 
evierstuben  und  Feldlazaretten.  Kriegs-  und  Festungs- 
zarette  nehmen  die  schon  länger  andauernden  derartigen 
ustände  bei  sich  auf.  Man  findet,  was  die  Kreislauforgane 
llangt,  einen  kleinen,  schwachen  und  weichen  Puls,  wahr- 
peinlich  mit  sehr  niedrigem  Blutdruck,  den  wir  jetzt  keine 
elegenheit  haben,  zu  messen.  Dikrotie  des  Pulses,  Unregel¬ 
ässigkeiten  in  der  Schlagfolge  habe  ich  nicht  beobachtet, 
ohl  aber  recht  starke  Abhängigkeit  von  der  Atmung.  Das 
erz  selbst  zeigt  einen  stark  verbreiterten,  aber  nicht  nach 
iten  verschobenen  Spitzenstosss.  Man  findet  ihn  breit,  aber 
hwach,  hebend,  im  5.  Zwischenrippenraum  von  der  gewöhn¬ 
ten  Stelle  bis  zur  vorderen  Achsellinie  reichend.  Dem  ent¬ 
richt  auch  eine  Vergrösserung  der  relativen  Dämpfung  des 
erzens,  die  meist  auch,  aber  nicht  immer,  nach  rechts  bis  über 
■n  rechten  Brustbeinrand  hinüberreicht.  Auch  nach  oben  links 
n  habe  ich  die  Herzdämpfung  wiederholt  vergrössert  ge- 
nden  und  mir  die  Vorstellung  gebildet,  dass  es  sich  dabei 
n  eine  Erweiterung  des  linken  Vorhofs  handelt.  Deutliche 
eräusche  waren  selten  und  wurden  häufiger  an  der  Basis 
s  an  der  Spitze  —  auffallenderweise  —  beobachtet.  Wie  sie 
:h  im  Anfang  des  Nachlassens  der  Herztätigkeit  verhalten 
iben,  können  wir  hier  nicht  entscheiden.  Wir  sehen  aber, 
iss  neue  körperliche  Anstrengungen  auch  geringster  Art,  wie 
B.  Aufsetzen  und  Niederlegen  im  Bett,  beim  Sitzen  Umsich- 
hlagen  mit  den  Armen  und  endlich  der  Katzenstein  sehe 
ersuch,  jene  Geräusche  am  Herzen  auf  kurze  Zeit  hervor¬ 
achten.  Alle  diese  Erscheinungen  traten  besonders  deutlich 
if,  wenn  die  Kranken  sich  gleichzeitig  in  der  Genesung  von 
tektionskrankheiten,  namentlich  von  Ruhr  oder  leichten 
/phen,  befanden.  Bei  der  ersteren  Erkrankung  spielt  die  von 
r  herbeigeführte  Blutarmut  eine  wichtige  Rolle  für  die  Ver¬ 
derung  der  Kreislauforgane.  Bei  Truppen,  deren  Ernährung 
s  den  verschiedensten  Gründen  Not  gelitten  hatte,  versteht 
sich  von  selbst,  dass  die  körperlichen  Anstrengungen  gleich- 
11s  besonders  schädigend  auf  den  Kreislauf  wirken  mussten. 

Erfreulicherweise  sind  wir  bisher  von  den  im  Frieden 


hauptsächlichsten  Ursachen  der  akuten  Herzerkrankungen, 
dem  Gelenkrheumatismus  und  der  Angina,  ver¬ 
schont  geblieben.  Dementsprechend  ist  die  akute  Endo¬ 
karditis  eine  sehr  selten  beobachtete  Erkrankung  ge¬ 
wesen.  Wo  wir  sie  gesehen  haben,  handelte  es  sich  meist 
um  septische  Erscheinungen  nach  Verwundung 
oder  auch,  wie  in  einem  Fall,  um  Pyämie  nach  Furun¬ 
kulose.  Aber  das  sind  Seltenheiten. 

Dagegen  haben  die  schon  vorher  erwähnten  Infektions¬ 
krankheiten  einen  zwar  nicht  durch  die  Bazillen  bedingten, 
sondern  durch  ihre  Gifte  hervorgebrachten  Einfluss  auf  die 
Muskelzellen  des  Herzens.  Das  ist  vom  Typhus  längst  be¬ 
kannt  und  zum  Teil  auch  pathologisch-anatomisch  untersucht. 
Bei  der  Ruhr  sind  diese  Untersuchungen  noch  im  Gang.  Das 
eine  ist  sicher,  dass  sie  sich  jedenfalls  nicht  auf  das  Endokard 
erstrecken;  wahrscheinlich  handelt  es  sich  um  zuerst  rein 
toxische  Nekrosen  der  Muskelzellen  mit  späterer  entzündlicher 
oder  degenerativer  Infiltration. 

Es  wurde  schon  hervorgehoben,  dass  die  Kriegsanstren¬ 
gungen  auch  den  seelischen  Zustand  unserer  Soldaten  beein¬ 
flussen.  Dem  entspricht,  dass  nervöse  Erscheinungen 
an  den  Kreislauforganen  zu  den  häufigsten  Beobachtungen 
gehören.  Das  trifft  sowohl  auf  das  rein  psychische  Trauma, 
wie  z.  B.  den  Aufenthalt  im  Granatfeuer  oder  im  länger 
dauernden  Schützenkampf  zu,  als  auch  auf  den  Zustand  der 
Schwerverletzten.  Von  den  letzteren  ist  hier  nur  insoweit 
die  Rede,  als  sie  sich  auf  dem  Wege  der  Besserung  befinden. 
Diese  Kranken  zeigen  bei  objektiv  regelrechtem  Herzbefund 
eine  Beschleunigung  der  Herztätigkeit,  die  bis  zu  120,  ja 
140  Schlägen  in  der  Minute  gehen  kann,  anfallsweise  auftritt 
oder  von  anderen  Einflüssen  verschiedenster  Art  abhängig  ist 
und  häufig  mit  Störungen  der  Schweissabsonderung  und  der 
Durchblutung  einzelner  Körperteile  einhergeht.  So  sah  ich 
z.  B.  einen  etwa  30  jährigen  Offizier,  der  bei  sicherlich  nicht 
vorhandener  Arteriosklerose  und  ohne  vorhergegangene  Lues 
über  Erscheinungen  zu  klagen  hatte,  die  der  Claudicatio  inter- 
mittens  genau  entsprachen  und  durch  eine  hydrotherapeutische 
Behandlung  nach  einigen  Wochen  völlig  verschwanden.  Diese 
nervösen  Herzerscheinungen  traten  besonders  dann  bei  den 
Kranken  auf,  wenn  sie  durch  sich  selbst  oder  durch  ihre 
Umgebung  in  die  schweren  Zeiten,  die  sie  durchgemacht 
hatten,  zurückversetzt  wurden,  namentlich  bei  Berichten  über 
die  erlebten  Ereignisse.  Eigentliche  Herzschwäche  war  aber 
bei  diesen  Kranken  nie  zu  beobachten.  Der  Organbefund  war 
durchaus  regelrecht. 

Aber  auch  sonst,  abgesehen  natürlich  von  den  vorher  ge¬ 
nannten  Fällen  von  Endokarditis,  konnte  von  einer  wirklichen 
Störung  des  Kreislaufs,  was  die  zur  Erhaltung  des  Lebens 
notwendige  Blutversorgung  der  einzelnen  Organe  anlangt, 
nicht  die  Rede  sein.  Eine  wirkliche  Dekompensation  des  Kreis¬ 
laufs  im  ganzen  oder  in  einzelnen  Teilen  kam  nicht  zur  Be¬ 
obachtung. 

Es  ist  möglich,  dass  durch  die  kältere  Witterung,  der  wir 
entgegen  gehen,  die  Anginen  und  die  rheumatischen  Erkran¬ 
kungen  an  Zahl  zunehmen  werden,  und  dass  dementsprechend 
auch  mehr  davon  abhängige  Kreislauferkrankungen  beobachtet 
werden.  Abgesehen  davon  aber  lässt  sich  wohl  heute  schon 
ein  Ueberblick  darüber  gewinnen,  was  denn  von  Nach¬ 
wirkungen  des  Krieges  auf  die  Kreislauforgane  für  die 
Kriegsteilnehmer  in  Betracht  kommt.  Wenn  die  Athero¬ 
sklerose,  wie  die  meisten  von  uns  doch  annehmen,  eine 
Aufbrauchkrankheit  ist,  so  werden  wir  bei  dem  ausserordent¬ 
lichen  Verbrauch  von  körperlichen  und  geistigen  Kräften  und 
bei  dem  häufigen  Wechsel  des  Blutdruckes,  wie  ihn  die  Kriegs¬ 
ereignisse  dem  einzelnen  Teilnehmer  notwendigerweise 
bringen,  eine  Verstärkung  und  Beschleunigung  der  sonst  zu  er¬ 
wartenden  Arterienveränderung  als  eine  unvermeidliche  Folge 
des  Krieges  ansprechen  dürfen.  Die  Franzosen  scheinen  nach 
dieser  Richtung  hin  grössere  Befürchtungen  zu  haben  als  wir; 
denn  ich  habe  wiederholt  in  verlassenen  französischen  Biwaks 
Arzneimittelgefässe  gefunden,  in  denen  mancherlei  Mittel, 
namentlich  Salzzusammensetzungen,  zum  Teil  mit  Jodkali,  ent¬ 
halten  waren,  die  zur  Vermeidung  der  Atherosklerose,  wie  die 
angebrachte  Reklame  zeigte,  empfohlen  waren.  Auch  andere, 
die  Leistung  angeblich  erhöhende  und  besonders  dem  Kreis- 


2390 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschriit. 


lauf  zugute  kommende  Mittel,  wie  z.  B.  die  Kolapräparate,  sind,  ! 
wie  aus  gleichen  Anzeichen  entnommen  werden  konnte,  jen¬ 
seits  unserer  Schützengräben  recht  häufig  in  Anwendung  ge¬ 
zogen  worden.  So,  wie  heute  unsere  Anschauungen  und 
Kenntnisse  über  die  Atherosklerose  beschaffen  sind,  ist  es 
selbstverständlich  ausgeschlossen,  ein  Mittel  zu  empfehlen, 
das  ihr  Vorbeugen  könnte.  Die  Krankheit  ist  eines  von  den 
Opfern,  die  unsere  Generation  dem  Wohl  des  Vaterlandes 
bringen  muss,  und  im  Frieden  wird  es  unsere  Aufgabe,  d.  h. 
diejenige  der  Aerzte  sein,  auch  diese  Schäden,  die  der  Krieg 
geschlagen  hat,  nach  Möglichkeit  wieder  auszugleichen  und 
zu  beseitigen. 

Neben  der  Atherosklerose  werden  bei  Menschen,  die  in 
ihrem  Nervensystem  anfällig  sind,  wahrscheinlich  auch  die 
oben  geschilderten  nervösen  Kreislaufsymptome  erhalten 
bleiben.  Ich  habe  mich  allerdings  vielfach  davon  überzeugen 
können,  dass  sie  bei  wirklich  gesunden  jungen  Menschen  nach 
kurzer  Ruhezeit  vollständig  wieder  verschwinden. 

Besondere  Behandlungsarten  für  die  kriegerisch 
bedingte  akute  Herzschwäche  und  für  die  nervösen  Kreislauf¬ 
erkrankungen  gibt  es  natürlich  jetzt  nicht.  Man  wird  sich 
darauf  beschränken,  während  der  Behandlung  die  ursächlichen 
Schädlichkeiten  fernzuhalten,  für  die  notwendige  Ruhe  des 
Körpers  und  der  Seele  zu  sorgen,  gute  Pflege  zu  beschaffen, 
in  der  Ernährung  alle  den  Kreislauf  belastenden  Speisen  aus¬ 
zuschalten  und  bei  den  nervösen  Erkrankungen  ableitende 
Mittel,  zu  denen  in  erster  Linie  die  Kälteanwendung  auf  die 
Herzgegend  zu  rechnen  ist,  zu  verwenden.  Nur  bei  gleich¬ 
zeitiger  Einwirkung  der  Infektionskrankheiten  auf  das  durch 
Anstrengungen  geschwächte  Herz  hat  es  sich  uns  bisher  als 
notwendig  erwiesen,  Herzreizmittel  im  eigentlichen  Sinne  zu 
geben.  Wir  haben  dabei  die  für  das  Militärsanitätswesen 
etatsmässigen  titrierten  Fingerhutblätter  mit  gutem  Erfolge 
verwendet.  Meist  war  nach  wenigen  Wochen  entsprechender 
Behandlung  die  Krankheit  gewichen;  nur  in  seltenen  Fällen 
trat  Felddienstunfähigkeit,  in  ganz  wenigen  auch  Garnison¬ 
dienstunfähigkeit  ein. 

Im  allgemeinen  aber  hat  die  besonders  darauf  gerichtete 
ärztliche  Aufmerksamkeit  ergeben,  dass  der  Zustand  der 
Kreislauforgane  bei  unseren  Soldaten  ein  ganz  ausgezeichneter, 
und  damit  für  die  Leistungsfähigkeit  des  Heeres  ausschlag¬ 
gebend  gewesen  ist  und  zu  bleiben  verspricht. 


Aus  der  Verwundetenstation  des  Piushospitals  zu  Olden¬ 
burg  i.  Gr.  (Chefarzt  Obermedizinalrat  Dr.  Greve). 

Die  künstliche  Höhensonne  im  Dienste  des  Kriegslazaretts. 

Von  Dr.  med.  Thedering. 

Die  künstliche  Höhensonne  verdankt  ihre  Erfindung 
bekanntlich  dem  Bestreben,  dem  Arzt  in  der  Ebene  eine  Licht¬ 
quelle  zur  Verfügung  zu  stellen,  welche  durch  ihren  Reichtum 
an  kurzwelligen  Strahlen  einen  Ersatz  für  die  natürliche 
Höhensonne  bietet. 

Dass  die  therapeutische  Wirksamkeit  der  künstlichen 
Höhensonne  in  erster  Linie  bei  den  mannigfachen  Formen 
chirurgischer  Tuberkulose  erprobt  wurde,  ist  durch  R  o  1 1  i  e  r  s 
glänzende  Erfolge  gerade  auf  diesem  Gebiete  leicht  ver¬ 
ständlich. 

Indessen  fehlt  es  nicht  an  erfolgreichen  Versuchen,  auch 
andersartige  torpide  Geschwürsprozesse  der  Haut  durch  Licht 
heilend  zu  beeinflussen. 

Die  gegenwärtige  traurige  Kriegszeit  erfordert  die  Hilfe 
des  Arztes  in  zahlreichen  Fällen  schwerer  Verletzung  der 
äusseren  Haut.  Durchaus  nicht  immer  handelt  es  sich  um 
glattheilende,  ebenso  oft  um  verunreinigte,  stark  zerrissene, 
mit  Gewebsfetzen  und  gangränösem  Schorf  bedeckte  Schuss¬ 
verwundungen,  deren  Prognose  bezüglich  rascher  und  glatter 
Ausheilung  von  vornherein  keineswegs  immer  günstig  zu 
stellen  ist.  Eine  möglichst  schnelle  Wiederherstellung  der  Ver¬ 
letzten  aber  liegt  ebenso  sehr  im  Interesse  des  Verwundeten 
wie  des  Vaterlandes. 

Die  Erreichung  dieses  Zieles  hat  uns  die  künstliche  Höhen¬ 
sonne  in  vielen  Fällen  wesentlich  erleichtert. 

Zunächst  ein  Wort  über  die  allgemeinen  Bedingungen  der 
Lichtheilwirkung. 


Nr.  50 


Jedem  Radiologen  ist  die  Erfahrung  geläufig,  dass  Licht  nur  au 
gereinigte  pathologische  Prozesse  wirksam  ist.  Borken,  Eiterbelas 
usw.  absorbieren  einen  grossen  Teil  gerade  der  wirksamsten  Ober 
flächenstrahlen.  Daher  ist  die  Säuberung  mit  Licht  zu  behandelnde! 
Wunden  von  derartigen  Auflagerungen  zunächst  durch  feuchte  Um¬ 
schläge  anzustreben. 

Die  Natur  des  Quarzlichts  als  eines  oberflächlich  wirkenden,  nur 
wenig  in  die  Tiefe  dringenden  strahlenden  Agens  bedingt  es,  dass  für 
seine  therapeutische  Verwendung  vorwiegend  oberflächlich  gelegene 
Wunden  indiziert  sind.  Auf  tiefreichende  Schusskanäle  ist  es  ohne 
Einfluss.  Hin  und  wieder  hatten  wir  sogar  den  Eindruck  ungünstiger 
Wirkung,  indem  die  Kranken  nach  der  Belichtung  über  bohrendt 
Schmerzen  klagten. 

Bei  oberflächlichen  torpiden  Schusswunden  der  Haut  finden  wir 
jedoch,  dass  durch  den  Einfluss  der  Besonnung  der  Prozess  der  Wund¬ 
heilung  in  die  Bahn  möglichst  günstiger  physiologischer  Bedingungen 
gelenkt  wird.  Als  nächste  Folge  der  Belichtung  sezernierender  Wun¬ 
den  sehen  wir  eine  austrocknende  Wirkung.  Manchmal  erscheinen 
die  Wunden  wie  mit  einem  grauen  Häutchen  belegt,  eine  Erscheinung 
analog  der  Wirkung  weicher  und  überweicher,  d.  h.  reichlich  mir 
Ultraviolettlicht  vermengter  Röntgenstrahlung.  Dann  beginnt  mit  dei 
alsbald  einsetzenden  Vermehrung  der'  aktiven  Blutzufuhr  eine  Stei¬ 
gerung  der  natürlichen  Wundabsonderung,  wodurch  eine  beschleunigte 
Säuberung  des  Wundterrains  bewirkt  wird.  Eiterbeläge,  brandige 
Gewebsfetzen,  nekrotische  Schorfe  stossen  sich  ab  und  die  Wunde 
bietet  nach  wenigen  Belichtungen  im  allgemeinen  ein  gereinigtes  Aus¬ 
sehen  dar.  Die  Granulation  wird  ersichtlich  angeregt,  neigt  sogar 
bei  zu  intensiver  Besonnung  zur  Ueberwucherung,  so  dass  zum  Lapis 
gegriffen  werden  muss.  Die  Zellvermehrung  des  epithelialen  Wund¬ 
randes  wird  gleichfalls  angeregt  und  dadurch  die  Wundiiberhäutuny 
beschleunigt. 

Ob  das  Ultraviolett  der  Höhensonne  daneben  noch  eine  des-, 
infizierende  Kraft  auf  pathogene  Wundkeime  ausübt,  ist  schwer  zu 
sagen,  theoretisch  jedoch  in  hohem  Grade  wahrscheinlich.  Die  immer 
wiederkehrende  Beobachtung,  dass  arg  zerfetzte,  stark  verunreinigte, 
nicht  selten  stinkende,  ausgesprochen  brandige  Wunden  entgegen  aller 
bakteriologischen  Theorie  ohne  fieberhafte  Wundinfektion  glatt  heilen 
wird  z.  T.  jedenfalls  auf  Rechnung  der  gesunden  Konstitution  unserer 
jugendlichen  Helden,  z.  T.  auch  auf  das  Prinzip  möglichst  konserva¬ 
tiver  Wundbehandlung  zu  setzen  sein.  Daneben  ist  aber  eine  des- 
infizierende  Wirkung  des  Lichts  durchaus  möglich  und  wahrschein¬ 
lich. 

Eine  kritische  Abwägung  der  Vorteile  also,  welche  die  Behand¬ 
lung  von  Schusswunden  der  Weichteile  mit  der  künstlichen  Höhen¬ 
sonne  gewährt,  wird  vor  allem  anerkennen  müssen,  dass  der  Pros 
zess  der  Wundheilung  im  ganzen  rascher,  bei  manchen  von  vorn¬ 
herein  verzweifelt  erscheinenden  Fällen  auffallend  günstig  verläuft, 
d.  h.  ohne  Fieber,  mit  glatter  Heilung  und  guter  Wiederherstellung 
der  Funktion.  Hierbei  dürfte  namentlich  die  schnelle  Wundreinigung 
und  kräftige  Anregung  der  Wundgranulation  dem  Lichte  als  Ver¬ 
dienst  zugesprochen  werden  müssen.  Auch  die  regelmäsig  wieder¬ 
holte  Beobachtung,  dass  brandige,  stinkende  Wunden  schon  nach 
wenigen  Belichtungen  mit  der  Höhensonne  geruchlos  werden,  dürfte 
mit  der  desodorisierenden  Eigenschaft  des  Lichts  (Ozonisierung)  Zu¬ 
sammenhängen. 

Grund  genug  also,  unsern  Verwundeten  die  Vor¬ 
teile  der  Besonnung  ihrer  Verletzungen  überall 
dort  zu  gewähren,  wo  eine  künstliche  Höhensonne 
zur  Verfügung  steht. 

Die  Technik  betreffend,  bestrahlt  man  aus  etwa  1  m  Entfernung 
anfänglich  täglich  und  in  kurzen  Sitzungen  (5 — 10  Minuten),  all¬ 
mählich  länger  (15 — 20 — 30  Minuten)  und  in  grösseren  Zwischen¬ 
räumen  (2 — 3  mal  wöchentlich).  Die  Umgebung  der  Wunden  ist  sorg¬ 
fältig  abzudecken,  da  entzündliche  Reaktion  derselben  eine  recht 
lästige  Beigabe  ist.  Sobald  die  Granulation  zu  überwuchern  beginnt 
muss  mit  der  Besonnung  ausgesetzt  und  mit  Lapis  geätzt  werden. 
Erwähnen  wir  noch,  dass  man  leicht  4 — 5  Personen  gleichzeitig  be¬ 
lichten  kann,  so  erscheinen  die  Kosten  der  Sonnenbehandlung  als  be¬ 
langlos. 


Subkutane  Infusionen  fünfprozentiger  Kochsalzlösung 
als  Therapie  der  Cholera  asiatica.  * 

Von  Dr.  Emil  Prasek,  Vorstand  des  sero-bakteriologischer 
Institutes  der  bosn.-herzeg.  Landesregierung  in  Sarajevo. 

Als  Chefarzt  der  Infektionsabteilung  des  Garnisonspitales 
Nr.  3  in  PrzemysI  habe  ich  Gelegenheit  gehabt,  eine  Therapie 
zu  versuchen,  zu  der  ich  durch  die  Arbeiten  von  Gärtnei 
und  Beck1)  angeregt  wurde.  Wie  bekannt,  haben  die  ge¬ 
nannten  Autoren  zuerst  darauf  hingewiesen,  dass  man  die 


Q  G.  Gärtner  und  A.  Beck:  Ueber  den  Einfluss  der  intra¬ 
venösen  Kochsalzeinspritzung  auf  die  Resorption  von  Flüssigkeiten 
W.kl.W.  1893  Nr.  31.  —  G.  Gärtner:  Zur  Therapie  der  Cholera 
asiatica.  Das  österr.  Sanitätswesen  1911  Nr.  35  u.  36.  —  G.  Gärt¬ 
ner:  Fortschritte  in  der  Behandlung  der  Cholera  asiatica.  Der  Mili¬ 
tärarzt  1914  Nr.  23. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


2391 


15.  Dezember  1914. 


Bluteindickung,  welche  die  Gefahren  der  Cholera  asiatica  be¬ 
dingt.  nicht  durch  Einverleibung  physiologischer  Kochsalz¬ 
lösung,  sondern  einer  hypertonischen  —  also  konzentrierteren 
Lösung  bekämpfen  sollte. 

Ich  habe  gewisse  Modifikationen  eingeführt,  die  sich  so 
gut  bewährt  haben,  dass  sie  die  vorliegende  Mitteilung  be¬ 
rechtigt  erscheinen  lassen. 

Es  war  aus  äusseren  Gründen  nicht  möglich,  alle  meine 
Patienten  in  der  folgenden  geschilderten  Weise  zu  behandeln. 

Alle  aber  ohne  Ausnahme  erhielten  sofort  bei  der  Ein¬ 
lieferung  Tinctura  jodi  und  zwar  3  Tropfen  in  3  Esslöffeln 
Wasser  4—5  mal  täglich.  Die  Jodtinktur  stillt  in  den  meisten 
Fällen  das  furchtbare  Erbrechen2).  Eine  wesentliche  Beein¬ 
flussung  der  Mortalität  bei  ausschliesslicher  Jodbehandlung 
konnte  mit  Sicherheit  nicht  festgestellt  werden.  Es  starben 
ungefähr  50  von  100. 

In  40  Fällen,  darunter  sehr  vielen  schweren  —  scheinbar 
verlorenen  —  ging  ich  wie  folgt  vor: 

Ein  halber  Liter  einer  5  proz.,  sterilen,  auf  ca.  37°  er¬ 
wärmten  Kochsalzlösung  wurde  unter  die  Bauchhaut  in¬ 
fundiert  3).  Dieser  Eingriff  wurde  nach  ca.  6  Stunden  wieder¬ 
holt  und  in  einigen  Fällen  auch  noch  am  folgenden  Tage  eine 
dritte  Infusion  vorgenommen.  Ferner  erhielten  die  Patienten 
mehrere  subkutane  Injektionen  von  Coffein,  natr.  benzoic.  in 
jedesmaliger  Dosis  von  0,2  g.  Sobald  sich  der  Puls  gebessert 
hatte,  brachte  ich  die  Patienten  in  ein  heisses  Vollbad  und  Hess 
die  Extremitäten  kräftig  massieren.  Schon  nach  der  ersten 
Infusion  erholten  sich  meist  die  Patienten.  Der  Gesichts¬ 
ausdruck  änderte  sich,  die  Zyanose  schwand,  der  Puls  wurde 
tastbar,  die  Krämpfe  nahmen  an  Intensität  ab  oder  ver¬ 
schwanden,  die  Diarrhöen  sistierten  und  manchmal  schon  am 
zweiten,  gewöhnlich  am  dritten  Tage  trat  geformter,  normal 
gefärbter  Stuhl  auf.  Die  Diurese  stellte  sich  in  vielen  Fällen 
rasch  wieder  ein.  Die  Patienten  fühlten  grossen  Durst  und 
konnten  jetzt  grosse  Mengen  Flüssigkeit  (Krondorfer: 
Potus  citri)  zu  sich  nehmen  und  behalten. 

Die  Resultate  waren  überraschend.  Während,  wie  schon 
erwähnt,  bei  unbehandelten  Fällen  die  Mortalität  50—60  Proz. 
betrug,  starben  von  den  in  der  geschilderten  Weise  be¬ 
handelten  (ca.  40  Fälle)  nur  18—20  Proz.  Dass  es  die  grosse 
Konzentration  der  Lösung  ist,  die  den  Erfolg  bedingt,  beweist 
folgende  Beobachtung:  Es  wurde  missverständlich  bei  einer 
Reihe  von  Kranken  eine  nur  1  proz.  Lösung  injiziert  —  ohne 
jeden  Erfolg.  Wie  wichtig  es  ist,  die  Infusion  sehr  früh  nach 
dem  Krankheitsbeginn  durchzuführen,  beweisen  drei  Fälle  von 
Hausinfektionen  (Pflegepersonal),  die  nach  den  ersten  Be¬ 
schwerden  sofort  der  erwähnten  Therapie  unterzogen  wurden 
und  nach  wenigen  Tagen  genasen,  ohne  dass  es  zur  Ent¬ 
wicklung  eines  Kollapszustandes  gekommen  wäre. 

Technik  des  Verfahrens. 

In  einem  Liter  destillierten  Wassers  werden  50  g  Kochsalz  ge¬ 
löst,  filtriert,  im  Dampftopf  oder  durch  K  ständiges  Kochen  über  freier 
Flamme  sterilisiert. 

Die  Infusion  wird  aus  einem  sterilisierten  Irrigator,  an  dessen 
Schlauch  ein  dünner  Troikar  angebracht  ist,  durchgeführt.  Es  genügt 
eine  Druckhöhe  von  Vi — 1  m.  Die  Flüssigkeit  soll  ungefähr  37°  warm 
sein.  Man  infundiert  auf  einmal  einen  halben  Liter.  Um  der  Ent¬ 
wicklung  von  kleinen  Hautnekrosen  vorzubeugen,  soll  die  Infusion 
tief  in  das  subkutane  Fettgewebe  der  Bauchhaut  (Oberschenkel, 
Brust)  erfolgen. 

Ausdrücklich  sei  bemerkt,  dass  in  allen  Fällen,  die  dieser 
Behandlung  zugeführt  wurden,  die  Diagnose  Cholera  asiatica 
von  mir  immer  bakteriologisch  (Kultur,  Agglutination)  fest- 

gestellt  wurde. 

Es  wäre  natürlich  sehr  zweckmässig,  neben  der  be¬ 
schriebenen  Therapie,  namentlich  in  frischen  Fällen,  auch 
Bolus,  Tierkohle  (Toxodesmin  Wiechowski)  zu  verwenden. 

Ich  konnte  darüber  noch  keine  Erfahrungen  sammeln. 

— 


2)  Tinctura  jodi  hat  sich  mir  auch  beim  Erbrechen  bei  anderen 
Krankheiten  sehr  gut  bewährt. 

3)  Subkutane  Injektionen  schwach  hypertonischer  Kochsalz¬ 
lösung  wurden  mit  gutem  Erfolge  von  Reg.-Arzt  Dr.  Müller  im 
Balkankriege  angewendet. 


Aus  dem  K.  K.  Universitätsambulatorium  für  orthopädische 
Chirurgie,  derzeit  kriegschirurgische  Station  des  allgemeinen 
Krankenhauses  in  Wien  (Vorstand:  Prof.  Dr.  A.  Lorenz). 

Eine  Schiene  zur  Fixation  der  Oberschenkelfrakturen. 

Von  Dr.  Julius  Hass,  Assistent. 

In  der  Forderung  nach  einer  sicheren  Fixation  der  Schuss¬ 
frakturen  herrscht  in  der  Kriegschirurgie  eine  erfreuliche 
Uebereinstimmung;  und  der  Grundsatz,  den  Verwundeten 
so  schnell  als  möglich  transportfähig  zu  machen,  ist  allgemein 
anerkannt. 

Während  nun  dieses  Ziel  bei  den  Frakturen  der  oberen 
Extremität  und  des  Unterschenkels  in  mehr  oder  weniger 
idealer  Weise  erreicht  wird,  kann  dies  bezüglich  der  Schuss¬ 
frakturen  im  Bereich  des  Oberschenkels,  des  Schenkelhalses 
und  des  Beckens  noch  nicht  als  gelöst  betrachtet  werden. 

Von  der  grossen  Zahl  der  Schussfrakturen,  die  in  unsere 
Station  bisher  eingebracht  wurden,  trafen  speziell  die  Frak¬ 
turen  des  Oberschenkels  in  einem  auffallend  schlechten  Zu¬ 
stande,  mit  schweren  Eiterungen  und  hochgradigen  Dis¬ 
lokationen,  mit  Verkürzungen  bis  12  und  14  cm  ein.  Die 
meisten  von  ihnen  hatten  einen  jammervollen  Transport 
hinter  sich. 

Für  diese  Erscheinung  kann  weder  die  besondere  Schädi¬ 
gung  der  Weichteile,  noch  die  Zugspannung  der  Muskulatur 
verantwortlich  gemacht  werden,  der  Grund  muss  in  der 
mangelnden  Fixation  während  des  Trans¬ 
portes  gelegen  sein. 

In  der  Tat  hatten  wir  bei  diesen  Verwundeten  Gelegen¬ 
heit,  die  Unzulänglichkeit  und  Unzweckmässig¬ 
keit  des  verwendeten  Immobilisierungsmaterials  zu  be¬ 
obachten.  Die  meisten  der  Verletzten  langten  mit  Verbänden 
ein,  die  allzu  kurz  geraten  waren,  andere  waren  mit  einem 
Blechstiefel  ausgestattet,  der  höchstens  bis  zur  Frakturstelle 
reichte,  nur  wenige  —  die  bereits  ein  Spital  passiert  hatten  — 
waren  mit  einem  durch  eine  Aussenschiene  verstärkten  und 
vom  Becken  bis  zu  den  Füssen  reichenden  Verband  versehen. 

Es  scheint  also  im  Felde  an  einem  ge¬ 
eigneten  Material  zu  fehlen,  das  unter  Ein¬ 
beziehung  der  beiden  Nachbargelenke  (Hüft- 
und  Kniegelenk)  die  Fraktur  des  Oberschen¬ 
kels  sicher  fixieren  würde.  Auch  in  der  normierten 
Ausrüstung  ist  nichts  für  die  Immobilisierung  des  Ober¬ 
schenkels  vorgesehen.  Die  zuletzt  angegebene  Improvisation 
von  Hacker  und  die  Tragbahre  von  Weissenstein 
dürften  bei  mehreren  und  längeren  Transporten  im  Stiche 
lassen.  Es  fehlt  an  einer  Schablone  zur  Lagerung  und 
Fixierung  der  Oberschenkelfrakturen,  deren  Anwendung 
jedermann  —  auch  dem  Nichtarzte  —  verständlich  sein  müsste. 


Ich  habe  nun  eine  Schiene  zur  Fixation  der  Oberschenkel¬ 
frakturen  konstruiert,  die  den  Anforderungen,  die  an  eine 
solche  zu  stellen  sind,  entsprechen  dürfte  (Abb.  1). 


2392 


Feldärztliche  Beilage  £ur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  50. 


Sie  besteht  aus  einem  flachen  Drahtgestell  (2  Aussenschienen, 
die  mit  3  Drahtmanschetten  verbunden  sind,  eine  für  das  Becken, 
eine  für  den  Ober-  und  die  dritte  für  den  Unterschenkel),  ist  leicht 
und  dauerhaft,  ebenso  für  die  rechte  wie  für  die  linke  Seite  gebrauchs¬ 


fertig,  lässt  sich  leicht  an  den  Körper  anschmiegen  und  kann  dann 
über  den  Kleidern  mittels  beliebiger  Binde  befestigt  werden  oder 
aber  sie  kann  mit  Watte  ausgepolstert  und  mit  blauer  Binde  fixiert 
werden  (Abb.  2  und  3). 

Eine  weitere  Verwendungsmöglichkeit  ergibt  sich  —  so¬ 
bald  man  die  Schiene  auf  den  Kopf  stellt  —  für  die  Lagerung 
von  Wirbelsäulenverletzungen. 

Diese  Schiene  is4  als  Lagerungs-  und  Transportschiene 
gedacht  und  sollte  ebenso  als  Schablone  mitgeführt  werden 
wie  etwa  der  Petitsche  Stiefel  für  die  Unterschenkel¬ 
frakturen  *). 

Die  Hängematten-Tragbahre. 

Von  Prof.  Dr.  Fr.  Lange  und  Prof.  Dr.  J.  Trump  p. 

Herr  Obergeneralarzt  Dr.  Reh  hat  in  Nr.  7  der  Feld¬ 
beilage  den  Vorschlag  gemacht,  die  Verwundeten  vom 
Schlachtfeld  bis  ins  Reservelazarett  auf  ein  und  derselben 
Tragbahre  zu  befördern.  Es  steht  ausser  Zweifel,  dass  damit 
den  Verwundeten  alle  mit  dem  häufigen  Umladen  ver¬ 
bundenen  Schmerzen  erspart  würden,  und  auch  die  in  primi¬ 
tiven  Feldlazaretten  manchmal  recht  schwierige  Bettenfragc 
eine  einfache  befriedigende  Lösung  finden  könnte.  Leider 
stossen  Versuche  zur  Ausführung  dieses  vorzüglichen  Ge¬ 
dankens  in  einer  Phase  des  Transportes  auf  derzeit  kaum 
überwindliche  Schwierigkeiten  (cf.  uneren  Artikel  „Die  Be¬ 
förderung  von  Verwundeten  auf  Lastautos“  in  Nr.  18  der  Feld¬ 
beilage). 

Ist  der  Plan  Rehs  nun  zurzeit  auch  nicht  in  toto  durchführbar, 
so  sollte  er  doch  jetzt  schon,  wenigstens  für  den  Eisenbahntransport, 
bald  in  Angriff  genommen  werden.  Seitdem  die  Umwandlung  des 
Krieges  in  einen  Festungskrieg  allenthalben  stabilere  Verhältnisse  ge¬ 
schaffen  hat,  kann  ja  die  Mehrzahl  der  Verwundeten  mit  den  gut  ein¬ 
gerichteten  Lazarett-  und  Hilfslazarettzügen  in  die  Heimat  gebracht 
werden.  Aber  so  wenig  wie  sich  im  vorausgehenden  Abschnitt  des 
Transports  die  Benützung  von  Lastautos  ganz  umgehen  lässt,  so 
wenig  lässt  es  sich  vermeiden,  dass  auch  heute  noch  zuweilen  leere 
Güter-  und  Munitionszüge  zum  raschen  Abtransport  von  Verwundeten 
benützt  werden  müssen.  In  der  Regel  bleibt  in  solchen  Fällen  nur 
sehr  wenig  Zeit  dazu,  die  Güterwagen  für  ihren  neuen  Zweck  einzu¬ 
richten,  und  nicht  selten  müssen  auch  Schwerverwundete  sich  mit 
einem  dürftigen  Strohlager  begnügen,  auf  dem  sie  während  der  tage¬ 
langen  Fahrt  wahre  Folterqualen  auszustehen  haben.  Fehlt,  wie 
nicht  selten,  in  solchen  Zügen  auch  noch  das  nötige  Pflegepersonal, 
so  werden  die  Verbände  beschmutzt,  die  Wunden  infiziert,  und  die 
Verwundeten  kommen  in  bejammernswertem  Zustand  am  Ziel  ihrer 
Reise  an. 

Hier  tut  Abhilfe  dringend  not,  und  sie  Hesse  sich  rasch,  gründ¬ 
lich  und  mit  verhältnismässig  geringen  Unkosten  bewerkstelligen, 
wenn  man  die  Verwundeten  nach  dem  Reh  sehen  Vorschlag  statt  auf 
Stroh  auf  Tragbahren  legen  würde.  Der  Einwand,  dass  Tragbahren 
in  solchen  Mengen,  wie  sie  zu  solchen  Massentransporten  nötig  sind, 
nicht  schnell  genug  beschafft  werden  könnten,  ist  für  die  relativ  sta¬ 
bilen  Verhältnisse  eines  Kriegslazarettes,  von  denen  aus  diese  Trans¬ 
porte  abgehen,  hinfällig.  Das  Kriegslazarett  wird  fast  immer  in  der 
Lage  sein,  sich  einen  genügend  grossen  Vorrat  an  Tragbahren  zu 
halten,  die  entweder  aus  der  Heimat  bezogen  oder  in  Feindesland  an¬ 
gefertigt  werden.  Der  Bezug  der  Tragbahren  aus  der  Heimat  Hesse 
sich  wohl  in  der  Weise  regeln,  dass  man  alle  ins  Feld  gehenden  Laza¬ 
rettzüge  und  Hilfslazarettzüge  nach  Möglichkeit  mit  Tragbahren  be¬ 
lädt,  die  selbstverständlich  so  zusammenlegbar  sein  müssen,  dass 
sie  wenig  Raum  beanspruchen.  Die  Anfertigung  der  Tragbahren  in 


*)  Die  Schiene  wird  von  der  Firma  M.  E  s  t  e  r  I  u  s,  Wien  IX, 
hergestellt. 


Feindesland  hat  zur  Voraussetzung,  dass  Konstruktion  und  Material 
der  Bahren  möglichst  einfach  sind. 

Da  die  Tragbahre  bei  solchen  Gelegenheiten  den  Verwundeten 
tagelang  das  Bett  ersetzen  soll,  so  muss  sie  so  gebaut  sein,  dass 
sie  ein  angenehmes  Dauer  lager  abgibt.  Das 
Gestell  muss  eine  grosse  Stabilität  besitzen,  da¬ 
mit  der  darauf  Liegende  das  Gefühl  absoluter 
Sicherheit  hat.  Die  Tragefläche,  das  Bahrtuch, 
muss  so  am  Gestell  angebracht  sein,  dass  die 
Wagenstösse  genügend  abgeschwächt  werden,  und 
der  Körper  mit  möglichster  Muskelentspannung, 
weich  und  ohne  Druckpunkte  zu  verspüren,  dar¬ 
auf  ruhen  kann. 

Wir  haben  uns  schon  in  Zweibrücken  mit 
diesem  Problem  befasst  und  sind  auf  den  Gedan¬ 
ken  gekommen,  das  Prinzip  der  Hängematte  zu 
verwenden. 

Das  von  uns  konstruierte  Modell  (s.  Fig.  1)  besteht  aus  einem 
einfachen  hölzernen  Tragegestell  von  250  cm  Länge  und  60  cm  Breite, 
dessen  30  cm  hohe  Füsse  zu  bequemem  Massenversand  abnehmbar 
sind.  Die  8  cm  breiten  Längshölzer  befinden  sich  22  cm  über  dem 


Boden.  An  den  in  einem  Abstand  von  184  cm  an  den  Längshölzern 
angebrachten  Querleisten  sind  die  Enden  eines  (inkl.  Umschlag  um 
die  Querleisten)  235  cm  langen  und  50  cm  breiten  Stückes  Drell  fest¬ 
genagelt.  Dadurch,  dass  die  Tragefläche  länger  ist  als  der  Abstand 
der  Querhölzer,  ruht  der  Körper  auf  ihr  so  weich  und  bequem  wie 
auf  einer  Hängematte.  Böte  unser  Tragbahrenmodell  keine  weiteren 
Vorzüge  als  die  bisher  genannten,  so  wäre  es  für  den  Bahntransport 
entbehrlich,  und  man  könnte  dafür  ebenso  wie  für  den  Transport  der 
Verwundeten  in  Lastautos  (s.  unseren  darauf  bezüglichen  Artikel) 
Zeltbahnen  benützen,  die  an  den  Seitenwänden  der  Wagen  auf¬ 
gespannt  werden.  Wir  möchten  dazu  auch  in  allen  Fällen  raten,  in 
denen  es  nicht  möglich  sein  sollte,  den  Transport  auf  geeigneten 
Tragbahren  zu  vollziehen. 

Nun  wird  aber  der  Mangel  jeglicher  Unterstützung  in  Kreuz  und 
Knie  auf  einer  Hängematte  bei  tagelanger  Fahrt  lästig  empfunden, 
weil  der  Körper  dabei  in  kyphotischer  Stellung  zusammensinkt.  Wir 
haben  deshalb  bei  unserem  Tragbahrenmodell  die  Hängematte  auf 
Sattlergurte  oder  handbreite  doppeltgelegte  Bänder  aus  festem  Drell 
gelagert,  die  quer  über  den  Längshölzern  des  Gestells  liegen  und  an 


diesen  festgenagelt  sind  (s.  Fig.  2).  Durch  die  verschiedene  Länge 
dieser  Quergurten  kann  der  Körper  auf  der  Hängematte  an  bestimm¬ 
ten  Stellen  verschieden  tief  einsinken.  Die  Länge  der  Gurten  und 
ihr  Befestigungsort  am  Gestell  ist  selbstverständlich  so  gewählt,  dass 
der  Körper  eine  möglichst  gute  Unterstützung  findet  und  die  er¬ 
wünschte  Muskelentspannung  eintreten  lassen  kann.  Der  erste  Quer¬ 
gurt,  64  cm  lang  —  vom  Innenrand  der  Lärigshölzer  gemessen  — , 
dient  zur  Unterstützung  der  Schultern,  der  zweite,  69  cm  lang, 
zur  Unterstützung  des  Kreuzes,  der  dritte,  51  cm  lang,  zur 
Unterstützung  der  Oberschenkel  dicht  oberhalb  der  Knie.  Ein  vierter 
und  fünfter  Gurt.  60  bzw.  64  cm  lang,  ermöglicht  das  Auflegen  der 
Unterschenkel  bzw.  der  Füsse,  die  man  also  nach  Belieben  mit  ge¬ 
schlossenen  Beinen  auf  der  Hängematte  oder  mit  leicht  gespreizten 
Beinen  und  stärker  gebeugten  Knien  auf  den  etwas  tiefer  liegenden 


Fussgurten  liegen  lassen  kann  (s.  Fig.  3).  Die  Entfernung  der  Quer¬ 
gurte  vom  oberen  Querholz  beträgt  der  Reihe  nach:  16,  46,  110, 
140  und  157  cm. 

Um  eine  genügende  Hochlagerung  des  Kopfes  zu  bewirken,  ist 
auf  das  obere  Querholz  eine  3,5  cm  hohe  abgeschrägte  Querleiste 


15.  Dezember  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch.  med.  Wochenschrift. 


2393 


aufgenagelt.  Ein  Kissen  ist  entbehrlich,  sichert  aber  natürlich  eine 
sehr  viel  angenehmere  Lage.  Allenfalls  genügt  auch  eine  zusammen¬ 
gerollte  Decke  oder  etwas  Stroh. 

In  der  Mitte  der  Hängematte,  16  cm  unterhalb  des  Kreuzgurtes, 
st  ein  30  cm  langer  Schlitz  angebracht,  der  durch  seitlichen  Zug  an 
Jer  Matte  erweitert  werden  kann  und  den  Zweck  hat,  Schwerver¬ 
wundeten  die  Defäkation  zu  erleichtern.  Die  Reh  sehe  Klappe  wäre 
ür  unser  Modell  unbrauchbar,  da  der  Kranke  zu  tief  einsinken  würde. 

Da  nur  die  praktische  Erfahrung  und  nicht  die  theoretische  Er¬ 
wägung  über  die  Brauchbarkeit  einer  solchen  Erfindung  entscheiden 
kann,  so  probierten  wir  unser  Tragbahrenmodell  auf  der  VA  Tage 
and  3  Nächte  währenden  Fahrt  von  Zweibrücken  bis  Cambrai,  die 
wir  im  Güterwagen  zurücklegten,  aus.  Es  ist  nicht  übertrieben,  wenn 
wir  behaupten,  dass  wir  in  den  Nächten  auf  der  Tragbahre  wie  in 
einem  guten  Bett  geschlafen  haben.  Das  sehr  reichliche  Strohlager, 
das  uns  nebenbei  zur  Verfügung  stand,  hielt  trotz. Decken  und  Kissen 
den  Vergleich  nicht  im  entferntesten  aus.  Die  Feuerprobe  aber  be¬ 
stand  die  neue  Tragbahre  in  Cambrai,  wo  wir  ihre  Brauchbarkeit  bei 
wiederholten  Fahrten  auf  Lastautos  zur  Genüge  prüfen  konnten.  Wir 
hatten  zum  Vergleich  ausser  unserer  Tragbahre  noch  eine  gewöhn- 
iche  bayerische  Tragbahre,  eine  Schwungfedermatratze,  einen  guten 
Strohsack  und  einen  Bund  Stroh  aufgeladen.  Nach  dem  einstimmigen 
Urteil  von  8  Kollegen,  welche  die  Fahrten  aus  Interesse  mitmachten, 
verspürte  man  die  Stöse  des  Wagens  am  wenigstens  auf  unserer 
Tragbahre  und  auf  der  Schwungfedermatratze.  Beide  leisteten  darin 
annähernd  gleich  Gutes. 

Wir  haben  andern  Orts  auseinandergesetzt,  dass  die  Tragbahre 
für  den  Transport  von  Verwundeten  auf  Lastautos  wegen  des  be¬ 
schränkten  Raumes  nicht  in  Betracht  kommen  kann.  Dass  sie  aber 
—  im  Gegensatz  zu  anderen  Tragbahren  —  überhaupt  imstande  ist, 
die  Fahrt  auf  einem  Lastauto  so  erträglich  zu  machen,  scheint  uns  ein 
unwiderleglicher  Beweis  für  die  Richtigkeit  ihres  Konstruktions¬ 
prinzips. 

Aus  der  Besprechung  und  den  beigegebenen  Abbildungen  dürfte 
ersichtlich  sein,  dass  die  Tragbahre  in  Bau  und  Material  an  Einfach¬ 
leit  nichts  zu  wünschen  übrig  lässt.  Das  erste,  in  Zweibrücken  ge¬ 
fertigte  Modell,  kostete  nur  10  M.  Lässt  man  solche  Tragbahren  in 
Feindesland  hersteilen,  was  man  nach  unserer  eigenen  Erfahrung 
n  C.  ohne  jede  Schwierigkeit  bewerkstelligen  kann,  so  kommt  der 
Kostenpunkt  überhaupt  nicht  in  Betracht.  Das  ist  schon  deshalb 
licht  unwichtig,  weil  sich  jede  Formation  unter  Umgehung  des  lang¬ 
wierigen  Instanzweges  rasch  in  den  Besitz  einer  genügenden  Menge 
von  Tragbahren  setzen  kann.  Dadurch  schliesslich,  dass  man  die 
einen  Verwundetentransport  begleitenden  Sanitätsmannschaften  für 
prompte  Zurücksendung  der  Tragbahren  haftbar  macht,  wird  man 
verhindern  können,  dass  die  Tragbahren  nach  einmaligem  Gebrauch 
durch  Verbleiben  in  der  Heimat  ihrer  wertvollen  Bestimmung  weiter¬ 
hin  entzogen  werden. 


Aus  den  Reservelazaretten  I  und  II  Ingolstadt  (Reserve¬ 
lazarettdirektor:  Oberstabsarzt  Dr.  Carl  Koch). 

Jeber  eine  improvisierte  medico-mechanische  Anstalt. 

Von  Dr.  Adolf  V  e  i  t  h  aus  Nürnberg. 

Bei  allen  Qelenkschüssen  und  allen  Weichteil-  oder 
Knochenverletzungen,  die  in  der  Nähe  von  Gelenken  gesetzt 
wurden,  ist  es  von  grösster  Wichtigkeit,  dass  von  vorneherein 
nicht  nur  auf  eine  gute  Wundheilung  gesehen  wird,  sondern 
dass  man  auch  vor  allem  die  spätere  möglichste  Restitutio  ad 
ntegrum  in  bezug  auf  die  Funktion  der  betroffenen  Ge¬ 
lenke  stets  im  Verlaufe  der  Wundbehandlung  im  Auge  behält. 
Es  stehen  dazu  verschiedene  Hilfsmittel  zu  Gebote:  richtige 
Lagerung,  zweckmässige  Verbände,  gute  Schienung,  recht 
läufige  Anwendung  von  Extensions-  und  Suspensionsver- 
oänden  und  vor  allem  frühzeitige  Versuche,  die  betroffene 
Extremität  im  Gebrauche  wieder  zu  üben.  Geschieht  dies 
alles  in  zweckmässiger  Weise,  so  wird  man  nur  in  wenigen 
Fällen  in  die  Lage  kommen,  eine  spezialistisch-orthopädische 
Nachbehandlung  in  einer  Klinik  Vorschlägen  bzw.  anwenden 
zu  müssen. 

In  den  Reservelazaretten  der  Garnison  Ingolstadt  wurde 
von  allem  Anfang  an  von  den  behandelnden  Kollegen  auf  die 
ausdrückliche  Weisung  des  Reservelazarettdirektors  hin  bei 
allen  hier  einschlägigen  Verletzungen  in  dem  oben  angedeuteten 

Sinne  gehandelt. 

Eine  gut  geleitete  und  eingerichtete  mediko-mechanische 
Anstalt,  in  welcher  neben  Uebungsbehandlung  an  Apparaten 
insbesondere  auch  sachgemässe  Massage,  manuelle  Wider¬ 
standsgymnastik  getrieben  wird  und  Heissluft  in  geeigneten 
Fällen  angewandt  wird,  stiftet  recht  viel  Gutes  und  bewahrt 
manches  Gelenk  vor  dauernder  Bewegungsbeschränkung. 
Aber  nicht  in  jedem  Reserve-  oder  Vereinslazarett  steht  ein 


derartiges  Institut  zur  Verfügung  und  es  wäre  auch  für  die 
Militärbehörde  zu  kostspielig,  derartige  grosse  Anstalten  zu 
errichten.  Die  Beschaffung  einzelner  sogen.  Universalapparate, 
von  denen  z.  B.  der  Minimoapparat  für  Privatzwecke  sonst 
recht  brauchbar  ist,  empfiehlt  sich  nicht,  da  an  diesen  Ap¬ 
paraten  immer  nur  ein  Mann  arbeiten  kann,  also  bei  der 
grossen  Zahl  der  täglich  zu  Behandelnden  die  Zeit  zur  aus¬ 
giebigen  Uebung  nicht  ausreichen  würde. 


Abb.  1. 


Abbildung  1:  Zwei  einfache  Vorrichtungen  zum  Beugen  und 
Strecken  der  Finger  bzw.  des  Ellbogengelenkes:  über  Rollen  laufende 
Schnüre  mit  Handgriffen  an  dem  einen  und  dosierbaren  Widerständen 
am  anderen  Ende;  der  Widerstand  besteht  aus  einem  einfachen  Ge¬ 
häuse,  in  das  mehr  oder  weniger  Bleiplatten  eingelegt  werden  können. 

Abbildung  2:  Nachahmung  eines  Pumpenschwengels,  ebenfalls 
mit  dosierbarem  Gegengewicht. 

Abbildung  3:  Apparat  zur  Pronation  und  Supination  mit  verstell¬ 
barem  Hebel. 


Abb.  2. 


Abb.  3. 


Aus  diesen  Erwägungen  heraus,  einerseits  der  Notwendig¬ 
keit  einer  derartigen  Station  zur  Weiterbehandlung  solcher 
Verletzungen,  anderseits  um  mit  möglichst  geringen  Kosten 
etwas  Brauchbares  und  Gutes  für  den  Massenbetrieb  zu 
schaffen,  habe  ich  für  die  hiesigen  Reservelazarette  mit  ihrer 
grossen  Belegungsmöglichkeit  von  ca.  5000  Betten  mit  Hilfe 
eines  geschickten  Mechanikers  und  eines  Schreiners,  die  ich 
unter  dem  Sanitätspersonal  vorfand,  um  weniges  Geld,  kaum 
100  M.  für  das  Rohmaterial,  ein  mediko-mechanisches  Institut 
improvisiert,  das  seinen  Zweck  sehr  wohl  erfüllt  und  dessen 
Einrichtung  ich  hier  veröffentliche,  um  andere  Lazarette  an- 


2394 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift 


Nr.  50 


Abb.  7. 


Abb.  5. 


Abb.  6. 


Abb.  10. 


5.  Dezember  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  tncd.  Wochenschrift. 


2395 


tu  regen,  in  dieser  oder  ähnlicher  Weise  dieser  wichtigen  Seite 
ier  Nachbehandlung  gerecht  zu  werden.  Nur  dann  wird  es 
ins  gelingen,  möglichst  bald  und  möglichst  vielen  Kriegern 
vV jeder  gebrauchsfähige  Gliedmassen  zu  verschaffen;  nur  so 
werden  wir  die  Unzahl  der  Kriegsbeschädigungen  wesentlich 
.erhindern  und  der  Gesamtheit  durch  die  Verminderung  der 
'.u  gewährenden  Renten  auch  nützen.  Genauere  Beschreibung 
asse  ich  an  der  Hand  der  Abbildungen  folgen.  Selbstredend 
ege  ich  auf  Massage,  aktive  und  Widerstandsgymnastik  und 
»inngemässe  Freiübungen  mit  den  betroffenen  Extremitäten 
»rossen  Wert  und  habe  jetzt  schon  die  grosse  Freude,  bereits 
•echt  schöne  Erfolge  verzeichnen  zu  können,  obschon  die 
Station  wenig  über  5  Wochen  in  Betrieb  ist.  Bis  heute  wurden 
iber  300  Mann  behandelt  und  ein  'Feil  von  ihnen  schon  als 
Jienstfähig  zur  Truppe  entlassen. 


Abbildung  4:  Ringe,  die  durch  eine  Winde  hochgedreht  werden, 
iir  Schulter-  und  Ellbogenversteifungen. 

Abbildung  5:  Zwei  Ringe,  durch  eine  Schnur,  die  über  eine  Rolle 
äuft,  miteinander  verbunden,  besonders  für  Ellbogengelenk. 

Abbildung  6:  Ein  durch  ein  Schwungrad  bewegliches  Brett  mit 
Schlitz  zur  Beugung  und  Streckung  des  Handgelenkes  und  der  Fin- 
tergelenke. 

Abbildung  7:  Ein  Teil  eines  alten  Fahrrades,  in  einer  Gleitschiene, 
üe  verstellbar  ist,  ebenso  wie  der  Handgriff,  um  einen  grösseren  oder 
(leinen  Radius  zu  bieten,  für  Schulterkreisen. 

Abbildung  8:  Ein  altes  Fahrrad,  durch  Stützen  am  Boden  fest- 
;ehalten,  für  Knie-  und  Fussgelenk. 

Abbildung  9:  Einfacher  Flaschenzug  mit  verschieden  schweren 
iewichten,  um  die  grobe  Kraft  zu  üben. 

Abbildung  10:  Heissluftapparat,  bestehend  aus  einer  mit  Asbest 
iusgeschlagenen  Kiste,  einem  einfachen  Spiritusbrenner  und  einem 
deinen  Blechschornstein. 

Abbildung  11:  Gewöhnlicher  Schleifstein  zum  Beugen  und 
'trecken  des  Kniegelenkes. 

Abbildung  12:  kleine  Holzleiter,  gerade  ansteigend,  um  das  Heben 
m  Schultergelenk  wieder  zu  lernen. 

Abbildung  13:  Unterteil  einer  alten  Nähmaschine,  um  das  Fuss- 
telenk  zu  üben;  die  Füsse  werden  angeschnallt  und  zunächst  das 
Schwungrad  mit  der  Hand,  dann  allmählich  das  Pedal  durch  die 
:igene  Kraft  des  Fusses  bewegt. 

Abbildung  14:  Schräge  Leiter,  zu  gleichem  Zwecke  wie  12,  aber 

)ei  schwereren  Fällen. 

Weitere  Apparate  sind  zurzeit  in  Anfertigung  und  lassen  sich 
eicht  noch  manch  andere  improvisieren,  z.  B.  mit  Hilfe  einer  Dreh- 
irgel,  einer  Futterschneidmaschine  usw. 

Ich  glaube,  den  Reserve-  und  Vereinslazaretten  es  warm 
.mpfehlen  zu  dürfen,  sich  in  ähnlicher  Weise  kleine  mediko- 
nechanische  Abteilungen  zu  improvisieren,  zum  Wohle  der 
ms  anvertrauten  wackeren  verwundeten  Krieger. 


Das  Reservelazarett  D  im  Hauptzollamtsgebäude  an  der 

Landsbergerstrasse. 

Zu  den  in  München  bereits  errichteten  Lazaretten  ist  nun  auch 
das  Reservelazarett  D  in  dem  neuen  Hauptzollamtsgebäude  mit  einer 
Belegungsfähigkeit  bis  zu  1000  Krankenbetten  gekommen. 

Die  günstige  Lage  neben  den  Bahnhofsgeleisen  mit  seiner  ge¬ 
deckten  Rampenanlage  liess  das  Gebäude  für  eine  unmittelbare  Ent¬ 
ladung  der  Verwundeten  aus  den  Zügen  in  das  Lazarett  besonders 
geeignet  erscheinen,  da  sie  hier  wie  in  einem  geschlossenen  Raum 
erfolgen  kann  und  der  mühsame  Zwischentransport  mit  Strassen- 
bahn  oder  Automobil  entfällt. 

Durch  das  grosse  Entgegenkommen  der  obersten  Finanz-  und 
Zollbehörde  unter  Verlegung  des  grössten  Teiles  des  Geschäftsbe¬ 
triebes,  der  Lager-  und  Äbfertigungsräuine  in  andere  von  der  Eisen¬ 
bahnverwaltung  überlassene  Bauteile,  konnte  die  Heeresverwaltung 
über  fast  ganze  4  Stockwerke  des  8  stockigen  Lagerhauses  verfügen; 
dazu  kam  noch  die  grosse  Schalterhalle  mit  dem  Eingang  von  der 
Landsbergerstrasse  nebst  den  umgebenden  Schalter-  und  Bureau¬ 
räumen,  die  ebenfalls  für  Lazarettzwecke  bestimmt  wurden. 

Hiernach  stehen  der  Lazarettverwaltung  zur  Verfügung: 

Im  Erdgeschoss:  Das  Lagerhaus  auf  140  m  Länge  und  24  m 
Tiefe,  dazu  die  Räume  um  die  grosse  Schalterhalle  mit  insgesamt 
5440  qm. 

Im  1.  Obergeschoss:  Das  Lagerhaus  und  der  daneben 
liegende  Abfertigungsraum  mit  2920  qm. 

Im  2.  Obergeschoss:  Das  Lagerhaus  mit  2400  qm. 

Im  3.  Obergeschoss:  Das  Lagerhaus  mit  3400  qm. 

Hiezu  3  Offiizerszimmer  mit  200  qm. 

Im  Kellergeschoss:  3140  qm. 

Sonach  im  ganzen  eine  Grundfläche  von  rund  17  500  qm. 

Im  Erdgeschoss  befindet  sich  inmitten  des  Lagerhauses 
eine  grosse  Aufnahmehalle  für  die  ankommenden  Verwundeten,  nach 
der  einen  Seite  sich  öffnend  unmittelbar  zu  den  Bahnhofsgeleisen 
mit  der  geschlossenen  Unterfahrtsrampe,  nach  der  anderen  zum 
Strassenbahnanschluss  zu  der  Landsbergerstrasse. 

Von  der  Aufnahmehalle  erfolgt  die  Verteilung  der  Verwundeten 
durch  2  geräumige  Aufzüge  und  3  Treppen  in  die  Krankensäle  der 
einzelnen  Geschosse.  An  die  Aufnahmehalle  schliessen  sich  rechts 
und  links  an  4  grosse  Räume  als  Unterkunft  für  Unteroffiziere  und 
Mannschaften,  1  Bekleidungskammer  und  1  Geräteraum,  ferner  ver¬ 
schiedene  Untersuchungszimmer,  Räume  für  Verbandmittel,  für  die 
Apotheke  und  Verwaltung,  2  Krankensäle  mit  50  Lagerstellen  und 
daran  anstossendem  Wärterzimmer,  Waschraum  und  Aborten. 

Im  Zusammenhang  mit  der  Aufnahmehalle,  in  dem  Bauteil  neben 
der  grossen  Eingangs-  und  Schalterhalle  befindet  sich  ein  zweiter 
Krankensaal  mit  7  Betten,  Bad,  Theeküche,  Operationsraum  und 
Zubehör,  1  Zimmer  für  Pflegerinnen,  Raum  für  Röntgenunter¬ 
suchungen  nebst  Dunkelkammer  und  schliesslich  um  die  grosse  Ein¬ 
gangs-  lind  Schalterhalle  gelagert  Speiseräume  für  Aerzte,  Unter¬ 
offiziere  und  Schwestern,  Geschäftsräume  für  den  Chefarzt  und 
die  Verwaltung. 

Das  1  Obergeschoss  enthält  6  grössere  und  2  kleinere 
Krankenräume  mit  insgesamt  193  Betten,  in  sachgemässer  Verbindung 
mit  5  Wärterzimmern,  1  Untersuchungszimmer,  2  Zimmer  für 
Pflegerinnen,  Operationssaal  mit  Vorbereitungs-  und  Verbandraum, 
je  3  Theeküc.hen  und  Waschräume,  4  Badezimmer  und  eine  ent¬ 
sprechende  Anzahl  von  Abortsitzen  Auskerdem  ein  Tagesraum 
und  Wandelgänge  im  Zwischengeschoss  der  grossen  Eingangs-  und 
Schalterhalle. 

Im  2.  Obergeschoss  befinden  sich  6  Krankensäle  mit  zu¬ 
sammen  209  Betten  für  Kranke  und  für  Pflegepersonal,  1  Unter¬ 
suchungszimmer,  5  Warteräume,  je  4  Theekiichen  und  Waschräume 
und  3  Badezimmer  sowie  Abortsitze  in  angemessener  Verteilung. 

Im  vorderen,  südlichen  Bauteil,  vor  der  grossen  Eingangs- 
schalterhallc  s^nd  noch  3  Krankenzimmer  für  5  Offiziere  mit  eigener 
Theeküche,  Bad  und  Abort  eingerichtet. 

Im  3.  Obergeschoss  sind  eingebaut  9  Krankensäle  mit 
348  L.agerstellen  für  Kranke  und  27  für  Wart-  und  Pflegepersonal, 
1  Untersuchungszimmer,  8  Zimmer  für  Wärter,  je  3  Theekiichen  und 
Badezimmer  und  600  Waschräume  sowie  die  zugehörigen  Aborte. 

Im  Kellergeschoss  ist  der  umfangreiche  Küchenbetrieb 
untergebracht.  In  der  Mitte  liegt  die  Küche  mit  einem  Herd,  der 
6  grosse  Kessel  nebst  Brat-  und  Wärmeröhren  etc.  enthält,  sowie 
eine  gesonderte  Bäckereianlage,  ausreichend  für  die  Beköstigung  von 
1200  Personen.  Daran  schliesst  sich  auf  der  einen  Seite  an  die 
Spülküche  mit  allem  Zubehör,  auf  der  anderen  Seite  ein  Saal  für  die 
Abgabe  von  Speisen  mit  einem  gesonderten  Speiseaufzug  zum  Erd¬ 
geschoss  für  die  Bedienung  der  Aerzte-  und  Mannschaftsspeiseräume. 
Ferner  ein  Geschäftsraum  für  den  Wirtschafter,  5  Vorratsräume, 
Aufenthaltsraum  für  Küchenpersonal,  Kohlenkeller  und  Aborte,  dann 
abseits  noch  verschiedene  Räume  für  Lazarettwäsche  und  Geschirr. 

Die  Verbindung  der  einzelnen  Stockwerke  mit-  und  untereinander 
geschieht  über  die  bereits  erwähnten  2  Aufzüge  sowie  über  3  Stiegen 
des  Lagerhauses  und  über  die  Hauptstiege  an  der  grossen  Eingangs¬ 
schalterhalle. 

Um  die  vorbeschriebenen  Einrichtungen  zu  schaffen,  waren  um¬ 
fangreiche  Bauarbeiten  notwendig.  Sie  erstreckten  sich  in  der  Haupt- 


2396 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  50. 


sachc  auf  das  grosse  Lagerhaus  mit  seinen  weiträumigen,  langge¬ 
streckten  Speichergelassen. 

Diese  Speicherräunie  haben  durch  eingebaute  doppelte  Ver¬ 
schlüge  von  gehobelten  Brettern  die  Einteilung  erhalten,  wie  sie 
vorstehend  beschrieben  ist.  Sie  sind  mit  Zentralheizung  durchzogen 
worden  und  mit  einer  weit  verzweigten  Rohrleitung  für  die  Wasser¬ 
zuleitung  und  die  Ableitung  der  Aborte,  Spül-  und  Waschwasser.  Alle 
Waschgelegenheiten  haben  kalte  und  wanne  Wasserzuführung,  für 
die  eine  eigene  Warmwasserbereitungsanlage  hergestellt  werden 
musste.  Für  die  Gaskocher  in  den  Theekiichen  und  in  einigen 
Vorränmen  sind  vorhandene  Gasleitungen  weiter  ausgedehnt  worden. 

Die  elektrische  Beleuchtung  erforderte  eine  bedeutende  Erweite¬ 
rung,  ebenso  die  Schwachstromleitungen  für  Läutesignale  u.  a. 

Bäder,  Waschräume  und  Aborte  haben  Linoleumbelag  erhalten, 
ebenso  die  Operationssäle  und  deren  Vorräume. 

An  80  Fenstern  der  Krankensäle,  Badezimmer  und  Aborte  sind 
Oberlichtfrischluftöffner  angebracht  und  schliesslich  haben  alle  dem 
Lazarettzweck  zugeführten  Räume  einen  lichten  freundlichen  Anstrich 
erhalten  In  dieser  Ausstattung  erinnert  nur  -weniges  mehr  an  die 
ursprüngliche  Zweckbestimmung  des  Gebäudes. 

In  einem  Nebengebäude  des  Hauptzollamtes  ist  noch  ein  Leichen¬ 
raum  mit  Obduktionszimmer  eingerichtet. 

Diese  sämtlichen  Arbeiten  sich  nach  einem  unter  Mitwirkung  des 
Chefarztes  ausgearbeiteten  Entwurf  des  Militärbauamtes  II  in  der 
verhältnismässig  kurzen  Zeit  vom  24.  IX.  bis  31.  X.  ds.  Js.  vergeben 
und  fertiggestellt  worden. 

Um  einen  annähernden  Begriff  von  der  grossen  Summe  der 
geleisteten  Arbeit  zu  geben,  die  in  diesen  wenigen  Wochen  geleistet 
wurde,  mögen  folgende  Zahlen  dienen: 

Es  wurden,  in  runden  Zahlen  ausgedrückt,  neu  eingebaut: 

I  freistehender  Schoferkamin  von  22  m  Höhe  für  die  Küche  sowie 
die  gesamte  Küchenanlage  mit  Herdkessel  und  Zubehör. 

1300  qm  doppelte  Holzdecken. 

4000  qm  grösstenteils  doppelte  gehobelte  Bretterwände. 

183  ein-  und  zweiflügelige  Türen. 

4850  laufende  Meter  Rohrleitung  der  Zentralheizung  mit  zu¬ 
sammen  11 00  qm  Heizoberfläche. 

700  laufende  Meter  Warmwasserleitung  im  Keller. 

3000  m  Rohrleitung  für  Kalt-  und  Warmwasserleitung  in  den 
Geschossen. 

600  laufende  Meter  Klosett-  und  Waschablaufleitungen. 

250  laufende  Meter  Gasleitungen. 

360  Deckendurchbrüche  für  die  Installationen. 

3250  laufende  Meter  Drahtlcitungen  für  elektrisches  Licht. 

131  Stück  Deckenbeleuchtungen. 

53  Klosettsitze. 

22  Urinare. 

38  Badewannen. 

91  Reihenwaschtische. 

15  Fayencewaschtische. 

9  Ausgüsse. 

II  Wärmeschränke. 

12  Gas-  und  elektrische  Kocher. 

600  qm  Linoleumbelag. 

SO  Frischluftoberlichte  an  vorhandenen  Fenstern. 

40  000  qm  Wand-  und  Deckenanstriche  in  Leim-  und  Oelfarbe. 

Die  Bauleitung  hatte  das  Militärneubauamt. 

Der  Stand  des  ärztlichen  und  Pflegepersonals  ist  zur  Zeit: 

1  Chefarzt, 

12  ordinierende  Aerzte, 

19  assistierende  Aerzte, 

8  Beamte  (Apotheker  und  Verwaltungsbeamte), 

124  Sanitätsmannschaften  und  Krankenwärter, 

46  Berufskrankenpflegerinnen  und  freiwillige  Helferinnen. 

Der  Stand  an  Verwundeten  und  Kranken  betrug  am  4.  XII.  14 
397  Mann.  Dr.  Herrmann. 


Aus  dem  Kriegsgefangenenlazarett  Grafenwöhr. 

Mastisolersatzmittel. 

Von  Oberarzt  d.  R.  Dr.  Fiessler  und  Unterapotheker .d.  L. 

E.  B  o  s  s  e  r  t. 

In  Nr.  45  Seite  2203  der  M.m.W.  1914  hat  Dieterich  ver¬ 
schiedene  Formeln  für  Klebestoffe  zu  Verbandzwecken  angegeben,  die 
das  teuere  Mastisol  ersetzen  sollen.  Er  empfiehlt  dabei  als  zweck- 
mässigste  die  Lösung  von  Dammarharz  in  Benzol.  Wir  haben  gleich¬ 
zeitig  und  unabhängig  davon  Versuche  mit  verschiedenen  Lösungen 
gemacht  und  sind  dabei  ähnliche  Wege  gegangen.  Nur  können  wir 
die  Empfehlung  von  Dammarharz  nicht  billigen,  da  es  sich  um  ein 
relativ  teueres,  grossen  Preisschwankungen  unterworfenes  Ausland¬ 
produkt  handelt,  das  bei  umfangreicherer  Verwendung  wohl  in  Kürze 
nocii  eine  wesentliche  Preissteigerung  erfahren  dürfte.  Das  Benzol 
als  Lösungsmittel  glauben  wir  aus  mehreren  Gründen  ebenfalls  ab¬ 
lehnen  zu  müssen.  Erstens  ist  Benzol  ein  sehr  wichtiges  Betriebs¬ 
mittel  für  Kraftfahrzeuge  und  sollte  daher  sein  anderweitiger  Ver¬ 
brauch  möglichst  eingeschränkt  bleiben.  Zweitens  sind  die  damit 
hergestellten  Lösungen  vom  verbandtechnischen  Standpunkte  aus 
wenig  zu  empfehlen,  da  die  Verdunstung  sehr  langsam  vor  sich 


geht  und  daher  der  Verband  zu  langsam  trocknet.  Wir  empfehlen 
im  Gegensatz  hierzu  die  Verwendung  von  Aether,  der  vermöge  seines 
ausserordentlich  niedrigen  Siedepunktes  eine  rasche  Verdunstung 
garantiert,  wodurch  in  allerkürzester  Zeit  ein  Fcsthaften  des  Ver¬ 
bandes  bewirkt  wird.  Bei  umfangreicher  Arbeit,  also  gerade  in 
der  fcldärztlichen  Tätigkeit  dürfte  dieser  Umstand  sehr  ins  Gewicht 
fallen.  Ferner  ist  die  Beschaffung  von  Aether  auch  bei  langer 
Dauer  des  Krieges  jederzeit  leicht  möglich  und  beeinträchtigt  den 
sonstigen  Heeresbedarf  in  keiner  Weise.  Als  Klebemittel  empfehlen 
wir  Fichtenharz,  das  sich  in  Aether  sehr  leicht  löst  und  in  dieser 
Zusammensetzung  sehr  ausgiebig  ist.  Dazu  stellt  es  ein  sehr 
billiges,  im  Preise  ziemlich  konstantes  Inlandprodukt  dar,  dessen 
Beschaffung  durch  die  Kriegsdauer  nicht  beschränkt  werden  kann. 
Dadurch  dürfte  sich  der  Preisunterschied  in  den  Lösungsmitteln 
Benzol  und  Aether  ausgleichen,  zumal  letzterer  für  Heereszwecke 
steuerfrei  geliefert  wird. 

Nach  unseren  im  Kriegsgefangenenlazarett  Grafenwöhr  ge¬ 
machten  Erfahrungen  halten  wir  folgende  Lösung  für  die  zweck- 
massigste: 

Resin.'  pin.  300,0 

Aether  1000,0 

Ol.  Iin.  10.0. 

Eine  Neutralisierung  der  Fichtenharzlösung,  die  Dieterich 
verlangt,  halten  wir  für  nicht  unbedingt  notwendig.  Wir  haben  bei 
unserem  sehr  umfangreichen  Material  keine  Hautreizungen  beob¬ 
achtet,  während  dies  beim  Mastisol  nicht  so  selten  der  Fall  war. 
Wir  glauben,  dass  hierfür  mehr  das  Lösungsmittel  verantwortlich 
ist  (Chloroform),  als  die  minimale  Säurebildung  im  Harz.  Wesent¬ 
lich  dürfte  auch  hierbei  wieder  die  Kürze  der  Verdunstungszeit  sein, 
da  nach  dem  Trocknen  des  Verbandes  die  Säure  wieder  im  Harz 
gebunden  ist  und  daher  kaum  noch  imstande  sein  dürfte,  eine  stärkere 
Reaktion  hervorzurufen. 


Die  Wasserversorgung  Antwerpens  während  der 
Belagerung  der  Stadt. 

Von  Marinestabsarzt  Dr.  Fürth. 

Das  Anrücken  der  deutschen  Truppen  versetzte  die  Stadt  Ant¬ 
werpen  im  August  1914  plötzlich  in  die  Notwendigkeit,  ihrer  Ein¬ 
wohnerschaft  von  über  400  000  Seelen  einen  Ersatz  für  das  städtische 
Leitungswasser  zu  bieten,  da  die  weit  vor  der  Stadt  im  feindlichen 
Aufmarschgebiet  liegenden  Pump-  und  Filteranlagen  des  Wasser¬ 
werkes  zerstört  zu  werden  drohten. 

In  Kürze  sei  hier  berichtet,  wie  diese  durch  den  Mangel  an  ge¬ 
eignetem  Wasser  sehr  erschwerte  Aufgabe  durch  geschickte  Ver¬ 
wendung  vorhandener  Hilfsmittel  glücklich  gelöst  wurde. 

Vor  ungefähr  35  Jahren  errichtete  eine  englische  Gesellschaft 
etwa  15  km  von  Antwerpen  entfernt  am  Nethefluss  ein  Pump-  und 
Filterwerk  für  eine  zentrale  Wasserversorgung  der  Stadt,  die  bis 
dahin  ihren  Wasserbedarf  aus  meist  schlechten  Einzelbrunnen  ge¬ 
deckt  hatte.  Das  filtrierte  Wasser  wird  durch  das  Pumpwerk  an 
der  Nethe  den  Reservoiren  einer  Zwischenstation  in  der  Vorstadt 
Leuthaagen  zugeführt  und  von  hier  mittels  starker  Pumpen  in  das 
städtische  Leitungsnetz  gedrückt. 

Eine  genaue  Beschreibung  der  Anlage  verbietet  der  Umfang 
dieser  Mitteilung.  Doch  sei  erwähnt,  dass  das  Werk  angeblich  stets 
zur  Zufriedenheit  arbeitete  und  regelmässig  ausgeführte  chemische 
und  bakteriologische  Untersuchungen  eine  einwandfreie  Beschaffen¬ 
heit  des  Wassers  ergaben. 

Was  der  Stadt  an  Trinkwasser  ausser  dem  Leitungswasser  zur 
Verfügung  steht,  genügt  bei  weitem  nicht,  den  Bedarf  zu  decken 
und  ist  auch  zum  grössten  Teil  keineswegs  einwandfrei.  Es  sind 
dies  zunächst  die  in  den  Häusern  der  Altstadt  vorhandenen  Pumpen, 
die  Grundwasser  ans  geringer  Tiefe  liefern,  sodann  vereinzelte 
sogenannte  artesische  Brunnen,  angeblich  bis  zu  200  m  tief, 
deren  Wasser  jedoch  stark  salzhaltig  ist  und  zuletzt  ein  Süss¬ 
wasserkanal,  der  überdeckt  die  Stadt  durchfliesst,  in  den  Anlagen 
einige  Teiche  speist,  und  aus  dem  Brauereien  ihren  Wasserbedarf 
decken. 

So  lagen  die  Verhältnisse,  als  Ende  August  1914  beim  ersten 
Besuch,  den  deutsche  Luftschiffe  der  Stadt  abstatteten,  die  Befürch¬ 
tung  laut  wurde,  durch  Bomben  könne  das  Wasserwerk  an  der 
Nethe  zerstört  und  Antwerpen  vom  Trinkwasser  abgeschnitten 
werden. 

Einer  sofort  zur  Beratung  über  die  Wasserersatzfrage  zu¬ 
sammentretenden  Kommission  erschien  als  einzige  Quelle  für  eine 
genügende  Wasserversorgung  die  Schelde.  Jedoch  steht  diese  bei 
Antwerpen  unter  dem  Einfluss  der  Ebbe  und  Flut  und  führt  daher 
salziges,  stark  getrübtes  Wasser.  Doch  was  half  es!  Alle  Be¬ 
denken  hygienischer  Art  mussten  hinter  der  Notwendigkeit  zurück¬ 
treten,  einer  Stadt  von  fast  einer  halben  Million  Einwohnern  für  die 
verschiedensten  Zwecke  des  Haushaltes,  für  Strassenreinigung,  für 
Kanalspülung,  Feuerlöschwesen  uam.  genügende  Wassermengen  zu 
liefern. 

Die  unten  beschriebene  improvisierte  Anlage  war,  wenn  sie  auch 
infolge  technischer  Mängel  ihren  Zweck  nicht  ganz  erreichte  und 
infolge  der  schnellen  Einnahme  der  Stadt  durch  die  deutschen  Truppen 


15.  bezenihcr  1914. 


P eidärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


2.597 


nicht  voll  in  Tätigkeit  trat,  doch  ein  Weg  zur  erfolgreichen  Lösung 
der  Aufgabe. 

Diese  bestand  darin,  das  Scheldewasser  durch  einen  Sedimen- 
tierungsprezess  zu  klären  und  so  dein  Leitungsnetz  der  Stadt  zuzu- 

führen. 

Für  diesen  Zweck  erwiesen  sich  die  grossen,  auf  verschlossenem 
Werftgebiet  liegenden  Trockendocks  des  Hafens  sehr  geeignet.  Be¬ 
reits  am  21.  August  begann  man  die  Notwasserversorgung  in  folgen¬ 
der  Weise  einzurichten: 

Am  Kai  in  Höhe  des  Trockendocks  1  wurde  ein  grosser  Saug¬ 
bagger  auf  der  Schelde  festgelegt  und  von  hier  aus  Wasser  nach 
dem  einige  hundert  Meter  entfernten  Dock  gepumpt.  Für  den  Pump¬ 
betrieb  wählte  man  die  Zeit  von  Niedrigwasser  bis  2  Stunden  nach 
Beginn  der  Flut,  da  in  dieser  Zeit  das  Scheldewasser  erfahrungs- 
gemäss  den  niedrigsten  Salzgehalt  hat.  In  dem  ungefähr  30  000  cbm 
fassenden  Dock  1  sollte  sich  eine  erste  Klärung  des  Wassers  durch 
Sedimentierung  abspielen.  Um  diese  zu  befördern,  fügte  man  dem 
einströmenden  Wasser  aus  einem  Eisentank  konzentrierte  Alaun¬ 
lösung  zu,  deren  Menge  so  bemessen  war,  dass  ungefähr  30  kg  Alaun 
auf  1000  cbm  Wasser  kamen. 

Nach  mehrstündigem  Stehen  des  Wassers  in  Dock  1  pumpten 
dann  die  Pumpen  kleiner  Schleppdampfer,  die  sonst  zu  Feuerlösch¬ 
zwecken  im  Hafen  dienen,  das  Wasser  nach  Dock  4,  5  und  6,  die 
zusammen  fast  45  000  cbm  Wasser  fassen. 

Im  ersten  dieser  Docks  erhielt  das  Wasser  einen  Zusatz  von  3  kg 
Chlorkalk  zu  1000  cbm.  Es  war  damit  beabsichtigt,  eine  Oxydation 
der  organischen  Substanzen  und  so  eine  Verminderung  der  fäulnis¬ 
fähigen  Stoffe  herbeizuführen,  damit  zugleich  desinfizierend  auf  das 
Wass'er  einzuwirken. 

Aus  Dock  5,  das  mit  Dock  6  kommuniziert,  entnahmen  wieder 
die  Pumpen  von  vier  kleinen  Schleppdampfern  das  Wasser  und 
drückten  es  durch  eine  oberirdisch  gelegte  Rohrleitung,  in  die  zur 
Erhöhung  des  Druckes  zwei  Windkessel  eingeschaltet  waren,  in  das 
Leitungsnetz  der  Stadt. 

Als  am  27.  September  die  Pumpstation  an  der  Nethe  wegen 
der  Beschiessung  die  Wasserlieferung  einstellte,  musste  die  neue 
Wasserversorgung  am  Hafen  in  Betrieb  genommen  werden.  Da 
jedoch  die  Rohre,  die  die  Verbindung  mit  dem  Stadtleitungsnetz 
herstellten,  zu  geringen  Durchmesser  hatten,  war  es  nicht  möglich, 
den  Wasserdruck  genügend  hoch  zu  bringen,  um  auch  die  Etagen 
der  Häuser  zu  versorgen.  Man  half  sich  im  September  zunächst 
damit,  dass  man  das  Wasser  in  die  grossen  Reservoire  nach  Leut- 
haagen  pumpte  und  von  hier  mittels  der  starken  Pumpanlage  des 
Zentralwasserwerkes  mit  ausreichendem  Drucke  dem  Stadtnetze  zu¬ 
führte.  Mit  dem  Legen  eines  neuen,  an  Durchmesser  grösseren 
Rohres  vom  Dock  bis  zum  Stadtnetz  war  begonnen  worden;  doch 
machte  die  Beschiessung  der  Stadt  am  9.  Oktober  den  Arbeiten  ein 
Ende.  Mit  Hilfe  eines  50  cm-Rohres  wäre  es  gelungen,  direkt  vom 
Dock  aus  ca.  20  000  cbm  Wasser  täglich  mit  ausreichendem  Druck  dem 
Stadtnetz  zuzuführen. 

Dass  man  mit  der  improvisierten  Anlage  kein  zu  Trinkzwecken 
geeignetes  Wasser  liefern  könne,  darüber  war  man  sich  klar. 
Zeitungsartikel  und  Maueranschläge  warnten  deshalb  auch  die  Be¬ 
völkerung  vor  dem  Genüsse  ungekochten  Wassers. 

Bei  der  Einnahme  der  Stadt  Mitte  Oktober  fanden  wir  die 
Verhältnisse  wie  oben  beschrieben  vor.  Das  Pump-  und  Filterwerk 
an  der  Nethe  war  durch  verschiedene  Granattreffer  stark  beschädigt. 
Das  Bedienungspersonal  am  Nethewerk  und  in  der  Pumpstation  in 
Leuthaagen  geflohen.  Das  Dockwasser  wurde  vom  Hafen  direkt 
in  das  Leitungsnetz  der  Stadt  gepumpt. 

Die  Instandsetzung  der  Netheanlagen  wurde  sofort  in  Angriff 
genommen,  die  Pumpstation  in  Leuthaagen  wieder  in  Gang  gesetzt 
und  vorläufig  mittels  letzterer  das  geklärte  Scheldewasser  der  Stadt- 
lcitung  zugeführt. 

Um  die  Wirkung  des  Reinigungsverfahrens  festzustellen,  wurden 
gleichzeitig  Wasserproben  aus  der  Schelde  und  den  verschiedenen 
Docks  bakteriologisch  und  chemisch  untersucht.  Das  Ergebnis  ist  in 
nachfolgender  Tabelle  mitgeteilt: 


Wasser 

aus: 

Farbe 

Geruch 

Geschmack 

Durch¬ 

sichtigkeit 

Rückstand 

110° 

Salpeter¬ 

säure 

Schwefel¬ 

säure 

Chlor 

NaCl 
im  Mille 

Ammoniak 

Salpetrige 

Säure 

Organ. 

Substanz 

KMnO,vertr 

Härte 

Schelde 

leicht 

gelb¬ 

lich 

ge¬ 

ruch¬ 

los 

salzig 

wenig 

trübe 

4,21 

0,004 

Spuren 

1,576 

2,597 

wenig 

wenig 

0,047 

45° 

Dock  1 

farb¬ 

los 

ge¬ 

ruch¬ 

los 

sehr 

wenig 

salzig, 

fast 

rein 

klar 

2,88 

0,017 

Spuren 

1,049 

1,696 

wenig 

Spur. 

0,041 

35° 

Dock  4 

farb¬ 

los 

ruch¬ 

los 

desgl. 

klar 

2,97 

0,0011 

Spuren 

1,171 

1,93  wenig 

Spur. 

0,037 

40° 

Dock  5 

farb¬ 

los 

ge- 

ruch-  desgl. 
los 

klar 

2,92 

0,0011 

Spuren 

1,171 

1,93  wenig 

Spur. 

0,035 

40° 

Die  Keimzahl,  die  im  Scheldewasser  unzählige  Keime  in  1  ccm 
betrug,  verringerte  sich  durch  den  Sedimentierungsprozess  in  Dock  1 
schon  auf  90  Keime  in  1  ccm.  In  Dock  4  fanden  sich  80  Keime  in  1  ccm 

Wasser. 


Während  sich  an  den  physikalischen  Eigenschaften  und  der  Keim¬ 
zahl  ein  guter  Einfluss  des  Klärverfahrens  erkennen  lässt,  zeigt  sich 
die  chemische  Zusammensetzung  des  Wassers,  wie  nicht  anders  zu 
erwarten  war,  nur  wenig  verändert.  Insbesondere  ist  der  Gehalt  an 
Chlor  bzw.  NaCl  und  organischen  Substanzen  sehr  hoch.  Für  den 
Gebrauch  im  Haushalt  war  wohl  die  grosse  Härte  des  Wassers  am 
störendsten. 

Die  Wiederherstellungsarbeiten  am  Nethewerk  gingen  so  flott 
vonstatten,  dass  es  möglich  war  am  21.  Oktober  schon  wieder 
7000  cbm  filtriertes  Wasser  nach  Leuthaagen  zu  pumpen.  Seit  dem 
25.  Oktober  konnte  die  Entnahme  aus  den  Docks  unterbleiben,  da  das 
Nethewerk  genügend  Wasser  lieferte.  Doch  wird  es  noch  eine  ge¬ 
raume  Zeit  dauern,  bis  der  Filterbetrieb,  die  Reservoire  und  das 
Stadtnetz  soweit  in  Ordnung  gebracht  sind,  dass  eine  einwandfreie 
Wasserlieferung  gewährleistet  ist. 

Vergegenwärtigen  wir  uns  zum  Schluss  nochmals  alle  die 
Schwierigkeiten,  denen  sich  die  Stadt  Antwerpen  beim  plötzlichen 
Versiegen  der  zentralen  Wasserversorgung  gegenüber  sah  —  Fehlen 
eines  Reservewasserwerkes,  Mangel  an  genügendem  Brunnenwasser, 
als  einzig  ergiebige  Wasserquelle  nur  der  unter  dem  Einfluss  von 
Ebbe  und  Flut  stehende  Fluss,  ohne  hierfür  vorgesehene  Reinigungs¬ 
anlagen  —  so  müssen  wir  sagen,  dass  es  in  guter  Weise  gelungen 
ist,  unter  geschickter  Benutzung  vorhandener  anderweitiger  Anlagen 
und  Hilfsmittel  einen  genügenden  Wasserersatz  zu  schaffen.  Zwar 
war  das  gewonnene  Wasser  zu  Trinkwasserzwecken  nicht  geeignet, 
doch  musste  diese  Forderung  hinter  der  Notwendigkeit  der  Be¬ 
schaffung  genügender  Mengen  von  Wasser  zu  Gebrauchszwecken 
zurücktreten. 

Vereine. 

1.  Kriegssanitätswissenschaftlicher  Abend  in  Pont 
Faverger  (VI.  Armeekorps) 

vom  20.  Oktober  1914. 

Vorsitz:  Generalarzt  Dr.  Leopold. 

Teilnehmerzahl:  54. 

Generalarzt  Dr.  Leopold  wies  nach  einer  kurzen  Begrüssung 
der  Versammlung,  an  der  auch  mehrere  höhere  Offiziere  teilnahmen, 
mit  einigen  Worten  auf  den  Zweck  und  die  Ziele  dieser  aus  den 
Friedensverhältnissen  ins  Kriegsleben  übernommenen  Veranstal¬ 
tungen  hin. 

Oberstabsarzt  Prof.  Dr.  Riemer:  Ueber  den  gegenwärtigen 
Stand  der  Seuchen  und  deren  Bekämpfung  im  VI.  Armeekorps. 

Von  Infektionskrankheiten  seien  bisher  nur  Fälle  von  Typhus 
und  Ruhr  zur  Meldung  gelangt  und  zwar  ausschliesslich  bei  der 
12.  Inf.-Division.  Die  Zahl  der  Fälle  sei  bisher  gering.  Während  die 
Ruhrerkrankungen,  die  in  der  Mehrzahl  leicht  verliefen,  bereits 
wesentlich  abgenommen  hätten,  wäre  ein  Rückgang  der  Typhusfälle 
noch  nicht  festzustellen,  doch  schiene  der  Höhepunkt  erreicht  zu 
sein  Die  Ansteckungsquelle  für  die  Typhuskranken  sei  unter  Be¬ 
rücksichtigung  der  Inkubationszeit,  in  früheren  Unterkünften,  westlich 

von  V .  .zu  suchen.  Die  Quelle  für  die  Ruhrerkrankungen 

müsse  dagegen  in  den  gegenwärtigen  Unterkunftsorten  gesucht 
werden. 

Redner  geht  dann  auf  die  Bekämpfung  der  Seuchen  ein 
und  betont,  dass  im  Kriege  dieselben  Massnahmen  wie  im  Frieden 
anzuwenden  seien.  Er  schildert  dann  kurz  das  Vorgehen,  wie  es 
im  Frieden  bei  der  Seuchenbekämpfung  in  den  Kasernen  gehandhabt 
wird  und  vergleicht  damit  die  Massnahmen,  welche  im  Felde  unter 
den  gegenwärtigen  militärischen  Verhältnissen  möglich  seien.  Wäh¬ 
rend  man  im  Frieden  nach  dem  Vorgänge  von  Koch  in  der  Haupt¬ 
sache  aktiv  gegen  die  Krankheitserreger  vorgehe,  d.  h.  sie  überall 
dort,  wo  sie  ausserhalb  des  Kranken  erscheinen,  zu  vernichten  suche, 
müsse  man  sich  im  Felde  wegen  der  ungünstigen  äusseren  Ver¬ 
hältnisse  mehr  auf  eine  Defensive,  d.  h.  den  Schutz  der  Soldaten 
gegen  das  Eindringen  der  Krankheitserreger  in  den  Körper  be¬ 
schränken.  Als  ein  besonders  erfolgreiches  Mittel,  um  die  Wider¬ 
standskraft  des  Organismus  gegen  die  Wirkung  der  Typhusbazillen 
zu  stärken,  sei  die  Typhusschutzimpfung  zu  nennen.  Der 
Erfolg  derselben  sei  durch  die  Statistik  bei  den  Engländern,  Fran¬ 
zosen,  Amerikanern  und  auch  in  unserem  südwestafrikanischen  Kriege 
einwandfrei  nachgewiesen.  Redner  geht  kurz  auf  die  verschie¬ 
denen  Arten  und  die  Bereitung  des  Impfstoffes  ein.  Am  6.  X.  14 
sei  auch  bei  der  12.  Division  mit  der  Schutzimpfung  begonnen  wor¬ 
den.  Es  sei  zu  hoffen,  dass  sie  sich  trotz  der  vorliegenden  schwie¬ 
rigen  Verhältnisse  durchführen  lasse  und  auch  von  Erfolg  gekrönt 
sein  werde. 

Diskussion:  Stabsarzt  d.  Res.  Prof.  Dr.  Coenen  sah  im 
1.  Balkankriege  in  Athen  starke  Störung  der  Wundheilung 
bei  ausbrechender  Typhusinfektion,  er  nimmt  eine  Toxinwir¬ 
kung  auf  die  Gefässe  an.  Er  bespricht  dann  die  auf  dem  türkischen 
Kriegsschauplatz  häufig  beobachtete  Spontangangrän  der  Füsse,  die 
ein  Teil  der  Chirurgen  auf  die  fortwährenden  Abkühlungen  und 
Durchnässungen  zurückführte,  und  Abkühlungsgangrän  nannte,  andere 
sahen  den  Grund  für  diese  Erscheinung  in  dem  schnürenden  Zug 
der  Wickelgamaschen  (D  r  e  y  e  r),  wieder  andere  (W  e  1  c  k  e  r) 


2398 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  50, 


machten  die  chronischen  Darniseuchen,  hauptsächlich  die  Cholera¬ 
toxine,  dafür  verantwortlich. 

Oberarzt  d.  Res.  Dr.  Käthe  macht  auf  die  in  Schlesien  be¬ 
sonders  häufig  vorkommenden  Typhusbazillendauerausscheider  auf¬ 
merksam  und  hebt  hervor,  dass  diesen  eine  wesentliche  Bedeutung 
für  die  Entstehung  der  Epidemie  im  VI.  Armeekorps  zugeschrieben 
werden  müsse. 

Stabsarzt  d.  Res.  Dr.  0  p  p  e  1 1  betont,  dass  in  Sachsen  eben¬ 
falls  viele  Dauerausscheider  vorkämen.  Der  Verlauf  der  Typhus¬ 
erkrankungen  im  hiesigen  Seuchenlazarett  wäre  nicht  schwer,  die 
Mortalität  gering. 

Oberarzt  d.  Res.  Prof.  Dr.  Hannes:  Zur  Frage  der  Asepsis  im 
Felde.  (Der  Vortrag  ist  in  Nr.  49  der  M.m.W.,  Feldärztl.  Beil.  Nr.  18 
erschienen.) 

Diskussion:  Beratender  Chirurg,  Hofrat  Dr.  Haenel- 
Dresden  betont  die  unbedingte  Notwendigkeit  des  Arbeitens  mit 
Gummihandschuhen,  hält  den  Bestand  der  Feldlazarette  an  solchen 
für  nicht  ausreichend.  Dem  Mastisol,  das  er  in  der  eigenen  Praxis 
seit  3  Jahren  mit  gutem  Erfolge  anwendet,  gibt  er  vor  der  Jod¬ 
tinktur  den  Vorzug  und  empfiehlt  seine  Anwendung  bei  jedem  Ver¬ 
bände  und  jeder  Operation. 

Stabsarzt  d.  Res.  Prof.  Dr.  C  o  e  n  e  n  hält  den  in  der  Friedens¬ 
praxis  üblichen  verschärften  Wundschutz  mit  Gummihandschuhen, 
Gaudanin.  Mastisol  und  dergleichen  in  den  vorderen  Linien 
bis  zum  Feldlazarett  rückwärts  nicht  für  durchführbar,  er 
ist  auch  nicht  nötig,  wenn  man  rein  physikalisch  der  Wund¬ 
infektion  entgegenarbeitet,  wenn  man  ausgiebig  grosse  Ver¬ 
bände  mit  weitgehender  Schienung  anlegt  und  dadurch  den  Re¬ 
sorptionsstrom  eindämmt.  Dies  ist  das  alte  v.  Bergmannsche 
Prinzip,  das  heute  noch  so  besteht,  wie  vor  50  Jahren.  C  o  e  n  e  n 
ist  ein  Gegner  des  Mastisol,  für  die  Mastisolbehandlung  eignen  sich 
nur  glatte,  wenig  sezernierende  Wunden,  nicht  die  schweren,  stark 
blutenden  Zerreissungen  und  Zerschmetterungen,  die  hauptsächlich 
unsere  Eingriffe  erfordern. 

Generalarzt  Dr.  Leopold  weist  kurz  auf  die  Ergebnisse  der 
von  der  Heeressanitätsverwaltung  vor  dem  Kriege  angeordneten 
Versuche  mit  Mastixlösung  hin  und  betont,  dass  die  grosse  Mehrzahl 
der  Berichterstatter  seinerzeit  ihre  Verwendung  in  der  ersten  Linie 
wegen  der  nicht  ganz  einfachen  Anwendungsweise  und  der  Gefahr 
des  Verschmierens  der  Finger  abgelehnt  habe. 

Stabsarzt  Dr.  Kayser  berichtet  kurz  über  die  Erfahrungen 
des  Feldlazaretts  6  während  4 Va  tägiger  Tätigkeit  in  L  .  .  .  F  .  .  .  . 
unter  ungeheuer  schwierigen  äusseren  Verhältnissen  und  während 
3  wöchiger  Tätigkeit  in  Pont  Faverger,  wo  die  Verhältnisse  selten 
günstig  liegen.  Organisatorische  und  Ausstattungsfragen  werden 
kurz  gestreift.  In  der  Frage  der  Asepsis  hält  der  Vortragende  für 
das  Wichtigste  im  Felde  die  Abstinenz  der  Hände,  deshalb 
jeder  Verbandwechsel  infizierter  Wunden  nur  mit  Handschuhen. 
Die  ersten  Verbände  waren  fast  durchweg  vorzüglich.  Schaden 
von  Jod  wurde  nie  gesehen.  Das  Mastisol  hält  der  Vortragende  für 
hervorragend  nützlich  und  für  nahezu  unentbehrlich  bei  allen  jenen 
Verbänden,  die  auf  dem  Transport  erfahrungsgeinäss  auch  bei 
vollendetster  Verbandtechnik  rutschen  (Schulter,  Rücken,  Gesäss). 
ln  der  Behandlung  der  Gliedmassenverletzungen  ist  Kayser  ausser¬ 
ordentlich  konservativ,  was  er  noch  nicht  zu  bereuen  Anlass  hatte. 
Hinsichtlich  der  Bauchschüsse  haben  ihm  klinische  und  Obduktions¬ 
erfahrungen  der  letzten  Zeit  immer  wieder  vor  Augen  geführt,  dass 
so  mancher  zu  retten  wäre,  wenn  der  Transport  unterbliebe.  Die 
Mehrzahl  der  beobachteten  Lungenschüsse  bot  seit  Wochen  ein  der¬ 
art  schweres  Krankheitsbild,  dass  Redner  dem  oft  ausgesprochenen 
Worte  von  deren  Harmlosigkeit  ganz  und  gar  nicht  zustimmen  kann. 
Die  Differentialdiagnose  Hämothorax  oder  Empyem  ist  oft  sein- 
schwierig.  Ein  Zertrümmerungsschuss  der  Wirbelsäule  mit  abso¬ 
luter  Lähmung  vom  Nabel  abwärts  kam  in  der  Glissonschen 
Schlinge  zu  günstiger  Ausheilung.  Die  Mitführung  dieses  Gerätes 
bei  den  Feldlazaretten  wäre  nötig.  Die  Tangentialschüsse  des  Schä¬ 
dels  waren  ein  dankbares  Feld  operativer  Tätigkeit.  Zum  Schluss 
berichtet  K.  über  die  sehr  wertvollen  Ergebnisse  von  Obduktionen 
im  Feldlazarett,  zu  deren  Ausführung,  wo  sie  nur  irgend  möglich  ist, 
zu  Nutz  und  Frommen  unserer  Verwundeten  gar  nicht  genug  geraten 
werden  kann. 

Diskussion:  Herr  C  o  e  n  e  n  macht  auf  die  sich  jetzt  häufen¬ 
den  Handschüsse  aufmerksam,  die  im  Balkankriege  meist  von  Selbst¬ 
verstümmelungen  herrührten,  jetzt  aber  ihre  natürliche  Erklärung 
finden  durch  die  Tatsache,  dass  in  den  Schützengräben  die  Hände  in 
der  Anschlagstellung  stark  exponiert  sind. 


Berliner  vereinigte  ärztliche  Gesellschaften. 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzung  vom  9.  Dezember  1914. 

Vorsitzender:  Herr  Orth. 

Schriftführer:  Herr  v.  Hansemann. 

Herr  Toby  Cohn:  Behandlung  der  Peroneuslähmung. 

Vortr.  demonstriert  einen  Kollegen  mit  Peroneuslähmung  infolge 
einer  im  Kriege  erworbenen  Verletzung,  der  durch  einen  sinnreich 
angebrachten  Schnürsenkel  den  Fuss  dorsal  flektiert  hält  und  daher 
einen  normalen  Gang  aufweist. 


Diskussion  zu  dem  Vortrage  des  Herrn  Morgen  rot  h: 
Die  Chemotherapie  der  Pncumokokkeuinfektion. 

Herr  Erich  L  e  s  c  h  k  e  berichtet  über  chemotherapeutische  Ver¬ 
suche  mit  Optochin  bei  verschiedenen  Infektionskrankheiten.  Die  Er¬ 
fahrungen  bei  der  Pneumonie  sind  noch  zu  gering,  um  ein  ab¬ 
schliessendes  Urteil  zu  ermöglichen,  was  hauptsächlich  an  der  un¬ 
günstigen  Beschaffenheit  des  Krankenhausmateriales  liegt,  das  meist 
Patienten,  die  schon  im  Stadium  der  vollendeten  Hepatisation  sind, 
umfasst.  Wenn  auch  bei  diesen  Fällen  die  günstige  Wirkung  der 
Optochinbehandlung  meist  zu  erkennen  ist,  so  sind  für  die  endgültige 
Bewertung  des  Mittels  in  der  Therapie  der  Pneumonie  doch  nur  die 
Fälle  zu  benutzen,  bei  denen  die  Behandlung  am  ersten  oder  zweiten 
Tage  eingesetzt  hat.  Am  augenfälligsten  ist  die  günstige  Beein¬ 
flussung  des  Allgemeinbefindens  und  der  Atmung,  die  die  Kranken¬ 
pflege  ungemein  erleichtert.  Objektiv  bemerkenswert  ist  die  anti¬ 
pyretische  Wirkung  sowohl  auf  die  Höhe  wie  auf  die  Dauer  des 
Fiebers.  Meist  erfolgt  lytischer  Abfall  der  Temperatur  schon  am 
3. — 6.  Tage.  Die  Unwirksamkeit  des  Mittels  im  Stadium  der  aus- 
gebildeten  Hepatisation  beruht  wohl  darauf,  dass  es  an  die  in  ein 
dichtes  Netz  von  Fibrin  und  Exsudatzellen  eingebetteten  Pneumo¬ 
kokken  gar  nicht  oder  nur  in  ungenügender  Konzentration  heran¬ 
kommt.  —  Auch  Versuche  bei  der  Behandlung  der  Pneumo¬ 
kokkenangina  und  Pneumokokkeninfluenza  führten  zu 
günstigen  Ergebnissen.  Vortr.  unterscheidet  3  Formen  der  Pneumo-  i 
kokkenangina:  die  follikuläre  Pneumokokkenangina,  die  Pneumo- 
kokkeninfluenza  (die  häufigste  Form  der  grippalen  Erkältungskrank¬ 
heiten)  und  die  Pneumokokkämie  mit  sepsisartigem  Fieberverlauf. 
Bei  allen  3  Formen  bewährte  sich  die  Verabreichung  von  0,4 — 0,5  g 
Optochin  dreimal  täglich  in  Oblaten.  Vortr.  empfiehlt  auch,  Ver-  j 
suche  bei  der  Pneumokokkenotitis  mit  lokaler  Optochineinblasung  zu  1 
machen.  Bei  allen  anderen  Infektionskrankheiten,  namentlich  auch 
bei  den  durch  Streptokokken  hervorgerufenen,  sowie  beim  Typhus 
war  das  Optochin  wirkungslos  und  zeigte  auch  keinen  antipyretischen  | 
Effekt.  Die  antipyretische  Wirkung  bei  den  Pneumokokkeninfck- 
ticnen  ist  daher  keine  allgemeine  Chininwirkung,  sondern  eine  spe¬ 
zifische  ätiotrope. 

Herr  Morgenroth  (Schlusswort)  bestätigt  auf  Grund  seiner 
experimentellen  Erfahrungen  die  Angabe  von  L  e  s  c  h  k  e,  dass  die 
Optochinwirkung  eine  spezifische  und  keine  allgemeine  Chininwirkung 
sei.  Klinische  Untersuchungen  französischer  Autoren  über  die  Be¬ 
handlung  der  Pneumonie  mit  hohen  Chinindosen  führten  zu  dein 
Ergebnis,  dass  das  Chinin  (im  Gegensatz  zum  Optochin)  bei  der 
Pneumonie  keine  deutliche  antipyretische  Wirkung  hat,  wohl  aber 
einen  gewissen  günstigen  Einfluss  ausübt. 

Die  Amblyopie  beruht  weniger  auf  dem  Optochin  als  auf  der 
Wirkung  der  Pneumokokkentoxine.  Bemerkenswerterweise  sind  ge¬ 
rade  in  den  Fällen,  bei  denen  die  Therapie  frühzeitig  eingeleitet 
wurde,  solche  Nebenwirkungen  niemals  beobachtet  worden.  Auch 
Glaser  hat  ebenso  wie  A.  F  r  a  e  n  k  e  1  bei  rechtzeitiger  Verab¬ 
reichung  günstige  Erfolge  gehabt.  Schon  Curschmann  hatte i 
vermutet,  dass  die  meisten  Fälle  von  Influenza  auf  Pneumokokken¬ 
infektion  beruhen.  Die  Ausführungen  von  Leschke  über  die  Opto¬ 
chinbehandlung  der  verschiedenen  Formen  der  Pncumokokkcnangina 
berechtigen  zu  weiteren  Versuchen  auch  bei  dieser  Erkrankung. 

Herr  Saul:  Beziehungen  der  Helminthen  und  Protozoen  zur 
Geschwulstätiologie. 

Vortr.  demonstriert  Mikrophotogramme  von  Geschwulstbildungen 
durch  Parasiten.  Löwenstein  hat  schon  1910  bei  einem  Epi¬ 
theliom  der  Ratte  Parasiten  gefunden  (vor  Fibiger).  Die  Para¬ 
siten  fungieren  dabei  nicht  als  Zwischenwirte  eines  gesch willst- i 
erregenden  Mikroben,  sondern  geben  durch  ihre  Stoffwechselprodukte 
den  Reiz  ab  sowohl  zur  Gewebseinschmelzung  in  der  nächsten,  wie 
zur  Gewebswucherung  in  der  weiteren  Umgebung,  wie  Vortr.  schon 
1908  durch  Versuche  mit  Einpflanzung  von  Cysticercus  fasciolatus. 
gefunden  hat.  Auch  die  Kokzidien  in  den  üallengängen  sowie  die 
Insektenstiche  bei  Pflanzen  haben  die  gleiche  Wirkung:  Gewebs- 
auflösung  in  der  nächsten  Umgebung,  Wucherung  in  den  folgenden 
Zonen.  Das  physiologische  Analogon  hierzu  bietet  die  Einbettung 
des  befruchteten  Eis  in  die  Uterusschleimhaut,  wobei  auch  die  um¬ 
gebenden  Partien  des  Gewebes  einschmelzen,  die  entfernteren 
wuchern.  Manche  Parasiten  bewirken  bei  Tieren  eine  starke  Hyper¬ 
trophie  der  von  ihnen  befallenen  Zellen  (W  eissenberg:  Parasiten 
in  Ganglienzellen),  ln  Froschblut  kann  man  die  zellauflösende  Fern¬ 
wirkung  der  Stoffwechselproduktc  mancher  Parasiten  auf  die  roten 
Blutkörperchen  sehen.  (Schluss  folgt.) 


Kleine  Mitteilungen. 

Therapeutische  Notizen. 

In  Nr.  44  d.  Wschr.,  Feldärztl.  Beil.,  habe  ich  auf  die  vortreff¬ 
liche  Wirkung  der  Ortizonstifte  hingewiesen,  ihren  ausser¬ 
ordentlich  stimulierenden  Einfluss  auf  die  Granulationsbildung  sowie 
das  vortreffliche  Endresultat  bei  Weichteilwunden,  die  anfangs  stark 
jauchten  und  eine  Heilung  kaum  erwarten  Hessen.  Neben  der  ad¬ 
stringierenden  —  ich  will  nicht  sagen  ätzenden  —  Wirkung  spielt 
aber  auch  die  desodorisierende  Wirkung  eine  Rolle,  die  wir  augen¬ 
blicklich  im  Reservelazarctt  I  bei  den  schwer  verwundeten  Russen 
mit  starken,  z.  T.  jauchenden  und  schwer  eiternden  Weichteilver- 


15.  Dezember  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


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letzungen  tagtäglich  feststellen  können.  Die  gleich  günstige  Wirkung 
wurde  vor  kurzem  von  Sanitätsrat  Dr.  Ruhemann  (Reservelaza¬ 
rett  Berlin-Tempelhof)  in  der  D.m.W.  festgestellt.  Sehr  erfreulich 
war  es  mir  nun,  dass  auch  von  Herrn  Kollegen  Rindfleisch  aus 
dem  Reservelazarett  Weimar  die  gleichen  Beobachtungen  mitgctcilt 
wurden.  Die  Aerzte  meines  Lazarettes  wollen  den  Ortizonstift  in 
geeigneten  Fällen  gar  nicht  mehr  entbehren.  Auch  in  Wundhöhlen 
kann  man  den  Stift  unbesorgt  einlegen,  da  er  ja,  im  Gegensatz  zu 
Höllenstein,  nicht  ätzt.  In  meinem  Aufsatz  über  Wasserstoffsuper¬ 
oxydpräparate  erwähnte  ich,  .dass  ich  Ortizon  —  ähnlich  dem  vor¬ 
trefflich  wirkenden  Merck  sehen  Zinkperhydrol  —  auch  in  Pulver¬ 
form  mit  Zinc.  oxydat.  und  Talkum  verwenden  liess.  Neuerdings  hat 
mir  die  Firma  Bayer  &  Co.  ein  in  der  Fabrik  hergestelltes  Orti- 
zonstreupulver  zu  Versuchen  zur  Verfügung  gestellt,  so  dass 
wir  die  Wirkung  des  Ortizonstiftes  mit  derjenigen  des  Trockenver¬ 
bandes  mit  hydrophiler  Gaze  und  dem  desinfizierend  wirkenden  Orti- 
zonpulver  verbinden  können.  Die  Wundheilung  vollzieht  sich  aus¬ 
gezeichnet  unter  dieser  Kombination,  so  dass  ich  beide  Mittel  —  Orti- 
zonstifte  und  das  neue  Ortizonpulver  —  aufs  dringendste  empfehlen 
möchte.  Eine  diesbezügliche  Arbeit  wird  demnächst  an  anderer  Stelle 
erscheinen. 

Prof.  Dr.  Walther,  Chefarzt  des  Reservelazarettes  I  Giessen. 

Der  Jodspray.  Der  Jodspray  hat  folgende  Vorteile:  1.  Er 
spart  sehr  an  Jod.  Bisher  wurde  mehr  als  4/s  vom  entnommenen  Jod 
mit  der  Gaze  fortgeworfen.  2.  Er  spart  Gaze,  da  man  keine  ge¬ 
braucht.  3.  Er  lässt  die  Finger  rein.  4.  Er  gestattet  die  Anwendung 
des  Jods  in  alle  Fugen  und  Höhlen  der  Wunden,  die  man  mit  der 
Gaze  gar  nicht  erreichen  kann.  5.  Er  erspart  den  Patienten  Schmer¬ 
zen,  da  man  die  Wunde  nicht  zu  berühren  braucht.  6.  Derselbe  kann 
auch  bei  der  Desinfektion  des  Operationsgebietes  vorteilhaft  Ver¬ 
wendung  finden.  Ich  habe  einen  Spray  anfertigen  lassen,  welcher 
es  gestattet,  alle  Körperstellen  des  liegenden  oder  sitzenden  Patienten 
bequem  erreichen  zu  können.  Mit  dem  gewöhnlichen  Spray  ist  dies 
nicht  möglich,  da  er  beim  Schiefhalten  versagt.  Die  Apparate  sind 
gesetzlich  geschützt  und  von  der  Firma  Heinz,  Aachen,  Vinzenz¬ 
strasse  15,  zu  beziehen.  Jedem  Apparat  wird  eine  Gebrauchsan¬ 
weisung  beigegeben.  Dr.  D  e  d  o  1  p  h,  Aachen,  Reservelazarett  II. 


Tagesgeschichtliche  Notizen 

München,  den  14.  Dezember  1914. 

—  Die  Chronik  der  abgelaufenen  Woche  verzeichnet  die  Ver¬ 
nichtung  von  vier  deutschen  Kreuzern  bei  den  Falklandsinseln.  Be¬ 
deutungslos  für  den  weiteren  Verlauf  des  Krieges  und  als  unab¬ 
wendbares  Geschick  vorausgesehen,  löst  das  beklagenswerte  Er¬ 
eignis  doch  wegen  des  unersetzlichen  Verlustes  von  zahlreichen 
blühenden  Menschenleben  in  ganz  Deutschland  tiefste  Trauer  aus. 
Von  der  erdrückenden  Ueberniacht  besiegt,  starben  sie  in  treuer 
Pflichterfüllung  zum  Ruhme  Deutschlands.  Auf  dem  westlichen 
Kriegsschauplatz  sind  grössere  Ereignisse  nicht  zu  erwähnen:  im 
Osten  bezeichnet  die  Einnahme  von  Lodz  den  Haupterfolg  der 
deutschen  Operationen. 

—  Die  gegen  das  schändliche  kriegsgerichtliche  Urteil  gegen 
deutsche  Militärärzte  durch  amerikanische  Vermittlung 
deutscherseits  erhobene  Verwahrung  scheint  nicht  ohne  Erfolg  ge¬ 
blieben  zu  sein.  Es  wird  gemeldet,  dass  das  Revisionsgericht  des 
Militärgouvernement  Paris  das  Urteil  wegen  eines  Formfehlers  auf¬ 
gehoben  und  die  Angelegenheit  vor  ein  anderes  Kriegsgericht  ver¬ 
wiesen  habe.  Man  darf  hoffen,  dass  dieses  Gericht  einen  gerechteren 
Spruch  fällen  und  so  die  französische  Kriegsjustiz  von  dem  Vor¬ 
wurfe  brutaler  Rechtsbeugung  befreien  wird. 

Inzwischen  sind  weitere  Verurteilungen  deutschen  Sanitätsper¬ 
sonals  vorgekommmen,  bei  denen  allerdings  die  Schuldfrage  weniger 
klar  zu  liegen  scheint.  In  diesen  Fällen  wird  behauptet,  dass  die 
Verurteilten  im  Besitz  von  Wertgegenständen  (Uhren  u.  dgl.),  die 
sie  sich  widerrechtlich  angecigne»  hätten,  gefunden  worden  seien. 
Der  Grundsatz  der  Unverletzlichkeit  des  Privateigentums  im  Kriege 
ist  zwar  gerade  von  unseren  Gegnern  in  diesem  Kriege  oft  genug 
gebrochen  worden;  daraus  folgt  aber  nicht,  dass  deutsche  Truppen 
das  auch  tun  sollen.  Im  Interesse  des  guten  Rufes  unseres  Heeres 
sollten  sich  namentlich  Offiziere  und  Aerzte  der  Mitnahme  irgend¬ 
welcher  Wertgegenstände  im  Feindesland  streng  enthalten.  Dass 
dies  in  einem  bestimmten  Falle  nicht  geschehen  sei,  müsste  aller¬ 
dings  erst  einwandfreier  erwiesen  werden,  als  es  durch  das  etwas 
in  Misskredit  gekommene  Pariser  Kriegsgericht  geschehen  kann. 

—  In  Lille  ist  in  der  Nacht  vom  28.  auf  29.  November  ein 
Flügel  des  Gouvernementslazaretts  abgebrannt.  Die 
Verwundeten  und  Kranken  konnten  rechtzeitig  in  Sicherheit  gebracht 
werden.  Die  Ursache  des  Brandes  ist  nicht  bekannt.  Brandstiftung 
ist  nicht  ausgeschlossen,  doch  ist  es  wahrscheinlicher,  dass  das  Feuer 
durch  Handwerksleute  entstand. 

—  Nach  den  bisherigen  Verlustlisten  berechnet  die  Berlin. 
Aerztekorr.  den  bisherigen  Verlust  an  rein  ärztlichem 
Personal  auf  342  Mann:  davon  sind  leicht  verwundet  112,  schwer 
verwundet  40,  erkrankt  L  tot  (einschliesslich  der  an  Krankheiten 
gestorbenen)  65,  vermisst  78,  in  Gefangenschaft  46;  das  sind  an¬ 
nähernd  3  Proz.  des  gesamten  Aerztepcrsonals. 


Disziplin  arstrafgewalt  der  Chefärzte  der 
grösseren  K  r  i  e  g  s  1  a  z  a  r  e  1 1  e.  Das  Verordnungsblatt  des 
Kriegsmini9teriums  meldet:  S.  M.  der  König  hat  genehmigt,  dass  die 
Chefärzte  der  grösseren  Kriegs-,  Etappen-,  Festungs-  und  Reserve- 
iuzarette  die  Diszlplinarstrafgewalt  eines  nicht  detachierten  Kom¬ 
pagniechefs  über  die  zu  diesen  Lazaretten  gehörenden  und  die  darin 
aufgenommenen  Unteroffiziere  und  Gemeinen  erhalten.  Hierzu  gibt 
das  Kriegsministerium  erläuternd  bekannt,  dass  als  grössere  Lazarette 
diejenigen  anzusehen  sind,  in  denen  Stationsbehandlung  nicht  durch 
den  Chefarzt,  sondern  durch  besondere  Sanitätsoffiziere  erfolgt. 

—  Das  König-Ludwig-Bad  (Fürth  in  Bayern)  lässt  auf 
die  Dauer  von  zunächst  6  Monaten  in  jedem  Monat  180  Kriegsteil¬ 
nehmer  ohne  Unterschied  des  Dienstgrades  zu  je  einer  4  wöchigen 
unentgeltlichen  Trink-  und  Badekur  zu.  Von  dem  Anerbieten  wird 
seitens  der  Militärbehörden  bereits  Gebrauch  gemacht.  Ausserdem 
hat  die  König-Ludwig-Quelle  G.  m.  b.  H.  seit  Beginn  des 
Krieges  dem  Bayerischen  Kriegsministerium  und  dem  Zentralkomitee 
des  Roten  Kreuzes  100  000  Flaschen  ihres  Mineraltafelwassers  Do- 
sanabrunnen  überlassen. 

—  Bad  Kreuznach  wird  in  diesem  Jahre  seinen  Kurbetrieb 
im  Winter  nicht  unterbrechen,  sondern  im  Interesse  unserer  ver¬ 
wundeten  und  kranken  Krieger  aufrecht  erhalten.  Die  Kreuznacher 
Kurmittel  werden  den  Lazaretten,  in  denen  fast  stets  ca.  1000  Ver¬ 
wundete  in  Behandlung  sind,  von  der  Stadt  Kreuznach  unentgeltlich 
geliefert. 

—  Der  Inhaber  der  Firma  J.  Serra  vallo  in  Triest,  hat  für 
Kriegsfürsorgezwecke  nebst  einem  grösseren  Barbetrag  über  3300 
Flaschen  seines  „Serravallos  Chinawein  mit  Eisen  und 
600  Liter  Tafelwein  gespendet. 

—  Cholera.  Deutsches  Reich.  In  der  Woche  vom  29.  No¬ 
vember  bis  5.  Dezember  sind  im  Reg.-Bez.  Oppeln  8  Cholerafälle 
gemeldet  worden,  darunter  4  in  Königl.  Neudorf  (Kr.  Oppeln),  3  in 
Beuthen  —  bei  österreichischen  Militärpersonen  —  und  1  im  Kreise 
Pless.  Ausserdem  wurden  einige  Cholerafälle  bei  russischen  Kriegs¬ 
gefangenen  sowie  bei  Verwundeten  oder  Kranken,  die  vom  östlichen 
Kriegsschauplatz  kamen,  festgestellt.  —  Oesterreich-Ungarn.  In  der 
Woche  vom  8. — 14.  November  wurden  in  Oesterreich  515  Erkran¬ 
kungen  (und  132  Todesfälle)  festgestellt,  und  zwar  in  Niederöster- 
reich  103  (7)  —  davon  in  Wi?n  100  (6)  — ,  in  Salzburg  in  1  Gern.  1 
in  Steiermark  in  6  Gern.  19  (6)  —  davon  in  Graz  3  — ,  in  Kärnten  in 
2  Gern.  7  (4),  in  Böhmen  in  11  Gern.  28  (12),  in  Mähren  in  20  Gern. 
64  (15),  in  Schlesien  in  7  Gern.  18  (5),  in  Galizien  in  29  Gern.  269  (83) 
—  davon  in  Krakau  19  (1),  in  Przemysl  6  (3).  In  Ungarn  wurden 
in  derselben  Zeit  417  Erkrankungen  (hierunter  265  bei  Militärper¬ 
sonen  und  1  bei  einem  Kriegsgefangenen)  gemeldet,  davon  in  den 
Städten  Pest  20  (darunter  19  bei  Militärpersonen),  Debreczen  11 
(bei  Militärpersonen),  Kaschau  4  (darunter  3  bei  Militärpersonen), 
Kecskemet  1,  Kiausenburg  1,  ürosswardein  3,  Pressburg  1,  Szatmar- 
Nemeti  1. 

—  Pest.  Niederländisch-Indien.  Vom  4. — 17.  November  wur¬ 
den  409  Erkrankungen  (und  471  Todesfälle)  gemeldet.  —  China.  In 
Kanton  sind  vom  11.  Juni  bis  12.  Juli  325  Erkrankungen  festgestellt 
worden,  doch  erreicht  diese  amtlich  ermittelte  Zahl  angeblich  nicht 
die  Zahl  der  in  Wirklichkeit  vorgekommenen  Krankheitsfälle. 

— -  In  der  47.  Jahreswoche,  vom  22. — 28.  November  1914,  hatten 
von  deutschen  Städten  über  40  000  Einwohner  die  grösste  Sterblich¬ 
keit  Heilbronn  mit  59,4,  die  geringste  Berlin-Friedenau  mit  4,4  Todes¬ 
fällen  pro  Jahr  und  1000  Einwohner.  Mehr  als  ein  Zehntel  aller 
Gestorbenen  starb  an  Scharlach  in  Königshütte,  Thorb,  an  Diphtherie 
und  Krupp  in  Altenessen,  Berlin-Pankow',  Bromberg,  an  Unterleibs¬ 
typhus  in  Heidelberg,  Pforzheim,  Thorn.  Vöff.  Kais.  Ges.A. 

(H  o  e  i.  $  e  h  u  1  n  a  c  h  r  i  c  h  t  e  n.) 

Berlin.  Der  Geh.  Med.-Rat  Prof.  Dr.  Karl  Posner,  der 
langjährige,  um  die  deutsche  medizinische  Publizistik  hochverdiente 
Herausgeber  der  B.kl.W.,  feiert  am  16.  ds.  seinen  60.  Geburtstag. 

Breslau.  S.  M.  der  Kaiser  besuchte  bei  seinem  Aufenthalt  in 
Breslau,  in  den  ersten  Tagen  des  Dezember,  auch  die  Verwundeten 
und  sprach  den  Aerzten  seine  Anerkennung  aus.  —  Geh.  Med.-Rat 
Prof.  Dr.  K  ii  1 1  n  e  r,  Direktor  der  chirurgischen  Universitätsklinik, 
Marine-Generaloberarzt  ä  1.  s.  ist  auf  Veranlassung  des  Kriegsmini¬ 
steriums  als  beratender  Chirurg  für  die  Festungslazarette  Breslau 
sowie  für  die  Reserve-  und  Vereinslazarette  der  Provinzen  Schlesien 
und  Posen  vom  Reichsmarineamt  zur  Verfügung  gestellt  worden  und 
bereits  wieder  in  Breslau  eingetroffen. 

Halle  a/S.  Der  Assistent  der  chirurgischen  Klinik  Dr.  Paul 
Zander  hat  sich  für  Chirurgie  habilitiert. 

Königsberg  i.  Pr.  Der  a.  o.  Professor  Dr.  Arthur  Birch- 
Hir  Sehfeld  in  Leipzig  wmrde  als  Ordinarius  der  Augenheilkunde 
als  Nachfolger  von  Prof.  Schi  eck  berufen;  er  wird  schon  in  den 
nächsten  Tagen  den  augenärztlichen  Unterricht  in  Königsberg  über¬ 
nehmen.  (hk.) 

Strassburg.  Dem  Stabsarzt  der  Landwehr  a.  D.  im  würt- 
tembergischen  Sanitäskorps,  Geh.  Med.-Rat  Dr.  H.  Fehling  ist  der 
Charakter  als  Generaloberarzt  verliehen  worden,  (hk.) 

Innsbruck.  Der  ordentliche  Professor  der  Geburtshilfe  und 
Gynäkologie  Hofrat  Dr.  Ehrendorfer  ist  in  den  dauernden  Ruhe¬ 
stand  getreten,  (hk.) 

(Todesfälle.) 

In  Bad  Tölz  starb  am  8.  ds.  im  67.  Lebensjahr  der  dortige  Bade¬ 
arzt  Hofrat  Dr.  Max  Höf  ler.  Um  den  Kurort,  in  dem  er  40  Jahre 


2400 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  5f 


lang  wirkte  und  der  auch  seine  Vaterstadt  war  —  sein  Vater  war 
der  eigentliche  medizinische  Begründer  des  Bades  —  hat  er  sich 
grosse  Verdienste  erworben.  Die  Stadt  Tölz  ernannte  ihn  dafür  zum 
Ehrenbürger.  Ausgezeichnetes  hat  H  ö  f  1  e  r  in  der  folkloristischen 
Erforschung  seiner  Heimat  geleistet.  Seine  Schriften  auf  diesem  Ge¬ 
biete  haben  in  Fachkreisen  hohe  Anerkennung  gefunden  und  die  Uni¬ 
versität  Heidelberg  veranlasst,  ihm  die  philosophische  Doktorwürde 
honoris  causa  zu  verleihen.  Höf ler  war  ein  echter  Sohn  seiner 
Heimat,  ein  gesunder  Kern  in  rauher  Schale,  ein  guter  Typus  des 
praktischen  Arztes:  aufopfernd,  energisch,  unbedingtes  Vertrauen  er¬ 
weckend,  dabei  gebildet  und  von  Interessen  weit  über  sein  Fach 
hinaus  erfüllt.  Ehre  seinem  Andenken! 

Am  6.  Dezember  starb  der  Direktor  der  Grossh.  bad.  Heil-  und 
Pflegeanstalt  zu  Pforzheim,  Geh.  Med.-Rat  Dr.  Franz  Fischer,  (hk.) 

Der  berühmte  Physiker  der  Hochschule  in  Münster,  Exz.  Geheim¬ 
rat  Wilhelm  Hittorf  ist  im  Alter  von  90  Jahren  gestorben.  Er 
war  der  Entdecker  der  Kathodenstrahlen  und  der  für  die  Röntgeno¬ 
logie  so  wichtig  gewordenen,  in  Deutschland  aber  mit  echt  deutscher 
Zähigkeit  fälschlicherweise  nach  dem  Engländer  C  r  o  o  k  e  s  benann¬ 
ten  Röhren. 


Fürs  Vaterland  starben: 

Feldunterarzt  Friedrich  D  i  e  r  k  e,  28.  Oktober  1914,  Lazarett 
Schöneberg. 

Feldunterarzt  Gustav  D  ü  n  b  i  e  r,  158.  Infanterieregiment, 
cand.  med.  E.  Erdtmann,  Grenadierregiment  3. 

M.  Gaste  1,  Unterhaching. 

stud.  med.  Karl  Guide,  Kriegsfreiw.  im  Res.-Feldart.-Reg. 
Nr.  54  (Mössingen). 

Unterarzt  Hammel  aus  Strassburg,  Inf.-Reg.  143. 

St.-A.  d.  Res.  Martin  H  e  y  d  e,  Privatdozent  für  Chirurgie  in 
Marburg. 

cand.  med.  Johann  Hein, 
stud.  nicd.  F.  Holzman n. 

Unterarzt  Kersting,  Res.- Inf.-Reg.  Nr.  236,  Köln,  I.  Bat. 
3.  Komp. 

Stabs-  und  Bat.-Arzt  Dr.  Fritz  P  o  1  y,  Würzburg,  Inf.-Reg.  116 
(Giessen),  gest.  im  Lazarett  Nesle. 

Feldunterarzt  C.  S  a  1  o  m  o  n.  Lübeck. 

Unterarzt  Dr.  Seligmann,  Res.-Inf.-Reg.  214,  bisher  Assi¬ 
stent  am  Krankenhaus  in  Lübeck, 
stud.  med.  Hugo  S  t  e  i  n  b  a  c  h,  Gefr.  d.  Res.,  gefallen  am  1 1.  No¬ 
vember  beim  Sturm  auf  Lombartzijde. 

Stabsarzt  R.  Tresp  e,  Breslau. 

H  Treuer,  Neustrelitz. 

Berichtigung.  Dr.  K  1  i  n  g  e  1  h  o  e  f  e  r  ist  nicht  tot, 
sondern  war  verletzt  i^nd  ist  jetzt  geheilt. 


Amtliches. 

(Deutsches  Reich.) 

(Nr.  4561.) 

Bekanntmachung,  betreffend  Wochenhilfe  während  des  Krieges. 

Vom  3.  Dezember  1914. 

Der  Bundesrat  hat  auf  Grund  des  §  3  des  Gesetzes  über  die  Er¬ 
mächtigung  des  Bundesrats  zu  wirtschaftlichen  Massnahmen  usw. 
vom  4.  August  1914  (Reichs-Gesetzbl.  S.  327)  folgende  Verordnung 
erlassen: 

§  1.  Wöchnerinnen  wird  während  der  Dauer  des  gegenwärtigen 
Krieges  aus  Mitteln  des  Reichs  eine  Wochenhilfe  gewährt,  wenn  ihre 
'  Ehemänner 

1.  in  diesem  Kriege  dem  Reiche  Kriegs-,  Sanitäts-  oder  ähnliche 
Dienste  leisten  oder  an  deren  Weiterleistung  oder  an  der 
Wiederaufnahme  einer  Erwerbstätigkeit  durch  Tod,  Verwun¬ 
dung,  Erkrankung  oder  Gefangennahme  verhindert  sind  und 

2.  vor  Eintritt  in  diese  Dienste  auf  Grund  der  Reichsversiche¬ 
rungsordnung  oder  bei  einer  knappschaftlichen  Krankenkasse 
in  den  vorangegangenen  12  Monaten  mindestens  26  Wochen 
oder  unmittelbar  vorher  mindestens  6  Wochen  gegen  Krank¬ 
heit  versichert  waren. 

§  2.  Die  Wochenhilfe  wird  durch  die  Orts-,  Land-,  Betriebs-, 
Innungskrankenkasse,  knappschaftliche  Krankenkasse  oder  Ersatz¬ 
kasse  geleistet,  welcher  der  Ehemann  angehört  oder  zuletzt  angehört 
hat.  Ist  die  Wöchnerin  selbst  bei  einer  anderen  Kasse  der  bezeich- 
neten  Art  versichert,  so  leistet  diese  die  Wochenhilfe;  sie  hat  davon 
der  Kasse  des  Ehemanns  sofort  nach  Beginn  der  Unterstützung  Mit¬ 
teilung  zu  machen. 

§  3.  Als  Wochenhilfe  wird  gewährt: 

1.  ein  einmaliger  Beitrag  zu  den  Kosten  der  Entbindung  in  Höhe 
von  25  M., 

2.  ein  Wochengeld  von  1  M.  täglich,  einschliesslich  der  Sonn-  und 
Feiertage,  für  8  Wochen,  von  denen  mindestens  6  in  die  Zeit 
nach  der  Niederkunft  fallen  müssen, 


3.  eine  Beihilfe  bis  zum  Betrage  von  10  M.  für  HebammendiensO 
und  ärztliche  Behandlung,  falls  solche  bei  Schwangerschafts 
beschwerden  erforderlich  werden, 

4.  für  Wöchnerinnen,  solange  sie  ihre  Neugeborenen  stillen,  eii 
Stillgeld  in  Höhe  von  einer  halben  Mark,  einschliesslich  de 
Sonn-  und  Feiertage,  bis  zum  Ablauf  der  12.  Woche  nach  de 
Niederkunft. 

§  4.  Die  Vorstände  der  Kassen  (§  2)  können  beschliessen,  stat 
der  baren  Beihilfen  nach  §  3  Nr.  1  und  3  freie  Behandlung  durch  Heb 
amme  und  Arzt  sowie  die  erforderliche  Arznei  bei  der  Niederkuni 
und  bei  Schwangerschaftsbeschwerden  zu  gewähren. 

Ein  solcher  Beschluss  kann  nur  allgemein  für  alle  Wöchnerinnei 
gefasst  werden,  denen  die  Kasse  auf  Grund  dieser  Vorschriftei 
Wochenhilfe  zu  leisten  hat. 

Bei  Wöchnerinnen,  denen  die  Kasse  diese  Behandlung  bei  de  I 
Niederkunft  und  bei  Schwangerschaftsbeschwerden  schon  auf  Grunc| 
ihrer  Satzung  als  Mehrleistung  nach  der  Reichsversicherungsordnunsj 
zu  gewähren  hat,  bewendet  es  dabei  in  allen  Fällen. 

§  5.  Das  Wochengeld  für  diejenigen  der  im  §  1  bezeichnetcij 
Wöchnerinnen,  welche  darauf  gegen  die  Kasse  einen  Anspruch  nact 
§  195  der  Reichsversicherungsordnung  haben,  hat  die  Kasse  selbs 
zu  tragen. 

Die  übrigen  Leistungen  werden  ihr  durch  das  Reich  erstatten 
Dabei  ist  für  Aufwendungen,  welche  die  Kasse  nach  §  4  gemacht  hau 
in  jedem  Einzelfall  als  einmaliger  Beitrag  zu  den  Kosten  der  Entbin 
düng  (§  3  Nr.  1)  der  Betrag  von  25  M.  und  als  Beihilfe  für  Heb 
ammendienste  und  ärztliche  Behandlung  bei  Schwangerschafts 
beschwerden  (§  3  Nr.  3)  der  Betrag  von  10  M.  zu  ersetzen. 

Die  Kasse  hat  die  verauslagten  Beträge  dem  Versicherungsamte 
nachzuweisen;  dieses  hat  das  Recht  der  Beanstandung;  das  Ober 
versicherungsamt  oder  knappschaftliche  Schiedsgericht  entscheide; 
darüber  endgültig. 

Das  Nähere  über  die  Nachweisung,  Verrechnung  und  Zahlung  be 
stimmt  der  Reichskanzler. 

§  6.  Einer  Satzungsänderung  auf  Grund  dieser  Vorschriften  be 
darf  es  für  die  Kassen  nicht. 

§  7.  Für  das  Verfahren  bei  Streit  zwischen  den  Empfangsberechj 
tigten  und  den  Kassen  über  diese  Leistungen  gelten  die  Vorschriften 
der  Reichsversicherungsordnung  über  das  Verfahren  bei  Streitig] 
keiten  aus  der  Krankenversicherung;  jedoch  entscheidet  das  Ober 
versicherungsamt  oder  knappschaftliche  Schiedsgericht  endgültig,  j 

Für  die  Leistungen  nach  §§  3,  4  und  den  Anspruch  darauf  gelten 
die  §§  118,  119,  210,  223  der  Reichsversicherungsordnung  ent] 
sprechend. 

§  8.  Gegen  Krankheit  versicherten  Wöchnerinnen,  die  Anspruch 
auf  Wochengeld  nach  §  195  der  Reichsversicherungsordnung,  nich 
aber  auf  Wochenhilfe  nach  §  1  haben,  hat  ihre  Kasse,  auch  wenn 
die  Satzung  solche  Mehrleistungen  nicht  vorsieht,  während  der  Dauci 
des  Krieges  die  im  §  3  Nr.  1,  3  und  4  bezeichneten  Leistungen  aus 
eigenen  Mitteln  zu  gewähren. 

8  4  gilt  entsprechend. 

§  9.  Die  Versicherungsanstalten  haben  den  Kassen,  die  in  ihren] 
Bezirke  den  Sitz  haben  und  mindestens  AlA  v.  H.  des  Grundlohns  als 
Beiträge  erheben,  auf  Antrag  Darlehen  zur  Deckung  der  durch  die 
Vorschrift  des  §  8  erwachsenden  Kosten  zu  gewähren. 

Sofern  die  Versicherungsanstalt  und  die  Kasse  nichts  anderes 
vereinbaren,  richtet  sich  die  Höhe  der  Darlehen  nach  den  bis  zum 
Antrag  und  demnächst  von  Vierteljahr  zu  Vierteljahr  der  Kasse  er¬ 
wachsenen  Kosten  dieser  Art. 

Die  Darlehen  sind  mit  3  v.  H.  zu  verzinsen  und  nach  10  Jahreii 
zurückzuzahlen.  Eine  frühere  Rückzahlung  steht  den  Kassen  frei. 

Für  Kassen,  deren  Mitglieder  gegen  Invalidität  überwiegend  bei 
einer  Sonderanstalt  versichert  sind,  tritt  diese  an  Stelle  der  Ver¬ 
sicherungsanstalt. 

§  10.  Diese  Vorschriften  treten  mit  ihrer  Verkündung  in  Kraft 
Wöchnerinnen,  die  vor  diesem  Tage  entbunden  sind,  erhalten  die^ 
jenigen  Leistungen,  welche  ihnen  von  diesem  Tage  an  zustehen  wür¬ 
den,  wenn  diese  Vorschriften  bereits  früher  in  Kraft  getreten  wären. 

Der  Bundesrat  behält  sich  vor,  den  Zeitpunkt  des  Ausserkraft- 
tretens  zu  bestimmen.  • 

Berlin,  den  3.  Dezember  1914 
Der  Stellvertreter  des  Reichskanzlers. 

Delbrück. 


Weihnachtsgabe  für  arme  Arztwitwen  in  Bayern. 

üabenverzeichnis:  Uebertrag  M.  440. — .  Dr.  B  r  a  u  n  e  -  Mkt 
Einersheim  M.  30.—,  Hofrat  Dr.  Schuh-  Nürnberg  M.  20.—,  Land¬ 
gerichtsarzt  Dr.  B  a  u  m  a  n  n  -  Fürth  M.  10.—,  Bezirksarzt  Dr.  R  a  a  b  - 
Ansbach  M.  20. — ,  Ungenannt-München  M.  10. — ,  Hofrat  Dr. 
G  ö  s  c  h  e  1-Niirnberg  M.  10. — ,  Dr.  Theinhardts  Nährmittelgesell¬ 
schaft  Stuttgart-Cannstatt  M.  200.—,  Prof.  Dr.  Oberndorfer- 
München  M.  20.—,  Bezirksarzt  Dr.  Bauer-  Freising  M.  20—,  Hof¬ 
rat  Dr.  Volkhardt-Bayreuth  M.  30.—,  Hofrat  Dr.  Doerfler- 
Regensburg  M.  20.—.  Summa  M.  830. — . 

Gaben  nimmt  dankbarst  entgegen  der  Kassier  der  Witwenkasse: 
Dr.  Hol  ler  husch,  Fürth,  Mathildenstr.  1. 


Verlag  von  J.  F.  Lehmann  in  München  S.W.  2,  Paul  Heysestr.  26.  —  Druck  von  E.  Mühlthaler’s  Buch-  und  Kunstdruckerei  A.O.,  München. 


preto  der  einzelnen  Nummer  80  J).  •  Bezugspreis  in  Deutschland 
.  .  •  und  Ausland  siehe  unten  unter  Bezugsbedingungen.  •  •  • 
Inserstenschluss  am  Donnerstag  einer  jeden  Woche. 


MÜNCHENER 


Zusendungen  sind  zu  richte« 

Für  die  Schriftleltung:  ArnuTfstr.  26  (Sprechstunden  —  1  Uhr). 
Für  Bezug:  an  I.  F.  Lehmann’s  Verlag,  Paul  Heysestrasse  26. 
Für  Anzeigen  und  Beilagen:  an  Rudolf  Mosse,  Theatinerstrasse  8. 


Medizinische  Wochenschrift. 

ORGAN  FÜR  AMTLICHE  UND  PRAKTISCHE  ÄRZTE. 


Nr.  51.  22.  Dezember  1914. 


Schriftleitung:  Dr.  B.  Spatz,  Arnulfstrasse  26. 
Verlag:  J.  F.  Lehmann,  Paul  Heysestrasse  26. 


61.  Jahrgang. 


I  ■  ■  I  ■  ■  II  I  II  I  ...  I  . .  ■  I  I  A  ■■  ■  ■  I.  ■  — 

Der  Verlag  behält  sich  das  ausschliessliche  Recht  der  Vervielfältigung  und  Verbreitung  der  in  dieser  Zeitschrift  zum  Abdruck  gelangenden  Originalbeiträge  vor. 


Originalien. 

Aus  der  äusseren  Abteilung  des  städt.  Krankenhauses  zu 

Frankfurt  a.  0. 

Erfahrungen  an  den  22  ersten  Fällen  von  vaginalen 
Operationen  in  parametraner  Leitungsanästhesie. 

Von  Dr.  Ernst  Ru -ge,  dir.  Arzt  der  Abteilung. 

So  gering  das  Interesse  der  Gynäkologen  am  Ausbau  von 
Methoden  der  Lokalanästhesie  auf  ihrem  Gebiet  zu  sein 
scheint,  trifft  man  doch  hier  und  da  auf  Bestrebungen,  bei  den 
zahlreichen  kleineren  Eingriffen  der  Frauenheilkunde  die  Nar¬ 
kose  auszuschalten.  In  seiner  sehr  fleissigen  Dissertation  aus 
meiner  Abteilung  hat  Baltzer1)  die  hierhergehörige  Literatur 
bis  auf  den  Anfang  dieses  Jahres  zusammengestellt.  Sein 
Literaturverzeichnis  umfasst  jedoch  nur  22  Nummern  und  ver¬ 
teilt  sich  auf  die  Jahre  von  1904  bis  1914.  Dazu  kommt  noch 
eine  Arbeit  von  Kraus-  Brünn  in  der  Münch,  med.  Wochen¬ 
schrift  vom  Juli  dieses  Jahres. 

Alle  diese  Arbeiten  befassen  sich  entweder  mit  der  von 
M  ü  1 1  e  r  in  die  Operationslehre  eingeführten,  später  besonders 
von  S  e  1 1  h  e  i  m  angewandten  Pudendusanästhesie  oder  mit 
Bemühungen,  durch  Injektionen  an  die  Portio  oder  in  die  Zer¬ 
vix  für  kleine  Eingriffe  das  Operationsgebiet  empfindungslos 
zu  machen.  Es  ist  genügend  bekannt,  dass  das  relativ  leicht 
gelingt. 

Der  Vorteil  solcher  Methoden  ist  nun  aber  bei  aller 
Würdigung  jeden  Versuches  zur  Ausschaltung  überflüssiger 
Narkosen  immerhin  ein  verhältnismässig  bescheidener,  da 
gerade  die  bei  Abortausschabungen,  Kürettierungen,  Polypen¬ 
entfernungen,  Portioplastiken  etc.  notwendigen  Narkosen  recht 
kurz  sein  können  und  schon  deshalb  keine  allzugrosse  Gefahr 
für  die  Kranke  mit  sich  bringen.  Vorzüglich  bewährt  haben 
sich  mir  die  kurzen  Narkosen  mit  Aethylchlorid.  Anders  ist 
das  bei  Eingriffen  von  grösserer  Schwierigkeit  und  längerer 
Dauer,  bei  denen  die  Schädigungen  einer  langen  und  tiefen 
Narkose,  selbst  bei  der  ausschliesslichen  Anwendung  von 
Aether,  das  Risiko  des  an  sich  gefährlicheren  Eingriffes  be¬ 
trächtlich  erhöhen.  Methoden  der  Lokalanästhesie  sind  um  so 
segensreicher,  je  schwerere  und  räumlich  ausgedehntere 
Operationen  mit  ihnen  ausgeführt  werden  können.  Mit  Hilfe 
der  örtlichen  Anästhesie  dehnt  sich  das  Indikationsgebiet 
mancher  Eingriffe  aus,  mit  ihrer  Hilfe  werden  herunter¬ 
gekommene  Kranke  operabel,  bei  denen  man  eine  Narkose 
von  einer  Stunde  und  mehr  nicht  gern  riskiert  hätte.  Was  das 
bedeuten  kann,  ersieht  man  einfach  schon  dann,  wenn  man 
sich  überlegt,  in  was  für  einem  Allgemeinzustand  oft  genug 
Frauen  mit  Uteruskarzinom  zur  Operation  kommen,  ohne  dass 
der  örtliche  Befund  eine  Radikaloperation  aussichtslos  er¬ 
scheinen  Hesse.  Freilich  gelingt  es  in  solchen  Fällen  hier  und 
da,  durch  entsprechende  Krankenhauspflege  den  Allgemein¬ 
zustand  auf  ein,  die  Operation  ermöglichendes  Niveau  zu 
heben,  aber  das  betrifft  doch  nur  einen  geringen  Teil  der 
Kranken.  In  den  meisten  Teilen  bringt  eine  rationelle  Er¬ 
nährungstherapie  wohl  eine  Gewichtszunahme,  während  der 
Jas  Karzinom  weitere  Fortschritte  macht  und  lokal  inoperabel 
wird;  oder  aber  es  wächst  trotz  aller  Bemühungen  die 
Kachexie  (oft  nur  die  Folge  der  Jauchung  und  der  an¬ 
dauernden  Blutverluste). 


1 )  Vaginale  Operationen  in  parametraner  Lcitungsanästhesie. 

.Dissertation  Leipzig  1914. 

Nr.  51. 


Ganz  allgemein  gesprochen  kann  es  doch  wohl  keinem 
Zweifel  unterliegen,  dass  unter  sonst  gleichen  Umständen  eine 
in  Lokalanästhesie  ausgeführte  Operation  geringere  Gefahren¬ 
chancen  in  sich  trägt,  als  wenn  sie  unter  Narkose  vor  sich 
geht.  Seit  der  Einführung  des  Novokains  in  die  Lokal¬ 
anästhesie  sind  Intoxikationen  mit  dem  Anästhetikum  so 
ausserordentlich  selten  geworden,  dass  man  wohl  von  der 
völligen  Unschädlichkeit  der  Anästhesie  als  solcher  sprechen 
kann. 

Der  Vorteil  einer  Methode,  die  erlaubt,  in  örtlicher  An¬ 
ästhesie  Exstirpationen  des  Uterus,  vaginale  Myotomien, 
Vagini-  und  Vesizifikationen  etc.  auszuführen,  liegt  wohl  auf 
der  Hand. 

Seit  meiner  ersten  Veröffentlichung  in  dieser  Angelegen¬ 
heit2)  der  ich  zwei  in  parametraner  Leitungsanästhesie  aus¬ 
geführte  Uterusexstirpationen  aafügen  konnte,  habe  ich  nun¬ 
mehr  weitere  17  solcher  Eingriffe  ausführen  können,  so  dass 
ich  zurzeit  über  19  mit  dieser  Anästhesie  ausgeführte  Total¬ 
exstirpationen  verfüge.  Dazu  kommen  3  Eingriffe  wegen 
fixierter  Retroflexio,  bei  deren  zweien  ich  die  Fixation  des 
Uterus  an  dem  Blasenperitoneum  machte,  während  der  3.  Fall 
mit  einer  Vaginifixation  behandelt  wurde. 

Die  während  dieser  Zeit  an  dem  genannten  Material  ge¬ 
sammelten  Erfahrungen  haben  insofern  einen  Nutzen  für  die 
Methode  erbracht,  als  sie  eine  Anzahl  wesentlicher  Verein¬ 
fachungen  erfahren  konnte. 

Das  Wesentliche  der  Methode  ist  die  Injektion  einer  ge¬ 
nügend  grossen  Menge  1—2  proz.  Novokains,  dem  auf  100  ccm 
5  Tropfen  1  prom.  Suprareninlösung  zugesetzt  wurden,  in  das 
parametrane  Gewebe.  Das  geschieht  mit  einer  genügend 
langen  Rekordnadel,  die  rechts  und  links  vom  Uterus  am 
höchsten  Punkt  des  Scheidengewölbes  in  einer  etwas  nach 
aussen  von  der  Uterusachse  abweichenden  Richtung  ein¬ 
gestochen  wird.  Die  Nadel  soll  etwa  der  lateralen  Uterus¬ 
kante  parallel  im  parametranen  Gewebe  stecken,  muss  deshalb 
bei  Retroflexio  oder  Gestaltsveränderungen  des  Uterus  ent¬ 
sprechend  anders  gerichtet  werden.  Sie  wird  zunächst  ohne 
Spritze,  langsam,  je  nach  der  Grösse  des  Uterus  5 — 7  cm  ein¬ 
gestochen,  wobei  man  darauf  achtet,  ob  aus  dem  Konus  Blut 
ausläuft.  Bei  genügender  Vorsicht  beim  Einstechen  passiert 
das  so  gut  wie  nie,  da  die  Venen  des  Parametriums  der  lang¬ 
sam  eingestochenen  Nadel  ausweichen,  wenn  nämlich  nicht 
das  parametrane  Gewebe  etwa  entzündlich  infiltriert  ist  und 
hierdurch  die  Gefässe  ihre  Verschieblichkeit  eingebüsst  haben. 
In  solchen  Fällen  ist  deshalb  vorläufig  von  mir  auf  die  An¬ 
wendung  der  Lokalanästhesie  verzichtet  worden,  da  ich  nicht 
riskieren  wollte,  das  Anästhetikum  direkt  in  die  Blutbahn  ein¬ 
zuspritzen.  Bei  entzündlichen  Infiltraten  grösseren  Umfanges 
fürchtete  ich  eine  mögliche  Verschleppung  von  Keimen  aus  dem 
Parametrium,  endlich  aber  würde  ja  wohl  auch  die  Anaesthesie 
ausbleiben. 

Läuft  aber  wirklich  einmal  aus  der  Nadel  Blut  aus,  so 
braucht  man  damit  noch  nicht  auf  die  Anästhesie  zu  verzichten. 
Man  zieht  die  Nadel  einfach  ein  wenig  zurück  und  schiebt  sie 
in  ein  wenig  geänderter  Richtung  wieder  vor,  bis  sie  die  not¬ 
wendige  Tiefe  erreicht  hat.  Erst  wenn  das  geschehen  ist,  setzt 
man  die  10  ccm-Rekordspritze  auf  den  Konus  der  Nadel  auf 
und  injiziert  unter  langsamem  Zurückziehen  der  Nadel  den  In¬ 
halt  der  Spritze.  Handelt  es  sich  um  einen  besonders  grossen 
Uterus,  wie  z.  B.  in  einem  meiner  Fälle,  in  dem  ein  klein¬ 
faustgrosses  Myom  vorlag,  so  muss  man  entsprechend  mehr 


s)  Lokalanästhesie  in  der  Gynäkologie.  Zbl.  f.  Gyn.  1912  Nr.  18. 

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2402 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  5 


cinspritzen.  Ich  habe  in  diesem  Fall  jederseits  15  ccm  2  proz. 
Novokainlösung  injiziert,  mit  dem  Erfolg  einer  sehr  guten  An¬ 
ästhesie.  In  einzelnen  Fällen,  bei  kurzem  Uterus,  bin  ich  jedoch 
auch  mit  weniger,  6  ccm  jederseits,  ausgekommen. 

Mit  diesen  beiden  Injektionen,  je  einer  auf  beiden  Seiten, 
ist  die  Anästhesierung  gewährleistet.  Und  zwar  tritt  sie  20  bis 
25  Minuten  nach  erfolgter  Injektion  in  vollem  Umfange  ein. 
Zuerst  wird  die  Portio,  dann  das  ganze  Scheidengewölbe,  dann 
der  Blasengrund,  zuletzt  werden  die  Adnexe,  das  Corpus 
uteri  und  ein  Teil  des  Mastdarms  anästhetisch.  Nicht  von  der 
Anästhesie  betroffen  wird  der  Scheideneingang  mit  Klitoris, 
die  Vulva  und  der  Anus.  Immerhin  scheint  die  Anästhesie 
auch  auf  einen  kleinen  Teil  des  Gebietes  des  Pudendus  über¬ 
zugreifen,  nämlich  auf  den  von  ihm  versorgten  Teil  der 
Scheidentiefe. 

In  meinen  ersten  beiden  Fällen,  wie  auch  in  einem  kleinen 
Teil  der  späteren  hatte  ich  eine  Portion  des  Anästhetikums  mit 
einem  Katheter  in  die  Blase  injiziert.  Das  hat  sich  als  über¬ 
flüssig  erwiesen.  Ebenso  unnötig  ist  eine  besondere  Anästhe¬ 
sierung  der  Vagina,  zu  der  ich  im  Anfang  eine  Auspuderung 
derselben  mit  dem  sonst  sehr  wirksamen  Schleimhau  t- 
anästhetikum  Zykloform  empfahl.  Wie  ich  schon  gesagt  habe, 
wird  durch  die  parametranen  Injektionen  die  obere  Hälfte  der 
Vagina  völlig,  ein  Teil  der  unteren  Hälfte  jedenfalls  minder 
empfindlich,  was  für  die  Eingriffe  am  Uterus  vollkommen  aus¬ 
reicht.  Den  ruhigen  Druck  der  Scheidenspekula  vertragen  die 
Kranken  sehr  gut.  Freilich  muss  man  sich  stets  daran  er¬ 
innern,  wie  weit  das  anästhetische  Gebiet  reicht,  um  nicht 
durch  unmotiviertes  Kneifen  der  Klitoris  oder  Quetschen  der 
Labien  den  Frauen  Schmerzen  zu  bereiten.  Das  ist  ja  schliess¬ 
lich  keine  übermässige  Reserve,  die  man  sich  so  auferlegen 
muss. 

Endlich  habe  ich  bei  meinen  ersten  Versuchen  den  para¬ 
metranen  Injektionen  noch  solche  in  das  Gewebe  zwischen 
Uterus  und  Blase  sowie  in  die  Submukosa  des  hinteren 
Scheidengewölbes  hinzugefügt.  Auch  diese  Injektionen  sind  an 
sich  überflüssig.  Man  kann  sie  aber  anbringen,  wenn  man 
den  Beginn  des  Eingriffes  beschleunigen  will,  da,  wie  oben 
erwähnt,  der  Blasengrund  und  der  Mastdarm  später  unemp¬ 
findlich  werden,  als  Portio  und  Zervix.  M  i  t  diesen  Hilfs¬ 
injektionen  (zwischen  Uterus  und  Blase  an  zwei  bis  drei 
Stellen  je  1 — 2  ccm  1 — 2  cm  tief,  unter  die  hintere  Scheiden¬ 
gewölbeschleimhaut  einige  Kubikzentimeter  ganz  oberfläch¬ 
lich)  kann  man  die  Operation  meist  nach  lA  Stunde,  ohne 
s  i  c  nach  20—25  Minuten  beginnen.  Vor  Beginn  des  Ein¬ 
griffes  empfiehlt  es  sich  jedoch  jedesmal,  sich  von  dem  Ein¬ 
tritt  der  Anästhesie  durch  Zwicken  der  Portio  oder  der 
höheren  Vaginalschleimhaut  zu  überzeugen.  Denn  die  bis  zum 
Eintritt  der  Anästhesie  verstreichende  Zeit  ist  individuell  und 
endlich  gibt  es  auch  Versager,  wie  mir  ein  Fall  bewies,  auf 
den  ich  weiter  unten  komme. 

Die  Dauer  der  Anästhesie  ist  eine  ziemlich  erhebliche.  In 
einem  Falle  hatte  ich  die  parametranen  Injektionen  ausgeführt, 
konnte  aber  aus  äusseren  Gründen  erst  1  %  Stunden  später 
mit  dem  Eingriff  beginnen.  Er  wurde  trotzdem  in  völliger 
Anästhesie  zu  Ende  geführt,  obwohl  die  Exstirpation  des 
Uterus  wegen  bestehender  Verwachsungen  mit  dem  Rektum 
fast  eine  Stunde  dauerte. 

Mit  der  geschilderten  Methode  habe  ich  bis  jetzt  aus¬ 
geführt: 

10  vaginale  Totalexstirpationen  wegen  Zervixkarzinoms, 

2  vaginale  Totalexstirpationen  wegen  Totalprolaps  mit  Vesiko- 
und  Rektozele, 

3  vaginale  Totalexstirpationen  wegen  blutender  Metritis  chronica, 

1  vaginale  Totalexstirpation  wegen  interstitiellen  Myoms, 

1  vaginale  Totalexstirpation  wegen  alter  Uterusperforation, 

2  vaginale  Totalexstirpationen  wegen  Korpuskarzinoms, 

2  Vesizifixationen. 

1  Vaginifixation,  alle  drei  mit  starken  Verwachsungen  am  Rektum. 

Im  Ganzen  also  22  Operationen,  bei  denen  ausgedehntere  Mani¬ 
pulationen  am  Uterus  und  den  Adnexen,  zum  Teil  an  der  Blase  und 
am  Mastdarm,  teilweise  auch  derber  Zug  und  kräftige  Gewaltanwen¬ 
dung  notwendig  waren. 

In  21  von  den  22  Fällen  war  die  Anästhesie  während  des  ganzen 
Eingriffes  vollkommen  ausreichend,  in  14  Fällen  war  sie  absolut, 
worunter  ich  verstehe,  dass  die  Frauen  auf  mehrfaches  eindringliches 
Befragen  während  uftd  nach  dem  Eingriff  erklärten,  sie  hätten  keiner¬ 
lei  Schmerzen  gehabt,  oder  unangenehme  Sensationen  im  Operations¬ 


gebiet.  und  auch  sonst  durch  ihr  Verhalten  auf  dem  Operation 
tisch  dem  entsprachen.  In  6  Fällen  klagten  die  Frauen  üb< 
Schmerzen  bei  bestimmten  Handgriffen,  fast  stets  nur  bei  Ligatur  d< 
Tuben  oder  bei  der  Ligatur  des  Lig.  latum.  Während  der  Oper; 
tionen  lag  stets  die  Narkosemaske  bereit,  brauchte  aber  in  diesi 
6  Fällen  nicht  benutzt  zu  werden.  Ich  hätte  es  sofort  angeordne 
wenn  ich  den  Eindruck  gehabt  hätte,  es  beständen  wirklich  nennen: 
werte  Schmerzen  oder  wenn  die  Frauen  Abwehrbewegungen  gi 
macht  hätten,  die  Unruhe  oder  Störung  in  den  Ablauf  des  Eingrifft 
gebracht  hätten.  Es  ist  möglich,  dass  die  Gleichartigkeit  der  Klagt 
dieser  6  Frauen  durch  Mängel  der  Methode  zu  erklären  sind,  k 
glaube  aber,  dass  es  meist  an  der  Injektionstechnik  lag,  in  der  A 
etwa,  dass  die  Injektion  ins  Parametrium  nicht  hoch  genug  nach  de 
kleinen  Becken  zu  appliziert  wurde,  dass  also  die  Nadel  nicht  ti 
genug  eingestochen  und  nicht  lateral  genug  gerichtet  war.  Immerh 
waren  auch  bei  diesen  6  Eingriffen  die  anwesenden  Kollegen  ste 
überrascht,  wie  gut  sich  ohne  Narkose  operieren  Hess.  Keiner  vq 
ihnen  hatte  je  den  Eindruck,  dass  die  Frauen  gequält  wurden.  Urj 
ich  registriere  diese  Unvollkommenheiten  der  Anästhesie  auch  nti 
um  über  diesen  Punkt  vollständig  zu  sein. 

Sämtliche  Kranken  bekamen  am  Abend  vor  dem  Eingriff  V>, 
Vcronal,  1  Stunde  vor  vermutlichem  Beginn  des  Eingriffes  0,01 
Morphium  subkutan,  kein  weiteres  Medikament.  In  einem  Falle, 
dem  es  sich  um  eine  sehr  ausgeblutete,  sehr  aufgeregte  Frau  nt 
Korpuskarzinom  handelte,  habe  ich-  Vs  mg  Skopolamin  mit  der  Mo 
phiuminjektion  gegeben,  was  vielleicht  der  Anlass  zu  einem  pos 
operativen  mittelschweren  Kollaps  war,  dem  einzigen  unter  alle 
Fällen. 

Sämtliche  Frauen  bekamen  am  Morgen  des  Operationstage 
etwa  3  Stunden  vor  dem  Eingriff,  ihr  gewohntes  erstes  Frühstüc; 

In  einem  Falle,  dem  einer  53  jährigen,  sehr  ausgebluteten,  dekn 
piden  Frau,  bei  der  sich  an  der  Portio  eines  myomatösen  Uteri 
ein  ulzeriertes  Karzinom  fand,  das  auf  die  Scheide  übergegriffen  hat! 
erlebte  ich  einen  Versager  der  Methode.  Es  war  nicht  etwa  d( 
erste  der  in  Leitungsanästhesie  operierten  Fälle,  so  dass  m; 
denken  könnte,  dass  ich  noch  nicht  genügend  in  den  Injektionen  geiii 
gewesen  sei,  sondern  der  8  der  ganzen  Reihe.  Ich  hatte  ln  Jede 
Paiametrium  je  10  ccm  10  proz.  Novokain  mit  etwas  Suprarenin  eii 
gespritzt  und  sowohl  im  vorderen  als  dem  hinteren  Scheidengewüll 
je  2  Depots  mit  je  3  ccm  derselben  Lösung  angelegt.  Eine  hall 
Stunde  darauf  wurde  der  Eingriff  begonnen.  Zunächst  (vordei 
Köliotomie,  Abschieben  der  Blase,  Einsetzen  des  vorderen  Spekulun 
in  die  Bauchhöhle,  Einschieben  der  langen  nassen  Schutzkompressi 
ging  alles  völlig  empfindungslos.  Als  ich  aber  versuchte,  den  faus 
grossen  Uterus  nach  vorne  umzukippen  und  vor  die  Vulva  zu  ziehe 
begann  die  Kranke  zu  jammern  und  zu  klagen.  Freilich  musste  ic 
um  den  grossen  Uterus  vorzuwälzen,  recht  erhebliche  Gewalt  at 
wenden.  Nach  ein  paar  kurzen  Versuchen  gab  ich  Narkose,  in  dt 
dann  der  Eingriff  zu  Ende  geführt  wurde. 

Der  anatomische  Befund  war  aber  sicher  nicht  allein  Schu 
an  dem  Versagen  der  Anästhesie.  Unter  den  Fällen,  bei  denen  s 
ausgezeichnet  verlief,  waren  mehrere  mit  ganz  ähnlichen  Schwierig 
keiten.  Wir  erleben  bekanntlich  hier  und  da  Fälle,  in  denen  auch  ; 
anderen  Körperteilen,  z.  B.  gelegentlich  einer  Herniotomie,  ohne  e 
sichtliche  Ursache  die  Anästhesie  trotz  sachgemässer  Injektion  au 
bleibt.  Ich  fand  einmal  diesen  Mangel  bei  einem  sehr  verständigt 
15  jährigen  Mädchen,  der  ich  eine  kleine  Geschwulst  am  Fingt 
in  Oberstscher  Anästhesie  entfernen  wollte  und  bei  der  ich  kur/ 
Zeit  hintereinander  3  mal  je  4,  an  jede  Fingerkannte  1  ccm  2  pro 
Novokain  einspritzte,  ohne  auch  nur  die  geringste  Herabsetzung  dt 
Schmerz-  und  Tastempfindung  zu  erzielen.  Als  ich  die  Mutter  dai 
um  Bewilligung  der  Narkoseerlaubnis  bat,  erinnerte  sie  mich  dara 
dass  ich  2  Jahre  vorher  mit  ihr  bei  einer  Lipomexstirpation  gen2 
denselben  völligen  Misserfolg  gehabt  hatte.  Es  gibt  also  doch  wo 
Individuen,  auf  die  das  Novokain  nicht  so  wirkt,  wie  es  soll,  wom 
ich  beileibe  nicht  etwa  die  Möglichkeit  und  genügende  Häufigkd 
technischer  Fehler  bei  Lokalanästhesien  aller  Art  leugnen  will. 

Dass  man  mit  der  parametranen  Leitungsanästhesie  auo 
ganz  komplizierten  Verhältnissen  zu  Leibe  gehen  kann,  wer 
nur  eben  nicht  ausgedehnte  entzündliche  Infiltrate  der  Par; 
metrien  oder  Tubeneiterungen  etc.  die  Methode  von  von 
herein  als  unzweckmässig  erscheinen  lassen,  geht  aus  folgei 
dem  Fall  hervor. 

Bei  der  30  jährigen  Frau  N.  war  ein  Jahr  vor  dem  diesmalig^ 
Kiankenhausaufenthalt  gelegentlich  einer  Abortausräumung  von  de; 
Hausarzt  der  Uterus  perforiert  worden,  woran  sich  eine  schwer 
Peritonitis  schloss.  Im  Krankenhaus  Eröffnung  eines  Abszesses  voi 
Scheidengewölbe  aus.  Heilung.  Nach  einem  Vierteljahr  erneut 
Krankenhausaufnahme  mit  inkomplettem  Darmverschluss.  Lapan 
tomie.  Ablösung  einer  Dünndarmschlinge  vom  Uterus.  Seit-zu-Sei 
Anastomose.  Heilung.  Jetzt,  ein  Vierteljahr  nach  ihrer  Entlassun: 
kommt  sie  wieder  mit  einem  neuen  Abort,  sehr  stark  ausgeblutet.  Si 
wird  ausgeräumt,  wobei  der  Assistenzarzt  erklärt,  er  fürchte,  i 
habe  den  Uterus  von  neuem  perforiert.  In  der  Tat  hatte  die  Fra 
wiederum  eine  Perforation,  aber  wie  sich  nachher  herausstellte,  a 
derselben  Stelle,  wie  damals.  Eine  gynäkologische  Laparotomie  c: 
schien  mir  wegen  des  sehr  schlechten  Allgemeinzustandes  nicht  möi 
lieh,  obwohl  sehr  wünschenswert,  da  auch  die  Frau  mittlerweile  rccl 


2403 


22.  Dezember  1014.  _ MUENCHENER  MEDIZINISCHE  W<  )CHENSCHRIF  I . 


operationsängstlich  geworden  war.  Deshalb  versuchte  ich  die  An¬ 
ästhesierung  von  unten,  mit  vollem  Erfolg.  Nichts  als  je  10  ccm 
2  proz.  Novokainlösutlg  in  jedes  Parametrium,  je  7  cm  tief.  Der 
Uterus,  dem  dritten  Graviditätsmonat  entsprechend  vergrössert,  sehr 
blutreich,  ist  in  seiner  ganzen  Peritonealfläche  mit  Netz  und  Dünn¬ 
därmen  mehr  oder  weniger  fest  verwachsen.  An  seiner  rechten 
Tubenecke,  der  Stelle  der  alten  Perforation,  ist  eine  Dünndarm¬ 
schlinge  nur  scharf  von  ihm  zu  lösen.  Hier  befindet  sich  ein  in 
Granulationen  eingebettetes  kleines  Eiterdepot.  Beim  Vorziehen 
der  Darmschlinge  zu  genauerer  Revision  äussert  die  Kranke  die  uns 
von  Laparotomien  her  bekannten  „Magenschmerzen“,  die  auf  Zug 
am  Mesenterium  zurückzuführen  sind,  und  in  diesem  Falle  nur  sehr 
leicht  auftraten,  da  auch  die  Schlinge  nach  Uebernähung  der  ent¬ 
zündeten  Stelle  gleich  wieder  zurückgeschoben  werden  konnte.  Im 
übrigen  verlief  die  Uterusexstirpation  in  guter  Anästhesie  ohne  Zwi¬ 
schenfall  und  führte  zu  völliger  Genesung  der  vielgeplagten  Frau. 
Der  Uterus  zeigte  einen  dünnen,  von  seinem  Kavum  zu  der  Adhäsions¬ 
stelle  an  der  rechten  Tubenecke  verlaufenden,  eitererfüllten  Kanal, 
der  sicher  nicht  von  der  letzten  mit  dem  Finger,  sondern  von  der 
ersten  instrumenteil  ausgeftihrten  Ausschabung  herrührte. 

Diesem  Fall  möchte  ich  noch  kurz  einen  anderen,  der  die 
Ausbreitung  der  Anästhesie  illustriert,  anschliessen. 

Es  bestand  eine  stark  fixierte  Retroflexio.  Die  Anästhesie  be¬ 
schränkte  sich  nach  den  berichteten  Veronal-  bzw.  Morphiumgaben 
auf  je  eine  Injektion  rechts  und  links  vom  Uterus  mit  je  6  ccm  2  proz. 
Novokainlösung.  Nach  25  Minuten  war  die  Anästhesie  vollkommen. 
Bei  der  Eröffnung  der  Bauchhöhle  im  vorderen  Scheidengewölbe 
passierte  es  nun,  dass  ich  mich  plötzlich  mit  meinem  Finger  in  der 
eröffneten  Blase  befand.  Weder  bei  dieser  unfreiwilligen  vaginalen 
Zystotomie,  noch  bei  der  folgenden  Blasennaht  empfand  die  Kranke 
irgend  etwas  von  den  an  der  Blasenwand  notwendigen  Manipula¬ 
tionen.  Auch  liess  sich  in  diesem,  wie  in  den  anderen  Fällen,  in 
denen  Verwachsungen  des  Uterus  mit  dem  Rektum  getrennt  werden 
mussten,  der  beim  Vorwälzen  des  Uterus  notwendige  Zug  an  den 
Adhäsionen  vor  ihrer  Durchtrennung  ohne  jeden  Schmerz  ausführen. 

Daraus  glaube  ich  schliessen  zu  können,  dass  in  den  meisten 
Fällen  das  in  das  Parametrium  eingespritzte  Anästhetikum  nach  vorn 
und  hinten  diffundiert  und  so  auch  die  sakralen  Aeste,  die  der  Inner¬ 
vation  der  Blase  und  des  Rektums  dienen,  teilweise  unterbricht. 

Im  Anschluss  an  die  19  mit  parametraner  Leitungsanästhesie  aus¬ 
geführten  vaginalen  Totalexstirpationen  erlebte  ich  einen  Todesfall. 
Es  war  das  die  Frau  mit  dem  myomatösen  Uterus.  Sie  war  in 
einem  so  schlechten  Zustand,  dass  ich  die  sonst  meist  von  mir 
ausgeführte  abdominelle  supravaginale  Amputation  nicht  wagte.  Ihrer 
Myokarditis  wollte  ich  wo  irgend  möglich,  eine  Narkose  ersparen. 
Der  schlechte  Verlauf  hatte  mit  der  Art  der  Anästhesie  nichts  zu 
tun,  insofern  der  Exitus  an  Darmlähmung  und  Herzinsuffizienz  am 
6.  Tage  nach  der  Operation  eintrat.  Obwohl  noch  2  Tage  vor 
dem  Exitus  die  Darmfunktion  regelmässig  war  und  obwohl  die  Ob¬ 
duktion  ausser  sehr  hochgradiger  Blähung  der  Dünndärme  im  kleinen 
Becken  nur  eine  mässige  Menge  serös-hämorrhagischen  Exsudates 
ergab,  und  die  Ligaturstümpfe  sauber  aussahen,  glaube  ich  doch, 
dass  den  Exitus  eine  operative  Peritonitis  milder  Form  verschuldete, 
der  das  schlechte  Herz  nicht  gewachsen  war. 

Nachteile  der  Methode  habe  ich  nicht  gesehen.  Ins¬ 
besondere  keine  Zeichen  von  Intoxikation.  Die  verwendeten 
Mengen  des  Anästhetikums  reichen  ja  auch  bei  weitem  nicht 
an  die  bei  Laparotomien  etc.  hier  und  da  ohne  Schaden  ein¬ 
gespritzten  heran.  Immerhin  wäre  es  möglich,  dass  im  An¬ 
schluss  an  die  Injektionen  ins  Parametrium  postoperative 
Blasenstörungen  ein  wenig  häufiger  sind,  als  nach  in  Narkose 
bewerkstelligten  Eingriffen.  Das  müsste  eine  auf  ein  grösseres 
Material  sich  erstreckende  Untersuchung  feststellen.  Ich  kann 
darüber  um  so  weniger  Aufschluss  geben,  weil  ich  seit  ge¬ 
raumer  Zeit  nach  allen  Operationen  an  den  weiblichen  Geni¬ 
talien,  auch  nach  gynäkologischen  Laparotomien,  in  die  Blase 
einen  Dauerkatheter  für  die  ersten  paar  Tage  einlege.  Bei 
seiner  Entfernung  ist  dann  meist  die  Blase  in  Ordnung.  Ich 
wollte  von  dieser  mir  sehr  bewährten  Anordnung  nicht  im 
Interesse  einer  Untersuchung  der  Blasenfunktion:  bei  den  in 
Novokainanästhesie  Operierten  abgehen. 

Störungen  des  Wundverlaufes  sah  ich  nicht. 

Nicht  angewandt  habe  ich  die  Novokainanästhesie  in  allen 
den  Fällen,  in  denen  eine  entzündliche  Infiltration  der  Para¬ 
metrien  mich  die  Möglichkeit  einer  Keimverschleppung  mit  der 
Spritze  fürchten  liess.  Ferner  habe  ich  natürlich  mit  der  Me¬ 
thode  nur  solche  Fälle  operiert,  die  ich  auch  sonst  vaginal  in 
Angriff  genommen  hätte.  Ich  habe  aber  unbedingt  mit  ihr  eine 
Anzahl  von  Kranken  operieren  können,  die  eine  Narkose  nicht 
vertragen  hätten.  Und  der  angewandten  Methode  ist  es  zu 
danken,  dass  mir  von  den  19  zum  Teil  sehr  heruntergekom¬ 
menen  Frauen  nur  eine  einzige  gestorben  ist.  Einer  3A  bis 
1  ständigen  Narkose  wäre  mehr  als  eine  erlegen! 


18  von  den  19  Totalexstirpationen  konnten  geheilt  werden. 
Und  zwar  trat  auffallenderweise  bei  keiner  von  ihnen  eine  der 
gewöhnlichen  postoperativen  Komplikationen  (Embolie, 
Thrombose,  Pneumonie,  Atonie  etc.)  auf.  Eine  Pneumonie  er¬ 
lebte  ich  dennoch  und  zwar  bei  der  letzten  Frau  mit  Vesizi- 
fixation. 

Nach  allem  Gesagten  glaube  ich  mich  berechtigt,  die 
weitere  Anwendung  der  parametranen  Anästhesie  für  Eingriffe 
der  geschilderten  Art,  vor  allem  aber  für  die  Uterusexstir¬ 
pationen  an  elenden,  ausgebluteten,  kachektischen  Frauen 
empfehlen  zu  können.  Obwohl  die  Methode  noch  durchaus 
weiterer  Vervollkommnung  bedarf,  ist  sie  meines  Erachtens 
jetzt  schon  weit  genug,  um  zur  Herabsetzung  unserer  Mor¬ 
talität  und  zur  Erweiterung  «ler  operativen  Indikationen  mit 
ins  Feld  geführt  zu  werden. 

Zum  Schluss  noch  ein  paar  mir  nötig  erscheinende  Be¬ 
merkungen  allgemeiner  Art. 

Mit  ein  wenig  Takt  und  bedachter  Fürsorge  kann  man  die 
Unannehmlichkeiten  des  während  der  Eingriffe  vorhandenen 
Bewusstseins  der  Kranken,  die  bei  so  manchem  Operateur  die 
Methoden  der  Lokalanästhesie  diskreditieren,  leicht  aus  der 
Welt  schaffen.  Gegen  die  Unbequemlichkeiten  der  Lage 
auf  dem  gynäkologischen  Tisch  (D  ö  d  e  r  1  e  i  n  -  K  r  ö  n  i  g) 
hilft  gute  Polsterung,  Ausfüllung  der  Lendenwirbelgegend  mit 
einem  flachen  Faktiskissen,  vor  allem  aber  Polsterung  der 
Beinstützen.  Sollten  die  Frauen,  was  öfter  einmal  vorkommt, 
über  Einschlafen  eines  Beines  klagen,  so  helfen  eine  leichte  Ver¬ 
änderung  der  Lage  auf  dem  Beinhalter  und  ein  paar  leichte, 
von  einer  Wärterin  ausgeführte  Massagestriche  der  Wade. 

Ueber  mangelnde  Entspannung  (S  t  i  a  s  s  n  y)  bei  gynäko¬ 
logischen  Operationen  habe  ich  eher  bei  schlechten  Narkosen, 
nie  aber  bei  der  Lokalanästhesie  zu  klagen  gehabt,  selbst  nicht 
dann,  wenn  die  Frauen,  wie  das  ja  in  6  Fällen  vorkam,  leichte 
Schmerzen  hatten.  Und  über  die  Unheimlichkeit  des  Milieus 
(Stiassny),  die  Aufregungen  des  Operationssaalbetriebes  etc. 
bringt  man  mit  einigen  beruhigenden  Worten,  einer  vertrauen¬ 
erweckenden  sicheren  Haltung,  durch  Ruhe  im  Operations¬ 
saal,  Vermeidung  unnötiger  dozierender  Darlegungen,  endlich 
—  last  not  least  —  durch  Applikation  eines  kleinen  Watte¬ 
bausches  in  die  Ohren  und  eines  dichten  Mullschleiers  auf  das 
Gesicht  die  Kranken  leicht  hinweg.  Ich  kann  mich  oft,  wenn 
ich  solche  Einwände  gegen  die  Anwendung  der  Lokal¬ 
anästhesie  von  Chirurgen  oder  Gynäkologen  höre,  des  Eindruckes 
nicht  erwehren,  dass  man  an  ihnen  vornehmlich  eine  Ein¬ 
schränkung  der  eigenen  Bequemlichkeit  perhorresziert.  Dieser 
Standpunkt  ist  wahrlich  nicht  unberechtigt  und  in  jenen  Fällen, 
in  denen  die  Anwendung  der  einen  oder  anderen  Art  von 
Schmerzverhinderung  für  den  Kranken  gleichgültig  ist,  von 
ausschlaggebender  Bedeutung.  In  den  Fällen  aber,  bei  denen 
ein  Minimum  an  schädigenden  Einflüssen  mehr  oder  weniger 
das  Zünglein  an  der  Wage  der  Prognose  zu  beeinflussen  im¬ 
stande  ist,  soll  man  kein  Mittel  unversucht  lassen,  die  Chancen 
des  Kranken  zu  bessern. 


Aus  dem  pathologischen  Institut  des  Eppendorfer  Kranken¬ 
hauses  (Prof.  Eug.  F  r  a  e  n  k  e  1). 

Zur  Aetiologie  der  Endocarditis  verrucosa. 

Von  Dr.  Edgar  Reye,  Sekundärarzt  am  Institut. 

Auf  Grund  zahlreicher  histologischer  und  experimenteller 
Untersuchungen  darf  wohl  heute  mit  T  h  o  r  e  1  als  feststehend 
angenommen  werden,  dass  es  sich  bei  den  gutartigen  Formen 
der  sogen,  verrukösen  Endokarditis,  wo  sich  kleine  oder 
grössere,  graue  oder  rötlich-graue  Auflagerungen  auf  den 
Klappen  bilden,  im  wesentlichen  um  Klappenthromben  handelt, 
die  sich  aus  Blutplättchen  oder  häufiger  aus  einem  körnigen 
resp.  homogenen,  fibrinarmen  Material  zusammensetzen  und 
offenbar  auf  primäre  Schädigungen  des  endothelialen  Klappen¬ 
überzuges  zurückzuführen  sind.  Welcher  Art  diese  Läsionen 
sein  müssen  und  wodurch  sie  entstehen,  hat  sich  bisher  nicht 
sicher  eruieren  lassen. 

Bekanntlich  gelangt  die  Endocarditis  verrucosa  Simplex 
bei  den  allerverschiedensten  Erkrankungen  zur  Beobachtung, 
in  erster  Linie  bei  Infektionskrankheiten,  z.  B.  bei  der  Pneu¬ 
monie,  Diphtherie,  mit  besonderer  Vorliebe  bei  der  Polyarthritis 

1° 


2404 


Nr.  51. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


rheumatica  und  bei  der  Chorea  ininor,  ferner  aber  auch  bei 
allen  möglichen,  zur  Kachexie  führenden,  chronischen  Er¬ 
krankungen  wie  Tuberkulose,  chronischer  Nephritis,  Karzinom, 
Lues.  Man  hat,  veranlasst  durch  die  Fortschritte  der  ätiologi¬ 
schen  Forschungen,  versucht,  die  Endokarditiden  überhaupt  zu 
scheiden  in  mykotische  und  amykotische  Formen.  Zur  Gruppe 
der  mykotischen  Formen  wären  die  meist  akut  verlaufenden, 
mit  schweren  nekrotisierenden  oder  ulzerösen  Prozessen  ein¬ 
hergehenden,  malignen  Entzündungen  des  Endokards  zu 
rechnen,  neuerdings  auch  die  von  Schottmüller  be¬ 
schriebene  Endocarditis  lenta,  die  in  anatomischer  wie  klini¬ 
scher  Beziehung,  vor  allem  durch  ihren  fast  ausnahmslos  chro¬ 
nischen  Verlauf,  eine  gewisse  Sonderstellung  einnimmt.  Zu 
den  amykotischen  Formen  sollte  vor  allem  die  eingangs  cha¬ 
rakterisierte  Endocarditis  verrucosa  Simplex  mit  ihren  ver¬ 
schiedenen  Verlaufsarten  und  Endzuständen  gehören. 

Jedoch  lässt  sich  diese  Einteilung  nicht  durchführen. 
Freilich  gibt  es  eine  Reihe  von  Autoren,  die-  die  my¬ 
kotische  Natur  der  Endocarditis  verrucosa  ablehnen  und 
dieselbe  als  das  Produkt  toxischer  Vorgänge  erklären. 
Auf  der  anderen  Seite  werden  aber  immer  mehr  Stimmen 
laut,  dass  auch  die  Endocarditis  verrucosa  bakteriellen 
Ursprungs  sei  respektive  sein  müsse.  Schon  im  Jahre 
1887  haben  sich  Eug.  Fraenkel  und  A.  Saenger 
dahin  ausgesprochen,  dass  eine  jede  verruköse  Endokarditis 
durch  Bakterien  hervorgerufen  werde  und  dass  die  Fälle  mit 
negativem  Resultat  darauf  beruhten,  dass  die  Mikroben  ab¬ 
gestorben  seien.  Einen  bestimmten  Erreger  der  Endocarditis 
verrucosa  konnten  die  genannten  Autoren  freilich  nicht  fest¬ 
stellen  und  so  ist  es  auch  vielen  Untersuchern  späterhin  er¬ 
gangen.  Von  zahlreichen  Autoren  —  ich  nenne  nur  Rosen¬ 
bach,  Bartel,  Saltykow,  Kämmerer  und  Weg- 
ner  —  sind  Mikroben  gefunden  worden,  aber  von  keinem 
Untersucher  regelmässig  in  jedem  Falle  und  dann  keineswegs 
immer  ein-  und  derselbe  Mikroorganismus,  Es  wurden  die 
verschiedensten  Stäbchen  und  Kokken,  Diplokokken,  Strepto¬ 
kokken,  Gram-positive  oder  Gram-negative  nachgewiesen 
und  als  Erreger  der  in  Rede  stehenden  Erkrankung  an¬ 
gesprochen. 

Bei  diesen  verschiedenen  Befunden  und  den  einander 
widersprechenden  Ansichten  ist  es  eigentlich  nicht  verwunder¬ 
lich,  dass  die  Auffassung  von  der  mykotischen  Natur  der  Endo¬ 
carditis  verrucosa  noch  keine  allgemeine  Anhängerschaft  ge¬ 
funden  hat. 

Die  heute  bestehende  Anschauung  über  die  Endocarditis 
verrucosa,  wie  sie  also  auch  z.  B.  von  A  s  c  h  o  f  f  und  Kauf¬ 
mann  in  ihren  bekannten  Lehrbüchern  interpretiert  wird, 
ist  denn  auch  die,  dass  die  genannte  Herzklappenerkrankung 
durch  infektiöse  oder  toxische  Stoffe  erzeugt  wird.  Ein  be¬ 
stimmter  Erreger  derselben  ist  zurzeit  nicht  bekannt. 

Nur  für  eine  Klasse  der  verrukösen  Endokarditis,  für  die 
Endocarditis  rheumatica,  die  meines  Erachtens,  wie  auch 
K  ö  n  i  g  e  r  annimmt,  anatomisch  durchaus  denselben  Prozess 
darstellt  wie  die  Endocarditis  verrucosa  bei  anderen  Allge¬ 
meinerkrankungen,  ist  man  heute  schon  immer  mehr  geneigt, 
einen  bestimmten  Erreger  anzunehmen.  So  sind  es  in  letzter 
Zeit  namentlich  englische  Forscher  (Poynton  und  Paine), 
die  in  einer  grossen  Monographie  dargetan  haben,  dass  für  die 
Endocarditis  rheumatica  (auch  für  die  übrigen  charakteristi¬ 
schen  Veränderungen,  die  bei  der  Polyarthritis  rheumatica  auf- 
treten!),  ein  und  derselbe,  den  Streptokokken  sehr  nahe  ver¬ 
wandter,  Diplokokkus  in  ätiologischer  Hinsicht  in  Frage  komme. 
Allerdings  sagen  die  Autoren  ausdrücklich,  dass  sie  in  den 
endokarditischen  Auflagerungen  nur  dann  die  Diplokokken  ge¬ 
funden  hätten,  wenn  der  Prozess  ein  bösartiger  gewesen  sei. 

Um  über  die  Endocarditis  verrucosa  in  ätiologischer  Be¬ 
ziehung  ins  Klare  zu  kommen,  habe  ich  schon  Ende  des  vorigen 
Jahres  im  pathologischen  Institut  des  Eppendorfer  Kranken¬ 
hauses  mit  entsprechenden,  zunächst  histologischen  Unter¬ 
suchungen  begonnen  und  dieselben  bis  jetzthin  systematisch 
fortgesetzt.  Ich  habe  jede  vorkommende  verruköse  Endo¬ 
karditis  untersucht,  Fälle  von  der  feinsten,  eben  sichtbaren 
Exkreszenz  bis  zur  ältesten,  weit  fortgeschrittenen,  rekur¬ 
rierenden  Endokarditis,  bei  der  es  schon  zu  fibrösen,  retra- 
hierenden  Prozessen  und  Kalkablagerungen  gekommen  war. 


Im  ganzen  habe  ich  23  Fälle  untersucht  und  bei  allen 
diesen  —  das  möchte  ich  voranstellen  —  regelmässig  ohne  Aus¬ 
nahme  den  gleichen  eindeutigen  Befund  erheben  können. 

Die  untersuchten  Fälle  sind  kurz  skizziert  folgende: 

1.  S.-Nr.  2041/1913. 

K.,  männl.,  24  J. 

K 1  i  n. :  F  r  i  s  c  h  e  P  o- 
lyarthritis  rheuma¬ 
tica.  Frische  Endo-  und 
Perikarditis.  Tod  an  zu¬ 
nehmend.  Herzschwäche. 

Blut  steril. 

Patholog.-anatom.: 

Pericarditis  serofibrinosa. 

Endocarditis  recens 
verrucosa  mitralis, 
tricuspidalis,  aorti- 
ca.  Dilatatiocordis 
ventriculi  sin. 

An  Mitral-,  Tricuspi- 
dal-  und  Aortenklappen 
zarte,  girlandenartig  an¬ 
geordnete,  rötliche,  fein¬ 
höckerige  Exkreszenzen. 

Leichenblut  steril. 

Mikroskop.:  Das 
Klappengewebe  geht  an 
der  Stelle  der  Auflagerung 
unter  Kräuselung  der  ela¬ 
stischen  Elemente  und 
starker  Proliferation  des 
Zellen  über  in  ein  amor¬ 
phes  Gewebe,  dem  frisches 
thrombotisches,  stellen¬ 
weise  sehr  kernreiches 
Gewebe  angelagert  ist. 

Sowohl  in, diesem,  wie  an 
der  Basis  der  Auflagerung 
ganz  vereinzelt  ein  Gram¬ 
positiver  Diplokokkus  (s. 

Abbildung  1  und  2). 

2.  S..-Nr.  2239/13.  A„  «uu.,,  ^  „. 

K  1  i  n. :  Keine  Herzkrankheiten,  kein  Gelenkrheumatismus  in  der 

Anamnese.  An  Lungen  -  und  Darmtuberkulose  gestorben. 

Patholog.-anatom.:  Tuberculosis  pulmonum  cum  vomicis 
apicis  sin.  Endocarditis  verrucosa  recurrens  valvu- 
lae  aorticae  et  mitralis.  Ulcera  tuberculosa  laryngis  et  in- 
testini  tenuis  et  crassi. 

Aortenklappen  verdickt,  miteinander  verwachsen  und  mit  hanf¬ 
korngrossen,  mässig  derben,  feinhöckerigen  Auflagerungen  versehen. 
Am  Schliessungsrand  der  Mitralklappen  feinste,  weiche,  rötlich-graue 
Exkreszenzen.  Sehnenfäden  verdickt. 

Leichenblut  steril. 

Mikroskop.:  Entsprechend  der  sehr  kleinen  Exkreszer.z  findet 
sich  das  Endokard  leicht  verdickt.  Darauf  wie  ein  kleiner  Bürzel 
amorphes,  stellenweise  feinkörniges  Material,  an  der  Oberfläche  von 
kleinen  Haufen  roter  Blutkörperchen  bedeckt.  Inmitten  des  amorphen 
Materials  vereinzelte  Gram-positive  Diplokokken. 

3.  S.-Nr.  2274/13.  St.,  weibl.,  12  J. 

K 1  i  n. :  Im  Anschluss  an  eine  Angina  akute  Polyarthritis 
mit  Endo-  und  Perikarditis.  Verlauf  in  3  Wochen  mit  hohem  Fieber. 
Tod  an  zunehmender  Herzschwäche.  Blut  mehrfach  steril. 

Patholog.-anatom.:  Carditis  rheumatica.  Pleu¬ 
ritis  exsudat.  duplex. 

An  den  Mitralklappen  nahe  dem  Schliessungsrand  zahlreiche  sub¬ 
miliare  bis  hirsekorngrosse,  girlandenförmig  angeordnete,  graugelb¬ 
liche,  festsitzende,  derbe  Exkreszenzen.  An  den  Aortenklappen  die 
gleichen  Veränderungen.  Leichenblut  steril. 

Mikroskop.:  Nur  ganz  oberflächliche  Schädigung  des  Endo¬ 
kards.  Starke  Zellproliferation.  Darauf  amorphes  Material  mit  fri¬ 
schen  thrombotischen  Niederschlägen  besetzt.  An  der  Grenze  von 
amorphem  Gewebe  und  proliferierendem  Klappengewebe  vereinzelte, 
Gram-positive  Diplokokken. 

4.  S.-Nr.  2431/13.  v.  S.,  männl.,  60  J. 

Klin.:  Vor  20  Jahren  Gelenkrheumatismus.  Seit¬ 
dem  oft  Erkältungen  und  Herzbeschwerden.  Seit  lA  Jahr  geschwol¬ 
lene  Beine.  Kurzatmigkeit.  —  Herzverbreiterung  nach  links.  Systo¬ 
lisches  Geräusch  über  der  Aorta.  Kleiner  unregelmässiger  Puls. 
Langsam  an  Herzschwäche  zugrunde  gegangen.  Kein  Fieber. 

Patholog.-anatom.:  Endocarditis  inveterata 

calcificans  et  recens  verrucosa  subsequente  i n - 
sufficientia  et  stenosi  valvulae  Aorta  e.  Hypertrophia 
ventriculi  sin.  cord.  Emphysema  et  Induratio  rubra  pulmonum. 
Stauungsorgane.  Multiple  Nierenzysten. 

Aortenklappen  stark  verdickt,  hart,  miteinander  verwachsen. 
Am  Schliessungsrand  warzige,  grau-weisse  Auflagerungen,  steinhart. 
Dazwischen  kleinste,  fleischfarbene  Wärzchen  von  weicher  Kon¬ 
sistenz.  Leichenblut  steril. 


a  =  Sitz  der  Kokken. 
Abbildung  1.  Schwache  Vergrösserung. 


Abbildung  2.  Starke  Vergrösserung. 


22.  Dezember  1914. _  MUF/NCHFNER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2405 


Mikroskop.:  Aortenklappen  schwer  verändert,  zum  grössten 
Teil  aus  schwieligem  Gewebe  mit  Kalkeinlagerungen  bestehend.  An 
der  Oberfläche  kleine  Auflagerungen  von  teils  amorphem  teils  fein¬ 
körnigem  Material,  hier  und  da  einige  Zellen  enthaltend.  In  den 
feinen  Auflagerungen,  in  der  Nähe  der  Zellen  ganz  spärliche  Gram¬ 
positive  Diplokokken. 

5.  S.-Nr.  2445/13.  Sch.,  männl.,  35  J. 

KI  in.:  1907,  1909  Gelenkrheumatismus,  vor  5  Mo¬ 
naten  wieder.  Seitdem  zunehmende  Stauungserscheinungen. 
Herz  o.  B.  Nieren-  und  Darmamyloid.  Lungentuberkulose. 

Patholog. -anatom.:  Tuberculosis  apicis  pulmonum.  Hydro- 
thorax  duplex.  Endocarditis  verrucosa  mitralis. 
Thrombi  parietales  ventric.  dext.  subsequente  embolia  arter.  pul¬ 
monal.  Ulcera  tbc.  intestini.  Peritonitis  tbc.  Amyloidosis  renum, 
hepatis,  lienis,  glandular.  suprarenalium.  Nephritis  parenchymatosa. 

An  den  verdickten  Mitralsegeln,  nahe  dem  freien  Rand,  feine, 
graurote,  festsitzende  Exkreszenzen.  Leichenblut  steril. 

Mikroskop.:  Entsprechend  den  Exkreszenzen  starke  Proli¬ 
feration  der  Klappengewebszellen,  zahlreiche  Pigmentschollen.  Die 
Auflagerung  besteht  aus  nur  ganz  wenig  Kerne  enthaltendem,  struk¬ 
turlosem  Material.  In  diesem,  ziemlich  nahe  der  Oberfläche,  ver¬ 
einzelte  Exemplare  (bei  Durchmusterung  von  11  Präparaten  2)  von 
Gram-positiven  Diplokokken. 

6.  S.-Nr.  2512/13.  K.,  männl.,  18  J. 

Klin.:  Aufgenommen  10.  XI.  13.  Gestorben  20.  XII.  13.  Akut 
erkrankt^  mit  hohem  Fieber.  Multiple  Gelenkschwel¬ 
lungen.  Systolisches  Geräusch  am  Herzen.  Blut  mehrfach  steril. 
Pleuritis  links.  Perikarditis.  Unter  zunehmender  Dyspnoe  und  Herz¬ 
schwäche  Exitus  letalis. 

Patholog. -anatom.:  Arthritis  serosa  multiplex.  Perikardi¬ 
tis  fibrinosa.  Myocarditis  acuta.  Endocarditis  verrucosa 
recens  valvulae  mitralis,  tricuspidalis,  pulmo¬ 
nal  i  s,  aorticae.  Dilatatio  ventriculi  sin.  Nephritis  parenchyma¬ 
tosa. 

Auf  allen  4  Klappen,  besonders  reichlich  auf  den  Aortenklappen, 
girlandenartig  angeordnet,  rötlich-graue  Wärzchen  in  grosser  Zahl. 
Auch  an  den  Sehnenfäden  der  Mitralis  streusandähnliche  Auflage¬ 
rungen.  Leichenblut  steril. 

Mikroskop.:  Wucherung  der  Zellen  des  Endokards,  darauf 
eine  dünne  Lage  von  homogenem  Gewebe,  welchem  frisches  throm¬ 
botisches  Material  aufsitzt.  In  allen  3  Schichten  hin  und  wieder  ein 
Gram-positiver  Diplokokkus. 

7.  S.-Nr.  2580/13.  L„  weibl.,  77  J. 

Klin.:  Niemals  Herzerscheinungen.  An  Magenkarzinom 
und  Folgeerscheinungen  gestorben. 

Patholog. -  anatom.:  Carcinoma  ventriculi  subsequentibus 
metastasibus  pleurae,  peritonei,  hepatis.  Endocarditis  verru¬ 
cosa  recens  valvulae  mitralis.  Arteriosclerosis  gravis. 
Infarct.  multipl.  renum.  Bronchopneumoniae. 

Auf  dem  Schliessungsrand  der  Mitralis  winzige  warzige,  grau- 
weisse  Auflagerungen.  Leichenblut  steril. 

Mikroskop.:  Entsprechend  den  sehr  kleinen  Exkreszenzen 
findet  sich  eine  Unterbrechung  des  Endokards  und  statt  dessen,  wie 
ein  kleiner  flacher  Höcker,  amorphes  Material,  das  nur  an  einem 
kleinen  Bezirk  der  Oberfläche  einige  Kerne  und  etwas  Pigment  er¬ 
kennen  lässt.  Daselbst  ganz  vereinzelt  ein  Gram-positiver  Diplo¬ 
kokkus. 

-8)  S.-Nr.  1/14.  C.,  männl.,  11  .1, 


Sitz  der  Kokken. 


Klin.:  Seit  langer  Zeit  wegen  Knochen-  und  Lungen¬ 
tuberkulose  in  stationärer  Behandlung.  Niemals  Erscheinungen 
von  seiten  des  Herzens.  Schwerer  Dekubitus. 


Patholog. -anatom.:  Spondylitis  tuberculosa.  Peripachy- 
meningitis  spinalis  caseosa.  Myelomalacia  circumscripta  c  cotn- 
pressione.  Tuberculosis  apicis  pulmonis  utriusque.  Decubitus  pör- 
gravis.  Abscessus  renum.  En¬ 
docarditis  recens  verru¬ 
cosa  valvulae  mitralis. 

Am  Schliessungsrand  der 
Mitralis,  dicht  aneinander  gereiht, 
bis  hirsekorngrosse,  rötliche,  fein¬ 
höckerige,  ziemlich  weiche  Ex¬ 
kreszenzen. 

Leichenblut  durchsetzt  von 
Proteus  vulgaris. 

Mikroskop.:  Auf  einer, 
eine  erhebliche  Zellproliferation 
darbietenden  Verdickung  des 
Endokards  sitzen  fast  völlig  kern¬ 
lose,  homogene  Massen,  zum  Teil 
gestielt.  An  der  Grenze  zum 
Endokard  ganz  vereinzelte  Gram¬ 
positive  Diplokokken  (s.  Abb.  3 
und  4.). 

9.  S.-Nr.  48/14.  E.,  männl.,  25  J. 

Klin.:  Behandelt  an  Lungen  -  und  Kehlkopftuberku¬ 
lose.  Niemals  herzleidend. 

Patholog. -anatom.:  Tuberculosis  pulmonum  cum  vomicis. 
Ulcera  tuberculosa  pharyngis,  laryngis,  intestini  tenuis  et  crassi. 
Endocarditis  verrucosa  recens  valvulae  mitralis. 

Am  Schliessungsrand  der  Mitralis  an  3  verschiedenen  Stellen 
kleinste,  rötliche,  warzige  Auflagerungen.  Leichenblut  steril. 

Mikroskop.:  Die  winzigen  Wärzchen  bestehen  im  wesent¬ 
lichen  aus  proliferierenden  Klappengewebszellen,  dazwischen  etwas 
amorphes  Material  und  Pigment.  Inmitten  der  Auflagerungen  in  sehr 
geringer  Zahl  Gram-positive  Diplokokken. 

10.  S.-Nr.  57/14.  Sch.,  männl.,  78  J. 

Klin.:  Niemals  Rheumatismus,  niemals  Herzbeschwerden.  Hoch¬ 
gradige  Arteriosklerose.  Lungentuberkulose.  Kein  Fieber. 

Patholog.  -  anatom.:  Myodegeneratio  cordis  adiposa. 
Endocarditis  valvulae  aorticae  et  mitralis  ver¬ 
rucosa  recens.  Arteriosclerosis  universalis.  Tuberculosis  pul¬ 
monum.  Perisplenitis  chron.  fibrosa.  Renes  granulati. 

An  Aorten-  und  Mitralklappen  bis  hirsekorngrosse,  rötlich-gelbe, 
feinhöckerige  Exkreszenzen  von  zäher  Beschaffenheit. 

Leichenblut  steril. 

Mikroskop.:  Entsprechend  den  Auflagerungen  ist  der  normale 
Endokardüberzug  unterbrochen;  daselbst  wenige  proliferierende  Zel¬ 
len,  Pigmentschollen  und  amorphes,  zum  Teil  wie  zersplittert  aus¬ 
sehendes  Material.  In  diesem  ganz  vereinzelte  Gram-positive  Diplo¬ 
kokken. 

11.  S.-Nr.  80/14.  T„  weibl.,  45  J. 

Klin.:  Niemals  Rheumatismus,  niemals  Herzbeschwerden.  Seit 
1909  lungenleidend.  Cor  klinisch  o.  B.  An  Lungenschwind¬ 
sucht  gestorben. 

Patholog.  -  anatom.:  Myodegeneratio  cordis  adiposa.  Peri- 
carditis  fibrinosa.  Endokarditis  valvulae  mitralis  re¬ 
cens  verrucosa.  Tuberculosis  pulmonum  cum  vomicis.  Emphy- 
sema  pulmonum.  Arteriosclerosis  aortae. 

An  der  Mitralis  am  Schliessungsrand  stecknadelkopfgrosse  grau- 
weissliche,  warzige,  derbe  Exkreszenzen.  Leichenblut  steril. 

Mikroskop.:  Fast  genau  dasselbe  Bild  wie  in  Fall  10. 

12.  S.-Nr.  89/14.  K.,  weibl.,  57  J. 


Abbildung  5.  Schwache  Vergrösserung. 


Klin.:  Niemals  Herzerscheinungen.  Ausgedehntes  K  a  r  z  i  n  o  m 
in  der  1.  Ohrgegend.  Kachektisch  zugrunde  gegangen. 


Abbildung  4.  Starke  Vergrösserung. 


2406 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  51. 


Patholog.-anato in.:  Carcinoma  cutaneum  regionis  mastoi- 
deae  sin.  subsequentibus  metastasibus  lymphoglandularum,  lienis, 
hcpatis,  renum,  suprarenum.  Endocarditis  verrucosa  re- 
cens  mitralis. 

Am  JSchliessungsrand  des 
hinteren  Mitralsegels  eine  eben 
stecknadelkopfgrosse,  weisslich- 
rote,  trockene,  feinhöckerige  Auf¬ 
lagerung. 

Leichenblut  steril. 
Mikroskop:  Umschriebene 
Verdickung  des  Endokards.  Da¬ 
rauf,  wie  ein  Polyp,  mit  einem 
dünnen  Stiel,  fast  völlig  kernloses, 
amorphes  Material,  dem  Blut¬ 
pigment  und  rote  Blutkörperchen 
anliegen.  Unter  diesen  und  auch 
inmitten  des  amorphen  Materials 
. .  „  .  ..  wenige  Gram-positive  Diplo- 

Abbildung'6.  Starke'Vergrosserung.  kokken  (s.  Abb.  5  u  6). 

13.  S.-Nr.  105/14.  K.,  weibl.,  57  J. 

Kl  in.:  Moribund  eingeliefert  mit  den  Erscheinungen  einer  Mi¬ 
tral-  und  Aorteninsuffizienz.  Oedeme.  Keine  nähere 
Anamnese. 

Patholog.  -  anatom.:  Endocarditis  recurrens 
verrucosa  valvulae  mitralis,  tricuspidalis,  aorti- 
cae.  Stenosis  valvulae  mitralis.  tricuspidalis, 
a  0  r  t  i  c  a  e.  Stauungserscheinungen.  Hydrothorax,  Aszites,  Ana- 
sarka. 

Linkes  venöses  Ostium  für  die  Kuppe  des  kleinen  Fingers,  das 
rechte  für  den  rechten  Zeigefinger  durchgängig.  An  den  stark  ver¬ 
dickten,'  schwieligen  Rändern  von  Mitralis  und  Trikuspidalis  in  rosen¬ 
kranzartiger  Anordnung  am  Schliessungsrand  stecknadelkopf-  bis 
hirsekorngrosse  rötlich-weisse  Exkreszenzen.  Aortenklappen  ver¬ 
dickt,  miteinander  verwachsen,  mit  Kalkeinlagerungen  versehen.  An 
den  Kommissuren  feinhöckerige,  rötliche  Auflagerungen. 

Leichenblut  steril. 

Mikroskop.:  Wie  Fall  4. # 

14.  S.-Nr.  119/14.  K.,  männl.,  65  J. 

Klin.:  Mit  40  Jahren  Gelenkrheumatismus,  seitdem 
oft  „kurzluftig“.  Herztöne  unrein.  Puls  irregulär,  inäqual.  Geschwol¬ 
lene  Eiisse.  Exitus  letalis  erfolgt  unter  zunehmender  Herzschwäche. 

Patholog. -anatom.:  Endocarditis  recurrens 

verrucosa  valvulae  mitralis  et  tricuspidalis.  Dila- 
tatio  atrii  dextri.  Hypertrophia  ventriculi  sin.  Myodegeneratio  cor- 
dis  adiposa.  Emphysema  pulmonum.  Laryngitis.  Tracheitis,  Bron¬ 
chitis  purulenta.  Aszites. 

An  Trikuspidalis  und  Mitralis  feine,  warzige  Auflagerungen  von 
bröckliger  Beschaffenheit  und  graugelblicher,  teilweise  rötlicher 
Farbe.  Ausserdem  alte  schwielige  Verdickungen  der  Klappensegel. 
Sehnenfäden  stark  verkürzt,  plump.  Leichenblut  steril. 

Mikroskop.:  Schwielige  Verdickung  des  Klanpengewebes. 
Stellenweise  starke  Zellproliferation.  Namentlich  dort  Auflagerungen 
von  amorphem  Material.  In  diesem  und  an  den  Stellen  der  Zell¬ 
wucherung  vereinzelte  Gram-positive  Diplokokken. 

15.  S.-Nr.  161/14.  H„  männl.,  51  .1 

Klin.:  Moribund  aufgenommen.  Keine  nähere  Anamnese. 

Patholog.  -  anatom.:  Endocarditis  recurrens 
verrucosa  valvulae  mitralis  et  aorticae.  Cor  bo¬ 
vin  u  m.  Myocarditis  fibrös  a.  Emphysema  pulmonum. 
Arteriosclerosis  universalis. 

Linkes  Ostium  venosurn  stark  stenosiert.  Mitralsegel  plump,  un- 
regelmäsig  verdickt.  Auf  dem  derben,  höckerigen  Rand  sitzen  zahl¬ 
reiche  warzige  Auflagerungen  von  rötlich-grauer  Farbe,  die  sich  nicht 
wegwischen  lassen.  Aortenklappen  eingerollt,  narbig  verkürzt,  stark 
verdickt.  Auch  hier  vereinzelte  frische  warzige  rötliche  Auflage¬ 
rungen.  Leichenblut  steril. 

Mikroskop.-  Fast  ganz  das  nämliche  Bild  wie  in  Fall  1.  Im 
Myokard  typische  Asch  off  sehe  Knötchen. 

16.  S.-Nr.  172/14.  H..  weibl.,  25  J. 

Klin.:  Niemals  Herzerscheinungen.  Lange  Zeit  an  Lues  be¬ 
handelt.  Gestorben  unter  zerebralen  Erscheinungen. 

Patholog. -  anatom.:  Endocarditis  verrucosa  r  e  - 
cens  valvulae  aorticae  et  mitralis.  Lymphadenitis  et 
Perilymphadenitis  cervicalis  gummosa.  Leptomeningitis  syphilitica. 
Status  post  exstirpationem  lymphoglandularum  regionis  supraclavicu- 
laris  sin. 

Am  Schliessungsrand  der  3  Aortenklaopen  und  an  den  Mitral¬ 
segeln  finden  sich  unregelmässig  verstreut,  fest  aufsitzende,  bis  steck¬ 
nadelkopfgrosse,  feine,  warzige  Exkreszenzen  von  weisslicher  und 
grauroter  Farbe.  Leichenblut  steril. 

Mikroskop.:  Ganz  oberflächliche  Schädigung  des  Endokards 
mit  mässiger  Zellproliferation.  Darauf  sehr  kernarmes,  von  Lücken 
durchzogenes  Material.  Nahe  der  Oberfläche,  wo  die  Kerne  etwas 
reichlicher  vorhanden  sind,  vereinzelt  ein  Gram-positiver  Diplo¬ 
kokkus.  (Schluss  folgt.) 


Argobol, 

ein  neues  Silberboluspräparat. 

Von  Dr.  Ernst  Puppel,  Frauenarzt  in  Mainz,  zurzeit  irn 

Felde. 

Die  Bolustherapie  des  Fluor  albus  gehört  heute  zum  ge¬ 
sicherten  Besitztum  des  Gynäkologen.  Ihre  Vorzüge  vor  der 
früheren  Ichthyol-,  Jod-,  etc.  Behandlung  sind  so  oft  klarge¬ 
legt  worden,  dass  hier  nicht  weiter  darauf  einzugehen  ist.  So 
gut  die  Erfolge  bei  dem  einfachen  Scheidenkatarrh  sind, 
namentlich  bei  der  Verwendung  von  Lenizetbolus,  so  musste 
man  doch  bald  die  Erfahrung  machen,  dass  bei  infektiösen 
Erkrankungen,  bei  der  akuten  und  chronischen  Gonorrhöe,  die 
trocknende  Wirkung  der  Bolus  und  die  adstringierende  des 
Lenizetpulvers  nicht  ausreichten,  eine  Heilung  herbeizuführen. 
Zwar  verschwinden  nach  der  Anwendung  von  Lenizetbolus 
bald  die  akuten  Erscheinungen,  die  Anzahl  der  Gonokokken 
nimmt  in  jedem  Gesichtsfelde  ab,  aber  eine  Gefahr  besteht: 
das  Auftreten  eines  Rezidivs  nach  Aussetzen  der  Behandlung. 
Um  diesen  Missständen  abzuhelfen,  hat  man  Bolus  mit  Silber¬ 
verbindungen  gemischt;  Bruck  hat  sein  Uranoblen  heraus¬ 
gegeben,  eine  Verbindung  von  Silber  und  Uranin,  die  zirka 
40  Proz.  Silber  enthält,  und  die  vermöge  ihres  Farbstoffgehaltes 
geeignet  erscheint,  in  die  Tiefe  der  Gewebe  zu  diffundieren 
und  die  dort  befindlichen  Gonokokken  abzutöten.  Der  Ge¬ 
danke  ist  ausserordentlich  einleuchtend,  aber  ich  hatte  ver¬ 
schiedene  Gründe,  mich  von  dem  Präparat  abzuwenden.  Es 
färbt  die  Wäsche  stark  und  es  ist  nicht  so  reizlos,  wie 
B  r  u  ck  angibt.  Ich  sah  wiederholt  Blutungen  und  heftige 
Schmerzen  nach  Einführung  der  Caviblenstäbchen  in  die 
Urethra  und  in  die  Zervix.  Sichtbar  war  die  starke  Beein¬ 
flussung  der  vaginalen  Gonorrhöe  durch  Uroblenbolus.  Da 
aber  durch  das  Nachsickern  des  Pulvers  nach  Entfernung  des 
Tampons  recht  hässliche  Flecken  in  der  Wäsche  entstehen, 
die  sich  nicht  mehr  entfernen  lassen,  und  da  es  kaum  möglich 
ist,  die  Vulva  hermetisch  abzuschliessen,  so  stellte  ich  Ver¬ 
suche  mit  einem  anderen  Präparat  an,  das  mir  von  den 
Farbenfabriken  Fr.  Bayer,  Leverkusen-München  zur  Ver¬ 
fügung  gestellt  wurde  und  nunmehr,  nach  Abschluss  der  Prü¬ 
fung,  als  „Argobol“  in  den  Handel  kommt.  Es  bildet  ein  gelb- 
lich-weisses,  in  Wasser  unlösliches  Pulver  mit  einem  Silber¬ 
gehalt  von  20  Proz.  in  Form  von  Silberphosphat.  Durch  einen 
besonderen  Vorgang  ist  jedes  Boluskörnchen  mit  einer  Schicht 
von  Silberphosphat  überzogen,  und  diesem  Umstande  dankt 
das  Präparat  wohl  seine  gute  Wirkung,  die  sich  auf  Des¬ 
infektion  und  Austrocknung  erstreckt. 

Die  von  der  Fabrik  vorgenommenen  bakteriologischen 
Versuche  ergaben  eine  erhebliche  wachstumshemmende  Kraft 
des  Argobol. 

Meine  eigenen  Versuche,  die  ich  an  klinischen  und  ambulanten 
Patientinnen  vornahm,  erstrecken  sich  auf  21  Fälle  mit  zusammen 
347  Anwendungen  des  Präparates,  11  akute,  5  chronische  Gonorrhöen, 
letztere  mit  allen  erdenklichen  Komplikationen;  3  subakute  Gonor¬ 
rhöen  in  der  Schwangerschaft,  1  schwere  Metritis  mit  Erosionen  und 
Ektropium  und  1  Fall  mit  schwerster  Bact.-coli-Infektion,  ausgehend 
von  einer  schweren  Kolpitis  und  Metritis  bei  Totalprolaps. 

Es  erheben  sich  bei  jeder  Gonorrhöebehandlung  immer  wieder 
dieselben  Fragen:  Wie  lange  dauert  die  Behandlung?  Ist  das  Prä¬ 
parat  imstande,  Komplikationen  zu  vermeiden  und  Rezidive  auszu- 
schliessen? 

Von  den  akuten  Gonorrhöen  scheiden  2  aus,  weil  sie  nach  8  mali¬ 
ger  Behandlung  Mainz  verliessen.  4  sind  nach  durchschnittlich 
22  maliger  Anwendung  des  Argobols  geheilt,  ohne  Komplikationen 
oder  Rezidive  zu  zeigen. 

Von  Komplikationen  wurden  beobachtet:  1  Monarthritis  manus 
dextr.,  die  nach  6  maliger  Anwendung  von  Argobol  auftrat,  in  andere 
Hände  überging  und  erst  nach  4  Wochen,  nach  vollständiger  Ver¬ 
steifung  des  Gelenkes  wieder  zurückkehrte;  sie  wurde  durch  Omegon- 
iniektionen  völlig  geheilt.  In  1  Fall  trat  nach  8  maliger  Uranoblen- 
behandlung  eine  schwere  Pelveoperitonitis  auf,  nach  deren  Ablauf  ein 
grosser  linksseitiger  Adnextumor  konstatiert  wurde.  2  mal  zeigte  sich 
nach  einigen  Monaten  ein  Rezidiv;  da  beide  Fälle  Ehefrauen  sind,  ist 
es  unbestimmt,  ob  es  sich  um  ein  Rezidiv  im  engeren  Sinne  oder  um 
eine  Reinfektion  durch  den  Ehemann  handelt.  1  Fall  steht  noch  in 
Behandlung. 

Von  den  5  chronischen  Gonorrhöen,  die  mit  Adnextumoren. 
Retroflexio  uteri  fixati  und  Lues  kompliziert  sind,  sind  3  geheilt,  eine 
hat  nach  fast  völliger  Heilung  Mainz  verlassen,  eine  steht  noch  in  Be¬ 
handlung. 

Die  Behandlungsdauer  betrug  durchschnittlich  2  Monate. 


2.  Dezember  1914 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2407 


In  der  Gravidität  ist  die  therapeutische  Beeinflussung  entzünd- 
cher  Genitalaffektionen  natürlich  schwieriger.  Trotzdem  konnte  ein 
ervixkatarrh  in  gravid,  nach  9  maliger  Behandlung  und  1  akute 
olpitis  nach  7  maliger  Anwendung  als  geheilt  betrachtet  werden, 
in  dritter  Fall  verhält  sich  fast  refraktär,  trotz  26  maliger  Anwen- 
ung.  Nach  kürzeren  Pausen  tritt  immer  wieder  der  eitrige  Fluor  auf. 

Die  schwere  Mctritis  mit  Ektropium  und  Erosionen  ist  nach 
1  Sitzungen  mit  Lenizetbolus,  die  fast  ohne  Erfolg  blieben,  noch 
Omal  mit  Argobol  behandelt  worden  und  völlig  geheilt. 

Der  Fall  von  Koliinfektion  wurde  nach  völliger  Entfieberung  und 
ersch winden  des  Fluors  operiert:  Ovariotomie  rechts,  Ventrofixation, 
aginale  Plastik.  Die  Heilung  erfolgte  p.  p.  i. 

Wir  können  nach  diesen  kurzen  Angaben  unsere  obige 
ragestellung  dahin  beantworten,  dass  die  Behandlung  mit 
vrgobol  durchschnittlich  zwei  Monate  dauert 
-  bei  1  bis  3  maliger  Anwendung  in  der 
Voche  und  selbstverständlichem  Aussetzen 
er  Therapie  während  der  Menses  —  und 
ass  es  in  der  grössten  Mehrzahl  der  Fälle 
elingt,  Komplikationen  und  Rezidive  zu  ver¬ 
leiden. 

Indiziert  ist  das  Argobol  vor  allem 
ei  akuten  chronischen  Gonorrhöen  in  jedem 
Stadium,  aber  auch  bei  anderen  eitrigen  Ent- 
ündungen  von  Scheide  und  Gebärmutter, 
lei  dem  Ektropium  mit  starker  Erosions- 
ildung  wird  man  nur  in  hartnäckigen  Fällen 
um  Argobol  greifen,  die  leichteren  heilen 
uch  mit  Lenizetbolus. 

Das  Auffälligste  an  der  Argoboltherapie 
>t  der  unmittelbare  Erfolg  der  ersten  3  bis 
Sitzungen.  Die  Patientinnen  äussern  jedes- 
lal  ihre  Befriedigung  über  die  schnelle  Wir- 
ung  auf  die  Menge  des  Sekretes. 

Ein  völliges  Verschwinden  der  Gono- 
okken  wurde  frühestens  nach  10.  längstens 
ach  18  Sitzuhgen  beobachtet,  ein  im  Ver- 
leich  zu  der  alten  Spülbehandlung  und  der 
rüheren  reinen  Bolustherapie  gutes  Re- 
ultat. 

Wenn  wir  noch  hinzufügen,  dass  Reizungen  seitens  der 
’agina  oder  Zervix  nicht  beobachtet  wurden,  so  haben  wir  in 
er  Tat  in  dem  Argobol  ein  Präparat,  dem  in  seinem  An¬ 
wendungsbereiche  bisher  kein  anderes  gleichkommt. 

Von  der  Verwendung  des  N  a  s  s  a  u  e  r  sehen  Siccators 
abe  ich  abgesehen 1).  Zweckmässig  erscheint  mir  die  Be- 
andlung  im  Spekulum  mit  Einschüttung  von  ca.  4 — 6  g  des 
’ulvers  und  Fixierung  desselben  durch  einen  Wattetampon. 
>ie  Urethra  muss  besonders  behandelt  werden.  Dass  der 
'ische  Zervixkatarrh  ein  noli  me  tangere  ist,  erwähne  ich 
ur  der  Vollständigkeit  halber.  Er  heilt  unter  vaginaler  An¬ 
wendung  von  Argobol  in  kurzer  Zeit  aus. 

Nach  Abschluss  der  Prüfung  von  Argobol  an  dem  eigenen 
orliegenden  Material  kann  ich  den  praktischen  Aerzten  und 
iynäkologen  das  Präparat  für  die  Behandlung  der  akuten 
ud  chronischen  Gonorrhöe  bestens  empfehlen. 


Ein  neuer,  verstellbarer,  federnder  Mundsperrer 
nach  Zahnarzt  Alfred  Kreis. 

Von  Zahnarzt  L.  P.  Grünwald  in  Kassel. 

Schwierigere  Operationen  jeder  Art  in  Mundhöhle  oder  Rachen 
rfordern  zuweilen  eine  gute  Spanne  Zeit  und  wir  haben  dann  meist 
lit  einem  hauptsächlichen  Uebel  zu  kämpfen:  Ermüdung  der  Kau- 
luskulatur  beim  Patienten,  die  es  ihm  unmöglich  macht,  über  wenige 
’inuten  hinaus  den  Mund  gleichmässig  ruhig  und  vor  allem  genügend 
eit  aufzuiialten.  Gegen  andere  feindliche  Faktoren,  die  hauptsäch- 
ch  dem  Zahnarzt  bei  seinen  meist  überaus  zeitraubenden  Arbeiten 
n  Mund  viel  zu  schaffen  machen,  als  da  sind:  erhöhter  Speichel- 
uss,  Brechreiz,  die  unerwünschten  Manöver  der  Zunge  etc.  exi¬ 
lieren  zweckentsprechende  Apparate  —  Speichelsauger,  Zungen¬ 
alter,  Wattcrollen  —  und  gleichzeitig  partieller  Zungenhalter  stehen 
ns  zur  Verfügung. 

Noch  fehlte  uns  aber  bisher  die  ausreichende  und  sichere  Gegen¬ 
ehr  gegen  das  in  der  zahnärztlichen  wie  ärztlichen  Praxis  gleicher¬ 
eise  zutage  tretende  eingangs  erwähnte  Hauptübel:  das  wiederholt 

')  Fortschr.  d.  M.  1913  Nr.  26. 


teilweise  oder  gar  vollständige  Zuklappen  des  Mundes  infolge  Er¬ 
schlaffung  der  überanstrengten  Muskeln. 

Verschiedene  Versuche  wurden  gemacht  und  auch  zum  Teil  in 
die  Praxis  umgesetzt:  Apparate  zu  konstruieren,  um  diesem  Uebel 
abzuhelfen.  Ich  erinnere  an  den  König-,  den  Heister-Mundsperrer. 
Doch  das  bis  jetzt  Erschienene  war  teils  zu  kompliziert  und  eher 
geeignet  das  Gesichtsfeld  zu  verbauen:  teils  war  die  Anwendung 
nicht  ohne  Assistenz  möglich. 

Nun  ist  es  Zahnarzt  Kreis-  Kassel  gelungen,  einen  Mundsperrer 
zu  bauen,  der  voll  funktionierend  bei  leichter  Einführung  und  zwang¬ 
losem  Sitz  mit  dem  Muskelapparat  des  Mundes  sich  sozusagen  or¬ 
ganisch  verbindet.  Man  definiert  die  Vorrichtung  am  besten,  wenn 
man  sie  als  künstlichen  Hilfsmuskel  bezeichnet. 

Die  Konstruktion  ist  wesentlich  diese:  Zwei  etwa  3cm  lange, 
l‘/jcin  breite  Backenteile  als  flache  Rinnen  geformt,  um  ein  Seit¬ 


wärtsgleiten,  mit  gerieftem  Gummi  ausgelegt,  um  ein  Längsseitsgleiten 
zu  verhindern. 

Eine  Federung  dazwischen,  bestehend  aus  einem  verschieb¬ 
baren  Gelenkviereck,  lässt  ein  Zusammenführen  der  Backen  zu, 
zwecks  bequemer  Einführung  in  die  Mundhöhle,  und  bringt  sie  dort, 
sich  selbst  überlassen,  wieder  automatisch  auseinander. 

Ungefähr  diagonal  im  Gelenkviereck  und  parallel  zu  den  Backen¬ 
teilen  läuft  eine  gezähnte  Raste,  durch  die  der  Apparat  auf  ein  ge¬ 
wünschtes  Mass  sich  einstellt. 

Die  Expansionsfähigkeit  des  Apparates  ist  so  bedeutend,  dass 
auch  dem  grössten  vorkommenden  Oeffnungswinkel  Rechnung  ge¬ 
tragen  wird.  Doch  gibt  er  infolge  Federung  bei  starkem  Muskel- 
diuck  auf  Sekunden  ganz  unwesentlich  nach,  was  indes  genügt,  die 
Muskeln  etwas  in  Aktion  treten  zu  lassen  und  somit  vor  Ermüdungs¬ 
starre  zu  bewahren.  Um  die  Spannung  für  eine  gewünschte  Zeit 
ganz  aufzuheben,  drücke  man  mit  dem  Finger  von  oben  auf  den 
Rastenhebei.  Zu  diesem  Zweck  muss  der  Apparat  immer  so  in  die 
Mundhöhle  gebracht  werden,  dass  der  Rastenhebel  nach  vorne  steht. 
Das  Einführen  geschieht  mittels  einer  Spezialzange,  deren  Branchen 
um  zwei  an  den  Backenteilen  seitwärts  angebrachte  konische  Gelenk¬ 
köpfe  greifen. 

Fig.  1  soll  lediglich  den  Apparat  mit  Zange  in  etwa  2U  der  natür¬ 
lichen  Grösse  darstellen. 

Abbildung  2  demonstriert  seine  Einführung  in  die  Mundhöhle, 
wobei  er  zwecks  besserer  Veranschaulichung  auf  den  vorderen  Teil 
der  Zahnreihen  aufgesetzt  ist.  Sonst  muss  der  Apparat  selbstredend 
zwischen  den  oberen  und  unteren  Kauzähnen  ruhen  und  dabei  im 
Interesse  des  freieren  Arbeitsfeldes  so  weit  als  möglich  nach  hinten 
verlegt  werden. 

Die  Backenteile  lassen  sich,  weil  durch  Drehgelenk  an  die  Fede¬ 
rung  montiert,  im  Längssinn  zu  einander  in  beliebigen  Winkel 
bringen  und  ausserdem  ist  eine  Backe  um  die  Querachse  frei  be¬ 
weglich,  so  dass  die  ganze  Vorrichtung  nicht  einen  steifen,  starren 
Sperrapparat  darstellt,  sondern  der  jeweiligen  Stellung  der  Zahn¬ 
reihen  zu  einander  gerecht  wird. 

Das  Umdrehen  des  Apparates  um  die  Längsachse  macht  ihn 
für  die  Gegenseite  verwendbar,  wobei  natürlich  der  Fingerdruck  auf 
den  Rastenhebel  von  unten  nach  oben  zu  wirken  hat. 

Die  Reinigung  und  Desinfektion  des  Apparates  auch  durch  Aus¬ 
kochen,  unterliegt  keinerlei  Schwierigkeiten,  da  der  Gummi  eigens 
dafür  präpariert  ist.  Wenn  keine  Infektion  vorliegt,  dürfte  es  übrigens 
!  genügen,  den  Sperrer  10—15  Minuten  in  Lysoformwasser  zu  be- 


Abbildung  1.  Abbildung  2. 


2408 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  51. 


lassen.  Doch  empfiehlt  es  sich  in  beiden  Fällen,  ihn  hernach  einige 
Augenblicke  in  Alcohol  absol.  zu  legen,  um  ein  vollständiges  Ab¬ 
trocknen  auch  der  schwer  zugänglichen  Teile  zu  bewirken. 

Ich  habe  den  kleinen  Apparat  seit  seinem  Erscheinen  in  Dutzen¬ 
den  von  Fällen  angewendet  und  fand  in  ihm  eine  bedeutende  Unter¬ 
stützung  für  den  Patienten  und  einen  mächtigen  Helfer  für  den 
Operateur.  Die  ewigen  langweiligen  Ermahnungen:  „Bitte  machen 
Sie  den  Mund  etwas  weiter  auf!  —  Nicht  schliessen,  bitte!"  —  usw. 
fallen  fort.  Meine  Patienten  konnten  mir  auch  alle  bestätigen,  dass 
der  Mundsperrer  in  keiner  Weise  lästig  falle  und  die  Unterstützung 
des  Kiefers  obendrein  sehr  angenehm  empfunden  werde.  Für  die  Be¬ 
handlung  von  Kindern,  diesen  ungeduldigen  und  leicht  aulgeregten, 
meist  aber  unruhigen  Patienten  ist  dies  von  besonderer  Wichtigkeit. 

Der  Apparat  ist  so  klein  und  schmal,  dass  er  das  Arbeiten  an 
der  Gegenseite  in  keiner  Weise  stört.  Auch  die  Einführung  von 
Watterollenhalter  und  Speichelsauger  zu  gleicher  Zeit  stösst  auf 
keine  Hindernisse. 

Auch  in  der  Narkose  ist  seine  Anwendung,  wenn  er  vor  der  Be¬ 
täubung  eingeführt  wurde,  von  grossem  Nutzen,  da  dann  durch  ihn 
die  Assistenz  für  andere  Hilfeleistungen  die  Hände  frei  hat.  Durch 
die  angepasste  Form  und  den  sicheren  Sitz  sowie  die  grosse  Expan¬ 
sionsfähigkeit  des  Apparates  wird  ein  Verrücken  oder  Herausfallen 
unmöglich. 

Bei  schweren  Extraktionen  und  Entfernung  von  Geschwülsten 
mit  nachfolgender  Knochenmeisselung  und  Naht,  hauptsächlich  im 
Unterkiefer,  leistete  mir  der  Mundsperrer  eminent  gute  Dienste.  Denn 
gerade  die  so  notwendige  gleichmässige  und  ruhige  Uebersicht  über 
das  Operationsfeld  gewährleistet  der  Apparat. 

Spezialärzte  für  Hals-  und  Mundkrankheiten  können  in  gleicher 
Weise  wie  Zahnärzte  durch  die  Verwendung  des  Kreismundsperrers 
ihren  Patienten  die  Situation  und  sich  selbst  in  ungezählten  Fällen 
die  Arbeit  erleichtern. 

Der  Apparat  ist  zu  haben  bei  „Respira  Sanitäts-Kompagnie 
in.  b.  H.“  Kassel. 

- rt«»« - 


Siegmund  Gottschalk  f. 

ln  diesen  Tagen,  da  der  Tod  mit  weitausholender  Sense  mäht 
und  nicht  die  Besten  schont  auf  dem  Schlachtfelde,  darf  doch  nicht 
ganz  der  Toten  vergessen  werden,  die  in  der  Heimat  dahingehen.  Es 
starb  am  3.  November  d.  J.  in  Berlin,  54  Jahre  alt,  der  Gynäkologe 
Prof.  G  o  1 1  s  c  h  a  1  k  nach  langem  Leiden,  von  dem  es  nicht  sicher 
ist,  ob  er  es  sich  nicht  auf  dem  wissenschaftlichen  Felde  geholt  hat. 
Denn  kaum  ein  anderer  deutscher  medizinischer  Gelehrter  sass  aus¬ 
dauernder  und  ausschliesslicher  bei  seinen  mikroskopischen  Prä¬ 
paraten,  bei  seinen  Büchern,  bei  seinen  Kranken  als  G  o  1 1  s  c  h  a  1  k. 
Ja  cs  gab  für  ihn  kaum  etwas  anderes  als  Arbeiten  und  es  konnte 
ihm  völlig  entfallen,  dass  man  auch  essen  und  trinken  müsse,  wenn 
wissenschaftliche  Arbeiten  drängten:  da  kam  es  vor,  dass  er  und 
wir,  seine  Assistenten^  von  früh  7  Uhr  an  operierten,  alsdann 
Visite  machten,  um  im  Anschluss  daran  die  gewonnenen  Präparate 
sofort  zur  Untersuchung  zu  bringen  —  kein  Stückchen  eines  Organs 
durfte  verloren  gehen  —  und  so  wurde  es  nicht  selten  später  Nach¬ 
mittag,  bis  er  und  seine  Mitarbeiter  das  erste  Frühstück  einnehmen 
konnten. 

Dieser  ungeheuren  Anspannung  aller  Kräfte  allein  verdanken  die 
fast  ungezählten  wissenschaftlichen  Arbeiten  Gottschalks  ihre 
Entstehung.  Nicht  weniger  als  113  Arbeiten  konnten  aus  seinem 
Nachlass  zusammengestellt  werden.  In  Wirklichkeit  sind  es  viel 
mehr. 

Vor  allem  war  es  das  pathologisch-anatomische  Gebiet  in  der 
Gynäkologie,  auf  dem  Gottschalk  Meister  war.  Insbesondere 
hat  er  das  unzweifelhafte  Verdienst,  die  grundlegenden  Arbeiten  über 
das  Chorionepitheliom  geschrieben  zu  haben. 

Gottschalk  war  eine  Kampfnatur.  Herb  und  oft  Wider¬ 
spruch  herausfordernd.  Immer  beseelt  von  dem  Glauben  an  die 
von  ihm  erzielten  Resultate.  Nur  wer  seine  minutiöse  Gewissen¬ 
haftigkeit  kannte,  konnte  wissen,  dass  diese  Resultate  ihre  sichere 
Basis  hatten. 

Aber  seine  Arbeiten  beschränkten  sich  nicht  auf  das  rein  medi¬ 
zinisch-wissenschaftliche  Gebiet:  Auch  therapeutisch  wusste  er  stets 
die  neuen  Forschungen  sich  und  seinem  Spezialfach  dienstbar  zu 
machen.  Insbesondere  befleissigte  er  sich,  die  konservative  Behand¬ 
lung  der  Frauenleiden  auszubauen.  Die  Balneotherapie,  die  physi¬ 
kalische  Therapie  haben  in  ihm  einen  gründlichen  Bearbeiter  in 
vielen  umfangreichen  Arbeiten  gefunden. 

Gottschalks  Name  wird  als  würdiger  Vertreter  deutscher 
gründlicher  Wissenschaftlichkeit  nicht  aus  dem  Gedächtnis  der  Me¬ 
dizin  verschwinden. 

Max  Nassauer  -  München. 


Fortbildungsvorträge  und 
Uebersichtsreferate. 

Die  chronischen  Arthritiden. 

Ursachen,  Einteilung  und  Beurteilung. 

Von  Wilhelm  H  i  s. 

(Schluss.) 

Der  Begriff  der  Konstitution  ist  in  letzter  Zeit  bekanntlich  im  An¬ 
schluss  an  die  pädiatrischen  Erfahrungen  einer  Revision  unterzogen 
worden  und  der  alte  Begriff  der  Diathese  kommt  wieder  zu  Ehren. 
Meine  Auffassung  desselben  habe  ich  in  einem  Referat  auf  dem  Kon¬ 
gress  für  innere  Medizin  dargelegt.  Es  bedeutet  eine  gewisse  an¬ 
geborene,  oftmals  familiäre  oder  erbliche  Beschaffenheit,  welche  den 
Körper  gegen  physiologische  Reize  abnorm  reagieren  lässt. 

Als  Typus  der  Diathese  mag  hier  die  Gicht  genannt  sein.  Wir 
verstehen  darunter  eine  Störung  im  Purinstoffwechsel,  welche  zu 
einem  Ueberreichtum  des  Blutes  an  Harnsäure  führt,  deren  Ablage¬ 
rungen  in  den  Geweben  die  manifesten  Erscheinungen  der  Gicht  her- 
vorrufen.  Die  diathetische  Natur  zeigt  sich  in  dem  überwiegend 
häufigen  gleichzeitigen  Vorkommen  von  Diabetes,  Fettsucht, 
Schrumpfniere,  frühzeitiger  Arteriosklerose  und  Hypertonie,  auch 
darin,  dass  die  üppige  Lebensweise  selbst  nicht  imstande  ist,  Gicht  zu 
erzeugen,  wenn  das  Individuum  nicht  von  vornherein  zu  dieser  Krank¬ 
heit  disponiert  ist.  Die  atypischen  Formen  der  Gicht  bereiten  häufig 
der  Diagnose  und  namentlich  der  Differentialdiagnose  gegenüber  chro¬ 
nischer  Arthritis  nicht  geringe  Schwierigkeiten.  Wir  finden  da  zirkum¬ 
skripte  Herde  in  den  Muskeln,  in  den  Sehnen  und  Sehnenscheiden,  im 
periartikulären  Gewebe,  ferner  Neuralgien  des  Trigeminus  oder  Ischia- 
dikus  mit  scharf  umschriebenen  Druckpunkten  in  Aponeurosen  oder 
im  Muskel.  Wir  finden  allerlei  Dermatosen,  Wachstumsstörungen  der 
Nägel  u.  dergl  m.  Alles  dies  sind  Symptome,  die  auch  bei  Nicht¬ 
gichtischen  gefunden  werden  und  die  an  sich  die  Diagnose  auf  Gicht 
nicht  zulassen,  wenn  nicht  die  charakteristischen  Stoffwechselstö¬ 
rungen  nachgewiesen  werden  können. 

Mit  dem  Namen  Gicht  wird  sehr  viel  Missbrauch  getrieben.  Wer 
jede  chronische  Gelenkaffektion  als  Gicht  bezeichnet,  und  so  be¬ 
handelt,  als  ob  ihr  eine  Stoffwechselstörung  zugrunde  liege,  wird  seine 
Patienten  ganz  unnötigen  und  nutzlosen  Entbehrungen  aussetzen,  und 
ich  kenne  sehr  viele  Patienten,  welche  durch  strenge  Verordnung 
vegetarischer  Diät  oder  anderer  diätetischer  Einschränkungen,  durch 
Gebrauch  von  Kolchikum  und  anderen  Gichtspezifizis  ohne  jeden 
Nutzen  körperlich  aufs  schwerste  geschädigt  wurden.  Neuerdings  hat 
Goldscheider  den  Gichtbegriff  zu  erweitern  gesucht.  Er  hat  das 
Verdienst,  auf  die  in  deutscher  Literatur  allzu  kritisch  behandelten 
Formen  von  atypischer  Gicht  die  Aufmerksamkeit  gelenkt  zu  haben. 
Sein  nosologischer  Standpunkt  führt  ihn  zur  Auffassung,  dass  jede 
Affektion,  welche  bei  Gicht  Vorkommen  kann,  z.  B.  das  Gelenk¬ 
knirschen  und  tophusähnliche  Gebilde,  überall  da,  wo  sie  vorhanden 
sind,  auch  die  Existenz  der  Gicht  beweisen.  Dieser  Standpunkt  ist 
zweifellos  unhaltbar.  Es  ist  etwa  so,  wie  wenn  man  jeden  Fall  von 
Durchfall,  Kopfschmerz  und  Fieber  als  Typhus  bezeichnen  wollte, 
weil  diese  Symptome  bei  Typhus  auch  vorhanden  sind.  Wir  haben 
oben  schon  gezeigt,  dass  tophusähnliche  Gebilde  in  Sehnen  und 
Sehnenscheiden  durch  Infektion  entstehen  können  und  dass  das  Ge¬ 
lenkreiben  und  Knirschen  eine  Degeneration  der  Knorpel  zeigt, 
welche  sehr  mannigfache  Ursachen  haben  kann.  Es  ist  ja  das  Ver¬ 
dienst  Alfred  G  a  r  r  o  d  s,  durch  den  Nachweis  der  Stoffwechsel¬ 
störungen,  die  Gicht  von  den  chronischen  Arthritiden  unterschieden 
zu  haben  und  wir  weichen  hinter  diesen  Standpunkt  zurück,  wenn  wir 
der  Goldscheider  sehen  Auffassung  folgen. 

Leider  ist  zurzeit  der  Nachweis  der  Stoffwechselstörung  da¬ 
durch  erschwert,  dass  wir  nicht  über  hinreichend  sichere  Methoden 
verfügen.  Wo  Uratablagerungen  in  einem  Gelenk  oder  Tophus  auf¬ 
gefunden  werden,  ist  die  Diagnose  ja  sicher,  aber  die  von  Bloch, 
sowie  Schittenhelm  und  Brugsch  angegebene  Verzögerung 
in  der  Ausscheidung  der  Purinsubstanzen  kommt  nicht  nur  dem  Gicht¬ 
kranken,  sondern  auch  dem  Alkoholiker  und  Nephritiker  zu  und  kann 
beim  Gichtkranken  mindestens  vorübergehend  fehlen.  Bleibt  also  der 
Nachweis  für  Harnsäure  im  Blut.  Nach  der  vielbenutzten  Methode 
von  Krüger  und  Schmidt  Hess  sich  im  Blute  des  Gesunden  nach 
dreitägiger  purinfreier  Nahrung  Harnsäure  nicht  oder  nur  in  Spuren 
nachweisen,  während  die  typischen  und  atypischen  Gichtkranken  in 
den  meisten  Fällen  mehrere  Milligramm  in  100  ccm  Blut  auffinden 
und  darstellen  Hessen.  Die  neueren  Methoden  zeigen  nun,  dass  auch 
im  Blute  des  Gesunden  bei  purinfreier  Nahrung  Harnsäure  vorhanden 
ist  und  es  würde  sich  darum  handeln,  zu  wissen,  ob  ein  quantitativer 
schärferer  Unterschied  zwischen  dem  Gichtkranken  und  dem  Ge¬ 
sunden  besteht.  Leider  differieren  die  Methoden  untereinander  sehr 
erheblich  und  wir  müssen  das  Ende  der  gegenwärtig  im  Gang  befind¬ 
lichen  Untersuchungen  über  die  Zuverlässigkeit  der  Methoden  ab- 
warten,  bevor  wir  endgültig  über  deren  Wert  für  die  Gichtdiagnostik 
uns  äussern  können  2).  Für  praktische  Zwecke  habe  ich  bisher  die 


2)  Anm.  b.  d.  Korr.:  Dass  die  Methode,  von  Brugsch-Kri- 
steiler  keine  zahlcnmässig  genauen  Resultate  gibt,  haben  Fried- 
m  a  n  n  und  Z  o  n  d  e  k  in  einer  noch  nicht  miblizierten  Arbeit  nach- 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


22.  Dezember  1914. 


2409 


Methode  von  Krüger-Schmidt  beibehalten.  Sie  liefert  das 
Prodult  kristallisiert,  so  dass  damit  die  Murexidprobe  angestellt  wer¬ 
den  k  'an.  Ihr  Ergebnis  stimmt  mit  dem  klinischen  Befund  sehr  gut 
überein  und  sic  erlaubt,  die  meisten  balle  von  atypischer  Gicht  mit 
Sicherheit  zu  erkennen.  Sie  versagt  freilich  zuweilen  in  Fällen 
sicherer  Gicht  und  kann  heute  als  ein  brauchbares,  wenn  auch  nicht 
absolut  zuverlässiges  Provisorium  betrachtet  werden. 

Zu  den  diathetischen  Formen  arthritischer  Veränderung  gehören 
zweifellos  auch  die  bleberden  sehen  Knoten.  Sie  sind  bekanntlich 
keineswegs  für  Gicht  charakteristisch,  wohl  aber  für  die  Gruppe, 
welche  die  Franzosen  als  Arthritisnius  zusammenfassen  und  finden 
sich  dementsprechend  sehr  häufig  bei  Personen  mit  Fettsucht, 
Schrumpfniere,  Diabetes,  harnsaurer  Diathese,  oftmals  als  einziges 
Symptom  einer  Anomalie  schon  in  jungen  Jahren.  Ich  kenne  einen 
20  jährigen  Studenten,  dessen  Vater  sie  ausgeprägt  besitzt,  dessen 
Schwester  an  Nierensteinen  leidet,  er  selbst  gesund  ist,  aber  aus¬ 
geprägte  Heberdenknoten  hat.  Zu  den  konstitutionellen  Formen  ge¬ 
hört  höchstwahrscheinlich  auch  die  eigentümliche  Kalkgicht,  die  Ab¬ 
lagerungen  kohlen-  und  phosphorsauren  Kalkes  in  allerlei  Binde¬ 
gewebe  in  kleinen  oder,  wie  in  einem  kürzlich  von  Magnus- 
Lcvy  demonstrierten  Falle,  in  den  monströs  erweiterten  Arterien¬ 
wandungen. 

Dass  das  Trauma  für  die  Entstehung  chronischer  Gelenkdegenera¬ 
tionen  eine  grosse  Rolle  spielt,  wird  mehr  und  mehr  anerkannt  und 
es  sind  dabei  nicht  nur  die  gewaltsamen  Einwirkungen  sondern  auch 
die  Schädigungen,  welche  infolge  Belastungsdeformitäten  auf  das  Ge¬ 
lenk  einwirken  als  Ursache  der  Arthritis  deformans  und  namentlich 
der  senilen  Hüft-  und  Wirbelgelenksdeformationen  anerkannt. 

Für  manche  Gelenkerkrankungen  fehlt  uns  freilich  noch  jedes 
ätiologische  Verständnis,  so  für  die  Arthritis  psoriatica,  die  progres¬ 
siven  Gelenkveränderungen,  welche  gemeinsam  mit  Sklerodermie 
nicht  selten  auftraten.  In  beiden  Fällen  liegt  offenbar  eine  bestimmte 
Disposition  der  Körperorgane  vor,  die  sich  bei  der  Psoriasis  bekannt¬ 
lich  darin  äussert,  dass  Ueberimpfung  nur  bei  psoriatischen  Individuen 
gelingt.  Der  vielfach  vermutete  Zusammenhang  mit  Anomalien  der 
Schilddrüse  oder  anderer  Hormondrüsen  ist  zurzeit  noch  mehr  als 
fraglich. 

Wenn  ich  hier  jetzt  noch  kurz  die  Gelenkveränderungen  nenne, 
welche  sich  an  Myositis  ossificans,  an  Osteopsathyrosis  und  an  Paget¬ 
krankheit  anschliessen,  so  habe  ich  damit  wohl  die  wichtigsten  dieser 
seltenen  Gelenkkrankheiten  aufgezählt  und  kann  dazu  übergehen,  die 
diagnostischen  Aufgaben  zu  besprechen,  die  den  Aerzten  im  Einzel¬ 
fall  gestellt  sind. 

Zunächst  ist  zu  ermitteln,  ob  der  Knorpel  oder  die  Synovial¬ 
membran  primär  erkrankt  ist,  welche  Ausbreitung  und  welchen  Grad 
die  Veränderungen  erreicht  haben.  Wie  sich  die  Muskeln,  Sehnen 
und  Knochen  verhalten.  Dies  alles  geht  aus  der  Besichtigung,  Pal¬ 
pation,  Funktionsprüfung  und  dem  Röntgenbild  hervor  und  es  lässt 
sich  ermessen,  ob  die  vorhandene  Funktionsstörung  durch  Muskel¬ 
atrophien  oder  Kontrakturen,  durch  rückbildungsfähige  Entzündungs¬ 
prozesse  oder  durch  derbe  verkalkte  Ankylosen  und  Randwuche¬ 
rungen  hervorgerufen  sind.  Danach  richtet  sich  in  weitgehendstem 
Masse  die  Prognose. 

Ferner  ist  auf  das  Verhalten  der  inneren  Organe,  vor  allem  des 
Herzens,  der  Gefässe,  der  Nieren,  der  weiblichen  Sexualorgane  zu 
achten.  Daraus  lässt  sich  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  ein  Schluss 
ziehen,  ob  eine  Infektion  Ursache  der  Krankheit  ist.  Bei  Lues,  Go¬ 
norrhöe  und  Tuberkulose  ist,  wenn  Verdacht  vorliegt,  in  der  bekann¬ 
ten  Weise  zu  forschen,  ein  Hauptaugenmerk  auf  die  Möglichkeit  einer 
chronischen  Sepsis  mit  Infektionsherd  zu  richten.  Tonsillen  und  Zahn¬ 
fleisch  brauchen  äusserlich  die  Anwesenheit  eitriger  Herde  nicht  zu 
verraten.  Erst  das  Ausquetschen  der  Lakunen  und  Wurzelsäcke 
gibt  Gewissheit.  Dass  auf  Galleneiterungen,  Appendizitis  und  Pyelo- 
zystitis  zu  achten  ist,  wurde  bereits  erwähnt,  ebenso  gewisse  Formen 
chronischer  Darmulzerationen.  Weiterhin  ist  das  Verhalten  des  Stoff¬ 
wechsels  zu  prüfen,  und  bei  Verdacht  auf  Gicht  das  Blut  in  der  oben¬ 
genannten  Weise  zu  untersuchen.  Auch  die  Familienanamnese  darf 
nicht  vernachlässigt  werden  und  ich  möchte  im  Sinne  älterer  Autoren 
auch  nach  meinen  Erfahrungen  bestätigen,  dass  in  arthritischen  Fa¬ 
milien,  namentlich  bei  weiblichen  Mitgliedern  chronische  Arthritiden 
auftreten,  ohne  dass  die  charakteristische  Störung  des  Purinstoff- 
'  Wechsels  nachweisbar  ist. 

Hat  man  sich  dergestalt  ein  Bild  von  der  Art  und  dem  Umfang 
der  Krankheit  und  ihren  eventuellen  Ursachen  geschaffen,  dann  ist  der 
Therapie  ihr  Weg  vorgeschrieben.  Wo  es  gelingt,  die  Krankheits¬ 
ursache  zu  beseitigen,  etwa  bei  Lues  oder  chronisch-infektiösen  For¬ 
men  wird  es  von  dem  Grade  der  anatomischen  Veränderungen  ab- 
hängen,  welcher  Erfolg  der  Behandlung  bescliieden  sein  kann.  Es 
gibt  eben  reparable  und  irreparable  Veränderungen. 

Symptomatisch  stehen  uns  sehr  mannigfache  Mittel  zu  Gebote. 
Zunächst  jene  Arzneimittel,  welche  wir  als  Gclenkspezifika  be¬ 
zeichnen,  obwohl  sie  zwar  den  Schmerz  und  die  Entzündung  lindern, 
ohne  den  Grundprozess  wesentlich  zu  beeinflussen.  Dazu  gehört  die 
Salizylsäure  und  ihre  Abkömmlinge,  die  Antineuralgica  und  auch  das 
Atophan.  Das  Kolchikum  dagegen  ist  ein  spezifisches  Gichtnüttel  und 
hat  bei  Arthritiden  nichtgichtischcr  Art  keinerlei  Wirkung. 

Viel  umstritten  ist  die  Wirkung  der  Stoffe,  welche  bei  chronischer 

gewiesen.  Die  Methode  von  Krüger-Schmidt  versagt  bei  man¬ 
chen  Kranken,  ist  aber  quantitativ  zuverlässig. 

Nr.  5!. 


Sepsis  angewendet  werden.  Vom  Kollargol,  intravenös  eingespritzt, 
sieht  man  viel,  wenn  auch  selten  in  akuten  und  chronischen  entzünd¬ 
lichen  Formen  deutliche  Wirkungen.  Dasselbe  gilt  von  den  Strepto¬ 
kokkenseren  und  der  Vakzination.  Alle  diese  Wirkungen  sind  aber 
aus  unübersehbaren  Gründen  völlig  inkonstant.  Dasselbe  ist  zu  sagen 
vom  Arthigon,  das  vielleicht  von  allen  gonorrhoischen  Affektionen  auf 
diejenige  der  Gelenke  noch  verhältnismässig  am  häufigsten  bessernd 
einwirkt. 

Die  gelegentliche  Beobachtung,  dass  Bienenstiche  bei  Arthritis 
gute  Wirkung  hatten,  führte  zur  Anwendung  der  Ameisensäure;  von 
einzelnen  Spezialisten  viel  angewandt,  ist  dies  Mittel  genauer  bisher 
noch  nicht  geprüft  worden.  Gute  Wirkungen  sind  mir  von  einzelnen 
Patienten  versichert  worden,  andere  blieben  unbeeinflusst  oder  wur¬ 
den  selbst  verschlechtert. 

Von  den  physikalischen  Heilmethoden  ist  die  Wärmeanwendung 
die  älteste  und  bestgeprüfte,  und  nach  den  Lehren  Aug.  Biers 
müssen  wir  trachten,  eine  möglichst  hohe  Temperatur  durch  Anwen¬ 
dung  von  Sandbädern  oder  Heissluft  zu  erzielen.  Noch  wirksamer 
ist  die  elektrische  Erzeugung  hoher  Temperaturen  mittels  der  Dia¬ 
thermie,  welche  in  der  Tat  bei  geduldiger  und  sachgemässer  Anwen¬ 
dung  ganz  ausgezeichnete  Erfolge  in  sehr  vielen  Fällen  zu  geben  ver¬ 
mag.  Von  der  Anwendung  der  Bi  er  sehen  Stauung  bei  sehr  chro¬ 
nischen  Fällen  bin  ich  allmählich  zurückgekommen,  da  sie  sich  der 
trockenen  Wärme  gegenüber  als  minderwertig  erwies.  Bei  lebhaften 
Schmerzen  und  frischer  Entzündung  wirkt  sie  zuweilen  schnell 
schmerz-  und  entzündungslindernd. 

Die  Strahlentherapie  ist  ebenfalls  ein  äusserst  wirksames  Mittel 
in  der  Behandlung  chronischer  Arthritiden.  Sonnenbäder  haben 
eigentlich  keine  Heilwirkung,  können  aber  bei  heruntergekommenen 
und  verweichlichten  Patienten  durch  Anregung  der  Hauttätigkeit  und 
der  Ernährung  oft  gute  Dienste  tun. 

Den  Röntgenstrahlen  kommt,  wie  schon  Williams  J  a  u  g  i  e  s 
und  neuerdings  Eckstein  betont  haben,  eine  schmerzlindernde 
Wirkung  zu.  Eigentlich  therapeutische  Effekte  sind  mir  von  ihnen 
bisher  nicht  bekannt  geworden.  Doch  ausgedehntere  Versuche  mit 
harten  Strahlungen  sind  wohl  noch  kaum  durchgeführt  und  des  Ver¬ 
suches  würdig. 

Auf  das  Radium  und  seine  Strahlungen  wurde  die  Aufmerksam¬ 
keit  Neussers  dadurch  gezogen,  dass  in  den  Pechblendegruben  von 
Joachimsthal  die  Bergleute  angeblich  von  rheumatischen  Erkran¬ 
kungen  frei  bleiben  sollen.  Von  da  hat  die  Radiumtherapie  ihren 
Ausgang  genommen  und  allerlei  Formen  angenommen. 

Das  Radium  ist  zweifellos  ein  arthrotropes  Mittel  und  seine 
Strahlungen  können  schon  bei  geringer  Intensität  in  manchen  Fällen 
ausserordentlich  schmerzlindernd  wirken.  Aber  auch  darüber  hinaus 
ist  eine  heilende  Wirkung  in  etwa  2/.i  der  Fälle  bei  passender  Anwen¬ 
dung  festzustellen.  Für  die  Anwendung  hat  sich  die  Einatmung  von 
Emanation  besonders  bewährt,  wobei  in  den  meisten  Fällen  ein  Ema¬ 
nationsgehalt  von  5  =  10  Macheeinheiten  im  Liter  Luft  ausreicht, 
und  nur  in  einzelnen  Fällen  eine  Erhöhung  der  Dosis  bessere  Erfolge 
ergibt.  Die  Trinkkur  mit  emanationshaltigem  Wasser  scheint,  obwohl 
theoretisch  ebenbürtig,  in  praxi  nicht  ganz  dieselben  Erfolge  zu  geben. 
Besonders  wirksam  erwies  sich  die  Injektion  radiumbromidhaltiger 
Lösungen  in  die  Umgebung  der  erkrankten  Gelenkes  wobei  Depots 
aktiver  Zerfallsprodukte  der  Emanation  sich  bilden  und  eine  Dauer¬ 
wirkung  ausüben.  Der  Gehalt  der  einzelnen  Injektionen  beträgt 
1 — 10  000  Macheeinheiten.  Sie  werden  an  demselben  Gelenk  4 — 5  mal 
an  verschiedenen  Stellen  wiederholt.  Radioaktive  Kompressen  von 
geringer  Intensität  haben  zuweilen  ausgesprochen  schmerzstillende 
Wirkung,  eine  intensivere  Einwirkung  kommt  ihnen  jedoch  nicht  zu. 

Aeusserst  wichtig  ist  es  im  Einzelfall  das  Mass  von  Schonung 
und  Uebung  zu  bestimmen,  das  dem  Kranken  zugemessen  werden  soll. 
Absolute  Schonung  ist  nur  bei  äusserten  Schmerzen  und  bei  frisch  in¬ 
fektiösen  Fällen  notwendig.  Ueberall  sonst  ist  die  Bettruhe  und  Scho¬ 
nung  der  Gelenke  auf  das  geringste  zulässige  Mass  zu  beschränken. 
Wir  wissen  ja,  wie  rasch  schon  bei  unvollkommener  Inaktivierung 
Knochen  und  Muskulatur  dem  Schwund  verfallen  und  ich  habe  zahl¬ 
reiche  Kranke  gesehen,  bei  denen  die  Funktionsstörung  nicht  vom 
Gelenk,  sondern  von  der  Muskelatrophie  ausging  und  durch  syste¬ 
matische  Uebung  in  weitgehendem  Masse  wieder  hergestellt  werden 
konnte.  Chirurgische  Eingriffe  sind  überall  da  angezeigt,  wo  es  sich 
um  chronische  Prozese  handelt,  welche  zu  irreparablen  Bewegungs¬ 
hindernissen,  Ankylosen,  Randwucherungen,  Spannungen  u.  dergl. 
geführt  haben.  Es  ist  selbstverständlich,  dass  operative  Behandlung 
nur  da  am  Platze  ist,  wo  einzelne  wichtige  Gelenke  in  der  genann¬ 
ten  Weise  deformiert  sind,  Hüft-,  Knie-,  Ellbogen-,  Schulter-  und 
vor  allen  Dingen  Kiefergelenk.  Die  Erfolge  sind  oft  sehr  befriedigend. 
Dass  gichtische  Tophi  an  exponierten  Stellen  und  da,  wo  sie  nicht  mit 
der  Gelenkhöhle  Zusammenhängen,  zweckmässig  exstirpiert  werden, 
darf  ich  als  bekannt  voraussetzen. 

In  allen  Fällen  ist  der  allgemeinen  Behandlung  der  Kranken  die 
grösste  Aufmerksamkeit  zu  schenken.  Bedenken  Sie  wie  oft  durch 
Bettlager,  Stubenluft,  anhaltenden  Schmerz  das  Gesamtbefinden  ge¬ 
litten  hat,  wie  sehr  namentlich  bei  chronischer  Infektion  die  Er¬ 
nährung  und  Blutbildung  leidet  und  so  werden  Sie  verstehen,  welche 
Sorgfalt  dem  Gesamtbefinden  gewidmet  werden  muss.  Und  die  Er¬ 
fahrung  lehrt,  dass  durch  Roborantien,  China,  Arsen  in  seinen  ver¬ 
schiedenen  Formen,  Lebertran  in  geeigneten  Fällen  und  vor  allem 
durch  Aufenthalt  in  frischer  Luft,  Sonnenschein  und  Wärme  nicht  nur 
der  Zustand  der  Muskulatur,  sondern  auch  die  entzündlichen  Erschei- 

2 


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MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


nungen  in  den  Gelenken  wesentlich  gebessert  werden  können.  Mehr¬ 
fach  haben  Patienten  und  Patientinnen,  welche  in  der  Stadt  in  den 
Bewegungen  sehr  gehemmt  waren,  durch  Spazierengehen  und  Stei¬ 
gen  in  trockenem  und  sonnigem  Klima,  z.  B.  Südtirol  ihren  Zustand 
ganz  wesentlich  gehoben. 

Lieber  klimatische  und  Badekuren  möchte  ich  mich  hier  nur  kurz 
und  allgemein  aussprechen.  Es  ist  längst  anerkannt,  dass  warme  und 
trockene  Klimata  den  Arthritikern  gut  bekommen  und  es  ist  nicht  un¬ 
zweckmässig,  leichtere  Formen,  welche  einer  besonderen  Behandlung 
sonst  nicht  bedürfen,  einen  Winter  in  Meran,  an  der  westlichen  Ri¬ 
viera  oder  selbst  in  Aegypten  zubringen  zu  lassen.  Selbstverständ¬ 
lich  sind  schwere  unbewegliche  und  fieberhafte  Formen  von  solchen 
Klimakuren  auszuschliessen.  Alle  Bäder,  welche  seit  Jahrhunderten 
bei  Behandlung  der  Arthritiden  sich  bewährt  haben,  sind  Thermen 
mit  sehr  wechselndem  Gehalt  an  mineralischen  Bestandteilen  und 
einem  grösseren  oder  geringeren  Gehalt  an  radioaktiven  Substanzen. 
Von  den  uns  bekannten  Faktoren  spielt  jedenfalls  die  Wärme  eine 
bedeutende  Rolle.  Dass  die  Radioaktivität  natürlicher  Quellen  den¬ 
selben  Heilwert  besitzt,  wie  die  künstlich  angewendeten,  ist  selbst¬ 
verständlich,  doch  geht  der  therapeutische  Effekt  mit  dem  Gehalt  der 
Emanation  durchaus  nicht  parallel -und  manche  sehr  wirksame  Quelle, 
z.  B.  in  Wiesbaden  sind  relativ  arm  an  Radiumemanation.  Es  ist 
sehr  wahrscheinlich,  dass  noch  andere  therapeutisch  wirksame  Fak¬ 
toren  in  diesen  Quellen  enthalten  sind  die  sich  bisher  unserer  Kennt¬ 
nis  entziehen.  Dass  die  Moorbäder  und  Schlammarten  als  stark 
hyperämisierende  Mittel  eine  Heilwirkung  enthalten,  ist  selbstver¬ 
ständlich  und  der  Gebrauch  der  eisenhaltigen  Quellen  an  Moorkur¬ 
orten  unterstützt  durch  allgemeine  Wirkung  die  lokalen  Einflüsse. 
Eine  besondere  Rolle  spielt  zweifellos  der  Fango,  jener  mineralische 
Talkschlamm,  der  mit  hoher  Temperatur  und  schlechtem  Wärme¬ 
leitungsvermögen,  eine  beträchtliche  Radioaktivität  verbindet.  Die 
volle  Wirkung  kann  jedoch  nur  an  Ort  und  Stelle  erwartet  werden, 
da  die  Radioaktivität  beim  Versand  beträchtliche  Verluste  erleidet. 
Die  Sandbäder  sind  bekanntlich  in  Köstritz  zu  besonderer  Vollendung 
gebracht  worden,  indem  die  Kranken  in  ihrem  Sandkasten  ins  Freie 
geführt  und  dadurch  von  dem  sonst  unvermeidlichen  Staub  verschont 
bleiben.  Ein  Verfahren,  das  auch  auswärts  Nachübung  verdiente. 
Die  Verordnung  klimatischer  und  baineotherapeutischer  Kuren  ver¬ 
langt  sorgsames  Eingehen  auf  Art  und  Stadium  der  Krankheit.  Nir¬ 
gends  rächt  sich  der  Schematismus  stärker  als  hier.  Gerade  die 
frischinfektiösen  Formen  ertragen  derartige  Kuren  durchaus  nicht,  son¬ 
dern  neigen  während  derselben  zu  häufigen  und  oft  fieberhaften  Re¬ 
zidiven.  Wo  es  sich  aber  darum  handelt,  entzündliche  Exsudate  zur 
Rückbildung  zu  bringen,  Muskelkontrakturen  zu  entspannen,  Schmer¬ 
zen  zu  lindern,  da  kann  die  Wirkung  der  Heilbäder  ganz  vortrefflich 
sein.  Und  dies  um  so  mehr,  wenn  sie  unterstützt  werden  kann  durch 
die  obengenannten  physikalischen  Reagentien,  durch  Massage  und 
Gymnastik  und  durch  Uebungstherapie  unter  sachverständiger  An¬ 
leitung. 

Ich  komme  zum  Schluss,  und  hoffe  Ihnen  gezeigt  zu  haben,  dass 
das  in  unserer  Literatur  etwas  stiefmütterlich  behandelte  Kapitel  der 
chronischen  Arthritiden  nicht  nur  für  den  aufmerksamen  Beobachter 
eine  Menge  interessanter  Fragen  und  Probleme  birgt,  sondern  dass 
es  auch  dem  Therapeuten  Gelegenheit  bietet,  wenn  nicht  immer  Hei¬ 
lung,  so  doch  oft  weitgehende  Besserung  und  Erleichterung  zu 
schaffen.  Sobald  man  sich  darüber  klar  ist,  welche  Art  des  Prozesses 
vorliegt,  wenn  es  gelingt,  dessen  Aetiologie  festzuste'len  und  die 
Grundursache  zu  beseitigen,  wenn  man  sich  überlegt,  welche  Pro¬ 
zesse  der  Rückbildung  fähig  sind,  welche  nicht,  wenn  man  die  Hilfs¬ 
mittel  arzneilicher  und  physikalischer  Art  kennt  und  beherrscht,  dann 
ist  die  therapeutische  Aufgabe  keineswegs  undankbar.  Wohl  gibt  es 
Fälle,  welche  auch  der  geschicktesten  Therapie  trotzen  und  unaufhalt¬ 
sam  progressiv  verlaufen,  doch  sind  sie  gottlob  selten  und  weit 
grösser  ist  die  Zahl  derjenigen  Krankheiten,  bei  denen  der  Prozess 
zum  Stillstand  kommt  und  einmal  eingetretene  Besserungen  von  jahre¬ 
langer  Dauer  sind.  Je  weiter  wir  in  das  Wesen  und  in  die  Ursache 
dieser  Vorgänge  eindringen,  um  so  höher  dürfen  wir  die  Erwartung 
auf  therapeutische  Erfolge  spannen.  Schon  heute  dürfen  wir  mit 
Freude  bekennen,  dass  die  Menge  von  Arbeit,  welche  auf  die  Er¬ 
kennung  dieser  Krankheiten  verwendet  wurde,  nicht  umsonst  ge¬ 
wesen  ist,  sondern  dass  durch  Erkennung  der  Krankheitsursachen 
und  Krankheitsbedingungen,  unser  therapeutisches  Handeln  an  Sicher¬ 
heit  und  Wirksamkeit  gewonnen  hat. 


Bücheranzeigen  und  Referate. 

Die  Materie:  Ein  Erforschungsproblem  in  Vergangenheit  und 

Gegenwart.  Von  The  Svedberg,  Professor  an  der  Universität 
Upsala.  Deutsche  Uebersetzung  von  Dr.  H.  Fink  eist  ein.  Mit 
15  Abbildungen.  Leipzig  1914.  Akadem.  Verlagsgesellschaft.  162  S. 
Preis  M.  6.50. 

Der  bekannte  schwedische  Gelehrte  Schilden  in  meisterhafter 
Weise  den  Werdegang  unserer  Ansichten  über  den  Bau  und  das 
Wesen  der  Materie.  Mit  dem  griechischen  Altertum  beginnend  lernen 
wir  nicht  nur  Demokritos,  den  Begründer  der  Atomlehre,  sondern 
auch  die  Ansichten  seiner  Vorläufer  und  Zeitgenossen  kennen.  Ueber 
die  Alchemisten  des  Mittelalters  mit  ihren  Bestrebungen,  unedle 
Metalle  in  Gold  umzuwandeln,  gibt  ein  eigenes,  mit  zahlreichen  Bil¬ 


Nr.  51. 


dern  ausgestattetes,  Kapitel  Aufschluss.  Weiterschreitend  sehen  wir. 
wie  mit  der  Befreiung  von  den  alchemistisehen  Problemen  sich  all¬ 
mählich  eine  naturwissenschaftliche  Betrachtungsweise  Bahn  bricht 
und  schon  im  17.  und  18.  Jahrhundert  in  den  Forschungen  eines 
Bovle.  Stahl,  Scheele,  Lavoisier  u.  a.  reiche  Früchte 
trägt  verfolgen  .dann  die  Weiterentwicklung  in  dem  an  theoretischen 
und  praktischen  Ergebnissen  so  reichen  19.  Jahrhundert  und  lernen 
endlich  die  der  jüngsten  Zeit  angehörenden  epochemachenden  For¬ 
schungen  auf  den  Gebieten  der  physikalischen  Chemie,  der  Elek- 
trizifätslehre  und  der  Radioaktivität  mit  ihren  umwälzenden  Folgen 
für  unsere  Ansichten  über  die  Materje,  ihren  Aufbau  aus  Grund¬ 
stoffen,  ihre  Verwandlungsfähigkeit  und  ihre  atomistische  Struktur 
kennen. 

Alle  jene,  welche  das  Büchlein  zur  Hand  nehmen,  werden  es 
nicht  wieder  beiseite  legen,  ehe  sie  es  ganz  gelesen  haben  und  sich! 
ebensosehr  durch  die  Reichhaltigkeit  als  durch  die  glänzende  Dar-- 
stellungsweise  befriedigt  fühlen.  L  i  n  d  e  m  a  n  n  -  München. 

Klein  Stanislaus:  Die  Myelogonie,  als  Stammzelle  der  Knochen¬ 
markszellen  im  Blute  und  in  den  blutbildenden  Organen  und  ihre 
Bedeutung  unter  normalen  und  pathologischen  Verhältnissen.  140  S. 
Mit  10  farbigen  Tafeln.  Berlin,  Springer  1914.  Preis  12  Mark. 

Klein  hat  bei  myeloischen  Leukämien  eine  Zelle,  und  zwar! 
gelegentlich  in  grosser  Zahl,  gefunden,  die  ein  starres  und  weniger; 
feines  Netzwerk  der  Kernstruktur  aufweist  als  wir  es  bei  den 
Myeloblasten  finden,  zu  denen  aber  Zwischenformen  existieren.  Die 
beigegebenen  Abbildungen  und  die  vom  Ref.  eingesehenen  Präparate 
belegen  die  Richtigkeit  der  Beobachtung  und  verlangen  eine  Deutung.  I 

Da  nun  Klein  mit  diesen  neuen  Zellen  die  Stammzellen  der 
weissen  Blutkörperchen  von  Maximow  identifiziert  und  seine  i 
neuen  Zellen  auch  im  Knochenmark  und  bei  myeloischer  Metaplasie  ! 
ebenfalls  entdeckt,  so  spricht  er  seine  Myelogonien  als  Stamm- 
zellen  aller  Knochenmarkszellen  überhaupt  an  und  da-  i 
mit  als  Zellart,  die  noch  vor  den  Myeloblasten  stehen  soll. 

Von  der  Myelogonie  leitet  er  durch  Zwischenformen  nicht  nur 
die  Megakaryozyten,  sondern  auch  die  grossen  Ehrlich  scheu i 
Mononukleären  und  Uebergangsformen  als  gealterte  Myeloblasten  ab, 
und  direkt  aus  den  Myelogonien  durch  Alterung  die  Türk  sehen  i 
Reizungsformen,  ferner  durch  Hämoglobinausbildung  die  Megalo¬ 
blasten. 

Viele  Schlüsse  und  Ausführungen  scheinen  dem  Ref.  irrig,  so  ! 
kann  z.  B.  darüber  kein  Zweifel  mehr  bestehen,  dass  in  den  Reizungs¬ 
formen  besonders  differenzierte  Lymphozyten  vorliegen.  Die  von 
Klein  neu  beschriebenen  Zellen  sind  wahrscheinlich  keine  normalen, 
sondern  pathologische  Zellen  mit  pathologischen  Kernveränderungen. 
Die  aufgeworfenen  Fragen  sind  in  mancher  Richtung  interessant,  die  , 
Abbildungen  sehr  gut.  N  a  e  g  e  1  i  -  Tübingen. 

Th.  R  o  v  s  i  n  g  -  Kopenhagen:  Die  Gastro-Koloptosis.  Ueber- 
setzt  von  G.  Saxinger.  Leipzig,  Vogel,  1914.  Preis  10  Mark. 

Die  Gastro-Koloptose  ist  eine  selbständige  Erkrankung,  die  nicht 
wie  Stiller  will,  das  Glied  einer  allgemeinen  Asthenie  ist,  sondern  i 
ein  sehr  wichtiges  Krankheitsbild,  namentlich  beim  weiblichen  Ge¬ 
schlecht,  darstellt.  Sie  verdankt  ihre  Entstehung  vor  allen  Dingen 
mechanischen  Momenten,  dem  Korsettdruck,  dem  Schnüren  und  der  : 
Erschlaffung  der  Bauchwand  durch  Schwangerschaft  und  Geburt 
Die  Symptome  der  Erkrankung  sind  Obstipation,  Kardialgien  (die 
im  Liegen  verschwinden),  Erbrechen,  Abmagerung.  Bei  der  objek-  i 
tiven  Untersuchung  ergibt  neben  dem  Röntgenverfahren  die  Umriss¬ 
auskultation  die  besten  Ergebnisse.  Die  Behandlung  der  Gastro-  I 
Koloptose  geschieht  zunächst  mit  inneren  Mitteln  und  Leibbinde 
Führen  dieselben  nicht  zum  Ziele,  so  muss  die  Gastropexie  vorge¬ 
nommen  werden,  unter  Umständen  in  Verbindung  mit  einer  Gastro¬ 
enterostomie. 

300  nach  der  R  o  v  s  i  n  g  sehen  Methode  operierte  Fälle  zeigen 
die  Wirksamkeit  des  Verfahrens.  Kr  ecke. 

P.  L  iss  mann:  Geburtenrückgang  und  männliche  sexuelle 
Impotenz.  Würzburg  1914.  Kurt  Kab-itzsch.  Preis  M.  1.50. 

Der  Verf.  hat  versucht,  durch  eine  Rundfrage  an  200  Aerzte  ' 
festzustellen,  ob  die  von  ihm  vermutete  Zunahme  der  nervösen 
sexuellen  Störungen  in  Deutschland  existiert.  Das  Ergebnis  führte 
zu  einer  Verneinung  der  Frage.  Ein  wesentlicher  Zusammenhang 
zwischen  Geburtenrückgang  und  männlicher  nervöser  Impotenz  be¬ 
steht  nicht.  A.  Groth. 

Neueste  Journalliteratur. 

Zeitschrift  für  Immunitätsforschung  und  experimentelle 
Therapie.  22.  Band.  2.  Heft. 

Margarete  Stern-  Breslau:  Zur  Theorie  und  Praxis  der  Was¬ 
ser  m  a  n  u  sehen  Reaktion. 

Die  ausführliche  Arbeit  der  Verf.  zeigt,  dass  die  Methodik  der 
Wassermann  sehen  Reaktion  in  dem  Neisser  sehen  Institute 
einer  fortlaufenden  Entwicklung  und  Verbesserung  unterliegt. 

Von  praktischer  Wichtigkeit  ist  es,  dass  dort  die  Meerschwein¬ 
chen  nicht  mehr  getötet  werden,  sondern  dass  ihnen  das  Blut  aus 
den  Ohrvenen  entnommen  wird.  Ein  grösseres  Meerschweinchen 
liefert  6 — 7  ccm  Blut.  Für  den  täglichen  Bedarf  an  Meerschweinchen- 


22.  Dezember  1914.  _ MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


komplement  werden  jedesmal  5 — 10  Tiere  gebraucht  und  das  Serum 
gemischt,  was  wegen  der  individuellen  Eigenschaften  mancher  Meer¬ 
schweinchensera  von  Vorteil  ist.  Aut  diese  Weise  können  die  Tiere 
alle  4  Wochen  zur  Blutentnahme  herangezogen  werden.  Die  eigen¬ 
lösende  Wirkung  mancher  Meerschweinchensera  beruht  auf  eigenem 
Ambozeptorgehalt.  Eiir  die  Lueslebercxtrakte  ist  seit  einem  Jahre 
das  cholesterinisierte  Ochsenherzextrakt  nach  Sachs  mit  gutem 
Erfolg  eingeführt  worden.  Paradoxe  Reaktionen  werden  immer  noch 
beobachtet.  Die  Ablenkung  des  Komplementes  allein  und  in  Gegen¬ 
wart  der  Extrakte  differiert  in  vielen  Fällen  ganz  ausserordentlich. 
Daher  müssen  die  individuellen  Beziehungen  der  Komplemente  zu  den 
Extrakten  in  einem  Vorversuche  eruiert  werden.  Nach  den  Erfah¬ 
rungen  der  Verf.  geschieht  das  am  besten  durch  die  Austitration 
des  Ambozeptors.  Die  Sera  werden  inaktiv  mit  5  und  aktiv  mit 
3  Extrakten  untersucht.  Die  Versuche  über  quantitative  Unter¬ 
suchungen  der  Sera  haben  noch  zu  keinem  abschliessenden  Resultat 
geführt.  Die  Vereinheitlichung  der  Wassermann  sehen  Reaktion 
hat  nur  dann  Aussicht  auf  Erfolg,  wenn  neben  der  Einführung  der 
in  einer  Zentralstelle  hergestellten  Reagenzien  auch  die  ganze  Ver¬ 
suchstechnik  auf  eine  einheitliche  Basis  gestellt  wird.  Dazu  aber 
müssten  die  meisten  Institute  eine  kompliziertere  Methodik  einführen. 

Christian  Schöne- Greifswald:  Eine  experimentelle  Begrün¬ 
dung  der  Dosierung  des  Diphtherieheilserums  beim  Menschen. 

Da  das  Diphtherieheilserum  bisher  ausschliesslich  nach  empirisch 
gewonnenen  Regeln  und  Ueberlegung  dosiert  wird  und  diese  Dosis  in 
der  Praxis  ganz  ausserordentlich  schwankt,  so  hat  der  Verf.  nach 
Methoden  gesucht,  um  die  für  den  Menschen  minimal  tödliche  Dosis 
von  Diphtherietoxin  und  die  zur  Neutralisation  dieser  Dosis  er- 
iorderliche  Menge  Antitoxin  zu  berechnen.  Er  fusst  dabei  auf  der 
von  Römer  angegebenen  Wirkung  der  intrakutan  gegebenen  In¬ 
jektionen  und  kommt  zu  dem  Schlüsse,  dass  eine  gewisse  gesetz- 
massige  Proportion  zwischen  Haut-  und  Allgemeinempfindlichkeit  be¬ 
steht.  Bei  den  in  Betracht  kommenden  Tierarten  konnte  er  lest- 
stellcn,  dass  die  Allgemeinempfindlichkeit  stets  das  200  bis  150  fache 
der  Hautempfindlichkeit,  bezogen  auf  100  g  Körpergewicht,  darstellt. 
Bei  Kindern  und  jüngeren  Menschen  ist  die  Hanrempfindlichkeit 
etwa  zehnmal  so  gering  wie  bei  den  Meerschweinchen,  Hunden  und 
Katzen.  Bei  älteren  Menschen  ist  sie  noch  geringer.  Aus  der  zur 
Neutralisation  der  intrakutanen  Dosis  erforderlichen  Menge  Antitoxin 
ist  die  zur  Neutralisation  der  einfachen  tödlichen  Dosis  notwendige 
Menge  Serum  zu  berechnen.  Die  näheren  Zahlenangaben  sind  im 
Original  nachzulesen. 

3.  Heft. 

Ferdinand  Schenk-Prag:  Ueber  die  Giftigkeit  von  Organ¬ 
extrakten. 

Aus  allen  Organgeweben  werden  durch  kurzdauernde  Extraktion 
mit  physiologischer  Kochsalzlösung  Gifte  gewonnen,  welche  oei  intra¬ 
venöser  Injektion  akut  tödlich  wirken.  Durch  die  Untersuchungen 
einer  Reihe  von  Autoren  erscheint  es  dem  Verf.  erwiesen,  dass  diese 
Giftwirkung  lediglich  auf  dem  Gehalt  der  Extrakte  an  Fibrinferment 
beruht.  Der  beste  Beweis  dafür  ist  die  Aufhebung  der  giftigen 
Wirkung  durch  Hirudin.  Dieselbe  Wirkung  kann  erreicht  werden 
durch  Vorinjektion  von  untertödlichen  Dosen,  durch  langsames  Ein- 
fliessenlassen  oder  durch  Zusatz  von  normalem  Serum. 

S.  J.  Metalnikov:  Ein  Beitrag  zur  Frage  über  die  Ursachen 
der  Immunität  in  Bezug  auf  die  Tuberkulose. 

Nach  dem  Verf.  sind  fast  alle  Tiere,  wie  auch  der  Mensch  in 
höherem  oder  geringerem  Grade  gegen  Tuberkelbazillen  immun.  Die 
Ursache  dieser  Immunität  sieht  er  in  der  Anwesenheit  eines  be¬ 
sonderen  Fermentes  im  Organismus  der  Tiere,  welches  die  Fähigkeit 
besitzt,  Fette  zu  spalten  und  die  Hüllen  der  Tuberkelbazillen  aufzu¬ 
lösen.  Der  tuberkulöse  Eiter  enthält  eine  Lipase,  welche  nicht  nur 
Fette,  sondern  auch  Tuberkelbazillenwachs  aufzulösen  vermag.  Bei 
tuberkulösen  Infektionen  kann  man  ein  starkes  Sinken  der  Iipolyti- 
schen  Energie  in  allen  Organen  beobachten.  In  der  Ernährung  mit 
Fetten,  welche  die  lipolytische  Energie  steigert,  sieht  der  Verf.  die 
erfolgreichsten  Mittel  gegen  die  Tuberkulose. 

L.  Saathoff  -  Oberstdorf. 

Beiträge  zur  Klinik  der  Tuberkulose.  Herausgegeben  von 

L.  B  r  a  u  e  r,  Hamburg.  Band  29.  Heft  1.  1913—1914. 

Heft  1. 

O.  Fever  abend-  Ueber  spontane  Meerschweinchentuber¬ 
kulose. 

Bei  einer  Sendung  von  50  Meerschweinchen  wurden  12  tuber¬ 
kulös  gefunden.  Die  Erkrankung  war  erfolgt  durch  Ansteckung  von 
einer  im  gleichen  Stalle  gehaltenen  Ziege  und  deren  Milch.  Tier¬ 
versuche  Hessen  die  Tuberkulose  als  durch  den  Typus  bovinus  be¬ 
dingt  erkennen  Man  muss  demnach  die  spontane  Tuberkulose  der 
Meerschweinchen  mein  berücksichtigen  und  vor  allen  Tuberkulose¬ 
versuchen  an  Meerschweinchen  durch  intrakutane  Prüfung  mit 
Tuberkulin  ausschalten 

W.  Schultz:  Weitere  Mitteilungen  über  Eisentuberkulin. 

Eisentuberkulin  enthält  sämtliche  primäre  Albumosen  und  den 
grössten  I  eil  der  Deutcroalbumosen  A  und  B  und  weist  einen  Ver¬ 
lust  an  Pepton  gegenüber  dem  Alttuberkulin  auf.  Alle  organischen 
Bestandteile  des  K  o  c  h  sehen  gereinigten  Tuberkulins  sind  in  das 
Eisentuberkulin  übergegangen,  dagegen  nicht  die  meisten  anorgani¬ 


schen  Salze  das  Alttuberkulins.  Die  Behauptung,  dass  Eisentuber¬ 
kulin  weniger  häufig  Allgemcinreaktionen  auslöst,  ist  durch  die  Ar¬ 
beiten  von  S c  h  e  1 1  e  ti  b  e  r  g  und  Amrein  bestätigt  worden. 

G.  Breccia:  Zur  Frage  des  künstlichen  Pneumothorax. 

Bei  einem  mit  künstlichem  Pneumothorax  behandelten  Affen 
zeigte  die  Kollapslunge  frisch  entstandene  tuberkulöse  Knötchen,  die 
dazugehörige  Pleura  wies  hämatogen  mit  den  Gefässen  in  Ver¬ 
bindung  stehende  Tuberkel  auf.  Die  nicht  komprimierte  Lunge  war 
doppelt  so  gross  und  bestand  aus  einem  kompakten  tuberkulösen 
Gewebe. 

A.  Mayer:  Experimentelle  und  klinische  Mitteilungen  über  die 
nach  Pneumothoiaxoperationen  auf  tretenden  Pleuraergüsse. 

•  Operationen  kamen  18  Exsudate  zur  Beobachtung,  meist 

mit  Fieber  verbunden,  welches  oft  noch  längere  Zeit  nach  Beseitigung 
des  Exsudates  bestand.  Exsudate  entstehen  nur  bei  längerem  Be¬ 
stehen  eines  grösseren  Pneumothorax;  zweimal  wurde  das  Auf¬ 
treten  eines  Exsudates  nach  Angina  und  fieberhafter  Bronchitis  be¬ 
obachtet;  ein  Fall  wies  ein  äusserst  zellenreiches  Mischinfektions¬ 
exsudat  infolge  einer  Perforation  des  viszeralen  Pleurablattes  über 
dem  ausgedehnt  erkrankten  Unterlappen  auf.  Nach  dem  klinischen, 
chemischen,  zytologischen  und  bakteriologischen  Verhalten  ergeben 
sich  vier  Typen  von  Pnenmothoraxexsudaten:  1.  Exsudate,  die  der 
Pleuritis  der  Tuberkulösen  entsprechen.  2.  Exsudate  mit  akut  in¬ 
fektiösem  Charakter  (nach  Angina,  Bronchitis  u.  a.).  3.  Exsudate, 
die  durch  Perforation  der  Pleura  visceralis  entstehen.  4.  Exsudate 
eines  besonderen  Typus,  mit  mässigem  Eiweissgehalt,  spärlichen 
Lymphozyten  und  ausgesprochener  Eosinophilie.  Die  Exsudate 
sind  möglichst  zu  beseitigen.  Autoserotherapie  ist  nur 
wirksam  bei  Vorhandensein  von  Antikörpern,  ln  hartnäckigen  Fällen 
kann  die  Pleurahöhle  mit  Lysoformlösung  ausgewaschen  werden. 

Kr.  F.  And  word:  Die  Tuberkulose  eine  Kinderkrankheit. 

An  Hand  der  Literatur  sucht  Verf.  zu  zeigen,  dass  unter  den 
gegenwärtigen  Verhältnissen  die  Mehrzahl  der  Tuberkulosen  schon 
auf  eine  ■  Infektion  in  der  Kindheit  zurückgehen;  durch  solche  früh 
ei  wordenen  Infektionen  wird,  sofern  sie  benignen  Charakter  haben, 
ein  gewisser  Immunitätsgrad  erreicht,  der  den  gutartigeren  Verlauf 
der  Tuberkulosen  des  späteren  Alters  erklärt.  Als  Infektionsquelle 
symptomloser  Tuberkulosen  sieht  Verf.  einmal  die  Ansteckung  durch 
tuberkulöse  Menschen  an,  ziemlich  oft  sei  die  Infektion  jedoch  tuber¬ 
kulöser  Milch  zuzuschreiben.  Keine  eigenen  Fälle. 

Wendenburg:  Ueber  eosinophile  Sputumzellen,  im  beson¬ 
deren  bei  Tuberkulose. 

Lokale  Eosinophilie  kann  bedingt  sein  durch  einen  chronischen 
Entzündungsreiz,  der  eine  Proliferation,  Umwanderung  und  Auswan¬ 
derung  der  Kapillarendothelien  der  Umgebung  bewirkt.  Bei  der  chro¬ 
nischen  Tuberkulose  entsteht  durch  peribronchioly tische  Entzündung 
eine  eitrige  Absonderung  in  die  Bronchien  ohne  Bazillen  im  Auswurf. 
Ein  eitriges  Sputum,  dessen  eitriger  Charakter  durch  andere  Erreger 
nicht  genügend  aufgeklärt  ist,  wird  durch  das  Auftreten  von  Eosino¬ 
philen  in  über  5  Proz.  mit  ziemlicher  Sicherheit  als  tuberkulös  er¬ 
kannt-  Erich  Leschke  -  Berlin. 

Zentralblatt  für  Gynäkologie.  Nr.  49,  1914. 

O.  Hoehne-Kiel:  Ueber  die  Behandlung  retinierter  Plazentar¬ 
reste. 

Die  Lehre  Winters,  retinierte  Plazentarreste  bei  uteriner  In¬ 
fektion  nicht  aktiv  zu  behandeln,  gab  H.  Veranlassung,  seine  dies¬ 
bezüglichen  Erfahrungen  aus  der  Kieler  Klinik  mitzuteilen.  Es 
handelt  sich  um  29  Fälle,  von  denen  14  in  der  Klinik  entbunden  und 
15  nach  der  Entbindung  eingeliefert  worden  waren.  Von  letzteren 
fieberten  7;  hiervon  starben  2,  während  5  genasen,  eine  allerdings 
erst  nach  schwerem  Krankenlager.  Bei  den  fieberlosen  Fällen  ver¬ 
lief  nach  Entfernung  des  Plazentarrestes  das  Wochenbett  stets 
günstig.  Man  soll  unter  allen  Umständen  auf  das  Erkennen  eines 
Plazentardefektes  grossen  Wert  legen  und  baldmöglichst  das  fehlende 
Stück  entfernen,  auch  bei  gleichzeitigem  Fieber,  es  sei  denn,  dass 
schon  eine  Allgemeininfektion  besteht. 

Bei  aktivem  Vorgehen  in  fiebernden  Fällen  soll  die  Ausräumung 
des  Uterus  eine  möglichst  schonende,  ohne  Zuhilfenahme  scharfer 
Instrumente  und  unbedingt  vollständig  sein.  Hat  die  Infektion  schon 
die  Uteruswand  überschritten  bzw.  besteht  schon  eine  Allgemein¬ 
infektion  des  Körpers,  so  wäre  zu  erwägen,  ob  man  bei  profusen 
Blutungen  sich  auf  die  Entfernung  des  Plazentarrestes  beschränken 
oder  radikaler  Vorgehen  soll.  Hier  käme  die  Totalexstirpation  des 
Uterus  oder  Unterbindung  der  Uterusvenen  in  Betracht. 

H.  steht  also  nicht  auf  dem  radikalen  Standpunkte  Winters, 
der  bei  uteriner  Infektion  jedes  aktive  Vorgehen  verbietet;  er  hält' 
vielmehr,  vor  allem  wenn  die  Infektion  den  Uterus  noch  nicht  über¬ 
schritten  hat,  die  Entfernung  des  Plazentarrestes  für  unbedingt  er¬ 
forderlich.  J  affe-  Hamburg. 

Archiv  für  Kinderheilkunde.  63.  Band,  5.  u.  6.  Heft. 

1  h  i  m  m  -  Steglitz:  Zur  Kenntnis  der  Epithelkörperchen  — 
Glandulae  parathyreoideae.  (Aus  dem  pathologischen  Institut  des 
Kudcli-Virchow-Krankenhauses  zu  Berlin.) 

Die  fleissigen,  an  Querschnitten  von  Menschen  und  Tieren 
angestcllten  Untersuchungen  bringen  nichts  wesentlich  Neues  und 
sind  von  Spezialforschern  im  Bedarfsfall  im  Original  nachzulesen 


2412 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  51. 


Wilhelm  Wegen  er:  Ueber  psychogene  Magensekretionsano- 
nialien  im  Kindcsalter.  (Aus  der  medizinischen  Kinderabteilung  der  i 
Universitätsklinik  zu  Rostock.) 

Unter  80  poliklinischen  Kindern  mit  Magenstörungen  fanden 
sich  19  mit  pathologischer  Zusammensetzung  des  Magensaftes,  und 
zwar  2  mit  Hyperazidität  und  17  mit  ausgesprochener  Anachlor- 
hydrie.  Solche  Störungen  kommen  also  in  der  älteren  Kindheit 
relativ  häufig  vor.  Sie  haben  fast  immer  eine  neuropathische  Kon¬ 
stitution  als  auslösendes  Moment  zur  Grundlage.  Es  nandelt  sich 
meistens  um  massig  oder  dürftig  genährte  Kinder  von  blassem  Aus¬ 
sehen  mit  mehr  oder  minder  stark  ausgeprägter  Vasomotorenparese, 
mit  fehlender  oder  starker  Herabsetzung  der  Konjunktival-  und 
Rachen-,  Steigerung  der  tiefen  Reflexe,  mechanischer  Uebererregbar- 
keit  der  peripheren  Nerven  und  positivem  Rosenbach  schem  Phä¬ 
nomen.  Zuweilen  scheint  eine  Beziehung  zur  exsudativen  Diathese 
zu  bestehen.  Die  Prognose  dieser  nervösen  Störungen  ist  im  Kindes- 
altcr  günstig. 

Michael  G  u  t  s  t  e  i  ti  -  Charlottenburg:  Histologische  Unter¬ 
suchungen  über  die  Muskulatur  der  rhachitischen  Kinder. 

Die  Untersuchungen  bestätigen  die  Arbeiten  von  ß  i  n  g  und 
Hagenbach  und  zeigen,  dass  die  rhachitische  Muskelstörung  eine 
wohl  durch  die  bestehende  Stoffwechselstörung  (Kalkmangel!)  be¬ 
dingte  Wachstumsstörung  ist.  Es  gibt  also  eine  primäre,  den  Knochen 
koordinierte  Muskelerkrankung  der  Rhachitis. 

Ernst  Schloss:  Vergleichende  Untersuchungen  über  die  Wir¬ 
kung  anorganischer  und  „organischer“  Kalkphosphorpraparate  auf  den 
Stoffv  echsel  bei  frischer  und  abheilender  Rhachitis.  (Aus  dem 
grossen  Friedrichswaisenhaus  der  St'adt  Berlin.) 

Die  Versuche  studieren  die  Retention  des  Trikalziumphosphats 
einerseits  und  des  Tricalcols,  eines  Kaseinkalkpräparates,  und  des 
Plasmon  andererseits  bei  Kindern  mit  frischer  und  abheilenaer  Rha¬ 
chitis;  ferner  die  Bedeutung  des  Lebertrans  für  die  Verwertung  der 
zugclegten  Mineralien  und  schliesslich  die  Bedeutung  der  Ernährungs¬ 
weise  für  den  Erfolg  der  Medikation,  ln  Bestätigung  früherer  Ver¬ 
suche  ergab  sich  auch  hier  unzweifelhaft  wieder  ein  günstiger  Ein¬ 
fluss  der  Kalkphosphorpräparate  auf  den  Mineralstoffwechsel;  und 
zwar  kommt  diese  Wirkung  nicht  nur  der  kombinierten  Leoertran- 
mineralstofftherapie  zu,  sondern  es  bewirken  die  Kalkphosphorprä¬ 
parate  für  sich  allein  schon  im  Milieu  der  üblichen  Ernährung  eine 
Retentionsverbesserung,  die  durch  die  Beigabe  von  Lebertran  nur 
unwesentlich  gesteigert  wird.  Organische  und  anorganische  Prä¬ 
parate  verhalten  sich  dabei  ziemlich  gleichwertig;  es  kommt  vor 
allem  auf  die  inneren  Bedingungen  der  Aufnahme,  hier  auf  den 
Stand  des  rhachitischen  Prozesses  an.  ln  einer  Periode  z.  B.,  wo 
hauptsächlich  der  Verlust  an  Alkalien  zu  decken  ist,  wirkt  die  Zufuhr 
von  Eiweiss  oder  Kalkphosphorpräparaten  eher  ungünstig  ein.  Das 
Nahrungsmilieu,  in  dem  die  Präparate  dargeboten  werden,  ist  von  der 
grössten  Bedeutung:  das  einfache  anorganische  Salz,  in  Frauenmilch 
dargeboten,  wird  bei  weitem  besser  verwertet  als  die  genuinen 
Mineralstoffe  der  Kuhmilch,  trotz  Zugabe  von  Lebertran.  Die  Dar¬ 
reichungsform  tritt  in  den  Hintergrund  gegenüber  der  inneren  Auf¬ 
nahmefähigkeit  des  Organismus  und  dem  Nahrungsmilieu. 

R.  H  e  c  k  e  r  -  München:  Zur  Pathologie  des  periodischen  Er¬ 
brechens  mit  Azetonämie. 

Bemerkung  zu  der  Arbeit  von  Hugo  Zade:  Kritische  Studie 
über  das  mit  Azetonurie  einhergehende  Erbrechen  etc.  im  Bd.  63, 
H.  1  u.  2  des  Arch.  f.  Kinderheilkunde.  Hecker-  München. 

Berliner  klinische  Wochenschrift.  Nr.  49,  1914. 

Stutzin-  Berlin:  Einige  praktische  Winke  zur  Behandlung  von 
Schussverletzungen. 

Verf.  rät  den  Verband  nicht  unnötig  oft  zu  wechseln;  nur  Fieber, 
Schmerzen  und  starke  Sekretion  geben  dazu  Veranlassung,  nicht  der 
Geruch.  Schussfrakturen  verlangen  steife  Verbände,  am  besten  Gips. 
Als  Verbandstoff  genügen  sterile  Stoffe  vollkommen,  desinfektions- 
und  granulationsfördernde  Mittel  sind  unnötig  und  reizen  oft  nur  die 
Wunde. 

Zondck:  Entfernung  einer  russischen  Maschinengewehrkugel 
aus  der  Blase  durch  die  Urethra. 

Der  Schnabel  des  Kugelfängers  wurde  genau  der  Form  eines 
russischen  Maschinengewehrgeschosses  angepasst  und  es  gelang  dann 
ohne  besondere  Schwierigkeiten,  das  Geschoss  zu  extrahieren. 

Georg  Wolfsohn:  Zur  Tetanusfrage. 

Die  Erfahrungen  des  Verfassers  sind  sehr  traurig;  von  29  Er¬ 
krankten  starben  27.  Das  Tetanusserum  schien  nur  eine  prophylak¬ 
tische  Wirkung  zu  haben. 

Paol  R  i  c  h  t  e  r  -  Berlin:  Der  Milzbrand  als  Kriegsseuche. 

Historischer  Beitrag. 

L.  H.  M  a  r  k  s  -  Frankfurt  a.  M.:  Chemotherapeutische  Versuche 
bei  Vogelmalaria. 

Weder  Chinin  und  Methylenblau,  noch  eine  Reihe  anderer  che¬ 
mischer  Substanzen  zeigten  im  chemotherapeutischen  Versuch  bei 
intramuskulärer  Applikation  einen  Einfluss  auf  die  Vogelmalaria.  Im 
Gegensatz  dazu  vermochte  die  Verfütterung  des  Methylenblau  mittels 
eines  zu  diesem  Zweck  hergestellten  Nährgemisches  das  Angehen 
der  Infektion  in  etwa  50  Proz.  zu  verhüten.  In  vitro  wirkt  das 
Methylenblau  wesentlich'  stärker  auf  die  Plasmodien  ein,  als  das 
Chinin. 


Max  Einhorn-  NewYork:  Die  direkte  Untersuchung  des  Duo¬ 
denalinhalts  (und  der  Galle)  als  diagnostisches  Hilfsmittel  bei  Gallen¬ 
blasen-  und  Pankrcasafiektionen. 

Kurze  Beschreibung  der  Untersuchungsmethode  nebst  Kasuistik. 

Heinrich  P  e  t  r  y  -  Göttingen:  Zur  Kenntnis  und  Bedeutung  des 
Nasenblutens  im  späteren  Kindesalter. 

Bei  jedem  Nasenbluten,  auch  des  nicht  fiebernden  Kindes,  ist 
die  Lokalinspektion  der  Nase  gebeten.  Wenn  man  auch  meist  nur 
das  bekannte  Septumgeschwür  zu  sehen  bekommen  wird,  so  wird 
doch  auch  gelegentlich  einmal  eine  chronische  Nasendiphtherie  ent¬ 
deckt  werden  Noch  mehr  gilt  dies  beim  Säugling.  Bei  Sepsis  und 
sepsisähnlichen  Erkrankungen  sowie  bei  allen  Infektionskrankheiten 
ist  die  Diagnose  „septische  Nasenblutung“  ohne  genaue  Inspektion 
der  Nase  nicht  gestattet.  Blutung  aus  einem  einfachen  Septumge¬ 
schwür  kann  den  Krankheitsverlauf  zum  Schlimmeren  wenden  und 
völlig  das  Bild  septischer  schwerster  Infektion  hervorrufen. 

A.  PI  ehn- Berlin:  Ueber  grosse  Bluttransfusionen.  (Vortrag, 
gehalten  in  der  Berl.  med.  Ges.) 

Cf.  Nr.  23,  S.  1311  der  M.m.W.  1914.  Grassmann  -  München. 

Deutsche  medizinische  Wochenschrift. 

Nr.  49.  E.  H  e  r  t  e  1  -  Strassburg:  Ueber  Verletzungen  des  Seh¬ 
organs  im  Kriege. 

Der  Besprechung  liegen  127  Fälle  zugrunde. 

E.  Leschke  -  Berlin :  Ueber  ruhrähnliche  Darmerkrankungen. 

L.  legt  an  8  Fällen  (Soldaten)  dar,  dass  es  Darmerkrankungen 
mit  blutigen  und  schleimigen  Durchfällen  gibt,  die  klinisch  der  echten 
Bazillenruhr  völlig  gleichen,  aber  ätiologisch  nichts  mit  ihr  zu  tun 
haben,  sondern  auf  anderen  enterogenen  Infektionen  (auch  Parasiten) 
odci  enterogenen  Intoxikationen,  weiter  auf  parenteralen  Infektionen 
(z.  B.  von  den  Tonsillen  aus)  oder  auf  mechanischen  Darmwand- 
schädigungcn  beruhen.  Es  ist  auch  auf  die  Enteritis  anaphylactica  hin¬ 
zuweisen  und  es  ist  zu  beachten,  dass  die  hier  beschriebenen  Fälle 
mehr  oder  weniger  ausgesprochene  Lymphatiker  betrafen,  bei  wel¬ 
chen  die  Empfindlichkeit  des  Darmes  und  der  Gefässe  gesteigert  zu 
sein  pflegt.  Solche,  nicht  seltene  Fälle  sind  allerdings  anfänglich 
wie  Ruhrfälle  strerig  zu  isolieren,  nach  Erkennung  aber  von  den 
Ruhrkranken  abzuscheiden.  Für  die  Behandlung  ist  die  pulverisierte 
K(  hie  (namentlich  die  Blutkohle,  täglich  15 — 25  g  in  Oblaten)  von 
besenderem  Wert.  Die  Genesung  erfolgt  in  den  meisten  Fällen  in 
kmzer  Zeit. 

Syring-Neu-Ruppin:  Behandlung  des  Wundstarrkrampfes  mit 
Magnesiumsulfat. 

Beschreibung  eines  Falles,  der  nur  mit  Magnesiumsulfat,  täglich 
4  mal  (in  8  Tagen  25  mal)  10  ccm  der  10  proz.  Lösung  per  os,  be¬ 
handelt,  heilte. 

E.  S  e  n  g  e  r  -  Krefeld:  Ueber  Wadenschüsse  und  deren  Behand¬ 
lung. 

Zur  Abkürzung  der  oft  sehr  langwierigen  Behandlung  der  Waden¬ 
muskelkontrakturen  empfiehlt  Verf.  die  Tenotomie  der  Achillessehne, 
welche  frühzeitig,  sowie  die  Spitzfussstellung  einzutreten  beginnt, 
ausgeführt  werden  soll. 

Link:  Zur  Wundbehandlung. 

L.  wendet  sich  gegen  den  noch  nicht  geschwundenen  Missbrauch 
des  Jodoforms,  den  allzuhäufigen  Verbandwechsel,  die  unnötig  lange 
Immobilisierung  der  Extremitäten.  Bei  Fingeramputation  soll  statt 
der  Erhaltung  kurzer  Stümpfe  der  Grundphalangen  lieber  die  Exarti¬ 
kulation  erfolgen;  schliesslich  empfiehlt  L.  die  baldige  sorgsame  Ent¬ 
fernung  von  Fremdkörpern,  deren  Sitz  nicht  zu  ungünstig  ist. 

O.  H  a  r  t  o  c  h  und  W.  Schür  mann  -  Bern :  Die  Schutz¬ 
wirkung  des  Diphtherieserums  bei  der  Reinjektion. 

Bei  gegen  Pferdeserum  überempfindlichen  Meerschweinchen  ver¬ 
leiht  die  subkutane  Injektion  von  Diphtherieantitoxin  (Pferdeserum) 
bei  nachfolgender  intrakutaner  Prüfung  mit  Toxin  eine  8 — 32  mal 
geringere  Schutzwirkung  als  bei  nicht  vorbehandelten  Tieren.  Wird 
bei  solchen  Meerschweinchen  durch  kleine  Dosen  normalen  oder  anti¬ 
toxinhaltigen  Pferdeserums  Antianaphylaxie  erzeugt,  so  zeigt  das 
nachher  einverleibte  Antitoxin  dieselbe  Wirkung  wie  bei  nicht  vor- 
bchandelten  Tieren.  Die  subkutane  Injektion  kleiner  Serummengen 
nach  Besredka  vermeidet  nicht  nur  die  Gefahr  der  Anaphylaxie 
bei  den  Reinjektionen,  sondern  verhütet  auch  die  Inaktivierung  des 
Antitoxins. 

G.  S  t  ü  m  p  k  e-Hannover:  Die  Vakzinebehandiung  und  -dlagnose 
der  Gonorrhöe. 

Ergebnis-  Die  vielfach  auseinandergehenden  Urteile  über  die 
Vakzinebehandiung  erklären  sich  aus  der  verschiedenen  Reaktion  der 
Gunokokkenstämme.  Die  ideale  Forderung,  in  jedem  Falle  autogene 
Vakzine  zu  verwenden,  ist  undurchführbar.  Die  möglichste  Abhilfe 
liegt  in  der  Steigerung  der  Polyvalenz  des  Arthigons  und  Gonargins, 
welche  wenigstens  auf  eine  grosse  Zahl  von  Gonokokkenstämmen 
einwirken. 

E.  R  e  i  c  h  e  n  o  w  -  Ajoshöhe-Kamerun:  Die  Grundlagen  für  eine 

Therapie  der  Schlafkrankheit. 

R.  berichtet  über  noch  nicht  abgeschlossene  Versuche,  nach 
intravenöser  Neosalvarsanbehandlung  auch  intralumbal  Neosalvarsan 
im  eigenen  Serum  des  Kranken  einzuverleiben.  Bisher  wurden  so 
Gaben  bis  0,04  g  Neosalvarsan  ohne  Schaden  ertragen.  Bei  anderen 
Versuchen  erhielten  die  Kranken  an  mehreren  Tagen  je  200  g  Aethyl- 
alkohol;  darnach  zeigte  sich  im  Liquor  cerebrospinalis  eine  starke 


22.  Dezember  1914.  MUENCHENFR  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  2413 


Abnahme,  aber  kein  Schwinden  der  Trypanosomen  und  eine  baldige 
W  iederzunahme  ihrer  Zahl.  Versuche  mit  Methylalkohol  und  anderen 
Nervengiften  sind  geplant. 

E.  S  i  e  b  u  r  g  -  Rostock:  Zur  Kenntnis  des  Imidazoläthylainins 
(Histamin). 

Entsprechend  den  eigenen  Tierversuchen  und  den  vorliegenden 
nicht  ungünstigen  Berichten  über  das  verwandte  Tenosin  empfiehlt 
Verf.  weitere  Versuche  mit  kleinen  Dosen  des  /Mmidoazoläthylamins 
in  der  Geburtshilfe. 

E.  S  c  h  i  e  c  k  -  Halle  a.  S.:  Die  Bedeutung  der  von  J.  Schere- 
schewsky  angeblich  durch  Syphilisspirochäten  hervorgerufenen 
Keratitis  parenchymatosa. 

Die  von  Schereschewsky  in  Nr.  41  berichteten  Versuche 
sind  nicht  einwandfrei,  da  das  von  ihm  zur  Züchtung  der  Spirochäten 
benutzte  Pferdeserum  an  sich  ohne  jede  Beimengung  dieselben  Ver¬ 
änderungen  am  Kaninchenauge  hervorruft. 

N.  G  o  r  i  a  e  w  -  Kasan:  Meine  Netzteilung  für  die  Zählkammer. 
Beschreibung  der  Zählkammer  und  ihrer  Anwendung. 

Bergeat  -  München. 

Korrespondenzblatt  für  Schweizer  Aerzte.  1914.  Nr.  31 
bis  35. 

Nr.  31.  A.  M  a  c  h  a  r  d  -  Genf :  l’Osteosynthese  de  Lambotte 
dans  le  traitement  des  deviations  rachitiques. 

Genaue  Beschreibung  der  Methodik,  die  Verf.  in  einer  grösseren 
Zahl  von  Fällen  erprobt  hat. 

Nr.  32.  W  R.  Hess- Zürich:  Ueber  die  funktionelle  Bedeutung 
der  Arterienmuskulatur. 

Verf.  lehnt  die  Annahme  eines  aktiven  Antriebes  des  Blut¬ 
stromes  nach  der  Peripherie  durch  die  Arterien  ab,  weil  im  Arterien¬ 
rohr  ein  Mechanismus,  der  die  einseitig  gerichtete  Strömung  gewähr¬ 
leisten  würde,  fehlt.  Die  Arterienmuskulatur  dient  nur  dazu,  die 
Anpassung  an  die  lokalen  Schwankungen  des  Zirkulationsbedarfes  zu 
ermöglichen,  so  dass  sie  von  der  Herzarbeit  unabhängig  werden  und 
Herzarbeit  gespart  wird 

H.  H  e  r  z  o  g  -  Solothurn:  Erstickung  infolge  Durchbruches  einer 
tuberkulösen  Drüse  in  die  Trachea. 

Beschreibung  eines  Falles. 

Nr.  33.  0.  S  t  e  i  g  e  r  -  Zürich:  Pathologie  der  Leberfunk- 

und  moderne  funkiionelle  Prüfungsmethoden.  (Med.  Klinik  Zürich.) 
Schluss  folgt. 

Nr.  34.  0.  S  t  e  i  g  e  r  -  Zürich:  Pathologie  der  Leberfunk  - 

tinnen  und  moderne  funktioneile  Priifungsmethoden. 

Kritische  Uebersicht  des  heutigen  Standes  der  Frage  auf  Grund 
ausführlicher  Diskussion  der  Literatur  und  der  Ergebnisse  bei  14 
eigenen  Fällen. 

K.  B  o  1 1  a  g  -  Basel:  Uicus  gummosum  vaginae  et  vulvae. 
Ausführliche  Beschreibung  eines  Falles. 

E.  M  ü  1 1  e  r  -  Gersau:  Ein  Beitrag  zur  medikamentösen  Per¬ 
tussisbehandlung. 

Nr.  35.  F  de  Q  u  e  r  v  a  i  n -  Basel:  Die  Diagnose  des  Magen- 
und  Duodenalgeschwürs. 

Fortsetzung  folgt. 

E.  K  o  e  c  h  1  i  n  -  Zollbrück:  Eine  seltene  Erkrankung  des  Oeso¬ 
phagus. 

Beschreibung  eines  Falles  von  Oesophagitis  dissecans  superfic. 
bei  einer  30  jähr.  Frau  mit  Abstossung  einer  25  cm  langen  Membran. 
Heilung.  L.  J  a  c  o  b  -  Würzburg. 

Inauguraldissertationen. 

Universität  Kiel.  Oktober  1914. 

Alexander  Alfred:  Zur  Symptomatologie  und  Pathologie  der 
Kleinhirnzysten. 

Asch  Richard:  Die  Zungenstruma.  Gleichzeitig  ein  kasuistischer 
Beitrag  zum  postoperativen  Myxödem  und  zur  Frage  der  Tetania 
parathyreopriva. 

Baecker  Hans:  Ueber  Alkoholismus  und  alkoholische  Geistes¬ 
störungen  beim  weiblichen  Geschlecht. 

Bathe  Otto:  Die  Behandlung  von  Blutkrankheiten  mit  radioaktiven 
Substanzen. 

Benninghaus  Franz:  Beitrag  zur  Paranoia  chronica  sexualis  und 
Paranoia  erotica. 

B  inhold  Adalbert:  Ein  Beitrag  zu  dem  Kapitel  traumatische  Psy¬ 
chosen. 

Bruns  Erich:  Ueber  ausgedehnte  Dünndarmresektionen  (drei  Fälle 
der  chirurgischen  Klinik  zu  Kiel,  bei  denen  mehr  als  200  cm 
Dünndarm  reseziert  wurde). 

Buhl  Friedrich:  Zittmannkuren  bei  syphilitischen  Erkrankungen  der 
Sehbahnen. 

Crem  er  Diedrich:  Zur  Klinik  der  Puerperalpsychosen. 

Doose  Hermann:  Leitungs-  und  Lokalanästhesie  bei  volaren  Phleg¬ 
monen  der  Hand. 

Forche  Ernst:  Ueber  die  vom  1.  Oktober  1910  bis  1.  November  1913 
an  der  Kieler  Universitätsfrauenklinik  zur  Beobachtung  gekom¬ 
menen  Fälle  von  Extrauteringravidität. 


Frankenthal  Käte:  Beitrag  zur  Lehre  von  den  durch  Balantidium 
coli  erzeugten  Erkrankungen. 

Go  Ich  Fritz:  Hemichorea  mit  Paresen. 

Harpe  Carl:  Ueber  Choreapsychosen  in  der  Schwangerschaft. 

Hey  der  Otto:  Beitrag  zur  forensischen  Beurteilung  der  Katatonie. 

Kleine  Heinrich:  Beitrag  zur  Lehre  von  der  senilen  Hysterie. 

Kroes  Heinrich:  Ueber  die  Diagnose  und  Therapie  der  Nieren¬ 
tumoren. 

Kronen  Jakob:  Ueber  Lumbalhernien. 

Loechel  Karl:  Eingebildete  Gravidität. 

Olfs  Heinrich:  Ueber  Mammakarzinome. 

Otzen  Hugo:  Ueber  psychische  Störungen  im  Verlaufe  der  Para¬ 
lysis  agitans. 

Schönfeld  Alfred:  Ein  Fall  von  Pseudobulbärparalyse  infolge 
von  Lues  cerebri. 

Schonlau  Otto:  Zur  strafrechtlichen  Beurteilung  des  Eifersuchts¬ 
wahnes. 

Stahl  Peter:  Kasuistischer  Beitrag  zur  Chorea  chronica  progressiva 
(Huntington  sehe  Chorea). 

Stiel  Ernst:  Ein  Beitrag  zur  forensischen  Bedeutung  der  chro¬ 
nischen  Paranoia. 

Winkelmann  Adolf:  Progressive  Paralyse  und  Schwangerschaft 

Stoppel  Oskar:  Ueber  Blasenmole  im  präklimakterischen  Alter 
und  ihre  Differentialdiagnose. 

Witzmann  Siegfried:  Stauungstherapie  bei  Mastitis. 

Wolf  f  Peter:  Zur  Aetiologie  und  Symptomatologie  der  Zwangsvor¬ 
stellungen. 

Wolters  Franz:  Ueber  starke  und  aussergewöhnliche  Nierenblu¬ 
tungen. 

Universität  Marburg.  Oktober  1914. 

Gramberg  Hans:  Ueber  einen  Fall  von  Atresia  ani  congenita  et 
communicatio  ani  cum  parte  prostatica  urethrae,  complicata  cum 
atresia  urethrae  congenita. 

Greger  Helmuth:  Ueber  Harnverhaltung  im  Wochenbett. 

Hassenkamp  Ernst:  Beitrag  zur  perniziösen  Anämie  in  Gravidität 
und  Puerperium. 

Hoff  mann  Walter  Kurt:  Ueber  totale  Rhinoplastik. 

Lahmeyer  Friedrich:  Ein  Fall  von  Geschwulstbildung  im  Gehirn 
und  in  den  weichen  Häuten  des  gesamten  Zentralnervensystems. 

Landgraf  Wilhelm:  Ueber  intrakranielle  Bluturgen  beim  Neu¬ 
geborenen  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Blutmenge  infolge 
von  Tentoriumzerreissungen. 

Lürick  Heinrich:  Die  progressive  Paralyse  in  der  Heil-  und  Pflege¬ 
anstalt  zu  Osnabrück  (1868 — 1913). 

Martin  Ferdinand:  Ueber  eine  neue  Dekompressionsoperation  bei 
intrathorakalem  Drucke.  (Ein  Beitrag  zur  Thoraxchirurgie.) 

Müller  Gustav:  Ueber  einige  Erfahrungen  mit  der  „künstlichen 
Höhensonne“. 

Odya  Boleslaw:  Ueber  den  Gleitbruch  des  Dickdarms. 

Oppenheimer  Max:  Die  forensische  Bedeutung  der  Zwangsvor¬ 
stellungen. 

Pröbsting  Erich  Arnold:  Ueber  metastatische  Niereneiterung  und 
deren  Behandlung. 

Rein  icke  Johannes:  Experimentelle  Untersuchungen  über  das 
Wesen  des  immunisatorischen  Serumantitrypsins. 

Sardemann  Emil:  Ueber  die  Behandlung  der  Aktinomykose  mit 
Röntgenstrahlen. 

Schmidt  Ludwig:  Vagitus  uterinus. 

Sommer  Otto:  Wirkung  von  Uzaron  auf  den  quergestreiften 
Froschmuskel. 

Staeckert  Kurt:  Blutneubildung  durch  Br  uns  sehe  Unterdruck¬ 
atmung. 

S  t  r  u  e  v  e  r  Willy:  Ein  Beitrag  zur  Klinik  und  Hämatologie  des  fami¬ 
liären  hämolytischen  Ikterus. 

Tichy  Johannes:  Klinischer  und  experimenteller  Beitrag  zur  Opera¬ 
tion  der  Wanderniere. 

V  ol  p  Adolf:  Ueber  die  traumatischen  Lähmungen  des  Nervus  radialis 
und  ihre  Behandlung. 

Wack  Paula:  Ueber  Leukozytenbefunde  bei  Miliartuberkulose  und 
ihre  diagnostische  Bedeutung. 

Universität  München.  Oktober  1914. 

Hütwohl  Ottilie:  Ueber  das  Vorkommen  von  Ikterus  bei  Kindern. 
Aus  den  Fällen  der  Münchener  Kinder-Poliklinik  in  den  Jahren 
1902—1911. 

Klein  Max:  Ein  kasuistischer  Beitrag  zur  Kenntnis  des  Meckel- 
schen  Divertikels.  Zwei  Fälle  von  persistierendem  Ductus 
omphaloentericus. 

Drisch  Alois:  Ein  Leberabszess  bei  entzündlichen  Veränderungen 
im  Appendix. 

Cnopf  Julius:  Die  A  b  d  e  r  h  a  1  d  e  n  sehe  Reaktion  bei  Lungen¬ 
tuberkulose.  Untersuchungen  mit  Hilfe  der  optischen  Methode. 

Friedberg  Gertrud:  Beitrag  zur  Lehre  der  ischämischen  (arterio¬ 
sklerotischen)  Rückenmarkserweichung. 

Hund  Josephine:  Tentamen  abortus  provocandi  deficiente  gravidi- 
tate. 

Kraus  Hans:  Ueber  maligne  Hodengeschwülste,  speziell  Sarkome 


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MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  51. 


Vereins-  und  Kongressberichte. 

Aerztlicher  Verein  in  Frankfurt  a.  M. 

(Offizielles  Protokoll ) 

1690.  OrdentlicheSitzungvom  2.  November  1914.  abends 

7  Uhr  im  Sitzungssaal. 

Vorsitzender:  Herr  Quincke. 

Schriftführer:  Herr  B  a  e  r  w  a  1  d. 

Herr  E.  Goldschmid:  Demonstration  pathologisch-anatomi¬ 
scher  Präparate. 

1.  58  Jahre  alter  Maurer  mit  inoperablem  Oesophaguskarzinom, 
durchgebrochen  in  Trachea  und  rechten  Hauptbronchus.  Vereinzelte 
Drüsenmetastasen.  Multiple  Fibrome  der  rechtseitigen  Pleura  sowie 
des  Perikards. 

2.  3  Jahre  altes  Mädchen.  Plötzlich  verblutet  bei  eitriger  Media¬ 
stinitis  und  Sepsis.  Hat  vor  ca.  8  Tagen  einen  eisernen  Vorhangsring 
verschluckt,  der  aus  dem  Oesophagus  entfernt  wurde:  Mediastinitis 
posterior  purulenta  bei  ausgedehnter  Zerreissung  des  Oesophagus  in 
Bifurkationshöhe  mit  Nekrose  der  Umgebung  und  der  Wand 
des  Aortenbogens.  Linkseitiger  Pleurariss.  Blutung  in  die 
linke  Pleurahöhle,  in  den  Magen-Darm-  und  den  Respirationstrakt. 
Diffuse  Bronchopneumonie.  Mikroskopische  septische  Lebernekrosen. 

3.  24  Jahre  altes  Mädchen,  das  plötzlich  mit  Halsentzündung  und 
Erbrechen  erkrankt  ist.  Später  Durchfälle:  Zirkuläre  tiefgreifende 
Ulzeration  des  Zoekums  mit  Polypose.  Ausgedehnte  Serosaverwach- 
sungen.  Akute  eitrige  Peritonitis.  Mikroskopisch:  Ganz  vereinzelte 
Tuberkel  in  der  Submukosa.  Akute  eitrige  Peritonitis.  (Gering¬ 
gradige  einseitige  Spitzentuberkulose.) 

4.  20jähr.  Mädchen  mit  Urämie.  (Vor  12  Jahren  Gesichtsrose.) 
Vorgeschrittene  atrophische  Schrumpfniere.  Urämie.  Gastroentero- 
coütis  uraemica  catarrhalis.  Polyposis  coeci.  Hochgradiges  Oedem 
des  Pharynx  und  Kehlkopfeinganges. 

5.  47  jähr.  Mann.  Bald  nach  der  Aufnahme  gestorben.  Klagte 
über  Schmerzen  im  Leib  und  Rücken.  Periodische  Störung  von  Herz 
und  Atmung:  Aneurysma  der  Aorta  descendens.  Mesaortitis  syphi¬ 
litica.  Zum  Teil  vernarbte  zirkuläre  Ulzeration  im  Colon  ascendens. 
ln  der  Schleimhaut  festsitzend  ein  Exemplar  von  Trichocephalus 
dispar  (Weibchen).  Mikroskopisch:  eitrige  Infiltration  und  Ver¬ 
dickung  der  Submukosa.  Abflachung  der  Mukosa.  Drüsenlumina  und 
Stroma  mit  Leukozyten  und  Eosinophilen  vollgestopft;  Riesenzellen. 

6.  26  jähr.  Soldat.  Plötzlicher  Exitus  bei  Typhus  aoaommalis 
am  Ende  der  3.  Woche.  Kolotyphus  mit  zahlreichen  kleinsten  Ulzera 
in  S  romanum  und  Colon  descendens.  Chronische  parenchymatöse 
Nephritis.  Katarrhalische  Zystitis 

7.  36  Jahre  alter  Soldat  mit  Typhus  abdominalis:  Eitrige  fäku- 
lentc  Peritonitis  nach  Perforation  eines  typhösen  Geschwürs  im 
untersten  Ileum.  Ausgedehnte  Ulzeration  und  Unterminierung  der 
Rektumschleimhaut.  Geschwürsbildung  ausgedehnt  auf  den  ganzen 
Darm  vom  mittleren  Ileum  abwärts. 

8.  und  9.  Knabe  von  1%  Jahren  und  Mädchen  von  4  Jahren. 
Ungewöhnlich  stürmisch  verlaufender  Darmkatarrh  mit  heftigsten 
dysenterischen  Entleerungen.  Bakteriologisch:  Bazillus  Shiga- 
Kruse.  Infektion  durch  den  dysenterisch  aus  dem  Felde  zurückge¬ 
kehrten  Vater.  Die  Mutter  ebenfalls  erkrankt.  Dysenterie,  vor¬ 
geschrittene  hochgradige  diphtherische  Entzündung  im  Zoekum.  unter¬ 
sten  Ileum  und  ganzen  Kolon.  Katarrhalische  Tracheobronchitis.  In¬ 
fektiöser  Milztumor.  Trübe  Schwellung  der  Leber.  Stase  in  den 
Bauchorganen. 

Herr  Abi  (a.  G.):  Adrenalin  Wirkung  bei  Milztumor. 

An  einem  Fall  von  hämolytischem  Ikterus  mit  vergrösserter  Milz, 
welche  13  cm  unter  dem  Rippenbogen  hervorragt,  wird  demonstriert, 
dass  nach  subkutaner  Verabreichung  von  1  mg  Suprarenin  (Höchst) 
eine  sofortige  Verkleinerung  der  Milz  eintritt.  so  dass  sie  nach  3  Mi¬ 
nuten  unter  dem  Rippenbogen  eben  noch  festgestellt  werden  kann. 
Es  werden  Papierpausen  gezeigt  von  früheren  Versuchen.  In  einem 
Falle  trat  nach  5  Minuten  eine  Verkleinerung  der  Milz  mit  den  ur¬ 
sprünglichen  Massen  von  15  zu  25  cm  bis  auf  7  zu  11cm  ein,  nach 
10  Minuten  hatte  die  Milz  schon  wieder  eine  Ausdehnung  von  11:  17, 
erreichte  aber  ihre  ursprüngliche  Grösse  erst  nach  einem  Tage. 

Auch  an  Milzvergrösserungen  bei  Leukämie  wurde  die  Reaktion 
festgestellt.  Es  trat  innerhalb  13  Minuten  bei  einer  ursprünglichen 
Ausdehnung  von  19  zu  40  cm  eine  Verkleinerung  von  8  zu  24  ein. 
Nach  2  Stunden  war  die  annähernd  frühere  Grösse  wieder  erreicht. 
In  diesem  Falle  hatten  sich  auch  die  Grenzen  der  vergrösserten 
Leber  um  2 — 3  cm  weiter  zurückgezogen. 

Weitere  theoretische  Erläuterungen  gibt  Abi  vorläufig  nicht; 
er  erwähnt  nur,  dass  diese  gewaltige  Reaktion,  die  das  Volum  des 
Organs  bis  auf  3/s  vermindert  und  eine  andere  Vorstellung  von 
dem  Begriff  des  Milz-„Tumcisl<  gibt;  dass  es  sich  wohl  in  der  Mehr¬ 
zahl  der  Fälle  um  ein  Organ  handelt,  das  seinen  Tonus  verloren 
hat  und  zu  einem  Blutsack  geworden  ist. 

Es  wird  die  Möglichkeit  erörtert,  die  Reaktion  diagnostisch  zu 
verwerten  1.  zur  Feststellung,  ob  eine  Geschwulst  einem  benach¬ 
barten  Organ  angehört  oder  die  vergrösserte  Milz  ist,  2.  zur  Fest¬ 
stellung.  in  welchem  Zustande  sich  eine  Milz  befindet,  da  bei  chro¬ 
nischer  Indurierung,  bei  Amyloid  und  bei  Fibroadcnie  (Ban  tische 
Krankheit)  keine  Wirkung  zu  erwarten  steht. 


Herr  Plnner  stellt  einen  Fall  von  gehelltem  Hirnabszess  nach 
Schussverleizung  vor. 

Diskussion:  Herren  Brill  und  Quincke. 

Herr  Aug.  Schott  demonstriert  einen  Fliegerpfeil. 

Diskussion:  Herr  E  i  e  r  m  a  n  n. 

Herr  H.  Sachs:  Ueber  Schutzimpfung  gegen  Cholera. 

Nachdem  schon  im  Jahre  1885  in  Spanien  von  Fe  r  ran  mit 
Schutzimpfungen  gegen  Cholera  beim  Menschen  in  technisch  aller¬ 
dings  nicht  einwandfreier  Weise  begonnen  war,  wurde  durch  die  : 
Arbeiten  von  G  a  m  a  1  e  i  a  sowie  von  Brieger,  Kitas  ato  und 
Wassermann  die  Möglichkeit  einer  Schutzimpfung  gegen  Cholera 
im  Tierexperiment  begründet.  Als  dann  durch  die  Untersuchungen 
Pfeiffers  und  seiner  Mitarbeiter  das  Wesen  der  Choleraimmunität  | 
entdeckt  war  und  sich  zeigte,  dass  als  Ausdruck  der  durch  die  Impfung  i 
eintretenden  Immunität  im  Blutserum  der  geimpften  Tiere  bakterizide 
Antikörper  nachweisbar  werden,  erfuhr  die  Choleraschutzimpfung  ! 
beim  Menschen  durch  K  o  1 1  e  ihre  wissenschaftliche  Begründung,  in¬ 
dem  als  Folge  der  Impfung  beim  Menschen  die  gleichen  Schutzstoffe 
im  Blute  nachgewiesen  werden  konnten,  welche  aus  dem  Tier¬ 
experiment  bekannt  waren.  Auf  mehr  empirischer  Basis  war  be-  1 
reits  seit  dem  Jahre  1892  von  H  a  f  f  k  i  n  e  in  Indien  eine  Methode 
der  Schutzimpfung  eingeführt  worden,  welche  sich  lebender  Kulturen 
bediente  und  zwar  nach  dem  Vorgänge  Pasteurs  zweier  ver¬ 
schiedener  Impfstoffe.  Bei  der  Schutzimpfung  nach  Haffkine  ; 
dienten  nämlich  zur  ersten  Injektion  lebende,  aber  abgeschwächte 
Kulturen,  zur  zweiten  Injektion  in  ihrer  Virulenz  durch  Tierpassagen 
gesteigerte  Kulturen.  K  o  1 1  e  ersetzte  dann  auf  Grund  experi-  J 
menteller  Begründung  die  lebenden  Kulturen  durch  abgetötete  Ba-  \ 
zillenaufschwemmungen,  und  das  von  Kolle  begründete  Verfahren 
ist  das  neuerdings  meist  übliche. 

Als  Impfstoffe  dienen  dabei  24  stündige  Schrägagarkulturcn,  die  i 
in  physiologischer  Kochsalzlösung  abgeschwemmt  werden  und  nach 
1— DA  ständiger  Erhitzung  auf  55°  mit  0,5  proz.  Karbolsäure  ent¬ 
haltender  physiologischer  Kochsalzlösung  derart  verdünnt  werden,  ! 
dass  der  Inhalt  von  1  ccm  2  Oesen  entspricht.  Zu  der  ersten  — 
subkutanen  —  Injektion  dient  dann  0,5  ccm  des  Impfstoffes,  zu  der 
zweiten  nach  5—6  tägigem  Intervall  1  ccm.  Dosierung  und  Appli¬ 
kation  entsprechen  also  derjenigen  bei  der  Typhusschutzimpfung. 
Die  Reaktionen  sind  bei  der  Choleraschutzimpfung  trotz  der  erheb-  ; 
lieh  grösseren  Konzentration  des  Impfstoffes  im  allgemeinen  ge¬ 
ringere  als  bei  der  Typhusschutizmpfung. 

Der  Wert  der  Schutzimpfung  gegen  Cholera  ergibt  sich  aus  I 
den  zahlreichen  Statistiken.  Ueber  das  Haffkine  sehe  Verfahren 
liegen  solche  aus  Indien  vor;  den  Wert  der  Schutzimpfung  nach 
Kolle  demonstrieren  die  Berichte  von  Mur  ata  aus  Japan  (1902),  i 
von  Zabolotny,  Liebermann  u.  a.  aus  Russland  (1908/09),  j 
von  Babes  und  Savas  aus  Rumänien  und  Griechenland  (1913). 

Es  folgen  Demonstrationen  und  Besprechungen  des  statistischen 
Materiales. 

Diskussion:  Herr  U  n  g  e  r. 

Schluss  9  Uhr. 


Biologische  Abteilung  des  ärztlichen  Vereins  in  Hamburg. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  16.  Juni  1914.  (Nachtrag.) 

Vorsitzender:  Herr  A  1 1  a  r  d. 

Schriftführer:  Herr  v.  Engelbrecht. 

Herr  Reye:  Zur  Aetiologie  der  Endocarditis  verrucosa. 

Siehe  unter  den  Originalien  dieser  Nummer  Seite  2403. 

Diskussion:  Herr  Schottmüller:  M.  H.!  Die  Mit¬ 
teilungen  des  Herrn  Reye.  aus  welchen  wir  entnommen  haben,  dass 
es  ihm  gelungen  ist,  in  sehr  vielen  Fällen  die  Aetiologie  der 
Endocarditis  verrucosa  festzustellen,  sind  zweifellos  von 
grosser  wissenschaftlicher  Bedeutung. 

Auch  wir  haben  schon  längst  auf  dem  Standpunkt  gestanden, 
dass  die  Endocarditis  verrucosa  auf  bakterielle  Ansiedelungen  zu¬ 
rückzuführen  ist  und  haben  niemals  die  Ansicht  derjenigen  geteilt, 
welche  toxische  Einflüsse  irgendwelcher  Art  für  ihre  Entstehung  ver¬ 
antwortlich  machten  und  so  haben  wir  immer  wieder  die  patho¬ 
logische  Anatomie  veranlasst,  in  den  Klappen  nach  Keimen  zu  suchen. 

Nun  möchte  ich  von  vornherein  feststellen,  dass  der  Begriff  der 
Endocarditis  verrucosa  ein  anatomischer  und  kein  ätiologischer  ist 
und  bleibt.  Damit  will  ich  behaupten,  dass,  wenn  auch  hier  nach 
den  gehörten  Beobachtungen  recht  häufig  Diplokokken  in  den  Herz¬ 
klappen  bei  der  genannten  Veränderung  mikroskopisch  oder  kulturell 
nachgewiesen  werden  konnten,  trotzdem  sicherlich  noch  Fälle  von 
verruköser  Endokarditis  übrig  bleiben,  bei  denen  eine  andere  Ur¬ 
sache  in  Betracht  kommt.  Hier  meine  ich  vor  allen  Dingen  warzige 
Auflagerungen  auf  den  Herzklappen,  die  bei  der  typischen  Poly¬ 
arthritis  acuta  Vorkommen.  Zwar  hat  Herr  Reye  an  einer 
Reihe  von  Fällen,  bei  denen  klinisch  eine  Polyarthritis  acuta  vorher¬ 
gegangen  war,  einen  Streptococcus  gefunden,  indessen  bin  ich  über¬ 
zeugt,  dass  wir  darum  in  diesem  Streptokokkus  nicht  den  Erreger 
des  Gelenkrheumatismus  zu  sehen  haben,  dass  vielmehr  es  sich  auch 
hier  nur  um  eine  Sekundärinfektion  handelt.  Herr  Reye  scheint  ja 
derselben  Ansicht  zu  sein. 

Jedenfalls  sind  noch  genauere  Mitteilungen  von  Herrn  Reye 
über  den  klinischen  Verlauf  dieser  Fälle  zu  erbitten,  insbesondere 


22.  Dezember  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2415 


eine  Angabe  darüber,  ob  nicht  in  den  angezogenen  Fällen  der 
klinische  Verlauf  doch  von  dem  Typus  Polyarthritis  abweicht,  vor 
allen  Dingen  darüber,  ob  die  betreffenden  Patienten  gestorben  sind 
im  ersten  akuten  Anfall  einer  typischen  Polyarthritis  oder  nicht. 

Was  nun  den  von  Herrn  R  e  y  e  beschriebenen  Erreger  dieser 
Fälle  von  Endocarditis  verrucosa  anlangt,  so  zweifle  ich  nach  den 
gemachten  Angaben  nicht,  dass  wir  es  hier  mit  dem  von  mir  be¬ 
schriebenen  Streptococcus  viridans  zu  tun  haben.  Jeden¬ 
falls  entspricht  der  zarte  grüne  Rasen  auf  der  Blutplatte  und  die  nach 
mehreren  Tagen  auf  dem  Nährboden  sichtbare  Hämolyse  absolut  dem 
charakteristischen  Wachstum  des  genannten  Streptokokkus.  Wir 
sahen  auch  in  den  gezeichneten  Präparaten  die  langen  Ketten,  wie 
wir  es  in  flüssigen  Nährböden  gewöhnt  sind. 

Wenn  wir  aber  anerkennen,  dass  derselbe  Streptokokkus, 
wie  wir  wissen,  so  häufig  die  Endocarditis  1  e  n  t  a  erzeugt, 
so  ergibt  sich  die  Frage,  wie  ist  es  zu  erklären,  dass  in  einem  Falle 
eine  oft  nur  wenig  hervortretende  Form  der  Endokarditis  (Endo¬ 
carditis  verrucosa)  hervorgerufen  wird,  während  andererseits  nicht 
selten  das  schwere,  zum  Tode  führende  Krankheitsbild  ausgelöst 
wird.  Besteht  da  nicht  ein  unüberbrückbarer  Widerspruch? 

Ich  teile  die  Ansicht  des  Herrn  Vortragenden,  dass  es  sich  hier 
um  graduelle  Unterschiede  handelt.  Woher  aber  in  dem  einen 
Fall  eine  so  milde  Erkrankung,  an  der  die  Patienten  nicht  zugrunde 
gehen,  im  anderen  Falle  der  maligne  Verlauf? 

Wie  ich  schon  in  meinen  früheren  Arbeiten  über  Endokarditis 
lenta  hervorgehoben  habe  und  auch  jetzt  nur  immer  wieder  betonen 
kann,  sehen  wir  das  Krankheitsbild  der  Endocarditis  lenta  mit  ganz 
geringen  Ausnahmen  eigentlich  nur  entstehen,  wenn  an  den 
Herzklappen  infolge  einer  überstandenen  Poly¬ 
arthritis  acuta  oder  Chorea  Klappenverände¬ 
rungen  vorher  gesetzt  worden  waren.  Es  bedarf  also 
offenbar  einer  erheblichen  Klappenveränderung,  um  dem  Strepto-, 
,  coccus  viridans  die  Möglichkeit  zu  verschaffen,  sich  in  derartiger 
Ausdehnung  an  den  Klappen  anzusiedeln,  dass  das  Bild  der  Endo¬ 
carditis  lenta  ausgelöst  wird. 

Wie  leicht  zu  verstehen,  sind  die  krallenartigen  Wucherungen 
und  Unebenheiten  geeignet,  den  im  Blute  kreisenden  Streptococcus 
viridans  an  der  Klappe  festzuhalten  und  in  ausgedehnter  Form  zur 
Ansiedelung  zu  bringen. 

Indem  ich  so  eine  besondere  lokale  Disposition  für  die  Ent¬ 
stehung  der  Endocarditis  lenta  fordere  oder  annehme,  erklärt  sich 
m.  E.  völlig  einwandfrei  die  sonst  unverständliche  Tatsache,  dass  in 
dem  einen  Falle  nur  eine  verruköse  Endokarditis  von  geringer  Aus¬ 
dehnung  und  sehr  bescheidener  klinischer  Bedeutung  entsteht,  im 
anderen  Falle  schwere,  über  Monate  sich  hinziehende  Symptome  auf- 
treten. 

Ich  teile  also  nicht  den  Standpunkt  des  Herrn  Reye,  welcher 
für  die  Ausbildung  der  Endocarditis  lenta  im  Gegensatz  zur  ver- 
rukosa  nur  eine  gesteigerte  Allgemeindisposition  der  Pa¬ 
tienten  annimmt. 

Die  Bakterizidie.  welche  Herr  Reye  bei  der  Endocarditis  lenta 
als  besonders  geschädigt  ansieht,  ist  sicherlich  in  diesem  Falle  bis 
zum  Tode  ungeschwächt  vorhanden,  wie  uns  diesbezügliche  Ver¬ 
suche  gelehrt  haben.  Also  nicht  Verminderung  der  allgemeinen  Dis¬ 
position,  sondern  eine  besondere  lokale  Disposition  erklärt  den  Zwie¬ 
spalt. 

Immerhin  will  ich  zugeben,  dass  bei  kachektischen  Patienten, 
z.  B.  bei  Karzinom,  Tuberkulose,  bei  denen  wir  ja  vorzugsweise 
die  Endocarditis  verrucosa  auftreten  sahen,  eine  verminderte  Wider¬ 
standsfähigkeit  besteht,  doch  wohl  aber  hauptsächlich  auch  der  Ge¬ 
webe  und  im  vorliegenden  Falle  eben  der  Herzklappen. 

Herr  Reye  konnte  im  Tierversuche  nur  dann  ein  positives  Er¬ 
gebnis.  d.  h.  die  Erzeugung  einer  Endokarditis  durch  Injektion  von 
Streptokokken  in  die  Blutbahn  erzielen,  wenn  er  eine  massive  Dosis 
anwandte,  und  wenn  die  Kaninchen  durch  äussere  Umstände  in  ihrem 
Ernährungszustände  wesentlich  geschädigt  waren.  Er  gründet  darauf 
die  Meinung,  dass  auch  in  der  menschlichen  Pathologie  die  Ent¬ 
stehung  der  Endokarditis  auf  eine  sehr  reiche  Invasion  von  Strepto¬ 
kokken  zurückzuführen  ist.  Ich  bin  dieser  Ansicht  nicht.  Zweifellos 
gelangt  beim  Menschen  sehr  häufig  der  Streptococcus  viridans  in  die 
Blutbahn  und  zwar  insbesondere  bei  Katarrhen  der  oberen  Luftwege, 
die  nach  unserer  Untersuchung  oft  ihre  Entstehung  einer  Infektion 
mit  Streptococcus  viridans  verdanken.  Selten  oder  nie  aber  wird 
es  zu  so  reichlicher  Einschwemmung  von  Keimen  kommen,  dass 
dadurch  die  Widerstandsfähigkeit  des  Kranken  erheblich  geschädigt 
wird. 

Wir  müssen  also,  wie  gesagt,  als  Ursache  für  die  Entstehung 
der  Endokarditis  lokale  Veränderungen  annehmen,  ganz  aus¬ 
nahmsweise  mag  aber  auch  eine  spontane  Ansiedelung  auf  bis  dahin 
intakten  Klappen  stattfinden. 

Es  ist  ja  wunderbar,  wenn  der  Streptococcus  viridans,  der  so 
leicht  und  regelmässig  vom  Blute  abgetötet  wird,  sich  in  der  Blut¬ 
balm  anzusiedeln  vermag.  In  Wirklichkeit  siedelt  er  sich  aber  eben 
nicht  im  Blute  an,  sondern  findet  vielmehr  einen  Unterschlupf  in  den 
geschädigten  Geweben  der  Herzklappen  selbst,  in  der  er  dann  durch 
ThTornbenbildung  usw.  vor  dem  bakteriziden  Einfluss  des  Blutes 
geschützt  wird. 

Zweifellos  spielt  aber  auch  das  mechanische  Moment  beim  Zu- 
standekommmen  der  Endokarditis  eine  grosse  Rolle.  Wie  wir  wissen, 
ist  am  häufigsten  bei  der  Endocarditis  lenta  die  Mitralklappe,  weniger 


häufig,  wenn  auch  sehr  oft.  die  Aortaklappe,  so  gut,  äusserst  selten 
die  Klappe  des  rechten  Herzens.  Da  die  Streptokokken  das  rechte 
Herz  so  gut  passieren,  wie  das  linke  und  das  Endokard  an  sich 
überall  empfänglich  ist  für  eine  Ansiedelung  des  Streptococcus  viri¬ 
dans,  so  kann  der  häufige  Sitz  oder  Beginn  der  Endokarditis  an  den 
Mitralklappen  bzw.  Aortenklappen  nur  dadurch  erklärt  werden,  dass 
die  Kokken  gerade  an  dieser  Stelle  durch  das  Zusammmenschlagen 
der  Klappenränder  in  das  Gewebe  gleichsam  eingepresst  werden. 
Haben  die  Kokken  dann  erst  einmal  festen  Fuss  gefasst,  so  ist  es 
ihnen  möglich,  per  contiguitatem  sich  weiter  im  Endokard  hin,  auch 
da,  wo  es  den  Herzmuskel  überkleidet,  zu  wuchern. 

Die  im  Blute  nachzuweisenden  Erreger  sind  dann  die  Keime, 
welche  an  der  Oberfläche  der  Wucherung  sitzend,  vom  Blutstrom 
losgelöst  und  abgeschwemmt  werden. 

Wie  wir  aus  den  Ausführungen  des  Herrn  Reye  entnommen 
haben,  ist  die  Zahl  der  in  den  Klappen  vorhandenen  Keime  eine 
aussci  ordentlich  beschränkte.  So  erklärt  es  sich  auch,  dass  die 
Blutkultur  intra  vitam  in  den  von  Herrn  Reye  untersuchten  Fällen 
stets  negativ  gewesen  sind. 

Wie  ich  schon  früher  angedeutet  habe,  ist  die  Endokarditis  durch 
den  Streptococcus  viridans  bedingt,  die  häufigste  von  allen  bak¬ 
teriellen  Formen. 

Die  Mitteilungen  des  Herrn  Reye  stützen  nicht  nur  diese  Be¬ 
hauptung,  sondern  beweisen,  dass  der  Streptococcus  viridans  insge¬ 
samt  noch  viel  häufiger,  vielleicht  häufiger  als  alle  anderen  Bak¬ 
terien  zusammmengenommen,  wenn  man  von  der  Endokarditis  bei 
Polyarthritis  acuta  absieht,  der  Erreger  einer  Endokarditis  ist. 

Unter  diesen  Umständen  muss  man  allerdings  auch  annehmen, 
dass  der  Streptococcus  viridans  entweder  mehr  als  andere  Bakterien 
die  Fähigkeit  besitzt,  an  den  Herzklappen  zu  haften  und  sich  dort 
anzusiedeln,  oder  aber  er  gelangt  viel  häufiger  in  das  Blut,  als  die 
anderen  Keime.  Letztere  Auffassung  erscheint  mir,  nachdem,  was  ich 
eben  gesagt  habe  über  das  häufige  Vorkommen  des  Streptokokkus 
bei  Rachenaffektion,  das  Wahrscheinlichere. 

Es  sei  hier  auch  noch  darauf  hingewiesen,  dass  zwischen  den 
Fällen  von  Endocarditis  verrucosa  und  den  Fällen  der  Endocarditis 
lenta,  die  zum  Tode  führen,  eben  jene  Fälle  von  schleichender  Herz¬ 
klappenentzündung  ein  Bindeglied  bilden,  welche,  wenn  nicht  in 
Heilung,  so  doch  in  ein  Stadium  des  Stillstandes  der  Infektion  über¬ 
gegangen  sind.  Diese  Fälle  beweisen  jedenfalls,  dass  auch  bei  aus¬ 
gedehnterer  Form  der  Endokarditis,  wie  wir  sie  eben  in  den  Fällen 
der  Lenta  finden,  eine  Weiterentwicklung  der  Streptokokken  an  den 
Klappen  aufhören  kann. 

Auch  was  den  negativen  Blutbefund  bei  der  Endocarditis  verru¬ 
cosa  anlangt,  so  sei  daran  erinnert,  dass  wir  keineswegs  in  allen 
Fällen  und  zu  jeder  Zeit  während  des  Verlaufes  der  Endocarditis 
lenta  im  Blute  die  Streptokokken  finden. 

Allerdings  hängt  ein  positiver  Ausfall  der  Kultur  wesentlich  von 
der  Art  der  verwendeten  Methoden  ab.  Wenn  man  nur  die  übliche 
Form  der  Blutkultur  gebraucht,  wie  wir  sie  ursprünglich  angegeben 
haben,  Aussaat  von  je  2 — 3  qcm  Blut  auf  etwa  5  qcm  Agar  (in  toto 
20  ccm  Blut),  so  wird  man  in  der  Tat  nur  in  den  schwereren  Fällen 
der  Endocarditis  lenta  ein  positives  Ergebnis  erzielen. 

Als  wir  aber  eine  kleinere  Menge  Blut  in  eine  grössere  Menge 
Agar  oder  Bouillon  verimpften,  d.  h.  1 — 2  qcm  Blut  auf  100  qcm 
Bouillon,  da  hatten  wir  auch  noch  gelegentlich  ein  positives  Resultat, 
selbst  wenn  die  Temperatur  38°  bei  Rektalmessung  kaum  über¬ 
schritt. 

Hieraus  geht  hervor,  dass  als  Ursache  des  negativen  Ausfalles 
bei  grösserer  Aussaat  in  geringere  Menge  Nährboden  nicht  das  Fehlen 
der  Keime  schuld  war,  sondern  offenbar  die  bakteriziden  Kräfte  des 
verimpften  Blutes  noch  so  wenig  verdünnt  waren,  dass  sie  das  Aus¬ 
keimen  der  Kokken  noch  verhindern  konnten. 

Vielleicht  wird  man  also  auch  in  den  Fällen  von  Endocarditis 
verrucosa,  bei  denen  in  den  Fällen  des  Herrn  Reye  intra  vitam 
Keime  nicht  im  Blute  nachgewiesen  werden  konnten,  künftig  ein 
positives  Resultat  haben,  wenn  man  nur  die  eben  erwähnte  Ver¬ 
dünnung  bei  der  Blutkultur  anlegt. 

Herr  Reye:  Schlusswort. 


Medizinische  Gesellschaft  zu  Kiel. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  9.  Juli  1914.  (Schluss.) 

Herr  Kaerger:  Ueber  die  Behandlung  von  Muskelbrüchen 
durch  freie  Faszientransplantation. 

Meine  Herren!  Gestatten  Sie  mir,  zu  dem  überaus  interessanten 
Vortrage  des  Herrn  Prof.  Göbell  in  der  letzten  Sitzung  unserer 
Gesellschaft  über  die  Verwendung  der  freien  Faszientransplantation 
noch  ein  Anwendungsgebiet  dieser  Operation  hinzuzufügen;  das  ist 
ihre  Verwendung  zur  Behandlung  von  „Muskelbrüchen“.  Die  Muskel- 
brüche  sind  ein  Gebiet,  welches  besonders  in  der  Militärinedizin, 
weniger  in  der  Zivilchirurgie,  in  Erscheinung  tritt.  Es  mag  dies 
wohl  hauptsächlich  daran  liegen,  dass  es  sich  hier  stets  um  be¬ 
sonders  muskulöse,  junge  Leute  handelt,  welche  ganz  besonderen 
körperlichen  Anstrengungen  und  ganz  besonderer  Ausbildung  ihrer 
Muskeln  beim  Militärdienst  ausgesetzt  sind.  Das  Leiden  ist  früher 
häufig  verkannt  worden.  Erst  in  letzter  Zeit  sind  durch  sorgfältige 
Arbeiten,  auch  experimenteller  Art,  von  seiten  der  Franzosen,  dann 


2416 


MUENCEIENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  51. 


besonders  durch  Arbeiten  aus  der  Klinik  von  E  s  m  a  r  c  h,  aus  der 
Militärchirurgie  von  D  ü  m  s  und,  besonders  in  letzter  Zeit,  von 
L  e  x  e  r  diese  Krankheitszustände  geklärt  worden.  F  a  r  a  b  e  u  f  und 
V  e  r  n  e  u  i  1  unterschieden  zwischen  wahren  und  falschen  Muskel¬ 
brüchen,  je  nachdem  es  sich  um  eine  Zerreissung  des  Muskels  und 
der  Faszie  oder  nur  um  eine  Dehnung  und  Zerreissung  der  Faszie 
handelt.  Lex  er  stellt  der  Hernie  des  unverletzten  Muskels  die 
des  verletzten  gegenüber  und  unterscheidet:  der  unverletzte  Muskel 
wölbt  sich  aus  dem  Risse  der  Faszie  nur  im  schlaffen  Zustande 
hervor  und  zieht  sich  im  kontrahierten  und  bei  passiver  Dehnung 
des  Muskels  zurück.  Der  verletzte  Muskel  dagegen  tritt  im  kontra¬ 
hierten  Zustande  stärker  und  härter  als  in  der  Ruhe  hervor.  Jedoch 
lassen  sich  praktisch  nicht  so  starke  Unterschiede  zwischen  den 
beiden  Formen  finden,  da  es  auf  die  Verletzung  und  die  Ausheilung 
des  verletzten  Muskels  ankommt.  Abgesehen  von  den  schweren 
Formen,  bei  denen  eine  ausgiebige  Zerquetschung  oder  Durchtren¬ 
nung  eines  Muskels  die  Funktion  desselben  aufhebt,  und  nur  eine 
Operation  am  Muskel  selber  durch  Naht  desselben  oder  Sehnen¬ 
plastik,  oder  freie  Sehnentransplantation,  wie  sie  L  e  x  e  r  empfiehlt, 
Heilung  bringen  kann,  sind  es  doch  beim  Muskelbruch  nicht  Stö¬ 
rungen  der  Funktion  des  Muskels,  sondern  der  Kranke  bekommt 
dadurch  Beschwerden,  dass  sich  bei  der  Muskelarbeit  der  Muskel¬ 
bauch  durch  die  Faszienöffnung  vorwulstet,  dass  durch  die  immer 
weitere  Dehnung  des  vorgewölbten  Muskels  Ermüdungserschei¬ 
nungen  an  demselben  und  Schmerzen  auftreten,  und  dass  ferner 
auch  die  unter  dem  Muskel  liegenden  Nerven  allmählich  durch  die 
Dehnung  beeinträchtigt  werden,  dass  Neuralgien,  Sensibilitätsstö¬ 
rungen  und  Lähmungserscheinungen  auftreten.  Solche  Nervenschädi- 
gungen  habe  ich  zweimal  im  Gebiete  des  Nervus  peroneus  bei  Muskel¬ 
brüchen  an  der  Vorderseite  des  Unterschenkels  und  einmal  im  Ge¬ 
biet  des  Nervus  medianus  bei  Muskelbruch  im  Bereich  der  Beuge¬ 
muskeln  des  Unterarms  beobachtet.  Die  früheren  Operations¬ 
methoden,  bestehend  in  Naht  der  Faszienlücke  mit  oder  ohne  keil¬ 
förmige  Exzisionen  des  vorgewulsteten  Muskelbauches  haben  so¬ 
wohl  nach  dem  Urteil  erfahrener  Autoren  als  auch  nach  meinen 
eigenen  Beobachtungen  nur  in  wenigen  Fällen  zur  vollkommenen 
Heilung  geführt.  D  ü  in  s  hält  deshalb  die  Heilung  eines  Muskel¬ 
bruches  für  zweifelhaft  und  gibt  ferner  an,  dass  nach  seinen  reichen 
Beobachtungen  aus  der  Militärmedizin  die  Dienstfähigkeit  durch  einen 
Muskelbruch  in  Frage  gestellt  wird. 

Es  liegt  ja  auf  der  Hand,  dass  schon  die  Entstehung  der 
Muskelbrüche  in  der  Regel  bei  sehr  muskulösen  Leuten  an  Stellen, 
wo  sich  eine  starre,  feste,  unelastische  Muskelbinde  über  einen 
Muskel  spannt,  gegen  eine  erfolgreiche  Vereinigung  des  Risses 
dieser  Muskelbinde  durch  Naht  spricht.  Ausgenommen  sind  hiervon 
Muskelbrüche  im  Bereich  der  Bauchmuskulatur,  besonders  im  Be¬ 
reich  des  Rektums,  wo  sie  an  Stellen,  wo  Gefässe  oder  Nerven  die 
Faszienscheide  durchbrechen,  häufig  auftreten. 

Ich  zeige  Ihnen  einen  Musketier,  bei  dem  4  Muskelbrüche  der 
Rektusscheide,  nach  dem  von  Mayo  angegebenen  Verfahren  der 
Faszienreffung  beim  Nabelbruch  mit  Erfolg  durch  Naht  geheilt  sind. 
Ausserdem  stelle  ich  Ihnen  einen  Matrosen  mit  einem  Muskelbruch 
im  Bereiche  des  Musculus  semimembranosus  in  der  Kniekehle  vor, 
bei  dem  die  Naht  ebenfalls  zu  einem  leidlichen  Erfolg  geführt  hat.  In 
einem  anderen  gleichen  Falle  und  bei  Muskelbrüchen  des  Tibialis 
anticus  und  der  Extensoren  am  Unterschenkel  sind  nach  der  Naht 
stets  Rezidive  aufgetreten. 

Ein  besonders  schwerer  Fall  von  traumatischem  Muskelbruch  am 
rechten  Unterschenkel  infolge  alter  komplizierter  Fraktur  des  rechten 
Wadenbeins  mit  erheblicher  Zerreissung  der  Faszia  cruris  und  der 
Muskulatur  führte  mich  dazu,  ein  anderes  Verfahren  zur  Behand¬ 
lung  cinzuschlagen.  Ich  zeige  Ihnen  hier  einen  23  jähr.  Matrosen  B , 
welchem  am  6.  Juni  1913  durch  die  Haken  eines  Ankers  infolge 
Reissens  des  Taues  die  obenerwähnte  schwere  Verletzung  am  rechten 
Unterschenkel  zugefügt  wurde.  Nach  langsamer  Heilung  der  Haut¬ 
wunde  und  des  Knochenbruches  konnte  der  Kranke  allmählich  wieder 
gehen,  es  trat  aber  allmählich  eine  gut  enteneigrosse  Vorwölbung 
an  der  verletzten  Stelle  auf,  welche  ich  Ihnen  hier  auf  dieser  Ab¬ 
bildung  zeige.  Die  Vorwölbung  hatte  eine  weiche  Konsistenz 
(Pseudofluktuation),  wurde  bei  Beginn  der  Muskelzusammenziehung 
etwas  kleiner,  trat  dann  aber  wieder  bei  Näherung  der  Insertions¬ 
stellen  des  Tibialis  anticus  und  der  Extensoren  besonders  stark  her¬ 
vor.  Faszienlücken  waren  bei  dem  narbigen  Gewebe  und  bei  der 
flächenhaften  Zerreissung  der  Muskelbinde  nicht  zu  fühlen.  Auf  tage¬ 
lange  Bettruhe  ging  die  Geschwulst  etwas  zurück,  um  beim  Auf¬ 
stehen  sofort  in  ihrer  alten  Grösse  mit  ihren  alten  Beschwerden,  der 
Ermüdung  des  ganzen  Beines  und  heftigsten  neuralgischen  Schmer¬ 
zen  im  Gebiet  des  Peroneus  wieder  aufzutreten.  In  diesem  Falle 
bin  ich  folgendermassen  vorgegangen.  Durch  einen  grossen  huf¬ 
eisenförmigen,  nach  innen  gestielten  Hautschnitt  habe  ich  in  Lokal¬ 
anästhesie  die  Fascia  cruris  sorgfältig  in  grosser  Ausdehnung  frei¬ 
gelegt-  indem  ich  darauf  achtete,  dass  wie  bei  der  Hautlappenbildung 
zur  Amputation  sämtliches  subkutanes  Fettgewebe  am  Hautlappen 
blieb.  Nach  Herumklappen  des  Hautlappens  nach  innen  zeigten  sich 
2  grosse  Löcher  in  der  Fascia  cruris,  ein  dreimarkstückgrosses,  aussen 
von  der  Schienbeinkante  und  ein  etwa  zweimarkstückgrosses  über 
der  Bruchstelle  des  Wadenbeines.  Diese  Löcher  hatten  zerrissene, 
narbig  veränderte  Ränder  und  es  wölbte  sich  aus  ihnen  die  schwielig 
veränderte  Muskulatur  hervor.  Bei  sorgfältiger  Entspannung  des 


Muskels  verschwand  die  Vorwölbung  ganz.  Es  wurde  nun  ein  13  cm 
langes  und  10  cm  breites  Stück  aus  der  Fascia  lata  des  rechten 
Oberschenkels  ebenfalls  unter  Lokalanästhesie  entnommen  und  mit 
der  inneren  spiegelnden  Fläche  glatt  auf  die  Fascia  cruris  gleich¬ 
sam  als  Duplikatur,  auch  die  Lücken  mit  überdeckend,  heraufge¬ 
legt.  Einige  feine  Katgutnähte  fixierten  und  spannten  das  Trans¬ 
plantat  etwas  an.  Darüber  wurde  der  Hautlappen  gelegr  und  die 
Hautwunde  fest  verschlossen.  Leicht  komprimierender  Verband, 
Gipsverband  etwa  3  Wochen  zur  sicheren  Herbeiführung  der  Ent¬ 
spannung  des  Muskels.  Ich  zeige  Ihnen  den  Patienten  8  Monate 
nach  der  Operation.  Sie  sehen  eine  vollkommen  glatte  Narbe,  fühlen 
eine  absolut  feste  straffe  Faszie,  über  die  sich  die  Haut  leicht  ver¬ 
schieben  lässt,  keine  Spur  mehr  der  alten  Vorwölbung.  B.  ist  voll¬ 
kommen  beschwerdefrei  und  seit  5  Monaten  allen  Anforderungen  des 
Marinedienstes  gewachsen,  ist  auch  infanteristisch  ausgebildet 
worden. 

Die  grossen  Stücke  der  Fascia  lata  kann  man  an  der  Aussen- 
seite  des  Oberschenkels  ohne  Gefahr  späterer  Beschwerden  ent¬ 
nehmen,  da  der  Vastus  externus  noch  eine  besondere  eigene  Faszie 
besitzt.  Es  ist  nur  darauf  zu  achten,  dass  die  Ränder  der  Fascia 
lata  nach  der  Entnahme  durch  starke  Katgutnähte  möglictist  wieder 
genähert  werden.  Ich  habe  Faszienstücke  von  18  cm  Länge  und  13  cm 
Breite  ohne  Folgen  entnommen  und  habe  dies  besonders  deshalb  auch 
ohne  Bedenken  getan,  weil  ich  bei  früheren  plastischen  Operationen 
an  der  Klinik  meines  früheren  Chefs,  des  Herrn  Geheimrat  Bier  und 
bei  grossen  Faszienstreifen  bis  25  cm  Länge,  die  Herr  Prof.  Schmie¬ 
den  zur  Hebung  und  Fixierung  des  Schulterblattes  nach  Akzessorius- 
lähmung  entnahm,  niemals  irgendwelche  Störungen  gesehen  habe. 

Dieser  ausgezeichnete  Erfolg  der  Behandlung  eines  Muskel¬ 
bruches  durch  freie  Faszientransplantation  hat  mich  veranlasst,  dieses 
Verfahren  noch  in  einer  ganzen  Reihe  von  Fällen  anzuwenden.  Ich 
zeige  Ihnen  hier  noch  eine  Reihe  geheilter  Fälle,  darunter  Heilungen 
von  Rezidiven  nach  früherer  Naht  der  Faszie.  Abbildungen  des  Zu¬ 
standes  vor  der  Operation  und  Skizzen  des  Operationsverfahrens 
werden  demonstriert. 

Vorstellung  eines  geheilten  Falles  von  Muskelbruch  an  beiden 
Unterschenkeln,  vorn  im  unteren  Drittel  an  der  Austrittsstelle  des 
Nervus  peroneus,  bei  dem  eine  erfolglose,  früher  vorgenommene  Naht 
der  Faszie  zu  einem  Rezidiv  und  zu  Störungen  im  Gebiete  des 
rechten  Nervus  peroneus  geführt  hatte. 

Vorstellung  eines  geheilten  Rezidives  nach  Muskelbruch  (M. 
semimembranosus)  in  der  rechten  Kniekehle. 

Vorstellung  eines  doppelseitigen  Muskelbruches  an  der  Beugeseite 
beider  Unterarme  im  Bereiche  der  Musculi  pronator  teres,  flexor 
carpi  radialis  und  ulnaris  sowie  der  Flexoren,  durch  freie  Faszien¬ 
transplantation  geheilt. 

An  der  Hand  dieser  Erfolge  kann  dieses  Operationsverfahren 
zur  Behandlung  der  Muskelbrüche  aufs  wärmste  empfohlen  werden. 

Diskussion:  Herren  zur  Verth,  Kaerger,  Goebell. 


Aerztlicher  Kreisverein  Mainz. 

(Offizielles  Protokoll.) 

Sitzung  vom  20.  November  1914. 

Herr  H.  Cur  sch  mann:  Demonstrationen. 

1.  Fall  von  Bronchotetanie  bei  2  jähr.  Kind.  Spasmophiles  Kind, 
schon  früher  „Asthma“,  in  schwerstem  asthmatischem  Anfall  aufge¬ 
nommen.  Alle  Uebererregbarkeitszeichen  stark  positiv,  Chvo- 
stek  ++.  Auf  Calzium  chlorat.  (3  mal  1,0  in  2  Tagen)  Beseitigung 
der  Lebensgefahr  und  Heilung  des  Asthma.  Besprechung  des  Zu¬ 
sammenhanges  zwischen  endokrinen  Drüsen  und  Asthma. 

2.  52  jähr.  Frau  mit  Osteomalacia  tarda,  Basedowoid  und  Hy- 
steria  gravis.  Deutung  der  thyreotoxischen  Symptome  (Tremor, 
Tachykardie  bis  140,  Schweisse)  durch  positive  Adrenalinmydriasis 
und  Lymphozytose.  Auslösung  der  Hysterie  durch  die  (der  Pat. 
unsympathische)  Verlegung  ins  Invalidenhaus.  Die  gemeinsame  Er¬ 
krankung  von  Schilddrüse,  Nebenschilddrüse  und  Knochen  (Osteo¬ 
malazie)  ist  nicht  ganz  selten.  Im  Gegensatz  zur  unkomplizierten 
Spätosteomalazie  sind  diese  Fälle  prognostisch  ungünstig. 

3.  Luminalbehandlung  des  Status  epilepticus.  23  jähr.  Mann,  bei 
dem  Luminal  im  Stat.  epil.  lebensrettend  wirkte.  C.  verwendet  das 
Luminal  besonders  gern  und  mit  vorzüglichem  Erfolge  bei  Epi- 
lepsia  nocturna.  Fall  von  Graviditätsepilepsie,  rein  nokturn; 
Heilung,  die  auch  nach  Aussetzen  des  Luminal  anhält. 

4.  Strophanthin  (B  o  e  h  r  i  n  g  e  r),  seine  Vorzüge  und  Gefahren. 
An  Kurven  wird  gezeigt,  dass  S  t  r  o  p  h  a  n  t  h  in  als  Kardiakum  und 
Diuretikum  in  manchen  Fällen  den  Digitalispräparaten  stark  über¬ 
legen  ist  und  noch  wirkt,  wo  die  letzteren  völlig  versagen.  Die 
Gefahren  des  Mittels  kennzeichnet  ein  akuter  Todesfall  1  Stunde 
nach  der  Injektion  von  0,0008  Strophanthin  Boehringer  bei  einer  Pat 
(chron.  Nephritis),  die  langsam  steigende  Dosen  (0,3,  0,3,  0,5  der 
Ampulle)  gut  vertragen  hatte.  C.  betont,  dass  die  ursprüngliche 
Dosierung  von  0,001  pro  dosi  (Inhalt  der  Ampulle)  zu  hoch  ist  und 
grosse  Gefahren  birgt.  Es  ist  dringend  zu  fordern,  dass 
der  Inhalt  der  Ampullen  zukünftig  nur  0,0005  sei;  diese 
Dosis  genügt  und  lässt  die  Gefahr  des  Vergiftungstodes  vermeiden. 


Schriftleitung:  Dr.  B.  Spatz, 
München,  Arnulfstrasse  26 


Verlag  von  J.  T.  Lehmann, 
München,  Paul  Heysestr.  26. 


MÜNCHENER 

Medizinische  Wochenschrift. 

Nr.  51.  22.  Dezember  1914. 


Feldärztliche  Beilage  Nr.  20. 


Aus  der  Medizinischen  Klinik  der  Universität  Frankfurt  a.  M. 

Die  kombinierte  Antitoxinüberschwemmungs-  und 
Narkosetherapie  des  Tetanus. 

Von  Dr.  GeorgL.Dre.yfus  und  Dr.  Wa  1  d  e  m  a  r  Unger. 

Die  Tatsache,  dass  wir  infolge  äusserer  Umstände  in  der 
Lage  waren,  eine  relativ  grosse  Anzahl  von  Tetanuskranken 
(bisher  32)  in  einheitlicher  Weise  zu  behandeln,  veranlasst  uns, 
schon  jetzt  in  Kürze  über  unsere  bisherigen  Beobachtungen 
zu  berichten.  Dazu  kommt,  dass  im  Vergleich  zu  zahlreichen 
in  der  jüngsten  Literatur  niedergelegten  Beobachtungen  die 
Mortalität  unserer  Tetanuskranken  als  relativ  recht  gering 
(10  auf  32)  zu  bezeichnen  ist,  trotzdem  wir  vorwiegend 
schwere  Fälle  zur  Behandlung  bekamen. 

Nachdem  wir  unsere  ersten  beiden  kriegsverletzten  Te¬ 
tanuskranken  verloren  hatten,  die  nur  mit  ganz  geringen  Anti¬ 
toxindosen  behandelt  waren,  wandten  wir  uns  einer  wesentlich 
energischeren  spezifischen  Behandlung  zu.  Unsere  weiteren 
therapeutischen  Erfahrungen  haben  uns  immer  mehr  in  der 
theoretisch  begründeten  Ansicht  bestärkt,  dass  sich  eine 
Ueberschwemmung  des  Organismus  mit  Antitoxin 
empfiehlt,  in  der  Absicht,  dem  noch  nicht  im  Nervensystem 
verankerten  Toxin  auf  allen  zugänglichen  Wegen  Antitoxin 
entgegen  zu  stellen.  Mit  dieser  spezifischen  Behandlung 
muss  aber  eine  energische  narkotische  Therapie  einher¬ 
gehen,  um  die  sich  hauptsächlich  in  Starre  und  Krämpfen 
äussernde  gefahrbringende  Wirkung  des  gebundenen  Toxins 
nach  Möglichkeit  abzuschwächen.  Es  ist  dies  nur  eine  Fort¬ 
setzung  der  schon  den  alten  Aerzten  geläufigen  und  von  ihnen 
gerühmten  Behandlung  des  Tetanus  mit  Narkoticis.  Nur  dass 
wir  jetzt  über  eine  grössere  Auswahl  von  Mitteln  verfügen, 
und  so  durch  Kombination  den  gewünschten  Erfolg  auf  relativ 
unschädliche  Weise  erzielen  können. 

Im  einzelnen  gehen  wir  so  vor,  dass  wir  zunächst  die 
Wundverhältnisse  nach  den  in  der  letzten  Zeit  ja  zur 
Genüge  besprochenen  Gesichtspunkten  möglichst  günstig  zu 
gestalten  suchen:  gründliche  Entfernung  aller  nekrotischen 
Gewebsfetzen,  Knochensplitter,  etwaiger  Fremdkörperreste, 
Spaltung  verborgener  Buchten,  gründliche  Durchspülung  mit 
Wasserstoffsuperoxydlösung,  sodann  zur  weiteren  Reinigung 
zuerst  warme  Dauerbäder  etwa  verletzter  Extremitäten  oder 
gleich  Austamponieren  mit  in  Antitoxin  getränkten  Streifen 
(je  nach  Wundgrösse  10 — 50  A.E.),  event.  auch  noch  Um¬ 
spritzung  der  Wundgegend  mit  50  AE. 

Darauf  erfolgt  die  intralumbale  Injektion  von 
100  AE.  und  eine  intravenöse  von  100 — 300  AE.  Schliess¬ 
lich  versuchen  wir  stets  auch  noch  durch  endoneurale 
Einspritzung  des  Antitoxins  (100  AE.)  dem  Gift  einen  seiner 
Hauptwege  zu  verlegen.  Allerdings  muss  man  sich  darüber 
klar  sein,  dass  eine  sichere  Einverleibung  des  Antitoxins 
in  den  Nerven  nur  nach  dessen  vorheriger  Freilegung  möglich 
ist.  Doch  kann  man  die  meist  in  Frage  kommenden  Stellen: 
Plexus  brachialis  unterhalb  der  Klavikula,  N.  ischiadicus  in 
der  Gesässfalte  und  N.  femoralis  in  der  Leistenbeuge  bei  nicht 
zu  fetten  Patienten  oft  auch  tasten.  Dass  die  dort  fühlbaren, 
dem  Finger  entgleitenden  Stränge  wirklich  dem  Nerven  ent¬ 
sprechen  können,  erkannten  wir  in  einigen  Fällen  daran,  dass 
der  Druck  auf  die  betreffende  Stelle  einen  lokalen  Tetanus  der 
verletzten  Extremität  sofort  erheblich  verstärkte.  Dass  man 


in  einer  gewiss  nicht  kleinen  Zahl  von  Fällen  trotzdem  das 
Antitoxin  nicht  endoneural,  sondern  nur  subkutan  einverleibt, 
darf  nicht  davon  abhalten,  die  Injektion  in  den  Nerven  zu  ver¬ 
suchen. 

So  werden  sofort  bei  Beginn  der  Behandlung,  d  i  e 
selbstverständlich  unmittelbar  nach  Er¬ 
kennung  der  Krankheit  einzusetzen  hat, 
400 — 600  AE.  dem  Kranken  einverleibt. 

Bei  schweren  Fällen  (kurze  Inkubation,  frühzeitig 
ausgesprochener  erheblicher  Trismus,  rasche  Progredienz) 
geben  wir  täglich  —  zum  mindesten  intralum¬ 
bal  und  intravenös  —  weiter  Antitoxin  (200  bis 
500  AE.  pro  die)  bis  wir  den  deutlichen  Eindruck 
haben,  dass  die  Schwere  der  Krankheit  ge¬ 
brochen  ist.  Aber  auch  später  bekommen  die  Kranken 
bei  jedem  vereinzelten  Aufflackern  tetanischer  Symptome  aufs 
neue  Antitoxin,  hauptsächlich  wiederum  intralumbal  und  intra¬ 
venös.  So  haben  wir  in  schweren  Fällen  bis  zu 
12  Tagen  hintereinander  Antitoxin  gegeben 
und  als  höchste  Gesamtdosis  beim  einzelnen  Patienten 
3800  AE.  erreicht.  Bei  leichteren  Fällen  kommt  man 
mit  erheblich  geringeren  Dosen  aus.  Es  genügt  dann  nach  der 
ersten  grösseren  Serumgabe  einen  um  den  anderen  Tag  je 
100  Einheiten,  abwechselnd  intralumbal  und  intravenös,  zu 
geben. 

Mit  dieser  Art  der  Antitoxinüberschwemmung  des  Or¬ 
ganismus  konnten  wir  bei  den  geheilten  Fällen  fast  regelmässig 
denselben  Verlauf  beobachten:  für  gewöhnlich  war  der  Te¬ 
tanus  noch  einige  Tage  progredient,  dann  kam  er  zum  Still¬ 
stand,  um  endlich  —  event.  mit  vereinzelten  Nachschüben  — 
allmählich  abzuklingen. 

Dass  diese  günstige  Beeinflussung  des  Krankheitsverlaufes 
mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  dem  Antitoxin  zu  verdanken 
ist,  lehrten  uns  auch  andere  Fälle:  es  handelt  sich  dabei  um 
Tetanuskranke  mit  längerer  Inkubationszeit  und  langsamerer 
Entwicklung  des  Krankheitsbildes,  bei  denen  die  Progredienz 
unverkennbar  war.  Mit  dem  Einsetzen  der  Antitoxinbehand¬ 
lung  hörte  das  Fortschreiten  der  Erkrankung  auf,  um  bald 
einer  wesentlichen  Besserung  Platz  zu  machen. 

Von  Nebenwirkungen  dieser  Ueberschwemmungs- 
therapie  kommt  der  fast  regelmässig  zu  beobachtende  so¬ 
fortige,  manchmal  hohe  Grade  erreichende  Temperatur¬ 
anstieg  in  Betracht.  Dass  dieser  dem  Antitoxin  zur  Last 
gelegt  werden  muss,  beweist  uns  der  Umstand,  dass  wir  bei 
einzelnen  leichten  Fällen,  die  unbehandelt  fieberlos  verliefen, 
nach  der  Einverleibung  des  Serums  in  so  grossen  Dosen  jedes¬ 
mal  denselben  jähen  Temperaturanstieg  erlebten,  wie  bei  den 
schweren  von  Anfang  an  mit  Antitoxin  behandelten  Fällen. 
Zudem  kamen  diese  letztgenannten  auch  so  gut  wie  immer 
f  i  e  b  e  r  1  o  s  in  die  Klinik.  Von  weiteren  Nebenwirkungen  be¬ 
obachteten  wir  zweimal  einen  anaphylaktischen 
Schock  (Fall  1  und  4),  der  aber  beidemale  nicht  sehr  be¬ 
drohlich  war  und  schnell  vorüberging,  so  dass  wir  in  beiden 
Fällen  uns  nicht  scheuten,  den  Patienten  später  wieder  Anti¬ 
toxin  zu  verabfolgen,  ohne  dass  ähnliche  Zufälle  wieder  auf¬ 
traten.  Weiter  sahen  wir  je  einmal  Durchfälle  und  Er¬ 
brechen;  dieses  sistierte  erst  nach  Aussetzen  des  Serums. 
Endlich  traten  mehrfach  urtikariaartige  Exantheme 
auf,  die  aber  stets  sehr  schnell  vorübergingen,  auch  wenn  sie 
sich  gelegentlich  bei  weiteren  Injektionen  wiederholten. 


2418 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  51. 


Wie  eingangs  erwähnt,  verbanden  wir  regelmässig  mit 
der  geschilderten  Art  der  Antitoxinbehandlung  eine  energische 
narkotische  Therapie.  Wir  benutzten  ausser  den  altbewährten 
Mitteln  Morphium  und  Chloralhydrat  mit  Erfolg  das  Lumi- 
n  a  I,  das  wir  in  letzterer  Zeit  wegen  seiner  bequemeren  An¬ 
wendungsweise  (1 — 2  ccm  einer  20  proz.  wässerigen  Luminal- 
natriumlösung  subkutan  =  0,2 — 0,4  Lurninal-Natrium)  und 
relativen  Unschädlichkeit  für  lebenswichtige  Organe  an  Stelle 
des  Chlorals  ausschliesslich  gebrauchen.  Es  hat  sich  uns 
dauernd  bewährt,  besonders  in  Kombination  mit  Morphium 
und  Magnesium  sulfuricum. 

Das  Magnesium  sulfuricum  gaben  wir  sowohl 
i  n  t  r  a  I  u  m  b  a  1,  als  auch  —  anfänglich  in  sehr  grossen 
Dosen  —  intramuskulär.  Wir  sind  von  den  grossen 
intramuskulär  verabreichten  Dosen  (20  g  und  darüber  p.  d.) 
ganz  zurückgekommen,  da  wir  dabei  mehrfach  sehr  bedroh¬ 
liche  Erscheinungen  von  seiten  des  Herzens  und  der  Atmung 
beobachteten.  Zudem  erreicht  man  auch  mit  kleinen  Dosen 
(5,0  in  25  proz.  Lösung  1 — 2,  höchstens  3  mal  täglich  intra¬ 
muskulär)  ein  wesentliches  Zurückgehen  der  Krämpfe  und  die 
so  sehr  erwünschte  Allgemeinberuhigung.  Zur  Illustration 
mögen  folgende  Beobachtungen  dienen:  Bei  Fall  2  vor  Ma¬ 
gnesium  69  Krampfanfälle  in  U  Stunde,  eine  erneute,  Y*  Stunde 
rach  intramuskulärer  Injektion  von  5,0  Magnesium  einsetzende 
Zählung  ergab  16  Krämpfe,  ein  anderes  Mal  zählten  wir  ohne 
Magnesium  32  und  37  Krämpfe  gegenüber  13  und  7  nach 
dessen  Darreichung.  Wenn,  wie  dies  öfters  der  Fall  ist,  5  g 
Magnesium  für  sich  allein  die  Krampfzahl  nicht  in  wünschens¬ 
werter  Weise  herabzudrücken  vermögen,  so  erweist  sich  die 
Kombination  der  Magnesiumdarreichung  mit  Morphium  und 
Luminal  als  zweckmässig.  So  konnten  wir  bei  einem  jüngst 
beobachteten  Kranken,  der  ganz  besonders  zu  Krämpfen 
neigte,  folgende  Krampfzahlen  feststellen: 


Tabelle  1. 


12  XI  14 

13  XT.  14 

Zeitspanne 

1.  Unbeeinflusst  .  .  . 

36  Krämpfe 

23  Krämpfe 

in  V„  Stunde 

2.  Nach  Maunesiuminjektion  (5,0  g  in  25  proz. 
Lösung  intramuskulär) . 

17  „ 

11 

„  l4  „ 

3.  Nach  5  g  Magnesium-  dann  darauffolgender 
subkutaner  Morphium-  (0,n2)  und  Luminal- 
(0,2)  Injektion  flntervall  zwischen  den  Ein¬ 
spritzungen  V?  Stunde,  Beginn  der  Zählung 

Yi  Stunde  nach  der  letzten  Injektion)  .  .  . 

- 

6  „ 

4 

„  V*  „ 

Auf  diese  Weise  (event.  kann  man  noch  andere  Nar¬ 
kotika,  z.  B.  Skopolamin  0,0005,  hinzunehmen)  vermag  man 
so  gut  wie  immer  auch  in  schweren  Fällen  eine  leichte  Dauer¬ 
narkose  zu  erzielen,  die  dann  den  Gesamtzustand  in  er¬ 
wünschter  Weise  schont,  ohne  aber  im  allgemeinen  die  so 
wichtige  Nahrungsaufnahme  zu  beeinträchtigen. 

Wegen  der  ausserordentlichen  Gefährlichkeit  der  endo- 
lumbalen  Verabreichung  des  Magnesiums 
(S — 10  ccm  einer  15  proz.  Lösung)  wenden  wir  es  auf  diese 
Weise  nur  in  den  äusserst  seltenen  Fällen  an,  bei 
welchen  die  anderen  narkotischen  Möglichkeiten  versagen 
und  Zahl  und  Intensität  der  Krämpfe  unmittelbar  lebens¬ 
bedrohend  erscheinen.  Inhalationsnarkosen  wende¬ 
ten  wir  nur  zur  Ueberwindung  der  die  Lumbalpunktion 
unmöglich  machenden  Rückenstarre  an.  Anfangs  bevor¬ 
zugten  wir  den  schnell  zum  Ziele,  führenden  Aetherrausch. 
Um  die  Atmungsorgane  zu  schonen,  die  ja  ohnedies  schon 
beim  Tetanus  bedroht  sind,  wenden  wir  jetzt  gleichfalls  eine 
Kombinationsnarkose  an,  in  der  Weise,  dass  wir  10  bis 
15  Minuten  vor  der  Betäubung  0,02  Morphium  subkutan  geben 
und  dann  mittels  des  Roth-Draeger  sehen  Apparates  ein 
Chloroform-Aethergemisch  verabfolgen;  von  diesem  genügen 
dann  meist  geringe  Dosen. 

Die  von  B  a  c  c  e  1 1  i  empfohlene  Karbolsäure¬ 
therapie1)  haben  wir  gleichfalls,  in  einem  leichten  Fall 
allein,  in  schweren  neben  der  Antitoxinbehandlung,  angewandt. 
Trotz  Einverleibung  grosser  Dosen  (bis  1,5  g  pro  die)  be¬ 
obachten  wir  in  einem  zunächst  rein  behandelten  Fall  Fort¬ 
schreiten  der  Erkrankung,  die  erst  unmittelbar  nach  Beginn 
der  Antitoxinbehandlung  sich  deutlich  zum  Besseren  wandte. 


')  Näheres  über  Technik  und  Dosierung  s.  G.  L.  Dreyfus: 
l'ie  Behandlung  des  Tetanus.  J.  Springer,  Berlin  1914. 


Wie  notwendig  endlich  eine  äusserst  sorgsame  Pflege 
und  Bewachung  des  Kranken  ist,  hat  der  eine  von 
uns  (D.)  schon  ausführlich  an  anderer  Stelle  geschildert '). 
Nachtragen  möchten  wir  noch,  dass  sich  uns  das  Einschieben 
einer  etwa  1  cm  dicken  Gummischeibe  zwischen  die  Zähne 
sehr  bewährt  hat  zur  Vermeidung  der  so  schmerzhaften  und 
unter  Umständen  gefährlichen  Zungenbisse  bei  Masseteren- 
krämpfen. 

Zur  Illustration  der  dargelegten  Behandlungsprinzipien 
haben  wir  folgende  4  Krankengeschichten  aus  unserem  Ma¬ 
terial  gewählt.  Die  beigegebenen  Kurven  unterrichten  über 
Puls  und  Temperaturverlauf  und  geben  gleichzeitig  in  tabel¬ 
larischer  Uebersicht  Beispiele  für  unsere  Therapie.  Ueber  der 
Kurve  finden  sich  Angaben  über  die  spezifische  Behandlung. 
Die  intralumbal  (L),  intravenös  (V),  endoneural  (N)  und  in  die 
Wunde  (W)  gegebenen  Antitoxinmengen  sind  in  Antitoxin¬ 
einheiten  angegeben.  In  dem  unter  der  Kurve  befindlichen 
Abschnitt  ist  die  narkotische  Therapie  dargestellt  (Magn.=Ma- 
gnesium  sulfuricum  jn  25—30  proz.  Lösung,  Mo  =  Morphium, 
Lu  =  Luminal,  Nark  =  Inhalationsnarkose). 

I.  Schwere  Fälle, 

Fall  1  (6  Tage  Inkubation). 

27.  IX.  14.  Gewehrschuss  in  den  rechten  Unterschenkel. 

3.  X.  Seit  heute  früh  Schluckbeschwerden.  Dann  schnell  fort¬ 
schreitende  Behinderung  der  Mundöffnung,  sowie  Kreuz-  und  Nacken¬ 
schmerzen.  Abends  Aufnahme  in  die  Klinik.  Macht  keinen  schwer¬ 
kranken  Eindruck.  Lidspalte  etwas  eng.  Nasen-Lippenfalte  markiert. 
Schweiss  auf  der  Stirn.  Starker  Trismus:  Die  Zahnreihen  können  fast 
gar  nicht  voneinander  entfernt  werden.  Kein  Opisthotonus,  keine 
Nackensteifigkeit,  in  den  Extremitäten  keine  Spasmen.  Bauchdecken 
weich.  Keine  Krämpfe. 

Am  rechten  Unterschenkel  kleine  Ein-  und  grössere  Ausschuss¬ 
wunde;  beide  enthalten  reichlich  nekrotische  Fetzen  und  riechen 
übel. 

Therapie  s.  Kurve. 


4.  X.  Zunehmende  Steifigkeit.  Krämpfe. 

5.  X.  Nachts  heftiger  Krampf  mit  Respirationsbeteiligung  und 
Zyanose.  Heute  Trismus  vermehrt.  Mundöffnen  nicht  möglich. 
Opisthotonus  und  Nackensteifigkeit,  sowie  Spasmen  im  verwundeten 
Bein.  Starkes  Schwitzen. 

7.  X.  Schwerer  Allgemeinzustand.  Starke  Spasmen  und  viel 
Krämpfe.  Durchfall. 

9.  X.  Wird  mit  Magnesium  und  Luminal  in  leichter  Dauernar¬ 
kose  gehalten;  weniger  Krämpfe,  aber  andauernd  starke  Spannung 
der  Nacken-,  Rücken-  und  Kiefermuskulatur.  Serumexanthem. 

10.  X.  Serumexanthem  geschwunden.  Durchfall  gebessert. 
Heute,  10  Minuten  nach  intravenöser  Antitoxininjektion,  plötzlich 
Frieren  unter  Exanthemausbruch  und  starker  Rötung  des  Kopfes. 
Gleichzeitig  heftige  Atemnot.  Puls  gut.  Der  Anfall  geht  sehr  schnell 
vorüber. 

15.  X.  Seit  gestern  Besserung.  Zunehmender  Appetit.  Die  Stei¬ 
figkeit  beginnt  sich  allmählich  zu  lösen.  Entfiebert. 

19.  X.  Nur  noch  Reste  von  Spannung  in  Kiefer,  Rücken-  und 
Beinmuskulatur. 

20.  X.  Rücken-  und  Beinmuskulatur  frei  von  Spannung. 

31  X.  Andauernd  sehr  gutes  Befinden.  Bis  auf  mässige  Er¬ 
schwerung  der  Mundöffnung  keinerlei  Starrkrampfzeichen  mehr. 

Zusammenfassung:  Es  handelt  sich  um  einen  sehr  schwe¬ 
ren,  rasch  fortschreitenden  Fall  mit  kurzer  Inkubationszeit.  Trotz 
energischer  Antitoxinbehandlung  verschlechterte  sich  der  Zustand 


22.  Dezember  191 4. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


2419 


während  6  lauen,  um  daun  relativ  rasch  sich  zum  Bessern  zu  wen¬ 
den.  Am  4.  Tage  wurden  die  Krampfanfälle  so  heftig  und  bedroh¬ 
lich,  dass  wir  Magnesium  geben  mussten.  Man  sieht  aber,  dass  wir 
in  Kombination  mit  Morphium  und  Luminal  nur  relativ  kleine  Mengen 
Magnesium  verbrauchten.  Karbol  gaben  wir  nur  4  Tage  in  grossen 
Dosen.  Als  am  8.  I  age  mit  der  Antitoxintherapie  vorübergehend  aus¬ 
gesetzt  wurde,  ging  die  Temperatur  zur  Norm  zurück.  Der  anaphy¬ 
laktische  Schock  am  8.  Krankheitstage  hielt  uns  nicht  davon  ab,  am 
11.  läge  noch  einmal  eine  relativ  grosse  Dose  Serum  intravenös  zu 
geben.  Auch  die  Durchfälle  und  das  Exanthem  sprachen  im  Sinne  der 
Anaphylaxie. 

Wir  halten  es  für  wahrscheinlich,  dass  der  Kranke  bei  der 
Schwere  und  dem  raschen  Fortschreiten  der  Erkrankung  auch  der 
Tatsache  sein  Leben  zu  verdanken  hat,  dass  er  am  1.  Tag  des 
ausgebrochenen  Tetanus  in  Behandlung  kam. 

Gesamtmenge:  2500  AE. 

Fall  2  (Inkubation  8  Tage). 

17.  IX.  14.  Granatsplitterverletzung  an  Zeige-  und  Mittelfinger 

der  rechten  Hand. 

26.  IX.  Aufnahme  in  die  Klinik.  Bemerkte  gestern  morgen  Er¬ 
schwerung  der  Mundöffnung,  seit  heute  Nacht  auch  Nacken-  und 
Rückensteifigkeit.  Krämpfe  nicht  schmerzhaft,  aber  unangenehm 
ziehend.  Fühlt  sich  im  allgemeinen  nicht  schwer  krank.  Schwitzt 
bei  der  Aufnahme  sehr  reichlich,  besonders  im  Gesicht.  Etwas  starre 
Gesichtszüge.  Starker  Trismus:  Mundöffnen  kaum  möglich.  Lid¬ 
spalten  eng.  Kopf  nach  hinten  gebeugt.  Ausgesprochener  Opistho¬ 
tonus.  Bauchdecken  gespannt,  Bauchdeckenreflexe  nicht  auslösbar. 
Extremitätenreflexe  in  mittlerer  Stärke  vorhanden:  ihre  Auslösung 
ruft  keine  Krämpfe  hervor.  Auch  heftige  Geräusche  und  Erschütte¬ 
rungen  verursachen  keine  Krämpfe.  Auffallend  lebhafte  Dermo- 
graphie,  jedoch  nicht  von  urtikariellem  Charakter.  Während  der 
Untersuchung  zuweilen  krampfartige  Verstärkung  der  Rücken¬ 
spannung. 

An  den  Grundgliedern  des  rechten  2.  und  3.  Fingers  ausgedehnte, 
schmierig  aussehende  Quetschwunde  mit  Knochenbruch.  Exartikula¬ 
tion  beider  betroffenen  Finger  im  gesunden  Grundgelenk. 

(Sonstige  Therapie  s.  Kurve.) 


27.  IX.  Temperaturanstieg.  Muss  katheterisiert  werden. 
Abends  vermehrte  Krämpfe,  auch  der  Respirationsmuskulatur. 
Schwerstes  Allgemeinbild.  Nachts  kein  Schlaf.  Später  weniger 
Krämpfe,  auch  Spasmen  etwas  vermindert. 

Nach  2  Tagen,  in  denen  der  Zustand  im  ganzen  gleich  schwer 
blieb,  am 

30.  IX.  Verschlimmerung:  mehr  Krämpfe. 

3.  X.  Nach  vorübergehender  Besserung  wieder  mehr  Krämpfe 
bei  sonst  leidlichem  Wohlbefinden.  Wunde  sieht  gut  aus.  Serum¬ 
exanthem.  Herpes  labialis. 

4.  X.  Viel  leichtere  Reflexkrämpfe. 

5.  X.  Starker  Krampf,  vermehrter  Muskeltonus.  Mundöffnen 
nicht  möglich.  Künstliche  Ernährung. 

6.  X.  Weiter  erhebliche  Steifigkeit,  viel  Krämpfe,  auf  Magnes. 

sulf.  weniger. 

..  7.  X.  Reichlich  Erbrechen,  elendes  Allgemeinbefinden.  Viel 
Krämpfe,  wieder  starkes  flüchtiges  Serumexanthem. 

8.  X.  Schläft  viel,  sehr  matt,  weniger  Krämpfe. 

9.  X.  Fühlt  sich  weiter  matt.  Erbrechen,  neues  Exanthem. 

10.  X.  Erhält  kein  Antitoxin  mehr.  Kein  Erbrechen  mehr,  nimmt 
flüssige  Nahrung  zu  sich.  Ausserdem  Nährklystier. 

12.  X.  Keine  Krämpfe.  Trismus  vermehrt.  Nach  wie  vor  Mat¬ 
tigkeit.  Starke  Verschleimung.  Ueber  den  Lungen  verstreut  Rassel¬ 
geräusche,  1.  h.  u.  klingend  bei  verschärftem  Atmen. 

14.  X.  Fühlt  sich  wohier.  Auch  im  rechten  Unterlappen  Verdich¬ 
tung:  Schallabschwächung,  verschärftes  Atmen. 

15.  X.  Atmung  freier.  Keine  Krämpfe.  Nur  noch  geringe 
Nacken-  und  Rückensteifigkeit.  Trismus  nicht  weiter  gebessert. 
Bekommt  täglicli  Nährklystiere  (teilweise  als  Tropfklysticr). 
Hydrotherapie.  Reichlich  Kampfer. 


19.  X.  Beiderseits  hinten  unten  deutliche  Verdichtungsherde 
naenwe^bar  (Dämpfung,  Bronchialatmen,  etwas  klingendes  Rasseln), 
kühlt  sich  trotzdem  wohier. 

21.  X.  Leichtere  Exspektoration.  Bis  auf  mässigen  Trismus 
keine  Tetanussymptome  mehr.  Subjektiv  erhebliche  Besserung:  hat 
guten  Appetit  und  Schlaf,  liest  und  unterhält  sich. 

26.  X.  Verdichtung  r.  h.  u.  nicht  mehr  nachweisbar.  I.  h.  u. 
zurückgegangen;  weniger  Rasselgeräusche.  Kein  Auswurf  mehr. 

2.  XI.  Bis  auf  wenig  Rasseln  keine  Lungenerscheinungen  mehr, 
tntfiebert,  steht  auf,  fühlt  sich  sehr  wohl.  Trismus  nur  noch  an¬ 
gedeutet. 

Zusammenfassung:  Der  Kranke  kam  erst  am  2.  Krank¬ 
heitstage  in  Behandlung  und  bot  etwa  14  Tage  lang  ein  sich  rasch 
steigerndes,  nur  mit  kurzen  Remissionen  einhergehendes  ausser¬ 
ordentlich  schweres  Krankheitsbild.  Durch  diese  schnell  ausgeprägte 
Schwere  des  Zustandes  veranlasst,  gaben  wir  von  Anfang  an  beson¬ 
ders  hohe  Antitoxindosen  (in  den  ersten  3  Tagen  1750  AE.)  und  setzten 
die  Serumbehandlung  so  lange  fort,  bis  eine  deutliche  Besserung 
einzusetzen  begann,  und  auch  das  häufige  Erbrechen  uns  veranlasste, 
zurückhaltender  zu  sein.  Dass  das  Erbrechen  mit  dem  Antitoxin  in 
Zusammenhang  stand,  wird  durch  dessen  sofortiges  Aufhören  nach 
Aussetzen  der  spezifischen  Behandlung  wahrscheinlich  gemacht.  Vom 
5.  bis  10.  X.  konnte  die  Ernährung  nur  künstlich  durchgeführt  werden 
(Nährklystiere,  5  proz.  Dextroselösung  intravenös,  bis  %  Liter 
pro  die). 

Wegen  der  zahlreichen  Krämpfe,  die  vom  5.  Krankheitstage  be¬ 
sonders  heftig  einsetzten,  brauchten  wir  mehr  Narkotika  als  bei  dem 
vorigen  Fall,  gingen  aber  absichtlich  nie  über  5,0  Magnesium  pro  die 
hinaus.  Die  am  17.  Krankheitstage  deutlich  werdende  und  infolge  des 
Irismus  lebenbedrohende  Bronchopneumonie  ging  glücklich  vorüber. 

Gesamtantitoxinmenge:  3800  AE. 

Fall  3  (Inkubation  6 — 7  Tage). 

17.  IX.  14.  Gewehrschuss  linker  Arm. 

26.  IX.  Aufnahme  in  die  Klinik. 

Seit  gestern  abend  Schluckbeschwerden.  Seit  heute  Nacht  hef¬ 
tige  Schmerzen  im  Rücken,  so  dass  Pat.  kaum  gehen  kann.  Von  Zeit 
zu  Zejt  schmerzhafte,  krampfartige  Verstärkung  der  Rückenspannung. 

Seit  heute  Morgen  Erschwerung  der  Mundöffnung,  kann  die 
krampfhaft  gekrümmten  Finger  der  linken  Hand  nicht  auseinander 
bringen  (seit  23.  IX.).  Schwitzt  stark  bei  der  Aufnahme.  Kopf 
steif  nach  hinten  gebeugt,  enge  Lidspalte,  etwas  starrer  Gesichts¬ 
ausdruck.  Ausgeprägter  Trismus  und  Opisthotonus.  Starke  Spasmen 
im  ganzen  linken  Arm.  Finger  zusammengekrallt  (bei  gestrecktem 
Grundglied).  Die  anderen  3  Extremitäten  frei  von  Muskelspannung. 
Bauchdecken  hart.  Sehnen  und  Periostreflexe  ziemlich  lebhaft,  ausser 
am  linken  Arm.  Bauchdeckenreflexe  beiderseits  vorhanden.  Pupillen 
ziemlich  weit,  reagieren  träge.  Reflexprüfung  macht  keine  Krämpfe, 
doch  treten  mässige  Rücken-  und  Nackenkrämpfe  bei  Erschütterung 
des  Bettes  ein.  Atmung  flach,  aber  regelmässig.  Puls  etwas  be¬ 
schleunigt,  sonst  o.  B. 

An  der  Beugeseite  des  linken  Unterarmes  gut  aussehende  Ein- 
und  Ausschusswunde. 

(Therapie  s.  Kurve.) 


27.  IX.  Muss  katheterisiert  werden.  Abends  mehr  Krämpfe, 
auch  Atemkrämpfe.  Bekommt  Magnes.  sulf.  (s.  Kurve). 

28.  IX.  Nachts  keine  Krämpfe,  kein  Schlaf.  Fühlt  sich  etwas 
besser.  Spasmen  im  linken  Arm  zeitweise  aufgehoben. 

29.  IX.  Schmerzen  im  linken  Arm.  dessen  Reflexerregbarkeit 
herabgesetzt  ist.  Mässig  starke  und  häufige  Krämpfe. 

30.  IX.  Auf  mehrfache  warme  Armbäder  Besserung  der  Arm¬ 
beschwerden. 

2.  X.  Leichte  dekubitale  Erosion  über  dem  Steissbein.  Seit 
gestern  rektal  und  intravenös  Kochsalzlösung. 


2420 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  51. 


3.  X.  Unruhig.  Zeitweises  Schreien  und  Desorientiertheit. 
Nacli  der  (ohne  Narkose  vorgenommenen)  Lumbalpunktion  schwerer 
Kollaps:  Pulslosigkeit,  Atemstillstand.  Herztöne  nicht  hörbar. 
Haut  blass.  Auf  Herzmassage,  künstliche  Atmung,  Sauerstoffinhala¬ 
tion  und  0,4  Koffein  subkutan  bald  völlige  Erholung. 

6.  X.  Besserung.  Seit  gestern  ruhiger.  Weniger  Krämpfe. 
Im  linken  Arm  und  Hand  weiter  Spasmen.  Seit  gestern  kein  Anti¬ 
toxin  mehr. 

13.  X.  Andauernd  gutes  Befinden,  guter  Appetit. 

19.  X.  Bis  auf  Steifigkeit  des  verwundeten  Armes  keine  Muskel¬ 
spannung  mehr.  Fühlt  sich  sehr  wohl. 

3.  XI.  Wunden  fast  geheilt.  Bis  auf  geringe  Behinderung  der 
Armbeugung  keinerlei  Tetanussymptome  mehr. 

Steht  seit  3  Tagen  auf. 

Zusammenfassung:  Hier  begegnen  wir  zum  1.  Male  der 
Tatsache,  dass  der  lokale  Tetanus  dem  allgemeinen  vorausging,  der 
ausserdem  ungewöhnlicher  Weise  vor  dem  Trismus  schon  in  Schluck¬ 
beschwerden  und  Rückenspannung  zum  Ausdruck  kam.  Mit  dem 
dann  bald  aufgetretenen  Trismus  war  bereits  das  Bild  des  Tetanus 
mit  schwerstem  Allgemeinbefinden  voll  ausgeprägt.  Nach  einer 
vVoche  war  die  Besserung  so  ausgesprochen,  dass  wir  zunächst  auf 
eine  kleine  Antitoxindose  herabgingen.  Nachdem  der  weitere  Ver¬ 
lauf  dann  noch  durch  einen  akuten  Verworrenheitszustand  (der 
schnell  restlos  vorüberging),  sowie  durch  einen  schweren  Kollaps, 
der  an  eine  Lumbalpunktion  sich  anschloss,  unterbrochen  war,  er¬ 
folgte  ziemlich  schnelles  Abklingen  der  Krankheit  bis  auf  den  lokalen 
Tetanus  des  verwundeten  Armes,  der  nur  sehr  allmählich  zur  Lösung 
kam.  Gesamtmenge  des  Antitoxins:  3040  AE. 

11.  Mittelschwerer  Fall. 

Fall  4  (Inkubation:  9  Tage). 

18.  IX.  14.  Gewehrschussverletzung  am  linken  Unterarm. 
(Querschläger?) 

28.  IX.  14.  Aufnahme  in  die  Klinik.  Seit  gestern  früh  Behinde¬ 
rung  der  Mundöffnung.  Bei  der  Aufnahme  gutes  Allgemeinbefinden, 
doch  etwas  leidender  Gesichtsausdruck.  Trismus  mässigen  Grades. 
Keine  Nackensteifigkeit,  kein  Opisthotonus.  Hals-  und  Rumpf¬ 
bewegungen  völlig  unbehindert.  Bauchdecken  weich,  keine  Krämpfe. 
An  der  Beugeseite  des  linken  Unterarmes  2  grosse,  durch  breiten 
Kanal  verbundene  Schusswunden,  sehr  übelriechend,  enthalten  viel 
schmierig-nekrotische  Fetzen.  (Therapie  s.  Kurve.)  Nachmittags 


treten  leichte  Kreuzschmerzen  auf,  ebenso  starke  Uebelkeit  mit  hefti¬ 
gem  Erbrechen.  Temperaturanstieg. 

29.  IX.  Heute  ausgesprochenes  Bild  des  Tetanus:  Kopf  tief  in 
die  Kissen  gebohrt,  Nackensteifigkeit.  Starker  Trismus.  Bauch¬ 
decken  gespannt.  Lebhafte  Periost-  und  Sehnenreflexe.  Harnver¬ 
haltung;  Katheter.  Seit  heute  Nacht  kein  Erbrechen  mehr. 

30.  IX.  Mässig  zahlreiche,  nicht  sehr  intensive  Krampfanfälle. 

3.  X.  Fühlt  sich  wohler.  Muss  dauernd  katheterisiert  werden. 

5.  X.  Wieder  mehr  „Zuckungen“  (Rückenkrämpfe).  Warmes 
Bad  wohltuend  empfunden. 

6.  X.  Besserung.  Nach  intravenöser  Seruminjektion  plötzlich 
heftiger  Blutandrang  zum  Kopf.  Schwindel,  Beängstigungsgefühl. 
Atemnot.  Schnelle  Erholung. 

13.  X.  Fortschreitende  Besserung.  Nur  selten  noch  etwas 
„Zucken“. 

15./16.  X.  Geringe  Temperatursteigerung  mit  Schulterschmer¬ 
zen  ohne  objektiven  Befund. 

21.  X.  Wiederum  Temperatursteigerung  (38°).  Allgemeines  Un¬ 
behagen.  Beiderseits  mässige,  etwas  schmerzhafte  Leistendrüsen¬ 
schwellung.  Sonst  kein  krankhafter  Befund. 

26.  X.  Schwellung  der  Leistendrüsen  geschwunden.  Unregel¬ 
mässige  Temperaturkurve  mit  subfebrilen  Zacken.  Wunde  heilt  sehr 
gut. 

31.  X.  Beiderseits  Schmerzhaftigkeit  der  Wadenmuskulatur  und 
Hypästhesie  der  darüber  gelegenen  Haut.  Temperatursteigerung 
bis  38,2. 


5.  XI.  Entfiebert.  Keinerlei  Beschwerden  mehr.  Keine  Tetanus¬ 
symptome.  Steht  heute  auf.  Wunde  in  guter  Heilung. 

Zusammenfassung:  Auch  hier  schnelles  Fortschreiten  des 
Tetanus,  aber  mit  weniger  Krampfanfällen  als  bei  den  vorhergehenden 
Fällen.  Nach  6  Tagen  Besserung,  die  dann  nach  kurzem  Rückfall  an¬ 
hielt.  Dieser  veranlasste  uns  zu  erneuter  intralumbaler  Serumdar¬ 
reichung.  Am  6.  X.  anaphylaktischer  Anfall,  trotzdem  am  nächsten 
Tage  noch  einmal  Serum.  16,2  g  Phenol  (innerhalb  12  Tagen)  wur¬ 
den  anstandlos  vertragen.  Wegen  des  leichteren  Zustandes  brauchten 
wir  weniger  Narkotika  und  kein  Magnesium. 

Gesamtmenge  des  Antitoxins:  2350  AE. 

Mit  der  hier  durch  einige  wenige  Beispiele  belegten  Therapie 
haben  wir,  wie  schon  erwähnt,  bisher  32  Fälle  behandelt.  Von 
diesen  32  Kranken  sind  22  genesen.  Dieses  relativ 
günstige  Ergebnis  scheint  uns  im  wesentlichen  auf  die  grossen 
Antitoxingaben  in  Verbindung  mit  der  Narkosetherapie  zurück¬ 
geführt  werden  zu  dürfen. 

Die  Grösse  der  Antitoxin  gäbe  richtete  sich 
nach  der  Schwere  des  Falles,  wie  aus  folgender  Ta¬ 
belle  2  zu  ersehen  ist,  welche  die  im  Durchschnitt  für  den  Ein¬ 
zelfall  verbrauchten  Dosen  für  die  schwereren  (bis  zu  9  Tagen 
Inkubation)  und  meist  leichteren  Fälle  (10  und  mehr  Tage  In¬ 
kubation)  gesondert  angibt. 


Tabelle  2. 


— 

Gesamt 

Davon 

Die  Ueberlebenden 

Im  Durchschnitt  erhielt 
der  einzelne  Ueber- 
lebende  AE. 

Inkubationszeit 

zahl 

t 

Ge¬ 

heilt 

erhielten  AE. 

6—9  Tage 

15 

9 

6 

180O-3S00 

2742 

10-24  Tage*) 

16 

1 

15 

360  -  2250 

1018 

*)  In  einem  leichteren  Falle  (Zivilist  ohne  sichtbare  Wunde)  war  die  Inkubationszeit 
nicht  zu  ermitteln. 


Unsere  10  Todesfälle  bedürfen  noch  einer  kurzen  epikriti¬ 
schen  Betrachtung.  Es  handelte  sich  durchweg  um  sehr 
schwere  Fälle  mit  kurzer  Inkubationszeit  (meist  6 — 7,  nur  je 
einmal  8  und  9  .und  11  Tage). 

Für  die  Frage  der  Antitoxin-Ueberschwemmungsbehand- 
lung  kommen  nur  8  Fälle  in  Betracht,  da  die  beiden  anderen 
in  den  Beginn  unserer  Tetanusbeobachtungen  fielen  und  wir 
damals  nur  relativ  geringe  Antitoxingaben  verabfolgten  (200 
bzw.  300  AE.  im  ganzen). 

Von  den  8  mit  grossen  Antitoxinmengen  Behandelten  ge¬ 
hörten  5  jener  Gruppe  foudroyanter  Fälle  an,  die  unter 
raschem  Verfall  in  kurzer  Zeit  (2 —  4  Tage  nach  Beginn  der 
Erscheinungen)  sterben;  Fälle,  bei  denen  wahrscheinlich  schon  ; 
beim  Ausbruch  der  Erkrankung  die  letale  Dosis  im  Nerven¬ 
system  gebunden  ist. 

Zwei  Patienten  befanden  sich  schon  auf  dem  Wege  der 
Besserung.  Der  eine  starb  an  einer  komplizierenden  doppel¬ 
seitigen  Bronchopneumonie  am  10.  Tage,  der  andere  aus  rela¬ 
tivem  Wohlbefinden  an  einem  an  Zungenbiss  sich  anschliessen¬ 
den  Atemkrampf.  Der  letzte  Todesfall  betrifft  einen  Patienten 
mit  11  Tagen  Inkubation  und  zunächst  leichtem  Krankheitsbild. 
Der  bis  dahin  nicht  spezifisch  behandelte  Kranke  kam  erst 
am  8.  (!)  Krankheitstage  in  schwerem  Zustand  in  die  Klinik 
und  starb  6  Tage  später.  Dass  der  einzige  Todesfall  aus  der 
prognostisch  günstigeren  Gruppe  (über  9  Tage  Inkubation)  ; 
einen  Patienten  betrifft,  der  7  Tage  nach  Beginn  des  Tetanus  . 
ohne  spezifische  Behandlung  blieb,  scheint  uns  für  die  Be¬ 
urteilung  der  Antitoxinbehandlung  nicht  unwichtig. 


Aus  den  Feldlazaretten  des  VII.  Reservekorps. 

Zur  Prognose  und  Behandlung  der  Schädelschüsse. 

Von  Dr.  Hancken,  Oberarzt  beim  berat.  Chirurgen  General¬ 
oberarzt  Prof.  Dr.  Rotter. 

Bis  zur  Beendigung  dieser  Statistik,  welche  fortgesetzt 
werden  wird,  wurden  105  Schussverletzungen  des  Schädels 
in  den  vier  Feldlazaretten  des  VII.  Reservekorps  Nr.  33,  34,  35 
und  36  beobachtet.  Die  folgende  kurze  Uebersicht  möge  zur 
Orientierung  dienen. 

1.  Weichteilschüsse:  9  Fälle,  ohne  Operation,  geheilt. 

2.  Knochenschüsse  ohne  Hirnverletzung:  6  Fälle, 
alle  operiert,  kein  Todesfall. 

3.  Tangentiale  Verletzung  des  Gehirns:  Kon¬ 
servativ  behandelt:  10  Fälle,  5  Todesfälle;  früh- 


22.  Dezember  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


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operiert:  10  Fälle,  1  Todesfall;  spätoperiert:  5  Fälle, 
2  Todesfälle. 

4.  Schüsse  in  das  Gehirn  hinein: 

a)  S  t  e  c  k  s  c  h  ü  s  s  e:  15  Fälle.  Konservativ  be¬ 

handelt:  4  Fälle,  2  Todesfälle,  1  voraussichtlich  noch 
ungünstig;  operiert:  11  Fälle,  5  Todesfälle. 

Ib)  Durchschüsse:  9  Fälle.  Konservativ  be¬ 

handelt:  6  Fälle,  3  Todesfälle;  operativ  behan¬ 
delt:  3  Fälle,  3  Todesfälle. 

c)  Als  Durch- und  Steckschüsse  nicht  trenn¬ 
bar  (Schrapnell!):  21  Fälle,  2  Operationen,  21  To¬ 
desfälle. 

1.  Die  29  reinen  Weichteilschüsse  wurden  7  mal  durch  Gewehr¬ 
schuss,  in  16  Fällen  durch  Schrapnellkugeln  und  6  mal  durch  Granat¬ 
splitter  hervorgerufen.  Einzelne  Kranke  zeigten  vorübergehend  Kom- 
motionserscheinungen,  im  übrigen  nahmen  die  Verletzungen  alle  einen 
günstigen  Verlauf,  keiner  erlag  einer  Infektion,  obwohl  teilweise 
starke  Schwellung  auftrat. 

2.  In  6  weiteren  Fällen  handelte  es  sich  um  Knochenschüsse  ohne 
Eröffnung  der  Dura.  Auch  sie  konnten  alle  nach  einigen  Tagen  in 
gutem  Zustande  abtransportiert  werden.  5  waren  durch  Schrapnell¬ 
kugeln,  1  durch  Granatsplitter  bedingt.  Bei  allen  musste  ein  opera¬ 
tiver  Eingriff  vorgenommen  werden.  Die  Knochenwunde  wurde  frei¬ 
gelegt,  die  Splitter  wurden  ausgeräumt,  die  Ränder  geglättet,  als¬ 
dann  tamponiert.  Danach  folgte  stets  ein  fieberfreier  Verlauf,  so 
dass  ich  wohl  glaube,  dass  diese  6  Fälle  alle  einen  guten  Ausgang 
genommen  haben  und  mit  der  Infektion  fertig  geworden  sind. 

3.  Wir  kommen  nun  zu  den  eigentlichen  Hirnverletzungen  und 
haben  unterschieden  die  tangentialen  Schüsse  und  die  Schüsse  in  die 
Hirnsubstanz  hinein  (Durchschüsse  und  Steckschüsse). 

Bis  zum  Abschluss  dieser  Statistik  verfügen  wir  über  25  tan¬ 
gentiale  Verletzungen  des  Gehirns.  Verursacht  wurden  sie  14  mal 
durch  Infanteriegeschoss,  7  mal  durch  Schrapnellkugeln,  3  mal  durch 
Granatschüsse. 

Unter  unserer  Behandlung  sind  8,  also  etwa  ein  Drittel,  gestor¬ 
ben.  Von  diesen  wurden  5,  als  von  vornherein  aussichtslos,  überhaupt 
nicht  operativ  angegriffen.  Meist  bestand  sehr  ausgedehnte  Hirnzer¬ 
trümmerung,  z.  T.  boten  sie  schon  bei  der  Einlieferung  das  Bild  der 
schweren  diffusen  Meningitis.  Nur  bei  dreien  von  den  8  Todesfällen 
wurde  operiert.  Eine  Frühoperation,  der  Tod  erfolgte  an  Meningitis, 
es  bestanden  ausser  der  Hirnverletzung  noch  ausgedehnte  Rücken¬ 
verletzungen.  Der  2.  Fall  wurde  erst  am  6.  Tage  nach  der  Ver¬ 
letzung  eingeliefert,  die  Allgemeininfektion  konnte  bei  der  schweren 
Hirnzertrümmerung  nicht  mehr  aufgehalten  werden.  Im  3.  Fall,  bei 
dem  wiederum  schwere  Hirnzertrümmerung  mit  Aphasie  und  Fieber 
bestand,  wurde  am  9.  Tage  nach  der  Verwundung  ein  Abszess  er¬ 
öffnet.  Der  Tod  trat  am  nächsten  Tage  an  Meningitis  ein. 

Da  die  Frage  nach  der  Behandlung  der  Hirnsdiüsse  noch  nicht 
einstimmig  beantwortet  wird,  scheint  mir  das  Resultat  der  konserva¬ 
tiv  und  chirurgisch  behandelten  Fälle  nicht  ohne  Interesse  zu  sein. 
Von  den  letzteren  muss  man  die  Frühoperierten  von  den  Spätope¬ 
rierten  abtrennen.  Da  unser  Material  aus  der  Hand  verschiedener 
vorzüglich  geschulter,  in  unseren  Feldlazaretten  tätiger  Chirurgen 
stammt,  bietet  es  interessante  Vergleichspunkte. 

Frühoperationen  wurden  bei  Tangentialschüssen  mit  Verletzung 
des  Gehirns  im  ganzen  10  ausgeführt.  Die  Kranken  kamen  meist  am 
Tage  nach  der  Verletzung  ins  Lazarett,  in  Narkose  wurde  die  Wunde 
erweitert,  das  Loch  in  der  Schädelkapsel  geglättet,  eventuelle  Im¬ 
pressionen  gehoben,  Splitter  und  Koagula  aus  dem  Gehirn  entfernt 
und  in  der  Regel  eine  Mikulicz  sehe  Beuteltamponade  ausgeführt. 
Der  Beuteltampon  blieb  beim  Verbandwechsel  in  der  Wunde  liegen. 
Von  den  so  behandelten  Fällen  ist  nur  einer,  der  bereits  oben  er¬ 
wähnt  wurde,  gestorben.  Hier  lagen  ausser  der  Hirnverletzung  noch 
ausgedehnte  Hautmuskelwunden  vor.  Die  übrigen  9  Fälle  haben  alle 
einen  wesentlich  fieberlosen  Verlauf  genommen  und  konnten  frühe¬ 
stens  nach  8—10  Tagen  in  vorsichtiger  Weise  abtransportiert  wer¬ 
den.  Ich  möchte  wohl  glauben,  dass  diese  alle  im  wesentlichen  ausser 
Gefahr  sind  und  ihrer  Genesung  entgegengehen.  Inwieweit  spätere 
Narbenstörungen  und  Defekte  zu  fürchten  sind,  lässt  sich  natürlich 
nicht  beurteilen.  Hauptsache  ist  für  den  Augenblick  die  Verhütung, 
bzw.  Ueberwindung  der  Infektion.  Dass  diese  Fälle  fast  alle  als 
wahrscheinlich  infiziert  anzusehen  sind,  geht  schon  daraus  hervor, 
dass  ausser  3  durch  Gewehrschuss  bedingten,  alle  übrigen  Artillerie¬ 
verletzungen  (1  Granatsplitter,  6  Schrapnellkugeln)  waren.  Speziell 
unsere  Erfahrungen  bei  Extremitätenschussfrakturen  haben  uns  ge¬ 
zeigt,  dass  trotz  guten  aseptischen  Verbandes  und  einwandfreier  Im¬ 
mobilisierung  doch  phlegmonöse  Prozesse  ein  schnelles  Eingreifen 
sehr  häufig  notwendig  machten.  Man  gewinnt  schon  an  dem  kleinen 
Material  den  Eindruck,  das  bei  den  Tangentialschüssen  die  Frühopera¬ 
tion  das  beste  Mittel  zur  Bekämpfung  der  Infektion  ist.  Diese 
scheint  von  vornherein  bei  Artilleriegeschossen  mehr  als  beim  In¬ 
fanteriegeschoss  zu  drohen. 

Spätoperationen  wurden  5  ausgeführt  mit  2  I odesfällen. 
Der  eine  wurde  bereits  erwähnt  (Abszesseröffnung  am  9.  Tage).  Bei 
dem  2.  Todesfall  handelte  es  sich  um  einen  Patienten,  der  lange 
draussen  gelegen  hatte  und  erst  am  6.  Tage  nach  der  Verletzung  ein¬ 
geliefert  wurde.  Die  Wunde  war  schmierig  belegt,  Eiter,  Hirn  sowie 
Knochensplitter  quollen  hervor,  es  bestand  totale  Aphasie,  der  Kranke 
starb  am  9.  Tage  nach  der  Verletzung  an  der  diffusen  Meningitis. 
Hier  konnte  also  die  Infektion  nicht  mehr  beseitigt  werden. 


Glücklicher  verlief  ein  Fall,  in  dem  ebenfalls  wegen  des  Fiebers, 
jedoch  schon  am  3.  Tage,  eingegriffen  wurde.  Hier  gingen  die  menin- 
gitischen  Symptome  allmählich  zurück. 

In  den  beiden  anderen  Fällen  bildeten  Herdsymptome  bei  an¬ 
scheinend  aseptischem  Verlauf  die  Indikation.  In  dem  ersten  Falle 
wurde  wegen  zunehmender  linksseitiger  Halbseitenlähmung  und  ein¬ 
tretender  Somnolenz  am  3.  Tage  ein  tief  eingepresstes  Knochenstück 
mit  gutem  Erfolg  (Wiederkehr  des  Bewusstseins,  nicht  vollkommener 
Rückgang  der  Lähmung)  entfernt.  Im  zweiten  Fall  handelte  es  sich 
um  geheäufte  Jacksonanfälle.  Am  6.  Tage  wurde  eine  Impression  ge¬ 
hoben,  nach  der  Operation  wurde  nur  noch  ein  Anfall  beobachtet. 

Nichtoperativ  behandelt  während  ihres  Aufenthaltes  in  den  Feld¬ 
lazaretten  wurden  10  Fälle  von  tangentialer  Hirnverletzung. 

2  Streifschüsse,  einer  an  der  Stirn  und  einer  in  der  Hinter¬ 
hauptsgegend  boten  von  vorneherein  ein  leichtes  Bild.  Es  war  offen¬ 
bar  keine  stärkere  Sprengwirkung  des  Geschosses  (Infanterie)  zu¬ 
stande  gekommen.  Ausfallserscheinungen  bestanden  nicht,  der  Ver¬ 
lauf  war  fieberlos. 

3  weitere  Fälle  waren  von  vornherein  schwer.  Es  handelt  sich 
um  je  eine  Gewehr-,  Schrapnell-  und  Granatverletzung. 

Bei  dem  Gewehrschuss  bestand  Hirnprolaps,  Lähmung  der  linken 
Körperhälfte,  jedoch  kein  Druckpuls  und  kein  Fieber. 

Der  Patient  mit  der  Granatverletzung  bot  schwere  Hirnzertrüm¬ 
merung  mit  Somnolenz. 

Bei  der  Schrapnellverletzung  bestand  Aphasie  und  rechtsseitige 
Hemiplegie.  In  den  beiden  letztgenannten  Fällen  war  der  Knochen 
ausgedehnt  zertrümmert. 

Diese  3  Fälle  besserten  sich  langsam,  doch  konnte  bei  der  Ueber- 
gabe  des  Lazaretts  Sicheres  über  die  Prognose  noch  nicht  gesagt 
werden,  jedenfalls  war  die  Heilung  keineswegs  gesichert. 

In  5  weiteren  Fällen  handelte  es  sich  um  schwere  Hirnzertrüm¬ 
merungen  mit  teilweise  multiplen  Nebenverletzungen  in  desolatem 
Zustande  mit  septischen  und  meningitischen  Symptomen.  Sie  alle 
starben  in  den  ersten  Tagen  nach  der  Verletzung. 

Die  in  diesem  Abschnitt  kurz  behandelten  Fälle  boten  natur- 
gemäss  die  verschiedensten  Hirnlokalsymptome,  z.  T.  in  seltener  Rein¬ 
heit.  Es  wurden  Hemiplegien,  Monoplegien  der  verschiedensten  Art, 
aphasische  Störungen  u.  a.  m.  beobachtet.  Ein  in  dieser  Statistik  noch 
nicht  enthaltener  Fall  bot  als  einziges  Lokalsymptom  eine  Alexie 
und  Agraphie,  ausserdem  konnte  ich  neurologisch  nur  das  Fehlen 
des  rechten  Bauchdecken-  und  Skrotalreflexes  feststellen.  Der  Fall 
mit  den  Jacksonanfällen  wurde  bereits  erwähnt. 

4.  Wohl  zu  den  traurigsten  Kapiteln  der  Kriegschirurgie  dürften 
die  Schüsse  zählen,  die  tiefergehende  Verletzungen  der  Hirnsubstanz 
setzen.  Sie  haben  eine  sehr  hohe  primäre  Mortalität,  doch  kommen 
gut  ausgehende  Fälle  vor.  Bei  der  Berechnung  der  Resultate  ist  zu 
bedenken,  dass  von  den  in  den  Kopf  Getroffenen  ein  grosser  Teil 
auf  dem  Felde  bleibt,  eine  weitere  Anzahl  auf  den  Verbandplätzen 
stirbt.  Die  gewöhnlichsten  Todesursachen  sind  dort  eben  Kopf- 
und  Bauchschüsse. 

In  den  Lazaretten  wurden  im  ganzen  45  Schüsse  in  das  Gehirn 
beobachtet,  davon  24  Gewehr-,  22  Schrapnell-  und  eine  Granat¬ 
verletzung. 

15  Fälle  können  nach  den  Aufzeichnungen  als  Steckschüsse, 
9  als  Durchschüsse  bezeichnet  werden,  bei  21  war  die  Unterschei¬ 
dung  nicht  mehr  durchführbar. 

4  a.  Von  15  Steckschüssen  wurden  4  nichtoperativ  behandelt. 
Von  diesen  nahm  einer  einen  guten  Verlauf,  es  handelte  sich  um  einen 
kleinen  Einschuss  ohne  sichtbare  Knochenzertrümmerung,  es  bestan¬ 
den  keine  Lähmungserscheinungen,  kein  Druckpuls,  der  Kranke  war 
somnolent.  Er  wurde  fieberfrei  abgegeben,  doch  dauerte  die  Be¬ 
obachtung  nur  wenige  Tage,  so  dass  über  den  endgültigen  Verlauf 
nicht  sicher  geurteilt  werden  kann. 

Von  den  3  übrigen  konservativ  behandelten  Steckschüssen 
wurde  einer  schwer  somnolent  abgegeben,  2  starben  am  2.  Tag  nach 
der  Verwundung.  Von  diesen  4  nichtoperativ  behandelten  Fällen  hat 
also  wohl  nur  einer  Aussicht  auf  Erhaltung. 

Von  11  operativ  behandelten  Fällen  starben  5.  Die  Operation 
wurde  in  ähnlicher  Weise  wie  bei  den  Tangentialschüssen  aus¬ 
geführt.  Die  Kranken  konnten  meist  bald  nach  der  Verletzung  ope¬ 
riert  werden,  nur  in  einem  der  Fälle  wurde  erst  am  4.  Tage  ein¬ 
gegriffen.  In  diesem  Falle  war  in  der  Zertrümmerungshöhle  bereits 
stinkender  Eiter,  der  Kranke  starb  einen  Tag  später  an  Meningitis. 
Die  übrigen  Fälle  starben  an  der  schweren  Hirnzertrümmerung  im 
Verein  mit  der  Infektion. 

Immerhin  nahmen  6  Fälle  bei  operativer  Behandlung  einen  zu¬ 
nächst  günstigen  Verlauf,  wenn  auch  der  Erfolg  noch  nicht  als  un¬ 
bedingt  gesichert  angesehen  werden  darf.  Ein  Fall  lag  insofern 
günstig,  als  sich  aus  der  Zertrümmerungshöhle  die  Schrapnellkugel 
mitentfernen  Hess.  Die  anderen  5  Fälle  machten  zum  Teil  von  vorne¬ 
herein  einen  schweren  Eindruck,  hatten  erhebliche  Knochen-  und 
Hirnzertrümmerungen,  Lähmungen,  ein  Fall  Krampfanfälle.  Die  Besse¬ 
rung  ging  meist  nur  langsam  vonstatten. 

4  b.  An  Durchschüssen  des  Gehirns  wurden  9  beobachtet.  Alle 
Fälle  waren  Gewehrschüsse.  3  Fälle  wurden,  alle  mit  tödlichem 
Ausgange,  operiert.  4 

Die  übrigen  6  Fälle  wurden  konservativ  behandelt.  Von  ihnen 
starben  wiederum  3  wenige  Tage  nach  der  Verletzung,  3  Fälle 
nahmen  bisher  einen  günstigen  Verlauf. 


Nr.  51. 


2422 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Im  ersten  dieser  3  Fälle  können  Zweifel  bezügl.  der  Hirnver¬ 
letzung  geltend  gemacht  werden  (Einschuss  r.  Stirnseite  nahe  Haar¬ 
grenze,  Ausschuss  1.  Mundwinkel,  Somnolenz). 

Im  2.  Fall  handelte  es  sich  um  einen  Transversalschuss,  Ein-  und 
Ausschuss  war  winzig  klein,  links  12,  rechts  8  cm  oberhalb  des 
Ohransatzes.  Beide  Augen  waren  stark  blutunterlaufen,  es  bestan¬ 
den  keine  Ausfallserscheinungen,  das  Sensorium  war  klar,  der  Ver¬ 
lauf  war  fieberlos. 

Der  3.  Fall,  ein  Offizier,  wurde  2  Tage  nach  der  Schussver¬ 
letzung  zugeführt.  Es  bestand  hohes  Fieber,  Somnolenz,  Nacken¬ 
steifigkeit,  Puls  58.  Der  Einschuss  war  rechts  am  Os  occi- 
pitale,  dreifingerbreit  hinter  dem  rechten  Ohr,  der  Ausschuss  war 
links  vierquerfingerbreit  nach  oben  vom  Os  occipitale.  Die 
rechte  Hand  war  paretisch.  Stuhl  und  Urin  Hess  der  Kranke  unter 
sich.  Am  5.  Tage  bekam  er  beim  Verbandwechsel  einen  Krampf¬ 
anfall.  Allmählich  liess  das  Fieber  nach,  das  Sensorium  wurde  frei, 
so  dass  es  dem  Patienten  jetzt,  4  Wochen  nach  der  Verletzung,  gut 
geht. 

4  c.  In  21  weiteren  Fällen  von  Schuss  in  das  Qehirn  lässt  sich 
nach  den  zurzeit  zur  Verfügung  stehenden  Aufzeichnungen  eine 
Trennung  in  Durch-  und  Steckschüsse  nicht  mehr  durchführen.  Es 
waren  alles  Schrapnellschüsse,  die  sämtlich  tödlich  endigten.  2  mal 
wurde  ohne  Erfolg  versucht,  operativ  einzugreifen. 

Zusammenfassend  kann  man,  wie  auch  schon  von  anderen 
Autoren  betont  wurde,  sagen,  dass  bei  tangentialen  Knochen¬ 
schüssen  des  Schädels  mit  und  ohne  Verletzung  des  Gehirns 
die  Frühoperation  die  besten  Heilungsaussichten  bietet. 

Bei  Steckschüssen  muss  man  sich  von  Fall  zu  Fall  ent¬ 
scheiden. 

Durchschüsse  des  Gehirns  geben  wie  die  Steckschüsse 
im  ganzen  eine  schlechte  Prognose,  es  kommen  bei  zu¬ 
wartender  Behandlung  einzelne  Fälle  zur  Heilung.  Fälle  mit 
guter  Prognose  waren  im  allgemeinen  Gewehrschüsse,  die 
Schrapnellschüsse  gaben  eine  schlechte  Voraussage. 

Zum  Schluss  erfülle  ich  eine  angenehme  Pflicht,  wenn  ich 
Herrn  Generaloberarzt  Prof.  Dr.  Rotte  r  für  die  gütige  An¬ 
regung  und  den  Aerzten  der  Feldlazarette,  besonders  den 
Operateuren  Herren  Stabsarzt  Dr.  Determann  und 
B  u  h  t  z,  den  Herren  Oberärzten  Dr.  F  1  ö  r  c  k  e  n  und 
Fenner  für  die  Ueberlassung  des  Materiales  danke. 


Aus  der  Kgl.  orthopädischen  Poliklinik  München  (Geheimrat 
Prof.  Dr.  F.  Lange). 

Mobilisation  versteifter  Gelenke. 

Von  Dr.  Schede,  Assistent. 

Seit  dem  Ablauf  des  ersten  Kriegsmonats  tritt  die  Frage 
nach  dem  Schicksal  der  verletzten  Gelenke  immer  mehr  in  den 
Vordergrund.  Die  Versteifung  irgend  eines  grösseren  Ge-  j 


Ich  greiie  aus  der  Fülle  der  Möglichkeiten  eine  Gruppe 
heraus  und  sehe  von  vornherein  von  allen  denen  ab,  wo 
knöcherne  Hindernisse  ein  operatives  Vorgehen  erheischen 
und  auch  von  denen,  wo  infektiöse  Prozesse  ernsterer  Art 
noch  nicht  oder  erst  kurz  erloschen  sind  und  eine  Mobilisation 
von  vornherein  verbieten.  Es  soll  von  der  Mobilisation  der 
durch  fibröse  Narbenstränge  versteiften  Gelenke  die  Rede  sein, 
wie  sie  im  Anschluss  an  Frakturen  oder  Schussverletzungen 
des  Gelenkes  oder  seiner  Nachbarschaft  entstehen.  Und  zwar 
von  solchen,  deren  Zustand  eine  Mobilisation  überhaupt  zu¬ 
lässt  und  ein  Wiederaufflackern  eines  infektiösen  Prozesses 
nicht  befürchten  lässt. 

Es  sei  hier  bemerkt,  dass  die  eitrige  Sekretion  der  granu¬ 
lierenden  Schusswunden,  die  durch  Knochensplitter  oder  durch 
nekrotische  Gewebsfetzen  verursacht  wird,  keine  üegen- 
anzeige  gegen  eine  spätere  Mobilisation  zu  bilden  scheint,  so¬ 
fern  sie  fieberlos  und  ohne  phlegmonöse  Erscheinungen  ver¬ 
läuft. 

Es  ist  von  alters  her  in  einer  Reihe  von  Fällen  gelungen, 
die  erwähnten  Narbenstränge  unblutig  zu  dehnen,  gedehnt  zu 
erhalten  und  so  ein  völlig  bewegliches  Gelenk  wieder  her¬ 
zustellen.  In  vielen  Fällen  jedoch  trotzen  diese  Narbenstränge 
allen  Versuchen,  sie  dauernd  zu  dehnen.  Diese  Narbenstränge 
sind  nämlich  ein  ausserordentlich  reizbares  Gewebe;  die 
Streckversuche  haben  vielleicht  eine  Zeitlang  befriedigende 
Fortschritte  gemacht,  plötzlich  aber  werden  die  Manipulationen 
immer  schmerzhafter,  die  Gelenkgegend  schwillt  und  fühlt  sich 
heiss  an,  die  ganze  Umgegend  befindet  sich  in  einem  krampf¬ 
artigen  Zustand,  die  Muskeln  wenden  alle  ihnen  gebliebene 
Energie  auf,  um  sich  gegen  jeden  Versuch  der  Bewegung  zu 
wehren.  Die  so  wertvolle  aktive  Mithilfe  des  Patienten  wird 
zum  reflektorischen  Widerstand  gegen  unsere  Bestrebungen. 
Es  wird  nötig,  den  Patienten  einige  Tage  zu  schonen,  und  in 
diesen  Tagen  geht  das  ganze  bisher  erreichte  Resultat  ver¬ 
loren.  Diese  Reizbarkeit  ist  nicht  zu  verwechseln  mit  dem 
Wiederaufflackern  eines  infektiösen  Prozesses.  Sie  ist  auch 
nach  einfachen  Frakturen  zu  beobachten  und  unterscheidet  sich 
von  der  infektiösen  Entzündung  durch  das  Ausbleiben  des 
Fiebers.  Sie  ist  individuell  sehr  verschieden,  Es  kommt  aber 
auch  darauf  an,  wie  die  Dehnungsversuche  gemacht  werden. 
Besonders  sind  es  die  Pendelapparate,  die  solche  Reizungen 
hervorrufen.  Das  wird  verständlich,  wenn  man  sich  die  Wir¬ 
kungsweise  dieser  Apparate  überlegt.  Der  Hebelarm,  an  dem 
der  eine  Gliedabschnitt  befestigt  ist,  durchläuft  zunächst  den 


Abb.  1  a.  Ellbogen  in  Beugespannung. 


Abb.  2a.  Handgelenk  in  Beugespannung. 


Abb.  3  a.  Kniegelenk  in  Beugespannung. 


Abb.  1  b.  Ellbogen  in  Streckspannung. 


Abb.  2  b  Handgelenk  in  Streckspannung. 


Abb.  3  b.  Kniegelenk  in  Streckspannung. 


lenkes  bedeutet  in  der  Regel  die  dauernde  Erwerbsbeschrän- 
kung,  oft  auch  die  Erwerbsunfähigkeit  des  Betroffenen.  Die 
rechtzeitige  Mobilisation  solcher  Gelenke  erscheint  als  eine 
Aufgabe  von  allergrösster  Wichtigkeit. 


Kreisabschnitt,  in  dem  das  Gelenk  ohnehin  schon  beweglich  ist. 
Das  hat  für  die  Therapie  keinen  wesentlichen  Wert,  denn  es 
kommt  mehr  darauf  an,  die  Grenzen  zu  erweitern  als  sich  im 
schon  vorhandenen  Spielraum  hin  und  her  zu  bewegen.  Dann 


22.  Dezember  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


2423 


aber  stösst  der  Hebelarm  gegen  die  Grenze  und  es  gibt  einen 
plötzlichen,  sehr  schmerzhaften  Ruck,  dem  die  Muskeln  durch 
sofortige  Kontraktion  begegnen.  Auf  diese  Weise  kommt  zwar 
keine  Dehnung  zustande,  sondern  vielleicht  ein  Einriss;  meist 
aber  setzt  der  Muskelreflex  schon  vor  Erreichung  der  Grenzen 
ein.  So  werden  die  Hauptfeinde  unserer  Therapie:  die  ent¬ 
zündliche  Reaktion  des  Gewebes  und  der  reflektorische 
Widerstand  der  Muskeln  gereizt,  anstatt  beruhigt.  Man  be¬ 
denke  ferner,  dass  bei  dem  jetzigen  Andrang  an  die  vor¬ 
handenen  Pendelapparate  ein  Patient  in  der  Regel  34  bis 
1  Stunde  täglich  zum  Ueben  kommt.  Dass  damit  herzlich 
wenig  erreicht  wird,  ist  selbstverständlich. 

Es  ist  daher  die  Zahl  der  Autoren  beträchtlich,  die  von  jeher 
eine  ganz  langsame  und  schonende  Dehnung,  eine  Fixation  des 
Gliedes  in  der  erreichten  Stellung  und  eine  14—  2  tägige  Ab¬ 
wechslung  zwischen  den  zwei  Extremen  empfehlen.  In  den 
Zwischenpausen  wird  aktiv  geübt,  massiert,  ein  warmes 
Bad  gegeben  und  die  Gewebe  mit  Heissluft  oder  Diathermie 
erweicht. 

Diese  Methode  wirkt  dauernd  und  dabei  sehr  schonend. 

Ihre  Technik  ist  allerdings  nicht  leicht.  Die  mechanischen 
Schwierigkeiten  der  Bewegung  eines  versteiften  Gelenkes  sind 
ausserordentlich  gross.  Der  notwendige  starke  Druck  muss 
so  angewandt  werden,  dass  er  vertragen  wird.  Er  muss  auch 
an  den  richtigen  Punkten  angreifen,  da  die  Patienten  unwill¬ 
kürlich  alle  erdenklichen  Manöver  machen,  um  dem  Druck 
auszuweichen.  Es  kommt  aber  darauf  an,  den  Druck  eine 
Zeitlang  unverrückbar  festzuhalten,  bis  die  Schmerzen  nach¬ 
lasseil  und  die  Muskeln  erschlaffen. 

Die  bisher  von  uns  verwandten  Apparate  nach  Gipsabguss 
aus  Zelluloidstahldraht  oder  Stahlschienen  mit  Lederhülse  er¬ 
füllten  ihre  Aufgabe.  Aber  für  einen  solchen  ungeheuren  Be¬ 
darf,  wie  er  jetzt  herrscht,  sind  sie  viel  zu  teuer;  ausserdem 
ist  die  Herstellungsmöglichkeit  auf  relativ  wenige  Orte  be¬ 
schränkt. 

Ich  habe  mich  nun  bemüht,  eine  Schiene  zu 
konstruieren,  die  für  jeden  passt  und  von 
einer  unbeschränkten  Zahl  von  Patienten  be¬ 
nützt  werden  kann,  die  ausserdem  billig  ist 
und  von  jedem  und  überall  leicht  gehandhabt 
werden  kann. 

Ich  glaube,  dass  die  folgende  Schiene  diesen  Ansprüchen 
gerecht  wird. 

Sie  besteht  aus  2  Paar  gelenkig  untereinander  verbundenen 
Bandeisenstreifen.  Die  Fixation  des  Armes  geschieht  durch  gepol¬ 
sterte  Auflager  aus  Blech,  die  drehbar  sind,  damit  sie  sich  gleich- 
massig  flach  anschmiegen.  Diese  3  Auflager  sind  an  den  3  Punkten 
angebracht,  die  bei  jeder  Mobilisation  gedrückt  werden  müssen:  2  an 
den  Endpunkten  der  Hebelarme  und  1  Widerlager  am  Drehpunkt. 

Der  Zug  geht  nun  nicht  von  einem  Hebelende  zum  andern,  was 
bei  stumpfwinkligen  Kontrakturen  sehr  ungünstige  Kraftverhältnisse 
ergibt  und  Verschiebungen  der  Schiene  begünstigt.  Der  Zug  geht 
vielmehr  über  einen  drehbaren  Eisenbügel,  durch  dessen  Einstellung 
jedesmal  die  beste  Zugwirkung  gefunden  werden  kann.  Eine  ein¬ 
fache  Umdrehung  des  ganzen  Apparates  um  die 
Achse  des  Armes  kehrt  seine  Wirkung  in  ihr 
Gegenteil  um.  Man  kann  also  mit  dem  gleichen 
Apparat  die  Beugung  und  die  Streckung  forcieren. 
Der  Apparat  erlaubt  eine  ausserordentliche  Kraftanwendung,  ohne 
dass  ein  schmerzhafter  Druck  entsteht.  Nach  dem  gleichen  Prinzip 
sind  die  hier  in  der  Abbildung  folgenden  Apparate  für  Handgelenk 
und  Kniegelenk  konstruiert,  die  aus  der  Abbildung  ohne  weiteres  ver¬ 
ständlich  sind. 

Die  gleichen  Schienen  werden  jetzt  für  Schulter-,  Finger-  und 
Hüftkontrakturen  konstruiert. 

Die  mit  diesen  Apparaten  im  Vereinslazarett  Poliklinik  und 
andern  Lazaretten  erzielten  Resultate  sind  sehr  befriedigend. 

Der  Preis  einer  Schiene  beträgt  8 — 11  M.  Die  Herstellung  hat 
die  Firma  Apparatebau  München,  Dachauerstr.  15,  übernommen. 


Nachbehandlung  von  Gelenkschüssen,  besonders  des 

Schultergelenks. 

Von  Dr.  med.  Fr.  J.  K  a  i  s  e  r  -  Zürich,  zurzeit  Reservelazarett 

Blankenburg  (Harz). 

Mehr  noch  wie  an  anderen  Körperteilen  ist  es  bei  den  Gelenk¬ 
schüssen  von  Wichtigkeit,  ob  es  sich  um  eine  Verletzung  mit  kleiner 
Ein-  und  Ausschussöffnung  handelt,  oder  ob  am  Ein-  und  Ausschuss 
oder  nur  am  Ausschuss  eine  grosse,  zerfetzte  Wunde  mit  ausge¬ 
dehnter  Knochen-  und  Weichteilzerstörung  vorliegt,  wie  sie  durch 


Schüsse  aus  grosser  Nähe,  durch  Ouerschläger  oder  Dumdumge¬ 
schosse  hervorgerufen  werden.  Die  zweite  Rubrik  von  Verletzungen 
wird,  wenn  ein  Gelenk  in  Mitleidenschaft  gezogen  ist,  ganz  besondere 
Anforderungen  an  das  Interesse  und  die  Aufmerksamkeit  des  Arztes 
stellen.  Mögen  hierbei  operative  Eingriffe  nötig  sein  oder  nicht,  mag 
der  Wundverlauf  ohne  oder  mit  schwerer  Infektion  vonstatten  gehen, 
stets  wird,  auch  im  günstigsten  Falle,  nach  der  Heilung  zunächst 
ein  mehr  oder  weniger  steifes  Gelenk  Zurückbleiben.  Hier  wird  der 
Arzt  ohne  weiteres  durch  systematische  mechanotherapeutische 
Massnahmen  die  Beweglichkeit  im  Gelenk  wieder  herzustellen  suchen 
und  in  sehr  vielen  Fällen  dieses  Ziel  mehr  oder  weniger  erreichen. 

Anders  bei  der  ersten  Kategorie,  wo  bei  kleinem  Ein-  und 
Ausschuss  die  Weichteile  und  selbst  der  Knochen  ohne  grössere  Zer¬ 
störung  durchschlagen  werden;  w'o  wir  in  den  allermeisten  Fällen 
einen  aseptischen  Wundverlauf  zu  erwarten  haben  und  dement¬ 
sprechend  die  Wunde  in  relativ  kurzer  Zeit  heilt.  Bei  den  Ge¬ 
lenken  ist,  im  Gegensatz  zu  den  Schussverletzungen  an  anderen 
Körperteilen,  mit  der  Heilung  der  Wunde  die  Behandlung  nicht  be¬ 
endet.  Wir  haben  das  funktionelle  Resultat  zu  prüfen  und  auf  dieses 
unser  Augenmerk  zu  richten,  auch  schon  während  der  Behandlung. 
Bei  den  meisten  Gelenken  des  Körpers  ist  es,  bei  einfacher,  aseptisch 
verlaufender  Schussverletzung,  bei  rechtzeitigem  Beginn  aktiver  und 
passiver  Bewegungsubungen  meist  leicht,  ein  volles  Resultat  zu  er¬ 
zielen. 

Eine  Ausnahme  macht  das  Schultergelenk,  das  allseitig  beweg¬ 
lich  mit  dem  Gürtel  der  oberen  Extremität  verbunden,  dieser  selbst 
aber  wieder  am  Rumpf  ausgiebig  beweglich  ist.  Hier  wird  auch 
beim  besten  Willen  des  Patienten,  das  Gelenk  zu  bewegen,  dieses 
dadurch  unmöglich,  dass  infolge  der  Schmerzhaftigkeit  der  durch¬ 
schossenen  Schultermuskulatur  der  Kranke  reflektorisch  durch  Mus¬ 
kelspannung  den  Oberarm  im  Schultergelenk  feststellt,  und  bei  Be¬ 
wegungen  die  Skapula  mitgeht.  Dementsprechend  sieht  man  bei 
aktivem  seitlichem  Heben  des  kranken  Armes  das  Schulterblatt  von 
Anfang  an  mitgehen;  und  infolgedessen  ist  ein  senkrechtes  Hoch¬ 
heben  des  Armes  unmöglich.  Da  also  auch  bei  fixierter  Skapula  der 
Arm  ziemlich  ausgiebig,  jedenfalls  bis  zur  Horizontalen,  bewegt  wer¬ 
den  kann,  kann  der  Defekt  umso  leichter  übersehen  werden,  zumal 
der  Kranke  häufig  länger  als  nötig  den  Arm  in  einer  Mitella  trägt. 
Die  Schultergelenkschüsse  sind  von  allen  Gelenkschüssen  wohl  die 
häufigsten,  wie  das  ja  die  Lage  des  Soldaten  im  Schützengraben 
ergibt.  Der  Schuss  durchbohrt  das  Gelenk  meist  in  der  Richtung  von 
vorn  oben  nach  hinten  unten,  sehr  oft  noch  auf  dem  Rücken  eine 
Streifst  husswunde  erzeugend. 

Bei  allen  anderen  Körpergelenken  sind  aktive  Bewegungsübungen 
leicht  durchführbar,  da  die  Gelenke  meist  geringere  normale  Be- 
wegungsmöglichkeit  besitzen  und  die  Beweglichkeit  sich  meist  schon 
von  selbst  bessert  in  dem  Bestreben  des  Kranken,  das  Gelenk  wieder 
zu  gebrauchen.  Anders,  wie  gesagt,  beim  Schultergelenk.  Hier 
müssen  wir  durch  passive  Bewegungsübungen  nachhelfen.  Diese 
führen  wir  am  besten  in  der  Art  aus,  dass  der  Arzt  sich  hinter 
den  Kranken  stellt  und  z.  B.  bei  rechtseitiger  Erkrankung  mit  der 
linken  Hand  den  unteren  Skapulawinkel  bei  gesenktem,  schlaff  herab¬ 
hängendem  Arm  derart  umfasst,  dass  der  Daumen  auf  die  Aussen- 
seite  zu  liegen  kommt,  die  übrigen  Finger  von  der  medialen  Seite  her 
den  Innenrand  der  Skapula  umgreifen  und  sich  in  einer  Hautfalte  auf 
der  Hinterseite  zwischen  Schulterblattunterfläche  und  Thoraxwand 
einschieben.  Mit  der  zweiten,  rechten  Hand  drückt  man  von  oben  fest 
gegen  die  obere  Kante  und  die  Gräte  des  Schulterblattes.  Eine 
zweite  Person  führt  nun  mit  dem  kranken  Arm  systematische  Be¬ 
wegungsübungen  aus.  Ist  die  linke  Schulter  die  kranke,  so  ist  die 
ganze  Anordnung  die  umgekehrte.  Finden  sich  noch  anderweitige 
Verletzungen  (Streifung  des  Rückens  durch  das  Geschoss  etc.),  so  ist 
man  zur  Schonung  dieser  Wunden  natürlich  zur  Modifikation  beim 
Fixieren  des  Schulterblattes  genötigt1). 

Man  beginnt  diese  passiven  Bewegungen  etwa  10—14  Tage  nach 
der  Verletzung,  um  bis  dahin  der  Muskulatur  und  dem  Uelenk  Zeit 
zu  lassen,  den  ersten  entzündlichen  Reiz  und  eine  ev.  leichte  Infektion 
zu  überwinden.  Zunächst  schonend,  unter  Kontrolle  der  Temperatur 
und  der  nachfolgenden  Schmerzen.  Gegebenenfalls  stellt  man  nach¬ 
her  zunächst  wieder  für  einige  Tage  das  Gelenk  ruhig  und  beginnt 
dann  von  neuem.  Die  Uebungen  werden  täglich  vorgenommen  und 
brauchen  nur  kurze  Zeit  zu  dauern.  Man  wird  zunächst  weiches 
Krepitieren  und  Knurbeln  im  Gelenk  fühlen,  ähnlich  wie  bei  defor¬ 
mierender  Arthritis.  Dieses  bessert  sich  aber  schnell,  die  Schmerzen 
nehmen  ab.  Zusehends  bessert  sich  auch  die  aktive  Beweglichkeit 
im  S  c  h  u  1 1  e  r  g  e  1  e  n  k  selbst.  Das  funktionelle  Resultat  ist 
bei  den  einfachen,  sog.  aseptischen  Schusswunden  ein  ausgezeichnetes. 


)  Für  die  Bewegungsübungen  des  Schultergelenks  sind  ausser¬ 
dem  eine  Menge  Methoden  im  Gebrauch.  Bei  den  meisten  führt  der 
Kranke  diese  Uebungen  selbst  aus,  indem  er  entweder  direkt  mit  der 
gesunden  Hand  den  kranken  Arm  fasst  und  hochhebt  oder  indirekt 
mittels  eines  Stabes  oder  einer  über  eine  Rolle  geführten  Schnur  in 
die  Höhe  zieht.  Ganz  abgesehen  davon,  dass  sie  weniger  wirksam 
sind,  sind  wir  von  dem  guten  Willen  des  Patienten  zu  sehr  abhängig. 
—  Die  für  diese  Zwecke  im  Gebrauch  befindlichen  Apparate,  die  das 
Schulterblatt  feststellen  sollen,  während  der  Arm  bewegt  wird, 
sind  in  ihrer  Wirkung  sehr  unsicher  und  wohl  auch  nur  den  wenig3 
sten  Kranken  zugänglich. 


2424 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  51. 


Wenn  es  sich  hier  auch  eigentlich  nur  um  Wiederholung  be¬ 
kannter  Tatsachen  handelt,  scheint  es  mir  bei  der  Häufigkeit  der 
Schnltergclenkschiisse  doch  wichtig  genug,  noch  einmal  hierauf  hin¬ 
zuweisen. 


Zur  Behandlung  grosser  Weichteilverletzungen. 

Von  Dr.  Arthur  M  u  e  1 1  e  r  -  München. 

M.  H.l  Jeder  von  uns,  der  in  diesem  Kriege  zum  ersten 
Male  Gelegenheit  gehabt  hat,  die  Wirkung  der  modernen 
Feuerwaffen  an  den  Verwundeten  zu  beobachten  und  zu  be¬ 
handeln,  wird  zunächst  entsetzt  gewesen  sein  über  die  ko¬ 
lossalen  Weichteildefekte,  die  durch  Granatsplitter  bewirkt 
werden  können.  Und  hierbei  müssen  wir  uns  noch  vergegen¬ 
wärtigen,  dass  die  schlimmsten  derartigen  Verletzungen, 
welche  durch  Blutverlust  sofort  zum  Tode  führen  und  die¬ 
jenigen,  welche  durch  Blut¬ 
verlust  und  Infektion  das  Ende 
in  kürzester  Zeit  herbeiführen, 
überhaupt  nicht  in  das  Hinter¬ 
land  zu  uns  kommen.  Immer¬ 
hin  haben  wir  nicht  selten 
Gelegenheit,  furchtbare  Zer¬ 
störungen  auch  hier  zu  be¬ 
handeln. 

Eine  Anzahl  solcher  Fälle 
hat  S.  K-  H.  Prinz  Ludwig 
Ferdinand  soeben  im  Bilde 
demonstriert.  Bei  denjenigen 
dieser  grossen  Weichteilver¬ 
letzungen,  bei  denen  Blutver¬ 
lust,  Schock  und  Infektion 
glücklich  überwunden  werden, 
pflegt  sich  ein  sehr  langes 
Krankenlager  anzuschliessen, 
bis  die  tiefen,  oft  faustgrossen 
und  grösseren  Muskel-  und 
Bindegewebsverluste  ver¬ 
narbt  und  überhäutet  sind. 
Der  elastische  Zug  der  Haut 
und  des  Unterhautzellgewebes  wirkt  dem  Bestreben  des 
Narbenzuges  nach  Verkleinerung  entgegen.  So  muss 
Jedem,  der  solche  Wunden  behandelt,  das  Bedürfnis  sich 
aufdrängen,  den  Schluss  dieser  grossen  Wundhöhlen  zu  be¬ 
schleunigen.  In  günstig  gelagerten  Fällen,  wenn  die  Längs¬ 
richtung  und  Tiefe  der  Wunde  der  Breite  gegenüber 
wesentlich  überwiegen,  so  dass  die  Wunde  einer  Hiebwunde 

ähnelt,  kann  man  bis¬ 
weilen  durch  quer  zur 
Wunde  gelegte  Heft¬ 
pflasterstreifen  schon 
frühzeitig  die  Wundränder 
einander  nähern  und  spä¬ 
ter  mit  Sekundärnaht  die¬ 
selben  vereinigen.  Dies 
geht  besonders  häufig  an 
der  oberen  Extremität,  wo 
es  mir  z.  B.  in  einem 
Falle  gelang,  eine  bis  auf 
den  Knochen  reichende 
schnittartige  Granatsplit¬ 
terverletzung  nur  mit  zir¬ 
kulären  Heftpflasterstrei¬ 
fen  zu  fast  linearer  Hei¬ 
lung  zu  bringen.  Bei  den 
entgegengesetzten  Fällen, 
in  welchen  sich  nur  eine  Abschürfung  oder  eine  im  Verhältnis 
zur  Breite  und  Länge  der  Wunde  geringe  Tiefenwirkung  findet, 
wird  man  die  Ueberhäutung  vom  Rande  abwarten  oder  zur 
Transplantation  seine  Zuflucht  nehmen  müssen.  Findet  sich  ein 
tiefgehender  und  breiter  Substanzverlust,  dann  sind  diese  Me¬ 
thoden  erst  spät  anwendbar  und  man  muss  den  langwierigen 
Verlauf  mit  tiefer  Narbenbildung  abwarten.  Bei  einzelnen, 
günstig  gelagerten  Fällen  kann  man  die  Verheilung  durch 


dicke,  gestielte  Lappenbildung  zu  beschleunigen  suchen.  Dies 
sind  aber  grosse  Eingriffe,  zu  denen  man  sich  bei  den  meist 
geschwächten  Patienten  schwer  entschliesst.  So  liegt  es  wohl 
nahe,  dass  man  sich  bemüht,  bei  diesen  grossen  Weichteil¬ 
verletzungen  die  Wundränder  einander  möglichst  bald  zu 
nähern  und  die  Narbenbildung  möglichst  klein  und  den 
Heilungsprozess  möglichst  kurz  zu  gestalten. 

Als  ich  die  Abteilung  IV  im  Reservelazarett  Marsfeldschulc 
übernahm,  fand  ich  besonders  bei  den  französischen  Ver¬ 
wundeten  eine  grössere  Anzahl  solcher  schwerer  Ver¬ 
letzungen.  Bei  einem  der  Kranken  war  durch  einen  grossen 
Granatsplitter  das  Kreuzbein  so  gequetscht,  dass  ich  sofort 
von  der  Mitte  des  Gesässes  eine  abgetorbene  Masse  von  der 
Fläche  und  Dicke  einer  sehr  grossen  Hand  abtragen  konnte. 
Bei  einem  anderen  Franzosen  war  oberhalb  der  Kniekehle  in 
der  Länge  von  etwa  12  cm  und  Breite  von  etwa  10  cm  Haut- 
und  Unterhautfettgewebe  weggerissen;  ein  dritter  hatte  einen 
über  handgrossen  Defekt  über  dem  linken  Schulterblatt,  aus 
welchem  sich  Splitter  des  Schulterblattes  abstiessen.  Auch 
bei  den  deutschen  Verwundeten  fanden  sich  ähnliche  aus¬ 
gedehnte  und  tiefe  Verletzungen.  So  kam  mit  dem  letzten 
Transport  eine  Gesässverletzung  ähnlich  wie  bei  dem  Fran¬ 
zosen,  aber  zum  Glück  nicht  von  dieser  kolossalen  Aus¬ 
dehnung.  Auch  grosse.  Substanzverletzungen  an  Schulter, 
Rücken,  Oberschenkel  und  Unterschenkel  wurden  beobachtet. 
Um  die  Heilung  derselben  zu  beschleunigen  und  die  Wund¬ 
ränder  von  Anfang  an  möglichst  einander  zu  nähern,  verwende 
ich  den  elastischen  Zug.  Ich  lasse  Haken-  oder  Haftenbänder, 
wie  man  sie  fertig  in  Weisswarengeschäften  kauft,  auf  ca.  5  cm 
breites  Leukoplast  aufnähen.  An  diesen  Bändern  sind  in  etwa 
2  cm  Entfernung  Haken  und  Oesen  abwechselnd  befestigt. 

Diese  Bänder  klebe  ich  am  Rande  der  Wunde,  der  grössten 
Längsausdehnung  derselben  entsprechend,  auf;  durch  die 
Oesen  werden  dünne  Gummiringe  geschlungen,  wie  sie  zum 
Verschnüren  von  Paketen  benutzt  werden. 

Nachdem  die  Wunde  wie  üblich  behandelt  und  mit  Gaze 
bedeckt  ist,  werden  die  Gummiringe  über  die  Haken  an  der 
entgegengesetzten  Seite  mit  beliebig  starkem  Zuge  befestigt. 
Hat  die  Wunde  einen  unregelmässigen  Umfang,  so  kann  man 
durch  Einkerben  des  Leukoplastes  demselben  folgen.  Wir 
haben  den  Eindruck  gehabt,  dass  der  Verschluss  dieser 
grossen  Substanzverluste  hierdurch  wesentlich  beschleunigt 
wird. 

Da  von  den  zahlreichen  Herren,  die  bei  uns  Gelegenheit 
hatten  den  Verband  zu  sehen,  keiner  denselben  kannte,  halte 
ich  mich  für  berechtigt,  hierüber  zu  berichten  und  zur  Nach¬ 
prüfung  vorzuschlagen. 

In  bezug  auf  die  Technik  möchte  ich  betonen,  dass  das 
Band  aufgenäht  und  dass  es  Leukoplast  sein  muss, 
da  Bonaplast  den  starken  Zug  nicht  aushält.  Am  geeignetsten 
sind  Verletzungen  in  Rücken,  Schulter,  Gesäss  und  in  der 
Längsrichtung  des  Ober-  und  Unterschenkels. 


Praktische  Winke  zur  Verhütung  und  Bekämpfung  der 
Geschlechtskrankheiten  und  von  Ungeziefer  im  Felde. 

Von  Fritz  Lesser  - Berlin,  zurzeit  Stabsarzt  bei  einer 
Kriegslazarettabteilung. 

Dass  auch  die  Geschlechtskrankheiten  im  Kriege  eine  nicht 
zu  unterschätzende  Rolle  spielen,  musste  nach  den  Er¬ 
fahrungen  aus  früheren  Feldzügen  als  selbstverständlich 
gelten,  und  jeder  im  Felde  stehender  Arzt  hat  wohl  während 
des  jetzt  viermonatlichen  Kriegszustandes  die  praktische  Be¬ 
stätigung  gefunden.  Ganz  abgesehen  davon,  dass  die  mili¬ 
tärische  Leistungsfähigkeit  des  Soldaten  durch  venerische 
Krankheiten  bedeutend  herabgesetzt  ist,  und  dass  bei  dem 
engen  Zusammenleben  in  Massenquartieren  und  dem  Mangel 
an  Hygiene  und  Körperpflege  die  Gefahr  der  Uebertragung 
eine  grössere  ist,  muss  noch  besonders  in  Erwägung  gezogen 
werden,  dass  ungemein  häufig,  vielleicht  in  der  Mehrzahl, 
verheirate  Leute  (besonders  der  Landsturm  und  die 
Besatzungsmannschaft  der  Festungen  sind  der  Verführung  in 
hohem  Masse  ausgesetzt)  Geschlechtskrankheiten  erwerben 
und  bei  der  Heimkehr  infolge  ungenügender 
Behandlung  die  nicht  ausgeheilte  Krankheit 


22.  Dezember  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  mcd.  Wochenschrift. 


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auf  ihre  Familie  übertragen  können.  Daher 
kann  gar  nicht  genug  für  die  Prophylaxe  der  venerischen  Er¬ 
krankungen  geschehen,  und  jede  praktisch  durchführbare  Ver¬ 
besserung  verdient  volle  Berücksichtigung. 

ln  feldärztlichen  Artikeln  sind  bereits  die  Geschlechts¬ 
krankheiten  im  Kriege,  sowohl  was  ihre  Verhütung,  als  auch 
Behandlung  anbetrifft,  von  berufenster  Seite  (A.  Ne  iss  er, 
A.  Blaschko,  Haberling,  E.  Lesser  u.  a.)  gewürdigt 
worden.  Es  wurden  die  verschiedensten  Vorschläge  gemacht: 
Genaue  Ueberwachung  der  Prostituierten  und  aller  ver¬ 
dächtigen  Elemente,  ferner  Ueberwachung  aller,  insbesondere 
nächst  der  Kaserne  gelegenen  Lokale,  militärische  Bewachung 
von  ausschliesslich  für  den  Besuch  von  Soldaten  freigegebenen 
Bordellen,  ja  sogar  gesundheitliche  Ueberwachung  der  sie  be¬ 
tretenden  Soldaten,  kriegsgesetzliche  Bestrafung  wissentlich 
kranker  Prostituierter  bei  Ausübung  ihres  Gewerbes,  Aus¬ 
stellung  von  Ausweiskarten  (Gesundheitsattesten)  an  Pro¬ 
stituierte  und  Zulassung  nur  mit  Ausweiskarten  versehener 
weiblicher  Personen  in  Hotel  garnis;  rechtzeitige  Orientierung 
durch  den  dem  Korpsarzt  beigegebenen  Hygieniker  über 
die  Prostitutionsverhältnisse,  Handinhandarbeiten  der  Orts¬ 
behörde  mit  dem  Truppenkommandanten  und  den  Sanitäts¬ 
offizieren,  in  bestimmten  Zeitintervallen  angesetzte  Auf¬ 
klärungen  und  Warnungen  der  Soldaten,  Verteilung  von 
Merkblättern,  regelmässige  Gesundheitsbesichtigungen  etc. 
Jede  dieser  Massnahmen  hat  zweifellos  ihren  Wert,  wenn 
auch  die  Verhältnisse  des  Krieges  ihre  praktische  Durch¬ 
führung  oft  nicht  gestatten. 

In  folgendem  möchte  ich  zu  dem  vorliegenden  Thema  einige 
Beiträge  liefern,  die  sich  mir  aus  eigener  Anschauung  im  Felde  be¬ 
reits  praktisch  bewährt  haben  und  vielleicht  zur  allgemeinen  Ein¬ 
führung  gelangen  sollten.  Als  Chefarzt  eines  Kriegslazaretts  auf  dem 
östlichen  Kriegsschauplatz,  das  direkt  auf  der  Hauptverkehrsstrasse 
der  Stadt  lag  und  durch  die  weisse  Fahne  mit  rotem  Kreuz  vom  Mili¬ 
tär,  sowie  auch  von  der  Zivilbevölkerung  als  Station  für  erste  ärzt¬ 
liche  Hilfe  häufig  in  Anspruch  genommen  wurde,  wurde  ich  oft  von 
Offizieren  und  Unteroffizieren  um  eine  Schutzeinspritzung  gegen  eine 
Tripperinfektion  gebeten.  Die  Motivierung  lautete  fast  regelmässig, 
dass  der  Kondom  geplatzt  sei.  Durch  die  Aufklärungen  und  belehren¬ 
den  Vorträge,  die  ja  in  Friedenszeiten  über  die  Geschlechtskrank¬ 
heiten  gehalten  wurden,  sind  ja  heute  die  meisten  jungen  Leute  über 
den  Nutzen  einer  frühzeitigen  bzw.  vorbeugenden  Behandlung  orien¬ 
tiert,  und  ich  mochte  und  konnte  mich  der  an  mich  gerichteten  Forde¬ 
rung  nicht  entziehen.  So  hat  sich  aus  der  Praxis  heraus  für  mich 
die  Notwendigkeit  ergeben,  dass  der  Feldarzt  auf  die  vorbeugende 
Behandlung  von  Geschlechtskrankheiten,  insbesondere  Tripperinfek¬ 
tion  eingerichtet  sein  muss.  Die  ausgezeichneten  Erfahrungen,  die 
man  mit  starken  Protargoleinträuflungen  (Rp.  Argent.  proteinic.  5,0 
s  o  1  v  e  in  Aq.  frigid.,  Glyzerin,  ad  25,0.  S.  2  Tropfen  in  die  Harn¬ 
röhre  und  1  Tropfen  in  den  Vorhautsack  einzuträufeln.  Adde  Tropf¬ 
pipette.)  zur  Verhütung  des  Trippers  u.  a.  auch  bei  der  Marine  ge¬ 
macht  hat,  rechtfertigen  durchaus  die  Aufnahme  der  vorstehenden 
Lösung  in  die  Sanitätstasche  des  Feldarztes,  in  der  Natr.  bicarbon. 
und  Acid.  tartaric.  als  ärztliche  Arzneistoffe  entbehrlich  sind,  während 
sie  in  den  Arzneitaschen  des  unteren  Sanitätspersonals  verbleiben 
könnten.  Zum  mindesten  sollten  die  auf  den  Bahnhöfen  gewöhnlich 
errichteten  Krankensammelstellen  mit  den  prophylaktischen  Mass¬ 
nahmen  ausgerüstet  sein.  An  grösseren  Orten,  besonders  in  Feindes¬ 
land  und  in  Städten,  wo  der  Bahnhof  ausserhalb  der  Stadt  liegt,  würde 
die  Einrichtung  einer  Station  für  erste  ärztliche  Hilfe  an  der  Haupt¬ 
verkehrsstrasse  sehr  vorteilhaft  sein. 

Es  wäre  bedenklich,  dem  unteren  Sanitätspersonal  die  unein¬ 
geschränkte  Verabfolgung  von  Schutztropfen  zu  überlassen,  da  da¬ 
durch  der  Empfehlung  des  Geschlechtsverkehrs  zu  leicht  Vorschub 
geleistet  werden  könnte.  Das  Predigen  der  Abstinenz  als  sicherster 
Schutz  gegen  Geschlechtskrankheiten  muss  immer  an  erster  Stelle 
Berücksichtigung  finden.  Gewiss  ist  es  richtig,  dass  in  einer  Zeit, 
welche  so  grosse  Opfer  an  jeden  einzelnen  stellt,  das  Verlangen  nach 
Enthaltsamkeit  vom  Geschlechtsverkehr  auch  für  den  Soldaten  keine 
allzu  rigorose  Forderung  ist.  Anderseits  muss  man  aber  mit  den 
menschlichen  Schwächen,  besonders  bei  dem  Reiz,  der  von  einer 
fremden  weiblichen  Rasse  in  Feindesland  ausgeht,  rechnen  und 
unsere  ärztlichen  Massnahmen  müssen  gegen  Verhältnisse  gerichtet 
sein,  wie  $ie  tatsächlich  sind  und  nicht,  wie  sie  sein  sollten.  Ob  der 
Nutzen  einer  Schutzeinspritzung  den  Soldaten  bei  den  Gesundheits¬ 
besichtigungen  bekannt  gegeben  werden  soll,  lässt  sich  generell  nicht 
entscheiden.  In  einer  richtig  gewählten  Form  empfohlen,  würde  m.  E. 
damit  kein  Anreiz  zum  Geschlechtsverkehr  gegeben  werden.  Die 
Forderung  von  E.  Lesser,  dass  das  Kondom  den  Leuten  von  den 
Lazarettgehilfen  verabreicht  werden  sollte,  erscheint  mir  schon  etwas 
bedenklich. 

Auf  dem  westlichen  Kriegsschauplatz,  wo  wir  zuerst  tätig  waren, 
kamen  übrigens  Geschlechtskrankheiten  wohl  infolge  der  feindlichen 
und  erbitterten  Haltung  der  Bevölkerung  nicht  häufig  vor,  dagegen 


stieg  die  Zahl  der  Geschlechtskranken  in  dem  deutsch-freundlicheren 
Russisch-Polen,  wo  auch  die  Bevölkerung  kulturell  viel  niedriger 
steht  und  die  Prostitution  geschäftsmässig  durch  Vermittler,  ja  so¬ 
gar  durch  halbwüchsige  Burschen  feilgeboten  wird,  bedeutend  an. 

Was  das  Ulcus  <nolle  anbetrifft,  so  ist  dasselbe  nach  meinen  feld¬ 
ärztlichen  Erfahrungen  viel  häufiger  als  der  Primäraffekt  anzutreffen. 
Zur  Verhütung  desselben  kommen  Waschungen  post  coitum,  event. 
unter  Zusatz  von  Antisepticis  in  Betracht.  Hat  sich  erst  einmal 
der  weiche  Schanker  etabliert,  so  kommt  alles  darauf  an,  dem  Ent¬ 
stehen  neuer  Ulcera  durch  Ueberimpfung  und  dem  eitrigen  Bubo 
vorzubeugen.  Hierfür  wird  fast  übereinstimmend  die  Aetzung  mit 
Acid.  carbolic.  liquefact.  empfohlen.  Es  sollte  auch  dieses  Mittel  der 
Sanitätstasche  des  Feldarztes  einverleibt  werden. 

Um  die  Aetzung  von  Ulzera  schmerzlos  auszuführen,  taucht  man 
ein  mit  etwas  Watte  armiertes  Streichholz  in  die  Karbolsäure  und  be¬ 
tupft  die  Ulzera,  ohne  zunächst  einen  Druck  auf  den  Geschwürsgrund 
auszuüben.  Man  wartet  erst  etwa  A  Minute  ab,  bis  die  anästhe¬ 
sierende  Wirkung  der  Karbolsäure  eingetreten  ist,  und  nun  kann 
man  schmerzlos  durch  Druck  auf  den  Geschwürsgrund  die  eigentliche 
Ausätzung  vornehmen. 

Was  die  Syphilis  anbetrifft,  so  gibt  es  kein  Medikament,  das  mit 
Erfolg  vorbeugend  angewendet  werden  kann,  auch  Kalomeisalbe 
leistet  nichts.  Dagegen  kommt  alles  auf  eine  frühzeitige  Feststellung 
der  syphilitischen  Infektion  an.  Wird  der  Primäraffekt  erkannt,  be¬ 
vor  die  Spirochäten  sich  in  den  Organen  eingenistet  haben  und  wenn 
die  WaR.  noch  nicht  positiv  ist,  so  gelingt  es  meist  mit  Leichtigkeit, 
eine  Abortivheilung  der  Syphilis  zu  erzielen.  Hier  leistet  das  Salvar- 
san  nach  übereinstimmendem  Urteil  ganz  Ausserordentliches.  Man  kann 
sagen,  eine  frische  Syphilis  wird  in  5  Tagen  geheilt  durch  eine  zwei¬ 
malige  intravenöse  Neosalvarsaninjektion  (konzentrierte  Lösung  in  klei¬ 
ner  Spritze)  ohne  Quecksilberkur.  Wird  aber  mit  der  Behandlung  der 
Syphilis  begonnen,  wenn  schon  die  WaR.  stark  positiv  geworden  ist, 
so  genügt  meist  eine  kombinierte,  lang  fortgesetzte  Salvarsan-Hg-Kur 
nicht,  um  die  Syphilis  zur  Ausheilung  zu  bringen,  dann  verläuft  sie 
meist  chronisch  und  bedarf  einer  mehrjährigen  Behandlung  und  Be¬ 
obachtung.  Keine,  noch  so  unbedeutende  umschrie¬ 
bene  wunde  Stelle  am  Glied  ist  zu  gering,  um  nicht 
ein  Primäraffekt  zu  sein.  Die  Frühdiagnose  der  Syphilis 
und  der  so  leichte  Spirochätennachweis  wird  noch  oft  verfehlt,  und 
da  gerade  im  Kriege  Spezialärzte  anderer  Disziplinen  sich  mit  dem 
ihnen  fremden  Gebiete  der  Geschlechtskrankheiten  befassen  müssen, 
so  seien  die  Hauptunterschiede  des  ganz  frischen  Ulcus  durum 
und  molle  noch  einmal  gegenübergestellt: 

Ulcus  durum. 

Oberflächliche,  umschriebene  Erosion 
ohne  Vertiefung,  also  eigentlich  gar  kein 
Ulcus,  selbst  auf  Druck  und  Schaben  nicht 
leicht  blutend.  Peripher  allmähliche  Ver¬ 
härtung.  Spirochätennachweis:  Auf  einen 
Objektträger  bringt  man  ein  Tröpfchen 
Wasser,  rührt  etwas  durch  Pression  des 
Ulcus  mit  einem  Streichho'z  entnommenen 
Oewebssaft  hinein,  dann  wird  ein  Tropfen 
Tusche  (Günther  Wagners  schwarze  Aus¬ 
ziehtusche)  hinzugerührt  und  das  Präparat 
mit  der  Kante  eines  zweiten  Objektträgers 
ausgestrichen  und  trocknen  gelassen.  Die 
engspiralige,  zarte  Spirochäte  pallida  er¬ 
scheint  unter  dem  Mikrosop  ungefärbt  auf 
dunklem  Grunde. 

Cave  Ulcus  mixtum  (Ulcus  durum  +  molle)! 

Jede  Behandlung  (Dermatol,  essigsaure  Tonerde,  Vaseline)  macht 
einen  späteren  Spirochätennachweis  illusorisch.  Durch  Aetzung  mit 
Karbolsäure  tritt  bei  jedem  Geschwür  eine  periphere  Verhär¬ 
tung  ein. 

Als  Dermatologe  führe  ich  auch  schwarze  Tusche  und  3  Objekt¬ 
träger  zum  Spirochätennachweis  in  meiner  Sanitätstasche  mit.  Jeden¬ 
falls  sollte  dafür  Sorge  getragen  sein,  dass  bei  den  Gesundheits¬ 
besichtigungen  und  Krankensammelstellen  die  für  ein  mikroskopisches 
Präparat  notwendigen  Ingredienzien  zur  Stelle  sind. 

Dem  kriegsärztlichen  Standpunkt  Ne  iss  er  5,  unter  den  ob¬ 
waltenden  Umständen  jeden  mit  einer  venerischen  ulzerösen  oder 
erosiven  Affektion  Behafteten  geradeso  zu  behandeln,  wie  einen  mit 
sicherer  Syphilis  Infizierten,  kann  ich  nicht  beipflichten,  dazu  ist  nach 
meiner  feldärztlichen  Erfahrung  das  reine  Ulcus  molle  viel  zu  häufig, 
wie  gesagt  häufiger  als  die  syphilitische  Infektion.  Ausserdem  ist 
das  psychische  Moment  zu  berücksichtigen  und  die  Konsequenzen,  die 
bei  der  Heimkehr  auf  die  Fragen:  War  es  nun  Syph’lis  oder  nicht? 
Werde  ich  meine  Frau  anstecken?  zu  ziehen  sind. 

Wie  es  bisher  gehandhabt  wurde,  sind  im  allgemeinen  alle  frisch 
venerisch  Erkrankten  den  Reservelazaretten  zuzuführen  oder  wenig¬ 
stens  bis  zur  Etappe  zurückzubefördern. 

Anhangsweise  möchte  ich  noch  einige  feldärztliche  Erfahrungen 
hinsichtlich  der  Diagnose  der  Krätze  und  der  Behandlung  von  Un¬ 
geziefer  hinzufügen.  Die  Diagnose  auf  Skabies  ist,  so  sonderbar 
es  klingen  mag,  oft  äusserst  schwierig.  Als  der  junge  Kaposi 
seinen  Lehrer  Hebra  vertrat,  soll  er  alle  Diagnosen  richtig  gestellt 
und  die  seltensten  Hautkrankheiten  erkannt  haben,  nur  nicht  die 
Skabies.  Man  kann  sagen,  dass  die  Skabies,  wenn  sie  erst  diskret 
ausgebildet  ist,  meist  übersehen  wird,  und  wenn  anderseits  am  ganzen 
Körper  Kratzeffekte  zu  sehen  sind,  zu  häufig  „Krätze“  diagnostiziert 
wird.  Gerade  im  Felde,  wo  Wanzen,  Flöhe  und  Läuse  allen  Kame¬ 
raden  ausnahmslos  wohlbekannte  und  treue  Mitkämpfer  sind,  ist  die 


Ulcus  molle. 

Umschriebenes,  eiförmig  vertieftes  Ge¬ 
schwür  mit  überhängenden  Rändern  und 
gelblichem  Grunde,  leicht  blutend,  meist 
in  der  Mehrzahl  vorhanden. 


2426 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  51. 


Differentialdiagnose  bei  einem  mit  Kratzeffekten  bedeckten  Körper 
zwischen  Krätze  oder  Ungeziefer  sehr  schwierig.  Die  Angabe  der 
Soldaten,  dass  abends  im  Bett  das  Jucken  besonders  stark  ist,  ver¬ 
leitet  oft  zur  Diagnose  Skabies.  Ein  wichtiges,  wohl  nicht  gebührend 
berücksichtigtes  Kriterium  ist  das  Verhalten  der  -Achselfalten,  i.  e. 
die  Ausläufer  der  Achselhöhle  nach  vorn.  Sind  die  Achselfalten  frei, 
so  wird  man  selten  fehlgehen,  wenn  man  Skabies  ausschliesst.  All¬ 
gemeiner  bekannt  ist  die  Lokalisation  der  Milben  zwischen  den 
Fingern  und  am  Penis.  Kratzeffekte  infolge  Ungeziefers  sind  beson¬ 
ders  an  den  Stellen,  wo  die  Kleider  eng  anliegen,  zu  finden,  Gesäss- 
backen,  Hüften  und  Schultern. 

Zur  Entfernung  von  Läusen  empfehlen  sich  nach  Kurzschneiden 
der  Haare  Waschungen  mit  Petroleum.  Acetum  Sabadillae  ist  merk¬ 
würdigerweise  nicht  etatsmässig,  erscheint  aber  auch  entbehrlich. 
Die  Kleider,  Tornister  und  die  entleerten  Strohsäcke  werden  aus¬ 
geklopft  und  dann  am  besten  ausgeschwefelt.  Die  Leute  selbst  schäu¬ 
men  abends  vor  dem  Schlafengehen  ihren  Körper  mit  Schwefelseife 
ein  und  lassen  den  Schaum  in  die  Haut  einziehen. 

Bei  Behandlung  von  Phthiriasis  mit  Ungt.  einer,  muss  ein  E  i  n  - 
reiben  der  Salbe  in  die  Haut  unterbleiben,  da  die  Schamgegend 
gegen  Quecksilber  sehr  empfindlich  ist  und  häufig  eine  sehr  lästige 
und  langsam  zu  beseitigende  Dermatitis  entsteht.  Es  genügt  die  graue 
Salbe  in  den  Haaren  der  Genitalien  mit  den  Fingern  zu  verfilzen. 
Abrasieren  der  Schamhaare  ist  zu  unterlassen,  da  das  Nachwachsen 
der  Haare  oft  so  heftiges  Jucken  auslöst,  dass  die  Marschfähigkeit 
des  Soldaten  vollkommen  herabgesetzt  sein  kann. 

Aerztliche  Unterweisung  der  Mannschaften  für  den  Krieg. 

Von  Dr.  M  i  1  n  e  r,  Chirurg  in  Leipzig. 

ln  meiner  Tätigkeit  als  Bataillonsarzt  eines  Landwehrersatz¬ 
bataillons  fand  ich  Anfang  September,  dass  die  unverwundet  zurück¬ 
kehrenden  Mannschaften  fast  alle  an  Rheumatismus  oder  Herz¬ 
schwäche  oder  Magenkatarrh  oder  Bruchbeschwerden  litten.  Die 
Rheumatiker  waren  fast  ausnahmslos  schon  vor  dem  Feldzug 
dauernd  oder  zeitweise  rheumatisch  erkrankt  gewesen  und  ohne 
zweckmässige  Schutzmittel  ausgerückt,  die  Mannschaften  mit  Herz¬ 
schwäche  waren  ganz  überwiegend  fettleibige  Landwehrleute,  die 
Magenkatarrhe  waren  häufig  auf  grobe  Diätfehler  zurückzuführen 
und  die  Bruchkranken  waren  ohne  gutes  oder  überhaupt  ohne  Bruch¬ 
band  ins  Feld  gerückt.  Unter  den  aus  der  Garnison  selbst  stammen¬ 
den  Revierkranken  waren  Plattfussbeschwerden  und  ähnliche  Ueber- 
lastungsfolgen  am  häufigsten;  zweckmässige  Selbstbehandlung  hat 
manchen  Plattfuss  oder  X-Fuss  geheilt. 

Diese  Erfahrungen  veranlassten  mich,  als  Mitte  September 
700  Ersatzreservisten  neu  eintraten,  ihnen  bei  Gelegenheit  der  Unter¬ 
suchung  in  kleinen  Abteilungen  zu  30  Mann  die  wichtigsten  Rat¬ 
schläge  über  Kräftigung  und  Pflege  ihres  Körpers  und  Verhütung 
von  Erkrankung  vorzutragen  und  zu  begründen.  Der  Aufmerksam¬ 
keit,  mit  der  diese  Rekruten  fast  sämtlich  meinen  Worten  folgten, 
entnahm  ich  die  Ueberzeugung,  dass  diese  Art  der  Belehrung,  die 
in  meiner  Garnison  nicht  vcrgeschrieben  ist,  durchaus  zweckmässig 
und  erwünscht  war. 

Als  dann  wenige  Wochen  später  800  Mann  ins  Feld  rückten, 
wurden  diese  Mannschaften  etwa  1—2  Tage  vor  dem  Abmarsch  auf 
meine  Anregung  hin  zu  einem  ärztlichen  Unterricht  befohlen,  in 
dem  ich  wieder  das  Wichtigste  über  Vermeidung  von  Erkrankungen 
im  Felde  darlcgtc  und  das  Nötigste  über  Verhalten  bei  Verwun¬ 
dungen  hinzufügte.  Im  Anschluss  an  diesen  Unterricht  liess  ich 
durchschnittlich  an  jeden  3.  Mann  der  Ausrückenden  ein  von  einem 
Vizefcldwebcl  d.  R.  gedrucktes  Blatt  mit  Ratschlägen  für  die  Aus¬ 
stattung  verteilen,  die  ich  zusammengestellt  hatte  auf  Grund  münd¬ 
licher  und  schriftlicher  Mitteilungen  von  Offizieren,  Feldwebeln  und 
Mannschaften,  die  im  Feld  gewesen  waren.  Das  vielleicht  etwas 
bunt  scheinende  Blatt  mag  für  sich  selbst  sprechen;  es  lautete: 

RatschlägefürdieAusstattungderinsFeldziehen- 
den  Mannschaften. 

Ein  zweites  Paar  Unterhosen;  ein  zweites  Paar  Hosenträger; 
eine  Strickjacke,  möglichst  weich;  Gelenkwärmer,  wollenes  Hals¬ 
tuch;  1  Paar  Einlegesohlen,  nicht  zu  weich,  damit  sie  sich  nicht 
verschieben;  Gummikragen  (1.20)  mit  2  Knöpfen,  nicht  Druckknöpfen; 
Gummischützer  für  Knie-  und  Ellbogengelcnk  (Paar  2  M.),  kein 
Leder;  3  bunte  Taschentücher;  1  Handtuch;  Knöpfe,  Nähzeug  und 
Sicherheitsnadeln  verschiedener  Grössen;  kräftige  Schere;  Taschen¬ 
messer  mit  gutem  Korkzieher  und  Konservenöffner;  Bindfaden;  Notiz¬ 
buch  und  Tintenstift:  Papier  (auch  als  Wärmeschutz  und  für  Reini¬ 
gung);  Reinigungslappen  für  Essgeschirr;  Luntfeuerzeug;  Stearin¬ 
kerzen;  Kompass;  Heftpflaster  in  Rollen  (z.  B.  Leukoplast,  kein  eng¬ 
lisches);  Seife;  Insektenpulver;  Boluspulver  gegen  Durchfall  (100  g 
30  Pf.);  Präservativcreme  zur  Behandlung  wunder  Füsse;  Ersatz¬ 
gläser  für  Brillen. 

Der  Gummikragen  wurde  mir  inzwischen  als  sehr  zweckmässig 
gerühmt;  er  muss  seitlich  bis  etwa  zur  Höhe  des  Deltaansatzes 
hinabreichen.  Die  Gummiknie-  (oder  -gelenk-)  Schützer  sind  45  cm 
lang  und  35  cm  breit  und  an  allen  4  Ecken  mit  langen  Bändern  ver¬ 
sehen.  Für  alle  die  empfohlenen  Dinge  ist  im  Tornister  und  den 
Kleidertaschen  der  Mannschaften  ausreichend  Platz. 


Ich  halte  die  ärztliche  Belehrung  der  Mannschaften  beim  Ein¬ 
tritt  und  beim  Ausrücken,  die  gewiss  auch  anderswo  freiwillig  oder 
auf  Befehl  erfolgt,  allgemeiner  Einführung  für  wert,  zumal  auf  dem 
Weg  von  der  Garnison  zum  ersten  Kampf  die  Truppenärzte  oft  keine 
Gelegenheit  mehr  haben,  das  in  dieser  Beziehung  Versäumte  nach¬ 
zuholen.  Wem  es  nicht  vergönnt  ist,  den  Verwundeten  zu  helfen, 
kann  durch  diese  Belehrungen  manchen  Nutzen  stiften,  ja  manches 
Leben  retten. 


Aus  dem  Röntgenlaboratorium  der  Frauenklinik  der  Universität 
Tübingen  (Direktor:  Prof.  Dr.  Hugo  S  e  1 1  h  e  i  m). 

Der  Schwebemarkenlokalisator. 

Bemerkungen  zu  obigem  Aufsatz  von  Dr.  H.  Wachtel. 
Von  Dr.  Helene  Holder. 

In  Nr.  47  der  M.m.W.  (Feldärztliche  Beilage  Nr.  16)  veröffentlicht 
Herr  H.  Wachtel-  Wien  eine  Methode  zur  Lokalisation  von 
Fremdkörpern,  speziell  Geschosssen,  mittels  Röntgenaufnahme.  Die 
Methode  gestattet  mit  geringstem  Aufwand  an  Zeit  und  Rechnungs¬ 
arbeit  eine  Bestimmung  der  Tiefenlage  des  Geschosses  und  der  Ent¬ 
fernung  desselben  in  der  zur  Tiefenrichtung  senkrechten  Ebene  von 
einem  Punkt  der  Hautoberfläche  aus.  Nach  derselben  Methode,  die 
uns  schon  vor  Wochen  von  Herrn  Dr.  rer.  nat.  Walther  Ger  lach 
angegeben  wurde,  haben  wir  seit  Beginn  des  Krieges  lm  Reserve¬ 
lazarett  der  Frauenklinik  vor  Operationen  und  Geschosscntfernungen 
den  Sitz  der  Fremdkörper  genau  bestimmt.  Die  vorgesehene  Publi¬ 
kation  ist  nun  überflüssig;  Zweck  dieser  Zeilen  ist  nur,  darauf  hin¬ 
zuweisen,  dass  die  Resultate  der  Methode  ausserordentlich  be¬ 
friedigende  sind.  Vor  allem  bei  zahlreichen  in  kurzer  Zeit  auszu¬ 
führenden  Aufnahmen  ist  das  Wegfallen  jeglicher  Messung  während 
der  Aufnahme  selbst  ein  grosser  Vorteil;  ferner  kann  die  Methode 
mit  den  einfachsten  Aufnahmeinstrumentarien  ausgeführt  werden.  Sic 
ersetzt  ferner  in  fast  allen  Fällen  stereoskopische  Aufnahmen,  da  die 
Lage  des  Geschosses  relativ  zu  den  benachbarten  Knochen  aus  der 
Grösse  der  Verschiebung  derselben  auf  der  photographischen  Platte 
im  Verhältnis  zur  Verschiebung  von  Geschoss  bzw.  Marke  festzu- 
stcllen  ist.  _ 

Sterile  Schnellverbandschiene. 

Von  Dr.  med.  Felix  Kraemer  in  Frankfurt  a.  M. 

Dieselbe  besteht  aus: 

1.  Dem  festen  Material,  der  Pappschiene  (bzw.  anderem  Ma¬ 
terial). 

2.  Der  Verbandkomoresse,  die  durch  die  Schiene  hindurch  an 
letztere  durch  Haltebänder  festgeknotet  ist. 

Es  werden  zweckmässig  bei  den  Schussfrakturen  2  Schnell¬ 
verbandschienen  für  die  betreffende  Extremität  verwandt.  An  der 


einen  Schiene  werden  die  Haltebänder  lang  gelassen  und  dienen  zur 
raschen  Fixation  beider  Schienenverbände  (s.  Fig.).  k 

In  der  Verpackung  liegen  beide  Wattekissen  fest  aufeinander,  so 
dass  zur  Anlegung  der  Schienenverbände  nur  die  Aussenflächen  der 
Schienen  an  deren  Haltemittel  angefasst  werden.  Die  sterile  Innen¬ 
fläche  der  Schiene  wird  überhaupt  nicht  berührt. 

Danach  gestaltet  sich  der  Vorgang  zur  Behandlung  z.  B.  einer 
komplizieiten  Schussfraktur  mit  Ein-  und  Ausschuss  ausserordentlich 
einfach: 

Die  Schienenverbände  werden  an  den  Haltemitteln  erfasst,  die 
i  Wattekompressen  auf  die  beiden  Wundflächen  gedrückt,  und  Schiene 


12.  Dezember  191-1. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  ined.  Wochenschrift. 


2427 


uid  Waltekompresse  gleichzeitig  durch  die  Haltcmittcl  befestigt. 
A’atteun. Wickelung  und  definitive  Befestigung  mit  einer  10  m  langen, 
' — 10  cm  breiten  Mull-  bzw.  Stärkebinde  ist  empfehlenswert,  kann 
iber  auch  weggelassen  werden,  ln  diesem  Falle  wäre  cs  jedoch 
:weckmässig,  vor  Anlegung  des  Schienenverbandes  mit  einem  oder 
wei  der  von  mir  in  dieser  Wochenschrift  (1914  Nr.  7)  angegebenen 
'Chnellverbände  Nr.  3  (grosse  Form  ohne  Binde)  die  Wunden  zu 
ledecken  und  darüber  die  Schnellschicne  zu  befestigen. 

Im  Bedarfsfälle  können  diese  Schnellschienenvcrbände  aus  Pappe 
lurch  eine  1— 2  cm  breite  Aluminiumschiene  auf  einfachste  Weise  da- 
iur.'h  verstärkt  werden,  dass  die  Aluminiumschiene  durch  die  Knoten 
m  der  Aussenseitc  der  Pappschiene  durchgeschoben  wird  (s.  Fig.). 

Auch  können  auf  solche  Weise  mehrere  kleine  Schienen  zu  einer 
grösseren i  zusammengeschoben,  andererseits  auch  eine  mittelgrosse 
’Cliiene  für  Ellenbogen-  sowie  Fussgelenk  zurechtgebogcn  werden. 

Die  Vorteile  dieser  Schnellverbandschienen  sind  vielfach: 

1.  Sie  enthalten  sterile  Kompresse  und  Schiene  zugleich. 

2.  Sie  garantieren  aseptische  Anwendung,  auch  unter  den  un- 
ünstigsten  lokalen  Verhältnissen. 

3.  Sie  .sind  ausserordentlich  einfach  in  der  Handhabung. 

4  Die  Pappschienenverbände  sind  von  Gewicht  sehr  leicht, 
elbst  mit  Aluminiumstäben. 

5.  Die  Zeitersparnis  bei  diesem  Verfahren  ist  bedeutend, 
i  6.  Die  doppelte  Schienenanwendung  wirkt  durch  Kompression 
ilutstillend.  ohne  dass  die  Gefahr  einer  Blutstauung  besteht. 

7.  Die  Abnahme  des  Schienenverbandes  gestaltet  sich  einfach. 

Ich  glaube,  dass  die  sterilen  Schnellschienenverbände  an  der 
•ront  und  in  den  Etappenlazaretten  mit  grossem  Vorteil  verwandt 
cerJen  können. 


Elastisches  Augenverbandkissen. 

Von  Sanitätsrat  Dr.,W  o  1  f  f  b  e  r  g  in  Breslau. 

Eine  gewisse  Elastizität  ist  von  jedem  Augenverbande  zu  ver¬ 
engen;  es  gibt  aber  Fälle,  in  welchen  an  die  Elastizität  erhöhte 
mforderungen  gestellt  werden  müssen  — ,  das  sind  u.  a.  Fälle  von 
ubkonjunktivalen  und  Vorderkammerblutungen,  Fälle  von,  Horn- 
auterosionen  und  ganz  besonders  solche  von  Netzhautablösung. 

Die  Elastizität  der  von  mir  eingeführten  sterilisierten  Augen- 
erbandauflagen,  welche  nebst  meinen  ovoiden  Lederschildbinden  von 
er  Firma  Rudolf  R  e  i  s  s  -  Charlottenburg  seit  Jahren  hergestellt 
••erden,  reicht  für  Augenverbände  im  Allgemeinen  nicht  nur  aus, 
andern  übertrifft  erheblich  die  üblichen  Watte-Mullauflagen;  dabei 
ieten  sie  die  Bequemlichkeit,  dass  sie  bereits  sterilisiert,  also 
derzeit  gebrauchsfertig  zur  Hand  sind. 

Für  die  genannten  Fälle,  in  welchen  auf  die  Elastizität  des 
erbandes  ganz  besonderes  Gewicht  gelegt  werden  muss,  bediene  ich 
lieh  aber  seit  einiger  Zeit  elastischer,  mit  Kapok,  d.  i.  Pflanzenfaser, 
efiillter  Leinwandkissen  von  ovoider  Form  und  zwar  entweder  dieser 
Hein  oder  zusammen  mit  den  sterilisierten  Verbandauflagen. 

Kapok  ist  ein  Produkt  des  ostindischen  Wollbaumes  (Erioden- 
ron);  es  ist  ein  der  Rohseide  überaus  ähnliches,  sehr  weiches 
nd  elastisches  Füllmaterial  von  grosser  Leichtigkeit  und  besitzt  vor 
er  Watte  den  Vorzug,  die  Elastizität  des  Verbandes  ziemlich  unbe- 
renzt  konstant  zu  erhalten.  Die  Fähigkeit  der  Watte,  Sekrete  auf- 
usaugen  kommt  hier  nicht  in  Betracht.  Ein  elastischer  Verband 
otzt  Trockenheit  des  Auges  bis  zu  einem  gewissen  Grade  voraus,  und 
in  das  Kissen  wenigstens  gegen  leichteres  Tränen  zu  schützen,  ist 
un  ein  Lintovoid  beigegeben,  welches  als  Unterlage  dient.  Zu- 
eilen  bewirkt  der  Kissenverband  ein  Aufhören  selbst  erheblichen 
ränens;  andernfalls  ist  ein  Erfolg  nur  durch  Wechseln  der  Kissen 
x  erzielen,  denn  mit  der  Durchnässung  des  Kissens  schwindet  auch 
iine  Elastizität.  Aber  gerade  darin,  dass  man  bei  ambulanter  Be- 
indhuig  dem  Patienten  selbst  den  Verbandwechsel  überlassen  kann, 
egt  ein  grosser  Vorzug  des  Kissenverbandes. 

Bei  der  traumatischen  Hornhauterosion  z.  B.  wird  nur  ein  leicht 
astischer  Kissenverband  sehr  angenehm  empfunden;  es  ist  aber 
tatisbleihlich,  dass  sich  im  Anfangsstadium  reichlich  Tränen  im  Auge 
t’.sammeln,  welche  heftige  Schmerzen  verursachen,  die  nur  durch 
(erauslassen  der  Tränen  und  Verbandwechsel  behoben  werden 
onnen. 

Da  ist  es  dann  ausserordentlich  angenehm  für  den  Patienten, 
eil  "Verbandwechsel  ohne  Hilfe  des  Arztes  vornehmen  zu  können. 
ieist  genügt  es,  das  Lintovoid  gegen  ein  neues  umzutauschen;  unter 
mständen  ist  aber  auch  das  Auswechseln  des  Kanokkissens  ange- 
ägt.  Bei  der  Behandlung  von  subkonjunktivalen  Blutungen  erreicht 
an  mit  den  Kissenverbänden  eine  raschere  Resorption,  auch  wenn 
e  nur  zeitweise  und  vom  Patienten  selbst  angelegt  werden.  Bei 
lutungen  in  die  Vorderkammer  sind  natürlich  Dauerverbände  not¬ 
endig;  aber  auch  bei  diesen  Verbänden,  welche  der  Arzt  allein 
izttlegen  hat,  bewähren  sich  die  Kissen  durch  ihre  Elastizität,  da¬ 
eben  auch  durch  die  Sicherheit  des  Liegenblcibens. 

Der  eigentliche  Grund,  mit  der  Veröffentlichung  der  Kapokkissen 
er vorzu treten,  liegt  indessen  in  den  überaus  günstigen  Erfahrungen, 
eiche  ich  in  der  Behandlung  der  Netzhautablösung  mit  denselben 
emacht  habe.  Ich  bin  weit  entfernt,  den  Druckverbaiid  an  sich 
‘wa  als  Heilmittel  gegen  Ablatio  retinae  zu  empfehlen:  vielmehr 


stehe  ich  im  grossen  ganzen  auf  dem  Standpunkt,  welchen 
h  tti  a  n  u  e  1  -  Frankfurt  a.  M. l)  vertritt.  Ich  beobachte  gleich  ihm 
zunächst,  wie  sich  die  Ablösung  bei  Lagerungsveränderungen  verhält: 
cs  lässt  sich  oft  feststellen,  dass  die  subretinale  Flüssigkeit  in  Rücken¬ 
lage  des  Fatientcn  keine  Neigung  zur  Resorption  zeigt,  aber  bei 
ruhigem  Sitzen  und  auch  Herumgehen  sich  senkt  und  dann  auf¬ 
fallend  rasch  verschwindet.  Ganz  ohne  Verband  soll  man  aber  den 
Patienten  während  dieser  Zeit  nicht  lassen,  nur  sind  die  vielfach 
empfohlenen  Schniirverbände  direkt  von  Uebel;  vielmehr  ist  gerade 
hier  das  Anlegen  eines  leicht  elastischen  Verbandes  mit  dem  Augen¬ 
verbandkissen  angezeigt.  Bei  mangelndem  Erfolge  kommt  dann  die  Ope¬ 
ration  in  Frage;  eine  Allgemeinbehandlung  —  ev.  Tuberkulinkur  — 
hat  ihr  vorauszugehen.  Nach  meinen,  freilich  nur  spärlichen,  Er¬ 
fahrungen  ist  die  Kombination  des  operativen  Verfahrens  von  Birch- 
Hirschfeld  mit  dem  von  El  sehnig  am  ersten  zu  empfehlen;  aber 
auch  hier  ist,  wie  Fehr  betont  (Graefes  Arch.  f.  Ophth.  85.  H.  2) 
der  r>ruckverband  als  Nachkur  äusserst  wichtig.  Ich  halte  es  für 
nicht  minder  wichtig,  dass  der  zwar  anfänglich  intensive  Druck¬ 
verband  nach  und  nach  in  einen  leicht  elastischen  übergeführt  werde, 
da  der  feste  Druckverband  nach  mehr  weniger  langer  Dauer  nachteilig 
zu  wirken  pflegt.  Auch  soll  man  nicht  plötzlich  mit  dem  Verbände 
aufhören,  sondern  ihn  in  leichtester  Art  bei  Tage  stundenlang,  zumal 
beim  Herumgehen,  tragen  lassen.  Was  unter  leichtestem  Grad  zu 
verstehen,  darin  ist  das  Gefühl  des  Patienten  am  ehesten  mass¬ 
gebend  und  in  dieser  Beziehung  ist  eine  Binde  wie  meine  Leder¬ 
schildbinde,  welche  nicht  an  geschlossenem  Gummiband  hängt,  son¬ 
dern  mit  freien  Köperbändern  beliebig  fest  geknüpft  werden  kann, 
wohl  als  zweckentsprechend  zu  empfehlen. 

Mit  den  hier  besonders  hervorgehobenen  wenigen  Indikationen 
ist  das  Anwendungsgebiet  der  Verbandkissen  natürlich  nicht  er¬ 
schöpft:  ich  gebe  mich  der  Erwartung  hin,  dass  die  Kollegen,  welche 
sie,  zumal  in  Verbindung  mit  der  Schildbinde,  einmal  in  Gebrauch 
genommen,  das  Indikationsgebiet  gern  erweitern  werden. 

Der  Kostenpunkt 2)  ist  freilich  höher  als  bei  einem  einfachen 
Wattebausch,  aber  abgesehen  von  den  therapeutischen  Vorteilen  hat 
ein  Augenverbandkissen  auch  längere  Lebensdauer. 


Zur  Behandlung  der  Frakturen  im  Kriege. 

Von  Dr.  Erich  Freiherrn  v.  Redwitz,  Assistenzarzt  der 
Chirurg.  Universitätsklinik  in  Würzburg,  zurzeit  Assistenzarzt 
der  Landwehr  am  Festungslazarett  I  in  Germersheim. 

Die  bisherige  Erfahrung  hier  hat  gezeigt,  dass  die  Frakturen 
der  unteren  Extremität,  namentlich  die  Frakturen  des  Oberschenkels, 
zuin  grossen  Teile  vollkommen  ungenügend  geschient  eingeliefert 
worden  sind.  Nach  den  grossen  Schlachten  in  Lothringen  handelte  es 
sich  dabei  nicht  nur  um  Verletzungen,  die  nahezu  direkt  vom 
Schlachtfelde  hieher  transportiert  worden  waren,  sondern  auch  um 
Knochenbrüche,  die  nach  14  tägiger  bis  3  wöchentlicher  Extensions¬ 
behandlung  in  einer  Etappe  einem  langen  Transport  mit  mehrfachem 
Umladen  ausgesetzt  worden  waren,  obwohl  die  Frakturen  noch  lose 
oder  federnd  waren.  Der  ganze  Erfolg  der  bisherigen  Extensions¬ 
behandlung  war  dadurch  vernichtet  worden.  Da  auch  von  anderer 


Seite  (Kolb:  M.m.W.  Nr.  43,  Feldärztliche  Beilage  Nr.  12  S.  2148) 
ähnliche  Erfahrungen  berichtet  werden,  möchte  ich  mir  erlauben  in 
aller  Kürze  auf  ein  altes,  aber  vorzügliches  Improvisationsmittel 
zur  Schienung  der  Frakturen  der  unteren  Extremitäten  hinzuweisen, 
das  stets  leicht  und  in  grosser  Anzahl  zu  beschaffen  sein  dürfte  und 
mit  den  gewöhnlichen  Ausrüstungsgegenständen  unserer  Soldaten 
herzustellen  ist,  wenn  es  an  Gips  oder  Langeschen  Schienen 
mangelt.  Es  ist  dies  die  seinerzeit  von  v.  Hacker  angegebene  und 
von  v.  Saar,  auf  dem  diesjährigen  Chirurgenkongress  neuerdings 
empfohlene  (Bruns  Beiträge  z.  klin.  Chir.  91.  1914.  S.  335)  Trans- 


U  Klin.  Mbl.  f.  Augenheilk.  März-April  1914. 

‘)  Preis  des  Augenverbandkissens  mit  abnehmbarem  Lintovoid 
in  Pergaminbeutel  2  Stück  25  Pfg.,  einer  Lederschildbinde  mit  steriler 
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Dr.  Rud.  R  e  i  s  s,  Charlottenburg  4,  erhalten  Aerzte  Vorzugspreise 


2428 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  51. 


portlatte,  die  beim  Transport  von  Knochenbrüchen  im  Gebirge  sich 
vorzüglich  bewährt  hat.  Eine  Abbildung  wird  jede  Beschreibung 
ersetzen.  Bei  der  Anwendung  dieser  Latte  wird  neben  der  Ruhig¬ 
stellung  der  beiden  der  Fraktur  benachbarten  Gelenke  eine  gewisse 
Extension  erzielt,  die  sich  ev.  durch  eine  Einschaltung  von  Gummi¬ 
drains  zwischen  Fuss  und  distalem  Ende  der  Latte  verstärken  lässt. 
Holz  zur  Latte  ist  wohl  fast  über  all  zu  erhalten,  die  Tücher  können 
schlimmsten  Falles  durch  zerschnittene  Kleidungsstücke  ersetzt  wer¬ 
den.  Jedenfalls  verdient  die  Kenntnis  der  Latte  in  dem  jetzigen 
Kriege  allgemeinste  Verbreitung. 


Die  durch  den  Krieg  auf  dem  Gebiete  des  Versicherungs¬ 
wesens  geschaffenen  Aenderungen. 

Von  Dr.  R  e  c  k  z  e  h,  Stabsarzt  der  Reserve  und  ord.  Sanitäts¬ 
offizier  der  inneren  Abteil.  Festungslazarett  1-Graudenz. 

Sowohl  im  staatlichen  wie  im  privaten  Versicherungswesen  sind 
durch  den  Krieg  eine  Reihe  von  Aenderungen  geschaffen  worden, 
deren  Beachtung  nicht  nur  für  einen  ungestörten  Ablauf  unserer 
sozialmedizinischen  Tätigkeit  unentbehrlich  ist,  sondern  auch  im 
Interesse  zahlreicher  in  Armut  zurückgebliebener  Familien  liegt. 

Die  ärztliche  Sachverständigentätigkeit  hat  natürlich  mit  Aus¬ 
bruch  des  Krieges  eine  wesentliche  Einschränkung  erfahren.  So 
ist  z.  B  die  Entziehung  und  Minderung  von  Renten  von  den  Berufs- 
gencssenschaften  und  Landesversicherungsanstalten  meist  bis  zum 
Fintritt  ruhigerer  Verhältnisse  zurückgestellt  worden.  Auch  sonst 
hat  der  Umfang  der  durch  die  Kranken-,  Unfall-,  Invaliden-  und 
Angestelltenversicherung  bedingten  ärztlichen  Tätigkeit  (sowohl  der 
behandelnden  als  auch  der  begutachtenden)  seit  Beginn  des  Krieges 
erheblich  nachgelassen,  da  durch  den  Krieg  die  versicherungspflichtige 
Tätigkeit  eine  wesentliche  Einschränkung  erfahren  hat  und  ein 
grosser  Teil  der  Versicherungsnehmer  in  den  Krieg  gezogen,  ein 
anderer  Teil  stellungslos  geworden  ist.  Auch  die  Privatversicherung, 
namentlich  die  Lebensversicherung,  hat  aus  naheliegenden  Gründen 
durch  den  Krieg  eine  wesentliche  Einschränkung  erfahren. 

Die  gutachtliche  Tätigkeit  des  im  Felde  stehenden  Arztes  ist 
natürlich  auf  die  dringenden  Fälle  beschränkt,  in  denen  von  seinem 
Gutachten  die  Zahlung  von  Unterstützungen  an  zurückgebliebene 
Familien,  an  Hinterbliebene,  der  Abschluss  oder  die  Auszahlung  von 
Lebensversicherungen  und  ähnliches  abhängt.  Eine  rasche  und  sach- 
gemässe  Erledigung  solcher  Gutachten,  soweit  es  die  Sorge  um  Ver¬ 
wundete  und  Kranke  gestattet,  liegt  nicht  nur  im  Interesse  der  Ver¬ 
sicherungsnehmer  und  -geber,  sondern  auch  im  Interesse  des  begut¬ 
achtenden  Arztes. 

Die  Beziehungen  der  staatlichen  Versicherungen  zum  Kriege 
sind  kürzlich  von  K  a  s  k  e  1  *)  einer  eingehenden  Besprechung  unter¬ 
zogen  worden.  Juristische  Fragen  betreffen  zunächst  den  Einfluss  des 
Krieges  auf  das  Versicherungsverhältnis  für  die  Zeit  bis  zum  Eintritt 
des  Versicherungsfalles  (Krankheit,  Unfall,  Invalidität,  Tod)  und  für 
die  Zeit  nach  dem  Eintritt  eines  dieser  Fälle.  Sie  beziehen  sich 
auf  die  Versicherungspflicht,  die  Versicherungsberechtigung,  die  Zah¬ 
lung  oder  Anrechnung  von  Beiträgen,  die  Gewährung  der  Entschä¬ 
digungsleistungen  und  andere  damit  im  Zusammenhang  stehende 
Fragen.  Die  Mitwirkung  des  Arztes  bei  der  Beantwortung  dieser 
Fragen,  z.  B.  die  Feststellung,  ob  Erwerbsfähigkeit  vorliegt  und  in 
welchem  Grade,  ist  im  wesentlichen  dieselbe  wie  im  Frleaen.  Ich 
habe  diese  Verhältnisse  in  meinem  demnächst  bei  Karger  er¬ 
scheinenden  Lehrbuch  der  sozialen  Medizin  besprochen. 

Mit  dem  Uebertritt  ins  Heer  scheiden  die  Angehörigen  ver- 
sicherungspflichtiger  und  versicherungsberechtigter  Berufe  aus  dem 
Versicherungsverhältnis  aus,  wobei  aber  der  Krieg  die  allgemeinen 
versicherungsrechtlicheJi  Verhältnisse  nicht  aufhebt.  Mit  diesem 
Ausscheiden  hört  auch  die  Zahlung  von  Beiträgen  auf.  Belm  Eintritt 
des  Versicherungsfalles  während  des  Krieges  kommt  die  Gewährung 
von  Geldrenten  in  allen  4  Versicherungszweigen,  die  Gewährung 
von  Sachleistungen  und  Sterbegeld  nur  in  der  Unfall-  und  Kranken¬ 
versicherung  in  Betracht.  Aerztliche  Behandlung,  Arznei-,  Heil- 
und  Hilfsmittel  werden  nicht  gewährt  werden  können,  so  lange 
der  Versicherte  im  Felde  steht,  wohl  aber,  wenn  die  Krankheit  noch 
nach  dem  Kriege  andauert.  Solange  der  Versicherte  im  Felde  steht 
und  seine  wirtschaftlichen  Erwerbsverhältnisse  nicht  beeinträchtigt 
sind,  ruht  eine  Rente,  während  das  Sterbegeld  a-ch  bei  Todesfällen 
im  Kriege  auszuzahlen  ist. 

Durch  ärztliche  oder  militärärztliche  Zeugnisse  muss  der  ent¬ 
schädigungspflichtige  Tatbestand  nachgewiesen  werden.  Der  Militär¬ 
arzt  kann  hier  in  mannigfachen  Fällen  zur  Abgabe  von  Gutachten 
herangezogen  werden,  da  eine  Tätigkeit  für  militärische  Zwecke  auch 
ohne  Eintritt  in  den  Militärstand  denkbar  ist,  sei  es,  dass  die  Armee¬ 
verwaltung  Angestellte  als  Arbeiter  beschäftigt,  sei  es,  dass  Ange¬ 
stellte  von  Firmen,  welche  für  militärische  Zwecke  arbeiten,  bei  der 
Armee  tätig  sind. 


')  Binder,  Bruck,  B  r  ü  d  c  r  s,  C  o  n  r  a  d  t,  Flor  schütz. 
K  a  s  k  e  1,  M  ii  1 1  e  r,  v.  O  e  1 1  i  n  g  en :  Versicherung  und  Krieg.  Ver¬ 
öffentlichungen  des  deutschen  Vereins  für  Versicherungswissenschaft, 
Heft  .26. 


Der  Krieg  beeinflusst  nun  ferner  nicht  nur  das  eigentliche  Vcr- 
sicherungsverhältnis,  sondern  auch  das  Vermögen  der  Versicherungs¬ 
träger.  Hier  taucht  die  Frage  auf,  inwieweit  die  Versicherungstrager 
im  Kriegsfälle  ihre  Mittel  zur  Verfügung  stellen  dürfen,  sei  es  durch 
die  Bewilligung  von  Barmitteln  oder  Darlehen.  Die  Versicherungs¬ 
träger  haben  ihr  Vermögen  vielfach  in  umfangreicher  und  bereit¬ 
williger  Weise  in  den  Dienst  des  Vaterlandes  gestellt.  So  hat  bei¬ 
spielsweise  die  Landesvcrsicherungsanstalt  Berlin  5  Millionen  Mark 
zur  Linderung  der  Not  ihrer  Versicherten  zur  Verfügung  gestellt,  und 
auch  sonst  sind  grosse  Kapitalien  für  arbeitslose  und  in  Not  ge-  i 
ratene  Versicherte  und  für  notleidende  zurückgebliebene  Familien  in 
enger  Fühlungnahme  mit  den  Unterstützungsmassnahmen  des  Staates 
oder  der  Kommune  von  den  Versicherungsträgern  zur  Verfügung  ! 
gestellt  worden. 

Auch  die  Beziehungen  der  privaten  Versicherungen,  namentlich 
der  Lebensversicherungen,  zum  Kriege  haben  für  uns  Acrzte  grosses 
Interesse,  zunächst,  weil  wir  ja  selbst  vielfach  in  die  Lage  kommen, 
durch  Abschluss  einer  Lebensversicherung  unsere  Angehörigen  über  I 
den  Tod  hinaus  sicher  zu  stellen.  Die  mit  der  Lebensversicherung  im 
Kriege  eng  zusammenhängende  Frage  der  zu  erwartenden  Kriegs¬ 
sterblichkeit  ist  ja  ferner  nicht  nur  von  ärztlichem  und  sozial¬ 
medizinischem,  sondern  auch  von  allgemein  menschlichem  Interesse. 

Die  deutschen  Lebensversicherungsgesellschaften  haben  in  den 
ersten  Jahren  ihres  Bestehens  das  Kriegsrisiko  nicht  übernommen, 
änderten  aber,  seit  die  allgemeine  Wehrpflicht  eingeführt  wurde, 
diesen  Grundsatz,  so  dass  während  der  Kriege  1864,  1866  und  1870/71 
die  meisten  Gesellschaften  die  Kriegsgefahr  gegen  besondere  Zu¬ 
schläge  übernahmen. 

Je  mehr  die  deutschen  Lebensversicherungen  bestrebt  waren, 
ihren  Versicherten  einen  möglichst  vollkommenen  Versicherungs¬ 
schutz  zu  gewähren,  umsomehr  wurde  die  Uebernahme  des  Kriegs¬ 
risikos  eingeführt.  Eine  Berechnung  dieses  Kriegsrisikos  ist  nun,  da 
auch  nur  einigermassen  zuverlässige  Unterlagen  fehlen,  ausserordent¬ 
lich  schwierig.  Die  sorgfältigen  Statistiken  aus  dem  Kriege  1870/71 
und  aus  den  letzten  europäischen  Kriegen  umfassen  ein  zu  kleines 
Material  und  sind  auch  nach  zu  wenig  einheitlichen  Grundsätzen  auf-  ; 
gestellt,  um  zur  Berechnung  des  Kriegsrisikos  verwendet  zu  werden. 

Die  deutschen  Lebensversicherungen  tragen  das  Kriegsrisiko  in 
verschiedener  Weise  teils  unentgeltlich,  teils  gegen  Vormerkungsge¬ 
bühren  oder  eine  einmalige  oder  fortlaufende  Zuschlagsprämie;  zu¬ 
weilen  wird  für  die  Deckung  der  Kriegsgefahr  auch  eine  bestimmte 
Karenzzeit  verlangt  oder  es  wird  die  Höhe  der  Versicherungssumme 
begrenzt.  Mit  dem  Ausbruch  dieses  Krieges  haben  die  deutschen 
Lebensversicherungsanstalten  mannigfache,  untereinander  sehr  ver¬ 
schiedene  Bestimmungen  über  die  Aufnahme  in  die  Versicherung  und 
die  Auszahlung  der  Versicherungssumme  erlassen.  Ueber  diese  Be¬ 
dingungen,  insbesondere  über  den  Neueintritt  in  die  Kriegsversiche- 
rung  und  den  Verzicht  auf  die  Karenzzeit  hat  das  Kais.  Aufsichtsamt 
für  Privatversicherung  kürzlich  bestimmte  Normen  aufgestellt,  durch 
deren  Beachtung  sowohl  die  Interessen  der  Kriegsversicherten  als  i 
auch  die  der  übrigen  Versicherten  gewahrt  werden.  Auf  Einzelheiten 
kann  hier  nicht  näher  eingegangen  werden. 

Als  Kriegssterbefälle  werden  nicht  nur  die  unmittelbar  durch 
Kriegsereignisse  bedingten  Todesfälle  angesehen,  sondern  die  mittel¬ 
bar  infolge  von  Verwundungen,  Unfällen,  Strapazen  im  Kriege  und 
eine  Zeitlang  nach  dem  Kriege  verursachten  Sterbefälle. 

Der  Nachweis  des  Versicherungsfalles  im  Kriege  hat  manche 
Erleichterung  erfahren;  so  z.  B.  gelten,  wie  mir  auf  eine  Anfrage 
beim  Kgl.  Preuss.  Kriegsministerium  mitgeteilt  wurde,  die  Mitteilungen 
des  Zentralnachweisebureaus  als  Sterbeurkunden.  Auch  ärztliche 
Atteste  über  den  Hergang  des  Todes  oder  den  Verlauf  der  letzten 
Krankheit  w'erden  in  vielen  Fällen  natürlicherweise  nicht  beizu¬ 
bringen  sein. 

Im  allgemeinen  ist  die  Aufgabe,  den  Kriegsteilnehmern  einen 
möglichst  umfangreichen  Versicherungsschutz  zu  gewähren,  unter 
Wahrung  der  Interessen  der  übrigen  Versicherungsnehmer,  in  glück¬ 
licher  und  liberaler  Weise  gelöst  worden. 

Das  Recht  der  bei  ausländischen  Gesellschaften  versicherten 
Deutschen  ist  durch  die  Kaution  und  den  Prämienreservefona,  so  gut 
es  geht,  gesichert,  da  ja  solche  Versicherungsverträge  während  des 
Krieges  die  Klagbarkeit  verlieren  und  Ansprüche  aus  Verslctierungs- 
fällen,  die  während  des  Krieges  eintreten,  nicht  klagbar  sind. 

Ueber  die  eigentliche  Kriegssterblichkeit  haben  kürzlich  Bin¬ 
der  und  Florschütz  (1.  c.)  berichtet. 

Das  Kriegsrisiko  hängt  von  der  Kriegswahrscheinlichkeit,  von 
der  Wahrscheinlichkeit  der  Kriegsteilnahme  und  von  der  Wahrschein¬ 
lichkeit  des  Todes  eines  Kriegsteilnehmers  während  des  Krieges  oder 
nach  demselben  ab.  Was  den  letztgenannten  Faktor  betrifft,  so  sind 
die  statistischen  Zusammenstellungen  der  Verluste  aus  früheren 
Kriegen  für  eine  Schätzung  der  Sterblichkeit  im  gegenwärtigen 
Kriege  nicht  zu  gebrauchen,  da  die  Bedingungen,  von  denen  die 
Kriegssterblichkeit  abhängt,  sowohl  die  die  Sterblichkeit  erhöhenden 
wie  die  dieselbe  vermindernden  bekanntlich  in  den  letzten  Jahr 
zehnten  ganz  wesentliche  Umgestaltungen  erfahren  haben.  Ich  er 
innere  in  dieser  Beziehung  an  die  enormen  Fortschritte  auf  dem 
Gebiete  der  Feuerwaffen,  der  Munition  und  der  Luftfahrzeuge  einer¬ 
seits  und  an  die  Fortschritte  in  der  Erkennung  und  Bekämpfung  über¬ 
tragbarer  Krankheiten  und  in  der  Verwundetenbehandlung  anderer¬ 
seits. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


2429 


22.  Dezember  1914. 


Im  Kriege  von  1866  betrug  die  Verwundetensterbliclikeit  1,2  Proz. 
und  die  Krankheitssterblichkeit  1,8  Proz.  Bei  den  anderen  Kriegen 
der  letzten  Jahrzehnte  überwiegt  jedoch  die  Sterblichkeit  durch  Ver¬ 
wundungen.  Die  gesamte  Sterblichkeit  der  deutschen  Heere  in  den 
3  letzten  grossen  Kriegen  betrug  3Vz  Proz..  die  gesamte  Sterblichkeit 
aller  Kriege  seit  1870  etwa  8  Proz.  Die  Behandlung  der  Ver¬ 
wundeten  in  unserem  Heere  (Transport-  und  Verbandverfahren)  hat 
sich  gut  bewährt.  Nach  einer  Bekanntmachung  des  Chefs  des  Fcld- 
sanitätswesens  zeigen  die  von  regelrechten  Heeresgeschossen  verur¬ 
sachten  Wunden  ein  gutes  Heilungsbestreben,  und  ein  grosser  Teil 
von  Verwundeten  befindet  sich  bereits  wieder  in  voller  Genesung 
Die  Gefahr  der  Verwundung  ist  aus  vielen  Gründen  für  Offiziere 
grösser  als  für  Mannschaften  und  variiert  auch  bei  Mannschaften 
nach  den  Truppengattungen,  dem  Aufgebot  und  mannigfachen  zu¬ 
fälligen  Momenten. 

Die  Sterblichkeit  durch  Erkrankungen,  wobei  in  umgekehrter 
Weise  die  Mannschaften  stärker  gefährdet  sind  als  die  Offiziere,  wird, 
wie  wir  hoffen  dürfen,  im  gegenwärtigen  Kriege  die  hohen  Zahlen 
früherer  Kriege  nicht  erreichen,  da  der  Gesundheitszustand  unserer 
Soldaten,  wie  ebenfalls  eine  Bekanntmachung  des  Chefs  des  Feld¬ 
sanitätswesens  hervorhebt,  bisher  gut  ist,  und  da  die  weitgehendsten 
Vorsichtsmassregeln  gegen  das  Auftreten  von  Epidemien  getrofien  sind. 
Die  Diagnose  und  Behandlung  der  am  meisten  zu  fürchtenden  Infek¬ 
tionskrankheiten  (Pocken,  Typhus,  Cholera,  Ruhr)  hat,  wie  hier  nicht 
näher  ausgeführt  zu  werden  braucht,  in  jüngster  Zeit  höchst  erfreu¬ 
liche  Fortschritte  zu  verzeichnen,  welche  in  denkbar  umfassendster 
Weise  unseren  Truppen  zugute  kommen. 

Auch  für  die  Gesundheit  der  zurückbleibenden  Bevölkerung, 
deren  Sterblichkeit  in  Kriegszeit  erfahrungggemäss  in  die  Höhe  geht, 
ist  durch  mannigfache  hygienische  und  sanitätspolizeiliche,  wie  auch 
durch  wirtschaftliche  Massnahmen  gut  gesorgt.  So  ist  bisher  der 
Gesundheitszustand  der  zurückbleibenden  Bevölkerung  und  der  durch 
ansteckende  Krankheiten  besonders  gefährdeten  Kriegsgefangenen  er¬ 
freulicherweise  ein  guter  geblieben. 

Sowohl  von  Behörden  als  auch  von  privaten  Körperschaften 
und  Versicherungsgesellschaften  ist  also  der  durch  den  Krieg  ge¬ 
schaffenen  veränderten  Lage  auf  dem  Gebiete  des  Versicherungs¬ 
wesens  in  einer  Weise  Rechnung  getragen  worden,  welche  zu  der 
Hoffnung  berechtigt,  dass  die  schweren  Schädigungen,  welche  jeder 
Krieg  mit  sich  bringt,  im  Interesse  unseres  Volkes  und  namentlich  der 
versicherten  Klassen  nach  Möglichkeit  aufgehoben  und  gemildert 
werden.  Auch  wir  Aerzte  können  durch  Opferfreudigkeit  und  Hilfs¬ 
bereitschaft  in  dieser  Beziehung  viel  zum  Wohle  unseres  Vater¬ 
landes  beitragen. 


Krieg  und  Tuberkulose. 

Von  Dr.  Georg  Liebe  in  Waldhof  Elgershausen. 

Als  der  Krieg  ausbrach,  stellten  sofort  die  grossen  sozialen  In¬ 
stitute,  die  Landesversicherungsanstalten  und  vor  allem  die  Reichs¬ 
versicherungsanstalt,  ihre  Fürsorge  für  Tuberkulöse  ein,  insofern 
wenigstens,  als  sie  kein  Heilverfahren  mehr  übernahmen.  Ihre 
Majestät  die  Kaiserin  aber  verlor,  wie  eine  fürsorgende  Hausmutter, 
trotz  der  Not  des  Volkes  und  des  schweren  Herzens  einer  Mutter 
von  sechs  ausrückenden  Söhnen,  nicht  den  freien  Blick  über  das,  was 
dem  Volke  not  tut,  rief  die  massgebenden  Persönlichkeiten  zusammen 
und  warnte  vor  einem  Nachlassen  in  der  Bekämpung  der  Tuber¬ 
kulose,  damit  nicht  nach  dem  Kriege  wieder  viel  weiter  vorne  an¬ 
gefangen  werden  müsse1). 

Wohl  alle  Sachkundigen  sind  mit  der  hohen  Frau  darin  einig, 
dass  bei  einem  Aussetzen  der  Heilstättenkuren  bald  nach  dem  Kriege 
ein  derartiger  Andrang  kommen  würde,  dass  er  auch  mit  den  vielen 
Betten  der  deutschen  Anstalten  nicht  zu  bewältigen  wäre.  Zumal 
wenn  man  etwa  annimmt,  dass  dieser  Zeitpunkt  in  den  beginnenden 
Sommer  falle,  der  sowieso  für  Heilstättenkuren  noch  immer  die  be¬ 
vorzugte  Zeit  ist.  Nunmehr  dagegen  kann  mancher  die  arbeitslose 
Zeit  dazu  benutzen,  sich  wieder  zu  kräftigen,  um,  wenn  die  Industrie 
wieder  mehr  arbeitet  und  wenn  dann  viele  Erholungsbedürftige  aus 
dem  Felde  kommen,  zum  Besten  des  Vaterlandes  und  der  Seinigen 
seinen  Mann  stellen  zu  können.  Die  Heilstätten  aber  werden  dann 
Platz  für  die  Opfer  des  Krieges  bieten.  Dass  aber  der  Krieg  manche 
schlummernde  Tuberkulose  wecken  wird,  manche  auch,  die  sonst 
vielleicht  im  ganzen  Leben  nicht  an  ein  Aufwachen  gedacht  hätte, 
darüber  kann  wohl  kein  Zweifel  herrschen.  Deshalb  ist  es  gut,  schon 
jetzt  davon  zu  reden. 

Es  ist  der  Vorschlag  aufgetaucht,  zu  versuchen,  schon  bei 
unseren  draussen  kämpfenden  Truppen  Tuberkulöse  auszusondern  und 
dazu  besonders  eingeübte  Tuberkuloseärzte  hinauszuschicken.  Das 
scheint  mir  praktisch  undurchführbar  zu  sein.  Die  Aerzte,  die  selbst 
im  Felde  stehen  und  die  dortigen  Verhältnisse  ohne  den  mildernden 
Hauch  der  Entfernung  kennen  lernten,  werden  das  wohl  bestätigen. 
Aber  an  einer  anderen  Stelle  kann  man  meines  Erachtens  einsetzen: 
in  den  Lazaretten.  Ich  meine,  man  könnte  sehr  viel  erreichen  und 
noch  manchen  Zusammenbruch  verhüten,  wenn  man  durch  Tubcr- 
kuloseärzte  systematisch  alle  Verwundeten  in  den  Lazaretten  durch- 


')  S.  Erlass  des  Tuberkuloseausschusses  vom  17.  August  1914 


untersuchen  Hesse,  ehe  sie  irgendwohin  entlassen  werden.  Das  ist 
technisch  und  finanziell  sehr  wohl  durchführbar.  Ja,  es  lässt  sich 
sogar  soweit  ausdehnen,  dass  für  jeden  der  Weggehenden  eine 
knappe,  auf  die  Tuberkulose  bezügliche  Anamnese  aufgenommen 
wird. 

Da  schon,  mehr  aber  natürlich  noch  nach  dem  Kriege,  tritt  dann 
die  Frage  dringend  an  uns  heran,  wie  die  erhöhte  Zahl  der  Lungen¬ 
kranken  unterzubringen  sei.  In  der  W.kl.W.  (s.  M.m.W.  Nr.  37 
S.  1944)  schlägt  K  o  1 1  a  r  i  t  s  vor,  leerstehende  Sommerfrischen  dafür 
heranzuziehen.  Wer  einigermassen  Erfahrung  in  der  Unterbringung 
von  Lungenkranken  in  offenen  Quartieren  hat,  muss  sich  entschieden 
dagegen  aussprechen.  Ich  denke  heute  noch  mit  Schrecken  an  die 
früheren  Verhältnisse  in  St.  Andreasberg  oder  an  die  rncinlgen  in 
Braunfels.  Dabei  möchte  ich  gar  nicht  so  sehr  die  Gefahr  für  die 
anderen  betonen.  K  o  1 1  a  r  i  t  s  sagt  ja  richtig,  dass  man  die  Zimmer 
später  desinfizieren  könne;  und  dass  von  recht  häufigem  Spucken 
auf  die  Strasse  ein  Ort  nicht  verseucht  wird,  dafür  wissen  die 
Auguren  Beispiele  genug  anzuführen.  Aber  die  Kranken  können  eine 
richtige  Kur  nicht  machen,  es  ist  eben  bei  der  Lungentuberkulose 
nicht  mit  einem  gemütlichen  Sommerfrischeaufenthalt  in  gesunder 
Luft  abgetan.  Die  psychische  Behandlung,  der  gelinde  Zwang  des 
Sanatoriums  gehört  für  diese  Art  von  Kranken  unbedingt  dazu.  Sie 
können  sonst  nicht  verstehen,  warum  sie,  die  doch  „keine  Schmerzen 
haben“,  in  so  strenger  oder  vielmehr  geregelter  Ordnung  gehalten 
werden  müssen.  „Hier  ist  doch  kein  Zuchthaus.“  Und  ich  kann 
mir  lebhaft  denken,  dass  auch  Soldaten,  die  im  Felde,  wie  wir  lesen, 
so  Uebermenschliches  für  ihre  Volksgenossen  daheim  geleistet  haben, 
sich  schwer  in  die  kleinlichen  Ordnungsmassregeln  des  Sanatoriums 
fügen,  die  doch  nun  einmal  jetzt  Grundbedingung  eines  guten  Fort¬ 
schrittes  sind.  Hier  muss  die  Sachkenntnis  der  Ratgeber  einsetzen, 
damit  nicht  mit  wohlgemeinten  Massnahmen  Fiasko  gemacht  wird. 
Von  anderer  Seite  (Mayer:  Die  Bekämpfung  der  Tuberkulose  in 
der  Feldarmee.  M.m.W.  Nr.  36  S.  1920)  werden  als  Aufnahmestätten 
für  solche  Erkrankte  die  Lazarette  und  Lungenheilanstalten  genannt. 

Es  sei  gleich  kurz  mit  dem  Verf.  auf  die  jedenfalls  auch  nicht 
gerade  in  geringem  Masse  unter  den  Gefangenen  auftretende  Tuber¬ 
kulose  hingewiesen.  Das  ist  ein  Problem.  Inwieweit  sind  wir  ver¬ 
pflichtet,  darauf  einzugehen  und  in  der  Zeit,  in  der  diese  Leute,  diese 
Kranken  ihrer  Freiheit  beraubt  sind,  ein  Weiterschreiten  ihrer 
Krankheit  durch  geeignete  Massnahmen  zu  verhüten?  Ich  bin 
durchaus  jeder  Sentimentalität  den  Gefangenen  gegenüber  abhold 
und  kann  mich  doch  einer  gewissen  Sorge  nicht  erwehren,  dass 
nach  dieser  Hinsicht  vielleicht  zu  wenig  geschieht.  Aber,  wie  gesagt, 
es  ist  ein  Problem,  über  das  ich  mir  mangels  jeder  eigenen  Erfahrung 
kein  Urteil  anmasse.  Vielleicht  sind  auch  die  Gefangenenlager,  je 
ungemütlich  luftiger  sie  sind,  desto  besser  für  solche 2). 

Ob  für  unsere  erkrankten  Soldaten  die  Lazarette  in  Frage 
kommen?  Von  denen,  die  ich  gesehen  habe,  kann  ich  das  nicht  sagen. 
Das  ist  natürlich  nicht  der  geringste  Vorwurf  gegen  die  Lazarette, 
sondern  einfach  die  Feststellung  der  Tatsache,  dass  es  sich  eben  um 
Lazarette  für  Verwundete  und  nicht  um  Heilstätten  für  Lungenkranke 
handelt.  Uebrigens  glaube  ich,  dass  die  Lazarette  .auch  noch  auf 
recht  lange  Zeit  hin  gar  nicht  frei  sein  werden.  Es  bleiben  also  die 
Heilstätten  und  die  Tuberkuloseabteilungen  grösserer  Krankenhäuser. 
In  der  jetzigen  Ausdehnung  wird  aber  wohl  nach  dem  Kriege  in 
diesen  Häusern  auch  nicht  allzuviel  überflüssiger  Platz  sein,  wenn 
man  nicht  die  doch  immer  noch  einen  recht  beträchtlichen  Teil 
der  Bevölkerung  bildenden  „Zivilisten“  zum  Schaden  des  Ganzen 
zu  kurz  kommen  lassen  will.  Deswegen  sollte  man  schon  jetzt 
tuberkulös  erkrankte  Soldaten,  die  man  in  der  anfangs  angegebenen 
Weise  aussuchte,  in  Heilstätten  schicken,  deren  ja  viele  leer  stehen 
und  bisher  noch  vergeblich  auf  Verwundete  warteten.  Wenn  sich 
aber  dann  nach  Einsetzen  eines  grösseren  Zustromes  die  Plätze  als 
nicht  ausreichend  erweisen,  so  stellt  man  einfach  neben  die  schon 
stehenden  Heilstätten  eine  Anzahl  der  dann  wieder  freigewordenen 
Baracken  vom  Roten  Kreuz.  Eine  unserer  ältesten  Anstalten, 
Grabowsee,  war  ja  lange  genug  in  Baracken  untergebracht.  Die 
Heilstätten  haben  wohl  alle  soviel  Gelände,  dass  sie  mehrere  Ba¬ 
racken  stellen  .können.  Die  Verbindung  mit  dem  Betriebe  lässt  sich 
ohne  dessen  Störung  technisch  recht  wohl  ermöglichen.  Einen  der 
Militärärzte,  die  wohl  zum  Teil  auch  etwas  Erholung  brauchen 
werden,  gibt  man  für  diese  Abteilung  als  Stationsarzt,  und  braucht  so 
für  das  Ganze  durchaus  keinen  grossen  besonderen  Apparat.  Wahr¬ 
scheinlich  werden  die  meisten  Lungenheilstätten  dazu  erbötig  sein. 

Internationale  Konferenzen  und  Kongresse  werden,  wie  ich 
glaube,  für  die  nächste  Zeit  etwas  an  Zugkraft  eingebüsst  haben. 
Selbstverständlich  kann  sich  Deutschland  mit  Oesterreich  und  seinen 
neutralen  Nachbarfreunden  nicht  von  der  Aussenwelt  abkapseln;  und 
dass  Wissenschaft  und  Kunst  international  ist  und  sein  muss,  wird 
man  bald  wieder  merken.  Aber  diese  grosse  Verbrüderung  aller 
schlitz-  und  sonstäugigen  Rassen,  wie  sie  die  bisherigen  Kongresse 
zeigten,  wird  wenigstens  für  die  jetzige  Generation  nicht  mehr  auf 
allzuviel  Gegenliebe  stossen.  Erst  allmählich  wird  man  wieder  in 


2)  Für  die  „zentrifugale“  Seuchenfürsorge  ist  ja,  wie  man  liest, 
reichlich  genug  getan.  Vergl.  „Die  gesundheitliche  Ueberwachung 
der  Kriegsgefangenen“.  Frankf.  Ztg.  1914  Nr.  283,  Abendblatt.  Die 
„zentripetale“,  worauf  oben  hingewiesen  wurde,  dürfte  viel  schwie¬ 
riger  in  den  Kreis  der  Massnahmen  einzubeziehen  sein.  L. 


2-130 


Feldämliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  51 


ein  gewisses  Vergessen  sich  hineinleben  können 3).  Umsomehr 
müssen  wir  uns  unter  Leitung  der  Berliner  Zentrale  zur  Innenarbeit 
im  Kampfe  gegen  die  Tuberkulose  zusammenschliessen.  Und  an 
Stelle  der  ausgefallenen  Berner  Konferenz  dürfte  sehr  bald  nach  dem 
Kriege  eine  deutsche  Tagung  nötig  sein,  um  alle  diese  Fragen 
zu  behandeln  und  die  von  Ihrer  Majestät  der  Kaiserin  mit  Recht 
hervorgehobene  Sorge  durch  Ueberlegung  und  Tat  zu  beseitigen. 
Wie  aber  unsere  Militärbehörde  uns  gezeigt  hat,  was  es  heisst,  einer 
eintretenden  Gefahr  bis  ins  Kleinste  gerüstet  und  vorbereitet  gegen¬ 
über  zu  treten,  so  soll  auch  uns  unser  alter  Feind,  die  Tuberkulose, 
immer  mit  scharfer  Klinge  vorfinden.  Deswegen  scheint  es  nicht 
unangebracht  zu  sein,  dass  schon  jetzt  der  eine  oder  der  andere  der 
älteren  Fachärzte  seine  Gedanken  der  Gesamtheit  darbietet.  Wir, 
die  wir  daheim  bleiben  müssen,  haben  ja  auch  den  brennenden 
Wunsch,  nach  Kräften  zum  Wohle  des  Vaterlandes  beizutragen. 


Vereine. 

Berliner  vereinigte  ärztliche  Gesellschaften. 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzung  vom  9.  Dezember  1914.  (Schluss.) 

Vorsitzender:  Herr  Orth. 

Schriftführer:  Herr  v.  Hansemann. 

Herr  Lewandowsky:  Referat  über  Kriegsverletzungen  des 
Nervensystems. 

Von  120  Kriegsverletzungen  des  Nervensystems  entfielen  25  Proz. 
auf  das  Gehirn,  10  Proz.  auf  das  Rückenmark  und  65  Proz.  auf  die 
Nerven.  Die  Gehirnschüsse  im  Felde  unterscheiden  sich  von 
den  Friedensverletzungen  dadurch,  dass  die  Kugel  meist  nicht  im 
Schädelinnern  bleibt.  Daneben  kommen  aber  infolge  des  Frank¬ 
tireurkrieges  Schädelschüsse  mit  geringerer  Durchschlagskraft,  selbst 
Schrotschüsse  vor.  Granatsplitter  im  Gehirn  werden  häufig  erst 
durch  das  Röntgenbild  aufgedeckt.  Die  Geschosse  sind  nur  dann  zu 
entfernen,  wenn  der  chirurgische  Eingriff  infolge  oberflächlicher  Lage 
leicht  ausführbar  ist.  Von  grosser  Bedeutung  ist  eine  gute  chirur¬ 
gische  Wundversorgung  unter  Entfernung  aller  Knochensplitter  und 
zertrümmerten  Gewebsteile  möglichst  bald  nach  der  Verletzung.  An¬ 
dernfalls  kommt  es  später  häufig  zu  Meningitiden  (Lumbalpunk¬ 
tionen!)  oder  Hirnabszess,  der  fieberfrei  verläuft  und  daher  oft  ver¬ 
kannt  wird.  Durchschüsse  durch  das  Gehirn  verlaufen  oft  ohne 
Folgen.  Ein  Feldwebel  ging  mit  2  Schüssen  durch  das  Gehirn  noch 
eine  halbe  Stunde  vorwärts,  ohne  das  Bewusstsein  auch  nur  einen 
Augenblick  zu  verlieren,  und  kam  erst  durch  einen  Schenkelschuss 
aus  der  Gefechtslinie.  Streifschüsse  verursachten  ott  Basisbrüche 
(Prüfung  des  Akustikus  und  Vestibularis). 

Die  Rückenmarksverletzungen  erfordern  nur  selten 
eine  Laminektomie.  Querschnittsläsionen  verlaufen  stets  tödlich 
durch  Dekubitus  und  Zystitis,  selbst  wenn  das  Rückenmark  nicht  vom 
Geschoss  getroffen  ist.  Bei  den  teilweisen  Rückenmarksverletzungen 
besteht  die  Hauptaufgabe  in  der  Verhinderung  dieser  Komplikationen. 
Die  peripheren  Nervenverletzungen  machen  etwa  1,5  Proz.  aller  Ver¬ 
letzungen  (also  etwa  10  000  Fälle)  aus.  Schmerzen  sind  nur  selten 
heftig.  Die  Nerven  sind  nicht  nur  direkt  getroffen,  sondern  häufig 
in  Narben  eingebettet.  Wenn  in  4—8  Wochen  sich  die  Funktion  nicht 
bessert,  ist  die  Nervenfreilegung  angezeigt.  Ein  sicheres  Kenn¬ 
zeichen,  um  die  Regenerationsfähigkeit  eines  Nerven  zu  beurteilen, 
gibt  es  nicht.  Bei  Narben  im  Nerven  ist  die  Resektion  angezeigt. 
Bei  der  Nervennaht  ist  darauf  zu  achten,  dass  möglichst  die  zuge¬ 
hörigen  Fasern  miteinander  vereinigt  werden.  Ischämische  Läh¬ 
mungen  durch  zu  langes  Liegenbleiben  der  Esmarch  sehen  Binde 
(bis  zu  3  Tagen)  sind  irreparabel. 

Funktionelle  Neurosen  und  Hysterie  sind  relativ  selten,  treten 
auch  im  Frieden  bei  nur  2  Proz.  der  Unfallverletzten  auf.  Die 
erste  Prognosenstellung  des  behandelnden  Arztes  hinter  der  Front 
ist  hier  oft  von  ausschlaggebender  Bedeutung  und  sollte  me  un¬ 
günstig  sein.  E.  Leschke  -  Berlin. 


Tagesgeschichtliche  Notizen. 

München,  den  19.  Dezember  1914*). 

Die  schweren  Kämpfe  in  Polen  haben  im  Laufe  dieser  Woche 
zu  einer  fi:r  die  deutschen  Waffen  glücklichen  Entscheidung  ge¬ 
führt:  Die  feindlichen  Armeen  sind  in  ganz  Polen  zum  Rückzug  ge¬ 
zwungen,  der  Feind  wird  verfolgt.  Noch  lässt  sich  nicht  übersehen, 
wie  weit  die  russische  Armee  durch  diese  Niederlage  in  ihrem  Be¬ 
stände  erschüttert  ist,  man  darf  aber  hoffen,  dass  sie  jedenfalls  für 
längere  Zeit  zu  neuen  Angriffen  unfähig  sein  wird.  Diese  Schwä¬ 
chung  unseres  mächtigsten  Gegners  wird  sich  auch  im  Westen  bald 


3)  „Internationale“  Zeitschriften,  die  den  Lesern  englische  und 
französische  Referate  vorsetzen,  hat  wohl  nur  Deutschland,  und  auch 
da  könnte  etwas  mehr  Zurückhaltung  und  etwas  weniger  Inter-  j 
nationalismus  nichts  schaden.  L. 

")  Der  Weihnachtsfeiertage  wegen  musste  diese  Nummer  früher 
fertiggestcllt  werden. 


fühlbar  machen.  Die  Beschiessung  einiger  befestigten  Plätze  de> 
englischen  Küste  durch  deutsche  Kreuzer,  die  mit  der  Vernichtunv 
zweier  englischer  Torpodebootszerstörer  verbunden  w'ar,  beweis 
aufs  neue  die  Tatkraft  der  deutschen  Flotte. 

—  Die  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien  nahm  in  ilirci 
jüngsten  Sitzung  folgende  Resolution  an:  Die  Genfer  Konventioi 
bestimmt  im  Kapitel  III,  Artikel  9:  Das  ausschliesslich  zur  Bergung 
Beförderung  und  Behandlung  von  Verwundeten  un». 
K  r  a  n  k  e  n  sowie  zur  Verwaltung  von  Sanitätsformationen  und 
-anstalten  bestimmte  Personal  und  die  den  Heeren  beige 
gebenen  Feldprediger  sollen  unter  allen  Umständen  ge  achtel 
und  geschützt  werden;  wenn  sie  in  die  Hände  des  Feindes 
fallen,  dürfen  sie  nicht  als  Kriegsgefangene  behandelt  wer¬ 
den.  Artikel  12  handelt  von  der  Rücksendung  solcher  Personen  zi 
ihrem  Heere  oder  in  die  Heimat.  Diese  Bestimmungen  sind  vor 
den  Vertretern  Belgiens,  ürossbritaniens,  Serbiens,  Russlands  und 
Frankreichs  angenommen  und  von  den  Regierungen  der  genannter 
Reiche  auch  ratifiziert  worden.  Trotzdem  werden  zahlreich ej 
österreichische  Aerzte,  welche  in  Ausübung  ihrer  Pflicht 
den  Feinden  in  die  Hände  fielen,  von  diesen  als  Gefangene  be¬ 
handelt  und  seit  Monaten  zurückbehalten.  Die  k.  k 
Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien  protestiert  gegen  ein  solches 
Verhalten  und  erklärt  mit  Entrüstung,  dass  es  eines  zivilisierten! 
Staates  unwürdig  ist,  Abmachungen  zu  treffen  und  sie  dann,  wenn 
sie  zur  Geltung  kommen  sollen,  zu  ignorieren.  Die  Resolution  wurde 
von  der  Versammlung  einstimmig  angenommen. 

Ucber  zahnärztliche  Behandlung  bei  der 
österreichisch-ungarischen  Armee  im  Felde  wird 
uns  geschrieben:  Im  Bereiche  des  4.  Armee-Etappen-Kommandos 
wurden  über  Initiative  des  Herrn  Generalstabsarztes  Dr.  Ritter1 
v.  M  o  rdynski  3  mobile  zahnärztliche  Feldambulatorien  errichtet.! 
Eines  der  Ambulatorien  ist  abgesehen  von  der  kompletten  zahnärz!-' 
liehen  und  zahntechnischen  Einrichtung  derart  ausgestattet,  dass  inj 
demselben  die  Durchführung  zahnärztlich-chirurgischer  Behandlungs¬ 
methoden  im  weitesten  Ausmasse  möglich  ist.  Die  kricgszahnär?t- 
liche  Hilfe  erstreckt  sich  in  erster  Reihe  auf  die  KieferbruchschienungJ 
Die  Leitung  dieses  Ambulatoriums  ruht  in  den  Händen  des  k.  u.  k. 
Stabsarztes  Universitätsdozenten  Dr.  Juljan  Z  i  1  z. 

Die  k.  k.  n.-ö.  Statthalterei  hat  mit  dem  Erlasse  vom  17.  XI.  14 
dem  Wiener  Magistrate  nachstehendes  zur  Kenntnis  gebracht:  „In 
letzter  Zeit  findet  die  Verwendung  von  TieMBlut-)kohle  als  Heil¬ 
mittel  bei  Darmerkrankungen,  namentlich  bei  Dysenterie  und  Cholera, 
ausgedehnte  Verbreitung  und  hat  sich  insbesondere  auch  in  den 
Choleraspitälern  Galiziens  bestens  bewährt.  Zugleich  zeigt  aber  auch 
die  Erfahrung,  dass  vielfach  Tierkohlenpräparate  in  den  Verkehr  ge¬ 
bracht  w'erden,  die  sich  für  Heilzwecke  nicht  eignen,  da  die  ver¬ 
wendete  Tierkohle  zu  geringe  Absorptionskraft  besitzt,  oft  auch  durch 
gesundheitsschädliche  Stoffe  verunreinigt  ist.  Der  Vorstand  des  phar¬ 
makologischen  Institutes  der  deutschen  Universität  in  Prag,  Sani-i 
tätsrat  Prof.  Dr.  Wilhelm  Wiechowski,  hat  auf  Grund  seiner  ein¬ 
schlägigen  Versuche  festgestellt,  dass  Tierkohle,  welche  arzneilichen 
Zwecken  dienen  soll,  den  nachstehend  beschriebenen  Proben  stand¬ 
halten  muss:  1.  Feststellung  der  Absorptionskraft: 
a)  0,1  g  feingesiebte  und  bei  120°  C  getrocknete  Kohle  muss  minde¬ 
stens  20  cm  einer  1,5  proz.  wässerigen  Lösung  von  Methylenblau- 
Chlorhydrat  medicinale  (Merck)  beim  Schütteln  im  verschlossenen 
üefässe  innerhalb  einer  Minute  vollständig  entfärben,  b)  Wird  eine 
Aufschüttelung  von  2,3  g  Kohle  in  65  ccm  der  unter  a  beschriebenen 
Methylenblau-Chloralhydrat-Lösung  getrunken,  darf  der  innerhalb  der 
nächsten  24  Stunden  ausgeschiedene  Harn  keine  Grünfärbung  zeigen. 

2.  Bestimmung  der  in  Salzsäure  löslichen  Ver¬ 
unreinigungen.  5  g  Kohle  werden  mit  150  ccm  doppelt  normal 
Salzsäure  5 — 10-  Minuten  gekocht;  nach  dem  Erkalten  wird  auf 
200  ccm  mit  destilliertem  Wasser  ergänzt,  filtriert  und  150  ccm  des 
Filtrates  in  einer  gewogenen  Schale  zur  Trockene  verdampft.  Der; 
bei  110°  C  getrocknete  Rückstand  darf  nicht  mehr  als  0,05  g  wiegen. 

3.  Bestimmung  der  in  Wasser  und  Lauge  löslichen 
Verunreinigungen.  Das  Filtrat  einer  Aufschüttelung  der 
Kohle  in  destilliertem  Wasser  darf  mit  Silbernitratlösung  höchstens 
die  Spur  einer  Trübung  geben;  an  kochende  Lauge  darf  die  Kohle 
keine  färbenden  Substanzen  abgeben.  Hievon  wurde  die  Wiener 
Aerztekammer  zur  Kenntnisnahme  mit  der  Einladung  die  Mitteilung 
gemacht,  diesen  Statthaltereierlass  mit  dem  Beifügen  zu  verlautbaren, 
dass  sich  der  eingangs  bezeichnete  Fachmann  bereit  erklärt  hat,  durch 
das  unter  seiner  Mitwirkung  tätige  Kriegsmedikamentenkomitce  in 
Prag  (II.  Krakauergasse  13)  arzneiliche  Tierkohle  auf  ihre  spezielle 
Wirksamkeit  prüfen  zu  lassen,  und  dass  für  Zwecke  der  Sanitäts¬ 
behörden  und  Spitäler  durch  das  bezeichnete  Komitee  geprüfte  Tier¬ 
kohle  bis  auf  weiteres  bezogen  werden  kann.  (Eine  Arbeit  über 
diese  Frage  aus  dem  Institut  des  Prof.  Wiechowski  erscheint 
in  einer  der  nächsten  Nummern  dieser  Wochenschrift.) 

—  Am  31.  Dezember  d.  J.  verjähren  im  Bereiche  des  Deut¬ 
schen  Reiches  die  ärztlichen  Forderungen  aus  dem  Jahre  1912.  Die 
Verjährung  wird  nicht  unterbrochen  durch  ein  einfaches  Mahnver¬ 
fahren,  sondern  nur:  1.  durch  schriftliches  Anerkenntnis  der  Be¬ 
rechtigung  der  Forderung  seitens  des  Schuldners,  womit  man  zweck¬ 
mässig  ev.  die  Festsetzung  eines  bestimmten  Zahlungstermines  ver¬ 
bindet;  2.  durch  Abzahlung  bzw.  Teilzahlung;  3.  durch  gerichtliche 
Klage  bzw.  Zahlungsbefehl;  4.  durch  Anmeldung  zum  Konkurse.  — 


22.  Dezember  191-4. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


2-431 


Die  Bestimmungen  über  die  Verjährung  erfahren  iür  den  gegen¬ 
wärtigen  Kriegszustand  eine  wichtige  Ausnahme.  Laut 
Sü  2  und  8  des  Gesetzes  vom  4.  August  1914  (R.G.BI.  S.  328)  ist 
die  Verjährung  gehemmt  zugunsten  der  zur  mobilen  Armee 
eingezogenen  Personen  und  ihrer  Gegner  bis  zur  Beendigung  des 
Kriegszustandes  oder  ihres  militärischen  Dienstverhältnisses.  (Sächs. 
Korr.- Bl.) 

—  Die  Beiträge  für  die  Weihnachtsgabe  für  arme 
Arztwitwen  in  Bayern  (s.  u.)  fliessen  in  diesem  Jahre  spär¬ 
lich.  Das  ist  begreiflich,  aber  doch  im  Interesse  vieler  armer 
Kollegenswitwen  sehr  zu  bedauern,  denn  auch  unter  ihnen  ist  die 
Not  grösser  als  sonst.  An  ihnen  sollte  also  nicht  gespart 
werden  Wir  bitten  erneut  um  Einsendung  von  Gaben  an  Herrn 
Dr.  Hollerbusch,  Fürth  i.  B.,  Mathildenstrasse  1. 

—  Zur  Feier  der  25  jährigen  Amtstätigkeit  des  Direktors  der 
kantonalen  Krankenanstalt  Aarau  (Schweiz)  Dr.  Heinrich  B  i  r  c  h  e  r. 
haben  dessen  Freunde  und  ehemaligen  Assistenten  eine  Reihe  von 
Arbeiten  verfasst,  die  zum  grössten  Teile  in  Bruns  Beiträgen  z.  klin. 
Chir.  Bd.  89  und  91  erschienen  sind.  Die  Arbeiten  sind  jetzt  in 
einem  besonderen  Band  zusammengefasst  und  als  Festschrift 
dem  Jubilar  überreicht  worden.  Der  Band  ist  auch  im  Buchhandel 
zu  haben.  (H.  Lauppsche  Buchhandlung,  Tübingen.  Preis  18  M.) 

—  Das  Bakteriologische  Taschenbuch  von  Geh. 
O.-Med.-Rat  Dr.  Rud.  Abel  ist  in  18.  Auflage  (Verlag  von  Kurt 
K  a  b  i  t  s  c  h  in  Würzburg  1914.  Preis  2  M.)  erschienen.  Das  Buch 
kam  zuerst  im  Jahre  1889  heraus;  seit  dem  Jahre  1903  erscheint 
jedes  Jahr  eine  neue  Auflage.  Gegenüber  einem  derartigen  Erfolg 
erübrigt  sich  eine  weitere  Empfehlung. 

—  Cholera.  Deutsches  Reich.  In  der  Woche  vom  6.  bis 
12.  Dezember  wurde  im  Reg.-Bez.  Oppeln  in  Ratibor  bei  je  einem 
deutschen  und  österreichischen  Soldaten  Cholera  iestgestellt:  ebenso 
in  Polenziger  Bruch  (Kr.  Weststernberg,  Reg.-Bez.  Frankfurt)  bei 
3  Personen.  Ausserdem  zeigten  sich  wieder  einige  Cholerafälle  bei 
russischen  Kriegsgefangenen  sowie  bei  Verwundeten  oder  Kranken, 
die  vom  östlichen  Kriegsschauplätze  kamen.  —  Oesterreich-Ungarn. 
In  der  Woche  vom  15. — 21.  November  wurden  in  Oesterreich  363  Er¬ 
krankungen  (und  72  Todesfälle)  festgestellt,  und  zwar  in  Nieder¬ 
österreich  78  (14)  —  davon  in  Wien  67  (12),  in  4  weiteren  Gemeinden 
11  (2)  — ,  in  Steiermark  in  2  Gern.  11  (3),  in  Kärnten  in  1  Gern.  2  (2), 
in  Böhmen  in  10  Gern.  17  (7),  in  Mähren  in  18  Gern.  93  (24),  in 
Schlesien  in  5  Gern.  61  (7),  in  Galizien  in  13  Gern.  101  (14)  —  davon 
in  Krakau  11  ( — ).  In  Ungarn  wurden  in  derselben  Zeit  485  Er¬ 
krankungen  gemeldet,  davon  in  den  Städten  Pesf  19  (bei  Militär¬ 
personen),  Debreczin  5  (bei  Militärpersonen),  Kaschau  14  (bei 
Militärpersonen),  Grosswardein  3,  Pressburg  2.  Szatmar-Nemeti  1. 
Neusatz  1. 

—  In  der  48.  Jahreswoche,  vom  29.  November  bis  5.  Dezember 
1914.  hatten  von  deutschen  Städten  über  40  000  Einwohner  die 
grösste  Sterblichkeit  Zwickau  mit  39,1.  die  geringste  Berlin-Friedenau 
mit  4.4  Todesfällen  pro  Jahr  und  1000  Einwohner.  Mehr  als  ein 
Zehntel  aller  Gestorbenen  starb  an  Scharlach  in  Beuthen.  Königs¬ 
hütte,  Recklinghausen  Land,  Thorn.  Tilsit,  Zabrze,  an  Diphtherie 
und  Krupp  in  Berlin-Lichtenberg,  Berlin-Pankow,  Bottrop,  Gera, 
München-Gladbach,  Recklinghausen-Land,  an  Keuchhusten  in  Lübeck. 

Vöff.  Kais.  ües.A. 

(Hochschulnachrichten.) 

Freiburg  i.  B.  Zum  Prorektor  der  Universität  Freiburg 
ist  für  1915  16  der  Direktor  des  Patholog.  Institutes,  Geh.  Hofrat 
Dr.  Ludwig  A  s  c  h  o  f  f,  gewählt  worden. 

Jena.  1666  immatrikulierte  Studierende  zählt  in  diesem  Win¬ 
tersemester  die  Universität  Jena,  gegen  2007  im  Sommersemester 
1914  und  1862  im  Wintersemester  1913  14.  Davon  sind  440  Mediziner, 
darunter  31  Studierende  der  Zahnheilkunde.  955  Studenten,  darunter 
296  Mediziner  stehen  im  Felde. 

Münster  i.  W.  Die  Zahl  der  immatrikulierten  Studierenden 
beträgt  in  diesem  Wintersemester  nach  den  vorläufigen  Feststellungen 
2352,  wovon  aber  ein  erheblicher  Teil  im  Felde  steht.  Der  medi¬ 
zinisch-propädeutischen  Abteilung  (medizinisches  Studium  innerhalb 
der  ersten  5  Semester  bis  zur  ärztlichen  Vorprüfung  einschliesslich) 
gehören  davon  mit  Einschluss  der  Studierenden  der  Zahnheilkunde 
443  Immatrikulierte  an,  darunter  17  Studentinnen  der  Medizin.  Im 
ganzen  studieren  in  diesem  Wintersemester  an  der  hiesigen  Universi¬ 
tät  239  Studentinnen. 

Rostock.  Die  Gesamtfrequenz  der  Universität  beträgt 
262  Studierende,  davon  sind  immatrikuliert  243.  Die  Zahl  der  Medi¬ 
ziner,  einschl.  der  Studierenden  der  Zahnheilkunde,  beträgt  75. 

Von  den  im  Sommersemester  1914  immatrikulierten  Studierenden 
stehen  im  Heere  573,  im  Kriege  gefallen  sind  bisher  30. 

Prag.  Als  Privatdozenten  wurden  zugelassen:  Dr.  Erwin 
Klausner  für  Haut-  und  Geschlechtskrankheiten  an  der  Prager 
deutschen  Universität  und  Dr.  Emil  Sieber  für  interne  Medizin  an 
dei  Prager  böhmischen  Universität,  (hk.) 

(Todesfall.) 

ln  Frankfurt  a.  M.  starb  am  15.  Dezember  im  48.  Lebensjahre 
an  den  Folgen  einer  Blutvergiftung  der  Chefarzt  der  chirurgischen 
Abteilung  des  Marienkrankenhauses,  Dr.  Franz  Sasse,  der  zu  den 
bekanntesten  Chirurgen  Frankfurts  gehörte.  Als  der  Krieg  aus¬ 
brach,  ersuchte  die  Stadt  den  Verstorbenen,  gemeinsam  mit  Dr.  S  i  e  - 
g  e  1  die  Leitung  der  Chirurgischen  Universitätsklinik  zu  übernehmen. 


nachdem  Geh.-Rat  Prof.  Rehn  ins  Feld  gerückt  war.  Vor  etwa 
4  Wochen  erlitt  Dr.  Sasse  bei  der  Behandlung  eines  Soldaten 
eine  Infektion  am  Finger,  die  so  verhängnisvolle  Folgen  für  ihn 
hatte. 


Amtliches. 

(Bayer  n.) 

Nr.  5285  c  70. 

Entschliessung  vom  4.  November  1914  über  die  Bekämpfung  des 

Fleektiebers. 

Kgl.  Staatsministerium  des  Innern. 

Ar.  die  Kgl.  Regierungen,  Kammern  des  Innern,  die  Distriktspolizei¬ 
behörden,  die  Kgl.  Bezirksärzte  und  die  Kgl.  Landgerichtsärzte. 

Da  während  des  Krieges  mit  einer  Verschleppung  des  Fleck¬ 
fiebers  (Flecktyphus)  gerechnet  werden  kann,  ist  eine  besondere  Be¬ 
lehrung  der  praktischen  Aerzte  über  die  Erkennung  und  Bekämpfung 
dieser  Krankheit  angezeigt  Zu  diesem  Zwecke  sind  im  Kaiserlichen 
Gesundheitsamte  „Ratschläge  an  Aerzte  für  die  Bekämpfung  des 
Fleckfiebers  (Flecktyphus)“  ausgearbeitet  worden,  die  sich  der  im 
Bundesrate  festgestellten  Anweisung  zur  Bekämpfung  des  Fleck- 
fiebers  anschliessen.  Die  amtliche  Ausgabe  der  Schrift  ist  bei 
Julius  Springer  in  Berlin  W  9,  Linkstrasse  23/24,  erschienen 
und  kann  von  dort  um  den  Einzelpreis  von  5  Pfennig,  bei  Ab¬ 
nahme  von  100  Stück  um  3  Pfennig  für  das  Stück  bezogen  werden. 

Den  Kgl.  Regierungen,  Kammern  des  Innern,  wird  die  Schrift 
in  entsprechender  Stückzahl  zur  Verteilung  an  die  Distriktspolizei¬ 
behörden,  Bezirksärzte  und  Landgerichtsärzte  übermittelt  werden. 

Zu  Seite  6  der  Anweisung,  letzte  Zeile,  wird  bemerkt,  dass 
in  Bayern  der  zugezqgene  Arzt  und  der  Leichenschauer  die  Anzeige 
der  Erkrankung  und  des  Todesfalles  sowie  jedes  Falles,  der  den 
Verdacht  der  Krankheit  erweckt,  nicht  der  Ortspolizeibehörde,  son¬ 
dern  der  Distriktspolizeibehörde  zu  erstatten  haben,  während  die 
übrigen  nach  §  2  Ziff.  ? — 4  des  Reichsgesetzes  zur  Anzeige  ver¬ 
pflichteten  Personen  diese  sowohl  bei  der  Distriktspolizeibehörde 
als  auch  bei  der  Ortspolizeibehörde  erstatten  können  (Verordnung 
vom  8.  Mai  1911  Abs.  3  und  4,  GVB1.  S.  425). 

München,  den  4.  November  1914. 

I.  A. :  Ministerialdirektor  v.  Heule. 

Ratschläge  an  Aerzte  für  die  Bekämpfung  des  Fleckfiebers  (Fleck¬ 
typhus). 

Bearbeitet  im  Kaiserlichen  Gesundheitsamte. 

Das  Fleckfieber  (exanthematischer  Typhus,  Petechialtyphus)  ist 
eine  schwere,  in  Deutschland  nicht  einheimische  Infektionskrank¬ 
heit.  Während  es  noch  bis  gegen  die  Mitte  des  vorigen  Jahr¬ 
hunderts  sich  auch  bei  uns  zeitweilig  in  epidemischer  Ausbreitung 
gezeigt  hatte,  wird  es  seither  nur  in  vereinzelten,  aus  dem  Ausland 
eingeschleppten  Fällen  hier  beobachtet1).  Es  hat  namentlich  in 
Kriegszeiten  früher  zu  grossen  und  weit  verbreiteten  Epidemien 
geführt  und  war  wiegen  seiner  ungewöhnlich  starken  Ansteckungs- 
fäbigkeit  sehr  gefürchtet.  Insbesondere  wurde  ausser  den  Acrzten 
das  Krankenpflegepersonal  häufig  von  der  Seuche  befallen.  Die 
Sterblichkeit  an  Fleckfieber  wird  auf  etwa  i/^  der  von  der  Krank¬ 
heit  Befallenen  bemessen.  Sein  Erreger  ist  noch  nicht  bekannt. 

Die  Erkrankung  an  Fleckfieber  erfolgt  ungefähr  eine  bis  zwei 
Wochen  nach  Aufnahme  des  Ansteckungsstoffes.  Mitunter  gehen  dem 
eigentlichen  Ausbruch  der  Krankheit  für  einige  Tage  Vorboten  voraus, 
die  insbesondere  in  Mattigkeit,  Kopfschmerzen,  Schwindel,  Appetit¬ 
mangel,  vermehrtem  Durste,  Hitzegefühl,  unterbrochen  von  Frösteln, 
und  Gliederschmerzen  bestehen.  Die  eigentliche  Erkrankung  beginnt 
dann  ziemlich  plötzlich  mit  einem  ausgesprochenen  Schüttelfrost, 
wobei  die  Körpertemperatur  schnell  40°  C  und  menr  erreicht;  nicht 
selten  tritt  zugleich  Erbrechen  auf.  In  wenigen  Tagen  entwickelt 
sich  nun  unter  hohem,  bis  41 u  C  oder  mehr  betragenden,  fast 
gleichmässig  anhaltendem  und  am  Morgen  nur  wenig  sinkenden 
Fieber  ein  starkes  Krankheitsgefühl  mit  grosser  Hinfälligkeit  und 
Abgeschlagenheit  und  mit  heftigen  Kreuz-  und  Gliederschmerzen. 
Zugleich  zeigen  sich  nervöse  Störungen,  wie  anhaltender  überaus 
starker  Kopfschmerz,  Flimmern  vor  den  Augen,  Ohrensausen,  in 
schweren  Fällen  Trübungen  des  Bewusstseins  bis  zu  rasch  zunehmen¬ 
der  Benommenheit  und  Delirien.  Das  Gesicht  ist  dabet  rteberhaft 
gerötet,  die  Haut  heiss,  die  Zunge  trocken  und  stark  belegt.  Dazu 
gesellen  sich  häufig  katarrhalische  Erscheinungen.  Auf  den  Lungen 
entwickeln  sich  die  Zeichen  einer  ausgebreiteten  Bronchitis.  Auch 
Katarrhe  der  Nase  und  Augenbindehaut  kommen  vor.  Fast  immer 
besteht  eine  Milzsclnvellung.  Zwischen  dem  3.  und  5.  Krankheits- 
tage  zeigen  sich  auf  der  Haut  am  Rumpfe  und  an  den  Gliedmassen, 
mitunter  auch  im  Gesichte,  zahlreiche,  bis  linsengrosse,  etwas  er- 


')  Nach  amtlichen  Angaben  belief  sich  die  Zahl  der  im  e  uro- 
p  ä  i  s  c  h  e  n  Russland  an  Fleckfieber  erkrankten  Personen  im 
Jahre  1910  auf  132  425,  1911  auf  113473  und  1913  auf  93  195.  Auch 
in  Galizien  kommt  das  Fleckfieber  noch  endemisch  vor.  Die  Zahl  der 
in  Deutschland  im  Jahrzehnt  von  1904  bis  1913  festgestellten  Fleck¬ 
fiebererkrankungen  belief  sich  jahrweise  auf  2,  16,  3,  17.  9,  7,  4, 
12,  5,  7. 


2 432  Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift.  _ Nr.  51. 


habene,  blasse,  verwaschene  Roseolaflecke,  die  ursprünglich  eine 
rein  hyperämische  Beschaffenheit  erkennen  lassen  und  manchmal 
dem  Masernausschlag  sehr  ähnlich  aussehen.  In  schweren  Fällen 
kommt  es  zu  einer  bläulichen  Verfärbung  oder  infolge  von  Blut¬ 
austritten  zu  einer  petechialen  Beschaffenheit  dieses  Ausschlages. 

In  der  2.  Krankheitswoche  pflegt  bei  den  leichteren  Erkrankungen 
das  Fieber  nachzulassen  und  das  Allgemeinbefinden  sich  zu  bessern. 
In  den  schweren  Fälllen  dagegen  nehmen  die  Krankheitserscheinungen 
an  Heftigkeit  noch  zu.  Unter  hohem  Fieber  entwickelt  sich  ein  aus¬ 
gebildeter  Status  typhosus.  Die  Benommenheit  wird  tiefer;  mit 
dunkelrotem  Gesichte,  halb  offenem  Munde  und  Auge,  brauner  rissiger 
Zunge  liegen  die  Kranken  völlig  teilnahmslos  da  und  erreichen  einen 
hohen  Grad  von  Schwäche  und  Erschöpfung.  Mitunter  besteht  eine 
heftige  nervöse  Unruhe,  bei  der  die  Kranken  auch  wohl  die  Neigung 
zeigen,  das  Bett  zu  verlassen.  Die  Stimme  bekommt  einen  heiseren 
Klang.  Infolge  von  Herzschwäche  bilden  sich  an  den  abhängigen 
Stellen  der  Lungen  hypostatische  Verdichtungen  aus.  Unter  diesen 
Erscheinungen  kann  die  Krankheit  einen  tödlichen  Ausgang  nehmen. 
Bei  günstigem  Verlaufe  tritt  am  Ende  der  zweiten  oder  in  der 
dritten  Krankheitswoche,  öfters  unter  reichlichem  Schweisse  in  Form 
einer  Krisis,  die  Entfieberung  ein.  Der  Ausschlag  blasst  dann  rasch 
ab;  auch  die  übrigen  Krankheitserscheinungen  bessern  sich,  und  der 
Kranke  geht  der  Genesung  entgegen. 

Ausser  den  Krankheitsfällen,  deren  Bilder  dieser  Schilderung 
entsprechen,  kommen  auch  ganz  leichte  Erkrankungen  vor,  bei  denen 
das  Fieber  nur  einen  niedrigen  Grad  erreicht  und  schwere  Allgemein¬ 
erscheinungen  fehlen.  Sind  solche  Leichtkranke  nicht  bettlägerig  ge¬ 
worden,  so  können  sie  eine  erhebliche  Gefahr  für  die  mit  ihnen  in 
Berührung  kommenden  Personen  bilden.  Die  Erkennung  dieser  Fälle 
begegnet,  wenn  sie  vereinzelt  auftreten,  Schwierigkeiten,  während 
beim  Herrschen  einer  Epidemie  die  Verkehrsbeziehungen  zu  einer 
festgestellten  Fleckfiebererkrankung  einen  Hinweis  auf  die  Art  der 
Krankheit  geben  und  die  Diagnose  erleichtern. 

Von  grosser  Wichtigkeit  ist  es  gegebenenfalls,  das  Fleckfieber 
von  dem  Unterleibstyphus  zu  unterscheiden.  Während  beim  Fleck- 
ficber  die  eigentliche  Erkrankung  plötzlich  beginnt  und  äusserst  rasch 
ihren  Höhepunkt  erreicht,  ist  der  Unterleibstyphus  gewöhnlich  durch 
eine  allmähliche  Entwicklung  des  Krankheitsbildes  (staffelförmiges 
Ansteigen  des  Fiebers,  langsame  Zunahme  der  Pulskurve)  gekenn¬ 
zeichnet.  Auch  die  Entfieberung  vollzieht  sich  beim  Fleckfieber  in 
der  Regel  in  erheblich  kürzerer  Zeit  als  beim  Unterleibstyphus.  Beim 
Fleckfieber  zeigt  ferner  die  Fieberkurve,  worauf  schon  oben  hinge¬ 
wiesen  wurde,  einen  ziemlich  kontinuierlichen,  in  den  Morgenstunden 
nur  wenig  remittierenden  Verlauf,  während  bei  dem  Unterleibstyphus 
morgendliche  Nachlässe  der  Körperwärme  um  etwa  1 0  und  noch 
mehr  vorzukommen  pflegen.  Stärkere  Darmerscheinungen  fehlen 
beim  Fleckfieber  meist  ganz.  Eine  Möglichkeit  der  Unterscheidung 
beider  Krankheiten  bietet  auch  der  Ausschlag;  dieser  erscheint  bei 
dem  Fleckfieber  wesentlich  früher  als  beim  Unterleibstyphus,  wo  er 
erst  in  der  zweiten  Woche  hervortritt,  er  ist  auch  über  die  Körper¬ 
oberfläche  mehr  ausgebreitet  als  beim  Darmtyphus,  bei  dem  er 
ausserdem  nur  ausnahmsweise  petechial  wird.  Auch  ermöglicht  die 
in  Zweifelsfällen  sofort  vorzunehmende  bakteriologische  und  sero¬ 
logische  Untersuchung,  deren  Ergebnisse  beim  Fleckfieber  natur- 
gi-mäss  negativ  ausfallen,  eine  Unterscheidung  der  beiden  Krank¬ 
heiten. 

Vor  einer  Verwechslung  des  Fleckfiebers  mit  Rückfallfieber 
schützen  die  Unterschiede  im  Fieberverlauf  und  das  Fehlen  der 
Rekurrensspirillen  im  Blute  des  Kranken.  Bei  einer  Unterscheidung 
des  Fleckfiebers  von  den  Masern  ist  zu  beachten,  dass  das  Auf¬ 
treten  der  Koplik  sehen  Flecke  auf  der  Mundschleimhaut  und  die 
stärkere  Beteiligung  des  Gesichtes  an  dem  Ausschlag  für  Masern 
sprechen.  Zuweilen  kommt  auch  eine  Unterscheidung  von  hämor¬ 
rhagischen  Pocken,  Roseola  syphilitica,  Meningitis,  Influenza,  septi¬ 
schen  und  Arzneiexanthemen  in  Betracht. 

Während  das  klinische  Bild  und  die  überaus  leichte  Uebertrag- 
barkeit  des  Fleckfiebers  schon  seit  dem  16.  Jahrhundert  bekannt 
sind,  scheinen  erst  neuere  Forschungen  Licht  in  die  Verbreitungs¬ 
weise  der  Krankheit  gebracht  zu  haben.  Sie  haben  gezeigt,  dass  die 
Krankheit  durch  Vermittlung  des  Ungeziefers,  namentlich  der  Läuse, 
von  Mensch  zu  Mensch  übertragen  werden  kann.  Damit  steht  auch 
die  alte  Erfahrung  im  Einklang,  dass  die  Schlafstellen  der  herum¬ 
ziehenden  Bevölkerung,  die  Herbergen  und  Asyle  die  hauptsäch¬ 
lichsten  Brutstätten  der  Seuche  sind.  Auch  ist  es  begreiflich,  dass 
vorwiegend  obdachlose  Personen,  Bettler,  Zigeuner,  Landstreicher, 
Hausierer  von  dem  Fleckfieber  befallen  werden  und  dass  gerade 
in  Kriegszeiten  und  im  Winter  die  Krankheit  leicht  an  Verbreitung 
gewinnen  kann. 

Sobald  ein  Arzt  einen  Fleckfieberfall  festgestellt  hat,  oder  auch 
nur  den  Verdacht  hegt,  dass  es  sich  bei  einem  Kranken  um  Fleck¬ 
heber  handeln  könne,  ist  er  nach  den  gesetzlichen  Bestimmungen 2) 
verpflichtet,  der  Ortspolizeibehörde  unverzüglich  eine  Anzeige  zu 
erstatten.  Jeder  festgestellte  oder  auch  nur  verdächtige  Fall  von 
Fleckfieber  ist  auf  das  strengste  abzusondern.  Da  jedoch  in  der 
Behausung  des  Kranken  die  Gefahr  vorliegt,  dass  eine  Uebertragung 
der  Krankheit  auf  Angehörige  oder  Pflegepersonen  erfolgt,  soll  der 
Kranke  sobald  als  möglich  in  ein  Krankenhaus  übergeführt 
werden. 

Die  Fortschaffung  des  Kranken  soll  nicht  in  einer 


Droschke,  einem  Strassenbahnwagen  oder  in  einem  anderen  öffent¬ 
lichen  Fuhrwerk  geschehen,  sondern  für  diesen  Zweck  ist,  wo  immer 
möglich,  ein  Krankentransportwagen  zu  benutzen,  der  sofort  nach 
dem  Gebrauche  desinfiziert  werden  muss.  Auf  dem  Lande  kann  die 
Krankenbeförderung  mittels  Behelfeinrichtungen,  die  unter  der  Lei¬ 
tung  eines  Arztes  hergestellt  werden,  erfolgen.  Die  bei  der  Kranken¬ 
beförderung  beteiligt  gewesenen  Personen  sind  als  ansteckungsver¬ 
dächtig  zu  behandeln.  (Vergl.  §  10  der  Anweisung  zur  Bekämpfung 
des  Fleckfiebers.)  Jeder  Aufenthaltswechsel  des  Kranken  Ist  bei  der 
Polizeibehörde  des  bisherigen  und  des  neuen  Aufenthaltsorts  zur 
Anzeige  zu  bringen. 

Die  mit  der  Wartung  und  Pflege  des  Kranken  betrauten 
Personen  haben  den  Verkehr  mit  anderen  Personen  tunlichst  zu 
vermeiden.  Im  Krankenzimmer  sollen  sie  ein  waschbares  Ueberkleid 
ticgen,  das  beim  Verlassen  des  Absonderungsraumes  abzulegen  ist. 
Vor  der  Aufnahme  von  Ungeziefer  haben  sie  sich  sorgfältig  zu 
schützen.  Während  einer  Fleckfieberepidemie  werden  zur  Kranken¬ 
pflege  zweckmässig  Personen,  welche  die  Krankheit  bereits  einmal 
überstanden  haben,  verwendet,  weil  solche  erfahrungsgemäss  meist 
gegen  eine  Neuerkrankung  geschützt  sind. 

Das  wirksamste  Schutzmittel  gegen  eine  Weiterverbreitung  der 
Krankheit  ist  gegebenenfalls  die  Befreiung  des  Kranken  von  Unge¬ 
ziefer,  insbesondere  Läusen.  Der  Kranke  ist  in  einem  solchen  Falle 
zunächst  in  einem  warmen  Bad  unter  Anwendung  von  Seife  einer 
gründlichen  Reinigung  zu  unterziehen.  Das  Haar  ist  mit  einem  in¬ 
sektentötenden  Mittel  (Sabadillessig,  Petroleum,  Perubalsam,  Euka¬ 
lyptusöl  usw.)  einzureiben  und  nötigenfalls  abzuschneiden,  sodann 
ist  der  Kranke  mit  reiner  Wäsche  und  reinen  Kleidern  zu  ver¬ 
sehen  und  in  einem  Raum  unterzubringen,  der  beständig  ausgiebig 
gelüftet  wird,  weil  hierdurch  erfahrungsgemäss  die  Ansteckungs¬ 
gefahr  erheblich  eingeschränkt  werden  kann. 

Die  von  dem  Kranken  bisher  benutzte  Leib-  und  Bettwäsche, 
die  zu  seiner  Reinigung  gebrauchten  Tücher,  seine  waschbaren  Klei¬ 
dungsstücke  und  dergleichen  sind  sofort  in  Wasser,  dem  Soda  zu¬ 
gesetzt  werden  kann,  auszukochen.  Die  Flüssigkeit  muss  die  Gegen¬ 
stände  vollständig  bedecken  und  vom  Augenblick  des  Kochens  ab 
mindestens  eine  Viertelstunde  im  Sieden  gehalten  werden.  Die  Koch- 
gefässe  müssen  bedeckt  sein. 

Kleidungsstücke,  die  nicht  gewaschen  werden  können,  die  von 
dem  Kranken  bisher  benutzten  Federbetten,  wollenen  Decken,  Ma¬ 
tratzen,  Bettvorleger  sind  im  Dampfapparat  zu  desinfizieren;  dabei 
wird  auch  das  ihnen  anhaftende  Ungeziefer  zugrunde  gehen.  Gegen¬ 
stände  solcher  Art  von  geringem  Werte  sind  zu  verbrennen.  Die 
nach  dem  Dampfapparat  zu  schaffenden  Gegenstände  sind  in  Tücher, 
welche  mit  verdünntem  Kresolwasser,  Karbolsäure-  oder  Sublimat¬ 
lösung  angefeuchtet  sind,  einzuschlagen.  Zur  Desinfektion  von  Pelz¬ 
werk  und  zur  Vertilgung  des  ihm  anhaftenden  Ungeziefers  dient 
am  besten  verdünntes  Kresolwasser. 

Bei  der  Desinfektion  der  von  dem  Kranken  bisher  benutzten 
Wohnräume,  bei  der  zugleich  eine  Vernichtung  des  dort  etwa  vor¬ 
handenen  Ungeziefers  erzielt  werden  soll,  ist  von  der  Anwendung 
des  Formaldehydgases  abzusehen,  weil  die  Dämpfe  nicht  tief  genug 
eindringen,  um  das  Ungeziefer  in  seinen  Schlupfwinkeln  zu  treffen. 
Dagegen  sind  dazu  in  reichlicher  Menge  desinfizierende  Flüssigkeiten 
(verdünntes  Kresolwasser,  Karbolsäurelösung)  anzuwenden,  wo¬ 
möglich  ist  auch  eine  wirksame  Ausräucherung  mit  schwefliger  Säure 
hinterher  vorzunehmen. 

Da  nach  dem  gegenwärtigen  Stande  der  ärztlichen  Wissenschaft 
ausser  der  oben  erwähnten  Verbreitungsweise  des  Fleckfiebers  durch 
Ungeziefer  auch  eine  solche  durch  unmittelbare  oder  mittelbare  Be¬ 
rührung  mit  den  Kranken  nicht  mit  Sicherheit  ausgeschlossen  werden 
kann,  ist  im  übrigen  bei  den  Desinfektionen  am  Krankenbett  und 
bei  der  Schlussdcsinfektion  die  vom  Bundesrate  vom  21.  März  1907 
festgestellte  Desinfektionsanweisung  bei  Fleckfieber  [Flecktyphus3)) 
zu  beachten. 


Weihnachtsgabe  für  arme  Arztwitwen  in  Bayern. 

Gabenverzeichnis:  Uebertrag  M.  830. — .  Dr.  W  e  i  n  i  g  -  Schwa¬ 
bach  M.  10. — ,  Dr.  M  a  n  n  h  e  i  m  e  r  -  Fürth  M.  10. — ,  Dr.  Pragcr- 
Friith  M.  20 — ,  Obermed.-Rat  Dr.  G.  v.  M  e  r  k  e  1  -  Nürnberg  M.  20. — . 
Hofrat  Dr.  H  e  i  n  1  e  i  n  -  Nürnberg  M.  20. — ,  Dr.  Friedr.  Merkel- 
Nürnberg  M.  10. — ,  Med.-Rat  Dr.  B  r  e  d  a  u  e  r  -  Wolfratshausen 
M.  10. — ,  Hofrat  Dr.  Wilh.  B  e  c  k  h  -  Nürnberg  M.  30. — ,  Stabsarzt 
Dr.  K  r  i  n  n  e  r  -  Res.-Lazar.  Landsberg  a.  L.  M.  20. — ,  Hofrat  Dr. 
Theilhaber  -  München  M.  10. — ,  Bez.-Arzt  Dr.  Krebs-  Bad  Aib¬ 
ling  M  10. — ,  Dr.  Werner-  Burgfarnbach  M.  10.  Summa  M.  1010. — . 

Gaben  nimmt  dankbarst  entgegen  der  Kassier  der  Witwenkasse: 
Dr.  H  o  1 1  e  r  b  u  s  c  h,  Fürth,  Mathildenstr.  1. 


-’)  §§  1  und  2  des  Reichsgesetzes,  betreffend  die  Bekämpfung 
gemeingefährlicher  Krankheiten,  vom  30.  Juni  1900,  zu  dessen  Aus¬ 
führung  in  bezug  auf  das  Fleckfieber  eine  besondere  Anweisung  vom 
Bundesrat  unterm  28.  Januar  1904  erlassen  worden  ist.  (Verlag 
von  Julius  Springer,  Berlin  W  9,  Linkstrasse  23/24.)  Vgl.  auch 
die  zur  Ausführung  dieser  reichsgesetzlichen  Vorschriften  in  den  ein¬ 
zelnen  Bundesstaaten  ergangenen  besonderen  Bestimmungen. 

3)  Verlag  von  Julius  Springer,  Berlin  W  9,  Linkstrasse  23/24. 


Verlag  von  J.  F.  Lehmann  in  München  S.W.  2,  Faul  rleysesir.  20.  —  Druck  von  E.  Mühlthaler’s  Buch-  und  Kunstdruckerei  A.G.,  München. 


4er  einzelnen  Nummer  AO  A-  •  Rezugiprelt  1h  DeuUchlend 
.  •  •  und  Ausland  siehe  unten  unter  Bezugsbedingungen.  •  •  • 
Inaerntenschluss  am  Donnerstag  einer  Jeden  Woche. 


MÜNCHENER 


Zusendungen  sind  za  richte* 

Für  die  Schriftleitung:  Amulfstr.  26  (Sprechstunden  8^  —  1  Uhr) 
Für  Bezug:  an  1.  r.  Lehmann’s  Verlag,  Paul  Heysestrasse  26. 
Für  Anzeigen  und  Beilagen :  an  Rudolf  Mosse,  Theatinerstrasse  8. 


Medizinische  Wochenschrift. 


ORGAN  FÜR  AMTLICHE  UND  PRAKTISCHE  ÄRZTE. 


Nr.  52.  29.  Dezember  1914. 


Schriftleitung:  Dr.  B.  Spatz,  Arnulfstrasse  26. 
Verlag:  J.  F.  Lehmann,  Paul  Heysestrasse  26. 


61.  Jahrgang. 


Der  Verlag  behält  sich  das  ausschliessliche  Recht  der  Vervielfältigung  und  Verbreitung  der  in  dieser  Zeitschrift  zum  Abdruck  gelangenden  Originalbeiträge  vor. 


Originalien. 

Aus  der  II.  medizinischen  Klinik  der  Kgl.  Charite  in  Berlin. 

Ueber  Pneumokokkenangina  und  ihre  Behandlung. 

Von  Erich  Leschke. 

Die  bakteriologische  Differentialdiagnose  der  durch  die 
verschiedenen  pathogenen  Mikroorganismen  hervorgerufenen 
Mandelentzündungen  hat  sich  bisher  auf  praktischen  Gründen 
im  wesentlichen  auf  die  Abgrenzung  der  Diphtherie  und  der 
P  1  a  u  t  -  V  1  n  c  e  n  t  sehen  Angina  von  der  gewöhnlichen  folli¬ 
kulären  Mandelentzündung  beschränkt.  Die  Gleichmässigkeit 
des  Verlaufes  und  der  Behandlung,  vor  allem  das  Fehlen  einer 
spezifischen  Therapie,  Hessen  eine  bakteriologische  Differen¬ 
zierung  der  überwiegend  durch  Streptokokken,  zuweilen  je¬ 
doch  auch  durch  Staphylokokken  und  Pneumokokken  hervor¬ 
gerufenen  Anginen  entbehrlich  erscheinen.  Wenn  ich  daher  im 
folgenden  die  Aufmerksamkeit  auf  die  Pneumokokken¬ 
angina  lenken  möchte,  so  geschieht  es  vornehmlich  aus 
therapeutischen  Gesichtspunkten. 

Das  klinische  Bild  der  Pneumokokken¬ 
angina  ist  ein  mannigfaches.  Man  kann  drei  Hauptformen 
unterscheiden: 

1.  Die  follikuläre  Pneumokokkenangina 
unter  dem  Bilde  der  gewöhnlichen  Mandelentzündung.  Bei 
dieser  Form  sind  die  Mandeln  und  zuweilen  auch  die  hintere 
Rachenwand  mit  einem  graugelben  bis  graugrünen  eitrigen 
Belag  bedeckt,  der  auf  den  Mandeln  selbst  sowohl  in  Form 
von  Pfropfen  auftreten  kann  als  auch  in  Form  eines  zu¬ 
sammenhängenden  Belages,  dessen  Unterscheidung  von  einem 
diphtherischen  auf  den  ersten  Blick  nicht  immer  leicht  ist. 

2.  Die  Pneumokokkeninfluenza.  Bei  ihr  treten 
die  lokalen  Erscheinungen  an  den  Mandeln  zurück  gegenüber 
den  Allgemeinerscheinungen.  An  den  Mandeln  und  im  Rachen 
findet  sich  gewöhnlich  nur  eine  Rötung  und  feine  samtartige 
Follikelschwellung.  Die  Lymphdrüsen  am  Halse  sind  ge¬ 
schwollen,  das  Allgemeinbefinden  sehr  gestört,  namentlich  be¬ 
stehen  Schmerzen  in  den  Gliedern  und  im  Rücken,  Kopf¬ 
schmerzen,  Müdigkeit  und  Abgeschlagenheit  —  kurz  das  cha¬ 
rakteristische,  auch  dem  Laien  bekannte  „Influenzagefühl“. 
Erscheinungen  katarrhalischer  Art  an  den  Respirationswegen 
(Nase,  Nebenhöhlen,  Trachea,  Bronchien)  können  ausserdem 
vorhanden  sein.  Auf  die  Häufigkeit  dieser  Form  der  Pneumo¬ 
kokkeninfektion  hat  zuerst  C.  L  e  e  d  e ')  nach  den  am 
Eppendorfer  Krankenhause  gemachten  Erfahrungen,  denen 
auch  ich  meine  erste  Kenntnis  dieser  Erkrankungsform  ver¬ 
danke,  und  nach  ihm  Walb2)  hingewiesen. 

3.  Die  septische  Pneumokokkenangina  und 
Pneumokokkämie.  Auch  bei  dieser  Form  der  Er¬ 
krankung  tritt  der  lokale  Befund  an  den  Mandeln  meist  hinter 
den  schweren  Allgemeinerscheinungen  ganz  zurück.  Im  Be¬ 
ginn  der  Erkrankung  sieht  man  wohl  oft  noch  die  Rötung  und 
Schwellung  der  Mandeln  und  des  Rachens  sowie  einzelne 
Pfropfe,  oft  aber  weist  kaum  etwas  auf  den  Ausgangspunkt 
der  schweren  sepsisartigen  Allgemeinerkrankung  hin.  Wenn 
in  solchen  Fällen  —  wie  so  oft  —  der  kulturelle  Nachweis 
der  Erreger  im  Blute  nicht  gelingt,  bleibt  das  Krankheitsbild 
überhaupt  unklar.  Ich  glaube,  dass  eine  ganze  Reihe  der  un¬ 
klaren  septischen  oder  sepsisartigen  Allgemeinerkrankungen, 


‘)  C.  Lcede:  Pneumokokkeninfluenza.  Zsclir.  f.  HyR.  71.  1912 
H.  3. 

'-’)  Walb:  Ueber  Pncuinokokkcninflucnza.  D.m.W.  1913  Nr.  49. 

Nr.  52. 


bei  denen  weder  der  Ausgangspunkt  noch  der  Erreger  fest¬ 
zustellen  ist,  auf  einer  Infektion  mit  Pneumokokken  von  den 
Mandeln  her  beruht. 

Die  Prognose  auch  dieser  Erkrankung  ist  durchaus 
keine  so  schlechte,  wie  man  bei  der  Bösartigkeit  der  Pneumo¬ 
kokken  annehmen  sollte.  Ein  charakteristisches  Beispiel  dieser 
Krankheitsform  bietet  die  folgende  Beobachtung,  die  auch  die 
diagnostischen  Schwierigkeiten  veranschaulicht: 

Max  Sch.,  Arbeiter,  37  Jahre.  Pneumokokkensepsis. 

Pat.  hat  als  Kind  englische  Krankheit,  später  Tripper  und  Schan¬ 
ker  akquiriert.  Am  24.  VIII.  erkrankte  er  mit  Fieber,  fühlte  sich  sehr 
schlecht  und  hinfällig,  hatte  etwas  Beschwerden  im  Halse,  stärkere 
Beschwerden  im  Kopf  und  in  den  Gliedern  (Influenzagefühl).  Da 
ausserdem  ein  florider  Tripper  bestand,  wurde  Pat.  der  Hautklinik 
überwiesen,  die  ihn  jedoch  wegen  Typhusverdachtes  auf  die  2.  med. 
Klinik,  Typhusbaracke,  verlegte. 

Befund:  Mittelgrosser  Mann  in  schlechtem  Ernährungszustand. 
Einige  roseolaartige  Flecken  auf  der  Haut  des  Rumpfes.  Herz  und 
Lungen  o.  B.  Milz  nicht  tastbar,  aber  perkutorisch  ver- 
grössert,  reicht  bis  fast  an  den  Rippenrand  und  ist  auf  Druck 
schmerzhaft.  Leber  nicht  vergrössert,  Leib  weich.  Nerven¬ 
system  o.  B.  Urin  frei  von  Eiweiss,  Zucker  und  Urobilinogen.  Blut: 
Leukopenie,  4200  Leukozyten.  Eosinophile  sehr  vermindert. 
Blutkultur:  Widal  negativ;  keine  Typhusbazillen;  einmal  steril,  bei 
einer  zweiten  Blutentnahme  werden  Pneumokokken  ge¬ 
züchtet.  Pat.  fiebert  ständig  hoch  (38,1°  bis  40,5°),  der 
Puls  ist  klein,  weich  und  frequent  (90 — 120).  Das  Fieber  dauert 
ungefähr  2  Wochen  an.  Entfieberung  unter  lyti¬ 
schem  Abfall  der  Temperatur  vom  6.  bis  8.  IX.  Fieberfrei 
am  8.  IX.  Pat.  darf  vom  12.  IX.  an  etwas  aufstehen,  ist  aber  noch 
matt  und  appetitlos.  Vom  15.  IX.  an  ständig  zunehmende  Besserung, 
sehr  guter  Appetit,  starke  Gewichtszunahme.  Am  22.  IX.  geheilt 
entlassen. 

Der  fehlende  Befund  an  den  Halsorganen  und  die  Art  der 
Erkrankung  liessen  in  diesem  Falle  zunächst  die  Vermutungs¬ 
diagnose  Typhus  stellen,  die  auch  in  der  Leukopenie  und  dem 
Milztumor  sowie  einigen  roseolaartigen  Flecken  auf  der  Bauch¬ 
haut  eine  scheinbare  Stütze  erhielt.  Der  negative  Ausfall  der 
Aggutinationsprobe  und  der  ersten  Blutkultur  liessen  diese 
Diagnose  ausschliessen,  aber  erst  der  Befund  der  Pneumo¬ 
kokken  im  Blut  bei  einer  neuen  Kultur  kennzeichnete  das 
Krankheitsbild  als  das  einer  Pneumokokkensepsis.  Ohne 
diesen  Bakterienbefund  wäre  das  Krankheitsbild  als  das  einer 
sepsisartigen  Erkrankung  aus  unbekannter  Ursache  unauf¬ 
geklärt  geblieben.  Dass  der  Ausgangspunkt  auch  in  diesem 
Falle  die  Mandeln  waren,  wird  durch  die  Anamnese  wahr¬ 
scheinlich  gemacht.  Eine  spezifische  Behandlung  fand  nicht 
statt;  die  Erkrankung  heilte  spontan  aus,  unterstützt  durch 
diätetische  und  hydriatrische  Behandlung. 

Ein  weiteres  Beispiel  für  die  schwere,  septische  Pneumo¬ 
kokkenangina  bietet  die  am  Schluss  mitgeteilte  Beobachtung. 


Die  Differentialdiagnose  der  Pneumokokken¬ 
angina  gegenüber  den  anderen  Formen  von  Mandelentzündung 
ist  nur  auf  bakteriologischem  Wege  sicher  zu  stellen. 
Oft  weisen  zwar  schon  die  influenzaartigen  Allgemeinerschei¬ 
nungen  bei  der  Geringfügigkeit  des  lokalen  Befundes  oder  der 
graugrüne  Belag  oder  die  stärkere  Mitbeteiligung  der  Re¬ 
spirationswege  auf  eine  Pneumokokkeninfektion  hin,  aber  erst 
der  Befund  der  Pneumokokken  als  der  überwiegenden 
pathogenen  Keime  auf  den  Mandeln  und  im  Belage  sichert  die 
Diagnose.  Es  empfiehlt  sich,  zunächst  einen  Abstricli  auf  einen 
Objektträger  zu  machen  und  nach  Gram  zu  färben;  man 
wird  hierbei  schon  die  zahlreichen  typischen,  lanzettförmigen 
Diplokokken  erkennen.  Ausserdem  ist  es  wünschenswert, 
einen  Abstrich  auf  ein  Agarröhrchen  (oder  im  Falle  des  Di- 

l 


2434 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  52. 


phtherieverdachtes  auf  ein  Hammelserumröhrchen)  zu  machen. 
Die  Unterscheidung  von  Streptokokken  ist  nicht  immer  einfach, 
da  einmal  beide  Erreger  sehr  häufig  nebeneinander  Vor¬ 
kommen  und  zweitens  auch  die  Pneumokokken  oft  in  Ketten 
wachsen,  deren  Länge  freilich  6 — 8  Glieder  meist  nicht  über¬ 
schreitet.  Charakteristisch  ist  das  Wachstum  auf  Blutagar, 
das  in  feinen  grünen,  nicht  hämolysierenden  Kolonien  erfolgt. 

Bei  der  septischen  Form  gelingt  der  Nachweis  der 
Pneumokokken  im  Blute,  wie  die  erste  mitgcteilte  Kranken¬ 
geschichte  beweist,  bei  Auffangen  von  ca.  5 — 10  ccm  Blut  in 
der  gleichen  Menge  Bouillon  oder  in  Blutagarplatten. 

Die  Therapie  der  Pneumokokkenangina  wich  bisher  von 
der  der  anderen,  durch  Strcpto-  oder  Staphylokokken  er¬ 
zeugten  Anginen,  nicht  ab.  Da  wir  jedoch  durch  die  Unter¬ 
suchungen  von  Morgenrot h  und  seinen  Mitarbeitern  in 
dem  Aethylhydrokuprein,  das  unter  dem  Namen 
0  p  t  o  c  h  i  n  in  den  Handel  kommt,  ein  Mittel  kennen  gelernt 
haben,  das  die  Pneumokokkeninfektion  in  spezifischer  Weise 
chemotherapeutisch  zu  beeinflussen  imstande  ist,  lag  es  nahe, 
das  Optochin  zur  Behandlung  der  Pneumo¬ 
kokkenangina  zu  verwenden.  Als  Dosis  habe  ich 
dreimal  täglich  0,4  g  Optochin  nach  dem  Essen 
in  Oblaten  gegeben,  letzteres,  da  eine  direkte  Aufnahme 
des  Mittels  ohne  Umhüllung  wegen  des  schlechten  Ge¬ 
schmackes  auf  Schwierigkeiten  stösst.  Irgendwelche  Neben¬ 
wirkungen  habe  ich  auch  bei  mehrtägiger  Verabreichung  nicht 
gesehen,  insbesondere  habe  ich  eine  auch  nur  vorübergehende 
Schwächung  des  Sehvermögens  bei  den  von  mir  angewandten 
Dosen  nicht  beobachtet.  Nach  dem  Abfall  der  Temperatur  und 
der  Reinigung  der  Mandeln  empfiehlt  es  sich,  das  Präparat 
noch  einige  Tage,  eventuell  in  geringerer  Menge,  weiter¬ 
zugeben. 

Dass  der  Einfluss  des  Optochins  auf  die  Temperaturkurve 
bei  Pneumokokkeninfektion  ein  spezifischer,  d.  h.  ätio¬ 
logisch  bedingter  ist,  und  nicht  etwa  ein  allgemein  antipyre¬ 
tischer,  beweist  der  Umstand,  dass  das  Mittel  sich  bei  anderen 
fieberhaften  Erkrankungen  (z.  B.  auch  beim  Typhus),  bei  denen 
ich  es  versuchsweise  anwandte,  als  völlig  wirkungslos  erwies 
und  namentlich  auch  die  Temperatur  unbeeinflusst  liess. 

Die  folgenden  klinischen  Krankengeschichten  mögen  die 
günstige  Wirkung  der  Optochin  behan  dl  ung 
auf  den  Verlauf  der  Pneumokokkenangina  ver¬ 
anschaulichen. 

Ed.  S.,  Mechaniker,  54  Jahre.  Pneumokokkenangina. 

Pat.  ist  starker  Raucher.  Als  Kind  Masern,  Scharlach  und  Keuch¬ 
husten.  1906  Lungenspitzenkatarrh,  nach  8  wöchentlicher  Heilstätten¬ 
kur  völlige  Heilung.  Am  15.  IX.  morgens  zuerst  Beschwerden  beim 
Schlucken.  Hohes  Fieber  über  39  °.  Pat.  gurgelte  mit  essigsaurer 
Tonerde.  Trotzdem  trat  in  den  nächsten  2  Tagen  keine  Besse¬ 
rung  ein.  Er  konnte  nur  flüssige  Kost  zu  sich  nehmen,  so  stark 
waren  die  Schluckbeschwerden.  Ausserdem  hatte  er  Durchfall  und 
hohes  Fieber  über  39°. 


Kurve  1. 

Pneumokokken¬ 
angina. 
Optochin- 
behandlung. 
(Der  Verlauf  vor 
der  Aufnahme  ins 
Krankenhaus  ist 
punktiert  ange¬ 
deutet.) 


Befund:  Grosser,  kräftiger  Mann  in  gutem  Allgemeinzustand. 
Am  Halse  beiderseits  bohnengrosse,  druckempfindliche  Drüsen. 
Zunge  belegt.  Mandeln  stark  geschwollen  und  ge¬ 
rötet,  mit  grau-grünen  und  grau-gelben,  schmieri¬ 
gen  Membranen  und  Pfropfen.  Klinisch  Aehnlichkeit  mit 
Diphtherie.  Auch  die  ganze  hintere  Rachenwand 
zeigt  den  gleichen  Belag.  Im  Abstrichpräparat 
und  in  der  Kultur  Pneumokokken  in  Reinkultur. 
Keine  Diphtheriebazillen,  keine  Streptokokken. 

Herz,  Lungen,  Abdominalorgane,  Nervensystem  und  Sinnes¬ 
organe  o.  B.  Im  Urin  E  i  w  e  i  s  s  schwach  positiv,  Zucker,  Urobilin 
und  Urobilinogen  negativ. 


Therapie:  Am  ersten  Tage  1  mal,  an  den  3  folgenden  Tagen 
3  mal  0.4  g  Optochin.  Darauf  prompter  Abfall  der 
Temperatur  und  des  Pulses,  Reinigung  der  Man¬ 
deln  und  des  Rachens.  Die  Halsdrüsen  sind  am  5.  Tage  ab¬ 
geschwollen.  Am  7.  Tage  Urin  frei  von  Eiwelss,  Allgemeinbefinden 
normal.  Pat.  steht  auf.  Entlassung  als  geheilt  am  11.  Tage 
(13.  Krankheitstage). 

Den  Einfluss  der  Optochinbehandlung  auf  Temperatur  und  Puls 
veranschaulicht  die  beigefügte  Kurve. 

Hermann  J.,  Heizer.  30  Jahre.  Septische  Pneumo¬ 
kokkenangina. 

Pat.  war  früher  stets  gesund  und  hat  auch  nie  an  Halsentzün¬ 
dungen  gelitten.  Am  20.  IX.  bekam  er  einen  Schüttelfrost  mit 
Schmerzen  auf  der  linken  Halsseite,  während  er  auf  der  Reise  von 
der  Türkei  nach  Berlin  war.  Während  der  ganzen  Zeit  fieberte  er, 
und  besonders  in  den  letzten  Tagen  war  das  Fieber  sehr  hoch.  Gleich 
nach  der  Ankunft  in  Berlin  wurde  er  in  die  Kgl.  Charitee  eingeliefert 
(am  10.  IX.). 

Befund:  Kräftiger,  untersetzter  Mann  in  gutem  Allgemein¬ 
zustand.  Herz  nicht  vergrössert,  Töne  unrein.  Puls  weich  und  regel¬ 
mässig.  Lungen  perkutorisch,  auskultatorisch  und  röntgenologisch 
ohne  Veränderungen.  Abdominalorgane  und  Nervensystem  o.  B. 
Auf  der  linken  Tonsille  eine  schmieriger,  grau¬ 
gelber  Belag.  Im  Ausstrich  und  in  der  Kultur 
Pneumokokken.  Urin:  Eiweiss  schwach  positiv,  Zucker, 
Diazo  0.  Urobilinogen  stark  positiv.  Blut:  Hämoglobin 
SO  Proz.,  Erythrozyten  4  500  000,  Leukozyten  11  000.  Blutbild 
normal,  keine  Parasiten.  B  1  u  t  k  u  1 1  u  r  (Bouillon,  Galle,  Agar) 
steril.  Widal  0.  Wassermann  0. 

Therapie:  Priessnitzumschlag  und  Gurgeln  mit  H2O2.  Der  Man¬ 
delbelag  wird  etwas  geringer,  aber  das  Fieber  bleibt  hoch.  Am 
Herzen  tritt  ein  hauchendes  systolisches  Geräusch  auf.  Ei¬ 
weiss  und  Urobilinogen  bleiben  positiv  im  Urin. 

Am  5.  Tage  Ordination  von  0,4  g  Optochin,  am  6.  bis  8.  Tage 
3  mal  0,4,  am  9.  bis  10.  2  mal  0,4  Optochin  innerlich  in  Oblaten 
nach  dem  Essen.  Darauf  fast  kritischer  Fieberabfall  am  8.  und 
9.  Tag  unter  gleichzeitigem  Schwinden  der  subjektiven  und  objek¬ 
tiven  Erscheinungen.  Befund  am  10.  Tag:  Urin  frei,  Herztöne  rein. 
Mandeln  und  Rachen  frei  von  Veränderungen.  Pat.  steht  am  13.  Tage 
nach  der  Aufnahme  auf  und  wird  am  17.  Tage  geheilt  ent¬ 
lassen. 

Ueber  den  Verlauf  von  Temperatur  und  Puls  unter  dem  Einfluss 
der  Optochinbehandlung  gibt  die  folgende  Kurve  Aufschluss. 


Die  angeführten  Krankengeschichten  zeigen  den  günstigen 
Einfluss  der  Optochinbehandlung  auf  die  follikuläre  und  auf  die 
septische  Pneumokokkenangina.  Fälle  von  Pneumokokken- 
influenza  mit  Optochin  zu  behandeln,  habe  ich  bisher  noch 
nicht  Gelegenheit  gehabt  *).  Da  aber  der  diesjährige  Winter 
namentlich  in  der  Privatpraxis  voraussichtlich  wieder  eine 
Reihe  von  derartigen  Erkrankungen  bringen  wird,  möchte  ich 
nach  den  günstigen  Erfahrungen  bei  den  anderen  Formen  der 
Pneumokokkenangina  auch  bei  der  Pneumokokken¬ 
influenza  die  Anwendung  des  Morgenrot  h  sehen 
Optochin  in  den  genannten  Dosen  (3mal  0,4 — 0,5  g  in  Oblaten) 
empfehlen. 

Zusammenfassung:  Unter  den  verschiedenen  For¬ 
men  der  Mandelentzündung  spielen  die  durch  eine 
Infektion  mit  Pneumokokken  hervorgerufenen  eine  be¬ 
sondere  Rolle.  Sie  zeichnen  sich  klinisch  durch  ihren  meist 
hartnäckigen  Verlauf  und  die  erhebliche  influenzaartige  Stö- 


*)  Anmerkung  bei  der  Korrektur.  Inzwischen  habe 
ich  auch  bei  der  Pneumokokkeninfluenza  die  günstige  Wir¬ 
kung  des  Optochins  (3  mal  täglich  0,5  g)  bestätigt  gefunden. 


29.  Dezember  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2435 


rung  des  Allgemeinbefindens  selbst  bei  geringfügigem  lokalen 
Befund  aus.  Bakteriologisch  sind  sie  gekennzeichnet  durch  das 
Vorhandensein  des  Diploc.  lanceolatus  als  des  überwiegenden 
pathogenen  Keimes  auf  den  Mandeln.  Das  klinische 
Krankheitsbild  ist  entweder  das  der  follikulären 
Angina  mit  Pfropfen  oder  graugelben  bis  graugrünen  Be¬ 
lägen  oder  das  der  Pneumokokkeninfluenza  oder 
schliesslich  das  der  sepsisartige  Pneumokokken¬ 
angina  resp.  Pneumokokkä m  i  e. 

Therapeutisch  empfiehlt  sich  die  Anwendung  des  von 
M  o  r  g  e  n  r  o  t  h  in  die  Behandlung  der  Pneumokokkeninfek¬ 
tionen  eingeführten  Aethylhydrokuprein  (O  p  t  o  c  h  i  n)  in 
Dosen  von  0,4— 0,5  g  dreimal  täglich  in  Oblaten.  S  e  i  n  e  W  i  r- 
kung  ist  eine  spezifische,  gegen  die  Pneumo¬ 
kokken  selbst  gerichtete. 


Wachstumsstörung  und  Deformität. 

Von  Dr.  Max  Herz  in  Sydney  (Australien). 

Ein  fünfzehn  Jahre  alter  Junge  stellte  eine  Tages  fest,  dass 
seine  linke  Hand  schief  zum  Vorderarme  stand.  Ein  paar  Monate 
vorher  hatten  ihn  liebe  Freunde  bereits  damit  geneckt.  Seine  eigene 
Beobachtung  musste  nufi  ihren  scharfen  Augen  Recht  geben.  Die 
Unruhe  über  diese  Entdeckung  führte  ihn  zur  ärztlichen  Untersuchung, 
die  den  folgenden  Befund  erhob:  Der  junge  Mann  war  überaus  kräftig, 
gut  und  ebenmässig  entwickelt,  von  blühender  Gesundheit  und  frei 
von  jeglichen  Schmerzen  und  Beschwerden.  Man  fand  nur  die  deut¬ 
liche  Deformität  der  linken  Hand.  Druck,  leichte  Beschäftigung  oder 
;  schwere  Arbeit  verursachen  keine  Schmerzen.  Die  Stellung  ist  die 
einer  Manus  valga  (Abb.  1).  An  den  Vorderarmknochen  ist  keine 


Abb.  la. 


Abb.  lb. 


Verbiegung  oder  Krümmung,  im  Handgelenke  keine  Luxation  oder 
Subluxation,  keine  bajonettartige  Abknickung.  Die  Hand  steht  schief 
und  bildet  in  der  normalen  Ebene  einen  nach  dem  Radius  zu  offenen 
Winkel  mit  dem  Vorderarm,  der  ganz  allmählich  sich  herausgebildet 
haben  muss,  ohne  irgendwelche  Beschwerden  zu  machen.  Der  linke 
Vorderarm  ist  1,5  cm  kürzer  als  der  rechte. 

Einen  einzigen  Unfall  hatte  der  Pat  erlitten  vor  10  Jahren,  als 
er  beim  Indianerspiel  von  einem  Schuppen  sprang  und  dabei  auf  diese 
Hand  fiel  Damals  gab  es  eine  Schwellung  und  leichte  Schmerzen  für 
ein  paar  Tage,  die  aber  eine  ärztliche  Bemühung  nicht  nötig  machten. 
Die  Röntgenphotographie  (Abb.  2)  enthüllte  nun  die  Ursache  dieser 
Missbildung.  Die  laterale  (radiale)  Hälfte  der  radialen  Epiphysenzone 
ist  vorzeitig  ossifiziert.  Die  andere,  nicht  verknöcherte  Hälfte  der 


Diathyse  hat  sich  zu  einem  Sporn  ausgewachsen.  Dadurch  ist  die 
sonst  noch  distal  konvexe  Begrenzung  der  Radiusdiaphyse  in  eine 
konkave,  von  medial  (ulnar)  und  distal  nach  lateral  (radial)  und 
proximal  geschweifte  Kurve  verwandelt.  Aus  der  sanft  gewölbten 
Schweifung  ist  eine  treppenartige  Figur  geworden.  Es  ist  klar,  dass 


Abb.  2. 

diese  mediale  Zackenbildung  die  Epiphyse  und  damit  die  Hand  in  die 
Valgusstellung  drängen  musste.  Die  ulnare  Epiphysenlinie,  die  sonst 
proximal  der  radialen  steht,  ist  hier  nach  distal  vorgerückt  und  steht 
auf  der  Höhe  der  radialen.  Die  Epiphyse  selbst  hat  ihr  normales 
dreieckiges  Bild  behalten,  nur  steht  die  Spitze  jetzt  mehr  distal  als  die 
Basis,  während  das  sonst  umgekehrt  ist. 

Soweit  bietet  dieser  Fall  und  dieses  Bild  nichts  Besonderes. 
Eine  Wachstumsstörung,  eine  Deformität  durch  halbseitige, 
vorzeitige  Verknöcherung  durch  Verletzung  der  Epiphysen- 
linie  ist  nichts  Ungewöhnliches.  Die  Schwierigkeit,  das  Eigen¬ 
tümliche  liegt  in  den  10  Jahren,  die  zwischen  dem  Trauma  und 
der  Störung,  zwischen  Ursache  und  Wirkung  stehen.  Es  ist 
auszuschliessen,  dass  die  Verletzung  etwa  jüngeren  Datums 
sei.  Der  Junge  und  seine  Eltern,  höchst  intelligente  und  glaub¬ 
würdige  Zeugen,  entsinnen  sich  des  damaligen  Unfalles  mit 
allen  Einzelheiten  und  bleiben  fest  in  der  Versicherung,  dass 
seither  kein  Schaden  die  Hand  getroffen  habe. 

Man  muss  dies  feststellen,  dass  der  Unfall  mit  5  Jahren 
statthatte,  dass  die  Verkrümmung  10  Jahre  später  festgestellt 
wurde.  Wenn  man  danach  das  Bild  wieder  betrachtet,  wird 
es  noch  einige  Rätsel  aufgeben.  Die  Epiphyse  selbst  ist  in 
normaler  Weise  gewachsen,  sie  hat  die  gleiche  Gestalt  und 
Grösse,  wie  die  der  unverletzten  rechten  Hand.  Das  Wachs¬ 
tum  wurde  hier  also  nicht  gestört.  Die  mangelhafte  Knochen¬ 
bildung  bemerkt  man  nur  am  Diaphysenende,  an  der  proxi¬ 
malen  Grenze  der  Epiphysenlinie,  auf  der  lateralen  (radialen) 
Seite  mehr  als  auf  der  medialen  (ulnaren).  Denn  auch  diese 
Seite,  die  den  Sporn  bildet,  ist  etwas  zurückgeblieben,  da  sie 
auf  gleicher  Höhe  mit  der  Ulnarepiphyse  steht,  die  sie  eigent¬ 
lich  noch  distal  überragen  sollte.  Die  eigentliche  und  grösste 
Störung  liegt  aber  auf  der  lateralen  Seite.  Aber  auch  hier  ist 


NORMAL 
ABB  2 


c^==> 

3-x* 


Distale  Radius- Epiphyse 
eines  Fünfjährigen. 

ABB  3. 

a  Vermutete  Lage  der  ver¬ 
letzten  Epiphysen  Fellen 


Abb.  3. 


der  Knochen  nicht  auf  der  Stufe  des  Fünfjährigen  stehen  ge¬ 
blieben,  sondern  ist  gewachsen.  Es  hat  demnach  die  Ver¬ 
letzung  des  Fünfjährigen  nicht  sogleich  zur  Ossifizierung  ge¬ 
führt;  vielmehr  ist  der  Knochen  noch  eine  Zeitlang,  jahrelang 
gewachsen,  bis  sich  nun,  um  die  Zeit  des  vermehrten  Wachs¬ 
tums,  die  Störung  geltend  macht.  Eine  Erklärung  ist  nicht 
ganz  leicht.  Die  beste  Deutung  scheint  mir  diese  zu  sein:  der 

1* 


2436 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  52. 


frühe  Unfall  hat  durch  Blutung,  Quetschung  eine  Reihe  von 
Knorpelzellen  in  der  Epiphysenlinie  zertrümmert  und  zerstört, 
die  in  der  Mitte  oder  doch  etwas  proximal,  der  Diaphyse  zu, 
lagen  (Abb.  3a).  Die  Knorpelzellen  an  den  Grenzen  waren  dem¬ 
nach  nicht  dauernd  beschädigt  und  fuhren  fort,  sich  zu  teilen, 
zu  ordnen,  den  Knochen  wachsen  zu  lassen.  Auf  der  distalen 
Seite  der  Linie  blieb  dieser  Prozess  bis  heute  ungestört.  Auf 
der  proximalen  Begrenzung  verlief  das  Wachstum  normal  auf 
der  medialen  Hälfte.  Auf  der  lateralen  wuchsen,  d.  h.  teilten 
sich  die  Knorpelzellen  des  Grenzbezirkes,  die  unverletzt  ge¬ 
blieben.  Nach  ihrer  Erschöpfung,  nach  ihrem  Einschluss  in 
den  Knochen  traten  die  nächsten  Serien  in  Tätigkeit,  bis  die 
Reihe  an  die  verletzten  Zellen  kam.  Die  zerstörten  ant¬ 
worteten  nicht,  die  Osteoblasten  wandelten  sie  in  Knochen  um, 
die  Ossifikation  war  vollzogen.  Das  Wachstum  blieb  hier 
aus,  schritt  dagegen  auf  der  medialen  Hälfte  fort.  Und  das 
Ende  ist  die  fortschreitende  Deformität,  die  sich  langsam,  un- 
■  bemerkt  entwickelt,  bis  sie  nach  zehn  langen  Jahren  deutlich 
wird. 

Dieser  Fall  hat  den  Wert  eines  Experimentes,  das  zur 
Klärung  des  Zusammenhanges  zwischen  Wachstumsstörung 
und  Deformität  angestellt  ist.  Einige  Beobachter  (S  p  i  t  z  y 
u.  a.)  haben  des  öfteren  die  Vermutung  ausgesprochen,  dass 
die  Deformitäten  des  erwachsenden  Alters,  die  man  unter  dem 
unklaren,  nebeligen  Begriff  der  statischen  Deformitäten  zu¬ 
sammenfasste,  sich  von  rachitischen  Störungen  der  Wach¬ 
tumszonen  im  Kindesalter  herleiten.  In  meiner  (leider  zu 
wenig  beachteten)  Arbeit  über  die  „Seltenheit  von  Rachitis 
und  Skoliose  auf  Neuseeland“  (D.  Zschr.  f.  orth.  Chir.  13)  habe 
ich  diesen  Gedanken  zu  stützen  versucht  durch  die  dort  ge¬ 
fundene  Tatsache,  dass  diese  Rachitis  und  „statischen“  De¬ 
formitäten  auf  der  Doppelinsel  im  Stillen  Ozean  so  selten  sind, 
und  dass  alles  zum  Schlüsse  drängt,  dass  beide  in  ursächlichem 
Zusammenhang  stehen  müssen.  Nur  ist  man  sich  über  die  Art  und 
Weise  des  Zusammenhangs  nicht  recht  klar  geworden;  man 
hat  keine  rechte  Erklärung  für  die  Pause  gewusst,  die  zwischen 
Beginn  und  Ende  lag.  Jedenfalls  war  alles  nur  Theorie.  Der 
hier  mitgeteilte  Fall  bringt  nun  ein  Experiment,  eine  Tatsache, 
die  eine  Erklärung  gibt.  Es  ist  festgestellt,  dass  10  Jahre 
zwischen  Anfang  und  Erscheinung  einer  Deformität  ver¬ 
streichen  können,  dass  diese  Deformität  bedingt  ist  durch  eine 
Störung  der  Wachstumszone.  Wenn  das  Experiment,  das 
dieser  Fall  bietet,  das  beweist,  so  wird  man  die  Möglichkeit 
einer  deformen  Entwicklung  auch  nach  anderen  als  trau¬ 
matischen  Störungen  der  Wachstumszone  zugeben  müssen. 
Die  Schädigung  der  Knorpelzellen  kann  auch  andere  Ereignisse 
bedingen  als  ein  Unfall.  Die  kindliche  Rachitis  könnte  in  ihrer 
leichtesten  Form  sich  auf  solchen  Schaden  von  Epiphysen¬ 
zellen  beschränken,  ohne  sonstwie  auffallende  klinische  Er¬ 
scheinungen  zu  machen.  Das  endliche  Resultat  dieser  Störung 
ist  dann  die  Deformität,  die  im  Alter  des  vermehrten  Wachs¬ 
tums  sichtbar  wird;  genau  wie  das  im  mitgeteilten  Falle 
geschah. 

Weiterhin  gibt  diese  Krankengeschichte  eine  Lehre,  wie 
lange  noch  nach  einer  Verletzung  der  Epiphyse  Wachstums¬ 
störungen  auftreten  können  und  dass  eine  Beobachtung  und 
Ueberwachung  einer  solchen  Verletzung  für  ein  oder  zwei  Jahre 
nicht  viel  beweist.  Wie  wichtig  das  ist,  hoffe  ich  demnächst 
in  einem  Aufsatz  über  die  Arthrodese  aufzeigen  zu  können. 


Einfachste  Methoden  zur  Bestimmung  des  Kochsalzes, 
des  Stickstoffs  und  der  Elektrolyte  im  menschlichen  Harn. 

Von  Dr.  K.  Wunder  in  Wolfstein  (Pfalz). 

Anknüpfend  an  die  Veröffentlichungen  von  Weiss 
(M.m.W.  1913  Nr.  51)  und  Strauss  (ib.  1914  Nr.  11)  sei  es 
gestattet,  einige  durch  längere  Anwendung  gewonnene  Er¬ 
fahrungen  über  diese  und  andere  einfache  quantitative  Harn- 
untersuchungsmethoden  mitzuteilen. 

I.  Die  Kochsalzbestimmung  nach  Strauss 
habe  ich  seit  über  2  Jahren  als  Ergänzung  meines  galvanometrischen 
Verfahrens  (M.m.W.  1909  Nr.  27  und  1912  Nr.  20)  fast  täglich  aus- 
gefiihrt,  nachdem  ich  vorher  nach  Volhard  gearbeitet  hat^e.  Die 
Strausssche  Methode  hat  sich  mir  in  vielen  Hunderten  von  Be¬ 
stimmungen  als  ausserordentlich  einfach  und  hinreichend  genau  be¬ 


währt.  Ihr  einziger  Nachteil  bei  häufiger  Anwendung  ist  der  Ver¬ 
brauch  ziemlich  grosser  Mengen  der  jedesmal  im  Ueberschuss 
(10  ccm)  zuzusetzenden  Silberlösung.  Diesen  Nachteil  vermeidet 

II.  die  Kochsalzbestimmung  nach  Weiss 
dadurch,  dass  unter  Verwendung  10  fach  verdünnten  Harns  die  Sil¬ 
bernitratlösung  zum  Titrieren  benützt  wird.  Aber  durch  die  Ver¬ 
dünnung  und  die  damit  zusammenhängende  sehr  enge  Teilung  der 
Röhre  (Chlorometer),  in  welcher  die  Reaktion  ausgeführt  werden  soll, 
ist  das  Arbeiten  mit  diesem  Instrument  wesentlich  schwieriger  als 
mit  dem  vorigen;  auch  wird  das  Ablesen  am  Ende  der  Reaktion 
infolge  des  obenauf  schwimmenden  Fällungsproduktes  erschwert.  Ich 
fand  es  daher  zweckmässiger  und  für  ein  möglichst  exaktes  und 
dabei  doch  rasches  Arbeiten  förderlicher,  die  Reaktion  in  Form  einer 
Tropftitrierung  unter  Verwendung  einer  Abdampfschale  statt  der 
Chlorometerröhre  in  folgender  Weise  auszuführen: 

Erforderlich  sind:  a)  Geräte:  1  Abdampfschale  von 
ca.  100  ccm  Inhalt;  1  gewöhnliche  Pipette  zu  1  ccm;  1  Tropfpipette 
mit  Gummiball  zu  1  ccm  (wie  zur  F  e  h  1  i  n  g  sehen  Zuckerbestimmung 
üblich);  1  Pipette  zu  10  (oder  5)  ccm.  b)  Lösungen:  Indikator¬ 
lösung  (gesättigte  Eisenammoniakalaunlösung  +  HNÜ3  äa);  V10  n. 
Rhodanammoniumlösung;  V10  n.  AgNCL-Lösung. 

Vorbereitung:  Man  bestimmt,  wie  viel  Tropfen  der 
V10  AgNo:i-Lösung  der  1  ccm  der  Tropfpipette  gibt,  und  dividiert  mit 
der  erhaltenen  Zahl  in  den  Wert  0,585  NaCl,  welchem  1  ccm  der 
‘/io  AgNOa-Lösung  entspricht:  der  erhaltene  Quotient  gibt  den  Wert 
an  NaCl,  welchen  jeder  Tropfen  der  V10  AgNOa-Lösung  bei  der  End¬ 
reaktion  ausdrückt.  Z.  B.  1  ccm  =  24  gtt.;  1  gtt.  =  0,0244  Proz.  NaCl. 
Zweckmässig  stellt  man  sich  eine  Tabelle  auf,  aus  welcher  die  jeder 
Tropfenzahl  entsprechende  Prozentzahl  NaCl  abgelesen  werden  kann. 

Ausführung:  Man  pipettiert  in  die  Porzellanschale  1  ccm 
Harn,  gibt  dazu  mit  der  Pipette  10  (oder  5)  ccm  der  Eisenalaun- 
Salpetersäure  (Indikatorlösung)  dann  mit  der  gleichen  Pipette 
ca.  10  ccm  reines  (am  besten  destilliertes)  Wasser,  dann  (mit  der 
ausgewaschenen  1  ccm-Pipette)  1  ccm  der  V 10  Rhodanammonium¬ 
lösung;  es  tritt  Braunfärbung  ein.  Nun  wird  (mit  der  3  mal  aus¬ 
gewaschenen  1  ccm-Pipette)  1  ccm  der  V10  AgNGs-Lösung  hinzu¬ 
gesetzt,  dann  unter  Umriihren  mit  dem  Glasstab  aus  der  Tropfpipette 
so  lange  tropfenweise  V10  n.  AgNOa-Lösung,  bis  volle  Entfärbung  ein- 
tritt.  Die  Zahl  der  verbrauchten  Tropfen  mal  dem  oben  ermittelten 
Wert  für  1  Tropfen  (z.  B.  0,0244,  wie  oben)  ergibt  den  Prozentgehalt 
des  Harns  an  NaCl. 

In  dieser  Form  ist  die  Bestimmung  rasch  und  sicher  auszuführen 
mit  einer  Genauigkeitsgrenze  von  ca.  0,0244  Proz.  NaCl  (=  1  gtt.), 
das  ist  bei  etwa  1  proz.  Lösung  2  Proz.  des  Gesamtgehalts.  In  der 
ursprünglichen  Form  (Chlorometer)  beträgt  dagegen  die  Genauigkeits¬ 
grenze,  da  feinere  Ablesungen  als  1  Teilstrich  (=  0,5  der  Graduierung) 
nicht  wohl  möglich  sind  (s.  0.),  bei  gleicher  Konzentration  etwa  7  Proz. 
des  Gesamtgehalts. 

III.  Stickstoffbestimmung  nach  Bergei  1. 

In  Nr.  42  der  D.m.W.  1912  hat  Bergeil  eine  sehr  einfache 
Modifikation  der  Will-Varrentrapp  sehen  Stickstoffbestim¬ 
mungsmethode  (Glühen  mit  Aetzkalk  im  Quarzrohr  über  der  Bunscn- 
flamme)  bekannt  gegeben,  welche  ich  seither  zur  Kontrolle  meiner 
galvanometrischen  Methode  (s.  u.)  in  ca.  300  Einzelbestimmungen  ver¬ 
wendet  habe.  Die  anfangs  oft  durch  Ucbersteigen  der  Kalkmischung, 
Rücksaugen  der  Vorlagsäure  usw.  vorgekommenen  Misserfolge  ver¬ 
meide  ich  jetzt  durch  folgende  Ausführung  der  B  e  r  g  e  1 1  sehen 
Methode. 

In  ein  Quarzrohr  von  100  X  20  mm  (Preis  in  der  Kölner  Quarz¬ 
glasfabrik  M.  3.60)  werden  einige  Gramme  gut  zerkleinerten,  chemisch 
reinen  Aetzkalks  (Marmorkalk)  gegeben,  darauf  mit  der  Pipette  2  ccm 
Urin  abgemessen  und  langsam  eingefüllt,  dann  mittels  durchbohrten 
üummistopfens  ein  mit  weiter  Glaskugel  versehenes,  winklig  ge¬ 
bogenes  Leitungsrohr,  wie  es  zu  Kjeldahlanalysen  üblich  ist,  auf¬ 
gesetzt,  das  andere  Ende  des  Leitungsrohres  taucht  in  ein  erhöht 
stehendes  Erlenmeyerkölbchen  mit  10 — 20  ccm  Vs  n,  Schwefel-  oder 
Salzsäure  ein,  die  mit  2 — 4  Tropfen  Methylorangelösung  oder  einem 
anderen  Indikator  rot  gefärbt  ist.  Das  Leitungsrohr  ist  vermittels 
eines  aufgeschobenen  grösseren,  abgeflachten  Korkstopfens  in  den 
Branchen  eines  geeigneten  Stativs  befestigt.  Vor  Erhitzung  wartet 
man  ab,  bis  der  Aetzkalk  sich  mit  dem  Harn  gelöscht,  d.  i.  allen  Harn 
aufgesaugt  hat;  event.  kann  die  Löschung  durch  ganz  vorsichtiges, 
gelindes  Erwärmen  (z.  B.  mit  einem  brennenden  Zündholz,  zwecks 
Vermeidung  des  Uebersteigens)  befördert  werden.  Bei  späteren  Ana¬ 
lysen  erübrigt  sich  das  Abwarten,  da  der  jetzt  pulverförmige  Kalk¬ 
rest,  der  für  ca.  10  folgende  Analysen  wieder  benützt  werden  kann, 
den  Harn  sofort  aufsaugt.  Man  erhitzt  dann  mit  der  Spiritus-  oder 
Gasflamme  zum  Glühen.  Nach  ca.  10  Minuten,  wenn  kein  Gas  mehr 
in  die  Vorlagsäure  übergeht,  vielmehr  diese  z.  T.  in  die  Glaskugel 
emporgesaugt  ruhig  stehen  bleibt,  ist  die  Destillation  beendigt.  Man 
stellt  die  Vorlage  tiefer,  so  dass  das  Rohrende  nicht  mehr  in  die  Säure 
eintaucht,  lässt  etwas  abkühlen  und  jagt  durch  neuerliches  kurzes 
Erwärmen  die  in  die  Glaskugel  emporgesaugte  Flüssigkeit  in  die  Vor¬ 
lage  zurück.  Dann  lässt  man  völlig  abkühlen,  entfernt  das  Quarzrohr 
und  spült  das  Leitungsrohr  samt  Glaskugel  mit  reinem  Wasser  aus, 
das  man  in  die  Vorlagsäure  abfliesen  lässt.  Nun  titriert  man  die  Vor¬ 
lagsäure  mit  Vs  NaOH  und  zieht  die  verbrauchten  Kubikzentimeter  der 
letzteren  von  der  Anzahl  Kubikzentimeter  der  vorgelegten  Säure 


29.  Dezember  1914.  MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2437 


(10  oder  20)  ab.  Der  Rest  mit  0,3  multipliziert,  gibt  den  Prozent¬ 
gehalt  des  Harns  an  Stickstoff,  ausgedrückt  in  Harnstoff. 

Die  13  e  r  g  e  1 1  sehe  Methode  gab  in  Probeanalysen  genau  den  N 
der  anorganischen  N-Verbindungen  (z.  13.  NH-iCl)  und  des  Harnstoffs. 
Nicht  immer  vollständig  kam  in  der  Vorlage  zum  Vorschein  der  N  von 
Eiweisslösungen  (z.  13.  Milch,  Hydrozelenflüssigkeit).  Dagegen  er¬ 
schienen  die  Resultate  bei  eiweissfreien  oder  enteiweissten  Harnen 
zuverlässig,  derart,  dass  bei  Wiederholung  der  Probe  immer  ziemlich 
genau  der  nämliche,  mit  dem  galvanometrischen  Resultat  sehr  nahe 
übereinstimmende  Wert  sich  ergab. 

Ein  Quarzrohr  kann  bei  Verwendung  reinen  Aetzkalks  und  vor¬ 
sichtiger  Behandlung  für  ca.  100  Analysen  dienen;  dann  ist  der  Quarz 
durch  die  Einwirkung  des  Alkalis  derart  destruiert,  dass  das  Rohr  am 
Boden  undicht  wird. 

Die  Verwendung  von  Natronkalk,  die  analog  dem  Will- 
Varrentrapp  sehen  Verfahren  auch  bei  Eiweiss  regelmässig  allen 
N  ergeben  würde,  ist  wegen  der  starken  Wirkung  auf  das  Quarzrohr 
ungeeignet. 

IV.  Die  galvanometrische  Harnuntersuchung 
ermöglicht  in  ihrer  einfachsten  Form  (M.m.W.  1909.  Nr.  27)  durch  je 
eine  Ablesung  am  Galvanometer  (Milliamperemeter)  und  am  Araeo- 
meter  (Urometer),  annähernd  den  Elektrolyt-  und  den 
Harnstoffgehalt  des  Harns  binnen  etwa  2  Minuten  festzu¬ 
stellen;  durch  eine  der  vorstehenden  chemischen  NaCl-Bestimmungen 
ergänzt,  ergibt  sie  (M.m.W.  1912,  No.  20)  binnen  etwa  10  Minuten 
i.  a.  zuverlässige  Werte  für  Elektrolyte  mit  Harnstoff1). 

Um  von  Schwankungen  der  Temperatur  und  der  Apparateinstel¬ 
lung  möglichst  unabhängig  zu  sein,  verfährt  man  am  einfachsten  wie 
folgt.  Nachdem  die  Stromquelle  (es  genügen  2 — 3  hintereinander 
geschaltete  Taschenlampenbatterien  ä  50  Pf.)  mit  der  als  Wider- 
standsgefäss  adaptierten  Pravazspritzc  und  dem  Galvanometer  ver¬ 
bunden  ist,  lässt  man  sämtliche  Instrumente  und  Lösungen  (1  proz. 
NaCl-Lösung  und  die  zu  untersuchenden  Harne),  vor  strahlender 
Wärme  geschützt,  längere  Zeit  in  dem  nämlichen  Raum  stehen,  damit 
sie  die  gleiche  Temperatur  annehmen.  Dann  wird  die  Spritze  sowie 
das  Urometer  mit  der  1  proz.  NaCl-Lösung  gefüllt,  die  MA.-Zahl  und 
das  spezifische  Gewicht  abgelesen,  und  etwaige  Abweichungen  dieser 
Werte  von  den  für  15°  C  geltenden  (12K  MA.  und  1007,25  spez.  Gew.) 
bei  den  jetzt  folgenden  Harnuntersuchungen  in  Rechnung  gezogen. 
Die  so  auf  15°  C  reduzierten  Werte  für  die  MA.  und  das  spezifische 
Gewicht  der  untersuchten  Harne  lassen  nach  Tab.  1  (M.m.W.  1909 
Nr.  27)  den  ungefähren  Gehalt  an  Elektrolyten,  und  nach  Abzug  des 
in  der  nämlichen  Tabelle  verzeichneten  spezifischen  Gewichts  vom 
gesamten  spezifischen  Gewicht  nach  Tabelle  II  (1.  c.)  den  ungefähren 
Harnstoffgehalt  annähernd  normaler  Harne  ohne  weiteres  ablesen. 

Während  die  so  gewonnenen  absoluten  Werte  bei  Min¬ 
derausscheidung  von  NaCl  unzuverlässig  sind  (M.m.W.  1912 
Nr.  20),  liefert  dagegen  ihr  Verhältnis 

Proz.  Elektrolyte  -f-  Proz.  Harnstoff  ,  i  i  Pr°z.  Harnstoff 
Proz.  Elektrolyte  O  er  i  proz-  Elektrolyte 

nach  meinen  mehrjährigen  Erfahrungen  gerade  wegen  des  zu  niedri¬ 
gen  Elektrolyt-  und  zu  hohen  Harnstoffwertes  einen  guten  und  sehr 

A 

bequem  festzustellenden  Ersatz  des  Koräny  i  sehen  Quotienten  — — 

NaCl 

von  hoher  klinischer  Wichtigkeit:  n  o  r  m  a  1  für  den  24  stündigen  Harn 
zwischen  1,7  und  3,0,  überschreitet  unser  modifizierter 
Koranyischer  Quotient  den  Wert  3,0  regelmässig  mehr  oder 
weniger  erheblich  (bis  maximal  9,0),  entsprechend  der  Schwere  der 
Stoffwechselstörung, 

a)  bei  akuten  Magen-  und  Darmkatarrhen  (Störung  der  Salz¬ 
resorption); 

b)  bei  allen  akuten  Entzündungen  mit  oder  ohne  wesentliche  Ex¬ 
sudation; 

c)  bei  allen  untersuchten  Infektionskrankheiten,  und  zwar  oft 
bis  weit  in  die  Rekonvaleszenz  hinein, 

d)  bei  Zirkulationsstörungen  (b — d  hauptsächlich  durch  NaCl-Re- 
tention). 

Der  modifizierte  Koränyische  Quotient  orientiert  so  über  den 
Grad  der  bestehenden  Stoffwechselstörung,  über  das  funktionelle  Ver¬ 
halten  des  Zirkulationssystems,  auch  gegenüber  Anstrengungen  (Auf¬ 
stehen),  ermöglicht  gegebenenfalls  bei  Mangel  anderweitiger  Sym¬ 
ptome  die  Unterscheidung  von  Simulation  und  wirklicher  Störung 
u.  a.  m. 

Wenn  es  dagegen  auf  möglichst  genaue  absolute  Zahlen 
fiir  den  Elektrolyt-  und  Harnstoffgehalt  des  Harnes  ankommt,  muss 
der  Kochsalzgehalt  desselben  nach  Strauss  oder  Weiss 
(s.  o.)  bestimmt,  und  an  dem  galvanometrisch  ermittelten  Elektrolyt¬ 
wert  eine  von  dem  relativen  NaCI-Gehalt  (ausgedrückt  in  Prozenten 
dieses  Elektrolytwerts)  abhängige  Korrektur  angebracht  werden, 
ehe  das  spezifische  Gewicht  der  Elektrolytlösung  und  der  Harnstoff¬ 
gehalt  abgeleitet  werden.  Die  Höhe  dieser  Korrektur  ist  für  die  bei 
16°  C  festgestellten  Elektrolytzahlen  in  dieser  Wochenschrift  1912 
Nr.  20  in  Tabelle  3  bereits  mitgeteilt.  Da  es  sich  mehr  empfiehlt, 
immer,  wie  oben,  auf  15°  C  einzustellen,  mögen  die  für  diese  Tem¬ 
peratur  geltenden  Korrekturwerte  in  Kurvenform  hier  noch  Platz 
finden. 

*)  Genauer:  Gesamt-N,  ausgediiickt  als  Harnstoff. 


Hinsichtlich  der  Genauigkeit  der  so  erhaltenen  Re¬ 
sultate  ergab  ein  Vergleich  der  in  über  100  Fällen  galvanometrisch 
(indirekt)  ermittelten  Harnstoffwerte  mit  den  nach  Be  r  gell 
direkt  gefundenen 


(s.  o.  III)  gute  Ueber- 
einstimmung,  gleich¬ 
gültig,  ob  der  Harn 
von  Gesunden  oder 
Kranken,  von  Fie¬ 
bernden  oder  Fieber¬ 
freien  stammte:  in 
z  wei  D  rittein  der 
Fälle  ging  die  Ab¬ 
weichung  nicht  über 
+  3  Proz.  des  Ge¬ 
samtwertes  hinaus, 
in  den  übrigen  nicht 
über  +  5  Proz.  Vor¬ 
aussetzung  ist  dabei 
aber  genaue  Ab¬ 
lesung  am  Galvano¬ 
meter  und  besonders 
am  Urometer,  da  z. 
B.  ein  Irrtum  um  'k 
Urometergrad  be¬ 
reits  einen  Fehler 
von  ca.  10  Proz.  be¬ 
dingen  kann. 


Kurve  der  Korrekturen  für  den 
galvanometrisch  bei  15°  C.  ge¬ 
fundenen  Elektrolytgehalt  bei 
schwankendem  Kochsalzgehalt. 


O  10%  20%  30%  40%  50%  60 %  70%  60 % 
hochsalz  in  %  der  galvanom. gefundenen  Elehtrolyte. 


Zucker  und  Eiweiss  im  Harn  beeinträchtigen  die  Genauig¬ 
keit  nicht,  falls  sie  quantitativ  nach  den  bekannten  Methoden  be¬ 
stimmt  und  für  jedes  Prozent  Zucker  1003,84,  für  jedes  Promille  Ei¬ 
weiss  1000,24  vom  gesamten  spezifischen  Gewicht  abgezogen  werden; 
das  Eiweiss  kann  auch  durch  kurzes  Erhitzen  vor  der  galvanometri¬ 
schen  Untersuchung  völlig  ausgefällt  werden  (Prüfung  einer  filtrierten 
Probe  durch  Kochen  auf  Eiweissfreiheit)  Sind  dagegen  andere, 
quantitativ  nicht  leicht  bestimmbare  organische  Körper  im  Harn  in 
wesentlicher  Menge  vorhanden,  so  Azetonkörper  bei  Dia¬ 
betes,  so  gibt  die  Methode  ungenaue  Resultate  und  muss  durch  direkte 
N-Bestimmung  (nach  K  j  e  1  d  a  h  1  oder  B  e  r  g  e  1 1)  ergänzt  werden. 

Ebenso,  wenn  der  Harn  abnorm  viel  Ammoniak  enthält,  was 
selten  (Azidosis)  bei  frischen,  leicht  aber  bei  alkalisch  zersetzten 
Harnen  vorkommt;  letztere  eignen  sich  daher  nicht  zur  galvano¬ 
metrischen  Untersuchung.  (Der  normale  NH3-Gehalt  des  frischen 
Harns  übt  wegen  seiner  geringen  Konzentration  weder  auf  den  Gal¬ 
vanometerausschlag,  noch  auf  das  spezifische  Gewicht  einen  merk¬ 
baren  Einfluss  aus.) 

In  allen  anderen  Fällen  kann  nach  meinen  bisherigen 
reichlichen  Erfahrungen  die  mit  NaCl-Bestimmung  kombinierte  gal¬ 
vanometrische  Methode  als  zuverlässig  angesehen 
werden. 

Die  Hilfs-NaCl-Bestimmung  ermöglicht  zugleich  die  Feststellung 
der  Gesamtachloride  durch  Abzug  des  NaCl- Wertes  vom 
Elektrolytwert.  Will  man  die  Achloride  trennen,  so  kann  man  nach 
Friedmann  (M.m.W.  1908  Nr.  15)  durch  Fällung  mit  Magnesia¬ 
mixtur  die  Phosphate  bestimmen  und  durch  Abzug  derselben  von 
den  Achloriden  annähernd  auch  die  Sulfate  finden. 

Die  durch  NaCl-Bestimmung  ergänzte  galvanometrische  Me¬ 
thode  kann  von  jedem  Arzt  zu  Stoffwechselunter¬ 
suchungen  verwendet  werden.  Ein  besonderer  Vorteil  ihrer 
Einfachheit  und  raschen  Ausführbarkeit  ist  auch  der,  dass  dadurch 
leicht  eine  grössere  Reihe  von  Einzelbestimmungen  während  längerer 
Zeit  durchgeführt  und  somit  aus  einem  grossen  Material  zuverlässige 
Mittelwerte  gewonnen  werden  können  (z.  B.  aus  Massenbestim¬ 
mungen  Mittelzahlen  des  Eiweissumsatzes  für  die  verschie¬ 
denen  Bevölkerungsschichten). 

Im  übrigen  dürfte  der  Hauptwert  der  galvanometrischen  Unter¬ 
suchung  für  den  praktischen  Arzt  in  der  bequemen,  raschen  Fest¬ 
stellung  des  modifizierten  Koränyischen  Quotienten 
liegen,  dessen  klinische  Bedeutung  noch  wesentlich  über  die  von 
v.  Koräny  i  betonten  diagnostischen  Vorteile  bei  Zirkulations-  und 
exsudativen  Störungen  hinauszureichen  scheint. 


Aus  dem  pathologischen  Institut  des  Eppendorfer  Kranken¬ 
hauses  (Prof.  Eug.  F  r  a  e  n  k  e  1). 

Zur  Aetiologie  der  Endocarditis  verrucosa. 

Von  Dr  .Edgar  Reye,  Sekundärarzt  am  Institut. 

(Schluss.) 

17.  S.-Nr.  336/14.  V.,  männl.,  20  J. 

K I  i  n. :  Niemals  herzleidend.  An  Lungen-  und  Darm- 
tuberkulose  gestorben. 

Patholog. -anatom.:  Pleuritis  adhaesiva  tuberculosa  sin. 
Tuberculosis  pulmonum  disseminata  chron.  Ulcera  tbc.  intestini 
crassi.  Endocarditis  vetus  et  recens  verrucosa  val- 
vulae  mitralis  et  Aorta  e.  Dilatatio  et  hypertrophia  ven- 
triculi  sin.  Myodegeneratio  cordis  adiposa. 


2438 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  52. 


Am  Rande  der  Aortenklappen  in  der  Nähe  der  Noduli  längliche, 
derbe  Verdickungen  von  gelber  Farbe,  am  Rande  teilweise  mit  steck¬ 
nadelkopfgrossen,  warzigen,  rötlichen  Exkreszenzen  besetzt,  die  sich 
schwer  abstreifen  lassen.  Klappen  im  ganzen  geschrumpft.  Die 
Schliessungsränder  der  Mitralis  sind  von  einer  ununterbrochenen 
Reihe  von  hirsekorngrossen,  gelblich-roten,  festanhaftenden  Knötchen 
besetzt. 

Leichenblut  steril. 

Mikroskop.:  Endokard  nur  ganz  oberflächlich  geschädigt. 
Auflagerungen  sehr  zell-  und  pigmentreich.  Inmitten  derselben  in 
einigen  Schnitten  ein  Gram-positiver  Diplokokkus. 

18.  S.-Nr.  343/14.  H.,  weibl.,  10  J. 

Klin.:  Vor  5  Jahren  Diphtherie;  seitdem  Herzbeschwerden,  die 
sich  in  letzter  Zeit  verschlimmert  haben.  —  Nach  allen  Seiten  ver¬ 
breiterte  Herzdämpfung.  Frequenter  Puls.  Im  Urin  Eiweiss  und 
Zylinder.  Stauungserscheinungen.  Blut  aerob  und  anaerob  steril. 
An  Pneumonie  gestorben. 

Patholog.  -  anatom. :  Endokarditis  recurrens 
verrucosa  valvulae  tricuspidalis  et  aorticae.  Ste¬ 
nosis  ostii  mitralis.  Hypertrophia  et  dilatatio  atrii  utriusque  et  ven- 
triculi  dextri.  Induratio  cyanotica  pulmonum,  renum,  lienis,  hepatis. 
Pneumonia  crouposa  lobi  intermedii  pulmonis  dextri.  Ikterus. 

Mitralklappen  fibrös  verdickt,  Sehnenfäden  verkürzt,  Ostium  ver¬ 
engt.  Trikuspidal-  und  Aortenklappen  ebenfalls  verdickt,  letztere  ein¬ 
gerollt  und  geschrumpft.  Am  Rand  der  Trikuspidal-  und  Aorten¬ 
klappen  kleinste,  zottige,  fest  anhaftende,  graurötliche  Wärzchen  in 
Gruppen,  teils  kettenförmig  angeordnet. 

Leichenblut  steril. 

Mikroskop.:  Wie  Fall  2. 

19.  S.-Nr.  426/14.  D.,  männl.,  51  J. 

Klin.:  Niemals  Herzbeschwerden,  niemals  Rheumatismus.  An 
Magenkarzinom  behandelt  und  gestorben.  Kein  Fieber. 

Patholog. -anatom.:  Status  post  gastro-enterostomiam. 
Carcinoma  ventriculi  in  hepar  progressum  subsequentibus  metastasi- 
bus.  Emphysema  pulmonum.  Endocarditis  verrucosa  r  e  - 
cens  valvulae  mitralis. 

An  den  Mitralklappen  warzenartige,  parallel  dem  Rande  stehende, 
rötlich-weisse  Exkreszenzen  von  der  Grösse  kleiner  Sandkörnchen. 

Leichenblut  steril. 

Mikroskop.:  Wie  Fall  2. 

20.  S.-Nr.  711/14.  K.,  weibl.,  65  J. 

Klin.:  Niemals  Herzerscheinungen.  Im  Urin  reichlich  Eiweiss 
und  Zylinder.  An  chronischer  Nephritis  und  Herzschwäche 
gestorben. 

Patholog. -anatom.:  Adipositas  cordis  et  Myodegeneratio 
cordis  adiposa.  Endocarditis  verrucosa  recurrens 
valvulae  mitralis.  Hypertrophia  ventriculi  cordis  sinistri. 
Renes  granulati.  Cholelithiasis. 

Das  linke  Ostium  venosum  ist  knapp  für  2,  das  rechte  bequem 
für  3  Finger  durchgängig.  Mitralklappen  plump,  derb,  geschrumpft. 
Nahe  dem  Schliessungsrand  auf  der  Vorhofseite  bis  ca.  5  mm  hohe, 
unregelmässig  höckerige,  zu  einem  Wall  dicht  beisammen  stehende, 
graurötliche  Auflagerungen,  die  den  Klappen  fest  aufsitzen.  Sehnen¬ 
fäden  kurz  und  dick.  Leichenblut  steril. 

Mikroskop.:  Wie  Fall  14. 

21.  S.-Nr.  736/14.  W.,  männl.,  42  J. 

Klin.:  Mit  25  Jahren  Gelenkrheumatismus;  seit¬ 
dem  Herzfehler.  Stauungserscheinungen.  Systolisches  Geräusch  über 
der  Aorta.  Blut  steril.  An  Herzschwäche  gestorben. 

Patholog.  -  anatom.:  Endocarditis  recurrens 
verrucosa  valvulae  Aorta  e.  Infarctus  renum.  Hyper¬ 
trophia  cordis,  praecipue  ventriculi  sinistri. 

An  der  linken  Aortenklappe  auf  der  Ventrikelfläche  nahe  der  In¬ 
sertion  eine  bohnengrosse,  derbe,  gelblich-weisse  Verdickung  mit 
Kalkeinlagerungen  und  höckeriger,  zerklüfteter  Oberfläche,  auf  der 
man  kleine,  bis  stecknadelkopfgrosse  Wärzchen  erkennt.  Der  Rand 
der  rechten  Klappe  ist  verdickt  und  mit  zahlreichen  rötlich-grauen 
Exkreszenzen  besetzt.  Die  hintere  Klappe  an  der  ganzen  unteren 
Fläche  mit  kleinen  roten  Wärzchen  bedeckt. 

Leichenblut  steril. 

Mikroskop.:  Wie  Fall  4.  Im  Myokard  A  s  c  h  o  f  f  sehe  Knöt¬ 
chen. 

22.  S.-Nr.  873/14.  B.,  männl.,  31  J. 

Klin.:  In  der  Anamnese  keine  rheumatischen  Erkrankungen. 
Niemals  Herzbeschwerden.  An  Lungen-  und  Kehlkopf¬ 
tuberkulose  gestorben. 

Patholog. -anatom.:  Phthisis  tuberculosa  pulmonum  cum 
vomicis.  Ulcera  tuberculosa  laryngis  et  intestini  ilei  et  crassi. 
Endocarditis  mitralis  verrucosa  recens. 

Mitralklappen  am  Schliessungsrand  mit  Stecknadelkopf-  bis 
kirschkerngrossen,  rötlich-weissen  Exkreszenzen  perlschnurartig 
ringsherum  besetzt. 

Leichenblut  steril. 

Mikroskop.:  Wie  Fall  2. 

23.  S.-Nr.  946/14.  P„  weibl.,  52  J. 

Klin.:  Niemals  Rheumatismus,  niemals  herzleidend.  —  Kurz-  1 
atmigkeit.  Stauungserscheinungen.  Eiweiss  und  Zylinder  im  | 
Urin.  An  Lungenembolie  gestorben. 


Patholog.  -  anatom.:  Embolia  arteriae  pulmonal,  dextr.  In¬ 
farctus  haemorrhagicus  pulmonis  lobi  infer.  dextr.  Thrombosis  venae 
femoralis  sin.  Endocarditis  recurrens  verrucosa  mi¬ 
tralis.  Hypertrophia  ventriculi  sin.  cordis.  Atrophia  granu¬ 
lär  i  s  renu  m.  Decubitus  gravis  regionis  sacralis. 

Mitralsegel  verdickt,  in  ihrem  medialen  Drittel  miteinander  ver¬ 
wachsen.  An  der  Verwachsungsstclle  feine,  hellrote,  wärzchen- 
förmige  Auflagerungen. 

Im  Leichenblut  ein  Bakteriengemisch,  überwuchert  von  Proteus. 

Mikroskop.:  Wie  Fall  14. 

Gruppiert  man  diese  Fälle  nach  ihrem  klinischen  Krank- 
heitsbild  resp.  nach  der  pathologisch-anatomischen  Haupt¬ 
diagnose,  so  fand  ich  bei  meinem  Material  eine  verruköse 
Endokarditis 


1.  bei  frischer  Polyarthritis  rheumatica  .  .  4  mal 

(Fall  1,  3,  5,  6), 

2.  bei  chronischen  Herzleiden  mit  Polyarthritis 

rheumatica  in  der  Anamnese . 5  mal 

(Fall  4,  13,  14,  15,  21), 

3.  bei  chronischer  Tuberkulose  .' . 7  mal 

(Fall  2,  8,  9,  10,  11,  17,  22), 

4.  bei  tertiärer  Lues . 1  mal 

(Fall  16), 

5.  bei  chronischer  Nephritis . 2  mal 

(Fall  20,  23), 

6.  bei  Pneumonie . 1  mal 

(Fall  18), 

7.  bei  Karzinom . 3  mal 

(Fall  7,  12,  19). 


Darauf  hinzuweisen  ist,  dass  die  bakteriologische  Unter¬ 
suchung  des  Leichenblutes  regelmässig  ein  negatives  Resultat 
ergab.  Nur  in  zwei  Fällen  war  das  Blut  von  Proteus  vulgaris 
überwuchert,  was  durch  das  Vorhandensein  eines  ausgedehnten 
Dekubitusgeschwiircs  zu  erklären  ist. 

Bei  der  histologischen  Untersuchung  gelang  es  mir 
ausnahmslos  —  allerdings  oft  erst  nach  sehr  langem  Suchen  — 
in  den  endokarditischen  Auflagerungen  üra  m- 
positive,  o  v  o  i  d  e,  meist  in  Form  von  Diplo¬ 
kokken  gelagerte,  oft  verschieden  grosse 
Kokken  nachzuweisen.  Dieselben  fanden  sich  sowohl  dicht 
an  der  Oberfläche  wie  auch  inmitten  des  thrombotischen,  kern- 
armen  Materials  und  namentlich  nahe  und  zwischen  den 
Zellen  des  proliferierenden  Klappengewebes.  Hervorzuheben 
ist,  dass  die  Zahl  der  in  den  endokarditischen  Auflagerungen 
vorhandenen  Keime  im  Gegensatz  zu  den  malignen  Formen 
von  Endokarditis  bei  der  verrukösen  Form  eine  ganz  ausser¬ 
ordentlich  spärliche  ist.  Auf  diesen  Punkt  weisen  auch  schon 
F  r  a  e  n  k  e  1  und  S  a  e  n  g  e  r  hin.  Hauptsächlich  der  An¬ 
wendung  geeigneter  Färbemethoden,  vor  allem  der  Pyronin- 
Methylgrünmethode,  bei  der  die  Kokken  sich  durch  ihr  leuch¬ 
tendes  Rot  relativ  leicht  bemerkbar  machen,  habe  ich  es  zu 
verdanken,  dass  ich  regelmässig  die  Mikroorganismen  in  den 
verrukösen  Auflagerungen  nachweisen  konnte.  Aus  den  bei¬ 
gegebenen  Mikrophotogrammen  sind  Form  und  Lagerung  der 
gefundenen  Keime  zu  ersehen  (s.  Abb.  1 — 6). 

Bei  den  grossen  Schwierigkeiten,  mit  welchen  bakterio¬ 
logische  Untersuchungen  der  Herzklappen  verbunden  sind, 
und  bei  der  ausserordentlich  geringen  Zahl  der  vorhandenen 
Keime  war  es  von  vornherein  klar,  dass  es  nicht  leicht  ge¬ 
lingen  würde,  den  in  den  histologischen  Schnittpräparaten  ge¬ 
sehenen  Kokkus  zu  kultivieren.  Ich  ging  derart  vor  dass  ich 
unter  möglichst  sterilen  Kautelen  die  Klappen  samt  ihren  Auf¬ 
lagerungen  herausschnitt,  dieselben  in  mehrfach  gewechselter, 
steriler  Kochsalzlösung  energisch  abspülte,  nunmehr  die  Auf¬ 
lagerungen  mit  einem  ausgeglühten  Skalpell  abkratzte  und  auf 
Glyzerinagar  verrieb.  Waren  die  Auflagerungen  sehr  zäh 
oder  derb,  so  wurden  sic  mit  ein  wenig  steriler  Bouillon  in 
einem  Mörser  zerrieben  und  sodann  wurde  die  gewonnene 
Emulsion  auf  Glyzerinagarplatten  möglichst  fein  ausgestrichen. 

In  dieser  Weise  habe  ich  13  der  oben  mitgeteilten  Fälle 
untersucht.  Zweimal  waren  die  Platten  steril  geblieben,  drei¬ 
mal  waren  sie  verunreinigt.  Aber  in  8  von  den  13  Fällen 
waren  schon  nach  24  Stunden  allerfeinste  weisslich- 
graue  Kolonien,  meist  nur  in  sehr  geringer 
Zahl,  zu  sehen,  die  sich  als  Gram-positive 
Kokken  erwiesen  von  der  gleichen  Form  wie 
die  in  den  Schnittpräparaten  gefundenen.  Auf 
Drigalskiplatten  wuchsen  die  Keime  ebenfalls  sehr  zart,  meist 
mit  leichter  Rotfärbung  des  Nährbodens.  Auf  Blutagar  riefen 


29.  Dezember  1914. 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


2439 


sie  nach  24  Stunden  deutliche  Grünfärbung  und  in  den  fol-  2.  In  ätiologischer  Beziehung  kommt  in  allcr- 
genden  Tagen  zunehmende  Hämolyse  des  Nährbodens  hervor,  erster  Linie  —  ob  ausschliesslich,  müssen  weitere  Unter¬ 
in  Traubenzuckerbouillon  bildeten  sich  ausgesprochene  Ketten  suchuugen  lehren  —  ein  aerober  Streptokokkus  in 

($.  Abb.  7). 


Abbildung  7.  Abbildung  8.  Schwache  Vergrösserung.  Abbildung  9.  Starke  Vergrösserung. 


Mit  den  gewonnenen  Kulturen  wurde  eine  Reihe  von 
Tierversuchen  gemacht : 

1.  Je  einer  Maus  wurde  eine  Oese  der  24  Stunden  alten  Kultur, 
in  ccm  Bouillon  aufgeschwemmt,  subkutan  resp.  intraperitoneal  in¬ 
jiziert.  Beide  Tiere  blieben  gesund.  Nach  14  Tagen  wurden  sie  ge¬ 
tötet.  Die  Sektion  ergab  keine  makroskopisch  erkennbaren  patho¬ 
logischen  Veränderungen. 

2.  Je  ein  Meerschweinchen  erhielt  die  gleiche  Dosis  (1  Oese  in 
Vi  ccm  Bouillon)  intraperitoneal  resp.  intrapleural  resp.  intraperi¬ 
kardial.  Alle  3  Tiefe  blieben  gesund.  Nach  14  Tagen  war  weder  an 
Pleura  noch  an  Perikard  noch  an  Peritoneum  etwas  Krankhaftes  zu 
erkennen. 

3.  Einem  Kaninchen  wurde  1  Oese  von  der  Kultur,  in  %  ccm  auf¬ 
geschwemmt,  in  die  Ohrvene  eingespritzt.  Keinerlei  Allgemein- 
crscheinungen,  keine  Gewichtsabnahme.  Nach  6  Wochen  Tötung  des 
Tieres  mit  Chloroform.  Bei  der  Sektion  fand  sich  im  Endokard  des 
linken  Ventrikels  am  Septum  ein  fast  stecknadelkopfgrosser,  schwarz¬ 
roter  glänzender  Herd,  der  sich  mikroskopisch  als  endokardiale  Blu¬ 
tung  erwies.  Bei  der  Durchmusterung  von  ca.  60  histologischen 
Schnitten  wurden  2  kleine  Gebilde  gefunden,  die  eventuell  als  Rudi¬ 
mente  von  Kokken  angesprochen  werden  könnten. 

4.  Ein  zweites,  in  der  gleichen  Weise  infiziertes  und  ebenfalls 
nach  6  Wochen  getötetes,  sehr  kräftiges  Kaninchen  liess  bei  der  Sek¬ 
tion  am  Herzen  nicht  die  geringsten  pathologischen  Veränderungen 
erkennen. 

5.  Ein  weiteres  mittelkräftiges  Kaninchen  erhielt  4  0  e  s  e  n  einer 
24  Stunden  alten  Kultur,  in  2  ccm  Bouillon  aufgeschwemmt,  in  die 
Ohrvene.  Nach  14  Tagen  bekam  das  Tier  (ohne  unsere  Absicht!)  die 
Krätze.  Es  nahm  sehr  an  Gewicht  ab.  In  höchst  elendem  Zustande 
wurde  es  nach  6  Wochen  mit  Chloroform  getötet.  Die  Herzsektion 
ergab  an  den  Mitralklappen  und  ihren  Sehnenfäden 
eine  ganze  Reihe  allerfeinster,  mit  blossem  Auge 
eben  als  kleinste  Körnchen  erkennbarer,  roter 
Auflagerungen,  die  sich  mikroskopisch  im  wesentlichen  aus 
frischem  thrombotischen  Material  und  proliferierenden  Klappen¬ 
gewebszellen  bestehend  erwiesen  (s.  Abb.  8).  In  diesen  Auf¬ 
lagerungen  waren  an  mehreren  Stellen  Gram-positive 
Diplokokken  zu  sehen  (s.  Abb.  9). 

6.  Ein  viertes,  grosses,  kräftiges  Kaninchen  endlich  erhielt 
4  0  e  s  e  n  einer  24  Stunden  alten  Kultur,  in  2  ccm  Bouillon  verrieben, 
intravenös.  Abgesehen  von  einer  geringen  Gewichtsabnahme  bot 
das  Tier  während  der  6  wöchigen  Beobachtung  nichts  Krankhaftes. 
Bei  der  Sektion  fand  sich  im  linken  Ventrikel  am  vor¬ 
deren  Papillarmuskel  eine  ziemlich  flache,  fast 
stecknadelkopfgrosse,  fein  höckerige,  rötliche, 
fest  anhaftende  Auflagerung,  die  sich  auch  bei  der  mikro¬ 
skopischen  Untersuchung  als  endokarditische  Exkreszenz 
erwies.  Inmitten  dieser  Auflagerung  sassen  an  mehreren  S  t  e  1  - 
1  e  n,  ganz  genau  so  wie  bei  der  verrukösen  Endokarditis  des  Men¬ 
schen,  Gram-positive  Diplokokken. 

Erwähnen  möchte  ich  noch,  dass  sich  hei  allen  Tieren, 
die  zu  den  Versuchen  herangezogen  waren,  das  Blut  zur  Zeit 
der  Tötung  steril  erwies. 

Nach  allen .  diesen  Feststellungen  halte  ich  mich  für  be¬ 
rechtigt,  folgende  Schlüsse  zu  ziehen: 

1.  Die  Endocarditis  verrucosa  ist  stets 
eine  bakterielle  Erkrankung,  sowohl  in  Fällen  mit 
gleichzeitig  bestehendem  oder  vorhergegangenem  Gelenk¬ 
rheumatismus,  als  auch  bei  zahlreichen  anderen  Erkrankungen, 
bei  denen  die  in  Rede  stehende  Klappenveränderung  von  den 
meisten  Autoren  bisher  als  das  Produkt  einer  toxischen 
Schädigung  angesehen  wurde. 


Betracht,  und  zwar  handelt  es  sich,  soweit  unsere  heutigen 
Kentnisse  eine  Klassifikation  ermöglichen,  um  den  Strepto¬ 
coccus  mitior  s.  viridans.  Denn  der  von  mir  ge¬ 
fundene  Kokkus  weist  alle  von  S  c  h  o  1 1  m  ii  1 1  e  r  für  den 
Streptococcus  viridans  als  charakteristisch  angegebenen  Merk¬ 
male  auf  (s.  oben). 

Ist  diese  meine  Ansicht  richtig,  so  würden  Endocarditis 
verrucosa  und  Endocarditis  lenta  nicht  grundverschiedene 
Leiden  sein,  sondern  in  viel  näherer  Beziehung  zu  einander 
stehen  als  z.  B.  Schottmüller  es  annimmt. 

Für  das  Zustandekommen  der  verrukösen  Endokarditis  ist 
zunächst  nötig  (ebenso  wie  bei  den  malignen  Endokarditiden), 
dass  der  Erreger,  in  unserem  Falle  also  der  Streptococus  viri¬ 
dans,  in  die  Blutbahn  gelangt.  Von  wo  aus  und  auf  welche 
Weise  dies  geschieht,  darüber  ist  man  einstweilen  im  ein¬ 
zelnen  noch  im  Unklaren.  Ob  es  nun  des  weiteren,  wenn  die 
Bakterien  im  Blute  kreisen,  zu  dem  Auftreten  einer  Endo¬ 
karditis  kommt  oder  nicht,  hängt  meines  Erachtens  weniger 
von  einer  schon  bestehenden  Schädigung  der  Klappen  als 

a)  von  dem  Grad  der  Virulenz  und  der  Anzahl  der  Keime  und 

b)  von  dem  Grad  der  Widerstandsfähigkeit  des  betreffenden 
Individuums,  d.  h.  der  bakteriziden  Kraft  seiner  Gewebe  und 
seines  Blutes  ab. 

Für  diese  Annahme  sprechen  ganz  evident  meine  aller¬ 
dings  nur  in  geringer  Zahl  angestellten  Tierversuche:  Kräftige, 
gesunde  Tiere,  die  nur  mit  einer  geringen  Keimmenge  infiziert 
wurden,  ertrugen  das  Virus  ohne  erkennbare  Schädigung.  Da¬ 
gegen  bekamen  die  beiden  Kaninchen,  die  die  vierfache  Dosis 
intravenös  erhielten,  innerhalb  weniger  Wochen  eine  aus¬ 
gesprochene  Endokarditis,  das  eine  nur  in  leichter  Form,  das 
andere,  das  durch  die  Krätze  in  einen  sehr  dürftigen  Zustand 
gekommen  war,  in  sehr  ausgedehnter  Weise. 

Ganz  ähnlich,  denke  ich  mir,  liegen  die  Verhältnisse  beim 
Menschen.  Die  einen  —  derartige  Fälle  hat  Schottmüller 
beobachtet  —  sind  imstande,  den  Streptococcus  viridans,  wenn 
er  ins  Blut  eingedrungen  ist,  nach  kurzer  Zeit  abzutöten.  Sie 
bleiben  gesund,  bekommen  keine  Endokarditis. 

Andere  —  ich  denke  da  an  kachektische  Phthisiker  und 
Karzinomkranke  —  sind  weniger  widerstandsfähig.  Sie  be¬ 
kommen  in  den  letzten  Wochen  ihres  Lebens,  wenn  aus  irgend 
einem  Grunde  der  Streptococcus  viridans  in  ihre  Blutbahn  cin- 
getreten  ist,  eine  verruköse  Endokarditis. 

Einen  besonders  günstigen  Boden  muss  dem  Strepto¬ 
coccus  viridans  die  rheumatische  Infektion  schaffen,  denn  bei 
dieser  Erkrankung  tritt  die  verruköse  Endokarditis  mit  am 
häufigsten  in  die  Erscheinung.  Es  scheint  mir  sehr  nahe¬ 
liegend,  dass  die  Endocarditis  lenta,  der  ja,  wie  Schott¬ 
müller  betont,  stets  ein  Gelenkrheumatismus  einmal  vorauf¬ 
gegangen  ist,  nur  als  der  schwerste  Grad  einer  verrukösen 
Endokarditis  aufzufassen  ist.  Ist  es  doch  bisweilen  am 
Sektionstisch  auch  nicht  leicht,  lediglich  aus  der  Betrachtung 
des  Herzens  zu  entscheiden,  ob  eine  Endocarditis  lenta  oder 
nur  eine  schwere  rekurrierend-verruköse  Endokarditis  vor¬ 
liegt.  Allerdings  gebe  ich  zu,  dass  zur  Erklärung  des  Zu¬ 
standekommens  der  schweren  Klappenzerstörung,  der  Aneu- 


244 0 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  52. 


rysniabildungen,  der  Nierenveränderungen,  wie  man  sie  bei 
den  meisten  Fällen  der  Endocarditis  lenta  findet,  noch  be¬ 
sondere  Momente  herangezogen  werden  müssen.  Vielleicht 
sind  diese  schweren  Veränderungen  nur  die  Folgen  eines  be¬ 
sonders  starken  Virulenzgrades  der  Keime.  Dass  die  Strepto¬ 
kokken  bei  der  Endocarditis  lenta  stärker  virulent  sein  müssen, 
als  bei  der  Endocarditis  verrucosa  simplex,  geht  ja  schon  aus 
dem  Umstand  hervor,  dass  man  sie  bei  der  erstgenannten  Er¬ 
krankung  aus  dem  Blut  züchten  kann,  während  es  bei  den 
Fällen  von  einfacher  verruköser  Endokarditis  weder  mir  noch 
anderen  Autoren  gelungen  ist,  den  an  den  Klappen  sitzenden 
Kokkus  auch  im  Blute  nachzuweisen. 

Mit  dieser  Auffassung  von  den  Beziehungen  zwischen 
Endocarditis  verrucosa  und  Endocarditis  lenta  stehe  ich  aller¬ 
dings  im  Widerspruch  mit  Schottmüller.  Dieser  Autor 
gibt  in  seiner  klassischen  Arbeit  der  Meinung  Ausdruck,  dass 
die  gelegentlich  einer  früheren  Polyarthritis  entstandenen 
•verrukösen  Auflagerungen  für  die  Kokken,  id  est  Streptococcus 
viridans,  geeignete  Haftstellen  darböten  und  so  die  passende 
Grundlage  für  die  Endocarditis  lenta  abgäben,  dass  im  übrigen 
aber  ätiologisch  grundverschiedene  Leiden  vorlägen. 

Demgegenüber  glaube  ich  nach  meinen  Feststellungen 
sagen  zu  dürfen,  dass  auch  schon  die  einer  Endo¬ 
carditis  lenta  voraufgegangenen  Herz¬ 
attacken  als  eine  Wirkung  des  Streptococcus 
viridans  aufzufassen  sind  und  dass  das  Auf¬ 
treten  des  Symptom  enbildes  der  Endocardi¬ 
tis  lenta  die  schwersten,  nur  relativ  selten 
auftretenden  Wirkungen  des  Streptococcus 
viridans  sind. 

Literatur. 

1.  Thorei:  Lubarsch-Ostertag,  IX.  Jahrg.,  1.  Abt.  —  2.  Der¬ 
selbe:  Ibid.,  XI.  Jahrg.,  2.  Abt.  —  3.  D  e  r  s  e  1  b  e:  Ibid.,  XIV.  Jahrg., 
2.  Abt.  —  4.  E.  Kaufmann:  Lehrbuch  der  speziellen  pathologischen 
Anatomie  1911.  —  5.  L.  Aschoff:  Pathologische  Anatomie  1911.  — 
6.  E.  Fraenkel  und  A.  Saenger:  Untersuchungen  über  die  Aetio¬ 
logie  der  Endokarditis.  Virch.  Arch.  108.  1887.  —  7.  Bartel:  Zur 
Aetiologie  und  Histologie  der  Endokarditis.  W.kl.W.  1901  Nr.  41.  — 
8.  Saltykow:  Beiträge  zur  Kenntnis  der  experimentellen  Endo¬ 
karditis.  Virch.  Arch.  209.  1912  H.  1.  —  9.  Kämmerer  und  Weg- 
n  er:  Zur  Aetiologie  der  Endocarditis  lenta.  M.m.W.  1914  Nr.  11.  — 
10.  Poynton  und  Paine:  Researches  an  Rheumatism.  Referat 
von  Dr.K.Strassmann.  M.m.W.  1913  Nr.  51.  —  1 1.  H.  Schott¬ 
müller:  Die  Artunterscheidung  der  für  den  Menschen  pathogenen 
Streptokokken  durch  Blutagar.  M.m.W.  1903  S.  849.  _  12.  Der¬ 
selbe:  Endocarditis  lenta.  M.m.W.  1910  Nr.  12  u.  13. 


Bücheranzeigen  und  Referate. 

Ko  walk:  Militärärztlicher  Dienstunterricht  für  einjährig -frei¬ 
willige  Aerzte  und  Unterärzte  sowie  für  Sanitätsoffiziere  des  Beur¬ 
laubtenstandes.  Bearbeitet  von  Kowalk,  Generaloberarzt  a.  D. 
Zehnte,  neubearbeitete  Auflage.  Berlin  1914.  Ernst  Siegfried  Mitt¬ 
ler  &  Sohn. 

Einer  erneuten  Empfehlung  des  Buches  bedarf  es  nicht.  Die 
seit  dem  Erscheinen  der  letzten  Auflage  erlassenen  Vorschriften  wur¬ 
den  berücksichtigt.  Berichtigungen  und  Ergänzungen  wurden  in 
grosser  Zahl  vorgenommen.  Den  bei  weitem  grössten  Teil  des 
Buches  nimmt  die  Bearbeitung  des  Friedenssanitätswesens  ein.  Ihre 
gründliche  Kenntnis  ist  Voraussetzung  für  den  Krieg.  Die  kurze, 
packende  Darstellung  des  Kriegssanitätswesens  verschafft  ein  klares 
Bild  der  schwierigen  und  verwickelten,  aber  auf  das  Beste  ausge¬ 
bauten  Verletztenversorgung  im  Kriege.  In  der  Jetztzeit,  in  der 
Tausende  und  Abertausende  von  Zivilärzten  sich  neben  und  mit 
den  Sanitätsoffizieren  dieser  schwierigen  Aufgabe  widmen,  wird 
das  Buch  jedem,  dessen  Arbeit  sich  nicht  dauernd  im  militärischen 
Leben  bewegt,  ein  viel  befragter  und  dankbar  geschätzter  Ratgeber 
sc>n.  zur  Verth  -  Kiel. 

Neueste  Journalliteratur. 

Zentralblatt  für  Chirurgie,  Nr.  50  Ju.  51,  1914. 

Nr.  50.  F.  0  c  h  1  e  c  k  e  r  -  Hamburg:  Zur  Operation  der  sog. 
falschen  Aneurysmen. 

\  erf.  bespricht  zuerst  die  Diagnose  des  falschen  Aneurysmas, 
das  man  besser  „kommunizierendes  Hämatom“  heissen  sollte,  schil- 
dert  dann  3  Fälle  eingehend,  die  er  erst  kürzlich  durch  Operation 
geheilt  hat,  und  stellt  folgende  Leitsätze  für  die  Behandlung  auf: 
Die  falschen  Aneurysmen  sollen  am  besten  in  der  3.  oder  4.  Woche 
operiert  werden,  wenn  Wunden  und  Nebenverletzungen  geheilt  sind; 
Zunahme  der  Geschwulst  und  der  Beschwerden  verlangen  früher 
die  Operation,  da  sonst  die  Bildung  von  Thromben  nur  befördert 


wird.  In  vielen  Fällen  genügt  doppelte  Unterbindung  der  verletzten 
Arterie;  muss  die  Arterie  genäht  werden,  so  kann  man  ruhig  die 
Vene  opfern  und  zur  plastischen  Deckung  und  Sicherung  der  Ar¬ 
teriennaht  benützen.  Die  Unterbindung  der  Vene,  selbst  wenn  sie 
nicht  verletzt  ist,  hat  noch  den  Vorteil,  dass  man  das  stagnierende 
Blut  aus  der  Extremität  herauslassen  und  ohne  eine  Lungenembolie 
fürchten  zu  müssen,  Massage  und  Bewegungen  ausführen  kann.  (Die 
interessante  Arbeit  verdient  im  Original  studiert  zu  werden.) 

Nr.  51  ohne  Originalarbeit. 

E.  Heim-  Oberndorf  b.  Schweinfurt. 

Zentralblatt  für  Gynäkologie.  Nr.  50,  1914. 

L.  A.  Oliva- Genua:  Technische  Modifikationen  der  Vaginal¬ 
hysterektomie  bei  Prolaps. 

Bei  der  vaginalen  Totalexstirpation  wegen  Prolaps  gerät  die 
BLse  oft  in  Gefahr,  verletzt  zu  werden,  da  ihre  untere  Grenze  meist 
bis  zum  äusseren  Muttermund  her'abreicht.  Um  dies  zu  verhindern, 
schlägt  O.  folgende  technische  Modifikation  vor.  Man  macht  2—3  cm 
vom  äusseren  Muttermund  entfernt  einen  Querschnitt  durch  die 
Vaginalschleimhaut,  dann  zwei  senkrechte  Schnitte  bis  zum  Orific.  ext. 
und  präpariert  den  viereckigen  Lappen  bis  unter  die  Blasengrenze 
ab.  Dann  sieht  man  die  freigelegte  Blase  vor  sich  und  kann  sie 
leicht  nach  oben  vollständig  isolieren.  Folgt  die  Totalexstirpation 
mit  vorderer  Kolporrhaphie,  Levatornaht  und  Kolpoperineorhaphie. 

O.  hat  4  Fälle  mit  dieser  Modifikation  erfolgreich  behandelt. 
Ein  Fall  wird  ausführlich  beschrieben.  J  a  f  f  e  -  Hamburg. 

Oesterreichische  Literatur. 

Wiener  klinische  Wochenschrift. 

Nr.  49  u.  50.  H.  v.  H  a  b  e  r  e  r  -  Innsbruck:  Beitrag  zu  den 
Schädelverletzungen  im  Kriege. 

Aus  den  5  Krankengeschichten  ist  bemerkenswert  ein  Knochen¬ 
rinnenschuss  mit  weitgehender  Zerstörung  des  Gehirns  und  Infektion 
durch  gasbildende  Bakterien;  nach  5  beschwerlichen  Reisetagen  hatte 
die  Operation  noch  vollen  Erfolg  und  schwanden  schliesslich  alle 
Ausfallerscheinungen  vollständig.  Ein  anderer  Fall  zeigt  einen  lange 
völlig  svmptomlosen  Verlauf  bei  einem  durch  Streifschuss  entstan¬ 
denen  Hirnabszess,  wobei  eine  unerwartet  ausgedehnte  Absprengung 
der  Lamina  vitrea  interna  bestand.  In  einem  anderen  Falle  blich 
eine  Stichverletzung  der  Arteria  meningea  media  symptomlos;  bis 
am  10.  Tage  eine  Nachblutung  schwere  Symptome  auslöste.  Alle 
beschriebenen  Fälle  hatten  einen  viel  schwereren  Charakter,  als 
das  Aussehen  vermuten  liess.  Verf.  macht  sich  daher  zur  Regel,  bei 
allen  Weichteilverletzungen  des  Schädels,  wo  die  Beteiligung  des 
Knochens  nicht  absolut  auszuschliessen  ist,  lieber  eine  Probeinzision 
zu  machen. 

Nr.  49.  .1.  Hass -Wien:  Zur  Behandlung  der  Schussfrakturen 
des  Oberschenkels. 

H.  hat  mit  bestem  Erfolge  bei  17  zum  Teil  veralteten  Schuss¬ 
frakturen  des  Oberschenkels  in  Aethernarkose  mittels  des  Lorenz- 
schen  Redresseurs  bei  maximaler  Extension  die  möglichste  Einrich¬ 
tung  des  Bruches  durchgeführt.  Darauf  wird  ein  ev.  gefensterter 
Gipsverband  angelegt;  ein  wichtiger  Teil  desselben  ist  ein  Reitgurt, 
z.  13.  aus  einer  Kalikotbinde  hergestellt,  in  welche  Watte  eingenäht 
ist;  derselbe  wird  zu  Beginn  des  Verbandes  um  den  Tuber  ischii 
uer  kranken  Seite  gelegt  und  am  Schluss  fest  angezogen,  mit  den 
Enden  umgelegt  und  durch  Binden  befestigt.  Er  dient  zur  Gegen¬ 
extension  beim  Auftreten  und  entlastet  die  Bruchstelle.  (Abbil¬ 
dungen.) 

B.  Beer- Wien:  Die  Rigidität  der  Wirbelsäule  und  ihre  Pro¬ 
gnose. 

Bemerkungen  zu  einem  Artikel  von  H  o  e  n  e  -  Mainz  in  Nr.  37 
der  D.m.W.  B.  betont  für  die  meisten  Fälle  die  Heilbarkeit  des 
Leidens  durch  eine  eigene  milde  mechanische,  dem  Redressement 
verwandte  Behandlungsweise,  über  welche  näher  berichtet  werden 
wird. 

Nr.  50.  O.  Buiwid  und  L.  Arzt-Krakau:  Ueber  Cholera 
asiatica. 

Nach  klinischen  Vorträgen. 

C.  Ga  mna-  Turin:  Zur  Untersuchung  der  hämolymphatischen 
Gewebe  mittels  der  spezifischen  Blutfärbungen. 

Die  Beschreibung  des  Verfahrens  ist  im  Original  einzusehen. 

B  e  r  g  e  a  t  -  München. 

Inauguraldissertationen. 

Universität  Tübingen.  Oktober  1914. 

B  os  c  h  c  r  Edgar:  Ueber  zwei  Fälle  von  traumatischem  Pfannen- 
bruch  mit  zentraler  Luxation  des  Schenkclkopfes  und  ihre  ge- 
burtshilfliche  Bedeutung. 

Dröge  Karl:  Ueber  Veränderungen  in  der  chemischen  Konstitution 
des  Tierkörpers  nach  Exstirpation  der  Milz,  der  Hoden  und  des 
Schilddrüsenapparates. 

Haag  Karl:  Das  Glaukom  der  Jugendlichen. 

Lüpke  Ernfrid:  Statistischer  Beitrag  zum  Uteruskarzinom  und  zur 
Uteruskarzinomoperation. 

Nienhold  Else:  Ueber  einen  Fall  von  hochgradiger  allgemeiner 
Hämochromatose. 


Schriftleitung :  Dr.  B.  Spatz, 
München,  Arnulfstrasse  26. 


Verlag  von  J.  F.  Lehmann, 
München,  Paul  Heysestr.  26. 


MÜNCHENER 

Medizinische  Wochenschrift. 

Nr.  52.  29.  Dezember  1914. 

Feldärztliche  Beilage  Nr.  21. 


Lieber  Tetanus  bei  Kriegsverwundeten. 

Ergebnis  einer  Saminelforschung  der  kriegsärztlichen  Ver¬ 
einigung  in  Strassburg  i/E. 

Von  Professor  Madelung. 

Die  kriegsärztliche  Vereinigung  in  Strassburg 
beschäftigte  sich  schon  in  ihrer  ersten  Sitzung  am  1.  Sep¬ 
tember  mit  dem  in  diesem  Kriege  in  Strassburger 
Lazaretten  a  u  f  g  e  t  r  e  t  e  n  e  n  Wundstarrkrampf 
nach  Schussverletzungen. 

Gerüchte  über  sehr  grosse  Häufigkeit  dieser  Erkrankung 
bei  unseren  Verwundeten  gaben  dazu  Veranlassung.  Es 
wurde  besprochen,  ob  vorbeugende  Anwendung  von  Tetanus¬ 
antitoxin  bei  allen  zur  Behandlung  kommenden  Ver¬ 
wundeten  nötig,  ob  sie  in  Strassburg  zurzeit  durchführbar  sei. 
Erfahrungen  über  den  Schutz,  den  solche  Impfungen  bisher 
verliehen  hatten,  wurden  ausgetauscht. 

Auch  in  der  folgenden  Zeit  wurden  diese  Fragen  in  unserer 
Gesellschaft  mehrfach  besprochen. 

Es  zeigte  sich  aber  bald,  dass  die  mündlichen  Mitteilungen 
eine  genügende  Grundlage  für  ihre  Beantwortung  nicht 
geben  konnten.  Man  beschloss  eine  Sammelforschung. 
Ein  Fragebogen  kam  an  80  Festungs-,  Reserve-,  Hilfs-  und 
Vereinslazarette  in  Strassburg  und  seiner  Umgebung  zur  Ver¬ 
sendung. 

Es  ist  hoch  anzuerkennen,  dass  die  sämtlichen  Herren 
Chefärzte  in  dieser  Zeit,  wo  ihnen  so  grosse  praktische  Arbeit 
auferlegt  ist,  die  Beantwortung  der  vorgelegten  Fragen 
raschest  gegeben  haben. 

So  wurde  zuverlässiger  Bericht  über  ein  sehr  grosses 
Beobachtungsmaterial  erlangt  und  ein,  meines  Erachtens,  wert¬ 
volles  Hilfsmaterial  gewonnen  für  Beantwortung  mancher 
wichtiger,  den  Wundstarrkrampf  in  diesem  Krieg  betreffender 

Fragen. 

Ich  teile  in  folgendem  aus  den  Ergebnissen  der 
Strassburger  Sammelforschung  nur  einiges  mit. 

Eine  genauere  Bearbeitung  des  vorliegenden  Materials, 
vielleicht  nachdem  nach  einigen  Monaten  nochmals  in  ähn¬ 
licher  Weise  eine  Umfrage  gemacht  ist,  mag  der  Zukunft  Vor¬ 
behalten  bleiben. 

In  den  Lazaretten  des  XV.  Armeekorps  und 
im  städtischen  Krankenhaus  Mülhausen  i.  E.1) 
—  Herr  Kleinknecht  hat,  auf  mein  Ersuchen  hin,  sich 
freundlichst  an  der  Sammelforschung  beteiligt  —  wurden 
vom  1.  August  bis  31.  Oktober  1914  behandelt 
27 677  Verwundete. 

Es  ist  wahrscheinlich,  dass  einige  Verwundete  von  zwei 
Lazaretten  gezählt  worden  sind.  Besonders  in  der  ersten 
Kriegszeit  wurden  mehrfach  Verwundete  verlegt  wegen  Platz¬ 
mangel  und  aus  anderen  Gründen.  Sehr  viel  grösser  wird  die 
Zahl  derjenigen  Verwundeten  sein,  die  nicht  bis  zur  Genesung 
oder  nicht  bis  zum  Tod  in  den  hiesigen  Lazaretten  verpflegt 
wurden.  Doch  ist  anzunehmen,  dass  mit  geringen  Ausnahmen 
der  Weitertransport  über  den  Rhein  erst  zu  einer  Zeit  ge¬ 
schehen  ist,  wo  spätere  Erkrankung  an  Tetanus  aus¬ 
geschlossen  war. 

Beobachtet  wurden  174  Fälle  von  Wund¬ 
starrkrampf  oder  6,6  Prom. 

’)  In  Mülhausen  900. 

Nr.  52. 


Die  Bedeutung  dieser  Zahl  lässt  sich  nur  ermessen,  wenn 
man  sie  mit  Zahlen,  die  in  anderen  grossen  Kriegen  der  Neu¬ 
zeit  genügend  festgestellt  sind,  vergleicht. 

Es  erkrankten  im  Krimfeldzuge  von  12  094  Verwundeten 
des  englischen  Heeres  19  an  Tetanus  oder  1,5  Prom.;  im 
Amerikanischen  Sezessionskrieg  von  217  000  Verwundeten 
505  oder  2  Prom.,  im  Deutsch-französischen  Krieg  von  95  000 
deutschen  Verwundeten  350  oder  3,5  Prom.,  in  der  russischen 
Donauarmee  1877/78  von  51  700  Verwundeten  66  oder  1,2  Prom. 

Wenn  sich  hiernach  für  die  Verwundeten  des  jetzigen 
Krieges,  die  in  der  Südwestecke  Deutschlands  verpflegt 
worden  sind,  die  oben  erwähnten,  anfänglich  umgehenden  Ge¬ 
rüchte  von  grösster  Häufigkeit  des  Tetanus  nicht  bestätigt 
haben,  so  ist  es  doch  richtig,  dass  Tetanus  hier 
beträchtlich  häufiger  vorgekommen  ist,  als 
in  anderen  neueren  Kriegen. 

Es  wird  wenigstens  teilweise  dies  damit  zu  erklären  sein, 
dass  die  Mehrzahl  der  Verwundungen  im  Vogesen-Gebirgs- 
krieg  entstanden  war,  nachdem  die  Kämpfenden  tage-  und 
wochenlang  im  Wald  und  in  Schützengräben  gelegen  hatten. 
Wer  gesehen  hat,  in  welcher  Weise  mit  Erde  verschmutzt  die 
Mehrzahl  der  uns  danach  zugehenden  Verwundeten  war,  wird 
sich  über  grössere  Häufigkeit  des  Tetanus  nicht  wundern. 

Es  war  die  Vermutung  ausgesprochen  worden,  es  hätte 
sich  besonders  häufig  Tetanus  entwickelt  bei  Verwundeten, 
die  von  einzelnen  Gefechtsplätzen  stammten.  Hierfür  hat  sich 
ein  Anhalt  nicht  gewinnen  lassen.  Allerdings  ist  auch  nur  für 
eine  beschränkte  Anzahl  von  Kranken  der  Ort,  >vo  sie  ver¬ 
wundet  wurden,  bekannt  geworden.  Eine  grössere  Anzahl  von 
Verwundungen  wurde  geliefert  nach  den  grossen  Schlachten 
bei  Mülhausen-Sennheim,  bei  Saarburg,  nach  den  vielfachen 
Gefechten  in  der  Umgegend  von  St.  Die  und  St.  Mihiel. 

Man  hat  in  früheren  Kriegen  in  einzelnen  Lazaretten 
richtige  Tetanusepidemien  beobachtet2). 

Eine  solche  besondere  Häufung  von  Fällen  ist  in  keinem 
der  Strassburger  Lazarette  beobachtet  worden. 

Bekanntlich  nimmt  man  an,  dass  Wundstarrkrampf  im 
Kriege  häufiger  nach  Verletzungen  durch  Artilleriegeschosse 
(Schrapnell,  Granate),  als  nach  solchen  durch  Infanterie¬ 
geschosse,  dass  er  besonders  häufig  (Busch  sagte  „fast 
immer“)  nach  Verletzungen  der  unteren  Extremitäten  sich  ent¬ 
wickelt. 

Unsere  Zahlen  bestätigen  diese  Annahme  nicht,  wenig¬ 
stens  nicht  vollständig. 

Tetanus  wurde  beobachtet  nach  Ver¬ 
letzungen  durch  Infante  riegeschosse  80  mal, 
nach  solchen  durch  Schrapnell  27  mal,  nach 
solchen  durch  Granatteile  53  mal. 

Nun  ist  ja  freilich  die  Zahl  der  nach  Verletzungen  durch 
Infanteriegeschosse  zur  Behandlung  kommenden  Ver¬ 
wundeten  sehr,  sehr  viel  grösser  als  die  nach  Verletzungen 
durch  Artilleriegeschosse,  aber  es  ist  doch  wichtig  zu  wissen 

2)  So  erzählte  Wilhelm  Busch  1866,  dass  er  im  Lazarett  in 
Schloss  Hradek,  welches  500  Verwundete  beherbergte,  12  Fälle  sah. 
Ihm  fiel  damals  auf,  dass  „die  Erkrankungen  sich  besonders  in  ein¬ 
zelnen  Lokalitäten  entwickelten,  so  in  Hradek  9  Fälle  in  der  grossen 
Reitbahn  und  der  mit  dieser  zusammenhängenden  Wagenremise, 
in  welchen  Räumen  die  Schwerverletzten  freilich  in  den  ersten 
Tagen  Schulter  an  Schulter  auf  einfacher  Strohschüttung  lagen“.  Für 
uns  ist  dieses  Faktum  jetzt  wohlverständlich. 


2 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  52. 


2442 


(im  besonderen  betreffend  die  Frage  nach  dem  Wert  der  vor¬ 
beugenden  Behandlung),  dass  auch  nach  Gewehrver¬ 
letzungen  sehr  oft  Tetanus  aufgetreten  ist. 

ln  166  Fällen,  wo  der  Ort  der  Verletzung  mitgeteilt 
worden  ist,  waren  103m  al  Teile  der  unteren  Ex¬ 
tremitäten  verletzt  (ich  zählte  hierbei  alle  Fälle,  wo 
ausser  den  unteren  Extremitäten  auch  andere  Körperteile 
gleichzeitig  verwundet  waren,  zu  denen  dieser  Gruppe  zu). 
Aber  es  trat  Tetanus  auch  auf  50  mal  nach  (aus¬ 
schliesslicher)  Verletzung  der  oberen  Ex¬ 
tremitäten,  8  m  a  1  nach  solchen  des  Rumpfes, 
5mal  nach  solchen  des  Kopfes. 

Bemerkenswert  ist,  dass  für  keinen  Fall  von  Lungenschuss 
Ausbruch  von  Tetanus  gemeldet  worden  ist. 

Ueber  den  Ausgang  der  beobachteten  Wundstarrkrampf¬ 
erkrankungen  wurde  166  mal  berichtet.  115  Patienten 
starben,  51  kamen  zur  Genesung. 

Es  wäre  von  Wichtigkeit  gewesen,  zu  erfahren,  wie  gross 
der  Anteil  der  durch  Tetanus  bedingten  Todes¬ 
fälle  an  der  Gesamtzahl  der  Todesfälle  gewesen 
ist.  Eine  den  letzteren  Punkt  betreffende  Frage  wurde  in  dem 
Fragebogen  nicht  gestellt.  Es  war  ja  Beschränkung  bei  den 
Anforderungen  an  die  Kollegen  durchaus  geboten.  So  bin  ich 
nur  in  der  Lage,  betreffend  einen  Teil  der  Fälle  diese  Frage 
zu  beantworten. 

In  den  Festungslazaretten  in  Strassburg  starben 
vom  Beginn  des  Krieges  bis  einschliesslich  den  31.  Oktober 
1914  von  15  134  Verwundeten  690  (541  Deutsche,  149  Fran¬ 
zosen),  von  diesen  durch  Wundstarrkrampf  101. 

Der  Anteil  des  Tetanus  an  der  Zahl  der  Todesfälle  betrug 
also  14  Proz 

Die  Zahl  der  Tetanusgenesenen  (ca.  lA)  ist  ver¬ 
hältnismässig  gross.  Im  Amerikanischen  Bürgerkrieg  sollen 
von  505  an  Tetanus  Erkrankten  451  oder  89,3  Proz.  gestorben 
sein. 

Es  steht  nun  zur  Frage,  in  welcher  Ausdehnung  in  die¬ 
sem  Krieg  und  in  unserem  deutschen  Landteil  durch  vor¬ 
beugende  Behandlung  Tetanus  verhütet,  weiter  in  welcher 
Ausdehnung  ausgebrochener  Tetanus  durch  ärztliche  Behand¬ 
lung  günstig  beeinflusst  worden  ist.  Gerade  um  hierüber  auf¬ 
zuklären,  wurde  ja  die  Sammelforschung  unternommen. 

„Haben  Sie  prophylaktisch  Tetanusantitoxin  angewendet? 
In  allen  Fällen?  Mit  Auswahl?“,  so  lautete  eine  unserer 
Fragen. 

Es  zeigt  sich  nun,  dass  in  keinem  Lazarett  alle  zur  Be¬ 
handlung  kommenden  Fälle  prophylaktisch  geimpft  worden 
sind. 

In  37  Lazaretten  ist  niemals  prophylak¬ 
tisch  geimpft  worden. 

Die  Zahl  der  in  diesen  behandelten  Ver¬ 
wundeten  betrug  8145.  Es  kamen  63  Tetanus¬ 
fälle  vor,  also  7,7  P  r  o  m. 

In  39  La  za  retten  wurde  „m  it  Auswahl“  ge¬ 
impft. 

So  viel  mir  bekannt  ist,  wurden  zu  den  prophylaktischen 
Impfungen  (und  ebenso  zu  den  therapeutischen)  immer  deut¬ 
sche  Serumpräparate,  meist  wohl  das  von  den  Farbwerken 
in  Höchst  hergestellte  (von  dem  Sanitätsdepot  abgegebene) 
Tetanusantitoxin  verwendet.  Ueber  die  Menge  des  als 
Schutzdosis  verwendeten  Medikamentes  werden  An¬ 
gaben  nur  von  einzelnen  gemacht;  dann  immer,  es  seien  ein 
Mal  20  Antitoxineinheiten  injiziert  worden. 

Die  Gründe,  die  die  behandelnden  Aerzte  bei  der  Auswahl 
leiteten,  sind,  soweit  über  dieselben  überhaupt  Angaben  ge¬ 
macht  wurden,  sehr  verschieden  gewesen. 

Oft  wurde  gesagt,  man  habe  sich  darauf  beschränkt,  in 
solchen  Fällen  zu  impfen,  wo  „Verunreinigung  mit  Erde,  Staub 
bestand“  oder  „wahrscheinlich“  war  („Fusswunden“),  auf  alle 
Fälle  von  „tieferen  Weichteilwunden“,  auf  alle  Fälle  von 
..Schrapnell-  und  Granatverletzungen“,  bei  „Wunden  durch 
Infanteriegeschossquerschläger“. 

In  einem  grossen  Lazarett  wurden  alle  Verwundeten,  die 
vor  dem  Ablauf  des  8.  Tages  (nach  der  Verletzung)  zur  Be¬ 
handlung  kamen,  geimpft;  die  anderen  nicht. 


ln  einzelnen  Lazaretten  verfuhr  man  bei  der  Auswahl  ver¬ 
schieden  zu  verschiedenen  Zeiten. 

Im  städtischen  Krankenhaus  Mülhausen  verfügte  man  bei 
Ausbruch  des  Krieges  nur  über  ein  sehr  kleines  Quantum  von 
Tetanusserum,  musste  aus  diesem  Grunde  vorerst  auf  prophy¬ 
laktische  Einspritzung  verzichten.  Erst  am  1.  September  ge¬ 
lang  es  wieder,  kleine  Mengen  zu  beziehen  und  konnte  man 
solche  vornehmen. 

In  einigen  Lazaretten  impfte  man  anfangs  nicht  oder  mit 
Auswahl,  als  dann  Todesfälle  durch  Tetanus  auftraten,  stets; 
in  einzelnen  wählte  man  anfangs  die  Fälle  aus,  die  Impfung 
zu  erfordern  schienen,  später  diejenigen,  bei  denen  solche  nicht 
nötig  erschien;  in  einem  Lazarett  injizierte  man  bis  Ende  Sep¬ 
tember  in  allen  Fällen,  danach  mit  Auswahl. 

Die  Gesamtzahl  der  prophylaktischen  Impfungen  ist  nicht 
festzustellen.  Es  ist  aber  bemerkenswert,  dass  in  einigen  und 
zwar  grösseren  Lazaretten  nur  in  ganz  seltenen  Ausnahme¬ 
fällen  solche  gemacht  wurden  (2  mal  bei  133,  8  mal  bei  559. 
2  mal  bei  1412). 

In  den  Lazaretten,  wo  mit  Auswahl  vorbeu¬ 
gend  geimpft  wurde,  trat  bei  19  432  Verwunde¬ 
ten  107mal  Tetanus  auf,  also  5,5  Prom. 

21  Verwundete  erkrankten,  obgleich  sie 
prophylaktisch  geimpft  worden  waren,  an  Te¬ 
tanus! 

Bevor  man  aus  dieser  Zahl  Schlüsse  zieht,  wird  einiges 
.  zu  beachten  sein. 

,  Man  ist  allgemein  davon  überzeugt,  dass  die  Immuni¬ 
sierung  in  „sicherer“,  in  „einigermassen  sicherer“  Weise 
Schutz  vor  Wundstarrkrampf  verleiht,  wenn  die  Impfung  sehr 
früh  nach  der  Verwundung  geschieht,  das  würde  heissen,  im 
Kriege  schon  auf  dem  Schlachtfeld  und  vor  dem  Weitertransport. 

Inwieweit  solche  bei  den  Verwundeten  auf  unserem 
Kriegsschauplatz  zur  Ausführung  kam,  ist  nicht  zu  sagen. 

Jedenfalls  ist  hier  kein  Fall  von  Tetanus  bekannt  ge¬ 
worden,  wo  Impfung  vor  dem  Eintritt  in  eines  der  Lazarette 
vorgenommen  wurde. 

Immerhin  ist  aber  in  einer  verhältnismässig  nicht  kleinen 
Anzahl  von  Fällen  die  Impfung  im  Lazarett  sehr  früh  nach  der 
Verletzung  gemacht  worden.  Die  Nähe  der  Schlachtfelder 
hat  dies  ermöglicht. 

Tetanus  ist  aufgetreten  bei  3  Männern,  die  am  ersten  Tag 
nach  der  Verwundung  (1  mal  am  5.,  2  mal  am  11.  Tag  nach  der 
Verwundung);  bei  2  Männern,  die  am  3.  Tag  (am  6.  und  am 
10.  Tag);  bei  1  Mann,  der  am  3.  oder  4.  Tag  (am  11.  Tag);  bei 
2  Männern,  die  am  4.  Tag  (am  8.  und  10.  Tag)  geimpft  worden 
sind. 

Im  ganzen  entwickelte  sich  Tetanus  bei 
20  Männern,  die  vor  Ablauf  des  8.  Tages  ge¬ 
impft  wurden. 

Der  Zeitraum,  der  zwischen  der  Impfung  und  dem  Auf¬ 
treten  der  ersten  Symptome  des  Tetanus  lag,  ist  recht  ver¬ 
schieden  gross  gewesen:  2 mal  am  Tage  der  Impfung  (am 
7.  Tag,  lmal?);  3 mal  1  Tag  nach  der  Impfung  (am  7.,  8., 
12.  Tag  nach  der  Verwundung;  3  mal  2  Tage  (Impfung  am  5. 
und  am  6.  Tag);  2 mal  3  Tage  (Impfung  am  3.  und  7.  Tag); 
4  mal  4  Tage  (Impfung  am  1.,  4.,  7.  und  8.  Tag);  lmal  lagen 
6  Tage  (Impfung  am  4.  Tag),  1  mal  7  (Impfung  am  3,  Tag), 
lmal  8  (Impfung  am  8.  Tag),  2 mal  10  (Impfung  am  1.  und 
3.  Tag),  1  mal  12  (Impfung  am  8.  Tag)  zwischen  Impfung  und 
Auftreten  des  Tetanus. 

Gestorben  sind  von  den  prophylaktisch 
Geimpften  14  (1  Fall?). 

In  den  Mitteilungen  über  die  6  Genesenen  wird  2  mal  be¬ 
merkt,  dass  der  am  10.  und  11.  Tag  p.  tr.  aufgetretene  Te¬ 
tanus  „sehr  leicht“,  „nur  unvollständig“  (leichter  Trismus 
mittleren  Grades,  sonst  keine  Erscheinungen)  war. 

Ein  Beobachter  führt  zur  Stütze  seiner  Ansicht,  dass  der 
günstige  Verlauf  mit  der  prophylaktischen  Impfung  Zusammen¬ 
hang  gehabt  habe,  an,  dass  zwei  andere,  am  gleichen  Orte  und 
am  gleichen  Tage  Verwundete,  die  nicht  geimpft  wurden,  an 
Tetanus  starben. 

In  allen  Fällen  von  Genesung  trat  der  Tetanus  ziemlich 
spät  nach  der  Verwundung  auf  (lmal  am  9.,  2  mal  am  11., 

I  mal  am  13.,  1  mal  am  20.  Tag  nach  der  Verwundung). 


29.  Dezember  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Mönch,  med.  Wochenschrift. 


2443 


Mit  Ausnahme  von  15  Fällen  (bei  weiteren  7 
fehlt  die  Auskunft)  wurde  in  allen  Fällen,  wo  Te¬ 
tanus  auftrat,  therapeutisch  Antitoxin  injiziert, 
fast  immer  subkutan,  1  mal  intra-  und  perineural,  4  tnal  intra¬ 
lumbal,  in  4  Fällen  —  abwechselnd  —  subkutan  und  intra¬ 
dural,  in  3  Fällen  subkutan  und  auf  die  Wunde. 

Sehr  oft  wird  bemerkt,  dass  man  schon  bei  den  ersten 
lokalen  „Vorboten“  mit  der  Serumbehandlung  begann. 

Ueber  die  Menge  des  als  H  e  i  1  d  o  s  i  s  verbrauchten  Starr¬ 
krampfserums  wurden  nur  von  einzelnen  Angaben  gemacht. 
Fast  immer  wurden  100  Antitoxineinheiten  injiziert.  Die  In¬ 
jektionen  wurden  je  nach  dem  Verlauf  des  Tetanus  an  den 
folgenden  lagen  wiederholt,  bei  chronischem  Verlauf  in  einigen 
Fällen  12,  14,  20  mal.  Die  einzelnen  Angaben  sind,  wie  gesagt, 
zu  unvollständig,  um  daraus  Schlüsse  zu  ziehen. 

Dies  gilt  auch  von  den  folgenden  Zahlen.  Ich  wenigstens 
möchte  denselben  keinen  besonderen  Wert  beilegen. 

Von  15  nicht  therapeutisch  mit  Antitoxin 
behandelten  Tetanusfällen  —  es  waren  teils  ganz 
leicht  verlaufende,  teils  sterbend  eingelieferte  —  sind  3  ge¬ 
nesen,  12  gestorben. 

Von  152  therapeutisch  mit  Antitoxin  be¬ 
handelten  Tetanusfällen  sind  47  genesen,  105 
gestorben. 

Es  war  in  den  Fragebogen  eine  Frage  nach  der  sonstigen 
(also  exklusive  Antitoxinverabreichung)  bei  Tetanusfällen  ge¬ 
übten  Behandlung  nicht  gestellt  worden. 

Einige  spärliche  Mitteilungen  werden  darüber  gemacht: 
Morphium  subkutan,  Chloral  ventral,  Amputation. 

Erwähnenswert  ist,  dass  in  3  Fällen  (ausser  Antitoxin, 
Morphium,  Chloral)  Magnesiumsulfat  subkutan  ver¬ 
abreicht  wurde.  In  einem  von  diesen  wurden  im  ganzen  75  g, 
im  anderen  90  g  in  15  proz.  Lösung  injiziert.  Alle  drei  Fälle 
kamen  zur  Genesung. 

Ich  schliesse  hiermit  mein  Referat  über  das  Ergebnis  der 
Sammelforschung  und  enthalte  mich,  meine  persönliche  An¬ 
sicht  auszusprechen  über  das,  was  aus  derselben  für  die  Be¬ 
handlung  des  Tetanus  in  Kriegszeiten  etwa  gelernt  werden 

kann. 


Ueber  Sehstörungen  im  Kriege  ohne  objektiven 
Augenbefund  *). 

Von  Prof.  A.  Bielschowsky  in  Marburg. 

Schon  nach  den  bisherigen  Erfahrungen  ist  nicht  daran 
zu  zweifeln,  dass  die  Zahl  der  Augenverletzungen  im  jetzigen 
Kriege  eine  sehr  hohe  sein  wird,  und  zwar  nicht  nur  absolut 
—  infolge  der  enormen  Zahl  der  Kämpfenden  — ,  sondern  auch 
relativ,  wenn  man  das  Häufigkeitsverhältnis  der  Augen-  gegen¬ 
über  den  sonstigen  Verwundungen  betrachtet.  Im  Kriege 
1870/71  kamen  nach  dem  Kriegssanitätsbericht  auf  deutscher 
Seite  860  Fälle  von  Verletzung  des  Sehorgans  vor  =  0,86  Proz. 
sämtlicher  Verwundungen  und  =  8,5  Proz.  der  Verwundungen 
des  Kopfes.  Im  Russisch-Japanischen  Kriege  hatten  die  Ja¬ 
paner  3093  Verletzungen  des  Sehorgans  =  2,22  Proz.  sämt¬ 
licher  Verwundungen  und  =  21,01  Proz.  der  Kopfverletzungen. 
Die  modernen  Kampfmethoden,  insbesondere  das  Kämpfen  in 
liegender  Stellung  geben  die  Erklärung  dafür,  dass  man  heute 
mit  einer  etwa  dreifach  so  grossen  Zahl  von  Augenver¬ 
wundungen  rechnen  muss,  als  sie  in  unserem  letzten  grossen 
Kriege  vorkamen.  Mit  Rücksicht  hierauf  muss  der  schon  1879 
gemachte  Vorschlag  v.  Oettingens,  konsultierende  Augen¬ 
ärzte  für  Militärlazarette  zu  ernennen,  wieder  aufgenommen 
werden.  Es  liesse  sich  an  zahlreichen  Beispielen  zeigen,  wie 
viel  darauf  ankommt,  dass  Augenverletzte  möglichst  bald  nach 
ihrer  Verwundung  einem  erfahrenen  Fachmann  zugeführt 
werden,  weil  dieser  nicht  nur  so  und  so  oft  durch  ein  sach- 
gemässes  Heilverfahren  ein  verletztes  Auge  erhalten,  sondern 
auch  um  so  sicherere  Unterlagen  für  eine  spätere  Entscheidung 
der  Frage  nach  dem  Zusammenhang  zwischen  etwaiger  Seh¬ 
störung  und  der  Verwundung  erbringen  kann,  je  früher  er  den 
Verwundeten  zur  Untersuchung  bekommen  hat. 


*)  Nach  einem  am  19.  XI.  d.  J.  im  Aerztl.  Verein  zu  Marburg 
gehaltenen  Vortrage. 


Einem  Unteroffizier  war  angeblich  ein  kleiner  Granatsplitter 
ins  rechte  Auge  geflogen.  Erst  6  Wochen  später,  nachdem  er  in 
verschiedenen  Lazaretten  mit  Verband  und  Einträufelungen  behandelt 
worden  war,  kam  er  hierher.  Schon  bei  fokaler  Beleuchtung  im 
Dunkelzimmer  war  im  Gewebe  der  Iris  ein  winziger  Fremdkörper 
von  metallischem  Glanz  nachzuweisen.  Er  reagierte  prompt  auf  den 
Magneten  und  innerhalb  einer  Viertelstunde  nach  der  Aufnahme  in 
die  Klinik  war  der  Splitter  extrahiert.  Der  Mann  konnte  schon  nach 
einer  Woche  als  felddienstfähig  wieder  entlassen  werden. 

Ich  möchte  hier  aber  etwas  näher  nur  auf  diejenigen 
Fälle  eingehen,  für  deren  Sehstörung  die  objektive  Unter¬ 
suchung  des  Auges  keine  Unterlagen  ergibt,  und  zu  deren  Be¬ 
urteilung  das  Instrumentarium  und  die  Erfahrungen  des  Augen¬ 
arztes  unerlässlich  sind.  Es  handelt  sich  sehr  häufig  um  die 
verantwortungsvolle  und  nicht  immer  leichte  Entscheidung, 
ob  derartige  Sehstörungen  auf  organische  Läsionen  zurück¬ 
zuführen  sind  oder  nicht,  und,  wenn  das  letztere  zutrifft,  ob 
die  „funktionelle“  Sehstörung  traumatischen  Ursprungs  ist  oder 
gar  nichts  mit  dem  etwa  angegebenen  Trauma  zu  tun  hat,  und 
letzterenfalls  endlich,  wenn  die  Sehstörung  nicht  etwa  nur 
simuliert  wird,  welchen  Ursprungs  sie  ist. 

Betrachten  wir  zunächst  die  organischen  Lä¬ 
sionen,  von  denen  Sehstörungen  ohne  objek¬ 
tiven  Befund  am  Auge  erzeugt  werden  können.  Es 
versteht  sich  von  selbst,  dass  derartige  Läsionen  in  der  Regel 
nicht  den  Augapfel,  sondern  den  Sehnerven  und  seine  Fort¬ 
setzung  im  Schädelinnern  betreffen.  Nur  ausnahmsweise 
haben  Verletzungen  des  Bulbus  selbst  Sehstörungen  ohne 
objektiv  nachweisbare  Veränderungen  zur  Folge.  Bei  solchen 
Verletzungen  kann  es  sich  natürlich  nur  um  relativ  leichte 
Kontusionstraumen  handeln,  die  neben  unbedeutenden,  rasch 
vorübergehenden  Symptomen  am  vorderen  Abschnitt  des 
Auges  ein  Netzhautödem  (Commotio  retinae)  her- 
vorrufen.  Die  aus  letzterem  in  der  Regel  resultierende  Seh¬ 
störung  kann  mitunter  die  objektiven  Merkmale  der  Kon¬ 
tusion,  auch  die  zunächst  im  Augenspiegelbefund  so  charak¬ 
teristische  Berlin  sehe  Netzhauttrübung  kürzere  oder 
längere  Zeit  überdauern. 

Mit  einer  Netzhauterschütterung  erklärt  v.  Merz2)  auch  die  von 
ihm  während  des  Russisch- Japanischen  Krieges  gemachte  Beobach¬ 
tung,  dass  vielfach  —  in  50  Proz.  seiner  Fälle  —  nach  schwerer  Ver¬ 
letzung  des  einen  Auges  die  Sehschärfe  des  anderen,  unversehrten 
mehr  oder  minder  hochgradig  (bis  zu  völliger  Amaurose)  gesunken 
war  und  nur  allmählich,  mitunter  erst  nach  Monaten,  wesentlich  ge¬ 
bessert  oder  ganz  normal  wurde.  Er  hat  den  Augenhintergrund 
immer  normal  gefunden,  allerdings  meist  erst  lange,  Zeit  nach  der 
Verwundung  untersuchen  können.  Der  Autor  führt  diese  Erscheinung 
auf  ein  minimales  Transsudat  aus  den  Aderhautgefässen  zurück,  das 
die  Funktion  der  retinalen  Sehzellenschicht  für  längere  Zeit  oder 
dauernd  erheblich  herabsetzen  kann.  Belege  für  diese  Auffassug  hat 
v.  Merz  allerdings  nicht  erbracht.  Man  vermisst  die  Angabe, 
wie  die  Pupillenreaktion  im  Höhestadium  der  Sehstörung  war,  ob 
Aggravation  und  traumatische  Hysterie  durch  zuverlässige  Proben 
ausgeschlossen  werden  konnten. 

Mir  erscheint  im  Hinblick  auf  die  Art  der  Verletzung  eine  andere 
Deutung  näherliegend.  So  hatte  z.  B.  ein  von  v.  Merz  erwähnter 
an  der  linken  Schläfe  durch  Schrapnellsplitter  verletzter  Mann,  der 
angeblich  nach  dem  Trauma  am  rechten  Auge  blind  war,  am  linken 
nur  S  =  1/jooo  hatte,  schliesslich  aber  vollen  Visus  rechts,  2/a  links 
wieder  erlangte,  auch  eine  Parese  des  rechten  Abduzens.  Dieser  Be¬ 
fund  weist  meines  Erachtens  auf  eine  Schädelbasisfraktur  oder 
-fissur  hin,  wobei  es  zu  einer  Abduzenslähmung  und  zur  Kompres¬ 
sion  des  Optikus  durch  Blutung  gekommen  war.  Dass  in  solchen 
Fällen  eine  Restitutio  ad  integrum  möglich  ist,  weiss  man  aus  zahl¬ 
reichen  Beobachtungen.  (Die  in  dem  referierten  Fall  angegebene 
komplette  Amaurose  ist  anscheinend  nicht  objektiv  erwiesen,  sonst 
würde  sie  allerdings,  wie  noch  zu  besprechen  sein  wird,  auf  eine 
ir-cparable  Quetschung  oder  Zerreissung  des  Optikus  hinweisen.)  Auch 
mir  haben  wiederholt  absolut  .glaubwürdige  Verwundete  mit  Kopf¬ 
schüssen  angegeben,  dass  sie  in  den  ersten  Tagen  nach  der  Ver¬ 
wundung  mit  dem  unverletzten  Auge  „nichts“  oder  „fast  nichts“  ge¬ 
sehen  hätten.  Jedoch  war  in  solchen  Fällen  der  Verlauf  des  Schuss¬ 
kanals  derart,  dass  man  eine  schwere  Kontusion  der  Orbita  bzw.  eine 
Fissur  der  Orbitalwandung  mit  Kompression  des  Sehnerven  durch 
Blutung  anzunehmen  berechtigt  war,  eine  Annahme,  die  wohl  am 
einfachsten  die  rasche  Wiederherstellung  des  Visus  und  das  Fehlen 
aller  objektiven  Veränderungen  nach  Ablauf  einer  Woche  erklärt. 

Die  relativ  seltenen  Fälle  von  intraokularer  Tensionsstei¬ 
gerung  oder  -  Verminderung  nach  Contusio  bulbi  seien  hier 
nur  eben  erwähnt,  da  der  objektive  Nachweis  ohne  Tonometer  nicht 


3)  v.  Merz:  Schussverletzungen  des  Auges.  Kl.  Mbl.  f.  Augen- 
heilk.  Beilagsheft  z.  XLV.  J.  1907. 


2* 


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Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  52. 


immer  leicht  ist,,  wenn  gröbere  Veränderungen,  wie  Blutungen,  Dis¬ 
lokation  der  Linse  etc.  fehlen. 

Als  gelegentliche  Folge  einer  Contusio  bulbi  kann  auch  noch  eine 
Myopie  Ursache  der  Sehstörung  w'erden.  Sie  ist  entweder  durch 
einen  Reizzustand  (Krampf)  des  Ziliarmuskels  bedingt  —  dann  meist 
gering  und  durch  Atropin  zu  beseitigen  —  oder  durch  Vorrücken  der 
Linse  infolge  Erschlaffung  oder  Einreissung  der  Zonula.  Schief¬ 
stellung  der  subluxierten  Linse  kann  gleichzeitig  erheblichen  Astigma¬ 
tismus  verursachen. 

Während  bei  den  letzterwähnten  Sehstörungen  der  Augen¬ 
arzt  in  der  Regel  durch  genaue  Untersuchung  Ort  und  Art  der 
vorliegenden  Läsion  zu  erkennen  vermag,  können  —  wenig¬ 
stens  während  eines  gewissen  Zeitraumes  —  alle  objektiven 
Zeichen  der  Verletzung  fehlen,  wenn  der  Sehnerv  selbst 
beschädigt  ist.  Die  direkten  Läsionen  desselben  stehen  an 
Häufigkeit  weit  zurück  hinter  den  indirekten,  und  unter 
den  letzteren  ist  die  häufigste  bekanntlich  die  Quetschung 
oder  Zerreissung  des  Nerven  im  Canalis  opti¬ 
cus  bei  Frakturen  der  Orbitalwand  bzw.  der  Schädelbasis. 
Da  der  Optikus  im  Kanal  vom  Knochen  fest  umschlossen  ist, 
dessen  Periost  zugleich  die  Duralscheide  des  Nerven  bildet,  so 
genügt  schon  die  bei  einer  Fissur  eintretende  minimale  Aende- 
rung  des  Knochenlumens,  um  eine  Zerreissung  oder  erhebliche 
Quetschung  der  Sehnervenfasern  herbeizuführen.  Bei  nicht 
zu  schweren  Kontusionstraumen  des  Schädels  kann  -die  un¬ 
mittelbar  danach  konstatierte  einseitige  Erblindung 
ohne  ophthalmoskopischen  Befund  das  einzige, 
aber  untrügliche  Symptom  einer  Fraktur  bzw.  Fissur  des 
Canalis  opticus  bzw.  des  Orbitaldaches  sein.  Ein  Kuhhorn- 
stoss  oder  Stich  mit  der  Heugabel  z.  B.  kann  derartige  Wir¬ 
kung  haben  ohne  nachweisbare  Läsion  der  Weichteile,  da 
diese  dem  zwischen  Bulbus  und  Orbitalwand  vordringenden 
verletzenden  Instrument  ausweichen  können.  Dass  tatsächlich 
Erblindung  vorliegt,  ist  durch  das  Fehlen  der  direkten  bei  Er¬ 
haltung  der  konsensuellen  Lichtreaktion  der  Pupille  des  be¬ 
treffenden  Auges  zu  erweisen.  Erst  nach  Ablauf  von  3  bis 
4  Wochen  wird  in  der  Regel  die  deszendierende  Atrophie  des 
Optikus  auch  mit  dem  Augenspiegel  erkennbar.  Selbstver¬ 
ständlich  kommt  es  zur  Erblindung  nur,  wenn  die  Leitung  im 
ganzen  Sehnervenquerschnitt  unterbrochen  ist.  Partielle  Zer- 
reissungen  bewirken  nur  scharf  begrenzte  Qesichtsfelddefekte 
und  zwar  auffallend  oft  einen  Ausfall  der  oberen  Gesichtsfeld¬ 
hälfte,  was  einer  Läsion  des  unteren  Nervenabschnittes  im 
Kanal  entspricht.  In  den  leichteren  Fällen,  bei  denen  nur  eine 
Kompression  des  Optikus  durch  Blutung  in  die  Substanz 
oder  in  die  Scheiden  erfolgt  ist,  finden  sich  natürlich  auch  nur 
mässige  Herabsetzung  des  Sehvermögens  bzw.  relative  Sko¬ 
tome,  die  wieder  zurückgehen  können. 

Auch  Schussverletzungen  können  ein-  oder  doppelseitige 
Erblindung  bzw.  hochgradige  Sehstörung  mit  zunächst  nor¬ 
malem  ophthalmoskopischen  Befund  machen,  wenn  der  Seh¬ 
nerv  dicht  am  Foramen  opticum  getroffen  wird.  Doch  bleiben 
in  derartigen  Fällen  kaum  jemals  die  anderen  basalen  Hirn¬ 
nerven  verschont,  namentlich  die  durch  die  Fissura  orbit. 
sup.  ziehenden  motorischen  und  sensiblen  Augennerven. 
Schüsse  durch  die  Orbita  bewirken  schwere  und  charak¬ 
teristische  Bulbussymptome,  teils  infolge  der  orbitalen  Blu¬ 
tung  (Exophthalmus,  Beweglichkeitsbeschränkung  etc.),  teils 
infolge  der  Sprengwirkung  des  Geschosses  (Aderhaut-  und 
Netzhautblutungen  und  Zerreissungen  etc.),  worauf  hier  nicht 
näher  einzugehen  ist.  Hinzuweisen  wäre  jedoch  auf  den  cha¬ 
rakteristischen  Unterschied  im  Symptomenbild  der  Optikus¬ 
läsion,  je  nachdem  die  Verletzung  peripher-  oder  zentralwärts 
vom  Eintritt  der  Netzhautgefässe  (10 — 20  mm  hinter  dem 
Bulbus)  in  den  Sehnerven  erfolgt  ist.  Ersterenfalls  sieht  man 
mit  dem  Spiegel  sofort  die  Zeichen  der  Unterbrechung  der 
Blutzirkulation  in  der  Netzhaut  (weissliche  Trübung,  hoch¬ 
gradige  Verengerung  der  Gefässe  mit  Segmentierung  der  Blut¬ 
säule);  letzterenfalls  bleibt,  wie  schon  erörtert,  das  ophthal¬ 
moskopische  Bild  bis  zur  Entwicklung  der  atrophischen  Ver¬ 
färbung  der  Papille  völlig  normal. 

Die  Sehstörungen  infolge  intrakranieller  Läsionen 
der  Sehnerven  und  ihrer  Fortsetzung  bis  zur  Rinde 
des  Hinterhauptlappens,  so  interessant  sie  in  in  topisch-diagnostischer 
Hinsicht  sind,  will  ich  nur  mit  einigen  Worten  erwähnen,  da  bei  den 
uns  zurzeit  hauptsächlich  interessierenden  Kriegsverletzungen  des 
Gehirns  die  etwaige  Sphstörung  an  Bedeutung  so  erheblich  hinter 
den  anderen  Hirnsymptomen  zurücktritt,  dass  ihre  Untersuchung  und 


Beurteilung  in  der  Regel  erst  längere  Zeit  nach  der  Verletzung  über¬ 
haupt  möglich  ist.  Auch  wird  es  zumeist  nicht  schwierig  sein,  an 
der  Hand  des  Schusskanals  auch  mit  einiger  Genauigkeit  die  Läsion 
der  Sehbahn  zu  lokalisieren.  Ein-  oder  beiderseitige  Erblindung  kom¬ 
biniert  mit  Funktionsstörungen  anderer  Hirnnerven  weist  auf  basale 
Läsion  hin.  Auf  eine  Verletzung  des  Chiasma  schliesst  man  bei 
heteronymem  Gesichtsfeldausfall  (z..  B.  bei  bitemporaler  Hemianopsie 
auf  alleinige  Zerstörung  der  sich  kreuzenden  Sehnervenfasern  durch 
eine  in  der  Medianebene  einwirkende  Schädlichkeit)  oder  bei  völliger 
Erblindung  des  einen  und  Ausfall  eines  Gesichtsfeldbezirks  am  anderen 
Auge  usw.  Verlust  der  beiden  linken  bzw.  rechten  Gesichtsfeld¬ 
hälften  —  homonyme  Hemianopsie  —  entsteht  durch  Läsion  des  rech¬ 
ten  bzw.  linken  Tract.  opt.  oder  ihrer  Fortsetzung  (Sehstrahlung, 
Rinde),  und  zwar  ist  eine  Traktusläsion  anzunehmen,  wenn  keine 
deutliche  „Aussparung“  der  Gesichtsfeldzentren,  dagegen  hemi- 
anopische  Pupillenreaktion  besteht  Je  näher  der  kortikalen  Endi¬ 
gung  die  Läsion  der  Sehbahn  erfolgt,  um  so  eher  kommt  es  zu 
kleinen  („inselförmigen“)  Defekten.  Immer  hat  man  festzuhalten,  dass 
einseitige  Läsion  der  Sehbahn  bilaterale  Ausfallserschei¬ 
nungen  machen  muss,  wenn  die  Läsion  vom  Chiasma  zentralwärts 
erfolgt  ist. 

Das  ganze  technisch-wissenschaftliche  Rüstzeug  des 
Augenarztes  kann  erforderlich  sein  für  die  Beurteilung  der 
Sehstörung  in  Fällen,  die  entweder  überhaupt  kein  Trauma 
oder  aber  nur  ein  solches  erlitten  haben,  das  eine  ätiologische 
Beziehung  zu  der  subjektiven  Störung  nicht  gut  annehmen 
lässt.  Ich  möchte  die  verschiedenen  Möglichkeiten,  an  die  in  der¬ 
artigen  Fällen  zu  denken  ist,  an  einigen  Beispielen  erläutern. 

Ein  30  jähriger  Herr,  Landwirt  und  Reserveoffizier,  gibt  an,  dass 
er  vor  9  Wochen  durch  den  Luftdruck  einer  in  der  Nähe  explodieren¬ 
den  Granate  umgeworfen  und  5  Stunden  bewusstios  gewesen  sei. 
Nachher  hätten  sich  nur  eine  Beule  an  der  linken  Kopfseite,  aber  sonst 
keine  Zeichen  einer  Verwundung  oder  Gehirnerschütterung  gefunden. 
Nach  und  nach  habe  er  nun  eine  zunehmende  Einengung  des  Ge¬ 
sichtsfeldes  des  rechten  Auges,  zuletzt  auch  eine  erhebliche  Ver¬ 
schlechterung  des  zentralen  Sehvermögens  bemerkt.  Sein  Benehmen 
und  seine  Ausdrucksweise  machten  einen  etwas  verstörten  Ein¬ 
druck.  Die  objektive  Untersuchung  der  Augen  (Hintergrund, 
Pupillenreaktion  etc.)  ergab  keinerlei  Abweichungen  von  der  Norm. 
An  Simulation  war  nicht  zu  denken:  der  Herr  war  vor  kurzem  gegen 
den  Rat  seiner  Aerzte  ins  Feld  zurückgekehrt,  aber  schon  nach 
wenigen  Tagen  von  der  Front  wieder  heimgeschickt  worden.  Trotz¬ 
dem  machte  ich  die  einfachste  Simulationsprobe,  indem  ich  ihm  eine 
Brille  aufsetzte,  die  vor  dem  angeblich  besseren  Auge  4  Dioptrien 
konvex,  vor  dem  angeblich  schlechten  ein  Planglas  enthielt,  und  ihn 
aufforderte,  zunächst  mit  beiden  Augen  die  Sehprobe  zu  lesen. 
Dabei  ergab  sich  volle  Sehschärfe  für  das  angeblich  schlechte 
Auge,  denn  die  Sehschärfe  des  anderen  war  durch  das  Konvex¬ 
glas  auf  etwa  G/ioo  herabgesetzt.  Die  Gesichtsfeldprüfung  ergab 
rechts  ganz  unbeständige,  je  nach  der  Untersuchungsdistanz  wech¬ 
selnde  Grenzwerte. 

In  diesem  Falle  war  die  Diagnose  „traumatische 
Hysterie“  mit  Sicherheit  festzustellen;  sie  wurde  durch 
den  neurologischen  Befund  bestätigt.  Das  Verhalten  des 
Simulanten  bzw.  Aggravanten  unterscheidet  sich  von  dem 
zuvor  besprochenen  im  wesentlichen  dadurch,  dass  ihn  sein 
schlechtes  Gewissen  misstrauisch  macht  und  Fallen  fürchten 
lässt,  namentlich  wenn  der  Arzt  Zweifel  an  der  Richtigkeit  der 
subjektiven  Angaben  erkennen  lässt.  Bei  der  geschilderten 
Simulationsprobe  mit  der  Brille  versucht  der  Simulant  ge¬ 
wöhnlich,  entgegen  der  ausdrücklichen  Weisung  des  Arztes, 
durch  flüchtiges  abwechselndes  Zukneifen  der  Augen  den 
Zweck  der  Probe  zu  erkennen,  und  er  vereitelt  ihn,  sobald  er 
merkt,  dass  die  Sehschärfe  des  „guten“  Auges  künstlich  herab¬ 
gesetzt  ist. 

So  leicht  wie  es  ist,  die  Simulation  einseitiger  Blindheit 
nachzuweisen,  wozu  uns  die  Prüfung  der  direkten  und  kon¬ 
sensuellen  Lichtreaktion  verhilft,  und  so  sicher  man  durch  eine 
Reihe  verschiedener,  hier  nicht  im  einzelnen  zu  besprechender 
Simulationsproben  den  Nachweis  absichtlicher  Täuschung  bei 
der  Sehprüfung  erbringen  kann,  so  schwer,  wenn  nicht  un¬ 
möglich  ist  es  häufig,  bei  einer  mala  voluntas  den  tatsäch¬ 
lich  vorhandenen  Grad  der  Sehschärfe  festzustellen.  Immer¬ 
hin  gelingt  es  in  der  Regel,  womit  in  der  Praxis  schon  viel  ge¬ 
wonnen  ist,  zu  ermitteln,  ob  das  angeblich  sehschwache  Auge 
noch  so  weit  leistungsfähig  ist,  dass  durch  das  Zusammen¬ 
wirken  beider  Augen  die  Vorteile  des  Binokularsehens,  ins¬ 
besondere  die  binokulare  Tiefenwahrnehmung,  ausgenützt 
werden.  Die  für  diese  Prüfung  in  Betracht  kommenden  Proben 
sind  sehr  mannigfaltig.  Am  einfachsten  ist  der  bekannte 
Hering  sehe  Fallversuch.  Hat  man  Verdacht  auf  absichtlich 
falsche  Angaben,  so  kann  jener  Versuch  so  modifiziert  werden, 


29.  Dezember  1914. 


Peldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


2445 


dass  er  auch  bei  einäugigem  Sehen  bestanden  werden  muss. 
Andere  etwas  umständlichere  Prüflingsmethoden  ergeben  bei 
geeigneter  Versuchsanordnung  auch  einige  Anhaltspunkte  für 
den  Qrad  der  Sehschärfe  jedes  Einzelauges.  Dies  gilt  z.  B. 
für  die  Prüfung  der  Fusionsbewegungen  mittels  Pris¬ 
men,  die  im  einzelnen  zu  erörtern  hier  zu  weit  führen  würde. 
Es  kommt  dabei  im  wesentlichen  darauf  an,  dass  auf  Grund 
des  physiologischen  „Widerwillens  gegen  Doppeltsehen“  bei 
Vorhalten  des  Prismas  vor  ein  Auge  eine  Fusionsbewegung 
nur  dann  zustande  kommt,  wenn  die  beiderseitigen  Netzhaut¬ 
bilder  mit  nicht  zu  differentem  Gewicht  ins  Bewusstsein  treten. 

Ungemein  schwierig  kann  es  sein,  bei  vorgetäuschter 
beiderseitiger  Schwachsichtigkeit  den  wirklichen  Betrag  der 
Sehschärfe  festzustellen.  Nur  wenn  der  Arzt  über  einen 
grossen  Vorrat  von  Untersuchungsmethoden  verfügt  und 
deren  theoretische  Grundlagen  so  beherrscht,  dass  er  sie  je 
nach  dem  einzelnen  Falle  zweckmässig  zu  variieren  vermag, 
wird  er  zu  einigermassen  zuverlässigen  Ergebnissen  gelangen. 

Es  wäre  aber  voreilig,  wenn  man  angesichts  eines  auf¬ 
fälligen  Missverhältnisses  zwischen  dem  normalen  objektiven 
Befund  und  einer  mangelhaften  Funktion  des  Auges  zunächst 
immer  an  Aggravation  oder  Simulation  denken  wollte,  denn 
es  kann  nicht  nur,  wie  in  dem  oben  erwähnten  Falle,  eine  trau¬ 
matische  Hysterie  vorliegen  und  der  Verwundete  optima  fide 
seine  Beschwerden  auf  das  Trauma  zurückführen,  sondern  es 
ist  auch  gar  nichts  ungewöhnliches,  dass  jemand  von  der  seit 
früher  Kindheit  bestehenden  Schwachsichtigkeit  des  einen 
Auges  nichts  weiss  und  natürlich  geneigt  ist,  wenn  er  zufällig 
nach  einem  unbedeutenden  Unfall  jene  Schwachsichtigkeit  ent¬ 
deckt,  sie  auf  jenen  zurückzuführen.  Nun  soll  zwar  vor  der 
Einstellung  ins  Heer  die  Sehschärfe  jedes  Einzelauges  geprüft 
werden,  aber  im  Drange  der  Geschäfte  kann  es  wohl  Vor¬ 
kommen,  dass  die  Prüfung  der  Sehschärfe  beider  Augen 
zugleich  angestellt  wird.  Ich  habe  unter  den  Verwundeten 
mehrere  Fälle  gesehen,  bei  denen  ein  unbedeutendes  Trauma 
(Kopfstreifschuss,  Hineinfliegen  von  Schmutzteilen  in  das 
Auge)  für  einseitige  Amblyopie  verantwortlich  gemacht  wurde, 
die  mit  Sicherheit  als  kongenitale  bzw.  als  aus  der  Kind¬ 
heit  stammende  „Amblyopie  ohne  Befund“  zu  erweisen  war. 
Der  Nachweis  ist  relativ  leicht,  wenn  das  amblyopische  Auge 
in  Schiefstellung  steht  oder  aus  dem  Unvermögen  zu  exakter 
Konvergenz  und  zur  Ausführung  von  Fusionsbewegungen  zu 
folgern  ist,  dass  kein  gemeinschaftlicher  Sehakt  beider  Augen 
besteht.  Sehr  wichtig  ist  in  derartigen  Fällen  die  Erhebung 
einer  genauen  Anamnese;  speziell  ist  nach  früher  (in  der  Kind¬ 
heit)  etwa  vorhandenem  Schielen  zu  fragen  mit  Rücksicht  auf 
die  bekannte  Tatsache,  dass  einseitige  Schwachsichtigkeit  zur 
Entstehung  von  Schielen  disponiert,  dass  aber  nicht  selten  im 
Verlaufe  des  Wachstums  ein  Geringerwerden  bzw.  Ver¬ 
schwinden  des  Schielens  vorkommt  infolge  während  des 
Wachstums  eintretender  Aenderung  der  die  Stellung  des  Auges 
beeinflussenden  topographisch-anatomischen  Verhältnisse 
innerhalb  der  Orbitae.  Sollten  bei  der  Untersuchung  der¬ 
artiger  Fälle  die  Angaben  nicht  immer  präzis  und  eindeutig 
sein,  so  hat  man  auch  mit  der  Möglichkeit  zu  rechnen,  dass 
Unaufmerksamkeit  und  Mangel  an  Intelligenz  an  solchen 
Widersprüchen  schuld  sein  können.  Die  Verwechslung  von 
post  und  propter  hoc  liegt  ja  so  nahe,  dass  man  eine  mala 
voluntas  nicht  annehmen  sollte,  ehe  man  nicht  untrügliche 
Beweise  dafür  hat,  zumal  Männern  gegenüber,  die  ihr  Leben 
für  unser  aller  Wohl  eingesetzt  haben. 

Zu  den  Sehstörungen,  für  welche  objektive  Unterlagen  nicht 
immer  leicht  auffindbar  sind,  gehört  auch  das  Doppeltsehen.  Grobe 
Beweglichkeitsdefekte,  wie  sie  durch  intraorbitale  Läsionen  der 
Augenmuskeln  oder  ihrer  Nerven  oder  durch  narbige  Verwachsung 
des  Bulbus  mit  seiner  Umgebung  verursacht  werden,  erklären  die 
subjektiven  Störungen  ohne  weiteres.  Sehr  schwierig  dagegen  kann 
die  Entscheidung,  ob  ein  Zusammenhang  zwischen  dem  angeblichen 
Trauma  und  dem  Doppeltsehen  besteht,  werden,  wenn  kein  deutlicher 
Beweglichkeitsdefekt  vorliegt.  In  solchen  Fällen  ist  der  Nachweis, 
ob  eine  intrakranielle  Läsion  des  okulomotorischen  Apparates  oder 
eine  funktionelle  (neurasthenische  bzw.  hysterische)  Störung  oder 
endlich  eine  nichtparetische  Gleichgewichtsstörung  der  Augenmuskeln 
vorliegt,  die  vor  dem  Unfall  latent  gewesen  und  jetzt  manifest  ge¬ 
worden  ist,  vielfach  nur  mit  Hilfe  komplizierter  Methoden  und  Appa¬ 
rate  zu  erbringen. 


Bemerkungen  über  die  Wirkung  der  regelrechten  In¬ 
fanteriegeschosse  und  der  Dumdumgeschosse  auf  den 
menschlichen  Körper. 

Von  Prof.  Dr.  M.  Kirschner  (Königsberg  i.  Pr.),  Oberarzt 
der  Reserve  (III.  Bayer.  Armeekorps). 

Die  Angabe,  dass  die  durch  die  Genfer  Konvention  ver¬ 
botenen  Dumdumgeschosse  von  seiten  des  Feindes  verwendet 
werden,  kehrt  in  allen  modernen  Kriegen  mit  Regelmässigkeit 
wieder.  Bei  der  Schwere  einer  derartigen  Anklage  muss  ge¬ 
fordert  werden,  dass  in  jedem  einzelnen  Falle  der  Beweis  für 
die  Verwendung  dieses  berüchtigten  Geschosses  in  absolut 
einwandfreier  Weise  erbracht  ist. 

Wenn  die  deutsche  Regierung  amtlich  mitteilen  kann,  dass 
in  Belgien  besondere  Maschinen  zur  Herstellung  dieser  Projek¬ 
tile  gefunden  wurden,  wenn  an  feindlichen  Gewehrkolben  nur 
für  diesen  Zweck  bestimmte  Vorrichtungen  angetroffen  werden, 
wenn  gefallenen  oder  gefangenen  Feinden  fertige  Dumdum¬ 
geschosse  abgenommen'  werden,  so  ist  an  der  Verwendung 
dieser  widerrechtlichen  Geschossart  nicht  zu  zweifeln.  Da¬ 
gegen  fehlt  m.  E.  bisweilen  ärztlichen  Mitteilungen  —  und  auch 
seit  Ausbruch  des  gegenwärtigen  Krieges  sind  derartige  Ver¬ 
öffentlichungen  erfolgt  —  das  Zwingende  eines  derartigen  Be¬ 
weises. 

Der  Grund  hierfür  ist  offenbar,  dass  dem  mit  den  Kriegs¬ 
verletzungen  bisher  nicht  vertrauten  Arzte  beim  Antreffen 
einer  übermässig  grossen  und  zerfetzten  Wunde  dieVorstellung 
zunächst  fern  liegt,  dass  derartige  Verletzungen  die  normale 
Wirkung  des  regelrechten  modernen  Infanteriegeschosses  sein 
können,  und  dass  zu  ihrer  Erklärung  die  Annahme  eines  Dum¬ 
dumgeschosses  durchaus  nicht  notwendig  ist. 

Es  erscheint  mir  daher  angebracht,  die  Wirkungsweise 
der  regulären  Infanteriegeschosse  und  der  Dumdumgeschosse 
unter  spezieller  Berücksichtigung  dieser  Frage  einer  Bespre¬ 
chung  zu  unterziehen. 

1.  Der  Bau  der  Geschosse. 

Die  modernen  Infanteriegeschosse  sind  entweder  Mantelge¬ 
schosse  oder  Vollgeschosse. 

a)  Die  Mantelgeschosse  (fälschlich  auch  Vollmantelge¬ 
schosse  genannt)  besitzen  einen  Ueberzug  aus  wiüerstandsfähigem 
Stahlblech,  der  sich  auf  den  Boden  des  Geschosses,  jedoch  nur  in 
Gestalt  eines  schmalen  Saumes  umschlägt.  Das  Stahlblech  bildet 
demnach  annähernd  einen  Kegel,  dessen  Mantel  vollkommen  lückenlos 
ist,  und  der  lediglich  in  der  Mitte  seiner  Basis  eine,  grosse  Oeffnung 
hat.  Der  Hohlraum  des  kegelähnlichen  Körpers  ist  mit  einem  relativ 
weichen  Material,  mit  Hartblei,  ausgegossen.  Dieser  „Kern“  des 
Geschosses  liegt  in  der  ganzen  Ausdehnung  der  an  der  Basis  be¬ 
findlichen  zentralen  Oeffnung  frei  zutage. 

Mantelgeschosse  sind  beispielsweise  die  Infanteriegeschosse  der 
Deutschen,  der  Engländer,  der  Russen  und  der  Balkanstaaten. 

b)  Die  Vollgeschosse  sind  aus  einem  einheitlichen  Material 
hergestellte,  massive  Körper. 

Ein  derartiges,  aus  Kupfer  bestehendes  Projektil  ist  beispiels¬ 
weise  das  französische  Infanteriegeschoss. 

c)  Dumdumgeschosse  sind  Mantelgeschosse,  deren  Stahl  - 
mantel  auch  an  dem  vorderen  Ende  nicht  vollkommen  in  sich  ge¬ 
schlossen  ist,  so  dass  der  Bleikern  auch  hier  in  einer  Verbindung 
mit  der  Aussenwelt  steht. 

Stahlmantel  und  Bleikern  können  an  ihrem  vorderen  Ende  in 
gleicher  Höhe  abgeschnitten  sein,  so  dass  der  Kern  mit  seinem  Quer¬ 
schnitt  zutage  liegt.  Die  Kuppe  des  Mantels  kann  fehlen,  so  dass 
der  an  seiner  Spitze  mehr  oder  weniger  vollständige  Kern  den  Stahl¬ 
zylinder  ein  Stück  überragt.  Das  Geschoss  kann  am  vorderen  Ende 
kraterförmig  ausgebohrt  sein.  Die  Mantelspitze  kann  einen  einfachen 
oder  einen  kreuzförmigen  Einschnitt  tragen  oder  mehrere  Löcher 
besitzen. 

Dabei  kann  der  Defekt  des  Stahlmantels  durch  ein  wenig  wider¬ 
standsfähiges  Metall  (z.  B.  Aluminium)  so  geschickt  ersetzt  sein, 
dass  der  Charakter  des  Dumdumgeschosses  bei  äusserer  Betrachtung 
nicht  zu  erkennen  ist. 

Derartige  Projektile  werden  einerseits  fabrikmässig  hergestellt 
(beispielsweise  zu  Jagdzwecken);  andererseits  lassen  sich  reguläre 
Mantelgeschosse  in  wenigen  Augenblicken  mit  einer  Feile,  einer 
Metallsäge,  einer  Beisszange,  einem  Bohrer  usw.  in  Dumdumge¬ 
schosse  auch  durch  den  einzelnen  Soldaten  umwandeln. 

Dagegen  ist  es  gänzlich  unmöglich,  ein  Vollge¬ 
schoss,  wie  z.  B.,  wasunsbesondersinteressiert,  das 
etatsrrtässige  französische  Infanteriegeschoss,  in 
ein  Dumdumgeschoss  umzuformen.  Denn  kneifen  wür 
seine  Spitze  weg,  bohren  sie  aus  oder  schneiden  sie  ein,  so  ändern 
wir  zwar  die  Form  des  massiven  Projektils,  können  aber  niemals 


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Nr.  $2. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


erreichen,  dass  an  seinem  vorderen  Ende  ein  weicher  Metallkern  in 
einem  harten  Stahlmantel  zutage  liegt,  was  das  Charakteristikum 
eines  Dumdumgeschosses  ist.  Die  Formveränderung  an  sich  hat 
aber  keinen  namhaften  Einfluss  auf  die  Geschosswirkung.  Finden 
wir  daher  bei  einem  französischen  Soldaten  ein  echtes  Dumdum¬ 
geschoss,  so  kann  er  es  nicht  auf  eigene  Faust  aus  einem  regel¬ 
rechten  französischen  Infanteriegeschoss  hergestellt  haben.  Trotzdem 
habe  ich  in  diesem  Kriege  bereits  zweimal  derartige  berüchtigte, 
französischen  Soldaten  abgenommene  Geschosse  gesehen. 


2.  Die  Wirkung  der  regelrechten  Infanteriege¬ 
schosse  unter  gewöhnlichen  Verhältnissen. 
Dringt  —  was  wir  zunächst  als  das  Gesetzmässige  ansehen 
wollen  —  ein  nicht  deformiertes  Mantel-  oder  Vollgeschoss  mit 
der  Spitze  voran  in  den  menschlichen  oder  tierischen  Körper  ein, 
so  ist  die  Gestaltung  des  Schusskanals  im  wesentlichen  abhängig 
erstens  von  der  Art  des  getroffenen  Gewebes  und  zweitens  von  der 
lebenden  Kraft  des  Geschosses. 

a)  Werden  lediglich  Weich  teile  getroffen,  so  hat 
der  Schusskanal  im  grossen  und  ganzen  die  Gestalt  eines  Zylinders, 
dessen  Breite  dem  Querdurchmesser  des  Geschosses  entspricht.  Die 
gleiche  Wirkung  pflegt  das  Projektil  in  der  Substantia  spongiosa  der 


Fig.  i  ).  Schuss  durch  die  Kniescheibe  mit 
Infantei  iegeschoss. 

Keine  Splitterung  in  der  Substantia  spongiosa, 
sondern  kreisrunder  Schusskanal. 

*)  Pause  nach  Abb.  77  in:  Kirschner, 
„Bericht  über  die  erste  Hilfsexpedition  nach 
Bulgarien“  in  dem  Bericht  des  Deutschen  Roten 
Kreuzes  über  den  Balkankrieg,  Berlin  1914, 
Verlag  Julius  Springer. 


Fig.  2*).  Glatte  Schussfraktur  des  Ober¬ 
schenkels  im  Bereich  der  Substantia 
compacta  durch  Infanteriegeschoss. 

*)  Pause  nach  Abb.  78,  1.  c. 


Knochen  zu  entfalten  (Fig.  1).  Die  Ein-  und  die  Ausschussöffnung 
W1J„, daher  in  diesen  Fällen  durch  eine  kleine,  kreisrunde  Wunde 
gebildet. 

b)  Wesentlich  anders  gestaltet  sich  jedoch  der  Schusskanal, 
v\  enn  ein  Knochen  im  Bereiche  der  Substantia  compacta  getroffen 
wird  Wenn  die  Kraft  des  Geschosses  nicht  bereits  derartig  erschöpft 
ist,  dass  es  an  dem  Knochen  Halt  macht,  kommt  es  zu  einer  Zer¬ 
trümmerung  des  Knochens.  Der  Grad  dieser  Zertrümmerung  ist 
sehr  verschieden.  Er  hängt  ab  von  der  lebenden  Kraft  des  Projektils. 
Die  Zertrümmerung  ist  umso  grösser,  je  grösser  die  lebende  Kraft  des 
Geschosses  ist.  Diese  lebende  Kraft  bestimmt  sich  nach  der  Formel 
v  >  ü.  h.  sie  wächst  im  Quadrate  der  Geschwindigkeit 
des  Geschosses,  oder  mit  anderen  Worten:  die  lebende  Kraft  des 
Geschosses  und  seine  zerstörende  Einwirkung  auf  den  Knochen  ist 
umso  grösser,  je  kürzer  die  Schussweite  ist. 

Bei  Fernschüssen  tritt  nur  ein  relativ  glatter  Querbruch 
des  Knochens  ein  und  wir  erhalten  Röntgenbilder  des  Verletzungs¬ 
gebietes.  die  denen  der  indirekten  Friedensfrakturen  ähneln  (Fig.  2). 
Je  kürzer  aber  die  Schussweite  wird,  desto  ausgiebiger  wird  die 
Zerstörung  des  Knochens,  bis  man  bei  Nahschüssen  (bis  etwa  400  m) 
von  einer  richtigen  Explosion  des  Knochens  sprechen  kann-  es  ent- 
stehen  zahlreiche,  verschieden  grosse  Splitter,  und  diese  Splitter 
verbleiben  nicht  in  der  nächsten  Nähe  des  Entstehungsortes,  sondern 
sie  werden  weit  in  das  Körpergewebe  hineingeschleudert  (Fig.  3). 


Fig.  3*). 

Zerschmetterung  des 
Oberschenkelknochens 
durch  Infanteriegeschoss 
aus  350  m. 

*)  Pause  nach  Abb.  82, 
1.  c. 


D'f  Fortsch leuderung  ist  bei  Schüssen  aus  unmittelbarer 
Nahe  bisweilen  so  intensiv,  dass  in  der  nächsten  Umgebung  des 
bchusskanals  im  Bereiche  des  getroffenen  Knochens  ein  knochenfreier 
Kaum  entsteht,  um  den  sich  die  Splitter  konzentrisch  gruppieren.  So 


ähneln  die  Röntgenbilder  bis  zu  einem  gewissen  Grade  den  Knochen¬ 
zystenbildern  (Fig.  4). 

Bei  derartigen  Knochenexplosionen  müssen  die  den  Knochen  um- 
schliessenden  Weichteile  durch  die  fortgeschleuderten  Knochensplitter 
in  entsprechender  Weise  zerstört  werden,  und  es  kommt  hierdurch  zu 
grossen,  mit  Blut,  üewebsfetzen  und  Knochenteilen  gefüllten  Höhlen. 
Ist  der  Radius  der  Sprengzone  an  einer  Seite  grösser  als  die  Dicke 
der  den  Knochen  bedeckenden  Weichteile,  so  werden  sie  durch  die 
Explosion  zerrissen,  und  die  Wund  höhle  öffnet  sich  breit 
nach  aussen.  Da  die  Knochensplitter  vornehmlich  in  der  Schuss¬ 
richtung  fortgeschleudert  werden,  so  erhalten  wir  hierdurch  häufiger 
übermässig  grosse  Aus  Schussöffnungen  als  derartig  gestaltete  E  i  n  - 
Schussöffnungen.  Die  Ausschussöffnungen  können  faustgross  sein. 

c)  Eine  ähnliche  explosionsartige  Geschosswirkung  mit  grossen 
Zerstörungen  im  Innern  des  Körpers  kommt  dann  zustande,  wenn 
in  der  Nahzone  Organe  getroffen  werden,  die  sich 
physikalisch  wie  eine  mit  Flüssigkeit  gefüllte,  ge¬ 
schlossene  Kapsel  verhalten  (Magen,  Darm  und  Blase  in 
gefülltem  Zustande,  Leber.  Milz,  Niere,  Herz,  ev.  auch  Schädel¬ 
kapsel).  Die  Flüssigkeit  überträgt  die  durch  das  Eindringen  des 
Projektils  im  Innern  eintretende  Drucksteigerung  plötzlich  und  unge¬ 
schwächt  nach  allen  Richtungen  auf  die  Wandung,  die  hierdurch 
mitsamt  ihrem  Inhalte  explosionsartig  auseinandergerissen  wird. 


Fig.  4*).  Handschuss  aus  unmilteibarster 
Nähe.  Höhlenbildung  im  II.  Mittelhand¬ 
knochen. 

*)  Pause  nach  Abb.  85,  1.  c. 


Fig.  5  *).  Das  Geschoss  drang  in  den  Körper 
und  in  den  äusseren  Teil  des  Tibiakopfes 
mit  vorausgehendem  stumpfen 
Ende  ein;  denn  der  unmittelbar  unter  der 
Haut  gelegene  Knochen  lässt  keinerlei  Zer¬ 
störungen  erkennen,  die  auf  ein  Umdrehen 
bezogen  werden  können. 

*)  Pause  nach  Abb.  65,  1.  c. 


3.  Die  gelegentlich  eintretenden  Lageabweichungen 
und  Deformierungen  der  regelrechten  Geschosse. 


Die  bisherigen  Erörterungen  über  die  Wirkung  des  regulären 
Mantel-  und  Vollmantelgeschosses  gehen  von  der  Annahme  aus,  dass 
die  Geschosse  den  Körper  erstens  mit  vorausgehender  Spitze  und 
zweitens  in  nicht  deformiertem  Zustand  erreichen.  Diese  beiden 
Annahmen  treffen  in  der  Praxis  aber  durchaus  nicht  immer  zu. 

a)  Der  Schwerpunkt  der  Infanteriegeschosse  liegt,  da  sie  sich 
gegen  das  vordere  Ende  hin  ausnahmslos  verjüngen,  nicht  in  der 
Mitte  der  Längsachse,  sondern  näher  am  hinteren  Ende;  am  weitesten 
bei  dem  (deutschen  und  dem  türkischen)  Spitzengeschoss.  Der 
Widerstand,  den  der  vor  dem  Schwerpunkt  gelegene  Teil  des  Ge¬ 
schosses  zunächst  an  der  Luft  und  später  an  dem  Körpergewebe 
findet,  ist  wesentlich  grösser  als  der  Widerstand,  dem  der  hinter 
dem  Schwerpunkt  gelegene  Teil  begegnet.  Der  vordere  Abschnitt 
wird  daher  stärker  gebremst  als  der  hintere  Abschnitt.  Er  hat 
infolgedessen  das  Bestreben,  zurückzubleiben,  während  der  hintere 
die  Neigung  hat,  ihm  zuvorzukommen.  D.  h.  mit  anderen  Worten: 
das  Geschoss  hat  das  Bestreben,  sich  um  seine  Querachse  zu  drehen 
und  sich  mit  dem  stumpfen  Ende  nach  vorn  zu  richten. 

Diesem  Bestreben  arbeitet  die  dem  Projektil  durch  den  Drall 
erteilte  Rotation  um  die  Längsachse  entgegen.  Solange  die  Drall¬ 
rotation  kräftig  ist,  vermag  sie  die  Umkehrung  des  Projektils  zu 
verhüten,  wenigstens  während  das  Geschoss  nur  die  wenig  Wider¬ 
stand  bietende  Luft  durchschneidet.  Wenn  die  Drallrotation  jedoch 
nach  langer  Flugdauer  stark  verlangsamt  ist,  dreht  sich  das  Geschoss 
um,  zumal  dann,  wenn  die  Spitze  durch  Anstossen  an  einen  Gegen- 
stand  (Sand,  Baumast,  Grashalm  usw.)  plötzlich  einen  Widerstand 
findet  und  gebremst  wird. 


1  J  r  ,  s  acmci  mopiuusuuiui  uugeieilKieS  rrojeKin 

kann  daher  den  menschlichen  Körper  sowohl  mit  dem  Boden  als 

miLein?r  Längsseite  (Querschläger),  als  auch  in  einer  be¬ 
liebigen  Mittelstellung  treffen  (Fig.  5). 

b)  Schlägt  das  Geschoss  vor  dem  Erreichen  des  menschlichen 
Körpers  auf  einen  harten,  festen  Gegenstand  (Stein,  gefrorener  Erd¬ 
boden,  Metallteile,  Münzen  usw.)  auf,  so  dass  es  von  diesem  öegen- 
stände  zurückgeschleudert  wird  (Ricochettetreffer),  so  kann  es  ausser- 
dem  erheblich  deformiert  werden,  indem  sein  Mantel  aufgerissen 
oder  abgeplattet  wird,  wobei  der  Bleikern  teilweise  hervorquellen 
kann. 

i-  u  von  ^ern  Geschoss  vor  dem  Erreichen  des  mensch¬ 

lichen  Körpers  getroffenen  Gegenstände  so  klein,  dass  sie  mit  er¬ 
heblicher  Geschwindigkeit  fortgeschleudert  werden  können  (Knöpfe, 
Geld,  bchlüssel  usw.),  so  können  sie  als  sekundäre  Projektile  in  den 
Körper  eindringen. 


29.  Dezember  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


2447 


c)  Die  Geschosse,  die  den  menschlichen  Körper  gegen  Ende 
ihrer  Flugbahn  in  regelrechter  Weise  mit  vorausgehender  Spitze  er¬ 
reichen,  kehren  sich  meiner  Erfahrung  nach  infolge  des  Widerstandes, 
den  die  Spitze  an  dem  Körpergewebe  erfährt,  in  einer  grossen  Anzahl 
von  Fällen  kurz  nach  dem  Eintritt  in  den  Körper  während  des 
Durchganges  durch  die  Weichteile  um.  Ich  habe  jedenfalls  im 
Balkankriege  sowohl  durch  Röntgenbilder,  als  auch  bei  der  Extraktion 
von  Geschossen  vielfach  feststellen  können,  dass  bei  Steckschüssen 
die  Spitze  des  Projektils  nach  rückwärts,  also  nach  dem  Schützen 
hin,  sah  (Fig.  6  und  7).  Ich  muss  nach  meinen  Erfahrungen  eine 


Fuss.  Das  Oeschoss  sieht  mit  der  Spitze  Figf.  7*).  Das  Projektil  glitt  mit  dem 
nach  dem  Schützen,  hat  sich  also  umge-  stumpfen  Ende  voran  im  Markraum 
kehrt.  der  Tibia  etwa  9  cm  fusswärts. 

*)  Pause  nach  Abb.  65,  1.  c.  *)  Pause  nach  Abb.  86,  1.  c. 

derartige  Umkehrung  fast  als  die  Regel  und  die  Orientierung  mit 
vorausgehender  Spitze  als  die  Ausnahme  bezeichnen. 

Die  Beobachtungen  wurden  natürlich  nur  bei  Steckschüssen  ge¬ 
macht.  Es  handelt  sich  also  ausnahmslos  um  Geschosse  mit  ge¬ 
schwächter  lebender  Kraft  gegen  das  Ende  ihrer  Flugbahn,  die  nicht 
mehr  die  Kraft  besassen,  den  Körper  wieder  zu  verlassen  und  bei  denen 
die  Drallrotation  schon  stark  verlangsamt  war.  Es  wäre  interessant, 
durch  Versuche  festzustellen,  von  welcher  Entfernung  ab  man  mit 
einer  derartigen  Umkehrung  des  Geschosses  beim  Durchgänge  durch 
die  Weichteile  des  Körpers  zu  rechnen  hat.  Ob  und  inwieweit  für 
die  von  mir  erwähnten  Beobachtungen  etwa  alte  Gewehre  der 
Türken  mit  abgenutztem  Drall  verantwortlich  gemacht  werden 
müssen,  entzieht  sich  meiner  Beurteilung. 

Aus  den  gemachten  Ausführungen  geht  hervor,  dass  eine 
gewisse  Anzahl  von  I  n  f  a  n  t  e  r  i  e  g  e  s  c  h  o  s  s  e  n  mit 
vorausgehendem  stumpfen  Ende,  andere  quer  oder 
schräg  gestellt,  in  normaler  Gestalt  oder  in  defor¬ 
miertem  Zustande,  die  Oberfläche  des  Körpers  er¬ 
reichen,  und  dass  andere,  mit  der  Spitze  eindrin¬ 
gende  Geschosse,  sich  während  des  Durchganges 
durch  die  Weichteile  umkehren. 

4.  Die  Wirkung  der  in  ihrer  Lage  und  in  ihrer  Form 
veränderten  regelrechten  Infanteriegeschosse. 

a)  Dringt  ein  quergestelltes  Geschoss  in  den  Körper  ein,  so 
werden  bei  reinen  Weichteilschüssen  undbei  Schüs¬ 
sen  durch  die  Substantia  spongiosa  der  Knochen 
die  Zerstörungen  wesentlich  ausgedehnter  sein  als  bei  dem  glatten 
Durchgänge  eines  längs  gerichteten  Projektils.  Die  Ein-  und  die 
Ausschussöffnungen  können  zu  grossen,  unregelmässig  gestalteten 
Wunden  werden.  Besonders  ausgiebig  kann  das  Gewebe  zerfetzt 
werden,  wenn  es  sich  um  ein  erheblich  deformiertes  Geschoss 
handelt. 

Kehrt  sich  ein  mit  der  Spitze  auftreffendes  Geschoss  während 
des  Durchganges  durch  die  Weichteile  um,  so  muss  hierbei  das  Ge¬ 
webe  in  beträchtlicher  Ausdehnung  durchrissen  werden.  Auch  die 
Ausschussöffnung  kann  unter  Umständen  einen  beträchtlichen  Um¬ 
fang  erreichen. 

Diese  durch  ihre  unverhältnismässige  Ausdehnung  imponieren¬ 
den  Verletzungen  sind  also  Wirkungen  des  regulären  Infanteriege¬ 
schosses.  Sie  haben  mit  Dumdumgeschossen  nichts  zu  tun. 

Im  Gegensatz  hierzu  setzen  Projektile,  die  den  Körper  mit 
vorausgehendem  Boden  erreichen  und  diese  Orientierung  während 
des  Durchganges  durch  die  Weichteile  beibehalten,  nicht  wesentliche 
andere  Verletzungen  wie  die  Geschosse  mit  vorausgehender  Spitze. 

b)  Trifft  ein  Mantelgeschoss  mit  vorausgehendem  stumpfen 
Ende  oder  in  quer  oder  schräger  Stellung  auf  einen  Knochen 
im  Bereiche  der  Substantia  compact  a,  so  sind  zwei  ge¬ 
trennte  Wirkungen  auseinandei  zu  halten: 

Erstens  kommt  es  zu  den  gleichen,  von  der  lebenden  Kraft 
des  Geschosses  abhängigen  Zerstörungen  des  Knochens  und  der  ihn 
umgebenden  Weichteile  wie  bei  den  Geschossen  mit  vorangehender 
Spitze. 

Zweitens  kann  eine  Deformierung  des  Projektils  und  ein 
Austritt  des  Bleikernes  stattfinden,  wodurch  sekundär  eine  weitere 
Zerstörung  der  Weichteile  verursacht  werden  kann.  Wie  wir  sehen. 


ist  das  reguläre  Geschoss  an  seinem  Boden  nicht  geschlossen.  I>aher 
kann  durch  diese  Oeffnung  der  hier  frei  zutage  liegende  Bleikern 
herausgeschleudert  werden,  wenn  das  Geschoss  mit  vorausgehen¬ 
dem  Boden  auf  einen  kräftigen  Knochen  mit  grosser  Geschwindig¬ 
keit  aufschlägt.  Ebenso  kann  der  Bleikern  durch  diese  Oeffnung 
herausgepresst  werden,  wenn  sich  der  Mantel  durch  seitliches  Auf¬ 
treffen  auf  einen  Knochen  abplattet.  Der  Bleiaustritt  wird  leichter 
erfolgen  und  ausgiebiger  sein,  wenn  der  Stahlmantel  bereits  vor  dem 
Eintritt  in  den  Körper  durch  Aufschlagen  auf  einen  harten  Gegen¬ 
stand  aufgerissen  oder  deformiert  wurde  und  hierdurch  in  seiner 
Festigkeit  gelitten  hat.  Der  austretende  Bleikern  kann  sich  durch 
Auftreffen  auf  den  Knochen  seinerseits  weiterhin  deformieren  und 
unter  Umständen  in  mehrere  Stücke  zerschellen.  Im  Balkanfeldzuge 
habe  ich  in  der  Nähe  der  grossen  Knochen  vielfach  derartig  de¬ 
formierte  Geschosse  gefunden,  und  auf  den  Röntgenbildern  liess  sich 
bisweilen  nachweisen  (gleichsam  in  statu  nascendi),  dass  der  Blei¬ 
austritt  tatsächlich  am  Boden  des  Projektils  erfolgte  (Fig.  8). 

Fig.  8  *). 

In  der  Nähe  des  Trochanter  major  gelegenes, 
deformiertes  Mantelgeschoss,  bei  dem  ein  Teil 
seines  Bleiinhaltes  ausgetreten  ist. 

*)  Pause  nach  Abb.  63,  I.  c. 

Durch  das  Umherspritzen  der  Bruchstücke  des  in  dieser  Weise 
durch  Auftreffen  auf  den  Knochen  deformierten  Geschosses  können 
die  Weichteile  —  wie  durch  ein  Dumdumgeschoss  —  in  ausgedehnter 
Weise  zerrissen  werden,  unter  Umständen  unter  Bildung  grosser  Aus¬ 
schussöffnungen. 

Derartige  umfangreiche  Verwundungen  werden  nur  zu  leicht 
als  Dumdumgeschosswirkungen  gedeutet,  und  dieser  Verdacht  scheint 
oft  zur  Gewissheit  zu  werden,  wenn  sich  im  Röntgenbilde  oder 
bei  einer  Operation  ein  verunstalteter  Stahlmantel  oder  eine  Aus¬ 
streuung  des  Bleikerns  findet.  Die  Bilder  dieser  Verletzungen  ge¬ 
hören  aber,  wie  die  bisherigen  Betrachtungen  lehren,  zu  den  schul- 
mässigen  Wirkungen  der  regelrechten  modernen  Infanteriegeschosse. 

Die  (französischen)  Vollgeschosse  können  durch  Auftreffen  auf 
einen  Gegenstand  oder  auf  einen  Knochen  zwar  ebenfalls  deformiert 
werden,  Sie  können  jedoch  infolge  ihres  massiven  Baues  niemals 
eine  Gewebszerfetzung  durch  Ausschleudern  eines  Metallkerns  ver¬ 
ursachen.  Sie  sind  von  diesem  Gesichtspunkte  aus  ungefährlich. 

c)  Kleine,  als  sekundäre  Geschosse  in  den  Körper  ein¬ 
dringende  Gegenstände  können  je  nach  ihrer  Form  und  ihrem  Material 
die  verschiedenartigsten  Verletzungen  hervorrufen,  die  zumeist  aus¬ 
gedehnter  als  die  durch  die  Infanteriegeschosse  gesetzten  Verwun¬ 
dungen  sein  werden. 

d)  Es  sei  noch  erwähnt,  dass  bei  Schüssen  aus  un¬ 
mittelbarster  Nähe  die  Pulvergase  in  den  Schusskanal  ein- 
dringen  und  ihn  explosionsartig  auseinandersprengen  können. 

5.  Die  Wirkung  der  Dumdumgeschosse. 

a)  Trifft  ein  Dumdumgeschoss  einen  lebenden  Körper,  so  unter¬ 
scheidet  sich  der  Schusskanal  für  den  Fall,  dass  lediglich  Weichteile 
getroffen  werden,  in  keiner  Weise  von  den  durch  das  Mantel-  oder 
durch  das  Vollgeschoss  hervorgerufenen  Verletzungen:  Beim  Durch¬ 
dringen  einfacher  Weichteile  hat  also  der  Schusskanal  die  Gestalt 
eines  Zylinders  vom  Ouerdurchmesser  des  Geschosses:  irgend  eine 
spezifische  Sprengwirkung  kommt  nicht  zustande.  Und  nur  für  <ir 
Fall,  dass  ein  Kapselorgan  innerhalb  der  Nahzone  getroffen  wird, 
tritt  die  auch  bei  dein  regulären  Infanteriegeschoss  beobachtete 
Sprengwirkung  ein. 

Diese  anscheinend  nicht  allgemein  bekannte  Tatsache,  dass  die 
nur  Weichteile  treffenden  Dumdumgeschosse  keine  andere  Wirkung 
wie  die  regulären  Projektile  haben,  ist  theoretisch  durchaus  ver¬ 
ständlich:  der  vorn  und  hinten  offene  Stahlzylinder  des  Dumdum¬ 
geschosses  ist  so  widerstandsfähig,  dass  er  durch  Weichteile  nicht 
deformiert  werden  kann,  und  der  eingegossene  Bleikern  haftet  so 
fest  an  dem  Stahlmantel,  dass  er  durch  den  Druck  der  Weichteile 
nicht  herausgepresst  werden  kann. 

Zufällig  hatte  ich  vor  Jahren  auch  Gelegenheit,  am  lebenden 
Objekt  hierüber  praktische  Erfahrungen  zu  sammeln:  bei  Jagden  auf 
Grosswild  in  Indien  konnte  ich  feststellen,  dass  trotz  der  prinzipiellen 
Verwendung  von  Dumdumgeschossen  bei  Weichteilschüssen  regel¬ 
mässig  nur  kleine  Ein-  und  Ausschüsse  eintraten,  und  wir  bedauerten 
oft  genug  die  Geringfügigkeit  des  Schusseffektes  bei  diesen  Tieren. 

Ich  habe  mich  überdies  durch  Schiessversuche  mit  künstlich  her- 
gestcllten  Dumdumgeschossen  an  der  Leiche  neuerdings  noch  einmal 
von  der  Richtigkeit  dieser  Behauptung  überzeugt. 

b)  Zu  der  spezifischen  Wirkung  des  Dumdumge¬ 
schosses  kann  es  einzig  und  allein  kommen,  wenn 
das  Geschoss  auf  einen  harten  Gegenstand,  im 
menschlichen  Körper  also  auf  einen  Knochen  auf¬ 
schlägt.  Der  vordere  Teil  des  Dumdumgeschosses,  der  nicht 
wie  beim  regulären  Mantelgeschoss  ein  in  sich  geschlossenes,  wider¬ 
standsfähiges  Gewölbe,  sondern  eine  offene  oder  unterbrdchene 
Kuppel  darstellt,  wird  durch  das  Auftreffen  bei  genügender  lebender 
Kraft  des  Projektils  und  bei  genügender  Festigkeit  des  Knochens  ein¬ 
gedrückt  und  mehr  oder  weniger  deformiert.  Der  Bleikern,  der  nach 
dem  Gesetze  der  Trägheit  das  Bestreben  hat,  seine  ursprüngliche 


2448 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  52. 


Bewegung  beizubehalten,  kann  sich  von  der  Zylinderwand  losreissen 
und  ganz  oder  teilweise  herausgeschleudert  werden.  Da  er  aus 
einem  relativ  weichen  Material  besteht,  so  kann  er  am  Knochen 
zerschmettert  und  in  die  Umgebung  zerstreut  werden.  Auch  der 
deformierte  Mantel  kann  beim  Weiterfliegen  noch  weitere  Gewebs- 
zerfetzungen  verursachen. 

Unabhängig  von  dieser  spezifischen  Wirkung  kommt  es 
natürlich  bei  den  Dumdumgeschossen  noch  ausserdem  zu  den  glei¬ 
chen.  von  der  lebenden  Kraft  des  Projektils  und  von  dem  Bau 
des  Knochens  abhängigen  Zerstörungen  wie  bei  den  regelrechten 
Infanteriegeschossen. 

Durch  das  Zusammenwirken  dieser  beiden  Mo¬ 
mente  entstehen  beim  Auftreffen  der  Dumdumge¬ 
schosse  auf  einen  Knochen  unter  Umständen  ge¬ 
waltige  Zerstörungen  der  Weichteile  und  ganz 
unverhältnismässig  grosse  Ausschussöffnungen, 

Zusammenfassung. 

Aus  den  gemachten  Ausführungen  lassen  sich  folgende,  für 
die  Kriegspraxis  wichtige  Sätze  entnehmen: 

1.  Der  einzige  eindeutige  Beweis  dafür,  dass  eine  Wunde 
durch  ein  Dumdumgeschoss  herbeigeführt  wurde,  ist  die  Auf¬ 
findung  des  Projektiles  in  einem  so  wenig  deformierten  Zu¬ 
stande,  dass  sich  noch  absolut  sicher  feststellen  lässt,  an  seinem 
vorderen  Ende  war  die  Geschlossenheit  des  Stahlmantels  be¬ 
reits  vor  dem  Abfeuern  der  Patrone  absichtlich  unterbrochen. 

2.  Ausgedehnte  Gewebszerstörungen,  im  besonderen 
grosse,  zerfetzte  Ein-  und  Ausschussöffnungen  beweisen  an 
sich  nicht  die  Verwendung  eines  Dumdumgeschosses,  sie 
kommen  vielmehr  auch  bei  der  Benutzung  regulärer  Infanterie¬ 
geschosse  vor.  Und  zwar  können  sie,  wenn  es  sich  um  reine 
Weichteilwunden  handelt,  entstanden  sein  durch  Querschläger 
(mit  oder  ohne  Ricochettierung),  durch  Eindringen  eines 
Fremdkörpers  oder,  bei  Schüssen  aus  unmittelbarster  Nähe, 
durch  Eindringen  von  Explosionsgasen.  Sind  Knochen  mit¬ 
beteiligt,  so  kann  es  sich  um  die  schulmässige  Sprengwirkung 
der  regelrechten  Gbschosse  in  der  Nahzone  handeln. 

Auch  das  Vorhandensein  eines  deformierten  Stahlmantels 
in  der  Wunde  oder  der  Austritt  von  Blei  aus  dem  Stahlmantel 
erbringen  an  sich  nicht  den  Beweis  für  ein  Dumdumgeschoss, 
da  auch  die  regulären  Mantelgeschosse  sowohl  vor  dem  Ein¬ 
tritt  in  den  menschlichen  Körper  durch  Ricochettieren  als  auch 
im  menschlichen  Körper  (bei  nicht  vorausgehender  Spitze) 
durch  Aufprallen  auf  einen  kräftigen  Knochen  derartig  ver¬ 
unstaltet  werden  können. 

4.  Nur  die  Mantelgeschosse  können  unter  der¬ 
artigen  Umständen  beim  Auftreffen  auf  einen  Knochen  die  be¬ 
nachbarten  Weichteile  durch  Austritt  des  Bleikernes  verletzen. 
Bei  dem  (französischen)  Vollgeschoss  ist  das  aus¬ 
geschlossen. 

5.  Trifft  ein  Dumdumgeschoss  nur  Weichteile,  so  wirkt  es 
genau  wie  ein  reguläres  Infanterieprojektil.  Seine  spezifische, 
zerstörende  Wirkung  kann  nur  beim  Auftreffen  auf  einen  Kno¬ 
chen  einsetzen. 

6.  Vollgeschosse  (wie  die  regulären  französischen 
Infanteriegeschosse)  lassen  sich  n  i  ch  t  zu  Dumdumgeschossen 
umarbeiten. 


Aus  dem  Kriegsreservelazarett  II  Hamburg-Altona  (Allgem. 

Krankenhaus  St.  Georg). 

Lieber  die  englischen  Infanteriegeschosse  und  ihre 

Wirkungen. 

Von  Prof.  Dr.  K.  Stargardt  in  Hamburg. 

Es  ist  in  der  Tagespresse  wiederholt  über  englische  Ge¬ 
schosse  mit  Explosivwirkung,  sogen.  Dumdumgeschosse,  ge¬ 
schrieben  worden.  Auch  in  der  D.m.W.  (5.  November)  ist  von 
Pöppelmann  über  angebliche  Dumdumverletzungen  be¬ 
richtet  worden. 

Leider  geht  nun  aus  allen  bisherigen  Mitteilungen  nicht 
hervor,  ob  es  sich  bei  diesen  Dumdumverletzungen  nur  um  ver¬ 
einzelte  oder  um  zahlreiche  Fälle  gehandelt  hat  und  ob  die 
Dumdumverletzungen  nur  an  bestimmten  Teilen  des  Kriegs¬ 
schauplatzes  vorgekommen  sind  oder  nicht.  Es  ist  auch  von 
keiner  Seite  mitgeteilt  worden,  ob  es  sich  um  staatlich  ge¬ 
lieferte  Geschosse  gehandelt  hat  und  ob  und  wodurch  sich  die 
Dumdumgeschosse  von  den  gewöhnlichen  englischen  Infan¬ 


teriegeschossen,  und  ferner,  ob  und  wodurch  sich  die  durch 
Dumdumgeschosse  gesetzten  Verwundungen  von  den  durch 
gewöhnliche  englische  Infanteriegeschosse  erzeugten  Verwun¬ 
dungen  unterscheiden. 

Ich  habe  nun  im  Kriegsreservelazarett  II  Hamburg-Altona 
eine  Reihe  von  Beobachtungen  machen  können,  die,  wie  mir 
scheint,  eine  Lösung  der  Dumdumfrage  ermöglichen. 

Während  in  Hamburg-Altona  in  den  beiden  ersten  Monaten  des 
Krieges  nur  Verwundete  eingeliefert  wurden,  die  gegen  französische 
Truppen  gekämpft  hatten,  sind  in  der  letzten  Zeit  vorwiegend  Ver¬ 
wundete  eingeliefert  worden,  die  in  Gefechten  mit  englischen  Trup¬ 
pen  verletzt  worden  sind. 

Zwischen  den  beiden  Gruppen  von  Verwundeten  hat  sich  nun 
schon  klinisch  ein  allen  auffallender  Unterschied  ergeben,  wenigstens 
soweit  Verletzungen  durch  Infanteriegeschosse  in  Erage  kommen. 

Während  die  Verletzungen  durch  französische  Infanterie¬ 
geschosse  im  allgemeinen,  selbst  wenn  Knochen  oder  manche  lebens¬ 
wichtige  Organe  getroffen  waren,  nicht  sehr  schwer  waren,  und  von 
Ausnahmen  abgesehen  eine  günstige  Prognose  stellen  Hessen,  war 
das  bei  den  Verletzungen  durch  englische  Infanteriegeschosse  durch¬ 
aus  nicht  der  Fall.  Die  Verletzungen  waren  durchweg  wesentlich 
schwerer. 

So  zeigten  z.  B.  Schussfrakturen  viel  hochgradigere  Zertrüm¬ 
merungen  der  Knochen.  Die  Knochen  waren  in  vielen  Fällen  direkt 
zu  Brei  zerschmettert.  Ferner  fiel  es  auf,  dass  Gefässe  und  Nerven 
viel  häufiger  getroffen  waren  und  dass  auch  die  Muskelzerreissungen 
viel  ausgedehnter  waren,  als  bei  Verletzungen  durch  französische  In¬ 
fanteriegeschosse.  Dass  die  Wunden  der  Schwere  der  Verletzungen 
entsprechend  viel  häufiger  infiziert  waren,  brauche  ich  nicht  besonders 
zu  betonen. 

In  einzelnen  Fällen  fand  sich  auch  ein  besonders  grosser  Aus¬ 
schuss.  Man  hat  vielfach  angenommen,  dass  solche  grosse  Aus¬ 
schüsse  allein  beweisen^  dass  es  sich  um  Verletzungen  durch  Dum¬ 
dumgeschosse  handelt.  Das  ist  meines  Erachtens  nicht  richtig.  Der 
grosse  Ausschuss  kann  nur  den  Verdacht  auf  Dumdumverletzungen 
hervorrufen,  einen  Beweis  für  eine  solche  Verletzung  stellt  er  aber 
nicht  dar.  Denn  es  werden  grosse  Ausschüsse  auch  gelegentlich 
durch  französische  Infanteriegeschosse  erzeugt,  besonders  wenn  das 
Geschoss  sich  im  Körper  gedreht  hat.  Ergab  sich  schon  aus  der 
klinischen  Beobachtung  die  Tatsache,  dass  die  durch  englische  In¬ 
fanteriegeschosse  hervorgerufenen  Verletzungen  ungleich  schwerer 
sind,  als  die  durch  französische  Infanteriegeschosse  bedingten,  so  fand 
sich  eine  weitere  Bekräftigung  und  Bestätigung  dieser  Tatsache  bei 
der  Röntgenuntersuchung  der  einzelnen  Fälle  und  es  wurde  durch  die 
Röntgenuntersuchung  auch  die  Ursache  aufgedeckt,  warum  die  Ver¬ 
letzungen  durch  die  englischen  Infanteriegeschosse  so  besonders 
schwere  sind.  Ich  habe  in  der  wissenschaftlichen  Sitzung  vom  21.  No¬ 
vember  im  Krankenhaus  St.  Georg  und  im  Aerzteverein  am  1.  De¬ 
zember  eipe  Reihe  von  Röntgenbildern  gezeigt,  die  ich  mit  einer 
Anzahl  neuerer  Fälle  demnächst  in  einer  zusammenfassenden  Publi¬ 
kation  veröffentlichen  werde.  An  dieser  Stelle  will  ich  nur  das 
Wesentlichste  anführen. 

Charakteristisch  ist  für  die  Röntgenbilder  von  Verwundungen 
durch  englische  Infanteriegeschosse,  dass  weite  Strecken  des  ge¬ 
troffenen  Körperteiles  mit  dichten  Schatten,  die  nur  von  Metall¬ 
splittern  herrühren  können,  übersät  sind.  Man  kommt  bei  der  Be¬ 
trachtung  solcher  Bilder  zunächst  auf  den  Gedanken,  dass  es  sich  gar 
nicht  um  Verletzungen  durch  Infanteriegeschosse  handelt,  sondern 
um  Granatsplitter-  oder  Schrapnellsplitterverletzungen.  Die  einzelnen 
Splitter  sind  von  verschiedenster  Grösse  und  Form.  Meist  finden 
sich  1 — 3  grössere  Splitter  und  daneben  eine  Unmenge  kleinster  Split¬ 
terchen.  Nur  in  wenigen  Fällen  sind  die  Splitter  auf  ein  engeres  Ge¬ 
biet  zusammengedrängt.  Meist  sind  sie  weit  im  Gewebe  zerstreut. 
So  will  ich  nur  erwähnen,  dass  bei  einer  Verletzung  des  Arms  sich 
ein  grosser  Splitter  in  der  Mitte  des  Vorderarms,  und  zwar  in  dem 
durchschossenen  Radius  fand,  während  ein  anderer  grosser  Splitter 
neben  der  Mitte  des  Oberarmknochens  lag,  und  die  ganze,  zwischen 
beiden  Splittern  befindliche  Strecke  mit  kleineren  und  kleinsten  Split¬ 
terchen  durchsetzt  war.  Die  Splitter  waren  also  über  eine  etwa 
25  cm  lange  Strecke  des  getroffenen  Armes  verteilt. 

In  mehreren  Fällen  mussten  nun  solche  Metallstücke  entfernt 
werden.  Dabei  ergab  sich  eine  überraschende  Tatsache:  es  fand 
sich  nämlich,  dass  diese  Splitter  sämtlich  Teile  eines  Infanterie¬ 
geschosses  waren.  In  den  meisten  Fällen  bestand  der  eine  Splitter 
aus  der  etwas  über  einen  Zentimeter  langen  Spitze  des  Geschosses, 
ein  zweiter  aus  einem  etwa  2  cm  langen  mehr  oder  weniger  defor¬ 
mierten  Bleikern  und  ein  dritter  aus  dem  vollkommen  verbogenen 
und  zerrissenen  Geschossmantel.  Besonders  auffallend  war  nun  fer¬ 
ner,  dass  in  der  abgebrochenen  Spitze  des  Geschosses  sich  ein  etwa 

1  cm  langer  Kern  fand,  der  an  seiner  hinteren  Seite  geglättet  war, 
also  nicht  etwa  einen  abgebrochenen  Teil  des  Bleikernes  darstellen 
konnte.  Die  Tatsache,  dass  die  auseinandergeplatzten  Geschosse 

2  Kerne  enthielten,  ist  von  grösster  Bedeutung. 

Es  ist  ganz  zweifellos,  dass  ein  Infanteriegeschoss,  das  im  Kör¬ 
per  in  der  beschriebenen  Weise  auseinanderplatzt  und  seine  einzelnen 
Teile  weit  im  Körper  zerstreut,  eine  Wirkung  hat,  die  als  Explosiv¬ 
wirkung  bezeichnet  werden  muss,  und  dass  ein  solches  Geschoss 
als  Explosivgeschoss  angesehen  werden  muss.  Dabei  bleibt  es  ganz 


Feldärztliehc  Beilage  zur  Münch,  mcd.  Wochenschrift. 


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29.  Dezember  1914. 


gleichgültig,  ob  die  Explosivwirkung  durch  im  Geschoss  enthaltene 
Sprengstoffe  oder  durch  die  besondere  Konstruktion  des  Geschosses 
bedingt  ist. 

Nun  lag  natürlich  die  Annahme  nahe,  dass  cs  sich  bei  den  er¬ 
wähnten  Verletzungen  um  Verletzungen  durch  ganz  besondere  Ge¬ 
schosse,  sogen.  Dumdumgeschosse,  gehandelt  hat.  Aber  diese  An¬ 
nahme  traf  nicht  zu.  Vielmehr  ergab  die  genauere  Untersuchung, 
dass  die  Verletzungen  durch  die  gewöhnlichen  englischen  Infanterie¬ 
geschosse  hervorgerufen  waren. 

Ich  habe  von  Soldaten  eine  ganze  Anzahl  englischer  Infantcrie- 
geschossc  erhalten.  Die  Geschosse  ähneln  äusserlich  den  deutschen, 
nur  sind  sie  länger,  32  mm;  während  die  deutschen  nur  27  mm  lang 
sind.  Ferner  zeigen  sie  5  mm  von  der  Basis  entfernt  eine  tiefere 
kreisförmige  Rinne,  in  die  an  3  Stellen  die  Patronenhülse  etwas  ein¬ 
greift.  Auch  am  englischen  Geschoss  sieht  man  hinten  den  Bleikern 
freiliegen. 

Während  so  äusserlich  das  englische  Infanteriegeschoss  dem 
deutschen  sehr  ähnlich  ist,  zeigt  es  in  seinem  Innern  einen  funda¬ 
mentalen  Unterschied.  Ich  habe  ein  englisches  und  ein  deutsches  Ge¬ 
schoss  von  einem  Goldarbeiter  der  Länge  nach  durchschneiden  lassen. 
Während  nun  das  deutsche  Geschoss  nur  einen  einzigen  Bleikern 
zeigt,  finden  sich  im  englischen  Geschoss  zwei  Kerne,  und  zwar 
vorn  in  der  Spitze  ein  11  mm  langer  Kern,  dahinter,  durch  eine 
schmale  Trennungslinie  getrennt,  ein  zweiter  Kern  von  20  mm  Länge. 
Der  vordere  Kern  ist  leichter  und  von  weisslicher  Farbe  und  be¬ 
steht,  soviel  ich  bis  jetzt  habe  feststcllen  können,  aus  Aluminium,  der 
hintere  Kern  ist  schwerer  und  besteht  unzweifelhaft  aus  Blei. 

Das  englische  Geschoss  hat  einen  Mantel,  der  um  0,1  mm  dünner 
ist,  als  der  des  deutschen  Geschosses.  Das  von  mir  erwähnte  durch¬ 
schnittene  englische  Infanteriegeschoss  stammte,  wie  der  Stempel  am 
Boden  der  Patronenhülse  zeigte  (ein  Pfeil  aus  3  etwa  gleich  langen 
Strichen  bestehend)  aus  einer  staatlichen  Fabrik  und  unterschied  sich 
in  nichts  von  den  zahlreichen  englischen  Geschossen,  die  unsere  Sol¬ 
daten  von  verschiedenen  Teilen  des  Kriegsschauplatzes  mitgebracht 
hatten. 

Aus  der  eigenartigen  Konstruktion  ergibt  sich  nun  ohne  weiteres, 
dass  das  Geschoss  im  Körper  des  Getroffenen  eine  Explosivwirkung 
entfalten  muss.  Da  das  Geschoss  2  Kerne  von  verschiedenem  spe¬ 
zifischem  Gewicht  enthält,  muss  es  bei  dem  leichtesten  Anstoss  an 
einen  festeren  Körper,  z.  B.  einen  Knochen,  auseinanderspringen. 
Die  Spitze  mit  dem  einen  Kern  muss  abbrechen,  der  Mantel  ein¬ 
gerissen  werden  und  der  zweite  Kern,  der  Bleikern,  herausfliegen. 
Da  alle  Teile  verschieden  schwer  sind  und  verschiedene  Form  haben, 
müssen  sie  sich  in  dem  getroffenen  Körperteile  in  verschiedener 
Weise  ausbreiten. 

Es  lassen  sich  also  durch  die  Konstruktion  des  Geschosses  alle 
die  obenerwähnten  schweren,  ja  zum  Teil  geradezu  scheusslichen 
Verletzungen  erklären.  Ich  möchte  noch  besonders  betonen,  dass  wir 
bisher  in  keinem  einzigen  Falle  in  dem  Körper  eines  Verwundeten  ein 
nightdeformiertes  englisches  Infanteriegeschoss  gefunden  haben.  Es 
handelt  sich  also  bei  dem  Auseinanderplatzen  nicht  um  einen  unglück¬ 
lichen  Zufall,  sondern  um  ein  Ereignis,  das  die  unbedingte  Folge  der 
Geschosskonstruktion  ist. 

Ich  habe  mich  nun  bei  Fachleuten  erkundigt,  ob  die  Anbringung 
zweier  verschiedener  Kerne  von  verschiedenem  spezifischen  Gewicht 
irgendwie  aus  ballistischen  Gründen  erfolgt  sein  könnte.  Es  ist  mir 
das  ganz  entschieden  bestritten  worden.  Es  kann  daher  nur  einen 
Grund  geben,  der  für  die  Anbringung  zweier  Kerne  massgebend  war, 
die  Absicht,  möglichst  schwere  Verletzungen  hervorzurufen.  Und  es 
kann  meines  Erachtens  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  diese  Ab¬ 
sicht  bei  der  Geschosskonstruktion  ausschlaggebend  gewesen  ist. 

Ich  möchte  ganz  besonders  betonen,  dass  es  nicht  verein¬ 
zelte,  besonders  hergestellte  Dumdumgeschosse  sind,  die  die 
von  uns  beobachteten  schweren  Verletzungen  hervorgerufen 
haben,  sondern  das  in  staatlichen  Fabriken  hergestellte,  offiziell 
eingeführte  und,  wie  es  scheint,  allein  zur  Anwendung  kom¬ 
mende  englische  Infanteriegeschoss. 

Gerade  diese  Tatsache,  dass  das  gewöhnliche  englische 
Infanteriegeschoss,  auch  ohne  besonders  hergerichtet  und  be¬ 
arbeitet  zu  sein,  Verletzungen  hervorruft  und  dank  seiner  Kon¬ 
struktion  hervorrufen  muss,  die  den  durch  Dumdumgeschosse 
hervorgerufenen  durchaus  gleichen,  scheint  mir  besonders  be¬ 
merkenswert  zu  sein. 

Die  englischen  Infanteriegeschosse  sollen  nicht  nur  kampf¬ 
unfähig  machen,  sondern  sie  sollen  womöglich  den  Getroffenen 
für  immer  verstümmeln.  Und  dass  das  englische  Infanterie¬ 
geschoss  diese  Absicht  durchaus  erfüllt,  das  zeigen  uns  unsere 
armen  Verwundeten.  Aeusserlich  harmlos  ausehend,  stellt  das  • 
englische  Infanteriegeschoss  dank  seiner  besonderen  Konstruk¬ 
tion  ein  äusserst  gefährliches  Explosivgeschoss  dar.  Und 
dieses  Explosivgeschoss  wird  gegen  Menschen  verwandt. 

Ich  habe  schon  betont,  dass  wir  in  den  meisten  Fällen  auch 
die  Spitze  des  Geschosses  im  Körper  gefunden  haben,  dass  also 
zweifellos  das  Geschoss  so  zur  Anwendung  gekommen  ist,  wie 


es  aus  der  Fabrik  geliefert  wird.  In  manchen  Fällen  wird  aber 
auch  die  Spitze  vorher  abgebrochen.  Es  scheint  das  besonders 
beim  Schiessen  auf  kurze  Entfernung  der  Fall  zu  sein.  Das 
Abbrechen  erfolgt  nach  der  Aussage  glaubwürdiger  Zeugen  da¬ 
durch,  dass  5  in  einem  Rahmen  befindliche  Patronen  gleich¬ 
zeitig  in  eine  Art  Zange,  die  sich  am  Gewehrkolben  befindet, 
gesteckt  werden  und  nun  durch  2  kurze  Hebelbewegungen  die 
Spitzen  abgebrochen  werden.  Die  Spitzen  sollen  ausserordent¬ 
lich  leicht  abbrechen,  und  zwar  stets  an  der  Grenze  zwischen 
vorderem  und  hinterem  Kern.  Ob  die  Wirkung  solcher  Ge¬ 
schosse  mit  abgebrochener  Spitze  noch  verderblicher  ist,  als 
die  durch  Geschosse,  deren  Spitze  erhalten  ist,  vermag  ich 
nicht  zu  sagen.  Denkbar  ist  es. 

Es  muss  aber  immer  wieder  betont  werden,  dass  das  Ab¬ 
brechen  der  Spitze  durchaus  nicht  nötig  ist,  sondern  dass  das 
englische  Infanteriegeschoss  auch  mit  intakter  Spitze  im  Ge¬ 
troffenen  eine  Explosivwirkung  entfaltet. 

Pflicht  der  Aerzte  ist  es  jedenfalls,  dieser  Frage  besondere 
Aufmerksamkeit  zu  widmen,  damit  den  zuständigen  Stellen  im 
Reiche  die  Möglichkeit  gegeben  wird,  Schritte  gegen  die  Ver¬ 
wendung  derartiger  inhumaner  Geschosse  zu  ergreifen. 


Ein  Beitrag  zu  „Infanteriegeschosse  mit  Spreng- 
(Dumdum-)Wirkung“. 

Von  San.-Rat  Dr.  v.  Meyer  und  Dr.  Felix  Kraemer  in 

Frankfurt  a.  M. 

Fall  1.  Pionier  J.  Z. 

Diagnose;  Durchschusswunden  am  linken  Fusse  durch  Ge¬ 
wehrschussprojektil. 

Die  Spitze  des  letzteren  mit  Aluminiumkegel  und  mit  einem  T  eile 
des  zersprengten  Metallmantels  wurde  aus  der  Wunde  am  Innen¬ 
rande  des  Fusses  entfernt  (s.  Fig.  1  u.  3). 


Fig.  1. 

Pat.  gibt  an,  am  31.  X.  14  bei  Y  . . . .  verwundet  worden  zu  sein, 
ihm  gegenüber  seien  Engländer  gelegen. 

Röntgenbild  I  ergibt  Zertrümmerung  am  Sprung-Fersen-Wiirfel- 
bein  und  an  der  Basis  des  III.  und  IV.  Mittelfussknochens.  Im 
Fusse  verteilt  zahlreiche  Metallsplitter. 

Verlauf:  Hochgradige  Schwellung  des  Fusses  und  der  Knöchel¬ 
gegend,  fieberhaft,  15.  XI.  14  bis  39  0  C. 

Es  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  hier  die  Sprengwirkung 
eines  Infanteriegeschosses  mit  Aluminiumspitzkegel  vorliegt. 

Fall  2.  A.  Sch.,  Unteroffizier  der  Landwehr. 

Nach  seiner  Angabe  am  2.  XI.  1914  V.  M.  bei  Y  .  .  .  . 
verwundet,  kann  bestimmt  versichern,  dass  Engländer  und  Schotten 
gegenüber  lagen  (neben  ihm  lagen  tote  Engländer  und  Schottländer). 

Diagnose:  Fussschuss  (Steckschuss). 

Einschussöffnung  von  Kirschgrösse  mit  etwas  eitrigem  Belag 
ca.  2  cm  unterhalb  des  äusseren  Knöchels  des  linken  Fusses. 

Röntgenbild  II  ergibt  etwas  unterhalb  des  Schienbein-Sprung- 
beingelenkes,  ungefähr  auf  der  Mitte  des  oberen  freien  Teiles  des 
Sprungbeines  aufruhend,  einen  keulenförmigen  Metallteil  von  etwa 
214  cm  Länge.  Der  Keulenkopf  scheint  etwas  in  den  Knochen  ein¬ 
gebettet,  der  Handgriff  ist  nach  dem  Schienbein  zu  gerichtet. 


2450 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  52. 


Der  nach  dem  Schienbein  zu  gerichtete  Teil  des  Metallkörpers 
ist  fast  unmittelbar  unterhalb  des  inneren  Knöchels  neben  der 
Strecksehne  der  grossen  Zehe  zu  fühlen.  Die  Entfernung  er¬ 
gibt  einen  fussförmig  deformierten  Bleikegel,  an  dem  noch  deutlich 
die  horizontale  Abstumpfung  (s.  Fig.  2)  zu  erkennen  ist. 


Fig.  2. 


In  diesem  Falle  handelt  es  sich  um  Verletzung  durch  den  abge¬ 
stumpften  Bleikegel,  wie  er  in  den  mit  einer  Aluminiumkegelspitze 
versehenen  Infanteriegeschossen  enthalten  ist  (s.  Fig.  3). 


Fig.  3. 

Erläuterung 
zu  den  Oeschossteilen : 

1  wurde  im  Falle  I  aus  der 

Wunde  entfernt. 

2  wurde  im  Falle  II  durch 

Einschnitt  erhalten. 

3,  3  a,  3  b  stellen  durch  Zer¬ 
sägen  gewonnene  Be¬ 
standteile  eines  Infan¬ 
teriegeschosses  mit  Alu- 
miniumspitzkegel  (3  a), 
Hülle  desselben  (3  b), 
und  abgestumpften  Blei¬ 
kegel  mit  Metallmantel 
(3)  dar. 


Zusammenfassend  lässt  sich  sagen: 

Die  Verletzungen  in  beiden  Fällen  sind  unzweifelhaft  durch  Teile 
eines  Infanteriegeschosses  entstanden,  im  Fall  ]  durch  Geschossspitze 
mit  Aluminiumkegel  und  anhängendem  Teile  des  zersprengten  Metall¬ 
mantels  (s.  Fig.  1),  im  Fall  2  durch  den  deformierten  Bleikern  (s. 
rig.  2),  wie  er  in  Fig.  3  durch  Zersägen  eines  Infanteriegeschosses 
mit  Aluminiumspitzkegel  (Fig.  3a)  dargestellt  ist. 


Aus  der  Röntgenabteilung  des  Allgem.  Krankenhauses  Ham- 
burg-Barinbeck  (Oberarzt  Dr.  Haenisch). 

Röntgenologischer  Nachweis  der  Dumdumwirkung 
englischer  Infanteriegeschosse*). 

Von  Dr.  F.  Haenisc h,  Stabsarzt  d.  Res. 

Die  zahlreichen  Mitteilungen  und  Diskussionen  in  der 
I  ages-  und  Fachpresse  über  die  Verwendung  von  Dumdum¬ 
geschossen  seitens  der  Engländer  veranlassten  mich,  an  dem 
mir  zur  Verfügung  stehenden  ausserordentlich  grossen  rönt¬ 
genologischen  Material  verschiedener  Reservelazarette  dieser 
Frage  meine  besondere  Aufmerksamkeit  zu  widmen.  Von  An¬ 
fang  an  auffallend  waren  die  abnorm  erheblichen  Knochenzer¬ 
trümmerungen  und  Weichteilverletzungen  bei  Verwundeten, 
die  gegen  englische  Infanterie  gekämpft  hatten.  Als  s  t  r  i  k  t  e  r 
Beweis  der  Verwendung  von  Dumdumgeschossen  konnten 
diese  Befunde  indessen,  ebenso  wie  der  oft  diskutierte  Nach- 

*)  Demonstriert  im  Aerztl.  Verein  in  Hamburg  am  2.  XII.  14. 


weis  eines  kleinen  Ein-  und  grossen  Ausschusses  nicht  ohne 
weiteres  anerkannt  werden,  jedenfalls  konnten  hier  dem  bös¬ 
willigen  Ausland  immer  noch  Hintertüren  offen  bleiben.  Der 
Nahschuss,  der  Querschläger,  die  Verletzung  der  Weichteile 
durch  stark  dislozierte  Knochensplitter  mussten  des  öfteren 
herhalten. 

Vor  einiger  Zeit  erschienen  nun  in  der  Tagespresse  Ab¬ 
bildungen  von  englischen  Infanteriegeschossen,  welche  den 
unsrigen  äusserlich  fast  vollständig  gleichen,  unter  dem  un¬ 
veränderten  Mantel  indessen  statt  eines  vollen  Bleikerns  zwei 
Kerne  enthielten,  und  zwar  einen  kleineren  in  der  Spitze  und 
einen  grösseren  im  Hauptteil  des  Geschosses  (s.  Fig.  1). 
Ausserdem  befinden  sich  an  englischen  Ge¬ 
wehren  Vorrichtungen  zum  Einknicken  oder 
Abbrechen  der  Spitzen  an  der  Grenze  der 
beiden  Kerne.  Ich  bin  im  Besitz  derartiger 
Geschosse,  die  ich  mir  aus  der  Umgebung 
von  Lille  mitgebracht  habe.  Mein  Assistent 
Dr.  L  o  e  w  enhaupt,  der  als  Oberarzt  d.  Res. 
im  Felde  steht,  berichtet  mir,  dass  ihm  der 
Bahnhofskommandant  von  Roubaix  (bei 
Lille)  ein  englisches  Gewehr  mit  einer 
entsprechenden  Vorrichtung  gezeigt'  hat. 

(Fig.  2.) 


Fig.  2.  Englische  Gewehrkugeln  mit  abgebrochener  Spitze.  Fig.  3*). 

)  Röntgenbild  einer  englischen,  nicht  abgeschossenen  Gewehrkugel  mit  doppeltem  Kern. 

Indessen  muss  auch  ohne  weitere  Vorberei¬ 
tungen  ein  Geschoss  mit  2  getrennten  Kernen  beim  Auf¬ 
schlägen  auf  den  Knochen  zerbersten  und  eine  Explosious- 
wirkung  hervorrufen.  Die  event.  Ausrede,  dass  der  ge¬ 
trennte  Kern  die  ballistische  Wirkung  des  Geschosses  ver¬ 
bessern  soll,  dürfte  wohl  von  vornherein  abzulehnen  sein. 

Es  lag  nun  auf  der  Hand,  dass  der  dokumentarische  Be¬ 
weis  am  sichersten  und  unanfechtbarsten  dadurch  zu  erbringen 
wäre,  wenn  man  röntgenographisch  ein  derartiges  Geschoss 
i  m  Körper  nachweisen  könnte.  Hiernach  fahndete  ich  seit  län¬ 
gerem.  Es  gelang  mir  denn  auch  in  mehreren  Fällen,  derartige 
Zweiteilung  von  Geschossen  mit  gleichzeitigen  grossen  Ver¬ 
letzungen  nachzuweisen. 

Einen  besonders  instruktiven  und  beweiskräftigen  Fall 
bringe  ich  in  nebenstehender  Pause  (s.  Fig.  5  u.  6).  Ich  suchte 
diesen  Fall  zur  Publikation  aus,  weil  sich  bei  ihm  die 
Spitze  des  Mantels  mit  dem  oberen  Kern  ohne  weitere 
Eigendeformierung  oder  Projektionsverkürzung  auf  das  deut¬ 
lichste  im  Röntgenogramm  darstellt. 

Unteroffizier  E.  H.,  Inf.-Rcg.  247,  5  Komp.,  34  Jahre  alt,  uni 
29.  X.  14  verwundet,  am  7.  XI.  im  Allgem.  Krankenhause  Barmbeck 
aufgenommen.  Einschuss  am  linken  Unterschenkel  aussen,  ca.  hand¬ 
breit  oberhalb  des  Fussgelenkes,  Ausschuss  rechts  unten  hinten, 
ca.  2  cm  oberhalb  der  Fusssohle.  Starke  Schwellung  und  Schmerz¬ 
haftigkeit  des  ganzen  Fasses,  besonders  im  Bereich  beider  Knöchel. 
Zehenbewegung  erhalten,  Bewegung  im  Fussgelenk  aufgehoben. 

Sagittal-  und  Frontalröntgenogramme  zeigen  die  abnorm  starke 
Zertrümmerung  des  distalen  Tibiaendes,  des  Malleolus  ext.,  sowie 
des  Talus  und  vorderen  Kalkaneusteiles. 

An  der  Innenseite  des  Caput  calcanei  findet  sich  nun  die  Spitze 
eines  Infanterieprojektils  mit  dem  Kern,  dessen  geradlinige 
Basiskontur  sich  scharf  gegen  den  etwas  tiefer  abgerissenen, 
überstehenden  Mantel  auf  den  Originalplatten  deutlichst  abhebt.  Die 
Abknickungsstelle  des  Mantels  ist  klar  erkennbar.  Ein  leeres  Mantel¬ 
stück  könnte  einen  derartig  tiefen  Schatten  nicht  geben,  ein  einheit¬ 
licher  Kern  würde  nie  in  derartig  scharfer  gerader  Fläche  abbrechen. 

Ausserdem  finden  sich  zahlreiche  Reste  von  Bleispritzern  des 
ausgetretenen  Hauptbleikerns. 


Fig.  1.  Fig.  4. 


29.  Dezember  1914. 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


2451 


Einschuss 


Fig.  6. 


Röntgenaufnahmen  von  nicht  abgeschossenen  englischen 
Projektilen  zeigen  aufs  deutlichste  den  zweifachen  Kern.  Der 
vordere  in  der  Spitze  ist  spezifisch  wesentlich  leichter  (cf. 
Fig.  3  u.  4),  wahrscheinlich  aus  Aluminium. 

Ich  hielt  es  für  angebracht,  diesen  Fall  in  unserer  medi¬ 
zinischen  Fachpresse  zu  veröffentlichen,  da  er  mir  als  ein  un¬ 
widerleglicher  Beweis  erscheint,  dass  englische  Infanterie¬ 
geschosse  auf  Explosionswirkung  hin  besonders 
konstruiert  und  als  solche  tatsächlich  auch 
verwendet  worden  sind. 


Aus  der  chirurgischen  Universitätsklinik  in  Tübingen. 

Eine  sichere  röntgenologische  Methode  zur  Geschoss¬ 
lokalisation. 

Von  Dr.  Wilhelm  H  a  r  t  e  r  t,  Assistenten  der  Klinik. 

Chirurgie  ist  heute  unter  der  Not  der  Verhältnisse  mehr 
als  bisher  ärztliches  Allgemeingut  geworden.  Eine  der  häufig¬ 
sten  und  mit  besonderer  Freude  auch  von  weniger  chirurgisch 
Geübten  in  Angriff  genommenen  Operationen  bildet  die  Ge¬ 
schossextraktion.  Früher,  in  vorantiseptischer  Zeit,  war  die 
Geschossextraktion  oftmals  sehr  einfach.  Man  folgte  dem 
geraden  Wege  des  frischen  Schusskanales  mit  der  Sonde.  Das 
Ende  des  Schusskanals  bezeichnete  meist  die  Lage  des  Ge¬ 
schosses.  Heute  ist  jeder  andere  Weg  zum  Geschoss  statthaft, 
nur  nicht  der  über  den  Schusskanal.  Eine  Ausnahme  macht 
allein  der  fistelnde  Schusskanal,  der  als  direkter  Weg  zum  Ge¬ 
schoss  dienen  darf. 

Die  Erschwerung  der  Geschosslokalisierung  durch  die  Ge¬ 
bote  der  Asepsis  wurde  nun  in  gewissem  Grade  durch  R  ö  n  t  - 
g  e  n  s  Entdeckung  wieder  aufgehoben.  Allerdings  reicht  das 
einfache  Röntgenbild  meist  nicht  aus.  Der  Fremdkörper  liegt 
zwar  mit  aller  Deutlichkeit  vor,  und  mancher,  der  im  glück¬ 
lichen  Besitze  eines  Röntgenbildes  ist,  macht  sich  mit  Zuver¬ 
sicht  an  die  Suche  nach  dem  Geschoss,  um  in  vielen  Fällen 
alsbald  einsehen  zu  lernen,  dass  er  die  Schwierigkeiten  unter¬ 
schätzt  hat.  Es  sind  die  Fälle  nicht  selten,  in  denen  ein  kreuz 
und  quer  durchschnittenes  und  zerwühltes  Operationsgebiet 


das  Endergebnis  des  Un¬ 
ternehmens  bildet,  ohne 
dass  das  Geschoss  ge¬ 
funden  ist.  Ein  jeder 
sollte  sich  der  Verant- 
r^Einschuss  wortung  bewusst  sein,  die 
*  er  auf  sich  lädt,  wenn  er 

sich  auf  die  Suche  nach 
einem  Geschoss  begibt 
ohne  vorherige  sorg¬ 
fältigste  Feststellung  der 
Lage  desselben. 

Zur  zuverlässigen  rönt¬ 
genologischen  Lagebe¬ 
stimmung  eines  schatten¬ 
gebenden  Fremdkörpers 
gibt  es  zahlreiche  Ver¬ 
fahren.  Es  ist  hier  nicht 
der  Platz,  sie  aufzuführen. 
Die  gebräuchlichsten  sind 
in  jedem  Lehrbuch  für 
Röntgenkunde  zusammen¬ 
gestellt.  Ich  selbst  habe 
mich  neben  anderen  Me¬ 
thoden  mit  grossem  Vor¬ 
teil  der  Röntgenstereo¬ 
skopie  zur  Geschoss¬ 
lokalisation  bedient.  Be¬ 
sonders  wertvoll  schien 
mir  das  Verfahren  bei 
Geschossen  in  Körper¬ 
gegenden,  die  wegen  ihrer 
Dicke  nur  in  einer  Rich¬ 
tung  durchleuchtet  werden 
können.  Im  stereoskopischen  Bilde  ist  die  Lage  eines  Ge¬ 
schosses  besonders  gut  bestimmt,  wenn  sie  sich  in  der  Höhe 
eines  markanten  Knochenpunktes  befindet.  Weniger  Sicheres 
leistet  die  Stereoskopie,  wenn  das  Geschoss  in  dicken  Weich¬ 
teilen  liegt.  Es  schwebt  dann  das  Geschoss  gewissermassen 
in  der  Luft,  ohne  dass  man  einen  rechten  Anhaltspunkt  für  seine 
Lage  hat.  Das  ist  selbst  dann  der  Fall,  wenn  man  der  Ober¬ 
fläche  mit  Metallmarken  eine  Topographie  verleiht. 

Wenn  nun  in  den  Weichteilen  markante  Punkte  fehlen,  so 
ist  es  leicht,  solche  zu  schaffen.  Ich  gehe  so  vor,  dass  ich  nach 
ungefährer  Lagebestimmung  des  Geschosses,  die  vor  dem 
Leuchtschirm  oder  durch  einfache  Aufnahme  stattgefunden  hat, 
in  lokaler  Anästhesie  und  unter  aseptischen  Kautelen  die  in 
Frage  kommende  Körperstelle  gewissermassen  in  ein  Nadel¬ 
kissen  verwandele. 

Nadeln  der  verschiedensten  Länge  und  der  verschiedensten  Art 
—  Injektionsnadeln,  Stecknadeln  —  werden  auf  die  annähernd  be¬ 
kannte  Stelle  der  Geschosslage  eingestochen.  Nach  steriler  Be¬ 
deckung  wird  eine  stereoskopische  Aufnahme  von  der  betreffenden 
Gegend  angefertigt.  Welche  Richtung  zu  den  Röntgenstrahlen  man 
den  Nadeln  gibt,  ist  nahezu  gleichgültig.  Meist  wird  man  das  Nadel¬ 
feld  nach  der  Röhre  zu  orientieren. 

Irgendeine  Schädigung  bedeutet  das  Einstechen  der  Nadeln 
selbstredend  nicht,  da  wir  ja  bei  jeder  Lokalanästhesie  z.  B.  das 
Gewebe  ohne  Nachteil  in  allen  Richtungen  mit  der  Nadel  durch¬ 
stechen.  Man  lässt  übrigens  zweckmässig  die  bei  der  Lokalanästhesie 
gebrauchten  Injektionsnadeln  in  ihrer  tiefsten  Lage  gleich  endgültig 
für  die  stereoskopische  Aufnahme  stecken. 

Die  stereoskopische  Aufnahme  des  so  von  Nadeln  durchbohrten 
Gebietes  zeigt  alsdann  in  ausserordentlich  anschaulicher  Weise  die 
seitliche  und  die  Tiefenlage  des  Geschosses  zu  den  Nadeln.  Es  ist 
geradezu  überraschend,  zu  sehen,  wie  das  Durcheinander  von  Nadeln 
auf  der  Einzelplatte  sich  auflöst  in  dem  Augenblicke,  wo  die  Bilder 
zum  stereoskopischen  Eindrücke  kombiniert  werden. 

Man  identifiziert  nunmehr  diejenige  Nadel,  welche  die  Lage  des 
Geschosses  am  besten  kennzeichnet  und  legt  in  ihrer  Richtung  den 
Operationsschnitt  an.  Es  ist  zweckmässig,  alle  Nadeln  in  solcher  Rich¬ 
tung  einzustechen,  in  welcher  man  später  beim  Eingriff  leicht  und 
ohne  Kollision  mit  zu  schonenden  Gebilden  in  die  Tiefe  gelangen  kann. 

Das  Verfahren  kann  seiner  Natur  nach  niemals  im  Stich  lassen. 
Das  stereoskopische  Bild  trügt  nicht,  wie  die  Wirklichkeit  nicht  trügt. 
Es  gelang  mir  in  verschiedenen  Fällen  von  ganz  ausserordentlich  klei¬ 
nen  Einschnitten  aus,  die  nur  das  Einführen  des  tastenden  Fingers  ge¬ 
statteten,  in  einer  Tiefe  bis  9  cm  Geschosse  zu  extrahieren.  Man 
muss  sich  jedoch  bei  dem  Arbeiten  im  engen  Kanal  stets  gegenwärtig 


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Fcldärztliche  Beilage  zur  Münch,  rned.  Wochenschrift. 


Nr.  52. 


halten,  dass  die  Verletzung  eines  grösseren  Gefässes  in  der  Tiefe  zu 
seiner  Unterbindung  zwingen  kann,  und  dass  daher  alles  auch  zu  einer 
eventuellen  übersichtlichen  Freilegung  vorbereitet  sein  muss.  Ich 
habe  mich  immer,  soweit  es  möglich  war,  vorsichtig  stumpf  prä¬ 
parierend  in  die  Tiefe  gearbeitet. 

Das  Verfahren  eignet  sich  nahezu  für  alle  Körperregionen,  ausser 
für  das  Abdomen,  soweit  die  Gefahr  des  Anstechens  vom  Magen¬ 
darmkanal  in  Frage  kommt.  Auch  bei  der  Entfernung  störender  Ge¬ 
schosse  aus  der  Lunge  oder  dem  Schädelinnern  ist  die  Anwendung 
der  Nadelmethode  denkbar. 

Der  allgemeineren  Anwendung  des  Verfahrens  steht  im  Wege, 
dass  sie  eine  Einrichtung  zur  Anfertigung  stereoskopischer  Auf¬ 
nahmen  und  Vertrautsein  mit  dieser  Technik  zur  Voraussetzung  hat. 
Da  jedoch  in  jedem  grösseren  chirurgischen  Betriebe  auch  bei  stren¬ 
ger  Indikationsstellung  die  Geschossentfernung  heute  einen  relativ 
grossen  Raum  einnimmt,  so  lohnt  sich  wohl  die  Anschaffung  des  In¬ 
strumentariums. 

ln  erster  Linie  bedarf  man  einer  stereoskopischen  Kassette,  etwa 
die  von  Hildcbrand  konstruierte,  jedoch  mit  2  einzelnen  Platten. 
Bei  Aufnahme  des  Thorax  oder  unruhiger  Patienten  sind  zuweilen 
•Schnellexpositionen  nötig.  Verstärkungsschirme  —  für  jede  Seite 
der  Kassette  einen  solchen  —  sind  in  derartigen  Fällen  nicht  zu  ent¬ 
behren.  Man  achte  auf  gute  Fixation  des  Aufnahmeobjektes  durch 
Kompressionsvorrichtungen,  Sandsäcke  oder  dergl.  Von  der  Röhren¬ 
verschiebung  von  6 — 7  cm  zwischen  den  beiden  Aufnahmen  abzu¬ 
weichen,  wie  es  die  Tabelle  von  Marie  und  R  i  b  a  u  t  fordert,  hatte 
ich  nie  Grund. 

Um  die  stereoskopische  Betrachtung  der  Aufnahmen  zu  er¬ 
reichen,  kann  man  entweder  die  Bilder  verkleinern  und  im  gewöhn¬ 
lichen  Stereoskop  für  Photographen  ansehen  oder  die  Originalplatten 
in  geeigneten  grossen  Stereoskopen  betrachten.  Für  unsere  Zwecke 
kommt  nur  die  letztere  Möglichkeit  in  Frage,  da  wir  das  Geschoss  in 
derselben  Lokalanästhesie  extrahieren  wollen,  welche  zur  Ein- 
spiessung  der  Nadeln  ausgeführt  war.  Die  Platten  werden  daher  bei 
ihrer  Einführung  in  das  Stereoskop  meist  noch  nass  sein.  Weder 
dieser  Umstand  noch  Tropfenbildung  auf  den  Platten  wirkt  jedoch 
störend. 

Den  vollkommensten  stereoskopischen  Eindruck  gewähren  die 
von  Walter  konstruierten  Spiegel-,  Prismen-  und  Linsenstereo¬ 
skope  Q.  Ihre  Anschaffung  ist  jedoch  etwas  kostspielig.  Das  im 
Preise  bedeutend  niedrigere  von  Bartholdy2)  reicht  nach 
Albers-Schönberg  für  die  Praxis  völlig  aus. 

Wir  benützen  ein  recht  einfaches,  nach  Angaben  von  Herrn 
Dr.  G  ö  c  k  e,  Assistenten  der  Klinik,  von  hiesigen  Handwerkern  an¬ 
gefertigtes  Spiegelstereoskop,  das  ausgezeichnet  plastisches  Sehen 
ermöglicht.  Es  besteht  erstens  aus  einem  Spiegelprisma  mit  2  recht- 
winklich  aneinander  stossenden  Spiegelflächen  Si  und  Sa  (vgl.  Abb.) 
von  je  20  cm  im  Quadrat,  dessen  Kante  beim  Beschauen  zwischen  beide 
Augen  in  die  Medianlinie  des  Gesichtes  gebracht  wird.  Ferner  aus 
2  zur  Rechten  und  zur  Linken  des  Beschauers  in  etwa  50  cm  Ab¬ 
stand  vom  Spiegel  befindlichen  Schaukästen  A  und  B  (s.  Fig.)  (mit 

je  vier  elektrischen 
Lampen  und  Milch¬ 
glasscheibe)  mit  den 
Röntgenplatten.  Das 
Spiegelprisma  muss 
B  in  der  Richtung  C  D 
verschieblich  sein. 
Ferner  muss  es  mög¬ 
lich  sein,  einen  der 
Schaukästen  oder 
einfacher  die  Platte 
allein  zu  heben  und 
zu  senken,  sowie 
parallel  zur  Richtung 

C  D  zu  verschieben,  um  die  beiden  stereoskopischen  Bilder 
exakt^  zur  Deckung  zu  bringen.  Das  ist  für  normale  Augen  nur  dann 
der  Fall,  wenn  beide  Platten  genau  symmetrisch  zum  Spiegelprisma 
orientiert  sind.  Bei  Verschiedenheiten  beider  Augen  muss  man  durch 
Verschieben  von  Spiegel  oder  Platte  die  günstigste  Stellung  aus¬ 
probieren  3). 

Die  oben  geschilderte  Methode,  die  ich  als  Nadelkissen¬ 
methode  bezeichnen  möchte,  ist  in  einer  ganzen  Reihe  von 
Fällen  in  unserer  Klinik  praktisch  erprobt.  Sie  hat  stets  direkt 
ohne  Suchen  auf  den  Fremdkörper  geführt,  wie  das  ja  der 
Natur  des  Verfahrens  nach  selbstverständlich  ist. 


H  Zu  beziehen  von  Ad  K  r  ü  s  s,  Hamburg. 

2)  Zu  beziehen  von  A.  Horn,  Wiesbaden,  Schwalbacherstr.  73 
(Preis  20 — 30  M.,  je  nach  Ausführung). 

3)  Spiegelprisma  und  Schaukästen,  bzw.  die  Platten  mit  den 
Rahmen  allein  sind  auf  einer  VA  m  langen  Schiene  verschieblich  an¬ 
gebracht,  so  dass  man  auch  die  gewöhnlich  /4-m-Entfernung  von 
Platte  zu  Spiegel  gelegentlich  ändern  kann.  Vielleicht  genügen  diese 
Angaben  diesem  oder  jenem  Leser,  sich  ein  derartiges  Stereoskop 
bauen  zu  lassen. 


Erfahrungen  am  österreichisch-russischen 
_  Kriegsschauplatz. 

Von  k.  k.  österr.  Oberarzt  Dr.  Philipp  E  r  1  a  c  h  e  r, 
Bataillonschefarzt  eines  Landwehr-Infanterieregiments. 

Es  war  eine  einstimmige  und  unbeschreibliche  Begeisterung,  als 
wir  3  Wochen  nach  der  allgemeinen  Mobilisierung  endlich  auf  den 
nördlichen  Kriegsschauplatz  abtransportiert  wurden.  Der  Ernst  der 
Lage  Iiess  aber  nicht  lange  auf  sich  warten;  gleich  die  ersten  Tage 
brachten  Gewaltmärsche  und  wenn  wir  spät  in  der  Nacht  unsere 
Kantonierung  oder  Lager  bezogen,  waren  wir  gewöhnlich  zu  müde, 
um  noch  zu  menagieren  und  um  2 — 3  Uhr  früh  gings  wieder  weiter. 
Endlich  am  5.  Tage  kündeten  auftauchende  Flieger  und  ferner 
Kanonendonner  die  Nähe  des  Feindes  an  und  der  nächste  Tag  brachte 
auch  unsere  Truppen  ins  Gefecht.  Sie  hatten  über  das  freie  Feld 
gegen  einen  gut  eingegrabenen  Gegner  unter  verheerendem  Feuer  der 
gut  eingeschossenen  feindlichen  Artillerie  vorzurücken.  Es  gab  daher 
auch  für  uns  bald  sehr  viel  zu  tun  und  es  zeigte  sich,  dass  die  Wahl 
des  Oites  für  den  ersten  Hilfsplatz  durchaus  nicht  überall  leicht 
und  einheitlich  zu  treffen  war.  Wenn  wir  unseren  Hilfsplatz,  wie 
es  im  Interesse  der  raschen  Versorgung  der  Verwundeten  liegt,  knapp 
hinter  der  im  Gefechte  stehenden  Truppe  errichteten,  waren  wir 
natürlich  immer  im  Bereiche  des  feindlichen  Artilleriefeuers;  ja 
meist  befanden  sich  hinter  und  neben  uns  unsere  eigenen  Artillerie¬ 
stellungen,  die  natürlich  das  feindliche  Feuer  auf  sich  und  damit 
auch  auf  uns  zogen.  So  hatte  sich  mehrmals  die  Notwendigkeit 
ergeben,  den  Hilfsplatz  wegen  des  feindlichen  Artillerie-  und  In¬ 
fanteriefeuers  zu  verschieben,  wollten  wir  nicht  unsere  bereits  ver¬ 
sorgten  Verwundeten  doch  noch  verlieren.  Unter  solchen  Umständen 
muss  sich  daher  die  ärztliche  Tätigkeit  am  ersten  Hilfsplatze  daraui 
beschränken,  die  notwendigen  Deckverbände  zu  machen,  und  infolge 
des  oft  ausserordentlich  grossen  Andranges  war  die  Versorgung  von 
schweren  Schussfrakturen  untunlich,  weil  zu  zeitraubend.  Anders  ist 
es  allerdings,  wenn  unsere  Schwarmlinien  wie  z.  B.  südlich  von 
Przemysl  wochenlang  dem  Feinde  gegenüber  eingegraben  liegen;  da 
werden  die  Verluste  geringer  und  für  jeden  einzelnen  bleibt  hin¬ 
reichend  Zeit,  ihn  den  Umständen  entsprechend  zu  versorgen.  War 
die  Divisionssanitätsanstalt  in  erreichbarer  Nähe,  so  wurden  derartige 
Verwundete  auf  der  Bahre  belassen  und  direkt  dorthin  abtranspor¬ 
tiert.  Dort  konnte  dann  in  relativer  Ruhe  der  notwendige  Verband  mit 
Holzschienen  und  Stärkebinden  angelegt  werden.  Mussten  aber  die 
Verwundeten  vom  Hilfsplatze  erst  mit  Wagen  zur  Divisionssanitäts- 
ansralt  abgeschoben  werden,  so  schritten  wir  mehrere  Male  zum 
Auskunftsmittel,  unseren  Hilfsplatz  zu  teilen  und  unmittelbar  im 
Feuerbereich  nur  die  leichter  Verwundeten  zu  versorgen,  während 
weiter  rückwärts  hinter  den  Artilleriestellungen  von  einer  zweiten 
Gruppe  hauptsächlich  die  Schussfrakturen  mit  entsprechenden  Schie¬ 
nenverbänden  versehen  wurden,  nachdem  natürlich  schon  vorne  cne 
Blutstillung  besorgt  worden  war.  Auch  hier  konnten  die  Verwundeten 
im  grossen  und  ganzen  nur  für  den  Transport  in  die  rückwärtigen 
Anstalten  geeignet  gemacht  werden.  Nur  die  Schussfrakturen  der 
Hand  und  des  Armes  können  endgültig  versorgt  werden,  während 
die  Daue  r  Versorgung  der  Schussfrakturen  des  Ober-  und  Unter¬ 
schenkels  sowie  des  Oberarms  den  weiter  rückwärts  gelegenen 
mobilen  und  stabilen  Anstalten  Vorbehalten  bleiben  muss.  Dorthin 
gehörten  auch  in  erster  Linie  die  Orthopäden  und  Chlrurge  h, 
die  bei  uns  leider  in  den  meisten  Fällen  direkt  hinter  der  Front  am 
ersten  Hilfsplatz  wirkten,  wo  sie  weder  Zeit  noch  Mittel  haben,  ihre 
Friedenserfahrungen  zu  verwerten.  Ich  habe  eine  ganze  Reihe  von 
Fachkollegen,  darunter  alte,  erfahrene  Herren,  langjährige  Leiter 
chirurgischer  Abteilungen  als  Frontärzte  tätig  gesehen,  während 
bei  den  Anstalten  junge,  eben  erst  promovierte  Assistenz¬ 
ärzte  und  Stellvertreter  eingeteilt  sind.  An  dieser  unzweckmässigen 
Einteilung  waren  aber  nicht  zuletzt  die  Aerzte  selbst  schuld,  weil 
sie  in  der  Friedenszeit  sich  niemals  um  ihre  Kriegseinteilung  ge¬ 
kümmert  und  es  für  genügend  erachtet  haben,  wenn  sie  ihre  chirur¬ 
gische  oder  orthopädische  Ausbildung  alljährlich  bei  ihrer  Meldung 
hei  vorhoben. 

Unsere  Erfahrungen  an  mehr  als  tausend  Verwundeten  haben 
nun  gezeigt,  dass  in  den  letzten  Kämpfen  die  Verletzungen  ungleich 
schwerer  waren  als  in  den  ersten  Gefechten.  Wohl  spielt  dabei  die 
Kampfesweise  eine  besondere  Rolle.  Unsere  Soldaten  waren  in  den 
ersten  Gefechten  meist  genötigt,  den 'gut  eingegrabenen  Gegner  anzu¬ 
greifen  und  waren  so  dem  feindlichen  Artillerie-,  sowie  Maschinen¬ 
gewehr-  und  Infanteriefeuer  stark  ausgesetzt.  Die  Artillerievcr- 
letzungen  sind  nun  ihrem  Charakter  nach  immer  gleich  geblieben 
und  meist  schwerer  Natur;  hingegen  hatten  wir  anfangs  von  In¬ 
fanterieverletzungen  ausserordentlich  viele  glatte  Durchschüsse  ge¬ 
sehen,  mit  kleinen  Schusskanälen  und  glatten  Knochenschüssen  ohne 
schwerere  Zersplitzerungen;  nur  waren  die  breiten  Ausschuss¬ 
öffnungen  infolge  Querschläger  ziemlich  häufig.  Diese  Art  der  Ver¬ 
letzungen  waren  durch  die  russischen  Spitzgeschosse  gegeben,  die 
bei  der  grossen  Anfangsgeschwindigkeit  sich  durch  Weichteile  und 
Knochen  glatt  durchbohrten,  sich  aber  leicht  überschlagen,  da  ihr 
Schwerpunkt  im  hinteren  Drittel  liegt. 

Später  wurden  diese  Querschläger,  die  starken  Knochenzer¬ 
trümmerungen  auch  durch  Infanteriegeschosse  häufiger,  dabei  wurden 
jetzt  in  den  russischen  Schützengräben  und  in  den  von  dem  Feinde 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


2453 


29.  Dezember  1914. 


verlassenen  Stellungen  nicht  mehr  Spitzgeschosse  gefunden,  sondern 
Zylindergeschosse  mit  abgerundeter  =  ogivalcr  Spitze,  ähnlich  den 
unserigen.  Auch  im  Gewicht  und  in  der  Länge  war  ein  auffallender 
Unterschied  zwischen  dein  früheren  S-  und  späteren  O-Geschoss 
festzustellen  (vergl.  Fig.).  Das  S-üesclioss  wiegt  10  g,  das  O-Ge¬ 
schoss  14  g.  Die  Länge  des  S-Geschosses  beträgt  2,8  cm,  das 
O-Geschoss  misst  3,0  cm.  Dagegen  ist  die  Dicke  des  Nickelmantels 
dieselbe  geblieben  (2  mm).  Ich  konnte  also  die  Beobachtungen 
Klars  vom  westlichen  Kriegsschauplatz  bestätigen,  dass  Form, 
Grösse  und  Gewicht  eines  Geschosses  einen  ausschlaggebenden  Ein- 
fluss  auf  die  Art  der  Wirkung  ausüben.  Ob  auch  das  schwarz  ge¬ 
färbte  Blättchenpulver,  mit  dem  die  Spitzkugelpatrone  geladen  ist, 
sich  in  seiner  Wirkung  wesentlich  von  der  der  braunen  Blättchen 
in  der  O-Kugtlpatrone  unterscheidet,  konnte  ich  nicht  feststellen. 

Leider  fehlen  mir  auch  Erfahrungen  sowohl 
✓*v  über  das  spätere  Schicksal  unserer  Verwun- 
yx\  deten,  ob  auch  im  Heilungsverlauf  Unter- 

/  \  schiede  zu  bemerken  sind,  als  auch  darüber, 

i  ob  die  Wirkung  unseres  Infanteriegeschosses 
der  des  russischen  überlegen  ist  (unser  Ge¬ 
schoss  ist  grösser  'und  schwerer),  da  die  Zahl 
der  russischen  Verwundeten,  die  ich  zu  ver¬ 
binden  Gelegenheit  hatte,  eine  relativ  geringe 
ist.  Aber  noch  ein  anderer  Umstand  ist  mit- 

J _ U  bestimmend  dafür,  dass  in  der  letzten  Zeit  die 

Infanterieverletzungen  bei  uns  schwererer 
s  Geschoss  o  Gescho;  s  Natur  sind  als  früher.  Die  Russen  haben 
io  g  Tch wer  14  gTchwer  unseren  allerdings  bekannt  guten  „Schützen“ 
(nach  Angabe  Gefangener)  ihre  Kiewer  Armee- 
schiessschule  gegenüber  gestellt.  Jedenfalls  hatten  die  Russen  in  den 
ersten  Gefechten  meist  auf  grosse  Distanz  und  viel  zu  hoch  ge¬ 
schossen,  während  nun,  wo  sich  die  Gegner  eingegraben  gegenüber¬ 
lagen,  auf  jedem  der  sich  bei  Tageslicht  ausserhalb  der  Deckungen 
zeigte,  Ziel  feuer  abgegeben  wurde. 

Leider  hatten  wir  auch  Verluste  an  Infektionskrankheiten,  wie 
Ruhr  und  Cholera,  zu  beklagen,  aber  nur  so  lange,  als  wir  in  den 
vom  Feinde  verlassenen,  verseuchten  Gegenden  und  Schützengräben 
zu  längerem  Aufenthalte  gezwungen  waren.  Nachdem  die  Mann¬ 
schaft  geschworen  hatte,  kein  rohes  Obst,  Butter,  Kohl  u.  dgl.  zu 
essen  und  nur  gekochtes  Wasser  zum  Waschen  und  Trinken  zu  ver¬ 
wenden,  und  nach  durchgeführter  Schutzimpfung  gegen  Cholera, 
konnten  beide  Epidemien  bald  nach  ihrem  explosionsartigem  Auf¬ 
treten  wieder  eingedämmt  werden. 

Noch  eine  andere  Beobachtung  haben  wir  hauptsächlich  in  den 
letzten  Wochen  seit  Beginn  der  kalten  Jahreszeit  gemacht,  d.  i.  das 
Auftreten  lokaler  Oedeme,  hauptsächlich  an  den  Beinen,  ohne  internen 
Befund.  Diese  Schwellungen  reichen  in  ihrer  grössten  Ausdehnung 
vom  Mittelfuss  bis  zur  Hüfte,  meist  aber  nur  vom  Sprunggelenk  bis 
zum  Knie,  oft  sind  sie  nur  aufs  Sprunggelenk  beschränkt;  in  ein¬ 
zelnen  Fällen  sind  auch  die  Hände  ödematös.  Diese  Oedeme  sind 
an  sich  nicht  schmerzhaft,  auch  nicht  juckend,  behindern  aber  die 
Beweglichkeit  in  den  Gelenken  und  führen  so  eine  rasche  Ermüdung 
des  Mannes  herbei;  sie  klingen  erst  nach  mehrtägiger  Ruhe  ab, 
ohne  weitere  Folgen  zu  hinterlasssen.  Von  einer  Erfrierung  ist  dabei 
natürlich  keine  Rede,  die  äussere  Haut  sieht  vollkommen  normal  aus, 
ist  weder  gerötet  noch  glänzend.  In  den  Gelenken  selbst  konnte 
i  ich  keinen  Erguss  feststellen.  Die  ganze  Erscheinung  dürfte  wohl  als 
die  Folge  der  unter  der  Kälteeinwirkung  verlangsamten  Blutzirku¬ 
lation  aufzufassen  sein,  die  als  Stauungsödem  in  den  Beinen  und  an 
den  herabhängenden  Händen  zum  Ausdruck  kommt. 


Vorschlag  zur  Verhütung  der  Tetanusgefahr  durch 
intensive  Luftbeströmung. 

Von  Dr.  August  H  e  i  s  1  e  r  -  Königsfeld  (Baden),  Feld¬ 
lazarett  12.  Kgl.  bayer.  I.  Armeekorps. 

Die  Häufung  der  Fälle  von  Tetanus  im  jetzigen  Kriege 
und  die  so  schlechte  Prognose  nach  Ausbruch  der  so  furcht¬ 
baren  Erkrankung  zwingt  uns,  gerade  der  Prophylaxe  unser 
besonderes  Augenmerk  zu  schenken.  Die  prophylaktische 
Schutzimpfung  mit  Tetanusserum  in  idealer  Weise  durch¬ 
zuführen  ist  bei  der  Unzahl  der  Verwundungen  vollkommen 
ausgeschlossen.  Anderseits  haben  wir  aber  noch  nicht  ge¬ 
nügend  Erfahrungen  gesammelt,  um  mit  einiger  Sicherheit  eine 
Auswahl  treffen  zu  können,  welche  Verwundungen  der  Ein¬ 
spritzung  am  dringendsten  bedürfen.  —  Wie  ich  höre,  sollen 
in  Lothringen  ganz  kleine,  harmlos  aussehende  Finger-  und 
Zehenverletzungen  zu  den  allerschwersten  tetanischen  Krank¬ 
heitsbildern  geführt  haben,  während  andererseits  oft  grosse 
!  Granatverletzungen  ohne  jede  Nacherkrankung  heilten. 

Auch  die  sachgemässe  Wundbehandlung  ohne  jede  Naht 
unter  breitem  Offenhalten  aller  Buchten  und  Winkel  und  dem 
j  Abtragen  nekrotischen  und  zerfetzten  Gewebes  hat  bis  jetzt 
;  nicht  das  geleistet  in  bezug  auf  Hintanhaltung  des  Wundstarr¬ 


krampfes,  was  wir  im  Interesse  unserer  armen  Verwundeten 
wünschen  müssen. 

Eine  ziemlich  grosse  Erfahrung  in  der  Behandlung  offener 
Wunden  in  den  letzten  zwei  Jahren  mit  strömender  Luft  und 
die  dabei  erzielten,  beglückenden  Erfolge  lassen  mich  heute 
einen  Vorschlag  machen,  den  ich  bitten  möchte,  in  ausge¬ 
dehnter  Weise  gerade  draussen  im  Felde  nachzuprüfen. 

Die  Behandlung  grosser  offener  Wundflächen  mit  heisscr 
Luft  zur  Austrocknung  der  Wundfläche  und  zur  Anregung  der 
Granulationen  ist  seit  Bergeats  Vorschlag  von  vielen 
Seiten  mit  glänzendem  Erfolg  angewendet  worden.  Ich  glaube 
nun  aber,  dass  es  für  diese  erprobte  Behandlungsmethode 
keine  dankbareren  Wunden  geben  kann,  als  eben  Granat-  und 
Schrapnellverletzungen,  die  meist  zu  ausgedehnten  üewebs- 
zerreissungen  mit  nachfolgender  starker  Sekretion  führen. 
Diese  Sekretion  wird  nun  unter  der  Heissluftbehandlung  — 
d.  h.  kalte  strömende  Luft  hat  den  gleichen  Erfolg,  wie  kurz 
nach  Bergeats  Arbeit  schon  nachgewiesen  wurde  —  sehr 
viel  geringer.  Nach  dem  Abtrocknen  der  Wundfläche  unter 
dem  Luftstrom  tritt  Serum  in  kleinen  Perlen  an  die  Oberfläche 
und  legt  sich  —  zuerst  kleine  Inseln  bildend  —  wie  eine  dünne 
Haut  über  die  ganze  Wundfläche.  Jedenfalls  ist  nach  meinen 
Erfahrungen  die  Luftbehandlung  der  Behandlung  mit  Spü¬ 
lungen  weit  überlegen. 

In  bezug  auf  die  Behandlung  des  Tetanus  verspreche  ich 
mir  nun  von  einer  intensiven  Luftbeströmung  als  prophylak¬ 
tischer  Massnahme  einen  doppelten  Nutzen  —  sei  es  nun,  dass 
man  die  heisse  Luft  mittels  eines  besonderen  Apparates 
(Heissluftdusche)  oder  kalte  Luft  mittels  eines  Ventilators, 
einer  Auto-  bzw.  Fahrradpumpe  oder  eines  Blasbalges  zu¬ 
führt.  (Die  Beströmung  mit  kalter  Luft  verursacht  leichte 
Schmerzen.)  Die  vermehrte  Sauerstoffzufuhr,  die  bei  inten¬ 
siver  Luftzufuhr  von  allen  Seiten  auch  in  die  Buchten  und 
Nischen  zerfetzten  Gewebes  eindringt  —  ein  sehr  wesentlicher 
Faktor  —  hemmt  die  Entwicklung  der  nur  anaerob  wach¬ 
senden  Tetanuserreger. 


Typhusschutzimpfung.  Tetanusbehandlung. 

Von  Hofrat  Dr.  Kellermann,  zurzeit  Stabsarzt  am  There- 
sienkrankenhause  Bad  Kissingen. 

In  die  Isolierabteilung  des  Theresienkrankenhauses  in  Bad  Kis¬ 
singen  wurden  in  den  letzten  Wochen  ausser  schweren  Typhusfällen 
auch  Mannschaften  eingeliefert,  bei  denen  die  üru'ber-Widal- 
sche  Reaktion  stark  positiv  ausgefallen  war  nach  mehr  oder  weniger 
erhöhter  Körpertemperatur  und  einem  unklaren  Krankheitsbilde. 

Es  war  auffallend,  dass  diese  Mannschaften  nach  ihrer  Ein¬ 
lieferung  durchaus  jedes  klinische  Typhusbild  vermissen  Hessen,  dass 
die  Körpertemperatur  entweder  sofort  oder  sehr  bald  wieder  normal 
wurde,  und  dass  aus  ihrem  Stuhle  sich  wiederholt  keine  Typhus¬ 
bazillen  züchten  Hessen. 

Da  ich  nun  seit  etwa  4  Wochen  die  wieder  ins  Feld  bestimmten 
Mannschaften  gegen  Typhus  zu  impfen  hatte,  und  alle  diese  in  Frage 
kommenden  Mannschaften  von  mir  1 — 3  mal  mit  dem  Typhusschutz¬ 
impfstoff  versehen  waren,  lag  es  nahe  anzunehmen,  dass  die  nach¬ 
gewiesene  Fähigkeit  des  Blutes,  Typhusbazillen  zu  agglutinieren, 
durch  den  Typhusschutzimpfstoff  bewirkt  worden  sei.  Eine  wirk¬ 
liche  Typhuserkrankung,  die  durch  die  Impfung  sehr  rasch  und  milde 
verlaufen  sei,  konnte  ich  nicht  annehmen  beim  Fehlen  aller  klinischen 
Symptome  und  der  Unmöglichkeit,  aus  den  Stühlen  Typhusbazillen 
zu  züchten. 

Herr  Prof.  Dr.  Lehmann,  Vorstand  der  bakteriologischen 
Untersuchungsstation  in  Wiirzburg,  wo  alle  unsere  Untersuchungen 
ausgeführt  werden,  erklärte  sich  bereit,  auch  die  hier  nötigen  Unter¬ 
suchungen  vorzunehmen. 

So  entnahm  ich  3  Mann,  die  ich  am  9.  November  mit  Va  und 
am  17.  und  25.  November  mit  je  1  ccm  Schutzstoff  unterhalb  der 
linken  Klavikula  geimpft  hatte,  die  völlig  fieberfrei  waren,  sich  nur 
wegen  Schusswunden  hier  befanden  und  die  sämtlich  angaben,  in 
ihrem  Leben  noch  nie  eine  schwere  Krankheit,  besonders  keinen 
Typhus,  gehabt  zu  haben,  je  5  ccm  venösen  Blutes  und  sandte  es 
an  die  bakteriologische  Untersuchungsanstalt  Würzburg.  Das  Re¬ 
sultat  war  für  alle  drei  dasselbe,  nämlich  starke  positive  Gruber- 
W  i  d  a  1  sehe  Reaktion  noch  bei  einer  Verdünnung  von  1 :  200. 

Demnach  steht  fest,  dass  die  nachgewiesene  Agglutination  bei 
vorher  schutzgeimpften  Personen  einen  Beweis  für  Typhuserkran¬ 
kung  nicht  erbringen  kann.  Wie  lange  die  Agglutination  anhält,  also 
wie  lange  wahrscheinlich  eine  Immunität  gegen  Typhus  besteht, 
werde  ich  bei  einigen  mitgeimpften  Krankenschwestern  nachzuweisen 
versuchen. 


2454 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Von  der  Tatsache  ausgehend,  dass  der  Tetanusbazillus  nur  unter 
Luftabschluss  gedeiht,  habe  ich  bei  einem  Tetanusfalle  am  13.,  14.,  15. 
und  16  Oktober  d.  J.  nach  anscheinend  vergeblicher  intravenöser 
und  subkutaner  Einbringung  von  grossen  Mengen  Antitoxin  nur  noch 
das  in  den  Apotheken  erhältliche  3  proz.  Wasserstoffsuperoxyd  an¬ 
gewandt.  Von  diesem  wurden  täglich  10  ccm  in  den  teilweise  zu¬ 
geheilten  oder  verklebten  Schusskanal  genau  in  der  Schussrichtung 
eingespritzt.  Die  Wirkung  war  anscheinend  eine  vorzügliche.  Der 
Fall  kam  rasch  zur  Genesung.  Da  die  Einspritzungen  mit  Wasser¬ 
stoffsuperoxyd  sehr  schmerzten,  wurde  eine  Viertelstunde  vorher 
eine  Morphiuminjektion  gegeben. 

Eine  Nachprüfung  war  mir  beim  Fehlen  weiterer  Fälle  un¬ 
möglich. 


Oleum  Rusci  zur  Behandlung  infizierter  Weichteilwunden. 

Von  Dr.  med.  Hans  L.  Heusner  in  Giessen. 

ln  der  Fcldärztlichen  Beilage  Nr.  17  empfiehlt  Oberst1)  den 
Perubalsam  zur  Behandlung  infektionsverdächtiger  Wunden.  Bei 
Quetschwunden  aller  Art,  besonders  bei  abgequetschten  Finger¬ 
gliedern,  hat  auch  mein  Vater,  Prof.  Heusner  - Barmen,  seinerzeit 
den  Perubalsam  bereits  mit  gutem  Erfolg  dauernd  angewandt.  Vor 
dem  Schluss  der  entsprechend  vorbereiteten  Wunden  wurden  alle 
Höhlungen  ausgiebig  mit  Perubalsam  ausgegossen.  Stets  erfolgte 
glatte  Heilung.  Perubalsam  hat  aber  den  Nachteil  des  sehr  hohen 
Preises  (10  g  —  60  Pf.).  Ich  glaube  nun  in  dem  Oleum  Rusci  einen 
sehr  brauchbaren  und  ganz  wesentlich  billigeren  Ersatz  gefunden 
zu  haben  (10  g  =  5  Pf.).  Bei  meinen  Versuchen,  geeignete  Stoffe 
zum  Bedecken  von  Unterschenkelgeschwüren  zu  finden,  welche 
gleichzeitig  desinfizieren  und  nach  aussen  die  Wunde  dicht  ab- 
schliessen,  kam  ich  auch  auf  die  verschiedenen  Teerarten.  Man  kann 
schon  eine  Wunde  einfach  mit  noch  leicht  flüssigem  Asphalt  iiber- 
streichen,  der  Erfolg  zeigt,  dass  wir  im  Notfall  damit  einen  guten 
Ersatz  für  einen  abschliessenden  Verband  herstellen  können.  Auf 
diese  Verwendungsmöglichkeit  des  Asphalts  ist  ja  früher  bereits 
von  anderer  Seite  hingewiesen  worden.  Ich  machte  davon  ausgehend 
Versuche  mit  Teerölen.  Dieselben  sind  nicht  alle  in  gleichem  Masse 
brauchbar,  da  manche  stark  reizen.  Am  zweckmässigsten  erwies 
sich  mir  das  Oleum  Rusci  unverdünnt.  Unterschenkelwunden  werden 
nach  etwaiger  oberflächlicher  Reinigung  durch  Abspülen  mit  Wasser¬ 
stoffsuperoxyd  mit  einer  dicken  Schicht  von  Oleum  Rusci  über¬ 
zogen.  Die  Sekretion  hörte  bald  auf  und  die  Flächen  zeigten  sich 
beim  Verbandwechsel  mit  guten  Granulationen  bedeckt.  Oberfläch¬ 
liche  Ulzera  heilten  oft  mit  ein  oder  zwei  Verbänden. 

Irgendwelche  Nachteile,  ausser  ganz  leichter  Reizung,  bei  emp¬ 
findlicheren  Patienten,  Klagen  über  schnell  vorübergehendes  leichtes 
Brennen,  habe  ich  bisher  nicht  beobachtet.  Meine  Versuche  sind 
noch  nicht  abgeschlossen  und  ich  hoffe  über  die  hier  angedeutete 
Methode  meiner  Behandlung  der  Unterschenkelgeschwüre  gelegent¬ 
lich  eingehender  berichten  zu  können.  Möglicherweise  ist  das  Oleum 
Rusci  aber  auch  im  Felde  ein  zuweilen  brauchbarer  Ersatz  für  den 
Perubalsam.  Versuche  an  der  einen  oder  anderen  Stelle  geben 
vielleicht  Gelegenheit  zur  Nachprüfung  meiner  Beobachtungen. 


Schneeblindheit. 

Von  Marineoberstabsarzt  Dr.  Gross,  S.  M.  S.  „Ostfriesland“. 

Anschliessend  an  den  Aufsatz  von  Schanz  in  Nr.  13  der  Feld¬ 
ärztlichen  Beilage  (M.in.W.  Nr.  44)  möchte  ich  in  folgendem  kurz 
das  K  r  an  kheitsbild  der  Schneeblindheit  besprechen. 

Die  Schneeblindheit  kommt  in  erster  Linie  im  Hochgebirge  zum 
Ausbruch,  wenn  die  Schneeflächen  im  blendenden  Sonnenlicht  liegen, 
ott  besteht  dann  eine  Miterkrankung  der  Gesichtshaut  in  Form  von 
Rötung  und  Entzündung  (Erythema  solare)  die  sich  bis  zur  Blasen- 
bildung  steigern  kann  und  dann  als  „Gletscherbrand4*  bezeichnet  wird. 
Ferner  ist  Schneeblindheit  häufig  in  arktischen  Gögenden,  gar  nicht 
selten  aber  auch  in  der  Tiefebene,  wenn  die  Schneeblendung  un¬ 
gewöhnlich  lange  andauert.  Nach  zeitgenössischen  Schilderungen 
litten  1812  fast  alle  Heimkehrenden  der  grossen  Armee  an  roten, 
entzündeten  Augen  und  viele  konnten  kaum  sehen.  Man  geht  wohl 
nicht  fehl  in  der  Annahme,  dass  Schneeblendung  hier  mitwirkte. 

Das  Charakteristische  der  Schneeblindheit  ist  eine  Entzündung 
des  äusseren  Auges,  die  sich,  beginnend  mit  leichten  Reizzuständen, 
so  steigern  kann,  dass  die  Leute  einen  schwerkranken  Eindruck 
machen  und  völlig  hilflos  sind.  Neben  Rötung  und  Schwellung  der 
Lidhaut  entwickelt  sich  eine  Bindehautentzündung  (oft  an  der  Con- 
junctiva  bulbi  im  Lidspaltenbezirk  beginnend)  mit  Rötung,  Schwellung 
und  schleimiger  Absonderung  im  Höhestadium.  Die  Lider  werden 
krampfhaft  geschlossen  gehalten,  gleichzeitig  besteht  hochgradiger 
Iränenfluss.  Die  Kranken  haben  das  Gefühl,  als  ob  zahllose  scharf¬ 
kantige  Fremdkörper  zwischen  Auge  und  Lidern  hin-  und  herrollten 
Oefter  entwickelt  sich  Chemosis,  die  auf  die  Skleralbindehaut  über- 


'l,9berst:  Zur  Technik  des  ersten  Wundverbandes  im  Felde 
M.m.W.  1914  Nr.  48  S.  2320. 


Nr.  52. 

greifen  kann.  Die  Pupillen  können  verengt  sein  und  träge  oder  gar 
nicht  reagieren,  es  besteht  hochgradigste  Lichtscheu,  auch  Ziliar- 
injektion  mit  Irisreizung  und  Druckempfindlichkeit  des  Corpus  ciliare 
können  vorhanden  sein.  Von  den  leichtesten,  kaum  beachteten  Binde¬ 
hautreizungen  bis  zum  ausgesprochenen  Krankheitsbild  kommen  alle 
Uebcrgänge  vor. 

Die  Erscheinungen  der  Schneeblindheit  decken  sich  im  wesent¬ 
lichen  mit  denen  der  elektrischen  Augenentzündung,  jedoch  sind  Horn¬ 
haut,  Linse  und  tiefere  Augenteile  kaum  jemals  mitbeteiligt. 

Bei  Fortfall  der  schädigenden  Ursache  gehen  sämtliche  Krank¬ 
heitserscheinungen  gewöhnlich  schon  in  kurzer  Zeit  zurück,  nach 
längstens  2  Wochen  ist  keine  Spur  mehr  von  ihnen  vorhanden 

Verhüten  lässt  sich  die  Krankheit  leicht  durch  Schneebrillen;  die 
im  Aufsatz  von  Schanz  beschriebenen  Euphosbrillen  sind  nach 
meiner  Erfahrung  sehr  geeignet.  Die  Gesichtshaut  wird  durch  eine 
indifferente  Salbe  genügend  geschützt. 

Die  Behandlung  der  schwereren  Fälle  besteht  in  Lichtabschluss 
durch  Dunkelbrille  oder  Dunkelraum,  kühlende  Umschläge  und  Ko¬ 
kaineinträufelungen,  bei  sehr  heftigen  Schmerzen  ist  wohl  auch  ein¬ 
mal  Morphium  angebracht.-  Die  leichten  Fälle  gehen  unter  einer 
Schneebrille  von  selbst  zurück.  Die  durch  schmerzhafte  Spannung 
Jucken  und  Brennen  sehr  lästigen  Gesichtshautentzündungen  werden 
wie  Verbrennungen  behandelt. 


Eine  Musterung  französischer  Heerespflichtiger  durch 
einen  bayerischen  Regimentsarzt. 

Am  5.  September  1914  erhielt  ich  in  Flers  von  meinem  Regi¬ 
mentskommandeur  den  Befehl,  die  heerespflichtigen  Einwohner  des 
Ortes  vom  16—48  Lebensjahre  auf  ihre  Militärdiensttauglichkeit  zu 
untersuchen,  eine  Massnahme,  die  höheren  Ortes  befohlen  war,  um 
einen  Nachschub  bzw._  Ersatz  französischer  Truppen  für  jeden  Fall 
zu  verhindern.  Vor  dem  Kirchlein,  dessen  Inneres  vollgepfropft  von 
verwundeten  Deutschen  und  Franzosen  lag  und  aus  dem  manch 
schwerer  Seufzer  und  dumpfes  Stöhnen  herausdrang,  hatten  sich  die 
männlichen  Einwohner  des  Ortes,  eine  Krüppelgarde  im  vollsten 
Sinne  des  Wortes,  versammelt.  2  Mann  mit  aufgepflanztem  Seiten¬ 
gewehr  sorgten  für  Ordnung  und  sollten  ein  Entlaufen  der  Franzosen 
verhindern. 

Zunächst  mussten  die  Leute  unter  16  und  über  48  Jahre  antreten, 
es  waren  nur  8,  sie  wurden  zur  Seite  gestellt  und  ängstlich  lehnten 
sie  an  der  Kirchhofmauer,  denn  das  ä  la  mur  im  Kriege  ist  immer 
ein  Zeichen,  dass  das  Leben  verspielt  ist.  Diesmal  bedeutet  es  das 
Gegenteil,  es  sollte  ihre  Freilassung  andeuten. 

Der  Rest,  ca.  40  Mann,  formierte  sich  zu  zweien  und  je  5  Mann 
wurden  aufgerufen,  um  in  ein  gegenüberliegendes  Haus  zur  Unter¬ 
suchung  geführt  zu  werden.  Umständlich  entledigten  sie  sich  ihrer 
wollenen  dreifachen  Unterkleider  und  scheu  schauten  sie  nach  dem 
Untersuchungsraum,  wo  ich  in  Filzpantoffeln  —  ich  war  selbst  ver¬ 
wundet  und  konnte  wegen  geschwollenen  Fusses  in  keine  Stiefel  — 
mit  meinem  Assistenzarzt  die  Musterung  vornahm. 

Wenn  ich  an  meine  dreimaligen  deutschen  Musterungen  oder 
Reservistenuntersuchungen  denke,  wo  ich  durchschnittlich  gesund¬ 
heitsstrotzende,  frische  kräftige  Männer  zu  mustern  hatte  und  hier 
diese  Auslese  kümmerlicher  Gestalten  vor  Augen  sah,  durchzogen 
mich  eigenartige  Gefühle.  Flehende  Blicke  von  Familienvätern  trafen 
mich,  aber  es  hiess  das  Mitleid  hintanhalten  und  die  eisernen  Kriegs¬ 
gesetze  in  ihre  Rechte  treten  zu  lassen.  „C’est  la  guerre“,  wie  oft 
hörte  ich  im  Verlaufe  des  Feldzuges  von  alten  Müttern  und  Greisen 
in  Frankreich  dies  stehende  Wort! 

Die  Untersuchung  ging  weiter,  ein  zitternder  Mann  von  30  Jahren 
trat  hervor,  der  ununterbrochene  Kanonendonner  und  die  kaum  2  km 
von  uns  entfernt  einschlagenden  feindlichen  Granaten  hatten  es  ihm 
angetan.  Die  Worte  „ä  la  gauche“  —  links  waren  die  Untauglichen 
aufgestellt  neben  den  Jüngsten  und  Aeltesten  des  Ortes  —  machten 
sein  Gesicht  erstrahlen.  Ein  junger  Mann  mit  23  Jahren  kam,  zitternd 
am  ganzen  Körper,  die  Handgelenke  in  Watte  eingehüllt,  ein  lebendes 
Skelett;  „j’ai  rhunmtisme“  lispelte  er  und  zeigte  beide  Arme,  und 
auch  ihm  war  das  „ä  la  gauche“  liebliche  Musik.  Die  nächsten  Drei 
hatten  alle  möglichen  Klagen,  aber  nicht  den  geringsten  Befund;  einer 
davon,  der  vor  einigen  Tagen  dem  Ortskommandanten  als  unsicherer 
Kandidat  vorgeführt  wurde  und  auf  Anrede,  lebhaft  mit  den  Händen 
gestikulierend,  deutlich  zu  machen  suchte,  er  sei  taubstumm,  war 
unter  ihnen.  Damals  konnte  er  —  es  gibt  noch  Wunder  ohnegleichen 
—  in  einer  Minute  die  Sprache  wiedererlangen,  als  er  die  Worte 
„Fusille  gehört  und  um  Gnade  bitten.  Auch  diesmal  versuchte  er 
eine  ähnliche  Komödie  aufzuführen,  aber  auch  das  zweite  Mal  gelang 
ihm  sein  Schwindel  nicht.  Da  er  keinen  Befund  bot,  hiess  es  mit 
ihm  und  seinen  2  Kameraden  „ä  la  droite“.  Ein  anderer  kam,  ängst¬ 
lich  zeigte  er  auf  die  rechte  Bauchseite  „j’ai  un  point  ici“,  da  aber 
Punkte,  wenn  sie  noch  so  heikel  sind,  im  Kriege  keine  Rolle  spielen, 
hiess  es  „ä  la  droite“.  Sein  Bruder,  der  neben  ihm  stand,  merkte, 
dass  mit  „Point“  wenig  zu  machen  sei,  darum  führte  er  die  „Appendi¬ 
xe“,  die  Blinddarmentzündung,  an,  von  der  wir  im  Felde  und  auch 
in  Lazaretten,  wie  ich  auch  wiederholt  von  Kollegen  hörte,  erfreu¬ 
licherweise  so  wenig  sahen  und  hörten.  Dann  kam  ein  stattlicher 
Mann  mit  geraden  Beinen  und  wenig  Klagen,  eben  sagte  ich  „tauglich“ 


29.  Dezember  1914. _ Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift.  2455 


und  zeigte  nach  rechts,  als  er  schüchtern  sagte:  „Je  suis  le  bou- 
langer",  dies  schien  ihm  der  letzte  Rettungsanker  zu  sein  und  er  hatte 

1  recht  darin  gehabt.  Seit  5  Tagen  hatte  er  für  unsere  tapferen  Chevau¬ 
legers  das  herrliche  Weissbrot  gebacken  und  preiswert  verkauft.  Wie 
sehnten  wir  uns  alle  darnach,  die  wir  den  „Königskuchen",  unser  aller¬ 
dings  recht  gutes,  aus  den  Vorräten  der  eroberten  Feste  Manonviller 

I  aus  herrlichem  französischen  Mehl  gebackenes  Kommisbrot,  seit 
8  W  ochen  fast  ausschliesslich  genossen  hatten.  Er  durfte  im  Ein- 
serständnis  mit  dem  Ortskommandanten  da  bleiben,  denn  die  armen 
Frauen  und  Kinder  von  Flers  konnten  wir  trotz  aller  Kriegsgesetze 
nicht  verhungern  lassen  und  wer  einmal  sah,  wie  die  Brotläden  in 
Frankreichs  Dörfern  und  auch  Städten  —  ich  sah  es  auch  in  Cam- 
brai  —  von  hungernden  Frauen  und  Kindern  in  des  Wortes  vollstem 
Sinn  belagert  und  gestürmt  wurden,  der  müsste  ein  steinernes  Herz 
haben,  wollte  er  ihnen,  die  ihre  „Couvertures"  für  die  in  den  Schützen¬ 
gräben  frierenden  Soldaten  fast  alle  hergeben  mussten,  auch  ihren 
„Boulanger"  noch  nehmen. 

Nun  kommt  ein  dürres  Männlein,  40  Jahre  alt,  dünne  lange 
Haare,  magere  Hände,  ängstliche  Miene  zeigend,  zitternd  am  ganzen 
Körper.  „Avez-vous  des  plaintes?  Etes-vous  malade?"  „Non,  man 
medecin",  sagte  er  ruhig  und  scheinbar  gefasst.  Und  eben  wollte 
ich  ihn  rechts  stellen  und  mein  „Tauglich"  aussprechen,  als  er  feucht¬ 
tränenden  Auges  sagte:  „Mon  medecin-majeur.  j'ai  onze  enfants!" 
Mir  standen  fast  auch  die  Tränen  in  den  Augen,  als  ich  diesen  tapferen 
Gegner  sah  und  ich  empfahl  ihn  der  Gnade  des  Ortskommandanten. 
Inzwischen  war  der  stellvertretende  Maire  —  der  Bürgermeister 

I  hatte  sich  schon  bei  Beginn  des  Krieges  französisch  empfohlen  — 
mit  dem  standesamtlichen  Register,  das  wir  angefordert  hatten,  her¬ 
beigeeilt  und  tatsächlich  stimmten  die  Angaben  des  Mannes;  ein  Be¬ 
weis,  dass  das  französische  Zweikindersystem  auf  dem  Lande,  wie 
wir  uns  oft  zu  überzeugen  Gelegenheit  hatten,  nichts  weniger  als 
■  strikte  eingehalten  wird. 

3  Phthisiker,  denen  man  den  Todeskeim  auf  den  Gesichtern  an¬ 
geschrieben  las  und  deren  Lungenbefund  jeden  Zweifel  an  ihren  An¬ 
gaben  zerstreute,  machten  den  Beschluss.  Am  Vorplatze  zeigte  mir 
einer  von  den  Dreien,  gleichsam  als  wolle  er  seine  Angaben  be- 
kräftigen,  ein  Glas  mit  der  Aufschrift:  „Pilules  creosotales  de 
Dr.  Roux,  pharmacien  Ier  classe“. 

Eben  schlug  es  1  Uhr  auf  der  nahen  Kirche  und  die  Musterung, 
die  erste,  die  ich  in  Frankreich  hielt,  war  zu  Ende. 

„Vous  pouvez  passer!"  rief  der  Ortskommandant  den  links  der 
Mauer  Stehenden  zu  und  eins,  zwei,  drei  waren  sie  dahin,  erlöst  von 
bangem  Zweifel. 

Was  war  nun  das  Resultat  der  Musterung?  Ganze  „10"  Mann. 
Auch  sie,  diese  auserwählten  Söhne  Mariannens  hätten  gegebenen¬ 
falls  kaum  merklich  die  deutsche  Armee  belästigt,  aber  vielleicht  doch 
als  Franktireurs  manch  ahnungsloser  oder  auch  wachsamer  Pa¬ 
trouille  aus  feigem  Patriotismus  Verluste  beifügen  können,  darum 
ist  Vorsicht  am  Platze. 

Als  eben  die  „Tauglichen“  zu  zweien  von  4  Chevaulegers 
,  gardiert,  abgeführt  wurden,  ging  die  stattliche  Frau  des  .Maire  von 
Montaubon  mit  ihren  3  reizenden  Kindern  vorbei,  sie  war  hieher 
vor  den  feindlichen  Granaten  geflüchtet,  die  ihr  Heimatsdorf  zu 
einem  wenig  gemütlichen  Aufenthalt  machten;  ihr  Ehegemahl  war 
:  zu  den  französischen  Truppen  einberufen. 

Wir  unterhielten  uns  oft  mit  ihr  und  ich  wollte  ihr  eben  be¬ 
greiflich  machen,  dass  sie  es  unter  deutschem  Schutz  doch  recht  gut 
habe  und  vielleicht  besser  als  in  Frankreich;  da  traten  ihr  die  Tränen 
in  die  Augen,  als  sie  stolz  sagte:  „Je  suis  une  inflammante  Francaise“. 
Mir  aber  presste  es  die  Worte  heraus:  „Mon  respect,  Madame.“ 
Am  Abend  sah  ich  nochmals  meine  Gemusterten,  als  sie,  um 
ihnen  den  Abschiedsschmerz  etwas  zu  erleichtern  und  um  jedes  un¬ 
nötige  Aufsehen  zu  vermeiden  auf  einer  Nebenstrasse  des  Dorfes. 

•  an  dessen  Ausgang  geführt  und  von  einem  kleinen  Begleitkommando 
•  zur  Gefangenensammelstelle  gebracht  wurden.  Aengstlich  ruhten  ihre 
Blicke  auf  ihren  Begleitern,  den  tapferen  Bayern,  vor  denen  die 
;  Franzosen  noch  genau  wie  1870  höllischen  Respekt  haben.  Von 
Longueval  her  donnerten  die  Kanonen,  deutlich  hörten  wir  die  Gra¬ 
naten,  die  dort,  kaum  2  km  entfernt  von  uns,  mit  ihrem  „lieblichen" 
Pfeifen  einschlugen,  und  der  Gefangenenzug  schlich  traurig  dahin. 

Die  Abendröte,  die  blutrot  den  Himmel  umsäumte  mit  ihren 
grünen  Schattierungen  stimmte  mich  eigenartig  ernst,  aber  in  meinem 
Innersten  sang  es,  wenn  ich  an  diese  Musterung  in  Frankreich  dachte 
und  an  diese  Ersatzreserve  und  Landsturm  eines  ziemlich  grossen 
Dorfes:  ,.Lieb‘  Vaterland  magst  ruhig  sein".  Dr.  Schl. 

■ 


Harzlösungen  für  Verbandzwecke. 

Von  Dr.  Karl  Dieterich  in  Helfenberg. 

In  Nr.  50  der  W.m.W.  weisen  F  i  e  s  s  1  e  r  und  B  o  s  s  e  r  t  darauf 
hin,  dass  das  Dammarharz  im  Preise  zu  teuer  sei.  dass  Benzol  zu, 
langsam  verdunste,  ausserdem  als  Motorbetriebsstoff  nötig  sei.  Ge¬ 
nannte  Autoren  schlagen  als  Lösungsmittel  „Aether"  vor  und  emp¬ 
fehlen  Fichtenharze  in  nicht  abgestumpfter  Form.  Unter  Bezug¬ 
nahme  auf  meine  ausführliche  Arbeit  in  Nr.  45  d.  Wschr.  und 
die  analytischen  Daten  in  Nr.  101  der  Pharm.  Ztg.  möchte  ich 
folgendes  feststellen: 


Chloroform  hat  ein  spez.  Gewicht  von  1,485  (D.A.V.),  Benzol 
von  0,885!  Welches  von  beiden  schneller  verdunstet,  braucht  nicht 
erörtert  zu  werden!  Dass  eine  zu  schnelle  Verdunstung,  wie  sie 
Aether  hat,  unerwünscht  ist,  dürfte  bekannt  sein,  denn  bei 
grossen  Verbänden  soll  eben  das  Lösungsmittel  längere  Zeit  die  Kleb¬ 
lösung  vor  dem  Eintrocknen  schützen.  Benzol  ist  gerade  deshalb  für 
Motorzwecke  verwendbar,  weil  seine  Verdunstung  eine  dem  Benzin 
nahestehende  ist,  eine  Verdunstung,  die  rasch  genug  ist,  um  die  voll¬ 
kommene  \  ergasung  im  Vergaser  zu  gewährleisten.  Benzol  steht, 
wie  ich  mitteilen  kann,  auch  für  diese  Verbandskriegszwecke  zur 
Genüge  zur  \  erfügung  und  kostet  nur  35  Pf.  per  kg.  Gegen  Aether 
habe  ich  schw  ere  Bedenken,  weil  er  1.  feuergefährlich  ist,  2.  zu  rasch 
verdunstet,  3.  beim  Filtrieren  der  Lösung  zuviel  Verluste  gibt  und 
endlich  4.  per  Kilo  augenblicklich  die  Kleinigkeit  von  M.  3.40!  (ver¬ 
steuerte  Ware)  kostet!  Damit  dürfte  die  Aetherfrage  erledigt  sein. 
Zum  Schlüsse  w  eise  ich  noch  darauf  hin,  dass  ich  nicht  für  Dammar 
allein  (dieses  ist  jetzt  im  Preise  enorm  gestiegen),  sondern  vor 
allem  für  die  billigen  Koniferenharze  eingetreten  bin;  hierin  decken 
sich  die  Ansichten  von  F  i  e  s  s  1  e  r  und  B  o  s  s  e  r  t  mit  den  meinigen. 
Ich  trete  allerdings  der  Sicherheit  wegen  für  abgestumpfte  Lösungen 
ein.  Ueber  diese  liegen  Erfahrungen  noch  nicht  vor,  wir  können 
also  erst  dann  ein  definitives  Urteil  fällen,  w^enn  —  besonders 
in  der  heissen  Jahreszeit  —  vergleichende  Untersuchungen  zwischen 
nicht  abgestumpften  und  abgestumpften  Harzlösungen  gemacht  wor¬ 
den  sind,  Die  Abstumpfung  ist  bei  Verwendung  von  billigem  Benzol 
und  billigen  Koniferenharzen  so  einfach,  dass  die  paar  Pfennige  Kosten 
nicht  in  Frage  kommen,  wenn  damit  die  hauptsächlichsten  Harz¬ 
säuren  für  alle  Fälle  unschädlich  gemacht  werden  können.  Benzol 
und  Koniferenharze,  allerdings  noch  unter  teihveiser  Heranziehung 
von  Mastix,  sind  vom  Ministerium  in  Oesterreich-Ungarn  für 
Kriegsverbandzwecke  neuerdings  eingeführt  und  offiziell  vorgeschrie¬ 
ben  worden.  Die  meisten  der  Harzlösungen  des  Handels  enthalten 
als  Lösungsmittel  das  Benzol. 


Auswärtige  Briefe. 

Berliner  Briefe. 

(Eigener  Bericht.) 

Ausstellung  für  Verwundeten-  und  Krankeniürsorge  im  Kriege. 

Die  Räume  des  Reichstagsgebäudes  zeigen  jetzt  wieder  ein 
anderes  bild  als  in  den  letzten  Monaten,  wo  die  verschiedenen 
Einrichtungen  des  „Roten  Kreuz"  dort  ihr  Heim  hatten.  Dank  der 
unermüdlichen  Arbeit  aller  Beteiligten  ist  es  möglich  geworden,  die 
erst  vor  wenigen  Wochen  in  Angriff  genommene  „Ausstellung  für 
Verwundeten-  und  Krankenfürsorge  im  Kriege"  schon  jetzt  fertigzu¬ 
stellen,  so  dass  sie  am  17.  Dezember  eröffnet  werden  konnte.  Der 
Zweck  der  Ausstellung  ist,  alles  das  zur  Anschauung  zu  bringen, 
was  durch  den  Staat  und  durch  freiwillige  Arbeit  zur  Pflege  und 
Wiederherstellung  der  verwundeten  und  erkrankten  Soldaten  ge¬ 
schieht.  angefangen  von  der  Krankheitsverhütung  und  der  ersten 
Verletzung  auf  dein  Kampfplatz  bis  zum  Genesungsheim  in  der 
Hennat.  Demnach  ist  sie  in  erster  Reihe  zur  Belehrung  des  Laien 
bestimmt,  w  ährend  dem  Arzt  ein  grosser  Teil  der  Ausstellungsgegen¬ 
stände  Bekanntes  zeigt,  doch  wird  auch  er  manches  Interessante 
und  alles  in  anschaulicher  Darstellung  finden.  Das  gilt  schon  von 
der  ersten  Gruppe,  dem  Sanitätswesen  des  Feldheeres.  Hier  sieht 
man  die  Verbandpäckchen,  geschlossen  und  geöffnet,  von  denen  jeder 
Soldat  zwei  im  Rock  eingenäht  trägt,  und  die  für  die  erste  Ver¬ 
sorgung  der  Wunde  durch  den  Verletzten  selbst  oder  einen  Kame¬ 
raden  bestimmt  sind,  ferner  die  Taschen-  und  Truppenbestecke,  das 
Kavalleriebesteck,  die  Verbandmitteltasche,  das  Instrumentarium  des 
Lazarettes,  einen  Feldröntgenwagen,  Modelle  von  Lazarettzelten 
und  -buraeken.  Wie  der  Betrieb  des  Sanitätswesens  geordnet  ist, 
ist  aus  einem  grossen  Schlachtenrelief  ersichtlich;  man  sieht  die 
Sanitätssoldaten  im  Kugelregen  auf  dem  Bauche  liegend  die  Ver¬ 
wundeten  verbinden,  dann  noch  im  Kampfgebiete  die  Sanitäts- 
kompagnien,  den  Transport  der  Verwundeten,  die  Tätigkeit  auf  den 
\  erbandplät/.en,  den  Sammelstellen,  den  Feld-  und  den  Etappen¬ 
lazaretten.  Wie  die  Verwundeten  in  Kraftomnibussen,  Lastwagen  und 
Lazarettzügen  befördert  werden,  wird  ebenfalls  durch  anschauliche 
Modelle  erläutert.  Die  zweite  Gruppe  stellt  das  Sanitätswesen  der 
Marine  dar.  Für  die  engen,  steilen  und  winkligen  Wege  eines 
Schiffes  sind  andere  Transportmittel  nötig  als  auf  dem  Lande:  als 
das  beste  hat  sich  hier  die  Transporthängematte  in  der  ausgestellten 
Form  erwiesen,  wobei  steile  Treppen  mit  Hilfe  einer  Gleitbahn  ver¬ 
mieden  werden  können.  Den  Hauptanziehungspunkt  dieser  Abteilung 
bilden  die  Sanitätsräume  eines  Schlachtschiffes  in  natürlicher  Grösse. 
Die  Verbandräume  liegen  in  den  unteren  Räumen  des  Schiffes,  also 
möglichst  gegen  feindliches  Feuer  geschützt,  haben  moderne  chirur¬ 
gische  Einrichtungen,  der  Operationstisch  hat  eine  besondere  Fest¬ 
stellvorrichtung.  Ausserdem  sieht  man  das  eigentliche  Schiffslazarett 
mit  beweglichen,  den  Schifisbewegungen  sich  anpassenden  Betten, 
sog.  Schwingekojen;  hierhin  kommen  die  Verletzten  nach  dem  Ge¬ 
fechte;  neben  den  Krankenräumen  befindet  sich  ein  Operationsraum 
sowie  eine  Apotheke,  die  zugleich  als  chemisches  und  bakteriologi¬ 
sches  Laboratorium  dient.  Eine  weitere  Gruppe  zeigt  die  Mittel 


2456 


Feldärztliche  Beilage  zur  Münch,  med.  Wochenschrift. 


Nr.  52. 


zur  Bekämpfung  ansteckender  Krankheiten  im  Kriege,  Abbildungen 
und  Kulturen  der  einzelnen  Bakterien,  die  Serumgewinnung,  Tabellen 
über  die  Erfolge  der  Schutzimpfung,  die  Desinfektionseinrichtungen, 
ein  transportables  Laboratorium  sowie  Tafeln  und  Karten  über  die 
Verbreitung  und  Bekämpfung  der  Tuberkulose.  Die  folgenden  Ab¬ 
teilungen  sind  der  Verwendung  der  Röntgenstrahlen  im  Dienste  der 
Verwundetenfürsorge,  den  Aufgaben  des  Zahnarztes  im  Kriege,  der 
Krankenpflegetechnik  mit  allen  ihren  Einzelheiten,  auch  den  Mitteln 
zur  Beschäftigung  und  Zerstreuung  der  Kranken,  der  Organisation 
der  Krankenpflege  im  Kriege  gewidmet.  In  dieser  letzteren  Abteilung 
ist  besonders  hervorzuheben  die  Darstellung  der  Tätigkeit  des  Jo¬ 
hanniter-  und  Malteserordens,  darunter  ein  schönes  Modell  der  Oel¬ 
bergstiftung  bei  Jerusalem,  die  dem  Schutze  des  Johanniterordens 
unterstellt  ist.  Zu  eingehender  Besichtigung  sei  die  Abteilung  „Kriegs- 
kriippclfiirsorge“  empfohlen.  Man  hört  ja  allgemein  die  Befürchtung 
aussprechen,  dass  noch,  wenn  längst  der  Frieden  hergestellt  sein 
wird,  die  zahlreichen  Krüppel  an  das  Elend  des  Krieges  und  seine 
Folgen  erinnern  werden.  Diese  Befürchtungen  sind  gewiss  berechtigt, 
aber  doch  nicht  in  dem  Masse,  wie  man  nach  den  Erfahrungen 
früherer  Kriege  annehmen  zu  müssen  glaubt.  Die  Ausstellung  zeigt 
an  Abbildungen  und  Modellen,  wie  es  einer  zielbewussten  Krüppel¬ 
fürsorge  gelingt,  eine  verhältnismässig  grosse  Zahl  von  Verstümmel¬ 
ten  in  weitem  Umfange  arbeitsfähig  zu  machen;  man  sieht  z.  B.,  dass 
ein  Mensch,  der  beide  Füsse  und  Hände  verloren  hat,  fähig  ist,  sich 
selbständig  anzukleiden,  zu  reinigen,  zu  essen,  zu  schreiben  und  in 
einer  Drechslerwerkstatt  zu  arbeiten.  Ein  Mann,  dem  die  rechte 
Hand  fehlt,  konnte  als  Mechaniker  sein  Gesellenstück  —  das  ausge¬ 
stellt  ist  —  anfertigen  und  die  Gesellenprüfung  bestehen.  Noch 
mehrere  andere  Beispiele  erläutern  die  Ausbildung  des  Krüppels  in 
einem  Beruf.  Schliesslich  sei  noch  die  historische  Abteilung  erwähnt, 
die  einen  interessanten  Ueberblick  über  die  geschichtliche  Entwick- 
’ung  des  Kriegssanitätswesens  gibt.  M.  K. 


Vereine. 

Freie  militärärztliche  Vereinigung  in  Erlangen. 

(Eigener  Bericht.) 

Sitzung  vom  27.  November  1914. 

Vorsitzender:  Generalarzt  Prof.  Dr.  PenzoTdt. 

Herr  Specht  stellt  folgende  Kriegsteilnehmer  vor: 

a)  einen  Kranken  mit  paranoischem  Zustandsbild  und  verschie¬ 
denen  Wahnvorstellungen,  aber  mit  ausgesprochener  intrapsychischer 
Ataxie.  Es  handelt  sich  um  Dementia  praecox;  die  Frage  der  Kriegs¬ 
psychose  ist  zu  verneinen. 

_b)  im  Anschluss  daran  2  Teilnehmer  von  1870/71,  welche  End¬ 
stadien  der  Dementia  praecox  darstellen  und  nach  unserer  heutigen 
Auffassung  zu  Unrecht  sehr  beträchtliche  Entschädigungs-  und  Ver¬ 
sorgungssummen  beziehen. 

c)  einen  aus  dem  Felde  zurückgekehrten  Soldaten  mit  chro¬ 
nischer  Manie. 

Herr  W  e  i  c  h  a  r  d  t  spricht  über  Cholera.  Erörterung  der  Epi¬ 
demiologie.  Dauerausscheidung  findet  nicht  so  lange  statt  wie  bei 
Typhus.  Der  Schwerpunkt  der  Cholerabekämpfung  während  des 
Krieges  wird  wahrscheinlich  dem  Heimatgebiet  zufallen.  Der 
bakteriologische  Nachweis  der  Erreger  ist  infolge  ihres  Sauer¬ 
stoffbedürfnisses  auf  spezifischen  Nährböden  (Dieudonne 
u.  a.)  relativ  leicht.  Besprechung  der  Agglutination,  des  Pfeiffer- 
schen  Versuches  und  der  Wirkung  der  durch  parenterale  Verdauung 
freiwerdenden  Endotoxine  des  Kommabazillus.  Wegen  der  Aus- 
sichslosigkeit  der  Serumtherapie  ist  ein  Schutz  gegen  die  Infektion 
nur  durch  aktive  Immunisierung  zu  ermöglichen.  Bei  der 
Darstellung  des  Impfstoffes  sind  zur  Abtötung  der  Vibrionen  (wie  bei 
Typhus)  möglichst  niedrige  Temperaturen  zu  verwenden.  De¬ 
monstration  von  Diapositiven.  Kreut  er. 


Tagesgeschichtliche  Notizen. 

München,  den  23.  Dezember  1914*). 

—  Heftige,  aber  durchwegs  blutig  abgewiesene  Angriffe  der 
Franzosen  und  Engländer  auf  der  ganzen  Front  des  westlichen 
Kriegsschauplatzes,  Verfolgung  der  zurückweichenden  Russen  und 
neue  Angriffe  auf  ihre  Rückzugsstellungen  waren  die  Ereignisse  der 
letzten  Kriegstage.  Sie  haben  gezeigt,  dass  die  Truppen  der  ver¬ 
bündeten  Westrnächte  nicht  imstande  sind,  den  sie  umklammernden 
eisernen  Ring  zu  sprengen  und  Frankreich  von  der  feindlichen  In¬ 
vasion  zu  befreien;  sie  bestätigen  die  Erwartung,  dass  die  Angriffs- 
kraft  des  östlichen  Gegners  bis  auf  weiteres  gebrochen  ist.  So 
kann  das  deutsche  Volk  am  Jahresschluss  mit  Befriedigung  und 
glühendem  Dank  auf  die  Arbeit  zurückblicken,  die  seine  braven 
Söhne  im  Kampf  mit  einer  Welt  von  Feinden  geleistet  haben,  und 
daraus  die  Zuversicht  schöpfen,  dass  auch  das  neue  Jahr  ihm 


*)  Der  Weihnachtsfeiertage  wegen  musste  diese  Nummer  früher 
fertiggestellt  werden. 


glänzende  Waffentaten  und  am  Ende  einen  ruhmreichen  Frieden 
bringen  wird. 

An  den  Dank  der  Nation  haben  vollen  Anspruch  auch  die  Aerzte, 
die  unter  Einsetzung  ihres  Lebens  auf  den  Schlachtfeldern  ihres 
Amtes  walten.  Viele  von  ihnen  haben  bereits  ihre  Berufstreue  und 
ihre  Vaterlandsliebe  mit  ihrem  Blute  besiegelt.  Ihrer  und  aller 
unserer  Kollegen  im  Felde  gedenken  wir  an  dieser  ernsten  Jahres¬ 
wende  mit  unseren  heissesten  Wünschen. 

Der  Krieg,  in  dem  so  viele  Tausende  von  Aerzten,  die  längst 
ausserhalb  jedes  militärischen  Verhältnisses  standen,  die  Uniform 
tragen,  hat  die  in  Friedenszeiten  oft  alluzschroff  aufgerichteten 
Schranken  zwischen  Zivil-  und  Militärärzten  zum  guten  Teile  be¬ 
seitigt.  In  Müh  und  Not  Schulter  an  Schulter  arbeitend,  fühlen 
sich  alle  als  Kollegen.  Das  wird  hoffentlich  so  bleiben.  Es  sollte  in 
Zukunft  nicht  mehr  Vorkommen,  dass  Zivilärzte  den  militärischen 
Kollegen  den  Erfolg  in  der  Praxis  neiden  oder  dass  ein  Aufruhr  ent¬ 
steht,  wenn  einem  Militärarzt  eine  Stelle  an  einem  Krankenhaus  über- 
tragen  wird.  Wir  sind  allzumal  Aerzte!  Dass  andererseits  den 
Militärärzten,  die  im  Felde  so  glänzende  soldatische  Eigenschaften 
bewiesen  haben,  in  Zukunft  auch  die  volle  Gleichachtung  als  Offiziere 
seitens  des  übrigen  Offizierskorps  zuteil  werden  wird,  darf  als  eine 
weitere  Frucht  des  Krieges  erwartet  werden. 

—  Seitens  einiger  Vereinigungen  von  Kurorten  in  neutralen 
Staaten  wird  eine  lebhafte  Propaganda  ins  Werk  gesetzt  für  die 
Unterbringung  verwundeter  und  rekonvaleszenter  deutscher  Offi¬ 
ziere  in  ausländischen  Anstalten,  wobei  herabgesetzte 
Pensionspreise  als  Anlockungsmittel  dienen.  So  wenig  etwas  da¬ 
gegen  einzuwenden  ist,  dass  deutsche  Offiziere  solche  Anstalten  auf¬ 
suchen,  wenn  bestimmte  Indikationen  das  durchaus  erfordern,  so 
dürfen  Aerzte,  die  in  solchen  Fällen  um  Rat  gefragt  werden,  doch 
nicht  übersehen,  in  welche  schwierige  Lagen  solche  Kranke  allzu¬ 
leicht  kommen  können,  wenn  sie  im  Auslande  mit  deutschfeindlich 
gesinnten  Elementen  Zusammentreffen.  Man  wird  daher  gut  tun,  in 
erster  Linie  deutsche  oder  österreichische  Anstalten  zu  empfehlen. 
Bei  dem  hohen  Stande  der  deutschen  Kuranstalten  wird  es  leicht 
sein,  für  jeden  Fall,  den  Anforderungen  der  Krankheit  oder  des 
Geldbeutels  entsprechend,  einen  geeigneten  Platz  ausfindig  zu 
machen. 

—  Wie  die  Breisg.  Ztg.  meldet,  sind  von  den  Mitgliedern  des 
bei  Peronne  in  französische  Gefangenschaft  geratenen  und  vor  das 
Kriegsgericht  in  Frankreich  gestellten  Kriegslaza'retts  die  19 
freigesprochenen  Sanitäter,  die  Diakonissinnen  und  Rote-Kreuz- 
Pflegerinnen  unter  Führung  des  Militärarztes  Dr.  Strauch  aus 
Frankreich  über  Basel  in  Kleinhüningen  eingetroffen,  von  wo  sie  über 
Leopoldshöhe  nach  ihrer  Heimat  zurückkehrten.  Ueber  den  Revisions¬ 
antrag  der  verurteilten  Sanitätsoffiziere  ist  noch  nicht  entschieden. 

—  Im  Einvernehmen  mit  Herrn  Eduard  Woermann  in  Ham¬ 
burg  hat  der  Professorenrat  des  Kolonialinstituts  in  Hamburg  be¬ 
schlossen,  die  Frist  zur  Einreichung  der  Bewerbungsschriften  und  den 
Termin  für  die  Entscheidung  über  die  Preisfrage:  „Durch  welche  prak¬ 
tische  Massnahmen  ist  in  unseren  Kolonien  eine  Steigerung  der  Ge¬ 
burtenhäufigkeit  und  Herabsetzung  der  Kindersterblichkeit  bei  der 
eingeborenen  farbigen  Bevölkerung  —  des  wirtschaftlich  wertvollsten 
Aktivums  unserer  Kolonien  —  zu  erreichen?“  mit  Rücksicht  auf  die 
durch  den  Krieg  geänderten  Verhältnisse  angemessen  zu  verlängern. 
Näheres  wird  nach  dem  Krieg  bekannt  gemacht  werden. 

—  Der  im  Oktober  d.  J.  in  München  verstorbene  Medizinalrat 
Dr.  Christian  Lutz,  Landgerichtsarzt  a.  D.,  hat  dem  Verein  zur 
Unterstützung  invalider  hilfsbedürftiger  Aerzte 
10  000  M.  testamentarisch  vermacht. 

—  Der  Direktor  und  Anstaltsbezirksarzt  der  Kgl.  Sächs.  Heil- 
und  Pflegeanstalt  Dösen,  Geheimrat  Dr.  Georg  Lehman  n,  wurde 
zum  ordentlichen  Mitglied  der  I.  Abteilung  des  Sächsischen  Landes¬ 
gesundheitsamtes  ernannt. 

(Todesfall.) 

Dr.  Oskar  Magen,  der  Schriftleiter  des  Aerztl.  Vereinsblatts, 
einer  der  bedeutendsten  Vorkämpfer  in  der  Aerztebewegung,  der 
Führer  der  Breslauer  Aerzteschaft,  ist  im  Alter  von  51  Jahren  nach 
kurzem  schweren  Leiden  am  16.  Dezember  verschieden.  Obwohl 
längst  militärfrei,  stellte  er  sich  dem  Vaterland  als  Feldarzt  zu  der 
Front  in  Ostpreussen  zur  Verfügung.  Die  tückische  Krankheit,  welche 
ihn  zwang,  einige  Tage  Krankenurlaub  zu  nehmen,  hat  hier  in  Breslau 
sein  frühzeitiges  Ende  herbeigeführt. 


Ehrentafel. 

Fürs  Vaterland  starben: 

Feldunterarzt  Walther  K  ö  r  n  e  r  -  Leipzig,  gest.  am  25.  XL  14 
im  Res.-Feldlazarett  Nr.  7  in  Rethel  am  Typhus. 
Kriegsfreiwilliger  Kurt  Kuckuck. 

Unterarzt  Arthur  Löwenstein. 

Leutnant  cand.  med.  W.  Richter, 
stud  med.  Karl  Riethmüller, 
stud.  med.  O.  Roecke,  Inf.-Reg.  116. 
stud.  med.  E.  Semmel. 


Verlag  von  J.  F.  Lehmann  in  München  S.W.  2.  Paul  Heysestr.  26.  —  Druck  von  E.  Mühlthaler’s  Buch-  und  Kunstdruckerei  A.O.,  München. 


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«»reis  der  einzelnen  Nummer  80  2,.  *  Bezugspreis  in  Deutsclfßnd' 
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Zusendungen  sind  zu  richten 

Für  die  Sehriftleitung:  Arnulfstr.  26  (Sprechstunden  SVi —  1  Uhr). 
Für  Bezug:  an  I.  F.  Lehmann’s  Verlag,  Paul  Heysestrasse  26. 
Für  Anzeigen  und  Beilagen:  an  Rudolf  Mosse,  Theatinerstrasse 8. 


Medizinische  Wochenschrift. 

ORGAN  FÜR  AMTLICHE  UND  PRAKTISCHE  ÄRZTE. 


O.  v.  Angerer, 

München. 

W  v.  Leube, 

Stuttgart. 


Herausgegeben  von 

Ch.  Bäumler,  A.  Bier,  M.  v.  Gruber,  H.  Helferich,  M.  Hofmeier,  L.  v.  Krehl,  Fr.  Lange, 

Freiburg  i.  B.  Berlin.  München.  Eisenach.  Würzburg.  Heidelberg.  München. 

G.  v.  Merkel,  Fr.  Moritz,  Fr.  v.  Müller,  F.  Penzoldt,  B.  Spatz,  R.  Stintzing, 

Nürnberg.  Köln.  München.  Erlangen.  München.  Jena. 


Nr.  52.  29.  Dezember  1914. 


Schriftleitung:  Dr.  B.  Spatz,  Arnulfstrasse  26. 
Verlag:  J.  F.  Lehmann,  Paul  Heysestrasse  26. 


61.  Jahrgang. 


Bezugsbedingungen :  Die  Münchener  mediz.  Wochenschrift  kostet  im  Vierteljahr  in  Deutschland  direkt  vom  Verlag  sowie  bei  allen  Postanstalten  und  Buchhandlungen  Mk.  6,—. 

Bei  Bezug  direkt  unter  Kreuzband  vom  Verlage  nach  Oesterreich-Ungarn  und  Luxemburg  Mk.  7.—,  nach  dem  übrigen  Auslande  Mk.  8.—.  Billiger  und  zu  empfehlen 
ist  der  Bezug  durch  die  Postämter  in  Belgien  (Frk.  8.08),  Dänemark  (Kr.  6.07),  Italien  (Lr.  8.68),  Luxemburg  (Mk  6.52),  Niederlande  (Fl.  4.30),  Norwegen 
(Kr  5  03)  Oesterreich-Ungarn  (Kr.  7.43),  Rumänien  (Frk.  9.—),  Russland:  bei  den  Zeitungspostämtern  Baku,  Charkow,  Kasan,  Kiew,  MoskaUj  Nischmj-Nowgorod, 
Odessa,  Petersburg,  Riga,  Saratow,  Tiflis,  Jaroslawl,  Warschau  Rubel  3.05,  bei  den  übrigen  Postanstalten  Rubel  3.35,  Schweden  (Kr.  5.95),  Schweiz  (Frk.  8.05). 


Inhalt: 


Originalien:  Leschke,  Ueber  Pneumokokkenangina  und  ihre  Behandlung.! 
[Aus  der  II.  medizinischen  Klinik  der  Kgl.  Charitö  in  Berlin.]  [Illustr.] 
S.  2433. 

Herz,  Wachstumsstörung  und  Deformität.  [Illustr.]  S.  2435. 

Wunder,  Einfachste  Methoden  zur  Bestimmung  des  Kochsalzes,  des  Stick¬ 
stoffs  und  der  Elektrolyte  im  menschlichen  Harn.  [Illustr.]  S.  2436. 

R  e  y  e ,  Zur  Aetiologie  der  Endöcarditis  verrucosa.  [Aus  dem  pathologischen 
Institut  des  Eppendorfer  Krankenhauses.]  [Illustr.]  (Schluss.)  S.  2437. 

Sücheranzeigen  und  Referate:  Ko  walk,  Militärärztlicher  Dienstunterricht 
für  einjährig-freiwillige  Aerzte  und  Unterärzte  sowie  für  Sanitätsoffiziere 
des  Beurlaubtenstandes.  Ref.:  zur  Verth-Kiel.  S.  2440. 

Neueste  Journalliteratur:  Zentralblatt  für  Chirurgie.  Nr.  50.  — 
Zentralblatt  für  Gynäkologie.  Nr.  50.  —  Oesterreichische  Literatur.  — 

Inauguraldissertationen.  S.  2440. 

Feldärztliche  Beilage.  Nr.  21. 

Ortginalien:  Madelung,  Ueber  Tetanus  bei  Kriegsverwundeten.  (Ergebnis 
einer  Sammelforschung  der  kriegsärztlichen  \  ereinigung  in  Strassburg  i.  E.) 
S.  2441. 

Bielschowsky,  Ueber  Sehstörungen  im  Kriege  ohne  objektiven  Augen- 
befund.  S.  2443. 

Kirschner,  Bemerkungen  über  die  Wirkung  der  regelrechten  Infanterie¬ 
geschosse  und  der  Dumdumgeschosse  auf  den  menschlichen  Körper. 
[Illustr.]  S.  2445. 

Stargardt,  Ueber  die  englischen  Infanteriegeschosse  und  ihre  Wirkungen. 
[Aus  dem  Kricgsreservelazarett  II  Hamburg-Altona.]  S.  2448. 


v.  Meyer  u.  Kraemer.  Ein  Beitrag  zu  ,, Infanteriegeschosse  mit  Spreng- 
(Dumdum-)  Wirkung“.  [Illustr.]  S.  2449. 

Haenisch,  Röntgenologischer  Nachweis  der  Dumdumwirkung  englischer 
Infanteriegeschosse.  [Aus  der  Röntgenabteilung  des  Allgem.  Kranken¬ 
hauses  Hamburg-Barmbeck.]  [Illustr.]  S.  2450. 

Hartert,  Eine  sichere  röntgenologische  Methode  zur  Geschosslokalisation. 

[Aus  der  chirurgischen  Universitätsklinik  in  Tübingen.]  |Ulustr.]  S.  2451. 
E  r  1  a  c  h  e  r ,  Erfahrungen  am  österreichisch  -  russischen  Kriegsschauplatz. 
[Illustr.]  S.  2452. 

Heisler,  Vorschlag  zur  Verhütung  der  Tetanusgefahr  durch  intensive 
Lultbeströmung.  S.  2453. 

Keller  mann,  Typhusschulzimpfung.  Tetanusbehandlung.  S.  2453. 
Heusner,  Oleum  Rusci  zur  Behandlung  infizierter  Weichteilwunden. 
S.  2454. 

Gross,  Schneeblindheit.  S.  2454. 

Fine  Musterung  französischer  Heerespflichtiger  durch  einen  bayerischen 
Regimentsarzt.  S.  2454. 

Dieterich,.  Harzlösungen . für  Verbandzwecke.  S.  2455. 

Auswärtige  Briefe:  Berliner  Briefe.  S.  2455. 

Vereine:  Erlangen:  Freie  militärärztliche  Vereinigung,  27.  November  1914. 
S.  2456. 

Tagesgeschichtliche  Notizen:  Vom  Krieg.  —  Ausländische  Kurorte  für  ver¬ 
wundete  Offiziere.  —  Aus  der  Gefangenschaft  entlassene  Militärärzte.  — 
Preisfrage.  —  Legat.  —  Ernennung.  —  Magen  f.  —  Ehrentafel. 
S.  2456. 


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MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Verlag  von  Georg  Thieme  in  Lei 


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1915 

Reichs-Medizinal-Kalender 


(Börner) 


Herausgegeben  von 
Geh.  Rat  Prof.  Schwalbe,  Berlin. 


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Avellis,  Prof.  Dr.  V.  Grazzi)  erschienen  und  gratis  nebst  Proben  zu  beziehen  durch 

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29.  Dezember  1914 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  W0CHENSCHR1ET. 


3 


Personalnachrichten. 

Das  Eiserne  Kreuz  II.  Klasse  erhielten: 

R.  Amerbach  (Rastatt)  —  Prof.  v.  Bardeleben  (Berlin)  —  U.A.  Fritz 
BlauL  —  O.A.  d.  Res.  Wilh.  Bornemann  (Berlin).  —  U.A.  d.  L  Willy  Braun¬ 
schweig.  —  U.A.  Hans  Carlo  witz  (Leipzig!,  Gren.-Res.-Reg.  Nr.  100.  —  St.A. 
d.  Res.  Fritz  Danziger  (Hamburg).  —  Rieh.  L'obbertin  (Oberschöneweide).  — 
StA.  d.  Res.  Wilh  Dünger  (Dresden).  —  StA.  Ebeling  (Dittmannsdorf.  — 
Feldermann  (Schalksmühle).  —  U.A.  M.  Förderreuther  (Nürnberg).  —  Prof. 
L.  Fränkel  (Königsbeig).  —  O.A.  Frosch  (Tröbau).  —  O.A.  Harry  Gans, 
2.  bayer.  A.K.  —  O.A.  d.  Res.  Gerlach  (Dresden).  —  O.A.  d.  Res.  Glässer 
(Hohnstein),  3.  Hus.-Reg.  Nr.  20.  —  O.A  d.  Res.  Götzky  (Lichterfelde).  —  Ass.A. 
u.  O.A.  d.  Res.  Grünfelder.  —  St.A.  d.  Res.  San.-Rat  Härtel  (Meerane), 
91.  Res.-Feldlaz.,  27.  Res.-Korps.  —  Altr.  Hauptmann,  Privatdoz.  f.  Psychiatrie 
(Freiburg  i.  Br.).  —  St.A.  d.  Res.  Heilmann  (Berlin).  —  St.A.  Prof.  Heller 
(Dresden),  berat.  Hygieniker.  —  O.A.  d.  L.  Hellmann  (Köln).  —  Hiraucourt 
(Ettlingen).  —  U.A.  Hildebrandt  (Rastatt).  —  O.A.  Alfred  Horwitz  (Berlin- 
Grüne  wald).  —  Ass.A.  Hungrecker  (Tapian).  —  U  A.  Kurt  Jessner  (Königs¬ 
berg  i.  Pr.).  —  O.A.  Max  Jessner  (Königsberg  i.  Pr.).  —  Ass.A.  0.  Kachel 
(Heilbronn).  —  Privatdoz.  F.  Kehrer  (Freiburg  i.  Br.).  —  Ass.A.  Wilh.  Keil 
(Plauen  i.  V.).  —  O.A.  Klaus  (Tuttlingen).  —  O.A.  Reinh.  Klaus  (Gmünd).  — 
St.A.  d.  L.  Knospe  (Berlin).  —  Geh.  Rat  Prof.  Kraske  (Freiburg).  —  O.A.  u. 
BatA.  Kuttner  (Wilmersdorf).  —  O.A.  d.  Res.  Otto  Lampe,  19.  A.K.,  San.- 
Komp.  Nr.  1.  —  Oberarzt  der  Reserve  Lauterbach,  2.  K.  S.  Pionier-Bat.  — 
Stud.  med.  Mart.  Leist,  Unteroff.  im  2.  Garde-Drag.-Reg.  —  O.A.  Leydhecker 
(Hatten).  —  St.A.  Loewengard  (Berlin).  —  Ass.A.  Lubenau  (Königsbronn).  — 
Lyncka  (Berlin).  —  O.A.  d.  L.  Matz  (Waren).  —  St.A.  Meirowsky  (Köln), 
Stab  d.  2.  Trainabt.,  7.  A.K.  —  Menne  (Zehden  a.  Oder).  —  Oeding  (Breesen 
b.  Neubrandenburg).  —  St.A.  d.  Res.  Paradies  — -  Feldu.A.  Peinert  (Zinten). 

—  StA.  Johs.  Petzsche  (Chemnitz),  15.  Inf.-Reg.  Nr.  181.  —  St.A.  Alfr.  Pey on, 
120.  Landw.  Reg.  —  Bat.A.  Pornitz  (Chemnitz).  —  W.  Rassiga  (Haslach).  — 
K.  Retzlaff  (Berlin).  —  U.A.  H.  Rummel  (Nürnberg).  —  St.A.  d.  Res.  Sön- 
nichsen  (Hamburg).  —  Eeldu.A.  Max  Sohrauer,  Res.-Inf.-Reg.  —  Schiller 
(Freiburg  i.  B.).  —  0  St.A  Schichhold,  12.  Res.-A.K.,  5.  Feldlaz.  —  StA.  d. 
Res.  Erh.  Schmidt  (Dresden  N.),  Res.-Feldlaz.  Nr.  4,  12.  Res.-A.K.  —  St.A.  d. 
Res.  E.  Schönwald.  —  St.A.  d.  Res.  Walter  Schwarz,  Fe!dart.-Reg.  Nr.  28. 

—  Ass.A.  Theod.  Staemmler  (Leipzig),  4.  AK.  —  U.A.  Wilh.  Undeutsch, 

19.  A.K.,  Feldlaz.  9.  —  O.A'  u.  Bat.A.  Weinbrenner.  —  O.A.  K.  Wernicke 
(Mannheim).  —  U.A.  Wolffenstein  (Berlin).  —  Ass.A.  Willy  Wolffheim 
(Königsberg  i.  Pr.).  —  U.A.  0.  Wolfring  (Hambu  g),  Res.-Inf.-Reg.  214  — 

Zacharias  (Nürnberg).  —  Ass.A.  M.  Zeissler,  Res.-Inf.-Reg.  82.  —  Feldu.A. 
Hans  Fritz  Ziegler,  Gardefüsilier-Reg.  —  U.A.  A.  Zwiffelhofer  (Karlsruhe). 


Bayern. 

Seine  Majestät  der  König  haben  Sich  Allerhöchst  bewogen  gefunden, 
vom  1.  Januar  1916  an  unter  Aufhchung  der  vereinigten  Landgerichts-  und 
Bezirksarztstellen  in  Kaiserslautern  u.  Landau  (Pfalz)  an  diesen  Orten  je  eine 
Landgerichts-  und  je  eine  Bezirksarztslelle  zu  errichten  und  in  etatsmässiger 
Eigenschatt  zu  ernennen:  zum  Landgerichtsarzt  in  Kaiserslautern  den  praktischen 
Arzt  Dr.  Alfons  Dollmann  in  München,  zum  Bezirksarzt  in  Kaiserslautern  auf 
sein  Ansuchen  den  bisherigen  Landgerichts-  und  Bezirksarzt  in  Kaiserslautern 
Medizinalrat  Dr.  Moritz  Kühn,  zum  Landgerichtsarzt  in  Landau  auf  sein  An¬ 
suchen  den  bisherigen  Landgerichts-  und  Bezirksarzt  in  Landau  Medizinalrat 
Dr.  Hermann  v.  Hösslin,  zum  Bezirksarzt  in  Landau  den  Oberarzt  an  der 
Kranken-  und  Pflegeanslalt  Frankenthal  Dr.  Adolf  Dehler;  zum  Bezirksarzt  in 
Zusmarshausen  den  prakt.  Arzt  Dr.  Christoph  Linder  in  Kaufbeuren  in  etats¬ 
mässiger  Eigenschaft  zu  ernennen  und  den  Bezirksarzt  in  Marktheidenfeld  Dr. 
Eug.  Hörger  auf  sein  Ansuchen  in  gleicher  Diensteseigenschaft  in  etatsmässiger 
Weise  nach  Friedberg  zu  versetzen. 

Erledigt:  Die  Bezirksarztstelle  in  Marktheidenfeld  ist  erledigt.  Be¬ 
werbungen  sind  bei  der  K.  Regierung,  Kammer  des  Innern,  des  Wohnorts  bis 
5.  Januar  1915  einzureichen. 

Preussen. 

Niederlassungen.  Dr.  Max  Richter  in  Freienwalde  a.  0.,  J.  Komp 
in  Hildesheim,  V/ alter  Fürst,  F.  Wehner  und  Dr.  Ernst  Nathan  in  Frank¬ 
furt  a.  M 

Verzogen:  Dr.  0.  Bruns  von  Marburg  und  Dr.  W.  Reddingius  von 
Gotha  nach  Göttingen,  Dr.  R.  Wendorf  von  Frankfurt  a.  M.  nach  Mörfelden, 
Dr.  R.  Abe  von  Wiesbaden  nach  Frankfurt  a.  M.,  Dr.  N.  Hermann  von 
Nauort  nach  Niederlahnstein,  A.  W.  Baldus  von  Höchst  a.  M.  nach  Flörs¬ 
heim  a.  M.,  Dr.  P.  Hirschkowitz  von  Kissingen  nach  Wiesbaden,  H.  Brügge¬ 
mann  von  M.-Gladbach  und  W.  Driessen  von  Bonn  nach  Crefeld ,  F.  Hop¬ 
mann  von  Bonn  nach  Düsseldorf,  F.  Hoehn  von  Würzburg  u.  Dr.  B.  Mertens 
von  Franklurt  a.  M.  nach  Elberfeld,  Dr.  E.  Merscheim  von  Cöln-Lindenthal 
und  Dr.  Eduard  Otto  von  Zeitz  nach  Essen,  Dr.  0.  Frowein  von  Essen  nach 
Mülheim  (Ruhr) 

Unbekannt  verzogen:  Dr.  A.  Reusch,  Dr.  F.  Strangmeyer  und 
Dr.  Th.  Radlolf  von  Güttingen. 

Gestorben  Geh.  San.-Rat  Dr.  L.  Brandes  in  Hildesheim,  Dr.  Friedrich 
Strauss  in  Frankfurt  a.  M.,  Dr.  K.  Kahler  in  Katernberg. 

Im  Felde  gestorben:  Kreisassistenzarzt  Dr.  Hermann  Friese  aus 
Koblenz,  Dr.  Hub.  Schlesiger  aus  lllowo ,  Dr.  Rieh.  Möller  aus  Magdeburg. 

Oldenburg. 

Niederlassung:  Dr.  Ernst  Gg.  Wilh.  Lambert  Hohorst  in  Delmenhorst. 


Die  Cavete-Tafel  des  Leipziger  Verbandes  siebe  Seite  8. 


R_  Rheumatismus,  Lumbago, 

K  _  „  __ Ischias.Neuralgien,  „Herz¬ 
ig  1  1  111  >|  C  /J  T|  schmerzen",  Influenza, 

M  M  miHtjmi  Pleuritis, Hydrops arlicul.,  U. 

~  Gicht.  Ferner  bei  Frost, 

Tube  M.  2,10  u.  1,30  (Kassenpack.  90  Pf.)  harter  Haut- 

Ester-Dermasan 


M  enthol-Rheumasan 

Jb  Migräne,  Ischias  usw.  Tube  M.  3, —  u.  1,30 

wie  Rheumasanbei  besonders  hartnäckigen  Fällen,  chron.  Lumbago,  Arthritis 
deformans,  tabischen  Schmelzen,  Sehnenscheiden-Entzündung,  Furunkeln, 
ferner  bei  Psoriasis,  Pityriasis  und  ca.  5,0  oder  als  Ester-Dermasan- Vaginal- 

Kapseln  bei  Adnexen.  M.  3,— u.  1,60  (Kassenpackung  M.  1,10). 


Lenicet 


l. 

(0 

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3.5 

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je 


Wund-  und  Schweiss< 

1  Puder  20°/o  Dose  M.  0,75 

Peru-Lemcet-Plider  M’  1,10  Kassenpackung 

oder  fertig  als 

Peru-Leilicet-Kompresse  M,  0^80  Kassenpackung 
Sllber-Lenicet-Puder  M'  o’90  Kassenpackung 


Haut-Schutz- Mittel 

bei  Verbänden  jegl.  Art 

Decubitus,  Ekzeme 


Zur  Granulation 
und  Ueberhäutung. 
Sekretions¬ 
beschränkend. 
Ekzeme. 


Dr.  Rudolf  Reiss,  Rheumasan-  u.  lenicet-Fabriken,  Berlin-Charlottenburg  4  u.  Wien  VI/2. 


Biphtnerle-Sernm  „R.  E.« 

400  fach  (1  ccm  =  400  I.  E.) 
500  fach  (1  ccm  =  500  I.  E.) 
750  fach  (1  ccm  =  750  I.  E.) 

e.« 


Diphtherie-Serum  „ 

1000  fach  (1  ccm  =  1000  I.  E.)  _ 

Diphtherie-Sernm  elwelssarm 

400-  und  500  fach 


Prol.  Dentschmann-Seruin 

4  ccm  _ 10  ccm 

Prof.  Dentschinann-Seruin  ..E. 


4  ccm 


10  ccm 


Prof.  Dentschmann-Serum  für 
zahn  Ärztlichen  Gebranch 

Besteck  ä  ö  Ampullen  ä  1  ccm _ 

Antlstreptokokken-Sernm 

10  ccm  20  ccm 


Alt-Tnberknlin-Koch 

1  ccm  5  ccm  10  ccm  20  ccm 


l  ccm  Eiweisslreies  Tuberkulin  5ccm 


Normales  Pferde-Serum 

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Serum -Laboratorium  Ruete-Enoch  Hamburg  I 

Ferdinandstrasse  30 


Telegrammadresse:  Serum 


u 


«ft 


Telephon:  Gruppe  4,  2674  75 


Hergestellt  nach  Angabe  des 


Königl.  Kriegsministeriums, 
Medizinal-Abteilung 


Typhus-Impfstoff  „R.  E.1 
Cholera -Impfstoff  „R.  E.‘ 

In  Abfüllungen  von  10,  20,  50,  100,  250  und  500  ccm 

Ruhr-<Dysenterie->  Serum  „R.  E.“ 

Bei  Verordnung  bitten  wir  unsere  Firmenkürzung  „R.  E.“  beizufügen. 

-  Erhältlich  in  allen  Apotheken.  -— 


Der  heutigen  Kammer  liegt  folgender  Prospekt  bei  i 
„Aufklärung  Im  Streit  um  die  Sublimatpastillen.«  AI.  Emmel,  Besitzer  der  Adlerapotheke,  München,  Sendlingerstr  13. 


4 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  52. 


auf  Kriegsdauer  gesucht. 


Heilanstalt  Kaufbeuren. 


Erster u.ziveTlssistenzarzt.  HilfsSfZt  „ri.r  J1  Ärztin 

Zweiter  Arzt  kann  ohne  Approbation  ■  Ml  ■  OQCl  H  'o  Pi 

sein.  Vergütung  nach  Ueberein- 
kommen  bei  voller ,  freier  Station. 

Eintritt  sofort. 

Schriftl.  Gesuche  sind  zu  richten 
an  das  Vereinslazarett 
„Marienberg“  Boppard  a.  Rhein. 

Die  Verwaltung. 

Gesucht  bis  1.  Januar  15,  event. 
auch  schon  15.  Dezember  14,  einen 

Assistenzarzt 

und 


1.  Medizinalpraktikant 

bei  200  resp.  100  M.  Monatsgehalt  und 
völlig  freier  Station. 

Heilstätte  Ambrockb.  Hagen  i.W. 


Mittlere  Stadt,  Oberbayerns:  Abi.  Jan. 
für  4 — 6  Wochen 

Vertreter 

gesucht;  Stadt-  u.  Landpraxis;  chir.- 
gyn.  Privatheilanstalt  mit  Rönlgenapp. 
Wohnung  u.  1.  Frühstück;  sow.  20 — 30  M. 
täglich  je  nach  spez.  Vorbildung.  Rad 
und  Auto. 

Offerten  unter  M.  F.  5799  an  Rudolf 
Mosse,  München. 

Am  städtischen  Allerheiligen¬ 
hospital  in  Breslan  sind  bald  mehrere 

Ässistenzarztstellen 

an  der  Abteilung  für  Frauenkrank¬ 
heiten  zu  beseizen.  Die  Abteilung 
unterhält  auch  eine  Poliklinik. 

Gehalt  neben  freier  Station  und 
Wohnung  jährlich  1500  Mark,  nach  zwei 
Jahren  1800  Mark.  Bewerbungen  sind 
an  das  Kuratorium  des  Hospitals  zu 
richten. 


Die  Assistenzarzt -Stelle 

an  der  Chirurg.- gynäkolog.  Abteilung  des  städt. 
Krankenhauses  Rheydt  ist  für  sofort 
neu  zu  besetzen.  Gehalt  im  1.  Jahr  1500  M.  bei 
freier  Station  I.  Klasse.  Verpflichtung  auf  mindestens 
1  Jahr.  Meldung,  mit  Lebenslauf  an  den  leitenden  Arzt 

Dr.  Thiel. 


Assistenzarzt  gesucht 

Sür  1.  Mürz  1015  für  Genesungs¬ 
heim  der  Landesversicherungsanstalt 
Schlesien  in  Hohenwiese,  Riesengeb 
220  Männer.  Verheiratet.  Arzt  bevorzugt. 
Stelle  z.  Z.  nicht  pensionsberechtigt, 
Anstellung  mit  Pensionsberechtigung 
nach  Ablauf  einer  gewissen  Probezeit 
bei  beirie  ligenden  Leistungen  kann  er¬ 
folgen,  Anstellungsbedingungen  stehen 
indessen  noch  nicht  fest. 

Gesuche  mit  Zeugnissen  und  Angabe 
der  Gehaltsansprüche  an  Chefarzt  Dr. 
Hasse,  Hohenwiese. 


3  Assistenzärzte 

2  für  die  äussere  Abteilung,  1  für  die  innere  Abteilung  sofort  gesucht.  Gehalt 
1500  Mk.  pro  Jahr  im  ersten  und  1800  Mk  im  zweiten  Jahr,  ausserdem  wird  den 
Angestellten  während  der  Dauer  des  Krieges  eine  Zulage  von  100  Mk.  monatlich 
gewährt  bei  freier  Station.  Meldungen  an  die  Unterzeichnete  Verwaltung. 

Die  Verwaltung  des  städt.  Krankenhauses  in  Frankfurt  a.O. 
Am  Städtischen  Krankenhaus  Erfurt, 

dem  eine  Reservelazarett-Abteilnng  angegliedert  ist,  sind  von  den  vor¬ 
handenen  sechs  Assistentenstellen 

sofort  drei  neu  zu  besetzen, 

und  zwar  eine  auf  der  chirurgischen  Abteilung  (Chefarzt  Prof.  Dr.  Machol) 
und  zwei  auf  der  inneren  Abteilung  (stellvertretender  Chefarzt  Dr.  Bucholz). 

Anstellungsbedingung:  Bei  freier  Wohnung  und  Station  1500  M.  Anfangs¬ 
gehalt,  steigend  jährlich  um  150  M.  bis  1800  M.,  wobei  auswärtige  Assistentenzeit 
angerechnet  wird.  Ausserdem  erhält  jeder  Assistent,  sofern  er  sich  verpflichtet, 
während  der  Kriegszeit  in  seiner  Stellung  zu  verbleiben,  eine  Kriegszulage  von 
monatlich  100  M. 

Meldungen  mit  Lebenslauf  und  Zeugnisabschriften  sind  an  den  Direktor 
des  Krankenhauses  Professor  Dp.  Machol  zu  richten. 

Der  Magistrat. 

flerzte  lür  Schlesien  gesucht. 

Anlässlich  der  Eröffnung  der  Reserve-  u.  Barakenspitäler  für  verwundete 
und  kranke  (auch  infektionskranke)  Militärpersonen  in  Schlssisn  wird  dringend 
eine  grössere  Anzahl  von  Aerzten  (insbesondere  Chirurgen)  zum  sofortigen 
Dienstantritte  benötigt. 

Die  Aufnahmsbedingungen  sind:  Ersatz  der  Reisekosten,  freie  Station  im 
Spital  und  ein  Jaggeld  von  30  Kr.,  sowie  für  den  Fall  der  Verwendung  bei 
Infektionskranken  die  Ruhe-  und  Versorgungsgenüsse  nach  Massgabe  des  S  34 
des  Gesetzes  vom  14.  April  1913,  R.-G.-Bl.  Nr.  67. 

Anträge,  bezw.  Anfragen  sind  mit  tunlichster  Beschleunigung  unter  An¬ 
gabe  der  Personalien  und  Anschluss  von  Verwendungszeugnissen  in  Abschrift 
an  das  Sanitütsdeparteinent  der  k.  k.  schic*.  Landesregierung 
in  Troppnn  zu  richten. 


Für  die  innere  Abteil,  des  Herzogi. 
Krankenhauses  inBrannschweig  wird 

j  für  sofort  ein 

Hsslstenzarzt 

gesucht.  Verpflichtung  für  die  Dauer 
Oes  Krieges.  Etwas  interne  Vorbildung 
erwünscht.  Gehalt  monatl.  100  M.  bei 
freier  Station  I.  Kl.  Meldung,  mit  Zeug¬ 
nissen  u.  Lebensl.  an  Dr.  med.  F.  Lube. 

Am  St.  Elisabeth -Hospital  zu 
Duisburg-Meiderich,  mit  dem  ein 

Reservelazarett  von  150  Betten  ver¬ 
bunden  ist,  wird  ein 

Assistent 

gesucht.  Gehalt  bei  freier  Station  je 
nach  Ausbildung  1800—3000  M. 

Meldung  erbeten  an 
Dr.  Aenstoots,  Chirurg  u.  Frauenarzt. 

Militärfreier 

A  ssistenzarzt 

für  4  Monate  zum  sofortigen  Eintritt 
gesucht.  M.  400—  450  monatlich.  Stadt¬ 
praxis  —  viel  Kassen  —  vorwiegend 
innere  Krankheiten.  Fuhrwerk  zur  Ver¬ 
fügung.  Off.  sub.  M.  L.  5925  befördert 
Rudolf  Mosse,  München. 

Lungenheilstätte  Lostau  bei 
Magdeburg 

sucht  zum  1.  Jan.  (ev.  früher)  jüngeren 

Assistenzarzt. 

Ausser  freier  Station  (incL  Wäsche) 
2800  M.  Gehalt  im  1.  Jahre  (steigend 
bis  3700  M.).  Meldungen  erbeten  an 

die  Anstaltsleitung. 

Für  möglichst  bald,  spätestens  bis 
1.  März  1915  wird  ein  jüngerer,  approb. 

Hrzt  als  Hsslstent 

gesucht.  Gehalt  2400  M.  (eventuell 
steigend)  u.  freie  Station.  Bewerbungs¬ 
gesuche  mit  Zeugnis  zu  richten  an  den 
stellvertretenden  Chefarzt  des  Cecilie 
Kreiskrankenhauses  Nauen  bei 
Bertin. _ Dr.  Spannth. 

An  der  chirurgischen  Abteilung  des 

Allgem.  Krankenhauses  zu  Lübeck 
(Leiter:  Prof.  Dr.  Roth)  ist  baldmög¬ 
lichst  und  zum  1.  März  1915 

je  eine  Assistenzarztstelle 

zu  besetzen.  Anfangsgehalt  bei  freier 
Station  M.  1500.—,  jährlich  steigend  um 
M.  150. — .  In  ähnlicher  Stellung  ver¬ 
brachte  Dienstjahre  werden  angerechnet. 
Meldungen  sind  unter  Beifügung  eines 
Lebenslaufes  zu  richten  an  die  Direktion. 


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Einlinntlileclien  Ult  die  Münchener  medizin.  (üochenschrift. 


Genau  passende,  elegante  Decken  in  Leinwand  mit  kräftigem  Lederrücken  und  Lederecken  für  den 

I.  und  II.  Halbjahr sband  1914 

stehen  den  Beziehern  der  Wochenschrift  zum  Preise  von  je  MK.  2.30  einschliesslich  Postgeld  innerhalb 
Deutschlands  und  Oesterreich-Ungarns  zur  Verfügung. 

Die  Einbanddecken  für  den  I.  und  II.  Halbjahrsband  1914  auf  einmal  bezogen  kosten  MK.  4.50  ein¬ 
schliesslich  Postgeld. 

Auch  zu  den  früheren  Jahrgängen  sind  EinbanddecKen  zu  beziehen  und  zwar: 

für  je  einen  Halbband  um . MK.  2.30 

»  J'e  einen  Gesamtband  (zu  haben  bis  einschliesslich  Jahrgang  1903)  um  „  3.30 

einschliesslich  Postgeld  innerhalb  Deutschlands  und  Oesterreich-Ungarns. 

Einbanddecken  für  ganze  Jahrgänge  werden  seit  einschliesslich  1904  nicht  mehr  angefertigt,  da  die  Jahr¬ 
gänge  jetzt  zu  umfangreich  sind,  um  in  einen  Band  gebunden  werden  zu  können. 

Der  Bezug  der  Decken  ist  sehr  zu  empfehlen,  da  durch  sie  gleichmässige  Einbände  erzielt  und  die  Kosten 
nicht  unerheblich  vermindert  werden. 


J.  F.  Lehmann’s  Verlag  in  München,  Paul  Heyse-5tr.  26. 


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29.  Dezember  1914. 


MÜENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


5 


Sommerpraxis 

in  Badeort  von  erfahrenem  Badearzte 
gesucht  Angebote  usw.  unt.  „Bade¬ 
arzt“  M.  B.  5501  an  Rudolf  Mosse, 
Mttnchen. _ _ 

Am  hiesigen  städtischen  Kranken¬ 
hause  (chirurgische  Station)  ist  die 
Stelle  eines 

Ksslstenzarztes 

sofort  zu  besetzen.  Das  Gehalt  beträgt 
295,80  M.  monatlich.  Ausserdem  wird 
freie  Station  (ohne  alkoholische  Getränke) 
gewährt.  Bewerbungen  sind  umgehend 
an  uns  —  zu  Händen  des  Herrn  Chef¬ 
arztes  des  städtischen  Krankenhauses 
—  e.inzureichen. 

Spandau,  den  7.  Dezember  1914 

l)cr  Magistrat. 

Dame  suchf  Anstellung 

als  wissensch.  Zeichnerin  u.  wissen- 
schaftl.-techn.  Hilfsarb.  Im  Anfeit, 
v.  mikrosk..  sowie  makroskop.  Zeich¬ 
nungen  und  von  Demonstrationstalein 
und  lllustr.  in  allen  Ausführ,  ai  sserdem 
von  Photograph.  Arb.  und  von  mikros¬ 
kopischen  Präparaten  geübt.  Best.  Aus¬ 
künfte  u.  Zeugn.  z.  Verfüg.  Offert,  unt. 
S.  L.  6180  bitte  zu  richten  an  Rudolf 
Mosse,  Hamburg^ 

Hilfsärzte 

gesucht. 

Es  sind  alsbald  Hilfsarztstellen  zu 
besetzen: 

beim  StadtKranKenhause 
Friedrichstadt 

a)  an  der  chirurgischen  Abteilung 

(dirig.  Arzt  Geh.  San.-Rat  Prol. 
Dr.  Lindner), 

b)  an  der  äuss.  Abteilung  (Haut-, 
Geschlechts-  und  Blasenkranke, 
dirig.  Arzt  Prof.  Dr.  Werther), 

beim  StadtKranKenhause 
Johannstadt 

c)  an  der  inneren  Abteilung  (dirig. 
Arzt  Med.-Rat  Prof.  Dr.  Rostoski). 

d)  an  der  Augenkrankenabteilung 
(dirig.  Arzt  San.-Rat  Dr.  Becker). 

Gehalt:  2700  M.  steigend  alljährlich 
um  200  M.  bis  auf  3300  M.  einschl.  1300  M. 
Jahreswert  der  Naturalbezüge, 
bei  der  Städt.  Heil-  und 
Pflegeanstalt 
(dirig.  Arzt  Geh.  San.-Rat  Dr.  Ganser) 
Gehalt:  3300  M.  steigend  alljährlich 
um  200  M.  bis  auf  3700  M.  einschl.  1300  M. 
Jahreswert  der  Naturalbezüge. 

Auswärtige  Dienstzeit  kann  ange¬ 
rechnet  werden,  wenn  bei  der  Meldung 
Antrag  gestellt  und  genügende  Vorbil¬ 
dung  nachgewiesen  wird. 

Gesuche  mit  Approbationsschein, 
Lebenslauf  u.  Zeugnissen  sind  baldigst 
beim  Krankenpflegamte,  Laudhaus- 
strasse  9/III,  einzureichen. 

Dresden,  den  16.  Dezember  1914 
Der  Rat  zu  Dresden. 


Cocain  hydrochlor, 

cryst.,  bill.  abzugeben.  Offerten  unter 
H.H.  4471  bei.  Rudolf  Mosse,  Hamburg. 


Tüchtiger  Arzt, 

34  Jahre,  verh.,  sucht  Uebei nähme 
einer  guten  Praxis  oder  Lebensstellung 
an  einem  Sanatorium. 

Angebote  usw.  unter  M.  W.  5955 

an  Rudolf  Mosse,  München. 


Asslsnmzarzl  oder 


Für  die  innere  Abteilung  unseres 
Stadlkrankenhauses  wird  approbierter 
Arzt,  oder  Aerztin  gesucht.  Ge¬ 
halt  1600  Mark  (steigend  um  100  Mark 
jährlich  bis  2000  Mark)  neben  freier 
Station  I.  Klasse  und  freier  Wäsche. 
Auswärtige  Dienstzeit  wird  angerechnet. 
Meldungen  sind  zu  richten  an 

Magistrat  Görlitz. 


Die  chirurgische  Universitätsklinik 

Leipzig  sucht  sofort  einen 

Assistenten 

für  die  Dauer  der  Kriegszeit.  Meldungen 
an  die  Direktion  der  Klinik  erbeten. 


Vertretung 

für  Kriegsdauer  in  Landstädtchen 
Schwabens  gesucht.  Tagesentschädi¬ 
gung  18  M.  bei  freier  Station.  Auto¬ 
mobil  und  Chauffeur  zur  Verfügung. 

Anfragen  unter  IW.  K.  5966  an 
Rudolf  Mosse,  München. 


Bekanntmachung. 

Am  Lundkraukenhaiis  Fulda 

(300  Betten)  ist  zum  1.  Januar  1915  die 
Stelle  eines 

Assistenzarztes  oder 
Medizinal -Praktikanten 

zu  besetzen. 

Freie  Station  a.  125. —  Mark  monatl. 
Barvergütung.  Bewerbungen  mit  Lebens¬ 
lauf  an  den  Unterzeichneten  Direktor 
des  Landkrankenhauses 

Up.  Gunkel. 


Dir.  Prof.  Dr. 
Nauwerck. 


Chemnitz,  Patholog.  -  hygienisches  Institut. 

Gesucht  für  baldigst 

Assistenzarzt. 

Gehalt  2910  M.,  jährlich  steigend  150  M.  bis  3360  M.  Ausw.  Dienstzeit  kann  auf 
Antrag  z.  Teil  angerechnet  w.  Meldungen  unter  Beif.  von  Lebenslauf  u.  Zeugn. 
erbeten  an  Rat  der  Stadt,  Krankenpflegamt. 


Offene  Medizinalpraktikantenstellen. 

Aufnahme  in  diese  Lisle  unentgeltlich,  aber  nur  durch  die  Redaktion  (Arnulfstr.  26). 

Bochum,  Chirurg.  Krankenhaus  und  Reservelazarett  Bergmannsheil:  1  Stelle. 

600  M.  jährl.  Freie  Station.  (S.  Ins.  Nr.  51.) 

Trier,  Bürgerhospital:  1  Stelle  sofort.  50  Mk.  monatlich.  Freie  Station  I.  Kl. 
(S.  Ins.  Nr.  51.) 

Unter  „freie  Station“  wird  freie  Wohnung  und  Verpflegung  I.  Klasse  verstanden. 

Besetzte  Stellen  sind  sofort  abznmclden. 


Kurse  in  Röntgentherapie 

jeweils  für  2  bis  3  Teilnehmer.  Dauer  mindestens  8  Tage.  Anmeldungen  an 

Dr.  Wetterer,  Institut  f.  Röntgen-,  Radium-  u.  Finsentherap,,  Mannheim. 


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Sterilisierter  Fleischsaft 

hergestellt  aus  frischem  Fleisch 
Literatur  und  Proben  zu  haben  bei 

Dr.  Chr.  Brunnengräber,  Rostock  i.  M. 


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Dr.  med.  Wilhelm  neumann 

praktiziert  in 

Nervi  bei  Genua 

Italienische  Riviera. 

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Suche  für  1.  Februar  1915  jungen, 
rührigen,  christlichen 

Assistenzarzt  für  grosse 
augenärztliche  Praxis. 

Spezialvorbild,  nicht  erforderl.  Näheres 
auf  Wunsch. 

Augenarzt  San.-Rat  Dr.  Schwabe, 
Leipzig,  Querstrasse  12. 

Am  Orthopädischen  Institut  der 
Universität  Freiburg  ist  die  etats- 
mässige 

Hssistentenstelle 

sofort  neu  zu  besetzen.  Bedingungen 
freie  Verköstigung  und  1800  Mark  jähr¬ 
lich.  Bewerbungen  sind  zu  richten  an 
den  Leiter  Prol.  Ritschl. 

Kaufmann 

aus  der  chemisch-pharmazeutischen 

Branche,  der  mit  Einführung  neuer 
Präparate  und  mit  der  laufenden  Pro¬ 
paganda  dafür  vertraut  ist,  diese  Tätig¬ 
keit  schon  mit  Erfolg  ausgeübt  hat  u.  sich 
darüber  ausweisen  kann,  für  baldigen 
Antritt  gesucht. 

Ausführliche  Bewerbungen  mit  Ge¬ 
haltsansprüchen  unter  J.  6.  9716  be¬ 
fördert  Rudolf  Mosse,  Berlin  SW. 


SS 


Schrleslißim 

’  /fyf  an  der  Bergstrassse  VJq  ' 

[co  «eibi.  Locgenkranke  \a 

des  gebildet  Mittelstandes. 
Wlk;4.5Öbil6.50pro  Tag. 

__k  Sommer-  p.  Winterkür. ,  _ 

Prosp.  d.  d.  Verwaltung. 

Auch  während  des  Krieges  geöffnet. 


Raus  Rockenau 

1^“  Prt^L 

DrFürer. 


Dr.  Ernst  Sandow’s 


künstl.  Mineralwassersalze: 

Biliner,  Emser,  Fachinger,  Friedrichshaller, 
Homburger,  Karlsbader,  Kissinger,  Marien¬ 
bader,  Neuenahrer,  Ofener,  Salzbrunner, 
Salzschlirfer,  Sodener,  Vichy,  Wiesbadener, 
Wildunger  und  viele  andere. 


Augenbäder 


(mit  künstlich. 
Emser  Salz)  zur 
Heilung  und  Verhütung  äusserer  katarrha¬ 
lischer  und  entzündlicher  Augenerkrankungen, 
sowie  zur  Pflege  der  Augen. 


Brausesalze: 

Alkalizitrat  (für  Diabetiker),  Bromsalz,  Brom- 
Eisensalz,  Chinin-Eisenzitrat,  Eisensalze, 
Jodsalze,  Lithiumsalze,  brs.  Karlsbader  Salz, 
Magnesiumzitrat,  Selters  -  Erfrischungssalz, 
Veronal-Bromsalz  usw. 


Fruchtsalz, 

Sauerstoff-Bäder. 

IV  a  ch  ahm  ung  en  meiner  Salze  sind  oft  min  derwerti g  und  dabei  nich  t  billiger. 
Ständige  Ausstellung  im  Kaiserin  Friedrich-Haus,  Berlin.  Dr.  Ernst  Sandow,  Hamburg  30 


Kohlensäure-Bäder 

haben  sich  am  längsten  bewährt  und  bleiben 
noch  heute  die  einfachsten  und  billigsten. 

Langsame,  stetige  Gasentwicklung. 

Kohlensäure-Bäder  aller  Systeme,  auch  natür¬ 
liche,  greifen  emaillierte  und  Metallwannen 
an.  Um  dies  bei  meinen  Bädern  zu  vermeiden, 
gebrauche  man  meine  Schutzeinlage. 


licfacs  BIulcLfen) 


wertvollen  Ovo  «Lecithin 


MUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


Nr.  5 2 


Für  alle  diejenigen,  die  vor  der  Front  oder 
in  Feindesland  durch  Strapazen  und  Ent¬ 
behrungen  gelitten  haben,  für  kriegsver¬ 
wundete,  erkrankte  Offiziere  und  Soldaten 


Indikation:  |  Zur  intenfiven  Förderung  der  P 
Blutbildung,  zur  Hebung  | 
|  des  Allgemeinbefindens,  bei  | 
|  Blutarmut  und  allgemeinen  1 


Wirken  intenfiver  als  viele  andere  Eifen-  und  Lecithin«Mitiel 


Reichhaltige 
Literatur 
Qnd  Proben 
gratis 


|  Schwächezuftänden,  in  der 
|  Reconvaleszenz,  Kinder-  und 
Frauenpraxis 


Indikation: 


Chemische  Fabrik  Arthur  Jaffe,  Berlin  0.27. 


1  Für  übermüdete,  überreizte  und 

8  kranke  Nerven,  bei  Schwächezu- 
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Arsenwasserkur“.  (Aus  der  I.  mediz.  Univ.-Klinik  in  Wien).  (Intern.  Beiträge  zur  Pathologie 
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Nr.  52. 


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Albesdorf-Insmingen, 

Lothr. 

Angermünde,  Kreis 

Benneckenstein,  Harz 
Berlin 

Berlin-Lankwitz 
Braunsberg  O.-Pr. 
Bremen 

Breslau,  B.K.K.  f.  Hoch- 
v  assei  Schutz 

Burgbrohl,  Rhld. 
Burgsinn  i.  Bay. 

Cöpenick  n.  Umg. 
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Dattenfeld,  Rhld. 
Diedenhofen,  Lothr. 
Dietz  a.  L. 

Dietzenbach,  Hessen 


Döbeln 
Düsseldorf 
Eberswalde,  Brdbg. 
Ehrenbreitstein 
Eime  Hann. 

Elbing 

Engers 

Eschede,  Hann. 
Eschenlohe,  Bz.Garmisch 

Frankfurt  a.  M. 

Geilenkirchen,  ir.iMh«. 
Godenau,  Hann. 
Grälenthal,  Thür. 
Grasleben  b.  Weferlingen. 
Greif) enherg,  Uckerm. 
Gröba-Riesa, 

Gröditz  b.  Riesa. 
Grossbeeren,  Bez. 
Grosspostewitz-Hainitz 
Guxhagen,  Bez.  Cassel 
Haibau,  Kr.  Sagan. 
Hamm,  Westf. 


Hanau,  San.-V. 
Heckeiberg,  Kreis  Ober¬ 
barnim 

Heldburg  A.G.  zuHildesh 
Herne  i.  W 
Hochspeyer,  Pfalz 
Holzappel  i.  Th.  u.  Umg. 

Illingen,  Rhld. 
Insmingen  s.  Albesdorf. 

Kaiserslautern 
Kattowitz  i.  Schl. 
Kaufmännische  Kr.-K.  f. 

Rheinl.  u.  Westf. 
Kemel,  H.-N. 
Klingenthal,  Sa. 

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Königsberg,  Pr. 
Königshütte  O.-Schl. 
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Mohrungen,  Bez. 
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Niederneukirch 

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Oberammergau 
Oberbarnim,  Kreis 
Oberneukirch 
Oderberg  i.  d.  Mark. 
Ohlstadt,  Bez.  Garmisch 
Osnabrück  i.  Hannover 
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Rathenow 

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Riesa  a.  .  .Ibe-Gröba. 
Ringenhain 
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Rothenfelde  b. Fallersieh. 
Ruhla,  Thür. 

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Scnirgiswalde.Reg.-Bez. 

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Schönebeck  aElbe. 
Schorndorf,  Wttbg. 
Schreiberhau  Rieseng. 
Schweidnitz,  Schl., 
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Stade 

Stahnsdorf  s.  Teltow. 

St.  Andreasberg,  Harz. 


Teltow,  Brdbg. 

Templin,  Kreis 

Dnterneubrunn  u.  Umg , 

Kreis  Hildburghausen 

Waldböckelheim 
Waldheim  i.  S. 
Walldorf,  Hessen 
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Warmbrunn-Hermsdorf 

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Aerztlicher  Leiter  Dr.  Leo  Silberstein. 

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Aerztl.  Leiter  DDr.  A.  u.  K.  Albert. 

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Aerztlicher  Leiter  Dr.  Wehmer. 

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Ferr.  Concliin.  aa  0,5  Extr.Condur.0,6  Peps. 0,8  ad  pil.100 

Elixir  Condurango  aromatic.  „Walther“  Ä* 

Ausgezeichnetes  wohlschmeckendes  Stomachikum. 

In  grossen  Originalflaschen  u.  offener  Packung.  Wegen  der  zahlreichen 

Nachahmungen  bitten  stets  ScS*  „Original  Walther“  verordnen 

zu  wollen.  Lileratur  und  Proben  gratis  und  franko. 

Unsere  Propaganda  erstreckt  sich  nur  auf  Aerztekreise. 

F.  WALTHER’S  chem.-pharmaz.  Laboratorium 

Strassbni'fl  i.  Eis.,  Rheinziegelstrasse  12. 


Riba 

Leichtlösliche  Fleischalbumose 


Appetitanregendes 

Kräftigungsmittel 


bei  Schwächezuständen,  Verdauungs¬ 
störungen  usw. 


Riba  stellt  nur  geringe  Anforderungen  an 
den  Magendarmkanal  und  wird  selbst  bei 
rektaler  Anwendung  gut  ausgenutzt.  Ein 
weiterer  Vorteil  ist  seine  Geschmacklosig¬ 
keit,  so  dass  es  auch  von  notorisch  appetit¬ 
losen  Kranken  lange  Zeit  gern  genommen 
wird.  Bei  der  Ernährung  herunter¬ 
gekommener  Patienten  und  bei  allen 
fieberhaften  Affektionen  wird  Riba-Malz 
stets  mit  grossem  Vorteil  verschrieben. 

Proben  und  Literatur  kostenfrei. 


Riba-Werke,BerlmW50 


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Bei  Kriegs-Verletzungen 

und  ihren  Folgen,  bei  Rheuma,  Gicht,  Ischias,  Herzerkrankungen  usw.  ekUSSez*OX*deZltlictl 

günstige  Heilerfolge  im 

Radium-Solbad 

Kreuznach 

Mildes  Klima.  Znjilrebhe  llolels  u.  Pensionen  mit  Winter  betrieb.  Keine  Kurtaxe.  Für  Kriegsteilnehmer 

weitgehende  Vergünstigungen. 

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:  Laut  Untersuchung  am  Pharma- 
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Rheuma  Gicht 


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Katarrhe 


bringen  auch  Verwundeten  rasche  Heilung 

Sommer-  und  Winter-Saison 

Aachen  hat  im  Winter  mildes  Riviera-Klima. 


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Nr.  52. 


AlUENCHENER  MEDIZINISCHE  WOCHENSCHRIFT. 


EUCARBON 


zusammengesetzte 


Kohle-Tabletten 

Mildes  Purgans  u.  Darmdesinficiens  von  vorwiegend 
physikalischer  Wirkung,  die  sich  nicht  erschöpft. 

Besonders  empfohlen  bei  habitueller  Obstipation  verbunden  mit 

Zersetzungserscheinungen  (Gärung  u,  Fäulnis)  im  Magendarmkanal. 

Literatur  und  Proben  zur  Verfügung. 

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Apotheker  F.Trenka,  pharmazeutisch-chemisches  Laboratorium,  Wien  XVIII,  Gentzgasse  12. 

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Grossherzogl.  privile^.  Apotheke 
Woldegk  in  Mecklenburg -Strelitz 

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Verbesserter  Ersatz  für  Salizyl ; 
ohne  Nebenwirkung  selbst  bei 
schweren  Herzkomplikationen 

Besonders  bei  Polyarthritis  rheumatica 
acuta  indiziert,  ferner  bei  subakuten  und  chro¬ 
nischen  Formen  des  Gelenk-  u.  Muskelrheumatis¬ 
mus,  Ischias,  Kopfschmerzen,  Influenza,  Typhus, 
Pneumonie,  Scharlach 


Literatur  und  -  Proben 
stehen  den  Herren 
Aerzten  zur  Verfügung 


Originalpackungen 
Gläser  bezw.  Dosen  mit 
10  u.  25  Tabletten  äl  g 
u.  20  Tabletten  ä  0,5  g 


Literatur  und  Proben  kostenfrei 


Farbwerke  vorm.  Meister 


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Hoechst  am 


Bewährt 
bei  Chlorose, 

^  Anämie,  vor  allem  in  ' 

*  den  Fällen,  die  von  Kopf¬ 
schmerz.,  Herzklopfen  Enlhält  in  100  Teilen 

u.  nervös.  Beschwerden  0,2  metallisches  Eisen 

begleitet  sind,  bei  Neur-  =—  und  die  flüchtigen  wie 

asthenie,  Hy  p  o  chondri  e  EF  die  spiritus-  u.  wasser- 

u.dennervösenLeidender  ^  löslichen  wirksam.Be- 

Wechseljahre,  bei  ner-  standteile  aus  einem 

>  vösenHerz-, Magen-  ^  Teil  Baldrianwur«! 

^  u.  Mensiruations- 
2^,  Beschwerden 

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mW  Lecithin  1%  .  1  „  „  3.00 

mit  Brom  0,25%.  (als  Pepton)  1  „  „  2.50 

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mW  Mangan  0,1  %  (als  Pepton)  1  „  „  2.50 

mW  Guajacol  0,5%  .  1  „  „2.50 


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institut,  Litterat ur-Nachweise,  liefert  mediz.  Werke  und  Zeitschriften  postwendend. 

Verlag  von  J.  F.  Lehmann  in  München  8.W.,  2,  Paul  Heysestr.  2C.  —  Druck  von  K.  Miihlthaler's  Buch-  und  Kuustdruckere  /V.G.,; -München. 


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